Nr. 405
Elixier des Lebens Der Spezialkurier gibt sein Geheimnis preis von Horst Hoffmann
Nach dem Aufbruch aus dem K...
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Nr. 405
Elixier des Lebens Der Spezialkurier gibt sein Geheimnis preis von Horst Hoffmann
Nach dem Aufbruch aus dem Korsallophur-Stau kommt Atlantis-Pthor, der »Dimensionsfahrstuhl«, auf seiner vorprogrammierten Reise der Schwarzen Galaxis unaufhaltsam näher. Und es gibt nichts, was die Pthorer und Atlan, ihr König, tun könnten, um den fliegenden Weltenbrocken abzustoppen und daran zu hindern, je nen Ort zu erreichen, von dem alles Unheil ausging, das Pthor im Lauf der Zeit über ungezählte Sternenvölker brachte. Als Pthor jedoch die Peripherie der Schwarzen Galaxis erreicht, geschieht etwas Unerwartetes. Der fliegende Kontinent kommt abrupt zum Stillstand. Atlan, nicht ge willt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zukommen wer den, ergreift daraufhin die Flucht nach vorn. Zusammen mit Thalia und einer Gruppe von ausgesuchten Dellos fliegt er die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an. Nach gefährlichen Abenteuern auf Enderleins Tiegel, dem Schrottplaneten, auf Xu don, dem Marktplaneten, und bei den Insektoiden von Gooderspall hat er eine Per son in seine Gewalt bekommen, von der der Arkonide sich wichtige Informationen über die Schwarze Galaxis erhofft. Diese Person ist der Spezialkurier – und sein Geheimnis ist das ELIXIER DES LE BENS …
Elixier des Lebens
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Arkonide erfährt das Geheimnis des Spezialkuriers.
Aislander - Spezialkurier des Chirmor Flog.
Thalia - Die Odinstochter wird zur Geisel.
Yatiner - Leiter eines Stützpunkts auf Nergal.
Xandärmaran - Kommandant einer ScuddamorFlotte.
1. Wir könnten uns mit dem Gedanken trö sten, ein weiteres Mal mit heiler Haut da vongekommen zu sein. Wir könnten uns ein zureden versuchen, daß wir einen winzigen Schritt vorangekommen sind, daß wir nun ein Faustpfand haben. Wir könnten uns da mit Mut machen, daß wir vielleicht eine Achillesferse des mächtigen Neffen Chirmor Flog gefunden haben. All das wäre Selbstbe trug. Von nun an werden wir gehetzt werden. Die Jagd ist eröffnet. Überall in diesem Raumsektor der Schwarzen Galaxis, dem Marantroner-Revier, wird man nun über uns Bescheid wissen. Jeder Kommandant eines Organschiffs wird unsere exakte Beschrei bung haben. Die HORIET ist nirgendwo in diesem Revier mehr sicher. Vielleicht könn ten wir ein anderes Schiff kapern, wenn Bronniter-Vang nicht wäre. Würde er einen Wechsel des Schiffes überleben? Er ist so sehr mit den technischen Anlagen und dem Lebenserhaltungssystem der HORIET ver bunden, daß eine Loslösung wahrscheinlich seinen sofortigen Tod bedeutete. Werden die Angreifer, die früher oder später erscheinen werden, sich bluffen las sen? Können wir uns darauf verlassen, daß niemand es wagen wird, auf uns zu schie ßen, weil wir etwas an Bord haben, das für den Neffen von unendlichem Wert sein muß? Es ist sinnlos, darüber zu spekulieren. Wir müssen abwarten und uns etwas einfallen lassen, wenn unser Weg nicht hier und jetzt zu Ende sein soll. Ich muß alles über Bord werfen, was frü her »normal« für mich war. Hier gelten an dere Maßstäbe. Auch alle Spekulationen
über Chirmor Flog und den Dunklen Oheim bringen nichts ein. Was immer wir uns auch vorstellen, das, was wir vielleicht finden werden, wird anders sein. Und vielleicht fin det die erste Begegnung mit dem Neffen frü her statt, als uns allen lieb sein kann. Bron niter-Vang konnte einen Funkspruch von Nergal auffangen. Die mysteriöse Scudda morFlotte, über die auch unsere Galionsfi gur kaum etwas Konkretes weiß, ist auf uns angesetzt. Wir mußten den Spezialkurier aus seinem Kokon befreien, um Näheres über Chirmor Flog zu erfahren. Wieviel erhofften wir uns von Aislander. Wie sehr hatten wir uns ge täuscht. Und alles fing damit an, daß ich an ordnete, den Kokon in die Zentrale der HO RIET schaffen zu lassen …
2. An Bord der HORIET – Atlan, Thalia, dreißig Dellos und ein Fremder Thalia klammerte sich an Atlans Arm, als die Del los immer weitere Stücke aus dem weißen, etwa mannshohen Kokon schälten. Dann und wann bewegte sich die von den Terzö gen, den insektoiden Eingeborenen des Pla neten Gooderspall, gesponnene Hülle. Ein Zeichen, daß Aislander nach wie vor lebte. Ein erstes Stück des Spezialkuriers wurde sichtbar. Atlan zog Thalia fester an sich. Ih re Blicke sagten genug. Sie hatte Angst vor dem, was in wenigen Minuten zum Vor schein kommen würde. Gebannt verfolgte der Arkonide, wie im mer mehr von Aislanders Gestalt sichtbar wurde. Die Dellos arbeiteten schnell, ebenso emsig wie ihre Artgenossen in den Labors der HORIET, wo das geheimnisvolle und für den Neffen Chirmor Flog anscheinend so
4 wertvolle Drüsensekret der Terzöge-Königin untersucht wurde. Stück für Stück wurde aus dem Kokon gelöst. Ein blauer Körper schälte sich her aus, bis er endlich ganz von dem Gewebe befreit war. Aislander! Ein Schauer lief Atlan über den Rücken. Thalias Finger krampften sich in seinen Arm. Er spürte es nicht einmal. Er war völ lig gefesselt von dem Anblick, der sich ihm bot. Noch schien Aislander halb betäubt zu sein. Sein Körper zuckte immer wieder, aber es waren noch keine gesteuerten Bewegun gen. Ein blauhäutiger nackter Muskelprotz, et wa 1,85 Meter hoch. Das war Atlans erster Eindruck. Der Spezialkurier war völlig un behaart. Das, was Atlan für Muskelstränge hielt, war nicht vergleichbar mit Muskel strängen eines menschenähnlichen Wesens. Es gab keine anatomische Proportionierung, so wie sie dem Arkoniden vertraut war. Von einem wulstartigen Kranz um den dicken Hals liefen die Stränge nebeneinander wie ein Panzer bis zur Hüfte hinab. Dort saß ein weiterer Kranz, von dem aus weitere Strän ge zu zwei Kränzen liefen, die sich jeweils an den Oberschenkelhälsen befanden. Auch an beiden Achseln gab es solche Verdickun gen, von denen aus Stränge bis zu den Handgelenken liefen. Jeder von ihnen war fingerdick und von großer Elastizität, wie die noch unkontrollierten Bewegungen ver rieten. Der Kopf. Er war ebenfalls blau und kan tig. Das Kinn war vorgeschoben, und anstel le von Zähnen sah Atlan zwei mächtige Sil berbacken im Ober und Unterkiefer. Die Augen lagen tief in den Höhlen, noch ge schlossen. Wieder überlief es den Arkoniden eiskalt, und Thalia stieß einen Laut des Ent setzens aus. Dies war er also, der Mann, der Atlan vielleicht sogar zum mächtigen Neffen des Dunklen Oheims führen konnte. Die Dellos zogen sich zurück und warte-
Horst Hoffmann ten. Es war still in der Zentrale der HO RIET. Und dann geschah es. Aislander öffnete die Augen. Atlan sah in schmale schwarze Pupillen. Die Augen einer Katze, leuchtendgrün und stechend. Sie blickten den Arkoniden an, dann Tha lia. Die Odinstochter zitterte am ganzen Körper. Unwillkürlich mußte Atlan an seine erste Begegnung mit ihr denken. Damals war sie ihm als der mächtige Honir entge gengetreten, in einer Rüstung, die ihr heute nur noch als Alptraum erscheinen mußte. Thalia hatte ihre Rolle als Sohn Odins längst aufgegeben und sich von der Zwangsvorstel lung befreit, nur so unter ihren Brüdern Re spekt zu finden. Nun trug sie eine bequeme Kombination. Atlan mußte die Initiative ergreifen. Er bedeutete den Dellos, daß sie sich im Hinter grund zu halten und alles zu unterlassen hät ten, was den Spezialkurier provozieren könnte. Noch wußte er nichts über dessen Psyche. Aislander war mehr als fremd. Atlan fühlte sich ihm gegenüber hilflos. Doch bevor der Arkonide etwas sagen konnte, wandte der Spezialkurier sich ihm wieder zu und begann zu reden. »Ihr habt mich aus der Gewalt der Terzö ge befreit. Dafür bin ich euch zu Dank ver pflichtet.« Alles hatte Atlan erwartet, nur nicht diese Eröffnung. Aislander sprach Garva-Guva. Das war nichts Ungewöhnliches. Aber nun bewegte er sich und kam auf Atlan zu. Er blieb so kurz vor ihm stehen, daß Atlan glaubte, eiskalten Atem zu spüren, der ihm ins Gesicht wehte. Aislander bewegte die Kiefer, wobei ein knirschendes und mahlendes Geräusch entstand. Atlan kämpfte gegen den Drang an, zurückzuspringen und sich ir gendwo in Sicherheit zu bringen. »Ich weiß über alles Bescheid«, fuhr der Unheimliche fort. »Ich war im Kokon gefan gen und unfähig, mich aus eigener Kraft zu befreien, aber ich konnte alles hören, was um mich herum gesprochen wurde. Ihr seid nicht jene, die kommen sollten, um mich nach Nergal zu bringen.«
Elixier des Lebens Nergal! Mit Sicherheit jene Welt oder die Station, zu der der Kurier des Neffen das Sekret transportieren sollte – das Ziel, das bislang sein Geheimnis gewesen war. Nun gab er es preis, ohne daß jemand eine einzige Frage gestellt hatte. Atlans Gedanken überschlugen sich. Er versuchte, in den Augen seines unheimli chen Gegenübers zu lesen. Es war aussichts los. Die ganze Situation hatte etwas Unwirk liches an sich. Aislander, der Spezialkurier des Neffen Chirmor Flog, ein Vertrauter des Neffen, wie Atlan annehmen mußte, stand seelenruhig in der Zentrale der HORIET, als ob es ihm überhaupt nichts ausmachte, daß er sich nicht inmitten jener befand, die ihn eigentlich hätten abholen sollen. Welches Spiel spielte er? Atlan spürte ge nau, daß Aislander hellwach und Herr seiner Sinne war. Er hatte den Eindruck, daß jedes Wort des Blauhäutigen wohlüberlegt war. Reine Selbstsicherheit? War es das Wissen um die eigene Überlegenheit, das Aislander so ruhig sprechen ließ? »Es stimmt«, sagte der Arkonide. »Die KOLNYR sollte dich abholen. Sie existiert nicht mehr. Wir kamen ihr zuvor. Was fol gerst du daraus?« »Ich brauche keine Schlußfolgerungen zu ziehen, Atlan. Du siehst, ich kenne deinen Namen. Ich habe bereits gesagt, daß ich über alles Bescheid weiß, was vorgegangen ist. Ich kenne eure Absichten. Ihr seid Rebellen und kämpft gegen Chirmor Flog, meinen Herrn.« Atemlose Spannung. Thalia hing wie ver steinert in Atlans Arm. Der Arkonide sah, wie einige Dellos sich unruhig bewegten, als ob sie sich jeden Augenblick auf Aislander stürzen wollten. »Fälser, sieh zu, daß sie keine Dummhei ten machen!« »Eure Furcht ist unbegründet«, kam es so fort vom Spezialkurier. »Ich hätte euch töten können, hätte ich es gewollt. Ich könnte es jetzt tun, ohne daß ihr etwas gegen mich un ternehmen könntet. Ich bin nicht gegen
5 euch. Im Gegenteil. Ihr kamt zur rechten Zeit.« Atlan glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. »Ja«, sagte Aislander. »Auch ich hasse den Neffen des Dunklen Oheims.«
* Irgend etwas in Atlan schlug Alarm. Der Arkonide musterte Aislander aus zusam mengekniffenen Augen. Er lauschte in sich hinein, doch es war nicht der Extrasinn, der sich gemeldet hätte. Es war ein Gefühl. Frage ihn weiter aus! appellierte der Ex trasinn dafür nun. Er soll seine Behauptung dadurch unter Beweis stellen, daß er uns die Daten liefert, die wir brauchen. Und uns in eine Falle locken! dachte At lan bitter. Woher sollen wir wissen, daß er uns keine falschen Angaben liefert? Vielleicht kann Bronniter-Vang anhand von Vergleichen mit ihm zur Verfügung ste henden Informationen feststellen, ob er lügt oder nicht. Ansonsten mußt du versuchen, ihn zu überführen. So einfach ist das! Atlan wußte jedoch, daß er keine Alterna tive hatte. Und vielleicht sprach der Muskel protz tatsächlich die Wahrheit. Dann aber würde er zum bisher mächtigsten Verbünde ten gegen den Neffen und vielleicht sogar gegen den mysteriösen Beherrscher dieser unheilvollen Sterneninsel werden. »Wenn du Chirmor Flog haßt«, fragte At lan lauernd. »Wieso hast du bisher nichts ge gen ihn unternommen und treu seine Befehle aus geführt?« Aislanders Antwort war eine Gegenfrage. »Was wißt ihr schon über diesen Kos mos?« Es war ein eigener Kosmos, ein ganzes Universum des Dunkels, des Grauens. Eine Gleichung voller Unbekannter. »Du hast recht«, gab Atlan zu. »Wir wis sen nichts, deshalb fällt es uns auch schwer, dir zu vertrauen.« »Ich mußte vorgeben, dem Neffen treu zu
6 sein, um am Leben zu bleiben und mir mei ne Bewegungsfreiheit zu erhalten. Es gab keinen ernstzunehmenden Widerstand gegen die Herrscher, solange ich zurückdenken kann. Nun seid ihr gekommen. Ihr seid an ders als jene, die sich aufzulehnen versuch ten. Ihr kommt von außerhalb.« »Ich traue ihm nicht, Atlan«, flüsterte Thalia. Aislander wandte sich ihr zu. »Ich verstehe euer Mißtrauen. Es ist gut, daß ihr vorsichtig seid. Es bestätigt den Ein druck, den ich von euch gewann. Als Zei chen meiner Aufrichtigkeit werde ich euch zum Planeten Nergal führen. Auf dem Weg dorthin werden wir Gelegenheit haben, uns besser verstehen zu lernen. Gemeinsam könnten wir die Macht des Neffen brechen.« Atlan zuckte zusammen. Aislander hatte in Pthora gesprochen! »Ihr seht, daß mir nichts von dem entgan gen ist, was ihr in der Nähe meines Kokons geredet habt. Ich bin Universalredner und fähig, eine jede Sprache, die gewissen fun damentalen Kriterien genügt, innerhalb kur zer Zeit zu verstehen und zu erlernen. So war es auch beiden Terzögen auf Gooder spall. Deshalb war ich in der Lage, mich auch ohne Kundschafter mit ihnen zu ver ständigen.« »Und dennoch wurdest du überwältigt«, stellte Atlan fest. »Wenn du willst, daß wir dir vertrauen, mußt du uns schon ein wenig mehr erzählen. Wenn du also alles von uns weißt, ist es nur recht, wenn auch wir alles erfahren, was du weißt – zum Beispiel über Chirmor Flog.« Eine kleine Pause. Täuschte sich der Ar konide, oder bewegten sich einige der Mus kelstränge tatsächlich kaum wahrnehmbar? »Ich weiß nichts über ihn, Atlan. Weder ich noch die anderen Mitglieder meines Vol kes, die Spezialaufträge für Chirmor Flog erledigen, haben den Neffen jemals zu Ge sicht bekommen. Wir erhalten unsere An weisungen von anderen. Auch weiß nie mand, wo genau sich der Planet Säggallo be findet.«
Horst Hoffmann »Und der Dunkle Oheim?« »Niemand kennt ihn, Atlan.« Der Arkonide ließ sich seine Enttäu schung nicht anmerken. Was hatte er erwar tet? Einen Aislander, der ihm auf einmal al les sagen konnte, was ihn an Fragen beweg te? Sprach Aislander die Wahrheit oder log er? War er ein potentieller Verbündeter und als solcher zu behandeln oder die größte Ge fahr, der der Arkonide und seine Begleiter während des Einflugs in die Randgebiete der Schwarzen Galaxis begegnet waren? »Das Sekret. Weißt du wenigstens dar über etwas?« »Nicht über seine Bedeutung für Chirmor Flog. Ich sollte es nach Nergal bringen. Erst dort wird es zu dem gemacht, was der Neffe erhalten wird. Es ist lebenswichtig für ihn. Das ist alles, was mir bekannt ist.« Bronniter-Vangs Stimme drang aus den Lautsprechern. Die lebende Galionsfigur der HORIET forderte Atlan auf, Aislander nach den Koordinaten des Zielplaneten zu befra gen. Der Spezialkurier nannte sie. BronniterVang hörte mit und bestätigte nach wenigen Sekunden, daß es eine solche Welt gab. Der Beweis für die Richtigkeit von Ais landers Aussagen? Atlan blieb vorerst keine andere Wahl, als auf Aislander einzugehen. Falls der Unheim liche tatsächlich die Wahrheit sprach, hatte er nur zu gewinnen. Und wenn nicht? Hatte Aislander nur geblufft, oder war er tatsächlich in der Lage, ohne erkennbare Waffen, vielleicht mittels psionischer Fähig keiten, die gesamte Besatzung der HORIET auszuschalten? Atlan ließ sich auf ein gewagtes Spiel ein, aber die Situation ließ ihm keine Wahl. Des halb sagte er zu Aislander: »Wir sind bereit, mit dir zusammenzuar beiten. Die HORIET wird dich nach Nergal bringen.« Atlan winkte zwei Dellos herbei und dirigierte sie neben den Blauhäutigen. »Sie werden dich in deine provisorische Unterkunft führen. Sage ihnen, was du even
Elixier des Lebens tuell brauchst. Vor allem wäre es besser, du würdest dir erst einmal etwas anziehen.« Mit gezwungenem Lächeln fügte der Arkonide hinzu: »Unter Wesen wie uns zieht man es vor, angezogen umherzulaufen.« »Eine nutzlose Sitte«, kam es von Aislan der. »Aber ich füge mich euren Gesetzen. Und denkt daran, euch als das Organschiff auszugeben, das mich wirklich abholen soll te, wenn wir uns Nergal nähern. Es ist siche rer, jedenfalls bis zur Landung. Auch dieser Planet ist mir nicht bekannt. Ich kenne nur die Koordinaten und weiß nicht, was und wer uns dort erwartet. Das Sekret soll auf Nergal aufbereitet werden – wie, das kann ich nicht sagen.« Atlan nickte nur. Er gab den Dellos einen Wink. Aislander folgte ihnen. »Er ist ein Monstrum«, zischte Thalia, als der Spezialkurier die Zentrale verlassen hat te. »Ich glaube ihm kein Wort. Diese Augen …« »Jede seiner Bewegungen wird überwacht werden«, sagte Atlan. »Ich traue ihm eben sowenig wie du. Warten wir ab, bis er allein ist. Vielleicht ist er nicht so nackt, wie es aussieht. Vielleicht versucht er, mit anderen Kurieren oder Organschiffen Kontakt aufzu nehmen.« Der Arkonide zuckte die Schul tern. »Wahrscheinlich weiß er, daß er beob achtet wird. Dann muß er sich etwas anderes einfallen lassen. Uns bleibt wirklich nichts anderes, als darauf zu warten, daß er sich verrät. Wenn er nichts unternommen hat, bis wir Nergal erreicht haben, muß ich ihm wohl glauben, daß er auf unserer Seite ist …« Bronniter-Vang hatte inzwischen den Kurs berechnet, und Fälser, der Komman dant der DelloTruppe an Bord, ließ die HO RIET allmählich Fahrt aufnehmen. Atlan stand reglos vor dem Monitor, der das Innere von Aislanders Kabine zeigte, wo der Spezialkurier nun allein war und wie versteinert dastand. Atlan spürte wieder die Unruhe in sich. Er wurde das Gefühl nicht los, daß in diesem blauen Muskelpaket, das nun teilweise von einigen notdürftig zusam
7 mengeknoteten Stoffteilen bekleidet war, ir gend etwas vorging, das weder mit mensch lichen Sinnen noch mit dem technischen In strumentarium an Bord der HORIET zu er fassen war.
3. Aislander Er hatte erreicht, was er wollte. Die Frem den waren sich zwar nach wie vor unschlüs sig, aber sie ließen ihm den Handlungsspiel raum, den er benötigte, um seine Pläne zu verwirklichen. Natürlich wußte er, daß er beobachtet wurde. Man hatte ihn in eine Passagierkabine der HORIET gebracht, und die Passagierkabinen der meisten Organ schiffe verfügten über verborgene Optiken und Mikrophone. Aislander wollte noch eine Weile warten, bis die Aufmerksamkeit der Fremden etwas nachgelassen hatte. Chirmor Flog würde mehr als zufrieden mit ihm sein, wenn er diese gefährlichen Wesen auf Nergal ablieferte. Schon in der Burg der Terzöge hatte Aislander gespürt, daß der Hellhaarige und seine Anhänger mit keinem der kleinen Grüppchen zu verglei chen waren, die immer wieder versuchten, eine Revolte gegen den Neffen anzuzetteln. Mit ihnen hatte Chirmor Flog immer leichtes Spiel gehabt. Diese Fremden aber, die von jenseits der dunklen Sterne kamen, waren zu allem entschlossen. Aislander kannte nicht alle Hintergründe. Er hatte ihren Unterhal tungen bisher lediglich entnehmen können, daß ihre Welt sich in der Nähe der Schwar zen Galaxis befand und daß sie dort nicht immer ihren Platz gehabt hatte. Der Spezialkurier stellte eine phantasti sche Spekulation an. War es möglich, daß es sich bei der Welt der Fremden um einen der vor langer Zeit ausgesandten Dimensionsfahrstühle handel te, der nun zurückgekehrt war – und ganz offensichtlich unter fremder Kontrolle? Natürlich konnte Aislander nicht über Zu sammenhänge informiert sein, die vielleicht
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Horst Hoffmann
nur der Dunkle Oheim selbst kannte. Doch der Gedanke faszinierte ihn – so sehr, daß er beschloß, seine Spekulationen vorerst für sich zu behalten und sie bei sich bietender Gelegenheit Chirmor Flog (dem er wirklich noch nie gegenübergestanden hatte) mitzu teilen. Stunden vergingen, bevor Aislander end lich aktiv wurde. Er hatte gelogen, als er in der Zentrale behauptete, die gesamte Besat zung auf einen Schlag töten zu können. Das war ihm nicht möglich. Aber er konnte einen Blitzschlag gegen eines der Besatzungsmit glieder führen und die anderen erpressen. Atlan würde alles tun, was er verlangte, um das Leben der Geisel zu retten. Die starke emotionale Bindung Atlans an Thalia war dem Spezialkurier nicht entgangen. Aislan der hatte die Optiken in der Decke und den Wänden längst entdeckt. Er konzentrierte sich. Aislander dachte an Chirmor Flog, dem er so treu ergeben war wie kaum ein ande rer. Dann peitschten die Muskelstränge durch den Raum.
* Der Monitor wurde schlagartig dunkel. Atlan, der ihn nur noch mit halbem Auge beobachtet und sich mehr auf den Flug kon zentriert hatte, fuhr mit einem Fluch herum. Blitzschnell drückte er auf einige Knöpfe, um die Bilder der anderen im Passagierraum versteckten Kameras auf den Schirm zu bringen. Nichts. »Da haben wir die Bescherung!« knurrte der Arkonide. »Verdammt, ich hätte es wis sen müssen. Es war Leichtsinn, ihn allein …« »Selbstvorwürfe bringen uns nicht wei ter«, sagte Fälser. »Aber wie konnte er alle Kameras auf einmal zerstören?« »Mich interessiert viel eher, wo er jetzt steckt«, brummte Atlan und sprang auf. »Wir sehen nach. Fälser, du kümmerst dich weiter um die Steuerung. Branor, du kommst mit!«
»Ich auch«, bat Thalia. »Bitte! Er kann nicht ausgebrochen sein. Die Tür war ver schlossen.« »Bist du so sicher?« Atlan zögerte einen Augenblick. Dann nickte er. »Na gut. Komm! Branor, du gehst trotzdem mit!« Sie rannten durch einen Korridor auf den Teil des Schiffes zu, in dem sich die Passa gierkabinen befanden. Sie fanden die Tür zu Aislanders Kabine offen. Atlan blieb stehen und hielt Thalia und den Dello zurück. »Ich gehe allein hinein. Wartet auf dem Korridor, bis ich rufe.« Thalia protestierte. Sie klammerte sich an Atlans Arm und wollte ihn mit Gewalt fest halten. »Geh nicht hinein, bitte! Nicht allein! Es ist … es ist etwas Schreckliches passiert, ich spüre es. Du darfst nicht …« »Nimm doch Vernunft an! Du kommst auf keinen Fall mit! Bist du zufrieden, wenn Branor mitgeht?« Thalia zögerte einen Augenblick. Dann nickte sie. Atlan gab Branor ein Zeichen. Der Dello folgte ihm. Thalia sah sich um. Jetzt bereute sie es, Branor nicht bei sich zu haben. Das Grauen schien nun von überallher auf sie einzuströ men. Gerade wollte Thalia den Männern nach laufen, als sie Atlans erstickten Schrei hörte. Im nächsten Augenblick rief der Arkonide, daß sie unter keinen Umständen hineinkom men dürfe. Sie war auch nicht mehr in der Lage dazu, denn in diesem Moment war das, was im Korridor, in einer Nische verborgen, auf sie gelauert hatte, schon heran. Thalia fand kei ne Zeit mehr, einen Schrei auszustoßen.
