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Anita von Hertel begleitet Menschen in Wirtschaft und Arbeitswelt von Konflikten zu Lösungen. Als Mediations-Lehrtrainerin zeigt sie Führungskräften und anderen begabten Menschen, wie es geht, und bildet sie in ihrer Akademie in Hamburg zu Mediatorinnen und Mediatoren aus. Außerdem hält sie als Dozentin für Mediation und Konfliktmanagement Vorträge und Workshops in Unternehmen, Hochschulen und Instituten im In- und Ausland. Sie ist eingetragene Mediatorin beim österreichischen Bundesministerium der Justiz und Mutter von zwei Kindern in der Pubertät.
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www.vonhertel.de
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Anita von Hertel
Grrr ! Warum wir miteinander streiten und wie wir davon profitieren können Illustrationen von Guido Neukamm
Campus Verlag Frankfurt / New York
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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek. Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN-13: 978-3-593-37666-0 ISBN-10: 3-593-37666-0
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Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2006 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main Umschlaggestaltung: Grimm.design, Düsseldorf Umschlagmotiv: Getty Images Deutschland, München Illustrationen: Guido Neukamm, Berlin Druck und Bindung: Druck Partner Rübelmann, Hemsbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de
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Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil 1: Warum wir miteinander streiten ... 1. Warum die nettesten Menschen nicht mehr nett sind, wenn sie unter Druck geraten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Wie fängt Streit eigentlich an? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Kleine Streittypologie – Warum Menschen so unterschiedlich reagieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Warum alle glauben im Recht zu sein – und was man dagegen tun kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Missverständnisse über Missverständnisse . . . . . . . . . . . . .
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6. Übertragungen, Vorurteile und Verwechslungen . . . . . . . .
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7. Von wunden Punkten, alten Verletzungen und verschobenen Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8. Je näher wir einander kommen, desto größer wird das Streitrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Teil 2: ... und wie wir davon profitieren können 9. Vom Streiten profitieren – geht das überhaupt? . . . . . . . . . 113 10.Wie man Lösungen findet, die keiner für möglich hielt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
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11.Erfolgreiche Streitgespräche brauchen ein gemeinsames Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 12.Von Maulwürfen und Maulwurfshügeln . . . . . . . . . . . . . . 165 13.Schreckgespenst fauler Kompromiss . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 14.Profi-Tipps für die Suche nach der Konfliktlösung . . . . . . 190 15.Sorgen Sie für Klarheit – die Abschlussvereinbarung . . . . 205 Zu guter Letzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
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Einleitung
»Das darf doch nicht wahr sein!«, dachte Christine. Die Chefin hatte den Urlaub gestrichen, der Praktikant nervte – und schon beim Frühstück hatte sie sich mit Tom gestritten. Alles hatte mit einer Kleinigkeit angefangen. Wenn sie es richtig bedachte, wusste sie gar nicht so genau, wie es zum Streit gekommen war. Christine hatte gefragt: »Was machen wir am Wochenende?« Und Tom hatte geantwortet: »Weiß ich noch nicht.« Sie hatte ein paar Vorschläge gemacht – keine Reaktion. Christine: »To-hom?« Tom: »Hmmm.« Christine: »Du hörst mir ja gar nicht zu!« Tom: »Jetzt fängt das wieder an.« Christine: »Was meinst du damit?« Tom: »Ich will jetzt frühstücken.« Christine: »Sag bloß, du kannst nicht gleichzeitig frühstücken und mit mir reden!« Tom (gereizter Tonfall): »Kannst du mich nicht wenigstens ein Mal am Tag in Ruhe lassen mit deiner dauernden Planerei?« Christine (sehr genervter Tonfall): »Ja, kann ich!« Tom: »Warum musst du eigentlich immer so gereizt sein?« Christine: »Wenn hier einer gereizt ist, dann bist das wohl du, mein Schatz.« Zwei Minuten später sprangen beide vom Frühstückstisch auf. Christine schnappte ihren Mantel und knallte die Haustür zu. »Puuuuh!«, dachte sie. »Und ich habe mich so auf das Wochenende gefreut. Aber wenigstens habe ich nächsten Monat Urlaub. Zwei Wochen allein am Meer – das brauche ich jetzt!« Die frische Luft auf dem Weg zur Arbeit tat gut. Die Kollegen grüßten wie üblich. Die Aufgaben, die sie gestern nicht mehr geschafft hatte, waren auch über Nacht leider nicht von irgendwelchen Heinzelmännchen erle-
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digt worden. In der Firma waren alle etwas überlastet. Und dann kam ihre Chefin ... Die ersten Worte, die sie zu Christine sagte, waren harmlos. Es schien so, als hätte endlich mal jemand Verständnis für den ganzen Mist, der sich bei Christine angesammelt hatte. Und als sie gerade gehen wollte, drehte die Chefin sich noch einmal um: »Ach, übrigens, Miriam kommt noch nicht aus dem Mutterschutz zurück. Du bist die Einzige, die sie vertreten kann. Du musst deinen Urlaub verschieben.« Christine merkte, wie sie den Mund öffnete – und wieder zu machte. Ihr fehlten die Worte. Ein paar Minuten blieb sie so sitzen. »Das darf ja wohl nicht wahr sein!«, dachte sie. Dann versuchte sie sich erst einmal abzulenken. Die liegen gebliebenen Aufgaben waren dafür gerade richtig. Eine Viertelstunde später klopfte Ulli, der neue Praktikant, an. Eigentlich wollte Christine jetzt niemanden sehen. Etwas unwirsch murmelte sie: »Herein.« Leicht verloren wirkte er, einen zerbrochenen Lampenschirm und einen Riesenkarton balancierend. »Die Flurlampe ...«, stotterte er.
An jedem anderen Tag hätte Christine den armen Kerl vermutlich getröstet, wie er da mit seinem Karton und den Glasscherben, die wie ein zerbrochenes Ufo aussahen, im Zimmer stand. Heute war ihr nicht nach Trösten zu Mute. Christine: »Können Sie denn nicht
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Einleitung
aufpassen?!« Hätte Ulli doch nur geschwiegen. Stattdessen jammerte er: »Ich kann überhaupt nichts dafür! Gestern stand die Lampe noch woanders. Was kann ich denn dafür, wenn hier ständig alles umgeräumt wird!« Christine hatte für seine Sündenbocksuche heute kein Ohr frei. Mit einem etwas zu heftigen »Raus, Sie elefantöser Kartonspezialist! Nicht mal zum Kartontragen seid Ihr Praktikanten zu gebrauchen!«, komplimentierte sie den Unglücksraben hinaus. In der Mittagspause holte sich Christine nur ein Brötchen. Sie brauchte Zeit für sich. Ein Spaziergang würde ihr gut tun. Und sie dachte nach. Über ihren geliebten Tom, den sie manchmal an die Wand klatschen könnte. Über ihren Job, den sie eigentlich mochte. Über Ulli mit dem Karton – wenn sie jetzt an den armen Kerl mit dem Lampenschirmufo in der Hand dachte, erschien ihr die Szene ziemlich komisch – und darüber, wie sie ihren Urlaub retten konnte. Wie schnell aus winzigen Streitigkeiten Kriege werden konnten, wusste sie aus leidvoller Erfahrung. Das wollte sie auf keinen Fall. Aber einfach nur zu allem »Ja und Amen« zu sagen, war erst recht keine Lösung. »Ich will diese zerstörerischen Kleinkriege nicht mehr, die doch zu nichts führen«, dachte Christine. »Ich will gewinnen!« Wenn wir streiten, wollen wir etwas anders haben – das ist der Grund, warum wir streiten. Und wir bekommen es nicht – das ist der nächste Grund, warum wir streiten. Und dann versuchen wir im Streit, das zu ändern. Jetzt wird es richtig schwierig. Nun kommen noch drei Löffel voll Emotionen, eine Messerspitze Missverständnisse, eine Prise Vorurteile und drei wunde Punkte dazu. Fertig ist der emotionale Cocktail, der das schönste Leben vermiesen kann. Und was wollen wir anders haben? Wir wollen, dass andere Menschen etwas anderes tun sollen … dass sie uns etwas nicht wegnehmen … dass sie uns etwas geben … dass sie gut mit uns zusammenarbeiten … dass sie uns Recht geben … dass sie uns nicht ärgern … dass sie netter zu uns sind … dass sie pünktlich kommen … dass sie mit uns das Wochenende planen … dass sie uns nicht mit ihren Plänen nerven … dass sie nur uns lieben … dass sie unsere Sachen nicht
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nehmen, ohne zu fragen – und síe vor allem nicht kaputt machen … dass sie nicht nachtragend sind, wenn wir mal was kaputt gemacht haben … dass sie ihre Hausaufgaben machen … dass sie uns nicht mit unseren Hausaufgaben nerven … dass sie unsere Werte teilen … dass sie vernünftig Auto fahren … dass sie uns eine Gehaltserhöhung und die Beförderung geben, die uns zusteht … dass sie für das viele Geld, das sie bekommen, Leistung bringen … dass sie einfach nur verschwinden und nie wieder kommen … dass sie etwas leiser sind … dass sie ihre Sachen selber wegräumen … dass sie Zivilcourage haben und sich einmischen … dass sie sich nicht ständig einmischen und ihre Mitmenschen in Ruhe lassen, besonders einen … dass wir uns so richtig gut mit ihnen unterhalten können … dass wir nicht ständig kritisiert werden … dass wir sie kritisieren dürfen und sagen können, was wir denken … dass sie nicht im Stehen pinkeln … auch mal im Stehen pinkeln, ohne dass einer meckert … dass wir uns auch mal mit ihnen streiten können, ohne dass die Welt untergeht … uns mit ihnen wieder vertragen können. Wir wollen gewinnen. Woran es liegt, dass das alles gar nicht so leicht ist, woran es liegt, dass es dann manchmal auch noch unnötig schwieriger wird – und was man tun kann, um von Streitsituationen zu profitieren und zu gewinnen, zeigt dieses Buch.
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Teil 1 Warum wir miteinander streiten ...
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1 Warum die nettesten Menschen nicht mehr nett sind, wenn sie unter Druck geraten
Warum ärgern uns unsere Mitmenschen eigentlich? Wie kommt es, dass wir uns über unsere Zeitgenossen aufregen müssen? Können Partner, Chefs, Kartonträger und andere Wesen nicht einfach nur tun, was wir gerne hätten? Wenn sie es tun würden, fielen die vielen unnötigen Anlässe weg, mit ihnen zu streiten. Wenn Eltern nerven, wenn Freunde falsche Versprechungen machen, wenn die pubertierenden Kinder weder ihre Zimmer aufräumen noch die Hausaufgaben machen, wenn die Schwiegermutter ihre Grenzen nicht kennt, wenn unsere Chefs die Falschen befördern und uns jemand vor der Nase wegschnappt, was wir gerne haben wollen, wenn der Nachbar uns ärgert, wenn irgendein Trampel kaputt macht, was uns wichtig ist ... kurzum: Warum kann die Welt um uns nicht so sein, wie wir sie gerne hätten? Statt dass unsere Mitmenschen unsere Wünsche erfüllen, tun sie etwas völlig anderes – manchmal mit Absicht, manchmal aus Versehen. Und dann ist der schöne Friede vorbei. So geht es selbst dem friedlichsten Autofahrer: Geduldig steht er neben einem ausparkenden Fahrzeug. Wenn es sein muss, minutenlang. Und wartet. Plötzlich zieht ein anderes Fahrzeug vorbei und stibitzt sich »seinen« Parkplatz. Und dann? Viel schneller als jeder Automotor schnellt der Puls des eben noch so Friedlichen hoch. Die Gesichtsfarbe verändert sich. Der Körper schaltet von »denken« auf »kämpfen«. Das Gefühl sagt: »Den bring ich um!«; der kleine Verstandesrest, der nicht abgeschaltet ist, verhindert das Schlimmste. So bleibt es meist bei nicht sehr zarten Worten. Und der Körper könnte, wenn man ihn ließe.
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Woher kommen diese Gefühle? Wieso fühlen wir uns manchmal »gereizt«? Was passiert eigentlich, wenn andere Menschen »Nein« sagen zu Dingen, die wir gerne hätten oder – schlimmer noch – das Gegenteil von dem tun, was wir gerne hätten? »Es ist einfach so in mich gefahren«, fühlen manche, wenn sie wütend werden und plötzlich mit Gegenständen um sich werfen oder mit Worten. Manchmal sind wir wie vom Donner gerührt, werden kalkweiß und wissen nicht, was wir sagen sollen. Manchmal würden wir am liebsten weglaufen. So schnell wie möglich. Im Streit am Frühstückstisch ist erst Tom davongelaufen, dann Christine. Als die Chefin sie aus heiterem Himmel mit dem gestrichenen Urlaub überraschte, blieben Christine die Worte im Halse stecken. Und als der Praktikant mit seiner Lampenschirmbescherung vor ihr herumhampelte und die Schuld für seine Unachtsamkeit anderen in die Schuhe schieben wollte – und das an einem Tag, an dem die Nerven ohnehin schon gereizt waren –, erschrak sie über sich selbst. Ihr Ärger brüllte plötzlich aus ihr heraus – ohne, dass sie es eigentlich wollte. Woher kommt das? Haben wir das im Fernsehen gesehen? Oder bei unseren Eltern? Natürlich gibt es für gereiztes Verhalten jede Menge Vorbilder im Alltag. Aber die Wurzeln sind viel älter. Auch kleine Kinder, die ohne Fernseher und Gewaltvorbilder aufwachsen, stampfen mit den Füßen oder werfen mit Bauklötzen, wenn sie in der ersten Trotzphase erkennen, dass die Welt nicht so ist, wie sie es gerade gerne hätten. »Woher hat er das nur?«, fragt sich die alleinerziehende Mutter, die ihren Sprössling friedvoll erziehen und ihn von allen Aggressionen fern halten wollte. Auch Menschen mit friedlichster Erziehung können plötzlich wütend um sich schlagen – mit Worten oder Taten. Aggressionen sind angeboren. Die Fähigkeit, sich zu wehren, ist so alt wie die Menschheit. Wenn wir in der Geschichte unserer Vorfahren zurückblicken, dann stellen wir fest, dass der Mensch viele Millionen Jahre in täglicher Lebensgefahr zubrachte. Verglichen mit den Jahrmillionen der Wildheit sind die paar Tausend Jahre, die die Spezies Mensch in der
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Menschen unter Druck
Zivilisation zubringt, wie ein Wassertropfen in einer Badewanne. Und wie sicherten unsere Vorfahren über Millionen Jahre hinweg das Überleben? Was taten UrUrUr-Opa und UrUrUr-Oma, wenn Feinde und Gefahren überall lauerten? Sie lernten zu überleben. Viele ihrer Artgenossen schafften es nicht. Die meisten starben schon als Kinder. Ins gebär- und zeugungsfähige Alter kamen viele Menschen in der Steinzeit gar nicht, weil sie schon vorher getötet wurden. Die moderne Wissenschaft hat herausgefunden, dass die meisten Steinzeitmenschen schon in sehr jungen Jahren eines unnatürlichen Todes starben. Im Kampf mit Tieren, Naturgewalten und Artgenossen überlebten nur die Besten. Und wer es schaffte, ins zeugungs- oder gebärfähige Alter zu kommen, gehörte zu den Allerbesten. Ist Ihnen klar, dass diese allerbesten Kämpfer, Flüchtenden und Luftanhalter Ihre und meine UrUrUr-Großeltern sind? Da alle anderen keine Nachkommen hatten, kann es ja nicht anders sein. Und was bedeutete das? Über Jahrmillionen mussten unsere Ahnen schnell sein, um zu überleben. Weil der Tod überall lauerte, mussten sie in Gefahrensituationen blitzschnell reagieren können. Wenn unsere steinzeitlichen Urahnen plötzlich ein Raubtier vor sich hatten, flogen die Steine, bevor sie überhaupt nachdenken konnten. Viele Menschen spüren noch heute, wenn sie sich unter Druck fühlen, den Impuls, den nächstbesten Gegenstand durch die Luft zu schleudern. Wenn es Ihnen das nächste Mal so geht, können Sie an Ihre Vorfahren denken. Hätten die Ahnen diese Fähigkeit nicht so perfektioniert, wären sie vermutlich getötet worden, bevor sie unsere UrUr-Großeltern zeugten. Dann gäbe es uns gar nicht. Zusammen mit allen anderen Eigenschaften und Fähigkeiten haben wir auch diese Fähigkeit geerbt. Und auch wenn wir dieses Erbgut an unseren Schreibtischen, Werktischen und Küchentischen ebenso wenig brauchen können wie in Schlafzimmern und Kneipen, auf Autobahnen oder Marktplätzen: Kaum geraten wir unter Druck, reagieren unsere Körper – oft, noch bevor wir eine Chance haben nachzudenken. Christine sah Ulli mit der angeschlagenen Lampe – und schaltete in den Kampfmodus. Sie wusste, dass sie mächtiger
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war als er, und ihr innerer Steinzeitkämpfer legte los, noch bevor sie ihn bremsen konnte. Stellen Sie sich vor, ein steinzeitlicher Ulli wäre mit seinem Gehampel nicht dabei, dem neuzeitlichen Lampenschirm, sondern dem steinzeitlichen Feuer den Garaus zu bereiten. Spätestens dann wird Christines Kampfansage verständlich. War in der Steinzeit ein Angreifer zu stark und ein Kampf aussichtslos, rannten unsere Ahnen um ihr Leben. Gegen Christine konnte Tom am Frühstückstisch gerade nicht erfolgversprechend siegen. Und das wollte er auch nicht. Also flüchtete er. Und war der steinzeitliche Angreifer nicht nur stark, sondern auch schnell, half nur noch eins: verstecken, Luft anhalten und hoffen, dass die Gefahr vorüber geht. So geht es Menschen, wenn ein Mächtiger direkt vor ihnen steht, wenn eine Kampfansage aussichtslos und der Fluchtweg abgeschnitten ist. So kommt es, dass wir manchmal regelrecht erstarren, wenn die Chefin uns mit der Mitteilung vom gestrichenen Urlaub überrascht. Um kämpfen oder wegrennen zu können, braucht man blitzartig andere Körperfunktionen als zum Denken. Dann müssen vor allem die Muskeln gut mit Sauerstoff versorgt sein. Wenn Menschen geärgert werden, schießt das Adrenalin durch den Körper und der Pulsschlag steigt an. Die Gesichtsfarbe verändert sich, die Atemfrequenz auch. Der Körper kann jetzt losschlagen oder -sausen. Dazu reicht eine gemeine Bemerkung aus oder ein Mahnschreiben vom Anwalt. Und auch die anderen Autofahrer auf der Autobahn scheinen durch ihre Fahrweise einen direkten Draht zu unseren Körperfunktionen zu haben. Unsere Körper sind die Update-Versionen eines millionenfachen Vererbungsprozesses. Ärgerlicherweise haben auch die Körper der Leute, die uns ärgern, diese Fähigkeiten nicht verlernt. Wenn ein Wort das andere gibt und aus einem harmlosen Gespräch plötzlich etwas ganz anderes wird, merken wir es deutlich: Dann vergessen unsere lieben Zeitgenossen Vernunft und gute Worte und meist sogar sich selbst. Hinterher tut es ihnen dann leid – oder auch nicht. Aber die Scherben sind da. Natürlich kann man lernen, mit den ei-
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genen Körperreaktionen besser umzugehen – angeboren ist diese Fähigkeit nicht. Und wie kommt es, dass einige Menschen schnell auf 180 sind und fighten, andere am liebsten davonlaufen und wieder andere apathisch sitzen bleiben, als wären sie soeben zur Salzsäule erstarrt? Die Wurzeln können sehr verschieden sein: Persönliche Erlebnisse, Erfahrungen und Entscheidungen prägen unsere Welt. Vorbilder von der Familie bis zum Fernsehen sowie Vererbung können eine Rolle spielen. Aggressionsforscher untersuchen seit langem, wie sich Erfahrungen auf den Kampfgeist auswirken. Auch wenn über die genauen Ursachen noch Uneinigkeit herrscht: Fest steht, dass manche Menschen kampflustiger sind als andere. Andere haben früh gelernt, zu flüchten. Wenn die Küche aufzuräumen war, mussten sie dringend Hausaufgaben machen. Wenn unliebsamer Verwandtenbesuch sich ankündigte, mussten sie mit ihren Freunden Referate vorbereiten. War das Auto zu waschen, der Rasen zu mähen oder nahte die Mathearbeit, nahmen sie die Beine in die Hand und waren nicht mehr gesehen. Eine dritte Gruppe stellt sich einfach tot. »Falls jemand klingelt, ich bin nicht da.« »Du hast auf den Anrufbeantworter gesprochen? – Hab ich nicht abgehört.« Unerledigte Akten und andere unangenehme Dinge bleiben einfach liegen. Der Briefträger bringt Rechnungen, Mahnungen und Zahlungsaufforderungen. Kein Problem – die Umschläge bleiben zu. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Wer sich tot stellt, wird vielleicht nicht gefressen. Häufig sind auch gemischte Varianten. Wenn der Kampf nicht siegreich beendet werden kann, wird die Flucht wenigstens noch mit einer Prise Kampfgeist gewürzt. Vor dem Verschwinden knallen Türen und eine im Gehen fallen gelassene fiese Bemerkung soll den Abgang wirkungsvoller machen. So soll der Zurückgelassene merken, wer hier im Recht ist. Er merkt es natürlich nicht. Stattdessen wird er noch wütender. Und irgendwann versucht man es dann vielleicht mit einer Versöhnung. Oder auch nicht. Sinnvoll ist dieses widersprüchlich-halbherzige Vorgehen nicht. Im Gegenteil: In
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der Steinzeit musste man jederzeit und überall damit rechnen, von einem Gegner vernichtet zu werden. Es überlebte immer nur derjenige, der den anderen schneller tötete. Man musste kämpfen, bis der Gegner tot war. Da das jeder so machte, war klar: Wenn ich es nicht tue, wird der andere es tun. Das war konsequent. Und für den Überlebenden war sichergestellt: Diese Gefahr ist für immer ausgeschaltet. Wer heutzutage von seinen Kollegen, Freunden oder Verwandten bis aufs Blut gereizt wird, weiß zwar vom Kopf her: Die Steinzeit ist vorbei. Mord ist keine Lösung. Also sollte ich erst gar nicht zurückbeißen mit den heftigen (Verbal-)Attacken. Aber der Körper scheint es nicht zu wissen – und poltert los. Und damit fängt das Drama erst richtig an: Jetzt wird es erst recht gefährlich. Mit jeder Reaktion wird der Streit ein bisschen heftiger. Bis einer die Bremse zieht und merkt – halt, stopp! Es reicht. So wird aus einer kleinen Missstimmung eine mittelgroße Verstimmung. Und aus einer Verstimmung wird Streit – im Beruf wie im Privatleben. Eigentlich wünschen wir uns ein schöneres Miteinander. Und deshalb äußern wir unsere Veränderungswünsche. Aber irgendwie geraten sie beim andern oft in den falschen Hals, und dann wird es schlechter statt besser. So erreichen wir mit unseren Änderungswünschen oft das Gegenteil und der Ärger wird immer größer. Reicht unsere eigene Kraft nicht aus, rufen wir nach dem großen Bruder, dem Anwalt, Interessenvertretern oder der Polizei. So drohen Arbeitgeber mit der Abmahnung, Mieter drohen mit dem Mieterschutzbund und Ex-Partner mit Sorgerechtsentzug für den gemeinsamen Nachwuchs. Liebespartner laufen da weg, wo sie am meisten lieben, und manche stellen sich tot, obwohl sie eigentlich lustvoll leben wollen – weil sie nicht wissen, wie es anders geht. Gut zu wissen Wenn wir in Konfliktsituationen geraten, liegt das daran, dass wir etwas anders haben wollen und es gerade nicht bekommen.
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Menschen unter Druck
Aus der Steinzeit haben wir für solch schwierige Situationen drei Reaktionsmuster geerbt:
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angreifen flüchten sich tot stellen
Außerdem gibt es Mischungen aus diesen drei Mustern. Diese körperlichen Reaktionsmuster aus der Steinzeit kämpfen mit unserem Verstand, und heraus kommen halbherzige Aktivitäten. Und so lassen wir unsere Chefs und Kollegen, unsere Schwiegermütter und Partner, unsere Freunde und Bekannten dann doch am Leben. Unsere Angriffe, so heftig sie auch sein mögen, bleiben auf halber Strecke stehen. Das Ergebnis:Wir streiten. Und wir streiten immer weiter. Meist sinnlos – mit ungünstigen Folgen für alle Beteiligten. Oder wir streiten nicht sofort, sondern weichen erst aus – tage- oder jahrelang, und der Kragen platzt erst später,vielleicht bei einer Kleinigkeit. Dazu im nächsten Kapitel.
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2 Wie fängt Streit eigentlich an?
Sebastian Krollmann war nach längerer Arbeitslosigkeit als Pförtner eingestellt worden und hatte alle Kunden und Mitarbeiter zu kontrollieren, die auf das Betriebsgelände kamen. In den ersten Tagen passierte es ihm einmal, dass er bei der Eingangskontrolle seinen eigenen Chef nicht erkannte. Und sein Chef fand das offensichtlich gar nicht lustig. Jedenfalls schaute er ziemlich grimmig. Von dem Tag an machte Sebastian sich Sorgen, den neuen Arbeitsplatz gleich wieder zu verlieren. Erst Tage später erzählte er es zu Hause. Zunächst herrschte Stille. Plötzlich sagte sein kleiner Sohn: »Papi, warum fragst du deinen Boss nicht einfach, ob er dir böse ist? Das mach’ ich bei dir doch auch.« Sebastian: »Ach, das verstehst du noch nicht, mein Junge, bei Erwachsenen geht das nicht so einfach.« Sebastian plagte sich noch eine Weile mit seinen Sorgen herum. Aber als der Chef neulich einmal an der Pforte stand und niemand in der Nähe war, traute er sich und fragte doch. Und der Chef antwortete: »Machen Sie sich mal keine Sorgen, Herr Krollmann. Ich hab mich zwar gewundert, aber es ist mir lieber, Sie erkennen mich mal nicht, als wenn Sie jeden Halunken reinlassen würden, nur weil er zufällig so eine Glatze hat wie ich.« Sebastian war mehr als erleichtert. Auf dem Nachhauseweg fiel ihm auf, wie schön der Frühling geworden war. Seine Jobsuche während der langen Arbeitslosigkeit war voller Rückschläge gewesen. Er hoffte, dass diese Zeit jetzt erst einmal vorbei war. Wer schwierige Zeiten hinter sich hat, ist vorsichtiger – aus Erfahrung.
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Wie fängt Streit eigentlich an?
Aber wann fangen die ersten Schwierigkeiten eigentlich an? Als wir auf die Welt kamen, gab es Nahrung und Wärme bei den Eltern. Die Eltern fühlten sich im Einklang mit uns – und wir uns vermutlich eine Weile lang mit ihnen. Wenn wir uns verlieben, sind wir im Einklang mit der oder dem Geliebten. Wenn wir eine neue Stelle antreten, wollen uns die Menschen, die uns eingestellt haben, als Teamplayer. Und wenn wir neue Freunde gewinnen, geht es uns miteinander gut. In diesem Zustand sind Schwierigkeiten ganz weit weg. Da wollen wir nicht kämpfen, sondern zusammen arbeiten, leben, lieben, nicht flüchten, sondern kuscheln, und nicht in Todesstarre fallen, sondern den Menschen in die Arme. Wir wissen alle, dass der Zustand des angenehmen menschlichen Miteinanders Glück, Zufriedenheit, Erfolg und Erfüllung bedeuten kann. Sebastian wünscht ihn sich für seinen neuen Arbeitsplatz, Christine mit Tom, mit ihrer Chefin, und wahrscheinlich auch mit Ulli. Wir alle wünschen ihn uns, wenn wir uns für neue berufliche Perspektiven entscheiden, in eine neue Hausgemeinschaft ziehen, heiraten, Kinder kriegen oder andere Pläne mit anderen Menschen verwirklichen wollen. Wir wissen auch aus Erfahrung, dass es früher oder später zu ersten Schwierigkeiten kommen kann. Sebastian wusste, wann seine Probleme angefangen hatten. Es war der Moment, als er seinen neuen Chef nicht erkannte. Er dachte nach: Vielleicht stimmte das gar nicht. Sein Chef war ihm ja gar nicht wirklich böse. Vielleicht waren seine unnötigen Sorgen danach der Beginn der Schwierigkeiten. Oder vielleicht waren die großen Sorgen während der langen Arbeitslosigkeit der Beginn der Schwierigkeiten. Nachdem Sebastian mit seinem Chef gesprochen hatte, stellte er fest: Eigentlich hatte er gar keine Schwierigkeiten. Sein Chef vertraute ihm. Und der kleine Patzer war gar nicht schlimm. Schwierigkeiten, die zu Konflikten führen können, bestehen immer aus zwei Teilen: einem Teil, der in der Welt passiert, und einem Teil, der in unseren Köpfen passiert. Wenn Ulli die Flurlampe zerdeppert, dann ist in der Welt eine Kleinigkeit in Unordnung geraten. Müssen wir deshalb mit Ulli in
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Schwierigkeiten geraten? Nein, das müssen wir nicht, wir könnten auch ruhig und sinnvoll reagieren. Können wir das wirklich? Die Wissenschaft erforscht, wie wir Schwierigkeiten und andere Erfahrungen abspeichern. Sie nennt den Speicherort, der für so etwas im Körper zuständig ist, das »limbische System«. Unser limbisches System signalisiert nach jeder Erfahrung: »+ prima, mehr davon!« oder »– eher blöd – in Zukunft meiden!« Grüßt die Nachbarin freundlich, signalisiert das limbische System »+«, beschwert sie sich heftig über ruhestörenden Lärm, signalisiert es »–«. Macht sie mal das Eine, mal das Andere, werden wir vorsichtig – und sind auf alles gefasst. Es ist, als wäre unser limbisches System mit einer Art limbischem Taschenrechner ausgestattet. Er speichert alles, was im Leben passiert, nach einem sehr ausgeklügelten System ab. Jede Erfahrung, die wir als »gut« abspeichern, ist wie ein kleines Plus. Das können schöne Erlebnisse mit einem Menschen sein – aber auch schwierige Erfahrungen, die wir gut gemeistert haben oder aus denen wir etwas Wichtiges gelernt haben. Jede unverarbeitete negative Erfahrung ist zunächst wie ein kleines Minus. Verarbeiten wir sie später, wird aus dem Minus ein Plus. In Partnerschaften, Familien, Vereinen und unter Kollegen in Abteilungen gibt es früher oder später Missverständnisse und Reibereien. Selbst wenn das Miteinander und die Zusammenarbeit im Großen und Ganzen funktionieren und sich alle gegenseitig unterstützen. Selbst wenn die limbischen Taschenrechner ein Plus nach dem anderen speichern – irgendwann kommt das erste Minus. Und jetzt kommt es darauf an. Schaffen es die Beteiligten wie Sebastian Krollmann mit seinem Chef, das Minus anzusprechen und auszuräumen, dann wandern sie wieder gemeinsam nach oben in die Pluszone. Schaffen sie es nicht wie Norbert, wird es immer schlimmer. Norbert war – in vielen Bereichen zumindest – ein tüchtiger Mann. Er hatte Tischler gelernt und führte seinen eigenen Handwerksbetrieb durch alle wirtschaftlichen Schwierigkeiten immer wieder mit Erfolg hindurch. Nur mit seinen Auszubildenden hatte er Probleme. Die Fehler, die sie machten, speicherte er nicht
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nur in seinem limbischen Taschenrechner. Er hielt sie ihnen auch jedes Mal wieder vor. Und zwar alle. Und mit jedem Fehler, den die unerfahrenen, jungen Leute machten, wurde die Liste länger. Seine Azubis nannten ihn »Meister Nachtragend«. Jeder einzelne Fehler war, für sich genommen, gar nicht weiter schlimm. Na ja, einige schon: Da war zum Beispiel das mühsam zugeschnittene Brett mit den Sondermaßen, bei dem plötzlich 30 Zentimeter fehlten. Oder der Leimtopf, der auf die frisch behandelte Oberfläche der antiken Vitrine gestellt wurde. Auch die wilden Fegearbeiten, bei dem sich Tausende von klitzekleinen Sägespänen auf der frisch lackierten Tür absetzten, waren nicht von Pappe. Aber andererseits: Vielleicht hatten diese vielen Fehler nicht nur etwas mit seinen Auszubildenden zu tun. Norbert jedenfalls zählte sie. Solange ein Problem nicht bearbeitet und verarbeitet ist, sorgt der limbische Taschenrechner dafür, dass es nicht in Vergessenheit gerät. Auch die limbischen Taschenrechner bei Norberts Azubis hatten viel zu tun. Ständig wurde von ihnen etwas erwartet, was nicht erklärt wurde. Das machte Frust und führte zu weiteren Fehlern. Für jeden einzelnen Fehler – so glaubten sie – war zu mehr als 50 Prozent der Meister selbst verantwortlich. Wie soll man schließlich wissen, was in einer Tischlerwerkstatt gemacht werden muss, wenn es einem niemand erklärt. Aus der Schule wussten sie es nicht. Und zu Hause tischlerte niemand. Woher hätten sie es also wissen sollen? Und so fanden sie seine Kritik unfair. Bei jedem kritischen Wort fügte der limbische Taschenrechner bei den Azubis ein Minus hinzu. Und beim Meister natürlich auch. Weil sie sich nicht trauten, etwas zu sagen oder zu fragen, hielten die jungen Leute lange den Mund. Sie hörten sich die Vorwürfe des Meisters ziemlich reglos an. Eine ganze Weile lang jedenfalls. Aber irgendwann lief bei jedem das Fass über. Der sogenannte Tropfen, der das Fass überlaufen lässt, ist das letzte Minus im limbischen Taschenrechner, bevor das limbische System Alarm gibt. Es war kein besonders großer Tropfen, der zum überlaufenden Fass führte. Norbert hatte seinen Azubi Alex angefahren, weil er
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die Pinsel nicht so sauber gemacht hatte, wie er es erwartet hatte. Und während Norbert, wie üblich, mit der Litanei der Verfehlungen loslegte, rastete Alex aus. Er stampfte mit dem Fuß auf und machte den lang aufgestauten Verletzungen Luft: »Wenn Sie uns nie etwas erklären und uns hinterher immer von oben herab fertig machen, dann reinigen Sie Ihre Pinsel doch in Zukunft alleine, Sie Oberpinsel, Sie ... Sie ... Sie unfähiger Pinsel von einem Meister! Sie glauben, Sie wüssten alles besser. Und dann stehen Sie da. Und dann machen Sie uns fertig. Wissen Sie, was ich glaube? ...« (Er holte tief Luft.) »... Ach, es hat ja alles doch keinen Zweck.« Und ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte der junge Wüterich aus der Werkstatt – im Blaumann ohne Hausschlüssel, Handy und Portemonnaie, einen Lackpinsel in der Hand. Sein Denkapparat lief auf Sparflamme. Er brauchte seine gesamte Energie für die Flucht vor dem Kampf. Zu Hause angekommen, war er immer noch ganz aufgeregt. Seine Schwester machte die Tür auf. »Was ist denn mit dir los?« Alex: »Jetzt fang du bloß nicht auch noch an!« Schwester: »Da will man seinem Herrn Bruder helfen und erkundigt sich nach seinem Wohlergehen, aber der junge Herr ist sich ja zu fein zu antworten! Ich sag bloß: Männer!« Aus der Küche schallte eine mütterliche Stimme: »Kinder, hört sofort auf zu streiten! Wie oft habe ich euch gesagt, dass meine Nerven das nicht aushalten! Alex! Wieso bist du überhaupt schon zu Hause? Hast du wieder was ausgefressen? ... Alex? Aaaalex! Willst du auch mit essen?« Unsere limbischen Taschenrechner sind übrigens sehr schlau. Geht es uns gut, registrieren sie nur ein kleines Minus, wenn jemand uns anpflaumt. Haben sie bereits drei oder mehr nicht ganz unbedeutende Minuszeichen einkassiert, warnen sie heftiger. Dann registrieren sie Kleinigkeiten, als würde die Welt halb untergehen. Damit wir endlich etwas unternehmen, um uns zu schützen. Auch das haben wir aus der Steinzeit geerbt. Wurde die Gefahrendichte größer, war es wichtig, zu entkommen – ganz gleich, ob durch Beseitigung der Gefahrenquelle oder Flucht – so weit die Beine tragen. Denn ein stilles Ausharren konnte den nahen Tod bedeuten.
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So kommt es, dass man nur über eine dusselige Flurlampe stolpern muss und als »elefantöser Kartonspezialist« etikettiert wird, oder dass man besorgt nach dem brüderlichen Befinden fragt und patzige Antworten bekommt. Wann immer wir Menschen begegnen, bringen sie ihre limbischen Taschenrechner schon mit. Manchmal erkennt man an der Position der Mundwinkel, ob sie gerade mehr im Plus oder im Minus stehen – manchmal aber auch nicht. Zum Streit kommt es immer, wenn der limbische Taschenrechner sagt: Alarm! Alles, was vorher passiert, wird addiert, im Guten wie im Schlechten.
Wenn Menschen laut werden, merkt man es deutlich: Der limbische Taschenrechner gibt Alarm. Das kann sehr nützlich sein, denn dann besteht die Chance, den Streit richtig zu klären, und aus den Minuszeichen wieder Pluszeichen zu machen, die Wurzel des Übels zu finden und daraus zu lernen. Manchmal ist der Alarm des limbischen Taschenrechners leise. So war es bei Svenja. Svenja war gut drei Jahre mit Toni verheiratet. Als sie sich kennen gelernt hatten, verbrachten sie jedes Wochenende zusammen. Mal gingen sie mit Freunden weg. Dann gingen sie ins Kino. Oder sie fuhren irgendwo hin. Es war nichts Großartiges, aber Svenja genoss diese Wochenenden. Und ihr limbischer Taschenrechner spei-
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cherte ein Plus nach dem anderen. Irgendwann waren sie in eine gemeinsame Wohnung gezogen. Und das war herrlich. Sie brauchten nicht auf die Wochenenden zu warten. Jeden Abend konnten sie sich sehen und genießen. Svenja wusste nicht mehr, wann sich dieses Gefühl eigentlich geändert hatte. Es waren nur Kleinigkeiten. Keine dieser Kleinigkeiten lohnte, angesprochen zu werden. Aber ihr limbischer Taschenrechner registrierte sie. Und ohne, dass Svenja es merkte, addierte er eine Kleinigkeit nach der anderen. So hatte Toni neulich gesagt, er käme um sieben nach Hause. Svenja hatte Lust auf ein kleines Überraschungsabendessen und zauberte seinen Lieblingsauflauf. Toni kam um sieben nicht. Auch um neun war er noch nicht da. Die Konferenz hatte länger gedauert. Und zwischendurch anzurufen wäre sehr schwierig gewesen. So aß Svenja alleine und stellte den Auflauf in den Kühlschrank. Sie hatte ja Verständnis für Toni. Und das sagte sie ihm auch. Er konnte ja wirklich nichts dafür. Außerdem hatte er keine Ahnung von Svenjas Überraschung. Aber der limbische Taschenrechner zählte… Und dann war da die Sache mit den Musicalkarten. Zum ersten Hochzeitstag hatte er ihr einen Gutschein geschenkt: ein Musicalwochenende in Wien. Sie erinnerte sich noch genau, wie sehr sie sich darüber gefreut hatte. Mittlerweile waren mehr als zwei Jahre vergangen. Ein paar Mal hatte sie vorsichtig nachgefragt. Aber dann war immer zuviel zu tun – oder es passte gerade nicht. Dabei war Toni wirklich ein Partner, wie man sich ihn nur wünschen konnte. Er konnte wunderbar zuhören, half im Haushalt, kümmerte sich um die Finanzierung des Hauses, konnte herrliche Geschichten erzählen. Mit ihm wurde es nie langweilig. Dann kam der vierte Hochzeitstag. Als Svenja aufwachte, war der Frühstückstisch schon gedeckt. Zwischen den roten Rosen steckte ein Umschlag. Als sie ihn öffnete, wusste sie selbst nicht, wie ihr geschah: ein Gutschein für ein Wochenende in Paris. Svenja sagte nichts. Sie stand einfach nur auf, nahm ihre Tasche und schloss die Tür. Ganz leise. Sie kam ins Büro und funktionierte wie ein Schweizer Uhrwerk. Am Abend ging sie spät nach Hause. Mit Toni sprach
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sie kein Wort. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Der limbische Taschenrechner war beim Minus-Alarm angekommen. Sie hatte Verständnis für alles, was Toni machte – gleichzeitig wurde ihr kalt, wenn sie an ihn dachte. Eigentlich konnte sie ihm nichts vorwerfen. Trotzdem fühlte sie sich leer und traurig. Der mittlerweile drei Jahre alte Gutschein für das Wien-Wochenende schmerzte, wenn sie nur daran dachte. Der Paris-Gutschein lag noch immer auf dem Tisch. Svenja fühlte sich wie eine Statue ohne Worte. Dem limbischen Taschenrechner nützt es nichts, wenn unser Verstand »Verständnis« hat für das, was unsere Mitmenschen tun. Natürlich hatte Toni viel zu tun, und für alles, was er tat, gab es gute Gründe. Trotzdem hätte sich Svenja etwas anderes gewünscht. Und solange sie es nicht aussprechen und klären kann, addiert der limbische Taschenrechner solange munter vor sich hin, bis das Maß voll ist. Dann folgt – je nachdem – Erstarrung, Flucht oder Kampf. Streit entsteht immer auf dieselbe Weise. Wir hätten gerne irgendetwas anders: Die Lampe soll nicht zerbrochen werden, der Tischlermeister soll besser erklären, der Ehemann soll Gutscheine einlösen, die Chefin soll den Urlaub nicht streichen, der Bruder soll nicht wortkarg in seinem Zimmer verschwinden und die Azubis sollen ihr Gehirn einschalten. Natürlich gibt es auch Situationen, in denen ein einziges großes Minus den limbischen Taschenrechner in Großalarm versetzt. Der Zahnarzt zieht den einzigen gesunden Zahn, der Mitarbeiter klaut silberne Löffel, statt der versprochenen Treue findet die Freundin ihren Partner in flagranti mit der nackten Nachbarin auf dem Küchentisch, oder die Schwiegermutter kündigt der Putzfrau, zieht im Gästezimmer ein und ersetzt die Anti-Baby-Pillen durch Placebos … Gut zu wissen Jeder Mensch will, dass manches so bleiben soll, wie es ist, und dass sich anderes ändern möge. Das Leben besteht aus Wünschen. Es gibt wichtige Wünsche und weniger wichtige Wün-
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sche. Manche erfüllen sich wie von selbst, mit anderen machen wir eine Bauchlandung. Immer, wenn sich wichtige Wünsche erfüllen, macht der limbische Taschenrechner ein großes Plus; machen sie eine Bauchlandung, ein Minus. Werden zu viele Wünsche nicht erfüllt, schlägt der limbische Taschenrechner Alarm und es kommt zum Streit. Dann tun wir das, was schon unsere steinzeitlichen Vorfahren gemacht haben. Wir fallen in eines der drei Muster zurück,die uns unter Druck zur Verfügung stehen.
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3 Kleine Streittypologie – Warum Menschen so unterschiedlich reagieren
Im ersten Kapitel war zu lesen, woher wir unsere Notfallstrategien in Konfliktsituationen haben. Im zweiten Kapitel haben Sie gesehen, wie der limbische Taschenrechner dafür sorgt, dass die Notfallstrategien zum Einsatz kommen. In diesem Kapitel erfahren Sie, wie unterschiedlich Menschen im Streit sein können. Sie lernen verschiedene Streittypen zu unterscheiden, damit niemand Sie mehr als nötig in einen Krach hineinziehen kann und Sie besser erreichen, was Ihnen wichtig ist. Denn bei allen individuellen Verschiedenheiten gibt es vier logische Grundmuster. Wenn Sie diese Grundmuster kennen, können Sie lernen, Ihre Streitpartner immer besser zu erkennen. Die meisten Ihrer Zoffpartner werden eine sehr individuelle Mischung aus allen vier Typen sein. Je besser Sie zuordnen können, aus welcher Ecke die aktuelle Verhaltensweise Ihrer Streitpartner gerade kommt, umso besser können Sie reagieren und umso sinnvoller können Sie streiten – und vom Streit profitieren. Lernen Sie zunächst vier ausgeprägte Vertreter der Streittypen kennen und erfahren Sie anschließend, wie Sie mit welchem Streittyp besser umgehen – und wie nicht. Martina ist nicht aus der Ruhe zu bringen. Es kann noch so viel schief laufen: Die Kollegen geraten sich in die Haare, der Abteilungsleiter hat einen seiner typischen Tobsuchtsanfälle. Martina sitzt an ihrem Schreibtisch. Martina schimpft nicht. Und wenn es heiß hergeht, duckt sie sich hinter ihrem Computer. Je turbulenter es um sie herum wird, desto weniger ist von Martina zu sehen. Wäre
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Martina ein Tier, würde sie sich am ehesten mit einem Opossum vergleichen. Die Opossums in freier Wildbahn sind erstaunliche Überlebenskünstler. Sie sind weder sonderlich schnell noch kampflustig. Das brauchen sie auch nicht zu sein. Kaum droht ein feindlicher Angriff, duckt sich das possierliche Opossum bis zur Unkenntlichkeit und sagt keinen Mucks. Während alle anderen Tiere ringsumher wild die Flucht ergreifen, oder sich mit Drohgebärden auf Kampfhandlungen vorbereiten, bleibt das Opossum ganz still und unbehelligt liegen, bis die Gefahr vorbei ist. Natürlich wird auch ein Opossum hin und wieder mal entdeckt, und dann ist es um das Opossum geschehen. Aber da es nicht viel Wirbel macht, kann es eine Weile gut gehen. Da ist Hannes ganz anders. Hannes geht Konflikten nicht aus dem Weg. Er weiß, was er will. Und sorgt dafür, dass er es bekommt. Hannes liebt den Erfolg. Wer ihm in die Quere kommt, wird weggebissen. Vor seinem Gebrüll fürchten sich viele. Er ist ein typischer Einzelgänger. Wenn Hannes im Team arbeiten soll, legt er sich mit allen an, die ihm etwas sagen wollen. Er will Chef sein. Deshalb streitet er so lange herum, bis er es ist. Aber auch als Chef lässt er niemanden an sich heran. Wäre Hannes ein Tier, würde er sich am ehesten mit dem stolzen Tiger vergleichen, der sein Revier ganz allein beherrscht und niemanden neben sich duldet. Wenn es im Betrieb hoch her geht, ist Luisa unterwegs. Sie ist ungeheuer vielseitig, wird überall gebraucht und hat so immer mindestens fünf Gründe, warum sie gerade jetzt keine Zeit hat, sich mit einem Konflikt auseinander zu setzen. Will eine Kollegin ein ernstes Wort mit ihr reden, findet sie das grundsätzlich sehr gut und richtig. Aber gerade jetzt passt es leider überhaupt nicht. Vielleicht später. Und so summieren sich die vielen »vielleicht später« bis zum Sankt Nimmerleinstag. Wäre Luisa ein Tier, würde sie sich am ehesten mit dem hakenschlagenden Hasen vergleichen, der bei dem leisesten Verdacht auf herannahende Gefahren mit Flucht reagiert. Lennart ist ein Teamplayer. Er weiß, wie viel mehr man gemeinsam erreichen kann als alleine. Er liebt den Erfolg genauso sehr wie
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sein Tigerkollege, aber er geht anders vor. Statt immer gleich zu brüllen, zu kämpfen oder zuzuschlagen, statt immer alle Menschen als Konkurrenten zu behandeln und wegzubeißen, kann er sehr gut mit anderen zusammenarbeiten. Das heißt nicht, dass er nicht auch kämpfen könnte. Im Gegenteil. Er ist ein ausgezeichneter Kämpfer. Wenn es nötig ist, das Revier zu verteidigen, nutzt er seine ganze Kraft. Er zeigt Störenfrieden, wo die Grenze ist. Aber nur dann. Andere Menschen sind für ihn in erster Linie mögliche Teampartner, mit denen man gemeinsam arbeiten und Spaß haben kann. Er kann sich genüsslich entspannen und das Leben genießen. Er liebt es, neue Bereiche zu erkunden und zu erobern. Er schätzt die Vielseitigkeit des Lebens. Wäre Lennart ein Tier, würde er sich am ehesten mit dem König der Tiere, dem im Rudel lebenden Löwen, vergleichen. Bei den Löwen herrscht eine klare Aufgabenverteilung. Jeder trägt das Bestmögliche zum Wohlergehen des Rudels bei – und genießt die individuellen Vorteile der starken Gemeinschaft. Am einfachsten können Sie sich die vier Streittypen vorstellen, wenn Sie drei Streichhölzer oder andere längliche Gegenstände als Dreieck auf den Tisch legen. An den drei Ecken finden Sie den kämpfenden Tiger, den flüchtenden Hasen und das erstarrende Opossum. Nehmen Sie drei weitere Streichhölzer und bauen Sie auf den drei Ecken eine Pyramide. (Der Fachausdruck für Ihre Streichholzfigur heißt übrigens Tetraeder.) Oben in der Spitze finden Sie den König der Tiere: den Löwen. Alles, was Menschen miteinander machen können, spielt sich im Inneren des Tetraeders ab. In der Mitte ist der Nullpunkt. Wer sich das genauer vorstellen will, kann gedanklich ein Lineal in die Mitte hängen. Plus oben. Minus unten. Null in der Mitte. Wie gut kennen Sie Ihr eigenes Verhalten in Konfliktsituationen? Wissen Sie, wann Sie Löwe sind und wann eher Hase, wann Sie zum Tiger werden können und wer in Ihnen das Opossum hervorlockt? Wie gut kennen Sie Ihre Mitmenschen? Wann werden Sie zum Tiger? Wann nicht? Wenn Sie gleich Beispiele aus Beruf- und Privatleben lesen, wissen Sie: Natürlich ist niemand auf der Welt immer
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Tiger, Hase, Opossum oder Löwe in Reinkultur. Deshalb wird weder Ihr Chef, noch Ihr Lebenspartner oder sonst jemand ständig direkt unten am Boden des Tetraeders in einer der Ecken sitzen. Weil jeder Mensch in seiner Individualität einzigartig ist, bewegt sich jeder im Tetraeder nach einem individuellen Muster.
Wenn sich Menschen kennen lernen, beginnen sie bei Null. Das ist genau in der Tetraeder-Mitte. Wer sehr vertrauensvoll ist, bewegt sich von da sofort nach oben. Wer sehr skeptisch ist, sinkt vorsichtshalber erst einmal etwas nach unten. Manche bleiben eine Zeit lang in der Mitte, bevor sie auftauen und sich in Richtung Löwe bewegen, wenn alles gut geht, oder sich nach unten bewegen, sobald ein
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Streit im Anmarsch ist. Manche brauchen eine Weile, bis sie richtig unter Druck geraten und unten in einer der Ecken angekommen sind. Andere explodieren in Sekundenschnelle und landen blitzartig im Tigereck. Manche Menschen gehen ständig mit einem vorsichtigen Hasengesicht durch die Welt, jederzeit bereit zur Flucht. Und kaum macht jemand einen Scherz, missverstehen sie ihn als Angriff und springen zielsicher in die Hasenecke, von wo sie dann vorsichtig wieder auftauchen, wenn die (vermeintliche) Gefahr weg ist. Und was bedeutet die Bewegung im Tetraeder für unsere Konflikte? Wohin sollten wir uns bewegen? Was ist am besten? Das kommt darauf an, was wir wollen. Am meisten gewinnen diejenigen, die ihre Umwelt gut einschätzen können, schnell reagieren und sehr flexibel sind. Je flexibler Sie werden, umso mehr können Sie gewinnen. Wenn es darauf ankommt, braucht jeder die Fähigkeit, sich wie ein Hase rechtzeitig in Sicherheit bringen oder auch wie ein Opossum verstecken zu können. Bei Grenzüberschreitungen sollte Ihre Umgebung wissen, dass in Ihnen auch ein Tiger schlummern kann und mit Ihnen nicht zu spaßen ist. Dann können Sie mit Erfolg Löwe sein. Dann werden Sie als Löwe ernstgenommen. Jeder Mensch bewegt sich an jedem Tag seines Lebens in seinem Tetraeder auf und ab. An manchen Tagen sind wir ganz oben. Manchmal sind wir down. Auch wenn das Leben oben am schönsten ist: Weil jede Veränderung um uns herum Anpassungen erfordert, braucht man das richtige Handwerkszeug für die unteren Streitetagen, um das Leben oben immer wieder neu auszubalancieren. Von den Wissenschaftlern aus dem Bereich der Systemtheorie wissen wir: Ändert sich eines, kann sich alles ändern. Ein neuer Mitarbeiter im Büro, ein neues Kind in der Familie, neue wirtschaftliche Rahmenbedingungen – manchmal reicht schon eine winzige Veränderung – und die vertraute, alte Balance ist hin. Dann scheint der Streit vorprogrammiert. Aber das muss nicht so sein. Erleben Sie die vier Grundtypen (in intensiver Ausprägung) in den nächsten vier Kapiteln. Lernen Sie ihre Eigenarten kennen. Und lassen Sie sich überraschen, wen Sie wiederentdecken.
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»Wo ist der nächste Sündenbock?« – Warum Tigertypen immer gleich alle angreifen In freier Wildbahn duldet der Tiger niemanden länger als nötig neben sich. Wer einem Tiger zu nahe kommt, spürt seine Zähne. Wenn Tiger sich irgendwo aufhalten, dann halten sie sich nicht nur dort auf. Dann herrschen sie. Gelingt ihnen das nicht gleich, greifen sie jeden an, der sie daran hindern will. Kommt ein Tigertyp an einen neuen Arbeitsplatz, merkt man das sofort. Tiger fragen nicht, was bisher gemacht wurde. Sie schaffen vom ersten Tag an ihre eigenen Regeln. Wer bei ihnen aneckt, hat ein Problem. Das gilt im Beruf wie im Privatleben. Eine Tigermutter in freier Wildbahn wirft ihre Tigerkinder aus dem Revier, sobald sie alt genug sind. Der Kindsvater wird unmittelbar nach der Zeugung verscheucht. Kann der Tigermann in freier Wildbahn nach dem Akt nicht schnell genug beiseite hüpfen, schlägt die Tigerdame mit ihrer gewaltigen Pranke so kräftig zu, dass ihm für den Rest des Lebens die Lust auf Sex vergeht. Familien vom Typus Tiger, die nicht sofort auseinanderbrechen wollen, brauchen deshalb entweder viel Platz für Rückzugsmöglichkeiten in eigene Reviere (wie Beruf, Freunde, Sport und eine große Wohnung), oder sie begeben sich in einen Dauerkampf.
Der Tiger als Kollege Für Tiger sind andere Wesen entweder zum Fressen da oder sie stören. In fast jedem Kollegenkreis mutiert der eine oder andere hin und wieder zum Tiger. Weil Tiger vorzügliche Kämpfer sind, kämpfen sie sich in der Wettbewerbsgesellschaft so schnell wie möglich dahin, wo sie hin wollen. In der Schule haben sie für gute Noten gekämpft, im Assessment-Center für den besten Platz im Ranking, um die Stelle zu bekommen, die sie haben wollten. Tiger schaffen es häufig, nicht über den »normalen« Dienstweg, sondern über einen Quereinstieg zu erscheinen. Für die bisherige Kollegenschaft sind
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diese Momente immer eine besondere Herausforderung. Denn kaum ist der neue Tigerkollege da, weiß er schon alles besser. Tiger gehen mit Power an ihre Arbeit, lieben es, Hochleistung zu bringen und ihr Revier nach eigenen Wünschen zu gestalten. Dabei merken sie gar nicht, dass sie in fremden Revieren herumwildern und sich in Dinge einmischen, für die sie eigentlich gar nicht zuständig sind. Aber wehe, es kommt ihnen jemand zu nahe. Dann tut der Tiger in der Werkstatt, im Lager, und im Büro das gleiche wie sein Artgenosse in freier Wildbahn. Er faucht und holt mit seiner Tatze aus, um den Störenfried aus dem Weg zu räumen. Da Tiger sehr viel Übung darin haben, allein erfolgreich zu sein, bewältigen sie mit solchen Alleingängen oft Erstaunliches. Den Chefs bleibt dies selten verborgen. Das bestätigt den Tiger in seinem Tun. Er beschwert sich darüber, von lauter Idioten umgeben zu sein, und trägt durch diese Haltung dazu bei, dass sich seine Einschätzung von Tag zu Tag mehr bestätigt. Je erfolgreicher der Tiger mit seinen Alleingängen herumtigert, umso schwieriger wird es für die weggebissenen Kollegen und Kolleginnen. Solange Tiger nicht darauf angewiesen sind, dass Andere ihnen zuarbeiten oder mit ihnen gemeinsam etwas zu Stande bringen, können sie als Herrscher ihres Reviers Spitzenleistungen erbringen. Läuft in der Kommunikation etwas falsch, hat der Tiger immer recht. Das erkennen Sie an seinen Wortbeiträgen. Wenn Sie folgende Sätze hören, haben Sie mit größter Wahrscheinlichkeit einen Tiger vor sich: »Das habe ich Ihnen doch gesagt!« Oder: »Das habe ich Ihnen doch schon 100-mal gesagt! Warum hören Sie mir eigentlich nie zu?« Dass Kommunikation keine Einbahnstraße ist, fällt Tigern nur ein, wenn sie Empfänger von Nachrichten sind. »Ja, wenn Sie sich nicht klarer ausdrücken, müssen Sie sich nicht wundern, wenn Sie keiner versteht!« Tiger haben früh im Leben gelernt, dass sie sich gut auf sich selbst verlassen können. Weil sie nicht gelernt haben, wie sie sich mit Anderen verständigen können, macht ihnen jeder Andere Angst. Und Angst bewältigt der Tiger durch Brüllen, Fauchen und Wegjagen. Für Tiger ist das Arbeiten im Team ein Kampf.
