Nr. 383
Der Seelenräuber Begegnung der vertauschten Seelen von H. G. Francis
Der Flug von Atlantis-Pthor durch die Di...
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Nr. 383
Der Seelenräuber Begegnung der vertauschten Seelen von H. G. Francis
Der Flug von Atlantis-Pthor durch die Dimensionen ist erneut unterbrochen wor den. Der Kontinent, der auf die Schwarze Galaxis zusteuerte, wurde durch den Kor sallophur-Stau gestoppt. Pthor ist nun umschlossen von Staub und planetarischen Trümmermassen, die von einem gewaltigen kosmischen Desaster zeugen, das sich in ferner Vergangenheit zugetragen hat. Die Zukunft sieht also nicht gerade rosig aus für Atlan und seine Mitstreiter. Alles, was sie gegenwärtig tun können, ist, die Lage auf Pthor zu stabilisieren und eine ge wisse Einigkeit unter den verschiedenartigen Clans, Stämmen und Völkern herbeizu führen. Die angestrebte Einigkeit der Pthorer ist auch bitter nötig, denn Pthor bekommt es mit den Krolocs zu tun, den Beherrschern des Korsallophur-Staus. Während anhaltende krolocische Spähertätigkeit auf Pthor Atlan dazu bewegt, Vorbereitungen gegen eine drohende Invasion zu treffen, spitzt sich für zwei unter den Pthorern weilende Männer, deren Körper vertauscht sind, die persönliche Situati on dramatisch zu. Wir meinen Kennon, den Terraner, und Grizzard, den ehemaligen Schläfer. Letzterer betrachtet den anderen als Körperdieb und SEELENRÄUBER ….
Der Seelenräuber
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der König von Pthor befürchtet eine Invasion.
Kennon und Grizzard - Die vertauschten Seelen begegnen einander.
Thalia - Odins Tochter auf einer Suchexpedition.
Espher - Eine schöne Dalazaarin.
Axik - Ein Psycho-Vampir.
1. Espher »Jetzt du«, sagte sie und blickte ihn mit einem herausfordernden Lächeln an. »Ich wette, daß du fünf Runden schaffst.« Die Männer und Frauen im Saal lachten. Der bisherige Rekord stand auf drei Runden. Keiner von ihnen konnte sich vorstellen, daß irgend jemand ihn gleich um zwei weitere Runden übertreffen würde. Kennon fühlte, daß ihm das Blut in den Kopf schoß. Die dunklen Augen des Mäd chens verwirrten ihn. Er glaubte, noch nie mals zuvor eine so schöne Dalazaarin gese hen zu haben. Sie trug ein Kleid, das ihre weiblichen Reize stark betonte. »Ich habe es noch nicht versucht«, ent gegnete er. »Dann versuche es jetzt«, rief sie und streckte die Hand nach ihm aus. Jemand stieß ihm eine Faust in den Rücken, und er eilte stolpernd auf das Mädchen zu. Espher stand neben dem Schwermetallwa gen eines einfachen Sportgeräts. Der Wagen lief auf einer Schiene, die schräg in die Hö he führte. Sie verschwand in einer Öffnung in der Wand und fiel danach senkrecht in die Tiefe. Kennon wußte nicht, wie weit es nach unten ging, aber er schätzte, daß es mehrere Meter waren. Danach unterquerte sie den Raum, stieg auf der Rückseite wieder auf und kam aus einer Öffnung in der Wand her vor. Sie senkte sich leicht ab und stieg da nach wieder an. Damit war der Kreis ge schlossen. Espher legte ihre Hand auf den Metallwa gen, der mit einem Bügel versehen war. »Versuche es für mich«, bat sie mit wei cher Stimme.
Kennon-Grizzard atmete schwer. Ohne es zu wollen, streckte er die Hand nach dem Wagen aus. Einige Männer pfiffen anerken nend. »Los doch«, rief einer von ihnen. »Zeig, was du kannst.« Kennon kämpfte mit dem Verlangen, Es pher zu beweisen, wie stark er war. Er dach te an den verkrüppelten Körper, in dem er viele Jahre lang gelebt hatte. Wie hatte er diesen Körper geliebt! Das war kein Wunder gewesen, hatte er doch zuvor als Gehirn in einem Robotkörper existiert. Dabei war er mit umfassenden Fä higkeiten ausgestattet gewesen. Buchstäb lich alles hatte er vollbringen können. Wenn er mit diesem Körper hier gestanden hätte, er wäre in der Lage gewesen, den Metallwa gen aus der Schiene zu reißen oder ihn so zu beschleunigen, daß man ihn mit bloßem Au ge nicht mehr hätte verfolgen können. In dem Robotkörper hatte er sich jedoch nicht als Mensch gefühlt. Wäre er in seinem natürlich gewachsenen Körper gewesen, so hätte er den Metallwa gen noch nicht einmal mit seinen Händen er reicht – es sei denn, man hätte ihn auf eine Kiste gestellt. Auf gar keinen Fall hätte er ihm genügend Schwung geben können. Kennon blickte Espher an. Das Mädchen hätte ihn überhaupt nicht beachtet. Er wußte es. Sie bemühte sich nicht zuletzt um ihn, weil er ein schöner Mann war, der einen gut gewachsenen, mus kulösen Körper hatte. »Worauf wartest du?« fragte sie. »Wenn du es nicht versuchst, gehe ich.« »Ich versuche es«, versprach er. Sie lachte leise. Sie war sich ihrer Wir kung auf ihn bewußt und kostete sie voll aus.
4 Kennon legte die Hände um den Metall bügel. Er schwang den Wagen einige Male langsam auf der Schiene hin und her, riß ihn dann mit aller Gewalt nach vorn und schleu derte ihn die Steigung hoch. Der Wagen be schleunigte, jagte donnernd die Schiene hoch bis zu der Öffnung in der Wand, kippte über die Höhe und stürzte krachend in die Tiefe. Kennon hörte, wie er unter dem Fuß boden entlangraste. Er drehte sich um und sah ihn in der Öffnung in der Wand erschei nen. Der Wagen hatte genügend Geschwin digkeit. Er rollte rasch an ihm vorbei, stieg wieder auf, stürzte in die Tiefe, jagte don nernd unter ihm vorbei, erschien erneut in der Öffnung und setzte zu einer weiteren Runde an. »Drei Runden hast du geschafft«, sagte jemand neben ihm. Der Wagen schoß Sekunden später aber mals an ihm vorbei und stürzte zur vierten Runde in die Tiefe. Die Männer und Frauen brüllten begeistert. Espher klatschte jubelnd in die Hände. Sinclair Marout Kennon glaubte, die Blicke des Mädchens auf seinem Gesicht brennen zu fühlen. Sie waren wie körperli che Berührungen und lösten ein Glücksge fühl bei ihm aus, wie er es schon seit vielen Jahren nicht mehr gekannt hatte. Er hörte, wie der Metallwagen nahte. Er sah, wie er die Steigung hinaufkletterte, da bei langsamer und langsamer wurde. Er ver nahm die Schreie der Männer und Frauen, die in ein chaotisches Beifallsgebrüll ausar teten, als der Wagen die Höhe erklomm und zur fünften Runde in die Tiefe stürzte. Dabei beschleunigte er so stark, daß er wenig spä ter erneut neben Kennon erschien, seine restliche Geschwindigkeit jedoch auf der Steigung verlor. Espher zog sich verheißungsvoll lächelnd vor Kennon zurück, als die Männer und Frauen ihn jubelnd in die Höhe stemmten. Kennon hörte kaum, was man zu ihm sag te. Er ließ das Mädchen nicht aus den Au gen. Espher drehte sich plötzlich um und ver-
H. G. Francis ließ den Raum. Kennon versuchte, ihr zu folgen, doch die Menge ließ ihn nicht so schnell gehen. Schließlich befreite Kennon sich energisch und eilte zu der Tür, durch die Espher verschwunden war. Er riß sie auf und wollte hindurchgehen, als sich ihm ein riesiger Dalazaare in den Weg stellte. Der Mann überragte ihn um etwa einen halben Meter. Er hatte nur noch ein Auge. Das an dere verbarg er unter einer schmutzigen Au genbinde. Sein Gesicht war von Narben ent stellt. Er stieß Kennon-Grizzard um und ging an ihm vorbei. Kennon erhob sich und wollte durch die Tür gehen, doch der Riese packte ihn am Hals und riß ihn herum. »Fünf Runden, wie?« fragte er. »Ich wer de dir zeigen, wie so etwas gemacht wird.« Er zerrte Kennon-Grizzard quer durch den Raum, ohne ihm eine Abwehrchance zu bie ten. Die Männer und Frauen an der Metall schiene wichen zur Seite. Furchtsam mach ten sie dem riesigen Dalazaaren Platz. »Wer ist der Rekordhalter?« fragte der Riese. »Du bist es, Gorthan«, antwortete ein Del lo. »Das will ich meinen«, sagte Gorthan zu frieden grinsend. Er ließ Kennon-Grizzard los. »Der Stumme glaubt, mir etwas streitig machen zu können.« Er lachte dröhnend, legte seine Hand auf den Metallbügel, riß den Wagen einige Male hin und her und jagte ihn dann die Steigung hoch. Kennon-Grizzard wich einige Schritte zurück. Atemlos wie die anderen beobachte te er den Metallwagen, doch schon bald wurde ihm klar, daß Gorthan nicht mehr als drei Runden schaffen würde. Auch der riesige Dalazaare merkte es. Er wandte sich Kennon zu und streckte die Fäuste drohend nach ihm aus. »Du hast etwas am Wagen verstellt«, be hauptete er. »Das Ding funktioniert nicht mehr so wie früher. Du bist ein Betrüger.« Er stürzte sich brüllend auf Kennon, der ihm jedoch geschickt auswich. Die Fäuste zuckten dicht an seinem Kopf vorbei. Gleichzeitig versuchte Gorthan, ihn mit dem
Der Seelenräuber Knie zu treffen, doch auch das schaffte er nicht. Kennon-Grizzard tänzelte zur Seite, setzte einen Dagor-Griff an und schleuderte Gor than auf den Boden. Der Dalazaare schlug so hart auf, daß er betäubt liegen blieb. Eine junge Frau trat auf Kennon zu. »Verschwinde, Stummer«, sagte sie ha stig. »Er bringt dich um, wenn er wieder zu sich kommt.« Kennon hörte sie nicht. Er blickte an ihr vorbei zur Tür hinüber. Dort stand Espher. Sie lächelte bewundernd, und sie spitzte die Lippen zu einem angedeuteten Kuß. Er wollte zu ihr gehen. Der Wunsch, mit ihr zu sammen zu sein, wurde übermächtig in ihm. Doch jetzt trat ihm ein uniformierter Del lo in den Weg. »Ich habe eine Botschaft von Atlan für dich«, erklärte er. »Der König von Atlantis will dich sofort sehen.« Bedauernd blickte Kennon zu Espher hin über, doch sie war schon wieder verschwun den. Offenbar hatte sie erkannt, daß er nicht zu ihr gehen würde. Kennon befahl dem An droiden, ihn zu führen, und eilte aus dem Raum. Der Weg führte über gewundene Treppen, schräg ansteigende Rampen und lange Gän ge quer durch die FESTUNG zu den Räu men, in denen Atlan, der neue König von Atlantis, sich aufhielt. Kennon hatte Zeit, über sich und über Es pher nachzudenken. Mehr denn je war er sich dessen bewußt geworden, was es be deutete, nun in einem Körper zu leben, der andere beeindruckte. Kennon hatte weitgehend vergessen, wie glücklich er gewesen war, als die Traumma schine Ischtars ihm zu einem neuen Leben in seinem verwachsenen Körper verholfen hatte. Nach mehr als vierhundertdreißig Jah ren Leben in einer Vollprothese hatte er sich in seinem Körper wiedergefunden. Dieser Körper war schwach und voller Mängel ge wesen, aber es war ein menschlicher Körper gewesen. Der Kosmokriminalist dachte oft an die
5 sen Körper, da er wußte, daß dieser eben falls auf Pthor war. Doch jetzt sehnte er sich nicht mehr nach ihm zurück, so wie es am Anfang seiner neuen Existenz auf Pthor ge wesen war. Er wußte, daß Grizzard in die sem Körper lebte, und er konnte sich gut vorstellen, daß dieser damit gar nicht einver standen war. Kennon gestand sich ein, daß er sich gera dezu davor fürchtete, dem anderen zu be gegnen. Mehr denn je wurde er sich dessen bewußt, daß er nicht mehr tauschen wollte. Er mußte an Espher denken. Er erinnerte sich nicht daran, daß je eine Frau derartige Gefühle in ihm ausgelöst hat te. Was würde sie tun, wenn er in seiner ver krüppelten Gestalt vor sie trat und ihr erklär te, dies sei seine wahre Erscheinung? Sin clair Marout Kennon brauchte nicht lange nachzudenken. Er wußte, wie Espher sich verhalten würde. Sie würde sich von ihm ab wenden. Der Gedanke daran schmerzte ihn. Ich würde es niemals wagen, mich ihr zu nähern, wenn ich nicht diesen Körper hätte, fuhr es ihm durch den Kopf. Eine Tür öffnete sich vor ihm. Helles Licht flutete ihm entgegen. Er sah Atlan, der mitten im Saal stand und sich mit einem Ro botbürger unterhielt. Sein Haar glänzte sil bern. Lächelnd wandte der Arkonide sich ihm zu, als er ihn bemerkte. Atlan ahnte nicht, wer der Stumme wirk lich war. Er wußte jedoch, daß der verwach sene Kennon-Körper auf Pthor existierte, und fraglos schloß er daraus auch, daß das Kennon-Bewußtsein irgendwo auf Pthor war. Kennon-Grizzard blieb unwillkürlich ste hen, als sich der Robotbürger nicht von At lan entfernte. Er spürte Haß gegen den Ro botbürger in sich aufsteigen, es gelang ihm jedoch, ihn zu unterdrücken und weiterzuge hen. Auf keinen Fall wollte er sich durch seine Abneigung gegen Roboter verraten. »Ich danke dir«, sagte der Arkonide zu dem Robotbürger, und endlich rollte dieser auf seinen Ketten davon.
6 Der Stumme atmete erleichtert auf. »Setzen wir uns«, bat Atlan und zeigte auf bequeme Sessel, die unter einem Fresko mit einer Kampfszene standen. Der Saal befand sich in der Nähe des Regierungssaals. Er war nur etwa zwanzig Meter lang und zehn Meter breit, enthielt mehrere Tische und Sesselgruppen und diente für Empfänge kleinerer Gruppen. Atlan hatte die Einrich tungen nach seinem Geschmack verändert und allen übertriebenen Schmuck entfernen lassen. Zögernd ließ Kennon-Grizzard sich in einen Sessel sinken. Seltsamerweise fühlte er sich nicht wohl in der Nähe des Mannes, den er mehr verehrte als jeden anderen Men schen. Für Atlan war er bereit, alles zu ge ben. Doch bis jetzt hatte er sich ihm nicht of fenbart. Er hatte ihm nicht gesagt, mit wel chem Problem er zu leben hatte, denn er wußte, daß der Arkonide auch in seinem Fall eine klare und gerechte Lösung suchen wür de. Atlan würde darauf dringen, daß ein Per sönlichkeitstausch vorgenommen wurde. Wie würde ein solcher Tausch überhaupt aussehen? Atlan sagte einige unverbindliche Worte, und Kennon-Grizzard hörte sich darauf ant worten, ohne sich dessen bewußt zu sein, was er überhaupt sagte. Er konnte seine Ge danken nicht von seinem eigenen Konflikt lösen. Immer wieder hatte er sich gefragt, ob ein Persönlichkeitstausch überhaupt möglich war. Instinktiv fürchtete er sich davor, dem an deren direkt zu begegnen, denn er glaubte, daß bei einer Begegnung der Tausch auto matisch erfolgen würde. Kennon war davon überzeugt, daß ein Bewußtsein eine Form von Energie darstellte. Aus diesem Gedan ken heraus leitete er ab, daß zwischen den beiden Bewußtseinsinhalten eine Art energe tische Spannung entstehen würde, sobald sie sich räumlich nur weit genug näherten. Wie aber würden sich die beiden Energie einheiten verhalten? Würden sie sich gegen-
H. G. Francis seitig abstoßen? Würden sie in sich zusam menstürzen? Würden sie sich miteinander vereinigen, oder würde jede mit unwider stehlicher Gewalt zu jenem Körper gerissen werden, in dem sie geboren und gewachsen war? Logischerweise – so meinte Kennon – mußte es zu einem Tausch kommen, zu ei nem Ereignis also, das er auf gar keinen Fall wollte. »… habe ich mich entschlossen, ein Son derkommando zu bilden«, sagte Atlan. Sinclair Marout Kennon schreckte auf. Der Name Grizzard war gefallen. »Was ist denn?« fragte der Arkonide. »Es tut mir leid«, erwiderte Kennon. »Ich habe für einen Moment nicht zugehört. Ich habe …« »… an Espher gedacht?« Atlan lächelte, und die rötlichen Augen musterten den Stummen. Kennon fühlte, daß ihm das Blut in die Wangen schoß, und er ärgerte sich über die se Reaktion. »Worum geht es?« erkundigte er sich und bemühte sich um eine abweisende Haltung. »Ich nehme an, Espher hat nichts damit zu tun.« Atlan lachte. Er schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht«, erwiderte er. Für ihn war der Stumme ein Schläfer aus der Senke der Verlorenen Seelen, der nichts über seine Vergangenheit wußte oder nichts darüber er zählen wollte. Er respektierte, daß er sich darüber ausschwieg, und er versuchte auch gar nicht, Informationen von ihm zu bekom men, die seine Herkunft betrafen. Der Stum me war ihm sympathisch, und er fühlte sich zu ihm hingezogen. Atlan hatte davon ge hört, daß der Stumme sich für das Mädchen Espher interessierte, und er hatte Erkundi gungen über sie eingezogen. Diese waren ganz und gar nicht so ausgefallen, wie er er hofft hatte. Der Arkonide schwieg sich dar über jedoch aus, weil er wußte, daß es sinn los gewesen wäre, sein Gegenüber damit zu konfrontieren. Daher hatte Atlan beschlossen, den Stum
Der Seelenräuber men mit einer Aufgabe zu betrauen, die ihn für einige Zeit aus der FESTUNG wegführ te. Er hoffte, daß sich die Gefühle des Freundes danach etwas abgekühlt hatten. »Wir haben genügend Sorgen wegen der drohenden Invasionsgefahr«, führte Atlan aus. »Das heißt jedoch nicht, daß wir unsere Freunde vergessen.« »Natürlich nicht«, antwortete Kennon mä ßig interessiert. Es gelang ihm nicht, sich von den Gedanken an Espher zu befreien. »Ich habe eine seltsame Begegnung ge habt. Es geht dabei um einen alten Freund, doch ich habe nur seinen Körper gesehen. In diesem Körper existierte ein anderes Be wußtsein.« Sinclair Marout Kennon war plötzlich hellwach. Wie weggewischt waren die Ge danken an Espher. »Dieser Körper steckte in der Rüstung Porquetors. In ihm lebt ein gewisser Griz zard.« War es Zufall, daß Atlan ausgerechnet ihn zu sich gerufen hatte? Kennon hatte das Ge fühl, den Boden unter sich zu verlieren. Sei ne Finger krallten sich in die Polster des Sessels. »Ich mache mir nun Sorgen um einen alten Freund«, fuhr Atlan fort. »Ich möchte, daß du diesen Grizzard suchst. Für mich ist klar, daß nicht nur dieser Körper hier auf Pthor materialisiert sein kann, das KennonBewußtsein muß auch hier irgendwo sein. Und ich möchte, daß es eine Chance erhält, in den eigenen Körper zurückzukehren.« Kennon schwindelte. Wußte Atlan, wie die Wahrheit aussah? Wollte er ihn aus seiner Reserve locken und ihn zwingen, sich zu offenbaren? Oder war es einfach nur eine Ironie des Schicksals, daß Atlan ausgerechnet ihn als Leiter des Suchkommandos abstellte? Die Kehle wurde Kennon so eng, daß er kein Wort über die Lippen brachte. Verwundert blickte Atlan ihn an. Er berichtete dem Stummen über die Be gegnung mit dem Kennon-Körper und der Porquetor-Rüstung.
7 Kennon erfuhr, daß sein Körper schon hier in der FESTUNG gewesen war, diese aber wieder verlassen hatte: Atlan eröffnete ihm, daß das in diesem Körper existierende Grizzard-Bewußtsein sich verzweifelt wünschte, in den eigenen Körper zurückkeh ren zu können, und daß es entschlossen war, um diesen Körper zu kämpfen. Kennon wurde sich dessen bewußt, daß Grizzard nur ein wenig zu warten gebraucht hätte, dann wäre er ihm fraglos begegnet, und alles wäre vorbei gewesen. Welch ein Glück, daß Grizzard dem Arkoniden nicht geschildert hatte, wie dieser Körper aussah. Oder hatte er es doch getan? Mußte er At lans forschende Blicke so deuten, daß der Arkonide die Situation genau kannte? Sinclair Marout Kennon spürte, wie sich alles in seinem Inneren verkrampfte. Vor seinen Augen flimmerte es. Er hatte das Ge fühl, kurz vor einem Zusammenbruch zu stehen. »Was ist los?« fragte Atlan befremdet. »Stimmt etwas nicht?« Die Frage traf Kennon wie ein Blitz schlag. Ihm wurde plötzlich klar, daß er sich auf keinen Fall verraten durfte. »Es ist alles in Ordnung«, antwortete er mit schwankender Stimme. Er legte sich die Hände vor den Magen. »Ich habe nur etwas gegessen, was mir nicht bekommen ist. Aber ich habe bereits ein Medikament genommen. Kein Grund also, vom Thema abzuwei chen.« Kennon merkte, daß Atlan sich um ihn sorgte, dennoch konnte ihm nicht recht sein, daß der Arkonide sich um ihn bemühte. Kennon kannte den Freund außerordentlich gut. Er wußte, wie intelligent er war und welche Kombinationsgabe er besaß. Ein Ge heimnis vor ihm zu bewahren, war so gut wie unmöglich, wenn man sich nicht voll unter Kontrolle hatte. War es nicht vielleicht doch besser, Atlan die Wahrheit zu sagen? Durfte er den Freund überhaupt in dieser Weise täuschen? Kennon wandte sich Atlan zu in der fe sten Absicht, ihm alles zu sagen. Er wollte
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die Last loswerden, die ihn fast erdrückte. In diesem Augenblick aber schoß ihm der Gedanke an Espher durch den Kopf. Er sah ihr lächelndes Gesicht vor sich, und er glaubte, ihre Blicke auf seinen Wangen brennen zu spüren. »Ich werde den Auftrag erfüllen«, sagte er mühsam beherrscht. »In einer Stunde breche ich auf.« Er verneigte sich linkisch vor Atlan und eilte aus dem Raum.
