Auf den von Menschen besiedelten Weiten der Milchstraße schreibt man das Jahr 1225 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Der...
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Auf den von Menschen besiedelten Weiten der Milchstraße schreibt man das Jahr 1225 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Der unsterbliche Arkonide Atlan kämpft in der Galaxis Dwingeloo gegen die mysteriösen Lordrichter. Er fliegt zur Intrawelt, um dort den Flammenstaub, der eine ultimate Waffe sein soll, zu besorgen. Atlan trägt nun den Flammenstaub in sich. Aber je intensiver er ihn benutzt, desto verheerender ist sein Einfluss auf Psyche und Körper. Auf der Vulkanwelt Ende kann er den Großteil der lebensgefährlichen Substanz loswerden. Anschließend findet das scheinbar zufällige Treffen mit den Cappins statt. Der Arkonide wird per Pedopeiler nach Schimayn befördert, einem der Galaxis Gruelfin vorgelagerten Kugelsternhaufen. Dort gerät er in die kriegerische Auseinandersetzung zwischen Ganjasen, Takerern und Juclas. Um Letztere vor den Lordrichtern zu warnen, reist er zur Thein-Versammlung, die von den Zaqoor blutig niedergeschlagen wird. Im Zuge der Flucht entdecken Atlan und seine Begleiter einen vergrabenen Sammler, das gigantische Robotschiff MITYQINN. Zusammen mit der Jucla-Flotte verfügt Atlan nun über beträchtliche Machtmittel. Was fehlt, sind Informationen. Aus diesem Grund sucht er die Sternenstation BOYSCH in der Freihandelszone Susch auf, deren Neutralität durch den ZORN DER LORDRICHTER gefährdet ist
H.G.Ewers 1. Der Tod kam aus dem All
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Der Zorn der Lordrichter
Tontarasch, der Hauptstadt des Planeten D'Oranon. Fassungslos starrte er auf die Anzeigen der Die Bordsirenen gaben ROTALARM. Ortungs-Auswertungs-Schirme der Das schrecklich schrille Pfeifen ging durch planetaren Sicherheit, die sich soeben Mark und Bein. Die Ortungsanzeigen aktiviert hatten. bildeten einen Pulk von siebzig großen Sie zeigten an, dass vier Pulks Raumschiffen ab, der soeben aus dem mittelschwerer Kampfraumer auf der Bahn Linearraum ins normale Kontinuum des vierten Planeten aus dem Linearraum zurückgefallen war. in den Normalraum zurückgestürzt waren. Rator Shogasch, Kommandant des Und der vierte Planet war der Patrouillenschiffes SHINEIRA, fuhr in Nachbarplanet von D'Oranon, dem dritten seinem Kontursessel hoch. Die Zeit der Planeten. Langeweile war schlagartig vorbei. Er Kein Wunder, dass sich der Raumalarm blickte in die erschrockenen Gesichter der automatisch eingeschaltet hatte, denn der anderen sieben Raumfahrer in der Zentrale. Rücksturz von Kampfraumschiffen mitten Kampfkreuzer! in einem Sonnensystem war eine eindeutige Die Messdaten der Hyperortung waren kriegerische Handlung. eindeutig: Es handelte sich um Aber das war nicht alles. mittelschwere Kampfkreuzer mit einer Soeben wurde angezeigt, dass in der Nähe Bewaffnung, die einen ganzen Planeten der Pulks die Hochenergie-Hybridschirme sekundenschnell zu Staub eines Schiffes mit Die Hauptpersonen des Romans: zerblasen konnte. bekanntem Atlan - Der Arkonide verteidigt die Und das war nicht alles-. Energieabdruck aktiviert Freihandelszone. Innerhalb weniger wurden. Nur wenige Symaltin - Der Autokrat von BOYSCH gibt Zeiteinheiten stürzten seine Neutralität auf. Zeiteinheiten später wurde nacheinander weitere drei von einem der Pulkschiffe Samptasch - Die Hohe Ganjo-Interpretatorin Pulks zu je siebzig erweist sich als Gegenspielerin. eine Salve aus mehreren Kampfkreuzern in den Initial-Punktatoren Persenpo Zasca - Der stellvertretende Leiter Normalraum zurück. abgefeuert - worauf hin der Mythothek liefert brisante Informationen. »Unsere Schutzschirme der eben erst aktivierte haben sich automatisch hochgeschaltet!« Schutzschirm verschwand und mit ihm der meldete der Waffenoffizier. Energieabdruck des betreffenden Schiffes. Jemand lachte. »Auswertung!«. rief eine aufgeregte Aber nicht lange, denn im nächsten Stimme links von Nogger Shogasch. »Die Augenblick brach der Schutzschirm mit Position der aufgebauten und wieder grellweißer Entladung zusammen. Einen erloschenen Abwehrschirme ist identisch Augenblick später verwandelte sich die mit der Position unseres Patrouillenschiffes SHINEIRA in einen blitzartig SHINEIRA.« expandierenden Glutball. Der Großadmiral sank in seinen Sessel Der schon wenige Augenblicke später zurück. Seine Augen wirkten wie tot. erlosch. »Rator...!« , flüsterte er. Sein Stellvertreter wusste, dass Nogger * Shogasch durch den Tod seines Sohnes vorübergehend nicht mehr handlungsfähig Raumalarm! war. Großadmiral Nogger Shogasch sprang aus Er steuerte seinen Schwebesessel neben seinem Sessel im Kommandobunker des Shogaschs Platz und gab bekannt, dass er Präsidentenpalastes im Zentrum von das Amt des Regierenden Großadmirals übernommen hatte. Dann aktivierte er alle
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H.G.Ewers Sicherheitsschaltungen, die beim bevorstehenden Angriff aus dem All den Schutz der Zivilbevölkerung einleiten und einen Hilferuf in die Weite der Galaxis Gruelfin senden sollten. * Die überall in den bewohnten Zonen von D'Oranon verteilten Sirenen intonierten Raumalarm, woraufhin sich in der Hauptstadt sowie allen anderen Wohngebieten des Planeten das Bild abrupt veränderte: Die Eingänge zu den Tiefbunkern öffneten sich automatisch. Von allen Seiten strömten Frauen. Männer und Kinder herbei. Aber dort. wo sich die Schutzsuchenden stauten, kam es zu teilweise schrecklichen Szenen. Mütter und Kinder schrien - und wann immer jemand stürzte, häuften sich dort bald Tote und Schwerverletzte. Lediglich die zentralgesteuerten Lufttaxis und -busse kurvten geordnet, weil im Griff der automatischen Steuerungen, in die ihnen zugewiesenen Notlandebahnen. Die dreißig Patrouillenkreuzer von D'Oranon zogen sich fluchtartig in die für solche Fälle vorgesehenen Warteräume zurück und schalteten auf EnergieVerdunkelung. Sie hofften, dadurch wenigstens ihre eigene Existenz zu retten. Weit außerhalb des Systems wartete ein kleines Kurierschiff. Es war dort stationiert worden. weil die Regierung des Planeten D'Oranon in letzter Zeit immer wieder Nachrichten über den Angriff und die Besetzung von friedlichen Kolonialwelten durch mysteriöse Angreifer empfangen hatte, die aus unerfindlichen Gründen ganjasische Welten angriffen und nach dem Niederkämpfen jeglichen Widerstands die Bevölkerungen versklavten. Dieses Kurierschiff empfing einen kodierten Hyperkomspruch und reagierte weisungsgemäß. Es sandte zehn Zeiteinheiten lang offene Hyperkomsprüche ins All, in denen von dem brutalen Überfall auf D'Oranon berichtet und um militärische Hilfe gebeten wurde.
