SCHWARZER PIRAT erscheint in:
Spanien, Argentinien und restlichen Staaten Südamerikas: Editorial– Bruguera, Barcelona ...
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SCHWARZER PIRAT erscheint in:
Spanien, Argentinien und restlichen Staaten Südamerikas: Editorial– Bruguera, Barcelona (España), Proyecto 2 Frankreich: Librairie Moderne, 6 Rue Gager-Gabillot, Paris XV (France) Österreich: Golf-Verlag, Innsbruck, Schmerlingstraße 6 Schweiz: Verlag u. Auslieferung Friedr. Petersen, Hamburg 1, Deutschland: Schopenstehl 15 Verkauf dieses Buches in Österreich verboten
Schwarzer Pirat – Die Deutsche Ausgabe – erscheint monatlich – Copyright 1951 für Deutschland und die Schweiz by Verlag und Auslieferung Friedr. Petersen, Hamburg 1, Schopenstehl 15 Druck: Friedr. Petersen, Husum – Scan by Brrazo 09/2008 Dieses Heft enthält einen völlig in sich abgeschlossenen Roman, der – bis auf gelegentliche Gleichheit der handelnden Personen – zu den bisher erschienenen Heften in keinem Fortsetzungszusammenhang steht, Die Serie darf nicht in Leihbüchereien verliehen, in Lesezirkeln nicht geführt und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden.
Erstes Kapitel DIE GESCHICHTE EINES VERBRECHENS Die Umgebung des berühmten Gefängnisses von Chatelet hatte nichts Freundliches oder Einladendes. Sie war ein schmutziges Konglomerat von grauen Mauern und engen, steil abfallenden, schlecht gepflasterten Straßen mit wenigen Häusern, in denen nur Lieferanten des Gefängnisses und Familienangehörige der Wärter wohnten. Für den Hauptmann Roger Grinchon aber waren die Gebäude, die die alte Festung von Chatelet umgaben, lediglich naturgegebene Zufälligkeiten, zwischen denen er zwangsläufig seit zwei Jahren alle vier Tage an der Spitze seiner zwanzig Musketiere hindurchmarschierte, um die äußere Wache des Gefängnisses abzulösen. Auch die jahreszeitlich bedingten Veränderungen der Jahreszeiten waren für ihn bedeutungslos. Hauptmann Roger Grinchon beschränkte sich darauf, im Sommer keine Wolle zu tragen, sondern nur im Winter. Außerdem zog er dann einen Pelz an, womit er das schöne „Kreuz von Lothringen“ bedeckte, das er auf seinem Waffenrock trug. 5
Aber an jenem Oktobermorgen, als er wieder an der Spitze seiner zwanzig Musketiere im Gleichschritt hinaufmarschierte, fühlte er noch nicht die Notwendigkeit, seinen Pelz anzulegen. Vielleicht war die Luft schon ein wenig schneidend, aber der einzige Stolz Hauptmann Grinchons war das Kreuz, das er auf der Brust trug. Es war seine fixe Idee und für sie lebte er. Seit seinem fünfzehnten Lebensjahre, als er in die Königliche Garde eintrat, bis zu seinem achtunddreißigsten hatte er nichts anderes gedacht. Roger Grinchon war nichts als ein Mann, der mit Leib und Seele alles wie ein Uhrwerk tat, was der alltägliche Waffendienst erforderte. Man warf ihm mangelnde Initiative vor, dagegen aber erkannte man an, daß er fast blindlings jeden Befehl ausführte, worum es sich auch handeln mochte. Nach alter Gewohnheit nahm er gewissenhaft die Ablösung vor, und als sich die abgelöste Wache entfernt hatte, besichtigte Roger Grinchon die Posten, obgleich er genau wußte, daß alle seine Leute sich unbedingt dort befanden, wo sie zu sein hatten. Mit einem Sergeanten und einer Gruppe von sechs Mann richtete er sich in der Wachtstube ein, die am Eingang der Festung lag. Seine Aufgabe war, die Pässe der Herauskommenden zu kontrollieren, auch wenn er sie persönlich kannte und wußte, daß es sich um Kantinenangestellte oder Wärter handelte. Ebenso vor dem Betreten der Festung. Außerdem mußte er die Personen festnehmen, gegen die ein Haftbefehl von seiten des Königlichen Sicherheits-Kabinetts vorlag, und sie in die Untersuchungszellen sperren, die seiner persönlichen Obhut während seines vierundzwanzigstündigen Dienstes unterstellt waren. Als ein Musketier, der im Galopp angesprengt kam, sein Pferd vor dem Eingang verhielt und die beiden Posten ihre Sä6
bel vor ihm kreuzten, erhob sich Roger Grinchon von seinem Sessel und trat ihm entgegen. Der Reiter war bereits vom Pferde gesprungen und zog ein Dokument aus dem Behälter, den er um den Hals hängen hatte. „Ein dringender Befehl, Herr Sergeant“, sagte er und nahm Haltung an. Der Sergeant tat das gleiche, als Grinchon herantrat. „Dringender Befehl, Herr Hauptmann.“ „Gebt her“, sagte Grinchon und streckte die Hand aus. Der Musketier reichte ihm das versiegelte Dokument. Roger Grinchon brach es auf. Mit feierlichem Gesicht, wobei die herabhängenden Spitzen seines Schnurrbartes zitterten, als er die Lippen bewegte, las er die Worte: „An den Hauptmann der Königlichen Musketiere der Garnison von Chatelet! DRINGEND UND VERTRAULICH! Auf Grund der Persönlichkeit dessen, der eine Anzeige gegen einen spanischen Besucher unserer Hauptstadt erstattet hat, halten wir das Verbrechen, dessen man den spanischen Marquis d’Avapie bezichtigt, für eine Tatsache. Um sieben Uhr heute morgen war er von dem Baron von Rochefort zu einem Duell herausgefordert worden. Er erschien in Begleitung eines Zeugen, der gleichfalls Spanier war, und brachte schmähliche Entschuldigungen vor, die der ritterliche Baron von Rochefort annahm, wenn er auch besagten Marquis abfällig behandelte. Zeugen für den Baron waren der Vizegraf von Laon und Graf Hirson. Eine halbe Stunde, nach7
dem sich Baron Rochefort von seinen Zeugen getrennt hatte, wurde seine schrecklich verstümmelte Leiche aufgefunden. Sein ganzer Rücken war mit Dolchstichen zerfetzt. Obgleich auch sein Gesicht verstümmelt und der Körper mit Blut überströmt war, wurde er doch von dem Vizegrafen von Laon und Graf Hirson erkannt, die beide den Marquis von Avapie beschrieben. Er ist groß, gut gebaut, hat rotes Haar und eine breite Narbe, die mitten über die Stirn vom Haaransatz bis zu den Augenbrauen läuft. Während dieser Befehl diktiert wird, läuft die Nachricht ein, daß sich besagter Marquis in ein Lokal in der Rue Lepic begeben hat, das den Namen ,Au Bon Viveur’ trägt und von David Youpin geleitet wird. Schreiten Sie sofort zu der Verhaftung besagten Marquis und bringen Sie ihn auf die Festung. Gegeben zu Paris, am 5. Oktober 1710. Oberst Jaques de la Fournaise.“ Als Roger Grinchon die Lektüre beendet hatte, nahm er in stummem Gruß vor dem unterzeichnenden Oberst Haltung an. „Bleibt hier!“ befahl er dem Boten. „Ihr werdet unserem Oberst Nachricht von der Ausführung seines Befehls überbringen. Sergeant! Ich übergebe Euch den Befehl. Die Leute sollen zusammentreten.“ Der Unteroffizier ließ die zehn Musketiere der Wachtstube antreten und der Hauptmann setzte sich an ihre Spitze. In Doppelreihe folgten sie ihm. Die langen Schritte des Hauptmanns zeigten, daß er es eilig 8
hatte. Bald befanden sie sich in der Rue Lepic, als ein Lakai aus einem nahen Gebäude gestürzt kam und rief: „Bitte, Herr Hauptmann! Sie schlagen sich tot! Zwei Spanier raufen im Weinkeller ,Au Bon Viveur’!“ „Dorthin wollen wir gerade, mein Bursche. Geh zur Seite!“ antwortete Grinchon streng. „Tanze mir nicht vor den Füßen herum. Befindet sich der Marquis von Avapie im Hause?“ „Er ist es, Herr Hauptmann! Er schlägt sich im Weinkeller mit den Fechtmeistern herum.“ Roger Grinchon betrat die Halle des Lokals, das neben allen kulinarischen Genüssen auch einen guten Fechtsaal und verschiedene Spielsäle zur Unterhaltung aufwies. Von der Schwelle aus sah er, daß eine Frau überstürzt die Treppe hinaufeilte und ihr ein Unbekannter folgte. „In den Weinkeller!“ befahl Roger Grinchon und zeigte auf eine offenstehende Tür, von der aus eine Treppe hinabführte. Von seinen Musketieren gefolgt, kam Grinchon in demselben Augenblick an die Tür, in dem ein Mann mit rotem, verwühltem Haar in die Halle gelangen wollte. „Ergebt Euch im Namen des Königs!“ rief Roger Grinchon, während fünf seiner Musketiere den Rothaarigen an den Armen und Schultern festhielten. Diego Lucientes, der von dem wilden Kampf noch ganz außer Atem war, suchte nach Worten, um der neuen Überraschung Herr zu werden. „Leistet keinen Widerstand!“ rief der Hauptmann, während seine Musketiere den Gefangenen in die Mitte der Halle schoben. Diego Lucientes schaute nach der Treppe, und als er sah, daß Carlos Lezama sich näherte, rief er: „Kommt her, Señor! Der Wahnsinn scheint in Paris ausgebrochen zu sein.“ Der Schwarze Pirat näherte sich Roger Grinchon, der ihm den Rücken zuwandte. Er berührte ihn auf der Schulter, und als 9
der Musketier sich umwandte, grüßte er ihn mit einer leichten Verbeugung. „Sagt mir, Herr Hauptmann, was das hier zu bedeuten hat.“ Mehrere Lakaien kamen aus dem Weinkeller. Je zwei von ihnen brachten einen der leblosen Körper der Fechtmeister. „Wer seid Ihr?“ fragte Grinchon. „Ich bin ein Freund des Mannes, den Eure Musketiere festhalten, Hauptmann. Warum hat man ihn verhaftet?“ „Auf Königlichen Befehl, da er des Mordes beschuldigt ist.“ Der Schwarze Pirat zeigte auf die Lakaien, die die Waffenmeister vorbeitrugen. Es waren im ganzen fünf. Zwei von ihnen waren auch verwundet, der eine am Knie, der andere an seinem kahlen Schädel. Die drei übrigen waren tot. „Wenn es sich um dieses Verbrechen handelt, dann nehmt mich auch fest, denn es ist kein Verbrechen, den Angriff dieser fünf Schergen abgewehrt zu haben.“ Roger Grinchon sah dem Zug nach, der sich nach dem Speisesaal hin entfernte. „Das geht mich nichts an“, sagte er trocken. „Ich bin hierhergekommen, um den Befehl auszuführen, den Marquis von Avapie zu verhaften. Man beschuldigt ihn des Mordes an Baron Rochefort.“ Diego Lucientes, den die fünf Musketiere festhielten, öffnete erstaunt den Mund und ließ die Unterlippe herabhängen. Carlos Lezama zog ärgerlich die Schultern hoch. „Ein bedauerlicher Irrtum, Hauptmann. Baron von Rochefort verabschiedete sich von uns beiden vor einer Stunde. Er befand sich bei bester Gesundheit, als er sich zusammen mit dem Vizegrafen von Laon und Graf Hirson entfernte.“ Hauptmann Grinchon machte seinen Leuten ein Zeichen, und die fünf Musketiere schoben den Madrider der Tür zu. Mit einem Sprung vertrat ihnen Carlos Lezama den Weg. „Ich bitte um Entschuldigung, Hauptmann, wenn ich Euren 10
tapferen Soldaten entgegentrete. Mein Name ist Carlos Lezama. Ich begleite den Caballero, meinen Freund, und garantiere Euch, daß er weder fliehen noch zur Gewalt greifen wird. Aus demselben Grunde bitte ich, daß man ihn, auch wenn er unter einer schweren Anklage steht, deren Haltlosigkeit bald bewiesen sein wird, als Caballero behandelt. Bewachung ohne Druck. Ich bitte Euch darum, Hauptmann.“ „Karree bilden!“ befahl Grinchon kurz. Es stand mit dem Reglement im Einklang, daß man einem Gefangenen, der nicht zu fliehen versuchte, freie Bewegung ließ und ihn in eine menschliche Mauer einschloß. Die zehn Musketiere folgten unverzüglich dem Befehl. Sie ließen Diego Lucientes los und verteilten sich um ihn: drei vor ihm, drei hinter ihm und zwei an jeder Seite. „Zum Teufel noch mal!“ rief Diego Lucientes plötzlich. „Warum soll ich …“ „Ruhe, Student“, unterbrach ihn der Schwarze Pirat. „Jemanden zu beschuldigen, ist etwas, womit oft Mißbrauch getrieben wird. Jeder kann einer Verleumdung anheimfallen. Sich aufzuregen, führt zu nichts. Ruhe und vorwärts. Du befindest dich jetzt unter Kavalieren, die nichts als ihre Pflicht tun. Ist es nicht so, Hauptmann?“ „Roger Grinchon“, stellte sich der Angeredete vor. „Vorwärts!“ „Vorwärts, Don Diego“, sagte der Schwarze Pirat lächelnd. „Du kamst nach Paris, um Abenteuer zu suchen. Du kannst dich nicht beklagen. Ist es Euch lästig, wenn ich meinem Freunde folge?“ „Bis zum Tor von Chatelet ist der Weg frei“, antwortete Grinchon. „Dort kann Eure Freundschaft mit dem Gefangenen die Befehle nicht ändern, die ich erhalten habe.“ „Versetzt Euch in meine Lage, Hauptmann“, sagte Lezama neben ihm gehend. „Ihr werdet dann verstehen, daß es ganz 11
logisch ist, denjenigen nicht zu verlassen, den Ihr ungerechterweise als Gefangenen fortführt. Erregt Euch nicht! Wenn ich ungerechterweise sage, dann beziehe ich mich darauf, daß man bald beweisen wird, daß es sich um einen schweren Irrtum handelt.“ Diego Lucientes paßte seinen Gang dem Marschschritt der Musketiere an. Er hätte am liebsten seinen Zorn herausgeschrieen, aber das Lächeln, das ihm der Schwarze Pirat ab und au zuwarf, beruhigte ihn etwas. Vor dem Tor von Chatelet wollte Roger Grinchon seinen Leuten durch das bereits geöffnete Gitter folgen, als er sich an der Schulter berührt fühlte. „Entschuldigt mich, Hauptmann. Wie Ihr, bin ich ein Freund davon, die Reglements einzuhalten.“ „Wenn es so ist, wie ich glaube, denn Euer Betragen und Eure Sprache beweisen es, dann bitte ich Euch, zu berücksichtigen, daß dieser Bereich nur dem zugänglich ist, der eine Eintrittserlaubnis besitzt oder als Gefangener eingebracht wird.“ „Ich bin frei und kann meinem Freunde in der Freiheit mehr dienen. Darf ich Euch, Hauptmann, wenn Ihr die Formalitäten der Internierung vorgenommen habt, darum bitten, Euch daran zu erinnern, daß ich Ausländer und der Einzige in Paris bin, der den schnöde beschuldigten Caballero kennt?“ „Was wollt Ihr? Aber beeilt Euch, Señor, meine Leute warten.“ „Ich werde hier warten, bis Ihr die Güte habt, mich über gewisse gesetzliche Formalitäten zu unterrichten.“ Roger Grinchon schaute den Schwarzen Piraten einen Augenblick an. Er antwortete nicht. Dann schloß sich hinter ihm das Gitter. Der Schwarze Pirat sah sich zwei Musketieren gegenüber, die mit entblößten, vor der Brust gekreuzten Degen vor dem Gitter Posten bezogen. 12
Die Beschuldigung war unwahrscheinlich, dachte der Schwarze Pirat. Sie hatten viele Zeugen, die aussagen konnten, daß sie sich sofort, nachdem sie sich von Baron Rochefort getrennt hatten, in das Lokal David Youpins begaben. Er lächelte ironisch, als er daran dachte, daß auch die fünf Fechtmeister Zeugen sein würden: drei als Leichen und zwei als Verwundete. Der Kampf mit ihnen würde dartun, daß die beiden Spanier in der kurzen Zeit, die seit der Trennung von Rochefort verstrichen war, sich nicht an zwei Orten im gleichen Augenblick befunden haben konnten. Das Gitter öffnete sich wieder, Roger Grinchon erschien und blieb vor dem Schwarzen Piraten stehen. „Ich stehe zu Eurer Verfügung, Caballero.“ „Ich danke Euch, Hauptmann. In. welcher Lage befindet sich mein Freund?“ „Der Angeklagte befindet sich in Untersuchungshaft. Er erwartet den Besuch des Königlichen Anklägers. Auf Grund der Schwere des Falles und der Person des Beschuldigten glaube ich, daß der Ankläger noch vor dem Abend kommen wird.“ „Könnt Ihr mir vielleicht sagen, wer der Königliche Ankläger ist?“ „Für Mordfälle ist es Monsieur de Saint-Just.“ „Könnt Ihr mir vielleicht auch mitteilen, wo dieser Monsieur wohnt?“ „Ich weiß es nicht. Wenn Ihr ihn aber sofort sehen wollt, dann werdet Ihr ihn zweifellos bei der Kompagnie der Königlichen Musketiere finden, die sich in der Avenue de Turenne befindet. Er wird von meinem Oberst, Monsieur de la Fournaise, gerufen worden sein, um die Anzeige entgegen zu nehmen.“ „Ich bin Euch zu großem Dank verpflichtet, Hauptmann Grinchon. Könnt Ihr mir vielleicht auch sagen, von wem die Anzeige ausging?“ 13
„Das weiß ich nicht, das weiß nur der Königliche Ankläger, Monsieur de Saint-Just.“ „Nochmals meinen besten Dank, Hauptmann Grinchon.“ Der, Schwarze Pirat schwenkte weit seinen Federhut, und der Hauptmann gab ihm den Gruß zurück. *
* *
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Zweites Kapitel MÄNNER DES GESETZES Monsieur de Saint-Just, der beleibt und rotbäckig war und eine trügerische Gutmütigkeit zur Schau trug, bevorzugte schwarze Kleider. Sie machten nicht nur schlanker, sondern waren auch das Zeichen von Vornehmheit und Sittenstrenge. Als er von seiner Audienz mit dem Oberst der Musketiere kam, trug er unter dem Arm seines schwarzen Überrocks eine Ledertasche, in der sich Akten befanden. In dem großen Vorsaal standen mehrere Musketiere in Gruppen zusammen, die miteinander plauderten. Monsieur de SaintJust durchschritt den Vorsaal und grüßte nach rechts und links. Er mochte die Männer des Waffenhandwerks nicht und besonders nicht die Prahlhänse des Königs. Aber hier befand er sich auf „feindlichem“ Gebiet. Die Musketiere grüßten mit einer gewissen Herablassung, nicht frei von Ironie, zurück. Der Königliche Ankläger schritt die Stufen der Treppe hinab, die zur Avenue führte. Auf halber Höhe hörte er hinter sich einen festen Schritt … „Monsieur de Saint-Just?“ fragte man ihn. Er drehte sich um und glaubte, daß sich ein Musketier irgendeinen schlechten Scherz mit ihm erlauben wollte. Denn wenn er die Musketiere nicht leiden konnte, so hatten sie ebenso wenig für ihn übrig. Sie scheuten sich nicht, von ihm zu sagen, daß seine schwarzen Kleider den Federn eines Raben glichen … Derjenige aber, der auf der breiten Treppe neben ihn trat, war ein Mann mit einem scharfgeschnittenen, energischen, bronzefarbenen Gesicht, der nicht die Kleidung der französischen Musketiere trug. 15
„Ich bin der, der Euch sprechen möchte … Mein Name ist Carlos Lezama, Spanier auf der Durchreise in Paris.“ „Spanier? Ah .!“ brummte Saint-Just und betrachtete den Sprecher genauer. „Ich kann leider keine Zeit verlieren, da ich eine dringende Arbeit habe.“ „Die sicher mit dem Marquis von Avapies zusammenhängt“, sagte der Schwarze Pirat und zeigte auf die Aktentasche, die der Mann des Gesetzes unter den Armen trug. „Sehr wahrscheinlich, mein Herr“, antwortete dieser kurz. „Verzeiht, wenn ich meinen Weg fortsetze, aber ich muß sofort in mein Büro, um gewisse Angelegenheiten zu studieren. Sucht mich in meiner Bürozeit auf.“ „Ich möchte Euch als Hauptzeuge in der Anklage gegen den vermeintlichen Mörder des Baron Rocheforts dienen.“ Monsieur de Saint-Just heftete seine schwarzen Augen auf das energische Gesicht des Sprechers. „Wart Ihr es vielleicht, mein Herr, der den Angeklagten als Zeuge zu dem Duell mit dem ermordeten Baron begleitete?“ „Ich war es. Mit Eurer Erlaubnis werde ich Euch zu Eurem Büro begleiten. Meine Aussagen können Euch von großem Nutzen sein.“ „Euer Zeugnis kann mir nicht dienen, mein Herr. Ich halte mich nur an die Aussagen derjenigen, die die Punkte der Anklage unterstützen.“ Nach einer kurzen Verbeugung wollte er weitergehen, aber der Schwarze Pirat hielt mit ihm Schritt, und der Beamte blieb erneut stehen. „Besteht nicht darauf, mein Herr. Alles, was Ihr mir sagen könnt, wäre für mich nur Zeitverlust.“ „Nehmt an, daß das, was ich Euch sagen möchte, die ganze unhaltbare Anklage zusammenbrechen läßt.“ Der Ankläger schwenkte seinen dicken Zeigefinger . mit herrischer Geste. 16
„Es ist meine Pflicht, zu beweisen, daß jede Anklage, die mir übertragen wird, auf solider Grundlage ruht.“ „Aber Ihr werdet doch keinen Unschuldigen hängen, um zu beweisen, daß Ihr ein verläßlicher Ankläger seid.“ „Der Henker ist derjenige, der das Urteil an denen vollstreckt, die das Gesetz brechen. Ich sorge nur für die Sühne der Morde, die nicht ungestraft bleiben können. Aber Ihr sollt wissen, daß das Recht in Frankreich strikt unparteiisch gehandhabt wird. Was der Angeschuldigte zu sagen hat, kann er durch seinen Verteidiger tun. Hört, mein Herr, was ich Euch rate. Wählt selbst einen Verteidiger aus, wenn der Angeklagte schriftlich sein Einverständnis dazu erklärt … Aber gebt Euch keine Mühe. Die Anklage ist fest begründet, und kein Anwalt wird einen Fall übernehmen, der schon von vornherein verloren ist.“ „Ihr habt die französische Unparteilichkeit erwähnt. Danach gibt es keinen von vornherein verlorenen Fall. Wo kann ich einen Verteidiger finden?“ „Ich kann Euch keine Rivalen von mir empfehlen. Aber geht zur Neuen Brücke. Dort werdet Ihr mehrere Leute finden, die, um zu essen, auch die unwahrscheinlichste Verteidigung übernehmen.“ „Danke für den Rat, mein Herr. Und darf ich wissen, warum Ihr die Verteidigung des Herr Marquis von Avapies für zwecklos haltet? Ich halte es vielmehr für unwahrscheinlich, daß ein bekannter Königlicher Ankläger wie Ihr einer verleumderischen Anzeige in allen Punkten stattgeben kann.“ „Ihr verschwendet Eure Beredsamkeit an die Verteidigung eines von vornherein entschiedenen Falles, mein Herr. Derjenige, der die Anzeige erstattete, ist über jeden Vorwurf einer Unwahrheit erhaben, und ich habe schlagende Beweise in meinem Besitz.“ Nach diesen Worten stieg Monsieur de Saint-Just die restlichen Stufen hinab. 17
„Geht zur Neuen Brücke.“ Er wandte den Kopf und lächelte verächtlich. „Ihr werdet immer jemanden finden, der Euch anhört.“ Der Schwarze Pirat kam so schnell die Treppe herunten und legte seine Hand so fest auf die Schulter des Anklägers, daß dieser einen Augenblick erschreckt blinzelte. „Ihr habt mich angehört, ohne eine Bezahlung von mir zu erhalten, mein Freund“, sagte der Schwarze Pirat langsam. Er senkte die Stimme und fügte hinzu: „Wenn ich nicht wüßte, daß ich etwas zu Gunsten des Angeklagten erreichen werde, würde ich Euch vielleicht auffordern, in einem anderen Ton mit mir zu sprechen. Bevor ich aber brüskere Mittel anwende, werde ich versuchen, mich an die Unparteilichkeit der französischen Gesetze zu halten, die Ihr anführtet. Auf jeden Fall aber hört mir jetzt aufmerksam zu; Wägt gut die Gründe der Anklage ab. Wenn ich merken würde, daß Ihr bewußt die Wahrheit ändert, dann würde ich mich in einen privaten Ankläger verwandeln …“ „Wollt … Ihr mir vielleicht drohen, mein Herr?“ „Oh nein, mein Freund! Ich warne Euch nur. Auf Wiedersehen.“ Als er sah, daß der Fremde sich entfernte, beschloß Monsieur de Saint-Just in seinem Inneren, beim Studium der Anklage einen Grund zu finden, um jenen Mann, der, wenn er zu lächeln aufhörte, sehr gewalttätig schien, als möglichen Komplizen in sichere Obhut zu bringen.
