Nr. 137
Der Negativ Kontakt Ein Planet im Sog der Antimaterie – ein Volk vor dem Untergang von Ernst Vlcek
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Nr. 137
Der Negativ Kontakt Ein Planet im Sog der Antimaterie – ein Volk vor dem Untergang von Ernst Vlcek
Was zwischen den Jahren 1900 und 2000 christlicher Zeitrechnung auf dem Planeten Erde geschieht, ist, sofern man die irdischen Ereignisse nach galaktischen Maßstäben beurteilt, relativ unwichtig. Nicht unwichtig jedoch – und das wird sich später in aller Konsequenz enthülen – ist, was sich während dieser erwähnten Zeitspanne auf Tsopan, dem Planeten der Skinen, abspielt. Der Planet der Bewußtseins-Forscher, der im Jahre 10497 v. A., also zur Blütezeit des arkonidischen Imperiums, die etwa dem 9. Jahrtausend vor Christi Geburt entspricht, eine wichtige Role spielte, ist vom Untergang bedroht. Die Nachfolger der Wissenschaftler, die seinerzeit das Bewußtsein des jungen Kristallprinzen Atlan speicherten und konservierten, um es in aller Ruhe zu studieren, sind in ihrem Forschungsdrang zu weit gegangen, als sie Experimente mit Antimaterie anstellten. Jetzt, d.h. etwa Ende des 20. Jahrhunderts irdischer Zeitrechnung, steht der Planet der Skinen vor dem sicheren Untergang. Tsopan ist im Sog der Antimaterie verloren – das weiß auch der Wissenschaftler, der eine Rettungsexpedition unternimmt. Ihm geht es um das Erbe seines Volkes – und nicht um den TOD VON TSOPAN …
Der Negativ Kontakt
3
Die Hautpersonen des Romans: Bard Mo - Leiter einer Expedition auf einem sterbenden Planeten. Herad Gen - Ein Skine, der sich dem Tod um jeden Preis entziehen will. Arna und Eder Schoi - Bard Mos Vertraute. Palinga - Eine Mutantin. Spanoke Zok - Anführer einer Gruppe von Fanatikern. Peckin Pah - Kapitän der »Arche«.
1. Galon Dha hatte nur eine Miniskope nicht aufgepaßt, war einen Eischatten vom Weg abgekommen – und schon passierte es. Er rutschte von dem schmalen Grat ab und fiel in die Tiefe. Als die anderen Expeditionsteilnehmer auf ihn aufmerksam wurden, war es bereits zu spät. Sie sahen ihn in dem schwarzen Schlund aus Antimaterie verschwinden und hatten gerade noch Zeit, neben dem Abgrund in Deckung zu gehen. In dem Moment, als Galon Dhas Körper mit den Antimateriepartikeln in Berührung kam, erfolgte eine gewaltige Explosion. Der Boden erbebte unter den Erschütterungen und wurde auf eine Länge von mehreren Mannschatten aufgerissen. Felsbrocken wurden gespalten, zertrümmert und weit in den dunkel verhangenen Himmel hinaufgeschleudert. Da durch die Wucht der Explosion auch Antimateriepartikel in die Höhe geschossen wurden, kam es in der Luft zu weiteren Explosionen. Und AT-Partikel, die zu Boden zurückfielen, ließen noch gefährlichere Explosionsherde entstehen. Die dreizehn Mitglieder der Expedition harrten in ihren Deckungen aus, bis sich die Elemente einigermaßen beruhigt hatten. Erst nach und nach erhoben sie sich vorsichtig und scharten sich zusammen. Sie starrten scheu über den Abgrund, wo grenzenlose Schwärze herrschte. Und sie dachten an ihren Kameraden Galon Dha, der in den energetischen Sog des gefürchteten Antimateriefeldes geraten war. Sie konnten von Glück sagen, daß Galon Dha sie nicht alle mit sich ins Verderben ge-
rissen hatte. »Unsere Vorräte sind vernichtet!« »Was?« Bard Mo, der Anführer der dreizehn Mann zählenden Gruppe, wirbelte herum. Er blickte durch den Filter des Schutzanzugs den Sprecher an. Es war Herad Gen, der diese alarmierende Meldung machte. Er kam gerade aus einer Höhle in einem bizarr geformten Felsen gekrochen, wo er vor der Explosion Schutz gesucht hatte. Herad Gen deutete auf einen Krater und sagte: »Hier hat der Wagen mit der Ausrüstung gestanden. Ein einziges Antimaterieteilchen hat ausgereicht, um ihn mitsamt der Ladung zu vernichten.« »Jetzt sind wir verloren«, sagte jemand. Plötzlich begannen alle durcheinanderzureden. Mit einem Schlag war Galon Dhas erschütterndes Schicksal vergessen, niemand trauerte mehr um ihn. Jetzt ging es um das nackte Leben jedes einzelnen. Denn wie sollte es ohne giftfreie Nahrung, ohne Sauerstoff und ohne entkeimtes Wasser in dieser verseuchten Welt weitergehen? Jeder von ihnen besaß noch eine Eiserne Ration, aber das war im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr als ein Tropfen Wasser auf einen heißen Stein. Nachdem sie aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich des Antimaterieloches gekommen waren, ließ Bard Mo eine Bestandsaufnahme der verbliebenen Vorräte machen. Das Ergebnis war nicht gerade ermutigend. Alles zusammengenommen, besaß jeder Sauerstoff für maximal fünfzehn Maxiskopen. Wasser und Nahrungsmittel hatten sie dagegen fast im Überfluß – jedenfalls
4 konnten sie damit noch fünf bis sechs Tage auskommen. Aber was nützte ihnen keimfreies Wasser, wenn sie noch vor Ablauf eines Tages verseuchte Atmosphäre einatmen mußten! Bard Mo ging noch einmal die Angaben jedes einzelnen durch, in der stillen Hoffnung, daß sich irgendwo ein Irrtum eingeschlichen hatte und der Sauerstoffvorrat doch für länger reichte. Doch er mußte enttäuscht erkennen, daß seine Berechnungen stimmten. Nur als er auf die Angaben Herad Gens stieß, wurde er stutzig. Er wußte, daß sein Stellvertreter kurz vor der Katastrophe seine beiden Sauerstoffbehälter frisch aufgefüllt hatte. »Über wieviel Sauerstoff verfügst du noch, Herad?« erkundigte sich Bard Mo. »Was soll das?« rief Herad Gen ärgerlich. »Du hast es doch schwarz auf weiß!« »Das schon. Aber mir scheint, als hättest du nur den Inhalt eines Sauerstoffbehälters angegeben.« Herad Gen zögerte. Wahrscheinlich überlegte er, ob er sein Täuschungsmanöver weiterführen oder Farbe bekennen sollte. Aber schließlich mußte er erkannt haben, daß er durchschaut worden war, denn er sagte mit unterdrücktem Groll: »Du hast recht. In der Aufregung habe ich den zweiten Sauerstoffbehälter vergessen. Er ist noch voll.« »Damit haben wir jeder eine weitere Maxiskope gewonnen.« »Das rettet uns auch nicht mehr«, meinte Herad Gen sarkastisch. »Ich gebe zu, daß einem einzelnen mit dem Sauerstoffbehälter besser gedient wäre.« Herad Gen hatte Kampfstellung eingenommen. »Willst du vielleicht behaupten, ich hätte den Sauerstoff für mich reservieren wollen, Bard?« Bard Mo winkte ab. »Ich will jetzt keinen Streit, Herad. Wir haben Wichtigeres zu tun – zum Beispiel,
Ernst Vlcek uns zu überlegen, wie wir uns Sauerstoff beschaffen können.« Damit war die Auseinandersetzung mit Herad Gen vorerst beendet. Aber sie war nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Bard Mo wußte, daß es mit seinem Stellvertreter noch Schwierigkeiten geben würde.
2. Sie hatten sich zur Lagebesprechung in eine Ruine zurückgezogen. Vor der Katastrophe hatte hier eine ziemlich große Wohnsiedlung gestanden. Aber die ständigen Bodenbeben, die hochexplosiven Regenschauer aus Antimateriepartikeln hatten davon nur noch ein endloses Ruinenfeld übriggelassen. Was von den entfesselten Naturgewalten verschont geblieben war, hatten umherziehende Banden und Gruppen von fanatischen Sektierern geplündert und zerstört. Nur dieses eine Bauwerk war noch halbwegs erhalten. Das Stahlskelett ragte einige Mannschatten in den Himmel und stützte die sieben Mauern, die einen Raum umschlossen. Die Fensteröffnungen gemahnten an leere Augenhöhlen, die blind und verloren auf den Schutt und die Asche einer Welt starrten. Bard Mo stellte an zwei exponierten StellenWachen auf, um vor unliebsamen Überraschungen sicher zu sein. Dann zog er sich mit den anderen zehn in den Schutz der einen massiven Seitenwand zurück und breitete den Plan aus. Es war ein primitiv gezeichneter Plan des Landes, das zwischen Xascat und Vors lag. Die Eintragungen auf der Kunststoffolie waren mit zittriger Hand vorgenommen worden und fast unleserlich. Bard Mo besaß auch Landkarten, die aus der Zeit vor der Weltkatastrophe stammten. Sie waren technisch perfekt und übersichtlich, doch sie hatten einen großen Nachteil: Sie waren längst überholt, denn die Gegebenheiten von damals besaßen keine Gültig-
Der Negativ Kontakt keit mehr. In den alten Landkarten waren nicht die Antimaterielöcher eingezeichnet, es fanden sich darauf keine Hinweise über die Brutstätten der mutierten Bestien, die das Land unsicher machten, und es waren auch nicht die Tempel der verschiedenen Sekten und die Hauptquartiere der vielen »Überlebensgruppen« eingetragen. Letztere waren in Bard Mos Augen nichts weiter als Banditen, die rücksichtslos mordeten und plünderten und den Zerfall der Zivilisation schneller vorantrieben als die entfesselten Gewalten der Antimaterie. Ähnlich dachte er auch über die unzähligen Sekten, die es überall auf dem Planeten gab. Die Priester und Königinnen, die diesen meist halbreligiösen Gemeinschaften vorstanden, weckten die niedrigsten Instinkte ihrer Anhänger und bauten ihre Macht auf Aberglauben auf. All diese Gefahren, die es in der Welt nach dem Antimaterieschlag gab, waren auf dem Plan eingezeichnet, den Bard Mo vor seinen Leuten ausbreitete. Er hatte ihn von einem Pilger erhalten, der in seinen Armen gestorben war, nachdem er in einen Schwarm von giftigen Rieseninsekten geraten war. Dieser Pilger war unterwegs zu einer »Arche« gewesen, die ihn mit vielen anderen zu einem anderen Planeten hätte bringen sollen … Natürlich war auch diese Landkarte nicht lückenlos, und viele der Eintragungen stimmten mit dem augenblicklichen Stand nicht mehr überein. Denn Antimaterielöcher weiteten sich aus, Antimateriefäden wanderten mit dem Wind und auch die »Überlebensgruppen« wechselten ihren Standort. Aber immerhin verschaffte sie einen einigermaßen realistischen Überblick über das Land, durch das sie mußten, wenn sie nach Vors wollten. Diese Stadt war Bard Mos Ziel. »Wir sind hier, in der ehemaligen Wohnstadt Chorw«, sagte Bard Mo und deutete auf eine Stelle des Planes, wo das Zeichen für Ruinen eingezeichnet war. »Wenn wir
5 den Eintragungen des Pilgers Glauben schenken wollen, dann ist das gesamte Gebiet im Westen von Antimateriefeldern unterminiert. Der Silo, der hier, keine zehn Maxiskopen von uns entfernt, gestanden hat, dürfte demnach vernichtet sein. Der nächste Silo aber liegt im Norden und mehr als fünfzehn Maxiskopen von unserem Standort entfernt. Wir könnten ihn also gerade noch unter Aufwendung unserer letzten Sauerstoffreserven erreichen – wenn es zu keinen Zwischenfällen kommt.« Bard Mo machte eine Pause und sah seine Kameraden der Reihe nach an. Ihre Gesichter hinter den Schutzfiltern waren ausdruckslos. Sie hatten, seit sie vor sieben Tagen nach Vors aufgebrochen waren, dem Tod schon mehr als einmal vor Augen gehabt. Ursprünglich waren sie zwanzig Personen gewesen. Sieben von ihnen waren bereits auf der Strecke geblieben, also jeden Tag einer. Heute hatte es Galon Dha erwischt … Nein, diese Leute konnte nichts mehr erschüttern. »Ist das der Silo, den du meinst, Bard?« fragte Arna Schoi, die das einzige weibliche Expeditionsmitglied war. Bard Mo folgte mit den Augen ihrer Bewegung und nickte. »Das ist der Silo – etwa fünfzehn Maxiskopen von hier entfernt.« »Hier steht Walnoida«, sagte Arna Schoi. »Das kann nicht die offizielle Bezeichnung für den Silo sein. Soweit ich informiert bin, wurden die Silos bei ihrer Entstehung nur mit Kennzahlen versehen. Was mag dieser Name bedeuten?« »Da bin ich überfragt«, mußte Bard Mo zugeben. »Es kann der Name für eine Überlebensgruppe ebenso sein, wie die Phantasiebezeichnung für irgendeine mutierte Tierart …« »Jedenfalls bedeutet es Gefahr!« warf Herad Gen ein. Er blickte Bard Mo herausfordernd an. »Es ist ein zu großes Risiko, zu diesem Silo zu marschieren. Er kann inzwischen geplündert sein, oder Banditen haben
6 sich dort eingenistet. Aber wie dem auch ist, wenn wir diesen Silo aufsuchen und dort keine Sauerstoffvorräte vorfinden, sind wir verloren.« »Du siehst zu schwarz, Herad«, erwiderte Bard Mo ärgerlich. »Selbst wenn Banditen bei dem Silo ihr Quartier aufgeschlagen haben, ist nicht gesagt, daß sie die Vorräte gefunden haben. Du weißt, daß die genaue Lage der Silos nur wenigen Auserwählten bekannt ist – Leuten, die genügend Verantwortungsbewußtsein besitzen, um die Vorräte nicht wahllos zu plündern.« »Verantwortungsbewußtsein?« höhnte Herad Gen. »Angesichts unserer Lage bezweifle ich, daß die Wissenschaftler überhaupt jemals so etwas wie Verantwortungsbewußtsein besessen haben. Sonst hätten sie es wohl bestimmt nicht zu dieser Katastrophe kommen lassen.« »Das gehört nicht hierher«, sagte Bard Mo scharf. »Ich glaube, jetzt ist nicht der richtige Augenblick zum Polemisieren, Herad. Wenn dir mein Vorschlag nicht gefällt, kannst du einen besseren vorbringen.« Herad Gen blickte sich angriffslustig um. »Ihr alle kennt meine Einstellung zu diesem Wahnsinnsunternehmen, nach Vors zu gehen …« »Bleib bei der Sache, Herad!« wies Bard Mo ihn zurecht. »Ich bin nach wie vor der Meinung, daß es wichtiger wäre, unser Leben zu retten als die Zeugnisse unserer Kultur«, fuhr Herad Gen fort. »Deshalb sollten wir uns mit jener Überlebensgruppe in Verbindung setzen, deren Funksignale wir aufgefangen haben!« »Jetzt ist es aber genug, Herad«, sagte Bard Mo aufgebracht und sprang auf. »Wenn du so sehr darauf versessen bist, dein schäbiges Leben zu retten, dann kannst du ja den Sender anpeilen und auf eigene Faust versuchen, diese Überlebensgruppe aufzusuchen. Aber verschone uns damit.« »Das werde ich nicht!« erwiderte Herad Gen. »Denn ich bin sicher, daß einige andere wie ich denken.« Betretenes Schweigen folgte. Daran, daß
Ernst Vlcek niemand Herad Gen widersprach, erkannte Bard Mo, daß er sie mit seinen Ideen bereits infiziert hatte. Es war schließlich Eder Schoi, der Gefährte von Arna, der das Schweigen brach. »Ich teile nicht Herads Ansicht, daß wir unser Leben durch eine Flucht ins All zu retten versuchen sollten«, sagte er. »Aus dem einfachen Grund, weil ein solches Vorhaben schon allein durch die herumfliegenden Antimateriefäden zum Scheitern verurteilt ist. Aber wir können die Funkstation aufsuchen und die Mannschaft um Sauerstoff bitten. Da sie den Planeten sowieso verlassen, benötigen sie selbst keinen Sauerstoff mehr. Es gibt aber noch ein anderes Argument, das für Herads Plan spricht. Die Ortungsergebnisse haben gezeigt, daß die Funkstation nicht weiter als fünf Maxiskopen von hier entfernt ist. Selbst wenn es zu unvorhergesehenen Zwischenfällen kommt, können wir den Sender leichter erreichen als den Silo, über dessen Zustand wir zudem keinerlei Informationen haben.« »Wenigstens einer, der seinen Verstand noch zu gebrauchen weiß!« rief Herad Gen begeistert. »Was ist, willst du nicht über Eders Vorschlag abstimmen lassen, Bard?« Bard Mo verneinte. »Wenn niemand etwas dagegen einzuwenden hat, betrachte ich diesen Vorschlag als angenommen.« Es hatte niemand etwas dagegen einzuwenden. Bard Mo war enttäuscht. Er befürchtete, daß einige Expeditionsmitglieder abspringen würden, wenn sie die Möglichkeit besaßen, mit einem Raumschiff von ihrer Welt zu flüchten. Er würde diese Möglichkeit selbst in Erwägung ziehen, wenn er nicht davon überzeugt wäre, daß eine Flucht in den Weltraum undurchführbar war. Bard Mo hatte mit eigenen Augen bereits zwei Raumschiffe in den umhertreibenden Antimateriefäden explodieren gesehen. Und es existierte kein einziger glaubhafter Bericht darüber, daß es nach Eintritt der Katastrophe auch nur einem einzigen Flugkörper gelungen wäre, auf diesem Planeten zu lan-
Der Negativ Kontakt den oder von hier zu starten. Alle Skinen, die sich noch auf Tsopan befanden, waren dem Untergang geweiht. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die An-timaterie den Planeten derart zersetzt hatte, daß er barst. Bard Mo hatte sich mit seinem Schicksal abgefunden. Er wollte vor seinem Tode nur noch eine große Tat vollbringen, um eine der größten Errungenschaften seines Volkes für die im Weltraum überlebenden Skinen zu retten. Seine größte Befürchtung war, daß ihm das nicht mehr gelingen würde, wenn seine Leute erst einmal Kontakt mit jener Überlebensgruppe hatten, deren Funksprüche sie aufgefangen hatten. »Worauf wartest du noch, Herad?« sagte Bard Mo. »Nimm Funkkontakt mit der Überlebensgruppe auf. Es ist deine Aufgabe, denn schließlich bist du der Initiator des Planes.« »Ich hätte nicht geglaubt, daß du ein so guter Verlierer bist«, meinte Herad Gen nicht ohne Spott. »Noch habe ich nicht verloren«, erwiderte Bard Mo. Während Herad Gen das Funksprechgerät aus seinem Tornister holte, faltete Bard Mo mit beiden Greifklauen die Landkarte des Pilgers zusammen und verstaute sie auf seinem Rücken. Als er damit fertig war, mußte er feststellen, daß sich die anderen zu Herad Gen gesellt hatten. Nur noch Arna und Eder Schoi waren bei ihm geblieben. »Nimm es nicht so tragisch, Herad«, versuchte Arna ihn zu trösten. »Wenn es gilt, eine endgültige Entscheidung zu treffen, werden dir alle zur Seite stehen. Und selbst wenn dich die anderen verlassen sollten, wir bleiben bei dir.« Bard Mo streckte einen Tentakel nach ihr aus und umfaßte sie mit der dreizackigen Greifklaue in einer vertraulichen Geste an ihrem rechten Röhrenohr. Dann wandte er das Gesicht mit den Dutzenden von Sinnesorganen ab und ging davon.
7 Der Schritt seiner vier Beine wirkte müde, so als hätte er eine große Last zu tragen. Sein vorne verdickter Raupenkörper war leicht nach oben gekrümmt, als er sich dem Ausgang zuwandte. Er schlürfte durch den Mund an seinem verdünnten Körperende etwas Wasser, konnte es jedoch nicht hinunterschlucken und schied es durch die Ablaßöffnung seines Schutzanzuges wieder aus. Bard Mo war übel. Er sah seine letzte große Tat zum Scheitern verurteilt. Als er an dem Wachtposten vorbeikam und ins Freie trat, ließ er seine Augen über das Ruinenfeld wandern. Und er fragte sich unwillkürlich: Wer wird früher sterben, der Planet oder ich? »Was hast du entschieden, Bard?« fragte ihn der Wachtposten. »Ich habe mich dem Wunsch der Mehrheit gebeugt, Koraz«, antwortete Bard Mo. »Wenn du willst, löse ich dich eine Weile ab. Du kannst hineingehen und dich an dem Funkgespräch beteiligen.« Koraz Lee ließ sich das nicht zweimal sagen und verschwand sofort durch den Eingang. Bard Mo erkletterte eine Mauer holte seine Strahlenwaffe hervor und legte sie entsichert vor sich hin. Dann streckte er sich bäuchlings aus verschränkte die beiden Tentakel vor dem Gesicht und bettete den Kopf darauf. So lag er lange da und hing seinen Gedanken nach.
