Perry Rhodan Planetenroman Nr. 365
GEGNER UNBEKANNT PETER GRIESE
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Perry Rhodan Planetenroman Nr. 365
GEGNER UNBEKANNT PETER GRIESE
1. Der große Teller mit dem abgenagten Eisbein flog quer durch den Kantinenraum und landete krachend auf dem Tisch, an dem der Chefbiologe Gernot Chovalski mit einigen seiner Mitarbeiter sein Abendessen einnahm. Ein weiterer Teller flog hinterher. Zwei Tassen, beide noch gefüllt, und ein Becher mit einem klebrigen Fruchtsaft folgten spontan und landeten an der Wand neben dem Tisch. Die Flüssigkeiten spritzten über das erschrockene Quintett. All das geschah in der einzigen Kantine des Planeten Heleios, die zugleich die einzige Gaststätte war und offiziell »Neutrinosturm« hieß. Den Namen benutzte jedoch kaum jemand - von den beiden Bedienungsrobotern einmal abgesehen. Die wenigen Besucher sprachen lax von der »Pinte«. Und die Roboter nannten sie Rakal und Tronar, was sich die auch gefallen ließen, denn es klang besser als »Neutrino-A« und »Neutrino-B«. Es war ausgerechnet der ruhige und freundliche Senol Byber, der damit den ersten Streit lostrat. Und es geschah am gleichen Tag, an dem Nobby Sipebo zum ersten Mal das merkwürdige Jucken in den Kniekehlen spürte. Aber das Zusammentreffen der beiden Ereignisse war wohl als Zufall zu betrachten. Eine seltsame Unruhe unter den wenigen Menschen, die auf Heleios weilten, hatte sich schon in den letzten drei Tagen bemerkbar gemacht. Aber niemand hatte einen Grund dafür gesehen, sich ernsthafte Gedanken zu machen. Es kam schon einmal vor, daß eine Diskussion etwas heftiger geführt wurde. Oder daß ein ungerechtfertigter Vorwurf ungeklärt im Raum stehenblieb. Aber Senol Byber brachte das Faß zum Überlaufen. Und er löste damit eine Kette von Reaktionen und Zwischenfällen aus, deren Folgen wirklich niemand ahnen konnte. Am wenigsten er selbst, denn er gehörte zu den ruhigeren Vertretern der Wissenschaftler und Helfer auf dem vierten Seriphos-Planeten, 6345 Lichtjahre von der heimatlichen Erde entfernt. Der Zwischenfall ereignete sich in den Abendstunden des 12. August 1182 NGZ, was nach der alten christlichen Zeitrechnung dem Jahre 4769 entsprach. Senol Byber hatte zum ersten Mal in seinem Leben seinem Spitznamen »Peperoni« 1
im wahrsten Sinne des Wortes alle Ehre gemacht. Er war regelrecht explodiert und hatte Teller und Tassen durch die Gegend geschleudert. Und alles genau in Richtung der beiden Tische, an denen die Leute vom Projekt PLANTAFROST saßen. Daß er dabei ein hohes Maß an Zielsicherheit und Kraft bewiesen hatte, interessierte niemanden. Auch nicht seine drei Begleiter aus dem Forschungsteam GRA-VOMOD. Vera und Tamer Akin, die beiden Assistenten seines noch nicht in der »Pinte« erschienenen Chefs Zoltan Iwawisi, starrten sich nur grinsend an. Sie billigten offenbar den ungewöhnlichen Angriff ihres Kollegen gegen die Leute vom Forschungsprojekt PLANTAFROST. Senol Bybers Lebensgefährtin, die blonde Svetlana Golubkoy, sprang aber auf und fiel dem schlanken, schwarzhaarigen Mann in den Arm, als der einen Hocker in die Höhe riß und ihn den Geschirrteilen folgen lassen wollte. »Bist du übergeschnappt?« schrie sie ihn an. »Es hat dir doch keiner etwas getan!« Bybers dunkelbraune Augen funkelten zornig. »Vielleicht hältst du dich besser da raus!« fauchte er Svetlana an. »Es handelt sich um Dinge, von denen du offenbar nichts verstehst.« Immerhin, er setzte den Hocker wieder ab. »Ich habe genau gehört«, sagte er dann mit einem gefährlichen Unterton, »wie sie über uns und über GRAVOMOD gelästert haben. Diese billigen Gärtner bilden sich wohl ein, sie seien etwas Besonderes und könnten sich alles erlauben. Ich lasse mir diese Hinterhältigkeiten nicht langer gefallen.« Svetlana Golubkoy starrte ihren langjährigen Freund irritiert an. Dann schüttelte sie den Kopf. »Tut mit leid, Senol, aber ich verstehe kein Wort. Was, zum Teufel, ist in dich gefahren?« Der grauhaarige, lebenserfahrene PLANTAFROST-Chef Gernot Chovalski behielt die Ruhe. Er wischte sich mit einer Serviette die gröbsten Flecken vom Hemd. Dann gab er zweien seiner Leute ein Zeichen. Der untersetzte, aber kräftige Sebastiane Truisi erhob sich und schob seinen Brustkorb nach vorn. Neben ihm reckte sich Bylent Simsek in die Höhe, der nicht umsonst den Beinamen »Blitz« trug. Die beiden Männer schlenderten scheinbar desinteressiert hinüber zum Tisch der Gravitationsforscher. Senol Byber nahm sofort eine abwehrende Stellung ein und ballte beide Hände. Er rechnete mit einem Angriff. Und der erfolgte, wenn auch etwas anders, als es sich der schlanke Mann ausgerechnet hatte. Truisi und Simsek blieben dicht vor Senol Byber stehen und verschränkten die Arme. Die Szene wirkte provozierend. »Ich möchte mich über zwei Dinge vergewissern«, begann der eher kleinwüchsige Truisi. »Hast du uns soeben als Gärtner bezeichnet?« Er zog das Wort »Gärtner« in die Länge. 2