* Das, was Atlan vor sich sah, konnte nicht Aislander sein! Ein unglaublich dürrer Knochenkörper, völlig ausgemergelt und von pergamentarti
Elixier des Lebens ger gelber Haut gerade noch eingehüllt. Atlan war kreidebleich. Unwillkürlich machte er einen Schritt zurück. Der Dello stand wie versteinert neben ihm. Er zeigte keine Reaktion. Atlan sah sich schnell um. Irgend etwas! Etwas, das er als Waffe verwenden konnte, eine Stange, ein Rohr, vielleicht ein Werk zeug … »Ich würde dir nicht raten, mich anzugrei fen, Atlan!« kam es völlig unerwartet von der dürren Gestalt. Es folgte ein höhnisches Lachen. »Ich nehme doch an, daß dir das Leben Thalias etwas bedeutet?« »Du Teufel!« zischte der Arkonide. Jetzt konnte kein Zweifel mehr daran bestehen, daß er tatsächlich Aislander vor sich hatte. Aber wo waren die Muskelstränge geblie ben? Atlan sah die Fetzen der notdürftig zu sammengeknoteten »Kleidung« vor dem Knochenkörper auf dem Boden liegen. »Was ist mit Thalia?« »Geh hinaus und sieh sie dir an.« Atlan fuhr herum und stürzte zurück auf den Kor ridor hinaus. Er schrie gellend auf. Einen Augenblick dachte er, sich doch getäuscht zu haben und nun den wirklichen Aislander vor sich zu sehen. Ein Bündel aus blauen Muskelsträngen, doch das Gesicht, das nur zum Teil daraus hervorragte, war nicht das des Spezialkuriers. »Thalia!« brachte Atlan mit halberstickter Stimme hervor. »Um Himmels willen! Was …?« »Ein Wort von mir genügt, um sie von meinem Symbionten ersticken zu lassen. Es ist besser für sie und für euch alle, wenn ihr mir gehorcht.« Wieder fuhr Atlan herum. Der Knöcherne stand neben ihm. Atlan glaubte ein hämi sches Grinsen auf seinem Gesicht erkennen zu können. »Du bist ein verdammter Teufel!« schrie er, die Hände zu Fäusten geballt. »Das sagtest du schon. Ich weiß zwar nicht, was dieses Wort zu bedeuten hat, aber sicher wäre es schmeichelhaft für mich.« »Befreie sie! Sag deinem … deinem Sym bionten, er soll sich von ihr lösen!« Atlan
9 sah, wie Thalias Lippen sich bewegten, als ob sie etwas sagen wollte. Der Mund, die Nase und die weit aufgerissenen tränenden Augen waren das einzige, was noch von ihr zu sehen war. »Ich garantiere dir, Aislander: wenn ihr auch nur ein Haar gekrümmt wird, bringe ich dich eigenhändig um!« Sofort verfinsterte sich die Miene des Knöchernen. »Ich sagte, daß du mir wie alle anderen zu gehorchen hast. Die Bedingungen und For derungen stelle ich allein! Gehorcht, und sie wird frei sein.« Wieder das hämische La chen. »Frei auf Nergal, bis ihr abgeholt oder sterben werdet. Ich muß mir noch überlegen, was mit euch zu geschehen hat. Vielleicht schone ich euch – das hängt ganz davon ab, wie ihr euch während des Fluges verhaltet.« Atlan war vor Zorn unfähig, noch ein Wort zu sagen. Er fühlte sich hilfloser als je mals zuvor in seinem Leben. Thalia in die sem Gewirr aus blauen Strähnen gefangen. Wahrscheinlich bekam sie gerade noch so viel Luft, daß sie nicht schon jetzt sterben mußte. Das war es also, was sich hinter dem Muskelprotz verborgen hatte. Die blauen Stränge waren ein einziger Symbiont – Hun derte von lebenden Strähnen, die wie anein andergeknotete Schlangen ein Eigenleben entwickeln und sich von Aislanders wirkli chem Körper ablösen konnten. Aislanders wohl einzige, aber ungemein wirksame Waf fe. Atlan mußte sich mit Gewalt davor zu rückhalten, auf den Knöchernen zuzustürzen und ihm mit der Faust ins Gesicht zu schla gen. »Wir gehen in die Zentrale!« befahl Ais lander. »Alle sollen sehen, wie es um die Frau bestellt ist und was mit ihr geschieht, sobald ihr den Gehorsam verweigert! Vor wärts!« »Ein Feind des Neffen!« Atlan lachte rauh, die Hände immer noch zu Fäusten ge ballt, als er neben Aislander marschierte. Branor und Thalia gingen vor – das heißt: die Odinstochter schien zu schweben. Die Enden der um ihre Füße gewickelten blauen
10 Stränge bewegten sich wie die Beine eines Tausendfüßlers, ohne daß Thalia und mit ihr der Hauptkörper des Symbionten das Gleichgewicht verlor. »Wie konnte ich nur so dumm sein und dir nur halbwegs glau ben? Ich bin sicher, du könntest uns auch zu diesem Chirmor Flog führen oder uns eini ges über den Dunklen Oheim berichten.« »Es tut mir aufrichtig leid, Atlan.« Aislan der kam sich völlig sicher vor. Der Hohn in seiner Stimme trieb Atlan fast zum Wahn sinn. »Wirklich, es tut mir leid, dir damit nicht dienen zu können. Ich weiß tatsächlich nichts über den Dunklen Oheim, und ich bin froh darüber. Chirmor Flog habe ich auch noch nie gesehen, und ich war nie auf Säg gallo.« »Und das Sekret?« »Warte!« Aislander rief ein paar Worte in einer Sprache, die Atlan nicht verstand. So fort blieb der Symbiont mit Thalia stehen. Auch Branor drehte sich um. »Erst einmal wollen wir dafür sorgen, daß niemand in der Zentrale auf dumme Gedanken kommt. Crosv ist manchmal etwas … nervös, vor al lem dann, wenn ich will, daß er nervös ist, ihr versteht?« Die Männer verstanden. Aislander war ein Sadist, der sich am Leid anderer ergötzen konnte. Atlan schwor sich, ihn zu töten, falls Thalia nicht spätestens nach der Landung auf Nergal von diesem Etwas, das der Spezi alkurier Crosv nannte, befreit würde. Und selbst dann sollte dieses Monstrum nicht ungeschoren davonkommen. Atlan wußte nun, daß Aislander geblufft hatte, als er davon sprach, sie alle umbringen zu kön nen, wenn er wollte. Er konnte es nicht, je denfalls nicht an Bord der HORIET, sonst hätte er Thalia nicht als Geisel nehmen müs sen. Auf Nergal allerdings konnte sich das ganz schnell ändern. Atlan war sicher, daß Aislander gelogen hatte und schon oft auf diesem Planeten gewesen war. »Geh vor in die Zentrale, Atlan!« befahl der Spezialkurier. »Sage deinen Leuten, daß sie sich ruhig verhalten sollen, wenn sie
Horst Hoffmann Thalia mit Crosv sehen!« »Nur eine Frage noch.« »Und?« »Wie viele von deiner Art gibt es noch? Du sprachst von anderen Mitgliedern deines Volkes, die Spezialaufträge für den Neffen auszuführen haben.« »Was soll das?« »Wie viele, Aislander? Ich will es wis sen.« »Mehr als genug. Einen wirst du bald schon kennenlernen.« »Wie nennt ihr euch?« »Havaren«, zischte Aislander giftig. »Ich weiß genau, weshalb du fragst! Gleich wirst du wissen wollen, wie unser Heimatplanet heißt und wo er liegt, richtig?« »Du bist wirklich intelligent, Aislander.« »Und du bildest dir ein, tatsächlich von Nergal entkommen und irgendwann einmal Rache nehmen zu können?« Aislander hob einen der dürren Arme und stieß dem Arko niden die Knochenfaust in die Seite, bevor dieser reagieren konnte. Dann aber hatten beide Fäuste des Unsterblichen den dürren Arm umklammert. Aislander lachte nur und stieß wieder einige Worte in der fremden Sprache hervor. Thalia, die eben noch stumm gewesen war, stieß einen schrillen Schrei aus, als die Stränge in Bewegung ge rieten und sich enger um sie schnüren woll ten. Atlan ließ augenblicklich los. Schweigend, ohne Aislander noch einmal anzusehen, ging er an Branor vorbei in die Zentrale und bereitete die Dellos auf das vor, was sie gleich sehen würden. Atlan dachte keinen Augenblick daran, Thalia zu opfern. Zwar suchte er verzweifelt nach einer Möglichkeit, den Symbionten schachmatt zu setzen, aber alles, was ihm einfiel, verwarf er gleich wieder. Der Arkonide ging davon aus, daß Aislan der nicht lange ohne seinen Symbionten le ben konnte. Spätestens nach der Landung al so mußte er ihn von Thalia zurückziehen. Dann sah die Lage schon anders aus, egal, was ihn und seine Gefährten dort erwartete.
Elixier des Lebens Aislanders Andeutung konnte nur bedeuten, daß es mindestens einen weiteren Havaren auf Nergal gab. Und wenn Nergal nun die Heimatwelt dieser Wesen war? Atlan wagte nicht, sich die Konsequenzen auszumalen. Etwas anderes beschäftigte ihn, als Branor, Thalia und Aislander nun die Zentrale betraten. Wie würde Thalia aussehen, nachdem sich das schleimige blaue Monstrum von ihr gelöst hatte? Und er stellte sich eine zweite Frage, als er Aislander wieder in die kalten Augen sah: Würde er, der sein Leben lang gegen das Verbrechen gekämpft hatte, in der Lage sein, einen Mord zu begehen, falls sich ihm die Gelegenheit dazu bot? Aislander spürte offenbar, was hinter der Stirn des Arkoniden vorging, denn er wand te den Blick den Kontrollen zu. »Wie lange noch bis nach Nergal?« fragte er Fälser. Dieser schien die Frage überhaupt nicht zu hören. Er starrte den Knöchernen nur an, dann Thalia und schließlich Atlan. »Was hat das alles zu bedeuten? Wir …« »Sage es ihnen, Atlan!« Der Arkonide fluchte und berichtete knapp über die Ereignisse in Aislanders Ka bine und auf dem Korridor. »Also!« kreischte Aislander. »Wann sind wir am Ziel?« Fälser hatte sich ans Bordkommunikati onssystem angeschlossen und unterhielt sich mit Bronniter-Vang auf mechanischtelepa thischer Basis. Es dauerte nur eine Se kunde, bis er erklären konnte: »Wir erreichen Ner gal in knapp 38 Stunden.« Atlan stieß die Luft aus. »So lange soll Thalia noch in die sem Ding stecken? Sie wird sterben, Aislan der!« »Sie wird nicht sterben. Du kennst Crosv noch nicht, aber vielleicht wirst du auch ein mal nähere Bekanntschaft mit ihm machen können. Vielleicht bleibt Thalia auch noch etwas länger von ihm umschlungen, auch nach der Landung. Wer weiß …?« Atlan hatte das Gefühl, im Boden versin
11 ken zu müssen. Alles in ihm drängte danach, Aislander das zu geben, was er verdiente, aber das wäre gleichbedeutend mit Thalias Tod gewesen. Sollte er sich getäuscht haben? War der Havare tatsächlich in der Lage, für längere Zeit ohne seinen Symbionten zu leben? Besaß jeder Havare einen Symbionten, oder galt dies nur für Aislander? Atlan sah ein, daß all diese Fragen vorerst zu nichts führten. Er mußte versuchen, das Beste aus der gegebenen Situation zu ma chen. Vielleicht erfuhr er von Aislander doch noch etwas, das ihm nach der Landung von Nutzen sein konnte. »Das Sekret, Aislander. Du weißt auch nicht, wozu es dient?« Wieder das überlegene Lächeln. »Ich weiß es, und da ich nicht mitansehen kann, wie du dich quälst, will ich dir deine Frage beantworten. Wir nennen das Sekret der Insektenköniginnen Drulery. Es ist sozu sagen ein Lebenselixier. Chirmor Flog be kommt es regelmäßig geliefert, damit seine jugendliche Spannkraft erhalten bleibt und er nicht altert. Allerdings muß das Origina-lDrulery von Gooderspall zu diesem Zweck erst einmal aufbereitet und gewissen Veränderungen unterworfen werden. Das ist nur auf Nergal möglich. Nur dort leben jene Wesen, die es so umwandeln können, daß es seine volle Wirksamkeit erlangt.« Aislander machte eine kurze Pause. »Und nun wirst du dir fieberhaft überle gen, wie du dieses Wissen nutzen kannst, oder? Ich höre förmlich, wie sich deine Ge danken jagen. Wenn der Neffe vom Drulery abhängig ist, überlegst du dir, dann haben wir etwas, wo wir ansetzen können, um ihm den Garaus zu machen, nicht wahr?« Aislanders Miene glich einer Satansmas ke. »Daraus wird nichts! Es wäre besser, du würdest dich besinnen und dich auf die Seite des Neffen schlagen. Dann würdet ihr leben. Kämpfer wie dich kann Chirmor Flog gut gebrauchen. Das ist deine Chance zum Überleben. Die HORIET wird mich anstelle
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Horst Hoffmann
der KOLNYR nach Nergal bringen. Bitte, ihr wolltet es so. So lange werdet ihr leben. Was danach geschieht … nun, wie ich schon sagte: es hängt von euch ab.« Besinnen! Aislander hatte unfreiwillig ein Stichwort gegeben. Die Große Plejade! Sie hatte Bron niter-Vang aus dem Bann des Bösen befreit. Wenn ihre Ausstrahlung nun auch auf Ais lander wirkte … Atlan konnte sich nicht darauf verlassen. Er machte noch einen Versuch, den Havaren aus der Reserve zu locken. Lauernd fragte er: »Bist du eigentlich nie auf den Gedanken gekommen, das Drulery für dich selbst zu nutzen? Du könntest unsterblich werden.« »Schön ausgedacht, aber selbst wenn ich es könnte, würde ich den Neffen nicht verra ten. Das Drulery wirkt nur auf den Neffen des Dunklen Oheims. Und nun genug! Hütet euch davor, mich hintergehen zu wollen. Ich bin mit den Kontrollen eines Organschiffs vertraut und merke sofort, wenn ihr den Kurs wechselt. Überlege dir, ob du dich uns nicht anschließen willst, Atlan. Du könntest die HORIET und deine Besatzung behalten, wenn du dich in den Dienst des Neffen stel len würdest.« »Niemals!« Atlan wußte, daß er das nicht konnte und niemals können würde. Atlan versuchte erst gar nicht vorzustel len, was ihn und seine Begleiter auf Nergal erwartete. Vielleicht die Hölle, vielleicht der Tod, vielleicht etwas Schlimmeres. Atlans ganze Hoffnung lag in diesen Stunden in der Großen Plejade und dem Wi derschein der Freiheit. Vielleicht mußte Aislander ihm nur lange genug ausgesetzt sein …
4. Nergal Es war der zweite Planet eines kleinen Sonnensystems im Marantroner-Revier. Der gelbe Stern verfügte nur über zwei Beglei-
ter. Nergal wirkte vom Weltraum aus wie ein Paradies – eine schöne kleine Sauerstoff welt ohne Monde. Doch dieser Eindruck täuschte. Der Stützpunkt des Neffen lag in einem von schroffen Bergen umschlossenem Talkessel. Die Besatzungsmitglieder, in er ster Linie Noots und Camagurs, nannten ihn die Wyndar-Bresche. Die Station selbst trug den Namen Erst-Nergal. Um den Raumha fen und die Wohn und Kontrollgebäude her um lag eine Art Fabrikanlage, in der die kleinen Tiere gefangengehalten wurden, die allein in der Lage waren, das von Gooder spall kommende Drulery aufzubereiten. Kommandant des Stützpunkts war ein Ha vare namens Yatiner, wesentlich jünger als Aislander und nicht ganz so dürr. Yatiner hatte keinen Symbionten. In Yatiners Hauptquartier machte sich zu sehends Unruhe breit. Das Schiff, das den Spezialkurier Aislander mit dem unentbehr lichen Drüsensekret bringen sollte, war längst überfällig. Yatiner war davon unter richtet worden, daß es sich dabei um die KOLNYR handeln sollte, die schon einige Male als Kurierschiff gedient hatte. Auch der vorgesehene Zeitpunkt der Landung war ihm mitgeteilt worden. Doch die KOLNYR erschien nicht. Der Kommandant des Stützpunkts blickte die beiden ungleichen Wesen, die er zu sich be stellt hatte, lange schweigend an. Bentaner-Lork, der Oberbefehlshaber der auf Nergal stationierten Noots. Wie alle We sen seiner Art war auch er untersetzt und breitschultrig und unschwer als Echsenab kömmling zu erkennen. Zwei Arme, zwei Beine und jeweils drei Krallenfinger, bezie hungsweise Krallenzehen, dazu ein Schwan zansatz, der einen halben Meter aus dem Steiß ragte. Die Noots trugen feste Leder kleidung. Die Körperpartien, die daraus her vorragten, waren von hellblauen Schuppen bedeckt. Der Camagur wirkte noch exotischer. Er erinnerte an eine aufrecht gehende Fleder maus, etwa 1,80 Meter groß. Seine Haut war völlig schwarz. Die beiden dünnen Stelzen
Elixier des Lebens beine sahen ebenso wie die drei Armpaare skelettiert aus. Auf dem Rücken saßen ver kümmerte Hautlappenansätze. Dort hatten sich früher einmal die gewaltigen Flughäute befunden. Der Kopf saß fast übergangslos auf dem Rumpf und erinnerte an den Schä del eines Hundes, abgesehen von den beiden dreißig Zentimeter langen Ohren. Und die Augen … Sie waren auf Yatiner gerichtet und schie nen sich einander zu berühren. Sie saßen starr im Gesicht des Camagurs und bestan den aus einem sehr groben Facettenmuster. Sie waren riesig, weit vorgewölbt und in der Lage, jemandem, der zuvor noch nie mit Camagurs zu tun gehabt hatte, den Angst schweiß aus den Poren zu treiben. Die Klei dung des Wesens hätte der Phantasie eines abstrakten Künstlers entsprungen sein kön nen. Sie schimmerte in allen Regenbogen farben. Drei völlig ungleiche Wesen, und doch durch ihre gemeinsame Aufgabe miteinan der verbunden. »Das ist die Lage«, sagte Yatiner, nach dem er die beiden anderen unterrichtet hatte. »Die KOLNYR meldet sich nicht. Das Se kret, das uns noch zur Verfügung steht, reicht nicht mehr für einen Planetentag. Wir haben aber nicht genug Ärgetzos für die Schiffe, die in wenigen Tagen kommen wer den. Wir werden Ärger bekommen, wenn Aislander nicht in kürzester Zeit mit dem neuen Sekret hier eintrifft. Chirmor Flog er wartet, daß die Abholschiffe ihm die vorge schriebene Menge an Ärgetzos bringen. Wenn dies nicht geschieht …«, der Havare machte eine Pause und blickte den Noot und den Camagur durchdringend an, »… nun, ihr wißt, daß wir alle austauschbar sind.« »Es ist nicht unsere Schuld«, sagte Benta ner-Lork. »Der Neffe ist klug genug, um zu wissen, wer die wahren Schuldigen sind. Sein Zorn wird sich gegen die Besatzung der KOLNYR richten.« Yatiner lachte rauh. »Du vergißt, was diese Kugeln für den Neffen bedeuten! Er ist auf sie angewiesen,
13 und er wird sich an diejenigen halten, die sie ihm zu liefern haben. An uns!« »Wir wissen, daß Aislander mit Schwie rigkeiten auf Gooderspall rechnete. Von ihm hing es ab, ob wir auf Jahre hinaus weiterhin mit dem Sekret beliefert werden. Unter die sem Gesichtspunkt sollten wir ihm etwas Zeit einräumen. Ich bin sicher, daß er kom men wird, bevor die Abholschiffe erschei nen.« Yatiner stieß einen zischenden Laut aus und sprang hinter seinem hufeisenförmigen Arbeitstisch auf. »Dann wird es zu spät sein! Der Um wandlungsprozeß braucht seine Zeit! Aislan der ist von meiner Art. Ich kenne ihn. Er hätte niemals freiwillig eine Verzögerung riskiert. Nein, ich sehe nur einen Ausweg. Wir müssen uns das Sekret selbst beschaf fen. Wir haben Organschiffe. Falls die KOLNYR nicht bis zum Sonnenuntergang gelandet ist, schicken wir sie nach Gooder spall und holen uns das Sekret. Dies ist eine Ausnahmesituation. Wir können keine Rücksichten mehr auf die Terzöge nehmen. Ein paar Burgen werden ausgeraubt und an schließend niedergebrannt. Es werden genü gend andere übrigbleiben. Wichtig ist nur, daß wir das Sekret haben und die Jatten es aufbereiten können, bevor die Schiffe in die sem System erscheinen!« Der Camagur fuhr auf. »Die noch verbliebenen Burgen der freien Terzöge sind tabu!« »Und was schlägst du vor?« ereiferte sich Yatiner. »Wer weiß, was Aislander zugesto ßen ist! Er sollte mit den Insektoiden ver handeln. Wahrscheinlich haben sie ihn um gebracht. Wir warten bis zum Abend. Hat sich die KOLNYR bis dahin nicht gemeldet, holen wir uns das Drulery. Mit den Noots auf Gooderspall werden wir schon fertig. Sie werden es nicht wagen, unser Eingreifen zu melden. Es geht jetzt um unsere Haut!« »Ich bin einverstanden«, erklärte der Noot. Yatiner nickte zufrieden und blickte den Camagur an. Das Wesen zeigte keinerlei Re
14 aktion. Nur die großen Augen waren nach wie vor starr auf den Kommandanten des Stützpunkts gerichtet. Yatiner verabschiedete ihn und BentanerLork, nicht ohne sie aufgefordert zu haben, eine Truppe zusammenzustellen, die als Be satzung für die Organschiffe tauglich war. Er wanderte in seinem Arbeitsraum auf und ab und dachte unentwegt an Aislander. Nein, es war unvorstellbar, daß ein Havare sich von den Eingeborenen eines Planeten hinhalten ließ. Yatiner rechnete damit, daß Aislander tot war. Vielleicht wäre es besser, sofort einige Organschiffe nach Gooderspall zu schicken. Der Kommandant war noch mit diesem Gedanken beschäftigt, als er die Hiobsbot schaft erhielt. Ein Versorgungsschiff hatte beim Einfluß ins BranoraSystem die Trümmer eines Or ganschiffs entdeckt. Nach kurzer Untersu chung hatte sich herausgestellt, daß sie von der KOLNYR stammten. Doch das war nicht alles. Kynomon-Morl, der Oberbefehlshaber der auf Gooderspall stationierten Noots, hatte dem Kommandanten des Schiffes erklärt, der Spezialkurier Aislander sei von Fremden entführt worden. KynomonMorl selbst wag te nicht, die Nachricht weiterzugeben, und auch der Kommandant des Versorgungs schiffs hatte sie nur per Richtstrahl nach Nergal gefunkt, wo er den nächsten größe ren Stützpunkt mit Noots wußte. Von den Zusammenhängen, das Drulery betreffend, wußte er nichts. Er hatte Nergal angefunkt, weil er sich Sorgen um die Noots auf Goo derspall machte. Das war alles – für ihn. Yatiner brauchte fast eine Minute, um das Gehörte zu verdauen. Dann gab er Befehl, drei Organschiffe startklar zu machen. Sie sollten nun nicht mehr warten. Aislander war in der Gewalt von Fremden. Das Sekret mußte her, egal auf welche Weise. Selbst wenn der Neffe davon erfuhr, daß ein paar Burgen der Terzöge ausgeraubt und nieder gebrannt worden waren, würde er die frist-
Horst Hoffmann gerechte Lieferung des so wichtigen Stoffes höher bewerten. So kam es, daß Gooderspall, der jahrhun dertelang von furchtbaren Kriegen zwischen Eingeborenen und »Besatzern« erschütterte und nun endlich dem Frieden nahe Planet, zu neuem Chaos verurteilt war, ohne daß dort jemand das geringste davon ahnte. Doch schon bald würden die Organschiffe am Himmel stehen und vielen Tausenden von Terzögen Tod und Verderben bringen – wenn nicht in letzter Sekunde ein Wunder geschah. Die drei Schiffe starteten. Seit Yatiner die Schreckensnachricht erhalten hatte, war nicht einmal eine halbe Stunde vergangen.
