Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Beiträge zum ausländischen öffentlichen Rech...
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Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht
Begründet von Viktor Bruns
Herausgegeben von Armin von Bogdandy · Rüdiger Wolfrum
Band 225
Clemens A. Feinäugle
Hoheitsgewalt im Völkerrecht Das 1267-Sanktionsregime der UN und seine rechtliche Fassung E E The Exercise of Public Authority in International Law (English Summary)
ISSN 0172-4770 ISBN 978-3-642-20470-8 e-ISBN 978-3-642-20471-5 DOI 10.1007/978-3-642-20471-5 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg 2011 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf : WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
„Wenn [der Sicherheitsrat] aber beginnt, unmittelbar auf Einzelpersonen zuzugreifen, kann auf Dauer der Betroffene nicht schutzlos bleiben.“ *
* Tomuschat, Internationale Terrorismusbekämpfung als Herausforderung für das Völkerrecht, 2006, S. 10.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Februar 2010 von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Literatur konnte im Wesentlichen bis Mai 2010 berücksichtigt werden. Bis zuletzt dankbar habe ich die Erstellung dieser Arbeit als Chance empfunden, mich einer interessanten juristischen Themenstellung intensiv wissenschaftlich zu widmen. Die Erfahrungen, die ich dabei mit den Menschen in meiner Umgebung und mir selbst gemacht habe, haben mein Leben sehr bereichert als Erfahrungen nicht nur der Selbstverwirklichung, sondern vor allem auch der Fremd- wie Selbsterkenntnis. Mein Dank gilt zuallererst meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Rüdiger Wolfrum. Er hat mich bei der Erstellung der Arbeit beständig unterstützt, mir großzügig die notwendigen Freiräume gelassen, bei inhaltlichen Fragen wichtige Hilfestellung gegeben und mich mit seinem uneingeschränkten Vertrauen stetig bestärkt. Die gleiche großzügige Freiheit und Unterstützung habe ich von Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Wolfrum auch bei meiner sehr interessanten und lehrreichen Tätigkeit für ihn als Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg erfahren, während der diese Arbeit entstand. Danken möchte ich auch Prof. Dr. Volker Röben, LL.M., der in der Phase der Themensuche meine Aufmerksamkeit auf den Gegenstand der Arbeit gelenkt hat. Außerdem hat mich das Mitarbeiterseminar am Max-Planck-Institut zum Thema „The Exercise of Public Authority by International Institutions“ in einer entscheidenden Phase der Dissertation stark inspiriert und mir wichtige Impulse für die Arbeit geliefert. Herrn Professor Dr. Winfried Brugger danke ich für die sehr zügige Erstellung des Zweitgutachtens, die darin enthaltenen hilfreichen Anregungen sowie sein offenkundiges Interesse an dieser Arbeit. Den Direktoren des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, Herrn Professor Dr. Armin von Bogdandy und Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Rüdiger Wolfrum, gilt mein Dank für die ehrenvolle Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe des Instituts.
VIII
Vorwort
Dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) möchte ich an dieser Stelle herzlich für die Gewährung eines Doktorandenstipendiums danken, mit dem mein in Zusammenhang mit der Erstellung der Dissertation unternommener Forschungsaufenthalt an der New York University (NYU) und bei den Vereinten Nationen in New York unterstützt wurde. Mein ganz besonderer Dank gilt den Freunden und Kollegen am MaxPlanck-Institut, die mir die Zeit in Heidelberg durch ihre Unterstützung und Anerkennung reich gemacht haben. Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle meine Freunde Dr. Sarah Wolf, Dr. Jakob Pichon, der bei ähnlicher eigener Themenstellung stets ein geschätzter Gesprächspartner und Korrektor war, Simone Malz, Dr. Isabel Röcker, Johann-Christoph Woltag, Maja Smrkolj, LL.M., Fabiana Godinho McArthur, LL.M., Ulrike und Dr. Ramin Moschtaghi, Dr. Daniel Heilmann, LL.M., Dr. Nele Matz-Lück, LL.M., Dr. Holger Hestermeyer, LL.M., Dr. Diana Zacharias, LL.M., PD Dr. Rainer Grote, LL.M. sowie Dr. Matthias Hartwig. Besonders bedanken möchte ich mich auch bei den Mitarbeitern der Bibliothek und der EDV für ihre ständige Hilfsbereitschaft bei der Recherche und der technischen Umsetzung sowie bei Yvonne Klein und Marina Filinberg für die stets gute Kooperation. Der Redaktion des Instituts und stellvertretend insbesondere Dr. Christiane Philipp habe ich für ihre Hilfe und vor allem auch Geduld zu danken. Von ganzem Herzen möchte ich mich schließlich bei den Menschen bedanken, die mir diese Arbeit und so vieles andere überhaupt erst ermöglicht und mich immer uneingeschränkt unterstützt haben: bei meinen Eltern, Hildegard und Professor Dr. Norbert Feinäugle, die mir bei der Erstellung dieser Arbeit intensiv beratend zur Seite standen. Ihnen ist diese Arbeit in großer Dankbarkeit zugeeignet.
Karlsruhe, im Januar 2011
Clemens A. Feinäugle
Inhaltsverzeichnis Teil I. Das 1267-Sanktionsregime als Beispiel für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz ..................... 1 A. Einleitung: Forschungsgegenstand und Gang der Untersuchung ....................................................... 1 I. Problemstellung und Aktualität der Fragestellung ..................... II. Ziel der Arbeit................................................................................ III. Forschungsgegenstand .................................................................. IV. Gang der Untersuchung................................................................ V. Kernfragen der Untersuchung......................................................
1 3 3 5 6
B. Funktionsweise und Individualwirkung des 1267-Sanktionsregimes................................................................... 7 I. Einleitung: UN-Sanktionen allgemein......................................... 7 II. Funktionsweise des 1267-Sanktionsregimes................................ 8 1. Die Architektur des Sanktionsregimes................................... 9 2. Die „Sanktionsnorm“ ............................................................ 10 3. Listungsverfahren .................................................................. 11 4. Streichungsverfahren ............................................................. 13 III. Besonderheiten des 1267-Sanktionsregimes .............................. 17 1. Die quasi-unmittelbare Individualgerichtetheit des 1267-Sanktionsregimes.................................................... 17 2. Die menschenrechtliche Relevanz des 1267-Sanktionsregimes.................................................... 19 IV. Fazit .............................................................................................. 20
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene: Ein Phänomen und seine rechtliche Fassung ...................................................... 21 I.
Einleitung: Entstaatlichung, Internationalisierung und Globalisierung ...................................................................... 21
X
Inhaltsverzeichnis
1. Das Phänomen der Entstaatlichung, Internationalisierung bzw. Globalisierung........................... 2. Erforderlichkeit der Regelung jenseits der nationalen Ebene und die Folgen ................................... 3. Entstaatlichung und Internationalisierung beim 1267-Sanktionsregime .................................................. II. Das Phänomen der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene ........................................................ 1. Einleitung ............................................................................... 2. Idee und Begriff der Ausübung von Hoheitsgewalt auf nationaler Ebene..................................... a) Die Idee der Ausübung von Hoheitsgewalt als Staatsgewalt in der Aufklärung .................................. b) Der Begriff der Ausübung von Hoheitsgewalt im nationalen Kontext in der Gegenwart .............................................................. c) Fazit................................................................................... 3. Die Idee der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene .................................................. 4. Phänomene der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene .................................................. 5. Das 1267-Sanktionsregime als Phänomen der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene......................................................... 6. Der Mangel an Handlungsbeschränkungen bei der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene......................................................... 7. Fazit: Legitimität als Problemstellung für die weitere Untersuchung ............................................... III. Die rechtliche Fassung der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene .............................. 1. Einleitung ............................................................................... 2. Darstellung und Bewertung der verschiedenen Ansätze .................................................... a) Global Governance .......................................................... aa) Begriff und Begründung ........................................... bb) Behandlung des Phänomens der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene nach diesem Ansatz ....................................... cc) Bewertung.................................................................. dd) Fazit............................................................................ b) Global Administrative Law.............................................
21 25 27 29 29 30 30
34 35 35 38
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44 46 51 51 52 52 52
53 53 54 54
Inhaltsverzeichnis
aa) Begriff und Konzept des Global Administrative Law .................................................. bb) Behandlung des Phänomens der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene nach diesem Ansatz ....................................... cc) Bewertung.................................................................. dd) Fazit............................................................................ c) Internationales Verwaltungsrecht ................................... aa) Begriff des internationalen Verwaltungsrechts ....... bb) Behandlung des Phänomens der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene nach diesem Ansatz ....................................... cc) Bewertung.................................................................. dd) Fazit............................................................................ d) Die Konstitutionalisierungsthese .................................... aa) Begriff......................................................................... bb) Behandlung des Phänomens der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene nach diesem Ansatz ....................................... cc) Bewertung.................................................................. dd) Fazit............................................................................ e) Der öffentlich-rechtliche Ansatz zur Bildung von Prinzipien für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene................................................................................. aa) Das Konzept des öffentlich-rechtlichen Ansatzes ..................................................................... bb) Die „Punktprobe“ als Prüfungsvorbehalt bei der Anwendung des öffentlich-rechtlichen Ansatzes ..................................................................... cc) Bewertung.................................................................. dd) Fazit............................................................................ IV. Fazit zur Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene ........................................................
XI
55
56 57 59 59 59
60 61 62 62 62
63 64 65
65 65
68 71 72 72
Teil II. Die Bindung des UN-Sicherheitsrats an Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ...................... 75 D. Bindung des UN-Sicherheitsrats an die Menschenrechte – bisherige Ansätze ....................................... 75
XII
Inhaltsverzeichnis
I.
Die UN und der UN-Sicherheitsrat: historische und rechtliche Besonderheiten ................................................... 75 II. Die bisherige Diskussion zur Bindung des Sicherheitsrats........................................................................ 79 1. Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrats aus der UN-Charta ................................................................ 82 2. Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrats aus dem Völkergewohnheitsrecht......................................... 88 3. Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrats aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen .............................. 90 4. Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrats aufgrund menschenrechtlicher Verpflichtungen der UN-Mitgliedstaaten ........................................................ 93 5. Rolle des ius cogens für die Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrats .................................................................. 96 III. Fazit ............................................................................................ 100
E. Neuer Ansatz für die Bindung des UNSicherheitsrats an Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit: Die UN-Treue als Prinzip für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene ...................................................... 101 I.
Die Herleitung des Prinzips der UN-Treue als Prinzip für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene ...................................................... 1. Einleitung ............................................................................. 2. Herleitung des Prinzips der UN-Treue mit Hilfe des öffentlich-rechtlichen Ansatzes zur Bildung von Prinzipien für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene ................................................ a) Rechtsvergleichung: Das Prinzip der Unionstreue im Europarecht und das Prinzip der Bundestreue im nationalen Verfassungsrecht............................................................. aa) Das Prinzip der Unionstreue im Europarecht........................................................ bb) Das Prinzip der Bundestreue im nationalen Verfassungsrecht ................................... cc) Fazit..........................................................................
101 101
104
105 105 108 110
Inhaltsverzeichnis
b) Interne Konstitutionalisierung: Analyse der UN-Charta zur Herleitung eines Prinzips der UN-Treue ................................................................. c) Punktprobe: Übertragbarkeit der den nationalen und regionalen Treuepflichten zugrunde liegenden Grundgedanken auf die UN-Ebene vor dem Hintergrund der Besonderheiten der Völkerrechtsordnung ................... d) Fazit................................................................................. II. Inhalt des Prinzips der UN-Treue............................................ 1. Inhalt des Prinzips im Allgemeinen.................................... 2. Inhalt des Prinzips der UN-Treue bezogen auf den Forschungsgegenstand des 1267-Sanktionsregimes .......... a) Berücksichtigung der Besonderheiten des 1267-Regimes ........................................................... b) Die aktuelle Debatte über die Geltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit im Recht der UN............................................................ c) Zwischenfazit.................................................................. 3. Zwischenfazit zum Inhalt der UN-Treue .......................... III. Inhalt der vom Sicherheitsrat zu berücksichtigenden rechtsstaatlichen Grundsätze .................. 1. Herleitung des Inhalts der vom Sicherheitsrat zu berücksichtigenden rechtsstaatlichen Grundsätze ............ 2. Konkreter Inhalt der vom Sicherheitsrat zu berücksichtigenden rechtsstaatlichen Grundsätze ............ 3. Fazit....................................................................................... IV. Punktprobe: Einwendungen gegen den Menschenrechtsschutz auf völkerrechtlicher Ebene............... 1. Art. 103 UNCh .................................................................... 2. Ausnahme aufgrund Notstandsrechts................................ 3. Fazit....................................................................................... V. Fazit zur Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit aufgrund der UN-Treue............................................................
XIII
111
116 121 122 122 122 122
125 127 128 129 129 132 134 135 135 136 138
138
Teil III. Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand nach dem gefundenen menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Maßstab ................................................................................ 141
XIV
Inhaltsverzeichnis
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen: die Rechtsgrundlagen und die rechtsstaatliche Entwicklung des Sanktionsregimes bis zum gegenwärtigen Ist-Zustand ...................................... 141 I.
Die Sicherheitsratsresolutionen des 1267-Sanktionsregimes im Einzelnen ...................................... 1. Sicherheitsratsresolution 1267 (1999)................................. a) Inhalt ............................................................................... b) Bewertung ....................................................................... 2. Sicherheitsratsresolution 1333 (2000)................................. a) Inhalt ............................................................................... b) Bewertung ....................................................................... 3. Sicherheitsratsresolution 1363 (2001)................................. 4. Sicherheitsratsresolution 1390 (2002)................................. a) Inhalt ............................................................................... b) Bewertung ....................................................................... 5. Sicherheitsratsresolution 1452 (2002)................................. a) Inhalt ............................................................................... b) Bewertung ....................................................................... 6. Sicherheitsratsresolution 1456 (2003)................................. 7. Sicherheitsratsresolution 1526 (2004)................................. 8. Sicherheitsratsresolution 1617 (2005)................................. a) Inhalt ............................................................................... b) Bewertung ....................................................................... 9. Sicherheitsratsresolution 1699 (2006)................................. 10. Sicherheitsratsresolution 1730 (2006)................................. a) Inhalt ............................................................................... b) Bewertung ....................................................................... 11. Sicherheitsratsresolution 1732 (2006)................................. 12. Sicherheitsratsresolution 1735 (2006)................................. a) Inhalt ............................................................................... b) Bewertung ....................................................................... 13. Sicherheitsratsresolution 1822 (2008)................................. a) Inhalt ............................................................................... b) Bewertung ....................................................................... 14. Sicherheitsratsresolution 1904 (2009)................................. a) Inhalt ............................................................................... b) Bewertung ....................................................................... II. Zusammenfassung zur rechtsstaatlichen Entwicklung des Sanktionsregimes bis zum Ist-Zustand..............................
142 142 142 144 146 146 147 148 149 149 150 152 152 154 154 155 156 156 160 161 161 161 163 164 166 166 167 169 169 171 173 173 177 178
Inhaltsverzeichnis
1. Klare Definition der Voraussetzungen für eine Listung .................................................................... 2. Beweispflicht hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen einer Listung..................................... 3. Recht auf unverzügliche und vollständige Information bezüglich des zur Last gelegten Sachverhalts sowie der getroffenen Entscheidung.................................................... 4. Begründungspflicht.............................................................. 5. Anhörungs- und Verteidigungsrecht.................................. 6. Zeitliche Begrenzung der Listung....................................... 7. Recht auf eine schnelle Kontrollmöglichkeit durch einen unabhängigen und unparteiischen Spruchkörper........................................................................ III. Fazit zum Ist-Zustand des 1267-Sanktionsregimes ................
XV
179 180
182 184 185 185
187 188
G. Der Soll-Zustand des 1267-Sanktionsregimes nach den Vorgaben des Europarats zur Rechtsstaatlichkeit und zum Menschenrechtsschutz ...... 191 I.
Die Entwicklung des Soll-Zustandes des 1267-Sanktionsregimes anhand der Vorgaben des Europarats zur Rechtsstaatlichkeit und zum Menschenrechtsschutz...................................................... 1. Vorbemerkung: Bedeutung der Menschenrechte und Präzisierung des Prüfungsmaßstabs............................ a) Bedeutung der Menschenrechte für die weitere Prüfung .............................................................. b) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs auch mit Hilfe von Dokumenten des Europarats................. 2. Listungsverfahren ................................................................ a) Klare Definition der Voraussetzungen für eine Listung..................................................................... aa) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs ...................... bb) Zusammenfassung des Ist-Zustandes des 1267-Sanktionsregimes..................................... cc) Festgestellte Mängel im Ist-Zustand des 1267-Sanktionsregimes..................................... dd) Verbesserungsvorschläge ........................................ ee) Fazit.......................................................................... b) Beweispflicht hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen einer Listung............................... aa) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs ......................
192 192 192 194 196 196 196 197 198 200 201 201 201
XVI
Inhaltsverzeichnis
c)
d)
e)
f)
bb) Zusammenfassung des Ist-Zustandes des 1267-Sanktionsregimes..................................... cc) Festgestellte Mängel im Ist-Zustand des 1267-Sanktionsregimes..................................... dd) Verbesserungsvorschläge ........................................ ee) Fazit.......................................................................... Recht auf unverzügliche und vollständige Information bezüglich des zur Last gelegten Sachverhalts sowie der getroffenen Entscheidung .................................................................. aa) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs ...................... bb) Zusammenfassung des Ist-Zustandes des 1267-Sanktionsregimes..................................... cc) Festgestellte Mängel im Ist-Zustand des 1267-Sanktionsregimes..................................... dd) Verbesserungsvorschläge ........................................ ee) Fazit.......................................................................... Begründungspflicht ........................................................ aa) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs ...................... bb) Zusammenfassung des Ist-Zustandes des 1267-Sanktionsregimes..................................... cc) Festgestellte Mängel im Ist-Zustand des 1267-Sanktionsregimes..................................... dd) Verbesserungsvorschläge ........................................ ee) Fazit.......................................................................... Anhörungs- und Verteidigungsrecht ............................ aa) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs ...................... bb) Zusammenfassung des Ist-Zustandes des 1267-Sanktionsregimes..................................... cc) Festgestellte Mängel im Ist-Zustand des 1267-Sanktionsregimes..................................... dd) Verbesserungsvorschläge ........................................ ee) Fazit.......................................................................... Zeitliche Begrenzung der Listung ................................. aa) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs ...................... bb) Zusammenfassung des Ist-Zustandes des 1267-Sanktionsregimes..................................... cc) Festgestellte Mängel im Ist-Zustand des 1267-Sanktionsregimes..................................... dd) Verbesserungsvorschläge ........................................ ee) Fazit..........................................................................
202 203 204 205
205 205 206 207 208 209 209 209 210 210 213 214 214 214 215 216 217 218 219 219 219 220 220 224
Inhaltsverzeichnis
XVII
g) Zwischenergebnis zum Soll-Zustand im Listungsverfahren ..................................................... 3. Streichungsverfahren und Rechtsschutz: Recht auf eine schnelle Kontrollmöglichkeit durch einen unabhängigen und unparteiischen Spruchkörper.............. a) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs.............................. b) Zusammenfassung des Ist-Zustandes des 1267-Sanktionsregimes ............................................ c) Festgestellte Mängel im Ist-Zustand des 1267-Sanktionsregimes ............................................ d) Verbesserungsvorschläge ............................................... aa) Spielarten eines Kontrollmechanismus für Individualsanktionen der UN.......................... bb) Einrichtung eines UN-Kontrollgremiums einschließlich eines in camera-Verfahrens und der reverse consensus-Regel ............................ (1) Zunächst: Der Vorschlag eines UNBeratungsgremiums........................................... (2) Rechtliche Beurteilung des Vorschlags eines UN-Beratungsgremiums und eigener Vorschlag eines UN-Kontrollgremiums mit in camera-Verfahren und reverse consensusRegel ................................................................... e) Fazit................................................................................. II. Fazit ............................................................................................
225
225 225 228 228 229 230
233 233
238 250 251
Teil IV. Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz gegen das 1267-Regime: Status quo der Rechtsprechung und Vermeidung von Konflikten zwischen den (potentiell) beteiligten Gerichten .......................... 253 H. Bisherige nationale und regionale Rechtsprechung zum 1267-Sanktionsregime.................................................. 253 I.
Urteile, die die Listung und damit die Tatbestandsseite der „Sanktionsnorm“ betreffen.................... 255 1. EuGH: Der Fall Kadi und Al Barakaat gegen Rat und Kommission, C-402/05 P und C-415/05 P ................ 255 a) Umsetzung des Sanktionsregimes auf europäischer Ebene ........................................................ 256
XVIII
Inhaltsverzeichnis
b) Sachverhalt ...................................................................... c) Entscheidungsgründe: Nichtigkeit der angefochtenen Verordnung wegen Verletzung von EG-Grundrechten ............................... aa) Zur Kompetenz der Gemeinschaftsgerichte, über Grundrechtsverletzungen durch die Verordnung zu entscheiden.................................... bb) Zu den Grundrechtsverletzungen.......................... d) Bewertung ....................................................................... 2. Schweizerisches Bundesgericht: Der Fall Nada gegen Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) als Fall des Angriffs einer nationalen Listung.................... a) Sachverhalt ...................................................................... b) Entscheidungsgründe..................................................... c) Bewertung ....................................................................... 3. UN-Menschenrechtsausschuss: Prüfung des Falles Sayadi/Vinck.............................................................. a) Sachverhalt ...................................................................... b) Erwägungen des Menschenrechtsausschusses........................................... c) Bewertung ....................................................................... II. Urteile, die die Auslegung und Anwendung der Sanktionsvorschriften und damit die Rechtsfolgenseite der „Sanktionsnorm“ betreffen.................. 1. EuGH: Der Fall Möllendorf (C-117/06)............................ a) Sachverhalt ...................................................................... b) Entscheidungsgründe..................................................... c) Bewertung ....................................................................... 2. VG München: Der Fall Mzoudi gegen Deutsche Bundesbank.......................................................... a) Sachverhalt ...................................................................... b) Entscheidungsgründe..................................................... c) Bewertung ....................................................................... III. Fazit zur bisherigen nationalen und regionalen Rechtsprechung zum 1267-Sanktionsregime ..........................
258
259
259 263 266
274 274 276 280 282 282 284 286
287 287 288 291 294 296 297 299 302 303
J. Prinzipien für den gerichtlichen Rechtsschutz im Mehrebenensystem des 1267-Sanktionsregimes ................. 305 I. Einleitung ................................................................................... 305 II. Die Prüfungsberechtigung internationaler, nationaler und regionaler Gerichte in Bezug
Inhaltsverzeichnis
auf Aspekte des 1267-Sanktionsregimes, insbesondere die Listungen auf UN-Ebene ............................ 1. Die Prüfungsberechtigung internationaler Gerichte......... 2. Die Prüfungsberechtigung nationaler und regionaler Gerichte ................................................................................ a) Prüfungsberechtigung nach hergebrachter Sicht ................................................................................. b) Notwendigkeit einer abweichenden Beurteilung im 1267-Regime in Bezug auf die Listung ................................................................ c) Prüfungszuständigkeit bezüglich der Listungen aufgrund des UNTreuegedankens .............................................................. d) Durchführung der Punktprobe zur Bestätigung der Zuständigkeit nationaler bzw. regionaler Gerichte für die Überprüfung der UN-Listungen .................................. aa) Das Konzept des Handelns ultra vires .................. bb) Der Grundsatz der Immunität internationaler Organisationen .............................. cc) Fazit zur Punktprobe.............................................. e) Fazit zur Prüfungsberechtigung nationaler und regionaler Gerichte ................................................. III. Schwierigkeiten eines nationalen und regionalen gerichtlichen Rechtsschutzes im 1267-Sanktionsregime.......................................................... 1. Gegenstände gerichtlicher Verfahren im 1267-Sanktionsregime .................................................... a) Bestimmung denkbarer Verfahrensgegenstände anhand der Tatbestandsseite der „Sanktionsnorm“......................... b) Bestimmung denkbarer Verfahrensgegenstände anhand der Rechtsfolgenseite der „Sanktionsnorm“....................... c) Zwischenergebnis ........................................................... 2. Konfliktpotential aufgrund der Zuständigkeit .................. a) Überprüfung der Zulässigkeit des „Kampfes gegen Al-Qaida etc.“ als Aktivität des Sicherheitsrats unter Kapitel VII der UN-Charta ..................................................................... b) Überprüfung der Listung (Tatbestandsseite der „Sanktionsnorm“)....................................................
XIX
306 306 307 308
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311 311 313 317 317
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320 321
XX
Inhaltsverzeichnis
c) Überprüfung der Sanktionen des Einfrierens der Finanzmittel, des Ein- und Durchreiseverbots sowie des Waffenembargos (Rechtsfolgenseite der „Sanktionsnorm“).................................................... d) Identifiziertes Konfliktpotential ................................... 3. Fazit zu den Schwierigkeiten eines nationalen und regionalen gerichtlichen Rechtsschutzes im 1267-Sanktionsregime .................................................... IV. Denkbare Lösungsansätze ........................................................ 1. Formeller Ansatz einer Bündelung der Zuständigkeit bei einem bestimmten Gericht ............................................ 2. Bisherige Judikatur zum Verhältnis zwischen nationalen und regionalen Gerichten als Lösung? ............ 3. Konfliktvermeidung durch Anwendung des Prinzips der Justiztreue im Mehrebenensystem ............................... a) Herleitung eines Prinzips der Justiztreue im Mehrebenensystem der Gerichte .................................. b) Wirkweise des Prinzips der Justiztreue zur Lösung von Gerichtskonflikten im Mehrebenensystem......................................................... c) Anwendung des Treueprinzips auf die Gerichte im Mehrebenensystem des 1267-Sanktionsregimes .................................................. aa) Bestimmung der Vorrangverhältnisse.................... (1) Verhältnis zwischen Unionsgerichten und Bundesverfassungsgericht ......................... (2) Verhältnis zwischen Unionsgerichten und EGMR ........................................................ (3) Fazit zur Bestimmung der Vorrangverhältnisse ........................................... bb) Vergleich der Ergebnisse der Bestimmung der Vorrangverhältnisse mit der bisherigen Spruchpraxis zum 1267-Regime ............................ cc) Entscheidungsalternativen nationaler und regionaler Gerichte.......................................... dd) Fazit.......................................................................... d) Ausblick: Einpassung des Kontrollgremiums auf UN-Ebene in das Gefüge der Gerichte im Mehrebenensystem................ aa) Das Bestehen von Treuepflichten im Verhältnis der Gerichte zum Kontrollgremium auf UN-Ebene ...............................................................
322 324
324 325 326 327 329 330
333
335 337 337 339 341
341 342 343
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344
Inhaltsverzeichnis
bb) Der Prüfungsvorrang hinsichtlich der Kontrolle der Listung: Verhältnis zwischen Unionsgerichten und Kontrollgremium auf UN-Ebene ......................................................... cc) Der Prüfungsvorrang hinsichtlich der Kontrolle der konkret erlassenen Sanktionen: Verhältnis zwischen UN-Mitgliedstaaten, Unionsgerichten und UN-Ebene........................................................ dd) Fazit.......................................................................... V. Fazit zu den Prinzipien für den gerichtlichen Rechtsschutz ..............................................................................
XXI
345
346 349 350
K. Ergebnisse ....................................................................................... 353 Summary .............................................................................................. 357 Anhang I zu Kapitel G..................................................................... 361 Elements for draft supplementary guidelines for the examination of Sanctions Committees’ listing decisions............... 361
Anhang II zu Kapitel G: Die Ergänzungen zu den Verfahrensrichtlinien des 1267-Sanktionsregimes .................. 365 Literaturverzeichnis ......................................................................... 381 Sachregister ......................................................................................... 415
Abkürzungsverzeichnis AJIL
American Journal of International Law
AllgErkl. MR
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN von 1948
AöR
Archiv des Öffentlichen Rechts
ATCM
Antarctic Treaty Consultative Meeting
AVR
Archiv des Völkerrechts
AW-Prax
Außenwirtschaftliche Praxis
BayVbl.
Bayerische Verwaltungsblätter
Brooklyn J. Int. L.
Brooklyn Journal of International Law
BVerfGE
Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts
CAC
Codex Alimentarius Kommission
CJTL
Columbia Journal of Transnational Law
CMLRev.
Common Market Law Review
CWILJ
California Western International Law Journal
DJCIL
Duke Journal of Comparative & International Law
DVBl.
Deutsches Verwaltungsblatt
ECOSOC
Economic and Social Council
EGMR
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EJIL
European Journal of International Law
EMRK
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950
EPIL
Encyclopedia of Public International Law
EuConst
European Constitutional Law Review
EuG
Europäisches Gericht Erster Instanz
EuGH
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften/ der Europäischen Union
EuGRZ
Europäische Grundrechte-Zeitschrift
EuR
Europarecht
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
EUV-Lissabon
Vertrag über die Europäische Union in der Fassung des Vertrages von Lissabon
EuZW
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EVD
Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement
FAO
Food and Agriculture Organisation
FATF
Financial Action Task Force
FILJ
Fordham International Law Journal
GLJ
German Law Journal
GoJIL
Goettingen Journal of International Law
GYIL
German Yearbook of International Law
HJRL
Hague Journal on the Rule of Law
HRLR
Human Rights Law Review
HRQ
Human Rights Quarterly
ICLQ
The International and Comparative Law Quarterly
ICLR
International Community Law Review
ICTY
Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien
IGH
Internationaler Gerichtshof
IJCL
International Journal of Constitutional Law
I.L.M.
International Legal Materials
IOLR
International Organizations Law Review
IPbpR
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
JICJ
Journal of International Criminal Justice
JURA
Juristische Ausbildung
JuS
Juristische Schulung
JZ
Juristenzeitung
KritV
Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft
LJIL
Leiden Journal of International Law
Max Planck UNYB
Max Planck Yearbook of United Nations Law
MPEPIL
Max Planck Encyclopedia of Public International Law
NGO
Non-governmental Organization
Abkürzungsverzeichnis
XXV
NILR
Netherlands International Law Review
NJIL
Nordic Journal of International Law
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NQHR
Netherlands Quarterly of Human Rights
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
NYIL
Netherlands Yearbook of International Law
NYUJILP
New York University Journal of International Law and Politics
NZJPIL
New Zealand Journal of Public and International Law
OECD
Organization of Economic Co-operation and Development
RdC
Recueil des Cours
RGDIP
Revue Générale de Droit International Public
S+F
Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden
SPS
Abkommen über sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen
SZIER
Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht
TBT
Abkommen über technische Handelshemmnisse
UN
Vereinte Nationen
UNCh
Charta der Vereinten Nationen
UNESCO
Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wirtschaft und Kultur
UNHCR
Behörde des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen
U.N.T.S.
United Nations Treaty Series
VJIL
Virginia Journal of International Law
WHO
Weltgesundheitsganisation
WIPO
Weltorganisation für geistiges Eigentum
WTO
Welthandelsorganisation
WVK
Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969
YJIL
The Yale Journal of International Law
Teil I Das 1267-Sanktionsregime als Beispiel für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene: Der öffentlichrechtliche Forschungsansatz A. Einleitung: Forschungsgegenstand und Gang der Untersuchung I. Problemstellung und Aktualität der Fragestellung Die Jahrzehnte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind bestimmt von einem sich ständig beschleunigenden Prozess der Globalisierung in Wirtschaft, Wissenschaft und Kommunikation, mit dem eine zunehmende Internationalisierung der Politik einher geht. Entsprechend sind zahlreiche neue Rechtsgebiete entstanden. Das Völkerrecht hat sich von seiner klassischen Funktion der bloßen Koordination zwischen Staaten weiterentwickelt zu einer Rechtsordnung der staatenübergreifenden Kooperation. Diese Kooperation erlangte eine neue Qualität durch die Institutionalisierung einer wachsenden Zahl von internationalen Organisationen, insbesondere durch die Gründung der Vereinten Nationen. Zu beobachten ist ein langsamer, aber kontinuierlicher Prozess der Verlagerung von Kompetenzen, die bisher von der nationalen Ebene ausgeübt wurden, auf die völkerrechtliche Ebene. Daraus ergibt sich – wenn man hier nur einmal die Vereinten Nationen in den Blick nimmt – das Problem, dass diese internationale Organisation inzwischen auf völkerrechtlicher Ebene Hoheitsgewalt ausübt – wenn auch die Umsetzung der einzelnen Rechtsakte noch von den Staaten vorzunehmen ist – hierfür aber keinesfalls umfassend legitimiert ist. Das bedeutet, dass die
C.A. Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht: Das 1267-Sanktionsregime der UN und seine rechtliche Fassung, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 225, DOI 10.1007/978-3-642-20471-5_1, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg 2011
1
2
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
Vereinten Nationen einerseits für die Umsetzung ihrer Rechtsakte1 stets darauf angewiesen2 sind, dass diese den adressierten Staaten legitim, also gerechtfertigt und akzeptabel erscheinen, dass es aber andererseits gerade an dieser Akzeptanz von Fall zu Fall fehlt. Insbesondere ist dies dort der Fall, wo die Maßnahmen der UN Grundrechte tangieren, die in den nationalen Verfassungen garantiert und flankierend durch einen gerichtlichen Rechtsschutz abgesichert sind, während solche expliziten Grundrechtskataloge bei den „neuen Gesetzgebern“ auf völkerrechtlicher Ebene nicht zu finden sind. Es könnte somit der Eindruck entstehen, dass durch die Kompetenzverlagerung auf die internationale Ebene verloren geht, was im Nationalstaat als dem bisherigen Ort der Ausübung von Hoheitsgewalt mühsam erworben wurde, nämlich die öffentliche und juristisch gesicherte Kontrolle solcher Gewalt. Es hat sich gezeigt, dass dadurch ausgelöste Legitimitätsbedenken bei den mit der Ausführung der völkerrechtlichen Maßnahmen beauftragten Staaten zu einer Blockadehaltung führen können und somit die Gefahr droht, dass die Arbeit internationaler Organisationen mangels Akzeptanz ihrer Rechtsakte in ihrer Wirkung eingeschränkt ist. Die Suche nach Legitimation auf völkerrechtlicher Ebene stellt sich also als eine Aufgabe, die dringend gelöst werden muss, wenn die in einer globalisierten Welt unverzichtbaren internationalen Organisationen ihre Funktion effektiv erfüllen sollen. Bei der Untersuchung einer bestimmten hoheitlichen Maßnahme der Vereinten Nationen, die derartigen Legitimationsbedenken begegnet, konnte der Verfasser feststellen, dass und wie die Organisation über mehrere Jahre in Reaktion auf von außen herangetragene Rechtfertigungszwänge das Legitimationsdefizit des betreffenden Sanktionsregimes durch sukzessive Präzisierungen und Modifikationen jedenfalls zu einem Teil selbst aufgearbeitet hat. Der Frage, inwieweit die bestehenden Legitimationsbedenken hinsichtlich dieses Sanktionsregimes dadurch schon zerstreut sind, und was zu tun bleibt, um solche Legitimation herzustellen, widmet sich diese Arbeit.
1
Zur Befolgung und Durchsetzung der von den UN ergriffenen Maßnahmen Schachter, The UN Legal Order: An Overview, in: Schachter/Joyner (Hrsg.), United Nations Legal Order, Band 1, 1995, S. 1, 15 ff. 2
Diese Angewiesenheit der UN auf ihre Mitgliedstaaten spricht zum Beispiel Luck, UN Security Council, Practice and Promise, 2006, S. 67, an: “[F]or sanctions … the critical factor is the willingness … of member states to implement the Council’s decisions”.
A. Einleitung: Forschungsgegenstand und Gang der Untersuchung
3
II. Ziel der Arbeit Ziel der vorliegenden Arbeit ist es somit, einen Beitrag auf dieser Suche nach Legitimation auf völkerrechtlicher Ebene zu leisten. Dabei wird versucht, Prinzipien für die Ausübung und die Kontrolle von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene zu identifizieren. Diese Prinzipien sollen nicht nur für den jeweils untersuchten konkreten Zusammenhang, sondern verallgemeinernd auch für sonstige Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene Geltung beanspruchen können. Der in dieser Arbeit gewählte Ansatz einer öffentlich-rechtlichen Betrachtungsweise geht davon aus, dass die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene mit Hilfe einer Synopse der Ansätze des internationalen Verwaltungsrechts, der Konstitutionalisierungsthese und des Rechts der internationalen Institutionen rechtlich gefasst werden kann.3 Bei der Untersuchung des 1267-Regimes als Beispiel für die Ausübung von Hoheitsgewalt soll versucht werden, nicht das ganze Sanktionsregime neu zu formulieren, sondern von den gegenwärtigen Gegebenheiten des Ist-Zustands auszugehen. Die Einrichtung von Individualsanktionsregimen wird dabei als von der Befugnis des Sicherheitsrats, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, grundsätzlich gedeckt angesehen. An das Vorhandene im 1267-Regime soll konstruktiv angeknüpft werden. Konkrete Ergänzungen und Verbesserungsvorschläge sollen dafür sorgen, dass die Legitimation des Sanktionsregimes erhöht wird und so seine Funktionsfähigkeit besser gewährleistet werden kann.
III. Forschungsgegenstand Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene wird vorliegend am Beispiel des mit Resolution 1267 (1999) eingerichteten Al-Qaida- und Talibansanktionsregimes (im Folgenden: 1267-(Sanktions) Regime) der Vereinten Nationen (im Folgenden: UN) untersucht. Im Rahmen dieses Sanktionsregimes, das der Terrorbekämpfung dienen soll, werden von einem UN-Sanktionskomitee natürliche und juristische Personen, die verdächtig werden, zu Al-Qaida oder den Taliban zu gehören oder mit diesen in Verbindung zu stehen, gelistet. Alle Geliste3
Dazu unten, C.III.2.lit.e.
4
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
ten werden Sanktionen wie der Kontensperrung und dem Ein- und Durchreiseverbot unterworfen, ohne dass ihnen ein effektiver Rechtsschutz zur Verfügung steht. An dieser Resolution wird das Problem, dass eine nach nationalstaatlichen Rechtsnormen zu fordernde Beschränkung der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene bislang nicht hinreichend gegeben ist, deshalb besonders anschaulich, weil hier der Sicherheitsrat Maßnahmen nicht nur gegen Staaten ergreift, sondern – quasi durch den Nationalstaat hindurch – in Menschenrechte von Einzelpersonen unmittelbar eingreift. Die Arbeit will daher in Anwendung des öffentlich-rechtlichen Forschungsansatzes Prinzipien für Rechtsstaatlichkeit und Kontrolle finden, die für das 1267-Regime gelten müssten. Diese sollen schließlich zu einem konkreten Formulierungsvorschlag für Ergänzungen der Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees des 1267-Regimes führen. Nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist der allgemeine Kampf gegen den Terrorismus, der mit der Resolution 1373 (2001) infolge der Anschläge vom 11. September 2001 eingeläutet wurde.4 Dort fordert der Sicherheitsrat die Staaten zum Kampf gegen den Terrorismus auf, führt aber selbst keine Terroristenliste auf UN-Ebene. Da hier erst entsprechende nationale Hoheitsakte originär über die Adressaten der Anti-Terrormaßnahmen entscheiden, kann effektiver Rechtsschutz hier grundsätzlich auf hergebrachte Weise gegen nationale Akte durch nationale Gerichte gewährt werden. Die Legitimationsfrage stellt sich also auf völkerrechtlicher Ebene in diesen Fällen nicht in gleicher Weise wie im 1267-Regime. Ebenso bleiben denkbare Fragen des Schadensersatzes in der vorliegenden Arbeit außer Betracht.
4
S. hierzu Neusüß, Legislative Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Eine Untersuchung des Inhalts und der Rechtmäßigkeit von Resolution 1373 unter besonderer Berücksichtigung der Reaktionen der Staaten, 2008. Ein Vergleich der Sanktionsregime nach Resolution 1267 (1999) und nach Resolution 1373 (2001) findet sich bei Foot, The United Nations, Counter-Terrorism, and Human Rights: Institutional Adaption and Embedded Ideas, HRQ 29 (2007) 2, S. 489, 492 ff.; speziell unter europarechtlichen Gesichtspunkten einschließlich der Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung Eckes, Sanctions against Individuals – Fighting Terrorism within the European Legal Order, EuConst 4 (2008) 2, S. 205 ff.
A. Einleitung: Forschungsgegenstand und Gang der Untersuchung
5
IV. Gang der Untersuchung Am Anfang von Teil I der Untersuchung, der das 1267-Regime als Beispiel für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene in den Blick nimmt, steht eine kurze Einführung in Funktionsweise und Wirkungen des 1267-Regimes, die dem besseren Verständnis der sich anschließenden Kapitel dienen soll (Kapitel B). In Kapitel C wird ausgehend von dem Begriff von Hoheitsgewalt im Nationalstaat das Phänomen der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene untersucht und es werden verschiedene Ansätze zur rechtlichen Fassung dieser Hoheitsgewalt analysiert und bewertet. In Teil II der Arbeit wird die Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrats untersucht. Hier wird der Diskussion eine neue Argumentationslinie hinzugefügt auf der Grundlage eines Prinzips für die Ausübung von Hoheitsgewalt, das auf dem öffentlich-rechtlichen Ansatz zur rechtlichen Fassung der Ausübung solcher Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene basiert. In Kapitel D wird dafür zunächst der bisherige Meinungsstand zur Bindung des Sicherheitsrats an die Menschenrechte dargestellt und bewertet, bevor in Kapitel E zur Begründung dieser Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit die UN-Treue als Prinzip für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene hergeleitet wird. In Teil III ist auf den konkreten Forschungsgegenstand einzugehen, an dem sich der öffentlich-rechtliche Ansatz und die damit begründete Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrates bewähren sollen. In Kapitel F wird dazu das 1267-Regime anhand der dazu ergangenen Resolutionen eingehend vorgestellt. Dabei werden die rechtsstaatlichen Verbesserungen in diesem Sanktionsregime bis hin zum gegenwärtigen IstZustand nachgezeichnet. Im nachfolgenden Kapitel G werden dann die noch vorhandenen rechtsstaatlichen Defizite des Ist-Zustands identifiziert und Vorschläge gemacht, die zu Verbesserungen in rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Hinsicht führen und den noch bestehenden Legitimitätsbedenken bezüglich dieses Regimes Rechnung tragen können (Soll-Zustand). Damit könnte dessen Funktionsfähigkeit durch Steigerung seiner Akzeptanz verbessert werden. Die Ergebnisse sollen sich dann in konkret formulierten Ergänzungen zu den Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees niederschlagen. Teil IV der Arbeit schließlich widmet sich dem nationalen und regionalen gerichtlichen Rechtsschutz gegen das 1267-Regime. Ziel ist es hier, für die Zeit, bis der Soll-Zustand im 1267-Regime erreicht ist, ein funk-
6
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
tionierendes System gerichtlichen Rechtsschutzes zu finden, das insbesondere Zuständigkeitskonflikte im Mehrebenensystem vermeidet. In Kapitel H wird die bisherige nationale und regionale Rechtsprechung behandelt, die einerseits die vorhandenen Bedenken hinsichtlich des IstZustandes des 1267-Regimes belegt und andererseits die Stellung und Prüfungskompetenz der betreffenden Gerichte im Mehrebenensystem erkennen lässt. Dies führt hin zu Kapitel J, das nach Prinzipien für den gerichtlichen Rechtsschutz im Mehrebenensystem fragt. Hier soll untersucht werden, wie sich de lege lata bestehende Konflikte der Gerichte auf den verschiedenen Ebenen vermeiden lassen. Daran anschließend soll de lege ferenda bestehender Rechtsschutz auf UN-Ebene sinnvoll in dieses Mehrebenensystem des Rechtsschutzes eingefügt werden, das aber als solches bestehen bleibt, da bezüglich der einzelnen Aspekte des Sanktionsregimes die gerichtliche Prüfungszuständigkeit verschiedenen Ebenen zufällt.
V. Kernfragen der Untersuchung Für die vorliegende Untersuchung stellen sich damit folgende Kernfragen: Wie lässt sich die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene rechtlich fassen, um sie so einer Rechenschaftspflicht zu unterwerfen und damit ihre Legitimation zu erhöhen? Wie lässt sich als Grundlage einer rechtsstaatlichen Argumentation die Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit begründen? Welche rechtsstaatlichen Entwicklungen sind im 1267-Regime als einem Beispiel für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene bisher zu erkennen und wie lassen sich vorhandene Defizite konkret beheben? Wie gestaltet sich der gerichtliche Rechtsschutz im Mehrebenensystem mit und ohne ein Kontrollgremium auf UN-Ebene und wie lassen sich Jurisdiktionskonflikte in diesem Mehrebenensystem vermeiden?
B. Funktionsweise und Individualwirkung des 1267-Sanktionsregimes I. Einleitung: UN-Sanktionen allgemein Der UN-Sicherheitsrat trägt die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, Art. 24 Abs. 1 UNCh.1 Zur Wahrnehmung dieser Aufgabe wird ihm in Kapitel VII der UN-Charta ein Instrumentarium von Handlungsmöglichkeiten an die Hand gegeben, das von Empfehlungen und vorläufigen Maßnahmen über gewaltlose bis hin zu militärischen Sanktionen reicht2 und das zum Einsatz kommen kann, sofern der Sicherheitsrat die Bedrohung oder den Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung festgestellt hat. Während militärische Sanktionen der gewaltsamen Durchsetzung des Völkerrechts dienen, werden gewaltlose Sanktionen, wie etwa das Embargo, eingesetzt, um durch eine Kombination von wirtschaftlichem und politischem Druck den sanktionierten Staat zur Kooperation zu bewegen.3 Nach den Erfahrungen mit den negativen humanitären Fol1
Für einen Überblick zum Sicherheitsrat und seinen Zuständigkeiten Wood, United Nations, Security Council, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, [www.mpepil.com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010; Kolb, Introduction au droit des Nations Unies, 2008, S. 146 ff.; Malone, Security Council, in: Weiss /Daws (Hrsg.), The Oxford Handbook on the United Nations, 2007, S. 116 ff. 2
Vgl. Art. 39-42 UN-Charta. Als Auswahl an Literatur zum Thema UNSanktionen seien genannt Cortright/Lopez/Gerber-Stellingwerf, Sanctions, in: Weiss/Daws (Hrsg.), The Oxford Handbook on the United Nations, 2007, S. 349 ff.; Bruha, Security Council, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Band 2, 1995, S. 1147, 1149 (Rz. 8); Gowlland-Debbas, Sanctions Regimes under Article 41 of the UN Charter, in: Gowlland-Debbas (Hrsg.), National Implementation of United Nations Sanctions, A Comparative Study, 2004, S. 3, 4; siehe zu Kapitel VII auch Frowein/Krisch, Introduction to Chapter VII, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations – A Commentary, 2002, S. 701 ff. Zur Entwicklung von UN-Sanktionen und zur Sanktionspraxis eingehend Farrall, United Nations Sanctions and the Rule of Law, 2007, S. 43 ff., 79 ff. 3
Vgl. Schaller, Internationales Sanktionsmanagement im Rahmen von Artikel 41 UN-Charta, 2003, S. 18; allgemein zu Wirtschaftssanktionen des Si-
8
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
gen für die Zivilbevölkerung, wie etwa bei der Wirtschaftsblockade im Irak, ging der Sicherheitsrat dazu über, gezielt Sanktionen auf die politisch Verantwortlichen zu konzentrieren, um so die Wirksamkeit der Sanktionen zu erhöhen und zugleich die Zivilbevölkerung zu schonen (sogenannte smart sanctions).4 Die entsprechenden Beschlüsse des Sicherheitsrates sind von den UN-Mitgliedstaaten anzunehmen und durchzuführen (Art. 25 UNCh). Die Verpflichtungen aus der UNCharta haben gemäß Art. 103 UNCh Vorrang vor Verpflichtungen aus anderen internationalen Übereinkünften, falls sich diese und die Verpflichtungen aus der Charta widersprechen.
II. Funktionsweise des 1267-Sanktionsregimes Im Kampf gegen den Terrorismus5 hat die Sanktionspraxis des UNSicherheitsrats6 eine neue Wendung erfahren: Mit Erlass der Resolution cherheitsrats Schrijver, The Use of Economic Sanctions by the UN Security Council: an International Law Perspective, in: Post (Hrsg.), International Economic Law and Armed Conflict, 1994, S. 123 ff. 4
Frowein/Krisch, Article 41, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations – A Commentary, 2002, S. 735, 738; vgl. auch Farrall, United Nations Sanctions and the Rule of Law, 2007, S. 131 f.; eingehender zu Finanzsanktionen Cortright/Lopez/Rogers, Targeted Financial Sanctions: Smart Sanctions That Do Work, in: Cortright/Lopez (Hrsg.), Smart Sanctions, Targeting Economic Statecraft, 2002, S. 23 ff. 5
Zur Behandlung von Terrorismus im Rahmen der UN Newman, A Crisis of Global Institutions?, Multilateralism and International Security, 2007, S. 117 ff.; Boulden, Terrorism, in: Weiss/Daws (Hrsg.), The Oxford Handbook on the United Nations, 2007, S. 427 ff. Klein, Le Conseil de sécurité et la lutte contre le terrorisme: dans l’exercice de pouvoirs toujous plus grands?, in: Hommage à la professeure Katia Boustany, Revue Québécoise de Droit International, Sonderheft, 2007, S. 132, 147, fragt, ob nicht der Kampf gegen den Terrorismus auf Betreiben der einflussreicheren Sicherheitsratsmitglieder gegenüber Krieg und Hunger, die in vielen der weniger einflussreichen UN-Mitglieder ein viel größeres Problem als die Terrorismusbekämpfung darstellten, überbetont wird. 6
Zu den verschiedenen Fällen, in denen Terrorismus vom Sicherheitsrat unter dem Aspekt der Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit behandelt wurde, s. Klein, Le droit international à l’épreuve du terrorisme, RdC Band 321 (2006), 2007, S. 203, 330 ff. Allgemeiner zur Rolle der UN bei der Terrorismusbekämpfung Schaller, Völkerrechtliche Rahmenbedingungen und die Rolle der Vereinten Nationen bei der Terrorismusbekämpfung, in:
B. Funktionsweise und Individualwirkung des 1267-Sanktionsregimes
9
1267 (1999) und deren Folgeresolutionen7 wenden sich Sanktionen der UN gezielt gegen Einzelpersonen, die – anders als in anderen Resolutionen – keine einem Staat zuzurechnenden hohen politischen Funktionäre sind.8
1. Die Architektur des Sanktionsregimes Die Resolutionen des 1267-Regimes richten sich gegen alle Mitglieder und Unterstützer der Taliban, Al-Qaidas und Osama bin Ladens.9 Deren Namen werden in einer Sanktionsliste geführt, die von den UN verwaltet wird. Jedem Gelisteten droht, dass seine Gelder und anderen Finanzmittel eingefroren (im Folgenden bezeichnet als: Kontensperrung)10 und ein Ein- und Durchreiseverbot sowie ein Waffenembargo gegen ihn verhängt werden.11 Diese nach Kapitel VII der UN-Charta beschlossenen Sanktionen sind nach Art. 25 UNCh für die UN-
Schneckener (Hrsg.), Chancen und Grenzen multilateraler Terrorismusbekämpfung, 2007, S. 13 ff. 7
Resolution 1267 (1999) vom 15. Oktober 1999, gefolgt insbesondere von Resolution 1333 (2000) vom 19. Dezember 2000 und Resolution 1390 (2001) vom 16. Januar 2002. 8
Ein Beispiel einer Resolution, in der ehemalige Regierungsmitglieder eines Staates als Einzelpersonen adressiert werden, ist etwa Resolution 1483 (2003) vom 22. Mai 2003, deren Ziff. 23 (b) eine Sperrung aller „funds or other financial assets or economic resources that have been removed from Iraq, or acquired, by Saddam Hussein or other senior officials of the former Iraqi regime …“ vorsieht. 9
Zur Behandlung des Afghanistankonflikts durch den Sicherheitsrat allgemein Dorronsoro, The Security Council and the Afghan Conflict, in: Lowe/ Roberts/Welsh/Zaum (Hrsg.), The United Nations Security Council and War, The Evolution of Thought and Practice since 1945, 2008, S. 452 ff. Zu den Strukturen und Verhaltensmustern von Al-Qaida Tophoven, Neue terroristische Strukturen: Osama bin Laden und die „Al-Qaida“, in: Frank/Hirschmann (Hrsg.), Die weltweite Gefahr, Terrorismus als internationale Herausforderung, 2002, S. 245 ff. 10
S. Ohler, Terrorismusbekämpfung mit den Instrumenten der Finanzmarktaufsicht, Die Verwaltung 41 (2008) 3, S. 405 ff., zu den einzelnen Instrumenten der Finanzmarktaufsicht nach deutschem Recht. 11
So zuletzt bestätigt in Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 1.
10
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
Mitgliedstaaten verbindlich. Der Normsetzung durch die UN folgt damit die Normumsetzungpflicht der UN-Mitgliedstaaten. Verwaltet wird die Liste von einem Sanktionskomitee. Dieses ist ein Unterorgan des Sicherheitsrates und spiegelt ihn in seiner Besetzung wider.12 Es entscheidet hinsichtlich der von ihm geführten Sanktionsliste sowohl über Aufnahme als auch Streichung von Terrorverdächtigen.13 Weil Listung und Streichung für die vorliegende Untersuchung von grundlegender Bedeutung sind, sollen die entsprechenden Verfahren kurz vorgestellt werden.
2. Die „Sanktionsnorm“ Zum 1267-Regime sind mehrere Resolutionen verabschiedet worden.14 Sie alle müssen, um das 1267-Regime verstehen zu können, im Wege einer Synopse zusammengelesen werden, weil etwa die eine Resolution die Sanktion anordnet, während die andere mögliche Ausnahmen dazu statuiert.15 Eine hier vorgeschlagene „Sanktionsnorm“ kann insofern als Verständnishilfe dienen, als sie Inhalte, die erst durch verschiedene Resolutionen Eingang in das Sanktionsregime gefunden haben, komprimiert in einem Satz darstellt. Die Verwendung des Begriffs „Sanktionsnorm“ ist dabei nicht im strengen Sinne von „Rechtsnorm“ zu verstehen, sondern soll in erster Linie den Anklang der Formulierung an eine abstrakt und prägnant gestaltete Rechtsregel aufnehmen und insofern der Veranschaulichung dienen. Die „Sanktionsnorm“ lautet:
12
Art. 29 UN-Charta; Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008, Ziff. 1 (b). 13 Vgl. Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008, Ziff. 6 (a), 7 (h)(iii), 7 (g)(vi). 14
Insgesamt sind mittlerweile mehr als ein Dutzend Resolutionen zum 1267-Regime verabschiedet worden. Diese werden im Einzelnen in Kapitel F. besprochen. 15
In Resolution 1452 (2002) vom 20. Dezember 2002 etwa sind ausschließlich Ausnahmen von der Kontensperrung geregelt, während die vorangegangenen Resolutionen, die die Sanktionen angeordnet haben, unberührt bleiben. Der Zusammenhang verschiedener Resolutionen wird auch durch die Bezugnahme späterer Resolutionen auf vorangegangene Resolutionen deutlich.
B. Funktionsweise und Individualwirkung des 1267-Sanktionsregimes
11
„Wenn eine natürliche oder juristische Person als in Verbindung stehend mit Al-Qaida, Osama bin Laden oder den Taliban in die Liste des Sanktionskomitees aufgenommen worden ist, sind alle UNMitgliedstaaten verpflichtet, die Gelder und sonstigen finanziellen Vermögenswerte dieser Personen einzufrieren und gegen sie ein Einund Durchreiseverbot sowie ein Waffenembargo zu verhängen“. Die „Sanktionsnorm“ ermöglicht damit das schnelle Erkennen von Voraussetzungen und Rechtsfolgen des 1267-Sanktionsregimes. Weil das Handeln hinsichtlich der einzelnen Elemente dieses Satzes sowohl in die Zuständigkeiten der UN-Ebene als auch der nationalen bzw. regionalen Ebene fällt, wird so auch die Mehrebenenstruktur des 1267Regimes sichtbar.
3. Listungsverfahren16 Das Sanktionskomitee prüft die Aufnahme neuer Namen in die Liste gestützt auf Eingaben der UN-Mitgliedstaaten. Bevor diese einen Listungsvorschlag machen, sollen sie beim Heimat- und/oder Ansässigkeitsstaat um weitere Informationen nachsuchen. Sie sollen Namen so früh wie möglich melden. Eine strafrechtliche Anklage oder Verurteilung ist dabei nicht Voraussetzung, weil die Sanktionen als präventive Maßnahme angesehen werden. Die Listungsvorschläge werden vom Komitee am Maßstab des „associated with“-Standards geprüft, dem Kriterium der Verbundenheit des Betroffenen mit Al-Qaida, Osama bin Laden oder den Taliban.17 Zusammen mit dem Listungsvorschlag 16
Die Darstellung des Listungsverfahrens folgt, soweit in den Fußnoten zum folgenden Abschnitt nicht anders vermerkt, den Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008, Ziff. 6. 17
Dieser „associated with“-Standard wurde bestätigt und konkretisiert in Resolution 1617 (2005) vom 29. Juli 2005, Ziff. 2, sowie jüngst erneut bestätigt in Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 2. Danach deuten unter anderem die folgenden Handlungen oder Aktivitäten darauf hin, dass eine Person, eine Gruppe, ein Unternehmen oder eine Einrichtung mit der AlQaida, Osama bin Laden oder den Taliban verbunden ist: a) die Beteiligung an der Finanzierung, Planung, Erleichterung, Vorbereitung oder Begehung von Handlungen oder Aktivitäten durch, zusammen mit, unter dem Namen oder im Namen von oder zur Unterstützung der Al-Qaida, Osama bin Ladens oder der Taliban oder einer ihrer Zellen, Unterorganisationen, Splittergruppen oder Ableger,
12
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
müssen die Staaten zu dessen Stützung eine möglichst detaillierte Falldarstellung liefern, die mit spezifischen Tatsachen die Verbindung des Betroffenen mit Al-Qaida etc. belegen, die Natur der beigebrachten Beweise (wie etwa Geheimdienstinformationen, Gerichtsurteile, Medieninformationen) nennen sowie weitere Beweise und Dokumente enthalten muss. Außerdem muss der Staat, falls Teile der Falldarstellung vertraulich behandelt werden sollen, dies mitteilen.18 Die Staaten müssen außerdem ein Standardformular ausfüllen, das im Interesse einer optimalen Identifizierung des Betroffenen Namen, Aliasnamen, Geburtsdatum usw. abfragt.19 Das Sanktionskomitee entscheidet über eine Listung nach dem Konsensprinzip. Kann jedoch auch nach erneuten Beratungen kein Konsens erzielt werden, wird die Sache an den Sicherheitsrat weitergeleitet. Neue Listungen sind allen Mitgliedstaaten zusammen mit dem zur Veröffentlichung freigegebenen Teil der Falldarstellung bekanntzugeben. Eine Zusammenfassung der Gründe für die Listung ist im Internet zugänglich zu machen. Innerhalb von drei Werktagen nach Listung muss das Sekretariat die Ständige Vertretung desjenigen Landes benachrichtigen, in dem sich die betroffene Person mutmaßlich befindet und im Fall von natürlichen Personen deren Heimatstaat.20 Einzuschließen sind in diese Benachrichtigung der zur Veröffentlichung freigegebene Teil der Falldarstellung, eine Beschreibung der Wirkungen der Listung, des Verfahrens zur Streichung von der Liste und die Vorschriften über mögliche Ausnahmen. Die so benachrichtigen Staaten sind verpflichtet, alle denkbaren Maßnahmen zu ergreifen, um zeitnah den Gelisteten mit gleichem Inhalt einschließlich auch der Nennung der Sanktionen und der Gründe für die Listung zu informieren.
b) die Lieferung, der Verkauf oder die Weitergabe von Rüstungsgütern und sonstigem Wehrmaterial an diese, c) die Rekrutierung für diese oder d) die sonstige Unterstützung ihrer Handlungen oder Aktivitäten. 18 19 20
Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 11. Ibid., Ziff. 13. Ibid., Ziff. 18.
B. Funktionsweise und Individualwirkung des 1267-Sanktionsregimes
13
4. Streichungsverfahren21 Das Verfahren zur Streichung von der Liste (Streichungsverfahren, Delisting-Verfahren) kann von dem Gelisteten initiiert werden, indem er sich entweder direkt an die Ombudsperson bei den UN wendet oder an seinen Heimat-/Ansässigkeitsstaat. In jedem Fall muss der Betroffene seinen Delisting-Antrag rechtfertigen und erklären, warum er die Voraussetzungen für eine Listung nicht (mehr) erfüllt. Wählt er den Weg über seinen Heimat-/Ansässigkeitsstaat, so muss sich der adressierte Staat, sofern er dem Antrag Folge leistet, an den Staat, der die Listung vorgeschlagen hat (Vorschlagsstaat) wenden, um weitere Informationen einzuholen und Verhandlungen über die Streichung zu führen. Der Vorschlagsstaat kann umgekehrt ebenfalls Informationen verlangen. Auch der Vorsitzende des Sanktionskomitees kann in die Verhandlungen einbezogen werden. Wenn der Staat des Gelisteten nach Prüfung der Informationen eine Streichung befürwortet, so soll er versuchen, den Vorschlagsstaat zur Einreichung eines gemeinsamen oder getrennten Streichungsantrags zu überreden. Er kann, falls der Vorschlagsstaat dies ablehnt, seinen eigenen Streichungsantrag trotzdem beim Komitee einreichen. Wählt der Antragsteller den Weg über die Ombudsperson, so leitet diese den Streichungsantrag zur Information und möglichen Äußerung an die Mitglieder des Sanktionskomitees, den Heimat-/Ansässigkeitsstaat und den Vorschlagsstaat, die zuständigen UN-Organe und nach ihrem Ermessen an weitere Staaten weiter.22 All diese Staaten und UN-Organe sollen binnen zweier Monate weitere Informationen mitteilen, die im Zusammenhang mit dem Streichungsantrag von Bedeutung sind.23 Die Ombudsperson kann mit diesen Staaten in Dialog treten, um deren Meinungen und etwaigen weiteren Informationsbedarf zu ermitteln.24 Der Antrag ist zudem auch an das Monitoring Team, ein Expertengremium, das dem Sanktionskomitee zuarbeitet, weiterzuleiten, das innerhalb von zwei Monaten alle zu dem Streichungsantrag verfügbaren Informationen (einschließlich etwa Gerichtsentscheidungen), eine auf Tat-
21 Die Darstellung des Streichungsverfahrens folgt, soweit in den Fußnoten zum folgenden Abschnitt nicht anders vermerkt, den Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008, Ziff. 7. 22 23 24
Annex II zur Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 2. Ibid. Ibid.
14
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
sachen gestützte Bewertung der vom Antragsteller gelieferten Informationen sowie noch zu klärende Fragen an die Ombudsperson zu übermitteln hat.25 Nach Ablauf der zwei Monate – soweit die Frist nicht ausnahmsweise verlängert werden muss – legt die Ombudsperson dem Sanktionskomitee einen schriftlichen Fortschrittsbericht vor, einschließlich der Einzelheiten darüber, welche Staaten Informationen geliefert haben.26 Damit ist das Stadium der Informationssammlung beendet und die Ombudsperson moderiert daran anschließend einen zweimonatigen Zeitraum des Austauschs zwischen den Staaten, dem Sanktionskomitee, dem Antragsteller und dem Monitoring Team, indem sie etwa Fragen an den Antragsteller richtet, etwaige Antworten an die anderen Beteiligten weiterleitet und den Dialog koordiniert.27 Zum Abschluss verfasst sie für das Sanktionskomitee einen umfassenden Bericht, der neben einer Zusammenfassung aller antragsrelevanten Informationen und der Beschreibung der ausgeführten Tätigkeiten der Ombudsperson insbesondere die – aus ihrer Sicht – wesentlichen Argumente in Bezug auf den Streichungsantrag darlegt.28 Das Sanktionskomitee hat zur Durchsicht des Berichts dreißig Tage Zeit, dann wird der Streichungsantrag auf die Tagesordnung des Komitees gesetzt.29 Bei der Prüfung des Streichungsantrags stellt die Ombudsperson den Bericht vor und beantwortet Fragen der Mitglieder des Sanktionskomitees.30 Das Komitee beschließt dann, ob dem Streichungsantrag stattgegeben wird.31 Im Falle der Stattgabe wie der Ablehnung der Streichung unterrichtet die Ombudsperson den Antragsteller.32 Im Fall der Ablehnung sendet sie dem Antragsteller innerhalb von fünfzehn Tagen nach Mitteilung der Ablehnung durch das Sanktionskomitee den Beschluss sowie gegebenenfalls weitere erläuternde Anmerkungen, einschlägige Informationen über den Beschluss und eine aktualisierte Zusammenfassung der Gründe für die Listung zu und be25 26 27 28 29 30 31 32
Ibid., Ziff. 3. Ibid., Ziff. 4. Ibid., Ziff. 5 bis 7. Ibid., Ziff. 7. Ibid., Ziff. 8. Ibid., Ziff. 9. Ibid., Ziff. 10. Ibid., Ziff. 11 und 13.
B. Funktionsweise und Individualwirkung des 1267-Sanktionsregimes
15
schreibt den Verfahrensablauf und den zur Veröffentlichung vorgesehenen Teil des Sachverhalts.33 Für beide Verfahrensoptionen (Ombudsperson oder Heimat-/Ansässigkeitsstaat) gilt, dass innerhalb von drei Werktagen nach Streichung von der Liste das UN-Sekretariat die Ständige Vertretung des Landes benachrichtigen muss, in dem sich die betroffene Person mutmaßlich befindet und im Fall von natürlichen Personen deren Heimatstaat.34 Die so benachrichtigen Staaten sollen den Gelisteten zeitnah über die Streichung informieren. Das Delisting-Verfahren (Verfahren zur Streichung von der UN-Liste der Terrorverdächtigen) nach Erlass der Sicherheitsratsresolution 1904 (2009):
33 34
Ibid., Ziff. 12 und 13. Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 27.
16
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
Gelisteter
Antrag
wahlweise
Regierung des Heimat- oder Ansässigkeitsstaates
Ombudsperson -- Empfangsbestätigung;
Informationssammlung,
-- Information;
Nach zwei Monaten: Fortschrittsbericht an Sanktionskomitee
-- Weiterleitung
2 Monate
Mitglieder des Sanktionskomitees
Vorschlagsstaat, Heimat- u./oder Ansässigkeitsstaat; ggf. weitere Staaten
Dialogphase,
Ombudsperson
2 Monate
– Koordinierung; – Information, Austausch; – Weiterleitung
Mitglieder des Sanktionskomitees
Vorschlagsstaat, Heimat- u./oder Ansässigkeitsstaat; ggf. weitere Staaten
Zuständige UN-Organe
Team
Informationssammlung, Konsultationen, ggf. Streichungsantrag
Monitoring Team
Abschlussbericht – Zusammenfassung der Informationen – Beschreibung des Dialogs und der Tätigkeit der Ombudsperson – Darlegung der wichtigsten Argumente
Entscheidungsphase, 2 Monate
Monitoring
Sanktionskomitee:
Beratung und Entscheidung Stattgabe bzw. Ablehnung des Antrags Information an den Antragsteller
B. Funktionsweise und Individualwirkung des 1267-Sanktionsregimes
17
III. Besonderheiten des 1267-Sanktionsregimes 1. Die quasi-unmittelbare Individualgerichtetheit des 1267-Sanktionsregimes Das 1267-Sanktionsregime gewinnt seinen besonderen Charakter durch seine quasi-unmittelbare individuelle Eingriffswirkung durch die Listung von Individuen auf UN-Ebene.35 Der vom Sanktionskomitee Gelistete wird schon von diesem konkret bestimmt und feststehenden Sanktionen unterworfen. Dies erscheint zunächst nicht ungewöhnlich, denn solche Listungen gehören zu typischen Maßnahmen im Rahmen des Handelns des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der UN-Charta. Dies wird auch am Sanktionsregime nach UN-Resolution 1373 (2001) deutlich, das allgemein zum Kampf gegen den Terrorismus aufruft. Allerdings überlässt dieses die Mittel dafür, einschließlich etwaiger Listungen – anders als das 1267-Regime – den UN-Mitgliedern. Aber auch die Listung von Personen direkt durch die UN-Ebene ist nicht ganz neu: So wurden auch schon in der Vergangenheit etwa sudanesische Stammesoberhäupter namentlich bestimmt und Sanktionen unterworfen, um sie als führende Figuren für friedensgefährdende Handlungen zur Verantwortung zu ziehen.36 Doch darin liegt der Unterschied zum 1267Regime. Dieses adressiert im Kampf gegen den Terrorismus nicht einzelne Individuen, die effektive Staatsgewalt ausüben, sondern sämtliche Mitglieder Al-Qaidas und der Taliban und auch alle ihre unmittelbaren Verbündeten, ja sogar ihre Helfershelfer. Es ist bei den gelisteten Personen also kein Bezug zu einem bestimmten Staat mehr vorhanden und zugleich werden unbestimmt viele Personen adressiert.37 Die „Hochzo35
Detailliert und anschaulich zu dieser Eingriffswirkung Meyer/Macke, Rechtliche Auswirkungen der Terroristenlisten im deutschen Recht, Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht (HRRS) (2007) 12, [www.hrr-straf recht.de], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, S. 445 ff. 36 37
Resolution 1672 (2006) vom 25. April 2006.
Ein Sanktionsregime „dazwischen“ stellt das durch Resolution 1844 (2008) vom 20. November 2008 eingerichtete Regime dar, das sich mit Kontensperrung, Ein- und Durchreiseverbot sowie Waffenembargo gegen jeden richtet, der Frieden, Sicherheit und Stabilität in Somalia gefährdet. Zwar richtet sich dieses Sanktionsregime auch an einen unbestimmten Personenkreis und gerade nicht nur an Regierungsvertreter, doch besteht ein Staatsbezug zu Somalia. Offenbar halten die UN das 1267-Regime für mittlerweile rechtsstaatlich so ausgewogen, dass sie in Resolution 1844 (2008) das Listing- und DelistingVerfahren des 1267-Regimes weitgehend wörtlich übernehmen.
18
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
nung“ der Listung auf die UN-Ebene führt rechtlich zwar nicht zu der einer EU-Verordnung vergleichbaren allgemeinen Geltung unmittelbar in jedem UN-Mitgliedstaat,38 sondern die Listung muss weiterhin national erst umgesetzt werden. Die Eingriffswirkung kann dennoch als quasi-unmittelbar beschrieben werden, weil die Listung für die UNMitgliedstaaten nach Art. 25 UNCh Bindungswirkung entfaltet, nach Art. 103 UNCh widersprechenden Verpflichtungen aus anderen internationalen Verträgen vorgeht und den UN-Mitgliedstaaten hinsichtlich des „Ob“, also des Ergreifens der festgelegten Maßnahme gegen die durch Listung festgelegte Person, keinerlei Ermessensspielraum belässt.39 Entscheidend ist, dass durch die „Hochzonung“ der Listung auf UN-Ebene den Mitgliedstaaten gerade die Möglichkeit genommen wird, nach ihren nationalen rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätzen vorzugehen, insbesondere gegen nationale Umsetzungsakte national Rechtsschutz zu gewähren. Was sie vorgesetzt bekommen, ist eine fertige Liste mit Namen von Personen, gegen die dann die beschlossenen Sanktionen wie die Kontensperrung ohne weitere Prüfung zu verhängen sind. Die beschriebene quasi-unmittelbare Individualgerichtetheit des 1267Sanktionsregimes, die die Betroffenheit von Individuen bewirkt, aber keine Kontrollmöglichkeit vorsieht, hat dazu geführt, dass sich die Listungen wegen ihrer menschenrechtlichen Eingriffswirkung vielfachen Angriffen ausgesetzt sehen.40 Auf diese menschenrechtliche Relevanz ist daher jetzt noch einzugehen.
38
Vgl. Art. 288 UAbs. 2 AEUV.
39
Dies gilt vorbehaltlich geringfügiger Abweichungsmöglichkeiten aus humanitären Gründen nach Resolution 1452 (2002), vgl. Schöndorf-Haubold, Internationale Sicherheitsverwaltung, Erscheinungsformen, normative Steuerung und Kontrolle, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 575, 588. Von der abschließenden Bestimmung der Sanktionsadressaten durch das Sanktionskomitee und der Rolle der UN-Mitgliedstaaten als bloßen „Zwangsvollstreckern“ spricht Fremuth, Private im Fadenkreuz des Sicherheitsrats, Vereinte Nationen 57 (2009) 3, S. 111, 112. Auch sonst wirkt das Völkerrecht zunehmend auf die nationalen Rechtsordnungen ein, s. etwa zum Umweltrecht Wolfrum, Ansätze eines allgemeinen Verwaltungsrechts im internationalen Umweltrecht, in: Trute/ Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 665, 677 ff. 40
S. unten, Kapitel H.
B. Funktionsweise und Individualwirkung des 1267-Sanktionsregimes
19
2. Die menschenrechtliche Relevanz des 1267-Sanktionsregimes Die menschenrechtliche Dimension des Sanktionsregimes zeigt sich schon bei den Voraussetzungen einer Listung: dazu gehört die Mitgliedschaft bei Al-Qaida oder den Taliban. Genauso eingeschlossen sind aber auch die mit diesen Personengruppen unmittelbar „Verbundenen“ sowie sogar alle Helfershelfer. Während so die Zahl der potentiell adressierten Personen und Gruppen erhöht wird, wird in gleichem Maße die Bestimmtheit der Listungsvoraussetzungen und die Vorhersagbarkeit der Sanktionsanwendung vermindert. Es genügt eine schwache, leicht zu bejahende Verbindung zu den inkriminierten Gruppen, um die Sanktionsfolge auszulösen. Dieser geringen Anforderung für eine Listung stehen andererseits erheblich einschneidende Maßnahmen auf der Rechtsfolgenseite gegenüber: Die Kontensperrung kann dem Betroffenen jegliche wirtschaftliche Handlungsmöglichkeit abschneiden, wobei vermeintlich ausgleichende Ausnahmemöglichkeiten erst den UN notifiziert werden müssen.41 Und auch das Ein- und Durchreiseverbot kann empfindlich treffen und den Gelisteten zum Gefangenen in seinem Staat machen.42 Wegen dieser empfindlichen Wirkungen43 wurde die Listung im 1267-Sanktionsregime auch schon als „mort civile“ bezeichnet.44 Abgesehen von diesen existenziellen Fragen erzeugt das 1267-Sanktionsregime auch sonstige schwer zu rechtfertigende Konsequenzen, wie etwa die negative Betroffenheit Dritter, die wegen der Listung ihres Vertragspartners mit diesem geschlossene zivilrechtliche Verträge nicht mehr erfüllen können.45
41 42
Resolution 1452 (2002) vom 20. Dezember 2002, Ziff. 1. So etwa im Fall Nada, s. unten, H.I.2.
43
Rieß, Wären die Antiterrorlisten grundrechtswidrig?, AW-Prax, 6/2008, S. 248 ff. 44
Meyer/Macke, Rechtliche Auswirkungen der Terroristenlisten im deutschen Recht, Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht (HRRS) (2007) 12, [www.hrr-strafrecht.de], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, S. 445, 465. 45
S. hierzu den Fall Möllendorf und Möllendorf-Niehuus, EuGH, Urteil vom 11. Oktober 2007, C-117/06, Slg. 2007, I-8361 sowie unten, H.II.1.
20
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
IV. Fazit Das 1267-Sanktionsregime hat sich den Kampf gegen den Terrorismus durch Osama bin Laden, Al-Qaida und die Taliban auf die Fahnen geschrieben. Zu diesem Zweck werden diese und alle ihre Verbündeten durch die UN gelistet und den Sanktionen der Kontensperrung, des Ein- und Durchreiseverbots sowie eines Waffenembargos unterworfen. Für die Listung als Terrorverdächtiger wie für die Streichung von der Liste wurde mittlerweile ein detailliertes Verfahren entwickelt. Die quasi-unmittelbare Individualgerichtetheit des Sanktionsregimes und seine daraus resultierende Menschenrechtsrelevanz haben vielfache (gerichtliche) Angriffe und sonstige Bedenken gegenüber den Listungen hervorgerufen. Aus diesen Bedenken insbesondere hinsichtlich der menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Ausgestaltung des Sanktionsregimes ergibt sich ein Legitimationsproblem für das 1267-Regime, weil es mangels der als nötig empfundenen Kontrolle in vielen Staaten nicht auf hinreichende Akzeptanz stößt. Dies gefährdet die Funktionsfähigkeit des 1267-Regimes, weil die UN weiterhin auf die Umsetzung des Regimes durch ihre Mitgliedstaaten angewiesen sind. Das individualgerichtete Handeln der UN-Ebene mit Eingriffswirkung für die Gelisteten erinnert an die Ausübung von Hoheitsgewalt, wie sie von nationaler Ebene bekannt ist. National muss sich solche Ausübung von Hoheitsgewalt im Rechtsstaat allerdings rechtlich rechtfertigen. Zu prüfen ist daher im kommenden Kapitel, ob beim 1267-Regime von der Ausübung von Hoheitsgewalt gesprochen werden kann und wenn ja, ob und wie sich diese rechtfertigen muss.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene: Ein Phänomen und seine rechtliche Fassung I. Einleitung: Entstaatlichung, Internationalisierung und Globalisierung 1. Das Phänomen der Entstaatlichung, Internationalisierung bzw. Globalisierung Dem Antrieb für die vorliegende Untersuchung liegt eine Entwicklung zugrunde, die mit verschiedenen, zum Teil schillernden Begriffen als „Internationalisierung“, „Entstaatlichung“ oder „Globalisierung“ gekennzeichnet wurde.1 Phänomene wie die zunehmende weltweite Wirt1
Vgl. zur „Entstaatlichung“ etwa Grimm, Die Verfassung im Prozess der Entstaatlichung, in: Brenner/Huber/Möstl (Hrsg.), Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel, Festschrift für Peter Badura zum siebzigsten Geburtstag, 2004, S. 145 ff.; Zimmermann, Zur Zukunft der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland, ZaöRV 67 (2007) 3, S. 799, 810 f.; für den Bereich der Europäischen Union Bogdandy, Supranationale Union als neuer Herrschaftstypus, Entstaatlichung und Vergemeinschaftung in staatstheoretischer Perspektive, in: Hrbek/Schneider (Hrsg.), Die Europäische Union als Prozeß, 1998, S. 506 ff; die Begriffe „Entstaatlichung“ und „Internationalisierung“ verwendend Wolfrum, Legitimacy of International Law and the Exercise of Administrative Functions: The Example of the International Seabed Authority, the International Maritime Organization (IMO) and International Fisheries Organizations, GLJ 9 (2008) 11, S. 2039, 2044; zur „Internationalisierung“ des öffentlichen Rechts Ponthoreau, L’internationalisation du droit public. Effets et interprétations, Rivista Italiana di Diritto Pubblico Comunitario, 15 (2005) 6, S. 1523 ff; zum Beitrag des Europarates zu dieser Internationalisierung Palmieri, L’internationalisation du droit public. La contribution du Conseil de l’Europe, Rivista Italiana di Diritto Pubblico Comunitario 15 (2005) 6, S. 1546 ff; zur „Globalisierung“ etwa Tomuschat, Möglichkeiten und Grenzen der Globalisierung, in: Schwarze (Hrsg.), Globalisierung und Entstaatlichung des Rechts, Teilband 1, 2008, S. 21 ff; Delbrück, Globalization of Law, Politics, and Markets – Implications for Domestic Law – A European Perspective, Indiana Journal of Global Legal Studies 1 (1993) 1, S. 9 ff.; s. auch den Überblick zur deutschen
22
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
schaftsverflechtung, die steigende grenzüberschreitende Umweltverschmutzung und die wachsende internationale Kriminalität haben zu dieser Entwicklung beigetragen. Internationalisierung2 wird dabei verstanden als ein Verlagerungsprozess bestimmter Regelungsbereiche von der Innenpolitik in die Außenbeziehungen, bei dem kooperative Problemlösungen zwischen den Staaten wichtiger werden, während die autonome Politikgestaltung an Bedeutung einbüßt.3 Der Begriff war in seiner hergebrachten Verwendung in der Völkerrechtswissenschaft beschränkt auf die internationale Verwaltung von Territorien, die die Einschränkung der Souveränität eines bestimmten Staates im Interesse der internationalen Staatengemeinschaft bei gleichzeitiger Einrichtung eines internationalen institutionellen Rahmens mit sich brachte.4 Debatte zu den Herausforderungen der Globalisierung für das Verfassungsrecht Gaß, Bericht über die Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer vom 3. bis 6. Oktober 2007 in Freiburg i. Br., BayVbl. 139 (2008) 11, S. 330, 332 ff; Schmidt, Die Rechtsgarantie gerichtlicher Kontrolle in einer globalisierten Wirtschaft, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 529, 530. Zur „global governance“, die dagegen als Folge der Prozesse „Entstaatlichung“, „Internationalisierung“ oder „Globalisierung“ gesehen werden kann, s. unten C.III.2.lit.a. 2
Zur Internationalisierung einzelner Sachbereiche: Zur Internationalisierung von Risiken, die zu Katastrophen führen können, Fassbender, „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch?“ Die Internationalisierung von Risiken und die Entwicklung des völkerrechtlichen Katastrophenschutzes, KritV 88 (2005) 4, S. 375 ff.; zur Internationalisierung des Wirtschaftsrechts Bauer, Internationalisierung des Wirtschaftsrechts: Herausforderung für die Demokratie, in: Bauer/Czybulka/Kahl/Vosskuhle (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, Wissenschaftliches Symposium aus Anlaß des 65. Geburtstages von Reiner Schmidt, 2002, S. 69, 70; zur Internationalisierung und Staatshaftung Bogdandy, Das deutsche Staatshaftungsrecht vor der Herausforderung der Internationalisierung: Zum Verhältnis von rechtlicher Gestaltungsmacht und Schadensverantwortung, AöR 122 (1997) 2, S. 268, 269 f. 3
Vgl. Diggelmann, Der liberale Verfassungsstaat und die Internationalisierung der Politik, 2005, S. 1. Zu den Veränderungen des deutschen Verfassungsstaats durch dessen Offenheit gegenüber dem europäischen und internationalen Umfeld Wahl, Verfassungsstaat, Europäisierung, Internationalisierung, 2003. 4
Vgl. Wolfrum/Pichon, Internationalization, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil.com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 1. Ausführlich zur Nachzeichnung der geschichtlichen Entwicklung der Internationalisierung Wolfrum, Die Internationalisierung staatsfreier Räume, Die Entwicklung einer internationalen Verwaltung für Antarktis, Welt-
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
23
Entstaatlichung besteht dagegen im Kern darin, dass öffentliche Herrschaftsbefugnisse aus dem Besitz des Staates gelöst, auf nicht-staatliche Träger verlagert und von diesen in nicht-staatlichen Verfahren ausgeübt werden.5 Entstaatlichung geht insofern auch mit dem Bedeutungsverlust des Territorialbezugs von Staatsgewalt einher:6 Die Staatsgewalt war auf ein Territorium begrenzt und existierte dort gleichzeitig als einzige Staatsgewalt, die sich ihre Herrschaftsberechtigung mit niemandem teilen musste.7 Zudem existierte die Völkerrechtsordnung, die aber nur die zwischenstaatlichen Beziehungen regelte und über keine Durchsetzungsmechanismen verfügte.8 „Entstaatlichung“ erfasst zwei Konstellationen: im Staatsinnern die Beteiligung privater Akteure an der Ausübung öffentlicher Gewalt, von außerhalb der Staaten die Entstehung überstaatlicher Einheiten oder Institutionen, die Entscheidungen treffen
raum, Hohe See und Meeresboden, 1984, S. 10-29. Aus verwaltungsrechtlicher Sicht beschreibt Schmidt-Aßmann, Die Herausforderung der Verwaltungsrechtswissenschaft durch die Internationalisierung der Verwaltungsbeziehungen, Der Staat 45 (2006) 1, S. 315, 317 ff., Internationalisierung (der Verwaltung) als Vorgänge administrativen Zuschnitts, die über die Grenzen nationaler Verwaltungsräume hinausreichen, weil sie entweder aus ihnen herausgewachsen oder von vornherein ohne Rücksicht auf solche Grenzen konzipiert sind, wobei es der Verlust an Territorialität ist, der sie kennzeichnet. 5
Vgl. Grimm, Die Verfassung im Prozess der Entstaatlichung, in: Brenner/ Huber/Möstl (Hrsg.), Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel, Festschrift für Peter Badura zum siebzigsten Geburtstag, 2004, S. 145 und 156. Zur zunehmenden Verlagerung von Regelungskompetenzen von der nationalen zur internationalen Ebene hin sowie zur wachsenden Individualgerichtetheit des Völkerrechts Wolfrum, Legitimacy of International Law and the Exercise of Administrative Functions: The Example of the International Seabed Authority, the International Maritime Organization (IMO) and International Fisheries Organizations, GLJ 9 (2008) 11, S. 2039, 2044. 6
So auch Cassese, Administrative Law Without the State? The Challenge of Global Regulation, NYUJILP 37 (2005) 4, S. 663, 673, der davon spricht, dass die zentrale Rolle des Staates für den Begriff der Hoheitsgewalt eine optische Illusion geworden sei. 7
Vgl. Grimm, Die Verfassung im Prozess der Entstaatlichung, in: Brenner/ Huber/Möstl (Hrsg.), Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel, Festschrift für Peter Badura zum siebzigsten Geburtstag, 2004, S. 145, 155. 8
Ibid.
24
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
dürfen, welche auf dem Territorium der Staaten Geltung beanspruchen.9 Nur um letztere geht es in der vorliegenden Untersuchung. Neu im Vergleich zur Internationalisierung ist am Begriff „Globalisierung“, dass er neben der Zusammenfassung grenzüberschreitender Entwicklungen in den Bereichen Wirtschaft, Umwelt, Sicherheit, Kommunikation und Kultur gerade auch den Bedeutungsverlust staatlicher Grenzen, die Entterritorialisierung von Problemen und rechtlichen Zugriffsmöglichkeiten ausdrücken will.10 Während „Entstaatlichung“ die Entwicklung also aus der Perspektive des Verfassungsstaates und der Bedeutungseinbuße von dessen Staatsgewalt beschreibt, betont „Internationalisierung“ stärker das kooperative Element der zwischenstaatlichen Beziehungen. Für den Begriff der „Globalisierung“ ist dagegen gerade der Bedeutungsverlust staatlicher Grenzen charakteristisch sowie die Verfolgung globaler statt nationaler Interessen.11 Wenn die drei genannten Begriffe auch nicht deckungsgleich sein mögen, so erweisen sich die Differenzen doch mehr als in der Perspektive begründet denn als Unterschiede im Inhalt: Denn immer geht es um Sachbereiche wie Wirtschaft, Umwelt und Sicherheit, die nicht mehr rein national befriedigend geregelt werden können.12 Es geht in allen Fällen um eine Entwicklung weg vom klassischen Verständnis des Staates mit seiner nach außen abgeschlossenen Souveränität hin zu einer Tätigkeit von Akteuren auf völkerrechtlicher Ebene zur Erfüllung von Aufgaben, die als über das Nationale hinausgehend bewertet werden.13 9
Ibid., S. 156.
10
Vgl. Ruffert, Die Globalisierung als Herausforderung an das Öffentliche Recht, 2004, S. 16 ff. m.w.N. 11
Zu dieser Abgrenzung des Begriffs der Globalisierung von dem der Internationalisierung gelangt Delbrück, Globalization of Law, Politics, and Markets – Implications for Domestic Law – A European Perspective, Indiana Journal of Global Legal Studies 1 (1993) 1, S. 9, 10 f. 12
Schorkopf/Walter, Elements of Constitutionalization: Multilevel Structures of Human Rights Protection in General International and WTO-Law, GLJ 4 (2003) 12, S. 1359 ff., sprechen insofern von einem Wandel von einer Akteur-zentrierten Rechtsordnung hin zu einer am Regelungsgegenstand ausgerichteten Rechtsordnung mit der Folge, dass die starre Grenze zwischen nationaler und Völkerrechtsordnung erodiert und der Menschenrechtsschutz gegen internationale Rechtsakte stärker in das Blickfeld tritt. 13
Diese neue Lage der Staaten drückt Slaughter, A New World Order, 2004, S. 4, so aus: “In a world of global markets, global travel, and global information
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
25
Wenn die „Globalisierung“ den Bedeutungsverlust staatlicher Grenzen in den Vordergrund stellt, erscheint es für den Fortgang der Arbeit dienlich, stattdessen die Begriffe „Entstaatlichung“ und „Internationalisierung“ zu verwenden, weil deren Perspektive des Kompetenzverlustes14 auf Seiten des Staates einerseits und der Zuständigkeitsverlagerung auf die völkerrechtliche Ebene andererseits für die Untersuchung der Ausübung von Hoheitsgewalt besser passen.15
2. Erforderlichkeit der Regelung jenseits der nationalen Ebene und die Folgen Weil aufgrund der beschriebenen Entwicklungen Problem- und Souveränitätsreichweiten immer mehr auseinanderfallen, entsteht hinsichtlich der angesprochenen Sachbereiche ein Bedürfnis nach Regelung jenseits der nationalen Ebene.16 Eine solche Aufgabenwahrnehmung durch nicht-staatliche völkerrechtliche Akteure bedarf einer Hoheitsübertragung durch die Staaten. Cassese hat diesen Befund so beschrieben: “When [states’] borders and functions overlap and conflict, as in the case of high seas fishing, states benefit by giving up their regulatory powers to other global, public authorities. These needs lead to the
networks, of weapons of mass destruction and looming environmental disasters of global magnitude, governments must have global reach”. Zum Begriff des Netzweks auch Möllers, Netzwerk als Kategorie des Organisationsrechts, Zur juristischen Beschreibung dezentraler Steuerung, in: Oebbecke (Hrsg.), Nichtnormative Steuerung in dezentralen Systemen, 2005, S. 285 ff. 14
Kahl, Parlamentarische Steuerung der internationalen Verwaltungsvorgänge, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 71, 79, spricht auch von der „Entparlamentarisierung“ von Entscheidungen und von einer „Kompetenzabwanderung“ auf die internationale Ebene. 15
Auch Wolfrum, Legitimacy of International Law and the Exercise of Administrative Functions: The Example of the International Seabed Authority, the International Maritime Organization (IMO) and International Fisheries Organizations, GLJ 9 (2008) 11, S. 2039, 2044, verwendet diese beiden Begriffe. 16 Vgl. auch Mayer, Internationalisierung des Verwaltungsrechts?, in: Möllers/Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, Eine Analyse anhand von Referenzgebieten, 2007, S. 49, 53.
26
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
establishment of global regulatory bodies, called international or intergouvernmental organizations”.17 Diese Kompetenzverschiebung im Zuge der Internationalisierung vollzieht sich also im Interesse der Steigerung von Problemlösungskapazitäten18 durch die Verlagerung von Zuständigkeiten weg vom Staat und hin zur völkerrechtlichen Ebene, insbesondere zu internationalen Organisationen. Diesen internationalen Organisationen als von mehreren Staaten gegründeten Völkerrechtssubjekten werden in ihren Satzungen Kompetenzen übertragen, damit sie in internationalisierten Sachbereichen norm-setzend tätig werden können. Neben der Ausübung der ihnen verbliebenen nationalen Zuständigkeiten haben die Staaten als Akteure im Völkerrecht aber weiterhin Bedeutung, weil die nationale Ebene als norm-umsetzende Ebene für die Anwendung und Verwirklichung der Akte der norm-setzenden Ebene unentbehrlich ist, und weil die nationale Staatsgewalt auch einspringen muss, sobald die zwangsweise Durchsetzung oder Vollstreckung internationaler Rechtsakte nötig wird.19 In Ausübung der ihnen übertragenen Befugnisse setzen internationale Organisationen in einer Weise Recht, die später unter dem Aspekt der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene untersucht werden soll.20 Allerdings bringt die internationale Regelung entstaatlichter Sachbereiche zugleich weitere Folgefragen mit sich. Schmidt-Aßmann deutet die damit einhergehenden Schwierigkeiten so an: „Die Internationalisie-
17
Cassese, Administrative Law Without the State? The Challenge of Global Regulation, NYUJILP 37 (2005) 4, S. 663, 671; zur wachsenden Bedeutung internationaler Organisationen in historischer Perspektive Schmalenbach, International Organizations or Institutions, General Aspects, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil.com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 2. 18
Vgl. dazu auch Grimm, Die Verfassung im Prozess der Entstaatlichung, in: Brenner/Huber/Möstl (Hrsg.), Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel, Festschrift für Peter Badura zum siebzigsten Geburtstag, 2004, S. 145, 162. 19 20
Ibid., S. 162 f. Vgl. unten C.II.4.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
27
rung löst Probleme, aber sie schafft zugleich neue. Sie verdient Förderung, verlangt aber ebenso nach strukturierender Ordnung“.21 Die Internationalisierung verschiedener Regelungsbereiche und die Verlagerung von Kompetenzen auf internationale Organisationen führen zu einer Stärkung der norm-setzenden völkerrechtlichen Ebene gegenüber einer nur norm-umsetzenden nationalen Ebene. Auf das sich daran knüpfende Bedürfnis, das soeben als Bedürfnis nach strukturierender Ordnung bezeichnet wurde, wird ausführlich zurückzukommen sein.22
3. Entstaatlichung und Internationalisierung beim 1267-Sanktionsregime Im vorliegend untersuchten 1267-Sanktionsregime geht es thematisch um den Kampf der UN gegen den Terrorismus. Gerade der islamistische Terrorismus hat sich zu einem Bereich entwickelt, in dem die Zielrichtung der Handlungen infolge ihrer religiösen Fundierung nicht territorial begrenzt ist, wie etwa im Falle bloßer Opposition innerhalb eines Staates.23 Der internationale Terrorismus hat mit Hilfe der modernen Informationstechnologie ein dezentrales Netzwerk geschaffen, das ihm ein weltweites Agieren ermöglicht,24 und Drohungen und Anschläge betreffen nicht nur die verschiedensten Staaten der Welt, sondern auch Staatenkollektive, wie „Europa“. Man kann insoweit von einer Internationalisierung der Regelungsmaterie Terrorismus sprechen,25 weil 21
Schmidt-Aßmann, Die Herausforderung der Verwaltungsrechtswissenschaft durch die Internationalisierung der Verwaltungsbeziehungen, Der Staat 45 (2006) 1, S. 315, 324. 22
S. unten, C.III.
23
Als Beispiel seien hier nur die baskische terroristische Untergrundorganisation ETA in Spanien und Frankreich und die Rote-Armee-Fraktion (RAF) und ihre Aktivität vor allem in den siebziger Jahren in Deutschland genannt. 24
Den Missbrauch des Internet für terroristische Zwecke beklagte auch der Sicherheitsrat in Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, 7. Erwägungsgrund. Zur Entwicklung des Terrorismus zu einem globalen Problem infolge erhöhter Mobilität und verbesserter Kommunikationstechnologien s. auch Mingst/Karns, The United Nations in the 21st Century, 2007, S. 119. 25 So heißt es etwa im Dokument des Europarats Consultative Council of European Judges (CCJE), Opinion no 8 (2006) of the Consultative Council of European Judges (CCJE) for the attention of the Committee of Ministers of the Council of Europe on „the role of judges in the protection of the rule of law
28
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
ein Verlagerungsprozess von der Innenpolitik in die Außenbeziehungen eingesetzt hat, bei dem kooperative Problemlösungen zwischen den Staaten, wie etwa die polizeiliche Zusammenarbeit oder die staatenübergreifende Kontensperrung, wichtiger werden, während die einzelstaatliche Politikgestaltung an Bedeutung einbüßt. Die Staaten haben zur Regelung dieser Problematik des internationalen Terrorismus und zur Bekämpfung dieser Gefahr keine eigene internationale Organisation geschaffen. Diese Aufgabe übernimmt vielmehr der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Rahmen seiner Verantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Das hier untersuchte 1267-Sanktionsregime beruht auf Resolutionen des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der UN-Charta, in denen der internationale Terrorismus und das Verhalten einzelner Gruppen wie der Taliban als Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit identifiziert worden sind.26 Eine Entstaatlichung in dem Sinne, dass öffentliche Herrschaftsbefugnisse aus dem Besitz des Staates gelöst, auf nicht-staatliche Träger verlagert und von diesen in nicht-staatlichen Verfahren ausgeübt werden, ist bei der Aufgabenwahrnehmung durch die UN zu bejahen, auch wenn eine Übertragung von Hoheitsgewalt27 nicht erst zum Zweck der Terrorismusbekämpfung stattfand, sondern von den UN als in ihrer Befugnis, den Weltfrieden zu sichern (Art. 24 UNCh), enthalten betrachtet wird. Wegen ihrer zunehmenden Verflechtung mit der nationalen Si-
and human rights in the context of terrorism“, CCJE (2006) OP8E, 10. November 2006, in Ziffer 11: “Everyday experience and current events show that, while terrorism is not a new problem, it has recently taken on an unprecedented international scale”; s. auch Rosenau, Governance, Order, and Change in World Politics, in: Rosenau/Czempiel (Hrsg.), Governance Without Government: Order and Change in World Politics, 1992, S. 1, 3, der den Terrorismus als „transnational issue“ bezeichnet. 26
Resolution 1267 (1999) vom 15. Oktober 1999, 8. Erwägungsgrund nennt als Bedrohung das Versäumnis der Taliban, der Aufforderung, Terroristen keine Zuflucht und keine Trainingsmöglichkeiten zu gewähren, nicht nachgekommen zu sein; Akte des internationalen Terrorismus werden etwa in Resolution 1390 (2002) vom 16. Januar 2002, 9. Erwägungsgrund als Bedrohung genannt. 27
Delbrück, Article 24, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations – A Commentary, 2002, S. 442, 449.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
29
cherheit wird die internationale Sicherheit als notwendig gemeinsam damit zu behandelnder Gegenstand verstanden.28 Die Entwicklung, dass von den UN neben originär internationalen Bereichen wie der Friedenssicherung im Kriegsfall nun auch auf internationalisierten Gebieten wie der Terrorismusbekämpfung gehandelt wird und dabei sogar auf UN-Ebene die Individuen namentlich bestimmt werden, die Sanktionen zu unterziehen sind, wirft die Frage auf, ob dieses Handeln der UN rechtlich neu zu bewerten ist. Man könnte wegen des Individualbezugs und vor dem Hintergrund eines Vergleichs mit der Ausübung von Hoheitsgewalt auf nationaler Ebene an die Ausübung von Hoheitsgewalt durch die UN denken. Deshalb soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, ob es sich bei der Wahrnehmung der Terrorismusbekämpfung durch die UN im 1267-Sanktionsregime um die Ausübung von Hoheitsgewalt handeln könnte und welche Folgerungen daraus möglicherweise zu ziehen sind. Das führt zu einer allgemeinen Betrachtung der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene.
II. Das Phänomen der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene 1. Einleitung Wie gezeigt wurde,29 hat die Entwicklung hin zur Entstaatlichung und zur Internationalisierung ehemals nationaler Regelungsmaterien zur Folge, dass diese Kompetenzen auf völkerrechtlicher Ebene und dort in der Regel durch internationale Organisationen wahrgenommen werden. Nun ist die Wahrnehmung nationaler, übertragener Kompetenzen durch internationale Organisationen nicht neu, sondern bildet im Gegenteil gerade den kennzeichnenden Wesenszug der Tätigkeit aller internationalen Organisationen. Neu ist jedoch einerseits die Handlungsdichte und -intensität, in und mit der internationale Organisationen agieren,30 und andererseits die teilweise auftretende Individualgerich28
Wolfrum, Article 1, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations – A Commentary, 2002, S. 39, 41. 29 30
S. oben, C.I.2.
Kinney, The Emerging Field of International Administrative Law: Its Content and Potential, Administrative Law Review 54 (2002) 1, S. 415, 419:
30
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
tetheit ihres Handelns.31 Insofern ähneln sie dem nationalen Gesetzgeber und der nationalen Verwaltung, die umfangreiche Materien mit mehr oder weniger starker Wirkung für den einzelnen Bürger regeln können und so Hoheitsgewalt ausüben. Dies lässt es angebracht erscheinen, das Handeln auf völkerrechtlicher Ebene ebenfalls unter dem Aspekt der Ausübung von Hoheitsgewalt zu untersuchen, um so möglichst Regeln zu finden, die für die Aktivität internationaler Organisationen Geltung beanspruchen und ihr Handeln anleiten können. Ausgehend vom nationalen Verständnis der Ausübung von Hoheitsgewalt sollen daher internationale Phänomene und insbesondere das 1267Sanktionsregime auf ihre Qualität als Ausübung von Hoheitsgewalt untersucht werden.
2. Idee und Begriff der Ausübung von Hoheitsgewalt auf nationaler Ebene a) Die Idee der Ausübung von Hoheitsgewalt als Staatsgewalt in der Aufklärung In der Aufklärung wurden die noch heute gültigen Grundlagen für das Verständnis von Hoheitsgewalt gelegt. Zunächst führte Thomas Hobbes in seinem Werk Leviathan eine Idee von Herrschaft ein, bei der der Staat als Leviathan die ihm von den Menschen zum Zweck ihres Schutzes übertragene Herrschaft unumschränkt ausüben konnte.32 Hobbes begründete dieses Konzept mit der Notwendigkeit, den Krieg aller gegen alle zu beenden, der den der menschlichen Natur eigenen Konfliktursachen der Konkurrenz, des Misstrauens und der Ruhmsucht ent“International regulation is now so extensive that many scholars have recognized that regulatory authority no longer resides in only, or chiefly, national or local government, but rather is shared by a combination of entities including governments, transgovernmental networks, and public international organizations, which constitutes a complex system of international governance”. 31
Neben den Individualsanktionsregimen der UN, wie etwa jenen nach Resolution 1267 (1999) vom 15. Oktober 1999 gegen Al-Qaida und die Taliban oder Resolution 1591 (2005) vom 29. März 2005 gegen u.a. die Störer des Friedensprozesses in Darfur ist eine derartige Individualgerichtetheit etwa auch bei der Entscheidung über den Flüchtlingsstatus durch den Hohen Flüchtlingskommissar der UN gegeben, vgl. unten, C.II.4. 32
Vgl. Hobbes, Leviathan, or The Matter, Forme, & Power of a CommonWealth, Tuck (Hrsg.), 1991, Teil 2, 17. und 18. Kapitel, S. 120 ff.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
31
springe.33 Weil die Menschen aus Gründen der Selbsterhaltung an einer Friedensordnung durch eine Streit schlichtende, ordnende Gewalt interessiert seien, übertrügen sie ihre Macht durch einen Gesellschaftsvertrag einem oder mehreren Menschen und unterwürfen sich so einer Obrigkeit, die als Stellvertreterin des so geschaffenen Staates die höchste Gewalt besitze.34 Mit dieser Konstruktion war die staatliche Herrschaft von ihrer rechtlichen Verantwortlichkeit gegenüber dem transzendenten Gott entbunden.35 Der Obrigkeit wurde völlige Freiheit gegeben zu beurteilen, was für den Schutz der Untertanen zu tun sei.36 So wurde das Modell einer unbeschränkten, absolutistischen Staatsgewalt geschaffen, die sich mit dem Argument rechtfertigte, dass das Recht nur aus dem (Gesellschafts-)vertrag entstehe und Herrschaftsrechte des Herrschers unteilbar seien, so dass der Souverän nie unrecht handeln könne.37 Im Anschluss an Hobbes nahm John Locke dieses Konzept auf und vertrat, dass der Mensch seine Freiheit durch Gesellschaftsvertrag zum Zweck eines friedlichen Lebens miteinander und eines größeren Schutzes gegen alle, die nicht zu dieser Gemeinschaft gehörten, aufgeben könne.38 Locke entwickelte die Idee weiter, indem er davon ausging, dass die Menschen ihre Rechte im Gesellschaftsvertrag nicht einem einzelnen Herrscher, sondern der Mehrheit übertrügen, die dann über das weitere Schicksal der Gemeinschaft entscheide.39 Übertragen würden allerdings nur die Rechte, die zur Verwirklichung des Gemeinwohls der Gemeinschaft notwendig seien.40 Denn weil die Übertragung der Rechte zum besseren Schutze dieser erfolge, sei nicht anzunehmen, dass die Gewalt der Gesellschaft oder der durch sie eingesetzten Legislative sich weiter erstrecke als auf das Gemeinwohl.41 Damit ist – in Abgrenzung 33 34 35 36
Vgl. ibid., S. 88. Vgl. ibid., S. 120 f. Fleiner/Basta Fleiner, Allgemeine Staatslehre, 2004, S. 96. Ibid., S. 96.
37
Vgl. Hobbes, Leviathan, or The Matter, Forme, & Power of a CommonWealth, Tuck (Hrsg.), 1991, Teil 2, 17. und 18. Kapitel, insbesondere S. 121, 124, 127; Fleiner/Basta Fleiner, Allgemeine Staatslehre, 2004, S. 96 ff. 38
Vgl. Locke, Two Treatises of Government and A Letter Concerning Toleration, Shapiro (Hrsg.), 2003, Zweite Abhandlung, 8. Kapitel, § 95, S. 141 f. 39 40 41
Vgl. ibid., § 96, S. 142. Vgl. ibid., § 131, S. 156 f. Vgl. ibid., § 131, S. 156 f.
32
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
zu Hobbes – die Beschränkung der übertragenen Gewalt angesprochen.42 Locke nennt als Schranke für die Ausübung von Hoheitsgewalt ausdrücklich das Naturgesetz, das die Erhaltung der Menschheit im Blick habe und damit willkürliche Gewalt ausschließe, da der Einzelne auch keine willkürliche Gewalt über das Leben, die Freiheit oder den Besitz des anderen habe und daher entsprechende Rechte auch gar nicht auf den Staat übertragen könne.43 Als weitere Schranke für die Ausübung von Hoheitsgewalt wird die Verpflichtung der höchsten Gewalt genannt, nach öffentlich verkündeten, stehenden Gesetzen und durch anerkannte, autorisierte Richter für Gerechtigkeit zu sorgen.44 Damit sind die Publizität, die Transparenz, der Vorbehalt des Gesetzes und die Einrichtung von Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte und somit Aspekte angesprochen, die bezüglich der ungeschriebenen Naturrechte erst für Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Justiziabilität sorgen. Die Herrscher sollen so durch die ihnen übertragene Gewalt nicht in Versuchung geraten, sie zu solchen Zwecken und Maßnahmen zu missbrauchen, die das Volk nicht anerkannt hat und nicht bereitwillig zugestehen würde.45 Außerdem dürfe grundsätzlich nicht in das Eigentum eingegriffen werden, da gerade dessen Schutz Zweck des Staates sei.46 Bei Rousseau folgt die Ausübung von Hoheitsgewalt der Theorie des allgemeinen Willens (volonté générale). Jeder Einzelne überträgt alle seine Rechte ohne Rückbehalt an die gesamte Gemeinschaft unter Leitung des gemeinschaftlichen Willens und wird untrennbarer Teil des Ganzen.47 Die natürliche Freiheit wird so gegen eine vertragsgemäße Freiheit getauscht.48 Die Souveränität ist schrankenlos und unbeschränkbar, kennt keine Verfassung, Grundrechte oder Gewaltenteilung49 und erscheint insofern überraschend absolutistisch. Begründet und gerechtfertigt wird das Modell damit, dass „alle Ausübung staatlicher Gewalt nichts anderes als die Ausübung des allgemeinen Willens
42 43 44 45 46 47 48 49
Ibid., §§ 135 ff, S. 159 ff. Vgl. ibid., § 135, S. 159 f. Ibid., §§ 136 ff, S. 160 f. Ibid., § 137, S. 161. Vgl. ibid., § 141, S. 163. Vgl. Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag, Heine (Hrsg.), 1997, S. 47 f. Vgl. ibid., S. 47. Vgl. ibid., S. 47 f.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
33
[sei]“50 und in diesem allgemeinen Willen alle Gegensätze aus individuellen Sonderinteressen aufgehoben würden, so dass eine Identität von Einzelwillen und Gesamtwohl, von Regierten und Regierenden, entstünde.51 Dies legt die Folgerung nahe, dass es einer freiheitsschützenden Einschränkung der Ausübung solcher Hoheitsgewalt dann nicht mehr bedarf. Kant wiederum knüpft insoweit an Rousseaus Idee der volonté générale an, als auch nach seiner Meinung die gesetzgebende Gewalt nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommt.52 Nach Kant ist der Akt, durch den sich das Volk selbst zu einem Staat konstituiert, der ursprüngliche Kontrakt, nach dem alle im Volk ihre äußere Freiheit aufgeben, um sie als Glieder eines gemeinen Wesens, d.h. des Volks als Staat, sofort wieder aufzunehmen.53 Der Mensch im Staat opfert dabei nicht einen Teil seiner angeborenen äußeren Freiheit einem Zweck, sondern er hat die wilde gesetzlose Freiheit verlassen, um seine Freiheit in einer gesetzlichen Abhängigkeit, also einem rechtlichen Zustand wiederzufinden, wobei diese Abhängigkeit aus seinem eigenen, gesetzgebenden Willen entspringt.54 Der Eintritt in den Staat ist bei Kant nicht von den Erfahrungen der Gewalttätigkeit und Bösartigkeit der Menschen motiviert, sondern erfolgt aus Vernunftserwägungen mit Blick auf die sonst herrschende Willkür des Einzelnen, die zwangsläufig zu Konflikten führt und die daher einem gesetzlich geregelten bürgerlichen Zustand weichen soll.55 Die Hoheitsgewalt ist also bei Hobbes im Sinne des Absolutismus unbeschränkt, während Locke staatliche Herrschaft als begrenzte Herrschaft sieht und somit gerade diese Beschränkung als wesentliches Ziel der Verfassung betrachtet.56 Die bei Rousseau anklingenden absolutistischen Ansätze ohne vorgesehene Schranken für die Ausübung von Hoheitsgewalt sollen durch die Konstruktion der Identität von Regierenden und Regierten abgefedert sein. Kant stützt seinen ähnlichen Ansatz
50 51 52 53 54 55 56
Vgl. ibid., S. 57, 65. Weber-Fas, Über die Staatsgewalt, 2000, S. 151, 159. Vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hrsg.), 2003, S. 432. Vgl. ibid., S. 434. Vgl. ibid. Vgl. ibid., S. 430. Vgl. Fleiner/Basta Fleiner, Allgemeine Staatslehre, 2004, S. 101.
34
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
auf Vernunftserwägungen und betont die eigentliche Verwirklichung der menschlichen Freiheit erst durch die Organisation im Staat. Insgesamt lässt sich also zur Idee der Ausübung von Hoheitsgewalt als Staatsgewalt in der Aufklärung insbesondere feststellen, dass die Schranken für die Ausübung solcher Hoheitsgewalt mit Blick auf die absolutistischen Ansätze zwar nicht durchgehend, aber immerhin doch zum Teil schon klar angesprochen wurden. Vor allem bei Locke zeigt sich damit schon früh der Gedanke, die Ausübung von Hoheitsgewalt einem Rechtfertigungszwang zu unterwerfen, indem ihr bestimmte Beschränkungen auferlegt werden.
b) Der Begriff der Ausübung von Hoheitsgewalt im nationalen Kontext in der Gegenwart Hoheitsgewalt im nationalen Bereich ist – etwa im deutschen Recht heute definiert als die Befugnis und Gewalt des Staates, Recht zu setzen und durchzusetzen, als Befehlendürfen und Zwingenkönnen.57 Der Staat handelt mit dem Anspruch letztverbindlicher Bestimmungsmacht und Durchsetzungskraft.58 Hoheitsrechte werden dabei beschrieben als die dem Staat zur Erledigung seiner Aufgaben vorbehaltenen Befugnisse zur einseitigen verbindlichen Regelung und Anordnung gegenüber Einzelnen oder der Allgemeinheit.59 Bezogen auf die drei Gewalten wird Hoheitsgewalt ausgeübt, indem der Gesetzgeber verbindliche Regelungen trifft, die vollziehende Gewalt verbindlich gebietet und verbietet und die rechtsprechende Gewalt autoritativ entscheidet.60 Die Hoheitsgewalt, bestehend aus Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung ist an die Verfassung gebunden, so etwa in Deutschland ausdrücklich an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) und die Inhalte des Verfassungsprinzips der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG).
57
Kirchhof, Mittel staatlichen Handelns, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band III, 1996, § 59, Rz. 57. 58 59 60
Vgl. ibid., Rz. 59. Brockhaus, Enzyklopädie, Band 12, 2006, S. 587.
Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rz. 491.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
35
c) Fazit Die Ausübung von Hoheitsgewalt umfasst auf nationaler Ebene die Elemente der Normsetzung und der zwangsweisen Durchsetzung, die sich in einem Über-/Unterordnungsverhältnis Staat – Bürger manifestieren. Schon in der Aufklärung wurde vertreten, dass solche Ausübung von Hoheitsgewalt Schranken unterworfen werden muss. Die Schranken setzen heute – zumindest in den westlichen Demokratien – die Grundrechte und die Inhalte des Verfassungsprinzips der Rechtsstaatlichkeit.
3. Die Idee der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene Wie oben gezeigt wurde,61 haben Entstaatlichung und Internationalisierung mit der Verlagerung von Kompetenzen von der nationalen auf die internationale Ebene zu tun. So lässt sich eine Verschiebung nationaler Regelungszuständigkeiten beobachten, die die völkerrechtliche Ebene zunehmend zu einer norm-setzenden Ebene macht. Dies lässt eine Untersuchung dieser in jüngerer Zeit verstärkt auftretenden Phänomene unter dem Aspekt der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene vielversprechend erscheinen, weil Normsetzung – wie gesehen – auf nationaler Ebene Ausübung von Hoheitsgewalt ist. Sollte sich dabei erweisen, dass internationale Organisationen tatsächlich vermehrt Hoheitsgewalt ausüben,62 würde dies weiterführen zu der Frage, ob dann nicht auch Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene Schranken unterworfen werden muss und wie dies gegebenenfalls geschehen könnte.
61 62
S. oben, C.I.1.
Cassese, Administrative Law Without the State? The Challenge of Global Regulation, NYUJILP 37 (2005) 4, S. 663, 694, nennt diese internationalen Akteure „new global public powers“; zum Zugriff des Sicherheitsrats auf den Einzelnen mit der Schaffung der Internationalen Strafgerichtshöfe für das frühere Jugoslawien und Ruanda als Ausübung übertragener Hoheitsgewalt Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates: Aufgeklärter Absolutismus im Völkerrecht?, 1998, S. 33. Allgemeiner zur Entwicklung autonomer Akteure auf völkerrechtlicher Ebene Bernstorff, Procedures of Decision-Making and the Role of Law in International Organizations, GLJ 9 (2008) 11, S. 1939, 1944 ff.
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Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
Auch wenn das Element der Normsetzung durch internationale Organisationen an die nationale Definition der Ausübung von Hoheitsgewalt erinnern mag, stellt sich doch die Frage, ob die Tätigkeit internationaler Organisationen tatsächlich als Ausübung von Hoheitsgewalt gewertet werden kann. Denn bisher wurde Ausübung von Hoheitsgewalt im Lichte des staatlichen Monopols legitimen Zwangs und der souveränen staatlichen Gewalt über Individuen betrachtet. Bindungsund Zwangmöglichkeiten sind auf der Völkerrechtsebene aber deutlich schwächer ausgebildet als auf nationaler Ebene.63 Somit scheinen die oben gefundenen Merkmale der nationalen Definition nicht gegeben. Andererseits werden in der nationalen wie in der völkerrechtlichen Konstellation hoheitliche Kompetenzen wahrgenommen. Deshalb stellt sich die Frage, ob die Definition, wann Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene vorliegt, nicht gegenüber nationaler Ausübung von Hoheitsgewalt ein grundlegend neues Konzept benötigt. Als „Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene“ wurde daher die Rechtsmacht definiert, andere zu bestimmen und ihre Freiheit einzuschränken, also ihre rechtliche und tatsächliche Situation einseitig zu gestalten.64 „Ausübung“ ist die Verwirklichung dieser Rechtsmacht, insbesondere durch den Erlass von Entscheidungen und Rechtsvorschriften, aber zum Beispiel auch durch Rankings. Die „Bestimmung“ anderer kann dabei – muss aber nicht – rechtlich verbindlich sein. Verbindlichkeit ist gegeben, wenn eine Handlung die rechtliche Situation eines anderen Rechtssubjekts ohne dessen Einverständnis verändert. Eine derartige Veränderung findet statt, wenn ein nachfolgendes Handeln, das diesem Rechtsakt widerspricht, illegal ist. „International“ und „hoheitlich“ ist die Gewaltausübung nur dann, wenn sie auf der Basis einer Kompetenz erfolgt, die durch einen gemeinsamen internationalen Akt öffentlicher Autoritäten, in der Regel Staaten, verliehen ist, um ein Ziel zu verfolgen, das diese als öffentliches 63
Statt vieler Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 1988, § 8, S.
88 ff. 64
Bogdandy/Dann/Goldmann, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, in: Bogdandy/Wolfrum/Bernstorff/Dann/Goldmann (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions, Advancing International Institutional Law, 2010, S. 3, 11; die kommenden Ausführungen folgen der Darstellung in diesem Beitrag. S. auch schon Bogdandy/Dann/Goldmann, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, GLJ 9 (2008) 11, S. 1375 ff.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
37
Interesse definieren und definieren dürfen. Der hoheitliche Charakter der Gewaltausübung sowie ihre internationale Natur hängen demnach von ihrer Rechtsgrundlage ab. Beschließt etwa ein internationaler Konzern, ein neues Produkt herzustellen, so handelt es sich nicht um die Ausübung von Hoheitsgewalt, weil der Konzern weder aufgrund einer Kompetenz, die durch einen Akt öffentlicher Autoritäten verliehen ist, handelt noch ein öffentliches Interesse verfolgt. Der Ansatz lehnt sich einerseits an die westliche Tradition der freiheitlichen Demokratie und ihrer Werte an. Weil sich andererseits aufgrund der grundlegenden Unterschiede zwischen den nationalen und internationalen Einrichtungen eine direkte Übertragung dieser Werte aber verbietet, wird die Referenz zur Rechtsgrundlage der Gewaltausübung für die Bestimmung ihres hoheitlichen Charakters und auch für die Abgrenzung zu privaten Tätigkeiten als am geeignetsten angesehen.65 Diese Definition der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene unterscheidet sich insofern von dem oben angeführten nationalen Begriff, als die Rechtsdurchsetzung nicht so deutlich angesprochen wird und das Merkmal der Rechtsbindung relativiert ist. Diese Abweichungen stellen dennoch die Verwendung des Begriffs der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene nicht in Frage. Denn betrachtet wird auch hier die Wahrnehmung (übertragener) nationaler Befugnisse. Von diesen Befugnissen wurde bisher von der nationale Ebene durch die Ausübung von Hoheitsgewalt Gebrauch gemacht, jetzt übt die völkerrechtliche Ebene eben diese Kompetenzen aus. Diese Befugnisse werden im Bezugspunkt der Rechtsgrundlage daher zu Recht zum Bestimmungsmerkmal der Hoheitlichkeit der ausgeübten Gewalt gemacht. Außerdem geht es auch bei den Erscheinungsformen der Entstaatlichung um das (hoheitliche) Verhältnis der handelnden (Völkerrechts)akteure zum betroffenen Bürger und damit um das Spannungsverhältnis zwischen Ausübung von Hoheitsgewalt und individueller Freiheit, soweit Akteure des Völkerrechts individualgerichtet handeln. Es steht damit die Frage der Legitimität solchen Handelns im Mittelpunkt, die gerade auch auf nationaler Ebene für die Ausübung von Hoheitsgewalt gestellt wird. Die Verwendung des Begriffs der Aus-
65
Bogdandy/Dann/Goldmann, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, in: Bogdandy/Wolfrum/Bernstorff/Dann/Goldmann (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions, Advancing International Institutional Law, 2010, S. 3, 14.
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Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
übung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene mit dem genannten Inhalt erscheint daher gerechtfertigt. Diese Definition für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene soll nun anhand der Betrachtung einiger völkerrechtlicher Fallstudien überprüft werden.