2. Konflikte Wie von Sinnen stürmte Kennon weiter, als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Er wollte allein sein und mit niemandem sprechen. Selten zuvor in seinem Leben hat te er sich so unglücklich gefühlt wie in die sen Minuten. In einem blaugetönten, runden Raum blieb er stehen. In der Mitte des Raumes be fand sich ein Springbrunnen. Kennon blickte in das Wasser. Sein linkes Lid zuckte heftig, so wie es bei seinem eige nen Körper auch gewesen war. Trotz aller Mühe gelang es ihm nicht, das Zucken zu unterdrücken. Schließlich tauchte er das Ge sicht in das Wasser des Brunnens. Kennon erinnerte sich an die Jugend und an das Leben, das er vor seiner »Zweitgeburt« geführt hatte. Er war ein häß licher Zwerg gewesen, nicht größer als 1,52 Meter, schwach wie ein Kind und stets dem Spott der anderen ausgesetzt. Er hatte einen Riesenschädel mit vorquellenden Augen, ei nem spitzen Kinn, strohgelben, dünnen Haa ren und abstehenden, viel zu großen Ohren gehabt. Sein tonnenförmiger Körper hatte die kurzen und zu dünnen Beine viel zu stark belastet. Daran hatten die riesenhaften Füße auch nichts geändert, die eher zu ei nem Clown, denn zu einem Mann von dieser Gestalt gepaßt hätten. Die Schönheiten und Genüsse des Lebens waren ihm verschlossen geblieben. Liebe und Zuneigung hatte er auch als Kind nicht erfahren. Bis zum heutigen Tag wußte er
nicht, wer seine Eltern gewesen waren. Sie hatten ihn als Kleinkind ausgesetzt, und nie mand hatte sich die Mühe gemacht, seine Herkunft zu klären. Sinclair Marout Kennon war sich dessen bewußt, daß er es nie geschafft hatte, die seelischen Wunden zu schließen, die ihm die Jugend und sein Äußeres geschlagen hatten. Nur ein einziges Mal in seinem Leben hatte er die wirkliche Liebe einer Frau emp fangen. Das war im altarkonidischen Reich gewesen. Ansonsten hatten ihn Frauen stets nur mitleidig oder verächtlich angesehen, wenn er sich ihnen genähert hatte. Jetzt aber war alles anders. Er lebte ein drittes Leben, und es erschien ihm wie eine echte Reinkarnation. Er war auf Pthor existent geworden, je doch nicht in seinem verkrüppelten Körper, nicht in seinem Robotkörper, sondern in dem vollendet gewachsenen, athletischen Körper von Grizzard, dem Schläfer aus der Senke der Verlorenen Seelen. Er hob den Kopf aus dem Wasser empor und atmete einige Male tief durch. Das Lid hatte sich beruhigt. Was Wunder, daß Grizzard sich in dem verwachsenen Körper nicht wohl fühlte und in seinen eigenen Körper zurückkehren wollte! Kennon selbst verspürte nicht die ge ringste Neigung, in diesem Körper zu leben. In den ersten Stunden seiner Ankunft auf Pthor hatte er sich in dem Körper Grizzards nicht heimisch gefühlt. Er hatte das Bestre ben gehabt, wieder in seinen eigenen Körper zu kommen und alle damit verbundenen Nachteile in Kauf zu nehmen. Doch mittlerweile war alles anders. Bot sich ihm in diesem Körper nicht die Möglichkeit, alle geistigen Vorteile, die er besaß, voll zu nutzen? Konnte er Atlan auf diese Weise nicht unendlich viel besser die nen? Ergab sich daraus nicht geradezu die Pflicht, sich in diesem Körper zu behaupten? War es wirklich nur ein Zufall gewesen, der ihn in diesen gesunden und schönen Körper versetzt hatte? Kennon mochte es nicht glauben, und je länger er darüber nach
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dachte, desto mehr setzte sich in ihm die Überzeugung fest, daß es eine Macht im Hintergrund gab, die die Weichen gestellt hatte. Überrascht stellte Kennon fest, daß er über Grizzard so gut wie nichts wußte. Griz zard hatte zu den Schläfern gehört. Vor eini ger Zeit war er erwacht und nackt aus seiner Schlafkammer entkommen. Das war alles, was über ihn bekannt geworden war. Einem Kosmokriminalisten vom Range Sinclair Marout Kennons konnte das nicht genug sein. Kennon lächelte plötzlich. Seltsam, daß ich nicht früher darauf ge kommen bin, dachte er. Der Schläfer war nicht grundlos in Schlaf versetzt worden. In seiner Vergangenheit mußte es einen dunklen Punkt geben. Viel leicht hatte er Verbrechen begangen, die so schwerwiegend waren, daß er zu ewigem Schlaf verurteilt worden war? Kennon trat zurück bis an die Wand. Er sank in einen Sessel. Rede dir nichts ein, sagte er zu sich. Be wahre deinen kühlen Verstand! Natürlich sträubst du dich dagegen, in den verkrüppel ten Körper zurückzukehren. Hast du aber das Recht, einen anderen Körper für dich in Anspruch zu nehmen, und einen anderen zu einem Leben in deinem eigenen Körper zu verdammen? Kennon fühlte, daß er nahe daran war, den Verstand zu verlieren. Wie sollte er sich verhalten? Was sollte er Atlan sagen? Konnte er es sich leisten, sich nicht intensiv um den anderen zu kümmern – um Grizzard im Kennon-Körper? Kennon erhob sich. Er hatte das Bedürfnis, mit irgend jeman dem über sein Problem zu sprechen. Nur Espher kam in Frage.
* Atlan hatte keinen Verdacht geschöpft. Er wunderte sich lediglich über das seltsa me Verhalten des Stummen. Ihm war aufge
fallen, wie verwirrt dieser gewesen war. Angst hatte sein Gesicht gezeichnet. Daraus schloß Atlan, daß er sich in die sem Mann geirrt hatte. Offenbar war er bei weitem nicht so mutig, wie er angenommen hatte. Der Arkonide war in höchstem Maß beun ruhigt wegen der bestehenden Invasionsge fahr. Unbekannten Kräften war es gelungen, den Wölbmantel zu durchdringen, der Pthor umgab. Verteidigungsmöglichkeiten schien es dagegen nicht zu geben. Kaum hatte der Stumme ihn verlassen, als einige Dellos den Saal betraten und ihm mit teilten, daß wiederum einige Flugscheiben gesichtet worden waren. Diese Nachricht steigerte die Sorgen Atlans noch weiter, so daß er schließlich nicht mehr an den Stum men dachte. Vorläufig beschäftigte ihn die Tatsache, daß eine fremde Macht Atlantis bedrohte, und daß sie über eine Durchdringungsener gie verfügte, mit der sie den Wölbmantel neutralisierte. Damit war die Gefahr einer Invasion ganz erheblich gestiegen. Daher richteten sich die Gedanken Atlans in erster Linie auf Abwehrmaßnahmen, nur hin und wieder einmal dachte er an den Stummen und an Grizzard, dessen Bewußtsein im Körper Sinclair Marout Kennons existierte. Das war der Fall, als Thalia ihm begegne te. Er traf sie in einem Arbeitsraum, in dem Dellos statische Unterlagen und Berechnun gen der FESTUNG sichteten. »Ich habe eine Bitte«, sagte er zu der Tochter Odins, nachdem er sie begrüßt hatte. »Schon erfüllt«, antwortete sie. »Ich wollte eigentlich den Stummen damit beauftragen«, erklärte er, »aber ich habe nicht den Eindruck, daß er die Aufgabe be wältigen kann. Daher ist es besser, wenn du für ihn einspringst.« »Gern. Sobald ich weiß, worum es geht, ziehe ich los.« Atlan beschrieb ihr die Aufgabe. »Du sollst also diesen Grizzard finden«, schloß er seine Ausführungen. »Ich glaube
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nicht, daß das schwierig ist, da er in der Por quetorrüstung recht auffällig ist. Wenn du ihn gefunden hast, bringe ihn hierher in die FESTUNG. Ich hoffe, daß ich mit seiner Hilfe dann feststellen kann, wo das KennonBewußtsein ist. Mir liegt viel daran, mit die sem alten Freund wieder einmal reden zu können. Kaum jemand hat für mich soviel getan wie er.« »Du kannst dich auf mich verlassen«, er widerte sie. »Und sei vorsichtig«, mahnte er. »Mir machen die Fremden ziemliche Sorgen, weil sie den Wölbmantel durchbrechen können. Es wäre gefährlich für Pthor, wenn sie dich fangen und entführen würden.« Sie lachte. »Keine Angst, Atlan, ich passe schon auf mich auf.« Er blickte ihr nach, als sie davoneilte. Dann wandte er sich einem der Dellos in sei ner Nähe zu. »Sagt dem Stummen Bescheid, daß ich ihm den Auftrag entzogen habe«, befahl er.
* Er fand Espher in einer Halle, in der sich zahlreiche Männer, Frauen und Kinder bei Spielen unterschiedlichster Art amüsierten. Sie stand an einem Automaten und lachte immer wieder silberhell auf, wenn es ihr ge lang, durch die geschickte Abstimmung mehrerer Magnete komische Figuren zu er zeugen. Kennon blieb etwa zwanzig Meter von ihr hinter einer Säule stehen und beobachtete sie. Sein Herz schlug schneller als zuvor, und seine Augen brannten. Die Schönheit des Mädchens schlug ihn in seinen Bann. Gern wäre er zu ihr gegangen, doch er woll te sie nicht stören, zumal er sah, wieviel Spaß ihr das Spiel machte. Sie trug einen braunen Anzug mit langen Hosen, der aussah, als sei er aus Leder ge macht. Er schmiegte sich eng um sie und brachte ihre Figur vorteilhaft zur Geltung. Ihre Füße steckten in hochhackigen Stiefeln,
die sie größer erscheinen ließen, als sie war. Weich fiel ihr das schimmernde Haar bis auf die Schultern herab. Kennon bemerkte, daß einige Dellos spöt tische Bemerkungen über ihn machten, doch das störte ihn nicht. Als er sich gerade entschlossen hatte, zu Espher zu gehen, trat ein Dello an sie heran, legte seine Hand gegen ihren Arm und reichte ihr etwas. Sie drehte sich um. Ihr Ge sicht verzerrte sich, und zornig stieß sie den Androiden von sich. »Was fällt dir ein, Krüppel!« rief sie. Der Dello eilte beschämt davon. Er hinkte stark, und Kennon sah, daß sein linkes Bein kürzer war als das rechte. Der Bann war gebrochen! Sinclair Marout Kennon löste sich von der Säule und ging zu dem Mädchen hin. Sie sah ihn, und ihr Gesicht entspannte sich. »Ich bin froh, daß du gekommen bist.« »Du hast dich geärgert«, stellte er fest. Ihre Stirn umwölkte sich. »Ist das ein Wunder?« fragte sie. »Dieser Krüppel hat mich berührt.« »Was ist daran so schlimm?« erkundigte er sich erheitert. »Lache nicht«, rief sie zornig. »Ich hasse Krüppel. Ich ekle mich vor allem Häßli chen.« Ihre Worte trafen Kennon bis ins Innerste. Er erbleichte, und unwillkürlich blickte er an sich herab, um sich davon zu überzeugen, daß er sich wirklich im Grizzard-Körper be fand. »Er kann sicherlich nichts dafür, daß ein Bein kürzer ist als das andere«, wandte er vorsichtig ein. »Bestimmt kann er etwas dafür«, antwor tete sie heftig. »Jeder Krüppel kann das.« Er war so verblüfft, daß er nichts zu sagen wußte. Espher lachte. »Worüber unterhalten wir uns denn«, rief sie. »Was geht uns dieser Krüppel an?« Sie hakte sich bei ihm unter und zog ihn mit zu einem anderen Automaten, bei dessen Spiel äußerste Reaktionsschnelligkeit und
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logisches Denken verlangt wurden. »Ich verstehe dich nicht, Espher«, sagte er, als sie mit dem Spiel begann. »Wieso sollte ein Krüppel für sein äußeres Bild ver antwortlich sein.« »Das liegt in ihrem Charakter begründet«, erwiderte sie. »Und noch tiefer. In den Ge nen, aus denen sie entstanden sind. Für mich steht fest, daß bei einem Krüppel das äußere mit dem inneren Bild übereinstimmt. Wie er aussieht, so ist auch sein Charakter.« Was sie sagte, war absolut falsch und er schütterte ihn. In diesen Sekunden aber war Kennon feige. Er wagte nicht, Espher zu wi dersprechen, weil er fürchtete, sie werde ihn einfach stehenlassen und davongehen. Gleichzeitig wurde ihm mit aller Deut lichkeit bewußt, welche Katastrophe ihm nahte. Jetzt war ganz klar, wie Espher sich verhalten würde, falls Grizzard seinen Kör per zurückerobern würde. Der Dalazaare Gorthan näherte sich ih nen. Er blickte Kennon finster an und blieb neben ihm stehen. »Ich soll dir sagen, daß Atlan dir den Auf trag entzogen hat«, erklärte er. »Thalia wird erledigen, wozu du offensichtlich nicht fähig bist.« Sinclair Marout Kennon sah rot. Seine Fäuste schossen vor und bohrten sich in den Leib des Dalazaaren, der jedoch mit einem solchen Angriff gerechnet hatte und ihn mühelos abwehrte. »Zeig's ihm«, rief Espher ihnen zu. Ken non bezog diese Aufforderung auf sich, während Gorthan davon überzeugt war, daß er gemeint war. Der Dalazaare stürzte sich auf Kennon und brachte ihn mit einer geschickt ange setzten Beinschere zu Fall. Dann warf er sich über ihn und krallte ihm die Hände um den Hals. »Jetzt ist es aus mit dir«, sagte Gorthan keuchend. »Du wirst Espher nie mehr belä stigen.« Er drückte mit aller Gewalt zu.
Thalia war froh, die FESTUNG für ein paar Tage verlassen zu können. Sie fühlte sich in der FESTUNG beengt. Zudem war sie brennend daran interessiert, mehr über jene geheimnisvollen Fremden zu erfahren, denen es mühelos gelungen war, den Wölb mantel zu durchdringen. Sie rief fünfzehn Dellos zusammen und rüstete sie mit einfachen Waffen wie Mes sern und leichten Schwertern aus. Stärkere Waffen hielt sie nicht für notwendig, da sie meinte, sich vor den Fremden stets rechtzei tig verstecken zu können. Außerdem glaubte sie, daß die wilden Zeiten auf Pthor endgültig vorbei waren. Zwar gab es hier und da noch Zwischenfälle durch herumstreifende Horden, doch ihnen maß sie kein großes Gewicht bei. Als Toch ter Odins fühlte sie sich sicher. Niemand würde es so ohne weiteres wagen, sie anzu greifen. Von Porquetor-Grizzard aber war ganz und gar keine Gefahr zu erwarten. Ihn galt es lediglich zu finden und in die FESTUNG zu bringen. Das war unter Umständen eine Aufgabe von nur wenigen Stunden. Sie erklärte den Dello Antrat zum Unter führer, damit sie sich bei ihren Anweisungen an die Dellos nicht mit jedem einzelnen von ihnen befassen mußte. Antrat war ein untersetzter Mann mit eckigen Schultern, tief liegenden Augen und einem lippenlosen Mund. Er machte einen intelligenten und willensstarken Eindruck, so daß sie glaubte, sich auf ihn verlassen zu können. »Du bleibst grundsätzlich in meiner Nä he«, befahl sie. »Du kannst dich auf mich verlassen«, er widerte er, während sie die FESTUNG ver ließen. Thalia bestieg mit ihm und fünf anderen Dellos einen Zugor, verteilte die anderen Dellos auf einen anderen und startete.
3. Ein gefährlicher Plan
*
12 Sinclair Marout Kennon glaubte, das töd liche Krachen seines Kehlkopfes zu hören. In der gleichen Sekunde wurde er zum in stinktgeleiteten Dagorkämpfer, der mit ver nichtender Präzision und Wucht arbeitet. Bis zu diesem Moment hatte er sich gescheut, vor den Augen Esphers mit aller Härte auf zutreten, weil er fürchtete, sie dadurch zu er schrecken. Jetzt aber ging es um sein Leben. Kennons Hände zuckten hoch. Die Fin gerspitzen fuhren Gorthan in die Seiten. Er traf die Schmerzpunkte, und der Dalazaare warf sich aufschreiend zur Seite. Seine Hän de lösten sich vom Hals Kennons. Doch damit endete der Abwehrkampf noch nicht. Ellenbogen und Knie traten in Aktion. Eine Serie von Schlägen trommelte auf Gorthan herab, der sich durch die Flucht zu retten versuchte. Kennon packte ihn an den langen Haaren, wirbelte ihn herum und streckte ihn mit einem weiteren Schlag zu Boden. Der Dalazaare blieb liegen. Kennon rieb sich die Kehle. »Er hätte mich fast umgebracht«, sagte er mit krächzender Stimme. »Dieser Narr. Hat er den Verstand verloren?« »Ich hatte eher den Eindruck, daß du nicht mehr wußtest, was du tust«, bemerkte Es pher. Er drehte sich zu ihr um. Er wagte kaum, sie anzusehen, weil er meinte, sie werde nun vor ihm zurückweichen. Doch er irrte sich. Ihre Worte waren scherzhaft gemeint gewe sen. Sie trat an ihn heran, schlang ihre Arme um seinen Nacken und küßte ihn. »Ich hatte keine Ahnung, daß du so kämp fen kannst«, flüsterte sie. »Gorthan wird nicht wieder wagen, mir nahe zu kommen. Er hat endgültig die Nase voll.« »Ich liebe dich, Espher«, antwortete er mit stockender Stimme. Sie strich ihm mit dem Finger über die Nase, blickte ihm lächelnd in die Augen und sagte: »Ich dich doch auch, du Dummchen.« Kennon schwankte vor Glück. Er war un fähig, irgend etwas zu sagen.
H. G. Francis Gorthan richtete sich stöhnend auf. Er tippte Kennon auf die Schulter. Gelassen löste sich dieser aus den Armen des Mäd chens. Er fühlte sich dem Dalazaaren nun weit überlegen. »Laß Espher los«, befahl Gorthan. »Geh«, entgegnete Kennon. »Und laß dich nie wieder hier sehen.« Gorthan drehte sich um und ging schwei gend hinaus. »Täusche dich nicht«, sagte das Mädchen. »Er kneift nicht. Das ist nicht seine Art. Er wird kämpfen. Er kommt zurück, aber nicht allein, sondern zusammen mit seinen Freun den. Es sind mehr als zehn.« »Soll er kommen«, sagte der Terraner. »Wichtig ist, daß du dich für mich entschie den hast.« »Das habe ich«, erwiderte sie. »Ich möchte mit dir reden. Irgendwo. Nur nicht hier. Vielleicht können wir nach drau ßen in den Park gehen?« Sie schüttelte den Kopf. »Tut mir leid«, sagte sie. »Mein Dienst beginnt in ein paar Minuten. Ich habe keine Zeit. Später.« »Ich rede mit Atlan, dann hast du soviel Zeit, wie du willst.« »Lieber nicht. Ich möchte keinen Ärger. Sei geduldig.« Sie hauchte ihm einen Kuß auf die Wange und eilte hinaus. Dabei benutzte sie einen anderen Ausgang als Gorthan, wie er mit stiller Freude bemerkte. Einer der Dellos zupfte ihm am Ärmel. »Du solltest auch gehen«, riet er ihm. »Wir haben Gorthan und seine Freunde schon öfter erlebt. Sie sind bereit zu töten, und gegen zehn kräftige Männer oder noch mehr kannst du auch nichts ausrichten.« »Sie werden nicht kommen.« »Du irrst dich. Sie kommen bestimmt. Sei klug, und geh ihnen aus dem Weg. Espher hat dann weniger Ärger.« Kennon verstand nicht ganz, was der Del lo damit meinte. Ihm war jedoch wichtig, daß Espher nicht wollte, daß er mit Gorthan kämpfte. Er wollte ihr Unannehmlichkeiten
Der Seelenräuber ersparen, ohne sich darüber klar zu sein, weshalb sie welche haben würde, wenn er kämpfte. Die Worte Esphers und die des Dellos hätten ihm eigentlich sagen müssen, daß eine Beziehung zwischen ihr und dem riesenhaften Dalazaaren bestand, doch da von wollte er nichts wissen, und daher ver drängte er die Gedanken daran. Im Hochgefühl seines Glücks verließ er den Spielsaal durch eine dritte Tür, so daß er Gorthan nicht begegnete. Er kam wenig später an einer Gruppe von Dellos vorbei, die an einem komplizierten Kabelsystem arbeiteten, das sie in einer Wand freigelegt hatten. Der Name Thalia fiel, und jemand sagte etwas von Porquetor. Kennon hatte das Gefühl, in einen Ab grund zu stürzen. Wieder fragte er sich, was geschehen würde, wenn er Grizzard und seinem ver wachsenen Körper begegnete. Fraglos wür de Thalia ihn aufspüren. Vielleicht wußte sie sogar, wo er sich befand, so daß sie schon in wenigen Stunden zurück sein würde. Dann war die Katastrophe unvermeidlich. Der Bewußtseinstausch würde stattfinden, ohne daß er es verhindern konnte. Espher würde sich Grizzard nähern und ihn nicht mehr beachten. Kennon war sich dessen ganz sicher, daß es so sein würde. Kennon eilte an den Dellos vorbei. Er irr te planlos durch die Gänge und Räume der FESTUNG, bis er endlich auf eine winzige Kammer stieß, in der sich niemand aufhielt. Hier ließ er sich auf einen Hocker sinken. Er vergrub das Gesicht in die Hände und ver suchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Es gab keinen Ausweg aus seiner Situati on. Das Glück war wieder einmal gegen ihn. Du mußt kämpfen! ging es ihm durch den Kopf. Du hast mit Gorthan gekämpft und gewonnen. Du wirst Espher verlieren, wenn du den Kampf nicht fortsetzt bis zum bitteren Ende. Kennon verlor sich in uferlosem Haß ge gen Grizzard, durch den er sich in seiner Existenz bedroht fühlte.
13 Was blieb ihm unter diesen Umständen anderes übrig, als mit allen Mitteln zu kämp fen? Kennon hob den Kopf und blickte die Wand an. Seine Augen füllten sich mit Trä nen. Er hatte keine andere Wahl. Er mußte Grizzard töten. Der verkrüppel te Körper mußte sterben, und mit ihm das Grizzard-Bewußtsein. Nur dann konnte er hoffen, ein neues und schöneres Leben be ginnen zu können, das ihm endlich all das bescherte, was er über Jahrhunderte hinweg hatte entbehren müssen. Kennon verließ den Raum, irrte noch eini ge Zeit in der FESTUNG umher und verließ diese schließlich. Er trat in den Park hinaus. Ein lauer Wind wehte ihm entgegen. Er brachte den Duft von Tausenden von blü henden Blumen mit. Kennon blieb stehen. Er erinnerte sich an Alt-Arkon, wo er sich Lebo Axton genannt hatte. Auch dort hatte es Parkanlagen von atemberaubender Schönheit gegeben. Und wie jetzt hatte er auch dort stets das Gefühl gehabt, daß die Parkanlagen atmeten. Sie strömten ein Lebensgefühl aus, das ihn er füllt hatte. Sinclair Marout Kennon ging langsam weiter an einigen Dellos vorbei bis hin zu ei nem mit Blüten übersäten Baum. In ihm glaubte er, einen terranischen Tulpenbaum wiederzuerkennen. »Du suchst Thalia?« fragte jemand hinter ihm und riß ihn mit diesen Worten aus sei nen Träumen. Er fuhr herum, als habe man ihn bei einem Verbrechen ertappt. »Wer sagt das?« erwiderte er heftiger, als er eigentlich wollte. Vor ihm stand ein Dello, der ihn ver schüchtert anblickte. Er hielt ein Gartengerät in den Händen. »Niemand«, sagte er stammelnd. »Ich dachte nur, ich könnte dir einen Gefallen tun.« Kennon fing sich. Er zwang sich zur Ru he. Gleichzeitig sagte er sich, daß Thalia un ter Umständen einen entscheidenden Hin
14 weis darauf erhalten haben konnte, wo sich Grizzard aufhielt. Wenn das der Fall war, dann mußte er ihr so schnell wie möglich folgen, da er Grizzard auf keinen Fall hier in der FESTUNG töten wollte. Er lächelte. »Du hast recht«, sagte er. »Entschuldige. Ich war nur ein wenig erschrocken. Natür lich suche ich Thalia. Wohin ist sie geflo gen?« »Sie hat einen Zugor genommen und ist in Richtung Donkmoon geflogen. Ein zwei ter Zugor mit Helfern ist ihr gefolgt.« »Ich benötige einen Zugor«, erklärte Ken non. »Besorge mir einen.« »Das kann ich nicht«, entgegnete der Del lo. »Der neue Herrscher hat alle einschlie ßen lassen, um sie vor den Invasoren in Si cherheit zu bringen. Du müßtest Atlan fra gen.« Der Terraner wußte mittlerweile, daß es sinnlos gewesen wäre, den Dello umzustim men oder ihm Befehle zu geben, die denen Atlans widersprachen. Kennon schickte ihn an seine Arbeit zu rück und ging wieder zur FESTUNG. Er war entschlossen, sich einen Zugor zu besorgen, da er ohne ein derartiges Fluggerät nicht be weglich genug war. Als er einem anderen Dello begegnete, er kundigte er sich bei ihm, wo er einen Zugor finden konnte. Geduldig hörte er sich an, daß er keinen Zugor haben könne, weil At lan alle Fluggeräte habe einschließen lassen. Danach ließ er sich beschreiben, wo sie un tergebracht waren, lobte den Dello mit freundlichen Worten und schickte ihn fort. Er war sich dessen sicher, daß der Dello nicht argwöhnisch werden würde. Kennon betrat die FESTUNG wieder und eilte zielstrebig voran, bis er endlich einen Hangar betrat, in dem die Fluggeräte der Technos abgestellt waren. Wie erwartet, be fand sich keine einzige Wache in der Nähe. Kennon arbeitete etwa zehn Minuten lang. Dann öffnete sich ein Schott vor ihm, er flog in einem Zugor aus dem Hangar, und das Schott schloß sich wieder hinter ihm.
