Funktionalanalysis I Wintersemester 2001/2002 Skript zur Vorlesung von Prof. E. Zehnder
Christian Frei D-MATH
[email protected] Version Februar 2006
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INHALTSVERZEICHNIS
Inhaltsverzeichnis 1 Metrische R¨ aume, Baire Kategorie 1.1 Definitionen, Notation . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Begriffe offen, abgeschlossen, konvergent, . . . 1.3 Kompaktheit in metrischen R¨ aumen . . . . . . . 1.4 Die Baire-Kategorie . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Erste Anwendungen von Baire . . . . . . . . . . 1.6 Vervollst¨ andigung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 1 3 6 9 13 15
2 Normierte R¨ aume 2.1 Definitionen und erste Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 L(X, Y ), zur Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Quotientenr¨ aume und Produktr¨ aume . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18 18 23 28
3 Prinzipien der Funktionalanalysis 3.1 Prinzip der gleichm¨ assigen Beschr¨ anktheit . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Prinzip der offenen Abbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Abschliessbare Operatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30 30 31 37
4 Der Fortsetzungssatz von Hahn-Banach 4.1 Der Satz von Hahn-Banach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Folgerungen aus dem Fortsetzungssatz . . . . . . . . . . . . . . . . .
40 40 43
5 Sobolev-R¨ aume 5.1 Der Gl¨ attungsoperator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ◦ 5.2 Die Funktionenr¨ aume W m,p (Ω), H m,p (Ω) und H m,p (Ω) . . . . . . . 5.3 Dirichlet-Problem und schwache L¨ osung . . . . . . . . . . . . . . . .
47 47 51 59
6 Reflexive R¨ aume und schwache Konvergenz 6.1 Separable R¨ aume . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Reflexive R¨ aume . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Beispiele von Dualr¨ aumen . . . . . . . . . . . . 6.4 Schwache Konvergenz und Variationsprobleme
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63 63 64 66 69
7 Spektrum und Resolvente 7.1 Adjungierte Operatoren im Hilbert-Raum . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Spektrum und Resolvente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76 76 79
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8 Halbgruppen 8.1 Gew¨ ohnliche Differentialgleichungen im Banach-Raum 8.2 Spezialfall: Lineare Gleichungen . . . . . . . . . . . . . 8.3 Problemstellung: Das Cauchy-Anfangswert-Problem . 8.4 Kontraktionshalbgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Unit¨ are Gruppen auf H . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6 Kontraktionshalbgruppen in Hilbertr¨ aumen . . . . . .
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86 . 86 . 86 . 87 . 87 . 99 . 104
9 Beispiele von Kontraktionshalbgruppen 9.1 Fl¨ usse von Vektorfeldern . . . . . . . . . 9.2 Unit¨ are Gruppen auf L2 (Rn ) . . . . . . 9.3 W¨ armeleitungsgleichung . . . . . . . . . 9.4 Freie Schr¨ odinger-Gleichung . . . . . . .
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A Das Riemann-Integral
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106 106 110 112 115 116
¨ 1 METRISCHE RAUME, BAIRE KATEGORIE
1
1
Metrische R¨ aume, Baire Kategorie
In diesem Abschnitt werden die wichtigsten Grundbegriffe eingef¨ uhrt, die uns in der Funktionalanalysis immer wieder begegnen werden. Viele davon werden dem Leser schon bekannt sein, sollen aber zur Erinnerung nochmals aufgef¨ uhrt werden.
1.1
Definitionen, Notation
Definition 1.1. (metrischer Raum, Metrik) Ein metrischer Raum ist ein Paar (M, d), wobei M eine Menge und d eine auf M definierte Funktion d : M × M → R ist, so dass f¨ ur alle x, y, z ∈ M gilt: i) d(x, y) ≥ 0 und d(x, y) = 0 ⇐⇒ x = y; ii) d(x, y) = d(y, x) und iii) d(x, y) ≤ d(x, z) + d(z, y). Eine solche Funktion d auf M heisst Metrik oder Abstandsfunktion. Folgerung: Die Metrik ist stetig, denn es gilt |d(x, y) − d(u, v)| ≤ d(x, u) + d(y, v). Bemerkungen: 1) Sei (M, d) ein metrischer Raum, A ⊂ M . Dann ist (A, d) ebenfalls ein metrischer Raum. 2) Jede Menge ist metrisierbar mit der diskreten Metrik ( 1 x 6= y d(x, y) = . 0 sonst Beispiel. Wir betrachten einige metrische R¨ aume: 1. M = R, d(x, y) = |x − y|. 2. Der Raum S aller Folgen {x : N → R} = {x = (xj )j |xj ∈ R}: sei x = (xj ) und y = (yj ) ∈ S. Definiere die Funktion d(x, y) =
∞ X 1 X 1 |xj − yj | ≤ = 1. j 2 1 + |xj − yj | 2j j=1 j≥1
Behauptung: Die so definierte Funktion d ist eine Metrik auf S. Beweis. i) d(x, y) ≥ 0 folgt auf Grund der Definition, und es ist leicht zu sehen, dass d(x, y) = 0 ⇐⇒ xj = yj ∀j ≥ 1 ⇐⇒ x = y; ii) d(x, y) = d(y, x) ist klar;
t f¨ ur t ≥ 0. F¨ ur diese Funktion gilt iii) Wir definieren die Funktion ϕ(t) = 1+t 1 0 ϕ(0) = 0 und ϕ (t) = (1+t)2 > 0. Das heisst, ϕ ist monoton steigend. Aus der Dreiecksungleichung |a + b| ≤ |a| + |b| folgt dann
|a + b| |a| + |b| |a| |b| ≤ ≤ + und 1 + |a + b| 1 + |a| + |b| 1 + |a| 1 + |b|
N N N X X X 1 |xj − zj | 1 |zj − yj | 1 |xj − yj | ≤ + . j 1 + |x − y | j 1 + |x − z | j 1 + |z − y | 2 2 2 j j j j j j j=1 j=1 j=1
Mit limN →∞ bekommen wir d(x, y) ≤ d(x, z) + d(z, y) f¨ ur alle x, y, z in S, wie behauptet.
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2
3. Wir verwenden denselben Trick wie oben f¨ ur den Raum C ∞ (Ω), wobei die n Menge Ω ⊂ R offen ist. DazuSnehmen wir eine Folge von kompakten Mengen Kj mit Kj ⊂ Kj+1 ⊂ . . . ⊂ j≥1 Kj =: Ω und definieren eine Metrik d f¨ ur f, g ∈ C ∞ (Ω): d(f, g) =
∞ X 1 pj (f − g) , wobei 2j 1 + pj (f − g) j=1
pj (f − g) = kf − gkC j (Kj ) =
max
x∈Kj , 0≤|α|≤j
|∂ α f (x) − ∂ α g(x)| und
α = (α1 , . . . , αn ), ∂ α = ∂1α1 ∂2α2 . . . ∂nαn ,
∂j =
∂ , ∂xj
|α| = α1 + α2 + . . . + αn . Es ist unsere Konvention, dass ∂ 0 f (x) − ∂ 0 g(x) = f (x) − g(x). Dass d(f, g) wirklich eine Metrik ist, l¨ asst sich wie im vorhergehenden Beispiel zeigen. 4. Die R¨ aume `p , 1 ≤ p ≤ ∞.
Der Raum `∞ = {x = (xj )j |xj ∈ R und supj≥1 |xj | < ∞} hat noch mehr Struktur als ein metrischer Raum; er ist sogar ein Vektorraum, es gilt also f¨ ur x = (xj ), y = (yj ) die Beziehung x + y = (xj + yj )j ∈ `∞ . Wir definieren auf `∞ die Metrik d∞ (x, y) := sup |xj − yj | < ∞. j≥1
Die Metrik ist wohldefiniert, und die Eigenschaften i) und ii) folgen sofort. F¨ ur iii) gilt f¨ ur alle j: |xj − yj | = |xj − zj + zj − yj | ≤ |xj − zj | + |zj − yj |
≤ sup |xj − zj | + sup |zj − yj | = d(x, z) + d(z, y). j≥1
j≥1
¨ Machen wir auf der linken Seite den Ubergang ins Supremum, so ergibt sich d(x, y) ≤ d(x, z) + d(z, y). P Auch die R¨ aume `p = {x = (xj )j | j≥1 |xj |p < ∞} mit 1 ≤ p < ∞ sind Vektorr¨ aume, es gilt also auch hier f¨ ur x = (xj ), y = (yj ) aus `p die Vektoraddition (x + y) = (xj + yj )j ∈ `p . Wegen der Minkowski-Ungleichung ist 1/p 1/p 1/p N N N X X X |xj + yj |p ≤ |xj |p + |yj |p . j=1
j=1
j=1
Mit dem Grenz¨ ubergang N → ∞ wird daraus
1/p 1/p 1/p ∞ ∞ ∞ X X X |xj + yj |p ≤ |xj |p + |yj |p . j=1
Dass die Funktion
j=1
dp (x, y) =
∞ X j=1
j=1
1/p
|xj − yj |p
eine Metrik auf `p definiert, beweist man wie vorher mit der MinkowskiUngleichung.
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1.2
3
Die Begriffe offen, abgeschlossen, konvergent, . . .
Im Folgenden sei ein metrischer Raum (M, d) vorgegeben. Definition 1.2. (offen, Durchmesser, konvergente Folge, Grenzwert) • Eine offene Kugel mit Zentrum a ∈ M und Radius r > 0 ist die Menge B(a, r) = Br (a) = {x ∈ M |d(x, a) < r}; • Eine Menge U ⊂ M heisst offen, falls f¨ ur jedes x ∈ U ein r > 0 existiert, so dass Br (x) ⊂ U ; • Der Durchmesser δ einer Teilmenge A ⊂ M ist definiert durch δ(A) = sup{d(x, y)|x, y ∈ A}. • Eine Folge (xj ) ⊂ M heisst konvergent, falls ein x ∈ M existiert, so dass limn→∞ d(xn , x) = 0, das heisst, zu jedem ε > 0 gibt es ein N = Nε , so dass d(xn , x) < ε f¨ ur alle n ≥ N . Der Punkt x heisst der Grenzwert der Folge (xn ). Wir verwenden die Notationen lim xn = x oder xn → x in (M, d).
n→∞
Der Grenzwert einer Folge – sofern er existiert – ist eindeutig, denn mit xn → x, xn → y folgt 0 ≤ d(x, y) ≤ d(x, xn ) + d(xn , y) → 0 (n → ∞), also d(x, y) = 0 und, nach Definition der Metrik, endlich x = y. An dieser Stelle stellt sich nun die Frage: Was bedeutet die Konvergenz in den einzelnen R¨ aumen? Dazu betrachten wir die Konvergenz einer Folge von Folgen in (S, d) und `∞ : Konvergenz im Raume (S, d). Wir betrachten die Folge x(n) von Folgen in S, (n) also x(n) = (xj )j mit dem Grenzwert x = (xj ). Nach dem vorangehenden Beispiel 2 ist (n) ∞ X 1 |xj − xj | (n) . d(x , x) = 2j 1 + |x(n) − xj | j=1 j
(n)
Somit schliessen wir, dass limn→∞ x = x genau dann, wenn f¨ ur jedes einzelne (n) j ≥ 1 gilt limn→∞ |xj − xj | = 0, das heisst, wenn die Funktionen x(n) : N → R auf N punktweise gegen eine Funktion x : N → R konvergieren. (n) Im Gegensatz dazu gilt f¨ ur x(n) = (xj ), x = (xj ) in `∞ (n) (n) lim x = x in `∞ ⇐⇒ lim sup |xj − xj | = 0. n→∞
n→∞
j≥1
In anderen Worten: die Funktionen x(n) : N → R konvergieren gleichm¨ assig auf N gegen die Funktion x : N → R. Um diesen Unterschied noch etwas zu verdeutlichen betrachten wir folgende Aufgabe: Konvergiert die Folge x(n) = (1, 1, . . . , 1, 0, . . .) mit ( 1 j ≤ n) (n) . xj = 0 sonst gegen die Folge x = (1, 1, . . .)? Die Antwort lautet ja in (S, d), aber nein in `∞ , denn es ist offensichtlich d∞ (x(n) , x) ≡ 1 f¨ ur alle n.
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4
Definition 1.3. (Abschluss, abgeschlossene Menge) Der Abschluss A¯ einer Teilmenge A ⊂ M ist die Menge
A¯ = {x ∈ M |x = lim xn , xn ∈ A ∀n}. n→∞
¯ Nehme f¨ Offensichtlich ist A ⊂ A: ur alle x ∈ A xn = x. Bemerkung: der Abschluss einer Menge kann viel gr¨ osser sein als die Menge selber, siehe untenstehendes Beispiel 1. Eine Teilmenge A ⊂ M heisst abgeschlossen in M , falls A¯ = A. Beispiel. Abgeschlossene Mengen: ¯ = R. 1. Q
2. Es sei (M, d) = (C[0, 1], d∞ ), d∞ (x, y) = max0≤t≤1 |x(t) − y(t)| < ∞, der metrische Raum der auf dem abgeschlossenen Intervall [0, 1] stetigen Funktionen, und A = {P olynome} ⊂ C[0, 1]. Dann ist nach dem Satz von Weierstrass A¯ = C[0, 1]. Die zur Metrik geh¨ orende Konvergenz ist die gleichm¨ assige Konvergenz. Definition 1.4. (dichte Menge, kompakte Menge, Cauchy-Folge) • A ⊂ M heisst dicht in M , falls A¯ = M , das heisst, zu jedem x ∈ M und jedem r > 0 existiert ein a ∈ A mit a ∈ Br (x). • A ⊂ M heisst (folgen-)kompakt im metrischen Raum M , falls jede Folge (xj ) in A eine in A konvergente Teilfolge (xjk )k besitzt: lim xjk = x ∈ A.
k→∞
Insbesondere sind kompakte Mengen abgeschlossen. In den einzelnen metrischen R¨ aumen (M, d) gibt es im Allgemeinen Kompaktheitskriterien, so zum Beispiel in (Rn , k · k2 ): Nach Heine-Borel ist A genau dann kompakt, wenn A abgeschlossen und beschr¨ ankt ist. • Eine Folge (xn ) ⊂ M heisst eine Cauchy-Folge, falls es zu jedem ε > 0 ein N = ¨ Nε gibt, so dass d(xn , xm ) < ε f¨ ur alle n, m ≥ N . Aquivalente Formulierung: Sei Xn = {xj |j ≥ n} ⊂ M, Xn ⊃ Xn+1 . Die Folge (xj ) ist eine Cauchy-Folge, falls δ(Xn ) → 0 (n → ∞).
Bemerkung: Cauchy-Folge ist kein topologischer Begriff. Eine stetige Abbildung bildet konvergente Folgen auf konvergente Folgen ab, aber nicht notwendigerweise Cauchy-Folgen auf Cauchy-Folgen. Hingegen bilden gleichm¨ assig stetige Abbildungen Cauchy-Folgen auf Cauchy-Folgen ab. Nicht jede Cauchy-Folge ist konvergent. Betrachten wir zum Beispiel den Raum Z 1 (M, d) = (C[0, 1], d1 ), d1 (x, y) = |x(t) − y(t)|dt ≤ d∞ (x, y). 0
Die Folge
0 ≤ t ≤ 1/2 0 xn (t) = n(t − 1/2) 1/2 ≤ t ≤ 1/2 + 1/n 1 1/2 + 1/n ≤ t ≤ 1
1 ist eine Cauchy-Folge in (M, d1 ), denn d1 (xn , xm ) ≤ n1 + m . Die Folge xn konvergiert 1 punktweise und in L ([0, 1]) gegen ( 0 0 ≤ t ≤ 1/2 x(t) = 1 1/2 < t ≤ 1.
Aber x liegt nicht mehr in C([0, 1]). Das heisst, die Folge konvergiert nicht in (M, d1 ).
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Definition 1.5. (vollst¨ andiger (metrischer) Raum) Ein metrischer Raum (M, d) heisst vollst¨andig, falls jede Cauchy-Folge in M konvergiert. In vollst¨ andigen (metrischen) R¨ aumen gilt daher das bekannte CauchyKriterium. Satz 1.1 (Zusammenhang vollst¨ andig - abgeschlossen). Sei (M, d) ein metrischer Raum, A ⊂ M eine Teilmenge von M . Dann gelten folgende Aussagen: i) Ist (M, d) vollst¨andig und A¯ = A, so ist auch (A, d) vollst¨andig; ¯ ii) Ist (A, d) vollst¨andig, so gilt A = A. Beweis. i) Sei (xn ) eine Cauchy-Folge in A. Dann ist (xn ) auch eine Cauchy-Folge in M . Weil M vollst¨ andig ist, existiert der Grenzwert x = limj→∞ xj in M mit xj ∈ A. Daher ist x im Abschluss A¯ von A und, da A abgeschlossen ist, liegt x in A selber. Das heisst, jede Cauchy-Folge konvergiert in A, und somit ist (A, d) vollst¨ andig. ¯ Nach Definition des Abschlusses einer Menge ist x der Grenzwert ii) Sei x ∈ A. einer Folge in A, also x = limj→∞ xj , xj ∈ A. Daher ist (xj ) eine Cauchy-Folge in A. A ist jedoch vollst¨ andig, also existiert ein y in A mit y = limj→∞ xj . Da der Grenzwert einer Folge eindeutig ist, folgt x = y ∈ A. Theorem 1.1 (Prinzip der Intervallschachtelung). Wir beweisen: Ein metrischer Raum (M, d) ist genau dann vollst¨andig, wenn f¨ ur jede Folge Aj ⊂ M von Teilmengen mit i) Aj = A¯j , ii) Aj ⊃ Aj+1 ⊃ . . ., iii) δ(Aj ) → 0 (j → ∞) T gilt, dass j≥1 Aj = {x∗ } genau ein Punkt x∗ ∈ M ist.
Bemerkung: In diesem Satz sind die Voraussetzungen besonders wichtig! Betrachten wir folgende Beispiele mit M = R: T • F¨ ur An = {0 < x < 1/n} gilt n≥1 An = ∅. Die Voraussetzungen An ⊃ An+1 ⊃ . . . und δ(An ) → 0 sind zwar erf¨ ullt, aber die An sind nicht abgeschlossen. Also ist der Satz hier nicht anwendbar. T • Es gilt n≥1 {x ≥ n} = ∅. Auch hier ist der Satz nicht anwendbar. Zwar sind die Mengen An = {x ≥ n} abgeschlossen und absteigend (An ⊃ An+1 ⊃ . . .), aber es ist δ(An ) = ∞ f¨ ur alle n. Beweis. (⇒) Wir w¨ ahlen xj ∈ Aj , j ≥ 1. Dann definieren wir die Mengen Ej = {xj , xj+1 , xj+2 , . . .} ⊂ Aj . Es gilt offenbar δ(Ej ) → 0 (j → ∞). Daher ist (xj ) eine Cauchy-Folge und, weil M vollst¨ andig, konvergent: es existiert ein x ∈ M mit x = limj→∞ xj .TWegen ii) ist x ∈ A¯j f¨ ur j ≥ T 1 und wegen i) folgt x ∈ Aj (j ≥ 1), das heisst x ∈ j≥1 Aj . Sei nun auch y ∈ j≥1 Aj . Dann sind x, y ∈ Aj f¨ ur alle j ≥ 1 und es folgt 0 ≤ d(x, y) ≤ δ(Aj ) → 0, (j → ∞), also ist x = y. (⇐) Sei (xj ) eine Cauchy-Folge. Es gen¨ ugt, die Konvergenz einer Teilfolge zu zeigen. Wir definieren den Abschluss Aj = {xj , xj+1 , xj+2 , . . .} ⊂ M.
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¨ Dann gilt δ(Aj ) → 0 (j → ∞), weil (xj ) eine Cauchy-Folge ist. Uberdies ist Aj ⊃ Aj+1 , das heisst, (Aj ) erf¨ ullt i) − iii). Nach Voraussetzung existiert ein x ∈ M mit T x ∈ j≥1 Aj . Weil x ∈ {xj , xj+1 , . . .} f¨ ur jedes j ≥ 1, so finden wir nach Definition des Abschlusses eine Teilfolge (xjk )k mit x = lim xjk , k→∞
und, da (xj ) eine Cauchy-Folge ist, x = limj→∞ xj .
1.3
Kompaktheit in metrischen R¨ aumen
Definition 1.6. Sei (M, d) ein metrischer Raum. • Eine Teilmenge K ⊂ M heisst u ur jede (nicht ¨ berdeckungskompakt, falls es f¨ ¨ notwendigerweise abz¨ a hlbare) offene Uberdeckung {U } , das heisst K ⊂ i i∈I S U , eine endliche Teil¨ u berdeckung {U , . . . , U } gibt, das heisst K ⊂ i1 in i∈I i Ui1 ∪ · · · ∪ U in . • Eine Teilmenge K ⊂ M heisst folgenkompakt, wenn jede Folge in K eine Teilfolge hat welche gegen einen Punkt aus K konvergiert. Dies kann auch folgendermassen gesagt werden: Jede Folge in K hat einen H¨ aufungspunkt in K. • Eine Teilmenge K ⊂ M heisst total beschr¨ankt, wenn sie f¨ ur jedes ε > 0 mit endlich vielen B¨ allen vom Radius ε u ¨berdeckt werden kann. Man kann annehmen, dass die Mittelpunkte der B¨ alle in K liegen, denn ist K ⊂ Bε (x1 )∪ · · · ∪ Bε (xn ), so gilt f¨ ur yi ∈ Bε (xi ) ∩ K, dass K ⊂ B2ε (y1 ) ∪ · · · ∪ B2ε (yn ). ¯ kompakt • Eine Teilmenge R ⊂ X heisst relativ kompakt, falls ihr Abschluss R ist. Satz 1.2. F¨ ur eine Teilmenge K eines metrischen Raums (M, d) sind ¨aquivalent: i) K ist u ¨berdeckungskompakt, ii) K ist folgenkompakt, iii) K ist total beschr¨ankt und vollst¨andig. Beweis. “i) ⇒ ii)”: Sei {xn }n∈N ⊂ K eine Folge ohne H¨ aufungspunkt in K. F¨ ur jedes y ∈ K gibt es einen Radius ry > 0, so dass der Ball Bry (y) nur endlich viele ¨ von K, so dass Folgenglieder enth¨ alt. Die {Bry (y)}y∈K sind eine offene Uberdeckung es y1 , . . . , yn ∈ K gibt mit K ⊂ Bry1 (y1 ) ∪ · · · ∪ Bryn (yn ). Da die Folge {xn }n∈N keinen H¨ aufungspunkt in K hat, besteht sie aus unendlich vielen verschiedenen Folgengliedern (sonst m¨ usste ein Folgenglied unendlich oft auftreten und w¨ are damit ein H¨ aufungspunkt), die alle in mindestens einem der B¨ alle Bryi (yi ) liegen, einer davon enth¨ alt also unendlich viele Folgenglieder, im Widerspruch zur Wahl von ry . Es gibt also keine Folge ohne H¨ aufungspunkt in K. “ii) ⇒ iii)”: Sei {xn }n∈N eine Cauchy-Folge in K. Nach Annahme besitzt die Folge einen H¨ aufungspunkt x ∈ K. Da Cauchy-Folgen h¨ ochstens einen H¨ aufungspunkt besitzen, konvergiert die Folge gegen x ∈ K, und K ist vollst¨ andig. W¨ are K nicht total beschr¨ ankt, g¨ abe es ein ε > 0, f¨ ur das es keine endliche ¨ Uberdeckung von K mit B¨ allen vom Radius ε gibt. W¨ ahle x1 ∈ K beliebig. Nach Annahme gibt es ein x2 ∈ K \ Bε (x1 ). Sind x1 , . . . , xn ∈ K schon konstruiert, so w¨ ahle xn+1 in K \ (Bε (x1 ) ∪ · · · ∪ Bε (xn )), was nach Annahme m¨ oglich ist. Aufgrund der Konstruktion ist d(xi , xj ) > ε, die Folge {xn }n∈N besitzt somit keinen H¨ aufungspunkt. Deswegen muss K total beschr¨ ankt sein.
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¨ “iii) ⇒ i)”: Sei {Ui }i∈I eine Uberdeckung von K mit offenen Mengen, die keine endliche Teil¨ uberdeckung hat. Sei εn = 2−n . Aufgrund der totalen Beschr¨ anktheit wird K von endlich vielen Bε1 (xi ) u ¨berdeckt. Da die {Ui }i∈I keine endliche Teil¨ uberdeckung besitzen, wird eines der K ∩ Bε1 (xi ) auch von keiner endlichen Teil¨ uberdeckung u ¨berdeckt. Sei y1 = xi . Die Menge K ∩ Bε1 (y1 ) ist als Teilmenge von K total beschr¨ ankt, wird also von endlich vielen Bε2 (x0j ) u ¨berdeckt. Eines die0 ser Bε2 (xj ) wird von keiner endlichen Teil¨ uberdeckung von {Ui }i∈I u ¨berdeckt. Sei y2 = x0j . Durch dieses Verfahren wird induktiv eine Folge {yn }n∈N definiert. F¨ ur n ≤ m ist d(yn , ym ) ≤ εn + · · · + εm ≤ 2−n+1 , daher sind die {yn }n∈N eine Cauchy-Folge und konvergieren gegen ein y ∈ K, da K ¨ vollst¨ andig ist. Dieses y ist in einem Ui der Uberdeckung enthalten. Da jenes offen ist, enth¨ alt es einen Ball Bδ (y) f¨ ur δ > 0. W¨ ahle n so gross, dass d(y, yn ) ≤ δ2 und εn ≤ δ2 . Die Inklusionen Bεn (yn )∩K ⊂ Bδ (y)∩K ⊂ Ui widersprechen der Wahl von Bεn (yn ), da dieses nicht von endlich vielen Mengen {Ui }i∈I u ¨berdeckt wird. Bemerkung: In topologischen R¨ aumen gilt weder i) ⇒ ii) noch ii) ⇒ i). Das Konzept der Totalbeschr¨ anktheit besitzt kein Analogon in topologischen R¨ aumen. Satz 1.3. Eine total beschr¨ankte Menge in einem vollst¨andigen metrischen Raum ist relativ kompakt. Beweis. Da eine abgeschlossene Teilmenge eines vollst¨ andigen metrischen Raumes ist vollst¨ andig ist, gen¨ ugt es zu zeigen, dass der Abschluss einer totalbeschr¨ ankten Menge total beschr¨ ankt ist. Sei K total beschr¨ ankt und ε > 0. Es gibt x1 , . . . , xn , so dass K ⊂ B 2ε (x1 ) ∪ · · · ∪ B ε2 (xn ). Weiter gilt ¯ ε (xn ) ⊂ Bε (x1 ) ∪ · · · ∪ Bε (xn ), ¯ ⊂B ¯ ε (x1 ) ∪ · · · ∪ B K 2 2 was zu zeigen war. Satz 1.4 (Heine-Borel). Eine Teilmenge des Rn (versehen mit der euklidischen Metrik) ist genau dann kompakt, wenn sie beschr¨ankt und abgeschlossen ist. Beweis. Eine kompakte Menge ist beschr¨ ankt (¨ uberdecke K mit {Bn (0)}n∈N ) und abgeschlossen (aus xn → x folgt, dass x als einziger H¨ aufungspunkt der Folge {xn }n∈N selbst in K liegen muss). Jede beschr¨ ankte Teilmenge des Rn ist total beschr¨ ankt: Nach Annahme ist sie in einem Ball und daher auch in einem W¨ urfel enthalten. Dieser W¨ urfel kann in endlich viele W¨ urfel beliebig kleiner Seitenl¨ a nge ε zerlegt werden. Diese kleinen √ W¨ urfel liegen je in einer Kugel mit Radius nε, d.h. jede beschr¨ ankte Teilmenge des Rn ist total beschr¨ ankt. Da Rn vollst¨ andig ist, ist es auch jede abgeschlossene Teilmenge, insbesondere ist jede beschr¨ ankte abgeschlossene Menge total beschr¨ ankt und vollst¨ andig, also kompakt. x y Bemerkung: Bez¨ uglich der Metrik d(x, y) = √1+x2 − √ 2 ist R beschr¨ ankt 1+y
und abgeschlossen, aber nicht kompakt, denn die Folge {n}n∈N hat keinen H¨ aufungspunkt in (R, d). Ein anderes Beispiel einer nicht kompakten aber beschr¨ ankten und abgeschlossenen Menge ist die Einheitssph¨ are in `p (betrachte die Standardbasis als Folge). Allgemeiner folgt aus einem Satz von Riesz (wird sp¨ ater in der Vorlesung behandelt), dass nur in endlichdimensionalen normierten Vektorr¨ aumen alle beschr¨ ankten und abgeschlossenen Mengen kompakt sind. Satz 1.5. In einem kompakten metrischen Raum gibt es eine abz¨ahlbare dichte Teilmenge, d.h. ein kompakter metrischer Raum ist separabel.
¨ 1 METRISCHE RAUME, BAIRE KATEGORIE
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Beweis. Sei (K, d) ein kompakter metrischer Raum. F¨ ur jedes n ∈ N gibt es Punkte (n) (n) x1 , . . . , xmn ∈ K, mit (n)
K ⊂ B n1 (x1 ) ∪ · · · ∪ B n1 (x(n) mn ). Es ist einfach zu sehen, dass D = menge von K ist.
S
(n) (n) n {x1 , . . . , xmn }
eine abz¨ ahlbare dichte Teil-
Definition 1.7. Seien (X, dX ) und (Y, dY ) metrische R¨ aume, weiter sei X kompakt. Eine Familie F ⊂ C(X, Y ) heisst gleichgradig stetig, wenn es f¨ ur jedes ε > 0 ein δ = δ(ε) > 0 gibt, so dass dX (x, x0 ) < δ ⇒ dY (f (x), f (x0 )) < ε ∀ x, x0 ∈ X, ∀ f ∈ F. Beachte, dass jede Funktion in einer gleichgradig stetigen Familie gleichm¨ assig stetig ist. Bemerkung: Der Raum C(X, Y ) wird mit der Metrik d∞ (f, g) = sup dY (f (x), g(x)) x∈X
zu einem vollst¨ andigen metrischen Raum. Satz 1.6 (Arzel` a–Ascoli). Sei (X, dX ) ein kompakter metrischer Raum und (Y, dY ) ein vollst¨andiger metrischer Raum. Eine Familie F von stetigen Funktionen ist genau dann relativ kompakt in (C (X, Y ) , d∞ ), wenn die Famile F gleichgradig stetig ist und f¨ ur jedes x ∈ X die Menge F (x) := {f (x) | f ∈ F} relativ kompakt in (Y, dY ) ist. Beweis. =⇒: Sei der Abschluss F¯ von F kompakt. Da die Abbildung evx : (C (X, Y ) , d∞ ) −→ (Y, dY ) f 7→ f (x)
f¨ ur jedes x ∈ X stetig ist, folgt, dass die Menge F¯ (x) als Bild der kompakten Menge ¯ F kompakt ist, somit deren Teilmenge F (x) relativ kompakt ist. Sei ε > 0 gew¨ ahlt. Da F¯ als kompakte Menge in (C (X, Y ) , d∞ ) nach Satz 1.2 totalbeschr¨ ankt ist, existieren f1 , . . . , fn ∈ F mit [ ankt ist, somit auch F totalbeschr¨ Bε (fi ), also gibt es f¨ ur jedes f ∈ F ein 1 ≤ if ≤ n mit F⊂ 1≤i≤n
d∞ f, fif ≤ ε.
Weiter existiert, weil stetige Funktionen auf kompakten R¨ aumen gleichm¨ assig stetig sind, ein δ > 0 mit dY (fi (x) , fi (y)) ≤ ε f¨ ur alle x, y ∈ X mit dX (x, y) ≤ δ und alle 1 ≤ i ≤ n. F¨ ur f ∈ F gilt insgesamt dY (f (x) , f (y)) ≤ dY f (x) , fif (x) +dY fif (x) , fif (y) +dY fif (y) , f (y) ≤ 3ε
f¨ ur alle x, y ∈ X mit dX (x, y) ≤ δ, somit ist F gleichgradig stetig. ⇐=: Sei zun¨ achst eine Folge fn von Funktionen aus F gegeben. Um eine in (C (X, Y ) , d∞ ) konvergente Teilfolge zu konstruieren, w¨ ahle zuerst eine abz¨ ahlbare, dichte Teilmenge (xn )n∈N des kompakten Raumes (X, dX ). Da F (x1 ) nach Voraussetzung relativ kompakt ist, existiert eine Teilfolge fn1,j sodass fn1,j (x1 ) konvergiert. Induktiv kann analog f¨ ur alle k ∈ N eine Teilfolge fnk+1,j von fnk,j erhalten werden so, dass fnk+1,j (xk+1 ) konvergiert. Die Diagonalfolge gk := fnk,k konvergiert somit auf allen Punkten (xn )n∈N . Weil (C (X, Y ) , d∞ ) volls¨ andig ist, gen¨ ugt es zu
¨ 1 METRISCHE RAUME, BAIRE KATEGORIE
9
zeigen, dass die Folge gk eine Cauchyfolge ist. Sei ε > 0 und w¨ ahle δ > 0 mit der gleichgradigen Stetigkeit von F. Da (X, dX ) kompakt ist und (xn )n∈N dicht liegt, [ existiert ein n0 so, dass X = Bδ (xi ) gilt. Also gibt es f¨ ur jedes x ∈ X ein 1≤i≤n0
1 ≤ ix ≤ n0 mit
Weiter existiert ein N ∈ N mit
dX (x, xix ) ≤ δ.
dY (gl (xi ) , gm (xi )) ≤ ε f¨ ur alle l, m ≥ N und alle 1 ≤ i ≤ n0 , da gk auf allen Punkten (xn )n∈N konvergiert. F¨ ur alle x ∈ X und l, m ≥ N gilt insgesamt dY (gl (x) , gm (x)) ≤ dY (gl (x) , gl (xix )) + dY (gl (xix ) , gm (xix )) + dY (gm (xix ) , gm (x)) ≤ 3ε, also ist gk eine Cauchyfolge im vollst¨ andigen Raum (C (X, Y ) , d∞ ) und somit konvergent. Sei nun allgemein hk eine Folge von Funktionen aus dem Abschluss F¯ von F. Nach Definiton des Abschlusses kann eine Folge fn von Funktionen aus F mit ahlt werden, welche nach dem soeben Bewiesenen eine kond∞ (fn , hn ) ≤ n1 gew¨ vergente Teilfolge fnk besitzt, deren Limes f aufgrund der Abgeschlossenheit in F¯ liegt. Insgesamt konvergiert jedoch auch hnk gegen f ∈ F¯ und die Kompaktheit von F¯ ist gezeigt. Satz 1.7. Sei (X, dX ) ein kompakter metrischer Raum. Eine Familie F von stetigen, reel- oder komplexwertigen Funktionen ist genau dann relativ kompakt in (C (X) , k·k∞ ), wenn die Famile F gleichgradig stetig und beschr¨ankt ist. Beweis. Falls F beschr¨ ankt ist in (C (X) , k·k∞ ) ist auch F (x) f¨ ur jedes x ∈ X beschr¨ ankt und also nach Heine-Borel relativ kompakt. Somit kann Satz 1.6 angewendet werden. Da kompakte Mengen in Normierten R¨ aumen beschr¨ ankt sind, ergibt sich auch die andere Implikation aus Satz 1.6.
1.4
Die Baire-Kategorie
Der historische Ursprung des Begriffes Baire-Kategorie war folgende Frage: Angenommen, f¨ ur eine gegebene Folge fn : [0, 1] → R von stetigen Funktionen existiere der Grenzwert lim fn (x) = f (x) n→∞
f¨ ur jedes x ∈ [0, 1], das heisst, die Folge konvergiere punktweise. Ist nun die Menge A der Punkte x in [0, 1], in denen f (x) nicht stetig ist gross“ oder klein“? Die ” ” Antwort dazu gab Baire: er sagte, die Menge A sei von erster Kategorie – Kat(A) = 1 – oder die Menge sei mager. Zun¨ achst betrachten wir noch eine Folgerung aus der Vollst¨ andigkeit eines metrischen Raumes. Theorem 1.2. Der metrische Raum (M, d) sei vollst¨andig. Dann gelten folgende Aussagen: T i) Die Mengen Uj ⊂ M seien offen und dicht f¨ ur j ≥ 1. Dann ist j≥1 Uj dicht in M; S ii) Sei M von der Form M = j≥1 Aj mit Aj = A¯j f¨ ur j ≥ 1. Dann gibt es (mindestens) ein j, so dass Aj eine in M offene Kugel von M enth¨alt.
¨ 1 METRISCHE RAUME, BAIRE KATEGORIE
10
Bemerkung: In diesem Theorem ist es wichtig, dass M vollst¨ andig ist und die Folgen (Uj ), (Aj ) abz¨ ahlbar sind: S alt aber keine • Sei M = R = x∈R {x}. {x} ist jeweils abgeschlossen in R, enth¨ offene Kugel in R. Denn die Vereinigung ist nicht abz¨ ahlbar. S ¨ • Ahnlich ist es mit M = Q = q∈Q {q}. {q} ist abgeschlossen, enth¨ alt aber wiederum keine offene Kugel in Q. Diesmal ist die Vereinigung abz¨ ahlbar, doch: Q ist nicht vollst¨ andig. Beweis. Wir benutzen dazu die Vollst¨ andigkeit von M und Theorem 1.1: i) Wir wollen zeigen: eine offene Kugel B = Br (x) sei gegeben mit r > 0. Dann existiert ein x∗ ∈ M mit \ x∗ ∈ B ∩ Uj . j≥1
Da B offen und U1 dicht ist, schliessen wir, dass B ∩ U1 6= ∅. Weil U1 offen ist, ist auch B ∩ U1 offen. Folglich existiert ein x1 ∈ B, so dass es eine abgeschlossene ¯r1 (x1 ) ⊂ B ∩ U1 gibt mit 0 < r1 < 1 . Da Br1 (x1 ) und U2 wiederum offen Kugel B 2 ¯2 = M , existiert ein x2 ∈ Br1 (x1 ), so dass sind und U ¯r2 (x2 ) ⊂ Br1 (x1 ) ∩ U2 B
0 < r2
n ∀ t ∈ [0, 1] , Un = x ∈ C[0, 1] sup h 0 0 und ein ht mit 0 < |ht | ≤ 1 so, dass x(t + ht ) − x(t) > n + δt . ht Weil x stetig ist, existiert ein offenes Intervall It 3 t, so dass f¨ ur alle s ∈ It gilt x(s + ht ) − x(s) > n + δt . ht
Weil [0, 1] kompakt ist, gibt es endlich viele solcher Intervalle It1 , . . . , ItN , welche [0, 1] u onnen wir ¨berdecken. Somit k¨ δ = min{δt1 , . . . , δtN } > 0,
h = min{|ht1 |, . . . , |htN |} > 0 definieren. Wir nehmen nun ein y ∈ C[0, 1] und ein t ∈ [0, 1]. Also ist t ∈ Itj f¨ ur ein j ∈ {1, . . . , N }. Damit folgt |x(t + htj ) − x(t)| ≤ |x(t + htj ) − y(t + htj )| + |y(t + htj ) − y(t)| + |y(t) − x(t)| ≤ 2kx − yk∞ + |y(t + htj ) − y(t)|.
¨ 1 METRISCHE RAUME, BAIRE KATEGORIE
14
Sei kx − yk∞ < ε, dann ist y(t + htj ) − y(t) x(t + htj ) − x(t) 2kx − yk∞ ≥ − htj htj |htj | 2ε > n, ≥n+δ− h falls ε hinreichend klein ist. Dies gilt jedoch f¨ ur jedes t ∈ [0, 1], und so ist y ∈ Un . ii) Un ist dicht (nach Weierstrass): Sei Bε (y) ⊂ C[0, 1] eine offene Kugel. Wir werden zeigen: es existiert ein x ∈ Bε (y) ∩ Un . Nach Weierstrass existiert ein Polynom p, so dass ky − pk∞ < ε/2. Wir suchen nun ein x ∈ Un mit kx − pk∞ < ε/2. Dazu definieren wir eine stetige, periodische Zick-Zack-Funktion z. Offenbar ist z(t) stetig und pez(t) riodisch, mit |z(t)| ≤ 1 f¨ ur alle 6 1 t ∈ R. Wir definieren f¨ ur λ > 0 @ @ @ die Funktion @ @ @ @ @ @ -t xλ (t) = p(t) + zλ (t), 0 -2 -1 1 2 mit zλ (t) = λ z(t/λ2 ). Mit den obigen Definitionen ist dann |zλ (t)| ≤ λ, |Steigung zλ (t)| = 1/λ und kxλ − pk∞ = λ. Es gilt dann xλ (t + h) − xλ (t) zλ (t + h) − zλ (t) p(t + h) − p(t) ≥ − . h h h Wenn wir |h| klein genug w¨ ahlen, folgt mit dem Mittelwertsatz
xλ (t + h) − xλ (t) 1 d ≥ − p > n, λ dt h ∞
falls λ hinreichend klein ist. Dies gilt f¨ ur alle t, also ist x ∈ Bε (y) ∩ Un f¨ ur kleine λ, was zu beweisen war. An dieser Stelle beweisen wir noch ein Theorem, welches sp¨ ater f¨ ur uns wichtig sein wird: Theorem 1.5 (Prinzip der gleichm¨ assigen Beschr¨ anktheit). Sei (M, d) ein vollst¨andiger, metrischer Raum, fλ : M → R, λ ∈ Λ, eine Familie von stetigen Funktionen. Falls die Familie punktweise beschr¨ ankt ist, das heisst, sup |fλ (x)| < ∞
λ∈Λ
∀ x ∈ M,
dann gibt es eine offene Kugel B ⊂ M , so dass sup λ∈Λ,x∈B
|fλ (x)| < ∞,
das heisst, die Familie ist gleichm¨ assig beschr¨ ankt auf B. Beweis. Wir benutzen dazu Theorem 1.2 sowie die Stetigkeit der fλ : F¨ ur jedes λ ∈ Λ und n ≥ 1 definieren wir An,λ := {x ∈ M | |fλ (x)| ≤ n}. Jedes An,λ ist abgeschlossen, da fλ stetig ist. Wir bilden dann die Menge \ An := An,λ = {x ∈ M | |fλ (x)| ≤ n ∀ λ ∈ Λ}. λ∈Λ
¨ 1 METRISCHE RAUME, BAIRE KATEGORIE
15
Insbesondere ist An abgeschlossen. Nach ur jedes x ∈ M S Voraussetzung existiert f¨ andig ist, gibt es ein j, so dass x ∈ Aj , also ist M = j≥1 Aj . Weil nun M vollst¨ nach Theorem 1.2 ein j und eine offene Kugel B ⊆ Aj , das heisst |fλ (x)| ≤ j
∀ λ ∈ Λ, ∀ x ∈ B.