4. Phänomene der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene Unter dem Blickwinkel der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene soll im Folgenden die Tätigkeit der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO), der Behörde des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) sowie der Codex Alimentarius Kommission beispielhaft betrachtet werden, um die soeben vorgeschlagene Definition daran zu überprüfen.66 Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) ist eine internationale Organisation, die mit Aufgaben wie der internationalen Harmonisierung der Gesetze zum geistigen Eigentum, der Erbringung von Dienstleistungen bezüglich des Schutzes des geistigen Eigentums und der Streitschlichtung betraut ist.67 Zu ihrem Aufgabenbereich gehört auch die internationale Registrierung von Marken. Dabei erbittet der Antragsteller die Registrierung seiner Marke über die zuständige Behörde seines Heimatstaates beim International Bureau der WIPO. Wird die Marke in diesem Verfahren registriert, so gilt sie so, als wäre ihre Registrierung direkt in jedem der vom Antragsteller bestimmten Vertragsstaaten beantragt worden. Wenn die zuständigen Behörden dieser Staaten den Schutz nicht innerhalb einer bestimmten Frist verweigern, ist der Markenschutz derselbe, wie wenn die Marke von diesen Behör66
S. zu diesen und weiteren Fallstudien unter dem Blickwinkel der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene Bogdandy/Wolfrum/ Bernstorff/Dann/Goldmann (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions, Advancing International Institutional Law, 2010. 67
Die folgende Darstellung basiert auf der Fallstudie von Kaiser, WIPO’s International Registration of Trademarks: An International Administrative Act Subject to Examination by the Designated Contracting Parties, in: Bogdandy /Wolfrum/Bernstorff/Dann/Goldmann (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions, Advancing International Institutional Law, 2010, S. 133 ff.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
39
den registriert worden wäre. Die internationale Registrierung hat also die Wirkung eines Bündels von Einzelregistrierungen in den vom Antragsteller bestimmten Vertragsstaaten. Sie hat insofern Regelungscharakter, als sie dem Antragsteller hoheitlich das Exklusivrecht gewährt, unberechtigte Dritte von der Nutzung der Marke auf dem Gebiet der betroffenen Vertragsstaaten auszuschließen.68 Dieses Beispiel der Markenregistrierung durch die WIPO erfüllt die oben aufgestellten Voraussetzungen für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene: Die Ausübung von Hoheitsgewalt besteht hier in der Registrierungsentscheidung auf Grundlage des Madridabkommens69 und des Madridprotokolls,70 die die Rechte an der Marke einseitig regelt und dem Antragsteller mit Wirkung in allen von ihm beantragten Vertragsstaaten das Exklusivrecht gewährt, Dritte von der Nutzung der Marke auszuschließen. Die Registrierungsentscheidung kann somit Auswirkungen auf deren Eigentums- und Berufsfreiheit haben. Als weiteres Beispiel kann die UNESCO als eine internationale Organisation und zugleich Sonderorganisation der UN betrachtet werden.71 Das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt (Welterbekonvention),72 das 1975 in Kraft trat, basiert auf dem Gedanken, dass Teile des Kultur- oder Naturerbes von außergewöhnlicher Bedeutung sind und daher als Bestandteil des Welterbes der ganzen Menschheit erhalten werden müssen. Um nun solches Kultur- und Naturerbe zu schützen, das von außergewöhnlichem universellem Wert ist, 68
Kaiser, WIPO’s International Registration of Trademarks: An International Administrative Act Subject to Examination by the Designated Contracting Parties, in: Bogdandy/Wolfrum/Bernstorff/Dann/Goldmann (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions, Advancing International Institutional Law, 2010, S. 133, 148. 69
Madrid Agreement Concerning the International Registration of Marks, vom 14. April 1891, 828 U.N.T.S. 389. 70
Protocol Relating to the Madrid Agreement Concerning the International Registration of Marks vom 27. Juni 1989, Amtsblatt der EG 2003 L 296/22. 71
Die folgende Darstellung basiert auf der Fallstudie von Zacharias, The UNESCO Regime for the Protection of World Heritage as Prototype of an Autonomy-Gaining International Institution, in: Bogdandy/Wolfrum/Bernstorff/Dann/Goldmann (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions, Advancing International Institutional Law, 2010, S. 301 ff. 72
Convention Concerning the Protection of the World Cultural and Natural Heritage, vom 23. November 1972, 1037 U.N.T.S. 151.
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Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
führt das Welterbekomitee als Gremium der UNESCO eine Liste mit den entsprechend schützenswerten Gütern. Um ein Gut auf die Liste zu bringen, nominiert die Vertragspartei, auf deren Territorium sich das zu schützende Gut befindet, dieses Gut für die Aufnahme in die Liste. Beratungsgremien evaluieren die Nominierung, und das Welterbekomitee trifft auf dieser Basis die Entscheidung über den außergewöhnlichen universellen Wert des Gutes und dessen Listung in der Liste des Weltkultur- und Naturerbes der Menschheit. Da das Welterbekomitee untersucht, ob ein Gut zum Welterbe gehört, stellt seine abschließende, positive Entscheidung diese Eigenschaft des Gutes rechtlich bindend fest, so dass die Vertragsstaaten nicht mehr davon abweichen können. Die Listung ist eine formale, positive Festlegung des qualitativen Status eines Gutes und ist insofern konstitutiv, als mit ihr die Pflicht verbunden ist, das betreffende Gut zu schützen und zu erhalten.73 Dieses Beispiel der Listung von Weltkulturerbestätten durch die UNESCO erfüllt ebenfalls die Kriterien für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene, weil das Welterbekomitee auf Grundlage der (völkerrechtlichen) Welterbekonvention die Welterbeeigenschaft des Gutes einseitig feststellt, was die Vertragsstaaten bindet und insbesondere zu Schutz und Pflege des Gutes verpflichtet. Als weiterer Fall soll die Festlegung des Flüchtlingsstatus durch den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) betrachtet werden.74 Der Hochkommissar ist eine Behörde der UN und hat den Auftrag, Flüchtlinge und Vertriebene weltweit zu schützen. Der Auftrag wird unter anderem dadurch erfüllt, dass Beamte der Behörde über den Flüchtlingsstatus eines entsprechenden Antragstellers entscheiden. Zwar sind die Vertragsstaaten der mit dem Flüchtlingsschutz befassten völkerrechtlichen Abkommen nicht verpflichtet, eine derartige Entscheidung zur Grundlage ihres nationalen Flüchtlingsschutzes zu machen, doch haben die Entscheidungen des Hochkommissars in der 73
Zacharias, The UNESCO Regime for the Protection of World Heritage as Prototype of an Autonomy-Gaining International Institution, in: Bogdandy/Wolfrum/Bernstorff/Dann/Goldmann (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions, Advancing International Institutional Law, 2010, S. 301, 328 f. 74
Die folgende Darstellung basiert auf der Fallstudie von Smrkolj, International Institutions and Individualized Decision-Making: An Example of UNHCR’s Refugee Status Determination, in: Bogdandy/Wolfrum/Bernstorff/Dann/Goldmann (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions, Advancing International Institutional Law, 2010, S. 165 ff.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
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Praxis oft erhebliche Auswirkungen. So haben etwa in der Türkei Personen mit UNHCR-Flüchtlingsstatus die Möglichkeit, ihre Aufenthaltserlaubnis zu verlängern, während Ägypten gar ohne weitere Prüfung Personen mit UNHCR-Flüchtlingsstatus Aufenthalt gewährt. Im Falle einer negativen Entscheidung des UNHCR verweigert Ägypten dann aber auch eine entsprechende Behandlung, falls nicht andere Gründe für eine Aufenthaltserlaubnis sprechen. In vielen anderen Ländern ist eine positive Entscheidung des UNHCR die wichtigste Voraussetzung für eine Ansiedlung, manche Staaten nutzen dagegen insbesondere eine ablehnende Entscheidung für eine Verweigerung von Asyl.75 Dieses Beispiel der Entscheidung über den Flüchtlingsstatus durch die Behörde des UNHCR kann als Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene gewertet werden, weil der UNHCR auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention76 und dem dazu gehörigen Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge77 den Flüchtlingsstatus einseitig festlegt und damit mittelbar auf nationale Entscheidungen in Aufenthaltssachen einwirkt, und weil die Vertragsstaaten durch die Festlegung zwar nicht für ihr nationales Verfahren gebunden sind, sich aber, wie die Praxis zeigt, doch stark davon beeinflussen lassen. Die Entscheidung über den Flüchtlingsstatus kann somit nicht nur Auswirkungen auf das Recht auf Freizügigkeit des Betroffenen haben, sondern auch sein Recht auf Leben und Gesundheit einschränken, weil die Rücksendung in sein Ursprungsland ihn unter Umständen schutzlos Gesundheitsgefahren aussetzt. Zuletzt soll der Blick auf die Tätigkeit der Codex Alimentarius Kommission (CAC) gelenkt werden, einer internationalen Behörde, die von zwei internationalen Organisationen, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und der Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (WHO) als Komponente ih-
75
Smrkolj, International Institutions and Individualized Decision-Making: An Example of UNHCR’s Refugee Status Determination, in: Bogdandy/ Wolfrum/Bernstorff/Dann/Goldmann (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions, Advancing International Institutional Law, 2010, S. 165, 177. 76
Convention Relating to the Status of Refugees (CSR51), vom 28. Juli 1951, 189 U.N.T.S. 150. 77
Protocol Relating to the Status of Refugees (CSRP67), vom 31. Januar 1967, 606 U.N.T.S. 267.
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Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
res gemeinsamen Welternährungsprogrammes gegründet wurde.78 Die CAC legt Lebensmittelstandards fest, die grundsätzlich nicht bindend sind. Über das Abkommen über Sanitäre und Phytosanitäre Maßnahmen (SPS)79 und das Abkommen über technische Handelshemmnisse (TBT)80 der Welthandelsorganisation (WTO) gewinnen diese Standards jedoch de facto eine bindende Wirkung. Denn nach Art. 3 des SPSAbkommens sind die WTO-Mitgliedstaaten, wenn sie nationale sanitäre oder phytosanitäre Maßnahmen erlassen, verpflichtet, diese auf internationale Standards zu stützen, sofern solche existieren. Die Lebensmittelstandards der CAC sind solche internationalen Standards. Auch dieses Beispiel zeigt einen Fall der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene: Zwar kann die CAC alleine nicht bindend regeln, doch verpflichtet das Welthandelsrecht dazu, nationale sanitäre oder phytosanitäre Maßnahmen auf internationale Standards zu stützen, womit die von der CAC festgelegten Lebensmittelstandards in Bezug genommen sind. Dies führt dazu, dass die CAC über das (völkerrechtliche) Welthandelsrecht die Rechtsmacht erhält, durch den Codex Alimentarius Lebensmittelstandards in den Mitgliedstaaten einseitig zu bestimmen.81 Diese Beispiele zeigen, dass die Ausübung von Hoheitsgewalt auf den verschiedensten Gebieten des Völkerrechts (Markenrecht, Kulturgüterschutz, Flüchtlingsrecht, Wirtschaftsrecht) stattfindet82 und dabei gera78
Die folgende Darstellung basiert auf der Fallstudie von Pereira, Why Would International Administrative Activity Be Any Less Legitimate? – A Study of the Codex Alimentarius Commission, in: Bogdandy/Wolfrum /Bernstorff/Dann/Goldmann (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions, Advancing International Institutional Law, 2010, S. 541 ff. 79
WTO Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures, Apr. 15, 1994, Marrakesh Agreement Establishing the World Trade Organization, Annex 1A, World Trade Organization, 1867 U.N.T.S. 493. 80
WTO Agreement on the Technical Barriers to Trade, Apr. 15, 1994, Marrakesh Agreement Establishing the World Trade Organization, Annex 1A, World Trade Organization, 1868 U.N.T.S. 120. 81
Vgl. Pereira, Why Would International Administrative Activity Be Any Less Legitimate? – A Study of the Codex Alimentarius Commission, in: Bogdandy/Wolfrum/Bernstorff/Dann/Goldmann (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions, Advancing International Institutional Law, 2010, S. 541, 554. 82
Zur Ausübung von Hoheitsgewalt durch die Erstellung der PISA-Studien durch die OECD Bogdandy/Goldmann, Die Ausübung von internationaler öf-
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
43
de auch Materien betrifft, die ihrer Natur nach ursprünglich eher zum nationalen Regelungsbereich gerechnet wurden. Zuletzt ist nun das hier untersuchte 1267-Regime auf die Ausübung von Hoheitsgewalt hin zu überprüfen.
5. Das 1267-Sanktionsregime als Phänomen der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene Wie bereits oben ausgeführt, wurde das 1267-Sanktionsregime durch Erlass verschiedener Resolutionen des UN-Sicherheitsrates eingerichtet und fortentwickelt. Gegenstand ist die Sanktionierung von Osama bin Laden, Al-Qaida, den Taliban und deren Verbündeten durch Kontensperrung, Ein- und Durchreiseverbot sowie Waffenembargo zur Sicherung des Weltfriedens nach Kapitel VII der UN-Charta, das hier als Rechtsgrundlage dient. Dafür beauftragte der Sicherheitsrat als sein Unterorgan das 1267-Sanktionskomitee mit der Führung und Verwaltung von Listen mit den Namen der Verbündeten der genannten Gruppen. Rechtsfolge der Listung ist, dass die in der Liste konkret benannte Person den angeordneten Sanktionen zu unterwerfen ist. Die Beschlüsse des Sicherheitsrats sind gemäß Art. 25 UNCh von den UN-Mitgliedstaaten durchzuführen, die Sanktionen also gegen die gelisteten Personen anzuwenden. Das Sanktionskomitee als Teil der internationalen Organisation UN hat somit die Rechtsmacht, im Wege der Listung gegenüber anderen, nämlich den Gelisteten, bestimmend zu regeln und sie durch die Sanktionen der Kontensperrung, des Ein- und Durchreiseverbots sowie des Waffenembargos in ihrer Freiheit einzuschränken. Insbesondere sind durch die Kontensperrung die Eigentumsfreiheit83 und durch das Ein- und Durchreiseverbot die Fortbewegungsfreiheit des Gelisteten betroffen. Dies geschieht auf Grundlage der UN-Charta zur Verfolgung des Ziels der internationalen Terrorismusbekämpfung als öffentlichem Interesse. Die Situation der Gelisteten wird so durch die UN einseitig gestaltet. Die nationale Ebene ist – bis auf die im Sanktionskomitee vertretenen fentlicher Gewalt durch Politikbewertung, Die PISA-Studie der OECD als Muster einer neuen völkerrechtlichen Handlungsform, ZaöRV 69 (2009) 1, S. 51, 71 ff. 83 Eingehend zum Eigentumsschutz im Rahmen der Terrorismusbekämpfung und insbesondere auch bezüglich des 1267-Regimes Matiss, Terrorismusbekämpfung und menschenrechtlicher Eigentumsschutz, 2009.
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Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
Mitglieder des Sicherheitsrats – insbesondere an der Listungsentscheidung selbst nicht beteiligt. Das 1267-Sanktionregime ist damit ein Fall der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene.84
6. Der Mangel an Handlungsbeschränkungen bei der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene Nachdem festgestellt ist, dass Ausübung von Hoheitsgewalt nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf völkerrechtlicher Ebene stattfinden kann, sind beide Phänomene für die weitere Untersuchung insbesondere mit Blick auf ihre Unterschiede zu betrachten. Während national seit der französischen Revolution die Kontrolle der Ausübung von Hoheitsgewalt durch Vorkehrungen des Rechtsstaates und insbesondere den Menschenrechtsschutz immer weiter verstärkt wurde, sind Einrichtung und Bestand solcher Schranken für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene weithin ungeklärt. Der Aspekt vermag erst in jüngerer Zeit durch die zunehmende Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene stärker ins Bewussstsein zu treten. Infolge der Menschenrechtsrelevanz dieser völkerrechtlichen Aktivitäten – wie etwa bei WIPO, UNHCR und auch dem 1267-Sanktionsregime – und auch infolge der zunehmenden Bedeutung und Berücksichtigung des Individuums im Völkerrecht85 drängt sich die Frage auf, ob nicht auch für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene rechtliche Einschränkungen nötig sind. Denn auch hier wird einseitig mit Wirkung gegenüber dem Einzelnen geregelt, so dass wegen des Spannungsverhältnisses zwischen der Ausübung von Hoheitsgewalt und der individuellen Freiheit des Einzelnen eine Lösung nur zugunsten der Hoheitsgewalt auch auf völker84 Ähnlich sieht dies wohl Bianchi, Human Rights and the Magic of Jus Cogens, EJIL 19 (2008) 3, S. 491, 498, wenn er sagt, der Sicherheitsrat sei „acting in a world government-like fashion“. 85
S. hierzu etwa Orakhelashvili, The Position of the Individual in International Law, CWILJ 31 (2002) 2, S. 241 ff.; Oellers-Frahm, Die Entscheidung des IGH im Fall LaGrand – ein Markstein in der Rechtsprechung des IGH, in: Marauhn (Hrsg.), Die Rechtsstellung des Menschen im Völkerrecht, 2003, S. 21 ff.; Oellers-Frahm, Die Entscheidung des IGH im Fall LaGrand – Eine Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit und der Rolle des Individuums im Völkerrecht, EuGRZ 28 (2001) 11-13, S. 265 ff.; Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005) 3, S. 312 ff.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
45
rechtlicher Ebene Bedenken hinsichtlich der Legitimität solcher Ausübung von Hoheitsgewalt aufkommen lässt.86 Ein Bedürfnis nach Legitimität im Völkerrecht, verstanden als die Rechtfertigung87 der Ausübung von Hoheitsgewalt88 und als Folge davon deren Akzeptanz,89 kann sich dann ergeben, wenn auf internationaler Ebene Aufgaben der nationalen Ebene wahrgenommen werden und die Rechte Einzelner betroffen sind und daher die gleichen Handlungsbeschränkungen angemessen erscheinen, die für die Wahrnehmung dieser Aufgaben auf nationaler Ebene gelten.90 Dies ist beim 1267-Regime der Fall, weil hier auf völkerrechtlicher Ebene individualgerichtet Terrorismusbekämpfung stattfindet und damit Aufgaben wahrgenommen werden, die sonst im Rahmen des Polizei- und Sicherheitsrechts auf nationaler Ebene zu erfüllen wären. Der Vergleich ergibt also, dass wegen der Wahrnehmung von Aufgaben der nationalen Ebene durch die völkerrechtliche Ebene ein Bedürfnis nach Legitimität entsteht, das die Frage möglicher Handlungsbeschränkungen für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene aufwirft.
86
Vgl. auch Bogdandy/Dann/Goldmann, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, GLJ 9 (2008) 11, S. 1375, 1376 und 1379 m.w.N.; zu diesem Ergebnis bezüglich des Verhältnisses von Legitimität und Menschenrechtsbeachtung kommt auch Bianchi, Security Council’s Anti-terror Resolutions and their Implementation by Member States, JICJ 4 (2006) 5, S. 1044, 1072. 87
Vgl. Wolfrum, Legitimacy in International Law from a Legal Perspective: Some Introductory Considerations, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008, S. 1, 6. 88
So für die europäische Ebene Schliesky, Der Beitrag des Subsidiaritätsprinzips gemäß Art. 5 Abs. 2 EGV zur Legitimation supranationaler Herrschaftsgewalt, in: Schliesky/Schürmann (Hrsg.), Rechtsprobleme der Verzahnung von Herrschaftsgewalt in Mehrebenensystemen, 2001, S. 23, 47. 89
Chapman, Information and Institutional Legitimacy: The UN Security Council, Regional Organizations, and State Behavior, 2007, S. 31: „…legitimacy, taken to mean behavior in which an actor believes that a decision should be followed, …“. 90
Vgl. Wolfrum, Legitimacy in International Law from a Legal Perspective: Some Introductory Considerations, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008, S. 1, 6; ähnlich Frowein, UN-Verwaltung gegenüber dem Individuum – legibus absolutus?, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 333.
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Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
7. Fazit: Legitimität als Problemstellung für die weitere Untersuchung Die Untersuchung der Ausübung von Hoheitsgewalt auf nationaler und auf völkerrechtlicher Ebene fördert folgende Erkenntnisse zu Tage: Auf nationaler Ebene ist die Ausübung von Hoheitsgewalt als Staatsgewalt durch die Elemente des Befehlendürfens und Zwingenkönnens gekennzeichnet. Sie unterliegt verfassungsrechtlichen Beschränkungen. Auf völkerrechtlicher Ebene stellt sich die Ausübung von Hoheitsgewalt als die Rechtsmacht dar, durch Entscheidungen und Rechtsvorschriften, die auf einer durch einen gemeinsamen internationalen Akt im öffentlichen Interesse geschaffenen Rechtsgrundlage beruhen, andere zu bestimmen und in ihrer Freiheit einzuschränken und dadurch ihre rechtliche oder tatsächliche Situation einseitig zu gestalten. Dass dies im geltenden Völkerrecht geschieht, ist an Beispielen aus dem Bereich der WIPO, UNESCO, des UNHCR und der Codex Alimentarius Kommission belegt worden. Auch im 1267-Sanktionsregime wird Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene ausgeübt. Ein Vergleich zwischen der Ausübung von Hoheitsgewalt auf nationaler und völkerrechtlicher Ebene ergibt, dass sich für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene Legitimations- und Schrankenfragen ähnlich denen ergeben, die von der nationalen Ebene her bekannt sind.91 Das Legitimationsproblem stellt sich im Völkerrecht drängender als früher,92 da sich wegen der zunehmenden Adressierung des Einzelnen
91 Feldman, The Role of Constitutional Principles in Protecting International Peace and Security Through International, Supranational and National Legal Institutions, NZJPIL 6 (2008) 1, S. 1, 5, stimmt dem – gestützt auf den Verfassungsaspekt – zu: “The reasons for organizing and controlling the functions and power of international agencies by constitutional principles are [...] essentially the same as those for using constitutional principles at a national level to organise and control the functions and power of national bodies [...]”. 92 Bryde, Konstitutionalisierung des Völkerrechts und Internationalisierung des Verfassungsrechts, Der Staat 42 (2003) 1, S. 61, spricht im Zusammenhang mit der Konstitutionalisierung des Völkerrechts von einer Legitimitätsrevolution des 20. Jahrhunderts, die politische Herrschaft nur dann als legitim akzeptiert, wenn sie die Menschenrechte wahrt. Vgl. auch Krisch/Kingsbury, Introduction: Global Governance and Global Administrative Law in the International Legal Order, EJIL 17 (2006) 1, S. 1; auch die Vertreter der Global Governance-Lehre betrachten Legitimität als eines der Zukunftsprobleme, s. Karns/
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
47
durch internationale Organisationen93 nun das gleiche Bedürfnis nach Rechtfertigung der Ausübung von Hoheitsgewalt ergibt wie ehedem in der Aufklärung im Nationalstaat.94 Dabei sind Legitimität und Effektivität keine Gegensätze: Das 1267-Regime ist nicht dann, wie man meinen könnte, am effektivsten, wenn überhaupt keine Beschränkungen bestehen und der Sicherheitsrat ganz ohne Kontrolle dem Kampf gegen den Terrorismus nachgehen kann.95 Vielmehr hat sich gerade bei diesem Mingst, International Organizations, The Politics and Processes of Global Governance, 2004, S. 514 ff.; zur Legitimität der Handlungen des Sicherheitsrats s. auch Dupuy, Le maintien de la paix, in: Dupuy (Hrsg.), A Handbook of International Organizations, 1998, S. 563, 593 ff. Manusama, The United Nations Security Council in the post-Cold War era, 2006, S. 314, sieht den Sicherheitsrat in Bezug auf seine Handlungen auf eine „illegitimate legality“ zusteuern. Brady, Terrorism and the Rule of Law: A European Perspective, VJIL 48 (2008) 3, S. 647, 652, sieht in den modernen Kommunikationsmitteln den Grund dafür, dass sich eine weltweite Jury bilden konnte, die sich umfassend über Außenpolitik etc. informieren kann, so dass nun das Urteil über die Legitimität solchen Handelns von ihr abhängig ist. 93
Hinsichtlich des 1267-Regimes äußert Manusama, The United Nations Security Council in the post-Cold War era, 2006, S. 181: “The Al Qaeda sanctions regime constitutes the most intrusive regime to date as far as individuals are concerned”. 94
S. oben, C.II.2. Dicke, Erscheinungsformen und Wirkungen von Globalisierung in Struktur und Recht des internationalen Systems auf universaler und regionaler Ebene sowie gegenläufige Renationalisierungstendenzen, in: Dicke/ Hummer/Girsberger/Boele-Woelki/Engel/Frowein, Völkerrecht und Internationales Privatrecht in einem sich globalisierenden internationalen System – Auswirkungen der Entstaatlichung transnationaler Rechtsbeziehungen, 2000, S. 13, 37, formuliert entsprechend: „Gerade weil die Globalisierung das Völkerrecht und ganz besonders den Menschenrechtsschutz aber mit steigenden Anforderungen konfrontiert, wird die Frage nach rechtskonformer Formatierung politischer Macht ebenso wie die Frage nach der völkerrechtskonformen Struktur des Staates und anderer Ebenen der Ausübung von Hoheitsgewalt bei den völkerrechtstheoretischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts obenan stehen“. 95
Ein derartiges Effektivitätsverständnis scheint sich bei der Arbeit des Hochkommisars für Menschenrechte finden zu lassen, s. Farahat, Regulating Minority Issues through Standard-Setting and Mediation: the Case of the High Commissioner on National Minorities, GLJ 9 (2008) 11, S. 1453, 1475: „Effectiveness through in-transparency“. Zum Zusammenhang und der Notwendigkeit von Legitimität und Effektivität im Rahmen der UN auch Caron, The Legitimacy of the Collective Authority of the Security Council, AJIL 87 (1993) 4, S. 552, 561.
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Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
Sanktionsregime gezeigt, dass es auf Dauer nur effektiv sein kann, wenn auf die verschiedenen Angriffe eingegangen und den Rufen nach rechtsstaatlichen Verfahren Gehör geschenkt wird und so durch entsprechende Anpassungen mehr Akzeptanz erzeugt wird.96 Allerdings stößt die Legitimation der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene auf besondere Schwierigkeiten: Das Problem besteht darin, dass bisher eine klare Trennung der nationalen von der internationalen Ebene bestand, die hinsichtlich der in Umsetzung der völkerrechtlichen Vorgaben ergehenden nationalen Rechtsakte Legitimität durch nationale Willensbildung des Gesetzgebers und eine hinreichende Kontrolle durch nationale Gerichte gewährleistete. Infolge der starken Verflechtung der verschiedenen Ebenen ist eine derartige hinreichende Kontrolle durch nationale Gerichte nicht mehr gegeben.97 Diese Verflechtung ist in erster Linie eine Kompetenzverflechtung und bewirkt einerseits, dass inzwischen auf völkerrechtlicher Ebene den Einzelnen betreffende Regelungen getroffen werden, für deren Umsetzung der nationalen Ebene kein eigenes Ermessen mehr zusteht. Andererseits ist aber eine entsprechende internationale Gerichtsinstanz, die der Einzelne gegen die seine Rechte möglicherweise verletztenden Akte der völkerrechtlichen Ebene anrufen könnte, nicht vorhanden. Wenn im Staat der Aufklärung mit den übertragenen Rechten dem Herrscher von den Untertanen zugleich ein Schutzauftrag erteilt wurde, so war diese Schutzpflicht in gleicher Weise die Rechtfertigung seiner Machtausübung wie im demokratischen Staat die Legitimation der Herrschaft durch das Volk durch Wahlen. Dieser Rechtfertigungszwang stellt zugleich sicher, dass die Ausübung von Hoheitsgewalt Akzeptanz findet und der Staat so insgesamt funktionsfähig bleibt. Internationalen Organisationen werden jedoch nicht von Einzelnen Rechte übertragen und es gibt auch keinen Wahlakt bezüglich solcher Organisationen. Dies wirft die Frage auf, wie die notwendige Legitima-
96
Auch Bianchi, Assessing the Effectiveness of the UN Security Council’s Anti-terrorism Measures: The Quest for Legitimacy and Cohesion, EJIL 17 (2006) 5, S. 881, 918, äußert die Vermutung, dass die Wahrnehmung der Handlungen des Sicherheitsrats als regelgerecht und fair deren Effektivität erheblich beeinflussen könnten. 97
Vgl. Krisch/Kingsbury, Introduction: Global Governance and Global Administrative Law in the International Legal Order, EJIL 17 (2006) 1, S. 1, 3 f.; Schorkopf/Walter, Elements of Constitutionalization: Multilevel Structures of Human Rights Protection in General International and WTO-Law, GLJ 4 (2003) 12, S. 1359, 1362 f.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
49
tion im Völkerrecht erreicht werden kann.98 Diskutiert werden Ansätze, die ihr Augenmerk auf den Ursprung der Kompetenzübertragung richten, also die Legitimation gerade im Akt der Regelungserlaubnis sehen,99 während andere die Rechtfertigung im Ergebnis des völkerrechtlichen Handelns erkennen wollen.100 Des Weiteren wird die Einhaltung des völkerrechtlich zu beachtenden Verfahrens als legitimierend angesehen.101 Während die Kompetenzübertragung auf internationale Organisationen noch von der ursprünglichen demokratischen Legitimation
98
Allgemein zum Problemkreis der Legitimation im Völkerrecht Franck, The Power of Legitimacy among Nations, 1990; Franck, The Power of Legitimacy and the Legitimacy of Power: International Law in an Age of Power Disequilibrium, AJIL 100 (2006) 1, S. 88 ff.; Coicaud/Heiskanen (Hrsg.), The Legitimacy of International Organizations, 2001; Kumm, Mattias, The Legitimacy of International Law: A Constitutionalist Framework of Analysis, EJIL 15 (2004) 5, S. 907 ff.; Wolfrum/Röben (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008. Die mehrgleisige Legitimierung der Tätigkeit von Interpol durch die Expertise der für sie Handelnden, ihre Effizienz und die Stellung von Interpol in der Welt sowie durch Verfahren und rechtliche Standards veranschaulicht gut Schöndorf-Haubold, International Administration and International Administrative Law – the Example of Interpol, GLJ 9 (2008) 11, S. 1719, 1750 f. 99
Diese klassische Sichtweise ist neben anderen denkbaren Modellen aufgeführt bei Wolfrum, Legitimacy in International Law from a Legal Perspective: Some Introductory Considerations, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008, S. 1, 6. Skeptisch gegenüber der Input-Legitimation etwa Breitmeier, The Legitimacy of International Regimes, 2008, S. 20. 100
S. zur Output-Legitimation etwa Breitmeier, Die Output-orientierte Legitimität des globalen Regierens, Zeitschrift für Internationale Beziehungen 13 (2006) 1, S. 39 ff.; zur Legitimation von Staatsgewalt im Völkerrecht ausführlich Petersen, Demokratie als teleologisches Prinzip, Zur Legitimation von Staatsgewalt im Völkerrecht, 2009. 101
Vgl. Franck, The Power of Legitimacy and the Legitimacy of Power: International Law in an Age of Power Disequilibrium, AJIL 100 (2006) 1, S. 88, 101 f.; Wolfrum, Legitimacy in International Law from a Legal Perspective: Some Introductory Considerations, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008, S. 1, 6 m.w.N.; de Wet, The International Constitutional Order, ICLQ 55 (2006) 1, S. 51, 74 und Kotzur, Entscheiden(d) für die Welt – zur Rationalität und Legitimität der Entscheidungen des UNSicherheitsrates, in: Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart, Band 55 2007, S. 23, 38, denken insoweit an ein allgemein zugängliches, transparentes Verfahren.
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Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
der ermächtigenden Staaten getragen ist,102 ist diese Wirkung rasch dadurch geschwächt, dass viele internationale Organisationen ihren Aktionsradius immer stärker ausweiten, so dass die ursprüngliche Zustimmung nur noch bedingt legitimierende Kraft entfaltet. Gegen eine eher ergebnisorientierte Sichtweise der Legitimation spricht, dass der Kontrollaspekt, der dem Rechtfertigungsgedanken der Legitimation innewohnt, zu einem Zeitpunkt, zu dem ein Ergebnis schon feststeht, nicht mehr wirksam sofort, sondern allenfalls pro futuro greifen kann. Deshalb ist dem Ansatz der Vorzug zu geben, der eine strikte Einhaltung der übertragenen Kompetenzen und der vorgesehenen Verfahren fordert und auch eine Überprüfungsmöglichkeit verlangt.103 Denn durch das Handeln gemäß dem vereinbarten Mandat wird die ursprüngliche Legitimation durch die Staaten bei der Kompetenzübertragung auf die internationale Organisation am besten verwirklicht, und die Kontrollmöglichkeit aktualisiert für die internationale Organisation jeweils den Rechtfertigungszwang.104 Eine Rechtskontrolle erfordert allerdings, dass die Ausübung von Hoheitsgewalt in einem rechtlichen Rahmen stattfindet, weil erst rechtliche 102
Vgl. zur legitimierenden Wirkung der Zustimmung eines Staates zu einem völkerrechtlichen Vertrag Wolfrum, Legitimacy of International Law and the Exercise of Administrative Functions: The Example of the International Seabed Authority, the International Maritime Organization (IMO) and International Fisheries Organizations, GLJ 9 (2008) 11, S. 2039, 2040. 103 Dies wird als denkbare Lösung von Wolfrum, Legitimacy of International Law and the Exercise of Administrative Functions: The Example of the International Seabed Authority, the International Maritime Organization (IMO) and International Fisheries Organizations, GLJ 9 (2008) 11, S. 2039, 2045, vorgeschlagen. Mit Blick auf das Verfahren ähnlich vertritt Ladeur, Die Internationalisierung des Verwaltungsrechts: Versuch einer Synthese, in: Möllers/Voßkuhle /Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, Eine Analyse anhand von Referenzgebieten, 2007, S. 375, 389, für das internationale Verwaltungsrecht, dass „[t]ransparenzstiftende Verfahrenselemente, die auch für Zwecke der Evaluation eingesetzt werden, […] im internationalen Verwaltungsrecht als funktionale Äquivalente für die auf hierarchische Verhältnisse angelegte demokratische Legitimationsketten betrachtet werden“ können. 104
Auch nach Ansicht von Petculescu, The Review of the United Nations Security Council Decisions by the International Court of Justice, NILR 52 (2005) 2, S. 167, 194, muss der Sicherheitsrat legitim im Sinne von integer handeln, wobei nach seiner Meinung solche Integrität durch eine Pflicht des Sicherheitsrats zur Rechtfertigung vor einem unabhängigen Gericht gefördert wird.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
51
Kategorien und Maßstäbe ein Urteil über Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit der Handlungen einer internationalen Organisation möglich machen. Im Folgenden ist daher zu untersuchen, wie sich die Ausübung von Hoheitsgewalt rechtlich am besten fassen lässt. In der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion werden verschiedene Modelle zu einer derartigen rechtlichen Fassung der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene behandelt. Diese Ansätze sollen im Folgenden vorgestellt und hinsichtlich einer adäquaten Lösung der Legitimationsproblematik geprüft werden. Ziel soll es dabei sein, die Ausübung von Hoheitsgewalt zwar einem Rechtfertigungszwang auszusetzen, gleichzeitig vor allem aber eine Lösung zu finden, die den status quo der Entstaatlichung nicht verurteilt, sondern Wege erschließt, für die genannten Phänomene der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene eine funktionsfähige Völkerrechtsordnung zur Verfügung zu stellen.
III. Die rechtliche Fassung der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene 1. Einleitung Nachdem im vorangegangenen Abschnitt einzelne auf völkerrechtlicher Ebene beobachtete Phänomene untersucht und als Ausübung von Hoheitsgewalt bestätigt wurden, stellt sich nun die Frage, wie als Antwort auf die geäußerten Legitimitätsbedenken eine Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene rechtlich gefasst werden kann.105 Die Frage solcher rechtlicher Fassung ist bisher schon aus unterschiedlichen Perspektiven behandelt worden. Die Vorstellung und Gegenüberstellung der in diesem Bereich existierenden Ansätze soll dabei helfen, ein Konzept herauszuarbeiten, das für die rechtliche Handhabung gerade des 1267-Sanktionsregimes angemessen erscheint.
105
Meerpohl, Individualsanktionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, 2008, S. 160, meint, eine rechtliche Beschränkung des politischen Organs Sicherheitsrat könne nur bedingt klare Ergebnisse zeitigen, weil keine hinreichende Normdichte bestehe, um einen Interessenausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen allein auf der Basis der Auslegung rechtlicher Normen zu erzielen.
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Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
2. Darstellung und Bewertung der verschiedenen Ansätze Zu den Ansätzen, die für die Behandlung von Fragen der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene zu nennen sind, gehören die Konzepte der global governance, des Global Administrative Law, des internationalen Verwaltungsrechts, der Konstitutionalisierung des Völkerrechts sowie der öffentlich-rechtliche Ansatz.
a) Global Governance aa) Begriff und Begründung Phänomene transnationalen „Regierens“ wurden bereits seit Anfang der 1990er Jahre unter dem seither oft verwendeten Begriff global governance untersucht. Global governance beinhaltet nach der Definition von Rosenau Regelungssysteme auf allen Ebenen menschlicher Aktivität, in denen die Verfolgung von Zielen durch Ausübung von Kontrolle transnationale Auswirkungen hat.106 „Regel“ soll dabei weit verstanden werden als „Kontrolle“, was lediglich erfordere, dass die Kontrolleure danach strebten, das Verhalten anderer Akteure zu ändern.107 Der Begriff der governance wird als erforderlich angesehen, da es kein government, keine Weltregierung gebe, aber dennoch ein Konzept notwendig sei, um die an Ausübung von Staatsgewalt erinnernden Ereignisse, die sich auf völkerrechtlicher Ebene in Abwesenheit einer Weltregierung abspielten, zu durchdringen und zu verstehen.108 Charakteristisch für den global governance-Ansatz ist außerdem, dass er governance nicht als Ausübung öffentlicher Hoheitsgewalt im enge106
Rosenau, Governance in the Twenty-first Century, Global Governance 1 (1995) 1, S. 13. Zu Varianten des Begriffs Behrens, Global Governance, in: Benz (Hrsg.), Governance − Regieren in komplexen Regelsystemen, 2004, S. 103, 104; s. auch König, Governance im Mehrebenensystem, in: Sommermann (Hrsg.), Aktuelle Fragen zu Verfassung und Verwaltung im europäischen Mehrebenensystem, 2003, S. 45, 48 ff. 107 Rosenau, Governance in the Twenty-first Century, Global Governance 1 (1995) 1, S. 13, 14; etwas abweichend die Definition bei Gordenker/Weiss, Pluralizing Global Governance: Analytical Approaches and Dimensions, in: Gordenker/Weiss (Hrsg.), NGOs, the UN, and Global Governance, 1996, S. 17. 108 Vgl. Rosenau, Governance, Order, and Change in World Politics, in: Rosenau/Czempiel (Hrsg.), Governance Without Government: Order and Change in World Politics, 1992, S. 1, 7.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
53
ren Sinn versteht, sondern als Akteure auch Private mit einbezieht.109 Des Weiteren lässt der Ansatz auch eine Tendenz zum Informellen erkennen: So gehören zur Bandbreite der von diesem Konzept umfassten Mechanismen formelle Instrumente der Entscheidungsfindung und Streitbeilegung ebenso wie informelle Methoden der Verfolgung politischer Ziele und des Erlasses von Anweisungen.110
bb) Behandlung des Phänomens der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene nach diesem Ansatz Unter die oben gegebene Definition der global governance würde sich auch das 1267-Sanktionsregime subsumieren lassen:111 Das auf UNResolutionen und den Richtlinien des Komitees basierende Sanktionsregime ist ein Regelsystem auf der Ebene einer internationalen Organisation mit dem Ziel der Sicherung des Weltfriedens. Dieses Ziel wird verfolgt durch die Listung von Einzelpersonen als Terrorverdächtigen mit der Intention, das Verhalten dieser Personen zu ändern. Die Listungen sind bindend und haben auch transnationale Auswirkungen, weil sie auf der nationalen Ebene insgesamt und nicht nur für einen einzelnen Staat gelten und grenzüberschreitende Sachverhalte regeln (Einund Durchreiseverbot).
cc) Bewertung Die Analyse der 1267-Regimes nach dem global governance-Ansatz bleibt für eine juristische Untersuchung ohne nennenswerten Gewinn. Denn die handlungsbezogene Sichtweise des governance-Ansatzes be-
109
Commission on Global Governance, Our Global Neighbourhood, The Report of the Commission on Global Governance, 1995, S. 2; Rosenau, Governance, Order, and Change in World Politics, in: Rosenau/Czempiel (Hrsg.), Governance Without Government: Order and Change in World Politics, 1992, S. 1, 12. 110
Rosenau, Governance, Order, and Change in World Politics, in: Rosenau/ Czempiel (Hrsg.), Governance Without Government: Order and Change in World Politics, 1992, S. 1, 4; s. auch Karns/Mingst, International Organizations, The Politics and Processes of Global Governance, 2004, S. 4. 111 Zu global governance im Rahmen der UN Hamm, Vereinte Nationen und Global Governance, in: Vogler (Hrsg.), Grundlagen und Strukturen der Vereinten Nationen, 2007, S. 293 ff.
54
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
tont eher das Geschehen selbst als die rechtliche Grundlage dafür.112 Beim Konzept der governance wird insofern kein Schwerpunkt auf der Normgebung gesehen,113 sondern es wird eher versucht, die beobachteten Phänomene lediglich zu verstehen, als sie rechtlich zu fassen. Mit der Einbeziehung auch Privater eignet sich der Ansatz außerdem deshalb nicht für die vorliegend untersuchte Frage der Ausübung von Hoheitsgewalt, weil die Identifizierung der hier interessierenden hoheitlichen Akte dadurch erschwert wird.114 Auch die Idee des Informellen spricht gegen die Anwendung des Ansatzes in diesem Zusammenhang, weil gerade die Form, sei es nun in Gestalt der schriftlichen Niederlegung von Rechtsakten, der förmlichen Information und Belehrung beim Erlass von Einzelakten oder des förmlich ausgestalteten Verfahrens vor Gericht, ein wesentliches Kriterium des Rechts ist.115
dd) Fazit Der global governance-Ansatz lässt somit zwar zu, das 1267-Regime seinem Untersuchungsgegenstand zu subsumieren, leistet aber keinerlei rechtliche Fassung des Phänomens der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene und kommt daher – jedenfalls isoliert angewandt – für die weitere Untersuchung nicht in Betracht.
b) Global Administrative Law Das Konzept eines Global Administrative Law ist in den letzten Jahren zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung geworden. Dabei werden Phänomene der Entstaatlichung mit dem Ziel der Schaffung von Kontrollmechanismen unter Verwendung des Ansatzes eines globalen Verwaltungsrechts untersucht. 112 So auch Finkelstein, What Is Global Governance?, Global Governance 1 (1995) 3, S. 367, 369. 113
Vgl. ibid., S. 369.
114
So auch Bogdandy/Dann/Goldmann, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, GLJ 9 (2008) 11, S. 1375, 1380 f. 115
S. nur zu den Einzelheiten etwa des deutschen Rechtsstaatsprinzips Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 2004, S. 541, 581 ff. zum Verwaltungsverfahren und Rechtsschutz.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
55
aa) Begriff und Konzept des Global Administrative Law Global Administrative Law umfasst nach der Definition von Kingsbury, Krisch und Stewart die Mechanismen, Prinzipien und Praktiken – zusammen mit den unterstützenden sozialen Übereinkünften – die die Rechenschaftspflicht globaler Verwaltungsinstitutionen insbesondere dadurch fördern oder anderweitig beeinflussen, dass sie sicherstellen, dass diese Institutionen ein angemessenes Niveau von Transparenz, Beratung, Beteiligung, Zumutbarkeit und Gesetzmäßigkeit einhalten, sowie dadurch, dass eine effektive Kontrolle der Regeln und Entscheidungen, die diese Institutionen erlassen, bereitgestellt wird.116 Statt international ist der Ansatz global, um die Verflechtung nationaler und internationaler Regulierung, die Einbeziehung informeller institutioneller Vereinbarungen sowie privater Akteure und die Fundierung des Gebiets in Rechtspraktiken und -quellen abzubilden, die so nicht im klassischen Konzept des Völkerrechts („international law“) enthalten sind.117 Entstanden ist das Global Administrative Law nach Cassese mit der internationalen Regulierung des Thunfischfangs durch Australien, Japan und Neuseeland Anfang der 1990er Jahre, weil, wie er sagt, dessen Regelungsregime alle charakteristischen Merkmale des Verwaltungsrechts, wie etwa eine Organisation mit der Befugnis, verbindliche Verwaltungsentscheidungen zu treffen, sowie einen gerichtlichen Streitbeilegungsmechanismus, enthielt.118 Das Konzept des Global Administrative Law fußt auf der Idee, dass global governance weitgehend als Verwaltung verstanden werden kann, da es sich um die Setzung und Anwendung von Regeln durch Institutionen handele, die nicht legislativer oder primär judikativer Art seien, und dass global governance außerdem oft von Prinzipien verwaltungs116
Kingsbury/Krisch/Stewart, The Emergence of Global Administrative Law, Law and Contemporary Problems 68 (2005) 3 und 4, S. 15, 17; Krisch/ Kingsbury, Introduction: Global Governance and Global Administrative Law in the International Legal Order, EJIL 17 (2006) 1, S. 1, 4 f. Siehe zum Global Administrative Law auch Cassese/Carotti/Casini/Macchia/MacDonald/Savino (Hrsg.), Global Administrative Law, Cases, Materials, Issues, 2008; Barr/Miller, Global Administrative Law: The View from Basel, EJIL 17 (2006) 1, S. 15 ff. 117
Krisch/Kingsbury, Introduction: Global Governance and Global Administrative Law in the International Legal Order, EJIL 17 (2006) 1, S. 1, 5, 12. 118
Cassese, Administrative Law Without the State? The Challenge of Global Regulation, NYUJILP 37 (2005) 4, S. 663, 668.
56
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
rechtlichen Charakters geprägt sei.119 Es entstehe ein globaler Verwaltungsraum („global administrative space“), in dem die strikte Zweiteilung zwischen national und international weitgehend aufgehoben sei, in dem Verwaltung in einem komplexen Zusammenspiel von Akteuren und Institutionen auf verschiedenen Ebenen stattfinde und Regulierung trotz ihrer vorwiegend nicht-bindenden Form höchst effektiv sein könne.120 Es handele sich insofern um eine plurale Ordnung, als ihr die Einheitlichkeit fehle und auch keine hierarchischen Strukturen bestünden.121 Eine Gewaltenteilung existiere dabei ebenso wenig, und die Unterscheidung von öffentlich und privat (NGOs) löse sich auf.122 Als allgemeine Prinzipien des Global Administrative Law, die sich allmählich verfestigten, werden – gerade auch mit Blick auf die Betroffenen – angegeben: das Prinzip der Legalität, das Recht auf Teilnahme am Rechtsetzungsprozess, eine Konsultationspflicht, ein Anhörungsrecht, der Zugang zu Verwaltungsdokumenten, eine Begründungspflicht sowie das Prinzip der Verhältnismäßigkeit.123
bb) Behandlung des Phänomens der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene nach diesem Ansatz Bedenken hinsichtlich Legitimität und Überprüfbarkeit bei der Ausübung von Hoheitsgewalt in dem globalen Verwaltungsraum adressiert der Global Administrative Law-Ansatz, indem er Rechenschaftsmechanismen wie größere Transparenz und Verwaltungs- und Gerichtskontrolle in so vielgestaltigen Bereichen wie der globalen Bankenregulierung oder der Verwaltung von UN-Sanktionen, Flüchtlingsfragen oder grenzüberschreitenden Umweltproblemen gemeinsam betrachtet.124
119
Krisch/Kingsbury, Introduction: Global Governance and Global Administrative Law in the International Legal Order, EJIL 17 (2006) 1, S. 1, 2 f. 120
Ibid., S. 1.
121
Cassese, Administrative Law Without the State? The Challenge of Global Regulation, NYUJILP 37 (2005) 4, S. 663, 673. 122 123 124
Ibid., S. 677. Ibid., S. 690.
Krisch/Kingsbury, Introduction: Global Governance and Global Administrative Law in the International Legal Order, EJIL 17 (2006) 1, S. 1 f.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
57
So soll die Entwicklung als ein allgemeiner, wachsender Trend hin zu Kontrollmechanismen verwaltungsrechtlicher Art für diese globale Regulierung verstanden werden und Erkenntnisse fördern hinsichtlich der Herausforderungen, die sich daraus für das nationale Verwaltungsrecht und für das Völkerrecht ergeben.125 Konkret bezogen auf das 1267-Regime wird seitens der Vertreter des Global Administrative Law beobachtet, dass es von vielen Seiten Angriffe auf das Regime gibt, so von Gelisteten, Staaten, aber auch von Organen der UN selbst, die dessen mangelnde Transparenz und Fairness rügen.126 Solche beständigen, pluralistischen Angriffe durch die dezentralisierte globale Gesellschaft deuten ihrer Meinung nach den Weg, wie in diesem Bereich Rechenschaft eingefordert werden kann.127
cc) Bewertung Dem Ansatz des Global Administrative Law ist zugute zu halten, dass er es ermöglicht, die Referenzgebiete in globalen Regierungssystemen zu ordnen.128 Durch das Ziel der Förderung der Rechenschaftspflichtigkeit solcher Systeme und die Einbeziehung rechtsstaatlicher und demokratischer Elemente zu diesem Zweck hebt er sich positiv gegen den global governance-Ansatz ab. Dabei ist das Konzept des Global Administrative Law sehr weit gefasst, um nicht einzelne Phänomene vorschnell von der Betrachtung auszuschließen. Gerade hier setzt aber auch die Kritik an diesem Ansatz an: Die darin vertretene Pluralität von Rechtsquellen und Institutionen, die Einbeziehung auch informellen Handelns und nicht-staatlicher Akteure erschwert die dogmatische Konturierung und rechtliche Fassung der Phänomene. Seine ergebnisoffene Herangehensweise beschreibt nur Situationen, in denen sich Global Administrative Law möglicherweise entwickeln könnte.129 Der An125
Ibid.
126
Kanetake, Enhancing Community Accountability of the Security Council through Pluralistic Structure: The Case of the 1267 Committee, in: Max Planck UNYB 12 (2008), S. 113, 152 ff. 127
Ibid., S. 171.
128
So auch Ruffert, Perspektiven des Internationalen Verwaltungsrechts, in: Möllers/Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, Eine Analyse anhand von Referenzgebieten, 2007, S. 395, 404. 129
Vgl. auch Harlow, Global Administrative Law: The Quest for Principles and Values, EJIL 17 (2006) 1, S. 187, 189.
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Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
satz verharrt so eher im Deskriptiven, als zum Normativen rechtlicher Regeln und Prinzipien vorzudringen. Auch die Untersuchung zum 1267-Regime begnügt sich mit der Bestandsaufnahme der Angriffe auf das Regime aus verschiedenen Richtungen und geht nicht so weit, die Einrichtung eines offiziellen Kontrollgremiums für die Listungen auf UN-Ebene intensiver zu prüfen130 und riskiert so widersprüchliche Ergebnisse.131 Damit soll keinesfalls der eher induktive Forschungsansatz132 beanstandet werden, er erscheint aber durch seine Anlage als „global“ für den Versuch der rechtlichen Fassung der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene als weniger geeignet, weil er Gefahr läuft, die für Vorschriften bezüglich der Ausübung von Hoheitsgewalt wichtige Unterscheidung zwischen der Legitimation nationaler Normen und derjenigen internationaler Normen zu verwischen,133 indem er die beiden Ebenen nicht mehr klar trennt. Zu Recht wird insofern auch eingewandt, dass der Global Administrative LawAnsatz mit seinem Ausgriff ins Globale die Verbindungslinien zu überschaubaren Fallkonstellationen kappt und so Erfahrungen ungenutzt lässt, die etwa in kleinräumigen Situationen der bilateralen Verwaltungskooperation bereits existieren.134 Die Einbeziehung informellen Handelns und privater Akteure begegnet außerdem den schon zur global governance geäußerten Bedenken. 130
Kanetake, Enhancing Community Accountability of the Security Council through Pluralistic Structure: The Case of the 1267 Committee, in: Max Planck UNYB 12 (2008), S. 113, 169 f. 131
Kolb, Le contrôle de Résolutions contraignantes du Conseil de sécurtié des Nations Unies sous l’angle du respect du jus cogens, SZIER 18 (2008) 5, S. 401, 410, bringt insofern gegen eine nationale und regionale Gerichtskontrolle vor: „Ce contrôle pluriel, anarchique et non coordonné, risque de produire des résultats contradictories“. 132
Einen solchen bescheinigt auch Ladeur, Die Internationalisierung des Verwaltungsrechts: Versuch einer Synthese, in: Möllers/Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, Eine Analyse anhand von Referenzgebieten, 2007, S. 375, 376 dem Global Administrative Law, dessen Ansatz nach seiner Meinung „…eher induktiv verfährt und sich zugleich von sehr allgemeinen Theoriebegriffen Orientierung erhofft“. 133
Bogdandy/Dann/Goldmann, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, GLJ 9 (2008) 11, S. 1375, 1393. 134
Schmidt-Aßmann, Die Herausforderung der Verwaltungsrechtswissenschaft durch die Internationalisierung der Verwaltungsbeziehungen, Der Staat 45 (2006) 1, S. 315, 317.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
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dd) Fazit Der Forschungsansatz des Global Administrative Law betrachtet umfassend die verschiedenen Phänomene „globalen Regierens.“ Er ordnet die einschlägigen Referenzgebiete solchen Regierens und zielt auf die Förderung von deren Rechenschaftspflichtigkeit. Seine globale Perspektive, die Legitimationsunterschiede zu verwischen droht, und seine eher ergebnisoffene Betrachtung, die die aktive Formulierung rechtlicher Regeln erschwert, sprechen jedoch trotz der genannten Vorzüge eher gegen die rechtliche Fassung der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene mit Hilfe des Ansatzes des Global Administrative Law. c) Internationales Verwaltungsrecht135 aa) Begriff des internationalen Verwaltungsrechts Unter internationalem Verwaltungsrecht versteht Schmidt-Aßmann das im Völkerrecht begründete Verwaltungsrecht, bei dem es um Prozesse der Überformung nationalen und der Neubildung internationalen Rechts geht, die in ihren Strukturen, nicht aber in ihren Mechanismen der Europäisierung ähnlich sind.136
135
Zur deutschen Debatte über die Entwicklung eines internationalen Verwaltungsrechts als Aufgabe der Rechtswissenschaft, s. Gaß, Bericht über die Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer vom 3. bis 6. Oktober 2007 in Freiburg i. Br., BayVbl. 139 (2008) 11, S. 330, 337 ff; s. auch Ohler, Die Entwicklung eines Internationalen Verwaltungsrechts als Aufgabe der Rechtswissenschaft, DVBl 122 (2007) 17, S. 1083 ff. 136
Schmidt-Aßmann, Die Herausforderung der Verwaltungsrechtswissenschaft durch die Internationalisierung der Verwaltungsbeziehungen, Der Staat 45 (2006) 1, S. 315, 336; die Arbeit von Linke, Europäisches Internationales Verwaltungsrecht, 2001, legt ihren Schwerpunkt dagegen auf kollisionsrechtliche Fragen mit europarechtlichen Bezügen.
60
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
bb) Behandlung des Phänomens der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene nach diesem Ansatz Das internationale Verwaltungsrecht kann als Folgerecht der Internationalisierung begriffen werden.137 Schmidt-Aßmann vertritt insoweit, dass die Internationalisierung der Verwaltung unter anderem mit der Intensivierung konkreter administrativer Zugriffe – wie etwa im Fall des 1267-Regimes – einhergeht, und dass damit die Anforderungen an die spezifisch verwaltungsrechtlichen Vorkehrungen individuellen Schutzes, an die Verteidigungsrechte und den Gerichtsschutz, wachsen.138 Deshalb bedürfe es einer strukturierenden Ordnung, die am Doppelauftrag des innerstaatlichen Verwaltungsrechts auszurichten sei. Dieser bestehe darin, die Rechte des Einzelnen zu schützen und der Verwaltung rechtliche Verfahren und Instrumente verfügbar zu machen, die ihr eine wirksame Aufgabenerfüllung gestatteten. Diese strukturierende Ordnung soll durch das internationale Verwaltungsrecht hergestellt werden. Als drei große Funktionskreise des internationalen Verwaltungsrechts werden das Aktionsrecht internationaler Verwaltungsinstanzen, das Determinationsrecht für die nationalen Verwaltungsrechtsordnungen und das Kooperationsrecht spezifischer Verbundstrukturen genannt.139 Das Aktionsrecht trägt dabei der Entwicklung Rechnung, dass internationale Organisationen zunehmend administrative Tätigkeiten mit Außenwirkung wahrnehmen. Als Determinationsrecht gestaltet das internationale Verwaltungsrecht die nationalen Verwaltungsrechtordnungen um, indem es Änderungen und Ergänzungen verlangt, wie etwa die im Rahmen des ECOSOC geschlossene Aarhus-Konvention. Die beiden genannten Funktionen zusammenführend ist das internationale Verwaltungsrecht drittens ein Recht der horizontalen und vertikalen Verwaltungskooperation und ihrer spezifischen Verbundprobleme.
137
Ruffert, Perspektiven des Internationalen Verwaltungsrechts, in: Möllers/ Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, Eine Analyse anhand von Referenzgebieten, 2007, S. 395, 405. 138
Hierzu und zum Folgenden Schmidt-Aßmann, Die Herausforderung der Verwaltungsrechtswissenschaft durch die Internationalisierung der Verwaltungsbeziehungen, Der Staat 45 (2006) 1, S. 315 ff. 139
Ibid., S. 336 ff.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
61
Ein systematisches Recht der internationalen Verwaltungsbeziehungen soll durch Rückgriff auf das nationale Verwaltungsrecht140 und durch Rechtsvergleichung entwickelt werden.141
cc) Bewertung Die Vertreter des internationalen Verwaltungsrechts erkennen die oben identifizierten Legitimationsprobleme und Rechtsschutzfragen142 und wollen mit ihrem Ansatz darauf Antwort geben, indem sie eine strukturierende Ordnung herzustellen versuchen, die den Einzelnen schützt und der Verwaltung ihre Aufgabenerfüllung gestattet. Dafür lehnen sie sich an das nationale Verwaltungsrecht und die Rechtsvergleichung an. Das ist insofern plausibel, als viele Phänomene des globalen Regierens an verwaltungsrechtliche Konstellationen erinnern und der Blick in das ausdifferenzierte nationale Recht für die rechtliche Behandlung dieser Fälle wertvolle Impulse verspricht. Auch wenn daher dieser Aspekt für den Ansatz des internationalen Verwaltungsrechts spricht, bleibt dennoch die Frage, ob ein so verstandenes internationales Verwaltungsrecht die Besonderheiten der Völkerrechtsordnung, etwa die häufige Beteiligung internationaler Organisationen in den genannten Fallkonstellationen, sowie die Problematiken des Mehrebenensystems hinreichend zu berücksichtigen vermag.143
140 So für Regulierungsnetzwerke Ladeur, Die Internationalisierung des Verwaltungsrechts: Versuch einer Synthese, in: Möllers/Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, Eine Analyse anhand von Referenzgebieten, 2007, S. 375, 378. 141 Schmidt-Aßmann, Die Herausforderung der Verwaltungsrechtswissenschaft durch die Internationalisierung der Verwaltungsbeziehungen, Der Staat 45 (2006) 1, S. 315, 337 f. 142
Ruffert, Perspektiven des Internationalen Verwaltungsrechts, in: Möllers/ Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, Eine Analyse anhand von Referenzgebieten, 2007, S. 395, 407 ff. 143
Die Notwendigkeit der Berücksichtigung des völkerrechtlichen Einschlags erkennt zumindest Ruffert, ibid., S. 415, und schlägt vor, genuin völkerrechtliche Fragestellungen mit den Methoden des Völkerrechts zu bearbeiten und in den Kanon verwaltungsrechtlicher Erkenntnisse zu integrieren.
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Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
dd) Fazit Der Ansatz eines internationalen Verwaltungsrechts liefert so mit der Idee einer strukturierenden Ordnung zur Behandlung von Legitimations- und Rechtsschutzproblemen wichtige Elemente einer rechtlichen Fassung der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene. Weil das Konzept aber dazu tendieren könnte, sich stärker an der nationalen Perspektive als an den Belangen des Völkerrechts zu orientieren, sollen noch weitere Ansätze geprüft werden.
d) Die Konstitutionalisierungsthese aa) Begriff Die Ausführungen dazu, was unter der Konstitutionalisierung des Völkerrechts144 zu verstehen ist, können als uneinheitlich bezeichnet werden. Die Konstitutionalisierung des Völkerrechts wird bereits seit dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts diskutiert. Damals sprach Verdross erstmals von „Verfassung“ im Zusammenhang mit der Völkerrechtsgemeinschaft145 und verstand darunter zuletzt eine Reihe von Regeln des Völkerrechts, die insofern Vorrang vor anderen Normen genießen, als ihre Existenz von einem logischen und rechtlichen Standpunkt betrach-
144
Hierzu allgemein Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, in: Dicke/Hummer/Girsberger/Boele-Woelki/Engel/Frowein, Völkerrecht und Internationales Privatrecht in einem sich globalisierenden internationalen System – Auswirkungen der Entstaatlichung transnationaler Rechtsbeziehungen, 2000, S. 427 ff.; Schilling, On the Constitutionalization of General International Law, Jean Monnet working paper 6/2005, New York University School of Law, 2005; Cottier, Die Anwendbarkeit von völkerrechtlichen Normen im innerstaatlichen Bereich als Ausprägung der Konstitutionalisierung des Völkerrechts, Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht 9 (1999) 4/5, S. 403 ff.; s. auch Bryde, Konstitutionalisierung des Völkerrechts und Internationalisierung des Verfassungsrechts, Der Staat 42 (2003) 1, S. 61 ff.; Kadelbach, Völkerrecht als Verfassungsordnung? Zur Völkerrechtswissenschaft in Deutschland, ZaöRV 67 (2007) 3, S. 599 ff.; Knauff, Konstitutionalisierung im innerund überstaatlichen Recht – Konvergenz oder Divergenz?, ZaöRV 68 (2008) 2, S. 453 ff.; Diggelmann/Altwicker, Is there Something Like a Constitution of International Law? A Critical Analysis of the Debate on World Constitutionalism, ZaöRV 68 (2008) 3, S. 623 ff. 145
S. Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, 1926.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
63
tet eine Voraussetzung für die Geltung letzterer ist.146 Mosler sah die internationale Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft an, die durch Verfassungselemente gekennzeichnet sei, wie etwa Verfahrensregeln, nach denen Völkerrecht geschaffen und geändert werde, und materiellen Prinzipien, ohne die die internationale Gemeinschaft nicht existieren könne.147 Tomuschat betonte stärker den materiellen Aspekt und sprach von der Idee eines Rechtsrahmens, der gewisse gemeinsame Werte („common values“) als Leitprinzipien festlege, an die die Staaten – auch gegen ihren Willen – gebunden seien.148 Gemeinsam mit den Regeln zur Ausübung exekutiver und richterlicher Tätigkeit bildeten die Regeln zur Normsetzung die Verfassung jedes Regierungssystems.149 Entscheidend ist somit die Existenz bestimmter gemeinsamer Werte, die aufgrund ihrer fundamentalen Bedeutung hierarchisch über den sonstigen völkerrechtlichen Rechten und Pflichten angesiedelt sind und daher Vorrang vor diesen genießen. Belegt wird dies mit Beispielen wie dem ius cogens, von dem nach Art. 53 WVK in völkerrechtlichen Verträgen nicht abgewichen werden kann oder Art. 103 UNCh, wonach die Verpflichtungen aus der UN-Charta150 für die UN-Mitgliedstaaten Vorrang vor Verpflichtungen aus anderen Übereinkünften haben.
bb) Behandlung des Phänomens der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene nach diesem Ansatz Gemäß den Vertretern des Konstitutionalisierungsansatzes ergibt sich ein Bedarf für Vorrang beanspruchendes Verfassungsrecht dort, wo die Staatengemeinschaft selbst in einem weit verstandenen Sinne Hoheits146
So Fassbender, The United Nations Charter as Constitution of the International Community, CJTL 36 (1998) 3, S. 529, 542. Zur Konstitutionalisierung auf nationaler Ebene dagegen eingehend Schuppert/Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, 2000. 147
Mosler, International Legal Community, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Band II, 1995, S. 1251, 1254. 148
Tomuschat, Obligations Arising for States Without or Against Their Will, RdC 241 (1993-IV), S. 195, 211, 236. 149 150
Ibid., S. 216.
Zur Verfassungsqualität der UN-Charta, s. nur Dupuy, The Constitutional Dimension of the Charter of the United Nations Revisited, Max Planck UNYB 1 (1997), S. 1 ff.
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Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
gewalt ausübt.151 Dies geschieht durch internationale Organisationen, wenn ihnen eine Befugnis verliehen worden ist, selbständig Staaten, Unternehmen oder Einzelne zu verpflichten.152 Der Konstitutionalisierungsansatz scheint auf den ersten Blick geeignet, für diese Konstellation einen rechtlichen Rahmen zu bieten. Denn wird, wie oben ausgeführt,153 solche Hoheitsgewalt als Rechtsmacht angesehen, andere zu bestimmen und ihre Freiheit einzuschränken, so scheint es passend, übergeordnete Werte heranzuziehen, die die Ausübung dieser Rechtsmacht begrenzen können. Sofern man zu diesen gemeinsamen Werten auch die Menschenrechte zählt,154 könnte so beispielsweise im 1267-Regime verhindert werden, dass Listungen ohne Anhörungs- und Verteidigungsmöglichkeiten und ohne Rechtsschutz durchgeführt werden.
cc) Bewertung Gegen die Konstitutionalisierungsthese spricht zum einen, dass das Völkerrecht – wie auch Art. 38 IGH-Statut, der auf Vorrangregeln verzichtet, zeigt – nicht hierarchisch angelegt ist.155 Das ius cogens (Art. 53 WVK), das inhaltlich sehr eng ausgestaltet ist,156 bestätigt mit seinem Ausnahmecharakter diese Sichtweise eher, als dass es ihr widerspricht. Ist aber der Bestand des ius cogens eng gefasst, so stellt sich vor allem das Problem, welche Werte als „common values“ angesehen werden können157 und wer solche Werte in brauchbarer Konkretisierungstiefe bestimmt. Als „fundamental“ werden insofern überhaupt nur Normen 151
Kadelbach/Kleinlein, Überstaatliches Verfassungsrecht, Zur Konstitutionalisierung im Völkerrecht, AVR 44 (2006) 3, 235, 242. 152 153
Ibid. S. oben, C.II.3.
154
S. statt vieler de Wet, The International Constitutional Order, ICLQ 55 (2006) 1, S. 51, 57. 155
S. dazu statt vieler Pauwelyn, Fragmentation of International Law, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil.com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 24. 156 157
S. hierzu unten, D.II.5.
Kritisch mit Hinweis auf die weltweite Diversität in Kultur, Politik, Wirtschaft und sozialen Angelegenheiten Picciotto, Constitutionalizing multilevel governance?, IJCL 6 (2008) 3/4, S. 457, 479.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
65
identifizierbar sein und Akzeptanz finden können, die auf breiter Front als unabdingbar angesehen werden. Dies liefe dann eher wieder auf den Bestand des ius cogens hinaus, der nach herrschendem engem Verständnis mit der Begrenzung auf das Folterverbot etc. im hier untersuchten 1267-Regime etwa bezüglich der Kontensperrung nichts bewirken könnte. Außer dieser Kritik, die unmittelbar an Definitionsmerkmalen ansetzt, fällt auch negativ ins Gewicht, dass die Konstitutionalisierung keine Antwort158 auf die Probleme findet, die sich aus der Tatsache des Mehrebenensystems ergeben, in dem die Hoheitsgewalt ausgeübt wird. So erscheint es unerlässlich, dass etwa Regeln der Kooperation gefunden werden, wo Normsetzung und Normumsetzung verschiedenen Ebenen zugeordnet sind.
dd) Fazit Wenn auch die Konstitutionalisierungsthese mit ihrer Idee einer Hierarchie von Normen und dadurch einem Vorrang gemeinsamer Werte der Ausübung von Hoheitsgewalt Schranken setzen zu können scheint, so ist der Hierarchiegedanke dem Völkerrecht – abgesehen vom engen Bestand des ius cogens – grundsätzlich fremd, und der Maßstab der gemeinsamen Werte ist schwer zu bestimmen. Der Ansatz scheint daher für die rechtliche Fassung der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene nicht optimal geeignet.
e) Der öffentlich-rechtliche Ansatz zur Bildung von Prinzipien für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene aa) Das Konzept des öffentlich-rechtlichen Ansatzes Der öffentlich-rechtliche Ansatz zur Bildung von Prinzipien für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene betrachtet die Phänomene der Entstaatlichung allgemeiner aus der Perspektive des öffentlichen Rechts. Die Wissenschaft vom öffentlichen Recht war seit jeher die Disziplin, die sich mit Phänomenen der Ausübung von Hoheitsgewalt befasst und ihnen Regeln zu geben versucht hat. Das öffentliche Recht regelt das Verhältnis zwischen Trägern der öffentlichen
158
Die nur beschränkte Erklärungskraft des Ansatzes bemängelt auch Klabbers, Kadi Justice at the Security Council?, IOLR 4 (2007) 2, S. 293, 298.
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Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
Gewalt und dem einzelnen Bürger und adressiert so das Spannungsverhältnis zwischen Hoheitsgewalt und individueller Freiheit.159 Akte einseitiger Ausübung von Hoheitsgewalt, die auf völkerrechtlicher Ebene ihren Ursprung haben, sind, wie schon gesehen, in jüngerer Zeit häufiger geworden. Bezüglich dieser Akte werden Legitimitätsbedenken geäußert, weil sie oft in die individuelle Freiheit der davon Betroffenen eingreifen. Hier setzt der öffentlich-rechtliche Ansatz an, der die Idee der global governance durch ein Konzept ergänzen will, das für die rechtliche Analyse und die Entwicklung rechtlicher Maßstäbe legitimen Regierens angemessener erscheint.160 Der öffentlich-rechtliche Ansatz bezweckt die Entwicklung eines Rechtsverständnisses und eines Rechtsrahmens für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene, um diese verstehen, aber auch zähmen zu können. Dafür muss die Frage beantwortet werden, wie die Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit der Ausübung solcher Hoheitsgewalt festgestellt und wie das anwendbare Recht im Lichte der genannten Legimitätsbedenken (weiter)entwickelt werden kann. Der öffentlich-rechtliche Ansatz geht dabei von einer Synthese der oben besprochenen Ansätze des internationalen Verwaltungsrechts und der Konstitutionalisierung des Völkerrechts sowie des Rechts internationaler Institutionen aus. Die Entwicklung des rechtlichen Rahmens für das hoheitliche Handeln setzt beim Recht der internationalen Institutionen an,161 ergänzt durch eine öffentlich-rechtliche Perspektive, die so159
Vgl. Bogdandy/Dann/Goldmann, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, in: Bogdandy/Wolfrum/Bernstorff/Dann/Goldmann (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions, Advancing International Institutional Law, 2010, S. 3, 5; Bogdandy/Dann/Goldmann, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, GLJ 9 (2008) 11, S. 1375, 1376. 160
Die kommenden Ausführungen folgen, soweit nicht anders angegeben, der Darstellung bei Bogdandy/Dann/Goldmann, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, in: Bogdandy/Wolfrum/Bernstorff/Dann/Goldmann (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions, Advancing International Institutional Law, 2010, S. 3 ff. 161
S. hierzu allgemein: Schermers/Blokker, International Institutional Law, 2003; Klabbers, An Introduction to International Institutional Law, 2009; Klabbers (Hrsg.), International Organisations, 2005; Karns/Mingst, International
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
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wohl über verfassungsrechtliches Verständnis als auch über eine Offenheit für Erkenntnisse aus der Verwaltungsrechtsvergleichung verfügt. Der Konstitutionalisierungsansatz wird dabei hinsichtlich zweier Aspekte verwendet: Einerseits wird eine verfassungsrechtliche Sichtweise eingenommen, die Gedanken der individuellen Freiheit sowie der Rechtsstaatlichkeit ähnlich deren Geltung im Nationalstaat im Blick hat. Dies ist kein Plädoyer für Analogien zum nationalen Recht, sondern für möglicherweise lohnende Vergleiche. Andererseits wird eine Untersuchung anhand einer „internen Konstitutionalisierung“ vorgenommen, die zur Entwicklung von Verfahren, Instrumenten und Beschränkungen die Gründungsdokumente der jeweiligen internationalen Organisation heranzieht und somit die Besonderheiten jedes Regimes zu berücksichtigen vermag. Als Aspekt des verwaltungsrechtlichen Ansatzes werden Vergleiche mit dem nationalen Verwaltungsrecht gezogen, weil der Vergleich mit dem nationalen Recht großes Innovationspotential birgt. Das Recht der internationalen Institutionen könnte bei der Findung eines Rechtsrahmens für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf internationaler Ebene helfen, da internationale Organisationen in diesem Forschungsgebiet ebenfalls eine große Rolle spielen. Aspekte des Rechts der internationalen Institutionen werden in dieser Arbeit nicht nur durch intensive Heranziehung der Charta der UN, sondern auch im Rahmen der sogleich zu erläuternden „Punktprobe“ etwa durch den Blick auf die Immunität internationaler Organisationen vor nationalen Gerichten berücksichtigt. Der Forschungsansatz erstrebt dabei die Findung von Prinzipien für die Ausübung von Hoheitsgewalt, also Grundsätzen, die lediglich eine bestimmte Richtung vorgeben und einer Abwägung grundsätzlich zugänglich sind im Gegensatz zu starren Regeln mit fester Rechtsfolge, die nicht abgewogen werden können.162 Hierfür spricht, dass der AnOrganizations, The Politics and Processes of Global Governance, 2004; Dupuy (Hrsg.), A Handbook on International Organizations, 1998; Seidl-Hohenveldern, Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der supranationalen Gemeinschaften, 2000. 162
Vgl. Dworkin, Taking Rights Seriously, 1977, S. 24. Siehe zur Prinzipienfindung in diesem Zusammenhang auch Bogdandy, General Principles of International Public Authority: Sketching a Research Field, in: Bogdandy/ Wolfrum/Bernstorff/Dann/Goldmann (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions, Advancing International Institutional Law, 2010, S. 727 ff.
68
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
satz damit für seine Anwendung auf der Völkerrechtsebene, auf der insbesondere ganz unterschiedliche Interessen der Staaten eine Rolle spielen, die notwendige Flexibilität ermöglicht.
bb) Die „Punktprobe“ als Prüfungsvorbehalt bei der Anwendung des öffentlich-rechtlichen Ansatzes Bei der Anwendung des öffentlich-rechtlichen Ansatzes auf Phänomene der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene muss beachtet werden, dass Ideen aus den nationalen Rechtsordnungen dabei nicht unbesehen auf den völkerrechtlichen Zusammenhang übertragen werden dürfen.163 Vielmehr muss eine Art „Punktprobe“ durchgeführt werden, verstanden als eine Prüfung, ob die anzuwendenden Regeln und Prinzipien mit den Grundsätzen der Völkerrechtsordnung gleichsam „auf einer Linie liegen“, also mit den Regeln der Völkerrechtsordnung vereinbar sind.164 Diese Prüfung kann dann im Einzelfall zu dem Ergebnis führen, dass eine Regel, die nach dem öffentlich-rechtlichen Ansatz Anwendung finden sollte, nur mit der gebotenen Modifizierung oder gar nicht verwendet werden kann. Die „Punktprobe“ erinnert somit zwar an Elemente des aus der nationalen Rechtsdogmatik bekannten Analogieschlusses, geht aber über die bloße Prüfung der Vergleichbarkeit der Interessenlage hinaus und behandelt zum Beispiel auch Aspekte wie konkret entgegenstehende Schranken, etwa Art. 103 UNCh,165 oder vorzugswürdige alternative Regelungsmodelle.166 Beispiele für Regeln der Völkerrechtsordnung, die insoweit zu beachten sein könnten, sind etwa der Grundsatz der Immunität internationaler Organisationen vor nationalen Gerichten, der einer einfachen Übertragung nationaler Vorstellungen effektiven Rechtsschutzes entgegenste-
163
Kritisch sieht eine solche Übertragung etwa auch Krisch, The Pluralism of Global Administrative Law, EJIL 17 (2006) 1, S. 247, 248. 164
Die „Punktprobe“ mag an das verfassungsrechtliche Homogenitätsprinzip (Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) erinnern. Dessen Begriff ist jedoch zur Verwendung im vorliegenden Zusammenhang schon deshalb nicht geeignet, weil es eine föderale Struktur zugrunde legt, die zwischen den UN und den UNMitgliedstaaten gerade nicht besteht. 165 166
S. unten, E.IV.1.
Etwa zum Handeln ultra vires und zum Grundsatz der Immunität internationaler Organisationen beim gerichtlichen Rechtsschutz, s. unten, J.II.2. lit.d.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
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hen könnte und die eingeschränkte Durchsetzbarkeit des Völkerrechts, die etwa bei Informationsvorlagepflichten der Staaten den Informationsfluss hemmen könnte. Weitere Aspekte sind die besondere Bedeutung politischer Interessen im Völkerrecht, der Mangel an Vorrang, Hierarchie und Supranationalität, der die Völkerrechtsordnung kennzeichnet, sowie der Aspekt des Handelns ultra vires durch internationale Organisationen. Besonders wichtig für die Anwendung des öffentlich-rechtlichen Ansatzes ist auch die Berücksichtigung der Mehrebenenarchitektur, die bei der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene typischerweise vorzufinden ist. Das rechtliche167 Mehrebenensystem wurde im europarechtlichen Zusammenhang, dem es entstammt, definiert als ein System verschiedener Ebenen, die in einer tatsächlichen und rechtlichen Beziehung zueinander stehen müssen und auf denen jeweils Kompetenzträger Entscheidungskompetenzen wahrnehmen.168 Auf das Völkerrecht ist der Begriff mit der Maßgabe übertragbar, dass es für die rechtliche Beziehung genügt, dass mindestens die Entscheidungen einer Ebene bestimmte Rechtsbeziehungen zu einer anderen Ebene feststellen oder gestalten können.169 167
Im Gegensatz zur Verwendung des Begriffs im sozialwissenschaftlichen Kontext, s. Mayer, Kompetenzüberschreitung und Letztentscheidung, 2000, S. 32 ff. 168
Vgl. Mayer, Kompetenzüberschreitung und Letztentscheidung, 2000, S. 53 ff., nach dem existierende Plattformen der Herrschaftsausübung aber erst dann zu Ebenen in einem Mehrebenensystem werden, wenn zwischen ihnen besondere Beziehungen bestehen, die sie erst als Mehrebenengebilde erscheinen lassen. Bezüglich dieser spezifischen Beziehungen zwischen den Ebenen sei hinsichtlich tatsächlicher und rechtlicher Beziehungen zu unterscheiden: Bestimmte tatsächliche Beziehungen bestünden insofern, als sich im Mehrebenensystem typischerweise ein übergreifender Verband auf einer Ebene sowie eine Mehrzahl von kleineren Verbänden auf einer anderen Ebene gegenüberstünden, wobei die letztgenannten Verbände in territorialer und personaler Hinsicht jeweils eine Teilmenge des übergreifenden Verbandes ausmachten. An die tatsächliche Beziehung anknüpfend bestehe eine rechtliche Beziehung der Ebenen regelmäßig dadurch, dass das Recht der verschiedenen Ebenen in territorialer Hinsicht auf dem gleichen Gebiet gelte und in personaler Hinsicht der Einzelne grundsätzlich von jeder der unterschiedlichen Ebenen aus berechtigt und verpflichtet werden könne. 169
Sauer, Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen, 2008, S. 80, der damit berücksichtigt, dass die völkerrechtliche Ebene typischerweise nicht mit
70
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
Für die vorliegende Untersuchung des 1267-Sanktionsregimes können die involvierten Ebenen der UN, EU und die nationale Ebene als Mehrebenensystem bezeichnet werden, weil sie – jedenfalls vermittelt über die völkervertraglichen Vereinbarungen der nationalen Ebene – rechtlich miteinander verwoben sind und auf allen Ebenen eigene Kompetenzträger agieren. Neben der horizontalen rückt dabei vor allem die vertikale Dimension der Gewaltenteilung in einem übernationalen Sinne in den Blick. Was man national als Problematik des Staatsorganisationsrechts kennt, nämlich die Aufteilung der Staatsgewalt auf verschiedene Staatsorgane im Rahmen der Gewaltenteilung, kehrt hier wieder, wobei hier Hoheitsgewalt auch von internationalen Organisationen ausgeübt wird, die Arbeitsteilung auf verschiedenen Ebenen stattfindet und die Ausübung mehrerer Gewalten bei einem Akteur einer Ebene konzentriert sein kann.170 Dabei stellen sich Fragen wie: Wo wird Hoheitsgewalt ausgeübt, welche Ebene ist zuständig für Normsetzung, welche für die Umsetzung? Die Vergegenwärtigung des Mehrebenensystems mit seinen unterschiedlichen Trägern von Hoheitsgewalt dient somit der Veranschaulichung und als Verständnishilfe bei der Zuordnung der Ausübung dieser Hoheitsgewalt. Diese Zuordnung ist Voraussetzung für die Bestimmung von (erlassenen) Hoheitsakten auf den verschiedenen Ebenen, was seinerseits Bedingung für die Identifizierung möglicher Klagegegenstände beim Rechtsschutz gegen UN-Sanktionen ist. Grundlegend Durchgriffswirkung gegenüber dem Individuum handeln kann, andererseits aber internationale Organisationen mit Entscheidungsbefugnissen existieren, die von der Betrachtung nicht ausgeschlossen werden sollen. 170
So wird etwa der Sicherheitsrat, der in erster Linie als Exekutivorgan der UN angesehen wird, mittlerweile auch als Gesetzgeber betrachtet, vgl. nur Szasz, The Security Council Starts Legislating, AJIL 96 (2002) 4, S. 901 ff.; Talmon, The Security Council as World Legislature, AJIL 99 (2005) 1, S. 175 ff.; Rosand, The Security Council as “Global Legislator”: Ultra Vires or Ultra Innovative?, FILJ 28 (2005) 3, S. 542 ff.; Fremuth/Griebel, On the Security Council as a Legislator, A Blessing or a Curse for the International Community?, NJIL 76 (2007) 4, S. 339 ff.; s. dazu auch den Kommentar von Wood, The Security Council as a Law Maker: The Adoption of (Quasi)-Judicial Decisions, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Developments in International Law in Treaty Making, 2005, S. 227 ff. Zum Problem mangelnder Trennung von Exekutive und Judikative im Rahmen der UN etwa auch Rittberger/Zangl, Internationale Organisationen, Politik und Geschichte, 2003, S. 194; Farrall, United Nations Sanctions and the Rule of Law, 2007, S. 75 f.
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
71
ist dabei insbesondere die Unterscheidung der normsetzenden und normumsetzenden Ebene. Die für das Mehrebenensystem charakteristischen Beziehungen der Ebenen zueinander helfen schließlich bei der Suche nach Regeln der Kooperation oder auch des Vorrangs, die für die Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems und im Rechtsschutz171 bei der Bestimmung gerichtlicher Zuständigkeiten dienlich sein können.
cc) Bewertung Die öffentlich-rechtliche Betrachtung erscheint für die rechtliche Fassung der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene aufgrund der Doppelfunktion des öffentlichen Rechts, die dieses in der demokratisch-liberalen Tradition hat, besonders geeignet: Nach dieser Doppelfunktion muss die Ausübung von Hoheitsgewalt einerseits auf einer öffentlich-rechtlichen Rechtsgrundlage beruhen, andererseits wird sie von materiellen und Verfahrensstandards des öffentlichen Rechts begrenzt.172 Vor allem der letztgenannte Aspekt hilft, Legitimitätsbedenken in schlagkräftige Legalitätsargumente zu übersetzen und entsprechende strittige Akte überprüfbar zu machen, da so ein Urteil über ihre Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit möglich wird.173 Der öffentlich-rechtliche Ansatz hat der global governance-Betrachtung voraus, dass er rechtliche Regelungen ermöglicht. Er verzichtet auf die Einbeziehung privater Akteure und informellen Handelns und ist insofern auch dem Ansatz des Global Administrative Law vorzuziehen. Im Gegensatz zu diesem hält der öffentlich-rechtliche Ansatz außerdem die anders legitimierte nationale Ebene und die Völkerrechtsebene auseinander und ermöglicht durch diese Trennung erst den Rückgriff auf Vergleiche zum nationalen Recht. Der öffentlich-rechtliche Ansatz folgt zum einen der Vorgehensweise des internationalen Verwaltungsrechts, bleibt dabei aber nicht stehen, sondern sieht auch eine Betrachtung nach Verfassungsgesichtspunkten vor. Dabei spricht besonders für ihn, dass die interne Konstitutionalisierung sich rechtlich überzeugend auf die Satzung der jeweiligen Or171
S. dazu unten, Kapitel J.
172
Bogdandy/Dann/Goldmann, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, GLJ 9 (2008) 11, S. 1375, 1380. 173
Ibid., S. 1380.
72
Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
ganisation stützt und auf diesem Wege die Ermittlung allgemeiner Prinzipien und Werte ermöglicht, die gerade für die jeweils betrachtete Organisation passend erscheinen. Der öffentlich-rechtliche Ansatz überwindet damit die oben vorgebrachten Einwände gegen die Konstitutionalisierungsthese, die in ihrer allgemeinen Form die Bestimmung der Inhalte gemeinsamer Werte schwierig macht. Der öffentlich-rechtliche Ansatz ist damit den anderen vorgestellten Ansätzen überlegen. Er ist dazu geeignet, die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene mit adäquaten Mitteln zu untersuchen und ihr einen rechtlichen Rahmen zu geben, der der Rechtfertigungsanforderung an solche Hoheitsgewalt gerecht wird, indem er den Legitimitätsbedenken hinsichtlich der Eingriffe in individuelle Freiheit überzeugend Rechnung zu tragen versteht. Denn während Legitimität schwer messbar ist, können mit Hilfe des öffentlich-rechtlichen Ansatzes konkrete rechtliche Schranken für die Ausübung von Hoheitsgewalt gezogen werden, die eine Aussage über die Legalität des Aktes und damit ein Urteil anhand der Kriterien rechtmäßig/rechtswidrig erlauben. Die sogenannte „Punktprobe“ stellt sicher, dass die Besonderheiten der Völkerrechtsordnung bei der Anwendung nationaler Konzepte für die Beschränkungen der Ausübung von Hoheitsgewalt hinreichend Berücksichtigung finden.
dd) Fazit Der öffentlich-rechtliche Ansatz speist sich aus einer Synthese der Ansätze des internationalen Verwaltungsrechts, der Konstitutionalisierung des Völkerrechts und des Rechts internationaler Institutionen. Er ist so im Stande, deren jeweilige Unzulänglichkeiten auszugleichen und eine angemessene rechtliche Fassung der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene zu erreichen, die den Legitimationsbedenken, die insbesondere wegen des völkerrechtlichen Zusammenhangs bestehen, hinreichend Rechnung trägt.
IV. Fazit zur Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene Die in jüngerer Zeit stärker zu beobachtende Entstaatlichung bzw. Internationalisierung im Sinne einer Verlagerung nationaler Regelungsbereiche auf nicht-staatliche Träger führt dazu, dass in zunehmendem
C. Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
73
Maß nationale Aufgaben international wahrgenommen werden. Im Zuge dessen kommt es zur Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene, verstanden als der Rechtsmacht, andere zu bestimmen und ihre Freiheit einzuschränken, also ihre rechtliche und tatsächliche Situation einseitig zu gestalten. Neben anderen ist ein Beispiel dafür das 1267-Sanktionsregime mit der Listung Einzelner durch die UN. Weil solche Hoheitsgewalt sich nationalen Kontrollmechanismen weitgehend entzieht, wurden vermehrt Legitimitätsbedenken geäußert. Es entstand also ein Rechtfertigungsbedürfnis einer solchen Ausübung der Hoheitsgewalt. Um diesem Bedürfnis nachkommen zu können, muss die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene rechtlich gefasst werden, um so anhand rechtlicher Maßstäbe ihre etwaige Rechtswidrigkeit festzustellen zu können. Dadurch wird ihre Überprüfung erst möglich. Als Modelle erweisen sich die Ansätze der global governance und des Global Administrative Law als wenig geeignet, weil sie stärker politisch ausgerichtet sind und die Phänomene der Ausübung von Hoheitsgewalt eher nur beschreiben. Die Ansätze des internationalen Verwaltungsrechts und der Konstitutionalisierung erscheinen dagegen für die Schaffung eines rechtlichen Rahmens für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene eher geeignet. Sie lassen allerdings die Perspektive des jeweils anderen Ansatzes außer Betracht und laufen Gefahr, eine zu nationale Sicht einzunehmen, die auf den völkerrechtlichen Zusammenhang nicht passt. Befürwortet wird daher der öffentlich-rechtliche Ansatz, der auf einer Synthese der Ansätze des internationalen Verwaltungsrechts, der Konstitutionalisierung und des Rechts internationaler Institutionen basiert. Er vereinigt damit die Vorteile dieser anderen Ansätze, weiß aber deren Nachteile174 zu vermeiden. Er erscheint im Übrigen deshalb besonders geeignet, weil er die gestellte Aufgabe der Legitimation der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene durch flexible Prinzipien, die besonders auf die Satzung der jeweiligen internationalen Organisation abstellen, bewältigen will. Ergeben sich aus der Satzung die Kompetenzen der Organisation, so erscheint auch die Entnahme von Beschränkungen für deren Ausübung aus der Satzung folgerichtig. Denn so bleibt das Dokument maßgebend, dem die Staaten durch ihre ursprüngliche Zustimmung Legitimation verliehen haben. Bei der Betrachtung der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene und der Entwicklung von Prinzipien dafür soll deshalb in der vorliegenden Arbeit der öffentlich-rechtliche Ansatz verwendet 174
S. zu den verschiedenen Ansätzen und deren Bewertung oben, C.III.2.
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Teil I: Der öffentlich-rechtliche Forschungsansatz
werden. Im Folgenden wird die Ausübung von Hoheitsgewalt am Beispiel des 1267-Sanktionsregimes untersucht. Die Arbeit will damit zu einem neueren Forschungsprojekt beitragen, in dem allgemeine Prinzipien für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene ermittelt werden sollen.175 Durch Anwendung des öffentlich-rechtlichen Ansatzes auf das 1267-Sanktionsregime soll dabei untersucht werden, ob dieser Ansatz Erklärungskraft besitzt. Dazu soll zunächst die Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit geprüft werden.
175
Das Forschungsprojekt wurde durch ein Mitarbeiterseminar des MaxPlanck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht unter dem Titel “The Exercise of Public Authority by International Institutions: A Proposal for the Development of International Institutional Law” angestoßen. Die bisherigen Ergebnisse können in Bogdandy/Wolfrum/Bernstorff/Dann /Goldmann (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions, Advancing International Institutional Law, 2010, und ebenso im German Law Journal 9 (2008) 11, S. 1375-2080 nachgelesen werden.
Teil II Die Bindung des UN-Sicherheitsrats an Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit D. Bindung des UN-Sicherheitsrats an die Menschenrechte – bisherige Ansätze I. Die UN und der UN-Sicherheitsrat: historische und rechtliche Besonderheiten Wenn man allgemein nach den rechtlichen Grenzen für das Handeln des Sicherheitsrates und seiner Unterorgane1 fragt, scheint eine Antwort bei unbefangener Betrachtung zunächst nicht weiter schwierig zu sein: Der Sicherheitsrat ist Organ der Vereinten Nationen und die Vereinten Nationen sind eine internationale Organisation. Als solche sind sie partielles Völkerrechtssubjekt, das heißt, zur Teilnahme am völkerrechtlichen Rechtsverkehr befähigt, soweit sie dazu in ihrer Satzung von ihren Mitgliedern Befugnisse übertragen bekommen haben.2 Da die UN-Charta also Grund, aber zugleich auch Grenze des Handels der Vereinten Nationen und damit auch des Handelns ihrer Organe ist, müsste sich der Handlungsspielraum der Vereinten Nationen wie bei jeder anderen internationalen Organisation also aus ihrer Satzung ergeben. Das ist auch der Fall. Jedoch gibt es im Falle der UN einige historische und rechtliche Besonderheiten, die die Bestimmung der Handlungsgrenzen des Sicherheitsrates besonders schwierig machen. Neben der besonderen Stellung der UN und des Sicherheitsrats in der Völkerrechtsordnung sind dies der weite Wortlaut des Kapitels VII der UNCharta und die gleichzeitige Abwesenheit expliziter Handlungsbe-
1
Werden im Folgenden Ausführungen zum Sicherheitsrat gemacht, ohne seine Unterorgane eigens zu erwähnen, so gelten die Ausführungen dennoch auch für die Unterorgane des Sicherheitsrats. 2
Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 1988, § 2, S. 22.
C.A. Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht: Das 1267-Sanktionsregime der UN und seine rechtliche Fassung, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 225, DOI 10.1007/978-3-642-20471-5_2, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg 2011
75
76
Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
schränkungen. Diese Besonderheiten sollen zu Beginn der Ausführungen zur Bindung des Sicherheitsrates an Menschenrechte3 und Rechtsstaatlichkeit kurz angesprochen werden. Historisch betrachtet verfolgten die Gründer der Vereinten Nationen beim Verfassen der Charta einen besonderen Zweck: Sie wollten nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges durch die explizite Niederlegung des Gewaltverbotes (Art. 2 Ziff. 4 UNCh) eine dauerhafte Friedensordnung schaffen, indem sie die Ermächtigung zur Gewaltanwendung in den Händen des Sicherheitsrates als dem Organ der UN mit der Befugnis, bindende Entscheidungen zu treffen, zentralisierten.4 Die Vereinten Nationen waren durch die Übertragung dieser Aufgabe aus dem Kreis der sonstigen internationalen Organisationen herausgehoben, was auch in Art. 103 UNCh zum Ausdruck kommt, der für den Fall eines Konfliktes zwischen den Pflichten der UN-Mitglieder nach der UN-Charta und ihren sonstigen Verpflichtungen nach anderen völkerrechtlichen Abkommen den Pflichten nach der UN-Charta den Vorrang einräumt. Hinzu kommt, dass die in Kapitel VII der UN-Charta niedergelegten Handlungsbefugnisse des Sicherheitsrates sehr weit gefasst sind und dem Sicherheitsrat somit eher großzügige Handlungsspielräume einräumen, als ihm seine Grenzen aufzuzeigen. Auch die historische Entwicklung des Handelns des Sicherheitsrats belegt, dass die Ziehung von Grenzen für sein Handeln besonderen Schwierigkeiten begegnet. In den Jahrzehnten des Kalten Krieges konnte das Handlungspotential des Sicherheitsrats nicht weiter sichtbar werden,5 weil sich die Vetomächte USA und Sowjetunion im Sicherheitsrat 3
Das Begriffspaar Sicherheitsrat und Menschenrechtsschutz wurde lange Zeit nur aus der Perspektive der Menschenrechtsverpflichtung der UN-Mitgliedstaaten und einer möglichen Bedrohung des Weltfriedens aufgrund von Menschenrechtsverletzungen durch sie betrachtet und weniger unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrats selbst, so erkennbar etwa aus früherer Zeit bei Lauterpacht, The International Protection of Human Rights, RdC Band 70 (1947-I), S. 5, 15 ff. 4
Zum Ziel der Verbesserung der kollektiven Sicherheit etwa Alvarez, Legal Perspectives, in: Weiss/Daws (Hrsg.), The Oxford Handbook on the United Nations, 2007, S. 58. 5 Frowein, Unilateral Interpretation of Security Council Resolutions – a Threat to Collective Security?, in: Götz/Selmer/Wolfrum (Hrsg.), Liber amicorum Günther Jaenicke – Zum 85. Geburtstag, 1999, S. 97, spricht für diese Zeit von Art. 24 UNCh, der die Verantwortung des Sicherheitsrats für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit betont, als von einem „dead letter“.
D. Bisherige Ansätze
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gegenseitig blockierten und so die Verabschiedung von Resolutionen verhinderten.6 Dieser „Dornröschenschlaf“ des UN-Sicherheitsrates endete allerdings mit dem Ende des Kalten Krieges: Die Tätigkeit des Sicherheitsrates gewann dann in den 1990er-Jahren stark an Intensität.7 Dabei zeigte sich der Sicherheitsrat nicht nur bei der Anzahl seiner Beschlüsse tatkräftig, sondern erwies sich auch – sowohl bezüglich neuer Tätigkeitsbereiche als auch neuer Handlungsmittel8 – als durchaus erfindungsreich, indem er Maßnahmen ergriff, die vorher nie unter Kapitel VII beschlossen worden waren. Die insoweit hinzugenommenen Aktionsfelder sind beispielsweise die Befassung mit failed states9 und massivsten Menschenrechtsverletzungen10 – beides Problembereiche, die bei Gründung der UN zu den inneren Angelegenheiten der betroffenen Staaten gerechnet und nicht als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gewertet worden wären. Des Weiteren wurden auch die vermutete Unterstützung des internationalen Terrorismus11 und die Vertreibung des gewähltenpräs
6
S. hierzu aus der jüngsten Literatur statt vieler Chesterman/Franck/ Malone, Law and Practice of the United Nations, Documents and Commentary, 2008, S. 52 f. 7
Während in den gesamten 1980er-Jahren nur 2 Resolutionen nach Kapitel VII verabschiedet wurden, waren es allein in den Jahren 1993/1994 48 (Zahlen nach Berdal, The Security Council, Peacekeeping and Internal Conflict after the Cold War, DJCIL 7 (1996) 1, S. 71, 76); Schweigmann, The Authority of the Security Council under Chapter VII of the UN Charter, Legal Limits and the Role of the International Court of Justice, 2001, S. 163; Fassbender, Quis judicabit? The Security Council, Its Powers and Its Legal Control, EJIL 11 (2000) 1, S. 219; Uerpmann, Grenzen zentraler Rechtsdurchsetzung im Rahmen der Vereinten Nationen, AVR 33 (1995) 1/2, S. 107, 118 ff.; zu den Entwicklungen in den UN vor und nach Ende des Kalten Krieges Higgins, Peace and Security Achievements and Failures, EJIL 6 (1995) 1, S. 445, 446 ff. 8 Bruha/Krajewski, Funktionswandel des Sicherheitsrats als Verfassungsproblem, Vereinte Nationen 46 (1998) 1, S. 13. 9 10 11
Somalia, Resolution 733 (1992) vom 23. Januar 1992. Irak, Resolution 688 (1991) vom 5. April 1991.
So in Bezug auf Libyen angedeutet in Resolution 731 (1992) vom 21. Januar 1992, 2. Erwägungsgrund.
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Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
ten Präsidenten aus Haiti12 als Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit angesehen.13 Aber auch die Handlungsmittel des Sicherheitsrates gewannen eine neue Gestalt. So ging man nach den verheerenden Folgen der Anwendung von Wirtschaftsembargos für die Bevölkerung dazu über, statt kollektiver Sanktionen Individualsanktionen anzuwenden, die gezielt die Störer des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit adressieren sollten.14 Als quasi-legislative Akte wurden von manchen die Einrichtung des Jugoslawientribunals15 und des Ruandatribunals16 sowie die allgemeine Verpflichtung aller UN-Mitglieder, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen,17 angesehen. Durch diese neuen Tätigkeitsfelder wurden die Funktionen des Sicherheitsrats erheblich ausgedehnt und nicht immer ist eine eindeutige Rechtsgrundlage für sein Handeln aufzufinden.18 Dennoch wollen internationale Spruchkörper den Sicherheitsrat nicht von jeder Bindung freistellen. So merkte der IGH im Gutachten zur UN-Mitgliedschaft an: “The political character of an organ cannot release it from the observance of the treaty provisions established by the Charter when they constitute limitations on its powers and criteria for its judgment”.19 Und auch das Jugoslawientribunal befand in seiner wesentlich jüngeren Tadić-Entscheidung: “The Security Council is an organ of an international organization, established by a treaty which serves as a constitutional framework for that organization. The Security Council is thus subjected to cer12 Angedeutet in Resolution 940 (1994) vom 31. Juli 1994, 8. und 10. Erwägungsgrund. 13
Vgl. Bruha/Krajewski, Funktionswandel des Sicherheitsrats als Verfassungsproblem, Vereinte Nationen 46 (1998) 1, S. 13, 14. 14
Frowein/Krisch, Introduction to Chapter VII, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations – A Commentary, 2002, S. 701, 704. 15 16 17
Resolution 827 (1993) vom 25. Mai 1993. Resolution 955 (1994) vom 8. November 1994. S. hierzu Resolution 1373 (2001) vom 28. September 2001.
18
Vgl. Bruha/Krajewski, Funktionswandel des Sicherheitsrats als Verfassungsproblem, Vereinte Nationen 46 (1998) 1, S. 13. 19
Conditions of Admission of a State to Membership in the United Nations, IGH, Advisory Opinion vom 28. Mai 1948, ICJ Reports 1948, S. 57, 64.
D. Bisherige Ansätze
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tain constitutional limitations, however broad its powers under the constitution may be. Those powers cannot, in any case, go beyond the limits of the jurisdiction of the Organization at large, not to mention other specific limitations or those which may derive from the internal division of power within the Organization. In any case, neither the text nor the spirit of the Charter conceives of the Security Council as legibus solutus (unbound by law)”.20 Wenn nach diesen Ausführungen zwar klar ist, dass der Sicherheitsrat an die UN-Charta gebunden ist, so stellt sich vor dem Hintergrund seiner besonderen Stellung und der rechtlichen wie tatsächlichen Weite seines Aktionsradius’ dennoch die Frage nach der Präzisierung der Grenzen für sein Handeln und insbesondere seiner Bindung an Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.
II. Die bisherige Diskussion zur Bindung des Sicherheitsrats Der Blick auf die genannten Entwicklungen hin zu einer ausgeweiteten Sicherheitsratstätigkeit unter Kapitel VII der UN-Charta legt die Frage nahe, ob der Sicherheitsrat bei der Sicherung des Weltfriedens Grenzen unterliegt und welche dies sind. Soweit vertreten wird, dass dem Handeln des Sicherheitsrats im Rahmen von Kapitel VII keine rechtlichen Grenzen gesetzt sind, lässt sich als Argument anführen, dass bei der Abfassung der UN-Charta die allgemeine Tendenz vorherrschte, einem politischen Ansatz den Vorzug vor einem rechtlichen Ansatz zu geben.21
20
Prosecutor v. Dusko Tadić a/k/a “Dule” (Jurisdiction), Urteil des ICTY, Appeals Chamber, vom 2. Oktober 1995, ILM 35 (1996), S. 35, 42, Rz. 28 (Kursivdruck im Original). 21
Vgl. Kelsen, The Law of the United Nations, 1951, S. 735, der aber auch andere Auslegungen für vertretbar hält; Eagleton, International Government, 1957, S. 297; Oosthuizen, Playing the Devil’s Advocate: the United Nations Security Council is Unbound by Law, LJIL 12 (1999) 3, S. 549 ff., unternimmt es – Fehler und den Mangel genauerer Untersuchung eingestehend – gezielt jede Art rechtlicher Bindung des Sicherheitrates zu bestreiten; Neuhold, Die Grundregeln der zwischenstaatlichen Beziehungen, in: Neuhold/Hummer /Schreuer (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, 1997, S. 319, 326, spricht von einem vierfachen „Blankoscheck“ des Sicherheitsrates bezüglich der Eröff-
80
Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
Diese Annahme völliger Freiheit des Sicherheitsrates kann in so allgemeiner Form allerdings keinen Bestand haben. Zum einen wurde bereits festgestellt, dass sich der Sicherheitsrat jedenfalls an die UN-Charta halten muss. Zum anderen ist für die Bindung des Sicherheitsrates danach zu unterscheiden, ob es um die Feststellung der Bedrohung oder des Bruchs des Friedens, also um die Eröffnung des Kapitel VII durch den Sicherheitsrat geht, oder ob es sich um seine Entscheidung über die anzuwendenden Maßnahmen handelt, nachdem diese Feststellung getroffen ist.22 Soweit es um die Feststellung der Bedrohung oder des Bruchs des Friedens geht, ist ein weiter Beurteilungsspielraum des Sicherheitsrates zu bejahen,23 wobei vor allem auf den Wortlaut des Art. 39 UNCh, der die „Feststellung“ durch den Sicherheitsrat betont, sowie auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift mit dem Interesse, einen weiten Spielraum zu belassen statt genaue Vorgaben zu machen, verwiesen werden kann.24 Der Sicherheitsrat bleibt daher bei der Feststellung der Bedrohung oder des Bruchs des Friedens zwar an die UN-Charta gebunden, seine Entscheidung ist dann aber nicht justiziabel.25 Nur insofern hat es seine Berechtigung, wenn Pellet formuliert: „[C]e qu[e le Conseil de sécurité] dit est le droit“.26
nung des Kapitel VII, des Adressaten, der Maßnahmen und der Staaten, die die Maßnahmen ausführen sollen. 22
Vgl. Reinisch, Developing Human Rights and Humanitarian Law Accountability of the Security Council for the Imposition of Economic Sanctions, AJIL 95 (2001) 4, S. 851, 856. 23 Vgl. Shaw, International Law, 2008, S. 1270 : „[…] the Council’s discretion to determine the existence of threats to or breaches of international peace and security is virtually absolute […]“. 24
S. insoweit statt vieler Frowein/Krisch, Article 39, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations – A Commentary, 2002, 717, 719 m.w.N; etwa auch Reisman, The Constitutional Crisis in the United Nations, AJIL 87 (1993) 1, S. 83, 93. 25
Tomuschat, Urteilsanmerkung: Case Law, Court of First Instance, Judgments of 21 September 2005, Cases T-306/01 & T-315/01, Ali Yusuf and Al Barakaat & Kadi, CMLRev. 43 (2006) 2, S. 537, 551; Gill, Legal and Some Political Limitations on the Power of the UN Security Council to Exercise its Enforcement Powers under Chapter VII of the Charter, NYIL 26 (1995), S. 33, 136. 26
Pellet, Conclusions, in: Stern (Hrsg.): Les aspects juridiques de la crise et de la guerre du Golfe, 1991, S. 487, 490 (Hervorhebung im Original).
D. Bisherige Ansätze
81
Für die sich an diese Feststellung der Bedrohung oder des Bruchs des Friedens anschließende Entscheidung, welche Maßnahmen zu ergreifen sind und wie etwa ein Sanktionsregime auszugestalten ist, wird die Frage der Grenzen für das Handeln des Sicherheitsrats kontroverser diskutiert. Da die Frage der Bindung des Sicherheitsrates an Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte für die in dieser Arbeit vorzunehmende Untersuchung des 1267-Sanktionsregimes im Mittelpunkt steht, soll sich die Prüfung möglicher Grenzen für das Handeln des Sicherheitsrats auf diese Aspekte beschränken. Die bisherige Diskussion zu dieser Frage, die sich primär auf die Bindung an die Menschenrechte konzentriert,27 soll im Folgenden entlang der völkerrechtlichen Rechtsquellen28 sowie auch unter Berücksichtigung der Rolle der Menschenrechtsverpflichtungen der UN-Mitgliedstaaten und des ius cogens dargestellt und anschließend bewertet werden.
27
Vgl. allgemein Reinisch, Developing Human Rights and Humanitarian Law Accountability of the Security Council for the Imposition of Economic Sanctions, AJIL 95 (2001) 4, S. 851 ff., der eine Reihe von Positionen zur Frage der Menschenrechtsbindung wiedergibt. Ohne eingehende Begründung eine Bindung des Sicherheitsrats an die Menschenrechte bejahend Medhi, Economic Sanctions: a Negation of Human Rights, in: Genugten/Groot (Hrsg.), United Nations Sanctions: Effectiveness and Effects, Especially in the Field of Human Rights, 1999, S. 49, 60. Auch Grünfeld, The Effectiveness of United Nations Economic Sanctions, in: Genugten/Groot (Hrsg.), United Nations Sanctions: Effectiveness and Effects, Especially in the Field of Human Rights, 1999, S. 113, 133, formuliert: “The situation in which the UN themselves violate … human rights, in an effort to serve the international legal order, must not arise”. 28
Die Völkerrechtsquellen sind in Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut aufgeführt, der lautet: “1. The Court, whose function is to decide in accordance with international law such disputes as are submitted to it, shall apply: a. international conventions, whether general or particular, establishing rules expressly recognized by the contesting states; b. international custom, as evidence of a general practice accepted as law; c. the general principles of law recognized by civilized nations; d. subject to the provisions of Article 59, judicial decisions and the teachings of the most highly qualified publicists of the various nations, as subsidiary means for the determination of rules of law’’.
82
Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
1. Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrats aus der UN-Charta Dass die Grenzen, die sich aus der UN-Charta ergeben, vom Sicherheitsrat zu beachten sind,29 wurde bereits gesagt. Zu prüfen bleibt, ob sich durch eine Analyse der einzelnen Artikel gerade eine Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrats belegen lässt. Vertreten wird, dass die Auslegung der UN-Charta nach Wortlaut, Systematik und Teleologie30 bezüglich der Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrates folgenden Ertrag liefere: Nach dem Wortlaut des Art. 24 Abs. 1 UNCh sei dem Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit übertragen, wobei er gemäß Absatz 2 bei der Erfüllung dieser Pflichten „im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen“ handele.31 Ein systematischer Blick auf die Ziele und Grundsätze der 29
Delbrück, Article 24, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations – A Commentary, 2002, S. 442, 445; vgl. auch Gill, Legal and Some Political Limitations on the Power of the UN Security Council to Exercise its Enforcement Powers under Chapter VII of the Charter, NYIL 26 (1995), S. 33, 77. 30
Art. 31 Abs. 1 WVK bestimmt bezüglich der Auslegung völkerrechtlicher Verträge allgemein: “1. A treaty shall be interpreted in good faith in accordance with the ordinary meaning to be given to the terms of the treaty in their context and in the light of its object and purpose”. (Hervorhebung hinzugefügt). Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/3, 2002, S. 640, 642, 644; zur Anwendbarkeit dieser Auslegungsgrundsätze für völkerrechtliche Verträge auch auf die Auslegung von Resolutionen des Sicherheitsrats Orakhelashvili, The Acts of the Security Council: Meaning and Standards of Review, Max Planck UNYB 11 (2007), S. 143, 151 ff. 31
Art. 24 UNCh lautet:
“1. In order to ensure prompt and effective action by the United Nations, its Members confer on the Security Council primary responsibility for the maintenance of international peace and security, and agree that in carrying out its duties under this responsibility the Security Council acts on their behalf. 2. In discharging these duties the Security Council shall act in accordance with the Purposes and Principles of the United Nations. The specific powers granted to the Security Council for the discharge of these duties are laid down in Chapters VI, VII, VIII, and XII. 3. The Security Council shall submit annual and, when necessary, special reports to the General Assembly for its consideration”. Die Ziele und Grundsätze werden von Miller, The Use of Targeted Sanctions in the Fight Against International Terrorism – What About Human Rights?,
D. Bisherige Ansätze
83
Vereinten Nationen führe sodann zu Kapitel I der Charta, in dem Art. 1 UNCh die Ziele der Vereinten Nationen und Art. 2 UNCh die Grundsätze benenne, nach denen die UN und ihre Mitglieder bei der Verfolgung der in Art. 1 UNCh dargelegten Ziele handeln sollen. Art. 1 Ziffer 3 UNCh spreche dabei auch die Menschenrechte an, indem er die internationale Zusammenarbeit zur Förderung der Achtung der Menschenrechte zum Ziel der UN erkläre.32 Nach Art. 55 lit. c UNCh förderten die Vereinten Nationen die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache und der Religion.33
American Society of International Law: Proceedings of the 97th Meeting, 97 (2003), S. 46, 47, als Grenze bei der Auswahl der anzuwendenden Maßnahmen nach Kapitel VII angesehen. 32
Art. 1 Ziffer 3 UNCh lautet:
“The Purposes of the United Nations are: 1. … 2. … 3. To achieve international co-operation in solving international problems of an economic, social, cultural, or humanitarian character, and in promoting and encouraging respect for human rights and for fundamental freedoms for all without distinction as to race, sex, language, or religion; and 4. …”; Für die Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrates aus Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 3 UNCh etwa Kotzur, Entscheiden(d) für die Welt – zur Rationalität und Legitimität der Entscheidungen des UN-Sicherheitsrates, in: Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart, Band 55, 2007, S. 23, 36. Fassbender, Targeted Sanctions Imposed by the UN Security Council and Due Process Rights, IOLR 3 (2006) 2, S. 437, 473, entnimmt Art. 1 Abs. 3 UNCh die Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrats in den Fällen, in denen die UN individualbezogen regeln. 33
Aus dieser mehrfachen Erwähnung der Menschenrechte in der UNCharta sowie aus deren Sinn und Zweck und der Funktion des Sicherheitsrats schließt Dahme, Terrorismusbekämpfung durch Wirtschaftssanktionen, 2007, S. 228, die Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrats. Orakhelashvili, The Acts of the Security Council: Meaning and Standards of Review, Max Planck UNYB 11 (2007), S. 143, 175, erwähnt allgemeiner Art. 1 und 55 UNCh.
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Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
Der Wortlaut der Art. 1 und 2 UNCh wird allgemein als vage und weit empfunden.34 Zum Teil wurde daher trotz des ausdrücklichen Verweises35 des Art. 24 Abs. 2 UNCh auf die Ziele und Grundsätze angenommen, ein Prüfungsmaßstab für Sicherheitsratsresolutionen könne den Artikeln 1 und 2 UNCh nicht entnommen werden.36 Zunächst könnte man allerdings – mit Blick auf Art. 1 Ziffer 1 UNCh37 – daran denken, im Sinne der Menschenrechtsbindung zu vertreten, dass die UN zum Zwecke der Wahrung des Weltfriedens nach den „Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts“ vorzugehen, also auch die Menschenrechte zu berücksichtigen hätten. Diese Auslegung hätte den Vorzug, dass sie einerseits über den kargen Wortlaut der Charta hinausweist und sie für neue Inhalte öffnet. Andererseits bringt sie es dabei zugleich fertig, an vorhandene Vorschriften der UN-Charta scheinbar logisch anzuknüpfen. Eine solche Lesart würde allerdings außer Acht lassen, dass diese „Grundsätze der Gerechtigkeit und des Völkerrechts“ zwar durchaus Völkervertragsrecht, Gewohnheitsrecht, allgemeine Rechtsgrundsätze, Naturrecht38 und somit auch die Menschen34 So etwa Schweigmann, The Authority of the Security Council under Chapter VII of the UN Charter, Legal Limits and the Role of the International Court of Justice, 2001, S. 165 f. m.w.N. 35
Auf diese Verweisung stützt sich etwa Herbst, Rechtskontrolle des UNSicherheitsrates, 1999, S. 298; im gleichen Sinne Giegerich, Verantwortlichkeit und Haftung für Akte internationaler und supranationaler Organisationen, ZvglRWiss 104 (2005) 2, S. 163, 180 f.; Schotten/Biehler, The Role of the UN Security Council in Implementing International Humanitarian Law and Human Rights Law, in: Arnold/Quénivet (Hrsg.), International Humanitarian Law and Human Righs Law, Towards a New Merger in International Law, 2008, S. 309, 324 f. 36 Martenczuk, Bernd, The Security Council, the International Court and Judicial Review: What Lessons from Lockerbie?, EJIL 10 (1999) 3, S. 517, 537. 37
Art. 1 Ziffer 1 UNCh lautet:
“The Purposes of the United Nations are: 1. To maintain international peace and security, and to that end: to take effective collective measures for the prevention and removal of threats to the peace, and for the suppression of acts of aggression or other breaches of the peace, and to bring about by peaceful means, and in conformity with the principles of justice and international law, adjustment or settlement of international disputes or situations which might lead to a breach of the peace”. 38
Wolfrum, Article 1, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations – A Commentary, 2002, S. 39, 43.
D. Bisherige Ansätze
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rechte einschließen, eine systematische Normanalyse allerdings ergibt, dass bei genauer Betrachtung des Art. 1 Abs. 1 UNCh ein Bezug der Sanktionstätigkeit des Sicherheitsrates zu den „Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts“ nicht herzustellen ist: Diese Grundsätze gelten ihrer eindeutigen Stellung nach nur für den zweiten Halbsatz des Art. 1 Abs. 1 UNCh, nämlich die internationale Streitbeilegung. Die authentischen39 englischen, französischen und spanischen Sprachfassungen der Charta40 belegen dies.41 Gegen die Annahme einer Menschenrechtsbindung aus Art. 24 Abs. 2 UNCh in Verbindung mit Art. 1 Ziffer 3 UNCh lässt sich der Wortlaut anführen: danach geht es bei Art. 1 Ziffer 3 UNCh und in Kapitel IX und dessen Art. 55 lit. c UNCh um die Herbeiführung einer internationalen Zusammenarbeit zur Menschenrechtsförderung, zu der gemäß Art. 13 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 UNCh explizit die Generalversammlung durch Empfehlung beitragen soll, so dass der Sicherheitsrat hier nicht direkt adressiert ist. Die UN sollen außerdem die internationale Zusammenarbeit im Interesse der Menschenrechte fördern, was wegen der Verwendung des Wortes „fördern“ eher eine wohlwollende, aber distanzierte Begleitung einer Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten ver39
S. Art. 111 UNCh, der daneben auch noch die restlichen UN-Sprachen Chinesisch, Russisch und Arabisch nennt. 40 Art. 1 Abs. 1 UNCh (englisch): “…to take effective collective measures for the prevention and removal of threats to the peace, and for the suppression of acts of aggression or other breaches of the peace, and to bring about by peaceful means, and in conformity with the principles of justice and international law, adjustment or settlement of international disputes…” (Betonung hinzugefügt).
Art. 1 Abs. 1 UNCh (französisch): „…prendre des mesures collectives efficaces en vue de prévenir et d'écarter les menaces à la paix et de réprimer tout acte d'agression ou autre rupture de la paix, et réaliser, par des moyens pacifiques, conformément aux principes de la justice et du droit international, l'ajustement ou le règlement…“ (Betonung hinzugefügt). Art. 1 Abs. 1 UNCh (spanisch): „…tomar medidas colectivas eficaces para prevenir y eliminar amenazas a la paz, y para suprimir actos de agresión u otros quebrantamientos de la paz; y lograr por medios pacíficos, y de conformidad con los principios de la justicia y del derecho internacional, el ajuste o arreglo de controversias o situaciones…“(Betonung hinzugefügt). 41
So auch Kelsen, The Law of the United Nations, 1951, S. 16; Wolfrum, Article 1, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations – A Commentary, 2002, S. 39, 43; Frowein/Krisch, Introduction to Chapter VII, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations – A Commentary, 2002, S. 701, 710.