H. G. Francis Er beschleunigte und entfernte sich schnell von der FESTUNG. Hin und wieder blickte er zurück, bis er sich dessen sicher war, daß ihm niemand folgte. Dann konzentrierte er sich ganz auf die Jagd, die vor ihm lag. Es galt, Grizzard und den verwachsenen Körper zu vernichten, oh ne daß es zu einem Tausch der Bewußtseins inhalte kam. Der Tod mußte blitzschnell über Grizzard kommen, so daß diesem keine Abwehrmöglichkeit mehr blieb.
* Grizzard blieb in einer Senke zwischen zwei Hügeln stehen. Er wußte nicht genau, wo er war, sein Instinkt sagte ihm jedoch, daß er sich jenem Gebiet näherte, aus dem er gekommen war, und in dem er lange Zeit geschlafen hatte. Die Feste Grool und die Stahlquelle, bei der er eine Lanze gefunden hatte, lagen weit hinter ihm. Mit einigem Bedauern dachte er an Caidon-Rov. Ihm tat leid, daß er ihn hatte enttäuschen müssen, doch meinte er, keine andere Wahl gehabt zu haben. Seine eigenen Interessen gingen vor. Auch jetzt hatte er den Schock noch nicht überwunden, in einem verkrüppelten und äu ßerst schwachen Körper leben zu müssen. Ein einziger Wunsch beseelte ihn. Er wollte heraus aus diesem Körper und in seinem eigenen leben. An diesen erinnerte er sich deutlich, obwohl sonst fast alles aus seiner Vergangenheit im Dunkeln lag. Er wußte, daß er in einer Art Glaspalast ge schlafen hatte. Und hier, so meinte er, mußte der Persönlichkeitsaustausch vorgenommen worden sein, auf eine Weise, die ihm völlig unerklärlich war. Lange Zeit hatte er vergeblich darüber nachgedacht, wie ein solcher Tausch über haupt möglich war. Er war durch das Land geirrt, hatte sich im Blutwald verborgen ge halten und den Kontakt mit allen gemieden, die in seine Nähe kamen. Sein Verstand hat te sich geweigert, die Wahrheit zu akzeptie ren. Erst als Grizzard gemerkt hatte, daß er
Der Seelenräuber sich selbst bis an den Rand des Wahnsinns trieb, war es ihm gelungen, sich zu fangen. Der Kämpfer in ihm war erwacht. Er wollte um seinen Körper kämpfen. Die Phase der Depressionen war weitgehend überwunden. Jetzt wollte er zumindest ver suchen, zu seinem Recht zu kommen. Während er zwischen den beiden Hügeln stand und einige Stiere beobachtete, die auf einer Lichtung weideten, sagte er sich, daß sein Körper logischerweise irgendwo in der Nähe sein mußte. Voller Haß dachte er an jenes Wesen, das in dem verkrüppelten Kör per gelebt hatte, und dem es – wie er meinte – mit einem Trick gelungen war, sich in einen anderen Körper zu versetzen. Er gestand sich ein, daß er sich ein wenig vor diesem Wesen fürchtete. Immer wieder überlegte er, wie es sein konnte. Er schrieb ihm magische Kräfte zu. Wäre sonst ein Per sönlichkeitstausch möglich gewesen? Und er glaubte, daß er es mit einem Geg ner voller Heimtücke und Boshaftigkeit zu tun hatte. Ein schlimmeres Verbrechen, als jenes, dem er zum Opfer gefallen war, konnte er sich nicht vorstellen. Selbst ein Mord erschi en ihm dagegen weniger entsetzlich, da die Leiden des Opfers mit der Tat zu Ende wa ren, während seine erst begannen und sich von Tag zu Tag steigerten. Er kam nicht auf den Gedanken, daß sein Gegenspieler von dem Persönlichkeitstausch ebenso überrascht worden sein könnte wie er selbst auch. Stets ging er davon aus, daß der andere den Tausch gezielt und mit voller Absicht durchgeführt hatte. Er glaubte, Op fer eines geplanten Verbrechens geworden zu sein. Daher sagte er sich, daß er zunächst ein mal herausfinden mußte, mit welchen Mit teln der andere ihn überlistet hatte. Danach mußte er selbst versuchen, den gleichen Trick anzuwenden und seinen Gegner in den richtigen Körper zurückzuzwingen. Vielleicht genügte es auch schon, nur in seine Nähe zu kommen. Grizzard stellte sich vor, daß zwischen
15 Bewußtsein und Körper eine gewisse Anzie hungskraft bestand, die dazu führte, daß bei de zueinander fanden, wenn sie sich nicht weit genug einander näherten. Grizzard schreckte aus seinen Gedanken auf, als er Metall klirren hörte. Gleichzeitig stoben die Stiere in wilder Flucht davon. Er drehte sich neugierig um sich selbst, ent deckte jedoch nichts Ungewöhnliches. Vorsichtig ging er weiter, wobei er die Porquetor-Rüstung geschickt steuerte. Mitt lerweile hatte er überhaupt keine Schwierig keiten mehr damit, sie so zu lenken, wie er wollte. Fast schien es, als sei er mit ihr ver wachsen. Ein Zugor flog in etwa fünfhundert Me tern Entfernung an ihm vorbei. Er wollte nicht gesehen werden und zog sich unter ei nige Bäume zurück. Die Maschine landete hinter einer Bauminsel. Grizzard hatte gesehen, daß mehrere Ge stalten darin saßen, konnte jedoch wegen der großen Entfernung niemanden erkennen. Neugierig geworden, löste er sich aus sei nem Versteck und eilte auf die Stelle zu, an der er den Zugor vermutete. Er spielte mit dem Gedanken, sich die Maschine anzueig nen. Noch wußte er nicht, wie sie bedient wurde, er hoffte jedoch, sich fehlendes Wis sen durch einige Experimente schnell ver schaffen zu können. Mit einem Zugor, so meinte er, war er unabhängig und beweg lich. Er konnte alle Ziele mühelos erreichen. Nach einem Fußmarsch von etwa einer halben Stunde durch teils sumpfiges Gebiet, das ihn zu weiten Umwegen zwang, durch querte er ein kleines Wäldchen, und bald sah er Metall durch die Bäume schimmern. Ab wartend blieb er stehen und horchte. Er hörte ein seltsames Knistern und Klir ren wie von brechendem Metall, das er sich nicht erklären konnte. Vorsichtig schritt er weiter voran, jederzeit gefaßt, sich gegen einen Angreifer verteidigen zu müssen. Plötzlich klirrte und schepperte es, als stürze ein Berg leerer Blechdosen um. Se kunden später war es wieder still. Grizzard konnte sich die Geräusche nicht
16 erklären. Irgend etwas in ihm warnte ihn und drängte ihn zur Flucht. Doch dagegen wehr te er sich. Er fühlte sich in der Rüstung des Halbroboters sicher und konnte sich nur schwer vorstellen, daß es etwas gab, was ihm wirklich gefährlich werden konnte. An dererseits war er sich der Schwäche des ver wachsenen Körpers bewußt, in dem er leben mußte, und er wußte, daß er hilflos allen Ge fahren ausgesetzt war, sobald ihm jemand die Rüstung abnahm. Schritt für Schritt tastete er sich vor, wo bei er immer wieder auf den Boden vor sich blickte, um zu verhindern, daß er auf einen Ast trat und dabei Geräusche verursachte. Schließlich trennte ihn nur noch ein Busch von dem Zugor. Er trat vorsichtig um ihn herum und erstarrte. Etwa ein Drittel des Zugors fehlte. Grizzard konnte deutlich sehen, daß ir gend jemand ein großes Teilstück aus dem Zugor herausgerissen und diesen dabei zer stört hatte. Auf den ersten Blick war zu er kennen, daß die Maschine nicht mehr flie gen würde. Kabel und Maschinenteile hin gen aus dem aufgebrochenen Teil heraus. Grizzard befand sich nördlich des Regen flusses zwischen dem Dämmersee und der Senke der Verlorenen Seelen. Die Insassen des Zugors, die aus nicht erkenntlichen Gründen gelandet waren, entfernten sich von der Maschine. Sie waren bereits so weit ge gangen, so daß Grizzard sie kaum noch se hen konnte. Eine seltsame Spur führte vom Zugor weg zu einer Felsgruppe. Grizzard trat aus dem Wäldchen hervor und näherte sich dem Wrack. Er hoffte, dar in noch irgend etwas zu finden, was er ge brauchen konnte, doch er wurde enttäuscht. Was wichtig war, hatten die Insassen offen bar mitgenommen. Ein seltsames Klirren und Scheppern ließ Grizzard mitten in der Suche aufblicken. Ein länglicher Blechhaufen näherte sich ihm. Er sah aus, als ob er aus zahllosen, übereinan der geschichteten Blechplatten bestand, un ter dem sich ein Tier verkrochen hätte.
H. G. Francis Während Grizzard mitten in dem Wrack stand, kam der Blechhaufen näher und nä her, bis er endlich erfaßte, daß er es mit ei nem lebenden Wesen zu tun hatte. Unwill kürlich schrie Grizzard auf. Er bemerkte, daß der Blechhaufen vier Beine hatte, auf denen er sich bewegte, und daß an seiner Vorderseite so etwas wie ein Rachen gähnte. Grizzard wich zurück. Er begriff, daß die ses Wesen den gelandeten Zugor zerstört hatte. Sein Verstand sträubte sich gegen den Gedanken, daß es ein Geschöpf gab, das Metall fraß, bis er sah, wie sich der Rachen mehr und mehr weitete. Der Blechhaufen schien sich in zwei Hälften zu spalten und zur gewaltigen Baggerschaufel zu werden. Grizzard wich entsetzt zurück. Bis jetzt hatte er sich in der Rüstung sicher gefühlt. In ihr wähnte er sich so unangreifbar wie ein Kre bs in seinem Panzer. Doch was konnte er ge gen ein metallfressendes Wesen tun? Er hob seine Lanze und richtete sie gegen das Wesen, das klirrend und scheppernd über dem Rand des Zugors aufstieg. Die Metallpranken zerfetzten das Verkleidungs material. Grizzard blickte auf die breite und ge zackte Spitze der Lanze. Diese bestand aus blau schimmerndem Stahl. Plötzlich zweifelte er daran, daß er damit etwas ausrichten würde. Dennoch stieß er mit aller Kraft zu. Die Spitze grub sich kra chend in die Blechplatten, so daß er bereits glaubte, gewonnen zu haben. Um so über raschter war er, als das Metallwesen die Lanze mit explosiver Gewalt zurückschleu derte. Grizzard hielt sie so fest gepackt, daß er selbst hintenüber stürzte, über den Rand des Zugors hinwegfiel und auf den Boden prallte. Entsetzt versuchte er, die Rüstung wieder auf die Beine zu bringen, doch in seiner Er regung verwechselte er die Hebel der Schal tung. Die Rüstung schlug mit den Armen und Beinen um sich und wühlte den Boden auf. Über dem Rand erschien zischend und brüllend der Metallfresser. Grizzard stieß
Der Seelenräuber
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ihm panikartig die Lanze gegen den Leib. Diese wurde erneut zurückgeschleudert, doch dieses Mal hatte er damit gerechnet. Die Stahlhände umklammerten sie, als sie einen Meter tief in die Erde fuhr. Geschickt zog er sich daran hoch, so daß er auf den Beinen stand, als sich das Monstrum auf ihn stürzte. Er sprang zur Seite. Laut krachend schlugen die Metallkiefer zusammen. Sie verfehlten ihn nur um weni ge Zentimeter. Grizzard wich weiter zurück. Er hatte sich davon überzeugt, daß es am Zugor nichts mehr gab, was er gebrauchen konnte. Daher wollte er sich nun nur noch in Sicherheit bringen. Er wagte es jedoch nicht, dem ge fährlichen Metallfresser den Rücken zuzu wenden, und flüchtete daher rückwärts schreitend. Das Wesen, das aussah wie ein nachlässig aufgeschichteter Haufen Blechplatten, folgte ihm. Dabei bewegte es sich so langsam, daß Grizzard zu der Ansicht kam, daß er ihm mühelos weglaufen konnte. Er drehte sich um und beschleunigte. Das Land lag frei vor ihm. Keinerlei Hin dernisse waren ihm im Weg. Daher meinte Grizzard, es geschafft zu haben. Er war ungefähr fünfzig Meter weit ge kommen, als ein Stoß in den Rücken ihn zu Boden schleuderte. Die Lanze flog weit von ihm weg und bohrte sich etwa zwanzig Me ter von ihm entfernt in den Boden. Grizzard steuerte die Porquetor-Rüstung panikartig aus und warf sie herum, so daß er auf den Rücken stürzte. Das metallfressende Ungeheuer warf sich mit weit aufgerissenem Rachen auf ihn.
4. Spuren im Sand Sinclair Marout Kennon blickte zur FE STUNG zurück, die langsam hinter ihm im Dunst verschwand. Die Entscheidung war gefallen. Wenn er zur FESTUNG zurückkehrte,
würde er Atlan einiges zu erklären haben. Das würde nicht einfach werden. Er kannte den Arkoniden gut genug. Oft genug hatte er seinen Scharfsinn bewundert und erlebt, wie kristallklar der Logiksektor dachte. Doch war die Situation auf Pthor anders, als sie auf der Erde gewesen war. Dort hatten Atlan Mutanten zur Seite gestanden, die selbst in schwierigen Fällen die Wahrheit zutage brachten. Hier auf Pthor war Atlan auf sich allein angewiesen. Es würde ein geistiges Duell werden, das Kennon glaubte, gewin nen zu können. Sobald der Kennon-Körper tot war, konnte er sich zurückziehen und warten. Irgendwann würde er sich wieder in den Vordergrund spielen, ohne dabei seine wahre Identität preisgeben zu müssen. Kennon preßte die Lippen verbittert zu sammen. Das alles gefiel ihm nicht. Ein solches In trigenspiel widersprach seinem Charakter, da es nicht galt, negative Kräfte zu bekämp fen, sondern einen Freund zu betrügen. Kennon preßte die Hand gegen das linke Auge, als das Lid zu zucken begann. Vielleicht war es besser, umzukehren und einen anderen Weg zu suchen? Kennon hörte etwas pfeifen. Er wirbelte herum. Eine Scheibe näherte sich ihm. Sie hatte einen Durchmesser von etwa zwanzig Metern. Auf ihrer Oberseite erhob sich ein seltsamer Klumpen. Kennon schrie auf. Eine derartige Scheibe hatte er schon ein mal beobachtet. Mittlerweile wußte er, daß sie von Wesen gesteuert wurde, denen es auf noch unbekannte Weise gelang, den Wölb mantel zu durchdringen. Die Scheibe jagte direkt auf ihn zu. Der Pilot schien ihn nicht zu sehen, oder er woll te ihn rammen. Verzweifelt versuchte Kennon, den Zugor zur Seite zu reißen. Es gelang ihm, ihn eini ge Meter weit aus der Kollisionszone her auszuführen, ganz konnte er sich jedoch nicht retten. Die Scheibe prallte krachend gegen die Seite des Zugors und schleuderte ihn schräg in die Höhe. Kennon klammerte
18 sich an die Steuerelemente, während sich die Maschine in der Luft überschlug. Er konnte sich halten. Als der Zugor sich wieder aufrichtete, riß und zerrte Kennon an den Hebeln, weil er hoffte, ihn so abfangen zu können. Er war jedoch nicht gut genug mit der Maschine vertraut. Der Zugor neigte sich nach vorn und stürzte in die Tiefe. Erst kurz über dem Boden gelang es dem Stummen, ihn abzu fangen. Doch es war zu spät. Der Zugor schlug mit der Unterseite auf den steinigen Boden und zerbrach in zwei Teile. Kennon flog im hohen Bogen aus der Maschine her aus. Er sah eine Stichflamme aus den Trüm mern schießen und hörte, daß etwas explo dierte. Dann stürzte er kopfüber in einen Busch. Instinktiv streckte er die Arme aus. Die weich federnden Zweige fingen ihn ab und nahmen ihm den Schwung. Er rutschte in den Busch hinein und blieb schließlich zwischen den Zweigen stecken, ohne sich verletzt zu haben. Er befreite sich in aller Eile daraus und wollte weiterfliehen, falls weitere Teile des Zugors explodieren sollten. Doch schon nach wenigen Schritten merkte er, daß da nichts mehr war, was ex plodieren konnte. Das Antriebsaggregat war nur noch Schrott. Eine rote Flüssigkeit sickerte aus mehreren Rissen hervor, entzün dete sich jedoch nicht, als sie mit einem brennenden Plastikteil in Berührung kam. Kennon blickte an sich herab. Er war völ lig unversehrt. Auch seine Hosen, die aus ei nem lederartigen Material bestanden, waren nicht beschädigt worden. Er hatte kaum faß bares Glück gehabt. Lächelnd drehte er sich zu dem Busch um, der ihn aufgefangen hatte. Er wollte ihm scherzhaft danken. Das Lächeln erstarb ihm auf den Lippen. Der Busch war verschwunden. Spuren im Sand zeigten an, wo sich die Wurzeln aus dem Boden gehoben hatten und wohin sich der Busch zurückgezogen hatte. Kennon fröstelte plötzlich. Mit was für ei nem Wesen hatte er es zu tun gehabt? Hatte es ihn bewußt und mit voller Absicht abge-
H. G. Francis fangen? Kennon hatte plötzlich das Gefühl, daß der ganze Wald aus beweglichen, intelligen ten Wesen bestand, die ihn beobachteten und belauerten. Er hastete weiter und ent fernte sich vom Wald. Dabei wurde ihm be wußt, wie groß der Verlust war, den er erlit ten hatte. Jetzt konnte er Thalia nicht mehr schnell genug folgen. Schon jetzt war er weit hinter ihr zurück. Der Zusammenprall mit dem ovalen Flugkörper und der damit verbundene Zeitverlust mußten dazu führen, daß er sie vollends aus den Augen verlor. Er rannte in das Land hinaus, das sich steppenartig im Norden bis zum Horizont er streckte. Südlich von ihm erhob sich ein Berg. Kennon vermutete, daß es der Taam berg war, von dem er in der FESTUNG mehrfach gehört hatte. Demnach mußte sich östlich von ihm das Wache Auge befinden, während westlich die Senke der Verlorenen Seelen lag. Nach Westen war Thalia geflo gen. Hatte sie Informationen darüber, daß sich Grizzard in dem verwachsenen Körper in der Senke der Verlorenen Seelen aufhielt? Kennon blickte sich einige Male um. Nie mand folgte ihm. Er lief dennoch weiter, weil es ihm Freude machte, sich in seinem kräftigen und sportlichen Körper zu bewe gen. Er steigerte seine Geschwindigkeit im mer mehr, weil er herausfinden wollte, wie schnell er laufen konnte, bis ihm der Atem knapp wurde. Ihm erschien einleuchtend, daß sich Griz zard in der Senke der Verlorenen Seelen aufhielt. Dort war er im Grizzard-Körper er wacht. Dort war der Tausch vollzogen wor den. Daher lag auf der Hand, daß Grizzard dort nach einem originalen Körper suchte. Kennon blieb stehen. Er drehte sich um und blickte zurück. Deutlich zeichnete sich die Spur ab, die er im Sand zurückgelassen hatte. Er war leicht zu verfolgen, wohinge gen Thalia durch keinerlei Zeichen verriet, wohin sie tatsächlich geflogen war. Er strich sich mit den Händen über die Hüften. Er bedauerte, daß er keinerlei Waffen mit
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genommen hatte.
wicht und stürzte vornüber auf den Boden. Grizzard lenkte die Rüstung von dem We sen fort, ohne es aus den Augen zu lassen. Er beobachtete, daß es schließlich das Bein vom Körper abtrennte und schwerfällig in den Wald flüchtete. Grizzard eilte zu der Lanze, die noch im mer im Boden steckte, schulterte sie und rannte weiter nach Norden. Er konnte sich nicht erklären, woher das metallfressende Wesen gekommen und wie es entstanden war. Er vermutete jedoch, daß es ein Ge schöpf der Stahlquelle war, aus der er die Lanze entnommen hatte. Etwa zwei Stunden später erreichte er den Rand der Senke der Verlorenen Seelen. Von hier aus fiel das Land sanft ab bis hin zum tiefsten Punkt im Mittelbereich der Senke. Überall erhoben sich die gläsern erscheinen den Paläste aus dem Grün des bestellten Landes. Grizzard sah Wiesen und Felder, auf denen schwarzhaarige Technos arbeite ten. Der Anblick der Paläste erweckte Erin nerungen in ihm. Sie waren jedoch vage und an keine bestimmten Ereignisse gebunden. Er wußte, daß er schon einmal hier gewesen war, die näheren Umstände kamen ihm je doch nicht in den Sinn. Grizzard versuchte gar nicht erst, sich mehr ins Gedächtnis zu rufen. Seine Auf merksamkeit richtete sich auf eine Siedlung, die sich in der Nähe befand. Zahllose Hütten und Zelte bildeten ein chaotisches Durchein ander, in dem sich viele Geschöpfe der un terschiedlichsten Art bewegten. Er sah hu manoide Wesen, Vierbeiner, vogelähnliche Geschöpfe und unförmige Gestalten, wie sie ihm nie zuvor begegnet waren. Er beschloß, die Siedlung zu betreten und hier Nachforschungen nach seinem Körper anzustellen.
