Atlan - Minizyklus 04 - Die Lordrichter Nr. 07
Der Zorn des Erzherzogs von Christian Montillon
Atlan, einst als Krist...
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Atlan - Minizyklus 04 - Die Lordrichter Nr. 07
Der Zorn des Erzherzogs von Christian Montillon
Atlan, einst als Kristallprinz des arkonidischen Imperiums geboren und seines Throns beraubt, strandete nach vielen Jahren auf Terra. Dort wurde er dank eines Zellaktivators zu einem relativ Unsterblichen. Als Freund und Verbündeter Perry Rhodans erlebte er den Aufstieg der Menschheit, als Widerstandskämpfer trat er gegen Usurpatoren und Invasoren an, als Beauftragter der Kosmokraten sah er die Wunder des Kosmos, als Ritter der Tiefe wurde er zum Träger einer entsprechenden Aura. Im Jahr 1225 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) macht sich der Unsterbliche zusammen mit der geheimnisvolen Varganin Kythara auf, einem Hilferuf der Cappins aus der Galaxis Gruelfin zu folgen. Dabei verschlägt es die beiden zuerst auf einen fremden, fernen Planeten: Narukku. Von dort fliehen sie vor den Truppen der Lordrichter mit Ziel VARXODON, um mit dem varganischen Kardenmogher eine wirksame Waffe gegen die mysteriösen Gegner zu gewinnen. Doch der Weg zur Sternenstadt ist weit – auf der Welt der Feuerringe, Maran'Thor, trifft die Gefährten DER ZORN DES ERZHERZOGS …
Der Zorn des Erzherzogs
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Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide sucht die Begegnung mit den Lordrichtern. Kythara - Die Varganin erweist sich alsversierte Saboteurin. Garbhunar - Der Erzherzog fordert Ergebnisse. Gorgh-12 - Der Chefwissenschaftler ringt um seine Macht. K'orhan-7 - Ein treuer Diener des Erzherzogs macht Karriere. Torghunar - Leben und Amt des Veteranen sind in Gefahr.
1. 16. Mai 1225 NGZ Maran'Thor, Siedlung Gwalchmay Obwohl an mehreren Stellen Geräusche zu hören waren, fiel das Ende des Produktionsverlaufs in eine Phase völliger Stille. Ein Roboter stand plötzlich vor dem überraschten Insektoiden-Techniker Ghorma-11, der angesichts der winzigen Version seiner selbst voller Grauen in der Bewegung erstarrte. Denn der Miniroboter hatte eben nicht die Gestalt eines Daorghor, wie es eigentlich gedacht war, sondern ähnelte dem Vorbild nur mehr vage. Seinem Leib fehlten jegliche Einschnürungen, was ihn unglaublich plump wirken ließ. Ehe der Techniker die restlichen Sinneseindrücke recht verarbeiten konnte, begann der Miniroboter sich zunächst langsam, dann rasend schnell um seine Achse zu drehen, was jede genauere Beobachtung unmöglich machte. Spielten seine Optik-Rezeptoren ihm einen Streich? Ghorma-11 hoffte, dass es so sein möge. Er brauchte Klarheit – sofort! Verärgert packte Ghorma-11 zu, und es gelang ihm tatsächlich, den Roboter zu fassen, der sich zuckend in seinem Griff wand. Ghorma-11 drückte mit seinem vorderen Armpaar fester zu. »Ghortila!«, entfuhr ihm ein deftiger Fluch in der alten Sprache. Nichts hätte sein Entsetzen deutlicher zum Ausdruck bringen können. Der schreckliche Anblick ließ ihn nervös mit den beiden hinteren Beinpaaren trippeln. Er überlegte, ob er Hilfe holen sollte, am besten wohl Ghorma-3, mit dem ihn mehr
verband als mit jedem anderen in diesem Raum, vielleicht mehr als mit jedem anderen auf der Welt. Doch konnte er Ghorma-3 diesen Anblick zumuten? Dort, wo sich die Akustiköffnung im winzigen Kopf des Roboters befinden sollte, endete er glatt, abgerundet und mit der metallischen Simulation dunkelbraunen Chitins. Die Mandibeln, die man eigentlich erwartet hätte, entsprangen dafür dem birnenförmigen Hinterhaupt, eine groteske Parodie des Lebens, wie Ghorma-11 fand. Doch selbst mit dieser Entstellung war es nicht genug. Am schlimmsten wirkte auf Ghorma-11 der Anblick des winzigen Facettenauges. Der Roboter verfügte nur über ein einziges, das genau über den Mandibeln saß und aus dessen Zentrum zwei dünne, jede Verhältnismäßigkeit sprengende AntennenFühler ragten. Obwohl ihn dieser widernatürliche Anblick zutiefst erschütterte, hob Ghorma-11 seine viergliedrigen vorderen Greifzangen und stupste die Antennen-Fühler vorsichtig an. Der Roboter reagierte nicht. Offenbar war es eine plumpe, minderwertige Maschine, die Außenreize nicht zu verarbeiten vermochte. Das bestätigte Ghorma-11 in seinem Entschluss, auf Hilfe zu verzichten. Vielleicht war es am besten, den Vorfall ganz zu verschweigen. Warum sollte er andere mit diesem grauenhaften Anblick belasten? Er selbst würde diese Episode vergessen und zur Tagesordnung übergehen. Der Techniker wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er sah, was inzwischen geschehen war. Seine Aufmerksamkeit war völlig von dem Miniroboter gefesselt wor-
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Christian Montillon
den, sodass er seine Umgebung nicht weiter beachtet hatte. Er stand in einem Meer von winzigen Robotern, die in rasendem Tempo von den Produktionsmaschinerien ausgespuckt wurden. Alle waren verkrüppelt. Ghorma-11 schrie bei dieser entsetzlichen Feststellung. Sein völlig untypisches Verhalten machte die anderen Techniker sofort auf ihn aufmerksam. Doch nicht einmal, als alle zusammengelaufen waren, konnte man der Flut Herr werden.
* »Bist du davon überzeugt?«, fragte Ghorma-11. Um ihn herum herrschte Chaos, die Roboter gaben surrende Geräusche von sich, und überall war Bewegung. »Die Produktion ist beendet, das ist eine Tatsache. Allerdings bin ich mir nicht sicher, was die genannte Zahl anbelangt.« Ghorma-3 schwieg, bis Ghorma-11 sich zu einer Reaktion veranlasst sah. »Ich bin bereit, alles zu glauben.« Er warf einen Blick in die Halle, von deren Boden nur teilweise etwas zu sehen war. Längst war er dem grauenhaften Anblick der einzelnen Miniroboter gegenüber abgestumpft. »Es muss wohl eine Million sein.« »Man sprach von fünfzig Millionen.« Ghorma-3 ließ sich auf das mittlere Beinpaar hinabsinken. Dabei zerquetschte er einen der Miniroboter, dem nur noch ein letztes, anklagendes Fiepen vergönnt war, ehe seine Funktionen erloschen. »Es wird viele Stunden dauern, sie zu entfernen, selbst mit Hilfe sämtlicher verfügbarer Reinigungsroboter.« Fünfzig Millionen? »Bei den Lordrichtern von Garb! Die Halle ist nicht groß genug, so viele der Roboter zu fassen, selbst wenn sie in mehreren Reihen aufeinander gestapelt werden«, widersprach Ghorma-11. »Deine eigene Schätzung ist wohl wahrscheinlicher«, stimmte Ghorma-3 zu, während um sie herum Hunderte der entstellten Daorghor-Duplikate von einer Reinigungs-
maschine weggeräumt wurden. Ein Techniker eilte auf seinen beiden Beinpaaren heran. Dabei nutzte er geschickt kleine Lücken im Teppich der Miniroboter aus. Ghorma-11 hatte ihn noch nie zuvor gesehen; dennoch kam er zielstrebig auf ihn zu. »Ghorma-11, du wirst vom Vorsteher der Fabrik erwartet.« Ein leichter Schrecken durchfuhr ihn. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Der Vorsteher war trotz seiner anders lautenden Bezeichnung ein Aufseher, dessen Funktion darin bestand, Fehler ausfindig zu machen und zu ahnden. Er herrschte mit eiserner Klaue, und alle fürchteten ihn. »Ich?«, fragte Ghorma-11 unnötigerweise. »Geh mit«, forderte ihn Ghorma-3 auf. »Widerstand ist zwecklos. Wenn du keinen Fehler begangen hast, kann dir auch nichts geschehen.« Die letzten Worte hörte Ghorma-11 bereits nicht mehr. Er folgte dem Unbekannten. Ein besonders missgestalteter Miniroboter fesselte seine Aufmerksamkeit. Genau genommen fing sich sein Blick sogar an mehreren, denn sie waren jeweils an einem Bein oder Arm zusammengewachsen. Ein groteskes Gebilde aus fünf oder sechs der insektoiden Roboter bewegte sich schlingernd über den Boden. Es kam kaum vorwärts, da sich zum Teil einzelne der verbundenen Roboter in verschiedene Richtungen bewegten. Der Anblick berührte Ghorma-11, und für einen Augenblick vergaß er sogar die bevorstehende Konfrontation mit dem Vorsteher. Er machte einen Schritt zur Seite, und es gelang ihm, das Gebilde zu zerquetschen. Obwohl die Roboter unmöglich über ein Bewusstsein und über Gefühle und Empfindungen verfügen konnten, erschien es Ghorma11 als ein notwendiger Akt der Barmherzigkeit, so zu handeln. Als er den Raum des Vorstehers erreichte, stand dieser direkt neben einem Daorghor, der allein durch seine Größe Ehrfurcht gebietend war. Eine Ausstrahlung unendlicher
Der Zorn des Erzherzogs Effizienz und Strenge ging von ihm aus. Die Antennen-Fühler des Aufsehers pendelten aufgeregt hin und her. Er deutete zunächst auf Ghorma-11, dann auf den Unbekannten. »Wieso hast du das getan?«, fragte dieser. »Was getan?« Ein furchtbarer Verdacht keimte in Ghorma-11 auf. Konnte es denn sein, dass man ihn beschuldigte, etwas mit der Mängelproduktion der Miniroboter zu tun zu haben? »Die Aufzeichnungen zeigen eindeutig, dass du direkt an der Maschine gestanden hast, als die Produktion begann.« Die Anklage wurde ohne jede Emotion vorgebracht, kühl und bestimmt, keinen Raum für Widerspruch lassend. Dennoch wagte Ghorma-11 einen Einwand. »Dann müssen die Aufzeichnungen auch zeigen, dass ich nichts getan habe und dass …« »Aus unerfindlichen Gründen gibt es keine Aufzeichnungen für den betreffenden Zeitraum.« »Das zeigt doch, dass jemand sie manipuliert haben muss!« »Diesen Jemand habe ich direkt vor mir, und ich frage nur eins: Weshalb?« »Wenn ich es wirklich getan hätte, dann hätte ich keine Spur zurückgelassen, also auch kein Bild von mir, als die Produktion schließlich begann!« »So spricht der Saboteur, der seinen Fehler erkannt hat und ihn nun bereut«, warf der Vorsteher ein. »Ist es nicht erbärmlich, wie er sich windet? Ghorma-11 ist mir schon lange verdächtig.« Verdächtig? Er? Er hatte nie etwas getan, was dem Wohl der Fabrik schadete. Welche Inquisition wurde hier betrieben? Brauchte man möglichst rasch einen Schuldigen? Die Tür wurde aufgerissen. Ärgerlich fuhr der Vorsteher herum und erhob seinen Oberkörper, sodass er nur noch auf dem hinteren Beinpaar stand. Mit den frei gewordenen Extremitäten vollführte er hastige Bewegungen, die deutlich machten, dass er nicht gestört werden wollte.
5 »Die Fabrik produziert wieder«, lautete die überraschende Meldung, die der Bote brachte.
* Der Vorsteher eilte aus dem Raum, Ghorma-11 blieb mit dem Unbekannten alleine zurück. Er rätselte über die Identität des anderen und ärgerte sich darüber, sich stets wenig um das gesellschaftliche Leben um ihn herum gekümmert zu haben. Zu wenig, wie sich nun herausstellte. Sicher war der Fremde jemand, den die meisten erkannt hätten. Niemand, der in einem solchen Maß Ehrfurcht gebietend war, konnte eine unwichtige Position bekleiden. »Du bist unschuldig, ich sehe es dir an.« Leise und schneidend drang die Stimme zu Ghorma-11. »Der Vorsteher ist ein Narr, anderes zu behaupten.« »Ihr seid weise«, sagte Ghorma-11 erleichtert. Kaum dass er diese Worte gesprochen hatte, bereute er sie. Fiel ihm denn nichts Klügeres ein? Etwas weniger Abgedroschenes? Er konnte ein Zucken seiner Mandibeln nicht unterdrücken. »Dir fehlen schlicht die Fertigkeiten, eine solch gewaltige Manipulation der Produktionsmaschinerie vorzunehmen.« Der Fremde begab sich zu einem Regal an der hinteren Wand des Raumes. Er ging nicht einfach, er stolzierte auf eine derart imposante Art und Weise, dass es Ghorma-11 den Atem verschlug. Nie zuvor hatte er gesehen, dass sich jemand mit solcher Glorie bewegte. »Du erkennst mich nicht, oder täusche ich mich?« Nervös rieb Ghorma-11 seine beiden mittleren Beine aneinander. Er durfte jetzt nichts Falsches sagen. War es eine Schande, den anderen nicht zu erkennen? Sicher würde ihn das beleidigen. Doch wenn er log, konnte das allzu leicht entdeckt werden … »Vergebt einem unbedeutenden Techniker, der die wahrhaft Mächtigen nicht mit Namen zu nennen weiß, sie aber als solche erkennt, wenn er ihnen gegenübersteht.« Der Unbekannte hielt es nicht für nötig,
6 sich wieder zu ihm umzudrehen. »Du erkennst also K'orhan-7 nicht?« Ghorma-11 wich zwei winzige Schritte zurück, als der Fremde herumwirbelte und dabei seinen Namen nannte. K'orhan-7 … Irgendwo hatte er diesen Namen schon einmal gehört, und wenn ihm nicht bald einfiel, in welchem Zusammenhang das gewesen war, konnte diese Unterredung bitter für ihn enden. Die Rückkehr des Vorstehers erlöste ihn aus seiner Qual. »Unsere Ressourcen werden für Tage erschöpft sein! Viele Tonnen der hochwertigsten Rohstoffe wurden unbrauchbar gemacht!« Er eilte zu dem zusammengesunken dastehenden Ghorma-11 und packte ihn bei den Schultern. »Stoppe deine Manipulation, und zwar sofort, oder ich werde dafür sorgen, dass nicht nur du, sondern alle Arbeiter dieser Fabrik meinen Zorn zu spüren bekommen!« »Du solltest vorsichtig sein, allzu leicht einen Schuldigen auszudeuten für dein eigenes Versagen.« K'orhan-7 sprach leise, doch seine Autorität ließ den Vorsteher augenblicklich verstummen und einige Schritte zurückweichen. »Mein Versagen? Ich habe damit nichts zu tun.« »Du sitzt hier auf diesem Platz, um genau das zu verhindern, was gerade geschieht!« K'orhans Stimme wurde nicht lauter, kein Zeichen von Erregung oder Zorn spiegelte sich darin, doch die Art, in der er sprach, in der er die letzten Silben rascher artikulierte, jagte Ghorma-11 Angst ein. Sollte sich dieser Daorghor jemals gegen ihn wenden, war es um seine Freiheit, ja gar um sein Leben geschehen. »Ich kann nicht reagieren, bevor etwas geschieht«, verteidigte sich der Vorsteher. »Dann bist du nicht fähig, die Aufgaben zu erfüllen, die man dir zugedacht hat, und du bestätigst es auch noch mit deinen eigenen Worten, wie eine tumbe Gulagh!« »Ich …« »Schweig! Wir werden später sehen, was aus dir wird, Vorsteher. Berichte mir zuerst,
Christian Montillon was dort unten vor sich geht.« »Unsere wertvollsten Rohstoffe werden für sinnlose Bauteile verwendet und dann von Robotern zu unmöglichen Gebilden verarbeitet, ohne dass wir den Vorgang stoppen könnten.« Die zunächst aufgeregt schwankende Stimme des Vorstehers wurde zunehmend ausgeglichener, als er seinen Bericht ablieferte. »Doch das Schlimmste ist, dass die Rohstoffe dabei in einem Maß verschmutzt werden, dass es unmöglich sein wird, sie jemals wieder zu reinigen. Ein entsetzlicher Verlust!« »Was entsteht dort unten?«, fragte K'orhan-7. »Überlege gut, bevor du antwortest. Hat es etwas mit der anstehenden Ankunft zu tun?« Die Ankunft? Was sollte das bedeuten? Ghorma-11 ahnte, dass er Zeuge eines Wortwechsels wurde, der nicht für ihn bestimmt war. Unschlüssig überlegte er, was er tun sollte. Auf sich aufmerksam machen? Oder sich sogar unauffällig zurückziehen? »Ich kann es nicht ausschließen«, erwiderte der Vorsteher nach einer unangenehm langen Pause. »Doch es spricht nichts dafür.« »Nichts außer dem höchst ungewöhnlichen Zufall, dass es gerade jetzt geschieht!« K'orhan-7 trat ganz dicht an den Vorsteher heran. »Wenn wegen deiner Unfähigkeit die Ankunft gestört wird, werden die Konsequenzen für dich unabsehbar sein.« Ghorma-11 durchlief es eiskalt, obwohl diese Drohung nicht gegen ihn ausgestoßen worden war. Allein sie mit anhören zu müssen war schon schrecklich genug. Dieser Tag war einfach zu viel für ihn. Er benötigte dringend Ruhe. Ob Ghorma-3 doch Recht hatte mit seiner Vermutung, dass er den Belastungen des Alltags in der Fabrik einfach nicht mehr gewachsen war? Wie sollte er dann mit den heutigen ungewöhnlichen Geschehnissen zurechtkommen? »Was soll mit ihm geschehen?«, fragte der Vorsteher und deutete auf den reglos verharrenden Ghorma-11. »Schicke ihn hinunter in das Chaos, das er
Der Zorn des Erzherzogs nicht zu verantworten hat. Und du solltest mir die wahren Schuldigen bringen, bevor du wieder ein vorgeschobenes Opfer lieferst. Wenn deine Taten so schnell erfolgen würden wie deine Zunge, würdest du deiner Verantwortung gerecht werden. Du hast heute die letzte Gelegenheit, dich zu beweisen!« »Ganz wie Ihr wollt«, dienerte der Vorsteher. Dann schickte er Ghorma-11 hinaus. Draußen empfing ihn eine unheimliche Geräuschkulisse. Überall hämmerten Roboter auf sinnlose Gebilde ein, verbanden sie miteinander zu mächtigen Klötzen. Nach den Worten des Vorstehers war dies ein sinnloser Vorgang, der zu keinem Ziel führte. Doch das konnte der Techniker sich nicht vorstellen. Irgendeinem Zweck musste das Chaos doch dienen, das hier von wem auch immer angerichtet worden war.
2. 17. Mai 1225 NGZ Maran'Thor, nördlich der Gebirgstal-Ostsiedlung Gworndaji »Das Chaos hat seinen Zweck erfüllt«, sagte ich zu Kythara. Wir hatten den provisorischen Raumhafen auf der Hochebene erreicht, ohne entdeckt zu werden. »Die Vorgänge in den Fabriken dürften die meisten der Insektoiden an den Rand der Verzweiflung gebracht haben«, stimmte Kythara zu. »Ein recht wirkungsvolles Ablenkungsmanöver.« Ich nickte ihr zu. »In der Tat. Du hast gute Arbeit geleistet.« »Ich war … erfindungsreich.« Erschöpft sank sie an einem der gewaltigen Stämme zu Boden, hinter denen wir Schutz gesucht hatten. »Doch es war anstrengender, hierher zu gelangen, als die Manipulationen im Netzwerk der Peripherierechner vorzunehmen. Zumal mich in der Höhle die beiden VargKugelroboter unterstützt haben.« »Wie lange werden die Störungen noch andauern?« Die Varganin bedachte mich mit einem
7 undeutbaren Blick aus ihren goldenen Augen. »Wenn die Daorghor noch immer keinen Weg gefunden haben, sie zu beenden, noch etwa achtzehn Stunden lang. Ich habe ein recht umfangreiches Programm eingegeben.« Ein Programm, das die Störaktionen in den Fabriken Zug um Zug verschärfte, wie ich wusste. War es anfangs für die Insektoiden eher lästig gewesen, entwickelte es sich mittlerweile zu einer ernst zu nehmenden Gefahr. Lediglich Vorkommnisse, die Todesfolgen nach sich ziehen mussten, hatte Kythara vermieden. Sehr zu meiner Zufriedenheit, denn seit Kythara wieder genesen war, hatte ich mich auf meine alte Langmut besonnen und sah die Insektenwesen, ob nun Torghan oder Daorghor, nicht mehr als lebende Schießscheiben an. Es war merkwürdig, wie rasch ich mich von glühendem Hass hatte beherrschen lassen. Das sah mir eigentlich gar nicht ähnlich, für gewöhnlich verstand ich es, mein Temperament zu zügeln und mit kühlem Verstand vorzugehen. »Werden sie es stoppen können?« »Ich bin überzeugt davon, dass es ihnen nicht gelingen wird. Sie müssten zuerst die genaue Stelle lokalisieren, von der aus die Manipulation ins Netz eingespeichert wurde, und dort umfangreiche Untersuchungen vornehmen. Das wird nicht möglich sein. Nicht in der knapp bemessenen Zeit.« Kythara schloss für einen kurzen Moment die Augen. »Nun sind wir also an unserem ersten Ziel angelangt. Wir sollten uns beeilen, von hier wieder zu verschwinden.« Die letzten beiden Nächte hatten wir im Schutz einer riesigen Tropfsteinhöhle in der Nähe der westlichen Gebirgstal-Ansiedlung, die meine Begleiterin Gwalchmay nannte, verbracht. Dort hatten wir Deckung, Schutz und einen vorläufigen Ruheort gefunden. Immer und immer wieder hatten wir dabei auch den mysteriösen Würfel verschiedenen Untersuchungen unterzogen – ohne allerdings das geringste verwertbare Ergebnis zu erzielen. Das Artefakt blieb genauso geheimnis-
8 voll, wie es von Anfang an gewesen war, seit wir es in dem kahlen Tresorraum gefunden hatten. Kythara war sich lediglich sicher, dass der Würfel ohne Zweifel nicht varganischer Herkunft war, obwohl Maran'Thor ursprünglich von Varganen besiedelt worden war. Bleiben lediglich etliche Trillionen anderer Möglichkeiten, kommentierte mein Extrasinn gewohnt bissig. Ansonsten waren auch nach weiteren Stunden der Forschung alle Fragen ungeklärt, die den Würfel betrafen. Meist schien er für die Instrumente nicht zu existieren, hatte weder Gewicht noch Energiesignatur; mal war er laut Messungen alterslos, mal vor kurzem entstanden, mal weit über 500 Millionen Jahre alt. Völlig unsinnige Ergebnisse. Fast war es ein wenig ironisch, dass die Insektoiden in allen Fabriken vor scheinbar ebenso sinn- und planlose Manipulationen gestellt worden waren – und nach Kytharas Worten immer noch wurden. Warum sollte es ihnen besser ergehen als uns? Ich nahm den Würfel aus der an meinem Gürtel befestigten Tasche. Pechschwarz, völlig glatt, 18,3 Zentimeter Kantenlänge … aber das war auch alles, was sich verhältnismäßig sicher behaupten ließ. Trotz aller kosmischen Wunder, die ich im Laufe meines Lebens gesehen hatte, faszinierte mich dieses kleine Objekt. Ich spürte, dass es mehr war, als es zu sein schien. »Es ist tatsächlich ein interessantes Artefakt.« Kythara beobachtete mich, wie ich den Würfel nachdenklich zwischen meinen Fingern drehte. »Doch du kannst es anstarren, solange du willst, es wird dir seine Geheimnisse nicht preisgeben. Nicht hier und nicht heute.« »Immerhin haben wir durch die fortwährenden Untersuchungen in der Tropfsteinhöhle den Zugang zum Netzwerk der Peripherierechner gefunden.« Die Instrumente hatten bei einem Test ungewöhnliche Energiewerte angezeigt, die aus dem hinteren Bereich der Höhle gekommen waren. Dort war ein Stück der Wand eingestürzt, und dahinter hatten wir zu unserer Überraschung
Christian Montillon eine der Hauptdatenleitungen des Netzwerks der Siedlung vorgefunden. Auf den Hauptrechner Maran'Thors konnten wir mit deren Hilfe zwar nicht zugreifen, aber es hatte genügt, in den Fabriken jene Ablenkungsmanöver zu starten, die den Großteil der insektoiden Bevölkerung banden und uns somit den Weg zu dem provisorischen Raumhafen ermöglichtn. »Erwartest du hier etwa Ähnliches?«, spottete die Varganin. Ich hielt es nicht für nötig, darauf zu antworten. »Wir müssen auf einen geeigneten Moment warten und eine der Fähren kapern.« »Ich halte es nach wie vor für besser, unauffällig an Bord zu gehen. Je später wir unseren Gegnern preisgeben, wo wir uns aufhalten, umso besser.« Ich bedachte Kythara mit einem langen, nachdenklichen Blick. Die goldenen Augen schienen aus der schimmernden Bronzehaut ihres schmalen, schönen Gesichts heraus zu leuchten. »Auch mir ist der friedliche und unauffällige Weg lieber. Ich habe lediglich Zweifel, dass es uns gelingt, an ein weiterführendes Ziel zu gelangen, ohne das Ruder selbst in die Hand zu nehmen.« »Wir werden sehen, Arkonide.« Wieder schloss sie für einen kurzen Moment die Augen. »Das Ruder selbst in die Hand nehmen«, murmelte sie dann leise vor sich hin, wohl verwundert über diesen blumigen Ausdruck aus der Geschichte Terras. Danach sprach sie wieder zu mir: »Ich weiß selbst nicht, warum ich derart erschöpft bin.« »Wir waren einige Stunden unterwegs, und es war nicht gerade ein angenehmer Spaziergang. Außerdem bist du gerade erst wieder genesen, dem Tod von der Schippe gesprungen, wie meine Larsaf-Barbaren es ausdrücken würden.« »Du unterschätzt die varganische Konstitution«, erwiderte sie. »Ich halte noch ganz andere Dinge aus.« »Dann werden es wohl die ungewohnten Anstrengungen der Computermanipulation gewesen sein«, meinte ich und unterdrückte jeden Impuls des Extrasinns, der mich auf
Der Zorn des Erzherzogs die mangelnde Logik in diesen Worten aufmerksam machen wollte. Dabei ging es mir ähnlich wie Kythara. Ich konnte ebenfalls eine gewisse Erschöpfung nicht abstreiten. Die zwei Nächte in der Tropfsteinhöhle, die ein ebenso sicherer wie unbequemer Zufluchtsort gewesen war, waren nicht gerade erholsam gewesen, und in den letzten Wochen hatten sich die Ereignisse immer wieder überschlagen. Doch solche Zeiten hatte es in meinem Leben im Laufe der Jahrtausende immer wieder gegeben. Daran konnte es nicht liegen. Und auch Kytharas Leben war an Abenteuern nicht arm gewesen – in weitaus mehr als 800.000 Jahren blieben aufregende Zeiten nicht aus. Die Varganin war potenziell unsterblich, seit sie aus ihrem Heimatuniversum, dem »Mikrokosmos«, in die Milchstraße gekommen war. Sie war so alt, wie Ischtar heute wäre, meine Jugendliebe, eine andere Varganin – bei der Vorstellung eines solch langen Lebens schwindelte es sogar mir. Im Vergleich zu den Varganen war ich kaum mehr als ein Kind. In Momenten wie diesen ahnte ich, wie andere, normal alternde Wesen sich fühlen mussten, wenn sie mir gegenüberstanden … Meine Überlegungen wurden jäh unterbrochen, als sich ein Beiboot aus einem der Tropfenschiffe auf das Landefeld in unserer Nähe herabsenkte.