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Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
muten lassen könnte.42 Darüber hinaus zeigt ein systematischer Blick, dass Menschenrechtsaspekte in Art. 1 UNCh erst nach der Erwähnung des Hauptzwecks der UN, der Aufrechterhaltung von internationalem Frieden und Sicherheit, angesprochen sind.43 Eine weitere Argumentationslinie, die die Menschenrechtsbindung auf Vorschriften der UN-Charta stützen will, verweist auf Art. 2 Ziffer 2 UNCh.44 Mit Hilfe dieser Norm stützt de Wet die Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrates auf den Grundsatz von Treu und Glaube, dem das Estoppel-Prinzip entnommen wird.45 Das Estoppel-Prinzip schützt nach seinem herkömmlichen Verständnis die legitimen Erwartungen eines Staates, die geweckt wurden durch das Verhalten eines anderen Staates.46 Zum genauen Inhalt stellte Richter Spender in seinem abweichenden Votum im Temple of Preah Vihear-Fall fest:
42
Bestätigt wird dies auch durch die Praxis, die zeigt, dass sich die Geltendmachung der Norm in der Vergangenheit etwa auf Situationen in Südafrika, Ungarn und Chile bezogen hat, vgl. Wolfrum, Article 1, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations – A Commentary, 2002, S. 39, 47. 43
Vradenburgh, The Chapter VII Powers of the United Nations Charter: Do They “Trump” Human Rights Law?, Loyola of Los Angeles International and Comparative Law Journal 14 (1991) 1, S. 175, 177, 180, 183; Oosthuizen, Playing the Devil’s Advocate: the United Nations Security Council is Unbound by Law, LJIL 12 (1999) 3, S. 549 ff.; die Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sieht auch Lysen, Targeted UN Sanctions: Application of Legal Sources and Procedural Matters, NJIL 72 (2003) 2, S. 291, 294 als das vorrangige Hauptziel der UN an. 44
Die Vorschrift lautet:
Art. 2 UNCh “The Organization and its Members, in pursuit of the Purposes stated in Article 1, shall act in accordance with the following Principles. 1. (…) 2. All Members, in order to ensure to all of them the rights and benefits resulting from membership, shall fulfill in good faith the obligations assumed by them in accordance with the present Charter.” 45
de Wet, The Chapter VII Powers of the United Nations Security Council, 2004, S. 195. 46
Cottier/Müller, Estoppel, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil.com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 1.
D. Bisherige Ansätze
87
“[T]he principle operates to prevent a State contesting before the Court a situation contrary to a clear and unequivocal representation previously made by it to another State, either expressly or impliedly, on which representation the other State was, in the circumstances, entitled to rely and in fact did rely, and as a result that other State has been prejudiced or the State making it has secured some benefit or advantage for itself”.47 Der vertrauende Staat musste also auf das Verhalten eines anderen Staates vertrauen dürfen. Außerdem muss der vertrauende Staat durch die Enttäuschung seiner Erwartungen einen Schaden erlitten oder der enttäuschende Staat einen Vorteil erlangt haben. Nun wird argumentiert, dass die UN durch ihren Beitrag zur Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes die berechtigte Erwartung geweckt hätten, dass sie sich selbst an die Menschenrechte halten würden.48 Zunächst ist zu sagen, dass Art. 2 Ziffer 2 UNCh sich schon seinem Wortlaut nach an die UN-Mitglieder und nicht an die UN selbst richtet. Dem lässt sich zwar – wenn auch mit geringer Überzeugungskraft – noch der Einleitungssatz des Art. 2 UNCh mit der Erwähnung auch der UN selbst entgegenhalten. Dennoch erscheint angesichts der genannten Voraussetzungen der Verpflichtung aus dem Estoppel-Prinzip dessen bereitwillige Übertragung auf den Sicherheitsrat jedenfalls zumindest zweifelhaft. Fraglich ist insofern, ob der Sicherheitsrat wirklich Erwartungen geweckt hat, auf die die UN-Mitgliedstaaten in diesem Sinne vertrauen durften. Noch schwieriger dürfte sich der Nachweis eines Schadens49 der UN-Mitglieder bzw. eines Vorteils des Sicherheitsra-
47
Temple of Preah Vihear (Cambodia v Thailand), Merits, IGH, Urteil vom 15. Juni 1962, Abweichendes Votum von Richter Sir Percy Spender, ICJ Reports 1962, S. 101, 143 f. 48
de Wet/Nollkaemper, Review of Security Council Decisions by National Courts, GYIL 45 (2002), S. 166, 173; de Wet, The Chapter VII Powers of the United Nations Security Council, 2004, S. 199 f. In ähnlicher Weise, jedoch ohne Rückgriff auf das Estoppel-Prinzip vertritt Orakhelashvili, The Acts of the Security Council: Meaning and Standards of Review, Max Planck UNYB 11 (2007), S. 143, 176, dass sich eine internationale Organisation an die gleichen Standards halten müsse, deren Einhaltung sie von ihren Mitgliedstaaten verlangt. 49
Der Nachweis eines solchen Schadens wird von Cottier/Müller, Estoppel, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil.com], zu-
88
Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
tes aus einer Nichtbeachtung der Menschenrechte gestalten. Wer auch über diese beiden Bedenken hinwegkommen will,50 muss sich zumindest fragen lassen, was ohne eine strenge Handhabung der klaren Voraussetzungen von Erwartung, Schaden und Vorteil vom Estoppel-Prinzip noch übrig bleibt.
2. Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrats aus dem Völkergewohnheitsrecht Grenzen für das Sicherheitsratshandeln könnten sich auch aus der in Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut genannten Völkerrechtsquelle des internationalen Gewohnheitsrechts ergeben. Fraglich ist jedoch, ob der Sicherheitsrat überhaupt Völkergewohnheitsrecht zu beachten hat.51 Ein Erklärungsversuch für die Gebundenheit des Sicherheitsrats stützt sich auf das allgemeinere Argument der Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen. Reinisch formuliert in seiner Darstellung der verschiedenen Positionen insoweit griffig, der Sicherheitsrat als Hauptorgan der UN sei „ ‚subject to‘ international law because the Organisation itself is a ‚subject of‘ international law“.52 Den gleichen Standpunkt vertrat der IGH im Gutachten zur Weltgesundheitsorganisation bezüglich eben dieser Organisation.53 Dieser Argumentation aufgrund der
letzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 3, sogar als eine besonders wichtige Voraussetzung für die Berufung auf das Estoppel-Prinzip angesehen. 50 de Wet, The Chapter VII Powers of the United Nations Security Council, 2004, S. 196 ff. unternimmt dies mit schlüssigen Argumenten. 51
Bezüglich des 1267-Sanktionsregimes ohne ausführlichere Begründung bejahend etwa Bothe, Security Council’s Targeted Sanctions against Presumed Terrorists, The Need to Comply with Human Rights Standards, JICJ 6 (2008) 3, S. 541, 551 f. Die grundsätzliche Bindung des Sicherheitsrats an Völkergewohnheitsrecht bejaht auch Couzigou, La lutte du Conseil de Sécurité contre le terrorisme international et les droits de l’homme, RGDIP 112 (2008) 1, S. 49, 76 f. 52
Reinisch, Developing Human Rights and Humanitarian Law Accountability of the Security Council for the Imposition of Economic Sanctions, AJIL 95 (2001) 4, S. 851, 858. 53
In diesem Gutachten, Interpretation of the Agreement of 25 March 1951 between the WHO and Egypt, IGH, Advisory Opinion vom 20. Dezember 1980, ICJ Reports 1980, S. 70, 89 f., heißt es: “International organizations are
D. Bisherige Ansätze
89
Rechtspersönlichkeit könnte entgegengehalten werden, dass eine internationale Organisation, die erst neu gegründet wird, nicht mit einer Praxis, die zur Bildung von Gewohnheitsrecht geführt hat, konfrontiert werden kann, an der sie selbst gar nicht teilnehmen konnte. Denn die eigenständige Völkerrechtspersönlichkeit und Rechtssetzungsbefugnis internationaler Organisationen kann dahin gehend gedeutet werden, dass die Rechte und Pflichten der Organisationen von deren Zustimmung abhängig sind, entsprechend berechtigt und verpflichtet zu sein.54 Fassbender will einen Trend erkennen, dass sich neben den bestehenden völkergewohnheitsrechtlichen Pflichten der Staaten zur Einhaltung des fairen Verfahren im innerstaatlichen Bereich nun Völkergewohnheitsrecht des Inhalts ausbilde, dass die gewohnheitsrechtlichen Grundsätze des fairen Verfahrens auch für „direct governmental action“ internationaler Organisationen gegenüber Individuen gälten.55 Der kurze Verweis auf den Beitrag hierzu durch das Recht der EU56 dürfte als Beleg hierfür allerdings noch nicht ausreichen. Zum Teil wird eine Bindung des Sicherheitsrates an Völkergewohnheitsrecht auch mit dem Argument verneint, dass Art. 38 Abs. 1 IGHStatut für Völkervertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht keinen Rangunterschied vorsehe und es somit nicht folgerichtig sei, der UNCharta gemäß Art. 103 UN Charta vor Völkervertragsrecht, nicht aber vor Völkergewohnheitsrecht den Vorrang zu geben.57 Diese Meinung verkennt bereits, dass es sich – ganz unabhängig von der Rangfrage – subjects of international law and, as such, are bound by any obligations incumbent upon them under general rules of international law….”. 54
So in der Tendenz Schmalenbach, International Organizations or Institutions, General Aspects, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil.com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 79 m.w.N. 55
Fassbender, Targeted Sanctions Imposed by the UN Security Council and Due Process Rights, IOLR 3 (2006) 2, S. 437, 445, 468 ff. Halberstam/Stein, The United Nations, the European Union, and the King of Sweden: Economic Sanctions and Individual Rights in a Plural World Order, CMLRev. 46 (2009) 1, S. 13, 21, stimmen dem mit der Erwägung zu, dass das Völkergewohnheitsrecht Staaten bindet und die UN daher umso stärker ebenfalls daran gebunden seien, je mehr sie sich der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt annähmen. 56
Fassbender, Targeted Sanctions Imposed by the UN Security Council and Due Process Rights, IOLR 3 (2006) 2, S. 437. 57 So Schweigmann, The Authority of the Security Council under Chapter VII of the UN Charter, Legal Limits and the Role of the International Court of Justice, 2001, S. 195 f.
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Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
bei Art. 103 UNCh um eine Vorschrift handelt, die an die UNMitglieder adressiert ist. Während sie somit erst auf der Ebene der Normumsetzung eine Rolle spielt, handelt es sich bei der hier untersuchten Frage der Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrates um eine dem vorgelagerte Frage auf der völkerrechtlichen Ebene der Normsetzung. Abgesehen davon spricht Art. 103 UNCh nach seinem klaren Wortlaut nur vom Vorrang der Charta vor Verpflichtungen aus anderen internationalen Übereinkünften, erwähnt das Völkergewohnheitsrecht also gerade nicht.58 Wenn somit für eine Bindung des Sicherheitsrates durch Völkergewohnheitsrecht auch Argumente sprechen, so zeigt sich doch, dass diesem Standpunkt gleich mehrere Bedenken entgegenstehen.
3. Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrats aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut nennt noch die allgemeinen Rechtsgrundsätze als Völkerrechtsquelle, aus der sich möglicherweise Grenzen für das Sicherheitsratshandeln herleiten lassen. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze speisen sich aus den „von den Kulturvölkern anerkannten“ allgemeinen Rechtsgrundsätzen.59 Dabei handelt es sich um Grundsätze des Rechts, die in den Rechten mehr oder weniger aller Nationen übereinstimmend anerkannt sind und sich daher als überstaatliches Gemeinrecht bezeichnen lassen.60 Manche Anhänger der Konstitutionalisierung61 des Völkerrechts vertreten die Auffassung, dass Verfassungsnormen auch in Form von allge-
58
So auch aus der neueren Literatur etwa Orakhelashvili, The Acts of the Security Council: Meaning and Standards of Review, Max Planck UNYB 11 (2007), S. 143, 149; Livoja, The Scope of the Supremacy Clause of the United Nations Charter, ICLQ 57 (2008) 3, S. 583, 598, 612. 59
Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut:
“1. The Court, whose function is to decide in accordance with international law such disputes as are submitted to it, shall apply: (...) c. the general principles of law recognized by civilized nations (...)”. 60 61
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 1988, § 4, S. 64. S. zu diesem Argumentationsansatz oben, C.III.2.lit.d.
D. Bisherige Ansätze
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meinen Rechtsgrundsätzen existierten.62 Wo Völkerrecht den Staatenverfassungen ähnele, aber nicht über angemessene Vorschriften verfüge, werde der Rückgriff auf nationale Verfassungsprinzipien nötig. Die Ausweitung des Völkerrechts auf Bereiche, die früher der domaine réservé angehörten, und die Entwicklung des Völkerrechts von einem bloßen Koordinationsrecht hin zu einer hierarchischen Ordnung seien von Bedeutung, weil Vorrang („superiority“) ein wesentliches Charakteristikum von Verfassungsnormen sei.63 Daher wird vertreten, dass die Verfassungsprinzipien des Menschenrechtsschutzes und der Rechtsstaatlichkeit neben anderen als allgemeine Rechtsgrundsätze anzusehen seien.64 Gegen den Gedanken der Konstitutionalisierung des Völkerrechts über die jeweilige Satzung der internationalen Organisation hinaus sprechen die bereits oben angeführten Erwägungen.65 Die Völkerrechtsordnung sieht insbesondere keine hierarchische Ordnung vor (vergleiche Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut). Auch die mangelnde Durchsetzbarkeit als typisches Problem des Völkerrechts würde den Gewinn, der sich aus solchen Verfassungsnormen ergeben könnte, schmälern. Denn die Konstitutionalisierung stellt keinen Anreiz zur Verfügung, durch den der Sicherheitsrat zur Einhaltung solcher Maßstäbe wirksam angehalten werden könnte. An anderer Stelle wird ausgeführt, die Prinzipienwirkung der allgemeinen Rechtsgrundsätze sei eine umfassende Ausstrahlungswirkung, die sowohl Staaten als auch internationale Organisationen erfasse.66 Fundamentale Menschenrechte und die rule of law würden so Maßstab für internationale Organisationen, wirkten als Optimierungsgebote und gäben ihnen Abwägungsgebote und Begründungspflichten auf.67 Diese Auffassung versucht elegant, die Bindung der UN an die Menschenrechte durch die Annahme einer objektiven Ausstrahlungswirkung der Menschenrechte als allgemeiner Rechtsgrundsätze zu begrün62
Kadelbach/Kleinlein, International Law – a Constitution for Mankind? An Attempt at a Re-appraisal with an Analysis of Constitutional Principles, GYIL 50 (2007), S. 303, 338. 63 64 65
Ibid., S. 342. Ibid. S. oben, C.III.2.lit.d.cc).
66
Kadelbach/Kleinlein, Überstaatliches Verfassungsrecht, Zur Konstitutionalisierung im Völkerrecht, AVR 44 (2006) 3, S. 235, 263. 67
Ibid., S. 263.
92
Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
den. Zu beachten ist dabei allerdings, dass die Menschenrechte einerseits und deren objektive Ausstrahlungswirkung andererseits zwei getrennt zu betrachtende Aspekte sind, die jeweils für sich den oben genannten Anforderungen an anerkannte allgemeine Rechtsgrundsätze genügen müssten. Mag dies für einzelne Menschenrechte schon nicht leicht nachzuweisen sein,68 so scheint es für die Wirkung der Menschenrechte als objektive Grundsatznormen mit Ausstrahlungswirkung auch auf internationale Organisationen zumindest schwer vertretbar. Selbst wenn man sich der Meinung anschließt, die ausgeht von einer über den Wortlaut des Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut hinausgehenden Erweiterung der Herleitungsmöglichkeiten für allgemeine Rechtsgrundsätze durch die Einbeziehung der von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie allgemeiner Prinzipien internationaler Rechtsbeziehungen und sonstiger Rechtsbeziehungen,69 erscheint doch eine Herleitung jedenfalls einer umfassenden Ausstrahlungswirkung von Menschenrechten und Rechtsstaatsprinzip hieraus, die zu einer Bindung des Sicherheitsrats führen könnte, kaum möglich. Angelehnt an die ebenfalls bereits zum Gewohnheitsrecht gemachten Darlegungen zur Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen als Argument für deren Menschenrechtsbindung vertritt Fassbender die Bindung des Sicherheitsrats an das Recht auf ein faires Verfahren als allgemeinen Rechtsgrundsatz als Folge der Völkerrechtssubjektivität der UN und unter Hinweis darauf, dass die UN direkt mit Wirkung gegenüber dem Einzelnen und so supranational und damit vergleichbar der EU handelten.70 Gegen die Argumentation mit der Völkerrechtssubjektivität ist der bereits oben angesprochene Aspekt einzuwenden, dass nicht die rechtliche Eigenständigkeit internationaler Organisationen übersehen werden darf und die UN gerade nicht Vertragspartner der Menschenrechtsverträge sind. Spricht dies somit gegen die Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, so kann die zusätzliche Unterfütterung mit der Qualifikation der in Rede stehenden Regel als allgemeinem Rechtsgrundsatz die Bindung des Sicherheitsrats für sich alleine stehend nicht überzeugend begründen. 68
Zum Problem der Nachweisbarkeit allgemeiner Rechtsgrundsätze Gaja, General Principles of Law, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil.com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 13. 69
So Mosler, General Principles of International Law, EPIL, Band II, 1995, S. 511, 513. 70
Fassbender, Targeted Sanctions Imposed by the UN Security Council and Due Process Rights, IOLR 3 (2006) 2, S. 437, 444 f.
D. Bisherige Ansätze
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Nach alledem kann festgestellt werden, dass auch der Ansatz, der eine Bindung des Sicherheitsrates an Menschenrechte über die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts zu konstruieren versucht, neben allem, was für ihn spricht, erkennbare Begründungsschwierigkeiten hat.
4. Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrats aufgrund menschenrechtlicher Verpflichtungen der UN-Mitgliedstaaten Bei den menschenrechtlichen Verpflichtungen der UN-Mitgliedstaaten, denen diese infolge ihrer Eigenschaft als Vertragspartner der Menschenrechtsverträge unterliegen, setzt ein Ansatz an, der die Grundlage ist für zwei verschiedene Argumentationslinien zur Bejahung der Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrats. In der einen Ausprägung handelt es sich um einen organisationsinternen Ansatz, der danach fragt, ob diejenigen Mitglieder des Sicherheitsrates, die Vertragsstaaten der EMRK oder des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) sind, gebunden sind, Sicherheitsratsbeschlüssen nicht zuzustimmen, die es möglicherweise erlauben, Menschenrechte zu verletzen.71 Zwar ist insofern davon auszugehen, dass die Mitglieder des Sicherheitsrates an ihre Menschenrechtsverpflichtungen gebunden bleiben, auch wenn sie an Abstimmungen des Sicherheitsrates teilnehmen. Das mag sie dazu anhalten, menschenrechtskonform abzustimmen. Tun sie es jedoch nicht, so ist diese Pflichtverletzung völkerrechtlich nur den einzelnen Staaten zuzurechnen. Sie kann dagegen nicht auf das Ergebnis der Abstimmung, also die Sicherheitsratsresolution, durchschlagen, bewirkt also gerade nicht, dass die Menschenrechtsbindung der einzelnen Staaten Auswirkungen im Sinne einer Menschenrechtsbindung auch des Sicherheitsrats als Organ der internationalen Organisation UN hat. Hierfür spricht wieder das Argument der rechtlichen Selbständigkeit der UN. Diese Konstellation unterscheidet sich im Übrigen von der, die den EGMR im Fall Behrami72 beschäftigte. Dort erklärte sich der EGMR für Beschwerden gegen Truppensteller-Staaten im Rahmen von internationalen Friedens-
71
Vgl. Schilling, Der Schutz der Menschenrechte gegen Beschlüsse des Sicherheitsrates, Möglichkeiten und Grenzen, ZaöRV 64 (2004) 2, S. 343, 349. 72 Behrami und Behrami gegen F, Saramati gegen F, D und N, EGMR, Große Kammer, Entscheidung über die Zulässigkeit vom 2. Mai 2007, Nr. 71412/01, 78166/01, EuGRZ 2007, S. 522 ff.
94
Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
truppen unter der alleinigen Verantwortung der UN für ratione personae unzuständig, weil solche Handlungen nicht den TruppenstellerStaaten, sondern den UN zuzurechnen seien.73 Im Behrami-Fall ging es somit um die Zurechnung eines tatsächlichen Handelns von Staaten, das zudem in Ausführung eines UN-Auftrags erfolgte, was die UN als das richtige Zurechnungsobjekt erscheinen lässt. Im Gegensatz dazu würde es hinsichtlich der Abstimmung im Sicherheitsrat um die Zurechnung einer Rechtspflicht, nämlich der Pflicht, die Menschenrechte zu beachten, gehen. Eine solche Zurechnung der Pflichten des einen Rechtssubjekts (UN-Mitgliedstaat) zu einem anderen Rechtssubjekt (UN) widerspricht allerdings der getrennten Rechtssubjektivität der UN und ihrer Mitgliedstaaten. Dieser Aspekt kann als durch das Behrami-Urteil bestätigt angesehen werden, da auch der EGMR die Truppensteller-Staaten und die UN rechtlich getrennt behandelt. Dies anders zu sehen würde bedeuten, die Rechtssubjektivität internationaler Organisationen (Art. 104 UNCh für die UN) zugunsten einer Sichtweise aufzugeben, die die Aktivität der Organe solcher Organisationen als Handeln von Staatenkollektiven ansieht. Ein solcher Ansatz würde dann aber die Unterschiede zwischen internationalen Organisationen und schlichten Staatenkonferenzen74 weitgehend einebnen und überzeugt daher nicht. Der andere Ansatz, der mit der Menschenrechtsbindung der UN-Mitglieder als Grundlage für die Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrates argumentiert, stützt sich dabei auf den Gedanken der sogenannten Hypothekentheorie.75 Diese Theorie geht davon aus, dass die Mitgliedstaaten sich durch Gründung einer internationalen Organisation nicht von ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen befreien können und diese daher bei Schaffung der Organisation zusammen mit den entsprechenden Kompetenzen auf sie übertragen.76 Die Organisation erhalte die Hoheitsrechte nur mit dem Inhalt, wie sie bei den Mitgliedstaaten vorgelegen hätten und sei folglich an Stelle der Mitgliedstaaten automatisch aus den völkerrechtlichen Verträgen ihrer Mitglieder verpflichtet.77 73
Ibid., S. 541 f.
74
Ein Beispiel hierfür ist etwa die Konferenz der Antarktisvertragsstaaten mit Konsultativstatus (ATCM). 75
Die Hypothekentheorie wird – allerdings mit Bezug zum EG-Recht − eingehend behandelt bei Osteneck, Die Umsetzung von UN-Wirtschaftssanktionen durch die Europäische Gemeinschaft, 2004, S. 222 ff. 76 77
Ibid., S. 223. Ibid.
D. Bisherige Ansätze
95
Zwar würde dieser Ansatz das Problem lösen helfen, dass manche Staaten sich durch Gründung internationaler Organisationen aus ihren sonstigen völkerrechtlichen Pflichten herauszustehlen versuchen, indem sie bestimmte Hoheitsrechte übertragen, die dann von diesen Organisationen gegebenenfalls ohne Rücksicht auf diese Pflichten ausgeübt werden können. Doch kann die juristische Konstruktion aus mehreren Gründen nicht überzeugen. Zum einen wird übersehen, dass internationale Organisationen von ihren Mitgliedstaaten getrennt zu betrachtende Völkerrechtssubjekte sind und außerdem dadurch, dass sie in der Regel grenzüberschreitend handeln, ihre Ausübung von Hoheitsgewalt eine andere Regelungsweite hat als die in Staaten.78 Des Weiteren sind völkerrechtliche Verpflichtungen nicht als akzessorisch zu irgendeiner Rechtsübertragung konzipiert, so dass eine privatrechtliche Sichtweise nicht passt. Eine Hypothek ist, zumindest nach deutschem Recht (§ 1115 BGB), für den Grundstückserwerber aus dem Grundbuch erkennbar, für den Vertragspartner einer internationalen Organisation würde es dagegen völlig unklar bleiben, welche Menschenrechte bei welcher Gründung einer internationalen Organisation mit übergegangen sind.79 Das führt zuletzt zum Argument des erheblichen Verlusts an Effektivität der internationalen Organisation, weil für jede Handlung im Rechtsverkehr zuvor festgestellt werden müsste, ob diese den völkerrechtlichen Verpflichtungen jedes einzelnen Mitgliedstaates entspricht.80 Die menschenrechtlichen Verpflichtungen der UN-Mitgliedstaaten führen also nicht zu einer Bindung des Sicherheitsrats an die Menschenrechte. Dies ändert nichts daran, dass Staaten, die im Sicherheitsrat ent78
Zum zweiten Aspekt ibid., S. 224 f.
79
Entsprechend wenig überzeugend fallen auch die Erklärungsversuche aus. So meint etwa Bedjaoui, The New World Order and the Security Council, Testing the Legality of its Acts, 1994, S. 7: “It appears less acceptable than ever that sovereign States should have created an international organization equipped with broad powers of control and sanction vis-à-vis themselves but itself exempted from the duty to respect … international law”. (Hervorhebung im Original) oder Reinisch, Developing Human Rights and Humanitarian Law Accountability of the Security Council for the Imposition of Economic Sanctions, AJIL 95 (2001) 4, S. 851, 858: “…collectively ‘opting out’ of customary law and general principles of law by creating an international organization that would cease to be bound by those very obligations appears rather unconvincing”. 80
So zu Recht Osteneck, Die Umsetzung von UN-Wirtschaftssanktionen durch die Europäische Gemeinschaft, 2004, S. 225.
96
Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
gegen ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen aus Menschenrechtsverträgen abstimmen, völkerrechtlich verantwortlich bleiben.
5. Rolle des ius cogens für die Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrats Abschließend ist noch zu behandeln, welche Rolle das ius cogens für die Frage der Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrats spielt. Nach der Definition in Art. 53 Satz 2 WVK gehört zum ius cogens jede Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann.81 Bevor die Inhalte des ius cogens82 besprochen werden, muss man sich die Frage stellen, ob der Sicherheitsrat überhaupt an ius cogens gebunden ist. Manche bestreiten eine solche Bindung, etwa mit dem Argument, dass ius cogens ein Konzept aus dem Völkervertragsrecht sei, das sich nicht einfach auf den Sicherheitsrat übertragen lasse, weil er unter Kapitel VII der UN-Charta gerade nicht an das als ius cogens anerkannte Gewaltverbot gebunden sei.83 Diese Meinung verkennt jedoch, dass es sich bei der Befugnis, unter Kapitel VII die Gewaltanwendung zu beschließen, gerade um eine Ausnahme vom Grundsatz des Gewaltverbots handelt, die keineswegs bezogen auf alle anderen Regeln des ius cogens verallgemeinerungsfähig ist. Eine solche Verallgemeinerung widerspräche der Regel, dass Ausnahmen nicht analogiefähig sind und 81
Der verbindliche englische Text des Art. 53 WVK lautet: “A treaty is void if, at the time of its conclusion, it conflicts with a peremptory norm of general international law. For the purposes of the present Convention, a peremptory norm of general international law is a norm accepted and recognized by the international community of States as a whole as a norm from which no derogation is permitted and which can be modified only by a subsequent norm of general international law having the same character”. 82
Eingehend zum Konzept des ius cogens Hannikainen, Peremptory Norms (Jus Cogens) in International Law, Historical Development, Criteria, Present Status, 1988; Rozakis, The Concept of Jus Cogens in the Law of Treaties, 1976. 83
Martenczuk, The Security Council, the International Court and Judicial Review: What Lessons from Lockerbie?, EJIL 10 (1999) 3, S. 517, 546.
D. Bisherige Ansätze
97
rechtfertigte so absurde Ergebnisse wie die Anordnung von Folter84 durch den Sicherheitsrat. Entscheidend erscheint daher vielmehr der Gedanke, dass, wenn es sich beim ius cogens um Normen handelt, die allgemein als nicht dispositiv angesehen werden, auch der Sicherheitsrat daran gebunden sein muss. Wenn ius cogens daher in völkerrechtlichen Verträgen nicht abdingbar ist, dann setzt es auch der Geltung von Rechtsakten Grenzen, die von vertragsbasierten Organen erlassen werden.85 Die Regeln des ius cogens lassen sich insofern als der Satzung inhärente Begrenzung der Befugnisse aller internationalen Organisationen und damit auch der UN begreifen.86 Die Bindung der UN und damit auch des Sicherheitsrats an ius cogens entspricht heute nahezu einhelliger Meinung.87 Steht somit die Bindung des Sicherheitsrates an ius cogens fest, so kommt es für die hiesige Untersuchung der Bindung des Sicherheitsrates darauf an, ob auch Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit als vom ius cogens umfasst anerkannt sind. Zum Inhalt des ius cogens zählen nach herkömmlichem Verständnis jedenfalls das Gewaltverbot, die Achtung elementarer Menschenrechte, das Verbot des Völkermords, das Sklavereiverbot, Normen des humani-
84
Das Folterverbot ist als Inhalt des ius cogens anerkannt, s. Frowein, Jus Cogens, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil. com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 8. 85
Orakhelashvili, The Acts of the Security Council: Meaning and Standards of Review, Max Planck UNYB 11 (2007), S. 143, 178. 86
Orakhelashvili, The Impact of Peremptory Norms on the Interpretation and Application of United Nations Security Council Resolutions, EJIL 16 (2005) 1, S. 59, 60. 87
S. etwa jüngst Frowein, Jus Cogens, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil.com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 10; auch Gill, Legal and Some Political Limitations on the Power of the UN Security Council to Exercise its Enforcement Powers under Chapter VII of the Charter, NYIL 26 (1995), S. 33, 79; Doehring, Unlawful Resolutions of the Security Council and their Legal Consequences, Max Planck UNYB 1 (1997), S. 91, 98 f.; Cohen-Jonathan, Le Conseil de sécurité et les droits de l’homme, in: Flauss/Wachsmann, Le droit des organisations internationales, 1997, S. 19, 40 ff.; Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates: Aufgeklärter Absolutismus im Völkerrecht?, 1998, S. 27 f., Petculescu, The Review of the United Nations Security Council Decisions by the International Court of Justice, NILR 52 (2005) 2, S. 167, 173.
98
Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
tären Völkerrechts88 sowie das Verbot der Rassendiskriminierung, der Apartheid und der Folter und das Recht auf Selbstbestimmung.89 Weder die Rechtsstaatlichkeit als solche, noch die Menschenrechte insgesamt rechnen zu diesem klassischen Kanon. In jüngerer Zeit wurde jedoch vorgeschlagen, den Anwendungsbereich des ius cogens bezüglich der von ihm umfassten Menschenrechtsgehalte auszudehnen. So wurde etwa für seine Zugehörigkeit zum ius cogens nicht nach der Einschränkbarkeit (vgl. Art. 53 Satz 2 WVK) des jeweiligen Menschenrechts gefragt, sondern stattdessen eine ius cogens-Qualität erweiternd offenbar für alle Menschenrechte für möglich gehalten90 und eine Verletzung der jeweiligen ius cogens-Norm dann vom Nichtvorliegen der Schrankenvoraussetzungen abhängig gemacht.91 Hiergegen spricht aus dogmatischer Sicht, dass fast alle Menschenrechte einschränkbar sind, ein Abweichen von ihnen also unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist. Ein derartiger Ansatz widerspricht deshalb dem Grundkonzept des ius cogens, wonach von ihm gerade Normen umfasst sind, von denen nicht abgewichen werden kann, vgl. Art. 53 Satz 2 WVK. Deshalb ist auch der zur Ermittlung von ius cogensVerstößen vorgeschlagene Prüfungsmaßstab der Schrankenvoraussetzungen ungeeignet, weil dieser das ius cogens-Konzept der allgemeinen Prüfung für Eingriffe in Menschenrechte annähert, die für einschränkbare Menschenrechte gilt. Anderenorts wird zugunsten eines erweiterten Verständnisses von ius cogens-Gehalten vorgebracht, dass die Derogierbarkeit in Menschenrechtsverträgen eine andere sei, als die, die dem
88
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/3, 2002, § 157, S. 716.
89
Frowein, Jus Cogens, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil.com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 8; generell zu den Inhalten des ius cogens Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 1992, S. 210-324. Zur Theorie des ius cogens Kolb, Théorie du ius cogens international, Essai de relecture du concept, 2001. Im Einzelnen ist hinsichtlich des Inhalts und der Anwendung des ius cogens vieles strittig, s. Brownlie, Principles of Public International Law, 2008, S. 512. 90
Das EuG spricht in Yusuf und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaft, Urteil vom 21. September 2005, T-306/01, Slg. 2005, II-3533, Rz. 282 insoweit von „zwingenden Normen zum universellen Schutz der Menschenrechte“. 91 Yusuf und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaft, EuG, Urteil vom 21. September 2005, T306/01, Slg. 2005, II-3533, Rz. 293 für das Recht auf Eigentum.
D. Bisherige Ansätze
99
Konzept des ius cogens zugrunde liege.92 Für die Bestimmung der Inhalte des ius cogens komme es darauf an, ob entweder ein Gemeinschaftsinteresse geschützt werde, das über ein individualstaatliches Interesse hinausgehe und deshalb im Sinne des ius cogens jeder Abweichung entzogen sei,93 oder ob Maßnahmen des Sicherheitsrats den Kern eines Menschenrechts beträfen.94 Den Abweichungsmöglichkeiten in vielen Menschenrechtsverträgen sei daher keine Aussage über die Qualität des jeweiligen Rechts als ius cogens-Norm zu entnehmen.95 Diese Ansicht stößt deshalb auf Bedenken, weil sie die Identifizierung von ius cogens durch die unklaren Kriterien des Gemeinschaftsinteresses und des Kerngehalts erschwert. Außerdem ist zu bedenken, dass die Bedeutung von Normen wie dem Gewaltverbot und dem Verbot des Völkermords durch eine Ausweitung des ius cogens abgewertet wird.96 Insgesamt ist daher eine Sichtweise, die die Existenz von Normen mit ius cogens-Charakter über den engen, bisher anerkannten Kreis hinaus großzügig bejaht, abzulehnen. Als Zwischenergebnis für die vorliegende Arbeit lässt sich damit festhalten: Der Sicherheitsrat ist zwar an ius cogens gebunden. Da aber das vorliegend untersuchte 1267-Sanktionsregime nach dem hier vertretenen engen Verständnis von ius cogens dessen Inhalte nicht berührt, sondern stattdessen vor allem Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit seiner Ausgestaltung hervorrruft, kann diese Bindung an ius cogens für die weitere Untersuchung außer Betracht bleiben.
92
Orakhelashvili, The Impact of Peremptory Norms on the Interpretation and Application of United Nations Security Council Resolutions, EJIL 16 (2005) 1, S. 59, 65. 93
Ibid., S. 65.
94
Orakhelashvili, The Acts of the Security Council: Meaning and Standards of Review, Max Planck UNYB 11 (2007), S. 143, 186. 95
Orakhelashvili, The Impact of Peremptory Norms on the Interpretation and Application of United Nations Security Council Resolutions, EJIL 16 (2005) 1, S. 59, 65. 96
716.
So auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/3, 2002, § 157, S.
100 Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
III. Fazit Die Betrachtung der verschiedenen Argumentationslinien zur Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrates ergibt, dass alle diese Ansätze gewisse tragfähige Argumente für sich in Anspruch nehmen können.97 Dennoch zeigt sich, dass sich bei den Charta-basierten Ansätzen die für- und widersprechenden grammatischen und systematischen Argumente eher die Waage halten, während sich die Vertreter von Ansätzen, die sich auf Völkergewohnheitsrecht oder allgemeine Rechtsgrundsätze oder auch die Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrats aufgrund menschenrechtlicher Verpflichtungen der UN-Mitgliedstaaten stützen, vor allem dem Argument der rechtlichen Eigenständigkeit internationaler Organisationen gegenübersehen. Eine (umfassende) Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrates über das Institut des ius cogens scheitert am richtigerweise engen Verständnis von dessen Inhalten. Erscheinen sonach alle genannten Ansätze nachvollziehbar, so überzeugen sie doch nicht nachhaltig. Deshalb soll im nun folgenden Kapitel versucht werden, die Bindung des Sicherheitsrates an Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte mit dem oben vorgestellten öffentlich-rechtlichen Ansatz zur Findung von Prinzipien für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene zu begründen.
97
Matiss, Terrorismusbekämpfung und menschenrechtlicher Eigentumsschutz, 2009, S. 136, bejaht aufgrund der verschiedenen Argumentationsstränge eine Bindung des Sicherheitsrates an das Völkerrecht und insbesondere die Menschenrechte, ergänzt durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
E. Neuer Ansatz für die Bindung des UNSicherheitsrats an Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit: Die UN-Treue als Prinzip für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene I. Die Herleitung des Prinzips der UN-Treue als Prinzip für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
1. Einleitung Das Interesse an der Berücksichtigung rechtsstaatlicher Grundsätze bei der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene wurde von verschiedener Seite in jüngster Zeit betont. So hat Wolfrum formuliert: “[I]f international institutions are taking over governmental tasks equivalent to those of national institutions and – as one should add – to the detriment of the latter, they should come under the same restrictions as national governance in States adhering to the principle of the rule of law. If … an institution…assumes legislative competences or competences affecting the rights of individuals directly, such increase in power calls for a counter-balance through judicial review”.1 Speziell bezogen auf die UN vertrat Franck: “As the UN system increasingly effects its intended operation, the rule of law imposed on the
1
Wolfrum, Legitimacy of International Law and the Exercise of Administrative Functions: The Example of the International Seabed Authority, the International Maritime Organization (IMO) and International Fisheries Organizations, GLJ 9 (2008) 11, S. 2039, 2045.
102 Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
political process by the Charter will assume increasing importance”.2 Simma äußerte, mehr mit Blick auf die Legitimität: “…the effectiveness of the [Security C]ouncil will depend on the legitimacy of its decisions. If Council decisions appear to be strained, far-fetched or even unjust, States may increasingly hesitate to implement them”.3 Chesterman fordert die Beachtung von Rechtsstaatlichkeit, besonders auch bei den Individualsanktionsregimen, in einer neueren Studie mit Blick auf die Effektivität und Legitimität der UN nachdrücklich: “The [Security] Council is an extraordinarily powerful instrument for promoting the rule of law at both national and international levels, but this is most legitimate and most effective when the [Security] Council submits itself to the rule of law”.4 Auch die Vertreter des Ansatzes eines internationalen Verwaltungsrechts5 und des Global Administrative Law6 äußern sich in diese Richtung.7 2
Franck, Fairness in International Law and Institutions, 1995, S. 244.
3
Simma, From Bilateralism to Community Interest in International Law, RdC 250 (1994 VI) S. 217, 281. Ebenfalls im Zusammenhang mit dem Sicherheitsrat vertritt Gowlland-Debbas, The Functions of the United Nations Security Council in the International Legal System, in: Byers (Hrsg.), The Role of Law in International Politics: Essays in International Relations and International Law, 2000, S. 277, 312: “Authority is, unlike power, derived from notions of legitimacy, so that legitimacy may also be said to be an important part of its effectiveness”. 4
Chesterman, The UN Security Council and the Rule of Law, 2008, Rz.
48. 5
So führt etwa Schmidt-Aßmann, Die Herausforderung der Verwaltungsrechtswissenschaft durch die Internationalisierung der Verwaltungsbeziehungen, Der Staat 45 (2006) 1, S. 315, 323, ebenfalls bezogen auf das 1267Sanktionsregime aus: „Mit einer Intensivierung konkreter administrativer Zugriffe, wie sie in der Tätigkeit des Sanktionsaussschusses liegt, wachsen die Anforderungen an die spezifisch verwaltungsrechtlichen Vorkehrungen individuellen Schutzes, Verteidigungsrechte, Gerichtsschutz“. 6
So bemerkt Cassese, Administrative Law Without the State? The Challenge of Global Regulation, NYUJILP 37 (2005) 4, S. 663, 694: “The more that global organizations widen their scope of action beyond states and domestic public organizations, the more that it becomes important to ensure respect for the rule of law, the principle of participation, and the duty to give a reasoned decision. These procedures are important in order to ensure the protection of
E. Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
103
Bisher wurde aber, soweit ersichtlich, noch nicht der Versuch unternommen, die immer wiederkehrenden Begriffe der Effektivität, Legitimität oder Rechtsstaatlichkeit für die Antwort auf die Frage nach der Bindung des Sicherheitsrates an Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte so zueinander in Beziehung zu setzen, dass sich daraus eine rechtlich fundierte Begründung einer derartigen Bindung ergibt.
citizens, organizations, and corporations, not only in their relations with states and other national public powers, but also in their relations with the new global public powers”. 7
Vorschläge für die Einhaltung eines fairen Verfahrens, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit wurden insbesondere gemacht von Cameron, UN Targeted Sanctions, Legal Safeguards and the European Convention on Human Rights, NJIL 72 (2003) 2, S. 159 ff.; Fassbender, Targeted Sanctions Imposed by the UN Security Council and Due Process Rights, IOLR 3 (2006) 2, S. 437 ff.; Biersteker/Eckert (Hrsg.), Strengthening Targeted Sanctions by Addressing Due Process Concerns, Watson Institute, White Paper, 2006, http://www.watsoninstitute.org/pub/Strengthening_Targeted_Sanctions.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010). Das Watson Institute war schon vorher in eine Initiative der Schweiz und des UN-Sekretariats eingebunden, in deren Rahmen Expertenseminare abgehalten und Dokumente zur Gestaltung und Umsetzung von Finanzsanktionen verfasst wurden, s. Sanktionen/Smart Sanctions auf http://www.seco.admin.ch/themen/ (zuletzt besucht am 2. Mai 2010); Cortright /Lopez/Millar/Gerber-Stellingwerf, Overdue Process: Protecting Human Rights while Sanctioning Alleged Terrorists, April 2009, http://www.fourth freedom.org/pdf/Overdue_process.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010); Cortright/Lopez/Gerber-Stellingwerf/Fackler/Persinger/Weaver, Human Rights and Targeted Sanctions, November 2009, http://www.fourthfreedom.org/ pdf/Human_Rights_and_Targeted_Sanctions_WEB.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010); International Commission of Jurists, Assessing Damage, Urging Action: Report of the Eminent Jurists Panel on Terrorism, Counter-Terrorism and Human Rights, International Commission of Jurists, 2009, http://ejp.icj. org/IMG/ExecSumm.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010); Biersteker/Eckert (Hrsg.), Addressing Challenges to Targeted Sanctions: An Update of the “Watson Report”, Watson Institute, Oktober 2009, http://www.watsoninstitute.org/ pub/2009_10_targeted_sanctions.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010); Conlon, Die rechtliche Problematik von UN-Sanktionen als Mittel zur Durchsetzung des Völkerrechts, 1996, S. 31, sprach bereits Mitte des letzten Jahrzehnts etwas allgemeiner davon, dass bezüglich der Konzipierung, Präzisierung, Ausgestaltung und Durchführung von Sanktionen festzuhalten sei, dass „all dieses in einer völkerrechtlichen Wüste geschieht“, das Überhandnehmen politischer anstelle rechtlicher Entscheidungskriterien selbstzerstörerisch gewesen sei und die Effektivität und Legitimität von Sanktionen weiter verringert habe.
104 Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
Aus diesem Grunde soll dem wissenschaftlichen Diskurs hier eine weitere Argumentationslinie zur Begründung der Bindung des Sicherheitsrates an Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte hinzugefügt werden. Sie baut auf Erwägungen auf, die gerade das Phänomen der Entstaatlichung besonders berücksichtigen. Der oben vorgestellte öffentlich-rechtliche Ansatz zur Findung von Prinzipien für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene soll es dabei ermöglichen, in Anlehnung an nationale und regionale Rechtsfiguren ein Prinzip für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf UN-Ebene herzuleiten. Dieses Prinzip, das hier UN-Treue genannt wird, betrifft das Verhältnis der UN zu ihren Mitgliedstaaten und hat das Interesse an der Effektivität und Funktionsfähigkeit des 1267Sanktionsregimes im Blick. Es ist im Anschluss an dessen Herleitung danach zu fragen, ob diesem Prinzip eine Bindung des Sicherheitsrates an Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte entnommen werden kann, die dann bei der weiteren Ausgestaltung des 1267-Sanktionsregimes zu beachten wäre.
2. Herleitung des Prinzips der UN-Treue mit Hilfe des öffentlichrechtlichen Ansatzes zur Bildung von Prinzipien für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene Die Herleitung des Prinzips der UN-Treue als eines Prinzips für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene erfolgt anhand des öffentlich-rechtlichen Ansatzes,8 der sich vorliegend insbesondere auf die Rechtsvergleichung zum EU-Recht und zum nationalen Verfassungsrecht sowie auf den Aspekt der internen Konstitutionalisierung, also den Blick in die Satzung der konkreten internationalen Organisation, stützen kann. Es sind daher zunächst die Prinzipien der Unionstreue im Europarecht und das Prinzip der Bundestreue im nationalen Verfassungsrecht zu betrachten.
8
Zum öffentlich-rechtlichen Ansatz zur rechtlichen Fassung für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene s. oben, C.III.2.lit.e.
E. Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
105
a) Rechtsvergleichung: Das Prinzip der Unionstreue im Europarecht und das Prinzip der Bundestreue im nationalen Verfassungsrecht Der öffentlich-rechtliche Ansatz zur Bildung von Prinzipien für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene kommt vorliegend zur Herleitung eines Prinzips der UN-Treue zunächst mit seinem Mittel der (Verfassungs-)Rechtsvergleichung zum Zuge. Die hier vorgenommene Betrachtung des nationalen Verfassungsrechts und des Europarechts kann insoweit als Anleihe an den Konstitutionalisierungsansatz verstanden werden, der neben der Verwendung der Konzepte des internationalen Verwaltungsrechts und des Rechts der internationalen Institutionen ein Mittel des öffentlich-rechtlichen Ansatzes darstellt.9
aa) Das Prinzip der Unionstreue im Europarecht Im Rahmen dieser Rechtsvergleichung fällt Art. 4 Abs. 3 des Vertrages über die Europäische Union in der Fassung des Vertrages von Lissabon (EUV-Lissabon)10 ins Auge, der für das Verhältnis der EU-Mitglied9 10
S. oben, C.III.2.lit.e aa). Der neue Art. 4 Abs. 3 EUV-Lissabon lautet:
„[…] (3) Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben. Die Mitgliedstaaten ergreifen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben. Die Mitgliedstaaten unterstützen die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe und unterlassen alle Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten“. Art. 10 EG lautete: „Die Mitgliedstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Sie erleichtern dieser die Erfüllung ihrer Aufgabe. Sie unterlassen alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses Vertrags gefährden könnten“. Art. 4 Abs. 3 EUV-Lissabon nimmt somit den bisherigen Art. 10 EG auf, nimmt zusätzlich auf den „Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit“ Bezug und bekräftigt damit im Wesentlichen die bisherige Rechtslage, so dass die bisher zu
106 Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
staaten und der EU den Grundsatz der Unionstreue, auch Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit genannt, festlegt.11 Seiner Rechtsnatur nach handelt es sich bei diesem Grundsatz um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz in Gestalt eines fundamentalen Verfassungsstrukturprinzips.12 Inhaltlich bringt der Grundsatz der Unionstreue zum Ausdruck, dass sich das Verhältnis von EU und Mitgliedstaaten an den Prinzipien der Kooperation und Rücksichtnahme im Geiste der Loyalität beziehungsweise von Treu und Glauben zu orientieren hat.13 Bezeichnend ist die ratio der Unionstreue, nämlich: Die Sicherung der Funktionsfähigkeit der EU als einer Rechtsgemeinschaft.14 Nach diesem Gedanken ist die EU als Rechtsgemeinschaft im Interesse der Einheit und Wirksamkeit ihres Rechts auf die unionsrechtskonforme normative, administrative und gerichtliche Durchführung, konkret auf die legislative Umsetzung sowie die administrative und judikative Anwendung ihres Rechts, existenziell angewiesen.15 Die Unionstreue als normativer Ausgangspunkt wird stufenweise mit Hilfe sogenannter Subprinzipien ausdifferenziert und so operationalisiert.16 Der Unionstreue wurde als solches Subprinzip das Kooperationsprinzip entnommen, das Handlungs- wie Unterlassungspflichten und materielle wie verfahrensrechtliche Aspekte umfasst.17 Im Kooperationsprinzip spiegelt sich der funktional-gewaltenteilende Ansatz wi-
Art. 10 EG angestellten Überlegungen und die dazu ergangene Rechtsprechung des EuGH auf die Auslegung des Art. 4 Abs. 3 EUV-Lissabon − wie im Folgenden geschehen − übertragen werden können, vgl. Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, 2009, § 2, S. 74. 11
Vgl. noch zu Art. 10 EGV Kahl, Art. 10 EGV, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Rz. 6. 12 13
Ibid., Rz. 7. So noch zu Art. 10 EGV Streinz, Art. 10 EGV, EUV/EGV, 2003, Rz. 1.
14
So noch zu Art. 10 EGV Kahl, Art. 10 EGV, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Rz. 8; Streinz, Art. 10 EGV, EUV/EGV, 2003, Rz. 1. 15
So noch zu Art. 10 EGV Kahl, Art. 10 EGV, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Rz. 8. 16 17
13 ff.
So begrifflich ders., Rz. 11. So noch zu Art. 10 EGV Hatje, EU-Kommentar, 2009, Art. 10 EG, Rz.
E. Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
107
der, der den meisten Unionspolitiken zugrunde liegt.18 Das zweite Subprinzip der Unionstreue ist das Prinzip der Rücksichtnahme, das ebenfalls Handlungs- und Unterlassungspflichten umfasst.19 Im Einzelnen können Art. 4 Abs. 3 EUV-Lissabon insbesondere Handlungspflichten der Mitgliedstaaten gegenüber der EU im Zusammenhang mit der legislativen Umsetzung, dem administrativen Vollzug und der gerichtlichen Durchsetzung von EU-Recht sowie Handlungspflichten in Bezug auf die Kompetenzwahrnehmung entnommen werden.20 Aus dem Wortlaut des neuen Art. 4 Abs. 3 Uabs. 1 EUV-Lissabon ergibt sich nunmehr eindeutig die Gegenseitigkeit der loyalen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der EU.21 Art. 4 Abs. 3 EUV-Lissabon umfasst damit auch die Pflicht der EU zur Rücksichtnahme auf die legitimen Interessen der Mitgliedstaaten.22 Dies ist im Interesse der Akzeptanz und Funktionsfähigkeit der EU geboten und umfasst alle identitätsprägenden Verfassungsnormen sowie besonders wichtige nationale Interessen.23 Dabei ist klar, dass – schon aufgrund der Unterschiede – nicht jede nationale verfassungsrechtliche Besonderheit berücksichtigt werden kann. Deshalb statuiert Art. 4 Abs. 3 EUV-Lissabon auch keine Bindung der EU an nationales Verfassungsrecht, sondern eine Berücksichtigungspflicht in dem Sinne, dass ein angemessener Ausgleich zwischen der Funktionsfähigkeit der EU und der Einheit und Wirksamkeit ihres Rechts einerseits sowie der Bedeutung und Schwere der Beeinträchtigung der nationalen Verfassungsgüter andererseits anzustreben ist.24 Als Rechtsfolge im Falle eines unverhältnismäßigen Eingriffs folgt aus Art. 4 Abs. 3 EUV-Lissabon eine Kompetenzausübungsschranke.25 Dies be18
So noch zu Art. 10 EGV Kahl, Art. 10 EGV, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Rz. 12. 19
So noch zu Art. 10 EGV Streinz, Art. 10 EGV, EUV/EGV, 2003, Rz. 1 und 13. 20
So noch zu Art. 10 EGV Kahl, Art. 10 EGV, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Rz. 8. 21
So noch zu Art. 10 EGV Bogdandy, Art. 10 EGV, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Band I, April 2009, Rz. 24. 22 23
So noch zu Art. 10 EGV Geiger, Art. 10 EGV, EUV/EGV, 2004, Rz. 5. So noch zu Art. 10 EGV Streinz, Art. 10 EGV, EUV/EGV, 2003, Rz. 48,
51. 24 Vgl. noch zu Art. 10 EGV Kahl, Art. 10 EGV, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Rz. 72. 25
Ibid., Rz. 72.
108 Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
deutet, dass die EU ihre durchaus vorhandene Kompetenz im betreffenden Bereich nur und erst ausüben darf, wenn sie die nationalen Interessen entsprechend berücksichtigt hat. Art. 4 Abs. 3 EUV-Lissabon kann als die Scharnier- bzw. Brückennorm für die „Europäisierung des nationalen Rechts“ angesehen werden, die zu gewährleisten hat, dass die verschiedenen Rechtsordnungen eines Mehrebenensystems in Richtung auf ein gemeineuropäisches Recht miteinander verzahnt werden.26
bb) Das Prinzip der Bundestreue im nationalen Verfassungsrecht Aus dem nationalen Verfassungsrecht ist rechtsvergleichend – stellvertretend etwa für das österreichische, schweizerische und belgische Verfassungsrecht, wo ähnliche Prinzipien bestehen27 – aus dem deutschen Verfassungsrecht die Bundestreue als Ausfluss des Bundesstaatsprinzips in Art. 20 Abs. 1 GG heranzuziehen.28 Das Bundesverfassungsgericht sieht im Anschluss an die Ausführungen bei Smend29 in dem im Bundesstaat geltenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des Föderalismus die Rechtspflicht des Bundes und aller seiner Glieder zu bundesfreundlichem Verhalten niedergelegt, wonach alle an dem verfassungsrechtlichen „Bündnis“ Beteiligten gehalten seien, dem Wesen dieses Bündnisses entsprechend zusammenzuwirken und zu seiner Festigung und zur Wahrung seiner und der wohlverstandenen Belange seiner Glieder beizutragen.30 Weil der Bund nur begrenzte Möglichkeiten hat, die Länder zu gemeinwohlkonformem Handeln zu zwingen, fordert die Kompetenzverteilung des Grundgesetzes die Bundestreue als einendes Gegenprinzip, das die eigenständigen Kompetenzträger zusammenführt und
26
Ibid., Rz. 82.
27
Woelk, Die Verpflichtung zu Treue bzw. Loyalität als inhärentes Prinzip dezentralisierter Systeme?, ZÖR 52 (1997) 4, S. 527, 530 ff., 533 ff., 539 ff., 545. 28 Bauer, Artikel 20, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band II, 2006, Rz. 38. Ausführlich zur Bundestreue Bauer, Die Bundestreue, 1992; aus früherer Zeit Bayer, Die Bundestreue, 1961; noch zur Gemeinschaftstreue Lück, Die Gemeinschaftstreue als allgemeines Rechtsprinzip im Recht der Europäischen Gemeinschaft, 1992. 29
Smend, Ungeschriebenes Verfassungsrecht im monarchischen Bundesstaat, in: Festgabe für Otto Mayer zum 70. Geburtstage, 1916, S. 247, 261. 30
BVerfGE 1, 299 (315).
E. Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
109
in die Mitwirkung fürs Allgemeine einbindet.31 Die Bundestreue greift dabei dort ein, wo die Interessen von Bund und Ländern so auseinanderfallen, dass der eine Teil Schaden nimmt, wenn der andere Teil seine Maßnahmen allein nach seinen Interessen treffen würde.32 Das Prinzip der Bundestreue begründet deshalb wechselseitige Verpflichtungen der Kooperation und Rücksichtnahme33 sowohl zwischen dem Bund und den Ländern als auch zwischen den Ländern untereinander.34 Die Bundestreue ist ein an die Dynamik des Föderalismus gekoppeltes, entwicklungsoffenes Strukturprinzip, das immer wieder aufs Neue zu konkretisieren ist.35 Im Wege solcher Konkretisierung sind ihm die Pflicht des Bundes wie der Länder entnommen worden, bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen die gebotene und ihnen zumutbare Rücksicht auf das Gesamtinteresse des Bundesstaates und auf die Belange der Länder zu nehmen.36 Der Bund muss Aufsichts- und Weisungsrechte ohne übermäßige Beeinträchtigung ausüben und sich vor Abschluss völkerrechtlicher Verträge, die ausschließliche Kompetenzen der Länder berühren, mit diesen verständigen.37 Auch das Einstehen füreinander, etwa im horizontalen Finanzausgleich, ist Element der Bundestreue.38 Im Bereich der Legislative wirkt sich die Bundestreue als Schranke für die Ausübung von Gesetzgebungsbefugnissen aus.39
31
Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1999, § 98, Rz. 154. 32 33
BVerfGE 43, 291 (348). BVerfGE 6, 309 (361).
34
Sommermann, Artikel 20, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 2, 2005, Rz. 37. 35
Ibid.
36
BVerfGE 32, 199 (218), BVerfGE 43, 291 (348), BVerfGE 81, 310 (337), BVerfGE 92, 203 (230). 37
Sommermann, Artikel 20, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 2, 2005, Rz. 39 f. 38 39
Ibid., Rz. 41. BVerfGE 4, 115 (140).
110 Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
cc) Fazit Dieser Blick auf das Europarecht und das nationale Verfassungsrecht zeigt, dass in beiden Bereichen ein Treueprinzip besteht. Dieses Treueprinzip enthält in beiden Fällen die Pflicht zur Kooperation und Rücksichtnahme, und zwar in beide Richtungen – vom Bund zu den Ländern und umgekehrt bzw. von der EU zu ihren Mitgliedstaaten und umgekehrt. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das Treueprinzip ist jeweils eine Kompetenzausübungssperre. Im Ergebnis wird somit deutlich, dass die Treueprinzipien beider Rechtsräume trotz ihrer Geltung einerseits in einem föderalen Bundesstaat und andererseits im Gebilde der EU einen im Wesentlichen identischen Inhalt aufweisen und beide im Interesse der Funktionsfähigkeit der EU bzw. der Bundesrepublik Deutschland wirken. Fraglich ist nun, ob ein derartiges Treueprinzip auch auf völkerrechtlicher Ebene, im vorliegenden Fall im Verhältnis der UN zu ihren Mitgliedstaaten, angenommen werden kann. Eine solche Treuepflicht könnte dann, bezogen gerade auf das 1267-Sanktionsregime, zur Folge haben, dass der Sicherheitsrat in den Fällen, in denen er bei der Einrichtung eines Individualsanktionsregimes Hoheitsgewalt ausübt, auf besonders wichtige nationale Interessen wie die Rechtsstaatlichkeit einschließlich der Wahrung der Menschenrechte Rücksicht zu nehmen hätte. Neben dem soeben angewandten Mittel der Rechtsvergleichung sieht der öffentlich-rechtliche Ansatz zur Ermittlung von Prinzipien für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene auch die Methode der internen Konstitutionalisierung, verstanden als Identifizierung allgemeiner Prinzipien intern, also anhand der Satzung der jeweiligen Organisation, vor.40 Eine solche Analyse soll nun im Folgenden hinsichtlich der UN-Charta und bezogen auf eine der EU- und den nationalen Rechtsordnungen vergleichbare Treuepflicht durchgeführt werden, um so zu ermitteln, ob sich eine derartige Treuepflicht durch die interne Konstitutionalisierung auch für die UN-Ebene herleiten lässt.
40
S. oben, C.III.2.lit.e aa).
E. Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
111
b) Interne Konstitutionalisierung: Analyse der UN-Charta zur Herleitung eines Prinzips der UN-Treue Für die Prüfung der Existenz eines Treueprinzips auf UN-Ebene ist nach der internen Konstitutionalisierung gemäß dem öffentlich-rechtlichen Ansatz zunächst die UN-Charta durchzusehen, um zu prüfen, ob sich aus einzelnen Vorschriften oder der Gesamtheit der Normen ein Anhalt für ein Treueprinzip im Recht der Vereinten Nationen ergibt. Für ein solches Prinzip der Treue, das als Subprinzipien Pflichten zur Kooperation und Rücksichtnahme enthält, finden sich in der UNCharta Hinweise an verschiedenen Stellen. Zu Beginn der UN-Charta findet sich in Kapitel I zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen mit Art. 2 Ziff. 5 UNCh eine Vorschrift, die ihrem Wortlaut nach stark an die in Art. 4 Abs. 3 EUVLissabon niedergelegte Unionstreue erinnert: „Die Organisation und ihre Mitglieder handeln im Verfolg der in Artikel 1 dargelegten Ziele nach folgenden Grundsätzen: […] 5. Alle Mitglieder leisten den Vereinten Nationen jeglichen Beistand bei jeder Maßnahme, welche die Organisation im Einklang mit dieser Charta ergreift; sie leisten einem Staat, gegen den die Organisation Vorbeugungs- oder Zwangsmaßnahmen ergreift, keinen Beistand“.41 Zur Erinnerung: Art. 4 Abs. 3 EUV-Lissabon lautet: „(3) Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben. Die Mitgliedstaaten ergreifen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben. 41
Der verbindliche englische Text von Art. 2 Ziff. 5 UNCh lautet:
“The Organization and its Members, in pursuit of the Purposes stated in Article 1, shall act in accordance with the following Principles: […] 5. All Members shall give the United Nations every assistance in any action it takes in accordance with the present Charter, and shall refrain from giving assistance to any state against which the United Nations is taking preventive or enforcement action”.
112 Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
Die Mitgliedstaaten unterstützen die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe und unterlassen alle Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten“. Wenn man den Wortlaut beider Normen vergleicht, stößt man auf viele Ähnlichkeiten: Während Art. 4 Abs. 3 EUV-Lissabon die Mitgliedstaaten in Unterabsatz 2 zur Ergreifung aller Maßnahmen zur Erfüllung ihrer EU-Verpflichtungen anhält, spricht Unterabsatz 1 von der gegenseitigen Unterstützung von EU und Mitgliedstaaten und Unterabsatz 3 davon, dass die Mitgliedstaaten die EU bei der Erfüllung ihrer Aufgabe unterstützen. Diesen Unterabsätzen 1 und 3 ähnelt Art. 2 Ziff. 5 UNCh, der fordert, dass die UN-Mitglieder den Vereinten Nationen Beistand leisten bei all deren Maßnahmen. Art. 2 Ziff. 5 UNCh kann hier eine Pflicht der UN-Mitglieder gegenüber der Organisation zur Kooperation im Interesse der Verwirklichung der UN-Maßnahmen entnommen werden. Auch Art. 4 Abs. 3 UAbs. 3 2. Halbsatz EUV-Lissabon und der zweite Halbsatz des Art. 2 Ziff. 5 UNCh ähneln sich: Beide handeln von einer Unterlassenspflicht der Mitgliedstaaten, nämlich der Pflicht, insoweit auf die jeweilige Organisation Rücksicht zu nehmen und mit ihr zu kooperieren, als sie Handlungen, die die Erreichung der EU-Vertragsziele bzw. den Erfolg ergriffener UN-Maßnahmen gefährden würden, unterlassen. Beide Vorschriften sind in ihrer Formulierung allgemein und weit: „leisten […] jeglichen Beistand bei jeder Maßnahme“ in Art. 2 Ziff. 5 UNCh und „ergreifen alle geeigneten Maßnahmen“ sowie „unterlassen alle Maßnahmen“ in Art. 4 Abs. 3 EUV-Lissabon. Dies passt zur oben vorgefundenen Konkretisierungsbedürftigkeit des grundsätzlich allgemein gehaltenen Treueprinzips. Auch systematisch betrachtet spricht der Standort des Art. 2 Ziff. 5 UNCh – nämlich prominent in Kapitel I der UN-Charta im Artikel zu den Handlungsprinzipien der UN und der Mitgliedstaaten – für ein allgemeines Prinzip und zugleich für die Wichtigkeit dieses Prinzips. Während die Tatsache, dass sich die Norm nach dem Wortlaut der Art. 2 Ziff. 5 UNCh nur an die Mitgliedstaaten richtet, ihre Argumentationskraft hinsichtlich einer Treuepflicht gerade der UN abschwächt, sind die UN in Ziff. 5 immerhin auch erwähnt und die Einleitung der Norm spricht als Adressaten der Handlungsprinzipien nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern gerade auch die Organisation an. Auch der EuGH ist trotz des insoweit vergleichbaren Wortlauts des Art. 10 EG schon vor der nunmehr ausdrücklichen Normierung der Gegenseitigkeit der Unionstreue in Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 EUV-Lissa-
E. Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
113
bon von einer Gegenseitigkeit der Gemeinschaftstreue im Verhältnis zwischen EG und Mitgliedstaaten ausgegangen.42 Als weitere Norm, die für den Nachweis einer Treuepflicht auf UNEbene nützlichen Aufschluss bieten könnte, kommt Art. 44 UNCh in Betracht. Art. 44 UNCh lautet: „Hat der Sicherheitsrat die Anwendung von Gewalt beschlossen, so lädt er ein in ihm nicht vertretenes Mitglied, bevor er es zur Stellung von Streitkräften auf Grund der nach Artikel 43 übernommenen Verpflichtungen auffordert, auf dessen Wunsch ein, an seinen Beschlüssen über den Einsatz von Kontingenten der Streitkräfte dieses Mitglieds teilzunehmen“.43 Die Vorschrift regelt die Rücksichtnahme des Sicherheitsrates auf Truppensteller durch Gewährung eines Teilnahmerechts. Die Aufnahme der Norm in die UN-Charta ging auf einen Vorschlag Kanadas zurück, das einen besseren Schutz der Interessen der Truppen stellenden Länder forderte.44 Während die Beachtung der Interessen der ständigen Mitglieder durch deren Vetomacht gesichert war, sollten die Interessen anderer Staaten zumindest über Beteiligungsrechte Berücksichtigung finden.45 Art. 44 UNCh betont damit nicht nur ein kooperatives Verhältnis zwischen UN und Mitgliedstaaten, sondern vor allem auch den Rücksichtnahmeaspekt, der ja ebenfalls für das Treueprinzip charakteristisch ist. Systematisch steht Art. 44 UNCh in Kapitel VII der UN-Charta. Dies könnte ein gewisses Indiz für die Annahme einer Rücksichtnahmepflicht der UN gerade im vorliegend untersuchten Fall sein, da das hier behandelte 1267-Sanktionsregime auch nach den Befugnissen des 42
So noch zu Art. 10 EGV Bogdandy, Art. 10 EGV, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Band I, April 2009, Rz. 24 m.w.N. in Rz. 79 ff. 43
Der verbindliche englische Text von Art. 44 UNCh lautet:
“When the Security Council has decided to use force it shall, before calling upon a Member not represented on it to provide armed forces in fulfilment of the obligations assumed under Article 43, invite that Member, if the Member so desires, to participate in the decisions of the Security Council concerning the employment of contingents of that Member’s armed forces”. 44 Bryde/Reinisch, Art. 44, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations – A Commentary, 2002, S. 764. 45
Ibid.
114 Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
Sicherheitsrates unter Kapitel VII der UN-Charta eingerichtet wurde. Allerdings betrifft Art. 44 UNCh nur Maßnahmen der Gewaltanwendung mit entsprechender Truppenstellung. Neben Art. 44 UNCh erscheint daher Art. 50 UNCh noch aussagekräftiger. Art. 50 UNCh verpflichtet den Sicherheitsrat ebenfalls zur Rücksichtnahme auf die Mitgliedstaaten. Art. 50 UNCh lautet: „Ergreift der Sicherheitsrat gegen einen Staat Vorbeugungs- oder Zwangsmaßnahmen, so kann jeder andere Staat, ob Mitglied der Vereinten Nationen oder nicht, den die Durchführung dieser Maßnahmen vor besondere wirtschaftliche Probleme stellt, den Sicherheitsrat zwecks Lösung dieser Probleme konsultieren“.46 In diesem Fall der Drittbetroffenheit hat der von den wirtschaftlichen Problemen tangierte Staat das Recht, den Sicherheitsrat zwecks Lösung der Probleme zu konsultieren. Die Vorschrift bewirkt also, ebenso wie die Bundestreue und die Unionstreue, keine Kompetenzänderung – der Sicherheitsrat behält unter Kapitel VII die Kompetenz, ein derartiges Sanktionsregime einzurichten. Aber im Rahmen der ergriffenen Maßnahmen sind vom Sicherheitsrat die Interessen von Mitglied- und Drittstaaten zu berücksichtigen. Art. 50 UNCh besticht mit Blick auf das hier untersuchte 1267Sanktionsregime durch seine auffallende Passgenauigkeit: Er statuiert – im Gegensatz zu Art. 2 Ziff. 5 UNCh – ein Gebot der Rücksichtnahme mit der Verpflichtungsrichtung Sicherheitsrat (UN-Ebene) gegenüber dem Mitgliedstaat und betrifft – anders als Art. 44 UNCh – nicht nur Maßnahmen des Sicherheitsrates mit Gewaltanwendung. Auch beim 1267-Sanktionsregime geht es um Probleme, die sich bei der Umsetzung ergeben, auch wenn dies nicht wirtschaftliche Probleme, sondern Schwierigkeiten des Rechtsschutzes infolge der Individualbezogenheit der Listung als Terrorist sind. Art. 50 UNCh ist damit diejenige Vorschrift der UN-Charta, die die tragfähigsten Rückschlüsse auf eine bestehende Rücksichtnahmepflicht der UN gegenüber den UN-Mitgliedstaaten zulässt.
46
Der verbindliche englische Text von Art. 50 UNCh lautet:
“If preventive or enforcement measures against any state are taken by the Security Council, any other state, whether a Member of the United Nations or not, which finds itself confronted with special economic problems arising from the carrying out of those measures shall have the right to consult the Security Council with regard to a solution of those problems”.
E. Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
115
Eine weitere Norm zur Kooperation ist Art. 1 Ziff. 3 UNCh, der als Ziel der UN die Verwirklichung einer internationalen Zusammenarbeit bei der Lösung internationaler Probleme und bei der Förderung und Festigung der Achtung der Menschenrechte ausruft. Auch im Kapitel zur Generalversammlung (Kapitel IV) scheint der Gedanke der Kooperation auf, wenn die Generalversammlung sich nach Art. 11 Abs. 1 UNCh mit allgemeinen Grundsätzen der Zusammenarbeit zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit befassen soll und Art. 13 Abs. 1 UNCh ihr aufgibt, Empfehlungen abzugeben, um die internationale Zusammenarbeit auf den Gebieten der Politik, Wirtschaft etc. zu fördern. Nach Art. 43 Abs. 1 UNCh sollen alle Mitgliedstaaten, um so zur Friedenssicherung beizutragen, auf Bitten des Sicherheitsrates Truppen und andere Unterstützung zur Verfügung stellen. Darin zeigt sich der Kooperationsgedanke ebenso wie in Art. 45 UNCh, wonach die UN-Mitglieder schnell verfügbare Luftstreitkräfte bereithalten sollen, um so die UN zur Ergreifung dringender Militärmaßnahmen zu befähigen. Trotz der geringen Bedeutung dieser Norm in der Praxis47 zeigt sich darin doch die Kooperationsidee in der Handlungsaufforderung an die eine Seite (UN-Mitglieder) im Interesse der Verwirklichung des Mandats der anderen Seite (UN). Nach Art. 49 UNCh sollen sich die UN-Mitglieder bei der Durchführung der Maßnahmen des Sicherheitsrats gegenseitig Hilfe leisten. Die Kooperation unter den UN-Mitgliedstaaten betrifft auch Art. 73 lit. d. Dagegen ist im Rahmen des Kapitel IX über die internationale wirtschaftliche und soziale Zusammenarbeit in Art. 56 UNCh mit der Versicherung, zur Erreichung der Ziele des Kapitels in Kooperation mit der UN zu handeln, neben der Kooperation untereinander auch wieder das Verhältnis zu den UN angesprochen. Weitere Aspekte der Rücksichtnahme finden sich in den Artikeln 47 (2), 69, 71, 95, 100 (2) UNCh. Als Zwischenergebnis der Untersuchung der Vorschriften der UNCharta auf Hinweise für Pflichten zur Kooperation und Rücksichtnahme im Verhältnis der UN zu den Mitgliedstaaten folgt somit, dass Art. 2 Ziff. 5 UNCh seinem Inhalt nach stark Art. 4 Abs. 3 EUVLissabon ähnelt, aus dem die Unionstreue gelesen wird. Während Art. 1 Ziff. 3 UNCh Kooperationsaspekte betont, sprechen innerhalb des Kapitel VII insbesondere Art. 44 und Art. 50 UNCh Rücksichtnah-
47
Bryde/Reinisch, Art. 45, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations – A Commentary, 2002, S. 766, 767.
116 Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
mepflichten der UN gegenüber den UN-Mitgliedern an. Wenn dies für eine Übertragung des Treuegedankens auf das Verhältnis der UN zu ihren Mitgliedstaaten spricht, so bleibt noch zu prüfen, ob der Übertragung andere Regeln der Völkerrechtsordnung entgegenstehen.
c) Punktprobe: Übertragbarkeit der den nationalen und regionalen Treuepflichten zugrunde liegenden Grundgedanken auf die UN-Ebene vor dem Hintergrund der Besonderheiten der Völkerrechtsordnung Bevor eine Treuepflicht im Verhältnis der UN zu ihren Mitgliedstaaten angenommen werden kann, bedarf es der Verifizierung, ob das auf der EU- und Bundesebene vorgefundene Treuekonzept auf das Völkerrecht überhaupt übertragbar ist. Im Sinne der „Punktprobe“ ist daher zu fragen, ob diese auf EU- und Bundesebene gefundenen Rechtsgedanken mit dem Völkerrecht gleichsam auf einer Linie liegen oder ob einer Übertragung dieser Gedanken die Spezifika des Völkerrechts entgegenstehen. Dafür ist zunächst nach der ratio zu fragen, die auf nationaler und europäischer Ebene dem Begriff der Bundes- bzw. Unionstreue zugrunde liegt. Für die EU-Ebene wurde mit der Sicherung der Funktionsfähigkeit der EU als einer Rechtsgemeinschaft48 argumentiert und darauf hingewiesen, dass die EU auf die legislative Umsetzung sowie die administrative und judikative Anwendung des von ihr gesetzten Rechts existenziell angewiesen sei.49 Die Idee der Bundestreue ist die eines einenden Gegenprinzips zur Kompetenzverteilung im Bundesstaat, das die eigenständigen Kompetenzträger zusammenführt und in die Mitwirkung fürs Allgemeine einbindet.50 Das Bundesverfassungsgericht hat insofern stärker den Bündnis- und Föderalismusgedanken betont.51
48
So noch zu Art. 10 EGV Kahl, Art. 10 EGV, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Rz. 8. 49
S. oben, noch zu Art. 10 EGV Kahl, Art. 10 EGV, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Rz. 8; Streinz, Art. 10 EGV, EUV/EGV, 2003, Rz. 1. 50
Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1999, § 98, Rz. 154. 51
BVerfGE 32, 199 (218), BVerfGE 43, 291 (348), BVerfGE 81, 310 (337), BVerfGE 92, 203 (230).
E. Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
117
Als Gedanken, die beiden Prinzipien zugrunde liegen, können also die Erkenntnis des Aufeinanderangewiesenseins der beteiligten Kompetenzträger und das Interesse an der Funktionsfähigkeit des Gesamtgebildes formuliert werden. Diese Gedanken müssten auf die UN-Ebene übertragbar sein. Bei der Heranziehung nationaler und regionaler Rechtsregime als Erkenntnisquelle für die völkerrechtliche Ebene ist insbesondere zu beachten, dass in diesen Rechtsordnungen der Souverän zu anderen Rechtssubjekten in einer vertikalen Hirarchie steht.52 Im Gegensatz dazu gilt im Völkerrecht der Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten (Art. 2 Abs. 1 UNCh) und auch internationale Organisationen treten ihren Mitgliedstaaten nicht in übergeordneter Position gegenüber.53 Außerdem ist für das Völkerrecht der Mangel an Durchsetzungsmöglichkeiten charakteristisch.54 Fraglich ist, wie sich diese Unterschiede auf die Übertragbarkeit des Treuegedankens auf die völkerrechtliche Ebene auswirken. Für die Beantwortung dieser Frage sind die dem Treuegedanken zugrunde liegenden Ideen des Aufeinanderangewiesenseins der beteiligten Kompetenzträger und des Interesses an der Funktionsfähigkeit des Gesamtgebildes zu berücksichtigen. Gerade die mangelnde Hierarchie im Völkerrecht und die Abwesenheit supranational in die nationale Rechtsordnung wirkender Akte ebenso wie die mangelnde Durchsetzbarkeit im Völkerrecht zeigen deutlich, dass die völkerrechtliche Ebene, und damit die UN, auf die nationale Ebene dringend angewiesen ist. Diese Angewiesenheit manifestiert sich für die UN auch in Art. 48 UNCh, der eigens auf die Ausführung der Beschlüsse des Sicherheitsrats durch die UN-Mitgliedstaaten hinweist. Somit lässt sich sagen, dass der Gedanke des Aufeinanderangewiesenseins der beteiligten Kompetenzträger durch die Besonderheiten der Völkerrechtsordnung nicht in Frage gestellt wird, sondern im Gegenteil hier besonders zum Tragen kommt. Was die weitere Frage nach einem Interesse an der Funktionsfähigkeit des Gesamtgebildes auch auf UN-Ebene angeht, so ist zunächst festzu52
Vgl. Chesterman, The UN Security Council and the Rule of Law, 2008, Rz. 9 und 12, der für die nationale Ebene hierauf hinweist. 53
Dass nur manche Satzungen internationaler Organisationen Vorrangregeln für die von ihnen erlassenen Rechtsakte vorsehen und solche Vorrangregeln dann ausdrücklich genannt sind, vgl. Schermers/Blokker, International Institutional Law, 2003, S. 1088 f., bestätigt dies gerade. 54
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/3, 2002, § 188, S. 981.
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stellen, dass sich unter anderem aus den genannten Besonderheiten des Völkerrechts ergibt, dass es sich hier, im Gegensatz zum föderal verfassten Bundesstaat und zur Europäischen Gemeinschaft beim „Gesamtgebilde“ der UN nicht um einen Bundesstaat oder einen Staatenverbund55 handelt, sondern um eine besondere Form der Zusammenarbeit mehrerer Staaten unter dem Dach einer internationalen Organisation. Dies bedeutet jedoch nicht, dass kein Interesse an der Funktionsfähigkeit einer solchen internationalen Organisation bestünde. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass manche internationale Organisation von den Gründungsstaaten eher zum Schein gegründet oder mitgetragen wird, um so durch vermeintliche Beteiligung am Menschenrechts- oder Umweltsschutz nach außen gut da zu stehen, so wird man doch grundsätzlich ein Interesse an der Funktionsfähigkeit internationaler Organisationen unterstellen können. Denn in der Regel wird eine internationale Organisation ja gerade wegen der Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben gegründet, die Mandatsumsetzung ist somit gleichsam Existenzgrund der jeweiligen Organisation.56 Die Organisationen sollen ihrem Mandat entsprechen und sind zu diesem Zweck mit Kompetenzen und Privilegien ausgestattet.57 Der Nachweis solcher Privilegien – hier zugunsten der UN – ließe daher auf ein Interesse an der Funktionsfähigkeit der UN schließen. Daher sind im Folgenden solche Privilegien allgemein und sodann ihre Geltung bezüglich der UN zu betrachten. 55
So für die EU BVerfGE 89, 155 (181).
56
Vgl. Schmalenbach, International Organizations or Institutions, General Aspects, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil. com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 39. 57
Ibid.; Feldman, The Role of Constitutional Principles in Protecting International Peace and Security Through International, Supranational and National Legal Institutions, NZJPIL 6 (2008) 1, S. 1, 5, weist aber zu Recht darauf hin, dass für eine als legitim empfundene Inanspruchnahme solcher Privilegien ihr Umfang rechtlich festgelegt und eingehalten werden muss. Fassbender, Targeted Sanctions Imposed by the UN Security Council and Due Process Rights, IOLR 3 (2006) 2, S. 437, 469, sieht gar in der Verleihung des implied powersPrivilegs für sich schon im Falle der Ausübung von Hoheitsgewalt die Verpflichtung der internationalen Organisation, sich an die Grundsätze eines fairen Verfahrens zu halten: “The application of the doctrine of implied powers in the law of international organisations must lead to a recognition of implied duties or obligations. If the recognized practice of an organization develops in a way that it exercises direct authority over individuals, a corresponding duty of that organization to observe standards of due process arises under international law”.
E. Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
119
Allgemein als Privilegien internationaler Organisationen gelten insbesondere die implied-powers-Lehre im Bereich ihrer Kompetenzen und der Grundsatz der Immunität im Bereich ihrer Kontrolle durch nationale Gerichte. Die Immunität internationaler Organisationen vor nationalen Behörden und Gerichten gilt nur zum Zweck der Erfüllung ihrer Funktion.58 Einzelne Privilegien wie die Immunität des Eigentums, des Geländes und der Archive internationaler Organisationen, der Besteuerungsverzicht und die ungestörte Kommunikation werden im Interesse der Unabhängigkeit und Effektivität der internationalen Organisationen gewährt.59 Die implied-powers-Lehre sieht vor, dass internationale Organisationen gewisse, auf ihrer Satzung basierende, aber ungeschriebene Kompetenzen für sich in Anspruch nehmen können, um ihre Aufgaben effektiv erfüllen zu können.60 Die Entstehung der Rechtsfigur der implied powers geht auf die Erkenntnis zurück, dass es sowohl unmöglich ist, jede einzelne Kompetenz in der Satzung einer internationalen Organisation niederzulegen, als auch genau vorauszusehen, welche Kompetenzen nötig sein werden, damit die internationale Organisation ihren Auftrag in Zukunft effektiv erfüllen kann.61 Voraussetzung der Annahme einer Kompetenz ist daher auch, dass diese Kompetenzen notwendig sind zur Erfüllung der Funktionen der Organisation.62 Zum Teil wird von dieser
58
Schmalenbach, International Organizations or Institutions, General Aspects, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil. com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 32 und 34; zur Immunität internationaler Organisationen auch Dupuy, Droit international public, 2006, S. 203 f. 59 Schmalenbach, International Organizations or Institutions, General Aspects, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil. com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 35-38. 60
Vgl. Blokker, International Organizations or Institutions, Implied Powers, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil.com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 3 und 9. 61 62
Ibid., Rz. 5 f.
Der Begriff der implied powers wurde vom IGH erstmals im Fall Reparation for injuries suffered in the services of the United Nations, Advisory Opinion vom 11. April 1949, ICJ Reports 1949, S. 174, 182, gebraucht, wo es heißt: “Under international law, the Organization must be deemed to have those powers which, though not expressly provided in the Charter, are conferred upon it by necessary implication as being essential to the performance of its duties”.
120 Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
Möglichkeit ungeschriebener Kompetenzen auch in der Satzung der Organisation selbst ausgegangen.63 Für die Antwort auf die Frage, inwieweit die Privilegien der Immunität und der implied powers-Lehre auch für die UN gelten, ist zu untersuchen, inwieweit sich der UN-Charta Hinweise darauf entnehmen lassen. Eine Regel, die die Effektivität der UN stärken soll, findet sich explizit in Art. 104 UNCh, wonach die UN in jedem UN-Mitgliedstaat „…such legal capacity as may be necessary for the exercise of its functions and the fulfilment of its purposes“ genießen soll. Während die Rechtsfähigkeit Voraussetzung für jedes rechtliche Handeln und damit schon conditio sine qua non für das Funktionieren der UN an sich ist, stellt die Gewährung von Privilegien und Immunitäten in Art. 105 UNCh eindeutiger ein Entgegenkommen im Interesse der Effektivität der UN dar. Art. 105 Abs. 1 UNCh formuliert insofern recht großzügig: “The Organization shall enjoy in the territory of each of its Members such privileges and immunities as are necessary for the fulfilment of its purposes’’. Auch wenn diese Privilegien nicht unbegrenzt zu gewähren, sondern auf die funktionale Notwendigkeit reduziert sind,64 so sind sie doch zum Zweck der Erhöhung der Effektivität der Arbeit der UN verliehen. Die Gewährung von implied powers, also ungeschriebenen Kompetenzen zur effektiven Aufgabenerfüllung, wird für die UN ebenfalls bejaht.65 Die betrachteten Vorschriften der UN-Charta zeigen, dass Privilegien der UN ausdrücklich normiert sind. Dies belegt das Interesse an der Funktionsfähigkeit der UN. Nach alledem kann als Ergebnis der Prüfung der den nationalen und regionalen Treuepflichten zugrundeliegenden Gedanken festgehalten werden: Die oben dargestellten Grundgedanken der Bundes- und der 63
So in Art. 5 Abs. 1 des Übereinkommens zur Gründung der Europäischen Organisation für die Nutzung von Meteorologischen Satelliten (EUMETSAT) vom 24. Mai 1983, BGBl. II, 7. Mai 1987, S. 256 ff., in Kraft getreten für Deutschland am 19. Juni 1986: “The Council shall have the powers to adopt all the measures necessary for the implementation of this Convention”. 64
Gerster/Rotenberg, Art. 105, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, A Commentary, Band II, 2002, S. 1314, 1317. 65
Ress, Interpretation, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, A Commentary, Band I, 2002, S. 13, 15, 31.
E. Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
121
Unionstreue, nämlich das Aufeinanderangewiesensein der Beteiligten und das Interesse an der Funktionsfähigkeit des Ganzen sind auf das Verhältnis der UN zu ihren Mitgliedern beide übertragbar. Der Gedanke des Aufeinanderangewiesenseins der beteiligten Kompetenzträger ist im Völkerrecht wegen fehlender Hierarchie und Durchsetzbarkeit sogar besonders wichtig. Das Interesse an der Funktionsfähigkeit der UN manifestiert sich in der Verleihung des Privilegs der Immunität und der Anwendung der implied powers-Lehre.
d) Fazit Damit zeigt sich im Ergebnis, dass sich ein Prinzip der UN-Treue mit Hilfe des öffentlich-rechtlichen Ansatzes zur Findung von Prinzipien für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene und der von ihm umfassten Mittel der Rechtsvergleichung sowie der internen Konstitutionalisierung herleiten lässt. Unter dem Begriff der UNTreue kann zusammenfassend die Pflicht zur Kooperation und Rücksichtnahme im Rechtsverkehr zwischen den UN und ihren Mitgliedstaaten verstanden werden. Dabei wirken diese Pflichten in beide Richtungen, sie gelten also nicht nur für die Staaten im Verhältnis zu den UN, sondern auch in der entgegengesetzten Richtung für die Organisation gegenüber den Staaten.66 Die UN-Treue kann dabei als Rechtsprinzip bezeichnet werden, da sie mit den Pflichten der Kooperation und Rücksichtnahme Maßstäbe für die Beurteilung des Handelns der UN als rechtswidrig bzw. rechtmäßig bereit stellt.67 Zugleich ist sie aber flexibel ausgestaltet und gibt aus sich heraus gerade keine starren Regeln mit fester Rechtsfolge vor.
66
Diese Wirkrichtung lässt sich mit Art. 44 und Art. 50 UNCh belegen, s.o., E.I.2.lit.b. 67
Vgl. zu solchen Rechtsprinzipien Bogdandy, General Principles of International Public Authority: Sketching a Research Field, in: Bogdandy/Wolfrum/ Bernstorff/Dann/Goldmann (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions, Advancing International Institutional Law, 2010, S. 727, 732 ff.
122 Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
II. Inhalt des Prinzips der UN-Treue 1. Inhalt des Prinzips im Allgemeinen Der Inhalt des Prinzips der UN-Treue umfasst nach der Analyse der UN-Charta als Subprinzipien allgemein die Pflichten zur Kooperation und Rücksichtnahme. Wie diese Subprinzipien in Bezug auf ein konkretes Handeln der UN auszudifferenzieren sind, unterliegt der Entscheidung im Einzelfall.
2. Inhalt des Prinzips der UN-Treue bezogen auf den Forschungsgegenstand des 1267-Sanktionsregimes a) Berücksichtigung der Besonderheiten des 1267-Regimes Bei der Bestimmung des Inhalts der Treuepflicht ist in Erinnerung zu rufen, dass sich aus ihr für die UN und ihre Organe eine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der UN-Mitgliedstaaten ergibt. Daher müssen bei der Konkretisierung der Inhalte der Treuepflicht bezogen auf das hier untersuchte Sanktionsregime die Besonderheiten des 1267-Regimes betrachtet und es muss daraus die Interessenlage auf Seiten der Mitgliedstaaten deduziert werden. Wie bereits gezeigt wurde,68 wird im 1267-Sanktionsregime durch den Sicherheitsrat Hoheitsgewalt ausgeübt. Dies geschieht bei der Listung der Einzelnen durch das Sanktionskomitee als seinem Unterorgan. Das Sanktionskomitee hat somit die Rechtsmacht, im Wege der Listung andere, nämlich die Gelisteten, zu determinieren und durch die Sanktionen der Kontensperrung, des Ein- und Durchreiseverbots sowie des Waffenembargos in ihrer Freiheit einzuschränken. Die Situation der Gelisteten wird damit durch die UN einseitig gestaltet. Das 1267-Sanktionregime ist damit ein Fall der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene. Durch die abschließend auf UN-Ebene festgelegte Liste von Personen, zu deren Sanktionierung die Mitgliedstaaten dann nach Art. 25 UNCh verpflichtet sind, erfolgen „quasi-unmittelbare“ Eingriffe in die Rechte von Individuen.69 Diese Ausübung von Hoheitsgewalt hat Bedenken hinsichtlich ihrer Legitimation hervorge-
68 69
S. oben, C.II.5. S. oben, B.III.1.
E. Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
123
rufen.70 Viele gelistete Einzelpersonen fühlen sich in ihren Menschenrechten verletzt und haben ihre Listung und das Sanktionsregime gerichtlich angegriffen.71 Die betroffenen Gelisteten begehren so den Schutz ihrer Menschenrechte. Dieser Schutz steht aber gerade im 1267Regime in engem Zusammenhang mit einer rechtsstaatlichen Verfahrensausgestaltung, was eine Geltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit im Aktionsbereich der UN nahe legen würde. Denn wegen des erforderlichen Überraschungseffekts der Finanzsanktionen muss eine Anhörung vor der Listung unterbleiben und die Sicherung des Menschenrechstschutzes ist deshalb auf eine Sicherung durch ein rechtsstaatliches Verfahren angewiesen, es handelt sich insoweit also um Menschenrechtsschutz durch Verfahren.72 Dieser Zusammenhang von Menschenrechtsschutz und Rechtsstaatlichkeit im Bereich der UN zeigt sich auch in anderen Reaktionen auf das 1267-Regime. Auch Parlamentarier haben schon ihre Bedenken hinsichtlich der Sanktionen geäußert und Vorstöße zur Einführung rechtsstaatlicher Regeln in das 1267-Regime initiiert.73 Sie forderten dabei die Sicherung von Rechtsstaatlichkeit und hierfür die Schaffung von effektivem Rechtsschutz bei der Terrorismusbekämpfung.74 Die Durchführung von Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung dürfe nicht dazu führen, dass rechtsstaatliche Grundsätze und die Achtung der Menschenrechte ausgehebelt oder gar aufge70
Vgl. Gowlland-Debbas, The Functions of the United Nations Security Council in the International Legal System, in: Byers (Hrsg.), The Role of Law in International Politics: Essays in International Relations and International Law, 2000, S. 277, 302. 71
S. unten, H.I.
72
Die Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 enthält in ihrer Präambel die dazu passende Passage: “human rights should be protected by the rule of law”. Fitschen, Inventing the Rule of Law for the United Nations, Max Planck UNYB 12 (2008), S. 347, 356, entnimmt dieser Präambel die Funktion der „rule of law“ zur verfahrensrechtlichen Absicherung des Menschenrechtsschutzes: “…seems to suggest that the rule of law is the formal and procedural safeguard against violations of human rights”. 73
Rechtsschutzlücken bei der Terrorismusbekämpfung schließen, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bundestagsdrucksache 16/821, vom 7. März 2006; Rechtsstaatlichkeit sichern – Effektiven Rechtsschutz bei der Terrorismusbekämpfung schaffen, Antrag der Fraktion der FDP, Bundestagsdrucksache 16/8903, vom 23. April 2008. 74 Rechtsstaatlichkeit sichern – Effektiven Rechtsschutz bei der Terrorismusbekämpfung schaffen, Antrag der Fraktion der FDP, Bundestagsdrucksache 16/8903, vom 23. April 2008, S. 1.
124 Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
geben würden.75 Bislang sei es nicht gelungen, dem Gelisteten im 1267Regime einen Rechtsschutz zu eröffnen, der rechtsstaatlichen Anforderungen genügte.76 Deshalb solle der Bundestag die Bundesregierung auffordern, auf die Mitglieder im UN-Sicherheitsrat und im Sanktionskomitee dahingehend einzuwirken, dass verfahrensbezogene und materiell-rechtliche Standards des effektiven Rechtsschutzes der Betroffenen im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens garantiert würden.77 Im Rat der EU solle sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die Praxis der vorbehaltlosen Übernahme der UN-Terrorliste ohne eigene Überprüfung seitens der EU eingestellt werde.78 Dies zeigt, dass der fehlende Menschenrechtsschutz im 1267-Regime zu Ablehnung und Nichtumsetzung der UN-Maßnahmen führen kann.79 Die Interessen der Betroffenen finden so Eingang in die parlamentarische Debatte und können so zu Interessen der Regierungen vieler UN-Mitgliedstaaten werden, die dann von den UN in Erfüllung ihrer Treuepflicht zu berücksichten wären. Dass verschiedene Staaten ein Interesse an der Schaffung rechtsstaatlicher Strukturen haben, beweist auch die Bestellung mehrerer Rechtsgutachten mit dem Ziel der Verbesserung des Individualschutzes im 1267-Regime.80 In ihrem Bezug auf Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit weisen sie auf die aktuelle Debatte über die Geltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit im Recht der UN hin, auf die an dieser Stelle kurz eingegangen werden soll.
75 76 77 78
Ibid. Ibid., S. 2. Ibid., S. 3. Ibid., S. 4.
79
Vgl. Griller, International Law, Human Rights and the European Community’s Autonomous Legal Order: Notes on the European Court of Justice Decision in Kadi, EuConst 4 (2008) 3, S. 528, 547. 80
Etwa Biersteker/Eckert (Hrsg.), Strengthening Targeted Sanctions by Addressing Due Process Concerns, Watson Institute, White Paper, 2006, http://www.watsoninstitute.org/pub/Strengthening_Targeted_Sanctions.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010).
E. Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
125
b) Die aktuelle Debatte über die Geltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit im Recht der UN Die Idee der Geltung rechtsstaatlicher Prinzipien für die Arbeit der UN81 wurde am deutlichsten vom Generalsekretär der UN im Zusammenhang mit der Tätigkeit der UN in Konfliktregionen und beim Wiederaufbau von Gesellschaften nach beendeten Konflikten angesprochen.82 Dabei werden als Elemente der „rule of law“ folgende Einzelpunkte genannt: Die Bindung an Gesetze, die öffentlich verkündet, nach dem Grundsatz der Gleichheit durchgesetzt und über die von unabhängigen Instanzen entschieden wird und die außerdem inhaltlich mit den internationalen Menschenrechten in Einklang stehen. Des Weiteren sind Prinzipien wie Vorrang des Gesetzes, Rechtssicherheit, Transparenz, Gleichheit vor dem Gesetz, Fairness, Gewaltenteilung und das Willkürverbot angesprochen. Diese Inhalte sind vor allem Standards für die Rechtsordnungen in den Mitgliedstaaten.83 Wegen ihres Bezugs auf Konfliktsituationen in bestimmten Staaten und Gesellschaften dürften die Aussagen so zu verstehen sein, dass die genannten Standards das Handeln der UN selbst nur insoweit anleiten, als die UN in Krisengebieten tätig ist.
81
s. hierzu etwa Fitschen, Inventing the Rule of Law for the United Nations, Max Planck UNYB 12 (2008), S. 347 ff.; Barriga/Alday, The General Assembly and the Rule of Law: Daring to Succeed? The Perspective of Member States, Max Planck UNYB 12 (2008), S. 381 ff.; Bühler, The Austrian Rule of Law Initiative 2004-2008. The Panel Series, the Advisory Group and the Final Report on the UN Security Council and the Rule of Law, Max Planck UNYB 12 (2008), S. 409 ff.; Chesterman, The UN Security Council and the Rule of Law, 2008, Rz. 11. Die Schwierigkeiten einer Geltung der „rule of law“ im Völkerrecht bespricht Palombella, The rule of law beyond the state: Failures, Promises, and Theory, International Journal of Constitutional Law 7 (2009) 3, S. 442, 464 ff., und schlägt als mögliche Lösung die Anwendung von Regeln der Anerkennung vor. 82
The Rule of Law and Transitional Justice in Conflict and Post Conflict Societies, Report of the Secretary-General, S/2004/616, 23. August 2004. 83
Fitschen, Inventing the Rule of Law for the United Nations, Max Planck UNYB 12 (2008), S. 347, 352, betont dabei, dass mangels Einschränkung im Dokument des Generalsekretärs diese Standards auf alle Gesellschaften zutrafen, unabhängig davon, ob eine Konfliktsituation vorliege.
126 Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
Eine Ausweitung der Geltung der „rule of law“ auf die Arbeit der UN insgesamt wird aber in einem Bericht84 vertreten, der insbesondere auf Initiative Österreichs rechtsstaatliche Bedenken hinsichtlich der Arbeit der UN, gerade auch im 1267-Regime, formuliert.85 In dem Bericht werden konkrete Empfehlungen gemacht, deren Beachtung in pragmatischer Weise und ohne dass eine Ergänzung der UN-Charta notwendig würde die Rolle des Sicherheitsrats bei der Stärkung eines auf Rechtsregeln gestützten internationalen Systems verbessern und die Sicherung des Weltfriedens unter Geltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit garantieren soll.86 Der Tenor des Berichts87 bestätigt die bisher in dieser Arbeit angeführten Bedenken bezüglich der Beachtung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit im 1267-Regime: Der Sicherheitsrat habe seinen Aktionsradius unter Kapitel VII stark ausgeweitet, was die Frage aufgeworfen habe, inwieweit er sich selber an die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit halte. Wegen fehlender formaler Überprüfungsmöglichkeiten von Sicherheitsratsentscheidungen komme es zu Angriffen auf die Autorität des Sicherheitsrats dadurch, dass Mitgliedstaaten sich weigerten, sich an seine Beschlüsse zu halten. Bei den Individualsanktionen sei es etwa zu Gerichtsverfahren gekommen und es gebe Belege, dass die Sanktionen nicht immer strikt angewandt würden. Der Sicherheitsrat solle daher faire und klare Verfahrensregeln anwenden, um die Rechte der betroffenen Individuen zu schützen. Seine Arbeit erreiche die höchste Legitimität und sei am effektivsten, wenn er sich den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit unterwerfe. Der Bericht bleibt al84
Chesterman, The UN Security Council and the Rule of Law, 2008; auch Nollkaemper, The Internationalized Rule of Law, HJRL 1 (2009) 1, S. 74, 78, der allerdings begrifflich abweichend eine „internationalized rule of law“ als Ziel ausruft, meint: “Focal points of rule of law development should include the power of international law to help establish and reform domestic judiciaries where these are deficient, but also the power of domestic courts to supply judicial review missing at international level and safeguarding internationally protected rights”. Auch Klabbers, Kadi Justice at the Security Council?, IOLR 4 (2007) 2, S. 293, 303 sieht die Notwendigkeit der Einrichtung der „rule of law“ auf UN-Ebene. Zur „rule of law“ im internationalen Zusammenhang Waldron, The Rule of International Law, Harvard Journal of Law & Public Policy 30 (2006/2007) 1, S. 15 ff. 85
Chesterman, The UN Security Council and the Rule of Law, 2008, Rz.
42. 86 87
Ibid., Rz. 5 f.
Chesterman, The UN Security Council and the Rule of Law, 2008, Executive Summary.
E. Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
127
lerdings die genaue Begründung schuldig, woraus sich – abgesehen von praktischen Erwägungen – die Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit normativ ergibt. Es findet sich nur die nicht weiter fundierte Idee, rechtsstaatliche Prinzipien der nationalen Ebene auf die völkerrechtliche Ebene zu übertragen.88
c) Zwischenfazit Hinsichtlich des Inhalts des Prinzips der UN-Treue bezogen auf das 1267-Regime ergibt sich somit, dass insoweit die Ausprägung der Treuepflicht als Rücksichtnahmegebot der UN gegenüber den UNMitgliedstaaten zum Tragen kommt. Wollen die UN ihrem Auftrag, effektiv zu handeln,89 nachkommen und als Voraussetzung dafür Beschlüsse fassen und Sanktionsregime einrichten, die hinreichend akzeptiert und von den UN-Mitgliedern als legitim empfunden werden, so müssen sie daher auf das Interesse der Mitgliedstaaten an einer rechtsstaatlichen,90 menschenrechtskonformen91 Ausgestaltung solcher Sanktionsregime Rücksicht nehmen.92 Insoweit werden die UN und damit 88
Chesterman, The UN Security Council and the Rule of Law, 2008, Executive Summary, lit. (ii). 89
Die Glaubwürdigkeit der UN und die Effektivität ihres Kampfes gegen den Terrorismus im Rahmen des 1267-Regimes sieht auch Fremuth, Private im Fadenkreuz des Sicherheitsrats, Vereinte Nationen 57 (2009) 3, S. 111, 116, gefährdet. 90
Auch Keller/Fischer, The UN Anti-terror Sanctions Regime under Pressure, HRLR 9 (2009) 2, S. 257, 266 sehen ein faires, rechtsstaatliches Verfahren als Voraussetzung für ein legitimes und damit effektives 1267-Regime an. 91
Für die Beachtung der Menschenrechte im Kampf gegen den Terrorismus auch Laborde/DeFeo, Problems and Prospects of Implementing UN Action against Terrorism, JICJ 4 (2006) 5, S. 1087, 1103: “The prospect of implementing UN action against terrorism by explicitly integrating effective preventive measures and faithful observance of human rights obligations promises a synergistic effect – that public respect for the rule of law will not only be safeguarded but multiplied when terrorist violence is prevented, rather than merely punished”. Dagegen plädiert Uruena, International Law as Administration: The UN’s 1267 Sanctions Committee and the Making of the War on Terror, IOLR 4 (2007) 2, S. 321, 338, im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung dafür, über den Tellerrand des Menschenrechtsdiskurses hinauszublicken. 92
Damit wird der bisherigen Sichtweise des Sicherheitsrats eine Absage erteilt. Feldman, The Role of Constitutional Principles in Protecting International Peace and Security Through International, Supranational and National Legal
128 Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
der Sicherheitsrat und seine Unterorgane bei der Ausübung der dem Sicherheitsrat zustehenden – und, soweit ersichtlich, auch nicht ernsthaft bestrittenen93 – Kompetenz, Individualsanktionsregime einzurichten, durch die Treuepflicht gegenüber den UN-Mitgliedstaaten eingeschränkt und zu einer Berücksichtigung rechtsstaatlicher Grundsätze und insbesondere der Menschenrechte bei der Ausgestaltung solcher Sanktionsregime verpflichtet.
3. Zwischenfazit zum Inhalt der UN-Treue Somit lässt sich zur Frage des Inhalts der UN-Treuepflicht festhalten, dass eine solche im Verhältnis – auch – der UN zu den UN-Mitgliedern besteht und im Rahmen des 1267-Sanktionsregimes bewirkt, dass auf das Interesse der Mitgliedstaaten an einer rechtsstaatlichen, menschenrechtskonformen Ausgestaltung dieses Sanktionsregimes Rücksicht zu nehmen ist.
Institutions, NZJPIL 6 (2008) 1, S. 1, 29, weist insofern treffend darauf hin, dass aus Sicht des Sicherheitsrats eher zwei verschiedene Maßstäbe der Rechtsstaatlichkeit anzuwenden sind: Der eine enthält ein korrektes Verfahren und Rechtsschutz und wird von den internationalen Organisationen den Staaten auferlegt, der andere sieht vor, dass Terroristen um jeden Preis verfolgt werden müssen, selbst wenn dabei Verfahrensrechte und Rechtsschutz verletzt werden müssen und gilt für die internationalen Akteure. 93
Die Individualbeschwerdeführer in dem Verfahren vor dem Human Rights Committee hatten vertreten, dass es sich bei der Listung im 1267-Regime um einen Akt ultra vires handele (s. Sayadi und Vinck gegen Belgien, Erwägungen des Menschenrechtsausschusses, Mitteilung Nr. 1472/2006 vom 29. Dezember 2008, CCPR/C/94/D/1472/2006, Ziff. 5.6. und 5.7.). Daran kann man denken, eine klare Feststellung eines Aktes als ultra vires, die eine trennscharfe Abgrenzung kompetenzgemäßer Handlungen von kompetenzwidrigem Agieren erfordert, stößt aber gerade im Fall des Sicherheitsratshandelns unter Kapitel VII der UN-Charta wegen des großen Spielraums, der dem Sicherheitsrat hier belassen ist, auf erhebliche Schwierigkeiten. Belgien argumentierte dagegen, dass es allgemein anerkannt sei, dass Terrorismus eine Bedrohung des Friedens im Sinne des Kapitel VII sei (vgl. a.a.O., Ziff. 6.1.). Auch das Human Rights Committee ist in dem besagten Verfahren dem Argument eines ultra viresAktes nicht gefolgt.
E. Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
129
III. Inhalt der vom Sicherheitsrat zu berücksichtigenden rechtsstaatlichen Grundsätze 1. Herleitung des Inhalts der vom Sicherheitsrat zu berücksichtigenden rechtsstaatlichen Grundsätze Zu bestimmen bleibt noch der Inhalt der vom Sicherheitsrat zu berücksichtigenden rechtsstaatlichen Grundsätze und Menschenrechte. Um diesen Inhalt festzustellen, muss zunächst geklärt werden, woraus sich der zu bestimmende Maßstab speist. Die Menschenrechte, die im Rahmen des 1267-Regimes berührt sein können, sind das Recht auf Freizügigkeit,94 das Eigentumsrecht,95 das Recht auf Privatheit96 und den guten Ruf,97 eher am Rande das Recht auf Leben98 und die Religionsfreiheit.99 Außerdem betroffen sind das Recht auf Zugang zu einem Gericht, das Recht auf ein faires Verfahren100 und das Recht auf effektiven Rechtsschutz.101 Mehrere Autoren haben Verbesserungen des 1267-Regimes und die dabei zu beachtenden Menschenrechte vorgeschlagen: Chesterman etwa tritt – gestützt auf eine Betrachtung der Rechtstraditionen zur rule of law102 – für „fair and clear procedures“ und dabei unter anderem für die Gewährung eines Rechts auf Information und Anhörung sowie für effektiven Rechtsschutz ein,103 Fassbender entnimmt das Recht auf ein
94 95 96 97 98 99 100 101 102 103
Art. 13 AllgErkl. MR, Art. 12 IPbpR und Art. 2 des 4. ZP EMRK. Art. 17 AllgErkl. MR, Art. 1 des 1. ZP EMRK. Art. 12 AllgErkl. MR, Art. 17 IPbpR und Art. 8 EMRK. Art. 12 AllgErkl. MR, Art. 17 IPbpR und Art. 10 EMRK. Art. 3 AllgErkl. MR, Art. 6 IPbpR und Art. 2 EMRK. Art. 18 AllgErkl. MR, Art. 18 IPbpR und Art. 9 EMRK. Art. 10 AllgErkl. MR, Art. 14 Abs. 1 IPbpR und Art. 6 EMRK. Art. 8 AllgErkl. MR, Art. 2 Abs. 3 IPbpR und Art. 13 EMRK. Chesterman, The Security Council and the Rule of Law, 2008, Rz. 11.
Sein Ansatz der rule of law für die UN-Ebene, Chesterman, The UN Security Council and the Rule of Law, 2008, Rz. 7 ff., ist dabei jedenfalls teilweise gestützt auf den Vorschlag von Bothe, s. unten, G.I.3.lit.d bb)(1).
130 Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
faires Verfahren (zumindest auch) der UN-Charta,104 Cameron zieht die EMRK heran.105 Der vorliegend vertretene Ansatz der Rücksichtnahme auf das Interesse der Mitgliedstaaten an Rechtsstaatlichkeit bei der Ausgestaltung des 1267-Sanktionsregimes hat sich jedoch an den insoweit sichtbar gewordenen Interessen der Staaten zu orientieren, durch die ein Mangel an Rechtsstaatlichkeit geltend gemacht wird. Denn gerade von der Berücksichtigung ihrer Kritik hängt die Akzeptanz und damit auch die Funktionsfähigkeit des 1267-Regimes ab. Wenn man betrachtet, welche Staaten sich insbesondere für eine rechtsstaatliche Ausgestaltung des 1267-Regimes stark gemacht haben und wo die Listungen oder andere Aspekte des Sanktionsregimes national oder regional angegriffen und gerichtlich überprüft worden sind, so ergibt sich, dass es sich dabei um ganz verschiedene Staaten, etwa neben europäischen Staaten (Belgien, Schweiz, Italien, Niederlande, Vereinigtes Königreich) und den USA um die Türkei und Pakistan, handelt.106 Das 1267-Regime ist damit, wenn freilich auch nicht in jedem einzelnen Staat, so doch auf breiter Front und unter unterschiedlichen Aspekten (Listung oder konkrete Sanktion) angegriffen worden.107 Dies legt es nahe, der weiteren Untersuchung die universellen Menschenrechtsstandards und somit die internationalen Menschenrechtsverträge, also insbesondere den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) zugrunde zu legen. So kann auf die Interessen dieser Staaten an einer rechtsstaatlichen und menschenrechtskon104
Fassbender, Targeted Sanctions Imposed by the UN Security Council and Due Process Rights, IOLR 3 (2006) 2, S. 437, 473. 105 Cameron, UN Targeted Sanctions, Legal Safeguards and the European Convention on Human Rights, NJIL 72 (2003) 2, S. 159 ff.; Council of Europe, The ECHR, Due Process and UN Security Council Counter-Terrorism Sanctions, Bericht von Iain Cameron vom 6. Februar 2006. 106 Bierstecker/Eckert (Hrsg.), Strengthening Targeted Sanctions by Addressing Due Process Concerns, Watson Institute, White Paper, 2006, http://www. watsoninstitute.org/pub/Strengthening_Targeted_Sanctions.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010), S. 10. In Annex I des neunten Berichts des Monitoring Teams, Ninth Report of the Analytical Support and Sanctions Monitoring Team pursuant to resolution 1822 (2008) concerning Al-Qaida and the Taliban and associated individuals and entities, S/2009/245, vom 13. Mai 2009, S. 37, sind als Länder, in denen einschlägige Rechtsstreitigkeiten anhängig sind, genannt: Pakistan, Schweiz, Türkei, Vereinigtes Königreich, USA. 107
S. unten, H.
E. Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
131
formen Ausgestaltung des Sanktionsregimes Rücksicht genommen werden und es lässt sich somit konkretisieren, wie die UN im Rahmen des 1267-Regimes ihrer Treuepflicht gegenüber ihren Mitgliedern nachzukommen haben. Bei der Suche nach einer Bestimmung der genauen rechtsstaatlichen Inhalte gerät insbesondere die Resolution 1597 (2008) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in den Blick. Diese Resolution legt ganz gezielt die Inhalte notwendiger Rechtsstaatlichkeit gerade für UNSanktionsregime unter besonderer Berücksichtigung des 1267-Sanktionsregimes fest. Die Resolution ist für die vorliegende Untersuchung von Interesse, weil sie sich explizit gerade auch auf die Inhalte des Internationalen Pakts (IPbpR) stützt und somit auf das 1267-Regime bezogene Konkretisierungen der hier anwendbaren universellen Menschenrechte enthält. Außerdem ist wichtig, dass die Parlamentarische Versammlung aus Vertretern aller Mitglieder des Europarates besteht, die von deren Parlamenten aus deren Mitte gewählt oder nach einem von den Parlamenten bestimmten Verfahren aus deren Mitte ernannt werden.108 Dies bedeutet, dass die Resolutionen der Parlamentarischen Versammlung, auch wenn deren Vertreter nicht direkt vom Volk gewählt sind und die Resolutionen nur empfehlenden Charakter gegenüber dem Ministerkomitee haben,109 dennoch aufgrund der recht breiten Mitgliedschaft im Europarat zumindest als Anhaltspunkt eines internationalen Rechtsverständnisses in Bezug auf das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit verstanden werden können. Natürlich muss berücksichtigt werden, dass ein Dokument des Europarats nicht als universell geltendes Dokument der internationalen Gemeinschaft anzusehen ist. In dem Dokument wird aber, wie erwähnt, ausdrücklich auf den Internationalen Pakt (IPbpR) verwiesen, der ein universeller Menschenrechtsvertrag ist und bei der Formulierung der Inhalte der Resolution des Europarats offensichtlich berücksichtigt wurde. Außerdem ist die Anzahl der hinter der Resolution stehenden Staaten recht groß – die Zahl der Mitglieder des Europarates unterscheidet sich mit 47 deutlich von der Zahl der 27 EU-Mitgliedstaaten, so dass hinsichtlich der Inhalte der Resolution keinesfalls von einer verengten Sicht der EU-Staaten gesprochen werden kann. Zugleich sind mit diesem Kreis der Staaten des Europarats gerade auch eine große Zahl der Staaten erfasst, in denen das 1267Regime angegriffen wurde und die somit als Bedenkenträger hinsichtlich der Ausgestaltung des 1267-Regimes in Erscheinung getreten sind. 108 109
Art. 25 lit. a der Satzung des Europarats. Art. 23 lit. a der Satzung des Europarats.
132 Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
Hinzu kommt, dass die Resolution gerade auf das 1267-Regime zugeschnitten ist und daher für eine Verwendung im Rahmen der vorliegenden Untersuchung besonders geeignet erscheint. Im Bewusstsein ihres nicht universellen Charakters soll die Resolution daher mit Blick auf ihre thematische Einschlägigkeit und die immerhin recht breite internationale Akzeptanz ihrer Inhalte mit der nötigen Vorsicht für die Zwecke dieser Arbeit als repräsentativ für die Vorstellungen der Staaten hinsichtlich der rechtsstaatlichen und menschenrechtskonformen Ausgestaltung des 1267-Regimes angesehen und herangezogen werden. Auf diese Resolution 1597 (2008), die von der Parlamentarischen Versammlung am 23. Januar 2008 angenommen wurde, wurde in der Empfehlung 1824 (2008) an das Ministerkomitee des Europarates vom selben Tag Bezug genommen.110 Das Ministerkomitee bekräftigte, dass der Europarat weiterhin seine Ansichten zu den Individualsanktionen mit den UN und der EU vermittels seines Komitees der Völkerrechtsberater austauschen werde, vor allem nach Erlass der Urteile zu den (damals) noch anhängigen, einschlägigen Verfahren vor dem EuGH.111
2. Konkreter Inhalt der vom Sicherheitsrat zu berücksichtigenden rechtsstaatlichen Grundsätze Nach dem oben Gesagten soll der folgende Inhalt der Resolution 1597 (2008) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates als Maßstab112 der zu berücksichtigenden Rechtsstaatlichkeit gelten: “1. The Parliamentary Assembly reaffirms that terrorism can and must be fought effectively with means that respect and preserve human rights and the rule of law.
110
Council of Europe, Parliamentary Assembly, Recommendation 1824 (2008), angenommen am 23. Januar 2008. 111
Council of Europe, Parliamentary Assembly, United Nations Security Council and European Union blacklists, Recommendation 1824 (2008), Reply from the Committee of Ministers of 9 July 2008, Doc. 11690, 21. Juli 2008, Ziff. 4. 112
Zum Recht auf ein faires Verfahren bei Kontensperrungen nach USamerikanischem Recht, s. Stampley, Blocking Access to Assets: Compromising Civil Rights to Protect National Security or Unconstitutional Infringement on Due Process and the Right to Hire an Attorney?, American University Law Review 57 (2008) 3, S. 683 ff.
E. Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
133
(…) 4. (…) [T]argeted sanctions (such as travel restrictions and freezing of assets) have a direct impact on individual human rights such as freedom of movement and the protection of property. Whilst it is not at all clear and still being debated whether such sanctions have a criminal, administrative or civil character, their imposition must, under the European Convention on Human Rights (ECHR) (ETS No. 5) as well as the United Nations International Covenant on Civil and Political Rights (UNCCPR), respect certain minimum standards of procedural protection and legal certainty. 5. Procedural and substantive standards must also be guaranteed to ensure the credibility and effectiveness of targeted sanctions. 5.1. The minimum procedural standards under the rule of law are the right for everyone: 5.1.1. to be notified promptly and fully informed of the charges held against himself or herself, and of the decision taken and the reasons for that decision; 5.1.2. to enjoy the fundamental right to be heard and to be able to defend himself or herself; 5.1.3. to be able to have the decision affecting his or her rights speedily reviewed by an independent, impartial body with a view to modifying or annulling it; 5.1.4. to be compensated for any violation of his or her rights. 5.2. Minimum substantive standards require a clear definition of grounds for the imposition of sanctions and relevant evidence to back up these grounds. 5.3. The “blacklisting” procedure should be limited in time. It is unacceptable that persons remain on the blacklist for years, whilst the prosecuting authorities, even after a long investigation, have not found any evidence against them. 5.4. [...]”.113 Mit dem Zitat der Ziffern 1, 4 und 5 der Resolution sind alle Inhalte der vom Sicherheitsrat zu berücksichtigenden menschenrechtlichen und 113
Council of Europe, Parliamentary Assembly, Resolution 1597 (2008), angenommen am 23. Januar 2008 und gestützt auf den Bericht von Marty in: Council of Europe, Parliamentary Assembly, Committee on Legal Affairs and Human Rights, Report on UN Security Council and European Union blacklists, Doc. 11454, 16. November 2007.
134 Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
rechtsstaatlichen Grundsätze angesprochen: Ziffer 1 mahnt zu Beginn der Resolution die Beachtung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit allgemein an. Ziffer 4 nennt besonders die Beachtung von Fortbewegungs- und Eigentumsfreiheit und kann in Verbindung mit Ziffer 1 so verstanden werden, dass eine Bindung gerade an diese Menschenrechte angesprochen wird. Ziffer 5.1. statuiert als verfahrensrechtlichen Mindeststandard eine Informationspflicht bezüglich des dem Gelisteten zur Last gelegten Sachverhalts sowie der getroffenen Entscheidung, des Weiteren eine Begründungspflicht, ein Anhörungs- und Verteidigungsrecht und das Recht auf eine schnelle Kontrollmöglichkeit durch einen unabhängigen und unparteiischen Spruchkörper. Ziffer 5.2. fordert als Mindeststandard eine klare Definition der Voraussetzungen für eine Listung sowie die Vorlage der notwendigen Beweise, um das Vorliegen dieser Voraussetzungen zu stützen. Nach Ziffer 5.3. soll eine Listung zeitlich begrenzt werden.
3. Fazit Somit ergibt sich folgender Maßstab für die Ausgestaltung des 1267Sanktionsregimes, den Sicherheitsrat und Sanktionskomitee bei ihrem Handeln zu beachten haben: Neben den Menschenrechten gilt es, als rechtsstaatliche Grundsätze das Recht auf Information bezüglich des zur Last gelegten Sachverhalts sowie der getroffenen Entscheidung, die Begründungspflicht, ein Anhörungs- und Verteidigungsrecht, das Recht auf eine schnelle Kontrollmöglichkeit durch einen unabhängigen und unparteiischen Spruchkörper sowie ein Recht auf Entschädigung114 einzuhalten. Außerdem ist eine klare Definition der Voraussetzungen für eine Listung, die Einhaltung der Beweisvorlagepflicht sowie eine zeitliche Begrenzung der Listung erforderlich.
114
Aspekte der Entschädigung sollen in der vorliegenden Untersuchung außer Betracht bleiben. S. zur Restitution als Ausgleich für Menschenrechtsverletzungen im Völkerrecht Buyse, Lost and Regained? Restitution as a Remedy for Human Rights Violations in the Context of International Law, ZaöRV 68 (2008) 1, S. 129 ff.
E. Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
135
IV. Punktprobe: Einwendungen gegen den Menschenrechtsschutz auf völkerrechtlicher Ebene Im Sinne der „Punktprobe“ muss nach der eben getroffenen Feststellung der Bindung des Sicherheitsrats und seiner Unterorgane an Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit gefragt werden, ob dieses Ergebnis auf einer Linie mit dem Völkerrecht liegt oder ob dessen Spezifika gegen die Berücksichtigung menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Interessen der Mitgliedstaaten sprechen. Zu denken ist insofern einerseits an die Vorschrift des Art. 103 UNCh und andererseits an die Figur des Notstands. Beide Aspekte könnten im vorliegenden Fall gegen die Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit im 1267-Regime sprechen.
1. Art. 103 UNCh Die Vorschrift des Art. 103 UNCh gibt den Verpflichtungen aus der UN-Charta Vorrang vor Verpflichtungen aus anderen internationalen Übereinkünften. Zu denken wäre daher daran, dass auch die Resolutionen des Sicherheitsrats im 1267-Regime mit den darin angeordneten Sanktionen Vorrang vor dem Menschenrechtsschutz haben könnten. Dagegen spricht jedoch, dass sich Art. 103 UNCh nur an die UNMitgliedstaaten wendet und somit nur für schon erlassene UN-Resolutionen gilt, nicht aber für deren Erlass. Außerdem ergibt sich die Menschenrechtsverpflichtung des Sicherheitsrats vorliegend aus der UN-Treue, die ihrerseits selbst ebenfalls eine Verpflichtung aus der UN-Charta darstellt.115 Art. 103 UNCh ändert daher nichts an der Menschenrechtsverpflichtung des Sicherheitsrats.
