WARREN NORWOOD
EIN BILD AUS STIMMEN Die Windhover-Bänder 1 Roman Science Fiction Scanned by Galan (sb)
[email protected] WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY Band 06/4866
Titel der amerikanischen Originalausgabe THE WINDHOVER TAPES: AN IMAGE OF VOICES Deutsche Übersetzung von Michael Windgassen Das Umschlagbild malte Brian Waugh
Redaktion: Wolfgang Jeschke Copyright © 1982 by Warren C. Norwood Copyright © 1992 der deutschen Ausgabe und Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München Printed in Germany 1992 Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München Satz: Schaber Datentechnik, Wels Druck und Bindung: Elsnerdruck, Berlin ISBN 3-453-05386-9
1. 7035 - 1.8.
Bundesbasis 1744
Ein Tagebuch zu führen, das bis auf den Schreibenden selber wohl sonst niemand lesen wird, mag ein bißchen absurd erscheinen. Trotzdem, närrisch und schrullig, wie du nun mal bist, Gerard, legst du dir eins zu. Und fängst jetzt damit an. Die nach dem Ende der letzten Mission vorgenommene Gedankenwäsche hat, wie zu fürchten ist, allzu viele erhaltenswerte Erinnerungen ausgelöscht. Sie zu bewahren, will ich dir, liebes Selbst, also auftragen; sorge dafür, daß mein Fleiß nicht nachläßt, aber sei gewarnt, daß das Führen eines Tagebuches allen diplomatischen Regeln zuwiderläuft, die der Bund jemals aufgestellt hat. Deshalb werde ich jeden Eintrag in einem persönlich geschützten Unterverzeichnis von Windys Datenbank abspeichern. Wir müssen seine Existenz streng geheimhalten. Keiner darf davon wissen, ausgenommen Fairy Peg vielleicht. Ah, Fairy Peg, wo steckst du im Augenblick? Du bist bestimmt irgendwo in meinem Gedächtnis verlorengegangen, verborgen worden mit Hilfe der besten Techniken, die die Gedankenwäsche aufzubieten hat. Verschwunden bis auf den Namen allein und die süße, flüchtige Ahnung deines süßen Duftes in meinen Träumen. Seit der letzten Mission ist inzwischen ein Jahr vergangen; ein Jahr, seit der Bund seine rechtliche Möglichkeit in Anspruch und sämtliche Erfahrungen aus meinem Gedächtnis gelöscht hat. Ein Jahr der >Säuberung< und Vorbereitung auf den nächsten Einsatz. Es ist erstaunlich, liebes Selbst, woran ich mich erinnere und woran nicht. Und natürlich, woran du dich erinnerst. Das föderative DiploKorps behauptet, wir wären aus >strengsten Sicherheitsgründen< der Gedankenwäsche unterzogen worden, aber ich vermute einen anderen Grund dahinter. Ich glaube, wir haben unseren Auftrag verbockt. Mist gebaut. Ich wünschte, du würdest sprechen lernen, Selbst, oder wenigstens zur außersinnlichen Wahrnehmung in der Lage sein oder sonstwie mit mir kommunizieren können, und nicht nur in Traumsymbolen. Seien wir doch ehrlich und fair zueinander. Ich hocke hier vor der Tastatur und offenbare mich Windy, während du jeden meiner Schritte beobachtest oder womöglich sogar kontrollierst. Und was erhalte ich als Gegenleistung? Erklärungen? Nein, nur Träume. Verrückte Träume. Unzusammenhängende, symbolbeladene, überzeichnete Träume! Aber daß das Leben fair sei, hat mir natürlich niemand versprochen; warum also sollte ich ausgerechnet von dir Fairness erwarten? Ich bin schließlich nur der Organismus, der dein Überleben zu sichern hat. Ich schütze und verteidige dich, ernähre dich, gebe dir geistige Unterstützung und versorge dich gelegentlich mit einem Partner, der dich liebt und bettet. Mit meinem Appell zur Fairness und dem Wunsch, an den verborgenen Quellen deines Wissens und deiner Weisheit teilzuhaben, verlange ich sicherlich zuviel. Was? Du bist nicht beeindruckt von meinen ohnmächtigen Drohungen und billigen Schmeicheleien? Egal. Das regeln wir später. Bestandsaufnahme. Ein neuer DiploKontrakt ist unterzeichnet, die Schulung abgeschlossen (oder war's womöglich eine Umschulung?). Die Änderungen, die ich am Baird Z-Rangel-Übersetzer vorgenommen habe, zeigen unerwartet gute Resultate. Der Bund hat im Rahmen der >obligaten Instandhaltungsmaßnahmen< die Autoklinik gegen zwei überflüssige Verjüngungszellen ausgetauscht, aber zum Glück werden die zusätzlichen Kosten nicht auf Windys Hypotheken aufgeschlagen. Die Windhover ist beladen, poliert und startklar. So wie ich.
Jetzt brauchen wir nur noch die endgültige Starterlaubnis vom Einsatzkommando. Auf die ich lange warten mußte. Ich dachte schon, sie hätten uns den ganzen Tag festhalten wollen. Aber gleich läuft der Countdown; nur noch ein Tonsignal aus dem B-Kanal Halt dich fest, Selbst; es geht los. Alles weitere später. 7035 - 12 .8.
Anflug auf Diera
Dabei wollte ich so fleißig sein mit meinen Tagebucheintragungen ... Jetzt, nach drei Zeitschleifen und elf Tagen komme ich endlich wieder dazu. Ein erbärmlicher Anfang. Was steckt dahinter? Ein Mangel an Kommunikationsbereitschaft? Motivationsmangel? Ungenügende Hilfe deinerseits, Selbst? Nein. Wenn ich nicht ständig von Fairy Peg geträumt hätte, würde ich jetzt, wo wir uns Diera nähern, hier nicht sitzen. Diera: ein religiöser Planet von begrenztem Charme. Das Bundesamt für Feldforschung (kurz: Baff) berichtet (in seiner unmöglich verklausulierten Fachsprache), daß die humanoiden Bewohner in siebzehnter Generation von den Sylvanern abstammen, die seit der sechsten Generation dem Mystizismus verfallen sind, nicht zuletzt aufgrund verheerender Seuchen, die die Bevölkerung alle dreißig bis vierzig Jahre um die Hälfte reduziert hatten. Als sie die Seuchen endlich in den Griff bekamen, konnten die Überlebenden auf dem einen größeren Kontinent eine bescheidene Existenz aufbauen. Sie glauben an Magie, an das Übernatürliche und an die Wirksamkeit totaler Kooperation. Den ersten diplomatischen Kontakt mit diesem Volk stellte ein Sylvaner namens GrWrytte her, der von dem, was er sah, nicht besonders angetan war; im Gegenteil: Er schätzte die kulturellen Besonderheiten, die er antraf, überaus gering ein. Akribisch notierte er in seinem Bundesbericht, daß die Dieraner die Zeit ihres Wegganges von Sylva noch sehr gut in Erinnerung haben und sogar Videomaterial von den ersten Jahren aufbewahren, sich aber weigern, die >Mysterien< ihrer Artgenossen zu übernehmen. Dem bedauernswerten GrWrytte war nicht einmal aufgefallen, daß man ihn durchaus freundschaftlich empfangen und gepflegt hatte, bis er der Pest erlag und ehrenvoll bestattet wurde. Als Mrs. Caven zu Besuch kam, hatten die Dieraner ihr Immunserum mit Hilfe des Bundesamtes für Feldforschung perfektioniert. Caven wähnte sich im Diplomatenhimmel. Leider konnte sie nicht lange bleiben und mußte nach einem Jahr wieder aufbrechen, um anderen Bundesangelegenheiten nachzukommen. Ihr Bericht war jedoch äußerst umfangreich und ihre Beziehung zur dieranischen Bevölkerung offenbar auch sehr gut. Meine Aufgabe ist es, ein Bundesbüro einzurichten, einen Vertrag zur dauerhaften Zusammenarbeit auszuhandeln und zwei meiner Passagiere (die sich noch im Tiefschlaf befinden) als Verbindungsoffiziere zurückzulassen. Ich kann nicht verstehen, warum Verbindungsoffiziere immer im Tiefschlaf reisen. Vielleicht weiß Windy eine Antwort. Nein, auch sie hat keine Ahnung. Es wäre vielleicht einfacher, wenn Windy einen direkten Zugriff auf das Tagebuch hätte. Aber sicherer ist, daß sie ihn nicht hat. Seit zwei Monaten schon studiere ich die Berichte über Diera. GrWryttes durchweg negative und Cavens überschwengliche Eindrücke haben in mir das unwiderstehliche Gefühl entstehen lassen, daß beide Beobachter etwas sehr Wesentliches und Aufschlußreiches übersehen haben. Mir will nicht einleuchten, daß ein Volk so freundlich und nachgiebig sein kann. Okay, Windy, ich höre. Die erste Umlaufbahn ist erreicht.
7035 -13.8.
Austritt aus der Umlaufbahn. Diera
Sechs Stunden bis zur Landung. Windy hält uns genau auf Kurs. Diera bestätigt unseren Anflug. Als Ansprechpartner ist mir M'Litha zugewiesen worden, die Wirzelmagierin, das heißt, sie ist politisches Oberhaupt, Hexe, Zauberer und höchster Spinneflipp in einer Person. Wenn in den nächsten zwei Tagen alles glattgeht, werde ich mit Windy zwei Schläfer wachkitzeln und mit der eigentlichen Arbeit beginnen. 7035 - 22 .8.
Tam City. Diera
Man hat mich belogen. Von einem reibungslosen Ablauf kann keine Rede sein. Und was, um Kricks willen, will diese M'Litha bloß von mir? Der Empfang war alles andere als linear. Mir wurde aufgetragen, an die Arbeit zu gehen; danach könnte ich dann mit einer formellen Begrüßung rechnen — ein absolut nicht-linearer diplomatischer Empfang, vergleichbar mit dem, was auf der alten Erde >protokollwidrig< bezeichnet worden wäre. Ein nicht-lineares Treffen mit einer alten Magierin, die von mir verlangte, irgendein Manuskript zu übersetzen, das ich dann auch brav in den Baird getippt habe. Und jetzt erhalte ich eine per Hand gekrakelte Nachricht von M'Litha persönlich, durch die sie mir mitteilt, daß es zu einer formellen Begrüßung kommt, sobald die Übersetzung fertig ist. Windy kontrolliert den Baird und assistiert. Ich warte. Hier bleibt mir offenbar nichts anderes übrig. Seit sieben Tagen warte ich nun schon, mal in der Bibliothek, mal im Empfangszimmer oder in der Forschungsstation, wo man jede Menge weiß über Atmosphäre, Bodenbeschaffenheit, Flora und Fauna, aber auf praktische Fragen keine Auskunft geben kann. Immerhin haben sich die Leute dort ein bißchen von ihrer Routine abbringen lassen, was die Langeweile halbwegs erträglich machte. Aber nur für einen Tag. Ich leg mich jetzt aufs Ohr, Selbst. 7035 - 23. 8. Selbst wenn dieses Manuskript einen Teil der Antwort liefern sollte auf das, was hier vorgeht, sind wir, wie ich glaube, nicht sehr viel weitergekommen. Bairds wortwörtliche Übersetzung ergibt nicht mehr als ein sinnloses Blabla. Vielleicht wird das neue Programm weiterhelfen. Nun, es hat fast neun Stunden gedauert, aber am Ende haben wir es dann doch geschafft. Baird ist von Windy und Windy von mir gecoacht worden. Wort für Wort, Satz für Satz. Ich glaube, wir haben endlich Sinn in den Text gebracht. Das das Manuskript in einer Sprache geschrieben ist, die Caven als >heiligen Jargon< bezeichnet, war unser erstes Problem. Problem Nummer zwei: Es handelt sich um ein Gedicht, und zwar nicht nur um irgendein altes Gedicht, sondern um eines mit feierlich religiösem Inhalt. Ich bin erschöpft. Ich habe das Gedicht aufs Memorisierband kopiert, damit ich es bis morgen auswendig kann. Und du, mein Selbst, hast die Aufgabe, mir beizubringen, in welchem Zusammenhang die Verse zu unserer Mission hier stehen.
Dieras Ruf Drum sei ermuntert, Sternenkind. aus nächt'gem Dunst hinabzureisen, hinab auf den gebrannten Fels, und nenn es dein Zuhause. Drum sei ermuntert, Wirzelden Schatten von dir abzustreifen mit festem Griff und deiner Zunge und führe unsren Weg. Drum sei ermuntert, Magierin, der Ärzte Samen abzustoßen aus deines Leibes Tiefe und trage unsren Laich. Drum sei ermuntert. Mutter, das Antlitz Dieras zu gestalten mit Stammbaum und Geschlechterfolge und mit des Lebens Spiegel. Drum sei ermuntert, Sternenkind, als Wirzelmagierin zu wesen, als Medicus und wahre Mutter und unser aller Blut. 7035-1.9. Fleißig, fleißig, fleißig. Und erfolgreich. Wir haben nicht nur den Übersetzungstest mit Bravour bestanden, sondern sind auch mit einer Zeremonie beehrt worden, die vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung dauerte und, wenn ich recht verstanden habe, dazu bestimmt war, mir den Titel eines hochwürdigen Monkus zu verleihen. Mit anderen Worten: Ich bin jetzt eine geheiligte Person. Als ich M'Litha drängte, mich über diesen Punkt genauer aufzuklären, beauftragte sie eine der Magierinnen, mir ein weiteres Manuskript auszuhändigen. Noch ein Gedicht! Zwar von anderer Art und in anderem Dialekt, aber immerhin ein Gedicht. Der Titel: >Monkus' Pilgerfahrt über seinen ExilplanetenDieras RufPilgerfahrt< auf Windys Pergament in einem mit Blattgold verzierten Schuber überreichte, in dem mein LightSpeedDiplom gesteckt hatte, traten ihr fast die blaßblauen Augen aus dem Kopf. Wenn Dieraner Tränen vergießen könnten, hätte sie es sicherlich getan. Ich schätze, das weiße Kleid, die rote Robe und der goldene Schuber bildeten eine Farbzusammenstellung von magischer Symbolik. Die Folge war, daß es erneut zu einer vom Morgen bis zum Abend dauernden Zeremonie kam, anläßlich der feierlichen Widmung des Gedichts. Davon bin ich gerade erst zurückgekehrt. In der nächsten oder übernächsten Woche steht mir eine Reise nach Chancor bevor, und zwar im Königlichen Flieger. Ich benutze das Wort >königlichDer Aufstieg des ElevenMythos des höchsten Wesens in VogelgestaltTaten, nicht Worte sind der Beweis für Liebebrüllend< bezeichnen kann. Sir Dan, der als Terra-Zwei Mensch Zeit seines Lebens im Bundesdienst steht, ist auf eigenen Wunsch nach Moseen versetzt worden, um hier seine letzten zehn Amtsjahre zusammen mit dem Professor verbringen zu können. Sein zweiköpfiges Personal besteht sozusagen nur aus einer Person: einem deltanischen Zwillingspaar, weiblich, das an den Ellbogen miteinander verwachsen ist und einen Unterarm sowie die elf Finger der >Deltahand< gemeinsam hat. Das Paar scheint seinem Chef völlig ergeben zu sein, und daß er auch ihm sehr zugeneigt ist, wird sehr schnell deutlich. Die beiden heißen Teeanne und Tiianni. Sir Dan nennt sie der Einfachheit halber bloß >TTTypen meines SchlagesWollust
Die Suche des Eleven< erhalten. Zufall? Faktor Psi? Schicksal? Nichts von alledem, Gerard. Du hast den Titel selber erfunden. Trotzdem, er paßt sehr gut. Windy hat im zweiten Durchlauf diesen Text ausfindig gemacht. Er stammt aus einer von Mysteleria importierten Anthologie, in der es um die Riten der Reise geht. Der Barde und ich haben bereits zwei Grobübersetzungen vorgenommen; die dritte müßte auch bald fertig sein. Bei Fara, wie gerne würde ich den Stoff ShRil und dem Professor zukommen lassen. Vielleicht übernimmt Prinz Geladium den Versand für mich. Fragen kostet nichts. Die Suche des Eleven Es folgte der Eleve den goldbraunen Wegen vergang'ner Sterne tausendfach, ein heiliges Symbol zu suchen, geweihte Namen, eine neue Vision vom ursprünglichen Feuer. Er kroch bis an den Rand des Eros in Träumen, heilig und profan, gejagt von einem schemenhaften Antlitz, von einer schwingenden Bewegung, der Schöpfung seiner Seele. Im eigenen Gefühl nur Rätsel der Eleve fand, Phantasien voll Erotik, kryptische Entwürfe aus einer unbekannten Zeit. Doch nirgends fand er Schonung von dem Schmerz und der Ekstase seines zügellosen Traums.
Der Barde kommt immer besser mit der Form zurecht, die wir der Zweckmäßigkeit halber entwickelt haben. Durch sie lassen sich Stimmung und Bedeutung dieser Gedichte wiedergeben, ohne ihrer Form und Metrik im Original entsprechen zu müssen. Ich finde unser System auch ästhetisch recht ansprechend, aber das tut nichts zur Sache. Hier kommt wohl Dichterstolz zu Wort. Immerhin ist zu bemerken, daß heutzutage in der geschriebenen Standardsprache viel zu wenig Wert auf Schönheit und Klang gelegt wird. Während der Barde mit mir an dem Entwurf herumgebastelt hat, ist Windy damit beschäftigt gewesen, die Bibliothek von Val weiter durchzuforsten. Sie konnte einige interessante Figuren ausfindig machen, aber keine hat etwas gemein mit dem Eleven. Bei der ganzen Arbeit ist nur ein einziges Gedicht rausgesprungen. Immerhin, mehr als gar nichts. Gut gemacht, mein Team. 7036 – 23.7. Ich habe Mr. Gwindel eine Kopie von >Die Suche des Eleven< gegeben mit einem Quellenvermerk und einer kurzen Nachricht an den Professor. Nach ausführlichen Erklärungen, worum es geht und warum mir die Sache wichtig ist, bat ich ihn, die Post mit Erlaubnis von Prinz Geladium der Universität von Moseen zuzustellen. Mr. Gwindels Reaktion vermittelte mir den Eindruck, einen Fehler gemacht zu haben. Seinen Fragen entnahm ich, daß er mein harmloses Gedicht für eine verschlüsselte Botschaft hielt. Ich wollte ihn nicht weiter drängen. Er glaubt wohl, daß ich Dinge weiß, von denen ich keine Ahnung haben darf. Offenbar gedenkt Galaxy VI mit der Föderation zu brechen. Das hat mir sein Argwohn verraten. Außerdem hat er durchblicken lassen, daß ich tatsächlich ein Gefangener bin. Mein diplomatischer Status ist mehr als fraglich. Meine Sicherheit ebenfalls. Deshalb habe ich eine Entscheidung getroffen. Ich werde Windy den Zugriff auf dieses Tagebuch gestatten und sie so programmieren, daß alles, was ich schreibe oder spreche, automatisch kopiert wird auf eine unter meinem persönlichen Code laufende Sicherungsdatei. Falls mir etwas zustößt, kann sie das Tagebuch löschen. Die Kopie wäre dann nur von mir abrufbar, wenn ich heil aus der Sache rauskomme; wenn nicht, wird sie heimlich an ShRil übermittelt. Ich weiß, all das kling reichlich fatalistisch, Selbst, aber wir müssen vorsichtig sein. Wenn mir etwas passiert, soll wenigsten ShRil Bescheid wissen. 7036 – 25.7. Also, Windy, du bist jetzt auf dem laufenden. Wenn etwas schiefgeht, weißt du, was mit dem Tagebuch zu geschehen hat. Schalte dann auf Konservierung und warte ab. Ich hoffe zwar auf einen glimpflichen Ausgang, aber mir ist wohler, wenn wir auf den Ernstfall vorbereitet sind. 7036 - 30.7. Wieder ist ein Monat um. Siebenundzwanzig Tage auf Val, und immer noch keine Freilassung in Aussicht. Vor einer Woche habe ich >Die Suche des Eleven< zu Mr. Gwindel gebracht, aber ob er das Gedicht an den Gouverneur weitergereicht hat oder nicht, bleibt fraglich. Mr. Gwindel war diesmal sehr reserviert. Für persönliche Belange fehle ihm die Zeit, sagte er. Soviel zur durchhängenden Seite der Waagschale. Auf der oben schwebenden Seite sitzen
Windy, der Barde und ich an der Arbeit und beackern die vallunesische Literatur, die wir in der Bibliothek ausgraben konnten. Durch die Information über das Festival der >Wollust< ist mir bekannt, daß die Valluneser einer sinnenfrohen Spezies angehören, die körperlicher Lust frönt. Allerdings ahnte ich bisher nicht, in welchem Ausmaß dieses Thema auch in der hiesigen Literatur seinen Niederschlag findet. Und wie! Einfach phantastisch. Besonders hat es mir eine Reihe von Liedern angetan, die ich unter dem Oberbegriff >Lobeshymnen< zusammenfassen werde. Es gibt buchstäblich Tausende solcher Freudengesänge, die den angenehmen Empfindungen, den verschiedenen Körperfunktionen, der physischen und verklärten Liebe sowie der Lust an der triadischen Paarung gewidmet sind. Eine vergnügliche und berauschende Literatur. Sie brennt darauf, übersetzt zu werden. Problematisch ist vor allem die Tatsache, daß die vallunesischen Lobeshymnen in einer emotionalen Syntax verfaßt sind; das heißt, der emotionale Inhalt eines bestimmten Gesangs entscheidet über dessen syntaktische Struktur. Zum Glück enthält die Bibliothek eine brauchbare Abhandlung über die Grundlagen dieses poetischen Systems. Leider beschränkt sie sich wirklich nur auf Grundlagen. Während der Barde und ich an der ersten, wortwörtlichen Übersetzung feilen, versucht Windy, ein paar weiterführende Hilfen aus der Abhandlung herzuleiten. # #Windy ist anwesend. Hinweis unnötig. # # Ja, Windy, ich weiß, daß du anwesend bist; aber ich schreibe in mein Tagebuch. Bitte, sei so gut, und halte dich zurück, solange nichts anderes von dir verlangt wird. Ich habe mich noch nicht daran gewöhnt, daß du jetzt Zugang hast. Ich werde mich in Zukunft nur noch in der zweiten Person anreden, falls du deiner Rolle als Beobachterin zufriedenstellend nachkommst. Merke. Ich sprach von Beobachterin, nicht Kommentatorin. Gespeichert? # #Gespeichert. Instruktionen zur Kenntnis genommen. Unter Vorbehalt. # # Vorbehalt? Was soll das heißen? ##Das Notprogramm listet mehrere Ausnahmen auf, die einen Eintrag in dieses Tagebuch erforderlich machen. Quelle: Gerard Manley. # # Und? Gibt es noch weitere Vorbehalte? # #Fehlanzeige. # # Gut. Das war also dein letzter Eintrag, es sei denn, der Notfall tritt ein. Kein Kommentar? Schön. Sehr artig von dir, Windy. Du lernst wirklich schnell. Das mag ich an dir besonders. Laß uns jetzt die neue Fassung überarbeiten. Mal sehen, was du daran zu verbessern hast. Lobeshymne 73 Wirf herab dein Silber, wilder Wein des Lebens und des Lichts, herab auf schwüle Bluteswallung, auf den unablässig roten Wandel, auf die Freude wie den Schmerz, die wohl brennen durch die klare Mitte des Lebens und des Lichts, durchs wirbelnde Herz und der Seele goldenes Feuer; verwirrte, phantastische Blumen jenseits von Ferne und Zeit, leibhaftiger Raum
über allem Bösen erhaben, werdende Schöpfung, Anfang und Ende, zu sein, was ihr seid. Wie getriebene Sonnen brennt das Verlangen im Blut spornt an der Liebe und Leidenschaft Flanken hinauf durch geschwollene Adern, durch das brausende Herz und die Klauen vernünftelnden Vorwands, ergießt sich in den Hallen des Morgens wie Regen über der Wüste, läßt den öden Sand erblühen mit fruchtbaren Blumen, entläd in das kurze Wehen heiligen Pollen und Samen und Feuer. Nicht schlecht, mein Team. Wirklich nicht schlecht. Wenn wir uns, was die Flucht angeht, genauso ins Zeug legen könnten, wären wir in null Komma nichts weg. 7036 - 1.8. Einladung von Mr. Gwindel zum Abendessen mit dem Gouverneur in vier Tagen. Sehr förmlich, Kleiderordnung: Uniform; eine Absage wird nicht hingenommen. Einladung oder Befehl? 7036 - 3.8. Gwindel erinnert an den Termin. Wie kommt er darauf, daß ich den vergessen könnte? Ich glaube, dieser Kerl wird mir immer unsympathischer. Zum Henker mit Gwindel. Mich halten die Rhythmen vallunesischer Erotizismen gefangen. Die triadischen Paarungsverhältnisse mögen ja manchem seltsam erscheinen, trotzdem versteht man sich hier darauf, das sinnliche Vergnügen universell attraktiv darzustellen. Seit wir die Erotika übersetzen, sind meine Träume äußerst bizarr und fast immer erotisch. Ich träume von ShRil, von Frauen allgemein, aber auch von Fairy Peg. Da ist ein Traum, der um Fairy Peg kreist und mir zum wiederholten Male begegnet. Ihn zu entschlüsseln, ist mir allerdings noch nicht gelungen. Ich wache in einem riesigen Bett auf. An meiner Seite schläft Fairy Peg. In der Ferne sind Geräusche auszumachen; es klingt, als ob Leute durch einen Tunnel rennen und lauthals rufen. Ich stehe auf, gehe im Nachthemd ans Fenster. Die Nacht ist klar, drei Vollmonde leuchten. Plötzlich klopft es an der Tür. Fairy Peg springt auf und fängt zu schreien an. Dabei reißt's mich aus dem Schlaf. Wenn ich die Fokussiertechnik anwende, sehe ich das Sonnensymbol überm Bett und weiß, daß ein zweites auf meinem Nachthemd ist. Die drei Monde bilden eine Linie dicht über dem Horizont: Ein kleiner folgt den beiden größeren Monden. Der Horizont ist ungewöhnlich stark
gewölbt. Ich fühle mich sehr leicht auf den Füßen. Offenbar befinde ich mich auf einem kleinen Planeten. Die Rufe sind zu undeutlich, und ich kann nicht verstehen, was gerufen wird. Aber Pegs Schrei ist unmittelbar zu hören. Ich weiß nur ungefähr, was sie mir sagen will. Es ist wichtig, daß ich es ganz genau weiß. Versuch's noch einmal. Ich wache auf. Lausche. Gehe ans Fenster. Jetzt das Klopfen. Ich drehe mich um, Peg schreit auf: »Die Ratschen!« Die Ratschen? Wer, um Kricks willen, sind die Ratschen? Drei völle Monde Schreckem und Unheil bereiten, wenn die Gabriel-Ratschen zum Kampfe schreiten. Woher hab' ich das nun wieder? Oh, Selbst, was treibst du für ein Spiel mit mir? Aus einem Rätsel ergibt sich das nächste. Wie bei der mysteriösen Kril-Schachtel. Kril! Der Planet Kril! Drei Monde, ein kleiner und zwei große. Führender Planet in der RibbleGalaxis. Das lernt jeder in der Schule. Regiert von dem berühmten Ober On'Ell, Prinzregent von siebenundzwanzig Welten, Gemahl von Tania Houn Draytonmab, Kriegsherr über die Ribble-Flotte, die dem Bund die erste Niederlage in über siebenhundert Jahren zugefügt hat. Fara, ich hab's! Fairy Peg. Peg On'Ell, Hüterin der Ribble-Galaxis. Mein Kopf! Ich halt's nicht aus. 7036 - 4.8. Bei einer Gedankenwäsche werden Blocker installiert, die nur unter Schmerzen zu überwinden sind. Unsäglichen Schmerzen. Als ich Stunden später erwachte, fühlte ich nichts als Feuer und Druck hinter den Augen. Ich schaffte es kaum, mich in die Verjüngungszelle zu schleppen. Mein Nacken ist immer noch verspannt. Allein der Gedanke an Fairy Peg läßt die Schmerzen zurückkehren. Ich muß eine Weile davon Abstand nehmen, Selbst, freue mich aber, daß du nicht locker gelassen und mir zur Erinnerung verholfen hast. Die Blocker hätten ihre Wirkung fast erzielt. Aber blicken wir wieder nach vorn. Themenwechsel. Das Gedicht. Genau. Windy, hol mir das Gedicht auf den Schirm. Und jetzt starte den Barden zu einem neuen Durchlauf. Der Ton ist nicht übel, allerdings finde ich die Form noch reichlich sperrig. Schalte den funktionalen Modus ein. Mal sehen, was dabei rauskommt. Fehlanzeige. Vor lauter Kopfschmerzen mußte ich die Arbeit einstellen. Aber vielleicht hat's doch ein bißchen geholfen. Denn wie sagt der alte Onkel Doktor? »Was glaubst du, wie schlecht es dir ohne die Medizin jetzt ginge?« Die Übersetzung wird immer besser, Windy. Ob unsere Arbeit jemals gebührend honoriert wird? Wahrscheinlich nicht. Lippen Weder honigsüß noch rosenrot, wächsern oder weich als vielmehr schlicht vollkommen sein sollen Lippen, küssen und reisen in Kurven wandern und das Gefäß befruchten,
sich zitternd treffen und, sich treffend, halten Den Schleier unsrer Seelen lüften sollen Lippen, im Innern still uns halten, sich um unsre Zungen schlingen, die Herzen in Bewegung tauchen und, bewegt, zerfließen Einem Windhauch gleich berühren soll'n sich Lippen und unsere Seelen schließen, mit ihrem Siegel prägen, vor Leidenschaft erglühen und glühend sterben Sprechen sollen Lippen, sprechen zu uns. Wenn mich nicht alles täuscht, ist >Lippen< einer der vielen vallunesischen Paarungslieder, die sowohl von dem befruchtenden als auch dem katalysierenden Partner der Triade der zu befruchtenden Seite vorgesungen werden. Der Quellenangabe zufolge zählt es zu den ältesten aufgezeichneten Liedern dieser Art, an der sich über drei Jahrhunderte stilistisch kaum etwas geändert hat. >Lippen< scheint sehr populär zu sein, denn Windy hat eine leicht veränderte Version in dem Buch Stürmische Vereinigung gefunden, das 7035 in die Bibliothekssammlung aufgenommen wurde und von seinen Herausgebern als der modernste Lustleitfaden, der je im Druck erschien, angepriesen wird. Ein altes Liebeslied für moderne Sexomanen. Eine bessere Empfehlung gibt es kaum. Nenn es Ahnung, Eingebung oder weise Voraussicht, Selbst, aber ich habe das Gefühl, daß das morgige Abendessen mit Prinz Geladium sehr viel mehr sein wird als eine einfache Mahlzeit. Ich vermute, er will was von mir, weiß aber nicht, was. Genauso wenig weiß ich, wie weit er zu gehen bereit ist, um das, was er will, zu bekommen. Mir bleibt weiter nichts übrig, als mitzuspielen und abzuwarten, was passiert. Wie soll man eine Taktik entwickeln, wenn die strategische Situation unbekannt ist? ##7036 - 8.21. 1503 :17
KAR-063L, Starport I-A-I
Auf Befehl Notprogramm eins aktiviert. Eintrag vorgenommen durch Diplomatenkreuzer, Klasse 12, Reg.Nummer: T-Alpha 7731 Serie D, Name: Windhover, Rufcode: Windy. Gerard Manley, Vertragsdiplomat, Pilot des o.a. Kreuzers, ist seit fünfzehn Tagen, einundzwanzig Stunden, drei Minuten und siebzehn Sekunden Standardzeit verschwunden. ACHTUNG! Aus vorliegenden Informationen muß gefolgert werden, daß besagter Gerard Manley gegen seinen Willenzurückgehalten wird vom Gouverneur Seiner Königlichen Majestät auf KAR063L (Val) im System der Galaxy VI. Alle Aggregate dieses Raumschiff befinden sich im Zustand der Konservierung. Es laufen die Notprogramme eins und zwei. Selbstschutzzerstörer aktiviert. In Erwartung weiterer Instruktionen.##
4. 7039 - 7.2.
