Atlan - Minizyklus 05
Dunkelstern
Nr. 04
Kontakt auf Alarna von Joachim Stahl
Wir schreiben das Jahr 1225 NGZ. At...
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Atlan - Minizyklus 05
Dunkelstern
Nr. 04
Kontakt auf Alarna von Joachim Stahl
Wir schreiben das Jahr 1225 NGZ. Atlan, der unsterbliche Arkonide, ist gemein sam mit der geheimnisvollen Varganin Kythara auf die Fährte der »Lordrichter von Garb« gestoßen, die mit riesigen Armeen ihrer »Garbyor«-Völker und geraubter var ganischer Technologie an vielen Orten des Universums wirken. Zunächst wurden sie in der Southside der Milchstraße mit ihnen konfrontiert, und allem Anschein nach bedrohen die Lordrichter vor allem die Galaxis Gruelfin, die Hei mat der Cappins. Atlan und Kythara brechen – gemeinsam mit dem Daorghor Gorgh 12 – an Bord der AMENSOON auf, um mehr über die Hintergründe zu erfahren und dadurch den Lordrichtern das Handwerk zu legen. Ihr Weg führt sie von der Milch straße in die Kleingalaxis »Dwingeloo« oder auch »Gantatryn«. Dort spüren sie das Phänomen des Dunkelsterns – und es kommt zum KONTAKT AUF ALARNA …
Kontakt auf Alarna
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Arkonide landet auf Alarna.
Kythara - Die Varganin lehnt ein Erbe ihres Volkes ab.
Gorgh-12 - Der Hyper-Wissenschaftler erforscht Gantatryns Geheimnisse.
Kalarthras - Der Vargane erholt sich nur langsam.
Saelin - Ein Vargide stellt sich der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft.
1. »Das war ganz schön knapp.« Kythara pustete eine ihrer goldenen Locken zurück, die sich ihr keck in die Stirn geringelt hatte. Das war allerdings auch das einzige Anzei chen ihrer Erschöpfung, das sie mir zu sehen gestattete. »Und jetzt?« Ich antwortete nicht sofort. Soeben waren wir mit der AMENSOON im Normalraum materialisiert, und auf dem großen Holo schirm in der Zentrale schimmerte milch weiß das Sternenmeer der Galaxis Dwinge loo. Es war ein trügerisch friedlicher Kon trast zu der Hölle, der wir entkommen wa ren: Nichts erinnerte daran, dass wir vor dem Eintritt in den Hyperraum nur äußerst knapp drei Kampfraumern der Garbyor ent kommen waren, die uns bei dem mysteriö sen Dunkelstern angegriffen hatten. Und doch waren sie da – irgendwo dort draußen, ebenso wie die Lordrichter von Garb. Nein, Dwingeloo war keine Insel des Friedens, wenn wir das auch nur eine Sekunde lang vermuteten, würden wir bitter enttäuscht werden. Und wir hatten noch eines gelernt – äu ßerste Vorsicht und Wachsamkeit. Ihr beide hättet es schon längst wissen sollen, und zwar seit Jahrtausenden! Die ihr ohne diese Tugenden eigentlich nicht hättet überleben können!, warf mein Extrasinn spöttisch ein. Und Recht hatte er. Wir waren zu unvorsich tig gewesen und hatten die Ortungsmöglich keiten unserer Feinde unterschätzt. Natürlich habe ich Recht. Wie immer. »Bis auf meistens«, schnappte ich ärger lich. Mir war jetzt nicht besonders nach ei nem kleinen mentalen Streitgespräch. Viel zu spät begriff ich, dass ich laut gesprochen
hatte. Kythara musterte mich nachdenklich, und Gorgh drehte sich in seinem Sessel zu mir um. »Was ist los mit dir, Atlan?«, fragte der insektoide Hyperphysiker. Mein Extrasinn lachte spöttisch und mit einem Hauch von Mitleid. Quod erat de monstrandum, wie die alten Terraner zu sa gen pflegen. Ich frage mich, wie lange es wohl noch dauern wird, dich zu einem ver nünftigen und altersgemäßen Verhalten zu bewegen. »Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr«, stellte ich sarkastisch fest. Jetzt war es ohnehin egal, ob ich laut aussprach, was ich eigentlich nur meinem Logiksektor zugedacht hatte. »Er spricht mit sich selbst«, flüsterte Ky thara Gorgh-12 so laut zu, dass ich es zwangsläufig hören musste. »Das hängt mit dem Alter zusammen, verstehst du?« Gorghs Antennenfühler spielten irritiert. »Ja, ja natürlich.« Während der Insektoide noch versuchte zu begreifen, was die Varganin gemeint hat te und warum ich scheinbar unmotiviert vor mich hin redete, musterte Kythara mich mit einem Gesichtsausdruck, den ich noch nicht oft bei ihr gesehen hatte: Sie war verwirrt. »Das war eine alte terranische Redensart. Sie ging mir eben so durch den Kopf«, ver suchte ich eine Erklärung. »Ich musste gera de daran denken, dass wir hier vielleicht auf einen Gegner gestoßen sind, dem wir nicht gewachsen sind. Zumindest nicht mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen.« Dir ist bewusst, dass das hanebüchener Unsinn ist?, meldete sich der Extrasinn. Und du weißt, dass du in Tautologien sprichst, mein doppelt gemoppelter Hirnsek tor? Ich hoffte nur, dass meine beiden Ge fährten in der Zentrale der AMENSOON die
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Joachim Stahl
Sache nun auf sich beruhen lassen würden. Und es gab wahrlich andere Dinge, um die wir uns sorgen mussten: Nur rund 1700 Lichtjahre »hinter« uns schwebte der Dunkelstern im All, umgeben von einer massiven Ansammlung feindlicher Schiffe. Und wir waren in einem uns prak tisch unbekannten Sonnensystem gelandet, in einer 16 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernten Galaxis. »Lasst uns etwas über dieses System in Erfahrung bringen. Informationen sam meln.« Ich stand auf, um mich zum Groß schirm zu begeben und das Sonnensystem näher zu betrachten – und erstarrte. Unter den Sohlen meiner Bordstiefel er zitterte der Boden.
* »Ah«, machte Gorgh und klackte mit den viergliedrigen Zangen am Ende des oberen Armpaars auf sein Schaltpult. »Das ist mo mentan nicht empfehlenswert. Besser wäre es, sitzen geblieben zu sein.« Ich ließ mich in den Kontursitz zurück plumpsen. »Du meinst, ich sollte mich wie der hinsetzen?« Gorgh-12 wirkte irritiert. »Ja. Sagte ich das nicht?« Kythara lächelte verhalten. »Ihr sprecht eben unterschiedliche Sprachen, auch wenn ihr euch in der gleichen ausdrückt. Also, sag schon, Gorgh: Was ist los?« Die Antennenfühler des ehemaligen Chef wissenschaftlers von Maran'Thor zitterten wie Grashalme in einem aufkommenden Sturm. »Auch die Sonne dieses Systems ver hält sich ungewöhnlich. Die Ortung zeigt …« Den Rest des Satzes verschluckte ein lautes Donnern, und die AMENSOON schi en regelrechte Bocksprünge zu machen. »Raumbeben?« Ich schrie es fast gegen den ohrenbetäubenden Lärm an, der nicht aufhören wollte und sich zu einer regelrech ten Kakophonie auswuchs. Der Varganstahl kreischte in dem Raumbeben wie eine ge schundene, dem Tod hilflos entgegensehen-
de Kreatur. »Optionen?«, fragte Kythara, der Klang ihrer Stimme verriet die Hilflosigkeit, mit der sie sich dieser Situation ausgeliefert sah. Ich schüttelte stumm den Kopf, während Gorgh versuchte, seiner Schaltstation eine Lösung zu entlocken. Doch es gab nichts, was ich momentan tun konnte. Ich war kein Vargane, kannte die ganze Palette der Mög lichkeiten nicht, die sich in der AMEN SOON verbergen mochten. Alles, was mir blieb, war die Hoffnung … Und dann war es plötzlich still. So plötzlich, wie das Raumbeben über uns hereingebrochen war, hatte es auch wie der aufgehört. Nur Summen und Brummen der zahllosen Generatoren und gravomecha nischen Emitter der Sublichttriebwerke war zu hören. »Was geht hier vor?«, erklang eine leise Stimme vom Eingang der Zentrale. Dort stand die nackte, hoch aufgeschosse ne Gestalt von Kalarthras, dem zweiten Var ganen an Bord der AMENSOON. Kythara sah ihren ehemaligen Geliebten besorgt an und ging zu ihm. »Nichts, was dich jetzt kümmern musste. Du brauchst noch viel Ruhe. Du hättest die Medostation nicht verlassen sollen, schwach, wie du bist!« Kalarthras wirkte in der Tat kraftlos wie ein Greis. Ist das nicht sein gutes Recht?, fragte der Extrasinn spöttisch. Verglichen mit seinen 800.000 Lebensjahren bist du noch feucht hinter den Ohren. Du weißt genau, dass man stets nur so alt ist, wie man sich fühlt, gab ich für die ande ren in der Zentrale unhörbar zurück. Die Varganen waren unsterblich wie ich. Doch im Gegensatz zu mir bedurften sie da für keines Zellaktivatorchips. Auf mysteriö se Weise hatten sie ihre Unsterblichkeit da mals beim Übergang von ihrem heimatli chen Mikrokosmos in die Milchstraße er langt. Kalarthras' Schwäche rührte von dem 50.000 Jahre währenden Schlaf im Stasis
Kontakt auf Alarna Feld auf Vassantor her, aus dem ihn Kythara und ich in einer waghalsigen Aktion befreit hatten. Erst vor zwei Tagen war er daraus erwacht. »Die Ortungsergebnisse liegen inzwi schen vor.« Gorghs Stimme klang sachlich wie immer. »Das Raumbeben wurde durch massive Materialisation der gleichen unspe zifizierbaren Schwarzen Substanz verur sacht, die wir schon beim Dunkelstern beob achtet haben. Die Monitoren zeigen das Ge schehen in einer Aufzeichnung. Hier.« Er wedelte mit seinen Klauenhänden in Rich tung der Bildschirme. »Und hier eine Echt zeitübertragung der aktuellen …« Ein heftiger, kurzer Schlag traf die AMENSOON. Auf dem Monitor, auf den Gorgh zuletzt gedeutet hatte, war nun die Sonne zu sehen, in deren Nähe wir angekommen waren. Schwarze Schwaden umwaberten den Stern und schluckten einen Großteil seines Lich tes. Ständig veränderten sie ihre Form. Da bei näherten sie sich der Sonne mehr und mehr, bis sie endlich in ihr zu versinken schienen, ohne Spuren zu hinterlassen. Wie der und wieder trafen uns Schockfronten von Raumbeben. »Es existiert ein Zusammenhang zwi schen dem …«, begann Gorgh, doch ich un terbrach ihn mit einer schroffen Handbewe gung. »Augenblick noch, lass uns erst dieses Schauspiel beobachten. Was meinst du, Ky thara? – Kythara?« Ich sah mich suchend um. Da! Kythara war – natürlich! – zu Kalarthras gegangen und hatte ihn zu einem freien Sitz neben ihrem Kontursessel geführt, wo der hagere Vargane nun in schlaffer Haltung saß. Sein von langen weißen Haaren um rahmter Kopf wackelte bei jeder Erschütte rung kraftlos hin und her. Die Daten auf dem Bildschirm waren nicht dazu geeignet, das stellare Geschehen zu erklären. Mit einer Analyse waren die Or tungssysteme überfordert. Sie konnten nur die enormen Mengen an hyperenergetischer
5 Strahlung messen, die bei dem rätselhaften Vorgang entstanden war. Unruhige Minuten verstrichen, die von weiteren Beben strukturiert wurden wie eine klassische arkonidische Oper durch dramati sche Paukenschläge, dann hatte die Sonne die Schwarze Substanz vollständig absor biert, und die Beben hörten auf. »Es sieht nicht danach aus, als würde es weitere Raumbeben geben.« Der stets emsi ge Daorghor widmete sich nach dieser Ent warnung wieder seinem Arbeitsplatz. Ich stand auf und ging zu Kythara und Kalarthras, die sich noch nicht aus ihren Sit zen erhoben hatten. Kythara betrachtete ih ren ehemaligen Geliebten, der ins Leere zu starren schien. »Wie geht es dir, Kalarthras?«, fragte ich. Es strengte den Varganen sichtlich an, sich zu mir umzudrehen und zu antworten. »Ich spüre, dass ich wieder zu Kräften komme.« Seine matte Stimme strafte seine Aussage Lügen. »Das ist gut.« Ich lächelte ihn aufmun ternd an. »Ohne dich stünden wir hier auf verlorenem Posten. Du bist schließlich der Einzige von uns, der Dwingeloo kennt.« »Ich wollte, ich könnte euch helfen. Aber ich kann es nicht. Ich habe so vieles verges sen«, flüsterte der Vargane. Der ehemalige Wissenschaftler, der in sei nem Erkenntnisdurst Hunderttausende von Jahren das All durchstreift hatte, musste schrecklich darunter leiden, dass er sich seit seinem Erwachen aus dem Schlaf im StasisFeld an kaum noch etwas erinnern konnte. »Dein Wissen ist nicht für immer verloren gegangen, Kalarthras.« Ich legte ihm sanft die rechte Hand auf die Schulter. Unter der seltsam graustichigen Haut zeichneten sich deutlich die Knochen ab. »Manchmal genügt ein Schlüsselreiz, um Verschüttetes wieder zum Vorschein zu bringen. Vergiss nicht: Beim Dunkelstern kam die Erinnerung ja auch plötzlich zu dir zurück.« »Es ist nur so mühsam und ungewohnt«, klagte der Vargane. »Das bin nicht ich, der so hilflos und schwach ist. Manchmal glau
6 be ich, ich kenne mich gar nicht mehr.« Ich beschloss, ihn nicht noch in seiner aufkommenden Depressivität zu unterstüt zen, indem ich sie weiter thematisierte. Was er brauchte, waren Erfolgserlebnisse. »Denkst du, das, was wir soeben hier er lebt haben, steht in einem Zusammenhang mit den Phänomenen am Dunkelstern?« Kalarthras zögerte. »Die Vermutung liegt nahe«, sagte Kytha ra schnell. Vielleicht wollte sie ihren ehema ligen Geliebten schonen, sehr wahrschein lich half sie aber eher sich selbst damit als ihm, mit der Situation umzugehen. Bei Ar koniden und Terranern wäre das zumindest so, bei den Varganen war ich mir nicht ganz sicher. »Hier wie dort begegneten wir die sem seltsamen Naturereignis. Ob die Schwarze Substanz, auf die wir soeben ge stoßen sind, wohl auch vom Dunkelstern stammt?« Ich fing einen flackernden Blick Kalar thras' auf, dann nickte ich nachdenklich. »Das ist der entscheidende Punkt. Aus dem Nichts kann sie kaum entstanden sein. Es muss eine Quelle dieser ominösen Substanz geben, und bislang ist uns nur der Dunkel stern begegnet, der dafür in Frage käme. Ich halte es für durchaus denkbar, dass sie durch den Hyperraum zu anderen Sternen Dwinge loos geschleudert oder von diesen angezo gen wird.« Kythara wandte sich an Gorgh-12. »Lässt sich mit unseren Ortungssystemen feststel len, ob es sich bei der Schwarzen Substanz hier um die gleiche handelt, der wir am Dunkelstern begegnet sind?« Die Chitinklauen klackten auf dem Schaltpult, dann raspelte der Insektoide: »Die vorliegenden Messdaten sind identisch. Der Schluss, dass die Substanzen ebenfalls identisch seien, kann daraus allerdings nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit abge leitet werden. Eine hyperenergetische Gleichartigkeit bleibt attestierbar.« Kalarthras hob kurz die Hand und ließ sie dann wieder, kraftlos und erschöpft, sinken. Wir sahen ihn an.
Joachim Stahl »Bei meinem letzten Besuch des Dunkel sterns vor 50.000 Jahren habe ich dort men tale Impulse empfangen, überlagert von ei nem fremdartigen, vermutlich instinktge steuerten Bewusstsein.« Der Vargane be trachtete mich aus seinen goldenen Augen, die vor zwei Tagen noch so gespenstisch ausgesehen hatten: Nach seinem Erwachen waren sie völlig schwarz gewesen, es hatte keinen Unterschied zwischen Augapfel, Iris und Pupille gegeben. Inzwischen sahen sie wieder normal aus, wenngleich sie nach wie vor deutlich dunkler als die Kytharas waren. »Jene Impulse kamen aus der Verdickung in der Akkretionsscheibe. Hier aber … ist nichts Derartiges.« »Erinnerst du dich im Detail, was es mit diesen mentalen Impulsen auf sich hatte?« Kalarthras legte den Kopf schief, als lau sche er in sich hinein, sagte aber kein Wort. »Atlan«, wies mich Kythara mit strenger Stimme zurecht. »Kalarthras wird es uns selbst sagen, wenn ihm etwas Wichtiges ein gefallen ist. Bitte schone ihn, damit er rasch wieder zu vollen Kräften kommen kann!« »Nein, es ist schon gut, Kythara.« Kalar thras setzte sich noch etwas aufrechter hin, in dem Versuch einer kraftvollen Bewegung, und verlieh seiner Stimme einen festeren Klang. »Ich fühle mich wirklich schon sehr viel besser. Und Atlans Fragen sind ja völlig berechtigt. Aber ich kann sie nicht beant worten. Ich erinnere mich nicht mehr, ge nauso wenig wie daran, was in den letzten 50.000 Jahren geschehen ist oder wie ich von Gantatryn nach Vassantor gekommen bin.« Er fasste sich an die hohe Stirn. »Es tut mir Leid. Ich kann euch nicht helfen. Noch nicht.« »Es ist schon gut. Ich bin sicher, wir müs sen einfach nur etwas Geduld haben, dann wird dir alles Wichtige wieder einfallen.« »Verzeihung«, mischte sich Gorgh ein. »Auch das ist keineswegs sicher. Wenn je mand Manipulationen an seinem Gehirn vorgenommen haben sollte, kann dies …« »Das ist sehr unwahrscheinlich«, unter brach ihn Kythara. »Wer sollte so etwas
Kontakt auf Alarna denn getan haben? Und warum?« »Solange wir nicht wissen, wer Kalarthras nach dem Unfall nach Vassantor gebracht hat, kann ich darauf keine aussagekräftige Antwort geben«, erwiderte Gorgh-12 kampflustig. »Aber das bedeutet nicht, die Hypothese sei unhaltbar. 17 Millionen Lichtjahre bewältigt man nicht alleine und in bewusstlosem Zustand.« »Noch ist nicht bewiesen, dass Kalarthras bewusstlos war, als er seine Reise nach Vas santor antrat. Er könnte sich dort aus eige nen Stücken in Tiefschlaf begeben haben. Dass er sich nicht mehr daran zu erinnern vermag, ist kein stichhaltiger Gegenbeweis für diese Theorie«, fauchte Kythara, die ein wenig ihrer üblichen Contenance verlor. »Korrekt«, bestätigte Gorgh. Ich hob beschwichtigend beide Arme und brachte ein Grinsen zustande. »Zugegeben, es ist alles möglich. Hoffen wir, dass wir ei nes Tages die Wahrheit erfahren werden.« »Ich bekomme gerade eine neue Auswer tung herein«, meldete Gorgh und projizierte eine dreidimensionale Umgebungskarte. »Wie ihr hier sehen könnt, kommen die Stö rungen des Raum-Zeit-Gefüges in dem ge samten markierten Raumsektor vor. Die Schwarze Substanz ist also nicht nur in die sem System materialisiert.« Wir betrachteten die Karte. »Tatsächlich«, murmelte Kythara nach denklich. Kalarthras streckte den Arm aus und wies auf eine Stelle in der Projektion. »Hier, un gefähr im Zentrum dieses Sektors. Seht ihr das? Dieser Stern hier scheint davon ver schont zu bleiben. Kannst du die Darstellung hervorheben?« Gorgh markierte den entsprechenden Kar tenbereich und zoomte ihn heran. »Es han delt sich um eine orangefarbene Sonne. Sie befindet sich im Mittelpunkt einer 13,7 Lichtjahre durchmessenden Kugel, darin be finden sich 37 Sonnen, die allesamt von der Schwarzen Substanz befallen sind, darunter neun Pulsare.« »Was könnte das zu bedeuten haben?