»Hab' ich«, antwortete Byber. »Gefallt dir das nicht?« »Und du bist es auch gewesen, der die Teller und Tassen geworfen hat?« »Genau! Und nun verschwindet zu euren Gemüsehändlern. Oder soll ich euch Beine machen?« »Du nimmst das Maul zu voll!« sagte Sebastiane Truisi mit gefährlicher Ruhe. Er holte scheinbar zu einem Hieb aus und lenkte damit die ganze Aufmerksamkeit des Physikers auf sich. Das nutzte »Blitz« Simsek. Er trat Byber von der Seite gegen das Knie, so daß er sofort zu Boden stürzte. Bevor er wieder auf den Beinen war, hechtete sich Truisi auf ihn und schlug ihm mehrfach die Fäuste ins Gesicht. Tamer Akin sprang auf und wollte sich auf Truisi werfen, aber Bylent Simsek stellte ihm ein Bein. Der Kommunikationsspezialist fiel neben seinem Teamkollegen zu Boden. Eine wüste Rauferei zwischen den vier Männern entbrannte. In diesem Moment betrat Zoltan Iwawisi, der Kopf des Projekts GRAVOMOD, die »Pinte«. Überrascht blieb er stehen. Dann kreuzten sich seine Blicke mit denen Gernot Chovalskis. Aber der Chef von PLANTAFROST zuckte nur hilflos mit den Achseln. Die Rauferei und Prügelei dauerte unterdessen an. Die beiden Kantinenroboter, altertümlichen Kampfrobotern der ersten Generation des Solaren Imperiums nachgebildet, kamen hinter der Theke hervor. Normalerweise bestand ihre Aufgabe allein darin, die Gäste zu bedienen und ihnen alle Wünsche an Speisen und Getränken zu erfüllen. Nun zeigte es sich, daß ihre Programmierung etwas weitreichender angelegt worden war. Die stählernen Hände von Rakal und Tronar packten energisch zu. Sie zerrten die Kämpfenden auseinander, die sich nun in wüsten Schimpftiraden ergingen. Mit den Robotern wollte sich jedoch niemand anlegen. »Schlägereien irgendwelcher Art sind in den Kantinenräumen des >Neutrinosturms< nicht gestattet«, verkündete Rakal mit seiner Blechstimme. »Ich habe den Verwalter benachrichtigt. Nobby Sipebo wird in Kürze hier erscheinen und die weiteren Schritte selbst einleiten. Bitte geht an eure Tische zurück. Tronar und ich werden die entstandenen Verschmutzungen sofort beseitigen. Wenn jemand medizinische Hilfe benötigt, so möge er sich mit der Medostation in Verbindung setzen.« »Was fällt dir ein, du Blechdose!« schrie Senol Byber den Roboter an. »Du hast nicht das Recht, dich in Angelegenheiten von Lebewesen einzumischen. Verschwinde auf der Stelle! Oder du landest in einem Konverter!« Nun war Bybers Chef, der schwergewichtige Glatzkopf Zoltan Iwawisi, an die Seite des Schreiers getreten. »Setz dich hin, Senol!« befahl der fast hundertfünfzigjährige Hyperphysiker scharf. Senol gehorchte murrend. Gernot Chovalski folgte dem Beispiel und beorderte Sebastiane Truisi und Bylent 3
Simsek an ihren Tisch zurück. Dann trat er zu Iwawisi. »Tut mir sehr leid, Zoltan«, bedauerte er. »Aber einer deiner Männer hat mit dem Streit angefangen. Der da!« Er deutete auf »Peperoni«. »Eine glatte Lüge«, gab der schlanke Physiker wütend zurück. »Die Bande von Frostgärtnern hat während des ganzen Abendessens über uns gelästert und eine Reihe von dreckigen Bemerkungen über unser Projekt GRAVOMOD gemacht. Da mußte ich doch etwas unternehmen.« »Der Kerl spinnt hochgradig!« rief Bylent Simsek über die Schulter zurück, während seine Kollegin Tina Mynig sich bemühte, ihn an den eigenen Tisch zu führen. »Seine Phantasie schlägt Purzelbäume. Vielleicht schickt ihr ihn in psychiatrische Behandlung.« Svetlana Golubkoy stand nur kopfschüttelnd da. Ein paar Tränen hatten sich in ihren Augen gebildet. »Vielleicht kann mir mal jemand erklären, was hier wirklich geschehen ist.« Zoltan Iwawisi, der wegen seines Übergewichts zum Schwitzen neigte, wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. Sein auffordernder Blick galt Svetlana, der Lebensgefährtin Senol Bybers. »Ich kann dazu nichts sagen«, sagte die Frau matt. »Ich verstehe das alles nicht. Ich muß allerdings zugeben, daß ich nicht auf die Gespräche geachtet habe, die am Tisch der PLANTAFROST-Leute geführt worden sind.