3. Wie hatte es nur soweit kommen können? Die Skinen waren ein hochintelligentes Volk, das zum Zeitpunkt der Weltkatastrophe im Zenit seiner Entwicklung gestanden hatte. Die Skinen waren Wissenschaftler, Forscher und Philosophen. Sie waren nicht den Weg wie die meisten raumfahrenden Völker gegangen, die nach den ersten versuchsweisen Schritten in den Kosmos sofort das ge-
8 samte Universum erobern wollten. Denn Eroberung war Kampf, und die Skinen, von Natur aus ein friedliebendes Volk, gingen den Auseinandersetzungen mit den anderen Völkern der Galaxis aus dem Weg. Sie lebten in strenger Isolation und unternahmen von Tsopan aus nur Vorstöße in den Weltraum, um dessen Geheimnisse zu erforschen. Es war eine irrige Anschauung, daß die Isolation der Skinen zu einer geistigen Inzucht führen würde. Es hatte damals, vor Tausenden von Skopenreihen, viele Mahner in den Rei-hen des eigenen Volkes gegeben, die behaupteten, die Skinen könnten sich nur durch Kontakte zu anderen Intelligenzvölkern zu wirklich kosmischer Größe emporschwingen. Die tatsächliche Entwicklung hatte diesen Prognosen Hohn gesprochen. Die Skinen hatten auch in ihrem freiwillig gewählten Klaustrum kosmische Reife erlangt. Sie waren nicht zu anderen Welten geflogen, um deren Bewohner zu studieren und Wissen auszutauschen, sondern sie hatten gewartet, bis die Vertreter von Fremdrassen nach Tsopan gekommen waren. Durch ihre technische Überlegenheit hatten sich die Skinen auch gegen die Angriffe kriegerischer Rassen behaupten können. Sie entwickelten eine Methode, die es ihnen erlaubte, Fremdwesen eingehend zu studieren und besser verstehen zu lernen, als wenn sie mit ihnen zusammengelebt hätten. Sie übertrugen einfach die Bewußtseinsinhalte von Wesen, die ihnen als interessant genug erschienen, in Speicherbänke. Dort wurden sie gelagert und konnten jederzeit nach Wunsch abberufen und in die Gehirne von Skinen übertragen werden. Auf diese Weise konnten die Fremdwesen viel exakter studiert werden, als bei jeder persönlichen Konfrontation. Im Laufe der vielen tausend Skopenreihen langen Sammlertätigkeit hatten die Skinen unzählige Bewußtseinsinhalte in ihren Speichern deponiert. Und obwohl die Speicherbänke, von den Skinen in Selbstironie auch
Ernst Vlcek »Fallen« genannt, gigantische Formen annahmen und die Zahl der darin aufgenommenen Bewußtseinsinhalte ins Unendliche stieg, hatten es die Skinen nicht über sich gebracht, auch nur ein einziges dieser Individualmuster zu löschen. Die Sammlung von Xascat war der wertvollste Schatz der Skinen. Die Speicher enthielten das gesamte Spektrum des vielfältigen Lebens einer ganzen Galaxis und auch Nuancen des Lebens von außerhalb der Grenzen der Milchstraße. Die Speicher enthielten Bewußtseinsinhalte von Vertretern der herrschenden Völker und von solchen die längst untergegangen waren. Aber auch die Bewußtseinsinhalte aus aufstrebenden Völkern waren gespeichert. Aus solchen und ähnlichen Untersuchungen gewannen die Skinen wertvolle Erkenntnisse, die sie ihrem Ziel, das Geheimnis des Lebens zu ergründen, immer näher brachten. Und nun, knapp vor der Erreichung ihres Zieles, kam die Katastrophe über den Planeten. Der Forscherdrang der Skinen selbst war es, der sie in den Untergang stürzte. Das Streben nach Wissen hatte sie zu Fall gebracht. Als sie daran gingen, Experimente mit Antimaterie zu machen, da spielten sie mit Gewalten, denen sie nicht gewachsen waren. Es wurden damals nicht nur unter der Bevölkerung mahnende Stimmen laut. Viele der an den Experimenten beteiligten Wissenschaftler warnten vor den Folgen, die die Erzeugung von Antimaterie nach sich ziehen konnte. Aber wie immer, besiegte auch diesmal der Forscherdrang die Vorsicht, ja, selbst den Selbsterhaltungstrieb. Die Experimente mit Antimaterie gingen weiter – und gerieten außer Kontrolle. Bard Mo war einer von jenen Wissenschaftlern, die die Katastrophe voraussahen. Zusammen mit einigen tausend der einflußreichsten Persönlichkeiten arbeitete er ein Überlebensprogramm aus, das schon einige
Der Negativ Kontakt Skopenblöcke vor der Katastrophe zum Tragen kam. Es wurden Silos angelegt, in denen Wasser, Sauerstoff, Nahrung und technische Geräte als Überlebenshilfen lagerten. Bunker wurden gebaut, in denen die Überlebenden Zuflucht suchen konnten, und die Regierung stellte alle verfügbaren Raumschiffe bereit, um notfalls die Bevölkerung von Tsopan evakuieren zu können. Dennoch – obwohl alle Möglichkeiten, ein wirkungsvolles Überlebensprogramm aufzustellen, ausgenützt worden waren – wurden die Skinen vom Ausmaß der Katastrophe überrascht, die Schutzmaßnahmen versagten kläglich. Dabei verwirklichten sich nicht einmal die schlimmsten Befürchtungen. Bard Mo und die anderen hatten es nämlich für durchaus möglich gehalten, daß bei Freiwerden der Antimaterie der gesamte Planet in einer gewaltigen Explosion zerrissen wurde. Die Antimaterieexplosion vernichtete nur Xascat, wo die Experimente stattgefunden hatten. Es kam aber zu einem anderen Effekt, mit dem niemand gerechnet hatte. Durch die Explosion wurden Antimateriepartikel hoch in die Atmosphäre geschleudert, wo sie sich über den ganzen Planeten verteilten. Die Antimaterieteilchen fielen dann zur Planetenoberfläche zurück, wo sie neue Explosionsherde schafften und in unaufhaltsamen Kettenreaktionen die Planetenmasse langsam zersetzten. Noch viel schlimmer war die Tatsache, daß der Großteil der Antimateriepartikel weiterhin in der Atmosphäre trieb. Dort bildeten sie lange, oft bergschattenlange Fäden und Gespinste, die jeglichen Luftverkehr unterbanden. Das bedeutete aber, daß der wichtigste Teil des Überlebensprogramms nicht verwirklicht werden konnte – nämlich die Evakuierung der Bevölkerung von Tsopan. Auf allen Raumhäfen standen noch die Transportschiffe, inzwischen größtenteils durch den Antimaterieregen soweit zerstört, daß sie fluguntauglich waren. Gelegentlich
9 wurde von den verzweifelten Skinen der Versuch unternommen, mit einem der Raumschiffe den dem Untergang geweihten Planeten zu verlassen. Aber sie kamen noch nicht einmal bis in die oberen Schichten der Atmosphäre, sondern verstrickten sich schon vorher in den Antimateriefäden. Ebenso war es den im All kreuzenden Raumschiffen unmöglich, auf Tsopan zu landen. Und so mußten die wenigen Skinen, die das Glück gehabt hatten, sich zum Zeitpunkt der Katastrophe im Weltraum zu befinden, ohnmächtig zusehen, wie ihre Artgenossen der Vernichtung entgegentrieben. Die besondere Tragik war jedoch, daß den auf Tsopan lebenden Skinen nicht einmal ein rascher Tod gegönnt war. Die Katastrophe hatte vor nunmehr einer Skopenreihe stattgefunden, und jeden Tag davon war der Planet ein Stück seiner endgültigen Auflösung nähergerückt, jeden Tag davon waren Tausende, ja, Millionen von Skinen gestorben. Und ein Ende dieses Martyri Welt nicht aufhalten ließ. Doch solange Skinen auf Tsopan lebten, solange gab es auch noch die Hoffnung auf Rettung. Sie kämpften um jede Miniskope ihres Lebens, meisterten die unzähligen Gefahren dieser plötzlich so lebensfeindlichen Welt, verrieten, plünderten und mordeten ihre Brüder, nur um etwas Zeit zu gewinnen und ihr Schicksal aufzuschieben. Es gab nur wenige, die so genau wußten wie Bard Mo, daß ihr Tod besiegelt war. Die meisten aber gaben sich der Illusion einer wundersamen Errettung hin, und sie scheuten keine Mittel, sich in ihrem Irrglauben zu bestärken. Aber sie gingen den falschen Weg. Statt sich der Wissenschaften zu bedienen, suchten sie ihr Heil im Aberglauben. Man bekämpfte die Antimaterie nicht mit technischen Mitteln, sondern opferte einem Antimateriegott. Man versuchte nicht, die verseuchte Atmosphäre wieder atembar zu machen, sondern jagte einander den kostbaren Sauerstoff ab. Es gab keine Bestrebungen, die vorhande-
10 nen Nahrungsmittel und die Wasservorräte zu rationieren – sondern nur der Stärkere erkämpfte sich das Recht, atmen, trinken und essen zu dürfen. Sicher gab es auch einige wenige, die die Übersicht in diesem Chaos zu bewahren versuchten. Aber die wenigen wissenschaftlich geführten Überlebenszentren waren nicht in der Lage, das Unheil aufzuhalten. Irgendwann wurden auch sie Opfer der Antimaterie oder irgendeiner Räuberbande, zumeist jedoch wurden alle Versuche, Ordnung in das Chaos zu bringen, von den fanatischen Sektenmitgliedern unterminiert. Diese Sekten haßten alle Wissenschaftler, die sie für den Untergang des Planeten verantwortlich machten, und sie zerstörten in ihrem Wahn alle Kulturzeugnisse und Errungenschaften der Zivilisation. Angesichts dieser Geschehnisse auf Tsopan mußte sich Bard Mo fragen, ob sein Volk tatsächlich kosmische Reife erlangt hatte. War es nicht eher so, daß der Intellekt der Skinen nur eine dünne Schale dargestellt hatte, unter der das Tierhafte eingesperrt, versteckt gewesen war? Die Katastrophe hatte die Schale aufspringen lassen – und hervorwar das Tier, der Barbar im Skinen gekommen. Wie sollte man es sich sonst erklären, daß ein Volk, das im Laufe von vielen hunderttausend Skopenreihen die höchste Höhe der Evolutionskurve erklommen hatte, in einer einzigen Skopenreihe an ihren Ausgangspunkt zurückgesunken war? Waren technische und wissenschaftliche Errungenschaften auch Zeugnisse für den ethischen Status eines Volkes? Wohl kaum. Andererseits glaubte Bard Mo auch wieder nicht, daß sein Volk so wenig Reife besaß, wie die Krise es aufzudecken schien. Jedes andere Volk hätte diese Prüfung bestimmt auch nicht besser bestanden als die Skinen. Der schleichende Weltuntergang zeigte nicht die Schwächen der Skinen im Speziellen auf, sondern die Schwächen der sterblichen Geschöpfe überhaupt.
Ernst Vlcek Bard Mo hatte keinen Grund, von seinem Volk enttäuscht zu sein. Er würde weiterhin unbeirrbar auf sein Ziel losmarschieren. Koste es, was es wolle, er mußte die Stadt Vors erreichen, wohin man schon vor der Katastrophe einen Teil der Bewußtseinsspeicher aus Xascat gebracht hatte. »Herad hat es geschafft!« Bard Mo fuhr erschrocken herum. Er atmete erleichtert auf, als er unter sich Koraz Lee erblickte. »Was hat Herad geschafft?« erkundigte sich Bard Mo, während er von der Mauer herunterkletterte. »Er hat Funkkontakt mit der Gruppe Himmelsstürmer«, berichtete Koraz Lee mit vor Erregung zitternder Sprechmembrane. »Du weißt doch, Bard, die Funkstation, von wo wir Signale aufgefangen haben. Sie ist nicht weit von hier entfernt. Wir könnten sie in weniger als fünf Maxiskopen erreichen. Wir sind dort jederzeit gern gesehen. Herad meinte …« Koraz Lee verstummte betreten. Sein Gesicht pulsierte schneller und verfärbte sich bläulich, als er hinzufügte: »Natürlich gebe ich nichts auf Herads Meinung, Bard. Ich hoffe, daß du ihm das Kommando nicht überträgst.« »Nur über meine Leiche bekommt Herad das Kommando«, sagte Bard Mo und betrat das halbverfallene Gebäude.
4. Herad Gen hatte das Funkgerät an die Sprechanlage seines Schutzanzugs angeschlossen. Dann sandte er Notsignale auf jener Frequenz ab, auf der die Funkstation sendete. Sie hatten von dort schon vor zwei Tagen einen Funkspruch abgefangen. Er war durch die Störungen der Antimateriestrahlung ziemlich verstümmelt. Aber dennoch war daraus klar hervorgegangen, daß die Besatzung der Funkstation mit einer Station im Weltraum in Verbindung stand – und dies
Der Negativ Kontakt offenbar schon seit längerer Zeit. Herad Gen hatte jede Gelegenheit genützt, besagte Frequenz abzuhören, und mit der Zeit hatte sich ein abgerundetes Bild herauskristallisiert. Die Funkstation war von etwa einem halben Dutzend Skinen besetzt, die schon seit einem Skopenblock mit einem Raumschiff in Kontakt stand das Tsopan umkreiste. Es handelte sich um ein Forschungsschiff, das nach einer mehrere Skopenreihen dauernden Expedition in das heimatliche Sonnensystem zurückgekehrt war. Es war der Funkmannschaft gelungen, die Raumschiffsbesatzung für eine Rettungsaktion zu gewinnen. Die Vorbereitungen dafür hatten aber fast einen Skopenblock lang gedauert, denn der Kommandant des Raumschiffs wollte kein Risiko eingehen; er wußte um die Gefahr, die die herumschwirrenden Antimateriegespinste darstellten, und suchte nach Möglichkeiten, sie zu umgehen. Nun schien er sie gefunden zu haben, denn die Landung des Expeditionsschiffes sollte in siebzehn Maxiskopen stattfinden – also in genau einem Tag. Herad Gen war von der sich bietenden Möglichkeit wie berauscht. Er hielt nichts von Bard Mos absurden Plänen, das Kulturgut seines Volkes für die Nachwelt zu erhalten. Herad Gen wollte überleben, sonst nichts. Und diese Chance bot sich ihm nun. Durch den Sauerstoffmangel war es Herad Gen gelungen, die Mitglieder der Expedition zu bewegen, die naheliegende Funkstation aufzusuchen. Bard Mo wurde glatt über-stimmt. Jetzt galt es nur noch, die Besatzung der Funkstation anzurufen und die Aufnahme der dreizehnköpfigen Gruppe zu erwirken. Herad Gen sah hierin aber keine Schwierigkeiten. Das erwartete Expeditionsschiff mußte einen Fassungsraum für mehrere hundert Skinen haben. Dennoch dauerte es etliche Skopen bis Herad Gens Notsignale von der Funkstation beantwortet wurden. Und die erste Reaktion der Funkmann-
11 schaft war eisige Ablehnung. »Was hat das zu bedeuten, daß ihr dauernd unsere Frequenz stört? Und wer seid ihr überhaupt? Was wollt ihr?« »Wir sind eine Expedition aus dreizehn Leuten«, antwortete Herad Gen schnell. »Wir haben seit Tagen euren Funkverkehr abgehört und möchten euch einen Besuch abstatten.« Ein rauhes Gelächter war die Antwort. Dann: »Das haben schon viele Banden versucht. Mit vielerlei Mitteln – mit Tricks und Gewalt, aber alle haben sich eine Abfuhr geholt. Laßt es also bleiben, bei uns ist nichts zu holen.« »Wir sind keine Plünderer«, erwiderte Herad Gen erbost. »Wir sind Wissenschaftler aus dem Gebiet von Xascat.« »Wissenschaftler, so, so«, meinte der Funker. »Und ihr gebt das so ohne weiteres zu, obwohl wir in einer Zeit leben, wo die Wissenschaftler wie wilde Tiere gejagt werden!« »Ich sehe keinen Grund, euch unsere Zugehörigkeit zu verheimlichen«, sagte Herad Gen ungeduldig, den das Mißtrauen des anderen langsam in Zorn brachte. »Aus den Funkgesprächen habe ich herausgehört, daß ihr nicht von jener Sorte seid, die in ihrem Wahn alle Errungenschaften der Zivilisation und deren geistige Elite vernichten wollen. Ihr denkt so wie wir. Ich weiß auch, daß ihr die Landung eines Raumschiffes erwartet!« Danach folgte eine kurze Pause. Herad Gen erkannte, daß er einen wunden Punkt getroffen hatte. Deshalb fuhr er fort: »Keine Bange, wir werden die Landung des Schiffes nicht verraten. Wir sind ja selbst nicht daran interessiert, die Sektierer und Plünderer auf den Plan zu rufen. Wie ist es nun, nehmt ihr uns bei euch auf?« Nach einer kurzen Pause sagte der Funker: »Ihr scheint eine ziemlich gute Ausrüstung zu besitzen, wenn ihr unsere Funkgespräche abfangen konntet.« »Wir sind vorzüglich ausgerüstet«, bestä-
12 tigte Herad Gen und verschwieg vorsorglich den Verlust ihrer gesamten Vorräte. »Wenn es nicht so wäre, hätten wir den weiten Weg von Xascat hierher wohl nicht gechafft.« »Da ist etwas dran … In Ordnung, wir nehmen euch auf. Aber nur unter der Bedingung, daß ihr euch vor dem Betreten unseres Stützpunktes entwaffnen laßt. Und noch etwas: Seid bei der Annäherung vorsichtig. In der Gegend streunen einige gefährliche Biester herum. Außerdem hat sich in unserer Nähe eine der sogenannten Überlebensgruppen niedergelassen. Die Kerle sind nicht gerade wählerisch in ihren Mitteln. Und sie sind aller Wahrscheinlichkeit nach alle verseucht.« »Danke für die guten Ratschläge«, sagte Herad Gen. Er konnte sich nur mühsam beherrschen, seinen Triumph nicht zu zeigen. »Unsere Station ist nicht leicht zu finden«, kam es wieder aus dem Lautsprecher des Sprechfunkgeräts. »Es wäre also besser, wenn ihr weiter auf dieser Welle bleibt. Wir senden Signale aus, nach denen ihr euch orientieren könnt.« »Wird gemacht«, versicherte Herad Gen. »Ich werde mit meinen Leuten …« Er verstummte, als sein Blick auf Bard Mo fiel, der gerade auftauchte. »Wir werden uns sofort auf den Weg machen«, berichtigte er sich schnell. »Viel Glück!« Damit war die Funkverbindung unterbrochen. Herad Gen blickte Bard Mo siegesgewiß an. »Das wäre geregelt. Um unsere weitere Versorgung brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen.« »Es wäre besser gewesen, wenn du den Männern der Funkstation unsere Absichten verraten hättest«, meinte Bard Mo. »Jetzt haben sie vielleicht ganz falsche Vorstellungen davon, was wir wollen.« »Ich habe es absichtlich verschwiegen«, entgegnete Herad Gen. »Denn wenn sie wüßten, daß wir nur Sauerstoff tanken wollen, hätten sie uns womöglich die Unterstüt-
Ernst Vlcek zung verweigert.«
* Sie brachen sofort auf. Die Stimmung unter der Mannschaft hatte sich schlagartig gebessert. Nichts mehr war von der Resignation zu bemerken, die nach dem Verlust der Vorräte geherrscht hatte. Die Männer begannen wieder neu zu hoffen. Bard Mo war von dieser Entwicklung gar nicht begeistert. Er befürchtete nun mehr denn je, daß sie die Sicherheit der Funkstation nicht so schnell wieder verlassen, wenn sie erst einmal dort waren. Und er traute Herad Gen sogar zu, daß er sie zu überreden versuchen würde, die Flucht mit dem Raumschiff zu wagen. Aber diesem mußte erst die Landung gelingen! Bard Mo wollte nicht mehr daran denken. Er überlegte sich näherliegende Probleme. Was, wenn die Männer der Funkstation sie verjagten, wenn sie erfuhren, daß er und seine Leute nur Sauerstoff auftanken wollten? Er würde es notfalls auch auf einen Kampf ankommen lassen – jawohl! Sie ließen die Ruinen der ehemaligen Wohnsiedlung hinter sich zurück. Seltsamerweise waren sie an keinem einzigen Antimateriekrater vorbeigekommen, und auch die Luft war frei von AT-Fäden. Andererseits wurde der Boden ständig von Beben erschüttert. Deshalb hielten sie sich von hochaufragenden Hausmauern fern, um im Falle deren Einsturzes nicht gefährdet zu sein. Einmal wurden sie von einem Vogel angefallen, der wie eine überdimensionale Libelle aussah. Eder Schoi schoß ihn ab, ehe er ihnen gefährlich werden konnte. Bevor sie die Ruinen verließen, sahen sie hinter einer Schutthalde zwei Mutanten. Sie besaßen jeder vier Tentakel und die doppelte Anzahl von Greifklauen, nämlich je sechs. Dafür waren ihre Vorderbeine verstümmelt, und sie konnten sich nur auf den Hinterbei-
Der Negativ Kontakt nen fortbewegen. Bard Mo entdeckte auch noch, daß sie außer auf ihrer am Kopfende befindlichen Organscheibe auch überall über den Körper verteilt Augen, Sprechmembranen und Riechorgane besaßen. Selbst von den seltsam deformierten Röhrenohren starrten Augen. Die beiden mutierten Skinen zogen sich jedoch sofort zurück, als sie sich entdeckt sahen. Herad Gen hatte die Spitze übernommen. Er tat es, als handle es sich um die selbstverständlichste Sache von der Welt. Als Arna Schoi ihn über die Außensprechanlage ihres Schutzanzuges spöttisch fragte, ob er sich denn schon als Expeditionsführer fühle, entgegnete er: »Ich trage das Funkgerät und peile damit die Signale des Stützpunktes an. So gesehen, habe ich tatsächlich die Führung übernommen. Aber wenn Bard Angst hat, daß ich ihm den Rang ablaufen will, kann er mich ruhig ablösen.« Arnas Organscheibe begann vor Ärger blau zu pulsieren, und ihr fiel nichts Besseres zu sagen ein als: »Ich habe nicht in Bards Auftrag gesprochen, sondern aus eigenem Antrieb.« Arna blieb etwas zurück, bis sie sich mit ihrem Gefährten Eder und Bard Mo auf gleicher Höhe befand. »Warum unternimmst du nichts gegen Herad?« fragte sie den Expeditionsführer. »Wenn du seinem Treiben tatenlos zusiehst, werden die anderen noch glauben, daß du dich geschlagen gibst.« »Warten wir ab, bis wir den Stützpunkt erreicht haben«, sagte Bard Mo. »Dort werde ich meine Auslese treffen und die Spreu vom Weizen trennen. Kann ich mit euch beiden rechnen?« »Was für eine Frage!« Sie kamen ziemlich rasch voran. Herad Gen verirrte sich nur einmal; als sie einen großen Antimateriekrater umrunden mußten, verlor er den Funkkontakt. Die Hyperstörungen waren in Nähe der Antimaterieballung so stark, daß sie alle Funkimpulse überlager-
13 ten. Erst nachdem sie das Antimaterieloch einen halben Bergschatten hinter sich gelassen hatten, konnte Herad den Sender wieder anpeilen. »In einer Maxiskope müßten wir es geschafft haben«, sagte er nach hinten. Kaum hatte er ausgesprochen, als er plötz-lich vom Boden abhob. Die anderen verhielten unwillkürlich den Schritt, als sie sahen, wie Herad Gen ohne ersichtlichen Grund zu schweben begann. »Was ist das?« »Die Schwerkraft wird aufgehoben!« Bard Mo stellte im nächsten Augenblick an sich selbst fest, daß er leichter wurde. Er verlor den Boden unter den Füßen und wollte in einer ersten Panikreaktion mit den Tentakeln um sich rudern, um irgendwo Halt zu finden. Dann besann er sich jedoch noch rechtzeitig, daß dadurch alles noch viel schlimmer wurde und verhielt sich ganz ruhig. Langsam sank er wieder auf den Boden zurück. »Bewegt euch nicht!« riet er den anderen über Sprechfunk. »Wenn ihr aufhört, wie verrückt um euch zu schlagen, kommt ihr wieder auf den Boden zurück.« Er war aber nicht sicher, ob ihn alle gehört hatten, denn die Sprechfunkfrequenz war von Flüchen und Schreckensrufen überlagert. A-ber dann zeigte sich, daß sein Aufruf doch etwas fruchtete. Die Panik der Männer legte sich. Nacheinander schwebten sie auf den Boden zurück. Bevor der letzte von ihnen jedoch gelandet war, setzte die normale Schwerkraft wieder ein. Meenar Hey befand sich noch einen Mannschatten hoch in der Luft, als die volle Gravitation wieder wirksam wurde – er fiel wie ein Stein herunter. Seinem Aufprall folgte ein Schmerzensschrei. Bard Mo war sofort bei ihm und half ihm auf die Beine. »Zum Glück habe ich mir nichts gebrochen«, sagte Meenar Hey, schüttelte ein Bein nach dem anderen aus und schlenkerte
14 mit den Tentakeln. »Aber – was ist mit uns passiert?« »Es war das gleiche wie vor drei Tagen«, antwortete Bard Mo und setzte sich wieder in Bewegung. Als er Meenars fragenden Blick auf sich ruhen sah, fuhr er erklärend fort: »Es passierte, während ihr geschlafen habt. Nur Eder Schoi hielt mit mir Wache. Wir hatten uns in den Bunker zurückgezogen, plötzlich setzte die Gravitation aus. Es war ein gespenstischer Anblick, als ihr zur Decke geschwebt seid. Der Spuk dauerte nur wenige Skopen, und da ihr davon nicht aufgewacht seid, beschlossen wir, euch nichts davon zu sagen. Ich kann mir dieses Phänomen nur so erklären, daß die Antimaterie schon einen so großen Masseanteil besitzt, der die Planetenmasse zeitweilig aufhebt – zumindest zu bestimmten Zeiten und an gewissen Orten. Ich fürchte, es wird nun immer öfter zur Aufhebung der Schwerkraft kommen, je weiter die Umwandlung von Materie in Antimaterie voranschreitet …« »… bis der Planet auseinanderbirst«, vollendete Meenar Hey mit unheilschwangerer Stimme den Satz. Herad Gen, der das Gespräch mitangehört hatte, sagte dazu: »Darauf brauchen wir nicht zu warten. Wenn ihr wollt, könntet ihr alle an Bord eines Raumschiffs in Sicherheit sein, bevor …« »Kein Wort mehr, Herad!« unterbrach ihn Bard Mo scharf. »Behalte deine Gedanken gefälligst für dich. Du weißt, daß wir ganz andere Ziele verfolgen.« Herad Gen erwiderte nichts, sondern setzte seinen Weg schweigend fort. Bard Mo verfiel ins Grübeln. Er hatte eine schreckliche Vermutung, die er aber seinen Leuten verschwieg. Die Aufhebung der Gravitation mußte viel ernstere Ursachen haben, als er den anderen eingestehen wollte. Es war nicht einmal ausgeschlossen, daß dieses gesamte Gebiet bereits von Antimaterie unterhöhlt war. Das hieß mit anderen
Ernst Vlcek Worten, daß sie auf einer Scholle aus Materie auf einem Meer von Antimaterie trieben. Irgendwann – und das konnte jede Miniskope passieren – würde diese Scholle in einer urgewaltigen Explosion bersten. Das war dann der Anfang vom Untergang. Es war überhaupt kein Wunder, daß die Zersetzung des Planeten durch die Antimaterie so langsam vor sich ging. Es war nur so zu erklären, daß hyperenergetische Felder die Antimaterie größtenteils isolierten. »Achtung!« Bard Mo wurde durch diesen Alarmruf aus seinen Gedanken gerissen. Er sah, wie Herad Gen in Deckung ging und gleichzeitig seine Waffe in Anschlag brachte. Bard Mo und einige andere folgten instinktiv seinem Beispiel. Im nächsten Augenblick tauchte vor ihnen aus einer Senke ein Rudel unheimlicher Bestien auf. Bard Mo hatte etwas Ähnliches noch nie gesehen. Es mußte sich um bislang unbekannte Mutationen handeln. Die Tiere waren zwei Mannschatten groß und gingen aufrecht. Aber sie besaßen weder eine konkrete Körperform, noch Arme oder Beine im eigentlichen Sinn. Sie bestanden aus einer gallertartigen Masse, die sich ständig veränderte, und sie bewegten sich auf stummelartigen Pseudopodien, die sie nach Belieben variieren konnten. Sie waren unheimlich rasch. Herad Gen hatte kaum einen Schuß abgeben können, da hatten sie ihn auch schon überrannt. Bard Mo zielte auf die Leibesmitte eines der Ungeheuer und feuerte. Doch der Energiestrahl ging durch das Tier hindurch und verlor sich im dunstverhangenen Himmel. Konnte es so etwas geben? Waren diese Ungeheuer unverwundbar? Bard Mo schoß weiterhin verzweifelt um sich, doch ohne Erfolg. Die gallertartigen Ungeheuer kamen immer näher. Sie begruben die Männer einen nach dem anderen unter ihren schleimigen Körpern – und dann hatte das erste Ungeheuer auch Bard Mo erreicht. Da er sich nicht mehr anders zu hel-
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fen wußte, schlug er mit seinen Greifklauen auf das Ungetüm ein … Doch seine Tentakel gingen durch es hindurch, gerade so, als bestünde es aus Luft. Und da begriff Bard Mo. Es handelte sich bei den Ungeheuern nur um Luftspiegelungen, die irgend jemand hierherprojiziert hatte, um sie von der wahren Gefahr abzulenken. Als das Gallert-Ungeheuer sich in Luft auflöste, blickte Bard Mo in das entstellte Gesicht eines Skinen. Die gesamte Organscheibe wurde von einer riesigen Sprechmembrane eingenommen, um die sich winzige Augen gruppierten. Die Röhrenohren hingen seitlich des Gesichtes schlaff herunter. Bard Mo wurde von kräftigen Tentakeln die Waffe entwunden, Beine traten nach ihm, und dann lastete das Gewicht eines schweren Körpers auf ihm, so daß er sich nicht bewegen konnte. Der Mutant über ihm war doppelt so groß wie ein normaler Skine. Und es war ein Weibchen. »Ihr werdet uns in die Funkstation bringen«, sagte die Mutantenfrau.