* Viele Kilometer vom Stützpunkt entfernt befand sich eine Kolonie der Jatten, jener kleinen Tiere, die allein das Drulery so um wandeln konnten, daß der Neffe des Dunklen Oheims es konsumieren und seine geheimnisvolle Wirkung spüren konnte. Sol che Kolonien gab es überall auf Nergal. In regelmäßigen Abständen kamen die Noots oder Camagurs, um Jatten abzuholen und in ihre Anlagen zu sperren. Keines der Tiere kehrte jemals zu seiner Kolonie zurück. Mit der Zeit begann die Anzahl der Jatten zu schrumpfen. Es wurden nicht so viele ge boren, wie abgeholt wurden. Der Zeitpunkt war abzusehen, an dem die Tiere aussterben würden. Natürlich trafen die Noots und Camagurs Gegenmaßnahmen, indem sie große Brutstätten anlegten, in denen Jatten syste matisch herangezüchtet wurden. Die Jatten konnten nur auf Nergal leben. Warum das so war, wußte niemand. Man hatte Versuche gemacht, sie auf anderen Planeten mit fast identischen Umweltbedingungen anzusie deln, doch ohne Erfolg. So kam es, daß allmählich eine Kolonie der in Freiheit lebenden Tiere nach der an deren regelrecht vom Erdboden verschwand und bald mehr Jatten in den Zuchtfarmen und Transformierungsanlagen lebten als in
Elixier des Lebens Freiheit. Die Kolonie, die uns hier zu beschäftigen hat, war anders als alle anderen. Die dort le benden Jatten glichen ihren Artgenossen nur äußerlich. Ihr Wesen hatte sich verändert. Vielleicht eine Reaktion der Natur auf das drohende Aussterben, vielleicht ein zufälliger Mutati onssprung. Schon einige Male war es in an deren Kolonien zu solchen »Fehlentwicklungen« gekommen. Sie alle waren gestorben. Sie konnten sich unterein ander nicht fortpflanzen. Hier war das anders. Mindestens zwei Jat ten aus der gleichen Generation mußten vor langer Zeit fast, gleichzeitig als Mutierte zur Welt gekommen sein und sich gepaart ha ben. Nun hatten die Mutierten längst die Macht über die Kolonie übernommen, ohne daß »draußen« jemand etwas davon wußte. Sie hatten sich abgekapselt, aber das war üb lich. Die Jatten lebten von jeher in geschlos senen Gemeinschaften und hatten kaum Kontakt untereinander. Das war auch der Grund, warum die Mu tierten so gut wie nichts über jene wußten, die sich in der Wyndar-Bresche breitge macht hatten. Sie waren nicht sehr viel intelligenter als ihre normalen Artgenossen, sie waren ganz einfach anders, etwas widerstandsfähiger, doch dies bezog sich auf das Überleben in ihrer gewohnten Umwelt. Gegen die wirkli che Gefahr, die allen Jatten drohte, waren auch sie nicht gewappnet. Doch dafür trugen sie etwas in sich, das den Herren des Stütz punkts zum Verhängnis werden konnte. Als die fliegenden Ebene am Himmel er schien und sich vor der Kolonie niedersenk te, ahnten die Jatten nichts Böses. Bisher hatte man noch niemals Tiere aus ihrer Ko lonie geholt. Ein Jatte nach dem anderen folgte dem wundervollen Geruch, der sie in einen regelrechten Rauschzustand versetzte. Als die Transportplattform der Noots vollge stopft mit ihnen war, traten die Fesselfelder in Aktion. Die Jatten erstarrten, ohne daß es zu einer Kommunikation zwischen ihnen
15 und den Fängern gekommen wäre. Die Plattform hob wieder ab und nahm Kurs auf den Stützpunkt. Niemand ahnte, welche Fracht man da beförderte. Es waren Jatten, nur das zählte. Einige würden ausgesucht und in die Zuchtfarmen gebracht werden. Die anderen würden ihre Ärgetzos produzieren und sterben. So dachten die Noots.
5. An Bord der HORIET Die Stunden vergingen, und mit jeder Stunde schwand die Hoffnung des Arkoni den. Aislander schien gegen die Ausstrahlung der noch in der Transparentbugkuppel der HORIET befindlichen großen Plejade völlig immun zu sein. Atlan überlegte, ob er die Marmorkugel nicht holen und näher an den Knöchernen heranbringen sollte, aber das Risiko, daß der Havare sie entdecken und vernichten könnte, erschien ihm zu groß. Die Kugel war eine Waffe gegen die Aura, die diese Sterneninsel durchzog. Wie effek tiv sie am Ende sein würde, mußte sich erst noch herausstellen. Der Flug ging weiter. Thalia war nach wie vor in der Gewalt des Symbionten. Mehr als einmal hatte Atlan den Spezialkurier gebe ten, Crosv seine Umklammerung etwas lockern zu lassen – ohne Erfolg. Aislander labte sich an den Qualen des Mädchens und des Arkoniden. Atlan fragte sich immer wie der, wie viele Aislanders zwischen den dunklen Sternen der Schwarzen Galaxis un terwegs waren und ganze Völker zu verskla ven halfen. War Aislander immer so gewe sen, wie er sich jetzt präsentierte, oder war auch er ein Opfer der unheimlichen Mächte geworden, die diese Galaxis beherrschten? Inzwischen hatten die Dellos, die das Drüsensekret in den Labors zu analysieren versucht hatten, ihre Arbeit eingestellt. Ais lander hörte, wie sie Atlan Bericht erstatte ten. Er lachte wieder. Alles, was die Dellos berichteten, war
16 dem Arkoniden schon mehr oder weniger durch Aislanders Auskünfte bekannt. Ein or ganischer Stoff mit hohem Nährwert – das war fast schon alles. Dazu kam die starke Duftwirkung, was das Drulery ja so unent behrlich für die Terzöge machte. »Wenn du dich schon so überlegen fühlst«, wandte sich Atlan an den Havaren, »dann verrate uns, wie dieser Umwand lungsprozeß funktioniert und welche Rolle die Tiere auf Nergal dabei spielen.« Aislander sah den Arkoniden an wie eine Katze, die mit einer Maus spielt. »Natürlich könnte ich es dir sagen, aber du sollst es selbst sehen. Bald schon. Wir müssen jeden Augenblick in der Nähe des Systems in den Normalraum zurückfallen. Ich bin gnädig und gestatte euch, eure Neu gier zu befriedigen, bevor ihr …« Aislander überließ den Rest der Phantasie des Arkoniden. Bevor ihr sterben werdet … Bevor man euch fortbringt, irgendwohin, wo man alles aus euch herausbringen wird, was ihr wißt … Bevor man euch den Willen raubt und zu Werkzeugen des Neffen und des Dunklen Oheims macht … Eine Vision war schrecklicher als die an dere. Atlan fluchte und ließ Aislander ein fach stehen. Ohne Crosv, den er als ein durch biogenetische Experimente entstande nes Wesen bezeichnet hatte, war er mit Si cherheit angreifbar. Aber Crosv hielt Thalia in eiserner Umklammerung. Atlan trat vor die Odinstochter und mach te ihr Zeichen. Als Thalia kurz die Augenli der niederschlug, wußte er, daß sie noch un versehrt war. Manchmal hatte Atlan die Be fürchtung, dieses blaue Etwas würde damit begonnen haben, ihren Körper regelrecht aufzulösen. War der Symbiont dazu in der Lage? War Thalia nach der Landung nicht nutzlos für Aislander? Würde er sie wirklich freigeben – lebend? »Rücksturz!« meldete Bronniter-Vang. Sekunden später zeigten die Schirme das
Horst Hoffmann kleine Sonnensystem, dessen zweiter Planet Nergal war. Und noch etwas anderes. Drei Organschiffe schossen auf die HO RIET zu, auf einem Kurs, der sie in einer Entfernung von nur wenigen Kilometern vorbeifliegen lassen würde. Zum erstenmal schien Aislander unsicher. Schweigend beobachtete er, wie die Schiffe an dir HORIET vorbeijagten. »Sie fliegen fast genau in die Richtung, aus der wir kommen«, stellte Atlan fest. Er sah Aislander an. »Gooderspall?« »Eine Verbindung!« sagte der Spezialku rier schroff. »Ich will mit dem Kommandan ten des Stützpunkts auf Nergal sprechen. Sein Name ist Yatiner!« »Nergal hat sich gerade gemeldet«, teilte Bronniter-Vang mit. »Wir sollen uns identi fizieren.« Atlan konnte seine Genugtuung über Ais landers Reaktion nicht verbergen. Aislan ders Selbstsicherheit war verschwunden, doch nur für Augenblicke. Dann hatte er sich wieder in der Gewalt. »Sichtverbindung!« Atlan gab Branor, der normalerweise die Funk lagen in der Zentrale bediente, ein Zei chen sich zurückzuhalten und alles Aislan der zu überlassen. Ein Schirm wurde hell und zeigte das »Gesicht« eines Camagurs. »Was soll das?« zischte Aislander. »Ich will mit Yatiner sprechen, aber sofort! Ver schwinde!« Mit unbewegter Miene fragte der Cama gur: »Wer seid ihr? Identifiziert euch endlich, oder wir sehen uns gezwungen, Abwehr maßnahmen zu ergreifen. Wir erwarten kein Organschiff.« »Ihr erwartet die KOLNYR!« »Die KOLNYR ist vernichtet worden. Wer seid ihr?« Zum zweitenmal verlor der Havare die Selbstbeherrschung. Wütend bellte er den Camagur auf dem Schirm an: »Wir kommen anstelle der KOLNYR! Ich
Elixier des Lebens bin Aislander, der Spezialkurier des Neffen Chirmor Flog. An Bord befindet sich das Drulery, das die KOLNYR bringen sollte! Wenn ich jetzt nicht sofort mit Yatiner reden kann, wird das Folgen für dich haben, Ca magur!« Das Wesen zuckte zusammen. Der Hun dekopf neigte sich zur Seite, als ob von dort jemand etwas flüsterte. Dann sah Aislander wieder in die großen Augen. »Es heißt, der Spezialkurier Aislander sei von Fremden entführt worden.« Aislander stieß eine Reihe von Lauten aus, mit denen Atlan nichts anfangen konn te. Er trat noch näher an den Schirm und ballte die Knochenfäuste. »Komm her, Atlan!« Mit ausdruckslosem Gesicht stellte der Arkonide sich hinter den Havaren, so daß der Camagur ihn sehen mußte. »Reicht das?« Der Camagur gab keine Antwort. Der Schirm verblaßte. Es dauerte Sekunden, bis das Gesicht eines Havaren darauf erschien. »Kommandant Yatiner«, sagte Aislander, nun wieder ruhig. »Das dauerte lange.« »Aislander!« stieß der Havare auf dem Bildschirm hervor. Wie der Spezialkurier sprach auch er die Einheitssprache. »Wir hatten nicht mehr geglaubt, daß du erschei nen würdest. Du hast das Drulery?« »Natürlich! Das sagte ich dem verdamm ten Camagur schon! Ich befinde mich an Bord der HORIET, und nun schickt uns einen Landestrahl. Sind die Abholschiffe für die Ärgetzos schon da?« »Noch nicht, aber bald werden sie er scheinen. Deshalb schickte ich einen kleinen Verband nach Gooderspall, um das Drulery zu besorgen, das wir bereits abgeschrieben hatten.« Atlan stieß laut die Luft aus. »Diese drei Schiffe – sind sie tatsächlich nach Gooderspall unterwegs?« Atlan konnte sich nur zu gut vorstellen, was geschehen würde, falls sie den Planeten erreichten. Sie würden, unter Zeitdruck ste hend, nicht lange mit den Terzögen verhan
17 deln. »Was interessiert mich das jetzt?« Aislan der stieß den Arkoniden so unsanft zurück, daß dieser taumelte. »Macht alles bereit, Ya tiner. Sofort nach der Landung muß das Drulery zu den Jatten gebracht werden. Es sind doch genug von ihnen in den Anla gen?« »Mehr als genug. Vor wenigen Stunden sind die Fänger mit wilden Jatten zurückge kehrt. Ich lasse euch einweisen und schicke den Leitstrahl.« Der Kommandant des Stütz punkts zögerte einen Moment. »Ich hörte, du wärest von Fremden gefangen worden.« »Sie sind jetzt meine Gefangenen. Und ich glaube, daß …« Aislander sah sich nach Atlan um, der ihm haßerfüllt in die Augen blickte. Dann fuhr er in einer unbekannten Sprache fort. Atlan glaubte einige der Laute wiederzuerkennen, die er gehört hatte, als der Havare sich mit seinem Symbionten un terhielt. Als er geendet hatte, wirkte Yatiner zu frieden. Die Verbindung wurde abgebrochen. Ais lander blickte Atlan triumphierend an. »Es sieht so aus, als wären wir gerade noch rechtzeitig gekommen.« »Was wird aus Thalia?« »Warte ab«, sagte Aislander nur.
* Die HORIET stand am Rand des Lande felds in unmittelbarer Nähe einiger großer flacher Gebäude, zwischen denen reger Be trieb herrschte. Überall waren Transportglei ter unterwegs, die große und kleine Behälter geladen hatten. Atlan war um eine Sorge rei cher. Er mußte versuchen zu verhindern, daß die drei nach Gooderspall fliegenden Organ schiffe erneut Tod und Verderben über die Terzöge brachten, denen er versprochen hat te, alles in seiner Macht Stehende zu tun, da mit sie endlich in Frieden leben konnten. Zwei Fahrzeuge näherten sich der HO RIET. Bewaffnete Noots sprangen ab und betraten das Schiff, nachdem auf Aislanders
18 Befehl hin die Schleusen geöffnet worden waren. Atlan und die Dellos wurden zusam mengetrieben. Nur Bronniter-Vang blieb in der transparenten Bugkuppel unbehelligt. Und Thalia … »Was nun?« fragte Atlan den Spezialkuri er. »Wir sind auf Nergal. Was wird aus Tha lia?« »Sie wird euch begleiten.« Aislander zeigte auf das blaue Paket, menschengroß, ineinander verwunden Strähnen um ein farb loses Gesicht herum. »In die Gefangen schaft, bis ihr abgeholt werdet. Was dann mit euch geschieht, ist nicht mehr meine Sa che. Ihr glaubtet, ich würde sie von Crosv töten lassen?« Aislander knirschte mit den Kieferbacken. »Unter anderen Umständen vielleicht. Im Moment seid ihr zu wertvoll.« Der Havare ließ sich nicht weiter darüber aus, warum Atlan, die Odinstochter und die Dellos so wertvoll wären und für wen. Es ließ sich unschwer erraten. Atlan wußte ja inzwischen, daß es in der Peripherie der Schwarzen Galaxis immer wieder zu kleineren Unruhen kam. Sie alle waren unbedeutend, denn die Organschiffe und ihre Besatzungen waren in der Lage, jeden Widerstand im Keim zu ersticken. Ais lander aber hatte erkennen müssen, daß At lans Gruppe entschlossen war, bis zum Tod zu kämpfen. Solche Gegner waren für Chirmor Flog gefährlich. Atlan nickte grimmig. Tot konn ten sie nichts mehr sagen – auch nichts über die von Aislander mit Sicherheit vermuteten Hintermänner. »Raus jetzt!« Aislander stand wie ein Feldherr vor den Noots, deren Energiewaffen auf die Gefan genen gerichtet waren. Atlan nickte den Del los zu und ließ sie an sich vorbei aufs Lan defeld hinaustreten, wo sie von weiteren Noots in Empfang genommen wurden. Er selbst blieb zurück und zeigte auf Tha lia. »Sie wird nachkommen!« sagte Aislan der. »Los schon! Aus dem Schiff!« »Wir rechnen miteinander ab«, preßte der
Horst Hoffmann Arkonide hervor. Sein Blick schien den Knöchernen durchlöchern zu wollen. »Irgendwann, Aislander!« »Raus!« Atlan schloß sich schweigend den Dellos an. Es schien, als warteten die Noots noch auf einen Befehl. Drei weitere Gleiter mit großen Ladeflächen wurden herangefahren. Atlan und die Dellos trugen ihre Raumanzü ge, aber die Falthelme waren nicht geschlos sen. Die Luft war atembar. Endlich, nach endlos scheinenden Minu ten, kam Thalia aus der HORIET. Atlan sprang vor und fing sie auf, als sie zu tau meln begann. Ihr Raumanzug war feucht und an einigen Stellen mit Schleim bedeckt. Thalia stand unter Schockeinwirkung. Sie erkannte Atlan offenbar, nicht und ließ sich von ihm wie eine Marionette auf eine der Gleiterplattformen führen, auf die die Dellos bereits getrieben worden waren. Der Arkonide blickte zur HORIET zu rück, als der Gleiter langsam Fahrt aufnahm und auf zwei kuppelförmige Bauwerke zu hielt. Von Aislander war nichts zu sehen. Wahrscheinlich führte er die an Bord ver bliebenen Noots zu den Labors, wo sich das Sekret der Terzöge-Königin befand. Es hatte zu dämmern begonnen. Die Glei ter hielten vor den Kuppeln, und die Gefan genen wurden vor deren ovalen Toren zu sammengetrieben. In zwei Gruppen warteten sie, bis vor ihnen Öffnungen entstanden. Ein Noot versuchte, Atlan und Thalia zu tren nen. In diesem Augenblick gingen die Ner ven mit dem Arkoniden durch. Er versetzte dem Echsenabkömmling einen Faustschlag von solcher Wucht, daß der Noot von den Beinen gerissen und einige Meter zurückge schleudert wurde, wo er reglos liegenblieb. Sofort waren seine Artgenossen heran, doch bevor einer von ihnen Hand an Atlan legen konnte, tauchte aus dem hellerleuchte ten Inneren der Kuppel ein Camagur in der bekannten farbenprächtigen Kleidung auf. Er zischte den Noots etwas zu, was mit ei nem unwilligen, fast feindseligen Kreischen
Elixier des Lebens beantwortet wurde. Doch die Echsenab kömmlinge gehorchten. An dem Camagur vorbei betraten Atlan und Thalia hinter den Dellos das Gebäude. Noch immer mußte der Arkonide die Odins tochter stützen. Ihre Knie gaben bei jedem Schritt nach. Die Augen waren gerötet und in die Ferne gerichtet. Manchmal kam es At lan vor, als wollte sie etwas sagen, aber nur ein Röcheln kam über ihre Lippen. Aislander! dachte Atlan. Dafür sollst du büßen, und wenn es das letzte ist, das ich in meinem Leben tue! Emotionen! warnte der Extrasinn. Verdammt, ja, aber ich will mich von Emotionen leiten lassen! Ich kann mir selbst nicht mehr in die Augen sehen, wenn dieser Verbrecher ungestraft ausgeht. Eine reine Trotzreaktion! Denke an deine Aufgabe! Jawohl! dachte Atlan. Eine Trotzreaktion und auch mehr! Ich hätte Aislander den Ter zögen überlassen sollen! Der Arkonide war so sehr in Rage, daß es ihm in diesen Minuten schwerfiel, logisch zu denken. Ein Blick auf Thalia genügte. Hatte er kein Recht auf Gefühle, nur weil seine Verantwortung und immer wieder neue Aufgaben ihn zwangen, diese zu igno rieren? Er würde alles tun, um Aislander seine Strafe zukommen zu lassen. Noch konnte er nicht ahnen, daß dies nie der Fall sein würde. Noch war Thalia unfähig zu sprechen und ihr Geheimnis preiszugeben. Die Gefangenen, Atlan, Thalia und vier zehn Dellos, wurden in einen großen Raum mit runder Grundfläche geführt, in dessen Mitte sich ein blauer Kreis von etwa zehn Meter Durchmesser befand. Die Noots traten zurück, als alle sechzehn sich innerhalb des Kreises befanden. Dann schossen die Ener giesäulen aus dem Boden. Gefangen. Zur Untätigkeit verdammt. Und irgendwo vor der Schwarzen Galaxis wartete Pthor, warteten Tausende der unter schiedlichsten Wesen auf die Rückkehr ihres
19 Königs, mit dem sie all ihre Hoffnungen verbanden.
6. Aislander Es war ein beruhigendes Gefühl, den Symbionten wieder um sich zu wissen. Zwar war Aislander nicht so abhängig von Crosv, daß er ohne ihn nicht hätte leben können, aber er hatte sich im Lauf der Zeit an ihn ge wöhnt und genoß es, wenn andere Wesen ihn aus schreckgeweiteten Augen ansahen. Ohne Crosv fühlte Aislander sich nackt. Der Havare war nicht eitel im menschlichen Sinn. Es machte ihm nichts aus, daß er durch den Symbionten mittlerweile zu einem Ske lett abgemagert war. Aber mit Crosv war er mehr. Man fürchtete ihn mehr als zum Bei spiel Yatiner. Und Crosv hatte sich mehr als einmal als hilfreich erwiesen. Ohne ihn wäre Aislander den Fremden wahrscheinlich so gut wie hilflos ausgeliefert gewesen. Natür lich, er hatte noch eine Reihe von Überra schungen auf Lager, aber er bezweifelte, daß er damit letztendlich bei einem Mann wie Atlan großen Eindruck hätte schinden kön nen. Diese und andere Gedanken bewegten den Spezialkurier, als er nun Yatiner gegen übersaß. Er empfand keine sonderlich ver bindenden Gefühle dem anderen Havaren gegenüber. Sie waren von der gleichen Art und dienten der gleichen Sache – das war al les. Aislander fühlte sich unbehaglich. Wa rum, das konnte er selbst nicht sagen. Es hatte nichts mit Yatiner zu tun. Es war viel mehr etwas, das mit Crosv zusammenzuhän gen schien. Bisher war es immer ein Erleb nis ganz besonderer Art gewesen, wenn der Symbiont sich wieder um ihn legte. Nun war das ganz anders. Fast glaubte Aislander, daß Crosv sich verändert hatte. Doch das konnte nur Einbildung sein. Aislander berichtete Yatiner über das, was seit seiner Landung auf Gooderspall vorge fallen war, über seine Reise zu den freien
20 Terzögen, über seine Versuche, die Einge borenen zur Übergabe des Sekrets zu überre den und über die Art und Weise, wie diese Insektoiden ihn überrumpelt und eingespon nen hatten, ehe er den Symbionten auf die Königin ansetzen konnte. Dann seine Befrei ung durch Atlan, Caahan und den Noot, der bei den Terzögen geblieben war, um den Frieden zwischen diesen und den Noots auf Gooderspall zu vermitteln. Die Ereignisse an Bord der HORIET. Aislander verschwieg nichts. Er hatte allen Grund zu triumphieren. Das Drulery war auf Nergal, und mittlerwei le waren die Jatten schon dabei, es umzu wandeln. Yatiner war sichtlich erleichtert darüber. Die Abholschiffe kündigten ihre Ankunft niemals lange vorher an. Plötzlich standen sie über Nergal. Yatiner rechnete damit, daß sie spätestens am übernächsten NergalTag erscheinen würden. »Bis dahin haben wir die Ärgetzos«, sagte Aislander. »Und sollten die Abholschiffe eher erscheinen, werden wir ihren Komman danten etwas anbieten können, was sie die kurze Verzögerung bei der Aufbereitung vergessen läßt.« Yatiner war einer Meinung mit Aislander. Auch er war davon überzeugt, daß die Frem den für Chirmor Flog wertvoll sein könnten und unter keinen Umständen zu früh sterben durften. »Ich muß die drei Organschiffe zurückru fen«, sagte der Kommandant des Stütz punkts nachdenklich. »Das Risiko, daß sie eine Reihe von Insektenstaaten auf Gooder spall vernichten, ist jetzt, da wir das Drulery haben, nicht mehr vertretbar.« »Die Terzöge hätten eine Lektion ver dient«, widersprach Aislander. »Eine Lekti on, die sie nie vergessen. Sie haben mich ge demütigt – mich und Crosv. Sie hätten mich sogar sterben lassen!« »Es geht nicht um sie«, entgegnete Yati ner. »Es geht um uns und um das, was der Neffe des Dunklen Oheims mit uns macht, falls wir seine Pläne durchkreuzen. Wir sind nur Empfänger, vergiß das nie. Auf Gooder spall haben wir nichts zu suchen. Mein Ent-
Horst Hoffmann schluß, die drei Organschiffe zu schicken, entsprang der Notwendigkeit, das dringend benötigte Drulery herbeizuschaffen. Diese Notwendigkeit besteht nun nicht mehr.« Aislander stieß eine Verwünschung aus. »Dann rufe die Schiffe eben zurück!« »Das wird erst möglich sein, sobald sie über Gooderspall in den Normalraum zu rückgetaucht sind. Ich werde sie ununterbro chen anfunken lassen, wobei die Gefahr be steht, daß der Spruch auf Gooderspall mitge hört wird.« Yatiner hatte Angst. »Hoffentlich ist es dann nicht zu spät, und hoffentlich werden die Noots auf Gooder spall schweigen.« »Das werden sie. Sie haben mich ins Ver derben rennen lassen, wie sie glauben. Al lein deshalb werden sie verhindern wollen, daß man in der nächsten Zeit auf sie auf merksam wird.« Wieder spürte Aislander, daß irgend et was mit seinem Symbionten nicht stimmte. Die gewohnte Harmonie kam nicht zustan de. Doch noch machte er sich keine allzu ern sten Gedanken darüber. »Wie viele Ärgetzos diesmal?« wollte der Spezialkurier wissen. »Dreihundert Stück sollen abgeholt wer den, etwas mehr als sonst. Offenbar will man uns etwas Zeit geben, die Aufzucht neuer Jatten voranzutreiben. Es sterben im mer noch mehr Tiere, als wir heranzüchten und fangen können. Doch das ist mein Pro blem, Aislander. Du wirst bald vor größeren Schwierigkeiten stehen, wenn der Neffe dich wieder nach Gooderspall zu den Terzögen schickt.« Aislander winkte ab. »Bis dahin habe ich Zeit genug, um mir etwas für diese Bestien auszudenken. Ver gessen wir Gooderspall. Wie viele Ärgetzos haben wir bis jetzt?« »Unser Drulery reichte für knapp zwei hundert. Die Produktion läuft, wie gesagt, auf Hochtouren. Stündlich bekommen wir zehn Kugeln. Bis morgen mittag haben wir die dreihundert.«
Elixier des Lebens Aislander stand auf. »Ich brauche etwas Ruhe«, erklärte er. »Achte auf die Gefangenen. Du weißt jetzt, wie gefährlich sie sind. Ich überlege, ob wir sie nicht besser in die Eishülsen stecken sollten.« »Die Energiesäulen sind unüberwindbar«, beruhigte Yatiner seinen Artgenossen. »Außerdem würde die Konservierung ein unnötiges Risiko darstellen. Mehr als einer unserer früheren Gefangenen starb in seiner Hülse.« Aislander nickte und verabschiedete sich. Er suchte die ihm zugewiesenen, mit allem Komfort ausgestatteten Räumlichkeiten auf und legte sich vorsichtig auf eine Liege. Er war nicht müde – im Gegenteil. Aber irgend etwas stimmte nicht mit ihm. Der Spezialku rier versuchte in sich hineinzuhorchen. Das Unbehagen ging von Crosv aus. Aislander nahm Kontakt mit seinem Symbionten auf, und dieser antwortete bereitwillig auf alle Fragen. Crosv versicherte, daß die vorüber gehende Loslösung von Aislander keine ne gativen Wirkungen auf ihn gehabt hätte. Woher auch? Es war nicht das erstemal, daß Aislander Crosv als Waffe eingesetzt hatte. Und doch war die alte Harmonie nicht wie derhergestellt. Crosv wirkte verschlossen, gerade so, als ob er etwas verheimlichte. Der Spezialkurier kam zu dem Schluß, daß der Symbiont im Kokon gelitten hatte und lediglich zu stolz war, um dies zuzuge ben. »Wir werden uns beide etwas Ruhe gön nen«, murmelte der Havare. »Wenn die Ab holschiffe erscheinen, haben wir vielleicht schon einen neuen Auftrag, oder wir …« Aislander setzte sich auf den Rand der Lie ge. »Oder wir werden die Gefangenen be gleiten und dabei vielleicht endlich nach Säggallo gelangen …« Das war es, was den Havaren immer wie der motivierte, wenn er einen undurchführ bar scheinenden Auftrag erhielt. Immer wa ren es Mittelsmänner, die ihn ihm über brachten. Chirmor Flog! Einmal den Mächtigen se
21 hen, für den Aislander so oft sein Leben ris kiert hatte, dem er von Anfang an so treu er geben gewesen war! Der Gedanke ließ Aislander nicht mehr los. Er verdrängte alle anderen. Und so ent ging dem Spezialkurier die neuerliche Ver änderung, die mit seinem Symbionten vor sich ging.