*
* *
Auf dem linken Bürgersteig der Neuen Brücke gingen langsam die Blumenverkäufer und die Bäcker mit hölzernen Tabletts, die sie um den Hals hängen hatten, auf und ab. 18
Blumen und billige Kuchen – das waren die beiden Artikel, die rings um die Neue Brücke gut verkauft wurden: Blumen für die Studenten und Kuchen für die Schreiber und Männer des Gesetzes, die keine feste Anstellung hatten und auf Provinzler warteten, die sie unter freiem Himmel um Rat fragten, weil es sie in den Büros zehnmal mehr gekostet hätte. Der Schwarze Pirat näherte sich einer Blumenverkäuferin, die einen Korb mit kleinen Sträußen trug, die sie mit lauter Stimme den Vorübergehenden anbot. „Guten Tag“, sagte er. „Wenn du auch selbst einer Blume gleichst, so antworte mir, denn selbst die wilden Rosen sprechen zu dem, der ihre Sprache versteht.“ Die Verkäuferin sah lächelnd den eleganten Herrn an. „Veilchen, Rosen, Nelken, mein Herr?“ Der Schwarze Pirat drehte ein Goldstück zwischen Daumen und Zeigefinger. „Ist dein Korb mein Gold wert?“ „Ein Louis d’Or! Dafür könnt Ihr alle meine Blumen und den Korb behalten, Herr.“ „Der Louis d’Or gehört dir. meine Schöne, wenn du mir eine Information geben kannst, die mich sehr interessiert.“ „Wenn es mir möglich ist, mein Herr, gern.“ „Es handelt sich nur darum, daß ich gehört habe, daß es hier Männer des Gesetzes geben soll …“ „Es sind nicht meine Kunden, Herr“, sagte die Blumenverkäuferin und zuckte verächtlich mit den Schultern. „Sie ziehen Kuchen und Biskuits vor. Seht, wieviele Schreiber hier herumgehen. Sie sind leicht zu erkennen, weil sie wichtig tun und gebückt gehen, als wären sie in tiefes Nachdenken versunken. Dabei denken sie nur daran, einen Dummen zu finden, der ihnen das Essen bezahlt.“ „Ich möchte nicht ein solcher Dummkopf sein, meine Schöne. Ich suche einen guten Verteidiger, einen Mann, der die Ge19
setze gut genug kennt, um mir zu dienen. Die Anhaltspunkte werde ich ihm geben. Auch muß dieser Mann Zutritt zu den Stellen haben, die Erlaubnisscheine ausstellen …“ „Und der Louisdor gehört mir, wenn ich Euch einen guten Rat gebe, mein Herr?“ „Er ist dein, denn wer so schöne Augen hat, kann nicht betrügen.“ Dabei drückte ihr der Schwarze Pirat das Goldstück in die Hand. Sie schloß sie, lächelte dem Schwarzen Piraten zu und bedeutete ihm, zu warten. Sie ging einen Augenblick fort und kam dann mit einem Mann zurück, der einen zerrissenen, schmutzigen Anzug in schreienden Farben trug. Er war etwa fünfzig Jahre alt, hatte ein rundes Gesicht und dünne Beine. Auf dem Kopf trug er eine graue Perücke und einen Dreispitz, der abgeschabt war. Die Blumenverkäuferin machte eine spöttische Verbeugung. „Ich stelle Euch hier Prosper Taquin vor, der ein König des Gerichtssaales war und mit der vornehmsten Gesellschaft verkehrte. Auch wenn Ihr ihn in dieser Aufmachung seht, so könnt Ihr ihm vertrauen, Herr Fremder. Was Prosper Taquin nicht erreicht, das erreicht niemand von der Neuen Brücke. Guten Tag, und ich danke Ihnen, Herr Fremder.“ Die Blumenverkäuferin zog sich zurück. Der Schwarze Pirat betrachtete das Gesicht des Mannes. Es war gewöhnlich, aber das ungünstige Urteil wurde durch den aufgeweckten Ausdruck der blauen Augen wettgemacht. „Zu Euren Diensten, Exzellenz“, sagte Prosper mit kräftiger Stimme und der Geste eines Volkstribuns. „Wenn Ihr zur Neuen Brücke gekommen seid, so werdet Ihr sicher von meinem Ruf gehört haben. Unschuldige Opfer einer ungerechten Justiz, Leute, die mit einem Fuß auf dem Blutgerüst stehen, finden in mir ihren Verteidiger, der …“ „Hört zu, Winkeladvokat“, unterbrach ihn der Schwarze Pirat 20
kurz. „Ich bin fremd hier und kenne nicht die Pariser Gebräuche, soweit sie die derzeitige Gesetzgebung angehen.“ „Trotzdem sprecht Ihr ein ausgezeichnetes Französisch, Exzellenz.“ „Vor einigen Jahren lebte ich in der Hauptstadt aus anderen Gründen als den heutigen. Ich bin kein Provinzler und brauche auch keine Schwätzer, Prosper Taquin. Ich benötige nur einen Mann, der das Recht hat, vor dem Gericht als Verteidiger eines Gefangenen zu sprechen, der wegen eines schweren Delikts in Untersuchungshaft sitzt.“ „Ich habe Zutritt zu jedem staatlichen Organismus, in dem die Göttin mit der Waage und der Binde vor den Augen regiert, Exzellenz.“ „In meinem Falle glaube ich, daß die Binde sehr dicht ist und die Waage sich zu Gunsten Monsieurs de Saint-Just neigt, mit dem ich gerade eine kurze Unterredung hatte. Er wollte nicht die Beweise anerkennen, die ich durch zahlreiche Zeugenaussagen bekräftigen kann und die die Anklage hinfällig machen.“ Prosper Taquin folgte der Geste des so bestimmt auftretenden Fremden, der auf ein nahes Gasthaus an der Seine zeigte, zu dem eine Treppe mit einem Geländer hinabführte. „Da Euer Büro sich unter freiem Himmel befindet, wollen wir uns dort unten hinsetzen. Weit von den Ohren, die Eure Kollegen spitzen, wie ich sehe, können wir freier sprechen.“ „Ich folge Eurer Einladung mit Vergnügen, Exzellenz. Der Vorzug, von einem Herrn Eures Ranges konsultiert zu werden, ruft viel Neid hervor. Während ich Euch geschmeichelt folge und die Empfehlung der guten Mimi segne, können wir vielleicht Zeit gewinnen. Wenn Euch meine Eile nicht stört, möchte ich die Grundlagen meiner Verteidigung vorbereiten. Wer, wie und gegen wen?“ Der Schwarze Pirat befand sich schon am Ende der Treppe 21
und ging im Schatten des Brückenbogens auf die Terrasse des Gasthauses zu. „Meine drei Fragen“, fügte der Franzose, der Lezama folgte, hinzu, „beziehen sich auf den Angeklagten, die Schwere des Deliktes und die Qualität des Beleidigten.“ „Ein Spanier, ein Freund von mir, ist des Mordes an Baron von Rochefort beschuldigt.“ Der Schwarze Pirat nahm bereits in einer Laube zehn Meter vom Fluß entfernt Platz. Beflissen eilte ein Kellner herbei, während Prosper Taquin seinen Dreispitz abnahm und sich stehend damit fächelte, obgleich die Oktobersonne nicht sonderlich stark schien. „Setzt Euch, Taquin“, lud ihn der Schwarze Pirat ein, und sich an den Kellner wendend, sagte er: „Für mich Champagner und für den Herrn, was er wünscht.“ „Milch, Brot, Butter und Käse“, beeilte sich der Advokat zu sagen, „und schnell, mein Junge.“ Als dieser gegangen war, machte Prosper Taquin eine schüchterne Bewegung mit dem Dreispitz; „Ich würde lügen, Exzellenz, wenn ich sagte, daß ich das, was ich genießen werde, als Vorschuß auf mein Honorar annehme. Ich ziehe vor, Euch zu sagen, daß ich es für eine großzügige Einladung halte.“ „Mir gefällt Offenheit, Taquin. Ich sehe, daß Ihr Eure Sicherheit verloren habt. Gestattet Euch der Rang des Opfers nicht, an der Stelle zu erscheinen, wo der Angeklagte abgeurteilt wird?“ „In keiner Weise, Exzellenz. Wenn der Angeklagte, Euer Freund, meine Verteidigung annimmt, dann kann ich ihn Verteidigen. Aber Mord, und … Ihr nanntet Monsieur de SaintJust, der Königlicher Ankläger ist, was auf die Schwere des Delikts hindeutet …“ „Ich benötige nur einen Mann, der vor dem Gericht die Vollmacht besitzt, das Material zu unterbreiten, das die Ankla22
ge niederschlägt. Hier kommt Eure Bestellung, Taquin. Eßt in Ruhe, während ich Euch kurz über die näheren Umstände aufkläre. Mein Freund ist hier in Paris unter dem Namen Marquis von Avapies bekannt. Gestern abend forderte er Baron von Rochefort im ,Bon Viveur’ zum Duell heraus, das heute morgen um sieben Uhr stattfinden sollte.“ „Grund des Duells?“ fragte Taquin mit vollem Munde. „Entschuldigt die Unkorrektheit, Exzellenz.“ „Ich schaue nicht auf die Form, sondern auf den Grund, Taquin. Ich glaube, Ihr werdet mir dienen. Der Grund des Duells war, daß sich der Baron gewisse Freiheiten gegen eine Dame gestattete, die meinen Freund begleitete.“ „Die Dame war von vornehmer Abstammung oder … von leichter Lebensweise?“ „Anständig und ehrenhaft, wenn auch scheinbar ein Nachtschmetterling aus den Spielsälen.“ „Ein ungültiges Zeugnis, Exzellenz, aber sprecht weiter. Wenn auch mein Appetit ganz hübsch angewachsen ist, so ist mein Hirn doch frisch und aufmerksam.“ „Als Zeuge begab ich mich mit auf den Duellplatz. Da aber mein Freund nicht wohlauf war, entschuldigte er sich.“ „Rochefort war ein großer Fechter, Exzellenz.“ „Das hat nichts damit zu tun. Ihm dienten Graf Hirson und der Vizegraf von Laon als Zeugen. Sie gingen mit Rochefort fort, und sobald sie den Platz verlassen hatten, begaben wir uns ins Haus von David Youpin, wo wir blieben, bis ein Hauptmann der Musketiere erschien und meinen Freund festnahm, indem er ihn des Mordes an Baron von Rochefort beschuldigte.“ „Wer klagt ihn an?“ „Das weiß ich nicht. Aber für Euch wird es eine leichte Verteidigung sein. Der Tod muß zwischen dem Augenblick, wo Rochefort mit Laon und Hirson wegging, und dem, in dem der 23
Musketier kam, stattgefunden haben. Und während dieser Zeit befanden sich mein Freund und ich dauernd im ,Bon Viveur’.“ „Wer kann das bezeugen?“ Prosper Taquin, der schnell die Brötchen mit Butter und Käse verschlungen hatte, trank jetzt die sahnige Milch. „Zunächst der Lakai, der uns empfing und uns ins Büro von Rachel Youpin führte, mit der wir längere Zeit sprachen. Dann begaben wir uns in den Weinkeller hinunter. Dort stießen wir auf die fünf Fechtmeister von Youpin. Zwei von ihnen können es bezeugen.“ „Warum nicht alle fünf?“ „Die anderen drei starben.“ „Welches Pech! Und wie … wie starben sie?“ „Wenn es auch nicht zu dem Fall gehört, so will ich Euch doch sagen, daß sie mich und meinen Freund töten wollten und dabei ums Leben kamen.“ Prosper Taquin trank den. Rest aus dem Becher, und seine blauen Augen hatten einen gewissen Glanz. Er trocknete sich den Mund mit einem Tuch ab. „Es wundert mich nicht, Exzellenz, denn ich habe viele Vertraulichkeiten gehört. Zweifellos können wir mit den wertvollen Zeugenaussagen von Fräulein Youpin, dem Lakai und den beiden Fechtmeistern, die Ihr genannt habt, beweisen, daß Euer Freund unschuldig ist, wenn die Stunde des Mordes feststeht. Nur eins möchte ich Euch noch fragen: Seid Ihr sofort zu dem Lokal von Youpin gegangen, als sich die drei Adligen entfernt hatten?“ „Sofort nicht. Ich unterhielt mich mit meinem Freund.“ „Lange?“ „Ich habe die Minuten nicht gezählt. Warum?“ „Monsieur de Saint-Just ist sehr genau. Er wird die genaue Stunde erfragt haben, wann Euch die drei Adligen verließen. Wahrscheinlich wird er auch die Stunde feststellen, wann Ihr in den ,Bon Viveur’ kamt. Gingt Ihr zu Fuß oder rittet Ihr?“ 24
„Wir ritten.“ „Wie lange werdet Ihr Eurer Schätzung nach mit Eurem Freunde gesprochen haben?“ „Nicht länger als eine Viertelstunde.“ „Habt Ihr dafür einen Zeugen?“ „Nein.“ „Wie weit ist die Stelle, wo Rochefort tot aufgefunden wurde, vom Duellplatz entfernt?“ „Das weiß ich nicht.“ „Gut, Exzellenz. Ihr habt mir die hauptsächlichsten Punkte klar genug auseinandergesetzt. Ich werde den Morgen und den Nachmittag dazu benutzen, günstiges Material zu sammeln. Wo kann ich Euch gegen Abend sehen?“ 25
„Ich wohne im ,Goldenen Hahn’. Nehmt das für Eure ersten Schritte.“ Der Schwarze Pirat legte fünf Louisdor auf den Tisch. Prosper Taquin sah die Goldstücke begierig an. Aber dann zog er die Hand zurück, mit der er schon nach ihnen greifen wollte. „Heute abend, Exzellenz, werde ich Euch sagen, ob ich die Verteidigung übernehmen kann.“ „Genügen Euch die Beweise nicht, die ich Euch beibrachte?“ „Sie würden mir genügen … wenn es nicht gewisse Dinge gäbe, die mich beunruhigen. Die Anklage geht von Monsieur de Saint-Just aus, und die Verhaftung nahm ein Musketier vor.“ „Und?“ „Monsieur de Saint-Just tritt nur bei Delikten unter Sonderumständen in Aktion, und ein Hauptmann der Musketiere schreitet nur zu Verhaftung, wenn die Anschuldigung einwandfrei ist. Handelt es sich um einen gewöhnlichen Mord, dann nimmt die Polizei die Verhaftungen vor und es amtieren Privatankläger.“ „Welches muß die Art des Delikts sein, damit Monsieur de Saint-Just amtiert?“ „Majestätsbeleidigung oder Hexerei“, antwortete Prosper Taquin gewichtig. „Eine Beleidigung des Königs oder einer Person königlichen Blutes fand nicht statt. Und wie kann denn Hexerei etwas mit einem Mord zu tun haben?“ „Ich werde versuchen, Exzellenz, so viele Daten als möglich herbeizuschaffen. Seid nicht beleidigt, wenn ich Euch auf etwas aufmerksam mache: Rochefort war Franzose.“ „Das Gesetz kennt keine Nationalität, Taquin.“ „Ich werde alles tun, was ich kann. Vertraut mir. Vor Jahren war ich ein allenthalben respektierter Mann, bis Neid und Mißgunst meiner Kollegen mir meine Klienten wegnahmen. Aber 26
Ihr sollt wissen, daß ich, wenn es auch nur einen einzigen günstigen Umstand für Euren Freund gibt, diesen ins hellste Licht rücken werde. Wo wird er festgehalten? Ich nehme an, in Chatelet, nicht wahr?“ „Ja, er ist dort in Untersuchungshaft.“ „Ich werde eine Besuchserlaubnis erhalten. Man wird mir nur meine Lizenz als Verteidiger entziehen, wenn Euer Freund meine Dienste nicht in Anspruch nehmen will.“ „Sagt ihm, daß Ihr von mir kommt. Ah, ich habe Euch meinen Namen nicht genannt. Ich heiße Carlos Lezama.“ Prosper Taquin, der sich bereits erhoben hatte, runzelte die Stirn. Seine blauen Augen nahmen einen verträumten Ausdruck an. „Ihr sagtet, Exzellenz, daß Ihr vor Jahren in Paris wart?“ „Ja. Es ist viele Jahre her“, und der Schwarze Pirat studierte das Gesicht des Advokaten. Prosper Taquin wandte den Blick ab und verbeugte sich, ehe er seinen Dreispitz aufsetzte. „Heute abend werde ich am .Goldenen Hahn’ vorbeikommen und Euch Nachricht bringen.“ *
* *
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Drittes Kapitel EIN GESUCHTER MANN Carlos Lezama blieb noch eine Wedle auf der Terrasse des Gasthauses am Ufer der Seine. Er dachte an den merkwürdigen Augenausdruck von Taquin, als dieser seinen Namen hörte. Wenn es Wirklichkeit war, daß Taquin vor Jahren eine einflußreiche Stellung in der Hauptstadt innehatte, dann konnte die Erwähnung seines Namens eine vage Erinnerung in ihm wachgerufen haben. Vielleicht war es ihm eingefallen, daß damals an allen Straßenecken in Paris Plakate geklebt hatten, die einen Preis auf die Gefangennahme des spanischen Piraten Carlos Lezama versprachen. Am Abend würde er sich Gewißheit verschaffen, aber von jetzt ab gegen jeden Hinterhalt auf der Hut sein. In einem Punkte hatte Prosper Taquin zweifellos recht: der Einfluß der Person, die die Anzeige erstattet hatte, mußte sehr groß sein. Er hielt in seinen Überlegungen inne, um seine Aufmerksamkeit auf drei Männer zu richten, die jetzt die Treppe herabkommen. Von der Brücke aus zeigte eine Hand auf den Tisch, an dem der Schwarze Pirat saß … Dieser rückte den Schemel etwas zurück, um seinen Beinen Spielraum zu geben, und griff mit der Rechten an den Gürtel. Von den dreien, die ankamen, ging einer voran, während die beiden anderen ein wenig zurückblieben. „Guten Tag, mein Herr“, grüßte der erste, der wie die anderen einen grauen Dieneranzug trug. „Seid Ihr vielleicht der Caballero, der auf der Neuen Brücke einen Verteidiger suchte?“ „Wenn ich mich täusche, dann verbessere mich. Du und deine Begleiter müssen jemanden zu Diensten stehen, da ihr Livree tragt?“ 28
„Wir gehören zur Dienerschaft des Monsieur de Saint-Just, mein Herr.“ „Nachdem dieser Punkt geklärt ist, sage mir, was deine Frage bedeutet.“ „Monsieur de Saint-Just beauftragte uns drei, Eurer Spur zu folgen, mein Herr. Wir brauchten uns aber nicht zu trennen, da uns eine Blumenverkäuferin informierte und Euch uns beschrieb.“ „Nachdem auch dies geklärt ist, kann ich dir sagen, daß ich tatsächlich der bin, der einen Verteidiger suchte.“ „Monsieur de Saint-Just bittet Euch, Euch die Mühe zu machen, in sein Büro zu kommen, wo er mit größter Aufmerksamkeit Euren Erklärungen lauschen wird, die Ihr ihm andeutetet.“ „Die Weisen wechseln scheinbar ihre Ansichten. Sagt Eurem Herrn, daß ich seine Einladung annehme und ihn aufsuchen werde, Ihr könnt euch zurückziehen.“ Der Lakai zögerte einen Augenblick und sagte dann respektvoll: „Monsieur de Saint-Just befahl mir, Euch mitzuteilen, mein Herr, daß der Nutzen um so größer wäre, je eher Ihr ihn aufsucht.“ „Zuerst war es mir sehr eilig. Wo wohnt dein Herr?“ „In der Avenue Turenne Nummer 75, mein Herr. Wir werden Euch gern vorangehen.“ „Ich gehe besser allein. Auf Wiedersehen.“ Der Lakai wollte sprechen, aber er hielt inne. Dann grüßte er, drehte sich um und stieg mit seinen beiden Begleitern die Treppe hinauf. Der Schwarze Pirat bedachte die beiden Möglichkeiten, die den Königlichen Ankläger bewogen haben mochten, seine Meinung zu ändern: Vielleicht wollte er wissen, auf welche Punkte sich die Verteidigung stützte, um sie von vornherein zurückweisen zu können, oder … er hatte vor, ihn unter irgendeiner unerwarteten Beschuldigung festnehmen zu lassen. 29
Dann aber stand er auf und war bereit, sich in die Wohnung des Königlichen Anklägers zu begeben. Wenn der nämlich die Absicht hatte, ihn festnehmen zu lassen, dann hätte er nicht drei Lakaien, sondern Musketiere geschickt. Er wollte den Kellner rufen und ihn bezahlen, als er seine Hand am Gürtel liegen ließ. Die Treppe herunter kam ein Mann, der ihn scharf ansah und seine Schritte auf ihn lenkte. Er mochte etwa fünfunddreißig Jahre alt sein, war groß und hager, hatte eine bleiche, fast leichenhafte Hautfarbe, die einen scharfen Kontrast zu der kurzlockigen schwarzen Perücke bildete. Er trug enganliegende Hosen und ein flaschengrünes Netzhemd um den muskulösen, wenn auch hageren Oberkörper. Seine Stiefel waren von weichem, glänzendem Leder. An seinem Gürtel hing ein langer Degen. Statt eines Federhutes oder Dreispitzes trug er ein kleines Netz von grüner Farbe über den schwarzen Locken. In seinem mageren Gesicht stand eine Hakennase. Seine grauen, ein wenig schielenden Augen lagen dicht nebeneinander. Er machte einen unheimlichen Eindruck. Jetzt blieb er auf der anderen Seite des Tisches des Schwarzen Piraten stehen, und beide betrachteten sich eine Weile stumm. „Ich bin Bussy Leclerc.“ Er sprach diese Worte in einer Weise, als handele es sich um einen Namen vornehmsten Geblütes. Bussy Leclerc! Der berühmteste Fechtmeister von Paris. Der Mann, der schon mit achtzehn Jahren die berühmteste Fechtakademie der französischen Hauptstadt leitete. Der Mann, der diejenigen schulte, die in wenigen Tagen so weit sein wollten, um auf dem Duellplatz keine lächerliche Rolle zu spielen, und der ihnen geheime Stöße und Finten aus seinem großen Repertoire verkaufte. 30