Im All
Wie steigt man wieder ein in ein Tagebuch, das zweieinhalb Jahre in der Ecke lag? Wer hat den ersten Teil geschrieben? Die naive Seele kenn' ich doch irgendwoher. Gut gemacht, Windy. Morrizon hat mir berichtet, wie du dich abgeschottest hast. Kompliment. Daß du ihre Funkkopplung gestört hast, war eine prima Idee. Hab' ich dir den Tip gegeben? Ach ja. Wir haben doch das Sicherungsprogramm modifiziert. Ist mir völlig entfallen. Ich war so lange weg, daß ich vieles vergessen habe. Aber auf dein Gedächtnis ist Verlaß. Was mich besonders überrascht: Wie sich der Bund für mich eingesetzt hat. Welche Hebel er in Bewegung setzen mußte, um mich freizueisen, weiß ich nicht, aber ich weiß, daß Morrizon an meiner Freilassung maßgeblich beteiligt war; er hat gehebelt, was das Zeug hält. Einen besseren Kollegen kann man sich nicht wünschen. Genug davon. Wir haben einen neuen Auftrag, eine neue Bewährungsmöglichkeit, ein neues Leben. Nun, zumindest eine neue Perspektive. Mir ist jetzt ein bißchen klarer, wem meine Loyalität gehört. Meine Wünsche sind bescheidener, mein Verstand ist schärfer. Themenwechsel. Unterwegs nach Deloni Ahsus Zand Minor-17 in der Milius-Spirale, DAZM-17MS, zur Föderation gehörig. Es geht wieder einmal um Vertragsverhandlungen; diesmal mit der etwas zögerlichen Mehrheitsregierung eines Planeten, der auch noch einige starke Minderheitsregierungen unterhält, die allesamt in die Verhandlungen miteinzubeziehen sind, wenn ein gültiger und dauerhafter Vertrag zustandekommen soll. Eine hübsche Herausforderung. Der Bund wollte mich eigentlich für sechs Monate zur Erholung und Entspannung nach Pleasance schicken, aber ich konnte meine Vorgesetzten davon überzeugen, daß mir die letzten zweieinhalb Jahre genug Entspannung gebracht haben und daß ich mich am besten bei der Arbeit erholen würde. Ich bin froh, daß die Mannschaft der Verbindungsoffiziere ihren eigenen Transporter hat. Also brauchen wir auf unserer Reise keine Rücksicht auf Passagiere zu nehmen, und das ist gut so, denn immerhin müssen wir, um DAZM-17 zu erreichen, das Warp-Ring-System kreuzen. Dort wird Krieg geführt gegen einige Planeten, die sich aus der Föderation zu lösen versuchen, und es könnte brenzlig für uns werden. Mich in angespannter Lage um Passagiere kümmern zu müssen, kann ich nicht leiden. Die Allianz des Warp-Rings war nie besonders stark und ist nun zusätzlich geschwächt durch den Kampf gegen die Sezessionsgruppe der Wring-Connection, die von Galaxy VI während der fehlgeschlagenen Revolution aufgerüstet worden ist. Der Bund will sich, wie es scheint, nicht einmischen. Er schaut lieber geduldig vom Rand aus zu und spekuliert darauf, die Abtrünnigen, sobald ihnen das Pulver ausgeht, einzeln in die Koppel zurücktreiben zu können. Wenn die Allianz, wie nicht anders zu erwarten ist, auseinanderbricht, wird sich der Einfluß des Bundes auf diejenigen Planeten verstärken, die zur Föderation zurückkehren. Sie könnten dann mit der neu zu installierenden Regierung verhandeln und ihre Neutralität behaupten. Ich wünschte, wir könnten einen weiten Bogen um das Warp-Ring-System schlagen, würden dabei aber zu viel Zeit verlieren. Unser größtes Problem wird es also sein, zu den WarpBänken vorzudringen, um uns dann an den Rand des Systems durchmogeln zu können. Denn wenn wir erst einmal die Untiefen erreicht haben, dürfte es nicht mehr schwerfallen, über die innere Peripherie ans andere Ende zu schleichen. Hoffentlich sind die Streitkräfte der Allianz und der Wring-Connection so sehr miteinander beschäftigt, daß sie uns, sollten wir doch
auffallen, in Ruhe lassen. Hoffentlich. Wie dem auch sei; einen AutoSchlaf werde ich mir auf diesem Trip wohl nicht leisten können. Wir müssen in Alarmbereitschaft bleiben, bis wir die Untiefen verlassen und nach DAZM-17 weiterwarpen können. Windy, uns stehen vier Monate heikler Raumfahrt bevor. Wenn ich ehrlich bin, freue ich mich sogar darauf. Mein altes Hirn hat sich lange genug nach äußeren Problemen gesehnt. 7039 - 11.2. In drei Tagen erreichen wir die Warpbänke. Ich fühle mich richtig wohl mit dir, Windy; daran ändern auch nichts die neuen Tak-, Strat- und Evak-Programme der Anlage. Offenbar sind den Technikern dieselben Schwächen aufgefallen, die auch wir schon bemängelt haben. Trotzdem bin ich immer noch der Meinung, daß unsere Hybriden-Programme besser sind. Ich würde sie eigentlich mal gerne unter echten Bedingungen ausprobieren. Besser nicht. Ich habe den größten Teil meiner Forschungen gelöscht. Der ganze Wust liegt dem Professor inzwischen vor. Von der Zentrale weiß ich, daß ShRil und Sir Dan wohlauf sind und daß der Professor wieder dem Technischen Rat von Moseen dient. Ich hoffe, auf DAZM-17 eine Nachricht von ihnen vorzufinden. Wie sehne ich mich danach! Besonders nach einen Gruß von ShRil. Liebe ShRil, Traumgefährtin meiner Gefangenschaft. Wie sie wohl nach all den Jahren zu mir steht? Ob sie noch an mich denkt? Bald werde ich die Antwort wissen. Beeilung, Windy, spring in die Bresche! 7039 - 12.2. Träume von ShRil sind Höhepunkte meiner Nächte. Aber der von vergangener Nacht war besonders klar. Vielleicht hat der Gedanke, womöglich bald von ihr zu hören, mein Verlangen aus der Phantasie in die Wirklichkeit gerückt. Doch darauf wage ich nicht weiter einzugehen. Zwischen uns und unserer nächsten Begegnung — sollte sie denn je zustandekommen — liegen der weite Raum und sehr viel Zeit. Und wenn sie zustandekommt, wie wird die Begegnung dann ausfallen? Was ist dann aus uns geworden? Ich will mich lieber noch für eine Weile an die Phantasie halten. Sie erhebt keine Ansprüche und stellt keine Erwartungen. Habe an einem der vallunesischen Gedichte herumgebastelt, das wir bislang noch nicht zu Ende übersetzen konnten. Vom Original halte ich nicht allzu viel, aber die Idee hat mir so gefallen, daß ich den Text neu komponiert habe, und zwar so gründlich, daß das Gedicht eigentlich nicht mehr vallunesisch ist, sondern meines. Und wenn ShRils Reaktion auf mein Wiederauftauchen meiner heimlichen Hoffnung entspricht, werde ich ihr die Verse als private Botschaft zukommen lassen. Ihr werden die Anspielungen auf alte terranische Mythen gefallen; der Rest hoffentlich ebenfalls. Körper-Monolog In den weiten, geräumigen Bögen zwischen ihren Brüsten und Schenkeln wanderte er wie ein orestischer Geist
auf der Suche nach Unendlichkeit auf der Flucht vor alten Fehlern und zukünft'gen Potentaten. Durch die zierliche Ägäis ihrer vom Wasser umspülten Glieder folgte er mit salz'gen Lippen ihren Wellen, im Rücken atmende Winde, klebend an federnden Wogen mit seiner Zunge, die den Kurs erspürt. Gedrängt von seines Herzens alten Sog, trieb er in ihren weichen Strudeln hinauf in ihr zurückgekehrtes Angesicht, wo er empfing den endlos einen Kuß der Wiederauferstehung und des Lebens. Ob sie erkennt, wie sehr mir meine Erinnerung an sie geholfen hat? Ob ihr meine Liebe für sie in diesen Zeilen auffällt? Wird sie wissen, wie treu ich ihr bin? Wird ihr meine Treue etwas bedeuten? Im Gefängnis war alles einfacher. Die Antworten stimmten mit der Phantasie überein, dem selbstgefälligen (von meinem Selbst gebauten) Wolkenkuckucksheim, in dem ich mich verschanzt habe, um bei Verstand zu bleiben. Jetzt, nach drei kurzen Monaten, rükke ich der Wahrheit ein wenig näher und zögere. Apropos Wahrheit; während ich eingesperrt war, ist mir das getreue Bild von Fairy Peg wieder erschienen. Oder zumindest mein Bild von unserer Beziehung. Ich konnte mich wieder erinnern: an viel Zärtlichkeit und Leidenschaft, aber auch an viel Ärger und Streit. Interessant, Windy. Alle Erinnerungen an Ribble drehen sich um Fairy Peg, und das meiste, woran wir, mein Selbst und ich, uns erinnern, ist sehr intim und persönlich. Der Bund hat es offenbar nicht geschafft, alle Erinnerungen zu blockieren. Oder vielleicht waren sie am Ende einfach stärker als die Blocker. Während dieser Zeit träumte ich immer wieder denselben Traum, der eine Art Prüfstein für mein Selbst zu sein scheint. Darin schlendere ich mit Fairy Peg durch einen Garten; wir sprechen über meine Stellung auf Ribble. Sie will mich zum Prinzregenten küren, zum Prinzgemahl oder etwas in der Art, aber mir fällt es schwer, mich auf ihre Worte zu konzentrieren. Ich bin in ihrer Gegenwart viel zu befangen. Sie strahlt nicht nur Liebe und Schönheit aus, sondern auch Skrupellosigkeit und Machtstreben. All das verwirrt mich. Gegen Ende des Traums fordert sie von mir, aufmerksamer zu sein, und dann sagt sie, daß, wenn ich Prinz wäre, mir auch die GabrielRatschen unterstehen würden. Daraufhin küsse ich sie so wild und leidenschaftlich wie noch nie. Mit einer ungestümen Liebesszene endet der Traum schließlich, und zwar sehr abrupt. Siehst du, was ich meine, Windy? Der Traum und alle wiedergewonnenen Erinnerungen zielen ausschließlich auf Fairy Peg; alles andere, was womöglich sehr viel wichtiger ist, scheint verloren zu sein. Natürlich sind nicht alle Erinnerungen so angenehm wie dieser Traum. Im Gegenteil. Manche sind äußerst unangenehm. Aber seit ich von Mysteleria weg bin, häufen sich die Fragen. Zum Beispiel: Warum hat mir der Bund den Kopf gewaschen? Warum hat mich Peg überhaupt zurückgeschickt? Warum hat der Bund das Logbuch
gelöscht? Und warum hat Peg nicht versucht, mit mir in Kontakt zu treten? Vielleicht hat sie es ja versucht. Dieses Puzzlestück fehlt mir immer noch. Solange mein Selbst keine weiteren Informationen ausgräbt, darf ich mir über Peg kein Urteil erlauben. 7039 – 15.2. Wir haben die Warpbänke erreicht und halten uns bedeckt. Stille Kraft voraus, wie man früher sagte. Die Antennen sind eingefahren, die Detektoren auf minimalen Sicherheitsabstand zurückgedreht. Geringes Tempo. In acht bis zehn Stunden dürften wir tief genug drinstecken, um ein wenig entspannen zu können. Der Staub ist hier enorm dicht, aber die Deflektoren werden alles, was kleiner ist als unser Schiff, abprallen lassen. Dem Rest wird Windy aus dem Weg gehen. Radarwellen scheinen nicht auf uns gerichtet zu sein. Vorsichtig rein, behutsam durch und vorsichtig wieder raus. Uns neun Wochen lang durch einen dichten Nebel aus Gestein und Eis hindurchwursteln zu müssen, ist keine schöne Aussicht; aber sehr viel heikler wäre es, wenn wir versuchten, mitten durch den Ring zu schleichen. Dabei unentdeckt zu bleiben, wäre äußerst unwahrscheinlich. Wer uns hier ortet, müßte, um uns gefährlich werden zu können, selber in die Untiefen vorpirschen. Unsere Chancen stehen nicht schlecht, Windy. 7039 - 19.2. Langweilig. Gefährlich, aber langweilig. Ich habe wieder im Tamos geschmökert. Auch der ist zum größten Teil ziemlich langweilig, bis auf einige wenige Passagen, die mir rhythmisch gut gefallen. Ich frage mich, was Gracie zur Zeit macht. Ah, Gracie, unsterbliche Exilantin, Brunnen der Weisheit, Schützerin meines klaren Verstandes. Warum hat sie sich nicht schon früher blicken lassen, Windy? Wir hätten uns eine Menge Kummer ersparen können. Aber dann ist sie doch aufgetaucht und hat uns aus der Falle von Mysteleria gezogen. Na ja, für den, der nichts dagegen hat, ruhig gestellt und ständig von Alpträumen heimgesucht zu werden, war alles nur halb so schlimm. Aber darüber will ich jetzt nicht mehr reden. Gracie hat mir irgendwie beibringen können, daß meine Gefangenschaft kaum von Bedeutung ist. Wenn sie mich anschaute mit den Facetten ihrer niemals alternden Augen, wurde mir ganz friedlich ums Herz. Und als ich schließlich den Nerv aufbrachte, sie zu fragen, wer siesei, antwortete sie: »Ich bin die Durah, Lismav, das Kind, die Mutter, die Tochter, die Schwester, die Unsterbliche, auf immer an diesen Ort gebunden, bis daß ich sterbe. Mein Name ist Betress Grace ber Aftalon Petriffillon, die Zweiundzwanzigste der dreiundzwanzig Unsterblichen. Nenn mich Gracie.« Du findest es bestimmt seltsam, daß ich mich an all das erinnere, nicht wahr, Windy? Aber was sie sagte, war mindestens ebenso seltsam. Vielleicht habe ich ihren Namen nicht genau buchstabiert, doch ihre Worte sind exakt wiedergeben. Die haben sich mir ganz genau eingeprägt. Eigentlich ist sie keine richtige Gottheit, das heißt, sie hat im Grunde keine wirklich übernatürlichen Kräfte. Zumindest war davon nicht die Rede. Aber immerhin ist sie unsterblich, jedenfalls nach unserem Zeitmaßstab. Ich schweife wohl wieder ab. Vielleicht deshalb, weil ich nicht zu beschreiben weiß, was sie für mich gewesen ist. Sie ist an Mysteleria gebunden, scheint aber trotzdem den Planeten
unter ihrer Kontrolle zu haben. Sie hat unendlich viel Geduld mit mir gehabt, war aber, wie mir schien, nie ganz bei der Sache, wenn wir uns unterhielten. Trotzdem fühlte ich mich in keiner Weise ignoriert, denn mir war klar, daß ihre Sorgen weitaus größer sind als meine. Ich hatte oft den Eindruck, daß sie immer mit einem Ohr in den Kosmos lauschte. Genauer kann ich's nicht erklären, Windy. Auch kann ich nicht in Worte fassen, wie sie bei Sonnenuntergang die Farbe wechselte, Nuance um Nuance, so subtil ... 7039 - 22.2. Seit zwei Tagen denke ich über Gracie nach. Vielleicht werde ich nie erklären können, was passiert ist. Es reicht zu sagen, daß sie größer ist als jeder Sterbliche, geringer als eine Gottheit, mitfühlend, zärtlich, besorgt — ein Wesen, das zu kennen ich die Gnade habe. Sie rührte mich an und hinterließ einen Eindruck von Liebe, die jenseits aller Leidenschaft liegt, aber so rein und hell ist, das der Gedanke daran mein Herz zwinkern läßt. Auweia, das klingt wie von einem liebeskranken Backfisch. Die Vorstellung eines zwinkernden Herzens ist wohl das Albernste, was man je gehört hat. 7039 - 25.2. Gestern ist einer unserer Deflektoren von einem schweren Schlag getroffen worden. Der Ersatzschild hat uns gerettet; aber die Reparatur des Hauptdeflektors dauerte länger, als mir lieb war. Daß ich zwei Stunden lang draußen und vier von innen herumhantieren mußte, spricht nicht unbedingt für meine handwerklichen Fähigkeiten. Ich bin auf mich allein gestellt. Die Meteoriten fliegen uns nur so um die Ohren. Daß hier derartig viele Trümmer herumschwirren, ist nicht einmal auf den Karten vermerkt, obwohl die in der Regel übertreiben. Habe ein bißchen geschlafen und bin gleich darauf wieder an die Arbeit gegangen. Ich frage mich, ob Raumarbeiter mehr verdienen als Diplomaten. 7039 – 26.2. Geschafft. Bis zum Ende durchgehalten und völlig erschöpft. Es ist durchaus befriedigend, so hart zu arbeiten, Werkzeuge einzusetzen und die Muskeln anzustrengen. Die Schmerzen bestätigen mir, daß ich einiges geleistet habe (und körperlich nicht ganz auf der Höhe bin). Ich muß wohl mein Trainingsprogramm verschärfen. Fit bleiben reicht nicht, ich muß stärker werden. Morgen fange ich damit an. Heute will ich mich noch ein bißchen schonen. Zu müde zum Schlafen. Voller Unruhe. Seit elf Tagen in diesem aufgewühlten Labyrinth. Schon fühle ich mich wie eingepfercht, dabei liegen noch weitere neunundvierzig bis fünfzig Tage vor mir. Jetzt schon durchzudrehen, wäre reichlich verfrüht. Damit sollte ich besser noch warten, bis es Zeit wird auszubrechen. Wenn wir uns freisprengen und in die erste Warpschleife steuern, macht das Ausflippen erst richtig Spaß. »Geduld kennt die größte Freude«, sagt der Tamos. Die frommen Sprüche haben sich mir offenbar tief eingeprägt, obwohl sie nichts weiter sind als billige Allgemeinplätze. Na schön, ich will mich in Geduld üben. »Töricht ist, wer geduldig lernt und dann voller Ungeduld das Erlernte anzuwenden
versucht.« Siehst du, was ich meine, Selbst? Natürlich. Du bist schließlich meine Lerninstanz und stellst mich gerade wieder auf die Probe, wie ich vermute. Ist wohl einer deiner Tricks, mich bei Verstand zu halten. Dagegen habe ich auch nichts; mich ärgert nur zu erkennen, wie angewiesen ich auf diese Tricks bin. Sie erinnern mich an meine Knackpunkte. Kannst ruhig weitermachen, aber nicht länger als nötig. Bitte. 7039 - 9.3. Wir sind von einem Radar eingefangen worden. Da stecken welche in den Warpbänken und tasten seit einer Stunde die Gegend ab. Windy fliegt im Schatten des dicksten Brockens, den sie finden konnte, aber der ist zu klein. Noch halten sie sich auf Abstand, haben allerdings die Tastfrequenz erhöht. Sie scheinen neugierig geworden zu sein und wollen wissen, was sich da zwischen Trümmern und Staub sonst noch bewegt. Windy sucht im Winkel von hundertachtzig Grad nach einem größeren Versteck, kann aber keins auftreiben. Blindekuh im Steingarten. Wir warten. Den nächsten Schritt müssen die anderen machen. Sie ziehen ab, in die Richtung, aus der wir gekommen sind. Könnte ein Trick sein. Ruhig bleiben. Verschwunden. Seit vier Stunden kein Zeichen von unserem aufmerksamen Freund. Wir forcieren das Tempo ein wenig und halten die Augen auf. Seit einer Stunde in voller Manövriergeschwindigkeit. Der Scanner ist vor fast sechs Stunden abgetaucht. 7039 - 10.3. Er ist wieder da; es sei denn, ein anderer hat uns entdeckt, was ich aber kaum glauben kann. Wir haben uns jedoch hinter einem Asteroiden verschanzt, der dreimal so groß ist wie unser Schiff. Problematisch ist nur, daß wir uns jetzt auf den Distanzsensor verlassen müssen, den Windy ausgefahren hat. Wenn der Scanner die Gegend nur routinemäßig abtastet, haben wir das Pech gehabt, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. Wenn wir uns aus dem Staub machen können und stellen dann später fest, daß sie wieder aufkreuzen, wissen wir genauer Bescheid. Uns bleibt nichts anderes übrig, als zu warten. Der Scanner ist von seinem Kurs nicht abgewichen und wieder in entgegengesetzter Richtung abgetaucht. Sollen wir noch länger warten? Oder fliehen? Wir suchen das Weite. Windy, leg dich ins Zeug, schieb ab, so schnell du kannst. Wenn man Spielchen mit uns treiben will, wollen wir's ihnen so interessant wie möglich machen. Für die nächsten achtundvierzig Stunden rate ich zu einem Zickzackkurs im Winkel von mindestens zwanzig Grad. Windy, leg alle halbe Stunde einen Schlenker ein, falls genügend Platz zur Verfügung steht, und wenn ein größerer Fels vor uns liegt, richte den Mikrostrahl darauf, um eine möglichst breite Reflektion zurückzustreuen. Das Evak-Programm bringen wir erst im äußersten Notfall ins Spiel; dann werden wir sehen, was die andere Seite zu bieten hat. Ich werde jetzt ein bißchen schlafen. Wenn's ernst wird, will ich ausgeruht sein. Irgendwie macht mir die Sache Spaß, Windy. Es geht nichts über eine kleine Aufregung, wenn das Leben allzu öde wird.