Der Zorn der Lordrichter 2. Atlan »Ein Notruf geht ein!«, rief Ypt Karmasyn, ihres Zeichens Funk- und Ortungsoffizierin der AVACYN. »Ein Flottenverband, bestehend aus Zaqoor- und Urogh-Schiffen sowie ein paar Takerern, hat den ganjasischen Kolonialplaneten D'Oranon angegriffen und wahrscheinlich die Ganjasen mit Präventivschlägen zur Kapitulation aufgefordert.« Es ist wie eine Lawine, kommentierte mein Extrasinn. Die Lordrichter wollen die absolute Herrschaft über alle Kolonialwelten Gruelfins. »Position?«, rief ich der schwarzhaarigen Ganjasin zu, die mit ihren ausgeprägten Wangenknochen und den leicht geschlitzten Augen Ähnlichkeit mit einer Japanerin oder auch mit einer Indianerin von den Großen Seen besaß, aber wahrscheinlich vom Planeten Systasch in einem südöstlichen Sternenarm von Gruelfin stammte, wie ihre nahezu bronzefarbene Haut verriet. Ypt Karmasyn nannte mir die Koordinaten. Das war nur knapp fünfhundert Lichtjahre von der jetzigen Position der AVACYN entfernt - die noch immer in der Nähe von Eptascyn lag, also innerhalb des Kugelsternhaufens Eschnat im Nordwestteil des gigantischen Halos, der sich über und unter der galaktischen Ebene der Spiralnebel Gruelfins Tausende von Lichtjahren wölbte - mit dem mächtigen Staubring der Sombrero-Galaxis als Äquator. »Wie viele Schiffe hat der Angreifer?«, wollte Kaystale wissen. »Schätzungsweise dreihundert«, antwortete Ypt Karmasyn und schlürfte wieder mal an ihrem Symbiontengetränk. »Und hinter uns stehen mehr als vierzigtausend Kampfschiffe!«, trumpfte Kaystale auf und knackte mit den drei Metallfingern an der rechten Hand, die. nicht das einzige Ersatzteil an ihr waren. Die 1,80 Meter große und muskulöse Takererin war wie für den Kampf geboren,
H.G.Ewers doch in diesem Falle wäre blindes Dreinschlagen problematisch gewesen. »Wir haben im Grunde genommen nur die AVACYN«, widersprach ich. »Was sich hier bei uns herumtreibt, sind zirka zweiundvierzigtausend Jucla-Einheiten, deren Kommandanten und Besatzungen noch verstört von den Ereignissen auf Eptascyn und dem wahnwitzigen Kampfgetümmel rings um diesen Mond der Heimtücke sind.« Vergiss den Sammler nicht!, mahnte der Logiksektor. »Ganz sicher nicht. Ich glaube, ich werde in den nächsten tausend Alpträumen in diesem Wahnsinnsgebilde umherirren. Und ob ich mich auf Florymonthis verlassen kann, muss sich erst noch herausstellen«, erwiderte ich versehentlich laut. Myreilune wälzte ihren massigen Körper in ihrem Kontursessel herum und sah mich an. Sie konnte natürlich nichts von meinem Extrasinn 'ahnen, sondern musste annehmen, ich würde Selbstgespräche führen. »Wenn du vom Sammler sprichst, Atlan ... Wie wäre es, wenn du ihn allein ins Gosch'ar-System schicken würdest? Dann würden wir sehen, ob er wirklich auf unserer Seite steht.« Ich musterte das stark geschminkte Gesicht unserer Pilotin. »Sicher würden wir das. Und wenn er uns enttäuschte, könnten wir ihn nicht zurückbeordern.« Du hast es auf den Punkt gebracht, wisperte mein Extrasinn. Aber das ist noch keine Entscheidung. Ich musste mich eindeutig und klar entscheiden. Schließlich wusste ich aus vieltausendjähriger Erfahrung, dass die bloße Reaktion auf ein Geschehen nur einen Aufschub brachte, aber keine endgültige Lösung des Grundproblems. Und das Grundproblem waren die fehlenden Informationen über das Gesamtgeschehen in Gruelfin und über die wirklichen Ziele der Lordrichter. So, wie ich diese Gegner einschätzte, waren die Eroberungen von Ganjasenwelten und die
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Der Zorn der Lordrichter Vernichtungsschläge gegen gegnerische Raumstreitkräfte nur Methoden, aber nicht das eigentliche Ziel der Aktivitäten. Es würde absolut nichts bringen, wenn ich den Ganjasen von D'Oranon half und sie von ihren Unterdrückern befreite. Die Lordrichter würden zurückkehren, sobald ich meine Streitkräfte von dort abgezogen hätte, und D'Oranon würde eine von Rache bestimmte Schreckensherrschaft ertragen müssen. Nein, das war der falsche Weg. Ich würde den Ganjasen von D'Oranon nicht helfen - so schwer es mir fiel, sie in ihrer Not allein zu lassen. Nur mit geballter Macht konnte den Lordrichtern Paroli geboten werden. Es wäre unverantwortlich, sich zu verzetteln und dadurch zu verausgaben. Ganz abgesehen davon musste ich zuerst dafür sorgen, eine schlagkräftige Streitmacht zusammenzustellen. auf die ich mich hundertprozentig verlassen konnte. Die rund 42,000 Jucla-Einheiten in unmittelbarer Nähe der AVACYN waren zurzeit alles andere als meine Truppe. Ihre Besatzungen waren durch die vergangenen Ereignisse verwirrt und ihre Clans untereinander zerstritten. Besondere Sorge bereitete mir dabei der Schamenhyn-Clan, der unter der Führung von Clanchef Aptosch-Imayls 1049. Verrat begangen hatte, als er sich aus purer Dummheit und Geltungssucht mit den Zaqoor verbündete. Ich wusste von Zamptasch, der sich auf tragische Weise in den Tod manövriert hatte, dass die Juclas normalerweise nicht lange fackelten, wenn ein Clan Verrat begangen hatte. In der Regel wurde dieser Clan aus der Gemeinschaft ausgestoßen und die Verwandten des schuldigen Clanchefs in Sippenhaft genommen. Das musste verhindert werden, denn erstens würde es unnötig böses Blut geben und zweitens die Einigkeit der Clangemeinschaft verletzen. Weiterhin musste ich mir Klarheit über mein Verhältnis zu dem Sammler MITYQINN und Florymonthis verschaffen, damit ich sicher sein durfte,
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H.G.Ewers dass ich mich in jeder Lage und bei jedem Unternehmen auf sie verlassen konnte. Zwar hatte der Sammler die Raumschlacht rings um den Mond Eptascyn zu unseren Gunsten entschieden, doch waren seine Manöver dabei so unkontrolliert und verwirrend gewesen, dass von einer straffen Führung nicht die Rede sein konnte. Wie dieses Problem zu lösen war, wusste ich noch nicht. Auf gar keinen Fall wollte ich in den Sammler zurückzukehren. Zu frisch waren meine Erinnerungen an die alptraumhaften Erlebnisse dort. Ich war heilfroh, endlich wieder an Bord der AVACYN zu sein. Du musst einfach Florymonthis vertrauen. - Und das Problem der Juclas ließe sich vielleicht mit Hilfe von Abenwosch lösen, wisperte der Extrasinn. Natürlich führte kein Weg an ihm vorbei. Außerdem hatte der Chef des ErcourraClans während der turbulenten Ereignisse im Sammler bewiesen, dass er ein echtes Kämpferherz und ausreichend Verstand besaß. »Stelle bitte eine. Verbindung mit Abenwosch her!« wandte ich mich an Ypt Karmasyn. »Ich muss etwas Grundsätzliches klären. Allerdings habe ich entschieden, dass wir für D'Oranon nichts tun können. Wir dürfen und werden unsere Kräfte nicht verschwenden.« * Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis es Ypt gelang, eine Funkverbindung zu Abenwosch-Pecayl 966. herzustellen. Das war mehr als ungewöhnlich. Und ich war begierig zu erfahren, was der Grund dafür gewesen war. Allerdings würde ich mir meine Wissbegierde nicht anmerken lassen. Wer mit einem Jucla sprach, spielte immer auch eine Art Psycho-Schach. »Ich grüße dich, Abenwosch-Pecayl 966.!«, sagte ich freundlich und beobachtete jede Regung seines Gesichts. Inzwischen kannte ich mich mit der Mimik von Juclas aus. »Ich hoffe, du hast dich von den Strapazen im Sammler erholt.«
Der Zorn der Lordrichter Er schlug klackend seine beachtlichen Zähne aufeinander; was mich aber nur über das Triumphgefühl hinwegtäuschen sollte, das ihm förmlich aus den Augen sprang. »Das ist schon fast vergessen«, erwiderte er, während sich seine ohnehin breite Brust vor wölbte. Triumph!, wisperte der Extrasinn warnend. Er fühlt sich großartig und dir überlegen. Offenbar war er erfolgreich bei seinen Artgenossen. Ausgezeichnet!, dachte ich. Dann taktiert er wenigstens nicht unnötig lange. »Das freut mich«, sagte ich. »Ich habe lange nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass wir eng kooperieren sollten, um unsere Strategie und Taktik gegenüber den Lordrichtern zu bündeln. Hiermit lade ich dich zu entsprechenden Gesprächen auf die AVACYN ein.« »Du weißt Bescheid, dass die Lordrichter das Gosch'ar-System überfallen haben und die Ganjasen auf D'Oranon versklaven wollen?« Er grinste. »Natürlich weißt du Bescheid. Aber du weißt nicht, dass ich jetzt die Führung aller anwesenden Clans übernommen habe. Ich bin also jetzt Krand'har aller Jungen Clans - mit rund zweiundvierzigtausend Kampfschiffen.« Beinahe hätte ich durch die Zähne gepfiffen. Das war wirklich eine gute Neuigkeit. Ich musste nicht länger mit Hunderten von Clanchefs verhandeln und mühsam versuchen, sie auf eine gemeinsame Linie zu bringen, sondern nur mit einem. »Krand'har«, was sinngemäß so viel bedeutete wie Herzog. Das sparte nicht nur immens viel Zeit, sondern ermöglichte überhaupt erst wichtige Entscheidungen. . Meine Achtung gegenüber Abenwosch stieg ganz erheblich. Aber auch meine Vorsicht, denn die Einigung aller anwesenden Clans auf einen Nenner war ganz sicher nur mit viel List und Heimtücke möglich gewesen. Gleichzeitig dachte ich darüber nach, wie ich verhindern konnte, dass Abenwosch sich haushoch überlegen fühlte und sich einbildete, ich würde nach seiner Pfeife tanzen.