* Atlan wich keinen Augenblick von Thali as Seite. Er strich ihr über das Haar, redete beruhigend auf sie ein und wartete – das war alles, was er in dieser Situation tun konnte. Er wünschte, ihr etwas zu trinken geben zu können oder Medikamente zur Hand zu ha ben. Die Dellos, unter ihnen Branor und Caa han, der ihn zu den Terzögen begleitet hatte, hatte er angewiesen sich weiterhin ruhig zu verhalten. Er durfte jetzt nichts überstürzen. Natürlich kreisten Atlans Gedanken um Flucht. Aber erst mußte Thalia bei Sinnen sein. Andernfalls würde sie eine zusätzliche Belastung darstellen. Es dauerte Stunden, bis die Odinstochter die Benommenheit abgeschüttelt hatte. Erste Blicke, aus denen Erkennen sprach, dann er ste zusammenhängende Worte, schließlich ein Weinkrampf. Atlan redete weiter auf sie ein und preßte sie enger an sich. Endlich beruhigte Thalia sich. »Es ist gut«, sagte Atlan immer wieder. »Es ist alles vorbei.« »Dieses … dieses Ding …« Thalia wisch te sich die Tränen aus den Augen. »Es war furchtbar. Du kannst dir nicht vorstellen, wie grauenvoll es war. Ich dachte jeden Augen blick, es würde mich ersticken, und das hätte es auch getan, wenn ich noch länger darin gefangen gewesen wäre.« »Wir sind zu wertvoll für Aislander. Er hätte Crosv niemals befohlen, dich umzu bringen, nachdem wir gelandet waren.« Die Odinstochter schüttelte den Kopf. »Nicht Aislander. Er hätte es nicht zu be fehlen brauchen. Es kam aus dem Symbion
22 ten heraus, verstehst du? Etwas, das ich nur spüren, aber nicht begreifen konnte. Aislan der trägt den Symbionten wieder?« »Ja«, sagte Atlan, der nichts von dem ver stand, was Thalia von sich gab. Sie nickte nur und murmelte: »Er tut mir nicht leid …« »Was meinst du?« Sie wischte sich wieder mit den Händen durchs Gesicht und sah angeekelt den Schleim auf den Armen des Raumanzugs. »Es wäre besser für Aislander gewesen, wenn er Crosv nie wieder an sich genom men hätte. Nun wird er die Folgen tragen müssen …« Weiteres ließ Thalia sich nicht entlocken. Sie schwieg eisern. »Und nun?« wollte sie plötzlich wissen. »Wo sind wir hier?« Atlan berichtete, so gut er konnte. Ein Ge fängnis, das war quasi alles, was er selbst wußte. Ein Gefängnis am Rand des Raum hafens neben den niedrigen Gebäuden, vor und zwischen denen fieberhafte Aktivität herrschte. Atlan konnte nur vermuten, daß es sich dabei um die Anlagen handelte, in de nen die Tiere untergebracht waren, die das Drulery so umwandelten, daß Chirmor Flog es konsumieren konnte. Wenn eine Flucht aber nicht von vorneherein zum Scheitern verurteilt sein sollte, mußte man genau über die hiesigen Verhältnisse Bescheid wissen. Caahan kam herbei und zeigte auf die drei Noots, die sich am Ausgang des Raumes un terhielten. Nur ab und zu warf einer von ih nen einen Blick herüber. Sie waren sich ih rer Sache völlig sicher. Die Energiesäulen standen so dicht beieinander, daß ein Aus bruch unmöglich war. Daran dachte Atlan auch nicht. Er speku lierte vielmehr darauf, daß man sie früher oder später abholen würde. Dann bot sich vielleicht die Möglichkeit zur Flucht. »Sie langweilen sich«, sagte Caahan leise. »Außerdem haben sie uns völlig sicher in ih rem Käfig. Vielleicht läßt sich der eine oder andere ausfragen.« »Versuchen können wir's«, flüsterte der
Horst Hoffmann Arkonide. »Wir provozieren sie.« Laut rief er: »Aislander hatte recht. Noots sind zu nichts zu gebrauchen! Seht euch die Figuren an! Wahrscheinlich wissen sie nicht einmal, weshalb sie hier sind!« Die drei Wächter fuhren herum. »Es hat doch keinen Sinn«, flüsterte Tha lia. »Mit solchen Tricks legst du kein Kind herein!« »Was haben wir zu verlieren?« gab Atlan ebenso leise zurück. Er erinnerte sich an die Szene vor dem Eingang der Kuppel und spe kulierte auf eine gewisse Rivalität zwischen Noots und Camagurs, vor allem aber auf den Neid der Noots auf die Havaren, die, soweit Atlan das bisher beurteilen konnte, offen sichtlich eine Stufe höher in der Hierarchie der Hilfsvölker standen. »Auch die Noots auf Gooderspall waren Feiglinge und kuschten vor Aislander!« rief Atlan weiter. »Diese hier wagen sich nicht einmal an uns heran!« Das wirkte. Alle drei Wächter näherten sich dem Energiekäfig bis auf einen Meter. Eine von ihnen, offensichtlich ihr Anführer, blickte Atlan in die Augen. »Was soll der Havare gesagt haben?« »Daß ihr gerade intelligent genug seid, die niedrigsten Arbeiten zu verrichten! Wenn ich euch so betrachte, muß ich ihm recht geben. Ich bin sicher, daß ihr nicht ein mal wißt, was hier auf Nergal eigentlich ge schieht. Weshalb sonst ist ein Havare Kom mandant des Stützpunkts und nicht einer von euch?« »Jeder von uns könnte seinen Platz ein nehmen – auf der Stelle!« Atlan winkte ab und lachte rauh. »Das se he ich. Ich wette, daß ihr überhaupt nicht in der Lage wäret, das Drulery von den Jatten umwandeln zu lassen.« Der Sprecher der Echsenabkömmlinge be gann leicht zu zittern, etwas, das Atlan auch auf Gooderspall oft genug beobachtet hatte, wenn ein Noot in Erregung geriet. »Wir sind es, die die Tiere fangen und in die Anlagen bringen, wo sie die Dämpfe des
Elixier des Lebens Drulery inhalieren, nachdem wir es in ko chendes Wasser gesteckt haben!« »Allerhand!« Atlan hoffte, daß der Spott aus seinen Worten und seiner Stimme her auszuhören war. »Eine große Leistung. Und was dann? Alles andere werden die Cama gurs besorgen.« »Halt endlich den Mund!« zischte der Echsenabkömmling. Atlan wandte sich an Caahan. »Siehst du? Wir hatten recht.« Dabei dachte er angestrengt nach. Das Drulery wurde also in kochendes Wasser gesteckt und von den Jatten inhaliert. Und dann? Er mußte mehr wissen. »Und wir betreuen die Jatten!« fuhr der Noot fort. »Ich selbst habe eine Gruppe von ihnen noch gestern in die Anlagen gebracht und sie abtransportiert, nachdem sie ihre Kugeln produziert hatten und gestorben wa ren. Wenn ihr so schlau seid, werdet ihr wis sen, was die Ärgetzos für den Neffen bedeu ten. Uns obliegt die Aufgabe, die Produktion zu überwachen! Uns und nicht den Cama gurs, schon gar nicht einem Havaren!« Dadurch, daß die Jatten die Dämpfe des in kochendes Wasser gesteckten Sekrets inha lierten, gerieten sie in schreckliche Erre gung, wobei sie sich mehr und mehr verfärb ten. Aus der Beschreibung des Noots ent nahm Atlan, daß es sich bei den Jatten um kleine kugelförmige Pelztiere von niedriger Intelligenz und etwa der Größe eines zu dick geratenen Bibers handelte. Schließlich, wenn die Ekstase ihren Höhepunkt erreichte, schieden sie je ein einen Zentimeter großes Kügelchen aus einer dunklen Substanz aus. Dies waren die so wertvollen Ärgetzos. Die glasierte Schicht, die die Kügelchen umgab, war alles, was vom eigentlichen Drulery üb riggeblieben war. Atlans Rechnung ging auf, obwohl der Arkonide sich bei dem Frage und Antwort spiel reichlich dumm vorkam. Thalia hatte recht. Auf solch plumpe Art und Weise wäre normalerweise nicht einmal ein Idiot herein gefallen. Doch nach weiteren Minuten wuß te Atlan alles über das, was in den benach
23 barten Flachbauten vor sich ging. Jedes Tier konnte nur ein Ärgetzo hervor bringen, dann starb es. Atlan hörte von den Brutstätten, und schon kreisten seine Gedan ken um eine Möglichkeit, diese Brutstätten zu zerstören oder die gesamten Anlagen zur Herstellung der Kügelchen unschädlich zu machen. Dies wäre ein Schlag, den Chirmor Flog nur schwer würde verkraften können. Doch noch waren Atlan und seinen Ge fährten die Hände gebunden. »Wir müssen warten, bis wir abgeholt werden«, flüsterte Atlan Thalia und Caahan zu, den er anwies, die Dellos darauf vorzu bereiten, auf sein Zeichen hin loszuschlagen. »Wir brauchen Waffen. Die Strahler der Noots! Mit ihnen müßten wir ein kleines Feuerwerk veranstalten können.« Die drei Wachen hatten sich inzwischen wieder zurückgezogen, nachdem Atlan ih nen versichert hatte, daß er sich offensicht lich in ihnen und ihren Artgenossen doch getäuscht habe. Wieder hieß es warten. Niemand ahnte, welch fatale Entwicklung sich inzwischen auf Nergal anzubahnen be gonnen hatte. Es war die Tragödie der Noots und Cama gurs, die Tragödie Yatiners und Aislanders. Doch noch wollte niemand etwas davon wis sen, daß die Tage des Stützpunkts auf Ner gal gezählt waren. Noch glaube man an eine »Panne«. Und um eine solche, wenn auch mit schwerwiegenden Folgen, handelte es sich vorerst noch. Die wirkliche Katastrophe sollte erst später über Nergal hereinbrechen.
* Als Yatiner die Nachricht erhielt, war er Augenblicke lang wie erstarrt. Der Cama gur, der vor ihm stand, war nicht weniger bestürzt. »Und du bist ganz sicher?« fragte der Kommandant des Stützpunkts. »Vollkommen sicher«, antwortete das fle dermausähnliche Wesen mit dem Hunde
24 kopf. »Es handelt sich um jene Tiere, die die Fänger im Lauf des Nachmittags brachten. Die von ihnen ausgeschiedene Schlacke ist wertlos.« »Und sie sterben nicht? Sie leben weiter, nachdem sie das Drulery inhaliert und dieses … dieses Zeug produziert haben?« »Sie alle leben noch. 44 Exemplare – und 44 verlorene Ärgetzos. Das ganze Sekret in ihrem Trakt ist verdampft, ohne daß wir eine einzige Kugel erhielten.« Yatiner sprang auf. Er schlug mit einer Faust auf den Arbeitstisch. »Wieso ist man nicht eher darauf auf merksam geworden? Ich habe oft genug be fohlen, daß die Jatten während des Produkti onsprozesses strengt überwacht werden! Hat man sie überhaupt untersucht, bevor sie in die Anlage gebracht wurden?« »Ich nehme es an«, antwortete der Cama gur. »Was soll das heißen, du nimmst es an?« »Unsere Arbeit ist längst zur Routine ge worden, und wir stehen unter Zeitdruck.« »Zeitdruck!« Yatiner lachte rauh. »Ein wahres Wort. Weißt du, was mit uns ge schieht, wenn wir die Ladung nicht bereit halten, wenn die Abholschiffe landen?« Der Kommandant regte sich nicht ohne Grund auf. Außer den 44 wilden Jatten, die offenbar unfähig waren, Ärgetzos zu produ zieren, waren keine anderen Tiere in die An lage gebracht worden, in der das Drulery zum Verdampfen gebracht wurde. Die näch ste Gruppe wartete immer noch in ihren Kä figen. Über Funk befahl der Kommandant, schnellstens fünfzig Jatten in den Trakt zu schicken und die 44 darin befindlichen in ei ne gesonderte Anlage zu schaffen, wo sie sofort untersucht werden sollten. »Wir haben viel Zeit verloren – und viel Drulery«, sagte Yatiner mit ausdrucksloser Miene. »Du weißt, wo sich Aislander befin det?« »Ja.« »Dann schicke ihn zu mir. Er soll sich be eilen!«
Horst Hoffmann Der Camagur verbeugte sich und verließ den Raum. Minuten später erschien der Spe zialkurier. Yatiner erschrak, als er ihn sah. Der Symbiont hatte seine Farbe verändert, geringfügig nur, doch für Yatiner sofort er kennbar. Fast schien es, als strahlte er leicht violett. Und Aislander selbst … Das einzige, was jetzt von ihm zu sehen war, sein Gesicht, wirkte noch ausgezehrter als ohnehin schon. Die Augen lagen jetzt so tief in den Höhlen, daß sie kaum noch zu er kennen waren. Der Havare bot ein Bild des Grauens. Irgendeine schreckliche Verände rung ging mit ihm vor. »Bist du krank?« fragte Yatiner, der für Sekunden vergaß, weshalb er Aislander hat te kommen lassen. Dieser winkte ab. »Crosv leidet immer noch unter den Nachwirkungen dessen, was uns diese Besti en auf Gooderspall angetan haben, aber ich schwöre dir, daß sie dafür büßen werden. Crosv wird sich erholen.« Aislander sah sich um, als hätte er erwartet, andere im Raum zu sehen. »Der Camagur wollte nicht sagen, worum es geht. Schwierigkeiten mit den Ge fangenen?« Yatiner setzte sich wieder. Auch Aislan der nahm Platz. Dem Kommandanten ent ging das Zusammenzucken des Artgenossen nicht, als dieser mit dem Symbionten das kalte Metall des Sessels berührte. Aislander sagte nicht die Wahrheit. Irgend etwas ge schah mit ihm, etwas, über das er nicht spre chen wollte. »Die Gefangenen machen mir im Augen blick keine Sorgen, dafür um so mehr die Jatten. Es kann sich um einen Einzelfall han deln, aber 44 von ihnen, alle dem verdun stenden Drulery ausgesetzt, brachten keine Ärgetzos hervor, sondern …« Yatiner reichte Aislander eine kleine Schüssel mit dem von den Tieren ausge schiedenen Stoff. Angewidert stellte der Spezialkurier sie zurück. »Ich habe einen schlimmen Verdacht«,
Elixier des Lebens sagte Yatiner. »Die Tiere könnten krank sein.« »Wir haben genügend gesunde.« Yatiner nickte. »In diesen Minuten werden fünfzig ande re Jatten in die Anlagen gebracht. Allerdings …« »Ja?« »Sie befanden sich mit den möglicherwei se kranken in einem Raum, wenn auch in verschiedenen Käfigen.« »Die Entarteten oder Kranken müssen auf der Stelle getötet werden!« verlangte Aislan der. Yatiner allein hatte auf Nergal zu be stimmen, aber in diesen Augenblicken ging es nicht um Kompetenzen. Es ging, auch für die Havaren, ums nackte Überleben. Der Spezialkurier wollte etwas hinzufügen, aber er brachte keinen Ton mehr heraus. Yatiner schrie schrill auf, als er sah, wie der Artgenosse sich aufbäumte und nach Luft schnappte, wie der Symbiont so grell zu strahlen begann, daß die Augen schmerzten. Dennoch zwang Yatiner sich hinzusehen. Er wollte vorstürzen, Aislander packen und ihn von dem befreien, was ihn zu ersticken ver suchte. Der Symbiont geriet in konvulvische Zuckungen und preßte sich immer enger um den Havaren. Aislander stieß einen letzten, ohrenbetäubenden Schrei aus, aus dem aller Schmerz und alle Verzweiflung sprachen, die ein Wesen nur empfinden konnte. Ais lander versuchte sich aus der Umklamme rung zu befreien, doch Crosv war stärker. Innerhalb von zwei Minuten war der Spe zialkurier tot. Crosv starb mit ihm. Der Symbiont verlor alle Farbe und zer fiel zu Staub. Übrig blieb der schrecklich verunstaltete Körper Aislanders. Alle Kno chen schienen gebrochen zu sein. Das Feuer in den kleinen Augen war erloschen. Yatiner war unfähig, in diesen Augen blicken etwas zu unternehmen. Ohne sich dessen bewußt zu werden, war er bis zur Wand hinter dem Arbeitstisch zurückgewi chen. Er stammelte etwas, ohne es überhaupt
25 zu bemerken. Aislander tot – allein das war unvorstellbar. Doch noch furchtbarer war der Gedanke, daß er von seinem eigenen Symbionten erdrosselt und zerquetscht wor den war. Endlich fing der Kommandant des Stützpunkts sich. Und er beging den schlimmsten Fehler seiner Laufbahn. Er rief die im Kontrollgebäude stationierte Cama gur-Truppe herein und befahl, Aislanders sterbliche Überreste fortzubringen und in einen Konservierungsbehälter zu stecken. Es stank, und so ordnete Yatiner an, daß das Belüftungssystem auf volle Stärke gestellt werden sollte. Ventilatoren wurden einge schaltet, und die Luftströmung spülte einen Teil dessen ins Freie, was von Crosv übrig geblieben war – feiner Staub, der sich drau ßen schnell ausbreitete. Doch davon bemerkte Yatiner nichts. Erst später sollte er sich darüber klar werden, was er unfreiwillig angerichtet hatte. Havaren verband keine sonderlich große emotionale Bindung miteinander. Dennoch fühlte der Kommandant sich von maßlosem Zorn gepackt. Dieser Zorn brauchte ein Ventil. Die Gefangenen! Sie waren an allem schuld! So mußte es ganz einfach sein! Yatiner vergaß jede Lo gik. Irgend etwas hatte durch sie auf den Symbionten eingewirkt. Kein Zweifel – auf irgendeine unbegreifliche Art und Weise hatten sie Einfluß auf Crosv genommen und ihm befohlen, Aislander zu töten. Weder Yatiner noch sonst jemand auf Nergal konnte wissen, daß Aislanders Tod die verspätete Rache der Terzöge war, die Aislanders Kokon so präpariert hatten, daß er die Veränderung an Crosv bewirken muß te. Thalia hatte diese Veränderung gespürt. Es war schon Morgen. Die Dämmerung hatte eingesetzt. Die benötigten Ärgetzos mußten so schnell wie möglich produziert werden. Doch zuvor sollten die Gefangenen unschädlich gemacht werden. Sie waren Ya tiner unheimlich. Noch nie hatte er Wesen solcher Art gesehen. Wer konnte wissen, über welche Fähigkeiten sie verfügten?
26 Es gab nur eines zu tun. Yatiner bestellt Bentaner-Lork zu sich und befahl ihm, die Gefangenen in Eishül sen zu stecken. Sie waren zwar wertvoll, aber die Ärgetzos waren noch wertvoller. Es mußte unter allen Umständen verhindert werden, daß die Fremden weiteres Unheil anrichteten. Vielleicht verfügten sie über magische Fähigkeiten. BentanerLork bestätigte und rief eine Gruppe von zwanzig schwerbewaffneten Noots zusammen, die sich unter seiner Füh rung zu den beiden Kuppeln mit den Gefan genen begab. Yatiner selbst machte sich auf den Weg zu den Produktionsanlagen. Fünfzig Jatten hockten in ihren kleinen Käfigen und atme ten das verdampfende Drulery. Yatiner trug eine Schutzmaske wie die Noots, die auf die ersten Kugeln warteten. Ein Transportgleiter stand bereit, um die toten Tiere wegzuschaf fen. Es dauerte in der Regel mehrere Stunden, bis die Jatten das Drulery umgewandelt hat ten und die Ärgetzos ausschieden. Wertvolle Stunden waren schon verstrichen. Fünfzig Kugeln – knapp die Hälfte der Ärgetzos, die noch an den geforderten drei hundert fehlten. Es würde Abend sein, bevor alle dreihun dert beisammen waren. Bis dahin konnten die Abholschiffe be reits gelandet sein. Yatiner hoffte, daß ihre Besatzungen aus Noots, Camagurs oder sonstigen Hilfsvöl kern bestanden, die er hinhalten konnte. Schlimmer wäre es, wenn es sich um Wesen handelte, die seine Autorität nicht so schnell anerkennen würden. »Liegen bereits Untersuchungsergebnisse vor?« fragte der Kommandant des Stütz punkts und meinte damit die 44 Jatten, die seinen Zeitplan so sehr durcheinanderge bracht und wertvolles Drulery hatten ver kommen lassen. Natürlich wäre es sicherer gewesen, sie gleich alle zu töten, wie Aislanders letzte Forderung gelautet hatte. Doch Yatiner
Horst Hoffmann wollte wissen, was es mit ihnen auf sich hat te. Vielleicht handelte es sich um einen Ein zelfall. Die Jatten lebten in kleinen Koloni en, meist Höhlen in den nahen Bergen. Viel leicht das Ergebnis einer Inzucht, vielleicht wirklich eine Entartung oder Krankheit. Tat sache war, daß etwas Derartiges noch nie auf Nergal vorgekommen war, und die Ar beit, die Yatiner und seine Leute hier zu lei sten hatten, war zu wichtig, als daß man den Vorfall auf die leichte Schulter nehmen konnte. Einer der Noots schüttelte den Kopf. »Ich stehe in ständiger Verbindung mit den Wissenschaftlern, die die Untersuchun gen durchführen«, sagte er. »Sie haben noch nichts finden können – absolut nichts.« Yatiner gab eine Verwünschung von sich. »Man soll eines der Jatten sezieren«, ord nete er an. Der Noot bestätigte und gab den Befehl weiter. Die Wissenschaftler würden nichts fin den, denn noch hatte der eigentliche Trans formationsprozeß nicht begonnen. Jene mi kroskopisch kleinen Staubpartikel des toten Crosv, die die »entarteten« Jatten erreicht hatten und von diesen eingeatmet worden waren, hatten ihre volle Wirkung noch nicht getan. Nur die Mutierten waren dafür empfäng lich. Die »normalen« Tiere atmeten die Par tikel ein, ohne Schaden zu nehmen. Als Yatiner am frühen Nachmittag die Meldung erhielt, daß alle fünfzig Jatten, die dem Drulery ausgesetzt gewesen waren, ihre Ärgetzos produziert hatten, vergaß der Ha vare die »Kranken« vorübergehend. Die toten Tiere wurden aus der Anlage geschafft, neues Sekret in die Kessel gege ben und weitere 56 Jatten den Dämpfen aus gesetzt. Noch 56 Ärgetzos. Wenn nicht im letzten Augenblick noch etwas dazwischenkam, sollten sie bei Einbruch der Nacht abholbe reit sein. Sie und die Gefangenen. Aislander, dessen Tod Yatiner noch vor Stunden erschüttert hatte, war vergessen. Ein anderer würde an seine Stelle treten.