* Grizzard kämpfte um sein Leben. Verzweifelt schlug er um sich. Die stäh lernen Fäuste trommelten auf die Blechplat ten des metallfressenden Wesens, ohne eine entscheidende Wirkung zu erzielen. Mit Mühe und Not verhinderte er, daß Kopf oder Arme zwischen die zermalmen den Kinnladen gerieten. Das Wesen schnaufte und brüllte vor Gier und versuch te, die Rüstung mit den Beinen zu zertrüm mern, als es merkte, daß Grizzard nicht be reit war, sich so ohne weiteres auffressen zu lassen. Panikartig schaltete Grizzard, wobei es ihm wie ein Wunder erschien, daß es ihm gelang, Fehlsteuerungen zu vermeiden. Als sich ihm eine Chance bot, dem monströsen Wesen zu entkommen, rollte er sich zur Sei te. Die metallenen Pranken gruben sich tief in den weichen Boden. Einige Sekunden vergingen, bevor der Metallfresser merkte, daß sein Opfer nicht mehr an der alten Stelle war. Brüllend hastete er hinterher. Er schleu derte Grizzard wieder zu Boden, als dieser sich gerade aufrichtete. Wiederum fiel der in der Rüstung Eingeschlossene auf den Rücken, so daß er seinen Gegner durch die Schlitze im Helm sehen konnte. Eine der Pranken schlug krachend auf ihn herab. Grizzard packte sie und wollte sie zur Seite reißen, als ihm plötzlich eine Idee durch den Kopf schoß. Er stieß die Pranke hoch und schob sie di rekt in den Rachen des monströsen Wesens hinein. Dieses biß mit aller Kraft zu und zer malmte die Pranke. Brüllend vor Schmerz fuhr es zurück. Grizzard richtete die Porquetor-Rüstung in aller Eile auf. Er beobachtete, wie das Wesen sich vergeblich bemühte, die verletz te Pranke aus seinem eigenen Rachen zu be freien. Sie geriet, von Metallzacken geris sen, weiter und weiter in den Rachen hinein. Dabei verlor der Metallfresser das Gleichge
* Költer blickte sich vorsichtig um. Nie mand hielt sich in seiner Nähe auf. Zwi schen den Hütten und Zelten war es ruhig. Außerdem waren sie so weit entfernt, daß
20 von dort aus kaum jemand erkennen konnte, was er tat. Dennoch zögerte er. Er hockte auf einem Stein zwischen zwei Feldern, auf denen Getreide wuchs. Es war eine besonders hochwertige Art, die hier an gebaut wurde. Der zu erwartende Ertrag war weitaus höher als bei anderen Sorten. Den noch war Költer dagegen gewesen, diese an zubauen, weil die Pflanzen zuviel Wasser benötigten. Weit mehr als die Hälfte des Wassers, das aus dem einzigen Brunnen der Siedlung geschöpft werden konnte, wurde für die Bewässerung der Felder benötigt. Das hieß, daß ständig zu wenig Wasser für die Bewohner der Siedlung vorhanden war. Doch er selbst benötigte nicht viel. Wich tiger waren die Lebensbirnen, die er auf ei nem Feld von fünf Metern Länge und vier Metern Breite anbaute. Mehr Platz hatte man ihm nicht zugestanden. Die Lebensbir nen waren lebenswichtig für ihn. Ohne sie konnte er nicht existieren. Daher hatte er auch einige Keimlinge bei sich gehabt, als man ihn gefangengenommen hatte. Und als er aus dem Schlaf erwacht war, da waren sie noch da gewesen. Ohne sie wäre er längst tot gewesen. Doch auch so waren seine Zukunftsaus sichten äußerst schlecht. Die Pflanzen benö tigten viel mehr Wasser, als die Wasserkom mission ihm zugeteilt hatte. Vergeblich hatte er gegen die geringe Ration protestiert. Nie mand hatte auf ihn gehört. Dabei hätte jeder sehen können, der sich dafür interessierte, daß die Pflanzen kaum Früchte trugen und einzugehen drohten. Költer blieb keine andere Wahl. Er mußte hin und wieder heimlich Wasser auf das winzige Feld führen, wenn er die Pflanzen retten wollte. Dazu hatte er ein raffiniertes System ent wickelt. Die Lebensbirnen wuchsen etwa fünfzig Meter von ihm entfernt. In mühevol ler Kleinarbeit, ständig von Entdeckung be droht, hatte er unter aufgeschichteten Stei nen eine Leine versteckt, mit der er von hier aus ein Holzschott bedienen konnte. Damit
H. G. Francis öffnete er einen Wasserkanal, und Wasser flutete zu den Lebensbirnen. Nachdem Költer sich davon überzeugt hatte, daß ihn niemand beobachtete, zog er an der Leine. Er spürte den Widerstand, überwand ihn und öffnete damit das Schott. Langsam zählte er bis zehn. Dann ließ er die Leine los, so daß sich das Schott wieder schloß. Auf diese Weise hatte er sich etwa zwanzig Liter Wasser mehr beschafft, als ihm zustand. Er erhob sich und klopfte sich zufrieden mit den Händen gegen die schuppigen Schenkel. Es war geschafft. Als er sich gerade umwenden und in die Siedlung zurückkehren wollte, lösten sich zwei Technos aus einem der beiden Getrei defelder. Sie schritten zu dem Feld mit den Lebensbirnen und betrachteten es. Költer erschrak. Die beiden Technos sa hen, daß das Feld frisch bewässert worden war. Sie würden ihn verraten, wenn sie ihn entdeckten. Er duckte sich und rannte auf die Hütten zu, doch schon nach wenigen Schritten blieb er stehen. Vier Technos ka men hinter einer Hütte hervor. Sie hielten Waggus in den Händen, mit denen sie ihn lähmen konnten, wie er mittlerweile wußte. Die anderen Technos eilten vom Feld her bei. »Er hat Wasser gestohlen«, erklärten sie. »Wir haben es gesehen.« Költer griff sich verzweifelt an die Hör ner, die aus seinem geschuppten Schädel wuchsen. »Damit habe ich nichts zu tun«, erwiderte er. »Wir beobachten dich seit Tagen«, sagte einer der Technos verächtlich. »Jetzt ist für uns alles klar. Du brauchst nichts mehr zu bewässern, denn du wirst in Zukunft nichts mehr für dich benötigen.« Kälter wollte ihnen erläutern, warum er Wasser genommen hatte, doch sie ließen ihn nicht zu Wort kommen. Sie führten ihn in die Siedlung. Einer von ihnen richtete stän dig seinen Lähmstrahler auf ihn und machte damit deutlich, daß eine Flucht unmöglich
Der Seelenräuber war. Wenige Minuten später betraten sie zu sammen mit ihm eine Holzhütte, die aus sorgfältig behauenen Baumstämmen errich tet war. Hinter einem Tisch saß ein hochge wachsener Mann. Er hatte flammend rotes Haar, eine dunkle, rötliche Haut und strah lend blaue Augen. Einer der Technos berich tete von Költers Tat. »Dir sind die Gesetze bekannt, die wir al le gemeinsam für unsere Siedlung erarbeitet haben?« fragte der Mann mit den hellen Au gen. »Ich kenne sie, Dorguet«, antwortete Käl ter. »Dann weißt du auch, welche Strafe du zu erwarten hast«, stellte Dorguet fest. »Laß mich doch erklären«, rief Költer er regt. »Ich habe eine viel zu kleine Wasserra tion zugeteilt bekommen. Sie ist so gering, daß die Pflanzen dabei nicht gedeihen kön nen. Den Pflanzen zu wenig Wasser zu ge ben, ist Wasserverschwendung, weil am En de doch nichts dabei herauskommt.« »Das alles spielt keine Rolle«, sagte Dor guet. »Du lebst in unserer Gemeinschaft. Du weißt, daß wir alle in unserer Existenz be droht sind. Jeder Wassertropfen ist wichtig. Auf jedes Getreidekorn kommt es an. Daher sind unsere Gesetze hart. Ich habe die trauri ge Pflicht, dir zu eröffnen, daß du dein Le ben verwirkt hast.« »Nein, Dorguet, höre mich an«, schrie der Geschuppte. »Ich habe in Notwehr gehan delt.« »Du hättest zu mir kommen können. Das hast du nicht getan. Du hast dich entschie den, gegen das Gesetz zu verstoßen. Das Ur teil wird vollstreckt.« Er gab den Technos ein Zeichen. Einer von ihnen löste seinen Lähmstrahler aus. Kälter brach mit einem Schrei zusammen. »Werft ihn in den Schacht«, befahl Dor guet. Die Technos hoben den gelähmten Kälter auf und trugen ihn hinaus. Sie brachten ihn an den nördlichen Rand der Siedlung. Hier befand sich, von einer kreisförmigen Mauer
21 eingeschlossen, ein Schacht, von dem nie mand wußte, wozu er einmal gedient hatte. Niemand hatte bisher herausgefunden, wie tief er war. Ließ man Steine hineinfallen, so konnte niemand hören, wann sie aufschlu gen. Es schien, als führe der Schacht bis in die Unendlichkeit. Einer der Technos strich Kälter über das Gesicht und schloß seine entsetzt geweiteten Augen. Dann gab er den anderen ein Zei chen. Sie warfen Kälter über die Mauer, und er stürzte in den Schacht. »Die Gesetze sind hart«, sagte einer der Technos, »aber sie sind gerecht. Nur so kön nen wir überleben.« »Er tut mir leid«, entgegnete ein anderer. »Vielleicht brauchte er wirklich mehr Was ser, als die Kommission ihm gegeben hat.« »Mag sein«, sagte der erste. »Doch das ändert nichts. Vergiß nicht, daß über zwei hunderttausend Geschöpfe aller denkbaren Arten hier in der Senke der Verlorenen See len leben. Wenn auch nur zehn Prozent von Ihnen unsere selbstgeschaffenen Gesetze mißachten würden, wäre es das Ende für uns alle.« »Ich habe kein Mitleid mit ihm«, erklärte ein Techno, der sich bislang abseits gehalten hatte. »Der Geschuppte hat genau gewußt, was er tat. Er hat versucht, uns zu überlisten. Das ist ihm nicht gelungen. Die Strafe ist gerecht. Jetzt lebt einer weniger in unserer Siedlung. Das bedeutet, daß wir anderen ein wenig besser dran sind als bisher.«
* »Wo ist der andere Zugor?« fragte Thalia, als sie sich der Feste Grool im Westen von Pthor näherte. »Ich weiß es nicht«, antwortete Antrat. »Er ist vorhin gelandet«, erklärte einer der anderen Dellos. »Ich habe es gesehen.« Thalia zog die Flugmaschine herum und ging auf Gegenkurs. »Warum hat mir das niemand gesagt?« fragte sie ärgerlich. Die Dellos blickten sie schweigend an.
22 Sie waren frei von Schuldgefühlen. Thalia sah ein, daß es keinen Sinn hatte, ihnen Vor würfe zu machen. Sie begriffen nicht, wie wichtig es für sie gewesen wäre, über den Ausfall des anderen Zugors informiert zu werden. Jetzt hatte sie unnötig Zeit verloren. Wäh rend sie nun wieder nach Osten raste, über legte sie, ob sie nicht auch auf die anderen Dellos verzichten konnte. In den Zugor konnte sie sie nicht aufnehmen. Damit hätte sie ihn überlastet. Sie wollte jedoch wissen, warum die Dellos den anderen Zugor aufge geben hatten, und dann wollte sie verhin dern, daß die Androiden sich einfach irgendwo verloren und auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Sie wollte sie sinnvoll für die Suche nach Grizzard einsetzen. Kennon irrte sich mit seiner Annahme, daß sie wußte oder ahnte, wo Grizzard war. Sie hatte nicht mehr Informationen als er und war auf reine Vermutungen angewiesen. Sie hatte die Feste Grool als Ziel gewählt, weil sie hoffte, von Caidon-Rov einige Aus künfte zu bekommen. Immerhin war Griz zard bei Caidon-Rov gewesen. Nach etwa einer Stunde Flug machte An trat sie auf eine Gruppe von zehn Dellos auf merksam, die sich am nördlichen Ufer des Regenflusses versammelt hatte. Sie landete in ihrer Nähe und winkte die Androiden zu sich heran. »Die Maschine des Zugors hat versagt«, erklärte ihr einer der Dellos, nachdem sie sich danach erkundigt hatte, wo der Zugor geblieben war. »Wir mußten ihn aufgeben.« Der Dello beschrieb nun genau, wo sie gelandet waren. Thalia wollte den Zugor nicht so ohne weiteres aufgeben. Sie schätz te die Dellos nicht besonders hoch ein und glaubte, den Zugor reparieren zu können. Sie befahl den Dellos, nach allen Richtun gen auszuschwärmen und nach Grizzard Ausschau zu halten, dann flog sie weiter. Etwa fünfzehn Minuten später hatte sie die Stelle erreicht, an der das Wrack des Zu gors lag. Fassungslos landete sie daneben, wobei sie darauf achtete, daß sie keine Spu-
H. G. Francis ren zerstörte. Sie befahl den Androiden, im Zugor zu bleiben und stieg allein aus. Kopfschüttelnd untersuchte sie das Wrack. Sie konnte sich nicht erklären, wo durch die Maschine so schwer beschädigt worden war. Etwa ein Drittel des Zugors war verschwunden. Davon hatten ihr die Dellos nichts gesagt. Die Spuren, die die Dellos zurückgelassen hatten, waren deutlich zu erkennen. Sie führ ten in westlicher Richtung vom Zugor weg. Dann waren da aber noch andere Spuren. Sie zeugten von einem schweren Kampf zwi schen zwei offenbar riesigen Wesen. Der Sand war weich und fein. In ihm zeichneten sich keine klaren Umrisse ab, so daß Thalia nur ahnen konnte, daß einer der beiden Kämpfer ein humanoides Wesen gewesen war. Über das Äußere des anderen konnte sie sich keine Vorstellungen machen. Sie folgte den Spuren des humanoiden Wesen, bis dieses festeren Boden erreicht hatte. Hier hatten seine Füße deutliche Ab drücke hinterlassen. Sie drehte sich um und blickte zum Zugor zurück. Sie wollte Antrat zurufen, daß sie die Spur Grizzards gefunden hatte. Da sah sie, daß ein monströses Wesen, das aus wahllos aufgeschichteten Blechplatten zu bestehen schien, auf den Zugor zukroch. Schlagartig begriff sie, was mit dem anderen geschehen war. Sie rannte wie von Sinnen auf den Zugor zu, in dem die Dellos ahnungslos schwat zend saßen.
5. Die Verzweifelten Grizzard versteckte sich hinter einem Baum und beobachtete. Er wollte kein Risi ko eingehen. Andererseits wußte er, daß er die Siedlung früher oder später betreten mußte. Irgendwann mußte er etwas essen und trinken. Viel benötigte er nicht, aber oh ne Hilfe konnte er nicht leben. Er überlegte flüchtig, ob er die PorquetorRüstung ablegen sollte, weil er sich dann un
Der Seelenräuber ter die Bewohner der Siedlung mischen konnte, ohne soviel Aufsehen zu erregen wie in der Rüstung. Diesen Gedanken ver warf er jedoch rasch wieder, weil er allzu schwach war, wenn er auf die Rüstung ver zichtete. Er sagte sich, daß er notfalls aus der Siedlung fliehen konnte, wenn man ihn nicht aufnehmen wollte. Dabei würde ihm die Rüstung entscheidend helfen. Er löste sich aus der Deckung des Baumes und marschierte auf die Hütten und Zelte zu. Kaum war er etwa zwanzig Schritte weit ge kommen, als die Männer und Frauen auf den Feldern auf ihn aufmerksam wurden. Sie rie fen sich gegenseitig etwas zu, und einige von ihnen eilten zur Siedlung. Wenig später tauchte eine Gruppe von et wa dreißig Männern zwischen den Hütten auf. Grizzard sah, daß alle Männer bewaff net waren. Die meisten trugen Lanzen und Schwerter. Es waren überwiegend Technos, aber auch einige humanoide Gestalten, die anderen Sternenvölkern entstammten, waren darunter. Grizzard ging weiter, wobei er die Lanze nach wie vor geschultert hielt, um damit zu zeigen, daß er nicht kämpfen wollte. Er war sich darüber klar, daß er ein bedrohliches Bild in seiner Rüstung bot, und Caidon-Rov hatte ihm einiges über Porquetor berichtet. Daher wußte er, daß Porquetor über lange Zeit sein Unwesen auf Pthor getrieben hatte und von vielen gefürchtet worden war. Nun mochten manche Pthorer glauben, daß Por quetor wiedererstanden und erneut zur Be drohung geworden war. Etwa zwanzig Meter vor den Männern blieb Grizzard stehen und rammte die Lanze mit der Spitze in den Boden. »Ich bin nicht gekommen, weil ich kämp fen will«, rief er. »Ich will mit euch reden.« Einer der Männer schritt langsam und zö gernd auf ihn zu. Er war hochgewachsen, hatte flammend rotes Haar, eine dunkle Haut, mit einem seltsam rötlichen Schim mer, und leuchtendblaue Augen. »Was willst du mit uns reden?« fragte er, als er vor Grizzard stand. »Wir haben dich
23 nicht gerufen, und wir wollen hier nieman den bei uns haben. Wir haben zu wenig zu essen und zu trinken. Je weniger wir sind, desto besser für alle.« »Ich brauche nicht viel«, erwiderte der Verwachsene. »Mag sein, aber was kannst du uns ge ben?« Darüber hatte Grizzard noch nicht nach gedacht. »Ich bin auf der Suche nach einem Mann«, erklärte er ausweichend. »Sobald ich ihn gefunden habe, verschwinde ich wie der.« »Du hast meine Frage nicht beantwortet. Was kannst du uns geben?« »Laß mich darüber nachdenken«, schlug Grizzard vor. »Im Augenblick weiß ich es nicht. Sicherlich fällt mir aber noch etwas ein.« Die anderen Männer rückten näher. Bevor Grizzard sich dessen bewußt wurde, hatten sie ihn umringt. »Ich weiß, was er für uns tun könnte«, rief einer von ihnen. »Willst du es hören, Dor guet?« »Und ob«, antwortete der Mann mit den roten Haaren. »Wir brauchen jemanden, der die Scheibe tritt. Dafür ist er geeignet wie kein anderer.« Dorguet grinste. Er blickte Grizzard prü fend an. »Ich weiß etwas, was du uns geben kannst. Bist du einverstanden?« »Wenn ich weiß, was du meinst, werde ich dir antworten.« Dorguet gab seinen Männern ein Zeichen mit der Hand. Alle warfen sich auf Grizzard und stießen ihn mitsamt seiner Rüstung um. Bevor er sich durch entsprechende Gegen schaltungen wieder aufrichten und sie zu rückschlagen konnte, fesselten sie ihm die Arme und Beine mit einem Stahlseil. Dieses hielt stand, obwohl er alle Kräfte der Rü stung einsetzte, um sich zu befreien. Johlend schleiften die Männer ihn über den Boden in die Siedlung. Grizzard sah ein, daß es sinnlos war, den Kampf jetzt schon
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gegen sie aufzunehmen. Er beschloß zu war ten, bis sich ihm eine bessere Gelegenheit bot. Er war ärgerlich über sich selbst, weil er sich hatte übertölpeln lassen.
* Zu diesem Zeitpunkt war Sinclair Marout Kennon noch etwa dreißig Kilometer von der Senke der Verlorenen Seelen entfernt. Er kam zügig voran und machte nur wenige Pausen. Sein hochgewachsener Körper er müdete nicht. Grizzard-Kennon war etwa 1,78 Meter groß. Der Terraner schätzte das Alter des Körpers, in dem er jetzt lebte, auf ungefähr zwanzig Jahre. Er wußte aber, daß das tat sächliche Alter beträchtlich höher war, da Grizzard in der Senke der Verlorenen Seelen eine unbekannte Zeitspanne lang in einer Art Sarkophag geschlafen hatte. Kennon bewegte sich nach Westen. Er be fand sich zwischen der Senke der Verlore nen Seelen und dem Regenfluß. Aus Karten und Aufzeichnungen, die er in der FE STUNG gefunden hatte, kannte er die Land schaft, so daß er recht genau wußte, wo er war. Er scheute davor zurück, direkt bis in die Senke der Verlorenen Seelen vorzustoßen. Je mehr er über sein Problem nachdachte, desto überzeugender erschien ihm die Vor stellung, daß sich jener Grizzard, dessen Körper er übernommen hatte, sich dort auf hielt. Er selbst sagte sich, daß er auf jeden Fall dorthin gegangen wäre, wo alles seinen Anfang genommen hatte. Da Kennon jedoch wußte, daß eine Be gegnung mit Grizzard die Entscheidung bringen würde, zögerte er, direkt in die Sen ke zu gehen. Er fürchtete sich nicht vor dem anderen, sondern er wehrte sich noch immer gegen den Gedanken, einen Mord zu bege hen. Verzweifelt suchte er nach einer ande ren Möglichkeit, fand jedoch keine. Es war unabänderlich. Wenn er weiterhin in diesem jungen und schönen Körper leben
wollte, dann mußte Grizzard zusammen mit dem verwachsenen Körper sterben. Kennon wich der Senke der Verlorenen Seelen jedoch noch aus einem anderen Grund aus. Er war sich klar darüber, daß Grizzard nach seinem eigenen Körper Aus schau halten würde und nicht weniger ver zweifelt war als er. Vielleicht war er auch intelligent genug, die Gefahr zu erkennen, in der er schwebte. Wenn es so war, dann würde er eine Falle aufbauen. Er würde sich irgendwo auf die Lauer legen und darauf warten, daß er kam. Am Rand eines Wäldchens blieb Kennon stehen. Er hörte das Rauschen des Wassers. Es verriet ihm, daß er sich in unmittelbarer Nähe des Regenflusses befand. Nördlich von ihm stieg das Land leicht an. Es war step penartig. Ein warmer Wind wehte von Nor den her. Zwischen vereinzelten Bauminseln ästen einige Tiere. Kennon strich sich über das dunkelbraune Haar, das ihm bis auf die Schultern herab reichte. Auf keinen Fall durfte er so, wie er war, in die Senke der Verlorenen Seelen eindrin gen. Er mußte sein Äußeres verändern, da mit Grizzard ihn nicht sofort erkannte. Ken non vermutete, daß sein Gegenspieler seine Nähe körperlich spüren würde, sagte sich aber, daß er ihn früher erkennen würde als umgekehrt, wenn er sich maskierte. Doch wie sollte er das ohne entsprechen de Mittel anstellen? Er konnte sein indiani sches Profil nicht verändern. Auch besaß er keine Kontaktlinsen, mit denen er seinen braunen Augen eine blaue Farbe hätte geben können. Das Gesicht war bartlos. Er brauch te sich nur selten zu rasieren. Plötzlich vernahm er Stimmen. Er hastete unter die Bäume und versteckte sich. Wenig später fand er heraus, daß die Stimmen vom Fluß her kamen. Vorsichtig schob er sich durch das Unterholz voran, wobei er sich be mühte, kein Geräusch zu verursachen. Eini ge allzu dicht gewachsene Büsche zwangen ihn zu einem Umweg, dann aber sah er eini ge Männer, die am Ufer des Flusses arbeite
Der Seelenräuber ten. Sie hatten Netze ausgelegt. Kennon zählte sieben Männer. Sie hatten offensichtlich einen guten Fang gemacht, denn sie sprachen davon, daß man sie in der Siedlung begeistert empfangen werde. Aus einigen weiteren Bemerkungen ging hervor, daß sie aus der Senke der Verlorenen Seelen kamen, und daß man dort mit erheblichen Versorgungsschwierigkeiten zu kämpfen hatte. Kennon zog sich vorsichtig zurück. Er wollte nicht den Eindruck erwecken, daß er es auf die Beute der Männer abgesehen hat te. Das wäre bei ihrer Überlegenheit zu ge fährlich gewesen. Dennoch hoffte er, irgendwie bei ihnen ansetzen zu können und zu sammen mit ihnen bis in die Senke der Ver lorenen Seelen vorzustoßen. Er schlug einen weiten Bogen ein bis fast an den Waldrand zurück. Dann drang er weiter nach Westen vor. Er wollte etwa zweihundert Meter weiter wieder ans Was ser gehen. Er hoffte, dort einen abgebroche nen Baumstamm oder loses Buschwerk zu finden, das er ins Wasser schieben konnte. Er wollte sich daran festhalten und abtreiben lassen, um danach so zu tun, als sei er in Ge fahr. Er glaubte, daß die Fischer ihn aus dem Wasser ziehen würden. Danach würde sich alles von allein ergeben, meinte er. Doch als Kennon den Regenfluß erneut sah, entdeckte er zugleich eine Hütte, die niemand unter den Bäumen am Fluß errich tet hatte. Sie war nur schwer auszumachen, weil sie vollkommen von Buschwerk umge ben war und auf ihrem Dach Gras wuchs. Neugierig geworden, pirschte er sich an sie heran. Als er noch etwa zwanzig Meter davon entfernt war, trat ein alter, bärtiger Mann aus der Hütte hervor, wandte sich ihm zu und hob die rechte Hand. »Komm her«, forderte er ihn auf. Ver dutzt erhob sich Kennon aus den Büschen. Er war davon überzeugt gewesen, daß ihn niemand gesehen hatte. Jetzt begriff er, daß er sich gründlich geirrt hatte. Der Alte wußte offenbar schon längst, daß er kam.