Der Ruf Bussy Leclercs war Carlos Lezama bereits bei seiner ersten Pariser Reise zu Ohren gekommen. „Ich suchte Euch“, fuhr der berühmte Fechtmeister nach einer Pause fort, während der der Schwarze Pirat sich darauf beschränkte, ihn zu betrachten. „Dann habt Ihr mich gefunden.“ „Ich habe Durst“, sagte der Fechtmeister ruhig. „Hier fließt der Fluß, wenn Ihr Wasser trinken wollt, und es gibt auch genügend Tische hier, an denen Ihr etwas anderes zu Euch nehmen könnt.“ Die Augen Bussy Leclercs schielten noch mehr, und seine schmalen, asketischen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Wißt Ihr, wer ich bin?“ „Ihr habt gesagt, daß Ihr Bussy Leclerc wäret.“ „Und da ich diesen Namen trage, teile ich mit meinem Bruder, dem berühmten Bussy d’Amboise, das Verbot, mich im Duell zu schlagen.“ „Was wollt Ihr damit sagen?“ „Daß ich Euch nicht fordern darf, auch wenn Eure Antworten noch so herausfordernd sind.“ „Ihr scheint diese Herausforderung zu suchen,“ „Ich sagte, daß ich Durst hätte und wünschte, daß Ihr mich einladen oder mir gestatten würdet, an Eurem Tisch Platz zu nehmen.“ „Ich habe eine Verabredung und muß gehen.“ „Wartet.“ „Da Ihr mir schon das Leben geschenkt habt, indem Ihr sagtet, daß Ihr Euch mit mir nicht im Duell schlagen könntet, so will ich Euch sagen, daß ich keine Lust habe, zu warten.“ Bussy Leclerc runzelte die Stirn. „Ich kann mich nicht im Duell schlagen, aber ich kann meinen Degen ziehen. Doch deswegen kam ich nicht hierher. Geht nicht zu der Verabredung. Man hat einen Haftbefehl gegen Euch.“ 31
„Wo, wer und weswegen?“ „Im Hause von Monsieur de Saint-Just erwarten Euch zehn Musketiere. Und dessentwegen, dessen man Euch beschuldigt, bin ich hergekommen, weil ich zu verhindern wünsche, daß man Euch in Chatelet einsperrt.“ „So viel Großmut bei einem Unbekannten geht mir auf die Nerven“, entgegnete der Schwarze Pirat mit sichtlichem Spott. „Ihr werdet Euch nicht mehr wundern, wenn ich Euch den Grund erkläre. Heute morgen habt Ihr den Vizegrafen von Laon entwaffnet. Er ist kein großer Fechter. Aber dann schlugt Ihr, mit der Linken fechtend, dem Grafen Hirson den Degen aus der Hand, der einer meiner fortgeschrittensten Schüler ist. Er kam und berichtete mir das in beinahe vorwurfsvollem Ton. Ich begann, neugierig zu werden, den Caballero kennenzulernen, der mit der linken Hand gegen Hirson focht und seinen Umhang hinter seine Stiefel legte, um zu zeigen, daß er keinen Schritt zurückzuweichen gedächte. Ich sprach mit ihm, als Laon eilig und auf geregt angelaufen kam. Er sagte, daß Rochefort von dem Manne ermordet worden wäre, der auf dem Duellplatz um Entschuldigung gebeten hatte. Er fügte hinzu, daß Musketiere nach dem ,Bon Viveur’ unterwegs wären, um ihn zu verhaften. Ich ging dorthin, nachdem ich mich vergewissert hatte, daß Ihr Graf Hirson mit einer Parade des nicht zu haltenden „DoppelNever-Stoßes“, den ich ihm teuer verkaufte, entwaffnetet.“ Während der Fechtmeister sprach, begriff Carlos Lezama, der früher den gleichen Beruf ausgeübt hatte, was in Bussy Leclerc vorging. „Ich kam hin und Ihr waret bereits fort. Ich folgte Eurer Spur und begegnete Monsieur de Saint-Just, der mir Dank schuldet. Von ihm erfuhr ich, daß er Euch verhaften wollte. Und, mein Herr“, zum ersten Male verbeugte sich der Fechtmeister leicht, „das kann ich nicht dulden.“ „Ich danke Euch für Eure Einmischung, aber ich muß Euch 32
sagen, daß ich mich allein zu verteidigen weiß. Und wenn ich beschließe, irgendwohin zu gehen, so gehe ich hin, auch wenn eine ganze Kompagnie von Musketieren auf mich wartet.“ Bussy Leclerc nickte. „Wir beide, Caballero, können zu einer Einigung kommen. Für vier Fechtrunden von einer halben Stunde mit geschützter Degenspitze bin ich bereit, Euch zu helfen. Was Ihr auch immer verlangen möget.“ Carlos Lezama hatte in seinen jungen Jahren gleichfalls eine Fechtakademie geleitet. Er wußte, wie weit der Ehrgeiz eines Fechtmeisters ging. Er verstand, daß die Niederlage seines besten Schülers Bussy Leclerc in seiner Eigenliebe traf. „Das, was ich im ,Bon Viveur’ erfuhr, Caballero“, sprach der Franzose weiter, „hat meinen Wunsch noch verstärkt. Die Fechtmeister Leveque, Tourbillon, Justi, Marcel und Landouille griffen Euch an, und doch steht Ihr hier leibhaftig vor mir. Wenn ich Euch nicht sähe und nicht die Leichen von Leveque, Justi und Marcel gesehen hätte, würde ich es nicht glauben. Auch ich, obgleich ich Bussy Leclerc bin, hätte schwere Mühe gehabt, einen Kampf gegen fünf Fechtmeister dieser Klasse durchzustehen und sie zu besiegen. Ihr habt es fertiggebracht. Deshalb muß ich annehmen, daß Ihr gewisse Finten kennt, die ich gern lernen möchte. Ich vertraue es Euch allein an. Für vier halbstündige Fechtrunden könnt Ihr von mir verlangen, was Ihr wollt. Ich rechne mit Eurer Diskretion. Niemand in Paris darf wissen, daß Bussy Leclerc einen unbekannten spanischen Caballero um vier Fechtrunden gebeten hat.“ „Sagt mir, wessen mich Monsieur de Saint-Just anklagen will.“ „Wegen Beleidigung Rachel Youpins und wegen Hexerei.“ „Hexerei? Zum zweiten Male höre ich heute dieses Wort.“ „Hexerei gab es beim Tode von Rochefort, dessen man Eu33
ren Freund beschuldigt. Und Monsieur de Saint-Just behauptet, daß es eine Hexerei war, als Ihr fünf hervorragende Fechtmeister besiegtet, die Euch auf Befehl Rachel Youpins festnehmen sollten.“ „Und wer beschuldigt meinen Freund?“ „Das weiß ich nicht. Laon sagte, daß er sich von Rochefort in dessen Wohnung trennte. Als er dann in sein eigenes Haus treten wollte, kam ihm ein Diener Rocheforts nachgeeilt und bat ihn, ihn zu begleiten. Wie Laon sagt, war der Anblick der Leiche Rocheforts schauerlich … Mehr weiß ich nicht.“ „Es wird eine Ehre für mich sein, Bussy Leclerc, meinen Degen mit dem Euren zu kreuzen, wenn Ihr mir dafür alle Nachrichten bringt, die Ihr durch Eure Freundschaft mit Monsieur de Saint-Just erhalten könnt.“ „Ich habe Euer Wort. Was wollt Ihr noch wissen?“ „Alles, was sich auf die Anklage gegen meinen Freund bezieht. Besonders interessiert mich die Person, die die Anzeige erstattet hat. Ich wohne im ‚Goldenen Hahn’, Bussy Leclerc.“ „Gebt mir Euer Wort, daß Ihr wenigstens heute den ganzen Tag nicht Monsieur de Saint-Just besucht.“ „Ich garantiere es Euch. Meine einzige Aufgabe besteht darin, zu zeigen, daß mein Freund unschuldig ist, denn er trennte sich nicht einen Augenblick von mir. Ich werde versuchen, es nach dem Gesetz zu beweisen. Sollte das nicht möglich sein, so werde ich andere Mittel anwenden, auch wenn ich dabei zu Grunde gehen sollte.“ „Ich habe gehört, daß Ihr zu Rochefort sagtet, der einzige Mann, der Euch im Fechten gleichkäme, wäre Euer Freund, der in Chatelet gefangen sitzt.“ „Das stimmt.“ „Dann“, und der Fechtmeister sprach mit tiefer Überzeugung, „kann Euer Freund unmöglich Rochefort getötet haben.“ Der Schwarze Pirat lächelte und reichte ihm die Hand. 34
„Sobald ich diese Sache eingeleitet habe, Bussy Leclerc, werde ich Euch mit großem Vergnügen zu vier Fechtrunden gegenübertreten.“ Der Franzose nahm die dargebotene Rechte und erwiderte den Handdruck. „Seid vorsichtig, mein Freund“, sagte er. „Es wird nicht lange dauern, und man wird Euch in ganz Paris suchen. Ich aber möchte nicht, daß man Euch festnimmt, ehe wir unsere vier Runden ausgefochten haben.“ Die Aufrichtigkeit des Fechtmeisters gewann ihm die Sympathie Carlos Lezamas. „Sorgt Euch nicht, Bussy Leclerc. Was mich betrifft, so bin ich am meisten daran interessiert, daß man mich nicht faßt. Ich war von jeher mißtrauisch und ziehe es vor, in Freiheit Unrecht zu haben als alles Recht hinter Gittern.“ „Sehr richtig!“ bemerkte Bussy Leclerc. „Ihr seid wie ich. Aber ich habe noch immer Durst.“ Carlos Lezama füllte seinen eigenen Becher und reichte ihn dem Fechtmeister hin, der den Champagner austrank, nachdem er das Trinkgefäß in stummem Gruß erhoben hatte. „Ich werde erfahren, was Ihr wissen wollt, und Ihr schuldet mir vier Fechtrunden. Bis gegen Abend im ‚Goldenen Hahn’.“ „Bis dahin, Bussy Leclerc.“ „Verschwindet aus dieser Gegend. Ich fand Eure Spur, auch andere können Euch folgen.“ Als Bussy Leclerc mit einem Gruß gegangen war, ging Carlos Lezania in der entgegengesetzten Richtung fort, nachdem er den Kellner bezahlt hatte. Am Ufer entlang begab er sich nach einem Außenviertel der Stadt, wo er aß. Als es bereits dunkelte, kehrte er in den ‚Goldenen Hahn’ zurück und hatte bereits seinen Entschluß gefaßt. Er würde bis zum folgenden Tage warten. Wie die Umstände es erforderten, würde er dann zu Pferd nach Bordeaux jagen, 35
von wo er an der Spitze seiner vierzig Piraten nach Paris zurückkehren würde. In seinem dauernden Kampf gegen die Ungerechtigkeit war er zu allem bereit, und mehr als je in dieser Sache, wo es sich darum handelte, seinen Freund zu befreien, den er in so mancher Hinsicht für sein getreues Spiegelbild hielt. Von der Schwelle des Salons, von dem eine Treppe in den Oberstock führte, flüsterte ihm der Wirt zu, daß drei Herren, die getrennt gekommen waren, nach ihm gefragt hätten. „Wer sind sie?“ „Einer sagte, daß er Prosper Taquin hieße, und die beiden anderen sind … Bussy Leclerc und Bussy d’Amboise, Monsieur.“ *
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Viertes Kapitel ZWEI VERBÜNDETE Es war gegen fünf Uhr nachmittags, als Prosper Taquin in den ‚Goldenen Hahn’ kam. Er stellte sich dem Wirt, der mit gewissem Mißtrauen das vernachlässigte Äußere des Mannes betrachtete, pompös als ‚Leuchte des Forums und das Erstaunen der Gerichte’ vor. „Das Gewand allein hat nie den Mönch gemacht“, meinte der Mann des Gesetzes. „Ich möchte mit dem spanischen Caballero sprechen, der in deinem Hause wohnt.“ „Er ist noch nicht zurückgekommen. Er ging heute am frühen Morgen mit seinem Freunde, der gleichfalls Spanier ist, fort und kehrte bisher nicht zurück.“ „Führe mich an einen ruhigen Ort, wo ich Herrn Lezama erwarten kann.“ Der Wirt stieg ihm in den Oberstock voran, der sich nach beiden Seiten hin zu einem breiten Gang erweiterte, der zu den Zimmern führte. Prosper Taquin setzte sich und stieß einen befriedigten Seufzer aus. Seit er sich von seinem ‚Klienten’ getrennt hatte, war er an den verschiedensten Stellen gewesen. Er hatte eingesehen, daß die Verteidigung des Marquis von Avapies über seine Kräfte ging. Gern hätte er wieder geglänzt, aber nicht um den Preis eines dunklen Todes … Das Geräusch weicher Schritte riß ihn aus seinen Überlegungen. Der Ankömmling war ein in schreiende Farben gekleideter Mann. Der müde Blick Prosper Taquins streifte die weißen Fellstiefel mit den hohen Absätzen, die gestreiften Hosen, den malvenfarbenen offenen Rock mit dem Spitzenkragen. 37
Den weißen Hut zierte eine riesige rotblaue Feder. Als Taquin in seiner Betrachtung bis zu diesem Punkt gekommen war, schien er plötzlich einen Nadelstich in dem weichen Sessel zu spüren. Er erhob sich und machte eine tiefe Verbeugung, wie er sie nicht dem edelsten Adligen am Hofe gemacht hätte. Er hatte Bussy d’Amboise erkannt, der in ganz Paris durch seine ,Insignien’ bekannt war. Viele verschiedenfarbige Bänder hingen von seiner linken Schulter herab und streiften seinen Unterarm. Jedes von ihnen war das Symbol eines Toten auf dem Fechtplatz, der von dem Degen des äußerst kitzligen Mannes gefallen war. Taquin wiederholte seine Verbeugung zweimal, als wolle er damit deutlich bekunden, daß er nicht durch ein Band an der Schulter Bussy d’Amboises symbolisiert zu sein wünschte. Der Geehrte beschränkte sich darauf, fast unmerklich den Kopf zu senken, und Prosper Taquin schätzte sich glücklich, daß er wegen seines prüfenden Blickes über den jetzt im Gange Hin- und Herschreitenden nicht zur Rechenschaft gezogen wurde. Mit hocherhobenem Kinn und kleinen Schritten ging er auf den hohen Absätzen auf und ab. Bussy d’Amboise, der im geheimen den Bruder wegen seiner Größe beneidete, wollte seine Gestalt dadurch erhöhen. Taquin versenkte sich wieder in seine Überlegungen, aus denen ihn eine andere Persönlichkeit riß, von der er annahm, daß es der Spanier wäre. Wieder erhob er sich schnell und begrüßte den Mann, den er sofort erkannt hatte. Die schielenden Augen, das flaschengrüne Netz, das die schwarzgelockte Perücke hielt, waren ebenso bezeichnend wie die Art, den Degen zu tragen, dessen Scheide am Ende am Bein des Fechtmeisters befestigt war. 38
Bussy Leclerc trug eine längliche Kiste unter dem Arm, die sehr schwer sein mußte, da er sie mit beiden Händen faßte, als er sie gegen die Wand lehnte. „Halloh, d’Amboise!“ sagte er nach einer Weile. „Guten Abend, Leclerc“ antwortete sein Bruder. „Ich wußte nicht, daß du Liebschaften im ,Goldenen Hahn’ hättest“, meinte Leclerc. Das kindliche Gesicht des Angeredeten nahm einen geschmeichelten Ausdruck an. Aber er strich sich nervös den blonden Spitzbart. „Ich wußte nicht, daß du jemandem, der im ‚Goldenen Hahn’ wohnt, Unterricht gibst“, antwortete d’Amboise. „Bist du vielleicht hergekommen, um einem Spanier, einem gewissen Carlos Lezama, Fechtstunden zu geben?“ In dem seltenen Falle, da sich die beiden Brüder sahen, beschränkten sie sich darauf, sich zu begrüßen. Sprachen sie aber miteinander, dann hatten sie die Eigenart, ihre gegenseitigen Fragen auch mit Fragen zu beantworten. „Warum bringst du die Kiste mit den Stoßdegen mit?“ Die Frage Bussy d’Amboises hatte zur Folge, daß sich Taquin noch tiefer in seinen Sessel drückte. Bussy Leclerc schaute die mitgebrachte Kiste an, als sähe er sie zum ersten Male. „Es sind tatsächlich Stoßdegen“, antwortete er, „die schwersten, mit doppelter Schneide, italienischem Griff und einem Gewicht, das heute nur wenige Handgelenke meistern. Es gibt außer uns kaum noch Fechter, die sie zu meistern vermögen, Amboise. Ich weiß nicht, wohin wir mit dieser Mode kommen werden, die Degen immer leichter zu machen. Ah, wenn ich an den zweiten der Bussys, an unseren Vater, denke!“ Der Sprecher seufzte sehnsüchtig, auf. „Wo sind die Zeiten hin, da der erste Bussy noch Mauern erstieg und sich mit dem Stoßdegen zwischen Gepanzerten einen Weg bahnte? Auch der zweite Bussy 39
konnte sich nicht beklagen. Damals benutzte man auch noch zweischneidige Klingen …“ „Ich fragte dich, ob du zufällig hierher kamst, um besagten Lezama aufzusuchen?“ „Ich fragte dich, aus welchem Grunde du ihn kennenlerntest.“ „Reize mich nicht, Bussy Leclerc“, sagte Amboise und zog den Kopf so hoch er konnte. „Du bist mein Bruder, Bussy d'Amboise, aber ich bin älter als du. Ich werde dir sagen, warum ich die Kiste mit den Stoßdegen brachte. Ich will sehen, wie sie der mutige Spanier handhabt …“ „Ich bin eher gekommen, Leclerc. Ich kam dir zuvor, um jenen Fremden zu töten, falls er sich nicht gebührend für die Ungeschicklichkeit seines Freundes, des Marquis von Avapies, entschuldigt. Ich habe den ganzen Tag verloren, um seine Spur zu finden. Endlich aber erfuhr ich, daß beide in dieser Herberge wohnen. Zu meinem großen Mißfallen aber sagte man mir, daß der Marquis von Avapies in der Festung von Chatelet sitzt.“ „Welche Beleidigung fügte dir der Marquis von Avapies zu, daß du herkamst und Streit mit seinem Freunde suchst?“ „Beim Tode von Rochefort ist Hexerei im Spiel, Leclerc. Als Komplicen des Spaniers hat man den Zigeuner Emmanuele und seine Tochter Caline beschuldigt.“ „Die Italiener? Diese Harlekine, die einen Bären auf den Plätzen tanzen lassen?“ „Überlege deine Worte, Bussy Leclerc. Caline kam, um sich in meinem Hause zu verbergen. Aber ihr Vater wurde festgenommen und zusammen mit dem Marquis von Avapies beschuldigt. Ich bin gewiß, daß der Spanier, um sich zu verteidigen, Caline angegeben hat. Deshalb kam ich, um von dem anderen Spanier Rechenschaft zu fordern für das unwürdige Betragen eines Mannes, der seinen Adelstitel nicht verdient …“ 40
Das Zwiegespräch konnte von Prosper Taquin nicht gehört werden, der seine Neugierde zurückhielt und klugerweise nicht aufstand. Als er aber Carlos Lezama die Treppe heraufkommen sah, erhob er sich. Der Schwarze Pirat blieb auf dem Absatz stehen und Bussy trat ihm entgegen. „Guten Abend, Herr Spanier. Wie ich Euch versprach, habe ich die Vorsäle aller durchlaufen, die nur Informationen geben konnten …“ „Einen Augenblick, Bussy Leclerc.“ Amboise faßte seinen Bruder am Arm und schob ihn beiseite. „Ich kam zuerst. Stelle mich dem Mann vor, der ein Bekannter von dir zu sein scheint.“ Der Schwarze Pirat hatte den Dazwischentretenden bemerkt, und Bussy Leclerc zeigte mit seiner Rechten auf die. Brust Lezamas und mit der Linken auf den Federhut seines Bruders. „Herr Lezama, Bussy d’Amboise, mein Bruder. Er ist jünger als ich, und deshalb überlasse ich es ihm, zuerst mit Euch zu sprechen, zumal er auch zuerst hier war.“ „Entschuldigt mich einen Augenblick, meine Herren. Aber es eilt mir, die Nachrichten zu erfahren, die mir jener Caballero geben kann.“ Der Schwarze Pirat zeigte auf Prosper Taquin, der seinen Dreispitz in den Händen drehte. Der Mann des Gesetzes hielt den Atem an. Bussy d’Amboise strich sich den Spitzbart und heftete seine blitzenden Augen auf den Schwarzen Piraten. „Mein Besuch duldet keinen Aufschub, Monsieur. Gestattet mir augenblicklich eine private Aussprache in Eurem Zimmer.“ „Wenn Ihr mir gestattet, den Wunsch meines Bruders zu unterstützen, so bitte ich um Eure Zustimmung, daß wir drei uns auf Euer Zimmer begeben.“ „Ich möchte Eure Aufmerksamkeit auf die klare Tatsache richten, daß ich derjenige bin, der bestimmt. Nicht, weil ich 41
mich auf dem Wege in mein Zimmer befinde, sondern weil ich gewohnt bin, Herr meiner Handlungen zu sein.“ „Ein erschwerender Umstand mehr, für den Ihr mir Rechenschaft geben werdet, Monsieur“, murmelte d’Amboise drohend. „Haha! Und was ist der andere erschwerende Umstand, wenn ich Euch zum ersten Male gewahre?“ „Über den anderen Umstand kann ich nicht vor dem Manne zu Euch sprechen, der uns hört, mein Herr.“ „Ich bitte Euch, Bussy d’Amboise privat anzuhören, Herr Spanier“, mischte sich Leclerc mit einem Augenzwinkern ein. „Was er Euch zu sagen hat, steht mit Eurem Freunde im Zusammenhang und bezieht sich auf sonderbare Konsequenzen des Todes von Rochefort …“ „Ich lausche Euch dankbar, Bussy Leclerc. Aber wißt, daß der Mann, der sich hier befindet, ein Advokat ist, der meinen Freund verteidigen wird. Deshalb kann er anhören, was zu sagen ist.“ „Wenn du es wiederholen würdest“, – und Bussy d’Amboise schaute Prosper Taquin wild an, – „dann weißt du, wie Bussy d’Amboise die Schwätzer bestraft.“ Ungeduldig berührte der Schwarze Pirat den Sprecher leicht an der Schulter. „Auf Grund des Wohlgefallens, mit dem ich heute morgen die Bekanntschaft Eures Bruders machte, gestatte ich Euch gewisse Freiheiten, die Ihr Euch, wie Ihr zugeben müßt, wenn Ihr ein höflicher Mensch seid, in Überfluß nehmt, Herr d’Amboise.“ Dieser errötete und griff an den Handschutz seines Degens. „Ein verdienter Vorwurf, Bussy d’Amboise“, sagte Leclerc. „Die Bussys zeigen seit dem XV. Jahrhundert ein vornehmes Benehmen. Du aber bist äußerst arrogant gewesen. Wo drei Kavaliere miteinander sprechen, darf man nicht einmal die Gegenwart eines Zuhörers erwähnen, der keinen Degen trägt und ihn nicht einmal zu führen versteht.“ 42
