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Wolfgang Hohlbein - Die Enwor Saga 6 Die Rückkehr der Götter Umschlag: Der Graph, Wien Illustrationen: Christian Mogg Ungekürzte und genehmigte Lizenzausgabe für Tosa Verlag, Wien © der Originalausgabe 1987 by Wilhelm Goldmann Verlag GmbH, München © der vorliegenden Ausgabe 1996 by Tosa Verlag, Wien Gesamtherstellung: Der Graph, Wien
Coverrückseite Als Skar nach jahrelangem Schlaf, in den ihn Priester des Heiligen Berges versetzt haben, erwacht, hat sich seine Heimatwelt Enwor total verändert. Die Satai, Kämpfer für das Gute und die Gerechtigkeit, haben sich scheinbar mit den bösen, reptilähnlichen Quorrl verbündet und terrorisieren die menschliche Bevölkerung. Die Menschen fliehen in Scharen, ihr gesamtes Hab und Gut zurücklassend, in die noch friedlich Nachbarländer. Skar hilft ihnen, und er schwört, alles zu tun, um seine Satai-Brüder zu vernichten. Und so erhält er einen grauenhaften Auftrag. Er muß seinen eigenen Sohn, Inkarnation des scheinbar Bösen, töten, um die Welt zu retten. Doch erst als er diesen Auftrag ausgeführt hat, merkt er, daß er selbst die Bedrohung für die Welt darstellt, daß unbekannte Nächte ihn zu ihrem Werkzeug machen wollen ...
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PROLOG »Du hast dich also entschieden.« Es war etwas im Klang dieser fünf Worte, was ihn frösteln ließ. Die Stimme des greisen Predigers verlor sich fast in der Leere des fensterlosen Raumes und rief- wie überall im Inneren des ausge höhlten, aus Schweigen und Dunkelheit und erstarrter Zeit er schaffenen Berges - keine hörbaren Echos hervor, sondern ver sickerte irgendwo zwischen den Ritzen der Realität. Es war nichts Neues für ihn, aber der Effekt erschreckte ihn je des Mal genauso wie am Anfang. Der Berg war groß genug, eine Stadt aufzunehmen, und manche der Hallen, die durch ein Laby rinth finsterer Gänge und Treppen miteinander verbunden wa ren, hätten einem kleinen Dorf Platz geboten: man erwartete Echos und verzerrten Widerhall, das Wispern und Flüstern der Leere, das Tropfen von Wasser und das leise Klicken und Schaben fallender Steine, all die Geräusche und Laute, die untrennbar mit der Vorstellung unterirdischer Höhlen und Katakomben verbun den waren. Das genaue Gegenteil war der Fall. Der Tempel der Gesichts losen Prediger war ein Ort der Stille, des Schweigens und der Ruhe, einer Ruhe, die tiefer und allumfassender war als alles, was er je zuvor erlebt hatte, jeder Laut, jedes Geräusch, alles, was von draußen kam - er begann das Wort schon auf die gleiche, abwer tend spöttische Art zu denken, in der es die Gesichtslosen Prediger aussprachen - verlor hier drinnen seine Bedeutung, verschwand ohne Spuren und Echos. Er hatte sich unwohl hier drinnen gefühlt, vom ersten Augen blick an, und es lag nicht allein an der sonderbaren Umgebung oder den Geschichten, die man sich über die verrückten Prediger erzählte. Es war etwas Körperliches, und es flößte ihm körperli ches Unbehagen ein. Ein dumpfer Druck lastete auf seinen Oh ren, vielleicht eine Folge der bizarren Akustik dieser Welt aus Stein, und er hatte ständig Durst. In jeder der letzten fünf Nächte hatte er länger geschlafen als in der vorangegangenen, und trotzdem war ihm das Aufstehen im