7 Ausgangspunkt, Schaltstelle oder eine Art Schutzmechanismus?«, fragte ich, an Kalar thras gewandt. Dieser zuckte in einer menschlichen Ge ste die Achseln. »Wir werden es feststellen, wenn wir die ses System angeflogen haben«, kündigte Kythara an. »Vielleicht gibt das auch Kalar thras' Gedächtnis einen neuen Schubs. Ich nehme an, es gibt keine Gegenstimmen?«
2. Nachdem die AMENSOON gemächlich Fahrt in Richtung unseres neuen Ziels aufge nommen hatte, begleitete Kythara Kalarthras zurück auf die Medostation. Sie legte Wert darauf, dass er sich dort ausruhte und wieder zu Kräften kam. Wir flogen nur langsam aus dem System heraus, und erst nachdem wir die äußeren Planetenbahnen hinter uns ge lassen hatten, würden wir in den Überlicht flug eintreten. Ich schaute den beiden Varganen hinter her, bis sie aus meinem Blickfeld ver schwunden waren, und fragte mich, was sie wohl nun tun würden. Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie Kalarthras sich mit Ky tharas Hilfe auf das Antigravbett sinken ließ und die Augen schloss; wie sich die Medo roboter seiner annahmen, während sich Ky thara über ihn beugte und zärtlich seine Wange streichelte und … Und jetzt konzentrier dich auf deine Um gebung, du Narr! Gorgh hat dich gerade ge fragt, ob ihr euch gemeinsam die Ortungs daten ansehen wollt! Es wäre wirklich klug, wenn du mal etwas Derartiges tun würdest. Du hast einen Ruf zu verlieren, wenn auch nicht bei mir! Ich riss mich zusammen und nickte dem Daorghor freundlich zu. Gemeinsam befas sten wir uns näher mit den Ortungsergebnis sen der »Schwarzsubstanz-Sphäre«, wie ich sie vorläufig getauft hatte. Die neun Pulsare waren allesamt erst vor wenigen Jahrtausenden durch SupernovaExplosionen entstanden und wiesen eine be
8 sondere Gemeinsamkeit auf: Jeder von ih nen pulsierte in einer Pulsperiode von exakt 1,3753 Sekunden. Als Kythara die Zentrale wieder betrat, informierten wir sie über unsere Ergebnisse, ohne allerdings Schlussfolgerungen anbieten zu können. Die Informationslage war allzu dürftig, ein Umstand, den wir ändern mus sten, wollten wir in Dwingeloo zielgerichtet und erfolgreich operieren. Endlich lag das Sonnensystem hinter uns. Der Doppelpyramidenraumer beschleunigte stärker, und als er 50 Prozent Lichtge schwindigkeit erreicht hatte, ließ Kythara ihn in den Hyperraum eintreten. Eine Titanenfaust packte zu und schleu derte die AMENSOON herum. Völlig überrascht stürzte ich zu Boden und schlug mit dem Hinterkopf hart auf. Für einige Sekunden wurde mir schwarz vor Au gen, dann drangen dumpfe Schmerzwellen in mein Bewusstsein. Das gesamte Schiff bockte und schlinger te, dass einem angst und bange wurde. »Verdammte Kiste!«, knirschte ich. »Was ist denn mit der legendären Varganentechnik los? So ein Raumbeben sollte doch kein Pro blem sein!« Kythara hatte die Hände in die Sesselleh nen gekrampft. »Das hier ist eigentlich un möglich, schließlich …« Sie verstummte einen Augenblick. Ich sah, wie ihr Kopf her umfuhr und sich der sonnengoldene Blick auf Gorgh richtete. Nervös wippten die Kopfantennen des Hyperphysikers, seine Mandibeln klickten leise und verfehlten einander bei jedem drit ten Zuschnappen. Ich hätte schwören kön nen, als Mensch wäre er rot angelaufen. Seine Worte bestätigten meine Vermu tung. »Es schien sehr viel sicherer zu sein, die Positronik zu übergehen und auf der Grund lage der grilirritischen Hyperraum-Algo rithmen mit einer leichten Modifikation durch die Daoro-Variable …« »Kannst du es wieder rückgängig ma chen?«, herrschte ihn Kythara an. »Dann
Joachim Stahl los!« Gorgh-12 hantierte an seinem Schaltpult, und die Zuckungen der AMENSOON hörten auf, nur noch ein dumpfes Pochen und Vi brieren zeugte von den Kräften, die auf den Doppelpyramidenraumer einwirkten. »Gorgh, kannst du uns sagen, was das zu bedeuten hat?« Meine Stimme klang rau. Ich räusperte mich. »Wie angedeutet hatte ich angenommen, die AMENSOON quasi hyperisolieren zu können, um dadurch den Beben keine An griffsfläche zu bieten.« »Lass uns festhalten, dass es sich bei die sem Experiment um einen Fehlschlag han delte, und es zu den Akten legen. Nein, was ich meinte: Warum haben die Beben mit unserem Überlichtflug angefangen?« Seine Handzangen fuhren nervös durch die Luft. »Die Ortung ist nicht in der Lage darzustellen, welche Kräfte auf uns einwir ken und von wo. Alles, was sie hergibt, ist: Die Beben im Hyperraum werden mit ab nehmender Entfernung von unserem Ziel stern stärker.« Kythara und ich tauschten einen raschen Blick des Einverständnisses. Auch wenn das eine denkbare Option war, wir würden den Flug nicht abbrechen. Dafür waren die Be einträchtigungen nicht gravierend genug. Wenn wir etwas bewahren sollten, dann die Nerven und einen klaren Verstand. Und dann war es geschafft: Die AMEN SOON kehrte in den Normalraum zurück.
* Die Sterne Dwingeloos blinzelten uns auf den Holoschirmen entgegen. Still und fried lich lag das All vor uns. »Die Spektralanalyse der Sonne zeigt durchschnittliche Werte für einen Stern die ser Art. Ich konnte einen Planeten anmes sen«, verkündete Gorgh, nachdem er die Analyse der Ortungsergebnisse abgeschlos sen hatte. »Derzeitige Sonnenentfernung knapp 77 Millionen Kilometer, Durchmesser
Kontakt auf Alarna etwa 12.500 Kilometer, Sauerstoffatmosphä re, Schwerkraft 1,08 Gravos.« »Das klingt doch recht freundlich«, kom mentierte ich die ersten Ortungsergebnisse und strich mit der Hand über die schmerzen de Stelle an meinem Hinterkopf. Kythara betrachtete den blauen Planeten auf dem Holoschirm. »Ich schlage vor, wir sehen uns dort einmal um. Einwände?« »Ich würde eher bei der Sonne nachsehen, aber die Reihenfolge dürfte unerheblich sein, solange wir nicht herumtrödeln«, sagte ich und betrachtete meinen Zeigefinger, auf dem etwas Blut zu sehen war. »Allerdings möchte ich darum bitten, mich kurz zu ent schuldigen. Ich habe mir vorhin den Kopf angeschlagen und werde mir in der Medo station lieber rasch die Wunde verarzten las sen.« Ich stand auf und verließ die Zentrale. Das Summen der Sublichttriebwerke wur de lauter, als die AMENSOON beschleunig te. Ich atmete tief durch, als ich im Gang stand. Die Medostation befand sich gut zwanzig Schritte von der Zentrale entfernt auf der linken Gangseite. Ich schritt durch die offe ne Tür in den etwa zehn auf acht Meter großen Raum. Kalarthras lag mit geschlossenen Augen auf einem Antigravbett. Einer der zwei Me doroboter in der Station stand neben seinem Bett und versorgte ihn. Der andere Roboter, ein kugelförmiges Exemplar auf vier Beinen, krabbelte in mei ne Richtung, nachdem ich die Medostation betreten hatte. »Was können wir für dich tun?« Seine Sensoraugen fixierten mich sachlich. »Hier habe ich einen Kratzer.« Ich deutete auf meinen Hinterkopf und setzte mich auf einen Stuhl, der in der Nähe der Tür stand. Der Roboter fuhr einen Teleskoparm aus und untersuchte die Verletzung. Es zischte kurz, als er ein Heilspray darauf sprühte. Das Brennen der Wunde wich sogleich an genehmer Kühle. Kalarthras lag nach wie vor regungslos
9 auf seinem Bett und schien mich nicht zu bemerken. Ich warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. »Ich habe die Behandlung abgeschlos sen«, sagte der Kugelroboter und entfernte sich. Ich stand auf und ging zurück zur Zentra le. Schon vom Gang aus konnte ich den blauen Planeten auf dem großen Panorama schirm wachsen sehen. Offenbar bestand seine Oberfläche größtenteils aus Wasser, doch waren auch größere Landmassen mit bloßem Auge zu erkennen. Plötzlich war er verschwunden.
* »Warum sind wir noch nicht im Orbit?«, fragte ich, nachdem ich die Zentrale betreten hatte. Die AMENSOON befand sich wieder ge nau an der Stelle, an der sie nach ihrer Über lichtetappe im Normalraum gelandet war. Die orangefarbene Sonne war nur ein kleiner Punkt auf dem Holoschirm. Kythara lehnte sich in ihrem Sessel zu rück und rieb sich über die Stirn. »Das ist ei ne gute Frage. Nur habe ich darauf keine Antwort. Gorgh, was sagst du dazu?« Der Daorghor reagierte nicht. Erst nach einigen Augenblicken wandte er sich zu uns um. »Ich habe soeben eine Analyse durch führen lassen. Es gibt keine Erklärung für das Phänomen. Seit unserer Ankunft in die sem Sonnensystem scheint keine Zeit ver gangen zu sein, und die AMENSOON hat sich nicht um eine Lichtsekunde weiterbe wegt.« Kythara stieß ein leises Schnauben aus. »Haben wir den Anflug an den Planeten denn in einem kollektiven Traum erlebt? Wohl kaum.« Ich betrachtete meine Hand, mit der ich die wieder schmerzende Kopfwunde betastet hatte. Auf dem Zeigefinger klebte etwas Blut. »Anscheinend habe ich auch meine Be
10 handlung in der Medostation nur geträumt. Ich blute immer noch.« Ich setzte mich auf meinen Platz. »Nun, die kleine Schramme kann warten. Den nächsten Anflug möchte ich hier in der Zentrale miterleben. Und es dürfte ja wohl keinen Zweifel daran geben, dass wir es noch einmal versuchen, oder?« »Nein. So leicht geben wir sicher nicht auf.« Kythara gab nochmals Schub auf die Sublichttriebwerke und nahm Kurs auf den Planeten. Langsam wurde der blaue Punkt auf dem Holoschirm wieder größer. Ich spürte Schweißperlen auf meiner Stirn und wischte sie mit dem Handrücken ab. »Was ist mit der Klimaanlage los?« Nun erst wurde mir bewusst, dass die Temperatur in der Zentrale rapide stieg. Die Luft brannte in meiner Nase. Ich öffnete die Lippen und atmete leise keuchend durch den Mund ein und aus. Ein Blick auf die Tempe raturanzeige: 55,63 Grad Celsius. Und die Ziffern veränderten sich mit jeder Sekunde, immer größer wurde die Zahl. Da erschütterte ein heftiger Schlag die AMENSOON. Ohrenbetäubendes Kreischen begleitete ihn. Ich spürte, wie ich durch die heftige Er schütterung in meinem Sessel etwa eine Handbreit nach oben geschleudert wurde. Was war mit den Andruckabsorbern los? Waren sie ausgefallen? Aber wodurch? Die Luft wurde von Atemzug zu Atemzug heißer. Schon schien sie in meiner Kehle förmlich zu brennen. Schwarze Punkte begannen vor meinen Augen zu tanzen. An meine Ohren drang ein grelles Knistern. Ich blickte mich fieberhaft in der Zentrale um. Funken sprühten aus dem Instrumenten pult, an dem Gorgh saß. Der Daorghor schlug mit seinem unteren Armpaar auf sei nen Unterleib. Weißer Rauch kräuselte sich von dort nach oben. Da hörte ich Kythara schreien. Auch von ihrem Pult prasselte ein Fun kenhagel auf sie ein. Sie versuchte die ungeschützten Hände zu
Joachim Stahl heben, um sie vor den Feuertropfen zu schützen, doch ihre Arme schienen keine Kraft zu haben. Die Schwerkraft steigt, schoss es mir durch den Kopf. Ich saß auf meinem Sessel wie unter einer Decke aus Blei, kaum fähig, mich zu bewegen. Und die Temperatur stieg noch immer. Sie hatte bereits die 60-Grad-Marke über schritten. Plötzlich wurde Kythara wie eine leblose Puppe aus ihrem Sitz geschleudert und stürzte zu Boden. Ich sah, wie die Konsolen der Zentrale sprühten, als wären sie explodierende Feuer werksraketen.
* Marquis Platmor war der gefürchtete Kommandant der zwanzig Jägerpiloten der 5. Kampfstaffel, die sich befehlsgemäß im Hangar aufgebaut hatten. Seine schmalen Augen waren schon oft mit Schießscharten verglichen worden – auch wegen der Aus wirkungen, die es haben konnte, wenn dieser Blick jemanden traf. Der Staffelführer am Ende der Reihe, ein junger Tor-1, hatte wie alle anderen vor schriftsmäßig die Unterarme vor der Brust gekreuzt, sodass die Hände auf der jeweils anderen Schulter lagen. Sein Mund fühlte sich unerträglich trocken an. Die Stimme des Marquis hallte kalt und laut wider. »Mir scheint, nicht allen von euch ist be wusst, in welcher Situation wir uns befin den.« Der Marquis begann, die Reihe seiner Soldaten abzuschreiten. »Ein neuer Feind ist in Gantatryn einge fallen. Wir haben Informationen darüber, dass es sich bei dem Varganenraumer AMENSOON um eine für unsere Pläne nicht zu unterschätzende Gefahr handelt. Die Lordrichter legen größten Wert darauf, den Arkoniden Atlan von Gonozal sowie die Varganin Kythara an Bord dieses Schiffes in
Kontakt auf Alarna ihre Gewalt zu bringen.« Er blieb kurz in der Mitte der Reihe ste hen und fixierte die Jägerpilotin vor ihm. »Und wir werden sie nicht enttäuschen, habt ihr das verstanden?« Mit langsamen Schritten ging er weiter zum Ende der Reihe, wo der junge Staffel führer stand. »Die Disziplin gewisser Einheiten an Bord der VERLAN entspricht nicht den An forderungen, die an ein Schiff der Leibgarde gestellt werden.« Den Tor-1 schauderte es. Aus den Wor ten, aus der Stimme des Marquis klang ein Zorn, wie er ihn noch nie gespürt hatte. Es gibt keine Angst, es gibt nur Trodar. Gebetsmühlenhaft wiederholte der junge Mann diese Formel. »Die skandalösen Geschehnisse bei dem jüngsten Einsatz wurden von mir pflichtge mäß an das Oberkommando weitergeleitet und haben dort Empörung ausgelöst. Insbe sondere die 5. Kampfstaffel hat sich auf in akzeptable Weise verhalten. Die Große Hor de würde euch ausspucken wie KirliDreck!« Der junge Tor-1 spürte unter den Sohlen seiner kniehohen Kampfstiefel, wie der Hangarboden zu zittern begann. Du bist selber nichts anderes, dachte er verärgert. Geh uns nur voran nach Trodar und lass uns dem Weg des Kriegers folgen! Marquis Platmor war stehen geblieben, ohne eine Miene zu verziehen. Als das Be ben nach etwa zehn Sekunden aufgehört hat te, nahm er seinen Gang entlang der Piloten reihe wieder auf. Nur noch etwa sechs Meter trennten ihn von dem jungen Tor-1. »Wir sind dem Mythos von Trodar ver pflichtet«, fuhr der Marquis fort. »Das sollte jedem bewusst sein, der die Ehre genießt, in der Leibgarde dienen zu dürfen. Und zwar zu jeder Sekunde seines Lebens! Wer den noch Feigheit vor dem Feind erkennen lässt, wie es bei eurem letzten Einsatz der Fall war, der wird in Zukunft rücksichtslos be straft. Dafür werde ich höchstpersönlich sor gen.«
11 Du sorgst für niemanden außer dich selbst! Der Tor-1 spürte, wie der Zorn in sei nen Adern pochte. Nur mühsam gelang es ihm, den Blick weiter geradeaus zu richten und sich nicht von der Stelle zu rühren. Am liebsten wäre er sofort aus dem Hangar in seine Kabine gestürmt und hätte sich dort Kwa-Blätter unter die Zunge geschoben. Nur so war das Leben an Bord der VER LAN für ihn mittlerweile noch zu ertragen: mit Kwa-Blättern im Mund und mit Wyolah an seiner Seite. Marquis Platmor hatte das Ende der Reihe erreicht und baute seinen mächtigen Leib vor dem Tor-1 auf. »Das gilt insbesondere für den Staffelführer. Es sollte dich mit Stolz erfüllen, die Verantwortung für das Verhal ten der Kampfstaffel zu tragen. Leider drängt sich mir mitunter der Verdacht auf, als wäre es dir aber eher eine Last.« Der junge Tor starrte am Marquis vorbei ins Leere. Nein, nicht unsere Arbeit, unsere Berufung! Du bist es, verdammter Schinder! Du machst Trodar und den Garbyor keine Ehre. Du alleine bist es. »Ich war lange Zeit geduldig mit dir.« Marquis Platmor fixierte den Tor-1 von Au ge zu Auge und näherte sich ihm bis auf Armlänge. »Aber verlass dich nicht darauf, dass mei ne Geduld unerschöpflich ist.« Mit einer ansatzlosen Bewegung riss er dem Tor-1 die hohe Schirmmütze vom Kopf, an der das silberne Wappen der Jäger truppe prangte. Voller Abscheu betrachtete er den etwa drei Zentimeter hohen sichelför migen Haarkamm in der Mitte des Schädels, der darunter zum Vorschein gekommen war und der sich von der Stirn bis in den Nacken erstreckte. »Und wenn ich noch einmal bei dir diese absurde Frisur zu sehen bekomme, senge ich dir mit dem Strahler höchstpersön lich die Haare ab, hast du das verstanden?« »Jawohl!«, brüllte der Tor-1 und fügte in Gedanken ein Wort hinzu, das er am liebsten wie ein Schimpfwort ausgestoßen hätte: Zeuger!
