Ungekürzte Ausgabe Titel der Originalausgabe: Modesty Blaise Short Stories
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Ungekürzte Ausgabe Titel der Originalausgabe: Modesty Blaise Short Stories
Der Goldmann Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Berteismann Made in Germany „ 1. Auflage „ 6/90 © 1972 der Originalausgabe bei Peter O'Donnel] © 1974 der deutschsprachigen Ausgabe bei Paul Zsolnay Verlag Gesellschaft mbH, Wien und Dannstadt Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung des Paul Zsolnay Verlags, Wien und Darmstadt Umschlagentwurf: Design Team München Umschlagfoto: Guido Pretzl, München Satz: IBV Satz- und Datentechnik GmbH, Berlin Druck: Eisnerdruck, Berlin Verlagsnummer: 9780 MV „ Herstellung: Heidrun Nawrot ISBN 3-442-09780-0
INHALT
SALAMANDER VIER . . . . . . . . . DER MAUER-TRICK . . . . . . . . . . DER POPO DER PRINZESSIN EIN RENDEZVOUS MIT LADY JANET EIN BESSERER TAG ZUM STERBEN . EINE IDEALE NACHT, SICH DEN HALS ZU BRECHEN . . .
7 49 95 129 173 207
SALAMANDER VIER
Die lange Dämmerung begann um drei Uhr nachmittags und tauchte die Tannen- und Föhrenwaälder, die der erste Schnee mit einer dünnen weißen Decke überzogen hatte, in ein sanftes Rot. Das Haus stand auf einer Lichtung zwischen einer schmalen Staubstraße und dem kleinen See mit seinen vielen winzigen weißen und grünen Felsinseln. Beim Haus gab es eine Sauna, nahe dem See, damit man nach der Hitze gleich in das eisige Wasser springen konnte. Das Holzhaus war ebenerdig; ein sehr großes Zimmer nahm beinahe den gesamten Raum ein. Es war warm. Im Kamin aus unbehauenen Steinen brannte ein offenes Holzfeuer und ergänzte die Zentralheizung. Im Keller unter dem dicken Holzboden stand ein Dieselgenerator, der für die Heißwasserpumpe und das Licht der Leuchtstoffröhren sorgte. Die Beleuchtung war geschickt angebracht und gab der massiven Werkbank ein tagähnliches Licht. Neben der Werkbank stand ein Mann. Er hielt einen Holzhammer und einen Hohlmeißel in der Hand, aber seit einer halben Stunde hatte er kein Werkzeug an das Holz gesetzt. Bloß seine tiefliegenden Augen arbeiteten, blickten von dem Tonmodell zu seiner Rechten auf die sechzig Zentimeter hohe Mahagonistatue vor ihm und dann wieder auf das lebende Modell, nach dem er vor drei Wochen den Tonentwurf modelliert hatte. Modesty Blaise sagte: »Können wir eine Pause machen, Alex? Kaffee und eine Zigarette?« Der Mann antwortete nicht. Er schien gar nicht be-
merkt zu haben, daß sie sprach. Er war mittelgroß und dunkel, mit großen, ungeschickt wirkenden Händen. Für gewöhnlich war er langsam und geduldig, jetzt aber wirkte er ein wenig angespannt. Er kaute an der Unterlippe, während er die Statue anstarrte und die Flächen und Vertiefungen in dem satten dunklen Holz prüfte; er spürte der Maserung nach, dem Schwung von Rücken und Brust, der zarten Biegung des Halses. Modesty Blaise saß auf einem runden Tisch mit einer drehbaren Platte. Ihre Beine waren auf einer Seite angezogen, eine Hand ruhte etwas unterhalb des Knies. Sie lehnte ein wenig seitwärts, auf einen ausgestreckten Arm gestützt. Auf ihrem nackten Körper glänzten Lichtreflexe. Dir Haar war zurückgekämmt und im Nacken zusammengehalten. Es war eine entspannte, natürliche Stellung. Alex Hemmer hatte sie in seinem Tonmodell genau eingefangen; und