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Die Herausforderung sich einzufügen, überfordert den Tiger. Solange er noch nicht gelernt hat, wie das geht, und wie angenehm das sein kann, bedeutet jeder Kollege für ihn Konkurrenz. Und Konkurrenten muss der Tiger wegbeißen. Vorzüglich funktioniert das mit Schuldzuweisungen. Einen Tiger erkennen Sie daran, dass er den Sündenbock schon gefunden hat, noch bevor das Problem überhaupt analysiert wurde. Das macht der Tiger mit Menschen. Das macht er mit Sachen. Das macht er immer. Als Tigerkind hat er den Tisch gehauen, wenn er sich an der Tischkante gestoßen hat, und den Tisch beschimpft: »Böser Tisch!« Als Erwachsener beschimpft er den Kollegen, den er mit dem Ellenbogen anrempelt, dafür, im Weg zu stehen. Seinen Computer, der nicht die Buchstaben auf dem Bildschirm zeigt, die er haben will, beschimpft er dafür, wie inkompetent er programmiert ist. Der Computer selbst – und auch gewisse Geburtshelfer, wie Bill Gates und Microsoft – gehören zu seinen Lieblingssündenböcken, wenn irgendetwas nicht so ist, wie es sein sollte. Wenn er hier das Sagen hätte, wäre alles anders. Leider ist er ja von lauter unfähigen Kollegen umgeben. Und das lässt er sein Umfeld umso mehr spüren, je mehr der Tiger unter Druck gerät. Gibt es zwei Tiger im Team, wird die Lage hochdramatisch. Je mehr sie in ihrer Aufgabenverteilung voneinander abhängig sind, umso mehr Arbeitszeit müssen sie darauf verwenden, ihren Tigerstatus zu erhalten und den Revierfeind niederzukämpfen. Das tun sie nicht mit »böser Absicht«. Sie haben nur bisher nicht gelernt, dass es auch anders gehen könnte. Tiger fühlen sich in der Kollegenrolle grundsätzlich unwohl. Sie wollen lieber Chef sein und behandeln alle Kollegen wie ihr persönliches Personal. (Wieso sie aber auch mit der Chefrolle nicht wirklich glücklich werden, lesen Sie gleich.) Wenn Sie einen Tiger im Kollegenkreis haben, wird er dafür sorgen, dass Sie ihn bei der nächsten Beförderung nicht überholen. (Wenn Sie ihn erkannt haben, hat er dieses Spiel schon fast verloren.) Weil er glaubt, dass alle so sind wie er, denkt er, dass alle an seinem Stuhl sägen wollten. Denn Tiger neigen dazu, ihre Angst vor Revier- und Machtverlust auf alle Kollegen zu projizieren. Sie wis-
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sen nicht, dass Andere anders denken, und halten ein freundliches Kooperationsangebot zunächst für eine Falle.
Der Tigerchef Deshalb sind Tiger gern Chefs. Das glauben sie zumindest. Jedenfalls können sie es kaum aushalten, dass jemand anders Chef ist und ihnen sagt, was sie tun sollen. In Hierarchien steigen sie deshalb selten von unten ein. Lieber organisieren sie sich irgendwelche Quereinstiegsmöglichkeiten – möglichst von vornherein auf Chefebene. Gelingt das nicht, machen sie sich selbstständig. Sie gründen IchAGs und Minibetriebe als Freiberufler. Wer bei einem Tigerchef als Mitarbeiter anfängt, glaubt zu Beginn fast immer, den Tiger ändern zu können. Weil der Tiger vor nichts so sehr Angst hat wie vor Konkurrenz, ist das nicht einfach. Tigerchefs fürchten sich vor guten Mitarbeitern, weil sie immer Angst davor haben, dass sie ihnen ihr Revier streitig machen könnten. Also brüllen sie sie zusammen, so gut sie können. Mitarbeiter von Tigerchefs wissen, dass der Anschiss das größte Kompliment ist, zu dem ein Tigerchef fähig ist. Das macht sich insbesondere nach dem Urlaub des Tigerchefs bemerkbar. Aus der Befürchtung heraus, dass seine Mitarbeiter in seinem Urlaub bemerken könnten, ihn gar nicht zu brauchen, findet er nach seiner Rückkehr in allem, was die Mitarbeiter gemacht haben, Fehler. Sind die Mitarbeiter durch den Anschiss wieder zu ungefährlicher Größe zurückgestutzt, kann das normale Arbeiten weitergehen. So sorgt der Tigerchef aus Angst vor Konkurrenz in der gesamten Mitarbeiterschaft dafür, dass keiner genug Selbstbewusstsein entwickelt, um sein Potenzial voll auszuschöpfen. Wer immer einen Anschiss befürchten muss, bindet genügend Kräfte mit Selbstzweifeln, um klein zu bleiben. Obwohl der Tigerchef das selbst verursacht, findet er es gleichzeitig fürchterlich. Niemand außer ihm selbst ist in der Lage zu leisten, was er selbst leistet. »Warum bin
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ich nur von lauter Idioten umgeben?« ist ein klassischer Satz eines Tigerchefs. Verbesserungsvorschläge von Mitarbeitern haben bei ihm keine Chance. Denn jede Kritik an ihm und seinem Führungsstil wird vom Tigerchef als so bedrohlich erlebt, dass er dem Kritiker mit beißenden Argumenten beweisen kann, wieso er weder von der Sache noch von sonst etwas Ahnung hat. Ist der Vorschlag wirklich gut, wird der Tigerchef ihn bei nächster Gelegenheit als den eigenen präsentieren, nicht ohne den Kritiker rechtzeitig vorher weggebissen oder mundtot gemacht zu haben. Von Tigerchefs geführte Abteilungen sind Schuldzuweisungsabteilungen. Jeder kriegt sein Fett ab, und Schuld sind immer die anderen.
Trotzdem sind von Tigerchefs geführte Abteilungen häufig recht erfolgreich. Denn der Machtdrang des Tigers ist unersättlich. Wo er eine Chance wittert, beißt er zu. Auch nachts und am Wochenende findet man den Tigerchef dort, wo er Macht ausüben kann. Was soll er denn auch zu Hause? Da nichts dem Tiger so wichtig ist wie die Sicherung seines Reviers, genießt er weder den Urlaub noch freie Wochenenden. Tigerchefs führen selbst auf der Skipiste das Handy mit sich, um ihren Mitarbeitern zu sagen, was sie schon wieder falsch gemacht haben. Von der Ausstrahlung des stolzen Tigers geht häufig eine gewisse Aura des Erhabenen, Glanzvollen, Erfolgreichen aus. Wer weit ge-
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nug weg ist, lässt sich davon häufig faszinieren. Manchen Tigerchefs gelingt es, ihren gefährlichsten Konkurrenten die tüchtigsten Köpfe abzuwerben. In den eigenen Reihen werden sie dann unschädlich gemacht, tot gebissen und wieder ausgespuckt. Führungskräfte, die diesen Werdegang hinter sich haben, wundern sich, wieso sie plötzlich – mit einer Abfindung ausgestattet – in der Arbeitslosigkeit sitzen und keinen adäquaten Job mehr finden. Tigerchefs, die geschickt genug sind, um sich als Löwen zu tarnen, können sich mitunter ziemlich weit nach oben beißen. Von dort fressen sie dann andere Unternehmen und nennen das ganze »Fusion«. In Wirklichkeit sind es feindliche Übernahmen. Wenn Tiger nicht rechtzeitig lernen, genug Löwenqualitäten zu entwickeln, werden die meisten von ihnen von Konkurrenztigern verjagt oder gefressen. Die Verjagten finden sich dann meist als Quereinsteiger an höherer Position in einem anderen Unternehmen wieder. Je heftiger man einem Tigerchef zusetzt, umso stärker wird er. Für die betroffenen Unternehmen ist das nicht immer von Nachteil. Kämpferische Tigerchefs bleiben zwar weit unter der Leistung dessen, was möglich wäre, wenn sie ihre Mitarbeiter nicht so drangsalieren würden. Auf Grund ihres nicht enden wollenden Machthungers bewegen sie aber dennoch Erstaunliches. Wenn es dem Tiger gelingt, ein Opossum als Mitarbeiter oder Mitarbeiterin zu finden, welches die permanenten Bisse und Seitenhiebe des Tigerchefs aushält, kann das jahrzehntelang funktionieren. Deshalb stellen manche Tigerchefs mit Vorliebe Opossums ein, die Anschisse und Bisse ihrer Chefs geduldig ertragen, ohne aufzumucken. In Kombination mit Hasen, die in immer neue Felder ausweichen, statt sich beißen zu lassen, bringen Tigerchefs es zu innovativen Leistungen. Manche Tigerchefs haben ein besonderes Faible für Tigermitarbeiter. Denn sie erkennen in ihnen die Ähnlichkeit. Diese Zusammenarbeit funktioniert in der Anfangszeit, in der die Jungtiger sich noch mit eigenen Revieransprüchen zurückhalten und begierig lernen, vorzüglich. Hat der Jungtiger seinen Aufgabenbereich verstan-
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den und entwickelt er seine eigene Kraft, zerfleischen sich die Tiger, bis einer von beiden verletzt vertrieben wird. Da reine Tigerchefs so gut wie nicht vorkommen, sondern immer als Mischform auftauchen, gibt es in der Praxis Hoffnung. Immer mehr Tigerchefs lernen den Kooperationsgeist der Löwen. Ein erster Schritt dazu ist es, dass sie ihren Mitarbeitern gutes Feedback geben, statt sie nur für Fehler zu tadeln. Wenn sie dies tun, wählen sie allerdings regelmäßig die Form, über die sie sich selbst am meisten freuen würden. Denn Tigerchefs können nur schwer verstehen, dass ihre Mitarbeiter nicht sind wie sie. Viele glauben, das, was für sie gut ist, müsse doch auch für Andere passen. Kaum hat man ein Problem, haben sie Lösungsvorschläge bereit. Wenn Tigerchefs merken, dass ihre Mitarbeiter mit den von ihnen selbst entwickelten Methoden viel besser fahren als mit den Rezepten ihres Chefs, sind sie schon keine Tiger mehr.
Tigereltern Tigereltern wissen, wie ein Revier auszusehen hat. Sie wissen es genau, und vor allem wissen sie es besser als alle Anderen. Wenn der Kindergarten zu kurze Frühstückspausen vorsieht, hauen sie auf die Pauke. Unterrichten Lehrer humorvoller oder strenger, konservativer oder moderner, Tigereltern finden den Verbesserungsbedarf mit sicherem Tigerblick und lassen ihr Tigergebrüll so laut erschallen, dass sämtliche Eltern und möglichst das gesamte Kollegium die Missetaten der als unfähig Gebrandmarkten erfährt. Sie sorgen dafür, dass unfähige Lehrer versetzt werden und fressen jeden auf, der ihr Tigerkind auch nur schief anguckt. Wenn ein Elternvertreter sagt: »Wenn ich nicht wäre, würde in dieser Klasse / Schule / Kindergarten gar nichts passieren!«, können Sie sicher sein, einen Tiger vor sich zu haben. Hat das Tigerkind etwas ausgefressen, sind immer die Anderen schuld. Fehlt im Supermarkt ein Kaugummi oder bricht die Dosenpyramide zusammen, stolzieren Tigereltern empört zur
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Geschäftsleitung, um sich über die unmögliche Aufstellung von Süßwaren oder Konserven und den unsensiblen Umgang mit dem Kunden von morgen zu beschweren. Fliegt ein Fußball durch ein geschlossenes Fenster, werden Busse und Bahnen mit neuer Innendekoration versehen oder dringen ohrenbetäubende Geräusche durch Treppenhaus- und Kinderzimmerwände, wissen Tigereltern ganz genau, welcher gesellschaftliche Mangel daran schuld ist. Nach dem Motto »Angriff ist die beste Verteidigung« versuchen sie, die gesamte Umwelt so einzuschüchtern, dass sie nur noch aus Opossums oder Hasen besteht. Gelingt das nicht, ist der Kampf da. Einerseits wollen Tigereltern, dass ihre Tigerkinder genauso stark und stolz und groß und schön werden sollen wie sie selber. Andererseits können sie aber genau das nicht aushalten. In der Wildnis ist die Kooperation zwischen werdender Tigermutter und werdendem Tigervater mit dem Zeitpunkt der Begattung beendet. Entscheiden menschliche Tigerpaare sich dafür, über diesen Zeitpunkt hinaus zusammenzubleiben, hat der Rosenkrieg bereits begonnen. Pfiffige Minitiger erkennen das bereits, bevor sie sprechen können. Erlaubt die Tigermama weder Keks- noch Schokoladennachschub, bewegt sich der kleine Krabbeltiger zum Tigerpapa, weil er sicher weiß: »Dort krieg ich, was ich will!« Das Spiel »Wie trickse ich meine Eltern gegeneinander aus?« geht mit Geburtstagswünschen, Fernsehkonsum und nächtlichen Discorückkehrzeiten weiter. Den Tigereltern ist dabei regelmäßig nicht bewusst, dass sie über den Erziehungsfragenstreit eigentlich den permanenten Revierkampf austragen. Sie glauben, dass es ihnen um ihre Sache und um die Kinder gehe. Denn Tigerväter halten das, was sie selbst denken für richtig und das, was Tigermütter denken, für falsch – und umgekehrt. Wenn die anderen nicht so dumm wären, müssten sie das doch einsehen. Tigereltern bilden wechselnde Koalitionen mit Verwandten, Freundinnen und Saufkumpanen und können stundenlang von der Unfähigkeit des Anderen berichten. Obwohl Tiger eigentlich Einzelgänger sind, sind diese »Interessengemeinschaften« erstaunlich stabil. So treffen sich Tiger regelmäßig mit Gleichgesinn-
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ten und übertreffen sich gegenseitig mit leider wahren Horrorgeschichten über die Mit-Erziehungs-Tiger, von denen sie vergessen haben, dass sie selbst sie sich irgendwann einmal ausgesucht haben. Wenn Tigereltern es nicht schaffen, für ihre Reviervorherrschaft unterschiedliche Lebensbereiche und Modalitäten auszuhandeln, eskaliert der Streit irgendwann so, dass er in Trennung und Scheidung fortgeführt wird. Streitigkeiten über Sorgerecht und Besuchsregelungen sind die Folge. Da Tigereltern immer Angst davor haben, die Vorherrschaft im Revier zu verlieren, ist es ihnen fast unmöglich, Anerkennung auszusprechen. Wenn sie es doch mal tun, ist das Lob häufig gleich mit einem Vorwurf verbunden. »Jetzt hast du deinem Sohn endlich mal gezeigt, wie man richtig Flieger bastelt. Das hättest du schon viel früher machen sollen.« Oder: »Das hat mir jetzt sehr gefallen, wie du mit unserer Tochter gesprochen hast. Zu mir sagst du so etwas ja leider nie.« Anerkennung und Wertschätzung machen auch Eltern, Kinder und Geschwister stark. Weil Tiger sich unbewusst davor fürchten, dass andere Starke ihnen zu Nahe kommen, beißen sie sie lieber weg und halten sie klein. Sie meinen es gar nicht böse. Meist merken sie es nicht einmal. Wenn Tigereltern mehrere Kinder haben, imitieren diese den elterlichen Machtkampf und mindestens eines oder alle Kinder werfen mit Bauklötzen oder Computerteilen und rivalisieren in Schule, Sport und Freizeit – oder sie flüchten vor der elterlichen Kampfarena in eine Geschwisterharmonie. Als Notfallharmonie gegründet, zerfällt sie oft, sobald der Feind von außen schwächer wird. Da Tiger Liebe mit Herrschaft verwechseln, können sie sich nicht vorstellen, dass es so etwas wie innige Liebe und gemeinsames Glück wirklich geben kann. Familienfeste sind in Tigerfamilien oft filmreif. Besonders spannend wird es, wenn der Erziehungsmachtkampf auf Schwiegermütter und -väter übergreift – ganz gleich, ob er sich dann an den Weihnachtsgeschenken, der katastrophalen Kleidung der pubertierenden Tiger oder der Tatsache entzündet, dass die junge Generation insgesamt einfach unmöglich erzogen ist.
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»Etwas Besseres als den Tod finden wir überall« – Warum Hasentypen nie da sind, wenn man mit ihnen etwas klären will Der Hase in freier Wildbahn ist als Kämpfer keine sonderlich gute Besetzung. Und er handelt danach. Wittert er einen Angriff, saust er hast-du-nicht-gesehen hakenschlagend davon. So schnell die Beine ihn tragen können. Weil er das täglich übt, wird er immer schneller und geschickter. Deshalb hat er gute Überlebenschancen. Im Zweikampf zwischen Tigern sind die Überlebenschancen grundsätzlich fifty-fifty. Es genügt ein einziger verlorener Zweikampf – und alles ist vorbei. Ganz anders beim Hasen. Als geübtes Fluchttier reicht ein Hauch von Angst, um seine Läufe in Bewegung zu setzen. Das ist sehr sinnvoll. So ist er regelmäßig nicht mehr da, wenn jemand ihn anfauchen oder fressen will. Viele Menschen beherrschen diese Strategie vorzüglich. Wer nichts anderes kann, heißt im Volksmund »Angsthase«. In Wirklichkeit aber sind viele Hasen alles andere als ängstlich.
Der Hase als Kollege Weil Hasen es gewöhnt sind, Schwierigkeiten erfolgreich zu entfliehen, kann man sich mit ihnen nur schwer streiten. Nicht einmal kritisieren kann man sie. Denn der gewiefte Hase erkennt schon am Tonfall, dass vielleicht etwas Unangenehmes bevorstehen könnte, hat dringend etwas anderes zu tun und ist weg. Bei kleinen Unannehmlichkeiten für ein paar Minuten oder Stunden – bis die Gefahr vorüber ist. Bei großen Unannehmlichkeiten für immer. Ein Hase, der schon ein paar Jahre Berufsleben hinter sich hat, hat deshalb viele Abteilungen und unterschiedliche Firmen gesehen, war manchmal sogar in unterschiedlichen Branchen unterwegs und hat bei seinen diversen Hakenschlägen einen großen Erfahrungsschatz mitgenommen. Hasen wittern frühzeitig, wenn Gefahr droht, und wie
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man ihr entkommen kann. »Wer vom Weg abkommt, lernt die Gegend kennen!« ist ein klassischer Ausspruch eines Hasenkollegen. Hasen haben jeden Tag Ideen, was man alles anders machen könnte und warum das viel besser wäre. Von solchen Ideen haben sie so viele, dass sie leider keine Zeit haben, eine davon zu Ende zu führen. Wenn Sie Ihren Hasenkollegen darum bitten, Sie zu unterstützen, wird er mit größter Wahrscheinlichkeit nie damit fertig. Extreme Hasen drücken sich bereits vor der Mitwirkung, indem sie tausend Ausflüchte und Projekte präsentieren, die sie von einer Mitwirkung abhalten. Fast könnte man sich darüber freuen, wenn Hasenkollegen konsequent von Anfang an fliehen. Denn dann bleibt einem der folgende Konflikt erspart. Die meisten Hasen finden neue Anfragen um Unterstützung interessant. Denn so haben sie in jedem Falle einen Grund mehr, alten, unangenehm werdenden Aufgaben und Projekten fliehend den Rücken kehren zu können. Schließlich wartet ja eine neue Aufgabe auf sie. Mit schnellen Hasensprüngen stürzt sich das Langohr auf das neue Feld und knabbert an der Aufgabe so lange herum, bis es plötzlich – wie von Zauberhand – aufgeschreckt wird und hakenschlagend das Feld verlässt.
So kommt es, dass Hasen alles anfangen und nichts fertig stellen. Wenn die entnervten Kollegen dann Druck machen und auf Fertig-
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stellung drängen, wird es meist noch schlimmer. Je größer der Druck, desto heftiger die Flucht. Der Hase flieht aber nicht, weil er dem Kollegen nicht helfen wollte. Ihm fällt nur keine bessere Strategie ein, um sich selbst aus der Zwickmühle zu bringen. Nur wenn ein Kollege es schafft, dem Hasen zu zeigen, wie der Hase die Aufgabe selbst bewältigen kann, ohne vor Angst davonzulaufen, gibt es eine Chance auf Erledigung. Wer das nicht schafft, ärgert sich über den Hasen, der alles anfängt und nie rechtzeitig fertig wird, ohne Ende. Schafft es der Hase einmal nicht, sich körperlich aus der Schusslinie zu bringen, ist er der große Meister der Ausrede. Wenn Sie versuchen, einen Hasen zur Rede zu stellen, um irgendeine Änderung zu bewirken, empfindet der Flüchtende den Druck als so groß, dass er vor lauter Ausreden manchmal sogar Lügengeschichten erfindet, um seine Haut zu retten. Den Schreibtisch eines Hasen erkennen Sie daran, dass er mit Akten, Zetteln, Vermerken, Telefonnummern und unerledigtem Kleinkram übersät ist. Die Benutzeroberfläche seines Computers sieht aus wie ein Feld mit mindestens 20 angefressenen Möhren. Entwickelt sich eine Möhre zu einer Bredouille, ist der Weg zu mindestens fünf anderen dann nie weit. Wer einen Hasen unter großen Druck setzt, sieht ihn bald nie wieder. Denn einen Teil seiner Zeit verbringt der Hase damit, den Stellenmarkt zu erkunden. So ist er immer bestens über Alternativmöglichkeiten und seinen Markwert informiert. Wird das Konfliktpotenzial im aktuellen Job zu groß, weiß er sofort, in welche Richtungen er seine nächsten Haken schlagen könnte. So macht er manchmal erstaunliche Karrieresprünge und hüpft die Karriereleiter mehr zufällig als gezielt nach oben.
Der Hasenchef Wer einen Hasen zum Chef bekommt, kann sich auf interessante Konflikte gefasst machen. Denn der Hase sucht auch als Chef ständig neue Aufgaben und Herausforderungen. Und wer soll sie fertig
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stellen? Er selbst jedenfalls nicht. Deshalb delegiert er die Fertigstellung an seine völlig überlasteten Mitarbeiter, sobald ihm wieder etwas Neues einfällt. Also täglich. Für eine angemessene Einweisung in die neuen Aufgaben kann er sich die Zeit leider auch nicht nehmen. Die Folge: Keiner weiß genau, was er machen soll, aber schnell soll es gehen. Sie erkennen einen Hasenchef daran, dass er ständig überbeschäftigt wirkt. Wenn er das Glück hat, von ein paar klugen Opossums umgeben zu sein, die seine Baustellen brav abarbeiten, ist er an Innovationskraft kaum zu toppen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass er seinen Opossums genau zeigt, wie die Fertigstellung gehen soll. Dafür fehlt ihm in seiner Vielseitigkeit aber die Zeit. Zumindest glaubt der Hase das. Wenn Sie einem Hasenchef sagen, dass Sie ein Problem haben und seine Unterstützung für die Lösung haben möchten, gibt er Ihnen die Telefonnummer von jemandem, der weiß, wie es geht. Hasen mit einer Prise Löwenqualität können beides: Sie sind hasig vielseitig und löwig kooperativ. Heraus kommt ein riesiges Netzwerk unterschiedlichster Menschen, die der Hasenchef nutzen kann, um seine sprudelnd neuen Ideen in kompetente Hände zu legen. Wenn Ihr Chef ein Hase ist, wissen Sie nie, ob sein Kalender von gestern noch stimmt. Er glaubt, keine Zeit zu haben, Ihnen die vielen, schnellen Änderungen seines hakenschlagenden Lebens mitteilen zu können. Er schreibt so viele unterschiedliche E-Mails an so viele unterschiedliche Menschen zu den unglaublichsten Themen, dass Sie weder dazu kommen, die Kopien zu lesen, geschweige denn, sie sinnvoll abzulegen. Da der Hase keine Sekunde seiner kostbaren Zeit dafür verschwenden will, so etwas Langweiliges wie »Ablage« zu machen, herrscht bei ihm ständig Chaos pur. Eigentlich braucht ein Hasenchef mindestens drei Mitarbeiter, die sich mit nichts anderem beschäftigen, als damit, das von ihm hinterlassene Chaos zu bereinigen. Da dies in den seltensten Fällen vorgesehen ist, beschäftigen sich stattdessen ganze Abteilungen damit, Dinge zu suchen oder immer wieder neu zu erfinden.
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Wenn Sie einem Hasenchef vorrechnen, wie ineffektiv sein hakenschlagendes Herumgespringe für seine gesamte Mitarbeiterschaft ist, wird er völlig verständnislos einen neuen Haken schlagen oder jemanden finden, an den er die von Ihnen gewünschte Veränderung delegieren kann. Wenn Hasenchefs nicht lernen, die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter zu nutzen, um ihre eigenen Schwächen auszugleichen, hüpfen sie spätestens mit Mitte 40 in die Selbstständigkeit, becircen dort mit ihrem Charme den einen oder anderen Chef als Berater und hüpfen von dem Moment an von Unternehmen zu Unternehmen, um dort für Verwirrung zu sorgen. Da Hasenberater keine Verantwortung für die Umsetzung ihrer Veränderungsideen übernehmen, finden sie ihre eigenen Innovationen ganz vorzüglich. Mit ihren langen Ohren hören sie das Gras wachsen und sind überall zur Stelle, wo sie gerade nicht gebraucht werden. Besonders in Großunternehmen kann man sicher sein: Wenn gerade genügend Gras über die Wunden der letzten Veränderung gewachsen ist, engagiert ein Hasenchef den nächsten Beratungshasen, der es wegfrisst. Neue Konflikte an neuen Schnittstellen lassen dann nicht lange auf sich warten.
Haseneltern Haseneltern sind nicht dafür geschaffen, Dramen reglos auszuhalten. Weil Haseneltern denken: »Du hast doch nichts davon, wenn du dich streitest. Geh lieber woanders hin«, empfehlen sie ihren Hasen-Kindern, der Konfrontation mit Lehrern auszuweichen. Gibt es Schwierigkeiten im Sportverein oder mit dem Musiklehrer, wird die Sportart oder das Instrument gewechselt. Kinder von Haseneltern haben verschiedene Musikinstrumente und Sportgeräte in ihren meist unaufgeräumten Zimmern liegen. Kommt der Sprössling mit Lehrern oder Nachbarn gar nicht mehr klar, wird er zuerst aus der Klasse genommen, dann aus der Schule, bis die Familie wegzieht. Extreme Haseneltern sind Meister im Umziehen.
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»Wenn es schwierig wird, bin ich am liebsten nicht da«, denken Hasenmütter und Hasenväter, und flüchten in den Beruf, in ihr Training oder in die Produktion kleinerer Kinder, die ja am Anfang noch so herrlich süß und weniger konfliktreich sind. Hasen gehen Auseinandersetzungen auch in Erziehungsfragen möglichst aus dem Weg. Wie schlägt man seinen Hasen erfolgreich in die Flucht? Man braucht ihm nur zu sagen: »Ich muss mal mit dir über unser Kind reden.« Je schwieriger die Situation wird, umso erfolgreicher entzieht sich der Hase und glänzt durch Abwesenheit. Extreme Hasen hoppeln davon, ohne sich über die Zurückbleibenden Gedanken zu machen. Sie knallen die Tür hinter sich zu, ganz gleich, ob Kühlschrank oder Vorratskammer gefüllt sind, und schaffen es nicht einmal, eine Nachricht zu hinterlassen, wann die Flucht voraussichtlich beendet sein wird. Hasen mit Löwenanteilen hoppeln auch davon, organisieren aber rechtzeitig, dass ihre Aufgaben von Anderen übernommen werden. Und sie werden so zu Weltmeistern im Delegieren. Für die Schulschwierigkeiten engagieren sie Nachhilfelehrer, Supernannys und Kinderpsychologen. Sie leben ihren Kindern vor, dass man nicht zurückschlagen darf, wenn Andere aggressiv werden. Wenn sich ein Hase die Erziehungsarbeit mit einem Tiger teilt, verstärkt sich sein Fluchtverhalten, weil er die ständigen Kämpfe des Tigers mit dem Nachwuchs sonst nicht aushalten könnte. Die Pubertät erleben Haseneltern entweder gar nicht, weil sie vor lauter Flucht gar nicht mitbekommen, dass sie gerade stattfindet, oder als extrem anstrengend, weil der pfiffige Hasennachwuchs sehr schnell herausfindet, wo er auf elterliche Grenzen stoßen kann, ohne dass diese das Weite suchen können. Hasen finden Kinder wunderbar, besonders dann, wenn sie weit weg sind. Wenn Hasen die Wahl haben, ob sie sich jetzt und hier um die anstrengenden Nachbarskinder kümmern oder für Patenkinder in Afrika oder Flutopferkinder in Asien spenden wollen, wissen sie genau, wofür sie sich entscheiden.
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»Wenn jemand anruft … ich bin nicht da!« – Warum Opossumtypen hinter ungelesenen Mahnungen im Büroschlaf versinken
Die dritte Kategorie kommt zunächst ganz unscheinbar daher. Im Streit bemerkt man die Vertreter dieser Spezies fast gar nicht. Opossums in freier Wildbahn stellen sich tot, sobald eine Gefahr droht. Diese Fähigkeit hat das possierliche Beuteltier perfektioniert. Im amerikanischen Sprachgebrauch ist »playing possum« eine stehende Redewendung. In der Steinzeit war die Fähigkeit, sich wie ein Opossum totstellen zu können, für unsere Vorfahren so lange nützlich, solange sie nicht entdeckt wurden. Und in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Verbänden und Familien funktioniert das zum Teil auch heute noch. Menschen dieses Typs erkennen Sie daran, dass sie sich vor unangenehmen Nachrichten ebenso ducken wie ihre vierbeinigen Kollegen. »Wenn jemand anruft – ich bin nicht da!«, sagt das Opossum und drückt sich vor der Auseinandersetzung mit allem, was unangenehm sein könnte. Im PC ist eine bedrohlich wirkende E-Mail angekommen. Das Opossum öffnet sie einfach nicht. Rechnungen und unangenehme Nachrichten im Briefkasten? Kein Problem. Die Umschläge können ja noch ein bisschen zu bleiben, bis sie vergilben. Vor lauter Angst, gefressen zu werden, verschließt das Opossum die Augen vor der Wirklichkeit.
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Das Opossum als Kollege Wenn man ein Opossum um etwas bittet, wird es niemals »Nein« sagen. Solange das Opossum im Kollegenkreis das machen kann, was es immer gemacht hat, geht alles gut. Schwierig wird es nur, wenn das Opossum sich einer Aufgabe nicht gewachsen fühlt. Statt wie der Tiger den Kollegen anzubrüllen, dass dies eine unmögliche Aufgabenstellung sei, oder wie der Hase fluchtartig abzuhauen, sagt das Opossum »Ja« und stellt sich tot. Fragt die Kollegin: »Haben Sie das verstanden?«, kriegt das Opossum kein Wort heraus. Gerät es unter Druck, geht gar nichts mehr. Es lässt Akten, Briefe und E-Mails ungelesen. Zu beängstigend sind die neuen Dinge, die das Opossum nicht versteht. Hat das Opossum einen Schreibtisch, steht dort meist ein Computerbildschirm, hinter dem es sich wunderbar verstecken kann. Reicht der Monitor allein nicht aus, sorgt das Opossum nach Möglichkeit dafür, sich hinter einer Pappwand oder einer großen Pflanze zu verkriechen. Das Opossum mag keine Großraumbüros, es sei denn, es bekommt einen Platz in der letzten Ecke hinter einer Säule oder einer ähnlichen Versteckmöglichkeit. Wenn jemand zu Ihnen sagt: »Das haben wir immer so gemacht!«, haben Sie es mit größter Wahrscheinlichkeit mit einem Opossum zu tun. Nichts verunsichert das Opossum so sehr wie der Wandel. Wenn Sie stupide Tätigkeiten loswerden wollen, deren immer wiederkehrende Eintönigkeit Ihrem Wunsch nach Abwechslung zuwiderläuft, fragen Sie das Opossum. Wenn Sie langsam genug erklären, was hier zu tun ist, wird Ihnen Ihr Opossumkollege für diese wunderbare Aufgabe dankbar sein. Weil Opossums ihre Mitmenschen weder beißen, noch anbrüllen oder sonstwie ärgern, kann man sich kaum mit ihnen streiten. Weil sie auch im größten Chaos nicht davonlaufen, gelten sie als ruhender Pol. Sie tun niemandem etwas zu Leide, lächeln still und freundlich vor sich hin, und kommen gar nicht auf die Idee, dass man sich gegen irgendetwas oder irgendwen wehren könnte. Tiger finden das herrlich. Sie wissen, dass sie von Opossums nichts zu befürchten ha-
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ben und legen ihnen gegenüber sogar die eine oder andere Waffe ab. Auch Hasen haben keine Angst vor ihnen. Andere Opossums fühlen sich mit Opossums unter ihresgleichen. Deshalb sind sie häufig recht beliebt. Es sei denn, sie geraten so unter Druck, dass sie abtauchen und nicht mehr erreichbar sind. Je nachdem, was dann alles schief läuft, kann das auch den liebenswürdigsten Opossumfreund zum Wahnsinn treiben. Handelt es sich dabei um Hasen, räumen sie das Feld.
Der Opossumchef Und irgendwann, fast ohne dass das Opossum es gemerkt hätte, ist es befördert worden und hat Führungsaufgaben. Irgendwann ist es dann Chef. Wenn Sie ein Opossum vor eine Entscheidung stellen, sagt es nichts. Also sagt es auch nicht »Nein«. So kommt es zum Beispiel, dass manches Opossum, das jahrelang der treue, brave, zuverlässige zweite Mann hinter einem kämpferischen Tiger war, zum Chef gemacht wird. Weil es als Stellvertreter so zuverlässig war, soll es nach dem Abschied des Tigers seinen Platz einnehmen. Für Opossums ist das nicht einfach. Sie müssen ihre bewährten Aufgabenbereiche loslassen. Sie müssen etwas Neues lernen. Und vor allem müssen sie selbst Entscheidungen treffen. Hat das Opossum genügend Zeit, um die Lage gründlich zu erkunden, kann es zu fundierten Entscheidungen kommen. Früher sah man Opossumchefs meist mit gemütlichen Rundungen in der Leibesmitte und einer Zigarre im Chefessel sitzen und nachdenken. In der heute – auch in Großbetrieben oder im Staatsdienst – gar nicht mehr gemächlich laufenden Routine wird von allen Chefs, ganz gleich ob Opossum oder nicht, immer mehr verlangt, Entscheidungen schneller zu treffen. Da das häufig sehr intelligente Opossum sowohl die Nachteile der einen wie auch die Gefahren der anderen Entscheidungsmöglichkeiten vorausahnt und dafür nicht verantwortlich sein will, gerät es so unter Druck,
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dass es erst einmal weder das eine noch das andere entscheidet. Opossumchefs hören den herannahenden Sturm zur Rechten und den sich nähernden Orkan zur Linken. Weil sie selbst unmöglich aus der Erstarrung herauskommen können, warten sie ab. Sie lassen Gutachten erstellen darüber, was geschehen würde, wenn sie sich entscheiden würden, und welche Gefahren welche Entscheidung mit sich bringen könnte. Opossums erleben das, was ohne ihr Zutun geschieht, als Folge ihrer klugen Gelassenheit. »Es gibt keine Zufälle!«, sagt das Opossum, wenn sein unhektisches, geduldiges und entspanntes Abwarten Marktchancen eröffnet. Das Opossum weiß: »Das Leben bietet viel mehr Chancen, als man nutzen kann.« Wer sich nicht verzettelt und eine Chance nach der anderen geduldig kommen lässt, wird auch satt. Opossumchefs können für tüchtige Mitarbeiter ganz wunderbar sein. Denn sie lassen die Tüchtigen tüchtig sein, sprechen ab und zu ein ernst gemeintes Wort der Wertschätzung aus und stören die Initiativen ihrer klugen Mitarbeiter nicht durch eigene hektische Betriebsamkeit. Solange die Mitarbeiter von ihrem Opossumchef nicht verlangen, dass er aktiv irgendwelche Änderungen einführen soll, stört der Opossumchef in keinster Weise. Als ruhiger Pol hört er sich Sorgen und Nöte der Mitarbeiter an und erkennt, dass jeder Mitarbeiter auf seine Weise Recht hat. Zum Opossum kommt Mitarbeiter 1, der sich darüber aufregt, wie hektisch und chaotisch Mitarbeiter 2 seine Aufgaben erfülle. Der Opossumchef gibt Mitarbeiter 1 Recht. Kurz darauf kommt Mitarbeiter 2 zum Opossumchef und teilt mit, wie langsam und obergründlich Mitarbeiter 1 seine kostbare Zeit verplempere. Der Opossumchef gibt Mitarbeiter 2 auch Recht. Mitarbeiter 3, der beide Gespräche mitangehört hat, sagt zu ihm: »Sie können doch nicht beiden Recht geben!« Worauf der Opossumchef antwortet: »Da haben Sie Recht.« Wenn Opossumchefs von den Löwen lernen, wie sie ihre ruhige Gelassenheit aus dem Stillstand der Totenstarre befreien und Lösungen mit ihren Mitarbeitern erzielen können, bei denen alle ge-
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winnen, können sie sehr erfolgreich sein. Ein großer Teil des Knowhows, welches Firmen heute haben, existiert nur in den Köpfen der Mitarbeiter. Chefs können diese Ressourcen nutzen. So können die Mitarbeiter den gewährten Spielraum zum gemeinsamen Erfolg verwerten. Die Mitarbeiter denken sich: »Wir machen es lieber selber – sonst wird es ja doch nichts!« Manche Opossumchefs haben das Glück, Führungskräfte, Sekretärinnen oder andere Löwen im Unternehmen zu haben, die ihre Entscheidungsschwäche überbrücken und für Bewegung sorgen. Da es Opossumchefs nichts ausmacht, wenn ihre Mitarbeiter sie in der Hierarchie überholen, können sie als Förderer und Mentoren ganz vorzüglich sein. Nur extreme Opossumchefs, die alle ausbremsen, geraten unter immer heftigeren Druck. Das macht ihre Entscheidungsunfähigkeit noch dramatischer, und der Teufelskreis endet in der Auflösung der Abteilung, Versetzung des Chefs, Pleite des Unternehmens – oder, wenn es nicht so darauf an kommt, nie.
Opossumeltern Vom Privatleben sprechen Opossums selten. Wenn sie eins haben, stellt es sie vor große Herausforderungen. Und je größer die Herausforderung, umso stiller das Opossum. Wenn der Nachwuchs die Umwelt traktiert und das Opossum seine bevorzugte Strategie fährt, passiert nichts. Zerstört der tapsende Krabbler Bauklotztürme und Legoburgen und wenden sich die Bauherren hilfesuchend an die Erzeuger der Zerstörer, bleiben Opossumeltern still. Wirft der Sprössling mit Babyrasseln und Eisenbahnschienen, fällt den Eltern nichts ein, was sie dagegen tun könnten, sollten oder müssten. Ganz gleich, was der Nachwuchs mit der Umwelt anstellt, vom nächtlichen Schlagzeugüben bis zur Beleidigung im Fahrstuhl, von unerledigten Hausaufgaben bis zur Lehrerbespuckung, Opossumeltern stellen sich tot. Wenn der »laissez faire«-Anteil zu groß wird, werden aus netten Erziehern, Lehrern und Nachbarn gestresste Ner-
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venbündel, die ihrerseits zum Opossum, Hasen oder Tiger mutieren, was die Situation nicht gerade vereinfacht. Wenn Opossumkinder wie von selbst das Richtige tun, sind Opossumeltern ganz wunderbar. Sie lassen die Kinder wachsen und gedeihen und schränken sie dabei in keinster Weise ein. Die ersten Schwierigkeiten gibt es in der Opossumfamilie, wenn beim ersten Sprössling im Alter von ungefähr drei Jahren die Trotzphase beginnt. Dann sucht das kleine Wesen im »Nein« die Abgrenzung zu den Eltern. Es will sich nicht anziehen, will nicht essen, will nicht schlafen gehen und versteckt sich hinter der Gardine, bevor alle gemeinsam aufbrechen. Wenn kleine Kinder sich verstecken, kann man als Elternteil zwei Fehler machen: 1. Die Kinder gar nicht finden. 2. Die Kinder zu früh finden. Opossumeltern neigen zu beidem. Einige Opossums überlassen ihren Nachwuchs so sehr sich selbst, dass die Kleinen hoffnungslos überfordert sind. Ursachen für dieses Erzeugerverhalten gibt es viele. Einige fühlen sich selbst überfordert. Andere wollen es anders und besser machen als ihre eigenen Eltern. Also setzen sie statt enger Grenzen lieber gar keine. Auch heute noch fühlen sich viele Eltern mit der Aufgabe überfordert, klare Grenzen konsequent und liebevoll zu setzen. Sie meinen: Wer nichts tut, kann auch nicht viel falsch machen. Wenn sie dann merken, dass ihre »vornehme Zurückhaltung« bei den Kindern zu einer immer heftigeren Suche nach Grenzen führt, werden auch die eingefleischten Opossums irgendwann zum Tiger. Die Minigeneration lockt so viel Flexibilität aus ihren Eltern, dass selbst der geduldigste Zeitgenosse irgendwann tigermäßig aus der Haut fährt: »Jetzt ist aber Schluss!« Spätestens von diesem Moment an ist es mit der Ruhe im Opossumhaus vorbei. Wenn Opossumeltern es dann schaffen, Löwenanteile zu entwickeln, profitieren alle davon.
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»Gut gebrüllt, Löwe!« – Warum Löwentypen sich im Rudel zusammenraufen und ihre scharfen Waffen nur gegenüber äußeren Feinden verwenden Besonders gut schützt sich eine Gattung, die man die Könige der Tiere nennt. Dabei sind Löwen weder die schnellsten noch die stärksten Tiere. Aber sie haben eine Fähigkeit, die sie besonders perfektioniert haben. Natürlich können sie ganz hervorragend kämpfen und ihre Kampfkraft einsetzen. Sie können geduldig abwarten und natürlich können sie auch davonlaufen, wenn es erforderlich und vielversprechend ist. Zusätzlich zu diesen Fähigkeiten können sie aber vor allem mit denen, auf die es ankommt, ganz wunderbar zusammenarbeiten und sich gemeinsam mit anderen verteidigen, gemeinsam jagen und sich gemeinsam um den Nachwuchs kümmern. Wer einmal gesehen hat, wie Löwinnen zusammen auf die Jagd gehen, ist von diesem Schauspiel fasziniert. Denn bei der Jagd unterstützen sich die Löwinnen kooperativ wie die besten Fußballspieler. Von verschiedenen Seiten aus spielen sie sich die Beute zu, bis das Mittagessen gesichert ist. An der Beute werden auch die beteiligt, die nicht mitgejagt haben, sondern währenddessen für Reviersicherung zuständig waren. Und der Ranghöchste bekommt den Löwenanteil. Wer das ist, wird ausgerauft. Die Löwen in Geschäften, Büros und Wohnzimmern gewinnen wie die Löwen der Savanne. Sie haben die Wahl. Sie sind stark genug zu kämpfen. Aber sie müssen nicht immer überall kämpfen. Wären Löwen nicht die Meister der Zusammenarbeit, hätten sie es nicht zu der Bezeichnung »König der Tiere« gebracht. Löwen erkennen Sie in Beruf und Familie daran, dass sie mit denen, auf die es ankommt, faszinierende Kooperationspartner sein können. Sie klären interne Konflikte, indem sie sich zusammenraufen. Die Parallelen zwischen erfolgreichen Löwenrudeln und erfolgreichen Betrieben und Familien sind erstaunlich. Zwar werden Löwen von ihren Kollegen häufig nicht erkannt. Denn wenn sie einmal brüllen und kämpfen, werden sie häufig für Tiger gehalten. Vor allen Din-
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gen von Tigern. Das hängt damit zusammen, dass viele Menschen glauben, die Anderen wären wie sie selbst (mehr dazu ab Seite 89). Außerdem nutzen Löwen die Innovationsfähigkeit des Hasen, um alten Problemen zu entgehen, die Geduld des Opossums, um auf den rechten Augenblick zu warten, und die Kampfkraft des Tigers, um durchzusetzen, was sie für richtig halten. Aber in Konflikten sind sie anders: Sie laufen vor Konflikten nicht davon, verstecken sich nicht und beißen auch nicht wild um sich. Löwen entwickeln eine Meist erschaft darin, aus jedem Missverständnis und jeder Panne eine Lernchance für die Zukunft zu machen. Löwen wissen: Hundertprozentige Perfektion ist unmöglich, und bester Qualität kann man sich nur nähern, wenn man sich jeden Tag neu um ständige Verbesserung bemüht. Also darf man die alten Fehler nicht wiederholen. Denn das kann das Unternehmen die Wettbewerbsfähigkeit und alle den Job kosten. Und deshalb wissen sie auch, dass man Neues ausprobieren muss, wenn man erfolgreich sein will. Und wer Neues ausprobiert, macht neue Fehler, stößt auf ungeahnte Missverständnisse und neue Grenzen. Anders als Tiger, die alte und neue Fehler bei anderen gleichermaßen nutzen, um ihre Überlegenheit zu demonstrieren und zubeißen, nutzen Löwen neue Fehler, um daraus zu lernen. Ein Löwe denkt bei jedem neuen Fehler: »Ah – das ist interessant: Wie konnte es zu diesem Missverständnis /diesem Fehler kommen? Und was muss beim nächsten Mal anders sein?« Werden alte Fehler ausnahmsweise tatsächlich noch einmal gemacht, überlegen Löwen, was seit dem letzten Mal noch nicht verändert wurde – und wo vielleicht noch ein Rest von Unklarheit herrscht.
Der Löwe als Kollege Weil Löwen täglich an Qualitätsverbesserungen arbeiten, passiert ihnen hin- und wieder auch ein Patzer im eigenen Rudel. (Nur Revierfeinden gegenüber kämpfen Löwen mit scharfen Waffen, Kol-
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legen gegenüber nicht.) Zum Beispiel eine Überschreitung ihrer Zuständigkeiten gegenüber eigenen Teammitgliedern. Wie die Löwen im Tierreich haben Löwenkollegen eigentlich ein sehr genaues Gespür dafür, den Verantwortungsbereich ihrer Kollegen zu respektieren. Aber vor allem, wenn Zeitdruck herrscht, können Grenzverletzungen doch passieren. Löwen entschuldigen sich dafür. Sie nutzen den neuen Fehler, um für zukünftige, vergleichbare Fälle vorzusorgen. Was brauchen wir, damit es nicht mehr passiert? Wer muss worüber informiert sein? Löwen notieren Ersatztelefonnummern. Sie organisieren rechtzeitig Stellvertreter. Sie schicken Kopien der von ihnen versandten E-Mails an diejenigen, die von einem Thema betroffen sind – aber sie bombardieren damit nicht wahllos jeden Verteiler.
Anders als Tiger genießen Löwen ihre Balance aus Beruf und Privatleben. Deshalb sind sie nachts lieber auf Festen als am Schreibtisch und am Wochenende lieber auf der Piste als im Büro. Sie können es sich leisten, weil ihre Kooperationsfähigkeit dazu führt, dass sie nicht alles alleine machen müssen. Wer wie ein Tiger alle Kollegen für Schwachköpfe hält, kann sie weder zur Entlastung nutzen noch sich auf sie verlassen. Das machen Löwen anders. Löwenkollegen wissen: Nur ein ausgeruhter Löwe ist ein guter Löwe. Ohne
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schlechtes Gewissen gähnt er hinter seiner gewaltigen Mähne, zieht sich zum Mittagsschlaf zurück, lässt die Kollegen ungestört, und kommt stark und ausgeruht zurück, sobald er gebraucht wird. Den Tigern ist er damit natürlich ein Dorn im Auge. Und deswegen bleibt es auch dem besten Löwen nicht erspart, immer auf der Hut zu sein. Aber weil er als Allianzpartner überall Freunde hat, wird er rechtzeitig gewarnt und gefördert und setzt sich langfristig durch.
Der Löwenchef Als Alphatier rauft er sich im Laufe seiner Karriere ganz nach oben. Dort bleibt er, solange er fitter ist als der Nachwuchs. Da Löwen ihre scharfen Zähne, ihre spitzen Krallen und ihre starken Muskeln für den Kampf gegen die Gefahren des Lebens schätzen, sorgen sie für ihre Gesundheit und bleiben lange fit. So haben Unternehmerlöwen die Power, ihrem Unternehmen bis zur Pensionierung als Führungskräfte oder Berater zu dienen. Löwenchefs lieben es, ein großes, erfolgreiches Rudel zu führen. Sie genießen es, das Revier immer weiter auszudehnen. Sie schätzen es, wenn es genügend Nachwuchs gibt und alle genug Platz zum Arbeiten und Leben, genug Nahrung und Sicherheit und genug Entfaltungsmöglichkeit für Wachstum und Entwicklung haben. Löwen wissen, dass sie das allein nie erreichen können. Deshalb schaffen sie sich ein Rudel, in dem jeder seine Aufgaben möglichst selbstständig erfüllen kann. Wenn Sie einen Löwen als Chef haben, bedeutet das ständige Herausforderungen. Zwar fördert Ihr Löwenchef Sie nach Kräften, er stellt Sie aber auch täglich vor neue Herausforderungen. Ihr Löwenchef will, dass Sie Ihren Bereich alleine gut im Griff haben und er sich nicht auch noch um Ihre Aufgaben kümmern muss. Anders als ein Tigerchef wird er Ihnen deshalb nicht ständig Ihre Fehler vorhalten. Stattdessen wird er dafür sorgen, dass Sie Ihre Fehler selbst entdecken und es in Zukunft besser machen. Wenn Ihr Chef ein Löwe ist, haben Sie vermutlich auch anstrengende Kollegen.
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Denn Löwenchefs wissen, dass es keine gute Idee ist, wenn in Teams immer nur Friede, Freude, Eierkuchen herrscht. Gefahren und Chancen werden nur rechtzeitig erkannt, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterschiedlich genug sind, um auf unterschiedlichen Gebieten Spitzenleistungen zu bringen. Und wo es Unterschiede gibt, gibt es Konflikte. Wenn Ihr Chef ein Löwe ist, wird er sich nicht unnötig einmischen. Er wird auch kein Machtwort sprechen und ihnen die Entscheidung abnehmen, wie Sie mit unterschiedlichen Auffassungen umzugehen haben. Stattdessen wird er Sie fragen, worum es Ihnen geht. Genauso wird er Ihren schwierigen Kollegen fragen. So werden Sie herausfinden, wo die Wurzel des Übels liegt: Auf einer anderen Hierarchie-Ebene, bei einer anderen Abteilung, bei unklaren Schnittstellen oder bei Konflikten zwischen Ihnen beiden. Dann wird er Sie zu einer guten Lösung begleiten. Wenn er selbst Zeit dazu hat, wird er es persönlich tun, oder er wird Ihnen eine Mitarbeitermediation spendieren (mehr dazu ab Seite 136). Löwen lassen ihre Mitarbeiter nie im Regen stehen. Löwenchefs erkennen Sie daran, dass sie nie nach dem Sündenbock suchen. Die Lieblingsfrage der Löwenchefs ist nicht in die Vergangenheit gerichtet, sondern in die Zukunft. Löwenchefs wollen von ihren Mitarbeitern wissen, wofür ihnen das wichtig ist, was sie gerne anders haben möchten. So unterstützen sie ihre Mitarbeiter darin, eigenständige Lösungen zu finden, bei denen sowohl die Interessen des einen Mitarbeiters als auch die des anderen berücksichtigt werden. Wenn Sie einen Löwen zum Chef haben, sind Sie immer wieder überrascht, wie er selbst ausweglos erscheinende Situationen durch ganz einfache Fragen in eine kluge Richtung bringen kann. Ihr Löwenchef wird Sie fast immer fragen, wie Sie die Lage einschätzen, und er wird Ihre Argumente für die eine oder die andere Lösung aufmerksam anhören. Löwenchefs lieben es, selbst dazuzulernen. Blinde Jasager haben bei ihnen keine Chance. Löwenchefs interessieren sich für die kluge Kritik ihrer Mitarbeiter, weil sie daraus die Innovationen für morgen gestalten.