7039 – 13.3. Zwei Tage ohne Kontakt. Aber dann, kaum daß wir den Normalbetrieb wiederaufgenommen haben, schickt uns Fara in ihrer unendlichen Güte dieses mysteriöse Etwas über den Weg. Ein unbekanntes Flugobjekt, auf parallelem Kurs, dreimal langsamer als wir, ohne Rück-Scanner. Es hat von uns keine Notiz genommen. Wenn doch, scheint es auf Ausweichmanöver verzichten zu wollen. Windy, gib mir freie Sicht, wenn wir in Reichweite sind. Oder besser noch: Geh auf gleiche Geschwindigkeit zurück und schick eine Drohne rüber. Bevor wir näher rangehen, will ich das Schiff genauer inspiziert haben. Carpath-Frachter. Klasse acht oder neun, wie's aussieht. Lädiert. Im Flug zusammengeflickt. Es scheint, als habe ein Laser einen Teil des Hecks abgeschnitten. Carpath-Frachter sind selbst im neuen Zustand häßlich. Dieses Exemplar sieht aus wie die Mutter alles Häßlichen. Von ihren zehn Triebwerken funktionieren offenbar nur vier. Stotternder Protonenausstoß; das Ding verliert weiter an Geschwindigkeit. Näher ran, Windy! Mal sehen, ob irgendeine Kennung auszumachen ist. Ich will mich zwar nicht aufspielen, aber einen solchen Schrotthaufen durchs All fliegen zu lassen, ist ein Verbrechen gegen die Natur. Je mehr ich sehe, desto weniger gefällt mir der Anblick. Zerkratzt, angesengt, ramponiert. Das Ding müßte längst verschrottet sein. Bundeskennung! Verflucht, das ist ein Schiff von uns. Frage: Wer steckt darin? Freund oder Feind? Was glaubst du, Windy? Sollen wir einen Funkruf rüberschicken und schauen, was passiert? Oder sollten wir lieber schnellstens abhauen? Wir funken. Die Frage war natürlich nur rhetorisch, gell, Selbst? Pflicht, Ehre, Gewissen und so weiter. Schließlich könnte ich ja in dem Ding stecken. Oder Morrizon. Oder der verschollene Mikkl'ggulls. Okay, Windy, schick ihnen eine Kurzwelle auf dreifacher Bandbreite rüber mit dem üblichen Hilfsangebot. Zwanzig Minuten, und immer noch keine Antwort. Windy, die zweite Meldung: An Bundesfrachter, Koordinaten: 22181-00397, Vektor B-Farkon 184.19:11 lateral, 201.07:48 Standard. Hier ist der Diplomatenkreuzer Windhover. Wir haben Sie im Visier und stellen mittlere bis schwere Schäden an Ihrem Schiff fest. Bieten Hilfe an oder werden die nächste Bundesbasis per Komm-Relais über Ihren Zustand unterrichten. Erbitten sofortige Antwort. Dieser Sektor der Warpbänke wird von einem oder mehreren fremden Schiffen überwacht. Warnung. Funk den Spruch rüber, Windy. Wir geben ihnen zehn Minuten für eine Antwort. Richte dich darauf ein, einen weiten Bogen um das Ding zu schlagen, und zwar mit voller Geschwindigkeit. Wenn sie die Antwort verweigern oder komisch werden, will ich weg sein, bevor sie uns orten. Hol die Drohne über die Tangente zurück, wenn wir durchstarten, aber brems bloß nicht ab. Sie kann uns eine Weile folgen, und wenn's allzu kritisch wird, geben wir sie halt auf. Nur kein Risiko eingehen, um die Drohne zu retten. Das Evac-Programm steht in Bereitschaft. Warte. Sie zünden die Lagedüsen und versuchen beizudrehen. Die Hauptriebwerke sind ausgefallen. Ich glaube, gleich kommt die Antwort.
7039 – 14.3. Kriegsverletzt. Zwei schwer bzw. kritisch und drei leicht. Habe die beiden ernsten Fälle in die Verjüngungszelle gesteckt. Die anderen werden warten müssen, bis sie an der Reihe sind. Da haben wir uns eine krumme Mannschaft aufgehalst, Windy. Der Pilot, FödFraKpt. Gosek Ralugeristanosionoster-mon, scheint's nicht mehr lange zu machen. Daß er überhaupt noch lebt, ist ein Wunder. Der Cinq-PAC Beobachter hat eine Menge Federn lassen müssen und so viel Kreislaufflüssigkeit verloren, daß er noch eine Weile am Tropf hängen wird. Unsere drei Beithurun-Soldaten, FödKommandant Teever Loze und seine zwei Korporale, dürften sich bald erholt haben. Teever Loze will mir ihre Geschichte erzählen, sobald sie sich ausgeruht haben. In der Zwischenzeit werde ich noch mal auf den Schrotthaufen rübersteigen und den Selbstzerstörer aktivieren. Paß auf unsere Patienten auf und gib acht, daß uns keine unangemeldeten Besucher überraschen. Ruf mich, wenn was passiert. 7039 - 15.3. Um Kpt. Gosek steht's immer noch schlecht. Sehr schlecht. Zu viele Organe streiken gleichzeitig. Die Verjüngungszelle sorgt für ein Gleichgewicht von Flüssigkeit, Stimulanz, Ernährung, Medikamentierung und Temperierung. Der Fehlermelder piept mit der Monotonie eines Metronoms. Wir haben uns daran gewöhnt; was wir hören, sind seine Herztöne. Unser zweites Sorgenkind, Alvin, Baris-lon-Jelvo, hat ein umwerfendes Gemüt. Wir werden ihn wohl bald aus der Zelle entlassen können. Er beklagt sich ständig, will besseres Essen, Bewegung, neue Federn und Cusith-Symphonien hören. Die Federn werden wahrscheinlich nachwachsen, aber eins seiner Räder bleibt wohl auf Dauer unbrauchbar. Teever Loze sagte, daß Alvin sein Rad verletzte, als sie auf die Fähre zugejagt waren. Alvin hatte Kpt. Gosek wie einen Säugling in den Schwingen gehalten, während Krp. Zeewilt auf der Rückentrage ritt und für Deckung sorgte. Das Terrain war zu holprig für schnelles Rollen, und als Alvin in ein Schlagloch geriet, schleuderte es ihn und den Kapitän vier Meter hoch durch die Luft. Weil er den Kapitän hielt, konnte er die Flügel nicht öffnen, um den Sturz abzufangen, und so stürzte er mit der Last der beiden Kameraden auf das linke Rad. Teever Loze und Kpl. Moot mußten sie, einer nach dem anderen, dreißig Meter weit zur Shuttle tragen. Zeewilt und Kpt. Gosek waren besinnungslos, und Alvin litt derart unter Schmerzen, daß er mit ohrenbetäubendem Lärm aus seiner Pfeife schrillte. Diesen Effekt hatten Alvins Schmerzenspfiffe zum Glück auch auf die Verfolger, die ihre Waffen fallen ließen und entsetzt die Hände vor die Ohren schlugen. Den Flüchtigen blieb jetzt genug Zeit, die Fähre zu erreichen und abzuheben. Als sie wieder an Bord des Frachters waren, wurde Kpt. Gosek mit Wachmachern zum Leben erweckt, mit Anästhetika besprüht und soweit aufgepäppelt, daß er das Schiff steuern konnte. Teever Loze und Krp. Moot versorgten alle Wunden, so gut es ging, und halfen dann Alvin, die gebrochenen Speichenknochen zu richten. Das Pleuhockle-Rad steht am Ende der für die Physiologie wohl interessantesten evolutionären Spezialentwicklung und ist entsprechend kompliziert aufgebaut. Sieben gebrochene Speichenknochen und die jeweiligen Felgengelenke zu richten — wobei nur der Tastsinn und Alvins Gespür verläßliche Hilfe boten —, erforderte äußerste Präzision. Glücklicherweise waren die Nabengelenke nur geprellt. Die Speichen wachsen schon wieder zusammen. In Zukunft wird Alvin wieder rollen können, wenn auch nicht mit jener Eleganz,
die Pleuhockles im allgemeinen auszeichnet. Aber er ist immerhin dankbar, überlebt zu haben. Windy führt uns auf der ersten Stufe des Evak-Programms. Goseks Frachter ist von einem Zerstörer der Wring-Connection angeschossen und bis in die Warpbänke verfolgt worden. Ich habe den Selbstzerstörer so eingestellt, daß das Schiff am Rand der Bänke explodiert. Derweil sendet der Notruf verzweifelte Schreie aus. Wenn sie das Wrack orten, werden sie die Suche vielleicht einstellen. Vielleicht aber auch nicht. Wir sind gut beraten, so lange wie möglich in den Untiefen zu verharren, und dann über die kurze Distanz zur Bundesbasis 2112 durchzuwarpen. Solange wir in den Untiefen stecken, wäre ein Funkruf zu riskant. Wir können nur zu Fara beten (oder zur entsprechenden Gottheit der Carpather, Pleuhockles und Beithurunesen), daß diese Bundesbasis besetzt ist. FödKommandant Teever Loze hat auf Faarkon-Bet eine der Rückzugstruppen angeführt. Alvin war als neutraler Beobachter mit von der Partie. °Die WringConnection startete ihr Bombardement, als Loze gerade dabei war, die Einheiten an Bord des letzten TruppenShuttles zu bringen. Kpt. Gosek erlitt einen Beinbruch und wurde von einem Richtstrahl angesengt, als der Angriff losging. Kpl. Zeewilt stolperte über Gosek beim Versuch, die Rampe zu erreichen. Es mag verrückt erscheinen, aber die Wring-Connection legt sich offenbar sowohl mit der Allianz als auch mit der Föderation an. Teever Loze vermutet, daß sich der Bund von allen Basen zurückzieht, bis die Lage überschaubar geworden und Verstärkung angekommen ist. Keine heiteren Aussichten. 7039 - 17.3. Kpt. Gosek hängt am Leben so zäh wie eine Schlange an ihrem Opfer. Sein Zustand ist immer noch kritisch, aber stabil. Morgen werden wir uns aus den Untiefen herausschleichen. Alvin will unbedingt eine Nachricht ins Pleuhockle-System senden, um seinen Leuten die Situation zu schildern. Wir könnten Basis 2112 per Kurzwelle erreichen, müßten aber die Langwelle einsetzen, um eine Relaisstation für Pleuhockle anzupeilen. Daß irgendein Planet im Warp-Ring unser Echo empfängt, erscheint mir zu riskant. Besser wäre es, bis zur Basis vorzudringen und dort den Funkspruch vornehmen zu lassen. Ich kann gut verstehen, daß sich Alvin nützlich machen will, und werde ihn deshalb so taktvoll wie möglich von seinem Vorhaben abbringen. Er ist ein seltsamer Vogel, aber sehr liebenswert. Sie sind alle sehr nett. Teever Loze und seine Männer (und auch Alvin, wenn er sich nicht gerade ausruht) unterhalten mich mit amüsanten Gesprächen. Sie sind allesamt erstaunlich belesen (hast du in deiner Hochnäsigkeit von Soldaten etwas anderes erwartet, Gerard?) und kennen jede Menge Geschichten und Anekdoten, die für Kurzweil sorgen. Die drei Beithurunesen sind wandelnde Anthologien für Gedichte, Fabeln, Volks- und Kriegslieder. Hauptsächlich Kriegslieder. Ich mußte ihnen schließlich klarmachen, daß ich keine weiteren Kriegslieder mehr hören kann. Sie nehmen Rücksicht auf mich, ohne beleidigt zu sein. Um mich als artverwandte Seele zu produzieren, habe ich ihnen von meiner Entdeckung der Eleven-Legende erzählt und die zwei Fundstücke vorgelesen. Sie waren begeistert und berichteten zu meiner Überraschung, daß sie die bescheidene Sammlung ergänzen könnten. Teever Loze und Moot hatten je ein Gedicht beizusteuern, Zeewilt kannte zwei weitere. Wir tippten sie auf beithurunisch in den Barden ein, der vier Variationen über das Gedicht >Das Begehren des Eleven< ausspuckte.
Anschließend legten sie sich schlafen. Ich setzte mich an den Barden und arbeitete mit Hilfe unserer funktionellen Formel eine fünfte Variation aus, die ein Amalgam der vier anderen ist. Meine Bordgäste fanden die Standardübersetzungen ein wenig zu holprig. Ich bin gespannt, wie die neue Version bei ihnen ankommt. Ich werde sie ihnen morgen als eine Art Geschenk vorlegen, bevor wir die Untiefen verlassen und in die Gefahrenzone eintreten. Jetzt will ich mal nach Kpt. Gosek und Alvin sehen und dann selber zu Bett gehen. Der morgige Tag könnte ziemlich lang werden. 7039 - 18.3. Meine Arbeit findet Beifall. Sie haben ein paar Verbesserungsvorschläge gemacht und mich damit verblüfft, daß sie alle fünf Standardversionen im Chor aufsagten. Meine kam zum Schluß. Gibt es Schmeichelhafteres? Das Begehren des Eleven »Segne mich mit Bildnissen, zu prächtig, um sie an die Wand oder in den Kopf zu nageln, zu prächtig, um sie in den Rahmen oder auf die Zunge zu zwingen, zu prächtig, um sie einzufangen oder zu berühren«, rief der Eleve. »Ich brauche Raum, von Kumulus-Augen zerlegt, geformt von milden Jahreszeiten, brauche Visionen jenseits von Anblick und Traum.« Der Eleve schöpfte Luft. »Ich brauche einen Grund im Nichts, damit ich ihn berühren kann, den kalten leeren Raum, und weiß, wes Königreich gekommen ist.« Seufzend legte der Eleve den Kopf auf die Brust, ans Ohr sein Herz, und flüsterte den Rippen: »Segne mich mit Bildnissen.« Selbst Alvin gefällt das Gedicht, obwohl er nicht versteht, warum wir so viel Aufhebens darum machen. Ich habe ihm zu erklären versucht, daß dies das dritte Beispiel zur ElevenLegende ist und daß der alte loosanische Philosoph Jake Jasper einmal gesagt hat: »Drei Quarks bilden eine Reihe.« Leider löste ich mit diesem Zitat eine esoterische Diskussion über Quarks, alte Physik und die ihr innewohnende Komik aus. Ich glaube kaum, daß Alvin verstanden hat, worum es mir geht. Oder aber er ignoriert meinen Standpunkt einfach. In
seiner höflichen Art verzichtet er auf Diskussionen über Fragen, die für ihn längst gelöst sind. Wie dem auch sei, aller guten Dinge sind drei, und unsere drei Eleven-Gedichte sind gut. Sobald sich mir eine Gelegenheit bietet, werde ich eine Kopie davon nach Moseen schicken. Ohne Erklärungen oder Anmerkungen — bloß die Verse vom >Begehren des Eleveneinem Kropf voller Körner< zurückgelassen zu haben. Auch mir hat er einen solchen Kropf verpaßt. Er war ganz scharf darauf, sich mit mir unterhalten zu können, oder genauer: in mir einen Zuhörer zu finden, und hat mir von seinem Wohnort erzählt (den er bescheidenerweise >Alvins Bleibe< nennt), von seiner Meinung über die Regierung im allgemeinen und der Föderation im besonderen, von seiner Liebe zur Musik, Kunst und Literatur und davon, wie sehr er den im wahrsten Sinne des Wortes >verflogenen< Tagen seiner Jugend nachtrauert (Pleuhockles verlieren nämlich mit der Reife die Fähigkeit zu fliegen, weil vor allem die Räder zu schwer werden), aber als Erwachsener gelernt hat, auch am Gleitrollen Freude zu finden und so weiter und so fort. Ich versicherte ihm schließlich, die Unterhaltung mit ihm morgen fortsetzen zu wollen, und ging los, um nach den anderen zu sehen. Kpt. Gosek hat sich ein wenig erholt, aber der Arzt meint, daß einige Nervenbahnen aufgrund der Verbrennungen unheilbar zerstört seien und Gosek von Glück reden könne, wenn er wieder auf die Beine käme; zum Piloten würde er wohl nicht mehr taugen. Ich sagte dem Arzt, daß er den alten Mann nicht aufgeben solle und schilderte ihm kurz und bündig, wie Gosek den Frachter schwerverletzt und über Stunden hinweg gesteuert hat. Der Arzt schüttelte bloß den Kopf und verzog sich. Teever Moze, Moot und Zeewilt sind ins Lazarett verlegt worden. Ich werde sie erst morgen nach dem Besuch bei Alvin sehen können. Wahrscheinlich werden die drei immer noch ausgehorcht. Ich sollte die Zeit vielleicht nutzen und dich ein wenig aufräumen, Windy. Unsere Gäste waren zwar, wenn man die Umstände bedenkt, recht ordentlich, aber trotzdem ist eine Menge Dreck angefallen. Nachricht von Alvin:
Ein Pleuhockle-Schiff ist angekommen und fliegt mich nach Hause. Morgen früh werde ich weg sein. Wenn du mal in unser System kommst, schau bei mir vorbei. Du braucht dich nur nach Alvins Bleibe zu erkundigen. Was ich dir schulde, läßt sich kaum begleichen. Zum Dank möchte ich hiermit deine Sammlung bereichern: Drei Quarks bilden eine Reihe Auf der Suche nach Gott, der Vision, dem brennenden Busch und Felsen, jenseits vom Plasma der Bewegung, der Komplexität des Handelns, eifert das Herz der Glaubensangst nach, mystikt Verlangen den Wunsch zu bekennen. Drei Quarks bilden eine Reihe. Auf der Suche nach Freunden, Zuneigung, Anerkennung und Sinn, jenseits von Gestalt und Gesten des Gewebes aus Wörtern, hält sich Abhängigkeit an das Bedürfnis, kurzsichtigt Erfüllung die Makel der Bindung. Drei Quarks bilden eine Reihe. Auf der Suche nach der großen Liebe, dem Seelengefährten, der Vollendung von Herz und Verstand, Jenseits von osmotischem Eros, der geistigen Einheit, befruchtet Imagination das kosmische Zentrum, quantet die Kraft die ungesehene Leere. Drei Quarks bilden eine Reihe. Das habe ich für dich geschrieben. Bitte besuche mich, wenn es dir möglich ist. Mit den besten Wünschen, Alvin Baris-lon-Jelvo Ich fürchte, Alvins Verse noch nicht so recht verstanden zu haben, bin aber von seinem Geschenk tief gerührt. Wie gerne hätte ich ihn näher kennengelernt. Vielleicht werde ich das eines Tages nachholen können. Wie gehabt: Es scheint das Los von Vertragsdiplomaten zu sein, kurze, intensive Beziehungen zu knüpfen, um dann wieder weiterzuziehen. Liegt das an der Natur des Berufs oder womöglich an dir, Gerard Manley? Ich erinnere mich an Lelouchs berühmten Einakter >Flüchtige BegegnungHausgöttin< degradieren, die nur für kleinere Gefälligkeiten und Tröstungen gut ist? Soll ich nach deinen Vorgesetzten suchen? Wo könnte ich sie finden, wenn es sie gibt? Und was haben sie für das Universum getan? Fara, hilf.