* Obwohl keine Gefahr bestand, entdeckt zu werden, duckten wir uns unwillkürlich. Wir waren vom Landefeld, das nur etwa einen Quadratkilometer der zehn Kilometer durchmessenden Hochebene ausmachte, mehrere hundert Meter entfernt. Hier wuchsen dichte Pflanzen und eigenartig verkrüppelte Bäume, die uns einen mehr als ausreichenden Schutz boten. »Genau ein solches Beiboot muss unser Ziel sein.« Kythara erhob sich und bog ihren schlanken Körper, um einen besseren Blickwinkel zu bekommen.
9 Nicht nur der Anblick des Landebootes war deshalb für mich erfreulich. »Die Frage ist nur, wo es uns hinbringen wird, wenn wir nicht selbst den Kurs bestimmen. Zu einer der Arsenalstationen?« Die drei riesigen Stationen umkreisten in einer Höhe von nur 5600 Kilometern gravo-mechanisch verankert den Planeten und bildeten im Zenit eine Linie von Ost nach West. Von ihnen ausgehend gleißten rötlich schimmernde Energiebahnen zu den Feuerringen Maran'Thors. Offensichtlich nahmen die Insektoiden auf den Stationen eine Manipulation der Feuerringe vor – doch zu welchem Zweck, das war eines der vielen Rätsel, die wir zu lösen hatten. Darüber hinaus befanden sich mindestens 15 der bis zu 750 Meter langen Tropfenschiffe im Orbit um den Planeten. Etwas ging vor auf Maran'Thor, und ich war entschlossen, herauszufinden, worum es sich dabei handelte. Eine solch große Ansammlung an Schiffen wies auf ein bedeutsames Geschehen hin. »Wir dürfen unser Ziel nicht aus den Augen verlieren«, mahnte Kythara. »Letztendlich müssen wir die Sternenstadt VARXODON erreichen. Doch wenn die Arsenalstationen eine der Etappen auf dem Weg dorthin sind, werde ich dem nicht im Wege stehen.« Gedankenversunken starrte ich auf das atemberaubende Panorama, das die Feuerringe und die Arsenalstationen boten. Drei rötlich glühende Ringe umgaben im Abstand von 9800, 10.100 und 10.400 Kilometern den Planeten, jeweils von einer Breite von etwa 50 Kilometern und nur etwa zwei Kilometer dick. Das feurige Glühen entstand vor allem durch die Wechselwirkung der hochenergetischen Strahlung mit den Partikeln der Ringe, deren Atome und Moleküle teilweise ionisiert wurden – daran erinnerte mich der Extrasinn sofort, als ich mich an die Polarlichter von Terra erinnert fühlte. Es ist ein völlig anderes Phänomen! Ich verspürte nicht die geringste Lust, mich mit dem Lästersinn auf eine fruchtlose
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Diskussion einzulassen, also wandte ich mich meiner Begleiterin zu. »Dort hinten erhebt sich eines der Beiboote.« Kythara schwieg einen Moment lang. Das Beiboot näherte sich der mittleren Arsenalstation. Es gab einen atemberaubenden optischen Effekt, als sich das Glühen der Feuerringe auf der metallenen Hülle widerspiegelte. »Wir haben lange genug gewartet.« Ich ließ den geheimnisvollen Würfel wieder in der Tasche verschwinden. »Wir sollten näher herangehen und genauer beobachten.« »Also steht unser Ziel fest?«, vergewisserte sich Kythara. »Wenn du einverstanden bist«, schlug ich vor, »konzentrieren wir uns darauf, in eines der Beiboote zu gelangen. Alles Weitere ergibt sich dann aus der Situation heraus. Aller Wahrscheinlichkeit nach würdest du es steuern können, denn die Arsenalstation hatte dein Identifikationssignal letztendlich akzeptiert.« »Blinde Passagiere oder Kaperpiraten …« Die Varganin atmete tief durch. »Ich bevorzuge das Zweite.«
3. 17. Mai 1225 NGZ Maran'Thor, Cludargans Heimstatt Erzherzog Garbhunar fluchte. »Du hast falsch gehandelt«, zischte er leise. Gefährlich leise. Kommandant Torghunar, der Befehlshaber von Maran'Thor, ein Veteran, streckte seinen Körper. »Die Sabotageakte begannen an so vielen Stellen gleichzeitig, dass ich mir zuerst einen Überblick verschaffen musste! Es …« »Du hättest erkennen müssen, worum es sich handelt! Stattdessen bist du wie ein Gulagh in die Falle gegangen.« Garbhunar ließ keinen Zweifel daran, dass er keine Ausflüchte gelten lassen würde – nicht einmal dann, wenn sie wahr wären. Torghunar war dem Erzherzog seit längerem eine Fackel in den Facettenaugen. »Du hast genauso ge-
handelt, wie deine Gegner es für dich geplant hatten. Sie ziehen an den Fäden, und du lässt dich dirigieren.« »Niemand konnte erkennen, dass es sich um ein Ablenkungsmanöver handelt.« Garbhunars Kopf ruckte herum, die Mandibeln klickten. »Ich hätte es erkannt, und ich habe es auch. Oder stellst du meine Kompetenz in Frage?« »Selbst … selbstverständlich nicht.« Der Dreiarmige hob beschwichtigend alle Klauenhände. »Ich hätte wissen müssen, dass ich mich nicht auf einen Veteranen verlassen kann, der nur Kommandant geworden ist, weil er hier auf Maran'Thor sein Gnadenbrot bezieht.« Torghunar ließ mit keiner Geste erkennen, ob ihn diese Worte trafen oder nicht. »Die Situation in den Fabriken normalisiert sich, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis wir die Varganen ausfindig machen!« »Wenn ich mich nicht persönlich der Sache angenommen hätte, würdest du immer noch irgendwelche internen Verräter jagen, die nie existierten! Als ob Daorghor zu solchen Taten fähig wären.« Garbhunar deutete anklagend auf den Befehlshaber des Planeten. »Du hast es nicht verstanden, die dir von mir großzügig gewährte Bewährungschance zu nutzen. Deine Zeit läuft endgültig ab, Torghunar.« »Ich finde sie. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis …« »Es wird nicht glaubhafter, wenn du es wiederholst. Genau das war schon immer das Problem. Du bist nicht fähig, dich auf neue Begebenheiten einzustellen.« »Ich werde alle Probleme aus der Welt schaffen!« »Rede nicht, handle! Wo befinden sich die Truppen?« Torghunar ließ sich nicht aus der Reserve locken. »Sie untersuchen die Vorgänge in der nördlichen Fabrik, in der …« »In der verkrüppelte Roboter aufgetaucht sind.« Garbhunars Stimme peitschte geradezu. Der Tonfall ließ keinen Zweifel aufkom-
Der Zorn des Erzherzogs men, was er von dem Kommandanten hielt. »Es ist nicht das erste Mal, und es wird auch nicht das letzte Mal sein. Du begehst taktische Fehler.« »Wir müssen das Gemeinsame dieser Vorfälle ausfindig machen! Das, was dem ganzen Geschehen einen Sinn verleiht.« »Du langweilst mich.« Garbhunar wandte sich in Richtung Ausgang. Sein dunkelbrauner Chitinkörper war von einem graumetallischen Schutzanzug bedeckt, nur Kopf und Gliedmaßen lagen frei. Es knisterte leise, bis er auf halbem Weg stehen blieb. »Das Verbindende ist längst offenbar. Es sind Ablenkungsmanöver der Varganen, die hier ihr Unwesen treiben.« »Das vermutet Ihr«, wagte Torghunar zu widersprechen. »Ich weiß es.« Garbhunars Kopf ruckte zur Seite. »Ebenso wie ich weiß, dass der Kommandant der Truppen dieses Planeten mit seiner Aufgabe überfordert ist. Traurig, sehr traurig.« Torghunar ließ sich auf sein mittleres Beinpaar nieder, doch er verteidigte sich nicht. »Die Varganen sind dir überlegen. Du hattest sie bereits in deiner Gewalt, und sie sind entkommen.« Ganz so eindeutig waren die Geschehnisse nicht gewesen, und Garbhunar hatte dabei auch nicht gerade eine gute Figur gemacht, war dem Tod nur um Haaresbreite – und nur dank Torghunar – entkommen, doch darauf ging der Erzherzog nicht ein. Er schuf sich seine eigene Realität. »Und dennoch kümmerst du dich um das, was in den Fabriken geschieht, anstatt sie zu suchen und zu richten!« »Ich werde es beenden.« »Längst schon hättest du den Vorgängen einen Riegel vorschieben müssen.« »Ich werde die Suche nach den Eindringlingen verschärfen.« »Es ist zu spät, Torghunar. Ich werde einen anderen mit der Suche beauftragen. Oder sie am besten selbst in die Hand nehmen.« »Welche Aufgabe habt Ihr für mich vor-
11 gesehen?« Doch Kommandant Torghunar bekam keine Antwort auf seine Frage. Der Erzherzog legte den kurzen Weg zur Tür zurück und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.
* Erzherzog Garbhunar zog sich in sein Quartier in der Zentrumspyramide der nördlichen Kuppelstadt zurück. Hier hatte er Quartier bezogen wie auch Torghunar, der Versager. Über dessen Schicksal musste er noch heute entscheiden. Die Ereignisse überschlugen sich. Er rief K'orhan-7, einen seiner unmittelbaren Untergebenen, zu sich. K'orhan-7 hatte ihm zuerst von den Manipulationen der Produktionsmaschinerien berichtet. Er war zugegen gewesen, als in der Hauptfabrik der Siedlung Gwalchmay die Produktion der ersten verkrüppelten Roboter begann – und es hatte Garbhunar nicht überrascht, dass K'orhan-7 als Erster am entscheidenden Ort gewesen war. Der Vorsteher der dortigen Fabrik hatte sich als ebensolcher Versager erwiesen wie Torghunar, und er hatte seine Strafe bereits erhalten. In seinem Fall war Garbhunar die Entscheidung leichter gefallen. Es dauerte nur sehr kurze Zeit, bis K'orhan-7 im Quartier des Erzherzogs eintraf. »Ich habe schlechte Neuigkeiten«, kam er ohne Umschweife zur Sache. »Es gefällt mir, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der weiß, wie man die Dinge auf den Punkt bringt. Ich vermute, es geht um die Psi-Quelle im Murloth-Nebel.« »Wie immer habt Ihr Recht.« K'orhan-7 hob das obere Armpaar bewundernd an. »Die Psi-Stürme dort haben sich wieder verstärkt.« »Schon wieder.« Garbhunars Mandibeln zuckten für einen Moment unruhig, doch es gab kein weiteres Zeichen einer inneren Beunruhigung. »Ich ahnte es. Berichte Genaueres.«
12 »Nach den Vermutungen der Chefwissenschaftler …« »Vermutungen!«, unterbrach der Erzherzog scharf, ohne sich näher zu erklären. K'orhan-7 redete unverdrossen weiter. »Es liegt an ihnen, nicht an mir, wenn ich keine Fakten vorbringen kann. Glaubt mir, Erzherzog, auch ich kann es nicht mehr ertragen, von Inkompetenz und Versagen umgeben zu sein. Nach den Worten der Chefwissenschaftler also gibt es für die zunehmenden Psi-Stürme zwei verschiedene Ursachen.« »Die Plattform wird eine davon sein«, vermutete Garbhunar. »Sie transitiert durch den Emissionsnebel, ohne einem erkennbaren Muster zu folgen. Wenn wir sie nicht bald stoppen können, wird es unvermeidlich zu einer Katastrophe kommen. Die Strukturerschütterungen der Transitionen heizen die Quelle der PsiStürme immer weiter an. Womit wir bei der zweiten Ursache wären: der Störquelle auf Narukku. Der dortige Ableger der Quelle ist mit Psi-Materie verschmolzen, wie wir wissen.« »Dann ergibt sich die Frage, inwiefern beide Störfaktoren zusammenhängen. Was verbindet den Ableger auf Narukku mit der transitierenden Plattform?« »Es muss eine solche Verbindung geben«, stimmte K'orhan-7 zu. »Zumindest zogen die Chefwissenschaftler dieselben Schlussfolgerungen wie Ihr, Erzherzog. Sie glauben nicht an eine zufällige Parallelität der Ereignisse.« »Wir müssen dieser Psi-Stürme Herr werden! Die Lordrichter von Garb benötigen freien Zugang zur Psi-Quelle!« »Der von Maran'Thor gelieferte Hyperkristallstaub entfaltet positive Wirkung. Es gelingt damit, die Psi-Stürme zu reduzieren.« »Aber?« »Aber die gelieferte Menge reicht bei weitem nicht aus, eine dauerhafte Eindämmung oder gar Stilllegung der Psi-Stürme zu erreichen.« »Wie viel mehr benötigen wir?«
Christian Montillon »Sehr viel mehr! Ohne ausreichende Mengen an Hyperkristallstaub werden die Psi-Stürme das komplette Gebiet um die PsiQuelle dauerhaft unzugänglich machen. Es gibt keine andere Lösung.« »Wir werden die Produktion also erhöhen müssen.« Garbhunars Stimme hatte einen nachdenklichen Unterton angenommen. »Die Lordrichter …« Er sprach den Satz nicht zu Ende. Die Botschaft war auch so mehr als offensichtlich. K'orhan-7 wand sich unbehaglich. »Die Gerüchte verdichten sich, Erzherzog.« »Ich spüre es. Einer der Lordrichter wird kommen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit.« »Was werden wir tun, wenn es bis dahin nicht gelungen ist …« »Es wird gelingen! Es gibt keine Alternative! Wir werden die flüchtigen Varganen wiederfinden, und wir werden die PsiStürme beenden.« »Ihr habt Euch nichts vorzuwerfen, Erzherzog. Ihr seid für die Inkompetenz des Kommandanten nicht verantwortlich.« »Ich hätte früher selbst aktiv werden und einen fähigen Mann mit der Suche beauftragen müssen. Ich wartete ab und vertraute dem Falschen.« K'orhan-7 zeigte keine Reaktion auf dieses Eingeständnis eines Fehlers. »Torghunar ließ sie entkommen! Er hatte die Varganin in seiner Gewalt, und er ließ zu, dass ihr Gefährte sie befreite …« »Ein elementares Versagen«, stimmte K'orhan-7 zu. »Ab sofort wirst du für mich die Varganen finden und damit auch die Sabotage der Produktionsmaschinerien beenden. Entwickle einen Plan, und wenn ich ihm zustimme, werde ich dir alle notwendigen Kompetenzen übertragen.« K'orhan-7 vollzog die Geste der Zustimmung. »Bald werden sie tot vor Euch liegen.« »Vor mir und vor dem, der kommen wird.« »Ich werde Euer Vertrauen nicht enttäu-
Der Zorn des Erzherzogs schen. Was gedenkt Ihr wegen der PsiStürme zu unternehmen?« »Es liegt auf der Hand. Wir benötigen größere Mengen an Hyperkristallstaub. Das erhabene Projekt der Lordrichter darf nicht behindert werden. Wenn es wegen unseren Schwierigkeiten auch nur verzögert wird, wäre die Schande unendlich.« »Die Schande?« »Und die Strafe …«
* K'orhan-7 wusste um die Notwendigkeit, die Vorgänge in den Fabriken mit einem großen Aufgebot an Daorghor zu beobachten, damit die Folgen der jeweiligen Sabotageakte möglichst schnell beseitigt werden konnten. Egal was der Erzherzog darüber dachte – er hatte keine andere Wahl, als einen Großteil seiner Truppen in den Fabriken zu stationieren. Die dauerhafte Zerstörung der Produktionsmaschinerien war ein Preis, der nicht akzeptabel war. Doch genau das stand zu befürchten, wenn sie nicht umgehend eingriffen. Das dem Erzherzog zu vermitteln, versuchte K'orhan-7 gar nicht erst: Zu genau wusste er um Garbhunars Uneinsichtigkeit. Wenn jener einmal eine Meinung gefällt hatte – und das hatte er jetzt zweifellos –, dann war er nur schwer davon abzubringen. Also durfte sein Plan nur das absolut notwendige Minimum an Personal an die Fabriken binden. Der möglichst große Rest der Truppen musste dafür eingesetzt werden, die flüchtigen Varganen ausfindig zu machen und sie zu beseitigen. Um effizient an die Sache herangehen zu können, brauchte K'orhan-7 allerdings Klarheit, Planungssicherheit, und die kam nur, wenn er die zentrale Frage beantworten konnte, die mit den Varganen verknüpft war: Was hatten sie vor? Die Flucht von Maran'Thor? Das war anzunehmen, es gab keinen Grund, auf dem Planeten länger als notwendig zu verweilen. Doch welcher Zeit-
13 rahmen war notwendig? Gab es Zwischenziele, beispielsweise die Arsenalstationen? Und wohin würden sie sich bei ihrer letztlich zwangsläufigen Flucht von Maran'Thor wenden? Wenn er alle bekannten Fakten – wenige genug, wie er zugeben musste – zusammenzählte, war die wahrscheinlichste Ausgangsbedingung, dass die beiden – nur zwei? Oder doch mehr? – Varganen über kein eigenes Raumfahrzeug zu verfügen schienen, also musste es ihr primäres Ziel sein, eine Transportmöglichkeit zu erschließen. Die beste Gelegenheit dazu bot in weitem Umfeld das Landefeld, das mit der Kuppelstadt über fünf Antigravschächte verbunden war. Die Zahl der Beiboote und Zubringerfähren, die zwischen ihm und den Arsenalstationen verkehrten, war groß … eine verlockende Möglichkeit für jeden, der von dem Planeten zu fliehen beabsichtigte. Und für jeden, der die Stationen erreichen wollte. Sie mussten dorthin kommen. Früher oder später. Falls sie nicht schon da gewesen waren und Maran'Thor verlassen hatten. Ein erschreckender Gedanke – denn dann wäre es ungleich schwieriger, sie ausfindig zu machen. K'orhan-7 beschloss, sich zunächst einmal selbst einen Überblick zu verschaffen, und nahm zu den verschiedenen Vorstehern der Fabriken Kontakt auf. Was er erfuhr, hob seine Stimmung nur teilweise: Einerseits verriet der Umstand, dass die Sabotageakte weiterhin erfolgten, dass die Varganen sehr wahrscheinlich noch auf Maran'Thor waren. Andererseits wurden diese Manipulationen zunehmend gefährlicher, hatten längst den Charakter harmloser Manipulationen verloren. Ihm blieb keine andere Wahl: Er musste dem Erzherzog davon berichten und begab sich zu dessen augenblicklicher Residenz. Schnörkellos, wie es die Art seines Volkes war, kam er zum Thema. »Einzelne Maschinen in den Fabriken schalteten sich selbsttätig ab, nachdem sie einen hochexplosiven Sprengstoff produziert hatten.«
14 Garbhunar erstarrte für einen Moment. Dann lief er zu einem der Monitore und gab einige Suchparameter ein. Noch während die Ergebnisse über den flachen Bildschirm flimmerten, wandte er sich scheinbar emotionslos an K'orhan-7. »Nun also zeigen die Varganen ihr wahres Gesicht. Wie viel Vitalausschuss?« »Es wird Euch freuen zu hören, dass niemand zu Schaden kam.« »Was willst du damit sagen?« »Es war stets offensichtlich, dass es sich um Sprengstoff handelte, und es wurde ein Countdown gegeben, der jedem ausreichend Zeit gab, sich in Sicherheit zu bringen. Darüber hinaus sind die Mengen an Explosivstoff minimal. Doch der gehäufte Einsatz hat mittlerweile extremen Sachschaden verursacht. Die Aufräumarbeiten dauern in allen Fabriken an.« »Warum tun sie das? Wieso geben sie sich den Anschein, Leben schonen zu wollen?« »Sie geben sich nicht den Anschein, Erzherzog. Sie tun es.« »Bei ihrer Flucht hinterließen sie 23 Tote.« »Sie verteidigten sich, und sie hatten keine andere Wahl.« Sekundenlange Stille. Dann Garbhunars Stimme. Es knackte leise, als der Erzherzog sein Gewicht verlagerte, und für einen Moment lang war K'orhan-7 versucht, vor seinem Gebieter zurückzuweichen, der wie ein Raubtier auf dem Sprung wirkte. »Auf wessen Seite stehst du, K'orhan-7?« »Ich suche die Wahrheit, um Euch zu dienen«, antwortete er ohne jegliches Zögern. »Wir werden die Varganen nicht finden, wenn wir sie nicht verstehen. Sie töten nicht, sondern sie lenken ab. Sie binden unsere Kräfte, um von Maran'Thor fliehen zu können.« Die gewaltigen Mandibeln raspelten erfreut. »Deine Ehrlichkeit zeichnet dich aus. Nicht jeder wagt es, mir so offen gegenüberzutreten. Die meisten hätten geschwiegen und mir in allem Recht gegeben, ohne ihre
Christian Montillon eigenen Gedanken mitzuteilen. Wenn sie überhaupt eigene Gedanken besitzen.« Garbhunar zögerte kurz. »Du weißt, von wem ich insbesondere spreche?« Der Erzherzog wartete auf Antwort und beschloss schließlich, das Schweigen als richtige Antwort zu werten. »Er wird nicht länger Kommandant der Truppen sein. Er hat genug Fehler begangen. Ich habe mich entschieden. Du wirst Torghunars Nachfolger werden.« »Sein … Nachfolger?« Erstmals zeigte sich Unsicherheit im Verhalten des Offiziers. »Bist du dazu bereit, oder überfordert dich die Verantwortung ebenso wie Torghunar?« »Ich bin bereit«, stellte K'orhan-7 klar. »Es überrascht mich nur, dass Ihr keinen höherrangigen Offizier wählt.« »Nicht der Rang ist für mich entscheidend, sondern Fähigkeit und Loyalität. Und wer könnte loyaler sein als der, der es wagt, mir offen zu widersprechen, und es nicht hinter meinem Rücken tut?« »Was wird aus Torghunar, Erzherzog?«
* »Das Schwert der Ordnung ist unzufrieden mit deinen Leistungen.« Die Worte waren eindeutig, und die Instanz, der sie zugeschrieben wurden, war unanfechtbar. Er hatte verloren. Endgültig. Torghunar schwieg, doch seine Gestalt sackte in sich zusammen. »Ich als der höchste Beauftragte des Schwertes der Ordnung entziehe dir hiermit das Kommando über die Truppen Maran'Thors.« Erzherzog Garbhunar lauerte auf die Reaktion des Entmachteten. »So dankst du mir dein Leben«, murmelte Torghunar bitter. »Wie war das?« »Nichts.« »Dann ist es ja gut«, klackten Garbhunars Worte hart und kalt in die eintretende Stille. »Hier siehst du deinen Nachfolger, dem du
Der Zorn des Erzherzogs deine gesamte Unterstützung schuldig bist: K'orhan-7 wird die anstehenden Probleme zu meiner Zufriedenheit erledigen.« »Ihr übergeht die Offizierskette.« Zum ersten Mal wirkte Torghunar sichtlich verärgert. »Ich werde …« »… sterben. Deine Exekution ist angesetzt. Deine Fehler sind übermächtig. Du hast den Lordrichtern Schaden zugefügt und das erhabene Projekt an seiner Entfaltung gehindert. Schlimmere Vergehen gibt es nicht.« Torghunar krümmte sich für einen Augenblick, doch dann straffte sich seine Gestalt, als er an das vergebliche Opfer seines einzigen Freundes dachte. Sollte es nur einen winzigen Aufschub erwirkt haben? Das war nicht gerecht. Garbhunar traf Fehlentscheidungen aus persönlichen Motiven heraus – ein Unding unter dem Schirm des Schwertes. Entschlossen tat der Kommandant einen Schritt auf Garbhunar zu, der drohend vor ihm aufragte. »Auch Ihr habt Fehler begangen, Erzherzog!« »An deiner Meinung bin ich nicht mehr interessiert. Für dich ist die Zeit des Schweigens angebrochen.« »Ich …« »Jammere nicht und lege keine Rechenschaft mehr ab. Es ist zu spät.« »Überlege die letzten Worte genau«, fügte K'orhan-7 hinzu, seine ersten Worte, seit er die Zentrale betreten hatte, »die du an den Erzherzog zu richten beabsichtigst. Sie werden dein Vermächtnis sein.« Torghunar schwieg einen Moment lang. Dann sprach er die Worte, die wie ein Dolch in Garbhunars Herz drangen. »Ich wurde von dir ungerecht gerichtet. Mögen die Lordrichter dich gerecht richten.«
4. 18. Mai 1225 NGZ Atlan: Erkundungen und Möglichkeiten Um uns herum herrschte tiefe Dunkelheit, doch darauf verließen wir uns nicht. Wir bewegten uns zusätzlich im Schutz unserer De-
15 flektoren, auch wenn sie hier im verlassenen, mit Pflanzen überwucherten Areal nicht notwendig waren. Aber zu viel Vorsicht war in diesem Fall besser, als eine Entdeckung zu riskieren. Wenn wir das hell erleuchtete Landefeld betraten, ließ sich ein Einsatz der Deflektoren ohnehin nicht mehr vermeiden. Kythara lief direkt neben mir, dicht vor uns befanden sich die beiden Varg-Roboter. »Genau jetzt startet in den Fabriken eine neue Welle von Vernichtungen«, flüsterte Kythara. »Den Countdown bis zu den Explosionen habe ich diesmal deutlich kürzer bemessen.« »Das entspricht nicht unserer Abmachung!«, herrschte ich sie an. »Wir hatten beschlossen, dass es keine vermeidbaren Todesopfer geben soll!« Unter dieser Voraussetzung hatte Kythara die Manipulationen in das Computernetzwerk eingegeben, die seitdem – so hofften wir – präzise und nach genauem Zeitplan abliefen. »Die Insektoiden haben trotzdem genügend Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Aber es wird ihre Kräfte noch einmal in stärkerem Maß fordern. Das ist doch genau die Art von Ablenkung, die wir jetzt benötigen, oder etwa nicht? Und wenn einer der Daorghor dabei stirbt, dann ist es eben so. Wir werden es nie erfahren, und es interessiert mich auch nicht. Ich bin sanft genug vorgegangen.« Eine gelungene Analyse der Situation, nicht wahr?, kommentierte mein Extrasinn. Ich erwiderte nichts darauf und wechselte das Thema. »Wir sollten uns wirklich beeilen, von hier zu entkommen. Wenn der Kommandant unserer Gegner die richtigen Schlussfolgerungen zieht, kann er sich leicht ausrechnen, was wir vorhaben. Und ich habe gelernt, meine Gegner niemals zu unterschätzen. Das kann fatale Folgen haben.« »Was du nicht sagst.« Kythara sprach leise und mit einer Mischung aus Süffisanz und Überheblichkeit. Ihre Worte trafen mich. Nicht nur, seine Feinde zu unterschätzen war ein Fehler; es traf ebenso auf Verbündete zu … Selbstverständlich brauchte