H.G.Ewers »Meine Hochachtung, ich bin erfreut und erleichtert!« rief ich. »Erleichtert? Warum?«, wollte er wissen. Schon schwang unterschwellig Unsicherheit in seiner Stimme. Nicht schlecht!, lobte mich der Extrasinn. »Weil das helfen wird, ein Problem aus der Welt zu schaffen, das sich vor kurzem ergeben hat«, erklärte ich. »Von allen Juclas weißt nur du über die Verhältnisse im Sammler Bescheid. Und nur du weißt, dass diese ungeheuerliche 'Maschine eure ganze Flotte zu Staub zerblasen kann.« Das hatte gesessen. Der Krand'har wirkte plötzlich nachdenklich. Er zögerte für einen Moment. »Aber wir sind ja nicht die Feinde dieses mondgroßen Monstrums.«' »Sondern die natürlichen Verbündeten«, führte ich weiter aus. »Aber er besteht darauf, dass ihr euch alle ihm unterordnet. Andernfalls würde seine Hauptpositronik euch ebenfalls als seine Feinde einstufen.« »Wir sind doch nicht die Sklaven eines Roboters!«, empörte sich Abenwosch. »Das werden wir auch nie sein«, beschwichtigte ich ihn. »Der Sammler hört auf mich. Wenn ich mit euch zufrieden bin, wird er auch euch als seine Freunde einstufen. Aber es reicht nicht, wenn ich nur so tue. Florymonthis würde das durchschauen. Sie ist gerissen und manchmal unberechenbar« Es dauerte ein paar Sekunden - eigentlich verwunderlich bei der schnelllebigen Art der Juclas -, bis er reagierte. Doch dann bewies er wieder einmal, wie flink er um mehrere Ecken denken konnte. »Raffiniert! Wir Juclas brauchen also nur zu tun, als wären wir deine Kampftruppe und der Sammler ist unser Freund.« »Nicht nur so zu tun, sondern das zu sein und es durch Taten zu beweisen«, korrigierte ich ihn. »Und wir als Verbündete werden unsere gemeinsamen Feinde bekämpfen und besiegen.« Er maulte ein wenig, schien sich aber dann damit abzufinden. Selbstverständlich würde er versuchen, sich aus dieser Abhängigkeit zu befreien. Das war logisch. Aber ich war sicher, dass die Ereignisse,
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Der Zorn der Lordrichter die auf uns zukamen, zusammenschweißen würden.
uns
* »Wenn es gegen die Takerer geht, werden meine Clans mitmachen«, versicherte Abenwosch-Pecayl 966. Vergiss den Schamenhyn-Clan nicht!, erinnerte mein Extrasinn an das Problem, das mir Kopfzerbrechen bereitete. Ich vergesse es nicht!, gab ich zurück. Falls die Juclas dieses Problem nicht selber lösen können, sollte ich vielleicht noch einmal den Flammenstaub einsetzen… Kaum hatte ich das gedacht, erschauderte ich. Mir schien, als würde das durch meine Adern fließende Blut plötzlich eiskalt. Der Flammenstaub war nicht irgendeine Substanz, sondern das teuflische Erzeugnis einer unheilvollen Wissenschaft. Du siehst es also selber ein, wisperte der Extrasinn. Dieses Teufelszeug würde dich umbringen, falls du es wagtest, es erneut einzusetzen. Ein totaler Zusammenbruch sollte dir genug sein, auch wenn er einige Zeit zurückliegt. Du hast Recht, es war sowieso arrogant von mir, mich über Tuxits Warnung hinwegzusetzen, indem ich mir einbildete, durch meinen Zellaktivator eine Art Halbgott zu sein. »Wie sieht deine Planung aus, Arkonide?«, holte mich Abenwoschs Stimme abrupt in die Gegenwart zurück. »Ich denke die ganze Zeit darüber nach«, erklärte ich, meine Verlegenheit durch Forschheit überspielend. Was ich als nächsten Schritt plane, wird davon abhängen, ob du als Krand'har das Problem des Schamenhyn-Clans meisterst.« Abenwosch sah mich überrascht an und erklärte: »Das ist kein Problem mehr, denn ich habe sofort nach Antritt meines Amtes dafür gesorgt, dass der Bann über den Schamenhyn-Clan aufgehoben wurde. Und ich habe auch einen neuen Clanchef eingesetzt. Maßgebend für mich war. dass alle Angehörigen dieses Clans sich für den bösen Missgriff ihres toten Chefs schämten
H.G.Ewers - und dass unsere Clans in der derzeitigen Situation jeden Jucla als Kämpfer für unsere gemeinsame Sache brauchen werden. Logisch, dass der SchamenhynClan deshalb für mich durchs Feuer gehen wird.« Er ist ein Ass!, dachte der Extrasinn. Weil er auch ein Aas ist! Laut sagte ich: »Gratuliere. Abenwosch. Wir werden uns aufeinander verlassen können. Ich muss nur noch ein paar Dinge klären, dann werde ich dir mitteilen, wie unsere weiteren Pläne aussehen.« »Tue das!«, sagte der Krand'har fordernd. »Und lass mich nicht zu lange warten. Meine Clans fiebern neuen Taten entgegen - und ihre Geduld wird nicht lange vorhalten.« Typisch Juclas!, durchfuhr es mich. Ich muss immer bedenken, wie schnell die Zeit für sie vergeht. »Du hörst bald wieder von mir«, erwiderte ich. »Diese Juclas sind ein Problem«, erklärte Myreilune mit unterschwelliger Häme. »Nicht, wenn wir diese Flotte, die da draußen wartet, in einen richtigen Kampfeinsatz schicken«, stellte Kaystale fest. »Ein Schwert nützt nur dann etwas, wenn es gegen den Feind geschwungen wird.« »Und wenn es Köpfe abschlägt«, ergänzte Carmyn Oshmosh mit unverhohlener Ironie. Ihre sonst meist leise Stimme wurde kraftvoll und eindringlich: »Aber Köpfe sind nicht zum Abschlagen da, sondern zum Denken. Ist es so, Atlan, dass du dir den Kopf darüber zerbrichst, welcher verbindende Sinn zwischen den Aktivitäten der Lordrichter in Dwingeloo, Gruelfin und deiner Milchstraße besteht?« Ich staunte erneut über die Intelligenz der Kommandantin. Sie hatte Schlüsse gezogen, von denen ich vor wenigen Sekunden noch nicht ahnte, dass sie die dafür erforderlichen Informationen auch nur andeutungsweise besaß. »Das ist richtig«, gab ich unumwunden zu. »Genau diese Frage wirft Rätsel auf. Nur, woher bekomme ich die notwendigen
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Der Zorn der Lordrichter Informationen, um die Antworten zu finden?« »Ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht«, erwiderte Oshmosh. »Wahrscheinlich müssen wir dorthin gehen, wo wir am ehesten diese Informationen finden.« »Und wohin wäre das?«, fragte ich, fiebernd vor Spannung, denn ich ahnte, dass die Kommandantin mich auf die richtige Spur bringen würde. »Zur Freihandelszone Susch in der Sternwolke Samtan«, antwortete Oshmosh selbstsicher. »Das regierende Konsortium rund um den Autokraten Symaltin hat ganz sicher ein fundiertes Wissen über die Verhältnisse in Gruelfin. Ganz zu schweigen von der Zentralen Informationsbörse in der Kernstation Ich kenne mich dort aus, denn ich wurde in der dortigen Akademie von BOYSCH ausgebildet und für meine Aufgaben vorbereitet - genauso wie ein Großteil meiner Schiffsbesatzung.« »In der Akademie von BOYSCH?« »BOYSCH ist eine Kunstwelt - und die Kernzentrale von Susch«, erklärte Oshmosh mit breitem Lächeln. Schon oft hatte ich von einer Freihandelszone namens Susch gehört und auch von einigen Akademien für Raumfahrer, in denen anscheinend Angehörige vieler Völker Gruelfins ausgebildet wurden. Aber ich hatte nicht geahnt, dass meine Leute von der AVACYN dort ausgebildet worden waren. »Die Sternwolke Samtan«, sagte ich nachdenklich. »Wo in Gruelfin liegt sie genau? Ich weiß nur ungefähr Bescheid. Und ist sie eine Art Kugelsternhaufen?« Carmyn Oshmoshs dunkle Augen schienen zu glühen, als sie mich anstarrte. »Samtan ist ein irregulärer Sternhaufen«, erklärte sie schließlich in einem Tonfall, in dem ich so etwas wie Heimweh, zumindest aber Sehnsucht - herauszuhören glaubte. »Er liegt eingebettet in den Sternenarm Wuthanas Leib im Nordostsektor von Gruelfin.« »Wuthanas Leib«, wiederholte ich nachdenklich. »Den Sektor kenne ich. Wie