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Löweneltern So kooperativ, wie Löwen mit ihren Mitarbeitern umgehen, sind sie auch im Privatleben. Wussten Sie, dass die Löwenmännchen in der Tierwelt sich mit ihren Gelüsten nie mit Gewalt durchsetzen, auch wenn sie noch so stark sind? Nur wenn die Löwendame ihrerseits Lust auf den paarungsbereiten Herrn verspürt und ihm dies zeigt, wird er sich nähern. Die wichtigste Fähigkeit der Löwen besteht in ihrem ausgeprägten Kooperationsgeist. Sie unterstützen sich gegenseitig. Während die einen in der Wildnis für die Reviersicherung zuständig sind, kümmern sich die anderen um den Nachwuchs und die Erlegung des Mittagessens. Dabei bewältigen die Reviersicherer ihre Aufgabe ebenso gemeinsam wie sich die Löwinnen in Aufzucht und Nahrungsjagd ergänzen. So säugt zum Beispiel eine Löwin jedes Löwenbaby, das hungrig anspaziert kommt. Ganz gleich, ob es ihr eigenes Baby ist oder das einer anderen Rudeldame. Löweneltern in Stadt und Land tun es ihnen gleich. Sie organisieren gegenseitige Kinderbetreuung und bilden tragfähige Netzwerke, mit denen selbst über Nacht einsetzende Windpocken, von der Brücke gefallene Schulranzen und andere plötzliche Notfälle keinen Weltuntergang auslösen. Nur ein ausgeruhter Löwe ist ein starker Löwe. Wer sich zu lange überfordert, kann irgendwann gar nichts mehr leisten. Löweneltern wissen das. Weil sie als geübte Teamplayer zu vielen anderen guten Kontakt haben, findet sich immer jemand, der ihnen ein Schäferstündchen schenkt. So bekommen Löweneltern zur Geburt ihres Nachwuchses nicht nur die üblichen Strampelanzüge und Glückwunschpostkarten geschenkt, sondern Gutscheine für Babysitterstunden und nachbarschaftliche Verwöhnpakete, vom gekochten Abendessen bis zum Zoobesuch mit den lieben Kleinen. Und wenn sie wirklich mal zubeißen müssen wie ein Tiger, können sie das selbstverständlich auch. Löweneltern kämpfen für ihre Kinder sprichwörtlich »wie ein Löwe«. Das heißt: Sie wissen, dass Kinder Erfahrungen mit Ande-
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ren brauchen, um groß und stark zu werden. Deshalb schützen sie die Umwelt nicht vor ihren Kindern, sondern muten Lehrern, Nachbarn und anderen Zeitgenossen ihre Kinder zu. Genauso muten sie ihren Kindern die nicht immer einfache Umwelt zu, sobald sie dafür reif sind. Die Umwelt erlebt Löwen meist als etwas anstrengend. Löweneltern versprechen nicht einfach, dass ihr Kind xyz nie wieder tun wird, sie bringen die Angelegenheit auch nicht selber in Ordnung, sie befehlen dem Kind nicht einfach ohne weitere Erkundigung einen Verhaltenswechsel. Löweneltern sorgen zuerst für Rollenklarheit, bevor sie sich einmischen. Sie fragen sich: »Ist mein Kind schon alt und verantwortungsbewusst genug, um angerichtete Schäden selbst aus der Welt zu schaffen?« Wer alt genug ist zu verstehen, was Eigentum bedeutet, kann die gemopste Kaugummipackung mit einem selbstgepflückten Gänseblümchenstrauß selbst zum Geschäftsführer des Supermarktes zurückbringen. Auch gegenüber Nachbarskindern und ihren genervten Eltern wissen Löweneltern, dass ihre Rolle nicht darin besteht, sich als unfähige Richter missbrauchen zu lassen, sondern darin, die Kinder stark zu machen, eigene Konflikte selbst kindgerecht auszuraufen. Sie fallen Lehrern nicht in den Rücken und engagieren sich im Schulverein oder in der Elternvertretung, wenn sie selber daran Freude haben. Wer Verantwortung übernimmt und sich rollengemäß abgrenzt, macht auch Fehler. Manche Menschen finden, Löweneltern würden ihre Kinder überbehüten oder unterbehüten. Andere sind glücklich, wenn sie Löweneltern in der Nachbarschaft haben, denn sie wissen, dass ihre Kinder dort gut aufgehoben sind. Nur Tigereltern finden Löweneltern fürchterlich. Wenn sie kämpfen, dann für das Falsche, wenn sie gelassen sind, gilt das als Faulheit. Wie sehr sich die Mühe lohnt, Kinder liebevoll, konsequent und partnerschaftlich zu kooperationsfähigen Löwen heranwachsen zu lassen, merkt man spätestens, wenn es darauf ankommt. Löwenkinder respektieren das elterliche »Nein«, weil es konsequent ist. Wie erreicht man das? Patentrezepte kann es nicht geben. Jedes Lö-
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wenkind ist anders. Die Herausforderungen, die an Kinder in Schule und Umwelt gestellt werden, sind überall verschieden. Und was für das erste Kind in der Familie richtig war, kann für seine Schwester und seinen Bruder ganz falsch sein. Trotzdem gibt es ein paar grundsätzliche Löwenregeln, die wir von den Königen der Tiere lernen können. In einem Schulkonflikt sagte neulich eine Schülerin zu ihrem Lehrer: »Sie sind genauso starr wie die Wegweiser bei uns im Wald. Sie zeigen den Weg. Aber sie gehen ihn nicht.« Löwen leben vor, was sie von ihren Löwenkindern erwarten. Von Mahatma Gandhi gibt es eine Geschichte, bei der eine Mutter zu ihm kommt, um sich pädagogische Unterstützung bei der Erziehung ihres Sohnes zu holen. Gandhi soll dem Jungen sagen, er möge aufhören, Zucker zu essen. Die Mutter wundert sich, dass der weise Mann ihrem Wunsch nicht nachkommt, sondern sie stattdessen bittet, in 14 Tagen wiederzukommen. Als die Mutter mit ihrem Sohn zwei Wochen später erscheint, macht er, was sie gewünscht hat. »Lieber Vater Gandhi, warum hast du uns gebeten, in 14 Tagen noch einmal wieder zu kommen?« Und er antwortet: »Vor zwei Wochen habe ich selbst noch Zucker gegessen.« Löwenväter und Löwenmütter leben ihren Kindern vor, was sich in der Löwenwelt bewährt hat. Wer einmal darauf achtet, wie sehr der Nachwuchs nachahmt, was die Alten vorleben, ist verblüfft, wie wenig Aufwand dieser Teil der Erziehung zusätzlich macht. Dazu gehört insbesondere auch der Umgang mit Fehlern. Thomas Heitmann, Deutscher Meister im Tanzsport: »Es gewinnt nie der, der keine Fehler macht. Denn das gibt es nicht. Es gewinnt immer der, der mit seinen Fehlern am besten umgehen kann.« Vor ein paar Jahren fiel mir eine Schale herunter, die meine Tochter besonders liebte. Sie zersprang auf dem Küchenboden in so viele Stücke, dass an Reparatur nicht zu denken war. Ich war ziemlich geknickt über dieses Missgeschick – bis die gelassene und liebevolle Stimme meiner damals zwölfjährigen Tochter kommentierte: »Menschen sind wichtiger als Sachen!« Ich war so gerührt, dass ich schmunzeln musste. Diesen Satz hatte ich – in genau diesem Ton-
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fall – immer gesagt, als meine Kinder klein waren. Denn während sie ihren Beitrag zum Haushalt leisteten, fiel ihnen natürlich das eine oder andere herunter. Kinder übernehmen viel weniger von dem, was wir ihnen in guter erzieherischer Absicht predigen, als von dem, was wir ihnen vorleben – leider oft auch diejenigen Eigenarten, die wir an uns selbst gar nicht so sehr mögen. Löwenpaare wissen, wie sehr ihr Umgang miteinander den Nachwuchs prägt. In der Wildnis würde eine Löwin nie auf die Idee kommen, ihrem Gatten hineinzufunken, wenn er gerade mit der Reviersicherung mit seinen Kollegen beschäftigt ist. Er würde seinerseits nicht auf die Idee kommen, ihr zu erklären, warum sie alles völlig falsch macht und was alles anders sein müsste, während sie gerade mit ihren Kolleginnen das Mittagessen jagt. Löwen lassen andere Familienmitglieder anders sein. Wenn sie sich für eine Aufgabenteilung entschieden haben, trauen sie dem Anderen zu, dass er diese Aufgaben auch bewältigen kann. Sie geben auch dem Nachwuchs angemessene Wachstumsaufgaben. Und sie trauen dem Nachwuchs auch zu, dass er eigene Fehler selber machen darf, um zu wachsen. Während Tiger es nicht aushalten, dass in ihrem Revier jemand etwas anders macht, als sie das für richtig halten, und alle »Andersmacher« deshalb vertreiben oder töten, nutzen Löwen die Fähigkeiten ihrer Mitlöwen für einen erholsamen Mittagsschlaf oder andere Aktivitäten. Das heißt nicht, dass in Löwenfamilien gähnende Langeweile ausbricht, weil jeder Wertschätzung und Anerkennung für seine Beiträge zum Familienleben bekommt und in seinem Anderssein anerkannt wird. Das heißt aber, dass die Löwenfamilie sich darauf konzentrieren kann, die Widrigkeiten der Außenwelt gemeinsam zu meistern, statt sich gegenseitig im Inneren zu zerfleischen. Löwenfamilien leben ihren Kindern vor, wie man Meinungsverschiedenheiten angemessen austrägt, um die Kräfte für die Bewältigung des Alltags zu bündeln. Löweneltern reden mit ihren Kindern über ihre Probleme mit der Außenwelt. Braucht das Kind Unterstützung? Wenn ja, welche? Welche Löwenqualitäten werden
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gebraucht? Die Geduld des Opposums oder der kämpferische Tiger, der vorübergehend sich zurückziehende Hase oder der Kooperationsgeist des Rudels? Löwenkinder, die immer nur kooperieren und sich anpassen, würden schnell von den Tigern geschlagen. Deswegen ist es so wichtig, dass die junge Generation das volle Spektrum der Wahlmöglichkeiten frühzeitig kennen und auswählen lernt. Gemeinsam untersuchen die Löweneltern mit ihrem Kind, ob die Problemverursacher eher Tiger oder Löwen, Hasen oder Opossums sind – und was das Kind tun könnte, damit die Lösung möglichst für alle nützlich ist. Dabei bleiben sie in ihrer Rolle als Eltern klar: Sie überlegen: Was kann das Kind tun? Was können die Eltern tun? Löweneltern nehmen dem Kind keine Verantwortung ab, die es selber tragen kann. Gut zu wissen Menschen in Konfliktsituationen können nichts dafür, dass sie anders reagieren als bei Schönwetterlagen. Das ist seit Jahrmillionen im Menschen angelegt. Dabei ist jeder Mensch eine sehr individuelle Mischung aus vier Grundtypen:
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Menschen mit hohem Hasenanteil gehen Konflikten aus dem Weg, so gut sie können. Sie folgen ihrem Fluchtimpuls in den Keller, die Raucherecke, den Kopierraum oder nach draußen. Menschen mit hohem Opossumanteil ducken sich weg. Sie gehen weder ans Telefon, noch an die Tür, und wenn es sich gar nicht vermeiden lässt, sind sie zwar vielleicht körperlich anwesend, hören aber gar nicht zu und wirken völlig abwesend. Menschen mit hohem Tigeranteil finden: Angriff ist die beste Verteidigung. Sie kämpfen, brüllen, machen alle anderen nieder und schleichen sich von hinten an, um ihr Revier zu verteidigen. Sie glauben, alle anderen wären wie sie.
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Menschen mit hohem Löwenanteil beherrschen alle Strategien. Sie können fliehen, wenn es nötig ist. Sie können sehr geduldig still abwarten, wenn es Erfolg versprechend ist. Sie können sehr erfolgreich kämpfen. Vor allem aber können sie sich mit allen anderen, die dazu bereit sind, zusammenraufen. Ihre Vielseitigkeit und ihre Kooperationsfähigkeit machen sie zu den Königen der Tiere.
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4 Warum alle glauben, im Recht zu sein – und was man dagegen tun kann
Ich habe Recht, findet Werner. Ich habe Recht, findet Klaus. Werners Frau meint, Werner habe Recht. Der Kumpel von Klaus meint, eigentlich habe Klaus ja Recht. Und das fände auch sein großer Bruder. Und der sei Anwalt. Auch ein Richter müsste das wohl so sehen … obwohl – da könne man sich vielleicht doch nicht sicher sein. Werner und Klaus streiten sich. Wer hat denn nun Recht? Und wie stellt man das eigentlich fest? Es gibt Dinge im Leben, bei denen richtig und falsch klar definiert ist. Wenn Werner und Klaus die Bierkästen nach Köpfen aufteilen wollen und sich über ihren Anteil streiten, kann man das nachrechnen. Sechs Bierkästen verteilt auf zwei Köpfe sind drei Bierkästen, und nicht fünf. Wenn sie aber vereinbart haben, die Kästen als Entlohnung fürs Fliesenlegen gerecht aufzuteilen, und Werner fünf Stunden geschuftet hat, während Klaus erst am Abend spät für eine Stunde zum helfen kam, sieht das ganz anders aus. Ist eine gerechte Verteilung dann ein Kasten pro Stunde? Oder spielt es eine Rolle, dass Klaus in seiner Stunde zwei Wände verfliest hat und Werner in seinen fünf Stunden nur eine? Wenn Werner ein Auto kauft, muss er den vereinbarten Preis normalerweise bezahlen. Aber was ist, wenn das Auto eine kleine Macke hat? Wenn Klaus seine Rechnungen nicht begleicht, kann er verklagt werden. In vielen Bereichen lässt sich präzise sagen, was falsch ist und was nicht. Ein Meter wird auch morgen noch einen Meter lang sein. Wer will, kann das beim Urmeter in Paris nachsehen. Aber was ist, wenn Klaus einen Meter Stretchstoff gekauft hat, der sich
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unterschiedlich dehnt? Beim Rechnen und in anderen Schulfächern ist richtig und falsch klar definiert: Sechs geteilt durch zwei ist drei. Wenn in Frankfurt die Sonne am höchsten steht, wacht New York gerade auf. Das italienische Wort »burro« heißt auf Deutsch Butter und nicht Esel. Das ist richtig. Und wenn Kinder das so in ihre Klassenarbeiten schreiben, bekommen sie ein Häkchen für »korrekt«. Richtig und Falsch gibt es auch bei der Frage, ob bei minus 20 Grad Celsius auf den Straßen Salz gestreut werden soll. Wenn es draußen so eisig ist, taut Eis auch durch Streusalz nicht auf. Auch das kann man nachlesen. Und dann gibt es Fragen im Leben, bei denen es kein allgemein gültiges Richtig oder Falsch gibt. So ist es zum Beispiel beim Thema Gerechtigkeit. Werner und Klaus haben für ihre Bierkisten unterschiedlich lange gearbeitet. Sie haben fast gleich viel geleistet. Welcher Maßstab ist gerecht? Die eingebrachte Zeit? Die erzielte Leistung? Und was heißt eigentlich Leistung? Hat die schnelle Leistung von Klaus die gleiche Qualität wie die Leistung von Werner? Werner macht diese Arbeit zum ersten Mal. Das sieht man seinem Ergebnis an. Klaus ist ein alter Profi. Auch das sieht man. Und was ist nun gerecht? Was denken Sie? Sollten Klaus und Werner gleich viele Flaschen bekommen, weil sie beide Menschen sind? Oder sollte Klaus mehr bekommen, weil er länger gearbeitet hat? Oder sollte vielleicht Werner mehr bekommen, weil sein Ergebnis besser war und er mehr geschafft hat? Darüber kann man trefflich streiten. Je nachdem, welche Werte uns wichtig sind, werden wir dem einen oder anderen mehr Recht geben und das eine oder andere für gerechter halten. Und wenn wir uns einmischen und dem einen oder anderen mehr Recht geben, haben wir dann überhaupt alle Fakten berücksichtigt? Wissen wir genau genug, wie groß die Wände sind und wie viele Rohre, Kanten und Versprünge sich in den Wänden befinden? Und wissen wir genau genug, wie viele Fliesen einzeln zugeschnitten werden mussten – und wie Zuschnitte angerechnet werden sollen? Und wissen wir, ob es überhaupt um die Fliesenleistung geht, oder ob Klaus und
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Werner eigentlich einen anderen Konflikt haben, den sie an diesem Schauplatz austragen? Wenn zwei Menschen sich nicht einigen können, kann das die unterschiedlichsten Ursachen haben. Vor allem, wenn es vordergründig um Kleinigkeiten geht, steckt manchmal auch noch etwas anderes dahinter. Die Frage, was gerecht und was ungerecht ist, kann mehr oder weniger einfach zu lösen sein. Sobald es auf eine Frage mehrere Antworten durch Fachexperten gibt, ist die Frage keine »Richtig-oder-Falsch-Frage«, sondern eine »Das-kommt-darauf-an-Frage«.
Das-kommt-darauf-an-Fragen gibt es mehr, als man glaubt. Die Frage nach Ordnung / Unordnung ist ein weiterer Klassiker. Hier, wie in vielen anderen Das-kommt-darauf-an-Fragen, gibt es ein zuviel und ein zuwenig. Wo genau ist die Grenze? In Randbereichen sind wir uns einig. Es gibt so viel Unordnung, dass man mit gesundem Menschenverstand die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Und es gibt so viel Ordnungsfanatismus, dass man es fast nicht glauben mag: Wer so in Unordnung versinkt, dass er sein Haus kaum noch verlassen kann, weil er seinen Schlüsselbund erst nach sieben Stunden intensiven Suchens findet, macht irgendetwas falsch. Wer seine Zeit damit verbringt, Socken im Schrank mit dem Lineal
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auszurichten und vor lauter Ordnung halten nicht zum Leben kommt, ebenfalls. Aber dazwischen? Wo ist die richtige Balance zwischen Ordnung und Chaos? Hunderte Male am Tag müssen wir Prioritäten setzen. Wie sorgfältig mache ich meine Aufgaben? Wie viel Schnelligkeit ist gut, wie viel Perfektion? Wie viel Ordnung braucht ein Kinderzimmer, wie viel Ordnung ein Operationssaal? Nicht nur Väter, die zugleich Krankenpfleger sind, und Mütter, die als Bibliothekarinnen arbeiten, sind ständig unterschiedlichen Anforderungen ausgesetzt. Jeder Tag steckt voller widersprüchlicher Möglichkeiten und Notwendigkeiten. Das fängt beim Weckerklingeln an: Stehe ich jetzt gleich auf oder schlafe ich noch ein paar Minütchen länger? Frühstücke ich nach Ernährungsberater oder nach Lust? Erledige ich alles flink oder entdecke ich die Langsamkeit? Für beide Seiten gibt es immer gute Argumente. Und wir müssen all diese Konflikte lösen. Jeden Tag aufs Neue. Und das allein ist für manche schon schwer genug. Dabei ist das eigentlich nur das Vorspiel. Nun haben wir also viele Jahre unseres Lebens damit zugebracht, uns selbst zu sortieren. Unsere Wohnungen und Arbeitszimmer spiegeln unseren persönlichen Weg zwischen zu viel und zu wenig Ordnung. Wir kennen unsere Kriterien für Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit. Unsere individuelle Lebensgeschwindigkeit pendelt sich je nach Lebensbereich zwischen Opossum und Hase ein. Die Notwendigkeit, sich zu balancieren, gilt für alle Bereiche des Lebens. Überall müssen wir jeden Tag neu alle Widersprüche so unter einen Hut bringen, dass alles funktioniert. Und manchmal werden wir darin richtig gut. Wir beginnen zu vergessen, dass das Gleichgewicht, das wir für uns jeden Tag aufs Neue wählen, unser ganz persönliches Gleichgewicht ist – und keine allgemeingültige Wahrheit. Wir finden unser Gleichgewicht richtig. Mehr Ordnung wäre zuviel – weniger Ordnung wäre zuwenig. Aus der Perspektive anderer kann das ganz anders aussehen. So geht es auch Moritz. Moritz greift zur Zeitung. Sabrina greift zum Besen. »Warum räumst du eigentlich nie die Spülmaschine aus?«
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Moritz: »Was heißt hier nie?« Sabrina (wütend-enttäuschter Tonfall): »Ich war schon zum Einkaufen auf dem Markt, habe das Bad geputzt und bereite seit Stunden alles für unser gemeinsames Wochenende vor. Und du willst nicht mal eben die Spülmaschine ausräumen?« Einige Jahre später: Moritz und Sabrina haben sich inzwischen getrennt, Moritz lebt seit fünf Monaten mit Melissa zusammen. Es ist Samstag, und er hat eingekauft, das Frühstück weg- und die Spülmaschine eingeräumt. Melissa (entnervt): »Musst du immer so einen Putzfimmel entfalten? Ich komme mir vor, als müsste ich in einem Museum leben, während du befürchtest, wir würden in Schimmelbergen versinken. Hier kann man ja nicht mal am Wochenende in Ruhe Zeitung lesen.« Moritz muss innerlich lachen. Er erinnert sich plötzlich, als wenn es heute wäre: Aus der kleinen Spülmaschinenfrage von Sabrina wurde damals ein Krach, in dessen Verlauf erst die Fetzen flogen, dann die Mülltonne. Der Abfall ergoss sich zu einem wüsten Wortschwall mit ohrenbetäubendem Getöse auf den Küchenfußboden. Fast wie in Zeitlupe – und vergleichsweise leise glitt Moritz auf dem glitschigsten Teil des Müllbergs aus und landete zuerst mit der Nase in der Kaffeefiltertüte und dann mit gebrochenem Unterarm im Krankenhaus. Seine Schwester feierte an dem Wochenende ihre erste Hochzeit. Auf den Hochzeitsfotos gab es deshalb Moritz mit Gips statt Moritz mit Sabrina. Seine Knochen hatten sich acht Wochen später regeneriert, seine Beziehung nicht. Jahre später steht Moritz in der Küche und will genau das von Melissa, was Sabrina damals von ihm gewollt hatte. Der Konflikt ist im Grunde der gleiche, nur befindet sich Moritz diesmal am anderen Ende der Ordnungsskala. Und was heißt das, wenn jemand Sie in einen Streit hineinziehen will? Bevor Sie auch nur anfangen, irgendetwas zu antworten, können Sie ab sofort blitzartig feststellen, um was für eine Streitfrage es sich handelt.
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Richtig-oder-Falsch-Fragen Das-kommt-darauf-an-Fragen
Richtig-oder-Falsch-Fragen erkennen Sie daran, dass drei Experten zu einer Frage exakt dieselbe Antwort geben würden. Beispiel: Wie viel ist zwei plus zwei? Die Antwort darauf steht fest. Bei Richtigoder-Falsch-Fragen sorgen Sie dafür, dass sich die »richtige« Auffassung durchsetzt. Hier zu verhandeln, wäre unsinnig. Haben drei Experten bis zu vier Meinungen, handelt es sich nicht um eine Richtig-oder-Falsch-Frage, sondern um eine Das-kommtdarauf-an-Frage. Wenn die erste Instanz vor Gericht dem Kläger Recht gibt, die zweite Instanz das Urteil aufhebt und seinem Gegner Recht gibt, und jeder Anwalt eine andere Prognose darüber abgibt, was wohl in der dritten Instanz herauskommen könnte, kann es sich nicht um eine Richtig-oder-Falsch-Frage handeln. Wer schon einmal verklagt wurde, kann ein Lied davon singen. Das liegt übrigens nicht daran, dass Anwälte oder Richter schlecht ausgebildet wären – ganz im Gegenteil. Nicht viele Ausbildungen dauern so lange und sind mit Studium und Referendarzeit so aufwändig wie die zum Juristen. Zwar gibt es wie in jeder Berufsgruppe auch bei Juristen Koryphäen und Kanaillen. Aber der Grund ist ein anderer. Viele juristische Fragen sind per definitionem keine Richtig-oderFalsch-Fragen. Denn Gesetze können nur der Versuch sein, das Leben zu spiegeln. Sie sind nie das Leben selbst. Weil kein Gesetzestext so genau wiedergeben kann, was im Leben passiert, muss man auslegen. Manche Fälle sind dabei sonnenklar. Mieter müssen Miete zahlen, Verkäufer müssen Ware liefern und Arbeitnehmer müssen Arbeit leisten. Aber was, wenn in der Mietwohnung Wasser durch die Decke tropft, die Ware kaputt ist oder der Arbeitnehmer plötzlich vor lauter Streit mit seinen Kollegen nicht mehr zum Arbeiten kommt? Auch für alle Arten von Mängeln und Sonderfällen gibt es mehr oder weniger klare Regeln. Aber die haben zwangsläufig Grenzen. Kein Gesetzgeber der Welt regelt zum Beispiel für Miet-
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wohnungen, welcher Wassertropfen in welcher Größe wie viel Mietminderung bedeutet, und ob es einen Unterschied macht, wenn der Tropfen über dem Kopfkissen des Babybettchens oder der Tastatur des Computers seinen wahrscheinlichsten Aufprallort hat. Wie oft kommt es vor, dass zwei Menschen sich auf dasselbe Testament berufen und es völlig verschieden verstehen. Missverständnisse und Auslegungsunterschiede hängen damit zusammen, wie unsere Gehirne funktionieren. Dafür können weder die Juristen etwas, noch die Leute, die sich streiten. Das liegt in der Biologie der Zellen, die man früher mal die »kleinen Grauen« nannte. Welche Möglichkeiten gibt es bei Das-kommt-darauf-an-Fragen? Man kann sie durch Chefs, Richter oder andere Personen entscheiden lassen. Nur ist das Wesen der Das-kommt-darauf-an-Frage gerade, dass man sie so oder so entscheiden kann. Die Folge: Man weiß vorher leider nicht, was hinterher heraus kommt. Die Alternative: Man kann versuchen, sich durchzusetzen wie ein militärischer Befehlshaber gegenüber seinen Soldaten. In manchen Bereichen ist das sinnvoll, in anderen weniger. Für glückliche Ehen, erfolgreiche Partnerschaften und Teamarbeit ist der Befehl nur begrenzt einsetzbar. Und man muss dann ständig damit rechnen, dass sich jemand rächt oder auflehnt. Wenn wir es nicht schaffen, in wichtigen Fragen Verständnis und Einverständnis unserer Mitmenschen zu finden und Das-kommtdarauf-an-Fragen gemeinsam zu lösen, gibt es Streit und Frustration ohne Ende. Für funktionierende Partnerschaften in Beruf und Privatleben gibt es langfristig nur eine Chance, wenn wir zwischen Richtig-oder-Falsch-Fragen und Das-kommt-darauf-an-Fragen unterscheiden. Für Richtig-oder-Falsch-Fragen brauchen wir die »richtige« Lösung. Hier können wir Experten als Berater hinzuziehen, die sich im Sachgebiet auskennen, wenn wir sie brauchen. Für Das-kommt-darauf-an-Fragen brauchen wir eine »gemeinsame« Lösung. Hier können wir Mediatoren hinzuziehen, die sich mit Lösungsbegleitung auskennen, wenn wir sie brauchen.
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Gut zu wissen Jeder Mensch handelt auf Grund der Summe seiner Erfahrungen: So findet jeder seine eigene Mitte zwischen Putzneurotiker und Dreckschwein, zwischen Schnelligkeit und Langsamkeit und allen anderen Polaritäten dieser Welt. Und natürlich hält man selbst für richtig, was man für sich als »richtig« entschieden hat. Manchmal ist man sich mit allen Experten einig. Manchmal haben drei Fachleute dazu vier Meinungen. Die erste Kategorie umfasst Richtig-oder-Falsch-Fragen,in die zweite Kategorie fallen die Das-kommt-darauf-an-Fragen. Und in beiden Kategorien kann man auf einen Widersacher stoßen, der einem das Leben schwer machen will. Auf den ersten Blick sehen Richtig-oder-Falsch-Fragen manchmal genau so aus wie Daskommt-darauf-an-Fragen.Sie müssen aber ganz anders behandelt werden! Richtig-oder-Falsch-Fragen brauchen die logisch »richtige« Antwort. Finden Sie heraus, was »richtig« ist und tun Sie es, bevor es zu spät ist. Auch Das-kommt-darauf-an-Fragen brauchen Antworten. Aber wer sie bei externen Experten sucht,sucht vergeblich. Für Das-kommt-darauf-an-Fragen sind die wahren Experten nur die Beteiligten selbst.
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Absurdes Theater irgendwo im italienischen Süden: Auf dem Dorfplatz ruft jemand nach dem Kellner. Es klingt ungefähr wie: »Portion Nudeln mit Tomatensauce«. »Scusi?« »Nuuudeln mit Too-maa-ten-soo-ße bitte!« »Che desidera, per favore?« »Ham Sie keine Nudeln? »Scusi, non …!« »Nuuuuudeln!« »Mi dispiace veramente, non…« Der Kellner ringt nach Worten. Der Hungrige ringt mit seiner Fassung. Der Nudelwunsch erfüllt den kleinen Platz mit wachsender Lautstärke. Ein paar Schulkinder beginnen zu kichern. Ein Kleinkind fängt an zu plärren. Irgendwie wird es immer lauter. Im Ausland radebrechen wir mit den Vokabeln, die wir können. Wir versuchen, so gut wie möglich in die Sprachwelten anderer zu schlüpfen, um verstanden zu werden. Im Ausland wissen wir, dass es uns nicht vollständig gelingt, unsere Mitmenschen in allen Feinheiten zu verstehen. Aber zu Hause, am Arbeitsplatz und im Freundeskreis? Wie oft kommt es vor, dass wir nicht bekommen, was wir wollen? Dass wir gehört, aber nicht verstanden werden? Wer wie unser Nudelbesteller immer heftiger auf seiner Position beharrt, fühlt sich im Recht: »Dies ist ein Restaurant. Ich bin ein Gast. Ich habe Hunger. Ich habe das Recht, hier eine Bestellung aufzugeben.«
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Manchem Gast vergeht der Appetit, bevor er es schafft, seinen Hunger zu stillen. Menschen, die uns ärgern, sind häufig ebenso außerstande zu erklären, was sie wollen, wie unser Nudelbesteller. So werden sie lauter, statt verständlicher. So wiederholen sie, was eben schon unverständlich war, in der Hoffnung, dadurch würde es besser werden. Manchmal wissen sie, was sie wollen – aber es gelingt ihnen nicht, sich so auszudrücken, dass sie es auch bekommen. Wenn Menschen gut eingespielt sind, verstehen Sie sich immer besser – manchmal beinahe wortlos. Wer neu ist, kennt unausgesprochene Regeln noch nicht und hat es schwer. Es ist fast unmöglich, Anweisungen für den Alltag so genau zu geben, dass Missverständnisse ausgeschlossen sind, wenn man nicht aus jeder Mücke einen Elefanten machen will. Neulich bat ich einen EDV-Mitarbeiter: »Stellen Sie bitte die Blumen in die Vase!« Er tat wie ihm geheißen. Als die Tulpen am nächsten Tag traurig die Köpfe hängen ließen, wurde klar: Ich hätte ihm dazu sagen sollen: »Und geben Sie bitte Wasser hinzu!« Hätte ich dieselbe Bitte an meine Buchführungskraft gerichtet und dazu gesagt, sie möge bitte Wasser einfüllen, hätte sie sich gefragt: »Was ist denn jetzt los?« Der Grat zwischen notwendig und überflüssig ist schmal. In Otfried Preußlers Kinderbuch Die kleine Hexe hat die Hauptdarstellerin ein Jahr Zeit, eine gute Hexe zu werden. Sie hilft Kindern und Alten und hext eine Wohltat nach der nächsten. Als das Jahr herum ist, stellt sich das Missverständnis heraus. Eine »gute« Hexe war für die alten Blocksbergtänzerinnen eine böse Hexe. Während meiner Zeit bei der Staatsanwaltschaft stand in den Akten regelmäßig, dass Zeugen Dinge »rechts« oder »links« gesehen hatten. Auch wenn die Beteiligten manchmal Mühe darauf verwendet hatten zu erklären, von wo aus gesehen was »rechts« oder »links« sein sollte, machte sich ein Kollege einen Spaß daraus, den Running Gag zu bringen: »Aha! Das muss wohl das andere ›rechts‹ gewesen sein!«. »Ich brauche die Unterlagen schnell«, sagte der Chef. Die neue Mitarbeiterin, die bisher im Pizzaservice an der Kasse gearbeitet hatte, schaute ihn fassungslos an. »Schnell« waren für sie Zeiträume
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zwischen fünf und zwölf Minuten. Wie sollte sie einen Text von 20 Seiten in zwölf Minuten tippen? Wer einen Job wechselt, stellt fest, dass manche Worte in der neuen Firma eine ganz andere Bedeutung haben, als in der alten. Manche Missverständnisse wachsen sich von selbst zurecht: »Wie kurz hätten Sie denn gern Ihre Haare – wie viel soll ich denn abschneiden?« Wenn an Stelle der abzuschneidenden drei Zentimeter dann nur drei Zentimeterchen auf dem Kopf übrig bleiben, kann es ein paar Monate dauern. Aber irgendwann ist die Pracht wieder da. Manchmal sind die Folgen gravierender. Wenn Menschen sich so kurz kennen wie Romeo und Julia, sind Missverständnisse an der Tagesordnung – glücklicherweise selten mit Gift und Todesfolge. Tiger reagieren auf entdeckte Missverständnisse ungehalten. Da sie in ihrem Revier sowieso am liebsten allein das Sagen hätten und jeder andere Mensch per definitionem ein Störenfried ist, können an Missverständnissen immer nur die Anderen schuld sein. Wäre der Andere nicht da, gäbe es das Missverständnis schließlich nicht. Der Tiger selbst weiß, was er meint – meistens jedenfalls. Wenn Andere dazu zu blöd sind, sollte man sie wegbeißen. Klassische Tigerformulierungen bei Missverständnissen:
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»Das habe ich dir doch schon hundert Mal gesagt!« »Hören Sie mir eigentlich nie zu?« »Sitzen Sie eigentlich auf Ihren Ohren?« »Bei Ihnen geht es auch nur hier rein und da raus!« »Du hast deinen Kopf wohl auch nur zum Haare tragen!« »Was machen Sie hier eigentlich, wenn Sie mir doch nicht zuhören?«
Ganz anders reagiert das Opossum. Es erträgt Missverständnisse still und geduldig wie alles Andere auch. Wird es im Missverständnis von einem Tiger angegriffen, verstummt es. Es schaut dann meist wortlos in die Gegend. Ganz selten einmal wagt das Opossum ein zartes »Ich dachte ...« oder »Ich meinte ...«, was in Opossum-Tiger-Kombinationen regelmäßig von oben herab mit »Aha,
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du dachtest – du meintest ...« kommentiert wird. Meist folgt dann noch eine wenig schmeichelhafte Umschreibung für eine Eigenschaft des Opossums. Hasen versuchen unangenehmen Situationen auch bei Missverständnissen aus dem Wege zu gehen und lenken ab. Sie müssen plötzlich etwas ganz Dringendes erledigen. Sie stürzen sich mit Wonne in das nächste Missverständnis. Hauptsache, weg hier, und zwar schnell! Wer wie die Löwen versucht, das Zusammenleben möglichst angenehm zu gestalten, findet ein gutes Leben und Arbeiten zu wichtig, um Missverständnisse in Serie gehen zu lassen. Missverständnisse sind nämlich ein wunderbarer Wegweiser zur Denkweise des Gegenübers. Vermutlich wissen Sie, dass es keinen Menschen auf der Welt gibt, der ganz genauso denkt und fühlt wie Sie. Selbst Verliebte nicht. Sie merken es allerdings manchmal erst später. Wenn jemand »schnell« sagt, denkt der eine vielleicht in Sekundenzeiträumen, der Andere in Monaten. Neulich klingelte eine Schnecke zur Weihnachtszeit an einer Berghütte und bat um Einlass. Der Hüttenwirt nahm die Schnecke und warf sie in hohem Bogen aufs Feld. Zwei Jahre später klingelte die Schnecke erneut: »Was sollte das eben?« Als Jonathan mit seinem Vater neulich segeln war, fragte der Vater: »Schau’ mal in den Himmel, mein Junge. Sag mir, was du siehst, und sag mir, was es für dich bedeutet.« Der kleine Jonathan war ganz fasziniert von dem Schauspiel, das die Wolken boten: »Ich sehe da vorne eine Wolke, die so ähnlich aussieht wie unser Segelboot. Hast du die gemeint? Und schau’ mal da! Die da rechts sieht aus wie mein neuer Playmobilritter ... und die daneben wie die Landkarte von Österreich. Und du, Papi?« »Ich sehe, dass wir ganz schnell mit unserem Boot umkehren müssen, wenn wir nicht in einen gewaltigen Sturm geraten wollen.« Eins ist, was wir sehen. Ein anderes ist, was es für uns bedeutet. Wenn zwei das Gleiche sehen, hören oder erleben, ist das noch lange nicht das Selbe. Der Unterschied zwischen Wahrnehmung und Be-
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deutung ist zugleich Ursache und Schlüssel für Konflikte und ihre Lösungen. Wenn jemand aus heiterem Himmel mit Ihnen streiten will, kann es einfach daran liegen, dass er Dingen eine Bedeutung gibt, die aus einer anderen Perspektive etwas ganz anderes bedeuten. Und in den meisten Fällen sind beide Bedeutungen nachvollziehbar. Wenn Hannes im Fahrstuhl nicht grüßt, kann das für ihn die Bedeutung haben: »Ich bin mit meinen Gedanken woanders. Ich merke gar nicht, was um mich herum passiert.« Für seine Kollegin kann es die Bedeutung haben: »Er grüßt mich nicht, also mag er mich nicht.« Wenn Christine Tom fragt: »Was machen wir am Wochenende?«, hat es für sie die Bedeutung: »Ich respektiere dich. Deine Meinung ist mir wichtig. Ich entscheide nichts über deinen Kopf hinweg, ohne dich zu fragen.« Für Tom hat derselbe Satz die Bedeutung: »Ich kann jetzt nicht in Ruhe mein Frühstücksbrötchen essen. Sie will, dass ich aufspringen, meinen Kalender holen und mir planerische Gedanken machen soll. Christine respektiert mein Interesse an einem entspannten Frühstück nicht. Schlimmer noch: Christine respektiert mich als Mann mit eigenen Bedürfnissen nicht.« Wer Wahrnehmung und Bedeutung unterscheiden lernt, kommt den wahren Interessen auf die Spur. Bei Christine und Tom geht es in Wirklichkeit gar nicht um die Wochenendplanung, sondern vor allem um Respekt. Manchmal sind die Wege, die wir uns aussuchen, um etwas auszudrücken, einfach nur missverständlich. Manche Ehefrau sagt zum Gatten: »Ich bin für fünf Minuten bei der Nachbarin. Könntest du den Braten alle Viertelstunde einmal begießen?« Das Zeitverständnis von Männern und Frauen, Südeuropäern und Nordeuropäern, Kindern und Erwachsenen, sowie zwischen uns und unseren mehr oder weniger pünktlichen Kollegen ist wie es ist – und zwar meistens unterschiedlich. Seinen kleinen Prinzen lässt Antoine de Saint-Exupéry sagen: »Die Sprache ist die Quelle der Missverständnisse.« Und der Biologe Humberto Maturana geht noch weiter: »Verstehen ist unmöglich.« Das liegt an unseren Gehirnen, sagen die Wissenschaftler. Keiner sieht das Gleiche. Für jeden bedeutet das Gesehene etwas anderes.
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Stellen Sie sich gemeinsam mit jemandem, mit dem Sie ein kleines Experiment machen möchten, ans Fenster. Schauen Sie drei Minuten hinaus. Schreiben Sie auf, was Sie sehen. Vergleichen Sie, was Sie notiert haben. Was ähnelt sich? Was ist verschieden? Hat Ihr Gegenüber andere Dinge für wichtiger und aufschreibenswerter befunden als Sie? Wie kommt das? In jeder Sekunde prallen Millionen von Informationsbits auf unsere Augen, Ohren und sonstigen Sensoren. Würden wir alles ungefiltert wahrnehmen, würden wir verrückt werden. Deshalb gibt es ein ausgeklügeltes Wahrnehmungsfiltersystem, mit dem wir Menschen ausgestattet sind. Vieles von dem, was um uns herum wahrnehmbar sein könnte, erreicht unser Bewusstsein gar nicht. Aus der Steinzeit haben wir gelernt, dass Bewegung grundsätzlich gefährlicher ist als etwas Stillstehendes, und dass fremde, unerwartete Geräusche (auch wenn sie leise sind) ernstzunehmender sind als bekannte. Der Mensch muss filtern. Die Informationsfülle wäre sonst nicht zu verarbeiten. So kommt es, dass zwanzig Leute im gleichen Raum sind und alle das Gleiche sehen, dass aber jeder es etwas anders verarbeitet. Ein Teil davon landet im Gedächtnis. Was nicht gespeichert wird, muss aus der Erinnerung oder anderen Erfahrungen ergänzt werden. Während meiner Ausbildung schickte ein Richter einen Kollegen in unseren Raum am Landgericht. Der Kollege kam einmal kurz herein, stellte eine Frage, verabschiedete sich und ging wieder. Wir wurden gefragt, woran wir uns erinnerten. Beim Vergleichen der Personenbeschreibung füllte sich der Raum mit Lachen – so unterschiedlich war das Ergebnis. Und das ist ganz normal. Weil es unmöglich ist, alle Informationen zu speichern, müssen wir filtern. Weil jeder Mensch verschieden filtert, kommen wir zu unterschiedlichen Ergebnissen. Deshalb bedeuten für uns gleiche Worte unterschiedliche Dinge, und wir geben gleichen Dingen unterschiedliche Bezeichnungen. Neulich stieg ich zu einem Taxifahrer in den Wagen, der noch ganz aufgebracht war. Er hatte eine Viertelstunde »vor dem Bahnhof« auf seinen Kunden gewartet. Der
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Kunde hatte auch »vor dem Bahnhof« gewartet – allerdings auf der anderen Bahnhofsseite und war dann in ein anderes Taxi gestiegen. »Wie kann man nur so blöd sein!«, schimpfte der Taxifahrer. Tiger halten Missverständnisse immer für Fehler der anderen. Jedenfalls verhalten sie sich so. Denn im Grunde ihres Herzens wünschen sie sich – wie alle anderen auch – dass wir einander verstehen. Und je mehr wir das Gefühl haben, wir würden einander verstehen, umso härter treffen uns die kleinen und großen Missverständnisse. Wenn Menschen sich streiten, dann beruht das ganz oft darauf, dass sie glaubten einander verstanden zu haben, oder dass sie sich wünschten, einander zu verstehen. Wenn Juristen Verträge machen, wissen sie: Jede Verständigung lässt Möglichkeiten für Missverständnisse offen. Und ganz gleich, wie lang die Verträge werden: Nichts ist so genau, dass man es nicht noch genauer ausdrücken könnte. Ein Forscher fragte mich einmal: »Wissen Sie, wie lang die Küstenlinie der deutschen Nordsee ist?« Ich bin nicht sehr gut in Erdkunde und hatte keine Ahnung. Er antwortete: »Je näher man rangeht, umso länger.« Ich stutzte. In der Enzyklopädie kann man doch nachlesen, wie lang welche Küste ist. Stimmt die Zahl denn nicht? Forscher sagen: Nicht genau. Sie kann nur so ungefähr stimmen. Denn je mehr Kürvchen und Büchtlein man an der Küstenlinie mitmisst, umso länger wird sie. Sie können es im Sommer am Strand einmal selbst ausprobieren. Je näher man an etwas herangeht, umso differenzierter kann man es schließlich wahrnehmen. So ähnlich ist es auch mit dem Verstehen. Wenn Ihr Chef, Ihr Mitarbeiter oder Ihr Partner Ihnen eine Aufgabe gibt, kann er noch so genau sagen, was er möchte: Es geht immer noch genauer. Und weil das so ist, kann man alles falsch machen – oder jedenfalls anders, als es gewollt war. Besser wird es nur dadurch, dass wir jedes einzelne Missverständnis davon abhalten, in Serie zu gehen. Dann trägt es zu wachsender Übereinstimmung und Zufriedenheit bei. Eigentlich sollte man sich über Missverständnisse also freuen. Sie sind die Meilensteine der Annäherung. Und je mehr wir davon gemeinsam
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Missverständnisse über Missverständnisse
abgearbeitet haben, umso besser werden unsere gemeinsamen Ergebnisse. Wenn eine Löwin mit ihren Kolleginnen gemeinsam auf Beutejagd geht, weiß am Anfang keine von ihnen, wer seine Schritte wohin setzen wird. Und bei genauer Betrachtung ist das Zusammenspiel nie hundertprozentig perfekt. Jeder Beutezug besteht aus gemeinsamen Lernschritten zum besseren Zusammenspiel. Wer das von den Löwen lernt, nutzt jedes Missverständnis auf dem Weg zum besseren Verständnis. Denn mehr ist unmöglich. Und weniger ist Zeitverschwendung. Wenn jemand mit Ihnen darüber streitet, wer die Uhrzeit richtig verstanden hat oder den Ort, wie die Aufgabe gemeint war oder die zur Verfügung stehende Zeit, was man alleine entscheiden sollte und wo sich der andere gewünscht hätte, einbezogen zu werden, was »schnell« heißt oder »gut«, kann es natürlich immer sein, dass der Andere Sie nur ärgern will. Erfahrungsgemäß liegt aber oft ein Missverständnis vor. Missverständnisse haben die unangenehme Eigenschaft, dass sie in Serie gehen, wenn man nichts dagegen tut. Und dann nerven sie früher oder später so sehr, dass auch noch der Ärger dazu kommt. Gut zu wissen Missverständnisse sind normal. Dass es sie gibt,liegt daran,wie menschliche Körper Informationen wahrnehmen, verarbeiten und speichern. Wenn zwei Menschen dieselbe Vereinbarung hören, heißt das noch lange nicht, dass sie das Gleiche verstanden haben. Das gilt für die Verabredung »vor dem Bahnhof« genauso wie für die »schnelle« Fertigstellung der Unterlagen.Wo »vorne« ist,und was »schnell« bedeutet,kann präziser definiert werden. Je komplexer Aufgaben werden, umso größer wird die Quelle der Missverständnisse. Wenn wir sie davon abhalten, in Serie zu gehen, wachsen Übereinstimmung, Verständnis und Zufriedenheit.
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»Der Typ ist mir unsympathisch,«, denkt Mareike, »wie der schon guckt.« Und dann macht er den Mund auf und sagt zwei Sätze ... »Puuuhh!«. Wissenschaftler, die sich mit menschlicher Wahrnehmung beschäftigen, sind sich nicht ganz einig darüber, wie viele Sekunden es braucht, bis wir uns von einem anderen Menschen ein erstes Urteil gebildet haben. Die Forscher schwanken zwischen wenigen Sekunden und Sekundenbruchteilen. »Es gibt keine zweite Chance für einen ersten Eindruck« titeln Bewerbungstrainer, und greifen damit auf, was wir alle wissen: Kaum kommt jemand zur Tür herein, ist er uns schon mehr oder weniger sympathisch – oder auch nicht. Wir kommen in einen Raum mit lauter unbekannten Gesichtern – und obwohl wir die Leute noch nie gesehen haben, beginnen unsere Gehirne sofort in sympathischere und unsympathischere zu sortieren. Wie kommt das eigentlich? Ein Teil davon geht auf die Notwendigkeit zurück, blitzschnell zwischen Freund und Feind unterscheiden zu können. Babys entwickeln diese Fähigkeit im ersten Lebensjahr. Später laufen sie schreiend zu den Eltern zurück, wenn ihnen jemand angsteinflößend erscheint, und strahlen andere an und lächeln ganz bezaubernd. In der Steinzeit war diese Unterscheidung lebensnotwendig. Wer zur eigenen Familie gehörte, brachte etwas zu essen. Wer nicht, brachte womöglich den Tod. Ohne dass wir es bewusst merken, gleichen unsere Gehirne ständig die Erfahrungswerte ab, die wir mitbringen. Begegnet uns jemand, dessen Augen und Mund in einer Weise aussehen, die wir als
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»natürliche Freundlichkeit« abgespeichert haben, lächeln wir fast automatisch zurück. Sind die Augen zugekniffen und der Mund in verbitterter Lage erstarrt, macht uns das zurückhaltender. Lacht nur der Mund im bewussten Grinsen, obwohl die Augen etwas anderes sagen, fühlen wir: »Hier stimmt etwas nicht!«, und sind vorsichtig. Ruft jemand an, die Stimme leicht schleimig, der Tonfall irgendwie aufgesetzt, wissen wir schon nach den ersten Sekunden: »Hier will uns jemand etwas verkaufen!« Ganz häufig geben uns unsere Gehirne hier sehr nützliche Informationen. Wenn man uns fragt, wieso wir uns so oder so verhalten, antworten wir vielleicht: »Intuition« oder »Weiß ich auch nicht so genau«. In vielen Fällen merken wir gar nicht, wie sinnvoll unsere Intuition uns vor Fehlern bewahrt und zu guten Wegen begleitet. Aber nicht immer. Als Kerstin einen neuen Abteilungsleiter bekam, wurde sie kalkweiß. Sie hatte den Neuen einmal im Fahrstuhl gesehen und sich im selben Augenblick gefürchtet. Sie wusste auch nicht, warum. Irgendwie war es die Art, wie er da stand. Als er ihr vorgestellt wurde, kriegte sie fast keinen Ton raus. Die Kolleginnen verstanden Kerstin nicht: »Der ist doch total nett!« »Und so verständnisvoll!« »Kerstin, was hast du eigentlich?« Kerstin hatte keine Ahnung, was es war. Die Monate vergingen. Das Verhältnis zwischen Kerstin und ihrem neuen Abteilungsleiter war immer noch unterkühlt. Dann wurde es Winter. Weihnachten besuchte sie ihre Mutter zu Hause. Auch deren Freund Malte war da. Und auf einmal war Kerstin klar, was passiert war. Der neue Abteilungsleiter stand genauso kerzengerade da wie Malte, wenn er der kleinen Kerstin vorwarf, schon wieder zu spät zu kommen. Malte war Offizier bei der Bundeswehr. Eigentlich war er ein guter Typ: fair, geradlinig, zuverlässig. Nur leider behandelte er Kerstin, als wäre sie ein Soldat, dem man Zucht und Ordnung beibringen müsse. Kerstin hatte immer Angst vor Malte gehabt. Ihre Mutter hatte sie zwar geschützt, so gut sie konnte. Aber plötzlich hörte sie innerlich wieder die scharfen und eiskalt klingenden Worte von damals: »Kerstin! Du bist zu spät!« Sie schaute Malte genau an, wie er mit seinem
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grauen, schütter gewordenen Haar, seiner etwas altmodischen Brille und der Strickjacke neben ihrer Mutter saß. Als sie im Januar an ihren Arbeitsplatz zurückkam, konnte sie ihren Abteilungsleiter mit anderen Augen sehen. Ja, sie hatte ihn verwechselt. Irgendetwas in seiner Haltung hatte sie so sehr an damals erinnert, dass ihre alte Angst wieder da war. Und das hatte nichts mit dem neuen Abteilungsleiter zu tun. Die Kolleginnen hatten Recht. Er war wirklich total nett. Kerstin traute sich zwar erst Monate später, ihm zu sagen, warum sie am Anfang so zurückhaltend war. Aber das Eis war rechtzeitig gebrochen. Sie verwechselte ihren Chef nicht mehr mit Malte und der Angstsituation aus Kindertagen. Als Steffi ihre erste Reise nach England machte, wurde sie zusammen mit allen anderen Sprachreisenden zu einer Begrüßungsparty eingeladen. Und sie traute ihren Augen nicht. Da stand er, ihr Traumtyp. Rotblonde, lange Haare, Sommersprossen, Grübchen, ein unverschämt süßes Lachen. Boyd hieß er. Boyd sah genau so aus wie Steffis erste große Liebe. Steffi verknallte sich unsterblich in Boyd, noch bevor er ein einziges Wort gesagt hatte. Und Boyd sagte relativ wenig, ab und zu mal »Yes« oder »No«. Steffi traute ihren Ohren kaum, als Boyd ihre Einladung annahm, den kommenden Nachmittag gemeinsam zu verbringen. Ihr erster gemeinsamer Weg führte in einen Supermarkt, Bier und Chips kaufen, anschließend zu seiner Gastfamilie und dann ab vor den Fernseher. Es dauerte ein paar Tage, bis Steffi herausfand, dass Boyd ganz anders war, als sie gedacht hatte. »Wie konnte ich mich nur so irren?« Für Steffi brach eine Welt zusammen. Als sie ihn gesehen hatte, hatte sie geglaubt: »Das ist die Liebe meines Lebens!« Und wenn sie die vergangenen Tage ohne die rosarote Brille der Verliebtheit rückblickend betrachtete, wusste sie, niemals langweiligere Zeiten verbracht zu haben. Manchmal ist es ein bestimmter Gesichtsausdruck, manchmal sieht jemand einem Erinnerungsbild verblüffend ähnlich. Manchmal klingt eine Stimme sehr vertraut. Und wenn wir über den Weihnachtsmarkt gehen, oder in eine Backstube, sind es plötzlich Gerüche, die uns an andere Zeiten und andere Gefühle erinnern. Da sitzen
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wir im Auto und fahren an einem nebelgrauen Tag durch eine langweilige Landschaft. Plötzlich kommt das Lied im Radio, das damals »unser Lied« war. Die Erinnerung zaubert ein Lächeln ins Gesicht, und erst jetzt merken wir, dass der Nebel viel weniger grau ist, als wir dachten, und was für faszinierende Grüntöne die Landschaft bietet. Wir reagieren auf das, was heute passiert, anders, wenn es uns an etwas Ähnliches erinnert, was früher gut war, als wenn es früher schwierig war. Und das ist ganz normal. Wenn wir es merken, können wir den Verstand einschalten und uns fragen: Passt meine alte Erinnerung hier? Wird es auch hier wieder Streit geben? Oder ist es wieder so prima wie früher? Bekanntermaßen reagiert unsere Erinnerung aber auch dann, wenn unser Verstand es zunächst nicht mitkriegt. Dann haben wir intuitiv »so ein Gefühl«, wissen aber nicht genau, warum eigentlich. Irgendwann fällt uns die Parallele vielleicht ein. Vor einigen Jahren hielt ich in einer Business School einen Vortrag über Konfliktlösung durch Mediation. Ich hatte gerade die Teilnehmerinnen und Teilnehmer begrüßt und eine Frage in den Raum gestellt. Da meldete sich jemand in der ersten Reihe. Sein Tonfall hätte gut zu einem Polizeiverhör gepasst, seine Stirnfalten in die Plisseeabteilung der örtlichen Stoffecke. Ich erinnere mich heute nicht mehr genau an den Inhalt seiner Frage. Sie klang so erstaunlich, dass das Auditorium erschrocken reagierte und ich selbst zunächst glaubte, es könne sich wohl nur um einen Scherz handeln. Aber es war kein Scherz. In der Pause sprach ich ihn an. Ich wollte herausfinden, was los war. Es dauerte nicht lange, und wir kamen dem Thema auf die Spur. Ich sah nicht nur aus wie seine Lateinlehrerin, der er damals seine erste Fünf zu verdanken hatte. Ich hatte mich, bevor der Vortrag anfing, genauso merkwürdig auf eine Stuhllehne gesetzt wie seine Lehrerin damals. Das fiel ihm jedenfalls in der Pause ein. Und er war so mutig, es mir offen zu sagen. Dass sein Adrenalinspiegel bereits tüchtig gestiegen war, noch bevor ich meinen Platz auf der Bühne eingenommen und das erste Wort gesagt hatte, war verständlich. Wir waren beide bewegt und gerührt zu-
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gleich. Wenn Menschen feststellen, woher die Verwechslungen kommen, die mancher auch Vorurteil und die Psychologen »Übertragung« nennen, entsteht ein neues Verständnis. So konnten wir gemeinsam die Schublade »Peinigerin von damals« und »ungerecht behandelter Schüler« verlassen. Er entschied sich, nach der Pause zu berichten, was wir herausgefunden hatten. Ich verdanke ihm und seinem Mut, dass die Gruppe live selbst erleben konnte, wie sich Verwechslungen in gute Verständigung verwandeln können. Das gemeinsame Erlebnis, eine Verwechslung herausgefunden und losgelassen zu haben, ist – wenn es respektvoll geschieht – häufig eine noch bessere Basis für gute Verständigung, als wenn alles von Anfang an glatt gegangen wäre. Denn derjenige, dem die Verwechslung passiert, zeigt Vertrauen, wenn er die Verwechslung anspricht, und das ist viel mehr als ein selbstverständliches »Hallo und Guten Tag«. Wenn ein neuer Mitarbeiter in die Firma kommt, wird er unbewusst mit allen Menschen verglichen, die irgendwelche Ähnlichkeiten aufweisen. Ähnelt seine Art zufällig einem kompetenten Sympathieträger im Unternehmen, hat er vermutlich keinen schlechten Start – ohne dass er je erfährt, warum. Wenn es umgekehrt bestimmte Dinge gibt, die wir an anderen Menschen nicht mögen wie eine zu ordentliche oder zu unordentliche Kleidung, eine bestimmte Mundform oder eine Art zu reden oder den Kopf zu bewegen, dann lohnt es sich herauszufinden, woher wir das Wahrgenommene kennen. Was genau ist es? Und was ist es nicht? Wer in meinem Leben hatte dieses »gewisse Etwas«? Je gefährlicher Mitmenschen für unsere Vorfahren werden konnten, umso wichtiger war es, die Hasen- oder die Tigerstrategie rechtzeitig an den Start zu bringen. Wer sich für den Bruchteil einer Sekunde zu spät entschied, den Feind umzubringen, hatte keine Chance mehr dazu. Für diese Situation war es gut, lieber ein Vorurteil zu viel zu haben, als gestorben zu sein. Im modernen Leben heute bleibt, von Banküberfällen, Geiselnahmen und anderen Katastrophen einmal abgesehen, meist genug Zeit, um einen neu he-
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reinkommenden Menschen wirklich kennen zu lernen und festzustellen, ob er in Wirklichkeit ganz anders ist. Anders als ehemalige Mathelehrer, fiese Klassenkameraden, der Gangster aus dem letzten Krimi oder der erste große Schwarm, der dann doch schnöde von dannen zog ... Wenn Menschen miteinander streiten, sind manchmal mehr Verwechslungen im Spiel, als den Beteiligten bewusst ist. Wer sich bei der nächsten Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln, auf Partys mit vielen unbekannten Gesichtern oder einfach beim Einkaufen in der Kunst, Übertragungen zu finden, üben will, kann Folgendes tun: Suchen Sie sich eine Person aus, die Ihnen spontan sympathisch erscheint. Dann stellen Sie fest: Was an dieser Person ist es eigentlich, was mir gut gefällt? Ist es etwas Bestimmtes im Gesicht oder an der Haltung? Hat es etwas mit Schmuck oder Kleidung zu tun? Was genau ist es? Und was ist es nicht? Danach, wenn Sie herausgefunden haben, dass es dieses hinreißende Grübchen im Gesicht ist – oder das etwas wild verwuschelte Haar, überlegen Sie: Woher kenne ich das eigentlich? Welcher Mensch im realen Leben oder im Film hat dieses gewisse Extra? Oder habe ich es gar selbst? Woher kommt diese Übertragung, die in meinem Kopf für das Signal »sympathisch« sorgt? Natürlich starren Sie nicht hin. Sie tun das ganz dezent und respektvoll. Nehmen Sie sich einen Moment Zeit für sich selbst. Gibt es etwas, was Sie an anderen Menschen besonders gern mögen? Haben Sie sich in der Vergangenheit immer wieder in einen bestimmten »Typ« verliebt? Haben Sie so etwas wie ein persönliches »Beuteschema«? Von Boris Becker sagt man, sein Beuteschema sei eher dunkelhaarig. Für Udo Jürgens war es eher »17 Jahr, blondes Haar ...«. Manche Frauen fühlen sich besonders zu dem großen Blonden mit dem schwarzen Schuh, andere zum rotlockigen, sommersprossigen Iren mit den lachenden Augen, und wieder andere zum feurigen Latino mit den schlanken Hüften hingezogen. Auch wenn die Wissenschaftler manches davon für »Übertragungen« halten: Übertragungen machen das Leben herrlich bunt – und sie helfen bei einer ersten
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Orientierung. Wenn wir uns mit dem Objekt der Übertragung streiten, machen wir uns selbst das Leben leichter, wenn wir herausfinden, was da eigentlich gerade los ist. Haben wir es gefunden, genügt meist eine kleine Entschuldigung. »Oh, Verzeihung, so wie du dir eben an die Brille gefasst hast, hat XY immer ausgesehen, bevor er unangenehme Aufgaben verteilt hat. Daran hat mich das eben ganz merkwürdig erinnert. Pardon.« Für viele Situationen reicht das so. Manchmal ist es besser, noch hinzuzufügen, dass diese Verwechslung mit dem aktuellen Gegenüber nichts und mit dem eigenen Leben viel zu tun hat. Das kommt darauf an, wie nah Sie einander stehen, und wie schnell Ihr Gegenüber verstanden hat, was Sie meinen. Jetzt wissen Sie, was Sie tun können, wenn Ihre Mitmenschen Sie zu Übertragungen animieren. Was aber können Sie tun, wenn Sie den Eindruck haben, Ihr Streitpartner verwechselt Sie gerade? Sie wissen nicht, ob es der schlimmste Raufbold aus dem Kindergarten, der geschiedene Partner im Scheidungskampf, ein nicht sehr einfühlsamer Chef oder die Hauptfigur aus dem letzten Gruselfilm ist. Aber irgendwie haben Sie den Eindruck, Ihr Gegenüber reagiert gar nicht auf Sie als Mensch, sondern auf jemand anders. Weil diese Übertragungen von der Steinzeit bis heute regelmäßig unbewusst ablaufen, weiß ja niemand, was da wirklich passiert. Sie nicht und Ihr Gegenüber schon gar nicht. Eine Bemerkung wie »Ich fürchte, Sie verwechseln mich gerade«, löst deshalb selten Entzücken aus. Besser, Sie nähern sich dem Anderen und dem Thema vorsichtig. So geben Sie Ihrem Gegenüber die Chance, Sie wirklich kennen zu lernen. Das Phänomen der Übertragung ist übrigens einer der Gründe dafür, weshalb Menschen zu kulturellen Vorurteilen kommen. Als ich in China arbeitete und überall als »Langnase« begrüßt wurde, hieß die klassische Verwechslung: Kann nicht mit Stäbchen essen, joggt sinnlos im Park und hat von chinesischer Kultur keine Ahnung. Und wie bei vielen Übertragungen war natürlich nicht alles falsch. Und welche Verwechslung kommt am häufigsten vor? Es ist eine
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Verwechslung, die uns als Kindern sogar beigebracht wurde: »Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu«, schrieben Erzieher in Poesiealben und hinter die Ohren der ihnen Anvertrauten. Der berühmte Immanuel Kant formulierte es in seinem kategorischen Imperativ: »Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.« Und so finden wir auf jedem dritten stillen Örtchen zwischen manchen Dingen, die wir lieber dort nicht finden würden, Spuren der Kantschen Philosophie: »Bitte verlassen Sie diesen Ort so, wie Sie ihn vorzufinden wünschen.« Als ethische Handlungsmaxime ist das ja auch sinnvoll. Im konkreten Alltag führt es dazu, dass die anderen bekommen, was wir gerne hätten, wenn wir sie mit uns verwechseln, und am Ende alle unglücklich sind, bis der limbische Taschenrechner endlich Alarm schlägt und wir erst im Streit herausfinden können, wie es besser geht. Ein Pullover ist ein Kleidungsstück, das ein Kind anziehen muss, wenn seiner Mutter zu kalt ist. Marco sagt: »Wenn meiner Freundin der Kaffee zu stark ist, gieße ich mir Milch hinein.« Gabi wundert sich, wieso ihr Freund ihr ständig den Rücken so unangenehmkomisch krault, bis sie herausfindet, dass er es selbst so am liebsten hat. Im Kinofilm Erbsen auf halb sechs ist die Hauptfigur von Geburt an blind. Als Kind hat sie sich einmal das Knie aufgeschlagen. Sie wundert sich, wie ihre Mutter das wissen kann. Schließlich hat diese sie doch gar nicht angefasst. Sie weiß nicht, was »sehen« bedeutet. Sie glaubt, alle Menschen wären wie sie. Als sie größer wird, versteht sie, dass sie viel besser fühlen und hören kann als andere. Gleichzeitig versteht sie, dass andere etwas kennen, was man »Sehen« nennt. Wer nicht weiß, was andere gern mögen, muss sich etwas ausdenken. Und wo finden wir das Wissen, das es uns ermöglicht, uns etwas Sinnvolles auszudenken? In persönlichen Erfahrungen und Vermutungen. Manchmal kennen wir andere Menschen, deren Erfahrungen wir übertragen können. Am besten kennen wir die eigenen. Als Melissa mit Moritz zusammenzog, kaufte sie jede Woche
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frische Blumen, deckte den Tisch mit hübschem Porzellan und kochte abends die ausgefallensten Gerichte für ihren Schatz. Sie wollte Moritz eine Freude machen und glaubte, ihm würde das gefallen. In Wirklichkeit hätte er abends lieber eine kleine Scheibe Brot gegessen. Und die türmenden Geschirrberge, um die dann letztlich er sich kümmern musste, weil Melissas Ordnungssinn in der Küche weniger ausgeprägt war als seiner, waren ihm allabendlich ein Dorn im Auge. Sogar die Blumen waren nicht seine Sache. Als ausgeprägter Naturschützer fand er die Dekoration mit exotischem Blütenzauber völlig unverantwortlich. Ein paar heimische Gräser und Gänseblümchen vom Straßenrand waren mit seinem ökologischen Gewissen viel besser vereinbar. Aber er glaubte, Melissa wollte den Blumenschmuck für sich. Und deshalb sagte er lange nichts. Erst als sein limbischer Taschenrechner durch eine Ansammlung verschiedener Ärgernisse durchknallte, platzte im Streit auch der Ärger über das exotische Blühwesen auf dem heimischen Tisch heraus. Sie können sich Melissas Entsetzen vorstellen. Woche für Woche bemühte sie sich, ihrem Liebsten alles so schön wie möglich zu machen. Und dann das! Dieser undankbare Banause. Melissa brauchte eine Weile, um sich Moritz’ wirkliche Wünsche vorstellen zu können. Je länger wir unsere eigenen Wünsche für die Wünsche unserer Umwelt halten, umso bitterer ist das Erwachen. Thorsten wohnte schon seit über zwanzig Jahren nicht mehr bei seiner Mutter. Jedes(!) Mal, wenn er kam, backte sie für ihn einen Nusskuchen. Ihre eigene Mutter hatte für sie nie gebacken. Ihre Mutter hatte manchmal nicht einmal Zeit, um sich mit ihr auf eine Tasse Tee hinzusetzen. Sie musste immer arbeiten. Das Gefühl, nicht genug Liebe bekommen zu haben, nagte noch heute. Das wollte sie bei ihrem Sohn Thorsten besser machen. Als Zwölfjähriger schwärmte ihr kleiner Sonnenschein für ihren hausgemachten Nusskuchen. Der Kuchen war zwar etwas aufwändig, aber ihr Junge war es ihr wert. Wie sehr hätte sie sich gewünscht, dass jemand einmal für sie gebacken hätte ... So merkte sie nicht, dass der Nusskuchen schon in der Pubertät bei Thorsten nicht mehr der Hit war. Aber irgendwie hörte sie damals
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wohl nicht richtig zu. Im Studium fand Thorsten den Kuchen dann zeitweise wieder ganz nett. Aber dass es ihn jedes Mal gab, war dann doch etwas viel. Einmal hatte er versucht, seiner Mutter einfühlsam beizubringen, dass es wirklich nicht nötig sei, ihn jedes Mal so zu verwöhnen. Aber seine Mutter hatte nur geantwortet: »Ich backe doch meine ganze Liebe hinein.« Da hatte Thorsten es aufgegeben. Bei einem Allergietest war vor zwei Jahren herausgekommen, dass er besser keine Nüsse essen sollte. Aber er fand keine Gelegenheit, es seiner Mutter zu sagen. So wurde jeder Besuch zu einem Zauberkunststück, bei dem Kuchenbrösel peu à peu in mitgebrachten Taschen zu verschwinden hatten, ohne dass Mutter es merkte. Es gibt keine Beziehungen im Berufs- oder Privatleben, bei denen unsere Mitmenschen alle Vorlieben, die wir gerade haben, auf dem jeweils aktuellsten Stand kennen. So kommt es, dass man uns Dinge mitbringt, mit den Worten: »Das magst du doch so gern.« So kommt es, dass wir Aufgaben bekommen, mit den Gedanken: »Das machen Sie doch so gern.« Und so kommt es, dass wir nicht nur beim Blick auf Geschenkberge zu Weihnachten, Geburtstagen und anderen Anlässen feststellen, wie wenig unsere Mitmenschen doch wirklich von uns wissen. Sie schenken uns die Bücher, die sie selber gern lesen würden, die CDs, die ihnen gefallen, und versuchen, uns die Freude zu machen, die sie selbst früher einmal entbehrt haben. Und mit jedem Wunsch, den wir eigentlich haben, der aber nicht erkannt wird, und mit jedem anderen Wunsch, den wir nicht haben, der uns aber angedichtet wird, fügt der limbische Taschenrechner ein kleines Minus hinzu. Ist das Maß voll, führt die nächste Kleinigkeit zum Krach – und das alles nur, weil unsere Umwelt uns mit sich selbst verwechselt. Bevor Sie also für den Rest Ihres Lebens Ihrem Chef, Ihrer Kollegin oder Ihrem Partner zuliebe Hunderte von Kleinigkeiten auf Verdacht so machen, wie Sie denken, dass die anderen es gerne hätten, bevor Sie die anderen lebenslänglich mit sich selbst verwechseln, stellen Sie hin und wieder mal die eine oder andere Kleinigkeit auf den Prüfstand. Dann brauchen Sie nicht zu warten, bis gut
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gemeinte Tätigkeiten wie eine zu früh ausgetauschte Druckerpatrone den limbischen Taschenrechner auf Alarm stellen. Und wie sagt man, was man lieber hätte? Für Opossumtypen ist das sehr schwierig. Hasentypen haben immer wichtigeres zu tun. Tigertypen fällt es schwer, das Gegenüber nicht gleichzeitig anzubrüllen, abzuwatschen oder aufzufressen. Wie man es mit der Löwenstrategie macht, lesen Sie im zweiten Teil dieses Buches.
