C. H. Guenter
Der
JUPITER
EFFEKT
ERICH PABEL VERLAG GMBH, 7550 RASTATT
Erste Aktion
Beirut
Vor der Küste anker...
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C. H. Guenter
Der
JUPITER
EFFEKT
ERICH PABEL VERLAG GMBH, 7550 RASTATT
Erste Aktion
Beirut
Vor der Küste ankerten die grauen Stahlkolosse der 6. US-Flotte. Waffenstarrende Festungen, versehen mit allem, was die modernste Rüstungsindustrie der Welt zu bieten hatte. Die Schlachtschiffe und Flugzeugträger waren gespickt mit Artillerie, Raketen, Torpedos und Jagdbombern. - Sie galten als unangreifbar und unzerstörbar. Im Dunkel der Nacht sammelten sich am Strand die Kampfschwimmer von Abu Jovis Gruppe. Gegen die Armada, drei Meilen weit auf See, waren sie weniger als nichts. Was sie hatten, um sie zu vernichten, waren einige Unterwassersprengkörper und ihr Fanatismus. „Denkt daran", gab ihnen der Commandante mit auf den Weg, „womit die Griechen Troja zerstörten. Nach siebenjährigem Kampf, als sie erschöpft und ausgebrannt waren, kam Odysseus und riet ihnen, ein hölzernes Pferd zu bauen. Eine kleine Anzahl Kämpfer, so wie ihr, versteckte sich im Bauch des Tieres. Die Trojaner hielten es für ein Symbol der griechischen Niederlage und zogen es in die Stadt. Damit begann der Untergang Trojas. - Die Tauch anzüge sind eure Tarnung, der Sprengstoff eure Speere. Im Namen Allahs, bringt dem Unterdrücker Wunden bei, die ihn lahmen und die er nie vergessen wird." 3
Die Kampfschwimmer knieten zum letzten Gebet nieder. Als sie es beendet hatten, kam die Stunde des Gezeitenwechsels. Obwohl der Ebbstrom an der Levante nur schwach einsetzte, zog er sie doch hinaus, sanft wie der Wind in der Wüste, wenn die Nacht in den Tag überging, aber stetig. Abu Jovis sah seine todesmutigen Männer in die Dünung waten, eintauchen und verschwinden. Oben an der Straße nach Beirut wartete er. Im gelben Mondlicht glich die Silhouette der kaputten Stadt dem faulen Gebiß einer Mumie. Abu Jovis harrte aus. Seine Anwesenheit wirkte wie der Segen eines Priesters. Wenn er eine Aktion überwachte, dann glückte sie meist. Seitdem er für die Freiheit der Palästinenser kämpfte, hatte es schon viele Aktionen gegeben. Das hatte ihn zum meistgeliebten, meistgehaßten und meistgejagten Mann der Welt gemacht.
In der Dünung verloren die Kampfschwimmer die Orientierung. Sie folgten jetzt den Magnetnadeln ihrer Spezialkompasse. Auf Reede schwamm eine Million Tonnen Stahl. Zitternd richteten sich die Nadeln darauf ein. Als der Sonnenaufgang noch so lange vor ihnen lag wie Mitternacht hinter ihnen, saugte sich die erste Magnethohlladung am Rumpf des Flugzeug träges Nimitz fest. Sie vollzog dies mit gedämpftem Knacken etwas achterlicher als mittschiffs an Steuerbordseite oberhalb des Stabilisators. Drei der trichterförmigen Ladungen waren für den 100 000-Riesen vorgesehen. Die zweite kam an 4
den Bug, die letzte an den unteren Drehpunkt des Steuerruders. Tagelang hatten die Kampfschwimmer es am Rumpf eines gestrandeten Frachters geübt. Die Sprengladung - jede wog auf dem Trockenen nahezu hundert Kilogramm - war zunächst von den Auftriebskörpern zu lösen und langsam abzu senken. Die Haftung besorgten Magnete. Dann mußte am Stiel, der den Zünder enthielt, der Vorlauf eingestellt werden. Bei der Nimitz betrug der Vorlauf vierzig Minu ten. So lange brauchten die Kampfschwimmer, um in Sicherheit zu sein. In einer Entfernung also, wo der Detonationsdruck im Wasser ihre Körper nicht zusammenpreßte wie Gummipuppen, wenn eine Dampfwalze darüberfuhr. Insgesamt achtzehn Kampfschwimmer aus Abu Jovis Einheit waren zu dieser Stunde unterwegs. Ihr Traum war, den Flugzeugträger, den schweren Kreuzer, zwei Versorgungsschiffe, einen Zerstörer und einige Korvetten zu versenken. Sie begnügten sich allerdings damit, sie zu beschädigen. Im Grunde waren sie schon zufrieden, wenn der Träger und das Schlachtschiff außer Betrieb gesetzt wurden. Um 2.44 Uhr Nahostzeit flammte im Norden eine Stichflamme empor. Neben dem Rumpf der Minne sota stach sie in den Nachthimmel. Die Kampftaucher hielten kurz in ihrer Arbeit inne. Das war zu früh. Was war passiert? Irgend etwas mußte schiefgelaufen sein. Vielleicht eine unsachgemäßge Handhabung des Zünders. Zum Glück ankerte die Minnesota eine halbe Meile entfernt. 5
Sekunden später erfolgte wieder eine Detonation. Diesmal an dem 30000-Tonnen-Tender. - Und plötzlich tauchten sie auf wie torpedoschnelle graue Schatten. Alle hatten es nur für ein Gerücht gehalten. Jetzt wußten sie, daß es sie gab. Die Amerikaner setzten dressierte Kampfdel phine zum Schutz ihrer Flotte ein. Sie lebten in Seewasserbecken auf Versorgungs schiffen. Die Bassins hatten Unterwasserschleusen. Durch diese Schleusen hatte man die Delphine hinausgelassen, und jetzt kamen sie. Mit ihren knorpeligen Hammernasen versetzten sie den Tauchern tödliche Treffer. Mit Hilfe ihrer Schallorgane suchten sie die Schwimmer, griffen blitzschnell an, schlugen zu und waren fort. Ihre nahezu menschliche Intelligenz, die Schnel ligkeit, mit der sie sich unter Wasser bewegten wie kein anderer Fisch und ihre Kraft und Wendigkeit befähigten sie, binnen kurzem unter den Tauchern aufzuräumen. Obwohl die achtzehn Männer aus dem Kommando Abu Jovis über eine Flache von einer Quadratmeile verteilt waren, gelangt es den Delphinen, sie bis auf einen Mann zu erledigen. Am Morgen fischten die Amerikaner die Leichen aus dem Meer. Alle wiesen die gleichen Verletzun gen auf. Ein auf bestimmte Weise angesetzter Stoß hatte ihnen das Brustbein zerschmettert und die Rippen in die Lungenflügel eindringen lassen. Die Delphine hatten nicht nur die Taucher, sondern auch die Magnetladungen außer Funktion gesetzt. Sie hatten gelernt, deren Stiele ins Maul zu nehmen und sie von der Bordwand wegzureißen. Zwei der Tiere hatten sich dabei selbst geopfert. Die Detonationen waren also nicht am Rumpf der 6
Minnesota und des Tenders erfolgt, sondern zwi schen den Zähnen der Fische. Bis auf einen vernachlässigbaren Defekt am Asdic des Versorgungsschiffes blieb die 6. USFlotte unbeschädigt. Die Delphine kehrten in ihre Bassins zurück, und der letzte Mann von Abu Jovis Kommando wurde am Strand unterhalb des alten Leuchtturms von Manarah gefunden. - Mehr tot als lebendig allerdings.
Abu Jovis hatte in seiner Laufbahn, vom Erstgebo renen einer aus Palästina verjagten Mutter bis zum vergötterten Führer des Befreiungskampfes, viele Niederlagen erlitten. Er hatte sie hinzunehmen gelernt. Aber nur bis zu dem Jahr, als er ausschließ lich Erfolge im Kampf gegen die Feinde errang. Seitdem machten ihn Niederlagen nicht nur krank, sondern auch zum Berserker. Dann bekam er Magenkrämpfe, so schmerzhaft, daß er sie ohne Tabletten kaum ertragen konnte, und er wurde ungerecht. Er suchte die Fehler nicht in mangelhafter Taktik, in ungenügender Vorberei tung, sondern bei seinen Mitarbeitern. Von den Koliken in seinen Eingeweiden geplagt, ließ er den Franzosen rufen. Holger Lummet erschien eine Stunde später. Er war der Waffenhändler, der die Hohlladungen besorgt hatte. Über ihn ergoß sich die Wut des Commandante. „Du hast mir fehlerhaftes Material geliefert!" schrie Abu Jovis ihn an. „Es stammt aus einem NATO-Depot." „Siebzehn meiner besten Männer sind tot." 7
„Ich warnte euch vor den Abwehrmitteln der USNavy." „Sie sind tot, weil zwei Ladungen zu früh hochgingen. Der Wasserdruck hat ihre Lungen zerrissen." Der Franzose besaß genaue Informationen. Er kannte aber auch Abu Jovis. Wenn der Araber wütend war, brauchte er einen Sündenbock, und wie eine defekte Lokomotive auf abschüssiger Strecke, war er nicht mehr zu bremsen. „Woher, Abu Jovis, beziehen Sie Ihre Informatio nen?" fragte Lummet. Der Araber wollte sich eine krumme Zigarette anstecken. Sein Feuerzeug ging nicht. Er schleu derte es in die Ecke seines Bunkers. „Einer überlebte." „Ich blieb wach. Vom Dach meines Hauses beobachtete ich zwei Explosionen, Man hört, sie hätten keine Schäden verursacht." „Sie lügen", brüllte Jovis. „Sie lügen alle. Presse, Radio und auch du, Lummet." Der erregte Palästinenserführer ging auf kein Argument ein. Eines jedoch war sicher: Er wollte den Grund für den Fehlschlag wissen. Er mußte ihn analysieren, um in Zukunft solche Fehler zu ver meiden. »Zwei Ladungen explodierten zu früh«, wieder holte er, „und die anderen sechzehn gar nicht." „Warum kamen Ihre Leute dann nicht zurück?" „Sie sind tot. Die Amerikaner fischen sie gerade aus der See." Der Franzose massierte sein unrasiertes Kinn. „Und was, bitte, tötete sie?" Der Commandante wußte zunächst keine Ant wort. 8
„Ich warnte euch vor den Kampfdelphinen", erinnerte Lummet ihn. „Gerüchte, Lügen, Märchen. Delphine lassen sich nicht als Killer benutzen", wandte Jovis ein. „Man kann sie für alles trainieren. Sie fragen nicht, wen sie mit ihren Hammernasen treffen. Sie schlagen zu. Tiere haben keine Moral." Den Waffenhändler traf ein vernichtender Blick. Das sagte ihm genug. Der Commandante sah längst ein, daß der Fehler bei ihm gelegen hatte. Wenn er weiter die Schuld auf Lummet schob, dann hatte dies einen anderen Grund. „Ihr seid alle verdammte Verräter", fluchte Jovis. „Spione, Agenten, bezahlt von unseren Feinden." „Mich hat leider niemand bezahlt. Ihr auch nicht", entgegnete der Franzose. Trotz seiner schmächtigen, farblos wirkenden Figur war er ein mutiger Mann. „Für die Gummianzüge, die Aqua lungen, die Hilfsmittel und die Ladungen habe ich zweihundertfünfzigtausend Dollar zu kriegen. Und zwar am Tag nach dem Einsatz. So lautet der Vertrag.« „Am Tag nach dem Erfolg", korrigierte der Terroristenführer ihn. „Nach dem Einsatz", beharrte Lummet. „Ich habe es schriftlich." Da stand der fast zwei Meter große, athletische Araber auf und näherte sich ihm mit dem spitzen Brieföffner in der Hand. „Du wurdest schon von unseren Feinden hono riert, du Hundesohn, du Saboteur. Gib's zu!" Lummet blieb noch ruhig. „Ihr zahlt also nicht?" „Nicht für unbrauchbare Ware." 9
„Sie war einwandfrei", betonte Lummet, „origi nal verpackt und plombiert. Wir haben Stichproben genommen und getestet. Nur soviel, Abu Jovis: Wenn ihr nicht zahlt, dann spricht sich das schnell herum, und ihr werdet von keinem Waffenhändler der Welt auch nur noch eine Patrone oder eine Handgranate zu kaufen kriegen." „Dann holen wir sie von unseren Feinden", wischte Jovis den Einwand beiseite. „Etwa von der israelischen Armee", höhnte der bitter enttäuschte Franzose. Er hatte diesen Leuten vertraut, hatte ihnen Konditionen gemacht wie kein anderer Waffen händler vorher, und nun legten sie ihn aufs Kreuz. Doch nun lenkte Abu Jovis ein. Er war ein kluger Kopf. Er hatte in London, Rom und Heidelberg studiert. Er änderte auch den Ton seiner Stimme. „Komm morgen wieder." „Was ist morgen?" „Dann liegen zweihunderttausend Dollar auf dem Tisch, und wir sehen uns niemals wieder." Er wäre kein Levantiner gewesen, wenn er nicht versucht hätte, aus der Niederlage Profit zu schla gen. Und weil er dies tat, vertraute der Franzose ihm wieder. „Bis morgen", sagte Lummet. Er ging. Aber sie reichten sich nicht die Hand.