Wenn du kannst. Für heute werde ich Schluß machen, Windy, denn es ist Zeit, zur Traumtherapie zu gehen. Schön, wieder reden zu können, auch wenn's bloß wirres Zeug ist, was ich von mir gebe. Bald werden wir zu neuen Abenteuern aufbrechen, und daß ich bald wieder bei dir bin, freut mich besonders. Du bist mein Zuhause. 7039 - 22 . 11. Heute ist mein Glückstag. Über den Umweg von DAZM-17 sind zwei Botschaften von Moseen eingetroffen. Die erste und längere ist eine Nachricht von ShRil und dem Professor, in der sie mir herzlich danken für meine Forschungen und die Gedichte kommentieren, die ich ihnen geschickt habe. Besonders gut gefällt ihnen >Die Suche des ElevenPleasance-iten< — eine reichlich umständliche Bezeichnung, aber keiner weiß, wie sie sich selber nennen. Wenn sie einen Namen für sich haben, wird er übersetzt bestimmt >das Volk< lauten. Egal wie sie heißen, wir werden sie sehen und hoffentlich auch mit ihnen >reden< können. Vielleicht machen wir einen interessanten Fund, der in unsere Sammlung paßt. Wir werden um 18:30 aufbrechen und müssen am 1. 12. um 24:00 wieder zurück sein. Aber vielleicht kommt ja was dazwischen, das uns zu einem verlängerten Aufenthalt zwingt. Wenn wir rechtzeitig losfliegen wollen, muß ich jetzt mein Geplappere einstellen und die
Checkliste durchgehen. Unterwegs. Ich fürchte, ich bin kein guter Patient, denn ich weiß am besten, was mir fehlt: der ganz normale Alltag. Doktor Flo und ihre Kollegen halten mich nach meinen Erlebnissen auf Asrai für schockgeschädigt, aber anstatt mich so schnell wie möglich wieder in den Alltag zu entlassen, halten sie mich wegen meiner Alpträume für durchgedreht, erschöpft und lebensuntüchtig. Na schön, auch sie machen Fehler, aber ihre Motive sind durchaus löblich. Ich bin sicher, daß sie sich sehr um ihre Patienten kümmern und sie wie Personen zu behandeln versuchen. Ich bin da keine Ausnahme. Mehr will ich zu diesem Thema nicht mehr sagen, Windy. Wir sollten jetzt den Barden einschalten und uns ein wenig vergnügen. Von C.P.O Largsznkyte, einem der Patienten und Schüler von mir, habe ich ein Gedicht, das er 7019 während des Tun'Tean-Krieges in seiner Muttersprache, dem Txizkyl, verfaßt hat. Er kann es nicht in die Standardsprache übersetzen und bat mich, das für ihn zu erledigen. Er ist eine so sympathische Spinne (nun, keine Spinne im eigentlichen Sinne, sondern nur dem Aussehen nach), daß ich ihm die Bitte nicht ausschlagen konnte. Bis zur Ankunft bleiben uns nur noch fünf Stunden Zeit. Tun wir also unser Bestes. 7039 - 29. 11. Es gibt nichts Schöneres, als einen Ort zu erreichen, in dem alles schläft. Sogar die Kontrollstation scheint uns nicht registriert zu haben. Egal. Largsznkytes Gedicht wird uns noch eine gute Stunde beschäftigen, und bevor es losgeht, legen wir uns für ein paar Stunden ins Bett. Kein Wunder, daß Largsznkyte das Gedicht nicht übersetzen wollte oder konnte. Die Schlüsselmetapher läßt sich kaum übertragen. Ich mußte eine Analogie erfinden, die etwas Ähnliches zum Ausdruck bringt. Seine Metapher bezieht sich auf eine intellektuelle Übung, während die meine dem Sportbereich entlehnt ist, aber, wie ich hoffe, das Wesentliche trifft. Wenn nicht, werden wir gemeinsam eine andere Lösung suchen müssen oder das Gedicht als unübersetzbar abheften. Auch über die erste Zeile, die ich nach langem Überlegen auf urterranisch wiedergegeben habe, müssen wir uns noch verständigen. Widerhall aus der Arena (zirka 7019) Morituri salutamus. Wir, die hier im Sterben liegen, salutieren dir mehr schlecht als recht, denn wir wollen weder sterben, noch unseren Gruß entrichten, und Ruhm und Ehre, dieser ganze Unsinn langweilt uns. Uns liegt nicht viel an diesem Spiel, es ist uns schnuppe, wir glauben nicht, daß es uns weiterhilft. Viel lieber wären wir Daheim
bei Weib und Wein, voll Jubel für vorüberziehende Soldaten. Denn hier im Feld herumzurennen, durch dieses blutige Getümmel, bringt uns nur um. C.P.O. Nz Largsznkyte Waffenoffizier Bundesschiff St. Kraane, Bundesflotte 163 Jetzt für ein paar Stunden ab ins Bett; dann können wir raus und die Eingeborenen 'treffenDenkgruppenGespräche< werden geführt in Form von kurzen, stilisierten Versen oder Gesängen. Auf die poetisch formulierte Frage, wie sie oder es ihr oder sein Leben unterhalten bzw. unterhält, wurde zum Beispiel folgende Antwort gegeben: Die dunklen Winde heulen durchs Kristall der präformierten Zellen, als wir noch feucht waren und rund, vor Katalysation und Bad und wahrhaft klaren Dimensionen. Alte, scharfe Konturen locken uns. Licht bricht sich in unsrem Verstand wie Licht. Kleine Kristalle vibrieren. Wir lösen uns auf. Es erübrigt sich, darauf hinzuweisen, daß sich keine schnellen Schlüsse ziehen lassen aus dieser Antwort auf die simple Frage nach den Lebensgrundlagen. Ich habe mich bereiterklärt, dem kulturellen Austauschzentrum zu helfen. Du, Windy, wirst ein Programm schreiben, das die Talente unseres Barden auch hier voll zur Entfaltung bringt. Vielleicht wird es dann gelingen, die Antworten der Kristallwesen zu verstehen. Und weil wir mindestens zwei oder drei Wochen benötigen, um das Programm zu schreiben, zu testen und zu modifizieren, dürfte es eigentlich nicht schwer fallen, unsere Rückkehr ins RehabLager entsprechend aufzuschieben. 7039 - 30. 11. Wir haben die Erlaubnis zu bleiben und mitzuhelfen. Direktor Franiingcard wußte die richtigen Hebel zu bedienen und behält uns bei sich, solange wir von Nutzen 'sind. Sie ist ein charmanter Sepoleve. Erinnert mich an einen Kreisel mit Tentakeln und bunten Blinklichtern. Sie spricht Standard, und zwar auf eine wohlklingende, rhythmische Weise, die sehr beruhigend wirkt. Ihre Fragen, Kommentare und kritischen Bemerkungen sind so anregend,
daß ich mich ununterbrochen mit ihr unterhalten könnte. (Da sie einer jener Spezies angehört, die sowohl Samen spenden als auch empfangen können, ist es natürlich streng genommen inkorrekt, Direktor Franiingcard als eine weibliche Person zu bezeichnen. Ihr Auftreten zeugt jedoch von einer Zielgerichtetheit, die grenzenlose Ausdauer und Hartnäckigkeit verrät und meiner Meinung nach spezifisch weiblich ist. Ich werde sie demnächst fragen, ob sie Einwände hat gegen diese Einschätzung.) Du bist bestimmt genauso begeistert wie ich, Windy, aber wenn wir ihrer Fürsprache für uns gerecht werden wollen, müssen wir gleich an die Arbeit gehen und Ergebnisse liefern. Sie ist eine Dame, die ich nur ungern enttäusche. 7039 - 4. 12. Ist dir schon aufgefallen, daß ich, seit wir das Rehab-Lager verlassen haben, kein einziges Mal mehr von Teever Loze geträumt habe? Ich fürchte fast, daß die Therapie dir, mein Selbst, das Traumzentrum durcheinander gebracht hat. Auf jeden Fall danke ich dir herzlich. Allnächtlich den Tod von Teever Loze vor Augen geführt zu bekommen, ist meiner >Wiederanpassung< nicht besonders förderlich gewesen. Jetzt hat Fairy Peg wieder Platz in meinen Träumen. Vergangene Nacht träumte ich, im großen Thronsaal zu sitzen, wo mich Fairy Peg gegen Anschuldigungen verteidigte, die von Vertretern der Hauptversammlung gegen mich erhoben wurden. Ich glaube, man hat mir sogar gedroht, verhohlen zwar, aber deutlich genug. Der Kronrat und die Gabriel-Ratschen spielten sich in den Vordergrund. Ihre Mäuler waren beim Sprechen grotesk verzerrt. Sie waren aufgebracht, streitsüchtig und unversöhnlich. Sie forderten meinen Kopf. Oder mein Blut. Oder zumindest meine Verbannung. Fairy Peg reagierte gelassen, ruhig, beschwichtigend und unbeirrt. Bei ihr konnte ich mich sicher fühlen. Wieder ein Stück für unser Puzzle, Selbst. Je tiefer wir in der Erinnerung kramen, desto weniger verstehe ich. Wie verwoben doch alles ist. Womöglich werden wir diese Zeit niemals richtig aufdröseln können. Aber das Bild gewinnt zusehends an Konturen. Zwei Fragen rücken immer weiter in den Mittelpunkt: Bin ich immer noch Prinzregent, Fairy Pegs Gemahl und Liebhaber? Und warum hat sie mich zurück zum Bund geschickt? Mir fallen natürlich gleich jede Menge anderer Fragen ein, aber denen nachzugehen, führt uns der Lösung nicht näher. Du machst dich gut, Selbst, und ich bin zufrieden mit dem, was du an Puzzlestücken für mich ausgräbst. Meine Sorge um Fairy Peg legt sich allmählich; gleichzeitig wächst meine Neugier. Ich brenne darauf, mehr zu erfahren, so schnell wie möglich. Du tust dein Bestes, Selbst, ich weiß. Laß dich nicht hetzen. Vielleicht hat C'Rinas Geduld ein wenig auf mich abgefärbt. Geduld ist ebenso nötig, um das Programm des Barden auf die Wünsche von Direktor Franiingcard abzustimmen, was schwieriger ist als angenommen. Allein die lexikalischen Eintragungen werden noch zwei oder drei Wochen in Anspruch nehmen. Erst dann können wir die Schnittstelle anpassen. Außer mir scheint niemand in Eile zu sein. Ich werde mich also auf den hiesigen Lebensrhythmus einstellen und in gemächlichem Tempo weiterarbeiten. Ja, ich gewöhne mich langsam ein. Und daß ich wieder gebraucht werde, macht mich glücklich und zufrieden.
7039 - 9.12. Ich sollte mich eigentlich schlafen legen, muß aber ständig an die Jahre im Gefängnis zurückdenken. Damals habe ich viel geschlafen. Fast die ganze Zeit über. Die Mystelerianer haben ein einzigartiges System entwickelt. Viel Schlaf, ein wenig Gymnastik, um uns gesund zu halten, und kleine Denksportübungen. Zeit spielte keine Rolle, bis Gracie kam und uns aus unserem Dämmerzustand aufweckte. Das letzte halbe Jahr ging auf fast angenehme Weise vorüber. Bis auf die Schmerzen, die mich wie Schatten belagerten. Gracie sagte, daß sie bald verschwinden würden, und als es Zeit für mich wurde aufzubrechen, waren sie tatsächlich weg. Ich weiß diese Schmerzen bis heute nicht richtig zu beschreiben und werde wohl nie erfahren, woher sie rührten. Warum rede ich davon? Warum jetzt? Warum vergesse ich diese vergeudeten Jahre nicht einfach? Weil mir damals irgend etwas Teuflisches widerfahren ist. Nein, mit Gracie hat das nichts zu tun. Sie ist selber nur Opfer, von ihren unsterblichen Artgenossen in die Verbannung nach Mysteleria geschickt, aus Zorn über ihr Vergehen, gemeinen Sterblichen ihre Hilfe angeboten zu haben. Aber einen verbitterten Eindruck machte sie dennoch nicht. Im Gegenteil: Während der untere Mund mir die Geschichte ihres Exils erzählte, lächelte sie mit dem oberen. Ich brauche bloß an diese Szene zu denken und fühle mich sofort wohler. Wenn Gracie über ihr Schicksal lachen kann, dürften mich meine Schwierigkeiten auch nicht verdrießen. Merkwürdig, wie sehr mich die Gedanken an Gracie entspannen. Ich glaube, gleich werde ich einschlafen. Gute Nacht. 7039 - 16.12. Wir sind nun schon zwei Tage länger als geplant auf Pleasance, Windy, und ich habe auch in nächster Zukunft nicht die Absicht abzureisen. Die Herausforderung hier macht mir Spaß. Vor ein paar Tagen kam eine Nachricht von Oberst Q. ES't'phons: Ich werde mit Wirkung vom 30. 12. aus dem Militärdienst entlassen. Offenbar ist nach Meinung des Bundes sogar der Reservistenstatus unvereinbar mit diplomatischen Aufgaben, und deshalb wird mit Jahresfrist meine Zeit als Soldat beendet sein. Gut so. Ich habe dem Oberst geantwortet und ihn gebeten, mein Soldbuch auszufüllen. Wenn ich die Daten dann habe, werde ich sie auswerten und über weitere Schritte entscheiden. Hoffentlich sind die Eintragungen nicht in militärischem Kauderwelsch abgefaßt; wenn doch, wird mir Direktor Franiingcard bestimmt bei der Entschlüsselung helfen. Sie versteht sich gut darauf, unter wirrem Geschwafel das Wesentliche aufzudecken. Vor ein paar Tagen kam sie ins Labor gerollt, schaute sich alle neusten Ergebnisse auf einmal an (erstaunlich, wie sie das schafft) und hatte nach dreißig Minuten fünf Fälle tangentialer Divergenz entdeckt, die uns nicht weiterführen. So kennt man sie. Ich habe ihr vorgeschlagen, sie solle sich doch einen anderen Titel zulegen: Doktor Quintessenz. In Antwort pulsierten ihre Blinklichter tiefblau, woraus ich schließen konnte, daß ihr meine Bemerkung gut gefiel. Allerdings sagte sie, daß, wer sich beim Vorgesetzten einzuschmeicheln versuche, meist mangelhafte Arbeit zu kaschieren habe. Ich gab ihr recht und bat um Entschuldigung mit dem Hinweis, daß ich bloß ein glückloser Diplomat ohne besondere Fähigkeiten bin, der in anderen die Größe sucht, die er bei sich selber nicht finden
kann. Sie ließ ein tief surrendes Schnaufen verlauten, ein pfefferminzgrünes Licht aufblinken und rauschte aus dem Labor. Ich fürchte, mein ernst gemeintes Kompliment hat sie verlegen gemacht (wenn das überhaupt möglich ist), und meine Entgegnung auf ihre Stichelei war nicht gerade dazu angetan gewesen, die Situation zu entkrampfen. Trotzdem glaube ich, daß der Respekt und die Bewunderung, die wir füreinander empfinden, weiter zugenommen haben. Galley, der erste Labortechniker, sagte, daß er sie noch nie so zufrieden erlebt habe; ich solle aber vorsichtig sein, da sie erst neu im Amt und noch unerfahren im Umgang mit Fremden sei. Weil ich ihm nicht glauben wollte, erklärte er mir, daß Direktor Franiingcard für sepolevische Verhältnisse gerade erst erwachsen geworden ist (trotz ihrer dreihundert Jahre!) und deshalb von den Älteren, die über ihre weitere Karriere entscheiden, kritisch beäugt wird. Ich war sprachlos. Unsere durchschnittliche Lebenspanne von zweihundert Jahren fällt dagegen vergleichsweise kurz aus, nicht wahr? 7040 – 7.1. Die lexikographische Arbeit ist abgeschlossen. Wir können jetzt auf drei Referenz- und Inferenzebenen verfahren. Direktor Franiingcard ist glücklich und beeindruckt von der Anwendbarkeit des Bardenprogramms. Wir haben noch ein paar neue Techniken entwickelt, um den Barden sowohl mit weiterem Vokabular als auch mit zusätzlichen Übersetzungsregeln zu füttern. Morgen beginnt Phase eins der Schnittstellenanpassung. 7040 — 11.1. Phase eins der Schnittstellenanpassung ist voll in die Hose gegangen. Es lassen sich zwar einfache Aussagesätze fehlerlos hin und her übersetzen, aber alles andere führt zu einem bruchstückhaften Unsinn aus unvollständigen Parenthesen und Fragen sowie logisch falschen Syllogismen. Direktor Franiingcard glaubt, daß Phase zwei der Schnittstellenanpassung diese Fehler korrigiert, und macht uns Mut. Ich habe allerdings meine Zweifel. Wer von uns recht hat, wird sich bald herausstellen, zumal Phase zwei ein rein mechanischer Prozeß ist und nur einen Tag in Anspruch nimmt. Bisher ist alles glatt verlaufen. Um so mehr frustriert es, wie schlecht die Angleichung der kritischen Syntax gelingt. Als ich noch ein Kind war und an der Seite meines Vaters zu programmieren gelernt habe, sagte er immer, wenn irgend etwas schiefging: »Die Glitschen sind los, die Glitschen sind los! Beeil dich, Gerry, und hol den Käfig, damit wir sie wieder einfangen können!« Welcher Käfig gemeint war, weiß ich his heute nicht. Trotzdem habe ich jede Menge Glitschen, die sich in Programmecken versteckt halten, gefangen und verscheucht. Jetzt scheinen wieder einige Glitschen los zu sein. Windy, du übernimmst Papas Rolle, und gemeinsam werden wir die kleinen Biester zur Strecke bringen. 7040 - 13.1. Direktor Franiingcard hat zum Teil recht behalten. Als wir Phase zwei der Schnittstellenanpassung vornahmen, fielen einige Probleme weg. Jetzt kann auf die restlichen Glitschen Jagd gemacht werden, und das scheint ein Kinderspiel zu sein. Cheftechniker
Galley und seine Leute sind bereits auf dem Weg zum Erfolg. Wir, Windy, halten uns in Bereitschaft, für den Fall, daß wir gebraucht werden. Endlich habe ich von Oberst Q. ES't'phons eine detaillierte Auflistung meiner jüngsten Dienstverpflichtungen und Kreditpunkte erhalten. Hatte ich es doch geahnt! Dieser Datensalat läßt sich nur mit Hilfe dechiffrieren. Warum muß denn immer alles so kompliziert sein? Ich glaube, ich sollte mir wirklich alle Kreditpunkte auszahlen, mir den Preis für Windy davon abziehen lassen und dann einen neuen Auftrag annehmen. Wenn ich dazu einen neuen Vertrag unterzeichnen muß, tue ich das halt. Obwohl mir das Übersetzen und Programmieren hier sehr gefällt, fühle ich mich doch unwohl, nicht das zu tun, wofür ich ausgebildet worden bin. Die Vertragsdiplomatie ist zwar kein besonders angesehener Beruf, aber den habe ich einmal und darauf verstehe ich mich, bin sogar stolz darauf. Ich will meine Arbeit wieder aufnehmen. Na, stärke ich so mein Selbstbewußtsein, Selbst? Oberst Q. ES't'phons sagt, daß er einen Auftrag für mich hat, der am 1. 5. anzutreten ist und sehr interessant zu sein verspricht. Mehr hat er nicht durchblicken lassen, aber das ist mir egal. 7040 - 15.1. Phase zwei ist fast abgeschlossen; es müssen nur noch ein paar kleine Korrekturen vorgenommen werden. Jetzt gilt es, den größten Brocken zu bewältigen und die Schnittstelle zum Einsatz zu bringen. Die Techniker haben schon angefangen, und heute nachmittag werden wir, Windy, sicherlich bis zum Hals in der Arbeit stecken. Wenn nichts dazwischenkommt, können wir spätestens am Fünfundzwanzigsten den ersten Probedurchlauf starten. Eine lange, lange Nachricht von ShRil. Entschuldigungen, nicht früher geantwortet zu haben (seit meinem >KörpersprachenUniversale Legenden und Literaturen< stattfindet, um dort über unsere bisherigen Entdeckungen zu berichten. Für ShRil bedeutet das eine große Ehre, und sie ist schon ganz aufgeregt. Der Bund hat offenbar keine Einwände gegen ihren langen Dienstausfall (zumal sich Sir Dan und der Professor dafür einsetzen), und so werden ShRil und der Professor für die nächsten Monate damit beschäftigt sein, die Präsentation vorzubereiten. Ich bin sehr, sehr stolz auf sie. Und froh, daß sie für ihre Arbeit Anerkennung findet. Froh bin ich auch über ihre Reaktion auf >Körpersprache< — nicht überschäumend glücklich, aber froh. ShRil hält sich mit ihren Gefühlen sehr zurück. Durch kleine versteckte Anspielungen verrät sie mir jedoch, daß sie einsam ist und sich nach mir sehnt, wenn sie zum Beispiel in ganz nüchternem Ton darauf hinweist, wie gut und eng wir miteinander gearbeitet haben und daß eine solch gelungene Kooperation wohl ein Glücksfall sei. Weil wir — soweit ich mich erinnere — in der gemeinsam verbrachten Zeit nur wenig gearbeitet haben, glaube
ich, daß sie mit >Kooperation< etwas anderes meint. Am Ende ihrer Nachricht steht ein sylvanisches Sprichwort: »Gute Freunde, und seien sie noch so weit weg, sind immer zur Stelle.« Ah, ShRil, auch du bist immer ganz nah bei mir. 7040 - 16.1. Habe auf ShRils Nachricht geantwortet, ihr herzlich gratuliert, Mut gemacht und sie meiner Liebe versichert. Ja, Liebe. Ich kann meine Gefühle nicht so gut zurückhalten. 7040 - 22.1. Die Arbeit an der Schnittstelle ist erledigt. Morgen lassen wir den ersten Probedurchgang laufen. Zugegeben, ich bin ziemlich nervös, Windy. Wir haben volle sieben Wochen Arbeit investiert und dabei die Hälfte des Laborpersonals sowie die meisten Computer mit Beschlag belegt, um bis an diesen Punkt zu kommen. Ich zweifle nicht daran, daß sich akzeptable Ergebnisse erzielen lassen, würde mir aber mehr als das wünschen. Die Leute hier sollen begeistert sein von unserem Erfolg. Das klingt nicht gerade bescheiden, Selbst, aber immerhin geht's um unser Programm und somit auch um unsere Reputation. Vor allem möchte ich mich jedoch ganz herzlich bei Direktor Franiingcard bedanken, denn sie hat uns geholfen, den Klauen des Rehab-Lagers zu entkommen. Sie machte uns das Geschenk der Arbeit, und Arbeit ist der beste Weg zur Genesung. 7040 – 23.1. Das Universum ist eine nie versiegende Quelle der Überraschung. Wir konnten sehr beachtliche Ergebnisse erzielen, die jedoch ganz anders als erwartet ausgefallen sind. Wir haben im ersten Probedurchlauf zehn >Gedichte< des Kristallmeeres übersetzen lassen. Dabei herausgekommen sind nicht etwa Verse, sondern Gleichungen und Formeln, ein für mich völlig unverständliches Zeug, aber Direktor Franiingcard startete zu einer fulminanten Light-Show, als die ersten Ergebisse zum Vorschein traten. Sie rollte frohlockend im ganzen Labor umher, winkte mit den Tentakeln und strahlte auf in allen Farben. Dabei gab sie ein ununterbrochenes, tiefes und sinnliches Brummen von sich. Mit jeder neuen Übersetzung, die auf dem Bildschirm auftauchte, wurde ihr Brummen lauter, schwungvoller, und die Lichtblitze folgten in immer kürzerem Abstand aufeinander. Das Beeindruckendste waren nicht die Übersetzungen, sondern ihre Reaktionen. Wenn ihre Erregung typisch für Sepoleven ist, wie mag es dann erst zugehen, wenn sie sich paaren? Wenig später hat sie sich wieder gefaßt, unser Erstaunen über sie ignoriert und gefordert, alle aufgezeichneten >Gedichte< durchlaufen zu lassen. Dann rollte sie in sprühendem Blinklicht davon. Cheftechniker Galley und ich sind von Direktor Franiingcard zum Abendessen eingeladen worden. Wahrscheinlich werden wir im privaten Rahmen ein bißchen feiern, und wenn ich jetzt nicht mit dem Schwätzen aufhöre und mich anziehe, komme ich noch zu spät. Wir sind mit Lob überschüttet worden, Windy. Es wurde in der Tat gefeiert, aber nicht nur ein bißchen und beileibe nicht privat. Direktor Franiingcard hat eine Videoverbindung geschaltet mit dem kulturellen Austauschzentrum von Vance (was sie wer weiß nicht wie viele
Kreditpunkte gekostet haben mag), und die Generalsekretärin des Zentrums (ebenfalls ein Sepoleve) hat uns höchstpersönlich zu unserer Arbeit gratuliert. Sie wollte das Programm nach mir benennen, aber ich empfahl ihr eine passendere Bezeichnung: das WindhoverManley-Barden-Programm für interkulturelle Übersetzungen. Und unter diesem Namen wird es in die Geschichte eingehen. In einem Monat erhalten wir noch eine offizielle Belobigung (wovon natürlich auch eine Kopie an den föderativen Diplomatendienst geht). Wir können stolz auf uns sein, Windy. 7040 – 24.1. Zum gestrigen Abend ist noch einiges nachzutragen. Nachdem die Videoverbindung abgeschaltet war, haben wir, Direktor Franiingcard, Galley und ich, in privater Runde weitergefeiert. Galley wird auf den Posten des Laborleiters befördert. Sein Einsatz und seine Fachkenntnisse sind, wie ich selber bestätigen kann, vortrefflich und unentbehrlich. Wie ich einigen Bemerkungen entnehmen konnte, wird unser Erfolg auch für Direktor Franiingcard positive Folgen haben. War es wirklich unser Erfolg, Windy? Im Grunde haben wir — mehr oder weniger zufällig — nur eine Lücke gefüllt im Bereich der mathematischen Linguistik, und zwar unter Verwendung eines nichtmathematischen Programms. Alle früheren Versuche, die mit mathematischen Mittel durchgeführt wurden, sind offenbar weniger erfolgreich gewesen. Direktor Franiingcard vermutete schon lange, daß die Kristallmeer->Gedichte< Formeln und Gleichungen sind, und war sich dessen sicher, als sie zum ersten Mal unser Lexikon sah, das aus lauter Zahl/Symbol/Zeichen Wörter besteht. Sie wußte von Anfang an, daß wir uns auf dem richtigen Weg befanden, hielt sich aber mit ihren Kommentaren zurück aus Sorge, uns einen mathematischen Ansatz einreden zu können. Das erklärt auch, warum wir die Syntaxprobleme in Phase eins hatten und warum in Phase zwei die meisten dieser Probleme ausgeräumt werden konnten. Zu diesem Zeitpunkt war Galley bereits in das Geheimnis eingeweiht; er hat die Glitschen weggeputzt, die der mathematischen Syntax im Weg standen. Die endgültige Schnittstellenanpassung war nur noch ein Kinderspiel, zumal die funktionalen Formverfahren des Barden nun zum Einsatz kommen konnten. Galley und Direktor Franiingcard waren vor dem Probelauf die ganze Nacht über auf, um alle Vorarbeiten noch einmal zu überprüfen und sich auf eventuell auftauchende Probleme einzustellen. Erst als sie so gut wie sicher sein konnten, daß die Sache klappen würde, haben sie die Zentrale informiert und um Erlaubnis gebeten, eine Videoverbindung mit dem Generalsekretariat herstellen zu dürfen. Ich bin wirklich froh, daß ich von alledem nichts wußte, Windy. Hätte ich geahnt, was auf dem Spiel steht, wären mir vor dem ersten Probedurchlauf bestimmt die Nerven durchgegangen. Direktor Franiingcard hat das vorausgesehen. Deshalb ließ sie mich im Ungewissen. Wenn der Probedurchlauf fehlgeschlagen wäre, hätten wir uns ohne den enormen Druck von außen an die Fehlersuche machen können. Was wieder einmal heweist, Windy, daß Unwissenheit manchmal ein Segen sein kann. # #Windy wußte Bescheid. # # WAS? ##Windy wußte Bescheid.## Drück dich klarer aus! Worüber wußtest du Bescheid und seit wann? Und warum mischt du dich in meine Tagebuchaufzeichnungen ein, ohne dazu aufgefordert worden zu sein?