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7. Wenige Stunden vorher Atlan stieß Thalia und Caahan an, als die Noots und Camagurs die Kuppel betraten. Noch immer saßen die drei dicht beieinander nur knapp einen Meter von den Energiesäu len entfernt. Doch Atlans Hoffnung, nur von einer kleinen Gruppe abgeholt zu werden, erfüllte sich nicht. Zum erstenmal seit der Landung auf Ner gal sah er so viele Noots und Camagurs zu sammen. Sie alle waren schwerbewaffnet. Atlan hütete sich davor, darauf zu vertrauen, daß man nicht auf sie schießen würde, weil sie wertvoll für Chirmor Flog sein konnten. Es war ein mehr als seltsamer Anblick, als die ungleichen Wesen auf den Energiekäfig zu marschiert kamen, bis einer der Noots den Arm hob. Seine Artgenossen und die Camagurs in ihren farbenprächtigen Gewändern verteilten sich rings um die kreisrunde Fläche mit den Gefangenen. Natürlich mußte Atlan anneh men, daß sie gekommen waren, um ihn, Thalia und die Dellos zu einem der inzwi schen gelandeten Abholschiffe zu bringen. Dies war die einzig logische Erklärung. Daß noch kein Organschiff im System aufge taucht war, konnte der Arkonide nicht ah nen. Es wäre Selbstmord gewesen, nun einen Fluchtversuch zu unternehmen. Wahrschein lich hatte Aislander dem Kommandanten des Stützpunkts davon berichtet, was Atlan und Caahan auf Gooderspall vollbracht hat ten, und nun nahm Yatiner an, daß alle Ge fangenen gleichermaßen gefährlich waren. Atlan schätzte, daß sich jetzt mindestens zwanzig Noots und die gleiche Anzahl Camagurs in der Kuppel befanden. Auf einen Zuruf desjenigen, die hier of fensichtlich das Kommando führte, schalte ten die Wachen am Eingang die Energie ab, die die Säulen speiste. »Steht auf und bleibt dicht beieinander!« rief der Noot. »Keine Dummheiten. Wir
schießen sofort. Für den Neffen des Dunklen Oheims reicht es, wenn nur einige von euch am Leben bleiben!« »Wird man uns nach Säggallo bringen?« fragte Atlan, als sich die sechzehn Gefange nen in Zweierreihen formierten. »Ihr werdet früh genug erfahren, wohin ihr kommt. Nun los!« Die Gruppe setzte sich in Bewegung. Schon als sie die Kuppel verließ und ins Freie kam, wußte Atlan, daß er sich ge täuscht hatte. Kein Organschiff außer der HORIET war zu sehen, und das Landefeld war in seiner ganzen Ausdehnung zu über blicken. Zwei Camagurs gingen voraus, auf ein zylinderförmiges Bauwerk zu. Atlan stellte keine Fragen. Ein Gedanke beschäf tigte ihn plötzlich, und er fragte sich, wes halb er nicht früher an diese Möglichkeit ge dacht hatte. Die erwarteten Abholschiffe ka men, um die Ärgetzos zu Chirmor Flog zu bringen – ob nun direkt tut geheimnisvollen Welt Säggallo oder zu einer weiteren Zwi schenstation. Auf jeden Fall würde ein wei terer Schritt getan sein, falls sie den Arkoni den, Thalia und die Dellos an Bord nahmen – ein weiterer Schritt zur Lösung des Ge heimnisses um den Neffen. War es unter diesen Umständen sinnvoll zu fliehen – abgesehen davon, daß dies bei der augenblicklichen Bewachung einem Selbstmordversuch gleichkam? Atlan brauchte Zeit. Er wußte nicht, wo hin sie gebracht wurden. Chirmor Flog als Gefangene vorgeführt werden oder in Freiheit wieder irgendwo zwischen den Sternen der Schwarzen Gala xis umherirren und verzweifelt nach Spuren suchen dies war die momentane Alternative. Ein Blick auf die Strahlwaffen, die auf die Gefangenen gerichtet waren, genügte, um Atlan seine Wahl treffen zu lassen. Thalia stieß ihn an und zeigte vorsichtig dorthin, wo die sechzehn in der anderen Kuppel ge fangenen Dellos ebenfalls unter strengster Bewachung auf das Gebäude zu geführt wurden. Beide Gruppen vereinigten sich, be vor ein großes Tor sich öffnete. Atlan beob
28 achtete, wie ein Noot seine Klauenhand ge gen eine rot markierte Stelle in der Wand preßte, um beide Hälften des Tores zur Seite fahren zu lassen. Im Innern des Gebäudes war es hell – und kalt. Atlan sah etwa fünfzig zwei Meter ho he Behälter mit runder Grundfläche und ei nem Durchmesser von einem Meter. Die meisten waren auseinandergeklappt. Bläu lichweiße Dunstschwaden stiegen aus dem Boden. Die Behälter bestanden ganz aus durchsichtigem Material, das an vielen Stel len beschlagen war. »Die Eishülsen«, erklärte der Noot, der sich inzwischen als Bentaner-Lork vorge stellt hatte. »In ihnen werdet ihr keinen Un fug anstellen können, bis die Abholschiffe gelandet sind.« »Die Energiekäfige waren euch also nicht sicher genug für uns?« fragte der Arkonide mit beißendem Spott, während er sich fragte, was es mit diesen »Eishülsen« auf sich hatte. Wenn seine Ahnung sich bewahrheitete, wa ren er und seine Begleiter tatsächlich außer Gefecht gesetzt, sobald sie sich darin befan den. »Es war Yatiners Befehl«, sagte Benta ner-Lork. »Vielleicht auch Aislanders Idee, bevor er starb.« Atlan fuhr herum und sah, wie sich sofort einige Bewaffnete um ihn herum postierten. Er glaubte nicht richtig gehört zu haben. »Aislander tot? Aber wie …?« »Sein Symbiont hat ihn erstickt und ihm alle Knochen im Leib gebrochen«, erklärte der Noot schroff. »Yatiner ist der Ansicht, daß ihr etwas damit zu tun habt. Er sähe es bestimmt nicht ungern, wenn ihr …« Die Andeutung genügte. Würde der Kom mandant des Stützpunkts sich nicht wie vor her auch der Spezialkurier eine Belohnung für die Ablieferung der Unruhestifter erhof fen, wäre ihr Todesurteil schon jetzt gespro chen und wahrscheinlich auch vollstreckt worden. Die Hülsen? »Keine Angst«, sagte Bentaner-Lork auf eine entsprechende Frage. »Ihr werdet eine
Horst Hoffmann Weile schlafen und erst an Bord eines der Abholschiffe wieder zu euch kommen. Ich hoffe nur, daß es Schiffe der Scuddamor-Flot te sein werden.« »Scuddamor-Flotte?« »Du hast genug gefragt. Los jetzt«, der Noot wandte sich an die Bewaffneten. »Steckt sie in die Eishülsen!« Die Dellos ließen sich widerstandslos füh ren. Auch sie wußten, daß Auflehnung zum jetzigen Zeitpunkt sinnlos war. Außerdem hätten sie ohne einen Befehl Atlans ohnehin nichts unternommen. Einer nach dem anderen würde in eine Hülse gebracht. Jeweils zwei Camagurs klappten die beiden Hälften zusammen und verschlossen sie. Auch nach oben hin waren die Gebilde luftdicht abgeschlossen. Atlan wollte schon protestieren, weil er glaubte, daß man ihn, Thalia und alle Dellos qualvoll ersticken lassen wollte, doch dann sah er, wie einer der Spezialandroiden nach dem anderen mitten in der Bewegung erstarrte. »Ihr … ihr friert uns ein?« »Keine Angst«, sagte Bentaner-Lork wie der. »Wir tauen euch auch wieder auf – viel mehr werden andere das für uns besorgen.« Der Noot wirkte fast amüsiert. »Du interes sierst dich für die Hülsen? Ich sehe, wie du hinschielst, wenn deine Freunde eingesperrt werden. Ja, wir brauchen sie nur zuzuklap pen – alles andere geschieht automatisch. Und sie brauchen nur geöffnet zu werden, damit ihr wieder bewegungsfähig werdet. So einfach ist das, und doch unerreichbar für euch. Du bist an der Reihe!« Gerade wurde Thalia zu einer Hülse ge führt – der vorletzten noch offenstehenden. Die Odinstochter blickte noch einmal zu rück. Ein stummes Flehen stand in ihrem Blick, so als ob sie nicht glauben wollte, daß Atlan tatsächlich zuließ, was mit ihnen ge schah. Ein Noot stieß sie mit dem Schaft sei ner Waffe in den Rücken, daß sie aufschrie und vorwärtstaumelte. Sekunden später klappten beide Hälften der Eishülse zu. Tha lia warf sich gegen die transparenten Wände und erstarrte mitten in der Bewegung.
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Alle organischen Körperfunktionen waren auf ein Minimum herabgesetzt. Ein unbetei ligter Betrachter hätte glauben müssen, Tha lia und die Dellos seien tot. Der Arkonide ließ sich widerstandslos zur letzten offenen Hülse führen. Eine verzwei felte Hoffnung: Unter dem Raumanzug trug er das Goldene Vlies. Atlan glaubte nicht an Wunder, aber es war ein Strohhalm, an den er sich klammerte. Ohne zu wissen, ob diese irreal erschei nende Hoffnung sich erfüllte, warf er sich wie Thalia gegen das Glas, nachdem die bei den Hälften der Hülse zusammengeklappt und verschlossen waren, dann blieb er ste hen, als ob ihm alle Muskeln mit einem Mal den Dienst versagten. Er konnte denken. Er hatte die Augen weit aufgerissen und sah, wie alle Noots und Camagurs das Ge bäude verließen. Sie waren sich ihrer Sache völlig sicher. Er wartete ab, bis das Eingangstor sich geschlossen hatte. Erst dann bewegte er sich.
* tlan hatte keine Möglichkeit, genau abzu schätzen, wieviel Zeit seit der Einfrierung vergangen war. Als man sie hierhergebracht hatte, war es Mittag gewesen. Ein Fluchtver such würde nur in der Dunkelheit Erfolg ha ben können. Und einen solchen Fluchtver such wollte der Arkonide unternehmen. Er war der einzige, der sich bewegen konnte. Wieder einmal hatten die wundersamen Kräfte des Goldenen Vlieses ihm zumindest einen Aufschub verschafft. Atlan hatte Zeit zum Nachdenken gehabt – viel Zeit sogar. Und ihm war eine Idee gekommen, eine ver wegene Idee, aber wenn er sie verwirklichen konnte, würde er etwas in der Hand haben, mit dem er Chirmor Flog und seinen Hel fershelfern entgegentreten konnte. Zunächst würde er aus seiner Eishülse entkommen müssen, dann einige Dellos be freien und schließlich ungesehen in die La gerhalle gelangen, in denen die Ärgetzos
aufbewahrt wurden. Zwar hatte er von den Wachen in der Kuppel erfahren, wo diese Kügelchen produziert wurden, aber noch wußte der Arkonide nicht, wohin sie von dort gebracht wurden. Bestimmt nicht weit, überlegte Atlan, wenn sie ohnehin bald nach der Produktion von Raumschiffen abgeholt wurden. Die ganze Zeit über war keine einzige Wache erschienen, um nach den Gefangenen zu sehen. Noots und Camagurs waren sich ihrer Sache völlig sicher. Anfangs hatte Atlan befürchtet, es gäbe automatische Alarmsysteme, zum Beispiel Einrichtungen, die den Sauerstoffverbrauch innerhalb der Eishülsen anmaßen und sofort ansprachen, sobald ein Gefangener mehr verbrauchte als unter diesen Umständen der reduzierten Lebensfunktion »normal« war. Erst nachdem er die Hülse betreten und ge merkt hatte, daß er nicht erstarrte, war Atlan der furchtbare Gedanke gekommen, er müs se kläglich ersticken, aber die Sauerstoffver sorgung schien sich nach den Bedürfnissen der Gefangenen zu richten, ohne daß ein Alarmsystem verbunden war. Zwar hatte At lan keine Ahnung, woher der Sauerstoff kam – er hörte kein Zischen und sah nicht, daß die Eisluftschwaden um ihn herum aufge wühlt wurden – aber er konnte atmen. At lans Finger betasteten den fast nicht mehr wahrnehmbaren Schlitz zwischen den bei den Hälften der Hülse. Mittlerweile mußte es dunkel sein. Atlan konnte sich, wie so oft in seinem langen Le ben, nur auf sein Gefühl verlassen. Innerhalb der Halle herrschte immer noch das gleiche grelle Licht, doch die Augen hatten sich längst daran gewöhnt. Der Arkonide fand keinen Hinweis dar auf, wie er die Hülse von innen öffnen könn te. Thalia hatte sich dagegengeworfen, eben so wie er, doch Atlan hatte den Noots und Camagurs lediglich eine Schau bieten wol len und nicht sein ganzes Körpergewicht da hintergelegt. Panzerglas oder Plastik – es schien nur eine Möglichkeit zu geben, aus der Eishülse zu kommen. Atlan hatte keinen
30 harten Gegenstand, kein Messer – nichts. Er mußte versuchen, sein kaltes Gefängnis ge waltsam aufzubrechen, auf die Gefahr hin, daß die Besatzung des Stützpunkts dann endgültig alarmiert sein würde. Einmal drau ßen, würde es keine großen Schwierigkeiten bereiten, die anderen zu befreien. Kolphyr! Atlan hätte jetzt einiges dafür gegeben, den Riesen bei sich zu haben. Er hätte die Hülse wahrscheinlich ohne große Anstrengung mit bloßen Händen auseinan dergebrochen. Doch Atlan war allein. Er atmete tief durch, dann warf er sich mit aller Kraft ge gen den Teil der transparenten Wand, wo sich der Schlitz befand. Das Ergebnis über raschte ihn so, daß er durch das mit lautem Klirren zerspringende Glas hindurch vom ei genen Schwung mehrere Meter weit in die Halle getragen wurde und zu Boden stürzte. Die linke Hüfte schmerzte, aber das nahm er kaum wahr. Insgeheim hatte er erwartet, bis zur Gren ze der Erschöpfung arbeiten zu müssen, um aus der Eishülse herauszukommen – falls überhaupt. Einfach, einfaches Glas! Wie sicher muß ten sich die Noots und Camagurs auf Nergal fühlen, wenn ihre Widersacher in diesen runden Eiskammern steckten. Das war schon nicht mehr Sorglosigkeit, das war haarsträu bende Dummheit. Atlan konnte es recht sein. Er sah sich um und fand nach kurzem Suchen eine etwa an derthalb Meter lange Metallstange in einer Ecke der Halle liegen. Ohne lange zu zö gern, hob er sie auf und zerschlug zuerst Thalias Eishülse, dann die einiger Dellos. Jeden Augenblick konnten die Wachen er scheinen, und diesmal würden sie nicht zö gern, das Feuer zu eröffnen. Atlans größere Sorge war jedoch, ob die »Wiedererweckung« der Eingefrorenen oh ne Komplikationen verlaufen würde. Hatte man sie wirklich nur in die Hülsen zu stecken brauchen, oder gab es verborgene Kontrollräume, von wo aus die Reduzierung der Lebensfunktionen gesteuert auch die Re-
Horst Hoffmann aktivierung vollzogen wurde? Atlan lief zu Thalia zurück und zerrte sie aus ihrem Kältegefängnis. Eisige Luft schlug ihm entgegen. Erst jetzt wurde er sich der Kälte überhaupt bewußt. In seiner eige nen Hülse hatte er so gut wie nichts davon gespürt. Eine physikalische Unmöglichkeit, wurde dem Arkoniden bewußt. Es gab so vieles, das er nicht verstand, aber jetzt war nicht die Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Thalia rührte sich nicht. Atlans Hände massierten ihren Hals und die Wangen. Kei ne Reaktion. Auch die Dellos, immerhin kei ne Menschen, sondern Spezialandroiden aus Agmonth, lagen wie erstarrt auf dem Boden. Atlan überlief eine Gänsehaut, als er daran dachte, daß er seine Begleiter umgebracht haben könnte. Wie gehetzt sah er sich um. Das Tor war noch geschlossen. Keine Wachen erschie nen. Warteten sie draußen? Thalia … Wie sie nun so vor ihm lag, war sie schö ner als je zuvor – zumindest hatte Atlan die se Schönheit niemals so sehr wahrgenom men wie jetzt. Plötzlich vergaß er alles, was um ihn herum vorging, die Noots, die Cama gurs, Yatiner und auch Chirmor Flog, der ir gendwo im Hintergrund die Fäden zog und diesen Raumsektor kontrollierte. Es gab nur noch ihn und Thalia. Als er sich über sie beugte und die kalten Lippen küßte, mußte er unwillkürlich an ein Märchen denken. Dornröschen … War er, Atlan, der Prinz, der sein Dorn röschen mit einem Kuß zum Leben er wecken konnte? Wäre die Situation nicht so makaber gewesen – Atlan hätte laut gelacht. Mochte dieser Prinz im Märchen die glei chen Gefühle gehabt haben wie er in diesem Augenblick? Thalia schlug die Augen auf. Atlans erste Reaktion war ein weiterer Kuß, und die Odinstochter erwiderte ihn. Der Ar konide spürte, wie zwei kalte Hände sich um seinen Nacken schlagen. Hinterher hätte er nicht zu sagen gewußt, was geschehen wäre, hätte nicht plötzlich
Elixier des Lebens ein Dello neben ihm gestanden. Er sah die Stiefelspitzen und kam mit einem Ruck in die Höhe. Es war nicht Caahan, wie er ins geheim gehofft hatte. Nach all dem, was er und der Spezialandroide auf Gooderspall durchgemacht hatte, war fast eine Art emo tionale Bindung zwischen den beiden un gleichen Wesen entstanden. Nach und nach kamen immer mehr Dellos zu sich. Atlan reichte Thalia die Hand und stand auf. Er fand weitere Eisenstangen und reichte sie den Dellos. Gemeinsam zertrüm merten die Reaktivierten und der Arkonide die restlichen Eishülsen, wobei Atlan immer wieder zum Eingangstor der Halle sah. Es würde die nächste Hürde sein, die er zu neh men hatte. Und vielleicht die letzte. Vom Standpunkt der Stationsbesatzung aus gesehen, war es besser, dort draußen auf die Ausbrecher zu warten als möglicherweise beim Stürmen der Halle in eine Falle zu laufen und unnöti ge Opfer in Kauf zu nehmen. Ein Risiko, das eingegangen werden muß te. Atlan rief Fälser, Branor und Caahan zu sich. »Ich werde versuchen, das Tor zu öffnen. Es müßte jetzt Nacht sein. Nach und nach werdet ihr in kleinen Gruppen versuchen, die HORIET zu erreichen. Wahrscheinlich ist sie bewacht. Dann müssen die Wachen ausgeschaltet werden. Fälser, das wird deine Aufgabe sein. Nimm dir zwei Dellos mit, wenn es mir gelingt, das Tor zu öffnen.« »Das wird unmöglich sein«, sagte der Spezialandroide. Atlan winkte ab. »Ich hielt es auch für unmöglich, die Hül sen zu sprengen. So vorsichtig unsere Bewa cher vor dem Einfrieren waren, so leichtsin nig sind sie nun. Offensichtlich hat es noch nie jemand fertiggebracht, aus den Eishülsen zu entkommen. Aber Vorsicht kann auch uns nicht schaden. Alle, die Eisenstangen haben, sollen sich rechts und links vom Tor bereit halten und sofort losschlagen, wenn Noots oder Camagurs auftauchen!« »Und du?«
31 »Ich versuche, die Ärgetzos zu finden. Caahan wird mich begleiten.« »Und die anderen?« »Sie warten. Ein paar von uns fallen we niger auf als alle zusammen. Du versuchst an Bord der HORIET zu gelangen. Wenn du das geschafft hast, holt ihr die anderen, aber immer nur in Zweiergruppen. Ich glaube nicht, daß die Abholschiffe schon gelandet sind, sonst hätte man uns reaktiviert. Wir müssen verschwunden sein, bevor sie da sind. Nimm Kontakt mit Bronniter-Vang auf, Fälser! Im entscheidenden Augenblick muß alles wie am Schnürchen laufen. Wir …« »Ich verstehe nicht«, unterbrach der Del lo. »Was heißt das?« »Wie am Schnürchen?« Atlan lachte zum erstenmal seit langem. »Eine Redewendung, vergiß es. Ich wollte sagen, daß wir dann keine Sekunde zu verlieren haben und alles aufeinander abgestimmt sein muß. Noch ein mal: ich und Caahan versuchen, die Ärget zos zu finden und an Bord zu bringen. Bis dahin müßt ihr alle ebenfalls in der HORIET sein, und zwar ohne daß unsere Freunde dar auf aufmerksam werden. Wenn es sich nicht vermeiden läßt …« Atlan zögerte einen Au genblick. »Wenn es nötig ist, tötet die Wa chen. Nur wenn es unbedingt nötig ist, Fäl ser! Sonst versucht sie zu betäuben.« »Und ich?« fragte Thalia, die sich zwi schen die Dellos gedrängt hatte und noch wesentlich mitgenommener aussah als die Androiden. Sie wirkte völlig kühl, und Atlan fragte sich, ob sie wirklich vergessen hatte, was eben noch zwischen ihnen gewesen war. »Du bleibst hier und wartest, bis die Del los zurück sind. Du gehst mit der zweiten Gruppe und übernimmst mit Fälser zusam men das Kommando über die HORIET, bis Caahan und ich an Bord sind. Und nun …« Der Arkonide blickte zum Tor hinüber, dann hoch zur Decke. Regelrechte Licht schlangen, die ihn an Neonröhren erinner ten, waren mit zusammengekniffenen Augen zu erkennen. Sobald das Tor sich öffnete,
32 würde der Lichtstrahl ins Dunkel der Nacht hinausdringen und die Besatzung des Stütz punkts auf den Plan rufen. »Zurücktreten!« rief Atlan den Dellos und Thalia zu. »Gleich wird es ziemlich dunkel werden!« Dann schleuderte er die Eisenstange ge gen die Decke. Ein Blitz, dann ein Funken regen, der auf die Gefangenen niederging, ohne einen von ihnen zu verletzen. Das grel le Licht erlosch von einem Augenblick zum andern. Es dauerte einige Zeit, bis Atlans Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hat ten. Tas tend näherte er sich dem Tor. Er versuchte sich zu erinnern, an welcher Stelle der Noot die Wand berührt hatte – allerdings von außen. Wieder ging Atlan von Spekula tionen aus, und wieder einmal hatte er Glück. Seine Finger fanden eine Vertiefung in der Wand neben dem Tor. Er preßte die Handfläche hinein, und das Tor fuhr völlig lautlos auf. Im nächsten Augenblick nahm er eine Be wegung wahr. Eine im Licht der entfernten Scheinwerfer nur vage erkennbare Gestalt, die herumfuhr und eine Waffe auf ihn rich tete. Bevor Atlan reagierte, war Fälser an ihm vorbei und streckte den Noot mit einem Faustschlag zu Boden. Er entwand ihm die Strahlwaffe und reichte sie Atlan: »Du wirst sie besser gebrauchen können als ich«, sagte der Androide. »Bestimmt ste hen mehr Wachen vor dem Depot mit den Ärgetzos als vor der HORIET.« Es war ein Strahler, wie Atlan ihn auf Gooderspall von den dort stationierten Noots bekommen hatte, bevor er ins Reich der Terzöge aufbrach. »In Ordnung«, sagte der Arkonide. »Nehmt die Eisenstangen mit. Und denkt daran: die HORIET muß startbereit sein, aber es darf noch keine Energie freigesetzt werden, die angemessen werden könnte. Verstanden?« »Du kannst dich auf uns verlassen, At lan.« »Das weiß ich«, antwortete der Arkonide
Horst Hoffmann lächelnd. Er sah sich nach Caahan um. »Komm!« Noch einmal begegnete Atlan Thalias Blick, aus dem nur eines sprach. Sie wollte mit ihm gehen. Aber Atlan blieb hart. Er nahm Caahan beim Arm und stürmte mit ihm ins Freie hinaus. Er war sich über seine Gefühle der Odinstochter gegenüber immer noch nicht im klaren. Vielleicht lieb te er sie wirklich und wollte es nur nicht wahrhaben. Wie oft in der Vergangenheit hatten solche Lieben tragisch geendet? Wie oft waren die Frauen, mit denen er zusam mengelebt hatte, gealtert, während er jung geblieben war? Atlan versuchte die Gedanken zu ver scheuchen. Doch die Gesichter erschienen immer wieder vor seinem geistigen Auge. Und nicht immer war es das Alter gewesen, das die Tragik brachte. Mirona Thetin – eine faszinierende Frau und ein Monstrum. Faktor Eins der Meister der Insel. Niemals in seinem Leben, und sollte es noch weitere Jahrzehntausende an dauern, würde Atlan die Ereignisse verges sen, die zu ihrem Tod geführt hatten. Sie war im Grund genommen nur deshalb ge storben, weil sie ihn, Atlan, zu schonen ver sucht hatte. Und Thalia? Atlan zwang sich mit aller Gewalt zur Konzentration. Zusammen mit Caahan er reichte er eines der flachen Bauwerke und warf sich in seinem Schatten zu Boden. Das Landefeld war in fahles Licht getaucht. Kein Noot und kein Camagur war zu sehen. Wo befanden sich die Ärgetzos? Atlan fiel plötzlich ein, daß einige der kurz nach der Landung beobachteten Trans portschweber vor einer Öffnung im Boden des Landefelds haltgemacht hatten. Er ver suchte sich zu orientieren. »Dort!« flüsterte Caahan. Atlan sah den Gleiter im gleichen Augen blick. Das Fahrzeug hielt an. Nur Sekunden danach drang Licht aus dem Boden. Einige Gestalten – Atlan konnte auf die Entfernung nicht einmal feststellen, ob es sich um Noots
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oder Camagurs handelte – sprangen von der Ladefläche und verschwanden in der Hellig keit. Zwei von ihnen schleppten etwas mit sich. »Wir scheinen schon wieder mehr Glück als Verstand zu haben«, flüsterte Atlan Caa han zu. »Wir können nicht warten, bis die Burschen verschwunden sind und der Ein gang verschlossen ist. Los!« Der Fahrer des Gleiters bemerkte die bei den Anstürmenden erst, als es längst zu spät war. Atlan betäubte den Noot mit einem Faustschlag. »Das war der erste«, zischte er Caahan zu. »Die anderen werden es uns nicht so leicht machen.« Ein quadratisches, etwa vier mal vier Me ter großes Loch war im Boden, aus dem das Licht drang, und in dem einige nach unten führende Laufbänder zu erkennen waren. Atlan sah sich um. Die HORIET stand eini ge hundert Meter entfernt auf dem Lande feld. Wachen waren nicht zu sehen. Atlan wußte, daß er sich auf Fälser verlassen konnte. Dennoch hatte er ein ungutes Ge fühl. »Los jetzt!« zischte er Caahan zu und packte den Griff des Strahlers fester.