« Vera Akin, die Partnerin Tamers, schüttelte nur stumm und ratlos den Kopf. Zischend schoß ein kleiner, länglicher Körper von schwarzer Farbe zwischen die Diskutierenden und verharrte in Kopfhöhe der Menschen. Das schwebende Objekt glich einem unterarmlangen Wurm mit einem großen Kopf, an dem zwei rote, leuchtende Augen ebenso auffielen wie zwei dreieckige Ohren. Die Ohren, in Wirklichkeit Multisensoren, waren schwarzweiß gestreift, ansonsten war der ganze Körper pechschwarz. »Benny, einer der syntronischen Würmer des Verwalters«, stellte Iwawisi fest. »Dann ist Sipebo auch nicht mehr weit.« »Stimmt«, tönte es freundlich aus der flugfähigen Syntronik. »Der Verwalter hat mich vorgeschickt, um die Lage zu sondieren. Detaillierte Berichte über den ganzen Vorfall liegen uns bereits vor. Ich habe Rakals und Tronars Speicher angezapft und die Daten dem Chef übermittelt.« Mit »Chef« meinte er den Heleios-Verwalter Nobby Sipebo. Die Menschen schwiegen daraufhin, sie warteten. Kurz darauf traf Nobby Sipebo ein. Der Verwalter des Planeten Heleios galt als einziger Mensch, der hier ständig wohnte. Sipebo war im Jahr 1132 hier geboren worden und somit jetzt 50 Jahre alt. Er war kein Mann von vielen Worten. »Ich habe die Informationen der beiden Kantinenroboter ausgewertet«, berichtete er ohne Begrüßung. »Danach steht fest, daß in der Tat am Tisch der 4
PLANTAFROST-Leute nicht gerade zuvorkommend über das Gravitationsteam geredet worden ist. So etwas sollte unterlassen werden. Die Reaktion Senol Bybers kann damit aber nicht entschuldigt werden. Sie war völlig überzogen. Das gilt auch für die Gegenattacke durch Simsek und Truisi. Ich erwarte von Wissenschaftlern, daß sie sich nicht wie wildgewordene Rowdies benehmen. Welche Maßnahmen die Projektleiter ergreifen, überlasse ich Iwawisi und Chovalski. Für heute ist die Kantine geschlossen.« Verschiedene Stimmen ertönten und wollten widersprechen. Aber Nobby Sipebo ging nicht darauf ein. Er ließ von Rakal und Tronar den Raum fast völlig abdunkeln und das Eingangstor ganz öffnen. Kühle Nachtluft strömte herein und vertrieb die letzten Aggressionen. Murrend machten sich beide Gruppen auf den Weg zu ihren Unterkünften. »Was hältst du von der Geschichte, Benny?« wandte sich Nobby Sipebo an die Kleinsyntronik. »Vielleicht sind ein paar von ihnen schon zu lange von zu Hause fort«, antwortete Benny. »Senol Bybers Verhalten ähnelt schon einem Koller. Du hättest vielleicht verlangen sollen, daß er sich in der Medostation untersuchen läßt. Aber auch der Gegenangriff paßt nicht zu den eigentlich besonnenen Wissenschaftlern.« »Wir müssen sie unauffällig im Auge behalten«, sagte Sipebo. »Das ist eine Aufgabe für Betty und dich. Ihr könnt von mir aus auch ein paar Minispione einsetzen. Jedenfalls kann ich es nicht zulassen, daß sie noch einmal so aneinandergeraten.« Er kratzte sich an den Kniekehlen. »Was juckt dich?« fragte Benny. »Keine Ahnung«, erwiderte der Verwalter. »Wenn es schlimmer werden sollte, muß eben einmal ich in die Medostation.« Rakal und Tronar meldeten, daß sie im »Neutrinosturm« alles wieder in Ordnung gebracht hatten. Damit war Sipebos Aufgabe hier erledigt. Nachdenklich verließ er den Kantinenraum und machte sich auf den Weg zu seiner Blockhütte. Benny, der syntronische Wurm, flog stumm auf seinen Antigravpolstern neben ihm her. Eine halbe Stunde später stand Nobby Sipebo in seiner Naßzelle. Die Dusche hatte ihn ein wenig erfrischt, aber die einsetzende Müdigkeit nicht verdrängen können. Im Wandspiegel betrachtete er seine Kniekehlen. Außer einer leichten Rötung konnte er nichts in dem Bereich feststellen, in dem seit ein paar Stunden immer wieder ein leichter Juckreiz auftrat. Der einsame Mann hatte sein ganzes Leben auf Heleios verbracht. Er war ein ruhiger und sachlicher Typ, der die Einsamkeit liebte. Seit Mai 1170 war er die meiste Zeit ganz allein auf Heleios gewesen. Der ehemalige Stützpunkt der Organisation WIDDER war seit dem Wirken Sato Ambushs weitgehend verwaist. Damals hatte der Pararealist hier ein großes Geheimnis der Nakken lüften können. 5