H.G.Ewers so viele in Gruelfin. Viel zu viele! Ich weiß jedenfalls, wo Wuthanas Leib liegt. Vom Sternhaufen Samtan sieht man hinter einem dichten Sternenmeer das rund 19.000 Lichtjahre entfernte Zentrum Gruelfins mit der wabernden Energieballung rings um ein extrem großes Schwarzes Loch aus rund einer Milliarde Sonnenmassen.« Ein einziger Blick darauf genügt, um die Nichtigkeit der eigenen Existenz im Vergleich zum Universum einzusehen. »Von BOYSCH aus sind es 18.500 Lichtjahre bis zum galaktischen Zentrum«, sagte Carmyn Oshmosh. »Susch umfasst übrigens außer der Kernstation BOYSCH die sechs am nächsten stehenden assoziierten Sonnensysteme. Doch das Herzstück ist BOYSCH.« 3. Der Mann von Extosch Symaltinoron wusste, dass ihm der Tod im Nacken saß. Doch obschon er in der Akademie Kakastaun gelernt hatte, dass niemand den Tod fürchten musste, weil durch den Tod nichts Existierendes verloren ging, sondern sich nur veränderte - was auch der erste Hauptsatz der Thermodynamik war -, war er nicht bereit, dieses Schicksal widerstandslos hinzunehmen. Nicht zuletzt, weil er sich damit der Möglichkeit beraubt hätte, seinen Vater vor der Gefahr zu warnen, die er im Irmanglide-System entdeckt hatte; seinen Vater, den Autokraten Symaltin, der die Verantwortung für alles trug, was sich in und um die Sternenstation BOYSCH ereignete. Symaltinoron bewegte den Steuerstick seines Raumjägers und sah, wie der Planet Cranicorr, der einzige Planet der grünen Sonne Irmanglide, in die Zielerfassung wanderte. Er sah das allerdings ein bisschen anders als andere Intelligenzen, denn als Nachkomme eines Umweltangepassten vom Planeten Fortyn war er fast blind. Aber durch jahrelanges Training hatte er gelernt, alle optischen Reize unbewusst zu
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Der Zorn der Lordrichter verstärken und faktisch genauso gut zu sehen wie alle Ganjasen. Fortyn war ein so genannter Sandplanet, gänzlich überzogen von einer Wüste. über die fast ständig orkanstarke Sandstürme tobten. Dennoch sahen die Bewohner es als Glück an, auf dieser Welt leben zu dürfen. Die Sicht- und Ortungssysteme des kleinen, überlichtschnellen und äußerst wendigen Raumjägers verstärkten und verbesserten selbstverständlich alle Wahrnehmungen. Es war ein technisch hochgerüstetes Raumfahrzeug, mit dem Symaltinoron von der Raumakademie Kakastaun ausgerüstet worden war, um den mysteriösen Planeten Cranicorr zu inspizieren, eine Art Vorerkundung. Genauer: die Befriedigung seiner persönlichen Neugierde. Was man ihm nur gewährt hatte, weil sein Vater der Autokrat von BOYSCH und damit Herrscher über die Freihandelszone Susch war. Kakastaun war eine der vier berühmtesten Raumakademien der Freihandelszone Susch, die von der Raumstation BOYSCH verwaltet wurde. Symaltinoron arbeitete dort als Astrophysiker und Planetenforscher und hielt außerdem Vorlesungen in Ethik und Moral für angehende Raumfahrer, die dort ausgebildet wurden. Cranicorr galt als gefährlich, doch das genau war es, was den Sohn Symaltins dazu bewogen hatte, sich ihn vorzunehmen. Allerdings war ihm die Sehnsucht nach Abenteuern und Forschungserfolgen gleich nach dem Linearraum-Austritt innerhalb des Irmanglide-Systems vergangen, denn er war unmittelbar vor einem riesigen Energiegebilde, das es hier nicht geben durfte - ja, das überhaupt nicht existieren konnte -, in den Normalraum zurückgekehrt. Es sah aus wie ein pulsierender Stern, wenn auch »nur« mit ungefähr dreitausend Metern Durchmesser. Am schlimmsten aber war, dass dieses Gebilde nach ihm gegriffen und ihn gepackt hatte - und dass er seinem Gefühl nach halb entstofflicht worden war. Und das, obwohl die Positronik seines
H.G.Ewers Fahrzeugs noch vorher den Paratronschirm aktiviert hatte. Er erinnerte sich daran, dass er sich in einer Art Mausoleum wiedergefunden hatte, in einer von hellen Wänden umgebenen Halle von den Ausmaßen eines Sportfeldes - und dass in den zahllosen Nischen der Halle Gebilde standen, die vom Aussehen her gänzlich verschiedenartig waren. Aber sie alle waren so hoch wie Kathedralen und fast so durchsichtig wie farbloses Glas. Und sie strömten einen »Geruch« nach gewaltsamem Tod aus, der eiskalt durch Mark und Bein ging. Symaltinoron fror innerlich, vor allem bei der Erinnerung daran, dass er in dieser Halle gestanden hatte, mit nichts als seinem leichten Raumanzug. Sein Raumjäger war verschwunden gewesen, wie von Geistern weggezaubert. Und Geister schienen im Spiel zu sein, denn Symaltinoron hatte mit seinem Bewusstsein Kontakt zur Positronik des verschwundenen Raumjägers gehabt allerdings, ohne Informationen mit ihr austauschen zu können. Stattdessen hatte in wenigen Metern Entfernung ein Ganjase vor ihm gestanden: etwas größer als er selber, zwar stämmig, doch nicht halb so breit wie ein Fortynier, mit der Tätowierung eines DakkarDreiecks auf dem kahl rasierten Schädel, gekleidet in ein flammend rotes Habit, das durch ein Zingulum gehalten wurde, sowie mit spitzen grünen Stiefeln. Symaltinoron wollte ihn ansprechen, kam aber nicht dazu, denn der Ganjase wurde plötzlich durchsichtig. Deutlich waren sein blankes Skelett und sein bleicher Schädel, ein hochgewölbtes Cranium, zu sehen. Dann verschwand er, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Im nächsten Moment fand sich Symaltinoron im Pilotensitz seines Raumjägers wieder. Die Ortung zeigte an, dass sein Gerät mit rasender Geschwindigkeit haltlos durch das All taumelte, während die riesige Energieballung pulsierte und dabei immer wieder mit Eruptionen nach ihm zu greifen schien.