16 ich Kythara gegenüber keine grundlegenden Taktiken zu erörtern die sie mindestens ebenso gut kannte wie ich selbst. Sie war nicht die junge, atemberaubend schöne Frau, die sie zu sein schien. Zumindest war sie nicht jung. Als wir den Bereich des dichteren Pflanzenbewuchses und der übermannshohen verkrüppelten Bäume verließen, schwand mit deren Schatten auch die völlige Dunkelheit. Die drei Feuergürtel um den Planeten leuchteten weit über uns grellrot und tauchten unsere Umgebung in gespenstisches, blutfarbenes Zwielicht. Das Landefeld begann weniger als einhundert Meter vor uns. Es war ebenfalls in rötliche Düsternis getaucht und nur vereinzelt von grellem Kunstlicht erhellt. Sowohl Kythara als auch ich stoppten unseren Lauf, auch die beiden kugelförmigen Varg-Roboter hielten inne. Ich beobachtete das Geschehen genau. Einige der Insektenwesen waren unterwegs, eben entfernte sich ein vierrädriges Bodenfahrzeug mit zunehmender Geschwindigkeit von einem gelandeten Beiboot. »Es herrscht mäßiger Betrieb.« Kytharas Gedanken gingen offensichtlich in ähnliche Richtungen wie meine eigenen, aber im Gegensatz zu mir sprach sie sie sofort aus. »Die Fähre ganz am Rand des Landefeldes könnte unser Weg hier heraus sein.« »Überstürzen wir nichts«, widersprach ich vorsichtig. »Lass uns genauer beobachten, was hier vor sich geht, wie viele der Insektoiden sich in dem Beiboot befinden, was …« »Wenn wir uns zu lange Zeit lassen, werden die Störaktionen bald beendet sein. Dieses Landefeld wird dann von Daorghor nur so wimmeln, denn unsere Jäger werden uns hier in der Nähe vermuten.« Natürlich hatte sie Recht. »Doch ebenso wenig nützt es uns etwas, wie die Berserker in das Beiboot zu stürmen und es wild um uns feuernd einzunehmen.« »Ich sehe, du kannst noch besser übertrei-
Christian Montillon ben als ich. Einigen wir uns also in der Mitte: Wir analysieren die Lage und zögern danach nicht zu lange.« Ich setzte mich wieder in Bewegung, und Kythara folgte mir ebenso wie die beiden Roboter. Bald erreichten wir das Landefeld. Im Schutz der Deflektoren eilten wir zu der tropfenförmigen Fähre, die scheinbar verlassen dastand. Sie war rund fünfzehn Meter lang und wies an der dicksten Stelle einen Durchmesser von etwa fünf Metern auf. Eine Gruppe von Insektoiden kam in unsere Nähe. Im ersten Moment befürchtete ich, dass sie uns entdeckt haben könnten, doch ihr Weg führte sie nur zufällig an uns heran. Wir verharrten regungslos, und die Daorghor passierten uns in etwa drei Metern Abstand. Ich konnte Fetzen ihres Gespräches auffangen. »… ungeheuerlich«, sagte eines der Insektenwesen. »Die Dinge geraten immer mehr außer Kontrolle. Hier geht Seltsames vor!« »Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte ein anderer aufgeregt. »Es … es heißt, Torghunar sei …« »Es stimmt!« Ein Dritter mischte sich ein, und seine Stimme war derartig scharf und dominant, dass alle anderen augenblicklich verstummten. Leider erfuhr ich nicht mehr, was der Daorghor noch sagen wollte, denn mittlerweile waren sie zu weit entfernt, als dass ich ihre Worte noch verstehen konnte. Wir warteten noch einen Moment ab, dann setzten wir uns wieder in Bewegung und näherten uns dem Beiboot, das uns von diesem Planeten wegbringen sollte.
* Im Innern des Beibootes bemerkte ich erstaunt, dass sich hinter der Transportfähre zwei der Insektoiden befanden. Wir hatten sie bislang nicht wahrnehmen können. Auch sie befanden sich im Gespräch, und es klang nicht weniger aufgeregt als das ihrer Artgenossen. Offenbar beschäftigten sie sich mit
Der Zorn des Erzherzogs demselben Thema. »Ghandora-12 sagte es mir.« »Vertraust du ihm? Bist du sicher, dass er die Wahrheit spricht?« »Er würde mich niemals anlügen.« »Ich behaupte nicht, dass er lügt. Er ist …« »So? Du klingst nicht so, als wärst du von dem überzeugt, was ich dir mitgeteilt habe.« »Er muss nicht lügen, um dir etwas zu erzählen, was nicht der Wahrheit entspricht! Wenn er es selbst glaubt, wird er es selbstverständlich als Tatsache an dich weitergeben.« »Ich bin ebenso überzeugt wie er. Für mich ist es unumstößlich. Torghunar ist tot.« »Es müsste eine offizielle Nachricht rundgehen, wenn …« »Es ärgert mich, dass ich mit dir meine Zeit verschwende! Wenn wir nicht zusammen Dienst schieben müssten, könnte ich mir wirklich einen angenehmeren Gesprächspartner denken. Deine ewige Skepsis bringt mich noch um den Verstand. Du wirst es sehen! Die Nachricht, auf die du wartest, wird schon bald kommen.« So ging das Gerede der beiden Daorghor noch eine Weile weiter. Die Information, die uns unverhofft zuteil geworden war, war interessant, doch sie wog den immensen Zeitverlust nicht auf, der uns durch das andauernde Geplänkel der Insektoiden entstand. Denn solange sie sich hier in der Nähe des Beiboots befanden, konnten wir nicht zur Tat schreiten. Sie wären zwar keine ernst zu nehmenden Gegner für uns gewesen, doch es war viel wichtiger, nicht aufzufallen. Also warteten wir ab, bis ein einzelnes der Insektenwesen die Schleuse des Beiboots öffnete und wir unbemerkt ins Innere huschen konnten. Das Warten zehrte an den Nerven. Die Zeit drängte, und ich konnte mir denken, dass Kythara ebenso empfand wie ich. Wir mussten bald von hier verschwinden, solange wir das noch konnten. »Hast du das gehört?«, fragte einer der Daorghor plötzlich.
17 Verdammt! War er auf uns aufmerksam geworden? Ich selbst verharrte bewegungslos im Schutz des Deflektorfeldes etwa zwei Meter neben dem Beiboot und gut zehn Meter von den Insektoiden entfernt. Varg-1 und Varg-2, den beiden Kugelrobotern, konnte im Grunde genommen nichts passieren – also blieb nur Kythara. Was war mit ihr geschehen? Mir selbst war nichts aufgefallen. Ich atmete erleichtert auf, als der Daorghor in eine völlig andere Richtung deutete, weg von uns. »Es kam von dort hinten!« »Unsinn, dort ist nichts!«, erwiderte sein Artgenosse. »Oder kannst du etwas sehen?« »Ich habe etwas gehört«, beharrte der erste Daorghor. »Vielleicht sind es die Flüchtlinge! Wenn wir sie finden, wartet eine große Belohnung auf uns.« »Träume ruhig weiter. Dort war nichts, und warum sollten ausgerechnet wir beide über die Flüchtlinge stolpern? Das ist doch Unsinn!« »Du wiederholst dich. Ich habe aber etwas gehört.« »Dann geh nachsehen.« »Komm mit! Wir haben ohnehin lange genug hier herumgestanden. Es gibt Arbeit, die wir zu erledigen haben.« Ich grinste, denn mit diesen letzten Worten stimmte ich hundertprozentig überein. Endlich verschwanden die beiden, doch ich hörte noch einen letzten Satz von ihnen. »Stell dir nur vor, wir würden die Feinde ausfindig machen und überwältigen!« Ich schüttelte leicht den Kopf, obwohl niemand es sehen konnte. Ausgerechnet diese beiden schwatzhaften Wachen sollten uns überwältigen? Wenn keine größeren Schwierigkeiten auf uns zukamen, würde unsere Flucht ein Spaziergang werden. Doch damit rechnete ich nicht. Einige rasche Blicke auf die Eingangsschleuse des Beibootes machten deutlich, dass wir sie nicht so einfach öffnen konnten. Das Eindringen als solches wäre dabei nicht einmal von besonderen Schwierigkeiten begleitet gewesen, doch es war kaum möglich,
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dabei keine Spuren zu hinterlassen. Also hieß es abwarten. Warten, bis jemand kam, um in das Beiboot einzusteigen. Verdammt!
5. Cludargans Heimstatt Erzherzog Garbhunar war gezwungen zu warten. Zum wiederholten Mal aktivierte er den Bildschirm, doch eine Verbindung zu Gorgh-12 kam nicht zustande. Fester als nötig drückte er das Sensorfeld, das die Kommunikationseinheit wieder in den inaktiven Zustand versetzte. Ein durchdringender Ton meldete gleichzeitig, dass sich jemand vor der Tür befand. War das bereits K'orhan-7 mit einer Erfolgsmeldung? Er musste es sein, denn nur der neue Truppenkommandant durfte direkten Einlass begehren, ohne angemeldet zu sein. Abgesehen von … Der Erzherzog öffnete die Tür mittels eines akustischen Befehls, und der Chefwissenschaftler von Maran'Thor trat ein. »Wo hast du gesteckt, Gorgh-12?«, fragte der Erzherzog. »Ich …« »Du warst hierher unterwegs, natürlich!« Garbhunars Mandibeln zuckten gierig. »Ich versuche dich seit Stunden zu erreichen.« Der Chefwissenschaftler rechtfertigte sich nicht. »Ich komme, um dir persönlich Bericht zu erstatten.« »Ich hoffe, du hast Fortschritte zu vermelden. Schlechte Nachrichten gab es in letzter Zeit mehr als genug.« »Ist es gelungen, die chaotischen Vorgänge in den Fabriken zu stoppen?« »K'orhan-7 kümmert sich als der neue Truppenkommandant darum. Ich setze höchstes Vertrauen in ihn. Er wird die Angelegenheit zu meiner Zufriedenheit erledigen.« »Der neue Kommandant?« Leichtes Unbehagen klang in der Stimme des Chefwissenschaftlers mit. »Torghunar wurde standesrechtlich exekutiert. Er hat versagt, und das Schwert der
Ordnung duldet kein Versagen.« Der Erzherzog ließ seinen Worten eine viel sagende Pause folgen. »Ich dulde kein Versagen.« Gorgh-12 antwortete ohne Zögern: »Das erhabene Projekt der Lordrichter steht über allem anderen. Wer an seinen Aufgaben scheitert, hat seine Existenzberechtigung verloren.« »So ist es.« Garbhunar ließ sich auf sein mittleres Beinpaar nieder. »Denk immer daran, denn nur so wirst du mit aller Inbrunst zu vermeiden suchen, dass diese Worte eines Tages auch dein Schicksal bestimmen. Der Posten des Chefwissenschaftlers bringt nicht nur Ansehen mit sich, sondern auch Verantwortung.« »Große Verantwortung«, erwiderte Gorgh-12 ohne jedes Zeichen von Unruhe. »Um auf das Thema meines Besuchs zurückzukommen, ja, ich bringe gute Nachrichten. Wir sind inzwischen in jede der drei Arsenalstationen eingedrungen.« »Was hast du entdeckt?« »Abgesehen davon, dass jede der Stationen fünfzehn Kilometer durchmisst? Wenig, Erzherzog. Sie zu erforschen wird lange Zeit in Anspruch nehmen.« »Du redest, ohne konkrete Aussagen zu machen! Verärgere mich nicht, Chefwissenschaftler.« »Wir kommen rasch voran, doch wir können keine Wunder vollbringen. Die Rechner der Arsenalstationen sind unter unserer Kontrolle. Mit ihrer Hilfe werden wir den Abbau …« »Das hatten wir auch von den Rechnern hier angenommen, und du weißt, was geschah, als die Varganen auftauchten!« Gorgh12 zuckte nicht einmal zusammen. »Du musst mir vertrauen.« »Erweise dich des Vertrauens würdig, Gorgh-12! Liefere mir Ergebnisse oder zumindest Zahlen!« Zufrieden nahm Garbhunar zur Kenntnis, dass der Chefwissenschaftler erste Anzeichen von Unsicherheit zeigte. »Nur sie zeigen, dass deine Worte mehr sind als diffuse Verklärungen.« Der Erzherzog rief sich selbst zur Ordnung. Es
Der Zorn des Erzherzogs half nichts, wenn er zu angriffslustig war. Gorgh-12 war ein fähiger Wissenschaftler, und er lieferte die bestmöglichen Ergebnisse. Kein anderer wäre so schnell vorangekommen wie er. Garbhunar durfte ihn nicht weiter demoralisieren, als es nötig war. »Es ist uns gelungen, sämtliche Hypertraktorröhren zu aktivieren, Erzherzog, und sie saugen kontinuierlich Hyperkristalle aus den Feuerringen.« »Warum nicht gleich so?«, kommentierte Garbhunar knapp. »Du bringst also tatsächlich eine Erfolgsmeldung. Ich habe auch nichts anderes von dir erwartet. Ich bin überzeugt davon, dass mein Chefwissenschaftler genügend Hyperstaub liefern wird.« Gorgh-12 vollführte eine Geste der Unterordnung und Anerkennung. »Das werde ich in der Tat, Erzherzog. Euer Vertrauen ehrt mich.« »Du darfst die Kontrolle über die Computer der Arsenalstationen keinesfalls verlieren. Wenn Varganen mit entsprechender Berechtigung auf den Stationen auftauchen, könnten sie sich Zugang zum Netz verschaffen.« »Ihr sprecht von den Flüchtlingen?« »Sie steuern die Störaktionen in den hiesigen Fabriken. Wenn sie Ähnliches in den Arsenalstationen anzetteln, ist das mit einer Katastrophe gleichzusetzen.« »Dazu müssten sie einen Weg finden, die Stationen zu betreten.« »Kannst du das ausschließen? Bist du etwa sicher, dass es keine bislang unentdeckten Transmitter gibt, die Zugang ermöglichen?« »Vollständige Sicherheit gibt es nicht.« »Wie sicher bist du dir? Du bist für alles verantwortlich.« »Ich werde mein Bestes tun. Könnt Ihr mir mehr Personal zur Verfügung stellen?« Garbhunar überlegte kurz, wog Prioritäten gegeneinander ab. »Ich werde den neuen Truppenkommandanten rufen. Du sollst K'orhan-7 kennen lernen. Er soll entscheiden, wie viele Daorghor er entbehren kann.«
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* Als der neue Truppenkommandant Maran'Thors eingetroffen war, kam er rasch auf die Vorgänge auf den Arsenalstationen zu sprechen und darauf, was zu befürchten stand. Gorgh-12, der Chefwissenschaftler, war zugleich der Hauptverantwortliche für den Abbau der Hyperkristalle aus den Feuerringen. »Wir arbeiten daran, die Effizienz der Hypertraktorröhren weiter zu erhöhen, um eine größere Menge an Kristallen abzusaugen. Doch damit ist der Vorgang keineswegs beendet. Im Gegenteil.« »Erkläre es mit einfachen Worten«, forderte K'orhan-7. »Verständlich und vor allem schnell.« Gorgh-12 zögerte nicht, schien sich aber auch nicht sonderlich zu beeilen. Wollte er damit seine Missbilligung zum Ausdruck bringen oder lediglich die Kompetenzen klar abstecken? Der Kommandant beschloss, den Wissenschaftler nicht aus den Augen zu lassen. »In diesem Fall reicht es wohl aus, zu sagen, dass ein ebenso aufwändiger wie langwieriger Prozess der Nachbearbeitung nötig ist. Das Ergebnis ist ein feiner, rötlich glitzernder Staub, dessen hyperenergetische Emissionen genau auf jene der Psi-Quelle Murloth abgestimmt sind.« »Und der dazu dient, die Psi-Quelle zu stabilisieren«, fügte Erzherzog Garbhunar hinzu. »Sie selbst und ihre kleinen Ableger«, ergänzte der Chefwissenschaftler. »Und was genau verlangt mein Erzherzog von mir?«, fragte K'orhan-7, ganz bewusst den Wissenschaftler aussparend. Er würde ihn auf seinen Platz verweisen – was dieser Gorgh-12 konnte, war K'orhan-7 schon lange möglich. »Ich bin kein Wissenschaftler, und die Jagd auf die flüchtigen Varganen hält mich stark beschäftigt. Da mein Vorgänger nicht effizient arbeitete, musste ich Altlasten abtragen, und die Umstrukturierung meiner Truppenkräfte ist angesichts des Chaos auf Maran'Thor keine leichte
20 Aufgabe.« »Bislang konnten erst rund zwei Kubikmeter Kristallstaub gewonnen werden«, erklärte der Chefwissenschaftler hastig, ehe der Erzherzog etwas sagen konnte. Hier ging es um die Machtstrukturen der nächsten Zukunft, und er würde sich nicht in eine ungünstige Position manövrieren lassen! »Es werden mehr, viel mehr benötigt.« Garbhunar stellte sich mit einer einzigen, raschen Bewegung zwischen die beiden. Sie wichen zurück, aus der Reichweite seiner Arme. Der Erzherzog deutete auf K'orhan-7. »Die Psi-Quelle muss stabilisiert werden, und das rasch! Wir dürfen keine Verzögerungen zulassen! Du bist hier, weil ich dir eine Frage stellen will: Was, meinst du, wird geschehen, wenn die Flüchtigen auf die Arsenalstationen gelangen?« Ohne jedes Zögern antwortete der Truppenkommandant: »Sie werden den Abbau der Hyperkristalle sabotieren.« »Das darf nicht geschehen!« Aufgeregt gab Gorgh-12 einige zischende Laute von sich. Der Erzherzog wendete sich K'orhan-7 zu. »Du wirst Einsatzkräfte abstellen, um die Arsenalstationen zu sichern. Ich überlasse das Ausmaß der Schutztruppen dir – doch erweise dich meines Vertrauens als würdig!« »Das werde ich«, versicherte dieser. »Doch mehr als das: Ich werde zu verhindern wissen, dass die Varganen überhaupt erst auf die Arsenalstationen gelangen.« »Es wird nicht einfach sein, alle Möglichkeiten auszuschalten, zumal wir nichts über mögliche Transmitterstationen wissen.« Der Chefwissenschaftler winkte verzweifelt mit dem oberen Armpaar. »Sie könnten …« »Was?«, fragte Garbhunar. »Sprich zu Ende!« »Nichts, Erzherzog. Ich fragte mich nur gerade, ob sie nicht längst auf die Stationen gelangt sein könnten.« »Darüber nachzudenken hat keinen Sinn«, meinte K'orhan-7. »Wir können lediglich ab
Christian Montillon sofort Gegenmaßnahmen ergreifen. Wenn Ihr erlaubt, Erzherzog, ziehe ich mich zurück und leite erste Schritte ein.« Garbhunar nickte und deutete danach auf Gorgh-12. »Was gedenkst du zu tun?« »Ich suche die Arsenalstationen auf und überwache den Vorgang der Nachbehandlung. Es gibt einige Bestrebungen, ihn effizienter zu gestalten.« Der Chefwissenschaftler wandte sich ebenso wie K'orhan-7 dem Ausgang zu. »Nur noch eins«, rief Garbhunar. »Etwas, das ihr beide nicht vergessen dürft. Es bleibt nicht mehr viel Zeit!«
* Gorgh-12 plante, einen der Antigravschächte in Cludargans Heimstatt aufzusuchen und sich direkt zu der Shuttlefähre zu begeben, die auf dem Landefeld auf ihn wartete. Er stoppte seinen hastigen Lauf, als eine Stimme seinen Namen rief. Es war K'orhan-7, der gleichzeitig mit ihm den Empfangsraum des Erzherzogs verlassen hatte. »Was willst du?«, fragte Gorgh-12 den neuen Truppenkommandanten Maran'Thors. »Gibt es noch etwas zu besprechen?« »In der Tat«, antwortete der Insektoide, als er aufgeschlossen hatte. »Da ist noch etwas, das in der Gegenwart Garbhunars nicht erörtert werden konnte.« Er schwieg, als zwei unbekannte Daorghor ihn und K'orhan-7 in dem schmalen Gang passierten. Erst dann antwortete der Chefwissenschaftler. »Deine Worte sind … interessant. Ich bin gespannt.« »Ich höre Misstrauen in deiner Stimme. Lass dir gesagt sein, dass ich den Erzherzog nicht zu hintergehen plane.« Die angespannte Haltung des Chefwissenschaftlers löste sich ein wenig. »Wie kommst du darauf, dass ich etwas Derartiges vermutete?« »Jedes Glied deines Körpers sagte es mir. Du bist Wissenschaftler, oder etwa nicht? Müsstest du nicht wissen, dass man an der
Der Zorn des Erzherzogs Körperhaltung von Daorghor, die ihre Emotionen nicht unter Kontrolle halten können, ablesen kann, was sie denken?« Gorgh-12 begann langsam wieder weiterzulaufen. »Leider muss ich dir Recht geben. In beiden Punkten, die du angesprochen hast.« K'orhan-7 zeigte nicht, ob er den kleinen Triumph über seinen Gesprächspartner genoss. »Es ist keine Zeit für einen privaten Schlagabtausch, auch wenn ich vermute, dass wir uns viel zu sagen hätten. Es imponiert mir, mit welcher Gelassenheit du eine Schwäche eingestehst. Wenn du auf deinem Arbeitsgebiet so brillant bist, wie ich vermute, ist es nicht verwunderlich, dass du einen so hohen Posten innehast.« »Nicht umsonst bin ich der oberste Wissenschaftler Maran'Thors«, unterbrach Gorgh-12. »Ich habe mein Können bereits unter Beweis gestellt. Ja, ich bin auf meinem Gebiet brillant.« Keinerlei Hochmut sprach aus seinen Worten. Der Kommandant ging nicht auf die kleine Spitze ein, sondern zischte vielmehr nur amüsiert. »Erzherzog Garbhunar verlangt von mir, dass ich viele Probleme gleichzeitig löse. Wenn ich, wie er es wünscht, nun auch noch die Arsenalstationen schützen soll, brauchte ich tausend weitere Soldaten unter meinem Kommando.« »Mit Verlaub gesagt, selbst die doppelte Menge würde keine wirksame Überwachung der fünf Stationen ermöglichen. Sie sind einfach zu riesig.« »Siehst du – du erkennst das Problem selbst. Scheitere ich, weil ich zu wenige Truppen habe, scheiterst auch du, denn selbst alle Truppen Maran'Thors würden nicht ausreichen, das Innere der Stationen zu sichern. Also lass uns überlegen: Wo genau benötigst du besonderen Schutz?« »Wir haben die Computer der Stationen unter unserer Kontrolle. Sie bilden den größten Gefahrenpunkt. Stelle hundert deiner Untergebenen ab, die die unmittelbaren Zentralräume schützen. Ob es Zugriffsmöglichkeiten von außerhalb dieser Zentralen gibt,
21 wissen wir nicht.« »Es war dir und deinen Mitarbeitern in der Kürze der Zeit selbstverständlich nicht möglich, die Stationen zu erforschen«, konstatierte der Truppenkommandant. Der Wissenschaftler zögerte kurz, dann machte er eine Geste der Zustimmung. »Ein Problem, das Garbhunar nicht erkennen will.« »Genau deshalb rede ich ohne sein Beisein mit dir. Der Erzherzog muss sich jetzt um … wichtigere Dinge kümmern.« »Seine Zeit ist zu kostbar, um sie mit kleinlichen Besprechungen zu vergeuden«, pflichtete Gorgh-12 ihm bei. K'orhan-7 hob anerkennend die beiden oberen Armpaare an und verschränkte zwei Greifklauen ineinander. »Unsere Zusammenarbeit wird sich sehr angenehm gestalten.« »Zusammenarbeit …« Der Chefwissenschaftler dehnte das Wort, als wolle er es auskosten. »Ja, ich stimme dir zu. Es wäre gewiss am besten, wenn die flüchtigen Varganen erst gar nicht auf die Arsenalstationen gelangten.« »Was in meiner Macht liegt, werde ich tun. Es wird bereits ein dichter Überwachungsring um das hiesige Landefeld gelegt. Von hier aus starten die meisten Fähren zu den Stationen, also ist das Landefeld wohl ein primäres Ziel der Flüchtigen. Sie werden es ab sofort nicht mehr unentdeckt erreichen können.« »Sofern sie nicht längst dort sind.« Mittlerweile hatten sie die Zentrumspyramide verlassen und legten den Weg bis zum Rand der Stadt auf einem breiten Laufband zurück. Bald erreichten sie den Eingang zu einem der Antigravschächte. Davor warteten vier bewaffnete Daorghor, die ihre Strahler erst senkten, als sie K'orhan-7 erkannten. »Wie du siehst, funktioniert die Überwachung recht gut«, sagte der Kommandant zufrieden. »Ich werde dich zu deinem Beiboot begleiten und die Wachsamkeit meiner Untergebenen auf dem Landefeld einer Probe unterziehen.«
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Christian Montillon
Sie betraten den Antigravschacht und schwebten ihrem Ziel entgegen.