Heute spielten diese Dinge in der Erinnerung Nobby Sipebos nur noch eine unbedeutende Rolle. Der Verwalter des Planeten war 1,82 Meter groß. Auf seiner Stirn hatten sich schon früh Geheimratsecken gebildet. Das strahlende Bild eines Mannes im besten Alter gab er nicht gerade ab, und er selbst schätzte sich auch nur als Durchschnitt ein. Die meiste Zeit beschäftigte er sich mit der Überwachung der vielen Anlagen des Planeten. Vielleicht würden sie irgendwann in der Zukunft wieder in größerem Umfang benötigt werden. Er hatte somit viel freie Zeit, die er für Wanderungen oder fürs Angeln nutzte. Aber auch seinem eigentlichen Hobby, dem Bau von flugfähigen Kleinsyntroniken, konnte er genügend Zeit widmen. Benny und Betty, die er wegen ihrer eigenwilligen Form »syntronische Würmer« nannte, waren seine Meisterwerke. Vor Jahren hatten ihm zwei siganesische Kybernetiker geholfen, die beiden Helfer zu dem zu machen, was sie nunmehr darstellten - miniaturisierte Hochleistungssyntroniken. Benny und Betty glichen sich in Größe und Form völlig. Auch alle Einzelheiten stimmten überein. Nur war Bennys Hülle pechschwarz und die von Betty weiß. Bei der routinemäßigen Überwachung der Anlagen von Heleios leisteten beide Syntroniken gute Dienste, da sie völlig unabhängig von den Großsyntroniken aller Bereiche waren und nur ihrem Herrn gehorchten, der sie jederzeit über ein Armbandfunkgerät ansprechen konnte. Trotz der späten Abendstunde beschloß Nobby Sipebo, noch vor der verdienten Nachtruhe die Medostation aufzusuchen. Er war ein vorsichtiger Mann, und das fortgesetzte Jucken in den Kniekehlen störte und beunruhigte ihn. Er wählte seinen Weg so, daß er durch das kleine oberirdische Dorf führte, in dem die Wissenschaftler der beiden Forschungsteams PLANTAFROST und GRAVOMOD wohnten. Ganze 84 Menschen bewohnten zur Zeit Heleios, wobei der Verwalter sich selbst nicht mitzählte. Das bedeutete, daß etwa ein Viertel der Bungalows des Dorfes zur Zeit bewohnt war. Sipebo erinnerte sich an die vielen Jahre, die er ganz allein hier verbracht hatte. Der Weg durchs Dorf bedeutete zwar einen kleinen Umweg, aber das machte ihm nichts aus. Er wollte sich vergewissern, daß die plötzlich so unbeherrscht gewordenen Männer und Frauen Ruhe hielten. Diesmal begleitete ihn Betty. Einer der syntronischen Würmer war stets an seiner Seite. Natürlich war auch Betty über die jüngsten Vorgänge informiert. Was Benny wußte, erfuhr sie von ihrem syntronischen Partner automatisch. Die Nachtluft war jetzt noch kühler. Früher hatten auf Heleios einmal recht hohe Temperaturen geherrscht, etwa zwölf Grad im Durchschnitt höher als auf Terra. Aber ein Wissenschaftlerteam hatte schon vor vielen Jahren hier Experimente der Wettersteuerung vorgenommen und auf Sipebos Bitte seine Arbeiten mit einem Großversuch abgeschlossen, der Heleios selbst betraf. Seit dieser Zeit bewegten 6
sich die Temperaturen in den Grenzen, wie man sie von der Erde kannte. Heleios war in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts NGZ ein geheimes Hansekontor gewesen. Homer G. Adams, der Chef der Kosmischen Hanse, hatte es während der damaligen »Blitzer«-Gefahr wegen seiner Nähe zum Perseus-Black Hole einrichten lassen. In Anlehnung an den Sohn Heleios des Perseus aus der griechischen Mythologie war auch der Name für den vierten Planeten von zwölf der Sonne Seriphos entstanden. Diese inoffiziellen Namen hatte später die Widerstandsorganisation WIDDER übernommen. Adams hatte schon während der ersten Aufbaustufe des Stützpunkts in weiser Voraussicht dafür gesorgt, daß die Daten über Heleios nur wenigen Eingeweihten bekannt und nicht einmal in der lunaren Großsyntronik NATHAN gespeichert worden waren. Und in den offiziellen Sternenkatalogen war Seriphos stets nur eine Ziffernfolge gewesen. Erst als die Organisation WIDDER ein Ausweichquartier hatte beziehen müssen, hatte Heleios neue Bedeutung erhalten. Adams hatte den Planeten genau überwachen lassen und war sich sicher gewesen, daß hier keine Cantaro - die damaligen Gegner - aufgetaucht waren. Damit hatte die zweite Ausbaustufe des Planeten begonnen. Auf dem größten der vier Monde, der den Namen Alkaios trug, waren Ortungs- und Hyperfunkanlagen eines hochwertigen Überwachungssystems eingerichtet worden. Sie existierten noch heute, auch wenn der Stützpunkt bekannt war und ihm keine Gefahr mehr drohte. Heleios verfugte über neun Kontinente. Auf dem größten, der sich in Form, Ausdehnung und Lage mit dem terranischen Asien vergleichen ließ, befand sich der eigentliche Stützpunkt in einem Gebirgsmassiv. Die wenigen oberirdischen Anlagen waren erst später errichtet worden, nachdem die Gefahr durch Monos und die Cantaro gebannt worden war. Das eigentliche Zentrum der Station lag in drei Kilometer Tiefe. Es war in zehn Ebenen unterteilt und erstreckte sich über eine Fläche von etwa einem Quadratkilometer. Auch heute war von den unterirdischen Anlagen nicht einmal die Hälfte voll ausgebaut. Daneben existierten in der Nähe zwanzig Aushöhlungen, die ursprünglich als Hangars vorgesehen waren, auch sie waren nie zur Gänze fertiggestellt worden. Das ganze System aus Stollen, Schächten und Räumen ähnelte einem Labyrinth. Nobby Sipebo und seine beiden Kleinsyntroniken kannten hier als einzige jeden Winkel. Fremde würden sich hoffnungslos in den meist nicht einmal beleuchteten Hallen und Röhren verirren. Heute spielte sich das wenige Leben meist an der Oberfläche ab. Die Wissenschaftler benötigten für ihre Arbeiten aber stets die subplanetaren Laborräume oder die dortigen Spezialsyntroniken. Oder einfach größere Räume, 7