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Der Zorn der Lordrichter Der Fluchtinstinkt hatte Symaltinoron veranlasst, sich von der von grellen Turbulenzen erfüllten Ballung so schnell wie möglich zu entfernen. An sich war der Raumjäger vom Typ Zoreh dafür prädestiniert, doch in diesem Falle kam er einfach nicht von dem unheimlichen Energiegebilde los. Logischerweise hatte Symaltinoron mit Maximalwerten beschleunigt und dann, als die erforderliche Geschwindigkeit erreicht war, den Linearantrieb aktiviert. Doch anstatt in das übergeordnete Kontinuum des Zwischenraums einzugehen, war die Geschwindigkeit auf nahe null zurückgefallen. Symaltinoron war entsetzt, hatte aber folgerichtig reagiert und die Impulstriebwerke wieder hochgeschaltet. Gleichzeitig hatte er ein paar Figuren geflogen, wie sie für Weltraumgefechte mit feindlichen Jägern oder Zerstörern vorgesehen waren. Der positronische Komplex hatte selbstverständlich seine Schaltungen praktisch ohne Zeitverzögerung in die zweckentsprechenden und sicheren Schaltungen umgewandelt, denn organische Intelligenzen waren dafür zu langsam und mit zu vielen Fehlern behaftet. Das Energiegebilde wurde abgehängt und blieb ein Stück zurück, doch dann beschleunigte es ebenfalls und holte nach und nach wieder auf. Symaltinoron verzweifelte zuerst, dann entschloss er sich, auf dem Planeten Cranicorr zu landen - in der Hoffnung, dass ihm die Energieballung nicht dorthin folgen würde. Bisher hatte sich diese Hoffnung allerdings nicht erfüllt. Die Energieballung folgte dem Raumjäger. Sie kam zwar nicht an ihn heran, aber sie blieb nur wenige tausend Meter hinter ihm. Und das war es, was Symaltinoron Angst machte. Denn sobald der stromlinienförmige hellgraue Raumjäger mit den gepfeilten Tragflächen und den stark ausgeprägten Seiten- und Höhenleitwerken in die Atmosphäre Cranicorrs eintauchte, würde
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H.G.Ewers er langsamer werden, und die Energieballung konnte ihn einholen. Sie würde ihn abermals von seinem Gerät trennen und in einen Raum und eine Zeit schleudern, von wo es womöglich keine Rückkehr gab. * Trotz seiner Angst empfing der Forscher die vom Raumjäger erfassten Ortungsdaten mit großem Interesse. Er stellte fest, dass Cranicorrs Masse einer typischen 1-Gravo-Welt entsprach. Allerdings betrug die Schwerkraft 0,93 Gravos, doch das konnte an der Gravitationswirkung des luftleeren Mondes liegen, der mit Cranicorr um einen gemeinsamen en Schwerpunkt kreiste. Der Planet besaß auch eine Atmosphäre, obwohl die Ortung keine Spur irgendeiner Biomasse anzeigte, ohne die eine Planetenatmosphäre sich nicht regenerieren konnte. Die gesamte Oberfläche des Planeten bestand aus einer dicken Schicht Metallplastik, aus deren glatter Ebene in bestimmten Abständen stadtähnliche Gebilde herauswuchsen: teils wuchtige, teils filigrane Gebäude-Ansammlungen. Und Symaltinoron staunte, denn es gab dort unten keinerlei Spuren von Verfall, ja nicht einmal Flugsand oder Staub. Alles schien regelmäßig gesäubert zu werden. Selbstreinigungseffekt wie bei manchen Wasserpflanzen? Er schüttelte diese Überlegung ab, denn jetzt kam der Augenblick des Eintritts in die Atmosphäre. Sein Raumjäger bremste von selbst ab, denn seine Positronik war so programmiert, dass sie Risiken für Gefährt und Pilot vermied und immer sozusagen auf Nummer Sicher ging. Die ultrahelle Feuerlanze des Impulstriebwerks stach kilometerweit in Flugrichtung, und ein Prallfeldschirm bewahrte den Jäger vor Überhitzung. Ringsum waberte hoch erhitzte, verglühende Luft. Kurzzeitig siegte das Interesse des Planetenforschers, als ihm die Positronik
Der Zorn der Lordrichter die von der Ortung erfassten Messwerte der Atmosphäre übermittelte. Demnach betrug die Zusammensetzung des Gasgemischs dicht über der Planetenoberfläche rund 75 Prozent Stickstoff, 20 Prozent Sauerstoff, Kohlendioxid 0,03 Prozent und Argon 0,04 Prozent sowie Spuren aller Edelgase. Der Wasserdampfanteil allerdings betrug nur 0,01 Prozent. Die Werte lagen demnach verblüffend dicht an denen naturbelassener Planeten. Symaltinoron riss sich . von diesen Wahrnehmungen los, als die Positronik ihm die optischen Eindrücke von seinem Verfolger ins Gehirn einspielte. Die Energieballung verfolgte ihn immer noch und hatte aufgeholt. Sie musste jeden Augenblick ebenfalls in die Atmosphäre eintauchen. Der junge Forscher drückte den Raumjäger tiefer und fluchte unterdrückt, weil die Positronik sich gegen ein zu abruptes Sinken sträubte und gleichzeitig die Geschwindigkeit verringerte. Das ist das Ende!, durchfuhr es ihn, als die Energieballung in die obersten Atmosphärenschichten eindrang und den Abstand zu ihm verringerte. Im nächsten Moment schien die Ballung zu explodieren und in allen Farben des Spektrums aufzuleuchten. Dabei dominierten die Farben Grün, Rot, Blau und Violett. Heftiges Krachen und Knattern zeigte starke elektromagnetische Störungen an. Polarlicht!, dachte Symaltinoron. Unwillkürlich hielt er die Luft an, als das Polarlicht sich mit rasender Geschwindigkeit ausbreitete und seinen Raumjäger einschloss. Doch im Unterschied zu der Energieballung durchdrang es den Prallschirm nicht - und wenige Minuten später schwächte es sich ab und erlosch schließlich. Eine Zeit lang rührte sich Symaltinoron nicht, sondern beschränkte sich auf die Wahrnehmung, die die Positronik ihm zuspielte und die weiter nichts zeigte als einen immer langsamer werdenden Raumjäger, der sich durch die unteren
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H.G.Ewers Schichten der Planetenatmosphäre bewegte. Links und rechts tauchten zwei stadtähnliche Gebilde auf. Sie schienen ihm förmlich zuzurufen, dass er sie erforschen sollte. Aber die Wissbegierde und der Forschungsdrang, die Symaltinoron nach Cranicorr getrieben hatten, waren erloschen. Jetzt, da die unmittelbare Gefahr vorbei und das Grauen abgewendet war, hatte der junge Mann nur noch das Bedürfnis, diesen Raumsektor zu verlassen. Nach Hause!, war alles, was er noch denken konnte. Nach Hause zu BOYSCH und zu Papa! Er zog den Stick der Steuerung langsam an sich heran und holte befreit Luft, als die Nase des Raumjägers sich allmählich aufrichtete. Sekunden später erstarrte er. Denn der Hyperkorn hatte sich automatisch aktiviert, was bedeutete, dass er eine Sendung aufgefangen hatte (die die Positronik als bedeutungsvoll einstufte, was eine Überspielung an den Piloten erforderlich machte). Her damit!, dachte er. * »Hilfe, Hilfe!«, waren die ersten ganjasischen Worte, die er hörte. Es folgte eine Serie undeutbarer Geräusche, dann rief jemand mit klarer Stimme: »Hier spricht Persenpo Zasca, dritter Direktor der Mythischen Infothek von Extosch. Ich weiß nicht, wo ich bin. Ich spüre nur, dass ich gefangen bin. Helft mir! Extosch wurde überfallen. Helfershelfer der Lordrichter haben die Mythische Infothek erobert! Hilfe, Hilfe!« »Von wo kommt die Sendung?«, erkundigte sich Symaltinoron bei der Positronik. »Von einer Art Gebäudekomplex hinter uns«, antwortete die Positronik. »Ungefähr unterhalb der Stelle, an der die Energieballung abgeschossen wurde.«
Der Zorn der Lordrichter »Wie?«, schrie Symaltinoron ungläubig. »Die Energieballung wurde abgeschossen?« »Das schloss ich aus der Art und Weise, wie sie verging«, antwortete die Positronik. »Willst du auf den Hilferuf antworten? Und soll ich abbremsen, damit du eventuell der betreffenden Person Hilfe leisten kannst'?« »Was soll ich'?«, entfuhr es dem Forscher, dann besann er sich und antwortete: »Ja, abbremsen - und ich will antworten.« Als die Positronik ihm Bereitschaft meldete, sagte er: »Hier spricht Symaltinoron, der Sohn von Symaltin. Persenpo Zasca, wie bist du auf den Planeten Cranicorr gekommen'?« »Der Trigonometrischen Gottheit sei Dank!«, ertönte ein Ruf. »Symaltinoron, ich weiß nicht, wer du bist, aber unsere Schicksale müssen von den Göttern miteinander verknüpft worden sein. Als die Banditen in unsere heilige Mythische Infothek eindrangen und sie schändeten, versuchten die Mythokarin und ich, die geheimen Transmitterzugänge zu desaktivieren beziehungsweise auf Ausweichziele umzuschalten. Dabei müssen sich unsere Schaltfelder mit denen der Banditen überlagert haben. Es kam zu Fehltransmissionen. Auch andere Mitarbeiter der Mythischen Infothek müssen das Opfer von Fehltransmissionen geworden sein. Wer weiß, wohin es sie verschlagen hat.« Symaltinoron hob unwillkürlich eine Hand, um den Redefluss Persenpo Zascas zu stoppen. Natürlich funktionierte das nicht, da Zasca ihn nicht sehen konnte. Doch die Bordpositronik reagierte und forderte den Fremden zum Schweigen auf. Symaltinoron packte den Steuerstick fester und leitete erst ein Bremsmanöver und danach eine Kehrtwendung ein. »Ich ahne etwas, Persenpo Zasca«, erklärte er dann. »Durch die Fehltransmission versuchte sich offenbar ein Wiederverstofflichungsfeld aufzubauen. Das geschah in der Nähe des Planeten Cranicorr - und zwar ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als ich mit meinem Raumjäger