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mer schwerer gefallen, und er ertappte sich tagsüber immer öfter dabei, in einen Dämmerzustand zwischen Schlaf und Wachen zu versinken. Er war immer müde. Kraftlos. Vielleicht, dachte er matt, war es wirklich so, wie man sich erzählte: vielleicht fraß dieser Tempel seine Kraft, saugte seinen Körper und seinen Geist gleichermaßen aus. Vielleicht, dachte er mit einer Spur von Hy sterie, würde sich sein Körper auflösen, wenn er zu lange hier blieb. Er würde schwach und kraftlos werden und irgendwann verblassen, bis er schließlich Skar verscheuchte den Gedanken. »Ich habe mich entschie den«, sagte er. Er versuchte gleichzeitig gelassen wie selbstsicher zu klingen, aber seine Stimme schwankte und sagte das Gegenteil dessen, was seine Worte behaupteten: daß er sich nicht entschie den hatte, weil eine Entscheidung nicht nötig und wahrscheinlich nicht einmal möglich war, und daß er gar keine andere Wahl hatte, als es zu tun. Daß er vielleicht mit dem einen, logischen Teil seines Denkens begriffen hatte, daß es sein mußte, aber trotz der tagelangen geduldigen Erklärungen des Predigers noch immer nicht genau wußte, was dieses es überhaupt war. Und daß er in Wahrheit Angst davor hatte, es zu erfahren. Der Prediger be wegte sich. Skar war sich nicht sicher, ob das papierne Rascheln, das er dabei hörte, von seinen Kleidern oder der Haut des Alten stammte. Sein Blick verharrte einen Moment auf den gebeugten Schultern des Predigen, löste sich von ihm und suchte den steiner nen, nur mit wenigen Büscheln aus getrocknetem Stroh gepolster ten Trog; den einzigen Gegenstand außer dem Gebetsstein und dem gemauerten Feuerloch in der Wand, der die strenge rechtek kige Geometrie des Raumes durchbrach. Die Schatten schienen dort hinten tiefer, dunkler und das Schweigen fester. Er war schon nicht mehr ganz Teil dieser Welt, sondern mit dem Prediger verbunden, hinübergeglitten auf eine andere, erschreckende Stufe des Seins, auf der sie lebten, dieser Alte und die anderen. Ein seltsames Gefühl breitete sich in Skar aus. Er wußte nicht, was es war. »Hast du Angst?«
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Skar schüttelte den Kopf, schwieg, sah den Prediger unent schlossen an und nickte schließlich. »Ja.« »Das ist gut«, sagte der Alte. Vielleicht war er auch nicht alt; nicht wirklich. Seine Stimme schien die eines jungen Mannes, ob wohl er niemals laut genug sprach, um mehr als zu flüstern. Nein - Skar wußte nicht, ob er wirklich alt war. Sein Gesicht war so zeitlos wie die strengen Rechtecke und Geraden, aus de nen der Tempel zusammengefügt war, von tiefen Falten und Li nien durchzogen und so bleich, wie das Gesicht eines Menschen nun einmal war, der niemals die Sonne sah. Aber Skar war sich nicht sicher, daß es Linien waren, die das Alter hineingegraben hatte. Vielleicht war es etwas anderes. Wenn, so wollte er nicht wissen, was es war. Der Prediger wandte sich um, trat an den Gebetsstein und tat etwas, das Skar nicht erkennen konnte. Als er sich wieder zu ihm herumdrehte, waren seine Hände nicht mehr leer. »Es ist gut, daß du Angst hast, Satai«, sagte er noch einmal, und zum ersten Mal, seit Skar ihm begegnet war, glaubte er etwas wie eine menschliche Regung in seiner Stimme zu erkennen. Mitleid. Mitleid? »Nur wer die Furcht kennt, kann sie auch bezwingen. Trink. Skar nahm gehorsam die Schale aus den Händen des Alten ent gegen. Sie war schwer und so kalt, daß seine Finger zu prickeln begannen. Langsam setzte er sie an die Lippen. Aber er trank noch nicht. Plötzlich, als schrien alle seine Sinne verzweifelt auf und griffen - ein letztes Mal - gierig nach der Welt, von der sie während der letzten Tage Stück für Stück abgeschnitten worden waren, nahm er alles um sich herum mit einer übernatürlichen Klarheit und Schärfe wahr. Die Kälte, die Boden, Wände und Decke verströmten wie einen eisigen Atem, die winzigen Un ebenheiten unter seinen nackten Füßen, die dunklen verzweigten Linien im Gesicht des Predigers, den sterilen Geruch nach Erde und Stein, der den unterirdischen Tempel erfüllte, das Knistern der Flammen im Feuerloch, die kühle Glätte der Schale in seinen Fingern, und tausend andere Dinge.