5. Bei den Mutanten mußte es sich um die Überlebensgruppe handeln, von der Herad Gens Kontaktpartner gesprochen hatte. Die erwähnten Bestien, die im Gebiet der Funkstation herumstreunten, existierten nicht wirklich, sondern waren Projektionen. Bard Mos Leute waren praktisch widerstandslos überwältigt worden. Das Feuer, das sie auf die projizierten Tiere abgegeben hatten, war wirkungslos in der Atmosphäre verpufft. Die Mutanten waren im Schutz der Projektionen über sie hergefallen – eine wirkungsvollere Tarnung war kaum mehr denkbar. Das eröffnete ganz neue Perspektiven. Bisher hatte Bard Mo die Mutanten als degenerierte Geschöpfe angesehen. Doch diese Mutanten wußten ihren Verstand zu gebrau-
chen und mit der Technik der Skinen umzugehen. Der Ursprung der vielfältigen Mutationen war nicht klar erwiesen, weil seit Anbeginn der Weltkatastrophe praktisch keinerlei wissenschaftliche Forschungen mehr stattgefunden hatten. Aber Bard Mo hatte – bevor er mit seinem Team nach Vors aufgebrochen war – einige Untersuchungen angestellt und eine Theorie entwickelt, ohne sie lückenlos fundieren zu können. Demnach waren die Mutationen durch Einatmen der verseuchten Luft und durch den Genuß nicht keimfreier Nahrung entstanden. Die Verseuchung wiederum war auf die Antimaterie zurückzuführen. Die Antimaterie emittierte eine unbekannte Strahlung, die Kleinstlebewesen, also Einzeller, Bakterien und Viren angriff. Diese mutierten. Und erst diese mutierten Bakterien und Viren konnten die metamorphischen Eigenschaften auf die Zellen höherstehender Lebewesen übertragen. Die Viren und Bakterien waren dadurch zu Krankheitserregern besonderer Art geworden. Erst wenn man sie einatmete oder durch Wasser und Speisen zu sich nahm, mutierte man selbst. Bard Mo hatte eine Inkubationszeit von drei Tagen errechnet. Das hieß, daß man etwa einundfünfzig Maxiskopen ohne Schutzanzug leben konnte, bevor man »unheilbar« mutierte. Innerhalb dieser drei Tage war eine Heilung möglich. Aber das war, wie gesagt, alles nur graue Theorie. Manchem, der keine besonders gute körperliche Konstitution hatte, konnte schon ein einziger Atemzug zum Verhängnis werden. Andere konnten auch noch nach mehreren Tagen gerettet werden. Der Pilger, von dem Bard Mo die Landkarte hatte, schien völlig immun zu sein. Jedenfalls hatte er überhaupt keine äußerlichen Mutationen an sich. Dafür war er gegen das Gift der mutierten Insekten nicht immun. Die Überlebensgruppe, in deren Gefangenschaft sie geraten waren, bestand aus
16 achtzehn Mutanten. Anführer war die riesenhafte Frau, die Bard Mo überwältigt hatte. Die skinischen Frauen waren sowieso größer als die Männer, aber die Mutantin überragte selbst Arna Schoi um einige Eischatten. Sie nannte sich Palinga und setzte Bard Mo ihren Plan auseinander. »Wir belagern den Stützpunkt nun schon seit sieben Tagen«, sagte sie, »ohne bisher eine Möglichkeit gefunden zu haben, ihn ohne größere Verluste erobern zu können. Unser Funkgerät wurde leider während eines Antimaterieregens zerstört. Aber immerhin haben wir noch erfahren können, daß in den nächsten Tagen die Landung eines Raumschiffs erwartet wird. Unsere Absicht ist es, an Bord dieses Schiffes Tsopan zu verlassen.« »Das hättet ihr auch einfacher haben können«, meinte Bard Mo. »Die Besatzung des Raumschiffs besteht aus Wissenschaftlern. Ich bezweifle nicht, daß sie sich eurer annehmen werden – auch ohne daß ihr euren Wünschen durch Gewalt Nachdruck verleiht. Warum also wollt ihr die Funkstation erobern, Palinga?« »Das hat viele Gründe«, sagte Palinga. Sie zauberte mit ihrer riesigen Sprechmembrane eine wohlmodulierte und kultiviert klingende Stimme herbei. Bard Mo brauchte nur die Augen zu schließen, und in seinem Geist erschien das Bild seiner Idealfrau. Ein kurzer Gedanke blitzte in seinem Gehirn auf: War Palinga das erste Exemplar der neuen Herrenrasse von Tsopan? Und wenn es so war – welche Ironie des Schicksals, daß der Planet nach der Geburt des Überskinen untergehen würde. Palinga fuhr fort: »Ich glaube dir, Bard Mo, daß die Wissenschaftler interessiert wären, uns an Bord ihres Schiffes zu nehmen. Aber ihre Beweggründe würden mir nicht behagen. In ihren Augen wäre ich nur ein Versuchsobjekt, das zu sezieren sich lohnen würde. Und weil ich mich nicht für Experimente hergeben möchte, muß ich mir eine feste Position schaffen. Das heißt: Wenn das Raumschiff landet,
Ernst Vlcek dann werde ich als Kommandant der Funkstation auftreten. Ich, der Vertreter einer neuen Rasse von Überskinen, werde euer Schicksal in die Hand nehmen und nicht umgekehrt. Das weitere kannst du dir denken, Bard Mo?« Er nickte. »Nach der Funkstation wirst du mit deinen Leuten auch das Kommando über das Raumschiff übernehmen – und dann sind wir deine Versuchsobjekte für biologische und andere Experimente.« Ihre Membrane erzeugte ein zauberhaftes Lachen. »Du scheinst mir ein ziemlich intelligentes Exemplar von einem Skinen zu sein, Bard Mo.« Ernster fügte sie hinzu: »Es interessiert mich wirklich, zu erfahren, wie aus eurem dekadenten Volk ein solches Überwesen wie ich hervorgegangen sein kann.« »Du läßt dich dazu verleiten, überheblich zu werden, Palinga«, sagte Bard Mo abfällig. »Keineswegs«, sagte sie, und Bard Mo sah vor sich plötzlich den aufgerissenen Rachen eines Ungeheuers. Seltsamerweise »sah« er dieses Untier nur mit einem einzigen Auge, so daß es nicht einmal plastisch war, während seine anderen Sehorgane weiterhin das Bild Palingas aufnahmen. Das Ungeheuer verschwand so abrupt, wie es gekommen war. »Diese Illusion«, erklärte Palinga sachlich, »erzeuge ich allein mit der Kraft meines Geistes. Findest du mich immer noch überheblich, Bard Mo?« Nein, das tat er nicht mehr, und er ließ esPalinga durch die Verfärbung seiner Sinnesorganfläche erkennen. »Ich finde, du bist ein schlimmeres Ungeheuer als die Geschöpfe aus deinen Illusionsbildern!« rief Arna Schoi über ihre Außensprechanlage. Palinga machte eine wegwerfende Bewegung mit ihrer Greifklaue. »Du wirst anders über die neuen Skinen denken, wenn du erst von einem meiner Männer ein Kind erwartest.«
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Eder Schoi sprang die Mutantenfrau mit einem Wutschrei an, wurde jedoch von einem Schlag ihres Tentakels abgewehrt. »Genug des Geredes«, erklärte Palinga. »Eure Freunde in der Funkstation müssen langsam ungeduldig werden. Bisher haben wir ihnen vorgegaukelt, daß ihr von den Gallert-Bestien bedrängt werdet – und wohlgemerkt, sie glaubten, das auf ihren Bildschirmen zu sehen! Aber jetzt wird es Zeit, daß ihr als strahlende Sieger in den Stützpunkt einmarschiert. Sieben von euch werden zurückbleiben und durch meine Leute ersetzt. So viele habe ich gerade zur Verfügung, bei denen die Umwandlung noch nicht weit genug fortgeschritten ist, so daß man sie für herkömmliche Skinen halten kann. Nur noch eine Warnung, Bard Mo. Versuche keinen Verrat, denn sonst müßte ich euch dafür bestrafen.«
* Es war typisch für Herad Gens Charakter, daß er in dieser ausweglosen Situation alle Verantwortung auf Bard Mo abschob. Mit den Worten: »Du bist der Kommandant!« übergab er ihm das Funkgerät. Bard Mo hatte es kaum an das Sprechgerät seines Schutzanzugs angeschlossen, als sich in seinen Ohrhörern auch schon eine Stimme meldete. »Ihr habt euch gegen die Biester ganz gut geschlagen. Mein Kompliment. Hattet ihr Verluste?« »Nein«, antwortete Bard Mo. »Nur einer von uns, Eder Schoi, ist etwas angeschlagen.« Eder Schoi war tatsächlich etwas »angeschlagen« – aber das rührte von dem Schlag her, den ihm Palinga versetzt hatte. Seine Gefährtin Arna war, zusammen mit sechs anderen Expeditionsmitgliedern, bei den Mutanten zurückgeblieben. Die sieben Mutanten, die ihren Platz eingenommen hatten, gaben sich ziemlich sorglos. Sie hatten Bard Mo und seinen Leuten nicht einmal die Waffen abgenommen.
»Wenn ihr irgendwelche Dummheiten macht, dann müssen eure Kameraden sterben«, sagte Augmund, einer der Mutanten, der sie begleitete. Sein Name kam daher, weil er an der Saugöffnung am hinteren Körperende, also am Mund, ein nachtsichtiges Auge besaß. Bard Mo war sicher, daß Palinga die sieben Geiseln ohne zu zögern töten würde. Deshalb hatte er seinen Leuten eingeschärft, nichts gegen die Mutanten zu unternehmen. »Wo ist denn der Eingang zu eurer Station?« fragte Bard Mo über Funk. »Es kommt jemand ins Freie, der euch den Weg zeigt«, wurde ihm geantwortet. Augmund, der sich an Bard Mos Seite hielt und sich in die Frequenz eingeschaltet hatte, versteifte sich unwillkürlich. Er machte mit der Waffe unter seinem Umhang eine drohende Bewegung, und Bard Mo nickte verstehend. »Ist das nötig?« meinte Bard Mo »Ihr könnt euch die Mühe sparen; wenn ihr uns den Weg beschreibt.« Der andere ließ ein belustigtes Lachen hören. »Ihr würdet nie aus eigener Kraft durch den Irrgarten finden. Es ist in jedem Fall sicherer, wenn wir euch einen Führer schicken. Schon wegen unserer Abmachung, daß ihr euch vor dem Betreten des Stützpunktes entwaffnen laßt.« Bard Mo machte eine resignierende Geste mit den Tentakeln, um dem Mutanten an seiner Seite zu zeigen, daß er wohl guten Willens war, aber trotzdem keinen Erfolg verbuchen konnte. Wenn die Männer der Funkstation einen ihrer Leute herausschicken, konnte es passieren, daß dieser die Mutanten erkannte. Das konnte fatale Folgen haben. Bard Mo hoffte vor allem aus Sorge um die Geiseln, daß das nicht passierte. Die Mutanten trugen zwar Schutzanzüge, doch waren diese manchmal nicht unerheblich beschädigt und die Sauerstoffbehälter leer. Auch das konnte einem wachsamen Beobachter auffallen.
18 Plötzlich tauchte links von Bard Mo ein Mann in einem Schutzanzug auf. Von ihm ging ein schwaches Pulsieren aus, was darauf hinwies, daß er in einen energetischen Schutzschirm gehüllt war. »Hierher!« rief er über seine Außensprechanlage. »Geht einer nach dem anderen an mir vorbei und werft eure Waffen in die Grube, die aussieht wie ein AT-Loch. Haltet aber einen Mannschatten Abstand voneinander. Und daß keiner auf die Idee kommt, eine Waffe einschmuggeln zu wollen. Jeder von euch wird durchleuchtet.« Wieder merkte Bard Mo, wie Augmund neben ihm zusammenzuckte. Wahrscheinlich befürchtete er, daß seine Mutationen bei einer Durchleuchtung erkannt würden. Herad Gen hatte es plötzlich sehr eilig. Er war der erste, der den Mann im Schutzschirm erreichte und seine Waffe in die bezeichnete Grube warf. »In die Höhle hinunter – und immer geradeaus!« wurde ihm befohlen. Bard Mo kam hinter Herad Gen. Er warf den Strahler bereitwillig in die Grube. Aber er war nicht sicher, ob auch Augmund dem Befehl nachkam, der ihm in einem Abstand von einem Mannschatten folgte. Möglicherweise ließ der Mutant für den Wachtposten nur die Illusion entstehen, daß er sich der Waffe entledigte. Sie passierten den Wachtposten einer nach dem anderen und kamen in einen finsteren Gang. Als Bard Mo seinen Helmscheinwerfer einschaltete, zuckte ein Strahlenblitz auf, und der Scheinwerfer barst. »Kein Licht!« ertönte eine Stimme von oben. Augmund holte Bard Mo ein und flüsterte ihm zu: »Dein Freund Herad Gen glaubt wohl, daß ich ihn in der Dunkelheit nicht sehen kann. Sage ihm, daß er sich nicht so beeilen soll!« »Nicht so eilig, Herad!« rief Bard Mo in die Dunkelheit hinein. »Uns läuft nichts davon.« Bard Mo hörte Herad Gen fluchten, stellte
Ernst Vlcek an den Geräuschen vor sich jedoch fest, daß er langsamer wurde. Der Gang führte bald nach rechts, kurz darauf nach links und schraubte sich dann spiralförmig nach unten. »Alles nur Täuschung«, meinte Augmund dicht an Bard Mos Helmmikrophon kichernd. Das machte Bard Mo stutzig. Endlich hatte der Gang ein Ende. Vor ihnen wurde es hell, und Bard Mo erkannte, daß sie sich in einem Überlebensbunker befanden. »Ihr könnt die Schutzanzüge ablegen«, ertönte eine Lautsprecherstimme. »Die Luft in diesem Raum ist unverseucht.« Noch bevor sie dem Befehl nachkommen konnten, öffnete sich vor ihnen eine Luke, und die Umrisse eines Skinen waren darin sichtbar. »Ich bin Erbant, der Kommandant dieses Stützpunkts«, stellte sich der Unbekannte vor, an dem noch keine Einzelheiten sichtbar waren. Herad Gen stürzte auf einmal auf ihn zu und rief: »Überfall! Mutanten haben uns mit Waffengewalt gezwungen …« Herad Gen verstummte und stieß einen schrillen Schrei aus, als Erbant ins Licht trat. Er hatte vier Tentakel, die rings um seine Organscheibe angeordnet waren. Und die Organscheibe hatte kein Gesicht – kein einziges Sinnesorgan war darin zu sehen.
6. »Es ist doch zu komisch«, meinte Palinga. »Da zerbrechen wir uns seit Tagen den Kopf darüber, wie wir die Funkstation einnehmen könnten, ohne zu ahnen, daß sie von unseresgleichen besetzt ist.« »Wir konnten uns nicht zu erkennen geben«, erklärte Erbant, der Skine ohne Gesicht. Obwohl er keine Sinnesorgane im üblichen Sinn besaß, konnte er mit einem »inneren Auge« besser sehen als jeder andere Skine. Wenn er sprach, dann waren seine Worte
Der Negativ Kontakt nicht von einer Membrane erzeugter Schall, sondern Gedankenimpulse, die jedes normale Gehirn empfangen konnte. Dennoch war Erbant kein Telepath, denn er konnte die Gedanken der anderen nicht lesen. Dafür besaß er ein empfindliches Gehör, dem kein Geräusch entging. Erbant sah zum Fürchten aus – Bard Mo konnte Herad Gens Schreckreaktion bei der ersten Konfrontation verstehen. Jetzt war Herad Gen zusammen mit den anderen Expeditionsteilnehmern in einem ausbruchssicheren Raum eingesperrt. Bard Mo war der einzige, der sich frei in dem subplanetaren Bunker bewegen konnte und der an den Gesprächen der Mutanten teilnehmen durfte. Palinga hatte mit untrüglichem Instinkt erkannt, daß er den Mutanten nicht feindlich gesinnt war. Sie hatten sich in der Funkzentrale versammelt: Palinga, Erbant und fünf weitere Mutanten, darunter auch Augmund – und Bard Mo wurde hier ebenfalls geduldet. »Wir durften uns nicht zu erkennen geben«, wiederholte Erbant, »weil wir uns sonst der Raumschiffsbesatzung gegenüber verraten hätten. Gäben wir uns als Mutanten zu erkennen, dann würde das Raumschiff hier sicherlich nicht landen.« »Glaubst du denn, daß die Landung gelingt?« fragte Bard Mo. »Die Antimateriefäden machen ein solches Unterfangen doch unmöglich.« »Wir haben diese Gefahr keineswegs unterschätzt«, erklärte Erbant. »Aber auf dem Schiff hat man Vorbereitungen getroffen, die AT-Fäden zu entschärfen. Deshalb hat sich die Landung auch solange hinausgezögert. Die Raumfahrer brauchten Zeit, um nach unseren Angaben Gravitationsbomben anzufertigen. Die ersten Tests damit sind recht vielversprechend verlaufen. Es müßte klappen.« »Gravitationsbomben?« wunderte sich Palinga. Bard Mo glaubte, Erbants Plan erkannt zu haben, deshalb gab er an Stelle des Mutan-
19 ten die Antwort. »Die Idee ist tatsächlich nicht schlecht. Es ist bekannt, daß die besondere Gefahr der Antimateriefäden darin besteht, daß sie von bewegter Materie wie magisch angezogen werden. Sie entwickeln dabei eine so große Geschwindigkeit, daß sie jeden Flugkörper einholen können. Das ist der Grund, warum kein Raumschiff – und auch nicht der kleinste Flugkörper – landen oder starten kann. Die Antimateriefäden schlingen sich um alles, was sich bewegt.« »Das ist inzwischen wohl jedem klar, der auf Tsopan lebt«, sagte Palinga unwirsch. »Laß ihn doch weiterreden«, meinte Erbant. »Ich glaube, er ist mit seinen Überlegungen auf dem richtigen Weg.« »Ich glaube auch«, sagte Bard Mo und fuhr fort: »Man kann aber die AT-Fäden von einem Objekt ablenken, indem man ihnen andere Ziele gibt. Die Größe dieser Ziele ist dabei unmaßgeblich, sie müssen nur dieselbe Anziehungskraft wie etwa ein zu schützendes Raumschiff besitzen. Antimateriebomben könnten diesen Zweck erfüllen. Wenn man das Raumschiff mit ihnen umgibt, sie sozusagen als Vorhut ausschickt, werden die AT-Fäden natürlich zuerst von ihnen angezogen. Dadurch entsteht aber für das Raumschiff eine freie Flugschneise, die es ungefährdet passieren kann. Dazu muß aber noch gesagt werden, daß es vieler Gravitationsbomben bedarf, um eine Flugschneise quer durch die ganze Planetenatmosphäre zu schaffen.« »Richtig«, pflichtete Erbant bei. »Dieses Problem ist aber bereits gelöst. In der letzten Nachricht wurde uns gemeldet, daß das Forschungsschiff dreihunderttausend Gravitationsbomben an Bord hat. Jede von ihnen ist zwar nur so groß wie die Kuppe einer Greifklaue, aber für unsere Zwecke ausreichend. Mit dieser Menge von Gravitationsbomben müßten Landung und Start gesichert sein.« »Warum eigentlich diese Umstände?« wollte Palinga wissen. »Würde ein energetischer Schutzschirm nicht auch denselben Zweck erfüllen?«
20 Erbant machte mit einer Greifklaue eine verneinende Bewegung. »Ein Schutzschirm ist auf seine Art ein komplexes Gebilde«, erklärte er. »Ein einziges Antimaterieteilchen könnte ihn schon zur Explosion bringen – und die überschlagende Antienergie würde das Raumschiff in Miniskopenschnelle vernichten. Deshalb muß ein einfliegender Flugkörper durch viele voneinander unabhängige, kleine Objekte geschützt sein. Die geringe Masse dieser ›Köder‹ ist nötig, weil diese eine mindere Sprengkraft hat.« »Das leuchtet mir ein«, sagte Palinga. Sie machte eine Tentakelbewegung, um ihre folgenden Worte zu bekräftigen. »Ich bin jetzt ziemlich zuversichtlich, daß das Vorhaben gelingen wird.« »Und wie soll es dann weitergehen?« fragte Bard Mo und blickte Erbant mit allen Augen an. In Bard Mos Gehirn erklang ein Lachen, dann vernahm er Erbants erstaunte Gedanken: »Ganz einfach. Wir gehen an Bord des Forschungsschiffes und verlassen Tsopan. Auf irgendeinem der tsopanähnlichen Planeten werden wir dann ein neues Skinenvolk gründen.« »Ich habe meine Frage anders gemeint«, sagte Bard Mo. »Was wird geschehen, wenn man euch nicht an Bord läßt, weil ihr Mutanten seid?« Es entstand eine kurze Pause, dann sagte Palinga fest: »Die fähigere Spezies soll überleben.« Das war eine klare, unmißverständliche Antwort. Bard Mo war darüber nicht einmal schockiert. Aber er hoffte doch, daß die Raumfahrer einsichtig genug sein würden, die Mutanten als Skinen anzuerkennen und sie bei sich aufzunehmen. Warum sollte das Stammvolk der Skinen nicht mit den Mutanten in friedlicher Koexistenz zusammenleben können? »Machst du dir etwa Sorgen um dich und deine Leute, Bard Mo?« sagte Palinga. »Ich kann dich beruhigen. Für euch wird ein Platz
Ernst Vlcek auf dem Schiff sein.« »Darum ging es mir gar nicht«, versicherte Bard Mo. »Wir werden sowieso nicht mitkommen, sondern auf Tsopan bleiben.« »Das kannst du nicht ernst meinen, Bard Mo«, entfuhr es Palinga, und sie starrte ihn mit ihren Kleinaugen an. »Doch, es ist mir ernst«, versicherte Bard Mo. »Wir haben hier auf Tsopan noch eine wichtige Mission zu erfüllen.« Er wandte sich dem Kommandanten der Funkstation zu und blickte in dessen organlose Gesichtsscheibe. »Ich möchte dich bitten, uns zu unterstützen, Erbant. Wir haben durch ein AT-Loch all unsere Ausrüstung und Vorräte verloren. Unser Sauerstoff reicht höchstens noch für zehn Maxiskopen. Da ihr Tsopan sowieso verlaßt und das Forschungsschiff genügend Vorräte an Bord haben dürfte, möchte ich dich bitten, uns mit Sauerstoff und technischen Hilfsgeräten auszuhelfen.« Erbant reagierte zuerst überhaupt nicht darauf. Erst nach einer Weile meldeten sich seine Gedanken in Bard Mos Gehirn. »Du gehst von ganz falschen Voraussetzungen aus, Bard Mo. Wir sind keineswegs so gut ausgerüstet, wie du meinst. Technische Gerätschaften besitzen wir zwar im Überfluß, aber was Nahrung und Sauerstoff betrifft …« Bard Mos Organscheibe begann bläulich zu pulsieren. »Soll das heißen, daß ihr uns nicht helfen wollt?« »Von wollen kann keine Rede sein«, erwiderte Erbant. »Wir können ganz einfach nicht. Wir haben schon seit Tagen nichts mehr zu uns genommen. Und wir atmen schon seit zwei Skopenreihen verseuchte Luft. Warum auch nicht? Uns können die Viren und Bakterien nichts mehr anhaben, denn wir sind bereits mutiert.« »Dann atme ich jetzt auch verseuchte Luft?« entfuhr es Bard Mo und er griff unwillkürlich nach dem Schutzfilter der Kombination, um ihn zu schließen. Doch Erbants Tentakel schnellten vor und hinderten ihn
Der Negativ Kontakt daran. »Spar deinen Sauerstoff, Bard Mo«, sagte der Kommandant des Stützpunkts. »Die paar Maxiskopen in vergifteter Atmosphäre werden dir nicht viel schaden. Ich kann deine Angst verstehen. Aber was macht es schon, daß du mutierst, wenn du sowieso auf Tsopan zurückbleibst? Sterben wirst du so oder so.« Bard Mo war wie benommen. »Ihr habt uns hintergangen«, murmelte er. »Ihr habt uns hergelockt, nur um an unsere Vorräte heranzukommen!« »Viel war da nicht zu holen«, kamen Erbants spöttische Gedanken. »Wir haben uns, ehrlich gestanden, mehr erwartet. Aber wenigstens konnten wir unseren ärgsten Hunger stillen, so daß wir bis zur Landung des Schiffes durchhalten werden.« Bard Mo wurde vor Zorn blau, seine Tentakel krümmten sich, er spreizte die Greifklauen, als wolle er sich damit auf Erbant stürzen. Der Mutant wartete gelassen darauf, daß er sich wieder beruhigte, dann sagte er: »Ist der Gedanke wirklich so schrecklich für dich, ein Mutant zu werden?« »Ich weiß es nicht«, gestand Bard Mo. Er wußte, daß von der Beantwortung dieser Frage viel abhing, aber er konnte einfach keine Stellung beziehen. »Ich weiß nicht, warum mich dieser Gedanke so abschreckt«, sagte Bard Mo schließlich. »Vielleicht deshalb, weil ich fürchte, daß ich dann meine Mission nicht beenden kann. Ich habe genug negative Mutationen gesehen – sie sind ein abschreckendes Beispiel für mich.« »Ich verstehe schon«, beruhigte ihn Palinga. »Es sind nicht viele, bei denen sich die Mutation positiv auswirkt. Wahrscheinlich kommt es nur bei einem von tausend zu einer positiven Metamorphose. Man müßte es wissenschaftlich untersuchen, von welchen Faktoren dies abhängt, dann könnte man die Mutationen zu steuern versuchen.« »Das werden wir auch tun, wenn wir erst von Tsopan fort sind«, sagte Erbant. »Du, Bard Mo, und deine Leute, ihr werdet uns
21 für unsere Versuche als Testpersonen dienen. Vergiß also deine Mission. Du wirst uns begleiten!«
7. Erbants Leute hatten Bard Mo zu den anderen in den abgesicherten Raum gebracht. »Haben dich deine Mutantenfreunde im Stich gelassen, Verräter!« schleuderte ihm Herad Gen zum Empfang entgegen. »Deine sklavische Unterwürfigkeit hat dir überhaupt nichts genützt. Jetzt bist du genau so schlimm dran wie wir!« Bard Mo fühlte fast körperlich die eisige Verachtung, die ihm seine Leute entgegenbrachten, und er konnte sich gut vorstellen, wie Herad Gen während seiner Abwesenheit gegen ihn intrigiert hatte. Sie blieben alle auf Distanz, nur Arna und Eder Schoi stellten sich auf seine Seite. »Laß ihn reden«, sprach Arna ihm zu. »Wir alle wissen, was für einen miesen Charakter Herad hat. Seine giftigen Reden gegen dich verhallen bei uns ungehört.« »So sicher bin ich gar nicht«, erwiderte Bard Mo spöttisch und sah seine Leute der Reihe nach an. Sie wandten sich unter seinen Blicken unschlüssig ab. Bard Mo fügte hinzu: »Ihr alle scheint vergessen zu haben, daß uns Herad durch seine unüberlegte Handlungsweise in diese Lage gebracht hat. Um seinen Kopf zu retten, hat er uns alle im Stich gelassen, ja, sogar riskiert, daß uns die Mutanten töten, als er die Besatzung dieses Stützpunkts warnte. Zu unserem Glück handelte es sich aber ebenfalls um Mutanten.« »Da, hört ihr es!« rief Herad Gen und deutete anklagend auf Bard Mo. »Er leugnet es nicht einmal jetzt, daß die Mutanten seine Freunde sind. Er stellt es immer noch als Glücksfall hin, daß wir ihnen in die Hände geraten sind.« Bard Mo wartete geduldig, bis Herad Gen geendet hatte, dann sagte er: »Du siehst gar nicht gut aus. Herad.« »Das ist ein zu billiger Trick, um uns ab-
22 zulenken, Bard. Damit richtest du aber bei uns nichts aus.« »Ich finde wirklich, daß du nicht gut aussiehst«, sagte Bard Mo. »Eder, du bist Arzt. Meinst du nicht auch, daß Herads Gesicht eine unnatürliche Blässe hat? Es pulsiert kaum, und selbst wenn er sich erregt, ist kaum eine Verfärbung festzustellen.« »Ich weiß zwar nicht, worauf du hinauswillst, Bard«, sagte Eder Schoi. »Aber Herad hat vorhin schon über Übelkeit geklagt. Ähnlich ist es auch einigen anderen gegangen.« »Das könnte an der verseuchten Atmosphäre liegen«, sagte Bard Mo. Seine wie nebenbei hingesagten Worte schlugen wie eine Bombe ein. Aber es brach kein Tumult los. Die Männer waren wie starr vor Schreck, zu kaum einer Bewegung fähig, und starrten Bard Mo an. Dieser sagte: »Schließt eure Schutzanzüge. Die Luft im Stützpunkt ist verseucht. Aber wir haben sie noch nicht lange eingeatmet, so daß zu hoffen ist, daß keiner von uns ernsthafte Schäden erlitten hat. Herad sieht aber bereits ziemlich angegriffen aus …« »Du willst uns nur Angst einjagen«, rief Herad Gen aus. »Du versuchst, von deinem Verrat abzulenken.« »Wenn du mir nicht glaubst, dann brauchst du deinen Schutzanzug nicht zu schließen«, erwiderte Bard Mo. »Den anderen rate ich aber, nur noch Sauerstoff aus ihren Behältern zu atmen, wenn sie von Mutationen verschont bleiben wollen.« Sie kamen alle Bard Mos Aufforderung nach – auch Herad Gen. Nachdem sie ihre Fassung einigermaßen wiedergewonnen hatten, bestürmten sie Bard Mo mit Fragen und verlangten von ihm zu wissen, wie es weitergehen solle. Sie akzeptierten ihn wieder voll und ganz als ihren Kommandanten; Herad Gens Intrigen waren wirkungslos geworden. »Unser Sauerstoffvorrat reicht bis zum Eintreffen des Raumschiffes«, erklärte Bard Mo. »Ich glaube jetzt selbst schon, daß die
Ernst Vlcek Landung gelingen könnte und erwarte mir von den Raumfahrern Unterstützung. Solange müssen wir uns gedulden.« Und während die dreizehn Skinen im Gefängnis des Bunkers auf ihre Chance warteten, kam aus den Planetentiefen ein unheimliches Grollen, das immer stärker wurde.