Gut zu wissen Der erste Eindruck, den wir von einem Menschen gewinnen, hängt davon ab, welche Erfahrungen wir gemacht haben. Ähneln Stimme, Aussehen oder Verhalten eines Menschen angenehmen Vorbildern, nehmen wir ihn positiver wahr. Erinnert er uns an schreckliche Lehrer, Krimimörder oder Räuber Hotzenplotz,kann es anders sein.So kann es zu Konflikten kommen,die mit den aktuell handelnden Personen weniger zu tun haben als mit den Erinnerungen der Beteiligten. Und das ist ganz normal. Wichtig ist, die Verwechslungen zu bemerken, aufzulösen und sich, falls nötig, zu entschuldigen. Schließlich kann der Verwechselte nichts dafür, dass er anderen Menschen, die nicht immer nur charmant waren, in irgendeiner Weise ähnelt. Das muss gar nicht viel sein. Ein bestimmter Blick,ein besonderer Tonfall oder eine zornige Stirnfalte können völlig genügen. Am häufigsten verwechseln wir andere Menschen mit uns selbst.Wir kaufen ihnen, was wir selbst gern hätten, behandeln sie so, wie wir gern behandelt worden wären, und wenn wir nach Jahren großer Anstrengungen feststellen, dass wir sie damit eher genervt haben, wünschten wir uns, sie hätten früher schon etwas gesagt, statt nach vielen verlorenen Gelegenheiten unsinnig zu streiten.
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7 Von wunden Punkten, alten Verletzungen und verschobenen Konflikten
Wenn Menschen sich ärgern, wollen sie etwas ändern. Manchmal trauen sie sich aber nicht. Vielleicht haben sie schlechte Erfahrungen gemacht. Vielleicht haben sie gelernt, dass ihre Kritik unerwünscht war. Eigentlich »dürfte« man diesen Konflikt nicht haben. Und deshalb wird er versteckt. Man spielt Opossum oder Hase und hofft, dass alles von allein besser werde. Manchmal stimmt das. Manchmal aber nicht. Dabei dürfte in der »Wertewelt« der Beteiligten so ein Konflikt eigentlich nicht vorkommen. Das gibt es besonders häufig in Gemeinschaften, die besonders hohe (manchmal falsch verstandene) Ansprüche an sich selber stellen:
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Familien, die sich den Frieden so sehr wünschen, dass sie ihn fast ersticken: »In unserer Familie gibt es keine Konflikte.« Unternehmen mit einer gut gemeinten Firmenkultur, die so vor der Sehnsucht nach Ethik strotzt, dass die kooperativen Hausregeln, die von allen Wänden mahnen, beinahe einen kabarettistischen Charakter bekommen. Sonstige Gruppen, in denen das offene, heilsame Austragen von normalen Konflikten die Beteiligten so sehr ängstigt, dass die Konflikte keine andere Chance haben, als zunächst einmal vorübergehend in den Untergrund abzutauchen.
Ein besonderer Nährboden für versteckte Konflikte herrscht deshalb gerade da, wo man es am wenigsten vermutet: In Gemeinschaften und Interessengruppen, in denen der Wunsch, vorbildlich friedlich zu sein, besonders hohe Anforderungen stellt. Aber Hand aufs Herz: Viele Menschen stellen diese hohen Anforderungen an sich
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selbst, unabhängig von moralisch geprägten Gemeinschaften. So kommt es dazu, dass man lieber diplomatisch schweigt, als einen Streitpunkt rechtzeitig zu benennen. Da, wo er entstanden ist, hat der Streitpunkt somit ein »Erscheinungsverbot«. Wenn eine Kollegin sich nicht angemessen beachtet fühlt, wenn ein Kollege sich übergangen fühlt, wenn ein Familienmitglied sich ungerecht behandelt fühlt – selten traut sich jemand, ein solches Thema sofort anzusprechen. Vielmals erscheint den Betroffenen das Thema nicht wichtig genug, um angesprochen zu werden. Die Streitursache taucht ab. Der Streitpunkt verschwindet unter einem »Tabudeckel«. Doch der limbische Taschenrechner summiert gnadenlos alle Streitpunkte sorgfältig auf. Bis zum Alarmpunkt. Das kann eine Weile dauern. Aber wenn es dann passiert, öffnet der limbische Taschenrechner – meist mit einem riesigen Knall – alle Tabudeckel. Dann ist der Bär los. Die anderen sagen dann: »Nun mach doch aus einer Mücke keinen Elefanten.« Oder: »Jetzt bleiben Sie doch bitte beim Thema.« Das erhitzt die Gemüter natürlich erst recht. Und so kommt es dann, dass eine Kleinigkeit zu einem riesigen Theater ausufert. Da stellt jemand eine winzige Frage – und die Reaktion darauf ist so heftig, als wäre soeben die Welt untergegangen. Da passiert eine klitzekleine Panne oder ein noch kleineres Missverständnis – und die Emotionen lodern bis zur Zimmerdecke, manchmal sogar bis zur Chefetage. Wie kommt das? Summieren sich so viele tabuisierte Themen, schlägt der limbische Taschenrechner bei einem winzigen Auslöser Alarm und mit einem Mal öffnen sich die Tabudeckel. Vor Jahrmillionen war es wichtig, einen gewaltigen Adrenalinstoß zu erzeugen, um bei Gefahr zu überleben. Wenn der limbische Taschenrechner Alarm schlägt, bekommt unser altes Steinzeitverhalten die Oberhand. Dann legen wir mit unserer alten Lieblingsstrategie los. In der Steinzeit war das sinnvoll. Heute ist es das meist nicht. Auch wenn wir noch so sehr mit Worten werfen: Unsere Probleme werden dadurch nicht gelöst. Das, was wir hören oder sehen, wenn wir uns streiten, ist nämlich oft nicht der Schlüssel zur Lö-
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sung. Es ist eher so etwas wie Fieber, also ein Symptom, das uns anzeigt: Hier stimmt etwas nicht. Und jetzt muss etwas getan werden. Typische Kommentare in solchen Situationen sind: »Ich bin ja ein friedlicher Mensch, aber was zuviel ist, ist zuviel!« »Man kann ja viel mit mir machen, aber das geht mir über die Hutschnur.« »Da ist mir der Kragen geplatzt.« »Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.« »Jetzt ist er zu weit gegangen!« »Für wen hält sie mich eigentlich?« »Ich bin doch hier nicht der örtliche Fußabtreter!« ... Wenn man es nicht schafft, das Thema mit den Beteiligten zu klären, tut es weh. Wenn man es immer wieder nicht schafft, tut es noch mehr weh. Und irgendwann wird es ein wunder Punkt. Und was wird aus einem wunden Punkt? Carlotta sagt einen ganz normal klingenden, freundlichen Satz. Ihr Freund verlässt wütend das Zimmer und spielt Hase. Carlotta überlegt: »Was habe ich denn gemacht? Ich habe doch nur gesagt, dass die Glühbirne in der Küche durchgebrannt ist.« Was für Carlottas Freund die Glühbirne ist, ist für Milva das Wort »optimieren«. Bei ihr zieht sich jedes Mal der Magen zusammen, wenn ihr Kollege dieses Wort benutzt. Wenn Menschen auf vermeintliche Kleinigkeiten oder Lappalien heftig reagieren, haben wir einen ihrer wunden Punkte getroffen. Wunde Punkte bilden sich aus alten Konfliktthemen, die noch nicht verheilt sind. Für den Menschen, der versehentlich auf einen wunden Punkt stößt, ist die heftige Reaktion kaum nachvollziehbar. Eben war die Welt noch in Ordnung, jetzt verwandelt sich das Gegenüber in Hase, Opossum oder Tiger, und das, obwohl gar nichts passiert ist. Am meisten hilft vielleicht die Erkenntnis, dass alle Menschen so etwas haben. Manche nennen sie »wunde Punkte«, andere nennen es: »Da hat jemand meinen Knopf gedrückt«, wieder andere sagen: »Der hat meinen Nerv getroffen.« Von der griechischen Mythologie kennen wir: »Er hat meine Achillesferse getroffen.« Aus dem Nibelungenlied stammt die Geschichte vom starken Siegfried, dessen verwundbare Stelle auf dem Rücken durch ein Lindenblatt zustande kam. Und selbst ein Zauberer wie Harry Potter ist – was
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seine wunden Punkte angeht – kein Waisenknabe. Wenn der Held in einem Science-Fiction-Film oder in einer Geschichte gar keinen wunden Punkt hat, kann sich das Publikum nicht mit dem Held identifizieren – und das Werk fällt beim Publikum durch. Wir haben sie also alle. Unsere Chefs haben sie, unsere Kollegen haben sie, unsere Kinder haben sie auch schon. Wunde Punkte gehören zum Leben dazu. Und wenn wir sie treffen, tut es weh. Dann kommt die Erinnerung an alles das, was mit diesem wunden Punkt verbunden ist, wieder hoch. Und solange das Thema nicht bearbeitet ist, wird es jedes Mal schlimmer. Als würde man auf eine echte Wunde auf der Haut stoßen, die noch nicht verheilt ist. Als Carlottas Freund »Glühbirne durchgebrannt« hörte, konnte er nicht anders, als einen Vorwurf hinein zu interpretieren. Im Hause seiner Eltern hatte er bestimmte handwerkliche Tätigkeiten übernommen. Dazu gehörte: Spülmaschine ausräumen, Rasen mähen, Glühbirnen wechseln. Und es war wie verhext. Immer, wenn sein Buch gerade an der spannendsten Stelle angekommen war – so seine Erinnerung –, entschied sich eine Glühbirne durchzubrennen. Die Glühbirnen schienen sich geradezu gegen ihn verschworen zu haben. Wenn er seine Mutter nur die ersten drei Buchstaben »Glü« aussprechen hörte, wäre er am liebsten mit den fünf Freunden in der Höhle der Abenteuer verschwunden und hätte fortan nur noch mit Taschenlampen, Kerzen und Lagerfeuern für Beleuchtung gesorgt. Die Glühbirne gehörte zu den Erinnerungen, auf die er gerne verzichtet hätte. Für Carlotta ist das, nachdem sie die Geschichte in ihrer vollen Dramatik gehört hat, mehr als verständlich. Bei dem Gedanken an den kleinen Kerl, der damals mit seiner Mutter noch keinen Weg finden konnte, eigene Bedürfnisse und Familienbedürfnisse zu koordinieren, ist sie ganz gerührt. Carlotta will gerade vorschlagen, dass er sich nie im Leben wieder um Glühbirnen kümmern soll, da winkt er lachend ab. »Nein. Das ist ganz komisch. Nachdem ich die Geschichte erzählt habe, habe ich jetzt richtig Lust, diese bescheuerte Glühbirne zu wechseln. Ich glaube, es ging mir gar nicht um die Birne. Ich brauche einfach nur die Sicherheit, dass
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ich nicht wie ein dressierter Affe aufspringen muss, wenn irgendjemand »Glü« sagt. Beide lachen. »Du Glüüü-cklicher!«, sagt Carlotta, mit ganz langem »ü«. Gefundene wunde Punkte verheilen mit etwas Humorpuder besonders gut.
Nicht alle wunden Punkte müssen alt sein. Milvas »Optimierphobie« war erst ein halbes Jahr alt. In ihrer letzten Firma hatte ein Beratertrupp zur »Kostenreduktion und Optimierung« das ganze Unternehmen umgewälzt. Erst wurde sie von ihrer Lieblingskollegin getrennt, dann dreimal hintereinander von den gerade übertragenen Aufgabenbereichen. Schließlich trennte man sich von ihr. »Optimieren« war für sie der Ausgangspunkt für eine Fülle von Verlusten. Wenn sie daran dachte, stiegen ihr fast Tränen in die Augen und im Bauch zog es sich zusammen. In solchen Situationen nützt es gar nichts, wenn wohlmeinende Mitmenschen trösten wollen: »Das ist doch gar nicht so schlimm. Du hast doch jetzt wieder eine gute Arbeit gefunden ...« oder Ähnliches. Das macht es eher noch schlimmer. Wenn in Ihrem Umfeld ein wunder Punkt auftaucht, versuchen Sie niemandem einzureden, der Punkt wäre gar nicht da. Warten Sie lieber einen Moment. Die meisten Gepunkteten kriegen sich ganz alleine wieder ein. Und wenn sie sich nicht gegen wohlmeinende Beschwichtigungen wehren müssen, umso schneller.
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Schwierig wird es natürlich dann, wenn zwei wunde Punkte gerade gut zueinander passen. Wenn Milva vom Verlust ihrer tollen Kollegin berichtet, und der neue Kollege einschnappt, weil sein wunder Punkt heißt: »Mich will keiner als Kollegen haben«, dann ist es kein Wunder, wenn die beiden Wundgepunkteten wie von Taranteln gestochen reagieren und zufällige Beobachter der Szene fassungslos vor diesem erstaunlichen Schauspiel stehen. Sollte es in Ihrem Kollegen- oder Familienkreis Szenen dieser Art geben und Sie haben heute noch nichts anderes vor, können Sie mit einer kleinen Einmischung große Tragödien produzieren. Denn wunde Punkte reagieren heftig auf Einmischung und dramatisch auf Beschwichtigung. Sie brauchen etwas ganz anderes: Erstens Vertrauen und zweitens Raum zur Verarbeitung. Dann haben sie eine gute Chance zu heilen. Paare im Privatleben und auch Berufspaare, wie zum Beispiel der Chef und sein Mitarbeiter oder eng zusammenarbeitende Kollegen, kommen früher oder später an ihre ersten gegenseitigen wunden Punkte. Tülay und Erdal gerieten immer an ihre wunden Punkte, wenn sie mit Freunden zusammen feierten. Tülay fand die Art und Weise, wie Erdal sich in der Öffentlichkeit äußerte, superpeinlich, und Erdal fand die Art, wie Tülay ihn dafür kritisierte, unerträglich. Zu Tülays Werten gehörte eine bestimmte Art von Zurückhaltung. Erdals manchmal undiplomatisches Auftreten in Anwesenheit anderer Menschen verstieß daher gegen ihre Wertewelt. Bei Erdal war es fast spiegelbildlich. Er hätte lieber ein diplomatischeres Auftreten ihm selbst gegenüber gehabt, wenn die beiden allein waren. Das fanden sie aber erst heraus, nachdem sie sich oft genug nach Festen gestritten hatten. Irgendwann hatten sie keine Lust mehr auf den regelmäßigen After-Party-Kater. Wunde Punkte führen früher oder später zu Konflikten. Solange, bis die wunden Punkte geheilt und die Themen verarbeitet sind. Bis dahin machen die Wundgepunkteten ihrer Umgebung das Leben schwer. Jemand macht einen harmlosen Scherz – und der Gepunktete geht an die Decke. Jemand hört mal nicht richtig zu – und es kommt zum Missverständnis. Aber weil das Missverständnis sich
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auf einen wunden Punkt setzt, wird daraus ein Drama in drei Akten. Erster Akt: Wunder Punkt bei Person 1 getroffen. Zweiter Akt: Wunder Punkt bei Person 2 getroffen. Dritter Akt: Die Getroffenen schreien, wehren sich und machen alles noch schlimmer. Auch wenn der Tod des Helden im dritten Akt noch vermieden werden kann. So ein Drama wollte eigentlich niemand. Und wer hat mit dem Theater angefangen? Es ist ein bisschen, als hätte man eine Möbiusschleife in der Hand, und würde versuchen herauszufinden, wo die Vorderseite ist.
Wenn alte Themen in die Gegenwart hineinragen, sind Ursache und Wirkung wie in einer Möbiusschleife verwoben. Dann ist es unmöglich zu sagen, wer angefangen hat.
Gut zu wissen Selbst Helden wie Harry Potter, der starke Siegfried und Helden wie du und ich haben wunde Punkte.Irgendwann im Leben sind sie entstanden,sind übrig geblieben von Verletzungen,die noch nicht ganz verarbeitet sind.Trifft uns jemand (versehentlich) an einem unserer wunden Punkte, reagieren wir doppelt: Zum einen auf die kleine aktuelle Verletzung,zum anderen auf die alte Verletzung – zur großen Überraschung des Gegenübers, der
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diese heftige Reaktion völlig überzogen findet. Und so kommt es zu einem Streit, der eigentlich nicht zur aktuellen Situation passt, sondern zu einer alten, längst vergangenen Situation. Wunde Punkte sind alte, verschobene Konflikte, die so weh tun, dass sie auch bei neuen Streitpartnern ihr Unwesen treiben.Aktuelle Konflikte, die so lange unter einem Tabudeckel gehalten wurden, bis der limbische Taschenrechner endlich Alarm schlägt, verhalten sich ebenso: Ein kleiner Auslöser führt zum großen Knall. Bei diesen verschobenen Konflikten erlaubt der Knall, dass die gedeckelten Themen jetzt endlich mit den richtigen Personen gelöst werden können und nicht zu wunden Punkten werden müssen. Im Streit ist es immer befreiend, wenn die wunden Punkte gefunden werden. Mit jedem Fund fühlen sich die Beteiligten besser – und wachsen über sich selbst hinaus.
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8 Je näher wir einander kommen, desto größer wird das Streitrisiko
Wer denkt beim Aussuchen von Mietwohnungen, Eigentumswohnungen und Eigenheimen schon daran, dass wir mit der Wohnung auch gleich die Eigenschaften der Nachbarn mitkaufen /-mieten? Da kann die neue Wohnung so toll sein wie sie will: Genau die richtige Lage und Größe, ein sonniges Bad, eine flotte Küche – und sogar bei der Ausstattung wurde der eigene Geschmack getroffen. Und dann kommen die Nachbarn. »Es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt« und »Es gibt auch nette Nachbarn, aber die wohnen unheimlich weit weg«. Beides stand auf der Postkarte des Willkommensgrußes zum Einzug. Es war vom neuen Nachbarn lustig gemeint ... Was Nachbarschaften schwierig macht, sind im Wesentlichen Unterschiede. Während die Dame unten mit dem Weißen Riesen befreundet zu sein schien, seit einem Jahr nicht dazu gekommen war, die Batterien ihres Hörgerätes zu erneuern und bei jedem Stäubchen im Treppenhaus an die Hausverwaltung schrieb, schien der Herr über ihr eher mit Oskar aus der Sesamstraße verwandt, Motorradfahrer, vorzüglicher Hobbykoch und sensibler Frühaufsteher. Der Matsch von den Motorradstiefeln weigerte sich standhaft, sich an der Fußmatte vor der Haustür zu verabschieden, und erledigte dies vorzugsweise zwischen Erdgeschoss und erstem Stock. Der köstliche Duft exotischer Kräuter mischte sich mit Lenor Frühlingsfrisch in den draußen wehenden, fleischfarbenen Dessous, und seit die Fernsehsender ihre Zuschauer nicht mehr mit nächtlichen Sendepausen verwöhnen, dröhnt der »Blaue Bock«, das »Traumschiff« und
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»Schöner Staubsaugen am Donnerstag« nun Tag und Nacht ohne störende Unterbrechungen durch die zarte Leichtbetondecke. Geräusche, Gerüche und optische Spuren unserer Mitmenschen sind dann am leichtesten zu ertragen, wenn sie den unsrigen ähneln. Je geringer der nachbarliche Abstand ist, umso weniger scheint das der Fall zu sein. Wohnt ein Opossum neben uns, fällt das nicht weiter auf. Auch Hasen können wunderbare Nachbarn sein – bevor sie sich ärgern, und vor allem, bevor sie uns ärgern, sind sie schon wieder weg. Auch die Spezies Löwe ist als Nachbar sehr zu empfehlen. Braucht man Babysitter für den Nachwuchs, ein Ei für den Kuchen oder Nachschub beim Klopapier, helfen Löwen und wissen sich rechtzeitig abzugrenzen, bevor es ihnen auf den Keks geht. Mühsam ist der regionale Wohntiger. Er allein macht alles richtig und jeder andere alles falsch. Er klopft gegen die Wand, wenn andere mit ihren Geräuschen in sein Revier eindringen. Radau ist normal, notwendig und hinzunehmen – aber nur sein eigener! Denn Tiger dulden in ihrem Revier keine Störenfriede, und wenn andere Menschen zu nahe wohnen, haben sie eben Pech gehabt. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere: »Verwandte kommen zur Hochzeit, zur Taufe, und wenn du Glück oder Pech hast, je nachdem, auch zu Weihnachten. Nachbarn kommen, wenn es bei dir brennt.« So sprach der neue Nachbar meiner Freundin Regine beim Einzug. Wenn Sie demnächst vorhaben, ein Haus zu kaufen oder umzuziehen, kann es eine gute Idee sein, sich die Nachbarschaft mit anzuschauen. Und wenn Sie bereits Nachbarn haben, die sich gerade nicht austauschen lassen, dann nutzen Sie die Löwenstrategien im zweiten Teil. Noch näher als Wohnungsnachbarn sind Tischnachbarn, die plötzlich an der heimischen Kaffeetafel erscheinen, um dort zu besonderen Gelegenheiten, an Festtagen oder für immer zu Mitessern zu werden. Einige von ihnen, zum Beispiel Freunde, lassen sich auswechseln, wenn sie keine Freunde mehr sind, andere nicht. »Katrin, wieso kaufst du eigentlich keine richtigen Windeln?« »Der Kuchen schmeckt aber komisch.« »Ja, Sie müssen wissen, meine Schwieger-
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Nähe erhöht das Streitrisiko
tochter kommt aus anderen Kreisen.« »Nein, Weihnachten kommen wir nicht.« »Wenn ich dein Vater wäre, ich würde dir die Ohren lang ziehen.« »Wenn du wenigstens einmal nicht immer ...!«. Es gibt Menschen in der Welt, die man sich freiwillig aussucht und Menschen, mit denen man verwandt ist. Und es gibt Menschen, die weder das eine noch das andere sind und die Nachteile von beiden Gruppierungen in sich vereinen können: Schwiegerkinder, Stiefeltern und andere Patchworkverwandte. Jedenfalls scheint es so. Wir treffen manche von ihnen an den wichtigsten Festtagen wie Hochzeiten, Trauerfeiern und Weihnachten, andere an jedem (zweiten) Wochenende oder täglich. Schwierige Schwiegermütter zelebrieren mit unklugen Schwiegertöchtern drei Streitklassiker:
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»Mein Sohn gehört mir!« »Du bist für dieses Prachtexemplar nicht gut genug.« »Alles, was du anders machst als ich, ist falsch.«
Klassische Schwiegerväter begnügen sich mit Aussage 2. Schwierige Patchwork-/ Stiefväter /-mütter finden:
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»Dein Balg gehört dir!« »Ich halte es nicht mehr aus!«
... ganz zu schweigen von der herrischen Großtante und Oskar mit der Blechtrommel. Die Wissenschaft vermutet, dass es eine Kombination von Genen und Umweltbedingungen ist, die jahrmillionenlang Familienverbände zusammengehalten hat. Verwandte versorgen und unterstützen einander auch heute noch eher als Nichtverwandte. Sie sind damit so etwas wie geborene Löwen. Für die eigenen Kinder kämpfen sie wie die Löwen, Stiefkinder erfuhren manchmal eine »stiefmütterliche« Behandlung. Auch wenn sich im Laufe der Zivilisation vieles verändert hat: Wenn Sie sich zu Ihren Cousinen mehr hingezogen fühlen als zu Nichtverwandten, grämen Sie sich nicht – es könnte biologische Ursachen haben. Wenn Sie Nichtverwandte attraktiver
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finden als Verwandte, könnte auch das biologische Ursachen haben. Sympathie hin oder her, mit den (angeheirateten) Verwandten fühlen sich manche Menschen wie in einer »Zwangsgemeinschaft«. Und anders als in Nachbarschaftsverhältnissen, ist die Flucht nicht einmal durch Umzug möglich. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Zwangsgemeinschaft »lebenslänglich« besteht. Genauer gesagt, sogar noch ein paar Tage länger – bis zur eigenen Beerdigung inklusive Wohnungsauflösung und Leichenschmaus. Wenn wir einander mögen und schätzen, ist das schön – wenn nicht, dann nicht. Und können wir nicht einfach Hase spielen? Wer sagt denn, dass wir die Menschen in unser Leben hineinlassen müssten, die uns da den letzten Nerv rauben wollen? Früher gehörte es zum Kulturgut, die Verwandten einzuladen. So begleiteten sie uns an den wichtigsten und höchsten Festtagen des Jahres und des Lebens. Von der Kindstaufe bis »Oh Tannebaum«: Wenn wir in der Verwandtschaft Krach hatten, lohnte es sich richtig. Noch vor wenigen Generationen hatten selbst die gewieftesten Verwandtschaftshasen kaum eine Chance, diesen Zwangsveranstaltungen zu entkommen. Familienfeiern hatten Tradition. Ausbrechen? Unvorstellbar. So blieb nur ein opossumartiges Erdulden – meist gefördert durch hochprozentige Betäubungsmittel. Auch gegenseitige tigerhafte Ermordungsversuche (mindestens Rufmorde) waren keine Seltenheit. Seit das traditionelle, familiäre Pflichtprogramm einer eher lustbetonten »Ich will so bleiben wie ich bin«-Kultur weicht, lassen sich die meisten angeheirateten Verwandten mit dem Hasenprinzip recht gut auf Abstand halten. Hochzeiten und Weihnachten finden – wenn sie überhaupt noch stattfinden – ohne dramatisches Familienhappening statt. Wer zur eigenen Beerdigung kommt, ist vielleicht egal. Und dazwischen spielt mancher Hase. Schwierig bleiben vor allem diejenigen, mit denen man, aus welchen Gründen auch immer, nicht Hase spielen kann und die regelmäßig mit unter dem gemeinsamen Dach wohnen, die also zugleich zur Risikogruppe Nachbarn als auch zur Risikogruppe angeheiratete Verwandte gehören. Und die schwierigste Verquickung liegt vor, wenn sich diese
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beiden Risikogruppen in der Person des ehemaligen Haushaltsvorstandes vereinen. Wenn aus klassischen Müttern plötzlich Schwiegermütter und Nachbarn in einer Person werden, wenn aus dem geliebten kleinen Jungen plötzlich der Mann einer anderen Frau wird, muss eine vielfache Verwandlung stattfinden, damit die Veränderung klappen kann: Bevor die Mutter zur Schwiegermutter wurde, war sie für ihren Sohn die Chefin des Hotels »Mama«, der Kantine, der Kleiderstube, des Waschsalons, des Limousinenservice, der Krankenstation, gegebenenfalls der Kuschelstation – und je nach Hauszuschnitt auch der Gärtnerei. Auch die Position »schönste Frau im Haus« gebührte einige Jahrzehnte ihr. Spätestens mit dem Einzug der Schwiegertochter wird von ihr erwartet, alle Chefposten ohne ein weiteres Wort zu räumen. Und je nach Familienkultur gibt es keine oder wenig Wertschätzung für ihre Weisheit und Erfahrung. Vergisst sie auch nur ein einziges Mal, dass das, was früher täglich von ihr verlangt wurde, jetzt Vergangenheit ist, reagiert die nächste Generation mit Abgrenzung und Ablehnung. Findet das Pingpongspiel aus »alter Rolle« und Abgrenzung ein paar Mal statt, fängt die Wunde an, ein wunder Punkt zu werden (siehe Seite 93 bis 100). Und dann geht irgendwann gar nichts mehr. Soweit die schwierigen Schwiegermütter. Aber gibt es sie überhaupt noch? Meine ist ganz bezaubernd – und die Exemplare unserer Freunde sind es auch. Vielleicht muss die Spezies »schwierige Schwiegermutter« unter Artenschutz gestellt werden: »vom Aussterben bedroht«. Während die Schwiegermutter die Dramaqueen des letzten Jahrhunderts war, wurde sie mittlerweile in der Dramatik von dramatischen Kollegen überholt. Steigende Kosten, Firmenzusammenschlüsse, -übernahmen und ständige Veränderungen führen zu Change-Management-Prozessen, die immer schneller werden. Und ehe wir es uns versehen, kommen wir an den Arbeitsplatz zurück und stellen fest: Alles ist anders. Jemand hat beschlossen, dass wir unser Arbeitszimmer und damit Raumluft, Raumtemperatur und Schallwellen mit jemandem teilen sollen, der gestern noch nicht da
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war. Mindestens acht Stunden täglich – durch die höher werdende Arbeitsbelastung eher mehr – teilen wir nun alles. Je nachdem, wie ungewohnt das für uns ist, und wie unähnlich uns der neue Arbeitskollege ist, erscheinen uns die oben genannten Schwierigkeiten mit unseren Nachbarn und Verwandten plötzlich wie Kinkerlitzchen ... Oder wir beschließen, unser Leben und damit Tisch, Bett, Finanzen und vielleicht sogar die liebenswertesten Schreihälse der Welt zu teilen. Und plötzlich finden wir uns in der Mitte von Kindern (und angeheirateten Kindern), unserem Lebenspartner und vielleicht noch dem einen oder anderen Meerschwein, Kater oder Hund wieder. Die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Entscheidungen in allen Bereichen genauso ausfallen wie die aller unserer Mitbewohner, beträgt etwa null Prozent. Dabei spielen natürlich Kultur, Familie und Sozialisation eine Rolle. Dass sich die Vorlieben von zwei Bauern, die mit ihren Heidschnucken in der Lüneburger Heide leben, eher ähneln als die Präferenzen eines muslimischen Musikers in Istanbul mit denen der Vorsitzenden des Heimatvereins von Liverpool, ist natürlich. Aber selbst wenn Menschen sich noch so ähnlich sind: Irgendwann kommt der Moment, in dem sie feststellen, dass sie Unterschiedliches wollen. Das ist auch bei eineiigen Zwillingen so. Und es gilt sogar bei siamesischen Zwillingen. Reba und Lori Schappell aus Reading, Pennsylvania, die an den Schläfen zusammengewachsen sind, teilen seit gut vier Jahrzehnten nicht nur Gene und Blutbahnen. Sie erleben auch die gesamte Umwelt immer gleichzeitig. Sie haben ihre Wohnung so aufgeteilt, dass jede ihr Zimmer hat. Wenn sie in Rebas Zimmer sind, bestimmt Reba, was gemacht wird. Und dort herrscht Ordnung. In Loris Zimmer hingegen liegen Kartons und überquellende Plastiktüten zwischen verknüllten Kleidungsstücken und Krümeln. Reba ernährt sich so gesund wie möglich, organisiert Termine frühzeitig und arbeitet ehrgeizig, Lori trinkt am liebsten Cola, erledigt Terminsachen auf den letzten Drücker und plappert im Unterschied zur zurückhaltenden Schwester munter drauflos. Die Wissenschaft beschäftigt sich mit den Beweg-
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gründen. Man weiß, dass unterschiedlich sein wollen und ähnlich sein wollen wichtige Triebkräfte sind. Was wir wollen, hat viele Aspekte. Nur ein Teil davon hat etwas mit dem inhaltlichen Nutzen zu tun. Ein anderer, mindestens ebenso wichtiger Teil zeigt Individualität und Zugehörigkeit: »Ich bin ich. Und schon deshalb bin ich nicht wie du. Und deshalb will ich manchmal – allein aus Gründen der Abgrenzung – das Gegenteil von dir.« Das ist der Grund, warum dreijährige Trotzköpfchen »Nein« zu ihrem Lieblingswort machen, und das ist der Grund, warum Pubertierende mit wachsender Hingabe Dinge tun, die ihnen ohne die Verbote ihrer Eltern schnell langweilig würden. Als Alexander seinem Vater seine erste Freundin vorstellte, sank die gefühlte Raumtemperatur mit einem Schlag auf Eiseskälte. Hätte der Vater gewusst, dass die junge Dame für seinen Sohn erst durch die väterliche Ablehnung richtig interessant wurde, hätte er viel gelassener reagiert. Dann hätten die beiden ihre pubertäre Abgrenzung an einem weniger dramatischen Schauplatz austragen können. Als millionenfach erprobtes Pubertätsschlachtfeld eignet sich zum Beispiel das Thema: Ordnung im Kinderzimmer. Die meisten pubertätsgeplagten Eltern wissen gar nicht, welch guten Dienst sie ihren Kindern beim Erwachsenwerden erweisen, wenn sie den Abgrenzungskampf hier kämpfen – und nicht bei lebensentscheidenderen Fragen wie Schulabbruch, Drogenkonsum oder Fortpflanzung. Besonders deutlich werden diese Zusammenhänge, wenn wir verliebt sind. Gérard und Nathalie sind verliebt wie noch nie. In den ersten Wochen haben sie das Gefühl, seelenverwandte Zwillinge zu sein. In dem Wunsch, miteinander zu verschmelzen, würden sie am liebsten (fast) alle Unterschiede auflösen. Sie tragen plötzlich Kleidung in den gleichen Farben, bestellen im Restaurant das Gleiche, hören die gleiche Musik, finden, das Lied, zu dem sie sich das erste Mal küssten, sei das schönste Lied der Welt und bemerken aneinander nur die Ähnlichkeiten. Als Gérard nach ein paar Wochen mit seinen Kumpels ein Fuß-
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ball-Männer-Wochenende verbringen will, fühlt sich Nathalie zurückgewiesen. Dass Nathalie so komisch reagiert, findet Gérard enttäuschend. Das erste Mal in der Symbiose der beiden fällt das Wort »Nein«. Für viele Verliebte fühlt sich das erste Nein an, wie die Vertreibung aus dem Paradies der Übereinstimmungen. Man muss kein Wissenschaftler sein, um zu wissen: Spätestens wenn die Nähe für einen Partner zu eng wird, beginnt er sich abzugrenzen. So gibt es in Paarbeziehungen ähnliche Entwicklungsmuster wie in Eltern-Kind-Beziehungen. In der ersten Verliebtheitsphase behandeln Verliebte einander zum Teil wie Mütter ihre Babys. Sie umsorgen und liebkosen einander und geben sich verniedlichende Kosenamen wie Schatzi, Mausebärchen oder Häschen. In der ersten Verliebtheitsphase könnten viele Paare beinahe jedes gut sortierte Möbelhaus gemeinsam leer kaufen, um sich im neuen Leben komplett neu einzurichten. Nachdem die Symbiose zu eng geworden und der Wunsch zum eigenständigen »Ich« wieder erwacht ist, kommt das erste entschiedene »Nein« mit Bedeutung. Ab jetzt heißt es nicht mehr nur: Wir gegen den Rest der Welt. Jetzt heißt es manchmal auch: »Du gegen mich«. Und ab diesem Moment sind manche Paare fähig, an beinahe jedem Punkt der Welt ein für Außenstehende unerklärliches Gerangel anzuzetteln, wenn die Meinungen auseinander gehen. Jetzt entstehen ganz individuelle Spiel- und Kampfregeln. Jedes erfolgreiche Paar erfindet in dieser Zeit eigene Wege, um mit den Macht- und Entscheidungsfragen des Lebens umzugehen. Und dafür taugt fast jedes Thema: Deine Ordnung – meine Ordnung, Hoheit über die Fernbedienung oder die Frage: »Wie räumt man eigentlich eine Spülmaschine ein?« Wenn wir uns besonders heftig aufregen und die Emotionen Purzelbäume schlagen, dann ist das gleichzeitig fast immer auch ein Kompliment an den Streitpartner. Stünde er uns weniger nahe, säßen wir viel gelassener im Sessel und würden nicht auch noch in unserer kostbaren Freizeit an ihn denken. Steht uns jemand sehr nahe, kommen viele Gründe zusammen. Einige sind sogar biologischer Natur. Zwar funktionieren Männerkörper hier etwas anders als
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Frauenkörper. Aber bei beiden können auch körperliche Unerfülltheit und andere biologische Ursachen den limbischen Taschenrechner ins Minus jagen. Kleiner Tipp für Frauen: Kommt es von Zeit zu Zeit vor, dass alle bisher genannten Ursachentypen nicht zu passen scheinen? Führen winzige Ursachen manchmal zu unangemessen großen Reaktionen? Könnten Sie den Liebsten gelegentlich am liebsten an die Wand klatschen? Wollen Sie ihn anbrüllen und möchten trotzdem auf keinen Fall, dass er jetzt entschwindet? Wenn es sich irgendwie nach einer Gleichzeitigkeit von Nähebedürfnis und Aggression anfühlt, dann hat es vielleicht gar nichts mit Änderungswünschen in Alltag und Freizeit zu tun. Dann spielt Ihnen vielleicht die Biologie einen Streich. Aus der Konfliktpraxis wissen wir: Manche Streitigkeiten sind verunglückte Wünsche nach Nähe, Intimität und Sex. Kleiner Tipp für Männer: Die Mehrzahl der Konfliktursachen sind andere. Vermutlich haben Sie bei der Lektüre vieles entdeckt, was Sie kennen. Vielleicht haben Sie den einen oder anderen Mitmenschen in verschiedenen Rollen, als Tiger oder Hasen, als Opossum oder Löwen wiedererkannt. Im nächsten Teil können Sie lesen, wie sich Konflikte lösen lassen, dabei gilt immer: Je früher man anfängt, umso leichter.
Gut zu wissen Je näher uns jemand steht, je mehr Berührungspunkte wir haben, umso größer wird bereits rein statistisch die Wahrscheinlichkeit, dass wir an irgendeinem Berührungspunkt Unterschiedliches wollen. Und je unterschiedlicher wir sind, umso mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es Streit gibt. Nah zusammen wohnende Nachbarn mit dünnen Wänden haben es umso schwerer, je unterschiedlicher ihre Lebensgewohnheiten sind. Teilen wir uns nicht nur gemeinsame Quadratmeter auf unserem Planeten,sondern auch noch die Liebe der mit uns Ver-
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bandelten, wird es noch schwieriger. Schwiegermütter, angeheiratete Töchter und Söhne und andere Patchworkverwandte stellen vor allem dann eine besondere Herausforderung dar, wenn wir sie nicht nur einmal im Jahr, sondern jeden Morgen beim Zähneputzen treffen. Je näher wir einander stehen, umso mehr können Konflikte auch mit Identität und Zugehörigkeit zu tun haben. Auch wer nicht wie siamesische Zwillinge das gesamte Leben teilt, hat ein Bedürfnis nach Anderssein um des Andersseins willen.Und manchmal (!) sind Aggressionen nichts anderes als verunglückte Wünsche nach Nähe oder Intimität. Je mehr Berührungspunkte wir haben, umso wichtiger ist es, mit Unterschieden und Wünschen gut umgehen und erfolgreich streiten zu lernen.
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9 Vom Streiten profitieren – geht das überhaupt?
»Vom Streiten profitieren? Das ist doch wohl ein Scherz«, findet Martina. Für sie war schon zu Grundschulzeiten jeder Streit so bedrohlich, dass sie lieber ihren Lieblingsfüller hergegeben hätte, als sich gegen die Mädchenbande zur Wehr zu setzen. Und daran hat sich bis heute wenig geändert. In den meisten Lebenssituationen bevorzugt Martina die Opossumstrategie. »Vom Streiten profitieren? Na klar«, finden die Tiger dieser Welt. »Dafür ist das Streiten ja da. Ich will gewinnen. Alle anderen mache ich platt.« Hasen denken anders: »Vom Streiten profitieren? Morgen vielleicht, im Moment habe ich so viele andere Dinge zu tun. Und da müsste man sich ja erstmal damit beschäftigen, wie es geht. In der Zeit, in der ich das lernen würde, lerne ich lieber neue Leute kennen. Außerdem habe ich einen guten Anwalt. Es reicht doch, wenn der sich darum kümmert.« »Vom Streiten profitieren – wenn möglich, sehr gern!« Für Löwen heißt das, immer besser raufen lernen, gemeinsam neue Ressourcen finden und mehr gewinnen, wenn es sich lohnt. In diesem Teil des Buches geht es darum, wie Sie mit der Löwenstrategie ganz neue Lösungen finden, bei denen alle profitieren. Wer immer nur hasenartig wegläuft, immer nur Opossum spielt oder immer gegen jeden kämpft wie ein Tiger, hat als Mensch ein Problem. »Wer nur einen Hammer hat, wird jedes Problem für einen Nagel halten«, sagte schon der Kommunikationspsychologe Paul Watzlawick. Deshalb haben die meisten Menschen die Fähig-
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keit, mal ein bisschen Tiger, mal ein bisschen Hase und genügend Opossum zu sein, und zusammenzuarbeiten wie die Löwen im Rudel. Solange man sich gut versteht, ist es einfach, vielseitig zu sein. Schwieriger ist es, wenn die Donnerwolken des Streits heraufziehen. Was ist Ihr erster Impuls, wenn jemand Sie ärgert? Wie ist es im Freundeskreis? Mit Menschen, die Sie lieben? Mit Menschen, mit denen Sie arbeiten? Wie gut gelingt es Ihnen, Wege der Zusammenarbeit zu finden, wenn Sie sich angegriffen fühlen? Wer sich im Streit zusammenraufen kann wie die Löwen, wer auswählen kann zwischen allen Möglichkeiten, die es im Streit gibt – und nicht auf ein Standardmuster festgelegt ist, kann von jedem Streit profitieren. Wenn man wie ein Löwe die Kunst der Zusammenarbeit so lernt, dass man sich auch mal gemütlich ausstrecken kann und ein Schläfchen in der Sonne hält, wenn man das gesamte Spektrum der Streitkünste königlich beherrscht, gewinnt man mehr. Wer den Unterschied zwischen Löwen, Tigern, Hasen und Opossums zum ersten Mal bewusst wahrnimmt, möchte am liebsten sofort seinen Lebensgefährten, seinen Chef, seine Kinder, die Lehrer der Kinder – und am besten auch gleich die Nachbarn und Schwiegereltern und sonstige Personen, die einem unnötig Ärger machen, in Löwen verwandeln. Damit man mit ihnen so streiten kann, dass alle profitieren. Wie wäre das schön, wenn sie alle aufhören würden, uns mit ihren Weglauf-, Versteck- und Beißstrategien zu nerven! Wie wäre das schön, wenn sie uns fragen würden, was wir (!) wollen! Und wenn wir dann einen Weg finden würden, wie sich die unterschiedlichen Wünsche unter einen Hut bringen lassen! Und zwar nicht als faule Kompromisse, sondern so, dass alle gewinnen! Typische Opossums sagen dazu: »Ja, gute Idee. Wenn die Welt anders wäre. Aber so, wie die Welt ist, ist das leider völlig unmöglich. Das braucht man gar nicht erst zu versuchen. Jedenfalls ich nicht. Sollen die anderen doch machen, was sie wollen. Ich ziehe mich lieber zurück. Dann habe ich auch meine Ruhe.« Typische Hasen sagen dazu: »Wenn mich jemand zu sehr ärgert,
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dann gehe ich einfach weg. Wenn mein Partner oder meine Kollegen verletzende Dinge sagen, kann ich ja in ein anderes Zimmer gehen. Ich muss meine Schwiegermutter auch nicht zum nächsten Familienfest einladen. Wenn mein Chef mich noch mal so anfährt, dann kündige ich. Und mit den Nachbarn vor Gericht gehen? Wegen eines Maschendrahtzauns? Das ist ja lächerlich. Bevor mich jemand so ärgert, ziehe ich lieber gleich um. Außerdem passiert mir das sowieso nicht, so geschickt wie ich bin.« Typische Tiger sagen dazu: »Ach – mir ist das eigentlich ganz recht, dass die Hasen davonlaufen und die Opossums sich totstellen. So kann ich meine Tigerspielchen spielen und mich durchsetzen. Außerdem glaube ich gar nicht, dass Löwen wirklich anders sind als Tiger. Löwen sind wahrscheinlich nichts anderes als getarnte Tiger. Sie tun nur so, als wären sie daran interessiert, dass auch der andere gewinnt. In Wahrheit sind doch alle Egoisten und denken nur an sich. Aber andererseits – weniger anstrengend wäre es schon, wenn nicht jeder Tag nur aus Kampf bestünde. Und irgendwann kommt vielleicht wirklich mal ein Tiger, der stärker ist als ich und der mich dann verjagt oder mir etwas wegnimmt. Und wenn das wirklich stimmen sollte, dass man mit der Löwenstrategie noch mehr gewinnen kann als mit dem Kampf, den ich bisher kenne ... aber eigentlich kann das nicht sein.« Und wenn Sie bereits ein Löwe sind? Die meisten Menschen haben mehr Löwenanteile in sich, als sie wissen. Das, was uns häufig fehlt, ist nicht so sehr das »Wollen«. Wer vernünftig nachdenkt, weiß natürlich, dass es sinnvoller ist, gemeinsam mehr zu gewinnen, als sich gegenseitig zu zerstören. Das, woran es eher fehlt, ist das »Gewusst wie«. Wenn zwei Menschen etwas Unterschiedliches wollen, sieht es auf den ersten Blick so aus, als könnte nur einer gewinnen. Wenn das so wäre, müsste man immer Tiger sein, wenn man gewinnen wollte. Für ungeübte Löwen ist es ein großes Aha-Erlebnis festzustellen, dass das nicht stimmt. Und wie bringen Sie das jetzt Ihren Störenfrieden, Konkurrenten und sonstigen Streitsüchtigen in Be-
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ruf und Privatleben bei? Und wie lernen Sie selber, in noch mehr Situationen als bisher aus jedem Streit das Beste zu machen?
Überlegen Sie sich, ob sich eine gemeinsame Lösung wirklich lohnt. Ist Ihr Streitpartner es überhaupt wert, sich mit ihm auseinander zu setzen? Oder macht es mehr Sinn, Hase zu spielen, und so weit zu laufen, wie es geht? Vielleicht ist der Streitpunkt ja auch so winzig, dass es sinnvoller ist, vorübergehend Opossum zu spielen und mit Gelassenheit geschehen zu lassen, was geschieht? Möglicherweise überschreitet Ihr Streitpartner seine Reviergrenzen in penetranter Weise, dass er dringend einen Tiger-Denkzettel oder zumindest eine klare Grenze braucht. Überlegen Sie es sich gut. Treffen Sie eine Entscheidung, die Ihnen auch langfristig noch gefällt. Denn ein Wechsel vom tigerhaften Vernichtungsschlag zurück zu gemeinsamen Zielen und guter Zusammenarbeit ist nicht einfach. Ist das Vertrauen durch heftige Vernichtungsschläge zerstört, ist es sehr mühsam, es wieder herzustellen. Die drei genannten Verhaltensweisen – Weglaufen, Stillhalten, Angreifen – sind angeboren. Auch die Kunst der Zusammenarbeit gab es schon immer. In Familien und in Stämmen halfen und
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unterstützten sich Menschen schon immer gegenseitig. Die Haltung, sich helfen und gemeinsam gewinnen zu wollen, ist so alt wie die Menschheit. Neu ist aber eine Technik, mit der das auch dann geht, wenn die Menschen völlig unterschiedliche, ja sogar gegensätzliche Positionen vertreten. Diese Technik stammt aus einem Bereich von Konfliktforschung und Konfliktmanagement und heißt Mediation (dass dies nichts mit Meditation zu tun hat, sondern von dem lateinischen Wort mediare, vermitteln, kommt, sorgte noch in den achtziger Jahren für Verwirrung, hat sich aber mittlerweile herumgesprochen). Was die Profis in der Mediation tun, um Streitparteien zu guten Lösungen zu begleiten, mit denen alle zufrieden sind, lässt sich auch im Alltag anwenden. Lesen Sie im nächsten Kapitel anhand je eines Beispiels aus Berufs- und Privatleben, wie es geht. Entdecken Sie die verblüffende Logik, die der Löwenstrategie zugrunde liegt. Wie alle wirklich guten Dinge im Leben ist sie im Kern sehr einfach.
Gut zu wissen Wer streitet, will etwas haben.Wer falsch streitet, landet im Eifer des Gefechts irgendwo, nur nicht da, wo er oder sie eigentlich hin will. Das lässt sich ändern. Gewinnen kann man lernen.
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10 Wie man Lösungen findet, die keiner für möglich hielt.