12
Joachim Stahl
* Ich öffnete die Augen. Grelles Licht blen dete mich. Wo war ich? Lag ich im Bett? Hatte ich schlecht geträumt? Nein. Ich lag auf dem Boden der Zentrale. Ebenso wie Kythara und Gorgh. Ich raffte mich auf und keuchte vor Schmerz. Meine rechte Schulter war bei dem Sturz wohl geprellt worden. Hoffentlich war es nichts Ernsteres. Ich beugte mich über Kythara und strich ihr sanft über die Wange. Die Brust der Varganin hob und senkte sich gleichmäßig unter ihren Atemzügen. Zwei Schritte weiter lag der zierliche Leib des Daorghor. Wegen seines insektoiden Körperbaus war es für mich sehr viel schwieriger festzustellen, ob er noch lebte, als es bei Kythara der Fall gewesen war. Erst als eine seiner Antennen leicht zu zucken begann, spürte ich einen Anflug der Erleichterung. Hinter mir stöhnte es leise. Kythara erwachte soeben aus ihrer Be wusstlosigkeit. Sie setzte sich auf und rieb sich über den Hinterkopf. Ihre sonst so an mutig schimmernde Bronzehaut war deut lich blasser als gewohnt. »Sind wir wenig stens diesmal am Ziel angekommen?«, frag te sie. Ich schüttelte den Kopf. »Bevor ich ohn mächtig wurde, hatte ich dem Autopiloten den Befehl zum Abdrehen gegeben. Aber wer weiß, wo wir nun gelandet sind. Ich bin ebenfalls gerade eben erst wieder zu Be wusstsein gekommen. Um die Ortungser gebnisse habe ich mich noch nicht geküm mert.« Auch Gorgh erwachte nun. Er schien we sentlich weniger Probleme als Kythara und ich damit zu haben, sich auf die neue Situa tion einzustellen. Als wäre nichts Bemer kenswertes geschehen, nahm er wieder in seinem Sessel Platz und begann zu arbeiten. »Wir sind zum Rand des Sonnensystems
zurückgeflogen«, verkündete er nach weni gen Sekunden. »Ich lasse den Bordrechner soeben eine Analyse der vergangenen Minu ten erstellen.« »Der vergangenen Minuten?« Ich setzte mich ebenfalls wieder auf meinen Platz. »Das bedeutet also, dass wir uns diesmal das Geschehene nicht nur eingebildet haben können? Es ist objektiv messbare Zeit ver strichen.« Kythara trat zu Gorgh hinüber. Gemein sam mit dem Wissenschaftler betrachtete sie den Holoschirm. »Die Bordpositronik meldet, dass sämtli che Systeme der AMENSOON außer Kon trolle geraten waren. Das haben wir ja am eigenen Leib erfahren. Aber leider gibt es nicht einmal den Ansatz einer logischen Er klärung dafür. Warum die Klimaanlage die Bordtemperatur auf bis zu 62 Grad steigen ließ, warum die Andruckabsorber die Schwerkraft in willkürlichen Schwankungen veränderten und warum die Instrumente der Zentrale durch massive Energieüberlastun gen Funken schlugen – auf all diese Fragen müssen wir wohl selbst Antworten finden.« Sie straffte ihre schlanke Gestalt und wandte sich um. »Doch zuerst möchte ich nach Ka larthras sehen. Bitte entschuldigt mich für ein paar Minuten.« »Schon gut.« Ich stand auf und nahm Ky tharas Platz an Gorghs Seite ein. »Jemand muss die Bordsysteme manipuliert haben, das dürfte wohl feststehen. Aber auf welche Weise? Und warum?« »Nein«, sagte Gorgh. »Ich war es nicht.« »Niemand verdächtigt dich, nur weil du uns mit deinem Experiment vorhin ein bis schen ins Wanken gebracht hast«, beruhigte ich den Wissenschaftler. Das wäre auch höchst töricht, meldete sich mein Extrasinn zu Wort. Obwohl das ja zu einer deiner liebsten Charaktereigen schaften zu werden droht. Du hast gewiss erkannt, dass es sich um eine Warnung han delte? Beim ersten Versuch, diesen Planeten anzufliegen, wurdet ihr nur ohne größere Umstände zurück an den Rand des Sonnen
Kontakt auf Alarna systems geschickt. Beim zweiten Versuch wurde euch auf schmerzhafte Weise zu ver stehen gegeben, dass ihr unerwünscht seid! Die Erklärung war in der Tat nahe lie gend. Wenn sie sich bewahrheiten sollte, konnte es auch kaum einen Zweifel daran geben, von wem die Warnung ausgegangen war: Es musste sich dabei um die Bewohner des Planeten handeln, den wir anzufliegen versuchten. »Lässt sich schon feststellen, ob dieser Planet intelligentes Leben trägt?«, fragte ich. »Nein. Die Bedingungen für die Entste hung von Leben sind zwar äußerst günstig, aber das hat selbstverständlich nichts zu be deuten. Jedenfalls konnte die Ortung bisher keine unnatürlich starken energetischen Emissionen erfassen, die auf eine Hochzivi lisation hinweisen würden.« In diesem Augenblick kam Kythara zu rück in die Zentrale. »Wie geht es Kalarthras?« »Er ist wohlauf. Natürlich hat er mich ge fragt, was geschehen ist. Aber körperlich hat er das Ganze besser überstanden als wir.« »Gut. Dann überlegen wir uns nun in aller Ruhe, wie wir weiter vorgehen wollen.« Ich massierte mit der Linken meine schmerzen de Schulter. »Wir können nur Mutmaßungen darüber anstellen, was mit uns geschehen ist. Es gibt keine sich auf Anhieb aufdrängende Erklärung dafür. Aber ganz offensichtlich besteht ein kausaler Zusammenhang zwi schen unseren Versuchen, den Planeten an zufliegen, und den Phänomenen, die uns daran gehindert haben.« »Ich ahne, worauf du hinauswillst«, unter brach Gorgh meinen Monolog. »Du denkst, auf dem Planeten befindet sich jemand, der etwas dagegen hat, dass wir dort landen.« »Jemand oder etwas, was auch immer. Wie wir vorhin schon festgestellt haben, scheint es auf dem Planeten keine hoch ent wickelte Zivilisation zu geben. Zumindest keine, die im Besitz von Maschinen ist, die große Mengen an Energie erzeugen oder verbrauchen.« Kythara nahm wieder auf ihrem Sessel
13 Platz und massierte den Knöchel ihres rech ten Beines, das sie über das linke geschlagen hatte. »Eine hohe Entwicklungsstufe ist nicht zwangsläufig an großen Energiever brauch gekoppelt. Kulturen können auch einen Grad der Zivilisation erreichen, der Energie konsumierende Technik überflüssig macht.« »Dein Einwand ist natürlich berechtigt. Aber er ist kein Gegenargument dafür, dass auf dem Planeten jemand ist, der uns zwei mal auf zunehmend unsanfte Weise daran gehindert hat, uns ihm zu nähern. Im Gegen teil – die Art und Weise, mit der wir abge wiesen wurden, lässt auf technische Mög lichkeiten schließen, die unsere eigenen weit übertreffen.« »Oder mentale«, schränkte Gorgh ein. »Auf jeden Fall sucht man dort nicht unsere Entleibung.« »Richtig. Es mutet wie eine Warnung an.« Kythara war zu demselben Ergebnis gekom men wie mein Extrasinn. »Wären die Be wohner dieses Planeten feindselig, dann hät ten sie uns beim ersten Versuch nicht so rücksichtsvoll behandelt. Dass sie auch dra stischere Methoden anzuwenden wissen, ha ben sie uns beim zweiten Mal demonstriert.« »Die Frage ist nun, wie sie sich verhalten werden, wenn wir ein drittes Mal zum An flug ansetzen«, sagte ich. »Vielleicht verlie ren sie die Geduld mit uns. Ebenso wie wir, wenn uns ein Fluginsekt belästigt: Zunächst begnügen wir uns damit, es zu verscheu chen, und wenn es dann immer noch nicht verschwindet, töten wir es eben.« Kythara runzelte die Stirn. »Das zeigt wieder einmal, wie unterschiedlich Varga nen und Arkoniden sind. Abgesehen davon sollte man von einem gewissen Entwick lungsstand an dazu in der Lage sein, andere Intelligenzwesen von Ungeziefer zu unter scheiden und dementsprechend anders zu behandeln, findest du nicht? Offenbar gibt es für das – oder die – Wesen auf dem Pla neten keinen zwingenden Grund, uns zu tö ten. Ich glaube deshalb nicht, dass wir beim dritten Anlauf vernichtet werden.«
14 »Du glaubst es nicht«, entgegnete Gorgh. »Aber wissen werden wir es erst, wenn wir es riskieren. Allerdings sollten wir uns vor her darüber im Klaren sein, ob sich dieses Risiko für uns auch überhaupt lohnt. Wer den wir auf dem Planeten mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit irgendetwas finden, was uns auf unserer Irrfahrt durch Gantatryn weiterhilft?« »Eine berechtigte Frage.« Ich nickte dem Daorghor zu. »Doch ich denke, wir haben die Antwort darauf schon dadurch gegeben, indem wir dieses Sonnensystem überhaupt angeflogen haben. Die Schwarze Substanz ist für mich das bisher größte Rätsel dieser Galaxis. Und die sonderbare Lage dieses Sonnensystems gibt Anlass zu hoffen, dass wir hier mehr darüber in Erfahrung bringen können.« »Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es mindestens ebenso riskant wäre, ein anderes Sonnensystem anzufliegen, von dem wir uns weitere Erkenntnisse über die Schwarze Substanz versprechen können«, sagte Kytha ra. »Die siebenunddreißig Sonnen, welche die Schale der Kugel bilden, werden schließ lich allesamt von der Schwarzen Substanz heimgesucht. Und jedes Schiff, das sich in ihrer Nähe aufhält, läuft Gefahr, durch die Raumbeben zerstört zu werden, die von ih rer Materialisation ausgelöst werden. Hier hingegen befinden wir uns wie im Zentrum eines Wirbelsturms – rings um uns toben die zerstörerischen Gewalten, während wir hier relativ ungestört Beobachtungen anstellen können, die uns hoffentlich weitere Erkennt nisse gewinnen lassen.« »Ein sehr guter und wichtiger Punkt«, pflichtete ich ihr bei. »Es wäre illusorisch, sich einzureden, wir könnten in Dwingeloo irgendwelche Fortschritte machen, ohne uns in Gefahr zu begeben. Abgesehen von den Raumbeben sind wir schließlich auch einer Übermacht von Feinden ausgesetzt, die nur darauf lauern, uns vor die Kanonen ihrer Kampfschiffe zu bekommen. Von den Gar byor-Truppen haben wir sicherlich weit we niger Rücksicht zu erwarten als von den Be-
Joachim Stahl wohnern dieses Planeten.« »Dann dürfte die weitere Vorgehensweise klar sein«, fasste Gorgh zusammen. »Wir versuchen einen erneuten Anflug!« Ich setzte mich auf meinen Kontursessel. »Wie sagt man auf Terra so schön? Aller gu ten Dinge sind drei.«
3. Kythara schrie. Die AMENSOON zitterte, als läge sie un ter dem Beschuss von unzähligen Geschüt zen einer feindlichen Flotte, kurz vor dem Zusammenprall der Schutzschirme, nur Se kunden entfernt von ihrer Vernichtung. Mein Körper wurde hin und her geschüt telt. Nur den Sicherheitsgurten, die wir dies mal wohlweislich angelegt hatten, war es zu verdanken, dass wir nicht aus den Sitzen ge schleudert wurden. Wir sind zu weit gegangen. Das werden wir nicht überleben. Meine Zähne klapper ten unter den heftigen Erschütterungen in ei nem irrwitzigen Rhythmus. Ich biss die Kie fer fest aufeinander. Erst zwei Minuten waren vergangen, seit das Raumschiff wieder begonnen hatte, den Planeten anzufliegen. Die kommenden Mi nuten drohten zu den schlimmsten zu wer den, die ich je erlebt hatte. Egal, was auch geschehen würde, die AMENSOON würde ihren eingeschlagenen Kurs einhalten. Wir hatten uns darauf geei nigt, den Autopiloten dementsprechend zu programmieren. Wir würden den Planeten erreichen – trotz aller Schmerzen waren wir übereingekommen, dass die Fremden uns keineswegs töten wollten. Wir vertrauten darauf – entgegen Gorghs Einwänden –, dass die Gegenmaßnahmen rechtzeitig ein gestellt werden würden. »Kythara!« Der Ruf kam aus Richtung des Eingangs. Kalarthras kauerte dort, nackt, auf allen vie ren, die Augen in dem hageren Gesicht vor Entsetzen weit aufgerissen. »Bist du wahnsinnig? Warum bist du
Kontakt auf Alarna nicht in der Medostation geblieben?«, brüllte ich ihn an. »Und wieso haben die verdamm ten Roboter dich nicht aufgehalten?« Eine erneute Erschütterung ließ Kalar thras bäuchlings zu Boden gehen, wo er leb los liegen blieb. Kythara öffnete ihren Gurt und stand auf. »Bleib sitzen! Du kannst ihm nicht hel fen! Du bringst dich nur selbst in Gefahr!« Sie ignorierte meine Warnung und wurde von der nächsten heftigen Erschütterung ge gen die Wand geworfen. Sie stöhnte vor Schmerz. Doch statt zu Boden zu sinken, be gann sie plötzlich in der Luft zu schweben, ebenso wie Kalarthras. Die Andruckabsorber spielen wieder ver rückt. Es herrscht momentan Schwerelosig keit an Bord. Aber was wird mit den Varga nen geschehen, wenn die Schwerkraft wieder einsetzt? Ich umklammerte die Armlehnen meines Kontursessels so fest, dass die Knöchel mei ner Fäuste weiß hervortraten. Ich war zur Tatenlosigkeit verdammt. Wenn ich die Gur te meines Sessels öffnete, würde es mir ebenso ergehen wie Kythara und Kalarthras. Damit war niemand gedient, auch den bei den Varganen nicht. Sie würden meine Hilfe bitter benötigen, wenn die AMENSOON diese erneute Attacke der Planetenbewohner überstanden hatte. FALLS wir sie überstehen werden. Wir könnten uns auch getäuscht haben. Viel leicht sind wir in ihren Augen ja doch nur lästige Insekten, die man ohne jede Beden ken tötet, wenn sie sich nicht verscheuchen lassen. »Gorgh! Was hast du vor?« Entsetzt sah ich den Daorghor zu den beiden Varganen schweben. Er erreichte sie, energisch mit al len sechs Gliedmaßen rudernd, packte Ky thara mit einer Zange am Kragen ihrer Bord kombination und Kalarthras am nackten Oberarm. Sekunden darauf setzte plötzlich die Schwerkraft wieder ein. Meine drei Gefährten stürzten simultan zu Boden. Ein hässliches Klatschen entstand,
15 als ihre Körper hart aufschlugen. Gorghs fe ster Griff verhinderte, dass die beiden Var ganen auf den Kopf fielen oder sich gar das Genick brachen. Ein brennender Schmerz an meinen Hän den zwang mich dazu, den Kopf wieder nach vorn zu richten. Aus meinem Kontrollpult schlug mir ein Funkenhagel entgegen. Ich riss die Hände reflexartig empor und sah Dampf von der Haut meiner Handflächen aufsteigen. Gegen meinen Willen sanken meine Hän de wieder schlagartig hinab, als hätten sie versucht, eine tonnenschwere Last aufzufan gen, mit der sie hoffnungslos überfordert waren. Ich rang nach Luft. Mein Brustkorb war wie eingezwängt. Die Schwerkraft ist gestiegen. Auf minde stens vier Gravos. Tendenz steigend … Mir wurde schwarz vor Augen.
* Auf dem Panoramaschirm stand ein blau weißer Ball. Kythara blinzelte. Benommen sah sie sich in der Zentrale um und stand mühsam vom Boden auf. Ein Stöhnen kam über ihre Lip pen. Neben der alten Prellung am Fuß hatte sie nun eine weitere an der linken Hüfte, die noch stärker schmerzte. Doch sie hatten es überstanden. Die AMENSOON schwebte im Orbit um den Planeten. Atlan saß auf seinem Kontursessel, den Kopf mit den langen weißen Haaren nach hinten gebeugt. Er war wohl noch ohnmäch tig. »Kythara! Wie geht es dir?« Gorgh betrat die Zentrale. Die Varganin lächelte ihn dankbar an. »Ich denke, ich bin so weit in Ordnung. Hast du …« »Ja, Kalarthras ist in der Medostation. Ich brachte ihn zu seinem Bett zurück, nachdem ich aus der Bewusstlosigkeit erwacht war.« Kythara legte ihre Hand auf den kühlen
16 Chitinpanzer seines Kopfes. »Ich danke dir, mein Freund. Auch dafür, dass du Kalarthras und mir vorhin während der Schwerelosig keit zu Hilfe gekommen bist.« Die großen, gewölbten Facettenaugen des Daorghor leuchteten metallisch blau, doch es war für Humanoide unmöglich, darin eine Gefühlsregung zu entdecken. »Es war notwendig für das Wohl unseres Kollektivs. Hätte ich es nicht getan, dann hättet ihr euch beim Sturz das Genick bre chen können.« »Es ehrt dich, dass du das so siehst. Aber glaube mir, nicht alle Intelligenzwesen den ken stets so selbstlos wie du.« Kythara ver ließ die Zentrale und humpelte zur Medosta tion. Kalarthras lag mit geschlossenen Augen auf dem Antigravbett. Die beiden Medoro boter kümmerten sich um ihn. »In der Zentrale ist noch jemand, der eure Hilfe braucht. Und ich bedarf auch medizi nischer Versorgung.« Unter Schmerzen zog sie die kniehohen Stiefel und die enge Hose aus. Der kugelförmige Roboter begab sich ge horsam auf den Weg zu Atlan, während der andere nach einer kurzen Untersuchung Ky tharas Prellungen behandelte. Sie zog sich wieder an und trat neben Ka larthras. Beruhigt stellte sie fest, dass er kei ne äußeren Verletzungen erlitten zu haben schien. »Kythara«, hauchte er. Es klang teils wie eine Frage, teils wie ein Wunsch. »Nicht jetzt«, flüsterte sie, als antworte sie auf eine unausgesprochene Frage. Ja, sie waren einmal ein Liebespaar gewesen, doch zwischen damals und heute lagen Jahrtau sende. Eine Zeit, die man nicht einfach weg wischen konnte. »Wir befinden uns im Orbit um den Zielplaneten, und die AMENSOON ist noch flugfähig. Ich habe noch nicht über prüft, ob sie beim Anflug beschädigt wurde. Ich wollte zuerst nach dir sehen.« Kalarthras öffnete die Augen. »Mir geht es gut. Danke«, hauchte der Vargane. »Geh und tu, was du tun musst.
Joachim Stahl Alles andere … hat Zeit.« Er lächelte schief und schloss die Augen. Kythara starrte ihn noch einen tiefen Atemzug lang an, dann drehte sie sich um und verließ die Medostation wieder. Ja, wir haben alle Zeit des Universums. Wir oder du und ich?
* Eine Holografie kreiste in der Zentrale: die aufbereitete Darstellung des Planeten. Gorgh blendete nacheinander wichtige Da ten ein. Ihnen zufolge hatte die blauweiße Welt einen Durchmesser von etwa 12.500 Kilometern und umkreiste den orangefarbe nen Stern innerhalb von 170 Tagen von je weils knapp über 23 Stunden. Die Schwer kraft betrug 1,08 Gravos, die Achsneigung 29 Grad. Die Planetenoberfläche war zu über drei Vierteln von Wasser bedeckt. In Äquatornähe lagen die beiden Hauptkonti nente, daneben ragten Hunderte von Inseln aus dem weltumspannenden Ozean. Die Pol kappen waren vereist, in Äquatornähe hinge gen herrschten tropische Temperaturen. Der Wissenschaftler zoomte einen Aus schnitt der Holografie heran. »Flora und Fauna sind sehr artenreich und über den ge samten Planeten verteilt. Doch es existieren auch Intelligenzwesen. Hier, seht ihr?« Wir erkannten am Ufer einer Insel eine Siedlung aus etwa fünfzehn Holzhütten mit Dächern aus Zweigen und Blättern. Zwi schen den schlichten Gebäuden bewegten sich kleine dunkle Punkte, die sich beim weiteren Vergrößern des Bildes als Huma noide entpuppten. »Auf dem ganzen Plane ten finden sich etwa einhundert solcher Siedlungen«, erläuterte Gorgh. »Keine ist wesentlich größer als diese hier, und auch die Bewohner scheinen sich nicht maßgeb lich voneinander zu unterscheiden.« »Das heißt, die gesamte Planetenbevölke rung besteht aus ein paar tausend Seelen«, stellte ich fest. »Sehr ungewöhnlich!« »Allerdings. Zudem kann ich mir kaum vorstellen, dass diese Primitiven uns beim
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Anflug so heftig zugesetzt haben sollen.« Kythara verschränkte die Arme vor der Brust. »Es müssen noch andere Wesen auf dieser Welt existieren. Wesen, die sich unse rer Ortung bislang entzogen haben.« Ich nickte. »Aber vielleicht können uns die Eingeborenen einen Hinweis darauf ge ben, wo wir auf dem Planeten nach ihnen suchen müssen. Ich schlage deshalb vor, wir landen und besuchen eines dieser Dörfer.« Ich wandte mich an Kythara. »Wir beide könnten mit einem der Beiboote in der Nähe der Siedlung landen, während Gorgh das Schiff im Orbit hält und Kalarthras sich wei ter erholt.« »Und was, wenn wir schnell wieder an Bord der AMENSOON gebraucht werden oder das Schiff womöglich flüchten muss?« Kythara musterte mich skeptisch. »Vergiss nicht, mit wie vielen unbekannten Faktoren wir hier rechnen müssen. Nein, ich denke, es ist besser, die AMENSOON landet in der Nähe von einem der Dörfer und wir gehen zu Fuß zu den Eingeborenen. Etwas Bewe gung kann uns nur gut tun.«
* Nach mehreren Umkreisungen hatten wir ein Areal gefunden, das uns für eine Lan dung optimal geeignet erschien. Es handelte sich um eine Hochfläche, auf der die Vege tation nicht ganz so üppig wucherte wie in den fruchtbaren Flusstälern oder entlang der Meeresufer. Sie befand sich recht zentral auf dem größeren der beiden Hauptkontinente. Gorgh hatte diese Siedlung vorgeschla gen. Er vertrat die berechtigte Ansicht, dass dort die Wahrscheinlichkeit am größten war, Informationen über die unbekannten Angrei fer zu finden. Bei Bewohnern einer der klei nen Inseln oder einer entlegenen Küstenregi on war es eher möglich, dass sie nicht in der Lage waren, uns bei unserer Suche weiterzu helfen. Sie hatten schließlich aufgrund ihrer geografischen Lage weniger Kontakte zu an deren Bewohnern und wussten folglich we niger über das Geschehen auf ihrem Plane
ten. Aber es blieb natürlich trotz allem ein Glücksspiel, das war uns bewusst. Kythara aktivierte vor dem Landeanflug den Ortungsschutz, der die AMENSOON für das bloße Auge unsichtbar machte. So wollten wir verhindern, dass die Eingebore nen beim Anblick des fast 850 Meter hohen goldfarbenen Doppelpyramidenraumers in Panik gerieten oder sich versteckten. Die AMENSOON schwebte behutsam auf ihren Antigravpolstern der Planetenoberflä che entgegen. In etwa zehn Metern Höhe nahm sie ihre Parkposition ein. Ich betrachtete die Bilder vom Dorf ge schehen auf dem Panoramaschirm. Die Sied lung befand sich an einem Bach etwa fünf Kilometer östlich unserer Landestelle und somit voraussichtlich weit genug entfernt, dass die Bewohner die unvermeidlichen Be gleitgeräusche einer Großschiffslandung nicht hatten registrieren können. »Sie sehen aus wie Varganen«, bemerkte ich. Kythara drehte sich zu mir um. »Echte Varganen sind es sicher nicht. Aber Kalar thras hat uns ja bereits berichtet, dass es vor 50.000 Jahren in Gantatryn zahlreiche hu manoide Kulturen gab, die von Varganen abstammten.« »Wir wissen von ihm aber auch, dass es in diesem Sternhaufen damals noch einige echte Varganen gegeben hat. Höchstwahr scheinlich leben einer oder auch mehrere von ihnen auf diesem Planeten und sind für die Angriffe auf die AMENSOON verant wortlich. Dass sie uns am Leben gelassen haben, könnte damit zusammenhängen, dass sie die AMENSOON als Varganenschiff er kannt haben. Sie wollen zwar ihre Ruhe, aber sie sind nicht kaltherzig genug, ihres gleichen dafür zu töten.« Kythara nickte. »Das klingt plausibel, kann aber trotzdem völlig falsch sein. Also gut, brechen wir auf! Vielleicht erfahren wir im Dorf ja wirklich etwas über die Götter dieser Welt.«
*
18 Der Antigravschacht hatte uns von der Zentrale 400 Meter in die Tiefe direkt zu ei ner Bodenschleuse im untersten Deck der AMENSOON gebracht. Kythara und ich standen zehn Meter über dem Boden am oberen Ende der ausgefahre nen Rampe, die sich von der geöffneten Schleuse bis zur Planetenoberfläche er streckte. Die warme Luft roch angenehm nach Blüten. Große, träge Insekten glitten leise summend durch die Luft. Von den Bäumen und Büschen unter uns drang viel stimmiges Zwitschern und Zirpen herauf. Kythara sah mich lächelnd an. »Wirklich hübsch hier, nicht wahr? Es wäre eine Schande gewesen, zuerst die Sonne aufzusu chen und dann erst diese Welt.« Sie begann die Rampe hinabzusteigen. Mir wäre es wesentlich lieber gewesen, mit einem der Tropfenbeiboote in die Nähe des Dorfes zu fliegen, aber Kythara wollte den Bewohnern so wenig Anlass zur Panik wie nur irgend möglich geben. Trotz all der Erfahrung, die ich in meinem Leben schon gesammelt hatte, war es immer noch etwas Besonderes für mich, den Fuß auf einen neuen Planeten zu setzen. Ich blickte mich aufmerksam um und versuchte, all die Eindrücke in mich aufzunehmen: Da war der blaue Himmel über uns, über den nur einige wenige weiße Wolken zogen; die orangefarbene Nachmittagssonne, die im Nordwesten stand und in etwa drei Stunden untergehen würde; die Vegetation, die vor wiegend aus etwa ein bis zwei Meter hohen Büschen und Sträuchern bestand. An man chen hingen Unmengen von kobaltblauen und rosafarbenen Beeren. Einige palmen ähnliche Bäume ragten in den Himmel wie bizarre Flaggenmaste. Der Abstand zwi schen den Büschen und Bäumen war hier groß genug, dass wir uns recht gut einen Weg durch die Vegetation zum nahen Bach bahnen konnten. Wir hatten bei der Auswahl des Landeplatzes darauf geachtet, ein Gebiet zu finden, das uns einen möglichst beque men und gefahrlosen Weg zur nächsten Siedlung ermöglichte.