115
Orakhelashvili, The Acts of the Security Council: Meaning and Standards of Review, Max Planck UNYB 11 (2007), S. 143, 149 teilt dieses Verständnis von Art. 103 UNCh: “The first and most obvious limit on the relevance of Article 103 is that the relevant Council resolution must be compatible with the Charter in the first place, before Article 103 could provide for its primacy”. Ebenso Thallinger, Sense and Sensibility of the Human Rights Obligations of the United Nations Security Council, ZaöRV 67 (2007) 4, S. 1015, 1028 f.
136 Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
2. Ausnahme aufgrund Notstandsrechts Für den Fall eines Notstands,116 der das Leben der Nation bedroht,117 ist in den meisten nationalen Verfassungen und auch in den internationalen Menschenrechtsverträgen, etwa in Art. 4 IPbpR, die Außerkraftsetzung menschenrechtlicher Verbürgungen gestattet.118 Auch das Recht auf Eigentum und die Fortbewegungsfreiheit, die durch die im 1267-Regime verhängten Sanktionen der Kontensperrung und des Einund Durchreiseverbots besonders betroffen werden, sind in diesem Zusammenhang grundsätzlich einschränkbar und nicht notstandsfest.119 Fraglich ist aber die Übertragbarkeit des Notstandsgedankens auf das 1267-Regime schon deshalb, weil eine Notstandssituation vorübergehender Natur ist.120 Da nach Resolution 1390 (2002)121 das 1267116
Arnold, Terrorism in International Humanitarian Law and Human Rights Law, in: Arnold/Quénivet (Hrsg.), International Humanitarian Law and Human Righs Law, Towards a New Merger in International Law, 2008, S. 475, 486, scheint der Annahme einer nationalen Notstandssituation infolge des Terrorismus ablehnend gegenüber zu stehen. 117
So etwa die Definition in Art. 4 Abs. 1 IPbpR.
118
Zur Abdingbarkeit von Menschenrechten im Kampf gegen den Terrorismus sowie zum Ausnahmezustand und rechtsfreien Zonen, s. Klein, Le droit international à l’épreuve du terrorisme, RdC Band 321 (2006), 2007, S. 203, 411 ff. 119
Vgl. Kretzmer, Emergency, State of, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil.com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 23. Sinha, Respect of Human Rights in Time of State of Emergency: International and National Perspectives, Indian Journal of International Law 47 (2007) 2, S. 225, 232, 236, versucht, das Problem des Notstands dadurch zu lösen, dass er eine Ausweitung der als ius cogens anerkannten Rechte, von denen auch im Notstand nicht abgewichen weden kann, vorschlägt. Dagegen spricht jedoch schon, dass damit der Ausnahmecharakter des ius cogens aufgegeben würde. Für die Weitergeltung etwa des Rechts auf ein faires Verfahren Nickel, Due Process Rights and Terrorist Emergencies, European Journal of Legal Studies 1 (2007) 1, S. 24 des Beitrags. 120
Kretzmer, Emergency, State of, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil.com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 1, 4. 121
Resolution 1390 (2002) vom 16. Januar 2002, Ziff. 3, sieht erstmals vor, dass die Sanktionen zwar nach zwölf Monaten überprüft werden sollen, dann aber entweder in gleicher Form weiter gelten oder verbessert werden sollen. Eine Beendigung des Sanktionsregimes ist also nicht mehr vorgesehen. Der Bericht des Vorsitzenden des Sanktionskomitees an den Präsidenten des Sicher-
E. Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
137
Regime zeitlich unbegrenzt und damit auf unabsehbare Zeit eingerichtet ist, kann von einem vorübergehenden Charakter des 1267-Regimes nicht gesprochen werden. Jedenfalls die Annahme einer Notstandssituation über einen Zeitraum von mittlerweile fast zehn Jahren seit Einrichtung des 1267-Regimes begegnet erheblichen Bedenken,122 weshalb aus diesem Grund das Bestehen eines Notstandsrechts abzulehnen ist.123 Abgesehen davon kann die Feststellung der Friedensbedrohung durch den Sicherheitsrat nicht als zentrale Feststellung des Notstands gewertet werden, da sonst der Ausnahmecharakter und die sich daran knüpfende enge Auslegung der Notsituation verkannt und der Menschenrechtsschutz übermäßig verkürzt würde.124 Der Sicherheitsrat kann sich somit nicht auf das Notstandsrecht als Entschuldigung für die Nichtbeachtung der aus dem Treueprinzip fließenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf das mitgliedstaatliche Interesse an der menschenrechtskonformen und rechtsstaatlichen Ausgestaltung des 1267-Regimes berufen.
heitsrates, S/2008/848, vom 31. Dezember 2008, Rz. 57, bestätigt dies:“As long as the threat posed by Al-Qaida and the Taliban and their associates persists, the robust implementation by all States of sanctions measures imposed by the Security Council remains a generally recognized tool in combating deadly terrorist activities”. 122 Meerpohl, Individualsanktionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, 2008, S. 241, hält die Annahme einer nach wie vor bestehenden Bedrohungslage für vertretbar, weshalb im Einzelfall ein zur Derogation berechtigender Notstand angenommen werden könne, sieht allerdings die Kontensperrung, da diesbezüglich kein effektiver Rechtsschutz bestehe, als unverhältnismäßig an. 123
Nach Tomuschat, Internationale Terrorismusbekämpfung als Herausforderung für das Völkerrecht, 2006, S. 34, kann von einem allgemeinen Notstand infolge des Terrorismus „hier und heute ernsthaft nicht die Rede sein“. Sehr kritisch sieht auch Stangos, L’engagement européen contre le terrorisme international, Annuaire International des Droits de l’Homme, Band 2, 2007, S. 161, 169 ff. den Notstandsgedanken, den die USA im Rahmen der internationalen Terrorismusbekämpfung auf UN-Ebene eingeführt hätten. 124
Cannizzaro, A Machiavellian Moment? The UN Security Council and the Rule of Law, IOLR 3 (2006) 2, S. 189, 210 f.; Meerpohl, Individualsanktionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, 2008, S. 240. Ashauer, Die Menschenrechte im Notstand, AVR 45 (2007) 3, S. 400, 430, sieht das Notstandsrecht gar an Stelle des Terrorismus als die eigentliche Bedrohung der demokratischen Gesellschaft.
138 Teil II: Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
3. Fazit Die als Einwendungen gegen den Menschenrechtsschutz auf völkerrechtlicher Ebene denkbaren Argumente des Art. 103 UNCh sowie des Notstands greifen also nicht.
V. Fazit zur Bindung des Sicherheitsrats an Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit aufgrund der UN-Treue Bei der im 1267-Sanktionsregime stattfindenden Ausübung von Hoheitsgewalt ist der Sicherheitsrat aufgrund des Prinzips der UN-Treue an Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit gebunden und infolgedessen verpflichtet, das 1267-Regime entsprechend auszugestalten. Die UN-Treue lässt sich mit Hilfe des öffentlich-rechtlichen Ansatzes zur Bildung von Prinzipien für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene herleiten. Diese Herleitung erfolgt einerseits anhand der internen Konstitutionalisierung, also ausgehend von der UNCharta durch Heranziehung ihrer Vorschriften, vorliegend insbesondere der Art. 44 und 50 UNCh, sowie andererseits durch Rechtsvergleichung mit dem EU-Recht und dem nationalen Verfassungsrecht. Daraus ergeben sich als Inhalt der UN-Treue als Prinzip für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene die im Verhältnis der UN zu ihren Mitgliedstaaten und in der Gegenrichtung wirkenden Pflichten zur Kooperation und zur Rücksichtnahme auf die Interessen der jeweils anderen Ebene. Im 1267-Regime, bei dem mitgliedstaatliche Bedenken hinsichtlich des Menschenrechtsschutzes und der rechtsstaatlichen Ausgestaltung bestehen, bewirkt die UN-Treue die Pflicht der UN zur Rücksichtnahme auf diese mitgliedstaatlichen Bedenken und Interessen. Weil sie auf die universellen Menschenrechte (IPbpR) Bezug nimmt, gerade auf das 1267-Regime zugeschnitten ist und von einer großen Zahl von Staaten getragen wird, lässt sich die Resolution 1597 (2008) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zur Bestimmung des Inhalts der von den UN bei der Ausgestaltung des 1267-Regimes zu beachtenden Standards heranziehen. Ihr sollen vorliegend mit aller Vorsicht die Vorstellungen der internationalen Gemeinschaft hinsichtlich der rechtsstaatlichen Ausgestaltung des 1267-Regimes entnommen werden.
E. Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene
139
Nachdem somit der Maßstab für die Ausgestaltung des 1267-Sanktionsregimes gefunden ist, ist im folgenden Teil II der Arbeit die bisherige rechtsstaatliche Entwicklung des 1267-Regimes zu analysieren und der aktuelle Ist-Zustand festzustellen, bevor in Anwendung des Maßstabs zu untersuchen ist, wie die Ausgestaltung des 1267-Regimes, also dessen Soll-Zustand, auszusehen hat.
Teil III Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand nach dem gefundenen menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Maßstab F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen: die Rechtsgrundlagen und die rechtsstaatliche Entwicklung des Sanktionsregimes bis zum gegenwärtigen Ist-Zustand Nachdem nun die Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrates bei der Gestaltung des 1267-Sanktionsregimes untersucht und bejaht worden ist, sollen in diesem Kapitel die Sicherheitsratsresolutionen vorgestellt und analysiert werden, die die Rechtsgrundlage des 1267-Sanktionsregimes bilden. Diese Betrachtung dient mehreren Zielen. Zum einen soll so die Entwicklung des Sanktionsregimes nachgezeichnet werden: Im Gegensatz zu einer bloßen Feststellung der heute dort geltenden Regeln lässt sich so insbesondere nachvollziehen, welche rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Fortschritte in dem Sanktionsregime seit seiner Einrichtung gemacht worden sind.1 Dies ist deshalb interessant, weil etwaige einschlägige Entwicklungen belegen würden, dass die oben gefundenen Vorgaben für die Ausgestaltung des Sanktionsregimes nicht ausschließlich realitätsfernem Idealismus entspringen, sondern Ansätze in diese Richtung im 1267-Regime schon durchaus vorhanden und verwirklicht sind. Dieses Bestätigungsanliegen hinsichtlich des vergangenen Kapitels leitet zugleich über zur Vorbereitung des folgenden Kapitels, indem durch die Darstellung der Resolutionsinhalte hingeführt 1 Ebenfalls zur Entwicklung des 1267-Regimes Foot, The United Nations, Counter Terrorism, and Human Rights: Institutional Adaptation and Embedded Ideas, Human Rights Quarterly 29 (2007) 2, S. 489, 504 ff.
C.A. Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht: Das 1267-Sanktionsregime der UN und seine rechtliche Fassung, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 225, DOI 10.1007/978-3-642-20471-5_3, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg 2011
141
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Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
wird zum Ist-Zustand des 1267-Sanktionsregimes. Dieser Ist-Zustand soll im Anschluss Gegenstand einer Prüfung am oben gefundenen Maßstab von Menschenrechtsschutz und Rechtsstaatlichkeit sein und so zur Ermittlung des Soll-Zustands des Sanktionsregimes führen. Hinzu kommt, dass ein umfassendes Verständnis des Sanktionsregimes eine Synopse der konsekutiv ergangenen Resolutionen erfordert, weil nicht alle Regelungsinhalte in jeder neuen Resolution wiederholt werden und sich daher ein Gesamtbild des Sanktionsregimes erst aus der Betrachtung der verschiedenen Resolutionen ergibt.2 Darüber hinaus könnte die Nachzeichnung der Entwicklungen im 1267-Regime gegebenenfalls auch noch neue Erkenntnisse hinsichtlich weiterer Prinzipien für die Ausübung von Hoheitsgewalt erbringen.
I. Die Sicherheitsratsresolutionen des 1267-Sanktionsregimes im Einzelnen 1. Sicherheitsratsresolution 1267 (1999) a) Inhalt Der Sicherheitsrat hatte in einigen der der Resolution 1267 (1999) vorangegangenen Resolutionen Bedenken hinsichtlich des anhaltenden innerstaatlichen Konflikts in Afghanistan geäußert und die beteiligten Gruppen, einschließlich der Taliban, aufgefordert, die Kämpfe zu beenden, ohne dabei jedoch auf Kapitel VII der UN-Charta zu rekurrieren.3 Nachdem sich so stufenweise die Warnungen gegenüber den Taliban verschärft hatten, sah die Resolution 1267 (1999) erstmals Sanktionen nach Kapitel VII vor. Der Schwerpunkt der Resolution liegt hier auf dem Ziel der Terrorismusbekämpfung,4 während der Konflikt in Afgha2 So kann es vorkommen, dass eine Resolution die Sanktion anordnet, während eine andere mögliche Ausnahmen dazu statuiert, vgl. insofern etwa den Verweis in Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 7 auf Resolution 1452 (2002) vom 20. Dezember 2002 und die ergänzende Resolution 1735 (2006) vom 22. Dezember 2006. 3
Resolution 1193 (1998) vom 28. August 1998 sowie Resolution 1214 (1998) vom 8. Dezember 1998. 4 Terrorismus wird in der einen oder anderen Form in Resolution 1267 (1999) vom 15. Oktober 1999, im 4., 5. und 6. Erwägungsgrund sowie in Ziff. 1 insgesamt elf Mal erwähnt.
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen
143
nistan nicht mehr im Vordergrund steht. Das Versäumnis der Taliban, der früheren Forderung des Sicherheitsrates in Ziffer 13 der Resolution 1214 (1998) nachzukommen und Terroristen keine Zuflucht und keine Trainingsmöglichkeiten zu gewähren, wird als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gewertet.5 Der Sicherheitsrat fordert die Taliban sodann im operativen Teil der Resolution unter Kapitel VII auf, unverzüglich die vorangegangenen Resolutionen zu befolgen und insbesondere Terroristen nicht weiter Unterschlupf oder Trainingsmöglichkeiten zu gewähren, sondern die als Terroristen angeklagten Personen, insbesondere Osama bin Laden, der Justiz auszuliefern.6 Um die Auslieferung bin Ladens durch die Taliban zu erzwingen, beschließt der Sicherheitsrat sodann, dass alle Staaten allen Flugzeugen Start und Landung in ihrem Territorium verbieten sollen, sofern die betroffene Maschine nach Feststellung des neu eingerichteten Sanktionskomitees im Eigentum der Taliban steht oder von ihnen oder in ihrem Namen geleast oder betrieben wird.7 Des Weiteren sollen die Staaten alle Gelder und anderen finanziellen Ressourcen, einschließlich solcher, die aus Vermögen gewonnen wurden, das den Taliban gehört oder direkt oder indirekt von ihnen kontrolliert wird, einfrieren und außerdem sicherstellen, dass den Taliban weder diese noch andere Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.8 Die Gelder und finanziellen Ressourcen, die von diesen Maßnahmen betroffen sind sowie mögliche Ausnahmen aus humanitären Gründen werden auch bei dieser Maßnahme vom Sanktionskomitee bestimmt.9 Der Sicherheitsrat entschied zudem, dass die Sanktionen – falls bin Laden nicht bis dahin ausgeliefert sei – ab 14. November 1999, also einen Monat nach Verabschiedung der Resolution, angewandt werden sollten10 und dass die Maßnahmen zu beenden seien, sobald der Generalsekretär berichtet habe, dass die Taliban Osama bin Laden ausgeliefert hätten.11
5 6 7 8 9 10 11
Resolution 1267 (1999) vom 15. Oktober 1999, 8. Erwägungsgrund. Ibid., Ziff. 1 und 2. Ibid., Ziff. 4 (a). Ibid., Ziff. 4 (b). Ibid. Ibid., Ziff. 3. Ibid., Ziff. 14.
144
Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
Außerdem wird in dieser Resolution das Sanktionskomitee als Komitee gemäß Regel 28 der Vorläufigen Verfahrensregeln des Sicherheitsrates12 eingerichtet.13 Seine wichtigste Aufgabe ist die Bestimmung der Flugzeuge und der finanziellen Ressourcen, die den genannten Sanktionen des Start- und Landeverbots bzw. des Einfrierens unterliegen sollen.14
b) Bewertung Das durch die Resolution geschaffene Sanktionskomitee entscheidet nicht über die Adressaten der Sanktion, welche hier noch kollektiv „die Taliban“ sind, sondern nur über die inkriminierten Gegenstände, die den Sanktionen unterworfen werden. Die vom Komitee zu verwaltende Liste der als Terroristen gebranntmarkten natürlichen und juristischen Personen besteht noch nicht. Wichtig für die weitere Untersuchung ist, dass die Resolution 1267 (1999) anders als die üblichen UN-Resolutionen nicht einen Staat als verantwortlich betrachtet für die Bedrohung oder den Bruch des Friedens. Darin ist der Individualbezug des Sanktionsregimes schon angelegt, der später zu Legitimationsbedenken und den Rufen nach mehr Rechtsstaatlichkeit führt. Zwar ergingen viele Resolutionen zum 1267Sanktionsregime mit der Aufschrift „the situation in Afghanistan“, doch richten sich die verhängten Sanktionen schon in der Resolution 1267 (1999) nicht an Afghanistan als Staat, sondern an die Taliban als Gruppe.15 Dennoch ist diese erste Resolution des Sanktionsregimes der klassischen Staatenadressierung noch stärker angenähert als spätere Re12
Provisional Rules of Procedure of the Security Council, siebte, revidierte Fassung, S/96/Rev.7, 21. Dezember 1982, abrufbar unter http://www.un.org/ Docs/sc/scrules.htm (zuletzt besucht am 2. Mai 2010). 13 14 15
Resolution 1267 (1999) vom 15.Oktober 1999, Ziff. 6. Ibid., Ziff. 6 (e).
Dies wird auch deutlich aus der Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates, S/PRST/2000/12, vom 7. April 2000: “[The Security Council] underlines the fact that sanctions are not aimed at the Afghan people, but are imposed against the Taliban…”. Zum Status der Taliban aus völkerrechtlicher Sicht eingehend Wolfrum/Philipp, The Status of the Taliban: Their Obligations and Rights under International Law, Max Planck UNYB 6 (2002), S. 559 ff.; zur Identifizierung der Taliban selbst als Teil des Problems und nicht mehr als Teil einer möglichen Lösung auf dem Weg zum wirtschaftlichen und politischen Wiederaufbau Afghanistans: Afsah/Guhr, Afghanistan: Building a State to Keep the Peace, Max Planck UNYB 9 (2005), S. 373, 403.
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen
145
solutionen. Denn die Taliban hatten seit Mitte der 1990er Jahre bis zu 90 Prozent des afghanischen Territoriums unter ihre Kontrolle gebracht16 und konnten als de facto-Inhaber der effektiven Staatsgewalt in weiten Teilen Afghanistans angesehen werden.17 Dass der Sicherheitsrat dies genauso sah, ergibt sich aus der Tatsache, dass er, auch wenn zunächst die Formulierung „the Afghan faction known as the Taliban“18 verwendet wird, die auf die Existenz auch anderer Gruppen auf afghanischem Territorium hinzudeuten scheint, doch nur die Taliban und speziell die von ihnen kontrollierten Gebiete adressiert.19 Wegen dieses Territorialbezugs zu den von den Taliban kontrollierten Gebieten in Afghanistan hat das Sanktionskomitee nur die Aufgabe, die Gegenstände zu bestimmen, die den Sanktionen unterliegen sollen. Die spätere Ausweitung auch auf alle Personen, die mit den Taliban in Verbindung stehen, findet noch nicht statt. Erst diese macht eine Identifizierung dieser Personen notwendig. Hieraus erklärt sich auch, dass in der Resolution noch nicht die Liste Terrorverdächtiger vorgesehen wird, weil die von den Sanktionen Betroffenen mit dem Verweis auf die Taliban in Afghanistan als hinreichend identifiziert erscheinen. Die Notwendigkeit, durch rechtsstaatliche Prinzipien und Verfahren die Sanktionsbetroffenen vor etwaigen Verwechslungen und fälschlicher Unterwerfung unter das Sanktionsregime zu schützen, drängt sich daher noch nicht auf. Dennoch übt der Sicherheitsrat auch schon mit der Resolution 1267 (1999) Hoheitsgewalt aus, indem er die Freiheit der Taliban durch die Schaffung eines Sanktionsregimes, das für sie Kontensperrungen und 16
Wolfrum/Philipp, The Status of the Taliban: Their Obligations and Rights under International Law, Max Planck UNYB 6 (2002), S. 559, 563, 566. 17 Wolfrum/Philipp, The Status of the Taliban: Their Obligations and Rights under International Law, Max Planck UNYB 6 (2002), S. 559, 574, 576. Die Taliban wurden deshalb auch als de facto-Regime angesehen, ibid., 585, 595. Ebenso Bolani, Security Council Sanctions on Non-State Entities and Individuals, Revue Hellénique de Droit International 56 (2003) 2, S. 401, 412. Grundlegend zum de facto-Regime, Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht, 1968. 18 19
Resolution 1267 (1999) vom 15. Oktober 1999, Ziff. 1.
Vgl. etwa Resolution 1267 (1999) vom 15. Oktober 1999, Ziff. 2, 4 (a), 4 (b); vgl. Wolfrum/Philipp, The Status of the Taliban: Their Obligations and Rights under International Law, Max Planck UNYB 6 (2002), S. 559, 581 f. In der Resolution 1214 (1998) waren noch neben den Taliban andere Gruppen („other Afghan factions“) und alle Parteien des Konflikts („all parties“) Adressaten gewesen, s. Resolution 1214 (1998) vom 8. Dezember 1998, Ziff. 1, 3, 11-14.
146
Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
Flugverbote vorsieht, einschränkt, also ihre rechtliche und tatsächliche Situation einseitig gestaltet. Die Geltung des Sanktionsregimes ist hier noch durch die Auslieferung bin Ladens auflösend bedingt und damit – wenn auch nicht zeitlich präzise feststellbar – grundsätzlich zeitlich begrenzt ausgestaltet.
2. Sicherheitsratsresolution 1333 (2000) a) Inhalt Die Resolution 1333 (2000) sieht das breiteste Spektrum neuer und geänderter Sanktionen der gesamten Resolutionsfolge vor. Um zu erreichen, dass die Taliban insbesondere Osama bin Laden ausliefern und alle Trainingscamps für Terroristen schließen,20 werden als neue Sanktionen allen Staaten Waffenlieferungen in den von den Taliban kontrollierten Teil von Afghanistan verboten, technische Unterstützung und die Ausbildung des bewaffneten Personals der Taliban untersagt und der Abzug aller Personen angeordnet, die die Taliban in Militärund Sicherheitsfragen beraten.21 Ausnahmen zu den Lieferverboten bestehen nur für nicht dem Tötungszweck dienende Militärausrüstung für ausschließlich humanitäre Zwecke oder zum Selbstschutz, sofern das Sanktionskomitee dem zugestimmt hat.22 Die Staaten werden unter anderem auch aufgerufen, die Ein- und Durchreise von höheren Funktionären der Taliban zu beschränken.23 All dies sind Maßnahmen, die auf die Beendigung der terroristischen Betätigung der Taliban gerichtet sind, indem sie deren Versorgung abschneiden und sie international isolieren. Die Finanzsanktionen sollen nun nicht mehr gegen die Taliban als Gruppe in Afghanistan angewandt werden, sondern gegen Osama bin 20
Resolution 1333 (2000) vom 19. Dezember 2000, Ziff. 2 und 3.
21
Ibid., Ziff. 5. Kurz zuvor war im Bericht des UN-Generalsekretärs, The Situation in Afghanistan and its Implications for International Peace and Security, Report of the Secretary-General, A/54/536-S/1999/1145, 16. November 1999, in Ziff. 23 festgestellt worden, dass die Intensität der Kämpfe darauf schließen lasse, dass die Lieferung von Waffen nach Afghanistan unvermindert anhalte. 22 23
Resolution 1333 (2000) vom 19. Dezember 2000, Ziff. 6. Ibid., Ziff. 14.
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen
147
Laden und die natürlichen und juristischen Personen einschließlich der Al-Qaida-Mitglieder, die mit ihm in Verbindung stehen.24 Um wen es sich dabei handelt, bestimmt das Sanktionskomitee, das an gleicher Stelle beauftragt wird, eine entsprechende aktuelle Liste der Betroffenen zu führen. Der Sicherheitsrat überträgt dabei dem Sanktionskomitee die Aufgabe, Listen einzurichten und zu führen, die auf von Staaten und regionalen Organisationen zur Verfügung gestellten Informationen basieren und diejenigen natürlichen und juristischen Personen ausweisen, die vom Sanktionskomitee mit Osama bin Laden in Verbindung gebracht werden.25
b) Bewertung Die Resolution legt die Geltung der Sanktionen zunächst auf zwölf Monate fest, an deren Ende der Sicherheitsrat entscheiden soll, ob die Taliban den in den Resolutionen gestellten Forderungen nachgekommen sind.26 Als rechtsstaatliches Element der Begrenzung der Sanktionseingriffe ist dies grundsätzlich zu begrüßen. Besonders bedeutsam an der Resolution 1333 (2000) sind aber vor allem die Ausweitung der Sanktionsadressaten auf bin Laden-Verbündete und die Einrichtung der Liste mit der Befugnis des Sanktionskomitees, die Osama bin Laden nahe stehenden natürlichen und juristischen Personen dort zu führen. Dies ist aus zwei Gründen wichtig: Einerseits wird dadurch der territoriale Bezug der Sanktionsadressaten zum Staat Afghanistan aufgehoben. Die Führung einer Liste wird nötig, weil der Begriff „associated with“ Osama bin Laden einen unbestimmten Adressatenkreis zulässt. Die Sanktionierung erfolgt damit so, dass sie theoretisch jede Person weltweit treffen kann. Andererseits übt das Sanktionskomitee bei der Listung einer Person Hoheitsgewalt aus, weil es dadurch konkrete Einzelpersonen festlegt, die dann als Rechtsfolge den Sanktionen unterworfen sind. Besonders schwer wiegt deshalb unter dem Gesichtspunkt der Legitimität und der Rechtsstaatlichkeit, dass dem Komitee nicht parallel zur Übertragung dieser Befugnis aufgegeben wird, sich konkrete und klare Verfahrensrichtlinien zu geben, die
24 25 26
Ibid., Ziff. 8 (c). Ibid., Ziff. 16 (b). Ibid., Ziff. 23.
148
Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
auch eindeutige Tatbestandsmerkmale enthalten, anhand derer das Komitee objektiv über eine Listung zu entscheiden hat.27 Ausnahmen sind nur beim Waffenembargo und dem Flugverbot, nicht aber bezüglich der Kontensperrung, und auch nur aus humanitären Gründen mit vorheriger Erlaubnis des Sanktionskomitees möglich.
3. Sicherheitsratsresolution 1363 (2001) In Resolution 1363 (2001) ist für die vorliegende Untersuchung nur interessant, dass damit ein Überwachungsmechanismus eingerichtet wird, der die Umsetzung der Sanktionen durch die UN-Mitgliedstaaten beaufsichtigen soll. Darin spiegelt sich das Problem der mangelnden Durchsetzbarkeit im Völkerrecht wider, wodurch die UN im Rahmen der Mehrebenensystems auf die Kooperation der Staaten besonders angewiesen ist. Die Resolution versucht, die Umsetzung der Sanktionen durch Überwachungsmechanismen zu verbessern.
27
In diesem Zusammenhang ist interessant, dass die Resolution 1333 (2000) in Ziffer 12 andererseits die Vorhaltung einer weiteren Liste von Organisationen vorschreibt, die in Afghanistan humanitäre Hilfe leisten. Hier werden – im Gegensatz zur Liste der Terrorverdächtigen – klare Anweisungen zur Handhabung der Liste gegeben. So wird bestimmt, dass eine regelmäßige Überprüfung und gegebenenfalls Ergänzung der Liste stattfinden soll, dass Organisationen von der Liste gestrichen werden sollen, wenn sie Flüge zu anderen als humanitären Zwecken durchführen, und dass solchen Organisationen mitzuteilen ist, dass ihre Flüge dem Flugverbot unterfallen. Die Liste wurde vom Sanktionskomitee am 19. Januar 2001 eingerichtet, vgl. Report of the Secretary-General on the humanitarian implications of the measures imposed by Security Council resolutions 1267 (1999) and 1333 (2000) on Afghanistan, S/2001/241, 20. März 2001, Ziff. 31 (a).
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen
149
4. Sicherheitsratsresolution 1390 (2002)28 a) Inhalt Als Bedrohung des Friedens werden in der Resolution 1390 (2002) erstmals „Akte des internationalen Terrorismus“ angeführt.29 So wird die notwendige Eröffnung des Kapitel VII auf eine verallgemeinerte, abstraktere Gefahr gestützt und damit der wenige Monate vorher unter dem Eindruck der Anschläge von New York ergangenen Resolution 1373 (2001) angepasst. Unter Kapitel VII beschließt der Sicherheitsrat hier, das Start- und Landeverbot für Flugzeuge im Eigentum der Taliban oder für von ihnen oder in ihrem Namen geleaste oder betriebene Maschinen aufzuheben.30 Die Finanzsanktionen der früheren Resolutionen sollen dagegen fortgesetzt werden, allerdings werden sie in einigen Punkten modifiziert: Zu Beginn des Katalogs von Sanktionen wird durch den Vorspann der Adressatenkreis dieser Sanktionen erweitert.31 Die Finanzsanktionen, das Ein- und Durchreiseverbot sowie das Waffenembargo und das Verbot technischer Unterstützung und Hilfe bezüglich militärischer Aktivitäten sollen für Osama bin Laden, Mitglieder der Al-Qaida und der Taliban und andere Individuen, Gruppen, Unternehmen und juristischen Personen, die mit ihnen in Verbindung stehen, gelten, soweit sie auf der Liste des Sanktionskomitees verzeichnet sind.32 Dies ist eine Erweiterung des Sanktionsanwendungsbereichs sowohl bezüglich der Adressaten als auch bezüglich der anzuwendenden Sanktionen: Während die Finanzsanktionen vorher für Osama bin Laden und dessen Anhänger gegolten hatten,33 war das Ein- und Durchreiseverbot bisher
28
In der zuvor ergangenen Resolution 1388 (2002) vom 15. Januar 2002 beschloss der Sicherheitsrat lediglich, dass Start- und Landeverbot sowie Finanzsanktionen bezüglich Flugzeugen und Ressourcen der Afghan Airlines nicht mehr gelten sollten und ihre Büros auch nicht mehr zu schließen seien, da die Taliban nicht mehr Eigentümer dieser Fluglinie seien. 29 30 31 32 33
Resolution 1390 (2002) vom 16. Januar 2002, 9. Erwägungsgrund. Ibid., Ziff. 1. Ibid., Ziff. 2. Ibid.
Resolution 1333 (2000) vom 19. Dezember 2000, Ziff. 8 (c). Die Taliban, die in Resolution 1267 (1999) vom 15. Oktober 1999, aber nicht mehr in Resolution 1333 (2000) vom 19. Dezember 2000 als Adressaten genannt worden wa-
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Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
nur auf die höheren Funktionäre der Taliban im Range mindestens eines Vizeministers oder eines vergleichbaren Ranges in den Streitkräften der Taliban sowie auf deren Hauptberater und Würdenträger anwendbar.34 Nun werden diese beiden Sanktionen sowie das Waffenembargo und das Verbot technischer Unterstützung einheitlich auf alle Adressaten angewandt, und der Adressatenkreis selbst wird dadurch erweitert, dass neben bin Laden und denen, die mit ihm in Verbindung stehen, auch Al-Qaida und die Taliban, und vor allem alle weiteren Personen, die mit diesen in Verbindung stehen, ausdrücklich genannt werden. Das Einund Durchreiseverbot gilt allerdings weder für eigene Staatsangehörige der UN-Mitgliedstaaten noch wenn Ein- und Durchreise im Interesse eines Gerichtsverfahrens notwendig sind und auch nicht in den vom Sanktionskomitee bestimmten Fällen.35 Das Waffenembargo ist ebenfalls auf den erweiterten Adressatenkreis anwendbar.36 In der Resolution wird auch festgelegt, dass die Maßnahmen nach einem Zeitraum von zwölf Monaten überprüft werden und dann entweder unverändert fortgelten oder verbessert werden sollen.37 Der Sicherheitsrat gibt dem Sanktionskomitee erstmals offiziell auf, Richtlinien für seine Arbeit zu erlassen, um die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen zu erleichtern.38 Auch soll die Liste mit Terrorverdächtigen öffentlich zugänglich gemacht werden.39
b) Bewertung Die Resolution 1390 (2002) gehört zu den wichtigsten Resolutionen des 1267-Regimes: Mit dieser Resolution entsteht ein Sanktionsregime, das
ren, werden in Resolution 1390 (2002) vom 16. Januar 2002, Ziff. 2, wieder erwähnt. 34 35 36 37 38 39
So ursprünglich Resolution 1333 (2000) vom 19. Dezember 2000, Ziff. 14. Resolution 1390 (2002) vom 16. Januar 2002, Ziff. 2 (b). Ibid., Ziff. 2 (c). Ibid., Ziff. 3. Ibid., Ziff. 5 (d). Ibid., Ziff. 5 (e).
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen
151
mit seinen Sanktionen und einem größeren Adressatenkreis auf unbestimmte Zeit40 angelegt ist. Für diese Entwicklung gibt es zwei Gründe, nämlich den Wegfall des ursprünglichen Adressaten auf der einen Seite und die Entscheidung des Sicherheitsrats für einen allgemeinen Kampf gegen den Terrorismus auf der anderen Seite: Auf die Ereignisse des 11. September 2001 reagierte der Sicherheitsrat mit der Annahme der Resolution 1373 (2001), in der er erstmals allgemein zum Kampf gegen den Terrorismus aufrief und ebenfalls Sanktionen vorschrieb, ohne jedoch die Adressaten dieser Sanktionen näher einzugrenzen. Wenige Monate später kam es im November 2001 zum Sturz der Taliban, so dass der klassische Resolutionsadressat, nämlich ein Staat oder zumindest diejenige Gruppierung im Staat, die effektive Staatsgewalt besitzt, nicht mehr vorhanden war.41 Diese Umstände führten dazu, dass der Sicherheitsrat in der Resolution 1390 (2001) erstmals allgemein „Akte des internationalen Terrorismus“ als Bedrohung des Weltfriedens ansah. So wurde dieses Sanktionsregime von Afghanistan und den Taliban als dem ursprünglichen Anknüpfungspunkt bei der Bestimmung eines Sanktionsadressaten losgelöst, weil die Taliban nicht mehr im Besitz effektiver Staatsgewalt waren.42 Durch die allgemeine Fassung der Bedrohung des Friedens und des Adressatenkreises wurde das 1267-Sanktionsregime dem nur wenige Monate zuvor aufgrund der Resolution 1373 (2001) eingerichteten, allgemeinen Regime zur Terrorismusbekämpfung angenähert.43 Der Wandel 40
So auch Martin, Le Conseil de Sécurité face au terrorisme islamiste: à propos des sanctions contre Al-Qaida, les Taliban et leurs associés, L’Observateur des Nations Unies (2006) 20/21, S. 145, 166. 41 Der UN-Generalsekretär greift in einem seiner Berichte genau dieses Problem auf, wenn er sagt: “With the collapse of the Taliban most sanctions measures appear to have no focus”; vgl. Report of the Secretary-General on the humanitarian implications of the measures imposed by Security Council resolutions 1267 (1999) and 1333 (2000) on the territory of Afghanistan under Taliban control, S/2001/1215, 18. Dezember 2001, Ziff. 3. 42
Stromseth, The Security Council’s Counter-Terrorism Role: Continuity and Innovation, American Society of International Law: Proceedings of the 97th Annual Meeting, 97 (2003), S. 41, 42 f.; von Danwitz, Grundrechtliche Freiheit im Zeitalter des Terrorismus – eine europäische Perspektive, in: Ipsen/Stüer (Hrsg.), Europa im Wandel, Festschrift für Hans-Werner Rengeling, 2008, S. 511, 514. 43
Zwar war chronologisch die Resolution 1388 (2002) vom 15. Januar 2002 noch vor der Resolution 1390 (2002) vom 16. Januar 2002 angesiedelt, doch wird dort gar nicht auf die Bedrohung des Weltfriedens eingegangen, weil nur
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Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
weg von der territorialen Adressierung (Taliban in Afghanistan) hin zur personalen Adressierung (Individuum) vollzieht sich auch in Bezug auf das Waffenembargo, das nicht mehr nur für hohe Talibanfunktionäre, sondern für jeden gilt, der mit Al-Qaida oder den Taliban in Verbindung steht. Mit der Entscheidung, dass die Maßnahmen nach einem Zeitraum von zwölf Monaten überprüft werden und dann entweder fortgelten oder verbessert werden sollen, wird außerdem die Resolution 1333 (2001) modifiziert, die noch an eine Auslaufklausel erinnernd von der Geltung der Maßnahmen für zwölf Monate gesprochen hatte. Dagegen sieht die neue Resolution neben der Fortgeltung oder Verbesserung eine Beendigung des Sanktionsregimes gar nicht mehr vor, so dass das 1267-Sanktionsregime, passend zum Ansatz der Resolution 1373 (2001), auf unbestimmte Zeit angelegt ist.44 Eine andere wichtige Entwicklung ist die Aufforderung des Sicherheitsrates an das Sanktionskomitee, sich offiziell Richtlinien für die eigene Arbeit zu geben. Dieses Mandat zum Erlass von Arbeitsrichtlinien ist der erste Schritt in Richtung einer Verrechtlichung der Verfahren zur Listung und Streichung von der Liste. Trotz des Aufrufs an die Mitgliedstaaten, die Liste auf dem aktuellen Stand zu halten und öffentlich zugänglich zu machen, zeigten sich die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Resolutionen des 1267-Regimes weiterhin unkooperativ.45
5. Sicherheitsratsresolution 1452 (2002) a) Inhalt Die Resolution 1452 (2002) regelt Ausnahmen von den Finanzsanktionen. Die Sanktionen finden danach keine Anwendung auf finanzielle Mittel und wirtschaftliche Ressourcen, die erforderlich sind für Grund-
die Fluglinie Ariana Afghan von den Sanktionen befreit wird und keine Begründung neuer Sanktionen stattfindet. 44
Biehler, Individuelle Sanktionen der Vereinten Nationen und Grundrechte, AVR 41 (2003) 2, S. 169, 171, formuliert treffend: „Diese Resolution 1390 hatte keinen Bezug mehr zu einem Territorium, Regime oder Staat, keine zeitliche oder sachliche Grenze“. 45
Cárdenas, The United Nations Council’s Quest for Effectiveness, Michigan Journal of International Law 25 (2004) 4, S. 1341, 1346.
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen
153
ausgaben oder außerordentliche Aufwendungen.46 Weil letztere Ausnahmecharakter haben, unterscheiden sie sich im Zustimmungserfordernis von ersteren: Die Grundausgaben betreffen im Wesentlichen die Lebenshaltungskosten und umfassen unter anderem die finanziellen Mittel für Nahrungsmittel, Mietzahlungen, Medikamente, Steuern, Versicherungsprämien, Gebühren für öffentliche Einrichtungen sowie Anwalts- und Bankgebühren.47 Die Mitgliedstaaten der UN sind zuständig für die Feststellung, welche finanziellen Mittel für diese Grundausgaben nötig sind.48 Es ist dann dem Sanktionskomitee nur noch die Absicht des Staates zu notifizieren, dem Gelisteten finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Erfolgt innerhalb von 48 Stunden49 keine negative Entscheidung seitens des Komitees, so findet die Pflicht zum Einfrieren bezüglich der festgestellten Mittel keine Anwendung. Auch bei den sogenannten außerordentlichen Aufwendungen wird der notwendige Umfang von den UN-Mitgliedstaaten festgelegt, da sie die Lage und die Erfordernisse in ihrem jeweiligen Staat am besten beurteilen können. Allerdings ist für die Freigabe der eingefrorenen Mittel im Falle der außerordentlichen Aufwendungen neben der Notifizierung des Sanktionskomitees noch dessen ausdrückliche Zustimmung notwendig,50 damit das Komitee für derartige Sonderfälle, die theoretisch auch zu einer Umgehung des Sanktionsregimes missbraucht werden könnten, die Letztentscheidung behält. Die UN-Mitgliedstaaten dürfen außerdem Zinsen sowie Zahlungen auf Ansprüche aus Verträgen, die vor dem Zeitpunkt, zu dem die finanziellen Mittel den Sanktionen unterlagen, entstanden sind, den eingefrorenen Mitteln hinzuaddieren, sofern solche Zugewinne weiterhin eingefroren bleiben.51 46 47
Resolution 1452 (2002) vom 20. Dezember 2002, Ziff. 1. Ibid., Ziff. 1 (a).
48
Ibid. Früher musste das Sanktionskomitee gerade auch den Grundausgaben ausdrücklich zustimmen, vgl. Miller, The Use of Targeted Sanctions in the Fight Against International Terrorism – What About Human Rights?, American Society of International Law: Proceedings of the 97th Annual Meeting, 97 (2003), S. 46, 50. 49
Diese kurz gehaltene Frist wurde später auf drei Arbeitstage ausgeweitet, s. Resolution 1735 (2006) vom 22. Dezember 2006, Ziff. 15. 50 51
Resolution 1452 (2002) vom 20. Dezember 2002, Ziff. 1 (b). Ibid., Ziff. 2.
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Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
b) Bewertung Durch die Resolution 1452 (2002) wird der Blick erstmals weg von der einseitigen Verfolgung der politischen Ziele durch das Sanktionsregime hin zur betroffenen, gelisteten Person gelenkt, und es werden die einschneidenden Wirkungen der Sanktionen für den Betroffenen abgemildert. Insoweit lässt sich vertreten, dass der Gedanke der Verhältnismäßigkeit im Al-Qaida-Sanktionsregime anklingt. Es wäre unverhältnismäßig, die gelistete Person verhungern zu lassen. Das ist auch nicht das Ziel des Sanktionsregimes. Die Durchsetzung des Sanktionsregimes kann nicht absoluten Vorrang genießen, andere betroffene Interessen müssen zumindest auch berücksichtigt werden. Mit der Regel, dass das Komitee zur Vermeidung der Aufhebung einer Kontensperrung in Bezug auf die Grundausgaben explizit eine negative Entscheidung treffen muss, wird außerdem zugunsten des Gelisteten eine Art Vermutung für die Freistellung der Mittel zur Bestreitung der Lebenshaltungskosten aufgestellt. Die bloße Untätigkeit oder ein Aussitzen seitens des Komitees kann eine derartige Freigabe nicht verhindern. Das Erfordernis einer negativen Entscheidung wirkt damit zugunsten des Gelisteten.
6. Sicherheitsratsresolution 1456 (2003) Schon die in Resolution 1455 (2003) beschlossene Verbesserung der Umsetzung der Sanktionen durch regelmäßige Bekanntgabe der aktuellen Liste an die Staaten und die Bitte an sie, Informationen für neue Listungen zu liefern, die umsetzenden nationalen Gesetze zu verbessern und dem Komitee über alle bisher ergriffenen nationalen Maßnahmen zu berichten, könnte als Aufforderung zur Kooperation zwischen den UN und den Staaten verstanden werden.52 Ähnlich wird in Resolution 1456 (2003), mit der eine Erklärung des Sicherheitsrats zum Kampf gegen den Terrorismus als Resolution angenommen wird, die Kooperation zwischen den UN-Mitgliedstaaten, den UN-Organen und internationalen Organisationen angemahnt.53 Auch dies kann als Beleg für ein Prinzip der Kooperation angesehen werden, das für die Akteure im Mehrebenensystem gilt. 52 53
Resolution 1455 (2003) vom 17. Januar 2003, Ziff. 4-6.
Resolution 1456 (2003) vom 20. Januar 2003, Ziff. 1, 2 (b) und (c), 4, 5, 8, 10, 11, 13.
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen
155
Außerdem sollen die UN-Mitgliedstaaten nach dieser Resolution sicherstellen, dass jede Maßnahme, die zum Kampf gegen den Terrorismus ergriffen wird, mit ihren eigenen völkerrechtlichen Pflichten vereinbar ist und dass sie solche Maßnahmen in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht, insbesondere den internationalen Menschenrechten, beschließen.54 Dies zeigt deutlich, dass der Sicherheitsrat die menschenrechtlichen Implikationen des Kampfes gegen den Terrorismus erkannt hat und sie bei der Ergreifung entsprechender nationaler Umsetzungsmaßnahmen für berücksichtigenswert hält, ohne sich freilich zu einer eigenen Bindung an die Menschenrechte zu äußern.55
7. Sicherheitsratsresolution 1526 (2004) Bezüglich des Listing-Verfahrens wird in Resolution 1526 (2004) neu festgelegt, dass alle Staaten, wenn sie Neulistungen vorschlagen, in größtmöglichem Umfang Hintergrundinformationen und Angaben zur Identifizierung mitteilen sollen, die die Verbindung des zu Listenden zu Osama bin Laden, Al-Qaida und den Taliban beweisen.56 Außerdem werden die UN-Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, die gelisteten Personen über die Sanktionen, die sie treffen, sowie über die Verfahrensrichtlinien und die Ausnahmetatbestände zu informieren.57 Der Aufruf, detailliertere Informationen zu liefern, die die Listungsvoraussetzungen untermauern, dient der Sicherung korrekter Listungen. Allerdings bleibt die Listungsvoraussetzung, also, was unter der „Verbindung“ zu Al-Qaida etc. zu verstehen ist, vage. Die Information des Betroffenen über seine Listung stellt ein wichtiges rechtsstaatliches
54
Ibid., Ziff. 6.
55
Orakhelashvili, The Acts of the Security Council: Meaning and Standards of Review, Max Planck UNYB 11 (2007), S. 143, 175, will dagegen – sehr weit gehend − in dem Verweis auf die Menschenrechte in Resolution 1456 (2003) vom 20. Januar 2003, Ziff. 6, einen Beleg für die Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrates selbst und für die Qualität der Menschenrechte als Teil des ius cogens sehen. 56 57
Resolution 1526 (2004) vom 30. Januar 2004, Ziff. 17. Ibid., Ziff. 18.
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Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
Element dar.58 Dass in der Information auch die Verfahrensrichtlinien und die Ausnahmetatbestände für Kontosperrungen mitgeteilt werden sollen, erinnert insofern an eine Rechtsbehelfsbelehrung, als sowohl die Verfahrensrichtlinien mit dem Delisting-Verfahren, als auch die Ausnahmetatbestände dem Betroffenen Hinweise darauf geben, wie er sich gegen die Sanktionierung wehren kann.
8. Sicherheitsratsresolution 1617 (2005) a) Inhalt Die Resolution 1617 (2005) enthält unter anderem wichtige Konkretisierungen für die Listungsvoraussetzungen und macht durch Bezugnahme auf externe Dokumente Vorgaben für die nationale Gesetzgebung der UN-Mitgliedstaaten. Die Präambel der Resolution betont, dass es wichtig sei, klarzustellen, welche Individuen, Gruppen und Unternehmen einer Listung unterlägen.59 Begründet wird die nähere Befassung mit dem Verbundenheitskriterium – fast fünf Jahre nach Einführung des „associated with“- Standards durch die Resolution 1333 (2000) – mit der sich wandelnden Natur der Bedrohung durch Al-Qaida, nämlich der Ausweitung dieser Bedrohung weg von der Verfolgung festgelegter Ziele in einer kohärenten Gruppe und hin zu einem gewalttätigen Widerstand gegen eine ganze Reihe lokaler und globaler Umstände und Gegebenheiten.60 Zum besseren Verständnis dafür, wann eine natürliche oder juristische Person mit Al-Qaida, Osama bin Laden oder den Tali58
Vgl. die entsprechende Forderung in Council of Europe, Parliamentary Assembly, Resolution 1597 (2008), angenommen am 23. Januar 2008, Ziff. 5.1.1. 59 60
Resolution 1617 (2005) vom 29. Juli 2005, 6. Erwägungsgrund.
S. hierzu Second report of the Analytical Support and Sanctions Monitoring Team appointed pursuant to resolution 1526 (2004) concerning Al-Qaida and the Taliban and associated individuals and entities, S/2005/83, vom 15 Februar 2005, S. 6, Ziff. 9: “In its first report (S/2004/679), the Monitoring Team observed that the sanctions imposed by the Security Council had lost some of their effect because the nature of the threat from the Taliban and Al-Qaida had changed. The threat continues to evolve as Al-Qaida increasingly represents an idea of violent opposition to a whole range of local and global circumstances rather than a coherent group with fixed goals…” und S. 11, Ziff. 28: “…The Team believes that the List should be a live document subject to frequent change in order to reflect the changing nature of the threat, and should receive additions from a wide variety of States….”.
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen
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ban in Verbindung steht („associated with“), wird ein nicht abschließender Katalog von Aktivitäten niedergelegt, der diese Verbundenheit des zu Listenden anhand von Fallgruppen konkretisiert. Als solche Aktivitäten werden genannt: Die Teilnahme an der Finanzierung, Planung, Erleichterung, Vorbereitung oder Begehung von Taten der Al-Qaida, bin Ladens und der Taliban oder von Aktivitäten in Verbindung mit ihnen, unter ihrem Namen, in ihrem Auftrag oder zu ihrer Unterstützung. Des Weiteren fallen Lieferung, Verkauf und Transfer von Waffen und zugehöriger Ausrüstung an sowie die Rekrutierung für Al-Qaida etc. unter das Kriterium des Verbundenseins mit diesen. Zuletzt erfasst eine Öffnungsklausel auch alle anderweitig unterstützenden Aktivitäten.61 In formeller Hinsicht fordert die Resolution, dass dem Listungsvorschlag als Grundlage eine Falldarstellung beigefügt wird.62 Außerdem wird für die Informationspflicht der Staaten gegenüber den Gelisteten vorgesehen, nicht nur über die Sanktionen, Verfahrensrichtlinien und Ausnahmevorschriften zu informieren, sondern auch insbesondere über das Listing- und Delisting-Verfahren. Zudem soll die Information nach Möglichkeit schriftlich erfolgen.63 Der Sicherheitsrat drängt außerdem darauf, dass alle Staaten die internationalen Standards umsetzen mögen, die in den 40 Empfehlungen zur Geldwäsche der Financial Action Task Force (FATF) und deren neun speziellen Empfehlungen zur Terrorismusfinanzierung enthalten sind.64 Die FATF ist eine intergouvernementale Einrichtung mit dem Auftrag, Methoden der Geldwäsche zu analysieren und Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung zu entwickeln.65 Die FATF hat daher als Grundsätze zur Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung die genannten 40 Empfehlungen als Mindeststandards sowie die neun speziellen Empfehlungen zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung ver-
61 62 63 64 65
Resolution 1617 (2005) vom 29. Juli 2005, Ziff. 2. Ibid., Ziff. 4. Ibid., Ziff. 5. Ibid., Ziff. 7.
Die FATF wurde von den Staatschefs der G7-Staaten und dem Präsidenten der EG-Kommission 1989 eingesetzt und besteht zurzeit aus 32 Mitgliedern und zwei internationalen Organisationen (EG-Kommission und Gulf Cooperation Council), s. http://www.fatf-gafi.org/pages/0,3417,en_32250379_32236846 _1_1_1_1_1,00.html (zuletzt besucht am 2. Mai 2010).
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Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
abschiedet.66 Die 40 Empfehlungen zur Geldwäschebekämpfung sind ihrer Natur nach nicht-bindende Handlungsvorschläge für den Umgang mit Geldwäsche, viele Staaten haben sich jedoch zu ihnen bekannt.67 Die neun speziellen Empfehlungen zur Terrorismusfinanzierung nehmen ausdrücklich Bezug auf die UN-Resolutionen zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung. Die spezielle Empfehlung III ist auf die Terrorismusfinanzierung besonders zugeschnitten und fordert zur Kontensperrung gemäß den einschlägigen UN-Resolutionen auf. In einer Auslegungsanmerkung zu dieser Empfehlung, die die Verpflichtungen aus den Resolutionen ergänzen soll, aber von Resolution 1617 (2005) nicht ausdrücklich in Bezug genommen wird, finden sich Definitionen, unter anderem zu den Begriffen „freeze“, „funds or other assets“ und „without delay“.68 66
S. etwa zur Regulierung der Terrorismusfinanzierung durch die FATF und zur Wirkung solcher Regulierung im Mehrebenensystem Heng/McDonagh, The other War on Terror revealed: global governmentality and the Financial Action Task Force’s campaign against terrorist financing, Review of International Studies 34 (2008) 3, S. 553 ff. 67
S. die Erläuterungen der FATF, http://www.fatf-gafi.org/document/28/ 0,3343,en_32250379_32236930_33658140_1_1_1_1,00.html (zuletzt besucht am 2. Mai 2010). Empfohlen wird etwa der Erlass von Gesetzen, die Geldwäsche kriminalisieren, Beschlagnahmen erlauben und Finanzinstituten Berichtspflichten im Falle verdächtiger Transaktionen auferlegen. Außerdem sollen die Finanzinstitute angemessen beaufsichtigt und die internationale Kooperation der Staaten sowie die gegenseitige Rechtshilfe gefördert werden. 68
Financial Action Task Force (FATF), Interpretative Note to Special Recommendation III: Freezing and Confiscating Terrorist Assets, http://www.fatfgafi.org/dataoecd/53/32/34262136.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010), Ziff. 7. Der Begriff „freeze“, also das Einfrieren von Konten und Vermögen, bedeutet danach das Verbot des Transfers, Umtausches, der Verfügung über oder Bewegung von Finanzmitteln oder anderen Vermögenswerten auf Grundlage und für die Dauer der Gültigkeit einer Maßnahme einer zuständigen Behörde oder eines Gerichts im Rahmen eines Mechanismus zum Einfrieren. Dabei bleiben die eingefrorenen Vermögenswerte Eigentum der natürlichen oder juristischen Person(en), die zum Zeitpunkt des Einfrierens einen Anteil daran hatte(n) und werden möglicherweise weiterhin vom bisherigen Finanzinstitut verwaltet. „Funds or other assets“ umfasst finanzielle Vermögenswerte und Eigentum jeder Art, ob nun materiell oder immateriell, beweglich oder unbeweglich, unabhängig von der Art ihrer Erlangung, sowie Rechtsdokumente oder Urkunden jeder Art, einschließlich elektronischer oder digitaler, die einen Anspruch oder einen Anteil verbriefen bezüglich solcher Vermögenswerte, einschließlich, aber
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen
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Bezüglich möglicher Identitätsverwechslungen ruft die Auslegungsanmerkung die Staaten dazu auf, Verfahren vorzusehen, um die Vermögenswerte zeitnah freizugeben, nachdem der Nachweis erbracht ist, dass eine bestimmte betroffene Person nicht die gelistete ist.69 Man könnte nun daran denken, dass eine derartige Zuständigkeitszuweisung an die UN-Mitgliedstaaten im Rahmen des 1267-Regimes überraschend ist, weil die Vermögensfreigabe in ihrer Wirkung einem Delisting gleichkommt, für das aber das Sanktionskomitee zuständig ist.70 Zu beachten ist aber, dass vorliegend nicht der Fall einer Verwechslung bei der Listung, sondern der Fall einer Verwechslung bei der Sanktionierung in Form der konkreten Kontensperrung gemeint ist. In einem solchen Fall war die Listung korrekt, aber der falschen Person wurde das Konto gesperrt. Wie sich an der „Sanktionsnorm“ anschaulich betrachten lässt, handelt es sich also um einen Fall, der der Rechtsfolgenseite zuzuordnen ist, also zur Umsetzung des Sanktionsregimes gehört, für die in der Tat die Mitgliedstaaten zuständig sind. Außerdem sollen die Staaten einen Mechanismus bereithalten, mit dessen Hilfe eine von der Kontensperrung betroffene Person die Maßnahme angreifen kann mit dem Ziel der Überprüfung der Sperrung durch die zuständige Behörde oder ein Gericht.71
nicht beschränkt auf, Bankkredite, Reiseschecks, Bankschecks, Zahlungsanweisungen, Aktien, Versicherungen, Rentenwerte, Wechsel oder Akkreditive sowie jeden Zins, jede Dividende und jede andere Einkunft und jeden Betrag, der aus solchen Vermögenswerten generiert wird. „Without delay“ – bezogen auf die Kontensperrung und erstmals verwendet in Resolution 1333 (2000) vom 19. Dezember 2000, Ziff. 8 (a) – wird definiert als „idealerweise innerhalb weniger Stunden nach einer Listung durch das Sanktionskomitee“. Der Begriff soll ausgelegt werden im Lichte der Notwendigkeit, den Abgang oder die Verschwendung von Vermögenswerten zu verhindern und mit Rücksicht auf das Bedürfnis nach einer globalen, konzertierten Aktion, um den Kapitalfluss schnell zu untersagen und zu unterbrechen. 69
Financial Action Task Force (FATF), Interpretative Note to Special Recommendation III: Freezing and Confiscating Terrorist Assets, http://www.fatfgafi.org/dataoecd/53/32/34262136.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010), Ziff. 8 (e). 70
Der Fall des Identitätsirrtums wird im Rahmen des Delisting, für das das Sanktionskomitee zuständig ist, ausdrücklich angesprochen in der späteren Resolution 1735 (2006) vom 22. Dezember 2006, Ziff. 14 (i). 71
Financial Action Task Force (FATF), Interpretative Note to Special Recommendation III: Freezing and Confiscating Terrorist Assets, http://www.fatf-
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Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
b) Bewertung Beim Versuch der Resolution, das Merkmal der „Verbundenheit“ mit Al-Qaida und den Taliban zu konkretisieren, wird die Schwierigkeit deutlich, den internationalen Terrorismus durch Kontensperrung, Reiseverbot und Waffenembargo gründlich und nachhaltig zu beschränken und dabei gleichzeitig die einschneidende Wirkung der verhängten Maßnahmen für die betroffenen Gelisteten angemessen zu berücksichtigen. Die Konkretisierung der Listungsvoraussetzung der Verbundenheit mit Al-Qaida etc. kann ebenso als Entwicklung in Richtung auf mehr Transparenz und Rechtsklarheit des Sanktionsregimes gewertet werden72 wie das neu geschaffene Erfordernis der Falldarstellung als Grundlage für eine Listung. Die Pflicht zur Benachrichtigung der gelisteten Person ist zwar nicht sehr strikt formuliert („inform, to the extent possible, and in writing where possible“), doch nimmt der sich so ergebende, möglicherweise unterschiedliche Umfang der Information vermutlich nur auf den Zusammenhang mit Geheimdienstinformationen Rücksicht, ändert aber nichts an der grundsätzlichen Verpflichtung, die Information zu geben und durch die Betonung des Delisting-Verfahrens eine Art Rechtsbehelfsbelehrung zu erteilen. Das Formerfordernis der Schriftlichkeit kann Warnfunktion und gegebenenfalls auch Beweisfunktion haben. Dies sind ebenso rechtsstaatliche Anleihen wie die Bezugnahme auf die FATF-Empfehlungen durch die Resolution. Anhand der „Sanktionsnorm“73 lässt sich zeigen, wie die Bezugnahme der Resolution 1617 (2005) auf die Empfehlungen der FATF zu werten ist: Die Empfehlungen beziehen sich auf die Rechtsfolgenseite der „Sanktionsnorm“, sie sind also im Mehrebenensystem des Sanktionsregimes durch die Einbeziehung in die Resolution völkerrechtlich verpflichtende Vorgaben für die Implementierung der Sanktionen durch die UN-Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene. Dadurch werden Regeln rechtsstaatlicher Natur –
gafi.org/dataoecd/53/32/34262136.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010), Ziff. 8 (g). Siehe dazu näher unten, G.I.3. 72
Auch Meerpohl, Individualsanktionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, 2008, S. 273, sieht diese Entwicklung positiv, gibt jedoch zu bedenken, dass aufgrund des politischen Charakters der Entscheidung im Sanktionskomittee der Wert dieser Konkretisierung der Listungsvoraussetzungen relativiert wird. 73
Vgl. oben, B.II.2.
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wenn auch nur gerichtet an die Staaten – in das Sanktionsregime eingeführt, so etwa Elemente des Rechtsschutzes, wie die Möglichkeit der Kontenfreigabe bei Identitätsverwechslung und der offizielle Auftrag, national Rechtsschutz zu gewähren. Die Definitionen wichtiger Begriffe tragen zur Rechtssicherheit und Rechtsklarheit bei, durch die Bezugnahme auf sie in der Resolution sind sie vom Sicherheitsrat autorisiert.
9. Sicherheitsratsresolution 1699 (2006) Die Resolution 1699 (2006) richtet an den UN-Generalsekretär die Bitte, die Zusammenarbeit zwischen UN und Interpol im Interesse verbesserter Instrumente zur effektiveren Erfüllung der Mandate der Sanktionskomitees zu verstärken und den Mitgliedsstaaten eine bessere Auswahl an Möglichkeiten an die Hand zu geben für die Umsetzung der auf UN-Ebene beschlossenen Maßnahmen.74 Die UN-Mitgliedstaaten wiederum werden aufgefordert, von den durch Interpol angebotenen Hilfsmitteln Gebrauch zu machen.75 Ohne direkt auf Aspekte der Ausübung von Hoheitsgewalt einzugehen, betrifft die Resolution 1699 (2006) mit ihrem Auftrag zu einer Kooperation zwischen der UN und Interpol Mehrebenenaspekte der Verwaltung des Sanktionsregimes. Die Umsetzung der Sanktionen soll durch derartige Kooperationen verbessert werden. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene stark auf die Kooperation der verschiedenen Ebenen angewiesen ist.
10. Sicherheitsratsresolution 1730 (2006) a) Inhalt Die Resolution 1730 (2006) bezieht sich auf eine Stellungnahme des Präsidenten des Sicherheitsrates, der geäußert hatte, dass bei der Umsetzung der Sanktionen ein Ausgleich zwischen der Effektivität der Sanktionen und möglichen negativen Konsequenzen zu schaffen sei, indem insbesondere sichergestellt werden müsse, dass es faire und klare 74 75
Resolution 1699 (2006) vom 8. August 2006, Ziff. 1. Ibid., Ziff. 2.
162
Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
Verfahrensregeln für die Listung und Streichung von der Liste sowie für Ausnahmeregelungen aus humanitären Gründen gebe.76 Die auffälligste Neuerung durch die Resolution 1730 (2006) ist die Einrichtung des sogenannten Focal Point,77 der Delisting-Anträge direkt von den betroffenen Einzelnen entgegennehmen kann.78 Die Einrichtung des Focal Point entspringt dem erwähnten Bemühen des Sicherheitsrates, ein faires und klares Verfahren für die Entfernung von natürlichen und juristischen Personen von der Sanktionsliste zur Verfügung zu stellen.79 Der Focal Point verdankt seinen Namen seiner Zuständigkeit als Anlaufstelle für Antragsteller aller aktiven Sanktionskomitees.80 Er ist eine Verwaltungsbehörde, die der Generalsekretär der UN im Auftrag des Sicherheitsrates innerhalb des Sekretariats als Unterorgan des Sicherheitsrates einzurichten hat.81 Seine Hauptaufgaben sind die Entgegennahme von Delisting-Anträgen von gelisteten Individuen, Gruppen, Unternehmen und juristischen Personen,82 die Feststellung, ob der Antrag schon einmal gestellt wurde,83 die Empfangsbestätigung bezüglich des Antrages mit der Information zum allgemeinen Ablauf der Antragsbearbeitung an den Antragsteller84 und die Weiterleitung des Antrags zur Kenntnis und möglichen Stellungnahme an den Hei76 Resolution 1730 (2006) vom 19. Dezember 2006, 4. und 5. Erwägungsgrund; s. auch die Stellungnahme des Präsidenten des Sicherheitsrats, S/PRST/ 2006/28, vom 22. Juni 2006. 77
Hierzu auch Feinäugle, Die Terroristenlisten des Sicherheitsrates – Endlich Rechtsschutz des Einzelnen gegen die Vereinten Nationen?, ZPR 40 (2007) 3, S. 75 ff. 78
Resolution 1730 (2006) vom 19. Dezember 2006, Ziff. 1.
79
Ibid., Ziff. 5. Erwägungsgrund; siehe auch die Aufforderung der Staatsund Regierungschefs an den Sicherheitsrat im World Summit Outcome Dokument, A/RES/60/1, vom 24.Oktober 2005, Ziff. 109: “We also call upon the Security Council, with the support of the Secretary-General, to ensure that fair and clear procedures exist for placing individuals and entities on sanctions lists and for removing them, as well as for granting humanitarian exemptions’’; siehe außerdem die Stellungnahme des Präsidenten des Sicherheitsrats, S/PRST/2006 /28, vom 22. Juni 2006. 80 81 82 83 84
Vgl. Resolution 1730 (2006) vom 19. Dezember 2006, Ziff. 2. Ibid., Ziff. 1. Anlage zur Resolution 1730 (2006) vom 19. Dezember 2006, Ziff. 1. Ibid., Ziff. 2, 3. Ibid., Ziff. 4.
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen
163
mat- und Ansässigkeitsstaat und an den Staat, der die Listung vorgeschlagen hatte.85 Außerdem soll der Focal Point alle Nachrichten von den Mitgliedstaaten an das Sanktionskomitee übermitteln86 und den Antragsteller über die Entscheidung des Sanktionskomitees informieren.87
b) Bewertung Die Stellungnahme des Präsidenten des Sicherheitsrats fand statt nach einer Sicherheitsratssitzung zum Thema „Strengthening international law: rule of law and maintenance of international peace and security“.88 Durch die Einbeziehung der Stellungnahme in die Resolution wird die Rechtsstaatlichkeit erstmals als ein für das 1267-Sanktionsregime maßgebliches und gültiges Prinzip offiziell eingeführt. Der vierte Erwägungsgrund der Resolution wendet sich insoweit einerseits an die UNEbene selbst, indem der Sicherheitsrat sich entschlossen gibt, sicherzustellen, dass Sanktionen sorgfältig und zur Verfolgung klarer Ziele eingesetzt werden. Dies erinnert an ein Willkürverbot und den Grundsatz der Rechtsklarheit. Andererseits soll die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten in einer Weise erfolgen, die einen Ausgleich zwischen der Effektivität der Sanktionen und möglichen negativen Konsequenzen herstellt, was somit explizit die Berücksichtigung solcher Konsequenzen zulässt und auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung und die Geltung des Abwägungsgebots hindeutet. Die Forderung nach fairen und klaren Verfahrensregeln für die Listung und Streichung und die Ausnahmeregelungen betreffen Aspekte der Rechtssicherheit, der Rechtsklarheit und der Verhältnismäßigkeit. Diese Entwicklungstendenzen im Sinne der Rechtsstaatlichkeit finden allerdings im operativen Teil der Resolution nicht in gleicher Konsequenz ihre Entsprechung: Aus dem Aufgabenkreis des Focal Point wird ersichtlich, dass dessen Funktion rein verwaltender Natur ist. Unter Rechtsschutzgesichtspunkten erfüllt diese Einrichtung bei weitem nicht die Aufgabe einer Kontrollinstanz, die unabhängig und rechtsverbindlich entscheiden könnte. Stattdessen ist der Focal Point eine einfache Verwaltungsbehörde, die Anträge und andere Informationen von natür85 86 87 88
Ibid., Ziff. 5. Ibid., Ziff. 7. Ibid., Ziff. 8. Sicherheitsrat, 5474. Sitzung, S/PV.5474 (Resumption 1), 22. Juni 2006.
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lichen und juristischen Personen und Mitgliedstaaten an andere Mitgliedstaaten oder das Sanktionskomitee und umgekehrt weiterleitet. Die Änderungen im Delisting-Verfahren sind zum Teil im Sinne der Rechtsstaatlichkeit begrüßenswert: Der Einzelne erhält über den Focal Point direkten Zugang zur UN-Ebene, um seine Streichung von der Liste zu verlangen und ist nicht mehr auf das Wohlwollen seines Staates angewiesen bei der Gewährung diplomatischen Schutzes, die auch von politischen Erwägungen geprägt ist und oft viel Zeit in Anspruch nimmt.89 Auch nach dem jetzigen Delisting-Verfahren bleiben aber die Vorschlags- sowie die Heimat- und Ansässigkeitsstaaten erste Anlaufstelle im Delisting-Verfahren, indem ihnen die Möglichkeit zur Äußerung gegeben wird.90 Immerhin wird der Antragsteller jetzt über den Verbleib seines Namens auf der Liste bzw. dessen Streichung informiert. Dies dient der Rechtssicherheit des Antragstellers und auch der Rechtsklarheit. Deshalb ist die Einschätzung der Sicherheitsratsmitglieder, dass die Resolution Transparenz, Effektivität und Glaubwürdigkeit der Sanktionen stärke,91 nicht unzutreffend.
11. Sicherheitsratsresolution 1732 (2006) In Resolution 1732 (2006) begrüßt der Sicherheitsrat den Bericht der von ihm eingerichteten informellen Arbeitsgruppe zu allgemeinen
89
Bezüglich des Verfahrens über den Weg des diplomatischen Schutzes war schon früher vorgeschlagen worden, dass der Antrag in jedem Fall bis vor das Sanktionskomitee gelangen sollte (so das Monitoring Team im Second report of the Analytical Support and Sanctions Monitoring Team appointed pursuant to resolution 1526 (2004) concerning Al-Qaida and the Taliban and associated individuals and entities, S/2005/83, vom 15. Februar 2005, Ziff. 56 und auch die USA, vgl. Fifth report of the Analytical Support and Sanctions Monitoring Team appointed pursuant to resolutions 1526 (2004) and 1617 (2005) concerning Al-Qaida and the Taliban and associated individuals and entities, S/2006 /750, vom 20. September 2006, Ziff. 51). Grundlegend zur Pflicht des Staates zur Gewährung diplomatischen Schutzes Doehring, Die Pflicht des Staates zur Gewährung diplomatischen Schutzes: Deutsches Recht und Rechtsvergleichung, 1959. 90
Nur wenn sie untätig bleiben, können die Mitglieder des Sanktionskomitees auch ohne eine entsprechende Äußerung mit dem Verfahren fortfahren, s. Anlage zur Resolution 1730 (2006) vom 19. Dezember 2006, Ziff. 6 (c). 91
Sicherheitsrat, 5599. Sitzung, S/PV.5599, 19. Dezember 2006, S. 2.
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen
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Sanktionsfragen und nimmt deren Empfehlungen zur Verbesserung der Effektivität von UN-Sanktionen zur Kenntnis. Am interessantesten sind dabei die Empfehlungen zur Gestaltung von Sanktionen. Dort heißt es, der Sicherheitsrat möge klar den Anwendungsbereich der Sanktion definieren, sowie die Bedingungen und Kriterien für deren Abmilderung oder Aufhebung.92 Das Sanktionskomitee wiederum soll sich Richtlinien geben, die sicherstellen, dass die Auswahl der zu listenden Personen auf fairen und klaren Verfahren basiert.93 Das Sanktionskomitee soll regelmäßige Überprüfungen der Namen auf der Liste vornehmen und schon bei der Einrichtung jedes Sanktionsregimes Richtlinien für klare und faire Verfahren zur Streichung von der Liste erlassen.94 Auch „holds“, also Entscheidungen, durch die Delisting-Entscheidungen vertagt werden, sollen überprüft werden.95 Dies ist gerade für das 1267-Regime interessant, weil hier der Antragsteller nur hinsichtlich der Entscheidung darüber informiert wird, ob sein Name auf der Liste verbleibt oder gestrichen wird.96 Solange dagegen diese Entscheidung „auf Eis gelegt“ („on hold“) ist, erfährt er nichts.97 Dies zeigt, dass aus Sicht der Arbeitsgruppe Rechtsklarheit, rechtsstaatsähnliche Verfahren, Kontrolle auf Rechtmäßigkeit sowie Rechtsschutz – also Aspekte der Rechtsstaatlichkeit – Elemente sind, die der Effektivität von Sanktionsregimen dienen.
92 Report of the Informal Working Group of the Security Council on General Issues of Sanctions, S/2006/997, 22. Dezember 2006, Ziff. 3 (b)(ii). 93 94 95
Ibid., Ziff. 3 (b)(v). Ibid., Ziff. 3 (b)(vi). Ibid., Ziff. 16 (f).
96
Vgl. zuletzt Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 27 sowie Annex II zur Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 11 und 13. 97
Nach der jüngsten Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 41, muss in den Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees nunmehr sichergestellt werden, dass keine Sache länger als sechs Monate beim Sanktionskomitee anhängig bleibt, es sei denn, dass das Sanktionskomitee im Einzelfall außerordentliche Umstände feststellt, die eine längere Befassung rechtfertigen.
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12. Sicherheitsratsresolution 1735 (2006) a) Inhalt In der Resolution 1735 (2006) wird die für einen Listungsvorschlag bereits früher98 auferlegte Pflicht zur Lieferung einer Falldarstellung näher ausdifferenziert.99 Die Falldarstellung soll, wie bisher, so detailliert wie möglich gefasst sein und insbesondere spezifische Informationen enthalten, die die Voraussetzungen für eine Listung, also die Eigenschaft als Al-Qaida- oder Talibanmitglied oder insbesondere die Verbindung zu diesen Gruppen oder Osama bin Laden, stützen.100 Die zwei weiteren der drei ausdrücklich statuierten Substantiierungspflichten betreffen die Angabe der Natur der Informationen und die Lieferung weiterer Dokumente als Belege.101 Da die Darstellung des Falles im Listungsverfahren nicht in erster Linie der Rechtfertigung einer etwaigen Listung gegenüber dem Gelisteten, sondern dem Sanktionskomitee als Entscheidungsgrundlage dienen soll, gibt die Resolution dem Vorschlagsstaat weiter auf, denjenigen Teil der Falldarstellung festzulegen, der zum Zweck der Information des Gelisteten veröffentlicht werden kann, sowie den Teil, der einem Staat bei Interesse preisgegeben werden darf.102 Zur Verbesserung der Identifizierung der zu Listenden wird die Nutzung eines Deckblattes angemahnt, in dem bis zu sechs Namen und Vornamen, Aliasnamen, Geburtsdetails, Adressen und die öffentlich publizierbaren Anteile der Falldarstellungen einzutragen sind.103 Das Deckblatt ist der Resolution beigefügt.104 Des Weiteren statuiert die Resolution zwei Informationspflichten: Einerseits soll das UN-Sekretariat nach Veröffentlichung, aber (spätestens) innerhalb von zwei Wochen nach Listung des Namens die Ständige Vertretung des Landes benachrichtigen, in dem der Gelistete vermutet wird und im Fall von Individuen den Heimatstaat.105 In diese Be98 99 100 101 102 103 104 105
Resolution 1617 (2005) vom 29. Juli 2005, Ziff. 4. Resolution 1735 (2006) vom 22. Dezember 2006, Ziff. 5 bis 12. Ibid., Ziff. 5. Ibid. Ibid., Ziff. 6. Ibid., Ziff. 7. Annex I zu Resolution 1735 (2006) vom 22. Dezember 2006. Resolution 1735 (2006) vom 22. Dezember 2006, Ziff. 10.
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen
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kanntmachung soll neben dem zur Veröffentlichung freigegebenen Teil der Falldarstellung auch eine Beschreibung der Wirkung der Listung, sowie die Vorschriften über das Delisting-Verfahren des Komitees und über die Ausnahmen zur Kontensperrung aufgenommen werden.106 Sie ist sodann mit gleichem Inhalt von den Staaten an die gelistete natürliche oder juristische Person mitzuteilen.107 Bezüglich der Streichung von der Liste werden dem Sanktionskomitee Prüfungsvorgaben gemacht: Danach soll das Komitee bei der Streichungsentscheidung unter anderem in Erwägung ziehen, ob die Listung infolge einer Identitätsverwechslung erfolgt ist oder auch, ob der Gelistete nicht länger die Voraussetzungen für eine Listung erfüllt.108 Für Letzteres könne das Komitee berücksichtigen, ob der Gelistete gestorben sei oder nachweislich alle Verbindungen zu Al-Qaida etc. abgebrochen habe.109 Im Übrigen wird eine Verbesserung der Kooperation zwischen den UN und internationalen Organisationen wie Interpol angemahnt.110
b) Bewertung Die verschiedenen Arten der Ausdifferenzierungen der Falldarstellung dienen der Sicherstellung einer möglichst vollständigen und verlässlichen Entscheidungsgrundlage für die Listungsentscheidung. Die Vorgaben für die Berücksichtigung gehen hier bis zur Natur der Informationen, also etwa Geheimdienstinformationen oder bloße Zeitungsberichte, um dem Komitee eine möglichst gute „Beweiswürdigung“ zu ermöglichen. Die Empfehlung, das Deckblatt zu verwenden, dient dabei rechtsstaatlicher Formalisierung: Seine Verwendung fördert die Herstellung einer möglichst vollständigen Prüfungsgrundlage, verhindert, dass einzelne Punkte vergessen werden, ermöglicht eher die einheitliche Beurteilung verschiedener Fälle und ruft die rechtlichen Voraussetzungen in Form der Nennung der einzelnen Fallgruppen des „Verbundenseins“ nach Resolution 1617 in Erinnerung. Die Resolution selber spricht insofern von der Sicherstellung von „clarity and consis106 107 108 109 110
Ibid., Ziff. 10. Ibid., Ziff. 11. Ibid., Ziff. 13 und 14. Ibid., Ziff. 14. Ibid., Ziff. 19-23.
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tency“ bei Listungsanträgen.111 Das Deckblatt steht außerdem gegebenenfalls, da schriftlich niedergelegt, für Rückgriffe im Falle von Zweifelsfragen zur Verfügung. Die „doppelte Informationspflicht“ im Fall von Neulistungen – von der UN an die Mitgliedstaaten einerseits, und von den Mitgliedstaaten weiter an den Gelisteten andererseits – zeigt wieder den Mehrebenencharakter des Sanktionssystems.112 Rechtsstaatlich wichtig ist die so statuierte Pflicht, den Gelisteten inhaltlich ausführlicher zu informieren: Erstmals wird der Gelistete nicht nur mit dem Faktum der Sanktionierung abgespeist, sondern es soll ihm auch der freigegebene Teil der Falldarstellung zur Verfügung gestellt werden. Die Prüfungsvorgaben, ob die Voraussetzungen für die Listung nicht mehr vorliegen oder der Gelistete in der Zwischenzeit gestorben ist, verleihen dem Delisting-Verfahren eine gewisse Rechtsförmigkeit. Bisher bestanden insofern keine Prüfungsvorgaben, so dass die Gefahr einer politischen Entscheidung größer war. Durch die Einführung des klaren und nahe liegenden Kriteriums der entfallenen Listungsvoraussetzungen wird das Verfahren objektiviert und so die Rechtssicherheit gefördert. Mit der Resolution 1735 (2006) werden somit auch einige der Vorschläge der Sanktionsarbeitsgruppe des Sicherheitsrates umgesetzt, die der Sicherheitsrat mit Resolution 1732 (2006) zur Kenntnis genommen hatte. Weiterhin nicht eingeführt wurde aber die vorgeschlagene reguläre Überprüfung der Namen auf der Liste.113
111
Ibid., Ziff. 7.
112
Der Mehrebenenaspekt wird auch von der Sanktionsarbeitsgruppe des Sicherheitsrates angesprochen: “For targeted sanctions to be effective, appropriate action must be taken at all decision-making levels: the Security Council, the sanctions committee, Member States and their administrative agencies”, Report of the Informal Working Group of the Security Council on General Issues of Sanctions, S/2006/997, 22. Dezember 2006, Ziff. 2. 113
Report of the Informal Working Group of the Security Council on General Issues of Sanctions, S/2006/997, 22. Dezember 2006, Ziff. 3 (b)(vi).
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13. Sicherheitsratsresolution 1822 (2008) a) Inhalt Nach Resolution 1822 (2008) muss nun bei jeder neuen Listung das Sanktionskomitee mit der Unterstützung des Monitoring Teams und in Koordinierung mit den betroffenen Vorschlagsstaaten auf seiner Internetseite eine Zusammenfassung der Gründe („narrative summary of reasons“) für die entsprechende Eintragung zugänglich machen.114 Solche Begründungen sollen auch für bereits bestehende Listungen nachgeliefert werden. Die Zusammenfassung der Gründe speist sich aus dem zur Veröffentlichung freigegebenen Teil der Falldarstellung.115 Das UNSekretariat soll nun nach Veröffentlichung, aber schon innerhalb von einer Woche – statt, wie bisher, innerhalb von zwei Wochen116 – nach Listung des Namens die Ständige Vertretung des Landes benachrichtigen, in dem sich der Betroffene mutmaßlich befindet und im Fall von Individuen deren Heimatstaat.117 Eine weitere Informationspflicht, nämlich des Mitgliedstaates gegenüber dem betroffenen Gelisteten, bestand ebenfalls bisher schon, allerdings wird jetzt zusätzlich gefordert, zum Zweck der Information alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen zu ergreifen, um den Betroffenen zeitnah118 („in a timely manner“) zu informieren und außerdem jede auf der Internetseite des Sanktionskomitees erhältliche Information über die Gründe für die Listung mitzuteilen.119 Über die ergriffenen Informationsmaßnahmen sowie die Umsetzung der Sanktionen sollen die Mitgliedstaaten wiederum das Sanktionskomitee unterrichten.120 Für das Delisting-Verfahren werden die Vorschlags- sowie Heimat- und Ansässigkeitsstaaten gedrängt, zeitnah zu prüfen und anzuzeigen, ob sie die Anfrage unterstützen oder ob sie dagegen sind, um so die Überprüfung durch das Sanktionskomitee zu erleichtern.121 Neu ist des Weiteren, dass das Komitee eine jährliche Überprüfung der Listung derjeni114 115 116 117 118 119 120 121
Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 13. Ibid., Ziff. 12. Resolution 1735 (2006) vom 22. Dezember 2006, Ziff. 10. Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 15. Früheren Resolutionen war keine zeitliche Vorgabe zu entnehmen. Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 17. Ibid., Ziff. 18. Ibid., Ziff. 20.
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gen durchführen soll, die als verstorben gemeldet wurden.122 Dabei sollen die Namen den entsprechenden Staaten gemäß den Verfahrensrichtlinien, also wohl dem Vorschlags- sowie dem Heimat-/Ansässigkeitsstaat gemäß dem Delisting-Verfahren, zugeleitet werden, um sicherzustellen, dass die Liste so aktuell und fehlerfrei wie möglich geführt wird, und um zu bestätigen, dass eine bestehende Listung weiterhin gerechtfertigt ist.123 Für die Information des Gestrichenen wird bis zu einem gewissen Grad ein Gleichlauf mit der Informationsweise im Falle einer Listung geschaffen: Das UN-Sekretariat soll nun innerhalb von einer Woche nach Streichung des Namens von der Liste die Ständige Vertretung des Landes benachrichtigen, in dem sich der Betroffene mutmaßlich befindet und im Fall von Individuen deren Heimatstaat.124 Die Staaten, die eine derartige Notifizierung erhalten, werden aufgefordert, ihrerseits den Betroffenen zeitnah über seine Streichung von der Sanktionsliste zu informieren.125 Durch neue Regeln zur Überprüfung und Führung der Liste werden die Mitgliedstaaten, insbesondere die Vorschlags- und die Heimat- und Ansässigkeitsstaaten, aufgefordert, dem Sanktionskomitee zusätzliche Informationen zur Identifizierung und weitere Informationen, zusammen mit der entsprechenden Dokumentation, zu übermitteln.126 Dies soll, soweit erhältlich, auch Informationen zur Aktivität der gelisteten juristischen Personen, Gruppen und Unternehmen, und zu Umzügen, Inhaftierungen oder dem Tod gelisteter Individuen sowie anderen wesentlichen Ereignissen umfassen.127 Sodann wird das Sanktionskomitee angewiesen, innerhalb von zwei Jahren eine Gesamtüberprüfung aller Namen auf der Liste vorzunehmen, bei der diese den Vorschlags- und den Heimat- und Ansässigkeitsstaaten, soweit diese bekannt sind, gemäß dem Überprüfungsverfahren in den Verfahrensrichtlinien vorgelegt 122
Ibid., Ziff. 22. Diese Regelung trägt dem Problem Rechnung, dass mangels Antragsberechtigung nicht Gelisteter, Tote auf der Liste verbleiben würden. Der Vertreter von Qatar hatte dies in einer Sitzung so ausgedrückt: “…one may wonder how the deceased persons are to submit their requests for delisting, given that they are dead”, s. Sicherheitsrat, 5599. Sitzung, S/PV.5599, 19. Dezember 2006, S. 4. 123 124 125 126 127
Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 22. Ibid., Ziff. 23. Ibid. Ibid., Ziff. 24. Ibid.
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werden.128 Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Liste so aktuell und fehlerfrei wie möglich geführt wird, sowie bestätigt werden, dass eine bestehende Listung weiterhin gerechtfertigt ist. Nach Beendigung dieser Prüfung soll eine jährliche Überprüfung aller Namen stattfinden, die drei Jahre oder länger nicht überprüft wurden.129 Nach Resolution 1822 (2008) können die Mitgliedstaaten gestatten, dass Zahlungen zugunsten der Gelisteten den eingefrorenen Konten gutgeschrieben werden können, sofern solche Zahlungen ihrerseits auch der Kontensperrung unterworfen werden.130
b) Bewertung Die Resolution 1822 (2008) erbringt weitere Fortschritte131 hinsichtlich der rechtsstaatlichen Ausgestaltung des 1267-Sanktionsregimes, die sich im Wesentlichen in drei Hauptlinien unterteilen lassen: Zum einen sind dem Gelisteten nun die Gründe für seine Listung mitzuteilen. Dies ist eine grundlegende rechtsstaatliche Verbesserung, weil der Betroffene erst durch die Nennung der Gründe in die Lage versetzt wird, seine Verteidigung vorzubereiten und sich argumentativ wirksam gegen die Listung zu wehren. Dass dem Gelisteten neben diesen Gründen auch der zur Veröffentlichung freigegebene Teil der Falldarstellung mitzuteilen ist, könnte dafür sprechen, dass, wie bei einer rechtsstaatlichen Begründung eines Eingriffsaktes im nationalen Kontext, nicht nur die Tatsachen, sondern auch die rechtlichen Gründe, insbesondere die Erwägungen bei der Subsumtion, sichtbar werden. Allerdings sprechen die Ergänzungen auf der Internetseite bisher dagegen, da sie allenfalls zum Teil Belege für die behaupteten Tatsachen liefern und keine rechtlichen Gesichtspunkte hinsichtlich der Listungsentscheidung erkennen lassen.132 128 129 130
Ibid., Ziff. 25. Ibid., Ziff. 26. Ibid., Ziff. 6.
131
Die Vertreterin des USA, Rosemary Di Carlo, bezeichnete die Fortschritte gar als „leap forward in ensuring fair procedures for listing and de-listing“, s. Security Council, 6015th meeting, SC/9498, vom 12. November 2008. 132 Dem Listungseintrag beigefügte Stellungnahmen zu den Listungen, die nach Verabschiedung der Resolution 1822 (2008) stattfanden oder ergänzt wurden, beschränken sich auf Aussagen wie: “Sentenced to three years and six months of imprisonment by the Tribunal of Naples on 19 May 2005. Released
172
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Die zweite, deutlich erkennbare Veränderung ist die sichtbare zeitliche Straffung des Listing- wie Delisting-Verfahrens: In beiden Fällen soll das Sekretariat die Ständigen Vertretungen innerhalb schon einer Woche über die Entscheidung informieren, und in beiden Fällen soll der Ansässigkeits- bzw. Heimatstaat den Einzelnen zeitnah informieren. Im Delisting-Verfahren sollen Vorschlags-, Heimat- und Ansässigkeitsstaaten die Delisting-Anfrage ebenfalls zeitnah prüfen. Diese Neuerungen entsprechen dem rechtsstaatlichen Beschleunigungsgrundsatz, der überlange Verfahrensdauern und Untätigkeit – vor allem im Fall von Eingriffsakten – vermeiden will. Zuletzt sind die regelmäßigen Listenüberprüfungen von Amts wegen positiv hervorzuheben: Sowohl die Gesamtüberprüfung der Liste, wie anschließend die jährliche Prüfung, die Prüfung von Todesfällen und die Anforderung konkreter Informationen bezüglich der Gelisteten tragen dazu bei, dass nur Listungen Bestand haben, die auch berechtigt sind. Die Liste erhält dadurch eine stärkere Legitimation.
on 30 Jan. 2006 due to an order suspending the sentence. Returned to Algeria where he resides as at Nov. 2008”, “He is an active Taliban leader. Believed to be in the Afghanistan/Pakistan border area. Although reported deceased in June 2007, still alive as of May 2008”; „Minister of Public Works of the Taliban regime“ oder “Has acted on behalf of and provided financial, material and logistical support to Al-Qaida (listed under xxx) and the Libyan Islamic Fighting Group (LIFG, listed under xxx), including provision of electrical parts used in explosives, computers, GPS devices and military equipment. Trained by Al-Qaida in small arms and explosives in South Asia and fought with Al-Qaida in Afghanistan”; “Involved in fundraising on behalf of the Libyan Islamic Fighting Group (LIFG, listed under xxx). Held senior positions within the LIFG in the United Kingdom. Associated with the Directors of the SANABEL Relief Agency (listed under xxx), Ghuma Abd’rabbah (listed under xxx), Taher Nasuf (listed under xxx) and Abdulbaqi Mohammed Khaled (listed under xxx) and with members of the LIFG in the United Kingdom”; “Bahrain-based financier and facilitator for Al-Qaida (listed under xxx). In Jan. 2008, convicted by the Bahraini High Criminal Court for financing terrorism, undergoing terrorist training, facilitating the travel of others to receive terrorist training abroad, and for membership in a terrorist organization. Released after Court verdict and completion of his sentence”; “Chief of finance of Lashkar-e-Tayyiba (listed under xxx)”. In jüngerer Zeit scheinen die Informationen zu den gelisteten Personen, die mit Al Qaida in Verbindung stehen sollen, immerhin deutlich ausführlicher auszufallen.
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Als Einzelaspekt hilft die Erlaubnis für die Mitgliedstaaten, jede Art von Zahlungen zugunsten der Gelisteten den eingefrorenen Konten gutzuschreiben, sofern solche Zahlungen dann auch der Kontensperrung unterworfen werden, Kollateralschäden wie im Fall Möllendorf133 zu vermeiden. Dort konnten ungelistete Dritte einen Zahlungsanspruch gegenüber dem Gelisteten nicht erfüllen, weil auf gesperrte Konten nur für Ansprüche gezahlt werden durfte, die vor der Sperrung entstanden waren. Die jetzige Regel, jede Art von Zahlung unter Sperrungsvorbehalt zuzulassen, löst dieses Problem, während gleichzeitig das Ziel der wirtschaftlichen Isolierung des Gelisteten gewahrt bleibt. Dies könnte man als Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit werten, der nur den Einsatz der Mittel erlaubt, die zur Erreichung des Ziels der Terrorismusbekämpfung unter Schonung der Rechte Dritter erforderlich sind.
14. Sicherheitsratsresolution 1904 (2009) a) Inhalt Im Fokus der rechtsstaatlichen Entwicklungen des 1267-Regimes, die die Resolution 1904 (2009) mit sich bringt, steht die Einrichtung des Amtes einer Ombudsperson und deren Wirken im Rahmen des erneut modifizierten Delisting-Verfahrens. Dem sind weitere Veränderungen im Listungs- und Delisting-Verfahren zur Seite gestellt. Die Resolution adressiert zunächst das Listungsverfahren und schreibt hier für neue Listungsvorschläge die Verwendung eines Standardformulars vor,134 das das bisherige Deckblatt135 ersetzt. Dieses Formular ist im Internet abrufbar und verlangt über die im früheren Deckblatt vorgesehenen Eintragungen wie Namen, Aliasnamen, Einzelheiten zu Geburt, Nationalität und Adressen136 hinaus auch Auskünfte etwa zu Familienstand, Verurteilungen, Haft, Größe, Gewicht und Haar- und Augenfarbe des zu Listenden.137 Im Falle einer neuen Listung ist die Begründung 133 134 135 136 137
S. u. H.II.1. Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 13. S. zuletzt Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 14. Vgl. Annex I zu Resolution 1735 (2006) vom 22. Dezember 2006.
S. http://www.un.org/sc/committees/1267/listing.shtml (zuletzt besucht am 2. Mai 2010).
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nicht mehr eher vage „nach“ der Listung, sondern im gleichen Zeitpunkt, in dem der Name der Liste hinzugefügt wird, im Internet zu veröffentlichen.138 Eine Neulistung ist jetzt nicht mehr innerhalb einer Woche,139 sondern bereits innerhalb von drei Werktagen nach der Listung der Ständigen Vertretung des Landes zu notifizieren, in dem sich der Betroffene mutmaßlich befindet und im Fall von Individuen deren Heimatstaat.140 In der Benachrichtigung des Betroffenen ist nun auch darauf hinzuweisen, dass ein Streichungsantrag an die Ombudsperson gerichtet werden kann.141 Das Amt der Ombudsperson wird zunächst für 18 Monate ab Erlass der Resolution 1904 (2009) installiert.142 Dem UN-Generalsekretär obliegt es, für dieses Amt in Abstimmung mit dem Sanktionskomitee eine Persönlichkeit von hohem sittlichen Ansehen zu ernennen, die sich durch Unparteilichkeit und Integrität auszeichnet und die auf den einschlägigen Gebieten wie Terrorismusbekämpfung, Sanktionen und Menschenrechtsschutz hohe Qualifikationen und Erfahrung aufweist.143 Ihre Aufgaben soll die Ombudsperson unabhängig und unparteiisch erfüllen und dabei von den Staatsregierungen weisungsunabhängig sein.144 Im Rahmen des Delisting-Verfahrens soll die Ombudsperson anstelle des bisher zuständigen „Focal Point“ Streichungsanträge von natürlichen und juristischen Personen entgegennehmen.145 Nach Eingang eines Streichungsantrages bestätigt die Ombudsperson dessen Erhalt, informiert den Antragsteller über das Delisting-Verfahren und beantwortet etwaige Fragen.146 Sie schickt den Antrag zurück, falls dieser nachgebessert werden muss oder ein erneut eingereich138 139 140 141 142 143 144
Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 14. So noch Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 15. Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 18. Ibid., Ziff. 19. Ibid., Ziff. 20. Ibid. Ibid.
145
Der „Focal Point“ erfüllt diese Aufgabe aber weiterhin für andere Sanktionslisten des Sicherheitsrates; vgl. Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 21. 146
Annex II zur Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 1 (a) bis (c).
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen
175
ter Antrag keine zusätzlichen Informationen enthält.147 Besteht kein Anlass, den Antrag zurückzusenden, so leitet die Ombudsperson ihn an alle Mitglieder des Sanktionskomitees, den Staat, der die Listung vorgeschlagen hatte, den Heimat-/Sitz- oder Ansässigkeitsstaat und an die zuständigen UN-Organe weiter, sowie nach ihrem Ermessen auch an weitere Staaten.148 All diese Staaten und UN-Organe sollen binnen zweier Monate weitere Informationen zu dem Streichungsantrag mitteilen.149 Die Ombudsperson kann mit diesen Staaten in Dialog treten, um deren Meinungen und etwaigen weiteren Informationsbedarf zu ermitteln.150 Der Antrag ist zudem auch an das Monitoring Team weiterzuleiten, das innerhalb von zwei Monaten alle zu dem Streichungsantrag verfügbaren Informationen (einschließlich etwa Gerichtsentscheidungen), eine auf Tatsachen gestützte Bewertung der vom Antragsteller gelieferten Informationen sowie noch zu klärende Fragen an die Ombudsperson zu übermitteln hat.151 Nach Ablauf der zwei Monate – soweit die Frist nicht ausnahmsweise verlängert werden muss – legt die Ombudsperson dem Sanktionskomitee einen schriftlichen Fortschrittsbericht vor, einschließlich der Einzelheiten darüber, welche Staaten Informationen geliefert haben.152 Damit ist das Stadium der Informationssammlung beendet und die Ombudsperson moderiert dann einen zweimonatigen Zeitraum des Austauschs zwischen den Staaten, dem Sanktionskomitee, dem Antragsteller und dem Monitoring Team, indem sie etwa Fragen an den Antragsteller richtet, etwaige Antworten an die anderen Beteiligten weiterleitet und den Dialog koordiniert.153 Zum Abschluss verfasst sie für das Sanktionskomitee einen umfassenden Bericht, der neben einer Zusammenfassung aller antragsrelevanten Informationen und der Beschreibung der ausgeführten Tätigkeiten der Ombudsperson insbesondere die – aus ihrer Sicht – wesentlichen Argumente in Bezug auf den Streichungsantrag darlegt.154 147 148 149 150 151 152 153 154
Ibid., Ziff. 1 (d) und (e). Ibid., Ziff. 2. Ibid. Ibid. Ibid., Ziff. 3. Ibid., Ziff. 4. Ibid., Ziff. 5-7. Ibid., Ziff. 7.
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Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
Das Sanktionskomitee hat zur Durchsicht des Berichts dreißig Tage Zeit, dann wird der Streichungsantrag auf die Tagesordnung des Komitees gesetzt.155 Bei der Prüfung des Streichungsantrags stellt die Ombudsperson den Bericht vor und beantwortet Fragen der Mitglieder des Sanktionskomitees.156 Das Komitee beschließt dann, ob dem Streichungsantrag stattgegeben wird.157 Im Falle der Stattgabe wie der Ablehnung der Streichung unterrichtet die Ombudsperson den Antragsteller.158 Im Fall der Ablehnung sendet sie dem Antragsteller innerhalb von fünfzehn Tagen nach Mitteilung der Ablehnung durch das Sanktionskomitee den Beschluss sowie gegebenenfalls weitere erläuternde Anmerkungen, einschlägige Informationen über den Beschluss und eine aktualisierte Zusammenfassung der Gründe für die Listung zu und erläutert den Verfahrensablauf und den zur Veröffentlichung vorgesehenen Teil des Sachverhalts.159 Die Ombudsperson informiert daneben – außerhalb des DelistingVerfahrens – interessierte Dritte über die Verfahren des Sanktionskomitees, einschließlich seiner Richtlinien und der von ihm erstellten Unterlagen sowie neu Gelistete über den Status des Listeneintrags.160 Halbjährlich erstattet die Ombudsperson über ihre Tätigkeit Bericht an den Sicherheitsrat.161 Im Übrigen ist das Delisting-Verfahren weiterhin auch auf Initiative der Staaten möglich,162 wobei zwei neue Aspekte bemerkenswert sind: Mitglieder, die gegen einen Antrag auf Streichung stimmen, werden aufgerufen, ihre Gründe hierfür offenzulegen.163 Außerdem wird festgelegt, dass das UN-Sekretariat nun innerhalb von drei Werktagen – statt wie bisher innerhalb einer Woche164 – nach Streichung eines Namens von der Liste die Ständige Vertretung des Landes benachrichtigen muss, in dem sich der Betroffene mutmaßlich befindet und im Fall von Individu155 156 157 158 159 160 161 162 163 164
Ibid., Ziff. 8. Ibid., Ziff. 9. Ibid., Ziff. 10. Ibid., Ziff. 11 und 13. Ibid., Ziff. 12 und 13. Ibid., Ziff. 15. Ibid. Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 22 bis 27. Ibid., Ziff. 25. Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 23.
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen
177
en deren Heimatstaat.165 Oben wurde bereits dargestellt, wie das Delisting-Verfahren abläuft, seit das Amt der Ombudsperson eingerichtet ist.166
b) Bewertung Die kleineren Veränderungen im Listungsverfahren sind zu begrüßen. Die unmittelbare Publizierung der Listungsbegründung sowie die zügigere Notifizierung gegenüber den Ständigen Vertretungen dienen der Verfahrensbeschleunigung und ermöglichen so den UN-Mitgliedern eine bessere Implementierung und dem Betroffenen eine schnellere Reaktion auf seine Listung. Das Standardformular mit seiner höheren Detailtiefe erleichtert die Identifizierung des Gelisteten und verbessert so die Umsetzung des 1267-Regimes. Verwechslungen und Falschadressierungen von Sanktionen können so besser vermieden werden. Im Delisting-Verfahren ist zwar die ebenfalls auf drei Werktage verkürzte Frist zur Notifizierung einer Streichung vom UN-Sekretariat an die Ständigen Vertretungen zu begrüßen. Sogar als besonders bemerkenswert dürfen die neu eingeführte Rechtfertigungspflicht der Komiteemitglieder im Falle der Ablehnung eines Streichungsantrags und die damit korrespondierende ausführliche Information des Gelisteten – innerhalb einer Frist von 15 Tagen – hinsichtlich der Entscheidung und des konkreten Verfahrens gelten. Dies entschädigt den Gelisteten teilweise auch für die Nichtöffentlichkeit des Verfahrens. Doch die entscheidende Verbesserung im Streichungsverfahren ist nicht geglückt. Das Urteil des EuGH im Fall Kadi,167 das der Resolution 1904 (2009) vorausgeganen war und in dem der EuGH die die UN-Listung umsetzende Listung des Herrn Kadi auf EU-Ebene wegen Grundrechtsverletzungen für nichtig erklärt hatte, hatte den Sicherheitsrat unter Handlungsdruck gesetzt und die Erwartung geweckt, dass daraufhin doch Rechtsschutz auf UN-Ebene durch einen unabhängigen Spruchkörper gewährt werden könnte. Die Tätigkeit der nun neu eingerichteten Ombudsperson kreist im Rahmen des Delisting-Verfahrens aber ausschließlich um die Aspekte ‘Informieren, Koordinieren, Moderieren’. In ihrem umfassenden Bericht an das Sanktionskomitee legt sie nur die wesentlichen Argumente in Bezug auf den Streichungsantrag dar. Dies bedeutet, 165 166 167
Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 27. S. oben, B.II.4. S. dazu unten, H.I.1.
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dass die Ombudsperson weder selbst über die Streichung entscheiden noch dem weiterhin zur Streichungsentscheidung berufenen Sanktionskomitee verbindliche Vorgaben machen kann noch auch nur eine unverbindliche subjektive Einschätzung unterbreiten soll.168 Vielmehr beschränkt sich ihre Zuständigkeit darauf, Informationen einzuholen und sie objektiv und umfassend, gleichsam „mundgerecht“ aufzubereiten. Sie soll die Arbeit des Komitees erleichtern, aber nicht beeinflussen. Somit ist das Sanktionskomitee weiterhin Richter in eigener Sache, weil es allein über die Streichung einer Listung entscheidet, die es zuvor selbst verfügt hat. Die Einrichtung der Ombudsperson bewirkt also gerade nicht die Gewährleistung von Rechtsschutz gegen die Listung durch einen unabhängigen Spruchkörper.169
II. Zusammenfassung zur rechtsstaatlichen Entwicklung des Sanktionsregimes bis zum Ist-Zustand Die Analyse der einzelnen Resolutionen des 1267-Sanktionsregimes lässt rechtsstaatliche Entwicklungen bei der Ausgestaltung der einzelnen Regeln deutlich erkennen.170 Die einzelnen Regeln lassen sich dabei den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit, Verhältnismäßigkeit und auch dem Beschleunigungsgrundsatz zuordnen. Sie sollen an dieser Stelle den Einzelaspekten des oben gefundenen Prüfungsmaßstabs der vom Sicherheitsrat zu berücksichtigenden Rechtsstaatlichkeit (zunächst nur) zugeordnet werden.
168
Dies wird auch aus dem Sitzungsdokument Security Council, 6247th Meeting, SC/9825, vom 17. Dezember 2009 deutlich, wonach Costa Rica es vorgezogen hätte, dass die Ombudsperson gegenüber dem Sanktionskomitee Empfehlungen aussprechen kann. 169
Ebenfalls kritisch Cortright/de Wet, Human Rights Standards for Targeted Sanctions, Januar 2010, http://www.fourthfreedom.org/pdf/10_01_HR_ STANDARDS_FINAL_WEB.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010), S. 10. 170
So auch Feldman, The Role of Constitutional Principles in Protecting International Peace and Security Through International, Supranational and National Legal Institutions, NZJPIL 6 (2008) 1, S. 1, 8 f., der diesbezüglich von einem „allmählichen Auftauen“ des Sicherheitsrats spricht.
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen
179
1. Klare Definition der Voraussetzungen für eine Listung Mit Blick auf die Definition der Voraussetzungen für eine Listung ergibt sich als Ist-Zustand des 1267-Sanktionsregimes Folgendes: Nachdem anfangs nur die Taliban Adressaten des Sanktionsregimes waren171 und daher die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe für die Sanktionsanwendung entscheidend war, wurde der Adressatenkreis der Finanzsanktionen bald insbesondere auf alle natürlichen und juristischen Personen, die mit Osama bin Laden „in Verbindung stehen“ („associated with“)172 und später auch ausdrücklich auf Al-Qaida, die Taliban und alle, die mit diesen „in Verbindung stehen“, ausgeweitet.173 Eine klare Definition, wann eine natürliche oder juristische Person mit den Genannten in Verbindung steht und damit die Voraussetzung für die Listung erfüllt, wurde jedoch nicht gegeben. In den ab Ende 2002 existierenden Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees stand zum Verfahren der Listung lediglich, dass das Komitee die Liste auf den neuesten Stand bringe, wenn es entsprechende Informationen über den Sachverhalt und zur besseren Identifizierung des Betroffenen erhalte.174 Erst über zwei Jahre später, im Juli 2005, konkretisierte der Sicherheitsrat den Begriff der „Verbundenheit“ („associated with“) mit bin Laden, Al-Qaida und den Taliban anhand von Fallgruppen von Aktivitäten. Als solche Aktivitäten wurden genannt: Die Teilnahme an der Finanzierung, Planung, Erleichterung, Vorbereitung oder Begehung von Taten der Al-Qaida, bin Ladens und der Taliban oder von Aktivitäten in Verbindung mit ihnen, unter ihrem Namen, in ihrem Auftrag oder zu ihrer Unterstützung. Des Weiteren fallen Lieferung, Verkauf und Transfer von Waffen und zugehöriger Ausrüstung an sowie die Rekrutierung für Al-Qaida etc. unter das Kriterium des Verbundenseins mit diesen; zuletzt erfasst eine Öff-
171
Resolution 1267 (1999) vom 15. Oktober 1999, Ziff. 4.
172
Resolution 1333 (2000) vom 19. Dezember 2000, Ziff. 8 (c): “…funds and other financial assets of Usama bin Laden and individuals and entities associated with him…”. 173 174
Resolution 1390 (2002) vom 16. Januar 2002, Ziff. 2.
Third report of the Monitoring Group established pursuant to Security Council resolution 1363 (2001) and extended by resolution 1390 (2002), S/2002/1338, 17. Dezember 2002, Annex III: Guidelines of the Security Council Committee established pursuant to resolution 1267 (1999) for the conduct of its work, adopted on 7 November 2002, Ziff. 5.
180
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nungsklausel auch alle anderweitig unterstützenden Aktivitäten.175 Außerdem können auch alle Unternehmen und juristischen Personen, die einer mit Al-Qaida etc. verbundenen natürlichen oder juristischen Person gehören oder von ihr direkt oder indirekt kontrolliert werden, oder die die Verbündeten von Al-Qaida etc. anderweitig unterstützen, selbst gelistet werden.176 Seit Ende 2006 sehen die Verfahrensrichtlinien vor, dass das Sanktionskomitee seine Listungsentscheidung auf der Basis dieses „Verbundenheits“-Maßstabes trifft.177 Weil die Listungsvoraussetzung der „Verbundenheit“ mit Al-Qaida etc. eher vage erscheint, ist es als rechtsstaatlicher Forschritt zu werten, dass dem Sanktionskomitee hier ein Katalog „einschlägiger“ Aktivitäten als Anhaltspunkt an die Hand gegeben wurde.
2. Beweispflicht hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen einer Listung Der Ist-Zustand bezüglich der Pflicht, entsprechende Beweise für das Vorliegen der Listungsvoraussetzungen vorzulegen, hat sich wie folgt entwickelt: Nachdem ab Beginn der Listungen mehrere Jahre von der Listung durch das Sanktionskomitee schlicht „based on the information provided by states“ die Rede war,178 sahen die Richtlinien des Sanktionskomitees schon in ihrer ersten Fassung vor, dass Listungsvorschläge, soweit als möglich, eine Beschreibung der Informationen enthalten sollten, die die Grundlage der Listung darstellten.179 Vom Sicherheitsrat wurden die Staaten erstmals in Resolution 1526 (2004) dazu aufgerufen, 175
Resolution 1617 (2005) vom 29. Juli 2005, Ziff. 2. Bestätigt zuletzt durch Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 2. 176
Resolution 1617 (2005) vom 29. Juli 2005, Ziff. 3.
177
Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 29. November 2006, Ziff. 6 (c). 178
Resolution 1333 (2000) vom 19. Dezember 2000, Ziff. 8 (c) und 16 (b), ähnlich auch Resolution 1390 (2002) vom 16. Januar 2002, Ziff. 5 (a). 179
Third report of the Monitoring Group established pursuant to Security Council resolution 1363 (2001) and extended by resolution 1390 (2002), S/2002/1338, 17. Dezember 2002, Annex III: Guidelines of the Security Council Committee established pursuant to resolution 1267 (1999) for the conduct of its work, adopted on 7 November 2002, Ziff. 5 (b).
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen
181
beim Vorschlag neuer Listungen in größtmöglichem Umfang Hintergrundinformationen und Angaben zur Identifizierung mitzuteilen, die die Verbindung zu Osama bin Laden, Al-Qaida und den Taliban, also die Listungsvoraussetzungen, bewiesen.180 Seit 2005 sollten sie dem Listungsvorschlag als Grundlage eine Falldarstellung beifügen,181 deren Inhalt dann später noch konkretisiert wurde: Die Darstellung musste danach so detailliert wie möglich sein und insbesondere spezifische Informationen enthalten, die die Voraussetzungen für eine Listung, also die Eigenschaft als Al-Qaida- oder Talibanmitglied oder insbesondere die Verbindung zu diesen Gruppen oder Osama bin Laden, stützten.182 Die zwei weiteren der drei ausdrücklich statuierten Substantiierungspflichten betrafen die Angabe der Natur der Informationen und die Lieferung weiterer Dokumente als Belege.183 Des Weiteren wurde dem Vorschlagsstaat aufgegeben, denjenigen Teil der Falldarstellung festzulegen, der zum Zweck der Information des Gelisteten veröffentlicht werden konnte.184 Mittlerweile wurde die Veröffentlichungsfähigkeit der Falldarstellung zum Regelfall erklärt und bedarf nicht mehr der vorgängigen Äußerung des Staates, von dem die Information stammt.185 Zur Verbesserung der Identifizierung der zu Listenden wurde die Nutzung eines Deckblattes angemahnt, in dem bis zu sechs Namen und Vornamen, Aliasnamen, Geburtsdetails, Adressen und die öffentlich publizierbaren Anteile der Falldarstellungen einzutragen waren.186 Diese in den Resolutionen niedergelegten Anforderungen wurden in den Richtlinien des Sanktionskomitees nachvollzogen.187 Jüngst wurde die 180 181
Resolution 1526 (2004) vom 30. Januar 2004, Ziff. 17. Resolution 1617 (2005) vom 29. Juli 2005, Ziff. 4.
182
Resolution 1735 (2006) vom 22. Dezember 2006, Ziff. 5; bestätigt durch Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 12, sowie zuletzt durch Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 11. 183
Resolution 1735 (2006) vom 22. Dezember 2006, Ziff. 5.
184
Ibid., Ziff. 6; bestätigt durch Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 12. Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 11, sieht die Veröffentlichung − wenn auch auf Antrag − nunmehr als den Regelfall an, so dass jetzt die vertraulichen Teile ausdrücklich mitgeteilt werden müssen. 185
Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 11.
186
Resolution 1735 (2006) vom 22. Dezember 2006, Ziff. 7; bestätigt durch Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 14. 187
Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 29. November 2006, Ziff. 6 (d) und (e) sowie Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 12. Februar 2007, Ziff. 6 (d)
182
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Nutzung des Deckblattes durch die Pflicht zur Einreichung eines Stadardformulars ersetzt,188 das über das bisher Verlangte hinaus auch Auskünfte etwa zu Familienstand, Verurteilungen, Haft, Größe, Gewicht und Haar- und Augenfarbe des zu Listenden fordert.189 Hinsichtlich der Beweispflicht wurden mit Einführung des Standardformulars, vor allem aber der Falldarstellung aus rechtsstaatlicher Sicht entscheidende Fortschritte erzielt: Durch die immer detaillierteren Vorlagepflichten wird immer besser eine verlässliche Entscheidungsgrundlage für objektive und gerechtfertigte Listungen gesichert.
3. Recht auf unverzügliche und vollständige Information bezüglich des zur Last gelegten Sachverhalts sowie der getroffenen Entscheidung Ansätze für die Beachtung des Rechts des Gelisteten auf Information hinsichtlich des ihm zur Last gelegten Sachverhalts sowie der getroffenen Entscheidung zeigen sich im Anfangsstadium des Sanktionsregimes zunächst nur in bescheidenem Maße. Während zu Beginn nur vage von der Veröffentlichung der für die Umsetzung relevanten Informationen die Rede ist,190 wird später immerhin schon die Publizierung der Liste ausdrücklich erwähnt.191 Keine der beiden Vorschriften ordnet allerdings die Benachrichtigung der Gelisteten an. Die erste explizite Nennung eines Informationsadressaten findet sich in Resolution 1455 (2003) und wird im Interesse der besseren Umsetzung des Sanktionsregimes statuiert.192 Sie hat indes immer noch nicht das Verhältnis zum Gelisteten zum Gegenstand, sondern nur das Verhältnis des Sanktionskomitees zu den Mitgliedstaaten, die regelmäßig über die aktuelle Fassung der Liste informiert werden sollen.193 Erst ein Jahr später werden die Mit-
und (e); Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008, Ziff. 6 (d) und (e). 188
Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 13.
189
Siehe http://www.un.org/sc/committees/1267/listing.shtml (zuletzt besucht am 2. Mai 2010). 190 191 192 193
Resolution 1333 (2000) vom 19. Dezember 2000, Ziff. 16 (e). Resolution 1390 (2002) vom 16. Januar 2002, Ziff. 5 (e). Resolution 1455 (2003) vom 17. Januar 2003, Ziff. 1 und 4. Ibid., Ziff. 4.
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen
183
gliedstaaten aufgerufen, den Gelisteten – soweit möglich – die gegen sie verhängten Maßnahmen, die Verfahrensrichtlinien sowie die Ausnahmevorschriften mitzuteilen.194 In einer späteren Ergänzung wird Wert darauf gelegt, dass insbesondere über das Listungs- und Streichungsverfahren zu informieren sei.195 Erst danach wurden die Staaten aufgefordert, den Gelisteten von der Listung zu benachrichtigen und neben den auf die Falldarstellung gestützten Gründen für die Listung eine Beschreibung der Wirkung der Listung sowie eine Darstellung des Delisting-Verfahrens des Komitees (einschließlich des Hinweises auf die Möglichkeit der Einreichung des Streichungsantrags an die Ombudsperson) und die möglichen Ausnahmen zur Kontensperrung mitzuteilen.196 Zur Beurteilung der zeitlichen Dimension der Benachrichtigung im 1267-Regime soll die gegenwärtig geltende zeitliche Abfolge der einzelnen Informationsschritte hier zusammenfassend dargestellt werden: Nach der Listungsentscheidung des Sanktionskomitees folgt zunächst deren Veröffentlichung durch Pressemitteilung.197 Nach dieser Veröffentlichung, spätestens jedoch innerhalb von drei Werktagen nach der Listungsentscheidung,198 soll das Sekretariat die Ständige Vertretung des Landes benachrichtigen, in dem sich der Betroffene mutmaßlich befindet und im Fall von Individuen deren Heimatstaat.199 Die Staaten, die diese Benachrichtigung erhalten, müssen ihrerseits dann nicht nur sinnvolle Schritte („reasonable steps“) einleiten, sondern alle denkbaren Maßnahmen („all possible measures“) ergreifen, um den Betroffenen innerhalb eines angemessenes Zeitraums („in a timely manner“) zu informieren.200 194 195 196 197
Resolution 1526 (2004) vom 30. Januar 2004, Ziff. 18. Resolution 1617 (2005) vom 29. Juli 2005, Ziff. 5. Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 19. Vgl. Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 15.
198
Zwischen dem Datum der Listungsentscheidung und dem der tatsächlichen Eintragung in die Liste ist wegen des Eintrags des Entscheidungsdatums bei jedem neuen Listeneintrag kein Unterschied feststellbar, während die Daten der Listung und der öffentlichen Bekanntgabe derselben auseinanderfallen können, was dann Bedeutung für die Berechnung der Wochenfrist hat; s. als Beispiel hierfür aus jüngerer Zeit UN-Dokument SC/9499 vom 13. November 2008. 199 200
Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 18. Ibid., Ziff. 19.
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Die Informationspolitik gegenüber dem Gelisteten hat sich im Verlauf der Entwicklung des Sanktionsregimes erheblich verbessert: Neben der Bekanntgabe der Listung einschließlich ihrer Wirkungen und der auf die Falldarstellung gestützten Gründen für die Listung findet auch eine Art Rechtsbehelfsbelehrung mit Hinweisen auf das Delisting-Verfahren und die Möglichkeiten für Ausnahmen von der Kontensperrung statt.
4. Begründungspflicht In der Entwicklung des Sanktionsregimes ging die Entstehung einer Begründungspflicht mit der Herausbildung von Informationspflichten201 gegenüber dem Gelisteten einher, die Regeln zur Begründung blieben jedoch lange Zeit hinter denjenigen zu den Informationspflichten zurück. So sah noch Resolution 1617 (2005) lediglich vor, dass die Mitgliedstaaten die Gelisteten über die gegen sie verhängten Maßnahmen, über die Verfahrensrichtlinien und Ausnahmevorschriften sowie über das Listungs- und Streichungsverfahren zu informieren hatten.202 Erst danach wurden die Staaten aufgefordert, den Gelisteten auch den zur Veröffentlichung freigegebenen Teil der Falldarstellung mitzuteilen.203 Und erst in Resolution 1822 (2008) wurde gefordert, dass den Betroffenen neben anderen Auskünften auch die Gründe für die Listung mitzuteilen sind.204 In diesem Zusammenhang war dem Sanktionskomitee auch aufgegeben worden, „nach“ einer Listung eine Zusammenfassung der Gründe für die Listung im Internet zugänglich machen.205 Mittlerweile muss die Begründung zeitgleich mit jeder neuen Listung im Internet veröffentlicht werden.206
201 202 203
S.o., F.II.3. Resolution 1617 (2005) vom 29. Juli 2005, Ziff. 5. Resolution 1735 (2006) vom 22. Dezember 2006, Ziff. 11.
204
Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 17, bestätigt durch Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 19. 205 Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 13, bestätigt durch Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 14. 206
Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 14.
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Damit wurden in jüngster Zeit Fortschritte bezüglich einer Begründung für Listungen gemacht: Der Gelistete erhält nunmehr eine auf die Falldarstellung gestützte Begründung für seine Listung.207
5. Anhörungs- und Verteidigungsrecht Ein Anhörungs- und Verteidigungsrecht im Zusammenhang mit der Listung ist im 1267-Sanktionsregime nicht gegeben. Zum einen ist nicht von einer Pflicht der Staaten die Rede, vor einem Listungsvorschlag den zu Listenden anzuhören. Stattdessen sollen die Staaten in Frage kommende Personen in nationalen Verfahren identifizieren und gegebenenfalls den Heimat-/Ansässigkeitsstaat um weitere Informationen angehen.208 Zum anderen ist auch das Sanktionskomitee selbst nach den bestehenden Regeln nicht gehalten, die zu Listenden anzuhören und ihnen eine Verteidigungsmöglichkeit zu geben. Erst im Rahmen des Delisting-Verfahrens kann das Sanktionskomitee den Standpunkt des Gelisteten erfahren, der dabei auch noch verpflichtet ist, für die Streichung relevante Informationen anzubieten und selbst eine Rechtfertigung für seine Streichung von der Liste zu liefern. Hinsichtlich des Anhörungs- und Verteidigungsrechts sind im 1267Regime somit noch keine nennenswerten Verbesserungen erkennbar.