6. Atlan: Kaperpiraten So dicht vor unserem ersten Ziel wirkte das andauernde Warten zermürbend, und meine eigene Ungeduld überraschte mich. Sie war wohl eine Folge der an mir nagenden Frage, ob ein deutlich rigoroseres Vorgehen nicht doch angebrachter gewesen wäre. Das Beiboot einzunehmen wäre sicher gelungen – hatte ich doch in meinem Leben bereits wesentlich besser gesicherte Festungen gestürmt. Aber ob wir mit der Fähre den Planeten verlassen konnten, war nach einem gewaltsamen Überfall und der daraus resultierenden Aufmerksamkeit mehr als fraglich. Also harrten wir aus. Seitdem die beiden unablässig redenden Daorghor weggegangen waren, hatte sich nichts mehr ereignet. Niemand hatte die Fähre verlassen oder sich ihr genähert. Ein Blick zu den Rändern des Landefelds zeigte jedoch, dass wir die letzte Möglichkeit genutzt hatten, uns einem der Beiboote zu nähern. Dutzende von bewaffneten Insektoiden bezogen Stellung. Außerdem platzierten sie fremdartige, nur etwa handspannengroße Geräte im Abstand von wenigen Dutzend Metern rund um das Landefeld herum, über deren Funktionsweise ich nur Vermutungen anstellen konnte, deren Zweck jedoch kaum zweifelhaft war: Es lag nahe, dass es sich um Überwachungsmechaniken handelte. Selbst im Schutz der Deflektoren wäre ein Vorbeikommen ab sofort wohl unmöglich gewesen. Bislang zeigten die Insektoiden keine Absichten, auch das Landefeld selbst energetisch abzutasten. Ich konnte nur hoffen, dass das so blieb. Anderenfalls wären wir zu sofortigem Handeln gezwungen, bevor wir entdeckt wurden. Zwei Gestalten verließen das größte der siloartigen Gebäude im Zentrum des Lande-
felds. Sie näherten sich der Fähre. Erleichtert atmete ich tief aus. Ein einzelner Fahrgast wäre für unsere Zwecke zwar geeigneter gewesen, aber ich war froh, dass endlich Bewegung in die ganze Angelegenheit kam. Die Suche nach uns spitzte sich zu, und die Zeit drängte. Als hätten die beiden Daorghor meine stummen Bitten erhört, trennten sie sich nur wenige Meter von dem Beiboot entfernt. Der größere und gefährlicher wirkende Insektoide strebte dem Rand des Landefelds entgegen, während der zweite an das Beiboot herantrat. Lautlos legten Kythara und ich die wenigen Meter zurück, die uns von dem Eingang in die Fähre trennten. Die beiden Kugelroboter folgten selbstverständlich. Es war wichtig, den genauen Zeitpunkt abzupassen. Die Schleuse ins Innere der Fähre würde nicht lange offen stehen, und wir durften den Moment nicht verpassen. Niemand wusste, ob sich uns noch eine zweite Chance bieten würde. Dem Insektoiden wurde geöffnet, scheinbar war er vom Inneren der Fähre aus erkannt worden. Man hatte ihn wohl erwartet. Er trat ein. Die Schleuse war zum Glück sehr breit, sodass wir als blinde Passagiere ebenfalls mit hindurchhuschen konnten. Es war ein Spiel mit dem Feuer. Obwohl wir unsichtbar waren, gab es Tausende von Möglichkeiten, wie wir uns in Gegenwart eines Intelligenzwesens verraten konnten. Jedes Geräusch, das wir verursachten, musste gehört werden, und wenn wir den Daorghor versehentlich berührten, würde er es sofort bemerken. Außerdem konnte das Energiemuster der Deflektoren Alarm auslösen. Ich spannte mich an, bereit, sofort meine Waffe zu ziehen und mich einem Kampf zu stellen. Doch wir blieben unentdeckt. Der Insektoide drehte zwar einmal den Kopf, als sei er auf etwas aufmerksam geworden, doch der Moment der Gefahr verging. Der Passagier verließ den Schleusenbereich, und meine innere Anspannung verflüchtigte sich. Wir folgten ihm in einigem
Der Zorn des Erzherzogs Abstand, bevor wir nach wenigen Schritten zurückblieben. Neben uns war der Eingang zu einem mit diversen Gegenständen überfüllten Laderaum geöffnet. Wir gingen hinein und schalteten die Deflektoren aus. Ihre energetische Ausstrahlung konnte innerhalb des Beiboots allzu leicht registriert werden. »Wir müssen schnellstmöglich von hier verschwinden!« Kythara deutete auf die Außenwand des Lagerraums, die nur an wenigen Stellen zu sehen war. Mir schien es, als seien wir eher in einer Rumpelkammer als in einem Laderaum gelandet. Berge von Kisten waren übereinander gestapelt und schienen jeden Moment in sich zusammenzubrechen. »Dort draußen hat sich die Suche nach uns verschärft.« »Es war in der Tat äußerst knapp. Hoffen wir, dass diese Fähre Starterlaubnis erhält, ohne durchsucht zu werden.« »Wir stehen vor der Wahl, Atlan. Wir können das Beiboot vor oder nach dem Start in unsere Gewalt bringen. Beides hat Vorund Nachteile.« Damit hatte die Varganin Recht. Ein normaler Start wäre zweifellos sicherer, als wenn wir ihn mit Waffengewalt erzwangen. Es gab viele Unwägbarkeiten – der Pilot konnte sich etwa weigern zu starten, auch wenn wir ihn mit dem Tode bedrohten. Möglicherweise würde ein Daorghor sein Leben, ohne zu zögern, opfern; wir kannten dieses insektoide Volk zu wenig, um sein Verhalten einschätzen zu können. Wenn der Pilot unser Eindringen weitermeldete, konnte die Fähre von den Arsenalstationen aus oder von einem Tropfenschiff vernichtet werden … Doch andererseits war die Gefahr, dass das Beiboot in Kürze durchsucht wurde, gerade nach der verstärkten Militärpräsenz auf dem Landefeld nicht zu leugnen. Ich tendierte wie Kythara dazu, unsere passive Rolle zu beenden. Die Entscheidung wurde uns abgenommen, als ein spürbares Vibrieren durch die Fähre lief. »Offenbar hat man an Bord nur
23 noch auf den Passagier gewartet, der so freundlich war, uns die Schleuse zu öffnen«, kommentierte ich sarkastisch. Danach war durch einen leicht steigenden Druck zu spüren, dass das Beiboot gestartet war. Offenbar funktionierten die Andruckabsorber nicht völlig korrekt. »Dann sollten wir nachsehen, wie viele der Insektoiden sich hier auf dem Beiboot befinden.« Kythara wendete sich der Ausgangstür der Lagerhalle zu. »Wenn die Fahrt wie vermutet zu den Arsenalstationen führt, bleibt uns nicht viel Zeit.« Allerdings wird die Fähre keine besonders große Geschwindigkeit aufnehmen, meldete sich mein Extrasinn zu Wort. Die Arsenalstationen liegen noch näher am Planeten als die Feuerringe. Eine starke Beschleunigung müsste zu schnell wieder abgebremst werden. Dennoch stimme ich Kythara zu: Ihr solltet euch beeilen. »Dann auf in die Zentrale des Beiboots!« Ich nickte meiner Begleiterin zu. »Mit einigem Glück sind nur der Pilot und der Passagier an Bord.« »Auf Glück verlasse ich mich nicht«, antwortete Kythara und zog einen Strahler.
* Kurz vor Erreichen der Zentrale aktivierten wir unsere Deflektoren. Wenn deren Energieabstrahlung jetzt angemessen wurde, spielte es keine große Rolle mehr. Sie sollten uns nur für wenige Sekunden schützen, um uns ein Überraschungsmoment zu verschaffen. Danach wusste ohnehin jeder an Bord, dass wir eingedrungen waren. Wir sprangen unsichtbar für unsere Gegner ins Innere der kleinen Steuerzentrale. Diese bemerkten zwar das Öffnen der Tür, sahen aber höchst verwundert aus, als sie niemanden wahrnahmen. Es konnte nicht lange dauern, bis sie erkannten, was hier vor sich ging. Doch bis dahin wollten wir die Situation längst unter Kontrolle haben. Es befanden sich drei der Insektoidenwesen im Raum. Der Passagier, mit dem zu-
24 sammen wir in das Beiboot eingedrungen waren, ein Pilot und ein bewaffneter Daorghor. Noch ehe ich mich diesem einzigen gefährlichen Gegner zuwenden konnte, erledigte Kythara das Problem rasch und effizient. Sie schaltete ihren Deflektor ab und schoss in derselben Sekunde einen Energiestrahl auf den Bewaffneten. Sie war eine gute Schützin. Der Insektoide wurde in den rechten unteren Arm getroffen, dessen Greifzange die Waffe hielt. Es stank nach verschmortem Chitin, und ein unterdrückter Schmerzenslaut drang an meine Ohren. Die Waffe unseres Gegners fiel polternd zu Boden, doch schnell hielt er in zwei weiteren Greifzangen andere klobig wirkende Strahler. Er war offenbar in der Lage, Schmerz sehr effizient zu unterdrücken. Es gelang ihm, einen ungezielten Schuss abzugeben, der fast eine Mannslänge von Kythara entfernt in die Wand zischte, ohne Schaden anzurichten. In der Zwischenzeit hatte meine Begleiterin erneut gefeuert, diesmal auf die Brust des Daorghor. Er brach zusammen und blieb reglos liegen. »Keiner sollte Widerstand leisten, dann geschieht niemandem mehr etwas. Ich bin nicht allein.« Die Stimme der Varganin schnitt scharf durch die entstandene Stille. Ich folgte Kytharas impliziter Aufforderung und schaltete meinen Deflektor ebenfalls ab. Auch Varg-1 und Varg-2 wurden sichtbar. Die beiden Kugelroboter hatten nicht einmal in die kurze Auseinandersetzung eingreifen müssen. Der Passagier klapperte hastig mit den Mandibeln, sein Kopf drehte sich suchend, eine wohl ebenso von Überraschung wie von Angst geprägte Handlung. Der Pilot hingegen verharrte völlig bewegungslos. »Wenn du eine Warnung abgibst, stirbst du«, sagte ich kalt. Sollte er uns ruhig für gnadenlose Killer halten, das kam uns in dieser Situation nur zugute. Ein rascher Seitenblick auf den von Kythara angeschosse-
Christian Montillon nen Daorghor zeigte mir, dass er an der Brust keine sichtbare Verletzung davongetragen hatte. Er lag wie eingefroren da, das Gesicht starr, die Glieder verrenkt. Ich hoffte, dass die Varganin ihn nicht getötet, sondern nur betäubt hatte. Doch jetzt war nicht die Zeit, sich um solche Fragen zu kümmern. »Die Varganen«, entfuhr es dem Passagier, dem es mittlerweile gelungen war, seine Nervosität unter Kontrolle zu bekommen. Er stand nun ebenfalls ruhig da. »Du weißt von uns?«, fragte ich knapp. Er zeigte keine Reaktion. Ich richtete meinen Strahler auf ihn. »Rede!« »Ich – ich hörte, dass es in den Fabriken zu eigenartigen Vorfällen gekommen ist und dass flüchtende Varganen als Verursacher gelten.« Das klang plausibel, doch als er mehrfach betonte, dass es nur ein reiner Zufall war, kam ich ins Zweifeln. Ich würde ihn mir später vornehmen, denn er wusste zweifellos mehr, als er vorgab. »Allen ist es bekannt, es hat nichts zu bedeuten«, sagte er mittlerweile zum dritten Mal. Damit betonte er in meinen Ohren überdeutlich, dass er bei weitem nicht so unbedeutend war, wie er zu sein vorgab. Kythara war inzwischen näher an den Piloten des Beiboots herangetreten. »Weg von der Steuerung!«, forderte sie. Der Insektoide gehorchte. Er überragte die Varganin um etwa einen halben Meter, obwohl er sich auf das mittlere Beinpaar niedergelassen hatte. »Wohin geht der Flug?« »Zum inneren Feuerring.« »Stimmt das?«, fragte ich den Passagier und hob meinen Strahler einige Zentimeter höher. Die Einschüchterung erfüllte ihren Zweck. »Ja«, versicherte der Daorghor. »Ich muss dort einige Daten sammeln, bevor ich zu einer der Arsenalstationen zurückkehre.« »Wie lange dauert der Flug noch?« Der Pilot antwortete Kythara. Es blieb noch knapp eine terranische Stunde. Wie
Der Zorn des Erzherzogs vermutet flog das Beiboot also mit sehr geringer Geschwindigkeit. Das verschaffte uns Zeit und entspannte die Situation ein wenig. »Sind weitere von euch an Bord?« Wieder verlieh ich meiner Frage mit dem Strahler Nachdruck, und wieder gaben uns Passagier und Pilot übereinstimmend Auskunft. Demnach befand sich ein zweiter Soldat in der Fähre, der sich aller Wahrscheinlichkeit nach in dem winzigen Ruheraum aufhielt. »Rufe ihn hierher!«, forderte Kythara. »Er soll sich etwas ansehen. Wenn du ihn warnst, schieße ich.« »Ich bin schon hier, und keiner von euch sollte sich bewegen!« Mein Kopf ruckte herum, und was ich sah, gefiel mir gar nicht. In der geöffneten Tür stand mit erhobenem Oberkörper der zweite Soldat. In zweien seiner vier Greifklauen hielt er klobige Strahler. Er schien ausgezeichnet damit zielen zu können, denn eine der Mündungen wies exakt auf Kytharas Kopf, während die andere meinen Brustkorb anvisierte.
* »Ihr habt keine Chance«, prahlte der Insektoide. »Lasst eure Waffen fallen, sonst sterbt ihr.« »Ich nenne es eher eine Pattsituation«, erwiderte ich kalt. »Deine Waffen weisen auf uns, doch selbst wenn es dir gelingen sollte, mit beiden gleichzeitig zu treffen, werden meine Partnerin und ich noch genügend Zeit haben, deine beiden Artgenossen zu töten. Denn falls es dir entgangen sein sollte, wir müssen nur noch abdrücken.« »Ebenso wie ich.« Der zweite Soldat trat einen Schritt in den Raum herein. »Und ich kann euch beide in exakt derselben Sekunde töten. Ich bin für meine Koordination berühmt.« »Wenn du schießt, wird es hier ein Blutbad geben, das nur du überlebst.« Kytharas Stimme klirrte wie Eis. »Aller Wahrscheinlichkeit nach bist du hier, um deinen Passagier zu beschützen. Es ist nicht akzeptabel
25 für dich, wenn er stirbt.« »Nimm deine Waffe herunter, oder du wirst keine Gelegenheit mehr haben, deine Theorie auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu testen«, antwortete der Soldat. Der Pilot verharrte nach wie vor bewegungslos, doch die Gliedmaßen des Passagiers zuckten unkontrolliert. Ich setzte alles auf eine Karte und schlug in dieselbe Kerbe wie meine Begleiterin. »Sie hat Recht«, sagte ich. »Er ist zu wichtig, und mein Strahler zeigt genau auf seinen Kopf. Gib auf, oder ich schieße. Du hast nicht mehr viel Zeit, bis er stirbt.« »Nimm sofort die Waffe herunter!«, unterstützte mich unerwartet meine Geisel, der das eigene Überleben offenbar wichtiger war als alles andere. »Ich befehle es dir! Sie wissen, wer ich bin! Mein Leben ist wichtiger als ein rascher Sieg.« Nervosität und nackte Angst sprachen aus seinen hervorsprudelnden Worten. Obwohl wir seine Identität keinesfalls kannten, stellte ich erleichtert fest, dass das Pokerspiel zum Erfolg geführt hatte. Der Soldat senkte beide Strahlwaffen, und Kythara wirbelte in demselben Augenblick herum. Sie feuerte zweimal rasch nacheinander, und beide Schüsse fanden ihr Ziel. Ohne einen Laut von sich zu geben, brach der Insektoide zusammen. »Ich habe ihn nur betäubt«, stellte Kythara klar. »Doch mit der Schonung ist es ab sofort vorbei. Der nächste Schuss wird tödlich sein!« Schon während der ersten Worte wies der Strahler bereits wieder auf den Piloten des Beiboots. Sie ließ ihm keine Gelegenheit, zu fliehen oder gar anzugreifen. »Du wirst den Kurs unverzüglich fortsetzen und niemandem Nachricht geben, was hier geschehen ist. Sonst stirbt dein Passagier.« Mir lief ein Schauer über den Rücken, als ich mich fragte, wie viel von ihrer eiskalten Terroristenvorstellung Schauspiel war. »Ich werde unsere Geisel draußen befragen«, sagte ich. »Du wirst mit der Situation hier wohl alleine fertig.« »Ab mit dir!«, kommandierte Kythara.
26 Ich vereinbarte mit ihr, in dreißig Minuten zurück zu sein, der Hälfte der verbleibenden Flugzeit. Dann wies ich den Insektoiden an, die Steuerzentrale zu verlassen. Es bereitete ihm sichtlich Mühe, an dem Paralysierten vorbeizugehen, der neben dem Ausgang zusammengebrochen war. Langsam überstieg er den Körper mit einem großen Schritt. »In den Ruheraum!«, befahl ich. Dort angekommen, bedeutete ich meiner Geisel, sich in der Zimmerecke niederzulassen. Nach wie vor hielt ich den Strahler auf ihn gerichtet, doch ich beschloss, im Folgenden sanfter mit ihm umzugehen. Er schien nahe davor zu sein, vor Angst zu kollabieren. »Nun reden wir Klartext«, forderte ich. »Nenne mir deinen Namen und erkläre mir ganz genau, was du hier tust.« »Du … du weißt nicht, wer ich bin?« »Ich stelle die Fragen. Du antwortest.« Offenbar waren meine scharf hervorgebrachten Worte deutlich genug. Der Insektoide ließ sich auf sein mittleres Beinpaar nieder und senkte auch seinen Kopf, möglicherweise eine Geste der Resignation. Bei anderen insektoiden Spezies, denen ich begegnet war, war das der Fall, doch solche Vergleichsmöglichkeiten führten nicht unbedingt zu korrekten Ergebnissen. Jede Spezies verfügte über andere Verhaltensmuster. »Ich bin Gorgh-12, der Chefwissenschaftler von Maran'Thor.« Ein äußerst unwahrscheinlicher Glücksfall! Die sprichwörtliche Schicksalsgunst der Terraner muss auf dich abgefärbt haben! Rasch unterdrückte ich alle weiteren Kommentare meines Extrasinns mit der gedanklichen Botschaft, dass es momentan Wichtigeres zu tun gab, als die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, ausgerechnet auf den Chefwissenschaftler des Planeten getroffen zu sein, der mir Auskunft über eine Menge bislang ungelöster Fragen geben konnte. »Weiter«, forderte ich Gorgh-12 auf. »Was willst du wissen?« »Fange mit deinen Erklärungen vorne an. Ich werde dir sagen, wenn ich nicht zufrieden bin. Aber lüge mich nicht an – ich wer-
Christian Montillon de es merken.« Sollte er ruhig denken, ich wisse deutlich mehr, als es in Wirklichkeit der Fall war. Es brauchte nur leichten Druck, um ihn zum Reden zu bringen. »Wir haben diese Versunkene Welt der Varganen vor etwas mehr als einem Jahr entdeckt.« Er sah mich durchdringend aus den Facettenaugen an. »Rede weiter«, forderte ich knapp und war gespannt, welche Hintergründe ich in den folgenden Minuten erfahren würde.