die wegen der Art der Experimente und Untersuchungen von der Außenwelt abgeschottet sein mußten. Dennoch - neun Zehntel der ganzen Anlagen besaßen keine Bedeutung mehr. Die vorhandenen technischen Systeme wurden trotzdem betriebsfähig gehalten, denn niemand konnte sagen, wann sie wieder einmal benötigt werden würden. Etwas Ähnliches galt für die kleinen Stützpunkte auf den Monden Elektyron, Mestor und Sthenelos. Nobby Sipebo suchte sie alle zwei oder drei Jahre einmal über Transmitterstrecken auf, denn Raumschiffe gab es auf Heleios normalerweise nicht. Die Medostation gehörte eigentlich auch zum subplanetaren Bereich. Der Verwalter hatte aber schon vor vielen Jahren dafür gesorgt, daß es eine Außenstelle an der Oberfläche gab, die am Rand der kleinen Siedlung in einem schmucklosen Betonbau untergebracht war. Sie bestand aus acht völlig identischen, rein syntronisch geleiteten Untersuchungs- und Behandlungsräumen. Bis zum heutigen Tag war es noch nicht vorgekommen, daß einmal zwei Räume zur. gleichen Zeit benötigt worden waren. Auf Heleios passierte normalerweise ja nichts. Die robotischen Einrichtungen der Außenstelle standen in ständiger und direkter Verbindung mit der subplanetaren Medostation und einer dort installierten Spezialsyntronik für medizinische Belange. Hinter einigen Fenstern der Wohnhäuser brannte noch Licht. Nobby Sipebo sah auch einige Schatten, die sich hastig in den Räumen bewegten. Wirkliche Ruhe war bei den beiden Forschungsteams offensichtlich noch nicht eingekehrt. Er schickte Betty los. Nachdem der syntronische Wurm zurückgekehrt war und berichtet hatte, bestätigte sich der Verdacht des Verwalters. In beiden Lagern wurde aufgebracht diskutiert. Es bauten sich harte Fronten auf, die eigentlich völlig unlogisch waren. Sipebo konnte nur hoffen, daß die Frauen und Männer bald zur Einsicht kamen und sich beruhigten. Oder daß sich die beiden noch besonnen wirkenden Chefwissenschaftler, der Biologe Gernot Chovalski und der Hyperphysiker Zoltan Iwawisi, durchsetzten und ihre Mannschaften zur Vernunft brachten. In der Medostation flammte automatisch Licht auf, als der Mann eintrat. Sipebo wählte den Raum Nummer l, den er bei den wenigen Besuchen der letzten dreißig Jahre stets genommen hatte, und nahm dort in einem bequemen Sessel Platz. »Du bist der Verwalter Nobby Sipebo. Was führt dich zu mir?« fragte eine freundliche, weiblich gefärbte Stimme. »Ich habe seit einem halben Tag ein merkwürdiges Jucken in den Kniekehlen«, antwortete der Mann. »Es ist störend. Und seit einer Stunde meine ich, daß dieser Juckreiz sich auch unter den Armen ausbreitet.« »Bitte lege deine Oberbekleidung für eine Untersuchung ab«, verlangte die Syntronik. 8
Nobby Sipebo zog die kurzen Stiefel aus und streifte dann die einteilige Kombination ab. Er stand auf, als sich ein kleiner Schweberoboter näherte und mehrere tentakelähnliche Gliederarme ausfuhr. Die Enden berührten seine Kniekehlen und schoben sich unter seine Arme. Routinemäßig wurden auch an anderen Körperstellen Untersuchungen und Messungen vorgenommen. Der Schweberoboter verschwand, und der Mann kleidete sich wieder an. »Keine Besonderheiten«, diagnostizierte die Medosyntronik. »Du bist gesund. Eine leichte Überreizung an einigen Stellen der Haut. Die Kleidung, die du trägst, bekommt dir wohl nicht sehr gut. Du solltest für eine gewisse Zeit auf synthetische Kleidungsstoffe verzichten.« »Das hört sich an wie eine Allergie.« Nobby Sipebo staunte. »Probleme solcher Art habe ich nie gehabt.« »Sie können ganz plötzlich bei einem Fünfzig- oder Hundertjährigen auftreten«, behauptete die Syntronik sehr sachlich. »Wechsle die Kleidung. Trage natürliche Stoffe. Das ist alles, wozu ich dir raten kann. Zur Sicherheit habe ich ein paar winzige Hautproben entnommen. Sie befinden sich bereits auf dem Weg zur Hauptstelle, wo sie gründlich untersucht werden. Die Mittel dafür stehen mir hier nicht zur Verfügung. Du wirst das Ergebnis erhalten, sobald es vorliegt. Das ist spätestens morgen mittag.« »Keine äußerliche Behandlung?