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* Grizzard schrie zornig auf, als er sah, wo hin ihn die Männer schleppten. Es war eine schräg gestellte Scheibe, die einen Durch messer von etwa zehn Metern hatte. Ein Stier bewegte sie mit kraftlosen Schritten. Die Bewohner der Siedlung hatten ihn an einen Pfahl gebunden, der sich neben der Scheibe befand. Da diese sich unter ihm wegdrehte, weil sein Körpergewicht ihn zum tiefsten Punkt hin drückte, mußte er laufen, wenn sich die Schlinge um seinen Hals nicht zuziehen sollte. Über ein primitiv aussehendes Zahnräderwerk aus Holz hatten die Er bauer allerlei einfache Geräte an die Dreh scheibe angeschlossen, unter anderem eine Pumpe, die Wasser aus einem Brunnen för derte. Die Leistung war jedoch unbefriedi gend, weil der Stier zu schwach und zu ma ger war. Johlend eilten Männer und Frauen aus al len Richtungen herbei. In Windeseile hatte sich herumgesprochen, daß man einen Ge fangenen gemacht hatte. Dorguet band den Stier los und zog ihn von der Scheibe herunter. Müde und er schöpft ließ das Tier den Kopf hängen. »Schlachtet den Stier«, rief eine Frau. »Das gibt eine gute Portion Fleisch für viele von uns.« Ihr Ruf pflanzte sich fort. Mehr und mehr Männer und Frauen forderten, den Stier zu schlachten. »Ihr Narren«, schrie Grizzard. »Glaubt ihr denn wirklich, daß ihr mich lange zu dieser Arbeit zwingen könnt? Was wollt ihr denn machen, wenn ich es nicht mehr tue und der Stier tot ist?« Er drang jedoch mit seiner schwachen Stimme nicht durch, zumal sie noch durch die Rüstung Porquetors gedämpft wurde. Unter dem Gelächter der Zuschauer schlepp ten ihn Dorguet und seine Männer auf die Scheibe, banden ihm einen Strick um den Hals und ließen die Scheibe los, die sie vor her arretiert hatten. Grizzard stürzte nach
26 vorn, als die Scheibe unter ihm in Bewegung geriet. In letzter Sekunde konnte er sich ab fangen. Er mußte weiterlaufen, wenn er nicht fallen wollte. Grizzard brüllte vor Wut. Mit fliegenden Fingern steuerte er die Rüstung aus, so daß sich die Beine mit der richtigen Geschwin digkeit bewegten. Er durfte weder zu schnell, noch zu langsam sein. War er zu schnell, stieg er die Schräge zu hoch hinauf, und beschleunigte die Scheibe dadurch nur noch mehr. War er zu langsam, drohte er zu stürzen. Er brauchte fast fünf Minuten, bis er die Rüstung so ausgesteuert hatte, daß sie sich mit der richtigen Geschwindigkeit bewegte. Dabei mußte er sich selbst in der Rüstung auch kräftig bewegen, und schon bald wurde ihm klar, daß er diese Strapazen mit seinem schwächlichen Körper nicht lange durchste hen würde. Er blickte durch die Sehschlitze nach draußen. Die Menge stand dichtgedrängt um ihn herum und bewunderte seine Leistung, die wesentlich höher war als die des Stiers. Grizzard fluchte lauthals. Er versuchte, Dorguet auf sich aufmerksam zu machen, doch dieser beachtete ihn nicht. Danach konzentrierte Grizzard sich dar auf, die auf den Rücken gefesselten Arme zu befreien. Immer wieder bemühte er sich, die Fesseln zu zerreißen, doch sie hielten, soviel Energie er auch in die Arme gab. Die Situation erschien hoffnungslos. Griz zard hörte, daß einige Männer bereits über weitere Maschinen diskutierten, die von sei ner Energie zehren sollten. Er schalt sich einen Narren, weil er die Siedlung betreten hatte. Alles wäre anders gekommen, so meinte er, wenn er seinen Auftritt hier besser vorbereitet hätte. Sein Blick fiel auf den Strick, mit dem er an den Pfahl gebunden war, und plötzlich wurde er ruhig. Er hatte die schwache Stelle entdeckt, die ihm neue Hoffnung gab. Die sen Strick konnte er zweifellos zerreißen. Doch damit war noch nichts gewonnen. In mitten der Menschenmenge konnte er nur
H. G. Francis wenig ausrichten und mußte damit rechnen, daß man ihn sofort wieder auf die Tretschei be schleifte. Er mußte warten, bis sich die Menge zerstreute.
* Sinclair Marout Kennon blieb vor dem Alten stehen, der aus der Hütte gekommen war. »Ich wußte nicht, daß jemand in der Hütte lebt«, sagte er ein wenig hilflos. Der Alte blickte ihn durchdringend an. Er hatte dunkelgrüne Augen, die tief unter bu schigen Augenbrauen lagen. Sein Haar war weiß. Er schien es seit Jahren nicht mehr ge schnitten zu haben. Es hing ihm offen bis auf den Rücken herab. Auch der weiße Bart wirkte ungepflegt. »Du bist der Mann mit vielen Namen«, sagte er. »Ich werde dich Kennon nennen.« »Woher weißt du das?« fragte der Terra ner überrascht. »Nehmen wir einmal an, daß ich so etwas wie eine telepathische Begabung habe.« »Das würde dir nichts nützen«, erwiderte Kennon selbstsicher. Der Alte lachte. »Du meinst, weil du durch eine paraener getische Schocklähmung mentalstabilisiert worden bist?« Der Alte kicherte, als er merkte, wie maßlos überrascht sein Gegen über war. »Allerdings«, antwortete Kennon nach ei niger Zeit, während der der Greis ihn belu stigt musterte. »Das hilft dir überhaupt nichts. Vergiß nicht, daß dein anderer Körper mentalstabili siert ist. Das hat mit diesem Körper, in dem du jetzt steckst, nichts zu tun.« Kennon fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar. Er wußte nicht mehr, was er sagen sollte. Eine solche Situation wie diese war ihm völlig unbekannt. Seit mehr als vierhundert Jahren hatte er in dem Bewußt sein gelebt, daß ein Telepath seine Gedan ken nicht erfassen konnte. Jetzt kam er sich nackt und hilflos vor. Am liebsten wäre er
Der Seelenräuber davongerannt. »Hoffentlich kommst du jetzt nicht auf den Gedanken, mich auch umzubringen«, versetzte der Alte. Kennon ging zu einer Bank, die aus Baumstämmen zusammengefügt war, und setzte sich. »Mich umzubringen, ist nicht unbedingt notwendig«, sagte der Alte. Er setzte sich auf einen Baumstumpf. »Das andere Pro blem läßt sich jedoch nicht anders lösen. Du mußt ihn töten, wenn du frei sein willst.« »Wo ist er?« fragte Kennon. Der Alte zeigte nach Norden. »Er lebt in der Senke der Verlorenen See len. Wenn du dorthin gehst, wirst du ihn fin den. Ich würde dir jedoch nicht raten, dich so, wie du bist, in seine Nähe zu wagen. Das könnte ein tödliches Abenteuer für dich wer den.« »Du meinst also, daß ich mein Äußeres verändern muß.« »Genau das meine ich.« Kennon war verwirrt. Er wußte nicht, was er von dem Alten halten sollte. Wollte dieser ihm tatsächlich helfen, einen Mord zu bege hen? Warum war er ihm nicht ausgewichen? Hatte er hier auf ihn gewartet, oder hatte er mit seinen parapsychischen Sinnen gar dafür gesorgt, daß er zu dieser Hütte kam? Wieso interessierte er sich überhaupt für ihn? Hatte er irgend etwas mit dem Bewußtseinsaus tausch zu tun? War er vielleicht gar dafür verantwortlich, daß Kennon im Körper Griz zards erwacht war, während dessen Bewußt sein sich im verwachsenen Kennon-Körper manifestiert hatte? »Wer bist du?« fragte er in der Hoffnung, einige erklärende Worte zu hören. »Mein Name ist Axik. Ich bin ein alter, harmloser Mann, der hier in der Hütte lebt, hin und wieder ein paar Fische fängt und der nicht mehr daran glaubt, daß er Pthor eines Tages verlassen wird.« »Woher kommst du?« »Das weiß ich nicht. Ich bin auf Pthor aufgewachsen. Lange Jahre habe ich in der FESTUNG gelebt. Ich habe in der Großen
27 Barriere von Oth gedient, und ich hatte in Moondrag ein wenig Macht, bis Mjöllnir mich daraus vertrieb. Ich habe bei den Dala zaaren Stiere gezüchtet und ich bin in der Feste Grool gewesen. Nirgendwo habe ich jedoch eine wirklich bedeutende Rolle ge spielt.« »Trotz deiner Fähigkeiten?« Kennon be zweifelte, daß Axik die Wahrheit gesagt hat te. Der Alte ging nicht auf diese Bemerkung ein. »Ich werde dir eine Fellmütze geben und eine Salbe, die deine Haut für einige Tage dunkler färbt«, erklärte er. »Hier im Wald gibt es eine Flechte. Du kannst dir Stücke davon an die Oberlippe kleben. Das sieht aus, als hättest du einen Bart. Alles zusam men genügt, den anderen zu täuschen.« »Wozu tust du das?« fragte Kennon. »Vielleicht zu meinem Vergnügen«, ant wortete Axik ausweichend. »Vielleicht, weil ich verhindern will, daß der andere dich gleich bei der ersten Begegnung umbringt. Er steckt in der Porquetor-Rüstung und ist dir allein dadurch grenzenlos überlegen.« Kennon-Axton verwünschte die Minute, in der er den Entschluß gefaßt hatte, in die sen Wald einzudringen. Der geheimnisvolle Alte verunsicherte ihn. Er wußte nichts mit ihm anzufangen, aber er spürte, daß er genau über ihn und den anderen informiert und vielleicht sogar in das Geschehen um sie beide verstrickt war. »Also schön«, sagte Kennon, nachdem er eine Weile nachgedacht hatte. »Ich werde deine Vorschläge annehmen. Es ist auf jeden Fall besser, wenn der andere mich nicht gleich erkennt.« Wortlos stand Axik auf und ging in die Hütte. Er kehrte mit der Fellmütze, einem kleinen Salbentopf und einer Pflanze zurück. Er zerzupfte die Pflanze, bis zwei Härchen bündel übrigblieben, die einem Bart verblüf fend ähnlich sahen. Er klebte sie Kennon mit ein wenig Harz an die Oberlippe, nachdem er ihm das Gesicht mit der Salbe eingestri chen hatte. An den Händen konnte der Ter
28 raner wenig später sehen, daß sich seine Haut rötlichbraun färbte und dabei stark ab dunkelte. »So bist du für die Begegnung schon we sentlich besser gerüstet«, sagte Axik und reichte ihm die Mütze, die aus mehreren Fel len zusammengesetzt war. »Geh jetzt.« »Was bin ich dir schuldig?« fragte Ken non. »Irgend etwas muß ich dir doch dafür geben.« Axik schüttelte lachend den Kopf. »Ich bekomme nichts von dir«, erwiderte er. »Ich werde dich mit meinen Gedanken verfolgen, und ich werde wissen, was du tust. Das ist Gegenleistung genug.« Kennon-Axton dankte dem Alten mit knappen Worten, drehte sich um und ging davon. Als er sich wenig später umdrehte und zurückblickte, konnte er die Hütte nicht mehr sehen. Er stutzte. Verdeckte ihm Buschwerk die Sicht, oder war die Hütte verschwunden? Er wollte einige Schritte zu rückgehen, um nachzusehen, folgte dann aber einem Impuls, der ihn veranlaßte, sei nen Weg fortzusetzen. Er war immer noch verwirrt, und es ge lang ihm nicht, einen klaren Gedanken zu fassen. Axik war und blieb ein Rätsel für ihn, das er nicht zu lösen vermochte. Ken non-Axton war ein stets wacher und miß trauischer Geist. Das hatte ihm im Lauf der Jahrhunderte einige Male das Leben gerettet. Jetzt aber befand er sich in einer Situation, die mit nichts zu vergleichen war, was er je erlebt hatte. Er fühlte sich als Spielball einer verborgenen Macht, die aus rätselhaften Gründen den Bewußtseinstausch herbeige führt hatte. Mehr und mehr schob er den Ge danken von sich, daß der Tausch durch einen Zufall verursacht oder durch ihm un bekannte Faktoren einer n-dimensionalen Physik erzwungen worden war. Nach dem Gespräch mit Axik klammerte er sich an den Gedanken, daß es irgend je mandem im Hintergrund gab, der für den Tausch verantwortlich war. Das gab ihm gleichzeitig die Hoffnung, daß sein Problem lösbar war. Es galt nur, diesen Drahtzieher
H. G. Francis zu finden. Vollzog sich der Tausch nicht au tomatisch, wenn er Grizzard und seinem ei genen Körper begegnete, so war vielleicht möglich, den Hintergrundspieler zu zwin gen, einen erneuten Tausch für alle Zeiten unmöglich zu machen. Das würde bedeuten, daß er in seinem neuen Körper bleiben durf te. Kennon verließ den Wald und trat in das savannenartige Land hinaus. Es war dunkler geworden, und er konnte nur noch etwa tau send Meter weit sehen. Er ging geradewegs nach Norden. Die Senke der Verlorenen Seelen war nur noch etwa fünf Kilometer entfernt. Diese Strecke würde er bald hinter sich gebracht haben. Ihm blieben daher noch einige Minuten, sich alle weiteren Schritte in Ruhe zu überlegen. Hatte er die Senke erst einmal erreicht, dann mußte alles klar sein. Er mußte genau wissen, was zu tun war, wenn er Fehler vermeiden wollte. Hinter ihm kläffte ein Hund. Überrascht drehte er sich um. Ungefähr fünf Meter von ihm entfernt hockte ein kleiner Hund im Gras. Er war etwa so groß wie ein Spitz. Er hatte ein weißes Fell mit einigen schwarzen und braunen Punkten. Der Kopf war dunkel und wurde nur an der Schnauze durch einen weißen Fleck aufgehellt. Kennon ging weiter. Er wollte sich nicht mit einem streunenden Hund belasten, der ihm im Ernstfall nicht die geringste Hilfe bieten würde. Mit einem größeren Tier hätte er sich angefreundet, ohne zu zögern. Als er etwa hundert Meter weiter gegan gen war, trottete der Hund seitlich an ihm vorbei und blickte ihn unverwandt an. Mit wedelndem Schwanz signalisierte er ihm Freundlichkeit. »Verschwinde«, rief Kennon. »Ich kann nichts mit dir anfangen. Du hast bisher für dich selbst gesorgt und wirst es auch zu künftig tun.« Der Hund trottete auf ihn zu. Kennon hob die Hand und zeigte auf den Wald. »Los – ab mit dir«, sagte er. »Bei mir bist du an der falschen Adresse.« Der Hund setzte sich vor ihm hin, blickte
Der Seelenräuber
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ihn mit großen, dunklen Augen an und we delte mit dem Schwanz. Kennon bückte sich und streichelte ihn. Freundlich sprach er auf ihn ein und erklärte ihm, daß er allein sein wollte. Der Hund leckte ihm die Hand. Kennon hob ihn hoch, drehte ihn um und gab ihm einen freundschaftlichen Klaps. »So – verschwinde«, sagte er. Der Hund drehte sich um und streckte auffordernd eine Pfote nach ihm aus. Der Terraner seufzte und ging weiter. Er sah ein, daß er den Hund auf diese Weise nicht vertreiben konnte. Wie befürchtet, blieb der Hund bei ihm, lief hin und wieder spielerisch ein Stückchen voraus, kehrte aber immer wieder zu ihm zurück, streckte ihm vorsichtig schnüffelnd die Schnauze entgegen und wedelte erfreut mit dem Schwanz, sobald er sich davon überzeugt hatte, daß er immer noch den gleichen Be gleiter hatte wie zuvor. Er lenkte Kennon-Axton von seinen Ge danken ab und war ihm schließlich gar will kommen. Der Terraner sagte sich auch, daß der Hund in seiner Begleitung ihn selbst harmlos erscheinen ließ. »Ich werde dich Budde nennen«, sagte er, als die erste Siedlung am Rand der Senke in Sicht kam. »Hoffentlich gewöhnst du dich an den Namen.« Der Hund kläffte, als wolle er ihm damit zeigen, daß er mit diesem Namen einver standen war. Unmittelbar darauf stieß der Stumme auf eine Spur im Sand. Sie zeichnete sich deut lich ab. Es war der Abdruck einer Stahlsoh le.
6. In der Senke der Verlorenen Seelen Thalia schrie den Dellos eine Warnung zu. Antrat reagierte als erster. Er bewies In telligenz. Rasch startete er den Zugor und entzog ihn so dem Zugriff des metallfressenden Wesens, das sich brüllend unter ihm aufrichtete, sich dann aber dem Wrack zu
wandte und kopfgroße Metallfetzen daraus hervorriß. Von Entsetzen geschüttelt, beobachtete Thalia das Wesen. Sie fürchtete sich vor ihm, da sie nicht wußte, ob es sie angreifen würde. Doch dann wurde ihr bewußt, daß Grizzard in einer metallenen Rüstung steck te und aus diesem Grund in den Kampf ver wickelt worden war. Vorsichtig zog sie sich zurück. Antrat führte den Zugor an sie her an, so daß sie einsteigen konnte. Gleich dar auf stieg die Maschine wieder auf. Der Me tallfresser kümmerte sich nicht mehr um sie. Er schien jegliches Interesse an ihr verloren zu haben. »Wir folgen der Spur«, befahl Thalia. »Sie führt zur Senke der Verlorenen See len.« Antrat beschleunigte bis auf Höchstwerte. Er blieb bei dieser Geschwindigkeit, solange die Spur deutlich zu erkennen war. Später, als Grizzard festeren Boden erreicht hatte, zeichnete sie sich weniger klar ab, und der Dello flog langsamer. Thalia zweifelte nicht im geringsten, daß sie den Gesuchten end lich gefunden hatte. Sie hoffte, nun bald wieder in die FESTUNG zurückkehren zu können. Als eine Siedlung am Rande der Senke vor ihr auftauchte, befahl sie Antrat, noch langsamer zu fliegen. Sie wollte, daß man sie kommen sah. Niemand sollte an einen Überfall glauben. Sie wußte, daß alle, die in der Senke der Verlorenen Seelen lebten, mit größten Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Die in den Glaspalästen schlafenden Wesen waren erwacht. Mehr als 200 000 Wesen der verschiedensten Art bevölkerten nun die Senke. Für sie gab es nur unzureichende Versorgungsmöglichkeiten. Überall in der Senke und an ihrem Rand waren provisori sche Siedlungen entstanden, in denen sich zumeist jene Wesen zusammengefunden hatten, die sich ähnlich waren. Vorüberge hend waren alle in den VONTHARA-Schlaf gefallen. So war das mühselige Aufbauwerk gestört worden. Atlan hatte so viele Dellos zur Senke ge
30 schickt, wie er entbehren konnte. Sie hatten die Aufgabe, die Erwachten aufzusuchen und ihnen zu helfen. Glücklicherweise wa ren fast alle dieser Wesen intelligent. Sie hatten ihre Lage erkannt und wußten, daß ihr Leben bedroht war. Deshalb hatten sie, der Notsituation gehorchend, sich zu Kollekti ven zusammengeschlossen. Sie unterstützten ihrerseits die Dellos bei der Organisation, so daß sie ihre Überlebenschancen entschei dend verbesserten. Dennoch blieb die Ver sorgungslage angespannt. Die Situation wurde noch verschlimmert durch Überfälle, die von verschiedenen Sei ten auf die Lager verübt wurden. Thalia war daher nicht überrascht, als zwischen den Häusern und Hütten bewaff nete Gestalten auftauchten, als sie sich ihnen bis auf etwa hundert Meter genähert hatte. Die humanoiden Gestalten, die sie sah, hat ten sich auf die abenteuerlichste Weise be waffnet. Viele von ihnen trugen Lanzen in den Händen, einige hatten Steinäxte, Messer oder Schleudern. Als der Zugor langsam nähertrieb, er kannten die Dellos, die in der Siedlung ar beiteten, sie. Die erhobenen Waffen sanken nach unten. Thalia wies Antrat an, die Ma schine zu landen. Danach sprang sie aus dem Zugor heraus. Ein hochgewachsener Mann mit flam mend rotem Haar und auffallend blauen Au gen trat auf sie zu. »Mein Name ist Dorguet«, sagte er. »Du bist Thalia, wie ich höre. Was führt dich zu uns?« »Ich suche Porquetor, den Stählernen«, erwiderte sie. »Seine Spuren führen hier her.« Das Gesicht Dorguets verdunkelte sich. »Das tut mir leid, Thalia. Er hat uns schon wieder verlassen. Er hat gesagt, daß er zur FESTUNG gehen wolle, aber meine Leute, die ihn beobachtet haben, sahen, daß er die Richtung nach Moondrag eingeschlagen hat.« »Nach Moondrag?« fragte sie überrascht. »Ich kann mir nicht vorstellen, was er dort
H. G. Francis will.« »Wir ebenfalls nicht, aber es gibt keinen Zweifel, daß er dorthin gegangen ist. Wir mußten ihn abweisen, weil er eine unnötige und untragbare Belastung für uns gewesen wäre. Es tut uns leid, daß wir dir nicht hel fen können. Wenn wir gewußt hätten, daß du dich für ihn interessierst, hätten wir ihn selbstverständlich aufgehalten. Wir hatten jedoch nicht die geringste Ahnung.« Dorguet sprach so ruhig und überzeugend, daß Thalia ihm glaubte. Sie kam nicht auf den Gedanken, daß er sie belügen könnte. »Wie lange ist er schon fort?« fragte sie. »Seit einigen Stunden. Er hatte es ziem lich eilig, nachdem wir ihm erklärt hatten, daß wir nichts für ihn tun können und daß er auch in anderen Siedlungen keine Unterstüt zung finden wird.« »Wenn er in Richtung Moondrag gegan gen ist, dann werde ich seine Spuren fin den.« »Dort drüben war Sturm«, wandte Dor guet ein. »Ich weiß nicht, ob man die Spuren noch sehen kann.« »Das wird sich zeigen.« Thalia verab schiedete sich, stieg wieder in den Zugor und startete. Zunächst wollte sie das Lager überfliegen, doch dann entschied sie sich an ders und gab Antrat den Befehl, es zu um runden. Sie hoffte, so am schnellsten auf die Spur des Gesuchten zu stoßen.
* Kennon-Axton warf sich in eine Boden rinne, als er den Zugor bemerkte, wie dieser sich der Siedlung näherte. Er zog den Hund zu sich heran und drückte ihn ebenfalls nach unten, so daß dieser keine Aufmerksamkeit erregen konnte. Durch die Zweige eines Busches zusätz lich geschützt, beobachtete der Stumme, wie der Zugor bei der Siedlung landete. Voller Abneigung blickte er auf Thalia, weil er fürchtete, diese werde Grizzard vor ihm fin den und in die FESTUNG entführen, wo er seinem Zugriff entzogen war.