6. Zeitliche Begrenzung der Listung Eine konkrete zeitliche Begrenzung für eine konkrete Listung besteht im 1267-Sanktionsregime nicht. Zwar wurden bei Einführung der Liste die „Maßnahmen“, also die Sanktionen infolge der Listung, auf zwölf Monate begrenzt, verbunden mit dem Auftrag, dann über eine Verlängerung der Maßnahmen zu entscheiden.209 Schon die darauf folgende Resolution sah aber vor, dass bei der nächsten Überprüfung entweder die Geltung der Maßnahmen verlängert oder die Maßnahmen verbessert werden sollten. Von der Möglichkeit einer Beendigung der Maßnahmen
207
Ibid., Ziff. 19, 14, 11.
208
Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008, Ziff. 6 (b) und (c). 209
Resolution 1333 (2000) vom 19. Dezember 2000, Ziff. 23.
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war dagegen keine Rede.210 Erstmals war in den Verfahrensrichtlinien 2006 eine Überprüfungsmöglichkeit vorgesehen, bei der Listungen, die länger als vier Jahre nicht aktualisiert worden waren, vom Sekretariat des Komitees unter dessen Mitgliedern zirkuliert wurden und ihnen die Möglichkeit gegeben wurde, begleitet von einer entsprechenden Begründung die Überprüfung einzelner Listungen zu beantragen, wobei das Verfahren dann ähnlich dem Delisting-Verfahren verlaufen sollte.211 In Resolution 1822 (2008) wurde dem Sanktionskomitee eine einmalige Überprüfung aller Namen auf der Liste vorgeschrieben sowie im Anschluss daran eine jährliche Überprüfung, wobei diese dann den Listungen gewidmet sein sollte, die mindestens drei Jahre nicht überprüft worden sind.212 Bei diesen Überprüfungen werden die Namen der Gelisteten zirkuliert und insbesondere die Vorschlags-, Heimat- und Ansässigkeitsstaaten sollen innerhalb einer bestimmten Frist aktualisierte Informationen zu den Gelisteten liefern.213 Hält einer dieser Staaten die Listung nicht mehr für gerechtfertigt, so kann er das (reguläre) Delisting-Verfahren einleiten.214 Andernfalls werden die Informationen über die Gelisteten an das Sanktionskomitee weitergeleitet, das eine Aktualisierung der Liste prüft.215 Auch die Mitglieder des Sanktionskomitees können in dieser Phase das (reguläre) Delisting-Verfahren einleiten.216 Wird letzten Endes keine aktive Entscheidung zur Streichung gefasst, so soll die Listung als weiterhin gerechtfertigt bestätigt werden.217 Dies deutet darauf hin, dass der Name des Gelisteten auch dann auf der
210
Resolution 1390 (2002) vom 16. Januar 2002, Ziff. 3. Für die Notwendigkeit der Schaffung klarer Kriterien für die Aufhebung oder Beendigung von Sanktionen etwa durch zeitliche Begrenzung ihrer Geltung plädiert auch Cano Linares, Sanciones selectivas y desarrollo progresivo de la Carta de las Naciones Unidas, in: Beneyto/Becerril (Hrsg.), Una nueva organización de Naciones Unidas para el siglo XXI, 2007, S. 145, 163, 184. 211
Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 29. November 2006, Ziff. 6 (i). 212
Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 25 f.; bestätigt in Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 29, 32. 213
Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008, Ziff. 9 (a)(ii). 214 215 216 217
Ibid., Ziff. 9 (a). Ibid., Ziff. 9 (a)(iv). Ibid. Ibid., Ziff. 9 (a).
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen
187
Liste verbleibt, wenn keine solche offizielle Bestätigung der Listung erfolgen sollte. Bezüglich der zeitlichen Begrenzung von Listungen sind somit schon gewisse Fortschritte erzielt worden.
7. Recht auf eine schnelle Kontrollmöglichkeit durch einen unabhängigen und unparteiischen Spruchkörper Im Hinblick auf das Erfordernis einer raschen Kontrollmöglichkeit durch einen unabhängigen und unparteiischen Spruchkörper ist das 1267-Sanktionsregime nach wie vor unterentwickelt. Es existiert lediglich das Delisting-Verfahren vor dem Sanktionskomitee, das bis zu seiner heutigen Ausformung aber immerhin gewisse rechtsstaatliche Fortschritte gemacht hat. Erstmals ist das Verfahren offiziell erwähnt in der ersten Fassung der Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees vom November 2002, also fast zwei Jahre nach Einführung der Listen.218 Während in Resolution 1617 (2005) das Sanktionskomitee nur zur weiteren Arbeit an den Verfahrensrichtlinien einschließlich des DelistingVerfahrens aufgerufen wird,219 wird später bestimmt, dass das Sanktionskomitee bei der Listungsentscheidung insbesondere berücksichtigen solle, ob bei der Listung ein Verwechslungsfall vorliege, oder die Voraussetzungen für eine Listung mangels „Verbindung“ des Gelisteten mit den Taliban etc. oder wegen Todes nicht mehr vorhanden seien.220 Im Rahmen des Verfahrens zur Streichung wurde der Focal Point eingeführt, an den sich der Gelistete direkt wenden konnte und sich so den Weg über den diplomatischen Schutz seines Heimatstaates sparte.221 Als bloße Verwaltungsbehörde traf der Focal Point allerdings selbst nicht die Streichungsentscheidung und leitete den Streichungsantrag auch nicht an das Sanktionskomitee, sondern zur Information und Äuße218
S. Third report of the Monitoring Group established pursuant to Security Council resolution 1363 (2001) and extended by resolution 1390 (2002), S/2002/1338, vom 17. Dezember 2002, Annex III. Für die Liste humanitärer Organisationen war ein Streichungsverfahren bereits holzschnittartig geregelt in Resolution 1333 (2000) vom 19. Dezember 2000, Ziff. 12. 219
Resolution 1617 (2005) vom 29. Juli 2005, Ziff. 18.
220
Resolution 1735 (2006) vom 22. Dezember 2006, Ziff. 14; vgl. auch Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 21. 221
Resolution 1730 (2006) vom 19. Dezember 2006, Ziff. 1.
188
Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
rungsmöglichkeit (zunächst) nur an die Vorschlags- und Heimat/Ansässigkeitsstaaten weiter.222 Auch die Ombudsperson, die den Focal Point ablöste, hat nur Aufgaben des Moderierens, Koordinierens und Informierens und kann in ihren Berichten an das Sanktionskomitee demselben keine bindenden Vorgaben machen, ja nicht einmal die eigene Rechtsmeinung äußern.223 Das Delisting-Verfahren wurde zuletzt auch erstmals mit umfassenden zeitlichen Vorgaben versehen: Nach einer zweimonatigen Phase der Informationssammlung und einer ebenso langen Dialogphase, die beide mit einem Bericht der Ombudsperson an das Sanktionskomitee schließen, hat dieses weitere zwei Monate Zeit, über die Listung zu entscheiden.224 Neben gewissen Prüfungs- und Zeitvorgaben für das Sanktionskomitee, das aber kein unabhängiges Gericht ist, hat sich für den Gelisteten insbesondere der Zugang zur UN-Ebene durch die Möglichkeit der Adressierung der Ombudsperson im Delisting-Verfahren verbessert.
III. Fazit zum Ist-Zustand des 1267-Sanktionsregimes Die Untersuchung der verschiedenen Sicherheitsratsresolutionen bis zur Gegenwart zeigt, dass das Sanktionsregime seit seinem Anfang eine deutlich sichtbare rechtsstaatliche Entwicklung genommen hat.225 Ein Überblick zur rechtsstaatlichen Entwicklung des Sanktionsregimes bis zum Ist-Zustand anhand der rechtsstaatlichen Vorgaben des Europarates ergibt jedoch auch, dass das 1267-Regime in seiner gegenwärtigen
222
Anlage zur Resolution 1730 (2006) vom 19. Dezember 2006, Ziff. 5.
223
S. Annex II zur Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, insbesondere Ziff. 1, 4. 224
S. Annex II zu Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, s. näher dazu bereits oben, F.I.14. 225 So auch Meerpohl, Individualsanktionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, 2008, S. 264 ff.; Frowein, UN-Verwaltung gegenüber dem Individuum – legibus absolutus?, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 333, 337, spricht ebenfalls von Fortschritten hinsichtlich rechtsstaatlicher Gewährleistungen im Listing-Verfahren; s. auch Keller/Fischer, The UN Anti-terror Sanctions Regime under Pressure, HRLR 9 (2009) 2, S. 257, 258.
F. Die UN-Resolution 1267 und ihre Folgeresolutionen
189
Ausgestaltung diese Vorgaben noch nicht (vollständig) erfüllt.226 Was insofern im Einzelnen zu kritisieren ist, und vor allem, wie eine den rechtsstaatlichen Vorgaben entsprechende Ausgestaltung des 1267Regimes, also der Soll-Zustand aussehen könnte, ist im nun folgenden Kapitel zu prüfen. Hinsichtlich möglicher Prinzipien für die Ausübung von Hoheitsgewalt tritt der wiederholt auftretende Gedanke der Kooperation hervor,227 als Idee der Zusammenarbeit, die nicht nur zwischen den UN und ihren Mitgliedstaaten erfolgt, sondern auch in einem Netz der Kooperation mit Interpol und anderen Akteuren. Außerdem sind Elemente eines Prinzips der Verhältnismäßigkeit erkennbar.228
226 Auch Keller/Fischer, The UN Anti-terror Sanctions Regime under Pressure, HRLR 9 (2009) 2, S. 257, 265, sprechen davon, dass das 1267-Regime sich noch nicht vollständig an die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit halte. 227
Vgl. Resolution 1455 (2003) vom 17. Januar 2003, Resolution 1456 (2003) vom 20. Januar 2003, Resolution 1699 (2006) vom 8. August 2006, Resolution 1735 (2006) vom 22. Dezember 2006; Annex I zu Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, (n). 228 Vgl. Resolution 1452 (2002) vom 20. Dezember 2002, die Ausnahmen von der Kontensperrung zulässt und Resolution 1730 (2006) vom 19. Dezember 2006, 4. und 5. Erwägungsgrund.
G. Der Soll-Zustand des 1267-Sanktionsregimes nach den Vorgaben des Europarats zur Rechtsstaatlichkeit und zum Menschenrechtsschutz Nachdem im vorangegangenen Kapitel der Ist-Zustand des 1267-Sanktionsregimes beschrieben worden ist, soll nun mit Hilfe des bereits festgestellten Menschenrechts- und Rechtsstaatlichkeitsmaßstabes, an den der Sicherheitsrat und das Sanktionskomitee bei der Ausgestaltung des 1267-Sanktionsregimes gebunden sind,1 untersucht werden, was dem Sanktionsregime zu diesem Soll-Zustand2 noch fehlt und vor allem, wie Verbesserungen inhaltlich auszugestalten und zu erreichen sind. Dies soll geschehen, indem zunächst die konkreten Inhalte des anzuwendenden Menschenrechts- und Rechtsstaatlichkeitsmaßstabes nochmals in Erinnerung gerufen und näher ausdifferenziert werden. Anschließend werden zu jedem Einzelaspekt des Soll-Zustands der IstZustand des Sanktionsregimes und dessen Mängel dargestellt, um auf dieser Grundlage sodann konkrete Vorschläge für die Ergänzung der Regeln des Sanktionsregimes zu erarbeiten, die mit einem abschließend darzustellenden Soll-Zustand des Sanktionsregimes enden sollen. Beim Aufbau wird von den bereits bestehenden Verfahren der Listung und des Delisting3 ausgegangen, um so an Vorhandenes anzuknüpfen und dies gegebenenfalls in rechtsstaatlicher Hinsicht weiterzuentwickeln.
1
Zur Herleitung der Bindung s. oben, E.I.
2
Genugten/Groot/Lavrijssen, Guidelines on the Future Use of Sanctions; an Evaluation, in: Genugten/Groot (Hrsg.), United Nations Sanctions: Effectiveness and Effects, Especially in the Field of Human Rights, 1999, S. 135, 141 ff., schlagen – ohne dabei sehr konkret zu werden − Kriterien wie Verhältnismäßigkeit, Schadensbegrenzungmechanismen und eine zeitliche Begrenzung von Sanktionen vor, um die Sanktionen effektiver zu machen und zugleich einen Ausgleich zwischen dem Anliegen der Sanktionsverhängung und dem drohenden humanitären Schaden durch solche Sanktionen herzustellen. 3
Der Ablauf der insoweit aktuell geltenden Verfahren wurden bereits oben, B.II.3. und 4, dargestellt.
192
Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
I. Die Entwicklung des Soll-Zustandes des 1267-Sanktionsregimes anhand der Vorgaben des Europarats zur Rechtsstaatlichkeit und zum Menschenrechtsschutz Zu den oben4 gefundenen Vorgaben der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes gehören folgende Einzelpunkte: das Recht auf zeitnahe und vollständige Information bezüglich des zur Last gelegten Sachverhalts sowie der getroffenen Entscheidung, eine Begründungspflicht, ein Anhörungs- und Verteidigungsrecht und das Recht auf eine schnelle Kontrollmöglichkeit durch einen unabhängigen und unparteiischen Spruchkörper. Außerdem sind eine klare Definition der Voraussetzungen für eine Listung, die Beweisvorlage und eine zeitliche Begrenzung der Listung erforderlich.5
1. Vorbemerkung: Bedeutung der Menschenrechte und Präzisierung des Prüfungsmaßstabs a) Bedeutung der Menschenrechte für die weitere Prüfung Bevor die vom Europarat formulierten rechtlichen Mindeststandards näher betrachtet werden, sollen kurz die in der Praxis des 1267-Sanktionsregimes potentiell betroffenen Menschenrechte behandelt werden. Folgende Menschenrechte können im Rahmen des 1267-Regimes berührt sein: Das Recht auf Freizügigkeit, das Eigentumsrecht, das Recht auf Privatheit und den guten Ruf, eher am Rande das Recht auf Leben und die Religionsfreiheit. Außerdem betroffen sind das Recht auf Zugang zu einem Gericht, das Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf effektiven Rechtsschutz.6 Zwar wird der Menschenrechtsbezug vor allem bei der Anwendung der Sanktionen (Kontensperrung, Reiseverbot und Waffenembargo) und damit auf der Rechtsfolgenseite
4
S. E.III.
5
Auf die im Dokument des Europarates ebenfalls erwähnten Aspekte des sekundären Rechtsschutzes (Recht auf Entschädigung) und der sofortigen Umsetzung gerichtlicher Entscheidungen wird hier nicht eingegangen. 6
Bierstecker/Eckert (Hrsg.), Strengthening Targeted Sanctions by Addressing Due Process Concerns, Watson Institute, White Paper, 2006, http://www. watsoninstitute.org/pub/Strengthening_Targeted_Sanctions.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010), S. 9 f.
G. Der Soll-Zustand des 1267-Sanktionsregimes
193
der „Sanktionsnorm“ sichtbar, also bei der Umsetzung, die in den Zuständigkeitsbereich der UN-Mitgliedstaaten, in der EU auch der europarechtlichen Ebene, fällt. Doch entfalten die Menschenrechte zuvor schon eine Wirkung bei der Ausgestaltung desjenigen Verfahrens, das zu der Listung als Voraussetzung für die Anwendung der Sanktionen führt.7 Denn die Listung als eingriffswirksamer Entscheidungsakt ist Ergebnis eines Entscheidungsprozesses, der nach einem bestimmten Verfahren verläuft und diesen Akt zur Folge hat. Werden wegen dieses Zusammenhangs Entscheidungsprozess und Entscheidungsakt ganzheitlich betrachtet, so wird deutlich, dass die Menschenrechte schon im Entscheidungsprozess wirken und ihnen dort eine Präventivfunktion zukommt:8 Diese soll der Gefahr der Entwertung der materiellen Menschenrechtsposition vorbeugen.9 Dies kann auch als „Menschenrechtsschutz durch Verfahren“ bezeichnet werden: Würde nämlich etwa nur hinsichtlich des Verfahrensergebnisses, im vorliegenden Fall der Listung, Menschenrechtsschutz gewährt, würden die Sicherungen während 7
Frowein, The UN Anti-Terrorism Administration and the Rule of Law, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung. Common Values in International Law. Festschrift für /Essays in Honour of Christian Tomuschat, 2006, S. 785, 788, will hier schon sehr früh ansetzen und denkt an eine Art Verifizierungsverfahren zur Verhinderung von Verwechslungen bei der Listung, das die Staaten schon anwenden sollen, bevor sie überhaupt einen Namen zur Listung vorschlagen. Zur verfahrensrechtlichen Schutzwirkung der Rechte der EMRK Krieger, Kapitel 6, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2006, Rz. 103 ff.; zum Bezug des Verfahrensrechts zu den materiellen Grundrechten im deutschen Verfassungsrecht Bergner, Grundrechtsschutz durch Verfahren, 1998, S. 118 ff. Diese verfahrensrechtliche Wirkung deutet sich schon in der Resolution des Europarats, Council of Europe, Parliamentary Assembly, Resolution 1597 (2008), angenommen am 23. Januar 2008, Ziff. 4, an, wo die Auswirkungen der Sanktionen auf die Menschenrechte, insbesondere die Freizügigkeit und das Eigentum, erwähnt werden und gesagt wird, dass die in dem Dokument entwickelten Mindeststandards (auch) auf der EMRK und dem IPbpR beruhen. Auch der EuGH sieht etwa vom Recht auf Eigentum auch ein Anhörungsrecht umfasst, Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rz. 368. Diese Vorwirkung der Menschenrechte zeigt sich dann auch bei der Präzisierung des Erfordernisses der klaren Voraussetzungen für eine Listung, s.u. G.I.2.lit.a aa). 8 So für das deutsche Recht Bergner, Grundrechtsschutz durch Verfahren, 1998, S. 109, 118. 9
Vgl. für das deutsche Recht BVerfGE 63, 131 (143).
194
Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
des Verfahrens und im Zusammenhang mit der Entscheidung, wie die Information und Anhörung des Betroffenen sowie die Begründungspflicht ihm gegenüber, entfallen. Ohne etwa eine Begründung für die Listung wird aber auch der nachträgliche Rechtsschutz praktisch unmöglich gemacht und somit entwertet, weil der Betroffene keine Kenntnis davon hat, wogegen er sich zum Schutz seines Menschenrechts überhaupt verteidigen muss. Somit gewinnen die Menschenrechte schon für das Listungsverfahren und dessen Ausgestaltung Bedeutung.
b) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs auch mit Hilfe von Dokumenten des Europarats Die Inhalte in der hier als Maßstab geltenden Resolution 1597 (2008) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates basieren auf dem eben erwähnten Gedanken der Verbindung von Menschenrechtsschutz und rechtsstaatlicher Ausgestaltung des Listungsverfahrens.10 Wenn im Folgenden zur Ermittlung des Soll-Zustands des 1267-Regimes zunächst die Präzisierung der einzelnen in dieser Resolution vorgegebenen Prüfungsmaßstäbe notwendig wird, so lassen sich dabei die Verfahrensaspekte nicht umfassend aus den universellen Menschenrechten ableiten, weil sich zum Beispiel dem Recht auf Eigentum hinsichtlich der zeitlichen Begrenzung der Listung unmittelbar nichts entnehmen lässt. Da jedoch der Gedanke der Rechtsstaatlichkeit in diesem Zusammenhang auf völkerrechtlicher Ebene noch neu und jedenfalls noch nicht sehr weit ausdifferenziert ist, soll für die Präzisierung rechtsstaatlicher Inhalte der Resolution 1597 (2008) im Folgenden auch auf Dokumente des Europarats zurückgegriffen werden, in denen solche rechtsstaatlichen Grundsätze einheitlich für alle Europaratsmitglieder näher konkretisiert wurden. Dabei soll keinesfalls verkannt werden, dass die Dokumente nur den Konsens eines regionalen Kreises von Staaten abbilden. Für die mit der nötigen Vorsicht vorzunehmenden Anwendung der in diesen Dokumenten erfolgten Präzisierungen rechtsstaatlicher Inhalte spricht jedoch auch Folgendes: Die Listung durch das Sanktionskomitee hat präventiven Charakter.11 Ihre Nähe zum Verwaltungs10
Vgl. Council of Europe, Parliamentary Assembly, Resolution 1597 (2008), angenommen am 23. Januar 2008, Ziff. 1. 11
Dies ist umstritten. So heißt es zuletzt in Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, 10. Erwägungsgrund: “Reiterating that the measures … are preventative in nature and are not reliant upon criminal standards set out under
G. Der Soll-Zustand des 1267-Sanktionsregimes
195
recht und damit ihr öffentlich-rechtliches Wesen12 lassen den Rückgriff auf die Dokumente des Europarats möglich erscheinen, weil gerade auch diese Dokumente verwaltungsrechtliche Verfahren betreffen, während Art. 14 IPbpR13 mit seinen Vorgaben für ein faires Verfahren nach national law”; ebenso die Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008, Ziff. 6 (c): “…the sanctions are preventive in nature”. Im gleichen Sinne äußern sich Witschel/Brandes, Die Vereinten Nationen und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, in: Schorlemer (Hrsg.), Globale Probleme und Zukunftsaufgaben der Vereinten Nationen, Zeitschrift für Politik, Sonderband 1, 2006, S. 22, 36 sowie Fremuth, Private im Fadenkreuz des Sicherheitsrats, Vereinte Nationen 57 (2009) 3, S. 111, 114. Frowein, UN-Verwaltung gegenüber dem Individuum – legibus absolutus?, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 333, 334, spricht von der Übernahme einer Verwaltungskompetenz durch den Sicherheitsrat. Der Europarat formuliert dagegen in Council of Europe, Parliamentary Assembly, Resolution 1597 (2008), angenommen am 23. Januar 2008, Ziff. 4: “[I]t is not at all clear and still being debated whether such sanctions have a criminal, administrative or civil character […]”. Die Kommentarliteratur, s. Grabenwarter/Pabel, Kapitel 14, in: Grote/ Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2006, Rz. 14 f., 22 ff., bietet ebenfalls ein uneinheitliches Bild: Während die Auswirkungen der Listungen, wie etwa der Nichterhalt von Geld am Automaten, eher für einen „zivilrechtlichen Anspruch“ spricht, streitet die Nähe des Sanktionsregimes zum öffentlichen Recht mit dem öffentlichen Interesse an der Terrorismusbekämpfung dagegen. de Wet, The Chapter VII Powers of the United Nations Security Council, 2004, S. 353, stützt sich für die strafrechtliche Einordnung der Kontensperrung auf deren Härte und Strafcharakter. Dagegen spricht jedoch die Tatsache, dass es für die Listung ausreicht, dass der Betroffene mit Al-Qaida in Verbindung steht, selbst aber keine terroristische Tat begangen zu haben braucht. Auch der UN-Menschenrechtsausschuss geht trotz der einschneidenden Konsequenzen für den Betroffenen davon aus, dass das 1267-Regime keine „strafrechtliche Anklage“ im Sinne des Art. 14 Abs. 1 IPbpR zum Gegenstand habe, s. Sayadi und Vinck gegen Belgien, Erwägungen des Menschenrechtsausschusses, Mitteilung Nr. 1472/2006 vom 29. Dezember 2008, CCPR/C/94/D/1472/2006, Ziff. 10.11. Dass ein strafgerichtlicher Freispruch auf die Listung keine Auswirkung hat (vgl. Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008, Ziff. 6 (c)), lässt insgesamt die Annahme des präventiven Charakters der Listung vertretbar erscheinen. 12
Zur Qualifikation der Listung als Ausübung von Hoheitsgewalt s. oben, C.II.5. 13
S. dazu Human Rights Committee, General Comment No. 13: Equality before the courts and the right to a fair and public hearing by an independent court established by law (Art. 14), CCPR, 13. April 1984.
196
Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
seinem klaren Wortlaut nur für strafrechtliche Anklagen und zivilrechtliche Ansprüche gilt. Zudem umfasst der Europarat immerhin 47 Mitglieder, so dass seine Entscheidungen immerhin von einer größeren Gruppe von UN-Mitgliedstaaten getragen sind, weshalb insgesamt die behutsame ergänzende Heranziehung weiterer Dokumente des Europarats zur Konkretisierung der in der Resolution 1597 (2008) enthaltenen Regeln gerechtfertigt erscheint.
2. Listungsverfahren a) Klare Definition der Voraussetzungen für eine Listung aa) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs Ein Eingriff in den Schutzbereich der Freizügigkeit nach Art. 12 Abs 1 und 2 IPbpR durch das Ein- und Durchreiseverbot kann ebenso bejaht werden wie ein Eingriff in den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit nach Art. 17 Abs. 1 AllgErkl. MR bzw. Art. 1 Abs.1 des 1. ZP EMRK durch die Kontensperrung.14 Bei diesen Vorschriften existiert ein Gesetzesvorbehalt.15 Daraus ergibt sich die Pflicht, eine klare Definition 14
Art. 17 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte steht insoweit für den universellen Eigentumsschutz, während die Erwägungen zur nur regional anwendbaren EMRK ihre Rechtfertigung in der Bezugnahme der Resolution des Europarats, Council of Europe, Parliamentary Assembly, Resolution 1597 (2008), angenommen am 23. Januar 2008, Ziff. 4 auf die EMRK finden. Die Listung zieht unter anderem die Sanktionen des Ein- und Durchreiseverbots und der Kontensperrung nach sich. Das Ein- und Durchreiseverbot greift in die Freizügigkeit des Gelisteten Art. 12 Abs 1 und 2 IPbpR ein, weil es diesem nicht mehr frei steht, sein Land mit dem Ziel der Einreise in ein anderes Land zu verlassen. Die Kontensperrung greift in die Eigentumsfreiheit nach Art. 1 Abs. 2 1. ZP EMRK ein, weil dadurch die Rechtsstellung des Kontoinhabers gemindert wird und sich so verschlechtert (Cremer, Kapitel 22, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2006, Rz. 76.). Im Bosphorus-Fall des EGMR, Große Kammer, Urteil vom 30. Juni 2005, Nr. 45036/98, ECHR 2005-VI, Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret Anonim Sirketi gegen Irland, Rz. 142 sah der EGMR in der Beschlagnahme eines Flugzeugs in Vollzug von EG-rechtlich umgesetzten Sanktionen des UN-Sicherheitsrates eine Eigentumsbeeinträchtigung. 15
Für Art. 12 Abs. 1 und 2 IPbpR ergibt sich dieser aus Art. 12 Abs. 3 IPbpR, für Art. 17 AllgErkl. MR aus dessen Abs. 2 und auch in Art. 1 Abs. 2 1.
G. Der Soll-Zustand des 1267-Sanktionsregimes
197
der Voraussetzungen für eine Listung durch das Sanktionskomitee vorzusehen. So hat der Menschenrechtsausschuss Art. 12 Abs. 3 IPbpR dahin ausgelegt, dass Einschränkungen der Fortbewegungfreiheit auf klare gesetzliche Grundlagen gestützt werden müssen, die präzise Kriterien für die Einschränkungen enthalten.16 Die Einschränkungen müssen für den Betroffenen vorhersehbar sein.17 In der Spruchpraxis des EGMR wurden ebenfalls Anforderungen entwickelt, die an eine gesetzliche Eingriffsgrundlage zu stellen sind und zu denen unter anderem die hinreichende Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage gehört.18 Danach muss die Grundlage des Grundrechtseingriffs hinreichend präzise formuliert und so bestimmt sein, dass der Betroffene die Umstände und Bedingungen behördlichen Handlens voraussehen und die Folgen seines eigenen Verhaltens abschätzen kann.19
bb) Zusammenfassung des Ist-Zustandes des 1267-Sanktionsregimes Mit Verabschiedung der Resolution 1617 (2005) ist die Bedeutung der für eine Listung vorausgesetzten „Verbundenheit“ („associated with“) mit Al-Qaida etc. konkretisiert worden und demnach zu prüfen anhand der Aktivitäten der Teilnahme an der Finanzierung, Planung, Erleichterung, Vorbereitung oder Begehung von Taten der Al-Qaida, bin Ladens und der Taliban oder von Aktivitäten in Verbindung mit ihnen, unter ihrem Namen, in ihrem Auftrag oder zu ihrer Unterstützung. Des Weiteren fallen Lieferung, Verkauf und Transfer von Waffen und zugehöriger Ausrüstung an sowie die Rekrutierung von Anhängern für AlQaida etc. unter das Kriterium des Verbundenseins mit diesen; zuletzt erfasst eine Öffnungsklausel auch alle anderweitig unterstützenden Ak-
ZP EMRK ist von Gesetzen die Rede, die die Regelung und Benutzung des Eigentums betreffen. 16
Human Rights Committee, General Comment No. 27: Freedom of movement (Art.12), CCPR/C/21/Rev.1/Add.9, 2. November 1999, Rz. 13, 16. 17
So Nowak, Art. 12 CCPR, CCPR Commentary, 2005, Rz. 30.
18
Grabenwarter/Marauhn, Kapitel 7, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/ GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2006, Rz. 24. 19
Ibid., Rz. 28.
198
Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
tivitäten.20 Außerdem können auch alle Unternehmen und juristischen Personen, die einer mit Al-Qaida etc. verbundenen natürlichen oder juristischen Person gehören oder von ihr direkt oder indirekt kontrolliert werden, oder die die Verbündeten von Al-Qaida etc. anderweitig unterstützen, selbst gelistet werden.21
cc) Festgestellte Mängel im Ist-Zustand des 1267-Sanktionsregimes Die Konkretisierung der Listungsvoraussetzung der „Verbundenheit“ mit Al-Qaida etc. kann zwar als Entwicklung in Richtung auf mehr Transparenz, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit des Sanktionsregimes gewertet werden, weil der Katalog zumindest gewisse Anhaltspunkte für die Listungsvoraussetzung vermittelt, indem er konkrete Handlungen, von denen auf eine Verbundenheit des Betroffenen mit Al-Qaida etc. geschlossen werden kann, benennt. Diese Konkretisierung hält aber den Anforderungen an eine klare Definition der Voraussetzungen für eine Listung nicht stand, die verlangen, dass die Listungsvoraussetzungen so hinreichend präzise formuliert und so bestimmt sein müssen, dass der Betroffene die Umstände und Bedingungen einer Listung durch das Sanktionskomitee voraussehen und die Folgen seines eigenen Verhaltens abschätzen kann. Gemessen an diesem Maßstab erscheinen die Formulierungen „Lieferung, Verkauf und Transfer von Waffen und zugehöriger Ausrüstung an“ sowie „Rekrutierung für Al-Qaida etc.“ vertretbar: Waffenhandel und -lieferung sind klar abgrenzbare Tätigkeiten. Auch welche Aktivitäten – nämlich insbesondere die Werbung neuer Anhänger – unter den Begriff „Rekrutierung“ fallen könnten, ist für den potentiell Betroffenen noch hinreichend voraussehbar. Der unbestimmte Rechtsbegriff der „zugehörigen“ Ausrüstung allein schadet der Bestimmtheit nicht, weil die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe dem Bestimmtheitsgebot nicht per se entgegensteht.22 Auch die Erstreckung auf alle „anderweitig unterstützenden Aktivitäten“ erscheint noch gerechtfertigt, da diese 20
Resolution 1617 (2005) vom 29. Juli 2005, Ziff. 2. Bestätigt durch Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 2 und Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 2. 21 22
Resolution 1617 (2005) vom 29. Juli 2005, Ziff. 3.
Vgl. Grabenwarter/Marauhn, Kapitel 7, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2006, Rz. 32.
G. Der Soll-Zustand des 1267-Sanktionsregimes
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Öffnungsklausel zwar unbenannte Fälle einbezieht, andererseits aber das Erfordernis, dass es sich um „unterstützende“ Aktivitäten handeln muss, eine gewisse – auch nachprüfbare – Einschränkung schafft. Hinzu tritt, dass eine vollständige Aufzählung relevanter Tätigkeiten in einem abschließenden Katalog auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen dürfte und die Verwendung der Öffnungsklausel gerade insofern gerechtfertigt erscheint. Anders verhält es sich mit der „Teilnahme an der Finanzierung, Planung, Erleichterung, Vorbereitung oder Begehung von Taten der AlQaida, bin Ladens und der Taliban oder von Aktivitäten in Verbindung mit ihnen, unter ihrem Namen, in ihrem Auftrag oder zu ihrer Unterstützung“. Der Begriff der „Teilnahme“ ist recht unbestimmt: Die Finanzierung etwa von Akten der Taliban erscheint zwar noch gut beurteilbar und einschätzbar, weil damit nur die Zurverfügungstellung wirtschaftlicher Mittel, sei es durch direkte Übergabe, sei es durch Überweisung, die über den Empfänger als Finanzierung des Terrorismus identifizierbar ist, gemeint sein kann. Der Begriff der „Teilnahme“ erstreckt dagegen den Anwendungsbereich zeitlich möglicherweise bereits ins Vorbereitungsstadium und ratione personae auch auf diejenigen Personen, die – anders als bei den „unterstützenden“ Aktivitäten – nur einen ganz untergeordneten und unbedeutenden Beitrag geleistet haben. Die einschneidenden Rechtfolgen der Listung könnte man für einen entsprechend geringen Beitrag des Betroffenen auch als unverhältnismäßig ansehen. Da insbesondere als begrenzendes Merkmal nicht Vorsatz für die „Teilnahme“ gefordert ist,23 greift der Begriff der „Teilnahme“ zu weit in nicht überschaubare Aktivitäten aus und erscheint daher zu unbestimmt, um den Anforderungen an eine vorhersehbare Bedingung für eine Listung zu genügen. Dies wird deutlich, wenn man sich vorstellt, dass jemand für seinen Bekannten einen Überweisungsträger zur Bank bringt, ohne den Überweisungsempfänger, der Geld für eine terroristische Aktivität der Al-Qaida sammelt, zu kennen. Würde man hier von der „Teilnahme“ des Überbringers an der Finanzierung von Al-Qaida ausgehen – die Handlung war immerhin notwendig, um AlQaida das Geld zur Verfügung zu stellen – so würde rein fahrlässiges Handeln zur Listung führen. Die Übergabe des Überweisungsträgers dürfte dabei allerdings kaum als für den Betroffenen voraussehbare Bedingung für seine Listung bezeichnet werden können. 23 „Teilnahme“ etwa nach deutschem Strafrecht erfordert immer Vorsatz – entweder hinsichtlich der Anstiftung (§ 26 StGB) oder hinsichtlich der Beihilfe (§ 27 StGB).
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Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
Die Annahme, dass auch alle Unternehmen und juristischen Personen, die einer mit Al-Qaida etc. verbundenen natürlichen oder juristischen Person gehören oder von ihr direkt oder indirekt kontrolliert werden, oder die die Verbündeten von Al-Qaida etc. anderweitig unterstützen, selbst gelistet werden können, genügt nicht den Anforderungen an klare Listungsvoraussetzungen. Dies folgt schon daraus, dass diese Erweiterung auf eine nach den oben genannten Kriterien mit Al-Qaida „in Verbindung“ stehende Person Bezug nimmt und zumindest die Formulierung der „Teilnahme an der Finanzierung der Al-Qaida etc.“ als (ausreichende) Voraussetzung für eine solche Vebundenheit soeben als zu unbestimmt eingestuft wurde. Davon abgesehen lassen sich aus der bloßen Eigentümerstellung einer mit Al-Qaida „in Verbindung“ stehenden Person hinsichtlich eines Unternehmens noch keine Rückschlüsse auf die Terrorunterstützung gerade dieses Unternehmens ziehen. Falls insoweit die Austrocknung auch der mittelbaren Geldquellen der Terroristenunterstützer intendiert war, so sollte dieses Ziel mit der Mitteleinfrierung, die aber ein Aspekt der Rechtsfolgenseite ist, ausreichend erreichbar sein. Dass die Resolution die Listung in einem solchen Fall dem Sanktionskomitee ausnahmsweise freizustellen scheint („shall be eligible“), ändert an der Einschätzung nichts, weil für potentiell betroffene Unternehmen – gerade auch durch ihre nur mittelbare Verbindung zu den zu bekämpfenden Aktivitäten – weiterhin nicht hinreichend ersichtlich ist, wann sie gegebenenfalls gelistet werden.
dd) Verbesserungsvorschläge Um die Voraussetzungen für eine Listung hinreichend klar und bestimmt zu formulieren, sollte man daran denken, „Teilnahme an der“ in der Passage „Teilnahme an der Finanzierung“ zu streichen. Weiterhin sollte die Passage, wonach Unternehmen und juristische Personen, die im Eigentum stehen oder kontrolliert werden von Personen, die mit Al-Qaida etc. „in Verbindung“ stehen, gelistet werden können, gestrichen werden. Abgesehen von diesen Vorschlägen zur Formulierung der Voraussetzungen einer Listung bietet es sich an, die endgültige Formulierung in die Richtlinien des Sanktionskomitees bei den Vorschriften zum Listing aufzunehmen, sie so am richtigen Platz zu verorten und damit im Inte-
G. Der Soll-Zustand des 1267-Sanktionsregimes
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resse der Rechtsklarheit besser sichtbar zu machen24 statt nur auf den Inhalt verschiedener Resolutionen zu verweisen. Durch die Berücksichtigung dieser Verbesserungsvorschläge verlöre das 1267-Sanktionsregime nicht seinen Sinn, da die eigentlich Verantwortlichen für die Bedrohung des Weltfriedens weiterhin den Sanktionen unterworfen werden könnten und durch die nicht abschließende Aufzählung („include“) und die Öffnungsklausel dem Sicherheitsrat und dem Sanktionskomitee die nötige Flexibilität für ihr zukünftiges Handeln bliebe.
ee) Fazit Die Untersuchung ergibt, dass zur geforderten Schaffung einer klaren Definition der Voraussetzungen für eine Listung die unter dd) vorgeschlagenen geänderten Listungsvoraussetzungen in die Richtlinien des Sanktionskomitees aufzunehmen wären.
b) Beweispflicht hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen einer Listung aa) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen einer Listung müssen entsprechende Beweise geliefert werden. Das siebte Prinzip der Empfehlung No. R (91) 1 des Ministerkomitees des Europarates zu Verwaltungssanktionen25 bestimmt, dass die Beweislast bei der Verwaltungsbehörde liegt. Insoweit handelt es sich um eine allgemeine Verfahrensregel, die die Verwaltungsbehörde, welche die Sanktionsmaßnahme ini-
24 S. unten, Anhang II zu Kapitel G: Die Ergänzungen zu den Verfahrensrichtlinien des 1267-Sanktionsregimes, Ziff. 6. 25
Adressat dieser Empfehlung sind zwar die Mitgliedstaaten des Europarates, doch wird die Empfehlung hier mit aller Vorsicht zur Konkretisierung der an den Sicherheitsrat gerichteten Resolution 1597 (2008) herangezogen. Soweit es deshalb im Zusammenhang mit der UN-Treue um den Inhalt der Interessen der Mitgliedstaaten geht, ist entscheidend, dass die Empfehlung als Dokument des Europarates als repräsentativ, zumindest für eine größere Zahl von UNMitgliedern und deren Rechtsverständnis hinsichtlich des Inhalts der einzelnen Aspekte der Rechtsstaatlichkeit angesehen werden kann.
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Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
tiiert, zur Beibringung von Belegen für das Vorliegen der Voraussetzungen für das Verhängen der Maßnahme verpflichtet.26
bb) Zusammenfassung des Ist-Zustandes des 1267-Sanktionsregimes Im 1267-Sanktionsregime ist eine immer bessere Befolgung dieser Pflicht, entsprechende Beweise für das Vorliegen der Listungsvoraussetzungen beizubringen, erkennbar. Allerdings ist dabei als Aspekt des Mehrebenensystems zu berücksichtigen, dass das Sanktionskomitee als Gremium, das über die Listung entscheidet, selbst mangels entsprechenden Verwaltungsapparates keine eigenen Tatsachenerhebungen vornehmen kann und daher auf die Lieferung von Informationen durch die Staaten, insbesondere den Vorschlagsstaat, angewiesen ist.27 Der Sicherheitsrat mit seinem Unterorgan Sanktionskomitee ist damit bei der Erfüllung seiner Beweisverpflichtung von den Mitteilungen durch die Staaten abhängig. Dies ist bei der Ausgestaltung des Sanktionsregimes ebenso zu berücksichtigen wie die Tatsache, dass viele Listungsvorschläge auf Geheimdienstinformationen der UN-Mitgliedstaaten basieren, was die Beweisvorlage wegen nationaler Geheimhaltungsinteressen noch erschwert. Es kommt bezüglich der Erfüllung der Beweispflicht im 1267-Sanktionsregime daher darauf an, wie wirksam die Vorschlagsstaaten für die empfohlene Listung zur Beweisvorlage an das Sanktionskomitee angehalten werden können. Denn nur insoweit kann das Komitee auf der Grundlage von Beweisen entscheiden. Die Beweispflicht der UN setzt sich dann gegenüber dem Gelisteten in der Begründung für die Listung fort, die diesem gegenüber abzugeben ist.28 Nach dem aktuellen Ist-Zustand des Sanktionsregimes ist dem Listungsvorschlag als Grundlage eine Falldarstellung beizufügen, deren Inhalt wie folgt konkretisiert wurde: Die Darstellung muss so detailliert wie möglich sein und insbesondere spezifische Informationen enthalten, die die Voraussetzungen für eine Listung, also die Eigenschaft als AlQaida- oder Talibanmitglied oder insbesondere die Verbindung zu die26
Recommendation No. R (91) 1 of the Committee of Ministers to Member States on Administrative Sanctions, vom 13. Februar 1991, Denkschrift zum siebten Prinzip. 27
So auch Boulden, The Security Council and Terrorism, in: Lowe/Roberts/ Welsh/Zaum (Hrsg.), The United Nations Security Council and War, The Evolution of Thought and Practice since 1945, 2008, S. 608, 623. 28
S. zur Begründungspflicht unten, G.I.2.lit.d.
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sen Gruppen oder Osama bin Laden, stützen. Außerdem sind die Natur der Informationen anzugeben und weitere Dokumente als Belege zu liefern.29 Der Vorschlagsstaat kann denjenigen Teil der Falldarstellung festlegen, den er vom Sanktionskomitee vertraulich behandelt wissen will.30 Zur Verbesserung der Identifizierung der zu Listenden ist die Nutzung eines Standardformulars vorgesehen, in dem Namen, Geburtsdetails, Adressen sowie Auskünfte etwa zu Familienstand, Verurteilungen, Haft, Größe, Gewicht und Haar- und Augenfarbe des zu Listenden und die öffentlich publizierbaren Anteile der Falldarstellungen einzutragen sind.31
cc) Festgestellte Mängel im Ist-Zustand des 1267-Sanktionsregimes Die gegenwärtig bestehenden Anforderungen an die Vorschlagsstaaten bezüglich der Lieferung von Informationen, die die Listung stützen, und die dann vom Sanktionskomitee an den Gelisteten weiterzugeben sind, genügt weitgehend der vom Europarat geforderten Beibringung von Belegen für das Vorliegen der Voraussetzungen für das Verhängen einer Maßnahme. Dafür am wichtigsten ist die in den jüngsten Resolutionen eingeführte Pflicht der Vorschlagsstaaten, Informationen zu liefern, die die Voraussetzungen für eine Listung, also die Eigenschaft als Al-Qaida- oder Talibanmitglied oder insbesondere die Verbindung zu diesen Gruppen oder Osama bin Laden, stützen.32 Die Pflicht zur Angabe der Natur der Informationen33 ist ebenfalls sinnvoll und kann das erwähnte, im Mehrebenensystem auftretende Problem, dass nicht das Sanktionskomitee selber die Tatsachen ermittelt, anhand derer die Entscheidung über die Listung getroffen wird, sondern der Vorschlagsstaat, kompensieren helfen. Diese Identifizierung der Beweisquellen, von denen das Sanktionskomitee sonst nichts wüsste, ermöglicht erst eine objektive und sinnvolle Beweiswürdigung im Rahmen der Listungsentscheidung. Das Gewicht der vorgelegten Beweise wird sich so besser einschätzen 29 30
Resolution 1735 (2006) vom 22. Dezember 2006, Ziff. 5. Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 11.
31
Ibid., Ziff. 13 sowie das Formular unter: http://www.un.org/sc/commi tees/1267/pdf/sfl_ind_basic.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010). 32 Resolution 1735 (2006) vom 22. Dezember 2006, Ziff. 5; bestätigt durch Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 12. 33
Resolution 1735 (2006) vom 22. Dezember 2006, Ziff. 5.
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Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
lassen – oberflächlichen Informationen in wenig angesehenen Printmedien wird insoweit weniger Gewicht zuzumessen sein als etwa Beweisen, die sich in einem Urteil finden, das im Rahmen eines nationalen Strafverfahrens nach rechtsstaatlichen Grundsätzen erging. Insgesamt wird dem Sanktionskomitee so eine objektivere Würdigung der vorgelegten Materialien ermöglicht. Die Nutzung des Standardformulars, in dem Namen, Geburtsdetails, Adressen und viele weitere Details zur Identifizierung einzutragen sind,34 vermindert die Verwechslungsgefahr und verbessert unter diesem Aspekt die Prüfung der Voraussetzungen für eine Listung. Wesentlich für die Bewertung der genannten, im 1267Sanktionsregime schon vorhandenen Beweispflichten als nahezu ausreichend spricht die Tatsache, dass trotz der Rolle, die Geheimdienstinformationen sicher oft für die Listung spielen,35 dem Sanktionskomitee eine tragfähige Entscheidungsgrundlage dadurch gesichert zu sein scheint, dass der Vorschlagstaat zwar die Veröffentlichung der Falldarstellung beschränken kann,36 eine entsprechende Einschränkung aber gerade nicht für die Falldarstellung selbst gilt, die das Sanktionskomitee als Grundlage für seine Entscheidung erhält. Insgesamt entspricht damit das 1267-Sanktionsregime in seiner gegenwärtigen Ausformung weitgehend den Anforderungen an die Beweispflicht hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Listung. Bemängelt werden könnte allenfalls die recht unverbindliche Sprache der Verfahrensrichtlinien in Bezug auf die Detailtiefe der Mitteilungen der Mitgliedstaaten. Danach „soll“ („should“) die Falldarstellung lediglich detailliert sein.37
dd) Verbesserungsvorschläge Um den Mangel an eindeutig verbindlicher Sprache der Verfahrensrichtlinien zu beheben, sollte in Ziffer 6 (d) der Verfahrensrichtlinien 34
Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 13 sowie das Formular unter: http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/sfl_ind_basic.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010). 35
So eindeutig Biehler, Individuelle Sanktionen der Vereinten Nationen und Grundrechte, AVR 41 (2003) 2, S. 169, 172. 36 37
Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 11.
Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008, Ziff. 6 (d). Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 11 spricht immerhin von „shall“.
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des Sanktionskomitees „should“ durch „must“ ersetzt werden. Um die Angewiesenheit des Sanktionskomitees auf die Lieferung von Informationen durch die Mitgliedstaaten abzumildern, sollte außerdem die Pflicht, Tatsachen zu liefern, die die Listungsvoraussetzungen belegen sowie die Natur der Beweise offen legen, durch den Zusatz „otherwise the proposal is rejected at once“ abgesichert werden. Durch diese Vorschläge wird das 1267-Regime in seiner Funktionsfähigkeit nicht gefährdet, da erst die klare Pflicht zur detaillierten Falldarstellung und deren Absicherung durch eine mögliche Ablehnung des Antrags dem Sanktionskomitee eine belastbare Rechtfertigung an die Hand gibt, wenn es ungenügende Anträge mangels detaillierter Falldarstellung ablehnen will. Dass die Änderungen die gegenteilige Wirkung haben und die Mitgliedstaaten infolge der erhöhten Anforderungen überhaupt keine Informationen mehr liefern könnten, ist dagegen eher unwahrscheinlich.
ee) Fazit Insgesamt entspricht das 1267-Sanktionsregime in seiner jetzigen Form weitgehend den rechtsstaatlich gebotenen Anforderungen an die Beweispflicht hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Listung. Einige wünschenswerte Ergänzungen der Verfahrensrichtlinien sollten entsprechend den Vorschlägen unter dd) vorgenommen werden.
c) Recht auf unverzügliche und vollständige Information bezüglich des zur Last gelegten Sachverhalts sowie der getroffenen Entscheidung aa) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs Das Recht auf unverzügliche und vollständige Information bezüglich des zur Last gelegten Sachverhalts sowie der getroffenen Entscheidung bedeutet im 1267-Sanktionsregime, dass der Betroffene hinsichtlich des listungsrelevanten Sachverhalts sowie hinsichtlich der Listungsentscheidung selbst unverzüglich und vollständig benachrichtigt werden muss. In der Resolution (77) 31 des Ministerkomitees zum Individualschutz im Verhältnis zu behördlichen Akten ist ausgeführt, dass das Informationsrecht insbesondere Voraussetzung für die Wahrnehmung des Rechts auf Anhörung ist.38 Deshalb kann als Anhaltspunkt für die Unverzüg38
Resolution (77) 31 des Ministerkomitees zum Individualschutz im Verhältnis zu behördlichen Akten, Ministerkomitee des Europarates, angenommen
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Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
lichkeit gelten, dass dem Gelisteten genügend Zeit für die Anhörung und die Verteidigung seiner Rechte bleiben muss.39 Die Form der Mitteilung, etwa schriftlich, öffentlich oder über die Presse, kann dem Einzelfall überlassen bleiben.40
bb) Zusammenfassung des Ist-Zustandes des 1267-Sanktionsregimes Nach gegenwärtigem Stand des Sanktionsregimes ist der Gelistete von der Listung zu benachrichtigen und ihm sind neben den auf die Falldarstellung gestützten Gründen für die Listung eine Beschreibung der Wirkung der Listung sowie eine Darstellung des Delisting-Verfahrens des Komitees (einschließlich des Hinweises auf die Möglichkeit der Einreichung des Streichungsantrags an die Ombudsperson) und die möglichen Ausnahmen zur Kontensperrung mitzuteilen.41 Dabei soll das UN-Sekretariat nach der Veröffentlichung der Listung, spätestens jedoch innerhalb von drei Werktagen nach der Listungsentscheidung, die Ständige Vertretung des Landes benachrichtigen, in dem sich der Betroffene mutmaßlich befindet und im Fall von Individuen deren Heimatstaat.42 Die Staaten, die diese Benachrichtigung erhalten, müssen ihrerseits dann nicht nur sinnvolle Schritte („reasonable steps“) einleiten, sondern alle denkbaren Maßnahmen („all possible measures“) ergreifen, um den Betroffenen innerhalb eines angemessenes Zeitraums („in a timely manner“) zu informieren.43
am 28. September 1977, Ziff. 19. S. zum Grundsatz der guten Verwaltung in den Aktivitäten des Europarats auch Efstratiou, Der Grundsatz der guten Verwaltung als Herausforderung an die Dogmatik des nationalen und europäischen Verwaltungsrechts, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 281, 288 f. 39
Resolution (77) 31 des Ministerkomitees zum Individualschutz im Verhältnis zu behördlichen Akten, Ministerkomitee des Europarates, angenommen am 28. September 1977, Ziff. 19. 40 41 42 43
Ibid. Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 19. Ibid., Ziff. 18. Ibid., Ziff. 19.
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cc) Festgestellte Mängel im Ist-Zustand des 1267-Sanktionsregimes Das 1267-Sanktionsregime in seiner aktuellen Fassung wird damit den Anforderungen, die mit der Informationspflicht aufgestellt werden, weitgehend gerecht: Inhaltlich ist mittlerweile sowohl die Information hinsichtlich der Listungsentscheidung selbst als auch hinsichtlich der auf die Falldarstellung gestützten Gründe für die Listung umfasst, wobei die Pflicht des Vorschlagsstaats, eine Falldarstellung mit den dem Vorschlag zugrunde liegenden Tatsachen und deren Quellen zu liefern, die Qualität der Tatsachengrundlage und damit auch den Inhalt der Information an den Betroffenen verbessern dürfte.44 In zeitlicher Hinsicht ist die geforderte Unverzüglichkeit bzw. zeitliche Nähe der Information in der Begrifflichkeit „innerhalb eines angemessenes Zeitraums“ hinreichend abgebildet, muss aber auch entsprechend ernst genommen werden. Probleme könnte aber die Information hinsichtlich des der Begründung zugrunde liegenden listungsrelevanten Sachverhalts insofern bereiten, als dessen Veröffentlichung von den UN-Staaten beschränkt werden kann.45 Eine solche Beschränkung wird in der Regel auf die Bedeutung von Geheimdienstinformationen für neue Listungen zurückzuführen sein. Weil dieses Erfordernis der Sachverhaltsmitteilung auch im Rahmen der Begründungpflicht eine Rolle spielt und dort eng mit der Nennung der Gründe für eine Listung zusammenhängt, soll die Problematik im Rahmen der Begründungspflicht ausführlich besprochen werden.46 Auch die zeitliche Dimension der Information bedarf einer näheren Betrachtung und Präzisierung. Insofern ist zunächst zu begrüßen, dass die Mitteilungsfrist der UN-Ebene an die Staaten mittlerweile auf drei Werktage ab Listung verkürzt wurde, was als Element der Beschleunigung des Verfahrens angesehen werden kann. Im Verhältnis der Staaten zum Gelisteten ist zu bedenken, dass eine Information dann als „inner44
Ansätze für eine Verbesserung der Stellung des Betroffenen sehen auch Witschel/Brandes, Die Vereinten Nationen und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, in: Schorlemer (Hrsg.), Globale Probleme und Zukunftsaufgaben der Vereinten Nationen, Zeitschrift für Politik, Sonderband 1, 2006, S. 22, 36 (allerdings noch zu Resolution 1617 (2005) vom 29. Juli 2005, wonach über die verhängten Maßnahmen und das Verfahren für die Streichung zu informieren war). 45 46
Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 11. S. unten, G.I.2.lit.d.
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Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
halb eines angemessenes Zeitraums“ eingestuft werden kann, wenn der oben genannte zugrunde liegende Zweck, dem Einzelnen genügend Zeit für die Anhörung und die Verteidigung seiner Rechte zu geben, erfüllt ist. Da die Anhörung im 1267-Regime aber erst nach der Listung erfolgt,47 ist das zeitliche Moment nicht mehr aus der präventiven Perspektive heraus, die Listung noch zu verhindern, zu bewerten, sondern mit Blick auf die Streichung von der Liste. Im 1267-Regime sind insofern die Besonderheiten zu beachten, die sich aus dem völkerrechtlichen Charakter des Sanktionsregimes ergeben. Die mehrstufige Informationsweitergabe in diesem Mehrebenensystem stellt sich auf der ersten Stufe, im Verhältnis zwischen der UN-Ebene und der Staatenebene, mit der Frist von drei Werktagen als befriedigend geregelt dar. Von der Staatenebene zum Gelisteten muss die Information „innerhalb eines angemessenen Zeitraums“ erfolgen, wobei einerseits aufgrund der Tatsache, dass sich dazu eine weitere Verwaltungseinheit ganz neu mit der Sache zu befassen hat und andererseits angesichts der Leistungsfähigkeit der diplomatischen Informationskanäle und der Verfügbarkeit elektronischer Kommunikationsmittel ein Zeitraum von einer Woche angemessen erscheint. Unter Berücksichtigung der Mehrstufigkeit der Informationsübermittlung wird man daher für die Information des Gelisteten ab der UN-Ebene eine Frist von drei Werktagen und daran anschließend einer Woche zugestehen müssen. Für die Form der Information mögen keine besonderen Anforderungen bestehen. Die Information muss aber jedenfalls so erfolgen, dass das Sanktionskomitee davon ausgehen darf, dass die Information dem Betroffenen auch zur Kenntnis gelangt. Die bislang vorgesehene Schriftform, wenn auch nicht zwingend verbindlich formuliert, dürfte diesen Zweck erfüllen.
dd) Verbesserungsvorschläge Nach dem Gesagten müssten die Verfahrensrichtlinien mit Blick auf die Pflicht der Staaten, den Gelisteten über Sachverhalt und Listung unverzüglich zu informieren, wie folgt angepasst werden: Die Passage „in a timely manner“ („zeitnah“) ist zu ersetzen durch „promptly, within one week after having received the notfication by the Secretariat“ („unverzüglich, innerhalb einer Woche nach Erhalt der Benachrichtigung durch
47
S. zur Begründung hierfür, sowie generell zum Anhörungs- und Verteidigungsrecht im 1267-Regime unten, G.I.2.lit.e.
G. Der Soll-Zustand des 1267-Sanktionsregimes
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das Sekretariat“). Bezüglich der Ausführlichkeit und möglicher Beschränkungen bei der Darstellung des Sachverhalts, auf den die Begründung der Listung gestützt wird, ist auf die Reformvorschläge zu verweisen, die insoweit im Rahmen der Besprechung der Begründungspflicht gemacht werden.48 Diese Präzisierung des Zeitraums, in dem die Information erfolgen muss, erscheint angemessen und beeinträchtigt das Sanktionsregime in seiner Funktionsfähigkeit nicht zu sehr.
ee) Fazit Bis auf die zeitliche Präzisierung der Frist für die Information des Gelisteten durch die zuständigen UN-Mitgliedstaaten und mögliche Beschränkungen der Veröffentlichung des listungsrelevanten Sachverhalts genügt das Sanktionsregime in seiner jetzigen Fassung schon den Anforderungen, die mit der Informationspflicht aufgestellt werden. Somit würde es genügen, die unter dd) vorgeschlagenen Ergänzungen der Verfahrensrichtlinien vorzunehmen.
d) Begründungspflicht aa) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs Nach den Vorgaben des Europarates muss der Betroffene vollständig über die Gründe für die Entscheidung informiert werden. Was sich inhaltlich hinter dieser Begründungspflicht verbirgt, lässt sich mit Hilfe der Empfehlung (2007) 7 des Ministerkomitees des Europarates an die Mitgliedstaaten über eine gute Verwaltungspraxis näher bestimmen. Art. 17 dieser Empfehlung befasst sich mit der Form von Verwaltungsentscheidungen. Sein zweiter Absatz bestimmt, dass für jede Einzelentscheidung eine angemessene Begründung gegeben werden soll, die die rechtlichen und tatsächlichen Gründe nennt, auf deren Grundlage die Entscheidung getroffen wurde.49 Ergänzend ergibt sich aus Prinzip IV der Resolution (77) 31 des Ministerkomitees zum Schutz des Einzelnen bezüglich verwaltungsbehördlicher Akte, an die die Empfehlung (2007) 48 49
S. unten, G.I.2.lit.d.
Artikel 17 Abs. 2 der Empfehlung (2007) 7 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über eine gute Verwaltungspraxis, Ministerkomitee des Europarates, angenommen am 20. Juni 2007.
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Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
7 des Ministerkomitees anknüpft, dass die Begründung entweder durch Nennung der Gründe im Verwaltungsakt selbst oder gesondert in schriftlicher Form zu erfolgen hat.50 Der Zweck der Begründung besteht darin, den Adressaten in die Lage zu versetzen, den Akt der Verwaltung richtig bewerten zu können, vor allem mit Blick auf die mögliche Ergreifung von Rechtsmitteln.51 Ebenso soll dadurch der Kontrollinstanz ermöglicht werden, die Rechtmäßigkeit des Akts zu bewerten.
bb) Zusammenfassung des Ist-Zustandes des 1267-Sanktionsregimes Die Pflicht des Sanktionskomitees, die Gründe für die Listung zu nennen, ist Teil der Informationspflicht gegenüber dem Gelisteten. Nach gegenwärtigem Stand des 1267-Regimes ist dem Gelisteten neben anderen Auskünften eine auf die Falldarstellung gestützte Begründung für seine Listung mitzuteilen.52
cc) Festgestellte Mängel im Ist-Zustand des 1267-Sanktionsregimes Ergibt sich als Kern der Begründungspflicht, die rechtlichen und tatsächlichen Gründe zu nennen, auf deren Grundlage die Entscheidung getroffen wurde, so wird das Sanktionsregime in seiner gegenwärtigen Gestalt diesen Anforderungen noch nicht gerecht. Denn der Inhalt der auf die Falldarstellung gestützten Begründung ist schon bezüglich des Sachverhalts auf Wunsch des Vorschlagsstaates einschränkbar.53 Die Begründung soll aber vor allem auch die rechtlichen Erwägungen sichtbar machen, die das Sanktionskomitee auf der Basis des gegebenen Sachverhalts zur Listungsentscheidung bewogen haben. Aus dem Wortlaut der letzten Resolution („narrative summary of reasons for listing“54) geht
50
Prinzip IV der Resolution (77) 31 des Ministerkomitees zum Individualschutz im Verhältnis zu behördlichen Akten, Ministerkomitee des Europarates, angenommen am 28. September 1977. 51 Resolution (77) 31 des Ministerkomitees zum Individualschutz im Verhältnis zu behördlichen Akten, Ministerkomitee des Europarates, angenommen am 28. September 1977, Ziff. 28 f. zu Prinzip IV. 52 53 54
Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 19, 14, 11. Ibid., Ziff. 19, 14, 11. Ibid., Ziff. 14, 19.
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jedoch noch nicht klar genug hervor, dass neben den tatsächlichen Gründen auch die rechtlichen Gründe für die Listung zu nennen sind. Inhalt dieser rechtlichen Begründung wären insbesondere die Erwägungen, die zur Subsumtion des gegebenen Sachverhalts unter die Voraussetzungen für die Listung, also insbesondere zur Bejahung der Verbindung des Betroffenen mit Al-Qaida etc., geführt haben. Des Weiteren wären die Beweisquellen zu nennen, auf die das Sanktionskomitee seine Entscheidung besonders gestützt hat. Das Sanktionskomitee müsste sich so nicht nur nochmal selbst Rechenschaft darüber ablegen, ob die Sanktionsvoraussetzungen auch tatsächlich erfüllt sind, sondern seine geheimen Sitzungen erführen insofern eine gewisse indirekte öffentliche Kontrolle, als die bloße stillschweigende Zustimmung in einer Listung allein nicht mehr ausreichte. Die Nennung gerade auch der Natur der Beweise, auf die das Komitee die Listung stützt, würde der Rechtsschutzfunktion der Begründung besonders dienen: Dem Gelisteten würde so konkret ermöglicht, eine etwa auf Medienberichten basierende Listung durch Widerlegung der Berichte anzugreifen oder eine auf gerichtlicher Verurteilung fußende Aufnahme in die Liste mit der Vorlage eines höherinstanzlichen Freispruchs zumindest gezielt zu entkräften. Beim 1267-Sanktionsregime ergibt sich noch das besondere Problem, dass viele Listungen auf der Basis von Geheimdienstinformationen vorgeschlagen werden.55 Die Geheimhaltungsproblematik hat Auswirkungen sowohl auf den Umfang der mitgeteilten tatsächlichen Gründe für eine Listung, als auch – als Folge davon – gegebenenfalls auf die Nennung der rechtlichen Gründe für die Listung. Es besteht hier eine Spannungslage zwischen dem Informationsinteresse des Bürgers hinsichtlich der Gründe für den Eingriffsakt einerseits und dem öffentlichen Interesse an der Geheimhaltung bestimmter Informationen, deren Veröffentlichung gegebenenfalls der Sicherheit des Staates schaden könnte, andererseits. So könnte im 1267-Sanktionsregime etwa ein Vorschlagsstaat, der mit Geheimdienstinformationen genauer beschreibt, dass der zu Listende an einem bestimmten Ort in Afghanistan bei einer bestimmten Tätigkeit beobachtet wurde, damit Informationen preisgeben, die Rück55
Dass Geheimdienstinformationen die Basis von Listungsvorschlägen bilden, lässt sich schon den Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008, Ziff. 6 (d) entnehmen, in dem bezüglich der Natur der Beweise für das Vorliegen der Listungsvoraussetzungen Geheimdienstinformationen an erster Stelle genannt sind.
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Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
schlüsse auf die Arbeitsweise des Geheimdienstes des Vorschlagsstaates zulassen könnten. Wären diese Informationen in der Begründung an den Gelisteten enthalten, könnten Verhaltensweisen der beobachteten Gruppe die Folge sein, die eine weitere wirksame Informationsgewinnung des Geheimdienstes des Vorschlagsstaates unmöglich machen oder zumindest erschweren könnten. Die nationalen Sicherheitsinteressen der Staaten sind grundsätzlich zu respektieren. Insoweit greift, gleichsam als Schranke der Begründungspflicht, die Pflicht zur Berücksichtigung des öffentlichen Interesses an der Sicherheit des Staates und der Vertraulichkeit bestimmter Informationen.56 Im 1267-Sanktionsregime bestimmt bisher der Vorschlagsstaat den Teil der Falldarstellung, den das Sanktionskomitee vertraulich behandeln soll,57 so dass er seine Interessen insoweit selbst schützen kann. Dem ist zuzustimmen, da nur die Staaten selbst ihre eigene Sicherheitslage und ihre Sicherheitsinteressen einzuschätzen vermögen. Die rechtlichen Gründe der Listung, also insbesondere die Subsumtion der gelieferten Tatsachen unter die Voraussetzungen für die Listung, fallen dagegen allein in den Zuständigkeitsbereich des Sanktionskomitees. Zur Berücksichtigung des nationalen Interesses des Vorschlagsstaates am Geheimnisschutz wird das Sanktionskomitee daher bei der Nennung der rechtlichen Gründe auch nur diejenigen tatsächlichen Gründe offenbaren dürfen, hinsichtlich derer der Vorschlagsstaat die Veröffentlichung nicht explizit beschränkt hat.58
56
Resolution (77) 31 des Ministerkomitees zum Individualschutz im Verhältnis zu behördlichen Akten, Ministerkomitee des Europarates, angenommen am 28. September 1977, Ziff. 31 und 12. 57 58
Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 11.
Dies geht zwar aus der jüngsten Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009 nicht eindeutig hervor, erschließt sich aber aus deren Ziff. 19, die die Bekanntgabe der Gründe nach Ziff. 14 an den Gelisteten vorsieht, und Ziff. 11, wo klargestellt wird, dass die Falldarstellung Grundlage der Begründung in Ziff. 14 sein kann mit Ausnahme der Teile, die ein Mitgliedstaat als vom Sanktionskomitee vertraulich zu behandeln ausweist. Zwar ist der Aspekt der Ausnahme der vertraulichen Teile in Ziff. 11 systematisch der beantragten Veröffentlichung der Falldarstellung zugeordnet, er bezieht sich sinnvollerweise aber auch auf die Verwendung der Falldarstellung für die Begründung der Listung, weil sonst auf das nationale Geheimhaltungsinteresse keine Rücksicht genommen würde und die entsprechenden Geheiminformationen sogar im Internet veröffentlicht würden (vgl. Ziff. 14).
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Selbst wenn das öffentliche Interesse aber zu einer Modifikation oder gar zum Ausschluss der Begründung im Einzelfall führen sollte, muss immer noch versucht werden, im Interesse des mit der Begründung bezweckten Individualschutzes eine möglichst gerechte Lösung zu finden.59 Sofern also sicherheitsrechtliche Bedenken dazu führen, dass der Vorschlagsstaat bestimmte Informationen nicht offenbaren will, muss in der Begründung zumindest auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit besonders hingewiesen und müssen die Gründe hierfür nachvollziehbar dargelegt werden.60 Die Begründung für die Geheimhaltung muss dabei erkennbar bezogen auf den konkreten Fall formuliert sein, um zu verhindern, dass der Vorschlagsstaat sich leicht durch den generellen Verweis auf Geheimhaltungsbedürftigkeit freizeichnen kann. Durch diesen Kompromiss geht dem Gelisteten wenigstens eine teilweise Begründung zu und bezüglich des von der Geheimhaltung betroffenen Teils kann er zumindest erkennen, was hier das Argument für die Knappheit der Begründung ist. Dieses Zugeständnis an das Geheimhaltungsinteresse der Vorschlagsstaaten leistet der oft bemängelten Zurückhaltung bei der Nennung neuer Listungskandidaten61 zumindest keinen Vorschub. Mit Blick auf den Individualschutz des Gelisteten erscheint es umso eher zumutbar, wenn garantiert ist, dass der Einzelne sich im Rahmen der Überprüfung der Listung auf eine Kontrolle auch der in der Begründung nicht genannten Gründe verlassen kann.62
dd) Verbesserungsvorschläge Im Rahmen der Verbesserungsvorschläge wäre sicherzustellen, dass auch die rechtlichen Gründe, also insbesondere die Erwägungen, die zur Subsumtion des gegebenen Sachverhalts unter die Voraussetzungen für die Listung geführt haben, in der Begründung genannt werden. Dazu müsste Ziffer 6 (k) der Verfahrensrichtlinien ergänzt werden. Des 59
So auch die Einleitung zu den Prinzipien in Resolution (77) 31 des Ministerkomitees zum Individualschutz im Verhältnis zu behördlichen Akten, Ministerkomitee des Europarates, angenommen am 28. September 1977. 60
Dieses Vorgehen ist auch im nationalen Recht in einschlägigen Fällen gängig, vgl. Kopp/Ramsauer, Art. 39 VwVfG, VwVfG, 2008, Rz. 52. 61
S. Report of the Analytical Support and Sanctions Monitoring Team pursuant to resolution 1735 (2006) concerning Al-Qaida and the Taliban and associated individuals and entities, S/2008/324, vom 14. Mai 2008, Ziff. 28. 62
S. hierzu unten, G.I.3.lit.d.
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Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
Weiteren wären die Beweisquellen zu nennen, auf die das Sanktionskomitee seine Entscheidung besonders gestützt hat. Zuletzt müsste in einem entsprechenden Fall in der Begründung zumindest auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit besonders hingewiesen und müssten die Gründe hierfür nachvollziehbar dargelegt werden. Die Begründung für die Geheimhaltung müsste dabei erkennbar bezogen auf den konkreten Fall formuliert sein. Die Verbesserungsvorschläge dürften einen akzeptablen Kompromiss darstellen, der der Funktionsfähigkeit des 1267-Regimes nicht schadet: Während einerseits das Geheimhaltungsinteresse des Mitgliedstaats geschützt und so zugleich dessen Bereitschaft, weiterhin Informationen an das Sanktionskomitee zu liefern, gestärkt wird, kann der Gelistete zumindest erkennen, warum die Begründung kurz ausfällt und weshalb eine Geheimhaltungsbedürftigkeit vorliegt. Die Ergänzung von Ziffer 6 (k) der Verfahrensrichtlinien, die sich an die jetzige Fassung des Textes direkt anschließen könnte, könnte daher lauten: “The aspects that have caused the Committee to decide that the preconditions for a listing are fulfilled in the light of the facts submitted have to be included in the information on the reasons for listing. The nature of the supporting evidence must be revealed. In case intelligence information is involved which causes the proposing state to withhold it the information on the reasons for listing must indicate the secrecy of this information and give reasons for it with respect to the listing in question”.
ee) Fazit Eine Begründung für eine Listung gegenüber dem Betroffenen ist nach bisherigem Stand des Sanktionsregimes schon vorgesehen, muss inhaltlich aber mit Blick auf die Nennung der rechtlichen Gründe für die Listung und die Problematik der Geheimdienstinformationen wie unter dd) vorgeschlagen verbessert werden.
e) Anhörungs- und Verteidigungsrecht aa) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs Auch das geforderte Anhörungs- und Verteidigungsrecht lässt sich inhaltlich anhand der Empfehlung (2007) 7 des Ministerkomitees des Eu-
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roparates an die Mitgliedstaaten über eine gute Verwaltungspraxis präzisieren. Deren Art. 14 bestimmt, dass im Falle von Individualentscheidungen, die direkt und negativ die Rechte Privater betreffen, und sofern keine anderweitige Äußerungsmöglichkeit bestand, dem Betroffenen Gelegenheit gegeben werden muss, innerhalb einer angemessenen Zeit seinen Standpunkt zu äußern, es sei denn, dass dies offensichtlich nicht erforderlich ist.63 Das Prinzip I der Resolution (77) 31 des Ministerkomitees zum Schutz des Einzelnen bezüglich verwaltungsbehördlicher Akte, an die die Empfehlung (2007) 7 des Ministerkomitees anknüpft, sieht vor, dass der Betroffene Tatsachen, Argumente und Beweise vorbringen können soll.64 Dies gebe ihm Gelegenheit, seine Rechte zu verteidigen.65 Die Anhörung kann danach schriftlich oder mündlich erfolgen, der Zeitpunkt für ihre Durchführung ist flexibel.66 Im öffentlichen Interesse kann auf die Anhörung aber auch verzichtet werden, wenn sie im konkreten Fall unzweckmäßig erscheint.67
bb) Zusammenfassung des Ist-Zustandes des 1267-Sanktionsregimes Ein Anhörungs- und Verteidigungsrecht im Zusammenhang mit der Listung ist im 1267-Sanktionsregime nicht gegeben. Erst im Rahmen des Delisting-Verfahrens kann das Sanktionskomitee den Standpunkt des Gelisteten erfahren, der dabei auch noch verpflichtet ist, für die Streichung relevante Informationen anzubieten und selbst eine Rechtfertigung für seine Streichung von der Liste abzugeben.
63
Artikel 14 der Empfehlung (2007) 7 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über eine gute Verwaltungspraxis, Ministerkomitee des Europarates, angenommen am 20. Juni 2007. 64
Prinzip I der Resolution (77) 31 des Ministerkomitees zum Individualschutz im Verhältnis zu behördlichen Akten, Ministerkomitee des Europarates, angenommen am 28. September 1977. 65
Resolution (77) 31 des Ministerkomitees zum Individualschutz im Verhältnis zu behördlichen Akten, Ministerkomitee des Europarates, angenommen am 28. September 1977, Rz. 15. 66 67
Ibid., Rz. 15, 17. Vgl. ibid., Rz. 18.
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cc) Festgestellte Mängel im Ist-Zustand des 1267-Sanktionsregimes Der Zeitpunkt für die Gewährung der Möglichkeit der Anhörung und Verteidigung wurde oben als flexibel beschrieben. Von der Idee her, dem Betroffenen in einem Verfahren, das zu einer Verwaltungsentscheidung führt, durch die Anhörung die Beteiligung zu ermöglichen, müsste diese Anhörung im 1267-Sanktionsregime stattfinden, bevor die Listungsentscheidung getroffen wird. Dagegen sprechen allerdings gewichtige Gründe: Zum einen dürfte es mit Blick auf den zeitlichen und sonstigen Aufwand und praktische Probleme für das Sanktionskomitee schwierig sein, den Betroffenen anzuhören. Zum anderen wäre vor allem aber der Zweck der Sanktionen ad absurdum geführt, würde man den zu Listenden so auf die möglicherweise bevorstehenden Sanktionen aufmerksam machen und damit das Risiko eingehen, dass er insbesondere Gelder in Sicherheit bringt, bevor die Sanktion der Kontensperrung wirksam wird. Diese Gefahr ist gerade beim 1267-Sanktionsregime besonders groß, weil wegen dessen Mehrebenenarchitektur die Listung nicht unmittelbar die Kontensperrung, sondern erst die Verpflichtung an die Mitgliedstaaten, ihrerseits die Konten zu sperren und die übrigen Sanktionen zu verhängen, bewirkt. Es erscheint daher gerechtfertigt, im 1267-Sanktionsregime vom Zeitpunkt her auf eine Anhörung vor der Listung zu verzichten.68 Die Anhörung und die Verteidigung müssen dann aber nachträglich ermöglicht werden, weil durch die zwischenzeitliche Listung das Ziel der Sanktionen gewahrt ist und deshalb nichts mehr dagegen spricht, dem fortbestehenden Interesse des Gelisteten nachzukommen und ihn seinen Standpunkt vertreten zu lassen, der dann vom Sanktionskomitee immer noch für eine Streichung von der Liste berücksichtigt werden kann und muss. Würde der Gelistete bezüglich des Zeitpunktes der Anhörung insofern allerdings auf ein mögliches späteres Überprüfungsverfahren durch einen unabhängigen Spruchkörper verwiesen werden, würde das Anhörungs- und Verteidigungsrecht zu einer sinnlosen Worthülse verkommen, weil es seinen Zweck für den Gelisteten, gerade im Verfahren der Listung auf das Handeln des Sanktionskomitees Einfluss nehmen zu können, verfehlen würde. Das bereits existierende Delisting-Verfahren wäre jedoch ein solches Verfahren, das vor dem Sanktionskomitee statt68 Selbst im sehr klägerfreundlichen Kadi-Urteil hat der EuGH dies so gesehen, Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rz. 341.
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findet und man könnte bezüglich der Initiative des Gelisteten hierzu an eine Anhörung denken. Das Ingangsetzen des Delisting-Verfahrens durch den Gelisteten kann allerdings trotz des geforderten Inhalts69 nicht als ausreichende Anhörung gedeutet werden, weil das Sanktionskomitee selbst in Richtung auf eine Anhörung tätig werden muss: Wenn von der Anhörung vor der Listung wegen Unzweckmäßigkeit und damit zugunsten der Arbeit des Sanktionskomitees abgesehen wird, so würde es der ratio des Anhörungs- und Verteidigungsrechts, nämlich, dass das Sanktionskomitee wegen des Eingriffs in die Rechte des zu Listenden diesen beteiligen muss, widersprechen, wenn man das Komitee durch die Gestattung der Untätigkeit nach der erfolgten Listung, also nachdem der Grund für den Verzicht auf eine Anhörung vor der Listung entfallen ist, weiterhin von seiner Pflicht zur Sicherung der Beteiligtenrechte entbinden würde.
dd) Verbesserungsvorschläge Zu denken ist daher daran, den Gelisteten schon in der Nachricht, in der er über seine Listung informiert wird, zur Anhörung und Verteidigung aufzufordern und dazu, sich zu diesem Zweck schriftlich oder elektronisch an die Ombudsperson zu wenden. Dies trüge dem öffentlichen Interesse Rechnung, die Chancen für die Wirksamkeit der Sanktionen aufrechtzuerhalten, während andererseits der Gelistete zum frühest möglichen Zeitpunkt angehört wird, zu dem die Gründe für ein Absehen von einer Anhörung entfallen sind. Eine solche Anhörung könnte so auch noch ihren eigentlichen Zweck erfüllen, nämlich gegebenenfalls die Entscheidung der Behörde zu beeinflussen, die die Ausgangsentscheidung getroffen hat, weil das Sanktionskomitee aufgrund der zeitlichen Nähe der Anhörung zur Listung die Erwägungen, die es zur Listung bewogen haben, noch geistig präsent hat. Das Ergebnis könnte dann gegebenenfalls die Streichung von der Liste sein.70 69
Nach den Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008, Ziff. 7 (d) werden eine Rechtfertigung für das Streichungsbegehren und das Anbieten relevanter Informationen verlangt. 70
Im Nachgang zur Kadi-Entscheidung hatte die Kommission den Verstoß gegen das rechtliche Gehör zu heilen und leitete zu diesem Zweck den beiden Klägern die Begründung für deren Listung zur Stellungnahme zu. Die Verordnung (EG) Nr. 1190/2008 vom 28. November 2008, mit der die Kommission die Kläger daraufhin erneut listete, sagt nichts Näheres zu den Stellungnahmen, auch lässt sie nicht erkennen, ob und wie diese Stellungnahmen konkret für die
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Deshalb soll diese Anhörung auch nicht als Teil des Delisting-Verfahrens oder als Antrag hierzu verstanden werden, bei dem das Vorbringen des Gelisteten an den Vorschlags- und Heimatstaat weitergeleitet würde. Würde die Anhörung schon zum früheren Zeitpunkt vor der Listung erfolgen, würde sich auch das Sanktionskomitee selbst mit dem Vorbringen des zu Listenden zu befassen haben. Wenn nun der Gelistete erst nach der Listung angehört wird, darf er dadurch nicht noch schlechter gestellt werden, sondern die von ihm vorgebrachten Gründe sollten direkt dem Sanktionskomitee vorgelegt werden. Nur so kann das Sanktionskomitee relativ kurzfristig etwaige Korrekturen an der Listung, bis hin zur Streichung, vornehmen. Der Aufruf des Gelisteten zur Verteidigung schon in der Listungsinformation erscheint daher als interessengerechte Lösung, die die Funktionsfähigkeit des 1267Regimes nicht gefährdet. Die notwendige Ergänzung der Verfahrensrichtlinien unter der neuen Ziffer 6 (k) sollte somit lauten: “The States receiving the notification must call on the individual or entity included in the list to put forward facts and arguments concerning the listing to the Ombudsperson via phone or e-mail. The Ombudsperson forwards the facts and arguments to the Commitee. The Committee must take any such forwarded information into consideration”.
ee) Fazit Hinsichtlich des Anhörungs- und Verteidigungsrechts des zu Listenden bleibt somit festzuhalten, dass bisher im 1267-Regime eine Anhörung nicht stattfindet, ein Absehen davon vor der Listung in Anbetracht des öffentlichen Interesses an der Wirksamkeit der zu verhängenden Sanktionen aber gerechtfertigt erscheint. Allerdings ist zur Nachholung der Anhörung in den Verfahrensrichtlinien eine entsprechende Aufforderung zur Äußerung gegenüber der Ombudsperson schon bei der Information über die Listung des Betroffenen vorzusehen.
Entscheidungen in Erwägung gezogen wurden. Die kurze Diktion nährt dabei den Verdacht, dass diese rechtlichen Erwägungen zu kurz gekommen sein könnten. Dieser Verdacht ließe sich ausräumen, wenn feststünde, dass die Kommission den Gelisteten nach deren erneuter Listung eine gesonderte, ausführliche Begründung zugesandt hat. Auch auf mehrfache Anfrage bei der Kommission erhielt der Autor hierzu keine Antwort.
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f) Zeitliche Begrenzung der Listung aa) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs Soweit nach den hier anzuwendenden Maßstäben die zeitliche Begrenzung der Listung eingefordert wird, erscheint hierfür der Anknüpfungspunkt zunächst unklar. Da aber in Ziffer 5.1. von „procedural standards under the rule of law“ die Rede ist, spricht vieles dafür, dass mit dem Petitum der zeitlichen Begrenzung der Listung auf den rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abgehoben wird.71 Zu diesem führt die Empfehlung (2007) 7 des Ministerkomitees des Europarates an die Mitgliedstaaten über eine gute Verwaltungspraxis aus, dass Maßnahmen, die die Rechte Privater betreffen, nur verhängt werden sollen, soweit dies erforderlich ist und nur in dem Maß, das nötig ist, um das verfolgte Ziel zu erreichen.72 Im Rahmen der Ermessensausübung ist dabei ein angemessener Ausgleich zu schaffen zwischen den negativen Effekten für den Privaten und der Verfolgung des öffentlichen Ziels.73 Die zeitliche Beschränkung der Listung als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips erscheint deshalb besonders wichtig, weil es sich bei den Sanktionen um sehr einschneidende Maßnahmen handelt, vor allem mit Blick auf die Eigentumsnutzung und die Fortbewegungsfreiheit.
bb) Zusammenfassung des Ist-Zustandes des 1267-Sanktionsregimes Eine bestimmte zeitliche Begrenzung für eine konkrete Listung besteht im 1267-Sanktionsregime nicht. In der Resolution 1822 (2008) wird dem Sanktionskomitee aber eine einmalige Überprüfung aller Namen auf der Liste vorgeschrieben sowie im Anschluss daran eine jährliche Überprüfung, wobei diese dann den Listungen gewidmet ist, die min71
Auch Hazelzet, Assessing the Suffering from “Successful’’ Sanctions: an Ethical Approach, in: Genugten/Groot (Hrsg.), United Nations Sanctions: Effectiveness and Effects, Especially in the Field of Human Rights, 1999, S. 71, 87 ordnet die Frage einer zeitilichen Begrenzung von Sanktionen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu. 72
Artikel 5 Abs. 2 der Empfehlung (2007) 7 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über eine gute Verwaltungspraxis, Ministerkomitee des Europarates, angenommen am 20. Juni 2007. 73 Artikel 5 Abs. 3 der Empfehlung (2007) 7 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über eine gute Verwaltungspraxis, Ministerkomitee des Europarates, angenommen am 20. Juni 2007.
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destens drei Jahre nicht überprüft worden sind.74 Bei diesen Überprüfungen werden die Namen der Gelisteten zunächst an die Vorschlags-, Heimat- und Ansässigkeitsstaaten und später an die Mitglieder des Sanktionskomitees vorgelegt, wobei jeder das reguläre DelistingVerfahren einleiten kann.75 Wird letzten Endes keine aktive Entscheidung zur Streichung gefasst, so soll die Listung als weiterhhin gerechtfertigt bestätigt werden.76 Dies bedeutet, dass der Gelistete auch dann auf der Liste verbleibt, wenn keine solche offizielle Bestätigung der Listung erfolgen sollte.
cc) Festgestellte Mängel im Ist-Zustand des 1267-Sanktionsregimes Bei dem beschriebenen Überprüfungsverfahren von Amts wegen handelt es sich nicht um eine konkrete zeitliche Begrenzung der Listung. Dies ergibt sich aus dem Abschluss des Verfahrens: War in der vorangegangenen Fassung der Verfahrensregeln noch die Rede davon, dass die Listung automatisch erneuert wird, wenn nicht das Komitee die Streichung beschließt, so heißt es jetzt, dass für den Fall, dass keine Streichung beschlossen wird, die Listung als weiterhin gerechtfertigt bestätigt werden soll. Dies ist nur ein rein formaler Unterschied und nichts deutet darauf hin, dass der Betroffene als gestrichen gelten soll, falls diese Bestätigungsentscheidung nicht gefasst wird. Wenn somit keine konkrete zeitliche Begrenzung besteht, gilt sogar im vorhandenen Überprüfungsverfahren gleichsam die Regel „im Zweifel für die Listung“, so dass die Vorgabe der zeitlichen Befristung auch dadurch nicht erfüllt wird.
dd) Verbesserungsvorschläge Bei der Frage, wie der Pflicht zur zeitlichen Begrenzung einer Listung entsprochen werden kann, gilt es zu beachten, dass die Listung, die auf einer festgestellten Verbindung des Gelisteten mit Al-Qaida etc. beruht, Teil des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus ist und dieser
74
Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 25 f.
75
Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008, Ziff. 9 (a)(ii)-(iv). 76
Ibid., Ziff. 9 (a)(iv).
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Kampf, zumindest vorläufig, als Dauerzustand anzusehen ist.77 Insofern scheint ein festgelegtes Datum, an dem „spätestens“ eine Streichung zu erfolgen hat, nicht praktikabel. Man stelle sich etwa vor, dass eine Person infolge einer zeitlichen Begrenzung der Listung zu streichen, sodann aber sofort wieder zu listen wäre, weil der Verdacht der Terrorunterstützung gegen sie fortbesteht. Dies würde dem berechtigten Interesse am Kampf gegen den Terrorismus nicht gerecht, weil in der Zwischenzeit, in der die Person nicht gelistet wäre, Vermögenswerte zur Terrorismusfinanzierung verwendet oder zumindest versteckt werden könnten. Eine starre Streichungspflicht nach einer bestimmten Frist ist daher abzulehnen. Als zeitlich begrenzt könnte man eine Listung aber auch schon dann ansehen, wenn die Listung, auch ohne dass eine starre Frist zur Streichung gesetzt wird, nicht automatisch und unüberprüft für immer gilt. Um der Idee der zeitlichen Begrenzung der Listung im Rahmen des 1267-Sanktionsregimes Geltung zu verschaffen, könnte es sich deshalb auch anbieten, zumindest zeitlich klar festgelegte, regelmäßige Überprüfungen der Listungen vorzunehmen. Für die Frage, ob sich mit einer solchen regelmäßigen Überprüfung ein angemessener Ausgleich zwischen Individualschutzinteresse und andererseits wirksamer Terrorismusbekämpfung finden lässt, kommt es auf die Ausgestaltung der Überprüfung im Einzelnen an: Würde zum vereinbarten Termin die bloße Bestätigung der Liste im Konsensverfahren genügen, um die Listungen beizubehalten, dann würde die Überprüfung zum bloßen Durchlauftermin ohne individualschützende Wirkung verkommen. Würde – ins andere Extrem gewendet – die aus der Streitbeilegung der WTO bekannte Regel des reverse consensus angewandt,78 so dass eine Streichung nur dann nicht stattfinden würde, wenn alle Mitglieder des Sanktionskomitees gegen eine Streichung wären, so würde der individualschützende Aspekt gegenüber dem Interesse an der Terrorismusbekämpfung überbetont. Denn bei schlichter Anwendung dieses Abstimmungsmodus kämen Streichungen – weil die geschlossene Abstimmung aller Mitglieder des Sanktionskomitees gegen eine solche Streichung 77
Vgl. Resolution 1390 (2002) vom 16. Januar 2002, Ziff. 3, wo erstmals geregelt wurde, dass die Sanktionen zwar nach zwölf Monaten überprüft werden sollen, dann aber entweder in gleicher Form weiter gelten oder verbessert werden sollen. Eine konkret terminierte Beendigung des Sanktionsregimes ist also nicht mehr vorgesehen. 78
S. hierzu Kaiser, Article 2 DSU, in: Wolfrum/Stoll/Kaiser (Hrsg.), WTO – Institutions and Dispute Settlement, 2006, Rz. 7.
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eher selten sein dürfte – häufig vor, andererseits würden aber Sachargumente wie neue Tatsachen, die die weitere Listung rechtfertigen könnten, keine Rolle spielen, so dass es zu Streichungen und gleich anschließend zur Notwendigkeit der Neulistung kommen könnte, weshalb – wie schon oben bei der starren Frist gesehen – die Gefahr bestünde, dass Vermögenswerte dem Einfrieren entzogen werden. Angemessener erscheint daher etwa die Option, dass jedenfalls dann, wenn im Rahmen einer Überprüfung kein Mitglied des Sanktionskomitees Tatsachen für die Beibehaltung der Listung vorbringen kann, der Gelistete gestrichen werden sollte. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass gerade der Vorschlagsstaat Informationen neueren Datums beibringen muss, die das Vorliegen der Voraussetzungen für eine weitere Listung belegen, anderenfalls eine Streichung erfolgt. Für die letzte Option spricht, dass niemand gelistet sein darf, wenn er nicht nach neuesten Erkenntnissen die Voraussetzungen für eine Listung erfüllt. Gegen diese Lösung könnte daher nur mit geringer Überzeugungskraft eingewandt werden, dass sie im Ergebnis gleichsam zu einer Neulistung führe. Was aber klar gegen diese Meinung spricht, ist, dass sie auf die Informationsvorlage des Vorschlagsstaates als des Staates abhebt, der für die Listung ursächlich war. Da aber genauso die anderen Mitglieder des Sanktionskomitees79 Personen zur Listung vorschlagen können, müssen auch sie neue Informationen vorlegen dürfen, um eine Person auf der Liste zu halten. Dies ist letztlich auch der Ansatz der erstgenannten Option, die darauf abstellt, ob im Rahmen der Überprüfung ein Mitglied des Komitees etwas für die Beibehaltung der Listung vorbringen kann. Damit wird ein angemessener Interessenausgleich geschaffen: Zum einen wird das Individualschutzinteresse gewahrt, indem die klassische Problematik des völkerrechtlichen Konsens-Prinzips dadurch umgangen wird, dass zur Verhinderung einer Streichung von der Liste ein Staat aktiv handeln muss. Zum anderen ist aber auch dem Interesse an der Terrorismusbekämpfung hinreichend Genüge getan: Denn dieses kann nicht weiter gehen, als zu verlangen, dass nur gegen diejenigen als Terroristen vorgegangen wird, die objektiv die Voraussetzungen für eine Listung erfüllen. 79
Der Vorschlagsstaat muss nicht einmal Mitglied des Sanktionskomitees sein, vielmehr können alle UN-Mitglieder Listungen vorschlagen, s. Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 9. Würde man umgekehrt auch alle UNMitglieder in die Überprüfung der Listungen mit einbeziehen, dann wäre es nicht mehr eine Überprüfung durch das Sanktionkomitee, dem dafür aber die Zuständigkeit zukommt. Außerdem wäre eine derartige Beteiligung auch praktisch schwer durchführbar.
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Das zeitliche Intervall, das zwischen den regelmäßigen Überprüfungen liegt, darf nicht zu groß sein, da sonst die Überprüfung ihren individualschützenden Charakter weitgehend einbüßt. Bei der Bestimmung des angemessenen zeitlichen Abstands für die regelmäßige Überprüfung der Liste ist aber auch in Rechnung zu stellen, dass neben einer solchen Überprüfung immer auch noch die Möglichkeit des Delisting-Verfahrens besteht, das durch Eigeninitiative des Gelisteten in Gang gesetzt werden kann. Vor diesem Hintergrund erscheint die Vorgabe der Resolution 1822 (2008), zunächst eine Überprüfung aller Namen auf der Liste und anschließend jedes Jahr einen Überprüfung in gewissem Umfang vorzunehmen, wobei den Vorschlags- sowie Heimat- und Ansässigkeitsstaaten die Namen zugeleitet werden,80 in zeitlicher Hinsicht als adäquat. Angesichts der rund fünfhundert Namen, die die Liste gegenwärtig umfasst,81 würden einer häufigeren Überprüfung auch praktische Erwägungen entgegenstehen. Wenn die Resolution im Übrigen bezüglich der Überprüfung auf die Verfahrensrichtlinien verweist,82 so sind damit aber auch Vorschriften in Bezug genommen, die sich mit der hier gefundenen Lösung nicht vereinbaren lassen: Die Überprüfung wird danach mit offenem Ausgang vorgenommen und die Listung wird bestätigt, wenn nicht das Sanktionskomitee ausdrücklich die Streichung verfügt.83 Diese Regel der automatischen Erneuerung wird aber dem Individualschutzinteresse nicht hinreichend gerecht: Eine zeitliche Begrenzung der Listung, die, wie hier dargelegt, mit der Konstruktion einer regelmäßigen Überprüfung arbeiten will, erfüllt nur dann ihren auch individualschützenden Zweck, wenn diese Konstruktion eine Vermutung für die Streichung vergleichbar der Unschuldsvermutung mit sich bringt. Dies ist bei der bisherigen Regelung gerade nicht der Fall.84 80
Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 25 f.; Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008, Ziff. 9 (a). 81
Vgl. http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/consolidatedlist.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010). 82
Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 25 f.
83
Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008, Ziff. 9 (a). 84 Vielmehr scheiterte der Streichungsantrag der Schweden, die später vor das EuG zogen (T 306/01), daran, dass sie keine Beweise dafür vorlegten, dass sie irrtümlich gelistet waren, s. Miller, The Use of Targeted Sanctions in the Fight Against International Terrorism – What About Human Rights?, Ameri-
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Die für die Erfüllung der Pflicht zur zeitlichen Begrenzung der Listung gefundene Lösung einer regelmäßigen Überprüfung der Listungen im Abstand von einem Jahr müsste somit nur hinsichtlich der Entscheidungsfindung im Sanktionskomitee dahin gehend geändert werden, dass die Streichung erfolgt, falls nicht ein Mitglied des Komitees neue Tatsachen für die Beibehaltung der Listung vorbringen kann. In den Verfahrensrichtlinien wäre dazu zunächst die folgende Passage zu streichen: “If no decision has been taken by the Committee to remove a name under review from the Consolidated List, the listing of that name shall be confirmed to remain appropriate and those names shall remain on the Consolidated List”. Stattdessen sollte eingefügt werden: “A listed person is deemed to be de-listed if, after assessing all available data, no member o f the Committee submits additional information that provides a basis for a listing according to the preconditions set out for being listed. The Secretariat shall adjust the Consolidated List accordingly”. Dieser Kompromissvorschlag stellt die Funktionsfähigkeit des 1267Regimes nicht in Frage: Man könnte an eine Schwächung des Regimes dann denken, wenn bezüglich eines Gelisteten keine neue Tatsachen vorliegen, er aber tatsächlich nach wie vor Anhänger von Al-Qaida etc. ist. Der Vorschlag bleibt aber trotz dieser möglichen Fallkonstellation interessengerecht, weil bei Erstlistung die Listung für den angemessenen Zeitraum von einem Jahr bestehen bleibt. Nach diesem Zeitraum schlägt das Pendel wieder um und die weitere Listung bedarf einer neuen Rechtfertigung. Gerade darin besteht aber nicht eine Schwächung des 1267-Regimes, sondern der Interessenausgleich zwischen Individualrechtsschutz und Terrorbekämpfung.
ee) Fazit Unter dem Gesichtspunkt der zeitlichen Begrenzung der Listung sind die jüngsten Entwicklungen im 1267-Regime zu einer regelmäßigen Überprüfung aller Listungen ein Schritt in die richtige Richtung. Zu ändern bleibt nach den Maßgaben in dd) nur, dass eine Streichung er-
can Society of International Law: Proceedings of the 97th Annual Meeting, 97 (2003), S. 46, 48.
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folgt, falls nicht ein Mitglied des Sanktionskomitees neue Tatsachen für die Beibehaltung der Listung vorbringen kann.
g) Zwischenergebnis zum Soll-Zustand im Listungsverfahren Die Ergebnisse zu den Mängeln und Verbesserungsvorschlägen bezüglich des 1267-Sanktionsregimes in rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Hinsicht zeigen, dass bei der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene dem Menschenrechtsschutz durch Verfahren tendenziell eine höhere Bedeutung zukommt als es üblicherweise auf nationaler Ebene der Fall ist. Dies liegt de lege lata am fehlenden unabhängigen, unparteiischen Rechtsschutz, was nur den Ausweg über einen Ausgleich durch Verfahrenssicherungen zulässt. Auch de lege ferenda kommt dem Rechtsschutz durch Verfahren große Bedeutung zu, weil dadurch die stark politisierten Prozesse der Entscheidungsfindung auf völkerrechtlicher Ebene besser kontrollierbar werden.
3. Streichungsverfahren und Rechtsschutz: Recht auf eine schnelle Kontrollmöglichkeit durch einen unabhängigen und unparteiischen Spruchkörper85 a) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs Nach dem oben gefundenen Prüfungsmaßstab muss der Betroffene die Möglichkeit haben, eine Entscheidung, die seine Rechte tangiert, schnell überprüfen zu lassen von einem unabhängigen, unparteiischen Spruchkörper, mit dem Ziel, die Entscheidung abzuändern oder für ungültig zu erklären.86
85
Zur Rolle gerichtlicher und quasi-gerichtlicher Streitbeilegung als Mechanismus zur Durchsetzung des Völkerrechts Röben, The Enforcement Authority of International Institutions, GLJ 9 (2008) 11, S. 1965, 1975 f. Cannizzaro, A Machiavellian Moment? The UN Security Council and the Rule of Law, IOLR 3 (2006) 2, S. 189, 191, 193, vertritt, dass Legitimität durch justizielle Kontrolle auf völkerrechtlicher Ebene wegen des notwendigen Einverständnisses der Betroffenen, an entsprechende Entscheidungen gebunden zu sein, nicht hergestellt werden könne und daher die nationalen Gerichte zur Gewährung von Rechtsschutz aufgerufen seien. 86
Dass solche Rechtsschutzgewähr auf UN-Ebene stattfinden muss, macht die treffende Aussage von Biehler, Individuelle Sanktionen der Vereinten Nati-
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Hinsichtlich des Rechtsschutzes enthält Art. 2 Abs. 3 IPbpR nur die Forderung, dass eine wirksame Beschwerde möglich sein (lit. a) und erfolgreichen Beschwerden Geltung verschafft werden muss (lit. c). Art. 8 AllgErkl. MR spricht von einem wirksamen Rechtsbehelf vor Gericht. Die Voraussetzungen einer schnellen Überprüfung durch einen unabhängigen, unparteiischen Spruchkörper, mit dem Ziel, die Entscheidung abzuändern oder für ungültig zu erklären, werden so präzise nicht genannt.87 Auch hier kann aber ein Dokument des Europarats herangezogen werden, das zu diesen Voraussetzungen genauere Ausführungen macht. Zur Frage, was unter einer „schnellen“ („speedily“) Überprüfung zu verstehen ist, kann insoweit als Anhaltspunkt auf eine Empfehlung des Ministerkomitees zur gerichtlichen Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen zurückgegriffen werden, der zu entnehmen ist, dass zeitliche Vorgaben (dort: „innerhalb angemessener Frist“/„within a reasonable time“) im Lichte der Umstände des Einzelfalles zu bestimmen sind, insbesondere anhand der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Antragstellers sowie der Art und Weise, wie der Fall von den Behörden behandelt wird.88 Bezüglich der Unabhängigkeit von Richtern wird in einer einschlägigen Empfehlung des Ministerkomitees ausgeführt, dass diese insbesondere erfordere, dass deren Bestellung nach objektiven Kriterien, wie Integrität, Qualifikationen, Verdiensten und Fähigkeiten der Kandidaten und unbeeinflusst und transparent erfolgt und sie bei der Entscheidungsfindung ohne jede Einschränkung und unzulässige Beeinflussung, Druckausübung, Drohung oder Störung handeln können.89 Unparteilichkeit bedeutet in subjektiver Hinsicht, dass die persönlichen Interessen des Richters im Zusammenhang mit einem bestimmten Fall beachtet werden müssen und in objektiver Hinsicht, dass onen und Grundrechte, AVR 41 (2003) 2, S. 169,179, deutlich, dass nationaler und regionaler Rechtsschutz „regelmäßig nur gegen eine völkerrechtlich an die Sanktionsbeschlüsse gebundene, sie aber nicht beherrschende Exekutive“ wirke. 87
Vgl. hierzu auch Nowak, Art. 2 CCPR, CCPR Commentary, 2005, Rz.
62 ff. 88
Empfehlung (2004) 20 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über die gerichtliche Kontrolle von Verwaltungsmaßnahmen, Ministerkomitee des Europarates, angenommen am 15. Dezember 2004, Ziff. 58. 89
Prinzip I Absatz 2, lit. c und d der Empfehlung (1994) 12 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über die Unabhängigkeit, Effizienz und Rolle der Richter, Ministerkomitee des Europarates, angenommen am 13. Oktober 1994.
G. Der Soll-Zustand des 1267-Sanktionsregimes
227
sichergestellt werden muss, dass bei dem Richter jeder Verdacht der Parteilichkeit ausgeschlossen werden kann.90 Die Vorgabe eines anrufbaren Spruchkörpers („body“) verzichtet auf die ausdrückliche Forderung einer richterlichen Kontrolle durch ein Gericht oder Tribunal.91 Dem mag die Erwägung zugrundeliegen, dass die Forderung nach einem offiziellen Gericht zur Kontrolle des UNSanktionskomitees realitätsfern erscheint. Vielleicht sollte unter Verzicht auf eine ausdrückliche Gerichtslösung durch den gewählten weiten Wortlaut gerade die Möglichkeit anderer UN-interner Kontrollmodelle offengehalten werden, die nicht von vornherein auf das für Gerichte sonst übliche Element der Bindungswirkung ihrer Entscheidungen92 festgelegt sind. Dass der Rechtsschutz Suchende die Möglichkeit haben soll, den Akt der Verwaltung mit dem Ziel der Modifizierung oder Ungültigerklärung anzugreifen, zeigt, dass die Rechtskontrolle nicht lediglich auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Listung beschränkt sein, sondern vielmehr dem Spruchkörper selbst die Befugnis zukommen soll, die Entscheidung inhaltlich zu ändern oder sogar für ungültig zu erklären.93 Wie unten zu zeigen sein wird, muss eine solche Befugnis zur Ände90 Empfehlung (2004) 20 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über die gerichtliche Kontrolle von Verwaltungsmaßnahmen, Ministerkomitee des Europarates, angenommen am 15. Dezember 2004, Ziff. 53. 91
Marty, Explanatory Memorandum, in: Council of Europe, Parliamentary Assembly, Committee on Legal Affairs and Human Rights, Report on UN Security Council and European Union blacklists, Doc. 11454, 16 November 2007, Ziff. 73 spricht in seinen Erläuterungen zu den Inhalten der Resolution 1597 (2008) der Parlamentarischen Versammlung des Europarats vom 23 Januar 2008 im Ergebnis von „quasi-judicial remedy“. Tomuschat, Möglichkeiten und Grenzen der Globalisierung, in: Schwarze (Hrsg.), Globalisierung und Entstaatlichung des Rechts, Teilband 1, 2008, S. 21, 50, hält die Einrichtung eines Verwaltungsgerichts für unwahrscheinlich und verweist stattdessen auf eine Verbesserung des der Listung vorgeschalteten Vorschlagsverfahrens sowie des Streichungsverfahrens. 92
Vgl. insoweit zu den Anforderungen an das Entscheidungsorgan „Gericht“ durch die EMRK Grabenwarter/Pabel, Kapitel 14, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2006, Rz. 38. 93
Zu dieser Unterscheidung – allerdings bezüglich des gerichtlichen Rechtsschutzes − Empfehlung (2004) 20 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über die gerichtliche Kontrolle von Verwaltungsmaßnahmen, Ministerkomitee des Europarates, angenommen am 15. Dezember 2004, Ziff. 20.
228
Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
rung oder Ungültigerklärung nicht unbedingt im Widerspruch zu dem angesprochenen potentiellen Verzicht auf die Bindungswirkung der Entscheidungen eines solchen Spruchkörpers stehen.94
b) Zusammenfassung des Ist-Zustandes des 1267-Sanktionsregimes Mit Blick auf das Erfordernis einer raschen Kontrollmöglichkeit durch einen unabhängigen und unparteiischen Spruchkörper existiert im 1267-Sanktionsregime lediglich das Delisting-Verfahren.95 Mit dem Sanktionskomitee entscheidet dabei das gleiche Gremium, das schon über die Listung entschieden hat.96 Hinsichtlich einer „schnellen“ Kontrollmöglichkeit ist nur die zeitliche Befristung der drei Phasen des Delisting-Verfahrens (i.e. Informationssammlung, Dialog und Entscheidung im Sanktionskomitee) auf jeweils zwei Monate zu erwähnen.
c) Festgestellte Mängel im Ist-Zustand des 1267-Sanktionsregimes Wenn mit dem Delisting-Verfahren zwar die Möglichkeit der Überprüfung der Listung grundsätzlich gegeben ist und das Sanktionskomitee als „Spruchkörper“ auch die Befugnis zur Abänderung oder Ungültigerklärung der Listung hat, so ist doch eindeutig, dass das Komitee nicht unabhängig ist, weil nicht garantiert ist, dass seine Mitglieder unbeeinflusst von den Vorgaben ihrer Staaten abstimmen und ebenso wenig unparteiisch, da das Komitee schon mit der Listung befasst war, damit iudex in causa sua ist und deshalb eine wie auch immer geartete Voreingenommenheit seiner Mitglieder nicht auszuschließen ist.97
94 95
S. unten, G.I.3.lit.d bb)(2). S. zu den Einzelheiten oben, B.II.4.
96
Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008, Ziff. 7, 3 (a). 97
Auch Marty, Explanatory Memorandum, in: Council of Europe, Parliamentary Assembly, Committee on Legal Affairs and Human Rights, Report on UN Security Council and European Union blacklists, Doc. 11454, 16 November 2007, Ziff. 65 bezeichnet das Sanktionskomitee als nicht unabhängig und nicht unparteiisch. Das Fehlen eines entsprechenden effektiven Rechtsschutzes auf UN-Ebene beklagt auch Lorz, Autonomie und Bindung in gestuften Rechtsordnungen, DVBl. 121 (2006) 17, S. 1161, 1169.
G. Der Soll-Zustand des 1267-Sanktionsregimes
229
d) Verbesserungsvorschläge Zur Frage des Rechtsschutzes im 1267-Sanktionsregime bemerkt Biehler treffend: „Das Problem ist die Gewährung effektiven Rechtsschutzes für den einzelnen Sanktionsbetroffenen einerseits und andererseits einem Verfahren, das gleichwohl den völkerrechtlichen Zielen der Terrorismusbekämpfung genügt. Es sollte versucht werden, effektiven Rechtsschutz mit dem Bedürfnis ebenso effektiver völkerrechtlicher Friedenssicherung und Terrorismusbekämpfung zu verbinden“.98 Damit ist der Interessenausgleich zwischen Individualrechtsschutz und Terrorismusbekämpfung angesprochen, den es für Verbesserungsvorschläge zu erreichen gilt.99 Ob und wie sich dieser Ausgleich verwirklichen lassen könnte, soll im Folgenden untersucht werden. Die angesprochenen Unzulänglichkeiten des Delisting-Verfahrens und die Unwahrscheinlichkeit der kurzfristigen Einrichtung eines vollen gerichtlichen Rechtsschutzes gegen Listungen auf UN-Ebene legen es dabei nahe, über Konzepte nachzudenken, die mittels einer schnellen Überprüfungsmöglichkeit durch einen unabhängigen, unparteiischen Spruchkörper mit Abänderungsbefugnis die Stellung des Gelisteten verbessern könnten. Das Interesse an der rechtlichen Überprüfung des Handelns internationaler Organisationen, insbesondere, soweit dieses Handeln Individuen betrifft, hat bereits zur Schaffung verschiedener Überprüfungsmechanismen geführt, wie das Inspection Panel der Weltbank100 oder das Ver-
98
Biehler, Individuelle Sanktionen der Vereinten Nationen und Grundrechte, AVR 41 (2003) 2, S. 169, 170. Wolf-Zimper, Zielgerichtete Sanktionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und effektiver Rechtsschutz, 2009, S. 169, geht insoweit davon aus, dass Rechtsschutz auf UN-Ebene zu gewähren ist. 99
Vgl. UN-Dokument Generalversammlung/Sicherheitsrat, Enclosure: Improving the Implementation of Sanctions Regimes Through Ensuring “Fair and Clear Procedures”, A/62/891-S/2008/428, vom 2. Juli 2008, S. 4; Bothe, Security Council’s Targeted Sanctions against Presumed Terrorists, The Need to Comply with Human Rights Standards, JICJ 6 (2008) 3, S. 541, 552. 100 S. hierzu Orakhelashvili, The World Bank Inspection Panel in Context, Institutional Aspects of the Accountability of International Organizations, IOLR 2 (2005) 1, S. 57 ff.
230
Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
waltungstribunal der UN101 beweisen.102 Während letzteres allerdings Rechtsschutz für Angestellte innerhalb der eigenen Organisation bietet, geht es vorliegend um die Suche nach Rechtsschutz für Gelistete, die außerhalb der Organisation der UN stehen. Speziell für Individualsanktionen der UN wurde auf der Suche nach Rechtsschutz schon eine Reihe von möglichen Kontrollmechanismen angedacht, die hier mit ihren Vor- und Nachteilen kurz vorgestellt werden sollen.
aa) Spielarten eines Kontrollmechanismus für Individualsanktionen der UN Verschiedene Optionen für einen Kontrollmechanismus bezüglich der Listung durch das Sanktionskomitee wurden im White Paper des Watson-Instituts103 aufgeführt und gegeneinander abgewogen. Ein erster Vorschlag betrifft das bereits bestehende Monitoring Team104 des 1267-Regimes, das mit der Aufgabe der Prüfung von Streichungsanträgen und Ausnahmebegehren betraut werden könnte. Seine Mitglieder würden vom UN-Generalsekretär ernannt und wären in dem betreffenden Bereich Experten. Sie würden nach Prüfung des Falles Empfehlungen an das Sanktionskomitee abgeben. Dieser Vorschlag hätte den Vorteil des Kostengünstigkeit und wäre verwaltungstechnisch leicht zu bewerkstelligen, da das Gremium bereits existiert. Die Ernennung durch den Generalsekretär könnte die Unabhängigkeit der Mitglieder des Gremiums gewährleisten. Hauptnachteil dieser Lösung ist, 101
Zu Reformüberlegungen hinsichtlich dieses UN-internen Gerichts Reinisch/Knahr, From the United Nations Administrative Tribunal to the United Nations Appeals Tribunal, Reform of the Administration of Justice System within the United Nations, Max Planck UNYB 12 (2008), S. 447 ff. 102
Das Inspection Panel der Weltbank und die unabhängige Kommission zur Kontrolle der Akten bei Interpol sind als Mechanismen individuellen Rechtsschutzes angesprochen bei de Wet, Holding International Institutions Accountable: the Complementary Role of Non-Judicial Oversight Mechanisms and Judicial Review, GLJ 9 (2008) 11, S. 1987, 1999 f. Siehe auch die Ideen bei Cannizzaro, A Machiavellian Moment? The UN Security Council and the Rule of Law, IOLR 3 (2006) 2, S. 189, 220. 103
Bierstecker/Eckert (Hrsg.), Strengthening Targeted Sanctions by Addressing Due Process Concerns, Watson Institute, White Paper, 2006, http:// www.watsoninstitute.org/pub/Strengthening_Targeted_Sanctions.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010), S. 43 ff. 104
Ibid., S. 44 f.
G. Der Soll-Zustand des 1267-Sanktionsregimes
231
dass die Empfehlungen des Monitoring Teams nicht bindend sind für das Sanktionskomitee, welches somit die Letztentscheidung über die Streichung von der Liste behält. Ein Ombudsmann, an den sich die einzelnen Gelisteten wenden könnten, wäre eine weitere Option eines Kontrollmechanismus auf UNEbene.105 Der Ombudsmann würde vom UN-Generalsekretär ernannt werden und könnte unabhängige Empfehlungen an das Sanktionskomitee in Bezug auf Streichungen von der Liste abgeben. Die Unabhängigkeit des Ombudsmanns sowie die direkte Zugangsmöglichkeit der Gelisteten könnten dabei jedoch den auch hier vorhandenen Mangel an Verbindlichkeit der Empfehlungen des Ombudsmanns nicht aufwiegen.106 Als weiteres, dem Sicherheitsrat organisatorisch zugeordnetes Modell lässt sich an ein Expertengremium nach dem Vorbild etwa des Human Rights Committee denken.107 Der UN-Generalsekretär würde eine Reihe unabhängiger Experten mit entsprechender Erfahrung ernennen, die entweder als ständiges oder als ad hoc-Panel über Streichungsanträge zu befinden hätten und sodann ihre Entscheidung dem Sanktionskomitee mitteilen würden. Die Entscheidung wäre für das Sanktionskomitee zwar nicht bindend, doch im Falle der Ablehnung würde die Sache vor den Sicherheitsrat gehen, der dann abschließend zu entscheiden hätte. Für dieses Modell spricht die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gremiums, sowie die Erfahrung, dass die Entscheidungen solcher Gremien trotz ihrer Unverbindlichkeit auf breite Akzeptanz stoßen. Hauptargument auch hier ist aber die fehlende Bindungswirkung der Entscheidung des Expertengremiums. Zwar gelangt der Fall bei Ein105
Ibid., S. 45 f. Einen Kontrollmechanismus in Form eines Ombudsmanns, der dann ebenfalls nur Empfehlungen an das Sanktionskomitee abgibt, hat auch Dänemark vorgeschlagen, Fifth report of the Analytical Support and Sanctions Monitoring Team appointed pursuant to resolutions 1526 (2004) and 1617 (2005) concerning Al-Qaida and the Taliban and associated individuals and entities, S/2006/750, vom 20. September 2006, para. 49. 106
Genau diese mangelnde Befugnis, dem Sanktionskomitee bindende Vorgaben zu machen, kennzeichnet auch die Stellung der nunmehr im 1267-Regime eingerichteten Ombudsperson, s. Annex II zur Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 7 (c). 107
Bierstecker/Eckert (Hrsg.), Strengthening Targeted Sanctions by Addressing Due Process Concerns, Watson Institute, White Paper, 2006, http:// www. watsoninstitute.org/pub/Strengthening_Targeted_Sanctions.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010), S. 46.
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Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
wänden des Sanktionskomitees gegen die Entscheidung des Expertengremiums vor den Sicherheitsrat, doch ist das Sanktionskomitee seiner Besetzung nach nur ein Spiegelbild des Sicherheitsrats,108 so dass durch diesen Devolutiveffekt das Manko der Entscheidung des Richters in eigener Sache nicht behoben werden kann. Die Einrichtung eines unabhängigen Schiedsgremiums könnte hier eine Lösung bieten.109 Der UN-Generalsekretär würde nach der Idee des Ständigen Schiedsgerichtshofs eine Liste von Schiedsrichtern und internationalen Experten zusammenstellen, die ad hoc ein dreiköpfiges Gremium zur Entscheidung über Anträge auf Streichung von der Sanktionsliste bilden könnten. Das Sanktionskomitee würde die Entscheidungsbefugnis auf dieses Gremium übertragen, so dass dessen Entscheidungen Bindungswirkung entfalten würden. Diese Option würde die Vorteile der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit mit der direkten Zugänglichkeit für den Einzelnen und der Möglichkeit des Kontrollgremiums, bindende Entscheidungen zu treffen, verbinden. Die in diesem Modell nunmehr gegebene Bindungswirkung hat jedoch zur Kehrseite, dass der Sicherheitsrat letztlich einer Kontrolle von außen unterzogen würde, was der Konzeption seiner unabhängigen Stellung110 nicht entspräche. Als letzte Möglichkeit wird die Einrichtung eines unabhängigen Gerichts111 angedacht, das für den Fall einer verweigerten Streichung von der Liste durch das Sanktionskomitee gegenüber dem Sicherheitsrat und dem Sanktionskomitee bindende Entscheidungen treffen kann. Es würde sich dabei um eine gerichtliche Institution ähnlich dem UN Ad108
Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008, Ziff. 1 (b). 109
Bierstecker/Eckert (Hrsg.), Strengthening Targeted Sanctions by Addressing Due Process Concerns, Watson Institute, White Paper, 2006, http:// www.watsoninstitute.org/pub/Strengthening_Targeted_Sanctions.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010), S. 47. 110 111
Vgl. oben, D.II.
Bierstecker/Eckert (Hrsg.), Strengthening Targeted Sanctions by Addressing Due Process Concerns, Watson Institute, White Paper, 2006, http:// www.watsoninstitute.org/pub/Strengthening_Targeted_Sanctions.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010), S. 47. An einen eigenständigen, unabhängigen Spruchkörper, wenn auch nicht ausdrücklich an ein Gericht, denken ebenfalls Dewulf /Pacquée, Protecting Human Rights in the War on Terror: Challenging the Sanctions Regime Originating from Resolution 1267 (1999), NQHR 24 (2006) 4, S. 607, 639.