« fragte Sipebo. »Keine Salbe? Kein schnell wirkendes Medikament?« »Nein«, beharrte die freundliche Stimme. »Die Symptome werden nach einem Kleidungswechsel schnell abklingen. Zur Sicherheit solltest du mich morgen noch einmal aufsuchen.« Das klingt fast wie ein Rausschmiß, dachte der Mann. Nachdenklich machte er sich auf den Rückweg. 2. Das Forschungsprojekt PLANTAFROST war vor sieben Jahren von der Kosmischen Hanse in Auftrag gegeben worden. An ihm arbeiteten insgesamt etwa 80 Personen, Wissenschaftler, Assistenten und Helfer. 40 davon lebten seit sechs Jahren auf Heleios. Wo sich das andere Team gleicher Anzahl aufhielt, war den Leuten um Gernot Chovalski unbekannt. Auch der Chefbiologe selbst war nicht darüber informiert. Nach zehn Jahren Forschungsarbeit sollten beide Teams vereinigt werden, ihre Erfahrungen austauschen und ihre Ergebnisse präsentieren. Erst dann würden die führenden Persönlichkeiten entscheiden, was weiter geschehen sollte. Die Teilung des gesamten Forschungsteams in zwei Gruppen, die unabhängig voneinander an verschiedenen Orten arbeiteten, hatte zum Ziel, den Ehrgeiz der Wissenschaftler anzustacheln, denn natürlich wollte keiner am Ende den zweiten Platz einnehmen. 9
PLANTAFROST war ein typisches Langzeitprojekt. Jedem Beteiligten war klar, daß diese erste Frist von zehn Jahren eben nur der Einstieg sein konnte. Es sei denn, so sagte sich nicht nur der Chefbiologe, man hätte einen schnellen Durchbruch erzielen können. Aber die Chancen dafür waren minimal. Ziel des Projekts war die Entwicklung von Pflanzen, die als Nahrungsmittel geeignet waren und auf Extremwelten mit niedrigen Temperaturen gedeihen konnten. Kälteresistente Pflanzen kannte man in ausreichender Zahl, aber sie waren für Terraner wie für nahezu alle anderen Intelligenzen der Galaxis ungenießbar. Ein Traum der Biologen war beispielsweise eine Mohrrübe, die bei extremen Minustemperaturen von 20 Grad oder mehr unter Null noch im Eis gedieh. Oder ein Blumenkohl, der auf dem Grund eines zugefrorenen Sees wuchs. Aber von solchen Traumresultaten war man in der Praxis noch weit entfernt. Der tiefere Sinn des Forschungsprojekts bestand darin, daß immer neue Welten erschlossen wurden und man Nahrungsmittel benötigte. Was terraähnlich war, hatte man an vielen Orten der Milchstraße schon aufgesucht und dort häufig einen Stützpunkt eingerichtet. Auf Welten, die von anderen Intelligenzen bewohnt waren, konnte man nicht so einfach Ackerbau und Viehzucht betreiben. Die Suche nach anderen Planeten mit Pflanzen, die dort gediehen, war daher ein immerwährender Auftrag für die Kosmische Hanse, die damit ständig versuchte, ihre Handelsbeziehungen zu vergrößern und ihren Einfluß auf alle Bereiche der Milchstraße und darüber hinaus auszudehnen. Die engsten Mitarbeiter Gernot Chovalskis waren die drei erfahrenen Biologen Sebastiane Truisi, Bylent Sim-sek und Elgin Yasli. Diese drei Wissenschaftler waren alle noch keine 40 Jahre alt und steckten stets voller Tatendrang. Aber auch die »gute Fee« des Teams spielte eine wichtige Rolle. Sie hieß Tina Mynig, und ihr Organisationstalent war unübertroffen. Obwohl die Achtundzwanzigjährige keine abgeschlossene akademische Ausbildung besaß, wurde sie von allen anerkannt. Auch ihre Ratschläge wurden nie überhört. Am Tag nach dem Zusammenstoß im »Neutrinosturm« hatte der Chefbiologe seinen Stab zu einer Besprechung in sein Büro gebeten. Truisi und Simsek rechneten mit einer Rüge, da sie wohl etwas zu hart gegen die Leute von GRAVOMOD vorgegangen waren. Senol Byber hatte sicher ein paar schmerzende Prellungen mitgenommen. Daß die erwartete Rüge in Gegenwart von Tina Mynig und einigen weiteren Mitarbeitern erfolgen sollte, paßte den beiden Wissenschaftlern nicht. Aber ihre Sorgen waren unbegründet, denn es kam ganz anders. Gernot Chovalski hatte eine Überraschung parat. »Liebe Mitarbeiter«, begann er seine kurze Rede in etwas ungewöhnlichem Tonfall. »Ich habe über den gestrigen Vorfall in der >Pinte< nachgedacht. Außerdem habe ich erfahren, daß es auch zu weiteren Zusammenstößen zwischen 10