H.G.Ewers dort nach einem Linearflug in den Normalraum zurückkehrte. Ich wurde in das Wiederverstofflichungsfeld gerissen, aber genau wie du nur halb verstofflicht und zwar in einer Art Halbraum. Dort sah ich dich kurz, bevor du wieder entmaterialisiertest.« »Bei der Trigonometrischen Gottheit!«, rief Persenpo Zasca. »Und ich sah dich ganz kurz. Wo bist du denn jetzt? Irgendwo auf diesem unheimlichen Planeten?« »Ich bin in meinem Raumjäger«, antwortete Symaltinoron. »Und ich bin auf dem Wege zu dir. Da meine Positronik dich angepeilt hat, wird sie mich so nahe wie möglich an dich heranbringen. Sag mir, ob du dich in einem Gebäude befindest, und sprich weiter!« Was soll das Gefasel von einer Trigonometrischen Gottheit? »Ich bin in einer schmalen, aber hohen Halle«, antwortete Persenpo Zasca. »Die Wände scheinen aus einer Art hellgrauem Metallplastik zu bestehen - sehr hellem Metallplastik. Darin sind Linien eingraviert, die Hunderte von fremdartigen Gesichtern zeigen - nein, Tausende Gesichter. Um sie herum gibt es fremdartige Zeichen, vielleicht eine Art Schrift. Nein ... !« Die Stimme brach ab. »Was ist los?«, rief Symaltinoron. »Bist du in Gefahr, Persenpo?« Schweigen. »Sende ihm einen starken Impuls!«, forderte Symaltinoron die Positronik auf. »Wurde gesendet«, meldete die Positronik gleich darauf. Einige Atemzüge lang blieb es still, dann ertönte die Stimme Persenpo Zascas - die stark verfremdete Stimme Persenpo Zascas -, und sie sang: »Du bist zu Gast hier bei Gorgonion, wacht nicht auf, unwürdiger Thanaon! Es redet selbst der Toten Abbild. Die ins Grab gestiegen Und rückgekehrt aus tiefer Gruft. Wir alle, die das Leben lieben, Sind hier und atmen keine Luft.« Symaltinoron stockte der Atem, als er das hörte. Doch er riss sich gewaltsam
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Der Zorn der Lordrichter zusammen und besann sich darauf, dass er Wissenschaftler war und sich vom alten Geisterglauben seines Volkes losgesagt hatte. Und er entschied, nicht dem Fluchtinstinkt nachzugeben, sondern dem Extoscher zu helfen. Anscheinend war er in eine Art Falle geraten, wie sie auf dem unheimlichen Planeten Cranicorr wohl zu erwarten waren. Doch da er seine Umgebung eigentlich rational beschrieben hatte, konnten die dort lauernden Gefahren nicht von bösen Geistern oder sonstigem Humbug ausgehen. Sie mussten sich folglich auch überwinden lassen. »Cranicorr!«, murmelte er zornig. »Ich habe keine Angst vor dir - jedenfalls nicht allzu viel!« Die Positronik seines Raumjägers ließ sich von den Impulsen des fremden Hyperkoms leiten und landete das Gerät auf dem glatten, hellgrauen, aber nicht das Sonnenlicht reflektierender Boden dicht bei einem tür- und fensterlosen Turm vom gleichen Material, der mit einem Durchmesser von siebenundvierzig Metern etwa siebenhundert Meter in den blauen, wolkenlosen Himmel des Planeten ragte. »Was nun?«, fragte Symaltinoron ratlos. »Keine Tür, kein Fenster. Persenpo Zasca ist anscheinend von einem irregulären Transmitterfeld in dem Haus abgesetzt worden. Positronik, wir werden wohl unseren heißen Nachschlüssel einsetzen müssen.« Er stellte sich vor, wie die Impulskanone seines Raumjägers ein torgroßes Loch in die Gebäudewand riss, und kam zu dem Schluss, dass diese Methode nicht akzeptabel war Erstens konnte sie den Ganjasen töten, den er befreien wollte, und zweitens konnte. sie irgendwelche Defensivwaffen der Stadt aktivieren, die den Raumjäger zu einem handlichen Stück Schrott verarbeiteten.« »Impulse!«, rief er »Positronik, bearbeite die Wand dieses Bauwerks mit der ganzen Palette der dir zur Verfügung stehenden nicht zerstörerischen Impulse! Vielleicht aktiviert einer von ihnen so etwas wie eine Torautomatik.«
H.G.Ewers »Verstanden«, antwortete die Positronik. »Ausführung erfolgt.« Symaltinoron wartete mit klopfendem Herzen. Die Impulse waren selbstverständlich weder zu hören noch zu sehen, aber auch von irgendeiner Wirkung war nichts zu bemerken. Bis es in Symaltinorons Ohren knackte und eine hohle Stimme sprach, doch nicht in seinem Ohr: »Der Tag war hell, die Nacht war kalt, Von oben kam ein Wimmern durch die Luft. Ein dunkler Vogel schrie die ganze Nacht. Kein Leben mehr, doch wir sind auf gewacht.« Der Forscher zog die Schultern hoch. Er fror. In seine Seele kam die Ahnung, dass viele andere Seelen ihre Trennung von dem Leben in ihren Körpern beklagten. Ihm dämmerte, was das alles zu bedeuten hatte und dass Cranicorr der Schrein war, in den sich ein ganzes Volk geflüchtet hatte, um Unsterblichkeit zu erlangen - und dass diese Wesen todunglücklich darüber waren. Und wahrscheinlich auch psychisch krank. »Ich höre euch«, flüsterte er fast tonlos. »Und ich ahne, welches Schicksal ihr euch bereitet habt. Glaubt mir, ich fühle mit euch. Doch kann ich euch heute nicht helfen. Vielleicht ein andermal. Aber ich bitte euch: Gebt den Ganjasen frei, den es in euer Haus verschlagen hat.« »Ein andermal ist keinmal«, klang es in seinem Bewusstsein zurück. »Alle versprechen, und niemand kehrt zurück. Früher sündigten wir oft im Zorn. Aber wir bereuen und haben resigniert. Deshalb geben wir den Ganjasen frei. Geht in Frieden!« Symaltinoron 'war halb betäubt. In ihm stritten sich Mitleid und Abscheu. Er ahnte, dass frühere Besucher von den im Stahlplastik gefangenen Seelen in Wahnsinn und Tod getrieben worden waren, weil Verzweiflung Hass geboren hatte.
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Der Zorn der Lordrichter Er fuhr zusammen, als er schräg unter sich außerhalb des Raumjägers dieselbe Gestalt sah, die ihm schon in einer Art Halbraum begegnet war: nicht größer als er selbst und schmaler. Ein hochstirniger Kopf mit einem tätowierten Dakkar-Dreieck auf dem nackten Schädeldach, ein schmales, durchgeistigtes Gesicht mit einer Haut in hellem Bronzeton - gekleidet in eine flammend rote Tunika mit breitem Zingulum, eine schwarze Röhrenhose und grüne Schaftstiefel mit Schnallen. Die ganze Kleidung sah allerdings arg strapaziert aus, und das Gesicht blickte erschöpft und ängstlich wirkend nach oben. Symaltinoron ließ die Steuerkanzel auffahren und aktivierte das Liftfeld. Mit einer Handbewegung gab er dem ExtoschGanjasen zu verstehen, was er tun sollte. Persenpo Zasca bewies, dass er von einer hochtechnisierten Welt kam. Er vertraute sich wie selbstverständlich dem Liftfeld an und ließ sich in den zweiten Sitz der Steuerkanzel heben. Die Sicherheitsautomatik ließ den obligatorischen Raumschutzanzug aus dem Sessel ausfahren und sich um den Passagier schließen. »Willkommen an Bord!«, begrüßte Symaltinoron ihn über die automatisch aktivierte Helm-zu-Helm-Verbindung. »Wie geht es dir? Brauchst du eine medotechnische Versorgung?« »Nein, mir geht es gut«, antwortete Zasca. »Ich habe das Wappen der Freihandelszone Susch an deinem Raumjäger gesehen ...« »Richtig, und dorthin fliegen wir jetzt«, erklärte der Forscher. »Genau gesagt, zur Kernstation BOYSCH« »Das ist gut«, flüsterte Zasca, offenbar hocherfreut. »BOYSCH ist bestimmt in der Lage, uns Extoschern zu helfen.« Symaltinoron verzichtete darauf, seinem Passagier zu erklären, dass die strikte Neutralität der Freihandelszone Susch jegliche Einmischung in Konflikte außerhalb ihrer Interessensphäre ausschloss. Außerdem durfte er dabei sowieso nicht mitreden,
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H.G.Ewers Er aktivierte den Antrieb Raumjägers und startete.