Das schmale Haus im moslemischen Teil der Stadt war bis auf zwei Zimmer im Erdgeschoß zerstört. Von den Bergen her wurde Beirut beschossen. Im 10
Norden brannte es. Im Süden vernahm man hin und wieder das harte Rattern einer Maschinenpistole. Holger Lummet schickte das Taxi weiter und wollte die mit Brettern geflickte Tür aufsperren. Sie war nur angelehnt. Das wunderte ihn, denn seine Frau Simone lebte in keiner Stunde ihres Aufent haltes ohne Angst. „Ich bin es!" rief er. „Pack die Koffer, Cherie!" Er trat in die Küche, Öffnete den Frigidaire. Sein Inneres war kalt, also hatte es ein paar Stunden Strom gegeben. Er holte eine Bierdose heraus, riß sie auf und trank aus dem Loch im Blech. „Sie wollten mich aufs Kreuz legen", sagte er, „aber es war eine Frage der Argumente. Jovis zahlt morgen früh. Nicht alles, aber uns bleiben immer noch hunderttausend Dollar Gewinn. Ich versuche, ein Transportmittel zu kriegen. Egal was. Ein Taxi nach Damaskus oder ein Schiff nach Cypern. Bloß weg hier. Mach dich fertig, ich muß noch mal los." Da seine Frau nicht antwortete und auch nicht kam, rief er: „Wo steckst du, Simone?" Sie konnte nicht ausgegangen sein. Sie ging nie alleine weg. Und das Haus war klein. Sie mußte ihn gehört haben. Warum antwortete sie nicht? Er ging am Bad vorbei ins Schlafzimmer. Und dann würgte ihn tödliches Entsetzen fürchterlich. Simone lag auf dem Bett, nackt und vergewaltigt. Man hatte sie nicht nur mit unzähligen Messersti chen getötet, sondern ihr auch noch den Hals bis zum Nackenwirbel durchschnitten. Mon dieu! murmelte er und brach zusammen. Als er zu sich kam, fand er sich im Bad wieder. Stoßweise würgte er den Mageninhalt heraus. Das 11
Erbrochene im WC zog sofort Schmeißfliegen und Kakerlaken an. Er tastete sich hoch, trat unter die Dusche und drehte auf. Kein Wasser. Es tröpfelte nur. Kaum genug, um sich Gesicht und Hände zu waschen. Taumelnd stand er da, trank aus der Cognacfla sche und war verzweifelt. Der Schock hielt bis zur Dunkelheit an. Immer wenn er Simone ansah, wußte er, daß es ihm ebenso erging, wenn er nicht die Flucht ergriff. Er wußte auch, warum sie es getan hatten. Sie gaben ihm die Schuld an der mißglückten Opera tion. Und damit er die anderen Waffenhändler nicht gegen sie aufhetzte, mußte er beseitigt werden. Mit Simone hatten sie angefangen. Wegen irgendei nes Koordinationsfehlers lebte er noch. Selbst wenn sie Fehler machten, dann bemühten sie sich, sie zu korrigieren. Sie würden kommen und ihn erledigen. Im nächsten Augenblick, in einer Stunde oder in der Nacht, Vielleicht warteten sie draußen schon. Er kannte die Verhältnisse in Beirut und wußte, daß er Glück brauchte, unverschämtes Glück, um heil herauszukommen. Er nahm nur das Nötigste mit. Paß, Bargeld, die handkleine italienische Pistole, nur eine 6,35er, aber besser als nichts. Noch einmal küßte er Simones kalte Lippen. Er tat es ohne Ekel. Wenn er je einen Menschen geliebt hatte, dann diese Frau. Am Grenzübergang nach Syrien wurde in dieser Woche stark kontrolliert. Es kam Lummet vor, als hätten sie es nur auf ihn abgesehen. Also kehrte er nach Beirut zurück und wechselte auf Schleichwe gen in den christlichen Teil der Stadt. 12
Am nächsten Morgen brachte ihn ein Lastwagen bis El Mina. Mit Dollars und Geduld gelang es ihm, auf einem Fischkutter den Libanon zu verlassen. Drei Tage später betrat er in Famaguste zypri schen Boden. Er war in Freiheit und gerettet. Aber in seinem Inneren entwickelte sich etwas Unheimli ches. Der Keimling, gesetzt in seinem Haus in Beirut, streckte die Wurzeln aus. Die Pflanze wuchs und saugte an seinen Kräften. Er konnte nur am Leben bleiben, wenn er sie ausriß. Er sah die Pflanze nicht, nahm aber an, daß sie von roter Farbe war. Wie die Blume der Rache.
Sieben Tage später flog der italienische Frachter Bellissimo in die Luft. Unterwegs von Boston nach Iskenderun brach nur hundert Meilen vor dem Zielhafen - zunächst Feuer aus. Angeblich hatte der Frachter Turbinen für ein Kraftwerk sowie Baumaschinen geladen. Selbst Experten konnten nicht erklären, warum das Schiff so rasch zur Fackel wurde, als hätte es zehntausend Tonnen Benzin an Bord. Südlich von Cap Gate sank der Frachter nach einer Reihe von Explosionen. Kein Mann der Besatzung wurde gerettet. Bald darauf kam durch einen palästinensischen Freiheitssender die Erklä rung. Abu Jovis bekannte sich zu dem Anschlag. Sein Kommando war in dunkler Nacht von Schnellboten aus auf die Bellissimo geentert, hatte den Frachter genommen und versenkt. Die Bellissimo aus Genua hatte Panzergranaten 13
und Bomben für den Irak geladen. Der Irak stand im Krieg mit den Persern. Deren Führer war der Ajatollah. - Abu Jovis hatte diesen Mann immer seinen geistigen Vater genannt. Zweite Aktion
München
Über München herrschte Föhnwetterlage. Die Men schen wurden davon unterschiedlich beeinflußt. Es gab Vor-, Haupt- und Nachföhner. Der BND-Agent Nr. 18, Robert Urban, regi strierte Föhn anhand des merkwürdig blaßblauen Himmels, den manchmal ein paar Federwolken zierten. Vom Föhn spürte er nichts. Als gebürtiger Franke nahm er ihn gar nicht zur Kenntnis. Weder mit Kopfschmerzen, noch durch die föhntypische aggressive Erregung. Er ging seinem Tagewerk nach wie immer, also lustlos. In seinem Leben hatte es soviel Aufregendes gegeben, daß er abgestumpft war und schon ein Hammer fallen mußte, um ihn zu aktivieren. Der Anruf am Nachmittag wirkte weniger als das Hämmerchen, mit dem man Sprüche klopfte. - Und was interessierten ihn schon Politiker. „Haben Sie schon davon gehört?" begann der Staatssekretär im Verteidigungsministerium. „Von dieser hirnrissigen Nicaragua-Konferenz?" Der Mann hatte ein Faible für ihn. Wußte der Teufel, warum. Vielleicht, weil Urban nur manch mal die Unwahrheit sagte, während in seiner Umgebung nur manchmal die Wahrheit geäußert wurde. Urban kombinierte halblaut: „Nicaragua-Konferenz. Was, bitte, soll dort von 14
wem konferiert werden? Die Verhältnisse sind klar. Die Sandinisten regieren, und die Kontras sind, seitdem Washington die Unterstützung einstellte, so gut wie verschwunden." „Darum geht es nicht", fiel der Beamte ihm ins Wort. „Tut mir leid, dann bin ich nicht auf dem laufenden", gestand Urban. Der Mann in Bonn examinierte ihn weiter. „Halten Sie Nicaragua für gefährlich?" „Staaten, in denen Bürgerkriege stattfinden, sind nun mal vor der Revolution, während derselben und hinterher nicht gleich wieder Paradiese, wo man in Ruhe sein Leben verbringen möchte." Dem Staatssekretär genügte diese Antwort offen bar nicht. „Würden Sie mir beistimmen, daß für einen Prominenten die Gefahr, Ziel eines Anschlags oder einer Geiselnahme zu werden, in Nicaragua größer ist als in Liechtenstein?" „Nur unwesentlich. Nicht höher als in Nordir land. Kommt natürlich darauf an, um welche Art von Prominenz es sich handelt und was zu ihrem Schutz unternommen wird." Endlich kam der Anrufer zur Sache. „Kennen Sie Professor Koller?" Urban hatte den Namen in einem Zusammenhang gehört, der ihm entfallen war, wollte es aber nicht zeigen. „Meinen Sie den Insektenforscher?" tippte er blind „Nein, den Physiker." „Ach den." Urban erinnerte sich. „Dachte, er sei mehr Kybernetiker." „Koller befaßt sich unter anderem mit der über 15
nächsten Computergeneration, der man menschli ches Denkvermögen anerziehen möchte. Alles streng geheim." „Arbeiten nicht auch ein Amerikaner und ein Japaner daran?" „Stimmt, Dr. Elias Morgan aus New York und Kiki Kuma von der Universität Tokio.« „Noch drei fallen mir dazu ein. Ein Russe, ein Engländer und ein Franzose. Es sind sechs oder sieben Leute, die auf diesem Gebiet der Forschung, international gesehen, die Speerspitze bilden." „Alles ziemlich abstrakte Denker. Und deshalb wohl auch ihr abstraktes Verhalten." Urban zog den einzig möglichen Querschluß: „Die Konferenz in Nicaragua, meinen Sie." „Ausgerechnet Managua hat man sich für das jährliche Treffen ausgesucht. Oder sollte man es einen Clubabend nennen, vom Club der neuen Einsteins?" „Der Einstein-Club trifft sich also zu einer Konferenz in der Hauptstadt Nicaraguas", faßte Urban es zusammen. „Wollen sie damit etwas beweisen? Vielleicht, daß Nicaragua wieder ein Land wie jedes andere ist, daß sie der neuen Regierung vertrauen, daß man sich dort aufhalten kann, ohne gemeuchelt, entführt oder gefoltert zu werden. Schaut her, die Suppe ist nicht vergiftet, wir essen davon." „In diese Richtung läuft das Ganze wohl", bestä tigte der Mann in Bonn. „Nun sind wir aber sehr daran interessiert, daß Professor Koller nichts zustößt. Auf ihn setzen nicht nur wir, sondern die deutsche Industrie. Entwicklungen, die auf seine Grundlagenforschung zurückgehen, können in zwanzig Jahren das Rückgrat unserer Exporte 16
darstellen. Von Exporten leben wir. Also ist dieser Mann staatswichtig." Urban war überzeugt, daß der Beamte schon andere Experten angerufen hatte, um ihre Meinung zu hören. Das war seine Pflicht. „Nun, was halten Sie davon, Urban?" fragte er. „Ich kenne einen", schöpfte Urban aus dem Born seiner Erfahrungen, „der macht um New York stets einen weiten Bogen, weil er Angst hat, dort überfal len zu werden. Wissen Sie, was ihm passierte? Sie schlugen ihm anderswo den Schädel ein, nämlich in Rothenburg ob der Tauber. Man kann neben der Pulverfabrik wohnen, und es passiert niemals etwas, und man kann an einem verträumten Fluß leben, eines Tages regnet es heftig, er tritt über die Ufer, und man ersäuft in seinen Fluten. Oder die Biene Maja sticht sie in die Halsschlagader. Auch unangenehm." Der Sekretär war mit dieser Antwort nicht zufrieden, äußerte jedoch einen Wunsch. „Urban, tun Sie etwas, wozu ich aufgrund man gelnder Verbindungen nicht in der Lage bin. Loten Sie das Nicaragua-Projekt des Einstein-Clubs bei den befreundeten Geheimdiensten aus. Was man davon hält, wie man das Risiko beurteilt und so weiter." „Rufen Sie mich morgen an", bat Urban.
Bis zum Abend hatte Urban die Liste der Mitglieder des Einstein-Clubs beisammen. Es waren sechs Personen, vier davon Nobelpreis träger, die diesen Club, der im übrigen gar keinen Namen führte, gegründet hatten. Außer ihnen gab 17
es noch einige Anwärter. Je einen Wissenschaftler aus Italien, Indien, Südamerika und Schweden. Diese vier hatten aber erst Aussicht nachzurücken, wenn eines der Vollmitglieder starb. Denn ihre Zahl war von vorneherein auf sechs begrenzt worden. Ausnahmeregelungen waren so schwer durchsetz bar wie in der Bundesrepublik die Einführung von Tempo 130 auf der Autobahn. Urban versuchte nun, die sechs plastischer zu gestalten. Dazu brauchte er Einzelheiten über sie. Schwierig war dies bei Prof. Kiki Kuma aus Tokio und Prof. Shmuel Karov von der Universität Moskau. Es gab zwei Möglichkeiten, sich sofort Gewißheit zu verschaffen. Nämlich aus erster oder zweiter Hand. Die erste Hand war General Igor Krischnin vom KGB Moskau, die zweite Hand, General Jo Hart mann vom Ministerium für Staatssicherheit in OstBerlin. General Krischnin war Urbans rotes Tele fon, das er nur aktivierte, wenn es sich um einen Hamletfall handelte, genannt nach dem ersten Satz des Prologs: Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage. Also wählte er die Berliner Nummer und bekam nach Stunden wirklich Jo Hartmann an den Draht. Urban frozzelte nicht, ob Hartmanns Lackslipper heute Silber- oder Goldspangen trugen, er kam sofort zur Sache. „Betrifft Nicaragua-Konferenz der EinsteinLeute." „Ich habe die Liste vorliegen." Hartmann las in alphabetischer Reihenfolge: „Professor Delattre, Paris. Professor Shmuel Karov, Moskau. Die Titel lasse ich jetzt weg. Also, Gerhard Koller, Germany. 18
Kiki Kuma, Japan, Midland Großbritannien. Mor gan, New York. Fehlt einer?" „Keiner fehlt", bestätigte Urban. „Womit kann ich also dienen. Kamerad Schnür schub?" „Es gibt hier einige Regierungsstellen, die sich, was die Sicherheit unseres Mannes betrifft, Gedan ken machen." „Die gibt es anderswo auch", tönte Hartmann forsch. „Bitte, nichts gegen Nicaragua. Ganz und gar nicht." „Aber?" „Angenommen, sie würden sich auf einer einsa men Südseeinsel treffen, wäre mir Angst- und Bangemann." „Keine Sorge, das Problem ist aus der Welt", erklärte der Stasi-General. Er wußte wieder einmal mehr als alle anderen. „Ist die Konferenz verschoben?" „Dazu sage ich hundertprozentig ja und hundert prozentig nein. Selten gab es eine Frage, die so klar mit ja und mit nein zu beantworten war." „Dann antworte", drängte Urban, „so klar." „Die Konferenz", sagte General Hartmann, „fin det zum vereinbarten Termin statt. Sie wurde also nicht verschoben. Sie wurde aber insofern doch verschoben, als sie nicht in Nicaragua, sondern in Spanien stattfindet. Ergo." Urban wollte jetzt nicht behaupten, daß ihn das erleichterte. Man konnte auch nachts um zwei an einer Kreuzung überfahren werden. „Wie kam es dazu?" „Es wurde beschlossen." „Von wem?" 19
Hartmann lachte. „Natürlich nicht von diesen störrischen Ein stein-Nachfolgern. Ich würde sagen, daß ein paar Regierungen, die massig Geld flir Forschungs zwecke zur Verfügung stellen und deshalb über Einfluß verfügen, dabei doch die Hand im Spiel hatten." „Moskau und Washington." „Du benennst es, Bruder." „Oder besser, der KGB und die CIA." „Obwohl", spottete Hartmann, „in Amerika CIALeute dermaßen ignoriert werden, daß man sie auf der Straße nicht einmal mehr anspuckt, dürften wohl diese beiden Geheimdienste die Hand im Spiel gehabt haben." „Über unsere Köpfe hinweg." „Sind sie nicht unsere geliebten Bruderstaaten? Und erweisen sie uns allen damit nicht einen Gefallen?" „Hoffentlich", bemerkte Urban. „Auf nach Spa nien also." „Wie ich höre, suchen sie noch ein geeignetes Hotel. Natürlich keines dritter Klasse im häßlich sten Teil des Landes." Urban kannte Spanien gut genug, um zu ahnen, was in Frage kam. „Und das ist amtlich?" ,Ab morgen früh", erklärte Hartmann, „dürfte es in der Prawda und in der Washington Post zu lesen sein. Nicht vorne drauf, mehr hinten unten, wo es anfängt, interessant zu werden." ,,Das war es also. Man dankt." „Zu Geheimdiensten stets gerne bereit", alberte der Stasi-General. 20
Eine Stunde später wußte Bonn Bescheid. Die Aufregung legte sich. Für Spanien erteilten auch die schärfsten Sicherheitsfanatiker grünes Licht.