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Sein Blick suchte noch einmal das steinerne Bett am anderen Ende der Kammer, und das Gefühl in ihm, von dem er noch im mer nicht wußte, was es war, verstärkte sich zu quälendem Schmerz. Das Kind lag reglos, als schliefe es, obwohl seine Augen offen standen. Zu Anfang hatte es viel geschrien und mit den Beinen gestrampelt, aber seine Bewegungen waren jedes Mal, wenn Skar kam und es sah, matter geworden, sein Schreien kraftloser und leiser. Vielleicht war es tot. »Ihr habt ihm... einen Namen gegeben?« fragte er stockend. Der Prediger lächelte. »Es braucht keinen Namen, Skar. Nie mand, der hier lebt, braucht einen Namen. Auch ich habe kei nen.« Skar nickte, setzte die Schale abermals an die Lippen und senkte sie wieder, ohne getrunken zu haben. »Es wäre mir lieber, wenn es einen Namen hätte«, sagte er. Er wußte selbst nicht ge nau, warum er diese Worte sprach. Und trotzdem war es viel leicht das erste Mal, seit er hier herunter gekommen war, daß er etwas mit Nachdruck sagte. Der Prediger blickte ihn aus seinen unergründlichen Augen an. »Sein Name ist Tod, Satai.« Zorn flammte in Skar auf, aber nur für einen Moment. »Ich bin hier, damit es nicht so kommt«, sagte er. Es fiel ihm schwer, aber er hielt dem Blick des Alten stand; diesmal. »Es geht nicht«, sagte der Prediger. »Wie könnten wir ihm ei nen Namen geben, wenn wir nicht wissen, wer er ist? Namen en gen ein. Sie sind schädlich. Sie legen Dinge fest, die noch nicht be stehen. Sie formen das Ungeformte. Unser Glaube verbietet uns, Namen zu tragen, und es ist eine weise Entscheidung. Du kannst ihm einen Namen geben, wenn alles vorüber ist. Für einen Moment regte sich noch einmal Widerstand in Skar, aber er erlosch auch diesmal so schnell, wie er kam. Er war nur noch müde. Er wollte es hinter sich bringen, so schnell er konnte. Er hatte zu lange gekämpft. »Ich verstehe dich, Satai«, fuhr der Prediger fort. »Glaube
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nicht, daß wir grausam sind. Ich weiß, daß die Menschen Angst vor uns haben und uns für grausam und böse halten. Aber das stimmt nicht. Ich begreife deine Qual, und ich teile sie. Du hast ihm das Leben gegeben, und du hast gekämpft wie nie ein Mensch zuvor, um es zu schützen. Jetzt wirst du es vielleicht töten müssen, obgleich es ein Teil deiner selbst ist. Alles, was du ihm noch geben zu können glaubst, ist ein Name.« Skar starrte den Alten verwirrt an. Las er seine Gedanken? Oder war es so leicht, sie auf seinen Zügen zu erkennen? Er er schrak. Wieder spürte er diese Schwäche, eine Erschöpfung, die nichts mehr mit körperlicher Müdigkeit zu tun hatte. >Sein Name ist Tod