Satz 1.11 (Baire). Sei (M, d) ein vollst¨andiger metrischer Raum, fn eine Folge von stetigen Funktionen fn : M → R, n ≥ 1 und es existiere der Grenzwert lim fn (x) =: f (x) ∈ R
n→∞
f¨ ur jedes x ∈ M . Dann ist R = {x ∈ M |f stetig in x} eine residuelle Menge, also insbesondere dicht in M. ¨ Beweis. Ubungsaufgabe
1.6
Vervollst¨ andigung
Definition 1.11. (Isometrie) Eine Abbildung ϕ : (M1 , d1 ) → (M2 , d2 ) heisst eine Isometrie, falls d2 (ϕ(x), ϕ(y)) = d1 (x, y)
∀ x, y ∈ M1 .
Sie ist gleichm¨ assig stetig auf M1 und injektiv, aber nicht notwendigerweise auch surjektiv. F¨ ur den Beweis des n¨ achsten Theorems beweisen wir zun¨ achst die beiden nachfolgenden Hilfss¨ atze: Lemma 1.2. Sei (M, d) ein metrischer Raum und es bezeichne B(M, R) den Raum der beschr¨ankten Funktionen B(M, R) := {f : M −→ R| sup |f (x)| < ∞}. x∈M
Dann existiert eine Isometrie ϕ : (M, d) −→ (B(M, R), d∞ ). Beweis. Wir fixieren ein x∗ ∈ M und definieren f¨ ur x ∈ M die Funktion fx : M −→ R durch y 7−→ fx (y) := d(x, y) − d(x∗ , y) y ∈ M. Aus |d(x, y) − d(u, v)| ≤ d(x, u) + d(y, v) folgt dann |fx (y)| ≤ d(x, x∗ )
∀ y ∈ M.
Folglich liegt fx in B(M, R). Es ist dann d∞ (fx , fz ) = sup |fx (y) − fz (y)| = sup |d(x, y) − d(z, y)| y∈M
y∈M
≤ d(x, z). Das Supremum in der obigen Gleichungsfolge wird angenommen f¨ ur y = z, daher folgt d∞ (fx , fz ) = d(x, z). Die Abbildung ϕ : M → B(M, R); x 7→ ϕ(x) =: fx ist die gesuchte Isometrie, weil d∞ (ϕ(x), ϕ(z)) = d(x, z) f¨ ur alle x, z ∈ M .
¨ 1 METRISCHE RAUME, BAIRE KATEGORIE
16
Lemma 1.3 (Eindeutigkeit der Vervollst¨ andigung). Seien (M1 , d1 ) und (M2 , d2 ) zwei vollst¨andige R¨aume, A1 ⊂ M1 , A2 ⊂ M2 Teilmengen mit A¯1 = M1 und A¯2 = M2 sowie ϕ : A1 → A2 eine surjektive Isometrie von A1 auf A2 . Dann existiert genau eine surjektive Isometrie ϕ∗ : M1 → M2 von M1 auf M2 , so dass ϕ∗ (x) = ϕ(x) f¨ ur alle x ∈ A1 . ¨ Beweis. Ubungsaufgabe Nun kommen wir zum eigentlichen Theorem 1.6. Sei (M, d) ein metrischer Raum. Dann gibt es einen metrischen Raum (M ∗ , d∗ ), so dass i) (M ∗ , d∗ ) vollst¨andig ist und ii) es eine Isometrie ϕ : (M, d) → (M ∗ , d∗ ) gibt mit ϕ(M ) = M ∗ . (M ∗ , d∗ ) heisst Vervollst¨ andigung von (M, d). Sind (M1∗ , d∗1 ) und (M2∗ , d∗2 ) zwei Vervollst¨andigungen von (M, d), dann gibt es eine Isometrie von (M1∗ , d∗1 ) auf (M2∗ , d∗2 ). Beweis. Sei M 6= ∅ eine Menge. Dann ist der Raum B(M, R) der beschr¨ ankten Funktionen B(M, R) := {f : M → R| sup |f (x)| < ∞} x∈M
mit der Metrik d∞ (f, g) := supx∈M |f (x)−g(x)| ein vollst¨ andiger, metrischer Raum, weil R vollst¨ andig ist. Mit Lemma 1.2 folgt dann, dass wie gew¨ unscht eine Isometrie ϕ : (M, d) → (B(M, R), d∞ ) existiert. Weil B(M, R) vollst¨ andig ist, ist der Abschluss (ϕ(M ), d∞ ) ein vollst¨ andiger Raum nach Satz 1.1. Wir w¨ ahlen daher (M ∗ , d∗ ) = (ϕ(M ), d∞ ). Damit folgen die Aussagen i), ii) von Theorem 1.6. Die Eindeutigkeit der Vervollst¨ andigung wurde in Lemma 1.3 bewiesen. Wie wir gesehen haben, k¨ onnen wir abstrakt jeden metrischen Raum sofort vervollst¨ andigen. Eine Frage bleibt: l¨ asst sich die Vervollst¨ andigung wieder konkret darstellen? Dazu hier ein Beispiel. Sei Ω ⊂ Rn offen, Cc∞ (Ω) die Menge der C ∞ (Ω)-Funktionen mit kompaktem Tr¨ ager supp(f ) in Ω, wobei supp(f ) = {x ∈ Ω|f (x) 6= 0}. Wir definieren eine Metrik auf Cc∞ (Ω) =: M durch das Riemann’sche Integral d(f, g) =
Z
I
|f (x) − g(x)|p dx
p1
,
wobei I ein kompaktes Intervall ist mit I ⊃ supp(f ), supp(g). Die Vervollst¨ andigung ¨ des metrischen Raumes (Cc∞ (Ω), d) ist Lp (Ω), also der Raum der Aquivalenzklassen der Lebesgue-messbaren Funktionen f : Ω → R, so dass |f |p Lebesgue-integrabel ist. Dies folgt aus i) Lp (Ω) ist vollst¨ andig; ii) Cc∞ (Ω) ⊂ Lp (Ω) ist dicht in der Lp -Metrik;
¨ 1 METRISCHE RAUME, BAIRE KATEGORIE
17
iii) In Cc∞ (Ω) ist Lebesgue-integrabel gleich Riemann-integrabel, und wir haben die Isometrie Z Z |f − g|p dµ = |f (x) − g(x)|p dx . | Ω {z } |I {z } Lebesgue-Integral
Riemann-Integral
¨ 2 NORMIERTE RAUME
2
18
Normierte R¨ aume
2.1
Definitionen und erste Folgerungen
Definition 2.1. (normierter Raum, Norm, Banach-Raum) Ein normierter Raum ist ein Paar (X, ρ), wobei X ein Vektorraum und ρ : X → R eine Norm, das heisst, eine Funktion ρ(x) := kxk ist mit den Eigenschaften i) kxk ≥ 0 und kxk = 0 ⇐⇒ x = 0, ii) kλxk = |λ|kxk, iii) kx + yk ≤ kxk + kyk f¨ ur alle λ ∈ C, x, y ∈ X. Die zur Norm assoziierte Metrik ist gegeben durch d(x, y) := kx − yk. Der normierte Raum (X, ρ) heisst Banach-Raum, falls (X, d) vollst¨ andig ist. Aus obigen Definitionen k¨ onnen wir schon erste Folgerungen ziehen: Satz 2.1 (Stetigkeitseigenschaften). In einem normierten Raum (X, k k) gilt i) Die Norm ρ : X → R ist stetig, das heisst: kxk − kyk ≤ kx − yk = d(x, y).
ii) Vektorraumoperationen sind stetig:
{x, y} 7→ x + y : X × X {λ, y} 7→ λy : C×X
→ X, → X.
Beweis. i) Schreibe x = (x − y) + y. Dann folgt aus der Dreiecksungleichung kxk ≤ kx − yk + kyk, und, formen wir um, kxk − kyk ≤ kx − yk. Durch Vertauschung von x und y erhalten wir kyk − kxk ≤ ky − xk = k(−1)(x − y)k = kx − yk. ii) F¨ ur die Addition gilt: k(x + y) − (x∗ + y ∗ )k ≤ kx − x∗ k + ky − y ∗ k, und f¨ ur die skalare Multiplikation ist kλx − λ∗ x∗ k = kλ(x − x∗ ) + (λ − λ∗ )x∗ k ≤ |λ| kx − x∗ k + |λ − λ∗ |kx∗ k. Beispiel (Der Raum der beschr¨ ankten Funktionen). Sei M eine Menge, (X, k k) ein normierter Raum. Wir bezeichnen mit B(M, X) := {f : M → X| sup kf (t)k < ∞} t∈M
den Raum der beschr¨ ankten Funktionen f von M nach X. Damit u agt sich ¨bertr¨ die Vektorraum-Struktur von X auf B(M, X), denn es ist f +g : λf : −f : 0:
(f + g)(t) (λf )(t) (−f )(t) 0(t)
:= := := :=
f (t) + g(t), λf (t), −f (t), 0 ∈ X ∀ t ∈ M.
¨ 2 NORMIERTE RAUME
19
Mit der Norm kf k := supt∈M kf (t)k wird B(M, X) zu einem normierten Raum. Dass dies auch wirklich eine Norm ist, zeigt man so: i) sei kf k = 0. Dann ist nach Definition kf (t)k = 0 f¨ ur alle t ∈ M und folglich f (t) = 0. Das ist genau dann der Fall, falls f = 0 ∈ X. ii) folgt direkt aus den Definitionen der Norm und des Supremums. iii) Dreiecksungleichung: k(f + g)(t)k = kf (t) + g(t)k
≤ kf (t)k + kg(t)k ≤ sup kf (t)k + sup kg(t)k t∈M
t∈M
= kf k + kgk. ¨ Mit dem Ubergang ins Supremum u ¨ber t auf der linken Seite folgt dann, wie gew¨ unscht, kf + gk ≤ kf k + kgk. Zu B(M, X) beweisen wir noch folgenden Satz 2.2. Ist X ein Banach-Raum, so ist auch B(M, X) wieder ein Banach-Raum. Beweis. Sei fn eine Cauchy-Folge in B(M, X). Wir wollen zeigen, dass die Folge in B(M, X) konvergiert. Wir geben uns also ein beliebiges ε > 0 vor. Dann gibt es ein Nε , so dass kfn − fm k < ε f¨ ur alle n, m ≥ Nε . Nach Definition der Norm ist dann kfn (t) − fm (t)k < ε ∀ n, m ≥ Nε , ∀ t ∈ M.
(2.1)
Das bedeutet aber nichts anderes, als dass fn (t) f¨ ur jedes t eine Cauchy-Folge in X ist. Nach Voraussetzung ist X ein Banach-Raum, also insbesondere vollst¨ andig, und es existiert der punktweise Grenzwert f (t) := lim fn (t) n→∞
∈X
f¨ ur alle t in M . Aus (2.1) folgt mit m → ∞ und der Stetigkeit der Norm, dass kfn (t) − f (t)k = lim kfn (t) − fm (t)k ≤ ε m→∞
(2.2)
f¨ ur alle n ≥ Nε und f¨ ur alle t in M . Wenden wir die Dreiecksungleichung an, so erhalten wir kf (t)k ≤ kfn (t) − f (t)k + kfn (t)k ≤ ε + kfn k < ∞. Somit liegt f wieder in B(M, X). Nehmen wir in der mit (2.2) gekennzeichneten Gleichung das Supremum u ¨ber alle t, so erhalten wir kfn − f k := sup kfn (t) − f (t)k ≤ ε ∀ n ≥ Nε . t∈M
Dies gilt f¨ ur alle ε > 0. Somit strebt die Folge fn nach der Definition der Konvergenz in B(M, X) gegen die Funktion f ∈ B(M, X). Damit konvergiert jede Cauchy-Folge in B(M, X), und der Satz ist bewiesen. Definition 2.2. (¨ aquivalente Normen) Zwei Normen ρ1 , ρ2 auf dem Vektorraum X heissen ¨aquivalent, falls zwei Zahlen m, M existieren mit 0 < m < M , so dass f¨ ur alle x 6= 0 gilt m≤
ρ1 (x) ≤ M. ρ2 (x)
¨ 2 NORMIERTE RAUME
20
Gleichbedeutend ist die Formulierung f¨ ur die assoziierte Metrik: es ist dann m≤
ρ1 (x − y) ≤M ρ2 (x − y)
f¨ ur alle x 6= y. Zum Vergleich: Zwei Metriken d1 , d2 auf X heissen ¨aquivalent, falls eine Folge genau dann bez¨ uglich d1 konvergiert, wenn sie auch bez¨ uglich d2 konvergiert. ¨ Aquivalente Normen auf einem Vektorraum definieren ein und dieselbe Topologie und dieselben Cauchyfolgen. Satz 2.3. Auf dem endlich-dimensionalen Vektorraum X = Cn sind alle Normen ¨aquivalent. Beweis. Wir benutzen, dass in einem endlich-dimensionalen Vektorraum die Einheitskugel kompakt ist (dass dies f¨ ur unendlich-dimensionale Vektorr¨ aume nicht der Fall ist, werden wir sp¨ ater sehen). Es gen¨ ugt zu zeigen, dass alle Normen zu einer einzigen ¨ aquivalent ist. Wir beweisen dies f¨ ur die bekannte Euklidische Norm d2 (x, y) = kx − yk2 . Sei ρ : Cn → R eine Norm. Dann ist ρ : (Cn , d2 ) → R stetig: n X |ρ(x) − ρ(y)| ≤ ρ(x − y) = ρ (xj − yj )ej j=1
≤
n X j=1
|xj − yj |ρ(ej ) ≤ kx − yk∞
n X
ρ(ej )
j=1
| {z } =:c
≤ ckx − yk2 .
Die Funktion ρ : S = {x ∈ Cn | kxk2 = 1} → R ist stetig und es ist ρ(x) > 0 f¨ ur alle x in S. Weil S kompakt ist, nimmt ρ ihr Minimum und Maximum an, also 0 < m = ρ(x∗ ) ≤ ρ(x) ≤ ρ(x∗ ) = M, und daher gilt m≤ρ
x kxk2
=
ρ(x) ≤ M. kxk2
Folglich ist ρ ¨ aquivalent zur Euklidischen Norm. Da ρ beliebig war, folgt die Behauptung. Folgerungen: In einem endlich-dimensionalen Vektorraum X sind alle Normen aquivalent: Sei (X, k k) e in n-dimensionaler Vektorraum. Wir w¨ ahlen eine Basis ¨ e1 , . . . , en in X und definieren die Abbildung ϕ : Cn → X durch ϕ(x) =
n X
∈ X.
xj e j
j=1
Das so definierte ϕ ist ein linearer Isomorphismus, und somit ist kϕ(x)k eine neue Norm auf Cn . Nach Satz 2.3 gibt es m, M derart, dass 0<m≤ f¨ ur alle x 6= 0 in Cn . Dann ist aber m≤
ϕ(x) ≤M kxk2
kyk
kϕ−1 (y)k
2
≤M
¨ 2 NORMIERTE RAUME
21
f¨ ur y 6= 0 in X. Dies gilt jedoch f¨ ur jede Norm k k, also ist die Aussage bewiesen. Da Cn auch vollst¨ andig ist, folgt sofort Satz 2.4. Sei (X, k k) ein endlich-dimensionaler normierter Raum. In diesem Falle ist (X, k k) ein Banach-Raum. Folgerung: Sei (Y, k k) ein normierter Raum, X ⊂ Y ein linearer Teilraum endlicher Dimension. Dann ist (X, k k) vollst¨ andig und nach Satz 1.1 deshalb eine in Y abgeschlossene Menge. Sind X und Y zwei beliebige Vektorr¨ aume und A : X → Y eine Abbildung, so heisst A linear , falls A(x + y) = A(x) + A(y) und A(λx) = λA(x) f¨ ur alle x, y ∈ X. Das heisst, die Abbildung A ist mit der Vektorraum-Stuktur in Y vertr¨ aglich (analog erhalten Gruppenhomomorphismen ϕ : G → F die Gruppenstruktur in F ). Es ist allgemein gebr¨ auchlich, dass eine lineare Abbildung auch als Operator bezeichnet wird. Satz 2.5. Seien X, Y zwei normierte R¨aume und A : X → Y eine lineare Abbildung. Dann sind folgende Aussagen ¨aquivalent: i) A ist stetig im Punkt 0 ∈ X; ii) A ist stetig in jeden Punkt x ∈ X; iii) A ist gleichm¨assig stetig auf X; iv) Es existiert ein c ≥ 0, so dass kA(x)k ≤ ckxk f¨ ur alle x ∈ X; v) A ist beschr¨ankt auf der Einheitskugel: supkxk≤1 kA(x)k < ∞. Beweis. Wir beweisen die Reihenfolge i) ⇒ v) ⇒ iv) ⇒ iii) ⇒ ii) ⇒ i). i) ⇒ v): Angenommen, A sei nicht beschr¨ ankt auf der Einheitskugel, dann existiert eine Folge xj ∈ X, so dass kxj k ≤ 1 und kA(xj )k ≥ j f¨ ur j ≥ 1. Es folgt somit, dass die Folge yj := xj /j gegen 0 konvergiert, weil kxj /jk ≤ 1/j. F¨ ur die yj folgt dann 1 kA(yj )k = kA(xj )k ≥ 1 j f¨ ur alle j ≥ 1. Weil aber A(0) = 0 ist, kann A in 0 nicht stetig sein, im Widerspruch zu unserer Annahme. v) ⇒ iv): Sei c := supkxk≤1 kA(x)k < ∞. Dann ist f¨ ur x 6= 0
x
≤ c ⇐⇒ 1 kA(x)k ≤ c.
A
kxk kxk
Also haben wir unsere Konstante c gefunden. iv) ⇒ iii): Aus der Linearit¨ at und iv) folgt
kA(x) − A(y)k = kA(x − y)k ≤ ckx − yk. A ist demnach gleichm¨ assig stetig auf X. Die Schritte iii) ⇒ ii) ⇒ i) sind offensichtlich. Anders ausgedr¨ uckt: eine lineare Abbildung A : X → Y von normierten Vektorr¨ aumen ist genau dann stetig, wenn sie (auf der Einheitskugel) beschr¨ ankt ist. Wir zeigen an dieser Stelle noch eine u ¨berraschende Eigenschaft von unendlichdimensionalen Vektorr¨ aumen: Lemma 2.1. Sei (X, k k) ein unendlich-dimensionaler Vektorraum. Dann existiert eine lineare, nicht-stetige Funktion A : X → R.
¨ 2 NORMIERTE RAUME
22
Beweis. Da X ein Vektorraum ist, besitzt X eine algebraische Basis , das heisst, es gibt eine (eventuell unendliche) Familie eλ , λ ∈ Λ, so dass jedes x ∈ X eine eindeutige Darstellung der Form X x= αλ (x)eλ λ∈Λ
besitzt, mit Koeffizienten αλ ∈ R, wobei nur endlich viele der αλ von Null verschieden sind. Die Koeffizienten αλ (x) sind zudem linear in x. Da dim(X) = ∞, k¨ onnen wir eine abz¨ ahlbare Familie λ1 , λ2 , . . . ∈ Λ ausw¨ ahlen und schreiben zur Vereinfachung ej := eλj , αj (x) := αλj (x). Nun definieren wir eine lineare Abbildung A : X → R durch A(x) :=
∞ X j=1
jkej kαj (x)
∈ R.
Diese Summe ist f¨ ur jedes x endlich. Mit dieser Definition ist jetzt X X ∞ ∞ es es kej k αj (es ) = s A = jkej kαj = j kes k ke k ke s sk j=1 j=1
are f¨ ur alle s ≥ 1, da αj (es ) = δjs . Weil gilt k keess k k = 1, ist A auf der Einheitssph¨ nicht beschr¨ ankt, und daher auch nicht stetig. Das f¨ uhrt uns zum Theorem 2.1. In einem normierten Raum (X, k k) sind ¨ aquivalent: i) Der Vektorraum ist endlich (dim(X) < ∞);
ii) Alle Normen sind ¨aquivalent; iii) Alle linearen Abbildungen A : X → Y in einen normierten Raum Y sind stetig; iv) Jede beschr¨ankte Folge besitzt eine konvergente Teilfolge; v) Die Einheitssph¨are S = {x ∈ X| kxk = 1} ist kompakt.
Speziell gilt in endlich-dimensionalen Vektorr¨ aumen, dass aus der algebraischen Eigenschaft linear“ die topologische Eigenschaft stetig“ folgt. ” ” Beweis. i) ⇒ ii) folgt aus Satz 2.3, i) ⇒ iv) aus dem Satz von Bolzano-Weierstrass und i) ⇒ v) aus dem Satz von Heine-Borel. i) ⇒ iii) Wir betrachten einen endlich-dimensionalen Vektorraum X, eine lineare Abbildung A : X → Y und definieren eine neue Norm auf X durch kxkA := kxk + kA(x)k. Nach Satz 2.3 ist kxkA ≤ M kxk f¨ ur ein geeignetes (endliches) M . Das heisst, kA(x)k ≤ kxkA ≤ M kxk, sprich, A ist beschr¨ ankt und nach Satz 2.5 also stetig. iii) ⇒ i) folgt aus dem obigen Lemma 2.1. ii) ⇒ i) Sei dim(X) = ∞. Wir definieren auf X wieder eine neue Norm kxkA = kxk + |A(x)| f¨ ur die lineare Funktion A aus Lemma 2.1. Dann ist kxkA nicht a quivalent zu k k, da ¨ kxkA x 6= 0 kxk nicht beschr¨ ankt ist. iv) ⇒ i) folgt aus den nachfolgenden Lemmata 2.2 und 2.3.
¨ 2 NORMIERTE RAUME
23
Lemma 2.2 (Franz Riesz). Sei (X, k k) ein normierter Raum und Y ⊂ X ein abgeschlossener linearer Teilraum mit X 6= Y . Dann gibt es zu jedem ε ∈ (0, 1) ein x = xε mit (1) kxk = 1 und (2) d(x, Y ) = inf y∈Y kx − yk > 1 − ε.
Beweis. Da Y 6= X ist, k¨ onnen wir ein x∗ ∈ X \ Y w¨ ahlen. Weil Y¯ = Y, ist der ∗ Abstand von x zu Y echt positiv, also d := inf |x∗ − y| = d(x∗ , Y ) > 0. y∈Y
Sei nun ein ε mit 0 < ε < 1 vorgegeben. Dann existiert nach der Definition des d Infimums ein y ∗ ∈ Y mit d ≤ kx∗ − y ∗ k < 1−ε . Wir definieren nun xε = x =
x∗ − y ∗ , kx∗ − y ∗ k
also ist kxk = 1. Es gilt auch (2), denn f¨ ur ein beliebiges y ∈ Y ist
∗
x − y∗
kx − yk = − y
kx∗ − y ∗ k
1 = ∗ kx∗ − (y ∗ + kx∗ − y ∗ ky) k {z } | kx − y ∗ k d ≥ ∗ > 1 − ε. kx − y ∗ k
∈Y
Lemma 2.3. In einem unendlich-dimensionalen normierten Raum (X, k k) gibt es eine Folge xj ∈ X mit kxj k = 1, welche keine konvergente Teilfolge besitzt. Beweis. Wir w¨ ahlen ein x1 ∈ X mit kx1 k = 1 und definieren den linearen Unterraum Y1 := hx1 i ⊂ X. Nach Satz 2.4 ist Y1 ein Banach-Raum, also insbesondere abgeschlossen in X. Nach Lemma 2.2 existiert daher ein x2 ∈ X \ Y1 mit kx2 k = 1 und kx2 − x1 k > 21 . Nun definieren wir Y2 = hx1 , x2 i, dim(Y2 ) = 2. Wiederum ist Y2 nach Satz 2.4 abgeschlossen in X, und nach Lemma 2.2 existiert ein x3 ∈ X \ Y2 mit kx3 k = 1 und kx3 − x1 k > 21 , kx3 − x2 k > 21 . Induktiv finden wir so eine Folge xj ∈ X, denn dim(X) = ∞, mit kxj k = 1 ur alle i 6= j. Daraus schliessen wir, dass xj keine konvergente und kxi − xj k > 12 f¨ Teilfolge besitzt. In anderen Worten: Einheitskugeln in unendlich-dimensionalen Vektorr¨ aumen sind gross“. ”
2.2
L(X, Y ), zur Erinnerung
In diesem Abschnitt betrachten wir eine bestimmte Menge von Funktionen. Dazu nehmen wir zwei normierte R¨ aume X, Y und definieren L(X, Y ) := {A : X → Y |A ist linear und stetig}. Wir sehen leicht, dass L(X, Y ) ein Vektorraum ist, denn die lineare Struktur ist durch die Linearit¨ at der Abbildungen gegeben, und wir k¨ onnen in diesem Vektorraum eine Norm kA(x)k 0 vor. Dann existiert nach Definition der Cauchy-Folge ein Nε =: N , so dass kAn − Am k < ε f¨ ur alle n, m > N . Dann folgt kAn (x) − Am (x)k ≤ εkxk ∀ n, m > N,
(2.3)
das heisst, An (x) ist f¨ ur jedes x ∈ X eine Cauchy-Folge in Y . Nach Voraussetzung ist Y ein Banach-Raum, daher existiert der (punktweise) Grenzwert lim An (x) = A(x) ∈ Y
n→∞
f¨ ur jedes x ∈ X. Weil die Addition in normierten R¨ aumen stetig ist, ist auch A wiederum linear. Mit m → ∞ folgt aus (2.3) kAn (x) − A(x)k ≤ εkxk ∀ n > N. Zusammen mit der Dreiecksungleichung f¨ uhrt dies zu kA(x)k ≤ kA(x) − An (x)k + kAn (x)k ≤ (ε + kAn k)kxk,
¨ 2 NORMIERTE RAUME
25
das heisst, A ist wieder in L(X, Y ). Andererseits ist f¨ ur x 6= 0 kAn (x) − A(x)k ≤ ε ∀ n > N. kxk Nehmen wir auf der linken Seite das Supremum u ¨ber alle x 6= 0, so erhalten wir, dass kAn − Ak ≤ ε f¨ ur alle n > Nε und dies gilt f¨ ur alle ε > 0. Nach der Definition der Konvergenz in L(X, Y ) folgt also, dass An in L(X, Y ) gegen A konvergiert. Ganz analog zum bekannten Raum R definieren wir auch in L(X, Y ) Folgen und Reihen: Ist Aj ∈ L(X, Y ) eine Folge f¨ ur j ≥ 0, so legen wir eine weitere Folge (N-te Partialsumme) N X Aj ∈ L(X, Y ) SN := j=0
fest. Falls die Folge SN in L(X, Y ) konvergiert, so schreiben w ir f¨ ur den Grenzwert lim SN :=
N →∞
∞ X
∈ L(X, Y ).
Aj
j=0
Wie wir bereits gesehen haben, ist L(X, Y ) vollst¨ andig, wenn Y vollst¨ andig ist. Als Folge gilt dann auch in L(X, Y ) das Cauchy-Kriterium: SN konvergiert genau dann, wenn SN eine Cauchy-Folge in L(X, Y ) ist. Satz 2.8. Sei nun Y ein Banach-Raum und Aj , j ≥ 0, eine Folge in L(X, Y ). Falls ∞ X j=0
kAj k < ∞,
dann existiert der Grenzwert lim SN =
N →∞
in L(X, Y ), und k
P
j≥0
Aj k ≤
P
j≥0
X
Aj
j≥0
kAj k
Beweis. Wir wenden das Cauchy-Kriterium an: Nach Voraussetzung existiert X j≥0
kAj k = lim
N →∞
N X j=0
kAj k =: lim sN
| {z }
N →∞
∈ R.
=:sN
WegenP dem Cauchy-Kriterium ist sN eine Cauchy-Folge in R. Dann ist aber auch N SN = j=0 Aj eine Cauchy-Folge in L(X, Y ), denn
NX N +k X
+k
kAj k = |sN +k − sN |. ≤ Aj kSN +k − SN k =
j=N +1 j=N +1 Weil L(X, Y ) vollst¨ andig ist, konvergiert SN in L(X, Y ).
Wurzelkriterium:P Wir k¨ onnen ein Resultat der Analysis auf unser Problem anwenden: Die Reihe j≥1 kAj k konvergiert, wenn lim supj→∞ kAj k1/j < 1. Wir betrachten im Folgenden den Spezialfall X = Y und schreiben zur Abk¨ urzung L(X, X) =: L(X). Insbesondere nehmen wir an, dass X ein Banach-Raum ist. Damit wird L(X) wegen Satz 2.7 zu einem vollst¨ andigen Raum.
¨ 2 NORMIERTE RAUME
26
Sei jetzt f (z) eine Potenzreihe im komplexen Raum C, also X f (z) = aj z j j≥0
f¨ ur z ∈ C. Dann besitzt die Potenzreihe einen wohldefinierten Konvergenzradius R ≥ 0. Nehme an R > 0. Dann ist auch f¨ ur A ∈ L(X) mit kAk < R die Reihe X aj Aj f (A) = j≥0
in L(X) konvergent, denn es gilt X X |aj | kAkj kaj Aj k ≤ j≥0
j≥0
und wir haben vorausgesetzt, dass kAk < R. Um diese Idee noch etwas zu illustrieren, hier noch zwei Beispiele: P j 1. Exponentialreihe: f (z) = j≥0 zj! =: ez ∈ C. Diese Reihe besitzt den Konvergenzradius R = ∞, also konvergiert die Reihe eA :=
X Aj j≥0
j!
f¨ ur alle A ∈ L(X), falls X ein Banach-Raum ist. 2. Geometrische Reihe: In C konvergiert die Reihe f (z) =
∞ X
zj
j=0
f¨ ur alle z mit |z| < 1 und es ist dann f (z) = (1 − z)−1 . Das Selbe gilt f¨ ur A ∈ L(X), falls X vollst¨ andig ist: Theorem 2.2 (Neumann’sche Reihe). Sei X ein Banach-Raum, A ∈ L(X) mit P∞ kAk < 1. Dann konvergiert die Reihe j=0 Aj in L(X) und es gilt ∞ X
Aj = (1 − A)−1
j=0
∈ L(X).
Beweis. Die oben definierte Folge konvergiert in L(X), denn wegen Satz 2.8 ist f¨ ur kAk < 1 ∞ X kAkj = (1 − kAk)−1 < ∞. j=0
Definieren wir wieder die N -te Partialsumme durch SN =
N X j=0
Aj
∈ L(X),
so ist (1 − A)SN = SN (1 − A) = 1 − AN +1 . Mit der Stetigkeit des Produkts in L(X) folgern wir dann lim (1 − A)SN = (1 − A) lim SN = ( lim SN )(1 − A) = 1 − lim AN +1 = 1.
N →∞
N →∞
N →∞
N →∞
¨ 2 NORMIERTE RAUME
27
Wir verallgemeinern das Resultat von Theorem 2.2 wie folgt: Sei X ein BanachRaum und A eine lineare, stetige Abbildung wie in Theorem 2.2, also A ∈ L(X), f¨ ur welche gilt kAj k ≤ cϑj f¨ ur ein ϑ ∈ (0, 1), f¨ ur alle j ≥ 1 und f¨ ur eine Konstante c > 0. Dann konvergiert die Reihe ∞ X j=0
Aj = (1 − A)−1
in L(X). Dies folgt aus dem Wurzelkriterium und Satz 2.8, denn es ist 1
lim sup kAj k j ≤ ϑ < 1. j→∞
Satz 2.9 (Spektralradius rA ). Sei A ∈ L(X). Dann existiert der Grenzwert 1
1
rA := lim kAn k n = inf kAn k n ≤ kAk. n→∞
n≥1
rA heisst der Spektralradius von A. 1
Beweis. Wir setzen α = inf n≥1 kAn k n ∈ R und geben uns ein ε > 0 vor. Nach 1 Definition des Infimums gibt es nun ein m ≥ 1, so dass α ≤ kAm k m < α + ε. Damit k¨ onnen wir M := max{1, kAk, kA2k, . . . , kAm−1 k} definieren und f¨ ur jedes n > 0 k¨ onnen wir schreiben: n = kn m + ln , wobei 0 ≤ ln ≤ m − 1 sein soll. Es folgt dann 1
1
1
1
kAn k n = kAkn m Aln k n ≤ kAln k n (kAm kkn ) n 1
≤ M n kAm k
kn n
1
≤ M n (α + ε)
kn n
m
1
ln
= M n (α + ε)1− n .
Der Limes auf der rechten Seite f¨ ur n → ∞ ist gerade (α + ε). Daher existiert ein N , so dass 1 α ≤ kAn k n < α + 2ε
f¨ ur alle n ≥ N . Dies gilt wiederum f¨ ur alle ε > 0, also folgt die Behauptung des Satzes. Ist A ∈ L(X), so h¨ angt die Operatornorm kAk von der Wahl der jeweiligen Norm im Vektorraum X ab. Der Spektralradius rA ∈ R jedoch ist unabh¨angig von ¨ der Wahl einer Norm in einer Aquivalenzklasse von Normen auf X. Satz 2.10. Sei X ein Banach-Raum und A ∈ L(X) mit rA < 1. Dann konvergiert die Neumann-Reihe in L(X) und es ist ∞ X j=0
Aj = (1 − A)−1
∈ L(X).
Beweis. Der Satz folgt sofort aus Satz 2.8 (Wurzelkriterium): 1
rA := lim kAj k j < 1. j→∞
An dieser Stelle soll auch noch eine Anwendung dieses Satzes gegeben werden: Wir betrachten wieder einen Banach-Raum X und eine Abbildung A ∈ L(X) mit einem Spektralradius rA < 1. Dann hat die lineare Gleichung x − Ax = y
∈X
f¨ ur jedes vorgegebene y ∈ X eine eindeutige L¨ osung x = (1 − A)−1 (y) =
∞ X
Aj (y).
j=0
Die L¨ osung x h¨ angt stetig von y ab, da kxk ≤ k(1 − A)−1 k kyk.
¨ 2 NORMIERTE RAUME
2.3
28
Quotientenr¨ aume und Produktr¨ aume
Aus der Linearen Algebra k¨ onnen wir Folgendes u ¨bernehmen: Ist X ein Vektorraum und Y ⊂ X ein linearer Teilraum von X, so ist der Quotientenraum X/Y der Vektorraum, dessen Elemente aus den Restklassen x ˆ := x + Y = {x + y|y ∈ Y },
x∈X
¨ bez¨ uglich der Aquivalenzrelation x ∼ ξ ⇐⇒ x − ξ ∈ Y bestehen. Die VektorraumStruktur ist gegeben durch x ˆ + yˆ := x[ + y, c λˆ x := λx, ˆ 0 := 0
x ∈ xˆ, y ∈ yˆ
x∈x ˆ, λ ∈ C
Ist (X, k k) ein normierter Raum, so k¨ onnen wir auf X/Y die Funktion kˆ xk = inf kxk = inf kx − yk = d(x, Y ) y∈Y
x∈ˆ x
definieren. Wenn Y abgeschlossen ist, so ist kˆ xk eine Norm auf X/Y . Um das zu beweisen, u ufen wir die drei Kriterien f¨ ur eine Norm: ¨berpr¨ i) Es ist
kˆ xk = 0 ⇐⇒ d(x, Y ) = 0 ⇐⇒ x ∈ Y¯ = Y ⇐⇒ xˆ = ˆ 0;
ii) Folgt aus der Definition und der Linearit¨ at des Vektorraumes; iii) Seien x ˆ1 , x ˆ2 ∈ X/Y und ε > 0 vorgegeben. Dann gibt es nach der Definition des Infimums zwei Elemente y1 , y2 ∈ Y , so dass kxj −yj k ≤ kˆ xj k+ε (j = 1, 2). Es folgt dann kˆ x1 + x ˆ2 k = kx\ 1 + x2 k ≤ k(x1 + x2 ) − (y1 + y2 ) k | {z } ∈Y
≤ kx1 − y1 k + kx2 − y2 k ≤ kˆ x1 k + ε + kˆ x2 k + ε.
Dies gilt f¨ ur jedes ε > 0 und daher ist kˆ x1 + xˆ2 k ≤ kˆ x1 k + kˆ x2 k. Satz 2.11. Sei X ein normierter Raum, Y ⊂ X ein abgeschlossener linearer Teilraum. Dann ist der Vektorraum X/Y mit kˆ xk := d(x, Y ),
x∈x ˆ ∈ X/Y
ein normierter Raum, und es gilt i) Die lineare Abbildung p : X −→ X/Y ; x 7−→ x ˆ ist stetig, surjektiv und bildet offene Mengen auf offene Mengen ab. p heisst auch Projektion. ii) Ist X ein Banach-Raum, so ist auch X/Y ein Banach-Raum. ¨ Beweis. Ubungsaufgabe. Analog wie in einem endlich-dimensionalen Raum k¨ onnen wir ganz allgemein Produktr¨aume definieren:
¨ 2 NORMIERTE RAUME
29
Gegeben seien die endliche Familie (Xj , k kj ), (j = 1, . . . , n), von Vektorr¨ aumen. Dann definieren wir die Menge X := X1 × X2 × · · · × Xn der Elemente x = (x1 , x2 , . . . , xn ) mit xj ∈ Xj , wobei die Vektorraum-Struktur komponentenweise gegeben ist. Auf diesem Produktraum gibt es viele Vektornormen, zum Beispiel n X kxk1 := kxj kj j=1
oder dazu a ¨quivalente Normen kxk∞ := max kxj kj oder 1≤j≤n
kxkp :=
n X j=1
p1
kxj kpj .
Der Produktraum X ist genau dann ein Banach-Raum, wenn jeder Faktor Xj ein Banach-Raum ist.
30
3 PRINZIPIEN DER FUNKTIONALANALYSIS
3
Prinzipien der Funktionalanalysis
3.1
Prinzip der gleichm¨ assigen Beschr¨ anktheit
Zum Anfang ziehen wir weitere Folgerungen aus dem Theorem 1.5 von Baire: Theorem 3.1. Sei X ein Banach-Raum und Aj ∈ L(X, Y ) eine Folge von linearen und stetigen Abbildungen. Wir nehmen zus¨atzlich an, dass f¨ ur jedes x ∈ X gilt: sup kAj (x)k < ∞. j≥1
Dann ist supj≥1 kAj k < ∞.
Beweis. Wir definieren die stetigen Funktionen fj (x) := kAj (x)k : X → R. Weil X vollst¨ andig ist, folgt aus Theorem 1.5, dass ein x∗ ∈ X, eine Kugel K, K := {x ∈ X| kx − x∗ k ≤ r},
r > 0,
und ein γ > 0 existieren, so dass kAj (x)k ≤ γ,
x ∈ K, j ≥ 1.