seines
4. Sternenstation BOYSCH Symaltin verschloss Augen und Ohren vor dem schrillen Gekreische, mit dem der hoch erhitzte Sand innerhalb der auf 1,8 Gravos hochgeschalteten Schwerkraft im Samokar ihn umtobte. Er fühlte sich so wohl wie selten in letzter Zeit, denn sein Körper und sein Geist brauchten ab und zu den Aufenthalt in einer Umgebung, die den Umweltbedingungen auf seiner Herkunftswelt Fortyn entsprach. Er entspannte sich und versuchte, wenigstens vorübergehend die Sorgen zu vergessen, die ihn plagten, seit er als Autokrat den Vorsitz im neunköpfigen Konsortium von BOYSCH übernommen hatte. Es waren unzählige Sorgen, die ihn plagten und die niemals abrissen. BOYSCH war ja nicht nur eine Sternenstation, sondern in erster Linie das Zentrum der Freihandelszone Susch, das innerhalb des irregulären Sternhaufens Samtan der Garant zu sein hatte für eine Freihandelszone, die für alle Völker Gruelfins zugänglich war und darum strikte Neutralität wahren musste. Es würde schon schwer genug sein, die divergierenden Interessen der Angehörigen aller Völker Gruelfins unter einen Hut zu bringen. Um überhaupt erst die wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, mussten kräftige schwarze Zahlen geschrieben werden, denn beim Wirtschaftssystem von Susch handelte es sich um ein prinzipiell kapitalistisches System, das nur durch seine Profitorientierung bestehen konnte. Allerdings wurde das Negative, das nun einmal wie ein Naturgesetz charakteristisch für alle kapitalistischen Wirtschaftssysteme ist, durch die Autokraten abgemildert, die dafür sorgten, dass soziale Gerechtigkeit und cappinwürdige Moral herrschten. Die so genannten Weichenwärter, die die
Der Zorn der Lordrichter beherrschende Unternehmerkaste Suschs darstellten, strichen zwar fette Profite ein, finanzierten über das innerstaatliche System aber in großem Umfang alle möglichen Forschungsprojekte - zum Beispiel technischer, medizinischer, wirtschaftlicher und historischer Art. In den Raumakademien aber dominierte die beste Aus- und Weiterbildung von Raumfahrern, die es überhaupt in ganz Gruelfin gab - soweit diese Galaxis erforscht war, was noch viel zu wünschen übrig ließ, weil sich die bekannten Zivilisationen immer wieder gegenseitig zerfleischt hatten. Symaltins Nerven vibrierten, als es ihm nicht mehr gelang, die schwersten .ihm zu verdrängen, die ihm seit einiger Zeit so schwer zusetzten, dass er fast jede Nacht von Alpträumen geplagt wurde. Es rumorte in Gruelfin. An allen Ecken und Enden brachen Kämpfe aus. Extragalaktische Invasionsstreitkräfte zogen im Verbund mit den Takerern großmaßstäbliche Eroberungsfeldzüge durch. Von Frieden konnte fast nirgends mehr gesprochen werden. Und trotz aller Informationen, die Susch durch ein riesiges Netz von Agenten sammelte, gab es keinen Hinweis auf die Gründe für die überall aufflammenden Kämpfe. Die Freihandelszone war allerdings bisher nicht angetastet worden. Symaltin schrieb das der immerwährenden Neutralität zu, die vom neunköpfigen Konsortium der 220 Weichenwärter und von ihm selbst mit aller Strenge gewahrt worden war. Er war sich allerdings klar darüber, dass es keine Garantie dafür gab, in keinen der zahlreichen Konflikte hineingezogen zu werden. Für einen solchen Fall patrouillierte ständig eine kleine, aber schlagkräftige Wachflotte in unmittelbarer Umgebung von BOYSCH, wo auch einige Pediaklasten Dienst taten, um für den unwahrscheinlichen Überfall eines PedoAngriffs gerüstet zu sein. Und im Falle eines Falles klammerte sich Symaltin an die Hoffnung, von den vielen tausend Cappins, die in der Vergangenheit in den
H.G.Ewers Raumakademien Suschs ausgebildet und moralisch indoktriniert worden waren, würden Hunderte ihre Kampfschiffe nach BOYSCH lenken und den Feind zurückschlagen. Dass das eher unwahrscheinlich war, verdrängte er immer wieder aus seinem Bewusstsein. Symaltin brüllte erschrocken und wütend auf, als der heiße Sandsturm sich ohne Übergang in einen eiskalten Wasserschwall verwandelte - und ihm wurde klar. dass er dabei gewesen war, sich Träumen hinzugeben und die Realitäten zu beschönigen. Vorerst allerdings musste er erst einmal aus dem Samokar herauskommen, wenn er nicht erfrieren wollte. Und er musste sich für diese Untat rächen. »Abstellen! Alles abstellen!«, brüllte er aus Leibeskräften, um das Tosen der Wasserfluten zu übertönen. Als das Wasser verebbte, stürzte er unsanft flach auf den Boden, der glücklicherweise aus Hartschaum bestand, so dass er lediglich geprellt wurde und sich sein Nasenbein brach. Grunzend und schnaubend rappelte er sich auf und stürmte auf allen vieren durch das Tor, das sich an der einen Seite des Samokars geöffnet hatte. »Welcher verfluchte Idiot hat am Samokar herumgeschaltet?«, schrie er und richtete sich auf, um sich auf den Verursacher zu stürzen. Er erstarrte halb aufgerichtet, als er die Übeltäterin erkannte. Es handelte sich um die einzige Person der ganzen Freihandelszone, der er absolut vertraute und der er grenzenlosen Respekt entgegen brachte. Samptasch, die Hohe GanjoInterpretatorin! Eine Ganjasin unschätzbaren Alters mit tiefen Falten im bronzefarbenen Gesicht, aber von aufrechter Gestalt. Ihr schulterlanges Haar war schwarz und voll, ihre Brust glatt. Sie stützte sich auf einen derben Stock aus rotbraunem Hartplastik. In der anderen Hand hielt sie eine winzige Fernschaltung.
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Der Zorn der Lordrichter Der Blick ihrer hellblauen Augen richtete sich strafend auf Symaltin. »Wie kannst du der Muße pflegen, Autokrat, während draußen die Wölfe heulen und nur darauf warten, in die Herde einzubrechen?«, sprach sie mit leiser, aber eindringlicher Stimme, die keinen Widerspruch zu dulden schien. »Die Wölfe?«, stammelte Symaltin. »Der Name spielt keine Rolle«, entgegnete sie. »Ich besitze viel von Ovarons Wissen und du weißt das. Was wirst du dagegen unternehmen, Autokrat?« »Ich, ich weiß noch nicht, GanjoInterpretatorin«, erwiderte Symaltin. »Wir müssen vor allem strikte Neutralität wahren.« »Genau das müssen wir«, erklärte sie, »Niemand, der nicht in die Freihandelszone gehört, darf einfliegen. Hörst du? niemand!« »Selbstverständlich nicht«, sagte Symaltin, während er sich sammelte, um sich gegenüber Samptasch zu behaupten, obwohl es zu seiner religiösen Einstellung gehörte, dass er der Ganjo-Interpretatorin blindlings vertraute und sich nach ihren Ratschlägen richtete, als wären es göttliche Befehle. Er winkte seinem persönlichen Servo, der sich wie immer unsichtbar in seiner Nähe aufhielt. Der Servo projizierte einen Teil von sich: eine kleine Formenergieplatte, auf der ein Massagetuch und eine Art Kilt aus schwarzblauem Mikrofaserstoff lagen, und ließ sie zu Symaltin schweben. Der Autokrat warf sich das Tuch über, ließ sich warm massieren und wickelte danach den Kilt um die Hüften. Als der Servo ihm ein Pflaster schickte, presste er es über die Bruchstelle unter der Nasenhaut. Dann prustete er das Wasser, das ihm im Samokar in Nase und Stirnhöhle gedrungen war, durch die schwarz behaarten Nasenlöcher wieder aus. »Nimm dir ruhig Zeit! « sagte Samptasch. »Zeit ist das Einzige im Universum, was immer wieder nachwächst.«