G. Der Soll-Zustand des 1267-Sanktionsregimes
233
ministrative Tribunal112 handeln, die ablehnende Entscheidungen des Sanktionskomitees hinsichtlich der Anträge zur Streichung von der Liste überprüfen könnte. Zusätzlich wird dem Sanktionskomitee in einer Art Vorverfahren noch die Möglichkeit zur eigenständigen Abhilfe eingeräumt. Doch auch bei diesem Modell ergibt sich die Schwierigkeit, dass es sich um eine unerwünschte Kontrolle des Sicherheitsrats handeln würde. Die Betrachtung dieser verschiedenen Optionen eines Kontrollmechanismus für Individualsanktionen der UN macht das Dilemma sichtbar, dem sich alle genannten Lösungsansätze ausgesetzt sehen: Das jeweilige Kontrollgremium kann entweder nicht bindend entscheiden, weshalb das Sanktionskomitee bzw. der Sicherheitsrat Richter in eigener Sache bleibt. Oder die Entscheidung des Kontrollgremiums ist zwar bindend, doch stößt die daraus resultierende externe Kontrolle des Sicherheitsrats auf Bedenken. Für die Prüfung der Verbesserungsvorschläge hinsichtlich einer Kontrollmöglichkeit im 1267-Regime soll daher der Blick auf ein weiteres vorgeschlagenes Modell gelenkt werden, um zu sehen, ob sich mit diesem oder zumindest auf seiner Grundlage ein Ausweg aus dem eben konstatierten Dilemma finden lässt.
bb) Einrichtung eines UN-Kontrollgremiums einschließlich eines in camera-Verfahrens und der reverse consensus-Regel (1) Zunächst: Der Vorschlag eines UN-Beratungsgremiums Im Juli 2008 haben Dänemark, Deutschland, Liechtenstein, die Niederlande, Schweden und die Schweiz der Generalversammlung und dem Sicherheitsrat ein Diskussionspapier vorgelegt,113 das ebenfalls ein Mo112
S. hierzu etwa Reinisch/Knahr, From the United Nations Administrative Tribunal to the United Nations Appeals Tribunal, Reform of the Administration of Justice System within the United Nations, Max Planck UNYB 12 (2008), S. 447 ff.; schon früher zu internationalen Verwaltungen und deren Recht Amerasinghe, The Future of International Administrative Law, ICLQ 45 (1996) 4, S. 773 ff. Zum World Bank Administrative Tribunal Hansen, The World Bank Administrative Tribunal’s External Sources of Law: A Retrospective of the Tribunal’s First Quarter-Century (1981-2005), The Law and Practice of International Courts and Tribunals 6 (2007) 1, S. 1 ff. 113
UN-Dokument Generalversammlung/Sicherheitsrat, Enclosure: Improving the Implementation of Sanctions Regimes Through Ensuring “Fair and Clear Procedures”, A/62/891-S/2008/428, vom 2. Juli 2008. Dieses Diskussi-
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dell eines speziellen Gremiums vorschlägt und von der Einrichtung des World Bank Inspection Panel inspiriert wurde.114 Die Staaten schlagen darin die Einrichtung eines Gremiums als Kontrollorgan für alle Sanktionskomitees, also auch das 1267-Komitee, vor. Der Vorschlag der Einrichtung eines Kontrollorgans gerade für das hier untersuchte Sanktionsregime erscheint besonders interessant. Dieser Entwurf soll daher zum Ausgangspunkt der Betrachtungen dieses Kapitels gemacht werden, um an ihm zu sehen, ob er die Vorgaben des Europarats erfüllt, und, falls dies nicht der Fall ist, ob mit ihm als Grundmodell ein verbessertes, passenderes Modell eines Spruchkörpers entwickelt werden kann. Hintergrund des Diskussionspapiers sind Angriffe der UN-Listungen vor verschiedenen Gerichten, die nach Angaben der vorschlagenden Staaten die effektive Umsetzung der Sanktionen gefährden.115 Der Vorschlag will den dahinter stehenden Rechtsschutzbedenken ebenso Rechnung tragen wie dem im 2005 World Summit Outcome Document116 enthaltenen Auftrag der Staats- und Regierungschefs, wonach ein Delisting-Verfahren eingerichtet werden soll, das sicherstellt, dass faire und klare Verfahrensvorgaben für Streichungen von der Liste existieren.117 Daher soll durch Ergänzung der Verfahrensrichtlinien der Sanktionskomitees ein Beratungsgremium eingerichtet werden, das im onspapier geht auf einen in weiten Teilen identischen Vorschlag Bothes zurück, der unter http://www.liechtenstein.li/en/pdf-fl-aussenstelle-newyork-discussi onpaper-delisting-workshop-2007-11-8.pdf, abrufbar ist (zuletzt besucht am 2. Mai 2010). 114
Dass das Inspection Panel der Weltbank in dem Diskussionspapier, das auf den Vorschlag Bothes zurückgeht, als Modell berücksichtigt wurde, geht aus Bothes erläuternden Memorandum zu seinem Vorschlag hervor, http://www. liechtenstein.li/en/pdf-fl-aussenstelle-newyork-explanatory-memorandum-prof -bothe-delisting-workshop-2007-11-8.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010) S. 6. Siehe zur Weltbank auch Flogaitis, Administrative Law of International Organizations: The World Bank, in: Alivizatos/Kassimatis (Hrsg.), Essays in Honour of Georgios I. Kassimatis, 2004, S. 591 ff. 115
UN-Dokument Generalversammlung/Sicherheitsrat, Enclosure: Improving the Implementation of Sanctions Regimes Through Ensuring “Fair and Clear Procedures”, A/62/891-S/2008/428, vom 2. Juli 2008, S. 4. 116
Resolution 60/1 der Generalversammlung, A/RES/60/1 vom 24. Oktober 2005, Ziff. 109. 117 UN-Dokument Generalversammlung/Sicherheitsrat, Enclosure: Improving the Implementation of Sanctions Regimes Through Ensuring “Fair and Clear Procedures”, A/62/891-S/2008/428, vom 2. Juli 2008, S. 4.
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Delisting-Verfahren den Dialog mit dem Antragsteller erleichtern, die Beachtung der Regeln eines fairen Verfahrens verbessern und bei der Delisting-Entscheidung unterstützend wirken soll, ohne dabei jedoch die Entscheidungsbefugnis des Sanktionskomitees in Frage zu stellen.118 Der Reformvorschlag wendet sich nicht spezifisch an das 1267-Sanktionsregime. Vielmehr fasst Abs. 1 der ersten Regel der ergänzenden Verfahrensrichtlinien zur Überprüfung der Listungsentscheidungen von Sanktionskomitees (im Folgenden: Ergänzungsrichtlinien) den Anwendungsbereich dieser Ergänzungsrichtlinien weiter: Sie sollen für die Entscheidungen des Sicherheitsrates oder jedweden Sanktionskomitees gelten, die Einzelpersonen, Gruppen, Unternehmen oder juristische Personen in Bezug auf deren wirtschaftliche Ressourcen und Geschäfte oder deren Bewegungsfreiheit Beschränkungen unterwerfen.119 Absatz 2 dieser Vorschrift zum Anwendungsbereich trägt der Bezeichnung der vorgeschlagenen Regeln als Ergänzungsrichtlinien dadurch Rechnung, dass er klarstellt, dass diese das Recht jedes Staates, eine Listungsstreichung gemäß der für das jeweilige Komitee geltenden Richtlinien zu beantragen, unberührt lassen.120 Die dann folgenden Regeln der Ergänzungsrichtlinien widmen sich dem neuen Beratungsgremium als unabhängiger Einrichtung zur Listungsbegutachtung.121 Dabei wird in Abs. 1 der dritten Regel die Einrichtung eines Beratungsgremiums vorgeschlagen, das aus drei bis fünf unabhän118
Ibid. Diese Vorstellungen wurden nun zum Teil durch die Installation der Ombudsperson durch die Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009 verwirklicht: Zwar handelt es sich bei der Ombudsperson um eine Einzelperson und nicht um ein Gremium, ihr sind aber – wie in dem genannten Vorschlag vorgesehen – die Aufgaben der Erleichterung des Dialogs mit dem Gelisteten und der Unterstützung des Sanktionskomitees bei der Delisting-Entscheidung zugedacht, s. Annex II zur Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 5 ff. 119 UN-Dokument Generalversammlung/Sicherheitsrat, Enclosure: Improving the Implementation of Sanctions Regimes Through Ensuring “Fair and Clear Procedures”, A/62/891-S/2008/428, vom 2. Juli 2008, S. 5, abgedruckt unten, Anhang I zu Kapitel G. Es wird sodann auf eine angehängte Liste von Sicherheitsratsresolutionen verwiesen, für welche die Zusatzrichtlinien gelten sollen. 120
UN-Dokument Generalversammlung/Sicherheitsrat, Enclosure: Improving the Implementation of Sanctions Regimes Through Ensuring “Fair and Clear Procedures”, A/62/891-S/2008/428, vom 2. Juli 2008, S. 5. 121
Ibid.
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Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
gigen, unparteiischen und juristisch qualifizierten Personen besteht und Listungsentscheidungen begutachten soll.122 Diese Personen sollen von hoher Moral und Integrität sein und Erfahrung im Umgang mit sensiblen und vertraulichen Informationen nachweisen können.123 Die Mitglieder dieses Beratungsgremiums sollen vom UN-Generalsekretär aus einer von den UN-Mitgliedstaaten vorgelegten Liste von Kandidaten vorgeschlagen werden, die Ernennung erfolgt dann durch den Sicherheitsrat für eine einmalige Amtszeit von fünf Jahren.124 Außerdem sollen der Staat, der die Listung vorgeschlagen hat, sowie der Heimat/Ansässigkeitsstaat des Antragstellers das Recht haben, ein ad hocMitglied des Beratungsgremiums zu benennen.125 Sodann folgen die Regeln für die verschiedenen Schritte des Verfahrens vor dem Beratungsgremium. Nach Abs. 1 der Vorschrift zur Antragstellung kann der Gelistete seine Streichung von der Liste über den (mittlerweile nicht mehr für das 1267-Regime zuständigen126) Focal Point oder seinen Heimat- oder Ansässigkeitsstaat beantragen.127 Der Antrag muss schriftlich in einer der offiziellen UN-Sprachen erfolgen und soll die tatsächlichen und rechtlichen Gründe vortragen, die aus Sicht des Antragstellers seine Streichung von der Liste begründen.128 Absatz 2 erweitert den Kreis der möglichen Antragsteller auf nichtgelistete Einzelpersonen, Gruppen, Unternehmen oder juristische Personen, sofern sie persönlich oder direkt von der Listung betroffen sind.129 Nach Eingang eines entsprechenden Antrags leitet der Focal Point diesen gemäß Abs. 1 der Vorschrift zur Beurteilung durch das Beratungsgremium an dieses weiter und informiert auch das Sanktionskomitee hierüber.130 Das Sanktionskomitee kann zu jedem Zeitpunkt ein Delisting beschließen. Sollte dies der Fall sein, so endet das Verfah122 123 124 125 126
Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 21.
127
UN-Dokument Generalversammlung/Sicherheitsrat, Enclosure: Improving the Implementation of Sanctions Regimes Through Ensuring “Fair and Clear Procedures”, A/62/891-S/2008/428, vom 2. Juli 2008, S. 6. 128 129 130
Ibid. Ibid. Ibid.
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237
ren vor dem Beratungsgremium.131 Das Gremium beurteilt den Antrag in einer Vorprüfung und verwirft ihn ohne eingehende Untersuchung, falls es zu dem Schluss gelangt, dass der Antrag von einem Antragsteller gestellt wurde, der nicht gelistet und auch nicht wegen persönlicher und direkter Betroffenheit antragsprivilegiert ist, es sich nur um die Wiederholung eines früheren Antrags handelt, der keine neuen Beweise oder Umstände darlegt, die eine Streichung von der Liste rechtfertigen würden, oder wenn der Antrag offensichtlich unbegründet ist. Sofern der Antrag zulässig ist, bittet das Beratungsgremium innerhalb von zwei Wochen nach Zulassung das Sanktionskomitee und alle UN-Mitgliedstaaten, innerhalb eines Monats zusätzliche Beweise oder Informationen, die von Bedeutung sind, mitzuteilen.132 Die sechste Regel der Ergänzungsrichtlinien sieht eine Kooperationspflicht dergestalt vor, dass das Sanktionskomitee, alle UN-Mitgliedstaaten und alle einschlägigen internationalen Organisationen so intensiv wie möglich mit dem Beratungsgremium zusammenarbeiten sollen, insbesondere, soweit es um die Zurverfügungstellung von Informationen und Beweisen geht.133 Das Beratungsgremium soll außerdem Maßnahmen ergreifen, um leichter an Informationen und Beweise zu gelangen, die es auf der Basis der Vertraulichkeit erhält. Sofern Staaten oder internationale Organisationen nicht in der Lage sind, die relevanten vertraulichen Informationen zu liefern, sollen sie zumindest andere Informationen so detailliert wie möglich mitteilen.134 Gemäß der siebten Regel der Ergänzungsrichtlinien richtet sich das Verfahren vor dem Beratungsgremium nach den allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts für ein faires Verfahren.135 Es steht dem Beratungsgremium frei, alle Beweise zu verwenden, deren Verwertung es für angemessen hält. Es soll die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Vertraulichkeit der von einem Staat gelieferten Informationen gemäß den mit diesem vereinbarten Bedingungen oder der einschlägigen gängigen Praxis zu gewährleisten. Dies hindert das Beratungsgremium allerdings nicht daran, dem Antragsteller gegenüber Informationen und Beweise, die nicht vertraulich sind, offenzulegen, oder auch neue Be-
131 132 133 134 135
Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid.
238
Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
weise oder Informationen, die das Beratungsgremium mit Hilfe vertraulicher Informationen selbst gefunden hat.136 Nach der achten Regel der Ergänzungsrichtlinien berichtet das Beratungsgremium innerhalb von drei Monaten nach Erhalt des Antrags dem Sanktionskomitee über seine Prüfungsergebnisse.137 Es spricht eine Empfehlung zur Streichung von der Liste aus, sofern die dem Gremium vorgelegten Beweise eine Listung nicht rechtfertigen. Anderenfalls empfiehlt es die Zurückweisung des Antrages.138 Der Antragsteller und dessen Heimat- und/oder Ansässigkeitsstaat werden vom Beratungsgremium über den Inhalt seiner Empfehlung informiert. Ein zusammenfassender Bericht mit den Empfehlungen des Beratungsgremiums wird veröffentlicht, wobei auf den Schutz vertraulicher Informationen angemessen Rücksicht zu nehmen ist.139 Der Bericht einschließlich der Empfehlungen des Beratungsgremiums muss zeitgleich mit seiner Sendung an das Sanktionskomitee auch veröffentlicht werden (Regel 8 Abs. 2). Sodann trifft das Sanktionskomitee selbst die Entscheidung über den Streichungsantrag.140
(2) Rechtliche Beurteilung des Vorschlags eines UN-Beratungsgremiums und eigener Vorschlag eines UN-Kontrollgremiums mit in camera-Verfahren und reverse consensus-Regel Der vorgestellte Vorschlag eines Beratungsgremiums ist mit Blick auf die oben genannten Anforderungen einer schnellen Überprüfung der Listungen durch einen unabhängigen, unparteiischen Spruchkörper mit dem Ziel, die Listungsentscheidung abzuändern, zu bewerten. Es soll untersucht werden, ob mögliche Mängel mit ergänzenden Vorschlägen behoben werden können. Der Vorschlag des Beratungsgremiums erfüllt nicht alle gestellten Anforderungen an den Spruchkörper: Zwar ist vorgesehen, dass der Focal 136 137
Ibid. Ibid., S. 7.
138
Die nunmehr eingerichtete Ombudsperson ist dagegen auf die Darlegung der Argumente hinsichtlich des Delistingantrages beschränkt, s. Annex II zu Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 7 (c). 139
UN-Dokument Generalversammlung/Sicherheitsrat, Enclosure: Improving the Implementation of Sanctions Regimes Through Ensuring “Fair and Clear Procedures”, A/62/891-S/2008/428, vom 2. Juli 2008, S. 7. 140
Vgl. ibid., S. 4.
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Point bei der Weiterleitung des Antrags an das Beratungsgremium auch das Sanktionskomitee von dem Antrag in Kenntnis setzt und diesem so die Möglichkeit gegeben wird, die Listungsentscheidung zu überdenken. Dies trägt in jedem Fall zu der geforderten „schnellen“ Überprüfung zumindest bei, die etwa bei einem Vorverfahren vor dem Sanktionskomitee mit erst anschließender Weiterleitung des Antrags an das Beratungsgremium im Falle der Ablehnung der Streichung durch das Komitee durchaus länger dauern dürfte. Auch kann das Beratungsgremium nach den oben ausgeführten Grundsätzen als unabhängig bezeichnet werden, weil die Bestellung seiner Mitglieder nach objektiven Kriterien, wie deren Integrität, Qualifikationen und Fähigkeiten141 und durch die Kandidatenliste der Mitgliedstaaten, die vom UN-Generalsekretär vorgeschlagen wird,142 inhaltlich unbeeinflusst vom Sicherheitsrat und transparent erfolgt und die Mitglieder des Beratungsgremiums, soweit ersichtlich, bei der Entscheidungsfindung ohne jede Einschränkung und unzulässige Beeinflussung, Druckausübung, Drohung oder Störung handeln können. Die notwendige Unparteilichkeit, zu deren Bejahung insbesondere jeder Zweifel hinsichtlich persönlicher Interessen eines Gremiumsmitglieds an der Delisting-Entscheidung auszuräumen ist, könnte wegen der Möglichkeit der Benennung von ad hocMitgliedern für das Beratungsgremium durch den Vorschlags- und Heimat-/Ansässigkeitsstaat in Frage gestellt sein, weil ersterer ein nationales Sicherheitsinteresse haben könnte, die Person auf der Liste zu halten, während letzterer vielleicht seinen gelisteten Bürger besonders schützen will. Aus der Benennung eines ad-hoc-Mitglieds allein kann allerdings noch nicht per se auf die Parteilichkeit des Benannten geschlossen werden. Außerdem könnte selbst eine etwaige Voreingenommenheit des Benannten die Entscheidung des drei- bzw. fünfköpfigen Gremiums nicht einseitig bestimmen. Allerdings ist die für eine objektive Entscheidungsgrundlage notwendige Vorlage von Geheimdienstinformationen nur schwach durch einen Aufruf zur Kooperation der Staaten mit dem Gremium geregelt, der den notwendigen Informationsfluss keineswegs sicherstellt. Außerdem kann das Beratungsgremium schließlich nicht selbst die Listung ändern oder für ungültig erklären und auch nicht bindend Einfluss auf das Sanktionskomitee und dessen Delisting-Entscheidung nehmen. Dies geht einerseits aus dem Wortlaut der achten Regel der Ergänzungsrichtlinien hervor, wo lediglich von „Empfehlungen“ und in keiner Weise von einer Bindungswir141 142
Ibid., S. 5. Ibid.
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Teil III: Das 1267-Sanktionsregime: Ist-Zustand und Soll-Zustand
kung die Rede ist.143 Andererseits wird auch in den Erläuterungen zu den Ergänzungsrichtlinien das Gremium klar als „Beratungs“gremium beschrieben und seine Funktion im Delisting-Verfahren auf eine Hilfstätigkeit begrenzt „without prejudice to the decision-making power of the Sanctions Committee“,144 so dass die endgültige Entscheidung allein beim Sanktionskomitee verbleibt. Gemessen an den anzulegenden Kriterien spricht somit für diesen Vorschlag, dass die Möglichkeit schneller Überprüfung gewahrt scheint und das Beratungsgremium unabhängig und unparteiisch ist. Nicht erfüllt ist allerdings die Bedingung, dass der Spruchkörper die Listungsentscheidung abändern oder für ungültig erklären können muss oder auf ein entsprechendes Handeln durch das Sanktionskomitee zumindest wirksam hingewirkt wird. Insbesondere wegen der fehlenden Bindungswirkung sind daher Modifikationen des Verfahrens in Erwägung zu ziehen, die den als Ausgangspunkt grundsätzlich tauglichen Vorschlag des Beratungsgremiums, das immerhin die Bedingungen der Schnelligkeit, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit schon erfüllt, ergänzen. Mit Blick auf die angestrebte Bindungswirkung soll zur Unterscheidung bei den folgenden Verbesserungsvorschlägen von einem „Kontrollgremium“ gesprochen werden. Zur Sicherstellung der Bindungswirkung der Empfehlung des Gremiums könnte man daran denken, den Antrag auf ein Listungsprüfungsverfahren zuerst an das Sanktionskomitee weiterzuleiten. Das Komitee könnte dann ungestört im Rahmen eines Vorverfahrens die Streichung prüfen und hätte damit den Vorteil einer unbehinderten Selbstkontrolle und vorgängigen Korrekturmöglichkeit, bevor das Delisting-Gesuch im Falle einer Streichungsablehnung an das Kontrollgremium weitergereicht würde. Falls das Kontrollgremium in diesem Falle anders als das Sanktionskomitee zu einer Streichungsempfehlung käme, ließe sich mit besserem Recht vertreten, dass das Sanktionskomitee an diese Entscheidung des Kontrollgremiums gebunden sein soll, weil es zuvor Gelegenheit zur ungestörten Abänderung der Listung erhalten hat. Für diese Einrichtung eines Vorverfahrens vor dem Sanktionskomitee würde sprechen, dass dieses in der Folge an die Entscheidung des Kontrollgremiums gebunden wäre – allerdings um den Preis der schnellen Entscheidung wie bei der parallelen Einschaltung beider Gremien. Außerdem wäre dem Sanktionskomitee wegen der Bindungswirkung der 143 144
Ibid., S. 7. Ibid., S. 4.
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sicherlich auch einige Zeit in Anspruch nehmenden Kontrollgremiumsentscheidung die Möglichkeit genommen, in der Zwischenzeit eingetretene Umstände, die die Aufrechterhaltung der Listung rechtfertigten, geltend zu machen. So droht das Szenario eines Delisting mit gleich anschließender neuer Listung, die einige Zeit dauern würde, während der Betroffene Vermögenswerte entgegen der Intention des Sanktionsregimes beiseite schaffen könnte. Diese Nachteile könnte ein Kompromissvorschlag vermeiden, der durch eine verfahrensrechtliche Konstruktion einerseits dem Individualrechtsschutz hinreichend Rechnung tragen, andererseits aber durch gewisse Freiräume für das Sanktionskomitee und durch die Berücksichtigung der Interessen des Vorschlags- und Heimatstaates bewirken könnte, dass der Auftrag der UN, für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu sorgen, hinreichend berücksichtigt wird. Dazu wäre zunächst wie im Ausgangspunkt von der Zuleitung des Delisting-Antrags an das Kontrollgremium bei gleichzeitiger Information an das Sanktionskomitee zwecks Delisting-Möglichkeit auszugehen. Auch die teilweise Besetzung des Prüfungsgremiums mit vom Vorschlags- und Heimat-/Ansässigkeitsstaat benannten ad hoc-Mitgliedern sollte bestehen bleiben. Somit wären wie im Ausgangsmodell die Voraussetzungen einer schnellen Entscheidung sowie der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Kontrollgremiums insgesamt gesichert. Zu klären bleibt dann aber noch, wie das Problem der Bindungswirkung der Entscheidungen des Kontrollgremiums zu lösen ist. Insofern stellen sich für den letzten Verfahrensschritt, nämlich der Äußerung des Kontrollgremiums gegenüber dem Sanktionskomitee, zwei Fragen: Sollte diese Äußerung als für das Sanktionskomitee bindend ausgestaltet werden? Falls dies zu verneinen ist: Welche andere Wirkung hat die Äußerung und wie kann ihre individualschützende Zielsetzung hinreichend zur Geltung kommen? Das Sanktionskomitee an die Äußerung des Kontrollgremiums zu binden, wäre das nahe liegende Mittel, um effektiven Rechtsschutz durchzusetzen. Ohne eine derartige Absicherung wäre die Prüfung des Kontrollgremiums unter Rechtsschutzgesichtspunkten auch wertlos. Allerdings erscheint es realitätsfern, erwarten zu wollen, dass sich eine unmittelbare Kontrolle des Sanktionskomitees durchsetzen ließe.145 Denn 145 So auch Kanetake, Enhancing Community Accountability of the Security Council through Pluralistic Structure: The Case of the 1267 Committee, Max Planck UNYB 12 (2008), S. 113, 167 f.
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die Mitglieder des Sicherheitsrats werden kaum freiwillig einem derartigen Verfahren zustimmen und sich so einer Kontrolle durch Dritte unterwerfen. Deshalb dürfte es wohl beim ursprünglichen Vorschlag der bloßen Empfehlung bleiben. Es sollte jedoch versucht werden, durch eine entsprechende Verfahrensgestaltung auf die grundsätzlich selbständige Delisting-Entscheidung des Sanktionskomitees einzuwirken. Dafür sind verschiedene Ansätze denkbar. Sollte das Kontrollgremium zu der Empfehlung einer Listungsstreichung gelangen, könnte diese Empfehlung zum Beispiel mit Rücksicht auf das Sanktionskomitee als nur „schwebend verbindliche“ Empfehlung an dieses weitergereicht werden. Dies gäbe dem Sanktionskomitee die Möglichkeit, durch Vorlage neuer, objektiver Beweise die schwebende Verbindlichkeit aufzuheben und die Listung des Antragstellers weiterhin zu rechtfertigen. Umgekehrt würde die Delisting-Wirkung aber unabhängig von einer entsprechenden Entscheidung des Sanktionskomitees automatisch eintreten, falls das Sanktionskomitee nicht innerhalb einer bestimmten Frist, die mit Rücksicht auf die Beratungen insbesondere mit den Vorschlags-, Heimat- und Ansässigkeitsstaaten etwa bei vier Wochen liegen könnte, die Listung stützende Informationen vorlegt. Für diese Lösung spricht, dass sie dem Sanktionskomitee die Möglichkeit gibt, die Listung durch Vorlage neue Tatsachen aufrecht zu erhalten. Die Einführung einer bestimmten Handlungsfrist wirkt andererseits im Interesse des Gelisteten einer Untätigkeit seitens des Komitees entgegen. Fraglich könnte aber sein, ob diese Lösung nicht etwas zu einseitig die Interessen des Individualrechtsschutzes verwirklicht: Dem Sanktionskomitee bleibt nur die Vorlage neuer Tatsachen, um die Listung aufrecht zu erhalten und die Vorlagefrist mit automatischer Delisting-Wirkung im Falle ihres Verstreichens sichert den Einzelnen gegen Untätigkeit des Sanktionskomitees. Dies ist im Interesse des Individualschutzes durchaus zu begrüßen. Es ist aber fraglich, ob diese Lösung im Rahmen entsprechender Reformbemühungen auch konsensfähig wäre. Denn nach dem vorgestellten Modell kommt die Empfehlung des Kontrollgremiums eher einer Entscheidung mit Bindungswirkung gegenüber dem Sanktionskomitee gleich, das eine eigene Entscheidung über die Streichung nicht mehr treffen, sondern nur der Vorgabe des Kontrollgremiums folgen oder alternativ neue Tatsachen für die Beibehaltung der Listung vorlegen kann. Wenn dieser Vorschlag damit auch im Interesse des Gelisteten sehr wirksam erscheint, bleibt daher zu überlegen, ob nicht eine vergleichbar individualschützende Lösung denkbar wäre, die aber dem Interesse der UN an der Terroris-
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musbekämpfung stärker entgegen kommt, so dass ihre Verwirklichung infolgedessen realistischer erscheint. Bothe schlägt etwa eine unverbindliche Empfehlung des Gremiums an das Sanktionskomitee vor, die ihre Kraft dadurch entfalten soll, dass sie bindend wird, falls das Sanktionskomitee sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist, zurückweist.146 Diese Lösung ist an die Idee des reverse consensus angelehnt,147 weshalb für die Zurückweisung der Empfehlung eine geschlossene ablehnende Entscheidung des Sanktionskomitees nötig ist. Die Lösung unterscheidet sich vom ersten Vorschlag dadurch, dass es auf die Vorlage neuer Tatsachen gar nicht ankommt, sondern nur auf das Abstimmungsergebnis. Sie hat für das Sanktionskomitee den Vorzug, dass dieses (zunächst) nicht gebunden ist und selbst entscheiden kann. Auf Kritik könnte die Konstruktion allerdings gerade wegen der zunächst fehlenden Bindungswirkung der Empfehlung und der immerhin denkbaren Gefahr der Untätigkeit stoßen: Zum einen erhält das Sanktionskomitee die Möglichkeit, durch einstimmige Ablehnung aus eigener Kraft die Entscheidungen des Kontrollgremiums auszuhebeln, zum anderen könnte das Komitee in den Fällen, in denen es nicht geschlossen gegen die Empfehlung stimmt und infolgedessen an die Empfehlung gebunden ist, dennoch untätig bleiben. An diese Gefahr der Untätigkeit kann man jedenfalls dann denken, wenn man, wie es nahe liegt, Bothes Vorschlag so auslegt, dass die nach Zeitablauf eintretende Bindungswirkung die formale Streichungsentscheidung des Sanktionkomitees nicht ersetzt. Die Gefahr, dass das Sanktionskomitee die kontrollierende Tätigkeit des Gremiums durch ständige ablehnende Beschlüsse zunichte macht, ist allerdings abgemildert durch das Abstimmungsprinzip des reverse consensus, das eine häufige Ablehnung der Empfehlung unwahrscheinlich erscheinen lässt, da hierfür im Sanktionskomitee eine geschlossene Haltung gegen die Empfehlung Voraussetzung wäre. Die Erfahrungen mit der Regel des reverse consensus im Rahmen des WTO Dispute Settlement zeigt, dass geschlossene ablehnende Abstimmungen ausgesprochen selten sind.148 Diese Regel einer eigenen Entscheidung des Sankti146
Bothe, Security Council’s Targeted Sanctions against Presumed Terrorists, The Need to Comply with Human Rights Standards, JICJ 6 (2008) 3, S. 541, 554. 147
S. hierzu Kaiser, Article 2 DSU, in: Wolfrum/Stoll/Kaiser (Hrsg.), WTO – Institutions and Dispute Settlement, 2006, Rz. 7. 148
Kaiser, Article 2 DSU, in: Wolfrum/Stoll/Kaiser (Hrsg.), WTO – Institutions and Dispute Settlement, 2006, Rz. 7.
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onskomitees, deren nachteilige Wirkung für den Gelisteten aber durch diesen Abstimmungsmodus entschärft ist, könnte im Interesse der Terrorismusbekämpfung und damit auch der Konsensfähigkeit des Vorschlags beim Sicherheitsrat hingenommen werden. Der drohenden Untätigkeit des Sanktionskomitees im Falle der Bindung sollte allerdings dadurch begegnet werden, dass mit Ablauf der Frist oder alternativ im Falle einer Abstimmung, die sich nicht einstimmig gegen die Empfehlung wendet, die Streichung von der Liste fingiert wird. Der Betroffene würde als gestrichen gelten, und das Sekretariat müsste ausnahmsweise – anstelle des eigentlich zuständigen Sanktionskomitees149 – die Liste entsprechend anpassen. Für diese Lösung spricht, dass sie auf ein vorgeschaltetes Vorverfahren verzichtet und so eher eine schnelle Delisting-Entscheidung ermöglicht durch das Kontrollgremium als unabhängigen, unparteiischen Spruchkörper. Die Voraussetzung einer verbindlichen Entscheidung durch dieses Gremium ist durch die Konstruktion der Empfehlung mit Zurückweisungsfrist zwar nicht vollumfänglich garantiert, aber die Verfahrensregel des reverse consensus liefert hier eine befriedigende Kompromisslösung und die Delistingfiktion schützt den Gelisteten vor möglicher Untätigkeit des Sanktionskomitees. Während damit weitgehend Rücksicht auf den Individualrechtsschutz genommen wird, auch weil die Regel des reverse consensus selten zur Ablehnung der Empfehlung des Kontrollgremiums führen dürfte, kommt bei dessen Ausgleich mit den Interessen der UN auch deren Ziel einer möglichst ungestörten Ausübung ihrer Befugnisse zur Sicherung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit nicht zu kurz: Durch die gleichzeitige Information des Sanktionskomitees vom Delistingantrag wird diesem die Möglichkeit gegeben, im Wege der Selbstkontrolle durch eine eigene Delistingentscheidung einer Kontrolle durch das Überprüfungsgremium zuvor zu kommen. Die Möglichkeit der Benennung von ad hoc-Mitgliedern erhöht die Akzeptanz der Entscheidungen des Überprüfungsgremiums insbesondere beim Vorschlagsstaat, der gegebenenfalls auch an der Delisting-Entscheidung im Sanktionskomitee beteiligt ist. Spricht nach diesen Erwägungen vieles für die Ergänzung des ursprünglichen Vorschlags im soeben besprochenen Sinne, so ist noch ein Problem gesondert anzusprechen, das sich für jeden denkbaren Verfahrensansatz im 1267-Regime stellt und deshalb hier noch betrachtet werden 149 Grundsätzlich ist das Sanktionskomitee für die Verwaltung der Liste zuständig, vgl. Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008, Ziff. 5 (a), 6 (a).
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muss. Es handelt sich um das Problem der Vorlage von Geheimdienstinformationen durch die UN-Mitgliedstaaten.150 Im Bereich der Terrorismusbekämpfung werden viele Informationen durch die nationalen Geheimdienste gewonnen und die Staaten haben hier oft ein Interesse daran, diese Informationen aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht preiszugeben. Das Prüfungsgremium ist jedoch im Interesse einer objektiven, möglichst vollständigen Entscheidungsgrundlage grundsätzlich auch auf diese Informationen angewiesen. Fraglich ist daher, wie diese entgegengesetzten Interessen sinnvoll zum Ausgleich zu bringen sind. Der Ausgangsvorschlag des UN-Beratungsgremiums befasst sich mit der Problematik der Geheimdienstinformationen, die insoweit vorgesehene Regel ist jedoch nicht geglückt: Zwar wurde in die siebte Regel der vorgeschlagenen Ergänzungsrichtlinien zum Verfahren vor dem Beratungsgremium ausdrücklich die Pflicht des Gremiums neu aufgenommen, die Vertraulichkeit der von den UN-Mitgliedern gelieferten Informationen sicherzustellen.151 Soweit dies aber gemäß den Vereinbarungen mit dem die Informationen liefernden Staat geschehen soll, bleibt die Sperrmöglichkeit dieses Staates hinsichtlich der Informationen erhalten, denn es steht ihm frei, sich im Rahmen dieser Vereinbarung nur soweit zu verpflichten, wie er sich verpflichten möchte. Die alternativ erwähnte Variante der Vertraulichkeit gemäß der üblichen Praxis dürfte auf die Regeln zum Umgang mit Informationen der Mitgliedstaaten im Rahmen des Listing-Verfahrens abheben, nach denen der Vorschlagsstaat selbst bestimmen kann, welcher Teil der Falldarstellung öffentlich oder dritten Staaten außerhalb des Sanktionskomitees zugänglich gemacht werden darf.152
150
S. dazu auch Kanetake, Enhancing Community Accountability of the Security Council through Pluralistic Structure: The Case of the 1267 Committee, Max Planck UNYB 12 (2008), S. 113, 168. 151
UN-Dokument Generalversammlung/Sicherheitsrat, Enclosure: Improving the Implementation of Sanctions Regimes Through Ensuring “Fair and Clear Procedures”, A/62/891-S/2008/428, vom 2. Juli 2008, S. 6; in Art. 7 des ursprünglichen Vorschlags von Bothe war dagegen nur von der Freiheit des Gremiums die Rede gewesen, alle Informationen und Beweise zu verwenden, die es für nötig hält, http://www.liechtenstein.li/en/pdf-fl-aussenstelle-new york-discussionpaper-delisting-workshop-2007-11-8.pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010). 152
Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008, Ziff. 6 (d).
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Eine derartige Einwirkungsmöglichkeit auf das Kontrollverfahren durch diejenigen Staaten, die die Informationen (theoretisch) besitzen, widerspricht aber der Verwirklichung eines effektiven Rechtsschutzes. Mit dieser möglichen Ablehnung der Lieferung von Geheimdienstinformationen ist das Problem staatlicher Beweisverweigerungsrechte auf völkerrechtlicher Ebene aufgrund nationaler Sicherheitsinteressen angesprochen. Während sich nach gegenwärtigem Entwicklungsstand des Völkerrechts auf diesem Gebiet noch keine verallgemeinerungsfähigen Regeln herausgebildet haben,153 wird vertreten, dass den widerstreitenden Interessen des effektiven Rechtsschutzes und der Geheimhaltung am besten gedient sei, wenn die Kontrollinstanz und nicht die Staaten selbst im konkreten Fall über das Bestehen eines Beweisverweigerungsrechts befinde.154 Dem staatlichen Geheimhaltungsinteresse kann dabei durch ein spezielles Verfahren entsprochen werden, wobei hier verschiedene Ausgestaltungsmöglichkeiten denkbar sind. So kommt etwa ein in-camera-Verfahren in Betracht. Dies könnte den Staaten einen Anreiz bieten, auch die Geheimdienstinformationen preiszugeben, die sie im Interesse der nationalen Sicherheit lieber geheim halten würden. Der Begriff in-camera-Verfahren bezeichnet die vollständige gerichtliche Überprüfung der Vorlageverweigerung unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Beteiligten sowie die Nichtgewährung rechtlichen Gehörs, wobei die Entscheidungsgründe der darauf folgenden Entscheidung so abgefasst sein müssen, dass sie keinen Rückschluss auf das Geheimnis zulassen.155 Der wesentliche Gedanke dieses besonderen Verfahrens ist, dass das Spannungsverhältnis zwischen effektivem Rechtsschutz, rechtlichem Gehör und dem Geheimhaltungsinteresse bezüglich Informationen, auf die es im Rechtsstreit ankommt, dadurch aufgelöst wird, dass die Kenntnisnahme der Geheiminformationen auf 153
So stellt der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) diesbezüglich im Blaškić-Fall, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Decision on the Objection of the Republic of Croatia to the Issuance of Subpoena Duces Tecum, Trial Chamber II, vom 18. Juli 1997, Ziff. 139, fest: “The sparse case law of other international tribunals does not provide authoritative guidance”. 154
Pope and Talbot, Inc. v. Canada, NAFTA Ruling on Claim of Crown Privilege vom 6. September 2000, ICSID Rep. 7 (2005), 99, 100, Ziff. 1.4: “A determination by a Tribunal that documents sufficiently identified deserve protection is a very different matter from acquiescence to a simple assertion, without any identification, that they deserve protection”. 155
Vgl. insoweit zum nationalen Verwaltungsprozess in Deutschland Schüly, Das „in camera“-Verfahren der Verwaltungsgerichtsordnung, 2006, S. 67.
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das Gericht beschränkt bleibt. Vor internationalen Spruchkörpern wurden im Zusammenhang mit der Verwertung von Geheiminformationen Lösungen gewählt, bei denen nicht einmal das Entscheidungsgremium von den Informationen Kenntnis erlangte,156 aber auch Modelle, bei denen dem Geheimhaltungsinteresse lediglich durch Ausschluss der Öffentlichkeit Rechnung getragen, im übrigen aber die Beweisaufnahme vom Hauptsachegericht selbst durchgeführt wurde.157 Der Gedanke eines in-camera-Verfahrens könnte sich auf das 1267Regime wie folgt übertragen lassen: Dem Kontrollgremium sind alle Tatsachen, auch Geheiminformationen, vorzulegen und es entscheidet selbst über die Vertraulichkeit der Geheiminformationen. Somit wird die Entscheidung über die Verweigerung aus der alleinigen Entscheidungshoheit der Staaten herausgelöst und überprüfbar. Im Gegenzug findet das Verfahren, soweit vom liefernden Staat als geheim bezeichnete Informationen betroffen sind, unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Beteiligten statt, es wird insoweit keine Akteneinsicht und kein rechtliches Gehör gewährt. In einem fünfköpfigen Kontrollgremium, in das auch ad hoc-Mitglieder entsandt wurden, könnte für die Bewertung der Informationen als nicht geheimhaltungsbedürftig und damit deren Freigabe für die Einbeziehung in das Verfahren über die Listungsentscheidung zusätzlich eine Mehrheit mit maximal einer Gegenstimme, also vier158 zustimmende Voten, verlangt werden, um so das Geheimhaltungsinteresse noch stärker zu berücksichtigen. Kommt das Kontrollgremium zu dem Schluss, dass die Verweigerung der Daten rechtswidrig war, so kann es die Daten verwenden; war die Verweigerung rechtmäßig, so ist eine geheimhaltungspflichtige dritte Person (confidentiality advisor) zu bestimmen, die die Informationen als einzige einsehen darf und dann dem Kontrollgremium auf gezielte Fragen antwortet, ohne dabei Geheimnisse preiszugeben. 156
S. etwa Art. 15 Abs. 6 der Optional Rules for Arbitration of Disputes Relating to Natural Resources and/or the Environment des Ständigen Schiedshofs, http://www.pca-cpa.org/upload/files/ENVIRONMENTAL(3).pdf (zuletzt besucht am 2. Mai 2010), der die Ernennung von Experten vorsieht, die den Spruchkörper ohne Offenlegung der Geheimnisse aus den Unterlagen informieren. 157
So etwa das Vorgehen des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Godínez Cruz v. Honduras, Urteil vom 20. Januar 1989, Ser. C No. 5, S. 96 f. (Ziff. 33-35). 158
Es wird hier hinsichtlich der Besetzung von einem fünfköfigen Kontrollgremium ausgegangen.
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Die Regeln der Ergänzungsrichtlinien zum Verfahren vor dem Beratungsgremium wären daher wie folgt anzupassen: In Regel sechs zur Kooperation der UN-Mitgliedstaaten mit dem Gremium sollte der letzte Satz, wonach ein Staat, wenn er Geheiminformationen nicht herausgeben kann, wenigstens sonstige Beweise so detailliert wie möglich zur Verfügung stellen soll, gestrichen werden. Stattdessen sollte eingefügt werden, dass die Staaten auch alle Geheiminformationen vorzulegen haben, diese aber als solche kennzeichnen können. In Regel sieben zum Verfahren vor dem Gremium sollte der dritte Satz, wonach das Gremium alle Vorkehrungen zu treffen hat, um die Geheimhaltung der von den Staaten gelieferten Informationen gemäß den mit diesen vereinbarten Bedingungen oder der einschlägigen üblichen Praxis zu gewährleisten, gestrichen werden. Stattdessen müsste in einen zweiten Absatz dieser Regel das Verfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Vorlageverweigerung aufgenommen werden: Die vom vorlegenden Staat als geheim gekennzeichneten Informationen werden dem Kontrollgremium unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Beteiligten („in camera“) zur Verfügung gestellt. Die Mitglieder sind bezüglich der vertraulichen Informationen zur Geheimhaltung verpflichtet. Die Entscheidung über die Ablehnung der Geheimhaltungsbedürftigkeit der Informationen und damit zugleich über deren Verwendung bei der Bewertung der Listung muss mit mindestens vier Stimmen ergehen. Das Kriterium für die Geheimhaltungsbedürftigkeit ist, ob die Natur der Information dazu führt, dass ohne speziellen verfahrensrechtlichen Schutz ernste Schädigungen des die Geheimhaltung fordernden Staates eintreten könnten. Die Option der Einschaltung einer Vertrauensperson, die statt des Kontrollgremiums die Geheimunterlagen sichtet und dann Aussagen vor dem Gremium macht, kann dem Kontrollgremium offengehalten werden. Da freilich auch hier wegen der mangelnden Durchsetzbarkeit im Völkerrecht die tatsächliche Herausgabe der notwendigen Informationen – über den bloßen Anreiz hinaus – nicht erzwungen werden kann, sollte versucht werden, die Vorlageregelung verfahrensrechtlich abzusichern. Dazu sollte eine Vorschrift zur Beweislastumkehr vorgesehen werden, nach der für den Fall, dass dem Kontrollgremium die Geheiminformationen während des in-camera-Verfahrens nicht zur Verfügung gestellt werden, so dass es nicht in der Lage ist, deren Geheimhaltungsbedürftigkeit zu beurteilen, die Vermutung entsteht, dass es keine Rechtfertigung für die Listung des Antragsstellers gibt. Somit lässt sich zur Problematik der Geheimdienstinformationen festhalten: Das in-camera-Verfahren nimmt Rücksicht auf die Geheimhal-
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tungsinteressen der UN-Mitgliedstaaten und vermeidet so, dass diese Staaten aus Furcht vor unerwünschten Offenlegungen die für das Funktionieren des 1267-Regimes so notwendigen Informationen über Terroristen nicht liefern. Die Regel zur Beweislastumkehr wird gerechtfertigt durch die (einstweilige) Unverbindlichkeit der Entscheidung des Überprüfungsgremiums, was dem Sanktionskomitee eine eigene Entscheidung erlaubt und auch die Ablehnung jeder Empfehlung ermöglicht. Wenn damit eine Lösung für ein UN-Kontrollgremium gefunden ist, muss im Hinblick darauf, dass für Fragen auf der Rechtsfolgenseite, also bezüglich der konkreten Umsetzungsakte für die Sanktionen, nationale und regionale Gerichte die Kontrolltätigkeit ausüben,159 noch ein Wort zum Verhältnis des UN-Kontrollgremiums und der UN-Ebene zu diesen Gerichten gesagt werden. In der sechsten Regel der Ergänzungsrichtlinien ist schon niedergelegt, dass die UN-Mitgliedstaaten und auch internationale Organisationen so intensiv wie möglich mit dem Kontrollgremium zusammenarbeiten sollen. Diese Kooperationspflicht muss aber auf Gegenseitigkeit beruhen, wie es zum Beispiel die Frage des Umgangs des Kontrollgremiums mit vertraulichen Informationen der Staaten nahelegt. Die Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees wären daher wie folgt zu ergänzen: Der Text des Ausgangsvorschlags des UN-Beratungsgremiums ist um die gefundenen Verbesserungen zu ergänzen. Der Vorschlag ist dann seinerseits unter einer neuen Ziffer in die Richtlinien des 1267Sanktionskomitees aufzunehmen, um ihn so in das Dokument, das auch die anderen Regeln zum 1267-Regime enthält, mit einzubeziehen. Bezüglich des Zugangs zu Geheimdienstinformationen wäre folgende Passage bei der Regel zum Verfahren vor dem Kontrollgremium einzufügen: “A Member State invoking the confidentiality of any information it wishes or is required to submit in the panel procedure, shall make an application to have the information classified as confidential by a notice to the panel via the Ombudsperson containing the reasons for which it considers the information confidential. The panel shall determine in camera and subject to secrecy by majority vote of at least four votes whether the information is to be classified as confidential and of such a nature that the absence of special measures of protection in the proceedings would be likely to 159
S. hierzu ausführlich unten, J.II.2 und V.
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cause serious harm to the Member State invoking the confidentiality of the information. If the panel so determines, it shall appoint a confidentiality advisor in order to report to it, on the basis of the confidential information, on specific issues designated by the panel without disclosing the confidential information to any third actor or to the panel. In case the panel is not provided with the information classified as confidential during the in camera procedure so that it is unable to determine whether the information is to be classified as confidential the assumption arises that there is no justifying basis for the listing of the applicant”. In der Regel zu den Empfehlungen des Kontrollgremiums ist zu ergänzen: “The recommendation becomes binding upon the Committee if it does not reject the recommendation within four weeks from the date of receipt of the recommendation. In case of non-rejection the Secretariat will delist the person concerned”. Schließlich ist in der sechsten Regel zu Kooperation mit dem Kontrollgremium die Gegenseitigkeit der Kooperationspflicht hervorzuheben: Dafür ist nach „The Committee, all Member States of the United Nations and all relevant international organizations shall cooperate with the panel…“ einzufügen: „…and the panel shall cooperate with them…“
e) Fazit Der Vorschlag, wonach das Kontrollgremium dem Sanktionskomitee eine Empfehlung zuleitet, deren Verbindlichkeit sich aus der mangelnden Ablehnung nach dem reverse consensus-Verfahren bzw. nach Ablauf einer bestimmten Frist ergeben kann, stellt sich als ausgewogene Lösung dar, die auf die Interessen des Individualrechtsschutzes einerseits und des Sicherheitsrates an einer ungestörten Arbeit andererseits gleichermaßen Rücksicht nimmt. Die für die Entscheidung des Kontrollgremiums notwendige Tatsachengrundlage wird für den Fall der Erheblichkeit von Geheiminformationen durch die Einführung eines in camera-Verfahrens abgesichert. Dem oben160 aufgedeckten Dilemma einer unverbindlichen Entscheidung des Gremiums bzw. alternativ ei160
S. oben, G.I.3.d)aa).
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ner unerwünschten Kontrolle des Sicherheitsrats kann so eine gangbare Kompromisslösung entgegengesetzt werden. Um nach diesem Vorschlag eine schnelle Kontrollmöglichkeit der Listung durch einen unabhängigen und unparteiischen Spruchkörper zu gewährleisten und zugleich die Lieferung auch von Geheimdienstinformationen sicherzustellen, wäre ein Kontrollgremium einzurichten, dessen Zusammensetzung und Verfahrensvorschriften gemäß den unter d) bb) (2) vorgeschlagenen Formulierungen als Ergänzung in den bestehenden Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees zu regeln wären.
II. Fazit Die Entwicklung der konkreten Einzelpunkte des Soll-Zustands des 1267-Sanktionsregimes nach den Vorgaben des Europarats zur Rechtsstaatlichkeit und zum Menschenrechtsschutz ergibt folgendes Bild: Während die Beweispflicht hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen einer Listung sowie das Recht auf unverzügliche und vollständige Information nur geringerer Ergänzungen bedürfen, sind die Regeln hinsichtlich der klaren Definition der Voraussetzungen, der Begründung, des Anhörungsrechts und der zeitlichen Begrenzung einer Listung intensiver zu vervollständigen. Der größte Verbesserungsbedarf besteht allerdings hinsichtlich der Überprüfung von Listungen: Hier muss ein unabhängiges, unparteiisches Kontrollgremium eingerichtet werden, wobei insbesondere die Problematik der Geheimdienstinformationen spezielle Regeln erforderlich macht. Die vorgeschlagenen Verbesserungen des Ist-Zustands des 1267-Regimes hin zum Soll-Zustand lassen sich durch Ergänzungen der bereits bestehenden Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees erreichen. Die in diesem Kapitel als Ergebnis der einzelnen Prüfungen empfohlenen Ergänzungen sind zwecks besserer Nachvollziehbarkeit in einem dieser Arbeit als Anhang II beigegebenen Abdruck der Verfahrensrichtlinien eingefügt und durch Unterstreichungen kenntlich gemacht. Solange das Verfahren auf UN-Ebene noch nicht entsprechend geändert und noch kein unabhängiges Gremium für die Überprüfung der Listungen eingerichtet ist, bleibt zu fragen, ob nationale und regionale Gerichte im Zusammenhang mit UN-Sanktionen überhaupt zur Prüfung zuständig sind, welche Konflikte sich zwischen diesen Gerichten ergeben können und wie sich solche Konflikte vermeiden lassen. Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden.
Teil IV Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz gegen das 1267-Regime: Status quo der Rechtsprechung und Vermeidung von Konflikten zwischen den (potentiell) beteiligten Gerichten H. Bisherige nationale und regionale Rechtsprechung zum 1267-Sanktionsregime Noch vor wenigen Jahren wurde mit Blick auf UN-Sanktionen vertreten, dass der politische und nur temporäre Charakter wirtschaftlicher Sanktionsbeschlüsse dazu führe, dass die betroffenen Staaten und Außenwirtschaftsunternehmen von einer gerichtlichen Überprüfung der Sanktionen durchweg absähen.1 Heute kann diese Ansicht nicht mehr aufrechterhalten werden, denn einerseits ist beim 1267-Regime eine zeitliche Begrenzung nicht erkennbar, andererseits sind bezüglich dieses Regimes die Listung sowie einzelne Sanktionen in verschiedenen Verfahren vor nationalen und regionalen Gerichten angegriffen worden. Diese bisherige regionale und nationale Rechtsprechung zum 1267Sanktionsregime soll anhand einzelner interessanter Fälle2 in diesem Kapitel dargestellt werden. Dem Anliegen der Arbeit dient dies vor al1
Zitat bei Biehler, Individuelle Sanktionen der Vereinten Nationen und Grundrechte, AVR 41 (2003) 2, S. 169, der dem beipflichtet. 2
In Annex I des letzten Berichts des Monitoring Teams, Ninth Report of the Analytical Support and Sanctions Monitoring Team pursuant to resolution 1822 (2008) concerning Al-Qaida and the Taliban and associated individuals and entities, S/2009/245, vom 13. Mai 2009, S. 37, wird die Zahl der anhängigen und neu entschiedenen Rechtsstreitigkeiten bezüglich des 1267-Regimes mit 30 angegeben. Die meisten der Fälle harren noch einer Entscheidung, so dass eine umfassende Besprechung hier – ganz abgesehen von den nur schwer zu erhaltenden Sachverhalten der einzelnen Fälle – nicht möglich ist. Die Darstellung konzentriert sich daher exemplarisch auf einzelne Fälle. C.A. Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht: Das 1267-Sanktionsregime der UN und seine 253 rechtliche Fassung, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 225, DOI 10.1007/978-3-642-20471-5_4, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg 2011
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Teil IV: Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz
lem aus drei Gründen: Zum einen belegen die Entscheidungen – schon durch die Tatsache, dass die Gerichte mit Fragen des Sanktionsregimes befasst wurden – die oben vertretene These, dass mangels Rechtsschutzes gegen die Listungen auf UN-Ebene auf nationaler Ebene Legitimationsbedenken bestehen, die zu Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Sanktionsregimes führen. Zum anderen – und noch wichtiger für die Arbeit – ergibt die Analyse der Urteile auch die konkreten Rügen, die gegen das Sanktionsregime erhoben wurden; sie zeigt außerdem die Haltung der Gerichte bezüglich ihrer Stellung und Prüfungskompetenz im Mehrebenensystem, an dem in Europa neben nationaler und UNEbene auch noch die Gerichte der EU sowie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) beteiligt sind. Die Aussagen in den Urteilen bieten insofern wichtiges Argumentationsmaterial und dienen der Hinführung zum folgenden Kapitel, das die Chancen und Schwierigkeiten eines gerichtlichen Rechtsschutzes im Mehrebenensystem untersucht. Bei den zu betrachtenden Entscheidungen ist es wichtig, nach dem Streitgegenstand zu differenzieren: Wo es um einen Angriff gegen die UN-Listung als Terrorverdächtiger bzw. die EU-Listung als wortgleiche Umsetzung hiervon ohne eigenen Spielraum der EU geht, ist die Tatbestandsseite der „Sanktionsnorm“ betroffen, für die die UN zuständig sind. Solche Verfahren sind insofern Folge der Tatsache, dass kein Rechtsschutz auf UN-Ebene besteht. Im Hinblick auf Gerichtszuständigkeit und Prüfungsmaßstab sind sie deshalb am interessantesten. In anderen Verfahren sind dagegen die Rechtsfolgen der Listung für den Betroffenen wie für Dritte Streitgegenstand. Hier sind wegen der grundsätzlichen Zuständigkeit der UN-Mitgliedstaaten für die Umsetzung der Rechtsfolgen des Sanktionsregimes die Zuständigkeit und der Prüfungsmaßstab vor nationalen und regionalen Gerichten gegebenenfalls anders zu werten als bei der Überprüfung der Listung selbst. Die Gliederung des Kapitels folgt daher dieser Unterscheidung.
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I. Urteile, die die Listung und damit die Tatbestandsseite der „Sanktionsnorm“ betreffen 1. EuGH: Der Fall Kadi und Al Barakaat gegen Rat und Kommission, C-402/05 P und C-415/05 P Der Fall Kadi gegen Rat und Kommission ist die Leitentscheidung auf europäischer Ebene zum 1267-Sanktionsregime. Es ist der erste Fall, in dem der EuGH über die Rechtmäßigkeit einer UN-basierten Listung auf EU-Ebene entschieden hat. Dabei hob er die klageabweisenden Urteile des EuG3 auf. Der Angriff richtete sich gegen die Rechtsakte, mit 3
Die nahezu gleich lautenden Urteile Yusuf und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaft, EuG, Urteil vom 21. September 2005, T-306/01, Slg. 2005, II-3533, und Kadi gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaft, EuG, Urteil vom 21. September 2005, T-315/01, Slg. 2005, II-3649, wurden sehr kontrovers diskutiert: Aus der reichhaltigen Literatur hierzu seien selektiv genannt: Zustimmend Tomuschat, Urteilsanmerkung: Case Law, Court of First Instance, Judgments of 21 September 2005, Cases T-306/01 & T-315/01, Ali Yusuf and Al Barakaat & Kadi, CMLRev. 43 (2006) 2, S. 537 ff., der aber zugleich auf lange Sicht eine Verbesserung des Rechtsschutzes auf UN-Ebene für notwendig erachtet; Steinbarth, Individualrechtsschutz gegen Maßnahmen der EG zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, Die Entscheidungen des EuG in den Rs. „Yusuf u.a.“ sowie „Kadi“, ZEuS 9 (2006) 2, S. 269 ff. Ablehnend äußerten sich dagegen Lavranos, Judicial Review of UN Sanctions by the Court of First Instance, European Foreign Affairs Review 11 (2006) 4, S. 471 ff., der die seines Erachtens durch die Urteile eingeführte Hierarchie zugunsten des Völkerrechts und zu Lasten des primären Gemeinschaftsrechts kritisiert; Haltern, Gemeinschaftsgrundrechte und Antiterrormaßnahmen der UNO, JZ 62 (2007) 11, S. 537 ff., nach dessen Ansicht sich das EuG vorschnell der Möglichkeit, Gemeinschaftsgrundrechte zur Anwendung zu bringen, begibt; Feinäugle, Legal Protection of the Individual Against UN Sanctions in a Multilevel System, in: Follesdal/Wessel /Wouters (Hrsg.), Multilevel Regulation and the EU, The Interplay between Global, European and National Normative Processes, 2008, S. 231 ff.; Eckes, Trapped between Courts or How Terrorist Suspects Lost Their Right to a Remedy, in: Follesdal/Wessel/Wouters (Hrsg.), Multilevel Regulation and the EU, The Interplay between Global, European and National Normative Processes, 2008, S. 261 ff., die etwa die Anwendung von ius cogens als Prüfungsmaßstab kritisiert; Sauer, Rechtsschutz gegen völkerrechtsdeterminiertes Gemeinschaftsrecht?, Die Terroristenlisten vor dem EuGH, NJW 61 (2008) 51, S. 3685, 3686; Schöndorf-Haubold, Internationale Sicherheitsverwaltung, Erscheinungsformen, normative Steuerung und Kontrolle, in: Trute/ Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit
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denen das Sanktionsregime auf europäischer Ebene umgesetzt wurde. Daher wird im Folgenden kurz auf diese Umsetzung eingegangen, bevor die Entscheidung selbst vorgestellt wird.
a) Umsetzung des Sanktionsregimes auf europäischer Ebene Die UN-Resolutionen, die zur Verhängung der Finanzsanktionen, des Reiseverbotes und des Waffenembargos gegen die vom Sanktionskomitee gelisteten Personen verpflichten, richten sich an die UN-Mitgliedstaaten. Auf europäischer Ebene haben die EU-Mitgliedstaaten seinerzeit allerdings diese Sanktionen in der Zweiten Säule der EU, der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, umgesetzt. Nach Art. 11 EU verwirklichte die EU eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die unter anderem die Wahrung des Friedens und die Stärkung der internationalen Sicherheit entsprechend den Grundsätzen der UN-Charta zum Ziel hatte.4 Nach Erlass der Resolution 1267 (1999) durch den
eines Konzepts, 2008, S. 575, 607, die von einer strikten Bindungswirkung der Sicherheitsratsbeschlüsse ausgeht, die selbst einer Prüfung am Maßstab des ius cogens entgegenstehe. Zumindest kritische Feststellungen finden sich bei Tietje /Hamelmann, Gezielte Finanzsanktionen der Vereinten Nationen im Spannungsverhältnis zum Gemeinschaftssrecht und zu Menschenrechten – EuG, BeckRS 2005, 70726, JuS 46 (2006) 4, S. 299 ff.; Bulterman, Fundamental Rights and the United Nations Financial Sanction Regime: The Kadi and Yusuf Judgments of the Court of First Instance of the European Communities, LJIL 19 (2006) 3, S. 753 ff., geißelt die Urteile zumindest als widersprüchlich; Kunoy, The Jurisdiction of the ECJ to Review the Legality of the Transposition of an International Act in the EC Legal Order, NJIL 76 (2007) 1, S. 19 ff. 4
Art. 11 Abs. 1 EU lautete: „Die Union erarbeitet und verwirklicht eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die sich auf alle Bereiche der Außen- und Sicherheitspolitik erstreckt und Folgendes zum Ziel hat: − die Wahrung der gemeinsamen Werte, der grundlegenden Interessen, der Unabhängigkeit und der Unversehrtheit der Union im Einklang mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen, − die Stärkung der Sicherheit der Union in allen ihren Formen, − die Wahrung des Friedens und die Stärkung der internationalen Sicherheit entsprechend den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen sowie den Prinzipien der Schlussakte von Helsinki und den Zielen der Charta von Paris, einschließlich derjenigen, welche die Außengrenzen betreffen, − die Förderung der internationalen Zusammenarbeit,
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UN-Sicherheitsrat nahm der Rat der EU am 15. November 1999 einen gemeinsamen Standpunkt nach Art. 15 EU an.5 Der Rat der EU entschied darin, dass die Gemeinschaft tätig werden müsse, um die Resolution 1267 (1999) umzusetzen.6 Der Rat der EG erließ daraufhin die Verordnung (EG) Nr. 337/2000 vom 14. Februar 2000.7 Darin wurde das Einfrieren der vom UN-Sanktionskomitee bezeichneten und entsprechend im Anhang der EG-Verordnung aufgeführten Gelder und anderen Finanzmittel der Taliban und der Unternehmen, die sie kontrollierten, angeordnet.8 Außerdem wurden die Zurverfügungstellung von Finanzmitteln sowie Starts und Landungen der entsprechend aufgeführten Luftfahrzeuge untersagt.9 In weiteren Gemeinsamen Standpunkten und diesen folgenden EG-Verordnungen wurden die später erlassenen Sicherheitsratsresolutionen nachvollzogen und umgesetzt.10 So wurde infolge der Resolution 1333 (2000) der Gemeinsame Standpunkt 2001/154/GASP angenommen,11 zu dessen Umsetzung die Verordnung − die Entwicklung und Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“. 5
Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 15. November 1999 über restriktive Maßnahmen gegen die Taliban, 1999/727/GASP. Art. 15 EU lautete: „Der Rat nimmt gemeinsame Standpunkte an. In den gemeinsamen Standpunkten wird das Konzept der Union für eine bestimmte Frage geografischer oder thematischer Art bestimmt. Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass ihre einzelstaatliche Politik mit den gemeinsamen Standpunkten in Einklang steht“. 6
Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 15. November 1999 über restriktive Maßnahmen gegen die Taliban, 1999/727/GASP, 2. Erwägungsgrund. Siehe in diesem Zusammenhang auch Hörmann, Die Befugnis der EG zur Umsetzung von Resolutionen des UN-Sicherheitsrates zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, EuR 42 (2007) 1, S. 120 ff. 7
Verordnung (EG) Nr. 337/2000 des Rates vom 14. Februar 2000 über ein Flugverbot und das Einfrieren von Geldern und anderen Finanzmitteln betreffend die Taliban von Afghanistan. 8 9
Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 337/2000. Art. 3 Abs. 2 und Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 337/2000.
10
Die Mehrzahl der EG-Verordnungen geht auf Änderungen der UNTerorristenliste durch das Sanktionskomitee zurück, die eine Änderung der an die EG-Verordnung angehängten Liste notwendig machten. Zu derartigen Änderungen war die Kommission vom Rat bereits in Art. 7 der EG-Verordnung Nr. 337/2000 ermächtigt worden. 11
Gemeinsamer Standpunkt 2001/154/GASP des Rates vom 26. Februar 2001 über weitere restriktive Maßnahmen gegen die Taliban und zur Änderung des Gemeinsamen Standpunkts 96/746/GASP.
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(EG) Nr. 467/200112 auf Grundlage der Art. 60 und 301 EG erlassen wurde. Darin wurde zusätzlich zu den bisherigen Sanktionen unter anderem die Beratung bezüglich militärischer Aktivitäten verboten,13 das Start- und Landeverbot zu einem Überflugsverbot ausgeweitet14 und vor allem nicht mehr das Einfrieren der im Anhang der Verordnung genannten Gelder, sondern der Gelder der im Anhang der Verordnung genannten Personen angeordnet.15
b) Sachverhalt Am 17. Oktober 2001 und am 9. November 2001 veröffentlichte das 1267-Sanktionskomitee zwei neue Ergänzungen seiner konsolidierten Liste, die auch die folgenden Namen umfassten: „Al-Qadi, Yasin (alias Kadi, Shaykh Yassin Abdullah; alias Kahdi, Yasin), Jeddah, SaudiArabien“, und „Barakaat International Foundation, Box 4036, Spanga, Stockholm, Schweden; Rinkebytorget 1, 04 Spanga, Schweden“. Durch die Verordnung (EG) Nr. 2062/2001 der Kommission vom 19. Oktober 2001 zur drittmaligen Änderung der Verordnung (EG) Nr. 467/2001 wurde Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 467/2001 unter anderem um den Namen des Herrn Kadi ergänzt. Durch die Verordnung (EG) Nr. 2199/2001 der Kommission vom 12. November 2001 zur vierten Änderung der Verordnung (EG) Nr. 467/2001 wurde Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 467/2001 unter anderem um den Namen von Al Barakaat ergänzt. Anhang I der später erlassenen Verordnung (EG) Nr. 881/2002, die die Verordnung (EG) Nr. 467/2001 aufhob, enthielt unter anderem die Namen „Barakaat International Foundation, Box 4036, Spanga, Stockholm, Schweden; Rinkebytorget 1, 04, Spanga, Schweden“, und „Al-Qadi, Yasin (alias KADI, Shaykh Yassin Abdullah; alias KAHDI, Yasin), Jeddah, Saudi-Arabien“.
12 Verordnung (EG) Nr. 467/2001 des Rates vom 6. März 2001 über das Verbot der Ausfuhr bestimmter Waren und Dienstleistungen nach Afghanistan, über die Ausweitung des Flugverbots und des Einfrierens von Geldern und anderen Finanzmitteln betreffend die Taliban von Afghanistan und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 337/2000. 13 14
Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 467/2001 des Rates vom 6. März 2001. Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 467/2001 des Rates vom 6. März
2001. 15
2001.
Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 467/2001 des Rates vom 6. März
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Die letztgenannte Verordnung wurde im Verfahren nach Art. 230 Abs. 4 EG vor dem EuG von Herrn Kadi und der Al Barakaat-Stiftung mit dem Antrag angegriffen, sie für nichtig zu erklären, soweit Herr Kadi und Al Barakaat davon betroffen seien. Herr Kadi machte drei Nichtigkeitsgründe geltend, nämlich die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, die Verletzung des Rechts auf Achtung des Eigentums und des Grundsatzes der Verhaltnismäßigkeit und die Verletzung des Rechts auf effektive gerichtliche Kontrolle. Die Al BarakaatStiftung rügte die Unzuständigkeit des Rates für den Erlass der streitigen Verordnung, die Verletzung von Art. 249 EG und die Verletzung von Grundrechten.
c) Entscheidungsgründe: Nichtigkeit der angefochtenen Verordnung wegen Verletzung von EG-Grundrechten Der EuGH prüft in seinem Urteil die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verordnung unter mehreren Gesichtspunkten. Zunächst geht er auf die Frage der richtigen Rechtsgrundlage für die Verordnung und die Frage der richtigen Handlungsform ein, um sich anschließend der Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichte zur Überprüfung etwaiger Verletzungen von Grundrechten durch die Verordnung zuzuwenden. Zuletzt wird die Verordnung auf die geltend gemachten Grundrechtsverletzungen hin untersucht.
aa) Zur Kompetenz der Gemeinschaftsgerichte, über Grundrechtsverletzungen durch die Verordnung zu entscheiden Nachdem der EuGH Fragen der Rechtsgrundlage der angefochtenen Verordnung und der Rechtmäßigkeit der Handlungsform der Verordnung (Art. 249 EG) entschieden hat, wendet er sich der Prüfungskompetenz der Gemeinschaftsgerichte in diesem Fall zu. Zu der angegriffenen Feststellung des EuG, dass keine gerichtliche Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit von UN-basierten EG-Rechtsakten erfolge, lediglich, soweit ius cogens verletzt sei,16 stellt der EuGH zunächst fest, dass die EG eine Rechtsgemeinschaft mit einer autonomen Rechtsordnung
16 Yusuf und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaft, EuG, Urteil vom 21. September 2005, T306/01, Slg. 2005, II-3533, Rz. 276 f.
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sei, in der der EuGH für die gerichtliche Kontrolle zuständig sei.17 Die Grundrechte seien integraler Bestandteil der allgemeinen Rechtsgrundsätze, deren Wahrung der EuGH zu sichern habe.18 Diese Grundrechte seien somit Prüfungsmaßstab für EG-Rechtsakte. Die gerichtliche Kontrolle des EG-Rechtsaktes beziehe sich dabei nur auf diesen, nicht auf den völkerrechtlichen Rechtsakt, auch nicht beschränkt auf ius cogens.19 Selbst wenn die europäischen Gerichte zu der Feststellung eines EGRechtsverstoßes gelangten, würde dies am völkerrechtlichen Vorrang der UN-Resolution nichts ändern.20 Nachdem der EuGH so die grundsätzlich volle Überprüfbarkeit von UN-basierten EG-Rechtsakten am Maßstab des EG-Rechts bejaht hat, stellt er sich die Frage, ob im vorliegenden Fall eine Ausnahme zu diesem Grundsatz der Überprüfbarkeit besteht.21 Dabei erteilt er Argumenten, die auf Normen des EG-Vertrages fußen, eine Absage: Art. 307 EG, wonach Rechte und Pflichten aus Übereinkünften, die vor dem 1. Januar 1958 geschlossen wurden, durch den EG-Vertrag unberührt bleiben, lasse zwar Abweichungen vom Primärrecht, wie etwa der Handelspolitik, zu, nicht aber von den Grundlagen der Gemeinschaft, wie dem Grundrechtsschutz.22 Auch Art. 300 Abs. 7, der die Verbindlichkeit völkerrechtlicher Verträge, deren Vertragspart17
Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rz. 280282. 18 19 20
Ibid., Rz. 283. Ibid., Rz. 286 f. Ibid., Rz. 288.
21
Ibid., Rz. 290 ff. Die vom Generalanwalt angesprochene political question-Doktrin (Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro, Kadi gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaften, C-402/05 P, 16. Januar 2008, Slg. 2008, I-6351, Rz. 34) wurde hier nicht mehr ausdrücklich adressiert. 22
Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rz. 301 und 304. Diese hierarchische Normabschichtung innerhalb des Primärrechts war durch den Generalanwalt, der stärker mit dem umfassenden Rechtsschutzsystem der EG, innerhalb dessen die Grundrechte zu wahren seien, argumentierte, nicht so deutlich vorgezeichnet worden, vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro, Kadi gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaften, C-402/05 P, 16. Januar 2008, Slg. 2008, I-6351, Rz. 31.
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ner die EG selbst ist, regele, lege kein anderes Ergebnis nahe, da der aus Art. 300 Abs. 7 und 6 EG zu folgernde Rang solcher Verträge über Sekundär- aber unter Primärrecht eindeutig zur Folge habe, dass die Rechte und Pflichten auch aus solchen Verträgen im Rang unter den EG-Grundrechten stünden.23 Auch die jüngere Rechtsprechung des EGMR im Fall Behrami24 ändere nichts an der Überprüfbarkeit der angefochtenen Verordnung.25 Der EGMR habe sich bei dieser Entscheidung für unzuständig erkärt für die Überprüfung von Rechtsakten, die im Rahmen der Umsetzung von UN-Resolutionen ergangen seien, allerdings als Handlungen und Unterlassungen der UNMIK und der KFOR.26 Dieser Gedanke sei vorliegend nicht anwendbar, da die EG-Verordnung nicht unmittelbar den UN zuzurechnen sei.27 Zugleich betont der EuGH, dass der EGMR in dieser Entscheidung ausdrücklich seine Rechtsprechung in der Rechtssache Bosphorus aufrechterhalten habe, in der er sich für zuständig erklärt hatte für die Überprüfung einer staatlichen Beschlagnahme, die auf einer UN-Resolution beruhte.28 Der EuGH unterstreicht dann nochmals, dass die EG eine autonome Rechtsordnung und die angefochtene
23
Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rz. 305309. 24
Behrami und Behrami gegen F, Saramati gegen F, D und N, EGMR, Große Kammer, Entscheidung über die Zulässigkeit vom 2. Mai 2007, Nr. 71412/01, 78166/01, EuGRZ 2007, S. 522; s. hierzu Frowein, UN-Verwaltung gegenüber dem Individuum – legibus absolutus?, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 333, insbesondere 337 ff., 342 ff.; Knoll, Rights Without Remedies: The European Court’s Failure to Close the Human Rights Gap in Kosovo, ZaöRV 68 (2008) 2, S. 431 ff. 25
Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rz. 310317, vor allem 314. 26 27 28
Vgl. ibid., Rz. 312. Ibid., Rz. 314.
Ibid., Rz. 313. Dies hatte schon der Generalanwalt zu Recht so gesehen, vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro, Kadi gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaften, C402/05 P, 16. Januar 2008, Slg. 2008, I-6351, Rz. 37, Fn 42.
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Verordnung Teil dieser Rechtsordnung sei, für die die gerichtliche Prüfungszuständigkeit beim EuGH liege.29 Auch das auf UN-Ebene vorhandene Delisting-Verfahren30 schließe die Prüfung durch den EuGH nicht aus, da dieses Verfahren den Anforderungen an einen gerichtlichen Rechtsschutz nicht gerecht werde.31 Der Prüfung durch den EuGH stehe des Weiteren nicht die Rücksichtnahme auf das Völkerrecht entgegen. Zwar seien die EG-Befugnisse unter Beachtung des Völkerrechts auszuüben.32 Denn der UN-Sicherheitsrat habe gemäß Art. 24 UNCh die Hauptverantwortung für den Weltfrieden, woraus folge, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber bei der Ausarbeitung UN-basierter EG-Rechtsakte Wortlaut und Ziel der betreffenden Resolution sowie die maßgeblichen Verpflichtungen, die sich aus der UN-Charta in Bezug auf eine solche Umsetzung ergäben, gebührend zu berücksichtigen habe.33 Allerdings sehe die UN-Charta kein bestimmtes Modell für die Umsetzung von Sicherheitsratsresolutionen vor, sondern überlasse grundsätzlich den Mitgliedstaaten die Wahl zwischen verschiedenen Modellen für die Übernahme solcher Resolutionen in die nationale Rechtsordnung.34 Demnach spreche nichts dafür, dass eine gerichtliche Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit einer EG-Verordnung deshalb ausgeschlossen wäre, weil mit ihr eine UNResolution umgesetzt werden soll.35 29
Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rz. 317. 30
S. hierzu oben, B.II.4.
31
Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rz. 321325. 32 33 34 35
Ibid., Rz. 290-299. Ibid., Rz. 294 und 296. Ibid., Rz. 298.
Ibid., Rz. 299. Der Generalanwalt hatte in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der EuGH im Fall Bosphorus (Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret AS gegen Minister for Transport, Energy and Communications und andere, C-84/95, Urteil vom 30. Juli 1996, Slg. 1996, I-3953), in dem es auch um eine UN-Resolution ging, mit keinem Wort angedeutet habe, dass er deswegen keine Nachprüfungsbefugnis besitze (Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro, Kadi gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaften, C-402/05 P, 16. Januar 2008, Slg. 2008, I6351, Rz. 26).
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Der EuGH kommt so zu dem Ergebnis, dass die Gemeinschaftsgerichte bezüglich der materiellen Rechtmäßigkeit von UN-basierten EGRechtsakten eine umfassende Kontrolle ausüben.36 Der EuGH hob die angefochtenen Urteile des EuG deshalb insoweit auf.37
bb) Zu den Grundrechtsverletzungen Während das EuG auf die Rüge der Grundrechtsverletzungen hin die angegriffene EG-Verordnung am Maßstab der ius cogens geprüft und entsprechende Grundrechtsverletzungen verneint hatte,38 geht der EuGH auf die von den Rechtsmittelführern geltend gemachte Verletzung ihrer Verteidigungsrechte und ihres Eigentumsrechts unter Anwendung der EG-Grundrechte als Prüfungsmaßstab ein. Er unterteilt dabei zunächst die Verteidigungsrechte in einen Anspruch auf rechtliches Gehör und ein Recht auf effektive gerichtliche Kontrolle.39 Beide Rechte seien vorliegend verletzt.40 Im Interesse einer effektiven gerichtlichen Kontrolle müssten die Gemeinschaftsbehörden dem Adressaten der Sanktionen die Gründe für die Sanktionierung mitteilen, um ihm zu ermöglichen, dass er seine Rechte verteidigt, und um den Gemeinschaftsrichter in die Lage zu versetzen, die gerichtliche Kontrolle auszuüben.41 Allerdings sei wegen der Wirksamkeit der Sanktionen und wegen des Überraschungseffekts die Mitteilung der Gründe sowie die Anhörung vor der Listung in der EG-Verordnung nicht nötig.42 Der Kampf gegen den Terrorismus könne Sanktionsmaßnahmen nicht automatisch jeder gerichtlichen Kontrolle entziehen, jedoch müsse der Gemeinschaftsrichter bei einer derartigen Kontrolle Techniken anwenden, die es ermöglichten, die legitimen Sicherheitsinteressen bezüglich
36
Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rz. 326. 37
Ibid., Rz. 328.
38
Yusuf und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaft, EuG, Urteil vom 21. September 2005, T306/01, Slg. 2005, II-3533, Rz. 284-346. 39
Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rz. 333. 40 41 42
Ibid., Rz. 334. Ibid., Rz. 336 f. Ibid, Rz. 338, 341.
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Art und Quellen der Informationen, die beim Erlass des betreffenden Rechtsaktes berücksichtigt worden seien, auf der einen und das Erfordernis, dem Einzelnen hinreichende Verfahrensgarantien zu gewähren, auf der anderen Seite zum Ausgleich zu bringen.43 In Anwendung dieser Maßstäbe kommt der EuGH zu dem Schluss, dass im vorliegenden Fall weder in der EG-Verordnung, noch im Gemeinsamen Standpunkt, auf den die Verordnung verweise, ein Verfahren geregelt sei, das eine Mitteilung der Umstände für die Listung oder eine Anhörung vorsehe.44 Auch der Rat habe den Rechtsmittelführern zu keinem Zeitpunkt diese Umstände mitgeteilt und sie auch nicht angehört.45 Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs sei damit zu bejahen.46 Da die Umstände, die den Rechtsmittelführern zur Last gelegt werden, nicht mitgeteilt worden seien, sieht sich der EuGH auch nicht in der Lage, die Rechtmäßigkeit der EG-Verordnung zu überprüfen, weshalb er auch eine Verletzung des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz bejaht.47 Zur Frage der Verletzung des Eigentums der Rechtsmittelführer hatte das EuG vertreten, dass der Kampf gegen den Terrorismus ein legitimes Ziel sei, in dessen Interesse in das Eigentum eingegriffen werden dürfe.48 Der Eingriff sei auch verhältnismäßig, da die Substanz des Eigentums nicht betroffen sei und mit dem Delisting-Verfahren außerdem ein Überprüfungsmechanismus bestehe.49 Der EuGH stellt zunächst bei der Konkretisierung des Prüfungsmaßstabs fest, dass für die Bejahung einer Verletzung des als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannten Eigentumsrechts durch der Kontensperrung, die die Listung mit sich bringe, ein unverhältnismäßiger Eingriff
43 44 45 46 47
Ibid., Rz. 343 f. Ibid., Rz. 345. Ibid., Rz. 348. Ibid. Ibid., Rz. 349, 351.
48
Yusuf und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaft, EuG, Urteil vom 21. September 2005, T306/01, Slg. 2005, II-3533, Rz. 298 ff. 49
Ibid., Rz. 299, 301.
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stattfinden müsse, der den Wesensgehalt des Grundrechts antaste.50 Subsumierend fährt er dann fort, dass ein erheblicher Eingriff im vorliegenden Fall zwar gegeben, aber grundsätzlich gerechtfertigt sei, weil das Ziel der Terrorismusbekämpfung durch Einfrieren von Geldern nicht unangemessen sei und außerdem nach UN-Resolution 1452 (2002) Ausnahmen für Grundausgaben, etwa für Lebensmittel, vorgesehen seien.51 Der Eigentumsschutz umfasse jedoch auch ein Anhörungsrecht.52 Ein solches werde vorliegend im Rahmen des EG-Verordnungserlasses jedoch nicht gewährt.53 Daher wird auch eine Verletzung des Eigentumsrechts bejaht.54 Nach alledem war die Verordnung, soweit sie die Rechtsmittelführer betraf, für nichtig zu erklären.55 Um jedoch die Beeinträchtigung der Wirksamkeit der UN-Sanktionen zu vermeiden, entschied sich der EuGH, die Wirkungen der EG-Verordnung zunächst noch aufrechtzuerhalten.56 Denn die Sanktionierung der Rechtsmittelführer könne sich immer noch als gerechtfertigt erweisen und dann wären mögliche Vermögensgegenstände vielleicht schon beiseite geschafft.57 Deshalb wurden gemäß Art. 231 Unterabs. 2 EG die Wirkungen der Verordnung während eines Zeitraumes von maximal drei Monaten ab der Verkündung des Urteils aufrechterhalten, in dem der Rat die festgestellten Verstöße heilen sollte,58 wobei der erhebliche Eingriff durch die Sanktionen in die Rechte der Rechtsmittelführer berücksichtigt werden musste.59
50
Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rz. 355, 357. 51 52 53 54 55 56 57
Ibid., Rz. 363 f., 366. Ibid., Rz. 368. Ibid., Rz. 369. Ibid., Rz. 371. Ibid., Rz. 372. Ibid., Rz. 373, 375 f. Ibid., Rz. 373 f.
58
Die Kommission hat in der Folge die Rechtsmittelführer angehört, s. Verordnung (EG) 1190/2008 der Kommission vom 28. November 2008, 3. Erwägungsgrund. 59 Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rz. 375 f.
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Teil IV: Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz
d) Bewertung Das Urteil des EuGH im Fall Kadi60 ist zu Recht begrüßt worden.61 Der EuGH erklärte hier zum ersten Mal und als erstes regionales Gericht einen EG-Rechtsakt für nichtig, der eine UN-Resolution umsetzt, und gewährte so den betroffenen Gelisteten Rechtsschutz. Er erhöhte damit auch den Druck auf den Sicherheitsrat, auf UN-Ebene Rechtsschutz gegen die Listungen einzurichten.62 Allerdings bedarf die korrekte Einordnung des Urteils bei Interesse an einem funktionierenden 1267-Sanktionsregime einer differenzierten Betrachtung. Zunächst ist festzuhalten, dass hier Listungen in einer EG-Verordnung, die das 1267-Regime umsetzt, angegriffen worden sind und diese EG-
60
Eine ausführliche Besprechung der Entscheidung findet sich bei Tridimas /Gutierrez-Fons, EU Law, International Law and Economic Sanctions against Terrorism: The Judiciary in Distress?, FILJ 32 (2008/2009) 2, S. 660 ff. und bei Vitzthum, Les compétences législatives et juridictionnelles de la Communauté européenne dans la lutte contre le terrorisme – l’affaire „Kadi“, ZEuS 11 (2008) 3, S. 375 ff.; Kunoy/Dawes, Plate Tectonics in Luxembourg: The Ménage à Trois Between EC Law, International Law and the European Convention on Human Rights Following the UN Sanctions Cases, CMLRev. 46 (2009) 1, S. 73 ff., beziehen auch die EMRK in die Betrachtung mit ein. 61
Sauer, Rechtsschutz gegen völkerrechtsdeterminiertes Gemeinschaftsrecht? – Die Terroristenlisten vor dem EuGH, NJW 61 (2008) 51, S. 3685, 3687 f. lobt das Urteil des EuGH als überzeugende Entscheidung zur gemeinschaftsrechtlichen Umsetzung von Sicherheitsratsresolutionen und als Beweis einer ernstzunehmenden Rechtskontrolle in der EU; s. auch Ohler, Gemeinschaftrechtlicher Rechtsschutz gegen personengerichtete Sanktionen des UNSicherheitsrats, EuZW 19 (2008) 20, S. 630, 633, der die Entscheidung als „richtig und überfällig“ bezeichnet; Tzanou, Case-note on Joined Cases C-402/05 P & C-415/05 P Yassin Abdullah Kadi & Al Barakaat International Foundation v. Council of the European Union & Commission of the European Communities, GLJ 10 (2009) 2, S. 123, 154: “[T]he Court succeeded to establish a fair balance between the security interests and the protection of human rights’’; Scholz, Die „Antiterrorliste“ des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, NVwZ 28 (2009) 5, S. 287, 289; Griller, International Law, Human Rights and the European Community’s Autonomous Legal Order: Notes on the European Court of Justice Decision in Kadi, EuConst 4 (2008) 3, S. 528, 553. Kotzur, Kooperativer Grundrechtsschutz in der Völkerrechtsgemeinschaft, EuGRZ 35 (2008) 22/23, S. 673, 679, sieht das Urteil als entscheidenden Beitrag zur Entwicklung einer „international rule of law“. 62
Chesterman, “I’ll take Manhattan”: The International Rule of Law and the United Nations Security Council, HJRL 1 (2009) 1, S. 67, 71.
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Verordnung, soweit sie angegriffen war, in diesem Urteil vom EuGH für nichtig erklärt worden ist. Dies bestätigt die im Kapitel zu UNTreue vertretene Ansicht, dass das 1267-Sanktionsregime in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung bei den UN-Mitgliedstaaten nicht hinreichend akzeptiert ist, weil es deren rechtsstaatliche und menschenrechtliche Bedenken nicht ausreichend berücksichtigt. Außerdem lassen sich aus der Entscheidung auch die konkreten Rechtsstaats- und Menschenrechtsaspekte entnehmen, die im Rahmen der UN-Treuepflicht Inhalt der Rücksichtspflicht sind: Die Gewährung von Rechtsschutz, eine Begründungspflicht für die Sanktionierung, aufgrund derer eine gerichtliche Überprüfung erst möglich wird, sowie ein Recht auf Anhörung. Alle diese Aspekte sind auch Inhalt des oben vorgestellten Maßstabs dessen, was die UN zu berücksichtigen haben.63 Der interessanteste Teil der Entscheidung sind die Äußerungen der EuGH zum Verhältnis von EG-Rechtsordnung und Völkerrechtsordnung bei der Beantwortung der Frage, ob der EuGH EG-Verordnungen, die Sicherheitsratsresolutionen umsetzen, am EG-Maßstab prüfen darf. Der EuGH bejaht hier ein Prüfungsrecht in vollem Umfang mit dem Argument, dass die Verordnung ein EG-Rechtsakt sei und der Gerichtshof für die Prüfung von EG-Rechtsakten am EGMaßstab zuständig sei.64 Damit hat er zugleich die europäische Verfassungordnung betont65 und bei der Gelegenheit die Menschenrechte in
63
S. oben, E.III.2.; Council of Europe, Parliamentary Assembly, Resolution 1597 (2008), angenommen am 23. Januar 2008, Ziff. 5.1.1 (Begründung), 5.1.2. (Anhörung) und 5.1.3. (Rechtsschutz, wobei der dort geforderte „independent, impartial body“ nicht zwangsläufig mit einem Gericht identisch sein muss). 64
Zu Recht weist Ziegler, Strengthening the Rule of Law, but Fragmenting International Law: The Kadi Decision of the ECJ from the Perspecitve of Human Rights, HRLR 9 (2009) 2, S. 288, 305, auf die mögliche Gefahr der Isolierung der EG-Ebene von der völkerrechtlichen Ebene durch solche Entscheidungen hin. Kämmerer, Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall „Kadi“: Ein Triumph der Rechtsstaatlichkeit?, EuR 44 (2009) 1, S. 114, 127, spricht noch deutlicher von einem „fast autistisch auf die Gemeinschaftsakteure und die „Verfassungsordnung“ der EG verengte[n] Fokus“. 65 Ziegler, Strengthening the Rule of Law, but Fragmenting International Law: The Kadi Decision of the ECJ from the Perspecitve of Human Rights, HRLR 9 (2009) 2, S. 288, 303.
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einer Abschichtung des Primärrechts als vorrangiges Primärrecht geadelt.66 Während man den Generalanwalt in Anlehnung an den „Solange“-Gedanken des Bundesverfassungsgerichts zur Prüfungskompetenz in dessen Verhältnis zum EuGH67 noch hatte so verstehen können, dass das (zukünftige) Vorhandensein eines entsprechenden Rechtsschutzes auf UN-Ebene die Prüfung durch EU-Gerichte entbehrlich machen könnte,68 verzichtet der EuGH in seinem Urteil auf einen klaren derartigen Hinweis. Dennoch kann man die Andeutung des „Solange“-Gedankens in den Aussagen des EuGH erkennen,69 dass er eine (nur) „grundsätzlich“ umfassende Kontrolle vornehme und dass die Nichtjustiziabilität der Listung in Anbetracht der Tatsache, dass das Delisting-Verfahren offenkundig nicht die Garantien eines gerichtlichen Rechtsschutzes biete, nicht gerechtfertigt sei.70 Der Gerichtshof ruft die EU auch zur Be66
Vgl. Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rz. 301 und 304. 67
BVerfGE 37, 271 (285); 73, 339 (387); 102, 147 (161 ff.).
68
Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro, Kadi gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaften, C402/05 P, 16. Januar 2008, Slg. 2008, I-6351, Rz. 54: „Hätte es auf Ebene der Vereinten Nationen einen genuinen und effektiven Mechanismus gerichtlicher Kontrolle durch eine unabhängige Instanz gegeben, hätte dies die Gemeinschaft vielleicht von ihrer Pflicht entbinden können, eine gerichtliche Kontrolle der in der Gemeinschaftsrechtsordnung geltenden Umsetzungsmaßnahmen zu ermöglichen“. 69
Ebenso Dubin, Chronique de droit administratif global de 2007-2008, Revue de droit administratif (2008) 11, S. 6, 11. 70
Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rz. 322, 326. Der zweiten Aussage zustimmend Sauer, Rechtsschutz gegen völkerrechtsdeterminiertes Gemeinschaftsrecht? – Die Terroristenlisten vor dem EuGH, NJW 61 (2008) 51, S. 3685, 3686, der dies einen impliziten „Solange-Vorbehalt“ des EuGH nennt; ebenso, wenn auch etwas vorsichtiger Ziegler, Strengthening the Rule of Law, but Fragmenting International Law: The Kadi Decision of the ECJ from the Perspecitve of Human Rights, HRLR 9 (2009) 2, S. 288, 300. Zum Für und Wider des Solange-Gedankens Vitzthum, Les compétences législatives et juridictionnelles de la Communauté européenne dans la lutte contre le terrorisme – l’affaire „Kadi“, ZEuS 11 (2008) 3, S. 375, 427; außerdem zum SolangeGendanken Griller, International Law, Human Rights and the European Community’s Autonomous Legal Order: Notes on the European Court of Jus-
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rücksichtigung von Wortlaut und Zielen der UN-Resolutionen auf und verschiebt am Ende des Urteils die Wirkung der Nichtigerklärung im Interesse der Wirksamkeit der UN-Sanktionen um drei Monate, was ein gewisses Entgegenkommen gegenüber der UN-Ebene zeigt. Dies ist auch zu begrüßen, denn ein stures Beharren auf einem vollen Prüfungsrecht am EU-Maßstab71 würde eine Isolierung der EU-Ebene gegenüber der UN-Ebene im Mehrebenensystem des Sanktionsregimes bedeuten.72 tice Decision in Kadi, EuConst 4 (2008) 3, S. 528, 549; Recker, European Court of Justice Secures Fundamental Rights from UN Security Council Resolutions, GoJIL 1 (2009) 1, S. 159, 176; auch Flavier, Les rapports entre le droit communautaire et le droit des Nations-unies, commentaire de l’arrêt CJCE, Yassin Abdullah Kadi, 3 septembre 2008, aff. C- 402/05, Revue de droit administratif (2008) 11, S. 40, 43 f., sieht die Möglichkeit einer Aufgabe der Rechtsprechung des EuGH angedeutet für den Fall, dass das Sanktionskomitee ein Gerichtssystem oder quasi-gerichtliches System einrichtet. Deutlich kritischer zur Übertragung des Solange-Gedankens dagegen Kämmerer, Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall „Kadi“: Ein Triumph der Rechtsstaatlichkeit?, EuR 44 (2009) 1, S. 114, 123. 71
Alber, Kurzbesprechung der Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro vom 16.1.2008 in der Rechtssache C-402/05 P (Kadi/Rat und Kommission) und vom 23.1.2008 in der Rechtssache C-415/05 P (Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission) – Sanktionsbeschlüsse der Vereinten Nationen im Spannungfeld mit Grundrechten, EuZW 19 (2008) 6, S. 164, 166, zieht sogar in Erwägung, der einheitlichen Geltung der UN-Maßnahmen dadurch Rechnung zu tragen, dass „man“, also in diesem Zusammenhang wohl der Generalanwalt, statt der Gemeinschaftsgrundrechte die internationalen Menschenrechte als Prüfungsmaßstab anlegt. 72 Auch Orakhelashvili, The Acts of the Security Council: Meaning and Standards of Review, Max Planck UNYB 11 (2007), S. 143, 180, lehnt ausgehend von dem Gedanken, dass UN und EU nur aufgrund von übertragenen Kompetenzen handelten und die Staaten den UN vorrangige Kompetenzen übertragen hätten, eine derartige Isolierung ab: “Thus, the reason why the European institutions should refuse to comply with Security Council resolutions could never be provided from within the legal framework of the European Union. Such reason could only be found in the limits governing the use of the powers delegated to the Security Council. Unless the relevant action falls outside the powers of the Security Council, the European institutions have to follow it, in order to avoid putting the Member States in breach of their higherranking obligations. Any other perspective would be based on viewing the powers of the European institutions as operating in isolation from the rest of international law and deriving from a“Grundnorm” that does not exist”. Diese Aussage enthält Aspekte der Normenhierarchie und der Rücksichtnahme der
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Die klassische Argumentation, wonach Akte der UN Völkerrechtsakte sind, die – und daran ändert auch Art. 25 UNCh nichts – der nationalen Umsetzung bedürfen und deshalb dann als nationale Umsetzungshoheitsakte an nationalen verfassungsrechtlichen Maßstäben zu messen sind,73 verfängt in Zusammenhang mit dem 1267-Sanktionsregime nicht: Die Verlagerung der Listung, die eigentlich ein Akt der Implementierung und somit der nationalen Ebene zugeordnet ist, hin auf UN-Ebene bewirkt nämlich Folgendes: Die namentliche Listung auf UN-Ebene lässt der EU keinen Entscheidungsspielraum bei ihrer eigenen Listung in der EU-Verordnung,74 der Rat trifft also keine eigene Entscheidung mehr bezüglich der Bestimmung der Sanktionsunterworfenen. Wenn der EuGH somit nur eine in EU-Gestalt gegossene UN-Entscheidung überprüfen kann, so handelt es sich um eine reine inzidente Überprüfung der Sicherheitsratsresolution bzw. der Handlungen des Sanktionskomitees. Gegen eine derartige Inzidentprüfung sprechen aber vor allem Bedenken hinsichtlich der Prüfungszuständigkeit. Wenn seit einiger Zeit grundsätzlich akzeptiert ist, dass die UN ihrem Auftrag der Erhaltung des Weltfriedens durch Verhängung von Individualsanktionen nachkommen, spricht diese Zuständigkeit eher gegen eine Überprüfung durch eine andere Ebene. Dass der EuGH gegen ein derartiges UN-Sanktionsregime grundsätzlich nichts einzuwenden hat, wird aus der Tatsache deutlich, dass er die Wirkung der Nichtigerklärung um drei Monate aufschiebt und so auch noch Gelegenheit gibt, die mangelnde Anhörung und Begründung nachzuholen. Dass der gewünschte Rechtsschutz bezüglich solcher Akte auf UN-Ebene nicht besteht, kann dann aber nur bewirken, dass der EuGH ein Prüfungsrecht am EU-Maßstab so lange wahrnimmt, bis die
EU auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen ihrer Mitgliedstaaten, um so unter Vermeidung der Isolierung einer Ebene das Funktionieren des gesamten Mehrebenensystems zu gewährleisten. Soweit Orakhelashvili allerdings das den Sicherheitsrat bindende ius cogens zu diesem Zweck auf alle Menschenrechte ausweiten will, überdehnt er dessen Anwendungsbereich, vgl. oben, D.II.5. 73
Dafür, dass nationale und regionale Gerichte ihre Verfassungsmaßstäbe in diesem Zusammenhang anwenden, plädiert etwa Feldman, The Role of Constitutional Principles in Protecting International Peace and Security Through International, Supranational and National Legal Institutions, NZJPIL 6 (2008) 1, S. 1, 34. 74 Deja/Frau, Smart Sanctions des VN-Sicherheitsrats und Spielräume bei deren Umsetzung innerhalb der EG, JURA 30 (2008) 8, S. 609, 612, 615, sprechen insoweit etwas pauschal von „gebundenen Resolutionen“ der UN.
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UN-Ebene einen solchen Rechtsschutz vorhält. So ließe sich das Interesse der EU-Ebene am Menschenrechtsschutz und das Interesse der UN an der Implementierung des Sanktionsregimes in sinnvoller Weise verwirklichen. Das Urteil des EuGH sollte für die UN ein weiterer Ansporn sein, ihre Verfahren im rechtsstaatlichen Sinne weiter zu verbessern.75 Mit der ausdrücklichen Einführung einer derartigen „Solange“-Formel wird hier für ein „Prüfungsrecht auf Zeit“ plädiert. Dass dies nur ein zeitlich begrenztes Prüfungsrecht sein sollte, zeigt die mögliche Urteilswirkung: kein regionales oder nationales Gericht wird durch seine Entscheidung bewirken können, dass die gelistete Person von der UNListe gestrichen wird. Dies ist jedoch das eigentliche Ziel des jeweiligen Klägers. Nationale und regionale Gerichte können nur für ihr Gebiet entscheiden – da die Listung auf UN-Ebene weiter bestehen bleibt, ist der Gelistete in allen anderen UN-Mitgliedstaaten weiterhin den Sanktionen unterworfen,76 das Sanktionsregime bleibt völkerrechtlich für alle UN-Mitgliedstaaten verbindlich.77 Das führt zur Fragmentierung78 und zur uneinheitlichen Anwendung des Sanktionsregimes, die zumindest dann unerwünscht sein muss, wenn man den Sicherheitsrat – wie oben bestätigt – als kompetent ansieht, solche Individualsanktionsregime einzurichten. Dem Ersatz fehlender rechtsstaatlicher Verfahren auf UN-Ebene durch entsprechende Verfahren auf EU-Ebene stehen aber vor allem auch praktische Erwägungen entgegen. Der Rat kann nur dann eine konkrete, individualisierte Begründung für die Listung des Betroffenen abgeben, wenn ihm zumindest so viele Informationen zur Verfügung stehen, 75
Diese Erwartung deuten auch Payandeh/Sauer, European Union: UN sanctions and EU fundamental rights, IJCL 7 (2009) 2, S. 306, 314, an mit Verweis auf die Rolle der nationalen Verfassungsgerichte bei der Entstehung des Grundrechtsschutzes in der EU. 76 Dennoch bleibt richtig und zu berücksichtigen, dass nationale und regionale Gerichte Motor völkerrechtlicher Integration sein und vom Verfassungsstaat her die unverzichtbaren Ordnungsstrukturen der Völkergemeinschaft ausprägen helfen können, s. Kotzur, Entscheiden(d) für die Welt – zur Rationalität und Legitimität der Entscheidungen des UN-Sicherheitsrates, in: Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart, Band 55 (2007), S. 23, 39. 77
Vgl. Kämmerer, Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall „Kadi“: Ein Triumph der Rechtsstaatlichkeit?, EuR 44 (2009) 1, S. 114, 128. 78
Ebenso Reich, Due Process and Sanctions Targeted Against Individuals Pursuant Resolution 1267 (1999), YJIL 33 (2008) 2, S. 505, 508.
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dass sich für ihn und den Betroffenen hinreichend nachvollziehen lässt, dass die für die Listung aufgestellten Voraussetzungen der Resolution 1617 (2005) erfüllt sind. Für den Erhalt dieser Informationen ist er aber nach dem jetzigen Stand des 1267-Regimes auf das Wohlwollen des Staates angewiesen, der die Listung vorschlägt. Selbst die EU-Staaten, die als ständige Mitglieder im Sicherheitsrat und damit auch im Sanktionskomitee vertreten sind, können insoweit durch Verweigerung einer Listung die betreffenden Staaten nur bedingt zur Herausgabe weiterer Informationen drängen. Denn die Regeln zum Sanktionsregime – und insofern auch die neueste Resolution79 – gewähren dem Vorschlagsstaat Freiräume hinsichtlich des Informationsflusses. Bezüglich der Voraussetzungen für eine Listung trifft den Vorschlagsstaat zwar die Pflicht, so detaillierte Informationen wie möglich vorzulegen.80 Auch wenn er aber, um die Mitglieder des Sanktionskomitees von der Notwendigkeit einer Listung zu überzeugen, recht viele Informationen vorlegt, hat der Vorschlagsstaat immer noch die Möglichkeit, die Veröffentlichung der Informationen gegenüber dem Gelisteten wie gegenüber anderen UNStaaten zu beschränken.81 Selbst wenn also die EU-Mitglieder, die auch Mitglieder des Sanktionskomitees sind, dort ausreichend Informationen bekommen haben, würden diese Sperrmöglichkeiten des Vorschlagsstaates gegen eine Verwertbarkeit im Rahmen einer Begründung und Anhörung der EU sprechen. Eine Bestätigung der angesprochenen Probleme mag man in der Verordnung (EG) Nr. 1190/2008 vom 28. November 2008 sehen, die zum Zweck der vom EuGH aufgegebenen Heilung der festgestellten Fehler der angegriffenen Listung durch Begründung und Anhörung der zu Listenden vor Listung auf EU-Ebene ergangen, aber – vielleicht mangels hinreichender Informationen – sehr knapp ausgefallen ist: Die Kommission hatte vom Sanktionskomitee die Zusammenfassung der Gründe für die Listung auf UN-Ebene übermittelt bekommen, diese Gründe an die beiden Beschwerdeführer weitergeleitet und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Darlegung ihres Standpunktes gegeben.82 Nach Erhalt und Prüfung der Stellungnahme – und damit Erfüllung des Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs – war sie „nach sorgfältiger Erwägung“ und „angesichts des präventiven Charakters der Finanzsanktionen“ der Auffassung, dass 79 80 81 82
Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 11, 13. Ibid., Ziff. 13. Ibid., Ziff. 11.
Verordnung (EG) Nr. 1190/2008 der Kommission vom 28. November 2008, 3. Erwägungsgrund.
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es aufgrund der Verbindungen von Herrn Kadi und Al Barakaat zum Al-Qaida-Netzwerk gerechtfertigt sei, beide in der Liste zu führen.83 Diese Begründung für die Listung genügt den vom EuGH angeführten Funktionen der Begründung84 nicht: Mangels Darlegung der rechtlichen Erwägungen für die Entscheidung werden weder die Gelisteten durch diese Begründung in die Lage versetzt zu entscheiden, ob sich ein Angriff der Listungs-Verordnung vor dem Gemeinschaftsrichter lohnt, noch kann der Gemeinschaftsrichter auf Grundlage dieser Begründung die ihm obliegende Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieses Rechtsakts durchführen.85 All dies deutet darauf hin, dass die Lösung für den Menschenrechtsschutz im Mehrebenensystem auf lange Sicht bei den UN, also auf der Ebene eingerichtet werden muss, die den Eingriff in Form der Listung zu verantworten hat. Der EuGH hat seine Rechtsprechung im Fall Kadi in den Fällen Hassan und Ayadi bestätigt.86 Dem in diesen Fällen vom EuG vertretenen Weg einer europarechtlichen, supranationalen Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten, dem Gelisteten diplomatischen Schutz auf UN-Ebene zu gewähren,87 ist der EuGH dabei nicht gefolgt.88 Schon zuvor hatte das EuG die vom EuGH im Fall Kadi gefundenen Maßstäbe angewandt.89 83
Verordnung (EG) Nr. 1190/2008 der Kommission vom 28. November 2008, 4., 6. und 7. Erwägungsgrund. 84
Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rz. 337. 85
Die Verordnung (EG) Nr. 1190/2008 der Kommission vom 28. November 2008 wurde bereits wieder vor dem EuG angegriffen, T-85/09, eingereicht am 26. Februar 2009. 86
Faraj Hassan gegen Rat der Europäischen Union und Europäische Kommission und Chafiq Ayadi gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. Dezember 2009, C-399/06 P und C-403/06 P, Rz. 71 ff, insbesondere 74. 87
Chafiq Ayadi gegen Rat der Europäischen Union, EuG, Urteil vom 12. Juli 2006, T-253/02, Slg. 2006, II-2139, Rz. 144 ff.; Faraj Hassan gegen Rat der EU und EG-Kommission, EuG, Urteil vom 12. Juli 2006, T-49/04, Slg. 2006, II52, Rz. 114 ff.; Vgl. zu dieser Präzisierung der EG-Pflichten der EG-Mitgliedstaaten schon Stangos/Gryllos, Le Droit Communautaire à l´épreuve des réalités du droit international: Lecons tirées de la jurisprudence communautaire récente relevant de la lutte contre le terrorisme international, Cahiens de droit européen 42 (2006) 3/4, S. 429, 470 ff. 88
Die vom EuG vorgeschlagene Lösung wurde dagegen von Tomuschat, Die Europäische Union und ihre völkerrechtliche Bindung, EuGRZ 34 (2007)
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2. Schweizerisches Bundesgericht: Der Fall Nada gegen Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) als Fall des Angriffs einer nationalen Listung Die Besonderheit des Falles Nada gegen Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), der vom Schweizerischen Bundesgericht entschieden wurde, besteht darin, dass die Anwendung des Sanktionsregimes in der Schweiz nicht auf einer EU-Verordnung beruht, sondern auf einer Schweizer Verordnung, die das Sanktionsregime umsetzt. Es handelt sich deshalb bei der Listung des Beschwerdeführers um eine nationale Listung. Gegenstand des Verfahrens ist eine Entscheidung einer Schweizer Behörde, in der die Streichung des Beschwerdeführers aus der Schweizer Talibanverordnung abgelehnt wurde. Das Bundesgericht rekurriert in den Entscheidungsgründen auf Argumente des EuG im Yusuf- und Kadi-Fall, ohne daran gebunden gewesen zu sein.
a) Sachverhalt Im November 2001 wurde Herr Nada vom 1267-Sanktionsregime in die Liste Terrorverdächtiger aufgenommen.90 Daraufhin wurde im gleichen Monat der entsprechende Anhang der vom Schweizer Bundesrat erlassenen Verordnung, mit der das Sanktionsregime auf nationaler
1/5, S. 1, 12, schon als weitgehende Schließung der Rechtsschutzlücke angesehen, die sich aus dem Fehlen eines Rechtsmittels unmittelbar gegen die Listungsentscheidung ergebe. 89 Othman gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaften, EuG, Urteil vom 11. Juni 2009, T-318/01, (noch nicht in der Sammlung der Rechtsprechung veröffentlicht), EuZW 20 (2009) 18, S. 662 ff., Rz. 82 ff. 90
Nada gegen Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 14. November 2007, Az. 1A.45/2007, EuGRZ 2008, S. 66, 67. Die Monitoring Group des Sanktionskomitees äußerte bereits in einem Bericht von 2003 Bedenken bezüglich der Umgehung der Finanzsanktionen des 1267-Regimes und berichtete in diesem Zusammenhang ausführlich von Youssef Nada und seinen Finanztransaktionen, Second report of the Monitoring Group established pursuant to resolution 1363 (2001) and extended by resolutions 1390 (2002) and 1455 (2003), on sanctions against Al-Qaida, the Taliban and individuals and entities associated with them, S/2003/1070, vom 2. Dezember 2003, Ziff. 70-81.
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Ebene in der Schweiz umgesetzt wird, um seinen Namen ergänzt.91 Im September 2005 stellte Nada das Gesuch, ihn aus dem Anhang zu streichen, da ein im Oktober 2001 gegen ihn eingeleitetes gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren im Mai 2005 eingestellt worden sei und es deshalb keinen Grund mehr gebe, ihn weiterhin Sanktionen zu unterwerfen.92 Das Staatssekretariat für Wirtschaft lehnte das Gesuch mit der Begründung ab, die Schweiz dürfe keine Namen aus dem Anhang der erlassenen Verordnung streichen, solange diese Namen auf der vom UN-Sanktionskomitee herausgegebenen Liste erschienen.93 Die gegen diese Verfügung im Februar 2006 beim Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement (EVD) erhobene Verwaltungsbeschwerde wurde im Juni 2006 ebenfalls mit dem Hinweis auf die Abhängigkeit der nationalen Liste vom Inhalt der Liste des Sanktionskomitees abgewiesen.94 Bezüglich eines Delisting-Verfahrens wurde die Zuständigkeit der Schweiz zu dessen Einleitung abgelehnt, da die Schweiz weder Heimatnoch Wohnsitzstaat des Beschwerdeführers sei.95 Gegen die Entscheidung des EVD legte Nada im Juli 2006 Beschwerde beim Bundesrat ein und beantragte, das Staatssekretariat für Wirtschaft anzuweisen, seinen sowie einige andere Namen von der Liste in der Verordnung zu streichen.96 Im April 2007 leitete der Bundesrat die Sache aus Zuständigkeitsgründen an das Bundesgericht weiter.97 Das EVD beantragte, die Beschwerde abzuweisen, und verwies auf die in der Zwischenzeit eingeführte Möglichkeit eines Gelisteten, das Delisting-Verfahren auf UNEbene selbst einzuleiten.98 Der Beschwerdeführer erwiderte, dass er den Antrag zum Focal Point im April 2007 gestellt, aber seither keine weiteren Informationen erhalten habe.99 Er machte auch geltend, aufgrund der restriktiven Ausnahmebewilligungspraxis des Bundesamtes für Migration dürfe er seinen Wohnort in Campione nicht verlassen, ob91
Nada gegen Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 14. November 2007, Az. 1A.45/2007, EuGRZ 2008, S. 66, 67. 92 93 94 95 96 97 98 99
Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid.
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wohl ihm dort keine angemessene medizinische Versorgung gewährt werden könne, und er dürfe auch nicht für administrative und gerichtliche Zwecke nach Italien reisen.100 Damit stehe er faktisch seit fast sechs Jahren unter Hausarrest.101 Der Beschwerdeführer war der Auffassung, dass der einschlägige Artikel der Verordnung in diesem Punkt über die UN-Sanktionen hinausgehe und daher aufzuheben sei.102
b) Entscheidungsgründe Nachdem das Bundesgericht seine Zuständigkeit bejaht hat, prüft es auf den Antrag des Beschwerdeführers hin, ihn von der Liste im Anhang der Schweizerischen Verordnung zu streichen, zuerst, ob die Schweiz an die Sanktionsbeschlüsse des Sicherheitsrats und des Sanktionskomitees gebunden ist und wenn ja, ob dies der Streichung des Beschwerdeführers aus der nationalen Liste entgegensteht oder ob den schweizerischen Behörden ein Handlungsspielraum verbleibt.103 Das Gericht erwähnt die Verbindlichkeit der Sicherheitsratsbeschlüsse nach Art. 25 UNCh und führt aus, dass der Vorrang nach Art. 103 UNCh nicht nur der Charta selbst zukomme, sondern sich auch auf Verpflichtungen erstrecke, die sich aus einer für die Mitgliedstaaten verbindlichen Resolution des Sicherheitsrates ergäben.104 Zwar sei auch der Sicherheitsrat selbst an die UN-Charta und damit auch an die Menschenrechte gebunden, doch seien die UN-Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht befugt, sich einer Verpflichtung mit der Begründung zu entziehen, ein (formell rechtmäßiger) Beschluss des Sicherheitsrates stehe materiell nicht im Einklang mit der Charta.105 Die Bindungswirkung von Sicherheitsratsbeschlüssen werde jedoch durch das ius cogens als dem zwingenden, für alle Völkerrechtssubjekte verbindlichen Recht begrenzt.106 Das Bundesgericht stimmt in diesem Zusammenhang dem EuG zu, das dies in den
100 101 102 103 104 105 106
Ibid. Ibid. Ibid. Ibid., S. 66, 68. Ibid., S. 66, 68 f. Ibid., S. 66, 69. Ibid.
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Entscheidungen Yusuf und Kadi genauso gesehen hatte.107 Laut dem Bundesgericht gehören zum ius cogens die elementaren Menschenrechte wie das Recht auf Leben, der Schutz vor Folter und erniedrigender Behandlung, das Verbot von Sklaverei und Menschenhandel, das Verbot von Kollektivstrafen, der Grundsatz der persönlichen Verantwortung in der Strafverfolgung sowie das non-refoulement-Gebot.108 Dagegen gehörten weitere Grundrechte, selbst wenn sie für die Schweiz von überragender Bedeutung seien, nicht zum zwingenden Völkerrecht.109 Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Grundrechte der Eigentumsgarantie, der Wirtschaftsfreiheit, des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens gehörten nicht zum notstandsfesten Kern der internationalen Menschenrechtskonventionen und damit grundsätzlich auch nicht zum ius cogens.110 Das am so gefundenen Maßstab gemessene Sanktionsregime gefährde weder das Leben oder die Gesundheit der gelisteten Person, noch liege eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung vor, da die zum Lebensunterhalt notwendigen Mittel über Ausnahmevorschriften (Resolution 1452 (2002)) freigegeben würden.111 Das Reiseverbot stelle grundsätzlich keine Freiheitsentziehung dar, da sich der Betroffene in seinem Wohnsitzstaat frei bewegen könne.112 Bezüglich des Rechtsschutzes und der Verfahrensrechte stellten das Delisting-Verfahren und dessen Verbesserungen bereits einen wesentlichen Fortschritt gegenüber der früheren Situation dar.113 Auch wenn dieses System noch gewichtige Mängel aus Sicht der Grundrechte aufweise, liege kein Verstoß gegen ius cogens vor.114 Die Schweiz sei somit an die Sanktionsbeschlüsse gebunden und es habe auch kein Handlungsspiel107
Yusuf und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaft, EuG, Urteil vom 21. September 2005, T306/01, Slg. 2005, II-3533, Rz. 281; Kadi gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaft, EuG, Urteil vom 21. September 2005, T-315/01, Slg. 2005, II-3649, Rz. 230. 108
Nada gegen Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 14. November 2007, Az. 1A.45/2007, EuGRZ 2008, S. 66, 70. 109 110 111 112 113 114
Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid.
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raum der Schweiz bei der Umsetzung bestanden.115 Denn die Sanktionen seien detailliert beschrieben und die Adressaten der Sanktionen seien durch Listung auf UN-Ebene klar vorgegeben.116 Außerdem sei es den Mitgliedstaaten durch die Einrichtung des besonderen DelistingVerfahrens verwehrt, selbständig über die Weitergeltung von Sanktionen gegen eine gelistete Person oder Organisation zu entscheiden.117 Das Bundesgericht könne zwar prüfen, ob und inwieweit die Schweiz an die Sicherheitsratsresolutionen gebunden sei; es sei dagegen nicht befugt, die Sanktionen gegen den Beschwerdeführer wegen Grundrechtsverletzungen aufzuheben, da für die Streichung von der Liste ausschließlich das UN-Sanktionskomitee zuständig sei.118 Trotz der erwähnten Verbesserungen genüge das Delisting-Verfahren weder den Anforderungen an gerichtlichen Rechtsschutz gemäß der Schweizer Verfassung und internationalem Recht, noch den Bedingungen einer wirksamen Beschwerde im Sinne von Art. 13 EMRK und Art. 2 Abs. 3 IPbpR.119 Diese Situation könne nur durch die Einführung eines wirksamen Kontrollmechanismus auf UN-Ebene behoben werden.120 Allerdings stelle sich in dieser Lage die Frage, ob die Schweiz den Beschwerdeführer bei der Durchführung des Delisting-Verfahrens zumindest unterstützen müsse.121 Insofern stelle sich zwar die Frage nicht mehr, ob die Schweiz ein solches Verfahren für den Beschwerdeführer einleiten müsse, da dieser seit Änderung des Verfahrens selbst einen Antrag stellen könne.122 Für den Erfolg seines Antrages sei er allerdings auf die Unterstützung der Schweiz angewiesen, da die Schweiz in diesem Fall als einziges Land ein umfangreiches Ermittlungsverfahren durchgeführt habe.123 Nach Resolution 1373 (2001)124 seien die UN-Mitgliedstaaten verpflichtet, Personen, die im Verdacht stünden, den Terrorismus zu finanzieren oder zu unterstützen, also insbesondere Personen auf der 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124
Ibid. Ibid. Ibid. Ibid., S. 66, 71. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Resolution 1373 (2001) vom 28. Spetember 2001, Ziff. 2 (e).
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Sanktionsliste, strafrechtlich zu verfolgen.125 In den nationalen Strafverfahren könne der – in der Regel auf Geheimdienstberichte gestützte – Anfangsverdacht in einem ordentlichen Beweisverfahren überprüft werden.126 Führe das Strafverfahren zum Freispruch oder werde es eingestellt, so solle dies zur Aufhebung der präventiv angeordneten Sanktionen führen.127 Zwar könne der Staat, der das Straf- oder Ermittlungsverfahren durchgeführt habe, diese Streichung nicht selbst vornehmen, er könne aber zumindest das Ergebnis seiner Ermittlungen dem Sanktionskomitee mitteilen und die Streichung des Betroffenen von der Liste beantragen bzw. unterstützen.128 Zuletzt prüft das Bundesgericht, ob das in der schweizerischen Verordnung enthaltene Reiseverbot über das von den Sicherheitsratsresolutionen Gebotene hinausgeht und somit in diesem Bereich ein Handlungsspielraum der schweizerischen Behörden besteht.129 Art. 4a Abs. 2 der Verordnung sehe vor, dass das Bundesamt für Migration in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des Sicherheitsrates oder zur Wahrung schweizerischer Interessen im Rahmen des Sanktionsregimes Ausnahmen gewähren könne.130 Die Resolutionen des Sicherheitsrates erlaubten Einreise oder Transit für ein gerichtliches Verfahren sowie mit Zustimmung des Sanktionskomitees im Einzelfall Reisen aus medizinischen, humanitären oder religiösen Gründen.131 Nach ihrer Formulierung („kann“) erwecke Art. 4a Abs. 2 der Verordnung den Eindruck einer Ermessensnorm.132 Die Bestimmung sei jedoch verfassungskonform in dem Sinne auszulegen, dass eine Ausnahme in allen Fällen gewährt werden müsse, in denen das UN-Sanktionsregime dies erlaube: Eine weitergehende Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Beschwerdeführers könne sich nicht auf die Sicherheitsratsresolutionen stützen, läge nicht im öffentlichen Interesse und wäre auch aufgrund der besonderen Situation des Beschwerdeführers unverhältnismäßig, da er in seinem Wohnort Cam125
Nada gegen Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 14. November 2007, Az. 1A.45/2007, EuGRZ 2008, S. 66, 71. 126 127 128 129 130 131 132
Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid.
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pione, einer italienischen Exklave im Tessin mit einer Fläche von nur 1,6 km², unter schwerwiegenden Beschränkungen seiner persönlichen Freiheit gleichsam unter Hausarrest stehe.133 In dieser Situation seien die schweizerischen Behörden verpflichtet, alle nach den Resolutionen des Sicherheitsrats zulässigen Erleichterungen des Sanktionsregimes auszuschöpfen.134 Das Bundesamt für Migration habe somit keinen eigenen Ermessensspielraum.135 Es müsse vielmehr prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Ausnahmeerteilung vorlägen.136 Falle das Gesuch nicht unter eine vom Sicherheitsrat vorgesehene generelle Ausnahme, müsse es dem Sanktionskomitee zur Genehmigung vorgelegt werden.137 Weil aber die entsprechenden Verfügungen des Bundesamtes für Migration nicht angefochten worden seien und vom Beschwerdeführer auch kein Gesuch auf Verlegung seines Wohnsitzes nach Italien gestellt worden sei, sei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen.138
c) Bewertung Der Fall Nada139 des schweizerischen Bundesgerichts ist insofern besonders interessant, als er seinem Gegenstand nach einen Antrag auf Streichung aus einer Terroristenliste betrifft, jedoch mangels EU-Mitgliedschaft der Schweiz nicht aus einer Liste auf EU-Ebene, sondern einer Liste auf nationaler Ebene. So blickt man auf das Verhältnis des nationalen Rechts zum UN-Recht. Was die Überprüfung des Listung angeht, so hält sich das Gericht jedoch an die Grundsätze des EuG in den Fällen Yusuf und Kadi, also an eine Prüfung der Listungen nur am Maßstab des ius cogens, dessen Verletzung das Gericht dann aber verneint. Fügt das Bundesgericht insofern der Diskussion zur Überprüfung der Listung selbst keinen neuen Aspekt hinzu, so zeigen seine Ausführungen doch insgesamt den Mehrebenencharakter des Sanktionsregimes 133 134 135 136 137 138 139
Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid., S. 66, 72.
S. dazu auch Reich, Due Process and Sanctions Targeted Against Individuals Pursuant Resolution 1267 (1999), YJIL 33 (2008) 2, S. 505 ff.