* Man mußte bei jedem Schritt, den man machte, vorsichtig sein. Die Schwerkraft setzte manchmal völlig aus, und dann konnte es passieren daß, wenn man zu kraftvoll ausschritt, völlig hilflos durch die Luft schwebte. »Das ist das Ende!« jammerte irgend jemand. »Der Planet birst!« prophezeite ein anderer. »Die Beben werden immer heftiger … Selbst wenn das noch nicht der Weltuntergang ist, werden wir in diesem Bunker verschüttet.« Bard Mo versuchte, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Doch er besaß keine Argumente, mit denen er seine Leute beschwichtigen konnte. Die Beben wurden immer stärker, kamen in immer kürzeren Intervallen, und das immer häufigere Aussetzen der Schwerkraft deutete ebenfalls auf die bevorstehende Katastrophe hin. »Wir müssen einen Ausbruch versuchen!« schlug Herad Gen vor. »Selbst wenn einige im Kampf gegen die Mutanten umkommen, ist das immer noch besser, als hier hilflos zu krepieren!« Die Männer stürmten die Tür. Doch so sehr sie sich auch bemühten, sie bekamen sie nicht auf. Als dann noch die Gravitation aufgehoben wurde, und sie nirgends mehr Halt fanden, gaben sie ihre sinnlosen Versuche auf. Wenig später sprang die Tür auf. Bard Mo glaubte, daß die Mutanten kamen, um sie zu holen. Doch in der offenen Tür war niemand.
Der Negativ Kontakt In den Wänden begann es zu krachen, Risse zeigten sich darin, die Kunststoffverschalung splitterte mit schrillem Getöse ab. Die Wände gerieten aus dem Winkel, der Boden senkte sich – und dann stürzte ein Teil der Decke ein. Schmerzensschreie gellten durch den Schleier aus Staub, als die Männer unter den Trümmern begraben wurden. Bard Mo sah einen Tentakel aus dem Schutt ragen und zog daran. Es gelang ihm unter großen Anstrengungen, den Verschütteten zu befreien. Es war Koraz Lee. »Bist du verletzt?« fragte Bard Mo. Koraz Lee machte eine verneinende Bewegung mit dem Tentakel. »Nur mein Schutzanzug dürfte hin sein.« »Darauf kommt es nicht mehr an. Jetzt geht es ums nackte Leben.« Sie rannten auf die Tür zu, durch die gerade Herad Gen und zwei andere verschwanden. »Hat jemand die Schois gesehen?« schrie Bard Mo hinter ihnen her. »Die sind schon längst in Sicherheit«, wurde ihm geantwortet. »Bis auf zwei haben sich alle gerettet …« Auch in dem Korridor vor ihnen waren überall Sprünge in den Wänden und in der Decke. Schotte und Türen hingen schief in ihren Angeln. Sie kamen auf eine schräg nach oben führende Rampe und gelangten so in das O-bergeschoß. Dort wurden sie von fünf Mutanten mit entsicherten Waffen erwartet. »Stehengeblieben! Stellt euch hier an der Wand entlang!« »Laßt uns heraus«, verlangte Bard Mo. »O-der wollt ihr, daß wir hier lebendig begraben werden?« »So schnell geht die Welt nicht unter.« Es war Augmund, der das sagte. »Stellt euch gefälligst hier auf. Ihr mußt schon solangewarten, bis Erbant das Zeichen zum Aufbruch gibt.« »Worauf sollen wir denn noch warten?« wollte Bard Mo wissen. »Bis das Raumschiff gelandet ist«, ant-
23 wortete Augmund. »Das Raumschiff ist eingetroffen?« fragte Herad Gen verblüfft. »Es setzt gerade zur Landung an«, bestätigte Augmund. »Wir können jetzt nicht den Bunker verlassen und uns den Raumfahrern zeigen. Die würden glatt Reißaus vor uns nehmen. Wir lassen uns ein Beiboot schicken, mit dem wir an Bord gehen können. Das erspart uns Komplikationen.« Wieder ging eine Erschütterung durch den Bunker. Diesmal war das Beben so stark, daß einige Skinen und Mutanten den Halt verloren. Als gleich darauf die Schwerkraft auf ein Minimum herabsank, rief Bard Mo seinen Leuten zu: »Auf sie!« Er stieß sich selbst kraftvoll vom Boden ab und prallte wie ein Geschoß gegen Augmund. Dabei löste sich ein Strahlenschuß aus der Waffe des Mutanten und drang ihm durch die Leibesmitte. Bard Mos Kameraden hatten ebenfalls schnell und geistesgegenwärtig reagiert. Sie überrannten die Mutanten förmlich und konnten sie relativ leicht entwaffnen. Dabei bekam Koraz Lee allerdings einen Streifschuß ab. »Wir müssen in die Funkzentrale«, ordnete Bard Mo an. »Erst wenn wir sie in unsere Gewalt bekommen, können wir die Sicherheitsanlagen ausschalten und an eine Flucht denken.« »Bard Mo!« erscholl eine befehlende Stimme in seinem Gehirn. Auch die anderen mußten sie gehört haben, denn sie erstarrten wie auf Kommando mitten in der Bewegung. Es konnte keinen Zweifel daran geben, daß es Erbant war, der sich in ihren Gehirnen meldete. »Bard Mo«, kamen wieder Erbants Gedankenimpulse. »Ich habe alle Vorgänge beobachtet und möchte euch warnen. Versucht nicht, die Funkzentrale zu besetzen, denn das würde euch das Leben kosten.« War Erbant doch ein Telepath, und hatte er ihre Absichten aus ihren Gedanken erfah-
24 ren? Wie um ihm darauf Antwort zu geben, meldete sich Erbant wieder. »Ich weiß zwar nicht, was in euren verkümmerten Gehirnen vorgeht. Aber ich kann durch jegliche Materie sehen und den gesamten Stützpunkt kontrollieren. Wenn ihr euch der Funkzentrale nähert, werden euch meine Leute einen heißen Empfang bieten.« Bard Mo schaltete sein Funksprechgerät ein und sagte, in der Hoffnung, daß Erbant einen Empfänger eingeschaltet hatte: »Wir haben gar nicht die Absicht, eure Pläne zu durchkreuzen. Wir wollen nur nicht hier unten verschüttet werden. Gebt uns den Weg nach draußen frei.« In Bard Mos Ohrhörern ertönte ein Knacken, dann ertönte Palingas Stimme darin. »Warum nicht, Bard Mo? Wenn ihr es so wollt, dann seid ihr frei. Ihr könnt hingehen, wohin ihr wollt.« »Warum denn plötzlich dieser Gesinnungswechsel?« fragte Bard Mo mißtrauisch. »Es hat sich seit unserem letzten Gespräch einiges geändert«, antwortete Palinga. »Wir sind nicht mehr so versessen darauf, euch mitzunehmen, sondern sind schon froh, wenn wir es allein schaffen, auf das Schiff zu kommen. Wer aber freiwillig mitgehen möchte, dem steht es frei, sich uns anzuschließen.« »Ich komme mit!« rief Herad Gen über Sprechfunk. »Wartet auf mich. Ich schließe mich euch an.« Er wandte sich an seine Kameraden. »Worauf wartet ihr Narren denn noch? Habt ihr denn noch nicht erkannt, daß dies der Anfang vom Weltuntergang ist?« »Das stimmt nicht ganz«, berichtigte Palinga. »Tsopan wird nicht so schnell auseinanderfallen. Aber die, die in diesem Gebiet zurückbleiben, sind trotzdem verloren. Die Berechnungen haben ergeben, daß wir nur noch auf einer mehrere Bergschatten großen Scholle aus Materie treiben. Rund um uns und unter uns ist nichts als Antimaterie. Es kann nur noch wenige Skopen dauern, bis
Ernst Vlcek die Scholle explodiert!« »Mich hält hier nichts mehr!« rief Herad Gen und rannte davon. »Lieber ein Gefangener der Mutanten als tot.« Bard Mo sah, wie seine Leute einer nach dem anderen Herad Gen zur Funkzentrale folgten. Nur Arna und Eder Schoi blieben bei ihm. »Ich würde es euch nicht übelnehmen, wenn ihr …«, begann Bard Mo. Aber Eder unterbrach ihn. »Wir lassen dich nicht im Stich«, erklärte er. »Was sollen wir bei den Mutanten? Für sie sind wir doch nichts anderes als Versuchsobjekte.« »Dann machen wir, daß wir fortkommen.«
8. Als sie ins Freie traten, schien der Jüngste Tag anzubrechen. Überall in der karstigen, vom Antimaterieregen zerfressenen Landschaft fanden ständig Explosionen statt. Ein Sturm war aufgekommen, der vom Süden her Antimateriefäden herantrieb. Der Horizont wurde in einer Entfernung von zwei Bergschatten von hoch in den Himmel schießenden Fontänen aus Antimaterie gebildet. Materiemoleküle und Antimateriepartikel wurden durcheinandergewirbelt und in einer nie endenwollenden Kettenreaktion zur Explosion gebracht. Die Welt schien eine Miniskope vor dem Untergang zu stehen. Und mitten in diesem Chaos sahen sie das Raumschiff. Es stand, auf seinem Antriebsteil gelandet und von den Landebeinen gestützt, nicht weit vom Ausgang des Bunkers entfernt. Es war an die hundert Mannschatten hoch, und der kugelige Schiffskörper, der durch Streben mit dem Antriebsteil verbunden war, durchmaß vierzig Mannschatten. Aus den Verbindungsstreben löste sich gerade ein längliches Beiboot, das mit vier anderen dort verankert war. Rund um das Raumschiff explodierten ständig AT-Fäden
Der Negativ Kontakt als sie mit den Miniatur-Gravitationsbomben in Berührung kamen. Das Beiboot hielt geradewegs auf Bard Mo und seine beiden Gefährten zu. »Laß dir nur nicht einfallen, die Besatzung des Beiboots zu warnen, Bard Mo!« ertönte Palingas drohende Stimme in den Ohrhörern des Expeditionskommandanten. Bard Mo gab keine Antwort. »Weg von hier!« riet er Arna und Eder Schoi. »Wir müssen versuchen, das Schiff zu erreichen.« »Willst du nun doch an Bord gehen?« fragte Eder Schoi ungläubig. »Nein!« versicherte Bard Mo. »Aber vielleicht können wir ein Beiboot kapern. Das wäre die einzige Möglichkeit, um aus dem gefährdeten Gebiet zu gelangen.« Sie rannten wie von Furien gehetzt auf das Raumschiff zu. Rings um sie taten sich Risse in der Planetenoberfläche auf, und giftige Gase schossen zischend in die Atmosphäre. Als sich Bard Mo einmal nach seinen beiden Gefährten umdrehte, sah er im Hintergrund einige Gestalten auftauchen. Mutanten! Wahrscheinlich war die Lage im Bunker schon zu brenzlig geworden, und sie suchten ihr Heil auf der Oberfläche. Als die Gravitation für einige Augenblicke wieder aussetzte, wurden einige von den Mutanten, die zu sorglos gewesen waren, vom Sturm davongeweht. Einer von ihnen geriet in ein ATGespinst und explodierte. »Wir schaffen es nicht, Bard«, sagte Eder Schoi über Sprechfunk. »Wir werden das Raumschiff nie erreichen.« »Es ist nicht mehr weit«, behauptete Bard Mo, obwohl der Abstand zum Raumschiff noch gut hundert Mannschatten betrug. Sie mußten einem breiten Bodenriß ausweichen, aus dem eine Fontäne brodelnder Dämpfe schoß. Arna Schoi taumelte. Sie blieb mit einem Bein an einem scharfkantigen Fels hängen und riß sich den Schutzanzug auf. »Ich verliere Sauerstoff«, meldete sie er-
25 schrocken. »Die Giftgase …« Weiter kam sie nicht. Als Eder ihr zu Hilfe eilte, brach sie besinnungslos zusammen. Er beugte sich über seine Gefährtin und versuchte sie zu tragen. Doch sie war zu schwer. »Eder, wir müssen weiter!« rief Bard Mo ihm zu. »Ich bleibe bei Arna!« »Verdammter Narr«, schimpfte Bard Mo. Er kehrte um. Als er Eder erreichte, versuchten sie mit vereinten Kräften, Arna zu tragen. In diesem Moment landete das Beiboot keine fünf Mannschatten von ihnen entfernt. Zwei Skinen in Raumanzügen sprangen aus der Luftschleuse. Sie eilten herbei, schoben kommentarlos ein Antigrav-Netz unter Arnas reglosen Körper und steuerten mit ihr auf die Luftschleuse zu. Eder wollte sie zurückhalten, doch Bard Mo winkte ab. Er hatte einen Plan gefaßt. Wenn schon das Beiboot irrtümlicherweise bei ihnen gelandet war, dann wollte er auch einen Nutzen daraus schlagen. Es war ihm gleich, welches Beiboot er kaperte – es konnte genau so dieses wie jedes andere sein. Die Waffe, die er Augmund abgenommen hatte, konnte ihm dabei von Nutzen sein. Die Mutanten begannen plötzlich das Feuer zu eröffnen, als sie sahen, wie Bard Mo und Eder Schoi an Bord des Beiboots gingen. »Nehmt sie fest, das sind Verräter!« kamen Erbants Gedankenimpulse. Die Raumfahrer waren viel zu überrascht, um reagieren zu können, als sie überraschend fremde Gedanken in ihren Gehirnen vernahmen. Das bot Bard Mo Gelegenheit, seine Waffe in Anschlag zu bringen. »Hört nicht auf das Geschwätz«, sagte er über Sprechfunk. »Meine Argumente sind viel schlagkräftiger als die der Verfolger.« Und er machte eine bezeichnende Bewegung mit der Waffe. Die beiden Raumfahrer betraten die Luftschleuse, in der immer noch
26 die besinnungslose Arna lag. Bard Mo und Eder Schoi folgten. Der Platz in der Luftschleuse war gerade für fünf Skinen ausreichend. Auf einen Wink Bard Mos hin schloß der eine Raumfahrer die Luftschleuse durch einen Knopfdruck. Während sie sich langsam schloß, kam es zu einem Ereignis, das Bard Mo aber nicht mehr zu Ende beobachten konnte. Er hörte noch das Krachen und Bersten und sah dann, wie das Raumschiff sich langsam zur Seite neigte und in einem Krater aus Antimaterie versank, der sich unter den Landestützen auftat. Mehr konnte er nicht mehr sehen, weil sich die Außenschleuse geschlossen hatte. Die Innenschleuse glitt auf. Die beiden Raumfahrer stürmten sofort in den Auffangraum. Bard Mo sah durch die Sichtscheiben ihrer Raumanzüge, daß ihre Gesichter vor Erregung blau pulsierten. Er dachte, daß sie eine Hinterlist im Schilde führten, um ihn zu überwältigen, doch es stellte sich heraus, daß sie etwas ganz anderes beabsichtigten. Sie schalteten einen Bildschirm ein, der die Szene außerhalb des Beiboots zeigte. Von dem Raumschiff war nicht mehr viel übrig. Eine Explosion hatte den Schiffskörper vom Antriebsteil getrennt, die Verbindungsstreben ragten wie gebrochene Tentakel in den Himmel, über den wirbelnde Gespinste von AT-Fäden trieben. In der Nähe des Beiboots lagen einige reglose Gestalten herum: Mutanten und einige Skinen aus Bard Mos Expeditionsgruppe, die von niederfallenden Trümmern erschlagen oder von freigewordenen Antimateriepartikeln zerfetzt worden waren. Aber der Bildschirm zeigte auch noch etwas anderes. Palinga, Herad Gen, ein weiterer Mutant und zwei von Bard Mos Leuten, die verzweifelt gegen die Außenschleuse hämmerten. »Laßt sie herein!« herrschte Bard Mo die beiden Raumfahrer an und stieß mit der
Ernst Vlcek Waffe nach ihnen. Sie reagierten sofort und öffneten die Außenschleuse. »Auf euer Schiff könnt ihr jetzt ohnehin nicht mehr zurück«, sagte Bard Mo. »Das existiert nicht mehr. Ihr sitzt mit uns auf Tsopan fest. Aber ihr könnt wenigstens euer Leben retten, wenn ihr tut, was ich euch befehle. Startet das Beiboot und nehmt Kurs nach Norden.« Der eine Raumfahrer hatte seine Sichtscheibe heruntergeklappt und sagte: »Wir können nicht einfach losfliegen. Uns stehen keine Gravitationsbomben zur Verfügung. Wir würden uns schon nach kurzer Strecke in den AT-Fäden verstricken und …« »Sonden habt ihr auch keine an Bord?« erkundigte sich Bard Mo. »Sonden?« wiederholte der Raumfahrer verblüfft. »Jawohl, Sonden, wie sie bei der Erkundung fremder Sonnensysteme eingesetzt werden.« »Davon haben wir jede Menge.« Der Raumfahrer begriff. »Natürlich! Die könnten wir für dieselben Zwecke einsetzen wie die Gravitationsbomben!« Er setzte sich in Richtung Pilotenkanzel in Bewegung. Bard Mo folgte ihm. Außer den beiden Raumfahrern, die sie an Bord geholt hatten, hielten sich in der Kanzel noch der Pilot und ein Navigator auf. Sie hoben das Beiboot gerade vom Boden ab. »Nehmt Kurs nach Norden!« befahl Bard Mo ihnen. »Fliegt mit Höchstgeschwindigkeit los. Wir müssen aus dem Gefahrenbereich sein, wenn die Antimaterie die Planetenkruste durchbricht.« »Und die Antimateriefäden?« fragte der Pilot. »Darum kümmere ich mich«, sagte der Raumfahrer, der mit Bard Mo in die Pilotenkanzel gekommen war, während er vor einem Armaturenbrett Platz nahm. Er legte sich bäuchlings in den wie ein Schneckenhaus geformten Kontursitz und schnallte
Der Negativ Kontakt sich fest. Bard Mo blieb stehen und krallte sich mit beiden Greifklauen an Haltegriffe. Er blickte gebannt aus der Sichtluke, wo er in nicht all zu großer Ferne das Netz aus AT-Fäden sah, dem sie sich mit rasender Geschwindigkeit näherten. Der Pilot hatte das Beiboot in fast senkrechtem Flug auf eine Höhe von etwa zwei Bergschatten gebracht, bevor er in horizontalen Flug überging. Die Alarmanlage schrillte auf. Bard Mo sah auf dem Bildschirm, wie in der Atmosphäre ein Wirbel entstand und eine Anballung von Antimateriefäden mit großer Geschwindigkeit dem Beiboot zustrebte. »Jetzt!« sagte der Raumfahrer am Sondenkatapult zu sich selbst und löste einen Mechanismus aus. Das Radar zeigte den Flug der Sonde an – und Miniskopen später war auf dem Bildschirm eine Explosion zu sehen. Dieser ersten Explosion folgte eine zweite und eine dritte … und kurz darauf war der Luftraum um das dahinrasende Beiboot von den unzähligen Lichtblitzen der explodierenden Sonden erfüllt. »Die Hälfte unserer Sonden haben wir bereits verschossen«, sagte der Skine am Katapult zwischendurch. »Wir sind bald aus dem Gefahrenbereich«, beruhigte ihn Bard Mo. »Da unten ist der Kraterrand!« sagte der Navigator. Bard Mo sah auf dem Bildschirm den breiten Gürtel aus schwarzer Antimaterie, aus dem ständig gigantische Eruptionen hervorschossen und nach dem winzigen Flugkörper zu lecken schienen. Und dann wurde Bard Mo Zeuge eines gewaltigen Schauspiels, das ihm die Großartigkeit der Schöpfung und die Vergänglichkeit allen Seins deutlich vor Augen führte. Durch einen Weitwinkeleffekt der Aufnahmeoptik konnte er auf dem Hauptbildschirm das gesamte Gebiet überblicken, das zwischen den verästelten Antimaterieströmen eingebettet war und von wo sie die
27 Flucht ergriffen hatten. Es sah aus wie eine Insel in einem schwarzen Ozean – und war tatsächlich nicht mehr als eine Scholle im Antimateriemeer. Und diese Scholle bekam Sprünge, durch die die Schwärze hindurchdrang. Die Planetenkruste bäumte sich auf, als wolle sie vor der alles vernichtenden Antimaterie zurückweichen. Doch die schwarze Flut wurde ebenfalls in die Höhe gepeitscht, umspülte die gewaltigen, in Bewegung geratenen Massen der Planetenkruste und durchsetzte sie. Für einen Moment glaubte Bard Mo, daß alles in seiner Bewegung verhielt, und in diesem Moment schien der zündende Funke von der Antimaterie auf die Materie überzuspringen. Ein unwirklicher Schein wie von tausend Sonnen breitete sich über dem Explosionsherd aus. Doch er hielt nicht lange an, denn im Zentrum der fremdenergetischen Kettenreaktion breitete sich ein schwarzer Fleck aus, der bald darauf das gesamte Gebiet bedeckte. Der Pilot hatte das Beiboot im Sturzflug nach unten gesteuert und setzte nun auf einer von der Katastrophe scheinbar unberührt gebliebenen Hochebene zur Landung an. »Es wurde auch schon Zeit«, kommentierte der Skine am Katapult das Landemanöver. »Unser Vorrat an Sonden ist erschöpft.« Die Kraftreserven des Piloten waren ebenfalls erschöpft. Es gelang ihm noch mit letzter Willensanstrengung, das Beiboot relativ sanft zu landen, dann brach er in seinem Schneckensitz zusammen.
9. Sie hatten gerade noch Zeit, Wasser und Sauerstoff aus den Beständen des Beiboots zu tanken, dann mußten sie schleunigst die Flucht ergreifen. Sie waren noch nicht weit gekommen, als sich die ersten Antimateriefäden um das Beiboot schlangen und es zur Explosion brachten. Sie suchten in einer Senke am Rande ei-
28 nes Waldes aus mutierten Pflanzen Schutz. Eder Schoi hatte den Schutzanzug seiner Gefährtin Arna repariert und ihren leeren Sauerstoffbehälter gegen einen vollen ausgetauscht. Als sie den reinen Sauerstoff atmete, kam sie wieder zu sich. Sie nützten die Rastpause, um die Landkarte des Pilgers zu Rate zu ziehen und ihre Lage zu beraten. Bard Mo war von seiner Absicht, die Stadt Vors aufzusuchen, nicht abzubringen. Aber sein Plan stieß bei den anderen mehr denn je auf Widerstand. Vor allem bei den neuen Mitgliedern der Gruppe – und natürlich bei Herad Gen, der immer noch hoffte, Tsopan rechtzeitig verlassen zu können. Er wurde von den vier Raumfahrern und den beiden überlebenden Mutanten, Palinga und Zewer unterstützt. Arna und Eder Schoi und die beiden anderen Expeditionsmitglieder, Gworen Dau und Nehbor Win, standen auf Bard Mos Seite. Das Verhältnis stand also sieben zu fünf; Bard Mo hatte aber nicht vor, sich der Mehrheit zu beugen. »Wer will, kann sich mir anschließen«, sagte er geradeheraus. »Die anderen sollen tun und lassen, was sie wollen. Ich werde mich jedenfalls nicht davon abhalten lassen, nach Vors zu gehen.« »Je mehr wir sind, desto bessere Chancen haben wir«, gab Palinga zu bedenken. »Aus der Landkarte des Pilgers geht deutlich hervor, daß wir uns in einem Gebiet befinden, das von negativen Mutationen aller Arten beherrscht wird. Außerdem haben sich hier auch viele Überlebensgruppen und Sekten niedergelassen. Es wird schwer sein, unter diesen Gefahren zu bestehen.« »Wenn du keine Trennung wünschst, dann komm mit nach Vors«, schlug Bard Mo vor. »Was sollen wir denn jetzt noch in Vors!« rief Herad Gen aufgebracht. Er konnte es selbst jetzt, nach so vielen Niederlagen, noch nicht lassen, gegen Bard Mo zu opponieren. »Tsopan ist dem Untergang geweiht! Wir sollten unser Leben zu retten versuchen.« »Wir sind verloren«, erwiderte Bard Mo.