unseren Leuten und den Gravofritzen gekommen sein soll. Mir liegen zwei Beschwerden vor. Unter anderem ging es dabei um die Reihenfolge bei der Benutzung der Abfallfconverter. In einem anderen Fall wurde ein Mitarbeiter unseres Teams mutwillig von einem Gleiter gerammt. Zum Glück ist ihm nichts passiert. Aber das ist noch nicht alles, meine lieben Freunde.« Er holte tief Luft und hielt einen Zettel in die Höhe. »Ich fand heute morgen an meiner Haustür einen anonymen Drohbrief. Darin werden wir aufgefordert, so schnell wie möglich von Heleios zu verschwinden, um -so heißt es weiter - den richtigen Wissenschaftlern nicht im Wege zu stehen und sie bei ihrer Arbeit zu behindern. Ich finde, damit ist das Maß voll. Ich,möchte einmal wissen, was sich dieser Fettsack Iwawisi und seine Gravitationsaffen einbilden. Von nun an herrscht Krieg.« Das waren verdammt harte Worte. Sie paßten weder zu Gernot Chovalski noch zu den anderen oder gar zum Auftrag des Forscherteams. Und in welcher Reihenfolge jemand den Abfallkonverter des Dorfes benutzte, das spielte nun wirklich keine Rolle. Die Geschichte mit dem Gleiter konnte ein Versehen gewesen sein, das man mit ein paar Worten aus der Welt schaffen konnte. Aber so dachte hier niemand mehr. Und die Frauen und Männer klatschten Beifall. Nur Tina Mynig wagte einen Widerspruch. »Ich finde«, sagte sie frank und frei, »ihr benehmt euch plötzlich wie kleine Kinder, die Räuber und Gendarm spielen wollen. Wo bleibt eure wissenschaftliche Bildung? Und der Anstand? Und die Menschlichkeit?« »Wenn man angegriffen wird«, konterte Sebastiane, »dann muß man sich wehren. Das ist menschlich.« »Wir führen natürlich keinen offenen Krieg.« Chovalski griff ein und glättete die Wogen. »Aber wir werden diesen Burschen schon zeigen, was wir von ihnen halten. Und wenn es dabei zu dem einen oder anderen kleinen Unfall kommen sollte, dann hätte ich nichts dagegen.« »Auch wenn du der Chef bist«, sagte Tina Mynig. »Ich mache da nicht mit. Ich glaube, ihr seid alle übergeschnappt. Ich verlange, daß umgehend das HQ Hanse auf Terra über die Ereignisse informiert wird.« »Verlangen kannst du viel«, entschied Gernot Chovalski. »Entscheiden werde ich. Und ich sage dir, das HQ wird nicht informiert. Wir tragen die Geschichte allein aus. Auf Terra würde uns niemand verstehen. Wo sollte es hinführen, wenn die Hanse uns Inspektoren schickt, die uns nur behindern? Nein, das kommt nicht in Betracht. Und jetzt geht an die normale Arbeit. Tagsüber unternehmen wir vorerst nichts. Aber wenn der Abend kommt, dann erwarte ich passende Vorschläge, um diesen Gravobrüdern die Hammelbeine langzuziehen.« »Wir sollten uns zu unserer Sicherheit bewaffnen«, schlug Simsek vor. Zustimmung von allen Seiten. Und Chovalski hatte nichts dagegen einzuwenden. 11
»Weiß jemand«, fragte Sebastiane Truisi mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen, »wie man Rakal und Tronar desaktiviert? Ich würde den Schwerkraftmoglern gern das Abendessen versalzen. Aber die Blechmänner müßten sich da heraushalten.« »Da läßt sich etwas machen«, meinte Elgin Yasli. »Mein Assistent kennt sich damit gut aus.« »Erst die Arbeit!« rief Gernot Chovalski. »Dann das Vergnügen.« Die Frauen und Männer gingen zufrieden hinaus. Nur Tina Mynig hatte eine unglückliche Miene aufgesetzt. Gernot Chovalski trat zu ihr und legte einen Arm um ihre Schultern. »Du wirst sehr bald einsehen, meine Liebe«, versicherte er ihr jovial, »daß wir so handeln müssen. Schließlich geht es um das Projekt PLANTAFROST und um unsere Existenz.« Die junge Frau zuckte nur mit den Schultern. Sie streifte den Arm ab und ging schweigend hinaus. Mit ihr ging die Einsicht, daß hier - aus welchen unergründlichen Gründen auch immer - jede weitere Diskussion sinnlos war. Aber die feste Absicht faßte sie, etwas zu unternehmen. Sie mußte unbedingt mit Nobby Sipebo sprechen. Der Verwalter war mit Sicherheit als neutrale Person einzustufen. Er mußte über das Gespräch informiert werden, bevor die Auseinandersetzung eskalierte. Irgendwann im Lauf des Vormittags wurde sie sich davonstehlen, um Sipebo zu besuchen und zu informieren. Die stecknadelkopfgroße Minisonde, die seitlich von ihr in geringer Höhe aus dem Raum glitt und Kurs auf den Bungalow des Verwalters nahm, sah sie nicht. Bis zu diesem Tag war es völlig bedeutungslos gewesen, daß PLANTAFROST ein Projekt der Kosmischen Hanse war, GRAVOMOD hingegen im Auftrag der Regierung von Terra, der LFT, durchgeführt wurde. Auch das war plötzlich anders. Daß beide Auftraggeber für das gleiche Interesse arbeiteten, nämlich für das Wohl der Menschheit, interessierte auf Heleios kaum noch jemanden. Der Meinungsumschwung war ganz plötzlich und ohne erkennbare Ursache eingetreten. GRAVOMOD war ein rein technisches Forschungsvorhaben. Das Ziel war vielleicht gar nicht zu realisieren, aber das spielte für das Team um den schwergewichtigen Glatzkopf Zoltan Iwawisi keine Rolle. Der Hyperphysiker hatte die Theorie für das Projekt selbst aufgestellt. Dabei ging es darum, eine Alternative zur Informationsübertragung per Hyperfunk zu schaffen. Künstliche Gravitation war seit weit über zwei Jahrtausenden kein Geheimnis mehr. Aber den physikalischen Charakter der Gravitation hatte man bis heute noch nicht zur Gänze erforschen können. Ähnlich wie beim Licht ließen sich bei der Gravitation verschiedene Erscheinungsformen nachweisen, je nach Meßmethode oder Anwendungsfall. Daraus resultierten so verschiedene Anwendungsmöglichkeiten wie beispielsweise ein Antigravschacht oder ein Traktorstrahl. In beiden Fällen ging es letztlich um 12