Joachim Stahl Durch das Fehlen von größeren Bodener hebungen auf dieser Hochebene konnten wir zudem recht weit blicken und hofften des halb gegen unliebsame Überraschungen ei nigermaßen gefeit zu sein. Die Analyse der Luft hatte keinerlei Mi kroorganismen ergeben, die für Humanoide gefährlich gewesen wären. Überraschender weise umfasste die Fauna auch keine Raub tiere, zumindest nicht auf dem Festland. Sämtliche Wirbeltiere unter den Landlebe wesen hatten die Ortungssysteme als harm los eingestuft. Die wirbellosen Tierarten in ihrer schier unendlichen Zahl zu erfassen hätte einer langwierigen Untersuchung be durft, für die wir nicht genügend Zeit hatten. Nachdem wir die heftigen Attacken auf die AMENSOON ohne größere Blessuren über standen hatten, würde uns ein Mückenstich schon nicht gleich umbringen, hofften wir. Wenngleich ich wusste, was für einen merk würdigen Sinn für Humor das Schicksal mit unter hatte … Kythara und ich trugen varganische Kampfanzüge. Man würde uns niemals für Planetarier halten, und um gegen eventuelle Kurzschlusshandlungen gesichert zu sein, schienen sie uns am besten geeignet. Natür lich – gegen jemanden, der auf uns unbe kannte Weise ein mächtiges Raumschiff an den Rand der Vernichtung zu bringen ver mochte, boten sie wohl kaum einen effekti ven Schutz. Aber einen psychologischen. Es sah allerdings nicht so aus, als hätten wir auf unserem Weg irgendetwas zu be fürchten. Alles wirkte friedlich, geradezu paradiesisch. Wir schlängelten uns zwischen den größeren Pflanzen hindurch zu dem Bach etwa dreihundert Meter nördlich unse rer Landestelle. Da seine Ufer von etwa fünf Meter breiten Streifen gebildet wurden, auf deren steinigem Boden kaum etwas wuchs, hofften wir von dort aus noch bequemer zum knapp fünf Kilometer flussabwärts ge legenen Dorf zu gelangen. Nach einigen Minuten hatten wir den Bach erreicht, dessen klares Wasser in der Sonne gleißte, als schwömmen darin Myria
Kontakt auf Alarna den von Diamanten. Einige krebsähnliche Tiere, die etwa handtellergroß waren, saßen reglos auf den Steinen. Plötzlich krabbelten sie auf ihren zahlreichen Beinpaaren los und verschwanden im Wasser. »Wir scheinen ihr Sonnenbad gestört zu haben«, sagte Kythara. »Seltsam.« »Was meinst du damit?« »Es gibt hier doch anscheinend keine Raubtiere. Warum reagieren diese Tiere dann mit sofortiger Flucht, sobald sie etwas Ungewöhnliches bemerken?« Die Flusskrebse hatten sich unter den großen Steinen versteckt, die vereinzelt im Bachbett lagen. Ich zuckte die Achseln. »Vielleicht gab es ja bis vor ein paar tausend Jahren Raubtiere. Evolutionsbedingte Verhaltensmuster benö tigen meist sehr lange, bis sie sich veränder ten Umweltgegebenheiten angepasst haben.« »Ja, mag sein.« Kythara ging weiter. »Aber halte trotzdem die Augen offen! Ich habe ein seltsames Gefühl auf diesem Plane ten.« Ich schnaubte in gespielter Empörung. »Und wie ich die Augen offen halten werde! Auch wenn es hier außer dir wenig Anlass dafür gibt.« Kythara drehte sich lächelnd zu mir um. »Du kannst ja richtig charmant sein, wenn du willst. Aber jetzt lass uns ins Dorf gehen und mit den Eingeborenen reden.« Ich ging etwa im Abstand von drei Schritten hinter Kythara. Langsam trotteten wir am Bachufer entlang. Dabei bemerkten wir mehrere etwa einen Meter durchmessende Löcher, die weit ins Erdreich hinunterreichten. Kythara leuchtete mit einem Scheinwerfer in einige von ihnen hinab. Der Boden war mehrere Meter tief. Ob die Löcher natürlichen Ur sprungs waren oder möglicherweise als Fal le von einem Tier gegraben worden waren, ließ sich von oben nicht feststellen. Wir begegneten zahlreichen weiteren Tie ren, die allesamt bei unserem Anblick flo hen. Neben den krebsähnlichen Wesen fiel mir insbesondere ein etwa zwanzig Zentime ter langes Wirbeltier mit dunklem Fell auf, das auf einem schlanken, sechsbeinigen
19 Körper einen Kopf hatte, der an eine terrani sche Ratte erinnerte. Ich hatte beobachten können, wie es auf einen der Bäume kletter te, die das Bachufer säumten. Es schien ein Nest zu plündern, das sich dort in etwa zwei Metern Höhe auf einem der Äste befand. Als wir näher kamen, krabbelte es wieselflink herab und verschwand zwischen den Bü schen. Neugierig machte ich einen Klimmzug an dem Ast, um einen Blick in das Nest zu wer fen. Es war leer. Kein totes Küken, keine Eier schale – nichts, was auch nur im Entfernte sten an Beute erinnerte hätte. Aber ich hatte doch gesehen, wie das Tier dort irgendetwas gefressen hatte! Kythara hatte meine kleine Klettereinlage registriert und blieb stehen, bis ich wieder hinabgesprungen war und zu ihr aufge schlossen hatte. »Was war los?«, fragte sie. »Ich dachte, hier doch ein kleines Raub tier beim Beutemachen gestört zu haben. Nur war die Beute seltsamerweise ver schwunden, als ich nachgesehen habe.« »Hast du dafür eine logische Erklärung?« »Nein.« Selbstverständlich nicht, kommentierte mein Logiksektor bissig.
* Kythara streckte den Arm aus. »Siehst du? Wir sind fast da.« Ich kniff die Augen zusammen. Etwa vierhundert Meter weiter flussabwärts waren die ersten Gebäude der Siedlung zu erken nen. »Gut. Wir sind ja auch schon lange ge nug gewandert. Komm! Sagen wir guten Tag.« Zügigen Schrittes ging ich voraus und be obachtete dabei angespannt die Siedlung. Kythara folgte mir. Nur noch etwa zweihundert Schritte trennten uns von dem Dorf. Zwischen den Holzhütten waren nun die ersten Bewohner zu sehen. Mit ihrer Bronzehaut und den gol
20 denen Haaren sahen sie Varganen wirklich zum Verwechseln ähnlich. Die meisten von ihnen waren nackt, andere trugen einen Len denschurz. Bei manchen sah man einen Fe derschmuck an den Haaren oder Ketten und Bänder an den Armen und um den Hals, die wohl aus Holz, Knochen und Leder herge stellt worden waren. »Sie scheinen uns nicht zu bemerken, ob wohl sie uns doch schon sehen müssten«, stellte ich fest. »Vielleicht wollen sie uns ja übersehen. Wir sind auf diesem Planeten schließlich nicht willkommen. Oder hast du etwa schon vergessen, was auf dem Anflug geschehen ist?« Nein, das hatte ich nicht. Ich spürte einen Kloß in meinem Hals. Das Gefühl der Be drohung wurde immer größer, je näher wir dem Dorf kamen. Ich legte die Rechte an den Griff des Handstrahlers an meinem Gür tel. Ich spürte fast körperlich die Gefahr, die von den so harmlos anmutenden Dorfbe wohnern auszugehen schien. »Lass die Waffe stecken, Atlan! Sie wird uns hier vermutlich kaum helfen«, sagte Ky thara. Ich drehte mich zu ihr um. Tränen der Er regung standen in meinen Augen. Ich wisch te sie mit dem Handrücken ab. »Du hast wahrscheinlich Recht.« Kythara schüttelte leicht den Kopf und ging an mir vorbei. »Du solltest lernen, dei ne Nerven besser unter Kontrolle zu halten. Auch wenn du erst zwölftausend Jahre alt bist.« Sie lächelte mich spöttisch an, um den emotionalen Druck aus der Situation zu neh men. Seite an Seite gingen wir weiter auf das Dorf zu und passierten dabei ein weiteres der Löcher mitten im Erdreich. Nach etwa fünfzig Schritten hatten wir die erste Hütte erreicht, an deren Wand ein splitternackter junger Mann im Schatten lehnte. Zwischen seinen im Schneidersitz gekreuzten Beinen hatte er ein trommelähnliches Instrument. Er schlug mit den flachen Händen darauf und erzeugte dabei einen stark synkopischen
Joachim Stahl Rhythmus. Seine Augen hatte er geschlos sen. Er schien uns nicht zu bemerken. Ich holte den handlichen Translator aus der großen Seitentasche meiner Kombinati on und aktivierte ihn. Als wir nur noch un gefähr zehn Meter von dem jungen Tromm ler entfernt waren, hob ich die Hand und rief eine varganische Grußformel. Der Dorfbewohner öffnete die goldfarbe nen Augen und warf uns einen gelangweil ten Blick zu. Dann war er verschwunden. Und mit ihm das Dorf.
* Kythara und ich schauten einander fra gend an. Wir standen am oberen Ende der Rampe im geöffneten Schott der Bodenschleuse. Ich winkelte das rechte Bein an, um die Sohlen meiner Stiefel zu betrachten. Sie waren so sauber, wie sie nach einem Tag an Bord der AMENSOON nur sein konnten. Nichts deutete darauf hin, dass ich das Schiff verlassen und einen etwa fünf Ki lometer langen Querfeldeinmarsch zurück gelegt hätte. Kythara warf einen Blick auf ihr Multi funktionsarmband. »Tröste dich. Du bist nicht verrückt geworden, weil kein Schmutz an deinen Stiefeln klebt. Es sind erst ein paar Sekunden vergangen, seit wir aus den Antigravschacht gestiegen sind.« Das Mu ster ist dasselbe wie beim Anflug auf den Planeten, bemerkte mein Extrasinn. »Zuerst werden wir nur kurz und schmerzlos dorthin zurückgeschickt, wo wir hergekommen sind«, sinnierte ich laut. »Falls wir uns von dieser Warnung nicht ab schrecken lassen und es noch einmal versu chen, werden uns Qualen zugefügt. Erst wenn wir diese durchstehen, kommen wir ans Ziel.« Ich musterte Kythara. »Bist du bereit für den nächsten Anlauf? Es wird je doch sicher kein Spaziergang wie beim er sten Mal.« »Das kann ich mir selbst denken. Aber
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mir kommt es so vor, als würdest du die Ri siken unterschätzen. Du tust so, als wäre dir alles völlig klar, was hier geschieht, und als könnte uns außer ein paar Unannehmlichkei ten nichts zustoßen. Das halte ich in unserer Lage für grob fahrlässig und unverantwort lich.« Sie funkelte mich angriffslustig an. Ich hob beschwichtigend die Hände. »Entschuldige meinen jugendlichen Über schwang. Aber ich denke, an unserer Situati on hat sich seit unserem Entschluss, diesen Planeten trotz aller Gefahren anzufliegen, nichts geändert. Wir waren uns doch alle ei nig, dass es sich lohnen wird, das Risiko auf uns zu nehmen. Und der Meinung bin ich nach wie vor, zumal wir inzwischen schon einen großen Schritt weiter sind als bei un serer Ankunft in diesem System.« »Tatsächlich?« Kythara richtete den Blick in Richtung auf das Dorf, das von unserem Standort aus zwischen den Bäumen und Sträuchern nicht auszumachen war. »Das glaube ich erst, wenn wir unser Ziel wirklich unbeschadet erreicht haben. Also schön: Lass uns losgehen.«
4. Es war wie ein Déjà-vu-Erlebnis. Wieder schritten wir die Rampe hinab und tauchten in die Vegetation des unbekannten Planeten ein. Das Zirpen und Zwitschern rings um uns klang exakt wie beim ersten Mal – wenn es ein erstes Mal überhaupt ge geben hatte und wir nicht nur in unserer Ein bildung den Weg zum Dorf bereits vorhin gegangen waren. Falls es ein solches Vorhin überhaupt gegeben hatte, wie mein Extra sinn mir angesichts der verstrichenen Zeit andeutete. Als wir den Bach erreichten, bemerkte ich sofort die Flusskrebse, die bei unserem er sten Versuch, das Dorf zu erreichen, bei un serem bloßen Anblick sogleich geflohen wa ren. Diesmal war es anders. In rasender Geschwindigkeit, die man die sen Geschöpfen niemals zugetraut hätte,
krabbelten sie auf uns zu. »Schutzschirme ein!«, rief ich Kythara zu, aber diese hatte bereits reagiert. Die Welle aus Krebsen brandete auf uns zu und umfloss die Schutzschirme, aber das reichte natürlich nicht, um uns wirklich zu beeinträchtigen. »Komm, Atlan!« Kythara schob sich durch die Krebse hindurch. Wir marschierten weiter, doch kaum hat ten wir die Krebse hinter uns gelassen, wur den wir mit dem nächsten »Hindernis« kon frontiert: Eines der sechsbeinigen rattenköpfigen Tiere, von denen ich eines dabei beobachtet zu haben glaubte, wie es ein Nest plünderte, ließ sich von einem Baum herab auf Kythara fallen und attackierte sie mit seinen Zähnen und Krallen. Wieso haben wir unsere Schutzschirme wieder ausgeschaltet?, fragte ich mich. Weil ihr Narren seid, kam die Antwort des Extrasinns gedankenschnell. Und jetzt rette Kythara! Ich sah voller Entsetzen, wie das goldene Haar in Kytharas Nacken sich rot zu färben begann. Mit einem Satz sprang ich neben die Var ganin, um das Tier mit beiden Händen zu packen. Ich musste versuchen, es von Ky thara loszureißen, bevor es womöglich ihre Halsschlagader verletzte. Die schwarzen Augen des Wesens schie nen mich voller Hass zu taxieren, nachdem ich meine Finger in das seidige Fell an sei nen Vorderbeinen gegraben hatte. Ich konn te die warme, weiche Haut darunter spüren und griff fest zu. Das Tier stieß ein grelles Kreischen aus und schnappte mit seiner Schnauze nach meinen Händen. Doch mit einem heftigen Ruck hatte ich es von Kythara gelöst und schleuderte es in Richtung des Baches zu unserer Linken. Erst auf der anderen Uferseite landete das Wesen wieder. Es rollte sich geschmeidig ab. Sobald es wieder auf allen vieren stand, sprang es in den Bach und paddelte mit ge
22 fletschten Zähnen auf uns zu. »Schutzschirme an!« Ich hätte das Tier auch mit einem gezielten Schuss töten kön nen, doch das widerstrebte mir. Es war zweifellos fremdgesteuert und nicht für sein Handeln verantwortlich. Das Tier war jetzt heran und knallte gegen den Prallschirm, der Kythara umgab. Mich ignorierte es bis fast zum Schluss. Nach einigen weiteren erfolg losen Versuchen gegen mein Prallfeld gab es auf und trollte sich fauchend und knurrend. »Bei unserem ersten Kontakt war es noch ganz scheu, erinnerst du dich? Es wird wie erwartet immer ernster. Dass die Tiere sich völlig anders als beim ersten Mal verhalten, liegt mit Sicherheit daran, dass sie suggestiv manipuliert werden. Und zwar von den großen Unbekannten, die wir aufspüren müssen.« Kythara hob das Haar in ihrem Nacken empor. »Schau bitte nach der Wunde.« Die Zähne des Tieres hatten schmale rote Striemen in Kytharas Nacken gezeichnet, die tiefste davon blutete recht stark. Doch es schien eine reine Fleischwunde zu sein. Ich zog die flache Dose mit Wundspray aus der Tasche am rechten Oberschenkel meiner Kombination und sprühte die Verletzung da mit ein. Der klare Film, der nun auf der Haut lag, stillte die Blutung innerhalb von Sekun den und würde dafür sorgen, dass die Wun de schnell wieder verheilte. »Danke. Komm, gehen wir weiter!« Ky thara wandte sich um, als wäre nichts ge schehen. Ich folgte ihr mit drei Schritten Abstand und ließ meine Blicke wachsam über die Sträucher am Uferrand wandern. »Wir müs sen noch aufmerksamer sein. Jede Sekunde der Unachtsamkeit kann für uns verhängnis volle Folgen haben. Das sollte uns inzwi schen wirklich bewusst sein.« »Das glaube ich nicht«, widersprach Ky thara, ohne sich zu mir umzudrehen. »Es ist völlig egal, wie achtsam wir uns verhalten. Wir werden nicht verhindern können, dass wir auf unserem Weg zum Dorf entsetzliche Qualen durchleiden müssen. Verstehst du
Joachim Stahl denn immer noch nicht, was hier passiert? Die Wesen, die wir suchen, möchten uns da von abhalten, zum Dorf zu gehen. So, wie sie uns schon daran hindern wollten, auf die sem Planeten zu landen. Sie sind zu jeder Sekunde darüber informiert, wo wir sind und was wir tun, und reagieren dementspre chend. Uns bleibt nur eines: nicht vom Weg abzuweichen und durchzuhalten, was immer auch kommen mag.« »Wie das da?«, erkundigte ich mich und aktivierte wieder meinen Schutzschirm. Vor uns bewegte sich ein etwa zehn Me ter langer und fünf Meter breiter dunkler Teppich auf uns zu. »Wie zu erwarten war.« Kythara war zwei Schritte vor dem Teppich stehen geblieben und ging in die Hocke, um ihn genauer be trachten zu können. »Das sind lauter insek tenähnliche Tiere. Es müssen Millionen sein!«
* »Unappetitlich, aber nicht gerade lebens bedrohlich. Dieses kleine Raubtier eben war wesentlich unangenehmer.« Aus der Luft betrachtet wirkte der Insek tenteppich eher faszinierend als bedrohlich. Tiere verschiedener Arten hatten sich dort zusammengefunden: Einige mit bläulich schillernder Hülle waren etwa fingerlang und bewegten sich auf fünf langen Beinpaa ren. Andere kugelförmige waren etwa so groß wie ein Fingernagel. Aus dem Kopfen de ragten zangenförmige Waffen. Doch bei der Mehrzahl handelte es sich um wenige Millimeter große stabförmige Wesen, deren Reihen so dicht gestaffelt waren, dass sie den Boden vollständig verdeckten. Es schi en, als hätte sich die gesamte Insektenpopu lation des Bachufers an dieser Stelle versam melt. »Lassen wir uns von unseren Antigravge neratoren über der Bachmitte dahintragen«, schlug Kythara vor. »Tatsächlich?«, erkundigte ich mich ge spielt überrascht.