Sei nun ein y ∈ X vorgegeben mit kyk ≤ 1. Dann liegt x := x∗ + ry in der Kugel K und es folgt somit
x − x∗
≤ 1 kAj (x)k + 1 kAj (x∗ )k ≤ 2 γ kAj (y)k = Aj
r r r r
f¨ ur alle y ∈ X mit kyk ≤ 1 und alle j ≥ 1. Das heisst, es ist kAj k ≤
2 γ r
f¨ ur alle j ≥ 1. Daraus folgt Satz 3.1. Sei wieder X ein Banach-Raum und Aj ∈ L(X, Y ), j ≥ 1 und es existiere in Y der punktweise Grenzwert lim Aj (x) =: A(x)
j→∞
f¨ ur alle x ∈ X. Dann ist A ∈ L(X, Y ), zudem gilt sup kAj k < ∞ und kAk ≤ lim inf kAj k. j→∞
j≥1
In Worten: der punktweise Grenzwert von linearen und stetigen Funktionen ist wieder linear und stetig, falls X vollst¨andig ist. Beweis. Nach Voraussetzung konvergiert die Folge Aj (x), also ist sup kAj (x)k < ∞ j≥1
f¨ ur alle x ∈ X und daher gilt, nach Theorem 3.1, dass auch supj≥1 kAj k < ∞ ist. Weil die Normen stetig sind, ist kA(x)k = lim kAj (x)k = lim inf kAj (x)k ≤ (lim inf kAj k)kxk j→∞
j→∞
f¨ ur alle x ∈ X, das heisst, es gilt kAk ≤ lim inf kAj k j→∞
nach der Definition der Norm kAk.
j→∞
3 PRINZIPIEN DER FUNKTIONALANALYSIS
31
Vorsicht: Der obige Satz ist falsch, falls X nicht vollst¨ andig ist! Dazu betrachten wir den Raum X := {x ∈ `∞ |x = (xi )i≥1 , xi 6= 0 f¨ ur nur endlich viele i} mit der Norm kxk := supj≥1 kxj k < ∞. Der so definierte Raum X ist nicht vollst¨ andig. Wir definieren die linearen Funktionen A, An auf X durch An (x) = (x1 , 2x2 , . . . , nxn , 0, . . .), A(x) = (x1 , 2x2 , . . . , nxn , (n + 1)xn+1 , . . .) = (jxj )j≥1 . ¨ F¨ ur jedes n ist An stetig und kAn k = n. Uberdies, A(x) = limn→∞ An (x) f¨ ur alle x ∈ X. A ist offensichtlich aber nicht beschr¨ ankt und somit sicherlich auch nicht stetig. Wir k¨ onnen die Aussage von Satz 3.1 noch versch¨ arfen, wenn wir voraussetzen, dass auch Y vollst¨ andig ist: Theorem 3.2 (Banach-Steinhaus). Es seien X, Y zwei Banach-R¨aume und die Aj ∈ L(X, Y ) eine Folge von stetigen und linearen Abbildungen. Dann sind folgende Aussagen ¨aquivalent: i) limj→∞ Aj (x) = A(x) existiert in Y f¨ ur jedes x in X (aus Satz 3.1 folgt, dass A ∈ L(X, Y )); ii) (a) Es ist supj≥1 kAj k < ∞ und (b) es gibt eine dichte Menge D ⊂ X, so dass lim Aj (x) =: A(x)
j→∞
existiert f¨ ur alle x ∈ D. Beweis. i) ⇒ ii) Dies ist gerade die Aussage von Satz 3.1. Also beweisen wir noch ii) ⇒ i): Wir w¨ ahlen ein x ∈ X. Weil Y ein Banach-Raum ist, gen¨ ugt es zu zeigen, dass Aj (x) eine Cauchy-Folge in Y ist. Mit der Dreiecksungleichung k¨ onnen wir schreiben: kAn (x) − Am (x)k ≤ kAn (x) − An (y)k + kAn (y) − Am (y)k + kAm (y) − Am (x)k ≤ kAn (y) − Am (y)k + 2 sup kAj k kx − yk. j≥1
Sei ein ε > 0 beliebig vorgegeben. Nach (a) ist supj≥1 kAj k < ∞ und wir k¨ onnen nach (b) ein y ∈ D w¨ ahlen, so dass der zweite Term in der obigen Gleichung kleiner ur alle n, m ≥ als 2ε ist. Nach (b) folgt zudem, dass der erste Term kleiner als 2ε ist f¨ N (ε), und somit ist An (x) eine Cauchy-Folge f¨ ur jedes x ∈ X.
3.2
Prinzip der offenen Abbildung
F¨ ur lineare und stetige Abbildung zwischen Banach-R¨ aumen gilt das folgende Theorem. Theorem 3.3 (Prinzip der offenen Abbildung). Seien X und Y Banach-R¨aume, A ∈ L(X, Y ) eine surjektive, stetige und lineare Abbildung. Dann existiert ein c > 0, so dass f¨ ur die offenen Kugeln B1 (0) ⊂ X und Bc (0) ⊂ Y gilt A(B1 (0)) ⊃ Bc (0).
32
3 PRINZIPIEN DER FUNKTIONALANALYSIS
Beweis. Wir schreiben zur Abk¨ urzung B := B 21 (0) ⊂ X und benutzen zuerst, dass der Raum Y vollst¨ andigSist: X l¨ asst sich darstellen als abz¨ ahlbare Vereinigung von B¨ allen B, n¨ amlich X = j≥1 jB. Da die Abbildung A surjektiv ist, folgt Y = A(X) =
[
jA(B) =
j≥1
[
A(jB) =
j≥1
[
A(jB).
j≥1
Weil Y ein Banach-Raum ist, existiert nach Theorem 1.2 ein j0 , so dass A(j0 B) eine offene Kugel enth¨ alt. Wegen der Linearit¨ at von A gibt es ein y ∗ ∈ Y und ein r > 0, so dass Br (y ∗ ) ⊂ A(B) ⊂ Y ist. Dann folgt auch, dass Br (0) = Br (y ∗ ) − y ∗ ⊂ A(B) − y ∗ ⊂ A(B) − A(B) ⊂ A(2B) ⊂ Y und schliesslich Br (0) ⊂ A(B1 (0)) ⊂ Y. | {z } ⊂X
Wir zeigen nun, dass in Y gilt B r2 (0) ⊂ A(B1 (0)). Das heisst, zu gegebenem y ∈ Y mit kyk < 2r existiert ein x ∈ X mit kxk < 1, so dass y = A(x). Dazu setzen wir Bj := B2−j (0) ⊂ X f¨ ur j ≥ 1. Wir wissen schon, dass Br2−j (0) ⊂ A(Bj ) ⊂ Y,
j≥1
ist. Sei nun ein y ∈ Y mit kyk < r2 gegeben. Wir konstruieren jetzt eine Folge (xj ), deren Partialsummen gegen ein x konvergieren, welches die Behauptung erf¨ ullt. • j = 1 : Nach Definition des Abschlusses gibt es ein x1 ∈ B1 , so dass ky − A(x1 )k < r2−2 . • j = 2 : Wir betrachten die Menge y − A(x1 ) ⊂ Br2−2 (0) ⊂ A(B2 ). Wiederum gibt es nach Definition des Abschlusses ein x2 ∈ B2 , so dass k(y − A(x1 )) − A(x2 )k < r2−3 . Iterativ finden wir f¨ ur jedes j ≥ 1 ein xj mit den Eigenschaften i) xj ∈ Bj und kxj k < 2−j sowie ii) ky − A(x1 + x2 + . . . + xj )k < r2−(j+1) . P Aus i) folgt, dass die Summe j kxj k konvergiert mit X j
kxj k
0 so, dass Br (x0 ) ⊂ U (⊂ X). Daraus schliessen wir, dass auch x0 + Br (0) ⊂ U gilt. Da A linear ist, folgt A(x0 ) + A(Br (0)) ⊂ A(U ). Nach Theorem 3.3 ist Brc (0) ⊂ A(Br (0)) ⊂ Y , und somit k¨ onnen wir aus obiger Gleichung folgern, dass A(x0 ) + Brc (0) = Brc (y0 ) ⊂ A(U ) gilt f¨ ur rc > 0. Mit anderen Worten: A(U ) ist offen. Dies f¨ uhrt uns zum Theorem 3.4 (Prinzip der stetigen Inversen). Seien X, Y zwei Banach-R¨aume und A ∈ L(X, Y ) injektiv und surjektiv (also bijektiv). Dann liegt die zu A inverse Abbildung A−1 in L(Y, X). Beweis. Wir benutzen obiges Theorem 3.3: Demnach gibt es in Y eine offene Kugel Bc (0), so dass gilt Bc (0) ⊂ A(B1 (0)) f¨ ur c > 0. Dann folgt in X mittels der Inversen A−1 A−1 (Bc (0)) ⊂ B1 (0) ⊂ X.
Sei nun y ∈ Y mit kyk ≤ 1 gegeben. Dann folgt wegen der Linearit¨ at von A−1 f¨ ur die Norm
c c
−1
y = kA−1 (y)k ≤ 1.
A 2 2
ur jedes y mit kyk ≤ 1, und somit ist A−1 beDas heisst, es ist kA−1 (y)k ≤ 2c f¨ schr¨ ankt auf der Einheitskugel, also ist A−1 nach Satz 2.5 stetig.
Neben diesen allgemeinen Eigenschaften k¨ onnen wir f¨ ur sogenannte abgeschlossene Operatoren noch weitere Folgerungen ziehen. Dazu f¨ uhren wir noch einige neue Begriffe ein: F¨ ur eine lineare Abbildung A : DA ⊂ X → Y , die auf dem linearen Teilraum DA – dem Definitionsbereich von A – von X operiert, definieren wir den linearen Teilraum WA := A(DA ) = {y ∈ Y |y = A(x) f¨ ur ein x ∈ DA }, der Wertebereich oder Bildbereich von A. Einem linearen Operator kann man einen Graphen im Raume X × Y zuordnen. Sind X und Y normiert, so ist X × Y auch ein normierter Raum mit der Norm k{x, y}k := kxkX + kykY ,
{x, y} ∈ X × Y.
Definition 3.1. (Graph) Sei A : DA ⊂ X → Y linear. Dann heisst die Menge ΓA in X × Y , definiert durch ΓA := { {x, y} ⊂ X × Y |y = A(x), x ∈ DA } der Graph von A in X × Y . Dies ist ein linearer Teilraum. Definition 3.2. (abgeschlossener Operator) Ein linearer Operator A : DA ⊂ X → Y heisst abgeschlossen, falls ΓA in X × Y abgeschlossen ist. Satz 3.2. Sei A : DA ⊂ X → Y linear und stetig. Dann gelten: ¯ A folgt, dass A abgeschlossen ist. i) Aus DA = D ¯ A. ii) Ist A abgeschlossen und Y vollst¨andig, so ist DA = D
34
3 PRINZIPIEN DER FUNKTIONALANALYSIS
¯ A und {x, y} ∈ Γ ¯ A , das heisst, es existiert eine Folge Beweis. i) Es sei DA = D {xn , A(xn )} ∈ ΓA mit {xn , A(xn )} → {x, y} in X × Y . Nach der Definition der Norm in X × Y heisst das, dass xn → x in X und A(xn ) → y in Y . Weil nun DA abgeschlossen ist, folgt x ∈ DA , und weil A stetig ist, A(xn ) → A(x) in Y . Das wiederum bedeutet, dass A(x) = y, also ist {x, y} ∈ ΓA . Folglich ist ΓA abgeschlossen. ¯ A . Dann l¨ ii) Sei A abgeschlossen und stetig und x ∈ D asst sich x schreiben als Limes einer Folge xn in DA , also x = limn→∞ xn . Weil kA(xn ) − A(xm )k ≤ kAk kxn − xm k, ist A(xn ) eine Cauchy-Folge in Y und, nach Vorgabe (Y ist vollst¨ andig), konvergent. Nach der Definition der Norm in X×Y konvergiert die Folge {xn , A(xn )} dann gegen ¯ A = ΓA , das heisst, y = A(x) f¨ {x, y} ∈ X × Y . Daher ist {x, y} ∈ Γ ur ein x ∈ DA . Insbesondere folgt dann, dass DA abgeschlossen ist. Folgerung: Ist A ∈ L(X, Y ) auf ganz X definiert, so ist A abgeschlossen! Also: ein stetiger Operator auf einem abgeschlossenen Definitionsbereich ist abgeschlossen. Aber es gibt auch abgeschlossene Operatoren, die nicht stetig sind: d auf dem Raum X = C[0, 1]. Es ist Wir betrachten den Differentialoperator dt hier X = Y und wir w¨ ahlen DA = C 1 [0, 1] ⊂ X. F¨ ur ein x ∈ DA schreiben wir A(x)(t) =
d x(t). dt
Es gilt: (a) A : DA ⊂ X → Y ist nicht stetig und (b) A ist abgeschlossen.
(a) Wir betrachten die Folge xn (t) = tn , die f¨ ur 0 ≤ t ≤ 1 definiert ist und auch in C 1 [0, 1] liegt. F¨ ur jedes nat¨ urliche n gilt kxn k = sup |xn (t)| = sup |tn | = 1. t∈[0,1]
und
t∈[0,1]
d n kA(xn )k = sup |A(xn )(t)| = sup t = sup |ntn−1 | = n. dt t∈[0,1]
t∈[0,1]
t∈[0,1]
Also ist A auf der Einheitskugel in DA ∩ C([0, 1]) nicht beschr¨ ankt und somit auch nicht stetig. ¯ A und es existiert eine Folge {xn , A(xn )} in ΓA , (b) Wir w¨ ahlen ein {x, y} ∈ Γ die in X × Y gegen {x, y} konvergiert. Nach der Definition der Norm im Produktraum X × Y heisst das, dass xn in X gegen x und A(xn ) gegen y in Y konvergiert. Konvergenz in der Supremumsnorm k k∞ ist jedoch die gleichm¨ assige Konvergenz auf dem Intervall [0, 1], also folgt aus Z t d xn (t) − xn (0) = xn (s)ds dt 0 f¨ ur n → ∞ die Gleichung x(t) − x(0) =
Z
t
y(s)ds. 0
Damit erhalten wir die Identit¨ at d x(t) = y(t) dt f¨ ur 0 ≤ t ≤ 1. Daher ist x ∈ C 1 [0, 1] = DA und es ist y = A(x). Demnach ¯ A = ΓA . liegt {x, y} in ΓA , und daher ist Γ 2
35
3 PRINZIPIEN DER FUNKTIONALANALYSIS
Theorem 3.5 (Satz vom abgeschlossenen Graphen). Es seien X und Y zwei Banach-R¨aume und A : X → Y eine lineare Abbildung. Dann ist A genau dann stetig, wenn A abgeschlossen ist. Beweis. Dass aus der Stetigkeit die Abgeschlossenheit folgt, ist die Aussage von Satz 3.2. Umgekehrt sei ΓA ⊂ X × Y abgeschlossen. Weil unter unseren Voraussetzungen der Produktraum vollst¨ andig ist (Kapitel 2), ist auch (ΓA , k k) ein Banach-Raum. Wir definieren die Abbildung P : ΓA → X :
{x, A(x)} 7→ x
in X.
Dann ist P ∈ L(ΓA , X) surjektiv und injektiv. Nach Theorem 3.4 liegt die Inverse P −1 in L(X, ΓA ). Daher folgt aus der Konvergenz xn → x in X P −1 (xn ) = {xn , A(xn )} → P −1 (x) = {x, A(x)} in X × Y. Nach der Definition der Norm in X × Y folgt dann: xn → x und A(xn ) → A(x), also ist A stetig in x. Bemerkungen: 1. In Theorem 3.5 war DA = X. Der Satz gilt allgemeiner f¨ ur A : DA ⊂ X → Y , falls der Definitionsbereich DA abgeschlossen ist, weil dann der Raum (DA , k k) ein Banach-Raum ist. 2. Sind X, Y zwei Banach-R¨ aume und A : DA ⊂ X → Y linear und abgeschlossen aber nicht stetig, so ist DA nicht abgeschlossen. Insbesondere ist DA 6= X. 3. Was gewinnen wir durch Theorem 3.5? Antwort: Wir m¨ ussen weniger Eigenschaften des Operators u berpr¨ u fen. Um dies zu erl¨ a utern, untersuchen wir den ¨ Unterschied zwischen abgeschlossen und stetig: • Stetigkeit: Hier m¨ ussen wir zeigen, dass aus der Aussage xn → x die zwei Aussagen A(xn ) → y (n → ∞) A(x) = y folgen. • Abgeschlossenheit: Wir m¨ ussen zeigen, dass aus den zwei Aussagen xn → x (n → ∞) A(xn ) → y (n → ∞) ¯ A m¨ die eine Aussage A(x) = y folgt, das heisst, aus (x, y) ∈ Γ ussen wir (x, y) ∈ ΓA folgern. Satz 3.3 (Hellinger-Toeplitz). Sei H ein Hilbert-Raum mit Skalarprodukt ( , ) und A : H → H eine lineare und symmetrische Abbildung, das heisst, es gilt (A(x), y) = (x, A(y)) f¨ ur alle x, y in H. Dann liegt A in L(H) (es soll hier DA = H sein). Beweis. Wir m¨ ussen zeigen, dass ΓA in H ×H abgeschlossen ist. Sei also ein Element ¯ A vorgegeben. Dann existiert eine Folge xn in H, so dass {xn , A(xn )} in {x, y} ∈ Γ H × H gegen {x, y} konvergiert. Da A symmetrisch ist, folgt f¨ ur jedes z in H (A(xn ), z) = (xn , A(z)) ↓ ↓ (n→∞)
(y, z) = (x, A(z)) = (A(x), z)
36
3 PRINZIPIEN DER FUNKTIONALANALYSIS
Mit der Linearit¨ at des Skalarproduktes folgt dann, dass (y − A(x), z) = 0 f¨ ur alle z in H. Insbesondere ist dann (y − A(x), y − A(x)) = ky − A(x)k2 = 0.
Die bedeutet aber, dass y = A(x) sein muss und daher liegt {x, y} in ΓA . Damit haben wir bewiesen, dass ΓA abgeschlossen ist und deshalb ist A nach Theorem 3.5 stetig. Satz 3.4. Es sei A : DA ⊂ X → Y eine injektive Abbildung. Dann ist A genau dann abgeschlossen, wenn die zu A inverse Abbildung A−1 : DA−1 ⊂ Y → X, definiert auf dem Wertebereich WA = DA−1 von A, abgeschlossen ist. Beweis. Nach Definition des Graphs gilt ΓA = { {x, A(x)}|x ∈ DA } −1
ΓA−1 = { {y, A (y)}|y ∈ WA } = { {A(x), x}|x ∈ DA }.
⊂ X × Y,
⊂Y ×X
Wir definieren eine Bijektion I : X × Y → Y × X durch {x, y} 7→ {y, x}. I ist eine surjektive Isometrie, denn es gilt kI({x, y})k = k{y, x}k = kyk + kxk = k{x, y}k. Wir schliessen daraus, dass I(ΓA ) = ΓA−1 sein muss. Da eine Isometrie abgeschlossene Mengen auf abgeschlossene Mengen abbildet, folgt sofort die Behauptung des Satzes. Mit diesem Satz k¨ onnen wir die Voraussetzung stetig“ in Theorem 3.4 durch ab” ” geschlossen“ ersetzen: Theorem 3.6 (Satz von der stetigen Inversen). Es seien X, Y zwei Banach-R¨aume und A : DA ⊂ X → Y eine abgeschlossene, injektive und surjektive Abbildung. Dann gilt A−1 ∈ L(Y, X).
Beweis. Da A abgeschlossen ist, ist nach Satz 3.4 auch A−1 abgeschlossen. Nach Voraussetzung ist DA−1 = WA = Y , daher ist A−1 : Y → X linear und abgeschlossen. Somit ist nach Theorem 3.5 A−1 stetig.
Als Anwendung der obigen Theorie zeigen wir noch einen Zusammenhang zwischen der Algebra und der Topologie: Satz 3.5. Sei X ein Banach-Raum. Wir nehmen an, es existierten zwei lineare Teilr¨aume X1 , X2 von X, f¨ ur welche gelte X1 + X 2 = X
und
X1 ∩ X2 = {0},
(3.1)
mit anderen Worten, X1 ⊕X2 = X ist die algebraische direkte Summe. Falls X1 , X2 abgeschlossen sind, dann definiert A : X1 × X2 → X,
{x1 , x2 } 7→ x1 + x2 = A({x1 , x2 })
einen stetigen Isomorphismus mit stetiger Inversen A−1 .
Also: In Banach-R¨ aumen ist die algebraische direkte Summe von abgeschlossenen linearen R¨ aumen eine topologische direkte Summe! Beweis. Nach Voraussetzung sind X, Y = X1 × X2 Banach-R¨ aume, und es gilt kA({x1 , x2 })k = kx1 + x2 k ≤ kx1 k + kx2 k = k{x1 , x2 }k.
Daher ist A : X1 × X2 → X linear und stetig. Wegen (3.1) ist A surjektiv und injektiv. Mit Theorem 3.4 folgt somit, dass A−1 stetig ist.
37
3 PRINZIPIEN DER FUNKTIONALANALYSIS
3.3
Abschliessbare Operatoren
Es seien X, Y zwei normierte R¨ aume. Ein linearer Teilraum Γ ⊂ X × Y heisst ein linearer Graph, falls gilt: Y Γ {x, y} ∈ Γ 6 0 ⇒ y = y {x, y 0 } ∈ Γ oder ¨ aquivalent dazu
y
{0, y} ∈ Γ ⇒ y = 0,
r {x,y}
x
-X
denn Γ ist ja linear. Ein Graph Γ ⊂ X × Y definiert immer einen linearen Operator A : DA ⊂ X → Y durch DA := {x ∈ X|∃ y ∈ Y mit {x, y} ∈ Γ} A(x) = y f¨ ur x ∈ DA (⇔ {x, y} ∈ Γ) Es gilt dann Γ = ΓA . Definition 3.3. (abschliessbarer Operator) Ein linearer Operator A : DA ⊂ X → Y heisst abschliessbar, falls der Abschluss des ¯ A ⊂ X × Y , wieder ein Graph in X × Y ist ( Γ ¯ A ist ein linearer Graphen von A, Γ ¯ Teilraum in X × Y ). Mit anderen Worten: falls {0, y} ∈ ΓA , dann ist y = 0, oder explizit, falls {xn , A(xn )} gegen {0, y} konvergiert f¨ ur xn ∈ DA , dann ist y = 0. Zum Beispiel ist jeder stetige Operator A : DA ⊂ X → Y abschliessbar: Es sei xn ∈ DA eine Folge, so dass {xn , A(xn )} in X × Y gegen {0, y} konvergiert. Dann folgt nach der Definition der Norm im Produktraum, dass xn in X gegen 0 und A(xn ) in Y gegen y konvergiert. Weil gilt: kA(xn )k ≤ kAk kxn k → 0 (n → ∞), folgt A(xn ) → 0, also ist y = 0. Definition 3.4. (Abschluss eines Operators) Sei A : DA ⊂ X → Y ein abschliessbarer Operator. Dann ist der Abschluss A¯ von ¯ A definierte Operator, so dass A der durch den Graphen Γ ¯ A = ΓA¯ . Γ Explizit ausgedr¨ uckt: es ist A¯ : DA¯ ⊂ X → Y mit ¯A} DA¯ = {x ∈ X| ∃y ∈ Y, so dass {x, y} ∈ Γ = {x ∈ X| ∃xn ∈ DA mit {xn , A(xn )} → {x, y} in X × Y }, und
¯ A(x) = y,
x ∈ DA¯ .
Der so definierte Operator A¯ ist abgeschlossen und die kleinste abgeschlossene ¯ Erweiterung von A. Es gilt A¯ ⊃ A ⇐⇒ DA¯ ⊃ DA und A(x) = A(x) f¨ ur x ∈ DA . Beispiele: 1. Sei A : DA ⊂ X → Y ein stetiger Operator auf den zwei Banach-R¨ aumen X, Y . Dann ist A abschliessbar (siehe obiges Beispiel) und A¯ : DA¯ ⊂ X → Y ¯ A. ist die stetige Erweiterung von A in DA auf DA¯ = D 2. Differentialoperatoren sind abschliessbar (siehe nachfolgenden Satz 3.6).
38
3 PRINZIPIEN DER FUNKTIONALANALYSIS
Definition 3.5. (Differentialoperator) Es sei Ω ⊂ Rn offen und zusammenh¨ angend. Wir definieren f¨ ur α ∈ Nn formal den Differentialoperator A durch X aα (x)Dα , A := |α|≤N
wobei wir folgende Notation verwenden: Dα = D1α1 · · · Dnαn , ∂ , Dj = ∂xj
aα ∈ C N (Ω), α = (α1 , . . . , αn ), |α| = α1 + · · · + αn .
Sei DA = Cc∞ (Ω) die Menge der glatten Funktionen von Ω nach R mit kompaktem Tr¨ ager in Ω. Dann ist der Operator A : DA ⊂ Lp (Ω) → Lp (Ω) f¨ ur p ≥ 1 definiert durch X aα (x)Dα f (x), f ∈ DA , x ∈ Ω. (Af )(x) := |α|≤N
Es ist klar, dass Cc∞ (Ω) ⊂ Lp (Ω) und f¨ ur eine Funktion f ∈ Cc∞ (Ω) ist Af stetig mit kompaktem Tr¨ ager, also liegt Af wieder in Lp (Ω) Satz 3.6. Der Differentialoperator ist abschliessbar. Beweis. Wir m¨ ussen zeigen, dass f¨ ur eine Folge fn ∈ Cc∞ (Ω), die in Lp (Ω) gegen 0 p konvergiert, mit A(fn ) → g in L (Ω), folgt, dass g = 0 in Lp (Ω). Es sei ein ϕ ∈ Cc∞ (Ω) beliebig vorgegeben, dann folgt mit dem Satz von Fubini und partieller Integration (die Randterme verschwinden jeweils wegen dem kompakten Tr¨ ager) Z Z X fn (−1)|α| Dα (aα ϕ) dx A(fn )ϕ dx = Ω
Ω
Z
↓ gϕ dx = Ω
Z
|α|≤N
↓
|
{z
g ∗ ∈Lp (Ω) n→∞
}
0 g ∗ dx, Ω
older ist denn ϕ liegt in Lq (Ω) mit p1 + 1q = 1 und nach H¨ Z Z Z A(fn )ϕ dx − A(fn ) − g ϕ dx gϕ dx = Ω Ω ZΩ ≤ | A(fn ) − g | |ϕ| dx {z } Ω | ∈Lp (Ω)
R
≤ kA(fn ) − gkLp (Ω) kϕkLq (Ω) . | {z } →0
Cc∞ (Ω).
ur alle ϕ ∈ Dann ist, wie wir sp¨ ater sehen Das heisst, es ist Ω gϕ dx = 0 f¨ werden, g(x) = 0 f¨ ur fast alle x ∈ Ω, das heisst, es ist g = 0 in Lp (Ω). Was ist nun der Abschluss des Differentialoperators A? Nach Definition ist (wegen der Vollst¨ andigkeit von Lp (Ω)) der Definitionsbereich DA¯ die Menge aller Funkp tionen f ∈ L (Ω), so dass eine Folge ϕn ∈ Cc∞ (Ω) existiert, die in Lp (Ω) gegen f konvergiert, und A(ϕn ) eine Cauchy-Folge in Lp (Ω) ist.
3 PRINZIPIEN DER FUNKTIONALANALYSIS
39
Sei f ∈ DA¯ , dann ist ¯ ) = lim A(ϕn ) in Lp (Ω). A(f n→∞
DA¯ enth¨ alt Elemente aus Lp (Ω), die nicht mehr differenzierbar zu sein brauchen. Das f¨ uhrt uns sp¨ ater zu den sogenannten Sobolev-R¨ aumen. Zudem ist auch nicht jeder Operator abschliessbar. Wir betrachten zum Beispiel die R¨ aume X = L2 (R) und Y = R und setzen DA := {x ∈ L2 |x ≡ 0 ausserhalb eines kompakten Intervalls} ⊂ L2 (R) ∩ L1 (R). Wir definieren f¨ ur x ∈ DA den Operator A durch Z ∞ A(x) = x(t) dt. −∞
Die Folge xn mit xn (t) =
(
1/n |t| ≤ n 0 |t| > n
liegt in DA und es ist A(xn ) = 2 f¨ ur alle n. Es gilt Z ∞ 2 2 kxn kL2 (R) = x2n (t) dt = → 0. n −∞ ¯A. Also konvergiert xn in L2 (R) gegen 0 und A(xn ) in R gegen 2. Also ist {0, 2} ∈ Γ ¯ A kein Graph in L2 (R) × R sein. Dann aber kann Γ
4 DER FORTSETZUNGSSATZ VON HAHN-BANACH
4
40
Der Fortsetzungssatz von Hahn-Banach
In diesem Abschnitt wollen wir den Fortsetzungssatz f¨ ur lineare Abbildungen von Hahn und Banach beweisen. Der Satz gibt uns die M¨ oglichkeit, eine lineare Funktion f : M ⊂ X → R (C), welche auf dem linearen Teilraum M eines Vektorraumes X definiert ist, unter Einhaltung einer gewissen Absch¨ atzung, auf ganz X fortzusetzen.
4.1
Der Satz von Hahn-Banach
Wir unterscheiden zwischen reellem und komplexem Fall und beweisen den Satz f¨ ur die beiden F¨ alle getrennt. F¨ ur den Beweis des Fortsetzungssatzes ben¨ otigen wir das Lemma von Zorn, welches wir allerdings nicht beweisen werden: Definition 4.1. (bin¨ are Relation, Halbordnung) Es sei P eine Menge. Eine bin¨are Relation in P ist eine Teilmenge R von P × P . Anstelle von (a, b) ∈ R schreibt man auch aRb. Ist die bin¨ are Relation R zus¨ atzlich reflexiv, antisymmetrisch und transitiv, das heisst, f¨ ur alle a, b, c ∈ P besitzt R die Eigenschaften aRa :⇐⇒ R ist reflexiv, aRb ∧ bRa ⇒ a = b :⇐⇒ R ist antisymmetrisch, aRb ∧ bRc ⇒ aRc :⇐⇒ R ist transitiv, so bezeichnet man R auch als Halbordnung in P und schreibt a < b statt aRb. Definition 4.2. (linear bzw. total geordnete Menge) Eine Teilmenge P0 ⊂ P heisst linear (oder total ) geordnet, falls f¨ ur je zwei Elemente h, g ∈ P0 gilt, dass h < g oder h > g. Lemma 4.1 (Zorn’sches Lemma). Es sei (P, 0 und der Ersetzung von x durch xt : t f xt − tc ≤ t p xt − x1 t f yt + tc ≤ t p yt + x1 . Mit der Linearit¨ at von f und den Eigenschaften von p folgt f1 (x − tx1 ) = f (x) − tc ≤ p(x − tx1 ) f1 (y + tx1 ) = f (y) + tc ≤ p(y + tx1 )
f¨ ur alle x, y ∈ M und t > 0. Wir hatten vorausgesetzt, dass auf M gilt f (x) ≤ p(x), und so folgt f1 (x + tx1 ) ≤ p(x + tx1 ) f¨ ur alle x ∈ M und t ∈ R, das heisst, es ist f1 (z) ≤ p(z) auf ganz M1 . Jetzt f¨ uhren wir eine transfinite Induktion (nach Zorn) durch. Es bezeichne P die Menge aller linearen Abbildungen h : Dh ⊃ M → R, definiert auf einem linearen Teilraum Dh ⊂ X, mit den Eigenschaften 1) h : Dh → R,
2) 3)
M ⊂ Dh ⊂ X,
h(x) = f (x) x ∈ M h(x) ≤ p(x) x ∈ Dh
Die Menge P ist sicher nicht leer (sie enth¨ alt f ), und wir definieren die Halbordnung < auf P: h1 < h2 ⇐⇒ Dh1 ⊂ Dh2 und h1 = h2 auf Dh1 . Die Axiome f¨ ur eine Halbordnung lassen sich schnell u ufen: ¨berpr¨ 1. h < h f¨ ur alle h ∈ P; 2. Aus h1 < h2 und h2 < h1 folgt h1 = h2 ; 3. Gilt h1 < h2 und h2 < h3 , so ist auch h1 < h3 .
4 DER FORTSETZUNGSSATZ VON HAHN-BANACH
42
Also ist P eine halb-geordnete Menge. Als n¨ achstes zeigen wir, dass jede linear geordnete Teilmenge P0 ⊂ P eine obere Schranke h0 besitzt: Wir definieren h0 auf [ D h0 = Dh ⊂ X h∈P0
durch h0 (x) = h(x) x ∈ Dh . Es ist dann h0 ∈ P und h < h0 f¨ ur alle h ∈ P0 . Nun k¨ onnen wir das Lemma von Zorn anwenden: wir w¨ ahlen ein maximales Element h∗ ∈ P. Dann ist ∗ h (x) = f (x) ∀ x ∈ M nach Konstruktion von P h∗ (x) ≤ p(x) ∀ x ∈ Dh∗ und es ist Dh∗ = X. Denn w¨ are dies nicht der Fall, so w¨ urde, nach dem ersten Beweisschritt, eine von h∗ verschiedene Abbildung h ∈ P mit h∗ < h existieren, im Widerspruch zur Maximalit¨ at von h∗ . Wir sehen, dass h∗ die gesuchte Abbildung F ist. Theorem 4.2 (Hahn-Banach, komplex). Analog zum obigen reellen Fall seien ein komplexer Vektorraum X und eine reellwertige Funktion p : X → R mit den Eigenschaften p(x + y) ≤ p(x) + p(y), p(αx) = |α|p(x), p(x) ≥ 0
f¨ ur alle x, y aus X und f¨ ur alle α ∈ C gegeben, sowie ein komplexer linearer Teilraum M ⊂ X und eine C-lineare Abbildung f : M → C, mit |f (x)| ≤ p(x)
x ∈ M,
gegeben. Dann existiert eine C-lineare Funktion F : X → C mit F (x) = f (x) |F (x)| ≤ p(x)
x ∈ M,
x ∈ X.
Beweis. Wir f¨ uhren den Beweis auf den reellen Fall zur¨ uck. Dazu betrachten wir die Funktion f einmal etwas genauer. Diese Funktion l¨ asst sich schreiben als f (x) = Re f (x) + i Im f (x) = f1 (x) + i f2 (x). In dieser Zerlegung sind f1 , f2 R-linear und, weil f C-linear ist, f (ix) = i f (x) ⇐⇒ f1 (ix) + i f2 (ix) = i f1 (x) − f2 (x) ⇒ f2 (x) = −f1 (ix). Das heisst, f ist von der Form f (x) = f1 (x) − i f1 (ix).
(4.2)
Unserer Annahme zu Folge ist f1 (x) ≤ |f1 (x)| ≤ |f (x)| ≤ p(x)
x ∈ M,
4 DER FORTSETZUNGSSATZ VON HAHN-BANACH
43
es existiert daher nach Theorem 4.1 eine R-lineare Abbildung F1 : X → R, so dass gilt x ∈ M,
F1 (x) = f1 (x) F1 (x) ≤ p(x)
x ∈ X.
Zudem folgt aus den Eigenschaften von p, dass mit −F1 (x) = F1 (−x) ≤ p(−x) = p(x)
x∈X
f¨ ur alle x aus X gilt |F1 (x)| ≤ p(x). Wir definieren auf X nun die Abbildung F (x) = F1 (x) − i F1 (ix). Damit ist wegen (4.2) f¨ ur alle x ∈ M F (x) = f (x) und wir zeigen: i) F : X → C ist C-linear und ii) es gilt: |F (x)| ≤ p(x) f¨ ur alle x aus X. F¨ ur den ersten Teil gen¨ ugt es zu zeigen, dass F (ix) = i F (x), also F (ix) = F1 (ix) − i F1 (−x) = F1 (ix) + i F1 (x) = i(F1 (x) − i F1 (ix)) = i F (x). F¨ ur den zweiten Teil setzen wir F (x) = re−iϑ f¨ ur ein ϑ in R. Dann ist r = |F (x)| = eiϑ F (x) = F (eiϑ x) ≥ 0, insbesondere ist F (eiϑ x) reell und nicht negativ, also ist 0 ≤ |F (x)| = F (eiϑ x) = F1 (eiϑ x) = |F1 (eiϑ x)| ≤ p(eiϑ x) = |eiϑ |p(x) = p(x).
4.2
Folgerungen aus dem Fortsetzungssatz
Definition 4.3. (Dualraum) Der Dualraum X 0 (auch X ∗ ) eines normierten Raumes X ist der normierte Raum X 0 = L(X, C) beziehungsweise X 0 = L(X, R) mit der Norm kf k := sup |f (x)|, kxk≤1
f ∈ X 0.
Bemerkung: Solche Dualr¨ aume sind immer auch Banach-R¨ aume, weil C beziehungsweise R vollst¨ andig sind (siehe dazu Satz 2.7). Satz 4.1. Ist X ein normierter Raum, M ein linearer Teilraum von X und f ∈ M 0 , so existiert ein F ∈ X 0 mit den Eigenschaften F (x) = f (x),
x∈M
und
kF k = kf k.
Beweis. Wir definieren die Funktion p : X → R durch p(x) := kf k kxk f¨ ur alle x aus X. Da f ein Element aus L(M, C) ist, folgt |f (x)| ≤ kf k kxk = p(x)
∀ x ∈ M.
Nach Theorem 4.2 existiert eine Abbildung F : X → C, welche auf M mit f identisch ist und f¨ ur die auf ganz X gilt |F (x)| ≤ p(x) = kf k kxk. Das heisst, F ist ein Element von L(X, C) = X 0 und es ist kF k ≤ kf k. Weil F ≡ f auf M gilt, so folgt kF k ≥ kf k und der Satz ist bewiesen.
4 DER FORTSETZUNGSSATZ VON HAHN-BANACH
44
Satz 4.2. Sei X ein normierter Raum, 0 6= x∗ ∈ X. Dann existiert eine Abbildung f ∈ X 0 mit f (x∗ ) = kx∗ k > 0 und kf k = 1. Beweis. Wir benutzen obigen Satz 4.1. Dazu definieren wir die Menge M := {αx∗ |α ∈ C} ⊂ X. M ist ein linearer Teilraum von X. Nun betrachten wir die Funktion ϕ ∈ M 0 , die durch ϕ(αx∗ ) = αkx∗ k definiert ist. Es ist offensichtlich ϕ(x∗ ) = kx∗ k und
|ϕ(αx∗ )| = |α| kx∗ k = kαx∗ k, und daher |ϕ(x)| = kxk f¨ ur alle x in M . Also ist kϕk = 1. Die gesuchte Abbildung f findet man jetzt nach Satz 4.1. Daraus k¨ onnen wir nun Folgendes schliessen 1. Ist ein x0 in X gegeben und ist f (x0 ) = 0 f¨ ur alle f aus X 0 , so ist x0 = 0. 2. Sind x 6= y in X, dann existiert eine lineare Abbildung f ∈ X 0 , f¨ ur welche gilt: f (x) 6= f (y) und kf k = 1, denn nach Satz 4.2 gibt es eine Funktion f ∈ X 0 mit f (x − y) = kx − yk > 0 und kf k = 1. Mit anderen Worten: wir k¨ onnen zwei verschiedene Punkte in X durch eine lineare Funktion f ∈ X 0 voneinander trennen.
Doch wir k¨ onnen noch mehr erreichen: Satz 4.3. Es seien X ein normierter Raum, M ein linearer Teilraum von X und ¯ , das heisst, x∗ 6∈ M d = dist(x∗ , M ) = inf kx∗ − xk > 0. x∈M
Dann existiert eine Abbildung F ∈ X 0 , rx∗ so dass PP PP d ur x ∈ M PP F (x) = 0 f¨ r PP M PP P F (x) = d f¨ ur x = x∗ . PP P PP kF k = 1 PP
¯ und einen Mit anderen Worten: wir k¨onnen einen abgeschlossenen Teilraum M ∗ 0 ¯ Punkt x 6∈ M durch eine Abbildung f in X voneinander trennen. Beweis. Wir definieren den linearen Teilraum M1 := {x + tx∗ |x ∈ M, t ∈ R} ⊂ X und die lineare Abbildung f : M1 → C f (x + tx∗ ) := td, wobei d = dist(x∗ , M ) sei. Mit dieser Definition ist f (x) = 0 f¨ ur alle x aus M (t = 0) und f (x∗ ) = d (t = 1). Wir zeigen nun, dass kf k = 1 gilt, und dann folgt Satz 4.3 aus Satz 4.1:
4 DER FORTSETZUNGSSATZ VON HAHN-BANACH
45
Jedes y ∈ M1 l¨ asst sich schreiben als y = x + tx∗ , wobei x ∈ M ist. Sei nun t 6= 0. Dann ist nach Definition des Infimums
1
1 ∗ ∗ ∗
x + x = |t| x + x ≥ |t|d = |f (y)|, kyk = kx + tx k = t t t
da 1t x wieder in M liegt. Somit ist |f (y)| ≤ kyk und daher kf k ≤ 1. Um die andere Richtung zu zeigen, geben wir uns ein beliebiges ε > 0 vor. Nach der Definition des Infimums existiert ein x ∈ M mit kx−x∗ k ≤ d+ε. Wir definieren y := mit kyk = 1. Es folgt
x − x∗ ∈ M1 , kx − x∗ k
kf k ≥ |f (y)| =
−1 d d≥ . kx − x∗ k d+ε
Dies gilt f¨ ur jedes ε > 0, also ist kf k ≥ 1.