Zwei Tage lang konnte die Entführung eines JumboJets der British Airways geheimgehalten werden. Das Düsenpassagierflugzeug befand sich, auf dem Wege von London nach Karatschi, über dem Arabischen Meer, als es Triebwerkprobleme und Zwischenlandung in Dubai meldete. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die mit 388 Personen besetzte Maschine bereits in den Händen von Terroristen und wurde zum Niedergehen auf eine einsame Wüstenpiste gezwungen. Die Nachricht sickerte erst durch, als Reporter in Karatschi vo n dem Luftnotfall erfuhren, der Sache nachgingen und den Jumbo im Oman nicht fanden, wo er auch nie angekommen war. Als die Weltpresse den Vorfall aufgriff, war die Forderung der Terroristen schon erfüllt worden. Die Engländer hatten mehrere palästinensische Freiheitskämpfer, die in Londoner Gefängnissen saßen und auf ihre Prozesse warteten, abgeschoben. Kaum waren sie in Beirut angekommen, verließen die Entführer die Boeing 747 und verschwanden in den Weiten der Rub-al-Khali-Wüste. Die freigepreßten Terroristen gehörten zum Freundeskreis von Abu Jovis. Ein Kommando, das seine Initialen führte und sich AJ nannte, bekannte sich zu diesem Anschlag. Dies durch einen Brief, der wenige Tage später die Nachrichtenredaktion des staatlichen italieni schen Fernsehens RAI erreichte. 21
Dritte Aktion
Paris
Holger Lummet verhielt sich seit seiner Rückkehr nach Paris zumindest merkwürdig. Manche seiner wenigen Freunde nannten es sogar rätselhaft. Sie hatten ihn als geschäftstüchtigen, aber auch stets hilfsbereiten, durchschaubaren Mann geschätzt. Nun ging er ihnen aus dem Weg, nahm keine Einladung an und verhielt sich unkalkulierbar. Fragen nach den Ereignissen in Beirut würgte er auf barsche Weise ab. Als bekannt wurde, daß er seinen Besitz in Paris und in der Normandie ve rkaufte, erklärte man es mit dem Tod seiner geliebten Frau. Angefangen hatte wohl alles mit dem Unfall seines Sohnes Raoul. Raoul hatte an der Sorbonne studiert und zwei Fehler gemacht. Einer davon hätte sich nach der herrschenden Meinung noch verzeihen lassen. Ein junger Mann konnte durchaus für gewisse Zeit Haschisch rauchen oder Kommu nist sein, aber nicht beides gleichzeitig. Raoul Lummet war von der Polizei bei einer Versammlung der Fraction-Rouge, deren militan tem Flügel man Sabotageanschläge auf öffentliche Einrichtungen zuschrieb, festgenommen worden. Außerdem hatte man zwei Gramm Kokain bei ihm gefunden. Das war der Grund, weshalb bei ihm die Klappe fiel. In einem Blackout schlug er auf der Montpar nasse-Wache Polizisten nieder, flüchtete mit einem geklauten Motorrad, wurde verfolgt und fahr gegen einen Brückenpfeiler. Folge: Tod durch Schädel bruch. Von da ab hatte der im legalen Jagdwaffenhandel 22
tätige Vater Raouls sein Geschäft erweitert. Er stieg groß in den illegalen Handel mit Kriegswaffen da Als Abnehmer bevorzugte er Gruppen, die um ihre Frei heit kämpften. Er mußte es mit dem Tod seiner Frau Simone bezahlen. Nun sah es so aus, als löse er seinen Besitz auf, um Kasse zu machen und sich irgendwo zur Ruhe zu setzen. Daß dieser aufrichtige, zu jedermann freundliche Bursche an Rache dachte, ahnte niemand. Es war auch absolut unvorstellbar, daß ein Mann allein es mit Leuten aufnahm, die ganze Armeen mobilisieren konnten und derer bis heute niemand Herr wurde. Weder die USA noch Israel, noch die UdSSR. Von den Polizeiorganisationen ganz zu schweigen.
Sein Haus in Paris, seinen Jaguar und sein Landgut in der Normandie hatte Holger Lummet für fünf Millionen Franc losgeschlagen. Umgerechnet ent sprach das etwa einer Million Dollar und lag um die Hälfte unter dem erzielbaren Wert. Aber Lummet hatte keine Zeit. Als Ersatz für das Haus mietete er ein Zimmer in einem Hotel nahe Pigalle. Zunächst für zwei Monate. - Den Jaguar wollte er gelegentlich durch einen gebrauchten R 4 ersetzen. Aber solange er in Paris zu tun hatte, benutzte er Taxi und Metro. Den Erlös aus seinem Besitz hatte er in der Schweiz angelegt. Er unterhielt aber noch sein Firmenkonto bei der Credit Lyonnais. Für dieses Konto war ein Überziehungskredit von einer halben 23
Million Francs vereinbart. Lummet arbeitete seit Jahren mit dieser Bank und war als seriöser vermögender Kunde bekannt. Da ihm noch fünfhunderttausend Francs fehlten, überzog er sein Konto, ohne daran zu denken, es je abzudecken. Er nahm also den Kreditswing in Anspruch, überwies den Betrag auf ein vorsorglich eingerichtetes Konto bei einer anderen Bank und hob dort in bar ab. Das war der Tag, an dem er die aus Beirut überführte Leiche von Simone am Zentralfriedhof beerdigte, und ein Tag, bevor er endgültig unter tauchte. Nach den Vorstellungen des Holger Lummet war es ferner nötig, daß er sein Aussehen änderte. Dazu bediente er sich einfacher Mittel. Sein in Grau übergehendes Haar färbte er schwarz. Er ließ sich einen Bart wachsen und in die Goldrandbrille seines Sohnes getönte Normalgläser einsetzen. Holger Lummet, der stets Anzüge der gehobenen Konfektionsklasse getragen hatte, besorgte sich Jeans, farbige Hemden, Cowboystiefel und eine gebrauchte amerikanische Pilotenjacke. Als einzigen Luxus leistete er sich alle erreichba ren Magazine und Zeitschriften über Waffen- und Wehrtechnik. Ohnehin technisch geschult, brachte er so sein Wissen auf den neuesten Stand. Zweimal pro Woche fuhr er zum Zentralfriedhof und legte Blumen auf Simones Grab. Immer brachte er ihr einen Strauß Margeriten. Die hatte sie besonders geliebt und sie ihre Riesen-Gänseblüm chen genannt. Wie stets sprach Lummet ein Gebet, wandte sich ab und nahm immer den gleichen Weg zum Hinter ausgang. 24
Am Dienstag kam es zu einem Zwischenfall. Aus der Deckung einer Trauerweide trat ein Mann hervor und versperrte ihm den Weg. „Hallo, Lummet!" rief er. „Du bist doch Holger Lummet?" Kopfschüttelnd, das Gesicht abwendend, wollte Lummet weitergehen. Da packte ihn der Mann im zweireihigen Kaschmirmantel am Ellbogen. Lum met riß sich los, aber der andere folgte ihm. „Was habe ich dir getan, Lummet?" fragte er. Lummet blieb stehen. Es hatte keinen Sinn. Er war erkannt worden, und er mußte es seinem alten Freund sagen. „Du bist schuld an allem", keuchte er heraus. „Ich möchte nichts mehr mit dir zu tun haben, Gregoire." „Nun mach einen Punkt", entgegnete der ele gante Fünfziger. „Ich habe nur den Kontakt mit dieser Beirut-Connection beigestellt. Das war alles. Sollte ich denn ahnen ..." „Daß sie Killer sind", fuhr Lummet ihn an. ,Ja, das solltest du." Mit einemmal waren Tränen in Lummets Augen. Der Schmerz übermannte ihn. Stumm umarmte er seinen alten Freund, bis dieser ihn beiseite hinter die Hecke eines schmalen Grabweges zog. „Komm nie wieder hierher", flüsterte Gregoire eindringlich. Lummet blickte ihn an und bat um eine Zigarette. „Sind sie schon hinter mir her?" Gregoire nickte. „Sie haben mich beauftragt, dich ausfindig zu machen. Sie geben erst Ruhe, wenn du erledigt bist." „So wie Simone dort unter der Erde." Lummet 25
rauchte hastig. Er wirkte nervös. Nervosität war die Vorstufe von Angst. „Als das Bestattungsunternehmen in Beirut die Tote suchte, sie dann einsargen und nach Paris fliegen ließ, da wußten sie, daß du den Auftrag gabst. Sie riefen mich an. Ich sollte dich suchen. Sie meinten, ich würde dich finden, wenn ich in Erfahrung bringe, wo du Simone begraben hast." „Dann melde es ihnen", bemerkte Lummet bitter. „Ihr seid doch alle elende Halunken." Der grauhaarige Gregoire trat die Zigarette aus, die Lummet weggeworfen hatte. „Das werde ich tun", versicherte er. „Aber nichts als das. Und dir rate ich: Komm nie wieder hierher!" Langsam gingen sie auf den Hinterausgang zu. Lummet sagte: „Ich werde wieder herkommen, wenn die Gefahr vorbei ist, daß sie mich an Simones Grab ab knallen." „Solange Abu Jovis lebt, besteht dazu keine Aussicht" „Aber nur solange er lebt", schränkte Lummet ein. Gregoire, seriöser und behäbiger als der hagere Lummet, steckte die Hände in die Manteltaschen. „Was ist passiert zwischen euch?" „Nichts", antwortete Lummet, „als daß er mich für seine Fehler büßen läßt. Er schuldet mir eine viertel Million Dollar und Simones Leben. Ist doch genug, oder?" „Genug wofür?" „Um ihn zu töten." Nun lachte Gregoire leise in sich hinein. Er zog 26
seine Glacehandschuhe an, und draußen vor dem Friedhof setzte er den Hut auf. „Du willst Abu Jovis töten? Dazu müßtest du ihn erst einmal haben. Nimmst du dir nicht ein bißchen viel vor, wenn man bedenkt, daß Interpol und Interkrim, FBI, Scotland Yard und alle Geheim dienste des Westens ihn jagen." „Sie tun ihren Job. Ich aber hasse ihn", erklärte Lummet. „Die Maus kreißt und gebiert einen Berg", spottete Gregoire in Abwandlung des Sprichwortes. Sie gaben einander die Hand. Es war wie der Punkt am Schluß des Satzes, der die Geschichte ein für allemal beendet. „Am besten, du verläßt Paris", riet Gregoire. „Machst du noch Geschäfte mit ihnen?" wollte Lummet wissen. ,Ja, sie suchen Flugzeugabwehrraketen. Sie wün schen sich die neue amerikanische Stinger." „Kaum zu kriegen." „So schwer zu kriegen wie eine Atombombe." „Wollen sie die etwa auch?" „Gewiß, aber sie können sie nicht bezahlen." „Es sind Wahnsinnige." Gregoire, der alte Waffenmakler, nickte und legte Lummet die Hand auf die Schulter. „Wir etwa nicht?" fragte er. „Paß auf dich auf, mein Junge. Von mir erfahren sie nichts. Aber paß auf dich auf." Rasch wandte er sich ab und ging hinüber zum Parkplatz, wo sein neuer Mercedes stand.
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In dieser Woche kam es zu kaum nennenswerten Störungen aus der internationalen Terroristen szene. In Hamburg wurde eine Bank überfallen und in Amsterdam ein Geldtransporter. Man nahm an, daß es sich um irgendwelche kleineren Gruppen han delte, die sich Che Guevaras Brigade, FFK - also Freiheit für Kurdistan - oder Rote-Armee-Frak tion nannten. Bekennerbriefe gingen nicht ein. Daß Abu Jovis und seine Organisation dahinter stand, schien zweifelhaft. Dazu fehlte den Anschlä gen das Format. Vierte Aktion
Spanien
Der Einstein-Club tagte in Alicante an der Costa Bianca. Man traf sich erst zu einem gemeinsamen Wieder sehensdrink, danach zu einem Begrüßungsessen. Am nächsten Morgen wurde das Programm festge legt Auf eine Tagesordnung verachtete man, denn die Entscheidung, ob man an einem Tag arbeiten wolle und an einem anderen nicht, war bei nur sechs Mitgliedern leicht zu treffen. Das Programm führte nur die Themen der Refe rate auf. Über ihre Reihenfolge wollte man sich später einigen. Je nach Wichtigkeit und Bedeutung der Forschungsergebnisse, die ein Mitglied seinen Freunden mitzuteilen hatte, beabsichtigte man Diskussionen wie Gespräche - der Einfachheit halber Seminare genannt - anzuhängen. Auf kei nen Fall sollte die Konferenz in Hektik ausarten. 28
Die Clubmitglieder waren alle Individualisten und gewohnt, entweder mit hoher Intensität zu arbeiten oder überhaupt nichts zu tun. - Nach zwei Vorträgen wurde mindestens ein Ruhetag eingelegt. Die selbst für europäische Begriffe außerordent lich hübsche Japanerin Dr. Kiki Kuma wandte sich beim Lunch an ihren französischen Kollegen: „Sie kennen das Land am besten, Delattre", sagte sie auf englisch. Schon vor Jahren hatte man Englisch zur Konversations- und Korrespondenz sprache bestimmt. »Was schlagen Sie für morgen vor? Morgen ist Pausetag." Der Franzose, mit sechzig noch immer ein Frau enfreund, fragte lächelnd: „Kultura oder Faulenzen?" Die Japanerin verleugnete die besonderen Cha raktereigenschaften ihrer Rasse nicht. „Kultura", schlug sie vor. Japaner mußten immer Neues erleben, Unbe kanntes sehen. Wenn die anderen auf Westernfilme schalteten, bevorzugte sie im Fernsehen Bildungsprogramme. Sie las keine Kriminalromane, sondern Fachbücher. Und wenn sie Tennis spielte, dann nicht zum Spaß, sondern zur körperlichen Ertüchtigung. »Was halten Sie von Granada?« fragte der Brite, ein Mann, hager wie ein Windhund. „Kenne ich", antwortete Dr. Kiki Kuma. „Ich habe einige sehr eindrucksvolle Videos gesehen." „Oder die Palmenhaine von Elche?" „Strömen sie besondere Gerüche aus?" „Eigentlich nein." „Wie war's mit Ronda?" steuerte der rundköpfige Professor Koller bei. „Die spanischste aller spani schen Städte." 29
„Zu weit", meinte der Franzose und fragte voll Spott: „Gewiß kennen Sie auch die Stierkämpfe aus Filmen, meine teuerste Kiki." „Allerdings", erklärte die Japanerin. „Ich habe alles darüber gelesen, was ich in die Finger bekam. Schon mit sechzehn Jahren. Ich tat es, obwohl ich diesen Kult grausam fand. Heute weiß ich es besser. Ich glaube, Leben und Tod können nicht schöner sein als bei einem Kampfstier. Selbst ein Mensch muß sie beneiden. Eine Jugend in absoluter Frei heit, Gras nur von besten Weiden und auf dem Höhepunkt des Lebens ein Kampf mit furiosem Ende. Gegen den Tod eines Stiers in der Arena ist das Sterben der meisten Menschen reine Barbarei." „Dann versuche ich", sagte der Deutsche, „einen Schaukampf zu arrangieren. Ich kenne in Callosa einen Stierzüchter, der probiert für uns gerne ein paar Jungstiere aus." „Riecht man das?" fragte die Japanerin begei stert. „Schmeckt man das? Hört man das?" „Etwas besser als im Kino schon", meinte der Amerikaner ironisch. Sie beendeten das Essen. Professor Koller rief seinen spanischen Freund an. Der Engländer Mid land organisierte einen Kleinbus mit Fahrer. Der Franzose sagte, er wolle sich um Proviant und Wein kümmern. Auf diesen Haziendas sei es staubig und ein Bad im Meer vielleicht eine angenehme Erfri schung.