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»Wer weiß, was sie sonst noch mit der Natur anstellen, um uns aufzuhalten«, mein te die Varganin. »Wir müssen ja nicht mut willig in die Gefahr gehen.« »Richtig«, pflichtete ich ihr bei. »Ich hatte nur deinen Sinn für Abenteuer überschätzt.« »Wenn dir nach Abenteuern ist, schau nach vorne«, rief Kythara. »Das Ungeziefer scheint Verstärkung zu bekommen.« Jetzt sah ich es auch: kleine dunkle Punk te am Himmel, die rasch immer größer wur den. Als sie nah genug heran waren, erkannte ich, dass es sich um einen Schwarm aus Hunderten von Vögeln handelte. Die Tiere attackierten uns im Sturzflug mit ihren spit zen Schnäbeln, sobald sie uns erreicht hat ten. Sie klatschten zwar harmlos gegen die Schutzschirme, aber sie machten es uns un möglich, uns gezielt weiterzubewegen. Dann erlahmte der Angriff, und wir konn ten weiterfliegen. Oder besser: Wir hätten weiterfliegen können. Wenn da nicht ein Ruf erschollen wäre, der Kythara förmlich elektrisierte: »Kythara – hilf mir!« Kalarthras!
5. »Kythara! Das ist eine Illusion, glaub mir! Wie auf Vassantor, als es mich beinahe er wischt hätte.« Ich wusste nicht, zum wievielten Male ich das jetzt schon sagte, aber Kythara war taub für meine Warnung. Wir waren den Hilferu fen gefolgt und standen mittlerweile in einer kleinen Erdhöhle, etwa drei Meter durch messend und in zwei Gänge mündend. Bei de hatten jeweils einen Durchmesser von et wa einem Meter. »Hilf mir! Kythara! Hilf mir!« Ich packte die Varganin an der Schulter und schüttelte sie. »Das hier riecht doch förmlich nach einer Falle, und das weißt du auch! Wie soll Kalarthras hierher gekom men sein?«
»Offenbar auf dieselbe Weise, wie wir vom Dorf zurück zur AMENSOON telepor tiert worden sind.« Kythara beugte sich zu dem Gang hinab. »Halt aus, Kalarthras! Ich komme gleich zu dir!« Ich hielt sie am Arm fest, bevor sie in den Tunnel kriechen konnte. »Kythara, denk doch mal ganz gründlich nach! Jemand will verhindern, dass wir Kontakt zu den Bewoh nern dieses Planeten aufnehmen. Dafür wen det er sehr kreative Methoden an, wie wir schon zum wiederholten Male haben fest stellen dürfen. Was hältst du von einem Kontrollanruf bei der AMENSOON? Gorgh kann nachschauen, ob Kalarthras wirklich nicht mehr an Bord ist.« Kythara starrte mich einen Augenblick lang böse an, dann nickte sie. »Gut, so ma chen wir's.«
* Die AMENSOON hatte nicht geantwor tet. Irgendetwas blockierte die Kommunika tion, und nun war ich auch eher bereit zu glauben, dass die unbekannte Macht Kalar thras hierher teleportiert hatte, um uns auf zuhalten. Blieb nur noch die Frage: Wie sollten wir an ihn herankommen? Wir hatten beide un terschiedliche Theorien. »Wenn wir nun glauben, Kalarthras' Stim me aus diesem Tunnel zu hören, ist stark da von auszugehen, dass der andere Tunnel uns zum Ziel führen wird. Auch diese Raubtier geräusche sollen uns nur davon abhalten, den richtigen Weg einzuschlagen. Also, ignorier diese Illusionen und kriech mit mir in den anderen Gang!« »Mir ist völlig rätselhaft, wie du dir da so sicher sein willst. Ich gebe gerne zu, dass deine These nicht völlig unplausibel klingt. Aber mir ist das Risiko schlicht zu groß, dass Kalarthras doch in dem anderen Gang sein könnte. Und für diese These spricht nicht so viel weniger wie für deine.« Ich schüttelte den Kopf. »Beides ist denk bar, aber nur eines wird richtig sein. Am be
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sten trennen wir uns. Du rechts, ich links.« Und damit ging ich in die Knie und kroch in den linken der beiden Tunnel.
* Kythara ließ sich erschöpft zu Boden sin ken. Es war aussichtslos. Atlan hatte Recht ge habt. Etwa fünf Minuten waren verstrichen, seit Kythara in den Tunnel gekrochen war, aus dem sie Kalarthras' Hilferufe zu hören wähnte. Doch sie schien sich ihnen in dieser Zeit um keinen Meter genähert zu haben. Ich verhalte mich stark emotional, obwohl ich Kalarthras doch gar nicht mehr liebe. Das kann mir zum Verhängnis werden. Schon bei den Vorkommnissen an Bord der AMENSOON, als die Schwerkraftabsorber außer Kontrolle gewesen waren, hatte sie sich in eine lebensbedrohliche Situation be geben, um Kalarthras beizustehen. Zum Glück hatte Gorgh, der aufgrund seines ro busten insektoiden Körperbaus weniger ge fährdet gewesen war, so geistesgegenwärtig reagiert. Sie musste endlich wieder konsequent den Schatz ihrer Erfahrungen nutzen, die sie im Lauf der Jahrhunderttausende gesammelt hatte. Für alles andere war die Lage viel zu brisant. Und schließlich war niemandem da mit geholfen, wenn sie sich durch eine un überlegte Dummheit selbst gefährdete und damit ihre volle Einsatzfähigkeit, wenn nicht gar ihr Leben aufs Spiel setzte. Kythara seufzte. Noch immer ertönten leise vor ihr Kalar thras' kraftlose Hilferufe. Sie zwang sich dazu, sie zu ignorieren, und versuchte sich im Tunnel umzudrehen. Doch er war an dieser Stelle dafür zu schmal, sodass sie rückwärts zurückkriechen musste.
* Nachdem ich etliche Meter weit vorge-
drungen war und weder etwas gesehen noch gehört hatte, was auf Kalarthras' Anwesen heit hindeutete, war ich zurückgekrochen. Nur wenig später kam auch Kythara wieder in die kleine Eingangshöhle. »Schön, dich mal wieder zu sehen. Was ist mit Kalarthras?« »Sekundär. Darum können wir uns später noch kümmern. Bisher hat uns niemand ge tötet, das gibt mir auch für Kalarthras Hoff nung. Wichtig ist, dass wir das Dorf errei chen und mit den Eingeborenen sprechen. Dann sehen wir weiter.« »Und wir lassen was eingeschaltet?« »Unsere Schutzschirme, ich weiß«, ant wortete sie leicht gereizt. »Weißt du, du bist auch nicht ganz ohne Fehler!« Das weißt du tatsächlich. Zumindest von mir. Manchmal hasste ich meinen Extrasinn …
6. Wyolah leckte sich die Lippen, lasziv und erschöpft. »Es ist nur der Sex, nicht wahr? Du hattest noch keine wie mich.« Der junge Tor-1 der 5. Kampfstaffel an Bord der VERLAN schob sie von sich her unter und bleckte die Zähne, die selbst für einen Zaqoor-Jagdpiloten auffällig scharf geschliffen waren. »Bilde dir nicht zu viel ein!« Rhamon lachte und rollte sich mit ei ner geschmeidigen Bewegung wieder über sie. Mit so viel Zärtlichkeit, wie er aufbringen konnte, betrachtete er den schweißnassen Körper der Frau, die neben ihm in dem schmalen Bett lag. Er presste seinen Mund auf Wyolahs Lip pen, seine Zunge zwängte sich fordernd da zwischen. Sie war wunderbar weich und warm. Ohne zu zögern, drang er wieder in sie ein. »Meinst du, Galey kommt gleich her ein?«, fragte Wyolah. »Er bleibt draußen, bis ich fertig bin«, keuchte Rhamon. »Ich hab ihm gesagt, dass
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ich ihm den verdammten Hals durchschnei de, wenn er es wagen sollte, heute vor sechs Uhr unser Zimmer zu betreten. Kein guter Einstieg nach Trodar, also tut er, was ich ihm sage.« Wyolah stöhnte lustvoll. »Ja, Rhamon! Komm!« Rhamon kam – wieder einmal, und beide erschauerten wohlig. Dann flüsterte er: »Und?« »Besser«, nickte sie. »Ja«, sagte er und rollte sich auf die Seite. Ja. Besser als mein Zeuger!
* Zehn Meter vor uns lag das Dorf. An der Wand der nächsten Holzhütte saß immer noch der junge Trommler. Es war, als wäre seit unserer ersten Ankunft überhaupt nichts geschehen. Ich klopfte Erdklümpchen von meiner Kombination und blickte mich langsam um. »Da wären wir also wieder.« Meine Stim me klang rau. »Ich bin gespannt, für wie lan ge. Aber eines sage ich dir: Wenn wir gleich abermals vor der Bordschleuse der AMEN SOON stehen, werde ich keinen Schritt mehr auf diesen verdammten Planeten set zen, bevor ich nicht eine ganze Flasche mit gutem Rotwein aus dem Vorratslager geleert habe.« »Ich glaube, wir haben es diesmal ge schafft.« Kythara betrachtete mich mit ei nem leicht mitleidigen Gesichtsausdruck. Ich straffte mich und ging auf den jungen Dorfbewohner zu. Der Nackte legte seine Trommel zur Seite und stand auf. Mit mäßigem Interesse mu sterte er uns. »Also gut, was wollt ihr auf Alarna?« Er sprach Varganisch mit einem seltsam weichen Akzent. Folglich hatten wir mit un serer Vermutung Recht gehabt, dass es sich bei den Einwohnern um Nachkommen von Varganen handelte. Seine Stimme klang un gewöhnlich tief und passte nicht recht zu seinem hageren, jugendlichen Leib, der ab
gesehen von den goldfarbenen Haupthaaren völlig kahl war. »Vielen Dank für die freundliche Begrü ßung.« Kythara lächelte spöttisch. »Ich bin Kythara, mein Begleiter heißt Atlan von Go nozal. Wir stammen aus derselben Galaxis wie eure Vorfahren.« »Bist du sicher, dass das Bürschchen auch nur ein Wort von dem versteht, was du ge sagt hast?«, flüsterte ich ihr ins Ohr. Dann wandte ich mich dem Dorfbewohner zu und hob grüßend die leeren Hände. »Wir kommen in friedlicher Absicht von den Sternen. Ihr braucht vor uns keine Angst zu haben.« Die Miene des Dorfbewohners hellte sich etwas auf. »Das haben wir auch nicht, Arko nide. Dafür besteht schließlich nicht der ge ringste Grund. Ich bin Saelin aus dem Volk der Vargiden. Und ich frage nochmals: Was wollt ihr hier bei uns?« Ich grinste. »Ich weiß ja nicht, warum, aber irgendwie habe ich ein leichtes Brennen im Hals. Wie wäre es also zuerst einmal mit einem Begrüßungsschluck?«
* Kythara schmunzelte, während wir hinter Saelin zum Bach gingen. »Schön, dass du deinen trockenen Sinn für Humor wiederge wonnen hast.« Ich schnaubte ein kurzes Lachen. »Ich hatte ihn nie verloren.« Als wir am Bach angelangt waren, kniete ich am Ufer nieder und tastete mit einem Finger in das Wasser. Das Wasser war herr lich kühl. Ich legte die Hände schalenförmig aneinander und tauchte sie in den Bach. Mit langen Schlucken trank ich das köstliche Nass, bis das Brennen in meiner Kehle ge löscht war. Manchmal konnte Wasser wahr lich besser schmecken als der köstlichste Wein von den sonnigen Hängen Arkons. Kythara zog ihre Stiefel aus, krempelte die Hosenbeine ihrer Kombination bis zum Knie hoch und streckte die bloßen Füße in den Bach. Für einen zufälligen Beobachter
26 hätten wir wohl ausgesehen wie müde Wan derer, die sich zur wohlverdienten Rast nie dergelassen hatten. Saelin setzte sich neben uns ans Ufer und warf müßig kleine Steinchen in das Wasser. Die kleinen Kreise, die dabei auf der Ober fläche entstanden, schienen ihn deutlich mehr zu interessieren als wir. Ich blickte ihn an. »Gut, du hast gefragt, was wir von dir wollen. Zunächst einmal Aufklärung. Wer seid ihr wirklich? Ihr seid keine primitiven Dorfbewohner, aber auch keine Hightechgesellschaft, und ihr seid be stimmt auch keine Superintelligenz. – Oder?« Saelins Gesicht verfinsterte sich. »Atlan, du denkst zu flach. Das Universum ist un endlich tief, ebenso wie seine Geheimnisse. Wir sind wir. Wir wissen um unsere Her kunft. Und wir wissen auch, dass sie eine Varganin ist.« Er musterte Kythara abschät zig. »Ihr Varganen seid vermutlich das selbstherrlichste Volk des Universums. Euer Größenwahn ist abstoßend. Oder steckt et was anderes als Größenwahn dahinter, wenn man in einer fremden Galaxis Tausende von Aktivierungskapseln mit eigenem Genmate rial verstreut? Statt der Evolution freien Lauf zu lassen, wolltet ihr unbedingt auf so vielen Planeten wie nur irgend möglich eure Ebenbilder heranwachsen sehen, und das ist euch ja auch gelungen. Herzlichen Glück wunsch.« Kythara verzog keine Miene, während sich auf meinem Gesicht vermutlich meine Verblüffung widerspiegelte. »Es überrascht mich, wie schlecht du von uns Varganen denkst, Saelin«, sagte Kytha ra. »Wir sind schließlich diejenigen, denen ihr eure Existenz zu verdanken habt. Und ihr macht nicht den Eindruck, als wärt ihr un glücklich oder unzufrieden mit eurem Le ben. Warum also verabscheut ihr uns?« »Wenn du dir das nicht selbst denken kannst, wirst du auch meine Antwort nicht verstehen. Lasst uns also einfach in Frieden, geht zurück zu eurem Schiff und verlasst Alarna wieder! Wir wollen nichts mit euch
Joachim Stahl zu tun haben.« »Aber mit eurem Frieden kann es schon bald vorbei sein. Wir sind auch gekommen, um euch zu warnen!«, warf ich ein. Saelin blickte mich an und runzelte die ansonsten völlig glatte Stirn. »Uns zu war nen? Ich glaube kaum, dass das nötig ist. Alarna ist eine sichere Welt, wir haben nichts zu befürchten. Unsere Kräfte reichen aus, um uns vor jeglicher Gefahr zu schüt zen. Ihr habt ja am eigenen Leib erfahren, wozu wir imstande sind, oder nicht?« »In der Tat«, sagte ich. »Dennoch solltet ihr euch anhören, was wir zu sagen haben. Es wird euch nichts kosten außer ein paar Minuten. Und ihr seht mir nicht so aus, als littet ihr unter Zeitnot.« Ich konnte ein süffi santes Lächeln nicht unterdrücken. Saelin schien einige Sekunden lang in sich hineinzuhorchen. Dann stand er auf. »Also gut, folgt mir.« Ich erhob mich und wartete, bis Kythara wieder ihre Stiefel angezogen hatte. Dann streckte ich ihr die Hand entgegen und half ihr galant beim Aufstehen. Nebeneinander gingen wir hinter Saelin zum Dorf.
* In der Mitte der Siedlung befand sich ein runder Platz, der etwa zehn Meter durch maß. Dort hatte sich offenbar die gesamte Dorfbevölkerung versammelt. Es waren gut zwanzig Vargiden jeden Alters. Wie wir schon auf den Holoschirmen gesehen hatten, waren die meisten von ihnen splitternackt, nur einige wenige trugen Lendenschurze. Doch erst jetzt konnten wir erkennen, dass ihre Haut, von altersbedingten Falten abge sehen, völlig makellos war. Weder Wunden noch Narben irgendeiner Art zeichneten sich darauf ab, eine beachtliche Leistung, wenn man ihren Lebensstil und ihr Umfeld be dachte. Und das gibt dir nicht zu denken?, wis perte der Logiksektor. Wenn ich Zeit dafür hätte!, gab ich lautlos zurück. Momentan wundere ich mich nur
Kontakt auf Alarna und hoffe, dass sich alles von selbst erklären wird. Du Narr! Ein wenig deiner geistigen Ka pazität könntest du schon darauf verwenden, findest du nicht? Tue ich doch – ich verwende dich. Der Extrasinn gab ein mentales Geräusch von sich, das an ein Niesen erinnerte. Ver schnupft? So könnte man sagen, ja. Nur zu deiner Information: Ich bin bereits im Bilde. Dann sag es mir doch einfach, dazu bist du schließlich da!, gab ich entnervt zurück. Vergiss es. Es nicht zu wissen bringt dich nicht um. Es dir allzu einfach zu machen lässt dich aber wieder leichtfertig werden – und das bringt uns eines Tages beide um. Denk nach oder lass es. Damit endete das geistige Zwiegespräch zwischen mir und meiner durch die ARK SUMMIA zum Leben erweckten »besseren geistigen Hälfte«, wie Reginald Bull, Perry Rhodans bester Freund, es einmal formuliert hatte. Ich konnte mich also wieder der Reali tät um mich herum annehmen. Ein Mann mittleren Alters, dessen langes Haar von einem mit Perlen besetzten Stirn band gebändigt wurde, trug einen nackten weiblichen Säugling auf dem Arm. Das klei ne Mädchen hob den Kopf, um uns besser betrachten zu können, und öffnete den Mund. Seine Stimme war tief wie die eines alten Mannes und erzeugte auf meinem Rücken eine Gänsehaut. »Ihr wollt wissen, warum wir die Varga nen verabscheuen? Saelin glaubt nicht dar an, dass ihr es begreifen werdet, aber viel leicht ist er es, der nicht begreift. Wir ant worten euch. Was ihr daraus macht, ist unse re Sache nicht. Der varganische Größen wahn wäre eigentlich schon Grund genug für unseren Abscheu, doch er wird noch übertroffen von etwas noch Erbärmlicheren: Feigheit!« Der Säugling legte den Kopf zu rück auf die Arme des Mannes, der ihn trug. »Ihr nennt die Varganen feige?« Ich deu tete auf Kythara. »Ihr kennt diese Frau hier neben mir nicht einmal und nennt sie feige?
27 Glaubt mir, das ist ein Irrtum. Ihr tut ihr bit ter unrecht! Wie kommt ihr dazu, über ein ganzes Volk zu urteilen? Jedes Volk besteht aus Individuen, und jedes davon wählt sei nen eigenen Weg. Es gibt keine guten und schlechten Völker, sondern nur Regierun gen, die moralisch richtig oder verwerflich handeln, und Individuen, die sich diesen Re geln entweder unterwerfen oder dagegen verstoßen. Also, was soll dieses Gerede vom vermeintlich feigen Größenwahn der Varga nen?« Das Mädchen hob erneut den Kopf und fi xierte mich mit seinen goldfarbenen Augen. »Schöne Worte, Arkonide. Nur übersiehst du dabei zwei entscheidende Dinge. Zum einen haben die Varganen keine Regierung, auf die sich die Verantwortung für ihr er bärmliches Verhalten abwälzen ließe. Sie haben ihre Entscheidungen gemeinschaftlich getroffen, folglich tragen sie auch als Ge samtheit die Schuld daran. Zum anderen weißt du offenbar nicht, dass die Varganen ihre kostbare Saat genetisch veränderten, ehe sie diese in Gantatryn verstreuten.« »Genetisch verändert – auf welche Wei se?«, fragte Kythara, der äußerlich keine emotionale Regung anzusehen war. »Verzeih bitte meine Unwissenheit, aber ich gehöre nicht zu den Varganen, die vor etwa 750.000 Jahren eure Galaxis erforschten und mit intelligenten Wesen zu besiedeln trach teten.« »Nun, sie hatten in ihre Brut offenbar so wenig Vertrauen, dass sie beschlossen, ihr gleichsam die Zähne zu ziehen.« Der Säug ling lächelte. Doch in diesem Lächeln lag keinerlei Wärme. Plötzlich fror ich, und ich sah, dass es Ky thara kaum anders erging.