* Kythara war mit dem Piloten alleine zurückgeblieben. Nur noch die beiden paralysierten Daorghor-Soldaten waren außer ihnen im Raum. Sie war misstrauisch geworden und beschloss, einige Nachfragen zu stellen. »Wieso befinden sich nur zwei Soldaten an Bord der Fähre?«, fragte sie, als wisse sie genau, dass normalerweise eine stärkere Besatzung vorgesehen war. Der Pilot zeigte darauf keine Reaktion. »Wie viele sind noch an Bord, deren Anwesenheit du mir verheimlichen wolltest?« Drohend ging Kythara einen Schritt auf den Insektoiden zu. Varg-1 und Varg-2 hielten sich nach wie vor in der Nähe der Tür auf. Die Varganin deutete kurz in ihre Richtung. »Die beiden Roboter werden jeden Angriff auf mich unterbinden. Wenn du redest, wirst du ihr Leben retten können und deines noch dazu. Schweigst du, werde ich jede Rücksicht endgültig ablegen und mit gnadenloser Härte vorgehen.« »Es gibt nichts zu verschweigen. Es befindet sich kein weiterer Soldat an Bord.« »Du lügst! Ich gebe dir eine letzte Chance!« »Wenn du mich tötest, legst du den Grundstein für deinen eigenen Tod. Ich muss das Beiboot auf Kurs halten.« »Das kann ich auch ohne dich. Unterschätze meine Fähigkeiten nicht.« »Doch nur ich kenne das Identifizierungssignal.« Der Pilot gab ein zischendes Geräusch von sich. »Die Truppen sind über eu-
Der Zorn des Erzherzogs re Flucht informiert, und wenn ich kein Kodesignal gebe, werden sie wissen, dass die gesuchten Varganen sich an Bord befinden. Das wird euer unwiderrufliches Ende sein.« »Doch es wird deinen Tod bedeuten, wenn ich entdecke, dass sich noch jemand an Bord befindet.« »Deine Drohungen verlieren durch die ständigen Wiederholungen an Wirksamkeit. Die Fähre ist klein. Durchsuche sie, wenn du mir nicht glaubst.« »Um wen handelt es sich bei dem Passagier, den du beförderst?« Kythara wechselte scheinbar das Thema. Sie war entschlossen, die Wahrheit herauszufinden, um keine weitere unliebsame Überraschung zu erleben. »Gorgh-12 ist der Chefwissenschaftler von Maran'Thor, wie dein Begleiter wohl längst herausgefunden hat.« »Dann erzähle mir nicht, dass ein wichtiger Daorghor wie er mit nur zwei Soldaten als Schutz reist! Mindestens ein dritter muss als geheime Reserve an Bord versteckt sein!« Der Pilot wirkte gelangweilt. »Dann wäre er allerdings derart geheim, dass nicht einmal ich von seiner Existenz weiß.«
* Drei Greifzangen öffneten und schlossen sich in langsamem Rhythmus, während die vierte beinahe sanft über das Metall des Strahlers strich. In der Tat, das war er – in einem solchen Maß geheim, dass niemand an Bord von seiner Existenz wusste. Weder der Pilot noch die Soldaten, sogar derjenige nicht, den er zu beschützen hatte: Gorgh-12. Davan-7 hatte alles genau beobachtet, was geschehen war, einschließlich des dilettantischen Rettungsversuchs des zweiten Soldaten. Dieser Narr! Er hätte abwarten und aus dem Verborgenen heraus angreifen müssen. Er war nahe daran gewesen, selbst einzugreifen und den Stümper, der sich DaorghorSoldat schimpfte, zu eliminieren, bevor er eine Katastrophe anrichten konnte. Fast wäre der Chefwissenschaftler gestorben. Das
27 Handeln seiner Gegner hingegen zwang Davan-7 zu widerwilligem Respekt. Sie hatten klug gehandelt, und nur ihrer Umsicht war es zu verdanken, dass die Situation nicht eskaliert war. Davan-7 war im Grunde genommen sogar froh darüber, dass seine so genannten Kollegen außer Gefecht gesetzt waren. So stand ihm niemand mehr im Weg. Auf den ersten Blick hatte er erkannt, dass die beiden Eindringlinge ernst zu nehmende Gegner waren. Die beiden Flüchtlinge, vor denen in höchstem Maß gewarnt worden war, konnten in ihrer Gefährlichkeit nicht überschätzt werden. Etwas ging von ihnen aus, eine Ausstrahlung, ein Charisma, das sie über jeden Gegner, den Davan-7 bislang bekämpft hatte, erhob. Jagdinstinkt erwachte in ihm. Niemand aus seinem Volk verstand ihn, niemand konnte dieses Gefühl nachvollziehen. Es sei nicht im Wesen der Daorghor verankert, sagte man ihm. Es ist nicht insektoid! Aber das war ihm gleichgültig. Die Jagd war sein Leben, und das prädestinierte ihn für die Arbeit, die er zu erledigen hatte. Er hörte jedes Wort, das die Eindringlinge sprachen. Die Frau war klug. Sie spürte, dass noch eine Gefahr in dem Beiboot lauerte. Aber der Pilot war ein tumber Narr. Er ahnte nicht, dass Davan-7 an Bord war. Sein Gerede konnte die Varganin jedoch nicht überzeugen. Sie war ein würdiges Opfer. Ein Opfer, das ihm möglicherweise sogar zum Verhängnis werden konnte. Er musste eine kluge Methode wählen. Aus der Verborgenheit heraus töten, neue Wege beschreiten … Er bediente ein Sensorfeld in der kleinen Apparatur, die ihm das Gespräch aus der Steuerzentrale hierher übertrug. Die Stimme der Frau verklang, stattdessen hörte Davan7, was der Mann sagte, der sich mit Gorgh12 in den Ruheraum zurückgezogen hatte. Der Mann – die offizielle Information war gewesen, es handele sich um einen Varganen. War er denn nur von Narren umgeben?
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Christian Montillon
Die Rassenunterschiede zu der Frau waren doch deutlich zu erkennen. Unmöglich gehörten sie beide einem Volk an. Die Haare, die Farbe seiner Augen – doch darauf achteten Daorghor nicht. Sie hatten keinen Blick für derlei Details. Anders als der Jäger. »Wir haben diese Versunkene Welt der Varganen vor etwa einem Jahr entdeckt«, erklärte Gorgh-12, der Schutzbefohlene des Jägers, in diesem Moment. Der Chefwissenschaftler wurde von seiner Angst beherrscht. Davan-7 hätte ihn deswegen verachtet, wenn es nicht seine Aufgabe gewesen wäre, ihn zu beschützen. Im Grunde genommen war er eine erbärmliche Kreatur. Aber Torghunar, der Herr, dem Davan-7 über den Tod hinaus ergeben war, hatte es für wichtig gehalten, ihn zu beschützen. Und deswegen stellte der Jäger keine Fragen. Wenn Torghunar befahl, dann folgte er. So war es immer gewesen, seit sie Seite an Seite dem Feind widerstanden hatten und Torghunar ihm das Leben gerettet hatte, ohne auf die Gefahr zu achten, in die er selbst sich begab. Davan-7 war es gleichgültig, ob diese Treue mittlerweile einem Toten galt. Dem neuen Truppenkommandanten K'orhan-7 gegenüber empfand der Jäger nichts. Er würde ihm die Leichen der beiden Flüchtigen präsentieren, und er würde nicht einmal darauf hinweisen, dass der Mann unmöglich ein Vargane sein konnte. Danach war es Zeit, sich zurückzuziehen. Irgendwo würde bereits ein neues Opfer für die Jagd warten. Er nahm den Strahler in die Greifklaue und sah ihn nachdenklich an. Dann legte er ihn wieder weg. Er musste einen subtileren Weg finden. Versteckter, unauffälliger, gefährlicher. Und tödlicher.
7. Erkenntnisse Je länger mir Gorgh-12 die wissenschaftlichen Zusammenhänge erklärte, desto selbstsicherer wurde er. Das war seine ei-
gentliche Welt, und er ging regelrecht darin auf. Beinahe bereute ich es, ihn dort herausgerissen zu haben. Doch ich hatte es mir nicht ausgesucht, in die geheimnisvollen Zusammenhänge um die Lordrichter hineingezogen zu werden. »Es ist uns nicht einmal ansatzweise gelungen, die Rätsel dieser Versunkenen Welt der Varganen zu lösen«, teilte Gorgh-12 mir in diesem Augenblick mit. »Wie viele Truppen sind hier stationiert?« »Ich weiß es nicht. Aber die Lordrichter legen höchsten Wert auf Maran'Thor. Immer mehr Truppen werden hierher versetzt, wie Erzherzog Garbhunars Anwesenheit beweist. Er handelt auf direkten Befehl eines der Lordrichter.« »Wer sind die Lordrichter?« Ich hoffte eigentlich nicht, eine umfassende Antwort auf meine Frage zu erhalten. Es schien ein kosmisches Gesetz zu sein, dass zentrale Fragen sich stets erst spät und selten auf direktem Weg beantworten ließen. Tatsächlich konnte mir der Chefwissenschaftler weder darauf eine Antwort geben noch auf die Frage, wie viele weitere Versunkene Welten von den Truppen der Lordrichter bereits entdeckt oder okkupiert worden waren. »Das Einzige, was ich dir in dieser Hinsicht mitteilen kann, ist mein eigener Werdegang. Ich war bei der Psi-Quelle im Murloth-Nebel stationiert, bevor ich hierher versetzt wurde.« Ich glaubte ihm seine Unwissenheit, denn er hatte keinen Grund, mich in die Irre zu führen. Er informierte mich bereitwillig, und ich bemerkte, dass meine ursprüngliche Beobachtung tatsächlich zutraf. Das Reden gab ihm Sicherheit und ließ seine Angst verschwinden. Den Gefallen, von seiner Arbeit reden zu können, erwies ich ihm gerne. »In den Feuerringen um Maran'Thor befinden sich konzentrierte Ballungen von Hyperkristallen.« »Hyperkristallen?«, hakte ich nach. »Das ist in der Tat sehr ungewöhnlich.« »Derartig dichtes Vorkommen ist sehr selten!«, ereiferte sich Gorgh-12. »Sie ent-
Der Zorn des Erzherzogs stehen wohl als Folge einer Wechselwirkung zwischen den Ringteilchen und den Strahlungsgürteln.« »Auch die hyperenergetischen Emissionen der drei Sonnen dieses Systems dürften ihren Teil dazu beitragen«, ergänzte ich. Der Chefwissenschaftler sog überrascht die Luft ein. »Du hast Recht. Das ist eine sehr wichtige Komponente«, stimmte er mir zu. »Ich habe nun zu verantworten, dass diese Hyperkristalle geborgen werden.« In den folgenden Minuten erfuhr ich einiges über den Prozess der Weiterverarbeitung der Kristalle zu einem feinen Hyperstaub. »Doch entfernt man die Kristalle ohne besondere Vorsichtsmaßnahmen aus den Feuerringen, kommt es immer wieder zu spontanen Explosionen.« »Sind dabei viele deines Volkes getötet worden?« »Sehr viele, als wir mit dem Abbau der Kristalle begannen! Ich traf rasch Schutzmaßnahmen, und es gelang, die Todesrate zu minimieren. Wir beherrschen auch die Technik der Hypertraktorröhren immer besser. Doch sie müssen behutsam und genau dosiert eingesetzt werden.« »Neben dem schwierigen Weiterverarbeitungsprozess ein weiterer Grund dafür, warum die Ergebnismenge an Hyperstaub nicht allzu groß sein dürfte.« Ich ahnte, dass der Wissenschaftler diesbezüglich unter gewaltigem Druck stand. »Sie lässt zu wünschen übrig, so waren die genauen Worte des Erzherzogs! Er durchschaut die Lage nicht! Wenn wir schneller arbeiten, weist entweder der Staub nicht die benötigte Reinheit auf – oder es kommt wieder zu den verheerenden Explosionen. Qualität und Quantität lassen sich nicht so einfach vereinbaren.« Was ich von Gorgh-12 hier beinahe beiläufig erfuhr, ließ einige Schlussfolgerungen zu. Die Lordrichter von Garb schienen erst vor kurzem auf die Versunkenen Welten der Varganen aufmerksam geworden zu sein. Auch sie rätselten offenbar noch an ihren Geheimnissen, ihre Diener beherrschten die
29 vorgefundene Technik noch nicht in ausreichendem Maße. Die Versetzung der im Leerraum außerhalb der Milchstraße stationierten Psi-Quelle in den Murloth-Nebel hinein lag ebenso wie die Veränderung der Naruk-Androiden erst wenige Jahre zurück. Hier im Mar-System hielten sich die insektoiden Daorghor sogar erst seit einem Jahr auf. Mein Logiksektor zog Zusammenhänge aus den mir mittlerweile vorliegenden Fakten. Die Lordrichter wollen mit Hilfe der Psi-Quelle parabegabte Androiden züchten, die auf Kriegführung spezialisiert sind. Seine folgerichtige Analyse gefiel mir überhaupt nicht. »Die Zeit drängt, doch es wird nur schwer möglich sein, die Ergebnisleistung an Hyperstaub so rasch zu vervielfältigen, wie Erzherzog Garbhunar es fordert.« Gorgh-12 erhob sich aus seiner kauernden Haltung. »Es ist bittere Ironie, dass du als mein Feind über mehr Verständnis verfügst als er.« »Warum herrscht diese Eile?« »Das erhabene Projekt der Lordrichter darf nicht verzögert werden! Kein Preis ist zu hoch, als dass man ihn nicht zahlen könnte.« »Das erhabene Projekt?«, hakte ich nach. »Ich kann dir keine nähere Auskunft darüber geben.« »Was weißt du darüber?« »Nichts. Nicht mehr, als dass Hyperstaub benötigt wird. Sehr viel Hyperstaub.« Gorgh-12 zeigte wieder Anzeichen von Nervosität. Die Greifzangen seines mittleren Armpaares fuhren unruhig durch die Luft. »Ich – ich habe dir davon erzählt, dass ich intensiv in die Arbeit mit der Psi-Quelle im MurlothNebel eingebunden war.« Ich nickte ihm auffordernd zu. »Du weißt von den Todesimpuls-Implantanten der Daorghor?« Wieder bestätigte ich kurz. Die noch nicht lange zurückliegende Erfahrung mit Toghar134 stand mir noch deutlich vor Augen. »Die psionische Komponente des Todesimpuls-Implantats übte einen störenden
30 Einfluss auf die Psi-Quelle aus. Ich war zudem intensiv in die Arbeit an den Lagerstätten der Psi-Energie eingebunden, und deren Eindämmungsfelder drohten durch eine Wechselwirkung mit dem Todesimpuls-Implantat zu kollabieren. Es wurde deshalb desaktiviert.« Ich spürte, dass Gorgh-12 etwas viel tiefer Greifendes zu sagen beabsichtigte. »Du unterscheidest dich also von anderen hochrangigen Mitgliedern deines Volkes.« »Ich bin … freier als sie. Ungewohnte Gedanken breiteten sich seitdem in mir aus. Ich unterdrückte sie zunächst, und offensichtlich gelang es mir sehr gut, Loyalität vorzutäuschen, wo keine existierte. Ich sprach mehrfach mit Erzherzog Garbhunar, und er ahnt nichts von meinen wirklichen Empfindungen.« »Du hattest also«, ich ließ eine kurze Pause folgen, »verräterische Gedanken?« »Mehr als das! Ich dachte sogar an Flucht, aber nie fand ich den Mut, solche Pläne umzusetzen. Also stürzte ich mich in meine Arbeit. Die hyperphysikalischen Herausforderungen, die an mich gestellt werden, sind gewaltig. Es ist zwar eine reizvolle Aufgabe, doch ich zweifle an den Herren, die sie mir gestellt haben.« »Die Lordrichter?« »Mit ihnen stand ich nie in Kontakt. Sie teilen ihre Wünsche über Garbhunar mit.« »Warum hast du nie wirklich Kritik geübt?« »Ich bin nicht wichtig. Mein Volk ist entscheidend, und deshalb muss ich mich unterordnen.« Ich verstand sofort, was er meinte. Er war ein Insektoide, und als solcher war er es gewohnt, in Kollektiven zu denken. Immer wieder war ich diesem Phänomen begegnet, das auch die Rasse der Daorghor prägte: Sie waren Individuen, aber sie verfügten über ein völlig anderes Selbstverständnis als die meisten menschlichen Völker. Welten lagen zwischen dem Eigenverständnis von Intelligenzen wie etwa Gorgh-12 und mir. Dennoch hatte ich im Laufe der Jahrhun-
Christian Montillon derte immer wieder konstruktiv mit Insektoiden zusammenarbeiten können. Zeichnete sich hier ein weiteres Beispiel ab? Konnte der Chefwissenschaftler Maran'Thors von einer wertvollen Geisel zu einem Verbündeten werden? Lass dich nicht einlullen, Arkonide!, warnte mein Extrasinn. »Schließe dich mir und meiner Partnerin an«, schlug ich vor. »Wir könnten ein neues Kollektiv für dich sein. Unser Gesamtinteresse steht über allen egoistischen Motiven, die dich oder auch mich leiten mögen.« Das Bild, das ich mit diesen wenigen Worten zeichnete, vereinfachte das tatsächliche Empfinden meines Gegenübers natürlich. Sein komplexes Wesen war nicht in diese simple Metapher eines kollektiven Gruppenlebens zu pressen, das wusste ich. Doch meine Worte zeigten ihm, dass ich dazu fähig war, insektoides Denken nachzuempfinden. »Was du sagst, macht mich nachdenklich. Ich werde es in Erwägung ziehen. Ich benötige Zeit.« »Ich bin bereit, den ersten Schritt zu gehen«, erwiderte ich und senkte den Lauf meines Strahlers. Dann ließ ich ihn gar in seiner Halterung verschwinden. »Ich habe viele Insektoiden getroffen. Selten waren sie so von Emotionen geleitet wie du.« »Seitdem sich die ungewohnten Gedanken in mir ausbreiten, bin ich nicht mehr so, wie ich es früher gewesen bin. Ich unterdrücke es, doch in Momenten großer Anspannung zeigen sich Veränderungen in meinem Wesen, die mich selbst erschrecken und verwundern. Ich bin seit der Desaktivierung des Todesimpuls-Implantats ständig zwischen zwei Polen hin und her gerissen.« Er näherte sich mir einen Schritt, doch ich konnte keine Arglist in seinem Verhalten oder seinen Worten erkennen. »Vielleicht ändert es sich durch eure Intervention.« »Wenn wir dir helfen können, zur Ausgeglichenheit zurückzufinden, ist das ein weiteres Ziel unseres Kollektivs.« Ausgeglichenheit. Viele würden es Gefühlskälte oder gar Emotionslosigkeit nennen.
Der Zorn des Erzherzogs Doch mein Leben hatte mich gelehrt, stets über die äußere Fassade von fremden Intelligenzen hinwegzusehen. Oft fand ich im Fremden gerade das, was mich selbst bestimmte. Dann fragte ich mich, ob es etwas gab, was sogar solch unendlich weit voneinander entfernte Spezies wie die Daorghor und die Arkoniden miteinander verband. Oder etwas, das Chaos- und Ordnungsmächte über das Streben nach Macht hinaus vereinte. Ich schüttelte die ablenkenden Gedanken ab und warf einen Blick auf die Anzeige meines Chronometers. Es war Zeit, zurück in die Zentrale zu gehen. Kythara wartete sicherlich bereits auf unsere Rückkehr. Was ich erfahren hatte, brachte mich dazu, umzudenken. Ich würde den Piloten zwingen, Kurs auf eine der Arsenalstationen zu nehmen. Immerhin hatten wir den Chefwissenschaftler an Bord, und dieser konnte tausend Gründe haben, ungeplant dorthin zu fliegen.
* Davan-7 hatte den Erklärungen nicht bis ins letzte Detail folgen können. Der bedingungslose Gehorsam, der aus den Worten seines Schutzbefohlenen den Lordrichtern gegenüber sprach, imponierte ihm. Doch dann hatte die Wende des Gesprächs stattgefunden. Gorgh-12 war ein Verräter, bereit, sich mit dem Feind zu verbünden. Nach den ersten Momenten des Entsetzens erkannte Davan-7 zu seiner eigenen Überraschung, dass ihn die Worte seines Schutzbefohlenen nicht abstießen. Im Gegenteil. Er fühlte eine mysteriöse, unbestimmbare Verwandtschaft zu ihnen. »Du handelst nicht insektoid«, hatte man ihm immer wieder gesagt. »Deine Leidenschaft ist krank.« Zum ersten Mal traf er einen Daorghor, der in seinem Verhalten Ähnlichkeiten zu ihm selbst aufwies. Das erschütterte ihn, und es knüpfte ein Band zwischen dem Chefwis-
31 senschaftler und ihm. Der Eindringling, das männliche Opfer, das alle für einen Varganen hielten, ließ durch die endlosen Erklärungen keine Sekunde lang in seiner Aufmerksamkeit nach. Auch der überraschende Wandel des Chefwissenschaftlers brachte ihn nicht aus der Fassung. Er hatte sich vollendet unter Kontrolle. Zu Anfang hatte der Jäger noch auf eine Phase der Unaufmerksamkeit gehofft, doch bald war ihm klar geworden, wie unsinnig diese Hoffnung war. Der angebliche Vargane war eine würdige Beute. Er würde sich keinen Fehler leisten, egal wie lange Davan-7 darauf wartete. »Deine Besessenheit von der Jagd macht es nötig, dich vom aktiven Truppendienst auszuschließen«, war das Urteil gewesen, nachdem man ihn vor ein Kriegsgericht gezerrt hatte. Er hatte es mit stoischer Gelassenheit hingenommen, denn schon vorher war ihm klar gewesen, was ihn erwartete. Doch als er den Raum verlassen hatte, in dem über sein Schicksal gerichtet worden war, hatte Torghunar auf ihn gewartet. »Was immer du soeben gehört hast, ich erkenne das Besondere an dir. Du bist für eine besondere Aufgabe vorherbestimmt, die ich dir hiermit übertrage.« Der Jäger ergriff den Strahler und erhob sich. Er wollte sich aufmachen, um seinen Angriffsplan an der Korridorbiegung zwischen Ruheraum und Zentrale umzusetzen. Dort brauchte er nur zu warten, bis der angebliche Vargane sich auf den Rückweg begab – und ihm in die Falle lief. Doch etwas lief den Plänen des Jägers zuwider. Der Fremde erhob sich früher als erwartet. »Wir gehen zurück in die Zentrale!«, befahl er dem Chefwissenschaftler. Davan-7 zog ärgerlich seine Mandibeln zusammen. Er konnte den geeigneten Angriffspunkt nicht mehr rechtzeitig erreichen, ohne durch allzu große Eile Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Es war nicht zu ändern. Früher oder später würden die beiden Opfer die Zentrale wieder verlassen müssen. Davan-7 konnte warten.
32
Christian Montillon
Es änderte lediglich etwas am Zeitplan, aber nichts am tödlichen Ende.
* Als wir die Zentrale betraten, berichtete ich Kythara in knappen Worten, was ich von Gorgh-12 erfahren hatte. Dabei wurde mir selbst deutlich, dass die Existenz dieser Anlagen gleichzeitig Aufschluss über das damalige Handeln der Varganen gab. Wenn sie die Arsenalstationen und Hypertraktorröhren erbaut hatten, hieß das, dass sie ebenfalls am Abbau der Hyperkristalle interessiert gewesen waren. Kythara bestätigte mir diese Vermutung mit einem leichten Blinzeln. Sie wählte diese Art der Kommunikation, um dem anwesenden Chefwissenschaftler keine Hintergrundinformationen zukommen zu lassen. Nach wie vor bedrohte meine Begleiterin den Piloten mit ihrem Strahler. Diese Maßnahme hielt ich bei Gorgh-12 nicht mehr für notwendig, obwohl ich ihm nach wie vor kein völliges Vertrauen entgegenbrachte. »Du wirst umgehend Kurs auf die nächste Arsenalstation nehmen!«, befahl ich dem Piloten. Dieser sah mich überrascht an. »Man wird auf diese unvermittelte Kursänderung aufmerksam werden. Ich muss einen Grund dafür angeben.« Ich deutete auf Gorgh-12. »Der Chefwissenschaftler von Maran'Thor wünscht es so.« Dieser war einen Moment lang verblüfft, ergänzte dann aber: »Ich muss rasch auf der Station ankommen. Jede Verzögerung wäre höchst unerwünscht und schädlich.« »Ich ändere den Kurs«, bestätigte der Pilot. Etwas anderes beschäftigte mich seit dem ersten Gespräch mit dem Chefwissenschaftler. Nachdenklich zog ich den in der Tresorhalle gefundenen Würfel aus der Tasche meines Gürtels. Gorgh-12 spannte sich an, als er darauf aufmerksam wurde. »Woher hast du den
Würfel?« »Er begegnet dir offensichtlich nicht zum ersten Mal.« Ich bemerkte, dass Kythara interessiert zu uns herübersah. Sollte Gorgh12 uns etwa auch in dieser Hinsicht mit Informationen versorgen können? »Wie bist du in seinen Besitz gekommen?«, wiederholte der Daorghor seine Frage. Seine Hartnäckigkeit verblüffte mich. Ich berichtete ihm, dass wir den Würfel unvermutet in der Tresorhalle fanden, als wir nach Ausrüstungsgegenständen gesucht hatten. »Wir haben den Würfel selbst einer Unzahl von Untersuchungen ausgesetzt«, erklärte Gorgh-12. »Mir selbst fehlte aufgrund anderer Aufgaben die Zeit dazu, doch ich ließ mich über die Ergebnisse genauestens informieren.« »Was habt ihr herausgefunden?« »Nichts. Das Objekt entzieht sich selbst den einfachsten Analysen. So lassen sich weder Alter noch Gewicht feststellen.« Enttäuscht winkte ich ab. »Uns erging es genauso.« »Schließlich wurde der Würfel auf meinen Befehl hin in der Tresorhalle verschlossen. Und mit eigenen Sicherungen versehen, die jedes unbefugte Eindringen unmöglich machen.« Seine Greifklauen klickten, und er stieß gepresst die Luft aus. »Ein Vorhaben, das auf ganzer Linie gescheitert ist.« »Es war tatsächlich nicht besonders schwierig, hineinzugelangen«, warf Kythara ein. Ich sah keinen Grund, auf ihre leichte Übertreibung hinzuweisen. »Du hast keine Vermutung, worum es sich bei dem Artefakt handeln könnte, Gorgh-12?« »Ich möchte es selbst zu gerne wissen. Doch offenbar ist es sogar Varganen nicht möglich, dem Würfel seine Geheimnisse zu entreißen.« Weder Kythara noch ich reagierten auf diese Anspielung. »Was nahe legt, dass der Würfel nicht varganischen Ursprungs ist«, schlussfolgerte der Chefwissenschaftler. Diese Worte
Der Zorn des Erzherzogs sprach er leise, scheinbar nur zu sich selbst, bevor er sich wieder uns zuwandte. »Die Untersuchungen brachten widersprüchliche Ergebnisse, sodass keine Aussicht auf zeitnahen Erfolg bestand. Also beschloss ich, dass es Wichtigeres zu tun gab. Das galt damals, und das gilt heute ebenso.« Ein Moment der Stille folgte, der von Kythara unterbrochen wurde. »Wie lange wird es noch dauern, bis wir die Arsenalstation erreichen?« Der Pilot reagierte nicht. Ich sah es meiner Begleiterin an, dass sie ihrer Frage bereits Nachdruck verleihen wollte, aber durch das Verhalten des Piloten davon abgehalten wurde. Er fuhr mit mehreren Greifzangen hektisch über das Instrumentenpult vor sich. Nach wenigen Sekunden drehte er sich zu uns um. »Ich …« Er rang nach Worten. Offenbar war etwas Außergewöhnliches geschehen, denn sogar während unseres Überfalls war er stets ruhig geblieben. »Was ist mit dir?«, fragte ich. »Es … Wir werden den Flug nicht fortsetzen können.« Seine Mandibeln zuckten. »Etwas Ungeheuerliches steht direkt bevor.«
* In seinem Beobachtungsposten stieß der Jäger zischende Laute aus. Dieser Flug steckte voller Unwägbarkeiten. Erneut beschloss er, seinen Angriff zu verschieben. Es musste sein, denn jetzt war der Zeitpunkt ungünstiger als jemals zuvor. Als das männliche Opfer den mysteriösen Würfel präsentiert hatte, war Davan-7 von dem Objekt sofort fasziniert gewesen. Die Gespräche, die der Chefwissenschaftler und das Opfer darüber führten, schlugen ihn in seinen Bann. Für Sekunden überlegte er, ob er das Artefakt an sich bringen sollte. Doch das hieße zugleich, Gorgh-12, seinen Schutzbefohlenen, zu hintergehen. Das war undenkbar, trotz seines offensichtlichen Verrats. Nur wenn die Situation doch noch eskalieren
33 sollte, wenn es nötig werden würde, ein Blutbad zu veranstalten, wäre es ein lohnendes Ziel. Er behielt diesen Gedanken im Hinterkopf. Zum ersten Mal in seinem Leben fand er es erstrebenswert, ein unbelebtes Objekt zum Ziel seiner Jagd zu machen. Nach Kommandant Torghunars Tod wusste niemand mehr, dass Davan-7 an Bord war. Eine einmalige Gelegenheit, alle zu vernichten und den Würfel an sich zu nehmen. Er konnte den Erzherzog hintergehen, die Lordrichter, ja sogar das Schwert der Ordnung. Doch dann kam die Mitteilung, die alles veränderte. Der Pilot kündigte an, dass »etwas Ungeheuerliches« geschehen werde. Davan-7 wusste schon, bevor es ausgesprochen wurde, worum es sich handelte. Also hieß es, erneut abzuwarten. Jegliches Gefühl der Ruhe und Ausgeglichenheit war in dem Jäger gestorben. Selbst ihn packte das Grauen mit eiskalten Händen, als er daran dachte, was ihnen allen bevorstand.