Dieses Resultat wollen wir nun in der Approximationstheorie anwenden: gesucht sind Absch¨ atzungen von inf kx∗ − xk = dist(x∗ , M ).
x∈M
Dazu ben¨ otigen wir folgende Definition: Definition 4.4. (Annihilator) Sei A ⊂ X eine Teilmenge von X. Der Annihilator von A ist die Menge A⊥ := {f ∈ X 0 |f (x) = 0 ∀ x ∈ A} ⊂ X 0 . Theorem 4.3. Es sei M ein abgeschlossener, linearer Teilraum von X und x ∗ 6∈ M . Dann existiert eine Abbildung f ∗ ∈ X 0 mit f ∗ ∈ M ⊥ und kf ∗ k = 1, so dass d(x∗ , M ) = f ∗ (x∗ ) = sup |f (x∗ )|. kf k=1 f ∈M ⊥
Beweis. Nach Satz 4.3 existiert ein f ∗ in X 0 mit kf ∗ k = 1 und f ∗ ∈ M ⊥ , so dass d(x∗ , M ) = f ∗ (x∗ ). Es bleibt noch zu zeigen, dass f ∗ ein Maximum ist. Es sei f ∈ M ⊥ mit kf k = 1 und m ∈ M . Es ist f (m) = 0 und es folgt |f (x∗ )| = |f (x∗ − m)| ≤ kf k kx∗ − mk = kx∗ − mk. Daher gilt sup |f (x∗ )| ≤ kx∗ − mk,
kf k=1 f ∈M ⊥
und zwar f¨ ur alle m ∈ M , also ist sup |f (x∗ )| ≤ inf kx∗ − mk = d(x∗ , M ) = f ∗ (x∗ ).
kf k=1 f ∈M ⊥
m∈M
4 DER FORTSETZUNGSSATZ VON HAHN-BANACH
46
Bemerkung: In der Gleichung inf kx∗ − mk = d(x∗ , M ) = sup |f (x∗ )|
m∈M
kf k=1 f ∈M ⊥
wird das Infimum auf der linken Seite nicht immer angenommen (falls X nicht reflexiv ist, dazu sp¨ ater mehr). Das Supremum rechts wird hingegen immer angenommen, das heisst, es existiert ein Maximum. Satz 4.4. Es sei A eine Teilmenge von X und hAi die lineare H¨ ulle von A. Dann sind ¨aquivalent: i) x∗ ∈ hAi; ii) f (x∗ ) = 0 f¨ ur alle f ∈ A⊥ . Beweis. i) ⇒ ii) Sei x∗ ∈ hAi. Daher ist x∗ = limn→∞ xn f¨ ur eine Folge xn ∈ hAi. Dann gilt f¨ ur jedes f ∈ A⊥ , dass f (xn ) = 0 ist f¨ ur alle n. Da f stetig ist, folgt 0 = lim f (xn ) = f (x∗ ). n→∞
ii) ⇒ i) Es sei x∗ 6∈ hAi =: M . Dann existiert nach Theorem 4.3 ein f ∈ M ⊥ ⊂ A⊥ , so dass f (x∗ ) = dist(x∗ , M ) > 0. F¨ ur das Paar X 0 , X von normierten R¨ aumen erhalten wir die kanonische Bilinearform X 0 × X −→ C,
{f, x} 7−→ f (x)
=:
hf, xi.
Die Bilinearform ist stetig, denn nach der Definition der Norm in X 0 ist |hf, xi| ≤ kf k kxk. Satz 4.5. Sei X ein normierter Raum. Dann ist i) f ∈ X 0 :
kf k =
ii) x ∈ X :
kxk =
sup x∈X,kxk≤1
|hf, xi|;
sup f ∈X 0 ,kf k≤1
|hf, xi|.
Beweis. i) ist die Definition der Norm f¨ ur f ∈ X 0 . 0 ii) Wir nehmen ein f ∈ X mit kf k ≤ 1. Dann ist |hf, xi| ≤ kf k kxk ≤ kxk, also sup f ∈X 0 ,kf k≤1
|hf, xi| ≤ kxk.
Umgekehrt sei x 6= 0 ∈ X, dann existiert nach Satz 4.2 eine Abbildung f ∈ X 0 mit kf k = 1 und f (x) = kxk, das heisst, mit hf, xi = kxk. Also ist sup f ∈X 0 ,kf k=1
|hf, xi| ≥ kxk.
¨ 5 SOBOLEV-RAUME
5
47
Sobolev-R¨ aume
In diesem Abschnitt betrachten wir Sobolev-R¨ aume, das sind Funktionenr¨ aume, in welchen integrable und gleichzeitig differenzierbare Eigenschaften von Funktionen kontrolliert werden.
5.1
Der Gl¨ attungsoperator
Die Faltung zweier Funktionen f, g : Rn → C (R) ist, zun¨ achst formal, die Funktion f ∗ g : Rn → C (R), definiert durch Z f ∗ g(x) = f (x − y)g(y)dy x ∈ Rn n ZR = f (ξ)g(x − ξ)dξ (ξ = x − y) Rn
= g ∗ f (x).
Wann aber existiert dieses Faltungsprodukt? Dazu zitieren wir einen Satz aus der Integrationstheorie. Satz 5.1 (Faltung). Sei f ∈ L1 (Rn ) und g ∈ Lp (Rn ) f¨ ur ein p ≥ 1. Dann ist, f¨ ur fast alle x ∈ Rn , die Funktion y 7−→ f (x − y)g(y) auf Rn integrabel und es ist f ∗ g ∈ Lp (Rn ) und kf ∗ gkLp ≤ kf kL1 kgkLp . Beweis. Der Beweis wird durch die S¨ atze von Tonelli und Fubini gef¨ uhrt und kann zum Beispiel dem Buch Analyse fonctionelle von H. Brezis entnommen werden. In Anlehnung zur Masstheorie definieren wir ¨ Lp (Rn ) := {Aquivalenzklassen von f : Rn → C/R|f messbar und |f |p ∈ L1 (Rn )}, das heisst,
Z
Rn n
|f (x)|p dx < ∞.
Wir k¨ onnen, etwas allgemeiner, R durch eine beliebige messbare Teilmenge Ω von Rn ersetzen: Es ist dann Lp (Ω) := {f : Ω → C/R|f messbar und χΩ ◦ f ∈ Lp (Rn )}. Auf dem so definierten Funktionenraum k¨ onnen wir f¨ ur p ≥ 1 eine Norm festsetzen: kf kLp(Ω) := kf kp =
Z
Ω
|f (x)|p dx
p1
.
Damit wird Lp (Ω) zu einem Banach-Raum. Wir betrachten nun eine Klasse von ganz speziellen Funktionen: es sei ρ : Rn → R mit den Eigenschaften i) ρ ∈ C ∞ (Rn ); ii) ρ(x) ≥ 0 f¨ ur alle x und ρ(x) = 0 f¨ ur alle x mit |x| ≥ 1; R iii) Rn ρ dµ = 1.
¨ 5 SOBOLEV-RAUME
48
Zum Beispiel k¨ onnen wir ρ w¨ ahlen als ( 1 ce |x|2 −1 ρ(x) = 0
|x| < 1 , |x| ≥ 1
wobei c > 0 so gew¨ ahlt ist, dass ρ die Bedingung iii) erf¨ ullt. Definition 5.1. (Dirac-Folge) Eine Dirac-Folge zu ρ ist die Familie von Funktionen ρλ ∈ C ∞ (Rn ), λ > 0, mit ρλ (x) = Es gilt:
1 x ρ λn λ
x ∈ Rn . 6
i) ρλ ∈ C ∞ (Rn ); ii) ρλ (x) ≥ 0 f¨ ur alle x und ρλ (x) = 0 f¨ ur alle x mit |x| ≥ λ; R iii) Rn ρλ dµ = 1.
ρλ ρ −1
−λ
λ
1
Lemma 5.1 (Gl¨ attung). Sei u ∈ L1loc (Rn ), das heisst lokal integrabel f¨ ur alle kompakten Teilmengen K ⊂ Rn ( ⇐⇒ χK ◦ u ∈ L1 (K)). Dann ist ρλ ∗ u ∈ C ∞ (Rn ). Beweis. Wir betrachten ρλ ∗ u(x) =
Z
Rn
ρλ (x − y)u(y) dy.
Das Integral existiert, weil nur u ¨ber ein kompaktes Intervall integriert wird, denn es ist ja ρλ (x − y) = 0, falls |x − y| ≥ λ. Wir schreiben daher Z ρλ ∗ u(x) = ρλ (x − y)u(y) dy |x−y|≤λ
und 1 (ρλ ∗ u(x + hej ) − ρλ ∗ u(x)) = h
Z
Rn
1 (ρλ (x + hej − y) − ρλ (x − y)) u(y) dy. h
Die rechte Seite konvergiert nach dem Lebesgue-Majorantensatz mit h → 0 gegen Z Dj ρλ (x − y)u(y) dy. Rn
Das heisst, es ist (mit Dj =
∂ ∂xj )
Dj (ρλ ∗ u) = (Dj ρλ ) ∗ u. Wir k¨ onnen dieses Vorgehen wiederholt anwenden und erhalten so, mit der Notation von Definition von Seite 38, Dα (ρλ ∗ u)(x) = (Dα ρλ ) ∗ u(x). Da ρλ glatt (also in C ∞ (Rn )) ist, folgt die Behauptung.
¨ 5 SOBOLEV-RAUME
49
Wir f¨ uhren noch folgende Notation ein: f¨ ur A ⊂ Rn ist Aε := {x ∈ Rn |dist(x, A) ≤ ε}. Lemma 5.2. Es sei u ∈ L1loc (Rn ) mit kompaktem Tr¨ager supp(u). Dann ist ρλ ∗ u ∈ Cc∞ (Rn ) und supp(ρλ ∗ u) ⊂ supp(u) λ f¨ ur alle λ > 0.
Beweis. Es ist ρλ (x − y)u(y) = 0, falls y 6∈ supp(u) oder falls |x − y| ≥ λ. Daher ist ρλ ∗ u(x) = 0, falls dist(x, supp(u)) ≥ λ. Lemma 5.3 (Approximation). Es sei u ∈ Cc (Rn ) Dann gilt λ→0
sup |ρλ ∗ u(x) − u(x)| = kρλ ∗ u − uk∞ −−−→ 0.
x∈Rn
Beweis. Wegen der Eigenschaft iii) von ρλ folgt Z |ρλ ∗ u(x) − u(x)| = ρλ (x − y) u(y) − u(x) dy Rn Z ≤ ρλ (x − y)|u(y) − u(x)|dy |x−y|≤λ Z ρλ (x − y)dy . ≤ sup |u(y) − u(x)| n |x−y|≤λ |R {z } =1
Weil der Tr¨ ager supp(u) von u kompakt ist, ist u gleichm¨ assig stetig auf Rn , das heisst, das Supremum in der letzten Zeile konvergiert f¨ ur alle x ∈ Rn gleichm¨ assig gegen 0, falls λ gegen 0 geht. In der Folge gilt sogar: mit den Voraussetzungen von Lemma 5.3 gilt kρλ ∗ u − ukp −→ 0
(λ → 0).
Denn w¨ ahlen wir eine kompakte Menge K gross genug, so ist Z Z p p p kρλ ∗ u − ukp = |ρλ ∗ u(x) − u(x)| dx ≤ kρλ ∗ u − uk∞ 1 dx , K | K{z } =m(K) 0 ein v ∈ Cc (Ω) mit ku−vkLp(Ω) < ε. Zudem k¨ onnen wir nach Lemma 5.3 λ so klein w¨ ahlen, dass kv − ρλ ∗ vkLp (Ω) < ε wird. Damit erhalten wir ku − ρλ ∗ ukLp (Ω) < 3ε. Eine Folgerung aus obigem Theorem werden wir jetzt formulieren: Theorem 5.2. Der Raum Cc∞ (Ω) liegt dicht in Lp (Ω) f¨ ur alle p ≥ 1. Beweis. Es sei u ∈ Lp (Ω) und v ∈ Cc (Ω). Dann ist nach den Lemmata 5.1 und 5.2 ρλ ∗ v ∈ Cc∞ (Ω) f¨ ur kleine λ. Mit der Dreiecksungleichung folgt: ku − ρλ ∗ vkLp (Ω) ≤ ku − vkLp (Ω) + kv − ρλ ∗ vkLp (Ω) . Zu kleinem ε > 0 w¨ ahlen wir ein v ∈ Cc (Ω), so dass ku−vkLp(Ω) < ε. Nach Lemma 5.3 existiert ein λ > 0, klein genug, dass kv − ρλ ∗ vkLp (Ω) < ε ist.
Ω
supp(ϕ)
Somit w¨ are das Theorem bewiesen.
Theorem 5.3. Es sei Ω ⊂ Rn offen und es gelte f ∈ L1loc (Ω) und f¨ ur alle ϕ ∈ Cc∞ (Ω). Dann ist f = 0 fast ¨ uberall in Ω.
R
Ω
f ϕ dµ = 0
Beweis. Wir f¨ uhren den Beweis auf den trivialen Fall zur¨ uck, wo f stetig ist: Zu x0 ¯2r ⊂ Ω. in Ω w¨ ahlen wir eine offene Kugel Br mit Zentrum x0 , so dass x0 ∈ Br ⊂ B Es gen¨ ugt nun zu zeigen, dass kf kL1 (Br ) = 0. Dazu definieren wir die Funktion ( ¯ ˆ = f (x) x ∈ B2r . f(x) 0 sonst Da f nach Voraussetzung in L1loc (Rn ) liegt, ist fˆ ∈ L1 (Rn ) und f¨ ur kleines λ gilt ρλ ∗ f (x) = ρλ ∗ fˆ(x),
¯r . x∈B
Es sei nun ϕ ∈ Cc∞ (Br ) beliebig. Es folgt nach Lemma 5.2 ρλ ∗ ϕ ∈ Cc∞ (B2r ) ⊂ Cc∞ (Ω), falls λ klein genug ist. Nach Voraussetzung ist nun Z Z Z 0= f (ρλ ∗ ϕ)dµ = f (ρλ ∗ ϕ)dµ = fˆ (ρλ ∗ ϕ)dµ Ω B2r B2r Z Z ∗ ˆ = (ρλ ∗ f) ϕ dµ = (ρλ ∗ fˆ) ϕ dµ Rn
Ω
¨ 5 SOBOLEV-RAUME
51
(∗: wegen dem Satz von Fubini) f¨ ur alle ϕ ∈ Cc∞ (Br ). Weil ρλ ∗ fˆ stetig ist, muss ˆ (ρλ ∗ f )(x) = 0 sein f¨ ur alle x ∈ Br . Es folgt nun λ→0
ˆ L1 (B ) ≤ kfˆ − ρλ ∗ fˆkL1 (B ) + kρλ ∗ fˆkL1 (B ) −−−→ 0 kf kL1 (Br ) = kfk r r r | {z } =0
nach Theorem 5.1. Also ist
kf kL1 (Br ) = 0, wie behauptet.
5.2
◦
Die Funktionenr¨ aume W m,p (Ω), H m,p (Ω) und H m,p (Ω)
Wir beginnen diesen Abschnitt mit einer Vorbemerkung u ¨ber die partielle Integration: Ist Ω ⊂ Rn offen, u ∈ C 1 (Ω) und ϕ ∈ Cc∞ (Ω), ϕ hat also einen kompakten Tr¨ ager supp(ϕ) ⊂ Ω. Dann folgt Z Z ∂ ∂ u(x) u(x)ϕ(x) dx = ϕ(x) dx. (−1) ∂x ∂x j j Ω Ω Um dies einzusehen, wenden wir den Satz von Fubini an, nachdem wir u ¨ber die j-te Variable partiell integriert haben. Die bei der Integration auftretenden Randterme verschwinden, da ϕ kompakten Tr¨ ager hat und daher auf ∂Ω verschwindet. Falls nun u ∈ C |α| (Ω) liegt, so k¨ onnen wir dieses Argument |α|-mal wiederholen und erhalten so die Gleichung Z Z Dα u(x)ϕ(x) dx = u(x)Dα ϕ(x) dx. (−1)|α| Ω
Ω
Dabei ist die rechte Seite definiert f¨ ur alle Funktionen u in L1loc (Ω). Definition 5.2. (schwache Ableitung) Es sei u in L1loc (Ω). Wir nehmen an, es g¨ abe eine Funktion v ∈ L1loc (Ω) und ein ∞ α = (α1 , . . . , αn ), so dass f¨ ur alle ϕ ∈ Cc (Ω) gilt Z Z |α| (−1) v(x)ϕ(x) dx = u(x)Dα ϕ(x) dx. Ω
Ω
Dann heisst v die schwache α-Ableitung von u und man schreibt daf¨ ur v = Dα u
(schwach).
Bemerkungen 1. Die schwache Ableitung von u, sofern sie u ¨berhaupt existiert, ist wegen Theorem 5.3 eindeutig. Denn: sind v1 , v2 ∈ L1loc (Ω) mit v1 = Dα u und v2 = Dα u, so folgt Z (v1 − v2 )ϕ dµ = 0 ∀ϕ ∈ Cc∞ (Ω), Ω
also ist v1 = v2 fast u ¨berall auf Ω, nach Theorem 5.3.
2. Die schwache Ableitung hat zun¨ achst nichts mit dem Differentialquotienten der (klassischen) Ableitung zu tun. Falls aber u ∈ C |α| (Ω) ist, so folgt aus der Eindeutigkeit der Ableitung, dass v = D α u ist im u ¨blichen Sinn.
¨ 5 SOBOLEV-RAUME
52
Definition 5.3. (Sobolev-Raum W m,p ) Wir definieren den Sobolev-Raum W m,p (Ω) f¨ ur ganze m als Teilraum von Lp (Ω) p dadurch, dass f¨ ur u ∈ L (Ω) alle schwachen Ableitungen D α u in Lp (Ω) existieren f¨ ur 0 ≤ |α| ≤ m, in Formeln es existieren alle schwachen Ableitungen D α u und W m,p (Ω) := u ∈ Lp (Ω) α D u ∈ Lp (Ω) f¨ ur 0 ≤ |α| ≤ m Auf dieser Menge legen wir auch eine Norm fest durch X kDα ukLp (Ω) . |u|m,p := kukW m,p (Ω) := 0≤|α|≤m
Eine zweite (¨ aquivalente) Definition des Raumes W m,p (Ω) folgt sp¨ ater mittels Approximationseigenschaften mit glatten Funktionen. Um diese abstrakte Definition etwas zu veranschaulichen, hier noch zwei Beispiele 1. Als erstes betrachten wir die Menge Ω = (−1, 1) ⊂ R und die Funktion u(x) = 21 (|x| + x). Wir behaupten, dass u f¨ ur p ≥ 1 in W 1,p (Ω) liegt. Um dies zu beweisen, testen wir mit einer Funktion ϕ ∈ Cc∞ (Ω): Z
1
u Dϕ dx = −1
Z
1 0
=−
Z
1 x ϕ0 dx = (x ϕ) − | {z }0 =0
Z
y 16
v(x) =
-x
1
ϕ dx 0
−1
1
1
y 16
v ϕ dx
−1
mit (
u
−1
0 −1 < x < 0 1 0<x 0 eine Schranke N = Nε so, dass |uj − uk |m,p ≤ ε
∀ j, k ≥ N.
(5.2)
Nach der Definition der Norm auf W m,p (Ω) gilt dann kDα uj − Dα uk kLp (Ω) ≤ ε
∀ j, k ≥ N, ∀ 0 ≤ |α| ≤ m.
In Worten: f¨ ur jedes α ist (Dα uj ) eine Cauchy-Folge in Lp (Ω). Nun ist Lp (Ω) vollst¨ andig, also existieren Funktionen f α in Lp (Ω) so, dass Dα uj −→ f α
in Lp (Ω) ∀ 0 ≤ |α| ≤ m.
Wir definieren nun f := f 0 , und wollen zeigen, dass f α = Dα f (schwach) f¨ ur alle 0 ≤ |α| ≤ m und somit dann auch f ∈ W m,p (Ω) gilt. Wir testen also mit einer Funktion ϕ ∈ Cc∞ (Ω) und erhalten Folgendes: R R α |α| α ∞ Ω uj D ϕ dµ = (−1) Ω D uj ϕ dµ ∀ϕ ∈ Cc (Ω) ↓(i) ↓R(ii) , R α |α| α ∞ f D ϕ dµ = (−1) f ϕ dµ ∀ ϕ ∈ C (Ω) c Ω Ω da nach dem oben Gesagten gilt: (i) uj → f in Lp (Ω) und (ii) Dα uj → f α in Lp (Ω). Mit der H¨ older’schen Ungleichung und p1 + q1 = 1 folgt Z Z Z α uj Dα ϕ dµ − |uj − f | |Dα ϕ| dµ f D ϕ dµ ≤ Ω
Ω
Ω
≤ kuj − f kLp(Ω) kDα ϕkLq (Ω) , | {z } j→∞ −−−→0
woraus die obige Konvergenz (im Diagramm) folgt. Nach der Definition der schwachen Ableitung folgt aus der zweiten Zeile des Diagrammes, dass f α = Dα f . Nun haben wir einen Kandidaten in Lp (Ω) f¨ ur den Limes von uj , n¨ amlich f . Aus (5.2) folgt, mit k → ∞, |uj − f |m,p ≤ ε
∀ j ≥ N,
dies gilt f¨ ur alle ε > 0, also ist tats¨ achlich uj → f in W m,p (Ω).
¨ 5 SOBOLEV-RAUME
54
Bemerkung: Ist u ∈ C ∞ (Ω) und die gew¨ ohnlichen Ableitungen D α u ∈ Lp (Ω) f¨ ur alle 0 ≤ |α| ≤ m, dann ist nach Definition u ∈ W m,p (Ω) ∩ C ∞ (Ω) und X |u|m,p = kDα ukLp(Ω) < ∞. 0≤|α|≤m
Definition 5.4. (H m,p (Ω)) Wir definieren den Raum H m,p (Ω) als Abschluss in W m,p (Ω) der Menge {u ∈ C ∞ (Ω)| |u|m,p < ∞}. Dies l¨ asst sich auch schreiben als: H m,p (Ω) := C ∞ (Ω) ∩ W m,p (Ω)
W m,p
.
Das heisst, H m,p (Ω) ist ein abgeschlossener linearer Teilraum des vollst¨ andigen Raumes W m,p (Ω) und daher selber ein Banach-Raum. Mit dem folgenden Satz k¨ onnen wir dann H m,p (Ω) mit W m,p (Ω) identifizieren: Satz 5.3 (Meyers-Serrin). Sei Ω ⊂ Rn offen. Dann ist C ∞ (Ω) ∩ W m,p (Ω) dicht in W m,p (Ω), das heisst, f¨ ur alle u ∈ W m,p (Ω) existiert eine Funktionenfolge uj in ∞ m,p C (Ω) ∩ W (Ω), so dass |u − uj |m,p → 0, falls j → ∞. Beweis. Wir werden den Beweis nicht durchf¨ uhren. Er beruht auf der Zerlegung der Eins und Gl¨ attungsoperatoren. F¨ ur Details wird an dieser Stelle auf die B¨ ucher von H. W. Alt, Seite 108, und von Adams, Seite 52, verwiesen. Folgerung: Nach Satz 5.3 folgt nun, dass H m,p (Ω) = W m,p (Ω) und wir haben die zur ersten Definition 5.3 ¨ aquivalente Definition des Sobolev-Raumes W m,p (Ω) gefunden: Definition 5.5. (W m,p (Ω) = H m,p (Ω)) Wir charakterisieren den Raum W m,p (Ω) mittels Approximationseigenschaften glatter Funktionen: ∃ uj ∈ C ∞ (Ω) mit Dα uj ∈ Lp (Ω), 0 ≤ |α| ≤ m W m,p (Ω) := . u ∈ Lp (Ω) so dass uj → u in Lp (Ω), Dα uj ist Cauchy-Folge in Lp (Ω), 0 ≤ |α| ≤ m
Bemerkung: Da der Raum Lp (Ω) vollst¨ andig ist, existiert der in der Definition 5.5 auftretende Limes in Lp (Ω): lim Dα uj =: uα
j→∞
∈ Lp (Ω), 0 ≤ |α| ≤ m.
Genau wie im Beweis von Satz 5.2 folgt, dass uα = Dα u (schwach). Die Norm in W m,p (Ω) ist dann definiert durch X kDα ukLp (Ω) . |u|m,p := 0≤|α|≤m
Es gilt immer: Cc∞ (Ω) ⊂ H m,p (Ω).
¨ 5 SOBOLEV-RAUME
55
◦
Definition 5.6. (Hm,p (Ω)) ◦ Es sei Hm,p (Ω) der Abschluss von Cc∞ (Ω) in der H m,p (Ω)-Norm: ◦
Hm,p (Ω) := Cc∞ (Ω)
H m,p (Ω)
⊂ H m,p (Ω).
◦
Mit dieser Definition ist Hm,p (Ω) ein abgeschlossener Teilraum von H m,p (Ω), also ◦ selber wieder ein Banach-Raum. Im Allgemeinen ist Hm,p (Ω) 6= H m,p (Ω). Zur Illustration werden wird nun zeigen, dass f¨ ur I = (0, 1) ⊂ R die beiden ◦ m,p m,p R¨ aume H (I) und H (I) nicht identisch sind: Dazu betrachten wir eine Funktion ϕ ∈ Cc∞ (I). Es gilt Z x ϕ ϕ0 (t) dt ϕ(x) − ϕ(0) = 16 0
mit ϕ(0) = 0. Also ist |ϕ(x)| ≤
Z
0
1 0
I
|ϕ|dµ ≤
1
0
|ϕ (t)| dt ϕ0 16
und somit auch Z
-t
Z
I
|ϕ0 |dµ. 0
-t 1
Es bezeichne 1 die konstante Funktion 1(x) = 1. Es ist 1 ≤ |ϕ(x)| + |1 − ϕ(x)|. Integrieren wir nun u ¨ber das Intervall I, so erhalten wir Z Z Z Z 1 ≤ |ϕ|dµ + |1 − ϕ|dµ ≤ |ϕ0 |dµ + |(1 − ϕ)|dµ I I I ZI Z = |(1 − ϕ)0 |dµ + |(1 − ϕ)|dµ. I
I
Aus der letzten Gleichung schliessen wir, dass |1 − ϕ|1,1 ≥ 1
∀ ϕ ∈ Cc∞ (I),
in Worten: 1 ∈ H 1,1 (I) kann nicht durch eine Folge ϕn ∈ Cc∞ (I) angen¨ ahert werden, ◦ also liegt 1 nicht in H1,1 (I). ◦
Satz 5.4. Es gilt Hm,p (Rn ) = H m,p (Rn ). Beweis. Wir schreiben zur Abk¨ urzung Rn =: Ω. Wir m¨ ussen f¨ ur den Beweis zeigen, ∞ m,p dass Cc (Ω) in H (Ω) dicht liegt. Wir spalten den Beweis in zwei Teile auf: zuerst zeigen wir, dass C ∞ (Ω) ∩ H m,p (Ω) dicht in H m,p (Ω) liegt, und dann n¨ ahern wir u ∈ C ∞ (Ω) ∩ H m,p (Ω) durch Cc∞ (Ω) in H m,p (Ω) an. 1. Schritt: Es sei nun u ∈ H m,p (Ω). Dann ist Dα (ρλ ∗ u) = ρλ ∗ (Dα u)
(0 ≤ |α| ≤ m)
nach Definition der schwachen Ableitung, da f¨ ur jedes feste x y 7→ ρλ (x − y) ∈ Cc∞ (Ω). Mit Theorem 5.1 folgt dann, dass ρλ ∗ u ∈ C ∞ (Ω) ∩ Lp (Ω).
¨ 5 SOBOLEV-RAUME
56
Es gilt weiter |Dα (ρλ ∗ u)|Lp (Ω) ≤ |Dα u|Lp (Ω) und
λ→0
|Dα (u − ρλ ∗ u)|Lp (Ω) = |Dα u − ρλ ∗ (Dα u)|Lp (Ω) −−−→ 0
∀ 0 ≤ |α| ≤ m.
Wir haben nun also gezeigt, dass ρλ ∗ u ∈ C ∞ (Ω) ∩ H m,p (Ω) und λ→0
|u − ρλ ∗ u|m,p −−−→ 0. 2.Schritt: Wir nehmen die “Abschneidefunktion“ η ∈ Cc∞ (Ω), so dass η(x) = 1 f¨ ur alle x mit |x| ≤ 1 und η(x) = 0, falls |x| ≥ 2. Nun definieren wir die Funktionenfolge x uj (x) := η u(x) ∈ Cc∞ (Ω). j Nach Leibnitz folgt nun, dass f¨ ur 0 ≤ |α| ≤ m gilt X |Dα uj (x)| ≤ cα |Dβ u(x)|. 0≤|β|≤m
Demnach ist Dα uj ∈ Lp (Ω) und somit ist Z Z |Dα (u − uj )|p dµ |Dα (u − uj )|p dµ = |x|≥j Ω Z p ≤2 (|Dα u|p + |Dα uj |p ) dµ |x|≥j X Z j→∞ ≤K |Dα u|p dµ −−−→ 0 0≤|α|≤m
|x|≥j
nach dem Lebesgue’schen Monotonie-Satz, denn es ist |D α u|p ∈ L1 (Ω). Dies gilt f¨ ur alle 0 ≤ |α| ≤ m, also ist |u − uj |m,p → 0 j → ∞. ¨ Ein Element u ∈ W m,p (Rn ) ist eine Aquivalenzklasse von Lp -Funktionen mit den von uns geforderten zus¨ atzlichen Eigenschaften. Nun stellt sich die Frage: k¨ onnen wir noch mehr haben? Gibt es einen Repr¨ asentanten jeder Klasse, der stetig, differenzierbar oder beschr¨ ankt ist? Theorem 5.4 (Morrey-Sobolev). Falls p > n, so hat jedes u ∈ W 1,p (Rn ) einen stetigen und beschr¨ankten Repr¨asentanten, den wir wiederum mit u bezeichnen. Man schreibt in diesem Sinne W 1,p (Rn ) ⊂ Cb (Rn ).
Es gibt, genauer gesagt, eine Konstante M > 0, so dass f¨ ur jedes u ∈ W 1,p (Rn ) ein Repr¨asentant existiert mit i)
ii)
n
|u(x) − u(y)| ≤ M |x − y|1− p |u(x)| ≤ M kukLp(Rn ) +
n X j=1
n X j=1
kDj ukLp(Rn ) ;
kDj ukLp (Rn )
!
= M |u|1,p .
f¨ ur alle x, y ∈ Rn . Es ist M = 4(1 − n/p)−1 und der Exponent 1 − n/p liegt nach Voraussetzung im offenen Intervall (0, 1).
¨ 5 SOBOLEV-RAUME
57
Beweis. Wir benutzen die zweite Definition von W 1,p (Rn ). Zuerst werden wir den Satz f¨ ur eine Funktion u ∈ C ∞ (Rn ) ∩ W 1,p (Rn ) zeigen. Es sei u ∈ C ∞ (Rn ) und Il ⊂ Rn ein achsenparalleler W¨ urfel mit Kantenl¨ ange l. Wir definieren den Mittelwert von u in Il mittels Z 1 [u]Il := u(x) dx, |Il | = vol(Il ) = ln . |Il | Il Zu i): es seien x, y ∈ Rn . Wir w¨ ahlen einen W¨ urfel Il ⊂ Rn , der x und y enth¨ alt. Mit dem nachfolgenden Lemma von Morrey ergibt sich dann |u(x) − u(y)| ≤ |u(x) − [u]Il | + [u]Il − u(y) n X 1− n p kDj ukLp (Rn ) . ≤ 2cl j=1
W¨ ahlen wir speziell einen W¨ urfel mit l = 2|x − y| f¨ ur die Kantenl¨ ange, so folgt die Aussage i) mit M = 4c. Zu ii): W¨ ahlen wir l = 1 und x ∈ I1 , so ist vol(I1 ) = 1 und |u(x)| ≤ |[u]I1 − u(x)| + |[u]I1 |. Der zweite Term auf der rechten Seite l¨ asst sich durch die H¨ older’sche Ungleichung absch¨ atzen: Es ist dann p1 Z Z Z p [u]I1 ≤ |u| dx χI1 |u| dx ≤ ≤ kukLp(Rn ) . |u| dx = I1
I1
I1
Mit dem Lemma folgt dann ii). Nun kommen wir zu u ∈ W 1,p (Rn ). Wir approximieren mit dem Satz 5.4 oder Meyers-Serrin die Funktion u durch eine Folge uj , so dass uj ∈ C ∞ (Rn ) ∩ W 1,p (Rn ),
uj → u in W 1,p (Rn ).
Aus der Ungleichung ii) f¨ ur die uj , j ≥ 1, folgt dann, dass uj eine Cauchy-Folge in Cb (Rn ), der Menge der stetigen und beschr¨ ankten Funktionen auf Rn , ist. Weil n nun Cb (R ) mit der Supremums-Norm vollst¨ andig ist, existiert ein u ˜ ∈ Cb (Rn ) mit n uj → u ˜ in Cb (R ). Die Konvergenz ist gleichm¨ assig, also auch punktweise. Es folgt nun, dass i) und ii) gelten, wobei links an Stelle von u nun u ˜ steht. Auf der rechten Seite steht immer noch u. Weil die Folge uj in Lp (Rn ) gegen u konvergiert existiert eine Teilfolge ujk , so dass lim ujk (x) = u(x) k→∞
f¨ ur fast jedes feste x ∈ Rn . Weil nun auch ˜(x) lim ujk (x) = u
k→∞
f¨ ur alle x ∈ Rn , ist u ˜ = u fast u ˜ der von uns gesuchte ¨berall auf Rn , also ist u Repr¨ asentant. Nun zum erw¨ ahnten Lemma: Lemma 5.4 (Morrey). Es sei p > n. Dann gilt f¨ ur c = (1 − n/p)−1 : n X [u]Il − u(x) ≤ cl(1−n/p) kDj ukLp (Il ) j=1
n
f¨ ur alle l, alle x ∈ Il , alle W¨ urfel Il ⊂ R der Kantenl¨ange l und alle u ∈ C ∞ (Rn ).
¨ 5 SOBOLEV-RAUME
58
Beweis. Es gen¨ ugt wegen der Translationsinvarianz, das Lemma f¨ ur x = 0 zu beweisen. Es sei also u ∈ C ∞ (Rn ). Es ist nach Definition dann Z 1 u(x) − u(0) dx. [u]Il − u(0) = |Il | Il F¨ ur x ∈ Il ist
Z Z n 1 d 1X |u(x) − u(0)| = Dj u(tx) xj dt u(tx) dt = 0 dt 0 j=1 Z 1X n |Dj u(tx)| dt, ≤l 0 j=1
wobei wir benutzt haben, dass |xj | ≤ l ist. Setzen wir die beiden Formeln zusammen, so erhalten wir Z 1 X n Z [u]I − u(x) ≤ l |Dj u(tx)| dx dt l |Il | 0 j=1 Il
und mit der Substitution y = tx wird die rechte Seite Z 1 X n Z l dy = |Dj u(y)| n . dt |Il | 0 t j=1 t Il
Mit der H¨ older’schen Ungleichung k¨ onnen wir das Integral u atzen: Es ¨ber y absch¨ ist Z q1 Z p1 Z Z p |Dj u| dµ = χt Il |Dj u| dµ ≤ χt Il dµ |Dj u| dµ t Il
tIl
≤ vol(t Il )1/q
Z
t Il
Il
|Dj u|p dµ
p1
t Il
f¨ ur 1/p + 1/q = 1. Zusammen erhalten wir nun also n n/q Z 1 X −n(1−1/q) [u]Il − u(x) ≤ l l kDj ukLp(Il ) . t dt ln |0 {z } j=1 (∗)
Das mit (∗) bezeichnete Integral ist endlich, denn mit p > n ist auch das Integral R 1 −n/p t dt endlich. Wir erhalten schliesslich 0 n 1−n/p X [u]I − u(x) ≤ l kDj ukLp(Il ) , l 1 − n/p j=1
was zu beweisen war.
Definition 5.7. (C m,β (Ω)) Es sei m ≥ 0 eine ganze Zahl, 0 < β < 1 und Ω ⊂ Rn offen. Dann sei C m,β (Ω) := {u ∈ C m (Ω) |u|m,β < ∞},
wobei | |m,β definiert ist durch |u|m,β := β
sup x∈Ω 0≤|α|≤m
Wir schreiben auch C f¨ ur C
|Dα u(x) − Dα u(y)| . |x − y|β |α|=m
|Dα u(x)| + sup
0,β
x6=y
.
¨ 5 SOBOLEV-RAUME
59
Theorem 5.4 (umformuliert). Sei p > n, β = 1 − n/p. Dann ist W 1,p (Rn ) ,→ C β (Rn ) stetig eingebettet, das heisst, es gibt eine Konstante M ≥ 0, so dass jedes Element u ∈ W 1,p (Rn ) einen Repr¨asentanten in C β (Rn ) hat mit |u|C β (Rn ) ≤ M kukW 1,p (Rn ) . Genau gleich beweist man f¨ ur eine offene Teilmenge Ω ⊂ Rn , m ≥ 1, β = 1−n/p und p > n ◦ ¯ Hm,p (Ω) ,→ C m−1,β (Ω) stetig eingebettet ist. Hierzu wendet man das Lemma von Morrey auf eine Funktion u ∈ Cc∞ (Ω) und auf Dα u, 0 ≤ |α| ≤ m, an und benutzt, dass ◦
Cc∞ (Ω) = Hm,p (Ω). Es folgt somit, dass \
◦
¯ Hm,p (Ω) = C ∞ (Ω)
m≥1
f¨ ur Ω ⊂ Rn offen.
Theorem 5.5 (Sobolev-Einbettungstheorem). Es sei Ω ⊂ Rn offen, m ≥ 1 eine ganze Zahl und p ≥ 1. Wir nehmen an, dass m − n/p = k + β f¨ ur eine ganze Zahl k ≥ 0 und 0 < β < 1. Dann ist ◦
¯ Hm,p (Ω) ,→ C k,β (Ω) stetig eingebettet. Beweis. Es wird auf die schon erw¨ ahnten B¨ ucher von H. Brezis oder H. W. Alt verwiesen. Folgerung: F¨ ur Ω ⊂ Rn und p ≥ 1 ist \ ◦ ¯ Hm,p (Ω) = C ∞ (Ω). m≥1
5.3
Dirichlet-Problem und schwache Lo ¨sung ◦
Die R¨ aume H m,p (Ω) und Hm,p (Ω) sind f¨ ur p = 2 ausgezeichnete R¨ aume: es sind Hilbert-R¨ aume, versehen mit dem Skalarprodukt X (u, v) = (Dα u, Dα v)L2 (Ω) u, v ∈ H m,p (Ω) 0≤|α|≤m
mit (f, g)L2 (Ω) =
Z
f g¯ dµ Ω
f, g ∈ L2 (Ω).
Es sei Ω ⊂ Rn offen und beschr¨ ankt. Wir betrachten das Dirichlet-Randwertprob¯ → R, so dass lem: gegeben sei f : Ω → R, und gesucht ist u : Ω −∆u(x) = f (x) x ∈ Ω , (5.3) u(x) = 0 x ∈ ∂Ω wobei ∆ den Laplace-Operator ∆u =
Pn
∂2u j=1 ∂x2j
bezeichnet.
¨ 5 SOBOLEV-RAUME
60
¯ eine klassische L¨ ¯ das Es sei u ∈ C 2 (Ω) ∩ C(Ω) osung von (5.3) f¨ ur f ∈ C(Ω), 2 heisst, (5.3) gilt punktweise. Wir nehmen nun an, dass ∇u ∈ L (Ω). Dann folgt aus Z Z − ∆u ϕ dµ = f ϕ dµ ϕ ∈ Cc∞ (Ω) Ω
Ω
mittels partieller Integration (weil die Randterme verschwinden): Z Z X n ∂u ∂ϕ f ϕ dµ ϕ ∈ Cc∞ (Ω). dµ = Ω Ω j=1 ∂xj ∂xj Anders geschrieben, es ist Z Z h∇u, ∇ϕi dµ = f ϕ dµ Ω
Weil nun
Cc∞ (Ω)
◦
ϕ ∈ Cc∞ (Ω).
Ω
1,2
in H (Ω) dicht liegt, folgt Z Z f v dµ h∇u, ∇vi dµ =
◦
v ∈ H1,2 (Ω).
Ω
Ω
Somit haben wir folgenden Begriff motiviert:
Definition 5.8. (schwache L¨ osung) ◦ Eine Funktion u ∈ H1,2 (Ω) heisst eine schwache L¨osung des Dirichlet-Randwertproblems f¨ ur ein gegebenes f ∈ L2 (Ω), falls Z Z f v dµ h∇u, ∇vi dµ = Ω
Ω
◦
1,2
f¨ ur alle v ∈ H
(Ω).
Bemerkung: Falls u ∈ Cc∞ (Ω), so ist u = 0 auf ∂Ω. Deshalb sagt man, dass ◦ u ∈ H1,2 (Ω) verallgemeinerte Nullrandwerte auf ∂Ω hat. Man kann tats¨ achlich zeigen (siehe H. Brezis, s. 171): f¨ ur ∂Ω aus der Klasse C 1 ¯ gilt und f¨ ur u ∈ H 1,2 (Ω) ∩ C(Ω) ◦
u = 0 auf ∂Ω ⇐⇒ u ∈ H1,2 (Ω). Im Folgenden seien alle beteiligten R¨ aume reell, auch wenn dies nicht explizit erw¨ ahnt wird. Es gilt nun, die Existenz und Eindeutigkeit der schwachen L¨ osungen des Dirichlet-Randwertproblems zu zeigen. ◦ Zuvor definieren wir noch ein Skalarprodukt auf H1,2 (Ω) durch Z Z ◦ u, v ∈ H1,2 (Ω). u v dµ + h∇u, ∇vi dµ (u, v)H := Ω
Ω
◦
1,2
Lemma 5.5. Es sei u, v ∈ H
(Ω). Dann definiert Z a(u, v) := h∇u, ∇vi dµ Ω
◦
ein zu (u, v)H ¨aquivalentes Skalarprodukt auf dem Hilbert-Raum H1,2 (Ω), das heisst, es gilt mit der Notation
dass es ein C > 0 gibt, so dass
(u, v)∗ := a(u, v), p kuk∗ = (u, u)∗ ,
1 ≤ kuk∗ ≤ Ckuk ◦1,2 kuk ◦1,2 H (Ω) H (Ω) C ◦
f¨ ur alle u ∈ H1,2 (Ω) f¨ ur offenes und beschr¨anktes Ω.