Ernst Vlcek »Wann geht es endlich in dein Gehirn, daß es für uns keine Rettung mehr gibt, Herad! Du solltest wenigstens angesichts des Todes ein gutes Werk vollbringen und ein einziges Mal nicht nur an dich denken.« »Was zieht dich denn eigentlich so magisch nach Vors, Bard Mo?« fragte Palinga. »In Vors sind die Fallen mit den darin gespeicherten Bewußtseinsinhalten aus Xascat«, antwortete Bard Mo. »Wenn schon nichts anderes, dann möchte ich wenigstens diese Bewußtseinsinhalte für die Nachwelt erhalten.« »Ich verstehe«, sagte Palinga. »Aber liegt dir nicht noch mehr daran, zu überleben?« »Doch, aber ich habe längst erkannt, daß wir auf Tsopan keine Überlebenschance haben. Wir können anstellen, was wir wollen, der Antimateriefalle werden wir nicht entrinnen. Wir haben keine Chance.« »Vielleicht doch«, sagte Herad Gen. »Erinnern wir uns an die ›Arche‹, von der der Pilger sprach. Er glaubte fest daran, daß sie die Möglichkeit bietet, von Tsopan fortzukommen. Er hat in dem Plan auch ihren Standort eingezeichnet. Da!« Er deutete auf einen Punkt auf der zerknitterten Landkarte. Palinga blickte mit ihrem Augenkreis darauf und meinte nachdenklich: »Diese Arche – was immer es auch sein mag – liegt in der gleichen Richtung wie die Stadt Vors. Es kostet uns nur einen kleinen Umweg, sie aufzusuchen. Ich mache dir einen Vorschlag, Bard Mo. Sehen wir uns diese Arche an. Wenn wir dort einen Reinfall erleben, können wir immer noch nach Vors weiterziehen.« »Das ist die Lösung!« stimmte Herad Gen begeistert zu. »Nein!« sagte Bard Mo entschieden. »Ich werde auf dem geradesten Weg nach Vors gehen.« Er wollte sich auf keinerlei Kompromisse mehr einlassen. Sie hatten nicht mehr genügend Zeit zur Verfügung, um sich Extratouren leisten zu können. Außerdem hatte er oft
Der Negativ Kontakt genug erlebt, wie es die Moral seiner Leute zersetzte, wenn sie sich immer wieder Hoffnungen machten, die dann nicht erfüllt wurden. »Wer die Arche aufsuchen will, der soll es tun«, sagte er abschließend. »Mein Ziel aber ist Vors. Und wer sich mir anschließt, muß sich darüber klar sein, daß es keine Alternative gibt.« »Wie du meinst, Bard Mo, trennen wir uns also«, sagte Palinga bedauernd. »Aber da wir in der Überzahl sind, verlange ich, daß du uns die Landkarte überläßt.« »Kommt nicht in Frage«, sagte Bard Mo und griff nach der Landkarte, während er mit der anderen Greifklaue die Waffe zog. »Gefahr!« Die Warnung kam von Eder Schoi, deshalb schöpfte Bard Mo auch nicht den Verdacht, daß es sich um eine Finte handeln könnte. Er folgte mit den Augen der Richtung von Eders ausgestrecktem Tentakel – und sah drei urweltliche Bestien, die sich aus dem Dschungel auf sie stürzten. Sofort wandte er sich von Palinga ab und feuerte auf die Ungeheuer. Erst als seine Strahlenschüsse wirkungslos durch die Bestien hindurchgingen, erkannte er, daß es sich um eine Illusion handelte, die Palinga ihnen vorgegaukelt hatte. Er ließ von den Trugbildern ab und wirbelte herum. Aber von Palinga, Herad Gen, dem anderen Mutanten und den vier Raumfahrern fehlte jede Spur. Es herrschte dichter Nebel, in dem überhaupt nichts zu erkennen war. Bard Mo hörte zwar die Geräusche die die Flüchtenden verursachten, doch wußte er nicht, aus welcher Richtung sie kamen. Als sich der Nebel legte – der wahrscheinlich auch nur eine Illusion der Mutantenfrau war –, waren die Flüchtenden schon längst verschwunden. Und mit ihnen die Landkarte. »Macht nichts«, tröstete sich Bard Mo. »Ich habe die markantesten Punkte im Gedächtnis. Wir werden uns auch ohne die Landkarte bis nach Vors durchschlagen.«
29
* Vors war etwa vier Tagesmärsche von ihnen entfernt, sie konnten unter günstigen Voraussetzungen diese Distanz auch in drei Tagen zurücklegen. Daran wollte Bard Mo aber nicht recht glauben, denn Arna Schois Zustand verschlechterte sich von Maxiskope zu Maxiskope. Zuerst klagte sie über Atembeschwerden. Eder, der ihre Sauerstoffanlage untersuchte, konnte daran jedoch keine Mängel feststellen. Nachdem sie bereits zwei Maxiskope im Dschungel aus mutierten Pflanzen unterwegs waren, hatte Arna Schoi Schmerzen in den Beinen. Sie konnte sich bald nur noch schleppend fortbewegen. Bard Mo beschloß, eine kurze Rast einzulegen. Nachdem sie etwa dreißig Skopen geruht hatten, sagte Arna Schoi, daß sie sich wieder stark genug fühlte, um den Marsch fortzusetzen. Doch schon bald darauf wurden ihre Bewegungen immer lahmer. Obwohl sie nicht über Schmerzen klagte, erkannte Bard Mo, daß es ihr schlechtging. Über die Sprechfunkanlage hörte er ihren keuchenden Atem. Als er einen Blick mit Eder Schoi wechselte, erkannte er an dessen Gesicht, daß ihm Arnas Zustand nicht verborgen geblieben war. »Diese Pflanzen …«, murmelte Arna und schlug mit den Tentakeln herum. Sie wischte damit Blätter und Blüten fort, die ihr im Weg standen. Einige davon zuckten zurück, als hätten sie tierische Instinkte entwickelt. Einige andere barsten unter der Berührung, als wären sie aus Glas. »Was ist mit den Pflanzen?« fragte Eder Schoi besorgt. »Sie flößen mir Angst ein«, bekannte Arna. »Ich befürchte, daß sie mich verschlingen könnten.« »Du kannst unbesorgt sein«, beruhigte sie Eder Schoi. »Wir sind hier sicherer als irgendwo anders.« »Das sagst du nur so …«
30 »Nein, Eder hat recht«, fiel Bard Mo ein. »Wir sind hier jedenfalls vor den AT-Fäden sicher. Und ist dir nicht aufgefallen, daß wir noch an keinem einzigen Antimateriekrater vorbeigekommen sind? Im freien Geländewären wir jedenfalls viel gefährdeter …« Ein Aufschrei ließ ihn herumfahren. Gworen Dau mußte aus irgendeinem Grund vom Weg abgekommen sein. Jedenfalls stand er drei Mannschatten davon entfernt im Dickicht. Seine Organscheibe hatte alle Farbe verloren. Sie pulsierte nicht mehr, seine Augen hatten einen glasigen Blick, die Membrane schwang leicht und gab ein Wimmern von sich. Gworen Dau rührte sich überhaupt nicht. Er stand, halb aufgerichtet, auf den Hinterbeinen, hielt mit einer Greifklaue einen Pflanzenstumpf umklammert, der andere Tentakel war wie zur Abwehr erhoben – und auf halber Länge wurde er von einem langen, spitzen Dorn durchbohrt. »Gworen!« Bard Mo wollte ihm zu Hilfe kommen, doch Nehbor Win hielt ihn am Sauerstoffbehälter zurück. »Ihm ist nicht mehr zu helfen«, sagte Nehbor Win schaudernd. »Da! Sieh selbst!« Jetzt erst entdeckte Bard Mo, was halb hinter dem Dickicht verborgen gewesen war. Gworen Daus Körper war an vielen Stellen von spitzen, glasartigen Dornen durchbohrt. Es schossen immer neue solcher Glasdornen aus dem Dickicht hervor – an ihren Spitzen schimmerten winzige Tropfen einer farblosen Flüssigkeit – und drangen Gworen Dau in den Körper, durchbohrten ihn und ragten auf der anderen Seite heraus. Bald war der Körper des Skinen bis zur Hälfte von den Kristalldornen in Besitz genommen. Bard Mo zuckte unwillkürlich zusammen, als aus drei Augen Gworens gleichzeitig diese nadeldünnen Kristalle wuchsen und sich verzweigten wie die Äste von Bäumen. »Ein Parasit«, konstatierte Bard Mo. Jawohl, Gworen Dau war das Opfer eines mutierten Pflanzenparasiten geworden, der seinen Körper als Nährboden auserkoren hatte!
Ernst Vlcek »Er lebt immer noch«, stellte Eder Schoi fest. »Er hat den einen Tentakel etwas bewegt. Die Pflanze hat ihn nicht getötet, sondern ihn nur mit ihrem Gift betäubt. Wir müssen ihm helfen!« »Da kommt jede Hilfe zu spät«, erklärte Bard Mo und hob die Waffe. Bevor er jedoch abdrücken konnte, wurde er von hinten umfaßt und fortgezerrt. »Was soll das, Nehbor!« erregte sich Bard Mo, als er erkannte, wer ihn von hinten angefallen hatte. »Wir müssen weg von hier«, erklärte Nehbor Win gehetzt. »Die Kristallpflanze hat sich unheimlich schnell ausgebreitet und uns schon fast umzingelt.« Bard Mo stellte erschrocken fest, daß an der Stelle wo er eben noch gestanden hatte, ein kristallines Geäst mit einer Länge von einem halben Mannschatten aus dem Boden wuchs. Nehbor Win hatte ihn vor einem schlimmen Schicksal bewahrt. Es verblieb ihm keine Zeit, sich dafür zu bedanken. Es knisterte jetzt überall im Dickicht um sie. Aus den Stämmen von Bäumen drangen fast tentakellange Kristalldornen. Bard Mo schoß ihnen den Weg frei. Wo der Energiestrahl die Kristalldornen traf, blähten sich diese auf, bevor sie verkohlten und platzten. Eder Schoi hatte seine Gefährtin an der Greifklaue ergriffen und zerrte sie mit sich. Bard Mo schoß blindlings vor sich in den Dschungel. Pflanzen glühten auf, verkohlten, brannten lichterloh – oder zogen sich blitzschnell vor der Hitze zurück. Aber kaum stellte Bard Mo das Feuer für eine Miniskope ein, als das Dickicht mit seinen vielfältigen Pflanzenarten wieder näher rückte. Es sah so aus, als bestünde dieser Dschungel aus einem einzigen Pflanzenkollektiv, das nur auf das Zeichen der Kristalldornen zum Angriff gewartet hatte. Der vormals so friedlich scheinende Pflanzenwall war wie entfesselt. Bard Mo stolperte über einen Wurzelstock, der sich ihm zwischen die Vorderbei-
Der Negativ Kontakt ne schnellte. Eder Schois rechter Tentakel verfing sich in Schlinggewächsen, die sich sofort zusammenzogen und den Tentakel abzuschnüren drohten – Bard Mo schoß ihn heraus. Ein Blatt, einen halben Mannschatten lang, segelte herab und legte sich über den Filter von Arnas Helm, so daß sie überhaupt nichts sehen konnte und wie blind weitertaumelte. Eder mußte sie führen. Nehbor Win schleppte einen Klumpen aus entwurzelten Pflanzen hinter sich nach, diesich über sein linkes Hinterbein geschlungen hatten. Er versuchte immer wieder, diese parasitäre Last abzustreifen, doch die Pflanzen hatten sich verknotet und mit den gekrümmten Dornen in seinem Schutzanzug festgehakt. Endlich, nach einer Ewigkeit, wie es schien, hatten sie den tobenden Dschungel hinter sich gelassen. Die Pflanzen hatten sich aber noch immer nicht beruhigt. Schlinggewächse zischten wie Peitschen heran, der Dschungel ergoß einen Regen von fliegenden Dornen über sie, schickte ihnen klebrigen Blütenstaub hinterher, der sie wie eine dichte Wolke einhüllte und ihnen die Sicht nahm. Bard Mo verlor beinahe die Orientierung und wäre in einen Antimateriekrater gestürzt, wenn Eder Schoi ihn nicht rechtzeitig zur Seite gestoßen hätte. Dadurch verlor Eder aber selbst den Halt, taumelte am Rande des Kraters, der Sog der Antimaterie zerrte an ihm und drohte ihn in den schwarzen Schlund zu holen. Doch er hatte noch Kraft genug, sich gegen diese unheimliche Kraft zu stemmen. Lange genug zumindest, bis Nehbor Win ihm eine abgestorbene Schlingpflanze zuwarf, von der er gerade sein Bein befreit hatte. Eder Schoi ergriff die Schlingpflanze und zog sich daran aus der Gefahrenzone.
10. Es war eine wolkenlose Nacht. Das Licht der Sterne spiegelte sich in den
31 AT-Fäden, die sich als weitverzweigtes und ständig in Bewegung befindliches Netz über das Firmament spannten. Die Welt war von ihrem Schein verzaubert. Aber es war ein tödlicher Zauber. Den vier Skinen wurde das wieder bewußt, als in ihrer Nähe ein Rudel mutierter Tiere auftauchte. Die Tiere witterten sie sofort und näherten sich ihnen mit untrüglichem Instinkt. Zuerst nur zögernd, doch als ihnen der Wind den Geruch der vier Skinen zutrug, begannen sie zu rasen. Bard Mo war mit seinen drei Gefährten zwischen den Ruinen auf einem Hügel in Deckung gegangen. Wenn jeder von ihnen eine Waffe besessen hätte, wären sie gegen die blutrünstigen Bestien nicht ganz chancenlos gewesen. Da aber nur Bard Mo einen Strahler besaß, schien es aussichtslos, daß sie sich gegen die wilde Meute würden behaupten können. Die Tiere waren annähernd skinisch, hatten langgestreckte Raupenkörper, sie liefen mit dem Gesicht voran, während sich die zahnbewehrte Saugöffnung für die Nahrungsaufnahme am hinteren Körperende befand – wie bei den Skinen auch. Nur besaßen sie keine Tentakel mit Greifklauen, hatten dafür aber scharfe Krallen an den Beinen, mit denen sie ihre Opfer zerfleischen konnten. Sie hießen Houths und waren früher friedfertige Haustiere gewesen. Durch Strahlungseinflüsse und Keimträger waren sie jedoch zu gefährlichen Bestien mutiert. Bard Mo ließ sie herankommen, bis sie ihm ein sicheres Ziel boten. Erst als er sicher sein konnte, daß kein Strahlenschuß danebengehen würde, legte er die Waffe an. Doch er konnte Energie sparen. Die rasende Meute war noch vierzig Mannschatten entfernt, als in das silbrige Gespinst am Nachthimmel Bewegung kam. Die ATFäden wirbelten durcheinander, unzählige von ihnen lösten sich aus dem Netz und schossen mit unglaublicher Beschleunigung auf die Herde von Houths zu. »In Deckung!« rief Eder Schoi, als sich
32 der erste Antimateriefaden um ein Tier schlängelte. Aber es hätte dieser Warnung erst gar nicht bedurft. Bard Mo hatte die Gefahr ebenso wie Nehbor Win rechtzeitig erkannt und hatte hinter den Ruinen Schutz gesucht. Arna lag wie in Agonie reglos da, aber als sich Eder schützend über sie warf, schlang sie instinktiv ihre Tentakel um seinen Körper. Außerhalb der Ruinen zuckte ein Blitz auf, der die Nacht zum Tag machte. Die Todesschreie der Bestien gingen in einer ohrenbetäubenden Detonation unter. Der Boden bebte, und unter den Erschütterungen und der folgenden Druckwelle stürzten einige Mauern ein, die bisher allen Gewalten getrotzt hatten. Wenige Miniskopen später war alles vorbei. Die Nacht wurde wieder nur noch von dem fahlen Licht der AT-Fäden erhellt, die Geräusche waren verstummt. Nur das Rumoren, dasaus der Tiefe des Planeten zu kommen schien, war zu hören. Und dort, wo die Herde der mutierten Houths zuletzt gewesen war, zeigten sich einige kleinere Kratzer aus Antimaterie. Ein Knistern ging von ihnen aus und zeigte an, daß in ihnen jene zersetzenden Kräfte waren, die den Planeten langsam, aber unaufhaltsam zerfraßen. Von den Houths war nichts mehr übriggeblieben. Bard Mo deutete zum Himmel. »Wir müssen jetzt noch vorsichtiger sein, sonst ergeht es uns wie den Bestien. Wenn wir nur eine einzigen AT-Faden auf uns ziehen, kommt das ganze Netz in Bewegung.« Sie ließen das Gespinst keine Miniskope aus den Augen, während sie behutsam ihren Weg fortsetzten. Erst als sie in ein Gebiet kamen, dessen Luftraum fast frei von ATFäden war, schritten sie wieder kräftiger aus. Es ging ständig bergab. Vor ihnen lag eine Tiefebene, die hinter einem breiten Waldgürtel begann und sich bis zum Horizont dahinzog. Dort lag die Stadt Vors, wo ein Teil
Ernst Vlcek der Fallen aus Xascat in speziell gegen Antimaterie geschützten Stationen untergebracht waren. Bard Mo wußte, daß quer durch den Wald eine Straße verlief, die nach den Aufzeichnungen des Pilgers passierbar war. Und ihm war auch bekannt, daß sich an dieser Straße einer der Silos mit Nahrungs- und Sauerstovorräten befand. Er schätzte, daß sie diesen Silo bei Tagesanbruch erreichten, also noch bevor ihre eigenen Sauerstoffreserven aufgebraucht waren. Aber so wichtig war ihm die Beschaffung von Sauerstoff nicht mehr. Es hätte ihm auch nichts ausgemacht, verseuchte Luft zu atmen. Er fürchtete sich nicht mehr vor einer Mutation. Sie erreichten ohne weiteren Zwischenfall den Wald und fanden auch die Straße. Sie erwies sich als relativ gut erhalten, nur an manchen Stellen war sie von schwarzen Kratern durchbrochen. Um diese Antimaterielöcher machten sie jedesmal einen großen Bogen, wobei es sich nicht vermeiden ließ, daß sie dann jedesmal ein Stück des Waldes durchqueren mußten. Bei einem dieser Ausweichmanöver stießen sie zwischen verdorrten Sträuchern auf einen Mann. Der Skine war völlig nackt, dafür hatte er überall am Körper Tätowierungen. Es war kein Mutant, das erkannte Bard Mo auf den ersten Blick, sondern offenbar ein Immuner. Dennoch schien mit ihm irgend etwas nicht zu stimmen. »Hallo, Fremder!« begrüßte Bard Mo den Tätowierten und hielt vorsorglicherweise den Strahler schußbereit. Doch im entscheidenden Augenblick brachte er es doch nicht über sich, von der Waffe Gebrauch zu machen. Der Tätowierte starrte sie lange aus seinen stupiden Augen an. Plötzlich ließ er die Membrane vibrieren – und mit einem unartikulierten Schrei hob er die Rechte, in der ein großer Knüppel lag. Ohne weitere Vorwarnung stürzte er sich auf Bard Mo, der dem
Der Negativ Kontakt tödlichen Schlag nur mit einem Sprung zur Seite entgehen konnte. Als der Tätowierte zum zweitenmal angriff, hatte Bard Mo immer noch Hemmungen, seinen Strahler einzusetzen. Er packte den Tätowierten am Tentakel und versuchte, ihm die Keule zu entwinden. Eder Schoi und Nehbor Win kamen Bard Mo zu Hilfe, und gemeinsam gelang es ihnen schließlich, den scheinbar Besessenen zu überwältigen. Aber selbst als er entwaffnet war, gab er sich noch nicht geschlagen und versuchte, seine Gegner mit bloßen Greifklauen zu töten. Erst ein Schlag mit seiner eigenen Keule gegen die Bauchseite machte ihn kampfunfähig. Bard Mo drehte den Bewußtlosen herum und besah sich die Tätowierungen von allen Seiten. Sie zeigten Kampfszenen, in denen technisch ausgerüstete Skinen gegen Nackte standen, andere wiederum hatten Zerstörungen von zivilisatorischen Einrichtungen zum Motiv. »Der Mann gehört zweifellos einer Sekte an, die die Zerstörung der Zivilisation und die Rückkehr in die Primitivität anstrebt«, konstatierte Bard Mo. »Leute wie wir, die wir durch unsere technische Ausrüstung als Vertreter dieser Zivilisation gelten, betrachtet er als seine Todfeinde. Deshalb fiel er über uns her.« »Machen wir, daß wir weiterkommen«, sagte Arna Schoi schaudernd. »Ich möchte nicht weiteren Mitgliedern dieser Sekte begegnen.« »Wir können nur hoffen, daß es sich um einen Einzelgänger handelt«, sagte Nehbor Win. »Was machen wir mit ihm? Sollen wir ihn als Gefangenen mitnehmen?« »Nein«, entschied Bard Mo. »Er wurde bei jeder sich bietenden Gelegenheit versuchen, uns zu töten.« Sie ließen den Bewußtlosen liegen und kehrten auf die Straße zurück. Als sie das nächste Mal einem Antimaterieloch auswichen, stießen sie auf ihrem Umweg durch den Wald zufällig auf den Silo. Er war von mutierten Pflanzen umrankt
33 und darunter so gut verborgen, daß sie ihn von der Straße aus bestimmt nicht entdeckt hätten. »Was für ein Zufall«, sagte Eder Schoi fassungslos. »Wenn der AT-Krater nicht gewesen wäre, wären wir ahnungslos an dem Silo vorbeigegangen.« »Das ist kein Zufall«, behauptete Bard Mo »Blicke einmal zur Straße, Eder.« Eder Schoi kam der Aufforderung nach und gab einen überraschten Laut von sich. Er konnte nicht glauben, was er sah – oder besser, was er nicht sah. »Dort … dort ist überhaupt kein Krater«, stammelte er ungläubig. »Haben wir uns nur eingebildet, daß hier ein AT-Loch existiert?« »Ich würde eher vermuten, daß jemand in uns die Illusion eines Antimateriekraters erweckt hat«, erklärte Bard Mo. »Du meinst – Palinga?« Bard Mo machte eine bejahende Tentakelbewegung. »Ihre Gruppe muß schon vor uns eingetroffen sein.« »Aber warum sollte sie uns den Weg zum Silo weisen?« wunderte sich Nehbor Win. Darauf wußte Bard Mo keine Antwort. Aber er glaubte nicht, daß Palingas Hinweis eine Geste der Nächstenliebe war. Sie mußte damit irgend etwas bezwecken, was ihr zum Vorteil gereichte. »Das ist bestimmt eine Falle«, sagte Arna mit schwacher Stimme, in der Angst mitschwang. »Möglich«, gab Bard Mo zu. »Dann kümmern wir uns nicht um den Silo, sondern sehen wir zu, daß wir von hier wegkommen.« »Das sagt sich so leicht, doch es läßt sich nicht durchführen. Wir benötigen Sauerstoff, und den können wir uns nur hier, in diesem Silo beschaffen.« Bard Mo suchte das Gelände ab. Der Silo war gut getarnt und zusätzlich noch durch mutierte Pflanzen geschützt. Bard Mo fand den Zugang nach einigem Suchen schließlich unter einer Fleischfresserpflanze, die ih-
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re freiliegenden Wurzeln wie zur Umarmung ausgebreitet und die buntschillernden Blüten geöffnet hatte. Ohne lange zu zögern, zerstrahlte Bard Mo die Pflanze und näherte sich dem Eingang. Er kam aber nicht weit. Plötzlich erhob sich ringsum wütendes Geheul, und aus dem Unterholz drangen schreckliche Gestalten hervor: nackte, über und über tätowierte Skinen! Bevor Bard Mo noch an Gegenwehr denken konnte, traf ihn ein schwerer Gegenstand an der Organscheibe, und er verlor die Besinnung. Das letzte, was er sah, war die Vision von Palinga, deren Riesenmembrane wie unter schallendem Gelächter vibrierte. Dann versank Bard Mos Geist in endloser Schwärze.