8. Yatiner Von Minute zu Minute wurde der Kom mandant des Stützpunkts auf Nergal unruhi ger. Längst hätte die Meldung kommen müssen, daß die letzten 56 Ärgetzos von den Jatten ausgeschieden worden wären. Der Havare ging vor den großen Fenstern seines Arbeitsraums auf und ab. Es hielt ihn nicht mehr in seinem Sessel. Mittlerweile war es völlig dunkel. Nur ei nige Scheinwerfer reichten noch in die Nacht hinein und beleuchteten bestimmte Stellen des Raumhafens. Immer wieder fragte der Havare bei den Noots und Camagurs, die bei den Jatten wa ren, an, wie viele Ärgetzos produziert wor den waren, und von Mal zu Mal war das Er
gebnis deprimierender. Es schien fast so, als weigerten sich die Tiere, das Drulery aufzunehmen und umzu wandeln. Fest stand, daß seit einer halben Stunde kein einziger Ärgetzo mehr gewon nen worden war. Yatiner war entschlossen, noch eine Stun de zu warten und dann gegebenenfalls die Tiere gegen andere auswechseln zu lassen. Ganze sechs Ärgetzos! durchfuhr es den Havaren. Die gesamte Ausbeute! Das war unfaßbar! Das hatte es noch niemals gege ben – jedenfalls nicht, solange er den Stütz punkt leitete. Und die Fremden waren an allem schuld. Mit ihnen war das Unglück gekommen. Manchmal verfluchte Yatiner Aislander. Hätte er sie nur nicht hierhergebracht. Aber nun waren sie wertvoller als jemals zuvor. Yatiner wußte jetzt, daß die 44 »entarteten« Jatten keine Ausnahme darstell ten – zumindest redete er es sich ein. Er mußte es annehmen, denn weder der Kom mandant des Stützpunkts noch irgend je mand anders auf Nergal konnte wissen, was in diesen Stunden wirklich vorging und was noch auf Yatiner zukommen würde. Denn die Veränderung schritt voran. Die »entarteten« Jatten machten die Transformation durch. Äußerlich war ihnen nach wie vor nichts anzumerken, und auch die Sezierung hatte keine neuen Aufschlüsse gebracht. Was an ihnen anders war als an ih ren Artgenossen war nicht zu sehen oder zu messen. Die Unfähigkeit, Ärgetzos zu pro duzieren, war nur eine Begleiterscheinung. Ihr Gehirn hatte sich verändert – nicht or ganisch, nicht meßbar. Man könnte die Ver änderung mit einer Wucherung von Zellen vergleichen, die bei einem bestimmten Punkt zum Stillstand gekommen war, in ei nem Stadium, das keine wirklichen, keine erkennbaren Veränderungen in ihrer ganzen Verhaltensweise hervorgerufen hatte – bis die Mikroorganismen, die sich aus dem ster benden Symbionten Crosv gelöst hatten, das Gehirn erreichten. Das, was in den Gehirnen der mutierten
34 Jatten schlummerte, wurde geweckt. Die Tiere begannen etwas auszustrahlen, das sich auf die meisten anderen Jatten fatal aus wirkte. Die Jatten, egal ob sie in den vergangenen Tagen in der Wildnis gefangen oder in den Brutstätten geboren worden waren, verloren die Fähigkeit, das eingeatmete Drulery in Ärgetzos umzuwandeln. Und dies war nur der erste Schritt. Der zweite sollte noch fataler sein. Doch davon ahnte Yatiner noch nichts. Er befahl, nach Ablauf der Stunde die noch lebenden Tiere gegen andere auszu wechseln. Was das bedeutete, war ihm klar. Es würde abermals Stunden dauern, bis die wertvollen Kugeln produziert waren. Yati ner überzeugte sich davon, daß in unmittel barer Nähe des Systems noch keine Organ schiffe geortet worden waren. Wie jedesmal, wenn die Abholschiffe unterwegs waren, be fürchtete er insgeheim, daß es sich um Ein heiten der berüchtigten Scuddamor-Flotte handelte. Noch kein Schiff in der Nähe. Die drei Raumer, die Yatiner nach Goo derspall beordert hatte, würden frühestens in zwei Tagen wieder über Nergal auftauchen. 250 Ärgetzos – noch fünfzig mußten von den Jatten hervorgebracht werden. Yatiner ließ weitere Tiere sezieren – sol che, die ihr Ärgetzo produziert hatten, und solche, die scheinbar unfähig dazu waren. Wieder fanden die Wissenschaftler nichts heraus. Keine organische Veränderung war festzustellen. Dafür aber erhielt der Kom mandant die Nachricht, daß bei den am Vor tag gefangenen wilden Jatten eine Zellwu cherung in bestimmten Gehirnsektoren ein gesetzt hatte, wie sie beim ersten Exemplar, das schon vorher seziert worden war, nicht vorhanden gewesen war. Yatiner befahl, im Abstand von jeweils einer halben Stunde weitere Exemplare zu töten und ihre Gehirne genauestens zu unter suchen. Er mußte Klarheit haben. Wenn die Wil den eine Seuche eingeschleppt hatten, waren alle anderen Tiere bedroht. Was das bedeu-
Horst Hoffmann tete, daran wagte Yatiner nicht zu denken. Einen Augenblick lang spielte er mit dem Gedanken, zu den Gefangenen zu gehen und einige von ihnen zu töten. Nur mit Mühe be hielt er die Kontrolle über sich. Sollten sie in den Eishülsen steckenbleiben bis die Abhol schiffe kamen. Chirmor Flog oder wer im mer sich dann mit ihnen beschäftigen würde, würde ihnen schon das geben, was sie in den Augen des Havaren verdienten. Yatiner sah keine Veranlassung, die vor dem Gebäude mit den Hülsen postierte Wa che über Funk nach irgendwelchen besonde ren Vorkommnissen zu fragen. Es war abso lut undenkbar, daß jemand aus den Eishül sen entkommen konnte – eher würde sich ein Toter aus seinem Grab befreien. So kam es, daß sich die Flucht der Dellos und Thalias vollkommen unbemerkt voll zog. Niemand sah die Gestalten, die in kurz en zeitlichen Abständen paarweise über das Landefeld schlichen, dabei jede Deckung ausnutzend. Und niemand bemerkte, daß zwei andere Gefangene ins Depot mit den Ärgetzos ein drangen. Als Yatiner die Nachricht erhielt, daß drei Organschiffe wenige Lichtminuten von Ner gal entfernt aus dem Hyperraum gebrochen waren und direkten Kurs auf den Planeten hielten, waren die Gefangenen ohnehin ver gessen. Zu früh! durchfuhr es den Kommandanten des Stützpunkts. Viel zu früh! Dann kam der zweite Schock. Yatiner stand wie erstarrt vor dem Bildschirm in der dem Arbeitstisch gegenüberliegenden Wand, als das Gesicht darauf erschien – das heißt: von einem Gesicht im eigentlichen Sinn konnte kaum die Rede sein. Wie der ganze Körper war der Kopf eines Scuddamoren niemals klar zu erkennen. Scuddamoren! Niemand außer ihnen selbst und dem Nef fen des Dunklen Oheims hatte jemals einen Angehörigen dieser Elitetruppe wirklich ge sehen. Es waren verschwommene mannsho he dunkle Schatten, die sich ununterbrochen
Elixier des Lebens fließend bewegten. Es hieß, daß dies von Energieschirmen oder Energiefeldern be wirkt wurde, hinter denen die Scuddamoren sich aus welchem Grund auch immer verbar gen, doch genau wußte das niemand zu sa gen. Im allgemeinen nannte man die Maske rade dieser unheimlichen Wesen »Schattenschild«. Auch dies war ein ab strakter Begriff ohne Aussage. Scuddamoren! Yatiners schlimmste Be fürchtung hatte sich bewahrheitet. War es Zufall, daß sie ausgerechnet jetzt kamen, um die Ärgetzos abzuholen? Yatiner versuchte sich zu erinnern, wann zum letztenmal Schiffe der Scuddamor-Flotte auf Nergal ge landet waren. Es war lange vor seiner Zeit als Kommandant des Stützpunkts gewesen. Yatiner redete sich ein, daß es eigentlich gar nicht so verwunderlich sei, daß Scudda moren kamen, um die wertvolle Fracht ab zuholen. Auch bisher hatten sich an Bord der Abholschiffe immer nur besonders fähi ge Angehörige von Hilfsvölkern befunden. Als der Havare noch fieberhaft überlegte, wie er die Landung der Organschiffe hinaus zögern konnte, begann der Scuddamore zu reden. Wie alle seine Artgenossen sprach er Garva-Guva mit einem seltsamen harten Ak zent. Die Stimme klang dumpf unter dem Schattenschild hervor. Der Spezialagent des Neffen stellte sich knapp als Xandärmaran vor. Er führte die kleine Flotte an. Xandär maran verlangte, daß alle Ärgetzos abholbe reit am Rand des Landefelds standen, wenn seine drei Schiffe landeten. Yatiner brachte keinen Laut hervor. Er nickte nur, und als er endlich die Sprache wiederfand und sich entschlossen hatte, Xandärmaran die Wahr heit zu sagen, war der Schirm schon wieder erloschen. Aus! dachte der Havare, der nur zu gut wußte, was es hieß, einen Befehl des Neffen nicht auszuführen. Chirmor Flog und die Scuddamoren fragten in der Regel nicht lan ge nach Gründen. Noch Minuten nach Been digung des Kontakts fröstelte es Yatiner. Die Scuddamoren waren für ihn keine We sen aus Fleisch und Blut. Sie strahlten etwas
35 aus, das nicht zu beschreiben war – Finster nis, Drohung, einen Hauch jener Aura, die so typisch für die Schwarze Galaxis war. Es schien, als wäre in den Schattenschilden ein wenig von dieser düsteren Aura eingefan gen, als wären die Scuddamoren ein Teil von ihr. Yatiner erwachte aus seiner Starre. Er konnte nichts tun. Die fünfzig noch fehlen den Ärgetzos würden erst in Stunden von den Jatten hervorgebracht worden sein, die sich jetzt in der Anlage befanden – falls überhaupt. Yatiner gab den Befehl, die 250 zur Ver fügung stehenden Ärgetzos aus dem Depot unter dem Raumhafengelände zu holen und am Rand des Landefelds bereitzuhalten. Als eine Gruppe von sechs Noots unterwegs war, versuchte er über Funk jene zu errei chen, die sich im Depot befanden. Yatiner erhielt keine Antwort. Alles mögliche schoß ihm durch den Kopf. Der Havare spürte, daß er nahe daran war, die Kontrolle über das augenblickliche Geschehen zu verlieren. Er hatte Angst – Angst wie jedes Wesen, das in Kürze eine Begegnung mit Scuddamoren haben würde, von den Umständen ganz zu schweigen. Dennoch dachte Yatiner auch in diesem Augenblick nicht an die Gefangenen. Er brachte sie nicht mit dem Ausbleiben einer Antwort aus dem Depot in Zusammenhang. Es war, als ob es einen blinden Fleck in sei nem Bewußtsein gäbe. Niemand konnte sich aus den Eishülsen befreien. Das war etwas, das völlig unvorstellbar war. Und Yatiner beabsichtigte, die Gefangenen bis zur Lan dung der Scuddamor-Schiffe in den Hülsen zu lassen, ja, sie den Unheimlichen in diesen Hülsen zu übergeben. Yatiner wollte nicht mehr das geringste Risiko eingehen. Die Schiffe der Scuddamor-Flotte gingen in eine Umlaufbahn und forderten die Besat zung des Stützpunkts auf, die Einweisung zur Landung zu geben. Yatiner ließ dies von einem Camagur er ledigen. Er war dazu nicht in der Lage – nicht in seinem augenblicklichen Zustand.
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Horst Hoffmann
Wie lange noch? Was sollte er Xandärma ran sagen? Würde er ihn überhaupt anhören? Ein Offizier trat durch eine offenstehende Tür. Als Yatiner sein Gesicht sah, wußte er, daß ihn eine weitere Hiobsbotschaft erwarte te. »Bester-Punk«, begann der Noot. »Er ist niedergeschlagen worden.« »Wer ist das?« fragte Yatiner müde. »Der Mann, der die Gefangenen zu bewa chen hatte. Sie sind ausgebrochen.«
9. Kurz vorher – Atlan, Caahan und 250 Ärgetzos Wieder dauerte es etwas, bis sich die Au gen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Es war ein Wagnis, sich dem Laufband anzuvertrau en. Atlan hatte keine Ahnung, wie viele Noots oder Camagurs sich unter der Ober fläche befanden. Wenn es sich hier tatsäch lich um das Depot handelte, mußte er damit rechnen, daß außer denjenigen, die ihm und Caahan unfreiwillig den Weg gezeigt hatten, noch Wachen bei den Ärgetzos abgestellt waren. Nach der Beschreibung des Noots in der Kuppel mußten die Kügelchen ziemlich leicht sein und würden nicht viel Platz ein nehmen. Für Atlan und Caahan sollte es ein leich tes sein, sie zur HORIET zu bringen. Doch dazu mußten sie sie finden und die Wachen überwältigen. Atlan fragte sich, was diejeni gen, die mit dem Gleiter gekommen waren, geschleppt hatten. Ärgetzos waren es kaum gewesen. Das Ende des Laufbands kam in Sicht, ohne daß die beiden Eindringlinge je mandem begegnet waren. Natürlich war nicht auszuschließen, daß es verborgene Ka meras in den Wänden gab. Atlan sprang vor Caahan vom Band. Sie befanden sich in ei nem nach oben hin gewölbten, etwa zehn Meter breiten Stollen. Das Licht drang aus verborgenen Quellen in der Decke, so daß es aussah, als glühten die Wände mattweiß. Atlan konnte nur ungefähr abschätzen,
wie tief unter dem Landefeld er und der Del lo sich befanden. Vielleicht zehn Meter, vielleicht mehr. »Komm«, flüsterte er Caahan zu. Alle vier Laufbänder bewegten sich weiterhin un unterbrochen. Jeden Augenblick konnte je mand auftauchen. Das Licht wirkte wie fei ner Nebel. Die Sicht nach oben reichte nur wenige Meter weit. Anders war es im Stollen selbst. Er war bis zum Ende zu überblicken, wo er sich teilte. Überall waren kleine Kisten gestapelt oder standen Transportplatten herum, zum Teil noch beladen. Antigrav, dachte der Ar konide. Und in jeder der Kisten konnten sich Ärgetzos befinden. Alles wirkte verlassen – weit und breit keine Spur von Wachen oder Arbeitern. Nur vom Ende des Stollens her war ein dumpfes Stampfen wie von großen Maschinen zu hö ren. »Es hilft alles nichts«, zischte Atlan dem Dello zu. »Wir müssen einen der Kerle in unsere Gewalt bringen. Nur so erfahren wir, wo sich die Kugeln befinden.« Caahan nickte nur. Nebeneinander dran gen die beiden Männer tiefer in die Anlage ein, bis sie das Stollenende erreichten. Nichts. Atlan blieb unsicher vor der Ver zweigung stehen. Auch die beiden Gänge zur Linken und zur Rechten waren leer. Wohin nun? Sich von Caahan zu trennen, so daß jeder einen Korridor untersuchen konnte, erschien Atlan unklug. Wenn sie auf Gegner trafen, war ein einzelner Mann ihnen zweifellos unterlegen. Der Zufall kam dem Arkoniden zu Hilfe. Von links waren plötzlich Stimmen zu hö ren, dann Schritte, die durch den Korridor hallten. Atlan sah zwei genau gegenüberlie gende Nischen wenige Meter tief im Gang. Noch waren die Noots, denn um solche mußte es sich den Stimmen nach handeln, außer Sichtweite. Der Gang war gekrümmt. »Dort hinein!« zischte Atlan. »Du nimmst die Nische dort drüben!« Caahan zögerte keine Sekunde. Eng in die Nischen gepreßt, warteten die Eindringlinge.
Elixier des Lebens Die Stimmen und Schritte wurden lauter. Atlan preßte die Hand mit dem Strahler fest an die Brust. Dann sah er sie – drei Noots, die eine An tigravscheibe vor sich her schoben, auf der zwei tote Pelztiere lagen. Zum erstenmal sah Atlan Jatten. Die Noots waren so sehr in ihr Gespräch vertieft und anscheinend völlig unbekümmert, daß sie keine Chance zur Gegenwehr hatten. At lan sprang vor und schlug dem ersten den Kolben seiner Waffe in den Nacken. Ein zweiter Echsenabkömmling brach unter Caahans Faustschlag zusammen. »Keinen Laut!« preßte Atlan hervor. Der Noot, der zwischen seinen beiden bewußtlo sen Artgenossen stand und nicht fassen konnte, was hier vorging, starrte bebend auf den Lauf des Strahlers. »Wenn du versuchst, deine Freunde zu alarmieren, schieße ich. Wenn du uns hilfst, passiert dir nichts. Die Ärgetzos – wo habt ihr sie?« Der Noot gab keinen Laut von sich. Jetzt zitterte er stärker und erinnerte Atlan an Xanderohn-Hert, den Kundschafter, der ihn und Caahan auf Gooderspall zu den Terzö gen geführt hatte und dabei vor Angst fast umgekommen wäre, bis sich eine Wandlung mit ihm vollzogen hatte, die der Arkonide bis heute nicht ganz begriffen hatte. Atlan gab Caahan ein Zeichen, daß er den Gang im Auge behalten solle und trat näher an den Noot heran. Die Mündung des Strah lers berührte nun fast die Stirn. Der Ech senabkömmling tat dem Arkoniden leid, aber er mußte die Ärgetzos finden – koste es, was es wolle. Sicher wären die Dellos und Thalia nun schon in der HORIET und warteten, und jeden Augenblick konnte die Flucht entdeckt werden. »Ich zähle jetzt bis drei«, sagte Atlan. »Glaube mir, mein Freund, es fällt mir nicht leicht zu töten, aber ich werde es tun, wenn du meine Frage nicht beantwortest.« Atlan begann zu zäh len. »Eins.« Noch immer keine Reaktion au ßer dem Zittern. Einmal klappten die Kiefer des Noots auseinander, doch immer noch war kein Laut zu hören. Unter den Noots
37 und Camagurs mußten wahre Greuelge schichten über die Gefangenen kursieren. Wesen, die in der Lage gewesen waren, einen Spezialkurier des Neffen gefangenzu nehmen und wahrscheinlich, wie man hier annahm, für seinen Tod verantwortlich wa ren, mußten in ihren Augen Ungeheuer sein und vielleicht sogar über magische Kräfte verfügen. »Zwei!« Atlan fragte sich, ob er es tatsächlich fer tigbringen würde, den Noot einfach nieder zuschießen. Die Mündung des Strahlers be rührte dessen Stirn. Endlich fiel die Starre vom Echsenabkömmling ab. Er sprang zu rück und preßte sich mit dem Rücken und weit ausgebreiteten Armen gegen die Wand. »Ich sage alles!« stieß er hervor. »Nur schieße nicht, ich …« »Leise!« zischte der Arkonide. »Also, wo habt ihr die Ärgetzos?« Der Noot zeigte in die Richtung, aus der er gekommen war. »Wunderbar. Du wirst uns führen und keine Dummheiten machen, verstanden? Wie viele von euch sind hier unten, abgese hen von dir und den beiden hier am Boden?« »Sieben. Drei von uns bewachen die Är getzos. Die anderen sezieren die kranken Jatten.« »Kranke Jatten?« »Sie … sie produzieren keine Ärgetzos mehr …« Das ist jetzt nicht dein Problem! mahnte der Extrasinn. Die Kugeln zählen – sonst nichts! »Los!« Atlan winkte mit der Waffe. »Du gehst vor. Und denke daran, daß du im glei chen Augenblick tot bist, in dem du deine Kumpane warnst! Wie viele Ärgetzos habt ihr?« »Zweihundertfünfzig – das sind alle, die die Jatten bisher produziert haben. Der Nef fe verlangt dreihundert.« »Führe uns!« Der Noot war kaum in der Lage, den Blick von der Strahlwaffe zu nehmen, die nach wie vor auf seine Stirn gerichtet war.
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Endlich gab er sich einen Ruck und mar schierte an Caahan vorbei in den Gang. Atlan mißtraute ihm nach wie vor. Der Noot war halb verrückt vor Angst, aber wenn er sich in der Nähe seiner Artgenossen wußte …? Das Ende des gewundenen Ganges. Noch war niemand den dreien begegnet. Ein Schott – und dahinter? »Öffne es!« befahl Atlan.