¨ 5 SOBOLEV-RAUME
61
Das Lemma 5.5 folgt sofort aus Lemma 5.6 (Poincar´e-Ungleichung). Es sei Ω ⊂ Rn offen und in einer Richtung, ohne Beschr¨ankung der Allgemeinheit in x1 -Richtung, beschr¨ankt, also Ω ⊂ {x = (x1 , . . . , xn ) ∈ Rn |x1 | ≤ d}. Dann ist X kDα uk2L2 (Ω) kuk2L2 (Ω) ≤ (2d)2 |α|=1
beziehungsweise Z
Ω
|u|2 dµ ≤ (2d)2
Z
Ω
|∇u|2 dµ
◦
f¨ ur alle u ∈ H1,2 (Ω). Beweis. Es gen¨ ugt, die Ungleichung f¨ ur u ∈ Cc∞ (Ω) zu zeigen, da Cc∞ (Ω) dicht in ◦ 1,2 H (Ω) liegt. Mit dem Satz von Fubini und partieller Integration in x1 – wobei die Randterme verschwinden, da u kompakten Tr¨ ager in Ω hat – folgt Z Z Z ∂ x1 1 |u|2 dµ = − |u|2 dµ = kuk2L2(Ω) = |u|2 dµ ∂x 1 Ω Ω Z ZΩ ∂ ∂ = −2 x1 u, u dµ ≤ 2d u dµ |u| ∂x1 ∂x1 Ω Ω
∂
≤ 2dkukL2(Ω)
∂x1 u 2 . L (Ω)
Die letzte Ungleichung folgt mit der H¨ older’schen Ungleichung. Dividieren wir obiges Resultat durch kukL2(Ω) und quadrieren anschliessend, so erhalten wir kuk2L2 (Ω)
∂ 2
u ≤ (2d) ∂x1 2 2
L (Ω)
n X
∂ 2
≤ (2d)
∂xj u 2 2
j=1
.
L (Ω)
Nun kommen wir zu dem vorher angek¨ undigten Theorem: Theorem 5.6 (Dirichlet, Riemann, Hilbert). Es sei Ω ⊂ Rn eine offene und beschr¨ankte Teilmenge, f ∈ L2 (Ω). Dann gibt es genau eine schwache L¨osung ◦ u ∈ H1,2 (Ω) des Dirichlet-Problems. Diese L¨osung ist ¨ uberdies die eindeutige L¨osung des Variationsproblems Z Z 1 2 min |∇v| dµ − f v dµ . ◦ 2 Ω Ω v∈H1,2 (Ω) Beweis. Wir verwenden hierzu das obige Lemma 5.5 und den Darstellungssatz von Riesz, wobei wir den Beweis in drei Schritte zerlegen. ◦ 1. Schritt: In Lemma 5.5 haben wir bereits bewiesen, dass H1,2 (Ω) mit dem Skalarprodukt (·, ·)∗ ein Hilbert-Raum ist, den wir im Folgenden H∗ nennen wollen. 2. Schritt: Wir wenden den Darstellungssatz von Riesz an: Dazu definieren wir Z ◦ ϕ(u) := f u dµ u ∈ H1,2 (Ω). Ω
Somit liegt ϕ im Dualraum
H∗0 ,
denn nach Lemma 5.5 ist
|ϕ(u)| ≤ |f |L2 (Ω) |u|L2 (Ω) ≤ |f |L2 (Ω) kuk∗,
¨ 5 SOBOLEV-RAUME
62
das heisst, ϕ : H∗ → R ist stetig und linear. Nach dem Riesz’schen Darstellungssatz existiert genau ein u0 ∈ H∗ , so dass (u, u0 )∗ = ϕ(u)
∀ u ∈ H∗ .
Dies ist nach Definition des Skalarproduktes in H∗ gerade ¨ aquivalent dazu, dass ◦ u0 ∈ H1,2 (Ω) die schwache L¨ osung des Dirichlet-Problemes ist. 3. Schritt: Das Variationsproblem. Wir definieren das zu minimierende Funk◦ tional F : H1,2 (Ω) → R durch Z Z 1 1 f u dµ = kuk2∗ − ϕ(u) |∇u|2 dµ − F (u) := 2 Ω 2 Ω ◦
◦
f¨ ur alle u ∈ H1,2 (Ω). Es sei nun u0 ∈ H1,2 (Ω) die eindeutige L¨ osung des Dirichlet◦ Problemes aus Schritt 2, das heisst, (u, u0 )∗ = ϕ(u) f¨ ur alle u ∈ H1,2 (Ω). Dann k¨ onnen wir nachrechnen: F (u) − F (u0 ) =
1 ku − u0 k2∗ > 0, 2
u 6= u0 .
Das heisst, es ist min ◦
F (u) = F (u0 ),
u∈H1,2 (Ω)
also gibt es genau ein Minimum, n¨ amlich u0 . Nun haben wir zwar die Existenz und Eindeutigkeit der schwachen L¨ osung des Dirichlet-Problems gefunden, aber es stellen sich hier die folgenden Fragen: 1. Wie finden wir die (eindeutige) schwache L¨ osung? Wir werden dazu die Antwort sp¨ ater geben k¨ onnen (mittels einer minimierenden Folge des Variationsfunktionals). 2. Wann ist die schwache L¨ osung auch eine klassische L¨ osung? Die Antwort dazu liefern die Regularit¨ atstheorie und elliptische partielle Differentialgleichungen (siehe zum Beispiel H. Brezis, H. W. Alt). Ohne dies zu beweisen: Nehmen wir in Theorem 5.6 zus¨ atzlich an, dass ∂Ω ¯ ist, so ist u0 ∈ H◦1,2 (Ω) ∩ C ∞ (Ω) ¯ aus der Klasse C ∞ (glatt) und f ∈ C ∞ (Ω) und damit eine klassische L¨ osung.
¨ 6 REFLEXIVE RAUME UND SCHWACHE KONVERGENZ
6
63
Reflexive R¨ aume und schwache Konvergenz
6.1
Separable R¨ aume
Definition 6.1. (separabler Raum) Ein metrischer Raum (M, d) heisst separabel, falls es eine abz¨ ahlbare und dichte Teilmenge D ⊂ M gibt. Satz 6.1. Jede Teilmenge A ⊂ M eines separablen Raumes ist separabel. Beweis. Ist M separabel, so existiert eine abz¨ ahlbare Menge D = {x1 , x2 , . . .} ⊂ M ¯ = M . Es sei nun A ⊂ M , dann gibt es zu jedem k ≥ 1 und n ≥ 1 ein akn ∈ A mit D so, dass 1 d(xk , akn ) < d(xk , A) + , n nach Definition der Distanzfunktion d. Wir wollen nun zeigen, dass die Teilmenge ¯ A = A. DA := {akn }k,n≥1 ⊂ A dicht in A liegt, also dass D ¯ = M , so gibt es ein xk ∈ D derart, Dazu seien a ∈ A und ε > 0 gegeben. Weil D dass d(xk , a) < ε. Wir w¨ ahlen nun n so, dass n1 < ε. Dann gilt nach dem oben Gesagten f¨ ur das zugeh¨ orige akn : d(a, akn ) ≤ d(a, xk ) + d(xk , akn ) < ε + d(xk , A) + ≤ ε + d(xk , a) +
1 n
1 ≤ 3ε. n
Da ε > 0 beliebig war, folgt die Behauptung. Zur Illustration geben wir hier noch einige Beispiele: 1. Rn ist separabel, denn die rationalen Zahlen liegen dicht in R. Daraus folgt: jeder endlich-dimensionale metrische Raum ist separabel. 2. Die R¨ aume `p sind separabel, falls 1 ≤ p < ∞. Der Raum `∞ hingegen ist nicht separabel. Beweis. Zuerst beweisen wir, dass `p , 1 ≤ p < ∞ separabel ist: Nach Definition ist X n o lp := x = (xj )j |xj |p < ∞ . j≥1
Wir betrachten die Mengen
DN := {a ∈ `p |a = (aj ), aj rational, aj = 0 j ≥ N + 1}. und bezeichnen mit D die abz¨ ahlbare Vereinigung all dieser Mengen DN : [ D= DN . N ≥1
¯ = `p . D ist eine abz¨ ahlbare Menge und wir behaupten, es gelte D Es sei x = (xj ) ∈ `p und ε > 0 vorgegeben. Wir suchen ein a ∈ D so, dass d(a, x) < ε. Dazu w¨ ahlen wir N so gross, dass X |xj |p < ε. j≥N +1
¨ 6 REFLEXIVE RAUME UND SCHWACHE KONVERGENZ
64
Dann w¨ ahlen wir ein a ∈ DN so, dass N X j=1
|xj − aj |p < ε.
Zusammen erhalten wir also ∞ X j=1
|xj − aj |p =
N X j=1
|xj − aj |p +
X
j≥N +1
|xj |p < 2ε.
Es ist also d(a, x) < 2ε.
2
Nun zu l∞ . Es sei x = (xj ) mit kxk∞ = supj≥1 |xj |. Wir nehmen eine abz¨ ahlbare Folge x(n) ∈ l∞ , also eine Folge von Folgen (n)
x(n) = xj
,
n = 1, 2, . . .
Jetzt definieren wir eine neue Folge y = (yj )j durch ( (j) 1 falls xj ≤ 0 yj = . (j) −1 falls xj > 0 Dann ist nach Konstruktion y ∈ l∞ mit kyk∞ = 1 und es gilt: ky − x(n) k∞ ≥ |yn − x(n) n | ≥1
∀ n = 1, 2, . . .
Die Folge x(n) ist somit nicht dicht in `∞ . Dies gilt f¨ ur jede Folge (x(n) )n , daher ist l∞ nicht separabel. 3. C[0, 1] mit der Supremums-Norm ist separabel, denn die Menge der Polynome mit rationalen Koeffizienten liegt dicht in C[0, 1], nach dem Satz von Weierstrass. 4. Der Raum Cb (0, 1) der beschr¨ ankten, stetigen Funktionen auf (0, 1) mit der Supremums-Norm ist nicht separabel. 5. Jeder kompakte metrische Raum ist separabel. 6. Die R¨ aume Lp (Ω), 1 ≤ p < ∞ sind separabel, L∞ (Ω) hingegen nicht. Zum Beweis benutzt man, dass Cc (Ω) dicht in Lp (Ω) liegt sowie den Satz von Weierstrass.
6.2
Reflexive R¨ aume
In diesem Abschnitt betrachten wir eine wichtige Klasse von Banach-R¨ aumen. Es sei X ein normierter Raum, so ist sein Dualraum X 0 definiert durch X 0 ≡ X ∗ = L(X, C) mit der Norm kf k = sup |f (x)|, kxk≤1
f ∈ X ∗.
Wie wir bereits wissen ist X ∗ ein Banach-Raum. Wiederholen wir die Konstruktion, so erhalten wir den Bi-Dualraum (X ∗ )∗ := X ∗∗ .
¨ 6 REFLEXIVE RAUME UND SCHWACHE KONVERGENZ
65
Definition 6.2. (kanonische Einbettung) Die kanonische Einbettung X → X ∗∗ , I : X −→ (X ∗ )∗
x 7−→ I(x) ∈ L(X ∗ , C)
ist definiert durch I(x) (f ) = f (x),
f ∈ X ∗ = L(X, C).
Satz 6.2. Die kanonische Einbettung I : X → X ∗∗ ist linear und isometrisch. Beweis. Nach Konstruktion ist I linear, da f ∈ L(X, C) linear ist. Mit dem Satz 4.5 (Hahn-Banach) folgt: kI(x)k = sup |I(x) (f )| = sup |f (x)| = kxk. f ∈X ∗ kf k≤1
f ∈X ∗ kf k≤1
Es kann vorkommen, dass I(X) 6= X ∗∗ , das heisst, das Bild dieser linearen Isometrie I(X) ⊂ X ∗∗ braucht nicht der ganze Raum zu sein. Definition 6.3. (reflexiver Raum) Ein Banach-Raum heisst reflexiv, falls die kanonische Einbettung I : X → X ∗∗ surjektiv ist, das heisst, wenn gilt I(X) = X ∗∗ . Achtung: Diese Definition bezieht sich immer auf die kanonische Einbettung, nicht irgend eine beliebige surjektive Einbettung X → X ∗∗ ! Satz 6.3. Ein Hilbert-Raum H ist immer reflexiv. Beweis. Nach dem Satz von Riesz gibt es eine konjugiert lineare Isometrie von H auf H ∗ , definiert durch ϕ : H −→ H ∗ y 7−→ ϕ(y) mit ϕ(y) (x) = (x, y) f¨ ur alle x ∈ H und mit kϕ(y)k = kyk f¨ ur alle y ∈ H. F¨ ur die kanonische Isometrie I : H → H ∗∗ gilt I(x) ϕ(y) = ϕ(y) (x) = (x, y) f¨ ur alle ϕ(y) ∈ H ∗ . Wir betrachten f¨ ur α ∈ (H ∗ )∗ die Komposition
y 7→ α(ϕ(y)) ∈ H ∗ . Es existiert nach Riesz ein x0 ∈ H, so dass f¨ ur alle y ∈ H gilt
α(ϕ(y)) = (x0 , y) = ϕ(y) (x0 ) = I(x0 ) ϕ(y) .
Weil ϕ auf H ∗ surjektiv ist, gilt α(f ) = I(x0 ) (f ) f¨ ur alle f ∈ H ∗ , also α = I(x0 ). Es folgen nun zwei n¨ utzliche Strukturs¨ atze: Satz 6.4. Es sei X ein Banach-Raum. Dann gilt: i) X ist reflexiv ⇒ jeder abgeschlossene Teilraum von X ist reflexiv. ii) X ist reflexiv ⇐⇒ X ∗ ist reflexiv.
¨ 6 REFLEXIVE RAUME UND SCHWACHE KONVERGENZ
66
¨ Beweis. Ubungsaufgabe (Hinweis: Fortsetzungssatz von Hahn-Banach). Satz 6.5. Sei X ein Banach-Raum. Dann gelten folgende Aussagen: i) Ist X ∗ separabel, dann ist auch X separabel. ii) Ist X separabel und reflexiv, so ist X ∗ separabel. Beweis. i) Ist X ∗ separabel, dann existiert eine in X ∗ dichte und abz¨ ahlbare Teilmenge D∗ = {f1 , f2 , . . .}.
Nach Definition der Norm im Raum X ∗ gibt es zu jedem j ein xj ∈ X mit kxj k ≤ 1 und
1 kfj k ≤ |fj (xj )|, 2
j ∈ N.
Wir bezeichnen mit D die Menge aller (endlichen) Linearkombinationen von (xj ) mit rationalen Koeffizienten. D ist somit abz¨ ahlbar. Wir wollen nun zeigen, dass D dicht in X liegt. ¯ liegt. Nach Satz 4.4 gen¨ Es sei also x ∈ X. Zu zeigen ist, dass x ∈ D ugt es zu ⊥ zeigen, dass f (x) = 0 f¨ ur alle f ∈ D . Daher sei nun f ∈ D⊥ und ε > 0 beliebig. Weil D∗ in X ∗ dicht liegt, existiert eine Funktion fn ∈ D∗ mit kf − fn k < ε. Nach unserer Definition von D (und weil f ∈ D ⊥ ) ist daher 1 kfn k ≤ |fn (xn )| = |fn (xn ) − f (xn ) | ≤ kfn − f k kxn k ≤ kfn − f k < ε. | {z } 2 =0
Also ist kfn k < 2ε und mit der Dreiecksungleichung folgt dann kf k ≤ kfn − f k + kfn k < 3ε
∀ ε > 0.
Also ist kf k = 0 und damit ist f = 0 in X ∗ , mit anderen Worten, es ist f (x) = 0 f¨ ur alle x aus X. ii) folgt direkt aus i): Da X separabel und reflexiv ist, ist I(X) = (X ∗ )∗ separabel, denn I ist eine Isometrie auf (X ∗ )∗ . Es folgt aus i), dass X ∗ separabel ist.
6.3
Beispiele von Dualr¨ aumen
Als erstes betrachten wir die Folgenr¨ aume `p , zuallererst den Raum `1 . Es sei y = (yj ) ∈ `∞ , kyk∞ = supj≥1 |yj | < ∞. Wir ordnen dieser Folge y ein Funktional ϕ(y) aus `∗1 zu mittels X ϕ(y) (x) = y j xj ∀ x = (xj ) ∈ `1 . j≥1
Wir behaupten, es sei ϕ(y) ∈ `∗1 und kϕ(y)k`∗1 ≤ kyk∞ . Es gilt f¨ ur alle x ∈ `1 : kϕ(y) (x)k ≤
X j≥1
|yj | |xj | ≤ sup |yj | j≥1
X j≥1
|xj | = kyk∞ kxk`1 .
Daher ist kϕ(y)k`∗1 ≤ kyk∞ . Es gilt sogar: Mit dieser einfachen Konstruktion haben wir schon alle Funktionen f ∈ `∗1 gefunden!
¨ 6 REFLEXIVE RAUME UND SCHWACHE KONVERGENZ
67
Satz 6.6. Die oben konstruierte Funktion ϕ : `∞ → `∗1 ist eine surjektive Isometrie, das heisst, es ist kϕ(y)k`∗1 = kyk∞ ∀ y ∈ `∞ . Zusatz: Der Raum `1 ist nicht reflexiv.
Beweis. Es seien f ∈ `∗1 = L(`1 , C), x eine Folge (xj ) = (x1 , x2 , . . .) ∈ `1 und ei = (0, . . . , 0, 1, 0, . . .) der i-te Einheitsvektor in `1 . Dann ist x = lim
N →∞
=
X
N X
xj e j
in `1
j=1
xj e j
in `1 .
j≥1
Weil f linear und stetig ist, folgt f (x) = lim f N →∞
N X
xj e j
j=1
!
= lim
N →∞
N X
xj f (ej ).
j=1
Wir definieren die Zahlenfolge y = (yj ) durch yj = f (ej ) und zeigen, dass y ∈ `∞ und kyk∞ ≤ kf k: Es gilt n¨ amlich |yj | = |f (ej )| ≤ kf k kej k`1 ≤ kf k
∀ j ≥ 1.
Also ist kyk∞ = sup |yj | ≤ kf k j≥1
und es folgt somit f (x) = lim
N →∞
N X
xj y j =
j=1
X
∀ x ∈ `1 .
xj yj = ϕ(y) (x)
j≥1
Daher ist f = ϕ(y). Weil kyk∞ ≤ kϕ(y)k ist und nach Vorbemerkung kϕ(y)k ≤ kyk∞ ist, folgt kϕ(y)k = kyk∞ . Daher ist ϕ : `∞ → `∗1 eine surjektive Isometrie. Und nun zum Zusatz: Wir nehmen an, dass `1 reflexiv ist. Weil `1 separabel ist, folgt mit Satz 6.5, dass `∗1 separabel ist. Nun ist `∗1 isometrisch isomorph zu `∞ , also ist auch `∞ separabel. Dies ist jedoch falsch, demnach ist `1 nicht reflexiv. Nun kommen wir zu `p f¨ ur p > 1. Es sei q ∈ R so, dass das Funktional
1 p
+ 1q = 1. Wir definieren
ϕ : `q −→ `∗p
y 7−→ ϕ(y)
durch ϕ(y) (x) =
X j≥1
xj y j
∀ x = (xj ) ∈ `p .
Die Funktion ϕ(y) liegt in `∗p , und mit der H¨ older’schen Ungleichung folgt ⇒
|ϕ(y) (x)| ≤ kxkp kykq kϕ(y)k ≤ kykq .
Wieder haben wir schon alle stetigen Funktionale auf `p gefunden.
¨ 6 REFLEXIVE RAUME UND SCHWACHE KONVERGENZ
68
Satz 6.7. Es sei 1 < p < ∞ und p1 + 1q = 1. Dann ist ϕ : `q → `∗p eine surjektive ur f ∈ `∗p gibt es eine Darstellung Isometrie, das heisst, es ist kϕ(y)k`∗p = kyk`q . F¨ der Form X f (x) = ϕ(y) (x) = xj y j x = (xj ) ∈ `p j≥1
f¨ ur ein eindeutiges y = (yj ) ∈ `q . Zusatz: `p ist reflexiv f¨ ur 1 < p < ∞. Beweis. Wir werden nur den Zusatz beweisen: dazu m¨ ussen wir zeigen, dass I : `p → (`∗p )∗ surjektiv ist. Nach Satz 6.7 existieren zwei surjektive Isometrien ϕ : `q −→ `∗p ,
ψ : `p −→ `∗q . Es sei nun α ∈ (`∗p )∗ . Dann ist y 7→ α ϕ(y) ∈ `∗q . Daher existiert nach Satz 6.7 ein x ∈ `p so, dass f¨ ur alle y ∈ `q gilt X α ϕ(y) = ψ(y) (x) = yj xj = ϕ(x) (y) = I(x) ϕ(y) . j≥1
Da ϕ : `q → `∗p surjektiv ist, gilt α(f ) = I(x) (f ) f¨ ur alle f ∈ `∗p , also ist α = I(x). Als n¨ achstes betrachten wir die R¨ aume Lp (Ω) f¨ ur ein offenes Ω ⊂ Rn . Bei genauerer Betrachtung f¨ allt auf, dass das nachfolgende Theorem, der Darstellungssatz von Riesz, gerade den Aussagen der S¨ atze 6.6 und 6.7 entspricht, nur diesmal f¨ ur Lp (Ω) an Stelle von `p . Wir beginnen wieder mit p = 1: Wir definieren das Funktional ϕ : L∞ (Ω) −→ L1 (Ω)∗ y 7−→ ϕ(y) durch ϕ(y) (x) =
Z
x ∈ L1 (Ω).
xy dµ Ω
Das Funktional ϕ(y) liegt in L1 (Ω)∗ , denn es gilt Z |x| dµ = kyk∞ kxkL1 (Ω) , |ϕ(y) (x)| ≤ kyk∞ Ω
also ist kϕ(y)k ≤ kyk∞ . Es seien nun p, q ∈ R so, dass p > 1 und das Funktional
1 p
+
1 q
= 1. Wieder konstruieren wir
ϕ : Lq (Ω) −→ Lp (Ω)∗ y 7−→ ϕ(y) durch ϕ(y) (x) =
Z
xy dµ Ω
x ∈ Lp (Ω).
Wegen der H¨ older’schen Ungleichung ist ϕ(y) ∈ Lp (Ω)∗ , denn es gilt |ϕ(y) (x)| ≤ kxkLp(Ω) kykLq (Ω) . Wiederum haben wir so alle stetigen Funktionen gefunden:
¨ 6 REFLEXIVE RAUME UND SCHWACHE KONVERGENZ
69
Theorem 6.1 (Darstellungssatz von Riesz). Mit obigen Definitionen gilt: i) Das Funktional ϕ : L∞ (Ω) → L1 (Ω)∗ ist eine surjektive Isometrie; es gilt L1 (Ω)∗ ∼ = L∞ (Ω). ii) Das Funktional ϕ : Lq (Ω) → Lp (Ω)∗ , p1 + q1 = 1, p > 1, ist eine surjektive Isometrie: Lp (Ω)∗ ∼ = Lq (Ω). Zusatz: Die R¨aume Lp (Ω) sind f¨ ur 1 < p < ∞ reflexiv, die R¨aume L1 (Ω) und ∞ L (Ω) sind es nicht. Beweis. Das Theorem zeigt man mittels Integrationstheorie.
6.4
Schwache Konvergenz und Variationsprobleme
Es bezeichne X einen normierten Raum und X ∗ = L(X, C). F¨ ur eine Funktion f ∈ X ∗ gilt wegen der Stetigkeit: Konvergiert eine Folge (xj ) in X gegen x, so konvergiert f (xj ) mit j → ∞ in C gegen f (x). Die Umkehrung muss aber nicht gelten. Das motiviert folgende Definition: Definition 6.4. (schwach konvergente Folge) Eine Folge xj ∈ X konvergiert schwach gegen x ∈ X, falls gilt lim f (xj ) = f (x)
j→∞
f¨ ur alle f ∈ X ∗ . Wir schreiben dann xj * x. Als Beispiel betrachten wir X = Lp (Ω) mit p > 1 und p1 + xj in X schwach gegen x, so ist Z Z lim xj y dµ = xy dµ ∀ y ∈ Lq (Ω). j→∞
Ω
1 q
= 1. Konvergiert
Ω
Bemerkungen: 1. Der schwache Limes ist eindeutig: xj xj
* x * y
⇐⇒ ⇐⇒
f (xj ) f (xj )
→ f (x) → f (y)
∀ f ∈ X ∗.
Dann ist f (x) = f (y) f¨ ur alle f ∈ X ∗ , nach Satz 4.2 also x = y. 2. Es gilt xj → x
⇒
xj * x,
xj * x
⇒
xj → x,
die Umkehrung, also gilt im Allgemeinen hingegen nicht: ahlen Folgen Es sei X = `p , 1 < p < ∞, p1 + q1 = 1 und X ∗ = `∗q . Wir w¨ (n) (n) x ∈ `p mit xj = (δjn ). Dann ist kx(n) − x(m) kp`p = 2
n 6= m,
¨ 6 REFLEXIVE RAUME UND SCHWACHE KONVERGENZ
70
also ist x(n) keine Cauchy-Folge in `p . Es gilt jedoch x(n) * 0 in `p , denn nehmen wir ϕ : `q → `∗p , so ist X (n) yj xj = yn → 0 (n → ∞), ϕ(y) x(n) = j≥1
weil
P
j≥1
|yj |q < ∞ f¨ ur alle y ∈ `q .
Nun ist ϕ surjektiv, also folgt f (x(n) ) → 0 f¨ ur alle f ∈ `∗p , mit anderen Worten, (n) es gilt x * 0. Betrachten wir den Dualraum X ∗ einmal etwas genauer, so stellen wir fest, dass es drei Konvergenzbegriffe in X ∗ gibt: i) Norm-Konvergenz: Die u ¨bliche“ Form der Konvergenz, wir schreiben ” fj → f in X ∗ . ii) schwache Konvergenz: wie oben definiert: es ist fj * f
in X ∗ ⇐⇒ α(fj ) → α(f )
∀ α ∈ (X ∗ )∗ .
iii) schwache-∗-Konvergenz: Wir schreiben ∗
fj * f ⇐⇒ α(fj ) → α(f )
∀ α ∈ I(X) ⊂ (X ∗ )∗ ,
wobei I : X → (X ∗ )∗ die kanonische Injektion mit I(x) (f ) := f (x)
f ∈ X ∗, x ∈ X
bezeichnet Definition 6.5. (schwache-∗-Konvergenz) Es gilt ∗ fj * f in X ∗ ⇐⇒ fj (x) → f (x)
∀x ∈ X,
das heisst, f konvergiert punktweise.
In der obigen Aufz¨ ahlung der Konvergenzbegriffe gilt: i) ⇒ ii) ⇒ iii), wobei ii) und iii) a quivalent sind, falls X reflexiv ist, weil dann I(X) = (X ∗ )∗ ist. ¨ Theorem 6.2. Die Folge xj konvergiere schwach in X, das heisst, es sei xj * x. Dann gilt i) sup kxj k < ∞, j≥1
ii) kxk ≤ lim inf kxj k. j→∞
Das heisst, schwach konvergente Folgen sind beschr¨ankt und wir k¨onnen den schwachen Limes absch¨atzen. Beweis. Nach Voraussetzung ist f (xj ) → f (x) f¨ ur alle f aus dem Dualraum X ∗ . F¨ ur die Folge von linearen Operatoren I(xj ) ∈ L(X ∗ , C), I(xj ) (f ) = f (xj ) gilt daher I(xj ) (f ) → I(x) (f ) ∀ f ∈ X ∗.
Weil X ∗ ein Banach-Raum ist, folgt aus den S¨ atzen 3.1 und 6.2 sup kxj k = sup kI(xj )k < ∞ j≥1
j≥1
und kxk = kI(x)k ≤ lim inf kI(xj )k = lim inf kxj k. j→∞
j→∞
¨ 6 REFLEXIVE RAUME UND SCHWACHE KONVERGENZ
71
Satz 6.8. Folgende Aussagen sind ¨aquivalent: i) Die Folge xj konvergiert in X schwach gegen x: xj * x; ii) Die Folge xj erf¨ ullt (1)
sup kxj k < ∞, j≥1
(2)
lim f (xj ) = f (x)
j→∞
¯ = X ∗. ∀ f ∈ D mit D
Beweis. i) ⇒ ii) entspricht gerade der Aussage von Theorem 6.2. Also m¨ ussen wir noch den umgekehrten Weg zeigen. Es sei g ∈ X ∗ gegeben. Es ist zu zeigen, dass limj→∞ g(xj ) = g(x). Dazu nehmen wir ein f ∈ X ∗ , dann ist |g(xj ) − g(x)| ≤ |g(xj ) − f (xj )| + |f (xj ) − f (x)| + |f (x) − g(x)| ≤ kg − f k kxj k + kf − gk kxk + |f (xj ) − f (x)|. Nach Voraussetzung ii) existiert eine Konstante C > 0 so, dass kxj k ≤ C und kxk ≤ C, also ist |g(xj ) − g(x)| ≤ Ckf − gk + |f (xj ) − f (x)|
∀ j ≥ 1.
(6.1)
es sei ε > 0. Da wir f frei gew¨ ahlt haben, sei f ∈ D nach (2) so, dass der erste Term der Gleichung (6.1) < ε/2. Nun w¨ ahlen wir f¨ ur dieses f ein j0 (ε), so dass der zweite Term in (6.1) < ε/2 f¨ ur alle j > j0 . Damit folgt die Behauptung. Bisher haben wir zwar mit dem Begriff der schwachen Konvergenz gearbeitet, doch: was bedeutet schwache Konvergenz in den spezifischen R¨ aumen? Um diese Frage zu beantworten brauchen wir die Darstellungss¨ atze. Wir werden einen solchen f¨ ur X = `p f¨ ur p > 1 beweisen. Wie gewohnt schreiben wir (n) x(n) = xj j ∈ `p , x = (xj )j ∈ `p
f¨ ur eine Folge (x(n) ) von Elementen (also Folgen) in `p beziehungsweise f¨ ur ein Element x in `p . Satz 6.9. Es ist x(n) eine in `p schwach gegen x konvergierende Folge (p > 1) genau dann, wenn (1)
sup kx(n) k < ∞, n≥1
(2)
(n) n→∞
xj
−→ xj
∀ j,
das heisst, x(n) konvergiert koordinatenweise. Beweis. Zuerst beweisen wir ⇒. (1) folgt sofort aus Theorem 6.2. F¨ ur (2) definieren wir eine Folge fj ∈ `∗p durch fj (x) = xj , x = (xj ) ∈ `p . Dann gilt f¨ ur alle j (n)
xj
= fj (x(n) ) → fj (x) = xj
n→∞
nach Voraussetzung. Nun zu ⇐: Wir machen obige Schritte einfach r¨ uckw¨ arts: also definieren wir die ¯ = `∗ , also folgt xj * x aus (1) und Menge D = hf1 , f2 . . .i ⊂ `∗p . Ist p > 1, so ist D p (2) mit Hilfe von Satz 6.8. Doch wozu besch¨ aftigen wir uns u ¨berhaupt mit der schwachen Konvergenz? Eine Anwendung ist eine schwache Form des Satzes von Heine-Borel:
¨ 6 REFLEXIVE RAUME UND SCHWACHE KONVERGENZ
72
Theorem 6.3. Es sei X ein reflexiver Raum, xj ∈ X eine beschr¨ankte Folge, kxj k ≤ M , j ≥ 1. Dann existiert ein x ∈ X und eine Teilfolge xjk , so dass in X, (k → ∞).
xj k * x Aus Theorem 6.2 folgt kxk ≤ M .
Bemerkung: In einem reflexiven Raum hat jede beschr¨ ankte Folge eine schwach konvergente Teilfolge. Diese Eigenschaft charakterisiert die Reflexivit¨ at eines Raumˇ es (Satz von Eberlein-Smulyan, siehe Yosida, Seite 149ff). Definition 6.6. (schwach abgeschlossene Menge) Eine Teilmenge A ⊂ X heisst schwach (folgen-)abgeschlossen, falls xj ∈ A ⇒ x ∈ A. xj * x Lemma 6.1. Ist A schwach abgeschlossen, so ist A¯ = A. ¯ dann existiert eine Folge xj ∈ A mit xj → x. Also ist auch Beweis. Es sei x ∈ A, xj * x, nach Voraussetzung ist dann x ∈ A, folglich ist A¯ = A. ¨ Beispiel: ur p > 1 ist der schwache Abschluss der Menge A = (Ubungsaufgabe) F¨ {x ∈ `p kxkp = 1} die abgeschlossene Kugel K = {x ∈ `p kxkp ≤ 1}. Lemma 6.2. Die folgenden Mengen A ⊂ X sind schwach abgeschlossen: i) A ist abgeschlossen und linear; ii) Die abgeschlossene Kugel A = {x kxk ≤ R};
iii) A konvex und abgeschlossen.
Beweis. Wir benutzen den Satz von Hahn-Banach. i): Es sei xj ∈ A und xj * x. Dann ist f (xj ) → f (x) f¨ ur alle f ∈ X ∗ . Wir ⊥ nehmen speziell eine Funktion f ∈ A , denn somit ist f (xj ) = 0 f¨ ur alle j ≥ 1. ¯ Weil A Demnach ist f (x) = 0 f¨ ur alle solche f ∈ A⊥ . Daher ist mit Satz 4.4 x ∈ A. abgeschlossen ist, liegt x in A. ii) Sei kxj k ≤ R und xj * x. Dann folgt mit Theorem 6.2 kxk ≤ lim inf kxj k ≤ R. j→∞
F¨ ur den Beweis von iii) siehe H. W. Alt. Theorem 6.4 (Approximationstheorem). Es sei X reflexiv, M ⊂ X abgeschlossen und linear, x∗ ∈ X. Dann existiert ein m∗ ∈ M so, dass d(x∗ , M ) = inf kx∗ − xk = kx∗ − m∗ k, x∈M
mit anderen Worten, das Minimum existiert. Beweis. Dazu ben¨ otigen wir die Theoreme 6.2 und 6.3: Nach der Definition des Infimums existiert eine Minimalfolge mj ∈ M mit kx∗ − mj k −→ inf kx∗ − mk =: α. m∈M
Das heisst, die Folge mj ist beschr¨ ankt. Weil X reflexiv ist, existiert nach Theorem 6.3 ein Element m∗ ∈ X und eine Teilfolge mjk so, dass mit k → ∞ die Teilfolge in X schwach gegen m∗ konvergiert, also mj k * m ∗
in X.
¨ 6 REFLEXIVE RAUME UND SCHWACHE KONVERGENZ
73
Weil M abgeschlossen ist, so ist M schwach abgeschlossen (Lemma 6.2), und daher ist m∗ ∈ M . Mit Theorem 6.2 folgt dann α ≤ kx∗ − m∗ k ≤ lim inf kx∗ − mjk k = lim kx∗ − mjk k = α. k→∞
k→∞
Folglich ist kx∗ − m∗ k = α. Wir wollen nun noch etwas allgemeiner werden: Definition 6.7. (schwach-folgen-unterhalb-stetige Funktion) Es sei A ⊂ X eine Teilmenge. Eine Funktion F : A → 6 R heisst im Punkt x ∈ A schwach-folgen-unterhalbstetig (kurz: s.f.u.s.), falls f¨ ur jede Folge xj ∈ A mit F (x) xj * x gilt
b r
F (x) ≤ lim inf F (xj ). j→∞
x
-
Dazu m¨ ochten wir einige Beispiele geben: 1. Die Norm F (x) = kxk, F : X → R ist s.f.u.s. wegen Theorem 6.2. 2. Allgemeiner: sei F : A ⊂ X → R stetig und konvex, A abgeschlossen und konvex. Dann ist F s.f.u.s. auf A. Denn: Die Menge Ar := {x ∈ A|F (x) ≤ r}, r ∈ R, ist abgeschlossen und konvex. Falls die Aussage falsch ist, so existiert x ∈ A und eine Folge xj * x so, dass F (x) > lim inf F (xj ). j→∞
Es existiert ein r < F (x) und eine Teilfolge xjk ∈ Ar , so dass F (xjk ) ≤ r f¨ ur k ≥ 1. Weil Ar nach Lemma 6.2.iii) schwach abgeschlossen ist, folgt aus xjk * x, dass x ∈ Ar , das heisst, es ist F (x) ≤ r, im Widerspruch zu F (x) > r. Theorem 6.5 (Variationsprinzip). Es sei X reflexiv, A ⊂ X eine beschr¨ankte und schwach abgeschlossene Teilmenge und F : A → R s.f.u.s. auf A. Dann existiert ein x∗ ∈ A mit F (x∗ ) = inf F (x) ∈ R, x∈A
das heisst, es existiert ein Minimum. Beweis. Zuerst zeigen wir, dass inf A F > −∞ ist. Sei inf A F = −∞. Dann existiert xj ∈ A, so dass F (xj ) < −j. Weil X reflexiv und A beschr¨ ankt ist, existiert nach Theorem 6.3 ein x∗ ∈ X so, dass eine Teilfolge xjk schwach gegen x∗ konvergiert. Weil nun A schwach abgeschlossen ist, ist x∗ ∈ A. Da F s.f.u.s. in x∗ ist, folgt −∞ < F (x∗ ) ≤ lim inf F (xjk ) = −∞, k→∞
was offenbar ein Widerspruch ist. Nun sei inf A F = α ∈ R. Wir nehmen eine minimierende Folge xj , das heisst, es ist F (xj ) → α. Nach unserer Annahme ist A beschr¨ ankt und schwach abgeschlossen, daher existiert – wiederum nach Theorem 6.3 – ein x∗ ∈ A so, dass es eine Teilfoge xjk gibt, die schwach gegen x∗ ∈ A konvergiert. Da F s.f.u.s. in x∗ ist, ergibt sich α ≤ F (x∗ ) ≤ lim inf F (xjk ) = lim F (xjk ) = α. k→∞
∗
Also ist F (x ) = α.
k→∞
¨ 6 REFLEXIVE RAUME UND SCHWACHE KONVERGENZ
74
Bemerkung: Die Eindeutigkeit des Minimums erfordert zus¨ atzliche Bedingungen an die Funktion F , Theorem 6.5 garantiert nur die Existenz des Minimums. Zum Beispiel gen¨ ugt es anzunehmen, dass F strikt konvex und A konvex ist, das heisst, f¨ ur x1 , x2 ∈ X mit x1 6= x2 und 0 < λ < 1 gilt F (λx1 + (1 − λ)x2 ) < λF (x1 ) + (1 − λ)F (x2 ). Das Minimum ist eindeutig, denn mit x1 6= x2 und F (x1 ) = F (x2 ) < F (x) f¨ ur alle x folgt f¨ ur 0 < λ < 1 F (x1 ) ≤ F (λx1 + (1 − λ)x2 ) < λF (x1 ) + (1 − λ)F (x2 ) = F (x1 ), was offensichtlich ein Widerspruch ist. In Theorem 6.4 ist das Minimum eindeutig, falls, zum Beispiel, die Norm eine strikte Norm ist, das heisst, wenn gilt x, y 6= 0 und
kx + yk = kxk + kyk
⇒ x = λy,
λ > 0.
Als Beispiel betrachten wir wieder das Dirichlet-Problem (siehe (5.3), Seite 59): ◦ Es sei F : H1,2 (Ω) → R, Ω ⊂ Rn offen und beschr¨ ankt, f ∈ L2 (Ω) mit Z Z ◦ 1 F (x) = f x dµ x ∈ H1,2 (Ω). |∇x|2 dµ − 2 Ω Ω Dieses F ist strikt konvex und s.f.u.s. Da wir das Theorem 6.3 noch nicht bewiesen haben, wollen wir das jetzt noch nachholen. Als Vorbereitung folgt jetzt ein Satz u ¨ber den Dualraum X ∗ eines separablen Raumes X: Die abgeschlossene Einheitskugel in X ∗ ist schwach-∗-folgenkompakt. Satz 6.10 (Alaoglu-Banach). Es sei X separabel, fj ∈ X ∗ eine beschr¨ankte Folge, kfj k ≤ M f¨ ur j ≥ 1. Dann existiert ein f ∈ X ∗ und eine Teilfolge fjk so, dass kf k ≤ M und ∀ x ∈ X, lim fjk (x) = f (x) k→∞
also konvergiert die Teilfolge punktweise gegen f ∈ L(X, C) = X ∗ . Beweis. Wir benutzen den Satz von Heine-Borel und den bekannten Diagonal-Trick: ¯ = X. Weil X separabel ist, existiert eine dichte Folge D = {x1 , x2 , . . .} ⊂ X mit D Nach Voraussetzung ist sup |fj (xn )| ≤ M kxn k < ∞ j≥1
f¨ ur jedes feste n. Die beschr¨ ankte Zahlenfolge fj (xn ) j hat nach Heine-Borel eine konvergente Teilfolge, und zwar f¨ ur jedes feste n = 1, 2, . . .. Nach dem Diagonalverfahren finden wir eine Teilfolge fjk so, dass lim fjk (xn )
k→∞
existiert f¨ ur jedes n. Wir definieren die lineare H¨ ulle Y = hx1 , x2 , . . .i = hDi ⊂ X. Dann folgt, dass lim fjk (y) =: ϕ(y)
k→∞
y∈Y
¨ 6 REFLEXIVE RAUME UND SCHWACHE KONVERGENZ
75
existiert und ϕ : Y → C linear und stetig ist, denn es gilt |ϕ(y)| = lim |fjk (y)| ≤ M kyk k→∞
und somit kϕk ≤ M . Nach Voraussetzung ist Y¯ = X, daher existiert eine eindeutige stetige Fortsetzung von ϕ auf X, wir nennen sie f ∈ X ∗ . Es gilt kf k = kϕk ≤ M . ¯ = X, so folgt Weil f (x) = ϕ(x) f¨ ur alle x ∈ D und weil D lim fjk (x) = f (x)
k→∞
∀ x ∈ X.