11. Palingas Plan war aufgegangen, doch der Abschluß war gar nicht nach ihrem Geschmack. Als sie mit ihrer Gruppe in die Nähe des Silos gekommen war, wurden sie von zwei Tätowierten überfallen. Dabei büßte Zewer sein Leben ein. Einer der Wilden zertrümmerte ihm mit einem Keulenschlag das Rückgrat, bevor er unter den Energiestrahlen des einen Raumfahrers verging. Palinga kannte die Tätowierten. Sie gehörten der fanatischsten Sekte an, die es auf Tsopan gab. Die Tätowierten bekämpften alle, die sich an die Überbleibsel der Zivilisation klammerten. Sie beherrschten das gesamte Gebiet zwischen der ehemaligen Wohnstadt Chorw und der Hochburg der Wissenschaftler, Vors. Sie zerstörten alles, was an die Zivilisation erinnerte, trugen keine Kleidung, bewaffneten sich mit Steinen und Holzprügeln und ernährten sich von erlegtem Wild und Pflanzen. Ihre besondere Leidenschaft war die Jagd auf Wissenschaftler – ihre Kriegsbemalung war die Tätowierung. Ihr Gott war die Antimaterie, von der sie sich erhofften, daß sie alles auslöschte, das
an die Zivilisation der Skinen erinnerte. Erst wenn die alte Kultur ausgetilgt war, sollte auf ihrer Asche eine neue entstehen – die der Steinzeit. Die Tätowierten waren festen Glaubens, daß der Antimateriegott die Zerstörung der Welt nach dem Untergang der Zivilisation beenden würde. Wenn kein Stein mehr auf dem anderen stand, wenn selbst das letzte Stückchen Metall zersetzt war und der letzte Intellektuelle sein Leben ausgehaucht hatte – dann würde alle Antimaterie verlöschen, und die überlebenden Skinen konnten von neuem beginnen. Daran glaubten die Tätowierten, und sie halfen tüchtig mit, die alte Welt zu zerstören. Sie gingen in ihrem Hang zur Primitivität sogar so weit, daß sie sich untereinander nur durch Urlaute und Gesten verständigten. Wer von ihnen das Sprechverbot brach, war des Todes. Nach dem Überfall der zwei Tätowierten wurde Palinga vorsichtiger. Sie wußte, daß sie sich in diesem Gebiet keine Blöße geben durften, denn wenn sie entdeckt wurden, dann würden die Tätowierten in Scharen über sie herfallen, sie gefangennehmen und anschließend dem Antimateriegott opfern. Es war sogar möglich, daß die Tätowierten bereits von ihrem Eindringen wußten und ihnen beim Silo eine Falle stellten. Denn wenn sie auch in die Barbarei zurückgefallen waren, so besaßen sie immer noch ihre Intelligenz. Palinga wartete in einem Versteck in der Nähe des Silos auf das Eintreffen von Bard Mos Gruppe. Sie mußten auf dem Weg nach Vors auf jeden Fall diese Straße benutzen, wollten sie sich nicht durch den Dschungel aus mutierten Pflanzen schlagen. Das Warten lohnte sich. Nur eine Maxiskope später tauchte Bard Mo mit seinen Leuten auf der Straße auf. Palinga gab ihnen die Vision eines den Weg versperrenden AT-Kraters, so daß sie in den Wald ausweichen mußten und zwangsläufig den Silo entdeckten. Wie nicht anders erwartet, versuchten sie,
Der Negativ Kontakt in den Silo einzudringen. Um sich jedoch Zugang zu verschaffen, mußten sie zuerst die Fleischfresserpflanze über dem Eingang töten – ohne zu wissen, daß es sich dabei um eines der von den Tätowierten vergötterten Geschöpfe handelte. Die Vernichtung der Fleischfresserpflanze war das Zeichen für die Wilden, Bard Mos Gruppe anzugreifen. Die vier wurden ohne besondere Schwierigkeiten von den Tätowierten überwältigt. Bevor Bard Mo bewußtlos wurde, zeigte sich ihm Palinga noch einmal in einer Vision. Bard Mo sollte wissen, daß sie ihn für ihre Zwecke eingespannt hatte. Bis hierher war Palingas Plan aufgegangen. Die Tätowierten hatten Opfer gefunden und würden ihr Gebiet nicht mehr so scharf bewachen wie zuvor. Vor allem aber glaubte Palinga, nun freien Zugang zum Silo zu haben, wo sie sich mit Vorräten einzudecken gedachte. Doch das war eine Fehlspekulation. Denn die Tätowierten schleppten ihre Gefangenen nicht in den Wald sondern brachten sie in den Silo. Der Silo war ihr Tempel, in dem sie dem Antimateriegott opferten! »Jetzt haben wir umsonst wertvolle Zeit vergeudet«, sagte Herad Gen ärgerlich. »Wir könnten schon längst aus dem Wald sein und ein gutes Stück näher an der Arche!« »Tun dir deine Kameraden nicht leid?« erkundigte sich Palinga. »Was heißt hier Kameraden«, erwiderte Herad Gen abfällig. »Es sind Narren, die kein anderes Schicksal verdient haben. Wären sie bei uns geblieben, dann …« »… hätten die Tätowierten uns alle gefangengenommen«, vollendete Palinga den Satz. »Wir verdanken unsere Freiheit Bard Mo und seinen Leuten. Ich komme mir irgendwie schäbig vor, daß ich sie in die Falle gelockt habe – noch dazu, wo es uns überhaupt nichts eingebracht hat.« »Wie denn?« spottete Herad Gen. »Bereust du etwa?« Palinga ließ vor seinen Augen ein
35 Schreckensbild entstehen, so daß er vor Entsetzen am ganzen Körper zu schlottern begann. Dann sagte sie: »Du wirst in den Tempel eindringen und die Lage erkunden, Herad!« »Was?« Herad Gen wich entsetzt zurück. »Ich soll mein Leben für Bard Mo aufs Spiel setzen?« »Nein«, erwiderte Palinga. »Das würde ich gar nicht von dir verlangen. Aber du bist ein todkranker Mann, Herad. Du hast verseuchte Luft eingeatmet, und die Viren und Bakterien leiten in deinem Körper bereits die Metamorphose ein. Ohne die entsprechenden Medikamente, die diesen Prozeß stoppen können, bist du verloren. Und die Medikamente bekommst du nur in dem Silo.« »Du willst mir nur Angst einjagen«, sagte Herad Gen unsicher. »So schlecht steht es gar nicht um mich. Dir geht es doch nur darum, Bard Mo zu helfen. Ich weiß nicht, wieso, aber du scheinst plötzlich deine Zuneigung für ihn entdeckt zu haben.« »Meine Beweggründe spielen keine Rolle«, entgegnete die Mutantenfrau. »Du aber solltest an deine Gesundheit denken. Das ist doch ein Argument für dich, in den Silo zu gehen, oder?« Herad Gen rang lange mit sich, bevor er sich entschloß, sich in den Tempel der Tätowierten zu wagen.
* Bard Mo kam langsam zu sich. Seine Röhrenohren dröhnten, vor seiner Organscheibe tanzten bunte Kreise. Langsam wich die Betäubung von seinen Sinnesorganen, und er vernahm über das dumpfe Pochen in seinen Ohren einen seltsamen Singsang. Zuerst bekam er die Sehkraft eines einzigen Auges zurück – und die Szene vor ihm zeigte sich wie auf einem zweidimensionalen Bild. Es waren nur Schatten, tätowierte Schatten, die sich auf einer Fläche bewegten. Sie
36 bewegten ihre Körper in einem seltsamen Rhythmus, schlugen hölzerne Stöcke gegeneinander und erzeugten so einen monotonen Takt zu ihrem Gesang. Davon war kein Wort zu verstehen. Sie bedienten sich bei ihrem Gesang nicht der Sprache, sondern drückten mit den Lauten nur Emotionen aus. Haß! Bard Mo sah einen Tätowierten vor sich, der einen langen Dorn schwang. In diesem Augenblick bekamen auch seine andere Augen die Sehkraft zurück – er konnte wieder plastisch sehen. Der Tätowierte vor ihm stieß schaurige Laute aus, während er den Dorn auf Bard Mo niederstieß. Bard Mo spürte, wie seine Haut geritzt wurde, doch der Wilde gedachte offenbar nicht, ihn zu verletzen, denn seine Waffe zuckte zurück, und gleich darauf machte er damit eine horizontale Bewegung. Bard Mos Schutzanzug zerriß. Er wollte sich instinktiv gegen diese Behandlung zur Wehr setzen. Aber er war zu keiner Bewegung fähig. Als ob sein Nervensystem lahmgelegt sei. Doch der Grund für seine Bewegungsunfähigkeit war ein anderer. Die Tätowierten hatten seine vier Beine und die Tentakel zusammengebunden. Er war zusammengeschnürt wie ein Paket. Und der Tätowierte setzte seine zerstörerische Tätigkeit fort. Er schnitt Bard Mos Schutzanzug in Streifen und warf diese seinen Kameraden zu, die jedesmal jauchzende Laute ausstießen, wenn sie einen Fetzen des Schutzanzuges in die Klauen bekamen. »Was stellen die mit uns an?« hörte Bard Mo jemand entsetzt rufen. Es war Nehbor Win. »Verschwindet! Rührt mich nicht an! Nein – nein!« Bard Mo drehte sich, soweit es ihm sein Peiniger gestattete, in die Richtung, aus der Nehbor Wins Verzweiflungsschreie erklangen. Er sah nichts von dem Skinen, weil gut sieben der Tätowierten um ihn hockten. Bard Mo erkannte aber, daß sie in ihren Tentakeln Dornen schwangen, deren Spitzen
Ernst Vlcek unterschiedlich gefärbt waren. Dabei stießen die Tätowierten unartikulierte Laute aus. »Reiß dich zusammen, Nehbor«, ertönte Eder Schois Stimme. »Du machst uns mit deinem Gezeter noch alle verrückt.« »Was soll ich denn tun?« jammerte NehborWin. »Diese Teufel haben meinen Schutzanzug zerfetzt und jetzt quälen sie mich mit diesen Dornen … Ahhh!« Ein gellender Schrei kam aus Nehbor Wins Membrane und brach sich an den Wänden des Gewölbes. »Weißt du, was die mit uns vorhaben?« erkundigte sich Bard Mo. »Was stellen sie mit Nehbor an?« Er erblickte Eder Schoi im Hintergrund des Gewölbes. Sein Körper war über einen Schneckensitz gespannt, die Beine auf den Rücken gebogen und zusammengebunden. Die Tentakel waren an einen querlaufenden Stab gefesselt. Er sah aus wie gekreuzigt. »Arna und ich, wir haben es schon hinter uns«, antwortete Eder Schoi. »Ich war die ganze Zeit über bei Bewußtsein, deshalb nahmen sie mich zuerst dran. Arna war während der Tortur zum Glück besinnungslos. Sieh mich an, dann weißt du, was dir blüht.« Bard Mo strengte seine Augen an, konnte in dem herrschenden Zwielicht, das einige Fackeln spendeten, jedoch keine Einzelheiten an Eder erkennen. Er bekam nur den Eindruck, als sei sein Körper über und über mit bunten Farben bemalt. Dann wurde ihm der Blick von Tätowierten verstellt, die von allen Seiten näher an ihn heranrückten. Jeder von ihnen hielt einen Dorn in der Klaue, von dessen Spitze Farbe tropfte. Sie packten ihn an den Beinen und den Tentakeln lösten seine Fesseln und drückten ihn auf einen Schneckensitz aus Lehm. Dann bogen sie ihm die Beine nach hinten und banden sie zusammen. Seine Tentakel befestigten sie mit Lianen an einem Querpfosten. Er war völlig nackt und hilflos, als die Wilden ihm mit ihren farbgetränkten Dornen zu Leibe rückten.
Der Negativ Kontakt Als sich die erste Spitze in seinen Körper bohrte und über seine Haut geführt wurde, schrie er vor Schmerz auf. Doch die Schmerzen ließen sofort wieder nach. Bard Mo vermutete, daß die Farbe auch ein Betäubungsmittel enthielt, das seine Wunden sofort vereiste. Die Tätowierten bearbeiteten seine Haut mit Akribie und Eifer und gaben dabei ihren gespenstischen Singsang von sich. Sie tätowieren mich! durchzuckte es Bard Mo. Wollten sie ihn zu einem der ihren machen? »Sie zeichnen auf die Körper ihrer Gefangenen die ihnen zugedachte Todesart, bevor sie sie ihrem Gott opfern«, hörte Bard Mo Eder Schoi sagen. »Auf meinen Körper haben sie ein Labyrinth gezeichnet, an dessen Ende sich ein Antimateriekrater befindet. Das Labyrinth hat auch noch andere Ausgänge, doch dort lauern überall Tätowierte.« Bard Mo schloß die Augen, um nicht den Wilden bei ihrer schrecklichen Tätigkeit zusehen zu müssen. Er wußte deshalb nicht, was um ihn vorging, als der Druck der Dornenspitzen auf seinen Körper nachließ und sich die Betäubung langsam legte. Überall an seinem Körper machte sich nun wieder pochender Schmerz bemerkbar – und plötzlich durchraste ihn eine Schmerzwoge. Er schrie markerschütternd und riß unwillkürlich die Augen auf. Über ihm standen zwei Wilde, die ihm einen Metallspiegel hinhielten, so daß er die Tätowierungen seines Körpers betrachten konnte. Über die Bauchseite seines Raupenkörpers zog sich ein unentwirrbares Labyrinth dahin. Es war von vielen AT-Kratern durchsetzt, und überall lauerten riesige Ungeheuer. Es handelte sich dabei zweifellos um mutierte Houths. Über die Wildheit und Gefräßigkeit dieser Tiere wußte Bard Mo inzwischen Bescheid. Während er noch auf sein Spiegelbild blickte, löste es sich auf, und statt dessen erschien Palinga. Der Blick ihres Augenkrei-
37 ses war ernst aber nicht besorgt, und ihre Riesenmembrane vibrierte, so als spreche sie zu ihm. Aber es war kein Ton zu hören, weil es sich ja nur um eine Projektion handelte. Bard Mo gelang es aber, die Worte von ihrer Membrane abzulesen. »Ich werde euch befreien, Bard Mo!« bedeuteten ihre Membranbewegungen. Gleich darauf verblaßte die Vision. Die Wilden nahmen den Metallspiegel wieder fort. Da ertönte aus den Tiefen des Gewölbes lautes Geschrei. Gleich darauf wurde Herad Gen hereingeführt. Er wurde ohne Umschweife auf einem Schneckensitz gekreuzigt undvon den Tätowierten seiner Schutzkleidung entledigt. »Wie kommst du hierher?« erkundigte sich Bard Mo. »Weißt du denn überhaupt, daß wir uns im Silo befinden?« sagte Herad Gen kläglich. »Diese Wilden haben das gesamte Vorratslager zerstört. Kein einziges Gerät ist mehr ganz. Die Lebensmittel haben sie aufgefressen, die Sauerstoffbehälter entleert. Wahrscheinlich haben sie auch alle Medikamente in sich hineingestopft.« »Was spielt das jetzt noch für eine Rolle«, meinte Bard Mo niedergeschlagen. »Das habe ich davon, daß ich euch zu Hilfe kommen wollte«, jammerte Herad Gen. »Habe ich richtig verstanden?« wunderte sich Bard Mo. Er hätte von Herad Gen alles geglaubt, aber nur nicht, daß er sein Leben riskieren würde, um sie zu befreien. »Du kannst denken, was du willst Bard. Aber die Tatsache, daß ich hier bin …« Er schrie auf, als die ersten Dornen in seinen Körper eindrangen. Dann wurde er still, und nur noch der Beschwörungsgesang der Tätowierten war zu hören. »Wer hätte gedacht, daß Herad Gen einmal als Märtyrer sterben würde«, meldete sich Eder Schoi mit ungläubiger Stimme. »Vielleicht sind wir noch nicht verloren«, sagte Nehbor Win hoffnungsvoll. »Wo Herad ist, können Palinga und die anderen nicht weit sein.«
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»Mund halten«, ermahnte ihn Bard Mo. »Wenn die Wilden auch nicht sprechen, so können sie jedes unserer Worte verstehen.« Bard Mo fühlte sich mitsamt des Schneckensitzes hochgehoben Vier Tätowierte hatten sich ihn auf die Rücken geladen und trugen ihn davon. Als er an Herad Gen vorbeikam der immer noch tätowiert wurde weiteten sich seine Augen vor Entsetzen. Herad Gens Körper hatte sich bereits stark verformt. Er wies überall Beulen auf, und aus dem Bauch wuchs ihm ein Tentakel, an dessen Ende sich bereits eine in Entwicklung befindliche Greifklaue abzeichnete. Hier würden nicht einmal mehr die besten Medikamente oder eine Operation helfen, um die fortgeschrittene Metamorphose zu stoppen. Herad Gen würde ein Mutant werden, und die Symptome sprachen dafür, daß es sich um eine negative Mutation handelte. Bard Mo erkannte noch, daß auch seine Gefährten fortgebracht wurden. Doch sie entschwanden bald seinem Blick. Er wurde in einen Raum gebracht, der als Notquartier eingerichtet war. Doch sämtliche Schlafstätten waren fast bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Auf den Trümmern stand eine thronartige Sitzgelegenheit, die aus leeren Sauerstoffbehältern zusammengebastelt war. Darin saß ein Tätowierter. Er sagte zu Bard Mo: »Hast du deinen Körperschmuck betrachtet? Dann weißt du, welches Schicksal dir bevorsteht.«
12. Bard Mo wurde von seinen Fesseln befreit und mußte sich vor dem Tätowierten auf den Bauch legen. Er vermutete, daß es sich dabei um den Hohenpriester der Sekte handelte. »Bisher dachte ich, daß sich alle an das Sprechverbot halten«, meinte Bard Mo. »Aber die Mächtigen haben wohl überall ihre Privilegien.« »Ich bin Spanoke Zok – die Fleischwer-
dung des Antimateriegottes«, erwiderte der Tätowierte von seinem Thron aus. »Ich bin dazu ausersehen, die Sünder dieser Welt zu bestrafen und die Gläubigen auf den Gang in die Ewigkeit vorzubereiten.« »Was sollen diese salbungsvollen Phrasen, Spanoke Zok«, sagte Bard Mo. »Mich kannst du damit nicht beeindrucken.« »Ich will nichts anderes, als dir deine Schuld ins Bewußtsein zu rufen, bevor dich die Antimaterie holt«, erklärte Spanoke Zok. »Du bist Wissenschaftler und mit deinesgleichen am Schicksal unserer Welt schuld. Ihr habt den Antimateriegott angerufen, aber die Formel dafür vergessen, wie ihr ihn gnädig stimmen könntet. Deshalb hat er statt Segen das Verhängnis über unsere Welt gebracht. Ich bin nun dazu ausersehen, eure Fehler wiedergutzumachen.« Die »Inkarnation des Antimateriegotts« machte eine Pause. Bard Mo schwieg ebenfalls – er hätte nicht gewußt, was er auf denblühenden Unsinn des Fanatikers antworten sollte. Mit vernünftigen Argumenten erreichte er bei diesem Wahnsinnigen sowieso nichts. Spanoke Zok fuhr fort: »Wir können die Skinen vor dem endgültigen Untergang nur noch retten, wenn wir die wahren Schuldigen alle opfern. Erst wenn ihr Wissenschaftler alle ausgerottet seid, wird uns der Antimateriegott die Gnade des Überlebens erweisen.« »Und du glaubst wirklich daran, Spanoke Zok, daß mit der Vernichtung der geistigen Elite und der Zerstörung der Zivilisation alle Antimateriefeuer auf Tsopan verlöschen werden?« fragte Bard Mo ungläubig. »Nein, du Narr«, erwiderte der Tätowierte erregt. »Das Antimateriefeuer läßt sich nicht löschen, aber wenn ihr Wissenschaftler bestraft seid, wird es seine vernichtende Kraft verlieren. Tsopan wird nicht von der Antimaterie verschlungen, sondern umgewandelt werden. Und Tsopan wird ein Antimaterie-Paradies in einem Antimaterie-Universum sein. Und die gläubigen Skinen werden zu Geschöpfen aus Antimaterie. Wir werden wei-
Der Negativ Kontakt terleben, weil uns der Antimateriegott gnädig ist – euch Wissenschaftler wird er dagegen alle vernichten.« Spanoke Zok glaubte wirklich an das, was er sagte. Er war intelligent genug, um zu erkennen, daß man der Antimaterie nicht Einhalt gebieten konnte. Aber andererseits wollte er nicht an den unabwendbaren Untergang glauben. Deshalb flüchtete er sich in diese Pseudo-Religion von einem Paradies in einem Antimaterie-Universum. Bard Mo wollte ihn gar nicht von diesem Glauben abbringen. Jeder sollte sich das Sterben auf seine Art leichter machen. Es paßte ihm nur nicht, daß er das Opfer von Spanoke Zoks Irrglauben werden sollte. »Deine Theorie ist bei näherer Betrachtung gar nicht mal so übel«, heuchelte Bard Mo. »Wenn man sich die Antimaterie nicht untertan machen kann, dann muß man sich ihr anpassen. Aber glaubst du, daß der Tod von Wissenschaftlern den Lauf der Dinge ändern kann? Ich bin nur ein kleines Rädchen in der Zivilisationsmaschinerie. Mein Tod wird den Antimateriegott nicht versöhnen. Du müßtest ihm ein viel größeres Opfer bringen!« »Ach?« tat Spanoke Zok belustigt. »Du willst mir einen Tauschhandel vorschlagen?« »So könnte man es nennen«, gab Bard Mo zu. »Ich wüßte ein viel lohnenderes Opferobjekt. In geheimen Anlagen der Stadt Vors existieren Speicherbänke mit den Bewußtseinsinhalten unzähliger Fremdwesen. Sind diese Fallen nicht imposante Zeugnisse der skinischen Zivilisation? Wenn du sie zerstörst, den Bewußtseinsinhalten die Freiheit gibst – dann würdest du dem Antimateriegott wahrlich ein großes Opfer darbringen. Ein Wort von dir genügt und ich bringe dich nach Vors.« »Dazu brauche ich dich nicht«, erklärte Spanoke Zok. »Ich werde den Weg auch allein finden.« »Das glaube ich nicht«, entgegnete Bard Mo. »Denn nur Eingeweihte wissen, wo die Fallen zu finden sind und nur ein Fachmann
39 wie ich kann mit ihnen auch umgehen. Wenn du die Bewußtseinsinhalte deinem Gott opfern möchtest, dann mußt du dich meiner bedienen.« Spanoke Zok schien zu überlegen und Bard Mo begann neue Hoffnung zu schöpfen. Doch die Ernüchterung folgte auf dem Fuß, als der Tätowierte sagte: »Ich würde dein Angebot annehmen, aber es geht nicht. Ich habe dich meinem Gott als Opfer versprochen und er würde es mir übelnehmen, wenn ich deine Hinrichtung verzögerte. Geh dort durch diese Tür! Antimaterie wird mit dir sein.«
* Bard Mo kam durch einen langen Gang ins Freie – und somit ins Todeslabyrinth. Dieser Irrgarten wurde teilweise von primitiven Steinmauern gebildet, aber auch von Hecken aus mutierten Pflanzen; er führte durch subplanetare Höhlen, an AT-Löchern vorbei und über schmale Felsgrate. Welche unheimlichen Tiere hier lebten, konnte Bard Mo vorerst nur erahnen. Als er seinen Fuß in den Irrgarten setzte, ertönte vielstimmiges Geschrei. Er sah nach oben und erblickte Tätowierte in Hochständen, auf Balustraden und auf Brücken, die über das Labyrinth führten. Für sie war es offenbar jedesmal ein aufregendes Schauspiel, wenn ein Wissenschaftler ins Labyrinth geschickt wurde. Bard Mo zögerte, den Irrgarten zu betreten. Die Tätowierten feuerten ihn mit unartikulierten Lauten an. Als sie sahen, daß Bard Mo sich nicht vom Fleck rührte, bewarfen sie ihn mit Steinen und anderen Wurfgeschossen. Er brachte sich mit wenigen Sätzen zurück in die Höhle in Sicherheit. Doch als aus der Dunkelheit das Fauchen eines wilden Tieres ertönte, kehrte er sofort ins Freie zurück und suchte unter einem überhängenden Felsen vor den Wurfgeschossen Schutz. Dieses Versteck verließ er jedoch fluchtartig wieder, als eine dreiköpfige Schlange
40 nach ihm züngelte. Nach zwanzig Schritten gabelte sich der Weg vor Bard Mo. Links ging es einen Hang hinauf und an einem AT-Trichter vorbei. Der rechte Weg führte in die Tiefe, in eine Höhle hinein. Bard Mo wollte sich schon dem Hügel zuwenden, als in der dunklen Höhle die Vision von Palinga erschien. Sie winkte ihm mit einem Tentakel zu und verschwand sofort wieder. Wenn Palinga Illusionen vor ihm entstehen lassen konnte, dann war sie bestimmt irgendwo in der Nähe und hatte sich auch schon einen Plan zurechtgelegt, wie sie ihm helfen konnte. Er wunderte sich nur darüber, warum sie das tun wollte. Trotzdem begab er sich in die Richtung, die sie ihm wies. Als er in der Höhle verschwand, ertönte von oben das enttäuschte Gemurre der Tätowierten. Bard Mo lauschte in die Dunkelheit, konnte jedoch keine Geräusche hören. In der Höhle war alles still, nicht einmal das Knistern winziger Antimateriefeuer war zu hören. Dennoch hatte er das unbestimmte Gefühl, daß jemand in der Höhle war. Er setzte vorsichtig ein Bein vor das andere und hielt die Tentakel ausgestreckt, um Hindernisse sofort zu ertasten. Plötzlich stießen seine Klauen auf etwas Weiches. Es war ein lebendes Geschöpf. Er machte sich auf einen Angriff gefaßt, beruhigte sich aber sofort, als er merkte, daß das Wesen die Form eines Skinen hatte – und zwar die eines weiblichen Skinen. »Arna?« fragte er verhalten. Ein leises Stöhnen war alles, was er zur Antwort erhielt. Aber er glaubte Arna Schois Stimme zu erkennen. Er legte die Tentakel unter sie und hob sie hoch. Doch sie war ihm zu schwer, und er mußte sie schon nach einem Schritt wieder sinken lassen. »Arna, komm zu dir«, redete er auf sie ein, während er mit den Klauen die empfindlichen Nervenknoten hinter ihren Röhrenoh-
Ernst Vlcek ren suchte. »Arna, ich bin es, Bard Mo. Du mußt aufwachen! Wir müssen von hier fort.« Ein Zittern durchlief ihren Körper, als er die Reizzonen bei ihren Ohren fand und sanft dagegendrückte. »Eder?« fragte sie mit schwacher Stimme. »Ich bin es, Bard Mo«, wiederholte er. »Wir sind in einer Höhle. Wir müssen fort, um Eder zu suchen.« »Ja, Bard«, sagte sie. »Was ist passiert?« Sie setzte sich langsam in Bewegung, und er schilderte ihr beim Gehen die Ereignisse während ihrer Bewußtlosigkeit. Sie nahm es mit überraschender Gelassenheit auf. Selbst als sie wieder ins Tageslicht traten und sie die Tätowierungen auf ihrem nackten Körper entdeckte, erschrak sie nicht. Von draußen drang begeistertes Gegröle zu ihnen herein. »Was bedeutet das?« fragte Arna. »Die Tätowierten feuern uns auf unserem Todesmarsch an«, sagte er schonungslos. Je eher Arna in die Realität zurückfand, desto besser kam sie mit den Gegebenheiten zurecht. Wenn sie auch ihren Selbsterhaltungstrieb wiederfand, steigerte das ihre Überlebenschancen. Bard Mo sah in einem langen, schmalen Gang, der von schroffen Felsen gebildet wurde, wieder die Vision von Palinga. Sie lotste ihn in die schmale Schlucht, obwohl darüber ein dichtes Netz aus Antimateriefäden schwebte. Er wollte schon die von Palinga gezeigte Richtung einschlagen, als von der gegenüberliegenden Seite ein Schrei ertönte, der jedoch sofort in dem fanatischen Gejohle der Tätowierten unterging. »Das war Eder«, behauptete Arna undklammerte sich an Bard Mo. »Er muß in Gefahr sein!« Arna war bereits vorausgeeilt, Bard Mo folgte ihr auf dem Weg, der zwischen mutierten Pflanzen dahinführte. Ganze Schwärme von winzigen Insekten stießen aus den Hecken hervor und traktierten sie mit ihren Stichen. Bard Mo war es in diesem Augen-
Der Negativ Kontakt blick egal, ob es sich um Krankheitserreger handelte und er infiziert wurde. Er achtete auch nicht auf die Schlingarme, die nach ihnen schlugen. Wieder erscholl ein langgezogener Schrei. Er ertönte nun in ihrem Rücken. Bard Mo blieb stehen und suchte die Hecke verzweifelt nach einem Durchgang ab. »Hierher!« rief Arna ihm zu. Als er sich umwandte, verschwand sie gerade im Gestrüpp. Er folgte ihr, sein Gesicht mit den Tentakeln vor den attackierenden Pflanzen schützend. Ein Dorn bohrte sich in eines seiner Augen, und der folgende Schmerz machte ihn für Miniskopen blind. Er stieß gegen Arna, die stehengeblieben war. »Eder!« rief sie entsetzt und klammerte sich schluchzend an Bard Mo. Als sich sein Blick wieder klärte, sah er den Grund für Arnas Entsetzen. Eder Schoi verschwand gerade in dem buntschillernden Blütenkelch einer riesigen Fleischfresserpflanze. Dieses Bild des Schreckens wurde aber gleich darauf von einer Vision Palingas verdeckt. Die Mutantenfrau machte verzweifelte Gebärden, mit denen sie Bard Mo zur Rückkehr bewegen wollte. Bard Mo kam der Aufforderung ohne zu zögern nach.