* Kythara brach schließlich das Schweigen, das sich wie eine Wand zwischen uns und den Vargiden aufbaute. »Ihr habt uns landen lassen, weil ihr gene
28 tisch zur Gewaltlosigkeit konditioniert seid«, stellte Kythara überrascht fest. »Ihr hattet gar keine andere Wahl. Es war keine Frage der Moral oder eine bewusste Ent scheidung, andere Intelligenzwesen nicht zu töten. Nein, ihr wart dazu gezwungen.« »Jetzt ergibt das alles einen Sinn«, flüster te ich, bevor ich mich erneut der Dorfbevöl kerung zuwandte. »Als die AMENSOON euren Planeten angeflogen hat, habt ihr mit euren Psi-Fähigkeiten erfasst, dass sich zwei Varganen an Bord befinden. Deshalb habt ihr uns nicht getötet, richtig?« Saelin schüttelte den Kopf. »Nein, das spielte keine Rolle. Unsere Friedfertigkeit erstreckt sich auf sämtliche Intelligenzwe sen.« »Natürlich«, sagte Kythara halblaut wie zu sich selbst. »Es bedurfte ohnehin einer gentechnischen Meisterleistung, euch das Töten von intelligentem Leben von Geburt an unmöglich zu machen. Aber es wäre aus sichtslos, dieses Tabu auf bestimmte Völker beschränken zu wollen. Dazu ist nur die Mo ral fähig, nicht aber das Erbgut.« Allmählich erkannte nun auch ich das Bild in seiner Gesamtheit. »Ich verstehe in zwischen, warum wir euch nicht willkom men sind. Ihr hegt einen Groll auf die Var ganen, weil sie euch züchteten, aber zu gleich Angst davor hatten, ihr könntet ihnen jemals gefährlich werden. Dieses mangelnde Vertrauen eurer Schöpfer in eure Loyalität ist für euch beleidigend und verletzend. Hät tet ihr die AMENSOON eigentlich ungehin dert landen lassen, wenn sie keine Varganen an Bord gehabt hätte?« »Nein. Wir lehnen jeglichen Kontakt zur Außenwelt ab. Wir wollen unseren Frie den«, antwortete eine alte Frau, die im Schneidersitz auf dem Boden saß und sich gelangweilt an den Knien kratzte. Ich runzelte die Stirn und musste mir ein gestehen, dass ich doch noch weit davon entfernt war, das alles vollständig und rich tig zu begreifen. »Eines würden wir noch gerne von euch wissen«, sagte Kythara. »Ihr behauptet, das
Joachim Stahl Töten sei euch genetisch untersagt. Aber habt ihr uns nicht durch eure diversen Stör manöver bei unserer Anreise teilweise in echte Lebensgefahr gebracht? Als die An druckabsorber der AMENSOON verrückt spielten, schwebten mein Gefährte Kalar thras und ich hilflos in der Luft und hätten uns durchaus das Genick brechen können, als die Schwerkraft plötzlich wieder einsetz te. Und die Tiere, die uns sicherlich auf eu ren mentalen Befehl hin attackierten – auch sie hätten uns unter Umständen tödlich ver letzen können, oder nicht? Wie ist das mit eurer angeblichen genetischen Konditionie rung zu vereinbaren?« Saelin lächelte spöttisch. »Ihr setzt eine hoch entwickelte Technologie ein. Diese Tiere konnten euch nicht gefährlich werden, sie sollten euch abschrecken, verwirren, euch klar machen, dass wir niemanden se hen wollen. Wenn ihr jemals wirklich in Le bensgefahr schwebtet, habt ihr euch das selbst zuzuschreiben. Besser gesagt: eurem Leichtsinn. Aber nun sagt uns endlich, was ihr zu sagen habt. Wovor wollt ihr uns war nen?«
* Ich wechselte mit Kythara einen raschen Blick. Dann wandte ich mich wieder an die Vargiden. »Eure Sicherheit ist längst nicht so vollkommen, wie ihr zu glauben scheint. Sicherlich reichen eure Psi-Kräfte aus, um unwillkommene Gäste abzuschrecken, das haben wir ja selbst erlebt. Aber es gibt einen bestimmten Grund, warum wir Alarna ange flogen haben.« Ich legte eine Kunstpause ein. »Sprich weiter, Arkonide!« »Zahlreiche Sonnen eurer Galaxis werden von Sternenbeben heimgesucht, die zu einer Erschütterung der Raum-Zeit-Struktur füh ren. Für Raumfahrer in ihrer Nähe sind diese Beben lebensbedrohlich. Das haben wir an Bord der AMENSOON bereits am eigenen Leib erfahren müssen, bevor wir euren Pla neten anflogen. Eure Sonne befindet sich ge
Kontakt auf Alarna nau in der Mitte einer Art kosmischer Kugel, die komplett aus Sternensystemen gebildet wird, in denen diese Raumbeben toben. Des halb sind wir hierher gekommen. Wir woll ten untersuchen, ob eure Sonne eine beson dere Eigenschaft aufweist, die uns bei der Untersuchung dieses Phänomens weiterbrin gen könnte.« »Und anstatt die Sonne zu untersuchen, kommt ihr zu uns? Ihr seid unkoordiniert.« Saelin schüttelte den Kopf und lachte leise in sich hinein. »Das macht euch beinahe wieder sympathisch. Doch mit dem Rest er zählst du uns nichts Neues. Wir wissen, dass Hellin, wie wir den Dunkelstern nennen, Schwarze Substanz ausstößt und dass zahl reiche Sterne Gantatryns davon befallen werden. Wir wissen das dank unserer menta len Kräfte; wir kennen die kosmischen Vor gänge in unserer Galaxis. Und deshalb wis sen wir auch sehr genau, dass uns durch die Schwarze Substanz keinerlei Gefahr droht.« Ich kniff die Augen zusammen. Die Aus sage des jungen Vargiden überraschte mich. Ich hätte nicht vermutet, dass die Psi-Fühler dieses erstaunlichen Volkes bis zum über 1700 Lichtjahre entfernten Dunkelstern reichten. »Ihr könntet uns eine enorme Hilfe sein, wenn ihr für uns …« Der Säugling auf dem Arm des Mannes hob erneut den Kopf und musterte Kythara und mich mehrere Sekunden lang. Seine Stimme hatte plötzlich einen hohlen, don nernden Klang wie Wasser, das aus großer Höhe zu Tal stürzte und auf Kristall in My riaden feinster Tröpfchen zersprang. »Wir sind niemandes Diener, Helfer oder Sklaven. Erst recht nicht jene der Varga nen!« Der Himmel verfinsterte sich von einem Augenblick zum anderen, Donner grollte. Ein einzelner Blitz zuckte quer über das Fir mament, tauchte grell und weiß die Szenerie in ein unwirkliches Licht. Kythara streckte den linken Arm aus, mit der Handfläche nach vorne. »Halt!« Ihre Stimme knallte wie eine Peitsche.
29 Ich sah, wie sich bei einigen der Vargiden erstaunt die Augen weiteten, sonst aber rühr te sich nichts. Die Wolken rissen auf. Und dann fiel Kythara auf beide Knie her ab und beugte den Kopf. »Ich vermag nicht im Namen jener zu sprechen, die euch das antaten«, sagte sie leise, aber mit kräftiger Stimme, »aber ich spreche in meinem Namen und im Namen aller, die wie ich sind: Ich bitte euch um Vergebung für das, was euch angetan wurde. Es wäre anders, hätten eure Schöpfer nur eu er Bestes im Auge gehabt, doch das hatten sie nicht. Sie waren zu egozentrisch dafür.« Sie schwieg einen Augenblick, dann er hob sie sich und drehte sich zu mir um. »Komm, Atlan. Wir werden diese Welt ver lassen, wir haben kein Recht, hier zu sein, und dass wir gegen den Willen der Vargiden hierher kamen, zeigt nur, dass wir um kei nen Deut besser sind als jene Varganen, die das hier schufen.« Ich nickte. Es mochte uns zwar einer Unterstützung berauben, doch der Preis, den wir – vor al lem Kythara – dafür zu bezahlen hätten, war zu hoch. Wir aktivierten unsere Flugaggregate und schwebten davon.
* Die Sonne stand schon tief, als wir die AMENSOON erreichten. Wir waren schweigend geflogen, langsam und jeder sei nen Gedanken nachhängend. Als die goldene Doppelpyramide vor uns auftauchte, sprach ich Kythara an. »Was geht dir durch den Kopf?« »Kalarthras. Ich fürchte, er gehörte zu den Varganen, die dieses Volk hier schufen, das so mächtig wie hilflos ist. Wenn die Garbyor hier einfielen – was glaubst du, wie lange die Vargiden standhalten könnten?« »Ich fürchte, aus Kalarthras wirst du nichts herausbekommen. Selbst wenn er sich mitschuldig machte, er weiß nichts mehr da von.« Ich glaubte nicht, was ich da sagte!
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Joachim Stahl
Ich nahm Kalarthras in Schutz! »Wie wäre es, wenn wir uns der Sonne zuwendeten? Auf so etwas scheint uns Saelin doch auch hingewiesen zu haben.« Kythara warf mir einen rätselhaften Blick zu. »Abwarten.«
* In der Zentrale der AMENSOON erwarte te uns eine Überraschung: Gorgh wartete be reits auf uns – gemeinsam mit Saelin. Der Vargide ließ uns nicht zu Wort kom men. »Wir haben uns bedacht. Wir bieten euch etwas von unserem Wissen an, doch wir bestimmen, was und wie viel. Ist das an nehmbar?« Kythara nickte, ein wenig zu schnell, um tatsächlich überrascht zu wirken. Hatte sie mit dieser Wendung gerechnet? Selbstverständlich, du Narr!, meldete sich der Logiksektor. Sie ist eine Varganin. Meinst du nicht, sie weiß, wie sie die Vargi den – Geschöpfe ihres Volkes – zur Koope ration bewegen kann? Das war nicht von der Hand zu weisen. War die Bitte um Vergebung etwa eher dem Kalkül entsprungen als einer wirklichen Emotion? Ich war mir beinahe sicher, dass ich keine Antwort darauf erhalten würde. »Es ist sehr freundlich von euch, uns an eurem Wissen teilhaben zu lassen«, mischte ich mich ein, »aber es kann nicht angehen, dass ihr dies ohne Gegenleistung tut. Unter Freunden … unter gleichberechtigten Part nern tauscht man Informationen aus oder lei stet anderweitig Hilfe.« Kythara blickte mich wütend an. Brauchst du noch einen Beweis? Du bringst gerade ihren ganzen Plan zum Kip pen, meinte der Extrasinn. Weiter so, das ge fällt mir! Zeig Einsatz! Saelin zögerte kurz. Dann verzog sich sein Gesicht zu einem Lächeln. »Du hast Recht, Arkonide. Wir sollten ein Geschäft abschließen, zu beiderseitigem Nutzen. Was könnt ihr uns anbieten?«
»Ich nehme nicht an, dass ihr für Technik Verwendung habt?«, erkundigte ich mich. Saelin schüttelte den Kopf. »Danke, nein. Aber wir lieben Informationen, gerade sol che, die auf anderem Wege gewonnen wur den als durch unsere Kräfte. Stellt uns eure Daten zur Verfügung, die ihr bisher von Gantatryn gewinnen konntet. Wir geben euch im Gegenzug dafür die Informationen, weshalb unsere Sonne kugelförmig von Sternen umschlossen ist, die von der Schwarzen Substanz befallen werden.« Gorgh hob zwei seiner Arme. »Ich benöti ge nur das Format, in das ich die entspre chenden Daten konvertieren soll. Dann gibt es kein Problem.« »Bringt uns einen digitalen Datenträger in unser Dorf, morgen, bei Sonnenaufgang.« Und damit verschwand Saelin.
* Kythara atmete tief durch die Nase ein. Sie war nicht im Mindesten böse über meine Einmischung, trotz der ersten wütenden Blicke. Vielleicht hat sie ja doch aufrichtige Reue gezeigt? Du hast die Frauen noch nie verstanden, abgesehen davon, wie du sie zu deinen ma chen konntest. Hast du mittlerweile wenig stens das Geheimnis der Vargiden entdeckt? Hinweise gab es genug! Ich antwortete dem Extrasinn nicht, son dern konzentrierte mich auf das Gespräch mit Kythara. »Warum haben die Vargiden wohl plötz lich eingelenkt und Interesse an unseren Messdaten gezeigt? Wenn sie sich wirklich so sicher fühlen und so genau über die kos mischen Vorgänge in diesem Raumsektor Bescheid wissen, besteht dafür doch eigent lich gar keine Notwendigkeit.« »Darüber habe ich mir natürlich auch schon Gedanken gemacht. Meines Erachtens gibt es dafür nur eine Erklärung.« Kythara nickte, doch Gorgh-12 war es, der antwortete.
Kontakt auf Alarna »Sie fühlen sich auf Alarna längst nicht so sicher, wie sie behaupten. Offenbar bereitet es ihnen doch Sorgen, dass ihre Sonne das ruhige Auge im Zentrum eines kosmischen Wirbelsturms ist.« Die Varganin nickte. »Exakt. Ihre Sonne muss über irgendeine Eigenschaft verfügen, die sie zum Mittelpunkt der Raumbeben ringsum hat werden lassen. Und angesichts dessen, dass es sich bei den rätselhaften kos mischen Vorgängen in Dwingeloo um nichts Statisches handelt, sondern um etwas, das sich in rasanter Veränderung befindet, wäre es höchst verwunderlich, wenn sich nicht auch an ihrer Sonne früher oder später ir gendeine Veränderung bemerkbar machen würde. Die Vielzahl von jungen Supernovae in ihrer unmittelbaren kosmischen Nachbar schaft verursacht bei ihnen wohl doch ein gewisses Bauchgrimmen.« »Zumindest ist es nicht so ausgeschlos sen, dass auch an ihrem Stern in absehbarer Zukunft etwas Bedrohliches geschehen wird. Und das muss ihnen selbst auch klar sein.« Kythara rieb sich an der Nase. »Weißt du, was mich noch wundert? Dass sie mittels di gitaler Datenträger arbeiten wollen. Offen bar sind sie doch nicht das reine Naturvolk, als das sie auftreten. Irgendwo müssen sie noch technische Geräte versteckt haben.« »Relikte aus der Zeit, in der sie einstmals Raumfahrt betrieben haben.« Ich legte die Stirn in Falten. »Ist dir eigentlich schon je mals ein Volk begegnet, das sich freiwillig von einer Stufe der Hochtechnologie zurück auf die eines primitiven Naturvolks begeben hat?« »So primitiv, wie sie wirken, leben sie mit Sicherheit nicht. Ist dir nicht aufgefallen, dass ihre Haut völlig makellos ist? Kein ein ziger Dorfbewohner hatte irgendwelche Nar ben oder Wunden. Selbst in einer paradiesi schen Umwelt, in der es keine Raubtiere gibt, ist es unmöglich, dass man sich nicht ab und zu einmal verletzt. Medizintechnisch müssen sie sich also ihr Wissen bewahrt ha ben.«
31 Holzköpfe auf dem Holzweg!, lachte der Extrasinn.
* Kalarthras öffnete die Augen, als seine ehemalige Geliebte die Medostation betrat. »Störe ich dich?«, fragte Kythara vorsich tig von der offenen Tür her. »Nein, natürlich nicht. Ich freue mich, dich zu sehen. Du warst lange weg. Hattet ihr Erfolg?« Er richtete sich auf dem Anti gravbett in eine halb sitzende Position auf. Kythara trat ans Bett und setzte sich an den Rand. Sie umklammerte seine Linke mit beiden Händen. Seine Haut fühlte sich viel zu heiß an. »Ja, wir haben Kontakt zu den Planetenbe wohnern aufnehmen können. Sie bezeichnen sich selbst als Vargiden. Obwohl sie den Anschein einer völlig primitiven Zivilisation erwecken, wissen sie, dass sie ihre Existenz den Aktivierungskapseln zu verdanken ha ben, die ihr damals in Gantatryn verstreut habt. Allerdings sind sie uns Varganen des halb nicht gerade dankbar. Sie nehmen uns vielmehr übel, dass sie genetisch zur Fried fertigkeit anderen Intelligenzwesen gegen über konditioniert wurden. Deshalb hatten sie auch nicht die Möglichkeit, unsere Kon taktaufnahme zu verhindern.« Kalarthras lachte verächtlich. »Was für ein seltsames Volk, das mit dem Frieden un zufrieden ist, zu dem wir ihm verholfen ha ben! Wer den Frieden missachtet, der kennt den Krieg nicht. Hätten sie auch nur einmal in ihrer Geschichte erleben müssen, was wir in all den Kämpfen unseres Lebens durchge standen haben, dann würden sie uns für die Gewaltlosigkeit ihres Volkes für alle Ewig keit dankbar sein.« »Aber es war doch wohl sicher keine rei ne Selbstlosigkeit und Friedensliebe, die euch damals zu dieser genetischen Konditio nierung eurer Geschöpfe veranlasste, oder? Kannst du dich daran noch erinnern?« Kalarthras' von rätselhaften Schatten ver dunkelte Augen blickten sie lange an. »Ich
32 bin mir nicht ganz sicher. Aber ich glaube, wir wollten die innere Leere in uns füllen, die so viele von uns spürten, nachdem wir unsterblich geworden waren. Kein intelli gentes Wesen ist für ein unendliches Leben geschaffen. Wir brauchen die Gewissheit, dass unsere Lebensspanne endlich ist, um die Jahre, die uns gegeben sind, wertschät zen zu können. Wer weiß, dass der Tod in absehbarer Zukunft auf ihn wartet, für den ist jedes Jahr, jeder Tag und jede Minute kostbar, wenn er denn kein Narr ist. Wer je doch weiß, dass er noch unzählige Jahre vor sich hat, der erkennt das Leben nicht mehr als wertvolles Geschenk, sondern dem wird es zur endlosen Mühsal. Wir Varganen konnten ja nach dem Verlassen des Mikro kosmos nicht einmal mehr miteinander Le ben zeugen oder gebären, um unserer Exi stenz ein neues Ziel, einen neuen Sinn zu geben! Und so wollten wir zu Göttern wer den, die den Keim des Lebens in Gantatryn verbreiteten. Zu Göttern, die Wesen nach ih rem Ebenbild erschaffen und die von ihren sterblichen Geschöpfen geliebt und verehrt werden.« Kalarthras schloss die Augen wieder und atmete schwer. Die lange Erzählung hatte ihn sichtlich erschöpft – und wie merkwür dig sie aus seinem Munde geklungen hatte. Was war mit ihm vorgefallen in all den Jahr tausenden, die sie selbst in der ObsidianKluft gefangen gewesen war? Er war noch immer sehr schwach. Vielleicht hatte er des halb Kytharas eigentliche Frage offenbar gar nicht recht zur Kenntnis genommen. Sie ließ seine Hand los und stand auf. »Ich verstehe eure Motive, aber ich kann sie nicht gutheißen, nicht mehr jedenfalls: Es kommt mir so vor, als hättet ihr diese Wesen als eure Spielzeuge erschaffen, mit denen ihr euch die unendliche Zeit vertreiben wolltet.« Er antwortete erst, als sie bereits in er Türöffnung stand. »Verurteile uns nicht. Spielzeuge werden von ihren Besitzern sehr geschätzt, wenn nicht gar geliebt, und pfleg lich behandelt. Und das taten wir auch mit unseren Geschöpfen. Bevor wir unseren
Joachim Stahl Plan verwirklichten, überlegten wir natürlich auch, was für negative Konsequenzen er ha ben könnte. Ist es denn nicht so, dass jede Religion früher oder später von einer ande ren abgelöst wird? Und wir waren uns ja darüber im Klaren, dass wir nur eine Art göttliche Komödie spielten. Unsere Ge schöpfe würden das schon ab einer recht niedrigen Entwicklungsstufe erkennen und uns die so angenehme göttliche Ehre verwei gern, auch das wussten wir. Vielleicht wür den sie sogar Krieg gegen uns führen. Das wollten wir mit aller Macht vermeiden. Denn wie lange hätten wir 74 Varganen in Gantatryn uns wohl ganzen Völkerscharen unserer Geschöpfe gegenüber erwehren kön nen, wenn sie gegen uns rebelliert hätten? So beschlossen wir, sie genetisch zu fried fertigen Wesen zu machen, die niemals dazu imstande sein würden, ihre Hand gegen uns zu erheben. Unser Chefwissenschaftler Hai togallakin wurde mit der Leitung des Pro jekts beauftragt und hatte schon nach eini gen Jahrzehnten die Lösung des Problems gefunden. Erst dann begannen wir damit, die Aktivierungskapseln auszustreuen und zu warten, bis unsere kostbare Saat aufgegan gen war.« Zischend schloss sich die Tür wieder. Kythara war gegangen. Kalarthras seufzte. »Du wirst uns vielleicht nicht verstehen können, Kythara, weil du ganz anders bist. Du warst schon immer etwas Besonderes.« Damit schlief er ein.