Das Sommerfest der Einstein-Schule ist ein voller Erfolg. Spenden, Tombola, Flohmarkt und Spiele bringen einen so beachtlichen Gesamterlös, dass schon in diesem Jahr Geld für 15 neue Computer und bauliche Maßnahmen da ist. Damit hatte die Schule gar nicht gerechnet. Der Direktor will mit dem EDV-Unterricht nach den großen Ferien loslegen. Die Informatiklehrer sitzen bereits in den Startlöchern. Jetzt bleibt nur noch die Frage, wo man die Rechner aufstellen kann. Der ursprüngliche Gedanke war, sie zu den jeweiligen Unterrichtsstunden in die Klassenräume zu rollen, wenn sie gebraucht werden. Aber Computer brauchen Ruhe. Ein ständiger Transport zwischen den Klassenräumen macht Platinen und Laufwerke zu schnell kaputt. Also muss ein Computerraum her. Alle Klassenräume sind aber besetzt. Flure und Sporthallen scheiden von vornherein aus. Also bleiben noch die Fachräume für Musik, Kunst, Biologie, Chemie oder Physik. Aber auch die stehen ja eigentlich nicht zur Verfügung. Wie aus dem Nichts entsteht eine heftige Diskussion darüber, wo der EDV-Unterricht denn nun stattfinden soll. Plötzlich fangen die Fachlehrer an, sich gegenseitig vorzuschlagen, wessen Räume man für die Computer nehmen sollte. Die abenteuerlichsten Vorschläge entstehen, wie die anderen Fachräume dann zusammengelegt werden könnten. Die ohnehin schon angespannte Stimmung im Kollegium wird zum Nervenkrieg. Durch die Verkürzung der Schulzeit von dreizehn auf zwölf Jahre knubbelt sich sowieso schon alles. Die Nerven sind
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zum Zerreißen gespannt. Insgeheim befürchtet jeder: »Wenn uns unsere Räume gestrichen werden, fallen irgendwann auch die Unterrichtsstunden weg. Und wer weiß, was dann aus mir wird.« So kämpfen alle verbissen mit den absonderlichsten Argumenten um ihre Räume. Musikinstrumente könnten im Kunstraum durch umfallende Farbtöpfe Schaden nehmen, Materialien des Biologieunterrichts könnten unmöglich in einem Chemieschrank untergebracht werden ... Der Konflikt zwischen den Lehrern sickert auch zu den Schülern durch, die die Diskussion völlig missverstehen und die wildesten Gerüchte produzieren: »Das Fach Musik soll gestrichen und die Musiklehrer versetzt werden. – Biologie und Chemie sollen gestrichen und ab dem nächsten Jahr als Biochemie unterrichtet werden. – Das Skelett soll in den Kunstraum umziehen.« Erschreckte Eltern rufen im Schulsekretariat an, um zu erfahren, was denn los sei.
Der Direktor beschließt, eine außerordentliche Konferenz einzuberufen, um dem Treiben ein Ende zu setzen. Die Konferenz beginnt. In der ersten Viertelstunde reden alle wild durcheinander. Jeder versucht zu retten, was zu retten ist. Man spürt die heftige Sorge im Raum. Viele fürchten, irgendetwas zu verlieren. »Werde ich in meinem Fach noch eingesetzt, wenn mein Raum nicht mehr da ist?«
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Die Befürchtungen reichen vom Platzmangel im Musikschrank bis zur persönlichen beruflichen Zukunft. Die Geräuschkulisse wird immer lauter. Zu verstehen ist niemand. Plötzlich meldet sich jemand mit einem Faustschlag auf den Konferenztisch lautstark zu Wort: »Wenn wir so weitermachen, kommen wir nie zu einer Lösung.« Plötzlich herrscht Stille. Alle sind erschrocken. »Lasst uns doch mal überlegen, ob es nicht auch anders geht.« Der neue Sportlehrer schafft es, dass alle ihm zuhören. Er stellt zuerst nur eine Frage: »Stimmt es, dass wir am Ende dieser Konferenz eine Lösung haben wollen, mit der wir alle zufrieden sein können?« Einige nicken, andere brummen dazwischen: »Alle zufrieden … Sehr witzig … Wie soll das denn gehen … Haha … .« Der Lehrer nimmt die Bedenken ernst. Er wiederholt seine Frage und fügt hinzu: »… Damit keiner von uns benachteiligt wird … falls das möglich ist.« Jetzt nicken die Kollegen langsam. »Und stimmt es«, fragt der Kollege weiter, »dass wir dazu eine neue Idee brauchen, die bis jetzt keiner von uns gefunden hat?« Alle im Raum wissen, dass der Kollege Recht hat. Außerdem ist er ein besonders netter und freundlicher Typ, der von allen im Kollegium geschätzt wird. Menschen widersprechen meist aus zwei Gründen: Entweder, weil ihnen die Nase des Vorschlagenden nicht passt. Oder, weil ihnen das nicht passt, was aus seinem Mund herauskommt. Der neue Sportlehrer hat sich im Kollegium noch keine Feinde gemacht und sagt, was sich alle wünschen. Deshalb können sie ihm jetzt zuhören. Und deshalb können sie zustimmen. Er hat ja Recht. Gebraucht wird eine richtig gute, neue Idee. Es ist nicht damit getan, den Streit irgendwie zu schlichten. Es ist auch nicht damit getan, irgendwelche faulen Kompromisse einzugehen. Der Sportlehrer schlägt einen Fahrplan vor. »Damit wir am Ende eine gemeinsame Lösung haben, die für die Kollegen und für die Schüler richtig gut passt, brauchen wir eine neue Idee. Damit diese Idee keinen benachteiligt und für alle möglichst viele Vorteile bietet, müssen wir erst einmal herausfinden, was es für Bedürfnisse gibt. Und damit das gut geht, sollte jeder sagen können, was er will,
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und natürlich auch, was er nicht will – und wofür ihm das wichtig ist.« Zwischenruf des Kunstlehrers: »Das dauert ja ewig!« Eine zweite Stimme: »Genau! Dann sitzen wir ja morgen noch hier! Ich schlage vor, die drei Naturwissenschaften einigen sich, ob Biologie, Physik oder Chemie einen Raum abgibt, und alle anderen gehen schon einmal nach Hause.« Als hätte er in ein Wespennest gestochen, ist das wilde Anfangsgefecht wieder da. Alle reden laut durcheinander. Der Sportlehrer lehnt sich ein paar Minuten zurück, lässt dem Geschehen seinen Lauf, und als es ein ganz klein wenig leiser zu werden scheint, nimmt er seine Pfeife aus der Brusttasche und bläst ganz leise die ersten Takte von Beethovens Fünfter hinein: »Ta ta ta taaa«. Die Musiklehrer fangen an zu kichern. Das Gefecht verstummt. Eine Biologielehrerin meint freundlich: »Dass wir so auch nicht schneller weiter kommen, haben wir ja jetzt gesehen. Lasst uns doch den Vorschlag mal ausprobieren.« Niemand widerspricht, die meisten nicken. Der Sportlehrer fasst zusammen: »Also am Schluss soll eine gemeinsame Vereinbarung herauskommen, mit der wir alle zufrieden sind, ja?« In den Gesichtern spiegelt sich eine Mischung aus Nachdenklichkeit und Zustimmung. »Und damit das geht, brauchen wir eine neue Idee.« Alle nicken. »Und mit dieser Idee müssen alle einverstanden sein. Das heißt, sie darf keinen benachteiligen. Deshalb müssen wir herausfinden, wem was wichtig ist.« Leiser Protest meldet sich an. Ob es wirklich alle sein müssen? Ein Zwischenrufer beendet die Zweifel: »Wir können es ja mal versuchen.« Ein anderer Kollege schlägt vor: »Dann fassen wir jetzt noch mal ganz klar zusammen, was unser gemeinsames Ziel für diese Konferenz ist. Wir hören uns ruhig zu. So finden wir heraus, wem was wichtig ist. Dann wird uns schon eine neue Idee einfallen. Auf die einigen wir uns dann.« Es folgen noch ein paar Zwischenrufe: »Wenn alles so einfach wäre.« – »Haha, sehr komisch.« – »Selten so gelacht.« – »Wir sind hier doch nicht bei Wünsch dir was. Manchmal muss man einfach einsehen, dass man nicht alles haben kann.« Aber die Gesamt-
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stimmung hat sich gewendet. Die Zwischenrufer lassen sich zum Mitmachen einladen. Und jetzt geht alles ganz schnell. Sie vereinbaren: »Unser gemeinsames Ziel für diese Konferenz ist es, eine Lösung zu finden für die Frage, wie die Räume der Schule so genutzt werden können, dass es für alle Lehrer und Schüler gut passt.« Die Religionslehrerin meint: »Sollen wir dann nicht auch gleich unseren Umgang miteinander besprechen? Ich finde, wir gehen nicht gerade sehr christlich miteinander um.« Drei Kollegen rollen mit den Augen. Der Direktor schlägt vor, den Umgang miteinander ein andermal zu besprechen. Und damit sind alle einverstanden. Sie beginnen mit der Suche danach, was wem wichtig ist. »Mein Interesse ist, dass wir unsere Physikräume für den Physikunterricht behalten«, kommt als erstes. »So geht es uns mit unseren Räumen auch«, fügen die Kollegen der anderen Fächer hinzu. So werden die Interessen der Schüler und Lehrer schnell auf den Punkt gebracht. Jedes Fach soll genug Raum – im wahrsten Sinne des Wortes – haben. Jeder Raum – auch der Computerraum – muss groß genug sein für die jeweilige Schülerzahl. Und jeder Raum soll angemessene Lichtverhältnisse haben. Ein Kunstlehrer sagt: »Damit fällt der Kunstraum für die Computer sowieso aus. Unsere Fenster sind viel zu groß für Computerbildschirme. Da werden die Schüler nur dauernd geblendet.« Eine Musiklehrerin wirft ein: »Dann wären die Physikräume doch gut. Die kann man komplett verdunkeln.« Eine Stimme ruft dazwischen: »Genau! Draußen ist schönster Sonnenschein und die Schüler sitzen im abgedunkelten Physikraum bei Kunstlicht!«, und fügt süffisant hinzu: »Ich bin begeistert. Da können wir die Kinder ja gleich in die Tiefgarage setzen.« Der Sportlehrer beruhigt den Tumult, fasst noch einmal zusammen, was sie bereits erarbeitet haben, und regt eine kleine Pause an. Auf der Herrentoilette stehen zwei Kollegen zunächst stumm nebeneinander – in ihre jeweilige Tätigkeit vertieft. Plötzlich sagt einer: »Wenn wir von allem so viel hätten wie Toiletten …!« Nach der Pause fangen sie mit der Ideensammlung an. Die Ideen
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purzeln durcheinander. »Wer sagt denn, dass wir nicht doch anbauen können, so teuer kann das gar nicht sein.« – »Die Idee mit der Tiefgarage ist gar nicht so blöd.« »Dann können wir die Computerkinder ja auch im Fahrradkeller unterrichten.« Ohne es zu merken haben die Kollegen die alte Vorstellung, man könnte sich nur gegenseitig die Fachräume wegnehmen, durch eine neue Richtung ersetzt. Jeder überlegt, Räume zu finden, die bisher nicht als Fachräume verwendet werden. Man kann sie entweder neu bauen oder sie dadurch aus dem Hut zaubern, dass ehemalige Nebenräume verwandelt werden. Jetzt meldet sich einer der Herren vom WC-Gespräch. »Mein Kollege hatte eben eine wunderbare Idee. Er sagte: Wenn wir von allem so viel hätten wie Toiletten … ! Wir könnten doch das W durch ein P ersetzen.« Das Kollegium blickt irritiert. Niemand versteht, was er meint. »Na ja, hier in der Etage gibt es allein drei WC-Räume, jeweils für Jungen und Mädchen. Seit Klassenräume in Verwaltungsräume verwandelt wurden, sind es ohnehin viel zu viele.« Das Kollegium schweigt verblüfft. Die Idee erscheint ihnen ebenso abwegig wie genial. Plötzlich meint jemand: »Das wäre ja super. Auf den Klos sind die Fenster für Computer genau richtig. Sie laufen oben an der Decke entlang. Deshalb kommt genug Licht herein. Aber geblendet werden nur die Deckenlampen.« Einige rümpfen pikiert die Nasen. Die Vorstellung, in einem ehemaligen Pissoir die Kunst der EDV zu erlernen, erscheint ihnen irgendwie eklig. Aber natürlich können sie sich schnell vorstellen, dass nach Entfernung der Keramik und einer kleinen Renovierung nicht nur der ehemalige Geruch, sondern auch der Gesamteindruck ein anderer sein wird. Ein Lehrer ist begeistert: »Ich finde ja schon lange, dass die Toilettenräume renoviert werden müssen. Seit die WCs von pubertierenden Scherzkeksen regelmäßig mit Klorollen verstopft und zur Überflutung genutzt werden, sehen die Toiletten schrecklich aus.« Mit dieser Bemerkung löst er einen kleinen Tumult aus. Verblüffung und Freude über die neue Lösung mischen sich mit Unkenrufen über die bevorstehenden Schwierigkeiten.
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Der Direktor setzt den Einzeldiskussionen ein Ende. Er bedankt sich bei allen Kollegen für die Mitwirkung und fragt, ob jemand Bedenken gegen diese Lösung hat, wenn die Klärung der baulichen und rechtlichen Fragen positiv verlaufen sollte. Niemand hat Bedenken. Er bittet das Kollegium daraufhin um Handzeichen, wer diese Lösung unterstützen wird. Mit einer Enthaltung wird der Vorschlag angenommen. Die Räume sind wenige Monate später fertig. Es stellt sich heraus, dass die Nähe zu den Verwaltungsräumen für die Internetnutzung noch zusätzlich von Vorteil ist. In den ersten Wochen verirrt sich zwar manchmal noch jemand, der sich in der Etage irrt, mit seinem Bedürfnis. Aber das führt eher zu allgemeiner Heiterkeit. Der Konflikt ist gelöst. Mit der neuen Idee haben alle gewonnen. Dass das P der Türaufschrift »PC-Räume« regelmäßig gemopst oder durch ein »W« überklebt und auch die Witzecke der Schülerzeitung durch den WC-PC-Raum allmonatlich bereichert wird, bleibt ein Running Gag. So wird die Witzecke zur Pitzecke, EDV-Lehrer Winkler wird zu Meister Pinkler, die Computerfreaks heißen die großen »Doppel-Nullen« und jede Abi-Feier hat ihre speziellen Computergags. Die Heiterkeit trübt die Stimmung nicht. Ganz im Gegenteil: Tatsächlich sind alle zufrieden. Sogar die Lehrerin, die sich enthalten hatte. Es war die Religionslehrerin. Sie sagte später: »Herr Direktor, ich kann erst dann mit ganzem Herzen Ja sagen, wenn wir im Kollegium einen anderen Umgangston miteinander finden. Aber Sie haben ja versprochen, dass wir uns dazu demnächst treffen werden. Das warte ich jetzt mal ab.« Wenn Menschen sich streiten, können sie sich am Anfang oft überhaupt keine Lösung vorstellen, die alle zufrieden stellt. Wie die Fachlehrer bei der Raumfrage in der Schule glaubt jeder: »Entweder du nimmst mir etwas weg oder ich nehme dir etwas weg. Einer von uns muss verlieren.« Das lernen wir von Kindesbeinen an, denn bei vielen Spielen von »Mensch ärgere dich nicht« bis »Fang den Hut« ist das so. Wenn der kleine Rote den kleinen Blauen heraus wirft oder fängt, erhöht er damit die Chancen zu gewinnen. Und
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von vornherein steht fest: Gewinnen kann nur einer. In der Natur ist das manchmal auch so. Fressen und Gefressenwerden gehören zum Überlebenskampf dazu. In der Steinzeit war das für unsere Vorfahren an der Tagesordnung. Sie standen fast täglich vor der Wahl: Entweder ich bringe dich um, oder du bringst mich um. Diese Haltung wird von professionellen Konfliktlösern als WinLose bezeichnet. Das heißt: Einer verliert, der andere gewinnt. Im Fußball ist das regelmäßig so, bei allen anderen Sportwettkämpfen auch: »Bekommst du die Goldmedaille, kann ich sie nicht haben.« Und selbst bei Olympia ist dabei sein eben nicht alles, olympischer Gedanke hin, olympischer Gedanke her. Der Erste steht auf der Titelseite, alle anderen im Schatten. Auch bei der Partnerwahl in monogamen Gesellschaften ist es so: Beim Wettkampf um die Hand der Märchenprinzessin gibt es nur einen Sieger. Und auch bei Bundestagswahlen wird am Ende nur eine(r) Kanzler(in). In allen Wettbewerbssituationen geht es darum, besser zu sein als die anderen. Wir alle wissen, dass nur eine Mannschaft den WM-Pokal holt, und dass für jede Disziplin im Guinessbuch der Rekorde nur einer beziehungsweise ein Team den Weltrekord hält – vom längsten Fingernagelträger bis zum häufigsten Fahrgastmitnehmer bei den Kölner Verkehrsbetrieben. Und wir wissen auch, dass es selbst dem größten Multitalent unmöglich ist, alle Wettbewerbe gleichzeitig zu gewinnen. Wir müssen uns also entscheiden, bei welchen Wettbewerben wir gewinnen wollen. Und es lohnt sich darüber nachzudenken, was »gewinnen« für uns genau bedeutet. Und oft gewinnen wir gerade dann am meisten, wenn wir alles ganz entspannt angehen lassen – und einfach nur Freude an dem haben, was wir tun. Obwohl ich eine eher mittelprächtige Sportlerin bin, habe ich an einem Halbmarathon teilgenommen. Ich gehörte zum letzten Drittel, das ins Ziel lief. Aber da ich in meiner Altersklasse die einzige Frau war, die überhaupt ankam, überraschte mich die Wettkampfleitung am Ende mit einer Urkunde: Es war der erste Platz. Ich und ein erster Platz im Laufen – das war, als hätte ein Teddybär ein Tanzturnier gewonnen.
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Was bedeutet für Sie ein erster Platz? Hat es für Sie eine Bedeutung, ob es einen zweiten gibt? Was bedeutet für Sie gewinnen? Wie wird man zum »Gewinner im eigenen Leben«? Auch wenn Lehrer in Wettbewerb über Räume treten, ist es sinnvoll, darüber nachzudenken, was »gewinnen« genau bedeutet, was »verlieren« bedeuten würde, und wem was wichtig ist. So erschließen sich plötzlich neue Räume, an die vorher keiner gedacht hätte. So können tatsächlich alle gewinnen – auch wenn sie es zuvor für unmöglich gehalten haben. Da man heute – anders als in der Steinzeit – nicht damit rechnen muss, sofort selbst umgebracht zu werden, wenn man andere nicht umbringt, hat man in Konfliktsituationen meist ein paar Sekunden oder Tage mehr Zeit, um zu entscheiden, wie es weitergehen soll. Der erste Impuls, den unsere inneren Tiger senden, lautet platt: »Ich will gewinnen. Hier und jetzt!« Der erste Impuls, den unsere inneren Opossum- und Hasenanteile senden, lautet platt: »Ohne mich.« Wir entscheiden, in welchen Disziplinen wir wirklich Gewinner im eigenen Leben werden wollen und wie wir uns davor schützen, dass andere uns ärgern. Was ist Ihnen wirklich wichtig? Je besser wir – wie die Lehrer der Einsteinschule – herausfinden, welche Interessen es gibt, desto besser können wir in jeder Streitsituation die Menschen und/oder Werte gewinnen, die uns wirklich wichtig sind. Denn aus Streitsituationen profitiert der am meisten, der herausfindet, was ihm wirklich wichtig ist. Und was kann man tun, um in Beruf, Familie und Freundeskreis gemeinsam Erfüllung und Erfolg zu haben? Was würde passieren, wenn wir überall auf Win-Lose setzten? Selbst, wenn wir jedes Mal in der Sache gewinnen würden – was rein statistisch sehr unwahrscheinlich ist –, für unsere Beziehungen wäre das fatal. Denn wer will schon mit jemandem zusammen arbeiten oder leben, gegen den er ständig verliert? Wenn wir im Beziehungsleben auf Win-Lose setzen, verlieren beide: Der Loser verliert in der Sache, der Gewinner verliert in der Beziehung. Für langfristige Beziehungen in Berufsund Privatleben ist Win-Lose deshalb ziemlich ungeeignet.
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Reibereien vollständig zu vermeiden geht leider auch nicht. Denn wo Menschen zusammen kommen, gibt es Wünsche. Und wo Wünsche nicht erfüllt werden, kommt es früher oder später zu Auseinandersetzungen. Werden sie nur halbherzig durch Kompromisse behoben, werden aus kleinen Reibereien immer größere Konflikte. Deshalb ist es notwendig, Reibereien in den Beziehungen, die uns wichtig sind, dazu zu nutzen, uns weiterzuentwickeln. Dazu reicht es nicht, Streitigkeiten irgendwie mit mehr oder weniger faulen Kompromissen zu beenden. Dazu braucht man neue Ideen. Das ist in den besten Arbeits- und Privatbeziehungen so. Auch bei Cordula und Stefan. Sonntag Nachmittag. Die Sonne scheint, auf den Balkons ringsum klimpern Kaffeetassen, leises Stimmengemurmel. Plötzlich ertönt ein dampfender Heulton. Cordula schreckt hoch. »Was ist das denn?« Sie entdeckt Stefan auf dem Balkon, den neuen Dampfstrahler in der Hand und ein Lächeln auf dem Gesicht. Wenn Cordula ihrem inneren Tiger folgt, wird sie gleich losfauchen. »Was fällt dir eigentlich ein? Kannst du mir mal erklären, was das soll? Denkst du eigentlich gar nicht daran, dass ich hier jeden Tag mit den Nachbarn auskommen muss, während du für deinen Chef lustig durch die Gegend fährst? Und das am Sonntag! Wie kann ein Mensch nur so unsensibel sein? Aber das warst du ja schon immer! Wie es den anderen geht, ist dir doch egal. Das fing schon auf unserer Hochzeitsreise an !« Wenn Cordula ihrem inneren Opossum folgt, wird sie sich wieder in ihren Sessel setzen. »Es hat ja doch alles keinen Sinn. So ist er nun einmal. Und ich muss es dann ausbaden. Die Frau Schmitz unter uns wird die nächsten Monate wohl nicht mit mir reden. Wo sie doch heute Besuch aus München hat. Und jetzt dieses Gedampfe und Gedüse über ihr. Hoffentlich spritzt ihr das Dreckwasser wenigstens nicht auf die Kaffeetafel! Das Leben ist schon schwer. Aber so ist es halt. Was man nicht ändern kann, kann man nicht ändern.« Wenn Cordula ihrem inneren Hasen folgt, wird sie ihre Schuhe anziehen und das Weite suchen. »Ein Streit mit Stefan oder den Nach-
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barn hat ja doch keinen Sinn.« Außerdem hatte sie sich schon so lange vorgenommen, endlich einmal ... und dazu ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt. Cordula huscht kurz zum Balkon – und bevor Stefan irgendetwas antworten kann, ruft sie: »Bin heute Abend wieder da. Tschüss!« Wenn Cordula ihrem inneren Löwen folgt, ärgert sie sich zwar auch über Radau und Wassermassen der platschenden Balkonaktion. Aber sie weiß, dass langfristig weder weglaufen, noch losbrüllen oder sich stumm ärgern etwas nützt. Weder in der Sache, noch für die Beziehung. Irgendetwas Sinnvolles, so weiß sie als Löwin, wird er sich dabei gedacht haben. Alle Löwen wissen, dass auch die dusseligste Verhaltensweise für irgendetwas gut sein soll. Statt Stefan in Grund und Boden zu verdammen oder zu resignieren, müsste sie versuchen herauszufinden, was ihr Schatz mit dieser Aktion bezwecken will. Und wieso er gerade zu dieser Zeit darauf kommt. Als Löwin weiß sie, wie leicht sie hier missverstanden werden kann. Wenn sie auf den Balkon geht und fragt: »Warum machst du das?«, wird Stefan sie, wenn auch nur der Hauch eines Unbehagens in ihrer Stimme mitschwingt, wahrscheinlich mit einem Tiger verwechseln und ihre »Warum-Frage« für einen Angriff halten. Das hängt damit zusammen, dass wir von Kindesbeinen an mit »Warum-Fragen« bombardiert werden, wenn wir etwas ausgefressen haben oder nicht das getan haben, was wir gerade sollten: »Warum hast du Dein Zimmer nicht aufgeräumt?« – »Warum hast du die Hausaufgaben nicht gemacht?« – »Warum haben Sie die Akten noch nicht bearbeitet?« – »Warum hast du mich nicht angerufen?« Cordula weiß: Der Ton macht die Musik. Wenn sie mit der Vorstellung zu Stefan geht »irgendetwas Sinnvolles wird er sich schon dabei gedacht haben«, und dann danach fragt, was dieses »Sinnvolle« sein mag, stehen die Chancen gut, den richtigen Ton zu treffen. Wenn sie hingegen eine Mischung aus innerem Ärger, Wut oder Groll zu verdecken sucht, klingt die Oberfläche freundlich, während die brodelnde Lava im Klang durchschimmert. Cordula geht also auf den Balkon. Stefan macht einen glücklich-
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vertieften Eindruck. Er scheint mit seinem neuen Dampfstrahler und dessen Leistungsfähigkeit rundum zufrieden zu sein. Menschen, die zusammen leben oder arbeiten, entwickeln im Laufe des Zusammenseins eigene Formen für Unterbrechungen. Cordula findet einen Weg, Stefan zu einer kleinen Dampfpause ins Haus zu bitten. Sie sagt: »Du, Stefan, entschuldige, dass ich störe ... Wenn es gleich passt, kannst du dann bitte einen Moment hereinkommen?« Stefan brummelt: »In einer Stunde bin ich hier fertig. Ist das früh genug?« Cordula schmunzelt: »In einer Minute wäre mir lieber.« Stefan: »Na, du scheinst es ja eilig zu haben. Ich komme.« Wenn Cordula ihren Ärger über Stefans Krach- und Spritzaktion herunter geschluckt hätte, bevor sie auf den Balkon ging, hätte sie nicht mehr so gelassen reagieren können. Je länger sie den Ärger aufgestaut hätte, umso mehr hätte ihr limbischer Taschenrechner dafür gesorgt, dass sie schnippisch oder pampig, resignierend oder frustriert geantwortet hätte: »In einer Stunde ist es zu spät!« Jetzt sitzen die beiden im Wohnzimmer und Stefan ist gespannt, was Cordula denn so Dringendes zu sagen hat – und ein bisschen ärgerlich, weil er es hasst, unterbrochen zu werden. Cordula ist auch gespannt, wie sie die Situation retten soll. Und sie ist ein bisschen ärgerlich, weil das Gespritze und Gelärme die Nachbarn bereits gestört haben wird. Da ist sie sich sicher. »Ach, hätte ich doch bloß nichts gesagt.« Cordula hat Angst vor der eigenen Courage. Warum ist es nur so schwer, einem anderen zu sagen, dass einem das, was er gerade macht, nicht gefällt, ohne ihn zu verletzen und sofort im Krach zu landen. Cordula stellt sich vor, was sie sagen könnte: »Stefan, kannst du mir einmal sagen, bitte, warum du jetzt den Dampfstrahler ausgepackt hast?« – Nein. Das würde Stefan eine Mischung aus vorwurfsvoll und scheinheilig finden. »Stefan, ist dir eigentlich klar, dass die Schmitzens unter uns sowohl das Getöse als auch das Dreckwasser auf ihrem Balkon abkriegen?« – Nein, das geht schon gar nicht. Sie versucht es mit einer Frage: »Stefan, kann ich dich mal was
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fragen?« »Ja – deshalb sitze ich ja hier.« »Wie bist du eben auf die Idee gekommen, den Balkon sauber zu machen?« Stefan: »Weil ich nicht ins Krankenhaus will.« Cordula: »Bitte, was?« Stefan: »Na ja, seit ich meinen Aschenbecher auf dem Balkon aufgestellt habe, stapfe ich ja ungefähr zehnmal täglich hinaus. Und durch die starken Regenfälle in den letzten Wochen ist der ohnehin morsche Holzboden so glitschig vermoost, dass ich mir bei meiner Zigarette eben beinahe das Bein gebrochen hätte. Und du kennst mich ja. Wenn etwas zu erledigen ist, dann mache ich es lieber gleich!« Cordula versteht: Aus Stefans Sicht klingt alles logisch. Das sagt sie ihm auch. Und seine Haltung, alles immer sofort in Ordnung zu bringen, hat sie an ihm schon immer geliebt. Jetzt wird Stefan neugierig (stirnrunzelnd): »Aber, warum störst du mich dann? Ich meine ... kann ich es nicht schnell fertig machen, damit wir nachher noch rausgehen können?« Cordula zögert einen Moment: »Du konntest nicht wissen, dass die Mieter unter uns gerade an diesem Sonntag auf dem Balkon ein großes Kaffeetrinken veranstalten. Sie haben nämlich Besuch aus München.« Stefan (etwas genervt): »Und was habe ich damit zu tun?« Cordula: »Auch wenn dein neuer Dampfstrahler viel leiser ist als andere Geräte, ich glaube, wenn man direkt darunter sitzt, ist es doch netter, wenn er aus ist.« Stefan muss lachen: »Dann soll ich jetzt wohl aufhören, was?« Cordula: »Aber vorher sollten wir überlegen, was wir machen können, damit du dir nicht bei jeder Zigarette ein anderes Bein brichst.« Stefan: »Eigentlich lohnt sich diese ganze Dampfstrahlerei gar nicht mehr wirklich. Das Holz ist so morsch. Wenn ich es recht bedenke ... eigentlich sollte man es lieber rausreißen.« Cordula, entsetzt: »Jetzt?« Stefan: »Nein, keine Sorge. Ich habe verstanden, dass die Schmitzens am Sonntagnachmittag einen ruhigen Balkon haben sollen – und den gönne ich ihnen. Aber wir könnten ja nächste Woche mal nach einem Ersatz für das morsche Holz suchen, du mochtest diesen Boden doch nie leiden.« Cordula strahlt. Stefan: »Ich bring mal rasch
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den Dampfstrahler in den Keller, und dann gehen wir raus.« Cordula: »Aber vorher werfen wir noch zwei alte Fußmatten auf das Moos, sonst gibt es hier doch noch Knochenbrüche.« Stefan: »Und vielleicht sollte ich für die Schmitzens eine Flasche Wein mit heraufbringen, was meinst du?« Cordula: »Meinst du nicht, dass das etwas übertrieben ist?« Stefan: »Dann war mein Gedampfe wohl doch nicht so schlimm, oder?« Cordula lacht. Kommt Ihnen das von Cordula und Stefan selbstgemachte Happy End selbstverständlich vor? Oder schwierig? Eigentlich ist es beides. Wenn etwas nicht so läuft, wie wir es gerne hätten, wir uns aber in einer guten Arbeits- oder Privatbeziehung befinden, sorgt der limbische Taschenrechner dafür, dass unsere inneren Tiger, Hasen und Opossums nur einmal vorsichtig aus dem Mittagsschlaf aufschauen und gleich wieder weiterschlafen. Wenn es uns miteinander gut geht, können wir herrlich kooperativ sein. Und wenn wir herrlich kooperativ sind, sind neue Lösungen, von denen alle profitieren, ganz einfach. Wenn sich hingegen Konfliktpunkte angesammelt haben und der limbische Taschenrechner Minuszeichen gesammelt hat, weil es unausgesprochenen Ärger gibt, sind Lösungen schwierig. Und je länger wir zögern, und je mehr sich aufstaut, umso schwieriger wird es. Deshalb heißt die erste Regel der Konfliktlösung: »Alles sollte so früh wie möglich geklärt werden, aber nicht früher.« Wieso nicht früher? Im ersten Augenblick, als Cordula ihren Stefan mit seiner neuen technischen Errungenschaft auf dem Balkon hantieren sah, gab es in ihrem limbischen Taschenrechner einen heftigen Ausschlag. Wäre sie sofort nach draußen gestürmt, hätte ihr innerer Tiger völlig unangemessen gebrüllt. Dieser Augenblick dauert bei Tigertypen – je nach Heftigkeit des Ereignisses – ein paar Atemzüge bis maximal 20 Minuten. Wer in dieser Zeit innerlich ein bisschen Abstand gewinnt und ruhig durchatmet, kommt in den Zustand, in dem ein vernünftiges Gespräch möglich ist. Bei Cordula dauerte es nur ein paar Sekunden. Und warum so früh wie möglich? Je länger eine Konfliktsitua-
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tion ungeklärt bleibt, umso länger hat man Zeit, daran zu denken. Und mit jedem einzelnen Gedanken an den Konflikt stapelt der limbische Taschenrechner ein weiteres Minuszeichen auf. So kommt es, dass kleine Anlässe, die so früh wie möglich, aber nicht früher, angesprochen werden, bessere Chancen haben als die gleichen Anlässe nach einigen Wochen. Es ist wie überall im Leben: Lässt man Flecken eintrocknen, Unkraut sich vermehren, einen faulen Apfel in der Kiste liegen oder ein Computervirus im Netzwerk unbekämpft, nimmt das Drama seinen Lauf. Irgendjemand muss also den Anfang machen – und zwar richtig. Hier liegt die erste entscheidende Weichenstellung. Wenn Cordula nämlich den Tiger in Stefan hervorlockt, wird die Konfliktlösung nicht einfacher. Gesucht wird also ein Weg, den anderen um ein Gespräch zu bitten, ohne seinen limbischen Taschenrechner mit Minuszeichen zu bombardieren. Und weil jeder Mensch andere Erfahrungen gesammelt hat, gibt es hier keine Standardformulierung, die für jedermann passen würde. Und selbst wenn es eine gäbe, sollten Sie sie nicht als Standardformel benutzen. Die besten Formulierungen fallen Menschen ein, wenn sie sich innerlich vorstellen können, gleich eine gute Lösung zu finden. Dabei ist der Tonfall mindestens so wichtig wie die Worte.
Erste Phase: Anfangen – aber richtig »Du, Stefan, entschuldige, dass ich störe ... Wenn es gleich passt, kannst du dann bitte einen Moment hereinkommen?« Cordula bleibt nicht im Sessel sitzen, sie rennt auch nicht davon und schimpft nicht einfach los. Sie sorgt dafür, dass ein ruhiges, ungestörtes Gespräch stattfinden kann, bei dem auch nicht die gesamte Nachbarschaft zuhören kann. Die Einladung zu diesem Gespräch macht neugierig. Sie macht nicht wütend. »Stefan, kann ich dich mal was fragen?« »Ja – deshalb sitze ich ja hier.«
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Wenn es um kleine Fragen geht, die sich gerade aktuell ereignen, reicht das. Geht es um größere Themen und Streitpunkte, die sich angesammelt haben, muss die Vorbereitung etwas ausführlicher werden. Der Direktor der Einsteinschule lud alle Lehrerinnen und Lehrer zu einem gemeinsamen Termin ins Lehrerzimmer ein. Es empfiehlt sich in solchen Fällen, den Zweck der Zusammenkunft, sowie die voraussichtliche Dauer so auf die Einladung zu schreiben, dass möglichst niemand unter mehr Druck gerät als nötig. Denn je weniger Minuszeichen auf den limbischen Taschenrechnern der Anwesenden gespeichert sind, umso weniger ist mit destruktivem Tigerverhalten und wenig nützlicher Hasen- und Opossumzurückhaltung zu rechnen.
Jedes Happy End braucht einen guten Anfang. Damit es am Ende gut wird, macht es Sinn zu überlegen, wo man eigentlich hin will. Was wollen wir gemeinsam erreichen? Am Anfang steht immer die Frage: Was soll am Ende eigentlich vereinbart werden? Am Ende unserer Reiberei soll eine Vereinbarung stehen, die hält. Darauf wollen wir uns verlassen können. Und so wollen wir es dann auch machen. Und wie gelingt uns das, wenn wir uns gerade streiten? Die Antwort: Genau so wie dem Sportlehrer.
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Einmal durchatmen. Eine kleine Pause machen. Dafür sorgen, dass alle wirklich zuhören. Und dann fragen: »Was wollen wir eigentlich erreichen? Was soll am Ende herauskommen?« Wenn sich alle gemeinsam auf das Ziel eines Gesprächs geeinigt haben, endet die erste Phase. Manchmal geht das relativ einfach – wie bei Cordula und Stefan und den Lehrern der Einsteinschule. Was Sie tun, wenn es nicht ganz so einfach ist, erfahren Sie später. Die Lehrer vereinbaren: »Unser gemeinsames Ziel für diese Konferenz ist es, eine Lösung zu finden, wie die Räume der Schule für den Computerunterricht so genutzt werden können, dass es für alle Lehrer und Schüler gut passt.« Jetzt wissen alle, mit welchem Ziel sie hier sind und was für eine Lösung gesucht wird.
Zweite Phase: Liste der Themen In einer kleinen, aktuellen Streitfrage spricht man das Thema am besten gleich an. Cordula: »Wie bist du eben auf die Idee gekommen, den Balkon sauber zu machen?« Damit man sich auf die Suche nach neuen Ideen machen kann, sollten zu Beginn alle gehört werden und alles sagen dürfen, was ihnen wichtig erscheint. Manchmal entdeckt man auf diese Weise, dass der Konflikt, der sich an die Oberfläche getraut hat, in Wirklichkeit ein verschobener Konflikt ist. Manchmal findet man in dieser Phase heraus, dass auf die Liste der Themen noch ganz andere Dinge gehören, als man am Anfang gedacht hat. Und manchmal stellt man fest, dass einige Themen davon besser später oder mit anderen Menschen geklärt werden sollten. Das Thema der Religionslehrerin, die gern die Frage des Umgangs miteinander mit auf die Themenliste setzen wollte, wurde nicht mit aufgenommen. Es sollte zu einem anderen Zeitpunkt besprochen werden. (Wann es
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sinnvoll sein kann, die Themenliste nicht zu begrenzen, lesen Sie ab Seite 169.) Die zweite Phase ist damit beendet.
Dritte Phase: Positionen und Interessen Stefan wollte den Balkon mit dem Dampfstrahler reinigen. Seine Position: »Ich will jetzt dampfstrahlen.« Cordula wollte das Gegenteil. Ihre Position: »Auf dem Balkon soll jetzt kein Dampfstrahler lärmen und dampfen.« Beide haben für ihre Position eine Begründung. Es ist das Interesse, irgendetwas auf dieser Welt zu erreichen, was ihm oder ihr wichtig ist. Stefan hatte das Interesse, für Sicherheit und Gesundheit zu sorgen. Das Risiko, sich auf dem glitschigen Boden zu verletzen, sollte beseitigt werden. Cordula hatte das Interesse, eine gute Nachbarschaft zu pflegen. Sie wollte den Nachbarn weder mit Lärm noch mit Schmutzwasser zu Leibe zu rücken. Der Grund dafür, weshalb wir etwas tun oder nicht tun, hat regelmäßig zwei Aspekte. Der eine Aspekt kommt aus der Vergangenheit. Eine Kette von Ursachen hat dazu geführt, dass Stefan und Cordula einiges nicht wussten. Er wusste zum Beispiel nicht, was gerade in der Nachbarschaft los ist und er wusste auch nicht genau, wie laut und wasserplatschend sich der Dampfstrahler auf dem unteren Balkon auswirken würde. Sie wusste nicht, wie gefährlich glitschig es auf dem Balkon war. Deshalb hatte Stefan zunächst keine Bedenken, den Dampfstrahler am Sonntag in Aktion zu bringen. Deshalb hielt sie ihn für verrückt geworden und hatte zunächst kein Verständnis für seine Aktion. Vergangenheitsorientiert hätte man sich darüber fetzen und erforschen können, wessen Nichtwissen worauf beruht. Und wer der Schuldigere von beiden ist. Früher hat man bei Streitigkeiten regelmäßig zuerst in die Vergangenheit geschaut. Wer hat etwas falsch gemacht? Konnte Stefan wissen, dass er Cordula damit ärgern würde, wenn er am Sonntag dampfstrahlte? Musste er ahnen, dass er das Nachbarschaftsverhältnis gefährden
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würde, weil unter ihm Kaffee getrunken werden sollte und er die Kaffeetafel mit Schmutzwasser bespritzte? Trifft Cordula ein Mitverschulden, wenn sie es ihm hätte sagen können, aber nicht gesagt hat? Wer hätte wem gegenüber welche Sorgfaltspflichten einhalten müssen? Früher spielte das, was Menschen durch ihr Verhalten erreichen wollten, also die Frage, wofür das Handeln in der Zukunft nützlich sein soll, bei der Klärung von Konflikten regelmäßig eine zu geringe Rolle. Schuldfragen, Sündenbockfragen und andere in die Vergangenheit gerichtete Fragen sind bei Konflikten auch heute noch sehr beliebt. Insbesondere bei Tigern, die damit ein herrliches Instrumentarium haben, andere runter zu machen. Um Lösungen zu finden, die tragfähig sein sollen, ist die Vergangenheitserkundung manchmal nützlich, wenn ein gerechter Ausgleich gefunden werden muss. Um die Zukunft zu gestalten, reicht ein gerechter Ausgleich allein nicht aus. Hätten Stefan und Cordula sich ausschließlich mit der Frage befasst, wer an dem Sonntagsdilemma Schuld ist, hätten sie viele Details erforschen können. Die Gerichte dieser Welt müssen das regelmäßig tun, wenn Menschen einander verklagen. Damit ein Richter entscheiden kann, wer Recht bekommt, ist es seine Aufgabe, die Vergangenheit juristisch zu beleuchten. Seit einiger Zeit gibt es jetzt auch bei Gerichten gerichtsnahe Mediation. Dort wird die Frage nach den Interessen gestellt und damit der Blick auf das gerichtet, was den Beteiligten für die Zukunft wichtig ist. In Unternehmen und Organisationen heißt das Verfahren Wirtschaftsmediation. Wie die Profis in Recht und Wirtschaft können auch Sie am Arbeitsplatz, im Freundeskreis und zu Hause das Werkzeug der Mediation dafür nutzen, zukunftsgestaltende Lösungen zu finden. Fragen Sie sich selbst und die anderen wie die Profis danach, wofür das, was jeder erreichen möchte, wichtig ist. So finden Sie das zugrundeliegende Interesse, das Kernstück der guten Konfliktlösung. Gesundheit, Sicherheit oder gute Nachbarschaft, Ehre, Freiheit oder finanzielle Unabhängigkeit können solche Interessen sein. In
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den meisten Fällen wissen wir gar nicht genau, was das eigentliche Interesse ist, das uns treibt, wenn wir Dinge tun oder nicht tun. Manchmal finden wir es erst, wenn wir uns selbst fragen oder gefragt werden. Cordula und Stefan haben ihre Interessen leicht herausgefunden. Und sie konnten sich gegenseitig dabei gut verstehen. Auch Stefan war nicht daran gelegen, die Nachbarn zu verärgern. Und auch Cordula war nicht daran gelegen, ihren Mann mit gebrochenem Bein im Krankenhaus zu besuchen. Bei den Lehrern war es ähnlich. Auch ihnen gelang es, ihre Interessen herauszufinden. Die Informatiklehrer wünschten sich, dass auch der neue Computerraum für die Schülerzahl groß genug sein sollte. Und jeder Raum sollte angemessene Lichtverhältnisse haben. Jeder einzelne Lehrer im Lehrerkollegium hatte ein Interesse: Jeder wünschte sich, für sein Fach genug Raum zu haben – im wahrsten Sinne des Wortes. Und wofür war ihnen das wichtig? Dahinter steckten viele weitere Interessen. Sie wollten guten Unterricht in angemessenen Räumlichkeiten machen können. Auch wenn sie nicht sämtliche dahinterliegenden Interessen genannt haben, wurde deutlich, wie wichtig ihnen dieses Interesse war. Manchmal genügt es, beim ersten Interesse stehen zu bleiben. Manchmal ist es sinnvoll, wenn die Beteiligten weitere dahinter liegende Interessen nennen dürfen. Vielleicht steht bei dem einen oder anderen der Arbeitsplatz im Vordergrund. Vielleicht die Qualität des Unterrichtes, die Zukunft der Kinder oder ein nützlicher Beitrag für die Welt.
Vierte Phase: Heureka – die Lösung finden Die alten Griechen riefen: »Heureka!« und meinten damit: Ich habe es gefunden. Als erster, so sagt es die Legende, soll der alte Archimedes Heureka gerufen haben, als er ein wichtiges, physikalisches Gesetz entdeckte. Er lag gerade in der Badewanne, stellte fest, wie seine Körperteile das Wasser verdrängen – und plötzlich kam die Erleuchtung. Freudestrahlend, pitschnass und splitterfasernackt –
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so die Überlieferung – soll er vom Badehaus nach Hause gelaufen sein. Wenn wir herausgefunden haben, worum es in einem Konflikt wirklich geht, und wem was wichtig ist, geht es uns oft ähnlich wie Archimedes. Auch wenn wir gerade nicht in der Badewanne liegen. Dann kommt plötzlich eine Idee. Einstein soll zu einer Erfindung einmal gesagt haben: »Nicht ich habe es gefunden. Es hat mich gefunden.« So ist es vielleicht auch bei Erfindungen, die Sie in Zukunft machen können, wenn Sie sich neue Konfliktlösungen ausdenken. Vorher denkt man: Es geht gar nicht. Hinterher denkt man: Eigentlich ganz einfach. Lösungsideen müssen nicht immer so spektakulär sein wie die Erfindungen eines Archimedes oder Einstein. Auch eine Kombination aus einer kurzfristigen und einer langfristigen Idee, um einen Balkonboden ungefährlich zu machen, kann etwas sein, das ein Paar am Sonntag glücklich macht und für ein gutes Nachbarschaftsverhältnis sorgt. Die Idee, gegen Rutschgefahr kurzfristig Fußmatten und langfristig einen neuen Boden zu verlegen, statt am morschen Holz herumzudampfen, findet sich leicht, wenn man auf unnötige Sündenbockschimpfereien verzichtet. Für die Nachbarschaftspflege ist ein ruhiger Sonntag nützlich, und das Paar hat noch genug Zeit, um den Sonntagnachmittag draußen zu genießen. Es gibt Streithähne und Streithennen, bei denen mindestens einer eine ziemlich gute Vorstellung davon hat, welche Lösung er gern hätte. Leider teilt der andere sie gar nicht. Oder sie haben einen ausweglos erscheinenden Konflikt, bei dem keiner eine Lösung weiß. Im ersten Fall will sich jeder durchsetzen. Das Dumme ist: Dann verliert der andere – oder man selbst. Der schlechteste Weg wäre ein fauler Kompromiss. Wenn jeder ein bisschen nachgibt, sind beide unzufrieden und alles wird nur noch schlimmer. Es ist also langfristig gesehen nicht sinnvoll, dass sich nur die eine Seite mit ihrer alten Idee durchsetzt und die andere verliert. Es ist auch nicht sinnvoll, dass sich jeder mit seiner alten Idee ein bisschen durchsetzt und jeder ein bisschen verliert. Natürlich könnte Stefan nur die nicht
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platschgefährliche Hälfte des Balkons dampfstrahlen. Das wäre ein klassischer Kompromiss. Das Ergebnis: Alle wären unzufrieden. Auf dem Weg zum Aschenbecher wäre es zum Teil immer noch glatt. Die nachbarliche Kaffeetafel wäre zum Teil immer noch gestört. Jeder hätte ein bisschen nachgegeben, aber wirklich genützt hätte es nicht. Sich ein bisschen durchsetzen reicht meist nicht, um einen Streit erfolgreich zu lösen. Neue Ideen müssen also her. Diese neuen Ideen sind nur dann richtig klasse, wenn sie das, was allen wichtig ist, berücksichtigen. Wer es noch nicht erlebt hat, denkt, das geht gar nicht. Einige Lehrer konnten sich keine Win-Win-Lösung vorstellen. Denn sie glaubten, etwas anderes als ehemalige Fachräume käme für die Computer nicht in Frage. Ideen, die alle zufrieden stellen könnten, waren für sie nicht einmal in der Fantasie vorstellbar. So lange Menschen in den eingefahrenen alten Bahnen denken, können sie neue Ideen nicht finden. Sie können nicht einmal glauben, dass so etwas überhaupt möglich ist. Wer diese Erkenntnis einmal gewonnen hat, hat den größten Schritt bereits gemacht. Um neue Wege zu finden, müssen wir alte verlassen. Das wollen wir Menschen aber meistens nicht. Denn schließlich glauben wir zu Recht, dass der alte Weg das Beste ist, was es geben kann. Denn es ist ja das Beste, was uns bis jetzt eingefallen ist. Und etwas anderes kommt in unserer Vorstellung bis jetzt ja noch nicht vor. Es ist tatsächlich ein Abenteuer. Wenn Menschen ihre alten Positionen loslassen, ist es ein bisschen wie Kolumbus’ Aufbruch in eine neue Welt. Wir wissen ja nicht genau, wo Indien liegt und welche Gefahren uns erwarten. Deshalb brauchen wir unbedingt eine gute Vorbereitung. Diese Vorbereitung muss uns die Sicherheit geben, die uns unsere alte Position bisher gegeben hat. Also schauen wir uns erst einmal genau an: Was gefällt mir an meiner Lösungsidee, hinter der ich mich verschanze, so besonders? Was ist mir daran wichtig? Aber wissen wir das überhaupt? Manchmal wissen wir zwar ge-
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nau, dass wir etwas wollen, aber wir wissen gar nicht so genau, warum wir es eigentlich wollen. Erinnern Sie sich an die Musiklehrer. Sie wollten ihren Raum auf keinen Fall abgeben. Ihnen fiel als Argument sofort ein, dass die kostbaren Musikinstrumente vielleicht gefährdet sein könnten. Aber war das schon alles? Welche weiteren Interessen gab es noch? Manchmal haben wir unterschwellige Interessen, die wir noch gar nicht genau in Worte fassen können. Wir haben diese Interessen, weil wir bei uns selbst oder bei anderen bestimmte Erfahrungen gemacht haben. Diese Erfahrungen haben wir im Unbewussten gespeichert. Das Wissen, was von dort kommt, nennt man Intuition. Wer seine Interessen und Bedürfnisse besser herausfinden will, kann diese Intuition nutzen und ihnen auf die Spur kommen.
Fünfte Phase: Abschlussvereinbarung Für kleine, schnelle Streitigkeiten und ihre Lösungsideen reicht ein Kopfnicken, ein Lächeln oder ein einfaches »Ja«. Cordula und Stefan brauchten nicht einmal das ausdrückliche »Ja«. Stefan: »Ich bring mal rasch den Dampfstrahler in den Keller, und dann gehen wir raus?« Cordula: »Aber vorher werfen wir noch zwei alte Fußmatten auf das Moos, sonst gibt es hier doch noch Knochenbrüche.« Werden die Themen und die Vereinbarungen komplexer, macht es Sinn, das Vereinbarte zu notieren. Sind Missverständnisse wahrscheinlich, sollte man alle möglichen Missverständnisse ansprechen, ausräumen und die Ergebnisse aufschreiben. Zum Zeichen, dass alle sich daran halten wollen, braucht man keine Unterschrift. Aber es gibt Situationen, in denen eine Unterschrift nicht nur bei Streitigkeiten um Automängel oder Handwerkerrechnungen sinnvoll ist. Auch in der Familie oder im Büro kann eine aufgeschriebene Regelung für Klarheit sorgen. Wer sich nicht genau erinnert, was vereinbart war, kann es dann nachlesen.
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Gut zu wissen Eine gute Konfliktlösung endet damit, dass alle zufrieden sind. Dazu braucht sie einen Abschluss, der allen gefällt. Wenn es Streit gibt,hat jeder eigene Vorstellungen davon,was er gut findet. Zu Beginn glauben deshalb alle, einer wird verlieren und der andere gewinnen (Win-Lose) oder alle geben ein bisschen nach (Kompromiss). Deshalb müssen neue Ideen her, wenn alle gewinnen wollen. So kann man sich auf die Suche nach neuen Ideen machen. Und das setzt voraus, dass man sich überhaupt erst einmal zusammensetzt. Einer muss den Anfang machen. Und wie macht man das? Das Happy End beginnt am Anfang. Wer am Anfang zielgerichtet fragt:»Was wollen wir erreichen? «, hat gute Chancen, sein Ziel zu erreichen. Die fünf Phasen (ALPHA-Struktur) im Überblick:
Anfang (die erste Phase):Wie fängt man eigentlich an? Jetzt setzen wir uns zusammen. Was wollen wir gemeinsam erreichen? Wir besprechen, was wir besprechen wollen. Der Anfang ist gemacht.
Liste der Themen (die zweite Phase): Um welche Themen geht es eigentlich? Was willst du wirklich? Was will ich wirklich? Aktives Zuhören und das Wunder der Verständigung.
Positionen und Interessen (die dritte Phase):Wofür ist dir das eigentlich wichtig? So finden Sie das Wesentliche.
Heureka! Profi-Tipps für Konfliktlösungserfinder (die vierte Phase): Und wo kommen nun die neuen Ideen her? So werden Sie zum Ideenerfinder.
Abschlussvereinbarung (die fünfte Phase): Und worauf wollen wir uns jetzt wirklich einigen? Was machst du? Was mache ich? Wann? Wie? Wo? Und wie können wir dafür sorgen, dass wir auch halten, was wir versprechen?
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Wer das »Happy End« richtig vorbereitet, hat gute Chancen. Und was müssen Sie dafür tun? Finden Sie heraus, wen Sie für die Lösung brauchen, wann der beste Moment ist zu beginnen und was Sie gemeinsam erreichen wollen. Wenn Ihr Streitpartner ein verständiger Löwe ist, brauchen Sie nur eine Frage oder ein Augenzwinkern, und Ihr Löwe ist damit einverstanden, anzufangen. Nils spricht Johann an: »Reden?« Johann: »Nach’m Mittagessen?« Die Männer hauen die Fäuste gegeneinander. Sie wissen, das heißt: Alles klar. Das geht im Beruf wie im Privatleben. Zwar sagen viele Frauen: »Mit meinem Mann würde so etwas überhaupt niemals gehen. Mein Mann ist ein Mann der Tat. Er hasst es, Gespräche zu führen, die für ihn in die Kategorie ›dummes Gesülze‹ fallen.« Diese Frauen sind dann überrascht, wenn sie ihre Männer in einer Mediation erleben (einige allerdings erst in der Scheidungsmediation). Der Grund, weshalb Menschen, ganz gleich, ob Männer oder Frauen, vor Konfliktgesprächen zurückschrecken, ist meist der, dass ihnen bisher die Erfahrung fehlt, wie viel es bringen kann. Wer die Befürchtung haben muss, von einem Tiger oder einer Tigerin aufgefressen zu werden, tut zu Recht gut daran, zum Hasen zu mutieren. Deshalb gilt: Wer seinen aktuellen Streitpartner zu einem Win-Win-Gespräch einladen will, sollte ihn in diesem Gespräch weder auffressen noch verletzen. Nur wenn der Streitpartner weder Vorwürfe noch andere Nachteile befürchten muss, wird er sich jetzt und auch in Zukunft wieder auf eine Lösungssuche einlassen.
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Je mehr die unterschiedlichen Wünsche zu einer Verhärtung und zum Streit geführt haben, desto schwieriger ist der Anfang.
Wie Sie zu Beginn die richtigen Raufpartner auswählen Fragen Sie den Streitpartner, wann er etwas Zeit hat, mit Ihnen in Ruhe zu reden. Wenn er ein Löwe ist, ist das nicht schwierig. Dann setzen Sie sich zusammen und überlegen, was passiert, wenn Sie die Sache nicht klären. Und Sie entscheiden sich dafür, etwas besseres, nämlich eine Win-Win-Lösung, zu suchen. Das Problem ist nur, dass nicht alle ihre Streitpartner Löwen sind. Wenn Sie ein Opossum bitten wollen, sich mit Ihnen zusammenzusetzen, muss es zunächst einmal ans Telefon gehen, seine E-Mails lesen oder die Tür aufmachen. Manche Opossums haben jedoch so viel Angst, dass ihnen das nicht möglich ist. Also wird Ihr Opossum eventuell nie erfahren, dass Sie den Anfang machen wollten.
Wenn Sie einen Hasen auf der Gegenseite haben, ist es ähnlich. Sollte es Ihnen gelingen, die Botschaft in seine langen Ohren zu platzie-
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ren, bevor die Ohren wieder woanders sind, hat der Hase leider überhaupt keine Zeit und ist schneller weg, als man gucken kann. Wenn Sie einen Tiger auf der Gegenseite haben, ist es ganz anders. Der Tiger wird kein Problem damit haben, Ihre Botschaft zu empfangen. Aber er wird dem Braten nicht trauen. Wer selbst davon ausgeht, dass die einzige Lösung im Konflikt darin besteht, den Gegner zu vernichten, muss jeden Lösungsversuch für eine Falle halten. Dass der Anfang so schwer ist, liegt also nicht etwa daran, dass es keine Win-Win-Lösungen gäbe. Es liegt einfach nur daran, dass Menschen Angst haben. Und wer Angst hat, versteckt sich, läuft weg oder beißt zu. Sich bei Angst auf den Verhandlungsplatz vor die Höhle des Löwen zu wagen, erfordert Löwenqualitäten.