Als letztes beweisen wir nun das Theorem 6.3: Beweis. Es sei X reflexiv und eine beschr¨ ankte Folge xj ∈ X mit kxj k ≤ M gegeben. Wir definieren die abgeschlossene Menge Y = hx1 , x2 , . . .i ⊂ X. Weil X reflexiv ist, gilt dies wegen Satz 6.4 auch f¨ ur Y . Nach Konstruktion ist Y separabel und mit Satz 6.5 folgt, dass auch Y ∗ separabel ist. Nun wenden wir Satz 6.10 auf Y ∗ an. Betrachten wir die Folge I(xj ) ∈ (Y ∗ )∗ , xj ∈ Y im Dualraum von Y ∗ . Sie ist nach Voraussetzung beschr¨ ankt, da kI(xj )k = kxj k ≤ M. Nach Satz 6.10 existiert daher ein y ∗∗ ∈ (Y ∗ )∗ mit ky ∗∗ k ≤ M und eine Teilfolge xjk so, dass k→∞
I(xjk ) (y ∗ ) −−−− → y ∗∗ (y ∗ )
f¨ ur jedes y ∗ ∈ Y ∗ . Da Y reflexiv ist, existiert x ∈ Y mit y ∗∗ = I(x). Daher ist nach Definition von I : Y → (Y ∗ )∗ y ∗ (xjk ) = I(xjk ) (y ∗ ) → I(x) (y ∗ ) = y ∗ (x) f¨ ur jedes y ∗ ∈ Y ∗ . Es sei nun x∗ ∈ X ∗ = L(X, C), dann ist die Restriktion x∗ |Y ∈ Y ∗ und deshalb x∗ (xjk ) → x∗ (x)
⇐⇒ xjk * x in X. ¨ Uberdies ist kxk = kI(x)k = ky ∗∗ k ≤ M .
∀ x∗ ∈ X ∗
76
7 SPEKTRUM UND RESOLVENTE
7
Spektrum und Resolvente
Als einleitendende Bemerkungen wollen wir einige Begiffe wiederholen, denen wir in diesem Abschnitt des ¨ ofteren begegnen werden: Definition 7.1. (Skalarprodukt) Ein Skalarprodukt auf dem Vektorraum X ist eine zweiparametrige Funktion (·, ·) : X × X → K, wobei K ein K¨ orper ist, mit den Eigenschaften i) (x1 + x2 , y) = (x1 , y) + (x2 , y); ii) (λx, y) = λ(x, y); iii) (x, y) = (y, x); iv) (x, x) ≥ 0; v) (x, x) = 0 ⇔ x = 0. Aus den Eigenschaften i) − iii) folgt automatisch, dass (x, y1 + y2 ) = (x, y1 ) + (x, y2 )
und
¯ y). (x, λy) = λ(x,
Aus der Linearen Algebra entnehmen wir folgendes Resultat, ohne es zu beweisen: Lemma 7.1 (Cauchy-Schwarz’sche Ungleichung). F¨ ur ein Skalarprodukt (·, ·) auf dem Vektorraum X gilt |(x, y)|2 ≤ (x, x) (y, y)
∀x, y ∈ X.
Definition 7.2. (Hilbert-Raum) Ein Hilbert-Raum ist ein vollst¨ andiger normierter Raum (H, k k) mit einem Skalarprodukt (·, ·), so dass 1 ∀x ∈ X. (x, x) 2 = kxk
7.1
Adjungierte Operatoren im Hilbert-Raum
Es sei H ein Hilbert-Raum. Dann erf¨ ullt das Skalarprodukt (·, ·) die Ungleichung |(x, y)| ≤ kxk kyk und es ist linear im ersten Argument, anti-linear im zweiten. Beispiel: Z H = L2 (Ω), (f, g) = f g¯ dµ. Ω
Definition 7.3. (formal adjungierter Operator) Es sei A : DA ⊂ H → H. Dann heisst ein Operator B : DB ⊂ H → H formal adjungiert zu A, falls (Ax, y) = (x, By)
x ∈ D A , y ∈ DB .
d w¨ ahlen wir DA = Cc∞ (R). Mittels partieller Beispiel. Mit H = L2 (Ω) und A = i dt Integration folgt, dass
(Ax, y) = (x, Ay) das heisst, A ist formal selbstadjungiert .
∀ x, y ∈ DA ,
77
7 SPEKTRUM UND RESOLVENTE
Ein Operator kann sehr viele formal adjungierte Operatoren besitzen. Ist jedoch ¯ A = H, so gibt es darunter einen ausgezeichneten, den zu A adjungierten Operator D A∗ : Definition 7.4. (adjungierter Operator) ¯ A = H. Dann ist Es sei A : DA ⊂ H → H dicht definiert auf H, das heisst, es sei D sein adjungierter Operator A ∗ : DA ∗ ⊂ H → H wie folgt definiert: die lineare Abbildung DA → C, gegeben durch ∗ DA := y ∈ H x 7→ (Ax, y) ist stetig
¯ A = H, so existiert f¨ Weil D ur y ∈ DA∗ eine eindeutige stetige Fortsetzung von x 7→ (Ax, y) zu einer stetigen, linearen Abbildung f ∈ H ∗ = L(H, C). Nach dem Satz von Riesz existiert ein eindeutiges y ∗ ∈ H so, dass f (x) = (x, y ∗ ) f¨ ur alle x ∈ H. Daher ist (Ax, y) = (x, y ∗ ) ∀ x ∈ DA . Damit k¨ onnen wir schreiben
DA∗ = {y ∈ H| ∃y ∗ : (Ax, y) = (x, y ∗ ) ∀ x ∈ DA }.
Dieses y ∗ ∈ H ist eindeutig, und man definiert damit A∗ y = y ∗
y ∈ D A∗ .
Es folgt dann (Ax, y) = (x, A∗ y) ∗
∀x ∈ DA , y ∈ DA∗ ,
das heisst, A ist ein zu A formal adjungierter Operator. Es gilt sogar: A∗ ist der maximale zu A formal adjungierte Operator. ¯ A = H. Dann hat A∗ folgende Eigenschaften: Satz 7.1. Es sei A : DA ⊂ H → H, D i) A∗ ist der maximale zu A formal adjungierte Operator;
ii) A∗ ist abgeschlossen; iii) Ist A ⊂ B, so folgt B ∗ ⊂ A∗ .
Zur Notation: Wir schreiben A ⊂ B und meinen dabei DA ⊂ DB und Ax = Bx f¨ ur alle x ∈ DA .
Beweis. i) Es sei B : DB ⊂ H → H ein zu A formal adjungierter Operator, das heisst, es gelte (Ax, y) = (x, By) f¨ ur alle x ∈ DA , y ∈ DB . Wir betrachten ein festes y ∈ DB . Das lineare Funktional (x, By) ist stetig in x ∈ DA . Nach Definition der Adjungierten A∗ liegt y in DA∗ und es ist A∗ y = By, also ist B ⊂ A∗ . ii) Sei {yj , A∗ yj } eine Folge in H ⊕H mit yj ∈ DA∗ , die gegen {y, z} konvergiert. Dann ist (Ax, yj ) = (x, A∗ yj ) x ∈ DA ↓ ↓ (Ax, y) = (x, z) x ∈ DA . Das Funktional auf der rechten Seite ist stetig in x ∈ DA , und nach der Definition der Adjungierten A∗ heisst das, dass y in DA∗ liegt und dass A∗ y = z ist. Folglich ist A∗ abgeschlossen. iii) Es sei y ∈ DB ∗ , dann gilt f¨ ur alle x ∈ DA ⊂ DB (Ax, y) = (Bx, y) = (x, B ∗ y).
Auf der rechten Seite steht ein in x ∈ DA stetiges Funktional (also auch auf der linken). Nach Definition von A∗ gilt dann aber: y ∈ DA∗ und A∗ y = B ∗ y, das heisst, es ist B ∗ ⊂ A∗ .
78
7 SPEKTRUM UND RESOLVENTE
Definition 7.5. (symmetrischer, selbstadjungierter Operator) ¯ A = H heisst symmetrisch, falls A ⊂ A∗ . Ein Operator A : DA ⊂ H → H mit D ¨ Aquivalent dazu ist (Ax, y) = (x, Ay) f¨ ur alle x, y ∈ DA . Der Operator heisst selbstadjungiert, falls A = A∗ , das heisst, wenn A ⊂ A∗ und DA∗ = DA . Bemerkungen: 1. Falls der Operator A stetig ist, also A ∈ L(H), so ist symmetrisch gleichbedeutend wie selbstadjungiert. 2. In der ¨ alteren Literatur werden selbstadjungierte Operatoren auch maximal symmetrische Operatoren genannt. Dies hat folgende Motivation: Es sei A = A∗ , A ⊂ B mit B ⊂ B ∗ , das heisst, B ist eine symmetrische Erweiterung von A. Nach Satz 7.1.iii) ist dann A = A∗ ⊃ B ∗ ⊃ B also A ⊃ B, und daher ist A = B.
Zur Illustration betrachten wir ein Beispiel: Es sei H = L2 (0, 1) mit komplexwertigen Funktionen mit dem Skalarprodukt Z 1 (f, g) = f g¯ dµ. 0
Die Operatoren seien gegeben durch Ak := i
d : DAk ⊂ L2 (0, 1) → L2 (0, 1). dt
Sie unterscheiden sich nur durch den Definitionsbereich. Wichtig: der Operator wirkt als schwache Ableitung! Als Definitionsbereiche untersuchen wir DA1 := H 1,2 (0, 1) DA2 := H
1,2
DA3 := H
1,2
d dt
maximaler Definitionsbereich
(0, 1) ∩ {x(0) − x(1) = 0}
(0, 1) ∩ {x(0) = 0 = x(1)}
periodische Randbedingungen Dirichlet-Randbedingungen
Zur Erinnerung: es ist H 1,2 (0, 1) ⊂ C[0, 1]. Da Cc∞ (0, 1) in L2 (0, 1) dicht liegt und ur k = 1, 2, 3, sind die Operatoren dicht definiert. Zudem sind Cc∞ (0, 1) ⊂ DAk f¨ alle Operatoren (nach Sobolev) abgeschlossen. Daher existieren alle Adjungierten A∗k und mit DA3 ⊂ DA2 ⊂ DA1 folgt A3 ⊂ A 2 ⊂ A 1
⇒ A∗1 ⊂ A∗2 ⊂ A∗3 .
Satz 7.2. Es gilt A∗3 = A1 , A∗2 = A2 , A∗1 = A3 . ¨ Beweis. Ubungsaufgabe (mittels partieller Integration). Folgerungen: 1. A3 ist symmetrisch, aber nicht selbstadjungiert (der Definitionsbereich ist zu klein): A3 ⊂ A2 = A∗2 ⊂ A∗3 ⇒ A3 ⊂ A∗3 . Also:
A∗3 = A1 % A3 . 2. A2 ist eine selbstadjungierte Erweiterung des symmetrischen Operators A3 . 3. A1 ist eine echte Erweiterung des selbstadjungierten Operators A2 , kann daher also nicht symmetrisch sein: A∗1 = A3 $ A1 .
79
7 SPEKTRUM UND RESOLVENTE
7.2
Spektrum und Resolvente
Definition 7.6. (Resolventenmenge) Es sei X ein komplexer Banach-Raum und A : DA ⊂ X → X ein linearer Operator des Raumes in sich selbst. Wir definieren die Resolventenmenge ρ von A durch ρ(A) := {λ ∈ C|(λ1 − A) : DA → X ist bijektiv mit (λ1 − A)−1 ∈ L(X)} ⊂ C. Bemerkungen: 1. Es sei ρ(A) 6= ∅ und λ ∈ ρ(A), also ist (λ1−A)−1 in L(X). Dann ist (λ1−A)−1 abgeschlossen. Daraus folgt aus Satz 3.4, dass auch (λ1 − A) abgeschlossen ist und schliesslich muss auch A abgeschlossen sein. Umgekehrt k¨ onnen wir sagen: ist A nicht abgeschlossen, so ist ρ(A) = ∅. 2. Ist A abgeschlossen, (λ1 − A) injektiv und surjektiv, so ist (λ1 − A)−1 ∈ L(X) wegen Theorem 3.6. Definition 7.7. (Resolvente) Die Resolvente von A ist eine operatorwertige Funktion ρ(A) → L(X)
λ 7→ (λ1 − A)−1
=:
Rλ
=
Rλ (A).
Bemerkung: Ist λ ∈ ρ(A), dann ist Rλ (A) : X → DA bijektiv und (λ1−A)Rλ = 1 auf X sowie Rλ (λ1 − A) = 1 auf DA . Satz 7.3. Es gelten folgende algebraische Eigenschaften f¨ ur die Resolvente, falls λ, µ ∈ ρ(A): i) Rλ A ⊂ ARλ ; ii) ARλ = λRλ − 1 ∈ L(X); iii) Rλ − Rµ = (µ − λ)Rλ Rµ ; iv) Rλ Rµ = Rµ Rλ . Beweis. Aus λ ∈ ρ(A) folgt f¨ ur alle x ∈ X x = (λ1 − A)Rλ x = λRλ x − ARλ x, woraus wir sofort ii) ablesen k¨ onnen. Mit x ∈ DA schliessen wir, dass x = Rλ (λ1 − A)x = λRλ x − Rλ Ax, also ist ARλ x = Rλ Ax f¨ ur x ∈ DA . Dies ist die Aussage von i). Zudem ist Rλ = Rλ 1 = Rλ (µ1 − A)Rµ = Rλ (µ1 − λ1 + λ1 − A)Rµ = (µ − λ)Rλ Rµ + Rλ (λ1 − A) Rµ | {z } =1DA
Damit ist iii) bewiesen und iv) folgt unmittelbar aus iii)
Definition 7.8. (Spektrum) Das Spektrum eines linearen Operators A : DA ⊂ X → X ist die Menge σ(A) := C \ ρ(A).
80
7 SPEKTRUM UND RESOLVENTE
Bemerkung: σ(A) enth¨ alt die Eigenwerte von A, sofern es solche gibt: Sei λ ∈ C ein Eigenwert von A. Dies ist genau dann der Fall, wenn λ1 − A nicht injektiv ist, d.h. es gibt ein 0 6= x ∈ X mit (λ1 − A)x = 0 oder, anders geschrieben, Ax = λx. Die Menge der Eigenwerte heisst Punktspektrum von A: σp (A) := {λ ∈ C|λ Eigenwert von A} ⊂ σ(A). Falls X ein Hilbert-Raum ist und A ⊂ A∗ , dann ist σp (A) ⊂ R, denn mit Ax = λx folgt (Ax, x) = λkxk2
und
(Ax, x) = (x, Ax) = (x, Ax).
Wir wollen nun den Unterschied zwischen unendlich-dimensionalen und endlichdimensionalen R¨ aumen betrachten. Als erstes sei X ein komplexer Raum mit dimX < ∞ und A ∈ L(X). W¨ ahlen wir eine Basis von X, so l¨ asst sich A als quadratische Matrix darstellen. Es gilt λ1 − A ist injektiv ⇐⇒ λ1 − A ist surjektiv ⇐⇒ det(λ1 − A) 6= 0. Nach Definition ist σ(A) = {λ ∈ C | det(λ1 − A) = 0} = σp (A) und aus der linearen Algebra wissen wir, dass σp (A) h¨ ochstens dim(X) Punkte enth¨ alt. Weil ρ(A) = C \ σp (A) ist ρ(A) sicher nicht leer. Dass dies in unendlichdimensionalen R¨ aumen nicht der Fall zu sein braucht, zeigt uns folgendes Beispiel: Wir betrachen den Raum X = L2 (0, 1) von komplexwertigen Funktionen und die Operatoren d Ak = i : DAk ⊂ L2 (0, 1) → L2 (0, 1), dt welche als schwache Ableitungen auf L2 (0, 1) wirken. Als Definitionsbereiche nehmen wir DA1 := H 1,2 (0, 1) DA2 := H
1,2
DA3 := H
1,2
DA4 := H
1,2
(0, 1) ∩ {x(0) − x(1) = 0}
(0, 1) ∩ {x(0) = 0 = x(1)}
maximaler Definitionsbereich periodische Randbedingungen Dirichlet-Randbedingungen
(0, 1) ∩ {x(0) = 0}
Satz 7.4. Im obigen Beispiel gilt (1)
σ(A1 ) = σp (A1 ) = C
(2) (3)
σ(A2 ) = σp (A2 ) = 2πZ σ(A3 ) = C, σp (A3 ) = ∅
(4)
σ(A4 ) = ∅
ρ(A1 ) = ∅
ρ(A2 ) 6= ∅ ρ(A3 ) = ∅
ρ(A4 ) = C
Bemerkung: Die Operatoren sind dicht definiert, abgeschlossen, A ∗2 = A2 ist selbstadjungiert und A3 ⊂ A∗3 ist symmetrisch. ¨ Beweis. Ubungsaufgabe Zur Notation: Von nun an schreiben wir (λ − A) statt (λ1 − A). Satz 7.5. Sei X ein Banach-Raum, A : DA ⊂ X → X und z0 ∈ ρ(A) 6= ∅. Dann enth¨alt ρ(A) die offene Kreisscheibe D = {z |z − z0 | < k(z0 − A)−1 k−1 }
81
7 SPEKTRUM UND RESOLVENTE
auf der die Resolvente darstellbar ist durch die in L(X) konvergente Reihe X (z − A)−1 = (z0 − z)n Rz0 (A)n+1 z∈D n≥0
mit Rz0 (A) = (z0 − A)−1 ∈ L(X). Beweis. Auf dem Definitionsbereich DA gilt z − A = (z0 − A) − (z0 − z) = 1 − (z0 − z)(z0 − A)−1 (z0 − A).
Weil X ein Banach-Raum ist, so ist f¨ ur k(z0 − z)(z0 − A)−1 k < 1 der Operator 1 − (z0 − z)(z0 − A)−1
in L(X) ein stetiger Isomorphismus von X und hat die durch die geometrische Reihe dargestellte stetige Inverse. Daher ist z − A injektiv und surjektiv; es ist X n (z − A)−1 = (z0 − z)(z0 − A)−1 (z0 − A)−1 , n≥0
wobei die Reihe in L(X) f¨ ur jedes z ∈ D konvergiert. Eine direkte Folgerung aus Satz 7.5 ist folgender Satz: Satz 7.6. Sei X ein Banach-Raum und A : DA ⊂ X → X. Dann ist ρ(A) offen und σ(A) abgeschlossen in C. Die Resolventenfunktion z 7→ (z − A)−1 ∈ L(X) ist eine auf ρ(A) analytische Funktion mit Werten in L(X), zudem gilt f¨ ur z ∈ ρ(A) k(z − A)−1 k ≥
1 . dist(z, σ(A))
Einen Spezialfall stellen die beschr¨ ankten Operatoren A ∈ L(X) dar: Sie besitzen den Spektralradius 1
rA := lim kAn k n n→∞
≤ kAk.
Theorem 7.1. Es sei X ein Banach-Raum und A ∈ L(X) Dann ist ρ(A) 6= ∅ und σ(A) 6= ∅. Genauer gilt i) |z| > rA
⇒
ii) z ∈ σ(A)
z ∈ ρ(A);
⇒
|z| ≤ rA ;
iii) rA = sup |z|; z∈σ(A)
iv) (z − A)−1 = v)
1 X An konvergiert in L(X) f¨ ur |z| > rA ; z zn n≥0
lim k(z − A)−1 k = 0.
|z|→∞
Beweis. Zum Beweis verwenden wir Theorem 2.2 u ¨ber die Neumann’sche Reihe, die Cauchy-Formel f¨ ur holomorphe Funktionen und den Satz von Liouville: Es sei |z| > kAk. Dann konvergiert die Reihe (z − A)−1 =
1 1 X An A −1 = 1− z z z zn n≥0
(7.1)
82
7 SPEKTRUM UND RESOLVENTE
in L(X) und es gilt k(z − A)−1 k ≤
1 1 1 |z|→∞ = −→ 0. kAk |z| 1 − |z| − kAk |z|
Nach dem Wurzelkriterium und der Definition von rA konvergiert obige Reihe f¨ ur |z| > rA in L(X). Durch Multiplikation der Reihe mit (z − A) von links und von rechts erhalten wir die Identit¨ at, so dass die Formel (7.1) gilt f¨ ur |z| > rA , das heisst, z ∈ ρ(A), und es folgt rA ≥ σ0 := sup |z|. z∈σ(A)
Zu zeigen ist, dass rA ≤ σ0 . Es sei |z| > rA . Dann ist, wie wir bereits wissen, (z − A)−1 =
1 X An = z −1 1 + z −2 A + z −3 A2 + z −4 A3 + . . . z zn n≥0
konvergent in L(X). Termweise Integration u ¨ber den Kreis Kr (0) mit Radius r > rA und Zentrum 0 liefert mit der Cauchy-Formel f¨ ur holomorphe Funktionen Z 1 z n (z − A)−1 dz n = 1, 2, . . . . (7.2) An = 2πi Kr (0) Weil (z − A)−1 holomorph ist, gilt die Formel (7.2) auch f¨ ur r > σ0 . Wir definieren f¨ ur r > σ0 M (r) = max kf (reiϑ )k f (z) = (z − A)−1 . ϑ
Dann folgt aus (7.2) und somit
kAn k ≤ rn+1 M (r) 1
rA = lim kAn k n ≤ r. n→∞
Dies gilt f¨ ur alle r > σ0 , daher ist rA ≤ σ0 . Zusammen ist also rA = σ0 . Wir nehmen an, es sei σ(A) = ∅. Dann ist z 7→ (z − A)−1 ∈ L(X) analytisch auf C. Nehmen wir f ∈ X ∗ und x ∈ X, so ist z 7→ f (Rz x) : C → C analytisch auf ganz C und es gilt lim f (Rz x) = 0.
|z|→∞
Nach dem Satz von Liouville ist die Funktion konstant und daher ist f (Rz x) = 0 f¨ ur alle z ∈ C und alle x ∈ X. Dies wiederum gilt f¨ ur alle f ∈ X ∗ . Mit dem Satz von Hahn-Banach folgt nun, dass Rz x = 0 f¨ ur alle z ∈ C und f¨ ur alle x ∈ X, im Widerspruch zu (z − A)Rz x = x ∀ |z| > kAk. Lemma 7.2. Es sei A ⊂ A∗ ein symmetrischer Operator auf dem Hilbert-Raum H. Dann gilt k(z − A)uk ≥ |Im(z)| kuk u ∈ DA . Ist Im(z) 6= 0, so ist (z − A) injektiv; ist zus¨atzlich (z − A) surjektiv, so folgt k(z − A)−1 k ≤
1 . |Im(z)|
83
7 SPEKTRUM UND RESOLVENTE Beweis. Es gilt: A ⊂ A∗ ⇐⇒ (Au, u) = (u, Au) f¨ ur u ∈ DA . Daher ist (u, Au) = (Au, u) = (u, Au) ∈ R und es gilt |Im(z)| kuk2 = Im u, (z − A)u ≤ u, (z − A)u ≤ kuk k(z − A)uk
f¨ ur u ∈ DA .
Theorem 7.2 (Kriterium f¨ ur Selbstadjungiertheit). Es sei H ein Hilbert-Raum, A dicht definiert und symmetrisch, das heisst, A ⊂ A∗ . Dann sind folgende Aussagen ¨aquivalent: i) A = A∗ (A ist selbstadjungiert); ii) σ(A) ⊂ R; iii) Wz−A = H f¨ ur je ein z in Im(z) > 0 und Im(z) < 0; iv) A ist abgeschlossen und es ist kern(z − A∗ ) = {0} f¨ ur je ein z in Im(z) > 0 und Im(z) < 0. Bemerkung: Ist A selbstadjungiert, so ist σ(A) nicht leer, wie wir sp¨ ater noch sehen werden. Beweis. Wir beweisen die Reihenfolge iii) ⇒ ii) ⇒ i) ⇒ iii) ⇔ iv). 1. Teil Sei Wz0 −A = H f¨ ur ein z0 in Im(z) > 0. 6 Dann folgt aus Lemma 7.2, dass z0 − A : DA → H '$ bijektiv ist, und p D z0p z1 1 1 −1 k(z0 − A) k ≤ = . &% |Im(z )| Im(z ) 0
0
Daher ist z0 ∈ ρ(A) und, nach Satz 7.5, enth¨ alt ρ(A) die offene Kreisscheibe D = {z ∈ C |z − z0 | < Im(z0 )}.
Wir wiederholen dieses Argument in jedem Punkt von D (in der Skizze durch z1 angedeutet) und schliessen so fortlaufend, dass ρ(A) die ganze obere Halbebene Im(z) > 0 enth¨ alt. Analog verfahren wir mit der unteren Halbebene Im(z) < 0. Damit erhalten wir σ(A) = C \ ρ(A) ⊂ {z ∈ C|Im(z) = 0} = R. 2. Teil Sei σ(A) ⊂ R und A ⊂ A∗ . Zu zeigen ist DA∗ = DA . Also nehmen wir ein u ∈ DA∗ . Nach Annahme ist ±i ∈ ρ(A), daher ist WA−i = H = WA+i . Deshalb existiert ein v ∈ DA so, dass (A∗ − i)u = (A − i)v = (A∗ − i)v, letztere Gleichung wegen A ⊂ A∗ . Also ist (A∗ − i)(u − v) = 0 und deshalb gilt f¨ ur alle w ∈ DA (A + i)w, u − v = w, (A∗ − i)(u − v) = 0.
Weil WA+i = H, folgt u − v = 0 und damit u = v ∈ DA . 3. Teil Es sei A = A∗ . Zu zeigen ist Wz−A = H f¨ ur Im(z) 6= 0. Zuerst zeigen wir: Ist Im(z) 6= 0, so ist Wz−A ⊂ H abgeschlossen. Es sei also v ∈ W z−A , das heisst, es gibt eine Folge un ∈ DA mit limn→∞ (z − A)un = v. Weil Im(z) 6= 0
84
7 SPEKTRUM UND RESOLVENTE
folgt aus Lemma 7.2, dass un eine Cauchy-Folge ist, also un in H gegen ein u ∈ H konvergiert. Weil A = A∗ abgeschlossen ist (Satz 7.1), schliessen wir u ∈ DA und (z − A)u = v. Also ist v ∈ Wz−A . Nun beweisen wir, dass f¨ ur Im(z) 6= 0 der Wertebereich Wz−A in H dicht liegt. ⊥ Wir nehmen ein v ∈ Wz−A . Dann ist v, (z − A)u = 0 f¨ ur alle u ∈ DA . Das heisst, das Funktional f (u) = (Au, v) = (u, z¯v) ist stetig (es handelt sich um ein Skalarprodukt) in u ∈ DA . Nach Definition der Adjungierten ist v ∈ DA∗ und A∗ v = z¯v. Weil A selbstadjungiert ist, folgt (¯ z − A)v = 0. Da Im(z) 6= 0, folgt aus ⊥ Lemma 7.2, dass v = 0. Wir haben gezeigt, dass Wz−A = {0}. Folglich ist Wz−A abgeschlossen und dicht in H und es folgt Wz−A = H. ¨ 4. Teil Der Beweis iii) ⇐⇒ iv) wird dem Leser als Ubung u ¨berlassen. Selbstadjungiertheit ist stabil unter St¨ orungen, wie wir als n¨ achstes zeigen werden. Lemma 7.3. Sei A ⊂ A∗ , z ∈ ρ(A), z 6= 0 und z + z¯ = 0. Zudem bezeichne Rz = (z − A)−1 . Dann ist kA Rz uk ≤ kuk, 1 kuk kRz uk ≤ |z|
∀ u ∈ H.
Beweis. Es ist u = (z − A)Rz u = z Rz u − ARz u f¨ ur alle u ∈ H. Es folgt kuk2 = (u, u) = (z Rz u − ARz u, z Rz u − ARz u)
= |z|2 kRz uk2 − (z + z¯)(ARz u, Rz u) + kARz uk2 , | {z } =0
das zweite Gleichheitszeichen gilt wegen A ⊂ A∗ . Damit folgt die Behauptung. Theorem 7.3 (Stabilit¨ atssatz von Kato-Rellich). Sei A = A∗ ein selbstadjungierter ∗ und B ⊂ B ein symmetrischer Operator mit DA ⊂ DB . Wir nehmen an, B sei klein bez¨ uglich A im Sinne von kBuk ≤ akAuk + bkuk
u ∈ DA
mit 0 ≤ a < 1 und b ≥ 0. Dann ist der Operator A + B mit DA+B = DA selbstadjungiert. Spezialfall: Ist A = A∗ und B = B ∗ ∈ L(X), so ist A + B auf DA selbstadjungiert. Wir w¨ ahlen a = 0 und b = kBk. Beweis. Wir benutzen Theorem 7.2 und die Eigenschaften der Neumann’schen Reihe. Nach Voraussetzung ist A + B auf DA symmetrisch. Nach Theorem 7.2 ist zu zeigen, dass Wz−(A+B) = H f¨ ur je ein z in Im(z) > 0 und Im(z) < 0. Weil A selbstadjungiert ist, gilt nach Theorem 7.2 f¨ ur z mit Im(z) 6= 0, dass z ∈ ρ(A) und (z − A)−1 (H) = DA ⊂ DB . Auf DA gilt ausserdem z − (A + B) = 1 − B(z − A)−1 (z − A).
Weil (z − A) surjektiv ist, gen¨ ugt es zu zeigen, dass 1 − B(z − A)−1 ein stetiger Isomorphismus von H ist f¨ ur z = iµ, µ ∈ R und |µ| gross. Nach Neumann gen¨ ugt es nun zu zeigen, dass f¨ ur ein solches z kB(z − A)−1 k < 1.
7 SPEKTRUM UND RESOLVENTE
85
Aus den Voraussetzungen folgt f¨ ur alle u ∈ H kB(z − A)−1 uk ≤ akA(z − A)−1 uk + bk(z − A)−1 uk. Mit Lemma 7.3 ist nun b b kuk. kuk = a + |µ| |µ| b = α < 1. F¨ ur diese Weil a < 1 ist, k¨ onnen wir µ so gross w¨ ahlen, dass a + |µ| z = iµ folgt dann kB(z − A)−1 k ≤ α < 1. kB(z − A)−1 uk ≤ akuk +
Somit ist das Theorem bewiesen.
86
8 HALBGRUPPEN
8 8.1
Halbgruppen Gew¨ ohnliche Differentialgleichungen im Banach-Raum
Wir betrachten ein lipschitzstetiges Vektorfeld f : X → X auf einem Banach-Raum X; d.h. kf (x) − f (y)k ≤ Lkx − yk f¨ ur alle x, y ∈ X und eine Konstante L > 0. Dann gibt es zu jedem vorgegebenen x ∈ X genau eine Kurve R → X, t 7→ x(t), welche in jedem t ∈ R in dem Sinne differenzierbar ist, dass der Limes x(t + h) − x(t) d =: x(t) =: x0 (t) ∈ X h→0 h dt lim
in X existiert, und welche die Gleichungen d x(t) = f (x(t)) , t ∈ R dt x(0) = x, erf¨ ullt. Das Cauchy-Anfangswert-Problem in X ist also eindeutig l¨ osbar f¨ ur jede Anfangsbedingung x ∈ X, und die L¨ osung existiert f¨ ur alle Zeiten. Dies ist der Satz von Cauchy-Picard-Lindel¨off . F¨ ur die eindeutige L¨ osungskurve x(t) durch x, schreibt man gew¨ ohnlich ϕt (x) = x(t) , ϕ0 (x) = x, die Abbildung t 7→ ϕt nennt man L¨osungsfluss. Aus der Eindeutigkeit der L¨ osung des Cauchy-Anfangswert-Problems folgt sofort ur alle t, s ∈ R und alle x ∈ X. ϕt+s (x) = ϕt ϕs (x) = ϕs ϕt (x) f¨ Wir k¨ onnen eine einparametrige Familie ϕt von stetigen Abbildungen ϕt : X → X, x 7→ ϕt (x), t ∈ R definieren. Diese Familie ist eine einparametrige Gruppe von (Lipschitz-)Hom¨ oomorphismen von X ϕt+s = ϕt ◦ ϕs ,
8.2
(ϕt )−1 = ϕ−t ,
ϕ0 = 1.
Spezialfall: Lineare Gleichungen
Sei f (x) = Ax, mit A ∈ L(X). Dann ist A ein lipschitzstetiges Vektorfeld, da ja kf (x)−f (y)k = kA(x−y)k ≤ kAk kx−yk. Der L¨osungsfluss ϕt (x) ist explizit durch die Exponentialfunktion gegeben ϕt (x) = P t (x) , P t ∈ L(X) ∞ n X t n A ∈ L(X) P t := exp(tA) = n! j=0 mit Konvergenz in L(X). Nach den Eigenschaften der Exponentialfunktion bildet ¨ die Familie P t ∈ L(X) eine Gruppe, P 0 = 1 , P t P s = P t+s = P s P t . Uberdies existiert der Limes d t 1 t+h P := lim P − P t in L(X), h→0 dt h
und erf¨ ullt f¨ ur alle t ∈ R
d t P = P t A = AP t . dt
87
8 HALBGRUPPEN
Insbesondere ist also die sogenannte Erzeugende A der Gruppe P t gegeben durch d A = Pt . dt t=0
Umgekehrt, falls P t eine einparametrige Gruppe von beschr¨ ankten Operatoren ist, welche in dem Sinne gleichm¨ assig stetig ist, dass
lim P t − 1 = 0 in L(X), t→0
dann ist P t = etA , mit einem beschr¨ ankten Operator A ∈ L(X), siehe Satz 8.3. Dies ist f¨ ur uns zu einschr¨ ankend! F¨ ur unbeschr¨ ankte Operatoren versagt die L¨ osungsmethode mit der Exponentialfunktion.
8.3
Problemstellung: Das Cauchy-Anfangswert-Problem
Sei A : DA ⊂ X → X ein linearer, nicht notwendigerweise stetiger Operator. Gibt es zu vorgegebenem x ∈ X eine stetige Kurve t 7→ x(t), t ∈ R, welche f¨ ur t > 0 differenzierbar ist mit x(t) ∈ DA , so, dass d x(t) = Ax(t) , t > 0 dt x(0) = x ? F¨ ur welche Operatoren A und f¨ ur welche Anfangsbedingungen x existiert die L¨ osung f¨ ur alle Zeiten? Ist sie eindeutig? H¨ angt sie stetig ab von den Anfangsbedingungen? In welchem Sinne ur den Schr¨ odingeroperator gibt es zum Beispiel eine Dynamik f¨ in X = L2 Rn ,
8.4
1 d u(t) = ∆ − V (x) u(t) , t ∈ R i dt u(0) = u ∈ L2 Rn ?
Kontraktionshalbgruppen
Um zur Klasse der unbeschr¨ ankten Operatoren A : DA ⊂ X → X zu gelangen, f¨ ur welche Existenz und Eindeutigkeit des Cauchy-Anfangswert-Problems gilt, starten wir mit den L¨ osungen! Definition 8.1. (Halbgruppe) Eine Halbgruppe auf dem Banach-Raum X ist eine Familie P t ∈ L(X), t ≥ 0, von beschr¨ ankten Operatoren, so, dass P 0 = 1,
P s P t = P t P s = P t+s f¨ ur t, s ≥ 0 und
lim P t (x) = x f¨ ur jedes x ∈ X.
t→0
t→0
Achtung! Wir fordern nicht, dass kP t − 1k −−−→ 0 in L(X) gilt. Dies w¨ urde zu P t = etA und A ∈ L(X) f¨ uhren, also zu nichts neuem, siehe auch Satz 8.3! Beispiel (Translationsgruppe P t in X = L2 (R)). Sei
P t u(x) = u(x + t) , u ∈ L2 (R). Es ist dann lim P t (u) = u f¨ ur jedes u ∈ L2 (R). Denn t→0
t
P (u) − u 2 =
Z
+∞ −∞
2 t→0 u(x + t) − u(x) dx −−−→ 0.
88
8 HALBGRUPPEN
2
2 Aber P t − 1 = supkuk≤1 P t (u) − u = 2 f¨ ur t > 0, sodass die Gruppe P t nicht stetig in L(X) ist. Die Erzeugende A der Gruppe ist die (schwache) Ableitung d A = dt in L2 (R), wie wir sehen werden. Satz 8.1. Sei P t , t ≥ 0, eine Halbgruppe auf X. Dann gibt es zwei Konstanten ¨ a ≥ 1 und b > 0, sodass kP t k ≤ aebt , t ≥ 0. Uberdies gilt f¨ ur alle t ≥ 0, dass lim P s (x) = P t (x) f¨ ur jedes x ∈ X. s→t
Beweis. Es gibt ein ε > 0, sodass kP t k ≤ a f¨ ur ein a ≥ 1 auf dem Intervall 0 ≤ t ≤ ε. Denn sonst g¨ abe es eine Folge tn → 0 mit kP tn k → ∞, was wegen des Prinzips der gleichm¨ assigen Beschr¨ anktheit (Theorem 3.1) ein Widerspruch ist zur Stetigkeitseigenschaft lim P tn (x) = x f¨ ur jedes x ∈ X.
n→∞
Jedes t ≥ 0 ist von der Form t = nε + δ mit n ganz und 0 ≤ δ < ε. Mit a ≥ 1 folgt aus den Gruppenstrukturen n t kP t k = kP nε P δ k ≤ k P ε k kP δ k ≤ aan ≤ aa ε = aebt .
Nach Definition gilt lims→0 P s (x) = x f¨ ur jedes x ∈ X. Sei 0 < s < t, dann folgt mit der Gruppenstruktur, dass
t
P − P s (x) = P s 1 − P t−s (x) ≤ aebs 1 − P t−s (x) .
Die rechte Seite konvergiert gegen 0 f¨ ur (t − s) → 0. Analog argumentiert man f¨ ur (s − t) → 0. Man hat also Stetigkeit im Punkt t = s! Folgerung: Die Halbgruppe Qt := P t e−bt mit t ≥ 0 ist beschr¨ ankt, da kQt k ≤ a. s Definiere eine neue Norm durch kuk∗ := sups≥0 kQ (u)k, u ∈ X. Diese ist wegen kuk ≤ kuk∗ ≤ akuk ¨ aquivalent zur alten Norm, und kQt uk∗ = sup kQs Qt uk = sup kQs+t uk s≥0
s≥0
= sup kQs uk ≤ sup kQs uk = kuk∗ s≥t
s≥0
f¨ ur alle t ≥ 0, sodass kQt uk∗ ≤ kuk∗ . Ohne Beschr¨ ankung der Allgemeinheit fordern wir deshalb im Folgenden kP t k ≤ 1. Definition 8.2. (Kontraktionshalbgruppe) Eine Kontraktionshalbgruppe auf X ist eine Familie P t ∈ X, t ≥ 0, mit 1. P 0 = 1 , P s P t = P t P s = P t+s f¨ ur alle t, s ≥ 0;
2. kP t k ≤ 1 f¨ ur alle t ≥ 0; 3. lim P t (x) = x f¨ ur alle x ∈ X. t→0
Bei der Exponentialfunktion in X = C ist P t x = eat x, x ∈ C, a ∈ C. Dies bedeutet, dass Re(a) ≤ 0 sein muss, weil dann eat = eRe(a) t ≤ 1 f¨ ur t ≥ 0. Die “Erzeugende” einer Kontraktionshalbgruppe ist formal die Ableitung in t an der Stelle t = 0. Definition 8.3. (Erzeugende einer Kontraktionshalbgruppe) Die Erzeugende A einer Kontraktionshalbgruppe P t ist der (lineare) Operator A : DA ⊂ X → X, definiert durch 1 h DA : = x ∈ X : der Limes lim P (x) − x in X existiert . h→0 h 1 h P (x) − x ∈ X, x ∈ DA . Ax = lim h→0 h
89
8 HALBGRUPPEN
Sicher ist 0 ∈ DA und DA ist ein linearer Unterraum von X. Es ist sogar ein dichter Unterraum, wie wir sp¨ ater (Theorem 8.1) zeigen werden. Beispiel (Translationsgruppe). Sei X = Lp (0, ∞), p ≥ 1. Definiere P t ∈ L(X) durch P t u(x) := u(x + t) , t ≥ 0.