Es war ein heißer Tag in diesem heißen Sommer. Doch bei Don Alfonso y Callosa, in der Sierra, war es erträglich. 30
Er stellte seine besten Pferde zur Verfügung. Soweit sie des Reitens kundig waren, machten sie Gebrauch davon. Nur Shmuel Karov, der Russe, blieb auf der Hazienda zurück. Er hatte sich vor kurzem ein neues Hüftgelenk einsetzen lassen und wollte nichts riskieren. „Warum zu Pferde?" fragte die Japanerin den Haziendero. „Sie besitzen Dutzende von Jeeps, Senor." Der Spanier - in der bestickten Tracht und Sombrero sah er aus wie ein mexikanischer Grande - lachte dröhnend. „Der Kampfstier", sagte er, „darf bis zur Stunde der Wahrheit in der Arena niemals einen Mann zu Fuß sehen." „Warum?" fragte die Professorin aus Tokio. „Das fremde Lebewesen auf zwei Beinen sorgt flir Überraschung und damit für Gleichheit der Waffen." „Hat der Matador nicht einen Degen?" „Erst hat er die Banderillas, die er auf einen verdammt schnellen und gefährlichen Stier stecken muß." „Und diese Leute auf den Pferden mit den Spießen?" „Die kitzeln ihn nur, machen ihn wütend und scharf." „Aber der Matador hat Erfahrung im Töten. Das ist ein Vorteil." „Der Stier lernt schnell. Außerdem ist ihm der Kampf sinn angeboren." Wie sie auch fragte, es gab immer eine Antwort. Nach halbstündigem Ritt näherten sie sich den jungen Stieren. Einige wurden eingefangen, zur 31
Hazienda getrieben und in der Privatarena auspro biert, wie Don Alfonso es nannte. „Verdirbt sie das nicht?" fragte die Japanerin. „Mag schon sein, ein wenig. Aber man muß Gewißheit über die Qualität der eingezüchteten Stämme gewinnen. Es sind normale Stichproben. Machen Sie niemals Stichproben, Senorita? Wie verhält sich eine Frau wie Sie Männern gegenüber? Akzeptieren Sie stets unbesehen?" Sie gefiel ihm. Das sah jeder. Er machte ihr Komplimente, machte ihr einen Antrag und sagte, sie solle bei ihm bleiben. Sie lehnte jedoch bedau ernd ab. Zum Abschied wollte er ihr eines seiner besten Pferde, einen edlen Araber, schenken. Wieder hatte er kein Glück. Als sie schon den Bus bestiegen hatte, rief Don Alfonso: „Senorita, ich liebe Sie. Ich bin für Sie ent flammt. Ich würde alles für Sie geben. Nennen Sie mir den Preis." „Er ist zu hoch", sagte sie mit einem Blinzeln ihrer Mandelaugen. „Madam, was kosten Sie?" drängte Don Alfonso. „Mich gibt es geschenkt", flüsterte sie, „oder gar nicht.« In tiefer Trauer blieb der spanische Adlige zurück, zu stolz, um den Besuchern nachzuwinken. Auf der Fahrt über die kurvenreiche Straße hinab zur Küste fragte Professor Elias Morgan aus New York: „Und was ist wirklich Ihr Preis, Kiki?" Die Japanerin lachte. „Für ein erfrischendes Bad würde ich eine Menge geben", sagte sie. 32
Sie kletterten von der Straße zum Strand hinab. Die Küste war hier steil, felsig und lag gut dreißig Meter über dem Meer. Mit Picknickkörben und Thermosflaschen unten angekommen, stellten sie fest, daß sie die Badean züge vergessen hatten. Der Franzose sah allerdings nur ein Problem, nämlich bei der Japanerin. „Sie schätzen doch jede Art von Erfahrung, verehrte Kollegin", sagte er. „Ich bin begierig darauf." „Was halten Sie davon..." Erst blickte er die anderen der Reihe nach an, dann die Dame des Clubs. „Was halten Sie von nacktbaden? Wäre das nicht mal etwas gänzlich anders?" Sie strich sich die Ponyfrisur zurück. „Nur insofern", antwortete sie, „als ich nackt mit Gentlemen der weißen Rasse bade. Nacktbaden ist bei uns zu Hause das Übliche." „Heroen und Damen gemeinsam?" „Sogar in ganz kleinen Becken." „Nun, besondere Adonisse sind wir ja alle nicht." „Bei uns baden selbst Jungfrauen und Großväter gemeinsam." Sie zogen sich aus und stürmten nackt in die Dünung. Professor Midland aus London war es bald zu kalt. Er watete aufs Trockene. Als ehemaliger Pfadfinder übernahm er es, das Lagerfeuer vorzu bereiten. Er machte eine Grube, legte zwei Steine so, daß nicht zu viel Wind ins Feuer kam und sammelte trockenes Holz. Als die anderen sich anzogen und 33
hinsetzten, stand die Pfanne mit Paella bereits auf dem Rost „Bei einem Lagerfeuer", wandte der Engländer sich an die Japanerin, „hat man manches zu berücksichtigen." „Ich war selbst Pfadfinder", erklärte sie und filmte die Runde mit ihrer Videokamera. Sie filmte eigentlich ständig. Sie hatte die Stiere gefilmt, das Bad und jetzt die Runde um das Feuer. Sie filmte Delattre, wie er Tintoflaschen öffnete, Karov, wie er die kalten Hühner teilte, und Koller, wie er Brot und Käse schnitt. Beim letzten Schwenk geriet ihr ein Fremder in den Sucher. Er mochte noch einen halben Kilometer entfernt sein, aber im Zoom war er deutlich zu erkennen. Ein Riese von einem Mann, nahezu zwei Meter lang, gebaut wie ein Athlet. Von seinem Gesicht sah man wenig. Er trug schwarzen Kinnbart, Bart über der Oberlippe und Sonnenbrille. Sein Körper arbeitete wie eine perfekte Maschine, als er sich im Dauerlauftempo der Gruppe näherte. „Ein Jogger", sagte der Russe verächtlich. „Joggen ist wohl das allerletzte", stimmte Delattre ihm zu. „Ich spare meine Energien lieber fürs Nach denken." „Nach neuesten Erkenntnissen", steuerte der Franzose bei, „ist loggen gut gegen verklemmten Sex. Nach zwanzig Meilen sollen regelrechte Orgas men eintreten." „Brechen sie dabei nicht zusammen?" „Geistige Orgasmen." Die Japanerin fragte: 34
„Trifft das auch bei Damen zu?" „Ganz besonders bei Damen, verehrte Kollegin." „Das müßte man ausprobieren. Das ist mir neu." „Aber, Darling", meinte Midland. „Dafür gibt es doch wahrhaft einfachere und bequemere Me thoden." Kiki Kuma nahm wieder ihren Camcorder hoch und ließ ihn arbeiten. Man hörte nichts, man sah nur eine rote Diode blinken. Der Fremde war im Sucher so nah, als würde er sie jetzt überrennen. Es lag am Sechsfach-Zoom. Noch mochte er hundert Meter entfernt sein. Nun nahmen auch die anderen ihre Kameras heraus, um den olympischen Körper eines Mannes im Spiel der Muskeln festzuhalten. Der Mann trug nur Boxershorts und Laufschuhe. Bald hörten sie ihn keuchen. Er sagte auch etwas. Es klang wie ein Fluch. „Die Kameras weg", rief er, „oder ich zerschlage sie Ihnen!" „Offenbar ein Starathlet", bemerkte Koller. „Er trainiert hier heimlich." Sie fotografierten und alberten fröhlich. Der Läufer - jetzt nur noch zwanzig Meter entfernt - mäßigte sein Tempo und nahm es fast bis zum Stillstand zurück. Wie einer, der nicht aufhö ren konnte, trabte er am Ort weiter. Dabei musterte er die sechs Leute. „Wer sind Sie?" ,,Das möchten Sie gerne wissen, he?" „Ich werde es erfahren. Dann gnade Ihnen Gott." „Was soll das heißen?" „Niemand ist ungestraft unfreundlich zu mir." Der Engländer hielt ihm eine Flasche hin. „Nimm einen Schluck, Sportsmann." 35
Der andere lehnte ab, „Ah, ein Moslem. Darf keinen Alkohol trinken." „Wer sind Sie?" fragte die Japanerin. „Muß ich Sie kennen, Sir?" „Wer kennt so einen schon", sagte Delattre. „Einen Kilometerknaller." „Und ich kenne Sie doch", beharrte die Japa nerin. „Ich auch", stimmte ihr der Russe bei. „Wenn ihr mich überredet", bemerkte Koller, „dann hab' ich diese komische Gestalt ebenfalls schon gesehen. Ich meine, dieses Arrangement von Bart, Falkennase, Sonnenbrille und Denkerstirn. Wer sind Sie, junger Freund? Lüften Sie Ihr Inkognito, setzen Sie sich zu uns, trinken Sie Wein, oder mögen Sie lieber Cognac?" Der Fremde - er mochte ungefähr dreißig Jahre alt sein - spuckte vor ihnen aus. „Das gehört sich aber gar nicht", protestierte Elias Morgan. „Wir werden uns beschweren. Wir kriegen schon heraus, wer Sie sind, Amigo." Da setzte der Fremde mit einem Sprung über das Feuer und verschwand im Dickicht. Wenig später sahen sie ihn, behend wie eine Bergziege, die Felsen erklettern. „Was sagt man dazu", staunte Midland. „Gibt doch merkwürdige Typen." Sie speisten und tranken, aber auf irgendeine Weise war die Stimmung zum Teufel. Bald löschten sie das Feuer, packten zusammen, erklommen das Kliff und bestiegen den Bus. „Nanu, wo ist der Fahrer?" fragte Midland, der sich für den Transport verantwortlich fühlte. Sie standen südlich von Altea, draußen am Kap, 36
und hatten noch zwei Stunden zu fahren. Es ging auf zwanzig Uhr. Die Dämmerung kam. Sie riefen nach dem Fahrer. Der Engländer, der um den Kleinbus herumge gangen war, tauchte völlig konsterniert wieder auf. „Seht euch das an!" Sie fanden den Fahrer. Er lag hinten unter dem VW-Achtsitzer. Er war tot. „Schuß durch beide Ohren", stellte Dr. Koller, der als Mediziner angefangen hatte, fest. Sie blickten sich an. Keiner sagte ein Wort. Jeder suchte für sich nach einer Erklärung. ,,Der Strandläufer etwa?" entfahr es dem Russen. „Der doch nicht." Ein Geräusch, das sie alle kannten, ließ sie herumfahren. Es kam von Westen aus den Vorber gen der Sierra. Es hörte sich an, als würde ein unrunder Ventilator die Luft schlagen. Darüber lag ein Singen, wie es Verbrennungsturbinen erzeug ten. - Es handelte sich um einen Rotor, angetrieben von einem Düsentriebwerk. „Hubschrauber?" rief Midland erstaunt. „Sehr tief." „Ungewöhnlich tief." „Vielleicht die Polizei." „Sie käme wie gerufen." Es war kein Polizeihelikopter. Die spanische Polizei hatte nur wenige davon. Außerdem waren die Helikopter der Polizei weißblau. Dieser war schwarz. Wie eine eiszeitliche Flugechse tauchte er hinter den Hügeln auf, stand erst eine Weile unbeweglich und lauernd am Himmel, dann schien er sich auf sie zu stürzen. Die Schiebetüren beiderseits der Kabine glitten 37
auf. Automatische Waffen eröffneten auf den Bus und die Wissenschaftler das Feuer. Delattre wurde am Arm erwischt, die anderen warfen sich in Deckung. Der Hubschrauber kam tiefer und landete wenige Meter neben dem Bus auf der Straße. Staub quirlte hoch. Männer in schwar zen Kombinationen und Gesichtsmasken sprangen heraus und umringten die Mitglieder des Einstein dubs. Einer rief: „Die Kameras her und mitkommen!" Professor Elias Morgan wollte protestieren. Sie schlugen ihn mit einem MPi-Kolben nieder.
In der letzten Juliwoche sprengten Spezialkom mandos die irakische Ölleitung, die von Bagdad über Mossul in die Türkei führte. Die Zerstörung erfolgte an drei Stellen, weitab von den Überlandstraßen im Tigristal. Dadurch wurde der Ölexport des mit Persien Krieg führen den Irak noch weiter gedrosselt, was die Mittel zum Kauf von Flugzeugen, Panzern und Munition stark einschränkte. Die Gruppe um Abu Jovis bekannte sich nicht zu dem Anschlag. Niemand zweifelte jedoch daran, daß dieser Mann seine Hand im Spiel hatte. Angeblich betrug die Kopfprämie für Abu Jovis mittlerweile eine Million Dollar.