7. Unser alter Freund Saelin erwartete uns bei Sonnenaufgang. Ich holte den digitalen Datenträger aus der rechten Brusttasche meiner Kombination und wedelte damit einladend. »Hier sind sämtliche Daten gespeichert, die wir seit un serer Ankunft in Gantatryn vor drei Tagen gesammelt haben. Ich hoffe, ihr habt ein ge eignetes Gerät, um die Daten auch lesen zu können.«
Kontakt auf Alarna »Folgt mir bitte.« Saelin machte kehrt und ging zügigen Schrittes in Richtung Dorf mit te. Wir hatten Mühe, ihm zu folgen. Offenbar hatte der Vargide es sehr eilig und wollte den Informationsaustausch so schnell wie möglich hinter sich bringen. Ich ließ meinen Blick über die Holzhütten schweifen, in denen die Dorfbewohner noch auf ihren Lagern ruhten oder bereits mit den kleinen Erledigungen des Alltags beschäftigt waren. In den Sträuchern und Bäumen, die das Dorf umgaben, zirpten und zwitscherten die prächtigen Singvögel Alarnas, die unter dem Einfluss der Vargiden zu tollwütigen Attacken imstande waren. Zwei Bäume standen dicht beieinander und schienen ein Tor zu bilden. Saelin ging zielstrebig darauf zu. Ich blinzelte. Einen Augenblick lang war es mir so vor gekommen, als handelte es sich um ein Tor in einer steinernen Mauer. Ich drehte den Kopf zu Kythara um, die rechts neben mir ging. Ihre Miene spiegelte ihre Verblüffung wi der. »Atlan, siehst du das auch?« Wir blieben beide stehen. Ja, nun sah ich es ebenfalls. Die Holzhütten hatten sich in nichts auf gelöst. Wir befanden uns stattdessen in ei nem schwarzen Bauwerk, dessen Mauern aus gewaltigen Quadern gebildet wurden. Sie waren perfekt zugeschnitten und mörtel los aufeinander getürmt. Etwa fünfzig Meter rechts von uns ragte ein wuchtiger Turm mehr als hundert Meter in die Höhe. Zu un serer Linken befand sich eine Stufenpyrami de, die sowohl von ihrer Form wie von ihren Ausmaßen her an die Grabmale der alten ägyptischen Pharaonen erinnerte. Die mannigfachen Steinbauten erstreckten sich, so weit das Auge reichte. Ich sah Via dukte, die sich über die Vegetation auf dem Boden erhoben, und Arkaden und Wandel gänge, die von Hunderten von Bögen gebil det wurden. Säulen reihten sich kilometer weit aneinander, und wuchtige, parallel zu
33 einander stehende Mauern wurden durch fi ligrane Brücken verbunden. Mehrere Kilometer vor uns wuchsen ab gestufte Terrassen einen Berghang hinauf. Weiter oben entsprangen den Felsklippen riesige Erker, die auf bizarre Weise an Vo gelschnäbel erinnerten. Es war ein unüberschaubares Labyrinth aus teils erhaltenen, teils zerfallenen Gebäuden, die überwiegend von Pflanzen überwu chert waren. Alles war ineinander ver schachtelt und miteinander verbunden. »Es ist wunderschön«, sagte ich. »Aber – was ist das überhaupt? Wieder eine Illusion? Ein Traum?« »Wenn, dann wohl eher ein Albtraum«, entgegnete Kythara und runzelte die Stirn. »Diese Steinwüste wirkt auf mich, als wäre sie den Plänen eines paranoiden Architekten entsprungen.« Als ich die Strukturen gründlicher be trachtete, konnte ich verstehen, was sie meinte. Es war, als hätten die Bauherren mit ihrer Arbeit Perfektion angestrebt. Doch als sie einsahen, dass die wahre Perfektion von ihnen aus welchen Gründen auch immer doch niemals erreicht werden würde, hatten sie ihr Werk mit Bedacht selbst mit Schön heitsfehlern versehen: Mauern, die in voll kommener Harmonie vielfach miteinander verbunden waren, grenzten an Türme, die in fast obszönen Winkeln daran angefügt wa ren; prächtige Gebäude mit harmonischen Fensterreihen wurden von willkürlich mitten ins Mauerwerk gesetzten Türen verschan delt; elegante Brücken, die aus einem Tor inmitten einer kunstvoll strukturierten Wand ragten, endeten auf der entgegengesetzten Seite im Nirgendwo einer kahlen Mauer. »Saelin ist verschwunden«, stellte Kytha ra mit belegter Stimme fest. Ich blickte mich irritiert um – auch ich konnte den Vargiden nirgendwo mehr sehen. Übergangslos verschwand die Ruinenland schaft und wurde durch die Holzhütten des Dorfes ersetzt. Saelin stand etwa zwanzig Meter vor uns bereits außerhalb der Sied lung zwischen den angrenzenden Büschen.
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»Warum seid ihr stehen geblieben? Kommt, wir wollen keine Zeit verschwenden!« Ich hob die rechte Hand. »Einen Moment! Wir haben eine Frage an dich. Warum setzt ihr uns schon wieder Trugbilder vor? Kytha ra und ich haben eben eine rätselhafte Gei sterstadt gesehen. Wir haben eigentlich ge dacht, die Zeit der Spielchen mit uns sei vor bei.« Saelin lachte dröhnend. »Weißt du denn immer noch nicht, wer wir in Wahrheit sind?«
* Marquis Platmor fixierte seinen Sohn mit einem Blick, in dem sich zugleich Verach tung und Enttäuschung widerspiegelten. »Ich habe dich gewarnt, mehr als einmal.« Mit einer blitzartigen Handbewegung riss er Rhamon die Mütze vom Kopf und schleu derte sie zu Boden. Er zog den Strahler aus seinem Halfter und beschoss den Haar kamm, der sich in nichts auflöste. Die Kopf haut wurde dabei von dem Impulsstrahl leicht gestreift und begann augenblicklich rote Blasen zu werfen. Rhamon verzog keine Miene. »Ich habe Informationen über deinen Kwa-Konsum, Tor-1. Ich weiß inzwischen auch, dass sich das Frischeblatt auf deinen Verstand auswirkt, weil du es zu oft gekaut hast. Du hast den Angriff auf die Cappins nicht aus Feigheit abgebrochen, sondern weil du nicht mehr dazu fähig warst, der Ewigen Horde Ehre zu machen! Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?« Rhamons Unterlippe begann zu zittern, doch er schwieg. Es gibt nur Trodar. Und Kwa. Und Wyo lah. »Ich entziehe dir hiermit dein Komman do. Dies geht auf Oberfähnrich Galey War san über, der zugleich zum Tor-1 ernannt wird. Du hingegen wirst zum einfachen Zaqoor-Piloten degradiert und verlierst da mit sämtliche Privilegien. Du wirst dein Versagen im Kampf bereuen dürfen. Du
trägst die Folgen deiner Nicht-Taten ebenso wie deine Gespielin.« »Wyolah?« »Wenn das ihr Name ist.« Der Marquis trat einen Schritt zurück. »Melde dich inner halb einer Stunde bei Tor-67 Marthek und lass dir ein Bett in einer Mannschaftsstube zuweisen.« Rhamon wurde blass. »Warum erschießt du mich nicht an Ort und Stelle?« Marquis Platmor verzog keine Miene. »Als dein Zeuger habe ich eine gewisse Sorgfaltspflicht. Alles andere wäre mir in der Großen Horde abträglich. Du hast die Chance, dich im Kampf zu bewähren und wieder aufzusteigen in der Gunst des Schwerts der Ordnung, oder du wirst uns an dere in Trodar erwarten, wie es einem Gar byor zukommt. Nur eines wirst du nicht tun: mir noch einmal Schande machen.«
8. »Ihr seid Geisteswesen.« Kythara kniff die Augen zusammen und musterte den Var giden. Sie hat's begriffen, meinte der Extrasinn, nur um sich sogleich wieder zurückzuzie hen. »Ja«, bestätigte Saelin. »Wir haben diese körperliche Gestalt angenommen, um uns besser mit euch verständigen zu können.« »Das verstehe ich nicht«, gestand ich. »Anfangs wolltet ihr doch gar nicht mit uns in Kontakt treten. Und dennoch habt ihr uns euch als Urvolk präsentiert? Warum seid ihr bereits zu einem Zeitpunkt, als ihr noch hof fen konntet, uns zu vertreiben, in diese Rolle geschlüpft?« »Ihr wolltet uns täuschen, richtig?« Ky thara lächelte. »Vermutlich hätten die Or tungsgeräte eure energetischen Ausstrahlun gen registriert und wir hätten schon viel frü her erkannt, dass ihr die Wesen seid, die wir auf diesem Planeten suchen. So hingegen bestand zumindest die Möglichkeit, dass wir euch wie von euch gewünscht in Ruhe lie ßen.«
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»Du bist sehr klug, Varganin.« Saelin wandte sich wieder um und schritt zügig weiter. Ich spurtete los, bis ich zu dem Vargiden aufgeschlossen hatte. »Wir haben von unse rem Kameraden Kalarthras an Bord unseres Schiffes bereits gehört, dass vor vielen Jahr hunderttausenden die Rhoarxi die beherr schende Zivilisation in Gantatryn gewesen waren. Sie sollen auf Tausenden von Plane ten gewaltige Bauwerke errichtet haben und sogar ganze Monde, Planeten und selbst Sonnensysteme nach ihren Vorstellungen umgestaltet haben, ehe sie vor etwa 1,1 Mil lionen Jahren plötzlich ausgestorben sind. Ist das hier auch ein Werk der Rhoarxi?« »Ja. Wir fanden allerdings keinerlei Auf zeichnungen und sind uns selbst bis heute nicht über den Sinn dieser Bauten im Kla ren. Wir wissen jedoch, dass es sich hier kei nesfalls um eine gewöhnliche Stadt gehan delt haben kann. Viele der Gebäude lassen keine konkrete Funktion erkennen. Weder als Wohnung noch als Nutzbauwerke könnte man sich eine Verwendungsmöglichkeit für sie vorstellen. Vielleicht waren sie ja als Kunstwerke gedacht oder als sakrale Bauten. Wir können nur Mutmaßungen darüber an stellen, weil wir über die Mentalität und die Kultur der Rhoarxi nichts wissen.« »Ihr habt keinerlei technische Relikte der Rhoarxi gefunden?« »Falls es solche hier überhaupt jemals gab, dann wurden sie entweder von den Rhoarxi selbst demontiert und abtranspor tiert, oder sie sind im Lauf der Jahrhundert tausende zu Staub zerfallen. Doch es gibt ei ne einzige Ausnahme, und deshalb habe ich euch auch hierher geführt.« Saelin blieb vor einem Tunneleingang stehen. »Folgt mir!« Der Vargide betrat als Erster den finsteren Gang.
* Kythara beleuchtete mit einem kleinen Scheinwerfer den Gang, dessen Wände aus großen Steinquadern bestanden. Der Boden
wurde von Treppenstufen gebildet, die je weils etwa vierzig Zentimeter breit und hoch waren. Der Abstieg war für uns auf diese Weise recht beschwerlich. Es wurde uns rasch deutlich, dass die Treppe nicht für Hu manoide errichtet worden war, sondern für die vogelähnlichen Rhoarxi, denen diese Bauweise offenbar eher entsprochen hatte. Nach etwa einer Minute endete die Trep pe am Rand einer großen runden Halle, die etwa zwanzig Meter durchmaß und ebenso hoch war. Im Schein von Kytharas Lampe sah ich auf einem steinernen Podest etwas Schimmerndes. Kythara ließ den Lichtkegel das Gebilde systematisch abtasten. Verblüfft stellte ich fest, dass wir vor einer Glaskugel standen, die gut und gerne zehn Meter durchmaß. Sie war nicht massiv, sondern wirkte, als bestünde sie aus Myriaden von Glasfasern, die von einem Giganten zu ei nem surrealistischen Wollknäuel zusammen gerollt worden waren. »Gib mir nun euren Datenträger.« Saelins Augen leuchteten von innen heraus fast so hell wie Kytharas Lampe. Es war ein ge spenstischer Anblick. Ich holte den Datenträger aus der Brustta sche meiner Kombination und reichte ihn dem Vargiden. Saelin ging zu dem Podest und legte den Datenträger in eine tellergroße, etwa zehn Zentimeter tiefe Mulde. Dann trat er einen Schritt zurück und legte den Kopf in den Nacken. Die Lichtstrahlen aus seinen Augen ließen die Glaskugel in pulsierenden bunten Farben aufleuchten und wieder verglühen. Plötzlich entstand ein Bild inmitten der Kugel. Ich sah darauf humanoide Wesen mit goldenen Haaren und schimmernder Bronze haut, die sich erst langsam, dann immer schneller zu bewegen begannen. Sie kamen nackt oder mit Lendenschurzen bekleidet aus den Wäldern und nahmen die Ruinen der Rhoarxi als Wohnhäuser. Sie bauten Ochsenkarren, Pferdekutschen, Automobile und Flugzeuge, dann eroberten sie den Welt raum. Ich sah ihre unbewaffneten Raum schiffe explodieren und die Tränen der Trau
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ernden, die ihre Liebsten an Bord der Wracks verloren hatten. Ich sah die Vargi den sich um die gläserne Kugel versammeln und ihre Körper leblos zu Boden sinken, wo sie zu Staub zerfielen. Du siehst die Geschichte Alarnas im Zeitraffer! So plötzlich, wie die bewegten Bilder in der Kugel entstanden waren, verschwanden sie auch wieder. Ich spürte einen heftigen Druck auf meinen Schläfen und presste in stinktiv die Hände gegen die schmerzenden Stellen, doch meine Hände waren zu dunklen Flügelspitzen geworden, meine Ar me zu Schwingen. Ich breitete sie aus und schlug damit auf und ab, bis ich den Boden unter meinen Krallen verlor und zu fliegen begann. Ich kreiste um die gläserne Kugel mit all ihren Bildern und sah darin Milliar den Wesen zurweltkommenwachsenreifenal ternsterben, alles in einem Flügelschlag, und ich flog durch die Kugel, deren gläserne Fä den sanft fordernd über meine Federn streif ten, und ich verstand, denn ich war in der Traumsphäre.