jetzt, drei Wochen später, hatte er die Pose auch in Holz festgehalten. Doch sowohl beim Modell wie bei der Holzplastik war das Gesicht noch unvollendet. Modesty wehrte sich gegen einen aufkommenden Schmerz in dem aufgestützten Arm und schaute zu, wie Alex Hemmer seine Werkzeuge ordentlich zu einer langen Reihe Hohl- und Flachmeißel legte, zu dem Tonmodell ging und wieder am Gesicht zu arbeiten begann. Während der letzten zwei Tage hatte er ein Dutzend Gesichter modelliert und wieder vernichtet, doch das war nichts, verglichen mit den Mühen und Enttäuschungen, die er am Beginn der Arbeit durchgemacht hatte. Sie fragte sich, ob John Dali mit dem endgültigen Resultat zufrieden sein würde - falls Alex jemals fertig werden sollte. Das Ganze hatte mit John Dall begonnen. Als einer der reichsten Männer Amerikas konnte er sich die Befriedigung einer kostspieligen Laune leisten. Und so hatte einer seiner Freunde eines Tages vor drei Monaten Alex 8
Hemmer aus seinem einsamen Haus in Nordfinnland auf Dalls Ranch bei Amarillo in Texas gebracht, wo Modesty eben einen sechswöchigen Besuch beendete. Hemmer war kein weltberühmter Bildhauer, obwohl er Chancen hatte, einer zu werden. Aber er war ein ganz hervorragender Naturalist, ein Bildhauer, dessen Technik selbst von der abstrakten Schule bewundert wurde. »Ich will weder einen Moore noch einen Hepworth«, erklärte Dall. Er war ein schlanker, sportlicher Mann von knapp vierzig Jahren, mit dichtem schwarzen Haar, das er kurz geschoren trug, und einem Gesicht, das auf einen indianischen Einschlag schließen ließ. »Ich will eine Statue, die ihr gleicht, Mr. Hemmer. Nicht lebensgroß. Ungefähr so groß.« Er hielt seine Hand in Tischhöhe. »Und ich hätte gern diese Stellung, weil sie oft so sitzt.« Er setzte sich auf einen großen Perserteppich und stützte sich seitlich auf einen Arm. Modesty lachte und meinte: »Du siehst süß aus, Johnnie.« Dall stand auf und grinste. »Das wirst du niemals, Liebling. Wenn die Statue süß aussieht, dann hat unser Freund gänzlich versagt.« Er wandte sich an den Bildhauer. »Was meinen Sie dazu, Mr. Hemmer?« Alex Hemmer stellte seinen unberührten Drink nieder und starrte Modesty an. Sie saß in der Ecke einer großen Couch und erwiderte seinen Blick ohne jede Verlegenheit. Das Schweigen dauerte an; Alex Hemmers geduldiger Blick war so konzentriert, als sei er in Trance gefallen. Einmal wollte Dall etwas sagen, doch Modesty bedeutete ihm mit einer Handbewegung, stillzubleiben. Endlich fragte Hemmer: »Marmor oder Bronze?« Er sprach ein gutes Englisch, langsam und sorgfältig. »Weder noch«, erwiderte Dall bestimmt. »Holz. Ich weiß, daß Holz weniger hergibt, aber das kann man mit der richtigen Beleuchtung ausgleichen. Ich würde Mahagoni wählen - aber darüber kann man debattieren, nicht
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über das Holz. Es ist wärmer als Marmor oder Stein oder Bronze, und es ist lebendig.« Er blickte Modesty an. »Es paßt zu ihr.« Hemmer nickte bedächtig. »Danke. Hätten Sie Marmor oder Bronze vorgeschlagen, wäre ich weggegangen. Das Material muß mit dem Modell harmonieren. Holz ist warm und lebendig, wie Sie richtig bemerkten. Auch kann ein Bildhauer mit Holz mehr wagen. Es ist das einzige Material für eine Statue dieser Dame.« »Sie haben einen guten Instinkt«, sagte Dall und lächelte. »Mahagoni?