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Fünfte Aktion
Brüssel
Was sich im NATO-Hauptquartier ereignete, hatte den Seltenheitswert von Maiglöckchen im Winter. An der Geheimdienstkonferenz nahm auch das japanische Kempetai und der sowjetische KGB teil. Aus Sicherheitsgründen - man wollte weder die Japaner noch die Russen im eigentlichen Kom mandobereich haben - fanden die Gespräche in einem älteren Stabsgebäude der Marschall-Dela haut-Kaserne in Waterloo statt. Den ersten umfassenden Bericht lieferte der spanische BIS-Oberst Erneste Segovia. „Gentlemen, Messieurs, Mijnheeren, meine Her ren, Signori", begann er. „Als am Abend des xTages der Kleinbus mit den Mitgliedern des Ein stein-Clubs nicht zum Hotel in Alicante zurückge kehrt war, wurde von der Hoteldirektion zuerst der Busunternehmer angerufen. - Dort wußte man nichts von einer Panne. Der Inhaber der Firma setzte sich in seinen Personenkraftwagen, um Bus, Fahrer und Passagiere auf der vorgesehenen Route zu suchen, konnte jedoch bis zum Morgen keine Spur von ihnen finden. Und dies, obwohl er zwischen Colossa und Alicante sowohl die Auto bahn als auch die Küstenstraße in Augenschein nahm. Er fragte an jeder Zahlstelle, bei jeder Reparaturwerkstatt, Tankstelle und in jedem Restaurant beiderseits der in Frage kommenden Wege." Der Spanier entrollte nun eine Karte der Provinz Valencia. Sie umfaßte den Bereich nördlich der Stadt Alicante zwischen der Küste und der Sierra. Dann fuhr er fort: 39
„Gegen elf Uhr am Vormittag, als von den Vermißten noch kein Lebenszeichen eingetroffen war, verständigte die Hotelleitung die örtlichen Polizeibehörden. Im Laufe des Nachmittags fuhren mehrere Streifenwagen die Strecke ab. Von See aus kontrollierte ein Patrouillenboot und aus der Luft ein Hubschrauber die Küste. Man fand nicht den geringsten Hinweis - Die Polizeidienststellen informierten daraufhin das Innenministerium in Madrid. Eine Einheit der Brigada investigación wurde von mir eingesetzt. Wir hätten uns gerne in aller Ruhe an die Arbeit gemacht, aber inzwischen hatten die Medien Wind von der Sache bekommen. Seitdem vergeht kein Tag, keine Stunde, ohne reißerisch aufgemachte Reportagen, Artikel, Sen dungen, das Verschwinden der, wie man behauptet, sechs besten Köpfe dieser Erde betreffend." Die Anwesenden waren begierig zu hören, was die großangelegte Suchaktion der BIS in Verbin dung mit Militär, Marine und Luftwaffe sonst noch erbracht hatte. „So gut wie nichts", bedauerte der mittelgroße, schmale Spanier und legte einige Gegenstände vor sich auf das Pult. „Eine Tüte mit Ascherinhalt, den der Fahrer beim Parken an den Straßenrand gekippt hat." „Kann die Asche nicht von einem anderen Touri sten stammen?" „Wir fanden Zigarettenreste verschiedener Mar ken. Amerikanische, deutsche, französische. Dazu ein Papiertaschentuch japanischer Herkunft. Diese Vielfalt läßt nur einen Schluß zu: Der Bus hielt einmal kurz in La Nucia, das ist ein kleiner Ort ungefähr auf der Hälfte der Strecke von der Hazienda von Don Alfonso und der Küste. Der 40
Strand wurde natürlich auch abgesucht, da wir annehmen, daß die Gruppe badete. Wir fanden Reste eines Lagerfeuers. Es kann aber auch von anderen Personen stammen, ebenso wie die Tüte mit Abfall. Inhalt Hühnerknochen, Wursthaut, Brot und Käserinden." Der Spanier führte seine Ermittlungen präzise aus, was jedoch am negativen Ergebnis wenig änderte. Er beantwortete auch jede Frage, ließ sich aber ebensowenig auf Mutmaßungen ein, wie ein Wissenschaftler, der für neue Erkenntnisse noch keine Beweise vorlegen konnte. „Der Aussage des Stierzüchters Colossa zufolge, befand sich die Gesellschaft in angeregter Stim mung", warf jemand ein. „Wir schließen einen Unfall nicht völlig aus. Selbstverständlich wurden alle Stellen abgesucht, wo ein Fahrzeug von der Straße abkommen und in die Tiefe stürzen kann. Nicht nur mit Hubschrau bern, sondern auch durch Kletterer und an der Küste von Tauchern." Der Russe stellte eine Frage: „Erwähnten sie nicht die Spuren eines Strand läufers, Coronello?" „In der Tat. Leider waren sie schon mehrere Tage alt, als wir sie entdeckten. Zum Teil hatte die Dünung sie überspült und Flugsand sie verweht. Es handelt sich um die Abdrücke von Joggingschuhen der Marke Puma, Größe fünf und vierzig. Gewicht des Trägers ungefähr neunzig Kilogramm. Die Spur führte erst in Richtung Benidorm, machte dann etwa einen Kilometer nordöstlich des Leuchtturms von Altea kehrt und endete am Strand, wo sie begonnen hatte. Der Träger durfte zur Straße 41
hinaufgeklettert sein und dort sein Fahrzeug bestie gen haben, um nach Hause zu fahren." „Ist loggen am Strand in Spanien ungewöhn lich?" wurde gefragt. „Heute nicht mehr. Vor zehn Jahren war es neu. Inzwischen hat diese Art körperlicher Betätigung aus den USA auch uns erreicht." Die versammelten Delegierten ergingen sich in Kombinationen, wie das Verschwinden der Wissen schaftler zu erklären sei. „Ein Unfall?" fragte einer erneut. „Scheidet aus. Es gäbe Spuren." „Wäre möglich, daß sie sich einen Scherz er laubten?" „Um auf sich aufmerksam zu machen? Wohl kaum. Diese Leute schätzen Diskretion über alles." „Hatten sie ihre Arbeit im stillen satt? Wußten sie zuviel? Sahen Sie vielleicht das Ende der Mensch heit unweigerlich gekommen und stiegen aus?" „Das traue ich dem einen oder anderen durchaus zu", meinte der KGB-Offizier aus Moskau, „aber nicht unserem Professor Shmuel Karov, Mitglied des ZK der KPdSU, Träger des Leninordens für Wissenschaft, Held des Volkes, Direktor der größ ten Technischen Universität des Landes, Träger des Nobelpreises . . . nein, ausgeschlossen. Für Karov können wir bürgen." „Entführung?" gab der Japaner, ein Major des Kempetai, das Stichwort. Es herrschte Schweigen. Dann fragte einer, an den Fingern abzählend: „Wer? - Warum? - Wie?" „Und wohin brachte man sie, ohne Spuren zu hinterlassen?" ,,Die perfekteste Entführung aller Zeiten wäre 42
das. Wer hätte ein Interesse an ihnen. Ein Industrie multi? Was haben die sechs Geheimnisvolles ge funden?" Der Russe erklärte daraufhin: „Daß einer der Geheimdienste dahintersteckt, dürfen wir ausklammern. Die Vertreter der größten Industrienationen, der USA, Japans, der Bundesre publik und der Sowjetunion sitzen hier gemeinsam an einem Tisch. Ich darf Ihnen versichern, daß wir nichts, aber auch gar nichts damit zu tun haben. Jede Beschuldigung weisen wir aufs schärfste zurück." „Wir ebenfalls", beteuerte der Amerikaner. „Was also geschah am Strand bei Alicante?" ließ sich der Spanier wieder vernehmen. „Ein Terroranschlag zwecks Erpressung." „Bis heute Hegt keine irgendwie geartete Forde rung vor." „Das ist doch für alle in Frage kommenden eine Nummer zu groß," „Nicht für einen", schränkte der Italiener ein. „Nicht für den, den wir alle kennen und dessen Namen ich mich auszusprechen scheue." „Abu Jovis", wagte es der Norweger, dessen Land bis heute nicht vom Terrorismus beeinträchtigt worden war. „Abu Jovis hat andere Sorgen." „Die würden mich sehr interessieren", gestand der Vertreter des Bundesnachrichtendienstes.
Dann ging es nur noch um die zu ergreifenden Maßnahmen. Die Geheimdienste hatten die erste Garnitur ihrer Operativagenten aufgeboten, um 43
Licht in das Verschwinden der Clubmitglieder zu bringen. Sie hatten sicherheitsmäßig gegen Alicante keine Einwände erhoben und fühlten sich nun verant wortlich. Die Dienste wollten zunächst an den Wohnorten und Arbeitsstätten der sechs Wissenschaftler Nach forschungen anstellen. Man kam überein, stets zwei Agenten einzusetzen. In den USA machten sich ein CIA-Mann und ein KGB-Agent auf die Spuren von Prof. Elias Morgan. In Tokio arbeitete Kempetai mit dem BND Hand in Hand. Frankreich ließ für die Durchleuchtung von Dr. Delattre einen Engländer von MI-6 kommen. Für Prof. Koller wiederum wurde ein Franzose dem deutschen Verfassungsschutz zugeteilt. Und einer ihrer anerkannten Spürhunde war nach Spanien unterwegs. Der BND-Agent Nr. 18, Robert Urban, genannt Mister Dynamit, sollte an der Küste Nachschau halten. „Er wird nichts finden, was wir nicht schon gefunden hätten", versicherte Coronel Segovia. „Fassen Sie es nicht als Mißtrauen auf", bat der General, der das Gespräch leitete. Um den Stolz der Spanier nicht zu verletzen, hatte man einen Mann delegiert, der mit Segovia schon oft zusammengearbeitet hatte. Sie waren sogar befreundet. „Oberst Urban akzeptiere ich immer", erklärte der Chef der Brigada investigación und packte seine Sachen zusammen. „Das wußten wir und erwarten Ihr Verständnis. In jedem der betroffenen Länder sollen zwei hoch klassige Fachleute weiter an dem Fall arbeiten." Die Versammlung war dabei, sich aufzulösen. 44
Jeder wollte so schnell wie möglich das nächste Flugzeug erreichen. Da wurde eine Meldung herein gereicht. Der Vorstand, ein NATO-General, überflog das Telex und reichte es weiter. - Nachdem es alle gelesen hatten, sagte der General: „Ein Überfall auf einen Güterzug der HedschasBahn mit fünfhundert Tonnen Waffen, Munition und Ersatzteilen. Ein schwerer Schlag für Bagdad." „Und wer steckt dahinter?" „Abu Jovis." „Er schießt sich nicht nur auf die Feinde der Palästinenser ein, sondern auch auf die Zerstörer des wahren Glaubens." „Solange er es da drüben tut", äußerte der Amerikaner, „meinetwegen." Alle blickten ihn vorwurfsvoll an. Daraufhin befürchtete der Amerikaner, daß er die Bemerkung so nicht im Raum stehen lassen könne. Er wieder holte sie, fügte aber noch einen Satz hinzu: „ ... solange Abu Jovis in Nahost aktiv ist, kann er bei der Entführung des Einstein-Clubs seine Hände nicht im Spiel gehabt haben. Oder?" „Wer dann?" „Gentlemen", gestand der General. „Unter uns: Abu Jovis wäre mir noch der Liebste. Dann wüßten wir endlich, woran wir sind." „Mit einer Einschränkung", sagte der Engländer, „Wenn Jovis sie hat, sehen wir sie niemals wie der . . ."
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Sechste Aktion
Alicante/Spanien
Der BND-Agent Robert Urban hatte zwei Tage dafür geopfert, nach Spuren zu forschen. Wo immer vor ihm spanische Polizisten, Soldaten mit Sonden und Suchhunden, Hubschrauberpiloten mit Kameras oder Marineeinheiten mit Unterwas serortung gesucht hatten, hielt er Nachlese. Ohne Erfolg. Er teilte das in Frage kommende Gebiet in Quadrate ein und hakte sie nacheinander ab. Von allem, was die BIS entdeckt hatte, vom Parkplatz in La Nurcia wie von dem Lagerplatz an der Steilkü ste, fertigte er Skizzen an. Mit dem geländegängigen Mietwagen, einem Landrover, hatte er jeden nur einigermaßen befahr baren Pfad durch Macchie, Gestrüpp und Wälder bis in die Felsregionen der Sierra mehrmals durch messen. Bei Sonnenuntergang saß er noch einmal oben am Kliff. Nordwestlicher Wind, etwa Stärke vier, ließ die Dünung ein wenig höher laufen. Dort, wo der massive Felsstock senkrecht ins Wasser abfiel, peitschte die Gischt meterhoch auf. Wenn die Wellen abliefen, bildeten sie Strudel. Durch die weißen Schaumkronen war deutlich zu erkennen, wie sich der Strudel in immer engeren Spiralen in die Tiefe drehte. Ein Phänomen, das wohl nur bei besonderen Ve rhältnissen zu beobachten war. Urban schloß daraus, daß es hier eine Unterwas serhöhle gab, gebildet durch Felsüberhänge. Er rauchte, fasziniert von dem wechselnden Spiel des entstehenden und vergehenden Strudels, noch eine Zigarette. 46
Als es dunkel war, fuhr er nach Altea, wo er Quartier genommen hatte. Nach dem späten Essen schlenderte er durch die Gassen zum Hafen hinunter und betrat eine Bodega, wo die Fischer Karten spielten und zum Tinto Pistazienkerne kauten. Er lehnte sich an eine Säule des alten Bruchsteingewölbes und schaute ihnen zu. Später zog er sich einen Hocker heran. Weil er sich schweigsam verhielt, duldeten sie ihn als Beobachter. In einer Pause, als die Karten neu gemischt wurden, wandte sich einer der Fischer an ihn. „Extraniero?" Urban deutete durch Kopfnicken an, daß er Fremder sei. „Von der Presse?" Jeder, der hier länger als zwei Tage blieb, wurde für einen Reporter gehalten. Nach dem Verschwin den der Wissenschaftler hatte es eine wahre Inva sion gegeben. Inzwischen waren die meisten wieder abgereist, weil es nichts mehr zu recherchieren gab. „No", sagte Urban. „Investigation secreta." „Hombre!" staunte der Spanier. „Americano?" „Aleman." „Si, ein deutscher Professor war auch dabei." Der Spanier fand es vertrauenerweckend, daß Urban so gut spanisch sprach. Er sagte ihm, was er dachte, und Urban auch. Bevor das nächste Spiel begann, fragte Urban, ob der Spanier einen Kutter habe. „Woran sehen Sie, daß ich Fischer bin. Stinke ich danach?" „An Ihren Händen", erklärte Urban. „Tauwerk hinterläßt selbst auf Hornhaut Spuren. Wenn es 47
durchläuft und heiß wird, reißt es das Fleisch auf, und es bilden sich Narben besonderer Art." Der Fischer schob seine Baskenmütze zur ande ren Schädelseite und musterte ihn mit seinen hellen Seemannsaugen. „Stimmt, ich besitze einen Kutter." „Kann man ihn mieten?" „Die großen Schwärme kommen erst wieder im Herbst." Er hatte also Zeit. Sie einigten sich über den Tarif für einen Tag. „Wohin soll es gehen, Senor?" „Zum Kliff." Der Fischer kratzte sich am Schädel. „Ungünstige Strömung dort." „Gerade deshalb." „Und Strudel. Mal hier, mal da." „Ich muß trotzdem runter." „Bist du lebensmüde, Companero?" „Es gibt Tauwerk, an das man sich halten kann und Tauchgeräte." „Der Strudel reißt dich glatt weg, Hombre." Urban glaubte, Bescheid zu wissen. „Hat man deshalb am Kliff nicht weitergesucht?" „Sie ließen 'ne Kamera runter." „Eine Kamera sieht zu wenig." Der Fischer nahm die Karten, die man ihm zugeteilt hatte. „Ich heiße Juan. Besorg du den Tauchapparat, ich beschaffe das andere. Morgen mittag. Vamos." „Morgen mittag." Urban wollte gehen, doch der Fischer hielt ihn fest „Aber versprich dir nichts, Compadre." „Wenn etwas da ist, finde ich es", erklärte Urban, 48
„und wenn ich den Kraken die Wahrheit aus den Saugnäpfen schneiden muß." „Du bist in Ordnung." „Ich hoffe", sagte Urban.
Der Strudel am Kliff wirbelte ihn herum, daß Urban fürchtete, die unaufhörliche Rotation würde die Stahltrosse aufdröseln. Vorsichtshalber hatte er einen Drehschäkel ver wendet. Als er nahe daran war, die Orientierung zu verlieren, hatte ihn der Strudel bis in die Spitze seines Schlundes gesaugt. Auf etwa zwanzig Meter Tiefe konnte Urban sich aus ihm befeien. Mit einemmal war ruhiges Wasser um ihn herum, wenn auch kalt und von Plankton durchsetzt. Über ihm ein stetes Brausen und Dröhnen. Das Brechen der Gischt toste bis in die Tiefe. - Er schwamm hinein ins Dunkel des Kliffüberhanges, stieß bald gegen eine Wand und tastete sich daran entlang. Später schaltete er die wasserdichte Lampe ein. Ihr Kegel reichte aber nicht weit. Ein Schwärm silbriger Fische und etwas Schlan genartiges tauchten auf. Ein Aal. Verdammt, dachte er, wo Aale sind, da ist auch Aalfutter. Aale fing man mit Tierkadavern, aber sie waren nicht wählerisch. Sie fraßen sich auch in Menschenkadaver hinein. Er ruderte dem Aal hinterher, und bald sah er ein bizarres Skelett. Die Knochen waren aus Eisen, die Öffnungen große und kleine, von einer gewissen Regelmäßigkeit. Das Skelett einer Autokarosse. Das Ding hatte Beulen wie ein alter Farbkanister. 49
Aber zweifellos war das einmal ein VW-Bus ge wesen. Durch die Fensteröffnungen bewegte sich Fisch zeug, kleine Krebse, Aale und eine Miniausgabe eines Tintenfisches. Das Wrack lag noch nicht lange hier. Das Salzwasser hatte das Blech kaum rosten lassen. Aber die Strömung hatte es in diese Unterwasser grotte gespült. Urban tauchte zur vorderen Stoßstange ab, bis das Kennzeichen lesbar wurde. Er kannte die Nummer des verschwundenen Busses. Kein Zwei fel. Er war es. Und als Urban die Leiche fand, eingeklemmt zwischen Sitz und Scheibenrahmen, hatte er noch einen zusätzlichen Beweis. Allerdings saß der tote Fahrer rechts. Man hatte ihn also erst später an diese Stelle plaziert. Urban schwamm um das Wrack herum und leuchtete hinein. Er fürchtete, weitere sechs Tote zu entdecken, aber der Bus war innen leer. Das genügte ihm. - Er tauchte auf, was gegen den Strudel nicht einfach war. Total erschöpft hing er an der Kutterwand. Der Fischer zog ihn an Deck. „Dachte schon, ich hole eine Leiche rauf", sagte Juan. „Hätte 'ne Masse Ärger gegeben." „Ich lebe, Amigo." „Nur noch halb, Hombre." „Es war wie eine Reise in den Weltraum", keuchte Urban. „Da kommt auch keiner so zurück, wie er fortging." „Egal wie", sagte Urban. „Hast du einen Schluck?" „Cognac?" 50
„Gib her", bat Urban. Er nahm einen tiefen Zug aus der Flasche. Dann stillte er sein Nasenbluten.