Der Seelenräuber Er erwartete, daß Thalia nach kurzer Be grüßung mit den Bewohnern des Lagers zwischen den Hütten und Zelten verschwin den würde. »Was soll das?« fragte er unwillkürlich laut sprechend, als Thalia nach kurzem Ge spräch wieder mit dem Zugor startete. Er wandte sich dem Hund zu. »Verstehst du das?« Das Tier winselte, und er ließ es frei, da Thalia nun schon weit genug von ihm ent fernt war. Er horchte in sich hinein, weil er hoffte, durch irgendein Gefühl auf die Nähe Grizzards zu reagieren. Doch er wurde ent täuscht. Nichts in ihm war anders als sonst. Entweder hielt sich Grizzard nicht in diesem Lager auf, oder es bestand keine paraenerge tische Beziehung zwischen ihnen, die sich durch eine ungewöhnliche Empfindung be merkbar machte. War Thalia weitergeflogen, weil Grizzard nicht hier war? Dann wurde ihr Vorsprung nun fast un einholbar. Namenlose Angst überfiel Kennon. Er fürchtete, daß Grizzard lange vor ihm in der FESTUNG eintreffen und Atlan die Zusam menhänge erklären würde. Kennon kannte den Arkoniden gut genug. Er wußte, daß er danach keine Chance mehr haben würde, in diesem Körper weiterzuleben. Atlan würde alles daransetzen, den Tausch wieder rück gängig zu machen. Kennon stöhnte auf. Die Angst, wieder in einen gebrechlichen und häßlichen Körper zurückkehren zu müssen, verursachte ihm körperliche Schmerzen. Er sprang auf. Grizzard mußte sterben. So schnell wie möglich. Entschlossen ging Kennon auf die Sied lung zu. Er war noch keine zwanzig Schritte weit gekommen, als man bei den Hütten und Zelten auf ihn aufmerksam wurde. »Die freuen sich bestimmt nicht über uns, Budde«, sagte er zu dem Hund. »Vor allem nicht über dich, denn du frißt ihnen nur et was weg, ohne ihnen etwas zu geben.«
31 Der Hund winselte, als habe er genau ver standen. Als er die ersten Häuser erreicht hatte, standen fünf mit Messern und primitiven Schwertern bewaffnete Männer vor ihm und versperrten ihm den Weg. Schweigend blickten sie ihn an. Kennon zeigte ihnen sei ne leeren Hände. »Ich bin unbewaffnet«, sagte er. »Das ist uns egal«, erwiderte einer der Männer. Er war untersetzt und kahlköpfig. Er trat Kennon entgegen. »Wir wollen dich hier nicht. Wir haben Probleme genug. Hier ist kein Platz mehr für dich.« »Vielleicht kann ich euch helfen, einige Probleme zu lösen«, sagte er. »Verschwinde«, befahl der Untersetzte. Dorguet kam hinter einem Haus hervor und gesellte sich zu den Männern. For schend blickte er den Stummen an. »Wir haben viele Probleme«, erklärte er und zeigte damit, daß er Kennons Worte ge hört hatte. »Zum Beispiel ein Energiepro blem. Löse es, und du kannst bei uns blei ben.« Die anderen Männer neben ihm lachten. Sie waren überzeugt davon, daß Dorguet Kennon eine unlösbare Aufgabe gestellt hat te. »In Ordnung«, sagte Kennon. »Ich brau che ein paar Männer, die mir helfen. Ich weiß, wo ein Zugor liegt. Wahrscheinlich ist der Reaktor noch in Ordnung. Wenn wir uns beeilen, können wir ihn ausbauen und hier her bringen.« »Das läßt sich hören«, entgegnete Dor guet. Er rief einige Namen, einige der Män ner eilten davon und kehrten wenig später mit fünf anderen und einem Holzkarren zu rück. »Da hast du die Männer«, sagte der Rot haarige. »Nutze deine Chance.« Kennon überlegte kurz, ob er noch eine andere Möglichkeit hatte, als diese Forde rung zu erfüllen. Er hatte gehofft, daß man seinen Vorschlag als zu schwer ablehnen würde. Jetzt steckte er in der Klemme. Der Zugor, mit dem er abgestürzt war, lag weit
32 von hier entfernt und war kaum mehr als Schrott. Das Antriebsaggregat war zerbro chen, und ob sonst noch Teile zu verwenden waren, blieb ungewiß. Doch er hatte keine andere Wahl. Er mußte mit den Männern zu dem Wrack ziehen. Er gab ihnen mit der Hand ein Zeichen, drehte sich um, pfiff den Hund zu sich heran und ging los. Knarrend setzte sich der Kar ren hinter ihm in Bewegung. Die Männer folgten ihm. Als sie etwa eine Stunde gegangen waren, sagte einer der Männer hinter ihm: »Da ist er ja.« Verdutzt blieb Kennon-Axton stehen und blickte in die Richtung, in die der Mann zeigte. Er entdeckte das Wrack eines Zu gors, das jedoch ganz gewiß nicht seines war. »Das meine ich nicht«, sagte er vorsich tig. »Aber wir sollten es uns dennoch anse hen. Vielleicht können wir einige Teile ge brauchen.« Die Männer aus der Siedlung erhoben kei nen Einspruch, und einige Minuten später standen sie vor den Resten eines Zugors, von denen allerdings ein erheblicher Teil fehlte. Etwa ein Drittel der Flugmaschine war herausgerissen worden. »Jemand ist schon vor uns hier gewesen«, stellte ein blonder Mann fest. Er machte kei nen besonders intelligenten Eindruck. Ken non sah, daß er mehrere Öffnungen in den Augenbrauen hatte. Das waren die einzigen Anzeichen dafür, daß er es nicht mit einem Terraner zu tun hatte. »Man nennt mich den Stummen«, erklärte er, und jetzt endlich stellten sich ihm auch die anderen vor. Kennon fuhr fort: »Einige für uns wichtige Teile sind noch da. Unter anderem der Reaktor. Darauf kommt es an. Wir können uns den Weg zu meinem Zugor sparen. Der sieht übrigens auch nicht viel besser aus.« Kennon ließ sich nicht anmerken, wie un endlich erleichtert er darüber war, dieses Wrack gefunden zu haben. Obwohl es nicht mehr flugfähig war und erhebliche Zerstö-
H. G. Francis rungen aufwies, sah es noch besser aus als das andere. Die Männer, die ihn umgaben, kannten sich in der Technik des Zugors nicht aus. Sie waren jedoch intelligent und entstammten hochentwickelten Zivilisationen. So hatte er nur wenig Mühe, ihnen die Technik des Zu gors zu erklären, zumal sie alle pthorisch sprachen. Es war offensichtlich, daß Dor guet sie nach dieser Voraussetzung ausge sucht und zusammengestellt hatte. Alle begannen nun unter Kennons Anlei tung die Reste des Zugors auseinanderzu bauen und auf den Karren zu verstauen, bis dieser unter der Last fast zusammenbrach. Danach machten sie sich auf den Weg zu rück zum Lager, das die Männer Goris nann ten. Aufgeräumt schwatzend gingen die Män ner neben dem Karren her. Kennon verhielt sich still, verfolgte die Gespräche jedoch aufmerksam. Er horchte auf, als der Blonde sagte: »Wenn der Reaktor wirklich noch funktioniert, dann kann der Stählerne von der Tretscheibe steigen. Wir brauchen ihn nicht mehr.« Kennon unterdrückte das in ihm aufkom mende Verlangen, direkte Fragen zu stellen. Er wußte, daß die Männer dann sofort miß trauisch geworden wären. Tatsächlich fielen wenig später noch eine Reihe weiterer Bemerkungen, aus denen Kennon seine Schlüsse ziehen konnte. Er spürte, daß ihm das Blut in den Kopf stieg. Seine Hände wurden feucht. Er hatte Grizzard gefunden! Nun begann er behutsam damit, einige Fragen zu stellen, mit denen er sich langsam an die Fragen herantastete, die ihn wirklich interessierten. Es gelang ihm, allmählich al les aus seinen Begleitern herauszuholen, was er wissen wollte. Als er erfuhr, wozu Grizzard gezwungen wurde, stockte ihm der Atem. Entsetzt dach te er an den schwächlichen Körper, in dem Grizzard lebte und der nun Höllenqualen er litt. Er konnte sich gut vorstellen, daß Griz zard verzweifelt versuchte, sich zu befreien,
Der Seelenräuber aber er wußte, daß seine Chancen von Stun de zu Stunde geringer wurden. Der verwach sene Körper brauchte die Porquetor-Rüstung zwar nicht mit Muskelkraft zu bewegen, aber er mußte alle Bewegungen mitmachen. Dieser Anstrengung war er nicht lange ge wachsen. Früher oder später würde er vor Erschöp fung bewußtlos werden, aber auch das wür de ihn nicht erlösen. Die Rüstung marschier te unverdrossen weiter, weil die sich drehen de Scheibe sie dazu zwang. Vielleicht würde Grizzard diese Tortur nicht überleben? Vielleicht wurden die An strengungen so groß, daß sie ihn umbrach ten? Kennon schluckte mühsam. Das Entset zen schnürte ihm die Kehle zu. Eigentlich hätte er froh über das sein müssen, was Grizzard widerfahren war, denn dadurch wurde die Gefahr für ihn geringer. Hatte er nicht vorgehabt, ihn zu töten? Wollte er das nicht jetzt immer noch? Warum fühlte er dann mit ihm mit? Der Hund begann plötzlich zu bellen. Knurrend sprang er Kennon gegen die Beine. Dieser drehte sich um und blickte zu rück. »He, was ist das?« rief einer der Männer neben ihm. Etwa hundert Meter hinter ihnen kroch ein Wesen, das aussah wie ein Haufen wirr übereinander geworfener Blechplatten. Klir rend und rasselnd bewegte es sich über den Boden. Dabei hatte es einige Mühe, da eines seiner vorderen Beine verletzt zu sein schi en. Kennon und seine Begleiter waren unwill kürlich stehengeblieben. Sie fühlten sich nicht bedroht. Sie glaubten zunächst, ein Ge schöpf vor sich zu haben, das sich mit eini gen Blechplatten umgeben hatte, um sich auf diese Weise zu schützen. Doch bald schon erkannten sie ihren Irrtum. Der Hund wurde immer unruhiger. Er rannte dem seltsamen Wesen entgegen und bellte es aus respektvoller Entfernung an. Dann kehrte er zurück und schmiegte sich
33 winselnd an die Beine Kennons. Dieser sah den zerstörten Zugor vor sich, und mit einem Mal begriff er. »Das Biest hat den Zugor zerstört«, rief er. »Und jetzt ist es scharf auf das, was wir auf dem Karren haben.« »So ein Blödsinn«, entgegnete Mays, der Blonde, der neben ihm stand. »Hat man je von einem Wesen gehört, das Metall frißt?« »Ich habe davon gehört«, sagte einer der anderen. Graue Hornplatten bedeckten seine Stirn und die Wangen. Er nannte sich Gatro und wußte nicht mehr zu sagen, von welcher Welt er stammte. »Der Stumme hat recht. Wir müssen vorsichtig sein. Laßt uns schneller gehen.« Der Metallfresser war bereits bis auf etwa fünfzig Meter herangekommen. Er stöhnte und ächzte, als habe er keine Kraft mehr, sich vorwärtszubewegen, wurde dabei aber immer schneller. Kennon und seine Begleiter eilten an den Karren und schoben ihn durch den Sand. Der Boden wurde immer weicher, so daß die Räder tiefer und tiefer einsackten. Dadurch kamen sie immer schwerer voran. Zwei der Männer aus Goris griffen das Metallwesen mit ihren Lanzen an, ohne da bei etwas auszurichten. Der Metallfresser beachtete sie gar nicht. Kennon rief ihnen zu, daß sie an den Kar ren zurückkehren sollten, weil die Bestie be drohlich nah an diesen herankam. »Schnell«, rief er ihnen zu. »Da vorn wird der Boden fester. Dort schütteln wir das Ding ab.« Die Männer gehorchten. Sie rannten zum Karren und schoben ihn voran. Kennon stutzte. Unwillkürlich blickte er zurück. Er glaubte gesehen zu haben, daß der Hund durchsichtig geworden war, als er die Männer zum Karren zurückgerufen hatte. Doch jetzt trabte Budde hechelnd hinter ihm her, und alles schien völlig normal zu sein. Kennon sagte sich, daß er sich geirrt hat te. Etwas anderes schien nicht möglich zu sein.
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H. G. Francis
Wenig später erreichten die Männer feste ren Boden, und der Karren rollte leichter voran. Tatsächlich fiel das metallfressende Wesen nun zurück. Es gab die Verfolgung jedoch nicht auf. Plötzlich überlief es Kennon eiskalt, und er blieb unwillkürlich stehen. In Goris, der Siedlung am Rand der Senke, war Grizzard mit seiner stählernen Porquetor-Rüstung. Wenn es ihnen nicht gelang, das metallfres sende Wesen abzuschütteln, würde es ihnen bis ins Lager folgen und sich dort früher oder später auf Grizzard werfen. Kennon rannte hinter dem Karren her. Er versuchte, den Männern aus der Senke die Gefahr für Grizzard zu erklären, aber sie hörten ihm nicht zu. Bis zu den ersten Hüt ten war es nicht mehr weit. Aus Goris ka men ihnen bereits Männer und Frauen entge gen, um sie zu begrüßen und ihre Beute zu bewundern. Niemand interessierte sich jetzt noch für Grizzard.
* In der FESTUNG herrschte mittlerweile Alarmzustand. Atlan hielt eine Konferenz nach der anderen, um mit seinen Freunden und Helfern zu besprechen, wie eine drohen de Invasion abgewehrt werden konnte. Er ließ alle technischen Mittel aufbieten, mit denen die Sicherheit von Atlantis erhöht werden konnte. Alle Räume der FESTUNG wurden nach Waffen durchsucht, wobei manches Gerät zutage kam, von dessen Exi stenz vorher niemand etwas gewußt hatte. Atlan ließ alle Fluggeräte ausschwärmen und über Pthor verteilen, um dadurch überall Beobachtungsposten zu haben, da das Wa che Auge seinen Aufgaben nicht mehr in ausreichendem Maße nachkommen konnte. Immer wieder trafen Nachrichten über Flug scheiben in der FESTUNG ein, die den Wölbmantel über Pthor durchbrochen hat ten. Atlans Unruhe stieg von Stunde zu Stun de. Ein Angriff auf Pthor schien unmittelbar
bevorzustehen.
* Thalia entdeckte eine fast verwehte Spur, die am Rand der Senke der Verlorenen See len wegführte. Sie schloß daraus, daß man ihr im Lager die Wahrheit gesagt hatte und daß Grizzard tatsächlich nach Moondrag an der Westküste wollte. Die Spur verlor sich jedoch bald, als sie sich der Wüste Fylln näherte und die Vege tation immer spärlicher wurde. Thalia gab Antrat den Befehl, zu beschleunigen und sich nicht mehr um eventuelle Spuren zu kümmern. Er sollte Moondrag direkt anflie gen. Als etwa fünfzehn Minuten verstrichen waren, entdeckte einer der Dellos eine einsa me Gestalt in der wüstenartigen Landschaft. Sie bewegte sich nach Nordwesten und nä herte sich der Eisküste. Thalia glaubte, Grizzard vor sich zu ha ben, und befahl Antrat, zu ihm zu fliegen. Der Dello gehorchte, kam jedoch nicht weit. Plötzlich senkte sich aus dem grauen Dunst über ihnen eine Flugscheibe herab und setzte sich vor sie. Thalia stieß Antrat zur Seite. Sie übernahm das Steuer und versuchte, die Flugscheibe zu unterfliegen. Das gelang ihr jedoch nicht. Die Spaccah verzögerte stark, so daß der Zugor gegen ihn prallte und aus dem Kurs geworfen wurde. Eine zweite Flugscheibe schoß heran und zwang Thalia zu einem riskanten Ausweich manöver. Sie ließ den Zugor steil abfallen und fing ihn erst dicht über dem Boden wie der ab. Dabei näherte sie sich der einsamen Gestalt in der Wüste. Überrascht stellte sie fest, daß sie gar nicht Grizzard vor sich hat te, sondern ein fremdes, humanoides Wesen. Abermals jagte eine Spaccah auf Thalia zu, so daß diese nach Westen ausweichen mußte. Ihr blieb keine Zeit, auf den unbe kannten Wanderer zu achten. Sie hatte alle Hände voll zu tun, den Zugor vor einem Ab sturz zu retten. Immer wieder drohte die Ma schine, mit der Spaccah zusammenzustoßen.
Der Seelenräuber
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Bleich und ängstlich kauerten die Dellos auf dem Boden und klammerten sich fest, wo sich ihnen ein Halt bot. Thalia war ihren Gegnern weit unterlegen. Die Waffen der Maschine gegen die Flug scheiben der Fremden einzusetzen, wäre sinnlos gewesen. Mit dieser spärlichen Aus rüstung hätte sie keine Chance in einem Kampf gehabt. So blieb ihr nur die Flucht. Als sie sich nach Westen wandte und mit Höchstwerten beschleunigte, schien sie die Entscheidung getroffen zu haben, die die Fremden erwarteten. Sie blieben zurück. Thalia drehte sich aufatmend um. Sie be obachtete, daß eine der Flugmaschinen ne ben der einsamen Gestalt in der Wüste lan dete und sie aufnahm. Danach starteten die Spaccahs, deren Zahl mittlerweile auf vier angestiegen war, wieder. Rasch verschwan den sie am Horizont. Thalia wußte nicht, was sie von dem Zwi schenfall halten sollte. Hatten die Fremden einen Spion auf Pthor abgesetzt, und waren sie nur gekommen, um ihn jetzt wieder auf zunehmen? Es sah so aus. Thalia beschloß, Atlan sofort zu benach richtigen und anschließend die Suche nach Grizzard wieder aufzunehmen.
7. Begegnung Als Kennon-Axton merkte, daß sich nie mand mehr um ihn kümmerte, beschloß er, sich in der Siedlung ein wenig umzusehen. Er wußte nun, wo Grizzard sich mit der Por quetor-Rüstung aufhielt. Die Entscheidung nahte. Mit aller Macht zog es ihn hin zu Griz zard. Er wollte sich nicht länger quälen. Er wollte ein Ende. Nach wie vor fürchtete er, daß bei einer Begegnung automatisch ein Wechsel der Körper stattfinden würde. Daher nahm er sich vor, nicht allzu nah an Porquetor heran zugehen. Immer wieder fragte er sich, wie er Griz
zard töten sollte. Dazu mußte er die Rüstung durchbrechen, die den Verwachsenen wie einen Panzer umgab. Während er sich zwischen einige Hütten zurückzog, blickte er aufs Land hinaus. Das metallfressende Wesen wagte sich offen sichtlich nicht an Goris heran. Er lag etwa zweihundert Meter vor der Siedlung auf dem sandigen Boden und wartete ab. Je länger Kennon über das Problem nach dachte, Grizzard zu beseitigen, desto deutli cher wurde ihm bewußt, daß der Metallfres ser das einzige Instrument war, das er in sei nem Kampf gegen Grizzard einsetzen konn te. Eine andere Möglichkeit ergab sich unter Umständen dadurch, daß Grizzard früher oder später etwas essen und trinken mußte. Dabei konnte er ihn vergiften, doch vorläu fig hatte er noch kein Gift. Gerade als Kennon ins Innere von Goris gehen wollte, kam ein Junge zu ihm. »He, du«, rief er. »Du sollst zu Dorguet kommen.« Kennon blickte zum Karren hinüber, wo der Rothaarige stand. Dabei mußte er sich zur Seite drehen, und während er das tat, glaubte er, an einer der Hütten den Alten ge sehen zu haben, den er im Wald getroffen hatte. Er zuckte zusammen und spähte er neut zu der Stelle hinüber, an der er meinte, Axik bemerkt zu haben, doch dieser war nicht dort. Der Hund, der ihm zugelaufen war, trottete auf ihn zu. »He, was ist?« fragte der Junge. »Kommst du nun?« »Schon gut, Kleiner«, erwiderte Kennon und ging mit ihm. Er pfiff, um den Hund an zulocken, und schnippte mit den Fingern. »Was ist denn mit dir los?« fragte der Junge. »Ich rufe den Hund.« »Was für einen Hund?« Kennon sah das Tier deutlich vor sich und zweifelte nicht im geringsten daran, daß er wirklich da war. Er glaubte, daß das Kind ihn necken wollte, und ging nicht auf die Frage ein. Er erreichte die Gruppe um den
36 Karren und wandte sich an Dorguet, der un geduldig auf ihn wartete. »Du mußt uns schon helfen«, erklärte ihm der Anführer der Siedler von Goris. »Allein können wir so gut wie nichts damit anfan gen. Was schlägst du vor? Was können wir damit einrichten?« »Bevor ich das beantworten kann, müßte ich mich erst einmal bei euch umsehen. Da nach weiß ich, was ihr habt und worauf ich aufbauen kann. Bist du einverstanden?« »Na schön«, erwiderte Dorguet. »Ich wer de dir alles zeigen.« Damit begann eine Führung durch Goris, bei der Dorguet Kennon alles zeigte – bis auf Grizzard-Porquetor. Er vermied es ge schickt, dorthin zu gehen, wo sich das Tret rad befand. Der Terraner verfügte über ein ausgepräg tes Raumgefühl. Daher wußte er immer, wo er war, auch als Dorguet ihn kreuz und quer durch die Siedlung führte. So ermittelte Kennon recht genau jenen Bezirk, in dem Grizzard die stumpfsinnigste Arbeit verrich tete, die für einen Menschen vorstellbar war. Er glaubte sogar, einmal das Knarren der sich drehenden Scheibe zu hören, mit deren Hilfe zahlreiche kleinere Vorrichtungen an getrieben wurden. Als sie zum Karren zurückkehrten, blieb Kennon stehen. »Warum hast du mir eigentlich den Stäh lernen nicht gezeigt?« fragte er. »Was weißt du von ihm?« Dorguet war sichtlich verärgert. »Nur wenig«, antwortete der Terraner. »Deine Leute haben nicht allzu viel von ihm erzählt. Nur daß er da ist und welche Arbeit er verrichtet.« »Das genügt«, erklärte der Rothaarige. »Mehr brauchst du nicht zu wissen.« »Weißt du, wer in ihm steckt?« Dorguet blickte ihn überrascht an. »Ich verstehe dich nicht. Wieso sollte je mand in ihm stecken?« Kennon begriff. Dorguet und seine Leute hatten noch gar nicht erkannt, daß die Rü stung nur der Schutzpanzer eines Wesens