„Du hast recht, Bussy Leclerc.“ Der Gescholtene biß sich auf die Lippen. „Ich bekenne, daß ich die Haltung verlor, Monsieur. Vergeßt es bitte.“ „Es ist vergessen, Herr d’Amboise.“ Ohne seine Überraschung zu zeigen, denn der Schwarze Pirat war in seinem Leben bereits mit vielen sonderbaren Menschen zusammengestoßen, ging er der Tür seines Zimmers zu. Er öffnete sie, und Bussy d’Amboise nahm beim Eintreten seinen Federhut ab. Bussy Leclerc nahm seine Kiste mit den Stoßdegen unter den Arm und betrat seinerseits das Zimmer. Prosper Taquin näherte sich zögernd. „Macht Euch keine Schwierigkeiten, Exzellenz“, sagte er leise. „Ich kann warten und werde Euch zur Verfügung stehen, wenn Ihr mit diesen beiden Herren fertig seid.“ „Geht hinein“, befahl der Schwarze Pirat herrisch. Der Advokat schob sich hinein und begab sich in den äußersten Winkel des großen Schlafzimmers. Vorsichtig setzte Leclerc seine Kiste auf einem der beiden Betten ab und öffnete sie. Bussy d’Amboise, den Federhut vor die Brust haltend und seine Rechte auf die Hüfte gestützt, wartete, bis ihm der Schwarze Pirat gegenüberstand, nachdem er die Tür geschlossen hatte. „Habe ich die Erlaubnis, Herr Spanier, Euch meine Klage vorzutragen?“ „Sprecht!“ „Ich nehme an, daß Ihr in jeder Hinsicht bereit seid, Euren Freund, den abwesenden Marquis von Avapies, zu vertreten. Täusche ich mich?“ „Ihr habt richtig geraten. Fahrt fort!“ „Ihr sollt wissen, daß sich vor kurzem das Bild eines schönen und ehrenhaften Wesens namens Caline in mein Herz schlich, dem ich offen von der Flamme sprach, die mich verzehrte. Diese erwiderte meine Liebe, und ich schlug die besten Partien der 43
Hauptstadt aus, um mich ganz der Liebe Calines zu weihen. Ist es eine Täuschung meinerseits, Monsieur, oder umspielt ein Lächeln Eure Lippen?“ „Denkt daran, Herr d’Amboise, daß ich schwierige Dinge zu überlegen habe. Eure romantischen Vertraulichkeiten ehren mich sehr, aber im Augenblick sehe ich keinen Zusammenhang zwischen ihnen und dem, was mich beschäftigt.“ „Um es kurz zu machen“, sagte d’Amboise zornig, „der Marquis von Avapides trägt die Schuld, daß man den Vater Calines festgenommen hat, und die arme, wehrlose Tochter, die den Häschern entfloh, bat mich um meinen Schutz. Sie befindet sich sicher in meinem Hause, und ich ging fort, um jemanden zu suchen, an dem ich meinen gerechten Zorn kühlen kann. Und ich werde mich nur zurückziehen, wenn Ihr Euch gebührlich entschuldigt und die Unwürdigkeit Eures Freundes zugebt, der Caline und ihren Vater verriet, um sich zu retten.“ Der Schwarme Pirat zog die Augenbrauen hoch, während sein kleiner Finger über den dünnen Schnurrbart strich. „Ihr habt meinen Freund unwürdig und einen Verräter genannt, Herr d’Amboise. In seinem Namen nehme ich den Fehdehandschuh auf und versichere Euch, daß er Euch mit dem Degen in der Hand eine gebührende Antwort geben wird, sobald er aus der Festung Chatelet herauskommt. Sollte er nicht herauskommen oder sterben, dann werde ich Euch Genugtuung geben.“ „Mein Zorn ist bereits beschwichtigt, Monsieur. Ich habe Euer Wort, und wenn ich ein wenig die Grenzen überschritt, so haltet mir die Unvernunft zugute, die mir die Tränen Calines einflößten. Ich bitte jetzt um Eure Erlaubnis, mich zurückziehen zu dürfen.“ Der Schwarze Pirat wollte antworten, als Bussy Leclerc zwei Schritte vortrat. „Bleibe hier, d’Amboise. Du mußt mich anhören, und viel44
leicht interessieren dich auch die Enthüllungen des Mannes des Gesetzes. Ich bin dein älterer Bruder und du weißt, daß ich schwerwiegende Gründe habe, wenn ich so viele Worte mache.“ Er schielte stark, als er sich jetzt dem Schwarzen Piraten zuwandte: „Eine teuflische Intrige, Herr Spanier, so qualifiziere ich die Anklage gegen den Marquis. Wer wie Ihr Hirson mit der Linken entwaffnete, ist ein Ehrenmann und lügt nicht, wenn er versichert, daß der Angeklagte dauernd in seiner Begleitung war, während der Tod an anderer Stelle Rochefort ereilte.“ „Ich wiederhole Euch meine Sympathie, Bussy Leclerc. Aber Eure günstige Meinung genügt nicht. Warum nennt Ihr das Netz, das den Marquis umgibt, eine teuflische Intrige?“ „Absolutes Geheimnis umgibt die Person des Denunzianten. Es ist dieselbe Person, die bezeugt, dem Mord beigewohnt zu haben, ohne ihn verhindern zu können. Dieses anonyme Zeugnis genügt, daß der Marquis den Kopf auf den Richtblock legen muß. Und ich bin sicher, daß die Zigeuner Emmanuele und seine Tochter nur deshalb ausgewählt wurden, weil sie Zigeuner sind, und weil Rochefort nicht an den Degenstößen verblutete, sondern da sich seine Adern leerten. Das ist das, was ich erfahren habe, und seid sicher, daß alle die, die ich vertraulich fragte, nicht den Namen des Denunzianten kennen.“ „Ich halte mich nicht für schwerfällig, Bussy Leclerc. Aber glaubt mir, wenn ich Euch sage, daß ich nicht klar sehe. Sprecht Ihr, Prosper Taquin.“ Der Angeredete trat ein paar Schritte vor und räusperte sich, um seine Stimme fester zu machen. „Euren Befehlen gemäß, Exzellenz, kam ich in meiner Eigenschaft als Verteidiger des Herrn Marquis von Avapies um eine Besuchserlaubnis ein. Ich erhielt aber nur die Erlaubnis, dem Prozeß beizuwohnen. Meine Bitte wurde mit dem Hinweis 45
abgeschlagen, daß das Vergehen meines Klienten auf Schwarze Magie laute. Es ist traurig, zugeben zu müssen, Exzellenz, welchen Rang der Aberglaube heute noch in den höchsten Kreisen der Pariser Gesellschaft einnimmt.“ „Kommt zur Sache, Taquin“, drängte der Schwarze Pirat. „Ich gehorche sofort, Exzellenz. Der Chirurg, der an die Mordstelle eilte, stellte fest, daß die Rückenwunden mit Pflaster verklebt waren, durch die die Verblutung aufgehalten wurde. Dagegen wiesen das entstellte Gesicht und die große Schlaffheit der Leiche und gewisse Schnitte an den Halsadern darauf hin, daß dem Baron von Rochefort das Blut herausgesogen worden sei.“ Die Augen des Schwarzen Piraten blitzten vor Zorn. „Eines so scheußlichen Verbrechens bezichtigt man Diego Lucientes? Wenn es eine Gerechtigkeit in Paris gibt, dann wird man meine Stimme hören!“ Er beherrschte sich und fuhr in normalem Ton fort: „Was habt Ihr noch erfahren?“ „Ein Zeuge sagt aus, daß er die Zigeuner in der Nähe herumstreichen sah. Sie sind als Komplicen der Hexerei angeklagt. Man weiß, daß in Mitteleuropa der Aberglaube dem Blute eines jungen, starken Mannes große Heilkräfte zuschreibt und …“ Taquin unterbrach sich und wurde ganz bleich, als er Bussy d’Amboise ansah. Der Schwarze Pirat aber sagte ungeduldig: „Seid kein Einfaltspinsel, Taquin. Genau so wie ich, ohne sie zu kennen, die Dame für vollkommen unfähig solcher absurden und unmenschlichen Machenschaften erkläre, die Herr d’Amboise zu seiner Geliebten erkor, so sicher bin ich auch der Überzeugung des Herr Bussy Leclerc, der weiß, daß ich mir nicht einen Mann zum Freund gewählt haben kann, der jemanden rücklings tötet oder sich der Zauberei bedient.“ Bussy d’Amboise verneigte sich, und als er sich wieder aufrichtete, strahlte sein Gesicht. 46
„Durch die Ritterlichkeit Eurer Worte, Herr Spanier, die Ihr in Verteidigung des Namens von Caline ausspracht, bin ich bereit, diese dunkle Angelegenheit von einem anderen Standpunkt aus anzusehen, die Bussy Leclerc, ein kluger Mann, nicht zögert, als teuflische Intrige zu bezeichnen. Befehlt Eurem Advokaten, daß er mit seinem Bericht fortfährt.“ „Es bleibt mir wenig zu sagen, Exzellenz“, erklärte Taquin auf ein Zeichen des Schwarzen Piraten. „Ich weiß nicht, welche Interessen sich hinter dem Wunsch verbergen, den Marquis eines Mordes zu bezichtigen, den er nicht beging. Sie sind aber zu mächtig, als daß ich … es wagen würde … das Wort in einer Sache zu ergreifen, die … von vornherein … verloren ist.“ „Was fürchtest du denn, Idiot?“ fragte der Schwarze Pirat. „Der Tod umlauert denjenigen, der es wagt, einen Häftling zu verteidigen, der der Hexerei angeklagt ist. Ich habe den Mut, zuzugeben, daß ich furchtsam bin und unfähig wäre, vor dem Gericht ein Wort herauszubringen. Man wird den Herrn Marquis zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilen. Verzeihen Sie mir, Exzellenzen, verzeihen Sie mir“, bat Prosper Taquin und trat vor den Blicken der drei einen Schritt zurück. „Was vermag mein Wissen gegen den kindlichen Aberglauben, der dem Panzer, den der Herr Marquis über seinem Herzen trägt, magische Kräfte andichtet? Welche Beredsamkeit könnte gegen das rote Haar des Herrn Marquis aufkommen, dessen Farbe man für das Anzeichen hält, daß er ein Bluttrinker ist?“ „Werft ihn zum Fenster hinunter“, riet Leclerc lakonisch. „Es wäre besser, wenn Ihr ihn mit Fußtritten tötetet“, meinte d’Amboise aufrichtig überzeugt. „Verzeihen Sie mir, meine Exzellenzen!“ Prosper Taquins Knie zitterten, und er erhob flehend die Hände. „Du bist genau so dumm wie alle anderen, die meinen Freund richten wollen, Tintenkleckser. Du bist der Ehre enthoben, die ich dir zudachte. Ich mache dir keinen Vorwurf, Taquin. Ich 47
selbst werde ihn verteidigen, und das Gericht soll meine Stimme hören, ob man will oder nicht“, versicherte Lezama. „Zählt mit mir, Herr Spanier“, sagte Bussy Leclerc.“ „Und mit mir“, fügte Bussy d’Amboise hinzu. „Die Bussys werden als Zeugen vor dem Gericht oder, wenn es notwendig sein sollte, vor dem König selbst auftreten, um die Worte eines Edelmannes zu bekräftigen.“ Der Schwarze Pirat wies Prosper Taquin die Tür, und der schlaue Jurist verschwand rückwärtsgehend durch sie … „Danke, meine Herren“, sagte der Schwarze Pirat, dessen Zorn sich legte, als er die beiden Brüder anschaute. „Ich versichere Euch, daß ich, wenn ich die Richter nicht mit Worten überzeugen kann, den Gerichtssaal in ein Schlachtfeld verwandeln werde. Aber die Anklage wird nicht gegen einen Unglücklichen siegen, der in allen Lebenslagen das war, was nur der sein kann, der einen Degen trägt: ein ganzer Mann …“ Er unterbrach sich: „Was ist denn jetzt los?“ Seine Frage richtete sich an Prosper Taquin, der vorsichtig wieder eingetreten war. „Flieht, Exzellenz. Unten befindet sich Hauptmann Grinchon mit zehn Musketieren. Er fragt nach Euch und hat einen Haftbefehl. Flieht, denn wenn Ihr nach Chatelet kommt, seid Ihr verloren.“ „Fliehe du, Taquin“, sagte der Schwarze Pirat und ballte die Fäuste. „Nimm diese Börse für deine Benachrichtigung.“ Er warf ihm ein Metallnetz zu, in dem Goldstücke blitzten. „Ich bin nicht geflohen, wenn das Recht auf meiner Seite war. Noch weniger denke ich daran, zu fliehen, wenn ich sehe, welch unerklärliche und verbrecherische Verschwörung zwei Spanier in Paris ins Verderben reißen will.“ Prosper Taquin hatte die Börse aufgefangen und schnell das Zimmer verlassen, während der Schwarze Pirat sich vor den beiden Brüdern verbeugte. 48
„Es tut mir leid, meine Herren, aber ich sehe mich zu der Bitte verpflichtet, mir zu gestatten, den Hauptmann Grinchon allein zu empfangen.“ Bussy Leclerc näherte sich der geöffneten Kiste und holte einen Stoßdegen heraus. Es war eine schwere Waffe mit einer breiten, auf beiden Seiten geschliffenen Klinge und konkavem Handschutz. „Ich habe sie mitgebracht, damit wir uns ein wenig damit üben, Monsieur. Welch bessere Gelegenheit können wir finden? Wollt Ihr die Güte haben, diese Waffe in der Hand zu wiegen?“ Der Schwarze Pirat nahm die Klinge, die ihm Leclerc hinreichte. „Eine für mich, Bussy Leclerc“, rief d’Amboise. „Jede Verleumdung, die den hier anwesenden Caballero trifft, trifft auch das weiße Täubchen meiner Diebe.“ Bussy Leclerc reichte seinem Bruder einen zweiten Stoßdegen, und als er den dritten herausholte, erklärte er: „Gegeneinander schlagend können die Waffen zerbrechen. Deshalb brachte ich meine vier besten Stoßdegen.“ Der Schwarze Pirat lachte und sagte: „Mit drei Stoßdegen wie diese, meine Herren, können wir Hauptmann Grinchon bitten, mit der dreifachen Anzahl Musketiere zurückzukommen.“ Die beiden Bussys, die die Spitzen ihrer Degen auf den Boden und die Hände gekreuzt über den Handschutz hielten, nickten stumm. *
* *
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Fünftes Kapitel NÄCHTLICHE UMTRIEBE Hauptmann Roger Grinchon blieb vor der halb geöffneten Tür stehen, die ihm der Wirt vom Ende des Ganges aus zeigte, um dann schnell die Treppe hinab zu verschwinden. Zwei Musketiere blieben mit gekreuzten Degen am Zugang der Treppe stehen, zwei weitere in der Mitte des Korridors. Zwei stellten sich an beiden Seiten der Tür auf, und von den restlichen vier gefolgt, stieß Grinchon die Tür mit dem Griff seines Degens auf. Nur einen Augenblick zögerte er und trat dann drei Schritte vor. Ihm folgten die vier Musketiere mit gezücktem Degen über der Schulter, die hinter ihm Habt-Acht-Stellung einnahmen. Roger Grinchon betrachtete die beiden extravaganten Männer, die einen Schritt hinter dem Schwarzen Piraten standen und mit ihm zusammen ein Dreieck bildeten. Sie stützten sich dabei auf kräftige Stoßdegen. Carlos Lezama hielt die Waffe am Handschutz und mit Daumen und Zeigefinger der Linken an der Spitze, wobei die breite Klinge an seiner Brust lag. „Seid Ihr der sogenannte Lezama?“ fragte Grinchon, herrisch. „Ich bin es, und Ihr wißt es. Heute morgen hatte ich das Vergnügen, Euch bis zum Tor von Chatelet zu begleiten.“ „Wenn Ihr anerkennt, es zu sein, dann gebt Euch gefangen“, sagte Grinchon streng. „Es scheint mir nur recht und billig, Hauptmann Grinchon, wenn ich wissen will, warum ich mich gefangen geben soll.“ „Mündlicher Befehl des Oberst La Fournaise.“ „Sagt mir die Gründe, die diesen Befehl zur Folge hatten.“ 50
„Mitschuld und Teilnahme an den teuflischen Künsten des Gefangenen in Chatelet.“ Der Schwarze Pirat lachte sarkastisch auf. „Was für Teufelskünste zu besitzen, habe ich bewiesen? Ich beweise eine geradezu engelhafte Geduld, mir die Schwätzereien anzuhören, die man eher von alten Waschweibern erwartet als von einem Manne, der das Kreuz von Lothringen auf der Brust trägt.“ „Ich gehorche nur den Befehlen, die ich erhalte und erfülle sie, ohne darüber zu diskutieren oder mir eine Meinung anzumaßen“, gab Grinchon zurück. „Ich fordere die Herren, die mir zuhören, auf, das Zimmer zu verlassen.“ „Ich bin Bussy Leclerc, Hauptmann Grinchon, und Ihr kennt mich.“ „Und ich bin Bussy d’Amboise, Hauptmann, und Ihr kennt mich auch. „Ich befinde mich im Dienst, meine Herren Bussy.“ „Das tut mir leid für Euch, Hauptmann“, sagte Leclerc. „Ich bin derselben Ansicht wie Bussy Leclerc“, sagte die schärfere Stimme von Bussy d’Amboise. „Wir haben schon zu viel geredet, Bussy d’Amboise“, warf ihm Leclerc vor. „Es ist der spanische Caballero, der das Wort hat. Wir sind nur seine Zeugen.“ „Vorsicht, meine Herren Bussy!“ rief Grinchon. Und in seihen Augen stand ein deutliches Staunen, während er Lezama anschaute. Es war ein allgemein verbreiteter Glauben, daß es Menschen gab, die sich durch Teufelskünste auch einen starken Willen untertänig machen konnten. Und da Grinchon wußte, daß die ‚hohen Befehlsstellen’ den beiden Spaniern Hexerei vorwarfen, wandte er gegen seine Gewohnheit die Augen einen Moment von dem bronzefarbenem Gesicht, das ihm das Ebenbild des Teufels schien. 51
„Hört mich an, meine Herren Bussy. Ihr habt immer die Gesetze gehalten, und das Gesetz befiehlt die Festnahme besagten Spaniers Lezama, der der Hexerei und der Verschwörung mit übernatürlichen Kräften beschuldigt ist.“ Das Auflachen des Schwarzen Piraten war kurz und beißend. „Meine Kräfte sind meine Zunge, meine Arme und mein Herz, Hauptmann. Ich bin nicht erzürnt über Euch, denn Ihr seid nur ein Werkzeug und nicht der Erfinder dieser niederträchtigen Verleumdung. Die Herren Bussy haben ein männliches Herz wie Ihr zweifellos auch, aber sie schnauben nicht wie eine Hyäne, die der Bastard von einem Esel ist. Das aber ist diejenige Person, die die Behörde täuschte und mit der Leichtgläubigkeit derjenigen spielte, die in der Nacht, bevor sie sich schlafen legen, unter die Betten schauen, weil sie fürchten, daß ein Teufel die Höhle verlassen habe, um sich zu vergnügen. Ihr habt gesagt, daß Ihr im Dienst seid, Hauptmann Grinchon. Auch ich habe einen Dienst zu erfüllen: denen die Binde von den Augen zu reißen, die den Gefangenen von Chatelet richten. Und zwar mit soliden Argumenten, die nichts Zauberhaftes an sich haben. Sollte es notwendig sein, dann werde ich ihnen die Vernunft mit Degenstößen beibringen, denn die Kraft der Wahrheit ist auf meiner Seite und wird die Dunkelheit lichten. Ich fordere Euch auf, Euch zurückzuziehen, Hauptmann Grinchon. Teilt dem Oberst La Fournaise mit, daß ich bereit bin, ihn aufzusuchen und von Mann zu Mann mit ihm zu sprechen, wann er es mir anzeigt … als Gefangener aber nie. Nicht weil ich den Musketieren nicht gehorche, sondern weil ich frei und aus eigenem Willen vor den Richtern erscheinen möchte.“ „Bravo!“ ertönte im Rücken von Lezama die scharfe Stimme von d’Amboise. „Genau so hätte ich gesprochen“, fügte Leclerc hinzu. Hauptmann Grinchon zeigte hinter sich. „Ich mache Euch darauf aufmerksam, meine Herren Bussy, 52
daß zehn Musketiere – ohne mich zu zählen – den Ausgang besetzt halten. Man wird Euch als Rebellen erklären, wenn Ihr darauf besteht, demjenigen zu helfen, den das Gesetz fordert.“ „Sie helfen mir nicht, sie unterstützen mich nur“, lachte der Schwarze Pirat. „Die Stoßdegen halten sie nur zufällig in der Hand. Wir wollten uns ein wenig üben … Aber ich gebe Euch mein Wort, daß wir es nicht auf Kosten von elf tapferen Musketieren tun wollen.“ . „Zum letzten Male, meine Herren Bussy, „rief Grinchon stirnrunzelnd. „Ich fordere Euch auf, das Zimmer zu verlassen, in dem ich den Mann festzunehmen habe, der mir als Gefangener nach Chatelet folgen muß.“ „Ich fordere Euch auf, zu gehen, Hauptmann“, lächelte der Schwarze Pirat. „Ihr werdet verstehen, daß ich die Brüder Bussy beleidigen würde, wenn ich meine Aufforderung der Euren hinzufügte.“ „Achtung Musketiere!“ rief Grinchon, wie es das Reglement vorschrieb. „Für den König! Präsentiert die Waffen auf meinen Befehl!“ Die vier, die bis dahin stramm gestanden hatten, setzten den linken Fuß zurück, nahmen den Degen von der Schulter und stellten sich in Fechtstellung auf. „Mit der flachen Klinge handhabte der zweite Bussy den Stoßdegen“, sagte die Stimme Leclercs. „Gegen eigensinnige, mutige Werkzeuge und als Übung ist es mir eine Ehre, dem Beispiel des Ahnen der Bussys zu folgen“, sagte der Schwarze Pirat. „Greift an!“ befahl Grinchon und trat einen Schritt vor. In einem Augenblick verwandelte sich das Zimmer in den Schauplatz schneller Manöver. Die drei Stoßdegen wirbelten durch die Luft und schlugen die fünf spitzen Degen beiseite, die sich in die gegnerischen Arme bohren wollten. 53