Die Angst nehmen Druck machen hilft hier gar nichts. Je größer der Druck, desto größer die Angst und desto weniger wahrscheinlich ist es, dass Sie hinkriegen, was Sie wollen. Was meistens hilft, ist ein Dritter. Wenn es Ihnen gelingt, jemanden zu finden, vor dem Ihr Streitpartner keine Angst hat und dem er vertrauen könnte, dann haben Sie eine gute Chance. Bitten Sie den Dritten, Ihren Streitpartner zu einem Gespräch einzuladen. Vielleicht tut es dann gut, wenn der Dritte auch bei dem Gespräch dabei ist. Vielleicht genügt es, wenn er den Weg an den Verhandlungstisch ebnet. Gelingt es dem Dritten, Löwe, Opossum, Tiger oder Hasen bis zum Verhandlungstisch zu begleiten, ist der Anfang gemacht. Ist der Streit noch nicht so heftig entbrannt, dass Ihr Partner vor Ihnen zu viel Angst hätte, wird es Ihnen selbst gelingen, ihn an den Verhandlungstisch einzuladen. Je früher Ihnen das einfällt, umso leichter wird es gehen. Denn die meisten Streitsituationen haben die unangenehme Eigenschaft, sich in Windeseile zu verschlimmern – wie schnell wachsendes Unkraut, das zu lange unbemerkt bleibt.
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Manche Menschen, die einen ärgern, sind gar nicht die richtigen Streitpartner. Mit ihnen sollte man nur klären, wie sie aufhören können, einen unsinnig zu nerven. Hier ein paar Klassiker: In Unternehmen weit verbreitet ist der Opossumtiger, auch »Radfahrer« genannt. Wie ein Radfahrer »nach oben buckeln und nach unten treten« bedeutet: Nach oben Opossum spielen und keinen Mut haben, dem Vorgesetzten zu sagen, was anders sein müsste, nach unten aber den wilden Tiger heraushängen lassen und alles beißen, was sich nicht wehren kann. Wenn ein Opossumtiger mit Ihnen Streit anfangen will, überlegen Sie genau, ob er wirklich der Zuständige für Ihr Problem ist, falls Sie eins haben, und ob Sie wirklich für sein Problem zuständig sind, falls er eins hat. Opossumtiger neigen nämlich dazu, ihre Schwierigkeiten nach unten umzuverteilen und in der Angst, etwas falsch zu machen, mehr Hiebe nach unten zu verteilen als ihnen und ihren Mitarbeitern gut tut. Personen, die nicht zuständig sind, sollte man gar nicht erst behelligen. Denn wenn sie antworten, hat man ein Problem. Dann muss man sie ignorieren, wenn man mit den Zuständigen verhandeln will. Das schafft neue Probleme. Oder man muss ihre unmaßgebliche Meinung berücksichtigen. Das kann erst recht Probleme schaffen. Die erste Frage ist deshalb: Wer ist für dieses Thema wirklich zuständig und wer nicht? Ein anderer Klassiker ist der Hasentiger. Er verbreitet sich immer dann besonders schnell, wenn die Wirtschaftslage insgesamt nicht so rosig ist. Dann reißt er überall neue Projekte auf, meldet sich für alle Aufgaben, tanzt jedem auf der Nase herum, und weil er so ständig überlastet ist und nichts fertig bekommt, brüllt er alle an, die unter seinem Chaos leiden. Will der Hasentiger mit Ihnen streiten, überlegen Sie ebenfalls: Sind wir beiden wirklich genau die Richtigen, die für dieses Thema eine Lösung finden können? Brauchen wir weder die Zustimmung, noch die Unterstützung von Vorgesetzten oder Teammitgliedern? Da der Hasentiger immer mehr auf seinen Schultern transportiert, als er schaffen kann, produziert er immer mehr Schnittstellen, als eigentlich vorgesehen sind. Wer
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diese Schnittstellen bedenkt und die Betroffenen einbezieht, hat schon fast gewonnen. Ganz anders hingegen ist das Hasenopossum. Es wird mit Ihnen keinen Streit anfangen. Denn es ist so beschäftigt, dass es automatisch auf Tauchstation geht, wenn man es braucht. Beim Hasenopossum ist eher das Problem, dass Sie gerne einmal mit ihm herzhaft darüber streiten würden, was sich hier dringend ändern muss. Da das Hasenopossum aber nie zu greifen ist, ist das schwierig. Trotzdem wollen und müssen Sie langfristig eine gute Lösung finden. Hasenopossums sind am besten in Teamsitzungen und Konferenzen greifbar. Ärgerlicherweise ist dort – weil so viele andere zuhören – die Angst vor Gesichtsverlust am größten. Wenn Sie ein Hasenopossum für eine Streitklärung brauchen, vereinbaren Sie am besten den Termin in Anwesenheit anderer. Dann kann sich Ihr Gesprächspartner nicht so leicht entziehen. Die Inhalte klären Sie ohne Gesichtsverlust zu zweit. In der Familie und im Privatleben ist es häufig etwas weniger kompliziert, den richtigen Ansprechpartner zu finden – aber nicht immer. Ist es wirklich die Schwiegermutter, die den letzten Nerv raubt, oder ist es eher der Partner, der statt mit seiner Frau zu sprechen bei der Mutter Verständnis sucht. Häufig sind in Familienstreitigkeiten Dreiecksbeziehungen die Ursache. Wenn der Vater mit dem Sohn nicht redet, weil die Tochter etwas falsch mitgeteilt hat. Wenn man selbst etwas vergessen hat und der Partner daraufhin ein Problem mit einem Dritten hat. Wenn der Partner mit der Freundin fremdgeht. Wer ist wofür eigentlich der Ansprechpartner? Und in welcher Rolle? Die Geliebte in ihrer Rolle als eigene Freundin? Der Partner in seiner Rolle als Partner? Macht das Kind die Hausaufgaben nicht, mit wem führe ich dann ein Lösungsgespräch – mit den Lehrern oder dem Kind? Und in welcher Rolle? Was immer Sie auch klären wollen oder müssen: Sie brauchen den richtigen Gesprächspartner und die Klarheit, in welcher Rolle Sie mit ihm sprechen wollen. Viele Streitgespräche sind deshalb so unfruchtbar, weil die Beteiligten sich nicht trauen, mit demjenigen zu
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reden, den es wirklich angeht, und stattdessen über diejenigen reden oder herziehen, die gerade nicht da sind. Häufig streiten sich Menschen ohne Entscheidungsmacht. Sie verhalten sich (vermeintlich) loyal zu ihren Abteilungsleitern oder sonstigen Führungskräften. Minutenlang oder gar stundenlang bringen sie ihre Argumente. So fighten sie Kämpfe aus, die nichts bringen. Denn sie selbst haben hier gar nichts zu entscheiden. Die Themen werden auf anderer Ebene entschieden. Zurück bleiben verletzte Gemüter – und die Probleme sind die gleichen wie zuvor. Solche Gespräche erkennen Sie daran, dass sie gewisse Ähnlichkeiten mit Stammtischauseinandersetzungen über die (vermeintlichen) Fehler der Politiker haben. Typische Kennzeichen sind: Alle (!) anderen (!) machen immer (!) alles (!) falsch. Nur man selbst hat die richtigen Ideen. Aber darauf hört ja keiner. Bevor Sie in ein Streitgespräch eintreten, stellen Sie sich vor, Ihr Gespräch findet ein gutes und sinnvolles Ende, und Sie bekommen, was Sie wollen. Stellen Sie sich deshalb innerlich folgende Fragen:
• • • • • • • •
Wer sind die Zuständigen? Bin ich wirklich der richtige Streitpartner? Was will ich wirklich? Wofür ist mir das wichtig? Mit wem kann ich das, was ich will oder brauche, wirklich erreichen? Ist es derjenige, der mich gerade jetzt anspricht, oder den ich jetzt ansprechen könnte? Ist es besser, ihn oder sie direkt anzusprechen, oder wen sollte oder müsste ich klugerweise/diplomatischerweise einbeziehen? Ist jemand anders (auch) zuständig? Könnte jemand anders das für mich schneller, besser oder einfacher erreichen? Gibt es noch andere in meiner Lage, die das Thema auch betrifft? Was könnte ich mit wem besprechen, damit meine Bedürfnisse – und die der Firma/der Abteilung gut unter einen Hut gebracht werden?
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Kurzum: Wer ist zu diesem Thema der richtige Raufpartner, und wer ist es nicht? Wenn Sie wissen, wer der »Richtige« ist, dann laden Sie ihn wie die Löwen ein, um das Thema »auszuraufen«. Beim Raufen – und das wissen die Löwen – gibt es keine lebensgefährlichen Verletzungen, denn alle kämpfen mit stumpfen Waffen. Darauf achten Sie bereits bei der Einladung (siehe Seite 132 ff. im vorigen Kapitel). Die Überwindung, sich erst einmal auf den Weg zu machen, fällt manchen leicht. Wer schlechte Erfahrungen gemacht hat, hat es schwerer. Stolz, verletzte Eitelkeiten und Befürchtungen aller Art können sich zu einem Berg auftürmen, der erst einmal erklommen werden will – und zwar von beiden Löwen. Die Vorbereitung beginnt mit der erfolgversprechenden inneren Haltung. Wenn jeder nur vor seinem persönlichen Lieblingsergebnis stehen bleibt und sagt: »Da will ich hin«, wird sich nichts bewegen. Jeder behält deshalb seine Ursprungsidee im Blick. Und beide begeben sich in ein Gespräch, bei dem eine neue Herangehensweise möglich ist. Es ist etwas ähnlich, als würden Sie Ihre Ursprungsideen von einer Anhöhe aus betrachten. Von hier aus sind neue Perspektiven erkennbar. Auch wenn Sie sich in einem ganz normalen Raum mit ganz normalen Stühlen treffen. Metaphorisch gesprochen haben Sie bereits mit Ihrer Ankunft einen Berg erklommen. Von diesem Berg aus können Sie Ihre eigenen Sichtweisen gut erkennen und beschreiben. Und Ihr Gesprächspartner kann das auch. Und worauf bereiten Sie sich dann innerlich vor? Für manche Löwen passt die Metapher vom Jagdplan am besten. Man überlegt sich zunächst, was man jagen will, und begibt sich erst dann gemeinsam in die Jagdgründe, wo diese Tiere zu finden sind. Man weiß zwar noch nicht, wo genau und wie genau sich wer finden lassen wird, aber die Richtung stimmt. Für manche Raufpartner passt die Metapher vom Brückenbau besser. Man macht zunächst einmal einen gemeinsamen Plan. Dann erst baut man von beiden Seiten los. So ist gewährleistet, dass die Brücke in der Mitte auch zusammenkommt und nicht mit abgebrochenen Enden zur Bauruine wird.
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Für die meisten Löwen passt die Metapher vom gemeinsamen Lösungsflug am besten. Sie macht am deutlichsten, wie nützlich es ist, sich zuerst einen Überblick zu verschaffen. Stellen Sie sich vor, das, was Sie gerne möchten, wäre ein Punkt in der Landschaft, den Sie vom Berg aus sehen können. Und das, was Ihr Gesprächspartner möchte, wäre ein anderer Punkt, den Sie auch sehen können. Bevor Sie auf den Berg gestiegen sind, zeigte jeder auf seinen Punkt und sagte: »Da lang!«, und jeder versuchte, den anderen mitzuzerren. Wer sich entscheidet, von Konflikten zu profitieren, stellt das Gezerre ein, sobald sich herausstellt, dass es nichts bringt, und entscheidet sich statt dessen dafür, Überblick und neue Sichtweisen zu erschließen. Wer oben auf einem Berg steht, kann das tun. Kaum etwas wirbelt so viele Emotionen auf wie Konflikte. Wer sich auf eine gemeinsame Konfliktlösung einigt, hat sich dazu entschlossen, die Aufwinde, die aufgewirbelt werden, sinnvoll zu nutzen. Man kann sich das so ähnlich vorstellen, als würde man mit einem Gleitschirm fliegen, um eine neue Lösung herauszufinden und anzusteuern. Das erste Treffen mit dem Gesprächspartner auf dem Berg dient dazu, alles vorzubereiten, damit man gemeinsam losfliegen kann, damit man die Aufwinde möglichst gut nutzen kann, um einen noch größeren Überblick zu gewinnen, und von da aus gemeinsam die Ziele ansteuern kann, mit denen alle einverstanden sind.
Wie Sie den richtigen Zeitpunkt wählen Der Zeitpunkt, um auf diesen Berg zu steigen, das heißt, mit der Konfliktklärung zu beginnen, sollte deshalb so gewählt werden, dass es nicht gleich dunkel wird und man wieder absteigen muss, kaum dass man angekommen ist. Und es ist günstig, wenn man so frühzeitig beginnt, dass man genug Zeit hat, kräftige Aufwinde zu nutzen, sich gemeinsam über die anzusteuernden Ziele und ihre Reihenfolge klar zu werden. Und wie macht man das? Wenn man selbst derjenige ist, der die Streitklärung anregt, kann man diesen Zeit-
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punkt frei aussuchen. Und wenn man auf der anderen Seite steht? Mit dem Streit ist es wie mit der Liebe. Entweder man wird als Partner ausgewählt, oder man wählt selbst. Wird man gewählt, so kann das ganz unverhofft und zum völlig unpassenden Zeitpunkt geschehen. Oder auch nicht. Wie in der Liebe können Sie auch frei wählen, ob Sie jetzt mitmachen wollen, oder nicht. Wenn Sie ein Löwe sind, ist Ihnen das klar. Tiger können sich kaum vorstellen, auf einen Angriff anders zu reagieren als durch sofortigen Kampf. Und Hasen sind schon weg, bevor die Zeit reif ist. Opossums halten jeden Zeitpunkt für falsch. Nehmen wir einmal an, Ihr Streitpartner ist auch ein kluger Löwe und will mit Ihnen ein wichtiges Thema so klären, dass Sie beide etwas davon haben. Dann können Sie blitzschnell überlegen: Wenn wir genau jetzt damit anfangen, wann müssten wir fertig sein, ohne dass wichtige Termine platzen oder wir mittendrin aufhören müssten. Kann man das denn, wenn man sich gerade angegriffen fühlt? Vielleicht nicht sofort. Vielleicht brauchen Sie etwas Übung. Manchen fällt es leichter, wenn sie erst einmal ein paar Sekunden oder Minuten Opossum oder Hase spielen. Aber es lohnt sich, es zu lernen. Denn die Wahl des richtigen Zeitpunktes und eine gute Vorbereitung können in wichtigen Streitgesprächen schon die halbe Miete sein. Das heißt nicht, dass ein spontaner Wutausbruch und eine natürliche, direkte Reaktion nicht herrlich befreiend sein können. Das heißt nur: Wer nicht wählen kann, ob er gerade Lust auf ein spontanes Losplatzen oder eine bedachte Reaktion hat, sagt Dinge, für die er sich – im Nachhinein betrachtet – lieber die Zunge abbeißen würde. Nicht alle Menschen können es aushalten, wenn sie explosionsartigen Ärger abbekommen. Manche Partner, Kollegen, Freunde und Chefs sind danach nie mehr wie vorher. Aber falls Ihnen so etwas einmal passieren und Ihr Gegenüber wirklich nachtragend sein sollte, ist es vielleicht ganz gut so. Wer nicht verzeihen kann, ist Ihre Freundschaft vermutlich nicht wert. Wer so reagiert, hätte Ihnen früher oder später noch manchen Ärger bereitet. Wenn Sie also gerade angegriffen werden, holen Sie tief Luft. Stel-
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len Sie sich ein stilles Opossum vor. Überlegen Sie blitzartig, ob Sie das Thema lieber jetzt oder später ausraufen. Denken Sie voraus, wie lange eine solche Klärung wohl dauern könnte. Je nachdem, wie groß ein Thema ist und wie geübt die beteiligten Löwen sind, kann ein solches Ausraufen mit wenigen Sätzen zur Zufriedenheit aller erledigt sein oder mehrere Stunden benötigen. Ganz gleich, wie rasend oder wütend Ihr Streitlöwe Ihnen gegenübersteht: Ein Löwe versteht – spätestens hinterher – weshalb Sie die Auseinandersetzung mit ihm auf einen späteren Zeitpunkt vertagt haben, wenn Sie sich die Zeit nehmen, um es zu klären und zu erklären, und ist Ihnen nicht böse. Hat Ihr Streitpartner gerade ziemlich viele Tigeranteile und würde Sie am liebsten in der Luft zerreißen, können Sie machen, was Sie wollen: Es wird alles falsch sein, findet jedenfalls Ihr Tiger.
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Gelingt es Ihnen, trotz tigermäßig wildem Angriff einen klugen Kopf zu behalten? Können Sie blitzartig durchspielen, wann wie viel Opossumqualität oder Hasenqualität erforderlich ist? Wie groß sind die Chancen, dass der Tiger aufhört zu beißen? Wann kann man mit dem Tiger vernünftig reden? Oder macht es vielleicht sogar Sinn, dass der Tiger sich beißend verausgabt, um dadurch wieder zum gesprächsbereiten Löwen zu werden? Was wäre das Schlimmste, was passieren könnte, wenn der Tiger sich genau jetzt ausbrüllt? Was wäre daran vielleicht sogar gut? Was wäre das Beste, was passieren könnte? Was können Sie dazu beitragen?
Eine meiner Kundinnen berichtete: »Immer, wenn mich jemand anschreit, habe ich so viel Angst, dass ich – ob ich will oder nicht – sofort aufs Klo muss. Ich habe mir zur Gewohnheit gemacht, dort blitzschnell zu überlegen, ob der Streit jetzt mehr Sinn macht oder
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später. Und ich habe festgestellt: Die meisten Tiger hatten sich schon wieder etwas abgeregt, wenn ich zurückkam. Ich wäre zwar lieber weniger Angsthase. Aber eigentlich hat mir diese Hasenlösung bisher immer genützt.«
Und was passiert, wenn ein Hase oder ein Opossum Sie angreift? Das geschieht nicht. Jedenfalls nicht so, dass man sofort reagieren müsste, wenn man nicht wollte. Opossums sind Meister darin, einen bestimmten Blick aufzusetzen oder einen bestimmten Tonfall an den Tag zu legen, wenn ihnen etwas nicht gefällt. Ob Sie darauf reagieren und das Thema sofort klären wollen, oder erst später, überlässt ein Opossum immer Ihnen. Einen Hasen erkennen Sie in einer vergleichbaren Situation daran, dass Sie ihn von hinten sehen. Also auch hier kein gefährlicher Angriff, für den Sie sich wappnen müssten. Haben Sie genug Zeit? Bei kleineren Themen zu zweit können ein paar Minuten ausreichen. Dann kann die Klärung losgehen. Kleinere Themen erkennt man beim anderen daran, dass plötzlich der Gesichtsausdruck von »normal« zu »leicht verstimmt« wechselt. Bei sich selbst erkennt man es daran, dass der limbische Taschenrechner ein frisches, erstes Minus registriert. Kleinere Themen sind zum Beispiel frisch entstandene Missverständnisse und versehentliche
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Verletzungen, von denen man sich vorstellen kann, sie in ein paar Minuten zu klären. Als Tom am Frühstückstisch sagte: »Kannst du mich nicht einmal am Tag in Ruhe lassen mit deiner dauernden Planerei!«, hatte seine Partnerin Christine in sehr genervtem Tonfall geantwortet: »Ja, kann ich.«. Im Nachhinein merkte Christine: Die Frühstückszeit, im Alltag, wenn alle schnell zur Arbeit müssen, war nicht der richtige Moment für ein Thema, das sich bereits zu einem wunden Punkt entwickelt hatte. Sie kam am Nachmittag auf die Idee, Tom eine witzige SMS zu schicken: »Hier schreibt Deine PvD (Planerin vom Dienst). Erbitte Termin. Küsse. C.«. Manche Menschen finden SMS-Mitteilungen unpraktisch. Tom benutzte einen Communicator mit komfortabler Tastatur und kommunizierte dauernd per SMS. Er liebte dieses Medium. Der Vorteil: Er konnte selbst entscheiden, wann er Zeit hatte zu antworten. Tom schlug die Zeit vor dem Abendessen vor: »18 Uhr? T.« Christine antwortete: »Und wann soll ich dann kochen? C.« Eine Weile kam keine Antwort. Christine überlegte: »Toll wär’s, wenn Tom sie zu ›Salvatore‹, ihrem Lieblingsitaliener, einladen würde, oder wenn er Sushi mitbringen würde...«. Aber stattdessen kam die Antwort: »Dann Samstag früh? Ausschlafen, Frühstücken – und dann reden? T.« Erst war sie enttäuscht. Um das Wochenende zu planen, war das eigentlich zu spät – aber andererseits (sie lächelte) – das war ja schon ein guter Plan für den Start ins Wochenende ... Christine antwortete: »Einverstanden. C.« Und als sie am Samstag darüber sprachen, merkte sie: Alles war einfacher als gedacht. Denn auch Tom schmiedete gerne Pläne – nur nicht morgens am Frühstückstisch. Und vor allem brauchte er Freiheit in seiner Freizeit – und nicht das Gefühl, dass er verplant war wie im Job. Die beiden fanden einen Weg, Freiheitswünsche und Planungssicherheit unter einen Hut zu bringen. Wenn Sie sich auch an größere Themen wagen, reservieren Sie etwas mehr Zeit. Bei Tom und Christine reichte eine Stunde. Manchmal sind mehrere Stunden notwendig. Das hängt von der Intensität der soeben genannten Komplikationen ab. Wer sich nicht sicher ist,
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legt die Streitklärung am besten so, dass danach keine weiteren Termine warten, und es nicht darauf ankommt, ob man sich im Timing verschätzt hat – oder man vereinbart, nach eventuellen Unterbrechungen später weiter zu machen. Beides ist möglich. Manche Unterbrechungen führen zu ganz erstaunlichen, guten Ideen. Bei kleineren Themen kann man einfach anfangen, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Stefans Dampfstrahler war so ein kleines Thema. Und natürlich gibt es noch kleinere. Und dann gibt es die anderen, bei denen es vermutlich etwas schwieriger wird, die Themen, die ein paar Minuten länger dauern. Und wie beginnt man dann eine Streitklärung für ein größeres Thema? Fangen Sie jetzt einfach an? Fängt einfach irgendwer an, irgendwas zu sagen? Wie groß stehen die Chancen, dass einer von Ihnen unterwegs heftig zum Tiger wird, ohne sich wieder einzukriegen? Oder dass einer oder beide hasenartig den Schauplatz verlassen, opossumartig in Schweigen fallen und die gesamte Veranstaltung als unfruchtbare Katastrophe abgebucht werden müsste? Wie groß stehen die Chancen, dass Sie es schaffen, den Kern des Konfliktes zu finden und genau das Thema bearbeiten, um dass es hier gehen soll? Denn Sie wollen ja eine Lösung finden, die für Sie beide passt. Was wird geschehen, wenn Sie jetzt einfach ohne weitere Vorbereitungen irgend etwas sagen und anfangen? Wenn das Ziel eines solchen Gespräches nicht für alle klar ist, oder es für mindestens einen Dinge gibt, die vielleicht beängstigend wirken, ist das Risiko hoch, in Steinzeitmuster zu fallen oder auf Nebenkriegsschauplätze auszuweichen. Dann finden Sie nicht nur für das Thema, um das es eigentlich gehen soll, keine Lösung. Dann endet ein solches Gespräch so, wie zerstörerische Streitgespräche leicht enden. Ist das Katastrophenrisiko Null bis minimal, und ist das Ausweichrisiko Null bis minimal, dann fangen Sie einfach an. Gibt es ein Risiko, dann beugen Sie vor und geben Ihrem Gespräch von Anfang an einen nützlichen Rahmen. Erinnern Sie sich an die Gleitschirmmetapher. Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf Ihrem Konfliktberg. Ihr Ziel: Sie wollen eine Lösung
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finden. Sie wollen zum Beispiel zu zweit klären, ob Sie der Meinung Ihres Gesprächspartners folgen, ob Sie Ihrer Meinung folgen oder gemeinsam etwas Neues finden, was Ihnen beiden gefällt. Wenn jeder jetzt versuchen würde, mit dem gemeinsamen Gleitschirm stur auf das eigene Ursprungsziel loszufliegen – das hieße: Jeder beharrt mit heftigen Worten auf seiner Position –, käme das heraus, was in unfruchtbaren Streitgesprächen immer herauskommt. Entweder man landet bei einem bescheuerten Kompromiss, den keiner wollte oder – noch schlimmer – man stürzt gemeinsam ab und macht eine Bruchlandung ohne Ergebnis. Da man sich von vornherein ausrechnen kann, wie unsinnig das wäre, kann man es auch gleich bleiben lassen. Und wie profitiert man von einem solchen Gespräch am besten? Indem man sich von vornherein ein gemeinsames Ziel setzt. Man stellt sich vor, eine gute neue Lösung zusammen herauszufinden. Deshalb vereinbart man ein gemeinsames Flugziel und überlegt: »Was wollen wir in diesem Gespräch miteinander klären?« Das heißt: Wenn Sie sich auf die Löwenstrategie einigen wollen, sorgen Sie dafür, dass Ziel-Einigkeit besteht. Sonst landen Sie leicht da, wo Sie eigentlich nicht hinwollten. Eine solche Reise hat fantastische Aussichten auf Erfolg, wenn beide sich zu Beginn ein gemeinsames, realistisches Ziel setzen. Die Reise kann dramatisch enden, wenn jeder irrtümlicherweise meint, es gäbe ein gemeinsames Ziel und alle unterwegs feststellen, dass das nicht der Fall ist. Dann könnte der Richtungsstreit im Crash gegen den nächsten Baum enden. Durch eine gute Absprache des gemeinsamen Ziels lässt sich all das verhindern. In der ersten Phase wird also geplant, wohin man fliegen will. Man packt Proviant und einen Notfallschirm ein. Geflogen wird erst ab Phase zwei. Mit dieser Absprache einigen Sie sich für die Dauer Ihres Gespräches darauf, an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten. Damit bekommt Ihr Gespräch eine Richtung.Wenn das Ziel feststeht, kann jeder darauf achten, ob alle Beteiligten noch am gemeinsamen Ziel arbeiten oder ob einer vom Weg abkommt. Denn Sie wollen ja
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eine Lösung und keinen Absturz. Je mehr verschobene Konflikte, wunde Punkte und andere Komplikationen es gibt, umso leichter passiert es, dass Sie entscheiden müssen, ob Sie noch das tun, was Sie sich vorgenommen haben und ob es sich lohnt, das Gespräch jetzt oder später fortzusetzen. Die Erfahrung zeigt: Ist schon die Vereinbarung und Planung der gemeinsamen Reise im ersten Schritt zu schwierig, sind es die nächsten vier Phasen – und damit die Durchführung der Reise – erst recht. Hat man die Planung, also die Einigung auf ein gemeinsames Ziel, geschafft, sind die Chancen für einen Erfolg absehbar. Und was macht man, wenn der limbische Taschenrechner viele Minuszeichen registriert? Was macht man, wenn man befürchtet, dass man selbst – oder der andere – im Laufe des Gesprächs in eines oder mehrere der drei Steinzeitreaktionsmuster fallen könnte? Fühlt man sich selbst angegriffen, oder der andere, oder beide, sendet der limbische Taschenrechner Alarm. Plötzlich brüllen die inneren Tiger los. Und wenn sie anfangen zu brüllen, sind sie auf Zerstörung aus. Wenn die Tiger erst einmal loslegen, ist es nicht einfach, sie wieder zu bändigen. Oder das Opossum wird aktiviert, und ein Beteiligter kriegt plötzlich kein Wort mehr heraus. Auch das ändert sich nicht sofort wieder von selbst. Und kommt der Hase zum Vorschein, rennt einer weg – je nach Ausprägung des Hasen mit oder ohne Wiederkehr. Meist mischen sich die Verhaltensweisen. Tigerhasen verlassen türenknallend das Schlachtfeld, Opossumtiger machen noch schnell eine beleidigende Bemerkung, bevor sie dann zu schweigen beginnen und mancher wechselt zwischen verletzenden Tigerbemerkungen, Hasenandrohungen: »Ich kann ja auch gehen« und opossumhaftem Bleibereflex in sich wiederholenden und heftiger werdenden Spiralbewegungen. Wenn Sie befürchten, dass etwas Ähnliches passieren könnte, brauchen Sie eine Ausstiegsmöglichkeit aus dem Gespräch. Und sei es für zehn Minuten: Das ist wie ein kleiner eigener Fallschirm, mit dem Sie jederzeit aussteigen können. Und da Fallschirme bekann-
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termaßen besser nützen, wenn man sie mitnimmt, bevor (!) man losfliegen will und nicht nachher, nützt die Vereinbarung am meisten am Anfang. Schreiben Sie zum Beispiel einen kleinen Zettel mit einer Zehn und spielen Sie ihn zum richtigen Zeitpunkt aus, das bedeutet: »Brauche mal zehn Minuten Auszeit (Fallschirm), komme gleich wieder.« Je weniger Schwierigkeiten erwartet werden, umso weniger Vorkehrungen sind natürlich zu treffen. Die strukturierte Streitlösung bei einem größeren Thema beginnt mit einem ausdrücklich vereinbarten Zielsatz. Der Zielsatz beginnt nützlicherweise mit: »Unser gemeinsames Ziel in diesem Gespräch ist es, ...« Er beginnt nicht mit: »Weil wir neulich eine Panne hatten, …« oder »Unser Problem ist …« Denken Sie daran, dass Sie eine Reiseroute planen – die Reiseroute Ihrer Streitlandschaft – vom Konflikt zur Lösung. Bei der Lösungsreise des Lehrerkollegiums war es für die Lehrer leicht, sich auf einen Zielsatz zu einigen. Der Sportlehrer im Kollegium wusste, wie wichtig es ist, dass der Zielsatz das Ziel formuliert und keine Mischung aus einem Vorwurf und einem vorausgedachten faulen Kompromiss oder ähnlichem ist. Und dann? Ihr Satz geht – je nach Streitthema – weiter mit der Benennung des Themas. Nur wenn das Ziel so formuliert ist, dass sich alle Beteiligten mit guten Gefühlen auf die Reise machen können, ist Ihr Reiseplan tauglich. Wie viel wissen Sie über den ersten Schritt? Machen Sie diesen kleinen Test: Lesen Sie die folgenden Sätze und entscheiden Sie, welcher für ein Konfliktlösungsgespräch größere Spielräume eröffnet und dabei keinen limbischen Taschenrechner ins Minus jagt. Größere Spielräume eröffnen mehr Möglichkeiten für die Erfindung neuer Lösungen und sind deshalb grundsätzlich besser geeignet. Dadurch klingen sie zwar zum Teil etwas ungewohnt. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass kreative Win-Win-Landschaften sich nicht erschließen lassen, wenn die vorgezeichneten Wege und damit die Bewegungsspielräume zu eng sind. (Die Antworten finden Sie auf Seite 160.)
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Unser gemeinsames Ziel ist es, … 1. Aufgabenverteilung im Büro a. »... zu klären, wer von uns Recht hatte«, oder: b. »... eine neue Aufgabenverteilung im Büro zu finden und so zu vereinbaren, dass wir alle zufrieden sein können.« 2. Küchendienst-Verteilung a. »... festzulegen, wann Luisa ihre Mutter endlich mal in der Küche entlastet«, oder: b. »... die Verteilung des Küchendienstes so zu klären, dass Luisas Hausaufgaben und Mutters Sportstunden nicht leiden und ein für alle faires Ergebnis herauskommt.« 3. Urlaubsplanung a. »... zu klären, wie wir unsere nächsten Urlaube verbringen wollen, und was uns dabei wichtig ist«, oder: b. »... zu entscheiden, ob wir ans Meer nach Norderney oder ins Sportcamp fahren.« 4. Freizeitorganisation a. »... zu vereinbaren, dass Ulli aufhört zu maulen, wenn er wieder zum Bierholen verdonnert wird«, oder: b. »... zu klären, wer in den nächsten Wochen nach dem Sport für die Getränke zuständig sein soll, und wie wir einen fairen Ausgleich für die anderen finden.« 5. Telefondienst a. »... zu vereinbaren, wie viel Strafe es kostet, wenn Eva wieder vergisst die Telefonnummern aufzuschreiben und wenn Adam nie ans Telefon geht«, oder: b. »... zu klären, was bei Telefonanrufen genau aufgeschrieben werden soll, wer bei uns wann für den Telefondienst zuständig ist, und wie wir für eine gerechte Aufteilung sorgen können.«
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6. Frischluftzufuhr / Fensterthema a. »... zu klären, wie wir Lüftung und Raumtemperatur so regeln, dass alle einverstanden sind«, oder: b. »... zu entscheiden, ob wir das Fenster öffnen oder nicht.« 7. Generationenkonflikt Firmenausrichtung a. »... zu entscheiden, was passiert, wenn der Seniorpartner das nächste Mal das Büro vom Juniorpartner umräumt ohne zu fragen«, oder: b. »... zu klären, wie wir die Ausrichtung unseres Betriebes in den nächsten Jahren so hinkriegen, dass wir zwischen Juniorpartner und Seniorpartner klare Aufgabenverteilungen und eine gemeinsame Richtlinie finden.« 8. Wochenendplanung a. »... zu entscheiden, ob wir zur Beerdigung fahren oder nicht«, oder: b. »... uns zuzuhören, was deine und meine Wünsche für das Wochenende sind, und eine gute Entscheidungsgrundlage für die Frage zu finden, was wer wann am Wochenende macht.« 9. Kinderübergabe nach Besuchswochenenden a. »... zu entscheiden, wann die Kinder am Wochenende essen dürfen und wann sie pünktlichst wieder da sein müssen«, oder: b . »... zu klären, wie wir die Übergabe der Kinder nach den Besuchswochenenden so organisieren können, dass die Wünsche nach zuverlässiger Planungssicherheit und Spontaneität, nach geregelten Essenszeiten und flexibler Wochenendgestaltung zur Zufriedenheit beider Eltern in Einklang gebracht werden können.«
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Lösungen zu den Fragen 1. b ist grundsätzlich besser. Bei a ist der Spielraum für neue Ideen zu klein – klassische Win-Lose-Nummer. 2. b ist grundsätzlich besser. Bei a ist der Spielraum für neue Ideen zu klein – es entsteht leicht ein Feilschen um Stunden. Die Formulierung »endlich mal« ist vorwurfsvoll. 3. a ist grundsätzlich besser. Bei b ist der Spielraum für neue Ideen zu klein – entweder es gewinnt das Sportcamp oder Norderney. 4. b ist grundsätzlich besser. Bei a ist gar kein Spielraum vorhanden – Pseudovereinbarung nach dem Motto »Friss oder stirb«. 5. b ist grundsätzlich besser. Bei a ist der Spielraum zu klein und die Worte »vergisst« und »nie« bringen bei Eva und Adam ein Minus auf dem limbischen Taschenrechner. 6. b ist grundsätzlich besser. Bei a ist der Spielraum zu klein, klassische Win-Lose-Nummer. 7. b ist grundsätzlich besser. Bei a ist der Spielraum zu klein und die Worte »umräumt ohne zu fragen« bringen ein Minus auf dem limbischen Taschenrechner. 8. b ist grundsätzlich besser. a klingt, als gäbe es nur das »entweder – oder«, also Win-Lose. Selbst wenn die Beteiligten das im Moment auch noch glauben: Wenn sie es einmal anders formulieren, eröffnen sie neue Denkspielräume. 9. b ist grundsätzlich besser. Bei a ist der Spielraum zu klein und der limbische Taschenrechner im Minus, da in der Formulierung »pünktlichst« ein versteckter Vorwurf enthalten ist.
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Wenn Streitklärer es schaffen, sich auf einen nützlichen Zielsatz zu einigen, dann haben sie bereits vier Dinge erreicht.
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Sie haben gezeigt, dass sie sich über ihren eigenen vorwurfsvollen Tellerrand hinausbewegen und den Vorwurf als Klärungsthema erkennen können. Sie haben gezeigt, dass sie ihre Win-Lose-Denke verlassen und sich auf das Erforschen und Erfinden neuer Lösungen einlassen können, bei denen beide Seiten gewinnen. Sie haben sich einen Plan gemacht, wie sie diese neu geschaffenen Spielräume nutzen wollen. Damit haben sie sich bereits gegenseitig gezeigt, dass sie grundsätzlich in der Lage sind, sich auf etwas zu einigen.
Und wie macht man das, sich über den eigenen vorwurfsvollen Tellerrand hinauszubewegen und den Vorwurf als Klärungsthema zu erkennen? Wie zaubert man die Vorwürfe aus den Zielsätzen heraus und einigt sich auf ein gemeinsames Ziel, bei dem kein limbischer Taschenrechner ins Minus geht? Rein technisch nimmt man den innerlich gedachten Vorwurfssatz und macht daraus eine abstrakte Klärungsfrage. Beim Gestalten dieser Frage berücksichtigen Sie das Wissen aus Kapitel 4 (siehe Seite 66 ff.). Das heißt: Nicht die eigene Vorstellung von Pünktlichkeit, Ordnung, Sauberkeit ... wird als allein richtig und die Vorstellung eines anderen als von vornherein falsch gebrandmarkt, sondern man sucht einen abstrakten Oberbegriff, der beide Vorstellungen als möglich und denkbar erlaubt.
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So macht man aus dem Vorwurf »Komm endlich mal pünktlich« die Frage »Wir wollen klären, wie wir die Zeiten so regeln können, dass ...« So macht man aus dem Vorwurf »Hör auf, das Geld aus dem Fenster zu schmeißen« die Formulierung »Wie wir die finanzielle Balance aus Sparsamkeit und Großzügigkeit finden ...«
So wird aus der Entweder-oder-Denke eine Forscher- und Erfinderdenke. So wie die Fachlehrer bei der Computerraumsuche von der
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Denke »entweder mein Fachraum oder dein Fachraum« zu Forschern und Entdeckern neuer Lösungen wurden, so wie Cordula und Stefan von der Denke »Bodenreinigen jetzt oder später« zu Forschern und Entdeckern neuer Lösungen wurden, kann es jeder werden, wenn der limbische Taschenrechner nicht zu weit im Minus gelandet ist. Schaffen Streitpartner es, gemeinsame Begriffe nicht nur zu finden und zu nennen, sondern auch die damit verbundene Vorstellung zu entwickeln, dass jeder in seiner Welt Recht hat – und nicht nur man selber –, dann haben sie eine gute Chance, alle fünf Phasen der Streitklärung wie die Löwen erfolgreich zu meistern. Gelingt ihnen schon die Planung nicht, lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob man einen Mediationsprofi engagieren will, um Unterstützung zu bekommen. Das Ergebnis dieser Planungsphase – mit oder ohne Mediator – ist dann die Entscheidung, ob es einen gemeinsamen Zielsatz und damit einen Plan gibt, den man umsetzen will, und wenn ja, wie er aussieht. Dann wissen die Beteiligten, was sie wollen: nämlich eine Streitklärung und Lösung, mit der alle zufrieden sein können. Wenn es Schwierigkeiten gibt das Ziel zu finden, kann das unterschiedliche Ursachen haben. Fast immer ist die Frage nützlich: »Und wenn du das Ziel XY erreichen würdest, was wäre dann daran gut?« Erstaunlicherweise ist das gar nicht so einfach. Denn die Natur hat die Menschen besser damit ausgestattet, zu wissen, was sie nicht wollen als umgekehrt. Manchmal genügt es, das Gegenteil von dem herauszufinden, was man nicht will. Hannes regte sich immer darüber auf, dass die Akten zu spät kamen. »Diese Unpünktlichkeit muss endlich mal aufhören.« Wer Unpünktlichkeit nicht will, hat es leichter, sich auf Pünktlichkeit und angemessene Zeiten zu einigen. Aus Unpünktlichkeit Pünktlichkeit zu machen, war zuerst nur ein Wort. Gemeinsam zu klären, was genau »Pünktlichkeit« bedeutet, ist dann Aufgabe der nächsten Phasen. Die erste Phase bereitet die Streitklärung so vor, dass alle Beteiligten gute Karten haben. Ganz sicher kann man sich natürlich nicht sein, dass
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einem die geniale Lösung in den nächsten Phasen gemeinsam einfallen wird. Deshalb braucht jede Lösungsfindung auch einen »Plan B«. Das heißt: eine denkbare Alternative. Jeder überlegt sich also vor der Streitklärung: Was mache ich, wenn es uns gemeinsam nicht gelingt, eine Lösung zu finden. Spiele ich dann Hase, Opossum oder Tiger? Holt sich jeder Unterstützung? Wenn ja, bei wem? Oder welche Alternativen habe ich sonst? Wer weiß, was er tun könnte, wenn die angestrebte Einigung im Streitgespräch nicht so funktioniert, wie man es sich wünscht, kann ganz gelassen versuchen, so viel zu profitieren, wie möglich. Denn die Alternative kann einem ja niemand wegnehmen. Was immer auch herauskommt bei der Streitklärung, so gut wie die beste Alternative muss es dann mindestens sein. Wer will, kann dann noch einen Fallschirm mitnehmen und vereinbaren, dass jederzeit der gefahrlose Ausstieg möglich ist. Bei welchen Gefahren sollte man ihn benutzen? Wenn einer anfängt, wie ein Tiger zu brüllen und verletzend zu werden? Wenn beide so durcheinanderreden, dass beide gleichzeitig in unterschiedliche Richtungen wollen? Zur Klarheit: Wer mit einem sehr emotionalen Tigertyp in eine Streitklärung geht, braucht andere präventive Maßnahmen als derjenige, dessen Gesprächspartner eher eine Hase-/Opossumkombination an den Tag legen wird. Das Gute ist: Die Emotionen bringen die Interessen ans Tageslicht. Aus den heftigsten Emotionen gewinnt man wie mit großem Aufwind so sehr an Höhe, dass plötzlich erkennbar wird, worum es eigentlich geht. Deshalb sollte man diese Aufwinde nicht verbieten. Man sollte stattdessen lieber die Höhe wagen, um mit großem Erkenntnisgewinn weitergleiten zu können. Und das tut man in der Auftragsklärung. Zum Beispiel: »Wenn es mir zu heftig wird, halte ich ein bis zehn Finger hoch und gehe dann für die entsprechende Minutenzahl raus, um nachzudenken.« Wenn alle Reisevorbereitungen getroffen sind, und man sich nicht ganz sicher ist, ob man es wagen soll, gibt es noch ein kleines nützliches Werkzeug zum Schluss der Auftragsklärung: Wer einschätzen
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will, wie gut die Chancen stehen, kann am Ende der ersten Phase fragen: »Wie hoch schätzen wir jetzt die Wahrscheinlichkeit, dass wir eine gute Klärung hinkriegen?« Wenn hier alle über 50 Prozent landen, ist das ein gutes Zeichen. Wenn nicht, sollte man sich gut überlegen, wie man die Chancen verbessern kann. Muss man die Frage nach der Wahrscheinlichkeit ausdrücklich stellen? Natürlich nicht. Die Frage ist ein Werkzeug. Man benutzt es nur, wenn man es braucht. Oft reicht es auch, wenn man den bevorstehenden Erfolg »im Gefühl« hat. Die Besonderheit bei Streitklärungen besteht allerdings darin, dass ein eigener limbischer Taschenrechner im Minus das ansonsten gut funktionierende »Gefühl« manchmal so in Mitleidenschaft zieht, dass man große Gefahren oder Schwierigkeiten ahnt oder provoziert, wo eigentlich nur kleine sind.
Gut zu wissen Je besser Sie Ihr Lösungsgespräch planen, umso leichter finden Sie eine Lösung. Sie überlegen sich, wen Sie zur Lösung des Konflikts brauchen, wer also die »zuständigen« Beteiligten sind. Dann wählen Sie einen vernünftigen Zeitpunkt: So früh wie möglich, aber nicht, solange man noch zu wütend ist.Wenn das Thema kein kleines, frisches Thema ist, bei dem sowieso jeder weiß, worum es geht, sondern eher ein größeres, komplexeres, lohnt sich ein mündlich oder schriftlich formulierter Zielsatz: »Unser gemeinsames Ziel in diesem Gespräch ist es,...« Wer sich vor unproduktiven, destruktiven Streitgesprächen schützen will, kann immer ganz schnell feststellen, ob es Sinn hat weiterzustreiten. Wenn Sie merken, dass ein Gespräch eine vorwurfsvolle oder unschöne Wendung bekommt, klären Sie einfach: »Wohin sind wir gerade unterwegs? Was passiert, wenn wir so weiterfliegen?« Auch unterwegs kann man sich über Ziele und Zielkorrekturen verständigen. Ein Gespräch, bei dem Sie nicht profitieren, sollten Sie gar nicht erst führen.
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Sie haben mit den Fällen von der Einsteinschule und dem Dampfstrahler einen Einblick in die fünfphasige Struktur der Lösungsfindung erhalten. Sie wissen, dass Sie in der ersten Phase die gemeinsame Reise zur Lösung planen. Jetzt geht es um die nächste Phase. Hier wird nicht mehr geplant, hier geht es los. Sie beginnen damit, dass jeder sagt, was er zum Thema sagen will. Wenn nötig, kann in dieser Phase jeder frei Dampf ablassen. Für Menschen mit großen Opossum- und Hasenanteilen ist das gar nicht so einfach. Selber Dampf ablassen ist schon schwierig genug für jemanden, der darin nicht geübt ist. Auszuhalten, dass der andere Dampf ablässt, ist noch schwieriger. Geben Sie Ihrem Hasen und Ihrem Opossum Zeit. Und geben Sie ihm die Sicherheit, dass er nicht unterbrochen wird. Geübten Löwen fällt es leichter. Sie können gut brüllen. Und zwar da, wo das Gebrüll hingehört. Also kein intrigantes Anschwärzen beim Chef, kein feiges Suchen von Allianzen im Rest des Kollegiums: Sie trauen sich, dem Mitlöwen direkt in die Augen zu sehen und zu sagen, worum es geht. Denn Löwen wissen, dass Gebrüll nicht wirklich weh tut, wenn man die scharfen Krallen einzieht und nur mit stumpfen Waffen kämpft. Am einfachsten funktioniert das gegenseitige Gebrüll, wenn erst der eine ungestört brüllt, während der andere zuhört, und dann der andere ungestört brüllt, während der eine zuhört. Je nach Löwenkultur kann »brüllen« eine sachliche Darstellung der eigenen Sichtweisen mit geringer emotionaler Bewegung oder auch ein heftigerer Wortschwall sein. Wichtig ist dabei, dass wirk-
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lich der brüllende Löwe so lange ungestört brüllen kann, bis er alles losgeworden ist, was ihm jetzt einfällt. Erfahrungsgemäß dauert das nie länger als fünf bis sieben Minuten. Aber nur, wenn er nicht unterbrochen wird. Wird er vom anderen unterbrochen, wird aus dem entlastenden Brüllen – ohne dass es die Beteiligten eigentlich wollten – ein Schlagabtausch, der leicht dazu führt, dass einer oder beide Angst bekommen und sofort zum Tiger, Hasen oder Opossum werden. Am einfachsten geht es, wenn sich der zuhörende Löwe einen Zettel nimmt und versucht, alles aufzuschreiben, was an zu besprechenden Themen herausgebrüllt wird. Für Richtigstellungen und »Nein, das war alles ganz anders!« ist anschließend genug Raum. Und kluge Löwen wissen: Je heftiger es im Streit zugeht, umso eher rutscht auch dem klügsten Löwen mal eine Übertreibung heraus, die er gar nicht wirklich ernst meint. Erinnern Sie sich: Sie führen ein solches Gespräch nur mit einem Löwen, von dem Sie wissen, dass er Ihnen im Grunde seines Herzens Gutes will, und dass er mit Ihnen gemeinsam etwas vereinbaren will, was trägt. Mit einem Tiger, der Sie vernichten will, beginnen Sie gar nicht erst. Er würde Ihnen nur weh tun wollen und Sie ernsthaft verletzen. Davon hat niemand etwas – außer vielleicht der Tiger, aber auch der nicht wirklich. Manche Menschen erschrecken, wenn sie ihren Zeitgenossen dabei zuhören, wie sie die Themen aus ihrer Sicht schildern. Vieles klingt übertrieben. Manches klingt falsch. Das ist ganz normal. Einer der Gründe liegt in der menschlichen Wahrnehmung. Ein anderer darin, dass die Natur uns für Streitgespräche mit der Fähigkeit ausgerüstet hat, etwas mehr Heftigkeit an den Tag zu legen als sonst. Sonst würde sich nämlich nie etwas ändern. Viele Menschen sind »Gewohnheitstiere«. Am leichtesten fällt es den meisten, genau das weiter zu machen, was sie bisher gemacht haben. Damit es im menschlichen Zusammenleben überhaupt Veränderungen geben kann, hat die Biologie uns mit der Fähigkeit ausgerüstet, unseren Ärger herauszubrüllen. So ist sichergestellt, dass wir Veränderungsimpulse aussenden können, die nicht unbemerkt bleiben. Der Vorteil: Sie bleiben wirklich nicht unbemerkt. Der Nach-
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teil: Sie kommen mit einem emotionalen Düsentrieb daher, der mehr Staub aufwirbelt, als sich mancher wünschen würde. Haben beide Löwen ihre Veränderungswünsche herausgebrüllt, kann es sein, dass die eine oder andere Seite sich doch ein wenig zu sehr unter Druck fühlt und Hasen-, Opossum- oder Tigerimpulse verspürt. Für manche ist deshalb eine kleine Pause ganz nützlich, um in Ruhe den Verstand wieder einzuschalten und herauszufinden: Aha, so ungefähr sieht mein Gegenüber die Situation. Wenn ein Opossum davon hört, dass es sich wirklich die andere Seite anhören soll, stellt es sich am liebsten tot, es sitzt da, schaut vielleicht lethargisch in die Gegend, und hofft, niemals in eine solche Situation zu kommen. Bitten Sie einen Hasen darum, mit Ihnen zu klären, welche Themen besprochen werden sollen, hat er mit Sicherheit etwas anderes vor. Und was Tiger machen würden, war ja bereits zu lesen. Es braucht schon das Herz eines mutigen Löwen, um Veränderungswünsche anzuhören, auszusprechen und in die Tat umzusetzen. Deshalb ist es für den Anfang eine gute Idee, sich nicht gleich an die schwierigsten und verkrustetsten Streitherde zu machen, die seit Jahrzehnten schwelen, sondern an frischen Streitpunkten zu üben, die erstmalig aufgetaucht sind. Wenn Sie ein bisschen mehr Übung haben, wagen Sie sich an die heftigeren Themen. Dann können Sie mit Sätzen wie »Immer hast du ...«, »Nie machst du ...«, »Und überhaupt bist du ...« schon souveräner umgehen. Tipps, um der Versuchung zu widerstehen, sich gegenseitig zu unterbrechen:
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Vereinbaren Sie, dass jeder ein paar Minuten Zeit hat, um alles zu sagen, was er will. (Im Zweifel auslosen, wer anfängt.) Wer mag, kann im Handy oder einer anderen geeigneten Uhr einen Weckton nach sieben Minuten einstellen. (Sie werden die Zeit voraussichtlich nicht brauchen.) Halten Sie Stift und Zettel bereit. Derjenige, der als erster zuhört, notiert sich alles, wozu er später etwas sagen will. Am besten ist es, auch stichwortartig zu notieren, was man verstanden hat.
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Sollte es aus Versehen doch passieren, dass einer den anderen unterbricht, ziehen Sie eine gelbe Karte, oder ein anderes vereinbartes (humorvolles) Zeichen. Schaffen Sie es nicht, einander ausreden zu lassen, obwohl Sie beide es für nützlicher halten, machen Sie eine Pause und versuchen Sie es später noch einmal. (Nur Tiger würden dem anderen die Schuld daran geben.) Wenn Sie mögen, können Sie sich eine Person engagieren, die nichts anderes tut, als auf die Einhaltung der selbstvereinbarten Regeln zu achten. Es muss nicht gleich ein Mediationsprofi sein.
Diese Phase dient dazu, dass Sie alle Themen erkennen, die eine Rolle spielen. Ganz gleich, wer von Ihnen anfängt, jeder Gesprächspartner weiß selbst am besten, was er alles sagen will, um seine Sicht der Dinge mitzuteilen. Haben beide Seiten ihre Sicht der Dinge dargestellt, ist es Zeit, daraus die Liste der Themen zu erstellen:
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Welche Themen gibt es? Worin sind wir uns einig? Worin sind wir uns uneinig? Wissen wir schon, worin der Kern des Konflikts besteht?
Bei der Einsteinschule war es ganz einfach. Die Liste der Themen bestand nur aus einem einzigen Punkt: einen Raum für die Computer zu finden. Spricht man ein kleines Problem sofort an, ist das manchmal so. Dann gibt es ein Thema – und Punkt. Wenn das kleine Problem allerdings auf einem verschobenen Konflikt sitzt, braucht man für die Lösung auch noch den verschobenen Themenpunkt. Dazu ein Beispiel: Sönke und Lilly arbeiten schon seit mehreren Jahren in einer Agentur zusammen. Seit einiger Zeit raunzt sie ihn in unregelmäßigen Abständen an. Mal hat er seine Teetasse nicht abgespült, mal hat er in der Teeküche Chaos hinterlassen. Der Teetassenkonflikt spitzt sich zu. Der Riss zieht sich mittlerweile durchs Kollegium. Einige finden, Lilly solle sich nicht so anstellen. Andere finden, wer
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seine Teetasse nicht abspüle, sei ein unsoziales Ferkel. Es ist spürbar, dass es um mehr als nur schmutzige Tassen geht. Und es ging von Anfang an um mehr. Beide wissen, dass in der Liste der Themen Zündstoff schmort. Sie ahnen beide, dass es sich um einen verschobenen Konflikt handelt. Wenn durchschnittlich begabte Erwachsene kleine Themen wie einen Teetassenkonflikt nicht vernünftig geregelt bekommen, können Sie sicher sein: Da geht es nicht nur um Teetassen, mindestens unausgesprochen steht auf der Liste der Themen noch etwas anderes. Dann lauern unter Tabudeckeln verschobene Konflikte, Verwechslungen oder wunde Punkte. Dann nützt es nichts, für die Teetassen Spülpläne zu erarbeiten oder die Putzfrau öfter kommen zu lassen. Dann wird sich der Konflikt erst richtig lösen lassen, wenn die Beteiligten herausfinden, worum es »eigentlich« geht. Dann ist es Ihre Aufgabe, die Liste der Themen so zu vervollständigen, dass auch die »versteckten« Themen mit dazu kommen. Im Gespräch finden sie es heraus: Der eigentliche Konflikt hat vor ein paar Monaten angefangen, als ein neues, interessantes Projekt zu vergeben war. Das Projekt war mit Reisen in die ganze Welt und interessanten Kundenkontakten verbunden. Lilly hätte dieses Projekt gern gehabt. Sönke auch. Das zweite Thema heißt: »das Projekt«. Bei der Liste der Themen genügt ein Schlagwort, auf das sich beide einigen. Sind alle Themen angesprochen worden, erstellen Sie daraus eine Liste. Um welche Streitpunkte geht es? Und um welche Streitpunkte geht es vielleicht noch? Für Streitanfänger etwas überraschend ist es, dass der Satz »Jetzt bleib doch bei der Sache!« hier in die falsche Richtung führt. Alles, was den Beteiligten einfällt, sollte notiert werden. Denn bei verschobenen Konflikten sind Streitpunkte wie Maulwurfshügel. An den verrücktesten Stellen findet man Dreckhaufen – und der Auslöser, der Maulwurf, sitzt ganz woanders. Findet man ihn nicht, macht das genau so viel Sinn, als wenn man auf einer wunderschönen Rasenfläche jeden Morgen die neu aufgeworfenen Maulwurfhügel entfernen würde, ohne die Ursache, den
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Maulwurf, persönlich erfolgreich um eine Veränderung seines Verhaltens zu bitten. Es geht darum, alle wichtigen Themen zu finden. Nur dann wissen wir, worum es wirklich geht. So finden wir Lösungen, die die wahren Bedürfnisse berücksichtigen. Dann hat die Symptom-Kuriererei ein Ende.