8. Die Ankunft des Lordrichters Erzherzog Garbhunars Zorn wuchs mit jeder Sekunde, die er gezwungen war zu warten. K'orhan-7 hatte sich angekündigt – mit guten Nachrichten, wie er betont hatte. Diese Aussicht ließ Garbhunar geduldiger werden, denn gute Nachrichten waren das Einzige, was seinen Zorn möglicherweise besänftigen konnte. Doch seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Als er nahe daran war, sich anderen Aufgaben zuzuwenden, traf der Truppenkommandant Maran'Thors endlich ein. Der Erzherzog verzichtete auf eine Begrüßung. »Welche Mitteilung hast du mir zu machen?«, zischte er. »Die Überwachung des Landefelds ist lückenlos, und in Absprache mit Gorgh-12 wird aktuell der Schutz auf den Arsenalstationen perfektioniert. Die Situation in allen Fabriken ist wieder weitgehend unter Kon-
34 trolle, und es gibt erstmals einen konkreten Verdacht, auf welche Weise die Manipulationen in das Computernetzwerk eingespeist wurden.« Jeder vorgebrachte Punkt dieser Erfolgsliste steigerte Garbhunars Zufriedenheit. »Ich wusste, dass du über größere Fähigkeiten verfügst als dein Vorgänger.« »Die Flüchtigen werden sich früher oder später in dem Netz verfangen, das ich aufgespannt habe.« »Dann werde ich mich endlich wieder wichtigeren Angelegenheiten zuwenden können.« Garbhunar schwieg einen Moment, wechselte dann das Thema. »Es gibt keinen Zweifel mehr. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis einer der Lordrichter hier eintrifft.« »Hoffen wir …« »Hoffen wir, dass wir ihn nicht mit Nichtigkeiten wie flüchtenden Varganen belästigen müssen! Ihn werden außerdem keine Gründe dafür interessieren, warum die Produktion des Hyperstaubs stockend vorangeht, er wird lediglich feststellen, dass es so ist.« Wieder breitete sich Schweigen aus. Garbhunars Worte lagen wie eine düstere Drohung im Raum. »Was befehlt Ihr, Erzherzog?«, fragte der Truppenkommandant schließlich. »Finde die Varganen und töte sie! So, dass nicht der geringste Zweifel an ihrem Ableben besteht. Wenn möglich, bringe ihre Leichen hierher.« K'orhan-7 nahm den Eliminierungsauftrag ohne Zögern an. »Es wird nicht mehr lange dauern, Erzherzog.« »Wann werden die Fabriken wieder normal produzieren können?« »Ich kann keinen genauen Zeitpunkt nennen, denn ich werde Euch keine leeren Versprechungen geben.« »Hüte dich vor allzu großer Ehrlichkeit. Vor allem verlange ich konkrete Ergebnisse.« Sie besprachen einige Details der Truppenverteilung, und Garbhunar hatte an der
Christian Montillon Vorgehensweise seines Günstlings nichts auszusetzen. Gerade als K'orhan-7 den Raum verlassen wollte, traf eine Nachricht ein. Es handelte sich um die Mitteilung, auf die Garbhunar schon seit Tagen wartete und von der er doch tief in seinem Inneren gehofft hatte, dass sie niemals kommen würde. Seine Befürchtungen waren wahr geworden. Mit Grauen dachte er an das Eishaarfeld, dem er nun bald gegenüberstehen würde. In diesem Moment hasste er es, Erzherzog zu sein.
* Der Pilot des Beiboots beendete den Flug zu der Arsenalstation und nahm wieder Ziel auf den Planeten. »Ich habe keine andere Wahl. Die Fähre muss wie alle anderen Fahrzeuge im Orbit auf dem Planeten landen.« »Warum?«, fragte ich scharf. Ich ärgerte mich, dass der Pilot immer wieder um den eigentlichen Kern herumredete. Ich glaubte zwar nicht, dass er einen Trick anwandte, aber ich konnte sein Handeln nicht einordnen. »Ein Lordrichter hat seine persönliche Ankunft im System angekündigt!« Kythara wandte sich mir zu, und wir tauschten einen raschen Blick. »Wann wird er eintreffen und auf welche Art?« »Die Nachricht war dringend, und die Ankunft kann jede Sekunde erfolgen! Wir müssen sofort landen.« Er beschleunigte den Flug, und in der nächsten Sekunde gellte ein Warnsignal auf. Es war so schrill, dass es mir in den Ohren schmerzte, aber für Insektoiden mochte es nicht derart unangenehm sein. Ein Zittern durchlief das Beiboot. »Eine Strukturerschütterung«, rief Gorgh12. »Das kann nur eins bedeuten: Der Lordrichter muss bereits angekommen sein!« Seine Stimme zitterte, und er zog seine Extremitäten dicht an den Körper heran. »Die Ortungsgeräte zeigen ein fünf Kilometer durchmessendes Schiff«, informierte
Der Zorn des Erzherzogs uns der Pilot. »Mehr Details«, forderte Gorgh-12. »Handelt es sich um ein Kirigalo-Schiff, wie die Gerüchte besagen?« Der Pilot bestätigte. »Es ist in der Umlaufbahn des fünften Planeten materialisiert.« »Kirigalo?«, erkundigte ich mich. »Es sieht aus wie ein Kirigalo«, antwortete Gorgh-12, und als ich ihn fragend ansah, ergänzte er leicht genervt: »Runder Körper, mehrere zackenartige Arme. Rot.« »Gib uns ein normaloptisches Bild!«, forderte Kythara, die mit dem Kirigalo-Vergleich so wenig anfangen konnte wie ich. Nur Sekunden später sahen wir das von Gorgh-12 so bezeichnete Kirigalo-Schiff auf dem Bildschirm. Es leuchtete in düsterem Blutrot vor dem Schwarz des Weltalls, und mir drängte sich spontan der Vergleich mit einem Seestern auf, abgesehen von der Größe, der Anzahl der Arme und der Oberflächenstruktur. Aber immerhin: Der SeesternVergleich war für mich deutlich greifbarer als mit einem Kirigalo. Der Kern des Schiffes wurde von einem Rotationsellipsoid gebildet, 1650 Meter hoch und mit einem Durchmesser von 2750 Metern. Diesem Zentrum entsprangen in Äquatorhöhe insgesamt acht Spitzkegel von 1125 Metern Länge und einem Basisdurchmesser von 520 Metern. »Ein unheimlicher Anblick«, kommentierte der Pilot mit bebender Stimme. Damit traf er die Wirkung, die das Schiff auf uns alle ausübte, auf den Punkt. Das Blutrot, in dem die Außenwände des Schiffs leuchteten, wurde von den Lordrichtern als subtiles Mittel genutzt, genau diesen Effekt zu bewirken. Sie arbeiteten offenbar gezielt daran, unheimliche Machthaber zu sein, die über allem anderen standen. Eine sehr effektive Methode, wie ich eingestehen musste. Jeder schien vor Ehrfurcht zu erstarren, wenn ihr Name fiel – und erst recht, wenn sie persönlich erschienen. Ich ließ mich ebenso wenig beeindrucken wie Kythara. Wir hatten bereits zu viel er-
35 lebt, als dass uns solche Äußerlichkeiten aus der Fassung bringen konnten. Dennoch ging der Anblick des Schiffes auch an mir nicht spurlos vorüber. Das Schiff des Lordrichters wirkte durch und durch böse. Das Abbild auf dem Bildschirm strahlte auf mich eine grausige Faszination aus. Nie war ich einem der geheimnisvollen Lordrichter so nahe gewesen wie in diesem Augenblick. Plötzlich durchzuckte mich ein greller Schmerz. Der mysteriöse Würfel in meiner Tasche war von einer Sekunde auf die andere glühend heiß geworden! Die Hitze drang durch das Material der Gürteltasche und durch meine Kleidung bis auf die Haut. Ich schleuderte den Würfel durch einen leichten Stoß von unten aus der Tasche und fing ihn gerade noch rechtzeitig auf, bevor er hart aufprallen konnte. Sofort öffnete ich den Griff meiner Hände wieder, damit ich keine schlimmeren Verbrennungen erlitt. Sanft schwebte das geheimnisvolle Artefakt zu Boden. Erstaunt bemerkte ich, dass ich in dem kurzen Moment, in dem der Würfel Kontakt mit meinen Handinnenflächen gehabt hatte, keinerlei Hitze gespürt hatte. »Was machst du?« Kythara sah mich verwirrt an. »Der Würfel strahlte plötzlich eine gewaltige Hitze ab«, sagte ich schwach. »Doch es scheint schon wieder vorbei zu sein.« Vorsichtig näherte ich meinen rechten Zeigefinger dem Artefakt. In der Tat war es wieder abgekühlt, als sei nichts geschehen. Doch es war ausgeschlossen, dass ich mich getäuscht hatte. Nach wie vor brannte meine Haut in Höhe der Gürteltasche. »Womöglich eine Reaktion auf die Ankunft des Seesternschiffes.« »Das scheint eine plausible Erklärung zu sein«, bestätigte Gorgh-12. »Was gleichzeitig bedeutete, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Würfel und den Lordrichtern gäbe – obwohl wir ihn erst bei unserer Ankunft fanden. Merkwürdig …« »Wenn es sich nicht um einen Zufall han-
36 delte«, schwächte Kythara die Vermutungen des Chefwissenschaftlers ab. »Das ist äußerst unwahrscheinlich«, erwiderte ich. Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich, kam der Impuls meines Extrasinnes. Der Würfel könnte auf die Auswirkungen der Strukturerschütterung reagiert haben. Das ist sogar eine logischere Annahme, als dass die Anwesenheit eines bestimmten Intelligenzwesens ihn zu der Hitzeentfaltung bewegt hat. Denn darauf willst du doch hinaus, nicht wahr? Du glaubst, dass der Würfel auf die Gegenwart des Lordrichters reagierte. Aber so war es ja schon immer. Du gibst wenig auf Logik, wenn ein faszinierendes Rätsel die andere Möglichkeit ist. Ich ignorierte den Spott in den letzten Worten. »Wir werden in wenigen Augenblicken auf Maran'Thor landen«, unterbrach der Pilot die aufbrandende Diskussion. »Und was gibt es bezüglich des KirigaliSchiffes zu melden?«, fragte Gorgh-12. »Es verharrt an seiner Position.« Ein Ruck ging durch den Körper des Piloten. »Ich korrigiere: Es ist soeben entmaterialisiert!« »Such es!« »Es befindet sich in einer 300-Kilometer-Umlaufbahn und beginnt den Landeanflug nach Mara-IV. Bei der erneuten Materialisation gab es nicht die geringste Strukturerschütterung!« Während ich enttäuscht bemerkte, dass an dem Würfel keinerlei Veränderung festzustellen war, dachte ich über die Konsequenzen des eben Geschehenen nach. Ein Lordrichter landete auf Maran'Thor! Für Kythara und mich nahm dieses Ereignis absolute Priorität ein. Vergessen war die Idee, auf eine der Arsenalstationen zu gelangen. Wir würden versuchen, zu dem Lordrichter vorzudringen. »Der Würfel entzieht sich nach wie vor allen Analysen«, teilte ich Kythara und Gorgh-12 mit. »Er lässt sich weder öffnen noch mit den Instrumenten erfassen.« »Erzherzog Garbhunar untersagt auf un-
Christian Montillon bestimmte Zeit alle Flugbewegungen«, rief der Pilot. »Wir werden im Orbit bleiben müssen, bis der Befehl aufgehoben wird.« »Zunächst einmal sind wir damit einverstanden.« Kythara warf mir einen raschen Blick zu. Aber wir werden hier nicht warten, bis der Lordrichter wieder verschwindet, schien er mir zu sagen. Ich nickte ihr zu. Danach wandte sie sich an den Piloten. »Gehen Impulse von dem Seesternschiff aus?« Der Insektoide überprüfte es für einige Sekunden, bevor er antwortete. »Nichts. Auch werden keinerlei Informationen zu dem Lordrichter gesendet.« »Du wirst mich sofort benachrichtigen, wenn sich das ändert.« Ich wandte mich Gorgh-12 zu, um von ihm weitere Einzelheiten zu erfahren. »Wo befindet sich der Erzherzog?« »Er hat Quartier in der Zentralpyramide in der nördlichen Kuppelstadt bezogen.« »Cludargans Heimstatt«, ergänzte Kythara. Der Chefwissenschaftler ging auf diesen Einwurf nicht ein. »Garbhunar befindet sich noch nicht lange auf Maran'Thor, doch er hat tief greifende Veränderungen vorgenommen. Er hat den Truppenkommandanten Torghunar hinrichten lassen, weil er mit dessen Erfolgen nicht zufrieden war.« »Wird der Erzherzog zu dem Lordrichter gerufen werden? Oder wird dieser Garbhunar aufsuchen?« »Keinesfalls! Ein Lordrichter wird sich nicht in die Niederungen begeben. Er wird sein Rotes Sternschiff nicht verlassen. Ob der Erzherzog zu ihm gehen wird, weiß ich nicht.« Gorgh-12 bedachte mich mit einem durchdringenden Blick aus seinen Facettenaugen. »Die Erzherzöge sind die Höchsten in der Befehlskette, die ich kenne. Niemand steht über ihnen, außer den Lordrichtern selbst. Du kannst nicht erwarten, dass ich über ihre Gepflogenheiten etwas aussagen kann.« »Welchem Volk entstammen die Lordrichter?« Dem Chefwissenschaftler verschlug diese
Der Zorn des Erzherzogs Frage offensichtlich die Sprache. »Sie sind für mich und für jeden anderen außer den Erzherzögen eher Legenden als greifbare Lebewesen! Ich kenne niemanden, der je einen Lordrichter gesehen hat, außer möglicherweise Garbhunar selbst. Doch selbst bei ihm wage ich das stark zu bezweifeln.« »Du weißt also nicht einmal, welche Art von Wesen die Lordrichter von Garb sind? Welcher Spezies sie angehören?« Möglicherweise waren sie tatsächlich nur Mythen, von einem autoritären Herrschaftssystem geschaffen als Repräsentanten des Schwertes der Ordnung. Auch auf eine diesbezügliche Frage konnte der Chefwissenschaftler uns keine Auskunft geben, obwohl er nicht den Eindruck machte, als wolle er mir etwas verheimlichen. Im Gegenteil gab er bereitwillig Auskunft. So als plane er tatsächlich, das Alte hinter sich zu lassen und zu uns überzulaufen. Ich brachte seiner Lebensgeschichte immer weniger Skepsis entgegen. Kythara übermittelte mir quasitelepathisch, dass sie sicher war, Zutritt zu Cludargans Heimstatt erlangen zu können. Der Erzherzog residierte nach der Aussage des Chefwissenschaftlers in dieser nördlichen Kuppelstadt. Sie kenne möglicherweise noch gültige Überrangkodes, teilte Kythara mir mit. Ihre Gedanken gingen in dieselbe Richtung wie meine. Wir würden das Risiko eingehen und den Erzherzog persönlich aufsuchen, um von ihm mehr über die Lordrichter zu erfahren oder um über ihn in das Seesternschiff vordringen zu können. »Wir werden uns Zugang zu Garbhunar verschaffen«, sagte ich laut. Gorgh-12 zeigte keine Anzeichen von Überraschung. »Ich dachte es mir. Ich werde euch helfen können. Es ist für die Wachen nichts Ungewöhnliches, dass ich zu ihm gehe. Im Schutz der Deflektoren werdet ihr mir folgen können.« Er schien einen Moment lang nachzudenken, ob er noch etwas hinzufügen sollte. Dann erzählte er hastig weiter. »Meine Wissenschaftler haben vor
37 kurzem unterhalb der Zentralpyramide einen Transmitter entdeckt, der nicht im Stationsverzeichnis enthalten ist.« Ganz in der Nähe der Wohnung der Suite des Erzherzogs … »Wieso bist du so bereitwillig, uns zu helfen?«, fragte Kythara skeptisch. »Mein Leben ist ohnehin verwirkt! Ich wurde gefangen genommen und habe an den Feind Informationen weitergegeben.« »Unter Zwang«, warf ich ein. »Danach wird niemand fragen. Wenn ich zu meinem Volk zurückkehre, werde ich exekutiert werden. Der Zorn des Erzherzogs in solchen Angelegenheiten ist kompromisslos und zielgerichtet. Kollaborateure werden noch schneller hingerichtet als Versager, und Truppenkommandant Torghunars Urteil wurde innerhalb eines einzigen Tages gefällt.« Ich ahnte, worauf der Insektoide hinauswollte. »Du willst uns also begleiten, wenn wir den Transmitter zur Flucht benutzen?« »Entweder ihr sichert mir das zu, oder ich werde seinen genauen Standpunkt nicht bekannt geben. Ihr habt die Wahl. Doch ohne den Transmitter werdet ihr niemals aus der Zentrumspyramide entkommen können.« »Jeder wird über den Transmitter Bescheid wissen«, warf Kythara ein. »Wie kommst du darauf, dass wir ihn zur Flucht nutzen können?« »Selbstverständlich habe ich die Entdeckung weitergemeldet. Aber es ist noch nicht allzu lange her. Ich bezweifle, dass der Erzherzog bisher Zeit fand, die Berichte so genau zu studieren und Wachen um den Transmitter herum aufzustellen. Ich bin überzeugt davon, dass niemand außer den Entdeckern und mir von seiner Existenz weiß.« Ich wechselte einen kurzen Blick mit Kythara. »Wir werden über dein Angebot nachdenken.«
* Erzherzog Garbhunar konnte keines sei-
38 ner Glieder ruhig halten. Nackte, kreatürliche Angst hatte von ihm Besitz ergriffen. Er stand vor einem Lordrichter von Garb. Garbhunar spürte, wie unendlich schwer es ihm fiel, einen knappen Bericht abzugeben. Alle Worte, die er sich zurechtgelegt hatte, waren aus seinem Gedächtnis verschwunden. Jede beschönigende Darstellung zerschmolz vor dem, dem er Rechenschaft schuldete. Natürlich war der Lordrichter nicht persönlich anwesend. Niemals hätte ein Wesen wie er den Weg angetreten, um einem gewöhnlichen Sterblichen, einem Niemand, gegenüberzustehen. Denn nichts anderes war Garbhunar. Ein Nichts. Ob er über Tausende oder gar Millionen von Intelligenzwesen gebot oder nicht: Angesichts des Lordrichters war das völlig ohne Bedeutung. Deshalb war es nicht nötig, dass sich der Lordrichter körperlich in die Niederungen begab. Stattdessen kam das Eishaarfeld. Das Eishaarfeld. So nannten es die Eingeweihten. Die nichtstoffliche Erscheinungsform der Lordrichter, die an jedem Ort entstehen konnte. In irgendeiner Weise musste der Lordrichter selbst darin präsent sein, denn die Aura seiner unendlichen Macht umgab das Eishaarfeld. Eine Ausstrahlung, die jeden in die Knie zwang. Auch Garbhunar. Garbhunar, der sich vor kurzem noch für unendlich mächtig gehalten hatte. Garbhunar, dessen Zorn gefürchtet war. Garbhunar, der über Leben und Tod seiner Untergebenen gebot. Vor dem Eishaarfeld war er weniger als nichts. Dünne, wie Eis glitzernde Fäden wirbelten umeinander zu einer Säule, einer Fadenwolke mit zwei Metern Durchmesser und 3,5 Metern Höhe. Die Natur der »Eisfäden« – der Verstand fand keinen anderen Begriff für das, was die Sinne ihm hier zeigten – erschloss sich dem Erzherzog nicht. Er vermochte nicht einmal zu sagen, ob sie tatsächlich aus Atomen und Molekülen bestanden oder ob sie eine besondere Form subli-
Christian Montillon mierter Macht waren. »Zwei … zwei … Kubikmeter Kristallstaub«, erscholl die kalte Stimme des Lordrichters. Der Zorn, der in ihr mitschwang, übertraf alles, was Garbhunar jemals empfunden hatte. Er duckte sich, als hätte der Lordrichter seinen Chitinpanzer mit flüssigem Feuer übergossen. »Weil du versagst, droht die Psi-Quelle samt ihren Ablegern völlig außer Kontrolle zu geraten!« »Es ist die Schuld der Wissenschaftler«, hauchte Garbhunar kraftlos. »Das Schwert der Ordnung hat dich zum Erzherzog bestimmt und hierher nach Maran'Thor gesandt. Du trägst infolgedessen alle Verantwortung.« »Ja, Herr«, fiepte Garbhunar. »Gebt mir eine Chance, mein Versagen rückgängig zu machen.« »Darüber hinaus sind die vermeintlichen Varganen immer noch nicht ausgeschaltet!« Der Zorn traf wie Donner auf Garbhunars Leib und drohte ihn zu sprengen. Er meinte, das Chitin seines Brustsegmentes vibrieren zu spüren, als würde es gleich in tausend Teile zerspringen. Lange würde er die Gegenwart des Mächtigen nicht mehr ertragen können, ohne innerlich zu sterben. Oder war er bereits tot? Ein unendlicher Schreck durchfuhr ihn bei dieser Überlegung. Lebte er nur deshalb noch, weil der Lordrichter einen letzten Bericht von ihm empfangen wollte? »Ich bin erst vor kurzem hier eingetroffen, Herr«, wagte der Erzherzog einen weiteren Einwand. »Zuvor war die Lage noch desolater.« »Desolat – das trifft es nicht annähernd! Du bist der ranghöchste unserer Repräsentanten in diesem Sektor! Ob es Ergebnisse gibt oder nicht, liegt alleine in deiner Verantwortung. Das Schwert der Ordnung erwartet die Früchte deiner Arbeit.« »Ich werde mich darum kümmern! Ich …« Noch während seiner Versicherungen löste sich das Eishaarfeld auf. Es verschwand ebenso schnell und spurlos, wie es gekom-
Der Zorn des Erzherzogs men war. Der Lordrichter hatte sich zurückgezogen. Für ihn war die Audienz beendet.