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Als zwei weitere Musketiere auf der Schwelle erschienen, handhabte Carlos Lezama den schweren Stoßdegen wie einen Entersäbel und schlug ihn von der Seite mit der flachen Klinge gegen den Hals Roger Grinchons. Gleichzeitig sprang er zurück, um den Stoß zu vermeiden, den ihm sein nächststehender Gegner zufügen wollte. Die Brüder Bussy rückten heftig vor und grunzten jedesmal zufrieden, wenn es ihnen wieder gelungen war, den Stoßdegen flach gegen einen Schädel zu schlagen … Über den Körper von Grinchon springend hielt der Schwarze Pirat den ersten Angriff der restlichen Musketiere ab, die ins Zimmer gestürzt waren. Die beiden Bussys an seiner Seite fochten geschickt gegen die Angreifer. Noch zweimal ließen sie ein Grunzen hören und traten dann zurück, als nur noch ein Musketier übrig war. Dieser warf sich ganz nach vorn, um mit einem tödlichen Stoß die Brust seines Gegners zu durchbohren. Lezama wandte den Stoßdegen zur Seite und schlug mit der flachen Klinge gegen den Kopf des Musketiers. Mehrere Körper lagen übereinander, und in dem Schweigen, das folgte, schaute Leclerc die Besiegten an. „Elf Degen gegen unsere drei Stoßdegen waren zu wenig“, meinte er enttäuscht. „Warum hat La Fournaise nicht eine ganze Kompagnie geschickt?“ „Er wußte nicht, daß Ihr hier wäret, meine Herren Bussy“, sagte der Schwarze Pirat ernst. „Ein guter Stoßdegen“, meinte d’Amboise zu Leclerc und reichte ihn seinem Bruder, während er sofort daran ging, seine Medaillen, Spitzen und Ketten wieder in Ordnung zu bringen. „Diese elf Männer bringen mich auf einen Gedanken“, sagte Leclerc, während er die drei Stoßdegen in die Kiste legte. Der Schwarze Pirat beugte sich herab und zog einem der ohnmächtigen Musketiere den Rock aus. Dann zeigte er auf das 55
Kreuz von Lothringen, das in Schwarz auf Brust und Rücken gestickt war. „Bei nächtlichen Umtrieben ist die Musketier-Uniform der Schlüssel, der die verschlossenste Türe öffnet“, meinte der Schwarze Pirat. „Erinnerst du dich nicht daran, Bussy d’Amboise, wie uns der zweite Bussy erzählte, wie er Genevieve Trouville befreite?“ „Er zog sich Priesterkleidung an.“ „Schon seit geraumer Zeit langweilt es mich, Bussy d’Amboise, keine Gelegenheit zu einem Abenteuer zu finden.“ Während die beiden Brüder miteinander sprachen, zerschnitten sie mit ihren Degen die Vorhänge, die sie von den Seiten des Bettes herabgerissen hatten und an einem Ende mit den Zähnen festhielten. Der Schwarze Pirat zog allen Musketieren die Uniform aus. „Deine Stiefel, d’Amboise.“ „Deine Hosen, Leclerc.“ „Deinen Federhut, d’Amboise.“ „Dein Netz, Leclerc.“ Die beiden Brüder zogen, während sie ihre Kleidungsstücke nannten, die beiden ihnen Nächstliegenden aus. Dann knebelten sie sie und banden sie mit den geflochtenen Vorhangschnüren. Der Schwarze Pirat handelte ebenso schnell wie sie, und als die Arbeit getan war, näherte er sich auf Zehenspitzen der Tür. Mit einem Ruck öffnete er sie, und der Wirt, der keinen Halt mehr hatte, fiel kopfüber ins Zimmer. „Blindheit hat dich geschlagen, dicker Suppenkasper“, sagte der Schwarze Pirat und versetzte ihm einen leichten Fußtritt ins Hinterteil. Der Wirt richtete sich auf die Knie auf. „Und stumm bist du auch bei meiner Treu“, fügte Bussy Leclerc schielend hinzu. 56
„Wenn jemand vor Morgengrauen dieses Zimmer betritt, dann wirst du das Feuer kennenlernen, das deine Hühnchen goldgelb färbt“, brummte d’Amboise. „Mit Blut und Feuer werde ich deine Herberge niederreißen, wenn du nicht jedem, der fragen sollte, versicherst, daß die zehn Musketiere des Hauptmanns Grinchon einen Gefangenen nach Chatelet brachten“, drohte der Schwarze Pirat. „Und jetzt sagt mir, Leclerc, was schlagt Ihr vor, um acht Kreuze von Lothringen auszufüllen?“ „In einer Stunde spätestens werde ich das Problem gelöst haben. Und der Gefangene?“ „Das werde ich unternehmen“, versprach Carlos Lezama. Bussy d'Amboise zeigte auf den Wirt, der immer noch kniete, und auf den Haufen Kleidungsstücke. „Ich werde dich erwarten, Bussy Leclerc.“ Der Schwarze Pirat streckte ihm die Rechte hin. „Ich berichtige meine erste Meinung, d’Amboise. Ihr habt einen geschmeidigen Geist.“ „Alle Bussys waren Freunde des Kampfes gegen Verleumdung und Übermacht“, sagte d’Amboise. „Deshalb erkennen die Könige an, daß es kein besseres Wappen gibt als das der Bussys.“ Nach dem kräftigen Händedruck hielt der blonde, elegante Pariser mit seinen Augen den Wirt fest, der sich der Tür zuschlich. Bussy Leclerc schlang seinen Arm um den des Schwarzen Piraten. „Seht zu, daß Ihr bald und glücklich die Verteidigung Eures Freundes beendet, Herr Spanier“, sagte er, während der Schwarze Pirat und er der Tür zugingen und dabei die Füße hoben, um zwei Geknebelte nicht zu treten. „Mir juckt schon die Hand danach, mich mit Euch zu üben. Vier Runden in klassischer Ordnung und …“ 57
Die Stimme verklang, und als man sie nicht mehr hörte, schaute Bussy d’Amboise den Wirt an. „Niemals wurde deiner Herberge solche Ehre zuteil, alter Schaftelhuber. Bussy d’Amboise läßt sich herab, mit dir und elf Musketieren ein Zimmer des ‚Goldenen Hahns’ zu teilen.“ *
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Sechstes Kapitel DER ALPDRUCK DES MONSIEUR DE SAINT-JUST Der Vertreter der königlichen Anklage aß mit sehr gutem Appetit zu Abend, wenn auch mit ausgesuchter Einfachheit. Er hielt die Ansicht hoch, daß das letzte Essen des Tages leicht sein müsse, damit der Schlaf erholsam sei und ihm keine unruhigen Träume brächte. Nach seiner Tagesarbeit ging Monsieur de Saint Just sofort daran, sein gesundheitliches Glaubensbekenntnis zu erfüllen. Er legte sich gleich nach dem Abendessen nieder, weil er der Ansicht war, daß die Stunden, die man vor Mitternacht schlief, doppelt zählten. Für eine Zeit, die er nicht messen konnte, schwamm er in einem vagen, nebelhaften Traumland, in dem nichts Gegenständliches war. Dann aber war es ihm im Unterbewußtsein, als sitze ein schweres Gewicht zu seinen Füßen, das die weiche Bettdecke stramm zog. In einem fahlen Lichtschein vermeinte er, eine Teufelsfratze wahrzunehmen. Plötzlich saß er aufrecht im Bett, rieb sich die Augen und atmete mit erhitzten Wangen. Der fahle Schein kam von einer brennenden Kerze, und der Teufel war der Spanier, der ihn am Morgen angeredet hatte. Es war kein Alptraum, an dem der Champagner die Schuld trug. „Wie ihr schlaft, so schlafen diejenigen, die kein Gewissen drückt oder die keins mehr haben, Monsieur de Saint-Just.“ Der Staatsbeamte hörte auf, sich die Augen zu reiben, nahm allen Mut zusammen und betrachtete seinen nächtlichen Besucher. „Hausfriedensbruch, mein Herr“, sagte er mit einiger Schwierigkeit. Seine Zunge verweigerte ihm die Beredsamkeit zu einer so ungewöhnlichen Stunde. 59
„Während ich auf einen Signalpfiff warte, habe ich nichts dagegen, daß wir gesetzliche Argumente miteinander austauschen. Aber wenn es Euch die Scham verbietet, mit mir zu sprechen, während Ihr Euch ankleidet, so nehmt die Leinentücher als Bedeckung.“ Carlos Lezama warf die schwarzen Kleidungsstücke Monsieur de Saint-Justs aufs Bett. „Ich befehle Euch …daß Ihr sofort mein Schlafgemach verlaßt!“ „Wir werden es zusammen verlassen, um uns einer Tat der Gerechtigkeit zu widmen, denn Eure Aufgabe ist es, Verbrechen zu ahnden. Ich lasse Euch die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: Frankreich eines Anklägers Eurer Kategorie zu berauben, oder mir ohne Widerwort zu gehorchen.“ „Ihr fügt Eurem Hausfriedensbruch noch Drohungen hinzu.“ „Eure Nachtmütze und das Nachthemd verleihen Euch nicht die Würde, die Euch gebührt, Monsieur de Saint-Just. Ich halte es für geziemender, wenn Ihr Euch ankleidet.“ „Verlaßt den Raum, ehe ich ehrsame Bürger zu Hilfe rufe.“ „Es wäre Euer letzter Laut. Mein Degen ist länger als Eure Stimme. Und da Ihr mich schon der Verbindung mit dem Teufel beschuldigt, so versichere ich Euch, daß mein Komplize Euch erwartet, um Euch einen herzlichen Empfang zu bereiten, wenn Ihr Euch meinen Wünschen nicht fügt. Vorwärts! Zieht Euch an!“ Monsieur de Saint-Just zog die Knie unter der Decke an und griff nach den Kleidern. „In Eurem Büro habe ich kein Dokument gefunden, das mir darüber Aufschluß gibt, wer die Anzeige gegen den Marquis von Avapies erstattete. Da Ihr ein Diener der Gerechtigkeit seid, werdet Ihr die Güte haben, mir den Namen zu sagen.“ Saint-Just zog seine Hosen unter der Bettdecke an, und seine Nachtmütze schwankte, indem sie den Bewegungen seines Körpers folgte. „Antwortet mir“, drängte der Schwarze Pirat. 60
„Das ist das Geheimnis der Voruntersuchung, und ich werde es erst morgen beim Prozeß erfahren, denn der Ankläger muß denjenigen als Zeugen aufrufen, der die Anzeige erstattete. Erst morgen werde ich es wissen.“ Die Stimme von Saint-Just war tonlos. „Ich lasse mich nicht betrügen, Saint-Just. Schätzt Ihr die Aussicht so gering, in Zukunft weiter in einem so weichen, komfortablen Bett zu schlafen?“ „Ich schwöre Euch, daß ich die Antwort auf Eure Frage nicht weiß.“ „Dann werdet Ihr mit mir kommen und schön sprechen, wenn Euch die rotglühende Zange in Euer Fett zwickt. „Ihr könnt alles mit mir tun, was Ihr wollt, aber ich schwöre Euch, daß ich nicht weiß, wer der Denunziant ist. Ich bin bereit, zu sterben und als ein Märtyrer im Dienste der Gerechtigkeit die Folter zu erdulden.“ Und erregt über seine eigene Erklärung hob Saint-Just die Beine aus seinem Bett und tastete nach seinen Schuhen. Quer auf dem Bett sitzend, schaute er unruhig seinen Besucher an. „Ich halte es für unnütz, mir Widerstand zu leisten, Monsieur. Ihr werdet Rechenschaft über die Mißachtung des Gesetzes geben müssen.“ Ein ansteigender Pfiff, der plötzlich abbrach, veranlaßte den Schwarzen Piraten, auf die Perücke des Staatsbeamten zu zeigen. Saint-Just nahm mechanisch die Nachtmütze ab und ließ sie auf dem Bett liegen. Er setzte sich die Perücke auf, als er an seinem Hals einen Druck spürte, der ihn zwang, die Lippen auseinanderzunehmen. Ehe er schreien konnte, wurde ihm die Nachtmütze in den Mund geschoben und das Deckchen vom Nachttisch umgebunden, um die Knebelung vollständig zu machen. Saint-Just bewegte die Arme und zappelte mit den Beinen. Aber er bewegte sich nicht mehr, als er an seinem Ohr die Stim61
me seines Angreifers hörte: „Rührt Euch nicht und beklagt Euch nicht!“ Er fühlt sich in die Höhe gehoben und hing wie ein Bündel über der breiten Schulter des Schwarzen Piraten, der auf die kleine Terrasse trat. Saint-Just schloß die Augen, denn in seiner Lage, schien ihm die Entfernung vom ersten Stockwerk bis zum Erdboden als ein tiefer Abgrund. Mit dem rechten Arm die Taille des Staatsbeamten umschlingend, ließ sich Carlos Lezama mit der Linken am Seil hinunter, das mit einem Schifferknoten an der Balustrade befestigt war. Als er den Boden erreichte, stellte er seine Last auf die Füße. Monsieur de Saint Just schwankte, schüttelte den Kopf und gestikulierte in stummem Hilferuf, als er zehn Musketiere gewahrte. Er überlegte, daß er nicht wach sein konnte. Der Alpdruck dauerte an, denn es war nicht möglich, daß ihn ein Hauptmann der Musketiere so heftig mitten in seine Leute hineinstieß, daß er nun wie ein Gefangener von ihnen umgeben war. Er wollte mit den Händen den Knoten lösen, der ihm den Knebel festhielt, aber zwei Fäuste schlugen seine Arme herab. „Im Gleichschritt, marsch!“ rief Bussy d’Amboise. Er setzte sich an die Spitze und gab den Tritt an. Dieselben Hände, die Saint-Just verhinderten, sich von dem Knebel zu befreien, zwangen ihn, mitzumarschieren. Hinter der Gruppe marschierte Bussy Leclerc an der Seite des Schwarzen Piraten. „Acht zufriedene Gauner“, erklärte Leclerc. „Es mißfällt ihnen nicht, für ein paar Stunden Musketiere zu sein. Sie sind gewöhnt, meinen Saal zu fegen, die Waffen zu reinigen und meinen Schülern die ersten Antworten zu erteilen. Das bedeutet für sie ein Vergnügen.“ „Ihr setzt viel aufs Spiel, Bussy.“ „Nicht das geringste, Herr Spanier.“ 62
„Es wird zu den Ohren des Königs kommen, denn Grinchon wird einen Bericht machen.“ „Und da Ihr beweisen werdet, daß man eine niederträchtige Ungerechtigkeit begehen wollte, wird der König anerkennen, daß Bussy wie stets die Fahne derjenigen hochhielt, die das Recht verteidigen.“ „Gebe Gott, daß der König so denkt.“ „Es gab Bussys, die man verkannte. Aber wenn das geschähe, dann hätte ich die beste Verteidigung in dem, was der König selbst ausspricht. Wenn er von mir redet, sagt er: ‚Er macht aus meinen Höflingen geschickte Fechter. Er ist ein wertvoller Untertan, einer der wertvollsten.’ Wenn mir der König das vorwerfen sollte, was heute nacht geschieht, dann werde ich ihm begreiflich machen, daß ich vier halbstündige Fechtrunden zum Besten seiner eigenen Höflinge benötigte. Und allein, natürlich nur allein mit ihm, würde ich sagen: ‚Ihr habt dasselbe getan wie ich, Majestät. Wollt Ihr, daß man uns in Spanien als unwissende, abergläubische Menschen bezeichnet?’ Louis war auf seine Art fast von ebenso guter Herkunft wie die Bussys. Er wird so tun, als ob er erzürnt ist, aber zum Schluß wird er mir recht geben. Wir Bussys gestatten den Königen nur, uns das zu verzeihen, was wir tun.“ Der Schwarze Pirat antwortete erst nach einer Weile. „Ich bin kein Schmeichler, Bussy Leclerc“, sagte er. „Aber wenn ich in der Wiege läge, würde man mich in ein Dilemma bringen, wenn man mir die Wahl ließe, Louis, der König, oder Bussy, der Kavalier, zu sein.“ Bussy Leclerc schielte und zog die Augenbrauen hoch. „Zum Teufel!“ rief er bewundernd aus. „Diesen Satz werde ich Bussy d’Amboise wiederholen, sobald sich eine Gelegenheit dazu ergibt.“ Die schweren Schritte der Musketiere ertönten bereits auf dem schlechten Pflaster der Steigung, die nach Chatelet hinaufführte. 63
Jeder Mann kannte seine Aufgabe. Den Federhut tief ins Gesicht gezogen, in seinen Umhang gehüllt, glich Bussy d’Amboise in der Dunkelheit fast der Gestalt des Hauptmanns Grinchon. Der Sergeant hob die Laterne hoch, gab Befehl, das Tor zu öffnen, und als der Zug eintrat, nahm er an, daß es der Hauptmann mit seinen Leuten wäre, die den Gefangenen brachten. Er war unangenehm überrascht, als er den heftigen Schlag mit dem Degenknauf gegen seine Stirn spürte, die ihn bewußtlos zu Boden warf. Monsieur de Saint-Just war immer noch im Zweifel, ob er wachte oder träumte. Er sah, wie die Musketiere geräuschlos ihre Kameraden ansprangen und sie nach kurzem Kampf überwältigten. Konnte das etwas anderes als ein Traum sein, den seine schlechte Verdauung hervorgerufen hatte? Die beiden Musketiere, die ihn an den Armen hielten, schleppten ihn zu dem Gang, der zu den Untersuchungszellen führte. Sein Alpdruck endete, als er von roher Hand in die Zelle gestoßen wurde und auf den feuchten Boden fiel. Hinter ihm schlug die Tür ins Schloß. Er merkte jetzt, daß er ganz wach war. Und im Augenblick fühlte er sich in den Gefängnismauern so gut wie gerettet. Er atmete tief auf, als er sich den Knebel aus dem Mund genommen hatte, in dem er seine Nachtmütze erkannte. Und plötzlich dachte er mit Stolz, daß es sicher der erste Fall in der Geschichte Frankreichs war, daß ein Königlicher Ankläger in einer Zelle von Chatelet gefangen saß, nachdem ihn fingierte Musketiere zusammen mit einem spanischen Abenteurer entführt hatten. *
* *
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Siebentes Kapitel DIE HEXE, DIE ZIGEUNERIN UND DER HEXENSPUK Die Zellentür hatte sich kaum hinter Diego Lucientes geschlossen, als er sich eine Weile Luft machte, indem er wüste Flüche und Schmähungen gegen die vier Mauern ausstieß. Als er sich beruhigt hatte, setzte er sich auf die Pritsche und hielt ein Selbstgespräch mit sich: „Ich ergab mich den sanften, flehenden Augen einer Frau mit einem biblischen Namen. Zum ersten Male in meinem verdammten Vagabundenleben steckte ich zurück und ertrug die Demütigung, für einen Feigling gehalten zu werden. Was erreichte ich damit? Daß man mich beschuldigt, einen Meuchelmord begangen zu haben, und wer weiß, was noch alles. Im Grunde genommen fühlte ich keinen Haß gegen Rochefort. Ich hätte mich damit zufrieden gegeben, ihm einen Arm zu durchbohren und ihm für ein paar Tage eine weichere Lagerstatt zu geben als die meine hier. Wer mag ihn getötet haben?“ Er legte sich auf die Pritsche, kreuzte die Arme unter dem Nacken und legte die Beine übereinander. „Was geschehen soll, wird geschehen. Der Hidalgo Lezama wird die Glocke schon läuten. Und jetzt will ich ein kleines Schläfchen tun, da ich die ganze Nacht kein Auge zumachte.“ Er schlief nur kurz, und halb verträumt öffnete er die Augen, als er an der Schulter geschüttelt wurde. Hauptmann Grinchon sagte im Befehlston: „Auf, Angeklagter! Besuch des Richters!“ Zwei Musketiere mit gezogenen Degen stellten sich neben dem Gefangenen, der aufstand, sich streckte und gähnte. Hoheitsvoll trat ein Mann mit schwarzer Kleidung ein. Es war einer der Adjutanten von Monsieur de Saint-Just. 65
In der Hand hielt er eine Papierrolle, die er öffnete. „Mit der ganzen Unparteilichkeit einer strengen Gerichtsbarkeit will ich jetzt die Anklage verlesen“, sagte er schwülstig. „Der Eingelieferte soll antworten, ob es stimmt, daß er spanischer Nationalist ist und einen Titel trägt, der ihm nicht zusteht.“
„In Avapies bin ich geboren, und den Marquis fügte ich hinzu, um im Einvernehmen mit dem Rang zu stehen, den eine Hauptstadt wie Paris einnimmt.“ Der Schreiber machte ein Kreuz auf das Dokument, das er las, und fuhr fort: „Der Eingelieferte soll antworten, ob es stimmt, daß er im Spielsaal von David Youpin den Baron von Rochefort zum Duell herausforderte.“ „Mache ein zweites Kreuz, mein Lieber“, lächelte Diego Lucientes. „Auch das stimmt ganz genau.“ 66