# #Sollen die Fragen detailliert beantwortet werden? # # Nein. Mir kommt's nur auf das Wesentliche an. ##Cheftechniker befahl nach Arbeitsgang 8073-122, den mathematischen Ansatz fallenzulassen. Windy fragte nach dem Grund. Erklärung war logisch. Windy führte Befehl aus. Resultate waren wie erwartet. # # Und du hast mir nichts davon gesagt? ##Windy wußte Bescheid.# # Warum hast du mich nicht eingeweiht? # #Befehle. Windy wußte Bescheid. # # Mehr hast du dazu nicht zu sagen, du tückisches Miststück? # #Windy wußte Bescheid. Ende der Durchsage. # # Das will ich dir auch raten. Daß ausgerechnet du dich gegen mich verschwörst, hätte ich nie für möglich gehalten. Was hältst du davon, Selbst? Unsere Windy handelt einfach auf eigene Faust. Ich kann's kaum fassen! Wem soll man da noch trauen? Schon gut, Windy. Ich bin jetzt im Bilde. Du hast mich nur zu schützen versucht und wußtest, wie sehr ich deine Hilfe brauche. Für einen elektronischen Lötkasten bist du wirklich eine ganz besondere Dame. 7040 - 2.2. Die Silikoniten. So haben wir die intelligenten Kristallmeere genannt. Der Name klingt vielleicht ein wenig aufgesetzt, zumal sie, die Kristallmeere, keinen eigenen Begriff von sich haben (nicht einmal >das Volkäußerst unbescheidenen< — Kreditforderungen und zukünftigen Einsätze zu diskutieren. Die schönste Nachricht kam von Direktor Franiingcard, die mir heute morgen mitteilte, daß ich vom Zentrum für kulturellen Austausch ein Forschungsstipendium verliehen bekommen habe (und zwar für die bereits geleistete Programmarbeit). Die zu erwartende Summe entspricht etwa der, die ich noch für Windy abzuzahlen habe. Ich weiß nicht, wie Fran soviel hat lockermachen können. Aber jetzt, Windy, bin ich mit einem Schlag meine Schulden los, kann die rückständigen Gehälter einstreichen und einen neuen Einsatzauftrag annehmen. Ich bin wieder im Dienst, und du kannst dich auch wieder nützlich machen. Reich und berühmt werden wir von hier aufbrechen. Nicht schlecht für jemanden, der als Soldat mit zerrütteten Nerven eingeliefert wurde. (Ich sage allzu oft >nicht schlechtkörperlosen, intelligenten Wesen< — so die Bezeichnung des Bundes für das, was gemeinhin unter Geistern verstanden wird. Geister von allen Ecken und Enden des Universums. Die Föderation glaubt natürlich nicht an Geister und hat sich deshalb eine nüchterne Erklärung ausgedacht, wie all diese >körperlosen, intelligenten Wesen< nach Quadra gelangt sind. Aber der Oberst meint, daß niemand den wahren Grund kennt, geschweige denn die Frage zu lösen weiß, warum die Geister sämtlicher Spezies auf einen Planeten emigrieren, dessen ureigene Zivilisation schon vor mehr als fünfhundert Jahren ausgestorben ist. Aber daß dem so ist, läßt sich nicht leugnen, genauso wenig wie die Tatsache, daß diese Geister den Planeten und alles, was darauf geschieht, unter ihrer Kontrolle haben. Kundschafter, die früher versuchten, die Wünsche der Geister zu ignorieren, lernten bald kennen, was es heißt, zu jeder Tages- und Nachtzeit von verärgerten Gespenstern heimgesucht zu werden. Die regierende Bevölkerung setzt sich aus unterschiedlichen Spezies zusammen. Sie regelt den Tourismus, den sehr unergiebigen Bergbau, die Konsum- und Dienstleistungsbetriebe und so weiter. Jede größere und viele kleinere Entscheidungen wird in Absprache mit dem sogenannten Spiritum getroffen, dem unsichtbaren Rat der Geister, der in allen Belangen das letzte Wort hat. Da im Tourismus (die alten Ruinen der Quadraner locken viele Besucher an) die Haupteinnahmequelle liegt, will der Regierungsrat den Fremdenverkehr fördern. Für die Geister sind diese Ruinen jedoch heilig oder zumindest quasi-heilig. Deshalb versuchen sie, das Touristengewerbe durch strenge Auflagen zu behindern. Auf Quadra werden inzwischen viele interplanetare Konferenzen abgehalten. Mit dieser Entwicklung sind beide Parteien zufrieden, denn es kommen zahlreiche Besucher, denen es nicht in erster Linie darum geht, die antiken Orte zu besichtigen. Eine dieser regelmäßig stattfindenden Treffen ist die Konferenz über universelle Legenden und Literaturen; sie findet vom 25. 4. bis zum 25. 5. statt, und an ihr wird ShRil teilnehmen. Der Bund unterhält seit fünfundachtzig Jahren ein Team von Verbindungsoffizieren auf Quadra und möchte nun einen zivilen Stützpunkt installieren mit einem Forschungszentrum, einer Hafenanlage zum Betanken und Warten von Bundesschiffen, einer Fernmeldestation und ähnlich wichtigen Einrichtungen. Meine Aufgabe wäre es, eine entsprechende Genehmigung von Regierungsrat und Spiritum einzuholen und mit beiden Gremien einen Vertrag auszuhandeln, der dem Bund möglichst viele Privilegien einräumt. Was für die Geister dabei rausspringen soll, ist mir nicht ganz klar. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, welchen Vorteil sie aus den bereits laufenden Vereinbarungen für sich ziehen. Oberst Q. ES't'phons, der schon einmal auf Quadra gewesen ist, behauptet, daß die Geister gerne in Gesellschaft ihrer früheren Artgenossen sind. Dem, der die Ruinen besichtigt, begegnet oft der eine oder andere Geist, von dem er dann Auskunft erhält über die alte quadranische Zivilisation. Diese Erscheinungen sind so zuverlässig, daß die meisten Reiseunternehmen ihren Kunden Preisnachlässe anbieten, wenn sie das Pech hatten, keinen Geist anzutreffen. Soviel der Oberst weiß, brauchte bislang noch niemand auf dieses Angebot zurückzugreifen. Die Geister erscheinen manchen Touristen auch gerne privat und unterhalten sich mit ihnen über alles mögliche. Der Oberst berichtete von drei Besuchen dieser Art, in deren Verlauf er viel über seine Heimat, die Stsilfo-Galaxis, erfahren konnte, ja, mehr noch, als er überhaupt wissen wollte. Und das muß wirklich eine Menge gewesen sein, bedenkt man seine Vorliebe für detaillierte Informationen.
Der Auftrag scheint mir auf den Leib geschneidert zu sein, Windy. Delikate Verhandlungen, die Chance, ein paar Geister zu treffen und meine Forschungen weiterzuverfolgen — alles, was das Herz begehrt. Daß ShRil an der Konferenz teilnimmt, beeinflußt mich in meiner Entscheidung natürlich nicht im geringsten. Allerdings bin ich auch nicht abgeneigt, sie wiederzusehen. Ganz und gar nicht. 7040 – 8.2. Wenn mir jetzt noch jemand zu gratulieren versucht, breche ich in einen Schreikrampf aus. Die Feier, das Festessen, die Tischgespräche und einzelnen Ehrungen habe ich mir ja noch gefallen lassen. Aber unzählige Male auf das eigene Wohl anstoßen zu müssen und ständig beklatscht zu werden, geht entscheiden zu weit. Ich will nicht undankbar erscheinen, aber jetzt reicht's mir langsam. Erholung war mir nur ein einziges Mal beschert, als mich Direktor Franiingcard zwischen Dinner und Party in einen ihrer Privaträume entführte und sich eine halbe Stunde mit mir unterhielt. Oberst Q. ES't'phons hatte ihr erzählt, daß ich am Morgen einen neuen Vertrag unterschrieben und mich für einen Einsatz auf Quadra verpflichtet habe. Direktor Franiingcard bat mich, der Konferenz über universelle Legenden und Literaturen, die vom Zentrum für kulturellen Austausch mitfinanziert wird, einen Vortrag über das Windhover-Manley-BardenProgramm zu halten. Das Universum scheint mit jedem Rundblick kleiner zu werden. Mir ist bisher nie in den Sinn gekommen, daß das Zentrum in irgendeiner Beziehung zur Konferenz stehen könnte, was mir aber jetzt, da ich informiert bin, durchaus plausibel erscheint. Dadurch, daß das Zentrum diese Veranstaltung sponsert, trägt es auch dazu bei, daß der Bund auf Quadra Fuß fassen kann. Meine Verhandlungsposition wird durch diesen Umstand sicherlich gestärkt. Ich äußerte Zweifel daran, das Programm angemessen präsentieren zu können, versprach aber, einen Versuch zu unternehmen. Direktor Franiingcard hält meine Zweifel für unbegründet und glaubt, daß ich meine Sache gut machen werde. Wenn ich aber zu schüchtern wäre, könntest du, Windy, meine Aufgabe übernehmen. Du solltest dich schon einmal darauf vorbereiten. Die Glückwünsche und Trinksprüche, der massenhafte Weinkonsum und meine nach Quadra hin abstreifenden Gedanken haben den Abend zu einer Tortur werden lassen. Mein Schädel brummt. Der Magen rumort. Die Augen brennen. Und morgen früh wird es mir bestimmt nicht besser gehen. Gute Nacht, Windy. 7040 - 9.2. Morgen geht's los. Zuerst zurück ins Rehab-Lager, wo ich C.P.O. Largsznkyte die Übersetzung seines Gedichts geben und den Beithurunesen Lebwohl sagen werde, während Windy startklar gemacht wird. Dann ab nach Quadra. Fran hat versprochen, mich ohne weitere Feierlichkeiten abziehen zu lassen. Es scheint, daß nicht nur ich die Nase voll davon habe. Ich leg mich jetzt wieder ins Bett. Der Kopf tut immer noch weh.
7040 - 11.2. Volle Kraft voraus. Beschleunigung in Richtung auf Quadra. ShRil entgegen. Glücklichen Tagen entgegen. 6. 7040 - 18.2.
Bremsorbit, Quadra
Kaum zu glauben, daß erst ein Jahr vergangen ist, seit wir durch die Warpbänke schlichen auf der Flucht vor den Kriegshorden. Daß mein Leben seit meiner Freilassung durch Gracie ereignislos gewesen sei, kann ich beim besten Willen nicht behaupten. Die vor uns liegende Zeit verspricht ebenso kurzweilig zu werden, hoffentlich aber ein bißchen weniger gefährlich. Physisch wie psychisch. Vergangene Nacht habe ich Doktor Flos Tricks angewendet, um Fairy Peg in meine Träume zu rufen, aber es tauchten nur ein paar kurze, unzusammenhängende Szenen auf: Fairy Peg und ich auf einem Maskenball, zu sanfter Musik tanzend; flankiert von marschierenden Gabriel-Ratschen (als Eskorte oder Wache?); beim Haschespiel mit Peg im Burgturm. Zum Schluß liebten wir uns, und als ich aufwachte, stand mir ShRils Bild vor Augen. Vielleicht wende ich die Techniken nicht richtig an; es kann aber auch sein, daß sich die Gedächtnisblocker immer noch nicht gänzlich überwinden lassen. Was meinst du, Selbst? Entweder, oder? Sowohl als auch? Du weißt es auch nicht? Na schön. Laß dir von mir aus Zeit. Quadra-Control hat uns Landeerlaubnis erteilt. In neun Stunden gehen wir auf dem Flughafen von Monument City nieder. Mitten in der Nacht läßt es sich gemächlich landen. Keiner, der einem dazwischenfunkt; keiner, der zur Begrüßung herbeigeeilt kommt. Ganz ruhig und gelassen Kontakt mit dem fremden Planeten aufnehmen und den Tag erwarten ... Je mehr ich über die Situation auf Quadra erfahre, desto unsympathischer wird mir der Regierungsrat. Gleichzeitig wächst mein Respekt für die Geister. Im >Edadahergelaufenen GespensterGespensterbelehren< ist vielleicht übertrieben, allerdings hatte ich den Eindruck, als versuchte er, mir Geschichtsunterricht zu geben über die Entwicklung von Quadra im Blickwinkel des Korakan. Zum Glück braucht man nicht alle religiösen Anspielungen zu verstehen, um Bistelfaith auf die Schliche zu kommen. Er hängt mit logischem Geschick eine Idee an die andere und läßt so eine Ideenkette entstehen, die logisch unantastbar zu sein scheint. Zum Schluß unterhielten wir uns noch etwa eine Stunde lang über allgemeine Dinge, und ich war überrascht zu erfahren, wie weit Bistelfaith herumgekommen ist. Er machte mich darauf aufmerksam, daß fast alle Roaker Amoebaliten eine starke Abneigung gegen die Raumfahrt entwickeln. Eine Erfahrung reicht ihnen, zu einer zweiten lassen sie es in der Regel nicht kommen. Der Grund, so sagte er, liege in der Tatsache, daß die meisten ihren Heimatplaneten Roak schon vor der Ersten Teilung verlassen und in dieser Phase körperlich noch nicht auf der Höhe sind. Bistelfaith hat auf Anraten seines Arztes die Erste Teilung auf Roak erlebt und begeistert sich nach wie vor für die Raumfahrt. Bevor er auf Quadra landete und hierzubleiben beschloß, hatte er siebzehn Planeten in fünf verschiedenen Systemen besucht. Warum ist er auf Quadra geblieben? Weil Dulmer Yerled ihm einen lukrativen Posten vermachte, und weil er müde war vom vielen Reisen, genug hatte von billigen Unterkünften auf Planeten, wo seine verstandesunbegabten Vettern und Cousinen immer noch auf dem Speiseplan standen, und außerdem war er es einfach leid, ständig unter Ungläubigen zu leben. Quadra bot ihm Zuflucht. Hier fand er Inspiration in der Person von GustAmufe, einem korakanäischen Geist, der ihm schon am ersten Tag begegnet war und theologische Fragen mit ihm diskutiert hatte. Tags darauf meldete sich Mr. Yerled, weil er von GustAmufe erfahren hatte, daß ein heiliges Wesen angekommen sei, das von ihm, Yerled, eingestellt werden möge, um die Buchhaltung seiner Handelsgeschäfte zu übernehmen. Das war vor über zwanzig Jahren. Bistelfaith arbeitet inzwischen nicht mehr für Mr. Yerled. Trotzdem sind die beiden immer noch enge Freunde und Verbündete im Rat. Als ich Bistelfaith fragte, ob Mr. Yerled wohl für eine Unterstützung des Projekts zu gewinnen sei, antwortete Bistelfaith wieder einmal mit einem Zitat. »Alles hat seine Zeit.« Ich verstand diesen Satz als Aufmunterung, bedankte mich höflich für die Gastfreundschaft und gut gemeinten Ratschläge und ging. Mr. Yerled wird mich erst übermorgen empfangen können. Also bleibt mir ein Tag zur Entspannung. Vielleicht sollte ich ein paar Zeilen aus dem Tamos auswendig lernen, um Bistelfaith damit zu überraschen. Aber vielleicht sollte ich jetzt doch besser schlafen. 7040 - 29 ./30 . 2 . Als ich in Dulmer Gyfgh Yerleds riesigem Landhaus am Rand der Handelszone ankam, sagte er mir, daß wir nicht allein seien. In Kürze würde ein Gast eintreffen, der unserer Unterhaltung beizuwohnen wünsche. Ich erinnerte ihn an die Vereinbarung eines privaten Gesprächs. Er aber entgegnete, daß ich mit diesem Gast einverstanden sein würde. Und während wir warteten, zeigte er mir sein Haus. Ein phantastisches Haus. Ein Kuppelbau aus Kunststahl und Kristall mit einer freischwebenden Wendeltreppe im Innern, die den ersten und zweiten Stock verbindet. Ein altes Haus, aber wunderschön proportioniert. Im Gegensatz zu den neueren, verschachtelteren
Bauformen, die jetzt auf zahllosen Planeten in Mode sind, hat Yerleds Haus Charakter. Der kreisrunde Querschnitt verleiht dem Bau trotz seiner Größe eine gemütliche Atmosphäre, eine intime Behaglichkeit, in der man sich wohl fühlen kann. Und darauf legt Mr. Yerled allem Anschein nach viel Wert. Besonders gern hält er sich offenbar im zweiten Stock auf, wo die privaten Zimmer, die Bibliothek, eine Hygienestation und zwei Gästezimmer untergebracht sind. Die Ausstattung jedes Raums trägt unverkennbar Yerleds Handschrift. Wir standen gerade in der Bibliothek, und ich betrachtete die Sammlung kleiner Skulpturen, als sich plötzlich eine voll tönende Stimme von hinten meldete. »Darf ich mich dazugesellen?« Bevor ich mich umdrehte, wußte ich, daß es Ronda Loner Kriegskrähe war. Sie stand im Türrahmen. Sie lächelte verschmitzt, und ihre transparente Gestalt schimmerte auf eine Weise, zu der mir nur der Ausdruck >umwerfend< einfällt. Ich war wie vom Donner gerührt, so schön, so rätselhaft schön war dieses Geistwesen vom Mutterplaneten der Menschheit. Eine Augenweide. Das also war Mr. Yerleds zweiter Gast. Zu meinem Erstaunen übernahm Ronda die Rolle der Gastgeberin, schlug vor, daß wir in der Bibliothek bleiben sollten, und bestellte für mich und Mr. Yerled Erfrischungen an der Konsole. Sie ließ sich aus über die einzigartige Gediegenheit des Hauses, bis schließlich die Erfrischungen ankamen und wir uns hinsetzten, um ernsthaft miteinander zu reden. Ronda wollte gleich von mir wissen, was ich von den Ratsmitgliedern und deren Einstellung zum geplanten Bau des Stützpunktes halte. Ich begann mit einer vorsichtigen und allgemeinen Wertschätzung, wurde aber schnell unterbrochen von Mr. Yerled, der darauf hinwies, daß der Sache besser gedient sei, wenn ich ehrlich und offen meine Meinung sagen würde. Bevor ich meinen Ansatz verteidigen konnte, überraschte mich Ronda mit der Bemerkung, daß es mir wohl leichter fiele, offen zu sein, wenn ich wüßte, daß sie, die Mehrheit der Geistergemeinschaft und Mr. Yerled entschieden für den Bau eines Stützpunktes auf Quadra plädierten. Die Information als solche überraschte mich weniger als die Tatsache, daß sie von sich aus damit herausrückte. Mir blieb keine andere Wahl mehr, als freimütig zu sprechen. Also gab ich Auskunft, erklärte, was ich von den Ratsmitgliedern und der Position des Spiritums halte, wie ich mit Mossmann und Tizelrassel zu taktieren versucht habe, wie ich die Möglichkeiten einer alle Seiten zufriedenstellenden Lösung einschätze und so weiter. Ich berichtete Ronda sogar von dem mysteriösen Pergamentbogen, den ich an Bord von Windy entdeckt hatte. Ronda schmunzelte nur und sagte, daß wir später darüber reden könnten. Als ich mit meinen Ausführungen fertig war, fragte Ronda, ob ich mir über den gesamten Sachverhalt gründlich im klaren sei, ein umfassendes Bild gemacht habe. Das Gewicht ihrer Frage war mir bewußt, und so antwortete ich, daß ich, wenn überhaupt, erst nach Abschluß dieses Gesprächs dazu in der Lage sei. (Obwohl ich die Sachlage längst eingehend analysiert hatte, wurde ich den Verdacht nicht los, daß mir ein wichtiger Punkt oder zumindest etwas, das Ronda und Mr. Yerled für wichtig erachteten, entgangen war.) Mr. Yerled spürte meine Verunsicherung und wollte mehr wissen über mein Treffen mit Shttz in den Ruinen. Ich hatte diese Begegnung bisher nur angeschnitten, aber keine Einzelheiten genannt. Als ich die Geschichte wiedergab, die Shttz mir erzählte hatte, erkannte ich, was mir entgangen war. Ein in der Tat wichtiges Detail. Der Soo-sat, der sein Abbild vor das Opfer wirft. Mossmann ist beileibe kein Soo-sat und als Gegner kaum ernstzunehmen. Er ist vielmehr das Abbild, die Täuschung, die den Unachtsamen in die Falle locken soll. Wer ist also der wahre Soo-sat? Generalin Tizelrassel. Ja, sie muß es sein. Jemand anders kommt nicht in Frage. Ich hatte meine Erzählung allzu offensichtlich unterbrochen, als mir die Zusammenhänge plötzlich dämmerten. Ich setzte also die Geschichte fort und erklärte dann mit zögerlicher
Stimme, daß mir aufgegangen sei, was Shttz mit dieser Fabel gemeint haben könnte. Die beiden grinsten. »Wer, was glauben Sie wohl, ist der Soo-sat in dem auf unseren Fall übertragenen Sinn?« fragte Yerled. Als ich meine Vermutung äußerte, schauten sich die beiden zufrieden an. Yerled machte sogar einen richtig erleichterten Eindruck. Gemeinsam unterhielten wir uns nun über Generalin Tizelrassel, und zwar in aller Ausführlichkeit. Allerdings konnten wir weder ihre Beweggründe enträtseln noch eine Antwort finden auf die Frage, ob Mossmann von Tizelrassel beherrscht oder nur gebraucht wurde. Je länger wir über sie redeten, desto mehr Fragen eröffneten sich, und unsere Versuche, darauf zu antworten, wichen immer stärker auseinander. Ronda verriet, daß Tizelrassel in Kontakt stünde mit ein paar abtrünnigen Geistern, konnte aber weder Beweise noch Gründe für eine Verschwörung gegen das Bauprojekt nennen. Mr. Yerled äußerte denselben vagen Verdacht wie ich, nämlich daß sich die Generalin womöglich zu rächen versuche für ein im Bundesdienst erlittenes Unrecht. Aber ihr ein so billiges Motiv zu unterstellen, kam einer Verkennung ihres Charakters gleich. Schließlich einigten wir uns darauf, weitere Informationen zu sammeln. Ronda will sich unter den Geistern umhören, Mr. Yerled nimmt sich Mossmann vor (worum ich ihn nicht beneide), und ich werde meine Kontakte zum Korps der föderierten Truppen spielen lassen. Wir bitten das Spiritum, die nächste Ratssitzung offiziell um eine Woche zu verschieben. Bevor sie verschwand, fragte ich Ronda, warum sich das Spiritum in der Stützpunktfrage nicht einfach durchsetzen und den Rat in seine Schranken verweisen würde. Ihre Antwort war so simpel, daß ich mich für die Frage schämte: Weil der Bund eine solche Entscheidung nicht akzeptieren würde. Sie muß von der amtierenden Regierung in freier Abstimmung getroffen werden. Also fragte ich Mr. Yerled, warum er nicht dafür stimmen und die Pattsituation aufheben würde. Er dachte lange nach und sagte dann, daß er seine Stimme abgeben wolle, wenn es notwendig werde; seinen Vorsitz würde er aber in dem Fall abtreten müssen und womöglich auch die Mitgliedschaft im Rat, denn es sei für einen Vorsitzenden außer in extremen Notlagen nicht üblich, mit seiner Stimme den Ausschlag zu geben. Das Gleichgewicht im gegenwärtigen Rat habe zu viel Mühe und politische Querelen gekostet, als daß er es leichtfertig aufs Spiel setzen wolle. So sieht's aus, Windy. Die Pattsituation wird wohl noch eine Weile andauern. Es dreht sich alles um Generalin Tizelrassel. Wir müssen irgendein Mittel finden, mit dem wir sie zum Einlenken bewegen können. Unsere Aussichten sehen zur Zeit nicht gerade gut aus, denn ob wir ein geeignetes Druckmittel finden, ist zweifelhaft. Trotzdem werde ich, wie verabredet, ein paar geheime Nachforschungen anstellen. Generalin Tizelrassel ist allerdings hochdekoriert und in allen Ehren aus dem Militärdienst entlassen worden. Sie wird wohl kaum Spuren hinterlassen haben, die uns interessieren könnten. Ich bin, wie gesagt, sehr skeptisch, was den von uns eingeschlagenen Weg angeht. Ich tappe noch im dunklen, aber irgend etwas sagt mir, daß wir am Ziel vorbeischießen. 7040 – 2. 3. Habe mich heute nachmittag mit Mr. Yerled getroffen. Er ist gestern bei Mossmann zu Besuch gewesen unter dem Vorwand, Geschäftliches mit ihm besprechen zu müssen. Dann lenkte er das Thema auf Generalin Tizelrassel, worauf Mossmann deren Charakter lobte, ihre Intelligenz, ihre Leistungen und militärischen Ehren, doch all das hatte Yerled auch schon früher gehört. Keine neuen Informationen. Kein Hinweis auf einen Makel oder ein Fehlverhalten. Keine Anspielung auf ein mit dem Bund zu rupfendes Hühnchen. Nichts.