Ein Klassiker ist zum Beispiel, dass Paare im Haushalt, in Geldfragen, in der Suche nach dem Urlaubsort, und bei der Kindererziehung Streitpunkte finden. Im Gespräch stellt sich oft heraus, dass all diese Punkte der Themenliste Maulwurfshügel sind. In Wirklichkeit geht es um etwas anderes. Es kann der Wunsch nach Anerkennung sein. Es kann der Wunsch nach Freiheit oder Akzeptanz sein. Bei Udo und Mandy ist es das Thema Entscheidungsfindung. Beide werden immer unglücklich, wenn sie Entscheidungen treffen wollen. Immer, wenn Mandy einen ersten Vorschlag macht, glaubt Udo, er dürfe nichts mehr dazu sagen und müsse zustimmen. Mandy spürt seine latente Unzufriedenheit. Udo beschwert sich, mehr als »Ja« sagen könne er wohl nicht. Als sie den Punkt »Entscheidungen treffen« auf die Themenliste setzen, haben sie den Maulwurf gefunden. Wenn sich der Maulwurf am Anfang des Gesprächs noch nicht finden lassen will, alle aber spüren, da gibt es »etwas«, dann setzen
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Sie auf die Liste der Themen einfach das Wort »etwas« als Platzhalter für zu findende Maulwürfe. Sabine ist versetzt worden. Sie teilt sich jetzt ein Zimmer mit Gertrud. Nach einiger Zeit ist die Stimmung komisch. Auf einmal entwickelt sich das Thema »Fenster auf, Fenster zu«. Gertrud fragt ein paar Mal, ob sie das Fenster öffnen könne. Sabine nickt dann und macht es nach ein paar Minuten – ohne zu fragen – wieder zu. Gertrud spricht das Thema schon nach ein paar Tagen an: »Kann ich Sie mal was fragen?« Sabine: »Äh, ja, was?« Gertrud: »Ist Ihnen aufgefallen, was wir mit dem Fenster veranstalten?« Sabine: »Äh, nein, wieso?« Gertrud: »Wir sitzen hier jetzt schon seit Tagen gemeinsam in einem Büro und Sie verhalten sich, als wäre ich gar nicht da.« Sabine schaut überrascht. Es gibt das Thema Fenster. Und es gibt ein weiteres Thema, das Gertrud mit den Worten »als wäre ich gar nicht da« umschreibt. Man könnte es bezeichnen mit: »der Umgang miteinander«. Sabine und Gertrud schreiben die Liste der Themen nicht ausdrücklich auf. Solange die Themenpunkte überschaubar sind, reicht es, sie sich zu merken. Auch bei Arne und Julia geht es um das Thema »Fenster auf, Fenster zu«. Genau wie Gertrud und Sabine teilen sie sich ein Büro. Der verschobene Konflikt ist aber ein völlig anderer. Arne sitzt jedes Wochenende über seinen Akten und hat das Gefühl, die Arbeit für Julia mit zu machen, die pünktlich ihren Computer ausschaltet und fröhlich lächelnd von dannen rauscht. Im Gespräch finden die beiden heraus, wie ungleich die Arbeit verteilt ist. Julia ahnte das zwar ungefähr. Aber da Arne sich bisher nicht beschwert hat und auch vom Abteilungsleiter keine Kritik gekommen ist, sah sie keinen Anlass, irgendetwas zu verändern. Arne hatte bisher den Eindruck, irgendwann müsse Julia doch mal zur Einsicht kommen. Er steckte seine Wut in das täglich mehrfach zugeknallte Fenster und andere oberflächliche Kleinigkeiten. Arne: »Ich finde dein Verhalten mir gegenüber unkollegial und schäbig.« Julia: »Wieso dir gegenüber? Was kann ich dafür, wenn du freiwillig eine Überstunde nach der anderen machst? Ich werde hier für eine 40-Stunden-Wo-
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che bezahlt. Und die ist um 17 Uhr zu Ende. Wenn du das nicht tust, dann ist das dein Problem. Ich habe jedenfalls nicht die Absicht, mein Leben zu ändern. Mach mich nicht dafür verantwortlich, dass du dein Leben nicht im Griff hast.« Arne: »Jetzt bin ich sprachlos.« Julia: »Ja, dann solltest du deine Sprache vielleicht mal wieder finden und mit unserem Abteilungsleiter reden, statt mich hier anzumachen.« Der vermeintliche Konflikt um das Fenster zwischen Arne und Julia war in Wirklichkeit ein Problem auf einer anderen Ebene. Die Abteilung ist durch Stellenabbau vor kurzem verkleinert worden. Die Arbeitsbelastung ist insgesamt aber sogar gewachsen. Und der Abteilungsleiter glaubte, es werde schon irgendwie gehen. Er hat mit seinen Mitarbeitern nicht besprochen, wie man mit diesen Veränderungen klar kommen könne. Arne hat mit seinem Verantwortungsgefühl alles auf seine Schultern geladen und insgeheim erwartet, Julia würde es genau so machen. Julia hat sich nicht unter Druck setzen lassen. Aus der Erfahrung, dass sie nur dann gute Arbeit leisten kann, wenn sie für eine gute Balance aus Arbeit und Freizeit sorgt, hat sie ihre Arbeitskraft geschützt. Sie versteht nicht, warum Arne es nicht genau so macht. Beide glauben, alles richtig zu machen. Als beiden klar ist, dass die Lösung nur ein Gespräch mit dem Abteilungsleiter bringen kann, wissen sie, dass das Thema auf ihrer Liste nur der Maulwurfshügel ist. Aber sie wissen nun, wie man dem Maulwurf zu Leibe rückt: nämlich in einem Klärungsgespräch mit ihrem Abteilungsleiter. Übrig bleibt auf der Liste der Themen dann nur das Thema »Fenster«. Und das ist zu dem Zeitpunkt schon gar kein Thema mehr und schnell geklärt. Und wenn Sie nicht weiterkommen, weil Ihr Streitpartner sich anhört wie eine kaputte, alte Schallplatte, die immer wieder in dieselbe Rille springt? Wenn Menschen anfangen, ihre Streitthemen aufzulisten, passiert etwas Merkwürdiges. Sie sagen einen Gedanken. Und sie sagen denselben Gedanken nochmal. Und dann wiederholen sie ihn noch dreimal. Und jedes Mal wird die Wiederholung heftiger, manchmal so-
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Vo n M a u l w ü r fe n u n d M a u l w u r f s h ü g e l n
gar lauter. Der Mensch auf der gegenüberliegenden Seite denkt sich: »Das habe ich jetzt oft genug gehört. Ich finde, es reicht.« Diese wiederholten Sätze sind gleichzeitig ärgerlich und nützlich. Ärgerlich sind sie, weil auch die lauteste Wiederholung niemanden auch nur einen halben Schritt weiterbringt. Nützlich sind sie, weil sie Kernbotschaften enthalten, die für die Streitklärung wichtig sind. Wie hält man nun die Streitpartner dieser Welt davon ab, dasselbe immer und immer wieder zu wiederholen? Sollte Ihr Streitpartner ein Tiger sein, der Sie mit diesen Wiederholungen in Wirklichkeit nur fertig machen will, bringen Sie sich erst einmal in Sicherheit oder zeigen ihm seine Grenzen – oder beides. Ist Ihrem Streitpartner daran gelegen, mit Ihnen zu klären, worum es geht, gibt es einen Schlüssel. Der Grund, weshalb Löwen Dinge wiederholen, liegt darin, dass sie glauben, noch nicht wirklich verstanden worden zu sein. Und solange sie sich noch nicht verstanden fühlen, brüllen sie immer wieder heraus, was ihnen wichtig erscheint. Bis sie sich verstanden fühlen. Und wie gibt man einem Löwen das Signal: »Ich verstehe dich«? Wenn die drei Worte »Ich verstehe dich« nicht reichen und Ihr Löwe immer noch wiederholt, was er schon zuvor wiederholte, dann braucht er noch mehr. Dann braucht er die Wiederholung aus Ihrem Munde. Wenn Sie – am besten mit eigenen Worten – wiederholen, was Sie verstanden haben, wird Ihr Löwe Sie ganz erstaunt anschauen. In vielen Fällen wird er zunächst einmal feststellen: »Nein. So habe ich das nicht gemeint. Ich habe das etwas anders gemeint« – und dann wird er noch einmal klarstellen, was er wirklich meint. Ihr erneuter Versuch, seine Gedanken mit Ihren Worten wiederzugeben, wird dann vermutlich schon näher dran sein. Vielleicht brauchen Sie auch keinen dritten Versuch, und es passt schon genau. Wenn sich Ihr Löwe verstanden fühlt, hört er auf zu brüllen. Dann hört er auch auf, immer dasselbe zu wiederholen. Wenn Sie also wollen, dass Ihr Streitpartner sich nicht mehr wiederholt, wissen Sie jetzt, wie es geht. Sie sagen: »Du meinst also...«, und wenn Ihr Tonfall das nicht abschätzig oder herabwürdigend, sondern respektvoll-neugierig ausdrückt, kommen
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Sie aus der Wiederholungsschleife perfekt heraus. Die Konfliktprofis nennen das »Spiegeln«. Wer das Gefühl hat, nicht verstanden zu werden, rutscht im limbischen Taschenrechner immer weiter ins Minus. Gelingt es Ihnen, sich gegenseitig so zu spiegeln, dass sich jeder verstanden fühlt, registriert der limbische Taschenrechner: Es geht aufwärts.
Gut zu wissen Die meisten Konflikte werden nicht da ausgetragen,wo sie entstehen. Sie werden verschleppt oder verschoben. Das liegt daran, dass wir uns manchmal nicht trauen, ein Thema sofort anzusprechen. Manchmal merken wir es gar nicht sofort. Wir weichen aus und spielen Hase oder Opossum.Als verschobener Konflikt taucht es dann später auf.Vor allen Dingen bei scheinbaren Kleinigkeiten wie schmutzigen Tassen oder geöffneten Fenstern lohnt es sich, nach verschobenen Themen Ausschau zu halten. Das erscheint am Anfang sehr ungewöhnlich. Wenn jemand sagt: »Nun bleiben Sie doch mal bei der Sache«, hält er den Redenden vermutlich gerade davon ab,die Fahndungsreise zum eigentlichen Konfliktauslöser, dem Maulwurf, erfolgreich zu verfolgen. Statt dessen sorgt er dafür, dass man bei den Maulwurfshügeln stehen bleibt – ohne das wahre Thema, den verschobenen Konflikt, je zu finden. Die Liste der Themen ist fertig, wenn alle Maulwurfshügel und Maulwürfe benannt sind.
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In der dritten Phase geht es darum, die Interessen hinter den Positionen zu finden. Denn wer einfach nur die Mitte zwischen zwei Positionen vereinbart, landet in den absurdesten Kompromissen. Gemeinsam von Konflikten profitieren heißt: nie wieder faule Kompromisse eingehen. Im Reich der Opossums, Hasen und Tiger herrscht ein weit verbreitetes Vorurteil. Die meisten verwechseln nämlich eine königliche Einigung mit einem faulen Kompromiss. Die Ursprungsidee des Kompromisses ist etwas Gutes. Wenn jeder etwas nachgibt, soll im Kompromiss eine Lösung gefunden werden, bei der sich keiner allein durchsetzt. Ärgerlicherweise machen die meisten Kompromisse die Beteiligten nicht halb zufrieden, sondern doppelt unzufrieden. Matze wünscht sich einen roten Sportwagen. Seine Frau will lieber einen silbergrauen Kleinwagen. Man könnte ja meinen, ein silbergrauer Sportwagen könnte als Kompromiss dienen. Dann würde doch jeder ein wenig nachgeben. Der Effekt davon? Niemand wäre wirklich zufrieden. Matzes Interesse: Das Lebensgefühl, ein sportlicher, erfolgreicher Mann zu sein. Das Interesse seiner Frau: Familienbudget schonen. Sie möchte Geld für andere Dinge sparen. Und silbergrau – so findet sie – wirkt in jeder Größe elegant. Wer die Interessen nicht herausfindet, landet oft bei (faulen) Kompromissen. Das Traumbild von Auto, in dem Matze sich als sportlicher Typ sieht, ist rot. Und nicht grau. Der Spareffekt, der für seine Frau entscheidend ist, wäre gar nicht berücksichtigt. Gegenseitiges Nachgeben allein macht nicht zufriedener, sondern unzufriedener.
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Werden die Interessen, die hinter den konkreten Positionen wirklich stehen, herausgefunden, zeigt sich etwas Erstaunliches: Es gibt nie nur eine Möglichkeit, Interessen zu verwirklichen. Der menschliche Geist tendiert dazu, etwas Bestimmtes umso mehr zu wollen, je mehr ein anderer ihn davon abhalten oder ihm das Erwünschte wieder wegnehmen will. Da unterscheiden wir uns kaum von den Affen. Forscher haben ausprobiert: Wenn sie einem Affen eine Banane so hinlegen, dass er sie zwar greifen, mit der geschlossenen Faust die Banane aber nicht aus ihrem Behältnis heraustransportieren kann, wird er sich lieber fangen lassen, als die Banane loszulassen. Allein die Vorstellung, das Gewünschte vielleicht nicht zu bekommen, macht es umso begehrenswerter. Bei den Positionen in der Streitklärung verhält es sich ähnlich. Jede Position ist eine Banane. Und jeder hält sie fest. Da können noch so viele Bananenplantagen mit überquellenden Stauden in unmittelbarer Nähe sein. Je heißer der Kampf wird, umso enger der Tunnelblick.
Deshalb wissen alle Löwen, die sich um Win-Win-Lösungen bemühen: Lasst die Banane Banane sein. Macht dem anderen seine Banane nie streitig. Fragen Sie lieber: »Was genau ist dir an der Banane wichtig? Stell dir vor, du hättest sie schon. Was wäre daran gut? Tu mal so, als wäre dein Wunsch erfüllt: Was würde dir daran
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gefallen?« Im Bananenbeispiel könnten klassische Antworten sein: »Es wäre lecker«, »ich wäre satt ...« Erst dann kann sich der Tunnelblick wieder weiten. Plötzlich kommen auch Bananen, Kokosnüsse und andere Köstlichkeiten ins Blickfeld, die vorher zwar da waren, aber ausgeblendet wurden. Wer aufhören will, um eine Banane zu feilschen, als wäre sie die einzige auf der Welt, fragt deshalb am besten, bevor der Tunnelblick nichts anderes mehr sehen kann als diese Banane: »Wofür ist dir diese Banane eigentlich wichtig?« Und die Wahrscheinlichkeit, dass der Wunsch nach Leckereien und Sattheit viel besser anders befriedigt werden kann, ist riesig. Denn Wünsche haben ihre eigenen Entstehungsgeschichten. Durch die Frage nach dem Interesse gelingt es häufig, innerlich in die Situation zurückzugehen, als aus dem Interesse zum ersten Mal die Idee wurde: »Ja, genau. Mit dieser Banane könnte es gehen!« Denn damals war der Entscheider noch im vollen Besitz seiner Entscheidungsfähigkeit, um auch andere leckere Sattmacher zu erkennen und zu wählen. Und die Welt ist ja nach wie vor voll davon. Die Frage nach dem Interesse weitet den Blick. Auf einmal erkennen wir, dass es zur Erfüllung unserer Wünsche mehr Möglichkeiten gibt, als wir beim Anblick der einen Banane im Bewusstsein hatten. Und das gilt überall. Wenn zum Beispiel der eine das Fenster aufmachen und der andere das Fenster schließen will, wäre ein fauler Kompromiss, das Fenster auf Kippe zu stellen. Damit hätte der, der das Fenster schließen wollte, immer noch einen unangenehmen Zug im Nacken, und der andere, der durch Stoßlüftung Energie sparen wollte, auch nichts von dem erreicht, was er wollte. Außerdem geht es bei den meisten Fenster-auf/Fenster-zu-Streitigkeiten um ganz andere Dinge als um die Raumluft. Nachdem Sabine und Gertrud die Liste ihrer Themen zusammengestellt hatten, gingen sie in die dritte Phase, um die gegenseitigen Interessen zu erkunden. Gertrud berichtet, dass Sabines Vorgängerin morgens immer erst mal ein paar Minuten erzählt hat, was am Vorabend so passiert war und wie die Kollegin mit Gertrud ein paar
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Mal herzhaft gelacht hat und dass auch im Laufe des Tages ein paar kleine Plauderpäuschen an der Tagesordnung waren. Beide erkennen, Gertruds Interesse ist eine vertrauensvolle, gemeinsame Kommunikation. Sabine ist völlig verblüfft. Sie weiß, dass sie in den letzten Wochen sehr still war. Sie wollte die neue Kollegin Gertrud mit ihren Privatdingen nicht belästigen. Erst nach dreimaliger Aufforderung traut sie sich zu sagen: »Meine Schwester ist schwer krank und ich mache mir große Sorgen. Ich besuche sie jeden Abend in der Klinik. Aber ich finde die Vorstellung, Sie mit solchen Krankheitsgeschichten zu behelligen, einfach unangemessen.« Sabines Interesse ist es, eine gute Kollegin zu sein. Sie denkt, dass sie eine gute Kollegin ist, wenn sie wenig Privates erzählt. Gertrud hingegen denkt, dass zu einer guten kollegialen Beziehung auch »Privates« dazugehört. Gertrud: »Und ich dachte, Sie mögen mich nicht. Ich fand Ihre Verschlossenheit mir gegenüber sehr unangenehm.« Sabine entschuldigt sich entsetzt: »Genau das Gegenteil ist der Fall. Ich habe viel zu viel Respekt vor Ihnen, als dass ich Sie in Ihrer Arbeitszeit mit meinen Nöten und Sorgen belästigen wollte. Und nach irgendwelchem lapidaren Small Talk war mir eben nicht zumute.« Die Kolleginnen erkennen ihr Missverständnis. Die Positionen bleiben aber bestehen. Sabine möchte nicht gern Privates am Arbeitsplatz erzählen. Gertrud hat es gern, wenn auch ein bisschen Privates erzählt wird. Das Interesse ist bei beiden das Gleiche: ein gutes, kollegiales Arbeitsverhältnis. Das Problem »Fenster auf, Fenster zu« wird auch noch geregelt. Während sie weiter darüber sprechen, fällt Gertrud auf: »Eigentlich ist mir das Thema, über das wir reden, egal. Die Tatsache, dass wir überhaupt miteinander plaudern, lachen und Gedanken austauschen, das ist das Wichtige.« Ihr Kerninteresse ist: kollegiales Verhältnis durch tägliche »Plaudereinheiten« fördern. Sabine lacht. »Solange ich nicht von Krankenhausthemen und meiner Schwester berichten muss, ist mir das sogar sehr angenehm. Gerade weil ich hier noch neu bin, interessiert mich alles, was mit unserer Abteilung zusammenhängt. Ich habe mich nur nicht getraut zu stören.« Gertrud und Sabine reden seitdem täglich
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über quasidienstliche Themen. So erfährt Sabine sehr viel Nützliches über den gesamten Arbeitsbereich, und Gertrud fühlt sich mit ihrem Wunsch, miteinander zu reden, jetzt richtig wohl. Und zum Fensterthema wünscht sie sich, dass Sabine in Zukunft fragt, bevor sie das Fenster schließt. Aber das versteht sich inzwischen von selbst. Um ein gutes, kollegiales Verhältnis ging es auch Sönke und Lilly zwischen ihren Teetassen und ihrem Projektthema. In der zweiten Phase hatten sie herausgefunden, dass zusätzlich zu der Teetassenfrage »das Projekt« ein Konfliktthema war. In der dritten Phase schauen sie sich ihre Positionen und Interessen an. Lillys Position zu den Teetassen lautet: »Hinterlass die Teeküche sauber. Räum deine dreckigen Teetassen selber weg. Wälz unangenehme Tätigkeiten nicht auf mich ab, während du egoistisch deine Sachen durchziehst.« Sönkes Position: »Ich räume meine Teetassen weg, wenn dafür Zeit ist. Ich setze meine Prioritäten selbst. Und wenn es sein muss, bleiben die Teetassen halt mal ein paar Stunden stehen.« Um herauszufinden, wem was wichtig ist, um die Interessen zu erkunden, sind bei verschobenen Konflikten Umwege nützlich. So erzählt jeder, wie er das Projektthema damals wahrgenommen hat. In Bezug auf das, was damals geschah, sind die Erinnerungen unterschiedlich. Lilly erinnert sich an das egoistische und unkollegiale Verhalten ihres Kollegen. Sönke ist völlig überrascht. Er hat die Situation damals ganz anders erlebt: »Ich dachte, du bist jetzt schon völlig überlastet mit den Dingen, die auf deinem Schreibtisch warten. Du hast immer gestöhnt, dass du nie vor Sonnenuntergang aus dem Büro kommst. Ich wäre nicht im Traum auf die Idee gekommen, dass du dir noch ein zusätzliches Projekt ans Bein binden wolltest. Und dann auch noch eines, bei dem man ständig durch die Weltgeschichte reisen muss.« Lilly ist immer noch wütend. »Das wird ja immer schöner. Jetzt behauptest du allen Ernstes, du hättest mir das schöne große Projekt vor der Nase weggeschnappt, um mir einen Gefallen zu tun? Du rennst zum Chef, du reißt dir unter den Nagel, was du haben willst, und jetzt behauptest du, das wäre
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mir zuliebe gewesen? Ich glaub, ich spinne.« Sönke: »Ich hatte wirklich keine Ahnung, dass du das Projekt gern gehabt hättest. Ich habe nicht einmal im Traum daran gedacht, dass es dich überhaupt interessieren würde …« Sönke erzählt noch mehr darüber, wie er die Situation damals wahrgenommen hat. Auf einmal macht es »klick« – und Lilly versteht. Sönke gibt zu, manchmal etwas blind durch die Gegend zu gehen. Das kennt Lilly von ihm. Auf einmal kann sie ihm glauben: »Das war keine böse Absicht. Das war unsensible Blindheit.« Das macht für Lilly einen großen Unterschied. Böse Absicht macht sie wütend. Für »Blindheit« kann sie Verständnis aufbringen. »Blind« ist sie in anderen Bereichen (Computer!) manchmal auch. Lilly kann jetzt verstehen, wieso Sönke sie damals nicht gefragt hat. Sie kann ihm glauben, dass er sie nicht mit Absicht schädigen wollte. Sie versteht jetzt, dass ihre Schlussfolgerung – Sönke geht zum Chef, Sönke bekommt das Projekt, Sönke will mir etwas wegnehmen, er ist ein unkollegialer Trickser – nicht die alleinige Wahrheit ist. In seiner Welt heißt die Schlussfolgerung: Ja, Sönke geht zum Chef. Ja, Sönke bekommt das Projekt. Aber Sönke hatte keine Ahnung davon, dass dieses Projekt zu diesem Zeitpunkt für Lilly interessant war. In seinem Verständnis von Teamgeist ist es völlig selbstverständlich, dass Fairness herrscht. Er gehört gerade nicht zu den unkollegialen Tricksern, die für den eigenen, kurzfristigen Vorteil Teamgeist und gutes Büroklima aufs Spiel setzen. Sönke ist zwar sehr an seiner Karriere interessiert. Er ist auch sehr daran interessiert, tolle Projekte zu bearbeiten. Aber gleichzeitig geht es ihm mehr um langfristige Vorteile. Für ein kurzfristiges Projekt würde er einen fiesen Schachzug, der die Kollegen aushebelt, niemals erwägen. Er kam damals wirklich nicht auf die Idee, dass das Projekt für Lilly von Interesse sein könnte. Deshalb hat er nicht mit ihr darüber gesprochen. Lilly versteht. Sie kann jetzt unterscheiden: »Richtig ist, du hast nicht mit mir gesprochen. Richtig ist, du hattest ein Motiv, weshalb du nicht mit mir darüber gesprochen hast. Aber das Motiv, das ich mir vorge-
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stellt habe, und das Motiv, weshalb du so gehandelt hast, waren völlig verschieden.« Sönke: »Ja, du hast geglaubt, ich wüsste genau, wie sehr dich das Projekt interessiert hätte. Aber ich hatte keine Ahnung, wie sehr dich das Projekt interessiert hätte. Du hast geglaubt, ich wollte dich schädigen.« Lilly nickt nachdenklich. »Und nun fällst du natürlich aus allen Wolken. Jetzt verstehe ich.« Lilly fällt eine Situation aus ihrem letzten Job ein. Es ging um eine Geschäftsreise nach Spanien. Sie hatte damals ihren Wissensvorsprung ausgenutzt. Lilly ist damals als erste zur Gruppenleiterin gegangen und hat die Barcelona-Reise bekommen. Sie spürt, dass das Thema auch etwas mit ihr zu tun hat. Sie merkt, dass sie ihre eigene Motivation damals in Barcelona mit Sönkes Motivation beim Projekt gleichgesetzt hat. Sie hat Sönke mit sich selbst verwechselt (zu Verwechslungen / Übertragungen siehe Seite 82 ff.). Das sagt sie Sönke jetzt aber nicht. Das wäre ihr zu peinlich. Und das muss sie auch nicht sagen. Stattdessen sagt sie: »Trotzdem will ich, dass das nie wieder vorkommt. Außerdem finde ich: Beim nächsten spannenden Projekt habe ich jetzt aber Vorrang.« Durch Umwege erschließt sich das Interesse hinter den Positionen. Das eigentliche Interesse hinter dem Teetassenkonflikt war für Lilly und Sönke Gerechtigkeit und Fairness. Beim verschobenen Konflikt – Sönkes vermeintlich unfaires Verhalten beim »weggeschnappten« Projekt – war Lillys Interesse nach Fairness vermeintlich verletzt. Sie hatte es damals aber nicht angesprochen. Deshalb tauchte das Thema an allen Ecken und Enden – selbst bei einer Banalität wie einer schmutzigen Teetasse – wie ein Maulwurfshügel wieder auf. Als sich herausstellte, dass beide den Wert Fairness teilen, und dass es sich damals nur um eine vermeintliche Fairnessverletzung handelte, war der wesentliche Schritt gemacht. Aber die Welt verwandelt sich natürlich nicht automatisch in ein Paradies, auch wenn Interessen herausgefunden wurden. Häufig ist dann klar, an welchen Themen gearbeitet werden muss. Bei Sönke und
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Lilly war es das Thema Konkurrenz und Fairness in allen Bereichen: Im Kern ging es um die Verteilung von Projekten. Weil dieses Thema tabuisiert wurde, zeigte es sich beim Spülen von Teetassen. Sönke: »Ich weiß, dass du das Europaprojekt mindestens so gut hättest machen können wie ich. Schließlich sprichst du ja doppelt so viele Sprachen.« Die beiden vereinbaren, sich in Zukunft gegenseitig über neue Projekte zu informieren, sobald sie davon erfahren. Sie stellen fest, dass es auch bei den Teetassen Missverständnisse gab. Die vermeintlichen Sönketassen stammten nämlich zum großen Teil nicht von Sönke, sondern von den Kollegen aus der Nachbarabteilung. Im nächsten Meeting wird das Thema Teeküche mit allen besprochen. Für Außenstehende klingt ein Tassenkonflikt lächerlich. Außenstehende haben oft sofort viele Ideen, wie sich solche Konflikte lösen lassen. »Warum schafft ihr keine Spülmaschine an?« »Wäre es nicht billiger, zweimal täglich die Auszubildenden zu bitten, sich um die Tassen zu kümmern, als hoch bezahlte Projektleiter mit solchen Banalitäten zu belästigen?« Im Teammeeting kommen diese Vorschläge auch, werden aber verworfen. Denn auch im Team geht es nicht wirklich um die paar Sekunden, die es dauert, eine Tasse zu reinigen. Eine Kollegin meint: »Ich habe neulich ein Buch gelesen, in dem es darum ging, wo die Seele auftankt. Da stand: Abwaschen ist eine Tätigkeit, bei der man wunderbar neue kreative Ideen bekommen kann. Zu Hause mache ich das manchmal ganz bewusst. Hier im Büro bin ich auf diese Idee noch nie gekommen. Aber ich will es mal ausprobieren, wenn ich mit meiner Arbeit in einer Sackgasse stecke.« Ein anderer Kollege sagt: »Die Teeküche ist der beste Platz, um ganz informell mit Kollegen aller Hierarchiestufen und Abteilungen zwanglos ein paar Worte zu wechseln. Für unser Betriebsklima sind diese Momente unbezahlbar.« So haben die meisten Kollegen das bisher noch nicht gesehen, stimmen aber zu. Alle haben Lust, das einmal bewusst auszuprobieren. »Genau. Zu unserer Firmenkultur gehört einfach, dass keiner sich als ›was Besseres‹ fühlt.
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Ich fände es furchtbar, wenn Auszubildende als Tassenwäscher eingesetzt würden.« Wenn die Lösung für die »eigentlichen« Themen, die oft mit Gerechtigkeit, Fairness und anderen hohen Werten verbunden sind, gefunden ist, ergibt sich für den Oberflächenkonflikt fast wie von selbst eine einfache Lösung. Das Wichtige an den Lösungen sind deshalb nicht nur die Oberflächenlösungen selbst. Als Lilly nach Hause kommt, fragt ihr Mann: »Und? Was ist jetzt herausgekommen?« Als er das Ergebnis hört, ist er enttäuscht. »Und dafür habt ihr jetzt mehrere Stunden gebraucht? Den Tipp hätte ich euch gleich geben können.« Lilly schmunzelt. Das weiß sie selbst auch. Das, was als Ergebnis für die Tassen herausgekommen ist, ist kein Geniestreich: »Das Entscheidende an unserer Lösung: Erstens haben wir alte Missverständnisse und Fehleinschätzungen ausgeräumt. Zweitens haben wir Verständnis dafür entwickelt, was wem wichtig ist. Wir haben Werte entdeckt. Ganz nebenbei haben wir festgestellt, was für eine tolle Firmenkultur wir haben. Vor allem aber haben wir die Lösung gemeinsam selbst erarbeitet. Einstimmig. Und ich weiß selber nicht so genau warum, aber irgendwie stärkt das mein Zugehörigkeitsgefühl zur Firma. Und was ich Sönke unterstellt habe, tut mir jetzt richtig leid. Ich wusste gar nicht, was für einen geradlinigen und fairen Kollegen ich in ihm habe.« Lillys Mann kommt aus dem Staunen nicht heraus. »Seit Monaten muss ich mir dein Genörgel anhören, wie furchtbar du diesen Kerl findest. Und jetzt klingt es fast, als hätte er dich um den Finger gewickelt.« Lilly lacht. »Keine Sorge. Ich werde mich nicht in ihn verlieben.« Für das Umfeld von Menschen, die ihre Konflikte lösen, ist es manchmal gar nicht so einfach, mit den neuen Entwicklungen Schritt zu halten. Wer bei der Konfliktlösung selbst nicht dabei war und wer nur das Ergebnis sieht, ist regelmäßig erstaunt. Zum einen klingen die Ergebnisse oft zu schön, um wahr zu sein. Zum anderen spielt der Weg dahin eine größere Rolle, als viele wissen. Denn der Weg ist Bestandteil der Lösung. Und wer ihn nicht live miterlebt hat, kann das Ergebnis allein in seiner Bedeutung nicht verstehen.
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Wenn das Konfliktsymptom eine schmutzige Teetasse oder eine andere Kleinigkeit ist, ist der Weg zum Konfliktkern und damit den dahinterliegenden Interessen des Rätsels Lösung. Lilly und Sönke haben herausgefunden, worum es wirklich ging, und in fünf Schritten vom Anfang bis zur Abschlussvereinbarung eine Lösung erarbeitet. Weil die Fronten bereits etwas verhärtet waren, war es etwas aufwändiger. Wenn man sich rechtzeitig um eine Klärung kümmert, findet man den Kern schneller. Wer nur irgendwie gegenseitig nachgibt, ohne herauszufinden, wem was wichtig ist, landet unweigerlich in faulen Kompromissen oder halben Lösungen. Ein fauler Kompromiss wäre zum Beispiel gewesen: Sönke und Lilly vereinbaren abwechselnde Teetassenspültage. Dann hätte Sönke sein Interesse nach freierer Prioritätensetzung begraben müssen, und wenn beide nicht genau gleich viel schmutzige Tassen produzieren, wäre Lillys Interesse nach Fairness über kurz oder lang wieder verletzt worden. Faule Kompromisse haben die Eigenschaft, das eigentliche Konfliktthema immer weiter zu verschieben. So entstehen immer mehr und immer neue Maulwurfshügel. Opossums und Hasen schließen häufig Kompromisse. Sie haben soviel Angst vor den anderen, dass ein Kompromiss fast schon das höchste der Gefühle ist. Eine Einigung zu finden, die allen wirklich gefällt: Das halten sie nicht nur für unmöglich – das halten sie für unvorstellbar. Deshalb kommt es immer wieder dazu, dass jemand Kompromisslösungen vorschlägt. Opossums sagen dann häufig nicht »Nein«. Sie sind froh, wenn der Streit vorbei ist. So sind sie viel zu schnell mit faulen Kompromissen zufrieden und leiden dann jahrelang an den Folgen, statt sich zu entfalten. Auch Hasen geben sich mit Kompromissen zufrieden. Weil sie innerlich bereits auf dem Absprung sind, müssen ihre Nachfolger dann sehen, wie sie mit den Kompromissen klarkommen. Tiger kämpfen zunächst gegen Kompromisse. Wenn sie sich nicht durchsetzen, was häufiger geschieht, als sie zugeben wollen, stehen sie Kompromissen gespalten gegenüber. Sie glauben immer noch, dass sie allein im Recht waren. Des-
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halb kämpfen sie auch nach einem Kompromiss weiter gegen alle alten Feinde. Jeder, der es hören will – oder auch nicht – bekommt ihren Text: »Ich habe es ja gleich gesagt!« Und sie sorgen dafür, dass der Kompromiss nicht funktioniert. So können sie am besten beweisen, dass sie allein Recht haben und Recht hatten.
Wenn Sie es nicht immer schon geahnt haben, wissen Sie spätestens jetzt, warum faule Kompromisse häufig noch üblere Folgen haben als gar keine Einigung: Kompromisse verdecken das eigentliche Thema und verschieben damit das Konfliktsymptom. Gleichzeitig brodelt es überall weiter. Ganz anders ist es bei einer guten Einigung, die allen gefällt. Aber die ist im Streit gerade nicht in Sicht. Wenn zwei Führungskräfte sich nicht einigen können, ob eine kräftige Investition den Umsatz ankurbeln oder eine durchschlagende Sparmaßnahme die Kosten reduzieren soll, um das Unternehmen zu retten, und sie dann ein bisschen investieren und ein bisschen sparen, ist die Pleite nah. Wenn zwei Kolleginnen zur selben Zeit für 14 Tage in Urlaub gehen wollten und der Chef dann entscheidet, dass sie sich als Kompromiss darauf einigen sollen: Die eine bekommt die erste Woche, die andere die zweite Woche, kann keine den Urlaub machen, den sie wollte. Und sie werden aufeinander und auf den Chef sauer sein.
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Je mehr die Beteiligten Tiger, Opossum oder Hase spielen, umso weniger bekommt jeder, was er wirklich will. Die Tiger fallen übereinander her, obwohl sie sich eigentlich mögen – oder jedenfalls mal mochten. Die Hasen gehen der Streitfrage aus dem Weg und die Opossums stellen sich stur und tun so, als wären sie gar nicht da. Mit der Löwenstrategie kommen faule Kompromisse nicht in Frage. Finden Sie lieber heraus, worum es wirklich geht. So entsteht eine Lösung, die für alle Beteiligten noch besser passt als das, was die Einzelnen am Anfang wollten. Für extreme Opossums ist das übrigens unvorstellbar. Was ein eingefleischtes Opossum nicht kennt, hält es für völlig unmöglich. Für Tiger ist es fast noch schwerer vorstellbar. Denn einem Tiger erscheint es völlig ausgeschlossen, dass es bessere Ideen geben kann als die, die ihm alleine eingefallen sind. Hasen sind in dieser Frage am zugänglichsten. Mit Charme und Freundlichkeit stimmen sie der theoretischen Möglichkeit durchaus zu – behaupten aber, Wichtigeres zu tun zu haben, wenn es darum geht loszulegen. Löwen wissen, dass man sich von Zeit zu Zeit zusammenraufen muss, wenn man der König der Tiere bleiben will – und dass das nur funktioniert, wenn alle einverstanden sind. Wenn die Interessen hinter den verschobenen Konflikten unter festen Tabudeckeln verborgen bleiben, und wenn es den Streitpartnern nicht gelingt, die Interessen im Gespräch ohne weitere Hilfsmittel zu finden, dann kann man ein Werkzeug aus der Profikiste nutzen. Im Konflikt sieht man häufig den Wald vor lauter Bäumen nicht, das heißt, es gibt so viele verworren erscheinende Details und Missverständnisse, dass der Kern des Ganzen, das Interesse hinter den Positionen, schwer zu finden ist. Das ändert sich sofort, wenn man das Thema aus dem konkreten Kontext herausnimmt und in eine völlig andere Welt transportiert. Das Gehirn hat die kluge Fähigkeit, den Kern der Geschichte, um den es wirklich geht, auf diese Weise mitzunehmen. Und wie macht man das? Wir machen es mit Führungskräften und Mitarbeitern in Großunternehmen und Familienbetrieben auf
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die gleiche Weise, wie Sie es zu Hause oder im Büro auch tun können. Jeder nimmt sich ein Blatt Papier, einen Stift und fünf Minuten Zeit. Jeder bekommt die Aufgabe, den Konflikt zu zeichnen, als wenn er nicht so wäre, wie er tatsächlich ist, sondern als Metapher. Eine solche Metapher kann zum Beispiel aus der Tierwelt stammen oder der Raumfahrt oder der Welt der Märchen ... Und dann zeigt man sich gegenseitig die gezeichneten Bilder und erklärt, was die Metaphern bedeuten. Die Ergebnisse sind erstaunlich. Durch den neuen Kontext verschwinden viele Details. Für diese Technik ist das wichtig. So wird die Komplexität reduziert. Übrig bleibt nur, was wichtig ist. Und plötzlich sieht man wieder den Wald, um den es eigentlich geht. Zwei Kolleginnen hatten einen Konflikt, in dem es um die Zusammenarbeit ging. Sie fanden fast hundert Maulwurfshügel, bei denen der Konflikt sich äußerte, bekamen aber nicht heraus, was das eigentliche, darunter liegende Interesse war. Die gezeichneten Metaphern sahen so aus: Bild 1: Ruderboot mit acht Ruderinnen, sieben rudern in eine Richtung, die achte in die entgegengesetzte Richtung. Bild 2: Eine Puppenstube, in der in sieben Zimmern sieben Frauen am Tisch sitzen und arbeiten, die achte rennt mit dem Feuerwehrschlauch allein durch alle Räume und löscht überall Kleinbrände. Plötzlich wurde klar, was zwischen den Kolleginnen los war. Die erste wünschte sich, dass alle gemeinsam in die gleiche Richtung rudern. Die zweite hätte auch gern das Gleiche getan wie die anderen. Da sie aber überall sah, was anbrennt, sah sie ihre Aufgabe darin, zuerst zu retten, was zu retten ist. Kollegin 1: »Du machst das also gar nicht, um uns zu zeigen, dass du uns für blöd hältst?« Kollegin 2: »So ein Blödsinn, aber wenn ich am Freitagnachmittag die Einzige bin, die noch da ist, und wenn dann bei einem Kunden die Hütte brennt, dann muss man halt mal ungewöhnliche Maßnahmen ergreifen, um die Situation zu retten. Und da ich durch meinen Dienstplan oft zu solchen Zeiten alleine bin, kommt das halt dauernd vor.« Die Kolleginnen atmen auf. Wenn das Interesse klar wird, entsteht Verständnis. Alle wollten das Beste für das Team tun.
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Alle setzten sich für Kundenzufriedenheit ein. Bisher waren sie unterschiedliche Wege gegangen, weil sich die Aufgaben unterschiedlich entwickelt hatten. Jetzt konnten sie Pläne entwickeln, was bei kleinen »Bränden« zu Randzeiten passieren sollte, damit alle in eine Richtung rudern können. Wenn die Metaphern gezeichnet sind, gehen alle auf die Suche danach, wofür das, was die Einzelnen machen oder wollen, ihnen wichtig ist. »Wofür ist dir das wichtig?«, ist die Kernfrage, mit der sich Interessen herausfinden lassen. Und wenn dann immer noch keine Antworten auf die Frage kommen, gehen Sie allein oder gemeinsam für ein paar Minuten spazieren. Und lassen Sie sich überraschen, was Ihnen einfällt. Eine weitere Technik ist die Wahlplakat-Technik. Wenn Sie für Ihre Position werben würden, welche Werte würden dann auf das Plakat schreiben? Freiheit und Gerechtigkeit? Sicherheit? Zukunft sichern – an die Umwelt denken? Was sind die »großen Themen«, die sich in Ihren Positionen zeigen? Wenn Sie sie finden, kommen Sie Ihren Interessen auf die Spur. Und mit den Interessen finden Sie heraus, was Sie brauchen, damit gute Lösungen entstehen. Erinnern Sie sich noch an Christine und ihre Chefin? Christines Urlaub sollte verschoben werden. Grund war der Mutterschutz für eine Kollegin. Christine schrieb sich ein Wahlplakat. Ihr erster Entwurf: »Mehr Urlaub für alle!«. Dann musste sie selber lachen, strich die Zeile durch und schrieb zwei neue Plakate. Das erste: »Gesundheit – unser höchstes Gut.« Und das zweite: »Urlaub – bevor es zu spät ist.« Dann zeichnete sie sich selbst, wie sie in der Wüste kurz vor der Oase zusammenbrach.
Gut zu wissen Hinter jeder Position, ganz gleich, was man tun will, gibt es immer Ursachen und Interessen. Die Ursachenforschung beschäftigt sich mit der Vergangenheit. Interessenerforschung be-
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schäftigt sich mit der Zukunft. In der dritten Phase erforscht man: »Wofür ist das, was ich in der Zukunft will, wichtig? Worum geht es hier eigentlich? Wofür ist das, was der andere will, wichtig? Welche Werte sind wichtig, wenn Positionen verteidigt werden? Geht es um Fairness? Geht es um Kollegialität? Um Geld oder Macht? Fühlen wir unsere Gesundheit bedroht oder unsere Freiheit?« Wer für die vordergründigen Fragen und die vordergründigen Positionen vorschnell Kompromisslösungen schafft, ohne die dahinterliegenden Interessen zu finden, produziert eine Fülle neuer Konflikte.
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14 Profi-Tipps für die Suche nach der Konfliktlösung
Die Heureka-Phase ist die einzige, die sich nicht im herkömmlichen Sinne »planen« lässt. Gleichzeitig ist sie die wirklich entscheidende. Wofür veranstalten wir denn den ganzen Zauber, setzen uns zusammen, erzählen uns gegenseitig, was wir wollen, stellen die Themen zusammen und finden heraus, was wem wichtig ist? Wir tun das alles doch nur, um eine neue Lösung zu finden, die für alle passt! Die Heureka-Phase erscheint Konfliktlösungsanfängern ziemlich zufällig. Da sitzt man zusammen, und plötzlich sagt jemand: »Ich glaube, ich habe eine Idee!«, oder »Da fällt mir etwas ein!«, oder »Könnte man nicht vielleicht ...?« Und während bisher alle Einfälle dieser Art auf taube Ohren stießen, weil das, was man wirklich wollte, nicht vorkam – und manchmal auch allein deshalb, weil man auf den anderen noch so sauer war, dass es völlig egal war, was er sagte –, kommt plötzlich der Moment, in dem die neue Idee ein offenes Ohr findet, weil das in der Beziehung jetzt wieder geht. Außerdem ist diese Idee tatsächlich besser als das, woran man bisher dachte. Manchmal ist sie so genial, dass man es kaum glauben kann. Manchmal ist sie völlig banal und alle fragen sich, wieso sie darauf nicht längst gekommen sind. Die Heureka-Phase lässt sich vorbereiten. Man kann alles dafür tun, dass sie stattfindet. Aber »planen« im herkömmlichen Sinne, so dass man sagt: »Und jetzt erfinden wir mal in der nächsten Minute eine Konfliktlösung«, das funktioniert nicht. Trotzdem stehen die Chancen sehr gut, dass die Heureka-Phase sich »wie von selbst« einstellt. Durch gute Planung in der ersten
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Phase ist das Ziel klar. Durch die Beschäftigung mit der Liste der Themen sowie den Positionen und Interessen wird die Kreativität in die richtige Richtung gelenkt. Mit jedem neuen Aspekt, den die Gesprächspartner finden, ist es, als würden sie von weiteren Aufwinden nach oben getragen. Von oben ist der Überblick besser. So geraten immer mehr Lösungslandschaften ins Blickfeld, an die vorher keiner dachte. Erinnern Sie sich an die Metapher, dass eine gemeinsame Konfliktlösung wie ein Gleitschirmflug ist, bei dem die Beteiligten gemeinsam die Richtung steuern? Mit jeder Erkenntnis – seien es aufgedeckte Missverständnisse oder ungeahnte Interessen – lenken die Beteiligten den Schirm in Richtung neuer Lösungslandschaften. So kommt es, dass man mit großer Wahrscheinlichkeit vorhersagen kann, ob eine Lösung gefunden wird, wenn die Auftragsklärung fertig ist. Aber man kann nicht genau planen, in welcher Minute das tatsächlich der Fall sein wird. Wer alles gut vorbereitet, lädt den Zufall ein. Manche sagen dazu: »Es gibt keine Zufälle.« In der Konfliktlösungspraxis lässt sich dieser »Zufall« so zuverlässig vorbereiten, dass man mittlerweile recht gut planen kann, wie viele Minuten oder Stunden es voraussichtlich dauern wird, bis das Heureka sich einstellt. Vor vielen Jahren kam ich auf die Idee, dass der Moment, in dem eine neue Idee für eine Konfliktlösung entsteht, so etwas sein könnte wie ein Orgasmus der Erfinderseele: Man braucht bestimmte Vorbereitungshandlungen. Manche Rahmenbedingungen sind besser geeignet, manche schlechter. Zu zweit geht es besser als alleine. Hundertprozentig sicher planen lässt sich der Moment nicht. Wenn er dann kommt, ist es immer auch wie ein Geschenk. Und trotzdem: Je mehr Erfahrungen wir sammeln, umso besser lernen wir uns kennen und können immer besser dazu beitragen, dass wir erreichen, was wir uns wünschen. Und was da wirklich genau geschieht, bleibt im Innersten ein Geheimnis. Und je mehr Konfliktlösungen ich begleitet habe, umso dankbarer bin ich für diesen Einfall. Wer zu verkrampft eine Lösung haben will, macht sich das Leben nur unnö-
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tig schwer. Es gibt halt Dinge im Leben, die sich der »Machbarkeit« entziehen. Wenn Sie mit jemandem nach einer Konfliktlösung suchen, dann gibt es drei Möglichkeiten:
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Entweder, jeder von Ihnen hat eine eigene Lösungsidee, aber keiner ist mit der des anderen einverstanden. Einer von Ihnen hat eine Lösungsidee, aber der andere ist dagegen. Beide sind unzufrieden und keiner hat eine Lösungsidee.
Was heißt das? Alle bereits vorhandenen Ideen helfen nicht weiter. Also müssen neue Ideen her. Und wie findet man neue Ideen? Viele Streitende können sich zwar theoretisch vorstellen, dass es um neue Ideen geht, aber wenn sie dann anfangen, nach Lösungen zu suchen, präsentieren sie ihre eigene Lösungsidee mit wachsender Vehemenz, immer und immer wieder. Dadurch wird die Idee nicht besser, und der Konfliktpartner wird dadurch nicht überzeugter. Solange man also bei gesundem Menschenverstand ist, genügt es, einmal zu überprüfen, ob die eigenen, bisherigen Lösungsideen Akzeptanz finden. Wenn nicht, ist es sinnlos, sie ein- bis hundertmal zu wiederholen. Aber was tut man stattdessen? Da die alten Ideen nicht auf gemeinsame Gegenliebe stoßen, müssen neue her. Das ist eigentlich einfach. Und das ist logisch. Wenn Sie bei einem Konflikt also zusammensitzen und sich darauf geeinigt haben, was Sie klären wollen, dann suchen Sie eine neue Lösung. Es kann sein, dass Sie nur eine winzig kleine Frage lösen wollen. Vielleicht geht es nur um die Auflösung eines kleinen Missverständnisses. Vielleicht geht es um viel mehr. Ganz gleich, wie groß oder klein das Thema sein mag, um das es geht, was Sie jetzt brauchen, ist die Erfindung einer neuen Lösung. Wenn man weiß, dass Raketen zum Mond fliegen können, wenn man weiß, dass E-Mails in Sekundenschnelle in Australien ankommen können, und wie Flecken aus der Wäsche verschwinden, ohne im Bottich gekocht und in der Sonne gebleicht zu werden, dann klingt
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das ganz normal. Bevor es Raketen, Computer und Waschmaschinen gab, war das für die meisten Menschen völlig unvorstellbar. Auch wenn unsere kleinen Konfliktlösungen für die Menschheit weniger bahnbrechend sein mögen als große technische Erfindungen – die Überraschung, wenn die neue Idee plötzlich da ist – und wenn sie funktioniert, ist die gleiche. Vorher glaubt keiner, dass es überhaupt möglich sein kann. Hinterher sagen die meisten: »Ach so. Na, da hätte man auch früher drauf kommen können.« Wenn Sie dieses Buch lesen, haben Sie in Ihrem Leben bereits eine riesige Fülle von Ideen gehabt. Ideen, was man spielen könnte, Ideen, wie man Zimmer einrichten, Beruf und Lebensstil wählen und Leben gestalten könnte. Wie haben Sie das eigentlich gemacht? Wie kommt es dazu, dass Sie so wohnen und leben, wie Sie jetzt wohnen und leben? Die meisten, denen ich diese Frage gestellt habe, antworten: »Da war ganz viel Zufall dabei ...«, und dann erzählen sie, wie aus der Kombination von eigenen Wünschen und zufälligen Gegebenheiten ihr Leben wurde. Neue Ideen und Erfindungen haben auch viel mit Zufällen zu tun. Als die kleinen gelben Zettelchen erfunden wurden, die heute in allen Büros auf Papiere, Telefone und Monitore geklebt werden, weil man sie so wunderbar rückstandslos wieder abziehen kann und sie in der Zwischenzeit an wichtige Dinge erinnern können, wollte ihr Erfinder eigentlich etwas ganz anderes. Er suchte nach einem Kleber, der ganz besonders fest und dauerhaft hält. Heraus kam das Gegenteil. Wie das manchmal im Leben halt so ist. Der Erfinder der kleinen, gelben Post-It-Zettel war einem wunderbaren Zufall zum Opfer gefallen. So ist es in der Konfliktlösung oft: Da unterhält man sich über Teetassen – und plötzlich fällt einem etwas ein. Man nennt das auch das Serendip-Prinzip. Die Prinzen von Serendip, so sagt es die Mythologie, konnten nur finden, wenn sie nicht suchten. Wir kennen dieses Prinzip, wenn uns ein Wort nicht einfällt. Je mehr wir uns anstrengen, es zu erinnern, desto weniger fällt es uns ein. »Ich habe es auf der Zunge«, sagen wir, aber da bleibt es auch. Wenn
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wir dann eine Weile lang etwas völlig anderes denken, kommt uns das Wort plötzlich in den Sinn. Ganz zufällig? Kaum, es hat vielmehr etwas mit der Funktionsweise unserer Gehirne zu tun. »Der Zufall begünstigt nur einen vorbereiteten Geist«, sagte schon Louis Pasteur. Oft genügt es, das zu besprechen, was in den ersten drei Phasen »dran« ist. Kommt der zündende Gedanke dann nicht von allein, lässt er sich locken. Aber vorher muss man prüfen: Liegt es wirklich daran, dass die Gedankenbahnen sich nicht weit genug von den Ausgangspunkten entfernen können? Gibt man dem zufälligen Einfall auch wirklich eine Chance? Wer zu verkrampft an die eigene Vorstellung einer bestimmten Lösung denkt, blockiert sich selbst.
Erste Strategie: Das Serendip-Prinzip Wenn die Ursache dafür, dass einem keine Lösung einfällt, darin liegt, dass die Brücke der Verständigung noch nicht entstanden ist, und dass man noch nicht weiß, was dem anderen wichtig ist, oder das noch nicht nachvollziehen kann, hilft keine Heureka-Technik. Dann sollte man sie auch nicht probieren, sondern sich den noch bestehenden Schwierigkeiten zuwenden. Sind alle Verständnisbrücken gebaut, kann man den Zufall ganz bewusst einbauen. Man nimmt zum Beispiel ein beliebiges Wörterbuch mit mindestens 666 Seiten, dann wird dreimal gewürfelt. Die erste Ziffer gibt die Hunderterstelle an, die zweite Ziffer die Zehnerstelle, die dritte Ziffer die Einerstelle. Beide Gesprächspartner erwürfeln sich so ihre Zahl. So wird aus den drei gewürfelten Zahlen 4, 4 und 6 die Seite 446. Das erste Wort auf der Seite gilt. Im Falle 446 ist es im Duden: »Hagelschaden«. Dieses Wort erwürfelte sich das Mitglied eines Teams, in dem wir nach einer Lösung gesucht haben. Menschliche Gehirne sind in der Lage, zufällige Worte mit einer sinnvollen Verknüpfung zu versehen. Sie entscheiden dabei blitzschnell: »Nein, das passt ja überhaupt nicht, weil ...« und in den
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Gründen dafür, weshalb es nicht passt, verbergen sich viele Schlüssel zur Lösung. Oder: »Ja, das ist erstaunlich. Das passt, weil ...« Der junge Mann, der das Wort »Hagelschaden« erwürfelt hatte, schaute sehr verblüfft. »Ja, das ist es. Meine Worte bewirken häufig im Team so eine Art Hagelschaden. Eigentlich will ich mit meinen Gedanken hier für eine nützliche Bewässerung sorgen. Aber weil ich manchmal so heftig bin, zerstöre ich mit meinen Hagelkörnern oft mehr als ich nütze.« Er lächelte etwas in sich hinein. »Ich sollte wohl öfter mehr versuchen, wie ein warmer Sommerregen zu sein.« Ein Kollege protestierte: »Warm braucht der Regen nicht zu werden.« Alle lachten. Ein neuer Umgangston war zwar noch nicht die Lösung für den Konflikt. Aber dadurch, dass der Heftige seine Heftigkeit selbst ausgesprochen hatte, kam er dann darauf, was die Ursachen für seine Heftigkeit waren. So fanden sie Schnittstellenprobleme. Und die Beseitigung dieser Schnittstellenprobleme war dann des Rätsels Lösung. Die Würfeltechnik ist eine von Hunderten von Möglichkeiten, wie Sie dem Zufall eine Chance geben können. Denken Sie sich selbst neue aus. Viel Spaß!
Zweite Strategie: Das Edison-Prinzip Die zweite Strategie der Konfliktlöser ist Thomas Alva Edison abgeschaut. Edison soll während seines eigenen Hochzeitsfestes leise verschwunden sein. Und zwar in seine Garage. Dort soll er weiter an seinen Erfindungen getüftelt haben. Fleißig sein und dranbleiben hat ihn zu einer Unzahl von Erfindungen und Patenten geführt, von denen die Glühbirne nur eine ist. Nach ihm benennen Konfliktlöser das »Edison-Prinzip«. Edison soll gesagt haben: »Jeder fehlgeschlagene Versuch bringt mich der Lösung ein Stückchen näher. So weiß ich wenigstens, wie es nicht geht.« Konfliktlöser, die nicht schon mit dem dritten Vorschlag, der gemacht wird, hurraschreiend zufrieden sind, nehmen sich an Edison ein Beispiel. Und pro-
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bieren es einfach weiter. Dieses Prinzip hilft Ihnen immer dann, wenn Sie denken: Jetzt haben wir uns schon vier Wege ausgedacht, die nicht funktionieren. Hat es denn überhaupt einen Sinn weiterzusuchen?
Dritte Strategie: Die Badewanne des Archimedes Die dritte Strategie ist nach dem alten Archimedes benannt. Archimedes suchte damals nach einem Weg herauszufinden, ob eine goldene Krone wirklich aus Gold war. Die Idee, die Krone wie seinen Körper in Wasser zu tauchen und den steigenden Wasserspiegel zu messen, gab ihm den entscheidenden Kick. Seine Entdeckung, die ihn zu dem berühmten »Heureka-Ruf«, dem Schlachtruf der Erfinder, bewegte, zeigt etwas Wichtiges: Der Schreibtisch (oder der Konferenztisch) ist weder der einzige, noch der geeignetste Ort, um auf neue, kreative Ideen zu kommen.
Das heißt natürlich nicht, dass Sie wie die »Herren im Bad« bei Loriot ab sofort mit allen Streitpartnern in die Wannen dieser Welt steigen sollen. Das heißt aber: Ihr Gehirn funktioniert kreativer, wenn es loslassen kann und Impulse aus anderen Bereichen bekommt.