9. 19. Mai 1225 NGZ Zwangspause Endlich war die Zwangspause beendet. Nicht für das Beiboot, aber für den Jäger. Davan-7 war zur inneren Ruhe zurückgekehrt. Die Fähre befand sich seit Stunden bewegungslos im Orbit, so lange, wie auch das düster leuchtende Kirigalo-Schiff des Lordrichters über Maran'Thor verharrte. Es schwebte über dem Küstengebirge des Nordkontinents Kollarschordek und zeigte nicht die geringste Aktivität. Davan-7 war über jede Kleinigkeit bestens unterrichtet, denn die beiden Opfer ließen sich von dem Piloten ständig über jede noch so kleine Veränderung informieren. In Minutenabständen musste dieser mitteilen, dass nach wie vor keine Flugerlaubnis vorlag. Der Jäger wusste Bescheid über die Pläne seiner Beute. Sie wollten zu Erzherzog Garbhunar vordringen, ihn möglicherweise entführen, um mehr über die Lordrichter zu erfahren. Ein Plan, der von ebenso viel Kühnheit wie Wahnsinn zeugte. Es wäre interessant gewesen, seinen weiteren Fortgang zu beobachten. Doch es gab Wichtigeres. Die Jagd musste beginnen, seine Gegner mussten sterben. Über das Schicksal seines ehemaligen Schutzbefohlenen Gorgh-12 hatte Davan-7 noch nicht entschieden. Jede Verpflichtung ihm gegenüber hatte er längst abgelegt. Er war ein Kollaborateur, der seinen Schutz nicht mehr verdiente. Zweifellos hätte der tote Torghunar genauso entschieden. Doch der Jäger konnte verstehen, warum Gorgh-12 zum Feind übergelaufen war, und deshalb verachtete er ihn nicht. Ließ er ihn als Einzigen an Bord am Leben, war der Chefwissenschaftler hilflos. Ohne Hilfe würde Gorgh-12 dem Zugriff des rächenden
39 Schwertes der Ordnung niemals entkommen. Ihn alleine zu lassen war im Grunde nichts anderes, als ihn indirekt zu töten. Die Alternative war, den Würfel an sich zu bringen und den Wissenschaftler mit sich zu nehmen, damit er sich unter der Aufsicht des Jägers der Erforschung des Artefakts widmete. Nach wie vor war Davan-7 von dem Gedanken an den Würfel besessen. Mehr denn je, seit das männliche Opfer von der spontanen Hitzereaktion berichtet hatte. Hintergründe und Geheimnisse zeichneten sich ab, die das Objekt als lohnendes Ziel einer Jagd erscheinen ließen. Er schüttelte die Gedanken ab. Die Zeit des Handelns war gekommen. Er verließ sein Versteck in dem kleinen Laderaum. Gestern, als die Opfer sich an Bord geschlichen hatten, waren sie ihm so nahe gewesen … Als sie ihre Deflektoren abgeschaltet hatten, hätte er sie mit zwei raschen Schüssen ohne jede Schwierigkeit auslöschen können. Die Neugierde hatte ihn davon abgehalten. Er bereitete die Falle vor. Direkt links und rechts vor dem Ausgang des Laderaums platzierte er zwei kleine Geräte, sodass sie von außen nicht eingesehen werden konnten. Es handelte sich äußerlich um unscheinbare quaderförmige Metallklötze ohne jede erkennbare Funktion. Spezialanfertigungen, die Davan-7 über dunkle Kanäle besorgt hatte. Danach nahm er eine greifzangengroße Scheibe von wenigen Millimetern Dicke aus seiner Funktionstasche, die er in Augenhöhe an der Wand neben der Tür befestigte. Sowohl das Lähmungsfeld als auch der tödliche Energievorhang konnten von ihm jetzt mit einem einzigen Knopfdruck aktiviert werden. Er stand bereit, zusätzlich eine Waffe im Anschlag.
* »Wenn wir nicht bald eine offizielle Flugerlaubnis bekommen, werden wir trotzdem landen«, sagte Kythara zu mir. »Die Gegenwart des Lordrichters in solch unmittelbarer
40 Nähe ist vielleicht eine einmalige Chance.« »Wir dürfen sie nicht ungenutzt verstreichen lassen, wenn es im Bereich des Möglichen liegt«, stimmte ich meiner Begleiterin zu. »Aber unser primäres Ziel ist der Erzherzog. Ob wir über ihn an den Lordrichter gelangen, wird sich zeigen. Wenn wir gegen das strikte Landeverbot verstoßen, wird man auf uns aufmerksam werden.« »Ich könnte einen Eilantrag stellen. Möglicherweise wird Garbhunar mir eine Sondergenehmigung erteilen.« Der Vorschlag des Chefwissenschaftlers bot Vorteile, die nicht von der Hand zu weisen waren. Doch ich hatte andere Pläne. »Es ist besser, wenn der Erzherzog nichts von dir weiß. Wenn wir dich als Überraschungsmoment einsetzen können, ist das wertvoller. Es kann viele Gelegenheiten geben, in denen deine Gegenwart uns behilflich sein kann. Wir werden noch abwarten.« Unser Gedankenaustausch wurde durch den Piloten jäh unterbrochen. »Es gibt eigenartige Energiewerte in dem Laderaum«, teilte er uns mit. »Dort hat für einen kurzen Moment eine Entladung stattgefunden.« »Was kann das sein?«, fragte ich. »Es gibt dort nur Lagergüter, keine Technik. Es ist nicht möglich, dass dort eine Fehlfunktion zu einer Energieentladung führt.« »Also muss sich noch jemand an Bord befinden«, konstatierte Kythara. »Ich wusste es. Du hast mich belogen.« »Niemand ist hier!«, ereiferte sich der Pilot. Danach schränkte er ein: »Zumindest weiß ich von niemandem. Glaubst du, ich hätte dir den Vorfall gemeldet, wenn ich dir etwas verheimlichen wollte?« »Es ist gut«, unterbrach Kythara und winkte ab. »Es muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass sich jemand dort aufhält.« Gorgh-12 wandte sich dem Ausgang zu, doch sein Einwand hatte nachdenklich geklungen, als habe er einen bestimmten Verdacht. »Ich werde nachsehen.« »Das ist zu gefährlich«, widersprach ich
Christian Montillon dem Chefwissenschaftler. »Ich werde gehen.« »Dort ist jemand, und er will dich in eine Falle locken.« Kythara sah mich durchdringend an. »Ich glaube nicht, dass wir aufgrund einer Unvorsichtigkeit seinerseits auf ihn aufmerksam geworden sind. Er will, dass wir kommen.« »Selbst wenn das der Fall sein sollte, werde ich mit ihm fertig werden. Er ist nicht der Erste, der mich zu töten beabsichtigt.« »Dennoch werde ich dich nicht alleine gehen lassen.« Kytharas Stimme ließ keinen Widerspruch zu. »Soll er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen? Du solltest mich besser alleine gehen lassen.« »Du wirst Rückendeckung brauchen, Arkonide!« Ihre Augen funkelten. »Und ich brauche dich an meiner Seite.« »Ach was?« Ich grinste sie an. »Um von hier wegzukommen und die Sternenstadt VARXODON zu erreichen«, schränkte sie mit strengem Blick ein. »Ich dachte, das hätten wir längst geklärt. Das ist übrigens auch der einzige Grund, warum ich nicht zulassen werde, dass du in eine Falle rennst.« »Wir können den Piloten nicht ohne Aufsicht zurücklassen«, warf ich ein. »Gorgh-12 wird ihn bewachen. Er ist jetzt an uns gebunden, und er wird diese Aufgabe bewältigen. Für ihn ist der Moment gekommen, seine Loyalität zu beweisen.« Ich warf dem Chefwissenschaftler einen Blick zu, und er willigte ein. »Wir sind bald zurück. Vielleicht stellt sich alles doch ganz anders dar«, sagte ich zu ihm. Dann verließen wir die Steuerzentrale.
* Davan-7 triumphierte. Er hatte jedes Wort verfolgt, das von seiner Beute gesprochen worden war. Alles lief genau so, wie er es sich ausgerechnet hatte. Seine Opfer erwiesen sich als äußerst berechenbar.
Der Zorn des Erzherzogs Einer von ihnen würde als Erster in den Raum vordringen und von dem Energievorhang zerschnitten werden. Der andere, als Deckung und Eingreifreserve zurückgeblieben, würde sich im Lähmungsfeld fangen, dessen Radius breit genug gestreut war, den gesamten Korridor vor dem Eingang in den Laderaum abzudecken. Beide Technologien standen bereit, warteten nur darauf, aktiviert zu werden. Er hörte, wie die Opfer die Steuerzentrale verließen. »Ich werde zuerst in den Raum gehen.« Die Frau hatte gesprochen, und der Weißhaarige widersprach nicht. Das bedeutete, dass die Frau als Erste sterben würde. Doch die männliche Beute würde ihr bald folgen. Gefangen im Lähmungsfeld, ohne die geringste Bewegungsmöglichkeit, würde er ihren Tod miterleben. Und danach von mehreren Salven aus dem Strahler des Jägers zerfetzt werden. Ein kurzer, ungleicher Kampf. Doch das Einzige, was zählte, war Erfolg. Seinen Opfern die Chance auf Gegenwehr zu geben wäre nichts als Schwäche, eine schlecht geplante Jagd. Es konnte nur noch Sekunden dauern, bis sie den kurzen Weg zum Lagerraum zurückgelegt hatten. Die Beobachtungsgeräte zeigten Davan-7, dass die Fremden vor der Tür verharrten. »Es gibt keine relevanten Energiedaten im Inneren des Laderaums«, stellte der Mann mit leiser Stimme fest. Offenbar nahm er mit Hilfe eines Messgeräts Untersuchungen vor. Sollte er nur. Die Technologie, die ihm den Tod bringen würde, war im inaktiven Zustand nicht zu entdecken. Unendliche Ruhe hatte nun von Davan-7 Besitz ergriffen. So war es immer. Der Moment der Erfüllung nahte. Gelassen wartete er ab. »Es ist jemand dort drin, ich fühle es.« Die Stimme der Frau war wie ein Hauch. Gleich musste sie hereinkommen. Sie verfügte über einen erstaunlichen Instinkt. Die letzten Worte ihres Lebens galten ihm, er würde sie in seinem Inneren wie einen kost-
41 baren Schatz bewahren. Der Finger des Jägers schwebte über dem Sensorfeld. Ein winziger Druck würde den Energievorhang und das Lähmungsfeld gleichzeitig aktivieren. Zusätzlich hielt er zwei Strahler auf den Eingangsbereich gerichtet. Dabei handelte es sich um eine unnötige Vorsichtsmaßnahme, doch er sicherte sich stets doppelt ab. »Ich gehe rein«, zischte die Frau. Sie betätigte den Kontakt, der die Tür zischend zur Seite fahren ließ. Als Erstes richtete sich die Mündung einer Waffe ins Innere des Laderaums. Als ob er darauf eine Reaktion zeigen würde. Es war ein lächerlicher Versuch, ihn zu provozieren. Selbstverständlich befand sich Davan-7 außerhalb des Bereiches, der von dem Gang aus eingesehen werden konnte. Auch die winzigen Generatoren des Energievorhangs hatte er gut versteckt angebracht. »Halt!«, gellte in diesem Moment die Stimme seines ehemaligen Schutzbefohlenen auf. Gorgh-12 nahte mit raschen Schritten. Die Frau stieß einen Fluch aus und schlug auf den Kontakt, der die Tür wieder schloss. »Was willst du hier? Was ist mit dem Piloten?« »Ich habe ihn paralysiert. Ein kalkulierbares Risiko, denn es ist nicht zu erwarten, dass die Startgenehmigung gerade jetzt erfolgt.« »Verschwinde von hier!« »Ich gehe zuerst in den Raum. Ich ahne, wer sich darin befindet. Der ehemalige Truppenkommandant Torghunar sprach mir gegenüber einmal davon, dass er einen besonderen Schutz für mich vorgesehen hat. Ich sei für das erhabene Projekt zu wichtig, als dass …« »Einen besonderen Schutz?«, unterbrach das männliche Opfer. Davan-7 fluchte. In letzter Sekunde war alles zunichte gemacht worden. Wenn Gorgh-12 zuerst in den Raum trat, würde er in dem Energievorhang sterben. Das war nicht das Problem – wenn er starb, war wenig-
42 stens die Frage gelöst, was mit ihm geschehen sollte. Doch ob sich die beiden anderen beide im Bereich des Lähmungsfeldes aufhalten würden, war fraglich. Wahrscheinlich würde es doch noch zu einem offenen Kampf kommen. »Öffne die Tür!«, befahl Gorgh-12 draußen. Im nächsten Moment fuhr diese zur Seite. »Ich entbinde dich von deiner Schutzpflicht«, drang die Stimme des Chefwissenschaftlers ins Innere des Raumes. »Truppenkommandant Torghunar ist tot. Seine Befehle sind aufgehoben, denn er wurde exekutiert.« Der Jäger wartete ab. Offenbar wollte sein ehemaliger Schutzbefohlener ihn mit seinen Worten zu einer Reaktion herausfordern. »Wenn du ihm gegenüber nach wie vor loyal bist, dann bitte ich dich herauszukommen. Torghunars Tod erfolgte ungerechtfertigt. Ich werde seinen Tod rächen und seinen Mördern eine Niederlage beibringen.« Davan-7 verharrte regungslos. »Erzherzog Garbhunar hat einen Fehler begangen, als er ihn richtete. Ich habe Gleichgesinnte gefunden, die sich mir angeschlossen haben.« Du hast dich ihnen angeschlossen, nicht umgekehrt, dachte der Jäger. Deine Worte werden dich nicht retten. »Schließe dich uns an. Du kannst uns helfen, Torghunars Tod einen Sinn zu geben. Wir brauchen dich. Nur mit deiner Hilfe wird ein Erfolg möglich sein.« Davan-7 empfand nur Verachtung für seinen ehemaligen Schutzbefohlenen. Dachte er denn, jeder sei in seinen Überzeugungen derart wankelmütig wie er selbst? Egal, was kam, auch Gorgh-12 musste sterben. Seine Worte machten ihn schuldiger, als er es durch sein Überlaufen geworden war. Schweigen folgte. Sollte es nötig sein, würde Davan-7 noch Stunden hier warten. Irgendwann musste jemand den Raum betreten. Danach war der Kampf eröffnet. Ein Schuss jagte in den Raum und schlug in die Ladung ein. Weitere folgten, zer-
Christian Montillon schmetterten eine Kiste, auf der viele weitere gestapelt waren. Diese kamen ins Rutschen. Krachend wurde das zerstörte Behältnis zerquetscht, und die anderen polterten zu Boden, auch auf den Standort des Jägers zu. Er war gezwungen, zur Seite auszuweichen. In diesem Moment der Unachtsamkeit sprang das männliche Opfer ins Innere des Laderaumes. Davan-7 drückte auf das Sensorfeld, und flirrend entstand der Energievorhang.
* Nach dem unerwarteten Auftauchen des Chefwissenschaftlers und während seines vergeblichen Versuchs, unseren Gegner auf psychologischer Ebene zum Einlenken zu bewegen, hatte ich mit Kythara in lautloser Kommunikation einen Plan entworfen. »Wir brauchen dich. Nur mit deiner Hilfe wird Erfolg möglich sein«, rief Gorgh-12 in diesem Moment. Ich feuerte ebenso wie Kythara mit dem Strahler ins Innere des Laderaums. Als die Ladung krachend zu Boden polterte, sprang ich durch die offen stehende Tür. Ich konnte nur darauf hoffen, dass unser Ablenkungsmanöver fruchtete. Ich rollte mich ab und kam federnd auf die Beine. Hinter mir entstand eine bläulich leuchtende Wand aus Energie. Da sie keinem konventionellen Prallfeld glich, vermutete ich, dass die Berührung damit tödlich gewesen wäre. Der Unbekannte wollte uns also töten, nicht gefangen nehmen. Das war eine wichtige Information. Wenn Gorgh-12 sie nicht vom Eintreten abgehalten hätte, wäre Kythara jetzt tot, begriff ich. Die Wut kochte wieder in mir hoch, wie schon vor wenigen Tagen, aber diesmal zwang ich sie hinunter. Kythara befand sich momentan weniger in Lebensgefahr als ich. Und dann sah ich meinen Gegner. Ein Insektoide. Er schoss auf mich. Ich warf mich zur Seite, der Strahl jagte
Der Zorn des Erzherzogs dicht an meinem Kopf vorbei. Im Fallen feuerte ich ebenfalls. Doch auch ich traf meinen Gegner nicht. Ich sah, wie er eine kleine Apparatur fallen ließ und einen zweiten Strahler zog, wie ich es auch bei dem Soldaten beobachtet hatte, der uns in der Steuerzentrale angegriffen hatte. Offenbar war es eine Spezialität mancher Daorghor, mit zwei Waffen gleichzeitig zielen zu können. Ich erhob mich rasch wieder und sprang auf den Insektoiden zu, ehe er einen weiteren Schuss abgeben konnte. Ein Fußtritt prellte ihm eine seiner Waffen aus der Greifklaue. Gleichzeitig packte ich seinen anderen Waffenarm mit beiden Händen und riss ihn nach oben. Ein Strahl schlug in die Decke ein. Meinen eigenen Strahler hatte ich fallen lassen müssen. Der Schädel des Insektoiden, der mich um mindestens einen Meter überragte, ruckte nach unten und prallte gegen meine Stirn. Aufstöhnend ließ ich meinen Feind los und wankte einige Schritte zurück. Ich unterdrückte den Schmerz, als ich sah,wie der Daorghor erneut auf mich zielte. Warum griff Kythara nicht ein? Ich hatte gesehen, dass das Energiefeld nicht den Weg in den Laderaum versperrte. Mittlerweile waren etliche Sekunden vergangen, Zeit genug für meine Begleiterin, mir zu Hilfe zu kommen. Ich rollte mich über die Schulter ab, und erneut verfehlte mich mein Gegner. Der Strahl aus seiner Waffe schlug in das Energiefeld ein. Gelb-rote Überschlagblitze zuckten daraus hervor, und ein fauchendes Summen erfüllte den Raum. Ich hechtete auf den Insektoiden zu, und es gelang mir, hinter ihn zu kommen. Er wirbelte herum. Ich rammte ihm beide Fäuste gegen sein mittleres Körperglied. Er taumelte zurück – auf das Energiefeld zu, genau, wie ich es beabsichtigt hatte. Ich setzte nach, sprang auf ihn zu und traf ihn mit dem rechten Fuß mit aller Wucht. Er stürzte. »Du wirst …«, sagte er noch, bevor sein
43 Kopf in das Energiefeld einschlug und er für immer verstummte. Er hatte nicht mehr die Gelegenheit, einen Laut von sich zu geben, als die Falle, die er für mich aufgestellt hatte, ihre tödliche Wirkung tat. Sein Schädel wurde verdampft, und ein stechender Geruch breitete sich im Raum aus. Der kopflose Körper schlug auf dem Boden auf, die Glieder zuckten noch eine Weile, dann war es zu Ende. Ich atmete tief auf und warf einen Blick nach draußen. Sofort erkannte ich, warum Kythara nicht eingegriffen hatte. Sie und Gorgh-12 verharrten bewegungslos. Die Falle des Insektoiden war eine doppelte gewesen, und die zweite Hälfte hatte genau nach seinen Vorstellungen funktioniert.
10. Der Transmitterraum Mithilfe des kleinen Impulsgebers, den der tote Insektoide während des Kampfes hatte fallen lassen, gelang es mir, sowohl die Energiemauer als auch das Lähmungsfeld zu desaktivieren. Kythara und Gorgh-12 erlangten ihre Bewegungsfreiheit zurück. Ich sah es der Varganin an, wie sehr es sie ärgerte, in diese Falle geraten zu sein. Kythara bedachte die verstümmelte Leiche mit einem kurzen Blick. »Ich wusste es«, kommentierte sie kühl. Dann richtete sie ihre goldenen Augen auf mich. »Es ist nicht zu glauben, dass es diesem Daorghor beinahe gelungen wäre, zwei Unsterbliche zu vernichten.« Ich sah, wie Gorgh-12 bei diesen Worten in seiner Bewegung stockte. Doch er hakte nicht nach, und ich sah keinen Grund, ihm mehr zu offenbaren als nötig. Der Chefwissenschaftler betrachtete sinnierend die Überreste unseres Gegners. »Er gehört zu meinem alten Leben«, sagte er dann und wandte sich abrupt um. »Die Paralyse des Piloten wird bald nachlassen. Wir sollten zurück in die Steuerzentrale.« Dort angekommen, beschlossen wir, nicht mehr länger untätig abzuwarten. Der Pilot
44 erlangte das Bewusstsein wieder. Er sah, dass wir alle am Leben waren, und wandte sich kommentarlos den Instrumenten zu. Kurz vor Ablauf der Frist, die wir uns selbst gesetzt hatten, wurde endlich allgemeine Landeerlaubnis erteilt. Der Pilot begann mit dem Landeanflug auf Maran'Thor. Die Fähre setzte auf, ohne dass wir behindert wurden. »Werdet ihr mich töten?«, fragte der Pilot mit ausdrucksloser Stimme. »Ich bin mir bewusst, dass ich meine Aufgabe erfüllt habe und für euch nicht mehr nützlich bin.« Sein Blick ruhte bei diesen Worten auf Gorgh-12. Eine deutlichere Anklage hätte es nicht geben können. »Wir sind keine Mörder«, stellte ich klar. »Hast du das immer noch nicht verstanden?« »Nicht nur Mörder töten ihre Feinde.« »Du bist nicht unser Feind.« Ich hob den Strahler. »Ich werde dich paralysieren. Wenn du wieder zu Bewusstsein kommst, werden wir weit weg sein.« »Es gibt keinen Grund, eine weitere Leiche an Bord zurückzulassen«, bestätigte Kythara. Der Soldat, den sie nach seinem Angriff paralysiert hatte, lag gefesselt und weiterhin ohnmächtig in einer Ecke der Zentrale. »Auch ihn haben wir am Leben gelassen, nicht wahr?« Ich drückte ab, und der Pilot sackte zusammen. »Gehen wir«, sagte ich. Alles war abgesprochen. Nachdem wir die Fähre verlassen hatten, übernahm Gorgh-12 die Führung. Kythara, die beiden Kugelroboter und ich folgten ihm im Schutz der Deflektoren. Der Chefwissenschaftler musste dafür sorgen, dass wir Stellen, die energetisch gescannt wurden, passieren konnten, ohne entdeckt zu werden. Da mehrere Tropfenfähren gleichzeitig gelandet waren, herrschte einiger Betrieb. Geschäftig eilten die Insektoiden hin und her, einige Fahrzeuge beförderten verschiedene Lasten. Wir passierten ein Beiboot, das gerade von etwa zehn Daorghor verlassen wurde. Die Überwachung des Landefeldes war
Christian Montillon seit unserem Abflug weiter ausgebaut worden. Die Suche nach uns lief offenbar auf Hochtouren. Erzherzog Garbhunar und der neue Truppenkommandant schätzten uns wohl als gefährliche Gegner ein. Wie Recht sie damit hatten, sollte Garbhunar in Kürze am eigenen Leib zu spüren bekommen. Am Eingang zum Antigravschacht waren zwei Soldaten postiert. Sie spannten sich an, als sie Gorgh-12 nahen sahen, doch dann erkannten sie ihn und senkten ihre Waffen. Unter dem Vorwand, in einiger Entfernung verdächtige Geräusche gehört zu haben, schickte unser Verbündeter die beiden Insektoiden weg. »Doch kehrt rasch auf euren Posten zurück«, forderte er abschließend. »Es besteht der Verdacht, dass die flüchtigen Varganen das Landefeld zu sabotieren beabsichtigen.« Ich staunte über die Unverschämtheit, die der Chefwissenschaftler an den Tag legte. Es war tatsächlich von Vorteil, einen prominenten Verbündeten gewonnen zu haben. Insofern hatte sich die Episode in dem Beiboot trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten und Gefahren gelohnt, zumal wir ohne Gorgh-12 nicht über die Informationen verfügt hätten, die unser weiteres Vorgehen bestimmten. Über den Antigravschacht erreichten wir den Rand der Kuppelstadt. Auch hier zeigte sich überall militärische Präsenz, doch es gelang uns mühelos, den patrouillierenden Insektoiden auszuweichen. Bald schälte sich die Silhouette der Zentrumspyramide deutlich sichtbar aus dem Häusermeer, aber es dauerte einige Zeit, bis wir sie erreichten. Einige Daorghor eilten in unsere Richtung. Im ersten Moment befürchtete ich, dass sie uns entdeckt haben könnten, doch es stellte sich als Zufall heraus. Dennoch wäre es beinahe zu einer Katastrophe gekommen, denn ihr Weg führte sie exakt auf uns zu und die Verhältnisse ließen ein Ausweichen nicht zu. Wenn sie mit uns zusammenstießen, schützte alle Unsichtbarkeit nicht davor, wahrgenommen zu werden.