H. G. Francis war, das sich darin befand. Sie sahen in der Rüstung selbst ein fremdartiges Lebewesen.
* Grizzard war am Ende seiner Kraft. Er war sich klar darüber, daß er bald aus brechen mußte, wenn er es überhaupt noch schaffen wollte. Um ihn herum war es ruhig geworden. Kaum noch jemand interessierte sich für ihn. Nur hin und wieder tauchten einige Neugie rige bei ihm auf. Mit gleichmäßigen Bewe gungen lief er auf der Schräge, die sich un aufhörlich unter ihm wegdrehte. Sein An blick löste teils Bewunderung, teils Heiter keit aus, fesselte aber niemanden länger als ein paar Minuten lang. Darauf baute Grizzard seinen Plan auf. Je mehr die Aufmerksamkeit seiner Peiniger nachließ, desto höher schätzte er seine Chancen ein. Er wollte den Strick zerreißen, den man ihm um den Hals gebunden hatte, und danach aus der Siedlung flüchten. Er hoffte, später irgendwo auch die Armfesseln abstreifen zu können. Darüber machte er sich jetzt noch keine Gedanken. Als er durch die Sichtschlitze seines Helms niemanden mehr sah, griff er nach den Hebeln, mit denen er die Rüstung steu erte. Im gleichen Moment spürte er, daß et was nach ihm tastete. Eisiger Schrecken durchfuhr ihn. Er erkannte sofort, daß je mand versuchte, ihn telepathisch zu sondie ren, aber er wußte nicht, daß so etwas bei ihm unmöglich war. Er drehte den Helm und spähte nach drau ßen. Der Platz um ihn herum war leer. Er konnte niemanden sehen. Das Licht war nicht gut. Die Siedlung war in ein diffuses Dämmerlicht getaucht, in dem es keine Schatten und keine scharf umrissenen Kon turen gab. Wieder tastete etwas nach ihm. Grizzard fühlte körperliches Unbehagen, so als ob ein feines Gespinst über seinen Rücken und den Nacken streiche. Plötzlich entdeckte er neben einem Baum,
Der Seelenräuber nur wenige Schritte von ihm entfernt, eine zierliche Gestalt. Sie war wie ein Schemen und hob sich kaum von ihrer Umgebung ab. Zunächst glaubte er, ein Kind zu sehen, dann aber merkte er, daß er sich irrte. Was dort am Baum stand, war unsäglich fremdar tig und bedrohlich. Es war nicht humanoid. Grizzard glaubte, drei Beine ausmachen zu können, und ihm schien, als habe das Wesen dort nur ein einziges, großes Auge, das auf ihn gerichtet war und bis in sein Innerstes zu sehen schien. Grizzard schrie panikerfüllt auf. Er hatte schon genug gelitten. Jetzt wollte er nicht auch noch das Opfer eines fremdar tigen Wesens werden. Plötzlich verschwand der Fremde. Er schien sich in nichts aufgelöst zu haben. Grizzard zog sich keuchend im Innern der Rüstung hoch, um besser durch die Schlitze des Helms blicken zu können, während die Porquetor-Rüstung ununterbrochen weiter lief. »Wo bist du?« brüllte er. »Hier«, antwortete eine schrille Stimme hinter ihm, und dann glaubte er, verhaltenes Gelächter zu hören. Vergeblich versuchte er, den Helm so weit nach hinten zu drehen, daß er den Fremden sehen konnte. »Was willst du von mir?« schrie er. »Verschwinde endlich.« Dieses Mal hörte er das Lachen ganz deutlich. »Es amüsiert mich«, erwiderte das ge heimnisvolle Wesen. »Wovon sprichst du?« fragte Grizzard. »Von dem Tausch.« Grizzard wurde übel. Er konnte sich nicht mehr halten und sank erschöpft in der Rü stung nach unten. Porquetor lief weiter. Er riß die schwächlichen Beine des Einge schlossenen immer wieder nach vorn. Er rüt telte ihn durch und gönnte ihm auch nicht die geringste Pause. Grizzard schrie und weinte. Die Worte des Fremden hatten ihn mit un geheurer Wucht getroffen. Woher wußte er
37 von dem Tausch der Bewußtseinsinhalte? Wieso amüsierte er sich darüber? Tat das nicht nur jemand, der auch dafür verantwort lich war? Hatte dieser Fremde mit seinen ge heimnisvollen Kräften und Fähigkeiten den Tausch verursacht, nur um sich damit die Langeweile zu vertreiben? War der andere, der jetzt in seinem Griz zard-Körper lebte, gar nicht der Drahtzieher gewesen? Hatte er den Tausch der Bewußt seinsinhalte nicht bewußt herbeigeführt, sondern war auch nur das Opfer der Mani pulation des Fremden geworden? Das glück lichere Opfer allerdings? Grizzard konnte sich nicht konzentrieren. Er hatte nur einen Wunsch. Die Rüstung sollte endlich zur Ruhe kommen, damit er sich wenigstens einige Sekunden lang nicht mehr bewegen mußte, damit er Kräfte schöpfen und nachdenken konnte. Wütend griff er in die Steuerung der Rü stung. Er ließ sie nach hinten springen. Der Strick um seinen Hals straffte sich. Die Spannung stieg so stark an, daß sich der Pfahl bog, an dem der Strick befestigt war. Grizzard fühlte sich nach vorn gerissen. Mit aller Macht stemmte er sich dagegen, und krachend zerriß der Strick. Grizzard verlor die Kontrolle über die Rü stung und stürzte mit ihr. Er rollte bis zum tiefsten Punkt der Scheibe und fiel dann in den Sand. Die Beine der Rüstung liefen wei ter. Sie scharrten den Sand auf und schoben die Rüstung über den Boden, während Griz zard erschöpft in ihr lag und keuchend nach Luft rang. Ihm war in diesen Sekunden alles egal. Er hatte sogar das fremde Wesen vergessen. Er fühlte sich frei. Er brauchte die schrägge stellte Scheibe nicht mehr hochzulaufen. Müde streckte er die Hände nach der Schaltung aus und brachte die Beine zur Ru he. Sein ganzer Körper schmerzte. Die Lun gen waren wund. Wie aus weiter Ferne ertönten Schreie. Lange Zeit verstrich, bis sie ihm bewußt wurden. Die Tretscheibe stand still. Das hatte Fol
38 gen. Alle Vorrichtungen, die damit angetrie ben waren, fielen nun aus. Aus dem Brun nen floß kein Wasser mehr. Das Hammer werk einer Schmiede rührte sich nicht mehr, und der fauchende Atem eines Blasebalgs war versiegt. Aber auch in anderen Werk stätten, wie etwa in einer Tischlerei und bei einem Schuhmacher, sagten die einfachen Maschinen den Dienst auf. Allen Betroffe nen mußte klar sein, daß beim zentralen An trieb etwas nicht in Ordnung war, und nun kamen sie, um nachzusehen, was passiert war. Grizzard streckte die müden Hände nach der Schaltung aus. Wieder verfluchte er je nen Unbekannten, der ihn dazu zwang, in diesem verwachsenen Körper zu leben. Ihm fehlten Kraft und Konzentration, um selbst einfache Schaltungen vorzunehmen. Ledig lich die Angst trieb ihn voran. Er wollte nicht noch einmal auf die schräge Scheibe, denn er war sich dessen sicher, daß eine Rückkehr dorthin seinen Tod bedeutet hätte. Nach zwei vergeblichen Versuchen ge lang es ihm endlich, auf die Beine zu kom men. Mittlerweile näherten sich ihm mehre re Männer. Er sah, daß sie keine Waffen bei sich hatten und es nicht wagten, ihn mit blo ßen Händen anzugreifen. »Zurück«, brüllte er, aber seine Stimme war so schwach, daß selbst die Männer, die kaum zwei Schritte von ihm entfernt waren, etwas hörten. Er veränderte die Schaltung Porquetors, und die Stahlrüstung marschierte vorwärts. Die Männer wichen erschreckt zur Seite. Zwei von ihnen nahmen ihren ganzen Mut zusammen und sprangen ihn gleichzeitig an, doch er schüttelte sie ab, obwohl seine Hän de nach wie vor auf den Rücken gefesselt waren. Er rannte in die Menge hinein, stieß einige Männer um und brach mit elementa rer Wucht durch die Holzwand einer Hütte. Krachend stürzte das primitive Bauwerk über ihm zusammen. Grizzard stöhnte vor Enttäuschung, weil er fürchtete, daß seine Flucht nun schon wie der zu Ende sei, doch die Rüstung arbeitete
H. G. Francis sich gleichmäßig stampfend weiter voran. Sie tauchte unter Brettern und Zweigen wie der auf. Die Schreie der Handwerker und ihrer Helfer alarmierten mittlerweile mehr und mehr Einwohner von Goris. Immer wieder versuchte jemand, Grizzard aufzuhalten, doch der war auf der Hut. Er schlug jeden Angriff zurück. Dabei folgte er einem brei ten Lederriemen, der von der Tretscheibe zu einem Innenhof führte. Als er diesen er reichte, schrie er triumphierend auf. Wie erhofft, endete der Riemen an einem Blasebalg, und unter diesem erhob sich ein Haufen glühender Kohle und Holzkohle, an dem die Schmiede das Eisen bearbeitet hat ten. Er stürmte zu ihm hin, drehte sich um und streckte die metallenen Hände in die Glut, ohne sich um die Männer zu kümmern, die ihn nun zu Dutzenden umgaben. Als einige mit Hämmern und Äxten auf ihn eindran gen, trieb er sie mit Tritten zurück. Doch der Kreis der Männer zog sich enger und enger um ihn zusammen. Grizzard sah über ihre Köpfe hinweg, daß einige Bewohner von Goris ein Stahlseil heranschleppten. Das war nach seiner bisherigen Erfahrung das einzige Mittel, das ihm wirklich gefährlich werden konnte. Er wartete, bis sie sich ihm bis auf etwa drei Meter genähert hatten, dann richtete er sich auf und zog die Hände aus der Glut. Er steuerte die Arme der Rüstung aus, und kra chend zerplatzte das Stahlseil, mit dem man ihn gefesselt hatte. Drohend hob er die glühenden Hände. Von ihnen ging nun eine fast unerträgli che Hitze aus, die auch die Temperatur im Innern der Rüstung stark ansteigen ließ. Grizzard schrie die Männer an. »Zurück«, rief er. »Wagt es nicht, mich anzurühren.« Er rannte auf sie zu und bedrohte sie mit den im Feuer erhitzten Händen. Sie wichen entsetzt vor ihm zurück und vergaßen den Plan, ihn mit Hilfe des Seils zu Fall zu brin gen. Er stürzte sich auf einen Bottich mit
Der Seelenräuber Wasser und tauchte die Hände hinein. Laut zischend kühlte das Wasser den Stahl. Grizzard riß den Bottich hoch und schüt tete das Wasser über zwei Männer, die ihm einen Holzbalken zwischen die Beine stoßen wollten, so daß auch ihr Angriff scheiterte. Er packte den Balken, hob ihn hoch und wir belte ihn um den Kopf. Damit verschaffte er sich genügend Platz. Niemand wagte sich jetzt noch an ihn heran. »Laßt mich heraus aus eurem verdamm ten Dorf«, rief er fordernd. Seine Stimme war jedoch noch immer so schwach, daß er sich nicht verständlich machen konnte. Die Kehle war trocken, und die Zunge war ge schwollen. Grizzard hätte sich den Bottich mit Wasser viel lieber selbst über den Kopf geschüttet, in der Hoffnung, dabei ein paar Tropfen an die Lippen zu bringen. Doch die Abwehr der Angriffe war ihm wichtiger er schienen. Er fürchtete sich davor, daß die Bewohner des Lagers herausfanden, wer in der Rüstung steckte. Er wußte, daß er da nach verloren gewesen wäre. Sie blieben nur in respektvoller Entfernung, weil sie seine Kraft fürchteten. Wenn sie ihn schwach sa hen, dann würden sie über ihn herfallen. Da von war er überzeugt. Er entschloß sich, die Siedlung zu verlas sen und die Suche nach demjenigen, der ihm seinen Körper gestohlen hatte, an anderer Stelle fortzusetzen. Sich immer wieder um sich drehend, um die Angreifer nach allen Seiten hin abweh ren zu können, marschierte er los. Hin und wieder wirbelte er den Balken um den Kopf, und er achtete genau darauf, daß ihm nie mand ein Stahlseil um die Füße werfen konnte. Als er einige Meter weit gekommen war, fühlte er wieder, daß etwas Fremdes nach ihm griff. Er würgte vor Entsetzen. Fast übermächtig wurde das Verlangen, aus der Rüstung zu fliehen, wo er sich plötzlich ein gesperrt sah wie in einem versinkenden Schiff. Da entdeckte er eine schemenhafte Ge stalt in der Nähe des Feuers. Ihm schien, als
39 würde er von dort mit unerklärlichen Kräf ten beeinflußt.
* »Was weißt du von dem Stählernen?« fragte Dorguet, wobei er die Augen verengte und Kennon mißtrauisch musterte. »Nicht viel«, antwortete der Terraner ru hig. Er strich sich mit den Fingerspitzen über den aufgeklebten Lippenbart, um sich davon zu überzeugen, daß dieser noch rich tig saß. »Ich weiß, daß er von der Feste Grool gekommen ist, und daß jemand in der Rüstung steckt. Dieser Mann ist klein und verkrüppelt. Er steuert die Rüstung von in nen heraus. Sie ist nicht mehr als ein Halb roboter. Das ist alles, was ich weiß. Ihr wer det etwas für den Mann in der Rüstung tun müssen, sonst wird er verhungern oder ver dursten.« Dorguet war fassungslos. Er stellte eine Reihe von Fragen, die sich teilweise wieder holten, um sich immer noch einmal bestäti gen zu lassen, was Kennon gesagt hatte. »Woher weißt du das alles?« fragte er schließlich. »Wer hat dir das verraten?« »Nun, das ist kein großes Geheimnis«, er klärte der Stumme. »Ich komme von der FE STUNG, und meine Informationen habe ich von Atlan, dem neuen König von Pthor. Er ist an dem Stählernen interessiert.« Kennon-Axton entwickelte während des Gesprächs seinen Plan. Jetzt fühlte er sich in seinem Element. Er hatte in der Senke der Verlorenen Seelen Fuß gefaßt, und er wollte seine Position ausbauen. Nach wie vor sah er in seiner Verzweiflung nur die eine Mög lichkeit für sich, Grizzard mit dem verwach senen Körper zu töten. Warum aber sollte er das allein tun? Warum sollte er sich nicht von Dorguet und seinen Leuten helfen las sen, wenn sich das bewerkstelligen ließ? Kennon war sich jedoch auch dessen be wußt, daß er vorsichtig sein mußte. Er glaubte, die Nähe Grizzards körperlich füh len zu können, und er stand wie unter einer ständigen Anspannung, die kaum noch er
40 träglich war. Daher kalkulierte er nach wie vor ein, daß ein Körpertausch stattfinden würde, sobald Grizzard und er sich genü gend weit näherten. Vielleicht, so meinte er, war dazu eine körperliche Berührung not wendig. Aus diesem Grund bereitete Kennon sich auf einen Körpertausch vor, um im Katastro phenfall nicht überrascht zu werden. Immer wieder malte er sich aus, daß er seinen Mordplan konsequent ausführte und, in letzter Sekunde einem Körpertausch un terworfen wurde, so daß er plötzlich selbst in dem Moment im verwachsenen Körper steckte, in dem dieser sterben sollte. Eine solche Katastrophe konnte er nur verhindern, wenn er die Nähe Grizzards mied und die Tat von Dorguet und seinen Leuten verüben ließ. »Warum schweigst du?« fragte der Rot haarige. »Was ist los mit dir?« Kennon-Axton schreckte aus seinen Ge danken auf. »Nichts weiter«, antwortete er auswei chend. »Ich habe nur über etwas nachge dacht.« »Worüber? Ich will es wissen.« »Atlan scheint jenes Wesen, das in der Rüstung steckt, zu fürchten. Ich habe den Eindruck, daß er es beseitigen will, um da mit eine Gefahr aus dem Weg zu räumen, die uns alle bedroht.« »Meinst du wirklich?« Dorguet schien ei ne hohe Meinung von Atlan und seiner Macht zu haben, obwohl er den Arkoniden noch nie gesehen und auch nicht besonders viel von ihm gehört hatte. Er schien jedoch zu glauben, daß eine beeindruckende Per sönlichkeit sein mußte, wem es gelang, sich zum Herrscher von Atlantis zu machen. »Ich denke schon. Vermutlich weiß Atlan viel mehr als wir über diese Porquetor-Rü stung und das Wesen, das darin steckt. Er kann daher viel besser als wir beurteilen, wie groß die Gefahr ist, die davon ausgeht.« »Meinst du, daß wir dem neuen König von Atlantis einen Gefallen tun können?« forschte Dorguet und setzte ein wissendes
H. G. Francis Lächeln auf. »Ich denke schon. Es kommt nur darauf an, das zu tun, was er erwartet.« »Ich verstehe«, sagte der Rothaarige. »Atlan genügt es, wenn er die Rüstung be kommt. Der da drinnen ist unwichtig. Rich tig?« Kennon-Axton lächelte. »Jetzt hast du es erfaßt«, erwiderte er. »Ich bin überzeugt davon, daß eure Versor gungsprobleme weitgehend behoben sein werden, wenn Atlan die Rüstung erst einmal hat.« Als Kennon sich erneut mit den Fingern über den Bart strich, löste sich dieser ab und fiel herunter. Dorguet blickte ihn verblüfft an. »Das war notwendig«, erklärte der Terra ner lachend. »Ich wollte nicht so schnell er kannt werden.« Dorguet verzog keine Miene. Er setzte zu einer Bemerkung an, als plötzlich Schreie durch das Lager klangen. Lärm zeigte an, daß irgendwo in der Nähe gekämpft wurde. »Das ist beim Stählernen«, rief Kennon. »Er hat sich befreit.« Er hörte einen Hund kläffen, drehte sich um und sah das Tier, das ihm auf dem Weg nach Goris zugelaufen war. Er rief es zu sich, aber es gehorchte ihm nicht und ver schwand zwischen den Hütten. Es lief dort hin, wo Kennon Grizzard in seiner Rüstung vermutete. »Komm mit«, befahl Dorguet, packte Kennon an der Schulter und zog ihn mit sich. »Ich will dich bei mir haben. Der Stäh lerne darf Goris auf keinen Fall verlassen.« Sie rannten zusammen mit einigen ande ren Männern auf das Zentrum des Lagers zu, in dem sich überall Spuren entschlossenen Aufbaus zeigten. Die Bewohner von Goris dachten nicht daran, untätig darauf zu war ten, daß man sie von außen her versorgte. Sie hatten ihr Schicksal selbst in die Hand genommen und Erstaunliches geleistet. Ken non sah auf seinem Weg zum Stählernen zahllose Maschinen und Gerätschaften, die mit einfachsten Mitteln hergestellt worden
Der Seelenräuber waren. Er wagte es nicht, Dorguet oder ir gendeinem anderen zu sagen, daß alles in Gefahr war, weil unbekannte Invasoren Pthor bedrohten. Er wollte, daß Dorguet und seine Leute sich auf nicht mehr als ihre Ar beit und auf den Stählernen konzentrierten. Je näher sie der schräggestellten Antriebs scheibe kamen, auf der Grizzard seit vielen Stunden gearbeitet hatte, desto mehr Bewoh ner des Lagers drängten sich auf den engen Gassen zwischen den Hütten und Zelten zu sammen. Es schien so, als seien alle Bewoh ner von Goris auf dem Weg zu dem Stähler nen. Dorguet verschaffte sich mit wütenden Rufen Platz, und wo man ihm gar nicht wei chen wollte, setzte er die Fäuste ein. Kennon folgte ihm mit dem Gefühl, sich durch eine unwirkliche Welt zu bewegen. Er sah weit vor sich Flammen aufsteigen, als eine der Hütten zu brennen begann. Er hörte die Menge schreien, und kaum jemand in seiner Umgebung schien zu wissen, was wirklich geschah. Doch alles schien ihn selbst nicht zu berühren, sondern sich völlig unabhängig von ihm abzuspielen, so als be wege er sich durch eine Traumwelt. Er hörte das Kläffen des Hundes in seiner Nähe, hatte jedoch den Eindruck, die Stim me Axiks, des Alten aus dem Wald am Re genfluß, zu hören. Und er meinte, sein bärti ges Gesicht vor sich zu sehen. Er schleuder te die Pelzmütze weit von sich. Sie drückte, als sei sie nicht aus federleichtem Fell, son dern aus Schwermetall. Dann plötzlich sah er an Dorguet vorbei die hoch aufragende Gestalt Porquetors, der einen Balken in seinen stählernen Händen hielt und wild damit um sich schlug. Doch Kennons Blicke glitten weiter bis hin zu einer brennenden Hütte. Unmittelbar daneben stand Axik. Der Alte lachte. Während Kennon sich ihm schrittweise näherte, konzentrierte er sich völlig auf ihn. Grizzard schien für ihn nicht mehr vorhan den zu sein, und dann sah er deutlich, wie die Gestalt des Alten sich verzerrte, wie die Konturen verschwammen, wie das ihm auf gezwungene Scheinbild mehr und mehr
41 wich. Dahinter wurde ein schemenhaftes Wesen sichtbar. Es hatte nur ein Auge, aber es war so groß, daß es fast das ganze Gesicht ausfüllte.
8. Feinde »Es war richtig, mich zu informieren«, sagte Atlan zu Thalia, nachdem sie ihm be richtet hatte, was geschehen war. »Vermutlich haben wir es tatsächlich mit ei nem Fremden zu tun, der in der Nähe des Lagers irgend etwas ausspioniert hat.« »Ich werde wieder starten.« Thalia erhob sich aus dem Sessel, in dem sie gesessen hatte. »Das halte ich allerdings auch für richtig. Der Stumme hat die FESTUNG verlassen, nachdem ich ihm den Auftrag entzogen ha be, Grizzard zu suchen.« »Er scheint dich enttäuscht zu haben«, be merkte die Tochter Odins. »Allerdings. Er hat sich seltsam benom men. Er scheint ein Nervenbündel zu sein – fast schon ein Psychopath. Zunächst war er verwirrt, weil ich ihm den Auftrag erteilte, Grizzard zu suchen. Als ich ihm diesen Auf trag aber entzog, drehte er durch. Ich habe Einkünfte über ihn eingeholt. Er hat sich ei genartig benommen und ist schließlich mit einem Zugor weggeflogen. Mittlerweile wis sen wir, daß diese Maschine abgestürzt ist. Der Stumme hat diesen Absturz überlebt und ist seitdem spurlos verschwunden.« »Dann hat er sich also auf eigene Faust auf die Suche gemacht«, stellte sie fest. »Daran besteht wohl kein Zweifel«, erwi derte der Arkonide gleichgültig. »Mir soll es recht sein. Wenn er Grizzard findet und hier her bringt, ist es gut.« Er stutzte. Bisher hatte er so gut wie nicht über das seltsame Benehmen des Stummen nachge dacht. Nun wurde ihm bewußt, daß so gut wie nichts über ihn bekannt war. »Vielleicht besteht eine Beziehung zwi schen Grizzard und dem Stummen, von der
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wir noch nichts ahnen«, sagte er. »Vielleicht eine Feindschaft, die uns völlig entgangen ist.« »Wie sollte die entstanden sein?« Thalia war skeptisch. »Darauf habe ich keine Antwort. Ich den ke jedoch, wir sollten vorsichtig sein. Griz zard ist mir nicht gleichgültig und auch der Stumme nicht. Ich würde es bedauern, wenn sich zwischen ihnen etwas entwickelt, was sich unserer Kontrolle entzieht. Deshalb bit te ich dich, sofort wieder abzufliegen. Setze die Suche in Goris fort.« »Der Anführer der Leute dort hat mich abgewiesen. Er hat gesagt, daß der Stählerne nach Moondrag gezogen ist.« »Das solltest du genau überprüfen. Viel leicht hat er dich getäuscht. Vielleicht hält sich der Stählerne in Goris auf und braucht dringend Hilfe. Vergiß nicht, er ist schwach, und ohne die Rüstung wäre er vermutlich schon längst verloren. Die Leute von Goris und in den anderen Lagern in der Senke der Verlorenen Seelen sind schlimm dran. Nie mand kann sagen, was sie anstellen, um ihre Not zu lindern. Sieh dich genau um. Ich glaube nicht daran, daß Grizzard nach Moondrag gegangen ist. Viel einleuchtender wäre, wenn er hierher kommen würde.« Thalia nickte dem Arkoniden kurz zu und verließ den Raum. Sie wollte ihm nicht wi dersprechen, glaubte aber nicht daran, daß man sie in Goris getäuscht hatte. Deshalb kehrte sie auch nicht allzu eilig zum Zugor zurück, in dem die Dellos noch auf sie warteten.
* Sinclair Marout Kennon war wie von Sin nen. Er glaubte, jenes Wesen vor sich zu ha ben, das bei seiner Wanderung durch, die Dimensionen und der Suche nach Atlan für den Körpertausch gesorgt hatte. Alles deute te darauf hin. So glaubte er wenigstens, und er vergaß darüber einige Dinge, die nicht zu dieser Vorstellung passen wollten.