„Der Eingelieferte soll antworten, ob es stimmt, daß er sich heute um sieben Uhr morgens zu dem vereinbarten Duellplatz am sogenannten Diana-Brunnen begab, um dort vor dem Baron Rochefort Entschuldigungen vorzubringen und sich zu weigern, seiner Verpflichtung als Kavalier nachzukommen.“ „Mache die Feder naß und male ein neues Kreuz. Was noch?“ „Der Eingelieferte soll antworten, ob es stimmt, daß er unter Mithilfe der Zigeuner Emmanuele und Caline, italienischen Gauklern, besagten Baron von Rochefort tötete.“ „Trinke deine Tinte, du Rabe. Und krächze nicht mehr nach dieser Frage. Es gibt keine Kreuze mehr zu machen. Seit ich mich am Diana-Brunnen vom Baron trennte, bis man mich gefangen nahm, habe ich ihn nicht mehr gesehen. Und was die Zigeuner anbetrifft, so habe ich nicht die geringste Idee, wer sie sein können.“ „Die Verneinung vorhersehend“, fuhr der Schreiber im Lesen fort, „und gemäß den Anweisungen, die die Voruntersuchung bestimmt, soll der Eingelieferte aussagen, ob es der Wahrheit entspricht, daß er sich verborgenen Praktiken und Manipulationen im Verbindung mit magischen Mächten und Hexereien hingibt.“ Diego Lucientes blinzelte, als er den Schreiber anschaute. Dann warf er einen Blick auf den Hauptmann der Musketiere und die beiden anderen, die ihre Degen auf ihn gerichtet hielten. Er gewahrte, daß sie vollkommen gleichmütig waren, als wäre das, was sie gehört hatten, nichts Außergewöhnliches. „Ich erkläre mich für zwei Antworten, alter Kauz. Entweder hast du über den Durst getrunken und zu viel von Alchemie gelesen, oder aber du bist ein schmutziger Schurke. Was sind das für höllische Manipulationen und magische Mächte? Hält man mich für einen Hexer, zum Teufel noch mal? Genügt es nicht, daß ihr mir einen Mord in die Schuhe schiebt, und nun 67
kommt ihr noch mit solchem Unsinn? Mach, daß du fortkommst, alter Vogel! Laß mich nicht durch deine Gegenwart und dein Gekrächze meinen guten Humor verlieren, alter Gauner! Verschwinde, verfaulter Wurm, oder ich werde, um dir eine Freude zu bereiten, meinen Freund, den Beelzebub, anrufen!“ Von seinem spöttischen Geist getrieben, streckte Diego Lucientes die rechte Hand vor und machte kabbalistische Bewegungen, wie er es einmal von einem Charlatan gesehen hatte, der behauptete, den Willen seiner Zuhörer unterjochen zu können. „Fu, Fa! Schwefel und Eierfrüchte!“ rief er mit einem gräßlichen Lachen aus. Dieses brutale Gelächter, die spöttischen Bewegungen, die er zu dem Adjutanten von Monsieur de Saint-Just hin machte, sowie die spanisch ausgesprochenen Worte zeitigten ein Resultat, das er nicht erwartete. Der Schreiber wich schnell zurück und rannte aus der Zelle. Gleichfalls, aber langsamer, verließen Hauptmann Grinchon und die beiden Musketiere den engen Raum. Diego Lucientes blieb einen Augenblick erstaunt stehen. Dann zuckte er mit den Schultern und legte sich lächelnd erneut auf die Pritsche. Ein wahres Ebenbild der Sorglosigkeit, kreuzte er seine Arme wieder unter dem Nacken und legte die Beine übereinander. Dann fuhr er in seinem Selbstgespräch fort: „Man hat mich schon allerlei genannt an sehr verschiedenen Orten, aber einen Kameraden von alten Hexen, die auf Besen durch die Lüfte reiten, noch nicht. Ob die Richter von Paris Idioten sind? Armer Unglücklicher, der in die Seiten eines Gesetzbuches fällt! Aber Gott sei Dank wird der Hidalgo Lezama diesen Schleier von Absurditäten zerreißen. Ich werde jetzt die erzwungene Muße benutzen, um zu schlafen und zu schnar68
chen, wie die von Sünden nicht Beschwerten, oder wie die, die vor Müdigkeit umfallen, weil sie keine Ruhe fanden.“ Aber er konnte sich nicht ausschlafen. Nicht das Kreischen der Riegel weckte ihn, als sich die Tür einen Augenblick öffnete und eine Hand ein Stück Brot und einen Krug Wasser hinstellte, um sich eilig wieder zurückzuziehen. Doch er richtete sich auf, als ihn wieder eine Hand schüttelte. Dabei schlug er sich auf den Mund, um einen Überraschungsruf zu unterdrücken, den ihm der Anblick dessen, was er sah, entlocken wollte. Drei Kapuzenmänner von unheimlichem Aussehen standen vor ihm. Sie waren ganz in weite, rote Gewänder gekleidet. Das einzig Menschliche an ihnen schienen die Augen, die ihn durch Löcher in der Kapuze anstarrten. In der Rechten trugen sie eine Kerze, deren flackernder Schein den unheimlichen Anblick noch verstärkte. „Potztausend!“ murmelte Lucientes mit erstickter Stimme und rieb sich mit der Rechten die Augen. „Was für eine Maskerade ist denn das?“ Doch bald wurde er wieder ruhig, als er auf der anderen Seite Hauptmann Grinchon und zwei Musketiere gewahrte, die ihn beobachteten. Zwei Degen lehnten sich gegen seine Brust … „Keine schlechten Scherze“, brummte der Madrider und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. „Meinetwegen könnt ihr mir eure Zinken ins Fleisch bohren, damit ich mich nicht rühre. Aber Masken als Frühstück sind besonders geeignet, mein empfindsames Herz schneller schlagen zu lassen. Was hat es mit diesen Masken auf sich?“ Für das Vergehen der Hexerei gab es ein Spezialgericht, deren Mitglieder sich nach alter Weise in rote Gewänder kleideten und sich Kapuzen aufsetzten, die mit Weihwasser besprengt waren, um den satanischen Mächten zu trotzen. Einer der Kapuzenmänner sagte mit sonorer Stimme: 69
„Morgen, beim Prozeß, wirst du der Folter unterworfen werden, wenn du darauf bestehst, deine Schwarzen Künste zu leugnen, die du zusammen mit dem Spanier Lezama unternimmst, der mit dir abgeurteilt werden wird, da seine Verhaftung kurz bevorsteht. Du wirst dieser Folter entgehen, aber nicht dem langsamen Feuertod auf dem Scheiterhaufen eines öffentlichen Platzes, wenn du freiwillig gestehst, daß die Zigeuner Emmanuele und Caline sowie besagter Lezama diejenigen jenes morgendlichen Hexenspukes waren, die das Blut aus dem Körper des unglücklichen Barons von Rochefort saugten. Ich rate dir …“ „Schert euch weg, verdammte Bande! Moos soll auf euren verfaulten Zungen wachsen!“ brach Lucientes los. Er hielt sich zurück, denn als er die Brust vorstrecken wollte, merkte er, daß ihn die Degen durch seine Kleidung stachen. „Nicht einmal im Gefängnis kann man in Ruhe leben!“ „Da du weiter hartnäckig leugnest, wird man dich morgen foltern.“ Die drei Kapuzenmänner drehten sich um und verließen in feierlichem Schritt, gefolgt von den Musketieren, die Zelle. In dem engen Raum herrschte wieder Dunkelheit, und Diego Lucientes fuhr sich mit der Hand über die schweißbedeckte Stirn. „Verdammt!“ flüsterte er. „Ich träume nicht. Was mag hinter dieser teuflischen Intrige stecken? Diese Kapuzenmänner mit ihren Kerzen tauchen nur dann auf, wenn irgendein verrückter Hexenlehrling Schlangenhäute, Eidechsenschwänze und solche Dinge untereinandermischt oder Wachspuppen, die das Ebenbild Lebender sind, mit Nadeln durchbohrt …“ Er erinnerte sich, was der Schreiber vorgelesen und der Kapuzenmann gesagt hatte. „Die Sache scheint ernst zu sein. Die Bande glaubt es. Und man beschuldigt auch den Hidalgo Lezama.“ Er schauderte zusammen. 70
„Folter und langsamer Feuertod auf dem Scheiterhaufen? Ja … Mut, mein kleiner Diego! Ich glaube, du befindest dich am Rande eines panischen Angstorkans … Die Stimme, die mir Schauder über den Körper treibt, soll schweigen. Wenn der Hidalgo Lezama nicht gewarnt ist, wird man ihn gefangen nehmen, und damit verflüchtigt sich meine einzige Hoffnung! Überlegen wir vernünftig! Es gibt Zeugen, die aussagen werden, daß der Hidalgo und ich uns weit von dem Ort befanden, an dem Baron Rochefort den Tod fand. Natürlich sind es für uns nicht sehr günstige Zeugen. Drei von ihnen töteten und zwei verwundeten wir. Und Rachel …“ Ein neuer Gedanke erschreckte den Madrider. Als er den Namen der Jüdin erwähnte, erinnerte er sich der merkwürdigen Worte des Schwarzen Piraten, die dieser ausgesprochen hatte, als sie das Büro der Schwester von David Youpin verließen. Ehe ein Mann wie Carlos Lezama, der weder abergläubisch war noch Furcht kannte, Rachel Youpin ein ‚perverses Ungeheuer’ nannte, mußte er triftige Gründe dafür haben … „Sie ist es!“ rief Lucientes erregt aus. „Sie ist die Anstifterin dieser ganzen teuflischen Intrige! So ist es … Sie zwang mich, mich nicht zu duellieren und …“ Er schwieg, weil sich seine Überzeugung schnell verringerte. „Sie war mit uns zusammen, während man Rochefort tötete“, murmelte er. Aber wieder fühlte er neuen, begründeten Verdacht in sich aufsteigen. „Sie arbeitete zusammen mit diesen beiden Zigeunern Emmanuele und Caline. Natürlich! Beleidigt durch die Zurücksetzung durch Rochefort plante sie seinen Tod und bestach die beiden Zigeuner … So ist es!“ Ärgerlich kreuzte er die Arme. „Warum wählte sie mich als Amboß und setzte mich der Gefahr aus, geröstet zu werden?“ 71
In tiefes Nachdenken versunken, merkte er nicht, wie die Zeit verging, bis er das bekannte Quietschen der Riegel hörte. Auf neue Überraschungen gefaßt, richtete er sich auf. Die Tür öffnete sich, und ein Musketier, der an dem Kreuz von Lothringen kenntlich war, das er auf der Brust trug und das der halbgeöffnete Umhang sehen ließ, trat zwei Schritte vor und blieb mit gekreuzten Armen unbeweglich stehen. Im Halbdunkel der Zelle verkleinerte sich die Gestalt von Diego Lucientes, um seine Muskeln zum Angriffssprung gegen den einzelnen Besucher zu spannen, der sicher gekommen war, um wer weiß welche neue Beschuldigungen gegen ihn vorzubringen … „Ei, sieh da! … Einen hinterhältigen Sprung gegen mich, Student?“ Diego Lucientes, der sich bereits nach vorn geschnellt hatte, schwankte in der Luft und kam auf die Absätze zu stehen, als ob er einen Gegenstoß erhalten hätte. Der scheinbare Musketier war zwei Schritte zur Seite getreten und hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt. „Potztausend, Señor!“ rief der Student. „Eine Hexerei muß im Spiele sein, denn an dich habe ich gedacht … und du erscheinst … Zum Teufel!“ rief er plötzlich. „Auch gefangen?“ „Die Tür ist offen, Herr Marquis“, sagte der Schwarze Pirat. „Wir wollen sehen, ob sich jemand unserem Hinausgehen widersetzt. Folge mir, falls du deine Pritsche nicht liebgewonnen haben solltest.“ In dem dunklen Gang, der nur durch wenige Fackeln schwach erleuchtet war, flüsterte Diego Lucientes, der vorsichtig hinter dem Schwarzen Piraten herging: „Einen Degen, Señor …“ und mit seinem Kinn zeigte er auf eine Gruppe von Musketieren, die am Ende des Ganges Wache zu halten schienen. „Sie werden dir den deinen in der Wachstube wiedergeben.“ 72
Diego Lucientes schritt eine Weile dahin wie ein Betrunkener, der seine Gedanken zu ordnen sucht. Aber die breiten Schultern des ihm Voranschreitenden machten ihm Mut, zwischen den Musketieren hindurch zu gehen, während er die Fäuste geballt hielt und jeden Augenblick auf einen Kampf gefaßt war … In der Wachtstube stand ein blonder Musketier mit einem gepflegten Spitzbart, der ihn einen Augenblick betrachtete. Der Schwarze Pirat begrüßte ihn, als er vorstellte: „Mein Freund Diego Lucientes, Herr d’Amboise.“ Bussy d’Amboise zog elegant seinen Federhut, stellte das linke Bein zurück und verbeugte sich. „Als vorübergehender Chef der Besatzung von Chatelet“, sagte Bussy d’Amboise, „habe ich die Ehre, Euch Euren Degen zurückzugeben, der Euch ungerechterweise abgenommen wurde. Nehmt ihn, Monsieur.“ Diego Lucientes, dem man deutlich ansah, daß er nichts von dem verstand, was um ihn her vorging, den die Gegenwart des Schwarzen Piraten aber ermutigte, gürtete sich mit sichtlicher Genugtuung den Degen um. Ein zweiter, großer, hagerer Musketier trat ein, um mit dumpfer Stimme zu sagen: „Du kannst ruhig sein, d’Amboise. Dein Schützling hat diese Mauern bereits verlassen und eilt zu dem Zufluchtsort, den du seiner Tochter Caline anwiesest.“ „Danke, Leclerc. Und jetzt, meine Herren, bitte ich Euch als Chef der Garnison von Chatelet, diesen Ort zu verlassen.“ Bussy Leclerc lachte, während seine Augen mehr als sonst schielten, und zog den Rock mit dem Kreuz von Lothringen aus. Der Schwarze Pirat tat dasselbe. Dann nahm ihn der lange Fechtmeister am Arm, und Lezama tat dasselbe mit Diego Lucientes. „Gehen wir“, sagte der Schwarze Pirat. „Bis bald, Bussy d’Amboise.“ 73
Auf der Straße, nachdem der Schwarze Pirat die Vorstellung übernommen hatte, zeigte Bussy Leclerc nach dem Osten der Stadt. „Mein Bruder besitzt ein reizendes Häuschen im Vorort von Saint Dennis, meine Herren Spanier. Abgeschlossen und von einem großen, waldartigen Park umgeben, Werdet Ihr dort sicher sein, bis morgen früh um fünf Uhr nicht belästigt zu werden. Dorthin läuft der Zigeuner Emmanuele, um sich mit seiner Tochter Caline zu vereinigen. Ich weiß nicht, was man ihm angetan haben mag, aber ich merkte, daß er zu Tode erschrocken war und sich fürchtete.“ „Mit Eurer Erlaubnis, Leclerc“, sagte der Schwarze Pirat, „möchte ich jetzt meinem Freunde erklären, was inzwischen geschehen ist, damit er diesen Ausdruck eines unwissenden Schülers verliert, der seine Schönheit beeinträchtigt.“ „Ich verstehe nicht, wie du es fertig brachtest, Herr Lezama … Aber gut, du sagst, daß du es mir erklären wallst.“ Auf dem Wege erzählte Lezama die Geschehnisse vom Augenblick an, als sich das Tor von Chatelet hinter Diego Lucientes schloß. Als er geendet hatte, berichtete Lucientes von den beiden Besuchen in seiner Zelle, die er erhalten hatte, und verwünschte dabei die Verschwörung, die ihn nicht nur des Mordes, sondern auch der Hexerei und des Paktes mit satanischen Mächten beschuldigte. „Das hier ist das Haus meines Bruders, meine Herren Spanier“, sagte Bussy Leclerc und blieb auf der Straße stehen, auf der sich mehrere durch Gärten voneinander getrennte Häuser befanden. „Es gibt keine Dienerschaft, und Bussy d’Amboise rühmt sich, daß es keine Riegel besitzt. Denn niemand in ganz Paris würde wagen, ihn zu bestehlen oder ihn mit schlechten Absichten zu überraschen. Entschuldigt meine Abwesenheit, damit ich unser Abenteuer zu Ende bringen kann.“ 74
„Wir kennen die Zigeuner nicht“, sagte der Schwarze Pirat. „Ich auch nicht. Ich beschränkte mich darauf, den Alten aus der Zelle zu holen.“ „Einen Augenblick, Leclerc. Könnt Ihr mir sagen, was Euer Bruder zu tun gedenkt?“ „Er wird warten, bis um fünf Uhr morgens die Ablösung der Wache kommt.“ „Und Ihr?“ „Ich werde mich zum ‚Goldenen Hahn’ begeben, wo zwei meiner Schildknappen den Wirt und die elf Musketiere bewachen, mit denen wir uns im Fechten mit den Stoßdegen übten. Ich werde Hauptmann Grinchon und seine Leute bis nach Chatelet begleiten. Sobald die Ablösung kommt, werden die beiden Bussys mit Hauptmann Grinchon und dem wachhabenden Offizier ein Glas Wein trinken … Dann wird der König entscheiden. Die Bussys haben viele Geniestreiche ausgeführt, und immer wurde ihnen verziehen, weil sie sie nicht leugneten. Viel Glück, meine Herren Spanier. Und Ihr wißt ja“, fügte Bussy Leclerc, mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf den Schwarzen Piraten deutend, „daß ich Euer Wort habe, daß Ihr bei der ersten Gelegenheit in meinen Fechtsaal eilen werdet, damit wir die vier Runden, die wir abmachten, schlagen können.“ Der Fechtmeister entfernte sich mit langen, katzenartigen Schritten, während der Schwarze Pirat die Gartentür aufstieß und eintrat. „Ein bißchen verrückt sind die beiden, Señor“, flüsterte Diego Lucientes. „Da sie mir die Flucht ermöglicht haben, wird man sie gefangen setzen trotz allen Vertrauens in sich selbst.“ „Du hast es gesagt, Student. Aber man wird sie nicht der Hexerei beschuldigen …“ „Es schmerzt mich, Señor Lezama, die Freiheit auf Kosten dieser beiden sympathischen Irren erhalten zu haben.“ „Ei, sieh da! … Es war an der Zeit, daß wir in etwas überein75
stimmen, Student. Auch ich möchte nicht, daß die Bussys für deine Freiheit und die meine zahlen. D’Amboise bat mich, daß ich in seinem Namen Caline und ihrem Vater sagen sollte, sie möchten sich sofort auf den Weg machen und sich auf dem Landgut verbergen, das er in Le Perigord besitzt. Gehen wir zum Hexenspuk“, fügte er lächelnd hinzu. „Bist du nicht ein Hexer, ich ein Komplize und sind die Zigeuner nicht unsere Satelliten?“ Sie traten ins Haus und durchschritten alle Zimmer, ohne ein Lebewesen zu finden. Auch im Park fand man nicht das geringste Zeichen, daß sich dort jemand verbarg. Der Schwarze Pirat ging wieder ins Haus und hob die Teppiche hoch, die von Zeit zu Zeit die Wände bedeckten. Er nahm an, daß dieses Haus gewiß Damen besuchten, die der schöne d’Amboise damit beruhigte, daß er ihnen versicherte, sie würden bei unerwünschten Besuchen ein sicheres Versteck finden. Als er einen der Teppiche hochhob, mußte er zurückspringen, um dem Stoß einer blitzenden Klinge um den Bruchteil einer Sekunde zu entgehen … Der Teppich verbarg den Eingang zu einem engen Gelaß, in das sich ein alter Mann duckte. Vor ihm stand eine Zigeunerin von stolzer Schönheit, die noch in der Rechten den Dolch hielt, mit dem sie den Schwarzen Piraten hatte niederstechen wollen. „Legt nicht die Hand auf meinen Vater“, rief sie in einem exotischen Französisch aus, dem der italienische Akzent einen melodischen Klang verlieh. Der Schwarze Pirat machte eine leichte Verbeugung. „Fürchtet nichts, Señora.“ „Seid nicht noch spöttisch! Ich bin eine Zigeunerin!“ „Eine Zigeunerin war meine Frau, Caline“, sagte der Schwarze Pirat in überzeugendem Ton und heftete seine Augen auf sie, in denen vorübergehende Melancholie stand. „Beruhigt Euch und steckt den Dolch ein. Es ist noch keine halbe Stunde 76
her, daß Bussy Leclerc Euren Vater befreite, Während ich mit einem Caballero dasselbe tat, der sich auch hier befindet. Er ist derjenige, den man beschuldigt, Baron Rochefort mit meiner und Eurer Beihilfe getötet zu haben. Bussy d’Amboise bat mich, Euch wissen zu lassen, daß Ihr bis morgen früh um fünf Uhr mehr als genug Zeit habt, Euch auf den Weg nach seinem Landgut in Perigord zu machen, wo Ihr sicher seid, bis der Irrtum aufgeklärt ist und die teuflische Intrige zusammenbricht.“ Die Zigeunerin senkte die bewaffnete Hand, während sich der alte Emmanuele mühsam aufrichtete. „Bevor Ihr Euch auf den Weg macht“, fuhr der Schwarze Pirat fort, „möchte ich nur wissen, wer Euch beschuldigte, ihr wäret zu der Stunde um das Haus von Rochefort herumgestrichen, als er getötet wurde.“ Emmanuele streckte die zitternden Hände aus: „Die Richter wollten meinen Worten keinen Glauben schenken, mein guter Herr!“ stammelte er. „Schweigt, Vater“, unterbrach sie ihn. „Wie wißt Ihr, ob diese beiden Herren die Wahrheit sagen und uns nicht lebend fangen wollen?“ „Dieser Herr dort“, und Emmanuele zeigte auf das Haar von Lucientes, „sieht genau so aus, wie ihn mir die Richter beschrieben haben. Sie sprechen auch mit spanischem Akzent, meine Tochter. Und Bussy d’Amboise hätte niemandem verraten, wo du dich befindest, auch nicht unter der Folter.“ Die Argumente des Zigeuners brachten es zuwege, daß Caline den Dolch in ihrem Busen barg, während Emmanuele weiter sprach: „Flieht, meine Herren, flieht! Es ist ein Spinnennetz, das uns einhüllt wie Fliegen. Gestern nacht suchte uns eine maskierte Frau in unserem Schlupfwinkel am Saint-Dennis-Berg auf. Sie sagte uns, wir sollten heute morgen zwischen sieben und neun auf der Straße Oripeaux in der Nähe der Nummern achtzehn bis 77