* Es war ein kurzer Kampf. Ein riesiger Raum mit unzähligen fremdartigen Geräten. Fast wurde Atlan an einen modernen Opera tionssaal auf der Erde erinnert. Doch das nahm er nur am Rande wahr. Vier Noots waren über ein Jatt gebeugt und gerade da bei, es zu sezieren. Die Schädeldecke des toten Tieres war geöffnet worden, und die Art und Weise, wie die Echsenabkömmlinge darin herumstocherten, mutete schon mehr als dilettantisch an. Die Noots waren viel zu überrascht, als daß sie hätten Gegenwehr leisten können. Atlan und Caahan fuhren wie ein Wirbel wind zwischen sie. Binnen weniger Sekun den waren sie betäubt. »Ihr … ihr habt sie nicht getötet?« entfuhr es ihrem unfreiwilligen Führer. »Warum sollten wir? Ihr seid unsere Geg ner, aber nicht unsere Feinde. Allerdings …« Angeekelt warf der Arkonide einen Blick auf das Jatt. Er kannte die Hintergründe nicht, aber aus der Bemerkung des Noots von vorhin entnahm er, daß dieses Tier und die Jatten auf der Antigravscheibe nicht die einzigen waren, die die Noots untersucht hatten. »Weiter!« drängte Atlan. »Die Kugeln – wo sind sie?« »Sie werden streng bewacht«, flüsterte der Noot. »Die Wachen sind bewaffnet, und sie werden sofort schießen, wenn …« »Laß das unsere Sorge sein. Wo sind sie?« Der Noot deutete auf eine offenstehen-
de Tür. Nur das leichte bläuliche Flimmern verriet, daß sie durch eine Energiewand ver sperrt war. Leise Stimmen waren zu verneh men. »Die Sperre. Kannst du sie beseiti gen?« Der Noot schien wieder unentschlos sen. Schließlich fragte er: »Werdet ihr dem Kommandanten verraten, wer euch hierher geführt hat?« Dazu wird uns kaum Gelegenheit bleiben, dachte Atlan zynisch. Laut sagte er: »Ganz bestimmt nicht. Du hilfst uns, und wir helfen dir. Bevor wir verschwinden, be kommst du einen leichten Schlag gegen die Schläfe und wirst einige Zeit schlafen – ebenso wie deine Kameraden. Niemand wird dich verdächtigen oder als Verräter bestra fen.« Ohne weitere Fragen trat der Noot an eine in die Wand eingelassene Säule und berührte mit den Klauenfingern mehrere grün mar kierte kleine Felder. Das Flimmern verschwand. Irgend je mand rief etwas. »Du antwortest«, flüsterte Atlan. »Sag ih nen, daß du mit neuen Ärgetzos kommst!« Der Noot tat wie ihm geheißen. »Und nun los!« wandte Atlan sich an den Dello. Dann versetzte er dem Noot einen Schlag, der ihn besinnungslos zu Boden stürzen ließ. »Tut mir leid, Freund, aber es ist besser für uns alle.« Zusammen mit Caahan stürmte er durch die Tür in den dahinterliegenden Raum. At lan sah kaum etwas von der Einrichtung, nur die drei Noots, die fast gleichzeitig nach ih ren Waffen griffen. Caahan schickte zwei von ihnen ins Reich der Träume. Der dritte sprang instinktiv zurück und richtete den Strahler auf Atlan. Diesmal blieb dem Arko niden keine Wahl. Der Echsenabkömmling starb, ohne zu begreifen, wie ihm geschah. »Das war ein Fehler, Atlan«, sagte Caa han. »Nun wird uns niemand sagen können, wo wir die Ärgetzos finden.« Der Arkonide schüttelte den Kopf. Er zeigte auf einen gläsernen Behälter auf dem
Elixier des Lebens einzigen Tisch des Raumes. Die Noots hat ten um ihn herum gesessen und waren auf gesprungen, als sie die Eindringlinge be merkten. Zwei weitere Behälter standen auf dem Boden in einer Ecke. In allen befanden sich kleine Kugeln, etwa ein Zentimeter groß. »Das sind sie!« sagte Atlan. »Wir …« Weiter kam er nicht, denn in diesem Au genblick drang Yatiners Stimme aus verbor genen Lautsprechern. Der Kommandant des Stützpunkts sprach erregt und erklärte, daß die erwarteten Abholschiffe aufgetaucht sei en und in kurzer Zeit landen würden. Atlan hörte etwas von einer »Scuddamor-Flotte« – ein Begriff, mit dem er nichts anfangen konnte. Die Ärgetzos sollten sofort nach oben zum Rand des Landefelds gebracht werden. Dann kam das, was Atlan befürchtet hatte. Yatiner wollte eine Bestätigung seiner Anweisung. Immer wieder verlangte er Ant wort. Dann endlich schwieg er. Atlan und Caahan sahen sich an. Yatiner mußte Verdacht geschöpft haben. Mit Si cherheit waren Noots oder Camagurs bereits unterwegs hierher. Atlan hatte keine Minute mehr zu verlieren. Caahan nahm die beiden auf dem Boden stehenden Behälter. Atlan riß den dritten an sich. In der rechten Hand hielt er immer noch die Waffe. Er zögerte einen Augen blick und hob den Strahler des toten Noots auf, um ihn Caahan in eine Tasche des Raumanzugs zu stecken. Dann rannten die beiden Männer los. Sie erreichten den Stollen, der zu den Laufbändern führte, ohne Zwischenfall. Erst als Atlan auf eines der beiden nach oben führenden Bänder springen wollte, sah er die entgegenkommenden Noots. Im nächsten Augenblick fuhren Energie bahnen durch die Stollen. Wo sie in die Wände einschlugen, verflüssigte sich das Material und tropfte wie geschmolzenes Wachs auf den Boden. Atlan spürte ein Brennen auf der rechten Wange. Dann schi en die Welt um ihn herum in einem Meer
39 aus Feuer und Blitzen zu vergehen.
* Atlan handelte instinktiv. Er schoß in die Richtung der Noots und preßte den Behälter mit den Ärgetzos fest an sich. Was Caahan tat, konnte er nicht sehen. Der Stollen war von Dampfschwaden erfüllt. Zurufe waren zwecklos. Das Zischen der Strahlschüsse und die Schreie getroffener Gegner drohten die Trommelfelle platzen zu lassen. Eine va ge Bewegung. Atlan schoß auf die gedrun gene Gestalt und sprang gleich darauf einige Meter zur Seite. Dort, wo er eben noch ge standen hatte, fuhren gleich drei Strahlbah nen in die Wand. Caahan tauchte auf, beide Behälter noch in den Armen. Er konnte von der erbeuteten Waffe keinen Gebrauch ma chen, ohne mindestens einen von ihnen ab zusetzen. Atlan hustete und wechselte sofort wieder den Standort. Immer mehr heißer Dampf erfüllte den Stollen und glühte dort gespenstisch auf, wo nun wieder die Salven aus den Strahlern der Noots einschlugen. At lan wußte nicht, wie viele Gegner sich in zwischen im Stollen befanden. Er wußte nur eines – er und Caahan mußten hier heraus, wenn sie nicht ersticken oder mit einem Loch in der Brust sterben wollten. Der Arkonide hatte Caahan mit sich gezo gen und zeigte mit der Waffe in die Rich tung des Ausgangs. Die letzten Schüsse wa ren von der gegenüberliegenden Wand ge kommen, und immer waren es drei gewesen. Drei Waffen, drei Noots. Atlan konnte nur hoffen, daß seine Rechnung stimmte. »Du rennst zu den Bändern!« zischte er dem Dello zu, wobei er mit zusammenge kniffenen Augen nach Gegnern suchte. Die Sicht reichte nun keine zwei Meter mehr. »Ich versuche die Burschen in Schach zu halten und komme nach. Wenn wir uns ver lieren sollten, läufst du zur HORIET, und bin ich in zwei Minuten nicht ebenfalls im Schiff, startet ihr ohne mich. Thalia und Fäl ser werden wissen, was zu tun ist.« »Aber.«
40 »Kein Aber! Los jetzt!« Atlan schoß in die Richtung, aus der die letzten Salven gekommen waren. Caahan zögerte nicht länger und rannte los. Eine Strahlbahn durchschnitt den Rauch für einen kurzen Augenblick. Der Schuß verfehlte den Dello nur knapp. Obwohl die Augen schmerzten, suchte Atlan nach dem Gegner, schoß und traf. Ein markerschütternder Schrei, dann das Geräusch von Stiefeln, die hart auf den Boden schlugen. Es entfernte sich. Einen Moment lang triumphierte Atlan. Die Noots flohen tiefer in die Anlage hinein. Der Weg nach oben war frei. Der Arkonide hastete hinter Caahan her. Nun würde man sie hetzen. Alles kam dar auf an, daß Caahan und er die HORIET er reichten, bevor der Kommandant des Stütz punkts den Schock verdaut hatte, bezie hungsweise die zweifellos schon anrücken den Jäger ihnen den Weg abschneiden konn ten. Yatiner würde nicht wagen, auf die HO RIET zu schießen und dabei die Vernich tung der Ärgetzos zu riskieren. Atlan war sich bewußt, daß sein Leben und das Leben seiner Gefährten von diesen kleinen Kugeln abhing und davon, wie sehr Yatiner sie brauchte, wie lange es also dauern würde, bis neue Ärgetzos produziert waren und ob die Kommandanten der Abholschiffe ihm ei ne neue Frist einräumen würden. Dann aller dings waren sie für den Arkoniden wertlos. Er mußte alles auf eine Karte setzen. Mit Yatiner zu verhandeln, hatte keinen Sinn, solange Atlan nicht über alle Hintergründe informiert war. Es gab nur eines: sofortige Flucht von Nergal. Die Laufbänder … keines funktionierte mehr. Mühsam hastete Atlan nach oben. Sei ne Befürchtung, die Bodenöffnung könnte geschlossen sein, bewahrheitete sich nicht. Atlan sprang ins Freie und sah Caahan, wie er auf die HORIET zulief. Das Landefeld war in Scheinwerferlicht getaucht. Aus den Kontrollgebäuden am Rand des Feldes quol len Noots und Camagurs. Caahan erreichte das Organschiff, ohne
Horst Hoffmann daß ein einziger Schuß fiel. Yatiner wußte also, daß der Dello und Atlan die Ärgetzos bei sich hatten. Atlan lief weiter. Noch wenige Dutzend Meter bis zur HORIET. Zwei Gleiter näher ten sich schnell. Im direkten Kampf hatte Atlan keine Chance gegen die Noots und Camagurs. Er mußte in der HORIET sein, bevor sie heran waren. Caahan war in der geöffneten Schleuse verschwunden. Nun kam er ohne die beiden Behälter zurück. Atlan warf ihm die Waffe zu und sprang an ihm vorbei ins Schiff – keinen Augenblick zu früh. Mehrere Noots waren vom ersten Gleiter gesprungen und stürmten heran. Das Außen schott fuhr zu, doch zu langsam. Zwei Ech senabkömmlinge waren in die Schleusen kammer eingedrungen, hatten Caahan ge packt und versuchten ihn nach draußen zu zerren. Bevor Atlan dem Dello zu Hilfe kommen konnte, versetzte dieser den An greifern ein paar Faustschläge und beförder te sie mit Tritten ins Freie – so schnell, daß der Arkonide Mühe hatte, Caahans Bewe gungen zu folgen. Bevor ein weiterer Noot heran war, schleuderte Caahan ihm den Strahler an den Kopf und brachte sich end gültig in Sicherheit. Das Schott war zu. »In die Zentrale!« schrie Atlan. »Fälser, hört ihr mich?« Die Stimme des Dello-Kommandanten drang aus mehreren Lautsprechern, als Atlan und Caahan durch die Korridore des Organ schiffs liefen. »Alarmstart!« rief der Arkonide. Als er endlich in der Zentrale war und Thalia ihm vor Erleichterung fast um den Hals fiel, sah er etwas auf den Schirmen, das ihm während der Flucht entgangen war. Drei strahlend helle Punkte am Himmel. »Ja«, sagte Fälser nur. »Die Abholschif fe.« »Weg hier!« preßte Atlan hervor. Nur Se kunden später war er ins mechanischtelepa thische Kommunikationssystem der HO RIET integriert und wuchs mit BronniterVang zu einer Einheit zusammen. Seine Fin
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ger wurden zu Werkzeugen der Galionsfi gur. Die Verständigung erfolgte quasi ohne Zeitverlust. Bronniter-Vang lieferte die für den Start erforderlichen Daten und Informa tionen, und Atlan betätigte die Kontrollen. Er war vollkommen in seine Arbeit ver tieft und nahm nicht wahr, wie die HORIET zu erzittern begann und von ungestümen Ge walten in den Nachthimmel gerissen wurde. Er schwitzte und verlor fast den Verstand, als Bronniter-Vang in wilde Panik geriet, die sich sofort auf ihn übertrug. Schreiend riß der Arkonide die Apparaturen von sich, über die er mit der Galionsfigur verbunden gewe sen war. Das war, als der Beschuß schon voll im Gang war. Nicht vom Raumhafen aus hatte man das Feuer auf die HORIET eröffnet. Die drei fremden Organschiffe schossen aus allen Rohren.
10. Die Scuddamoren Yatiner beobachtete den Schlagabtausch mit ausdruckslosen Augen. Er stand zwischen Bentaner-Lork und dem Kommandanten der auf Nergal statio nierten Camagurs vor dem großen Bild schirm und wirkte so, als ob ihn das, was sich jetzt am Nachthimmel abspielte, über haupt nichts anginge. Alles war verloren, egal wie der Kampf ausging. Bei einer Ver nichtung der HORIET würden die Ärgetzos ebenso verloren sein wie bei einem Entkom men der Fremden. Selbst dies hielt der Ha vare mittlerweile nicht mehr für ausge schlossen. Immer öfter fragte er sich, mit welchen Mächten die Fremden im Bunde stehen mochten, daß sie selbst aus den Eis hülsen hatten entkommen und den Scudda mor-Schiffen bis jetzt hätten trotzen können. Und sie wehrten sich. Die HORIET eröff nete nun ihrerseits das Feuer auf die drei Or ganschiffe. Fast hatte sie schon die Ge schwindigkeit erreicht, bei der sie aus dem Normaluniversum verschwinden würde. Dann wieder sagte Yatiner sich, daß nur sein
Versagen den Fremden die Flucht ermög licht hatte. Er war zu sorglos gewesen, und genau das würde man ihm vorwerfen. Yati ners Hand berührte die Waffe an seiner Hüf te. Vielleicht wäre es besser, sich selbst das Leben zu nehmen, als von den Scuddamoren zur Rechenschaft gezogen zu werden. Er brachte es nicht fertig. Der Havare war zu keiner Entscheidung mehr fähig. Vielleicht hätte das Schlimmste verhindert werden können, wenn er den Mut gehabt hätte, Xan därmaran vom Diebstahl der Ärgetzos zu be richten, bevor die Scuddamoren zu schießen begannen. Aber hatte er dies ahnen können? Yatiner wußte nicht einmal, warum Xandär maran den Befehl dazu gegeben hatte. Bentaner-Lork stieß einen heiseren Laut aus, als die HORIET vom Bildschirm ver schwand. Es war als hätte sie niemals exi stiert. Sekunden später sah der Havare wie der das fließende Etwas, das den Namen Xandärmaran trug. Yatiner war nicht in der Lage, einen Scuddamoren vom andern zu unterscheiden, aber jenes Wesen, dessen Abbild er nun anstelle des Weltraums vor sich sah, konnte nur der Kommandant der kleinen Flotte sein. Die ersten Worte des Unheimlichen gaben die Bestätigung. Xan därmaran stellte keine Fragen, wie Yatiner es erwartet hatte. Er und jeweils ein Vertre ter der Noots und Camagurs sollten sich be reit halten, um über die »unfaßbaren Vor gänge« auf Nergal zu berichten. Gleichzeitig sollten die Ärgetzos an Bord des Leitschiffs gebracht werden. Bentaner-Lork fuhr herum, als der Schirm endgültig verblaßt war. »Die Scuddamoren wissen nicht, daß die Ärgetzos gestohlen wurden? Du hast es ih nen nicht gesagt?« Auch der Camagur erging sich in Fragen und Anschuldigungen. Yatiner setzte sich und schüttelte nur den Kopf. »Ich trage die ganze Verantwortung«, murmelte er, ein gebrochener Mann, der wußte, daß seine Zeit vorüber war. Was nun kam, hatte er allein durchzuste hen. Für sein Versagen gab es keine Ent
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schuldigung. Noch immer konnte er nicht fassen, was geschehen war. Daß er nun be reit war, die ganze Schuld auf sich zu neh men, hatte nichts mit Nächstenliebe zu tun oder damit, daß er die Noots und Camagurs vor Strafe bewahren wollte. Dazu glich er viel zu sehr Aislander, obwohl er bei weitem nicht so fanatisch war wie dieser. Aber auch Yatiner war dem Neffen des Dunklen Oheims treu ergeben. Er hatte ihm unermeß lichen Schaden zugefügt und mußte büßen. Yatiners ganzer Haß richtete sich gegen sich selbst. Wieder berührte seine Hand den Griff der Waffe, und nun wußte er, was er zu tun hatte. Noch war es zu früh dazu. »Geht jetzt!« befahl er. »Ich werde die Scuddamoren allein empfangen!« »Man wird uns ebenso verantwortlich ma chen wie dich!« zischte der Camagur. »Du hast uns alle …« Yatiner zog den Strahler und richtete ihn auf den Hundekopf des Wesens. »Geht!« Als er allein war, lehnte der Kommandant des Stützpunkts sich im Sessel zurück und starrte gegen die Decke. Die Waffe lag vor ihm auf dem Tisch. Yatiner wartete: Er schaltete den Bild schirm nicht wieder ein, um die Landung der drei ScuddamorSchiffe zu beobachten. Man würde sie zu ihm führen und dabei ihre Fra gen beantworten. Vielleicht verschonten sie die Noots und Camagurs, und Chirmor Flog würde in we nigen Tagen sein Elixier haben – dann, wenn die Jatten endlich wieder regelmäßig die Ärgetzos produzieren würden. Jeden Au genblick mußte die Meldung kommen, daß die nächsten Kugeln hervorgebracht worden wären. Noch konnte Yatiner nicht ahnen, daß dies niemals mehr der Fall sein würde – je denfalls nicht in absehbarer Zukunft. Das Unheil nahm seinen Fortgang.
fanden und ungeduldig auf die Kugeln war teten, wußten noch nicht, was außerhalb der Anlage vor sich ging. Zwar hatten sie über einen Monitor die Landung der drei Organ schiffe und den vorausgegangenen Kampf beobachten können, aber von der ganzen Tragik dessen, was sich in diesen Stunden auf Nergal vollzog und zum Teil erst an bahnte, konnten sie nichts ahnen. Sie hörten den Funkverkehr zwischen Yatiner und den Scuddamoren nicht mit, sondern waren vol lauf damit beschäftigt, nach den Jatten zu se hen. Dabei gab es kaum noch Grund zur Hoff nung. Die Ärgetzos waren überfällig. Längst mußten die Tiere die ersten Kugeln hervor gebracht haben. Nichts dergleichen geschah. Die Jatten hockten an ihren Plätzen und rührten sich nicht. »Es hat keinen Sinn mehr«, sagte einer der Echsenabkömmlinge, nachdem die Zeit, in der die Tiere die Kugeln produziert haben mußten, um über eine Stunde überzogen war. »Wir müssen sie erneut auswechseln. Benachrichtigt Yatiner. Wir …« Er brachte den Satz nicht zu Ende. Der Noot hatte sich ein Jatt gepackt, um es auf den bereitstehenden Transportgleiter zu schaffen, und fuhr zusammen. Er sprang zu rück, als ob er von einem giftigen Insekt ge stochen worden wäre. »Was ist los?« fragte einer seiner. Artge nossen. »Das Jatt ist … tot!« »Aber es hat kein Ärgetzos produziert!« »Es ist tot! Ich …« Der Noot ging zu den anderen Tieren und untersuchte sie. Als er sich umdrehte, zitter te er. »Alle«, brachte er hervor. »Sie sind alle tot.«
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Die Hiobsbotschaft stand Yatiner noch bevor. Im Moment hatte er genug damit zu tun, sich den Fragen und Vorwürfen der drei
Die drei Noots, die sich bei den Jatten be-
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Elixier des Lebens Scuddamoren zu stellen, die sich in seinem Arbeitsraum befanden. Yatiner hatte Anwei sung gegeben, ihn unter keinen Umständen zu stören, solange er sich mit ihnen unter hielt. Diese »Unterhaltung« sah so aus, daß Xandärmaran und seine Begleiter fragten und Yatiner zu antworten hatte. Wie erwar tet, waren die Spezialagenten bereits unmit telbar nach der Landung in groben Zügen über alles Vorgefallene informiert worden – soweit die einfachen Besatzungsmitglieder selbst wußten, was sich ereignet hatte. Alles weitere erfuhren die Schatten nun vom Kommandanten. Er antwortete geduldig. Manchmal kamen die Worte wie von selbst über seine Lippen, als ob er sich in Trance befände. Erst als Xandärmaran wissen wollte, weshalb er die drei Schiffe nicht sofort nach dem Gewalt start der HORIET über deren Ladung unter richtet hatte, wußte er lange nichts mehr zu sagen. »Ich konnte es einfach nicht«, preßte er endlich hervor. Yatiner wartete darauf, daß die Scudda moren etwas unternahmen, daß Xandärma ran einfach eine Waffe zum Vorschein brachte und ihn tötete, daß sie ihn verhafte ten und an Bord eines ihrer Schiffe schlepp ten, daß sie wenigstens irgendeine Reaktion zeigten. Doch sie standen nur vor ihm – fließende Schemen, dunkel und drohend. Yatiner schlug die Augen nieder. Er konnte diese furchtbaren Wesen nicht lange ansehen, oh ne daß es ihn schwindelte. Plötzlich hielt es ihn nicht mehr hinter dem Arbeitstisch. Er sprang auf und schrie: »Nun tut es schon! Verhaftet mich! Bringt mich um! Nur tut etwas! Ich weiß, daß ich schuldig bin! Ich habe den Tod verdient!« Yatiner meinte nicht, was er sagte. Immer noch lag die Waffe auf dem Arbeitstisch – nun lediglich unter einigen Papieren verbor gen. Yatiner wußte bald überhaupt nichts mehr. Der Wahnsinn griff nach seinem Ver stand.
43 »Nein!« drang es dumpf unter dem Schat tenschild Xandärmarans hervor. »Es wird an anderer Stelle über dich entschieden werden – und über alle, die sich schuldig gemacht haben. Ihr habt die Ärgetzos veruntreut, ihr alle. Wie lange wird es dauern, bis uns neue dreihundert Kugeln zur Verfügung stehen?« »Etwa zwei Tage, falls es keine weiteren Ausfälle gibt. Es ist noch genug Drulery vorhanden.« »Dann werden wir solange warten. Du fliegst mit uns, um dich vor einer höheren Instanz zu verantworten. Das gleiche gilt für die Kommandanten der Noots und Cama gurs.« Der Havare widersprach nicht. »Bis dahin bist du noch Kommandant des Stützpunkts. Wir kehren in unsere Schiffe zurück und werden warten. Sorge dafür, daß so viele Jatten wie möglich in die Produkti onsanlagen gesperrt werden.« Die drei Scuddamoren verließen den Raum. Zurück blieb Yatiner, resigniert und am Ende seines Weges. Nur eines wollte er noch tun. Der Neffe mußte die geforderten dreihundert Ärgetzos erhalten. Danach wür de Yatiner den Schlußstrich ziehen. Er ließ sich mit den Noots verbinden, die sich bei den Jatten befanden. Sie hatten seit Minuten versucht, ihn zu erreichen, waren aber immer wieder abgewiesen worden, wie er es selbst angeordnet hatte. So erfuhr Yatiner erst jetzt vom Massen sterben der Tiere. Und sie verendeten nicht nur in der Produktionsanlage. Auch in den Käfigen und Brutstätten wurden tote Jatten gefunden. Mit jeder Minute wurden es mehr. Das Ende. Yatiner konnte nicht mehr denken. Er hörte nicht, wie er angerufen und von den wenigen, die seine Autorität noch anerkann ten, um neue Instruktionen gebeten wurde. Der Kommandant des Stützpunkts auf Nergal zog langsam die Strahlwaffe unter den Papieren hervor. Er schloß die Augen und führte den Lauf an seine Schläfe. Ein Druck auf den Auslöser. Yatiner wur de von dem grellen Strahl nicht einmal mehr
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geblendet. Er war lange tot, bevor BentanerLork mit einigen Noots in seinen Arbeits raum stürzte, um ihn zu entmachten.