13. Die Höhle war gerade groß genug, daß der Houth seinen massigen Körper hineinzwängen konnte, und sie war tief genug, daß er sich darin verstecken konnte. Die Bestie hatte die beiden Skinen schon längst entdeckt, doch war sie intelligent genug, sie näher an sich herankommen zu lassen. In den Eingeweiden des Houths machte sich schmerzhaft Hunger bemerkbar, aber er bändigte seine Freßgier solange, bis seine Opfer auf zwanzig Mannschatten herangekommen waren. Er hätte sogar noch länger ausgeharrt, doch die beiden Skinen wählten
41 einen Weg, der nicht an seinem Versteck vorbeiführte. Der Houth brüllte auf und schnellte sich aus seinem Versteck. Arna wollte beim Anblick des über fünf Mannschatten langen Ungetüms panikartig davonlaufen, doch Bard Mo hielt sie am Tentakel zurück. »Da hinauf!« befahl er ihr und wies den felsigen Hügel hinauf. Arna schüttelte sich. Sie wußte, daß es über den Hügel kein Entkommen gab. Wenn sie das Ungeheuer nicht einholte, dann würden sie in einen der beiden AT-Krater stürzen, die vor ihnen lagen. Es gab nur einen schmalen Pfad, der zwischen den Antimaterielöchern hindurchführte – und den beschritt Bard Mo. Der Houth folgte ihnen. Aber er kam verhältnismäßig langsam voran, weil das Geröll unter seinen stampfenden Beinen nachgab und er immer wieder den Hang hinunterrutschte. Dennoch kam er näher. Sein Heißhunger brachte ihn fast zur Raserei. Er schnellte den Hinterleib mit dem riesigen Maul immer wieder in die Höhe und versprühte Geifer. Bard Mo hatte den schmalen Pfad zwischen den beiden Kratern erreicht und zog Arna an der Klaue nach. »Geh du voran!« befahl er ihr. »Und drücke dich ganz fest zu Boden, damit du nicht vom Sog erfaßt werden kannst.« Arna gehorchte. Sie winkelte die vier Beine so stark ab, daß ihr Bauch über den Fels schleifte und zog sich an den Tentakeln voran. Obwohl sie sich so tief wie nur irgend möglich duckte, spürte sie, wie die unheimlichen Kräfte aus den Tiefen der Krater an ihr zerrten. Sie wagte es nicht, über den Rand zu sehen, weil sie Angst hatte, von der Schwärze der Antimaterie hypnotisiert zu werden und das Gleichgewicht zu verlieren. Sie drehte sich auch nicht einmal um, als das unheimliche Fauchen des Houth ganz nahe hinter ihr erklang. Bevor Bard Mo Arna auf den Grat zwischen den Antimaterielöchern folgte, schleu-
42 derte er dem bereits bedrohlich aufgerückten Ungeheuer einen schweren Felsbrocken entgegen. Der Houth duckte sich unter dem Geschoß hindurch, bäumte den Hinterleib auf und fing es mit dem geöffneten Maul auf. Bard Mo nützte dies, um sich einen Vorsprung zu verschaffen. Er kroch auf den schmalen Pfad hinaus und hatte Arna bereits nach wenigen Klimmzügen seiner Tentakel eingeholt. »Es geht nicht schneller«, sagte sie keuchend, als Bard Mo von hinten gegen sie stieß. »Nur nicht nervös werden«, beruhigte er sie. »Die Bestie muß uns erst einmal hierher folgen.« Er drehte sich um und sah, wie der Houth vor den beiden Kratern einen Tanz aufführte. Sein wütendes Gebrüll ging durch Mark und Bein. Eben war er sich seiner Beute noch so sicher gewesen, und jetzt schien sie ihm vor der Nase zu entschwinden. Er nahm sich einen Anlauf, rannte nach vorne – und wich dann wieder unentschlossen zurück. Beim vierten Anlauf überwand die Bestie aber dann ihre Scheu vor der bodenlosen Schwärze der AT-Löcher. Sie rannte mit flinken, sicheren Schritten auf den Felsgrat hinaus. Inzwischen hatten Arna Schoi und Bard Mo die andere Seite erreicht. Als Bard Mo das Untier schneller näherkommen sah, warf er einen Felsbrocken nach ihm. Das Geschoß traf den Houth an der Organscheibe. Dadurch verlor er für einen Moment den Überblick und tat einen falschen Schritt. Das wurde ihm zum Verhängnis – er verlor den Halt, geriet in den Sog der Antimaterie und wurde von diesem unweigerlich in den Abgrund gezerrt. Bard Mo und Arna warteten die folgende Explosion nicht erst ab, sondern rollten sich auf dem abschüssigen Gelände ab und gingen hinter einem Felsvorsprung in Deckung. Erst als die Explosion abgeklungen und der folgende Antimaterieregen vorbei war, wagten sie sich wieder hervor. Sie standen noch immer unter dem Ein-
Ernst Vlcek druck des Geschehens, als sie Zeuge eines neuen Schreckens wurden. »Sind das nicht zwei der Raumfahrer aus Palingas Gruppe?« fragte Arna. »Still!« gebot Bard Mo ihr und deutete zum Himmel hinauf. Dort schwebte ein Schwarm von ATFäden. Die beiden Skinen, die von den Sektierern tätowiert worden waren, schienen die Gefahr noch nicht bemerkt zu haben. Sie gaben sich zwar vorsichtig, ließen ihre Umgebung nicht aus den Augen, doch nach oben blickten sie nicht. Bard Mo wagte es nicht einmal, ihnen eine Warnung zuzurufen, weil AT-Fäden nicht nur der Bewegung von Materie folgten, sondern manchmal auch auf Schallwellen reagierten. Jetzt hatten die beiden Raumfahrer sie entdeckt, sie kamen winkend auf sie zu. Da senkte sich der Antimaterieschwarm auf sie nieder und hüllte sie in seinem Gespinst ein. Die Antimateriefäden bildeten ein so dichtes Netz um die beiden Skinen, daß von der folgenden Explosion nicht einmal die Druckwelle nach außen drang. Es waren bloß dumpfe Detonationen zu hören, und das Netz der Antimateriefäden wurde auseinandergerissen. Während die AT-Fäden nach allen Richtungen davonschwebten, hatten sich die beiden Raumfahrer bereits in Nichts aufgelöst. Bard Mo und Arna setzten ihren Weg durch das Labyrinth wieder fort. An einer Blütenmauer, von der ganze Trauben klauengroßer Insekten hingen, fanden sie den dritten Raumfahrer. Er lag im Sterben. Seine Augen weiteten sich entsetzt, als er die beiden so arglos näherkommen sah. Er machte mit dem Tentakel eine schwache Bewegung der Warnung und deutete auf die von den Blüten hängenden Insektenballungen. Bard Mo und Arna näherten sich ihm lautlos, hoben ihn auf und brachten ihn in eine Felsschlucht aus dem Bereich der Insekten. Sein Körper war über und über mit Beulen bedeckt, die unzählige Einstiche zeigten und sich bereits schwarz verfärbten. Bard
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Mo konnte sich denken, welches Schicksal ihm widerfahren war. »Wir wollten euch heraushauen«, sagte der Raumfahrer mit kaum verständlicher Stimme. Seine Sprechmembrane war zu einem unförmigen Klumpen angeschwollen. »Aber die Wilden … lockten uns in dieses Labyrinth … überwältigten uns und …« Er deutete auf die Tätowierungen an seinem Körper. Als er die Klaue des anderen Tentakels öffnete, sah Bard Mo einen winzigen Strahler darin liegen. »Nimm ihn«, forderte ihn der Raumfahrer auf. »Ich habe ihn im Mund vor den Wilden versteckt … Jetzt nützt er mir ohnehin nichts mehr …« »Was ist aus Palinga geworden?« erkundigte sich Bard Mo. Die Membrane des Sterbenden zuckte einige Male lautlos, dann brachte er krächzend hervor: »Spanoke Zok hat ihre Gefährlichkeit erkannt … und sie in der Arena den Houths ausgesetzt. Bisher hielt sie sich ganz gut, doch …« Der Raumfahrer verstummte. Er war tot. Bard Mo nahm den Mini-Strahler an sich. Als er sich erhob, erschien ihm wieder die Vision Palingas. Er folgte ihr.
* Palinga hatte es bis jetzt verstanden, die Houths abzuwehren, indem sie die Bestien verwirrte. Die Tätowierten, die dem Schauspiel zusahen, waren mit dem Dargebotenen verständlicherweise unzufrieden. Sie hatten sich vorgestellt, daß sich die Bestien einen erbitterten Kampf um die Beute bieten würden, aber nicht, daß sie wie blind umhertappten und sich auch sonst wie verrückt gebärdeten. Die Bestien suchten ihr Opfer überall – nur nicht dort, wo es tatsächlich war. Sie sprangen imaginäre Gegner an, zerfleischten sie und taten sogar so, als würden sie sie verschlingen.
Dieses seltsame Spiel hatte anfangs für die Tätowierten einen gewissen Reiz. Doch jetzt wurden sie ungeduldig. Auch die Houths wurden immer gereizter. Es kam zwischen ihnen zu Kämpfen, die nur deshalb nicht in ein Blutbad ausarteten, weil sie von der Witterung ihrer Beute wieder abgelenkt wurden. Die Arena, in der sich Palinga befand, war von allen Seiten abgesichert. Im Westen zog sich ein unüberwindlicher Gürtel aus Antimaterielöchern dahin. Im Süden und Osten versperrten senkrechte Felswände den Weg. Und im Norden standen drei Mannschatten hohe Palisaden – von dort beobachteten die Tätowierten die Geschehnisse in der Arena. Die Palisaden schienen Palinga noch am ehesten für einen Ausbruchsversuch geeignet. Doch sie wollte ihn nicht allein unternehmen. Sie hoffte noch immer, daß Bard Mo oder einer der anderen durch die Visionen den Weg zu ihr finden würde. Sie sandte die Projektionen ihrer Person in alle Teile des Labyrinths, von wo sie die Emotionen eines Skinen empfing. Es fiel ihr nicht schwer, die Gefühle der anderen Opfer zu orten, denn deren Angst war übermächtig und überlagerte alle anderen Ausstrahlungen – selbst die Mordlust der Tätowierten. Doch es erloschen immer mehr Emotionsquellen, und nun waren nur noch die von Bard Mo, Arna Schoi, Herad Gen und einem Raumfahrer übriggeblieben. Alle anderen hatten im Labyrinth den Tod gefunden. Und während Palinga diesen Gedanken noch nachhing, erstarben die Gefühle des letzten Raumfahrers. Die drei Überlebenden kamen ihr aber immer näher. Sie verirrten sich oftmals, wurden durch Gefahren vielfältigster Art aufgehalten – aber sie fanden den Weg zur Arena. Palinga hätte es mühelos geschafft, die Arena durch eine der vielen Höhlen in der Felswand zu verlassen. Aber sie tat es nicht, weil die Gefahren im Labyrinth für sie viel
44 größer waren. Außerdem mußte sie befürchten, daß Spanoke Zok sie dann von seinen Leuten würde erschlagen lassen. Da hielt sie schon lieber hier aus. Irgendwann würden die anderen in die A-rena kommen. Und dann traf auch schon der erste von ihnen ein. Zu Palingas Enttäuschung war es ausgerechnet Herad Gen. Aber so sehr er ihr auch seiner Hinterhältigkeit wegen verhaßt war, als sie ihn erblickte, tat er ihr leid. Er befand sich bereits im fortgeschrittenen Stadium der Metamorphose. Es ging bei ihm schneller als bei anderen, weil er offenbar viel anfälliger war. Der Tentakel, der aus seinem Bauch wuchs, war bereits voll ausgebildet. Seine vier Beine waren unförmige Klumpen, aus denen etliche Pseudopodien ragten. Er besaß kein einziges Auge mehr im Gesicht. Dafür wuchs ihm im Genick, oberhalb seiner Röhrenohren, ein riesiges Sehorgan heraus, das bereits so groß wie eine Greifklaue war und anscheinend weiterwuchs. Als er in die Arena kam, wollte er sofort wieder umkehren. Aber ein Houth hatte ihm den Weg abgeschnitten. Herad Gen konnte nur noch die Flucht nach vorne ergreifen. Von dort stürmten aber bereits die anderen Bestien herbei. Sein Glück war es, daß zwei von ihnen gleichzeitig nach ihm schnappten und sich gegenseitig verletzten, als er unter ihnen wegkroch. Herad Gen sah ein, daß er nicht ewig vor diesen Ungeheuern davonlaufen konnte. Und er tat in dieser Situation das einzig Richtige: Er klammerte sich am Ohr eines Houths fest und schwang sich auf dessen Rücken. Das Tier versuchte ihn abzuschütteln und mit dem geifernden Maul in seinem Hinterleib nach ihm zu schnappen. Doch Herad Gen entwickelte in seiner Todesangst Kräfte, die es ihm ermöglichten, sich an dem Tier festzuklammern. Palinga schickte den Bestien einige Trugbilder entgegen, so daß sie diesen nachjagten und Herad Gen eine Verschnaufpause gegönnt war.
Ernst Vlcek Gerade als die zur Raserei aufgestachelten Houths einem halben Dutzend vermeintlicher Opfer nachjagten, tauchten auch Bard Mo und Arna Schoi auf. Auch sie wollten sofort wieder umkehren, doch Palinga schickte ein Abbild von ihr aus, das ihnen den Weg verstellte. »Lauft nicht weg!« rief sie ihnen dann zu und durchquerte die Arena. Sie lief auf das Tier zu, auf dessen Rücken sich immer noch Herad Gen festhielt. Bard Mo der sich trotz Palingas Zuruf zurückziehen wollte, wurde von Arna Schoi aufgehalten. »Da, schau, Bard!« rief sie überwältigt. »Das könnte unsere Rettung sein.« Als sich Bard Mo umdrehte, sah er, wie sich Palinga ebenfalls auf den Rücken der Bestie schwang, die bereits von Herad Gen »geritten« wurde. »Du hast recht«, sagte Bard Mo, der es noch nicht glauben konnte, daß es Palinga gelungen sein sollte, einen Houth zu bändigen, obwohl er es mit eigenen Augen sah. »Sie scheint ihre Fähigkeit bei den Bestien erfolgreich einsetzen zu können. Wir müssen nur noch eine Möglichkeit finden, das Tier ebenfalls zu besteigen.« Palinga winkte ihnen zu, und der Houth, den sie ritt, preschte geradewegs auf sie los. Das Tier schlug knapp vor Bard Mo und Arna Schoi mit den Vordertatzen nach irgend etwas Unsichtbarem, wirbelte herum und schnappte mit den Hauern zu. »Schnell jetzt!« rief Palinga und reichte Arna den Tentakel, um ihr auf den Rücken des Tieres zu helfen. Bard Mo wartete nicht erst, bis Arna Platz genommen hatte, sondern sprang mit einem gewaltigen Satz auf das Tier hinauf. Der Houth hatte den Kampf mit dem Gespenst beendet und knurrte verärgert, weil sein Magen immer noch leer war, obwohl er scheinbar gerade einen Skinen verspeist hatte. Bard Mo durchschaute Palingas Trick natürlich sofort, mit dem sie ihr Reittier bei Laune hielt und von seiner schmackhaften
Der Negativ Kontakt Last ablenkte. Er hoffte nur, daß ihre Fähigkeit dem Houth Trugbilder zu projizieren, nicht nachließ. »Haltet euch fest!« rief Palinga. »Ich werde jetzt die Sprungkraft unseres Reittiers testen. Ich werde versuchen, es über die Palisaden springen zu lassen.« »Dieses Risiko brauchen wir gar nicht einzugehen«, rief Bard Mo zurück und zeigte ihr seinen Mini-Strahler. »Mit diesem Ding werde ich durch die Palisaden eine Bresche schlagen. Steuere du nur den Houth darauf zu!« Palinga ließ vor den Augen der Bestie eine Schar von Skinen erstehen, die in heilloser Panik auf die Palisaden zuliefen – und das Tier hetzte rasend vor Gier, hinter diesen Trugbildern her. Bard Mo schoß einen breitgefächerten Energiestrahl ab und bestrich damit die Palisaden auf einer Länge von vier Mannschatten. Die in den Boden gerammten Baumstämme gingen in Flammen auf – und verkohlten, als Bard Mo die Intensität des Energiestrahls verstärkte. Er feuerte solange, bis die Batterie leer war, und in der Barriere eine Lücke entstanden war, die groß genug war, den Houth passieren zu lassen. Die Bestie zuckte zuerst vor den Flammen zurück. Doch ihre Freßgier war größer als die Scheu vor dem züngelnden Element, und sie sprang mit einem Satz über die verkohlten Trümmer und rannte unermüdlich hinter den flüchtenden Trugbildern her. »Wir werden uns des Houths als Reittier bedienen, solange er uns trägt«, erklärte Palinga. »Wenn die Bestie dieses Tempo noch eine Weile durchhält, können wir noch heute Vors erreichen«, sagte Bard Mo, der die Verwirklichung seiner Pläne nun wieder in greifbare Nähe gerückt sah. »Irrtum, mein Freund«, erwiderte Palinga. »Unser Ziel ist die Arche, die uns von Tsopan fortbringen soll.«
14.
45 »Soll das die Arche sein, von der ihr euch Rettung erhofft?« fragte Bard Mo. Vor ihnen lag ein verwüsteter Raumhafen, der von dunklen, drohend wirkenden Kratern durchsetzt war: Antimaterielöcher. Es befand sich nur ein einziges Raumschiff darauf – und dieses war ein Wrack. Palinga studierte lange die Landkarte des Pilgers, dann sagte sie dumpf: »Ja, das Wrack müßte die Arche sein.« Sie zerknüllte die Folie zwischen ihren Klauen und ließ sie dann zu Boden fallen. Plötzlich begann sie schallend zu lachen. »Dieses Wrack ist die Arche … jawohl, dieses Wrack ist die große Hoffnung der Skinen!« Die Sonne stand bereits nahe dem Horizont. Sie waren die ganze Strecke vom Silo bis zu diesem Raumhafen in einem Zug durchgeritten, ohne Unterbrechung, bis der Houth vor Erschöpfung zusammenbrach. Bard Mo hatte dem Tier mit der letzten Energiereserve des Mini-Strahlers, dessen Batterie sich wieder etwas aufgeladen hatte, den Gnadenschuß gegeben. »Sehen wir uns das Raumschiff näher an«, schlug Herad Gen vor. »Warum sollen wir hier unsere Zeit verschwenden?« erwiderte Bard Mo ärgerlich. »Vielleicht ist das Raumschiff in einem besseren Zustand, als es aussieht«, meinte Herad Gen. »Es könnte sich um eine Tarnung handeln, um Plünderer und Sektierer von einer näheren Betrachtung abzuhalten.« Bard Mo wollte einen neuen Vorwand einbringen, doch Palinga kam ihm bevor. »Wenn wir schon hier sind, sehen wir uns die Arche auch mal an«, beschloß sie. Sie hatte schnell wieder ihre Fassung zurückgewonnen. »Was sollen wir mit ihr machen?« fragte die Mutantin dann und deutete auf Arna, die völlig apathisch auf dem Boden kauerte. »Laßt mich hier zurück«, sagte Arna Schoi mit schwacher Stimme. »Ich fühle, daß es mit mir zu Ende geht.« »Kommt nicht in Frage«, erklärte Bard Mo. »Du kommst mit uns mit. Und wenn du
46 es aus eigener Kraft nicht schaffst, werden wir dich tragen.« »Es geht schon«, versicherte Arna. »Es ist nur … Was für einen Sinn hat das Leben jetzt noch für mich, nachdem Eder …« »Du wirst schon über seinen Tod hinwegkommen«, unterbrach Bard Mo sie. Er packte sie am Tentakel. »Vor uns liegt noch eine große Aufgabe, Arna. Halte dir immer vor Augen, daß wir zuerst noch die Bewußtseinsspeicher von Vors entleeren müssen.« Arna Schoi erhob sich und setzte sich in Bewegung. Palinga und Herad Gen waren bereits vorangegangen. Während die Mutantenfrau von den Strapazen überhaupt nicht gezeichnet war, machte Herad Gen einen mitgenommenen Eindruck. Aber das war wohl vor allem auf die rapide fortschreitende Metamorphose zurückzuführen. Die Wucherungen seiner Körperzellen, die Bildung von Pseudoorganen und das Wachstum seines Riesenauges brauchten alle seine Energien auf. Trotzdem resignierte er nicht und glaubte immer noch daran, daß es für ihn eine Rettung gab. Dieser eiserne Wille zum Überleben war bewundernswert. Bard Mo mußte das anerkennen, wenn ihn auch Herad Gens andere Eigenschaften durchweg abstießen. Sie erreichten das Wrack, als die Sonne ge-rade hinter dem Horizont versank. Von Süden her näherte sich eine dunkle Wolkenfront, die wahrscheinlich Antimaterieregen mit sich brachte. Die Bodenbeben in diesem Gebiet waren von einer beängstigenden Stärke. Ständig brach irgendwo die Planetenkruste auf, Giftgase und Magmamassen brachen aus Rissen und Spalten hervor, Rauch legte sich wie Nebel über den Raumhafen, die Atmosphäre war kaum mehr atembar. Es bildeten sich ständig neue Antimaterielöcher, in deren Schlünden die Planetenmasse verschwand. Die Luft war erfüllt von den Detonationen größerer und kleinerer Explosionen. Der Planet kam keine Miniskope zur Ruhe. Bard Mo wußte: Das waren die letzten
Ernst Vlcek Augenblicke vor dem endgültigen Untergang seiner Heimatwelt. Sollte es ihm trotz aller Mühen und Entbehrungen, die er auf sich genommen hatte, nicht mehr gegönnt sein, die Bewußtseinsspeicher von Vors zu erreichen? War hier, bei diesem Wrack, Endstation für sie alle? Würden hier Palingas und Herad Gens Träume von einer wundersamen Rettung zerrinnen? Würden nun seine eigenen Träume mit dem Planeten sterben? Sie bestiegen das Raumschiff. Der Himmel hatte sich verdüstert, Antimaterieregen fiel knisternd auf die Schiffshülle und fraß sie weiter auf. Die vier Skinen ertasteten sich ihren Weg durch die Dunkelheit. Sie mußten vorsichtig sein, darauf achten, wohin sie traten, denn an manchen Stellen war der Boden so stark von Antimaterieteilchen zersetzt, daß er ihr Gewicht nicht mehr tragen konnte. Arna Schoi war bereits zweimal eingebrochen und hatte sich dabei verletzt. Aber sie klagte nicht, sondern verbiß tapfer den Schmerz. Herad Gen hatte durch herabfallende Trümmer ein Bein verloren. Aber wie er versicherte, machte ihm das überhaupt nichts aus. Er behauptete sogar, statt Schmerzen ein wohliges Prickeln zu verspüren und war überzeugt, daß ihm das verlorene Bein nachwachsen würde. Mit dem Riesenauge, das ihm über den Ohren wuchs, konnte er auch in der Dunkelheit sehen. Deshalb übernahm er die Führung, und indem sie einander die Tentakel reichten, kamen sie ziemlich rasch voran. Freilich, die gefährlichen Einbruchstellen des Bodens konnte auch er nicht immer klar erkennen. Sie drangen immer tiefer zur Schiffsmitte vor, die Schäden durch Antimaterie wurden immer geringer. Plötzlich blieb Herad Gen stehen. »Was ist?« fragte Bard Mo, der den Abschluß bildete. »Es geht nicht weiter«, erklärte Herad Gen. »Vor uns ist ein verriegeltes Schott,
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das sich von außen nicht öffnen läßt. Wir müssen nach einem anderen Weg … Moment! Das Schott geht von selbst auf!« Bard Mo erblickte vor sich einen Lichtschein. Zuerst fiel er nur durch einen Spalt und füllte schließlich eine kreisrunde Fläche aus. Bard Mo schloß für einen Moment die geblendeten Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er vor sich einen Skinen in der Kleidung eines Technikers. »Seid ihr gekommen, um mit der Arche auf eine andere Welt zu übersetzen?« fragte der Techniker. »Wenn ja, dann tretet ein. Ihr werdet vielleicht die letzten sein.«
* Bard Mo war, ebenso wie die anderen, sprachlos vor Überraschung. Vor allem deshalb, weil sie mit solcher Selbstverständlichkeit empfangen wurden, als hätte man sie erwartet. Und zum anderen, weil sich in dem Wrack tatsächlich eine Art Überlebensstation befand, eine kleine Insel des Lebens in einer Welt des Todes. Der Skine in der Technikermontur schenkte nicht einmal der Tatsache Beachtung, daß ihre Körper über und über tätowiert waren, obwohl er doch annehmen mußte, daß sie zu der Sekte der Antimaterieanbeter gehörten. »Schließt das Schott hinter euch«, sagte der Techniker, kehrte ihnen vertrauensselig den Rücken zu und ging dann voran. Bard Mo schloß das Schott und folgte mit den anderen dem Skinen. Die Einrichtungen in diesem Teil des Schiffes waren alle noch in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten, wenngleich es unmöglich war, daß sie allenoch funktionierten, denn große Teile des Schiffes waren bereits zerstört. »Ich bin Peckin Pah, der Fährmann der Arche«, erklärte der Techniker, während er sie durch einen Korridor führte. »Ich habe schon viele von Tsopan fortgebracht. Aber sie dankten es mir nicht. Ich bat sie, mich über Funk zu benachrichtigen, wenn sie auf dem dritten Planeten herausgekommen sei-