achtundzwanzig sein. Wir würden Gelegenheit haben, viel Geld zu verdienen. Sie ging, nachdem sie uns eine Börse mit zwanzig Louis d’Or überlassen hatte. Heute früh waren wir dort, und ungefähr gegen acht Uhr sahen wir einen Reiter in Begleitung eines anderen kommen. Sie verabschiedeten sich, und der größere begab sich in das Haus, das die Nummer zweiundzwanzig trägt. Ich konnte meine Tochter nicht zurückhalten, da sie um halb neun eine Verabredung mit Bussy d’Amboise hatte. Ich blieb allein dort. Und plötzlich, es war kaum eine Viertelstunde vergangen, faßten mich vier Häscher, die mich beschuldigten, einen grausigen Mord verübt zu haben. Ich schwöre Euch, meine Herren daß wir nichts damit zu tun hatten!“ „Ich sage Euch dasselbe, ohne es zu schwören“, erklärte Diego Lucientes. „Aber konntet Ihr die maskierte Dame nicht erkennen?“ „Nein, Monsieur. Es war Nacht, und sie befand sich nur kurz bei uns. Sie sprach von einem wappenlosen Wagen herab, auf dem ein Lakai saß, der keine Livree trug. Alles, was ich weiß, habe ich berichtet. Und wir kannten nicht einmal den Baron Rochefort.“ „Gehen wir, Vater. Bringen wir uns in Sicherheit. Wir wollen Paris verlassen, solange uns die Nacht noch schützt. Läuft Herr d’Amboise Gefahr?“ fragte sie, während sie ihren schön geformten Arm um die Schultern des Vaters legte. „Nicht die geringste, Señora“, erwiderte der Schwarze Pirat. „Geht beruhigt. Und wenn ich Herrn d’Amboise mitteile, daß Ihr Euch in Sicherheit auf dem Wege nach Perigord befindet, dann werde ich ihn beglückwünschen, denn Eure Schönheit zerstreut in diesem Augenblick das Dunkel jener teuflischen Intrige.“ Emmanuele, in dessen hagerem Gesicht man noch die Spuren der Furcht las, kam heraus und umfaßte die Taille der schönen Zigeunerin. 78
Als sie allein geblieben waren, setzte sich der Schwarze Pirat auf einen bequemen Diwan. Diego Lucientes ging in dem kleinen Salon auf und ab. Mehrere Minuten schwiegen beide. „Glaubst du, daß du etwas erreichst, Marquis von Avapies, wenn du wie ein Kater hin und her gehst?“ fragte Lezama schließlich. „Nein; Señor, doch ich werde ruhiger dabei. Aber warum ist immer der Teufel los, wohin ich auch gehen mag?“ „Stelle dir lieber eine andere Frage. Wer mag diese Maskierte gewesen sein? Wenn wir es wüßten, dann bin ich sicher, daß wir die Anstifterin des ganzen schmutzigen Spiels gefunden hätten …“ „Hast du an Rachel Youpin gedacht?“ „Ich dachte an sie. Und die Gründe?“ „Ihr Haß gegen Rochefort, der sie verschmähte.“ „Nehmen wir an, sie war es. Wie können wir es beweisen? Während Rochefort ermordet wurde, befand sie sich mit uns zusammen.“ „Teufel und Beelzebub! Zwingen wir sie zum Sprechen! Feuer an die Fußsohlen und alles Nötige! Aber die Geschichte muß enden!“ „Es ist eine Frau, Student!“ Diego Lucientes schüttelte den Kopf. „Das werden wir sofort haben, Señor.“ „So? Wie denn?“ „Befindet sich dein Segler nicht in irgendeinem Hafen von Frankreich?“ „Ja, in Bordeaux.“ „Zwei Pferde, Señor, und hinaus auf die Landstraße. Je mehr Staub uns von Paris trennt, desto besser. Und wenn wir auf dem Segler sind, dann nehmen wir Kurs aufs Karibische Meer. Ich werde ein Lied anstimmen, das folgenden Refrain hat: „Wenn 79
ich sterbe oder verschwinde, sucht mich nie und nicht mein Grab, am wenigsten in diesem verdammten Paris …“ „Ich bin mit diesem Text nicht einverstanden, Student. Vergiß nicht, daß ich nicht nur spanisches Blut in den Adern habe, sondern auch das eines Grafen von Ferblanc, der in Paris geboren ist. Du bist ein verrückter Sorgloser, Diego Lucientes. Wirst du sagen, daß alle Einwohner von Antwerpen Esel sind, wenn man dir in jener Stadt einen Fußtritt gibt? Fahren wir mit unserem Hexenspuk fort. Aber natürlich wäre es für dich eine prächtige Lösung, dich auf den „Aquilon“ zu begeben, damit dein Fell nicht verbrannt riecht.“ „Nicht wahr? Lassen wir die Richter quatschen. Jetzt werden sie noch mehr recht haben, wenn sie vorgeben, ich wäre durch teuflische Künste verschwunden.“ Diego Lucientes lachte lustig auf, aber das Lachen des Schwarzen Piraten war kurz und schneidend. „Dummkopf!“ brummte er. „Wer?“ fragte Lucientes. „Du, Marquis von Avapies. Dein Vorschlag scheint dir klug? Und die Brüder Bussy?“ „Werden durchkommen. Sie scheinen einen großen Ruf in Paris zu haben, und ich sah die Gewißheit, mit der sie versicherten, daß man alles als eine kleine Übertretung auffassen würde.“ „Ich halte es für sehr menschlich und logisch, daß du verschwindest, Student. Kaufe dir ein Pferd und reite nach dem Hafen von Bordeaux. Bei einer der Bekassinen-Inseln befindet sich der „Aquilon“. Erwarte mich dort.“ „Und du, Señor?“ „Ich bleibe hier, bis meine Neugier gestillt ist.“ „Du willst hier bleiben, Señor, weil du glaubst, daß die Bussys Gefahr laufen, nicht aus Neugierde. Aber ich …“ „Ich mache dir keinen Vorwurf. Gehe und erwarte mich auf 80
dem „Aquilon“. Ich werde schon die Lösung finden. Nicht bei dieser Gelegenheit und nie soll jemand sagen können, daß ich zwei tapfere Männer im Stich ließ, die mir halfen. Außerdem ärgert es mich, daß meine Rolle bisher passiv gewesen ist.“ „Du befindest dich in Paris, Herr, wo du nicht allein befehlen kannst, weil es einen König, Henker und Richter gibt.“ „In Paris oder am Hofe des Zaren bin ich mein eigener König, Richter und Henker.“ „Ich halte deinen Entschluß für nicht angebracht, Señor. Die Bussys laufen nicht die geringste Gefahr. Du wirst sehen, was geschieht. Grinchon selbst wird sagen, daß es teuflische Künste waren, die mich befreiten, und die Bussys werden frei von Verantwortung sein.“ „Gewiß wird es so sein. Also mache dich auf den Weg, Marquis von Avapies.“ Diego Lucientes zögerte eine Weile. Er wollte seine Rechte ausstrecken und tat es nicht. „Also auf Wiedersehen, Señor“, sagte er dann. „Mein Benehmen ist nicht gerade sehr beispielhaft, aber … mit Kapuzenmännern will ich nichts zu tun haben!“ „Wer wirft dir das vor? Habe ich vielleicht etwas gegen deine Idee gesagt, die mir für dich sehr vernünftig scheint?“ „Nein … aber dein Lächeln …“ „Werde ich dich um Erlaubnis bitten müssen, wenn ich meine Lippen verziehe? Gehe, Student, galoppiere nach Bordeaux und erwarte mich dort.“ Diego Lucientes wandte sich brüsk und ging. Dann herrschte Schweigen. „Der Bursche hat recht“, sagte der Schwarze Pirat nach einer Weile zu sich selbst und zuckte mit den Schultern. „Trotzdem hat er mich enttäuscht. Er benahm sich wie ein Marquis von Avapies, aber nicht wie der Pirat, der mit mir so viele schlimme Lagen durchgestanden hat.“ 81
Er wollte aufstehen, als er sich wieder auf den Diwan zurücklehnte. Auf der Schwelle stand Diego Lucientes. Er zwinkerte schelmisch mit einem Auge, während er sich in die Unterlippe kniff. „Es ist eine Hexennacht, Señor. Der Mond glänzt wie Stahl … Ich habe mir gedacht, daß ich eine Leiche bin. Folglich habe ich kein Recht zu leben.“ „Du stehst auf den Beinen, und ein Pferd würde dich schnell nach Bordeaux bringen.“ „Ich habe es mir überlegt, Señor. Wenn man mich mit dir zusammen brät, dann habe ich jemanden, mit dem ich in der Hölle sprechen kann. Ich bleibe.“ „Halte dich nicht durch deine Freundschaft für verpflichtet, deinen Mut zu stärken.“ „Mut? Ich habe eine fürchterliche Angst, Señor. Aber mit dir … werde ich weniger Angst haben. Es geschehe, was du willst.“ Der Schwarze Pirat stand auf. „Wenn du geflohen wärest, hättest du deine Schuld bewiesen, rothaariger Hexer. Und jetzt: Auf nach Chatelet!“ *
* *
Bussy d’Amboise näherte sich dem Tor, um sich zu vergewissern, daß die beiden Schildknappen seines Bruders das verlangte kriegerische Aussehen zweier Musketiere hatten. Dann begab er sich in die Unterkunft, wo der Sergeant und die zehn Musketiere Hauptmann Grinchons gefesselt und geknebelt lagen und las die schriftlichen Anweisungen für die Offiziere der Garnison. Darauf ging er, um die Zeit totzuschlagen, in die Wachtstube. Als er die dunkle Stimme Bussy Leclercs hörte, rührte er 82
sich nicht. Er konnte sehen, wie durch das geöffnete Tor und von den beiden Schildknappen bewacht die geknebelten Musketiere kamen, die gerade von dem Wagen abgestiegen waren. Sie füllten den Unterkunftsraum, wo sich bereits der Sergeant und die anderen zehn Musketiere im gleichen Zustand befanden. Die Stimme Bussy Leclercs befahl seinen beiden Schildknappen: „Bringt den Wagen dem Wirt zurück und erinnert ihn an mein Versprechen. Er ist die ganze Nacht blind und taub gewesen. Kein anderer wird Rechenschaft von ihm verlangen, wenn nicht ein Bussy.“ Bussy d’Amboise erhob sich, als Roger Grinchon ungeknebelt und ohne Fesseln eintrat. Sein bleiches Gesicht verhieß nichts Gutes. „Um fünf Uhr werde ich Euch den Befehl übergeben, Herr Hauptmann“, sagte d’Amboise, ihn höflich grüßend. Roger Grinchon biß sich auf die Lippen. „Diesmal seid Ihr zu weit gegangen, meine Herren Bussy. Wenn der König auch viele Extravaganzen der Bussys duldete, so wird mein Oberst nicht dulden, daß man seinen Musketieren eine solche Beleidigung zufügte.“ Bussy Leclerc setzte sich in die Nähe seines Bruders, der stehend Hauptmann Grinchon den Sessel anbot, aus dem er sich erhoben hatte. „Euch gehört dieser Sessel, Herr Hauptmann.“ Roger Grinchon setzte sich schwer. „Ich schätze Euch, meine Herren Bussy, aber wenn ich Euch im Grunde genommen auch weiterhin für zwei galante Kavaliere halte, so fordere ich Euch doch beim Morgengrauen, wenn ich abgelöst werde, hintereinander zum Duell. Ihr habt meine Karriere zerstört und Euch gleichzeitig eines Deliktes schuldig gemacht, das der König nicht verzeihen wird. Ihr verliert Euren 83
Fechtsaal, Leclerc, und Ihr werdet nicht mehr der von den Damen Umschwärmte sein, d’Amboise. Ich aber habe meine Ehre verloren. Deshalb ziehe ich es vor, den Tod mit dem Degen in der Hand zu finden, sobald ich abgelöst worden bin.“ Bussy Leclerc schielte und zuckte mit den Schultern. „Übertreibt nicht, mein guter Grinchon. Was ist denn schließlich geschehen? Nichts. Mit nur zehn Mann konntet Ihr nicht den Anspruch erheben, drei Stoßdegen unserer Kategorie zu besiegen. Niemand wird es erfahren. Wenn die Ablösung kommt, wird sie zwanzig Musketiere, einen Sergeanten und einen Hauptmann vorfinden. Ihr habt unser Wort darauf.“ „Ich wußte, meine Herren Bussy, daß Ihr mich nicht demütigen wollt. Aber Ihr könnt es nicht vermeiden. Die beiden Gefangenen sind geflohen. Wie soll ich das erklären?“ „Sehr einfach. Sobald die Ablösung stattgefunden hat, werden d’Amboise und ich Euch zu Eurem Oberst begleiten. Ich werde ihm sagen, daß d’Amboise und ich die beiden Spanier befreiten, indem wir uns Eure Freundschaft zunutze machten.“ „Man wird nicht glauben, daß Ihr mich getäuscht habt, denn die Bussys tragen im Wappen den Wahlspruch: ,Nie log ein Bussy’.“ „Ist es vielleicht eine Lüge?“ protestierte Amboise. „Haben mein Bruder und ich den Spanier nicht geholfen?“ „Warum, meine Herren, warum?“ beklagte sich Grinchon stirnrunzelnd. „Er schuldet mir vier Fechtrunden und wird sie mir geben“, sagte Leclerc mit der tiefen Überzeugung eines vollgültigen Argumentes. „Ich konnte nicht zulassen, daß man ihn festnahm, da mein Gewissen mir sagt, daß sowohl er als auch sein Freund unschuldig sind.“ „Und ich konnte nicht zulassen, daß Emmanuele und seine Tochter fälschlich beschuldigt werden“, sagte d’Amboise mit blitzenden Augen. 84
„Aber, meine Herren“, klagte Grinchon, „Gesetz ist Gesetz. Ihr habt Euch zu Verteidigern einer Sache aufgeworfen, die …“ „… die gerecht ist, weil wir sie verteidigen“, gab d’Amboise zurück. „Aber Ihr durftet nicht mit dem Degen in der Hand angreifen, sondern höchstens mit Gegenbeweisen gegen die Anklage. Meine Musketiere wurden in der eigenen Garnison, die sie verteidigen, gefangengesetzt.“ „Das schmerzt sie nicht, denn es sind zwei Bussys gewesen, die sie besiegten.“ „Seid nicht kindisch, meine Herren.“ „Eh?“ fragte d’Amboise. „Ihr wollt mich doch nicht herausfordern, wie ich annehme, Hauptmann Grinchon?“ Der Offizier kreuzte die Arme, während sein Gesicht hochrot anlief. „Man kann mit einem Bussy nicht diskutieren!“ rief er aus. „Sie entwaffnen einen mit soviel Einfalt … Ich würde Euch verfluchen, meine Herren, wenn nicht an dem ganzen Unglück, das Ihr angerichtet habt, Euer gutes Herz die Schuld trüge. Ihr verteidigtet zwei Spanier, die der Hexerei angeklagt sind …“ „Es sind keine Hexer, und ich gestatte nicht, daß Ihr es glaubt, Hauptmann“, schrie d’Amboise. „Ich glaube gar nichts, d’Amboise. Ich sehe nur, daß ich meinen Degen zerbrechen muß, weil mir zwei Gefangene fehlen, die mir zur Bewachung übergeben wurden. Ich werde ihn vor meinem Oberst zerbrechen und weiß, daß er mir dann selbst die Ehre zugestehen wird, zu sterben, wo ein Musketier fallen muß: auf dem Felde der Ehre vor einem unbesiegbaren Degen wie Eurem oder Eurem.“ Dabei verbeugte er sich leicht vor den beiden Brüdern. „Macht die Sache nicht so dramatisch, mein guter Freund“, sagte Leclerc und lächelte freundlich. „Bei hunderttausend Pistolen!“ brach Roger Grinchon los. 85
„Merkt Ihr es nicht, oder wollt Ihr es nicht merken? Zwei Gefangene sind geflohen …“ „Wer sagt denn das? Einer von ihnen wird zurückkommen. Er versprach es. Und Bussy Leclerc weiß, ob ein Mann sein Wort hält, das er verpfändet.“ Die Worte Leclercs verminderten den Zorn Grinchons nicht. „Angenommen, einer von ihnen kommt zurück, so ändert das nichts, Leclerc. Die Tatsache bleibt bestehen, daß mir ein Gefangener entkam. Und wo bleibt meine Ehre?“ „Behaupten die Richter nicht, daß es Hexer sind? Sagt, sie flohen, teuflische Künste benutzend“, lächelte d’Amboise. „Um so mehr, als in einer Zelle Monsieur de Saint-Just sitzt.“ „Der Königliche Ankläger?“ konnte Roger Grinchon nur stammeln. „Er selbst. Bin schöner Schelmenstreich, nicht wahr?“ Bussy Leclerc lachte befriedigt. Roger Grinchon überwand seine Niedergeschlagenheit und murmelte: „Es ist bedauerlich, meine Herren Bussy, daß Ihr in allem, was Ihr tut, nur einen Schelmenstreich seht. Eure Taten sind nur allzu bekannt, und der König sagte stets lächelnd: ,Ein neuer Zeitvertreib der Bussys …’ Diesmal aber wird er anders sprechen. Sehen wir ganz davon ab, daß die Ehre der Musketiere auf dem Spiele steht. Denkt daran, daß Ihr zwei Leuten zur Freiheit verholten habt, deren Vergehen ebenso schwer wiegt wie Majestätsbeleidigung.“ „Ein Bussy kann nicht dulden, daß der König, ohne es zu wissen, eine ungerechte Verurteilung unterschreibt“, sagte Leclerc dumpf. „Ich sagte Euch schon, was Ihr hättet tun sollen, nämlich Gegenbeweise beibringen, aber nicht … Kurz und gut, es ist nichts mehr zu ändern. Darf ich meine Musketiere befreien?“ „Natürlich. Und um fünf Uhr werdet Ihr uns zu einem Ablö86
sungsschoppen einladen, Herr Hauptmann. Sobald Ihr fertig seid, werde ich meinen Schildknappen Anweisung geben, zu gehen“, sagte Bussy Leclerc. „Deshalb ließ ich das Tor offen.“ „Du hättest die Anweisungen für den Wachoffizier lesen müssen“, warf ihm sein Bruder vor. „Das Tor bleibt nicht länger geöffnet, als es unbedingt nötig ist …“ Roger Grinchon richtete sich schwerfällig auf. Er hatte das ganze kriegerische Gepräge seiner langen Dienstjahre verloren. Er sagte: „Nur den Bussys könnte ich das verzeihen, was geschehen ist. Sie haben zwar meine Karriere zerstört, aber auch sie haben sich ihr Leben verschandelt.“ Müde die Füße nach sich ziehend, ging er hinaus. Bussy Leclerc schielte seinen Bruder an. „Zum Teil hat der Musketier recht, d’Amboise. „Man kann ihn zur Verantwortung ziehen.“ „Wie kann man einen Mann zur Verantwortung ziehen, und wenn er tausendmal ein Musketier ist, der die Brüder Bussy zu Gegnern hat? Rede keinen Unsinn, Leclerc.“ „Es stimmt. Der König wird nicht gegen ihn einschreiten. Schlimmstenfalls wird er uns ein paar Monate vom Hof verbannen, wenn er wütend wird. Aber ich glaube es nicht. Es wäre eine Sache, die ich Louis nicht verzeihen würde, es sei denn, er entschuldigte sich bei meiner Rückkehr aus der Verbannung. Hallo. Herr Spanier!“ In die Wachtstube traten Lezama und Diego Lucientes. Hinter ihnen, stumm vor Überraschung stützte sich Roger Grinchon auf die Lehne eines Sessels. Er hatte nicht bis zur Unterkunft gelangen können, in der seine Musketiere gefangen saßen, denn es traf ihn wie ein Blitzschlag, als er sah, daß durch das Tor, das die falschen Musketiere bewachten, die beiden wegen Hexerei und Mordes angeklagten Männer traten. 87
„Caline?“ fragte d’Amboise. „Sie und Emmanuele befinden sich bereits auf dem Wege nach Perigord.“ „Schien sie betrübt, weil sie sich von mir trennen mußte?“ „So war es, d’Amboise. Aber sie dachte daran, das Leben ihres Vaters zu retten, und bald werdet Ihr mit ihr zusammen sein.“ Bussy d’Amboise strich sich befriedigt seinen Spitzbart. „Ladet Ihr uns zu einem Becher Wein ein, Hauptmann Grinchon?“ fragte der Schwarze Pirat und wandte sich dem Musketier zu. Dieser starrte fasziniert den rothaarigen Spanier an, der sich, ohne ein Wort zu sagen, auf einen Schemel gesetzt hatte. „Seid liebenswürdig, Hauptmann“, meinte Bussy Leclerc. „Ihr seid der Offizier vom Dienst und Euch steht es zu, auf die Gesundheit der drei besten Degen der Welt anzustoßen.“ „Der vier besten Degen der Welt“, verbesserte der Schwarze Pirat und zeigte auf den Madrider. „Euer Freund hätte mit den Zigeunern gehen sollen“, sagte Leclerc. „Gewiß“, meinte d’Amboise. „Um fünf Uhr früh darf er nicht hier sein.“ Dann wandte er sich seinem Bruder zu: „Wenn du von meiner Geliebten sprichst, Bussy Leclerc, dann habe die Höflichkeit, sie Caline zu nennen.“ „Wenn sie auch eine Zigeunerin ist, so ist sie doch eine Dame, der du dein Herz geschenkt hast, Bussy d’Amboise“, sagte Leclerc. „Ich möchte Hauptmann Grinchon um einen Gefallen bitten“, ließ sich der Schwarze Pirat vernehmen. Der Angeredete, der eine Flasche aus einem Schrank nahm, wandte sich ihm zu. „Wenn man bezeugt, daß sowohl der Herr Marquis wie ich es fertig brachten zu fliehen und freiwillig zurückkamen, um uns zu stellen, würde das nicht die Lage der fünf Anwesenden verbessern?“ 88
Roger Grinchon ließ die Flasche fallen, die in tausend Scherben zerbrach. Der Schwarze Pirat fuhr fort: „So viel Gerichte auch existieren mögen, so wird der König doch anerkennen müssen, wenn wir freiwillig zurückkehren, daß wir uns frei von jeder Hexerei und jeder sonstigen Schuld fühlen.“ Bussy Leclerc und sein Bruder schauten den Schwarzen Piraten an.