Am späten Vormittag dieselte der Sardinenkutter nach Altea zurück. Urban lag an Deck in der wärmenden Sonne. Er hatte sich eine Goldmundstück MC angesteckt und war in Gedanken, als Juan aus dem Ruderhaus winkte. „Schau dir den Spinner an, Hombre." Urban blickte in die Richtung, die der Fischer andeutete. Am Strand bewegte sich etwas. Ein Mann, ziemlich groß, Sporthose, weiße Mütze, tiefbraune Haut. Er verharrte nicht an einem bestimmten Ort, sondern veränderte seine Position mit der rhythmi schen Körperarbeit eines Läufers. Urban nahm das Fernglas vom Nagel und stellte es scharf ein. Der Strandläufer hatte eine kräftige Figur, war aber zu groß und zu schwer für einen Athleten. Urban schätzte ihn auf nahezu zwei Meter. Das Weiße über seinem Kopf war nicht etwa eine Mütze gegen die Sonnenstrahlung, sondern etwas anderes. Offenbar ein Verband. Ja, weißer Mull hüllte sein Gesicht von der Stirn bis zum Kinn völlig ein. Nur vor Mund und Augen hatte man schmale Schlitze gelassen. Urban setzte das Glas ab und reichte es Juan. Der gab es bald wieder zurück. „Ein Mann mit Kopfverletzung trainiert am Strand Marathonlauf. Ich sag's ja immer: Sportler 51
sind Verrückte. Sie brechen sich das Bein, eine Woche später rennen, springen oder boxen sie schon wieder." „Ohne Fanatismus wirst du nichts in dem Job", bemerkte Urban. „Und mit vierzig bist du kaputt." Der Strandläufer war schneller als der Kutter. Die Distanz verringerte sich. Trotzdem war es Urban nicht möglich, mehr von ihm zu erkennen, als das Spiel seiner Muskeln unter ölglänzender Haut. Urban hätte gerne gewußt, wer dieser Mann war, warum er ausgerechnet hier trainierte, und das trotz einer Kopfverletzung. Der Strandläufer verließ jetzt seine Spur nahe dem Wasser und näherte sich - erst allmählich, dann deutlich - den Felsen unterhalb des Steil ufers. Plötzlich, mit einem Satz, war er zwischen Ginster, Haselnußgestrüpp und Macchie ver schwunden. Urban hoffte, daß er ihn noch einmal sehen würde, wenn er oben an der Straße zu seinem Fahrzeug ging. Das BIS-Protokoll fiel ihm ein. Auch Segovias Leute hatten die Spur eines Joggers gefunden. Da packte der Fischer Urban am Arm. Hinter einem der Hügel tanzte etwas Schwarzes auf und ab. Dabei kam es näher, wurde größer und hörbar. Ein Turbinenhubschrauber. Jetzt schoß er hoch wie ein Falke, offenbar um sich zu orientieren. Urban glaubte zu wissen, wen sie suchten, und rief: „Hart Backbord, Juan!" 52
Der Fischer wirbelte das Rad herum. „Und Volldampf, Amigo!" Ihr Abstand zum Strand mochte eine Viertelmeile betragen. Urban wollte näher heran, um seinen Verdacht bestätigt zu bekommen. Im Gebüsch, oberhalb des Strandes blitzte etwas Verchromtes. Wenn es die Antenne eines Sprech funkgerätes war, würde der Hubschrauber auf den einsamen Strandläufer mit dem verbundenen Kopf zuhalten. - Und genau das tat er. Der Helikopter setzte oben an der Straße auf, die der Jogger, kletternd wie ein Affe, eine Viertelmi nute später erreichte. Gebückt lief er auf den Hubschrauber zu. Dort war die Schiebetür hinter dem Cockpit aufgegangen. Arme streckten sich heraus und halfen dem Riesen mit dem Kopfver band hinein. „Geht's nicht noch schneller?" rief Urban über das Rattern des Kutterdiesels hinweg. „Er tut schon, was er kann." Der Kutter hatte deutlich seine Fahrtrichtung geändert. Der Schaumspur seines Kielwassers knickte nach Westen und das bemerkten wohl auch die Hubschrauberleute. In einer Wolke aus Sand und Staub hoben sie ab. Der Pilot drehte sein Gerät meerwärts. Die Cock pitverglasung erinnerte an das starre Glotzen riesi ger Insektenaugen. Kaum war er vom Boden weg, stach er zum Meer hinab und auf den Kutter zu. Beiderseits der Kufen blitzte es in rascher Folge auf. Urban kannte die Ursache des Blitzens und fürchtete es. Er riß Juan mit sich hinter die Bordwand in Deckung. Je ein Maschinengewehr an den Helikopterkufen 53
gab Dauerfeuer. Die Geschosse nagelten, fetzten, prasselten um sie herum ein. Urban sah die Ein schläge. Die ersten bildeten Fontänen im Wasser, die nächsten überzogen den Kutter mit ihrer tödlichen Stahlnaht. Der Hubschrauber überflog sie. schwang hoch, tänzelte wie ein Pferd auf der Hinterhand herum, flog wieder an, noch niedriger diesmal. Er gab wieder Dauerfeuer, schwang sich dann hoch und flog davon, hinein in die Sierra-Berge. Juans Schiff war noch ein guter spanischer Kutter, gebaut aus galizischem Eichenholz, minde stens zwei Generationen haltbar. Trotzdem hatten die Projektile armdicke Bohlen zersplittert. Eine Scheibe im Ruderhaus war zu Bröseln verarbeitet. Juan warf das Ruder herum, damit der Kutter nicht auf Grund ging. „Verdammt! Die hatten was gegen uns", fluchte er. „Aber wie kommen die ausgerechnet auf mich?" „Der Schaden", sagte Urban, „geht auf meine Rechnung." „Die Scheibe hatte ohnehin schon einen Sprung. Was soll's. Und ich bleibe dabei: Sportler sind alles Verrückte." „Aber nicht alle Verrückten sind Sportler", ergänzte Urban. „Was willst du damit sagen, Amigo?" Urban wußte nur eines: daß er versuchen würde, dem Helikopter zu folgen. Helikopter übernachten nicht in der Luft, Sie mußten irgendwo aufsteigen und wieder landen. Der schwarze war nach Südwe sten abgezwischert. - In die Sierra Canalobre hinein. „Ist noch Cognac da?" fragte Urban den Fischer. Bald tauchten die weißen Häuser von Altea auf. 54
Den Hafen streifte noch das letzte Licht der Sonne. Nur die Kirche weiter oben lag schon im Schatten der Berge.
In Paris wurde ein kleiner Lieferwagen vor dem Stadtbüro der Fluggesellschaft Air France geparkt, Der Renault war mit vierzig Kilogramm Spreng stoff beladen. Die Zündung auf elf Uhr dreißig eingestellt. Niemand hörte sie ticken. Die Sprengladung ging mit nur einer Minute Verspätung, zur Zeit des stärksten Verkehrs auf den Champs-Elysees, hoch. Sieben Personen wurden getötet, vierzehn schwer verletzt. Das Büro der Fluggesellschaft brannte aus. Ein Dutzend der am Seitenstreifen geparkten Fahr zeuge besaßen nur noch Schrottwert. Zum Urheber des Anschlags bekannte sich eine Gruppe: Neuer Heiliger Krieg. Als Grund gab man an, daß mit Frachtmaschinen der Air France Material befördert würde, das den Gegner stärke. Den Fachleuten für Terroristenbekämpfung war bekannt, daß die neuen heiligen Krieger zu Abu Jovis gehörten wie Coca zu Cola.
Siebente Aktion
Paris
Am Wochenende traf Holger Lummet den Mann, der ihm die Unterwassersprengmittel besorgt hatte. Er arbeitete in einem Depot der US-Army in Belgien. Als Maschinenbauingenieur und Experte für 55
Feinmechanik war er als Kontrolleur in der Waf fenwartung unentbehrlich. Er lebte auf großem Fuß. In Paris hatte er eine teure Freundin. Sein Lebensstandard entsprach dem eines Mannes, der dreimal soviel verdiente. Trotzdem kam er zurecht. „Wie geht es dir, Jeanpierre?" fragte Lummet teilnahmsvoll. Der modisch gekleidete Dreißiger - vor dem Bistro stand sein Porsche - strich sich durch die Magenfalten von den Nasenflügeln zu den Mund winkeln. „Schlecht So wie es einem geht, der fünfzehntau send verdient und fünfzigtausend braucht." „Du sitzt an der Quelle, Jeanpierre." „Eine gefährliche Quelle, leider." „Nun, man muß nicht aus ihr trinken", meinte Lummet. „Schlürfen genügt." „Danke, diese Giftbrühe überlasse ich gerne anderen." Sie sprachen vom letzten Geschäft. „Nichts davon gehört", sagte Jeanpierre, „daß die Dinger irgendwo eingesetzt worden wären." „Vor einem Monat in Beirut. Sechste Flotte. Die Nimitz und ein paar andere Pötte sollten auf Schlagseite gebracht werden." „Sie schwimmen noch, wie ich weiß." „Die Operation ging daneben." „An meinen SST-zweiundzwanzig lag es nicht", verteidigte sich Jeanpierre. „Es lag an den Delphinen", berichtete Lummet. „Die Amerikaner setzen, wenn sie an gefährlichen Ankerplätzen liegen, Delphine als Wachhunde ein." „Wie früher die alten Römer Gänse." „Natürlich behaupten meine Abnehmer, die SST hätten versagt. Ich bekam keinen Dollar. Im Gegen 56
teil, sie versuchten, mir den Hals durchzu schneiden." „Wer?" fragte der Ingenieur. „Steckt Abu Jovis dahinter?" Lummet beugte sich vor und flüsterte: „Hör zu, Jeanpierre. Du fragst nicht, an wen ich liefere, und ich frage nicht, wie du an die Dinger kommst. D'accord?" Lummet fragte deshalb nicht, weil er es wußte. Der Ingenieur war für die Routinewartung von Elektronik, soweit sie auf mechanische Komponen ten wirkte, verantwortlich. Von seiner Entschei dung hing es ab, ob ein Gerät, eine Rakete, ein Suchkopf, eine Mine, eine Mörsergranate ausgemu stert wurde oder wieder ins Depot wanderte. Es lag in seiner Macht, hundertprozentig intakte Waffen als Schrott zu deklarieren. Damit hatte er wohl eine Organisation aufgebaut, die den Schrott in den illegalen Waffenhandel lenkte. Sie wußten viel mehr voneinander, als sie zugaben, aber sie mach ten gute Geschäfte, und jeder hielt dicht. Der Ingenieur nahm eine zweite Tasse Kaffee. Noch beim Zuckern fragte er: „Was brauchst du diesmal, Lummet?" Lummet sagte es klar und deutlich." „Eine Stinger." Der andere war so überrascht, daß er sich verschluckte und den Kaffee über seine kostbare gelbe Boxcalfjacke schüttete. Als er zu Ende gehustet hatte, schüttelte er den Kopf und winkte ab. „Unmöglich." Lummet wußte, daß man für Geld alles bekam. Alles auf Erden. „Es ist eine Preisfrage, oder?" 57
„Kann mich meinen Job kosten." „Das ist auch nur eine Preisfrage." „So eine Stinger...", erklärte Jeanpierre. „Mann, das ist... das ist eine von den topgeheimen Jetabwehrraketen. Boden-Luft, mit Superelektro nik, mikrominimiert. Die Dinger werden noch mit der Hand durchgezählt. Und wenn überhaupt, dann..." Lummet unterbrach seine Tirade. „Was kostet sie?" Der Ingenieur zögerte lange mit der Antwort. „Also, unter einer halben Million geht gar nichts." „Francs?" „Dollar." Lummet war beeindruckt, aber nicht entsetzt. „Versuch's", sagte er. Sein Lieferant wurde nachdenklich. Bei dem, was für ihn dabei heraussprang, war er für Jahre alle Geldsorgenlos. „Kann ich noch einen Kaffee haben?" fragte er.
Zwei Tage später nahm Lummet Kontakt mit Gregoire auf. Gregoire hatte ihm geraten, sich nie wieder am Zentralfriedhof blicken zu lassen. Aber daß sie keine Geschäfte machten, davon war nicht die Rede gewesen. „Wäre es möglich", fragte Lummet nach ein paar einleitenden Sprüchen, „daß unser Freund Jupiter in der Nähe ist?" Abu Jovis wurde im Westen gerne als Jupiter bezeichnet. Wie man hörte, hatte er mit dem alten 58
griechisch-römischen Göttervater einiges gemein sam. Seine Herkunft etwa und sein Talent, sich zu tarnen. Jupiter? Wie kommst du auf den?" „Nun, die Air-France-Sache zeigt seine Hand." „Das waren andere." Lummet fragte links herum; „Hast du Verbindung mit ihm?" „Kaum. Die wechseln die Lieferanten, die Mak ler, die Freunde und die Frauen." Lummet glaubte ihm nicht. Er wußte, daß Gre goire bei Jovis hoch im Kurs stand. „Ich habe etwas für ihn." Gregoire lachte nun wirklich herzhaft. „Jovis hat eine Drahtschlinge für dich, und du bietest ihm was an. Nicht zu fassen!" „Geschäft und Gefühl sind zweierlei. Das habe ich sehr früh gelernt." „Er würde sogar noch deinen Schatten töten lassen." „Es sei denn, ich steige wieder in seiner Wert skala." „Zuerst mußt du in seiner Achtung steigen." „Was das betrifft", bemerkte Lummet, „müßte er erst in meiner Achtung steigen. Vielleicht bemühe ich mich auch nur, unser Mißverständnis auszuräu men, um mit ihm ins reine zu kommen." „Das übersteigt deine Mittel, fürchte ich." „Ich kenne seinen Preis", sagte der Waffenhänd ler und fragte leichthin: „Willst du ihm ein Stichwort von mir übermit teln?" „Wenn es nicht mehr als zehn Buchstaben hat, will ich es versuchen." „Es hat nur sieben." 59
„Sieben." Gregoire schien nachzudenken. „Dann reib an deiner Wunderlampe, Aladin. Laß ihn heraus, den Geist." „Stinger", sagte Lummet. Erst fragte Gregoire, ob er betrunken sei, ob er vielleicht Wunschträumen nachjage, ob sein Ver stand etwa gelitten habe. Eine Stinger zu beschaf fen, eine tragbare Rakete, die vom Boden aus selbst hochfliegende Jets mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zerstörte, stand auf der Liste aller großen Terroristenführer oben einsam an der Spitze. „S-t-i-n-g-e-r", buchstabierte Gregoire, um sicher zu gehen. „Habe ich richtig gehört?" „Frag ihn." „Mon ami, aber wenn es nur eine Lockspeise ist, um ihn in deine Falle zu bringen, dann werfen sie dich in den Tiefkühler und schneiden dünne Schei ben aus dir." „Mir egal, was du denkst", entgegnete Lummet. „Übernimm es. Du bist mit fünf Prozent dabei. Fünf Prozent von nur einer Stinger, das sind mindestens fünfundzwanzigtausend Dollar." Jetzt bekam auch Gregoire Appetit. „Du hörst von mir", versprach er und legte auf. Lummet wußte, daß Gregoire jetzt mit seinem Luxusmercedes durch das nächtliche Paris flitzen würde, um die Spur einer Spur von Jupiter aufzu nehmen.