H.G.Ewers »Aber auch das Einzige, was man nicht greifen kann«, gab Symaltin in einem Versuch zu scherzen zurück. »Was weißt du schon von der Zeit«, erwiderte Samptasch. »Ovaron könnte dir Dinge über die Zeit und über Zeitreisen erzählen, bei denen dir die Augen übergehen würden. Einmal, in einer anderen Galaxis und tief in der Vergangenheit, ist er sich sogar selbst begegnet. Zwei Zeitbrüder standen sich damals, gegenüber - jeder von einer anderen Zeitebene stammend.« »Wie ist das möglich?«, fragte der Autokrat zweifelnd und platschte mit den nassen Füßen auf dem Boden. Es war eine gegen den Servo gerichtete Rüge - und das multifunktionale Energiegebilde besann sich endlich und zog seinen Herrn fertig an. Danach trug Symaltin außer seinem Kilt eine kurze schwarze Jacke mit goldfarbenen Gelenkpolstern, eine purpurrote enge Hose und knöchelhohe schwarze Stiefel mit dicken Titansohlen, die ihm ein bisschen das Gefühl gaben, sich auf seinem Heimatplaneten zu befinden, auf dem eine Schwerkraft von 1,8 Gravos herrschte, während es in BOYSCH mit Rücksicht auf die meisten Beschäftigten und Besucher (die mehrheitlich von Welten mit geringerer Schwerkraft stammten) 1,1 Gravos waren. »Das werden Leute wie du niemals begreifen«, sagte Samptasch. »Aber um auf das Kernproblem zu kommen: Dein Sohn ist vor kurzem von einer Expedition zurückgekehrt und hat einen Fremden mit nach BOYSCH gebracht, einen Extoscher. Der Planet Extosch befindet sich auf Kriegsfuß mit den Drenktosch-Takerern, hinter denen die Lordrichter zu stehen scheinen. Das ist meine Schlussfolgerung, denn auf Extosch gibt es die Mythothek. Da die Angreifer dieses Informationszentrum erobert haben, können sie nur von den Lordrichtern dazu angestiftet worden sein.« »Mein Sohn tut nichts, was unsere Neutralität gefährden könnte«, wiegelte der Fortynier ungehalten ab, obwohl er
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Der Zorn der Lordrichter insgeheim ein flaues Gefühl im Leib spürte. »Er hat es schon getan, auch wenn er es nicht begreift«, entgegnete Samptasch streng. »Bei dem Extoscher handelt es sich nämlich um keinen Geringeren als um Persenpo Zasca, einen stellvertretenden Leiter der Mythischen Infothek von Extosch - und er wird hier nicht lockerlassen, bis er Hilfe zugesagt bekommt.« »Niemals!«, schnaubte der Autokrat. »Wir mischen uns nicht in die Händel zwischen anderen Völkern ein - und mein Sohn würde es niemals wagen, so ein Ansinnen an mich heranzutragen. Ha, ich bin sicher, dass er ihn nicht in seiner Funktion, als Abgesandter hierher gebracht hat, höchstens als Schiffbrüchigen.« »Du kennst Symaltinoron gut«, erklärte Samptasch begütigend. »Er hat tatsächlich nicht gegen unsere Gesetze verstoßen. Soviel ich erfahren habe, handelt es sich bei Perlenpo Zasca um einen Schiffbrüchigen, den dein Sohn auf dem Planeten Cranicorr auflas.« »Auf Cranicorr?«, fragte der Autokrat erschrocken. »Ausgerechnet auf dein Geisterplaneten, vor dem in allen Infos gewarnt wird! Ist er denn heil und gesund zurückgekehrt?« »Offenkundig ja«, sagte Samptasch. »In der Kantine des Nebensektors prahlt er mit seinen Heldentaten.« Symaltin schlug sich die flachen, tellergroßen Hände an die Brust und reckte sich. »Tüchtiger Junge!«, röhrte er gerührt. »Ich habe immer gewusst, dass er mir nachschlägt.« »Na ja!« , meinte die Frau. »Aber vergiss nicht den Extoscher!« »Das kriegen wir hin!«, versicherte Symaltin. Er ahnte nicht, wie sehr er sich irrte... * Symaltin begab Kommandozentrale,
sich wie
in er
seine seinen
H.G.Ewers Bürotrakt tief im Innern von BOYSCH zu nennen pflegte. Es handelte sich um einen großen Saal mit kreisförmigem Grundriss, der von zahlreichen positronischen Ablegern der Zentralpositronik umgeben war: Hunderte röhrenförmige Elemente, die vom Boden bis zur fünfzehn Metern hohen Decke reichten und bei manchen Intelligenzen einen Vergleich mit Orgelpfeifen provoziert hätten. Der beinahe vierschrötige Autokrat bewegte sich tänzerisch leicht durch den Saal. Er bemühte sich stets, nicht zu fest aufzutreten, um wegen der geringen Schwerkraft keine Sprünge zu tun. Hinter seinem geschwungenen Arbeitstisch sank er auf den breiten Schwebesessel. Dort blieb er eine Weile still sitzen, bevor er die plump wirkenden Finger der großen, fleischigen Hände spielerisch leicht über die Schalttastatur gleiten ließ. Ein Trivideokubus schräg über und hinter der Tastatur erhellte sich und zeigte ein Abbild des Vorzimmers. Symaltins Gesicht rötete sich, als er seinen einzigen Sohn sah, der mitten im Vorzimmer stand und aufmerksam die Bildflächen beobachtete, auf denen die Andockstationen von zirka dreißig ausgefahrenen der insgesamt 220 Weichen zu sehen waren. Der Autokrat war stolz auf seinen Sohn, auch wenn er sich fast immer bemühte, es nicht zu zeigen. »Symaltinoron, du kannst jetzt hereinkommen!«, sagte er. Symaltinoron lächelte und trat durch das' sich automatisch vor ihm öffnende Schott. Er hatte noch nie eine politische Funktion innegehabt und zeigte deshalb seine Gefühle meistens offen. »Vater! « Er streckte beide Hände über den Arbeitstisch, und sein Vater ergriff sie kurz, bevor er seinem Sohn mit einem Wink zu verstehen gab, sich in den Besuchersessel zu setzen, der ihm direkt gegenüberstand. »Wie ich erfuhr, bist du von einer Mission nach Cranicorr zurückgekehrt, mein
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Der Zorn der Lordrichter Sohn«, sagte er. »Dort sollen unbekannte Gefahren lauern.« »Ich hatte den Auftrag meiner Akademie«, erklärte Symaltinoron. »Ich sollte mit einer ersten vorsichtigen Erkundung mehr über diese Gefahren herausbringen. Cranicorr gehört zu unserem Raumsektor. Wir müssen wissen, wie wir ihn einzustufen haben.« »Und wie würdest du ihn einstufen?« »Als geheimnisvoll«, antwortete sein Sohn ernst. »Und als eine Art Kommunikationspartner, denn die dort existierenden Intelligenzen haben der Gewalt abgeschworen. Sie sollten allerdings zurückhaltend und achtungsvoll behandelt werden.« »Dort existierende Intelligenzen?«, staunte Symaltin und presste sekundenlang die harthäutigen Lippen seines breiten Mundes zusammen. »Darüber steht nichts in den Berichtsbüchern.« Symaltinoron lächelte unwillkürlich, als sein Vater den Begriff »Berichtsbücher« gebrauchte, obwohl damit positronische Speichersektoren gemeint waren. Aber er war eben ungewöhnlich konservativ eingestellt. »Ich weiß, worüber du dich lustig machst, Sohn«, sagte Symaltin. »Du musst noch lernen, warum ich mich oft so konservativ ausdrücke. Es ist, weil BOYSCH immer in Gefahr schwebt, seine allseits respektierte galaktopolitische Position zu verlieren, wenn es sich nicht immer wieder auf die alten Werte besinnt. Und nur das drücke ich mit Begriffen wie >Berichtsbücher< aus.« »Entschuldige bitte, Vater!«, bat Symaltinoron. »Ich weiß, dass ich von dir lernen muss - und das werde ich auch. Was die auf Cranicorr existierenden Intelligenzen angeht: Sie existieren nur noch als Bewusstseine, die in irgendwelchen metallenen Speichern eingesperrt sind.« »Haben sie dir das gesagt?«, fragte der Autokrat atemlos. »Ich weiß von anderen Intelligenzen, ganz woanders. Die hatten versucht, ihre Bewusstseine in Metall zu speichern, um ewig zu leben. So etwas
H.G.Ewers endet stets in Verzweiflung, weil das kein Leben mehr ist.« »Sie haben es nicht gesagt, Vater«, antwortete der Sohn. »Jedenfalls nicht direkt. Wohl aber indirekt. Hör mal! >Wir alle, die das Leben lieben - sind hier und atmen keine Luft.< Oder: >Kein Leben mehr, doch wir sind aufgewacht.< Das ist doch eindeutig, oder?« »Ich denke, ja«, brummte Symaltin bedrückt. »Aber das macht sie zu seelischen Krüppeln und damit zu einer Gefahr.« »Nicht mehr, denke ich«, erwiderte Symaltinoron. »Sie sagten: >Früher sündigten wir oft im Zorn. Aber wir bereuen und haben resigniert.Raumsektor KatanaNach dem Sieg binde den Helm fester.