Warum sonst bemühte sich dieses Wesen um ihn und um Grizzard? Weidete es sich nicht an ihrem Schicksal? Voller Haß blickte Kennon-Axton auf das Wesen, das er nur schemenhaft erkennen konnte, und namenlose Angst stieg in ihm auf. Würde dieser Fremde sein grausames Spiel soweit treiben, die Bewußtseinsinhalte inmitten dieser dramatischen Situation wie der auszutauschen? Kennon fuhr herum. Er folgte damit ei nem Impuls, der ihn zur Flucht treiben woll te. Er rannte von dem Fremden fort, kam je doch nur wenig Schritte weit. Dann fing ihn die Mauer der Neugierigen auf, die zu dem Stählernen hin drängte, der einen ebenso verzweifelten wie aussichtslosen Kampf um seine Freiheit führte. Die Menschen stießen Kennon zurück, so daß er fast zu Boden ge stürzt wäre. Er vernahm ein schrilles Gelächter, und dort, wo eben noch der Fremde gewesen war, sah er jetzt den Hund Budde, der wild kläffte und dabei Laute erzeugte, die Ken non erschauern ließen. Er verfluchte die Tatsache, daß er über haupt hierhergekommen war. Warum war er nur nicht in irgendeinen Winkel von Pthor geflohen, wo er seine Ruhe gehabt hätte? Warum mußte er sich auf die Suche nach seinem Körper machen? War alles nur ge schehen, weil er eine panische Angst davor hatte, Espher zu verlieren? Plötzlich wurde es still. Kennon drehte sich langsam um. Obwohl er nur die schimmernden Sichtschlitze der Porquetor-Rüstung sah, fühlte er die Blicke Grizzards deutlich. Er glaubte sogar, die wäßrigen, hervorquellenden Augen, die ei gentlich seine eigenen waren, erkennen zu können. Er wußte, daß Grizzard ihn entdeckt und identifiziert hatte. Die Menschen um ihn herum wichen zurück, als spürten sie, welch enge Beziehung zwischen ihm und dem Stählernen bestand. Grizzard schleuderte den Balken zur Seite, mit dem er sich ge
Der Seelenräuber wehrt hatte. Er fiel in den Gluthaufen und verschob die Glut bis an die Holzwand einer Hütte. Fast augenblicklich entzündete sich das ausgetrocknete Holz. Flammen stiegen auf, aber niemand machte den Versuch, sie zu löschen. Das Geschehen auf dem Platz schlug alle in den Bann. »Er weiß, wer du bist«, sagte Dorguet lei se. »Er weiß es.« Endlich hat er begriffen, hallte Axiks Stimme in ihm auf, und seine Nerven zitter ten unter dem Gelächter des Alten. Ich hätte nie gedacht, daß ich noch einmal soviel Spaß haben würde, nachdem ich aus dem verfluchten Glaspalast entkommen bin. Kennon löste sich aus dem Bann, der ihn befallen hatte. Er ging einige Schritte weit auf das schemenartige Wesen zu, das ihm Trugbilder vorgaukelte und zu seinem Ver gnügen mit ihm spielte. Du hast es getan, dachte er zornig. Du hast uns gegeneinander ausgetauscht. Narr! Der Fremde lachte noch wilder. Du bist der Spielball der Dimensionen gewor den. Wer sich in die unvorstellbar mächti gen Energiewirbel unbekannter Dimensio nen wagt, darf sich nicht wundern, daß er sich selbst nicht mehr kontrollieren kann. Dann hast du nichts damit zu tun? Nein! Sinclair Marout Kennon stand jetzt dicht vor dem geheimnisvollen Wesen, das sich Axik nannte und das aus der Senke der Ver lorenen entflohen war, nachdem es aus jahr tausendelangem Schlaf erwacht war. In die ser Beziehung bestand zwischen ihm und Grizzard eine enge Beziehung, denn auch Grizzard hatte in einem Glaspalast geschla fen. Er war sogar derjenige, den die unbe kannten Konstrukteure der Schlafpaläste den, der für alle schläft genannt hatten. War das der Grund dafür gewesen, daß Axik sich so intensiv um ihn gekümmert hatte? Oder war Axik Grizzard und Kennon nur durch einen Zufall über den Weg gelau fen? Auf diese Fragen sollte Kennon keine Antwort mehr bekommen. Er erhielt plötz
43 lich einen Stoß in den Rücken. Eine stähler ne Faust schmetterte ihn zu Boden. Er stürz te vor die Füße Dorguets, der keinerlei An stalten machte, ihm zu helfen, sondern wie gebannt auf die Porquetor-Rüstung blickte. Er begriff überhaupt nichts. Kennon-Axton dagegen erfaßte die Situa tion in ihrer vollen Bedeutung. GrizzardPorquetor warf sich auf Axik, der in diesem Moment wieder aussah wie ein kleiner Hund. Mit seinen parapsychischen Kräften täuschte er der Menge dieses Bild vor. Auch Grizzard sah ihn so, aber er war ein Opfer des Bewußtseinstauschs, er hatte beobachtet, daß zwischen dem Fremden und Kennon et was geschehen war, und paraenergetische Ströme hatten ihn gestreift. Er hatte sie ge spürt, obwohl sein Gehirn mentalstabilisiert war. Daher handelte er. Er hoffte, einen erneu ten Bewußtseinstausch herbeiführen zu kön nen. Er ergriff das schemenhafte Wesen und schleuderte es ins offene Feuer. Kennon sah eine blaue Stichflamme in die Höhe schießen. Er ahnte, was kommen wür de, und er war doch hilflos dagegen. Er warf sich zu Boden, als die paraenergetische Schockwelle auch schon kam. Sie löschte sein Bewußtsein aus. Mit ihm brachen Hunderte von Männern und Frauen zusammen, die ebenfalls durch die Schockwelle paralysiert wurden, die von dem vergehenden Wesen ausging. Lediglich Grizzard in seiner Porquetor-Rüstung blieb verschont. Er spähte durch die Sehschlitze seiner Rü stung und konnte sich nicht erklären, was geschehen war. Er wußte nicht, daß das Ge hirn des verwachsenen Mannes, in dem er lebte, mentalstabilisiert war. So blieb die Schockwelle auf ihn nahezu wirkungslos. Er erlitt lediglich eine leichte Bewußtseinsein trübung, die sein Denk- und Reaktionsver mögen für etwa eine Minute verringerte. Als er sich davon erholte, stoppte er die Porquetor-Rüstung, die unverdrossen weiter gelaufen war. Er drehte sie herum und blick
44 te zurück. Er war mitten durch eine Hütte gelaufen und hatte sie dabei zerstört. Deut lich konnte er die Gasse erkennen, die er ge schlagen hatte. Glücklicherweise hatte er niemanden dabei verletzt. Grizzard dachte über das nach, was ge schehen war. Er hatte spontan gehandelt, weil er sich von dem schemenhaften Wesen bedroht gefühlt hatte. Außerdem war der Gedanke in ihm übermächtig geworden, die ses Wesen sei verantwortlich für den Be wußtseinstausch. Danach war der Racheakt geradezu zwangsläufig gewesen. Jetzt horchte Grizzard in sich hinein. Er hatte gehofft, daß er sich nach dem Tod des fremdartigen Wesens anders fühlen würde. Er hatte gehofft, daß der Bewußt seinstausch rückgängig gemacht werden würde. Doch nichts von dem war geschehen. Er hatte sich geirrt. Das schemenhafte Wesen hatte den Bewußtseinstausch nicht erzwungen. Es mußte ein anderer gewesen sein. Grizzards Gedanken richteten sich auf jenen, der jetzt in seinem Körper lebte. Er hatte ihn gesehen. Er hatte ihn erkannt, obwohl er sein Gesicht dunkel gefärbt hatte. Grizzard marschierte auf seiner Fährte zu rück. Jetzt – so meinte Grizzard – gab es nur noch eine Möglichkeit für ihn. Wenn der Bewußtseinstausch schon nicht durch die Nähe der beiden Körper zueinander erzwun gen wurde, dann wollte er wenigstens seine Rache. Er wollte nicht, daß ein fremdes Be wußtsein in seinem Körper lebte. Er wußte, daß er den Anblick dieses Körpers nicht er tragen und sich nie damit abfinden würde, daß ein anderer in ihm lebte. Es war sein Körper. Er hatte einen Anspruch darauf, und wenn er diesen schon nicht verwirklichen konnte, so sollte dieser Körper auch nicht mehr leben. Grizzard verspürte nicht die geringsten Gewissensbisse, und er hatte keinerlei mora lische Bedenken. Für ihn war der Körper nicht mehr als eine Hülle, der er ein Eigenle ben nicht gestatten konnte. Irgendwo in ihm aber schlummerte der
H. G. Francis Gedanke, daß der andere, der von seinem Körper Besitz ergriffen hatte, in höchster Todesangst in seinen verkrüppelten Körper zurückkehren und ihm den Körper überlas sen werde. Wenn das geschehen sollte, dann konnte er hoffen, im letzten Moment doch noch zu überleben. Grizzard hob die stählernen Hände vor die Sehschlitze. Würde er diese Instrumente in einer so gefährlichen Situation wirklich gut genug kontrollieren? Eine menschliche Kehle war ein empfindliches Ding. Ein wenig zuviel Druck bedeutete bereits den Tod. Er stöhnte gequält auf. Ihm blieb keine andere Wahl. Er mußte es riskieren, und wenn der Tausch nicht er zwungen wurde, so hatte er sich wenigstens gerächt. Er ließ die Hände sinken und marschierte weiter. Neben der noch immer brennenden Hütte blieb er stehen. Hier war der rätselhaf te Fremde gestorben. Überall lagen bewußt lose Männer und Frauen herum. Wo war der Grizzard-Körper? Grizzard schaltete alle Aggregate des Halbroboters aus bis auf jene Teile, die ihn aufrecht hielten. Er sank stöhnend im Innen raum Porquetors zusammen und preßte die Hände vor das Gesicht. Er durfte nichts unternehmen, solange der andere bewußtlos war. Ein Besinnungsloser empfand keine Todesfurcht und konnte zu nichts gezwungen werden. Grizzard hörte das Knistern der Flammen und das Glucksen von Wasser, das irgendwo in seiner Nähe durch eine offene Rinne floß. Er horchte auf. Mit einem Schlag waren alle Gedanken an Rache und Bewußtseinstausch vergessen. Er fühlte sich wie ausgetrocknet. Die Zunge war so geschwollen, daß er hechelnd durch den offenen Mund atmete. Er mußte etwas trinken. Mit bebenden Fingern öffnete er die Por quetor-Rüstung, warf den bewußtlosen Män nern und Frauen einen flüchtigen Blick zu und wandte sich dann der offenen Wasser
Der Seelenräuber
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rinne zu. Das Wasser floß durch ausgehöhlte Baumstämme zur Schmiede hin. Grizzard kroch aus der Rüstung heraus und sank erschöpft auf den Boden. Er wim merte vor Enttäuschung und Wut, als er er kannte, daß er bereits so geschwächt war, daß er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Er preßte die Zähne zusammen und kroch auf allen vieren vorwärts. Mühsam ar beitete er sich über die Körper der Besin nungslosen hinweg, und mit Schrecken dachte er daran, was geschehen würde, wenn sie erwachten, bevor er in die Rüstung zu rückgekehrt war. Eine endlose Zeit schien vergangen zu sein, bis er endlich die Holzrinne erreicht hatte. Er zog sich daran hoch. Seine Mus keln schmerzten. Sie sträubten sich gegen jede noch so geringe Belastung, doch Griz zard gab nicht nach. Das glucksende Wasser lockte ihn mit unwiderstehlicher Gewalt, bis es ihm schließlich gelang, auf die Beine zu kommen und das Gesicht ins kühle Wasser zu tauchen. Er trank so schnell und gierig, daß er sich verschluckte und von einem Hu stenanfall zu Boden geworfen wurde. Dabei fiel er neben eine Frau. Ihre Hand lag direkt vor seinem Gesicht. Er sah, daß sich die Finger bewegten. Er erschrak so heftig, daß er sich sekun denschnell aufrichtete und an der Holzrinne hochzog. Die Bewußtlosen erwachten, und unter ih nen war auch der andere, dem er auf keinen Fall in diesem schwächlichen Zustand be gegnen durfte.
* Sinclair Marout Kennon brauchte einige Zeit, bis er sich wieder an das erinnerte, was geschehen war. Er fühlte über sich das Ge wicht eines anderen Menschen. Sein Plan war gelungen. Er hatte sich unter einem an deren versteckt, der wie er selbst auch von der Schockwelle gefällt worden war. Das Leben kehrte in seine Glieder zurück. Er konnte sich wieder bewegen, wenngleich
er noch nicht wieder die volle Kontrolle über seinen Körper hatte. Er hütete sich, den Kopf zu heben, weil er vermutete, daß Grizzard irgendwo in der Nähe lauerte und nur darauf wartete, daß er sich verriet. Vorsichtig bewegte er die Hän de, spannte und lockerte die Muskeln der Beine, seiner Schultern und des Rückens, bis er sicher war, daß er sich erheben konnte. Dann drehte er den Kopf. Unwillkürlich zuckte er zusammen, als er die Porquetor-Rüstung etwa zwei Meter ent fernt entdeckte. Er sah, daß sie offen war. Grizzard hielt sich nicht darin auf. Über rascht drehte er den Kopf und spähte über die Körper der Menschen um ihn hinweg, bis er Grizzard sah. Der Verwachsene stand an einer Holzrin ne und spritzte sich mit beiden Händen Was ser ins Gesicht. Er bot ein bejammernswer tes Bild. Kennon krampfte sich das Herz zu sammen. Er erkannte augenblicklich, wie es um Grizzard stand. Die Arbeit auf der Tret scheibe hatte ihn grenzenlos erschöpft, so daß er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Das war die Chance, auf die er gewartet hatte. Vorsichtig schob er einen Arm zur Seite, der quer über seinem Nacken lag. Er war entschlossen, Grizzard anzugreifen, bevor dieser in die Rüstung zurückkehrte. Nur so konnte er ihn überwinden. Kennon wurde übel bei dem Gedanken, daß er seine Hände um den hageren Hals des Verwachsenen legen mußte. Ihm blieb je doch keine andere Wahl. Auf eine solche Chance wie diese hatte er gewartet. Jetzt mußte er sie nutzen. Er drehte sich zur Seite und befreite sich dadurch von der Last eines Mannes, der über ihm lag. Dabei blickte er ständig zu Grizzard hinüber. Dieser erstarrte plötzlich mitten in der Bewegung. Kennon richtete sich auf die Knie auf. Er bewegte sich langsam und schwerfällig, weil sein Nervensystem den paraenergetischen Schock noch nicht völlig überstanden hatte.
46 Am liebsten wäre er aufgesprungen und hät te sich mit einem Satz auf Grizzard gewor fen, doch das konnte er nicht. Er sah das lächelnde Gesicht Esphers vor sich. Ihr zuliebe mußte er es tun. Er dachte daran, wie verächtlich sie sich dem nur leicht Verunstalteten in der FESTUNG ge genüber benommen hatte. Er wußte, daß er es nicht wagen durfte, sich ihr zu nähern, wenn er in dem verwachsenen Körper leben mußte. Eine zweite Chance, ein normales Leben zu führen, wird sich dir nie mehr bieten, fuhr es ihm durch den Kopf. Du mußt es tun. Du mußt! Stöhnend stemmte er sich mit den Händen auf, setzte die Füße auf den Boden und rich tete sich vollends auf, während Grizzard noch immer vor Entsetzen und Angst ge lähmt an der Wasserrinne stand. Er war etwa zehn Meter von Kennon entfernt, während diesen nur etwas mehr als zwei Meter von der Porquetor-Rüstung trennten. Schwerfällig machte Kennon-Axton die ersten Schritte über die bewußtlosen Männer und Frauen hinweg. Dabei verhakte sich sein Fuß an der Schulter eines Mannes. Er stürzte, fing sich aber auf den Knien ab. Grizzard schrie verzweifelt auf. Er rannte auf die Rüstung zu, doch Kennon kroch ihm auf allen vieren in den Weg, so daß er sie nicht erreichen konnte, ohne in den Bereich seiner Arme zu kommen. Keuchend standen sich die beiden Männer gegenüber. Der eine konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, weil die stundenlange Tortur auf der Schrägscheibe ihn erschöpft hatte, der andere, weil er noch immer unter der Wirkung der paraenergetischen Schock welle stand. Grizzard machte in seiner Verzweiflung letzte Reserven mobil. Er rannte von der Porquetor-Rüstung fort. Sinclair Marout Kennon erschrak. Er glaubte, den Plan des anderen erkennen. Er vermutete, daß Griz zard ihm ausweichen wollte, um Zeit zu ge winnen. Nicht nur Kennon-Axton erwachte aus der Bewußtlosigkeit, auch die anderen
H. G. Francis Bewohner von Goris kamen allmählich zu sich. Daher ging es um Minuten. Hatte er Grizzard in den wenigen verbleibenden Mi nuten nicht getötet, dann würde es ihm über haupt nicht mehr gelingen, weil die Bewoh ner des Lagers den Anschlag verhindern würden. Vergessen war, was er mit Dorguet besprochen hatte. Blind vor Haß und Verzweiflung rannte Kennon-Axton hinter dem Verwachsenen her, mühsam die Beine hebend und das Gleichgewicht haltend, aber dennoch wei taus stärker als Grizzard. Dieser flüchtete bis zu einer Hütte. Dort stürzte er. Kennon triumphierte. Er glaubte, es geschafft zu haben. Er warf sich mit ausgestreckten Armen nach vorn, als der Verwachsene sich plötzlich herum wälzte, damit außer Reichweite seiner Arme geriet und sich erhob. Bevor Kennon recht erfaßte, was geschah, flüchtete Grizzard zur offenen Porquetor-Rüstung zurück. Und jetzt bewegte er sich viel schneller als zuvor. Kennon begriff, daß er auf eine einfache Finte hereingefallen war. Grizzard hatte ihn von der Rüstung weggelockt, weil er ge merkt hatte, daß er sich trotz aller körperli cher Nachteile ein wenig schneller bewegen konnte als er. Jetzt hoffte er, die Rüstung bei einem zweiten Ansturm vor ihm zu errei chen. Kennon eilte hinter ihm her. Von Schritt zu Schritt verlor sich die Schockwirkung mehr, doch auch der Vorsprung Grizzards wuchs immer mehr an, bis Kennon bestürzt erkannte, daß er ihn nicht mehr rechtzeitig einholen konnte. Die Chance war vertan. Dennoch rannte er weiter. Er wollte noch nicht einsehen, daß er aufgeben mußte. Als er noch etwa vier Meter von der Por quetor-Rüstung entfernt war, kletterte Griz zard in sie hinein. Und als Kennon gegen die Rüstung prallte, schloß sich diese. Zusam men mit der Rüstung stürzte er zu Boden. Er wußte, daß er endgültig verloren hatte. Hastig richtete er sich wieder auf. Die Rü stung bewegte sich bereits. Jetzt war der dar in eingeschlossene Grizzard ihm in allen Be
Der Seelenräuber langen überlegen. Ihm blieb nur noch die Flucht. Er wich vor der Rüstung zurück, weil er wußte, daß die stählernen Arme ihn zerquet schen würden, wenn sie ihn umschlangen. Mit geweiteten Augen beobachtete er, wie sich Grizzard-Porquetor erhob. Dann drehte er sich um und flüchtete. Er kam nur langsam voran, weil er über die Leiber der vielen Menschen hinwegstei gen mußte. Aber auch Porquetor war nicht schneller. Er nahm Rücksicht auf die Män ner und Frauen, die auf dem Boden lagen, weil er wußte, daß er sie mit einem einzigen falschen Tritt tödlich verletzten würde. Mittlerweile war es etwas heller gewor den. Die Sicht reichte nun wieder mehrere hundert Meter weit. Eine dunkle Flugschei be raste über das Lager hinweg. Kennon atmete auf, als er in die Nähe der Schrägscheibe kam. Hier hockten viele Menschen auf dem Boden und blickten ver wirrt um sich. Einige bestürmten ihn mit Fragen. Sie wollten wissen, was passiert war, doch er kümmerte sich nicht um sie. Er sah, daß dicht neben der Schrägscheibe die Lanze Porquetors im Boden steckte. Er zog sie mühsam heraus. Die Waffe war viel zu schwer für ihn. Dennoch wollte er sie gegen Porquetor richten. Als er den Stählernen jedoch kommen sah, ließ er die Waffe fallen. Damit konnte er Grizzard nicht besiegen. Er flüchtete weiter. Dabei blickte er über die Schulter zurück und beobachtete, wie Grizzard-Porquetor die mächtige Lanze spielerisch leicht aufnahm und schulterte. Kennon erschauerte. Plötzlich begriff er, daß er gegen diesen Stahlkoloß keine Chance hatte. Porquetor konnte sich schneller bewegen als er. In ihm steckten nahezu unerschöpfliche Kraftreser ven. Was konnte er gegen ihn schon ausrich ten? Je weiter er sich von der Stelle entfernte, an der das rätselhafte Schemenwesen gestor ben war, desto geringer war die paraenerge
47 tische Schockwirkung. Sie war jedoch auch am Rand von Goris noch so stark, daß die Menschen dort unsicher auf den Beinen standen und in ihrer Verwirrung nicht wuß ten, was sie tun sollten. Sie stellten sich Kennon nicht in den Weg, und das war ihm in seiner Lage zunächst wichtiger als alles andere. Er führte es auf die paraenergetischen Be sonderheiten zurück, denen er während des Bewußtseinswechsels unterworfen worden war, daß er sich früher von der Schockwir kung erholt hatte als alle anderen. Doch das half ihm nur wenig. Grizzards Körper hatte überhaupt nicht darunter gelitten, und Griz zard steuerte den Halbroboter. Dabei kam er Kennon immer näher. Als dieser den äußer sten Rand des Lagers erreichte, war Griz zard nur noch etwa zwanzig Meter hinter ihm. Und er holte rasch auf, weil er nun kei ne Rücksicht mehr auf Bewußtlose zu neh men brauchte, die im Weg lagen. Obwohl Kennon sich so gut wie nicht mehr behindert fühlte, kam er nicht schnell genug voran. Er steigerte seine Geschwin digkeit, so weit es eben ging, und dennoch schmolz der Abstand zwischen ihm und dem Stählernen immer mehr zusammen. Kennon fühlte bereits, daß ihm die Beine schwer wurden. Er flüchtete auf das savannenartige Land hinaus, das sich zwischen der Senke der Verlorenen Seelen und dem Regenfluß er streckte, und nirgendwo bot sich ihm ein Versteck an. Der Abstand zwischen ihm und Porquetor verringerte sich auf etwa zehn Meter, als der Boden unter Kennons Füßen weicher und sandiger wurde, so daß er noch langsamer vorankam als zuvor. Seine Lungen begannen zu schmerzen. Die Luft wurde ihm knapp. Verzweifelt stürmte er weiter, obwohl er längst erkannt hatte, daß er Porquetor nicht mehr entkommen konnte. Da entdeckte er etwa zweihundert Meter von ihm entfernt das metallfressende Wesen, das aussah wie ein Haufen übereinander ge schichteter Blechplatten. Die jäh in ihm auf
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flackernde Hoffnung verlieh ihm neue Kräf te. Er glaubte, Grizzard-Porquetor zu dem seltsamen Wesen locken zu können. Doch Grizzard erkannte die Gefahr eben so schnell wie er. Mit mächtigen Sprüngen näherte er sich ihm. Kennon blickte über die Schulter zurück. Seine Füße verfingen sich in einem Grasbü schel. Er stürzte. In panischer Angst warf er sich herum und versuchte, wieder auf die Beine zu kom men. In diesem Moment fiel ein Schatten über ihn und Grizzard-Porquetor. Kennon blickte in die zornigen Augen Thalias. Die Tochter Odins stand in einem Zugor, der direkt ne ben ihm schwebte. »Schluß jetzt«, befahl sie mit heller Stim
me. Porquetor stürmte weiter. Thalia richtete einen Waggu auf ihn. Die lähmenden Strahlen erfaßten Grizzard und veranlaßten diesen zu einer Fehlsteuerung. Der Stählerne stürzte dicht neben Kennon in den Sand. Dann zielte Thalia mit dem Lähmstrahler auf den Stummen und machte diesen ebenfalls kampfunfähig. »Glaubt ihr wirklich, ich würde zulassen, daß ihr euch gegenseitig umbringt?« fragte sie und befahl Antrat, den Zugor zu landen.
E N D E
ENDE