« »Ja. Die Farbe wird besser mit der Zeit. Aber es muß unpoliert sein.« »Gut. Wann können Sie anfangen?« Hemmer bestand darauf, in seiner eigenen Werkstatt zu arbeiten, und das vordringlichste Problem war, den richtigen Holzblock zu finden. Es durfte kein junges Holz sein; es mußte künstlich getrocknet oder - besser noch gut abgelegen sein. Das konnte Dall arrangieren. Er besaß eine Anzahl Mühlen und zweihunderttausend Morgen Wald, einschließlich Wäldern in Zentralamerika, wo Mahagonibäume gefällt wurden. Also flogen Dall und Hemmer in die Waldgebiete. Modesty kehrte nach Hause zurück. Ein paar Wochen später erhielt sie ein höfliches Telegramm von Hemmer aus Finnland, in dem er ihr mitteilte, daß der ausgesuchte Holzblock angekommen sei und er bereit wäre zu beginnen. Während der ersten Woche wohnte sie in einem kleinen Hotel nahe von Tepasto. Täglich fuhr sie mit ihrem gemieteten Volvo 144 S zwanzig Kilometer weit in die Föhrenwälder, wo Hemmers einsames Haus stand. Das Tonmodell begann er mit ruhigem Eifer, doch nach drei Tagen fühlte sie, daß er der Verzweiflung nahe war. Er gebärdete sich keineswegs theatralisch. Er begann 10
Lehmbrocken von dem Drahtgerüst zu lösen, auf dem er gearbeitet hatte, und sagte: »Es tut mir sehr leid. Ich glaube, ich bin nicht imstande, das zu schaffen. Es will mir nicht richtig gelingen.« Sie selbst hatte wenig schöpferisches Talent, doch ein gutes Einfühlungsvermögen, und so konnte sie nachempfinden, wie furchtbar es für einen Künstler ist, ohnmächtig vor seinem Material zu stehen. Sie bat ihn, mit der Arbeit aufzuhören, zog sich an, kochte Kaffee und bereitete eine Mahlzeit. Die folgenden drei Tage ließ sie ihn nicht arbeiten. Sie plauderten, unternahmen lange Spaziergänge in den Wald und sägten mit einer Schrotsäge Baumstamme für den Kamin. Wenn die Dämmerung einbrach, spielten sie Pikett, bis es für sie an der Zeit war zu gehen. Sie mußte ihm das Spiel zeigen, und obwohl er wenig Sinn für Karten hatte und ein schlechter Spieler war, schien es ihm Spaß zu machen. Durch einen glücklichen Zufall lief das Telephonkabel zwischen Muoinio und Ivalo nahe am Haus vorbei, und daher gab es darin ein Telephon. Sie hatte es niemals läuten hören, und Hemmer benutzte es, soviel sie wußte, bloß, um Vorräte zu bestellen, doch er rief jedesmal eine Stunde nach ihrer Abfahrt im Hotel an, um sich zu vergewissern, daß sie gut angekommen war. Während dieser Zeit lernte sie ihn gut kennen und fand ihn liebenswert. Zu ihrem Erstaunen erfuhr sie, daß er kein Finne war, sondern ein Ungar. Als junger Mann hatte er an der mißglückten Revolution von 1956 teilgenommen und so Furchtbares erlebt, daß alle seine romantischen Jugendideale zerstört worden waren. Das Mädchen, mit dem er verlobt war, wurde von einem Panzer zermahnt, und in den letzten Stunden des Kampfes war er über die österreichische Grenze geflüchtet. Er hatte sich in Finnland niedergelassen, zum Teil wegen der seltsamen Ähnlichkeit der Sprachen, vor allem 11