Yerled will sich morgen mit der Generalin treffen — aus rein geschäftlichen Gründen, versteht sich — und hofft, von ihr mehr zu erfahren. Er ist zerknirscht über sein Versagen, so daß ich ihm gut zureden mußte, obwohl mir selber die Zuversicht fehlt, eine Handhabe gegen Tizelrassel zu finden. 7040 - 4. 3 . (19. Tag) Von den vier Anfragen, die ich losgeschickt habe, sind bisher drei beantwortet worden, die jedoch keine neuen Erkenntnisse liefern. Daß Tizelrassel einige Probleme mit dem Korps hatte, ist nicht einmal gerüchteweise zu hören. Wir sind auf dem Holzweg, Windy, und ich glaube jetzt zu wissen, warum. Wir haben uns zu sehr auf Generalin Tizelrassel eingeschossen, dabei ist sie nicht der einzige Grund für unsere Schwierigkeiten. Ich fürchte, wir haben es noch mit einem anderen Widersacher zu tun. Mir wird mulmig, wenn ich nur daran denke. Ich muß unbedingt mit Ronda sprechen und mit ihr über meinen Verdacht reden. Vielleicht ist sie in der Lage, mir weiterzuhelfen. Ich könnte Yerled bitten, mich mit Ronda in Verbindung zu setzen. Als Grund ließe sich angeben, daß ich mit ihr über das mysteriöse Gedicht zu sprechen wünsche. Von den Ergebnissen meiner Nachforschungen sage ich ihm vorläufig nichts und bereite ihn statt dessen darauf vor, daß die Ratssitzung womöglich um eine weitere Woche verschoben werden muß. Da seine Verabredung mit der Generalin erst morgen zustande kommt, wird er nichts dagegen haben. Er braucht noch nicht zu wissen, daß ich in meinen Ermittlungen eine andere Richtung einschlage. Aber Ronda muß Bescheid wissen. 7040 - 5 . 4. (20. Tag) Wachte auf mit einem Traum von ShRil, der wie ein Blumenkranz um meine Gedanken rankte. Es passiert hier so viel, daß ich in letzter Zeit nicht sehr oft an sie gedacht habe. Aber offenbar hegst du, liebes Selbst, weiterhin Gedanken an sie, und zwar sehr angenehme, wie ich hinzufügen darf. Ich hoffe, sie wird es mir nicht übelnehmen, daß ich ihr nichts von meinem Aufenthalt auf Quadra berichtet habe und dies auch nicht tun werde, so schwer es mir auch fällt. Ich bin gespannt auf ihr Gesicht, wenn sie mich sieht. Mr. Yerled hat vor einer Weile angerufen und gesagt, daß sich Ronda noch heute bei mir blicken lassen werde. Wie bereitet man sich auf den Besuch eines Geistes vor? Ich will nicht den ganzen Tag über mit dem Rükken zur Spantwand hocken, um ihr Erscheinen beobachten zu können. Aber vielleicht taucht sie auch diesmal so unvermittelt auf wie bei ihrem Besuch in Yerleds Haus. Am besten, ich mache noch schnell ein kleines Geschäft. 'I' Gäste tauchen anscheinend immer im unpassendsten Augenblick auf. Daß sie mich gerade mit heruntergelassener Hose und in voller Konzentration auf dem Klo erwischen, ist schon des öfteren passiert. Aber noch niemand hat mich gegrüßt mit den Worten: »Wie steht's, Bleichgesicht?« Ich glaube kaum, daß sie mich in Verlegenheit bringen wollte, aber verlegen war ich trotzdem. Und wie. Das war ihr natürlich klar. Ich mußte sie bitten, die Tür von draußen zu schließen. Aber mit der Ruhe, die man zur Erledigung eines solchen Geschäfts braucht, war es vorbei. Die Peinlichkeit legte sich jedoch schnell, als ich sie nach dem Gedicht fragte. Ronda antwortete, daß es vor dreieinhalbtausend Jahren von einem vagabundierenden Troubador auf Pax für sie gedichtet worden sei und daß es ihr auf Anhieb gefallen habe, nicht zuletzt wegen
seiner vielen Unstimmigkeiten. Ihr Pferd sei in der Tat ein Rotfuchs mit weißen Söckchen gewesen, und ein R-Gespräch (eine auditive Fernmeldung, für die der Empfänger bezahlt) habe sie auch geführt, und zwar am Jahrestag der Unabhängigkeit ihres Stammes rund sechzig Jahre nach ihrem Tod. Ronda erklärte weiterhin, daß ein Mann mit Videokamera zur Stelle war, als sie auf dem Friedhof erschien, den sie besonders gern mochte. Was aber mit der Aufzeichnung geschehen sei, wisse sie nicht. Ein Geist von Mysteleria hatte Ronda berichtet, daß ich an Legenden interessiert sei. Einer von Odis Leuten besorgte das Pergament und kopierte die Zeilen darauf, womit sie dann an jenem Morgen hinter meinem Rükken durch die Luke schlüpfte, als ich gerade ausstieg. Daß ich durch das Auftauchen des Pergaments so irritiert worden bin, hat ihr besonders viel Spaß gemacht. Eigentlich wollte sie mich im Ungewissen lassen, konnte sich aber nicht länger zurückhalten. Ich sagte Ronda, daß auch ich eine Sache auf dem Herzen habe, die ich loswerden müsse, aber leider nicht so amüsant und charmant sei wie ihre Überraschung. Dann berichtete ich von den Negativergebnissen meiner Anfragen beim FöderiertenKorps und äußerte den Verdacht, daß wir uns auf der falschen Fährte befänden. Ihre Stimmung schlug sofort um. Sie fragte, ob ich eine neue Richtung vor Augen habe, was ich bejahte, ohne jedoch handfeste Beweise vorlegen zu können. Das Gespräch verflachte, weil ich nur um den heißen Brei herumredete. Schließlich platzte es dann doch aus mir heraus: »Ich glaube, es ist Mr. Yerled. Ich glaube, er ist es, der die Verhandlungen blockiert.« Ronda lachte. Es war ein ganz kurzes, hohles Lachen. Dann starrte sie mich an, und ich konnte ihrem Blick nicht standhalten. Ich sagte, daß kein anderer Schluß zu ziehen sei. Yerled ist schließlich derjenige, der die Mehrheitsentscheidung verhindert. Er ist derjenige, der mich nach der ersten Ratssitzung auf Maurice Mossmanns Spur angesetzt hat. Ich fragte sie, ob Yerled ihr gegenüber klipp und klar erklärt habe, daß er für den Stützpunkt sei. Ihr Blick entsprach einer Verneinung. Sie ist bisher lediglich davon ausgegangen, daß er das Projekt unterstützt. Yerled hatte sich sichtlich erleichert gezeigt, als ich sagte, daß Generalin Tizelrassel wohl der Soo-sat im übertragenen Sinne sei. Außerdem erscheint mir Mossmanns Haltung Yerled gegenüber viel zu friedfertig, viel zu einvernehmlich, bedenkt man, mit welchen Vorurteilen er behaftet ist. Mossmann kritisiert an Yerled nur, daß er allzu lange dem >Einfluß niederer Wesen< ausgesetzt gewesen sei. Für Mossmann, diesen Schwarz-Weiß-Denker, ist sonst immer alles absolut gut oder schlecht. Dazwischen gibt es für ihn nichts. Keine Grautöne. Kein differenziertes Urteil. Nur in seiner Meinung über Yerled. Nicht einmal Bistelfaith konnte mir verraten, ob Yerled für oder gegen den Stützpunkt ist. Was mich endgültig auf den Trichter brachte, war Yerleds zauderhaftes Getue, nachdem er mit Mossmann gesprochen hatte und mit keinerlei Informationen rausrücken wollte. Was hätte er auch sagen sollen? Yerled ist zu gescheit, um einen seiner Verbündeten in Verruf zu bringen. Das hat er nicht nötig. Er braucht nur abzuwarten. Die Pattsituation wird zum Dauerzustand. Der Bund sieht sich nach anderen Stationierungsmöglichkeiten um. Niemand wird je erfahren, daß uns Yerled einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. So einfach geht das. Dann stellte Ronda die Frage, auf die mir keine Antwort einfällt. »Warum?« Ich gestand, daß ich meinen Verdacht nicht zu begründen wisse. Dabei müsse sie mir helfen. Ronda war verärgert, geradezu wütend. Sie stand mitten in der Kabine und starrte mich an, bis mir mit jeder Faser meines Wesens klar wurde, warum man sich besser nicht mit einem Geist anlegt. Unter ihren heißen Blicken lief es mir kalt über den Rücken. Das Wechselbad reizte meine Nerven aufs äußerste. Ich schwitzte. Ich schlotterte. Ich war wie gelähmt von ihren Blicken,
denen ich weder begegnen noch ausweichen konnte. Ich wollte laut aufschreien, bekam aber keinen Ton heraus. Plötzlich war die Folter zu Ende. Ronda fing zu sprechen an. Sie wollte und konnte mir nicht glauben und versuchte deshalb, mich eines Besseren zu belehren, meinen Verdacht zu entkräften, bis ich zugeben würde, einen schrecklichen Fehler begangen zu haben. Sie versuchte mir einzureden, wie befangen und hoffnungslos dumm ich sei aufgrund der Verhaftung in meiner körperlichen Hülle. Dann verschwand sie. Verpuffte grußlos und ließ einen sauren Geruch zurück, der mir immer noch um die Nase weht und mich an ihren Zorn erinnert. Soll sie doch wütend sein. Vielleicht kommt sie so der unangenehmen Wahrheit näher. Ich weiß, daß ich recht habe, Selbst, und Ronda wird in ihrer Wut den Beweis dazu erbringen. O Gerard, wie sicher, wie borniert du doch bist. Unschlagbar. Und wenn du dich irrst? Was dann? Angenommen, der Sturm im Wasserglas, den du eifrig aufwühlst, wird dir zum Whirlpool. Was hast du dann von deiner selbstgerechten Art? Hüte dich vor der Gier auf eine Lösung, Gerard, denn du könntest dich ins eigene Fleisch schneiden. Sicher? Ja. Borniert? Vielleicht. Unschlagbar? Nie. Aber sicher, Selbst, so sicher wie nur irgendwas. Ronda wird, wenn sie sich anstrengt, Yerled auf die Schliche kommen und herausfinden, warum er sich querstellt. Wenn sie sich anstrengt ... 7040 - 7. 3 . (22. Tag) Zwei vertane Tage. Eine Nachricht von Mr. Yerled, der darauf hinweist, daß die nächste Ratsitzung bis auf weiteres verschoben ist und daß er und Generalin Tizelrassel aufgrund wichtiger Geschäftsinteressen für mehrere Tage nicht zu erreichen sind. Auch die letzte Auskunft vom FöderiertenKorps ist negativ. Ronda läßt nichts von sich hören. Habe den Bund darüber informiert, daß die Verhandlungen stocken, in Kürze jedoch ein Durchbruch zu erwarten ist. Konnte mich nicht länger zurückhalten und mußte ShRil mitteilen, daß ich hier bin. Einsamkeit und Vorfreude haben die Oberhand gewonnen. Gestern war ich bei den Ruinen und habe versucht, ein Gedicht zu schreiben. Dabei kam nichts weiter heraus als ein Gestammel aus Selbstmitleid und Trübsinn. Oder Depression. Ach, ich weiß nicht was. Vielleicht lädt mich Odi ein, in der Bibliothek herumzustöbern. Täte mir bestimmt gut, mal auf andere Gedanken zu kommen. 7040 - 9. 3 (25. Tag) Besuche dieser Art sind nicht dazu angetan, die Stimmung zu heben, Windy. Odi war höflich (wahrscheinlich auf Rondas Drängen hin), aber mehr auch nicht. Er weiß nicht, was zwischen Ronda und mir vorgefallen ist, und kann sich auch nicht erklären, warum sie so wütend auf mich ist. Zur Zeit werde ich behandelt wie eine persona, die auf dem besten Weg ist, sich das Prädikat non grata einzuhandeln. Niemand erklärt sich bereit, mit mir zu den Ruinen hinauszufahren, und auf eigene Faust darf ich nicht hin. Habe die meiste Zeit in der Bibliothek zugebracht, die ziemlich groß, aber schlecht bestückt ist und hauptsächlich aus Fachbüchern über das Hüttenwesen sowie aus Cuallum-Geschichtswerken von bescheidener literarischer Qualität besteht. Hier wie auch in der kleinen Stadtbibliothek von Monument
City läßt sich kein Eleven-Material finden. Der hauseigene Übersetzer ist ein vorsintflutliches StnwatsModell mit einem äußerst beschränkten Standard-Vokabular. Sehr deprimierend. Allerdings habe ich im Anthologiebereich des Hauptspeichers ein paar Geschichten, Gedichte und Lieder gefunden, die von cuallumesischen Knappen geschrieben worden sind. Zweiundzwanzig Texte, deren grobe Übersetzung einigermaßen gelungen waren, habe ich mitgenommen. Die meisten davon sind recht durchschnittliche Hauruck- und schweißtriefende Arbeitergesänge. Harte Plackerei triumphiert über die Not und so weiter. Die Texte handeln von Quadra und sind von einem gewissen S. S. Odi verfaßt, hinter dem ich Srotisiv Secivero Odi vermute. Der Bibliothekar konnte (oder wollte) dies nicht bestätigen, und ich bereute es; überhaupt gefragt zu haben, zumal Odis Haltung mir gegenüber deutlich abgekühlt ist. Trotzdem bat ich Odi, Ronda auszurichten, daß ich sie gerne treffen würde. Er wirkte nicht gerade hilfsbeflissen, versprach aber, meinen Wunsch weiterzuleiten, falls er ihr über den Weg liefe und daran dächte. Er wird's wohl tun, denn er brennt darauf zu erfahren, warum ich sie so verärgert habe, und meine Bitte ist für ihn ein guter Vorwand, sie auszufragen. Allerdings glaube ich kaum, daß sie ihm Auskunft gibt, es sei denn, sie kann meinen Verdacht inzwischen bestätigen. Aber in dem Fall wird sie wahrscheinlich zuerst mit mir reden wollen. Glaube ich zumindest. Der Barde hat wieder gute Arbeit geleistet. Odis Gedicht hat bei näherer Betrachtung durchaus eine gewisse Tiefe und Vielschichtigkeit. Auf Quadras kaltem Felsen Jenseits der frühen Sterne stakt durch silbrige Schatten ein Phantom, vom Mond beschienen, am Rande friedlicher Stille und spürt Gedichte auf. Schon schirmt das Urfeuer der samtene Horizont ab, und im kalten Fluß der Dämmerung sucht das Phantom Symbole in und von vergangener Hitze. Zum Dank dafür, daß Odi Ronda bei der Kopie ihres Gedichts für mich geholfen hat, werde ich diese Verse für ihn kopieren. Wenn der Streit beigelegt ist, kann ich ihm damit vielleicht eine Freude machen. Während wir darauf warten, daß sich was tut, können wir ein bißchen mit den cuallumesischen Texten herumspielen. Auf überraschende Funde werden wir wohl nicht stoßen, aber auf diese Weise bleibt der Barde wenigstens in Übung, die mir im übrigen auch nicht schaden kann. Windy, ich muß dir was gestehen: Das Warten fällt mir ungemein schwer, weil ich viel zu ungeduldig bin, und ungeduldig bin ich, weil mir das Warten schwerfällt. Ist doch logisch, oder? Gracie hatte schon recht, als sie sagte: »Gerard, übe dich in Geduld.«
7040 - 10. 3 (26. Tag) Wer auf den Besuch eines Geistes wartet, sollte zum Klo gehen. Heute nachmittag wäre ich fast von der Brille gerutscht, als Rosa Distel plötzlich vor mir auftauchte und mit donnernder Stimme verkündete: »Ronda Loner Kriegskrähe wird morgen früh hier erscheinen.« Bevor ich antworten konnte, war er wieder verschwunden. Mir brummte der Schädel. Aus dem Bauch tönte es quakend. Ich wurde wilder als ein Grisk, der mit den Klauen in der Falle steckt. Diese Geister brauchen wirklich mal eine Lektion zum Thema Anstand und Etikette. Morgen. Nun, wir werden sehen, ob mir meine indianische Prinzessin endlich recht gibt oder den Kopf zurechtrückt. Ich glaube, Windy, ich sollte ein HypnoNikkerchen machen, in aller Frühe aufstehen und auf unseren Gast warten. Die Alarmanlage scheint zwar auf Geister nicht anzusprechen, aber schalte sie trotzdem ein, man kann nie wissen. Ich möchte nach Möglichkeit gewarnt sein, wenn Ronda an Bord kommt. Ein paar Sekunden Warnzeit wären nicht schlecht. 7040 - 11. 3 . (27. Tag) Eine halbe Lösung des Problems ist besser als gar keine. Auf mehr können wir in diesem Fall vielleicht nicht rechnen. Ronda ist heute morgen erschienen (ohne Vorwarnung, Windy) und hat mir erzählt, was sie in Erfahrung bringen konnte. Herzlich war sie nicht gerade, gab aber zu, daß ich auf der richtigen Spur und Mr. Yerled offenbar wirklich in eine Art Verschwörung gegen den Stützpunkt verwickelt sei. Ich war erleichert und gleichzeitig auch betrübt. Ronda hat, wie es scheint, viel Bewunderung für ihn übrig. Vielleicht sogar Zuneigung. Ihre Recherche förderte einen Teil der Wahrheit zutage, bereitete ihr aber auch einige Schmerzen. Nicht nur wegen Yerled. Die Verschwörung (oder vielleicht gibt es auch einen harmloseren Ausdruck) hat in der Geistergemeinschaft ihren Ausgang genommen, und zwar zu einem Zeitpunkt, als noch eine Minderheit gegen das Projekt wetterte. Sie machte Mr. Yerled zu ihrem Komplizen, der zunächst zögerte, sich aber schließlich überreden ließ. Man drohte ihm nämlich an, daß sein Handelsgeschäft großen Schaden nehmen könne, wenn er bei seinen Partnern angeschwärzt werden würde. Außerdem hätte er zu befürchten, von ein paar üblen Exemplaren der Geistergemeinschaft laufend heimgesucht zu werden. Falls er sich aber davon nicht abschrecken ließe, würde man bekannt machen, daß er an der Planung eines Aufstands gegen die Geistergemeinschaft beteiligt gewesen sei. Es ist nicht schwer, sich Mr. Yerled vorzustellen, umzingelt von einer Gruppe feindseliger Geister, bedroht von finanziellem Ruin, belästigt und erpreßt. Ja, ich kann mir denken, wie eingeschüchtert er sich fühlen muß. Aber ich kann mir nicht erklären (und Ronda geht es ebenso), warum Yerled von alledem nichts erzählt hat. Die Geschichte des Universums ist voller Aggression gegen Geister, angefangen von Beschwörungsformeln bis hin zur elektrostatischen Kriegsführung. Wenn Yerled tatsächlich an einem solchen Versuch beteiligt gewesen sein sollte, ließe sich das durchaus verzeihen. Seit er auf Quadra ist, hat er sich den Geistern gegenüber immer mustergültig verhalten — vielleicht aus Reue für vergangene Untaten, doch das schmälert sein Verdienst nicht. Yerled ist verschwunden. Geschäftlich unterwegs zu einem anderen Planeten, wie sein Büro mitteilt. Was Ronda vor allem Sorge bereitet, ist nicht er, sondern das Problem der abtrünnigen Geister. Quadra ist ein Himmel für Geister, eine beseelte Demokratie, in der jeder frei seine Meinung äußern und an Entscheidungen der Gemeinschaft mitwirken kann, wenn er verspricht, sich dem Beschluß der Mehrheit unterzuordnen. Er hat jederzeit die Möglichkeit,
den Planeten zu verlassen. Manche tun das auch, obwohl jeder weiß, daß es im gesamten Universum keinen Ort gibt, der soviel Freiheit und Mitbestimmung in der Gemeinschaft bietet. Auf Quadra sind die Kräfte der Geister größer als auf irgendeinem anderen Planeten. Hier ist die Demokratie tief verwurzelt und nahezu heilig. Sie ist das Erbe der Ureinwohnerschaft von Quadra, die noch heute hochverehrt wird. Zum ersten Mal hat sich jetzt eine kleine Gruppe von Geistern zusammengetan, um den Willen der Mehrheit zu untergraben. Ronda fürchtet, daß es zu einem Putsch kommen könnte, zu einer Erhebung, die die Existenz der Gemeinschaft bedroht. Was ich zu Anfang für einen harmlosen Zwist gehalten habe, stellt für Ronda eine mittlere Katastrophe dar. Sie übertreibt natürlich, aber das liegt wohl daran, daß in diesem Land allein der Gedanke an einen Aufstand völlig abwegig ist. Wir haben uns lange unterhalten; sie suchte verzweifelt nach Gründen, und ich versicherte ihr immer wieder, daß diese Affäre durchaus zu bereinigen sei. Ich schlug ihr sogar vor, Berishka-Senk-ka einzuladen, den vermeintlichen Anführer der Dissidenten, und riet ihr, daß wir gleich morgen mit ihm reden sollten. Sie starrte mich nur ungläubig an. Aber ich bestand darauf und konnte sie schließlich davon überzeugen, daß sich ein Gegner am besten bezwingen läßt, wenn man genug über ihn weiß. Sie will nun ein Treffen vereinbaren, und zwar auf dem Zentralplatz der Ruinenstadt, denn Berish-ka-Senk-ka würde in mein winziges Schiff nicht hineinpasssen. (Daß du winzig bist, Windy, ist mir noch nie aufgefallen.) Ronda glaubt nicht daran, daß mit einem Gespräch etwas zu erreichen ist. Berish-ka-Senk-ka hält offenbar von Gesprächen genauso wenig wie von körperlichen Wesen, und Ronda meinte, daß ich mich mit einem Vaporisierer ausrüsten soll, denn er könnte ungemütlich werden. Als ich sagte, daß ich dazu nicht bereit wäre, drohte sie, das Treffen platzen zu lassen. Ein Vaporisierer, so erklärte sie, könne einem Geist keinen Schaden zufügen, ihn aber an der Entfaltung seiner Gestaltkräfte hindern, und ein voll sychronisierter Frontalbeschuß würde jeden Geist für mehrere Stunden davon abhalten, sich zu materialisieren. Das ist tröstlich zu wissen, mehr aber auch nicht. Eine voll synchronisierte Salve reißt in fünf Sekunden eine zehn Zentimeter dicke Kunststahlplatte auf, und wie ich jetzt weiß, läßt sich ein Geist damit vorübergehend außer Gefecht setzen. Ich fragte Ronda, warum sich noch nicht herumgesprochen hat, wie der Einsatz von Vaporisierern auf Geister wirkt. Ihre Antwort leuchtete mir unmittelbar ein. »Weil diejenigen, die eine solche Waffe auf uns gerichtet haben, gestorben sind, bevor sie ihre Erfahrungen mitteilen konnten.« Das zu wissen, ist nun wirklich sehr tröstlich. Der Vaporisierer, so sagte sie, wäre nur im äußersten Notfall einzusetzen, dann nämlich, wenn Berish-kaSenk-ka wild werden würde und sie ihn nicht zur Ruhe bringen könnte. Ich war plötzlich gar nicht mehr erpicht darauf, ihn zu treffen. Ronda erriet offenbar meine Gedanken und lachte. Sie sagte, ich solle keine Angst haben, aber zusehen, daß ich vor sieben Uhr in der Früh auf dem Platz bin, und zwar mit dem Rücken zur Zahlensäule im nördlichen Winkel. Als ich ihr das versprach, verschwand sie. Was bin ich für ein Esel, Windy. Ich habe sie nicht einmal gefragt, wie Berish-ka-Senk-Ka aussieht, um ihn auch rechtzeitig erkennen zu können. Aber ich werde da sein, mit dem Vaporisierer bewaffnet, und mich auf die größte und häßlichste Erscheinung gefaßt machen, die ich mir vorstellen kann. (28. Tag) Groß? Ja. Häßlich? Nein. Berish-ka-Senk-ka ist ein wunderschöner Vierbeiner, fünfzehn bis sechzehn Meter hoch und zwanzig lang. Das Fell von einer Farbe wie poliertes Kupfer. Offenbar gehört er irgendeiner pferdeartigen Rasse an. Hübsch anzusehen, aber wenig ge-
sprächig. Ich stellte mich ihm vor und sagte, daß ich gerne erfahren würde, warum er gegen den Bau eines Stützpunktes eingestellt sei. Er wieherte. Ich sagte, daß es mir darum ginge, allen betroffenen Parteien gerecht zu werden, und daß ich deshalb Informationen brauchte, um mir ein möglichst stimmiges Bild machen zu können. Er wieherte wieder und kratzte mit einem seiner gewaltigen Hufe auf dem Boden herum, so dicht an mir vorbei, daß ich nervös wurde. Ich wollte mir aber nichts anmerken lassen und redete weiter, zählte ihm alle Bedenken und Kritikpunkte auf, die hinsichtlich des Projekts bereits geäußert wurden, und fragte ihn, ob er zu dieser Liste etwas beizusteuern habe. Er hörte zu kratzen auf, starrte mit seinen großen, schwarzen Augen auf mich herab, senkte dabei den Kopf und zog die Oberlippe über die stumpfen, grauen Zähne zurück. Den Rücken an die Säule gepreßt, stand ich langsam auf und langte mit der rechten Hand an den Kolben des Vaporisierers. Wie riesig er war! Wie einschüchternd. Ich dachte an Mr. Yerled und ahnte nun, was er durchgemacht haben mußte. Ich versuchte, so langsam wie möglich zu reden, bat Berish-kaSenka-ka eindringlich um Rat und Hilfe, weil, so sagte ich, mein Bericht alle Standpunkte und Meinungen zu berücksichtigen habe. Ich schwätzte einfach drauflos, um mich von der Angst freizureden. Er fing wieder an, mit dem Vorderhuf zu kratzen, und ich fürchtete schon den Vaporisierer einsetzen zu müssen, als Ronda neben mir auftauchte und ihn aufforderte, Abstand zu halten. Überraschenderweise gehorchte er ihr und ließ schließlich seine weinerliche, nasale Stimme ertönen. »Es ist nicht gut«, sagte er. »Es wird unsere Heimat ruinieren. Wir kennen eure Stützpunkte auf anderen Welten. Sie sind wie Pickel auf der Haut eines Planeten. Nicht bei uns, kleiner Wicht, nicht bei uns.« Er neigte den Kopf, schaute zuerst mich an, dann Ronda und richtete den Blick am Ende wieder auf mich. »Auf daß du heute abend deine eigenen Innereien verschlingen mögest«, sagte er in fast munterem Tonfall. »Und dir wünsche ich, daß du ohne einen Tropfen Wasser einen steilen Pfad hinaufklettern mußt«, entgegnete ich. Er schnaubte, drehte sich um und verschwand zwischen den Säulen. Ronda sah mich an und grinste überheblich, als wollte sie sagen: >Na bitte, hab' ich doch vorausgesagt.< Dann vertröstete sie mich auf morgen oder übermorgen und löste sich auf. Wenig später glaubte ich donnernde Hufschläge in der Ferne verhallen zu hören. Wahrscheinlich hat mir nur die Einbildung ein Schnippchen geschlagen. Auf dem Rückweg hierher wurde ich die Vorstellung nicht los, daß Ronda Loner Kriegskrähe auf dem breiten Rücken von Berish-ka-Senka-ka hockt, sich an seiner zerzausten Mähne festklammert und mit ihm über eine weite Ebene galoppiert. Und irgend etwas sagte mir, daß diese Vorstellung nicht bloß Einbildung war. 7040 - 12. 3 . (29. Tag) Nachricht von ShRil. Traum von Fairy Peg. Botschaft von Yeled. Und all das gleich am frühen Morgen! Am besten, ich beschäftige mich zuerst mit dem Traum, bevor die Eindrücke verblassen, denn einige davon sind neu. Fairy Peg steht dicht neben mir. In Uniform. Sie flüstert mir etwas zu. Kurze, flüchtig formulierte Sätze, die ich nicht verstehe. Wir sind nicht allein. Uns gegenüber steht eine Gabriel-Ratsche. Ebenfalls in Uniform. Targ Alpluakka. Kommandant Alpluakka. Die Luke öffnet sich. Fairy Peg verabschiedet sich. Sehr förmlich. Alpluakka salutiert. Beide gehen durch die Luke nach draußen. Langsam hebe ich die Hand zum Gruß. Die Luke schließt sich. Die Luke, Windy. Wir sind hier an Bord.