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und die rechtlichen Folgen hiervon gut auf: Die Listung des Beschwerdeführers in der Schweizer Umsetzungsverordnung wird als akzessorisch zur Listung durch die UN gesehen. Weil es also um Elemente auf der Tatbestandsseite der „Sanktionsnorm“ geht, für die das Gericht den Sicherheitsrat bzw. das Sanktionskomitee für zuständig erachtet, hält es sich mit einer strengen Grundrechtsprüfung zurück. Anders verhält es sich bezüglich der Anwendung der Sanktionen auf den Beschwerdeführer, also eines Aspekts der Rechtsfolgenseite der „Sanktionsnorm“, wozu auch die Frage einer möglichen Ausnahmeregelung gehört. Zwar war der Hoheitsakt, mit dem die Streichung von der Liste abgelehnt wurde, und nicht die Durchsetzung eines möglichen Anspruchs auf eine Ausnahme der Sanktionsanwendung Gegenstand des Verfahrens, so dass es sich bei den Ausführungen zu dem Ausnahmetatbestand nur um ein obiter dictum handelt. Dennoch lässt sich daran gut zeigen, dass der Aspekt der Ausnahmengewährung zumindest teilweise in die alleinige Zuständigkeit der UN-Mitgliedstaaten fällt, so dass – anders als bei der Listung – eine nationale Entscheidung vorliegt, für die nationale Prüfungsmaßstäbe gelten. Deshalb argumentiert das Bundesgericht mit dem Recht des Beschwerdeführers auf persönliche Freiheit und mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und gelangt so zu einer Ermessensreduzierung auf Null und damit zu einer Pflicht der zuständigen Schweizer Behörde, eine Ausnahme zu gewähren bzw., falls nötig, dem Sanktionskomitee ein Ausnahmegesuch zur Genehmigung vorzulegen. Die Ermessensreduzierung führt so wegen des Mehrebenensystems, innerhalb dessen sie stattfindet, dann, wenn das Sanktionskomitee anzurufen ist, nicht zur Pflicht zum direkten Handeln der Behörde gegenüber dem Bürger, sondern zu einer Pflicht zu einem bestimmen Handeln der Schweiz auf internationaler Ebene. Die Entscheidung macht also deutlich, an welcher Stelle die nationale Rechtsordnung innerhalb des Mehrebenensystems des 1267-Regimes ins Spiel kommt und welche Folgen diese Einwirkung dann im Mehrebenensystem hat.140
140
Der Fall Nada ist nun vor dem EGMR anhängig, vgl. auch den Hinweis im Bericht des UN Monitoring Teams, Tenth report of the Analytical Support and Sanctions Implementation Monitoring Team submitted pursuant to resolution 1822 (2008) concerning Al-Qaida and the Taliban and associated individuals and entities, S/2009/502, vom 2. Oktober 2009, S. 32, Ziff. 6.
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3. UN-Menschenrechtsausschuss: Prüfung des Falles Sayadi/Vinck Der Fall Sayadi/Vinck141 ist, soweit ersichtlich, der erste Fall einer Überprüfung nationaler Akte im 1267-Regime durch den UN-Menschenrechtsausschuss (im Folgenden: UN-MRA). Nach erfolgloser Erschöpfung des Rechtswegs auf nationaler Ebene in Belgien wandten sich die beiden Beschwerdeführer im Wege der Individualbeschwerde nach Art. 1 des Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) an den UN-MRA und machten Verstöße Belgiens gegen den Pakt im Zusammenhang mit ihrer Listung durch das 1267-Sanktionskomitee geltend. Dies ist der einzige der hier besprochenen Fälle, der nicht von einem Gericht entschieden wurde und der einzige, der einem Gremium vorlag, das auf völkerrechtlicher Ebene, ja sogar unter dem Dach der UN, angesiedelt ist.
a) Sachverhalt Die Beschwerdeführer, Herr Sayadi, geboren im Libanon, und Frau Vinck, geboren in Belgien, sind beide belgische Staatsangehörige.142 Auf der Grundlage der UN-Resolution 1267 (1999) und ihrer Folgeresolutionen sowie der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 wurden am 3. September 2002 auf Initiative der Belgischen Staatsanwaltschaft strafrechtliche Ermittlungen gegen die Beschwerdeführer aufgenommen.143 Am 19. November 2002 meldete Belgien dem Sanktionskomitee, dass die Beschwerdeführer für die Stiftung Secours International tätig seien, den europäischen Zweig der amerikanischen Global Relief Stiftung, die bereits gelistet war.144 Die Namen der Beschwerdeführer wurden daraufhin am 23. Januar 2003 in die UN-Sanktionsliste, am 27. Januar 2003 in die entsprechende Liste der EU und am 31. Januar 2003 in einen belgischen Ministerialerlass aufgenommen.145 Die Beschwerdeführer, die vier 141
Sayadi und Vinck gegen Belgien, Erwägungen des Menschenrechtsausschusses, Mitteilung Nr. 1472/2006 vom 29. Dezember 2008, CCPR/C/94/D/ 1472/2006. 142 Sayadi und Vinck gegen Belgien, Erwägungen des Menschenrechtsausschusses, Mitteilung Nr. 1472/2006 vom 29. Dezember 2008, CCPR/C/94/D/ 1472/2006, Ziff. 1. 143 144 145
Ibid., Ziff. 2.1. Ibid., Ziff. 2.2. Ibid., Ziff. 2.3.
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Kinder haben und strafrechtlich nie in Erscheinung getreten sind, erhielten jedoch keine Informationen über die Gründe für ihre Listung und waren durch die Sanktionen daran gehindert, einer beruftlichen Tätigkeit nachzugehen, zu reisen und die Lebenshaltungskosten der Familie zu bestreiten.146 Sie wandten sich 2003 an belgische Minister, den belgischen Premierminister, europäische Behörden und die UN.147 Während die belgischen Minister auf die internationalen Verpflichtungen Belgiens hinwiesen, machte die EU-Kommission geltend, dass sie nicht die Befugnis habe, jemanden von der Liste des UN-Sanktionskomitees zu streichen.148 Der belgische Premierminister wandte ein, dass immer noch Untersuchungen gegen die Beschwerdeführer liefen.149 Im Rechtsweg erstritten die Beschwerdeführer beim Gericht erster Instanz in Brüssel am 11. Februar 2005 eine Entscheidung, die den belgischen Staat anhielt, beim Sanktionskomitee ein Delisting der Beschwerdeführer zu beantragen.150 Belgien leistete dem keine Folge und beantragte erst nach Verhängung einer Geldstrafe durch das Gericht am 25. Februar 2005 die Streichung der Beschwerdeführer von der UN-Sanktionsliste.151 Zum Zeitpunkt der Äußerung des UN-MRA hatte das Sanktionskomitee über den Antrag noch nicht entschieden.152 Das Gericht erster Instanz in Brüssel stellte am 19. Dezember 2005 im strafrechtlichen Verfahren die Unschuld der Beschwerdeführer fest.153 Die Beschwerdeführer rügten vor dem UN-MRA eine Verletzung der Art. 2 Abs. 3 (effektiver Rechtsschutz), Art. 12 (Freizügigkeit), Art. 14 Abs. 1, 2 und 3 (faires Verfahren), Art. 15 (nulla poena) sowie Art. 17 (Recht auf Privatleben) des IPbpR durch Belgiens Handeln, das zu ihrer Listung auf UN-Ebene geführt habe.
146 147 148 149 150 151
Ibid. Ibid., Ziff. 2.4. Ibid. Ibid. Ibid., Ziff. 2.5. Ibid.
152
Ibid., mittlerweile wurden Herr Sayadi und Frau Vinck von der Liste des 1267-Regimes gestrichen, s. die Pressemitteilung des Sicherheitsrats, SC/9711, vom 21. Juli 2009. 153 Sayadi und Vinck gegen Belgien, Erwägungen des Menschenrechtsausschusses, Mitteilung Nr. 1472/2006 vom 29. Dezember 2008, CCPR/C/94/D/ 1472/2006, Ziff. 2.6.
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b) Erwägungen des Menschenrechtsausschusses Hinsichtlich der erwähnten gerügten Verletzungen des Internationalen Pakts (IpbpR) wird die Individualbeschwerde vom UN-MRA als zulässig erachtet. Die Individualbeschwerde wird dagegen hinsichtlich der darüber hinaus gerügten Verletzungen der Art. 18 (Religionsfreiheit), Art. 22 (Vereinigungsfreiheit), Art. 26 (Gleichheit) und Art. 27 (Minderheitenschutz) des IPbpR mangels hinreichender Substantiierung der Verletzungen als unzulässig verworfen. In seinen weiteren Erwägungen geht der UN-MRA zunächst auf Art. 46 IPbpR ein, der regelt, dass keine Bestimmung des Paktes so auszulegen ist, dass sie die Bestimmungen der UN-Charta beschränkt, in denen die jeweiligen Aufgaben der verschiedenen UN-Organe hinsichtlich der in diesem Pakt behandelten Fragen geregelt sind. Der UN-MRA hält Art. 46 IPbpR im vorliegenden Fall für irrelevant. Der Fall erfordere keine Auslegung der Vorschriften des Paktes zu Lasten der UN-Charta, sondern betreffe die Vereinbarkeit nationaler Maßnahmen, die UNResolutionen umsetzten, mit dem Internationalen Pakt (IPbpR). Anschließend lehnt der UN-MRA eine Verletzung der Art. 2 Abs. 3, Art. 14 Abs. 1 bis 3 und Art. 15 IPbpR ab. Der Vortrag der Beschswerdeführer, dass sie ohne jede Gerichtsentscheidung (Art. 14 Abs. 1 IPbpR) gelistet worden seien und ihnen kein effektiver Rechtsschutz zur Verfügung stünde (Art. 2 Abs. 3 IPbpR), greife nicht durch, da ihnen die Möglichkeit, Belgien vor dem Brüsseler Gericht erster Instanz auf Stellung des Antrags auf Streichung von der Liste beim Sanktionskomitee zu verklagen, gegeben gewesen sei.154 Auch eine Verletzung des Art. 14 Abs. 3 IPbpR wegen überlanger Vefahrensdauer durch das dreieinhalbjährige Strafverfahren sei nicht erkennbar, da hier eine Einzelfallentscheidung nötig sei, die die von Belgien vorgetragene Komplexität des Falles berücksichtigen könne.155 Ebensowenig seien die Unschuldsvermutung (Art. 14 Abs. 2 IPbpR), die strafprozessualen Mindeststandards (Art. 14 Abs. 3 IPbpR) oder der nulla poena-Satz (Art. 15 IPbpR) durch das Verfahren vor dem UN-Sanktionskomitee verletzt, weil es sich bei dem Sanktionsregime trotz der einschneidenden Wirkungen der Sanktionen für den Betroffenen nicht um eine „strafrechtliche Anklage“ im Sinne des Art. 14 Abs. 1 IPbpR handele.156
154 155 156
Ibid., Ziff. 10.9. Ibid., Ziff. 10.10. Ibid., Ziff. 10.11.
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Dagegen bejaht der UN-MRA eine Verletzung des Art. 12 IPbpR (Freizügigkeit). Die Reisebeschränkung infolge der Sanktionen stelle einen Eingriff in Art. 12 IPbpR dar. Allerdings sei dieses Recht nicht absolut geschützt, sondern nach Art. 12 Abs. 3 IPbpR einschränkbar, falls die Einschränkung gesetzlich vorgesehen sei und notwendig sei im Interesse der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, der Volksgesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit oder zum Schutz der Rechte Dritter und sich außerdem mit den anderen Rechten des Internationalen Pakts (IPbpR) vereinbaren lasse. Zwar werde die Reisebeschränkung vorliegend durch die Sanktionen des Sicherheitsrats geregelt, an die Belgien gebunden sei, doch könne der UN-MRA dennoch die Vereinbarkeit der nationalen Maßnahmen, mit denen die Resolution umgesetzt würde, prüfen. Es sei seine Aufgabe zu kontrollieren, in welchem Maß die Pflichten aus der UN-Resolution Eingriffe in Art. 12 IPbpR rechtfertigten. Die Pflicht, sich an Resolutionen nach Kapitel VII zu halten, könne selbst eine Einschränkung im Sinne des Art. 12 Abs. 3 IPbpR darstellen. Vorliegend habe aber Belgien selbst dem Sanktionskomitee die Namen der Beschwerdeführer übermittelt, noch bevor die Beschwerdeführer angehört werden konnten. Wenn Belgien auch selbst die Beschwerdeführer nicht von der Liste streichen könne, sei es deshalb verantwortlich für deren Listung durch die UN und infolgedessen für die Reisebeschränkungen. Da sich im Strafverfahren nichts gegen die Beschwerdeführer ergeben habe, stellten sie keine Gefahr für die nationale Sicherheit dar. Zusätzlich habe Belgien selbst die Streichung der Beschwerdeführer von der Liste beantragt, was ebenfalls darauf hindeute, dass die Einschränkung der Freizügigkeit der Beschwerdeführer nicht zum Schutz der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung notwendig gewesen sei. Eine Verletzung des Art. 17 IPbpR (Recht auf Privatleben) sei gegeben, weil die Verbreitung persönlicher Informationen über die Beschwerdeführer einen Angriff auf ihre Ehre und ihren Ruf darstelle. Belgien habe, ohne das Ergebnis der strafrechtlichen Untersuchung abzuwarten, die Namen der Beschwerdeführer an das Sanktionskomitee weitergegeben und sei daher dafür verantwortlich, dass die Beschwerdeführer auf der Liste stünden. Aus Art. 2 Abs. 3 IPbpR (effektiver Rechtsschutz) folge für Belgien die Pflicht, alles zu tun, was in seiner Macht stehe, um so bald wie möglich eine Streichung des Beschwerdeführer von der UN-Liste zu bewirken. Belgien müsse außerdem Entschädigung leisten, die Streichungsanträge veröffentlichen und sicherstellen, dass ähnliche Verletzungen in Zukunft nicht mehr vorkämen.
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c) Bewertung Die Entscheidung des UN-MRA ist ein weiterer Beleg für die wiederholten Angriffe auf das 1267-Sanktionsregime. Neu und für die vorliegende Arbeit aufschlussreich ist dabei die Anwendung des Internationalen Pakts (IPbpR) als Prüfungsmaßstab. Die Auslegung, die das Gremium bezüglich der Vorschriften des Internationalen Pakts vornimmt, gibt wertvolle Anleitungen hinsichtlich der Anwendung der universellen Menschenrechte auf das Sanktionsregime, die ja auch zum Maßstab des Soll-Zustands nach der Resolution 1597 (2008) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates gehören. Der UN-MRA, der das Gremium ist, das ausdrücklich mit der Auslegung des Pakts beauftragt ist,157 bestätigt hier, dass Art. 14 IPbpR mangels „strafrechtlicher Anklage“ im 1267-Regime nicht anwendbar ist. Hinsichtlich der Einzelheiten der Menschenrechtsprüfung vermag die Äußerung des UN-MRA jedoch nicht durchgehend zu überzeugen. Belgiens Einwand der Gebundenheit an die UN-Rechtsakte nach Art. 25 und 103 UNCh158 wiegt schwer, wie sogar Keller zugibt,159 die selbst an der Prüfung des Falles als Mitglied des UN-MRA beteiligt war, ohne eine abweichende Meinung zu verfassen. So wird bei der Feststellung der Verletzung jedenfalls der Privatheit deutlich, dass der UN-MRA große Schwierigkeiten hat, die menschenrechtsrelevanten Wirkungen, die Folge der Listung durch das UN-Sanktionskomitee sind, dem Handeln des Staates Belgien zuzuordnen. Der UN-MRA begnügt sich insoweit mit einer mittelbaren Ursächlichkeit Belgiens für die Listung und deren Folgen. Er konstruiert dabei eine Art Ingerenz Belgiens als Folge von dessen vorschnellem und aus Mangel an Beweisen gegen die Beschwerdeführer pflichtwidrigem Listungsvorschlag und umgeht so das Problem, dass seine Prüfung auch zur unmittelbaren Kontrolle einer Handlung der UN wird. Gegenstand der Beschwerde war nämlich jedenfalls hinsichtlich der Verletzung des Rechts auf Privatheit auch die Verbreitung der Daten der Beschwerdeführer durch das Sanktionsko157
S. Art. 40 Abs. 4 IPbpR, der die Abgabe der General Comments durch den UN-MRA nennt. 158
Sayadi und Vinck gegen Belgien, Erwägungen des Menschenrechtsausschusses, Mitteilung Nr. 1472/2006 vom 29. Dezember 2008, CCPR/C/94/D/ 1472/2006, Ziff. 6.3. Milanovic, The Human Rights Committee’s Views in Sayadi v. Belgium: A Missed Opportunity, GoJIL 1 (2009) 3, S. 519, 525, kritisiert den UN-MRA wegen der Nichtbeachtung des Art. 103 Abs. 1 UNCh. 159
Keller/Fischer, The UN Anti-terror Sanctions Regime under Pressure, HRLR 9 (2009) 2, S. 257, 261.
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mitee infolge der Listung160 und nicht das zu der Listung führende Verhalten Belgiens im Vorfeld.161 Die Äußerungen des UN-MRA, mit der die Verletzungen der Art. 12 und 17 IPbpR festgestellt werden, richten sich zwar nur an Belgien und binden nur diesen Staat völkerrechtlich. Sie senden aber zugleich ein Signal an den Sicherheitsrat162 und erhöhen den Druck auf ihn, das 1267-Regime zu reformieren.
II. Urteile, die die Auslegung und Anwendung der Sanktionsvorschriften und damit die Rechtsfolgenseite der „Sanktionsnorm“ betreffen 1. EuGH: Der Fall Möllendorf (C-117/06) Im Fall Möllendorf wurde von den Klägern des Ausgangsverfahrens nicht eine Listung in einer Liste Terrorverdächtiger angegriffen, sondern es ging um Drittbetroffene, die, gleichsam als „Kollateralgeschädigte“, von der Listung ihres Vertragspartners eines Grundstückkaufvertrages negativ betroffen waren.163 Denn als Rechtsfolge von dessen 160
Vgl. Sayadi und Vinck gegen Belgien, Erwägungen des Menschenrechtsausschusses, Mitteilung Nr. 1472/2006 vom 29. Dezember 2008, CCPR/C/94/ D/1472/2006, Ziff. 3.11., 10.12. 161
Die Konstellation der Überprüfung nationaler Akte, denen UN-Rechtsakte zugrunde liegen, erinnert an den Bosphorus-Fall des EGMR, Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret Anonim Sirketi gegen Irland, EGMR, Große Kammer, Urteil vom 30. Juni 2005, Nr. 45036/98, ECHR 2005-VI. Allerdings wurde vom EGMR in jenem Fall eine Verletzung des EMRK verneint. 162
So auch Keller/Fischer, The UN Anti-terror Sanctions Regime under Pressure, HRLR 9 (2009) 2, S. 257, 264. 163
Im jüngsten Vorabentscheidungsverfahren zu Kollateralschäden entschied der EuGH dass Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002, wonach gelisteten Personen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugute kommen dürfen, auf staatliche Leistungen der sozialen Sicherheit oder Sozialhilfe an den Ehegatten einer gelisteten Person nicht allein deshalb Anwendung findet, weil der Ehegatte mit der gelisteten Person zusammenlebt und einen Teil dieser Leistungen zur Bezahlung von Waren und Dienstleistungen verwenden wird oder verwenden könnte, die die gelistete Person konsumieren wird oder die ihr zugutekommen werden, vgl. M u.a., EuGH, Urteil vom 29.
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Listung waren sie daran gehindert, ihm in Erfüllung des Kaufvertrags das Grundstück zivilrechtlich wirksam zu übereignen. In dem Vorlageverfahren an den EuGH ging es um die Auslegung der Vorschriften der EG-Verordnung, in denen die Finanzsanktionen geregelt sind. Die Frage war, ob die Finanzsanktionen derartige Kollateralschäden tatsächlich zuließen. Der Fall lässt sich nicht ohne Weiteres in die Rechtsprechung zum Sanktionsregime einordnen, weil es nicht um den Gelisteten, sondern um Dritte geht. Aber gerade das lässt eine neue Perspektive zu, nämlich den Blick auf die Drittbetroffenheit im Fall der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene.
a) Sachverhalt Am 19. Dezember 2000 schlossen die Verkäuferinnen als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) einen Kaufvertrag mit den drei Käufern (ebenfalls als GbR) über ein bebautes Grundstück in Berlin.164 Der Kaufvertrag enthielt auch die Auflassungserklärung der Parteien und die Einigung über die Eigentumsumschreibung im Grundbuch.165 Außerdem wurde die Hinterlegung des Kaufpreises auf ein Notaranderkonto und dessen Auszahlung an die Verkäuferinnen nach Eintragung der Auflassungsvormerkung im Grundbuch vereinbart.166 Am 8. März 2001 wurde eine (Eigentumsübertragungs)vormerkung zugunsten der Käufer in das Grundbuch eingetragen.167 Am 21. April 2005 wies das zuständige Grundbuchamt den vom Notar gestellten Umschreibungsantrag unter Hinweis auf Art. 2 Abs. 3 und Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 zurück, nachdem es festgestellt hatte, dass einer der Käufer in der Liste in Anhang I dieser Verordnung namentlich genannt war.168 Nach erfolgloser Beschwerde beim Landgericht Berlin wurde weitere Beschwerde beim Kammergericht Berlin eingelegt und die Verkäuferinnen machten geltend, dass Art. 2 Abs. 3 und Art. 4 Abs. April 2010, C-340/08 (noch nicht in der Sammlung der Rechtsprechung veröffentlicht). 164
Möllendorf und Möllendorf-Niehuus, EuGH, Urteil vom 11. Oktober 2007, C-117/06, Slg. 2007, I-8361, Rz. 22 f. 165 166 167 168
Ibid., Rz. 24. Ibid., Rz. 25. Ibid., Rz. 26. Ibid., Rz. 29.
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1 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 und insbesondere die in der erstgenannten Bestimmung vorkommenden Wendungen „zur Verfügung gestellt“ und „zugute kommen“ dahin ausgelegt werden müssten, dass sie nur solche Rechtsgeschäfte beträfen, bei denen Leistung und Gegenleistung nicht in einem wirtschaftlichen Gleichgewicht stünden.169 Im vorliegenden Fall sei aber ein erheblicher Kaufpreis vereinbart und auch bereits ausgezahlt worden.170 Außerdem hätten die Käufer bei einer Rückabwicklung des Kaufvertrages einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises gegen sie, d.h. den Käufern würde ein dem Kaufpreis entsprechender Betrag zur Verfügung gestellt, was im Widerspruch zum siebten Erwägungsgrund und zu Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 stehe.171 Nach Ansicht des Kammergerichts stellte sich die Frage, ob eine solche Erstattung mit Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 vereinbar sei.172 Es führte aus, dass Art. 2 Abs. 1 bis 3 und Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung keine Befugnis zur Anordnung an den Verkäufer, eine Summe in Höhe des Kaufpreises zu hinterlegen, zu entnehmen sei, wenn der Verkäufer nicht schon bei Abschluss des Kaufvertrages oder Empfang des für das Geschäft vereinbarten Betrags Kenntnis von der Sanktionsbetroffenheit des Käufers gehabt habe.173 Zweifelhaft sei auch, ob bei einer Mehrzahl von Käufern oder, wie im Ausgangsverfahren, deren Verbundenheit in einer GbR der Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises insgesamt oder aber nur in Höhe des Anteils des von den restriktiven Maßnahmen betroffenen Käufers einzufrieren sei.174 Das Kammergericht war der Ansicht, dass die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits von der Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 abhänge. Es hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH folgende Fragen zur Vorabenscheidung vorgelegt: Verbieten die Bestimmungen des Art. 2 Abs. 3 und des Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 die in Erfüllung eines Kaufvertrags erfolgte Auflassung (Übereignung) eines Grundstücks an eine in Anhang I der genannten Verordnung aufgeführte natürliche Person?
169 170 171 172 173 174
Ibid., Rz. 30-32. Ibid., Rz. 32. Ibid., Rz. 33. Ibid., Rz. 37. Ibid., Rz. 38. Ibid., Rz. 39.
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Teil IV: Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz
Falls die Frage zu 1. zu bejahen ist: Verbietet die Verordnung (EG) Nr. 881/2002 die für den Eigentumsübergang erforderliche Umschreibung im Grundbuch auch dann, wenn der zugrunde liegende Kaufvertrag vor Veröffentlichung der Verfügungsbeschränkung im Amtsblatt der EG geschlossen und die Auflassung bindend erklärt worden ist und der nach dem Vertrag von der in Anhang I der Verordnung aufgeführten natürlichen Person als Käufer zu zahlende Kaufpreis vor diesem Zeitpunkt auf einem Notaranderkonto hinterlegt oder an den Verkäufer ausgezahlt worden ist?175 Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 lautet: „Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck: … 2. ‚wirtschaftliche Ressourcen‘ Vermögenswerte jeder Art, unabhängig davon, ob sie materiell oder immateriell und beweglich oder unbeweglich sind, die keine Gelder sind, aber für den Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen verwendet werden können; … 3. ‚Einfrieren von wirtschaftlichen Ressourcen‘ die Verhinderung ihrer Verwendung für jeden Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen, einschließlich von – aber nicht beschränkt auf – den Verkauf, das Vermieten oder das Verpfänden dieser Ressourcen“. Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 lautet: „(1) Alle Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die einer vom Sanktionsausschuss benannten und in Anhang I aufgeführten natürlichen und juristischen Person, Gruppe oder Organisation gehören oder in deren Eigentum stehen oder von ihr verwahrt werden, werden eingefroren. (2) Den vom Sanktionsausschuss benannten und in Anhang I aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Gruppen oder Organisationen dürfen Gelder weder direkt noch indirekt zur Verfügung gestellt werden oder zugute kommen. (3) Den vom Sanktionsausschuss benannten und in Anhang I aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Gruppen oder Organisationen dürfen weder direkt noch indirekt wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugute kommen, wodurch diese Personen, Gruppen oder Organisationen Gelder, Waren oder Dienstleistungen erwerben könnten“. 175
Ibid., Rz. 40.
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b) Entscheidungsgründe Der EuGH fasst die beiden Vorlagefragen zu der einen Frage zusammen, ob Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002, der alleiniger Prüfungsmaßstab sei, dahin auszulegen sei, dass er, wenn der Abschluss eines Grundstückskaufvertrags und die Auflassungserklärung vor der Aufnahme des Erwerbers in die Liste in Anhang I dieser Verordnung erfolgten und auch der Kaufpreis vor diesem Zeitpunkt gezahlt wurde, der Eigentumsumschreibung im Grundbuch in Erfüllung dieses Vertrags nach diesem Zeitpunkt entgegenstehe.176 Damit stelle sich die Frage, ob unter den Umständen des Ausgangsverfahren die Eigentumsumschreibung im Grundbuch bedeute, dass im Sinne des Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 den vom Sanktionskomitee benannten und im Anhang I dieser Verordnung aufgeführten Personen direkt oder indirekt wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt würden, wodurch diese Personen Gelder, Waren oder Dienstleistungen erwerben könnten.177 Der EuGH stellt zunächst fest, dass das in Rede stehende bebaute Grundstück eine wirtschaftliche Ressource im Sinne des Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 darstelle, da es als materieller, unbeweglicher Vermögensgegenstand zwar kein Geld sei, aber für den Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen verwendet werden könne und daher eindeutig der Definition in Art. 1 Nr. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 unterfalle.178 Bezüglich der Frage, ob durch die Eigentumsumschreibung im Grundbuch direkt oder indirekt Mittel zur Verfügung gestellt werden, wodurch die in der Liste genannten Personen Gelder, Waren oder Dienstleistungen erwerben könnten, vertritt der EuGH zunächst, dass sich dem Wortlaut der Bestimmung nicht entnehmen lasse, dass sie den Bezug wirtschaftlicher Ressourcen bei Geschäften, bei denen zwischen Leistung und Gegenleistung ein wirtschaftliches Gleichgewicht bestehe, nicht erfassen würde.179 Vielmehr sei das in Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 aufgestellte Verbot besonders weit gefasst und erfasse jede Handlung, die nach dem anwendbaren nationalen Recht erforderlich sei, damit eine Person tatsächlich die vollständige Verfügungsbefugnis in Bezug auf die betreffende Sache erlangen könne.180 Die Eigentumsumschreibung im 176 177 178 179 180
Ibid., Rz. 41. Ibid., Rz. 45. Ibid., Rz. 46. Ibid., Rz. 48 f. Ibid., Rz. 50 f.
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Grundbuch sei eine solche Handlung, weil nach deutschem Recht der Käufer erst danach das Grundstück veräußern könne.181 Gerade solche Handlungen sollten durch die Verordnung (EG) Nr. 881/2002 unterbunden werden, weil sie es einer gelisteten Person ermöglichten, Gelder, Waren oder Dienstleistungen zu erwerben.182 Bei der Auslegung der EG-Verordnung seien außerdem Wortlaut und Ziel der ihr zugrunde liegenden Resolution 1390 (2002) des UN-Sicherheitsrates zu berücksichtigen.183 Deren weiter und eindeutiger Wortlaut bestätige, dass Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 für jede Zurverfügungstellung gelte.184 Außerdem erfolge die Umsetzung des in Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 aufgestellten Verbots im Rahmen des Ziels der Sanktionen der Resolution 1390 (2002), den internationalen Terrorismus zu bekämpfen.185 In jedem Einzelfall prüfen zu müssen, ob ein tatsächliches wirtschaftliches Gleichgewicht zwischen den vereinbarten Leistungen bestehe, würde die Gefahr einer Umgehung des genannen Verbots in sich bergen und die Mitgliedstaaten vor heikle Durchsetzungsprobleme stellen.186 Dies veranlasst den EuGH zu der Schlussfolgerung, dass die Eigentumsumschreibung nach Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 verboten sei, wenn durch ihre Zulassung einer gelisteten Person eine wirtschaftliche Ressource zur Verfügung gestellt werde, wodurch sie Gelder, Waren oder Dienstleistungen erwerben könnte.187 Diesem Ergebnis stehe nicht entgegen, dass schon verschiedene Schritte des Grundstücksgeschäfts vollzogen gewesen seien, bevor das Verbot durch die Listung des Käufers anwendbar geworden sei.188 Denn durch die Verordnung (EG) Nr. 881/2002 seien auch Handlungen zur Erfüllung von vor Inkrafttreten der Verordnung geschlossenen Verträgen untersagt, da das Ziel der Terrorismusbekämpfung nicht genauso effektiv erreicht werden könnte, wenn gelisteten Personen gestattet würde, Geschäfte, die vor ihrer Aufnahme in die Liste abgeschlossen wurden, zu Ende zu führen.189 Hier181 182 183 184 185 186 187 188 189
Ibid., Rz. 52. Ibid., Rz. 53. Ibid., Rz. 54. Ibid., Rz. 56. Ibid., Rz. 57. Ibid., Rz. 58. Ibid., Rz. 60. Ibid., Rz. 61. Ibid., Rz. 62 f.
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für spreche auch, dass die verschiedenen vorgesehenen Ausnahmen nicht für das Verbot der Zurverfügungstellung wirtschaftlicher Ressourcen gälten.190 Auch das zivilrechtliche Problem einer möglichen Kaufpreisrückerstattungspflicht der nicht gelisteten Verkäuferinnen könne an der Anwendung des Verbots in Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 nichts ändern.191 Denn dieses Problem ergebe sich aus den Folgen, die die Anwendung der genannten Bestimmung für das nationale Recht nach sich ziehe.192 Die im nationalen Recht vorgesehene Kaufpreiserstattung scheine im vorliegenden Fall sogar nach Art. 2a Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 zulässig zu sein.193 Die Frage, ob bei einer Verbundenheit der Käufer in einer GbR der zu erstattende Kaufpreis insgesamt oder aber nur in Höhe des Anteils des einzelnen gelisteten Käufers einzufrieren sei, betreffe ebenfalls den Vollzug des in der Verordnung angeordneten Verbots im nationalen Recht.194 Wie dargelegt, könne aber eine solche Frage, die die Tragweite der nationalen Rechtsvorschriften bezüglich der Folgen der Anwendung des genannten Verbots betreffe, keine Auswirkungen auf die Auslegung des besagten Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 haben.195 Auch eine Verletzung des Grundrechts des Eigentümers, hier der nicht gelisteten Verkäuferinnen, liege nicht vor.196 Der behauptete Eingriff in das Eigentumsrecht beziehe sich auf mittelbare Auswirkungen, die eine mögliche, aus dem nationalen Recht folgende Kaufpreiserstattungspflicht auf das Eigentumsrecht anderer als der gelisteten Personen habe.197 Deshalb könne die Frage, ob eine solche Kaufpreiserstattungspflicht einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Eigentum darstelle, keinen Einfluss auf die Frage der Anwendbarkeit des Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 im vorliegenden Fall haben.198 Es handele sich vielmehr um eine Frage des nationalen Rechts, die im Rahmen
190 191 192 193 194 195 196 197 198
Ibid., Rz. 64. Ibid., Rz. 68 f. Ibid., Rz. 69. Ibid., Rz. 70. Ibid., Rz. 71. Ibid., Rz. 72. Ibid., Rz. 75. Ibid., Rz. 76. Ibid., Rz. 77.
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des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens nicht zu prüfen sei.199 Bei Durchführung der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen hätten die Mitgliedstaaten aber die Erfordernisse des Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaftsrechtsordnung zu beachten und deshalb diese gemeinschaftsrechtlichen Regelungen so weit wie möglich so anzuwenden, dass die genannten Erfordernisse nicht missachtet würden.200 Es sei somit Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob angesichts der Besonderheiten des Ausgangsverfahrens eine etwaige Erstattung der empfangenen Beträge durch die Verkäuferinnen einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihr Eigentumsrecht darstelle, und, wenn dies zutreffen sollte, die betreffende nationale Regelung so weit wie möglich so anzuwenden, dass die genannten Erfordernisse, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergäben, nicht missachtet würden.201 Der EuGH antwortete daher auf die Vorlagefragen, dass Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 dahin auszulegen sei, dass er, wenn der Abschluss eines Grundstückskaufvertrages und die Auflassungserklärung vor der Aufnahme des Erwerbers in die Liste in Anhang I dieser Verordnung erfolgten und auch der Kaufpreis vor diesem Zeitpunkt gezahlt worden sei, der Eigentumsumschreibung im Grundbuch in Erfüllung dieses Vertrags nach diesem Zeitpunkt entgegenstehe.202
c) Bewertung Der Fall Möllendorf203 beschreibt eine Konstellation, die die Rechtsfolgenseite der „Sanktionsnorm“ betrifft: Es geht um die Auslegung der die UN-Resolutionen umsetzenden EG-Verordnung im Falle nicht gelisteter drittbetroffener Kläger. Der Fall ist ein weiteres Beispiel dafür, dass das Sanktionsregime national auf Widerstand stößt. Besonders die Konstellation der negativen Drittbetroffenheit oder des „Kollateralschadens“ ist für die vorliegende Arbeit interessant und könnte unter dem Stichwort der „Blindheit des Sicherheitsrates/Sanktionskomitees für Kollateralschäden bei der Ausübung von Hoheitsgewalt auf UNEbene“ zusammengefasst werden. 199 200 201 202 203
Ibid. Ibid., Rz. 78. Ibid., Rz. 79. Ibid., Rz. 80.
Nach Auskunft des Kammergerichts Berlin vom 2. Juli 2009 wurde die Klage vor dem Kammergericht am 16. November 2007 zurückgenommen.
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Gemeint ist damit eine weitere Folge, die sich aus der Verlagerung von Implementierungsaspekten auf die UN-Ebene – diesmal bezüglich Dritter – ergibt. In solchen Fällen der Drittbetroffenheit könnte der UN-Mitgliedstaat bei eigener Umsetzung flexibler agieren und die nationalen Grundrechtsmaßstäbe berücksichtigen. Er könnte so eher zu adäquaten Lösungen gelangen, die den Dritten, der ja nicht Al-Qaida-Anhänger und damit nicht Ziel der Sanktionen war, besser schützen könnten. Ist eine solche Verlagerung auf die UN-Ebene jedoch, wie hier, bereits erfolgt, so stellt sich die Frage, wie mit dem Problem der Kollateralschäden im Mehrebenensystem umzugehen ist. Der Sicherheitsrat hat mittlerweile zwar zur Abhilfe selbst eine neue Regel geschaffen, die sicher die Konstellation des Falles Möllendorf im Blick hatte: Danach ist jetzt jede Art von Zahlung an einen Gelisteten erlaubt, unter der Voraussetzung, dass die gezahlten Gelder ihrerseits gleich wieder eingefroren werden.204 Dies löst zwar das zivilrechtliche Dilemma des deutschen Rechts im Fall Möllendorf, in dem das Verbot der Zurverfügungstellung von wirtschaftlichen Ressourcen dazu führte, dass die Grundstücksverkäuferinnen ihre zivilrechtliche Rückzahlungspflicht bezüglich des Kaufpreises nicht erfüllen konnten. Doch gibt es andere denkbare Konstellationen, in denen die neue Regel nicht hilft. Betrachtet man insofern nur den umgekehrten Fall, dass die jetzigen Verkäuferinnen des Grundstücks die Käuferinnen gewesen wären, so hätten sie mit Durchführung aller rechtlichen Schritte außer der Eintragung ins Grundbuch nach deutschem Recht ein dingliches Anwartschaftsrecht auf Übereignung des Grundstücks erworben,205 das mit dem Einfrieren aller wirtschaftlichen Ressourcen des Verkäufers infolge seiner Listung und dem damit einhergehenden Verfügungsverbot auf unabsehbare Zeit zur Warteposition geführt hätte und somit aus eigentumsrechtlicher Sicht praktisch wertlos geworden wäre. Man könnte deshalb im Falle von Kollateralschäden an die Delegation und Wahrnehmung des Menschenrechtsschutzes durch die nationale Ebene denken. Dafür spricht einerseits, dass die Akteure auf UNEbene insofern „mit Blindheit geschlagen“ sind, als für sie nicht vorhersehbar ist, welche Kollateralschäden sich auf nationaler Ebene bei der 204
Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, Ziff. 6; Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009, Ziff. 6. 205 So etwa, wenn eine bindende Auflassung und ein Eigentumsumschreibungsantrag des Erwerbers vorliegen, vgl. Bassenge, § 925 BGB, in: Palandt, BGB, 2006, Rz. 24.
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Umsetzung des Sanktionsregimes ergeben können. Dies liegt daran, dass es sich bei solchen Drittschädigungen, wie der EuGH zu Recht feststellt, um mittelbare Wirkungen des Sanktionsregimes handelt, die ihrerseits Folge von Rechtsvorschriften in den nationalen Rechtsordnungen sind. Trotz der festgestellten Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrates kann aber schlechterdings nicht erwartet werden, dass Sicherheitsrat und Sanktionskomitee bei Einrichtung und Gestaltung eines Sanktionsregimes die Vorschriften aller nationalen Rechtsordnungen kennen und im Rahmen der Ausgestaltung des Regimes auf sie Rücksicht nehmen können. Während die zu listenden Personen konkreter Gegenstand seiner Entscheidung sind und es auch die anzuwendenden Rechtsfolgen selbst festlegt, liegt die Position Dritter nicht im Fokus des Sanktionskomitees. Weil aber die Dritten ohnehin nicht Ziel der Sanktionen sind, spricht auch nichts dagegen, deren Rechte national zu schützen,206 soweit dies ohne Beeinträchtigung des Funktionierens des Sanktionsregimes möglich ist. Für das Problem der Kollateralschädigung dritter, nicht gelisteter Personen durch das 1267-Sanktionsregime lässt sich somit feststellen, dass in diesem Falle im Mehrebenensystem mangels Vertrautheit des Sicherheitsrates mit den nationalen Rechtsordnungen sowie der Unabsehbarkeit der Drittbetroffenen und der Fallkonstellationen möglicher Drittbetroffenheit der Menschenrechtsschutz hier durch die Mitgliedstaaten erfolgen muss.
2. VG München: Der Fall Mzoudi gegen Deutsche Bundesbank Der Fall Mzoudi gegen Deutsche Bundesbank207 ist, soweit ersichtlich, der erste Fall vor einem deutschen Gericht, in dem ein in der Liste der Terrorverdächtigen des 1267-Sanktionsregimes Geführter als Kläger 206
de Wet, Holding International Institutions Accountable: The Complementary Role of Non-Judicial Oversight Mechanisms and Judicial Review, in: Bogdandy/Wolfrum/Bernstorff/Dann/Goldmann (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions, Advancing International Institutional Law, 2010, S. 855, 878, bezeichnet die Entscheidung des EuGH im Fall Möllendorf als interessantes Beispiel dafür, wie Elemente von Verhältnismäßigkeit und Menschenrechtsschutz in das 1267-Regime hineininterpretiert werden können. 207
VG München, Urteil vom 13. Dezember 2007, Az. M 17 K 07.452 (nicht veröffentlicht).
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auftritt.208 Gegenstand der Klage ist allerdings nicht die Listung selbst,209 sondern die Auszahlungsversagung einer Haftentschädigung, die mit der Listung in der entsprechenden EG-Verordnung begründet wird. Weil die EG-Verordnung, die das UN-Sanktionsregime umsetzt, Grundlage der angegriffenen Auszahlungsversagung ist, kommt es auch erstmals im Zusammenhang mit dem Sanktionsregime zur Frage, ob es sich bei der betreffenden EG-Verordnung um einen „ausbrechenden Rechtsakt“ im Sinne der Maastricht-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts handelt.
a) Sachverhalt Der Kläger begehrt die Genehmigung der Auszahlung einer ihm gewährten Haftentschädigung.210 Er befand sich von Oktober 2002 bis zum Dezember 2003 wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum Mord im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 in Untersuchungshaft.211 Das Hanseatische Oberlandesgericht sprach ihn mit Urteil vom Februar 2004 frei und bewilligte ihm dem Grunde nach Haftentschädigung für die erlittene Untersuchungshaft.212 Nachdem der Bundesgerichtshof die Revisionen des Generalbundesanwalts und mehrerer Nebenkläger mit Urteil vom Juni 2005 verworfen hatte, setzte die Justizbehörde in Hamburg auf Antrag des Klägers mit Entscheidung vom Juni 2006 die Haftentschädigung fest.213 Die Auszahlung des Betrages scheiterte je-
208
Im soeben besprochenen Fall Möllendorf und Möllendorf-Niehuus, EuGH, Urteil vom 11. Oktober 2007, C-117/06, Slg. 2007, I-8361, führten Drittbetroffene die Klage. 209
In einem weiteren Fall, der nicht die Listung selbst, sondern deren Rechtsfolgen betraf, entschied ein kanadisches Gericht zugunsten des Gelisteten, dass diesem zu Unrecht von Kanada die Einreise nach Kanada verweigert worden sei, s. dazu Tzanakopoulos, An Effective Remedy for Josef K: Canadian Judge ‘Defies’ Security Council Sanctions through Interpretation, EJIL: Talk!, 19. Juni 2009, abrufbar unter [www.ejiltalk.org] (zuletzt besucht am 2. Mai 2010). 210
VG München, Urteil vom 13. Dezember 2007, Az. M 17 K 07.452 (nicht veröffentlicht), S. 2. 211 212 213
Ibid. Ibid. Ibid.
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doch an der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002 (im Folgenden: EG-Verordnung), wonach dem Kläger Geld weder direkt noch indirekt zur Verfügung gestellt werden durfte.214 Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren gegen die Auszahlungsversagung erhob der Kläger Klage auf Aufhebung des Widerspruchsbescheids und auf Verpflichtung der Beklagten, die Auszahlung der dem Kläger gewährten Haftentschädigung zu genehmigen.215 Weil er die Versagung der Genehmigung für verfassungswidrig hielt, beantragte er außerdem, das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG die Frage vorzulegen, ob die Art. 2 bis 4 der EG-Verordnung gegen Art. 23 Abs. 1 Satz 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1, Art. 2 Abs. 1 und/oder Art. 20 Abs. 3 GG verstießen.216 Der Kläger machte geltend, dass sein Anspruch auf Erlass der Auszahlungsgenehmigung aus seinen Grundrechten folge, insbesondere aus der Vertrags- und Wirtschaftsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG und seinem Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 GG.217 Die Auszahlung von Haftentschädigung falle nicht in den Anwendungsbereich des Art. 2 der EGVerordnung.218 Eine allein auf den Zweck der Terrorismusbekämpfung abstellende Begründung verstoße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des EG-Rechts.219 Die Strafbewehrung des rechtsgeschäftlichen Verkehrens mit gelisteten Personen, die intransparenten Gefährlichkeitsvermutungen, auf denen das Sanktionsregime fuße, sowie der Mangel an Rechtsschutz belegten dies.220 Die Sichtweise des EuG, das in Fällen der Listung lediglich ius cogens zum Prüfungsmaßstab nehmen wolle, bleibe außerdem weit hinter dem grundgesetzlichen Standard des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG zurück.221
214 215 216 217 218 219 220 221
Ibid., S. 3. Ibid., S. 5. Ibid. Ibid., S. 6. Ibid. Ibid., S. 6 f. Ibid., S. 9. Ibid., S. 8.
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b) Entscheidungsgründe Das Gericht stellt fest, dass dem Kläger kein Anspruch auf Erteilung der von ihm begehrten (Ausnahme-)Genehmigung nach Art. 2 a der EG-Verordnung zustehe, da seine Forderung auf Auszahlung der Haftentschädigung nach Art. 2 der EG-Verordnung eingefroren sei und die Voraussetzungen für die Freigabe der Haftentschädigung nicht vorlägen.222 Nach der Legaldefinition in Art. 1 Nr. 1 der EG-Verordnung umfasse der Begriff „Gelder“ finanzielle Vermögenswerte oder wirtschaftliche Vorteile jeder Art einschließlich Geldforderungen.223 Somit werde von dem Begriff auch die Auszahlung der Haftentschädigung erfasst. „Einfrieren von Geldern“ bedeute nach Art. 1 Nr. 3 der EGVerordnung die Verhinderung jeglicher Form von Bewegungen, Transfers, Veränderungen, Verwendung von Geldmitteln und Handel mit ihnen, die deren Volumen, Beträge, Belegenheit, Eigentum, Besitz, Eigenschaften oder Zweckbestimmung veränderten oder andere Veränderungen bewirkten, mit denen eine Verwendung der Gelder einschließlich der Vermögensverwaltung ermöglicht werde.224 Die Auszahlung der Haftentschädigung sei ein Transfer von Geldmitteln, der eine Verwendung der Gelder durch den gelisteten Kläger ermöglichen würde. Daher sei die Verhinderung der Auszahlung ein „Einfrieren von Geldern“. Die Haftentschädigung falle ungeachtet ihres Kompensationscharakters für erlittenes Unrecht in den Anwendungsbereich der EG-Verordnung: Nach Wortlaut und Zweck sei keine Ausnahme für derartige Forderungen vorgesehen, weil die EG-Verordnung einerseits nicht auf die Herkunft von Geldforderungen abstelle und andererseits möglichst alle finanziellen und sonstigen geldwerten Mittel von ihr erfasst werden sollten, um die adressierten terrroristischen Organisationen effektiv von finanziellen Ressourcen abzuschneiden.225 Andererseits seien die Voraussetzungen für die in der EG-Verordnung vorgesehenen Ausnahmen vom Einfrieren von Geldern vom Kläger nicht dargetan.226 Die vom Kläger angeregte Aussetzung des Verfahrens (§ 94 VwGO analog) und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG hält das Verwaltungsgericht für unzulässig: Zwar könne Ge222 223 224 225 226
Ibid., S. 14, 16. Ibid., S. 14. Ibid. Ibid., S. 15. Ibid., S. 16.
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genstand einer solchen Vorlage grundsätzlich auch eine EG-Verordnung sein, doch sei bei Beteiligung sekundären EG-Rechts mit Rücksicht auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG nur dann zulässig, wenn ihre Begründung im Einzelnen darlege, dass die gegenwärtige Rechtsentwicklung im europäischen Gemeinschaftsrecht den jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz generell nicht gewährleiste.227 Diese Voraussetzung für die Vorlage sieht das Gericht als nicht erfüllt an: Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG verlange keinen deckungsgleichen, sondern einen im Wesentlichen gleichen Grundrechtsschutz auf EUEbene.228 Beim Individualrechtsschutz durch unabhängige Gerichte müsse rechtliches Gehör gewährleistet, rechtskundiger Beistand ermöglicht und müssten angemessene Angriffs- und Verteidigungsmittel geboten werden. Außerdem müsse eine Grundrechtsverletzung sachgerecht und wirksam sanktioniert werden können.229 Dies sei nach der bisherigen Rechtsprechung des EuG der Fall: Einerseits stehe dem Kläger das Verfahren nach Art. 230 Abs. 4 EG (nunmehr Art. 236 Abs. 4 AEUV) zum Angriff seiner Listung in der Sanktionsliste der EG zur Verfügung, bezüglich dessen er die Frist nach Art. 230 Abs. 5 EG selbstverschuldet versäumt habe.230 Andererseits sei den bisher ergangenen Entscheidungen der europäischen Gerichte nicht zu entnehmen, dass der EuGH nicht bereit sei, die Grundrechte der von Sanktionsregime Betroffenen generell anzuerkennen oder zu schützen.231 So zeige die Entscheidung des EuG im Fall OMPI,232 in der der Beschluss des Rates, der zur Listung der Klägerin geführt hatte, soweit diese betroffen war, für nichtig erklärt wurde, dass die europäische Gerichtsbarkeit auch in den Fällen sogenannter „Terrorlisten“ bereit sei, Verfahrensgarantien wie Anhörungsrechte und Begründungspflichten sowie das Recht auf effektiven Rechtsschutz sorgsam zu prüfen.233 Im Urteil im 227 228 229 230 231
Ibid., S. 16 f. Ibid., S. 20 f. Ibid., S. 21. Ibid., S. 17 f, 21. Ibid., S. 21 f.
232
Organisation des Modjahedines du peuple d’Iran gegen Rat der Europäischen Union, EuG, Urteil vom vom 12. Dezember 2006, T-228/02, Slg. 2006, II4665. 233
VG München, Urteil vom 13. Dezember 2007, Az. M 17 K 07.452 (nicht veröffentlicht), S. 22.
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Fall PKK und NKK234 sei vom EuGH ausgeführt worden, dass die Grundrechte integraler Bestandteil der allgemeinen Rechtsgrundsätze seien, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern habe.235 Die Einzelnen müssten einen effektiven gerichtlichen Schutz der Rechte in Anspruch nehmen können, die sie aus der Gemeinschaftsrechtsordnung herleiteten.236 Die Effektivität dieses gerichtlichen Schutzes sei umso wichtiger, als die in der entsprechenden EG-Verordnung vorgesehenen restriktiven Maßnahmen gravierende Folgen hätten.237 Dadurch würden nicht nur alle Finanzgeschäfte und Finanzdienstleistungen verhindert, an denen eine von dieser Verordnung erfasste Person beteilitgt sei, sondern durch ihre Einstufung als terroristisch seien auch ihr Ruf und ihr politisches Handeln beeinträchtigt.238 In den Urteilen in den Fällen Yusuf, Kadi und Ayadi239 habe sich das EuG trotz seines Bemühens um wirksamen Rechtsschutz aufgrund des weiten Beurteilungs- und Prognosespielraums auf der Ebene der Vereinten Nationen gehindert gesehen, eine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle durchzuführen und seinen Kontrollmaßstab darauf beschränkt, das Vorliegen von Willkür bzw. die Verletzung von ius cogens zu überprüfen.240 Die umfangreichen Ausführungen zur Begründetheit zeigten aber, dass das Gericht bemüht und in der Lage sei, im Rahmen des Möglichen einen wirksamen und effizienten Ersatz für die fehlenden Rechtsschutzmöglichkeiten auf der Ebene der Vereinten Nationen zu bieten.241 Im Übrigen seien die Entscheidungen des EuG zumindest 234
PKK und NKK gegen Rat, EuGH, Urteil vom 18. Januar 2007, C-229/05, Slg. 2007, I-439. 235
VG München, Urteil vom 13. Dezember 2007, Az. M 17 K 07.452 (nicht veröffentlicht), S. 22. 236 237 238
Ibid. Ibid. Ibid.
239
Yusuf und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaft, EuG, Urteil vom 21. September 2001, T306/01, Slg. 2005, II-3533; Kadi gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaft, EuG, Urteil vom 21. September 2001, T-315/01, Slg. 2005, II-3649; Chafiq Ayadi gegen Rat der Europäischen Union, EuG, Urteil vom 12. Juli 2006, T-253/02, Slg. 2006, II-2139. 240 VG München, Urteil vom 13. Dezember 2007, Az. M 17 K 07.452 (nicht veröffentlicht), S. 22 f. 241
Ibid., S. 23.
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Teil IV: Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz
teilweise nicht rechtskräftig.242 Auch bezüglich der im Fall Kadi ergangenen Schlussanträge,243 in denen der Generalanwalt dem EuGH vorgeschlagen habe, das angegriffene Urteil des EuG aufzuheben und die Verordnung, in der der Rechtsmittelführer gelistet ist, soweit sie diesen betrifft, für nichtig zu erklären, zeige, dass eine effektive gerichtliche Kontrolle auf europäischer Ebene stattfinde.244 Auch handele es sich bei der streitgegenständlichen EG-Verordnung nicht um einen „ausbrechenden Rechtsakt“ im Sinne des MaastrichtUrteils des Bundesverfassungsgerichts, der von der Hoheitsrechtsübertragung der Bundesrepublik Deutschland auf die EG nicht mehr gedeckt sei, da sich die Zuständigkeit der EG zum Erlass dieser Verordnung aus den Art. 60, 301, 308 EG ergebe.245
c) Bewertung Bei der Auswertung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts München für die vorliegende Untersuchung ist zunächst der Streitgegenstand zu beachten: Verlangt ist die Verpflichtung der Behörde zur Genehmigung der Auszahlung der Haftentschädigung. Die Nichtauszahlung ist die Rechtsfolge der Listung des Klägers in der Liste der UN und der deckungsgleichen Liste der EG (jetzt EU). Unmittelbarer Streitgegenstand ist somit also nicht die Listung des Klägers, sondern der Rechtsstreit bezieht sich seinem Gegenstand nach auf die Rechtsfolgenseite der UN-„Sanktionsnorm“. Es geht daher im Rahmen der Sanktion des Einfrierens von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen um die Auslegung und Anwendung der entsprechenden Vorschriften der EG-Verordnung. Der Fall bildet ein weiteres Beispiel dafür, dass das 1267-Sanktionsregime wegen seiner individualbezogenen Wirkungen auf Schwierigkeiten bei der Umsetzung in den UN-Mitgliedstaaten stößt. Insoweit wird neben der Vertrags- und Wirschaftsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem Eigentumsrecht (Art. 14 GG) mit Blick auf den ius cogens-Maßstab des 242
Ibid.
243
Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro, Kadi gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaften, C402/05 P, 16. Januar 2008, Slg. 2008, I-6351. 244 VG München, Urteil vom 13. Dezember 2007, Az. M 17 K 07.452 (nicht veröffentlicht), S. 23. 245
Ibid., S. 18 f.
H. Bisherige nationale und regionale Rechtsprechung
303
EuG auch der effektive Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) als verletzt gerügt. Was zum Verhältnis des Bundesverfassungsgerichts zum EuGH zur Prüfungskompetenz bezüglich Grundrechtsverletzungen durch EURechtsakte gesagt wird, überzeugt nicht: Die Aussage, das EuG habe im Fall Kadi gezeigt, dass es um Rechtsschutzgewähr bemüht sei, klingt eher zynisch und die herangezogenen Urteile des EuG und EuGH zum 1373-Sanktionsregime sind kaum aussagekräftig, da in diesem Sanktionsregime keine Liste auf UN-Ebene geführt wird. Zur Besonderheit, dass im vorliegenden Fall eine Listung der UN-Ebene im Hintergrund steht, verhält sich das Urteil nicht. Nachdem mittlerweile der EuGH den Fall Kadi zugunsten der Beschwerdeführer entschieden hat,246 scheint das Argument, dass das Grundrechtsschutzniveau auf EGEbene nicht generell unter den Standard des Grundgesetzes abgesunken sei, allerdings besser vertretbar.247 Die Entscheidung ist neben dem Fall Nada ein weiteres Beispiel dafür, dass kein Gleichlauf zwischen strafrechtlicher Beurteilung und den Entscheidungen im Rahmen des Sanktionsregimes zu erkennen ist: Auch hier hat ein strafgerichtlicher Freispruch nichts an der fortgesetzten Sanktionsunterworfenheit des Klägers geändert.
III. Fazit zur bisherigen nationalen und regionalen Rechtsprechung zum 1267-Sanktionsregime Die Analyse nationaler und regionaler Entscheidungen fördert ein uneinheitliches Bild zu Tage und belegt, dass die Gerichte sich mit dem Menschenrechtsschutz im 1267-Sanktionsregime schwer tun. Regional wird von den Unionsgerichten nunmehr einheitlich judiziert, dass die Listungsverordnung vollumfänglich am Maßstab der EU-Grundrechte zu überprüfen ist. Der früheren Ansicht des EuG zur Beschränkung des Prüfungsmaßstabs auf das ius cogens schließt sich das Schweizer Bundesgericht an, obwohl es mangels EU-Mitgliedschaft der Schweiz gar nicht an dessen Rechtsprechung gebunden ist. Das deutsche Verwaltungsgericht wiederum versucht, sich hinter der Aussicht auf das zum 246 247
S. die Besprechung oben, H.I.1.
Am 20. Mai 2008 wurde Berufung gegen das Urteil beim VGH München eingelegt. Nach Auskunft der Pressestelle des VGH München vom 2. Juli 2009 ruht das Verfahren jedoch.
304
Teil IV: Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz
Zeitpunkt seiner Entscheidung noch gar nicht ergangene, aber besseren Rechtsschutz verheißende Kadi-Urteil des EuGH zu verstecken. Außer diesem Hang zu Notlösungen, der die Ratlosigkeit der Gerichte offenbart, fällt vor allem die Diversität des zur Anwendung in Betracht gezogenen Rechts in den Blick: Während sich das EuG zunächst auf den völkerrechtlichen Maßstab des ius cogens zurückzog, wendet der EuGH EU-Grundrechte an; der UN-MRA misst das 1267-Regime am Maßstab des Internationalen Pakts (IpbpR), das Schweizer Bundesgericht vertritt eine Auslegung, die mit der Schweizer Bundesverfassung konform sein soll und im Verfahren vor dem VG München waren deutsche Grundrechte immerhin eingeklagt. Schon vor der Frage der Anwendbarkeit von Rechtsvorschriften verschiedener Ebenen – was zur Komplexität des 1267-Regimes beiträgt und die Rechtsfindung erschwert – stellt sich jedoch die Frage, welches Gericht in diesem Sanktionsregime für die gerichtliche Kontrolle zuständig ist. Die hier besprochenen Entscheidungen stammen – soweit nur tatsächlich gerichtliche Entscheidungen in den Blick genommen und die Ansichten des UN-MRA außer Betracht gelassen werden248 – von nationalen (Deutschland, Schweiz) und regionalen (EuGH) Gerichten, wobei auch noch eine Prüfung durch den EGMR denkbar erscheint.249 Damit deutet sich Konfliktpotential infolge der Überprüfung durch verschiedene Gerichte an. Im Folgenden soll daher der Frage nachgegangen werden, welche Grundsätze gefunden werden können, um das prüfungsbefugte Gericht zu identifizieren und damit solchen Konflikten zu begegnen.
248
Die Betrachtung soll an dieser Stelle auf gerichtliche Entscheidungen beschränkt werden. Der UN-MRA soll außen vor bleiben, weil er auf seiner Ebene, der UN-Ebene, nicht verbindlich (hier: gegenüber dem Sicherheitsrat und dem Sanktionskomitee) entscheiden kann. 249
Im bereits angesprochenen Fall Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret Anonim Sirketi gegen Irland, EGMR, Große Kammer, Urteil vom 30. Juni 2005, Nr. 45036/98, ECHR 2005-VI, prüfte dieser eine nationale Beschlagnahme, die auf Grundlage einer EG-Verordnung erfolgte, die ihrerseits – wie beim 1267-Regime – auf UN-Resolutionen basierte.
J. Prinzipien für den gerichtlichen Rechtsschutz im Mehrebenensystem des 1267-Sanktionsregimes I. Einleitung Wie bereits oben festgestellt wurde, gibt es bisher keinen den Vorgaben des Europarates entsprechenden Rechtsschutz für den einzelnen Gelisteten auf UN-Ebene. Dieses unbefriedigende Zwischenergebnis führt vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung nationaler und regionaler Gerichte zum 1267-Sanktionsregime zu der Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen nationale und regionale Gerichte zu einer Überprüfung einzelner Aspekte des 1267-Sanktionsregimes befugt sind, und wie mögliche Konflikte unter diesen Gerichten gelöst werden können. In diesem Kapitel soll daher zunächst untersucht werden, auf welcher Grundlage internationale, nationale und regionale Gerichte berechtigt sein könnten, Aspekte des 1267-Sanktionsregimes, insbesondere die Listungen auf UN-Ebene, zu überprüfen. Im Anschluss daran gilt es zu klären, wie es um Schwierigkeiten und Chancen gerichtlichen Rechtsschutzes im Mehrebenensystem des 1267-Sanktionsregimes vor dem Hintergrund des Konfliktpotentials zwischen den verschiedenen beteiligten Gerichten steht. Dafür werden zunächst anhand der „Sanktionsnorm“ entlang der Tatbestands- und Rechtsfolgenseite die denkbaren Gegenstände gerichtlicher Verfahren im 1267-Regime identifiziert. Danach wird mit Hilfe des Kriteriums der gerichtlichen Zuständigkeit das konkrete Konfliktpotential zwischen nationalen und regionalen Gerichten im 1267-Regime bestimmt. Anschließend wird untersucht, welche Lösungsansätze für diese Konflikte angemessen sein könnten. Danach wird Ausblick genommen auf die Einpassung eines möglichen UN-Spruchkörpers in das Mehrebenensystem der Gerichte, bevor das abschließende Fazit gezogen wird.
306
Teil IV: Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz
II. Die Prüfungsberechtigung internationaler, nationaler und regionaler Gerichte in Bezug auf Aspekte des 1267-Sanktionsregimes, insbesondere die Listungen auf UN-Ebene 1. Die Prüfungsberechtigung internationaler Gerichte Wenn man nach der gerichtlichen Prüfungszuständigkeit hinsichtlich des 1267-Sanktionsregimes der UN fragt, muss zuerst der Internationale Gerichtshof (IGH) als das Gericht des UN-Systems (Art. 92 UNCh) in Betracht gezogen werden.1 Allerdings können sich Individuen nicht an den IGH wenden.2 Zudem hat sich der IGH bisher bezüglich einer Kontrolle des Sicherheitsrates zurückgehalten.3 Mangels Zuständigkeit ratione personae ist daher die gerichtliche Prüfungszuständigkeit des IGH für Klagen, die unmittelbar durch den Gelisteten eingereicht wer-
1
Zur bisherigen Rolle der Menschenrechte vor dem IGH Higgins, Human Rights in the International Court of Justice, LJIL 20 (2007) 4, S. 745 ff. 2
Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut regelt insoweit: “Only states may be parties in cases before the Court”. Eingehend zur Stellung des Individuums vor dem IGH Scheinin, The ICJ and the Individual, ICLR 9 (2007) 2, S. 123 ff. 3
Eine Zuständigkeit des IGH zur direkten Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Akten der politischen Organe der UN verneint Tomuschat, Urteilsanmerkung: Case Law, Court of First Instance, Judgments of 21 September 2005, Cases T-306/01 & T-315/01, Ali Yusuf and Al Barakaat & Kadi, CMLRev. 43 (2006) 2, S. 537, 538. Ausführlich zur Zuständigkeit des IGH zur Überprüfung von Resolutionen des Sicherheitsrates Schweigmann, The Authority of the Security Council under Chapter VII of the UN Charter, Legal Limits and the Role of the International Court of Justice, 2001, S. 210-285 sowie Herbst, Rechtskontrolle des UN-Sicherheitsrates, 1999, S. 387-409. Nach Alvarez, Judging the Security Council, AJIL 90 (1996) 1, S. 1, 38 f., spielt der IGH aufgrund seiner, wenn auch indirekten, Prüfungtätigkeit bezüglich des Sicherheitsrats eine durchaus wichtige Rolle im Verhältnis zu diesem. Dass der IGH seine Zurückhaltung aufgeben möge, fordert allerdings mit Blick auf das 1267-Regime jüngst Recker, European Court of Justice Secures Fundamental Rights from UN Security Council Resolutions, GoJIL 1 (2009) 1, S. 159, 174; auch Kolb, Le contrôle de Résolutions contraignantes du Conseil de sécurtié des Nations Unies sous l’angle du respect du jus cogens, SZIER 18 (2008) 5, S. 401, 410 f., zieht ein Tätigwerden des IGH in Betracht. Die Zulässigkeit der gerichtlichen Überprüfung des Sicherheitsrats durch den IGH dem Grunde nach bejahen Bruha/Krajewski, Gerichtliche Kontrolle des UN-Sicherheitsrates?, S + F 16 (1998) 2, S. 93, 97.
J. Prinzipien für den gerichtlichen Rechtsschutz
307
den, nicht gegeben.4 Staaten wiederum können zwar grundsätzlich klagen, doch kann der IGH nur über Klagen zwischen Staaten, nicht aber zwischen einem Staat und einer internationalen Organisation entscheiden (vgl. Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut). Die Errichtung eines Weltmenschenrechtsgerichtshofs,5 dem man dann auch die Zuständigkeit zur Überprüfung der UN-Listungen zuordnen könnte, ist noch zu weit von der Realisierung entfernt, als dass dies hier ernsthaft in Erwägung zu ziehen wäre.
2. Die Prüfungsberechtigung nationaler und regionaler Gerichte Dies lenkt den Blick auf die nationalen und regionalen Gerichte. Hier stellt sich jedoch die Frage, ob für diese eine Prüfungsberechtigung für Rechtsakte besteht, die auf UN-Maßnahmen beruhen.6 In der Literatur wurde einerseits mit dem Argument der Menschenrechtsverpflichtung7 und der Souveränität der Staaten8 die Zuständigkeit nationaler Gerichte 4
Für eine Stärkung der Rolle des IGH bei der Überprüfung von Akten des Sicherheitsrats mit u.a. dem Vorschlag der Ausweitung der Zuständigkeit ratione personae s. Bedjaoui, Du contrôle de légalité des actes du conseil de sécurité, in: Rigaux (Hrsg.), Nouveaux itinéraires en droit, hommage à François Rigaux, 1993, S. 69, 94 ff. Petculescu, The Review of the United Nations Security Council Decisions by the International Court of Justice, NILR 52 (2005) 2, S. 167 ff. Aznar Gómez, El control de legalidad de la acción del Consejo de Seguridad de las Naciones Unidas en el ámbito del capítulo VII de la Carta, Anuario argentino de derecho internacional 8 (1998), S. 31 ff., erwägt auch eine Selbstkontrolle des Sicherheitsrats oder eine Überprüfung durch die Generalversammlung. Gegen eine gerichtliche Kontrolle und für eine Selbstkontrolle des Sicherheitsrats, die gefördert wird durch seine Angewiesenheit auf die UN-Mitgliedstaaten Sorel, Le caractère discrétionnaire des pouvoirs du Conseil de sécurité: remarques sur quelques incertitudes partielles, Revue belge de droit international 37 (2004) 2, S. 462, 481, 483. 5
Dafür plädiert Nowak, The Need for a World Court of Human Rights, HRLR 7 (2007) 1, S. 251 ff. 6
Zur Zuständigkeit der Unionsgerichte etwa Neudorfer, Antiterrormaßnahmen der Vereinten Nationen und Grundrechtsschutz in der Union, ZaöRV 69 (2009) 4, S. 979 ff. 7
de Wet/Nollkaemper, Review of Security Council Decisions by National Courts, GYIL 45 (2002), S. 166, 188 ff. 8
Schilling, Die “neue Weltordnung” und Souveränität der Mitglieder der Vereinten Nationen, AVR 33 (1995) 1/2, S. 67, 93 ff.
308
Teil IV: Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz
angenommen,9 andererseits aber auch mit der Begründung der Schwächung des Sicherheitsrates und der Gefahr der uneinheitlichen Anwendung des UN-Rechts10 eine derartige Zuständigkeit abgelehnt. Die Gründe für diese unterschiedliche Sichtweise lassen sich am Beispiel des 1267-Regimes besonders gut nachvollziehen.
a) Prüfungsberechtigung nach hergebrachter Sicht Die Prüfungsberechtigung nationaler und regionaler Gerichte in Bezug auf Aspekte des 1267-Sanktionsregimes, insbesondere die Listungen auf UN-Ebene, könnte man auf den ersten Blick ohne weitere Schwierigkeiten als gegeben ansehen.11 Da die Elemente des Sanktionstatbestands, also die Listungen sowie die konkreten Sanktionen, der Umsetzung auf nationaler bzw. regionaler Ebene bedürfen, sind grundsätzlich – auch für den Einzelnen – die regulären Rechtmittel gegen die erlassenen nationalen bzw. regionalen Umsetzungsakte möglich.12 So lassen sich die oben genannten Interessen der UN-Mitgliedstaaten an ihrer Souveränität und an der Erfüllung ihrer Menschenrechtsverpflichtungen verwirklichen. Die den nationalen bzw. regionalen Rechtsakten zugrunde liegenden UN-Rechtsakte werden dabei nur inzident geprüft. Für die Rechtsfolgenseite der „Sanktionsnorm“, also insbesondere die Anwendung der Sanktionen, hat diese Argumentation Bestand. Anders könnte es sich aber hinsichtlich der Listungen verhalten.
9
Tappeiner, Multilevel Fight Against Terrorism, in: Hoek/Hol/Jansen/ Rijpkema/Widdershoven (Hrsg.), Multilevel Governance in Enforcement and Adjudication, 2006, S. 93, 127, schlägt ohne weitere Begründung den nationalen Gerichten die Zuständigkeit zu. 10
Vgl. Delbrück, Article 25, in: Simma, Bruno (Hrsg.): The Charter of the United Nations – A Commentary, 2002, S. 452, 459. 11
Zur Frage der Berechtigung staatlicher sowie überstaatlicher Gerichte zur rechtlichen Überprüfung von Sicherheitsratsresolutionen mit besonderer Berücksichtigung des 1267-Sanktionsregimes, s. Payandeh, Rechtskontrolle des UN-Sicherheitsrates durch staatliche und überstaatliche Gerichte, ZaöRV 66 (2006) 1, S. 41 ff. 12
S. dazu statt vieler Schmalenbach, International Organizations or Institutions, Legal Remedies against Acts of Organs, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil.com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 18.
J. Prinzipien für den gerichtlichen Rechtsschutz
309
b) Notwendigkeit einer abweichenden Beurteilung im 1267-Regime in Bezug auf die Listung Bezüglich der Listungen im 1267-Regime ist zu bedenken, dass durch die konkrete, abschließende Nennung eines bestimmten Namens schon durch das Sanktionskomitee auf UN-Ebene der nationalen und regionalen Ebene Vorgaben ohne weiteren Ermessensspielraum gemacht werden.13 Dies lässt Zweifel an der klassischen Sichtweise aufkommen, die sich allein von der Tatsache leiten lässt, dass die Umsetzungsakte für die Listungen nationale bzw. regionale Rechtsakte sind und deshalb vor den nationalen bzw. regionalen Gerichten unter Anwendung der dort gültigen Prüfungsmaßstäbe angegriffen werden können. Diese Zweifel scheinen deshalb angebracht, weil im 1267-Sanktionsregime – anders als in den meisten anderen Sanktionsregimen – der Sicherheitsrat durch die Beauftragung des Sanktionskomitees mit der Listung einen Aufgabenbereich auf die UN-Ebene verlagert hat, der in seiner konkreten Ausgestaltung typischerweise Teil der Umsetzung auf nationaler und regionaler Ebene ist. Dadurch wird die sonst nur inzidente Kontrolle von UN-Rechtsakten durch nationale und regionale Gerichte zwar nicht de iure zur unmittelbaren Kontrolle des UN-Akts, da ein nationaler bzw. regionaler Umsetzungsakt jeweils vorhanden ist und formal als Prüfungsgegenstand dienen kann. De facto handelt es sich aber um eine unmittelbare Kontrolle des UN-Akts, da national bzw. regional nur unverändert und wortlautgleich die auf UN-Ebene vorgenommene Listung übernommen wird. Bedenkt man dies, so werden wieder die der nationalen Prüfungszuständigkeit entgegengehaltenen, oben genannten Interessen der Vermeidung einer Schwächung des Sicherheitsrats und der Gefahr einer uneinheitlichen Anwendung des UN-Rechts sichtbar. Ein wichtiges Argument gegen die klassische Sichtweise, die sehr formal auf die nationale Natur des nationalen Umsetzungsakts abstellt, lässt sich auch aus den möglichen Rechtsfolgen nationaler Rechtsschutzgewähr ableiten: Selbst wenn der Gelistete mit seiner Klage national durchdringt, kann er wegen der Besonderheit, dass die Listung auf UNEbene stattfindet, mit seinem eigentlichen Rechtsschutzziel, nämlich seine Streichung von der UN-Liste zu erwirken, keinen Erfolg haben, weil kein nationales Gericht diese anordnen kann. Wird – als Gegenbeispiel – im allgemeinen Sanktionsregime nach Resolution 1373 (2001) 13
Siehe auch Payandeh, Rechtskontrolle des UN-Sicherheitsrates durch staatliche und überstaatliche Gerichte, ZaöRV 66 (2006) 1, S. 41, 61 f.
310
Teil IV: Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz
national eine Person als Terrorist gelistet und greift die betroffene Person die Listung an, so können die nationalen Gerichte diese nationale Listung an nationalen Maßstäben prüfen und sie gegebenenfalls direkt aufheben, so dass der Kläger sein volles Rechtsschutzziel erreicht. Es findet somit keine direkte Kontrolle eines UN-Rechtsakts statt und der jeweilige Staat bleibt völkerrechtlich nur verpflichtet, weiterhin allgemein Maßnahmen gegen den Terrorismus zu ergreifen. Spricht somit einiges dafür, im besonderen Fall des 1267-Regimes von der klassischen Sichtweise der Prüfungszuständigkeit nationaler Gerichte abzugehen, so kommt man zu dem Zwischenergebnis, dass nationale Gerichte für die Überprüfung der Listung ausnahmsweise nicht zuständig sind, weil ihre Prüfungszuständigkeit trotz der nationalen bzw. regionalen Umsetzung der Listung ausscheidet. Denn kein nationales Gericht hat eine Zuständigkeit für die – hier de facto – unmittelbare Prüfung von Entscheidungen des Sicherheitsrats oder des Sanktionskomitees.14 Diese Sichtweise trägt dem Interesse an der Vermeidung einer Schwächung des Sicherheitsrats und einer uneinheitlichen Anwendung des UN-Rechts Rechnung. Dennoch bleibt gerade im Interesse der Menschenrechtsverpflichtungen der UN-Mitglieder zu prüfen, ob sich ein – zumindest vorläufiges – Prüfungsrecht nationaler bzw. regionaler Gerichte aus anderen Erwägungen ergibt.
c) Prüfungszuständigkeit bezüglich der Listungen aufgrund des UN-Treuegedankens Wenn – wie oben gezeigt15 – der UN-Treuegedanke die UN bei der Ausgestaltung des 1267-Regimes zur Rücksichtnahme auf Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit und damit auch zur Rechtsschutzgewähr verpflichtet, so könnte sich argumentieren lassen, dass die nationalen und gegebenenfalls regionalen16 Gerichte – gleichsam stellvertretend für
14
Frowein, Issues of Legitimacy around the United Nations Security Council, in: Frowein/Scharioth/Winkelmann/Wolfrum (Hrsg.), Verhandeln für den Frieden Negotiating for Peace Liber Amicorum Tono Eitel, 2003, S. 121, 131. 15 16
S. o., E.I.-V.
Bei dieser Einbeziehung auch regionaler Gerichte wird nicht übersehen, dass die UN-Treue weiter oben nur für das Verhältnis der UN-Ebene zur nationalen Ebene, nicht aber zur EU oder regionalen Gerichten hergeleitet wurde. Lässt sich aber im Verhältnis der UN zur nationalen Ebene eine gerichtliche Prüfungszuständigkeit der nationalen Ebene feststellen, so bleibt es dieser auch
J. Prinzipien für den gerichtlichen Rechtsschutz
311
die noch unerfüllte Pflicht der UN – jedenfalls so lange selbst zur Prüfung der Listungen berufen sind, bis auf UN-Ebene entsprechender Rechtsschutz eingerichtet ist. Soweit die hergebrachte Sichtweise zur Prüfungszuständigkeit nationaler Gerichte diese Zuständigkeit nur aufrechterhalten will, solange kein entprechender Rechtsschutz auf UNEbene besteht, unterscheidet sie sich von der hier vorgeschlagenen, nur ausnahmsweise gegebenen Zuständigkeit infolge der Treuepflicht dadurch, dass sie eine Prüfungszuständigkeit grundsätzlich (und nicht nur ausnahmsweise) bejaht, also im Falle einer Einrichtung von Rechtsschutz auf UN-Ebene allenfalls auf die weiterhin gegebene Zuständigkeit „freiwillig verzichten“ würde. Nur eine rechtliche Konstruktion wie die nach dem UN-Treuegedanken, die automatisch zum Wegfall nationaler bzw. regionaler Zuständigkeit nach Einrichtung von Rechtsschutz auf UN-Ebene führt, kann jedoch zukünftige Zuständigkeitskonflikte wirksam vermeiden.17
d) Durchführung der Punktprobe zur Bestätigung der Zuständigkeit nationaler bzw. regionaler Gerichte für die Überprüfung der UNListungen Wird somit eine einstweilige Prüfungszuständigkeit der nationalen bzw. regionalen Gerichte bezüglich der Listungen bejaht, so stellt sich die Frage, ob dieses Ergebnis der „Punktprobe“ standhält, ob also der hier auch im Bereich der gerichtlichen Überprüfung angewandte Gedanke der Treuepflicht mit den Grundsätzen der Völkerrechtsordnung gleichsam „auf einer Linie liegt“, also mit ihr vereinbar ist.
aa) Das Konzept des Handelns ultra vires Im Rahmen der „Punktprobe“ ist zunächst zu fragen, ob sich die Annahme der nationalen bzw. regionalen Prüfungzuständigkeit statt auf die Treuepflicht nicht schon auf das bereits bestehende völkerrechtliche Konzept der ultra vires-Akte internationaler Organisationen stützen lässt.
unbenommen, Gebilde wie die EU oder den EGMR einzurichten, die ihrerseits die gerichtliche Prüfung durchführen. 17
Im Einzelnen hierzu unten, J.IV.3.
312
Teil IV: Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz
Internationale Organisationen handeln ultra vires, wenn sie das Mandat überschreiten,18 das sich aus ihrer jeweiligen Satzung ergibt. Die Zuständigkeit zur Prüfung, ob ein solcher ultra vires-Akt gegeben ist, liegt in Ermangelung effektiver Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten auf Seiten der Organisation bei deren Mitgliedstaaten.19 Obwohl unstreitig ist, dass internationale Organisationen nur begrenzte Handlungsbefugnisse haben, bringt die ultra vires-Doktrin einige Schwierigkeiten in ihrer Anwendung mit sich: So ist strittig, ob das Handeln jenseits der Zuständigkeiten anhand des Maßstabs der Kompetenzen oder der Funktionen der internationalen Organisationen zu bestimmen ist.20 Wird der Maßstab der Funktionen angelegt, der für die Organisation milder ist, weil er ihr mehr Spielraum belässt, so würde man im vorliegenden Fall des 1267-Regimes eher nicht zu einer Bejahung des ultra viresHandelns kommen, weil der Sicherheitsrat hier mit der internationalen Terrorismusbekämpfung durchaus in seiner Funktion als Wahrer des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit agiert. Auch wenn man, wie etwa auch das deutsche Bundesverfassungsgericht bezogen auf die EU,21 nach dem Maßstab der Kompetenzen vorgeht, so ergäben sich weitere Schwierigkeiten bei der Prüfung. Denn der IGH hat bezüglich ultra vires-Akten festgestellt, dass grundsätzlich eine Vermutung für die Rechtmäßigkeit der Akte internationaler Organisationen besteht, die von den Mitgliedstaaten erst widerlegt werden muss.22 Für den vorliegenden Fall der UN-Listung liegt es dennoch auf der Hand, dass eine solche Listung ohne hinreichende Rechtfertigung von der UN-Charta nicht gedeckt sein kann, mithin als ultra vires zu bewerten ist.23 18
Schmalenbach, International Organizations or Institutions, Legal Remedies against Acts of Organs, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil.com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 24. 19
Schmalenbach, International Organizations or Institutions, General Aspects, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil.com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 53. 20 21
Ibid., Rz. 51. BVerfGE 89, 155 (192).
22
Certain Expenses of the United Nations, IGH, Advisory Opinion vom 20. Juli 1962, ICJ Reports 1962, S. 151, 168. Hinzu tritt im Falle der UN der weite Spielraum des Sicherheitsrats im Rahmen des Kapitel VII der UN-Charta, der die Widerlegung dieser Vermutung zusätzlich erschweren dürfte. 23
So schon Frowein, The UN Anti-Terrorism Administration and the Rule of Law, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung. Common Values in International Law. Festschrift für /Essays in
J. Prinzipien für den gerichtlichen Rechtsschutz
313
Wendet man im vorliegenden Zusammenhang trotzdem den Treuegedanken an, so verdrängt er das bereits bestehende Institut des ultra vires-Handelns internationaler Organisationen nicht in unvertretbarer Weise. Denn selbst wenn man bei beiden Konzepten gleichermaßen Potential für die Vermeidung von Zuständigkeitskonflikten erkennen will, weil auch beim ultra vires-Konzept eine Zuständigkeit nationaler Gerichte nur „in Ermangelung effektiver Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten auf Seiten der Organisation“24 gegeben sein soll, so ist das Treuekonzept doch vorzugswürdig, da ihm schon das formale Faktum des Nichtbestehens entsprechenden Rechtsschutzes auf internationaler Ebene als eindeutiges Kriterium für die Bejahung der nationalen Prüfungszuständigkeit genügt und anders als beim ultra vires-Konzept zumindest im Kontext des 1267-Regimes mit Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsschutz auch klare Prüfungsmaßstäbe zur Verfügung stehen.25
bb) Der Grundsatz der Immunität internationaler Organisationen Ein weiterer Grundsatz des Völkerrechts, der der Anwendung des Treuegedankens bei der Überprüfung der Listungen durch nationale bzw. regionale Gerichte im Rahmen der „Punktprobe“ entgegenstehen könnte, ist der Grundsatz der Immunität internationaler Organisationen gegenüber nationaler gerichtlicher Kontrolle. Die Frage der Immunität würde sich vorliegend nicht stellen, wenn man der klassischen Sicht folgte und rein formal die Prüfung eines nationalen bzw. regionalen Akts durch die nationalen bzw. regionalen Gerichte annähme, weil dabei die Tatsache, dass die Listung wortgleich den UN-Vorgaben folgt, außer Acht gelassen würde. Wegen dieser beim 1267-Regime gegebenen Besonderheit, die zu einer de facto unmittelbaren Prüfung der UNListung führt, muss die Frage der Immunität jedoch angesprochen werden. Die Listung durch das Sanktionskomitee als dem Unterorgan des Sicherheitsrates ist eine Maßnahme der Organisation der UN, für die grundsätzlich Art. 105 UNCh gilt. Art. 105 UNCh regelt die ImmuniHonour of Christian Tomuschat, 2006, S. 785, 794: “Where somebody has been listed without proper justification, the decision by the 1267 Committee must be considered to be an ultra vires decision” (Hervorhebung im Original). 24
Schmalenbach, International Organizations or Institutions, General Aspects, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil. com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 53. 25
S. o. E.III.
314
Teil IV: Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz
tät der UN und besagt, dass die UN auf dem Hoheitsgebiet jedes UNMitglieds die Vorrechte und Immunitäten genießen, die zur Verwirklichung ihrer Ziele erforderlich sind.26 Die UN kommen dabei insbesondere in den Genuss von Immunität gegenüber gerichtlicher Kontrolle.27 Die Immunität internationaler Organisationen28 und die damit einhergehende eingeschränkte Überprüfbarkeit gerade auch individualgerichteter Maßnahmen werden aber aufgrund des immer breiteren Aktivitätsspektrums internationaler Organisationen zunehmend als unangemessen empfunden.29 Auch tritt allgemein die Wechselbeziehung zwischen Immunität einerseits und andererseits der Pflicht, innerhalb der internationalen Organisation zumindest eine alternative Rechtsschutzmöglichkeit zu gewähren, stärker in das Blickfeld: Viele Verträge sehen eine Pflicht zum Verzicht auf die Immunität vor, falls die internationalen Organisationen selber keinen Rechtsschutz bereithalten30 und auch die Rechtsprechung – insbesondere die des EGMR31 – folgt dieser Linie. Eine Beschränkung der Immunität ist auch in Art. II Abs. 2 der Immunitätenkonvention der UN geregelt für den Fall, dass die UN in einem bestimmten Fall – jedoch nicht speziell gekoppelt an die Rechtsschutz-
26 In der verbindlichen englischen Formulierung lautet Art. 105 Abs. 1 UNCh:
“1. The Organization shall enjoy in the territory of each of its Members such privileges and immunities as are necessary for the fulfilment of its purposes”. 27
Gerster/Rotenberg, Art. 105, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, a Commentary, Band II, 2002, S. 1314, 1318. 28 Dazu allgemein Schmalenbach, Kirsten, Die Haftung internationaler Organisationen, 2004, S. 86 ff. Siehe zur Immunität internationaler Gerichte und zu möglichen Einschränkungen auch International Law Association, Berlin Conference (2004), Accountability of International Organisations, IOLR 1 (2004) 1, S. 221, 277 ff. 29
Schmalenbach, International Organizations or Institutions, Legal Remedies against Acts of Organs, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Onlineausgabe, [www.mpepil.com], zuletzt besucht am 2. Mai 2010, Rz. 25. 30
S. etwa Art. IV(1)(a) Annex I zur Convention for the Establishment of a European Space Agency (ESA Convention), 1297 U.N.T.S. 161. 31
Waite und Kennedy gegen Deutschland, EGMR, Große Kammer, Urteil vom 18. Februar 1999, Nr. 26083/94, ECHR 1999-I, Rz. 68; Beer und Regan gegen Deutschland, EGMR, Große Kammer, Urteil vom 18. Februar 1999, Nr. 28934/95, ECHR 1999-I, Rz. 58.
J. Prinzipien für den gerichtlichen Rechtsschutz
315
gewähr – ausdrücklich auf ihre Immunität verzichtet haben.32 Somit ist die Entscheidung über den Verzicht aber in die Hände der UN selbst gelegt, und es ist mit einer bereitwilligen Gebrauchmachung von der Verzichtsmöglichkeit seitens der UN nicht unbedingt zu rechnen.33 Selbst wenn man mit dem verwaltungsrechtlichen Gedanken der Ermessensreduzierung auf Null eine Pflicht der UN zum Immunitätsverzicht infolge der Menschenrechtsrelevanz des 1267-Sanktionsregimes konstruieren wollte,34 würde dadurch nicht automatisch das Erfordernis des formalen Akts der Verzichtserklärung entfallen. Eine solche Erklärung dürfte dann aber in der Praxis schwer zu erhalten sein. Deshalb stellt sich die Frage, ob sich die Immunitätsproblematik auch ohne eine Verzichtserklärung seitens der UN lösen lässt. Man könnte insofern eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Art. 105 UNCh gleichsam spiegelbildlich zur Pflicht der UN, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu achten, der UN-Treuepflicht entnehmen.35 Die UN müssen, wie oben gezeigt,36 im Rahmen dieser Treuepflicht auf die Interessen der UN-Mitgliedstaaten in der Weise Rücksicht nehmen, dass sie das 1267-Sanktionsregime rechtsstaatlich und mit Rücksicht auf die Menschenrechte ausgestalten und dabei auch eine adäquate Rechtsschutzmöglichkeit auf UN-Ebene vorsehen. Tun sie dies nicht, so lässt
32
Art. II Abs. 2 des Übereinkommens über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen vom 13. Februar 1946, BGBl. II, 23. August 1980, S. 941 ff. 33
Darauf lässt auch die allgemeinere Aussage von Wellens, Remedies against International Organisations, 2002, S. 124, schließen: “…in practice international organisations waive their immunity only infrequently’’. 34 Bezüglich der Haftung für Akte der UN-Territorialverwaltung denkt Frowein, UN-Verwaltung gegenüber dem Individuum – legibus absolutus?, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 333, 346, an eine derartige Pflicht der UN, in Fällen wie denen der Schadensersatzansprüche wegen des Genozids in Srebrenica auf die Immunität zu verzichten. 35
Zu einer Einschränkung der Immunität internationaler Organisationen im Interesse des Menschenrechtsschutzes gelangen auch Schorkopf/Walter, Elements of Constitutionalization: Multilevel Structures of Human Rights Protection in General International and WTO-Law, GLJ 4 (2003) 12, S. 1359, 1366, allerdings mit dem Argument der Konstitutionalisierung und infolgedessen des höheren Ranges der Menschenrechte in einer Hierarchie der Völkerrechtsordnung. 36
S. oben, E.II.
316
Teil IV: Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz
sich vertreten, dass der Gedanke der Rücksichtnahme, der im gegenseitigen Verhältnis wirkt und der UN-Treuepflicht innewohnt,37 dazu führt, dass die UN mangels eigener Pflichterfüllung nicht mehr die Pflichterfüllung der UN-Mitgliedstaaten in Form der Umsetzung des Sanktionsregimes erwarten können, sondern vielmehr in Kauf nehmen müssen, dass die Staaten durch ihre eigenen Gerichte gerade die Kontrolle durchführen, die die UN selbst bisher nicht leisten. Dogmatisch begründen lässt sich die These, dass trotz der bestehenden Immunitätsregeln nationale und regionale Gerichte die Listungen des Sanktionskomitees überprüfen dürfen, mit einer grammatischen und teleologischen Auslegung des Art. 105 UNCh: Der Anwendungsbereich des Art. 105 UNCh wird dabei mit Rücksicht auf die UN-Treuepflicht eng ausgelegt38 für den Fall, dass das individualbezogene 1267-Sanktionsregime nicht in der erforderlichen Weise rechtsstaatlich ausgestaltet ist und selbst Rechtsschutz bietet. Anbinden lässt sich eine solche Auslegung an den Wortlaut des Art. 105 Abs. 1 UNCh: “The Organization shall enjoy…such privileges and immunities as are necessary for the fulfilment of its purposes”. Danach genießen die UN mit dieser sogenannten funktionalen39 Immunität also nur die Immunität, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig ist. Hier setzt die UN-Treuepflicht an mit ihrer Ausprägung der Pflicht zur Rücksichtnahme auf Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit und führt zu der Auslegung, dass bei den UN im Zusammenhang des 1267-Regimes „necessary for the fulfilment of its purposes“ nicht in erster Linie die gerichtliche Immunität ist, sondern dass vielmehr das Sanktionsregime wegen sonst fehlender Akzeptanz und Legitimation besser funktionieren kann, wenn es den UN-Mitgliedstaaten – jedenfalls vorübergehend – erlaubt ist, die Listung national bzw. regional zu überprüfen.40 Denn sonst 37
S. oben, E.I.2.lit.d.
38
Zur engen Auslegung völkervertraglicher Immunitätsvorschriften eingehend Reinisch, International Organizations Before National Courts, 2000, S. 186 ff. 39
Zur Bedeutung dieses Begriffs ausführlich Reinisch, International Organizations Before National Courts, 2000, S. 205 f., 331 ff., der aber auf S. 206 klarstellt, dass Inhalt und Reichweite der funktionalen Immunität weitgehend unklar sind: “The fundamental problem is clearly that functional immunity means different, and indeed contradictory, things to different people or rather different judges and states’’. 40
Dass gerade im 1267-Regime eine Überprüfung möglich sein muss, vertritt auch Frowein, Issues of Legitimacy around the United Nations Security
J. Prinzipien für den gerichtlichen Rechtsschutz
317
können die UN wegen der Weigerung dieser Staaten, die Sanktionsvorschriften umzusetzen, „ihre Ziele“ erst recht nicht „erreichen“ (vgl. Art. 105 UNCh). Dieses Ergebnis41 liegt auch auf einer Linie mit der neueren Tendenz, wonach die klassische und eher schematische Anwendung von Immunitätsvorschriften zunehmend einer Sichtweise weicht, die auch die Menschenrechtsaspekte der in Rede stehenden Fälle berücksichtigt.42
cc) Fazit zur Punktprobe Die Prüfung, ob der über den Treuegedanken konstruierten Zuständigkeit nationaler bzw. regionaler Gerichte zur Überprüfung insbesondere der UN-Listungen die völkerrechtliche ultra vires-Doktrin oder der Grundsatz der Immunität internationaler Organisationen entgegensteht, ergibt, dass keines der beiden Argumente gegen eine nationale bzw. regionale Prüfungszuständigkeit spricht.
e) Fazit zur Prüfungsberechtigung nationaler und regionaler Gerichte Somit lässt sich festhalten, dass eine Prüfungsberechtigung nationaler und regionaler Gerichte hinsichtlich der Anwendungsakte der Sanktionen infolge ihrer rein nationalen Natur ohne Weiteres besteht. Zur Überprüfung der einzelnen Listung besteht die Prüfungsberechtigung infolge der Wortlautumsetzung der entsprechenden UN-Vorgaben jedoch nur aufgrund der Treuepflicht und nur so lange, bis auf UNEbene entsprechender Rechtsschutz eingerichtet ist. Somit wird ein Council, in: Frowein/Scharioth/Winkelmann/Wolfrum (Hrsg.), Verhandeln für den Frieden Negotiating for Peace Liber Amicorum Tono Eitel, 2003, S. 121, 132: “In the long run legitimacy of UN decisions interfering with individual rights can only be upheld when a proper control is possible”. 41 Payandeh, Rechtskontrolle des UN-Sicherheitsrates durch staatliche und überstaatliche Gerichte, ZaöRV 66 (2006) 1, S. 41, 58 ff., 64 f., gelangt mit einer Argumentation, die ihren Schwerpunkt auf eine konkrete Abwägung zwischen Friedenssicherung und Menschenrechtsschutz legt und dabei nach verfassungsrechtlichem Vorbild nach Ziel, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der UN-Maßnahme fragt, zu einem begrenzten Prüfungsrecht staatlicher und überstaatlicher Gerichte. 42 Vgl. Reinisch, The Immunity of International Organizations and the Jurisdiction of their Administrative Tribunals, Chinese Journal of International Law 7 (2008) 2, S. 285, 302.
318
Teil IV: Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz
adäquat erscheinender Ausgleich geschaffen zwischen dem Interesse der UN-Mitgliedstaaten, ihren Menschenrechtsverpflichtungen einschließlich des Rechtsschutzes nachzukommen und den Interessen der UN, eine Schwächung des Sicherheitsrats und eine uneinheitliche Anwendung des UN-Rechts zu vermeiden, da die UN es selbst in der Hand haben, den Rechtsschutz einzurichten.
III. Schwierigkeiten eines nationalen und regionalen gerichtlichen Rechtsschutzes im 1267-Sanktionsregime Ist somit festgestellt, dass nationale und regionale Gerichte hinsichtlich des 1267-Sanktionsregimes zumindest vorläufig prüfungsberechtigt sind, so stellt sich als nächstes die Frage, welches Gericht welche Maßnahme des Sanktionsregimes prüfen darf. Hier können sich Überschneidungen in der Zuständigkeit ergeben, die zu Konflikten zwischen verschiedenen Gerichten führen können. Bevor diese Konflikte untersucht werden können, müssen zunächst die möglichen Gegenstände gerichtlicher Verfahren beim 1267-Regime bestimmt werden.
1. Gegenstände gerichtlicher Verfahren im 1267-Sanktionsregime Erst nach der Klärung der Frage, welche verschiedenen Verfahrensgegenstände im 1267-Regime in Betracht kommen, werden mögliche Überschneidungen gerichtlicher Zuständigkeiten43 sichtbar. Zur Identifizierung der verschiedenen Verfahrensgegenstände bietet es sich an, die „Sanktionsnorm“44 zu betrachten, deren Aufteilung in Tatbestandsund Rechtsfolgenseite die Untersuchung erleichtert.
43
Dass die gerichtliche Zuständigkeit im Rahmen des 1267-Sanktionsregimes aufgrund des Verfahrensgegenstandes differieren kann, sehen auch Rackow/Stegmüller, „Intelligente Sanktionen“ zur Terrorbekämpfung – Yusuf, Kadi, Ayadi und Hassan vor dem EuG, Humanitäres Völkerrecht 20 (2007) 2, S. 68, 77. 44
S. dazu oben, B.II.2.
J. Prinzipien für den gerichtlichen Rechtsschutz
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a) Bestimmung denkbarer Verfahrensgegenstände anhand der Tatbestandsseite der „Sanktionsnorm“ Die Tatbestandsseite der „Sanktionsnorm“ lautet: „Wenn eine natürliche oder juristische Person als in Verbindung stehend mit Al-Qaida, Osama bin Laden oder den Taliban in die Liste des Sanktionskomitees aufgenommen worden ist, …“. Dieser Halbsatz liefert zwei45 potentielle Streitgegenstände: Zunächst könnte man generell über die Angreifbarkeit des „Kampfes gegen AlQaida etc.“ unter dem Aspekt nachdenken, ob dieser Kampf eine zulässige Aktivität des Sicherheitsrats unter Kapitel VII der UN-Charta darstellt. Als zweites kommt die Anfechtung der Listung als Maßnahme in diesem Kampf gegen Al-Qaida etc. in Betracht.
b) Bestimmung denkbarer Verfahrensgegenstände anhand der Rechtsfolgenseite der „Sanktionsnorm“ Die Rechtsfolgenseite der „Sanktionsnorm“ lautet: „…sind alle UN Mitgliedstaaten verpflichtet, die Gelder und sonstigen finanziellen Vermögenswerte dieser Personen einzufrieren und gegen sie ein Ein- und Durchreiseverbot sowie ein Waffenembargo zu verhängen“. Dieser Halbsatz birgt potentiell drei Streitgegenstände, und zwar die drei auf nationaler bzw. regionaler Ebene zu verhängenden Sanktionen des Einfrierens der Finanzmittel, des Ein- und Durchreiseverbots sowie des Waffenembargos. Im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung dieser Sanktionen stünden vor allem die Auslegung und Anwendung der Begriffe „Gelder“ und „Finanzmittel“, „Einfrieren“, „Ein- und Durchreiseverbot“ sowie „Waffenembargo“ im Mittelpunkt.
c) Zwischenergebnis Als Gegenstände gerichtlicher Verfahren im 1267-Regime sind somit der „Kampf gegen Al-Qaida“ als Aktivität des Sicherheitsrats unter 45
Zu dieser „double action“ des Sicherheitsrats unter Kapitel VII, also einerseits der Feststellung einer Situation nach Art. 39 UNCh und andererseits dem Ergreifen konkreter Maßnahmen, um mit dieser Situation fertig zu werden, auch Petculescu, The Review of the United Nations Security Council Decisions by the International Court of Justice, NILR 52 (2005) 2, S. 167, 174.
320
Teil IV: Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz
Kapitel VII der UN-Charta, die Listung als Anhänger von Al-Qaida etc. sowie die drei verhängten Sanktionen denkbar.
2. Konfliktpotential aufgrund der Zuständigkeit a) Überprüfung der Zulässigkeit des „Kampfes gegen Al-Qaida etc.“ als Aktivität des Sicherheitsrats unter Kapitel VII der UN-Charta Die dem 1267-Sanktionsregime zugrunde liegende Entscheidung, AlQaida, Osama bin Laden und die Taliban als Gefahr für den Weltfrieden anzusehen und daher Maßnahmen nach Kapitel VII der UNCharta gegen sie und ihre Verbündeten zu ergreifen, ist der Überprüfung durch nationale, regionale und internationale Gerichte entzogen:46 Es handelt sich um eine politische Entscheidung, die im Ermessen des Sicherheitsrates liegt.47 Gerichte würden an ihre Funktionsgrenzen stoßen, wollten sie anstelle des Gremiums Sicherheitsrat eine Gesamtheit von Umständen auf die Qualität einer Bedrohung oder eines Bruchs des Friedens überprüfen. Bei der Übertragung dieser Entscheidung auf den Sicherheitsrat war auch bezweckt, diesem breite Handlungsspielräume zuzubilligen und ihn gerade nicht strengen Beschränkungen zu unterwerfen.48
46
Ebenso Tomuschat, Urteilsanmerkung: Case Law, Court of First Instance, Judgments of 21 September 2005, Cases T-306/01 & T-315/01, Ali Yusuf and Al Barakaat & Kadi, CMLRev. 43 (2006) 2, S. 537, 551; Gill, Legal and Some Political Limitations on the Power of the UN Security Council to Exercise its Enforcement Powers under Chapter VII of the Charter, NYIL 26 (1995), S. 33, 136. Anders sieht dies – mit Verweis auf die Berücksichtigung der Souveränität der UN-Mitglieder – Schilling, Die “neue Weltordnung” und die Souveränität der Mitglieder der Vereinten Nationen, AVR 33 (1995) 1/2, S. 67, 100, 103. 47
So zur Eröffnung des Kapitels VII schon Kelsen, The Law of the United Nations, 1951, S. 735; auch Zemanek, Is the Security Council the Sole Judge of its own Legality?, in: Yakbo/Boumedra (Hrsg.), Liber Amicorum Judge Mohammed Bedjaoui, 1999, S. 629, 635; Frowein/Krisch, Article 39, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations – A Commentary, 2002, S. 717, 719. 48
Vgl. Frowein/Krisch, Article 39, in: Simma (Hrsg.): The Charter of the United Nations – A Commentary, 2002, S. 717, 718. Ebenso Petculescu, The Review of the United Nations Security Council Decisions by the International Court of Justice, NILR 52 (2005) 2, S. 167, 174, 177.
J. Prinzipien für den gerichtlichen Rechtsschutz
321
Wenn der Sicherheitsrat danach auch bei der Feststellung einer Bedrohung oder eines Bruchs des Friedens an die UN-Charta gebunden ist, ergeben sich doch mangels Prüfbarkeit keine Zuständigkeitskonflikte zwischen Gerichten hinsichtlich der Überprüfung der Zulässigkeit des „Kampfes gegen Al-Qaida etc.“ als Aktivität des Sicherheitsrats unter Kapitel VII der UN-Charta.
b) Überprüfung der Listung (Tatbestandsseite der „Sanktionsnorm“) Bei der Überprüfung der Listung als Terrorverdächtiger ist im Gegensatz zur Feststellung, dass Al-Qaida etc. eine Gefahr für den Weltfrieden darstellen, zu beachten, dass diese Listung und die sich daran knüpfenden Rechtsfolgen als vom Sicherheitsrat festgelegte Maßnahmen national bzw. regional umgesetzt weden müssen. Wie oben bereits dargestellt, ergibt sich eine Prüfungszuständigkeit nationaler und regionaler Gerichte aus dem Treuegedanken. Nach gegenwärtigem Entwicklungsstand des 1267-Sanktionsregimes sind in der EU die Unionsgerichte zuständig für die Überprüfung der resolutionsumsetzenden EU-Verordnung unter Anwendung der EU-Prüfungsmaßstäbe, insbesondere der Grundrechte des Unionsrechts.49 Ein Konflikt mit der nationalen Ebene könnte dann entstehen, wenn diese europäischen Gerichte aus Sicht der nationalen Justiz den nationalen Grundrechtsstandard nicht in einer vergleichbaren Weise auf europäischer Ebene sicherten.50 Dann könnte sich die nationale Justiz bemüßigt fühlen, sich zur Sicherung ihrer nationalen Grundrechtsstandards für die Überprüfung auch der EURechtsakte für zuständig zu erachten. Soweit es sich um EU-Mitgliedstaaten handelt und es gleichzeitig um Menschenrechtsverletzungen geht, besteht außerdem Konfliktpotential zwischen der Judikatur der Unionsgerichte und der nationaler Gerichte mit Blick auf die Rechtsprechungstätigkeit des EGMR.51 Denn dieser 49
Vgl. Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rz. 283 ff. 50 51
BVerfGE 102, 147 (161 f.).
Daran hat sich auch durch den Vertrag von Lissabon noch nichts geändert, da Art. 6 EUV-Lissabon zwar den Beitritt der EU zur EMRK vorsieht, zugleich aber auch sagt, dass dieser Beitritt nichts an den in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union, also auch ihrer bisherigen Rechtsprechungszuständigkeit, ändert. Lavranos, Towards a Solange-Method between International Courts and Tribunals?, in: Broude/Shany (Hrsg.), The Shifting
322
Teil IV: Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz
ist zuständig für die Überprüfung der Einhaltung der EMRK durch die Konventionsstaaten, die nach Art. 1 EMRK allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen gegenüber die Konventionsrechte einhalten müssen. Auch Verordnungen der EU, die auf Rechtsakten des UNSicherheitsrats basieren, können inzident Prüfungsgegenstand vor dem EGMR sein, wenn nationale Maßnahmen angegriffen werden, die in Vollzug solcher Verordnungen ergehen.52
c) Überprüfung der Sanktionen des Einfrierens der Finanzmittel, des Ein- und Durchreiseverbots sowie des Waffenembargos (Rechtsfolgenseite der „Sanktionsnorm“) Was die Umsetzung der Sanktionen angeht, so lassen die UN-Resolutionen, die die genannten Sanktionen anordnen, zwar keinen Spielraum hinsichtlich des „ob“ der Umsetzung zu. Im Gegensatz zum durch die Listung unabänderlich festgelegten Adressaten ist es aber den Mitgliedstaaten überlassen, „wie“ sie die Sanktionen konkret umsetzen, d.h. es ist vor allem nicht näher bestimmt, welche Maßnahmen für das Einfrieren der Finanzmittel genau vorzunehmen sind. Handelt es sich daher sowohl bei einem nationalen bzw. regionalen Rechtsakt, der die UNListe wiedergibt oder auf sie Bezug nimmt, als auch bei einem Handeln der Verwaltung, das dem Gelisteten die Ausreise verbietet, rein formal Allocation of Authority in International Law, Considering Sovereignty, Supremacy and Subsidiarity, 2008, S. 217, 226 macht das Konfliktpotential im Verhältnis EGMR – Unionsgerichte daran fest, dass die Gerichte nicht an die Entscheidungen des jeweils anderen Gerichts gebunden seien, womit die Problematik der fehlenden Hierarchie angesprochen ist. 52
Vgl. zu einer Beschlagnahme durch Irland, die sich auf eine eine UNResolution umsetzende EG-Verordnung stützte, Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret Anonim Sirketi gegen Irland, EGMR, Große Kammer, Urteil vom 30. Juni 2005, Nr. 45036/98, ECHR 2005-VI, Rz. 137. Der Meinung von Biehler, Individuelle Sanktionen der Vereinten Nationen und Grundrechte, AVR 41 (2003) 2, S. 169, 178 f., dass der Rechtsschutz vor dem EGMR leerlaufe, weil die Staaten in der Regel wegen Unkenntnis der der Listung zugrunde liegenden Informationen keine effektive Überprüfung leisten könnten, ist entgegenzuhalten, dass der EGMR dennoch eine Listung mit der Folge für konventionswidrig erklären könnte, dass die Konventionsstaaten zumindest die Rechtsfolgen, wie etwa das Reiseverbot, nicht mehr anwenden dürften. Wenn daher der Rechtsschutz vor dem EGMR auch nicht leerlaufen muss, so ist doch richtig, dass der EGMR an der Listung auf UN-Ebene unmittelbar nichts zu ändern vermag.
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betrachtet um Prüfungsgegenstände, für die nationale bzw. regionale Gerichte zuständig sein können, so ist doch offensichtlich, dass die nationale bzw. regionale Ebene nur bei dem Ausreiseverbot – im Gegensatz zur Listung – eine eigene, konkretisierende Entscheidung trifft. Dies rechtfertigt – wie bereits oben festgestellt53 – insoweit die dezentrale Rechtsschutzgewähr und damit die Zuständigkeit nationaler bzw. regionaler Gerichte. Konflikte unter nationalen und regionalen Gerichten könnten sich daraus ergeben, dass die EU das 1267-Sanktionsregime in einer Verordnung umsetzt und ihre Mitgliedstaaaten diese Verordnung dann zu vollziehen haben. Wird einem Freigesprochenen etwa seine Haftentschädigung infolge seiner Sanktionsunterworfenheit nicht ausgezahlt,54 so wird er gegen den nationalen Akt, der die Nichtauszahlung verfügt, klagen, wobei diesem Akt die EU-Verordnung zugrunde liegt. Es entsteht insoweit der auch aus anderem Zusammenhang bekannte Abstimmungsbedarf der beiden Ebenen hinsichtlich der Auslegung und Anwendung der EU-Verordnung, der die nationalen Gerichte bei Zweifelsfragen zur Vorlage nach Art. 267 AEUV anhält. Allerdings werden nur die Finanzsanktionen durch eine EU-Verordnung umgesetzt.55 Das Ein- und Durchreiseverbot56 sowie das Waffenembargo57 53 54
S. oben, J.II.2.lit.e. Wie im Fall Mzoudi, s. oben, H.II.2.
55
In Art. 3 des Gemeinsamen Standpunktes des Rates vom 27. Mai 2002, 2002/402/GASP, wurde die EG angewiesen, die Finanzsanktionen im Rahmen der ihr durch den EG-Vertrag übertragenen Zuständigkeiten umzusetzen. Die darauf basierende Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002 war gestützt auf Art. 60, 301, 308 EG. 56
Dies ergibt sich unmittelbar aus Art. 4 des Gemeinsamen Standpunktes des Rates vom 27. Mai 2002, 2002/402/GASP. 57
Das Waffenembargo wird zwar in Art. 2 Abs. 1 des Gemeinsamen Standpunktes des Rates vom 27. Mai 2002, 2002/402/GASP, erwähnt, aber nicht in der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002, denn der Waffenhandel ist gemäß Art. 346 Abs. 1 lit. b AEUV (bisher: Art. 296 Abs. 1 lit. b EG) grundsätzlich den Mitgliedstaaten vorbehalten; vgl. noch zu Art. 15 EUV Cremer, Art. 15 EUV, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Rz. 4. Die Regelung des Waffenembargos in dem Gemeinsamen Standpunkt hatte bisher nur die völkerrechtliche Bindung der EU-Mitgliedstaaten zur Folge, die sich auf die Verpflichtung beschränkt, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um den Vorgaben dieses Rechtsakts zu entsprechen, vgl. noch zu Art. 15 EUV Brechmann, Art. 15 EUV, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Rz. 6. Der Gemeinsame Standpunkt hatte jedoch gerade keine unmittelbare Durch-
324
Teil IV: Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz
werden national umgesetzt, so dass sich insofern keine Konflikte mit der EU-Ebene ergeben können bzw. vorliegend zu vernachlässigen58 sind. Konkrete nationale Akte hinsichtlich der drei Sanktionen, wie die genannte Nichtauszahlung der Haftentschädigung, können auch Gegenstand eines Verfahrens vor dem EGMR sein. Mit Blick auf mögliche Konflikte stellt sich auch hier die Frage, wie sich mögliche Entscheidungen des EGMR mit der Rechtsprechung auf EU-Ebene und nationaler Ebene vereinbaren lassen.
d) Identifiziertes Konfliktpotential Hinsichtlich der Zuständigkeit verschiedener nationaler und regionaler Gerichte für die gerichtliche Überprüfung des 1267-Sanktionsregimes kann somit mögliches Konfliktpotential zwischen Unionsgerichten, EGMR und nationalen Gerichten mit Blick auf die Überprüfung der UN-Listung sowie die Kontrolle der konkreten Anwendung der Sanktionen identifiziert werden.
3. Fazit zu den Schwierigkeiten eines nationalen und regionalen gerichtlichen Rechtsschutzes im 1267-Sanktionsregime Hinsichtlich der Schwierigkeiten eines nationalen und regionalen gerichtlichen Rechtsschutzes im 1267-Sanktionsregime gelangt man zu folgendem Fazit: Als Gegenstände gerichtlicher Überprüfung kommen die UN-Listung sowie die Sanktionen des Einfrierens der Finanzmittel, des Ein- und Durchreiseverbots sowie des Waffenembargos in Betracht. Konfliktpotential zwischen Gerichten besteht bezüglich der Listung griffswirkung auf das innerstaatliche Recht, vgl. noch zu Art. 34 EUV Streinz, Art. 34 EUV, EUV/EGV, 2003, Rz. 8. 58
Nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ist hinsichtlich des Waffenembargos zwar neuerdings eine Nichtigkeitsklage vor dem EuGH gegen den entsprechenden Gemeinsamen Standpunkt denkbar, da der EuGH nach Art. 275 Uabs. 2 AEUV im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik nunmehr auch für Nichtigkeitsklagen in Bezug auf Beschlüsse über restriktive Maßnahmen gegenüber natürlichen Personen zuständig ist. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird diese Klagemöglichkeit hinsichtlich des Waffenembargos, dem im Vergleich zur Kontensperrung in der Praxis nur sehr geringe Bedeutung zukommen dürfte, vorliegend jedoch nicht mitbehandelt.
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und auch der Sanktion des Einfrierens der Finanzmittel zwischen nationalen Gerichten, Unionsgerichten und EGMR,59 und bezüglich des Ein- und Durchreiseverbots sowie des Waffenembargos zwischen nationalen Gerichten und dem EGMR.60
IV. Denkbare Lösungsansätze Nach der soeben erfolgten Identifizierung des Konfliktpotenzials könnte man, um eine Lösung zur Regelung des Verhältnisses verschiedener Gerichte zueinander im Mehrebenensystem zu finden,61 zunächst versuchen, an den Ursachen dieser Konflikte – also der Überschneidung der Zuständigkeiten verschiedener Gerichte anzusetzen.62 59
Weniger problematisch sieht das Verhältnis zwischen den genannten Gerichten offenbar Dederer, Die Architektur des europäischen Grundrechtsraums, ZaöRV 66 (2006) 3, S. 575 ff., der von einem funktionierenden System von „checks and balances“ zwischen den verschiedenen Gerichten spricht. Die Interdependenz gerade der europäischen Gerichte betont Scheeck, The Relationship between the European Courts and Integration through Human Rights, ZaöRV 65 (2005) 4, S. 837 ff. 60
Die eher theoretische Möglichkeit einer Klage gegen das Waffenembargo im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik nach Art. 275 UAbs. 2 AEUV bleibt aus Gründen der Übersichtlichkeit unberücksichtigt. 61 Als Ansätze für eine Lösung der Konflikte zwischen internationalen Gerichten, denen wegen des Ausschlusses der nationalen Gerichte hier nicht weiter nachgegangen werden soll, nennt Lavranos, Concurrence of Jurisdiction between the ECJ and other International Courts and Tribunals, European Environmental Law Review 14 (2005) 10, S. 240, 246 ff., die Ausweitung der Zuständigkeit oder auch der Gutachtertätigkeit des IGH, dessen Einrichtung als Rechtsmittelinstanz bezüglich der Entscheidungen anderer internationaler Gerichte oder die Statuierung einer Vorlagepflicht an ihn; außerdem die Einrichtung eines Tribunals, das darüber entscheidet, welches internationale Gericht zuständig ist, oder die Statuierung einer Pflicht zur Berücksichtigung der Entscheidungen anderer internationaler Gerichte, sofern nicht überzeugende Gründe dagegen sprechen. 62
Douglas-Scott, A Tale of Two Courts: Luxembourg, Strasbourg and the Growing European Human Rights Acquis, CMLRev. 43 (2006) 3, S. 629, 664, erwähnt die Möglichkeit, die Unionsgerichte und den EGMR nebeneinander existieren zu lassen, da es sehr viele zu entscheidende Fälle gebe und sich bei einer derartigen Doppelgerichtsbarkeit die Qualität der Entscheidungen erhöhen könne.
326
Teil IV: Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz
1. Formeller Ansatz einer Bündelung der Zuständigkeit bei einem bestimmten Gericht Wie gezeigt wurde, ergibt sich Konfliktpotential unter den Gerichten daraus, dass sich mehr als ein Gericht zur Prüfung des gleichen Streitgegenstands im Sanktionsregime für zuständig erklären kann. Dies legt es nahe, als eine mögliche Lösung die Bündelung von Zuständigkeiten zu einer solchen Prüfung bei einem bestimmten Gericht in Betracht zu ziehen. So könnte man etwa den Standpunkt, dass die Unionsgerichte als einzige Gerichte zur Prüfung befugt sind, mit dem Argument vertreten, dass der entscheidende Umsetzungsakt für das 1267-Regime die Verordnung auf EU-Ebene ist, die auch unmittelbar in jedem Mitgliedstaaten gilt (Art. 288 Uabs. 2 AEUV) und deshalb eine Überprüfung insgesamt nur auf EU-Ebene angesiedelt sein sollte. Eine derartige Zuständigkeitsbündelung hätte verschiedene Vorteile. So würde sich einerseits die Koordinierung unter den Gerichten vereinfachen und es würden sich die Chancen für eine Einheitlichkeit der Rechtsprechung erhöhen. Für den Rechtsschutz Suchenden würde andererseits bezüglich des anzurufenden Gerichts Rechtsklarheit geschaffen und unter prozessökonomischen Gesichtspunkten wäre infolge der Spezialisierung des zuständigen Gerichts vielleicht sogar mit einer kürzeren Verfahrensdauer zu rechnen. Diesen denkbaren Vorteilen stehen aber auch Nachteile gegenüber. So liegt die Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht unbedingt im Interesse des Rechtssuchenden, wenn ihm dadurch die Möglichkeit genommen wird, sich nach erfolgloser Klage vor einem der Gerichte noch an andere Instanzen zu wenden. Die Einheitlichkeit der Rechtsprechung wäre auch nur innerhalb der EU gesichert und würde für die Konventionsstaaten der EMRK, die keine EU-Mitglieder sind, keine Wirkung entfalten. Außerdem spielen die untschiedlichen Zusammenhänge, in denen die genannten Gerichte eingerichtet wurden, eine Rolle: Sowohl der EGMR als auch das Bundesverfassungsgericht verdanken ihre Existenz und ihre Zuständigkeiten im Unterschied zu den Unionsgerichtengerade auch der Überprüfung von Hoheitsakten am Maßstab von Grund- bzw. Menschenrechten. Würde man also eine alleinige Zuständigkeit der Unionsgerichte annehmen wollen, hieße das auch, gerade den spezialgerichtlichen Charakter des EGMR hintanzustellen. Dieses theoretische Modell dürfte aber auch kaum praktisch umsetzbar sein, da die EU-Mitgliedstaaten einer derartigen Zuständigkeitsbündelung erst zustimmen und damit eine eigene Prüfungsmöglichkeit völlig aufgeben müssten.
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Vergleichbare und weitere Nachteile würden sich ergeben, wollte man die Zuständigkeit ausschließlich bei den nationalen Gerichten oder dem EGMR ansiedeln. Eine Prüfungskompetenz der nationalen Gerichte wäre mit dem Vorrang des Europarechts völlig unvereinbar, während sich die Zuständigkeit des EGMR als Menschenrechtsgerichtshof von vornherein auf menschenrechtliche Prüfungsmaßstäbe verengt sähe. Insgesamt stehen daher einem Lösungsansatz, der von der Bündelung von Zuständigkeiten bei einem der zuständigen Gerichte ausgeht, erhebliche Bedenken entgegen.
2. Bisherige Judikatur zum Verhältnis zwischen nationalen und regionalen Gerichten als Lösung? Vielleicht ließe sich der Konflikt aber auch schon durch die bisherige Judikatur der betreffenden Gerichte selbst lösen. Die bis dato durch das Bundesverfassungsgericht,63 die Unionsgerichte und den EGMR in deren Rechtsprechung getroffenen Aussagen über das Verhältnis dieser Gerichte zueinander waren jedoch teils gegenteilig, teils schwankend und konnten das zwischen diesen Gerichten bestehende Konfliktpotential nicht ausräumen. Dies wird besonders deutlich in der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts zu seinem Verhältnis zu den Unionsgerichten. Hier wurde zunächst von einem Recht des Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung von EU-Rechtsakten (damals: EGRechtsakten) am Maßstab der deutschen Grundrechte ausgegangen,64 bevor diese Prüfungsbefugnis aufgegeben wurde,65 um sie später mit Verweis auf ein Kooperationsverhältnis zwischen den Unionsgerichten und dem Bundesverfassungsgericht beim Grundrechtsschutz wieder stärker anzudeuten,66 bevor zuletzt die Zulässigkeitsanforderungen an entsprechende Verfassungsbeschwerden verschärft wurden.67 Der 63
Im Folgenden wird stellvertretend für die nationalen Gerichte das deutsche Bundesverfassungsgericht und seine Rechtsprechung herangezogen, da sich dieses Gericht gerade zum Verhältnis der nationalen Ebene zur EU-Ebene besonders prominent geäußert hat. 64 65 66 67
BVerfGE 37, 271 ff. BVerfGE 73, 339 ff. BVerfGE 89, 155 ff.