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Einen Tag später klingelte bei Lummet das Telefon. Ein krächzendes Organ, das sich anhörte, als spreche ein Kastrat schlechtes Englisch, meldete sich. „Kennwort Stinger." „Du bist richtig verbunden, Bruder." „Mit dem Mann aus Beirut." „So ist es. Aber versucht nicht, mich zu kriegen. Dieser Telefonanschluß ist nur noch heute besetzt." Der andere kam sofort zum Thema. „Du hast eine Stinger. Wann lieferbar und zu welchem Preis?" „Das bespreche ich nur mit Abu Jovis." „Der ist nicht erreichbar." „Dann ein andermal." Er legte auf. Wieder rief ein Araber an. Diesmal von weither. Es summte im Draht. Man verband ihn mit einer Frau, die ihn zu belatschern versuchte, daß er auf direkten Kontakt mit dem Commandante verzichte. „Wir haben noch einiges zu klären", beharrte Lummet, „Jovis und ich, oder die Sache ist ge storben." Und dann kam er wirklich an den Apparat. Seine Stimme klang wie die des Wolfes, der Kreide gefressen hatte. Jovis tat so, als kenne er Lummet nicht. Als hätte es zwischen ihnen nie Differenzen „Laß uns Beirut vergessen, Bruder", kam Lum met ihm entgegen. „Was war in Beirut, bitte?" „Du weißt es." „Ich hab's vergessen. Die Hintergründe können ganz andere gewesen sein. Uns plagen jetzt neue Sorgen." 61
Lummet kam es so vor, als sei Abu Jovis verändert. Jovis war kein Mann, der je etwas vergaß, der je etwas verschmerzte, und sei es eine eingebildete Kränkung. Selbst wenn er eine Lüge verwendete, dann erinnerte er sich noch Jahre später daran. „Das war gestern", sagte Jovis. „Was ist heute." Lummet ging darauf ein. „Du wolltest immer Stingers." „Die gibt es nicht zu kaufen." „Bei mir schon." Jovis schien zu zweifeln. „Ich möchte sie sehen und testen." „Das steht dir zu." „Wie viele kannst du zu welchem Preis liefern?" „Ruf mich an." „Wann?1 „In vier Tagen." „Du hörst von mir", sagte der Commandante. Es war also eingefädelt. Zu dieser Stunde wußte Lummet aber noch nicht, ob er überhaupt an eine Stinger herankam. Von Jeanpierre hatte er noch nichts gehört. Er baute auf sein Glück. Für einen, der so viel Pech gehabt hatte, war das Glück einfach überfäl lig.
Nach dem Anschlag auf das Air-France-Büro kam es in dieser Woche zu keinem Attentat mehr. Zyniker behaupteten, die Terroristen hätten sich, wegen der Sommerhitze an südliche Strande verzo gen. Nach Mallorca, an die Adria oder nach Marbella. 62
Daß Abu Jovis vielleicht krank oder in anderen Schwierigkeiten sei, dieser Hoffnung wagte sich kaum jemand hinzugeben. Achte Aktion
Washington
Auf der Spur des Clubmitgliedes Prof. Elias Morgan checkte das Agententeam zuerst sein Umfeld ab. Morgan arbeitete in einem Institut, das sich, von der Rockefeller-Stiftung finanziert, mit Grenzge bieten der X-Häsion befaßte. Was man darunter verstand, konnte ihnen keiner verständlich machen. Schließlich gaben sie sich mit der Erklärung, es sei wohl eine Extrapolation von Co häsion-Adhäsion-Gravitation et cetera, zufrieden. „Nehmen wir mal an", meinte der KGB-Agent, der dem CIA-Mann beigeordnet war, „Morgan befaßt sich mit der Schwerkraft von Schnupfenviren und der Aufhebung derselben, so kommt das, was mich betrifft, leider zu spät." Der Russe reinigte seine verstopfte Nase und gab ihr mehrere Portionen Spray. Am Abend fuhren sie nach Washington zurück. Dort hatte der Professor seinen Hauptwohnsitz. Es war ein kleines, unauffälliges Haus mit zaun losem Vorgarten in einer guten Gegend der Haupt stadt, wo Regierungsbeamte und Angestellte des diplomatischen Dienstes wo hnten. Versorgt wurde der Professor von seiner Schwe ster, einer ungefähr fünfzigjährigen Jungfrau. Auf Befragen erklärte sie, daß der Kontakt mit ihrem Bruder nur an den Wochenenden stattfinde, also von Freitag bis Sonntag. Dann päpple sie ihn auf, 63
denn das Institutsessen bekomme ihm nicht. Außer dem bringe sie darin seine Wäsche und seine Anzüge in Ordnung. Wie sich herausstellte, führte Prof. Elias Morgan ein so stinklangweiliges Leben, daß ein normaler Bürger daran zugrunde gegangen wäre. Aber Wis senschaftler waren wohl anders zu bewerten. Sie schwebten in höheren Regionen. Genau aus diesem Grund war Miß Morgan ziemlich verwirrt. Ihr Bruder, sagte sie, habe etwas getan, was sie nie und nimmer von ihm erwartet hätte. Elias, ein Wunder an Zuverlässigkeit, Pünkt lichkeit und Charakter, habe sich etwas völlig Unerwartetes geleistet. „Er ist verschwunden", beendete sie ihre Rede. Die Agenten wechselten verstohlene Blicke. ,,Das wissen wir, M'am." „Nein, Sie wissen gar nichts", entgegnete sie daraufhin. „Nun, er und seine Freunde sind einfach nicht mehr vorhanden. Ist das korrekter?" „Also, wenn Sie das glauben", erwiderte das Fräulein, nicht im geringsten bestürzt, „dann machen Sie sich mal keine Sorgen, Gentlemen." Die Agenten gerieten ein wenig durcheinander. Was die ganze Welt in Aufregung versetzte, schien diese Lady überhaupt nicht zu beeindrucken. Die zwei Agenten bekamen labbrigen Tee und selbstgebackene, steinharte Plätzchen. Dabei saßen sie auf dem Biedermeiersofa wie Neffen zu Besuch bei der Tante. „Gleich", flüsterte der CIA-Mann, „prüft sie die Sauberkeit unserer Fingernägel." Die Tante hatte sich einen Whisky eingegossen 64
und kam mit einer Postkarte wieder. Die legte sie auf den Tisch und sagte: „Des ominösen Rätsels Lösung. Mein Bruder ist zwar ein Kleinbürger, aber auch ein Spinner. Schon als Kind war er für jede Überraschung gut. Stellen Sie sich vor, einmal erfand er Sahne, die nach Senf schmeckte und wie Apfelgelee aussah." „Wenn es weiter nichts ist", sagte der Russe, „wie Johannisbeermarmelade wäre schwieriger ge wesen." Er schaute die bunte Karte an. Sie kam aus Kuba und zeigte eine Stadtansicht von Havanna. Er drehte sie um, konnte aber die miserable Hand schrift nicht entziffern. Also reichte er sie an den CIA-Kollegen weiter. „Muß sich um eine von der Rockefellerstiftung finanzierte neue Kurzschrift handeln", spottete der CIA-Agent und kam auch nicht weiter. Aber Miß Morgan kannte den Text auswendig. „Mein Bruder wurde nach Kuba eingeladen und unternahm einen Trip dorthin. Es gefällt ihm sehr. Er fühlt sich prächtig in diesem luxuriösen Hotel. Er bleibt vielleicht bis zum Herbst. Hat man da noch Töne!" Der Amerikaner verarbeitete erst einmal die Information. Dann faßte er nach: „Ist es seine Schrift, M'am?" „Keiner hat eine so fürchterliche Pfote wie Elias." „Es gibt also keine Zweifel?" „Nicht für mich, Gentlemen." „Marke und Stempel sind auch original", stellte der Russe fest. Sie liehen sich die Postkarte aus, mit dem Versprechen, sie zurückzubringen. 65
In Langley wurde sie sofort überprüft. Man rief in dem genannten Hotel in Kuba an, aber es war ein Hotel der Regierung, und sie erteilten prinzipiell keine telefonischen Auskünfte. Deshalb beschloß der KGB-Agent, nach Kuba zu fliegen. „Es sind unsere Freunde", sagte er. „Wenn Morgan dort ist, dann finde ich ihn. Wenn sie ihn vor mir verstecken, dann wird Moskau Druck machen. Und nicht zu wenig, das verspreche ich Ihnen, Gentlemen." Sie buchten den nächsten Flug für ihn.
Das letzte Lebenszeichen des KGB-Agenten kam nicht aus Havanna, sondern aus Moskau. Die Koordinierungsstelle des KGB in Sachen Einstein-Club meldete nach Langley, daß ihr Mann in Kuba eingetroffen und auf gewisse Merkwürdig keiten gestoßen sei. Näheres baldmöglichst über Telex Da das angekündigte Telex ausblieb, rief der zuständige Mann aus Washington in der Moskauer Zentrale an. Er erfuhr aber nur, daß der Agent des KGB in Kuba um ein Gespräch mit Prof. Elias Morgan bemüht sei und daß es einen roten Faden gebe, der nach Spanien laufe. „Na klar", meinte der Amerikaner. „In Spanien entschloß sich Professor Morgan ja wohl, die Einladung anzunehmen." In der CIA-Zentrale warteten sie weiter. Endlich kam ein Telex. Es bestand nur aus wenigen Sätzen. Die Amerikaner fühlten sich zunächst einmal ver schaukelt. 66
Der Leiter der Sonderkommission wollte es nicht glauben. „Sie haben ihren Top-Agenten am Strand in der Nähe von Havanna gefunden. Tot. Kopfschuß. Die Behörden in Havanna stellen sich absolut unwis send. Können wir ihnen das abnehmen oder nicht?" Dem amerikanischen Geheimdienst blieb nichts anderes übrig. Moskau bestätigte den Ausfall seines Agenten auf telefonische Rückfrage hin noch ein mal und fügte hinzu: „Aufgrund der gestörten Beziehungen zwischen den USA und Kuba ist es leider nicht möglich, die Angaben zu überprüfen oder der Sache auf den Grund zu gehen." „Fest steht", faßte der amerikanische Ressortchef zusammen, „daß Professor Morgan aus Kuba eine Ansichtskarte an seine Schwester schickte. Brief marken, Stempel, Schrift, alles okay." „Schrift kann man fälschen", wurde einge wendet. „Kartengrüße lassen sich erpressen." „Dann ist Morgan vielleicht gar nicht in Ha vanna?" „Wer hat ihn dort gesehen?" „Und der KGB-Mann ist auch gar nicht tot. Sie wollen uns nur von Informationen abschneiden." Wenig später traf ein Funkfoto aus Moskau ein. Es zeigte den toten KGB-Agenten. „Allmählich glaube ich gar nichts mehr", gestand der Verantwortliche, „denn wem kann man noch glauben?" „Nicht einmal uns", spottete einer aus seinem Team.
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Auf den gepanzerten Lincoln des Präsidenten der Vereinigten Staaten wurde geschossen. Die Kugel platzte zum Glück an den 8 cm starken kugelfesten Scheiben der Limousine ab. Mangels anderer Verdächtiger verbuchte man das Attentat auf das aktuelle Konto. In Frage kam derzeit nur Abu Jovis und seine Gruppe. Neunte Aktion
Alicante/Spanien
Tagelang hatte der BND-Agent Robert Urban die Sierra durchforscht. Wenn er davon ausging, daß Hubschrauber normalerweise über eine Reichweite von zweihundert Kilometer verfügten, dann sollte der Punkt, von dem der schwarze Helikopter aufgestiegen war, durchaus zufrieden sein. Also hatte er die Sierra von Südwest bis Nordost durchkämmt. Leider ohne Ergebnis. Er hatte mit Segovia in Madrid telefoniert und jede Hilfe bekommen, aber es kam nichts Neues mehr dabei heraus. Schließlich sagte sich Urban, daß der Mann mit dem Kopfverband und der Hubschrauber wohl nichts mit dem Verschwinden des Einstein-Clubs zu tun habe. Er redete es sich so lange ein, bis er es glaubte. Aber im Herzen zweifelte er daran. Schon im Begriff, die Provinz Valencia zu verlas sen, trieb es ihn noch einmal hinaus zum Cap Altea. Die Laufschuhabdrücke in beiden Fällen waren identisch. Sie stammten von einem Puma-Modell der Größe 45. Er hatte sie zwar nur ausgemessen und mit den Polizeifotos verglichen, aber daß es 68
derselbe Mann mit denselben Schuhen war, stand außer Zweifel. Dieser Mann konnte den Einstein-Leuten begeg net sein, ehe sie verschwunden waren. Vielleicht hatte er sogar mit ihnen gesprochen. Urban verbohrte sich geradezu in den Gedanken, der Strandläufer könne zu dem Fall Aussagen machen. Aber wie war er zu finden? Es mußte sich um einen Mann von Bedeutung handeln. Wann ließ sich ein Strandläufer schon per Hubschrauber absetzen und nach Bewältigung sei nes Laufpensums wieder mit dem Hubschrauber abholen. Wie oft machte dieser Mann seine Strandläufe? Jeden Tag, jeden zweiten, einmal in der Woche? Nur am Nachmittag oder auch morgens? Urban saß oben im Schatten der Pinien. Von dieser Stelle aus konnte man die weiten Bögen der Küste gut überblicken. Im Süden bis zum Leucht turm, bis zur Bucht, dem Schiffsfriedhof, wo die alten Pötte verrosteten. Im Norden bis Calpe, wo sich ein Bergmassiv emporhob, das dem von Gibral tar ähnlich war. Draußen zog ein Containerschiff seine Bahn. Segel leuchteten in der Sonne, Jachten tummelten sich im glitzernden Silberblau. Es gab kaum Möwen, deshalb verfolgte man die wenigen um so aufmerksamer. Urban zählte nur eine Handvoll. Mit ausgebreiteten Flügeln schweb ten sie im Aufwind vor dem Kliff. Sie kreischten aus irgendwelchen Gründen aufgeregt und stießen immer wieder hinab bis in Strandnähe. - Vielleicht lag da irgendein großer toter Fisch. Um zu sehen, was die Möwen gefunden hatten, 69
stand Urban auf und trat bis zu dem Knüppelholz streifen am Felsrand. Nichts zu sehen. Kindisch, zu hoffen, ausgerechnet heute sei der Strandläufer wieder unterwegs. Er trat einige Schritte zur Seite und entdeckte etwas, das vom Stamm einer Knie verdeckt worden war. Unten im kiesigen Sand lag etwas Helles. Zumin dest hob es sich vom Ockergelb des Strandes ab. Es mochte Form und Größe eines Schlafsacks haben, den jemand vergessen hatte. Das Ende des Schlafsacks wurde von der Dünung umspült. Urban hatte sein Glas nicht dabei. Aber es war ihm, als bewege sich in den Wellen etwas strähnig Schwades. Er kletterte hinab.