Dann meinte der Ältere der Bussys heftig: „Das lasse ich nicht zu, Herr Spanier, denn ich errate, was hinter Eurem großzügigen Angebot steckt. Ihr nehmt vielleicht an, daß dem guten Grinchon und uns beiden ein Nachteil er89
wachsen könnte. Deshalb hat die sprichwörtliche spanische Ritterlichkeit Eure Schritte und die Eures Freundes bestimmt. In uns verstärkt sich die Überzeugung, daß die Bussys sich durch ihr Handeln auf die Seite der Vernunft schlugen und so verhinderten, daß Louis Unkenntnis der Tatsachen eine große Ungerechtigkeit beging. Habe ich gut gesprochen oder nicht, Bussy d’Amboise?“ „Seit wir uns am Abend im ‚Goldenen Hahn’ sahen bis jetzt, Bussy Leclerc, sind das deine treffendsten Worte gewesen.“ Roger Grinchon ließ keinen Blick von den Lippen des Mannes, der eine hochgestellte Persönlichkeit von edlem Geist sein mußte, wenn die beiden Bussys nicht nur seine Verteidigung übernommen hatten, sondern auch entgegen dem Entschluß des Spaniers nicht dulden wollten, daß er sich dem Gericht stellte. Der Schwarze Pirat setzte sein Hauptargument auseinander: „Es gibt einen sehr wichtigen Grund für meinen Entschluß, meine Herren. So weit ich verstanden habe, wird an der Wahrhaftigkeit der Person nicht gezweifelt, die die Anzeige erstattet hat. Warum? Ihres hohen Ranges oder der Verwandtschaft mit dem Baron wegen? Jedenfalls ist es, mir nicht möglich gewesen, zu erfahren, um wen es sich handelt. Und ich werde es nur auf eine Art erfahren können.“ „Sagt es, und wir werden sehen, was es mit Eurem Vorschlag zu tun hat. „Wie Prosper Taquin sagt, wird der Denunziant als Hauptzeuge beim Prozeß einvernommen. Damit wir wissen, wer es ist, muß der Prozeß stattfinden. Ohne Angeklagte wird man keinen Prozeß durchführen. Es besteht aber keine Frage, daß ich die Anklage niederschlagen werde, sobald ich weiß, wer die Anzeige erstattet hat. Es mag Einfalt sein, aber ich kann mir nicht denken, daß ein Gericht zwei Männer verurteilt, die freiwillig den Richterspruch auf sich nehmen. Ist das nicht auch Eure Meinung, Hauptmann Grinchon?“ 90
„Da Ihr mich schon fragt, werde ich Euch sagen, Monsieur, daß Ihr Euch durch Euer Verhalten die Dankbarkeit eines Musketiers erworben habt, der Euch, ebenso wie Euren Freund, für vollkommen unfähig solcher infamer und ehrlosen Taten hält, die Euch aus einem Mißverständnis oder aus bösem Willen angehängt worden sind.“ Er wandte sich an die beiden Bussys und fügte fast flehend hinzu: „Hört mich an, meine Herren. Ich werde verlangen, nicht abgelöst zu werden. Wenn der Offizier mit seinen Leuten kommt, werde ich darum bitten, meinen Dienst fortsetzen zu dürfen, um dem Prozeß beiwohnen zu können. Und ich verspreche Euch, meine Herren Bussys, daß das Gericht die Vernunftgründe der beiden Caballeros anhören wird. Ich gebe Euch mein Wort, daß man keinen Verstoß oder eine Ungerechtigkeit begehen wird. Die beiden sind unschuldig, denn sie wären nicht aus freien Stücken hier, wenn sie schuldig wären.“ „Um wieviel Uhr soll die Sitzung stattfinden?“ fragte Bussy Leclerc. „Um elf Uhr muß der Offizier die beiden Angeklagten in den Oberen Gerichtssaal führen“, sagte Grinchon. Bussy Leclerc erhob sich und blieb vor dem Schwarzen Piraten stehen. „Darf ich allein ein paar Worte an Euch richten, Herr Spanier?“ Carlos Lezama folgte dem hageren Fechtmeister ins Freie. Ein paar Minuten später kamen sie wieder, und der Schwarze Pirat lächelte. „Herr Hauptmann Grinchon! Wann Ihr wollt … Mein Freund und ich sind bereit, uns einschließen zu lassen.“ Diego Lucientes seufzte und erhob sich. Roger Grinchon setzte sich mit leuchtendem Gesicht und schrieb schnell ein paar Zeilen auf ein Stück Papier. 91
„Ich erstatte meinem Oberst Bericht“, sagte er. „Ich erkläre, daß meine beiden Gefangenen geflohen sind und freiwillig zurückkehrten. Weil sie unschuldig sind und dem Korps der Musketiere Respekt entgegen bringen, begaben sie sich wieder in ihre Zellen.“ *
* *
92
Achtes Kapitel DIE FALSCHHEIT DER BUSSYS „Bevor Ihr Euren Bericht absendet, Herr Hauptmann“, fiel Bussy Leclerc ein, „wird der Herr Spanier Monsieur de Saint-Just wieder in seine Wohnung bringen müssen. Auf dem Wege wird er ihm gewisse, sehr interessante Dinge erklären.“ „Bis zum Ende meines Lebens werde ich diese Nacht nicht vergessen, meine Herren“, sagte der Musketier, „sowohl nicht als Beispiel der Ritterlichkeit, als auch nicht als Symbol der Respektlosigkeit gegen alle Anweisungen. Mein Schicksal und meine Karriere befinden sich in Euren Händen, meine Herren. Es fehlt noch eine Stunde bis zur Ablösung. Inzwischen werde ich meine Musketiere befreien gehen und ihnen meine Instruktionen erteilen. Besonders werde ich ihnen das Glaubensbekenntnis des Musketiers wiederholen, das blinde Treue zum Vorgesetzten verlangt. Und ich muß sie bitten, diese Nacht zu vergessen. Sie werden mir ihr Ehrenwort geben und es halten. Sie werden nie darüber sprechen, was heute nacht geschehen ist.“ „Muß ich in meine Zelle gehen?“ fragte Diego Lucientes. „Betrachtet Euch als Ehrengast des Wachkorps, Monsieur“, sagte Grinchon. „Auf Wiedersehen, Hauptmann“, grüßte Bussy Leclerc. „Mein Bruder und ich ziehen uns mit unseren Leuten zurück. Besten Dank für die Überlassung der Uniformen. Und denkt daran, daß die Musketiere ihrem Ruhm, den sie wohl verdient haben, einen neuen Glanz hinzufügen können: Zwei Bussys willigten ein, für ein paar Stunden das Kreuz von Lothringen zu tragen.“ Beide Brüder drückten die Rechte des Schwarzen Piraten. „Er ist mein älterer Bruder“, sagte d’Amboise und zeigte mit 93
dem Spitzbart auf Leclerc. „Ich weiß nicht, was er sich ausgedacht hat, aber vertraut auf uns, meine Herren.“ Diego Lucientes erwiderte den Gruß der beiden Fechtmeister und blieb dann mit Lezama allein, als auch Grinchon ging. „Sobald ich von der Begleitung Monsieur de Saint-Justs zurückkehre, nachdem ich ihm unter anderem erklärt habe, wie gesund es für einen Richter ist, darüber in einer Zelle nachzudenken, wie es tut, wenn man ungerechterweise eingesperrt wird, werde ich mit dir reden. Denn in deiner Gesellschaft werde ich gern in die Zelle gehen.“ „Wenn du den Bussys traust, Señor, so vertraue ich dir. Die beiden scheinen stets Ihr Wort zu halten.“ „Das geht so weit, daß gerade durch eine Falschheit der Bussys unsere Offenheit klar zu Tage tritt. Bis bald, Señor Lucientes.“ *
* *
Wenn Monsieur de Saint-Just in seinem Bett schlief, wachte er jeden Morgen punkt fünf Uhr auf und erhob sich. In jener Nacht aber war seine Gewohnheit vollkommen in Unordnung geraten. Seit man ihn schmachvoll in eine Zelle von Chatelet gesperrt hatte, war er, um sich Luft zu machen, in dem dunklen, engen Raum dauernd wie ein Löwe im Käfig auf und ab gegangen. Als er hörte, daß sich die Tür öffnete, stürzte er auf sie zu. Eine Hand hielt ihn auf, und Monsieur de Saint-Just wurde bleich, als er den Mann erkannte, der ihn hierher gebracht hatte. „Ich habe Euch eingesperrt, und ich befreie Euch, Monsieur. Habt die Güte, mir zu folgen. Ich werde Euch wieder in Eure Wohnung bringen. Aber vorher muß ich Euch um eine reine Formalität bitten.“ 94
Der Schwarze Pirat zeigte auf ein weißes Tuch, das er in der Hand hielt. „Es ist für Eure Augen, Herr Ankläger. Ihr dürft nicht eher sehen, bis ich es Euch gestattete. Und wenn Ihr um Hilfe ruft, dann wird das Euer letzter Ruf sein, was wir beide bedauern würden.“ Der Staatsbeamte ließ sich die Augen verbinden und ruhig am Arm führen. Er hatte nicht den geringsten Wunsch, zu protestieren, denn er wußte genau, daß der Spanier keine Auflehnung dulden würde. Als ihm die Binde von den Augen genommen wurde, befand er sich bereits weit von der Festung entfernt, und merkwürdigerweise hatte er jetzt mehr Furcht als zwischen den vier Wänden der engen Zelle. Seine Angst war nur zu erklärlich, und sein Begleiter, der seine Gedanken erraten mochte, lächelte, als er sagte: „Ihr versteht nicht, warum ich Euch gegen Euren Willen aus dem Bett holte, um Euch ins Gefängnis zu sperren, aus dem ich Euch, vielleicht auch gegen Euren Willen, herausgeholt habe. Es war nur ein praktischer Unterricht, Monsieur de Saint-Just. Jeder, der Richter werden will, müßte während seines Studiums einmal unschuldig in den Kerker gesperrt werden, um darüber nachzudenken, wie es tut, wenn man schuldlos im Gefängnis sitzt. Dann würden die Herren vielleicht ihre Entschlüsse besser überprüfen, ehe sie jemanden verurteilen, dessen Schuld nicht absolut bewiesen ist.“ „Ich weiß nicht, wohin Ihr mich führt, und was Ihr vorhabt. Aber ich schwöre Euch, daß Eure Schamlosigkeit ihre Strafe finden wird.“ „Glaubt Ihr das? Aber hört, was ich Euch sagen werde. Ihr könnt doch noch sehen. Schaut mich an. Bin ich frei oder nicht?“ „Ich weiß nicht, welch teuflischer Mittel Ihr Euch bedient 95
habt, um das Gefängnis zu verlassen, in das Euch der Hauptmann Grinchon brachte .“ „Zerbrecht Euch darüber nicht den Kopf. Bin ich frei oder nicht?“ „Unglücklicherweise bin ich Euer Gefangener.“ „So ist es. Wenn also mein Freund oder ich schuldig wären, so würden wir bereits weit von Paris weg sein. Stimmt das?“ „Es gabt Eitelkeiten von Banditen …“ „Wenn Ihr hörtet, daß der Hauptangeklagte und ich freiwillig nach Chatelet zurückgekehrt sind, um sich einsperren zu lassen, welche Folgerungen würdet Ihr daraus ziehen?“ Deutlich stand der Unglaube im Gesicht des Staatsbeamten. „Spott scheint Euer hauptsächlichster Zeitvertreib zu sein.“ „Antwortet mir: Wenn man Euch sagen würde, daß die Gefangenen, die aus Chatelet entflohen, freiwillig in ihre Zellen zurückkehrten, welche Folgerungen würdet Ihr daraus ziehen?“ „Daß sie der Gerechtigkeit vertrauten und bewiesen, daß sie sich für vollkommen unschuldig an dem hielten, was man ihnen vorwarf. Aber wir sprechen rein theoretisch.“ „Ist das nicht Euer Haus? Das ist keine Theorie mehr. In einem Augenblick werdet Ihr drinnen sein, und ich werde als Gefangener nach Chatelet gehen.“ Monsieur de Saint-Just wurde immer aufgeregter, je näher er seinem Heim kam … „Und Ihr, Monsieur de Saint-Just werdet nichts von dem Geschehenen erwähnen. Vielleicht würde man Euch nicht glauben. Täte man es aber doch, dann würde ganz Paris über Euch lachen, die Aristokraten ebenso wie das Volk. Ich höre schon, wie man sagt; „Der von seinen eigenen Angeklagten gefangen genommene und von ihnen befreite Richter.“ Lezama ließ den Arm des Staatsbeamten los. „Wenn das Tribunal zusammentritt und um elf Uhr die beiden Angeklagten vorgeführt werden, dann denkt daran, daß ein 96
Schuldbeladener, der sich wie mein Freund und ich in Freiheit befindet, nicht freiwillig vor seinen Richtern erscheinen würde. Auf Wiedersehen, Monsieur.“ Trotz seiner geistigen Gewandtheit dauerte es einige Minuten, bis der Staatsbeamte begriff, daß der sonderbare Spanier gegangen war und er sich vor seinem Hause befand. Schnell schloß er die Tür auf und ließ sich drinnen auf einen Sessel fallen. Sein Alpdruck hatte einen unerwarteten Abschluß gefunden. *
* *
Diego Lucientes und Roger Grinchon zeigten, daß sie keine guten Unterhalter waren, oder vielleicht fanden sie in jenem Augenblick keinen rechten Gesprächsstoff. Ab und zu reichte der Hauptmann der Musketiere seinem Gefangenen den Becher mit Wein. Diego Lucientes schien unruhig. Er trank nur, um zu trinken. Es schmeckte ihm nicht. Er tat es nur, um etwas anderes zu tun, als schweigsam und unbeweglich dazusitzen. Die Ankunft des Schwarzen Piraten, der von den beiden wachhabenden Musketieren am Tor gegrüßt wurde, ermutigte den Madrider. „Gut, Herr Hauptmann. Gleich wird die Ablösung kommen. Deshalb halte ich es für richtig, daß wir Eure Gesellschaft nicht mehr mißbrauchen. Habt die Güte, uns zur Zelle voranzugehen.“ Roger Grinchon erhob sich. „Ich muß es tun, meine Herren, obgleich es mich anekelt. Die Bussys verteidigen nur eine gerechte Sache, und ich schließe mich ihr an. Aber es ist besser, sie wird gesetzmäßig verteidigt.“ 97
„Und wenn das Gesetz blind bleibt? Wer wird dann meine verbrannten Knochen kühlen?“ schimpfte Lucientes. „Aber letztenendes vertraue ich auf den Hidalgo Lezana …“ „… und vertraut auch auf die Bussys und mich, Monsieur“, sagte der Musketier. „Auch ich habe meine Ehre und bin bereit, meine Prinzipien und meinen Respekt vor dem Gesetz über den Haufen zu werfen, wenn ich die geringste Ungerechtigkeit spüre.“ Bevor sich die Tür der Zelle schloß, in die der Hauptmann zwei Fackeln hatte bringen lassen, fügte er noch hinzu: „Wenn Oberst La Fournaise den Vorfall hört, den ich ihm privat mitteilen werde, wird er eine hohe Meinung von Euch, meine Herren, haben.“ Die Tür wurde geschlossen, nachdem Hauptmann Grinchon sich von den beiden wie ein Gastgeber von seinen Geladenen verabschiedet hatte. Diego Lucientes sagte: „Der Oberst La Fournaise wird eine hohe Meinung von uns haben … Seit wann, Señor, kümmerst du dich um die Meinungen anderer? Ich würde es vorziehen, man hielte mich für einen Hexer und ich stände an Bord des „Aquilon“. Das Schlimme ist, daß ich nichts von Hexerei verstehe und die Flammen des Scheiterhaufens, den die Kapuzenmänner anzünden werden, nicht in wehende Schleier verwandeln kann. Glaube mir, Señor, mein Vertrauen in dich ist groß. Aber ebenso groß ist das Mißtrauen, das mir die Kapuzenmänner einflößen und sämtliche Vertreter des Gesetzes.“ „Eine Folter kannst du sehr leicht vermeiden.“ „Wie, Señor? Ich halte mich für einen schlauen Burschen, aber ich sehe nicht, durch welche Hexerei ich den liebevollen Aufmerksamkeiten des Henkers entgehen kann.“ „Du brauchst nur die gegen dich erhobenen Beschuldigungen zuzugeben.“ Diego Lucientes blieb stehen. Er kreuzte die Arme über der 98
Brust. Seine Verwirrung war so komisch durch die Anstrengungen, die er machte, seine Furcht und seinen Ärger zu besiegen. „Ich habe dich nicht richtig verstanden, Señor.“ „Das ist ganz einfach. Derjenige, der dir die erste Beschuldigung entgegen schleudert, wird dich vielleicht fragen: ‚Gibst du zu, Julius Cäsar ermordet zu haben?’ Und du antwortest ergeben: ,Ich gebe es zu.’ Und da du nicht deine Unschuld beteuerst, wird man dich nicht der Folter unterwerfen, wie man es nur mit denen macht, die hartnäckig leugnen.“ „Aber, zum Teufel, Señor! Ich werde zwar der Folter entgehen, aber man wird mich eilig auf den Scheiterhaufen, den Vorsaal zur Hölle, schleppen.“ „Werde ich inzwischen vielleicht auf einer Antilleninsel Karten spielen? Ich werde dort sein, wohin ich gehöre. Neben dir auf der Anklagebank. Und auch ich werde alles zugeben, dessen man mich beschuldigt.“ „Der Blitz soll mich treffen, wenn ich ein Wort davon verstehe, Señor. Ich sitze schon jetzt wie auf glühenden Kohlen. Werden wir nicht frei sein? Warum so viel Verwicklungen?“ „Sobald wir unsere Schuld zugegeben haben, wird der Hauptzeuge erscheinen: der Denunziant. Das habe ich gewollt, und darum benehmen wir uns wie demütige Gefangene.“ „Gut, Herr. Und was haben wir damit erreicht, wenn wir wissen, wer die falsche Anzeige erstattete? Um einen Namen zu verfluchen, wenn wir den Feuertod erleiden? Ich benehme mich wie Sancho Pansa, aber meine Neugierde geht nicht so weit, daß ich wissen will, wer diese teuflische Intrige plante. Ebenso wäre es mir gleichgültig, wenn man den Marquis von Avapies mit Kot bewürfe, wenn Diego Lucientes sich derweilen den Magen füllen und gemütlich an Bord deines Seglers sein würde.“ „Du vergißt die beiden Bussys! Hättest du deine Rettung auf Kosten dieser beiden tapferen Männer angenommen, die all ihr Hab und Gut aufs Spiel setzten?“ 99
Der weibliche Vampir heißt der nächste Band dieser abenteuerlichen Serie
In ihm wird die unbekannte, komplizierte und historische Geschichte enthüllt, die ganz Paris in Atem hielt
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„Gewissensbisse wären mir geblieben, aber sie wären immer noch geringer gewesen, als das Feuer unter meinen Fußsohlen. Hast du nicht an Bord und jederzeit zum Kampf bereit eine Schar tapferer Männer? Ich wäre sicherer, wenn sie hier in der Nähe herumstreichen würden.“ „Das Wenige, was ich auf dieser Welt besitze, ist die geringe Ehre, jeden so zu bekämpfen, wie er es verlangt. Man heckte eine Intrige gegen uns aus. Tun wir ein Gleiches. Und jetzt, Student, laß’ uns schlafen. Man wird uns schon wecken.“ *
* *
In den ersten Morgenstunden hatte Monsieur de Saint-Just dauernd gegen die Versuchung gekämpft. Es war eine logische Versuchung, die Geschehnisse zu enthüllen. Aber immer wieder kamen ihm die Worte in den Sinn: „… ganz Paris wird über Euch lachen, die Aristokraten ebenso wie das Volk. Ich höre schon, wie man sagt: ,Der von seinen eigenen Angeklagten gefangen genommene und von ihnen befreite Richter’.“ Die große Erfahrung des Staatsbeamten hatte diesem bei verschiedenen Gelegenheiten gezeigt, daß es in Paris das Ende einer Karriere bedeutete, wenn man sich lächerlich machte. Daher packte er um dreiviertel elf, als ob nichts geschehen wäre, seine Akten zusammen und fuhr mit einem Wagen nach Chatelet. Das Tor war geöffnet, und Roger Grinchon grüßte ihn mit seinem Degen. Saint-Just hüstelte leicht, ehe er fragte: „Etwas Neues heute nacht, Hauptmann?“ „Wenn es Neuigkeiten gab, dann teilte ich sie schriftlich meinem Oberst mit.“ 101
Die trockene Antwort erinnerte ihn daran, daß er bei den Musketieren nicht gern gesehen war. „Ich empfing eine Benachrichtigung von Eurem Oberst, in der er mir etwas mitteilte, an das ich nicht recht glauben kann.“ „Achtet auf Eure Worte, Monsieur“, brummte Grinchon. „Wenn mein Oberst Euch etwas mitteilte, dann gestattet Euch nicht, daran zu zweifeln. Im Oberen Gerichtssaal erwartet man Euch, Monsieur.“ Saint-Just stieg in den Saal hinauf, der stets für die Prozesse benutzt wurde, die unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfanden. Der wenig freundliche Saal wurde durch seine dunklen Möbel sowie die Anwesenheit drei rot gekleideter Kapuzenmänner noch unheimlicher. Saint-Just kannte die drei, denn es waren hochgestellte Persönlichkeiten, die er selbst ausgewählt hatte. Die drei saßen an einem rot gedeckten Tisch und erwiderten den Gruß des Königlichen Anklägers. Saint-Just zog gleichfalls ein rotes Gewand an, ebenso sein Adjutant, und setzte eine rote Kapuze auf, worauf er Platz nahm. Auf ein Zeichen eines der Kapuzenmänner nahm ein Mann, der ein rotes Netzhemd und eine Maske trug, die Decken von einigen Gegenständen, die vorher in den Saal gebracht worden waren. Ein eisernes Pferd mit Stacheln, eiserne Stiefel, mehrere Öfen, blies die Asche von den glühenden Kohlen und steckte die Zangen hinein. „Gebt den Befehl!“ Die Stimme des Präsidenten ließ die beiden Musketiere, die an der Tür standen, Haltung annehmen. „Das Tribunal wartet!“ Der Ausruf eines der Musketiere wurde weiter gegeben, und kurz darauf erschien ein Sergeant mit sechs Leuten, die den Saal besetzten. 102
Dann kam Roger Grinchon, den Degen auf der Schulter. Ihm folgten Diego Lucientes und der Schwarze Pirat. „Die Gefangenen!“ meldete er, wie es seine Pflicht war. Er trat zwei Schritte beiseite, damit Lezama und Lucientes sich auf das Podium begeben konnten, auf dem die Anklagebank stand. Von ihr aus gewahrte man deutlich die Folterinstrumente und die Vorbereitungen des Henkers. „Wenn Schreien mich beruhigen würde, würde ich schreien“, flüsterte Diego Lucientes schweißtriefend. Einer der Kapuzenmänner, der als Sekretär fungierte, erhob sich. „Zunächst werden die Angeklagten einem Verhör unterworfen werden. Es wird ihnen mitgeteilt, daß ein hartnäckiges Leugnen die Tatsache der Wahrhaftigkeit der Anzeige nicht ändert.“ Er schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort: „Bevor der Königliche Ankläger das Wort ergreift, werde ich die ersten Fragen stellen, die mich als Sekretär des Gerichtshofes angehen. Gestehe, Angeklagter, daß du einen falschen Titel benutztest. Du erklärtest David Youpin, der Marquis von Avapies zu sein.“ „Ich erklärte es“, entgegnete Lucientes und warf einen schnellen Blick auf den Schwarzen Piraten, der mit gekreuzten Armen dasaß, als gehe ihn die ganze Sache nichts an. „Auf Grund dieses falschen Titels fordertest du Baron Rochefort zum Duell. Stimmt das?“ „Es stimmt.“ „Dein Geständnis wird die Verhandlung abkürzen, und man wird dich auf einem öffentlichen Platz verbrennen.“ „Was ich fürchtete“, flüsterte der Madrider. „Aber der Tanz ist im Gange …“ „Der Angeklagte soll laut und deutlich sprechen!“ erklang die Stimme hinter der Kapuze. 103
„Ich sagte, daß ich tausend Feuertode verdiente.“ „Tötetest du den Baron von Rochefort?“ „Ja, ich tötete ihn.“ „In Verbindung mit teuflischen Hexereien?“ „So war es.“ „Wer waren deine Komplizen?“ „Ich“, warf der Schwarze Pirat ein. „Ich übergebe das Wort dem Herrn Königlichen Ankläger mit Erlaubnis Seiner Exzellenz“, und der Kapuzenmann verbeugte sich vor dem Präsidenten, ehe er sich setzte. Monsieur de Saint-Just hustete unter der Kapuze. „Um die erhobenen Anklagen zu vertreten, ist die Gegenwart des Denunzianten erforderlich. Aber vorher muß ich dem hohen Gerichtshof eine Erklärung unterbreiten, die ich seinem Studium empfehle.“ Saint-Just griff nach einem Papier, das er seinem Aktenbündel entnahm. „Oberst La Fournaise, dessen Ehrenhaftigkeit über jeden Zweifel erhaben ist, erklärte, daß die Angeklagten gegen Mitternacht aus dem Gefängnis entflohen und zwei Stunden später freiwillig zurückkehrten, um zu beweisen, daß sie unschuldig seien.“ „Sie haben aber ihre Vergehen eingestanden“, sagte der Präsident. „Ein ratsames Verhalten, um die Folter zu vermeiden“, gab Saint-Just zurück. „Sie können aber nur verurteilt werden, wenn der Denunziant auf seiner Anzeige besteht. Ich ersuche deshalb das Tribunal, den Hauptzeugen zu rufen.“ Einer der Kapuzenmänner erhob sich und stieg vom Podium hinunter. Er nahm die Kapuze ab, und sein hageres, bleiches, schmallippiges Gesicht kam zum Vorschein. Die feingeschnittene Nase, die großen leuchtenden Augen gaben ihm etwas Weibliches. 104
„Ich, Herzog Retors, bestätige meine Anzeige und beschuldige die beiden Gefangenen, Baron Rochefort getötet zu haben.“ Der Schwarze Pirat schaute den Sprecher überrascht an. Ein Unbekannter … Es war nicht die Person, die er als Ankläger erwartet hatte … „Herzog Retors“, rief Monsieur de Saint-Just lebhaft aus. „Niemand kann sein Ehrenwort in Zweifel ziehen.“ Monsieur de Saint-Just erhob sich, nahm die Kapuze ab und sagte feierlich, ohne die Spanier anzuschauen: „Es ist bewiesen, daß die beiden Gefangenen schuldig sind. Daher wird das Urteil des Gerichtes vollstreckt. Die Angeklagten werden auf einem öffentlichen Platz den Feuertod erleiden.“ Der Schwarze Pirat stieß ein sarkastisches Lachen aus. „Genügt das Ehrenwort eines Mannes, der seinen Titel befleckt, um zwei Unschuldige zu verurteilen?“ „Henker!“ rief Betors. „Kette die Sträflinge an. Hauptmann! Führen Sie sie …“ Der Henker, der auf die beiden zuschritt, und Hauptmann Grinchon, der ganz anders eingreifen wollte, als das Gericht es annahm, blieben stehen. In diesem Augenblick nämlich hatten die beiden Musketiere, die draußen vor der Tür. standen mit ihren Degengriffen angeklopft. Deutlich vernahm man ihren Ruf: „Einlaß für den Kurier des Königs!“ Ein Mann in einem gelben Gewand, am Wehrgehänge das Wappen der Könige in Diamanten, trat in den Saal. In der Rechten hielt er ein zusammengerolltes Pergament. „Königliche Botschaft für den Herrn Ankläger!“ Monsieur de Saint-Just nahm das Pergament, dessen Siegel er eilig erbrach. Er las es … und schaute streng auf den Herzog Retors. Dann gab er das Schreiben den beiden anderen Kapuzen105
männern, dessen kurzer Inhalt dieselbe Reaktion bei diesen auslöste. Scharf sahen sie den Herzog an. „Hauptmann Grinchon!“ befahl Saint-Just. „Nehmt den Herzog Retors in Gewahrsam!“ „Ich verlange eine Erklärung für diese Beleidigung!“ Langsam erhob sich der Präsident und sein Finger zeigte auf das bleiche, krankhafte Gesicht des Herzogs. „Gegen Euer Ehrenwort, Herzog Retors, gibt es zwei unwiderrufliche. Seine Majestät gedenkt daran, daß es im Wappen der Bussys heißt; ,Nie log ein Bussy!’ Und Bussy d’Amboise und Bussy Leclerc erklären unter Ehrenwort, daß die angeblich Schuldigen Baron Rochefort nicht töten konnten, weil sie von der Stunde an, in der sie sich von Baron Rochefort am DianaBrunnen verabschiedeten bis zur Festnahme des Hauptangeklagten in der Gesellschaft der Brüder Bussy waren. Herzog Retors! Vor dem Könige werdet Ihr für Eure Denunziation einstehen müssen!“ Der Präsident nahm die Kapuze ab und fügte hinzu: „Der königlichen Botschaft gehorchend, bleiben die beiden Spanier auf der Festung im Wachkorps. Sie werden dort mit allen Vergünstigungen unter der freundschaftlichen Bewachung Hauptmann Grinchons Unterkunft nehmen, bis die königliche Entscheidung gefallen ist.“ ENDE
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Ob jung – ob alt ein jeder von uns weiß in diesen ersten kühlen Herbsttagen sein gemütliches Heim wieder mehr zu schätzen, Nichts kann aber besser dazu beitragen, die immer länger werdenden Abende zu verkürzen, als die Lektüre unserer spannenden und fesselnden Kleinbücher.
seien es nun die aufregenden Taten des kalifornischen Volkshelden
COYOTE oder die romantischen Abenteuer, die der verwegene Carlos Lezama in allen Ländern und Meeren der Erde als
SCHWARZER PIRAT erlebt, oder endlich der gemeinsame Kampf des jungen Multimillionärs Milton Drake und des als
ROTE SCHLANGE bekannten, geheimnisvollen schönen Mädchens für wahre Gerechtigkeit
finden Sie in unseren Büchern die sich mit ihren MILLIONENAUFLAGEN in aller Welt die Herzen der Leser erobert haben. Versäumen Sie nicht, sich diese für jeden leicht erschwingliche Freude zu bereiten. Auch die früher erschienenen Bände können noch nachgeliefert werden.
Verlag Friedr. Petersen – Hamburg 1 – Schopenstehl 15
Ein Scan einer Originalseite