* Saelin streckte mir den Datenträger entge gen. »Hier. Mehr vermögen wir euch nicht zu geben. Und nun geht und verlasst Alarna.« Meine Hand zitterte leicht, als ich den Da tenträger entgegennahm und in die Brustta sche steckte. »Komm, Atlan«, sagte Kythara. »Tun wir, was er verlangt.« Sie wandte sich zur Treppe um und begann, sie mit langen Schritten em porzusteigen. Ich folgte ihr mit leicht wack ligen Beinen. Kythara wartete außerhalb des Tunnels auf mich. Ich blinzelte ins grelle Tageslicht. »Was ist mit dir los?«, fragte sie. »Du siehst so blass aus, und deine Augen glänzen wie im Fieber.« »Du hast es nicht gesehen, oder?« »Nein. Wovon redest du? Mach es nicht
so geheimnisvoll!« »Die Kugel – sie ist von hyperenergeti schen Feldern umgeben. Die Strahlung hat mich erfasst und mir auf eine unerklärliche Weise die Geschichte Alarnas vor Augen geführt. Durch diese Kugel ist es den Vargi den gelungen, zu den Geisteswesen zu wer den, die sie heute sind. Und sie hilft ihnen noch heute dabei, die Traumsphäre der Pa radieswelt nach ihren Vorstellungen und Wünschen zu erzeugen. Verstehst du, alles, was wir hier gesehen und erlebt haben, wa ren keine bloßen Illusionen – es waren zwar Trugbilder, aber dabei durchaus materiell!« Kythara nickte knapp. »Natürlich, wenn es reine Sinnestäuschungen gewesen wären, hätten uns die Ortungssysteme der AMEN SOON diese Trugbilder gar nicht übermit teln können. Dann hätten wir schon vom All aus beispielsweise die Ruinenstadt erkannt.« Auch Saelin war inzwischen am Tunnel ausgang angekommen und trat hinaus ins Tageslicht. Ich wandte mich dem Vargiden zu. »Ich möchte mich für das Vertrauen bedanken, das ihr mir entgegengebracht habt. Offenbar hegt ihr mir gegenüber nicht einen solchen Groll wie gegenüber Kythara. Vermutlich, weil ich kein Vargane bin. Und deshalb möchte ich euch eindringlich um eure Hilfe bitten. Ihr wisst, wie unsere Lage ist. Wir sind hier in einer uns völlig fremden Galaxis gestrandet, weil wir einem Hilferuf gefolgt sind. Nun sind wir von einer überwältigenden Übermacht von Feinden umgeben, die uns vernichten wollen. Wir benötigen jede Unterstützung, die wir nur bekommen kön nen! Ich verlange von euch nicht, dass ihr an unserer Seite kämpft, denn ich weiß ja, dass ihr dazu gar nicht imstande wärt. Aber für euch mit euren bemerkenswerten Geistes kräften gäbe es zahlreiche andere Möglich keiten, uns bei unserer Mission zu unterstüt zen. Bitte bedenkt, dass auch ihr durch die komischen Geschehnisse in Gantatryn in Gefahr geraten könntet! Es wäre also auch in eurem eigenen Interesse, uns zu helfen.« Saelin musterte mich ausdruckslos, dann
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zog Trauer über sein Gesicht. »Ich dachte, du hättest uns verstanden. Nein, Atlan. Wir lehnen jegliche Unterstützung für die Sache der Varganen ab. Das weißt du auch.« »Komm«, sagte Kythara und legte ihre Hand auf meinen Arm. »Es ist sinnlos. Flie gen wir zurück zum Schiff.«
* Alarna schwebte auf dem großen Holo schirm wie ein wunderschöner blauweißer Ball auf einem schwarzen Samttuch. Ich saß in der Zentrale, die Fingerspitzen der linken Hand gegen die der rechten ge lehnt. Ein Tag war vergangen, seit das Schiff auf Saelins eindringliche Drohung hin von Alarna gestartet war und sich in den Or bit begeben hatte. Dort wollten wir den Da tenträger auswerten, ehe wir uns ein neues Ziel setzten. Es war erwartungsgemäß schwierig gewesen, die Daten der Vargiden für die Bordpositronik der AMENSOON lesbar zu machen. Seit zwanzig Stunden wa ren wir zur Untätigkeit verdammt und warte ten auf erste Ergebnisse. Gorghs Stimme riss mich aus meinen Ge danken. »Die Analyse liegt vor!« »Endlich!« Ich erhob mich schwungvoll und ging zu dem Daorghor-Wissenschaftler. Wenige Augenblicke später betraten auch Kythara und Kalarthras die Zentrale. Der Vargane trug inzwischen einen leichten wei ßen Overall. Er sah immer noch sehr er schöpft aus. Kythara setzte sich auf ihren Platz und schlug die Beine übereinander. »Bordpositronik, wie lauten die Informatio nen der Vargiden?« Die körperlose Stimme erfüllte die Zen trale mit ihrem sachlichen Klang. »Für unse re Mission relevant sind im Wesentlichen drei Punkte. Zum einen geht aus den Daten hervor, dass zahlreiche Welten in Gantatryn, die von den genetisch gezüchteten Nach kommen der Varganen bewohnt sind, inzwi schen von den Lordrichtern erobert wurden. Die Invasionstruppen sind dabei auf keiner
lei Widerstand gestoßen.« Kein Wunder, da die Varganoiden ja ge netisch zur Friedfertigkeit konditioniert wur den, kommentierte mein Extrasinn. »Der zweite Punkt bestätigt unsere eige nen Ortungsergebnisse«, fuhr die Bordpo sitronik fort. »Auch die Vargiden haben festgestellt, dass es in Gantatryn etliche Raumsektoren gibt, deren RaumZeit-Gefüge nicht mehr stabil ist. Für uns neu ist allerdings, dass sich in der Nähe die ser Sektoren stets Raumer der Garbyor be finden.« »Das legt die Vermutung nahe, dass sie mit diesen Veränderungen etwas zu tun ha ben oder sogar dafür verantwortlich sind«, kommentierte Kythara. »Schließlich ist es in diesen Sektoren äußerst gefährlich. Ohne guten Grund wird sich also kein Raumschiff dort aufhalten.« »Der dritte Punkt ist wohl am interessan testen«, fügte die Bordpositronik hinzu. »Die Vargiden haben festgestellt, dass es den Garbyor offenbar gelungen ist, sich Zu gang zu der Schwarzen Substanz des Dun kelsterns zu verschaffen.« Ich runzelte die Stirn. »Interessant? Ich würde das eher bedrohlich nennen. Es be deutet schließlich nichts anderes, als dass die Lordrichter mit dem Zeug nun experi mentieren und es vielleicht sogar schon ge zielt einsetzen können.« Kythara stand wieder auf. »Ich fürchte, unser Kurzurlaub ist nun vorbei, meine Her ren. Wir müssen wieder an die Arbeit gehen. Dass wir von den Vargiden keine Hilfe zu erwarten haben, ist inzwischen klar gewor den. Das ist wirklich äußerst bedauerlich – mit ihren fantastischen mentalen Fähigkeiten hätten sie uns eine große Unterstützung sein können. Mit den vorhandenen Mitteln haben wir gegen die Übermacht der Garbyor keine Chance, wenn es zum offenen Kampf kommt, daran ändert auch die Feuerkraft der AMENSOON und der Kardenmogher nichts. Was also schlagt ihr als nächsten Schritt vor?« »Mit weiteren Irrfahrten durch unbekann
38 te Raumsektoren werden wir unserem Ziel wohl kaum näher kommen. Wir wissen nur eines mit Bestimmtheit: Der Dunkelstern steht im Zentrum des Geschehens in Dwin geloo. Deshalb halte ich es für am sinnvoll sten, dort den Hebel anzusetzen.« Ich blickte Kalarthras an. »Du hast doch in diesem Ge bilde in der Akkretionsscheibe des Dunkel sterns mentale Impulse von Varganen be merkt, richtig?« »Es kam mir so vor, ja. Aber ich bin mir nicht sicher.« »Zumindest besteht die Möglichkeit, dass wir dort tatsächlich auf Varganen treffen«, bemerkte Kythara. »Wenn uns jemand bei unserer Mission unterstützen kann, dann am ehesten sie. Wir werden deshalb versuchen, Kontakt mit ihnen herzustellen und sie als Verbündete zu gewinnen.« »Genau«, sagte ich. »Dass am Dunkel stern etwas höchst Interessantes sein muss, zeigt sich schon daran, dass dort auch die Garbyor auf der Suche zu sein scheinen. Wir sollten folglich unbedingt verhindern, dass sie uns zuvorkommen und womöglich die versteckten Varganen in ihre Gewalt bekom men.« »Was ist mit den Cappins?«, fragte Gor gh. »Vielleicht haben sie inzwischen auch schon etwas Wichtiges herausgefunden. Wir sollten uns Gedanken darüber machen, ob wir nicht lieber zuerst die mit der MORYR vereinbarten Treffpunkt-Leuchtsonnen an fliegen. Natürlich müssen wir vorher sicher stellen, dass wir dabei keine Garbyor dorthin führen.« »Am besten, wir verlassen erst einmal die Kugelschale wieder«, sagte Kythara. »Wenn wir draußen sind, können wir feststellen, ob sich Garbyor in der Nähe befinden. Gorgh hat Recht – sobald wir die Möglichkeit dazu haben und ungestört sind, sollten wir zu nächst den ersten Treffpunkt anfliegen und nach der MORYR Ausschau halten. Ge meinsam hätten wir auch bessere Erfolgs aussichten bei unseren weiteren Aktionen beim Dunkelstern. Ich stimme Atlan voll und ganz zu: Der Dunkelstern muss im Mit-
Joachim Stahl telpunkt unseres weiteren Vorgehens stehen. Aber erst, nachdem wir Kontakt zur MO RYR aufgenommen haben.«
9. Ich umklammerte die Armlehnen meines Kontursessels, als die AMENSOON nach dem Eintritt in den Halbraum im harten Griff der hyperenergetischen Strahlungen er bebte. Erst wenige Minuten waren vergan gen, seit das Schiff den Orbit um Alarna verlassen hatte. Das Kyri-Triebwerk hatte uns auf zehn millionenfache Lichtgeschwindigkeit be schleunigt und schöpfte damit seine volle Leistungskraft nicht einmal annähernd aus. Doch wir wollten in diesem so unberechen baren Raumsektor kein unnötiges Risiko eingehen, das durch eine größere Geschwin digkeit hätte entstehen können. Und auch mit dem jetzigen Tempo würden wir die knapp sieben Lichtjahre bis zum äußeren Rand der Raumkugel schon binnen gut zwanzig Sekunden durchquert haben. Das Schiff schien erleichtert zu ächzen, als es den Halbraum wieder verließ. Ich entspannte meine Muskeln wieder und lehnte mich zurück. »Hier wimmelt es von Raumschiffen!« Kytharas Warnung ließ die Entspannung au genblicklich wieder verschwinden. Auch ich sah die Feinde nun auf dem Ho loschirm. Es waren drei Geschwader mit je weils zehn Raumern im Abstand von nur wenigen Lichtstunden, die uns nun offenbar ebenfalls geortet hatten. Sie beschleunigten rasant und flogen auf uns zu. Ich stieß einen halblauten Fluch aus. »Uns bleibt bloß ein Fluchtweg offen. Volle Be schleunigung in Richtung Dunkelstern!« Wie war es nur möglich, dass uns die Lor drichter immer einen Schritt voraus waren und uns offenbar mühelos aufspüren konn ten? Ich habe da eine bestimmte Vermutung, raunte mein Extrasinn ungewohnt vage. Das ist jedenfalls eine Falle! Sie wollen, dass ihr
Kontakt auf Alarna in diese Richtung fliegt! Ginge es ihnen dar um, die AMENSOON zu zerstören, würden sie ihren Angriff anders anlegen! Das klang plausibel, aber blieb uns denn eine andere Wahl, als in Richtung Dunkel stern zu fliegen? »Achtung, Hyperraumeintritt steht kurz bevor!« Kytharas Stimme klang so ruhig, als hätte sie schon damit gerechnet, wieder ein mal von den Garbyor gejagt zu werden. Auf dem Holoschirm verschwand das Schwarz des Normalraums und wurde durch die bunten Schlieren der Blase ersetzt, in der die AMENSOON durch den Hyperraum jag te. Die AMENSOON beschleunigte nun auf ihren maximalen Überlichtfaktor von 110 Millionen. Ein heftiger Schlag erschütterte das Schiff. »Was ist nun wieder los?« Verbissen wid mete ich mich den Kontrollen vor mir. Der Hyperraum wurde von starken Stö rungen durchzogen, die der AMENSOON nur einen schmalen Flugkorridor frei ließen. Der Rest war unpassierbar. Es war, als hätte sich ganz Dwingeloo gegen uns verschwo ren. Das Schiff trat wieder in den Normalraum ein. »Ich glaube, wir haben sie abgeschüttelt«, sagte Kythara. »Nein.« Schon sah ich wieder die Or tungspunkte der Garbyor-Raumer auf dem Holoschirm. »Sie haben uns verfolgt.« Und abermals beschleunigten die Sub lichttriebwerke in den Ecken des Oktaeders mit voller Kraft, um dem Schiff den Über gang in den Hyperraum zu ermöglichen. »Wir legen diesmal eine längere Über lichtetappe ein«, kündigte Kythara an. Und wieder fand die AMENSOON im Flug durch den Hyperraum lediglich einen Korridor. Wie war das nur möglich? Es war ausgeschlossen, dass die Lordrichter sogar den Hyperraum beherrschten, um uns einen bestimmten Fluchtweg aufzuzwängen. Aber vielleicht hatten die Garbyor-Truppen ge naue Kenntnisse über die Struktur des
39 Hyperraums in diesem Sektor und nutzten diese nun, um uns dorthin zu treiben, wo auch immer sie uns haben wollten. Doch das erklärte nicht, warum sie uns je des Mal innerhalb von Sekunden aufspürten, wenn wir den Hyperraum verlassen hatten und in den Normalraum zurückgekehrt wa ren. Auch nach der zweiten, dritten und vier ten Überlichtetappe dauerte es nur Augen blicke, bis die dreißig Feindraumer wie an griffslustige Raubtiere auf den Ortungsschir men erschienen und uns erneut in den Hyperraum hetzten. Es war eine Treibjagd.
* Als die AMENSOON zum fünften Mal innerhalb der letzten Viertelstunde den Hyperraum verließ, hatte sie in dieser Zeit ungefähr 900 Lichtjahre zurückgelegt. Das Schiff erbebte beim Eintritt in den Normalraum. Ich blickte konzentriert auf den Holo schirm, auf dem eine Ballung von neun dicht beieinander stehenden Sonnen zu sehen war. Die Ortung zeigte bei allen große Mengen der Schwarzen Substanz an. »Wir werden hier offenbar wieder erwar tet!«, rief Gorgh. Ich schaltete auf Nahortung um und sah auf meinem Holoschirm die drei GarbyorGeschwader von je zwölf Einheiten, die aus verschiedenen Richtungen auf uns zuflogen. Die Situation ähnelte fatal derjenigen nach dem Verlassen der Kugelschale um Alarna. Abermals blieb uns nur ein Weg offen, um den Angriffen zu entkommen. Die Gar byor schienen die AMENSOON auf ein be stimmtes Sonnensystem zutreiben zu wol len. Es war nicht sonderlich schwer, den Plan zu durchschauen. Und doch blieb uns erneut schlicht keine andere Möglichkeit, als das Schiff in die vermutlich von unseren Feinden gewünschte Richtung zu steuern. Erneut trat der Oktaederraumer eine kurze Überlichtetappe an, die ihn in das System der gelben Sonne brachte.
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»Ortungsergebnisse?«, fragte Kythara knapp, als das Schiff wieder im Normalraum mit 50 Prozent Lichtgeschwindigkeit durch das unbekannte System flog. »Acht Planeten«, antwortete Gorgh, der sich wieder der Analyse der Ortungsdaten angenommen hatte. »Der sonnennächste ist ein öder Gesteinsbrocken, bei den Planeten drei bis acht handelt es sich um Gasriesen. Nur der zweite weist lebensfreundliche Be dingungen auf: Sauerstoffatmosphäre, Schwerkraft 1,08 Gravos. Die Oberfläche besteht zu etwa zwei Dritteln aus Ozeanen, die Landmassen verteilen sich im Wesentli chen auf vier Hauptkontinente.« Von den drei Feindgeschwadern, die uns in diesem Sektor empfangen hatten, war bis lang noch nichts zu sehen. Sollte die AMENSOON es etwa endlich geschafft ha ben, sie abzuschütteln? Nein, das war nach den bisherigen Erkenntnissen äußerst un wahrscheinlich. Sicherlich würden sie bald wie beutehungrige Raubtiere hier auftau chen. »Wir versuchen, im Ortungsschatten der Sonne Schutz zu finden!«, befahl Kythara. Die AMENSOON nahm Kurs auf den gelben Stern vom Typ G7V. Dann sah ich auf dem Holoschirm fünf schwarze Punkte aus dem Ortungsschatten der Sonne auftauchen und auf die AMEN SOON zusteuern. Zaqoor-Raumschiffe. Und hinter uns tauchten nun auch die Ge schwader auf, die uns verfolgt hatten. Die Falle war zugeschnappt.
* Die fünf 1350 Meter durchmessenden Ku gelraumer vom Golfball-Typ sowie Schwär me von Beibooten jagten mit Maximalbe schleunigung auf uns zu. Es gab keinen Zweifel – diesmal hatten wir keine Flucht möglichkeit mehr. Wohin wir uns auch wandten, waren wir von Feinden umgeben. »Schnell, wieder in der Hyperraum!«, schrie ich. Meine Stimme klang heiser.
»Zu spät, wir sind bereits im Wirkungsbe reich ihrer Waffensysteme und brauchen sämtliche Energie für die Verteidigung«, meldete Gorgh. Da begannen die dreifach gestaffelten Kombischirme der AMENSOON auch schon unter dem Beschuss der feindlichen Großkampfschiffe in allen Farben des Spek trums aufzuglühen. Wäre das Bild auf mei nem Holoschirm ein abstraktes Gemälde ge wesen, so hätte ich seine Schönheit genießen können. Doch was ich sah, war kein Kunst werk. Es war nichts als ein grauenvolles Symbol des Vernichtungswillens. »Feuer erwidern!« Kythara wirkte so ru hig, als würde sie ein harmloses Übungsma növer kommandieren. Die AMENSOON begann sofort aus sämtlichen Waffensystemen zu feuern. Die Schiffszelle des Oktaederraumers erbebte unter den Salven. Aber ich wusste so gut wie jeder andere an Bord, dass wir ange sichts der zahlenmäßigen Überlegenheit des Gegners auf Dauer chancenlos waren. Ich schaltete auf Raumortung um und sah auf dem Holoschirm, wie einer der Kugel raumer in einem gleißenden Blitz verging. Das Feuer der anderen Schiffe schien an schließend noch wilder zu werden, als hätten wir ihre Wut mit dem Treffer nur weiter an gestachelt. Ein zweiter Golfball explodierte. Hoffnung keimte in mir auf, bis die AMENSOON unter den Salven der übrigen drei Schlachtschiffe so heftig erbebte, dass ich fast aus dem Sitz geschleudert wurde. Ich schloss den Bauchgurt mit einem wüten den Fausthieb auf den Druckschalter an der linken Armlehne. Ein weiterer Golfball wurde zu einer Mi niatursonne, nachdem die gewaltigen Waf fensysteme der AMENSOON seine Schutz schirme durchschlagen hatten. Doch dann lagen wir im kombinierten Feuer der beiden übrig gebliebenen Garby or-Einheiten und der Jägerschwärme, die nun ebenfalls auf Schussdistanz herange kommen waren und der AMENSOON mit
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zahllosen Nadelstichen zusetzten. Und die drei Geschwader hinter uns rückten auch im mer näher heran und würden in wenigen Mi nuten die Gefechtsdistanz erreicht haben. Dann hatten die Schirme ihre maximale Belastungskapazität erreicht. Innerhalb der nächsten Sekunden mussten sie zusammen brechen. Es ist aus.
* Rhamon umklammerte den Steuerknüppel seines Jägers. Das Hangarschott öffnete sich und präsentierte ihm die Schwärze des Alls wie ein kostbares Geschenk. Er beschleunigte seine Maschine mit vol ler Kraft und schoss ins Nichts hinaus. Das gleißende Licht der Sonne hinter der VER LAN erfüllte das Cockpit. Auf dem Ortungsschirm sah er den ecki gen Varganenraumer, der vor vier Tagen in Gantatryn angekommen war. Der Feind der Lordrichter und somit auch der Feind der Leibgarde. Und der Feind seines Zeugers. Rhamon spürte die Trockenheit in seinem Hals und bedauerte, vor dem Einsatz keine Kwa-Blätter gelutscht zu haben. Sein altes Quartier war durchsucht und seine gesamten Vorräte beschlagnahmt worden. Nun hatte er eine Koje in einem 6-Mann-Zimmer. Seine fünf Mitbewohner wussten, wer er war und dass er in Ungnade gefallen war. Alles, was er fortan tat, würde seine Schande nur noch verschlimmern. Auf dem Ortungsschirm sah er das im Sonnenlicht golden gleißende Oktaeder schiff, das er laut Befehl anzugreifen hatte. Ziel ihrer Mission war es, den Feindraumer zu stellen und flugunfähig zu machen. Von einer Zerstörung war jedoch unbedingt ab zusehen. Die Lordrichter wollten die Besat zung offenbar lebendig in ihre Gewalt be kommen. Sobald die Schutzschirme zusam menbrachen, waren nur noch einige wenige Wirkungstreffer geplant, dann sollten Kom
mandotruppen das Schiff stürmen. Er würde niemals frei sein. Sosehr er auch gegen seinen Zeuger und das Leben, das die ser ihm zugedacht hatte, aufbegehrte – sein Schicksal war vorherbestimmt. Er war dazu verdammt, zu tun, was der Marquis ihm be fahl. Und er war dazu verdammt, seinen Zeuger zu enttäuschen, Nein! Nein, du hast mich verraten und gedemütigt! Du sollst kei ne Gelegenheit mehr bekommen, deinen Rang in der Ewigen Horde noch zu steigern! Rhamons Faust zerrte den Steuerknüppel nach links und ließ den Jäger scharf wenden. Mir ist egal, wie tief ich in der Horde stehen werde, solange du nicht weiter nach oben kletterst! Als er die VERLAN vor sich auftauchen sah, drückte er auf den Feuerknopf des lei stungsstarken Impulsgeschützes. Ein Energiestrahl leckte vom Bug seines Jägers bis zu dem runden Großkampfschiff, dessen Schutzschirm bereits unter den ver heerenden Salven des Varganenraumers grell loderte. »Rhamon Platmor, was soll das?«, schrie eine aufgeregte Stimme aus den Lautspre chern im Ohrenbereich seines Helms. Sie gehörte Tor-32 Lenirg, dem Einsatzleiter der Jagdgeschwader. »Unsere Schirme sind be reits voll belastet! Stell sofort das Feuer ein, du hast das falsche Ziel im Visier! Du elen der Narr!« Rhamon ignorierte die sich überschlagen de Stimme und feuerte weiter auf das Mut terschiff, das nur noch hundert Kilometer entfernt war. Und dann war da kein Schiff mehr, son dern eine gewaltige Sonne. Aber das bekam Rhamon schon nicht mehr mit. Das Todesimpuls-Implantat zer riss den jungen Zaqoor binnen eines Sekun denbruchteils. Der Jäger schoss weiter und tauchte in die Glutwolke hinein, die einmal die VERLAN gewesen war. Rhamon starb im gleichen Augenblick wie sein Zeuger. Und gemeinsam wurden sie Teil der
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Großen Horde.
* Mein Kopf krachte auf das Instrumenten pult vor mir. Einen Atemzug lang war mir schwarz vor Augen. Ich setzte mich wieder auf und betastete meine schmerzende Stirn. Blut färbte meine Finger rot. Ich umklammerte die Armlehnen meines Kontursessels noch fester als zuvor. Dann ließ das Beben etwas nach, doch noch immer erzitterte die AMENSOON un ter den Energien der Strukturerschütterun gen, die kaum weniger gewaltig waren als die Salven der Garbyor-Raumer kurz zuvor. Sie wurden durch die gewaltigen Mengen Schwarzer Substanz verursacht, die in der Nähe der Sonne materialisiert war und sie nun befiel. Das letzte der fünf angreifenden GolfballSchiffe hatte sein Feuer eingestellt. Es schi en manövrierunfähig zu sein. Von den drei Geschwadern, die uns in diese Falle getrieben hatten, war momentan nichts mehr zu sehen. Die Schwärme der Beiboote waren durch das Beben deutlich gelichtet worden. »Unsere Gegner hat es mindestens so schlimm getroffen wie uns«, sagte Gorgh. »Ich empfange Hilferufe! Sie bezeichnen den zweiten Planeten dieses Systems als So thin.« »Wir müssen damit rechnen, dass jeden Augenblick noch mehr dieser Schwarzen Substanz hier materialisiert«, sagte ich.
»Dann sollten wir uns nicht mehr im All aufhalten.« Kythara nickte. »Der momentane Zustand der AMENSOON lässt uns ohnehin keine andere Wahl. Wir müssen auf Sothin notlan den.« Sekunden später nahm der Oktaederrau mer Kurs auf die erdähnliche Sauerstoffwelt, die von einem recht kleinen Mond umkreist wurde. Wir würden versuchen, auf dem nördlichsten der vier Kontinente zu landen. Als das Schiff in die Atmosphäre ein drang, materialisierte wie bereits befürchtet weitere Schwarze Substanz nahe der Sonne, die nun 136 Millionen Kilometer von uns entfernt war. Und wieder erbebte die AMENSOON durch die Erschütterungen der Raum-Zeit-Struktur. Die Landung auf der Planetenoberfläche war hart und schmerzhaft. »Wir haben es geschafft«, hörte ich Ky tharas Stimme, nachdem das Schiff seine Parkposition eingenommen hatte. Ich musste lächeln. »Genau diese Worte habe ich vor zwei Tagen schon einmal aus deinem Mund gehört. Und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass du dich auch diesmal täuschst.« Das Lächeln verschwand aus meinem Ge sicht. »Es hat erst angefangen. Das Schlimmste kommt noch.« ENDE
ENDE
AMENSOON in Not von Michael Berger Die AMENSOON kann sich nur durch mehrere Hyperetappen vor den feindlichen Garby or-Schiffen retten. Doch die Flucht ist immer nur von kurzer Dauer. Die feindlichen Garbyor jagen Atlan und Kythara ohne Unterlass.