Was sagt Fairy Peg? Ich rücke näher an sie heran, höre die Worte, die sie spricht, kann mir aber keinen Reim daraus machen. Eilig gesprochene Worte. Liebesbeteuerungen. Heimliche Worte. Hör genauer hin, Dummkopf! Was sagt sie? »Komm zurück ... brauchen dich ... hier ... vorsichtig ... Liebling.« Die Luke öffnet sich. »Lebt wohl und ... Majestät.« Soldatischer Gruß. Die Luke schließt sich. Noch einmal. Zögern. »Komm zurück, wenn du kannst. Wir ... brauchen dich ... wie hier. Schnell ... vorsichtig ... Liebling.« Luke. »Lebt wohl und laßt es Euch gut gehen, Majestät.« Gruß. Luke. Konzentriere dich, Selbst! »Komm zu uns zurück, wenn du kannst. Wir von Kril brauchen dich. Dort wie hier. Schnell, du mußt zu deinen Gabriel-Ratschen zurück. Und sei vorsichtig, mein fremder Liebling.« Luke. »Lebt wohl und laßt es Euch gut gehen, Majestät.« Gruß. Luke. Meine Gabriel-Ratschen? Kril braucht mich? Komm zu uns zurück? Was soll das bedeuten, Selbst? Hat Fairy Peg mich auf eine offizielle Mission geschickt? Unmöglich. Ich stand doch beim Bund unter Vertrag. Aber warum hat Fairy Peg von >deinen Gabriel-Ratschen< gesprochen? Wieso sind das meine? Tut mir leid, Selbst, aber das kann ich nicht glauben. Das bilde ich mir wohl alles nur ein. Immerhin ist seither eine Menge Zeit vergangen. Das haben wir uns im Schlaf nur so ausgedacht. Ein Wunschtraum. Etwas, das wir uns damals schon gerne erträumt hätten, aber ganz anders stattgefunden hat. Es ist zu vollkommen, um wahr zu sein. In seinen Implikationen zu beängstigend. Jetzt zur Nachricht von Yerled. Eine Entschuldigung dafür, so plötzlich aufgebrochen zu sein, und das Versprechen, so bald als möglich zurückzukehren. In sehr förmlicher Diplomatensprache formuliert. Yerled weiß Bescheid. Wieviel er weiß, ist mir noch nicht klar. Aber er weiß Bescheid. Das wollte er mir mitteilen. Und noch etwas: Er wird zurückkehren, kann aber noch keinen genauen Zeitpunkt nennen. Ich glaube ihm. Mir diese Botschaft zu schicken, würde keinen Sinne ergeben, wenn er nicht die Absicht hätte, zurückzukehren und sich der Situation zu stellen. Im Grunde kommt seine Botschaft einem ersten Akt der Reue gleich. Und vielleicht bittet er mich auch indirekt um Hilfe. Yerled rechnet bestimmt damit, daß ich zwischen den Zeilen lese und meine Erkenntnisse Ronda mitteilen werde. Dadurch, daß er den DiploCode benutzt, will er mir sagen: »Ich bin dein Kollege, einer deinesgleichen. Versteh und hilf mir, bitte.« So lese ich das. Ich wünschte bloß, handfestere Informationen für Ronda zu haben. Außerdem brenne ich vor Neugier. Geduld, Gerard. Geduld. Geduld ist immer gut. Woher kommt es, Selbst, daß sich die besten, aktivsten und anregendsten Zeiten erst nach langen Phasen des Wartens einstellen und so schnell wieder vorbei sind? Eine vereinfachende Frage, ich weiß. Trotzdem hat sie seit eh und je Gültigkeit für mich. Zum Beispiel sitzen wir hier auf Quadra und warten darauf, wie sich unsere Mission entwickelt, warten darauf, Ronda wiederzusehen, warten auf Antworten für unsere Fragen, auf eine Lösung des Stützpunktproblems, auf ShRil. Das Auswärtige Amt bezahlt uns schnelle Arbeit, und die subjektive Zeit fliegt vorbei wie ein Zachors durchs All. Dann warten wir wieder, reisen an einen anderen Ort, warten auf die Ankunft, brauchen Zeit, um zu einer Einschätzung der Lage zu gelangen, um Vertrauen zu gewinnen und so weiter. Warten, warten, warten. Und mir wird alles zu langweilig. Das Warten macht mich ungeduldig. So wie jetzt. ShRils Nachricht macht mich so ungeduldig auf sie, daß ich es kaum mehr aushalten kann. Ich will sie in die Arme schließen, bei ihr sein. Ich will ihre wunderschöne Stimme hören und ihre weiche Haut spüren. Ich möchte alles mit ihr teilen. Aber wenn es gelingen sollte, das Stützpunktproblem bis zu ihrer Ankunft zu lösen oder zumindest halbwegs
gelöst zu haben, will ich mich noch ein wenig in Geduld fassen. Ihre Nachricht ist so süß, so voll von freudiger Erwartung, daß mir das Warten leichter fällt. Denn ich weiß, daß ich am Ende dafür reich belohnt werde. Aber wir wollen nicht länger schwelgen, Selbst. Die Phantasie geht sonst noch mit uns durch. Er reckt sich schon erwartungsvoll. Es reicht zu sagen, daß ich bereit sein werde, wenn ShRil ankommt. Vor einer Weile hat sich Rosa Distel mit donnernder Stimme in der Kabine gemeldet, um mir zu sagen, daß ich für die nächsten achtunddreißig Stunden nicht mit Rondas Erscheinen rechnen kann. Dann verzog er sich wieder. Zum Glück saß ich diesmal nicht auf dem Klo. Achtunddreißig Stunden. Zwei Tage. Vielleicht sollte ich Odi nochmal besuchen, Windy. Ihm unser Friedensangebot bringen. Ich kann doch nicht einfach zwei Tage untätig rumsitzen. 7040 - 14 .3 . (31. Tag) Tja, zu Anfang haben wir uns ziemlich schwer getan, aber als es Zeit wurde zu gehen, hatten wir wieder zu dem guten Einvernehmen des ersten Besuchs zurückgefunden. Offenbar hatte Odi von Ronda erfahren, daß ich es ehrlich und gut meine mit Quadra. Er glaubte sich wohl deshalb bei mir entschuldigen zu müssen, und die Verkrampfung zu Anfang wurde noch größer, weil ich ihm zu versichern versuchte, daß eine Entschuldigung nicht nötig sei. Egal. Die Peinlichkeit war schnell beigelegt. Wir fühlten uns zwar noch ein bißchen verlegen, kamen aber dann ganz gut miteinander klar. Doch als ich ihm die Kopie von >Auf Quadras kaltem Felsen< gab, sackte die Stimmung wieder in den Keller. Meine Annahme, daß er der Autor sei, erwies sich als falsch. Nicht er, sondern sein Bruder hat das Gedicht geschrieben. Sein Bruder Sovini Socios Odi kam bei dem einzig großen Grubenunglück ums Leben, das sich seit dem Einzug der Cuallumesen auf Quadra ereignet hat. Srotisiv fühlte sich für den Tod des Bruders mitverantwortlich. Und so ließ ich, indem ich an ihn erinnerte, alte Wunde wieder aufbrechen. Doch Srotisiv war auch gerührt von dem Gedicht und sagte, daß er eine Übersetzung in die Standardsprache — geschweige denn eine so gut gelungene — nie für möglich gehalten hätte. Anschließend klarte die Stimmung wieder auf. Odi und ich sehen uns nun in einem anderen Licht, in einem helleren Licht, das eine offene und natürliche Verständigung ermöglicht. Zu meinem Bedauern wird sich aber auch diese neu gewonnene Freundschaft auf längere Sicht kaum ausbauen und pflegen lassen. Daran haben wir immer zu schlucken, nicht wahr, Selbst? Das ist der Schatten, der über uns zieht, sobald wir uns einer Person verbunden fühlen. Aber auf dieses Gefühl will ich nicht verzichten. Ich bin vom Typ her auf Beziehungen angewiesen und brauche solche Kontakte, Begegnungen, die das Gefühl von Einheit hervorrufen. In der DiploSchule hat mir ein Lehrer einmal vorgeworfen, daß ich Personen benutzen würde. Aber das stimmt so nicht, denn ich möchte diese Kontakte halten, egal wie weit und wie lange ich entfernt bin von denen, die mir lieb und teuer geworden sind. Mit denen werde ich mich immer verbunden fühlen, egal, was passiert. Ich hoffe, daß dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruht. Meine Klassenkameraden, C'Rina und Gracie, Morrizon und Alvin, Teever Loze (Fara sei seiner Seele gnädig) und vor allem ShRil — sie alle sind ein Teil von mir, und ich bin ein Teil von ihnen. Mit ihnen verbindet mich etwas, das wahr, wirklich und bedeutungsvoll ist. Wie die richtungsweisenden Sterne, so markieren sie Orientierungspunkte auf meinem Lebensweg, ohne die ich aufgeschmisssen wäre. Jetzt fühle ich, wie sich in mir eine ähnliche Zuneigung zu Odi entwickelt. Eine Zuneigung,
die über alle Distanzen wirksam ist. Und dafür bin ich dankbar, Windy, wie für alle Beziehungen dieser Art. Es ist bemerkenswert, daß diejenigen, zu denen ich Zuneigung faßte, nicht immer die zentralen Figuren waren, mit denen ich auch dienstlich zu tun hatte. Ich fand M'Litha zwar äußerst sympathisch, habe aber zu ihr keinen engeren Kontakt knüpfen können. Das gleiche gilt für den Professor. Und Direktor Franiingcard. Und Ronda Loner Kriegskrähe. Und Botschafter Wattuvorschie von der DiploSchule. Verzeih mein philosophisches Gestümper, Windy, aber dieses Phänomen scheint mir metaphysischer Natur zu sein. Wie sollte ich sonst meine Gefühle für Morrizon erklären können? Ich bin ihm nur dreimal begegnet, aber zwischen uns kam es zu einer spontanen Verbundenheit, die sich nicht rational erklären läßt. Zugegeben, er hat mir geholfen, daß ich wieder freikam; allerdings empfinde ich mehr für ihn als bloße Dankbarkeit. Vielleicht werden wir uns nie wiedersehen, aber ich weiß, daß meine Verbundenheit mit ihm andauern wird. Golifa von der DiploSchule hat in diesem Zusammenhang immer von >der Physik< gesprochen. Sie starrte mich dann jedesmal an mit ihren schillernden Augen und sagte: »Gerard, wenn die Physik stimmt, ist alles möglich«, und mit sanfterer Stimme fügte sie meist hinzu: »Besonders zwischen Individuen.« Das habe ich an die hundertmal von ihr gehört. Und Golifa kannte sich aus. Sie war eine richtige Kontaktnudel, attraktiv, faszinierend, ständig von Liebhabern, oder solchen, die es werden wollten, umgeben, nicht zuletzt jedoch auch von Personen, die aufgrund allzu egozentrischer Neigungen nie zu ihren Freunden zählten, es aber trotzdem behaupteten, weil sie das, was Golifa zu geben imstande war, nötig hatten. Sie brauchten den inneren Bezug. Im Hinblick auf Fairy Peg ist all dies ohne Belang, und das macht sie um so rätselhafter. Wenn es eine Verbindung zwischen uns gibt — und ich glaube, nein, ich bin mir sicher, das es sie gab —, dann ist etwas dazwischengekommen. Meine wiederholten Träume von ihr sind wahrscheinlich der Versuch, diese Beziehung zu flicken und zu verstehen, was passiert ist. Hab' ich recht, Selbst? Damit bist du doch beschäftigt, oder? Was haben wir — nach sechs Jahren — heute morgen wieder einmal getan? Wir haben frische Haut über die alten Wunden gelegt, ein Transplantat, kosmetisch aufpoliert mit Hilfe der Einbildungskraft, so daß wir in weiteren sechs Jahren zurückschauen können auf eine saubere, glatte Oberfläche, die uns nicht mehr so nachdrücklich und schmerzhaft an das Darunterliegende erinnert. Wenn eine solche Selbsttäuschung nötig ist, um über den Kummer hinwegzukommen, soll's mir recht sein. Wir wollen uns täuschen, Selbst, bis der abgrundtiefe Schmerz, in den wir gestürzt sind, den Anschein eines harmlosen Tals hat, bevölkert von einfachen Wurmhirten, mit denen wir einst, als wir zu neuen Ufern unterwegs waren, eine Mahlzeit teilten und eine Nacht verbrachten. Sollen wir das tun, Selbst? Ist das die Lösung? Werden wir auf diese Weise unsere Probleme vergessen können? Ich wünschte, so wäre es, kann aber nicht daran glauben. Das ist nicht die Antwort, denn sie entspricht nicht der Wahrheit, und sie ist es, der wir uns früher oder später stellen müssen. Die Wahrheit wird uns vielleicht nicht von der Erinnerung befreien, dafür aber ein klares Bild geben von dem, was wir bekämpfen. Und das wäre schon der halbe Sieg. Täuschen wir uns also nicht, Selbst. Halten wir uns an Tatsachen. Graben wir die einzelnen Teile des Puzzles aus. Nur so läßt sich der Kummer vergessen. (32. Tag) So viel Innenschau vor der Schlafenszeit bringt den alten Traummechanismus richtig in Schwung, nicht wahr, Selbst? Ich habe nicht nur von Teever Loze geträumt, aber als ich aus dem Schlaf aufschreckte, schrie ich seinen Namen. Wie oft muß ich ihn noch sterben sehen?
Wann endlich wird die Erinnerung an seinen zerfetzten Körper verblassen? Warum werde ich so gequält? Ich weiß, daß du darauf keine Antwort hast, Selbst. Du kannst nichts dafür. Auf uns lastet ein Schrecken, der ausgeht von der irrigen, perversen Annahme intelligenter Lebewesen, daß durch Mord und Totschlag Frieden, Freiheit und Wohlstand zu erreichen wäre. Aber so irrig scheint diese Annahme doch nicht zu sein; immerhin akzeptieren wir Kriege als einen Teil unseres Lebens. Wir beobachten fast ungerührt, wie auf fernen Welten gemordet wird, und greifen mit Hurra in Kriege ein, die uns persönlich bedrohen. Darf ich mir ein kritisches Urteil anmaßen? Ich habe selbst gekämpft. Getötet. Ich habe mich mit aller Kraft in solche Schlachten gestürzt und war auch noch stolz darauf. Irgendwie hat es mir — Fara möge mir verzeihen! — sogar Spaß gemacht. Es war faszinierend, ja, ich fühlte mich jedesmal auf ungewöhnliche Weise lebendig. Mit jeder Erholungspause, die auf eine Schlacht folgte, wuchs die erwartungsvolle Bereitschaft, wieder losschlagen zu können, bis mir schließlich bewußt wurde, daß ich kämpfen wollte, zu töten wünschte, aus Lust und Laune. Ich trachtete danach, Teever Lozes Tod immer wieder aufs neue zu rächen. Ich verlor allen Halt, wußte nicht mehr, wer ich war. Und daß dieser Zustand so plötzlich über mich hereingebrochen war, entsetzte mich am meisten. Jetzt erst ahne ich, wie genau Doktor Flo über mich Bescheid wußte, denn sie hat es auf eine für mich immer noch unerklärliche Weise geschafft, mein wirkliches, gesundes, vernünftiges Ich wieder in Kraft zu setzen. Auch du, Selbst, bist nicht untätig gewesen. Als ich anfing durchzudrehen, hast du in Sicherheit gebracht, was noch zu retten war. Ich gratuliere uns zu diesem Akt der Selbstverteidigung, dem wir es verdanken, nicht verlorengegangen zu sein. Gut gemacht, Selbst. Auf dich ist wirklich Verlaß. 7040 - 15. 3 . (32. Tag) Drei Quarks bilden eine Reihe, aber gleich von drei Geistern auf dem Klo überrascht zu werden, ist des Guten zuviel. Ich schrie auf sie ein und fluchte in sechs verschiedenen Sprachen, so laut ich konnte, worauf sie sich verzogen. Und das machte mich noch wütender. Wie konnten sie es wagen, einfach abzuhauen, obwohl ich meine Wut noch nicht vollends losgeworden war? Aber sie verschwanden, und als ich ein wenig verlegen über meinen Anfall das Klo verließ, waren sie an Bord nirgends aufzutreiben. Erst nach einer Stunde kehrten Ronda und Rosa Distel zurück. Shttz kam diesmal nicht mit; ich hatte ihn wohl verschreckt. Erstaunlich, daß sich Geister auch verschrecken lassen. Aber das geschieht ihm recht. Taucht einfach so dicht vor mir auf, daß mir die Krempe seines dummen Huts fast durchs Gesicht streift. Ich glaube, ich habe ihn sogar naß gemacht (falls man Geister überhaupt naß machen kann), doch das wird ihn wohl am wenigsten gestört haben. Ich versprach Ronda und Rosa Distel, daß ich demnächst einen Vaporisierer mit aufs Klo nehmen und erbarmungslos um mich schießen würde, wenn es noch einmal zu solch ungelegenen Besuchen käme. Windy, vielleicht sollten wir eine zusätzlich Sichtblende installieren. Mit dem Vaporisierer habe ich natürlich bloß geblufft. Möglich, daß sie es mit der Angst bekommen haben und sich in Zukunft besser vorsehen. Nachdem ich mich beruhigt hatte, schilderte Ronda kurz, was von der Geistergemeinschaft in der Zwischenzeit unternommen worden war. Sie berichtete von Untersuchungen, Verhören, politischen Manövern und Überzeugungsversuchen, von denen einige, wie ich vermute, mit Nachdruck vorgenommen wurden. Nähere Einzelheiten bekam ich nicht zu hören. Ich fragte auch gar nicht erst danach, erfuhr aber, daß Berish-kaSenka-ka und seine Gefolgsleute isoliert
und gezwungen sind, sich dem Willen der Mehrheit zu beugen. Ich habe auf Berish-ka-Senkaka offenbar keinen Eindruck machen können, doch es scheint, daß unser Treffen einige seiner Anhänger verunsichert hat. Ronda garantiert, daß den leibhaftigen Bewohnern von Quadra keinerlei Gefahr droht von seiten der Dissidenten. Die Ratsmitglieder sind informiert, und sobald Mr. Yerled und Generalin Tizelrassel zurückkehren, wird eine neue Sitzung einberufen. Wie steht's um Mr. Yerled? Ronda plädiert für Milde. Er scheint wirklich von Berish-kaSenka-ka erpreßt worden zu sein und mußte nicht nur um sein Geschäft, sondern auch um sein Leben fürchten. Daß er wegen einer geplanten Bundesbasis nicht sterben wollte, kann Mr. Yerled kaum zum Vorwurf gemacht werden. Ich bat Ronda, mir über Shttz mitteilen zu lassen, wann die nächste Ratssitzung stattfinden wird. Sie sagte, daß sie ihn zu mir schicken würde, wenn er dazu bereit wäre. Danach entstand eine peinliche Stille. Schließlich meinte ich, daß ich noch ein paar Nachrichten aufgeben und meinen Konferenzbeitrag vorbereiten müsse. Als sie verschwanden, fiel mir auf, daß Ronda lieber geblieben wäre; es schien, als habe sie noch etwas tun oder sagen wollen. Wer kennt sich schon mit Geistern aus? Vielleicht war sie einfach nur müde. Aber womöglich hatte sie doch noch etwas auf dem Herzen, Windy. Erinnerst du dich an das erste Treffen mit Shttz? Und an die Unterhaltung mit Ronda über ihr Gedicht? Und an Odis Bemerkung, daß er sich mit Ronda gut verstünde? Vielleicht sucht Ronda Gesellschaft, Gesellschaft mit leibhaftigen Wesen. Vielleicht geht's allen Geistern ebenso. Womöglich hatte Oberst Q. ES't'phons recht, als er sagte, daß die Geister auf Geselligkeit hofften und deshalb das Projekt unterstützen würden. Wohlgemerkt: Sie wollen bestimmt keinen Rummel, sind aber doch auf unsere Anwesenheit irgendwie angewiesen. Vielleicht widersteht Berish-kaSenka-ka diesem Bedürfnis. Vielleicht ... Jetzt reicht's mit den >VielleichtsGespensterunserem Vertrag< und nur noch selten vom >Vertrag über den BundesstützpunktSpäter< so bald sein würde? Ich muß zugeben, daß ich ziemlich erschrocken war, als ShRil mitten in der Nacht zu mir ins Bett kroch, aber von diesem Schock habe ich mich rasch erholt, als sie meine Brust und meinen Bauch mit heißen Küssen bedeckte. Soeben sind wir aufgewacht. Ich habe sie in die Verjüngungszelle geschickt und ihr weitere Ruhe verordnet. Du, Windy, solltest sie weiter im Auge behalten; aber wenn mich nicht alles täuscht, hat sie sich zu neunundneunzig Prozent wieder erholt. Ich könnte platzen vor Glück. Oder dahinschmelzen. Oder mir die Lunge aus dem Hals brüllen. Statt dessen summe ich ununterbrochen die Melodie aus Euieays >LiebeskonzertKleine Galaxis-Legenden und universelle ThemenMythen von Göttern in Vogelgestalt< besucht. Wenn sie zurückkommt, muß ich ihr von Alvin erzählen. Entweder ist der von uns aufgesetzte Vertrag perfekt gelungen oder irgend jemand bei der zuständigen Bundesbehörde hat nicht mehr alle Tassen im Schrank. Ich kann beides nicht glauben. Aber in der jüngsten Meldung heißt es, daß Bestätigung und Zustimmung in drei Tagen eintreffen werden. Das muß ein Fehler sein. In so kurzer Zeit kann doch keiner den Text gründlich gelesen haben, geschweige denn von den jeweiligen Ämtern absegnen lassen. Da scheint uns jemand einen Streich spielen zu wollen. ShRil will diese Nacht im Gästehaus zubringen. Um nachzudenken, wie sie sagt. Habe ihr versucht zu erklären, daß sie hier genauso gut nachdenken könne, aber davon wollte sie nichts wissen. Wie komme ich dazu, ihr zu sagen, was sie tun, wo sie die Nacht verbringen und was sie denken soll? Ich bin schließlich nur ein umherziehender Diplomat, der vor vier Jahren in ihr Leben getreten und kurz darauf wieder abgezogen ist. Jetzt bin ich ein zweites Mal aufgetaucht und stifte nichts als Verwirrung, so daß sie nicht mehr weiß, was sie von sich, ihrer Karriere und der Zukunft halten soll. Kann ich ihr Vorschriften machen? Quatsch, natürlich nicht. Na schön, was hast du ihr denn anzubieten? Deine Liebe? So einmalig ist das nun auch wieder nicht. Was sonst? Achtung, Verständnis, Ergebenheit, Aufmerksamkeit? Großartig, aber auch nichts Besonderes. Aber sie hat doch die Sache mit den Kindern aufs Tapet gebracht. Sie war es, die von >unserer< Zukunft gesprochen hat. Es muß doch irgend etwas geben, irgendein Gefühl der Verbundenheit, auch von ihrer Seite aus. Oder — verzeih mir den Gedanken — oder hat sie mich bloß auf die Probe stellen und herausfinden wollen, wie tief meine Gefühle in Wirklichkeit sind, selbst dann, wenn sie nicht erwidert würden? Oh, Selbst, ich will nicht länger grübeln. Daß ShRil mit mir gespielt haben könnte, will ich nicht einmal als Möglichkeit in Betracht ziehen. Wenn sie mir gegenüber nicht ehrlich ist, dann ... Verflucht! Das führt doch zu nichts. Schick mich in den Schlaf, Windy. (57. Tag) Manchmal, liebes Selbst, kannst du einem gehörig auf den Wecker gehen. Habe ich nicht genug Sorgen am Hals? Mußtest du mich ausgerechnet jetzt von Fairy Peg träumen lassen? Und damit ich den Traum nur ja nicht vergesse, belästigst du mich mit x-facher Wiederholung. Sei's drum. Fairy Peg ist im Bett. Sie legt sich nieder. Es riecht nach Medizin, vermischt mit Duftkräutern. Ich sehe sie aus der Distanz. Vom anderen Ende des Zimmers aus. Es wird im Flüsterton gestritten. Ein Helm und ein Schild. Schatten. Zwei Stimmen. Eine Hand legt sich auf meinen Arm. Mit Nachdruck. Ein Schwert kratzt in der Scheide. Peg richtet sich auf. »Chon!« Ich wachte auf. Noch einmal. Langsamer. Fairy Peg liegt im Bett. Kerzenlicht flackert über ihr fiebriges Gesicht. Medizinfläschchen. Brennende Duftkräuter. Wir stehen in einer Ecke des Zimmers und streiten flüsternd. Schild und Helm verdüstern sein Gesicht. Er packt mich beim Arm. Zieht das Schwert aus der Scheide. Peg sitzt aufrecht im Bett, starrt uns an und schreit: »Chon!« Ich wache auf. Wer ist dieser Kerl? Wer streitet da mit mir und zieht das Schwert gegen mich? Hol mir das Gesicht näher ran, Selbst. Und die Stimme. Auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers liegt Fairy Peg im Bett. Auf einem Tisch