* Als Xandärmaran sein Schiff wieder be trat, war längst ein Funkspruch nach Brei sterkähl-Fehr, der Hauptwelt der Scuddamo ren, abgestrahlt worden, in dem die HO RIET beschrieben und mitgeteilt worden war, daß sich 250 Ärgetzos an Bord befan den. Die Jagd hatte begonnen. Überall im Ma rantroner-Revier würden die Schiffe der Scuddamor-Flotte auf der Lauer liegen und die HORIET erbarmungslos hetzen, sobald sie sich irgendwo zeigte. Einzelheiten berichtete Xandärmaran erst nun. Alles, was er von Yatiner, den Noots und den Camagurs über die HORIET erfah ren konnte, teilte er seinem Hauptquartier mit. Sein Bericht wurde zu einem kosmischen Steckbrief. Vorbei war die Zeit, da Atlan sich relativ ungehindert in der Peripherie der Schwarzen Galaxis bewegen konnte. Die HORIET mußte unter allen Umstän den gefunden und gestellt werden, bevor die Lage auf Säggallo für Chirmor Flog kritisch werden konnte. Der Neffe brauchte die Är getzos. Xandärmaran drängte darauf, ihn vorläufig noch nicht vom Verlust der Ku geln und von dem zu unterrichten, was auf Nergal vorgefallen war. Den Angriff auf die HORIET rechtfertigte Xandärmaran damit, daß ein Organschiff, das auf Nergal nichts zu suchen hatte, nach Kämpfen einen Ge waltstart versucht hatte. Das genügte. Die Verbindung nach Breisterkähl-Fehr war noch nicht unterbrochen, als auch der Anführer der kleinen Flotte aus Nergal die Schreckensnachricht erhielt, daß die Jatten zu sterben begannen. Xandärmaran ließ Bentaner-Lork, der die Information übermittelt hatte, zu sich kom men. Der Noot bebte leicht, als er dem Schattenwesen gegenüberstand. Das Ge-
spräch zwischen beiden wurde auf Breister kähl-Fehr mitgehört. Dort erfuhr man auch vom Tod des Kommandanten Yatiner. An eine Wiederaufnahme der Produktion von Ärgetzos war vorerst nicht zu denken. Die noch lebenden Jatten wurden in schnell eingerichtete Quarantänestationen gebracht, doch auch dort hielt das Massensterben an. Binnen weniger Stunden waren alle Tiere in Erst-Nergal tot. Von Breisterkähl-Fehr kam die Anweisung an Xandärmaran, mit seinen Schiffen solange auf Nergal zu blei ben, bis Erkundungskommandos anderer Teile des Planeten nach Kolonien untersucht hatten, in denen die Jatten nicht von der rät selhaften Seuche betroffen waren. Außer dem wurde angekündigt, daß ein anderer Havare eintreffen würde, um Yatiners Po sten einzunehmen. Bis dahin sollte Xandär maran alle Arbeiten und Untersuchungen leiten. Seine Bemühungen waren von vornehe rein zum Scheitern verurteilt. Das einzige, was die Wissenschaftler des Stützpunkts fanden, war eine fortgeschrittene Zellwuche rung in den Gehirnen der zuletzt gefangenen Tieren. Sie waren als erste gestorben, doch kurz vor ihrem Tod hatten sie die verhäng nisvollen emotionale Strahlung freigesetzt, die ihre »normalen« Artgenossen umbrach te. Es war ein schleichender Tod gewesen. Die 44 Mutierten hatten Kontakt gesucht und unfreiwillig getötet. Xandärmaran schob die Schuld für die fa tale Entwicklung ebenso wie vorher Yatiner auf die geheimnisvollen Fremden, die auf Nergal gelandet waren und nun das wert vollste Gut in diesem Sektor der Schwarzen Galaxis an Bord ihres Organschiffs hatten. Xandärmaran fragte sich, wie man diesen Unbekannten die Ärgetzos abjagen konnte, ohne die HORIET zu vernichten. Ergeben würden sie sich nicht, so wie er sie aufgrund der Berichte einschätzte. Es dauerte weitere zwei Tage, bis fest stand, daß das Sterben der Jatten tatsächlich nur in einem begrenzten Gebiet stattgefun den hatte. In der Wildnis jenseits des von
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Noots und Camagurs erschlossenen Teiles Nergals lebten gesunde Tiere. Es würde Aufgabe des neuen Kommandanten sein, sie zu fangen und in die Brutanlagen zu brin gen. Der Havare traf mit einem weiteren Schiff der ScuddamorFlotte ein. Fast zur gleichen Zeit kehrten die von Yatiner nach Gooderspall beorderten Raumer zurück. Ihre Kommandanten hatten den Befehl zur Rück kehr früh genug erhalten, um auf der Welt der Insektoiden nicht doch noch das Chaos heraufbeschwören zu können, das Atlan im letzten Augenblick hatte verhindern können. Davon ahnte der Arkonide nichts. Ebenso wenig wußte er von dem dramatischen Wertzuwachs der 250 Ärgetzos. Er hatte zu der Zeit, als die Schiffe der Scuddamor-Flot te Nergal verließen, andere Sorgen.
11. An Bord der HORIET – im Angesicht der Ewigkeit Atlan hatte Bronniter-Vangs Warnung noch in den Ohren, als das Organschiff auch schon in den Normalraum zurückfiel und in dem Unfaßbaren materialisierte. Die Galionsfigur hatte nur von einer Ge fahr gesprochen, ohne konkrete Angaben machen zu können. Atlan, Thalia und die Dellos standen noch viel zu sehr unter dem Eindruck der wie durch ein Wunder ge glückten Flucht, als daß sie hätten schnell genug reagieren können. Es standen keine Sterne am Himmel. Auf allen Schirmen war nur ein blutrotes Wabern zu sehen, in dem sich immer wieder strah lende gelbe Punkte bildeten, die sich zu Ku geln aufblähten, um schließlich zu ver schwimmen, als hätten sie sich im pulsierenden Rot verflüchtigt. »Odin!« flüsterte Thalia. »Was ist das?« Sie hatte die Worte unbewußt hervorge bracht. Nun sah sie Atlan aus schreckgewei teten Augen an. »Was … was ist das? Es … lebt!« Der Arkonide überzeugte sich davon, daß die HORIET sich tatsächlich nicht mehr im
Linearflug befand. Kein Zweifel – man war im normalen Weltraum – falls man diesen Begriff noch auf die Schwarze Galaxis an wenden konnte. Und Thalia hatte recht. Dieses Etwas, in dem die HORIET materialisiert war, lebte. Keine Wolke kosmischen Gases, keine Ko rona eines Sternes – es war etwas, das sich mit menschlichen Sinnen nicht erfassen ließ. Atlan spürte es ebenso wie Thalia, während die Dellos unbeteiligt auf die Schirme starr ten: dieses Etwas war intelligent, und es suchte Kontakt. Wie viele unbegreifliche Lebensformen hatte Atlan im Kosmos kennengelernt? Sie alle schienen ihm greifbarer als das gewesen zu sein, was die mit nahezu Lichtgeschwin digkeit dahinjagende HORIET begleitete. Es lag wie ein Mantel um das Organschiff. At lan fühlte, wie etwas in sein Bewußtsein ein zudringen versuchte, aber es war zu fremd artig, um sich verständlich machen zu kön nen. Nein, korrigierte der Arkonide sich in Ge danken. Wir sind zu fremdartig, zu primitiv. Er dachte an ES, das Wesen von Wanderer, an Harno, an alle Wesen, die den Menschen so unendlich überlegen zu sein schienen, vielleicht das Ergebnis einer Jahrmillionen währenden Evolution, an deren Anfang die Menschheit erst stand. All dies schoß ihm durch den Kopf, als er in dem die HORIET umgebenden Wallen schier zu versinken drohte. Und er wehrte sich nicht dagegen. Das Etwas dort draußen war nicht feindlich. Es hatte nichts mit dem zu tun, was diese Galaxis des Schreckens ausmachte. Eher wirkte es wie eine Insel des Friedens und der Ruhe – eine Dimension für sich, etwas, das nicht hierher gehörte. »Wir haben keine Fahrt mehr«, kam es aus den Lautsprechern. Bronniter-Vangs Stimme hatte einen seltsamen Klang, gerade so, als ob die lebende Galionsfigur sich der eigenen Worte nicht einmal bewußt wäre. »Wir bewegen uns nicht mehr im Raum. Das Lebensfeld schirmt uns ab. Es hat uns in eine andere Daseinsebene versetzt, um uns
46 zu helfen.« Atlan wurde aus seiner Erstarrung geris sen. Lebensfeld? Andere Daseinsebene? Hel fen? »Was geschieht mit uns, Atlan?« fragte Thalia fast andächtig. Immer noch stand die Panik in ihren Augen geschrieben, aber et was anderes hatte sich hineingemischt. Ehr furcht, Neugier, vielleicht das Verlangen, sich dem zu öffnen, was da in sie und Atlan einzudringen versuchte. Weiterhin zeigten die Dellos keine Anteilnahme. »Ich weiß es nicht«, gab der Arkonide leise zurück. Laut rief er in ein Mikrophon: »Bronniter-Vang! Ich verlange eine Erklärung! Was ist das dort draußen? Was ist das Lebensfeld? Wo befinden wir uns? Hast du Kontakt?« »Ich empfange Eindrücke, aber sehr ver schwommen. Das rote Etwas lebt und be steht aus einer Vielzahl von körperlosen In telligenzen. Es hat Fragen an uns, viele Fra gen.« »Kannst du dich mit ihm unterhalten?« Atlan versuchte ruhig zu bleiben. Was in diesen Augenblicken geschah, war so unge heuerlich, daß manch anderer Raumfahrer an seiner Stelle den Verstand verloren hätte. Thalia klammerte sich an ihn. Die Dellos da gegen schienen überhaupt nichts von dem wahrzunehmen, was auf die HORIET und ihre Besatzung eindrang. Und Bronniter-Vang …? »Es ist nicht möglich, nicht von mir aus. Aber die Intelligenz verändert sich. Sie stellt sich auf euch ein. Sie wird zu euch selbst sprechen.« Das war alles, was aus Bronniter-Vang herauszubekommen war. Von nun an schwieg die Galionsfigur. Und das Organschiff befand sich weiter hin im roten Wabern. Minutenlang sprach niemand in der Zentrale ein Wort. Chirmor Flog, Nergal, die Ärgetzos und der Dunkle Oheim waren vergessen. Bronniter-Vang meldete sich trotz aller Aufforderungen nicht mehr. Und plötzlich taumelte Thalia wie benommen zu einem
Horst Hoffmann Sessel und schloß die Augen. Bevor Atlan sich um sie kümmern konnte, spürte auch er die Müdigkeit. All seine Glieder schienen auf einmal schwer wie Blei zu werden. Atlan ließ sich ebenfalls in einen Sessel fallen. Er war hellwach, aber seine Sinne waren nicht mehr auf die reale Umwelt ge richtet. Er schien in einem Meer aus Glut zu ver sinken. Augenblicke lang kämpfte er gegen das unbändige Verlangen an, sich zu weh ren, gegen die Angst, sich einem Etwas aus zuliefern, das mächtiger war als er und ihn beim ersten wirklichen Kontakt zerstören würde. Dann plötzlich bildete sich ein Riß in die sem Meer aus Glut. Helligkeit – und ein ver schwommenes Gesicht. Es kam Atlan vorn ersten Moment an ver traut vor, ohne daß er hätte sagen können, wen er da vor sich hatte. Die Helligkeit nahm ab. Im gleichen Maße wurde das Ge sicht größer und deutlicher zu erkennen. Ein Mann, uralt und mit Augen, in denen sich alle Abgründe von Raum und Zeit wi derzuspiegeln schienen. Jedenfalls war dies Atlans erster Eindruck. Dann begriff er, daß er in das absolute Nichts sah, wo sich alle Kräfte des Universums und aller unbekann ten Dimensionen gegenseitig aufgehoben hatten. Es gab nur noch den Arkoniden und das Gesicht. Die Frage, an wen es Atlan erinner te, war nebensächlich geworden. Atlan ver suchte nur noch ganz am Rande, es sich oh ne diese unermeßlich tiefere Augen vorzu stellen. Der Unsterbliche von Wanderer? Crest? Atlans Vater? Irgendeine Person, die dem Arkoniden Vertrauen einflößte – nur das war wichtig, als der Unbekannte die Lippen zu bewegen begann. Atlan spürte, daß auch dies lediglich dazu diente, die Kommunikation zu erleich tern und seine Angst zu nehmen. Die Worte des Fremden kamen nicht über dessen Lip pen, sondern aus seinem Geist. Waren es Worte?
Elixier des Lebens Atlan wußte es nicht. Er sah Bilder in den Augenhöhlen des Alten. Sie brannten sich in sein Bewußtsein, und gleichzeitig »hörte« er, was er sah. Atlan stellte sich keine Fragen mehr. Er gab auch den letzten Widerstand auf und öffnete sich ganz dem Fremden. Wir haben euch beobachtet, vernahm er und sah zur gleichen Zeit die HORIET, wie sie zwischen den dunklen Sternen der Schwarzen Galaxis trieb. Dann eine Sonne mit zwölf Planeten – der vierte war Xudon. Die Landung der HORIET, dann für Sekun denbruchteile nichts mehr. Wieder eine Son ne – drei Planeten, der mittlere davon Goo derspall. Atlan sah sich und Caahan zusam men mit dem Noot Xanderohn-Hert auf dem Weg ins Reich der Terzöge. Ein letztes Mal verschwanden die Bilder, dann zogen die Ereignisse auf Nergal wie ein in extremem Zeitraffertempo gedrehter Film an Atlans geistigem Auge vorbei. Sekundenlang war nichts mehr. Atlan sah wieder das alte Gesicht, und diesmal war er sicher, den Unsterblichen von Wanderer zu sehen, wie er sich so oft gezeigt hatte. Ihr gehört nicht zu jenen, die immer wie der versuchen, sich gegen die Dunklen Mächte aufzulehnen, und immer wieder scheitern. Ihr seid Fremde in diesem Teil der Schöpfung. Wir wissen, daß ihr mit ei nem Dimensionsfahrstuhl gekommen seid, den ihr außerhalb dieser Galaxis zurückge lassen habt. Atlan nickte, ohne sich dessen bewußt zu werden. Er erwartete Fragen. Statt dessen er hielt er eine Warnung: Seht euch vor! Auch wenn ihr nicht die Aura des Dunkels in und um euch habt, wer det ihr den Mächten des Dunkels wehrlos ausgeliefert sein, sobald wir euch ihnen wie der preisgeben müssen. Wir können euch nicht lange schützen! Ihr werdet vergessen, daß ihr uns begegnet seid, aber ihr werdet wachsam sein. Die Stimme veränderte sich geringfügig. Atlan glaubte Trauer darin zu erkennen. Vielleicht werden wir uns wieder begeg
47 nen, aber wir glauben es nicht. Schon vor euch kamen Wesen hierher, um die Macht des Bösen zu brechen. Sie alle sind geschei tert. Ihr könnt Erfolg haben, aber es wird ein langer und gefährlicher Weg voller Grauen vor euch liegen, Grauen, wie ihr es euch nicht einmal vorstellen könnt. Dennoch hoffen wir auf euch. Eine Pause, dann, noch resignierter: Aber wir haben schon zu oft gehofft … Stille. Atlan spürte, wie der Bann, der sich auf ihn gelegt hatte, allmählich nachließ. Er hat te so viele Fragen auf den Lippen und wußte nicht, wo er beginnen sollte. Wer immer sich dort draußen oder sogar in der HORIET befand, konnte vielleicht zum wertvollsten Verbündeten werden, den er jemals haben würde. Aber schon begannen diese zu einer Einheit verschmolzenen Wesen sich zurück zuziehen. »Wartet!« schrie der Arkonide. »Ich muß wissen, wer ihr seid! Gemeinsam könnten wir …« Wir können nicht mehr länger im Reich des Dunkels bleiben, vernahm er, sondern immer nur für begrenzte Zeit. Und diese Frist ist abgelaufen. »Wer seid ihr?« rief Atlan wieder. Er streckte die Hände aus, um nach dem Ge sicht zu greifen. Sie fuhren ins Leere. Eines Tages wirst du vielleicht alle Ant worten erhalten. Es gibt viele unserer Art, und wir leben in einem Raum, der für eure Sinne nicht erfaßbar ist. Aber du sollst wis sen, daß eine von uns sich auf Pthor befin det. Sie weiß nichts von ihrer Herkunft und wird sich erst erinnern, wenn unser Ruf an sie ergeht – der Ruf der Höheren Welten, At lan. Du wirst dich an ihren Namen erinnern, wenn sie dir eines Tages gegenüberstehen wird, vorher nicht. Du wirst sie sehen und begreifen – falls du jemals nach Pthor zu rückkehrst. Pthor! »Wie sieht es dort aus?« wollte Atlan wis sen. Er sprach schnell, weil er spürte, wie sich das Fremde immer schneller verflüch
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tigte. »Wenn ihr soviel wißt, warum helft ihr uns dann nicht?« Wir dürfen uns nicht in die Entwicklung des Geschehens einmischen, kam die kaum noch vernehmbare Antwort. Die Konturen des Gesichts verschwammen. Es wurde klei ner. Um es herum erschien wieder das rote Wabern. Wir müssen fort. Wir sind schon zu lange … »Nur eines noch!« Atlan schrie es wie in Panik. »Der Name! Wer von euch ist auf Pthor?« Der Name ist Leenia … Es war eine letzte, gerade noch schwach wahrzunehmende Antwort, Wort und Bild zugleich. Für Sekundenbruchteile sah Atlan das Gesicht einer jungen, unglaublich schö nen Frau vor sich. Dann schlug das Rot dar über zusammen. Das Greisengesicht war verschwunden. Atlan glaubte zu fallen, immer tiefer, in einen Abgrund ohne Ende, erfüllt von roter Glut und schließlich nur noch Schwärze.
* Der Arkonide schlug die Augen auf und sah Fälser. »Trink!« sagte der Dello und reichte At lan ein Glas mit einer gelblichen Flüssigkeit. Atlan brauchte einige Sekunden, um wie der ganz zu sich zu kommen. Er wehrte mit einer Hand ab. Der Zellaktivator würde ihn schnell genug wieder auf die Beine bringen, aber Fälser bestand darauf, daß er trank. Die Flüssigkeit schmeckte scheußlich. Atlan ver zog das Gesicht, doch schon nach Sekunden spürte er die wohltuende Wirkung. »Alkohol?« fragte er. »Etwas Ähnliches.« Atlan sah sich um. Die Zentrale der HO RIET. Nichts hatte sich verändert. Die Del los – und Thalia. Was war geschehen? Die Odinstochter saß schwer atmend in ihrem Sessel und starrte ins Leere. Atlan wollte aufspringen. Dann erinnerte er sich. Er warf einen Blick auf die Schirme. Der Weltraum. Noch bewegte sich die HORIET mit Unter-
licht zwischen den dunklen Sternen dieser Galaxis des Schreckens. Nergal, die Flucht vor den drei plötzlich aufgetauchten angrei fenden Organschiffen, der Rücksturz in den Normalraum, und dann …? »Es geht ihr gut«, sagte Fälser, als er den besorgten Blick des Arkoniden sah. »Thalia wurde ebenso wie du in eine plötzliche Er starrung versetzt, kurz nachdem das rote Leuchten die HORIET einhüllte.« »Leuchten?« Atlan schüttelte verständnis los den Kopf. »Welches Leuchten? Wo sind wir überhaupt?« »Vorerst in Sicherheit, wie es scheint. Weit und breit sind keine Raumschiffe zu orten. Bronniter-Vang gibt an, daß wir bald wieder auf Überlicht gehen können.« Wohin? fragte sich der Arkonide voller Sarkasmus. Nun war die Erinnerung wieder voll da. Die 250 Ärgetzos, das Lebenselixier für Chirmor Flog. Aber wohin damit? Wann und wo sollte er dieses Faustpfand ausspie len, von dem er nicht einmal wußte, wie wertvoll es inzwischen geworden war? Aber da war noch etwas anderes … Atlan zermar terte sich den Kopf aber alle Bemühungen, sich an etwas zu erinnern, das dagewesen war, blieben erfolglos. Der Arkonide sah Fälser an. »Was war das für ein Leuchten, und was meinst du mit Erstarrung?« »Unmittelbar nach dem Rücksturz der HORIET in den Normalraum hüllte es uns ein – eine optische Erscheinung, wenn du mich fragst, aber sie bewirkte irgend etwas mit dir und Thalia. Ihr gerietet in Trance und wart für Minuten wie bewußtlos. Du hast et was gesagt, aber keiner von uns hat es ver standen. Es war eine fremde Sprache.« Interkosmo? Atlan sprach einige Worte in der Univer salsprache der raumfahrenden Völker der heimatlichen Milchstraße. Fälser lauschte und nickte. »Etwa so hörten sich die Laute an. Mit wem hast du geredet?« Atlan stand auf. Sein Rücken schmerzte. »Wenn ich das wüßte …«
Elixier des Lebens Keine Erinnerung. Nichts. Der Arkonide beugte sich über Thalia, die ihn aus geweite ten Augen anstarrte. »Atlan … was ist geschehen?« »Ich weiß es nicht.« Gespenster! dachte er. Aber weshalb soll te ich in Interkosmo gesprochen haben, und zu wem? »Du bist ganz sicher?« fragte er Fälser noch einmal. »Vollkommen.« »Und ihr habt nichts gemerkt? Ich meine, außer diesem roten Leuchten habt ihr nichts gesehen?« »Gar nichts.« Der Dello zeigte auf die Schirme. »Es wäre besser, wenn wir jetzt auf Überlicht gingen. Man wird uns jagen. Chirmor Flog ist auf uns aufmerksam ge worden. Es ist ratsam, so schnell wie mög lich wieder unseren Standort zu wechseln.« »Ja«, murmelte Atlan. »Du hast recht. Steuere du die HORIET.« Fälser gehorchte und stellte die Verbin dung mit Bronniter-Vang wieder her. Atlan sah und hörte dem Spezialandroiden eine Weile zu. Wohin? Von nun an war man auf der Flucht. Aber was hatte Atlan davon, sich immer nur ver bergen zu wollen, vielleicht auf einem entle genen Planeten? Er mußte an Chirmor Flog heran und an jene Macht, die er bislang nur unter dem Namen »Dunkler Oheim« kannte. Wo befand sich Säggallo? Wie sollte er es erfahren, ohne Kontakt mit Hilfsvölkern des Neffen zu bekommen, die über den Noots und Camagurs standen? Sollte er die HORIET wieder jagen und zum Schein in eine Falle gehen lassen – hier im Gebiet des Feindes, wo alles so ganz an ders war als in jenen Regionen des Kosmos, in denen er sich bisher bewegt hatte? Eine Warnung und ein Name. Ganz kurz tauchten sie schemenhaft vor Atlans geistigem Auge auf. Eine Vision und ein Bild – das Gesicht einer jungen Frau. Dann war schon wieder alles vorbei. Nur eines blieb in Atlans Be wußtsein hängen. Dieses Wesen, das schö
49 ner war als alle Frauen, denen er jemals be gegnet war, lebte irgendwo auf Pthor. Pthor war weit. Der Arkonide mußte sich mit aller Gewalt zusammenreißen. Hier, in der Peri pherie der Schwarzen Galaxis, hatte er seine nächsten Bewährungsproben zu bestehen. Was immer auch während der letzten Minu ten geschehen sein mochte – er durfte nicht mehr daran den ken. Er brauchte seine ganze geistige Kraft für die kommenden Auseinan dersetzungen. Denn an ihnen führte kein Weg vorbei, wenn er die mysteriöse Welt Säggallo finden wollte – und mit ihr den Neffen des Dunklen Oheims, der diesen Raumsektor beherrschte.
* Während die HORIET erneut Fahrt auf nahm, um kurz darauf im dunklen Sternen meer der Schwarzen Galaxis zu verschwin den, befand sich das, was Bronniter-Vang, der ebenso wie Atlan und Thalia über keine Erinnerung an das, was auch er erlebt hatte, mehr verfügte, als »Lebensfeld« bezeichnet hatte, schon wieder in jenem unbegreifbaren Raum, in dem es Zuflucht vor den Dunklen Mächten der Schwarzen Galaxis gefunden hatte. Es war beeindruckt von den Fremden, die mit dem Dimensionsfahrstuhl bis hierher vorgedrungen waren, obwohl es bereits über jenen Teil des Kollektivs, der sich auf Pthor selbst befand, einige erste aber vage Ein drücke hatte bekommen können. Dennoch bestand kaum Aussicht darauf, daß die Fremden die Macht des Dunklen Oheims brechen konnten. Sie würden eben so scheitern wie alle anderen vor ihnen. Nur eine einzige Hoffnung gab es. Die Kollektivintelligenz, ein Zusam menschluß von vielen Hunderten von We senheiten, die aus Dimensionsüberlappun gen geboren worden und dem Dimensions symbionten Wommser artverwandt waren, hatte im Bewußtseinsinhalt des Wesens At lan die Erinnerung an eine Wesenheit gefun den, die ihr zumindest ähnlich war.
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Diese Wesenheit war für einen Menschen wie Atlan so abstrakt, daß auch er sie nur als »ES« bezeichnete. Als ES, wie dieses Geisteswesen in At lans Erinnerungen vorhanden gewesen war, war die Kollektivintelligenz dem Fremden gegenübergetreten. Nur so war ein Kontakt überhaupt erst möglich gewesen. Falls sich die irreale Hoffnung auf einen Erfolg der Fremden erfüllen sollte, würde der Tag
kommen, an dem sich die Kollektivintelli genz aus dimensionsneutralen Wesenheiten den Fremden so zeigen konnte, wie sie wirk lich war. Den ersten Schritt würde Leenia tun. Dann, wenn die Zeit reif war – für den Ruf der Höheren Welten…
E N D E