Sei k · kp die p-Norm in Lp (0, ∞). Dann konvergiert Z ∞ Z ∞
t p t→∞ p p
P u = |u(x + t)| dx = |u(s)| ds −−−→ 0 p 0
t
nach Lebesgue. Es folgt die Kontraktionseigenschaft f¨ ur t ≥ 0 Z ∞
t p
p p
P u ≤ |u(s)| ds = u . p 0
Durch punktweises Ableiten nach t in t = 0 erhalten wir formal A = gende. Genauer:
d dx
als Erzeu-
Lemma 8.1 (Erzeugende von P t ). F¨ ur die Erzeugende A der Translationsgruppe gilt: 1. DA = H 1, p (0, ∞) ⊂ Lp (0, ∞); 2. Au =
d u, u ∈ DA (schwache Ableitung). dx
Beweis. Zun¨ achst zeigen wir DA ⊂ H 1,p (0, ∞). Sei u ∈ DA . Dann existiert nach Definition von DA der Grenzwert 1 t P u − u =: Au in Lp (0, ∞). t→0 t lim
Dies bedeutet f¨ ur u ∈ Lp (0, ∞) das Folgende: Sei ϕ ∈ Cc∞ (0, ∞). Dann folgt f¨ ur t > 0, dass Z ∞ Z ∞ 1 1 u(x + t) − u(x) ϕ(x) dx = u(x) ϕ(x − t) − ϕ(x) dx. t t 0 0 Im Limes t → 0 folgt mit H¨ older links und Lebesgue rechts Z ∞ Z ∞ d Au(x) ϕ(x) dx = − u(x) ϕ(x) dx, ϕ ∈ Cc∞ (R). dx 0 0
Nach Voraussetzung sind u und Au in Lp (0, ∞). Nach Definition des Sobolevd u die schwache Ableitung von u und u Raumes H 1,p (0, ∞) ist deshalb Au = dx 1, p liegt in H (0, ∞). Das Lemma folgt, sobald H 1, p (0, ∞) ⊂ DA gezeigt ist. Sei u ∈ H 1, p (0, ∞), d k¨ urze ab u0 := dx u ∈ Lp (0, ∞) f¨ ur die schwache Ableitung, und benutze Z x u(x) − u(0) = u0 (y) dy. 0
Mit H¨ older ist h Z th i i 1 0 0 u(x + t) − u(t) − u0 (x) = 1 u (x + y) − u (x) dy t t 0 p1 Z t 1 p −p 0 0 |u (x + y) − u (x)| dy . ≤t 0
90
8 HALBGRUPPEN
Deshalb ist
p Z
1
P t (u) − u − u0 =
t
p 1 [u(x + t) − u0 (x)] − u0 (x) dx t 0 Z tZ ∞ 1 p ≤ |u0 (x + y) − u0 (x)| dx dy t 0 0 Z ∞ t→0 p ≤ max |u0 (x + y) − u0 (x)| dx −−−→ 0. ∞
0≤y≤t
limt→0 1t
0
t
(P (u) − u) = u0 in Lp (o, ∞) existiert, ist u ∈ DA und Weil der Limes 0 Au = u . Insgesamt also DA = H 1, p (0, ∞) und A(u) = u0 ist die schwache Ableitung. Theorem 8.1 (Hille-Yosida). Sei X ein Banach-Raum und P t , t ≥ 0, eine Kontraktionshalbgruppe mit Erzeugender A. Dann gilt i) DA = X, und A ist abgeschlossen.
ii) P t (DA ) ⊂ DA f¨ ur t ≥ 0, und AP t u = P t A u, u ∈ DA .
iii) F¨ ur u ∈ DA ist t 7→ P t (u) ∈ X differenzierbar und
d P t u = A P t u = P t Au , t ≥ 0 . dt
iv) ρ(A) ⊃ {z ∈ C : Re(z) > 0}, und f¨ ur Re(z) > 0 gilt Z ∞ −1 e−tz P t u dt, u ∈ X, Rz (u) = (z − A) (u) = 0
(uneigentliches Riemann-Integral f¨ ur stetige Funktionen), und kRz k ≤
1 . Re(z)
v) Die Kontraktionshalbgruppe P t ist durch A eindeutig bestimmt. Bemerkung: In Analogie zu den Eigenschaften der Exponentialfunktion schreibt man oft symbolisch P t = etA f¨ ur die Kontraktionshalbgruppe P t mit der Erzeugenden A. Bevor wir Theorem 8.1 beweisen, verwenden wir es, um das Cauchy-Anfangswert-Problem zu l¨ osen: Theorem 8.2 (Cauchy-Anfangswert-Problem). Sei A : DA ⊂ X → X Erzeugende einer Kontraktionshalbgruppe P t ∈ L(X), t ≥ 0 und u ∈ DA gegeben. Dann existiert genau eine differenzierbare Kurve t 7→ x(t) ∈ X f¨ ur alle t ≥ 0 mit x(t) ∈ DA , d t x(t) = Ax(t), t ≥ 0 und x(0) = u. Es ist x(t) = P u. dt Die stetige Abh¨angigkeit der L¨osungen folgt aus kP t u − P t vk ≤ kP t k ku − vk ≤ ku − vk f¨ ur alle t ≥ 0. Beweis. 1. Existenz. F¨ ur u ∈ DA ist die Funktion t 7→ P t (u) =: u(t) ∈ X in t ≥ 0 stetig differenzierbar und l¨ ost das Cauchy-Anfangswert-Problem d u = Au, u(0) = u ∈ DA . dt Dies folgt aus Theorem 8.1 ii) und iii).
91
8 HALBGRUPPEN
2. Eindeutigkeit. Sei t 7→ x(t) ∈ X, t ≥ 0, eine L¨ osung des Cauchy-AnfangswertProblems mit Anfangsbedingung x(0) = u, d.h. x(t) ist stetig f¨ ur t ≥ 0 und differenzierbar f¨ ur t > 0, x(t) ∈ DA und d x(t) = Ax(t), t > 0 dt x(0) = u ∈ DA . Dann ist x(t) = P t (u), wie wir gleich zeigen werden. Sei nun x(t), t ≥ 0 eine L¨ osung des Anfangswertproblems mit x(0) = u ∈ DA . Sei t > 0 fest. Definiere f¨ ur 0 ≤ s ≤ t die Funktion s 7−→ P t−s x(s) ∈ X. Wegen x(s) ∈ DA und P t A = AP t auf DA nach Theorem 8.1 erhalten wir durch Differentiation in s d d d t−s t−s x(s) + P t−s x(s) P x(s) = P ds ds ds = −AP t−s x(s) + P t−s Ax(s) = 0.
Nach dem nachfolgenden Lemma 8.2 ist daher P t−s x(s) = c f¨ ur alle 0 ≤ s ≤ t. Evaluation in s = 0 einerseits liefert c = P t x(0) = P t u, Evaluation in s = t andererseits ergibt c = P 0 u(t) = x(t), sodass x(t) = P t u wie behauptet. Lemma 8.2. Sei x : [a, b] → X, x 7→ x(t), stetig und Dann ist x(t) = x(a) f¨ ur a ≤ t ≤ b, d.h. konstant.
d dt x(t)
= 0 f¨ ur a < t < b.
Beweis. Sei x(τ ) 6= x(a) f¨ ur ein τ . Nach Hahn-Banach existiert ein λ ∈ X ∗ mit λ x(τ ) 6= λ x(a) (8.1) Die Funktion f : [a, b] → C , f (t) = λ x(t) ist stetig, und d d f (t) = λ x(t) = λ(0) = 0 f¨ ur alle a < t < b. dt dt
Mit dem Mittelwertsatz folgt also f (t) = f (a) f¨ ur alle t, im Widerspruch zu (8.1). Beweis von Theorem 8.2. Beweis von ii) und iii). F¨ ur u ∈ X und s > 0 gilt wegen der Gruppenstruktur 1 1 1 P t+s − P t u = (P s − 1) P t u = P t (P s − 1) u. s s s
F¨ ur u ∈ DA konvergiert nach Definition von A der letzte Term gegen P t Au f¨ ur s → 0. Daher konvergiert auch der mittlere Term und deshalb ist P t u ∈ DA und AP t u = P t Au. Damit ist die Existenz der rechtsseitigen Ableitung von P t u gezeigt. Analog zeigt man, dass f¨ ur t > 0 die linksseitige Ableitung von P t u existiert und gleich P t Au ist, indem man − betrachtet.
1 1 P t−s − P t u = P t−s (P s − 1) u s s
92
8 HALBGRUPPEN
Beweis von iv). Sei Re(z) > 0. Definiere Qz ∈ L(X) als das uneigentliche Riemann-Integral Qz (u) := lim
N →∞
Z
N
e
−zt
t
P u dt =
0
Z
∞
e−zt P t u dt
0
f¨ ur u ∈ X. Der Limes existiert nach dem Cauchy-Kriterium, und Z ∞ Z ∞
−zt t 1
e P u dt ≤ kQz (u)k ≤ e−t Re(z) dt kuk = kuk. Re(z) 0 0 Es folgt kQz k ≤
1 Re(z) .
Wie man leicht verifiziert, gilt die folgende Identit¨ at:
Z ∞ 1 1 s 1 s e−zt P t (P s − 1)u dt (P − 1) Qz (u) = Qz (P − 1) u = s s s 0 Z Z 1 ∞ −zt t s 1 ∞ −zt t = e P P u dt − e P u dt s 0 s 0
(mit den Substitutionen s + t → τ im ersten und t → τ im zweiten Integral) Z Z 1 zs ∞ −zτ τ 1 ∞ −zτ τ e e P u dτ − e P u dτ s s 0 s Z ∞ Z 1 s −zτ τ 1 e−zτ P τ u dτ − ezs e P u dτ = (ezs − 1) s s 0 0 Z 1 1 s −zt t = (ezs − 1) Qz (u) − ezs e P u dt. s s 0
=
F¨ ur u ∈ X konvergiert die letzte Zeile f¨ ur s → 0 gegen zQz (u)−u. Daher konvergiert auch der erste Term f¨ ur s → 0. Deshalb gilt nach Definition von A, dass Qz (u) ∈ DA und AQz (u) = zQz (u) − u. Wir haben bewiesen, dass (z − A) Qz (u) = u, u ∈ X. Sei nun u ∈ DA . Dann konvergiert nach Definition von DA der zweite Term f¨ ur s → 0 gegen Qz (Au), sodass Qz (Au) = zQz (u) − u und somit Qz (z − A)(u) = u , u ∈ DA . −1
Insgesamt ist also Qz = (z − A) = Rz f¨ ur Re(z) > 0, und iv) ist bewiesen. Beweis von i). Wegen iv) ist ρ(A) 6= ∅ und A = A¯ ein abgeschlossener Operator. Wir zeigen DA = X und benutzen dazu folgendes Lemma: Lemma 8.3. F¨ ur u ∈ X und t ≥ 0 gilt Z 1 t+ε s lim P u ds = P t u. ε→0 ε t Beweis. Es gilt
Z t+ε
Z t+ε
1
1 s t s t
P u − P u ds P u ds − P u =
ε ε t t
ε→0 ≤ max P s − P t u −−−→ 0, t≤s≤t+ε
was zu zeigen war.
93
8 HALBGRUPPEN
Wegen P 0 u = u gen¨ ugt es wegen Lemma 8.3 zu zeigen, dass f¨ ur jedes u ∈ X und ε > 0 Z ε P t u dt uε := 0
ein Element von DA ist. Sei ε > 0 und 0 < h < ε. Dann gilt Z Z 1 h 1 h s 1 ε+h s P u ds − P u ds. (P − 1)uε = h h ε h 0
Mit Lemma 8.3 konvergiert die rechte Seite f¨ ur h → 0 in X gegen P ε u − u. Nach Definition von DA und A ist daher uε ∈ DA und Auε = P ε u − u. Zusammenfassend: Rε Lemma 8.4. F¨ ur u ∈ X und ε > 0 gilt A 0 P t u dt = P ε u − u. 2 F¨ ur u ∈ DA ist P t u stetig differenzierbar und deshalb Z ε Z ε d t ε AP t u dt, P u dt = P u−u= 0 0 dt
sodass mit Lemma 8.3 die folgende Formel gilt: Z ε Z ε Z t A AP t u dt = P u dt = 0
0
ε 0
P t Au dt , u ∈ DA .
Beweis von v). F¨ ur zwei Kontraktionshalbgruppen P t und Qt mit derselben Erzeugenden A zeigen wir P t = Qt . Sei t > 0 und u ∈ DA , dann ist die Funktion s 7→ P t−s Qs u , 0 ≤ s ≤ t differenzierbar in s, nach Lemma 8.2 daher konstant. Evaluation der Funktion an der Stelle s = 0 und s = t liefert P t Q0 u = P t u = P 0 Qt u = Q t u , u ∈ DA . Wegen DA = X folgt P t u = Qt u f¨ ur alle u ∈ X und P t = Qt , t ≥ 0. Damit ist der Beweis von Theorem 8.1 fertig. Bemerkung: Wir haben uns bisher auf Kontraktionshalbgruppen beschr¨ ankt, das heisst, es galt jeweils kP t k ≤ 1. Wir k¨ onnen die Theoreme 8.1 und 8.2 auf allgemeine Halbgruppen verallgemeinern: Es sei P t eine Halbgruppe mit Erzeuender A, dann ist nach Satz 8.1 kP t k ≤ aebt f¨ ur t ≥ 0, a ≥ 1 und b ≥ 0. Es gelten dieselben ¨ Aussagen wie in den Theoremen 8.1 und 8.2 mit den folgenden Anderungen: ρ(A) ⊃ {z ∈ C|Re(z) > b} und, falls Re(z) > b Z ∞ Rz u = e−zt P t u dt, u ∈ X und 0
n
kRz k ≤
a (Re(z) − b)n
Der folgende Satz macht die Bedeutung der Halbgruppen f¨ ur das Cauchy-Anfangswert-Problem deutlich. Theorem 8.3 (Hille,1952). Sei A : DA ⊂ X → X ein linearer Operator auf dem Banach-Raum X mit D A = X, und ρ(A) 6= ∅. Das Cauchy-Anfangswert-Problem u(t) ˙ = Au(t) , u(0) = x ∈ DA , hat genau dann eine eindeutige L¨osung u(t) ∈ DA , t ≥ 0, welche stetig differenzierbar ist auf [0, ∞) f¨ ur jede Anfangsbedingung x ∈ DA , falls A Erzeugende einer Halbgruppe P t ∈ L(X), t ≥ 0 ist. Die L¨osung ist dann u(t) = P t (x).
94
8 HALBGRUPPEN
Beweis. Siehe in A. Pazy:“Semigroups of linear operators and applications to PDE”, Springer 1983, p.102. Bisher k¨ onnen wir schon einiges u ¨ber Halbgruppe und deren Erzeugende aussagen, doch: Woran erkennen wir, dass ein Operator A : DA ⊂ X → X Erzeugende einer Halbgruppe ist? Und wie l¨ asst sich aus der Erzeugenden die Halbgruppe konstruieren? Die Antwort dazu liefern die nachfolgenden Theoreme 8.4 bis 8.6 Theorem 8.4 (Hille-Yosida). F¨ ur A : DA ⊂ X → X in einem Banach-Raum X sind ¨aquivalent 1. A ist Erzeugende einer Kontraktionshalbgruppe. 2. DA ist dicht und es gibt eine Folge λn ∈ ρ(A), λn > 0, λn → ∞, sodass −1
k(λn − A)k
≤
1 . λn
Beweis. i) ⇒ ii) folgt unmittelbar aus Theorem 8.1, ii) ⇒ i) beweisen wir in vier Schritten: 1. Approximiere A durch An ∈ L(X). 2. Definiere P t als Limes von etAn . 3. Zeige, dass P t , t ≥ 0 eine Kontraktionshalbgruppe ist. 4. Zeige, dass A die Erzeugende von P t ist. Schritt 1. Sei λn ∈ ρ(A) wie in Theorem 8.4.ii). Definiere An ∈ L(X) durch An := λn A(λn − A)
−1
= λn 2 (λn − A)
−1
− λn .
Lemma 8.5. Mit den obigen Bezeichnungen ist lim An u = Au, u ∈ DA . n→∞
Beweis von Lemma 8.5. Weil die Resolvente mit dem Operator A auf DA ver−1 tauscht (Satz 7.3), gilt f¨ ur u ∈ DA , dass An u = λn (λn − A) Au. Es gen¨ ugt daher zu zeigen, dass −1 lim λn (λn − A) v = v, v ∈ X. n→∞
F¨ ur v ∈ DA folgt dies aus v = (λn − A)
−1
(λn − A) v = λn (λn − A)
−1
v − (λn − A)
−1
Av
weil der letzte Term wegen
(λn − A)−1 Av ≤ (λn − A)−1 kAvk ≤ 1 kAvk λn
f¨ ur n → ∞ nach 0 konvergiert (Annahme an λn ). Da nach Voraussetzung DA ⊂ X −1 dicht ist, und da kλn (λn − A) k ≤ 1, so folgt die Behauptung f¨ ur jedes v ∈ X und der Beweis von Lemma 8.5 ist fertig. Schritt 2. Definiere mittels der Exponentialreihe f¨ ur beschr¨ ankte Operatoren die Familie Pnt ∈ L(X) durch 2
−1
Pnt := etAn = etλn (λn −A) e−tλn .
95
8 HALBGRUPPEN
Wegen (λn − A)−1 ≤
1 λn
gilt 2
kPnt k ≤ e−tλn eλn tk(λn −A)
−1
k
≤ e−tλn etλn = 1.
F¨ ur jedes n ∈ N ist Pnt eine stark stetige Kontraktionshalbgruppe mit der Erzeugenden An ∈ L(X). Die Resolventen kommutieren, daher auch die Operatoren An und deshalb auch Pnt und Am . Somit gilt t t Pnt Pm = etAn etAm = etAn +tAm = etAm etAn = Pm Pnt ,
und daher ist Z t d t−s s t−s s Pm Pn u ds = Pm Pn (An − Am ) u ds. 0 0 ds
t Wegen kPnt k ≤ 1 folgt (Pnt − Pm )u ≤ t k(An − Am ) uk. Wir schliessen, dass f¨ ur u ∈ DA der Grenzwert P t u := lim Pnt u ∈ X t u= Pnt − Pm
Z
t
n→∞
gleichm¨ assig in t auf beschr¨ ankten Intervallen existiert. Weil D A = X und kPnt k ≤ 1 ist, gilt dies auch f¨ ur alle u ∈ X, und es folgt: Lemma 8.6. Der Grenzwert P t u := limn→∞ Pnt u, u ∈ X existiert gleichm¨assig in t auf beschr¨ankten Intervallen. 2
Schritt 3. Es ist P t , t ≥ 0, eine Kontraktionshalbgruppe. Die Gruppeneigenschaften und die Kontraktionseigenschaften folgen aus denjenigen f¨ ur Pnt im Limes n → ∞. t Ebenso folgt die Stetigkeitseigenschaft limn→0 P u = u f¨ ur alle u ∈ X aus der gleichm¨ assigen Konvergenz auf beschr¨ ankten Intervallen. Schritt 4. Wir zeigen zuerst, dass A die Erzeugende von P t ist. F¨ ur u ∈ DA ist Z t Z t d Pnt u − u = (Pns u) ds = Pns An u ds 0 ds 0 Z t = (Pns Au + Pns (An − A) u) ds. 0
Mit n → ∞ folgt aus der gleichm¨ assigen Konvergenz auf beschr¨ ankten Zeitintervallen und Lemma 8.5 die Formel Z t P tu − u = P s Au ds , u ∈ DA , 0
und daher f¨ ur u ∈ DA 1 1 P t u − u = lim t→0 t t→0 t lim
Z
t
P s Au ds = P 0 Au = Au.
Sei nun B die Erzeugende der Kontraktionshalbgruppe P t . Dann ist, wie schon bewiesen, DA ⊂ DB und Au = Bu f¨ ur u ∈ DA , das heisst, A ⊂ B. W¨ ahle λ = λn f¨ ur ein n. Dann folgt aus den Voraussetzungen f¨ ur A und aus den Eigenschaften von B in Theorem 8.1, dass λ ∈ ρ(A) ∩ ρ(B). Insbesondere sind die Operatoren (λ − A) und (λ − B) beide injektiv und surjektiv und aus A ⊂ B folgt deshalb A = B. Der Beweis von Theorem 8.4 ist fertig. Ganz analog wie in Theorem 8.4 beweist man das Kriterium f¨ ur stark stetige Halbgruppen:
96
8 HALBGRUPPEN
Theorem 8.5 (Hille-Yosida). Die Abbildung A : DA ⊂ X → X auf dem BanachRaum X ist Erzeugende einer stark stetigen Halbgruppe P t ∈ L(X), t ≥ 0 mit kP t k ≤ aebt , t ≥ 0 genau dann, falls 1. DA in X dicht ist und 2. ρ(A) ⊃ {λ ∈ R|λ > b} und, f¨ ur λ > b kRλ n k = k (λ − A)−1
n
k≤
a , n = 1, 2, . . . (λ − b)n
Im Beweis von Theorem 8.4 ist die folgende Konstruktion der Halbgruppe aus ihrer Erzeugenden gezeigt worden. Theorem 8.6 (Konstruktion der Erzeugenden). Die Kontraktionshalbgruppe P t , t ≥ 0 im Banach-Raum X habe die Erzeugende A. Definiere f¨ ur 0 < λ, λ ∈ ρ(A) −1 ¯ den beschr¨ankten Operator Aλ = λA(λ − A) . Dann gilt limλ→∞ Aλ u = u f¨ ur u ∈ DA , und P t u = limλ→∞ etAλ u, u ∈ X, wobei der Limes gleichm¨assig in t auf beschr¨ankten Zeitintervallen ist. Es gibt auch noch andere Exponentialformeln f¨ ur Kontraktionshalbgruppen mit Erzeugender A (zum Beweis siehe zum Beispiel im oben erw¨ ahnten Buch von A. Pazy, Seiten 82ff.): Definiere Ah ∈ L(X) durch Ah :=
Ph − 1 ∈ L(X), h > 0. h
Dann ist der Grenz¨ ubergang P t x = lim etAh x, x ∈ X h&0
gleichm¨ assig in t auf abgeschlossenen Intervallen [0, T ], T > 0. Wie sich leicht zeigen −n , und analog folgt f¨ ur x ∈ X l¨ asst, ist eta = lim 1 − ta n n→∞ t
P x = lim
n→∞
tA 1− n
−n
x = lim
n→∞
−1 n n −A t t
n
,
ur grosse n. Der Limes ist gleichm¨ assig in t auf denn f¨ ur t > 0 ist nt ∈ ρ(A) f¨ abgeschlossenen Intervallen. Praktisch n¨ utzlich ist die Feststellung, dass die Erzeugende oft durch kleine Definitionsbereiche schon v¨ ollig bestimmt ist. Theorem 8.7 (E. Nelson). Sei A : DA ⊂ X → X die Erzeugende der Kontraktionshalbgruppe P t , t ≥ 0. Ist D ⊂ X ein dichter Teilraum mit D ⊂ DA und P t (D) ⊂ D f¨ ur alle t ≥ 0, so ist A = A|D . Beweis. K¨ urze ab, A0 := A|D , sodass A0 ⊂ A. Weil A = A¯ abgeschlossen ist, ist A0 abschliessbar und A¯0 ⊂ A. Es gen¨ ugt zu zeigen, dass λ ∈ ρ(A¯0 ) f¨ ur λ > 0. Denn ¯ dann ist nach Theorem 8.1 λ ∈ ρ(A0 ) ∩ ρ(A) und die Operatoren (λ − A¯0 ) und (λ − A) sind beide injektiv und surjektiv. Wegen A¯0 ⊂ A folgt somit A¯0 = A. 1. Behauptung: Es ist (8.2) Wλ−A0 = X f¨ ur λ > 0. Wir beweisen dies indirekt und nehmen an, dass Wλ−A0 6= X. Nach einer Folgerung von Hahn-Banach (Satz 4.3) existiert ein ϕ ∈ X ∗ , ϕ 6= 0, sodass ϕ(x) = 0
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8 HALBGRUPPEN
f¨ ur alle x = (λ − A0 )u, u ∈ D. Wegen P t (D) ⊂ D folgt somit ϕ ((λ − A0 ) P t u) = 0 f¨ ur alle u ∈ D und t ≥ 0. Da ϕ linear und stetig ist und D ⊂ DA , folgt mit den Eigenschaften von P t in Theorem 8.1, dass λ ϕ(P t u) = ϕ(λP t u) = ϕ(A0 P t u) = ϕ(AP t u) = ϕ( =
d t P u) dt
d ϕ(P t u). dt
F¨ ur t = 0 ist ϕ(P 0 u) = ϕ(u). Da die L¨ osung des Cauchy-Anfangswert-Problemes f¨ ur gew¨ ohnliche Differentialgleichungen eindeutig ist, schliessen wir ϕ(P t u) = eλt ϕ(u) , t ≥ 0. Aus |ϕ(P t u)| ≤ kϕk kP t uk ≤ kϕk kuk und λ > 0 folgt ϕ(u) = 0. Dies gilt f¨ ur alle u ∈ D, und weil D = X ist, erhalten wir ϕ(u) = 0 f¨ ur alle u ∈ X, im Widerspruch zu ϕ 6= 0. Damit ist die Gleichung (8.2) bewiesen. 2. Behauptung: Es gilt Wλ−A¯0 = X , λ > 0 : (8.3) F¨ ur x ∈ X existiert nach (8.2) eine Folge un ∈ D mit x = lim (λ − A0 )un . Nach n→∞
Theorem 8.1 ist λ ∈ ρ(A) und
k(λ − A) uk ≥ λkuk , u ∈ DA . Wegen A0 ⊂ A folgt, dass un eine Cauchy-Folge ist, sodass un → u in X. Weil auch (λ − A0 )un → x, erhalten wir u ∈ Dλ−A¯0 und (λ − A¯0 )u = x, nach Definition des Abschlusses eines abschliessbaren Operators. Dies gilt f¨ ur jedes x ∈ X, und (8.3) ist bewiesen.
Nach (8.3) ist (λ − A¯0 ) surjektiv. Wegen λ − A¯0 u ≥ λkuk, u ∈ DA¯0 ist der Operator (λ − A¯0 ) auch injektiv und somit λ ∈ ρ(A¯0 ), wie gew¨ unscht.
Beispiel (Translationsgruppe). Die Translationsgruppe P t u(x) = u(x + t), t ≥ 0 in X = Lp (0, ∞), p ≥ 1 hat die Erzeugende A=
d , DA = H 1, p (0, ∞). dx
Sei D = Cc∞ (0, ∞) ∩ Lp (0, ∞). Dann ist D ⊂ DA , D = X und P t (D) ⊂ D, und deshalb folgt aus Theorem 8.7 d A= . dx D Wir kommen zu einer n¨ utzlichen Verallgemeinerung der Charakterisierung einer Erzeugenden einer Kontraktionshalbgruppe. Zur Erinnerung zuerst ein einfacher Satz. Satz 8.2. ¯ so ist 1. Ist A : DA ⊂ X → Y abschliessbar mit injektivem Abschluss A, ¯ (A)
−1
= A−1 .
2. Sei A injektiv und seien A und A−1 beide abschliessbar, dann ist A¯ injektiv ¯ −1 = A−1 nach i). und somit (A)
98
8 HALBGRUPPEN
¯ daher ist A injektiv und A−1 ⊂ (A) ¯ −1 . Beweis. Beweis von i). Es ist A ⊂ A, ¯ −1 abgeschlossen und daher A−1 abschliessbar und A−1 ⊂ Nach Satz 3.4 ist (A) −1 ¯ . Sei y ∈ D ¯ −1 , dann ist y = A(x) ¯ (A) f¨ ur ein x ∈ DA¯ . Nach der Definition des (A) Abschlusses von A ist x = lim xn und y = lim Axn f¨ ur eine Folge xn ∈ DA . Daher: A−1 (Axn ) = xn → x und Axn → y und somit, nach Definition des Abschlusses von A−1 , y ∈ DA−1 und A−1 (y) = x. Wir haben bewiesen, dass DA−1 = D(A) ¯ −1 . ¯ = 0, dann existiert eine Folge xn ∈ DA mit x = Beweis von ii). Sei Ax limn→∞ xn und 0 = lim Axn . Deshalb A−1 (Axn ) = xn → x und somit (0, x) ∈ ΓA−1 . Weil A−1 abschliessbar ist, folgt x = 0, und A¯ ist injektiv. Theorem 8.8. Sei X ein Banach-Raum. F¨ ur A : DA ⊂ X → X sind die folgenden Aussagen ¨aquivalent: 1. A¯ existiert und ist Erzeugende einer Kontraktionshalbgruppe. 2. DA ist dicht, und f¨ ur alle λ > 0 ist Wλ−A dicht in X und k(λ − A)uk ≥ λkuk , u ∈ DA . Beweis. i) ⇒ ii) folgt aus Theorem 8.1. ii) ⇒ i). Sei λ > 0. Aus der Absch¨
atzung in ii)
folgt, dass (A − λ) eine bijektive ur u ∈ Wλ−A . Daher ist Abbildung DA → Wλ−A ist, und (λ − A)−1 u ≤ λ1 kuk f¨ −1 (λ − A) : Wλ−A ⊂ X → X stetig, und weil nach Voraussetzungen Wλ−A dicht in X ist, gibt es eine stetige Erweiterung (λ − 1)
−1
1
−1
(λ − A) u ≤ kuk, λ
∈ L(X), und es gilt: u ∈ X.
(8.4)
¯ injektiv ist und daher ist nach Falls auch A¯ existiert, so folgt aus ii) dass (λ − A)
−1 −1 ¯ −1 u ≤ 1 kuk f¨ Satz 8.2 λ − A¯ = (λ − A) , und somit λ − (A) ur alle u ∈ X. λ ¯ und A¯ ist nach Theorem 8.4 Erzeugende einer KontraktiDeshalb ist λ ∈ ρ(A) onshalbgruppe. Es bleibt also noch zu zeigen, dass A abschliessbar ist. Wir zeigen zuerst, dass ur alle u ∈ X. (8.5) lim λ λ − A−1 u = u , f¨ λ→∞
Zum Beweis sei zun¨ achst u ∈ DA . Dann gilt u = (λ − A)
−1
(λ − A)u = λ (λ − A)
−1
u − (λ − A)
−1
Au
−1 und (8.5) folgt aus (8.4) f¨ ur u ∈ DA . Weil λ (λ − A) ≤ 1 nach (8.4), und weil DA dicht ist, folgt (8.5) f¨ ur alle u ∈ X. Sei nun un ∈ DA mit limn→∞ un = 0 und limn→∞ Aun = v. Wir haben zu zeigen, dass v = 0 ist. Nehme λn > 0 mit λn → ∞ und w¨ ahle eine Teilfolge unk , sodass limk→∞ (λk unk ) = 0 ist. Dann ist −1 limk→∞ ((λk − A) unk + v) = 0 und wegen kλk (λk − A) k ≤ 1 folgt mit (8.5) −1 0 = lim λk (λk − A) (λk − A)unk + v k→∞ = lim λk unk + λk (λk − A)−1 v = lim λk (λk − A)−1 v = v. k→∞
k→∞
Also ist v = 0, und A ist abschliessbar.
Zum Abschluss dieses Abschnittes beweisen wir noch die Behauptung, die wir ganz zu Beginn als Motivation f¨ ur die Einf¨ uhrung der stark stetigen Halbgruppen angef¨ uhrt hatten:
99
8 HALBGRUPPEN
Satz 8.3 (uniform stetige Halbgruppe). Sei P t ∈ L(X), t ≥ 0 eine Halbgruppe im Banach-Raum X mit lim kP t − 1k = 0. (8.6) t&0
Dann existiert ein A ∈ L(X) so, dass P t = etA =
X (tA)n , n!
n≥0
wobei die Reihe in L(X) konvergiert. Beweis. Mit den Eigenschaften von Halbgruppe folgt aus der Stetigkeit (8.6), dass t 7→ P t (x) stetig ist f¨ ur alle t ≥ 0, genau wie im Beweis von Satz 8.1. Dann ist t 7→ P t (x) ∈ L(X) Riemann-integrabel und
Z
Z τ
1 τ
s s
1 − 1 (1 − P ) ds P ds =
τ 0 τ Z τ0 1 ≤ k1 − P s k ds τ 0 ≤ max k1 − P s k −→ 0, τ → 0. 0≤s≤τ
Rτ Wir k¨ onnen daher τ > 0 so klein w¨ ahlen, dass 1 − τ1 0 P s ds < 1. Dann ist mit Theorem 2.2 Z Z 1 τ s 1 τ s 1− 1− P ds = P ds τ 0 τ 0 ein stetiger Isomorphismus und daher auch Z τ B := P s ds. 0
Es folgt 1 1 h (P − 1)B = h h = =
1 h 1 h
Z Z
τ
P
s+t
0 τ +h
h Z τ +h τ
1 ds − h
P t dt −
1 h
P t dt −
1 h
Z
Z Z
τ
P s ds und mit s + h = t
0 τ
P t dt
0 h 0
h→0
P t dt −−−→ P τ − 1 ∈ L(X),
0
mit P = 1. Daraus folgt, dass lim
h&0
1 h (P − 1) = (P τ − 1)B −1 =: A ∈ L(X). h
Das heisst, die Erzeugende von P t ist A ∈ L(X). Andererseits hat auch etA die Erzeugende A, und wegen der Eindeutigkeit der Erzeugenden (Theorem 8.1) ist somit P t = etA f¨ ur t ≥ 0.
8.5
Unit¨ are Gruppen auf H
Sei H ein Hilbertraum, dann kann man die zu einer Kontraktionshalbgruppe konjugierte Gruppe ebenfalls in H definieren.
100
8 HALBGRUPPEN
Satz 8.4. Sei A der Erzeuger der Kontraktionshalbgruppe P t , t ≥ 0 im Hilbertraum ∗ H. Dann ist (P t ) , t ≥ 0 eine Kontraktionshalbgruppe in H mit Erzeuger A∗ . Formal: ∗ ∗ etA = etA , t ≥ 0. Zuerst eine Bemerkung.
Lemma 8.7. Sei H ein Hilbertraum. Dann gilt A ∈ L (H) =⇒ A∗ ∈ L (H) und kAk = kA∗ k . ¨ Beweis. Ubungsaufgabe. ∗
Beweis von Satz 8.4. (P t ) ist eine Kontraktionshalbgruppe in H, denn
∗ ∗
P 0 = 1∗ = 1 und P t = P t ≤ 1
f¨ ur alle t ≥ 0 (Lemma 8.7) und die Gruppenstruktur ist klar. Die Stetigkeit folgt aus
2
∗ ∗
t ∗ u − u = P t u − u, P t u − u
P
∗ ∗ ∗
2 2 = P t u + kuk − P t u, u − u, P t u
∗
2 2 = P t u + kuk − u, P t u − P t u, u 2 2 ≤ kuk + kuk − u, P t u − P t u, u = − u, P t u − u − P t u − u, u
≤ 2 kuk P t u − u −→ 0 f¨ ur t & 0. ∗
Somit ist (P t ) stark stetig in t = 0 und deshalb f¨ ur alle t ≥ 0 (Satz 8.1). ∗ Sei A der Erzeuger von P t und B der Erzeuger von (P t ) , somit bleibt B = A∗ zu zeigen. 1. B ⊂ A∗ :
Sei u ∈ DA und v ∈ DB , dann gilt
1 P tu − u , v t&0 t 1 t ∗ = lim u, P v−v t&0 t
(Au, v) = lim
= (u, Bv) .
Nach Definition der Adjungierten, weil (Au, v) stetig in u ∈ DA ist, folgt v ∈ DA∗ und A∗ v = Bv, somit B ⊂ A∗ . 2. A∗ ⊂ B:
101
8 HALBGRUPPEN
Sei u ∈ DA und v ∈ DA∗ , dann gilt ∗ u, P t v − v = P tu − u , v =
Zt
=
Zt
d Hille-Yosida (P s u, v) ds = ds
0
0
Zt
(AP s u, v) ds
0
∗ u, (P s ) A∗ v ds
= u,
Zt 0
∗
(P s ) A∗ v ds .
Da dies f¨ ur alle u ∈ DA gilt und DA = H, so folgt 1 1 t ∗ P v−v = t t
Zt
∗
(P s ) A∗ v ds
0
∗ f¨ ur alle t > 0. Die rechte Seite konvergiert f¨ ur t & 0 gegen A∗ v, da P 0 = 1. ∗ Nach Definition des Erzeugers von (P t ) , folgt daher v ∈ DB und Bv = A∗ v, somit A∗ ⊂ B. Insgesamt deshalb A∗ = B. Definition 8.4. (Unit¨ ar) Sei H ein Hilbertraum. Ein U ∈ L (H) heisst unit¨ar, falls U ∗U = 1 = U U ∗, gilt, oder ¨ aquivalent, U ∈ L (H) bijektiv ist und U −1 = U ∗ gilt. Folgerung: Ein unit¨ arer Operator U ist eine surjektive Isometrie, denn es gilt (U x, U y) = (x, U ∗ U y) = (x, y) f¨ ur alle x, y ∈ H, daher auch,
kU xk = kxk
f¨ ur alle x ∈ H. Definition 8.5. (Unit¨ are Gruppe) Eine 1-parametrige unit¨are Gruppe in H ist eine Familie U t ∈ L (H), t ∈ R sodass 1. U 0 = 1, U t U s = U t+s f¨ ur alle t,s ∈ R 2. U t ist unit¨ ar 3. limt7→0 U t x = x, f¨ ur jedes x ∈ H.
102
8 HALBGRUPPEN
Folgerung:
t
U x = kxk , f¨ ur t ∈ R, x ∈ H
t
U = 1 ∗ −1 Ut = Ut = U −t , f¨ ur t ∈ R.
Erzeuger: Der Erzeuger A einer 1-parametrige unit¨ aren Gruppe U t , t ∈ R ist wie fr¨ uher definiert, n¨ amlich 1 U t u − u , u ∈ DA Au = lim t→0 t 1 DA = u ∈ H lim U t u − u existiert . t→0 t
Theorem 8.9 (Stone). F¨ ur einen Operator A : DA ⊂ H −→ H, DA = H im Hilbertraum H sind ¨aquivalent: 1. A ist Erzeuger einer 1-parametrige unit¨aren Gruppe U t , t ∈ R. 2. A∗ = −A. 3. S = S ∗ , wobei A = iS. Erzeuger: Es gibt einen 1-1 deutigen Zusammenhang zwischen selbstadjungierten Operatoren S im Hilbertraum H und unit¨ aren Gruppen U t , t ∈ R, man schreibt oft formal: U t = eitS , S = S ∗ . ∗
Beweis. 2.) ⇐⇒ 3.): (iS) = −iS ∗ . 1.) =⇒ 2.): (Satz 8.4) Sei U t eine unit¨ are Gruppe. Dann ist Ut deshalb f¨ ur u ∈ H, t ∈ R, −
∗
= Ut
−1
= U −t ,
1 1 t ∗ U −t − 1 u = U − 1 u. −t t
Nach Satz 8.4 (f¨ ur Gruppen) ist A Erzeuger von U t genau dann, wenn A∗ Erzeuger t ∗ ist von (U ) . Daher folgt f¨ ur t → 0 u ∈ D A ⇔ u ∈ D A∗ und −Au = A∗ u, f¨ ur u ∈ DA = DA∗ ,
insgesamt A∗ = −A. 2.) =⇒ 1.): (Theorem 7.1, Lemma 7.1, Theorem 8.4) Sei A∗ = −A. Definiere S durch A = iS,
dann ist S ∗ = S selbstadjungiert. Wir wissen aus Theorem 7.1, dass σ (S) reel ist, daher σ (A) = σ (iS) = iσ (S) ⊂ iR und σ (−A) = σ (−iS) = −iσ (S) ⊂ iR.
103
8 HALBGRUPPEN Aus S ∗ = S folgt mit Theorem 7.1 und Lemma 7.1, dass
1
−1
(z − S) ≤ |Im z|
f¨ ur alle Im z 6= 0. Daher, f¨ ur alle Re z 6= 0,
−1
(z ± A) ≤
1 . |Re z|
Es folgt daher aus Hille-Yosida (Theorem 8.4), dass A und −A Erzeuger sind von Kontraktionshalbgruppen. Sei P t , t ≥ 0 die Kontraktionshalbgruppe mit Erzeuger A
Qt , t ≥ 0 die Kontraktionshalbgruppe mit Erzeuger − A. Definiere U t , t ∈ R durch
Ut =
P t , f¨ ur t ≥ 0 , Q , f¨ ur − t ≥ 0 −t
dann ist U t stark stetig in t = 0. Beh: U t , t ∈ R ist unit¨ ar. Bew: Sei u ∈ DA , dann ist die Ableitung der Funktion t 7→ P t Qt u, t ≥ 0 nach Hille-Yosida (Theorem 8.4), d P t Qt u = AP t Qt u + P t − AQt u = 0, dt
also gleich null, und deshalb (Lemma 8.3) die Funktion konstant in t. F¨ ur t = 0 ist sie die Identit¨ at somit, weil DA = H, P t Qt = 1, t ≥ 0,
(*)
Qt P t = 1, t ≥ 0.
(*)
und ebenso t
t
Weil kP k ≤ 1 und kQ k ≤ 1 f¨ ur t ≥ 0 (Hille-Yosida, Theorem 8.4) folgt
kuk = P t Qt u ≤ Qt u ≤ kuk ,
sodass kuk = kQt uk und ebenso kuk = kP t uk f¨ ur t ≥ 0. Die Operatoren P t , Qt sind isometrisch und wegen (∗) auch surjektiv. Mit der Polarisationsidentit¨ at f¨ ur das Skalarprodukt folgt f¨ ur U t , t ≥ 0 ∗ (x, y) = U t x, U t y = x, U t U t y ∗
f¨ ur alle x, y ∈ H. Folglich (U t ) U t = 1, sodass U t ein unit¨ arer Operator ist. Die Gruppenstruktur von U t folgt aus der Halbgruppenstruktur von P t , Qt , t ≥ 0 und (∗). Der Erzeuger von U t ist offenbar A = iS.