Gravitation. Auch bei Fesselfeldern spielte sie eine Rolle. Vom Licht kannte man seit jeher den Teilchen- und daneben den Wellencharakter, dazu die unterschiedliche Geschwindigkeit der Ausbreitung, je nach dem Medium, das passiert wurde. Nur im Vakuum erreichte das Licht seine Höchstgeschwindigkeit von fast 300.000 Kilometern pro Sekunde. Über die Geschwindigkeit, mit der sich Gravitationsfelder oder Gravitationswellen ausbreiteten, waren sich die Wissenschaftler auch im Jahr 1182 NGZ nicht ganz einig. Verschiedene Theorien besagten, daß die mögliche Höchstgeschwindigkeit mit unendlich gleichzusetzen sei. Das war ein Fundament, auf dem Zoltan Iwawisis Theorie aufbaute. Das andere bestand in einer bestimmten Erscheinungsform der Gravitation. Sie konnte pulsieren. Und wenn man dieses Pulsieren kontrolliert verdichtete, so konnte man extrem kurze Gravo-Impulse erzeugen. Ein gezieltes Erzeugen und Abstrahlen solcher Impulse war bislang nicht gelungen. Viele Wissenschaftler glaubten nicht an eine solche Möglichkeit, aber Iwawisi war davon überzeugt. Der dritte Baustein seines Projekts war eher herkömmliche Physik. Ein Impuls und hier also ein Gravo-Impuls - bestand letzten Endes aus einer extrem hochfrequenten Schwingung von sehr kurzer Dauer. Diese Schwingungen, die den Wellencharakter der Gravitation ausnutzten, wollten die GRAVOMODWissenschaftler nicht nur kontrolliert erzeugen und abstrahlen. Sie wollten sie auch noch modulieren, so daß sie einen Nachrichteninhalt transportieren konnten. Wenn sich dann noch zeigen würde, daß man mit den Gravo-Impulsen zumindest theoretisch eine unendliche Geschwindigkeit erzielen konnte, dann hätte man die Grundlagen für ein vielleicht ideales Übertragungsmedium gefunden. Oder - wenn es nicht so perfekt funktionieren würde — zumindest eine Alternative zum Hyperfunk. Zoltan Iwawisi war kein Phantast. Er rechnete insgeheim damit, daß seine Theorie vielleicht erst in ein paar Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden bestätigt werden würde. Und daß man dann vielleicht über ein neues und besseres Kommunikationsmittel verfügen würde. Ihm genügte es, den Bahnbrecher zu spielen, auch wenn später einmal andere den Nutzen aus seiner Arbeit ziehen würden. Die terranische Regierung hatte seinem Vorschlag entsprochen und das Projekt finanziert. Es lief nun seit drei Jahren. Die ersten zwei Jahre waren eine reine Studienphase gewesen, in denen die Grundlagen für die Experimente erarbeitet worden waren. Nun befand man sich bei den ersten Konstruktionen für neuartige Gravo-Systeme. Das ganze Projekt war für zunächst fünfzehn Jahre geplant. Niemand, auch nicht die Geldgeber der LFT, rechnete bis dahin mit einem echten Abschluß. Der konnte nur dann so früh erfolgen, wenn der Kopf des Unternehmens, Zoltan Iwawisi, zu 13
der Überzeugung gelangte, daß seine Theorie nicht mehr haltbar war. Wer den eingefleischten Wissenschaftler kannte, der wußte, daß dieser Fall nie eintreten würde. Der massige GRAVOMOD-Chef bat an diesem Morgen Senol Byber und Tamer Akin zu sich. Die beiden wesentlich jüngeren Männer gehörten ebenso zur Führungsspitze des Projekts wie ihre weiblichen Partner Svetlana Golubkoy und Vera Akin. Der meist sehr beherrschte »Peperoni« Byber war wie sein Chef Hyperphysiker, während Akin sich als Kommunikationsspezialisten bezeichnete. Während Byber für die Fragen der Gravitation zuständig war, beschäftigte sich Akin vordringlich mit dem Problem, die zukünftigen Gravo-Impulse zu modulieren, also mit einem Nachrichteninhalt zu versehen. Den beiden Männern fiel natürlich auf, daß der Chef diesmal auf die Frauen verzichtet hatte. Und sie konnten sich denken, warum. »Ich bin vielleicht ein bißchen altmodisch«, entschuldigte sich Zoltan Iwawisi mit einem Lächeln, »aber was ich euch zu sagen habe, könnte den Frauen nicht gefallen.« »Es geht um den Zwischenfall gestern abend in der >Pinte