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Vergleiche zu anderen Welten geben auch Konfliktlösern den entscheidenden Kick. Wenn Sie also das nächste Mal nach einer Lösung für einen Berufs- oder Privatkonflikt suchen, denken Sie an die Welt der Märchen oder Tiere, an die Welt der Raumfahrt oder Schifffahrt, und lassen Sie sich überraschen, was Ihr Gehirn Ihnen bietet. Welche Geschichte fällt Ihnen ein, wenn Sie an Ihren Konflikt denken? Marius hatte Ärger mit seinem Nachbarn Fritz. Als Hobbyheimwerker produzierte Fritz die absonderlichsten Klopf- und Bohrgeräusche zu allen Tages- und Nachtzeiten. Im Konfliktgespräch nannte Marius ihn »Sie Specht! Sie kommen mir vor, als würden Sie unseren Baumstamm mit täglich neuen Höhlen verschönern, während ich meinen Nachtigallkindern versuche beizubringen, wie man singt.« Der »Specht« fand diese Formulierung so komisch, dass er nicht aufhören konnte, sich vor Lachen auszuschütten. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass sein leises Klopfen und Bohren irgendjemanden stören könnte. Der Vergleich zu den Vögeln erinnerte ihn an das Vogelnest, das er vor Jahren auf dem Dachboden gefunden hatte. Fritz: »Würde es Ihnen vielleicht besser gefallen, wenn ich meine Aktivitäten auf dem Dachboden fortführe?« Sie probierten die Geräusche an verschiedenen Stellen im Haus aus und fanden einen Ort, der allen gefiel. Herr Dr. Specht, wie er ab sofort liebevoll genannt wurde, baute sich sein neues Bastelrevier komfortabel aus. Was Sie also bei der Streitklärung tun, ist so ähnlich wie bei den großen Erfindern, von Archimedes bis Edison. Mit jeder Idee, die Ihnen einfällt und die noch nicht passt, lernen Sie mehr über die Kriterien, die für eine gute Lösung gebraucht werden. Da man im Streit mindestens zu zweit ist, kann man diese Kriterien einfacher herausfinden als durch Versuch und Irrtum mit ständigem Ausprobieren. Matze, der von dem kleinen roten Sportwagen geträumt hatte, stellte fest, dass es viele Fahrten gab, zu denen er seinen Traumwagen gar nicht nutzen konnte. Bei einigen Kunden wäre der Wagen sehr unpassend, beim Einkaufen sowieso – und eigentlich – wenn er es recht bedachte, gab es vielleicht zehn Gelegenheiten im Jahr,
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zu denen er sich den Sportwagen wirklich wünschte. Matze rechnete sich aus, was es kosten würde, für diese Gelegenheiten das teuerste und ausgefallenste Modell zu mieten, was ihm gerade gefiel. Und es lohnte sich. Hätte ihm jemand diesen Vorschlag gemacht, bevor er selber darauf gekommen war, hätte er das rundweg abgelehnt. Eigentum ist doch etwas ganz anderes als Miete. Da er die Idee aber selbst hatte, fielen ihm die Vorteile auf. Er freute sich darüber, dass er nicht 365 Tage im Jahr aufpassen musste, ob jemand irgendwelche Kratzer in sein Prachtstück machen würde. Matzes Frau hatte die Idee, den Betrag, den sie durch die Autoanschaffung sparen würden, durch zwei zu teilen. Und jeder konnte mit seiner Hälfte machen, was er wollte. Sie fanden übrigens einen gebrauchten, schwarzen Wagen – preiswert in Anschaffung und Verbrauch – der beiden für den Alltag noch besser gefiel als ihre ursprünglichen Vorstellungen. Christine und ihre Chefin fanden eine verblüffend einfache Lösung. Christine konnte den Urlaub zwar nicht wie gebucht im nächsten Monat nehmen. Aber sie konnte ihn sofort antreten – gleich Montag. Sie stellten fest: Die Umbuchungskosten für die Flüge betrugen 50,– €. Da die Umbuchung auf Wunsch des Unternehmens erfolgte, trug die Firma die Kosten. Auch alles andere ließ sich organisieren. Für viele Menschen wäre die Vorstellung, einen Urlaub vorzuverlegen, keine gute Lösung. Aber Christine war einfach nur glücklich. Sie hatte sich in den letzten Wochen so verausgabt, dass sie lieber heute als morgen vom Schreibtisch aufgesprungen wäre. Auch für ihre Beziehung mit Tom fand sie eine Erholungspause prima. Ausgeruht und entspannt würde sie nach dem Urlaub die Beziehung zu ihrem Partner wieder viel mehr genießen können. Auch bei Sandra und Kevin ging es um Urlaub. Kevin wollte ins Sportcamp. Sandra nach Norderney. Manchmal kennen Streitende ihre Interessen ganz genau. Sie wissen, was auf der Ferieninsel, auf der sie gerne Urlaub machen möchten, so besonders schön ist – oder im Sportcamp. Manchmal hat man die Interessen vergessen, verdrängt oder schlichtweg noch nie überlegt. Dass Norderney schön
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ist, weiß man vielleicht einfach. Aber wieso eigentlich? Sandra fand heraus, dass sie sich auf Norderney vor allem in der kalten Jahreszeit so herrlich entspannen konnte. Das war in den letzten Jahren einfach erholsam gewesen. Im Sessel sitzen, den flackernden Flammen im Kamin zuschauen, Kandiszucker im Tee knacken lassen, den Wind draußen vor der Fensterscheibe vorbeiheulen lassen und diese wunderbare Stille genießen. Ja, das war es. Dazu kam, dass das Haus, in dem sie auf Norderney war, kein moderner gesichtsloser Wohnturm-Schuhkarton war, wie sie es nannte, sondern ein altes Haus mit Holztüren und Geschichte. Ja, das war es eigentlich. Sandras Interesse: Die karge Landschaft, der Wind draußen – und drinnen so ein Gefühl von guter alter Zeit. Ihre Position: Auf Norderney gibt es das. Kevin war überrascht. Er hatte mit Sandras Wunsch ganz andere Dinge verbunden. Seine Position: Er wollte in ein Sportcamp. Sein Interesse: Er wollte sich tagsüber körperlich austoben und abends nicht auf eine Horde wildgewordener, kiffender und saufender Discogänger in der Hotelbar treffen. Abends träumte auch er von einem gemütlichen Sessel, ob mit oder ohne Kamin in altem oder neuem Gebäude – das war ihm völlig egal. Hauptsache, tagsüber austoben, abends entspannen. Nachdem Sandra und Kevin ihre Interessen herausgefunden hatten, gingen sie mit ihren Kriterien auf die Suche. Gebraucht wurde ein Ferienort, der tagsüber vorzügliche Sportmöglichkeiten bot, und abends eine besondere Art friedlicher Stille in einem alten Haus. Und wie findet man in solch einer Situation eine Lösung? Sandra und Kevin als Computerfreaks erschien es am einfachsten, Kriterien zusammenzustellen und im Internet nachzuschauen. Sandra und Kevin waren überrascht, als sie feststellten, dass es solche Kombinationsmöglichkeiten auf allen Kontinenten gab. Auf Inseln, an Küstenlinien, in den Bergen, an Seen ... Aufgeregt wie zwei Detektive fieberten sie durchs Internet und fanden mehr schöne Plätze, als sie bereisen konnten. Sie entschieden sich in diesem Jahr für ein uriges Anwesen in Schottland – mit mehr Sportmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe als Kevin nutzen konnte.
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Und auch, wenn ein Streit große Geldbeträge betrifft, sich auf die Zukunft von Arbeitsplätzen auswirkt oder bereits Anwälte engagiert sind, das Prinzip ist im Großen wie im Kleinen das Gleiche. Dabei zeigt das folgende Fallbeispiel, dass es nicht nur die genialen, spektakulären Einfälle sind, die die Beteiligten zufrieden machen. Die Beseitigung von unnötigen Hindernissen reicht manchmal völlig. Denn sobald Tiger anfangen zu kämpfen, sind die einfachsten Lösungswege wie zugeschüttet. Manchmal bedeutet der Weg zum Heureka einfach nur, sie wieder zu öffnen: Hans-Jürgen hatte zum 50. Mal einen Brief von einer Kundin mit ungefähr folgendem Inhalt erhalten: Sehr geehrte Damen und Herren, warum schreiben Sie mir eigentlich immer alles doppelt? Würden Sie das Porto sparen, was Sie mit doppelten Briefsendungen ausgeben, könnten Sie den Pulli, den ich bei Ihnen gerne kaufen würde, 10 Euro billiger anbieten. Und dann würde ich ihn auch gerne kaufen. So wie Sie mit dem Geld Ihrer Kunden umgehen, überlege ich mir ernsthaft, demnächst woanders zu kaufen. Mit herzlichen Grüßen, Ihre Bärbel Kallenix
Natürlich hatte Hans-Jürgens Firma ein Doublettensuchprogramm, aber das fand nur Adressen, die sich sehr ähnlich waren. Dass »Bärbel« und »Baerbel« wohl die gleiche Person sein musste, fand das Programm. Aber wenn sich eine Bärbel Kallenix mal mit »B.« und mal mit »Bärbel« schrieb, war es vorbei. Ganz zu schweigen von Schreib- oder Lesefehlern bei Straßen oder Namen, die sich durch telefonische Bestellungen und Datenübertragungen einschlichen. Auf einer Messe hatte Hans-Jürgen eine Informatikfirma kennen gelernt, die sich auf Adressverwaltung spezialisiert hat. Das Problem mit den Doppelbriefen musste endlich ein Ende haben. Eine Aussortierung per Hand – das hatte Hans-Jürgen prüfen lassen – war
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viel zu teuer. Hans-Jürgen rief bei den Spezialisten an. Hätte HansJürgen nicht schon seit zwanzig Jahren ein etwas exotisches Datenbanksystem, könnte er ein Doublettensuchprogramm als Standardsoftware kaufen. So aber muss das Suchprogramm mit seiner alten Software kommunizieren können. Programmierer Lasse bietet ihm an, für 2 500 Euro eine Standardsoftware zu liefern und für weitere 8 500 Euro eine maßgeschneiderte Schnittstelle zu programmieren. Hans-Jürgen beauftragt seinen Mitarbeiter Andreas damit, die Programmierer mit allen nötigen Informationen zu versorgen. Als Zeitfenster werden vier Wochen vereinbart. Als die Schnittstelle nach vier Wochen nicht fertig ist, fragt HansJürgen telefonisch nach, was los ist. Durch einen dummen Zufall verwechselt ein Programmierer im Softwarehaus die Aufträge und teilt mit, das Programm sei bereits ausgeliefert und müsse jeden Moment eintreffen. In den nächsten Tagen trifft natürlich nichts ein. Hans-Jürgen wird immer ärgerlicher. Er schickt eine schriftliche Mahnung, der man den Ärger bereits anmerken kann. Jetzt ist auch Lasse sauer. Es gehen Briefe hin und her. Fristsetzungen, Drohungen und Mahnungen eskalieren. Hans-Jürgen will vom Honorar einen Minderungsbetrag abziehen, Lasse hingegen verlangt mittlerweile ein gestiegenes Honorar. Die Situation wird immer absurder. Der eingeschaltete Rechtsanwalt empfiehlt eine Mediation. Er will sie als Beratungsanwalt unterstützen. Er meint: »Natürlich kann man hier auf Fertigstellung des Programms klagen. Aber schneller fertig wird es dadurch auch nicht. Versuchen Sie doch lieber herauszufinden, wo der Hase wirklich im Pfeffer liegt.« Es gelingt den Beteiligten, eine Mediatorin zu finden, die sie zu einer gemeinsamen Lösung begleiten soll. Gemeinsam formulieren sie: »Unser gemeinsames Ziel in dieser Mediation ist es, eine Lösung für Fertigstellung und Bezahlung des bestellten Programms zu finden, die besser ist, als es eine gerichtliche Lösung wäre.« Hans-Jürgen bringt die Punkte ein: Verbindlicher Fertigstellungstermin und Höhe der Honorarrechnung. Lasse ist mit beiden Punkten einverstanden und fügt hinzu: Leistungsumfang des Programms.
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Hans-Jürgen ist über diesen Punkt erstaunt, hat aber nichts dagegen einzuwenden. Die zweite Phase beginnt: Lasse schildert die Themen aus seiner Sicht. Hans-Jürgen wird jetzt einiges klar. Erst jetzt erfährt er, dass sein Mitarbeiter Andreas die Unternehmenssoftware nicht wie ursprünglich vereinbart sofort mit der Auftragserteilung an das Softwarehaus geschickt hatte, sondern sich damit ein paar Tage Zeit gelassen hat. So konnte Lasse zum vereinbarten Zeitpunkt nicht mit der Arbeit beginnen. Dann hatte Andreas, was Hans-Jürgen auch nicht wusste, es gut gemeint, und den zuständigen Programmierer telefonisch gefragt, ob es nicht sinnvoll wäre, wenn das Programm noch weitere Kleinigkeiten erkennen könnte. Der Programmierer hatte dazu gemeint, er werde es mal versuchen. Es stellte sich heraus, dass Andreas damals zwei Tage krank war, und dass er die Frage nicht als Auftrag, sondern als Informationsfrage verstanden wissen wollte. Jedenfalls erkannten Lasse und Hans-Jürgen jetzt, wie es zu der ungünstigen Verkettung von Verzögerungen gekommen war. Dritte Phase. Hans-Jürgen: »Wie immer es auch sei, ich kann jetzt zwar nachvollziehen, wie der Ärger entstanden ist, aber davon ist das Problem ja nicht gelöst. Wenn wir nicht spätestens in sieben Tagen ein lauffähiges Programm haben, dann muss die nächste Mailing-Aktion immer noch ohne die neue Doublettensuchsoftware laufen. Das kostet nicht nur unnötig viel Porto, das schädigt auch unseren Ruf bei den Kunden, und vor allem habe ich mich hausintern dafür stark gemacht, das Softwarethema in den Griff zu kriegen – und deshalb hängt auch meine Karriere daran.« Lasse versteht. Hans-Jürgens Interessen sind: Kosteneinsparung für die Firma, Schutz vor Imageverlust gegenüber den Kunden, und Schutz vor persönlichen Karrierenachteilen. Trotzdem kann Lasse sich das Programm nicht aus den Rippen schneiden. Die Mitarbeiter, die das Thema beherrschen, sind mit anderen Projekten bis über die Haarspitzen eingedeckt. Und die neuen Kräfte, die noch Zeit haben, wissen nicht, wie es geht. Lasse sagt: »Ich würde Ihnen ja gerne helfen,
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aber ich weiß nicht, wie ich es machen soll. Der Tag hat 24 Stunden. Meine Jungs arbeiten sowieso schon rund um die Uhr, und zaubern kann ich auch nicht. Wenn Ihr Programm nicht so exotisch wäre, wäre das alles viel einfacher.« Hans-Jürgen ist irritiert. »Was meinen Sie damit?« Lasse: »Na ja, Ihr Programm sieht noch ein bisschen anders aus als die Standardsoftware heute. Und deshalb muss alles, was sie jetzt brauchen, speziell an die alte Software angepasst werden.« Hans-Jürgen: »Und wenn wir eine Standardsoftware hätten, dann würden Sie das in sieben Tagen schaffen?« Lasse: »In sieben Minuten. Dann könnten Sie sich aussuchen, was Sie haben wollen, und alles wäre schon fertig.« Vierte Phase: Hans-Jürgen: »Da bringen Sie mich auf ganz neue Ideen. Können Sie denn die Daten aus unserer alten Software retten und uns auf den neuesten Stand bringen? Und wenn ja, was würde das kosten? Und wie lange würde das dauern?« Lasse: »Bei Ihrem Programm ist der Datentransfer vergleichsweise einfach. Sie haben wenig überflüssigen Schnickschnack eingebaut, der alles nur unnötig verkomplizieren würde.« Die beiden finden einen Weg, um den Postversand in sieben Tagen bereits über das neue Programm laufen zu lassen. Nur die Adressen sollen sofort umgestellt werden. Alles andere folgt, sobald im Softwarehaus wieder etwas Zeit ist. Hans-Jürgen ist immer noch besorgt: »Und wenn das dann nicht klappt?« Lasse erklärt ihm, wie der Datentransfer gemacht wird. Hans-Jürgen erkennt: Ein Restrisiko bleibt, aber es ist klein genug, um den Schritt zu wagen. Als zuständiger IT-Chef kann er diese Entscheidung auch alleine treffen. Bei der Berechnung der Kosten stellen Sie fest, dass die Umstellung sich schon in kürzester Zeit amortisiert haben wird. Da die alte Software weniger Möglichkeiten bot, wurden immer noch einige Handgriffe manuell ausgeführt, die das neue Programm mit einem Knopfdruck automatisch erledigen kann. So hat sogar Andreas, der mit dieser Aufgabe bisher betraut war, endlich Zeit für wesentlichere Dinge. Die Kunden werden – wenn alles klappt – schon in sieben Tagen nur noch einen Bruchteil an Doppelbriefen
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erhalten, und für den hausinternen Karriereschub hätte Hans-Jürgen auch nicht besser sorgen können als durch diese Komplettlösung. Je frühzeitiger Löwen auf die Idee kommen, miteinander zu raufen, umso leichter geht es. Einen guten Anwalt erkennen Sie daran, dass er – wie Hans-Jürgens Anwalt – nicht sofort eine Klageschrift beim Gericht einreicht, wenn es bessere Lösungen gibt. Gute Anwälte stellen ihr juristisches Know-how auch für Win-Win-Lösungen zur Verfügung. Löwen wissen das.
Gut zu wissen Das, worum es bei jeder Konfliktlösung geht, ist die Erfindung einer Lösung,die alle für besser halten als das,was sich die Streitenden zu Beginn vorgestellt haben.Findet man sie,war das Gespräch erfolgreich. Findet man sie nicht, bleibt Frustration zurück.Deshalb ist die Heureka-Phase das Zünglein an der Waage, bei dem sich entscheidet: Hopp oder Topp. Obwohl Ideen sich nicht »machen« lassen, kann man sie sehr zuverlässig locken. Erstens durch eine sorgfältige Vorbereitung: Durchführung der Phasen 1 bis 3. Zweitens durch die Einschaltung des Zufalls mit dem Serendip-Prinzip, durch Ausdauer mit dem Edison-Prinzip und mit der metaphorischen Badewanne des Archimedes.In der Praxis zeigt sich: Je besser die Vorbereitung in den ersten drei Phasen, umso leichter sprießen geniale Ideen in dieser Phase.
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15 Sorgen Sie für Klarheit – die Abschlussvereinbarung
Die Idee ist da. Jetzt geht es um die Umsetzung. Und wie macht man das? Wie genau muss man eigentlich vereinbaren, was man mit der gefundenen Idee machen wird? Was ist nützlich? Und was ist überflüssig? Vereinbarungen haben den Zweck, Klarheit zu schaffen. Wo Klarheit bereits herrscht, muss keine Klarheit mehr geschaffen werden. Wenn Kevin und Sandra sich geeinigt haben, dass sie nach Schottland fahren wollen, und zwar in einen bestimmten Ort zu einer festgelegten Zeit, und wenn sie im Internet auch die Unterkunft gefunden haben, reicht das? Was muss noch geklärt werden? Ist klar, wer die Reise bucht, wer die Kosten überweist, ob geflogen oder gefahren werden soll, mit Eisenbahn, Auto, Schiff? Wer übernimmt es, alle Vorbereitungen zu tätigen? Wenn Menschen sich noch nicht lange kennen oder wenn sie schwierige Zeiten hinter sich haben, neigen sie dazu zu glauben, es sei doch schon alles klar, und auf diese Weise die absurdesten neuen Missverständnisse zu produzieren. Jeder denkt, der andere würde sich kümmern. Und plötzlich gibt es keine Tickets für die Fähre mehr. Die Unterkunft ist nur noch für zwölf Tage zu haben. Und die Alternative Fliegen ist inzwischen um 150 Prozent teurer geworden. Damit so etwas nicht passiert, gibt es die fünfte Phase: Hier werden aus nackten Ideen praktikable und handfeste Lösungen. Denn Abschlussvereinbarungen, die unklar sind, können mehr Verdruss stiften als Nutzen. Wenn der pubertierende Sohn mit den Eltern vereinbart »Ab sofort bringe ich den Mülleimer öfter raus
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als bisher« sind weitere Streitigkeiten abzusehen. Was genau heißt »öfter«? Vereinbart die Kollegin, ab sofort »freundlicher« zu sein, gilt das Gleiche. Fragen Sie deshalb wirklich: Wer genau? wird was genau? wann genau? mit wem genau? wie tun? Dann stellen Sie fest, dass der pubertierende Sohn jeden Dienstag, wenn er vom Sport kommt, erst seine Fußballsachen wegräumt, sich dann zehn Minuten ausruht und den Durst löscht und danach sowohl das Altpapier, das Altglas und den Restmüll entsorgt, weil die Müllabfuhr mittwochs kommt. Sollte er es bis zum Abendessen nicht erledigt haben, darf seine Mutter den gesamten Müll in sein Zimmer stellen. Den Biomüll bringt er nur zum Komposthaufen, wenn er sowieso in den Garten geht und gerade Lust dazu hat. Und es ist völlig O.K., wenn das nie der Fall ist.
Während Mutter und Sohn aus der ersten Idee »Biomüll nie - sonstigen Müll immer« versuchen, eine genaue Einigung zu machen, müssen sie ständig lachen. Erst, als sie einen ganz konkreten Zeitpunkt gefunden haben, zu dem die regelmäßige Müllaktion die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt, wird klar: So kann es gehen. Erst, als das Wörtchen »nie« beim Biomüll steht, entspannt sich der Sohn. Sein ungutes Gefühl bei der Erinnerung an die dicke Ratte vom letzten Kompostbesuch weicht der Zufriedenheit. Seine
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Mutter ist erstaunt, wie gut die neue Regelung klappt - bis ihr Sohn mit dem Fußballtraining aufhört, weil dienstags nachmittags die Theater-AG tagt. Der Sohn findet, nach der Theater-AG könne er unmöglich den Müll rausbringen. Außerdem sei das nicht vereinbart. Ganz gleich, wie sorgfältig eine Vereinbarung auch sein mag: Irgendwann ändert sich irgendeine Rahmenbedingung. Und dann stellt sich die Frage, was nun gelten soll. Die Mutter fragt ihren Sohn, wo denn aus seiner Perspektive hier der Unterschied liege. Sohn: »Das ist doch ganz klar. Wenn ich den Müll runtergebracht habe, stinke ich von Kopf bis Fuß nach Abfällen. Und nach dem Fußballtraining musste ich sowieso immer duschen. Da machte das nichts. Nach der Theater-AG ist das anders.«. Auf diese Idee wäre seine Mutter nicht gekommen. Sie will seine Meinung gerade für »Blödsinn« erklären, besinnt sich in letzter Sekunde eines Besseren. Vielleicht hat ihr Sohn einfach eine bessere Nase als sie. Gemeinsam lösen sie das Problem, indem Müllbeutel angeschafft werden. Jetzt bleibt der Gestank in der Tüte. Und der Müll findet wieder seinen Bestimmungsort. Hans-Jürgen und Lasse haben eine schriftliche Abschlussvereinbarung getroffen. Sie haben sich rechtlich gut beraten lassen. Ihre Anwälte haben sie auf wichtige Details hingewiesen, die genau festgehalten wurden. Bevor sie die Vereinbarung treffen konnten, brauchten Lasse und Hans-Jürgen in ihren Firmen niemanden zu fragen. Das ist jedoch nicht immer so. Im Gegenteil: Bei vielen Ideen ist es wichtig oder sogar notwendig, die erforderliche Unterstützung von Betroffenen oder Zuständigen einzuholen und sich gegebenenfalls fachlichen oder rechtlichen Rat, behördliche Genehmigungen oder Ähnliches zu organisieren. Die folgende Checkliste kann Ihnen bei der Vorberitung der Abschlussvereinbarung hilfreich sein.
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Checkliste für Abschlussvereinbarungen Welche Personen oder Organisationen sollten von der neuen Idee erfahren? Von wem werden Unterstützungen, Zustimmungen oder Genehmigungen gebraucht? Was muss noch vorbereitet werden? Wen sollte man sinnvollerweise noch zu dem Thema befragen? Wer sollte nicht informiert werden? Was soll vertraulich behandelt werden? Wer genau wird wann handeln? Was genau wird er tun? Was ist noch zu organisieren? Wer ist wofür zuständig? Was könnte eventuell schief laufen? Für den Fall, dass tatsächlich etwas schief läuft, wer informiert wen wann wie? Was tun wir, wenn sich herausstellt, dass ein Teil der Vereinbarung so nicht funktionieren kann? Setzen wir uns wieder zusammen? Telefonieren wir? Was sollten wir sonst noch bedenken?
Und nach der Abschlussvereinbarung? Was ist dann? Hans-Jürgen schlief in dieser Woche etwas unruhiger als sonst. So ganz sicher war er sich nicht, dass die Programmierer alles rechtzeitig über die Bühne bringen würden. Gleichzeitig wusste er: Lasse würde alles daran setzen, um es zu schaffen. Als Hans-Jürgen mit Lasse zusammen saß, als die Zeit drängte, weil in sieben Tagen die neuen Adressen laufen mussten, konnte er sich keine Konkurrenzangebote einholen und mit anderen Programmierern darüber spre-
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chen, welche Preise sie für eine vergleichbare Tätigkeit nehmen würden. Intuitiv spürte er, dass Lasse kein Tiger war, der ihn über den Tisch ziehen und anschließend auffressen würde. Und er hatte Recht. Eine anschließend durchgeführte Marktrecherche zeigt ihm, dass Lasse weitblickend gehandelt hatte. Er hatte ihm einen fairen Preis gemacht und damit einen guten Grundstein für eine langfristige Zusammenarbeit gelegt. Hans-Jürgen war zufrieden. Hätte Lasse ihn hier betrogen, wäre er zum Tiger mutiert. Nur wer sich wie ein kooperativer Löwe verhält, wird auch wie ein Löwe behandelt. Und die Umstellung glückte. Natürlich gab es ein paar kleinere Umstellungsprobleme. Es gab sogar einige, mit denen trotz aller Sorgfalt keiner gerechnet hatte. Aber auch die wurden gelöst. Das neue Programm war schneller und zuverlässiger als das alte. Der Anteil der festgestellten Doubletten übertraf noch die Befürchtungen. Es waren mehr als 10 Prozent aller Adressen. Das war bei einer insgesamt siebenstelligen Anzahl von Briefen eine riesige Ersparnis! Hans-Jürgen war nicht nur zufrieden – es war viel mehr als das. Durch die heftigen Aufregungen hatte Hans-Jürgen bereits Schlafstörungen bekommen, und sein Arzt hatte ihm verordnet, sich mehr Ruhe zu gönnen. Doch wie sollte das gehen? Als der Konflikt gelöst war, konnte Hans-Jürgen zum ersten Mal seit Wochen wieder durchschlafen. Gute Konfliktlösungen sind in vielen Fällen die beste Medizin. Auch Lasse war zufrieden. Aus dem ursprünglichen Problemfall mit drohendem Gerichtsverfahren war ein neuer Auftrag geworden. Und für Lasse bestand sogar die Chance, mit der regelmäßigen Programmwartung beauftragt zu werden. Die neue Vereinbarung regelt, was gelten soll. Ist das eine wasserdichte Absicherung? Hundertprozentige Sicherheit können selbst die besten Fachexperten nicht garantieren. Kein Mensch weiß, welche Widrigkeiten in Technik und Umwelt, bei Kunden und Lieferanten, durch mehr oder weniger dumme Zufälle zu neuen Problemen führen können, mit denen so niemand gerechnet hat. Aber wer die Interessen aller Beteiligten gut berücksichtigt hat und auf dieser Basis eine tragfähige Verein-
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barung gefunden hat, kann im Falle eines Falles auch nicht bedachte, neue Probleme wieder mit der Löwenstrategie lösen. Gut zu wissen Vereinbarungen sind dazu da, um Klarheit zu schaffen, wo bisher Unklarheit herrschte. In die Abschlussvereinbarung sollte deshalb alles einfließen, was eventuell in der Zukunft Schwierigkeiten machen könnte.Da niemand die Zukunft vorhersehen kann, ist hundertprozentige Sicherheit unmöglich.
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Manche Menschen haben immer Bedenken. Sie glauben, alles müsste immer so bleiben, wie es war. Sie glauben, bei anderen mag das ja alles gut und schön sein, bei ihnen jedoch seien auch die besten Möglichkeiten unmöglich. Sie können sich zwar vorstellen, dass irgendwelche anderen Menschen irgendwelcher Altersstufen oder Berufsgruppen von Konflikten profitieren können – sie selbst aber auf keinen Fall. Außerdem lohne der Aufwand nicht, denn der Konflikt ist zu frisch oder zu klein. Oder Hopfen und Malz ist längst verloren, denn der Konflikt ist zu alt oder zu groß. Im Übrigen würden sie selbst ja vielleicht wollen, aber ihr Streitpartner sei leider weder intellektuell noch emotional dazu in der Lage ... Gründe, um Opossum, Hase oder Tiger zu spielen, gibt es genug. Sollte Ihr Streitpartner zu einer dieser Spezies gehören, nehmen Sie es ihm nicht übel, sondern wecken Sie den Löwen in ihm. Ganz vorsichtig. Denn ein bisschen Löwe steckt in jedem Menschen, der bis heute überlebt hat. Garantiert. Und wenn Ihr Hasenopossumtigerlöwe meint, sich nicht ausdrücken zu können? Wenn er meint, für eine erfolgreiche Streitklärung müsste man wortgewandt sein? Wenn er glaubt, manche Partner, Kollegen, Freunde oder Chefs seien als Streitpartner deshalb ungeeignet, weil sie ziemlich wortkarge Naturen sind? Vielleicht denkt er: »Mit manchen kann man vielleicht über Räder oder Autos reden, aber doch keinen Streit klären?« Die Konfliktlösungspraxis zeigt, dass Worte nie das Wichtigste sind. Worte sind immer nur »Vehikel«. Sie kön-
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nen dabei helfen, neue Ideen greifbar zu machen. Neue Ideen und Erkenntnisse entstehen in jedem Menschen – ganz gleich wie gern er spricht. Die besten Einsichten sind im Grunde immer einfach. Auch die wortkargsten Typen kriegen das hin. Wenn sie wollen. Und für die, die nicht wollen, nützt auch der größte Wortschatz nichts. Lassen Sie sich zum Abschluss von der Konfliktlösung der beiden ehemaligen Radrennfahrer Nils und Johann inspirieren. Stellen Sie sich zwischen allen folgenden Sätzen längere Pausen vor. Nils und Johann sind Männer der Tat. Sie sind keine Meister großer Worte. Gemeinsam führen sie einen Radsportladen. Nils steht morgens im Laden, Johann nachmittags. Johann repariert morgens Fahrräder, Nils nachmittags. Und Nils ist sauer. Richtig sauer. Die Männer gehen die fünf Schritte vom Problem bis zur neuen Lösung. Mit ihren Worten: Montag vormittag. Nils zu Johann: »Reden?« Johann: »Nach’m Mittagessen?« Um zwei treffen sich Nils und Johann am Kaffeeautomaten. Johann: »Sag schon.« Nils: »Arbeitsverteilung.« Johann: »Schon wieder?« Nils: »Wieso schon wieder? Schließlich bin ich hier der einzige, der seit Wochen Überstunden macht.«. Johann: »Ja, du lahme Socke.« Der freundlich-humorvolle Tonfall verbindet sich mit den rauen Worten. Die beiden brauchen nicht viele Buchstaben, um sich zu verstehen. Rau aber herzlich, direkt und ehrlich – das ist ihre Welt. »Also gut, Arbeitsverteilung.« Die Fäuste wissen, was sie zu tun haben und knallen – wenn auch etwas zu heftig – gegeneinander. Dabei verschüttet Johann seinen Kaffee. »Pass doch auf, du Oberindianer!« »Selber.« Trotz der vergleichsweise herzlichen Oberfläche ist zu spüren, dass etwas in der Luft liegt. Nils und Johann blicken sich erst einmal stumm an. Johann: »Du wolltest reden? Nun sag schon, was los ist!« Nils: »Du gehst jeden Abend um 18 Uhr. Und ich bleib dann mit den Radreparaturen hier. Manchmal sitz ich noch um acht. Das ist nicht gut. Unfair ist das.« Johann: »Ja, und? Arbeitszeit ist 10 bis 18 Uhr. Also ist um 18 Uhr Schluss. Hab ich dir damals gesagt, als du den Laden mit mir aufmachen wolltest. Hab ich nie Zweifel dran gelassen. Überstunden nach 18 Uhr: Ohne mich!«
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Die Liste der Themen ist klar: Radreparaturen erledigen, Arbeitszeiten, Fairness. Auch mit wenigen Worten kann man Positionen und Interessen trennen: In der dritten Phase finden sie heraus, worum es wirklich geht. Schließlich wird ja niemand mit dem Wunsch geboren, um 18 Uhr einen Fahrradladen zu verlassen oder an einem bestimmten Abend etwas Bestimmtes machen zu wollen. Niemand weiß bei seiner Geburt von Fahrradläden und Ladenschluss, und auch nicht davon, dass er an einem bestimmten Abend etwas Bestimmtes ganz sicher nicht würde machen wollen. Wünsche entstehen im Laufe des Lebens. Sie sind geprägt von Werten und Interessen. Nils und Johann schauen sich ihre Positionen zu den Themen an: »Radreparaturen, Arbeitszeiten, Fairness?« Nils: »Meine Position: Radreparaturen müssen fertig werden. Ich will Kundenzufriedenheit. Kunden sind wichtiger als Arbeitszeiten – davon leben wir schließlich. Und Fairness heißt: Ich will nicht schuften, während du faulenzt.« Johann: »Radreparaturen – ja klar. Aber ich will auch leben. Das versteht doch jeder. Schneller als schnell geht nicht. Was noch?« Nils: »Arbeitszeiten, Fairness.« Johann: »Arbeitszeiten hab ich ja schon am Anfang gesagt. Ich will um 18 Uhr draußen sein. Ich bin doch nicht im Gefängnis. Länger? Kannste vergessen. – Fairness? Na klar! Ich bin sehr für Fairness. Hör einfach auf, mit jedem Kunden stundenlang alles durchzukauen, was unsere Lieferanten sich an Neuerungen ausgedacht haben. Dann bist du auch um 18 Uhr fertig!« (wird etwas heftiger) »Sonst bist du still wie’n Grab. Aber wenn Kunden kommen und’s um Räder geht, machst du den technischen Wasserfall und redest und redest!« Nils: »Wieso willst du eigentlich um 18 Uhr gehen? Man kann echt die Uhr danach stellen. 17 Uhr 59: Mein lieber Herr Geschäftspartner stülpt sich den Fahrradhelm über und gibt Jan Ullrich von hinten.« Johann: »Das ist meine Sache!« Nils: »Also, jetzt reicht’s aber! Jeden Abend verduften, und dann nicht sagen, warum. Hast du ein geheimes Verhältnis, oder was?« Johann: »Nee, aber eigentlich ist das meine Privatsache ...« (zögert etwas) »... also gut. Ich geh seit ein paar
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Monaten jeden Abend in so’n Studio. Seit wir keine Rennen mehr fahren und von morgens bis abends im Laden stehen, bin ich ganz rammdösig geworden. Nach einer Stunde in der Muckibude bin ich wieder Mensch. Und wenn ich nicht spätestens um sechs den Laden verlasse, komme ich entweder nicht in die Muckibude oder zu spät zum Abendessen mit meinen Jungs zu Hause – die sehen ihren Papa sowieso viel zu wenig.« Nils ist ganz still. Beide schweigen ein paar Minuten. »Donnerwetter ... hab ich nicht gewusst ...« Eine ganze Weile sagt keiner ein Wort. Dann geht Nils zum Kühlschrank und holt zwei Bier raus. Sie prosten sich schweigend zu. Wenn die Interessen hinter den Positionen klar werden, entsteht Verständnis. Meist verändert es die Situation im Raum so, dass sogar ein Außenstehender, der gerade hereinkommt, die Besonderheit der Situation erleben kann. Ganz gleich, ob viele Worte gemacht werden, oder fast keine: Die Brücke des Verständnisses ist davon unabhängig. Neue Ideen entstehen dann wie von selbst. Für Außenstehende ist es manchmal ganz erstaunlich, an welchen Stellen Verständnis entsteht. Außenstehende, denen hinterher erzählt wird, was besprochen wurde, schütteln regelmäßig den Kopf: »Und was ist da so besonderes dabei?« Nils hatte gedacht, Johann würde ihn einfach so im Stich lassen. Als alter Rennradler konnte er die Sehnsucht nach sportlicher Betätigung nachempfinden, als wäre es seine eigene. Plötzlich war Johann für ihn nicht mehr der unfaire Drückeberger, sondern ein alternder Ex-Sportler zwischen Familie, Sport und Mannsein. Genau wie er. Johann: »Wie oft machst du denn eigentlich abends länger?« Nils: »Seit diesem Frühjahr jeden Abend.« Johann: »Und wie lange?« Nils: »Ein, zwei Stunden werden’s immer.« Johann: »Boah!« Nils: »Du sagst es.« Johann: »... das muss sofort aufhören!« Nils: »Geht ja nicht.« Johann: »Muss gehen!« Die Männer schauen die Auftragsbücher durch. Sie vergleichen die Reparaturaufträge. Und die Verkaufszahlen. Eine Viertelstunde sind sie in die Zahlen vertieft. Dann kommt der erste Satz von Nils: »Mit den Reparaturen bist du echt schneller als ich.« (Pause) »Wie
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schaffst du eigentlich drei Räder in einer Stunde?« Auch zwischen den folgenden Sätzen denken die Männer hörbar nach. Johann: »Keine Ahnung.« Nils: »Ich glaube, wenn ich so schnell wäre wie du, wäre ich auch früher fertig.« Johann: »Spinn nicht rum.« Nils: »Doch, guck mal hier.« Er zeigt seinem Partner die abgearbeiteten Aufträge. Die beiden stellen fest, dass sie tatsächlich ganz unterschiedlich an die Reparaturarbeiten herangehen. Johann hat sich eine Technik zugelegt, schnell fertig zu werden und dabei trotzdem sorgfältig zu sein. Nils ist so sorgfältig, dass er die Zeit vergisst. Nils: »Wenn ich die Zeit im Nacken habe, macht mir die Repariererei keinen Spaß mehr. Ein Fahrrad braucht mich ganz – wie die Kunden, die es kaufen.« Johann: »Deshalb verkaufst du ja auch wie der Teufel! Manchmal denke ich, wie macht der das bloß?« Nils: »Fahrräder sind halt mein Leben.« Es dauert keine fünf Minuten, dann kommt die Idee. Sie wundern sich, nicht längst darauf gekommen zu sein. Johann mit seinen flinken Fingern ist, was Reparaturen angeht, viel effektiver als Nils. Nils ist ein begnadeter Verkäufer. Er weiß alles über seine Räder. Er kennt jedes Detail. Das schätzten die Kunden, lassen sich beraten – und kaufen. Das, was Johann »technischer Wasserfall« und »Durchkauen mit den Kunden« nennt, ist das Geheimnis von Nils Verkaufserfolgen. Heureka! »Wir könnten die Arbeit ganz anders aufteilen.« Johann: »Du verkaufen – ich reparieren?« Beide sind ungläubig-staunend. Dann schütteln sie langsam und fast zeitgleich die Köpfe. Das geht ja gar nicht. Sie wollten doch alles fair aufteilen. Sie wollten doch beide alles machen. Sie wollten ... Die Veränderung schreckt beide. Nur ganz langsam sickert die Vorfreude durch. Mit der Veränderung könnte nicht nur der Konflikt gelöst sein. Die neue Idee entspricht ihren Fähigkeiten ja wirklich besser. Trotzdem brauchen sie noch eine Weile, um sich an den Gedanken zu gewöhnen. So bleiben sie sitzen, trinken noch einen Schluck und denken an alles Mögliche. Psychologen sagen, dass das Unbewusste manchmal am besten arbeitet, wenn das Bewusstsein an etwas anderes denkt. In diesem Moment kommt der Auszubildende mit einer Frage.
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Nils: »Morgen weiter?« Johann nickt. Um drei öffnen sie den Laden wieder. Am nächsten Mittag finden sie es beide genial: Ab sofort will sich Nils vor allem um den Verkauf kümmern – und hier und da, wenn er Zeit hat, zum Spaß ein besonderes Rennrad reparieren. Johann will die Reparaturen fast vollständig übernehmen – und im Laden aushelfen, wenn es voll ist. Sie machen einen Plan, wie die nächsten vier Wochen probeweise ablaufen sollen. Sie verabreden, danach zu prüfen, was gut gelaufen ist, und was anders besser geht. Probeweise wird Johann ab sofort die Werkstatt allein übernehmen, Nils den Verkaufsraum. Nils findet die Idee immer besser: Die Vorstellung, viel Zeit mit den Kunden zu verbringen und abends nicht noch stundenlang an Reparaturaufträgen basteln zu müssen, erscheint ihm – nachdem das erste Unbehagen vorbei ist – einfach herrlich. Beide wissen: Die Reparaturwerkstatt bringt weniger Geld als der Laden. Aber ohne Reparaturwerkstatt keine Kundenbindung. Sie vereinbaren: Gewinnverteilung fifty-fifty, auch wenn die Bereiche unterschiedliche Gewinne abwerfen. Beide wissen, dass dieser Punkt für sie in der Zukunft nicht immer einfach sein wird. Aber dann können sie sich ja wieder zusammensetzen. Johann schreibt den Punkt auf, damit beide ihn nie vergessen: »Die fifty-fifty-Regel soll auch bleiben, wenn Werkstatt und Verkauf unterschiedliche Gewinne abwerfen.« Johann reicht Nils den Zettel zur Unterschrift. Nils ist irritiert: »Glaubst du mir nicht?« Johann: »Ich will sicher sein, dass wir das nicht vergessen. Ich will mir auch nächstes Jahr keine Sorgen um die Finanzierung meiner Familie machen.« Nils: »Das ist selbstverständlich. Aber bevor ich es unterschreibe, will ich noch eine Nacht drüber schlafen.« Am Abend kommt Nils die Idee, noch einen befreundeten Anwalt anzurufen. Der Anwalt fragt ihn: »Wie stellt ihr euch denn in Zukunft die Entscheidungsbefugnisse vor? Soll jeder für seinen Bereich allein verantwortlich sein, oder wollt ihr nach wie vor alles gemeinsam entscheiden?« Nils stellt fest, dass sie darüber noch nicht nachgedacht haben. Sie merken, dass die neue Regelung einige zu klärende Fragen aufwirft. Auch Johann kommt am nächsten Mor-
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gen mit neuen Fragen in den Laden. Sie gehen gemeinsam das Tagesgeschäft durch und halten alle Punkte fest. Sie klären, was gemeinsam und was einzeln entschieden werden soll. Sie stellen fest: In der großen Linie sind sie sich einig. Nach vier Wochen wollen sie ihrem Anwalt und Steuerberater die Liste geben. Er soll das, was sie wollen, so aufschreiben, dass es auch für das Finanzamt passt. Sie wissen: Sie brauchen keine großen Worte. Sie haben die Erfahrung der Praxis. Sie haben den Willen, eine faire Lösung zu finden. Sie wissen, dass es auch in Zukunft nicht ohne Konflikte gehen wird, wenn zwei so eng zusammenarbeiten. Sie wissen, dass sie anpassen müssen, was sich verändern wird. Und sie wissen: Anders als beim Radrennen können sie hier beide gewinnen. Und ihre Kunden gleich mit.
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Dieses Buch ist meine Art, Danke zu sagen. Mit jedem Menschen, der zu mir und meinem Team mit Konflikten gekommen ist und mit Lösungen gegangen ist, haben wir im HertelTeam jedes einzelne Mal wertvolle Erfahrungen gewonnen. Bei der Erfindung von neuen Lösungen dabei zu sein, hat etwas Faszinierendes. Wenn eine ausweglos erscheinende Situation plötzlich ganz viele Wege und Weglein – und nicht mehr nur Auswege – hat, und wenn die neuen Wege viel besser sind als die alten, dann freut sich der Verstand – und das Herz gleich mit. Kann man sich einen schöneren Beruf vorstellen? Dass wir diesen Beruf ausüben dürfen, verdanken wir allen Menschen, die uns ihre Konfliktlösungen anvertraut haben. Dass das HertelTeam im Jahr 2006 das zwanzigjährige Jubiläum feiert, verdanken wir dem Vertrauen unserer Kunden. Ihnen allen herzlichen Dank! Alles, was Sie in diesem Buch lesen, beruht auf einer Mischung aus Praxiserfahrung und Austausch mit Mediationskolleginnen und -kollegen aus Wissenschaft und Praxis im In- und Ausland, insbesondere mit den Verbandskolleginnen und -kollegen in der Arbeitsgemeinschaft D-A-CH-Mediation Deutschland, Austria, Schweiz, in der Arbeitsgemeinschaft Mediation im Deutschen Anwaltverein, im BM, im BMWA, in der CfM, in der GWMK, in der Handelskammer, im HIM, im ÖBM und vielen anderen, bei Kongressen und anderen Gelegenheiten. Einen wichtigen Beitrag für die Entstehung dieses Buches haben die Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer unserer Mediationskurse in Österreich, Deutschland und der Schweiz geleistet. Ihre Art
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Danke
zu fragen, auszuprobieren und eigene Erfahrungen zu machen, hat vielen Erkenntnissen noch mehr Klarheit gebracht. Im gemeinsamen Lachen, Lernen und Anwenden wurden komplexe Fragestellungen präziser und Strukturen deutlicher. Den Leserinnen und Lesern meines 2003 erschienenen Buches Professionelle Konfliktlösung ganz herzlichen Dank für alle Rückmeldungen – und den Wunsch nach mehr. (Früher ist es mir sehr schwer gefallen, überschwängliches Feedback entgegenzunehmen, und ich gestehe, ein bisschen geht es mir immer noch so. Aber ich arbeite daran.) Allen Tigern, Hasen, Opossums und Löwen danke ich, dass sie mit einigen charakteristischen Eigenschaften Modell gestanden haben, und versichere: No animal was harmed in the making of this book. Sollte jemand von Ihnen zufällig mit Kosenamen Tiger, Hase oder ähnlich heißen, sind eventuelle Ähnlichkeiten rein zufällig. Mein besonderer Dank gilt Christiane Kramer, Wolfgang Vovsik, Arist von Schlippe, Peter Höbel, Gerhard Schwarz, Thies Stahl und Samy Molcho, Henning und Marlene von Hertel und Roman Fischer.
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Weiterführende Literatur
Faller, Kurt und Sabine: Kinder können Konflikte klären. Mediation und soziale Frühförderung im Kindergarten. Ein Trainingshandbuch. Münster 2002. Fisher, Roger/Ury, William/Patton, Bruce: Das Harvard-Konzept. Sachgerecht verhandeln – erfolgreich verhandeln. 22. Auflage, Frankfurt a. M. 2003. Gardner, Howard: Intelligenzen. Die Vielfalt des menschlichen Geistes. 2. Auflage, Stuttgart 2002. Goleman, Daniel: EQ. Emotionale Intelligenz. Aus dem Englischen von Friedrich Griese. München 2001. Haft, Fritjof / Schlieffen, Katharina Gräfin von (Hrsg.): Handbuch Mediation. München 2002. von Hertel, Anita: Professionelle Konfliktlösung. Führen mit Mediationskompetenz. Frankfurt a. M. 2003. Höfner, Eleonore: Die Kunst der Ehezerrüttung. Reinbek bei Hamburg 1997. Lay, Rupert: Charakter ist kein Handicap. Persönlichkeit als Chance. Berlin 2000. Perkins, David: Geistesblitze. Innovatives Denken lernen mit Archimedes, Einstein & Co. Frankfurt a. M. 2001. Ponschab, Reiner / Schweizer, Adrian: Die Streitzeit ist vorbei. Wie Sie mit Wirtschaftsmediation schnell, effizient und kostengünstig Konflikte lösen. Ein praxisorientiertes Handbuch. Paderborn 2004. von Schlippe, Arist / Schweitzer, Jochen: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung, 9. Auflage, Göttingen 2003. Schneider, Martin: Teflon, Post-it und Viagra. Große Entdeckungen durch kleine Zufälle. Weinheim 2002.
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Weiter führende Literatur
Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden. Band 1: Störungen und Klärungen. Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation. 41. Auflage, Reinbek bei Hamburg 1981. Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden. Band 2: Stile,Werte und Persönlichkeitsentwicklung. Differentielle Psychologie der Kommunikation. 25. Auflage, Reinbek bei Hamburg 2005. Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden. Band 3: Das »innere Team« und situationsgerechte Kommunikation. Kommunikation – Person – Situation. 14. Auflage, Reinbek bei Hamburg 2005. Schwarz, Gerhard: Konfliktmanagement. Konflikte erkennen, analysieren, lösen. 7., erw. Auflage. Wiesbaden 2005.
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Abschlussvereinbarung 140, 141, 184, 205 ff. Abwarten 52, 55, 65 Aggressionen 14, 110 ALPHA-Struktur 141 Alphatiere 58 Anderssein 110 Anforderungen 69, 93 f. Angreifen siehe Angriff Angriff 19, 30, 33, 41, 43, 64, 116, 128, 151 f. Angst 43, 144 ff., 150, 152, 154, 166, 184, 190 Annäherung 101 ff. Anpassung 33 Ansprechpartner 146 Archimedes-Strategie 196 ff. Ärger 14, 196 Attacken 18 Aufgabenstellung 45 f. Ausbrechen 104 Ausharren 24 Ausreden 45, 168 Außenwelt 63 Bedeutung 78 Beharrlichkeit 74 Berater 47, 72 Berührungspunkte 109
Beziehungen 91, 108, 127 Chaos 46, 68, 145, 168 Das-kommt-darauf-an-Frage 68, 71 f. Dauerkampf 34 Drohgebärden 30 Druck 13, 15, 28, 44, 51, 144 Edison-Prinzip 195 f. Emotionen 94, 108, 163 Entscheidungsunfähigkeit 51 f., 43 Erfahrungen 17, 20, 22, 43, 60 f., 73 Erfindung einer Lösung 204 Erfolg 21 Erfolgsorientierung 35 Erfüllung 21, 126 Erlebnisse 17, 86 Erstarrung 16, 27, 31 Erwartungen 62 Erziehung 14, 41, 62, 170 Fairness 182 Fehler 54, 56 ff., 62 Flexibilität 33, 54 Flucht 17, 19, 27, 44, 48, 64, 115 Fressen-und-Gefressen-Werden 125
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Frust 23, 72 Geduld 39, 52, 54 Gelassenheit 52, 116 Gerechtigkeit 67, 181, 183 Gereiztsein 14 Gespräch 16, 52, 123, 186, 188, 191, 194, 196, 204 Gesprächsausstieg 156 Gesprächspartner 146, 148 f., 155 Gewalt 14, 15, 34, 58, 60, 77, 94 Glück 21, 170 Grenzen 71, 116 Halbherzigkeit 17 Happy End 133, 142 Hase 14, 30 ff., 175, 179, 184, 190, 201, 211 Hasenberater 47 Hasenchef 45 ff. Haseneltern 47 ff. Hasenkollege 43 ff. Hasenopossum 146 Helden 99 Herausforderungen 45 f., 53, 58 Heureka-Phase 190 Hochleistung 35 Ideensammlung 122 f. Individualität 32, 107 Informationen 79 Innenwelt 63 Innovationsfähigkeit 56 Interessen 135 ff. Interessenerforschung 188 f. Interessengruppen 93 Intuition 83 Kampf 15, 16, 27, 55, 58 Kampfkraft 55, 56
Karriere 58 Klarheit 205 ff. Kleinkrieg 9 Kommunikation 35, 113, 178 Kompromisse 114, 120, 127, 184ff., 189 – faule 120, 138, 175 ff. Konflikte 21, 30, 33, 45, 47, 55 f., 59, 61, 64, 69, 78, 92 f., 98, 110, 127, 136, 149, 154, 156, 169, 174, 179, 182, 186, 189, 210, 217 – Nährboden für 93 – verschobene 93 Konfliktforschung 117 Konfliktgespräch 142 Konfliktlösung 190 ff. Konfliktlösungsgespräch siehe Gespräch Konfliktmanagement 117 Konfliktpartner 143 ff. Konfliktpotenzial 45 Konfliktschlüssel 78 Konfliktsituation 18 f., 29 ff., 131 f. Konfliktsymptom 185 Konfliktumgehung 30 Konfliktursache 78 Konfliktvermeidung 64 Konkurrenz 37, 182, 208 Kooperation 30 f., 41, 55 Kooperationsfähigkeit 57, 65 Kooperationsgeist 40, 60 Körperreaktionen 16 f. Kritik 23, 38, 59, 93 Lernchancen 56 Limbischer Taschenrechner 91, 94, 100, 131 f., 152, 156, 160, 162, 174 Limbisches System 22 ff.
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G r r r ! Wa r u m w i r m i t e i n a n d e r s t re i t e n . . .
Logik 73, 103, 130, 192, 227 Lösungen 9, 118 ff. Lösungsideen 138, 192 Löwe 48, 52, 103, 109, 113 ff., 117, 128, 142 ff., 148 ff., 162 Löwenchef 58 ff. Löweneltern 60 ff. Löwenkollege 56 ff. Machthunger 39 Machtkämpfe 42 Maulwurf 165 ff. Mediation 85, 117, 162, 168, 201 Minus-Alarm 22 ff., 27 Missstimmung 18 Missverständnisse 9, 23, 56, 74 ff. Möbiusschleife 99 Nachgeben 175 Nervenbelastung 13 Notfallharmonie 42 Opossum 30 ff., 39, 49 ff., 64, 211, 219 Opossumchef 51 ff. Opossumkollege 50 f. Ordnung 61, 68 ff., 76, 84, 90 Perfektion 56 Persönliche Erlebnisse 17 Pflichtprogramm 104 Positionen 105, 117, 135 ff., 139, 141, 155 Radfahrer 145 Reaktionsweisen 19, 29 ff. Rechthaben 158, 162 Regeln 71 Respekt 78 Revierausdehnung 58
Revierherrschaft 42 Revierverteidigung 60, 64 Richtig-oder-Falsch-Frage 68, 71 f. Rolle 36, 61, 146 Rückzugsmöglichkeiten 34 Schuldzuweisung 38 Schwierigkeiten 21, 22 Selbstzweifel 38 Serendip-Prinzip 193, 194 f. Sich-Einfügen 36 Sich-tot-Stellen 17, 19 Sich-Wegducken 64 Sich-Wehren 14 Sorgen 21 Speicherung 23 Stillhalten 116 Störenfried 76 Streitauslöser 20 ff. Streithähne 76, 102, 115, 138 Streitklärung siehe Mediation Streitklassiker 103 Streitrisiko 101 Streittypen 29 ff. – Hase 14, 31 ff., 39, 175, 179, 184, 190, 201, 211 – Löwe 31 ff., 46, 48, 52, 55 ff., 103, 109, 113 ff., 117, 128, 142 ff., 148 ff., 162 – Opossum 31 ff., 39, 46, 50 ff., 64, 211, 219 – Tiger 31 ff., 34 ff., 48, 51, 55 f. Streittypen-Tetraeder 31 ff. Streittypologie 29 ff. Sündenbock 9, 34 ff., 37, 59, 136, 138 Sympathie 86, 87, 104 Tabu 94, 100, 169 Teamfähigkeit 35, 57, 59
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Teamplayer 30, 102 Themenliste 134, 168, 169, 174 Tiger 31 ff., 34 ff., 48, 51, 55 f. Tigerchef 37 ff. Tigereltern 40 ff. Tigereltern 61 Tigerkollege 34 ff. Totstellen 115 Tradition 104 Trost 8, 97 f. Tunnelblick 176
Verstehen 78, 80 f. Verstimmung 18 Verteidigung 41, 55, 64 Vertrauen 116, 144, 178 Verunsicherung 50 Verwechslungen 82 ff. Vorgesetztenkritik 38 Vorherrschaft 42 Vor-Leben 62 Vorlieben 91 Vorurteile 9, 82 ff., 88, 175 Vorwürfe 23, 142, 161
Überforderung 50, 54 Überlebenskampf 125 Überlegenheit 56 Übertragungen 82 ff., 86 ff., 181, 200 Umerziehung 47 f. Umgangston 124 Ungerechtigkeit 69 Unordnung 21, 68 Unterschiede als Konfliktpotenzial 101 Unterstützung 44, 63 Ursachenforschung 188
Wahrnehmung 78, 81 Weglaufen 116 Wehrhaftigkeit 14 Wettbewerbsgesellschaft 34 Widersprechen 120 Widersprüchlichkeit 17 Wiederholung 173 Win-Lose-Denken 125 f., 141, 160, 161 Win-Win-Gespräch 142 Wunde Punkte 9, 93 ff., 97 Wünsche 27 f., 167, 177, 191
Veränderungen 33, 50, 52, 105, 166 Veränderungsimpulse 166 f. Verbalattacken 18 Vereinbarungen 184, 205 ff. Verhandlungen 144 Verletzungen 93 ff. Vermutungen 89 Vernichtungsschläge 116 Vernunft 10, 16, 115, 164 Verständnis 81, 135, 140, 187
Ziele 52, 134 – gemeinsame 116, 134, 142 ff., 149, 201 Zielkorrekturen 164 Zufall 52, 191, 193, 209 Zufriedenheit 21, 81 Zugehörigkeit 107 Zusammenarbeit siehe Kooperation Zusammenspiel 81 Zuständigkeiten 57, 145, 147
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Irene Becker EVERYBODY’S DARLING EVERYBODY’S DEPP Tappen Sie nicht in die Harmoniefalle! 2. Auflage · 2006 · 216 Seiten ISBN 3-593-37772-1
Harmonie ist nicht alles!
Neigen Sie auch dazu, allzu schnell nachzugeben und stets den Ausgleich zu suchen, damit es bloß keinen Streit gibt? Oft lässt man sich auf diese Weise unterbuttern und verleugnet die eigenen Wünsche und Bedürfnisse. Mit Irene Beckers Programm lernt man, eine ausgewogene Balance zwischen Harmoniebedürfnis und konstruktiver Auseinandersetzung zu finden. Denn wer Konfliktsituationen meistert, statt sie zu vermeiden, wird nicht nur selbstbewusster und zufriedener, sondern auch respektvoller behandelt.