daneben stehen Medzinfläschchen. Duftkräuter glimmen in einer Schale. Ihr Schwert hängt am Bettpfosten. Er sagt, daß ich nichts für sie tun kann. Wir streiten. Es ist Alpluakka, Targ Alpluakka. Der Schild des Kommandanten der Gabriel-Ratschen. Er hält mich zurück, zieht das Schwert aus der Scheide. Fairy Peg hat sich aufgerichtet und zeigt mit dem Schwert auf uns. Ihre Augen flackern wild. »Chon!« schreit sie. Ich wache auf. »Chon!« Gehorche! Was? Wem? Fordert sie mich auf, Alpluakka zu gehorchen? Oder soll er mir gehorchen? Woher kommt es, Selbst, daß in diesen Träumen jede Antwort neue Fragen aufwirft? Ich glaube, Fairy Peg fordert Targ auf, mir zu gehorchen. Er soll von mir ablassen, damit ich ihre Krankheit behandeln kann. >Chon< ist doch der königliche Imperativ, nicht wahr, Selbst? Ja, so muß es sein: Peg gebietet Targ, mir zu gehorchen. Wann hat sich das zugetragen? Bin ich der Prinzgemahl? Oder bin ich erst vor kurzem auf Kril gelandet? Als Diplomat, der den Auftrag hatte, sich einzuschalten in die Behandlung der kranken Prinzessin? In diesem Fall gilt der Befehl mir. Ich soll dem Kommandanten der Gabriel-Ratschen und Hüter des Throns gehorchen. Ja, so paßt alles zusammen. Ich soll Kommandant Targ Alpluakka gehorchen. Oh, wie mühselig es doch ist, die verschütteten Erinnerungen an diese Zeit hervorzukramen. Habe ich versucht, Fairy Peg von irgendeiner Krankheit zu heilen? Habe ich mein Leben riskiert aus Wut darüber, daß man sich weigerte, die richtige Behandlung anzuwenden? Aus welchem Grund sollte man sich geweigert haben? Aus politischem, beruflichem, persönlichem Grund? Hat mich deren Ignoranz in Wut gebracht oder die Weigerung, mich helfen zu lassen? Auf Antworten kann ich wohl noch lange warten. Gefunden habe ich wieder einmal nur ein kleines Puzzle-stück, das ins Bild passen könnte. Gracie sagte einmal, daß von Puzzles nicht die Rede sein könne, weil es keine Einzelstücke geben würde; es gäbe nur ein Ganzes, das sich zum Ganzen zusammensetze. Klingt nicht schlecht, läßt sich aber kaum verstehen und noch viel weniger erfahren. 7040 - 5 . 4 . (57. Tag) ShRil hat soeben angerufen. Sie wird in einer Stunde hier sein. Ihre Stimme klang recht heiter. Sie sagte, daß sie Hunger habe. Windy, bitte zaubere doch eine Kleinigkeit in der Kombüse zusammen. (58. Tag) ShRil geht noch einmal die Notizen durch, die sie sich für den morgigen Vortrag gemacht hat, und ich sitze hier und wundere mich über die seltsamen Wendungen, die eine Liebesgeschichte einschlagen kann. Wir haben fast die ganze Nacht über miteinander gesprochen und einen Entschluß gefaßt. ShRil will, daß wir zusammenbleiben, und ich will dasselbe. Aber jeder von uns hat eigene Verpflichtungen und Aufgaben, die ein Zusammenleben vorerst unmöglich machen. Darum wollen wir eine Cylceia eingehen, eine Art Treuegelöbnis, das für Sylvaner den ersten Schritt zur dauerhaften Vereinigung darstellt (die nach weiteren zwei Schritten erreicht ist). In alten terranischen Begriffen ließe sich, glaube ich, sagen, daß wir nun verlobt sind. Wenn es dann nach unseren Wünschen geht, wird ShRil im nächsten Jahr ihren Dienst bei der Botschaft quittieren und den Job einer reisenden Forscherin annehmen, der ihr von der Universität von Moseen angeboten worden ist. Dann wollen wir uns irgendwo treffen und
entscheiden, ob wir den zweiten Schritt, das sogenannte Scheiteln, wagen können. In dieser Phase wird eine bestimmte Zeit der Trennung notwendig sein, nach der das Paar (das sind wir) beschließt, ob es die permanente Verbindung der Dowonache einzugehen wünscht. >Dowonache< heißt, wörtlich übersetzt: >den einen Pfad geheneinen Kropf voll Körner< verpaßt. Wenn also Fairy Peg mit einem Treffen einverstanden ist, werden wir Alvin Bescheid geben
und fragen, ob er sein Haus zur Verfügung stellt. Sobald der Burnal-Sevene-Vertrag umgeschrieben, unterzeichnet, beglaubigt und abgeschickt ist, nehmen wir uns ein paar Monate frei, lassen Fairy Peg wissen, daß wir sie bei Alvin erwarten, und düsen los. Klingt eigentlich zu simpel dieser Plan, aber ich wüßte nicht, was verkehrt an ihm sein könnte. Problematisch wäre die Sache nur, wenn Alvin verreist sein oder uns eine Abfuhr erteilen würde —oder wenn Fairy Peg Einwände hätte gegen den Treffpunkt. Aber was kümmern wir uns um ungelegte Eier? Zuerst sollten wir Alvin berichten, daß wir in seine Nähe reisen und uns eventuell mit einem Repräsentanten der Ribble-Galaxis treffen müssen. Mal sehen, wie er darauf reagiert. Wenn Fairy Peg mit dem Treffpunkt nicht einverstanden ist, könnten wir trotzdem einen Abstecher unternehmen und bei Alvin vorbeischauen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto stärker wird mein Wunsch, ihn wiederzusehen. Los, Windy, machen wir uns daran, die Nachricht aufzusetzen! 7040 – 27.6. Windy nutzt die Wartezeit und sucht im Bestand der hiesigen Bibliothek nach Spuren der Eleven-Legende. Leider fehlen uns Anhaltspunkte oder konkrete Namen. Laß gut sein, Windy! Wir kommen nicht weiter. Wahrscheinlich gibt's hier überhaupt nichts zu finden. 7040 - 28 .6. Laut Auskunft von Maestro Atherd'it hat das Präsidium beschlossen, daß die Neuformulierung des Vertrages weniger vonnöten sei; wichtiger wäre es, die alte und sehr umständlich abgefaßte Zusatzklausel umzuschreiben sowie fünf bis sechs weitere Klauseln hinzuzufügen. Mir soll's recht sein. Das erleichtert unsere Arbeit. Man will mir morgen einen Vertragsentwurf zur Übersetzung vorlegen. Maestro Atherd'it hat vom Präsidium die Vollmacht bekommen, etwaige Konfliktpunkte in Absprache mit mir zu beseitigen. Botschafter Naryehdecchoq hat sich per Videophon bei mir gemeldet, nachdem er über Maestro Atherd'it von der neuen Entscheidung erfahren hatte. Er war außer sich vor Wut und sagte, daß er mit den kleinen Änderungen, die die Sevenesen jetzt verlangten, selber fertig geworden wäre; dafür hätte man keinen zweitrangigen Chargen herbeiordern müssen. Er will, bevor wir die Texte dem Präsidium vorlegen, selber Einblick nehmen. Ich habe ihn so behutsam wie möglich in die Schranken verwiesen und ihm erklärt, was er eigentlich wissen müßte: Der Bund läßt Aufgaben, wie sie hier anstehen, bewußt von >zweitrangigen Chargen< erledigen, weil er so die Leute vom FödDienst aus der eigentlichen Politik raushalten kann, damit sie im Ernstfall als Vermittler einzusetzen sind. Und so weiter und so fort. Der Botschafter hatte eingehängt, bevor ich mit meinen Erklärungen zu Ende war. Ich glaube, sie haben ihm nicht gefallen. 7040 - 29 . 6 . Guten Morgen, Windy. Guten Morgen, Selbst. Guten Morgen, ShRil. Schön, dich in meinen Träumen anzutreffen. So fängt der Tag gut an. Windy, Selbst, ich möchte euch hiermit verkünden, daß ich vorhabe, ShRil zu einem Treffen bei Alvin zu bewegen (wenn gewisse
Personen wieder abgereist sind, versteht sich). Außerdem will ich sie fragen, ob wir dort unser Scheiteln vollziehen können. Werft mir nicht vor, ich sei ungeduldig. Ich bin lediglich voller Erwartung. Letzte Nacht habe ich von der Cycleia geträumt und deutlich gefühlt, daß es nun an der Zeit ist, den zweiten Schritt zu wagen. Wenn wir, ShRil und ich, uns nach unserem nächsten Treffen trennen müssen, soll es bald sein. Um so schneller ist die Trennung vorüber. Das hat nichts mit Ungeduld zu tun. Maestro Atherd'it hat gerade den Entwurf der neuen Zusatzklausel abgeliefert. Wir können also gleich mit der Arbeit beginnen. Die Übersetzung dürfte nicht allzuviel Zeit in Anspruch nehmen, aber wir wollen sie gründlich machen. Das Präsidium wünscht zwei Versionen: eine wortwörtliche und eine poetische. Der Maestro meint, daß seine Leute am Ende womöglich doch beide Texte akzeptieren würden. Das hoffe ich sehr, denn sonst werde ich dem Bund eine Menge Fragen zu beantworten haben. Dumme Fragen, bei denen nichts rumkommt. Wenn der Bund nun aber zwei Texte erhält, die beide vom Präsidium unterzeichnet sind, wird er sich nicht überrumpelt zu fühlen brauchen und vielleicht sogar einsehen, daß poetische Übersetzungen nicht die schlechtesten sind. Übrigens würde ich gerne dem Zentrum für kulturellen Austausch ein Kopie des kompletten Lexikons zusenden, mitsamt dem Rastersystem und der poetischen Übersetzung des Vertrages. Wir müssen uns schließlich irgendwie erkenntlich zeigen für die großzügige Behandlung, die wir dort erfahren haben. Falls wir je den diplomatischen Dienst verlassen, sollten wir uns vom Zentrum anheuern lassen. 7040 - 2. 7. Ist dir schon aufgefallen, Windy, daß ich das Tagebuch schludern lasse, wenn wir viel zu tun haben, so wie in den vergangenen Tagen? Vielleicht hat das auch seine guten Seiten. Ein Blick auf die letzten Einträge verrät, daß ich einen Hang dazu habe, Belanglosigkeiten festzuhalten. Außerdem scheine ich mich zu oft zu wiederholen. Der Kronrat — oder vielleicht sollte ich besser sagen: der Hofstaat — zweifelt immer noch an meiner Identität. Jetzt wollen sie deine für Ribble ausgestellte Registriernummer wissen, Windy. Eigentlich müßte sie gespeichert sein, doch offenbar ist sie vom Bund gelöscht worden. Ich glaube kaum, daß ich mich daran erinnere, Selbst, aber wir können's ja mal versuchen. Die Erfolgschancen sind gering, zumal wir anscheinend eine Vorliebe für Symbole und Schatten haben. Trotzdem wollen wir unser Bestes geben. Heute morgen habe ich den überarbeiteten Text Maestro Atherd'it ausgehändigt. Wenn das Präsidium keine weiteren Änderungen vornimmt, werden wir, der Maestro und ich, die Vorlage Punkt für Punkt durchsprechen und eventuelle Korrekturen vornehmen, was kaum Probleme aufwerfen dürfte. Die meisten Änderungen sind technische oder auf den neuesten Stand gebrachte Verfahrensvorschriften, die die Beziehung zum Bund regeln sollen. In einem Punkt könnte es jedoch zu Schwierigkeiten kommen: Das Präsidium besteht darauf, daß in allen Streitsachen zwischen Burnal Sevene und der Föderation die Alpha-, das heißt: die poetische Standardversion des Vertrages als rechtsgültige Grundlage heranzuziehen ist. Das wird den Juristen beim Bund sicher nicht schmecken. Zum Glück habe ich in dieser Sache Entscheidungsvollmacht. Aber das Glück könnte sich auch zu meinem Nachteil auswirken, dann nämlich, wenn der Bund mit meiner Entscheidung nicht einverstanden ist und mir die Kündigung ausspricht. Ich muß herausfinden, ob die Hartnäckigkeit des Präsidiums einer Laune entspricht oder auf Prinzipien beruht. Wenn letzteres der Fall ist, werde ich mich nicht querstellen und auf seine
Forderung eingehen. Falls aber Laune im Spiel ist, läßt sich wohl eine Menge Ärger ersparen, wenn ich dieser Klausel widerspreche. Wenn ich's recht bedenke, würde mir eine Kündigung auch nicht viel ausmachen. Sicher, ich würde meinen Diplomatenstatus verlieren und auf spannende Verhandlungen verzichten müssen; statt dessen aber könnte ich für die Universität von Moseen als reisender Forscher an der Seite von ShRil durchs Weltall ziehen. Allerdings bin ich mir bewußt, daß solche romantischen Vorstellungen meist mit der Praxis kollidieren und nur wenig Gewähr auf eine glückliche Zukunft bieten. Ich sollte mir lieber Gedanken darüber machen, wie lange ich noch vom Bund abhängig sein will. Bislang bin ich recht fair behandelt worden, abgesehen von der RibbleAffäre, über die ich aber mangels Informationen nicht urteilen kann. Trotzdem muß ich seit meiner Befreiung von Galaxy VI immer wieder daran denken, daß es nicht schlecht wäre, die Bundesfesseln abzustreifen und eigene Wege zu gehen. Immerhin könnte ich auch auf anderen Gebieten meine Talente zum Einsatz bringen und das nötige Kleingeld verdienen. Da ich dich, Windy, inzwischen abbezahlt habe und ein Posten bei der Universität für uns in Aussicht steht, wäre es vielleicht wirklich an der Zeit für eine Veränderung. Aber das sind im Augenblick bloß Spekulationen, so vielversprechend sie auch sein mögen. Wie hat Meister Glinyas von der DiploSchule immer so treffend bemerkt? »Rechnen Sie stets mit dem Schlimmsten, um im Entscheidungsfall die beste aller möglichen Lösungen zur Hand zu haben.« 7040 – 3. 7. Über eine Registriernummer war in diesem Traum nichts zu erfahren. Oder hast du etwas bemerkt, Selbst? Ich vermute fast, daß Windy auf Ribble überhaupt nicht registriert worden ist. Wir sollten dem Hofstaat klipp und klar mitteilen, daß uns Unterlagen über eine Registration fehlen, falls es die überhaupt jemals gegeben hat. Außerdem wäre eine Protestnote angebracht, mit der wir die Hinhaltestrategie anprangern und darauf aufmerksam machen, wie dringlich ein Treffen ist, da vertrauliche Mitteilungen zu machen sind. Nicht wir, sondern die Höflinge haben sich zu rechtfertigen. Bei der Gelegenheit können wir auch gleich eine kurze Nachricht an ShRil schicken und ihr ganz unverbindlich, aber liebevoll ein Treffen bei Alvin vorschlagen. Allerdings dürfen wir weder ihre noch unsere Hoffnungen allzu hoch schrauben. Morgen treten wir mit Maestro Atherd'it in Verhandlungen. Das Problem der rechtsgültigen Version sparen wir uns für das Ende auf, damit die Spannung gewahrt bleibt. Windy, wie wär's, wenn du ShRils Hologramm projizierst und ich den Beschaller einschalte, um besser einschlafen zu können? Außerdem bitten wir mein Selbst, ein paar erotische Träume für mich auszuhecken. Einverstanden, Selbst? Ob du das schaffst? Gut. Versuchen wir's. 7040 – 4 . 7 . Beim Aufwachen mußte ich an Shttz denken und das, was er mir und ShRil am Abend seines Besuchs über Yuma erzählt hatte. Shttz sagte, daß der Geist von Yuma von einer historischen Person gehört habe, die zur Eleven-Legende passen würde. Wenn mir der Bund den Vertrag kündigt, könnten wir im Auftrag der Universität von Moseen zuerst einmal nach Yuma reisen.
Das muß ich im Auge behalten. Maestro Atherd'it hat heute mit mir die technischen Änderungen zügig und ohne Pause durchgesprochen. Als ich schließlich darauf hinwies, daß die Entscheidung für die AlphaVersion als rechtsgültige Vorlage nicht sehr glücklich sei, kamen wir ins Stocken. Nach einstündiger Diskussion verschoben wir die Verhandlung auf morgen. Ob sich allerdings an den unterschiedlichen Positionen etwas ändern wird, ist zu bezweifeln. Maestro Atherd'it hat das Präsidium davon überzeugt, daß die poetische Version präziser sei als die wortwörtliche, und jetzt will sich auch der Vorstand nicht mehr zufriedengeben mit einer nach seiner Meinung zweitklassigen Übersetzung. Recht hat er, aber das ist nicht der springende Punkt. Es geht nämlich darum, daß die Alpha-Version pragmatischen Beziehungen zur Föderation im Wege steht, anstatt sie zu fördern. An dem Problem sind wir selber schuld, Windy. Das kommt davon, wenn man seine Arbeit zu gut macht. Oder zu stolz sein will. Wenn wir uns an Meister Glinyas Lehren gehalten und diese Schwierigkeiten vorausgesehen hätten, wären wir jetzt besser dran. Aber wir waren so stolz auf uns, das sevenesische System entschlüsselt zu haben, so eingebildet und hochnäsig, daß wir nicht mehr geradeaus sehen und die Konsequenzen erkennen konnten. Morgen werde ich alles daransetzen, den Maestro davon zu überzeugen, daß es für Burnal Sevene besser sei, beide Übersetzungen als gleichwertig anzuerkennen. Wenn er sich auch nur annähernd auf diese Position einläßt, werde ich ihn bearbeiten, bis er endgültig zustimmt. Falls er aber weiter auf dem Prinzip der größtmöglichen Präzision herumreitet und keinen Kompromiß zuläßt, werde ich mich geschlagen geben. Ich weiß zwar noch nicht, wie sich eine solche Entscheidung dem Bund verkaufen läßt, aber wenn der Maestro darauf besteht, muß unsere Seite den kürzeren ziehen. 7040 - 6. 7. Ich habe nachgegeben. Nach erschöpfenden Auseinandersetzungen, die zwei volle Tage in Anspruch genommen haben, war mir klar, daß ich mit meinem Vorschlag nicht durchkommen konnte. Das Präsidium will zwar beide Texte unterschreiben, besteht aber darauf, daß die Alpha-Version als einzig rechtsgültige Vertragsgrundlage angesehen wird. Der Tamos bringt's auf den Punkt: »Was ist, ist; was sein wird, wird sein.« Der Vertrag wird am 10. 7. unterzeichnet. 7040 - 8. 7. Alvin läßt uns wissen, daß wir jederzeit herzlich willkommen sind. Sein verletztes Rad ist recht ordentlich verheilt, behindert ihn aber bei Raumfahrten. Deshalb verreist er nur noch, wenn es nicht zu umgehen ist. Er sagt, daß ich jeden Gast mitbringen könne, der mir lieb sei und eine Aufenthaltsgenehmigung für das Pleuhockle-System bekommen würde. >Alvins Bleibe< ist nicht nur seine Wohnung, sondern ein ganzer Planet! Er hat uns die Fixstern-Koordinaten für das >Pleuhockle-System, Planet Jelvo-fünf, Alvins Bleibe< übermittelt. Windy, erinnere mich daran, ihm demnächst mehr Respekt entgegenzubringen. An die Arbeit. Ich muß dem Bund mitteilen, daß der Vertrag um den 12. 7. herum abgeschickt wird, daß wir anschließend zwei Monate unbezahlten Urlaub zu nehmen gedenken und in Alvins Bleibe zu erreichen sind. Außerdem ist Fairy Peg zu benachrichtigen; sag ihr, daß wir auf Pleuhockle als Treffpunkt bestehen (der Name von Alvins Bleibe braucht vorerst nicht
erwähnt zu werden). Mach außerdem deutlich, daß wir bis zum 20. 7. eine Antwort erwarten. Unser Terminvorschlag wäre der 20. 8. Dann müssen wir ShRil fragen, ob sie uns nach dem 25. 8. bei Alvin aufsuchen kann. Zu guter Letzt eine Nachricht an Alvin, daß wir kommen. Na los, worauf warten wir noch, Windy? 7040 - 10.7.
An Bord von Windy, Flughafen Burnal Sevene
Einen Vertrag zu unterschreiben, während man im Raumanzug steckt, macht keinen besonders eleganten Eindruck. Maestro Atherd'it hat es mir so einfach wie möglich gemacht, aber da Sevenesen keine Tische benötigen, mußte ich auf dem Boden knien, um mein Signum unter den Text zu setzen. Botschafter Naryehdecchoq schien an meiner unbequemen Pose Gefallen zu haben, während die Mitglieder des Präsidiums so taten, als sei der Anblick eines humanoiden Wesens, das in einem ausgebeulten Schutzanzug auf allen vieren herumrutscht, um einen Vertrag zu unterschreiben, durchaus nichts Ungewöhnliches. Wie dem auch sei, ich konnte über den Botschafter zuletzt lachen. Ihm fiel erst auf, daß es zwei Standardübersetzungen gibt, als seine Unterschrift als Zeuge gefragt wurde. Ich drückte ihm die Kopien für die Botschaft in die Hand und machte mich so schnell, wie es die Etikette erlaubt, aus dem Staub. Dann habe ich meine Sachen von der Botschaft abgeholt und bin an Bord geeilt. Als uns seine Nachricht über Videophon erreichte, mußte ich so laut lachen, daß seine Worte nicht mehr zu hören waren. Laß uns jetzt die vorsichtig formulierte Mitteilung an den Bund aufgeben und anschließend mit dem Countdown beginnen. Ich habe dem Maestro und den Mitarbeitern schon auf Wiedersehn gesagt, und von der Flugaufsicht ist soeben die Starterlaubnis durchgekommen. Warum komme ich mir eigentlich so vor wie ein Schuljunge, der anderen einen Streich gespielt hat? Vielleicht weil der Botschafter ein so dummer Kauz ist. Wahrscheinlich setzt er gerade eine geharnischte Botschaft an den Bund auf. Ich wette um ein Monatsgehalt, daß er die Verträge überhaupt nicht gelesen, geschweige denn verstanden hat, was Sache ist. Während seine Nachricht vom Botschafts- zum Diplomatendienst weitergeleitet wird, hat das Bundesamt für Verträge längst auf die Texte reagiert. Über die Beschwerde wird sich also niemand mehr kümmern. Das hast du nun davon, Botschafter Naryehdecchoq, ätsch. In einer Stunde ist Abflug, Windy. Laß uns die Checkliste durchgehen und dann zu Alvin nach Barislon-Jelvo düsen. 8. 7040 - 12. 7.
Im All
Ich bin in guter Stimmung, Selbst, ja, man könnte sagen: verhalten überschwenglich. Warum? Weil ich der Autorität getrotzt habe, einfach so. Bislang ist mir nicht klar gewesen, wie sehr mich meine Position beim Bund eingeschränkt hat. Daß ein so kleiner Akt der Auflehnung eine so große Wirkung hervorruft, ist mir eine wichtige Lehre. Ich bin nicht sicher, ob ich sie in Worte kleiden kann, erkenne aber ganz deutlich, daß wir ständig unter Druck stehen. Ein Teil davon ist gewichen, weil wir den Sevenesen in der Vertragsfrage nachgegeben und dem Botschafter eine Abfuhr erteilt haben. Aber noch sind wir alles andere als unbeschwert. Das kann ich fühlen.
Eine klägliche Analyse, Selbst; nebulös, verschwommen, ungenau. Was für einen Reim soll ich mir machen aus so unbestimmten Gefühlen? Wenn du nicht mit präziseren Ergebnissen aufwarten kannst, sollten wir uns besser wieder in Verdrängung üben. Es hat keinen Zweck, im dunklen zu tappen. Alvin scheint vor seinem KommGerät gesessen zu haben, als unsere Nachricht durchtickerte, denn er meldete sich postwendend. Kurz und direkt. »Komm sofort. Habe ein ElevenMärchen ausfindig gemacht. Warte ungeduldig auf deine Ankunft.« Als wäre die Reise nicht schon aufregend genug; jetzt hat Alvin sogar noch ein >Märchen< für uns. Erstaunlich, daß er sich daran erinnert. 7040 - 15. 7. Noch ein kleines Warpmanöver und vier weitere Tage — dann müßten wir Alvins Bleibe erreicht haben. Der verrückte Vogel konnte es nicht abwarten und hat uns einen Teil seines Fundes übermittelt: ein merkwürdiges Gedicht, das in einer Sprache abgefaßt ist, die terranischen Ursprungs zu sein scheint. Laut Alvin ist die Quelle unbekannt. Den Text hat er rein zufällig in der Bibliothek eines seiner Tradershote-Freunde ausgegraben, als er von Asrai unterwegs nach Hause war. Ein Teil der bruchstückhaften Transkription steht unter dem Titel >Frontplaneten