en. Ich wollte schließlich wissen, wie es ihnen dort erging, ob in dem Planetenstützpunkt alles in Ordnung ist und die dort stationierten Raumschiffe startbereit sind … Aber ich erhielt keinen einzigen Funkspruch, obwohl mein Empfänger eingeschaltet ist. Selbst kann ich leider nicht senden … Ihr wundert euch, daß ich so vertrauensselig bin und euch ohne lange Fragen hereingelassen habe? Das war nicht immer so. Früher habe ich eine gestrenge Auslese getroffen. Aber Tsopan kann jeden Augenblick untergehen. Warum soll ich da noch vorsichtig sein?« »Warum hast du dich nicht selbst auch in Sicherheit gebracht, Peckin Pah?« erkundigte sich Bard Mo. »Einer muß doch zurückbleiben, der die Arche steuert«, antwortete Peckin Pah, der »Fährmann«. »Worum handelt es sich bei dieser sogenannten Arche denn eigentlich?« erkundigte sich Herad Gen aufgeregt. »Ein Raumschiff kann es wohl nicht sein.« »Seht selbst!« Sie erreichten die Hauptzentrale. Bard Mo entfuhr ein überraschter Ausruf, als er die seltsame Anordnung der Armaturen und die unbekannten technischen Einrichtungen sah, die für die Steuerzentrale eines Raumschiffs ungewöhnlich waren. Für die Steuerelemente und Navigationsinstrumente war der wenigste Platz vorgesehen. Den größten Raum nahm ein Gerät ein, das stark an einen Bewußtseinsprojektor erinnerte, wie er für die Übertragung der Bewußtseinsinhalte aus den Fallen auf lebende Wesen verwendet wurde. Aber an verschiedenen Details erkannte Bard Mo, daß es sich um keinen herkömmlichen Bewußtseinsprojektor handelte. »Was ist das?« erkundigte sich Bard Mo überwältigt. »Die Arche«, antwortete Peckin Pah schlicht. »Kannst du uns das nicht näher erklären?« verlangte Palinga. »Wenn wir uns dieser Maschine anvertrauen sollen, dann wollen wir auch wissen, wie sie arbeitet.«
48 »Die Arche ist ein Materieprojektor, der, wie der Name schon sagt, Materie an jeden beliebigen Punkt abstrahlen kann, ohne daß dafür ein Empfangsgerät nötig wäre. Es handelt sich bei diesem Gerät um einen Prototyp, der auf dem Prinzip des Bewußtseinsprojektors basiert und angesichts der drohenden Weltkatastrophe gebaut wurde, um die Skinen schnell und in großer Zahl von Tsopan evakuieren zu können. Denn es gab schon damals Wissenschaftler, die das Ausmaß der Katastrophe voraussahen und errechneten, daß bei Freiwerden großer Antimateriemengen ein Flugverkehr auf unserem Planeten unmöglich sein würde. Dieser Materieprojektor, den man auch als Fiktivtransmitter bezeichnen könnte, erlaubt es dagegen, Gegenstände und Personen ungefährdet zu anderen Welten abzustrahlen. Weil wir aber die Reichweite des Projektors nicht erproben konnten, haben wir eine Station auf dem dritten Planeten als Ziel der Evakuierung auserkoren.« »Egal, wo wir herauskommen«, sagte Herad Gen. »Hauptsache, wir können Tsopan hinter uns lassen.« »Nichts leichter als das.« »Dann schalte schon deine Wundermaschine ein, Peckin Pah!« »Jawohl, Eile ist geboten«, sagte der Techniker und begab sich zu einer Schaltwand. »Es dauert nur wenige Skopen, dann könnt ihr die Abstrahlplattform betreten.« »Kann ich dir nicht behilflich sein Fährmann?« schaltete sich Bard Mo ein. »Ich bin im Umgang mit Bewußtseinsprojektoren geübt. Und es geht bestimmt schneller, wenn ich dich bei der Justierung unterstütze.« Ohne besondere Aufforderung gesellte sich Bard Mo zu Peckin Pah an die Schaltwand. Dieser erklärte ihm in wenigen Worten die Bedeutung der einzelnen Schaltelemente. Bard Mo begriff schnell, denn im Prinzip war alles genau so wie bei einem Bewußtseinsprojektor, nur daß nicht Geistesinhalte abgestrahlt wurden, sondern Lebewesen aus Fleisch und Blut. Und es galt nicht, Abstrahlungsobjekte von Speichern
Ernst Vlcek abzuberufen und Matrizen zu entschlüsseln, sondern die »Originale« umzuwandeln und über den Hyperraum an den Bestimmungsort zu projizieren. »Gibt es bei der Abstrahlung nicht Schwierigkeiten mit der Antimateriestrahlung?« erkundigte sich Bard Mo, um Peckin Pah abzulenken. Während des Sprechens befaßte er sich mit der Feinjustierung, mit der es möglich war, jeden Punkt in einer Entfernung von einem Bergschatten bis zu zwanzig Lichtjahren als Bestimmungsort für die Materieprojektion zu wählen. Bard Mo fuhr fort: »Ich meine das so, daß die Emission der Antimaterie großen Einfluß auf den Hyperraum nimmt, über den die Projektionen geleitet werden. Kann es da nicht passieren, daß sich die Antimaterie negativ auf das Projektionsergebnis auswirkt? Es könnte dadurch zu Ungenauigkeiten in der Justierung kommen, was zur Folge hätte, daß das abgestrahlte Objekt nicht an seinem Bestimmungsort herauskommt. Es wäre aber auch möglich, daß das abgestrahlte Objekt überhaupt nicht wieder in unserem Universum materialisiert und im Hyperraum hängenbleibt.« »Das ist noch nicht vorgekommen«, behauptete Peckin Pah. »Meine Passagiere haben alle ihr Ziel erreicht. Ich bin ein guter Fährmann.« Bard Mo merkte, wie Peckin Pah nervös wurde, in seinem Gesicht begann es zu arbeiten. »Ich zweifle gar nicht an deinen Fähigkeiten«, sprach Bard Mo weiter, der überzeugt war, Peckin Pah an seiner wunden Stelle getroffen zu haben. Der »Fährmann« wußte sehr wohl, welche Unsicherheitsfaktoren mit einer Reise in seiner »Arche« verbunden waren, wollte diese aber nicht einmal vor sich selbst eingestehen. Sonst hätte er wohl die Leute, die sich ihm in dem Glauben anvertrauten, auf einer anderen Welt herauszukommen, nicht in den Tod geschickt. Absichtlich hatte er es bestimmt nicht getan. Bard Mo nahm in einem unbeobachteten
Der Negativ Kontakt Augenblick eine Manipulation an der Justierung des Materieprojektors vor, dabei redete er weiter auf Peckin Pah ein. »Du bist ein guter Fährmann, aber die Gefahren der Hyperstrahlung, die die Antimaterie aussendet, kannst auch du nicht umgehen. Je größer die Strecke ist, über die du die Projektionen schickst, desto größer ist auch der Energieaufwand. Verstärkter Energieaufwand vergrößert aber das Risiko, daß die in Hyperstrahlung umgesetzte Materie mit der Antimateriestrahlung tangiert.« »Das ist wahr«, sagte Peckin Pah mit bebender Stimme. »Deshalb habe ich es auch unterlassen, die Passagiere in ein anderes Sonnensystem abzustrahlen. Die dabei aufzuwendende Energie hätte unweigerlich die Antimateriestrahlung angezogen, was zu unabsehbaren Folgen geführt hätte. Der dritte Planet ist aber nicht zu weit entfernt, die Abstrahlung dorthin erfolgt gefahrlos.« »Das ist eben dein Irrtum, Peckin Pah«, erwiderte Bard Mo. »Ich muß nicht erst umfangreiche Berechnungen anstellen, um zu wissen, daß unter den auf Tsopan herrschenden Bedingungen Transmitter nur über eine Strecke von wenigen Bergschatten hinweg eingesetzt werden können. Die Leute aber, die du zum dritten Planeten geschickt hast, haben ihr Ziel nie erreicht. Sie sind im Hyperraum verschollen. Deshalb konnten sie dir auch keine Funknachricht senden.« »Nein, nein«, sagte Peckin Pah mit sich überschlagender Stimme. Seine Tentakel zitterten vor Erregung, seine Augen wanderten unruhig über die Schaltwand. »Es geht alles glatt, ihr werdet sehen. Es sind alle Schaltungen vorgenommen, ihr könnt die Abstrahlungsplattform betreten … Gleich werdet ihr an eurem Ziel sein. Sorgt euch nur nicht, ich bin ein erfahrener Fährmann. Doch, halt! Wer hat die Feinjustierung verändert?« Bard Mo holte ohne zu zögern aus und schlug Peckin Pah nieder. »Was hat das zu bedeuten?« fragte Palinga, die zu weit weggestanden hatte, um die Unterhaltung der beiden Männer mitanhören
49 zu können. »Keine weiteren Fragen«, sagte Bard Mo und zerrte den bewußtlosen Peckin Pah zur Abstrahlungsplattform. »Ich mußte ihn niederschlagen, weil er auf einmal durchdrehte. Hast du seine Emotionen nicht geortet?« »Doch«, sagte Palinga. »Sie waren sehr verwirrend – wie bei einem Geistesgestörten.« Bard Mo begab sich zusammen mit dem Techniker, der das Bewußtsein noch nicht wiedererlangt hatte, auf die Abstrahlungsplattform. »Macht schnell«, trug er den anderen auf. »Die Energieversorgung des Materieprojektors kann jeden Augenblick zusammenbrechen.« Bard Mo und Peckin Pah entmaterialisierten. Die letzten Worte sprach er bereits in seiner neuen Umgebung. Er nahm gar nicht wahr, was um ihn war, sondern schloß die Augen und ließ sich erleichtert zu Boden sinken. Endlich – endlich hatte er sein Ziel erreicht! »Sind wir hier auf dem dritten Planeten?« erkundigte sich Palinga mit mißtrauischer Stimme. »Du wirkst so überraschend zufrieden.« Sie war drei Schritte vor Bard Mo materialisiert. »Ich habe auch allen Grund, zufrieden zu sein. Denn wir wurden in die Anlagen von Vors abgestrahlt. Wir sind in Vors, Palinga!« Das Gesicht der Mutantenfrau war eine blau pulsierende Maske der Wut, als sie sagte: »Du hast mich hintergangen, Bard Mo! Dafür könnte ich dich auf der Stelle töten.« »Ich habe euch das Leben gerettet«, erwiderte Bard Mo. »Ihr hättet den dritten Planeten nie erreicht, denn über eine so große Strecke ist ein Transport mittels Transmitter wegen der Antimateriestrahlung unmöglich. Wenn du mir nicht glaubst, dann frage Peckin Pah.« Der Transmittertechniker war zu sich ge-
50 kommen und hatte die Auseinandersetzung mitangehört. »Er hat recht«, sagte Peckin Pah, während er auf die Beine kam. »Er hat euch das Leben gerettet, ihr werdet mit dem Planeten untergehen. Wenn ihr euch mir anvertraut hättet, dann wäre euch ein schönerer Tod beschieden gewesen. Ihr hättet nichts gespürt und wäret zudem noch mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft verschieden.« »Er ist verrückt«, stellte Arna Schoi fest. Herad Gen begann vor Wut und Enttäuschung aufzuheulen. Die Erkenntnis, daß er nun unrettbar verloren war, daß es keine Hoffnung mehr gab, von Tsopan fortzukommen, war einfach zuviel für ihn. Zudem hatte sich auch die Metamorphose auf seinen Geist ausgewirkt. Er heulte wieder wie ein wildes Tier auf und rannte davon. »Ich hätte euch durch den Transmitter gehen lassen, wenn ich sicher gewesen wäre, daß ihr euer Ziel erreichen würdet, Palinga«, sagte Bard Mo. Die Mutantin hatte sich wieder beruhigt. »Du hast jedenfalls dein Ziel erreicht«, sagte sie deprimiert. »Und da ich nun schon in Vors bin, kann ich dich in deinen Plänen auch unterstützen. Was hast du eigentlich vor, Bard Mo?« Bard Mo atmete erleichtert auf. Er hatte befürchtet, daß er von Palinga Schwierigkeiten zu erwarten hätte. »Folgt mir«, sagte er. »Ich habe uns ganz in die Nähe der geheimen Anlagen abgestrahlt. Wir sind gleich dort.« Der Boden wurde von einem Beben erschüttert, aus der Tiefe kam ein unheimliches Grollen, und die Schwerkraft wurde für einige Miniskopen aufgehoben. Als die Gravitation wieder einsetzte, erklang aus den Gängen der subplanetaren Anlagen ein Schrei, dem ein wüstes Geheul folgte. In einem Seitengang tauchte ein tätowierter Skine auf, der eine Fackel schwang und eine schwere Keule nach ihnen schleuderte. Bard Mo sah, daß Arna Schoi in der Flugbahn des Wurfgeschosses stand und versetz-
Ernst Vlcek te ihr einen Stoß. Doch er reagierte zu spät. Die Keule traf sie an der Organscheibe, und sie brach lautlos zusammen. Bard Mo eilte ihr zu Hilfe, doch er konnte nur noch ihren Tod konstatieren. Palinga, die inzwischen den Tätowierten überwältigt hatte, stellte verblüfft fest: »Das war einer aus Spanoke Zoks Sekte. Es sieht fast so aus, als hätten uns die Tätowierten hier aufgelauert. Wie konnten sie wissen, daß wir nach Vors gehen würden?« »Ich habe es Spanoke Zok verraten«, gestand Bard Mo. Wieder gellte ein langgezogener Schrei durch die Korridore, der immer leiser wurde und schließlich ganz erstarb. Bard Mo und Palinga sahen einander an – für sie bestand kein Zweifel, daß es sich um Herad Gens To-desschrei gehandelt hatte, der den Tätowierten in die Hände gefallen war.
15. »Wir haben es geschafft«, sagte Bard Mo erleichtert, als sie das Gewölbe erreichten, in dem ein Teil der Speicher aus Xascat untergebracht war. Er hörte hinter sich Kampflärm, aber er kümmerte sich nicht darum. Es war Palingas Aufgabe, die Angriffe der Tätowierten abzuwehren, die sie bis hierher verfolgt hatten. Er mußte die Zeit nutzen, um sein Vorhaben zu verwirklichen. Seit dem Tag, da die Katastrophe über Tsopan hereingebrochen war, hatte er auf diesen Augenblick gewartet. Eine ganze Skopenreihe hindurch hatte er an nichts anderes gedacht. Er mußte lange warten, bis er diese Expedition zusammenstellen konnte, und dann hatte es mehr als einen halben Skopenblock gedauert, bis er endlich unter größten Schwierigkeiten diese Anlagen erreicht hatte. Jetzt war es endlich soweit. Nichts konnte ihn mehr daran hindern, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen – nicht einmal die Tätowierten oder der Untergang von Tsopan. Er würde in jedem Fall noch Zeit finden,
Der Negativ Kontakt die Bewußtseinsinhalte aus den Speichern abzuberufen und mit dem Projektor in den Weltraum abzustrahlen. »Du benimmst dich, als wäre ich dein Leibwächter, Bard Mo«, sagte Palinga vorwurfsvoll. »Überläßt es mir, mich mit den Sektierern herumzuschlagen, während du nichts anderes tust, als diese Anlagen zu begaffen.« »Verstehst du denn nicht, Palinga«, sagte er. »Ich habe die Bewußtseinsspeicher endlich gefunden, und die meisten sind noch intakt und können abberufen werden! Da ist der Projektor – und auch er funktioniert.« »Was willst du damit denn eigentlich unternehmen?« fragte Palinga ohne besonderes Interesse. Sie hatte das Schott, den einzigen Zugang zu diesem Gewölbe, von innen verriegelt, und die anstürmenden Tätowierten ausgesperrt. Sie hämmerten gegen das Schott, bearbeiteten es mit Brecheisen und Rammböcken, hatten damit aber keinen Erfolg. »Du hast immer davon gesprochen, daß dein Ziel die Bewußtseinsspeicher sind«, fuhr Palinga fort. »Doch du hast nie ein Wort darüber verloren, was du mit ihnen vorhast.« »Kannst du dir das denn nicht denken?« fragte Bard Mo erstaunt. Er hatte die Fallen aktiviert, und auf der großen Leuchtwand hinter dem Projektor liefen auf einer Reihe von Monitoren Zahlengruppen in Verbindung mit Namen ab: Die Namen jener Wesen, deren Bewußtseinsinhalte in den Fallen gespeichert waren. Viele von ihnen waren mit den Speicherbänken durch die Einwirkung der Antimaterie zerstört worden. Doch es existierten noch genug, so daß Bard Mo mit ihnen eine große Streuung erzielen konnte. »Sollen all diese Bewußtseinsinhalte von interessanten und exotischen Fremdintelligenzen verlorengehen?« sagte er. »Es wäre schade um sie. Ich könnte sie natürlich auf Skinen übertragen, die Tsopan bevölkern. Aber welchen Sinn hätte das? Die Bewohner von Tsopan werden mit dem Planeten unter-
51 gehen, die Bewußtseinsinhalte wären somit ebenfalls verloren.« »Deshalb werde ich sie in den Weltraum abstrahlen. Das ist mir mit Hilfe des Bewußtseinsprojektors möglich.« »Und was versprichst du dir davon?« erkundigte sich die Mutantin. »Palinga!« sagte Bard Mo fast empört, während er den Projektor justierte. Er hielt einen Augenblick in seiner Tätigkeit inne. »Ist dir denn nicht klar, welches Zeugnis unserer Kultur diese Bewußtseinsinhalte darstellen? Nichts kann die Größe unseres Volkes besser demonstrieren als der Inhalt dieser Fallen. Die wenigen Skinen, die zum Zeitpunkt der Katastrophe im Weltraum waren, werden sich über die ganze Galaxis zerstreuen. Nur wenige werden sich behaupten können, und selbst wenn es gelingt, auf irgendeiner Welt unser Volk zu erhalten dann werden diese Skinen zwangsläufig degenerieren und in die Primitivität zurückfallen. Nichts wird übrigbleiben, das von den einstigen Errungenschaften der skinischen Zivilisation zeugen könnte. Nichts – außer den Bewußtseinsinhalten, die ich mittels des Projektors in den Weltraum hinausschieße. Ich werde sie über die gesamte Galaxis verteilen, in der Hoffnung, daß sie den Kontakt zu intelligenten Lebewesen finden. Diese Bewußtseinsinhalte haben nämlich eine Art Tastaura mit einer Reichweite von mehreren Lichtjahren. Wenn sie in der Nähe eines Intelligenzwesens herauskommen, werden sie von diesem angezogen und in dessen Geist übergehen. Auf diese Weise kann ein Stück der skinischen Zivilisation in einer Fremdrasse weiterbestehen. Daß einer dieser Bewußtseinsinhalte auf einen Skinen trifft – daran wage ich nicht zu glauben. Aber irgend jemand aus unserer Galaxis wird von meiner Maßnahme profitieren – und wenn er Lichtjahre von Tsopan entfernt ist.« Palinga hatte sich von Bard Mos Eifer nicht anstecken lassen. Es war ihr ziemlich egal, ob irgend etwas der skinischen Zivilisation die Katastrophe überdauerte. Sie hatte
52 sich mit ihrem Tod abgefunden, alles andere war ihr egal. Wenn sie diese Station dennoch gegen die Sektierer verteidigte, dann nur, weil sie keine Miniskope vor dem Untergang des Planeten sterben wollte. »Fertig«, stellte Bard Mo zufrieden fest, als er den Bewußtseinsprojektor justiert hatte. Er merkte nicht, daß die Station von heftigen Beben erschüttert wurde, sah nicht die Risse in den Wänden, achtete nicht auf Peckin Pahs Gezeter und nicht auf Palingas verzweifelte Bemühungen, das Schott abzusichern, das durch die Erschütterungen aus den Angeln zu fallen drohte. Die Umwelt versank um ihn – denn er strahlte den ersten Bewußtseinsinhalt aus den Fallen in den Weltraum ab. Es war ein halbautomatischer Vorgang, er brauchte nur die Richtung des Projektors und die Entfernung zu bestimmen, in der das gespeicherte Bewußtsein freigesetzt werden sollte, und hatte dann nur noch einen Knopf zu drücken. Nachdem er das erste Bewußtsein abgestrahlt hatte, leerte er Speicher um Speicher, schwenkte dabei den Projektor in verschiedene Richtungen, variierte die Entfernungen. Er starrte fasziniert zu den Monitoren hinüber, wo die Namen der »Bewußtseinsspender« abliefen und erloschen, wenn sie aus den Fallen abberufen und abgestrahlt wurden. Es waren fremdartige Namen, die manchmal Assoziationen zu bekannten Lebensformen in Bard Mo wachriefen, manchmal zu exotisch und auch unaussprechlich waren, so daß seine Vorstellungskraft überfordert wurde. Pholketz – Wryvn – Z.P.T. – Ok'Opprepper! Was für Geschöpfe mochten hinter diesen Namen stecken? Vaulfost – Xzettrat – Epe! Wann und bei welcher Gelegenheit waren diese Wesen seinem Volk in die Tentakel geraten? Wie lange war es schon her, daß ihre Individualströme in den Fallen gespeichert worden waren?
Ernst Vlcek Atlan! Was für ein faszinierender Name. Bard Mo hätte zu gerne gewußt, was für eine Spezies sich dahinter verbarg, wie der Träger dieses Namens aussah, welchen Charakter er besessen hatte. Atlan! Was für ein Wesen das auch immer gewesen war, es mußte schon seit Äonen tot sein. Und doch, dieser Atlan lebte immer noch – zumindest im Bewußtseinsspeicher. Sein Körper mußte schon vor langer Zeit zu Staub zerfallen sein, aber sein Individualmuster, sein Bewußtsein, das gesamte Gefühlsleben – all das, was die Persönlichkeit dieses Atlan ausgemacht hatte – war noch in der Falle enthalten. Und Bard Mo gab ihm die Chance auf ein neues Leben. Er berief das Atlan-Bewußtsein aus den Fallen ab und schoß es mit dem Projektor in den Weltraum hinaus. Vielleicht wollte es das Schicksal, daß ausgerechnet dieses Bewußtsein einen Träger fand … wer konnte es wissen? Das Atlan-Bewußtsein wurde, wie all die vielen anderen vor ihm, strukturell umgewandelt, in den Hyperraum geschleudert, von wo es an einer weit entfernten Stelle wieder in den Normalraum zurückfiel und irgendwo in der Galaxis existent wurde … Die Bodenbeben waren inzwischen so heftig geworden, daß Bard Mo sie nicht mehr ignorieren konnte. Durch die Risse in der Decke und im Boden drangen Giftgase. Bard Mo rang nach Atem. Er wußte, daß nun das Ende kurz bevorstand – sein Ende und der Untergang von Tsopan! Er schaltete den Bewußtseinsprojektor auf Vollautomatik, damit er auch noch weiterarbeitete, falls er selbst ihn nicht mehr bedienen konnte. »Bard Mo!« erklang Palingas verzweifelte Stimme. »So hilf mir doch!« Die Mutantenfrau stemmte sich mit aller Kraft gegen das Schott. Doch als es ganz in der Nähe zu einer Explosion kam, wurde sie von der Druckwelle mitsamt dem Schott in die Schaltzentrale geschleudert.
Der Negativ Kontakt
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Gleich darauf ergoß sich die Meute der Tätowierten herein, die achtlos über ihre toten und verwundeten Kameraden hinwegsprangen. Bard Mo sah Palinga unter einem Knäuel von tätowierten Körpern verschwinden, Peckin Pah brach unter den Schlägen von einem halben Dutzend Keulen blutüberströmt zusammen – und dann hatte die wilde Horde auch ihn erreicht. Bard Mo sah seinem Tod gefaßt entgegen. Doch noch bevor einer der Tätowierten die Keule auf ihn niederschmettern konnte, erklang ein schriller Befehl. Die Sektierer hielten inne und gaben den Weg für ihren Anführer frei. Spanoke Zok erschien über Bard Mo und stellte sich in Pose. »Eigentlich muß ich dir dankbar sein«, sagte er spöttisch. »Denn ohne deinen Hinweis hätte ich diese letzte Bastion der Zivilisation wohl nie gefunden. Ich werde mich auch erkenntlich zeigen. Du hast die Ehre verdient, durch meine Hand zu sterben.« Spanoke Zok hob seine Keule, aber er kam nicht mehr dazu, den tödlichen Schlag auszuführen. Irgendwo tief unter dieser Station durchbrachen große Antimateriemengen die hyperenergetischen Barrieren und vermischten sich mit der Planetenmasse. Dadurch wurde der Untergang des Planeten eingeleitet. Bard Mo und die Tätowierten merkten nichts davon. Sie starben innerhalb von Nanoskopen, ohne sich ihres Todes bewußt zu werden. Ebenso erging es allen auf Tsopan lebenden Skinen. Sie starben von einem Au-
genblick zum anderen, ohne diese kosmische Tragödie in irgendeiner Weise mitzuerleben. Nur die wenigen Skinen, die letzten Vertreter dieses einstmals großen Volkes, die in ein paar Raumschiffen an den Grenzen des Sonnensystems warteten, sahen die Katastrophe in ihrem ganzen Ausmaß. Sie sahen auf ihren Bildschirmen, wie sich die Antimaterie wie ein schwarzer Keil vom Zentrum durch die Planetenkruste nach außen fraß und den Himmelskörper in tausend Trümmer riß. Sie sahen, wie ihre Heimatwelt starb … Tsopan war nicht mehr. Das Volk der Skinen hatte aufgehört zu existieren. Ihre Spuren wurden vom Sturm der entfesselten Antimaterie verweht. Es gab nur noch die wenigen Raumschiffe, deren Insassen aber nicht in der Lage sein würden, die Saat der skinischen Zivilisation auf andere Welten zu tragen. Und es gab die Bewußtseinsinhalte, die Bard Mo in den Weltraum abgestrahlt und über die ganze Galaxis verstreut hatte. Diese Bewußtseinsinhalte begannen nun ihre Suche nach Intelligenzwesen, die sich für sie als Träger eigneten. Und einer dieser suchenden, tastenden Geistesinhalte war der des jungen arkonidischen Kristallprinzen Atlan.
ENDE
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