BVerfGE 102, 147 ff.; BVerfGE 118, 79 ff. zur Übertragung der Rechtsprechung zum Rechtsschutz gegen EG-Verordnungen auf EG-Richtlinien. Ei-
328
Teil IV: Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz
EuGH wiederum zieht sich seit langem auf das Argument des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts zurück. Danach sei ein Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor jeglichem nationalen Recht anzunehmen,68 was dazu führe, dass allein der EuGH für eine Kontrolle von EU-Rechtsakten (damals: EG-Rechtsakten) zuständig und eine Überprüfung von Gemeinschaftsrecht am Maßstab nationaler Grundrechte unzulässig sei.69 Der EGMR bejahte nach anfänglicher Zurückhaltung,70 dass auf Gemeinschaftsrecht beruhende mitgliedstaatliche Umsetzungs- und Vollzugsmaßnahmen vollumfänglich den Bindungen der EMRK unterlägen,71 zog sich aber in seiner jüngeren Rechtsprechung aus der vollen Einzelfallkontrolle von unionsrechtlich basierten Maßnahmen der Konventionsstaaten zurück.72 Die erwähnte Rechtsprechung zeigt zwar, dass die Gerichte die Konfliktproblematik erkannt und behandelt haben. Allerdings scheinen sie sich jeweils eher eine Reservezuständigkeit für „Notfälle“ sichern zu nen guten Überblick zu dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die auch die Solange-Entscheidungen einschließt, bietet Sauer, Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen, 2008, S. 286-303; s. etwa auch Lavranos, Towards a Solange-Method between International Courts and Tribunals?, in: Broude/Shany (Hrsg.), The Shifting Allocation of Authority in International Law, Considering Sovereignty, Supremacy and Subsidiarity, 2008, S. 217, 219 ff. Lavranos, Regulating Competing Jurisdictions Among International Courts and Tribunals, ZaöRV 68 (2008) 3, S. 575, 620 f., schlägt vor, dass alle internationalen Gerichte nach dem Solange-Grundsatz handeln sollten. 68
Costa gegen E.N.E.L., EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1253, 1269 f.; ähnlich Gerhardt, Verfassungsgerichtliche Kontrolle der Verwaltungsgerichtsbarkeit als Parameter der Konstitutionalisierung des Verwaltungsrechts, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 735, 746 f. 69
Vgl. Internationale Handelsgesellschaft mbH gegen Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel, EuGH, Urteil vom 17. Dezember 1970, Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125, Ziffer 3. 70
Confédération Francaise du Travail, EKMR, Entscheidung vom 10. Juli 1978, Beschwerde-Nr. 8030/77. 71
Cantoni, EKMR, Entscheidung vom 1. Oktober 1994, Beschwerde-Nr. 17862/91. 72
Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret Anonim Sirketi gegen Irland, EGMR, Große Kammer, Urteil vom 30. Juni 2005, Nr. 45036/98, ECHR 2005VI, Ziff. 137; s. für einen Überblick zu den einschlägigen Entscheidungen der Europäischen Menschenrechtskommission und des EGMR Sauer, Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen, 2008, S. 303-320.
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wollen, als dass eine einheitliche und gemeinsame Linie erkennbar wäre, die die Konfliktproblematik nachhaltig und überzeugend lösen könnte. Wenn somit die bisherige Judikatur der beteiligten Gerichte keine befriedigende Lösung für eine Vermeidung von Justizkonflikten bereitstellt, wirft dies die Frage nach anderweitigen Möglichkeiten für die Bewältigung von Justizkonflikten im Mehrebenensystem auf.
3. Konfliktvermeidung durch Anwendung des Prinzips der Justiztreue im Mehrebenensystem Bei der Suche nach einem Mechanismus zur Konfliktvermeidung zwischen den verschiedenen Gerichten im Mehrebenensystem des 1267Regimes ist danach zu fragen, ob sich mögliche Lösungsvorschläge mit Hilfe des dieser Arbeit zugrunde liegenden öffentlich-rechtlichen Ansatzes zur Identifizierung von Prinzipien für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene erschließen lassen. Bei den Urteilen, die die hier behandelten Gerichte sprechen, handelt es sich um die Ausübung von Hoheitsgewalt, zum Teil auf völkerrechtlicher Ebene. Soweit der EGMR Urteile spricht, übt er Rechtsmacht aus, andere zu bestimmen und ihre Freiheit einzuschränken, also ihre rechtliche und tatsächliche Situation einseitig zu gestalten, weil seine Urteile nach Art. 46 Abs. 1 EMRK für die Konventionsstaaten verbindlich sind und ihr Regelungsgehalt die betroffenen Individuen daher unverändert erreicht. Die Urteile der Unionsgerichte stellen die Wahrnehmung von Hoheitsgewalt durch die EU dar, nehmen an der supranationalen Natur des Europarechts teil und sind somit von den EU-Mitgliedstaaten als bindend zu beachten.73 Das Bundesverfassungsgericht wiederum übt als Teil der nationalen Judikative Hoheitsgewalt als Staatsgewalt aus. Auch wenn nicht alle genannten Akteure unmittelbar auf völkerrechtlicher Ebene Hoheitsgewalt ausüben, bleibt der öffentlich-rechtliche Ansatz anwendbar, da der EGMR Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene ausübt und die regionale und nationale Ebene im Rahmen des Mehrebenensystems in die Umsetzung eines UN-Sanktionsregimes
73
Zur Wahrnehmung von Hoheitsgewalt durch die EU s. BVerfGE 89, 155 (186 f.).
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eingebunden sind, das seinerseits die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene darstellt.74 Vor dem Hintergrund des weiterhin bestehenden Konfliktpotentials zwischen der Rechtsprechung nationaler und regionaler Gerichte ist deshalb für die vorliegende Arbeit von besonderem Interesse, ob ein Prinzip zur Konfliktvermeidung bei dieser Ausübung von Hoheitsgewalt gefunden werden kann. Fraglich ist, ob sich zur Konfliktvermeidung insofern erneut aus dem Gedanken einer Treuepflicht, hier im Verhältnis der beteiligten Gerichte der verschiedenen Ebenen zueinander, eine Lösung entwickeln lässt. Dabei könnten Pflichten zur Kooperation und Rücksichtnahme zwischen den Gerichten in ihrer Konkretisierung dazu führen, dass die Rechtsprechungstätigkeit insgesamt so aufeinander abgestimmt werden kann, dass das Konfliktpotential minimiert wird.
a) Herleitung eines Prinzips der Justiztreue im Mehrebenensystem der Gerichte Rechtlich herzuleiten wäre ein solches Prinzip der Kooperation und Rücksichtnahme unter den Gerichten gemäß dem öffentlich-rechtlichen Ansatz im Wege der internen Konstitutionalisierung, also anhand der Auslegung der Gründungsdokumente, auf deren Grundlage die verschiedenen Spruchkörper arbeiten. Da hier Bundesverfassungsgericht, Unionsgerichte und EGMR berücksichtigt werden sollen, geht es um drei Beziehungen zwischen Gerichten, für die die Frage nach der Herleitung einer Pflicht zur Kooperation und Rücksichtnahme beantwortet werden muss. Dies ist das Verhältnis Bundesverfassungsgericht zu den Unionsgerichten, Bundesverfassungsgericht zu EGMR, sowie das Verhältnis EGMR zu den Unionsgerichten. Für das Verhältnis der Gerichte der EU-Mitgliedstaaten zu den Unionsgerichten lässt sich die gegenseitige Kooperations- und Rücksichtnahmepflicht aus der Unionstreue lesen, die auf Art. 4 Abs. 3 EUV-Lissabon basiert und bereits oben besprochen wurde.75 Im Verhältnis der Unionsgerichte zum EGMR springt Art. 6 Abs. 3 EUV-Lissabon ins Auge, wonach die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind, als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind. Sie sind somit auch von den Unionsgerich74 S. oben, C.II.5. Weiter unten, J.IV.3.lit.d, wird außerdem noch die UNEbene selbst miteinbezogen. 75
S. oben, E.I.2.lit.a aa).
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ten zu beachten. Dabei ist auf die Praxis hinzuweisen, dass der EuGH die EMRK in der ihr vom EGMR gegebenen Auslegung heranzieht und seiner Grundrechtsjudikatur zugrundelegt.76 Umgekehrt können sich zwar (noch) mangels Beitritt der EU zur EMRK aus dem Konventionstext selbst keine Hinweise zum Verhältnis des EGMR zur EU ergeben, doch hat der EGMR in seiner Rechtsprechung die Beachtung des EURechts (damals: EG-Rechts) als berechtigtes Interesse angesehen, das es mit der Beachtung der Konventionsrechte abzuwägen gelte.77 Dabei verlangt er auf EU-Ebene (damals: EG-Ebene) nur äquivalenten, nicht aber EMRK-identischen Grundrechtsschutz und damit einen Standard, mit dem die damalige EG-Kommission offensichtlich auch einverstanden war.78 Im Fall Bosphorus hat der EGMR das Vorhandensein eines der EMRK äquivalenten Rechtsschutzes auf EG-Ebene bejaht und einen Konventionsverstoß Irlands wegen der Umsetzung von EG-Recht verneint, weil die Feststellung des grundsätzlichen Vorhandenseins äquivalenten Rechtsschutzes nicht durch offenkundige Mangelhaftigkeit des Rechtsschutzes im konkreten Einzelfall widerlegt gewesen sei.79 Mit der Anerkennung der Beachtung des EU-Rechts (damals: EG76
Kraus, Kapitel 3, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2006, Rz. 15. 77
Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret Anonim Sirketi gegen Irland, EGMR, Große Kammer, Urteil vom 30. Juni 2005, Nr. 45036/98, ECHR 2005VI, Ziff. 150 f. 78 79
Ibid., Ziff. 155.
Ibid., Ziff. 165 f. Zum Fall Bosphorus eingehend und weitsichtig Costello, The Bosphorus Ruling of the European Court of Human Rights: Fundamental Rights and Blurred Boundaries in Europe, HRLR 6 (2006) 1, S. 87 ff., insbesondere 96 ff.; auch Schorkopf, The Judgment of the European Court of Human Rights in the Case of Bosphorus Hava Yollari Turizm v Ireland, GLJ 6 (2005) 9, S. 1255 ff.; Benoit-Rohmer, À propos de l’arret Bosphorus Air Lines du 30 Juin 2005: L’adhesion constrainte de l’Union à la Convention, Revue trimestrielle des droits de l'homme 64 (2005) 16, S. 827 ff.; Jacqué, Note: Droit Communautaire et Convention européenne des droits de l’homme, L’arret Bosphorus, une jurisprudence – Solange II – de la Cour européenne des droits de l’homme?, Revue Trimestrielle de Droit Européen 41 (2005) 3, S. 749 ff.; Heer-Reißmann, Straßburg oder Luxemburg? – Der EGMR zum Grundrechtsschutz bei Verordnungen der EG in der Rechtssache Bosphorus, NJW 59 (2006) 4, S. 192 ff.; Bröhmer, Die Bosphorus-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, EuZW 17 (2006) 3, S. 71 ff.; Ciampi, L’Union Européenne et le respect des droits de l’homme dans la mise en oeuvre des sanctions devant la Cour Européenne des droit de l’homme, RGDIP 110 (2006) 1, S. 85 ff.; Lavranos, Das So-Lange-Prinzip im Verhältnis von EGMR und EuGH – Anmerkung
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Rechts) als berechtigtem Interesse, der Forderung nur äquivalenten anstelle identischen Konventionsrechtsschutzes und der Feststellung des Vorhandenseins äquivalenten Konventionsrechtsschutzes zeigt sich der EGMR rücksichtsvoll gegenüber der EU-Ebene und damit auch gegenüber den Unionsgerichten. Für das Verhältnis des Bundesverfassungsgerichts zum EGMR kann auf die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes verwiesen werden.80 Aus der EMRK kann noch Art. 51 angeführt werden, der die Privilegien und die Immunität der Richter regelt, was sich zumindest als Element der Rücksichtnahme seitens der Konventionsstaaten werten lässt, das der Funktionsfähigkeit und Effektivität des EGMR dienen soll. Umgekehrt enthält die EMRK etwa in Art. 10 Abs. 2 Begriffe wie „nationale Sicherheit“ oder „Moral“, für deren inhaltliche Ausfüllung der EGMR den Konventionsstaaten einen Beurteilungsspielraum belässt.81 Der Schutz nach der EMRK wird in erster Linie als Sache der Konventionsstaaten angesehen und die Rechtsprechung des EGMR kommt erst nach Erschöpfung des Rechtswegs zum Zug, Art. 35 Abs. 1 EMRK.82 Dies lässt die Rücksichtnahme auf nationale Begriffsvorstellungen und die Idee der Kooperation zwischen
zu dem Urteil des EGMR v. 30.06.2005, Rs. 45036/98, EuR 41 (2006) 1, S. 78 ff.; Hoffmeister, International Decisions: Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret Anonim Sirket v. Ireland, AJIL 100 (2006) 2, S. 442 ff.; Gaja, The Review by the European Court of Human Rights of Member States’ Acts Implementing European Union Law: “Solange’’ Yet Again?, in: Dupuy/Fassbender/Shaw /Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung. Common Values in International Law. Festschrift für /Essays in Honour of Christian Tomuschat, 2006, S. 517 ff.; Winkler, Die Vermutung des „äquivalenten“ Grundrechtsschutzes im Gemeinschaftsrecht nach dem Bosphorus-Urteil des EGMR, EuGRZ 34 (2007) 22/23, S. 641 ff.; Eckes, Does the European Court of Human Rights Provide Protection from the European Community? – The Case of Bosphorus Airways, European Public Law 13 (2007) 1, S. 47 ff.; Feinäugle, Legal Protection of the Individual Against UN Sanctions in a Multilevel System, in: Follesdal/Wessel/Wouters (Hrsg.), Multilevel Regulation and the EU, The Interplay between Global, European and National Normative Processes, 2008, S. 231 ff., 241 ff. 80
Der Aspekt der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes wird vom Bundesverfassungsgericht etwa in der Görgülü-Entscheidung zur Frage der Berücksichtigung von Entscheidungen des EGMR im deutschen Rechtsraum ausdrücklich betont, s. BVerfGE 111, 307 (317 f.). 81
S. etwa Handyside, EGMR, Entscheidung vom 7. Dezember 1976, Beschwerde-Nr. 5493/72, Ziff. 47. 82
Ibid., Ziff. 48.
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EGMR und der nationalen Ebene beim Grundrechtsschutz nach der EMRK erkennen. Diese Erwägungen legen es nahe, für das Verhältnis unter den Gerichten eine gegenseitige Kooperations- und Rücksichtnahmepflicht anzunehmen, die verlangt, dass die Rechtsprechungstätigkeit der Gerichte so aufeinander abzustimmen ist, dass das Potential für Justizkonflikte minimiert wird. Diese „Justiztreue“ kann als Rechtsprinzip bezeichnet werden, da sie mit den Pflichten der Kooperation und Rücksichtnahme flexibel ausgestaltet ist und aus sich heraus keine starren Regeln mit fester Rechtsfolge vorgibt.
b) Wirkweise des Prinzips der Justiztreue zur Lösung von Gerichtskonflikten im Mehrebenensystem Zu prüfen ist nun, wie diese Kooperations- und Rücksichtnahmepflichten als judikative Treuepflichten, gleichsam als „Justiztreue“, zur Beilegung von Jurisdiktionskonflikten beitragen können. Damit diese Pflichten zur Lösung solcher Konflikte nützen, ist ein Modell anzustreben, bei dem einzelne Regeln gefunden werden, die die Kooperations- und Rücksichtnahmepflichten konkretisieren und so im Verhältnis der beteiligten Gerichte erst anwendbar machen. Zu diesem Zweck lässt sich gegebenenfalls an schon vorhandene Vorschläge, denen in vergleichbarer Weise der Treuegedanke zugrunde liegt, anknüpfen. So hat etwa Sauer die Jurisdiktionskonflikte eingehend anhand eines Modells judikativer Loyalitätspflichten untersucht.83 Nach seinem Modell führt das Loyalitätsgebot (so der von ihm verwendete Begriff) zum Konfliktvermeidungsgebot, das es durch die Bestimmung des Entscheidungsvorrangs eines der konfliktbeteiligten Gerichte umzusetzen gilt.84 Diese Bestimmung erfolgt nach dem Prinzip der entscheidungsnahen Jurisdiktion, was bedeutet, dass im Konfliktfall nur dem Gericht die Entscheidungsbefugnis zukommt, das der Entscheidung nach Abwägung aller konkurrierenden und kollidierenden Interessen und Umstände am nächsten steht.85 Dabei ist Zweck der Gesamtabwägung, den Entscheidungsvorrang so zu bestimmen, dass er von den anderen Gerichten ak-
83
Sauer, Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen, 2008, hier insbesondere S. 371 ff. 84 85
Ibid., S. 412 ff. Ibid., S. 416 ff.
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zeptiert werden kann.86 Insgesamt wird ein dreistufiges Modell der Ausgestaltung des Konfliktvermeidungsgebots vorgeschlagen: Zuerst sind die institutionellen Kooperationsmöglichkeiten, wie etwa das Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV, zu nutzen, weil sich so unter Umständen der Konflikt schon vermeiden lässt.87 Lässt sich die Konfliktbeilegung auf dieser ersten Stufe nicht erreichen, so muss das Gericht, durch dessen Entscheidung ein Jurisdiktionskonflikt droht oder aufrecht erhalten würde, durch Interessenabwägung ermitteln, welchem der konfliktbeteiligten Gerichte die größere Entscheidungsnähe und damit der Entscheidungsvorrang zukommt.88 Ist diese Bestimmung erfolgt, so wirkt sich das Loyalitätsgebot für die übrigen Gerichte als Kompetenzausübungsschranke aus.89 Zur Ermittlung des Gerichts mit der größeren Entscheidungsnähe werden in die Abwägung Aspekte eingestellt wie die Rechtsprechungsfunktionen und- kompetenzen der beteiligten Gerichte, Gewichtung und Gegenüberstellung der Interessen der Gerichte an der Entscheidungsbefugnis im konkreten Fall, die Fachkompetenz der beteiligten Gerichte sowie die Akzeptanzfähigkeit ihrer Entscheidungen, die Folgenabschätzung, das Prinzip des effektiven Rechtsschutzes, Alternativen zum Jurisdiktionskonflikt sowie die nur durch eindeutig überwiegende, entgegengesetzte Interessen und Faktoren widerlegbare Prioritätsvermutung, dass dem Gericht, das eine bestimmte Entscheidungsbefugnis zuerst für sich beansprucht hat, tatsächlich der Entscheidungsvorrang zukommt.90 Dieser Ansatz von Sauer könnte sich auch für Lösungen von Gerichtskonflikten unter der hier vertretenen „Justiztreue“ fruchtbar machen lassen. Zwar ist Sauers Ansatz anders fundiert, denn er sieht das Loyalitätsgebot als immanenten Bestandteil jedes rechtlichen Mehrebenensystems und leitet es nicht hauptsächlich aus konkreten Normen der Gründungsdokumente der Gerichte her. Sauer geht aber doch zumindest zum Teil ähnlich wie der hier vertretene öffentlich-rechtliche Ansatz vor, wenn er die Auslegung des Grundstatuts, einschließlich der teleologischen Auslegung nach Effizienzgesichtspunkten, neben den ergänzenden Argumenten von Treu und Glauben sowie dem Integrationsgedanken Smends als Grundlage für die Herleitung seines Ansatzes 86 87 88 89 90
Vgl. ibid., S. 419. Ibid., S. 424 ff. Ibid., S. 426. Ibid., S. 427. Ibid., S. 432 ff.
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angibt.91 Vor allem enthält das Konzept eine Reihe von Aspekten, die auch der Kooperation und Rücksichtnahme unter den Gerichten zugeordnet werden können. So spricht etwa das Ziel der Gesamtabwägung aller Interessen und Umstände, den Entscheidungsvorrang so zu bestimmen, dass er von den anderen Gerichten akzeptiert werden kann, ebenso für die Rücksichtnahme unter den Gerichten wie die Berücksichtigung der größeren Entscheidungsnähe, die Beachtung der Kompetenzausübungsschranke und die Gegenüberstellung der Interessen der Gerichte. Die Notwendigkeit der Nutzung vorhandener institutioneller Kooperationsmöglichkeiten wiederum ist ein Element der Kooperation. Somit kommt an vielen Stellen zum Ausdruck, dass Gerichte im Mehrebenensystem im Geiste der Kooperation zusammenwirken und ihre Rechtsprechungskompetenzen rücksichtsvoll ausüben sollten. Damit basiert dieser Ansatz auf den gleichen Grundideen, die auch den Inhalt des Treuegedankens bilden. Wenn danach Sauers Ansatz als Ausgangspunkt für ein Konfliktlösungsmodell für nationale und regionale Gerichte geeignet erscheint, so ist im Folgenden zu fragen, ob sein Konzept auch für die Anwendung auf das hier untersuchte 1267-Regime taugt und dabei insbesondere als Grundlage für die Entwicklung eines Modells der „Justiztreue“ dienen kann, das über nationale und regionale Gerichte hinausgehend auch die UN-Ebene miteinbezieht.
c) Anwendung des Treueprinzips auf die Gerichte im Mehrebenensystem des 1267-Sanktionsregimes Um das Prinzip der „Justiztreue“ im Mehrebenensystem und seine soeben dargestellte konkrete Ausgestaltung in Anlehnung an den Ansatz Sauers auf ihre Tauglichkeit zur Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten im 1267-Sanktionsregime zu prüfen, ist dieses Konfliktvermeidungsinstrumentarium nun auf die oben identifizierten Streitgegenstände und die beteiligten, konkurrierenden Gerichte anzuwenden. Als Streitgegenstände mit Konfliktpotential wurden oben die Listung sowie die drei zu verhängenden Sanktionen identifiziert. Zwei92 der drei Sanktionen, nämlich das Ein- und Durchreiseverbot und das Waffen-
91 92
Ibid., S. 404, 409 ff.
Das Waffenembargo wurde dagegen nur in Art. 2 Abs. 1 des Gemeinsamen Standpunktes des Rates vom 27. Mai 2002, 2002/402/GASP, aber nicht in der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002 erwähnt, also nicht auf EG-Ebene umgesetzt.
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embargo werden jedoch nicht durch EU-Verordnung umgesetzt und unterliegen daher nicht der Rechtsprechung der Unionsgerichte,93 weshalb insoweit ein Konflikt allenfalls zwischen den nationalen Gerichten und dem EGMR besteht. Hinsichtlich des Justizkonflikts zwischen Unionsgerichten, EGMR und Bundesverfassungsgericht bezüglich Listung und Finanzsanktionen können diese Streitgegenstände mit Blick auf die Vorrangfrage einheitlich94 behandelt werden. Zwar scheint hiergegen zu sprechen, dass die Listung (durch die EU-Verordnung) vom Einzelnen direkt nach Art. 263 Abs. 4 AEUV angegriffen werden kann, während die Frage der Auslegung der EU-Verord-nung über Art. 267 AEUV und damit im Vorabentscheidungsverfahren vor einem nationalen Gericht vor den EuGH gelangt. Der Jurisdiktionskonflikt stellt sich aber in beiden Fällen als der gleiche dar, da in beiden Fällen der EURechtsakt, der einerseits die Listung, andererseits aber auch die Sanktionen95 enthält, der Grund ist, der zum Zuständigkeitskonflikt führt. Da de lege lata kein eigenständiger, unabhängiger Rechtsschutzmechanismus auf UN-Ebene besteht und die einstweilige Prüfungsbefugnis nationaler und regionaler Gerichte bejaht wurde,96 erscheint es gerechtfertigt, hier zunächst vom Konfliktdreieck Bundesverfassungsgericht – Unionsgerichte – EGMR auszugehen.97 Auf die Auslegung des UNSanktionsregimes, die Gültigkeit der Listungen auf UN-Ebene und die mögliche Einbeziehung des UN-Kontrollgremiums in die Betrachtung konfligierender Entscheidungsinstanzen wird noch einzugehen sein.
93
Der eher theoretische Konflikt, der sich daraus ergeben könnte, dass der EuGH seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon nach Art. 275 Uabs. 2 AEUV im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik nunmehr auch für Nichtigkeitsklagen in Bezug auf Beschlüsse über restriktive Maßnahmen gegenüber natürlichen Personen zuständig ist, wurde hier zugunsten der Übersichtlichkeit vernachlässigt. 94 Die oben vorgenommene Unterscheidung der verschiedenen Streitgegenstände hat aber im weiteren Verlauf der Untersuchung noch ihre Bedeutung, s.unten, J.IV.3.lit.d. 95
Hinsichtlich der Kontensperrung ist dies die EU-Verordnung, hinsichtlich des Waffenembargos ist es der Gemeinsame Standpunkt, der dann über Art. 275 Uabs. 2, 263 Abs. 4 AEUV justitiabel ist. 96 97
S.oben, J.II.2.lit.e.
Ekardt/Lessmann, EuGH, EGMR und BVerfG, Die dritte Gewalt im transnationalen Mehrebenensystem, Kritische Justiz 39 (2006) 4, S. 381, sprechen insofern von einer „Mehrebenenverfassungsgerichtsbarkeit“.
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Zunächst ist also ohne Einbeziehung eines möglichen UN-Gerichts der status quo und damit der Menschenrechtsschutz im Konfliktdreieck Unionsgerichte – EGMR – Bundesverfassungsgericht zu betrachten. Dabei müssen anhand des oben vorgestellten Ansatzes der „Justiztreue“ zur Beilegung von Jurisdiktionskonflikten nur die Gerichtsverhältnisse untersuchen werden, in denen tatsächlich Konflikte bestehen: Weil es im Verhältnis des Bundesverfassungsgerichts zum EGMR bisher nicht zu einem größeren Konflikt gekommen ist,98 erscheint für dieses Verhältnis eine Konfliktlösung nicht notwendig, so dass sich die Vorrangprüfung auf die Verhältnisse Unionsgerichte zum Bundesverfassungsgericht und Unionsgerichte zum EGMR beschränken kann.
aa) Bestimmung der Vorrangverhältnisse (1) Verhältnis zwischen Unionsgerichten und Bundesverfassungsgericht Wird nun zunächst das Verhältnis zwischen den Unionsgerichten und Bundesverfassungsgericht betrachtet, so stellt sich im ersten Schritt der Prüfung die Frage nach institutionellen Kooperationsmöglichkeiten zwischen beiden Gerichten, die es zu nutzen gilt. Hier folgt aus dem Treuegedanken gegenüber dem Unionsrecht in Verbindung mit Art. 267 Abs. 3 AEUV, dass das Bundesverfassungsgericht dem EuGH im Wege der Vorlage die Möglichkeit zu geben hat, den strittigen Rechtsakt selbst am Maßstab der EU-Grundrechte zu prüfen und aufzuheben und so einen Konflikt zu vermeiden.99 Im zweiten Schritt spielt im Rahmen der Abwägung zur Ermittlung, welchem der Gerichte der Entscheidungsvorrang zukommt, eine Rolle, dass der EuGH bereits 1964 entschieden hat, dass dem Gemeinschaftsrecht unbeschränkter Vorrang vor dem mitgliedstaatlichen Recht zukommt,100 während das Bundesverfassungsgericht erst wesentlich später seine eigene Prüfungskompetenz bezüglich Gemeinschaftsrechtsakten am Grundrechtsmaßstab bejah98
Das Bundesverfassungsgericht hat in der Görgülü-Entscheidung zur Frage der Berücksichtigung von Entscheidungen des EGMR im deutschen Rechtsraum klargestellt, dass Entscheidungen des EGMR von allen staatlichen Organen zu „berücksichtigen“ sind, s. BVerfGE 111, 307 (316, 323). Es hat insofern Kooperations- und Rücksichtnahmebereitschaft gezeigt. 99
Die folgende Prüfung orientiert sich an den genannten Prüfungspunkten bei Sauer, Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen, 2008, S. 473 ff. 100
Costa gegen E.N.E.L., EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1253, 1269 f.
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te.101 Die Prioritätsvermutung weist deshalb auf den Enscheidungsvorrang des EuGH hin und könnte nur aufgrund der Abwägung aller übrigen Faktoren widerlegt werden. In dieser Abwägung der übrigen Faktoren spricht der Aspekt der Rechtsprechungkompetenzen und -funktionen für den Entscheidungsvorrang des EuGH, weil dieser nach Art. 19 EUV-Lissabon die umfassende Rechtskontrolle in der EU wahrnimmt, während das Bundesverfassungsgericht Akte der deutschen öffentlichen Gewalt prüft. Der Sachkundevorrang dagegen dürfte, sofern man eher auf den Prüfungsmaßstab und weniger auf den Prüfungsgegenstand des EU-Rechtsakts abstellt, wegen seiner ausgefeilten Grundrechtsdogmatik beim Bundesverfassungsgericht liegen. Was die Akzeptanzfähigkeit der Entscheidung angeht, so fällt ins Gewicht, dass mit einer Entscheidungsbefugnis allein beim EuGH die Rechtseinheit gewahrt wäre und solch eine Entscheidung im Gegensatz zu einem einzelstaatlichen Urteil auch in der ganzen EU gilt. Aus der Perspektive der Rechtsschutzeffektivität spricht vieles für eine Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts, da dem Einzelnen so die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde bliebe. Dass die Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht zu Pflichtenkollisionen für die deutschen Staatsorgane führen kann, weil aus Sicht der EU deren Rechtsakt gültig und zu befolgen bleibt, spricht als Folgenerwägung für den Entscheidungsvorrang des EuGH. Weil nach alledem die Prioritätsvermutung zugunsten des EuGH nicht widerlegt ist, ist im Verhältnis Bundesverfassungsgericht – EuGH vom Entscheidungsvorrang des EuGH auszugehen.102 Somit hat der EuGH die Listung im Fall Kadi103 zu Recht am Maßstab der EU-Grundrechte überprüft, während dem Bundesverfassungsgericht eine Prüfung der entsprechenden EU-Verordnung am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes versagt gewesen wäre.
101 102 103
BVerfGE 37, 271 (285). Sauer, Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen, 2008, S. 478.
Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGh, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rz. 281 ff.
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(2) Verhältnis zwischen Unionsgerichten und EGMR Das Verhältnis zwischen den Unionsgerichten und dem EGMR104 weist die Besonderheit auf, dass es zwischen den Gerichten an einer rechtlichen Verbindung fehlt.105 Damit lassen sich nicht nur auf der ersten Stufe der Prüfung bei der Frage nach institutionellen Kooperationsmöglichkeiten zwischen beiden Gerichten keine solchen finden, sondern auch andere Aspekte bedürfen einer modifizierten Betrachtungsweise. Im Rahmen der Abwägung zur Ermittlung des entscheidungsbefugten Gerichts sprechen zunächst die besseren Argumente für einen Vorrang des EuGH: Bei der Prioritätsvermutung kann man zugunsten des EuGH dessen Rechtsprechung von 1964 zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts als einschlägige Entscheidung auch bezüglich des Verhältnisses zum EGMR werten,106 der seinerseits erst 1996 eine Entscheidung getroffen hat, wonach mitgliedstaatliche Rechtsakte zur Umsetzung und Durchsetzung von EU-Recht (damals: EG-Recht) seiner Kontrolle am Maßstab der EMRK unterliegen.107 Bei der Abwägung im Übrigen, die zur Widerlegung der Prioritätsvermutung führen könnte, spricht die Verteilung der Rechtsprechungskompetenzen und -funktionen für den EuGH, weil der EGMR nur Hoheitsakte der Konventionsmitglieder, und daher EU-Rechtsakte allenfalls mittelbar prüft und die Jurisdiktion des EuGH mit dessen unmittelbarerer Grundrechtskontrolle im Vergleich dazu als die entscheidungsnähere erscheint. Während das Interesse des EGMR darin besteht, Verletzungen der EMRK zu verhindern, will der EuGH die Rechtseinheit wahren, die gefährdet sein kann, wenn einzelne Staaten verpflichtet sind, bestimmte Unionsrechtsakte nicht mehr anzuwenden. Die Sachkompetenzvertei104 Zu Vorschlägen für eine bessere Kohärenz und Legitimität im Verhältnis des EuGH zum EGMR s. Harpaz, The European Curt of Justice and its Relations with the European Court of Human Rights: The Quest for Enhanced Reliance, Coherence and Legitimacy, CMLRev. 46 (2009) 1, S. 105 ff.; zum Verhältnis von EMRK und den Grundrechten in der EU Polakiewicz, Europäischer Menschenrechtsschutz zwischen Europarat und Europäischer Union, in: Marauhn (Hrsg.), Die Rechtsstellung des Menschen im Völkerrecht, 2003, S. 37 ff. 105
Auch der Vertag von Lissabon sieht nur den zukünftigen Beitritt der EU zur EMRK vor, vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 EUV-Lissabon. Die folgende Prüfung orientiert sich an Sauer, Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen, 2008, S. 479 ff. 106 107
Sauer, Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen, 2008, S. 480. Cantoni, EGMR, Urteil vom 15. November 1996, No. 17862/91, Rz. 30.
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lung und die Rechtsschutzeffektivität schlagen mit den gleichen Argumenten wie bei der Prüfung des Verhältnisses Bundesverfassungsgericht – Unionsgerichte zugunsten des EGMR aus. Da die Abwägung somit nicht eindeutig für den Entscheidungsvorrang des EGMR spricht, ist die Prioritätsvermutung zugunsten des EuGH nicht widerlegt, so dass ihm grundsätzlich die Entscheidungsbefugnis zukommt und der EGMR seine Kontrolle des Gemeinschaftsrechts aufgeben muss. Bei diesem Ergebnis kommt allerdings wieder der Gedanke ins Spiel, dass es zwischen EGMR und EuGH an einer klaren rechtlichen Verbindung fehlt. Einziger niedergelegter Anhaltspunkt ist Art. 6 Abs. 3 EUV-Lissabon, der schon oben als Argument im Rahmen der internen Konstitutionalisierung angeführt wurde. Diese Vorschrift wiegt aber deshalb argumentativ nicht sehr schwer, weil die EMRK danach nur als Rechtserkenntnisquelle und damit als nicht bindend und lediglich die Auslegung steuernd wirkt.108 Weil die Verbindung zwischen EGMR und EuGH daher also nur über deren Mitgliedstaaten vermittelt wird, führt die nur mittelbare Treuepflicht bzw. Loyalitätspflicht in diesem Verhältnis nach Sauer dazu, dass sich der EGMR nur so lange aus der Rechtsprechung zurückzuziehen hat, wie der EuGH sich als Kompensationsleistung für diesen Rückzug an die EMRK und auch an die Rechtsprechung des EGMR hält.109
108
Noch zu Art. 6 EUV a.F. Calliess/Kingreen, Art. 6 EUV, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Rz. 33. 109
Sauer, Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen, 2008, S. 488. Damit werden die Bedenken berücksichtigt, die auch Lavranos, Towards a Solange-Method between International Courts and Tribunals?, in: Broude/Shany (Hrsg.), The Shifting Allocation of Authority in International Law, Considering Sovereignty, Supremacy and Subsidiarity, 2008, S. 217, 233, hat, wenn er die Zurückhaltung des EGMR bei der Überprüfung gemeinschaftsrechtsdeterminierter nationaler Rechtsakte in der Bosphorus-Rechtsprechung und die zugleich steigende Zahl der EU-Rechtsakte betrachtet, die den Einzelnen betreffen, und dies beschreibt als „asymmetric development in which the institutional architecture is reconfigured at the expense of the individual rights“. Sein Fazit (S. 235), den Solange-Gedanken und damit ein entgegenkommendes Verhalten („judicial comity“) in ihren Beziehungen als Pflicht allen Gerichten aufzuerlegen, was einen Rechtssprechungsverzicht im Falle der besseren Geeignetheit eines anderen Gerichts nach sich zöge, bleibt allerdings im Ungefähren und erscheint daher trotz des richtigen Grundgedankens eher unpraktikabel.
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(3) Fazit zur Bestimmung der Vorrangverhältnisse Als Fazit zur Bestimmung der Vorrangverhältnisse bleibt damit festzuhalten, dass hinsichtlich der Überprüfung der Listung sowie der Sanktionen der Kontensperrung und des Waffenembargos die Unionsgerichte vorrangig vor dem Bundesverfassungsgericht und dem EGMR für die gerichtliche Prüfung zuständig sind. Weil die Sanktion des Ein- und Durchreiseverbots nicht über die EU, sondern national umgesetzt wird, könnte es insoweit höchstens zwischen Bundesverfassungsgericht und EGMR zum Konflikt kommen. Solange hier, wie zurzeit, kein Konflikt besteht, sind beide Gerichte zur Prüfung zuständig, wobei der Beschwerdeführer vor Einlegung der Individualbeschwerde beim EGMR zuerst alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe einschließlich der Verfassungsbeschwerde110 nutzen muss, Art. 35 Abs. 1 EMRK.
bb) Vergleich der Ergebnisse der Bestimmung der Vorrangverhältnisse mit der bisherigen Spruchpraxis zum 1267-Regime Wendet man die bei der Bestimmung der Vorrangverhältnisse gefundene Lösung auf die jüngste Rechtsprechung des EuGH zu den Listungen im 1267-Regime im Fall Kadi an,111 so dürfte der EuGH seiner Pflicht zur Kompensation nachgekommen sein und damit seine Rechtsprechung, die den EGMR zugleich von der Entscheidung ausschließt, zu Recht ausgeübt haben. Hätte der EuGH dagegen die Entscheidung des EuG aufrechterhalten, das nur am engen Maßstab des ius cogens geprüft hatte,112 wäre der EGMR sicher nicht zum Rückzug verpflichtet gewesen. Was die Finanzsanktionen angeht, so wurden Fragen zur Auslegung der EG-Verordnung dem EuGH im Fall Möllendorf vorgelegt.113 Auch hier 110 Peukert, Art. 35 EMRK, in: Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, 2009, Rz. 24. 111
Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351. S. oben, H.I.1. 112
EuG in Yusuf und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaft, EuG, Urteil vom 21. September 2005, T-306/01, Slg. 2005, II-3533, Rz. 277. 113
Möllendorf und Möllendorf-Niehuus, EuGH, Urteil vom 11. Oktober 2007, C-117/06, Slg. 2007, I-8361. S. oben, H.II.1.
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Teil IV: Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz
wurde die gefundene vorrangige Zuständigkeit des EuGH eingehalten. Nach der Aussage des EuGH muss die EG (jetzt: EU) Wortlaut und Ziel der einschlägigen UN-Resolutionen beachten.114
cc) Entscheidungsalternativen nationaler und regionaler Gerichte Fraglich ist zuletzt, welche Entscheidungsmöglichkeiten den Unionsgerichten als den prüfenden regionalen Gerichten zur Verfügung stehen. Payandeh115 differenziert hier zwischen der Rechtswidrigkeit nur des Umsetzungsakts und der Rechtswidrigkeit der UN-Maßnahme selbst. Im ersten Fall sei die Maßnahme für nichtig zu erklären und die Mitgliedstaaten seien zur völkerrechtskonformen Umsetzung der UNMaßnahme anzuhalten, falls diese einen Umsetzungsspielraum einräume, der dies erlaube. Falls dagegen die UN-Maßnahme selbst rechtswidrig sei und daher eine völkerrechtskonforme Umsetzung nicht in Frage komme, sei der Umsetzungsakt für nichtig zu erklären, aber zugleich an die Pflicht zur Nichtbeachtung der UN-Maßnahme zu erinnern. Außerdem sei die Nichtbeachtung einer UN-Maßnahme nur die ultima ratio, weshalb zuvor eine völkerrechtskonforme Auslegung und die Einflussnahme auf die Entscheidungen des Sicherheitsrates zu versuchen sei. Dieser Differenzierung der Entscheidungsalternativen ist für das 1267Regime zu folgen. Dabei dürfte sich entlang der vorliegend getroffenen Unterscheidung zwischen Rechtsschutz gegen die Listung und Rechtsschutz gegen eine konkret verhängte Sanktion für ersteren Fall aufgrund der Identität der Listungen auf UN- und EU-Ebene im Falle der Rechtswidrigkeit der EU-Listung immer auch die Rechtswidrigkeit der UN-Listung ergeben. Im letzteren Fall des Rechtsschutzes gegen eine konkret verhängte Sanktion wird dagegen in der Regel nur die Rechtswidrigkeit des Umsetzungsakts in Frage kommen.116 114
Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rz. 296. 115
Payandeh, Rechtskontrolle des UN-Sicherheitsrates durch staatliche und überstaatliche Gerichte, ZaöRV 66 (2006) 1, S. 41, 65 f. 116
Gegen eine Rechtswidrigkeit auch der auf UN-Ebene beschlossenen Finanzsanktionen und der Sanktionen des Ein- und Durchreiseverbots sowie des Waffenembargos spricht in schwächerem Maße, dass es sich dabei um klassische und seit langem verhängte Sanktionstypen der UN handelt. Stärker wiegt dagegen, dass die Rechtswidrigkeit einer Sanktion sinnvoll erst in dem konkreten Zusammenhang beurteilt werden kann, in dem sie im Einzelfall zur Anwen-
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dd) Fazit Die Anwendung des Prinzips der „Justiztreue“ auf die Gerichte im Mehrebenensystem des 1267-Sanktionsregimes erbringt somit folgenden Ertrag: Bezüglich der Listung als Terrorverdächtiger in einer EU-Verordnung sind die Unionsgerichte – in Ermangelung eines entsprechenden UNKontrollorgans – zur Überprüfung ausschließlich zuständig; EGMR und Bundesverfassungsgericht sind damit von einer Prüfung ausgeschlossen. Soweit es dagegen um die Kontrolle der konkret erlassenen Sanktionen geht, so sind diese vor den nationalen Gerichten anzugreifen, wobei die nationalen Gerichte im Falle von Finanzsanktionen117 Fragen zur Auslegung der zugrunde liegenden EU-Verordnung dem EuGH gemäß Art. 267 AEUV vorzulegen haben und der EuGH ausschließlich zuständig ist für deren Auslegung. Der EuGH hat dabei seinerseits Wortlaut und Ziel der hinter der EU-Verordnung stehenden UN-Resolutionen zu berücksichtigen. Handelt es sich dagegen um die Sanktionen des Ein- und Durchreiseverbots oder des Waffenembargos, so sind die nationalen Gerichte – ohne Vorlagepflicht an den EuGH – grundsätzlich118 zuständig. Nach Erschöpfung des Rechtswegs ist der EGMR sodann prüfungsbefugt.
d) Ausblick: Einpassung des Kontrollgremiums auf UN-Ebene in das Gefüge der Gerichte im Mehrebenensystem Zum Schluss soll der Blick noch darauf gerichtet werden, wie sich das oben vorgeschlagene und de lege ferenda zu verwirklichende Kontrollgremium auf UN-Ebene in das Gefüge der Gerichte im Mehrebenensystem einpassen lässt.
dung gelangt. Bei der Listung als Voraussetzung der Sanktionsverhängung bedarf es dagegen eines solchen konkreten Zusammenhangs nicht, weil sich an ihr durch die Umsetzung auf nationaler bzw. regionaler Ebene nichts mehr ändern kann. 117
Die Vorlagepflicht gilt nicht hinsichtlich des Waffenembargos, weil insoweit die Zuständigkeit des EuGH nach Art. 275 Uabs. 2 AEUV auf die Nichtigkeitsklage beschränkt ist. 118
Bezüglich des Waffenembargos entscheidet allerdings der EuGH über die Nichtigkeit des entsprechenden Standpunktes der EU, Art. 275 Uabs. 2 AEUV.
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aa) Das Bestehen von Treuepflichten im Verhältnis der Gerichte zum Kontrollgremium auf UN-Ebene Bevor dazu das hier befürwortete Instrumentarium zur Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten für diesen zusätzlichen UN-Spruchkörper angewandt und weiterentwickelt werden kann, muss man sich zunächst nach den Grundsätzen der internen Konstitutionalisierung des Bestehens von Treuepflichten in den verschiedenen Beziehungen zwischen den potentiell beteiligten Spruchkörpern vergewissern. Für die Beziehungen des Bundesverfassungsgerichts, des EGMR und der Unionsgerichte untereinander ist das Bestehen solcher Treuepflichten, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, bereits oben bejaht worden.119 Für das Verhältnis der UN-Mitgliedstaaten – und damit des Bundesverfassungsgerichts – ergibt sich die Kooperations- und Rücksichtnahmepflicht zur UN-Ebene aus dem oben behandelten Prinzip der UN-Treue, das sich auf eine Zusammenschau von Vorschriften der UN-Charta stützen kann.120 Für den EGMR ebenso wie für den EuGH gilt dagegen für ihr Verhältnis zu den UN vergleichbar dem Verhältnis zwischen EuGH und EGMR de lege lata eine nur indirekte Pflicht gegenüber den UN, die durch die direkten Pflichten gegenüber den Mitgliedstaaten und wiederum deren Verhältnis zu den UN vermittelt wird. De lege ferenda wurde aber oben im Rahmen der Erarbeitung des Soll-Zustandes des 1267-Sanktionsregimes für die Vorschriften zum Kontrollgremium auf UN-Ebene vorgeschlagen, eine Formulierung aufzunehmen, wonach das Kontrollgremium mit den im Mehrebenensystem vorhandenen nationalen und regionalen Spruchkörpern bei der Gewährung von Individualrechtsschutz kooperieren soll.121 Dies wäre Ausdruck der für die Konfliktvermeidung notwendigen Kooperation und Rücksichtnahme auch bezüglich der UN-Ebene. Somit bestünden Treuepflichten im Verhältnis der Gerichte zum Kontrollgremium auf UN-Ebene im Sinne einer „Justiztreue.“ Die „Justiztreue“ würde so den Gedanken der UNTreue auf der Ebene des Rechtsschutzes fortführen.
119 120 121
S. oben, J.IV.3.lit.a. S. oben, E.I.2., E.II.
Diese Ergänzungsidee liegt damit auf einer Linie mit vielen Resolutionen des 1267-Regimes, in denen die Kooperation der UN-Ebene mit verschiedenen anderen Akteuren (und nicht nur der nationalen Ebene) zahlreich erwähnt ist, s. etwa Resolution 1456 (2003) vom 20. Januar 2003, Ziff. 1, 2 (b) und (c), 4, 5, 8, 10, 11, 13; Resolution 1699 (2006) vom 8. August 2006; Resolution 1735 (2006) vom 22. Dezember 2006, Ziff. 19-23.
J. Prinzipien für den gerichtlichen Rechtsschutz
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bb) Der Prüfungsvorrang hinsichtlich der Kontrolle der Listung: Verhältnis zwischen Unionsgerichten und Kontrollgremium auf UN-Ebene Für die Frage, welches Gericht vorrangig zur Prüfung der Listung berufen ist, wurden im Konfliktdreieck Bundesverfassungsgericht – EGMR – Unionsgerichte oben bereits die Unionsgerichte als die vorrangig zuständigen Gerichte identifiziert. Bei Einbeziehung des Kontrollgremiums auf UN-Ebene in die Betrachtung kann sich die Untersuchung daher auf das Verhältnis zwischen Unionsgerichten und Kontrollgremium beschränken. Wird also das Konfliktvermeidungsinstrumentarium auf das Verhältnis zwischen Unionsgerichten und Kontrollgremium auf UN-Ebene angewandt, so muss zur Vermeidung eines Konflikts der Entscheidungsvorrang eines dieser beiden Kontrollorgane im Rahmen einer Gesamtabwägung bindend bestimmt werden. Dabei spräche zunächst die Prioritätsvermutung für die Unionsgerichte, weil der EuGH im Kadi-Urteil zuerst die Entscheidungsbefugnis für sich beansprucht hat. Dabei ist erneut zu beachten, dass es sich bei dem Prüfungsgegenstand um einen EG-Rechtsakt handelte, weil die Listung in einer EG-Verordnung niedergelegt war. Zugleich war die Listung der konkreten Person aber eine bloße Reproduktion der Listungsentscheidung des Sanktionskomitees, so dass der EuGH hier inzident die Listung des Sanktionskomitees überprüft hat. Die Antwort auf die Frage, ob die Prioritätsvermutung überhaupt eingreifen kann, wenn der zweite Spruchkörper zum Zeitpunkt der Entscheidung des ersten noch gar nicht eingerichtet war, könnte dahingestellt bleiben, falls die weiteren zu beachtenden Überlegungen im Rahmen der Abwägung ergäben, dass diese Vermutung widerlegt ist, weil die Interessen und Faktoren, die für den Entscheidungsvorrang des Kontrollgremiums auf UN-Ebene sprechen, eindeutig überwiegen. Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechungskompetenzen und -funktionen eher für einen Entscheidungsvorrang des Kontrollgremiums auf UN-Ebene sprechen, weil dieses gerade zur Überprüfung der Listung und auf der erlassenden Ebene eingerichtet ist, während die Entscheidungen des Sanktionskomitees nur inzident Prüfungsgegenstand vor den Unionsgerichten sind. Ein schlagendes Argument für den Entscheidungsvorrang des Kontrollgremiums auf UN-Ebene ist sein Interesse, die Rechtseinheit zu wahren, die massiv gestört ist, wenn ein Gericht wie der EuGH, wenn auch nicht lediglich national, so doch nur für die EU-Mitgliedstaaten, eine konkrete Listung für nichtig erklärt. Denn die UN-Listung würde in den anderen UN-Mitgliedstaaten weitergelten und so eine uneinheit-
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Teil IV: Nationaler und regionaler gerichtlicher Rechtsschutz
liche Umsetzung erfahren. Das gleiche Argument trägt auch bei der Frage nach der Akzeptanzfähigkeit der möglichen Zuweisung des Entscheidungsvorrangs. Hinter das Interesse einer Kontrolle von UNRechtsakten durch eigens dafür eingerichtete UN-Organe tritt das Interesse der EU an der Wahrung seines Grundrechtsstandards zurück, weil Grundrechte ja gerade auch vom Kontrollgremium auf UN-Ebene zu beachten sind.122 Auch die Sachkompetenzverteilung streitet für die Kontrolle auf UN-Ebene: Während der Prüfungsmaßstab in beiden Fällen durch Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit geprägt wird, steht das UN-Kontrollgremium auf UN-Ebene der Prüfung vor allem deshalb näher, weil ihm der Zugang zu den Geheimdienstinformationen, auf denen die Listung basiert und ohne die gar kein wirksamer Rechtsschutz denkbar ist, eher als dem EuGH möglich sein dürfte.123 Bei den Folgenerwägungen spricht die mögliche Gefährdung der Rechtseinheit für die Kontrolle auf UN-Ebene, während der Aspekt der Rechtsschutzeffektivität wegen der erweiterten Rechtsschutzmöglichkeiten auf eine Zuständigkeit auch der Unionsgerichte hindeutet. Mit guten Gründen kann somit die Prioritätsvermutung zugunsten der Unionsgerichte als widerlegt gelten, weil die gefundenen Interessen und Faktoren, die für den Entscheidungsvorrang des Kontrollgremiums auf UN-Ebene sprechen, eindeutig überwiegen. Gerade mit Blick auf den Zugang zu Geheiminformationen werden so die widerstreitenden Interessen der Vermeidung der uneinheitlichen Anwendung des UN-Rechts und einer Störung der Tätigkeit des Sicherheitsrats einerseits und des Menschenrechtsschutzes andererseits überzeugend zum Ausgleich gebracht. Somit ergibt sich bezüglich der UN-Listung ein Entscheidungsvorrang des Kontrollgremiums auf UN-Ebene, der dazu führt, dass der EuGH sich von der Überprüfung der UN-Listung zurückzuziehen hat.
cc) Der Prüfungsvorrang hinsichtlich der Kontrolle der konkret erlassenen Sanktionen: Verhältnis zwischen UN-Mitgliedstaaten, Unionsgerichten und UN-Ebene Wie oben dargelegt werden die zu verhängenden Sanktionen zwar von der UN-Ebene als der normsetzenden Ebene angeordnet. Sie werden
122 123
Insbesondere über die rechtsstaatlichen Verbürgungen, s. oben, E.III. S. oben, G.I.3.lit.d bb)(2).
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aber in ihrer konkreten Gestalt von der regionalen und/oder124 nationalen Ebene umgesetzt (normumsetzende Ebene). Daher liegt ein nationaler Rechtsakt vor, der vor den nationalen bzw. regionalen Gerichten angegriffen werden muss. Dass die nationalen Gerichte zur Prüfung zuständig sind, gilt ebenso wie unter dem oben besprochenen status quo ohne UN-Kontrollorgan auch dann, wenn ein solches Kontrollorgan existiert. Denn die Behörde, die einem Gelisteten die Auszahlung der Haftentschädigung verweigert, trifft eine auf den Einzelfall bezogene konkrete eigene Entscheidung, die im Gegensatz zur Listung nicht UN-Vorgaben unverändert umsetzt, sondern völkerrechtliche Vorgaben auf einen konkreten Fall anwendet. Es gilt bei Fragen der Auslegung – allerdings nur hinsichtlich der Maßnahme der Kontensperrung – die oben besprochene Vorlagepflicht an den EuGH. Fraglich ist nur, ob nicht auch noch an eine weitere Vorlagepflicht, im Falle der Umsetzung des 1267-Sanktionsregimes durch EU-Verordnung (Finanzsanktionen) des EuGH, bei rein nationaler Umsetzung (Ein- und Durchreiseverbot und Waffenembargo) der nationalen Gerichte an das Sanktionskomitee zu denken ist. Dies könnte sicherstellen, dass der Inhalt strittiger Begriffe einheitlich und abschließend auf UN-Ebene bestimmt und so die Umsetzung des bindenden UN-Sanktionsregimes erleichtert und verbessert wird. Neben dieser Funktion der Wahrung der Rechtseinheit durch ein Vorlageverfahren, treffen auch die beiden anderen Funktionen eines Vorlageverfahrens auf den vorliegenden Sachverhalt zu: Die Funktionen des Individualschutzes und der Zusammenarbeit der Gerichte.125 Für die Auslegung von Sicherheitsratsresolutionen wird vertreten, dass nur der Sicherheitsrat selbst oder eine von ihm autorisierte Behörde die Resolution authentisch auszulegen vermag, weil auch nur er die Befugnis hat, sie zu ändern oder aufzuheben.126 Dies spricht also für eine Vorlagepflicht an das Sanktionskomitee. Gegen eine solche
124
Nur die Kontensperrung wird im Rahmen der EU umgesetzt, für die Umsetzung von Ein- und Durchreiseverbot sowie Waffenembargo sind dagegen unmittelbar die EU-Mitgliedstaaten zuständig, vgl. Art. 2 bis 4 des Gemeinsamen Standpunktes des Rates vom 27. Mai 2002, 2002/402/GASP und oben, J.III.2.lit.c. 125
Vgl. noch zu Art. 234 EGV Wegener, Art. 234 EGV, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Rz. 1. 126
Wood, The Interpretation of Security Council Resolutions, Max Planck UNYB 2 (1998), S. 73, 82 f. mit Verweis auf eine Äußerung des StIGH im Gutachten Delimitation of the Polish-Czechoslovakian Frontier (Question of Jaworzina), Rechtsgutachten vom 6. Dezember 1923, PCIJ Series B, No. 8, 37.
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Vorlagepflicht spricht allerdings, dass im Verhältnis zur UN-Ebene – anders als im Verhältnis der EU zu ihren Mitgliedstaaten – keine supranationale Beziehung besteht. Vielmehr müssen die UN-Mitglieder die Resolutionen in nationales Recht umsetzen und es ist anerkannt, dass sie dabei die UN-Resolutionen auslegen, ebenso wie auch nationale Gerichte dies tun.127 In den zahllosen Fällen der konkreten Anwendung der Sanktionen würde eine Vorlagepflicht der Umsetzungsebene an die UN-Ebene beide Ebenen auch vor praktische Probleme stellen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die UN-Mitgliedstaaten und die EU die Resolutionen beliebig interpretieren und nach eigenem Gutdünken umsetzen könnten. Vielmehr sind sie an Wortlaut und Ziel der UNRechtsakte gebunden, so dass sie nach dieser Maßgabe im Wege insbesondere einer teleologischen Auslegung in jedem Einzelfall der Umsetzung und Anwendung von UN-Resolutionen den Sinn zu ermitteln haben, den der Sicherheitsrat den jeweiligen Vorschriften geben wollte.128 Die Positivierung einer Vorlagepflicht nationaler und regionaler Gerichte an das Sanktionskomitee ist sonach rechtlich nicht geboten. Dieses Ergebnis wird von der Erwägung gestützt, dass auch ohne ein derartiges Vorlageverfahren einerseits eine an Wortlaut und Zweck der UN-Resolution orientierte Auslegung durch die nationalen und regionalen Gerichte der Rücksichtnahmepflicht des Treueprinzips gerecht werden kann.129 Andererseits kann der Sicherheitsrat auch jederzeit durch – auch verbindliche130 – Auslegungsvorgaben Einfluss auf die Judikatur jenseits der UN-Ebene nehmen.131 Von dieser Möglichkeit hat
127
Wood, The Interpretation of Security Council Resolutions, Max Planck UNYB 2 (1998), S. 73, 85. 128
Ibid., S. 95.
129
Auch der EuGH geht in Kadi und Al Barakaat gegen Rat der Europäischen Union, EuGH, Urteil vom 3. September 2008, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rz. 296 von der Umsetzung von UN-Resolutionen durch die EU orientiert an Wortlaut und Zielen der Resolution aus. 130
Verbindlichkeit hat in jedem Fall eine Regelung, die in einer Sicherheitsratsresolution nach Kapitel VII erlassen ist. 131
Vgl. Wood, The Interpretation of Security Council Resolutions, Max Planck UNYB 2 (1998), S. 73, 83; Scharf/Dorsin, Interpreting UN Sanctions: The Rulings and Role of the Yugoslavia Sanctions Committee, Brooklyn J. Int. L. 19 (1993) 3, S. 771, 815 schlagen dagegen das Sanktionskomitee als die Stelle vor, die die Auslegung vornehmen soll.
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der Sicherheitsrat im Fall des 1267-Regimes bereits Gebrauch gemacht.132 Eine mögliche Regelung eines Vorlageverfahrens an das Sanktionskomitee wird in dem Vorschlag für die Ergänzungen der Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees jedenfalls formuliert.
dd) Fazit Somit ist ab Einrichtung des Kontrollgremiums auf UN-Ebene dieses für die Überprüfung der Listung ausschließlich zuständig. Die konkret verhängten Sanktionen sind dagegen vor den nationalen Gerichten anzugreifen, wobei diese im Fall von Finanzsanktionen Fragen zur Auslegung der zugrunde liegenden EU-Verordnung dem EuGH gemäß Art. 267 AEUV vorzulegen haben. Der EuGH ist insoweit ausschließlich zuständig für die Auslegung der EU-Verordnung. Die Sanktionen des Ein- und Durchreiseverbots sowie des Waffenembargos133 werden rein national verhängt, so dass nur die nationalen Gerichte und ggf. der EGMR zuständig sind. Soweit dabei auch die Auslegung der UNResolutionen und Verfahrensrichtlinien strittig ist, müssen die Staaten und der EuGH diese nach Wortlaut und Ziel der Resolutionen auslegen und vorhandene Auslegungshilfen der UN beachten.
132
Der Sicherheitsrat hat in Resolution 1617 (2005) vom 29. Juli 2005, Ziff. 7, die UN-Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, die Empfehlungen der Financial Action Task Force umzusetzen, die auch Definitionen einzelner Begriffe im Zusammenhang mit Finanzsanktionen enthalten. Inwieweit diese Aufforderung des Sicherheitsrates, die unter Kapitel VII erfolgte, bezüglich dieser Definitionen, die in einer Auslegungserklärung zu den in der UN-Resolution allein genannten Empfehlungen der Financial Action Task Force ergangen sind, als verbindlich angesehen werden kann, ist unklar. Auch das 1267-Sanktionskomitee hat Auslegungshilfen geliefert: Am 23. Oktober 2008 hat es ein Dokument mit Begriffserklärungen zum Waffenembargo herausgegeben, am 9. Dezember 2008 die Begriffe des Ein- und Durchreiseverbots näher erläutert und am 11. September 2009 den Begriff der Kontensperrung („asset freeze“) detailliert ausgelegt, s. die entsprechenden Dokumente unter http://www.un.org/sc/committees /1267/usefulpapers.shtml (zuletzt besucht am 2. Mai 2010). 133 Bezüglich des Waffenembargos prüft der EuGH allerdings Nichtigkeitsklagen Gelisteter, die sich gegen den Standpunkt der EU wenden, der das Waffenembargo hinsichtlich ihrer Person vorsieht, Art. 275 Uabs. 2 AEUV.
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V. Fazit zu den Prinzipien für den gerichtlichen Rechtsschutz Die Untersuchung zu Prinzipien für den gerichtlichen Rechtsschutz im Mehrebenensystem des 1267-Sanktionsregimes kommt somit zu dem Ergebnis, dass auch in diesem Bereich der Treuegedanke mit Kooperations- und Rücksichtnahmepflichten gilt. Das Treueprinzip im Mehrebenensystem setzt sich damit im Bereich des Rechtsschutzes als „Justiztreue“ fort und bestätigt so seine Geeignetheit und Wirkungskraft im Rahmen der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene. Die Unterscheidung der Streitgegenstände Listung und Prüfung konkret verhängter Sanktionen erweist sich gerade auch wegen der Geheimdienstinformationen, die im Falle der Listung für den Rechtsschutz von Bedeutung sind, als hilfreich. Das Konfliktpotential, das sich de lege lata im Verhältnis Unionsgerichte – Bundesverfassungsgericht – EGMR zeigt, wird außer im Verhältnis Bundesverfassungsgericht – EGMR nicht durch die Judikatur dieser Gerichte entschärft. Eine Bündelung der Entscheidungszuständigkeit bei einem der Gerichte als Lösung für die Konflikte zwischen den Gerichten würde den unterschiedlichen Gründen für deren Einrichtung nicht gerecht. De lege lata, d.h. solange ein UN-Kontrollorgan nicht besteht, sind die Konflikte gemäß dem Prinzip der „Justiztreue“ so zu lösen, dass über den Streitgegenstand der Listung der EuGH ausschließlich zu entscheiden hat, während der Streitgegenstand der konkret verhängten Sanktion von den nationalen Gerichten zu prüfen ist, für die allerdings im Fall von Finanzsanktionen bei Fragen zur Auslegung der zugrunde liegenden EU-Verordnung die übliche Vorlagepflicht an den EuGH gilt (Art. 267 AEUV). Im Falle des Waffenembargos gilt diese Vorlagepflicht nicht, der EuGH ist allerdings für die Nichtigkeitsklage gegen den Standpunkt der EU zuständig, Art. 275 Uabs. 2 AEUV. Nach Erschöpfung des nationalen Rechtswegs kommt gegebenenfalls der EGMR zum Zuge. De lege ferenda fällt die Überprüfung der Listung dem dann eingerichteten UN-Kontrollgremium zu, während es hinsichtlich der konkret verhängten Sanktionen bei der bisherigen Rechtslage bleibt. Soweit im Rahmen der Rechtsschutzgewähr auch die Auslegung der UNResolutionen und UN-Verfahrensrichtlinien strittig ist, müssen Wortlaut und Ziel der UN-Resolutionen und vorhandene Auslegungshilfen der UN beachtet werden. Durch diese Regelung der Prüfungszustän-
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digkeiten – insbesondere hinsichtlich der Listung – wird ein angemessener Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen des Menschenrechtsschutzes einerseits und des ungestörten Handelns des Sicherheitsrats andererseits erreicht.
K. Ergebnisse Die Arbeit hatte sich zum Ziel gesetzt, die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene näher zu betrachten und Regeln für sie zu suchen. Das Bedürfnis hierfür entsteht aus einer zunehmenden Entstaatlichung und Internationalisierung, durch die nationale Regelungszuständigkeiten auf die internationale Ebene verlagert werden. Dadurch findet vermehrt Normsetzung – vor allem durch internationale Organisationen – auf völkerrechtlicher Ebene statt. Dies ist mit Problemen verbunden, die besonders da deutlich werden, wo unmittelbar oder mittelbar Individuen von solcher Normsetzung betroffen sind. Die völkerrechtliche Ebene gerät dadurch in Rechtfertigungszwang, will sie nicht die für ihr Funktionieren nötige Akzeptanz in ihren Mitgliedstaaten verlieren. Daher muss sie in ähnlicher Weise wie die Nationalstaaten ihre Eingriffe gegenüber dem Einzelnen rechtfertigen und so legitimieren. Diese Legitimation ist auf völkerrechtlicher Ebene jedoch schwieriger herzustellen als auf nationaler Ebene, wo die Möglichkeit der Legitimation durch Wahlen zur Verfügung steht. Die Völkerrechtsebene hat daher zur Legitimation ihres Handelns auf andere Mechanismen der Kontrolle, wie Rechtsschutz und Rechtsstaatlichkeit zurückzugreifen, um für ihre Maßnahmen die Akzeptanz ihrer Mitgliedstaaten und deren Bürger zu sichern. Wie sie dies tut, wird vorliegend am Beispiel des 1267-Sanktionsregimes untersucht, das den Forschungsgegenstand der Arbeit bildet. Im Mittelpunkt steht dabei die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene, verstanden als die Rechtsmacht, andere zu bestimmen und ihre Freiheit einzuschränken, also ihre rechtliche und tatsächliche Situation einseitig zu gestalten. Beim Versuch der rechtlichen Fassung der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene erweisen sich die Ansätze der global governance und des Global Administrative Law als wenig tauglich, weil sie eher politisch und beschreibend ausgerichtet sind. Die Ansätze des internationalen Verwaltungsrechts und der Konstitutionalisierung erscheinen dagegen eher für die Schaffung eines rechtlichen Rahmens für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene geeignet. Sie lassen allerdings die Perspektive des jeweils anderen Ansatzes außer Betracht und laufen Gefahr, eine zu nationale Sicht einzunehmen, die auf den völkerrechtlichen Zusammenhang nicht passt. Am besten ge-
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eignet erscheint der öffentlich-rechtliche Ansatz zur Findung von Prinzipien für die Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene, der kumulativ die Ansätze des internationalen Verwaltungsrechts, des International Institutional Law und der Konstitutionalisierung – diese in der Form der internen Konstitutionalisierung anhand der Satzung der jeweiligen internationalen Organisation – heranzieht. Mit Hilfe des öffentlich-rechtlichen Ansatzes wurde zunächst die Bindung des Sicherheitsrats an Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte untersucht. Die bisher vertretenen Ansätze zur Menschenrechtsbindung des Sicherheitsrates ergeben, dass alle insoweit bestehenden Argumentationslinien gewisse tragfähige Argumente für sich in Anspruch nehmen können. Dennoch zeigt sich, dass sich bei den auf einzelnen Artikeln der UN-Charta basierenden Ansätzen die für diese und gegen sie sprechenden grammatischen und systematischen Argumente eher die Waage halten, während sich die Vertreter von Ansätzen, die sich auf Völkergewohnheitsrecht oder allgemeine Rechtsgrundsätze stützen, unter anderem dem Argument der rechtlichen Eigenständigkeit internationaler Organisationen gegenübersehen, was gegen eine Bindung des Sicherheitsrats an die Menschenrechte spricht. Erscheinen sonach alle genannten Ansätze nachvollziehbar, so überzeugen sie doch nicht nachhaltig. Mit Hilfe der internen Konstitutionalisierung als Mittel des öffentlichrechtlichen Ansatzes lässt sich aus der Rechtsvergleichung mit dem EURecht und nationalem Verfassungsrecht und aus verschiedenen Vorschriften der UN-Charta das Prinzip der UN-Treue herleiten. Im 1267Regime wirkt die UN-Treue unter anderem als Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der UN-Mitgliedstaaten. Weltweite Angriffe auf die UN-Listungen und verschiedene Initiativen zu Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit im 1267-Regime zeigen, dass die mitgliedstaatlichen Interessen sich auf die Beachtung der universellen Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit richten. Für den konkreten Inhalt der von den UN bei der Ausgestaltung des 1267-Regimes zu beachtenden menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Standards wird die Resolution 1597 (2008) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates herangezogen. Diese ist speziell auf das 1267-Regime zugeschnitten, hat die universellen Menschenrechte zur Grundlage, und kann als regionales Dokument als repräsentativ für zumindest einen großen Teil der internationalen Gemeinschaft, insbesondere die Bedenken tragenden Staaten, angesehen werden. Angewandt auf das 1267-Regime ergeben diese Maßstäbe, dass nur geringer Verbesserungsbedarf hinsichtlich der Beweispflicht bezüglich des
K. Ergebnisse
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Vorliegens der Listungsvoraussetzungen sowie des Rechts auf unverzügliche und vollständige Information gegeben ist. Die Vorschriften hinsichtlich der klaren Definition der Voraussetzungen einer Listung, der Begründung, der Anhörung und der zeitlichen Begrenzung einer Listung sind dagegen intensiver zu vervollständigen. Der größte Verbesserungsbedarf besteht allerdings hinsichtlich der Überprüfung von Listungen: Hier muss ein unabhängiges, unparteiisches Kontrollgremium eingerichtet werden, wobei insbesondere der Aspekt, dass im Zusammenhang mit den Listungen Geheimdienstinformationen eine große Rolle spielen, besondere Regeln erforderlich macht.1 Als weitere Prinzipien für die Ausübung von Hoheitsgewalt deuten sich im 1267-Regime außerdem das Prinzip der Verhältnismäßigkeit2 und ein Prinzip der Zusammenarbeit an, das einen erweiterten Kreis völkerrechtlicher Akteure einbezieht.3 Die Untersuchung zu Prinzipien für den gerichtlichen Rechtsschutz im Mehrebenensystem des 1267-Sanktionsregimes kommt unter Anwendung des öffentlich-rechtlichen Ansatzes zu dem Schluss, dass auch in diesem Bereich der Treuegedanke mit Kooperations- und Rücksichtnahmepflichten gilt. Das Treueprinzip im Mehrebenensystem setzt sich damit auf der Ebene des Rechtsschutzes als Prinzip der „Justiztreue“ fort und bestätigt so seine Geeignetheit und Wirkungskraft im Rahmen der Ausübung von Hoheitsgewalt auf völkerrechtlicher Ebene. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse empfiehlt sich der öffentlichrechtliche Ansatz für die rechtliche Fassung der Ausübung von Hoheitsgewalt auch in anderen Bereichen des Völkerrechts.
1
Die vorgeschlagenen Verbesserungen des Ist-Zustands des 1267-Regimes können in Anhang II zu dieser Arbeit nachgelesen werden. 2
S. oben, F.I.5. und 10., Resolution 1452 (2002) vom 20. Dezember 2002, Resolution 1730 (2006) vom 19. Dezember 2006. 3 S. dazu oben, F.I.6. und 9., Resolution 1455 (2003) vom 17. Januar 2003, Resolution 1456 (2003) vom 20. Januar 2003, Resolution 1699 (2006) vom 8. August 2006, Resolution 1735 (2006) vom 22. Dezember 2006.
Summary The Exercise of Public Authority in International Law – the 1267 Sanctions Regime and Its Legal Framework
The goal of this thesis is to take a closer look at the exercise of public authority on the international level and to find rules governing such exercise under the aspect of legitimacy. There is a need for such a perspective because the ongoing globalization is experienced as a gradual shift of national competences to the international level leading to more and more norm-setting-activities by international organizations. This raises questions of legitimacy which become particularly urgent where individuals are directly or indirectly affected by such norm-setting. Especially states with high human rights standards seemed to hesitate in carrying out the obligatory national implementation in such cases. International organizations are thus under pressure to justify such action in order to secure the acceptance and cooperation by the nation states and their citizens indispensible for the functioning of the organizations. On the international level the legitimacy of actions and thus their acceptance is more difficult to achieve than on the national level where it can be established by democratic election. Therefore, the international level has to rely on mechanisms of control such as guaranteeing the rule of law and effective remedies. How this can be achieved is demonstrated by this study using the example of the 1267 UN sanctions regime as the object of research. Within the detailed analysis, the focus is set on the exercise of public authority on the international level. Public authority is defined here as the legal capacity to determine others and to reduce their freedom, i.e. to unilaterally shape their legal or factual situation. When trying to find a legal framework for the exercise of public authority on the international level the global governance approach and the global administrative law approach turn out to be of little help since they are rather political and descriptive in nature. The approaches of an international administrative law and the constitutionalization of international law appear more adequate as a basis of such a legal framework. C.A. Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht: Das 1267-Sanktionsregime der UN und seine 357 rechtliche Fassung, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 225, DOI 10.1007/978-3-642-20471-5_5, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg 2011
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Summary
However, as long as they do not take into consideration each other’s reasoning, they run the risk of taking a narrow national perspective which is not sufficient in an international context. A public law approach proves to be the most appropriate for the identification of principles governing the exercise of public authority on the international level which cumulatively draws on the approaches of an international administrative law, international institutional law and the theory of constitutionalization of international law in the form of an internal constitutionalization on the basis of the constitution of the respective international organization. By means of this public law approach, this study first examines whether the UN Security Council is bound by human rights and the rule of law. Previous approaches to this question all unfold suitable reasoning. But it is obvious that the grammatical and systematic arguments pro and contra a human rights obligation of the UN Security Council of those who rely on the individual articles of the UN Charter are more or less equally convincing while those who base their arguments on customary international law or general principles of law encounter the problem that international organizations are separate legal entities which would rather object to a human rights obligation of the UN Security Council. Thus, although all these approaches appear to be plausible they are not completely convincing in the end. This reasoning can be strengthened by means of the internal constitutionalization as an instrument of the public law approach. Within this framework, the principle of “UN loyalty” can be derived from a comparison of the European Union law, the national constitutional law and several articles of the UN Charter. In the 1267 sanctions regime the principle of UN loyalty generates a duty of the UN to respect the interests of UN member states. Worldwide legal challenges of the UN listings of individuals as terrorists and several initiatives to improve the rule of law standard in the 1267 regime show clearly that member states claim respect for the universal human rights and the rule of law. To define the precise content of the human rights and rule of law standards to be observed by the UN in the context of the 1267 regime one can draw on resolution 1597 (2008) of the Parliamentary Assembly of the Council of Europe. This resolution is tailored to the 1267 regime and based on the universal human rights. So, as a regional document, it can be seen as representative for at least a large part of the international community and especially for those states which uttered human rights concerns with respect to the sanctions regime.
The Exercise of Public Authority in International Law
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A close scrutiny under these standards of the successive resolutions gradually modifying the 1267 regime brings to light that there is only a minor need for improvement of the burden of evidence with respect to presentation of the preconditions for being listed and the right to be notified promptly and fully informed. But speaking of the clear definition of the preconditions for sanctions, of the giving of reasons for the imposition of sanctions, the right to be heard and a time limit for each listing, there is still obvious need for the current rules to be amended. The most important aspect to be improved, however, is the review of the listing itself: an independent and impartial control panel must be established here and specific rules must be found which take care of the fact that intelligence information plays a major role in the 1267 regime. As further principles for the exercise of public authority in the 1267 sanctions regime the principle of proportionality and the principle of cooperation which includes an extended group of international actors may be identified. The search for principles for the judicial protection in the multilevel system of the 1267 regime in application of the public law approach results in the conclusion that also in this sector the idea of loyalty generating duties of cooperation and respect prevails. The principle of loyalty in the multilevel system thus proves valid also in the field of legal protection as the principle of “justice loyalty” and therefore confirms its suitability and efficacy in the context of the exercise of public authority on the international level. Against the background of these results the public law approach to the legal framework for the exercise of public authority may be recommended for application in other fields of international law as well. Specifically, the study answers the following questions: 1. How can a legal framework be accomplished for the exercise of public authority on the international level in order to increase the legitimacy of such public authority? 2. How can it be argued in this context that the Security Council is bound by human rights and the rule of law? 3. The 1267 sanctions regime as one example of the exercise of public authority on the international level: Which rule of law developments are visible there so far and how may existing deficits be fixed? 4. What does the legal protection of the individual in the multilevel system of the 1267 regime look like (with and without a control panel
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Summary
on the UN level) and how may conflicts between jurisdictions in this multilevel system be avoided?
Anhang I zu Kapitel G Elements for draft supplementary guidelines for the examination of Sanctions Committees’ listing decisions1 Scope of application 1. The following Supplementary Guidelines shall apply to decisions of the Security Council or any Committee established by the Security Council (Sanctions Committee, hereinafter the Committee) which make individuals, groups, undertakings or entities (the addressees) the object of restrictions (targeted sanctions) concerning their economic assets, economic transactions or freedom of movement (listing decision). A list of Security Council resolutions to which these Guidelines apply, to be amended every time this is rendered necessary by the adoption or amendment of a relevant resolution, is contained in the Annex to these Guidelines. 2. These Guidelines are without prejudice to the right of any State to request a de-listing as provided by the relevant rules or guidelines applicable for the Committee in question. Periodic review The Committee shall ex officio keep the listing decisions under constant review, re-evaluating them on a regular basis, the intervals to be decided by the Committee, in particular in the light of new information submitted by Member States. Panel 1. There shall be established a panel of [three/five] independent, impartial and judicially qualified persons for the purpose of examining listing decisions. The members of the panel shall be persons of high moral 1
Der Vorschlag findet sich in UN-Dokument Generalversammlung/Sicherheitsrat, Enclosure: Improving the Implementation of Sanctions Regimes Through Ensuring “Fair and Clear Procedures”, A/62/891-S/2008/428, vom 2. Juli 2008, S. 5 ff. C.A. Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht: Das 1267-Sanktionsregime der UN und seine 361 rechtliche Fassung, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 225, DOI 10.1007/978-3-642-20471-5, © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg 2011
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character and integrity and have proven experience in dealing with sensitive and confidential information. 2. The members of the panel will be proposed by the Secretary-General out of a list of candidates submitted by the Member States of the United Nations. They shall be appointed by the Security Council for a non-renewable term of [five] years. 3. The designating State(s) and the State(s) of residence and/or citizenship of the petitioner may each designate one ad hoc member of the panel. Request for de-listing 1. Listed individuals, groups, undertakings and entities (the petitioner) may request a de-listing decision through the Focal Point or through the State of residence or citizenship. The petition shall be made in writing in one of the official languages of the United Nations and shall state the factual and/or legal grounds which in the view of the petitioner require de-listing. 2. Individuals, groups, undertakings or entities other than those listed may request a de-listing decision if they are personally and directly affected by the respective listing. Examination by the panel 1. The Focal Point forwards the petition to the panel and informs the Committee about it. 2. The Committee may at any time decide a de-listing. In this case, the procedure before the panel is discontinued. 3. The panel examines the petition in a preliminary way. It rejects a petition without further examination where it finds that – the petition is made by an individual, group, undertaking or entity which is not listed or not entitled to request a de-listing, – the petition is a repetition of an earlier petition and does not put forward any new evidence or circumstances justifying a de-listing; – the petition is manifestly ill-founded. 4. If the petition is admitted, the panel shall, within [two] weeks after admitting the petition, request the Committee and all United Nations Member States to submit, within [one] month, any relevant additional evidence or information.
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Cooperation with the panel The Committee, all Member States of the United Nations and all relevant international organizations shall cooperate with the panel to the fullest extent possible, in particular by providing any relevant information or evidence. The panel shall take the necessary measures to facilitate the receipt of information or evidence provided to its members on a confidential basis. Where a Member State or international organization is not in a position to submit relevant confidential information, it shall make every effort to submit other relevant information or evidence as detailed as possible. Procedure before the panel The procedure before the panel shall be governed by general principles of international law concerning fair procedure. The panel shall decide freely to use all information and evidence it deems appropriate. The panel shall take all necessary measures to ensure the confidentiality of information provided by Member States in accordance with the terms agreed with that State or the relevant standard practice. This does not preclude the panel from disclosing information or evidence to the petitioner which is not confidential, or new evidence or information which the panel itself generated using confidential information. Reports and recommendations of the panel 1. Within [three] months after receiving the petition, the panel shall report its findings to the Committee. It recommends de-listing where the information and evidence available to the panel members does not justify the listing. Else it recommends the rejection of the petition. 2. The petitioner and his/her State of residence and/or citizenship shall be informed by the panel about the content of its recommendation. 3. A summary report with the recommendation(s) of the panel shall be published together with the decision(s) taken by the Security Council taking due account of the need to protect confidential information.
Anhang II zu Kapitel G: Die Ergänzungen zu den Verfahrensrichtlinien des 1267Sanktionsregimes1 GUIDELINES OF THE COMMITTEE FOR THE CONDUCT OF ITS WORK 1. The Al-Qaida and Taliban Sanctions Committee (a) The Committee of the Security Council established by paragraph 6 of Security Council resolution 1267 (1999) of 15 October 1999 is known as the Al-Qaida and Taliban Sanctions Committee. Its functions were modified by resolutions 1390 (2002) of 16 January 2002, 1526 (2004) of 30 January 2004, 1617 (2005) of 29 July 2005, 1730 (2006) of 19 December 2006, 1735 (2006) of 22 December 2006 and 1822 (2008) of 30 June 2008. For the purposes of these guidelines, the Al-Qaida and Taliban Sanctions Committee shall hereinafter be referred to as “the Committee”. (b) The Committee is a subsidiary organ of the Security Council and will consist of all Members of the Council. (c) The Chairman of the Committee will be appointed by the Security Council to serve in his/her personal capacity. The Chairman will be assisted by two delegations who will act as Vice-Chairmen, and who will also be appointed by the Security Council. (d) The Chairman will chair meetings of the Committee. When he/she is unable to chair a meeting, he/she will nominate one of the ViceChairmen to act on his/her behalf. (e) The Secretariat of the Committee will be provided by the Secretariat of the United Nations.
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Dieser Darstellung sind die aktuellen Verfahrensrichtlinien des Sanktionskomitees in der ergänzten Fassung vom 9. Dezember 2008 zugrundegelegt. Eine aktuellere Fassung, die auch die Inhalte der Resolution 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009 berücksichtigt, ist bisher nicht verfügbar.
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2. Meetings of the Committee (…) 3. Decision-making (a) The Committee shall make decisions by consensus of its Members. If consensus cannot be reached on a particular issue, the Chairman should undertake such further consultations as may facilitate agreement. If after these consultations, consensus still cannot be reached, the matter may be submitted to the Security Council. The Chairman may encourage and facilitate bilateral exchanges between interested Member States in order to clarify the issue prior to a decision. (b) Where the Committee agrees, decisions may be taken by a written procedure. In such cases the Chairman will circulate to all Members of the Committee the proposed decision of the Committee, and will request Members of the Committee to indicate any objection they may have to the proposed decision within 5 working days (or in urgent situations, such shorter period as the Chairman shall determine). If no objection is received within such period, the decision will be deemed adopted. Communications submitted to the Committee pursuant to resolution 1452 (2002) shall be considered in accordance with the procedure determined by that resolution, as revised by resolution 1735 (2006). (c) A hold placed on a matter by a Member of the Committee will cease to have effect at the time its membership of the Committee ends. New members shall be informed of all pending matters one month before their membership begins and are encouraged to inform the Committee of their position on relevant matters, including possible approval, objection or hold, at the time they become members. (d) The Committee will review at least once a month the status of pending issues as updated by the Secretariat. 4. Mandate of the Committee (…) 5. The Consolidated List (…)
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6. Listing (a) The Committee shall consider including new names based on submissions received from Member States. (b) Member States are encouraged to establish a national mechanism or procedure to identify and assess appropriate candidates to propose to the Committee for listing. (c) Before a Member State proposes a name for addition to the Consolidated List, it is encouraged, if it deems it appropriate, to approach the State(s) of residence and/or nationality of the individual or entity concerned to seek additional information. States are advised to submit names as soon as they gather the supporting evidence of association with Al-Qaida and/or the Taliban. A criminal charge or conviction is not necessary for inclusion on the Consolidated List as the sanctions are intended to be preventive in nature. The Committee will consider proposed listings on the basis of the “associated with” standard: Acts or activities indicating that an individual, group, undertaking, or entity is “associated with” Al-Qaida, Usama bin Laden or the Taliban include: − financing, planning, facilitating, preparing, or perpetrating of acts or activities by, in conjunction with, under the name of, on behalf of, or in support of; – supplying, selling or transferring arms and related materiel to; – recruiting for; or – otherwise supporting acts or activities of; Al-Qaida, Usama bin Laden or the Taliban, or any cell, affiliate, splinter group or derivative thereof; When submitting names of groups, undertakings and/or entities, States are encouraged, if they deem it appropriate, to propose for listing at the same time the names of the individuals responsible for the decisions of the group, undertaking and/or entity concerned. (d) Member States shall provide a detailed statement of case in support of the proposed listing that forms the basis or justification for the listing in accordance with the relevant resolutions. The statement of case must provide as much detail as possible on the basis(es) for listing indicated above, including: (1) specific findings demonstrating the association or activities alleged; (2) the nature
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of the supporting evidence (e.g., intelligence, law enforcement, judicial, media, admissions by subject, etc.) and (3) supporting evidence or documents that can be supplied. Otherwise the proposal is rejected at once. States should include details of any connection with a currently listed individual or entity. States shall identify those parts of the statement of case that may be publicly released, including for the use by the Committee for development of the summary described in paragraph (h) below or for the purpose of notifying or informing the listed individual or entity of the listing, and those parts that may be released upon request to interested States. (e) Proposed additions to the Consolidated List should be submitted using the cover sheet available on the Committee’s website and shall include as much relevant and specific information as possible on a proposed name, in particular sufficient identifying information to allow for the positive identification of the individual, group, undertaking or entity concerned by competent authorities, including: − For individuals: family name/surname, given names, other relevant names, date of birth, place of birth, nationality/citizenship, gender, aliases, employment/occupation, residence, passport or travel document and national identification number, current and previous addresses, website addresses, and current location; − For groups, undertakings or entities: name, acronyms, address, headquarters, subsidiaries, affiliates, fronts, nature of business or activity, leadership, tax or other identification number and other names by which it is known or was formerly known, and website addresses. (f) The Committee will consider expeditiously requests to update the Consolidated List. If a proposal for listing is not approved within the decision-making period as set out in Section 3, paragraph (b) above, the Committee will provide feedback to the submitting State on the status of the request. (g) In its communication to inform Member States of new entries to the Consolidated List, the Secretariat shall include, upon the prior decision of the Committee, the publicly releasable portion of the statement of case. (h) Following a new listing, the Committee, with the assistance of the Monitoring Team and in coordination with the relevant designating State(s), shall make accessible on the Committee’s website a
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narrative summary of reasons for listing for the corresponding entry or entries on the Consolidated List. (i) Unless the Committee decides otherwise, any new entry to the Consolidated List will be transmitted to Interpol to request, where feasible, the issuance of an Interpol-United Nations Security Council Special Notice. (j) The Secretariat shall, after publication but within one week after a name is added to the Consolidated List, notify the Permanent Mission of the country or countries where the individual or entity is believed to be located and, in the case of individuals, the country of which the person is a national (to the extent this information is known). The Secretariat shall include with this notification a copy of the publicly releasable portion of the statement of case, a description of the effects of designation, as set forth in the relevant resolutions, the Committee’s procedures for considering delisting requests, and the provisions for available exemptions. (k) The letter shall remind States receiving such notification that they are required to take, in accordance with their domestic laws and practices, all possible measures to notify or inform promptly, within one week after having received the notification by the Secretariat, the newly listed individuals and entities on the Consolidated List of the measures imposed on them, any information on reasons for listing available on the Committee’s website as well as all the information provided by the Secretariat in the abovementioned notification. With the information on the reasons for listing the aspects that have caused the Committee to decide that the preconditions for a listing are fulfilled in the light of the facts submitted have to be included and the nature of the supporting evidence must be revealed. In case intelligence information is involved which causes the proposing state to withhold it, the information on the reasons for listing must indicate the secrecy of this information and give reasons for it with respect to the listing in question. The States receiving the notification must call on the individual or entity included in the list to put forward facts and arguments concerning the listing to the Ombudsperson via phone or e-mail. The Ombudsperson forwards the facts and arguments to the Committee. The Committee must take any such forwarded information into consideration.
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7. De-listing (a) Without prejudice to available procedures, a petitioner (individual(s), groups, undertakings, and/or entities on the Consolidated List) may submit a petition to request review of the case. (b) A petitioner seeking to submit a request for de-listing can do so either directly to the Focal Point as outlined in paragraph (g) below, or through his/her State of residence or nationality as outlined in paragraph (h) below. (c) A State can decide, that as a rule, its nationals or residents should address their de-listing requests directly to the Focal Point. The State will do so by a declaration addressed to the Chairman that will be published on the Committee’s website. (d) The petitioner should provide justification for the de-listing request by describing the basis for this request, including by explaining why he/she no longer meets the criteria described in paragraph 2 of resolution 1617 (2005) as reaffirmed in paragraph 2 of resolution 1822 (2008). Any documentation supporting the request can be referred to and/or attached together with the explanation of its relevance, where appropriate. (e) A standard form for de-listing, available on the Committee’s website, may be used by a petitioner to submit his/her request to the Focal Point as well as by a State of residence or nationality to submit a request on behalf of a petitioner. (f) For a deceased individual, the petition shall be submitted either directly to the Committee by a State, or through the Focal Point by his/her legal beneficiary, together with an official documentation certifying that status. The statement of case supporting the delisting request shall include a death certificate or similar official documentation confirming the death. The submitting State or the petitioner should also ascertain and inform the Committee whether or not any legal beneficiary of the deceased’s estate, or any joint owner of his/her assets is on the Consolidated List. (g) If a petitioner chooses to submit a petition to the Focal Point, the latter would perform the following tasks: i.
Receive de-listing requests from a petitioner (individual(s), groups, undertakings and/or entities on the Consolidated List);
ii. Verify if the request is new or is a repeated request;
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iii. If it is a repeated request and if it does not contain any additional information, return it to the petitioner; iv. Acknowledge receipt of the request to the petitioner and inform the petitioner on the general procedure for processing that request; v.
Forward the request, for their information and possible comments to the designating State(s) and to the State(s) of nationality and residence. These States are urged to review de-listing petitions in a timely manner and indicate whether they support or oppose the request in order to facilitate the Committee’s review. The State(s) of nationality and residence are encouraged to consult with the designating State(s) before recommending de-listing. To this end, they may approach the Focal Point, which, if the designating State(s) so agree(s), will put them in contact with the designating State(s);
vi. a. If, after these consultations, any of these States recommend de-listing, that State will forward its recommendation, either through the Focal Point or directly to the Chairman, accompanied by that State’s explanation. The Chairman will then place the de-listing request on the Committee’s agenda; b. If any of the States, which were consulted on the de-listing request under subparagraph v. above oppose the request, the Focal Point will so inform the Committee and provide copies of the de-listing request. Any member of the Committee, which possesses information in support of the delisting request, is encouraged to share such information with the States that reviewed the de-listing request under subparagraph v. above; c. If, after a reasonable time (3 months), none of the States which reviewed the de-listing request under subparagraph v. above comment, or indicate that they are working on the de-listing request to the Committee and require an additional definite period of time, the Focal Point will so notify all members of the Committee and provide copies of the de-listing request. Any member of the Committee may, after consultation with the designating State(s), recommend de-listing by forwarding the request to the Chairman, accompanied by an explanation. (Only one
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member of the Committee needs to recommend delisting in order to place the issue on the Committee’s agenda.) If after one month, no Committee member recommends delisting, then it shall be deemed rejected and the Chairman shall inform the Focal Point accordingly; vii. The Focal Point shall convey all communications, which it receives from Member States, to the Committee for its information; viii. Inform the petitioner: a. of the decision of the Committee to grant the de-listing petition; or b. that the process of consideration of the de-listing request within the Committee has been completed and that the petitioner remains on the list of the Committee. (h) If the petitioner submits the petition to the State of residence or nationality, the procedure outlined in the subparagraphs below shall apply: i.
The State to which a petition is submitted (the petitioned State) should review all relevant information and then approach bilaterally the designating State(s) to seek additional information and to hold consultations on the de-listing request;
ii. The designating State(s) may also request additional information from the petitioner’s State of nationality or residence. The petitioned and the designating State(s) may, as appropriate, consult with the Chairman during the course of any such bilateral consultations; iii. If, after reviewing any additional information, the petitioned State wishes to pursue a de-listing request, it should seek to persuade the designating State(s) to submit jointly or separately a request for de-listing to the Committee. The petitioned State may, without an accompanying request from the designating State(s), submit a request for de-listing to the Committee, pursuant to the no-objection procedure; (i) The Secretariat shall, within one week after a name is removed from the Consolidated List, notify the Permanent Mission of the country or countries where the individual or entity is believed to be located and, in the case of individuals, the country of which the person is a national (to the extent this information is known). The
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letter shall remind States receiving such notification that they are required to take measures, in accordance with their domestic laws and practices, to notify or inform the concerned individual or entity of the de-listing in a timely manner. The Secretariat will also concurrently, if a UNSC-INTERPOL Special Notice exists for the relevant name, request INTERPOL to cancel that notice as well as provide confirmation when the cancellation is in effect. 8. Updating the Existing Information on the Consolidated List The Committee shall consider expeditiously, in accordance with the following procedures, any information supplied by Member States, regional or international organizations, or the Monitoring Team, in particular additional identifying information and other information, along with supporting documentation, including updates on the operating status of listed individuals, groups and undertakings, the movement, incarceration or death of listed individuals and other significant events, as such information becomes available, and shall decide which information would improve the existing information on the Consolidated List. (a) The Committee will consider any additional information on listed individuals or entities submitted to it by Member States, regional or international organizations or the Monitoring Team. The Committee may approach the original designating State and consult with it on the relevance of the submitted additional information. The Committee may also encourage Member States or regional or international organizations providing such additional information to consult with the original designating State. The Secretariat will, subject to the designating State’s consent, assist in establishing the appropriate contacts. (b) The Monitoring Team will, as appropriate, review any and all information received by the Committee in order to clarify or confirm such information. In this connection, the Monitoring Team will use all sources available to it, including other sources than those provided by the original designating State. (c) The Monitoring Team will subsequently advise the Committee, within 4 weeks, if such information could be included in the Consolidated List, or if further clarification is recommended in order to ascertain that the information received can be incorporated in the Consolidated List. The Committee shall decide whether and
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how such clarification should be obtained and may again call upon the expertise of the Monitoring Team. (d) The Monitoring Team may also submit to the Committee any information on listed individuals and entities it has obtained from publicly available official sources, or with the help of United Nations agencies, such as the United Nations Assistance Mission in Afghanistan, with their agreement. In such cases, the Monitoring Team shall identify the source of each piece of new information when presenting it for the Committee’s consideration. (e) Upon the decision of the Committee to incorporate additional information into the Consolidated List the Chairman of the Committee will inform the Member State or regional or international organization that submitted the additional information accordingly. (f) Any additional relevant information submitted to the Committee that is not incorporated into the Consolidated List will be stored by the Monitoring Team in a database for the use of the Committee and the Monitoring Team in carrying out their respective mandates. The Committee may share such additional information with Member States whose nationals, residents or entities have been included on the Consolidated List. On a case-by-case basis the Committee may decide to release the information to other parties, with the prior consent of the submitting State. 9. Review of the Consolidated List (a) The Committee shall conduct by 30 June 2010 a one-time review of all names that were inscribed on the Consolidated List as at 30 June 2008, in order to ensure the Consolidated List is as updated and accurate as possible and to confirm that listing remains appropriate. For the purposes of this review: i.
Each trimester, the Committee shall circulate a subset of these names to the designating State(s), together with the original statement of case and cover sheet, as applicable. At the same time, the Monitoring Team shall provide these States with the corresponding draft narrative summary of reasons for listing. The Committee shall also circulate those names to the State(s) of residence and/or nationality, where known, together with the publicly releasable portion(s) of the statement of case. Each subset should comprise, to the extent possible, a bal-
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anced selection of names from the different sections of the Consolidated List. ii. The Committee shall ask the designating State(s) and the State(s) of residence and/or nationality to submit to the Committee within 3 months any updated information on the reasons for listing, as well as any additional identifying and other information, along with supporting documentation, on these listed individuals and entities, including updates on the operating status of the listed entities, the movement, incarceration or death of the listed individuals and other significant events. The Committee shall also urge these States to indicate whether they deem the listing remains appropriate. In cases where any of the States reviewing the names in accordance with subparagraph ii. above determines that a listing is no longer appropriate, that State may submit a de-listing request following the same relevant procedures set out in Section 7 of these guidelines. iii. At the latest at the end of the 3 months period referred to in subparagraph ii. above or when the designating State(s) and the State(s) of residence and/or nationality have provided the sought information when they had reported within the 3 months on their progress in reviewing the names, the Chairman shall circulate each name with all the available information to the members of the Committee and to the Monitoring Team. Within one month of this circulation, any Member of the Committee and/or the Monitoring Team may submit any additional information on the names under review. iv. At the end of the one month period referred to in subparagraph iii. above, the Chairman shall place each name under review on the Committee’s agenda and circulate to the Committee all available information. On the basis of this information, the Committee shall consider updating the Consolidated List and shall make accessible on its website the narrative summary of reasons for listing, as appropriate. In cases where a member of the Committee in the course of the review referred to in subparagraph iv. above determines that a listing is no longer appropriate, it may, in close consultations with the designating State(s), State(s) of residence and/or nationality and taking into account their views on the matter as referred to in sub-
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paragraph ii. above, submit a de-listing request following the same relevant procedures set out in Section 7 of these guidelines. A listed person is deemed to be de-listed if, after the assessment of all available data, no member of the Committee submits additional information that provides a basis for a listing according to the preconditions set out for being listed. The Secretariat shall adjust the Consolidated List accordingly. v.
If the listing of a name was confirmed to remain appropriate, the Secretariat shall notify the State(s) of residence and nationality thereof. The State(s) of residence and nationality shall be encouraged to take, in accordance with their domestic laws and practices, all possible measures to notify or inform the listed individual or entity accordingly and provide any information on reasons for listing available on the Committee’s website as well as the procedures for considering de-listing requests and the provisions for available exemptions.
(b) Upon completion of the review described in paragraph (a) above the Committee shall conduct an annual review of all names on the Consolidated List that have not been reviewed in three or more years, in which the relevant names are circulated to the designating States and States of residence and/or nationality, where known, in order to ensure the Consolidated List is as updated and as accurate as possible and to confirm that the listing remains appropriate. (c) Every year, the Secretariat shall circulate to the Committee the list of the names of the individuals mentioned in the Consolidated List as reportedly deceased, reportedly killed or killed, along with the original statement of case and cover sheet, as well as all relevant information pertaining to all updates to those entries and any information on reasons for listing available on the Committee’s website. At the same time, the Monitoring Team shall provide the Committee with information on listed individuals whose death has been officially reported or publicly declared by their State of residence or nationality, or reported through other open official sources. To ensure the Consolidated List is as updated and as accurate as possible and to confirm that the listing remains appropriate, any member of the Committee may request a review of these names. (d) Reviews under paragraphs (b) and (c) shall be conducted in accordance with the procedures described in paragraph (a) above.
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(e) The reviews described in this section shall not preclude the submission of de-listing requests at any time, in accordance with the relevant procedures set out in Section 7 of these guidelines. 10. Exemptions to the Assets Freeze (…) 11. Exemptions from the Travel Ban (…) 11. bis Panel for the Review of Listings: Establishment and Procedure Panel (a) There shall be established a panel of five independent, impartial and judicially qualified persons for the purpose of examining listing decisions. The members of the panel shall be persons of high moral character and integrity and have proven experience in dealing with sensitive and confidential information. (b) The members of the panel will be proposed by the SecretaryGeneral out of a list of candidates submitted by the Member States of the United Nations. They shall be appointed by the Security Council for a non-renewable term of [five] years. (c) The designating State(s) and the State(s) of residence and/or citizenship of the petitioner may each designate one ad hoc member of the panel. Examination by the panel (d) The Ombudsperson forwards the petition of the petitioner (the listed person or any third person personally and directly affected by the respective listing) to the panel and informs the Committee about it. (e) The Committee may at any time decide a de-listing. In this case, the procedure before the panel is discontinued. (f) The panel examines the petition in a preliminary way. It rejects a petition without further examination where it finds that
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– the petition is made by an individual, group, undertaking or entity which is not listed or not personally and directly affected by the respective listing, – the petition is a repetition of an earlier petition and does not put forward any new evidence or circumstances justifying a delisting; – the petition is manifestly ill-founded. (g) If the petition is admitted, the panel shall, within two weeks after admitting the petition, request the Committee and all United Nations Member States to submit, within one month, any relevant additional evidence or information. Cooperation between the panel and other actors (h) The Committee, all Member States of the United Nations, all relevant international organizations and also regional courts shall cooperate with the panel and the panel shall cooperate with them to the fullest extent possible, in particular by providing any relevant information or evidence. The panel shall take the necessary measures to facilitate the receipt of information or evidence provided to its members on a confidential basis. Procedure before the panel (i) The procedure before the panel shall be governed by general principles of international law concerning fair procedure. The panel shall decide freely to use all information and evidence it deems appropriate. The panel shall take all necessary measures to ensure the confidentiality of information provided by Member States. This does not preclude the panel from disclosing information or evidence to the petitioner which is not confidential, or new evidence or information which the panel itself generated using confidential information. (j) A Member State invoking the confidentiality of any information it wishes or is required to submit in the panel procedure, shall make an application to have the information classified as confidential by a notice to the panel via the Ombudsperson containing the reasons for which it considers the information confidential. The panel shall determine in camera and subject to secrecy by majority vote of at least four votes whether the information is to be classified as confidential and of such a nature that the absence of special measures of protection in the proceedings would be likely to cause serious harm to the Member State invoking the confidentiality of the information. If the panel so determines, it shall appoint a confi-
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dentiality advisor in order to report to it, on the basis of the confidential information, on specific issues designated by the panel without disclosing the confidential information to any third actor or to the panel. In case the panel is not provided with the information classified as confidential during the in camera procedure so that it is unable to determine whether the information is to be classified as confidential the assumption arises that there is no justifying basis for the listing of the applicant. Reports and recommendations of the panel (k) Within three months after receiving the petition, the panel shall report its findings to the Committee. It recommends de-listing where the information and evidence available to the panel members does not justify the listing. Else it recommends the rejection of the petition. The recommendation becomes binding upon the Committee if it does not reject the recommendation within four weeks from the date of receipt of the recommendation. In case of non-rejection the Secretariat will delist the person concerned. (l) The petitioner and his/her State of residence and/or citizenship shall be informed by the panel about the content of its recommendation. (m) A summary report with the recommendation(s) of the panel shall be published together with the decision(s) taken by the Security Council taking due account of the need to protect confidential information. 12. Reports Submitted by Members States and Other Information Supplied to the Committee (…) 13. Reports to the Security Council (…) 14. Outreach (…)
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Sachregister Abwägung: 67, 91, 163, 333 ff., 339 f., 345 Afghanistan: 142, 144 ff., 151 Allgemeine Menschenrechtserklärung: 196, 226 Allgemeine Rechtsgrundsätze: 84, 91 f., 100, 354 Anhörungs- und Verteidigungsrecht: 134, 185, 192, 214 ff. ATCM: 94 Ausübung von Hoheitsgewalt: 2 ff., 20, 21 ff., 101 ff., 329 f., 350 – auf nationaler Ebene: 30 ff. – auf völkerrechtlicher Ebene: 35 ff. Begründungspflicht: 56, 91, 134, 184, 192, 194, 209 ff., 267, 300 Beweispflicht: 180, 182, 201 ff., 251, 354 Bothe: 243 Bundestreue: 104 ff. Bundesverfassungsgericht: 108, 116, 268, 297 ff., 312, 326 ff., 336 ff., 350 CAC: 41 f. Cassese: 25, 55 Chesterman: 102, 129 de facto-Regime: 145 Demokratie: 35, 37 de Wet: 86 domaine réservé: 91 ECOSOC: 60
Effektivität: 47, 95, 102 ff., 119 f., 161, 163 ff., 301, 332, 338, 340, 346 EGMR: 94, 197, 254, 261, 304, 314, 321 ff. Einfrieren (von Vermögenswerten): 143 f., 153, 222, 257 f., 265, 290, 295, 299, 302, 319, 322, 324 f. Embargo: 148 ff., 319 ff., 335, 341 ff. EMRK: 130, 196, 278, 322, 326 ff., 339 ff. Entscheidungsspielraum: 18, 254, 270, 276 ff., 309, 322, 342 Entstaatlichung: 21 ff., 35 ff., 51, 54, 65, 72, 104 Estoppel: 86 ff. EuGH: 255 ff., 287 ff., 300 ff., 328 ff. Europäische Union: 105 Europarat: 131 f., 138, 188, 191 ff., 209, 219, 226, 234, 251, 286, 305, 354 EUV: 105 ff., 111 ff., 330, 338, 340 FAO: 41 Fassbender: 89, 92, 129 FATF: 157 ff. Franck: 101 Friedensbedrohung: 137 Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik: 256 Gerichtlicher Rechtsschutz: 253 ff.
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Gewohnheitsrecht: 84, 88 ff., 92, 100, 354 Global Administrative Law: 54 ff., 71 ff., 102, 353 Global Governance: 52 ff., 66, 71, 73, 353 Globalisierung: 1, 21 ff. Hobbes: 30 ff. Hoheitsgewalt: 1 ff., 29 ff., 51 ff., 101 ff., 142 ff., 161, 189, 225, 288, 294, 322, 329 f., 350, 353 ff. Hypothekentheorie: 94 IGH: 78, 88, 306 f., 312 Immunität: 67 f., 119 ff., 313 ff., 332 implied powers: 119 ff. in camera-Verfahren: 233, 238, 246 ff. Internationales Verwaltungsrecht: 59 ff. Internationalisierung: 21 ff., 27, 29, 35, 60, 72, 353 Interne Konstitutionalisierung: 71, 110 f. IPbpR: 93, 130 f., 136, 138, 195 ff., 226, 278, 282 ff., 304 ius cogens: 63 ff., 81, 96 ff., 259 f., 263, 276 f., 280, 298, 301 ff., 341 Justiztreue: 329 ff. Kadi: 177, 255 ff., 273 f., 280, 301 ff., 338, 341, 345 Kant: 33 Kingsbury: 55 Konstitutionalisierung: 3, 52, 62 ff., 71 ff., 90 f., 104 f., 110 f., 121, 138, 330, 340, 344, 353 f.
Sachregister
Kontrollmechanismen für Individualsanktionen der UN: 54, 57, 230 ff., 278 Kooperation: 1, 7, 65, 71, 106, 109 ff., 121 f., 138, 148, 154, 161, 167, 189, 237, 239, 248 ff., 327 ff., 344, 350, 355 Krisch: 55 Locke: 31 ff. Mehrebenensystem: 6, 61, 65, 69 ff., 108, 148, 154, 160, 202 f., 208, 254, 269, 273, 281, 295 f., 305, 325, 329 ff., 343 f., 350, 355 Menschenrechte: 75 ff., 101 ff., 155, 192 ff., 254, 267, 276 f., 286, 310, 315 f., 326, 346, 354 Menschenrechtsschutz durch Verfahren: 132, 193, 225 Möllendorf: 173, 287 ff., 341 Mosler: 63 Mzoudi: 296 ff. Nada: 274 ff., 303 NGO: 56 Notstand: 135, 136 ff., 277 Öffentlich-rechtlicher Ansatz: 65 ff., 100, 104 f., 110 f., 121, 138, 195, 329 f., 334, 354 f. Pellet: 80 Prioritätsvermutung: 334, 338 ff., 345 f. Punktprobe: 67, 68 ff., 116, 135, 311 ff., 317 Recht auf eine schnelle Kontrollmöglichkeit: 134, 187, 192, 225, 251 Rechtsschutz, Konfliktpotential: 304, 305, 320 f., 324 ff., 330, 335, 350 Rechtsschutz, Konfliktvermeidung: 329 f., 333 ff., 344 f.
Sachregister
Rechtsstaatlichkeit: 75 ff., 81, 91, 97 ff., 101 ff., 110, 123 f., 125 ff., 130 ff., 138 ff., 163 ff., 178, 191 ff., 310, 313, 315 f., 346, 353 f. Reinisch: 88 reverse consensus-Regel: 221, 233, 238, 243 f., 250 Rousseau: 32 f. Rücksichtnahme: 106 ff., 121 f., 127, 130, 137 f., 262, 310, 316, 330 ff., 344 ff., 354 f. Rule of law, s. Rechtsstaatlichkeit Sanktionsnorm: 10 f., 159 f., 193, 254, 255, 281, 287, 294, 302, 305, 308, 318 ff. Sanktionsregime 1267: – Besonderheiten: 17 ff., 122 ff. – Funktionsweise: 8 ff. – Listungsverfahren: 11 f. – Rechtsprechung: 253 ff. – rechtsstaatlicher Ist-Zustand: 178 ff., 188 ff., 197 ff., 202 ff., 206 ff., 210 ff., 215 ff., 219 f., 228 f. – rechtsstaatlicher SollZustand: 192 ff., 225 – Streichungsverfahren: 13 ff., 225 ff. Sauer: 333 ff., 340 Sayadi/Vinck: 282 ff. Schmidt-Aßmann: 26, 59 f. Simma: 102 Smend: 108, 334 SPS: 42 Stewart: 55 Supranationalität: 69 Tadić-Fall (ICTY): 78 TBT: 42 Temple of Preah Vihear: 86
417
Tomuschat: 63 ultra vires: 69, 311 ff., 317 Umsetzungsakt: 18, 249, 308 f., 326, 342 UN-Beratungsgremium: 233, 238, 245, 249 UN-Charta: 75 ff., 82 ff., 110 ff., 319 ff. UNESCO: 38 ff., 46 UNHCR: 38 ff., 44, 46 Unionstreue: 104 ff., 121, 330 UN-Kontrollgremium: 233, 238, 249, 336, 346, 350 UN-Resolutionen – Resolution 1267 (1999): 142 ff. – Resolution 1333 (2000): 146 ff. – Resolution 1363 (2001): 148 – Resolution 1390 (2002): 149 ff. – Resolution 1452 (2002): 152 ff. – Resolution 1456 (2003): 154 f. – Resolution 1526 (2004): 155 f. – Resolution 1617 (2005): 156 ff. – Resolution 1699 (2006): 161 – Resolution 1730 (2006): 161 ff. – Resolution 1732 (2006): 164 f. – Resolution 1735 (2006): 166 ff. – Resolution 1822 (2008): 169 ff. – Resolution 1904 (2009): 173 ff. UN-Sanktion: 7, 56, 70, 165, 251, 253, 265, 269, 276 UN-Sicherheitsrat: 75 ff., 124, 257, 292
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– Bindung an Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit: 75 ff. UN-Treue: 101 ff., 267, 310 f., 315 f., 344, 354 Unverzügliche und vollständige Information: 182 ff., 205 ff., 251, 355 Verdross: 62 Völkergewohnheitsrecht, s. Gewohnheitsrecht Vorabentscheidung: 294, 336 WHO: 41 WIPO: 38 f., 44, 46
Sachregister
Wolfrum: 101 WTO: 42, 221, 243 WVK: 63 f., 96, 98 Zeitliche Begrenzung der Listung: 134, 185, 192, 219 ff., 253 Zwangsmaßnahme: 111, 114 1267-Sanktionsregime: 1 ff., 7 ff., 27 ff., 43 ff., 122, 141 ff., 188 ff., 191 ff., 318 ff., 335 ff., 365 ff.
Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Hrsg.: A. von Bogdandy, R. Wolfrum Bde. 27–59 erschienen im Carl Heymanns Verlag KG Köln, Berlin (Bestellung an: Max-Planck-Institut für Völkerrecht, Im Neuenheimer Feld 535, 69120 Heidelberg); ab Band 60 im Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo, Hong Kong, Barcelona 225 Clemens A. Feinäugle: Hoheitsgewalt im Völkerrecht. 2011. XXVI, 418 Seiten. Geb. E 89,95 € € Barthel: Die neue Sicherheits- € und Verteidigungsarchitektur der Afrikanischen Union. 224 David € € € XXV, 443 Seiten. Geb. E 94,95 2011. 223 Tilmann Altwicker: Menschenrechtlicher Gleichheitsschutz. 2011. XXX, 549 Seiten. Geb. E 99,95 222 Stephan Bitter: Die Sanktion im Recht der Europäischen Union. 2011. XV, 351 Seiten. € € € E 84,95 Geb. 221 Holger Hestermeyer, Nele Matz-Lück, Anja Seibert-Fohr, Silja Vöneky (eds.): Law of the Sea € in Dialogue. 2011. XII, 189 Seiten. Geb. E 69,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 220 Jan Scheffler: Die Europäische Union als rechtlich-institutioneller Akteur im System der € Vereinten Nationen. 2011. XXXV, 918 Seiten. Geb. E 149,95 219 Mehrdad Payandeh: Internationales Gemeinschaftsrecht. 2010. XXXV, 629 Seiten. Geb. E 99,95 218 Jakob Pichon: Internationaler Strafgerichtshof und Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. 2011. XXVI, 399 Seiten. Geb. E 89,95 217 Michael Duchstein: Das internationale Benchmarkingverfahren und seine Bedeutung für den gewerblichen Rechtsschutz. 2010. XXVI, 528 Seiten. Geb. E 99,95 216 Tobias Darge: Kriegsverbrechen im nationalen und internationalen Recht. 2010. XXXV, 499 Seiten. Geb. E 94,95 215 Markus Benzing: Das Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten. 2010. L, 846 Seiten. Geb. E 139,95 214 Urs Saxer: Die internationale Steuerung der Selbstbestimmung und der Staatsentstehung. 2010. XLII, 1140 Seiten. Geb. E 169,95 213 Rüdiger Wolfrum, Chie Kojima (eds.): Solidarity: A Structural Principle of International Law. 2010. XIII, 238 Seiten. Geb. E 69,95 212 Ramin S. Moschtaghi: Die menschenrechtliche Situation sunnitischer Kurden in der Islamischen Republik Iran. 2010. XXIII, 451 Seiten. Geb. E 94,95 211 Georg Nolte (ed.): Peace through International Law. The Role of the International Law Commission. 2009. IX, 195 Seiten. Geb. E 64,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 210 Armin von Bogdandy, Rüdiger Wolfrum, Jochen von Bernstorff, Philipp Dann, Matthias Goldmann (eds.): The Exercise of Public Authority by International Institutions. 2010. XIII, 1005 Seiten. Geb. E 149,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 209 Norman Weiß: Kompetenzlehre internationaler Organisationen. 2009. XVIII, 540 Seiten. Geb. E 99,95 208 Michael Rötting: Das verfassungsrechtliche Beitrittsverfahren zur Europäischen Union. 2009. XIV, 317 Seiten. Geb. E 79,95 207 Björn Ahl: Die Anwendung völkerrechtlicher Verträge in China. 2009. XIX, 419 Seiten. Geb. E 289,95 206 Mahulena Hofmann: Von der Transformation zur Kooperationsoffenheit? 2009. XIX, 585 Seiten. Geb. E 299,95 205 Rüdiger Wolfrum, Ulrike Deutsch (eds.): The European Court of Human Rights Overwhelmed by Applications: Problems and Possible Solutions. 200 9. VIII, 128 Seiten. Geb. E 59, 95 zzgl. landesüblicher MwSt. 204 Niels Petersen: Demokratie als teleologisches Prinzip. 2 0 09. XXVII, 280 Seiten. Geb . E 79, 95 203 Christiane Kamardi: Die Ausformung einer Prozessordnung sui generis durch das ICTY unter Berücksichtigung des Fair-Trial-Prinzips. 2009. XVI, 424 Seiten. Geb. E 89, 95 202 Leonie F. Guder : The Administration of Debt Relief by the International Financial Institutions. 2009. XVIII, 355 Seiten. Geb. E 84, 95 zzgl. landesüblicher MwSt.
201 Silja Vöneky, Cornelia Hagedorn, Miriam Clados, Jelena von Achenbach: Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht. 2009. VIII, 351 Seiten. Geb. E 84,95 200 Anja Katarina Weilert : Grundlagen und Grenzen des Folterverbotes in verschiedenen Rechtskreisen. 2009. XXX, 474 Seiten. Geb. E 94,95 199 Suzette V. Suarez: The Outer Limits of the Continental Shelf. 2008. XVIII, 276 Seiten. Geb. E 79,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 198 Felix Hanschmann: Der Begriff der Homogenität in der Verfassungslehre und Europarechtswissenschaft. 2008. XIII, 370 Seiten. Geb. E 84,95 197 Angela Paul: Kritische Analyse und Reformvorschlag zu Art. II Genozidkonvention. 2008. XVI, 379 Seiten. Geb. E 84,95 196 Hans Fabian Kiderlen: Von Triest nach Osttimor. 2008. XXVI, 526 Seiten. Geb. E 94,95 195 Heiko Sauer: Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen. 2008. XXXVIII, 605 Seiten. Geb. E 99,95 194 Rüdiger Wolfrum, Volker Röben (eds.): Legitimacy in International Law. 2008. VI, 420 Seiten. Geb. E 84,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 193 Doris König, Peter-Tobias Stoll, Volker Röben, Nele Matz-Lück (eds.): International Law Today: New Challenges and the Need for Reform? 2008. VIII, 260 Seiten. Geb. E 69,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 192 Ingo Niemann: Geistiges Eigentum in konkurrierenden völkerrechtlichen Vertragsordnungen. 2008. XXV, 463 Seiten. Geb. E 94,95 191 Nicola Wenzel: Das Spannungsverhältnis zwischen Gruppenschutz und Individualschutz im Völkerrecht. 2008. XXXI, 646 Seiten. Geb. E 99,95 190 Winfried Brugger, Michael Karayanni (eds.): Religion in the Public Sphere: A Comparative Analysis of German, Israeli, American and International Law. 2007. XVI, 467 Seiten. Geb. E 89,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 189 Eyal Benvenisti, Chaim Gans, Sari Hanafi (eds.): Israel and the Palestinian Refugees. 2007. VIII, 502 Seiten. Geb. E 94,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 188 Eibe Riedel, Rüdiger Wolfrum (eds.): Recent Trends in German and European Constitutional Law. 2006. VII, 289 Seiten. Geb. E 74,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 187 Marcel Kau: United States Supreme Court und Bundesverfassungsgericht. 2007. XXV, 538 Seiten. Geb. E 99,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 186 Philipp Dann, Michal Rynkowski (eds.): The Unity of the European Constitution. 2006. IX, 394 Seiten. Geb. E 79,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 185 Pál Sonnevend: Eigentumsschutz und Sozialversicherung. 2008. XVIII, 278 Seiten. Geb. E 74,95 184 Jürgen Bast: Grundbegriffe der Handlungsformen der EU. 2006. XXI, 485 Seiten. Geb. E 94,95 183 Uwe Säuberlich: Die außervertragliche Haftung im Gemeinschaftsrecht. 2005. XV, 314 Seiten. Geb. E 74,95 182 Florian von Alemann: Die Handlungsform der interinstitutionellen Vereinbarung. 2006. XVI, 518 Seiten. Geb. E 94,95 181 Susanne Förster: Internationale Haftungsregeln für schädliche Folgewirkungen gentechnisch veränderter Organismen. 2007. XXXVI, 421 Seiten. Geb. E 84,95 180 Jeanine Bucherer: Die Vereinbarkeit von Militärgerichten mit dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 8 Abs. 1 AMRK und Art. 14 Abs. 1 des UN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte. 2005. XVIII, 307 Seiten. Geb. E 74,95 179 Annette Simon: UN-Schutzzonen – Ein Schutzinstrument für verfolgte Personen? 2005. XXI, 322 Seiten. Geb. E 74,95 178 Petra Minnerop: Paria-Staaten im Völkerrecht? 2004. XXIII, 579 Seiten. Geb. E 99,95 177 Rüdiger Wolfrum, Volker Röben (eds.): Developments of International Law in Treaty Making. 2005. VIII, 632 Seiten. Geb. E 99,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 176 Christiane Höhn: Zwischen Menschenrechten und Konfliktprävention. Der Minderheitenschutz im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). 2005. XX, 418 Seiten. Geb. E 84,95