Der Zorn des Erzherzogs »Was wollt ihr?«, rief Gorgh-12 ihnen herrisch entgegen. »Geht mir aus dem Weg! Erkennt ihr mich nicht?« Wieder hatte der Chefwissenschaftler mit seinem rigorosen Vorgehen Erfolg. Die Insektoiden wichen zur Seite aus und hasteten an uns vorbei. Scheinbar unbeeindruckt ging Gorgh-12 weiter. Der offizielle Eingang zur Zentrumspyramide war scharf bewacht, wie Gorgh-12 uns schon vor der Landung des Beibootes angekündigt hatte. Seine herausragende Stellung ermöglichte es ihm jedoch, einen weniger frequentierten Seiteneingang in das Pyramidengebäude nutzen zu können. Er gab einige Kodes ein und konnte eintreten. Wir huschten ebenfalls hinein. Einen Moment lang amüsierte mich die Ironie der Situation, denn vor einem Tag war es ganz ähnlich gewesen, als wir in das Beiboot eingedrungen waren. Nur hatte damals Gorgh12 noch nichts von uns gewusst, während er uns jetzt unterstützte. Auch an einigen weiteren Stellen musste sich unser Verbündeter durch Kodes legitimieren. Einmal wurde er erkannt und deshalb von den Wachtposten durchgelassen. Er führte uns in eine leer stehende Subetage. »Genau wie ich es vermutete. Hier hält sich niemand mehr auf. Die Transmitterstation selbst wird ebenfalls völlig verlassen sein.« Gorgh-12 ging noch um einige Ecken und Biegungen herum, dann betraten wir den geheimen Transmitterraum.
* Die Ausstattung und das Aussehen entsprachen der Station, in der wir auf Maran'Thor angekommen waren, nur waren die Ausmaße kleiner. Auch hier befanden wir uns in einer Kuppelhalle, über deren pechschwarze Gewölbedecke sich acht goldenmetallisch glänzende Rippen zogen. Wieder fühlte ich mich unwillkürlich an ein Sternengewölbe erinnert. Der Transmitter selbst bestand aus vier achteckigen Säulen, auf denen eine Metall-
45 platte ruhte. »Soll ich versuchen, das Gerät zu aktivieren?«, fragte Gorgh-12 ungeduldig, als Kythara und ich uns umsahen. »Ich werde es tun.« Kythara eilte mit wenigen Schritten zu dem Transmitter. »Es ist die Technik meines Volkes.« Während sie mit der Arbeit begann, besprach ich mit unserem insektoiden Verbündeten noch einmal das weitere Vorgehen. Er war zuversichtlich, bis zu Erzherzog Garbhunar vordringen zu können. »Allerdings werdet ihr eure Deflektoren nicht nutzen können.« Er hob das mittlere Armpaar und machte eine umfassende Geste. »Es war im Inneren der Zentrumspyramide ohnehin in höchstem Maß gefährlich, aber in der Nähe von Garbhunars Räumlichkeiten werdet ihr damit unweigerlich Alarm auslösen.« »Du wirst vorangehen und uns mitteilen, wenn Wachen auf uns zukommen, damit wir uns zurückziehen können«, erwiderte ich ihm. Außerdem würden Kytharas halbtelepathische Kräfte uns rechtzeitig vor der Annäherung anderer Daorghor warnen können. Den Rückweg mussten wir uns dann notfalls mit Gewalt freikämpfen. Gorgh-12 zeigte keinerlei Skrupel bei dem Gedanken, gegen sein eigenes Volk vorzugehen. Ein leises Summen drang durch die kleine Kuppelhalle. »Der Transmitter ist freigeschaltet«, teilte Kythara uns mit. »Alle Anzeigen bestätigen, dass er einsatzfähig ist.« »Du hast ihn aktiviert?«, fragte Gorgh-12 mit einem leichten Anfall von Panik in der Stimme. »Natürlich nicht! Die Emissionen des Gerätes würden unweigerlich jeden Überwachungsalarm der Zentrumspyramide auslösen. Der Transmitter befindet sich gewissermaßen im Stand-by-Modus. Ein einziger Knopfdruck wird ihn aktivieren, wenn wir rasch fliehen müssen«, erklärte die Varganin. »Ich werde nun die Liste der verfügbaren Gegenstationen laden.« Ich sah ihr über die Schulter. Eine längere Datei erschien auf einem Bildschirm, unzählige Namen, mit denen ich nichts anzufan-
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Christian Montillon
gen wusste. Kytharas Lippen formulierten in raschem Tempo die varganischen Eigenbezeichnungen. Ihre Augäpfel bewegten sich rasch. Als sie am Ende der Liste angelangt war, erklärte sie: »Die Sternenstadt VARXODON ist nicht direkt erreichbar. Wir werden unsere Reise dorthin über die Versunkene Welt Parkasthon fortsetzen, wenn wir unsere Aufgabe hier erledigt haben.« Rasch programmierte sie diesen Planeten als Ziel ein und gab uns grundlegende Informationen über Parkasthon. Diese Versunkene Welt lag von hier 24.193 Lichtjahre entfernt. »Nun bleibt nur noch eines zu tun«, sagte ich, als Kythara mir signalisierte, dass wir aufbrechen konnten. Ich brachte eine Sprengladung an dem Transmitter an. »Was tust du?«, fragte Gorgh-12. »Wer weiß, ob wir von Parkasthon jemals wieder wegkommen werden! Wir dürfen uns den Rückweg nicht abschneiden.« Ich schüttelte leicht den Kopf. Der Chefwissenschaftler verfügte ganz offensichtlich nicht über die geringste Erfahrung in Risikoeinsätzen. Doch wie hätte er diese bei seiner Aufgabe auch sammeln sollen? »Vordringlich ist zunächst, dass wir nicht verfolgt werden können. Rechne nicht damit, dass der Weg vom Erzherzog hierher zurück leicht sein wird. Keiner darf nach uns noch den Transmitter benutzen. Oder möchtest du nach dem Transmittersprung eine Horde Wachen auf den Fersen haben?« Wie Kythara präparierte ich die Sprengladung so, dass ein einziger Handgriff genügen würde, sie zu aktivieren. Der Zeitraum bis zur Explosion musste denkbar gering sein. Ich stellte eine Verzögerung von fünf Sekunden ein. Dann verließen wir den Transmitterraum.
11. Der Erzherzog und der Lordrichter Schweißtropfen glänzten auf der bronzefarbenen Haut von Kytharas Stirn. Zum drit-
ten Mal gab sie den Kode in die Apparatur ein, und endlich wurde er akzeptiert. Die Schottsperre schaltete sich ab, und der Weg war frei. »Ich hätte das ebenso gut erledigen können«, sagte Gorgh-12. »Sogar schneller als du. Du hättest dich nicht bemühen müssen.« »Es war wichtig zu wissen, ob meine Überrangkodes auch innerhalb der Zentralpyramide gelten. Wir sind nicht unbedingt auf dich angewiesen.« Kythara warf mir einen raschen Blick zu, doch ich sah trotz ihrer direkten Worte keinen Anlass, mich in das Gespräch einzumischen. »Dieses Wissen hättest du dir beinahe sehr teuer erkauft.« Der Chefwissenschaftler deutete auf das desaktivierte Schott. »Nicht mehr lange, und der Alarm wäre ausgelöst worden.« »Aber er wurde es nicht«, erwiderte die Varganin kühl. »Im Notfall werden wir also auch ohne dich weiterkommen. Und jetzt sollten wir uns auf den Weg machen, bevor Wachen uns entdecken. Jede verlorene Sekunde birgt die Gefahr der Entdeckung.« Der Insektoide ging uns voraus, wie wir es besprochen hatten. Wir folgten in einigen Metern Abstand, die Kugelroboter direkt vor uns. Seit langem hatten wir nicht auf ihre Möglichkeiten zurückgreifen müssen, doch es war ein beruhigendes Gefühl, sie bei sich zu wissen. »Was habt ihr hier zu suchen?«, hörten wir plötzlich die Stimme unseres Verbündeten. Er sprach lauter, als es nötig gewesen wäre, und mit all der Autorität, die seine Stellung ihm zusicherte. Damit warnte er uns durch das verabredete Signal! Insektoiden kreuzten unseren Weg. Rasch zogen wir uns bis zur letzten Verzweigung des Korridors zurück und drückten uns in dem nach rechts wegführenden Gang an die Wand. Eine notdürftige Deckung, die uns vor gezielten Blicken nicht schützen konnte. »Wer seid ihr und wo wollt ihr hin?«, rief Gorgh-12 inzwischen. Die Antwort war nicht zu verstehen, doch
Der Zorn des Erzherzogs sie schien nicht so unterwürfig erfolgt zu sein wie bisher. »Entschuldigt meine Forschheit, aber seit die Varganen auf der Flucht sind, muss ich mit allem rechnen. Ich werde vom Erzherzog erwartet«, sagte der Chefwissenschaftler nun, noch immer laut, aber weitaus weniger aggressiv. Schritte näherten sich uns, und wir stellten uns auf einen kurzen Kampf ein, falls die Insektoiden uns entdeckten. Sicher würden wir mit ein paar arglosen Daorghor fertig werden. Doch sie gingen an uns vorbei, ohne uns wahrzunehmen, warfen keinen Blick in den abzweigenden Gang. Erleichtert schlossen wir zu Gorgh-12 auf. »Deine Talente sind vielseitig«, ermunterte ich ihn. »Lange werde ich das nicht mehr durchhalten. Wir sollten uns beeilen.« »Wie weit ist die Suite des Erzherzogs noch entfernt?« »Sie liegt drei Stockwerke höher. Den Antigravschacht dorthin erreichen wir in wenigen Minuten. Da ich über die Berechtigung verfüge, ihn zu betreten, werden uns dort keine Schwierigkeiten erwarten. Wer ohne gültigen Kode hineintritt, wird zu Tode stürzen.« Eine ebenso einfache wie efektive Sicherheitsmaßnahme, empfing ich den Impuls meines Extrasinnes. Kurz darauf warnte uns Kythara, die mit ihren halbtelepathischen Kräften die Annäherung eines Wachtpostens bemerkte. Da er noch weit entfernt war, konnten wir problemlos ausweichen. Als wir im Antigravschacht nach oben schwebten, fiel mein Blick auf Gorgh-12. »Wir befinden uns kurz vor dem Ziel«, sagte er. »Ich frage mich, was uns dort erwarten wird …«
* Endlich fand Erzherzog Garbhunar wieder zur Ruhe. Die Begegnung mit dem Eishaarfeld des Lordrichters war so entsetzlich gewesen, dass Garbhunar befürchtet hatte, sein
47 Innerstes werde zerfressen und löse sich auf. Die Forderungen des Lordrichters und damit des Schwertes der Ordnung hatten ihn stundenlang gedanklich gefesselt. Ob es Ergebnisse gibt oder nicht, liegt allein in deiner Verantwortung. Alles, wirklich alles hätte der Erzherzog in den Momenten des Kontakts darum gegeben, diese Verantwortung niederlegen zu können. Wieso hatte gerade er sie zu tragen? Wer hatte ihm diese Last aufgebürdet? Doch nachdem die erdrückende Präsenz des Lordrichters wieder verschwunden war, war Garbhunar langsam wieder zur Besinnung gekommen. Ob es Ergebnisse gibt oder nicht, liegt allein in deiner Verantwortung. Ja, so war es – und nicht umsonst bekleidete er den Posten des Erzherzogs, des mächtigsten Beauftragten in dieser Sternenregion! An ihm allein lag es auch, über das Schicksal derer zu urteilen, die die Ergebnisse für ihn zu erarbeiten hatten. Jeder, der Schuld daran trug, dass er vor dem Lordrichter als Versager dagestanden hatte, würde Torghunar ins Grab folgen. Jetzt, da die Macht des Lordrichters nicht mehr unmittelbar präsent war, wurde Garbhunar wieder die Fülle seiner eigenen Macht bewusst. Ob es Ergebnisse gibt oder nicht, liegt allein in deiner Verantwortung. Mit dieser Verantwortung würde er als Erstes K'orhan-7 konfrontieren, der ihm immer noch nicht die Köpfe der beiden flüchtenden Varganen gebracht hatte. In diesem Moment, in den wohltuenden Dämpfen, die aus den Schalen mit dem rituell erhitzten Nektar strömten, sah er endlich wieder klar. Er war Garbhunar, der mächtigste Daorghor, der Erzherzog, der direkte Beauftragte des Schwertes der Ordnung! Das Chitin glänzte überall an seinem Leib. Die Nektardämpfe gingen mit dem Spezialöl auf seinem Körper eine Verbindung ein, die für eine tief greifende Reinigung sorgte. Schmutz und Chemikalien wurden ausgeschwemmt und tropften zusammen
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Christian Montillon
mit dem Kondenswasser auf den Boden. Mit der Reinigung des Körpers ging diejenige des Inneren einher. Ihm wurde immer bewusster, was er zu tun hatte. Er war in den zurückliegenden Wochen zu sanft gewesen. Doch die erwünschten Ergebnisse entstanden nicht aus einem mitfühlenden Führungsstil, sondern aus der Ausübung von Macht. So, wie es die Lordrichter taten … Sein einziger Fehler war es gewesen, nicht hart genug durchzugreifen, seinen Zorn zu stark zu zügeln. Erst die Begegnung hatte ihm die Augen geöffnet. Was war er doch für ein Narr gewesen, und wie weise waren im Gegenzug die Lordrichter, die ihm die Gnade einer Audienz gewährt hatten, um ihn auf den rechten Weg zurückzuführen. Den Weg, den die Macht vorschrieb und der sich über Kleinlichkeiten hinwegsetzte. Wen kümmerte es, ob Dutzende oder Tausende seiner Diener starben, wenn nur seine eigene Macht gefestigt wurde? Es drängte ihn, das Reinigungsritual zu beenden und zur Tat zu schreiten, doch er wollte die uralte Überlieferung respektieren. Erst wenn der Nektar verbraucht war und keine Dämpfe mehr absonderte, durfte er den Raum verlassen. Also wartete er. Wartete, während sein Körper bis in die tiefsten Tiefen gereinigt wurde und ein neuer, gestärkter Erzherzog in den Kampf ziehen konnte. Für die Lordrichter von Garb. Für das Schwert der Ordnung. Und für deren Gesandten, ihn selbst, den alles überragenden Erzherzog Garbhunar.
* Ich hob den Strahler und schoss. Das war das Startsignal. Es würde nicht lange dauern, bis die ersten Wächter hier eintrafen, doch jeder subtilere Versuch, in die Suite vorzudringen, wäre auch langsamer gewesen. Die Roboter drangen zuerst in die Wohnung ein. Ich hielt mich nur kurz hinter ihnen, dicht gefolgt von Kythara und Gorgh12. Rasch orientierte ich mich.
Die Suite war überfüllt mit Luxus und für Insektoiden zweckmäßigen Einrichtungsgegenständen, doch derjenige, den wir suchten, befand sich nicht hier. Was, wenn unsere Vermutung, Garbhunar müsse sich um diese Zeit in seinen Privatgemächern befinden, ein Irrtum gewesen war? Das war der größte Risikofaktor unserer Planung. Wenn er unterwegs war, war alles umsonst gewesen. Dann blieb uns nur die Flucht. »Wir müssen sofort in die Nebenräume!« Kythara wandte sich nach rechts. »Falls er dort ist, darf er keine Zeit haben, sich auf uns einzustellen.« Nur zwei Türen zweigten von dem riesigen Zentralraum ab. Meine Begleiterin riss die ihr näher liegende auf. Dämpfe wallten hervor. In dem bläulichen Nebel, der in dem Nebenraum herrschte, erkannte ich die verschwommene Silhouette eines gigantischen Insektoiden. »Garbhunar!«, rief Gorgh-12 mit deutlichem Unbehagen. »Er ist es.« Der Erzherzog sprang uns entgegen. »Wer wagt es, in meinen Privatbereich vorzudringen und die heilige Zeremonie zu stören?« Er war unbekleidet. Offenbar hatte er sich einem Dampfbad unterzogen. Unangenehm stechender Geruch drang aus dem Zimmer. »Gorgh-12!«, donnerte die Stimme Garbhunars. »Dass du das Tabu brichst, ist ungeheuerlich! Erkläre mir sofort …« Er brach mitten im Satz ab. Meine erste Vermutung war, dass er in diesem Moment die Waffen wahrgenommen hatte, die wir auf ihn richteten. Doch ich täuschte mich. Der Erzherzog brach unvermittelt in sich zusammen und prallte hart auf dem Boden auf. Dumpfe Laute entrangen sich seiner Kehle. Er zog alle Gliedmaßen dicht an den Körper und wälzte sich über den Boden. »Das Todesimpuls-Implantat wurde aktiviert«, kommentierte Gorgh-12 voller Grauen. Ich beugte mich hinunter, um Hilfsmaßnahmen einzuleiten. »Wir müssen verhindern, dass er stirbt!« Ich wusste, dass sich in
Der Zorn des Erzherzogs meiner Ausrüstung ein stabilisierendes Mittel befand. Ob es mit der Physiologie der Daorghor kompatibel war oder dem Erzherzog möglicherweise sogar schadete, war ungewiss. Deshalb zögerte ich, es einzusetzen. »Es ist zwecklos.« Gorgh-12 riss mich von dem Sterbenden weg. »Wir müssen von hier verschwinden, solange uns noch die Möglichkeit bleibt.« »Der Erzherzog ist eine extrem wertvolle Geisel«, widersprach Kythara. »Er wird sterben, egal was du tust! Die Wirkung des Todesimpulses ist nicht zu umgehen. Genau genommen ist er schon tot.« Wie um die Worte des Insektoiden zu unterstreichen, endeten die konvulsivischen Bewegungen Garbhunars in diesem Moment. Arme und Beine waren eingeknickt an den reglosen Körper herangezogen, die Greifzangen leicht geöffnet, der Kopf weit nach hinten gereckt. Es war kein einfacher Todeskampf gewesen, den ich hilflos hatte beobachten müssen. »Gorgh-12 hat Recht, Atlan. Verschwinden wir von hier.« Kaum war ihr letztes Wort verklungen, änderte sich alles. Ich hörte einen Aufschrei des Insektoiden, und ich sah, wie sich Kytharas ebenmäßiges Gesicht für einen Moment lang schmerzhaft verzerrte. Auch ich konnte ein Aufstöhnen nicht unterdrücken, ohne definieren zu können, was hier vor sich ging. Etwas war in dem Raum entstanden, unmittelbar neben der Leiche des Erzherzogs. Ein eisiges, furchtbares Gebilde, von dem eine bedrückende Ausstrahlung der Macht ausging. Es war diese Ausstrahlung, die die Seele selbst zusammenzupressen schien. Eine eisglitzernde Nebelwolke, zwei Meter durchmessend und dreieinhalb Meter hoch, gebildet von dünnen schwebenden Fädchen. Nie hatte ich etwas Ähnliches gesehen. Schattenhaft zeichnete sich eine Kontur in der Wolke aus Fäden ab. Ich glaubte, einen dunklen Schemen darin zu erkennen, doch sofort zerfloss die ohnehin verschwommene Silhouette und verschmolz wieder mit dem
49 Eisschimmer des zylindrischen Feldes. »Ein Lordrichter«, ächzte Gorgh-12. Er konnte die Ausstrahlung am schlechtesten ertragen. Ich unterdrückte den Impuls, meine Waffe zu ziehen. Es erschien geradezu lächerlich, gegen diese Präsenz mit plumper Waffengewalt vorgehen zu wollen. Nach wenigen Sekunden erklang eine Stimme, und der Inhalt der Worte jagte mir einen Schauer über den Rücken. »Der unsterbliche Atlan da Gonozal.« Ein humorloses Lachen folgte dieser Feststellung. Der Lordrichter erkannte mich! Was hatten diese diktatorischen Machthaber mit mir zu schaffen? Ich setzte zu einer Erwiderung an, doch die kalte, durchdringende Stimme aus dem Fadengebilde kam mir zuvor. »Ich hätte es mir seit dem Erscheinen der Vergessenen Positronik denken können. Wir haben es nicht nur mit normalen Varganen zu tun. Du hast es so gewollt, Arkonide – der Kampf ist eröffnet!«
* Die Erscheinung verschwand so plötzlich, wie sie gekommen war. Zugleich fiel die innere Bedrückung von uns ab. »Zum Transmitter!« Kythara gelang es als Erster, wieder klare Gedanken zu fassen. Ich schüttelte die Fragen, die die Botschaft des Lordrichters aufgeworfen hatte, von mir ab und sah nach Gorgh-12. Der Daorghor verharrte reglos und in sich zusammengesunken. Er stand noch immer unter dem Bann der Erscheinung. Ich stieß ihn an und schüttelte ihn, um ihn in die Realität zurückzuholen. »Es ist keine Zeit, um auf dich Rücksicht zu nehmen!«, herrschte ich den Chefwissenschaftler an. »Reiß dich zusammen und überwinde dein Grauen!« Ich griff ihn hart an einem seiner mittleren Arme und zerrte ihn nach draußen. In derselben Sekunde gellte von überall her Alarm auf. Kythara und ich hielten gleichzeitig Waffen in den Händen, doch noch
50 standen wir keinen Gegnern gegenüber. Der schrille Lärm schien Gorgh-12 zur Besinnung zu bringen. »Weg von hier«, hauchte er. »Schicke die Kugelroboter auf den Weg zum offiziellen Transmitter!«, rief ich Kythara zu. »Wir müssen sie opfern.« Wir hatten diesen Notfall eingerechnet und die Abschirmung der beiden Maschinen so verändert, dass sie zeitweise versagte. Dadurch würden die Deflektoren nach ihrer Aktivierung kurzzeitig immer wieder als Energiemuster zu orten sein. Unsere Verfolger mussten aufgrund dieser Werte zu dem Schluss kommen, dass sie uns ausfindig gemacht hatten und dass unser Ortungsschutz beschädigt worden sei. Sie würden den Kurs bis zu der offiziellen Transmitterstation leicht extrapolieren können. Es blieb zu hoffen, dass sie auf den Trick hereinfielen. Wir selbst machten uns auf den Weg zu der vorbereiteten Geheimstation und hasteten durch die Gänge. Diesmal achteten wir nicht darauf, ob wir entdeckt wurden oder nicht – es spielte keine Rolle mehr. Wenn uns Wachtposten entgegenkamen, würden wir kämpfen. Plötzlich glühte der Würfel in meiner Gürteltasche erneut glühend heiß auf. Ich schrie schmerzerfüllt, doch meine Hoffnung erfüllte sich, und das Artefakt kühlte rasch wieder ab. »Was hast du?«, fragte Kythara. Ich unterbrach unseren Lauf nicht. »Der Würfel«, kommentierte ich knapp. Sie verstand und stellte keine weiteren Nachfragen. Die erneute Hitzereaktion des Würfels konnte nichts Gutes zu bedeuten haben. Ich rechnete mit dem Schlimmsten, doch entgegen allen Erwartungen erreichten wir den Transmitterraum ohne Zwischenfall. Mehrfach mussten wir Gorgh-12, der nach wie vor nicht handlungsfähig war, zur Eile antreiben. Offenbar zeigte das Ablenkungsmanöver durch die Varg-Roboter Wirkung und lenkte alle Aufmerksamkeit auf sich. Ich stieß das
Christian Montillon Tor zur Kuppelhalle auf. Hastig legte ich die kurze Strecke zu dem Transmitter zurück und aktivierte ihn. »In wenigen Sekunden werden wir fünfundzwanzigtausend Lichtjahre weit weg von hier sein«, ermutigte ich unseren Verbündeten. »Die Lordrichter werden uns auch dort finden.« Trotz seiner düsteren Worte näherte sich Gorgh-12 rasch den achteckigen Säulen des Transmitters. Auch er hoffte wohl, am Zielort auf bessere Bedingungen zu treffen. Doch ehe wir den Sprung durchführen konnten, ertönte infernalischer Lärm. Die Halle wurde gestürmt. Mehrere zweieinhalb Meter große Humanoiden drangen zu uns vor. Sie waren von silbrigen Rüstungen oder Kampfpanzern geschützt und mit riesigen Impulsstrahlern bewaffnet. Ich war mir sicher, die großkalibrigen Waffen nicht einmal hochheben zu können. »Die Leibgarde des Lordrichters!« Die Stimme des Chefwissenschaftlers überschlug sich vor Angst und Entsetzen. Er stand wie festgefroren da und wäre den Riesen ein willenloses Opfer gewesen, wenn Kythara ihn nicht auf den Transmitter zugezerrt hätte. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis der rote Energiering entstand, obwohl objektiv kaum eine messbare Zeitspanne verging. Ich aktivierte den vorbereiteten Sprengsatz. In fünf Sekunden würde er hier alles in Schutt und Asche legen und restlos zerstören. Gleichzeitig schossen die Eindringlinge, doch ihre Salven verpufften wirkungslos in dem automatisch vor dem Transmitter von dessen Sicherheitseinrichtungen projizierten Schutzfeld. Noch vier Sekunden. Drei. Dann wurden wir abgestrahlt. ENDE
Der Zorn des Erzherzogs
51 ENDE
Azaretes Weg von Nicole Rensmann Wieder einmal gelang Atlan und Kythara in letzter Sekunde mittels eines Transmitters die Flucht – diesmal jedoch gemeinsam mit einem Verbündeten. Das eingestellte Ziel ist Parkasthon, eine weitere Versunkene Welt der Varganen. Was werden sie dort vorfinden? Führt der Weg endlich nach VARXODON? Und was hat es mit dem Würfel auf sich, den sie auf Maran'Thor fanden?