aber, weil es ein fernes, ruhiges Land war. Alex Hemmer war ausgestiegen. Niemals mehr würde er sich am Zusammenstoß von Nationen beteiligen oder von Ideologien oder auch Persönlichkeiten. Er tat die Arbeit, die er liebte und gut zu tun gelernt hatte, und er war es zufrieden. Doch jetzt war seine Zufriedenheit bedroht, und Modesty spürte, daß er sich zu fürchten begann. Sie glaubte zu wissen, warum seine schöpferische Kraft versiegte. Nach drei Tagen Muße kamen sie überein, daß er am folgenden Morgen wieder mit der Arbeit beginnen sollte. An diesem Tag verließ sie das Hotel und kam mit ihrem gesamten Gepäck im Kofferraum bei Hemmer an. Er wartete nervös, starrte auf die formlose Tonmasse am Drahtgerüst und versuchte sich zusammenzureißen. Sein Gesichtsausdruck war angespannt. Als sie sich ausgezogen und den Mantel umgeworfen hatte, den sie zwischen den Sitzungen trug, nahm sie nicht ihre gewohnte Stellung auf dem Tisch ein. Sie ging auf ihn zu, nahm sein sorgenvolles Gesicht in ihre Hände und küßte ihn lang und hart auf die Lippen. Sie wußte, daß ihm erst in diesem Augenblick klar wurde, wieviel Sehnsucht nach ihr in ihm geschlummert hatte. Einen ganzen Tag liebten sie einander. Er war in der Kunst der Liebe nicht wirklich versiert, doch auch nicht ganz ohne Erfahrung. Und sein vollkommenes Versinken in ihr machte es schön für sie. Es war das Versinken, das dem Gefühl eines Bildhauers für sein Material entsprang. Als sie zusammen in dem kleinen warmem Schlafzimmer lagen, sog er sie mit allen seinen Sinnen in sich auf, mit seinen Blicken und Händen, die jede Fläche, jeden Muskel, jeden feinsten Unterschied in der Beschaffenheit ihres Körpers erfühlten. Er war langsam und zärtlich, manchmal in Staunen verloren beim Anblick oder bei der Berührung einer Rundung ihres Körpers; dann wieder studierte er mit einem gespannten, leicht verwirrten Lächeln ihr Gesicht. Als
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die Vereinigung kam, glitten sie langsam und dann allmählich rascher dem Höhepunkt entgegen. An diesem Tag ließen sie sich bei Einbruch der frühen Dämmerung in der dampfenden Hitze des Sauna-Hauses rösten und liefen dann an den Rand des Sees, um das Eis aufzubrechen und in die atemraubende Kälte zu tauchen. Sie trockneten ihre glühende Haut vor dem offenen Feuer, und Modesty bereitete eine Mahlzeit. Als sie gegessen hatten, saß sie nochmals für ihn Modell. Er begann den Modellierton an den Drahtschlingen zu formen und arbeitete mit gelassenem Selbstvertrauen. Um Mitternacht war das Modell vollendet - bis auf das Gesicht, das er erst in Angriff nehmen wollte, nachdem der Körper in Holz fertiggestellt war. In dieser Nacht hatte er sie in die Arme genommen und war sofort in den tiefen Schlaf vollkommener Zufriedenheit gefallen. Jetzt, drei Wochen später, war die Mahagonistatue beinahe vollendet. Mit dem Gesicht hatte er Schwierigkeiten, doch die alte Angst kehrte nicht mehr zurück. Er genoß die Herausforderung, wie ein Mann die Herausforderung eines hohen Berggipfels genießt. Er legte die Holzspachtel weg, mit der er gearbeitet hatte, und sagte: »Ja, natürlich.« »Natürlich was, Alex?« »Du sagtest, du möchtest Kaffee und eine Zigarette.« »Das war vor einer Viertelstunde.« Er starrte sie an. »Tatsächlich?« »Wirklich. Aber ich führe nicht Buch.« Sie nahm den hinter ihr liegenden Mantel und zog ihn an, während sie vom Tisch glitt. »Gestern abend bat ich dich, mit der Arbeit aufzuhören und ins Bett zu kommen. Nach vierzig Minuten sagtest du: >Ja, bei Gott.Lassen Sie nicht zu, daß man mich findet. Man ist mir auf den Fersen.Nach Ihnen, bitte