Dynamische Bedeutung von selbstadjungierten Operatoren: Sei S = S ∗ im Hilbertraum. Dann existiert eine eindeutige L¨ osung des C.A.W.P u˙ (t) = iSu (t) , t ∈ R u (0) = u ∈ DS
104
8 HALBGRUPPEN
in H f¨ ur alle Zeiten t ∈ R. Die L¨ osung t 7→ u (t) : R −→ H ist stetig differenziertbar und u (t) ∈ DA f¨ ur alle t ∈ R. Diese L¨ osung ist gegeben durch die von iS erzeugte unit¨ are Gruppe u (t) = U t u = eitS u, t ∈ R. Zudem gilt der Erhaltungssatz
ku (t)k = U t u = ku (0)k , t ∈ R
und die L¨ osung h¨ angt stetig ab von den Anfangsbedingungen u ∈ DA . Problem mit Zukunft und Vergangenheit! Wie die Gruppe U t aussieht h¨ angt ab von den linearen Invarianten des Erzeugers iS, d.h. von der Spektralzerlegung des Operators S = S ∗ , ¨ ahnlich wie in endlichen Dimensionen, wo man die Jordan-Normalform zur Verf¨ ugung hat. Beispiel. Sei λ ∈ σp (S), dann ist λ reel und es gibt ein u ∈ DS mit Su = λu. Es folgt dann (wie in Hille-Yosida) d t U u = U t (iS) u = iλU t u. dt Andererseits ist auch u (t) = eitλ u eine L¨ osung desselben C.A.W.P, aus der Eindeutigkeit folgt daher U t u = eitλ u und wir erhalten eine periodische L¨ osung.
8.6
Kontraktionshalbgruppen in Hilbertr¨ aumen t
Sei P , t ≥ 0 eine Kontraktionshalbgruppe im Hilbertraum H, dann gilt
t P u, u ≤ P t u kuk ≤ kuk2 = (u, u) f¨ ur t ≥ 0 und u ∈ H. Daher
sodass
Re P t u − u, u = Re P t u, u − (u, u) ≤ P t u, u − (u, u) ≤ 0 Re
1 P tu − u , u ≤ 0 t
gilt f¨ ur t > 0, u ∈ H. Sei A der Erzeuger von P t , so folgt f¨ ur t → 0 Re (Au, u) ≤ 0 f¨ ur u ∈ DA . Definition 8.6. Ein Operator A : DA ⊂ H −→ H heisst dissipativ, falls Re (Au, u) ≤ 0 f¨ ur alle u ∈ H.
105
8 HALBGRUPPEN Beispiel (Multiplikationsoperatoren in L2 (Ω) ). Sei Au := au f¨ ur a : Ω −→ C messbar und
DA := u ∈ L2 (Ω) | au ∈ L2 (Ω) .
F¨ ur Re a ≤ 0 ist der Operator A ist dissipativ, denn dann gilt Z Z Re (au, u) = Re au¯ u = Re a |u|2 ≤ 0. Ω
Ω
Satz 8.5. F¨ ur einen dissipativen Operator A : DA ⊂ H −→ H gilt. 1. k(z − A) uk ≥ Re z kuk f¨ ur u ∈ DA , z ∈ C. 2. Falls es ein z0 in {Re z > 0} mit Wz0 −A = H gibt, so geh¨ort die ganze offene Halbebene {Re z > 0} zur Resolventenmenge ρ (A) und es gilt dort:
Beweis. 1.):
−1
(z − A) u ≤
1 . Re z
k(z − A) uk kuk ≥ |((z − A) u, u)|
≥ Re ((z − A) u, u) = Re z (u, u) − Re (Au, u) | {z } 2
≤0
≥ Re z kuk
2.): Folgt aus 1.) genau so wie im Beweis von Theorem 7.2 Aus Satz 8.5 und Theorem 8.4 (Hille-Yosida) folgt unmittelbar. Theorem 8.10 (Lumer-Phillips). F¨ ur einen Operator A : DA ⊂ H −→ H im Hilbertraum H sind ¨aquivalent: 1. A ist Erzeuger einer Kontraktionshalbgruppe. 2. A ist ein dicht definierter, dissipativer Operator, und es gibt ein z0 in {Re z > 0} mit Wz0 −A = H.
9 BEISPIELE VON KONTRAKTIONSHALBGRUPPEN
9
106
Beispiele von Kontraktionshalbgruppen
9.1
Flu ¨sse von Vektorfeldern
Es sei V : R → R ein C 1 -Vektorfeld, dann existiert ein lokaler Fluss. Wir nehmen nun an, das Vektorfeld erzeuge einen globalen Fluss (dies ist der Fall, wenn zum Beispiel |V (x)| ≤ α + β|x| ∀x ∈ Rn , das heisst, die L¨ osungen x(t) = ϕt (x) des Cauchy-Anfangswert-Problems d t ϕ (x) = V ϕt (x) dt ϕ0 (x) = x
t∈R
existieren f¨ ur alle t ∈ R und alle Anfangsbedingungen x ∈ Rn . Wird t festgehalten, dann ist die Abbildung ϕt : Rn −→ Rn ,
x 7−→ ϕt (x)
ein C ∞ -Diffeomorphismus von Rn auf sich selbst. Weil das Vektorfeld V nicht zeitabh¨ angig ist, folgt aus der Eindeutigkeit der L¨ osungen des Cauchy-AnfangswertProblems die Gruppeneigenschaft ϕt ϕs (x) = ϕs+t (x) = ϕs ϕt (x)
f¨ ur alle s, t ∈ R und alle x ∈ Rn . Mit anderen Worten, die Familie {ϕt }t∈R von C ∞ Diffeomorphismen bilden zusammen eine Gruppe unter der Komposition ϕs ◦ ϕt = ϕt ◦ ϕs = ϕs+t , s, t ∈ R mit Neutralelement ϕ0 = id und der Inversen (ϕt )−1 = ϕ−t . Diese Gruppe induziert eine 1-parametrige Gruppe P t , t ∈ R, von linearen Abbildungen im Vektorraum F := {u : Rn → R}, Pt : F → F (P t u)(x) = u ϕt (x) u ∈ F, x ∈ Rn
Wir wollen nun die folgende Frage beantworten: Wann ist P t eine Kontraktionshalbgruppe in Lp (Rn )? Definition 9.1. (Divergenz) Die Divergenz eines Vektorfeldes V = (V1 , . . . , Vn ) ist der Operator div, definiert durch n X ∂ Vj (x) ∈ R. div V (x) = ∂x j j=1 F¨ ur die Ableitung von ϕt : Rn → Rn schreiben wir dϕt (x) =
∂ t ϕ (x) ∂x
∈ L(X).
dϕt (x) heisst Jacobi-Matrix von ϕt an der Stelle x ∈ Rn . Satz 9.1 (Liouville). Es sei ω(t) = det dϕt (x) f¨ ur x ∈ Rn fest. Dann ist ω(t) ˙ = div V ϕt (x) ω(t), ω(0) = 1, und deshalb
det dϕt (x) = exp
Z
t 0
div V ϕs (x) ds .
9 BEISPIELE VON KONTRAKTIONSHALBGRUPPEN
107
d t Beweis. Wir leiten dt ϕ (x) = V ϕt (x) nach x ab unter der Benutzung der Kettenregel und beachten, dass ϕ0 (x) = x ist. Es ist damit d dϕt (x) = dV ϕt (x) dϕt (x) dt dϕ0 (x) = 1 Halten wir urzung X(t) := dϕt (x) und A(t) := nun x fest und schreiben zur Abk¨ t dV ϕ (x) , dann ist ( ˙ X(t) = A(t) X(t) t ∈ R X(0) = 1 und wir k¨ onnen mit Taylor schreiben ˙ X(t + h) = X(t) + hX(t) + o(h) = X(t) + hA(t)X(t) + o(h) = 1 + hA(t) X(t) + o(h),
wobei o(h) eine Funktion in L(Rn ) ist mit ω(t) = det(X(t))
1 h o(h)
→ 0 f¨ ur h → 0. Es folgt nun f¨ ur
ω(t + h) = det 1 + hA(t) det X(t) + o(h) = 1 + h[tr A(t)] ω(t) + o(h)
und nach Umformung
1 ω(t + h) − ω(t) = [tr A(t)] ω(t) + o(h) h h und, mit h → 0, ω(t) ˙ = [tr A(t)] ω(t)
∈ R.
Dies ist eine lineare Differentialgleichung erster Ordnung f¨ ur ω, deren L¨ osung wir sofort angeben k¨ onnen: Z t tr A(s) ds ω(0). ω(t) = exp 0
Mit ω(0) = det X(0) = det(1) = 1 und tr A(t) = tr dV ϕt (x) = div V ϕt (x)
folgt die Behauptung des Satzes.
Der Satz liefert uns auch eine Interpretation von div V . Es ist d div V (x) = det dϕt (x) . dt t=0
Daraus wiederum folgen die beiden Beziehungen
div V (x) ≥ 0 ∀x ∈ Rn ⇐⇒ det dϕt (x) ≥ 1 ∀x ∈ Rn , t ≥ 0,
div V (x) = 0 ∀x ∈ Rn ⇐⇒ det dϕt (x) = 1 ∀x ∈ Rn , t ∈ R, deren Bedeutung im folgenden Satz klarer wird. Satz 9.2. Es sei V : Rn → Rn ein C 1 -Vektorfeld.
9 BEISPIELE VON KONTRAKTIONSHALBGRUPPEN
108
i) Sei div V (x) ≥ 0 f¨ ur alle x ∈ Rn , dann ist P t : Lp (Rn ) → Lp (Rn ),
t≥0
eine stark stetige Kontraktionshalbgruppe f¨ ur alle p ≥ 1. ii) Ist div V (x) = 0 f¨ ur alle x ∈ Rn , so ist P t : Lp (Rn ) → Lp (Rn ),
t∈R
eine stark stetige Gruppe von Isometrien f¨ ur p ≥ 1. Beweis. Wir beweisen nur die Aussage i). Mit den Transformationsformeln der Integralrechnung folgt f¨ ur t ≥ 0 Z Z u ϕt (x) p det dϕt (x) dx kukpLp = |u(x)|p dx = {z } | Rn Rn ≥
Z
Rn
≥1
u ϕt (x) p dx = kP t ukp p , L
u ∈ Lp (Rn ).
Es ist daher f¨ ur alle u ∈ Lp (Rn ) und t ≥ 0
kP t ukLp ≤ kukLp . Auf der dichten Teilmenge Cc∞ (Rn ) ⊂ Lp (Rn ) gilt nach dem Majorantensatz von Lebesgue Z t→0 u ϕt (x) − u(x) p dx − −−→ 0, kP t u − ukpLp = Rn
weil der Integrand punktweise gegen 0 konvergiert und eine L1 -Majorante existiert. Da kP t k ≤ 1 f¨ ur t ≥ 0 und Cc∞ (Rn ) = Lp (Rn ), so folgt lim P t u = u in Lp (Rn )
t&0
f¨ ur alle u ∈ Lp (Rn ), das heisst, P t ist eine stark stetige Kontraktionshalbgruppe. Beispiel (Lineare Vektorfelder). Wir betrachten Vektorfelder der Form V (x) = ax f¨ ur a ∈ L(Rn ). Wir erhalten dann ϕt (x) = eta , t
P (u) = u e
ta
div V (x) = tr a.
,
t∈R
x ∈ Rn
Daraus folgt, dass det dϕt (x) = et tr(a) unabh¨ angig von x ist. In diesem Spezialfall erhalten wir eine stark stetige Gruppe P t ∈ L(Lp (Rn )) f¨ ur alle p ≥ 1 und alle t ∈ R. F¨ ur die Norm von P t u gilt dann t
kP t ukLp = e− p tr(a) kukLp ,
t ∈ R.
Ist tr(a) ≥ 0, so ist P t eine Kontraktionshalbgruppe f¨ ur t ≥ 0, ist tr(a) = 0, so ist P t f¨ ur alle t ∈ R eine Isometrie. t 1 n Wie sieht die Erzeugende der Halbgruppe P aus? Nehmen wir ein u ∈ Cc (R ), t dann k¨ onnen wir u ϕ (x) f¨ ur festes x punktweise in t differenzieren: d t d u ϕt (x) = du ϕt (x) ϕ (x) = du ϕt (x) V ϕt (x) dt dt
= ∇u ϕt (x) , V ϕt (x) ,
9 BEISPIELE VON KONTRAKTIONSHALBGRUPPEN
109
wobei ∇ den Gradienten und h , i das Euklidische Skalarprodukt auf Rn bezeichnet. Evaluation der letzten Gleichung in t = 0 ergibt d t u ϕ (x) = h∇u(x), V (x)i. dt t=0 Daraus folgt
1 1 t→0 u ϕt (x) − u(x) − h∇u(x), V (x)i = o(t) −−−→ 0. t t
(9.1)
Nun definieren wir A0 als Differentialoperator erster Ordnung mit variablen Koeffizienten auf D0 = Cc1 (Rn ) ⊂ Lp (Rn ) durch A0 : D0 ⊂ Lp (Rn ) −→ Lp (Rn ) n X ∂ u(x), x ∈ Rn , u ∈ D0 . A0 u (x) = Vj (x) ∂x j j=1 Dann ist A0 u ∈ Cc0 (Rn ). Es sei A : DA ⊂ Lp (Rn ) → Lp (Rn ) die Erzeugende von P t , t ≥ 0. Dann gilt, nach der Definiton der Erzeugenden, f¨ ur u ∈ DA
1 t t&0
(P u − u) − Au −
p −−→ 0.
t L Andererseits folgt aus (9.1) f¨ ur u ∈ D0 nach Lebesgue
1 t
t&0
(P u − u) − A0 u −
t
p −−→ 0. L
Nach Definiton der Erzeugenden folgt, dass u ∈ DA und Au = A0 u, also A|D0 = A0 . Weil D0 = Lp (Rn ) und Cc∞ (Rn ) ⊂ Cc1 (Rn ), ist P t (D0 ) ⊂ D0
f¨ ur alle t ≥ 0.
Aus Theorem 8.7 folgt A = A|D0 Bemerkung: Es ist daher es gibt eine Folge uj ∈ D0 = Cc1 (Rn ) DA = u ∈ Lp (Rn ) mit u = limj→∞ uj in Lp (Rn ) und A0 uj ist eine Cauchy-Folge in Lp (Rn )
sowie Au = lim A0 uj ∈ Lp (Rn ). j→∞
Wir haben soeben bewiesen:
Theorem 9.1. Es sei V : Rn → Rn ein C 1 -Vektorfeld mit globalem Fluss ϕt (x), t ∈ R und x ∈ Rn , mit div V (x) ≥ 0 f¨ ur alle x ∈ Rn . Wir definieren P t u(x) := u ϕt (x) , x ∈ Rn , t ≥ 0. Dann ist P t ∈ L(Lp (Rn )), t ≥ 0, eine stark stetige Kontraktionshalbgruppe mit der Erzeugenden A = A|D0 , wobei D0 = Cc1 (Rn ) und A|D0 =
n X j=1
Vj (x)
∂ ∂xj
die Ableitung in Richtung des Vektorfeldes V ist.
9 BEISPIELE VON KONTRAKTIONSHALBGRUPPEN
110
Bemerkung: Ist in Theorem 9.1 das Vektorfeld aus C ∞ , so sind die ϕt alle C ∞ Diffeomorphismen und wir k¨ onnen D0 ersetzen durch Cc∞ (Rn ) ⊂ Cc1 (Rn ). Beispiel (Lineare Vektorfelder, Forts.). Wie wir bereits gesehen haben, ist P t = eat f¨ ur V (x) = ax mit a ∈ L(Rn ) und tr(a) ≥ 0 eine Kontraktionshalbgruppe in Lp (Rn ) mit Erzeugender n X ∂ A= (ax)j ∂xj ∞ n Cc (R )
j=1
nach Theorem 9.1.
9.2
Unit¨ are Gruppen auf L2 (Rn )
Wir betrachten nun den Hilbertraum L2 (Rn ). Falls V : Rn −→ Rn ein C ∞ Vektorfeld mit div V = 0 ist, dessen Fluss ϕt (x) f¨ ur alle x ∈ Rn und alle t ∈ R t 2 n existiert, so ist U ∈ L L (R ) , t ∈ R, definiert durch U t u (x) = u ϕt (x) , t ∈ R f¨ ur u ∈ L2 (Rn ), eine stark stetige, 1-parametrige unit¨ are Gruppe und es folgt die zu Theorem 9.1 analoge Aussage.
Theorem 9.2 (Selbstadjungierte Operatoren). Sei V : Rn −→ Rn ein C ∞ -Vektorfeld mit globalem Fluss und div V = 0. Dann definiert U t u (x) = u ϕt (x) , t ∈ R f¨ ur u ∈ L2 (Rn ) eine stark stetige, 1-parametrige unit¨are Gruppe U t im Hilbertraum L2 (Rn ) mit Erzeuger A = A|D ,
wobei D = Cc∞ (Rn ) und A|D =
n X
Vj (x)
j=1
∂ , ∂xj
mit V (x) = (V1 (x) , . . . , Vn (x)). Nach dem Satz von Stone (Theorem 8.9) ist der Operator 1 S= A i selbstadjungiert im Hilbertraum L2 (Rn ). Beispiele: Translation und Impulsoperator: Sei V (x) = e ∈ Rn ein konstantes Vektorfeld auf Rn . Dann ist div V = 0 und der Fluss von V ist explizit gegeben durch die Formel ϕt (x) = x + te, t ∈ R, x ∈ Rn .
Der Erzeuger der unit¨ aren Gruppe (U t u) (x) = u (x + te), t ∈ R im Hilbertraum 2 n L (R ) ist gegeben durch A = A|D , wobei D = Cc∞ (Rn ) und A|D =
n X j=1
ej
∂ . ∂xj
Der Operator S = 1i A ist selbstadjungiert im Hilbertraum L2 (Rn ). Er heisst der zur Translationsgruppe x 7→ x + te geh¨ orige quantenmechanische Impulsoperator in Richtung e.
9 BEISPIELE VON KONTRAKTIONSHALBGRUPPEN
111
Drehungen und Drehimpulsoperator: Sei V (x) = ax ein lineares Vektorfeld auf Rn mit der reellen Matrix a ∈ L (Rn ). Dann ist der Fluss von V explizit gegeben durch die Exponentialfunktion ϕt (x) = eta x, t ∈ R, x ∈ Rn . Nehme nun an, dass a schiefsymmetrisch ist, d.h. aT = −a, dann ist div V = 0 und eta eine orthogonale 1-parametrige Gruppe, d.h. eine Drehgruppe. Denn T −1 T eta = eta = e−ta = eta .
F¨ ur den Erzeuger A der unit¨ aren Gruppe (U t u) (x) = u (eta x), t ∈ R im Hilbertraum 2 n L (R ) gilt A = A|D , wobei D = Cc∞ (Rn ) und A|D =
∂ ax, ∂x
=
n X
aij xj
i,j=1
∂ . ∂xi
∂ ist selbstadjungiert in L2 (Rn ) . Er heisst der zur Der Operator 1i A = 1i ax, ∂x |D ta Drehgruppe e geh¨ orige quantenmechanische Drehimpulsoperator. Sei zum Beispiel 0 1 0 a = −1 0 0 0(n−2)×(n−2) und x = (x1 , . . . , xn ) ∈ Rn , dann folgt ax = (x2 , −x1 , 0, . . . , 0) und somit cos t sin t 0 . eta = − sin t cos t 0 1(n−2)×(n−2)
∂ ∂ − x1 ∂x2 ist selbstadjungiert in L2 (Rn ) . Die dazugeh¨ orige Der Operator 1i x2 ∂x1 |D t 2 n unit¨ are Gruppe U in L (R ) ist periodisch, U t+2π = U t , t ∈ R. Hamiltonsche Vektorfelder: Zu einer C ∞ -Funktion h : R2n −→ R geh¨ ort das sogenannte Hamiltonsche Vektorfeld V (x) = J∇h (x) , x ∈ R2n mit dem Euklidischen Gradienten ∇h (x) ∈ R2n , wobei J die schiefsymmetrische Matrix 0 1n J= ∈ L R2n −1n 0
ist. Es folgt div V = 0. Nehme wiederum an, dass V einenglobalen Fluss ϕt erzeugt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn alle Energiefl¨ achen x ∈ R2n | h (x) = const kompakt sind. Dann ist U t u (x) = u ϕt (x) , t ∈ R
f¨ ur u ∈ L2 (Rn ) eine stark stetige, 1-parametrige unit¨ are Gruppe U t im Hilbertraum 2 n ∞ n L (R ) mit Erzeuger A = A|D , wobei D = Cc (R ) und ∂ A|D = J∇h (x) , , ∂x Wiederum ist der Operator 1i A selbstadjungiert im Hilbertraum L2 R2n .
9 BEISPIELE VON KONTRAKTIONSHALBGRUPPEN
9.3
112
W¨ armeleitungsgleichung
Gesucht sind L¨ osungen u in Lp (Rn ), p ≥ 1 f¨ ur t ≥ 0 der W¨ armeleitungsgleichung ∂ t>0 ∂t u(t, x) = ∆u(x, t), (9.2) u(0, x) = u(x), t=0 bei vorgegebenen Anfangsbedingungen u(x) in Lp (Rn ). Wir suchen spezielle L¨ osungen der partiellen Differentialgleichung, n¨ amlich solche in einem vorgegebenen Banach-Raum. Pn ∂ 2 Der Operator ∆ = hat konstante Koeffizienten. Wir betrachten i=i ∂xj 2 n daher zuerst p = 2, das heisst L (R ) und benutzen Fouriertransformation, um zu den L¨ osungen zu gelangen. Fouriertransformation: Wir arbeiten auf dem Schwartz-Raum S , welcher wie folgt definiert ist: S (Rn ) := {u ∈ C ∞ (Rn )| sup |xα Dβ u(x)| < ∞ ∀α, β}, x∈Rn
mit Cc∞ (Rn ) ⊂ S (Rn ) ⊂ L2 (Rn ), wobei wir folgende Notation verwenden: αn 1 α2 xα = x α 1 x2 . . . x n
α = (α1 , . . . , αn ) x = (x1 , . . . xn ) Dβ = D1β1 D2β2 . . . Dnβn
Dj =
∂ ∂xj
Die Fouriertransformation F : S (Rn ) → S (Rn ) ist definiert als die lineare Abbildung Z 1 fˆ(ξ) := F [f ] (ξ) = e−ihx,ξi f (x) dx. (9.3) (2π)n/2 Rn
Die Fouriertransformation ist eine Bijektion von S (R n ) auf S (Rn ) mit der Inversen Z 1 ˆ (x) f (x) = F −1 [f] eihx,ξi fˆ(ξ) dξ. (2π)n/2 Rn Dies folgt aus den Formeln Dα fˆ(ξ) = F [(−ix)α f ] (ξ), (iξ)α fˆ(ξ) = F [Dα f ] (ξ). Nach dem Satz von Plancherel ist kˆ ukL2 = kukL2 f¨ ur u ∈ S (Rn ), das heisst, die 2 Fouriertransformation F ist eine Isometrie in der L -Norm von S (Rn ) auf S (Rn ). Weil S (Rn ) ⊂ L2 (Rn ) dicht ist, existiert eine eindeutige stetige Fortsetzung von F zu einer Isometrie von L2 (Rn ) auf sich. Diese Fortsetzung wird wieder mit F bezeichnet, obwohl die Integralformel (9.3) nicht gilt f¨ ur f 6∈ L1 (Rn ). F¨ uhren wir die Fouriertransformation der partiellen Differentialgleichung (9.2) in der Variablen x mit Parameter t und ut (x) := u(t, x) durch, so ergibt sich formal wegen i2 = −1: d u ˆt (ξ) = −|ξ|2 u ˆt (ξ) t ≥ 0 dt u ˆ0 (ξ) = u ˆ(ξ). Halten wir ξ fest, so ist dies eine gew¨ ohnliche Differentialgleichung in t, deren L¨ osung 2
u ˆt (ξ) = e−t|ξ| u ˆ(ξ) lautet. Dies f¨ uhrt zu
t≥0
113
9 BEISPIELE VON KONTRAKTIONSHALBGRUPPEN Definition 9.2. (Kontraktionshalbgruppe Pˆ t ) Es bezeichne 2 Pˆ t u(ξ) = e−t|ξ| u(ξ)
f¨ ur ξ ∈ Rn , t ≥ 0 und u ∈ L2 (Rn ). Aus Lebesgue folgt, dass dies eine stark stetige Kontraktionshalbgruppe in L2 (Rn ) ist f¨ ur t ≥ 0. Diese Kontraktionshalbgruppe kann auf L2 (Rn ) nicht f¨ ur t < 0 fortgesetzt werden! Lemma 9.1. Die Erzeugende A : DA ⊂ L2 (Rn ) → L2 (Rn ) der Kontraktionshalbgruppe Pˆ t ist der Multiplikationsoperator Au(ξ) = −|ξ|2 u(ξ) ξ ∈ Rn definiert auf DA := {u ∈ L2 (Rn ) |ξ|2 u ∈ L2 (Rn )}.
Beweis. Es sei zuerst u ∈ DA . Dann gilt nach Definition der Erzeugenden 1 ˆt t&0 P u − u −−−→ Au in L2 (Rn ). t Es folgt f¨ ur alle ϕ ∈ Cc∞ (Rn ) Z 1 ˆt P − 1 uϕ dξ Rn t Z
=
↓
Auϕ dξ Rn
=
Z Z
u Rn
1 −t|ξ|2 e − 1 ϕ dξ t ↓
u(−|ξ|2 )ϕ dξ Rn
f¨ ur n → 0 wegen H¨ older und Lebesgue. Dies gilt f¨ ur alle ϕ ∈ Cc∞ (Rn ). Daher ist nach Theorem 5.3 −|ξ|2 u = Au ∈ L2 (Rn ),
und darum A ⊂ −|ξ|2 . Sei nun u ∈ L2 (Rn ) so, dass |ξ|2 u ∈ L2 (Rn ). Dann gilt punktweise 1 ˆt P u(ξ) − u(ξ) + |ξ|2 u(ξ) = |ξ|2 u(ξ) t
Z
1 0
1 − e−ts|ξ|
2
t&0
ds −−− → 0,
und deshalb, mit dem Satz von Lebesgue,
1 t&0 ˆ t u − u − (−|ξ 2 |)u
P
2 n −−−→ 0.
t L (R )
Nach unserer Defintion der Erzeugenden ist daher u ∈ DA und Au = −|ξ|2 u. Somit ist −|ξ|2 ⊂ A. Insgesamt ist also −|ξ|2 = A. Nach dem Theorem von Nelson (oder auch direkt) folgt A = −|ξ|2 S (Rn ) . R¨ ucktransformation der Gruppe Pˆ t , t ≥ 0: Wir definieren eine stark steti¨ ge Kontraktionshalbgruppe L2 (Rn ) → L2 (Rn ) durch die unit¨ are Aquivalenz der Fouriertransformation 2 P t u = F −1 Pˆ t F u = F −1 e−t|ξ| u ˆ
114
9 BEISPIELE VON KONTRAKTIONSHALBGRUPPEN
f¨ ur u ∈ L2 (Rn ). Dies ist eine Kontraktionshalbgruppe im x-Raum. Doch: wie sieht sie aus? F¨ ur die Fouriertransformation der Faltung gilt auf S (Rn ) ˆ u(ξ) f[ ∗ u(ξ) = (2π)n/2 f(ξ)ˆ und f¨ ur die Exponentialfunktion gilt die Formel g(x) =
2 1 e|x| /(4a) n/2 (2a)
gˆ(ξ) = e−a|ξ|
2
2 d t u(ξ) = e−t|ξ| u f¨ ur alle a > 0. Wenden wir dies an auf P ˆ(ξ), so erhalten wir
P t u(x) = pt ∗ u(x) t>0 2 1 pt (x) = e−|x| /(4t) (4πt)n/2
Wir definieren nun P t : L2 (Rn ) → L2 (Rn ) durch Z 2 1 P t u(x) = e|x−y| /(4t) u(y) dy n/2 (4πt) Rn P 0 u(x) = u(x)
t>0
(9.4)
t = 0.
Dies ist eine stark stetige Kontraktionshalbgruppe in L2 (Rn ), symbolisch schreiben wir P t = et∆“. ” F¨ ur die Erzeugende erhalten wir A = ∆ = F −1 − |ξ|2 F DA = H 2,2 (Rn ),
¨ wobei f¨ ur Sobolev-R¨ aume gilt (Ubungsaufgabe) F H 2,2 (Rn ) = u ˆ ∈ L2 (Rn )|(1 + |ξ|2 )ˆ u ∈ L2 (Rn ) = D|ξ|2 .
Zudem gilt ∆ = ∆|S (Rn ) . Aus Theorem 9.1 folgt, dass zu jeder Anfangsbedingung u ∈ H 2,2 (Rn ) genau eine Funktion t 7→ u(t) ∈ L2 (Rn ), t ≥ 0, existiert, sodass d dt u(t) = ∆u(t) t ≥ 0 . u(0) = u Es ist dann u(t) = P t u, t ≥ 0. Aus der Formel (9.4) erhalten wir zus¨ atzliche Eigenschaften: u ≥ 0 =⇒ P t u ≥ 0 ∀t ≥ 0,
u ∈ L2 (Rn ) =⇒ P t u ∈ L2 (Rn ) ∩ C ∞ (Rn ),
0 6= u ∈ L2 (Rn ), u ≥ 0 =⇒ supp(P t u) = Rn , t ≥ 0.
Insbesondere ist u(t, x) = P t u(x) f¨ ur t > 0, u ∈ L2 (Rn ), eine klassische L¨ osung der partiellen Differentialgleichung ∂ u(t, x) = ∆u(t, x). ∂t Es gibt auch andere klassische L¨ osungen, zum Beispiel sogenannte Nulll¨ osungen. Diese sind nicht in L2 (Rn ) f¨ ur alle t ≥ 0.
9 BEISPIELE VON KONTRAKTIONSHALBGRUPPEN
115
Die Formel (9.4) f¨ ur P t definiert eine Kontraktionshalbgruppe in jedem Lp (Rn ) mit p ≥ 1, nicht nur f¨ ur p = 2. Die Eigenschaft der Kontraktion folgt aus dem Faltungssatz 5.1 und aus Z kpt kL1 = pt (x) dx = pˆt (0) = 1 Rn
f¨ ur t > 0. Die starke Stetigkeit von P t in t = 0, das heisst, lim P t u = u in Lp (Rn ),
t&0
folgt analog zu Theorem 5.1
9.4
Freie Schr¨ odinger-Gleichung
Wir suchen L¨ osungen u ∈ L2 (Rn ) der freien Schr¨odinger-Gleichung ∂ ∂t u(t, x) = i∆u(t, x) t ∈ R u(0, x) = u(x)
(9.5)
Die Fouriertransformation liefert in diesem Fall d u ˆt (ξ) = −i|ξ|2 u ˆt (ξ). dt Die L¨ osungen (in t) dieser gew¨ ohnlichen Differentialgleichung f¨ uhren zur unit¨ aren ˆ t ∈ L2 (Rn ), t ∈ R, mit Gruppe U ˆ t u(ξ) = e−it|ξ|2 u(ξ) ∀ t ∈ R, u ∈ L2 (Rn ). U
Es gilt offensichtlich
t
U ˆ u
L2 (Rn )
= kukL2 (Rn )
t ∈ R, u ∈ L2 (Rn ).
Die Erzeugende A der aren Gruppe lautet A = −i|ξ|2 und ist definiert auf 2unit¨ 2 n DA = {u ∈ L (R ) |ξ| u ∈ L2 (Rn )}. Die R¨ ucktransformation liefert die unit¨ are Gruppe 2 U t u = F −1 e−it|ξ| F [u] t∈R
U t ∈ L(L2 (Rn )) mit der Erzeugenden i∆ = F −1 − i|ξ|2 F (u) auf dem Definitonsbereich Di∆ = H 2,2 (Rn ), es gilt zudem i∆ = i∆ S (Rn ) .
F¨ ur spezielle Anfangsbedingungen u erhalten wir eine spezielle L¨ osungsformel f¨ ur U t u: Es sei u ∈ S (Rn ), dann ist Z 2 2 1 U t u(x) =: u(t, x) = F −1 e−it|ξ| F (u) = eihx,ξi e−it|ξ| u ˆ(ξ) dξ. (2π)n/2 Rn
Es ist u(t, ·) ∈ S (Rn ) eine klassische L¨ osung der partiellen Differentialgleichung (9.5). Nach Theorem 9.1 existiert zu jeder Anfangsbedingung u ∈ H 2,2 (Rn ) genau eine stetig differenzierbare Funktion R → L2 (Rn ), t 7→ u(t) ∈ L2 (Rn ), welche die Schr¨ odingergleichung 1∂ t∈R i ∂t u(t, x) = ∆u(t, x), u(0, x) = u(x) ∈ H 2,2 (Rn ), t = 0 l¨ ost. Es gilt
t
ku(t)kL2 (Rn ) = ku(0)kL2 (Rn )
und es ist u(t) = P u, t ∈ R.
t∈R
116
A DAS RIEMANN-INTEGRAL
A
Das Riemann-Integral
Wir definieren das Riemann-Integral f¨ ur stetige Funktionen auf kompakten Intervallen mit Werten in Banach-R¨ aumen. Sei [a, b] ein kompaktes Intervall, und X ein Banach-Raum. Sei B = B ([a, b], X) der Banach-Raum aller beschr¨ ankten Funktionen f : [a, b] → X, mit der Supremumsnorm kf k := sup kf (t)k a≤t≤b
Eine Stufenfunktion ϕ : [a, b] → X ist eine Funktion, f¨ ur die eine Partition P : a0 = a < a1 < · · · < an = b des Intervalles existiert, und Elemente u1 , u2 , . . . , un ∈ X, sodass ϕ(t) = uj f¨ ur aj−1 < t < aj und j = 1, 2, . . . , n. Sind ϕ und ψ zwei Stufenfunktionen, so existiert eine gemeinsame Verfeinerung P ihrer Partitionen, sodass ϕ und ψ Stufenfunktionen bez¨ uglich der Partition P sind. Die Menge S aller Stufenfunktionen auf [a, b] ist daher ein linearer Teilraum von B. Das Integral einer Stufenfunktion ϕ : [a, b] → X mit Partition P ist das Element von X definiert durch IP (ϕ) :=
n X j=1
(aj − aj−1 ) uj ∈ X.
Das Integral ist unabh¨ angig von der Wahl der Partition, und man schreibt daf¨ ur I(ϕ) := IP (ϕ) =
Z
b
ϕ ∈ S.
ϕ, a
Die Abbildung I : S → X ist linear und stetig wegen kI(ϕ)k ≤ (b − a)kϕk. Wir k¨ onnen deshalb die lineare Abbildung I : S → X eindeutig stetig auf den Abschluss S von S im Banach-Raum erweitern. Diese Erweiterung bezeichnen wir ebenfalls mit I. Man nennt die Funktionen in S, welche also gleichm¨ assige Limites von Stufenfunktionen sind, Regelfunktionen . Weil eine stetige Funktion f : [a, b] → X gleichm¨ assig stetig ist, folgt C ([a, b], X) ⊂ S, und wir haben das Integral I insbesondere f¨ ur stetige Funktionen definiert. Die u ur ¨blichen Eigenschaften des Riemann-Integrals I folgen aus denjenigen f¨ Stufenfunktionen durch Limesbildung bez¨ uglich der Supremumsnorm. Speziell gelten f¨ ur stetige Funktionen f ∈ C([a, b], X) die folgenden Aussagen: 1. I : C([a, b]) → X ist stetig.
R R b
b 2. a f ≤ a kf (t)k dt ≤ (b − a)kf k.
Rb Rc Rb 3. a < c < b ⇒ a f = a f + c f . Rt d f (s) ds = f (t) ∈ X. 4. dt a
5. Mit Lemma 8.3 und 4.) folgt f¨ ur t 7→ u(t) ∈ X stetig differenzierbar u(b) − u(a) =
Z
b a
d u(t) dt . dt
6. Seien X und Y Banach-R¨ aume. Dann gilt f¨ ur A ∈ L(X, Y ), dass ! Z Z b
b
f (t) dt
A
a
A f (t) dt .
=
a
117
A DAS RIEMANN-INTEGRAL
7. Das uneigentliche Riemann-Integral f¨ ur eine stetige Funktion f : [a, ∞] → X ist wie u ¨blich definiert als Z ∞ Z N f (t) dt := lim f (t) dt ∈ X , a
N →∞
falls der Limes rechts in X existiert.
a
Index C m,β , 58 H m,p (Ω), 54 Lp (Ω), 47 W m,p (Ω), 52, 54 ◦ Hm,p (Ω), 55
Gl¨attung, 48 gleichgradig stetig, 8 Graph, 33 linearer, 37 Grenzwert, 3
Abbildung lineare, 21 Ableitung schwache, 51 Abschluss, 4 eines Operators, 37 Annihilator, 45 Approximation, 49 Approximationstheorem, 72
Halbgruppe, 87 Halbordnung, 40 Hamiltonsche Vektorfelder, 111 Hilbert-Raum, 76
Baire-Kategorie, 10 Banach-Raum, 18 Basis algebraische, 22 beschr¨ ankt gleichm¨ assig, 14 punktweise, 14 Bi-Dualraum, 64 Bildbereich, 33 Cauchy-Anfangswert-Problem, 90 Cauchy-Folge, 4 Definitionsbereich, 33 dicht definiert, 77 Differentialoperator, 38 Dirac-Folge, 48 Dirichlet-Randwertproblem, 59 Divergenz, 106 Drehimpulsoperator, 111 Dualraum, 43, 64 Durchmesser, 3 Eigenwert, 80 Einbettung kanonische, 65 Element maximales, 40 Erhaltungssatz, 104 Erzeugende, 87 Kontraktionshalbgruppe, 88 Faltung, 47 Satz von der, 47 Fl¨ usse von Vektorfeldern, 106 Fouriertransformation, 112
Impulsoperator, 110 Isometrie, 15 Jacobi-Matrix, 106 Kompakt u ¨berdeckungs, 6 folgen, 6 relativ, 6 konjugierte Gruppen, 100 Kontraktionshalbgruppe, 88 konvergent, 3 punktweise, 70 schwach, 69 schwach-∗-, 70 Kriterium f¨ ur Selbstadjungiertheit, 83 Kugel offene, 3 L¨ osungsfluss, 86 Lemma von Riesz, 23 Morrey, 57 Zorn, 40 Menge abgeschlossene, 4 dichte, 4 Inneres einer, 12 kompakte, 4 linear geordnete, 40 magere, 10 nirgends dichte, 10 offene, 3 residuelle, 10 schwach (folgen-) abgeschlossene, 72 total geordnete, 40 Metrik, 1 assoziierte, 18 diskrete, 1 Multiplikationsoperator, 113 118
119
INDEX
Neumann’sche Reihe, 26 Norm, 18 Normen aquivalente, 19 ¨ Operator, 21 abgeschlossener, 33 abschliessbarer, 37 Abschluss eines, 37 adjungierter, 77 dissipativer, 104 formal adjungierter, 76 formal selbstadjungierter, 76 maximaler formal adj., 77 selbstadjungierter, 78 symmetrischer, 78 unit¨ arer, 101 Partition, 116 Poincar´e-Ungleichung, 61 Prinzip der gleichm. Beschr¨anktheit, 14 Prinzip der Intervallschachtelung, 5 Prinzip der stetigen Inversen, 33 Produktraum, 28 Projektion, 28 Punkt innerer, 12 Quotientenraum, 28 Raum metrischer, 1 normierter, 18 reflexiver, 65 separabler, 63 vollst¨ andiger, 5 Regelfunktion, 116 Relation, bin¨ are, 40 Resolvente, 79 Resolventenmenge, 79 Riemann-Integral uneigentliches, 117 Satz vom abgeschl. Graphen, 35 Satz von Alaoglu-Banach, 74 Arzel` a–Ascoli, 8 Baire, 11, 12, 15 Banach, 13 Banach-Steinhaus, 31 Cauchy-Picard-Lindeloff, 86 Dirichlet, Riemann, Hilbert, 61 Hahn-Banach, komplex, 42 Hahn-Banach, reell, 40 Heine-Borel, 7
Hellinger-Toeplitz, 35 Hille, 93 Hille-Yosida, 94 Kato-Rellich, 84 Liouville, 106 Meyers-Serrin, 54 Morrey-Sobolev, 56 Plancherel, 112 Riesz (Darstellungssatz), 69 Satz von der stetigen Inversen, 36 Schr¨ odingergleichung, 115 schwach (folgen-) abgeschlossen, 72 schwach folgen unterhalb stetig, 73 schwach konvergent, 69 schwache L¨ osung, 60 Schwartz-Raum, 112 Skalarprodukt, 76 Sobolev-Einbettungstheorem, 59 Sobolev-Raum, 52 Spektralradius, 27 Spektrum, 79 Stabilit¨atssatz, 84 Stufenfunktion, 116 Theorem von Hille-Yosida, 90 Lumer-Phillips, 105 Nelson, 96 Stone, 102 total beschr¨ ankt, 6 Uniform stetige Halbgruppe, 99 Unit¨ are Gruppe, 101 Variationsprinzip, 73 Vervollst¨ andigung, 16 W¨ armeleitungsgleichung, 112 Wertebereich, 33