Die Frau am Strand war Japanerin. Sie schlief sehr tief. Nicht einmal die Dünung, die um ihr Gesicht und den Oberkörper leckte, konnte sie wecken. Bekleidet war sie mit weißen Jeans und einer ebenfalls weißen Baumwollbluse. An den Füßen hatte sie Leinenschuhe mit einer aus Hanfschnüren geflochtenen Sohle. Alpargatas wurden diese Schuhe in Spanien genannt. Die Nässe hatte sie an die Füße angeklebt Zweifellos kam die Frau aus dem Meer. Ihre Kleidung war grün von Algen, und in ihrem schwarzen Haar hatte sich Tang verfangen. Da sie regelmäßig atmete, ergriff Urban keinerlei Maßnahmen. Er saß da, steckte sich eine MC an und wartete. Am Handgelenk trug die Asiatin eine goldene 70
Kette mit Namensschild. Darauf war Kiki Kuma in normalen Druckbuchstaben eingraviert. Es konnte also nicht in Japan gekauft worden sein. Urban versuchte, die Rotation seiner Gedanken zu ordnen. Kiki Kuma, Professor Kiki Kuma, die Physikerin, war Mitglied des Einstein-Clubs. Die einzige Frau, die man für würdig befunden hatte, in diesen elitären Verein aufzunehmen. An ihrer linken Ellbogenbeuge fand er den Einstich einer Injektionsnadel, was seinen Verdacht bestätigte. Diese Frau stand unter Drogeneinfluß. Man hatte sie auf irgendeine Weise narkotisiert. Kiki Kuma im Narkoseschlaf - ausgerechnet hier, wo die letzten Spuren der großen sechs endeten. Er saß da, als bewache er sie. Was auch geschah, dieser Frau würde er nicht von der Seite weichen, bis sie aufgewacht war und eine Aussage gemacht hatte. Das ließ er sich nicht nehmen. Er wartete Stunde um Stunde, rauchte die vorletzte Zigarette aus der Packung, die letzte. Dann dauerte es noch, bis die Sonne sank. Endlich reagierte sie auf seine Versuche, sie aus dem unnatürlichen Schlaf zu wecken. Sie benahm sich wie alle Menschen, die man mit einer Überdosis Schlafmittel abgeschaltet hatte. Sie wußte nicht, wo sie war, glaubte, Gespenster zu sehen, konnte sich nicht erinnern, woher sie kam. Sie verfiel in einen Weinkrampf und zitterte wie ein verängstigtes Tier, Sie fror und war kaum in der Lage, sich zu bewegen, als dringe ihr Wille nicht bis zur Muskulatur durch. Sie starrte Urban an und erkannte in ihm offenbar ein Lebewesen, das ihr zu helfen bereit 71
war. Sie klammerte sich an ihn, krallte sich an ihm fest Er hob sie hoch. Sie war leicht. Er trug sie hinauf und setzte sie in den Landrover. Der Geländewagen war hart gefedert, die Stra ßendecke nicht besonders glatt. Das Schütteln und Rütteln schien ihren Kreislauf zu beleben. „Wo fahren wir hin?" Sie sprach erst japanisch, dann, als er nicht reagierte, englisch. „Nein. Bitte, mir geht es gut." „Sie brauchen ein Bad, zu essen, ein Bett." „In ein Hotel, bitte. Aber in ein kleines, außer halb, wo man keine Fragen stellt." „In mein Hotel", entschied Urban. „Wer sind Sie?" „Ihr Freund." „Werde ich verfolgt?" „Nicht mehr", tröstete er sie. „Die Menschen sind unmenschlich." „Und werden es immer mehr", stimmte er ihr bei. „Das Schlimme ist, sie gewöhnen sich daran." Er fürchtete, daß es zu früh war, sie nach den anderen fünf zu fragen. Aber es brannte ihm einfach auf den Lippen. „Und Ihre Kollegen?" Sie schloß die dunklen, mandelförmigen Augen. „Midland - Karov, der Russe - Koller - Delattre - Professor Morgan ... Mein Gott! O mein Gott!" „Leben sie noch?" Sie blickte ihn wie in Hypnose an. „Das ist eine ganz unglaubliche Geschichte", sagte sie sehr langsam und leise.
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Dr. Kiki Kuma erholte sich überraschend schnell. Nach einem heißen Bad und einem leichten Abendessen bat sie noch um Tee und eine Zigarette. „Man sucht uns", fragte sie, „hoffe ich." „Wie selten sechs Leute zuvor." „Eigentlich ist alles eine Mischung von Zufall, Studentenstreichen und Angst vor Peinlichkeiten." Urban wollte es der Reihe nach ordnen. „Sie kamen von Don Colossas Stierzuchtfarm und picknickten an der Küste", half er ihr für den Einstieg. Sie strich sich über das Gesicht, als wollte sie Nebelfetzen oder Spinnweben wegschieben. „Es mag märchenhaft klingen, aber als wir gespeist und getrunken hatten und zu unserem Bus aufstiegen, war dieser nicht mehr da. Wir versuch ten, sein Verschwinden zu rekonstruieren. Der Fahrer war wohl eingeschlafen, dabei an die Fest stellbremse gekommen, und der Bus war mit ihm über das Kliff hinab ins Meer gestürzt. „Sie haben nichts gehört?" „Nun ja, es gab vielfältige Geräusche. Die Dünung tobte an die Felsen. Wir waren lustig und betrunken, ein Radio spielte, der Wind verwehte die Töne..." „Wir fanden den Bus", sagte Urban. Mehr nicht. „Wie ging es weiter?" Sie war auch ungeschminkt sehr schön mit ihrer makellosen, zartgelben Haut, dem Rosenmund, den Mandelaugen, umrandet vom Schwarz der Brauen bögen. Es machte ihr offenbar Mühe, sich zu erinnern oder es so zu erzählen, daß es kurz, informativ und glaubhaft war. „Man kennt doch die spanische Polizei. Wenn wi r 73
den Unfall meldeten, würde man uns erst einmal festnehmen und verhören. Alles würde in die Presse gelangen. Unsere Namen, die Existenz des Clubs und unsere Konferenz. Das alles wollten wir ver meiden. Wir marschierten also bis zur nächsten Ortschaft, bestiegen den Linienbus und fuhren nach Benidorm. Dort hatte Delattre eine Idee, die uns gefiel. Er kannte Leute dort. Freunde von ihm hatten eine große Jacht. Mit der wollten wir ein paar Tage hinausfahren. Einfach verschwinden." „Das war das Allerdümmste, was Sie tun konn ten", kommentierte Urban. „Vielleicht sind Wissenschaftler, die sich mit abstrakten Dingen befassen, ein wenig unreali stisch oder lebensuntüchtig." „Und das klappte mit der Jacht?" Sie zögerte. Offenbar war etwas dazwischenge kommen. „Fünf waren dafür, einer dagegen." „Wer?" „Elias Morgan." „Der Amerikaner." „Er hatte andere Pläne. Er sprach von einer Einladung nach Kuba. Zwar hatte er nicht die Absicht gehabt, sie anzunehmen, aber jetzt, wo wir uns in einer so merkwürdigen Lage befanden, in einer Ausnahmesituation, war Kuba für ihn mit einem Mal die Lösung. Er hatte einen Paß und Kreditkarten dabei, ließ sich mit dem Taxi nach Valencia fahren, um dort die nächste Maschine zu nehmen..." „Okay." Urban faßte zusammen: „Morgan in Havanna, Sie hier, bleiben noch vier. Wo sind die anderen?" 74
„Es war", sagte sie, „gelinde ausgedrückt, die Hölle." Sie erzählte von der nächtlichen Fahrt auf der Luxusjacht durch den Golf. Es gab nur Männer an Bord. Sie war die einzige Frau. Die Männer tranken viel und nahmen dann Kokain. Alles zwielichtige Gestalten. Sie spannten an Deck eine Leinwand auf und zeigten Pornofilme übelster Machart. „Pornos mit Tieren", führte sie aus, „mit Kindern und später Gewaltpornos. In einem der Filme starb die Frau, die sie vergewaltigten. Der Jachtbesitzer, ein gewisser Depardier, versicherte, daß die Auf nahmen nicht gestellt seien. Es sei wirklich so zugegangen, er habe es selbst gefilmt. - Da ich Drogen ablehnte, mischten sie mir K.-o.-Tropfen in den Wein. Ich verlor die Besinnung und erwachte in einem der Schlafzimmer auf dem Bett. Ein Schwar zer lag über mir, und die anderen warteten schon. Es war unsagbar schrecklich." Sie verfiel wieder in Weinkrämpfe und war nicht ansprechbar. „Zu dieser Zeit kreuzte die Jacht durch das Mittelmeer?" fragte Urban später. „Meist an der Küste entlang." „ZehnTage?" „Und zehn fürchterliche Nächte." Prof. Kuma hatte sich wieder gefangen. „Ich plante meine Flucht. Einmal sprang ich über Bord, denn ich hatte die Küste in der Nähe gesehen. Aber sie war noch zu weit entfernt. Sie fischten mich heraus. Aber heute, als sie an Valencia vorbei nach Süden fuhren und ich die Küste wiedererkannte, warf ich ein Gummi boot über die Reling und konnte mich an den Strand retten." „Und niemand bemerkte es?" zweifelte er. 75
„Es war früh morgens, kurz vor Sonnenaufgang. Alles schlief." „Wo ist das Boot?" „Es verlor Luft. Ich schwamm die letzten paar hundert Meter." „Trotz der Injektion, die man Ihnen gab, Verehr teste?" „Ich bekam sie sehr spät Sie wirkte wohl erst, als ich mich völlig erschöpft hatte." Sie tastete nach seiner Hand. „Wie wird es weitergehen?" „Ich berichte den Vorfall meiner Zentrale", ent schied er. „Dann suchen wir die Jacht und befreien Ihre Kollegen, die dort inzwischen mehr oder weniger als Gefangene gehalten werden." „Ich hörte, dieser Depardier wollte nach Afrika", fiel ihr ein. ,,Dann muß ich mich beeilen." Urban wollte weggehen, um zu telefonieren. Sie eilte ihm nach. Sein Bademantel, den er ihr geliehen hatte, öffnete sich und glitt wi e unbeabsichtigt von ihren Schultern. Sie hatte kleine rundliche Brüste mit dunklen Spitzen. Kaum je eine Handvoll. Ihr Bauch war flach, der schwarzgelockte Schamhügel jedoch üppig wie bei Frauen auf mittelalterlichen Gemälden. Sie schlang die Arme um seinen Hals und rieb sich an ihm. „Bitte, umarme mich, schnell!" flüsterte sie. Sie tat es auf eine Weise mit asiatischer Raffi nesse, daß er sich fragte, ob sie vor ihrem Physikstu dium vielleicht die Künste der Geishas studiert hatte. „Bitte, liebe mich, jetzt sofort." Sie brachte es fertig, daß er sein Ferngespräch 76
vergaß und sie auf dem Bett endeten. - Aber ein Gedanke ließ ihn nicht los. Eine Frau, die eine Woche lang angeblich pausen los vergewaltigt worden war, benahm sich etwas anders. Sie fühlte sich wohl auch anders an und wollte mit allem anderen eher in Berührung kom men als mit einem stark erregten Kerl. Das gab ihm schwer zu denken. Die Japanerin zog alles zeitlupenartig hin, im langsamen ersten Gang. Sie war so phantasievoll, erfand immer wieder neue überraschende Varian ten, daß Urban den Verdacht nicht los wurde, sie wolle Zeit gewinnen. Aber Zeit wofür?
Als sie schlief, schlich Urban hinunter und wählte nach München durch. Bei seinem Kurzbericht über den Stand der Dinge stolperten sie im BND-Hauptquartier über Profes sor Elias Morgans Aufenthalt in Havanna. „Das ist der Dollpunkt", erklärte der Operations chef. „In Havanna starb ein KGB-Agent." „Dann wissen Sie also schon von Morgans Aus stieg?" „Richtig." Urban wurde im Detail informiert. „Bei Morgans Schwester in Washington fand man eine Ansichtskarte ihres Bruders aus Havanna, ebenso Angaben über das Hotel. Der KGB-Agent glaubte, in Kuba befreundeten Boden zu betreten. Er flog hin, berichtete, daß er Professor Morgan vergebens gesucht habe und wurde tot gefunden." Urban vergewisserte sich noch einmal. 77
„Ist das eine gesicherte Erkenntnis?" „Daß Morgan sich nicht in Havanna aufhält?" „Das meine ich." Oberst a. D. Sebastian in Pullach bestätigte dies. „Dann hat Morgan seinen Kollegen etwas vorge schwindelt, oder Kiki Kuma hat mich belegen." „Da sollten sie sofort nachfassen." „Werde ich." Als Urban nach oben kam, saß die Japanerin im Bett, das Kopfkissen im Rücken, und rauchte eine von seinen Zigaretten. Während sie den Rauch aus den Lippen aufstei gen ließ, streckte sie die Hand nach ihm aus. „Umarmst du mich noch einmal, bitte?" Er setzte sich neben sie und bewegte den Kopf auf die langsame japanische Art. „Nein." „Warum, Darling?" „Du bist nie vergewaltigt worden, Baby", stellte er fest. Ihre Augen wurden eher schmal. „Sondern?" „Du warst nie auf einer spanischen Luxusjacht. Ihr habt mich beobachtet und nahmt an, daß ich noch einmal zum Kliff zurückkommen würde. Du hast genau diesen Moment abgepaßt, legtest dich an den Strand und gabst dir selbst die Injektion." „Ziemlich viel Phantasie", bemerkte sie, „für einen einzelnen Mann." „Und die goldene Kette mit deinem Namen ist eine Fälschung." „Das Geschenk eines Freundes, eines Physikers aus Madrid." Urban versuchte es mit einem Bluff. 78
„Schreibt man Kuma nicht mit einem H nach dem K?' „Ein Irrtum des Graveurs." „Kein Irrtum des Graveurs. Dein Irrtum. Kuma schreibt man ohne H." Er schoß seinen nächsten Pfeil ab. „Professor Elias Morgan aus den USA hatte nie die Absicht nach Kuba zu fliegen und war nie dort. Zwar gibt es eine Postkarte, die er seiner Schwester sandte, aber sie wurde manipuliert. Wer zwang ihn dazu, sie zu schreiben? Du weißt es, denn sie haben es dir eingetrichtert. Du solltest erzählen, Morgan sei in Havanna. Was ist das für ein Spiel, du kleine Nutte?" Sie fühlte sich durchschaut und überführt. Jetzt begannen ihre Nerven zu flattern. „Du mußt verrückt sein." „Ich bin es, wenn ich dir noch ein Wort glaube." „Halte es, wie du willst." „Bis jetzt war alles Lüge", sagte er. „Okay, es gibt Fälle, da ist lügen erlaubt", bemerkte sie. „Ja, im Krieg." „Nenn es eine Irreführung." „Um was geht es bei der Irreführung? Um das Legen einer falschen Spur, um das Abblocken unserer Bemühungen, die Wissenschaftler zu fin den? Sie wurden am Kap das letzte Mal gesehen. Aber wo sind sie?" „Ich weiß es nicht", schwor die Japanerin. „Wie bist du in die Hände dieser Leute geraten?" Sie zögerte, dann brach es aus ihr heraus. „Ich studiere in London. Als ich eine Rechnung mit gestohlenen Travellerschecks bezahlt hatte, setzten sie mich unter Druck." 79
„Wer sind diese Leute?" „Ich weiß es nicht." „Gangster, Ganoven, Mafiosi, Terroristen?" Sie beantwortete seine weiteren Fragen nicht mehr. Die Angst war offenbar zu groß. „Womit hat man dich eingeschüchtert?" Da sie beharrlich schwieg, machte er ihr klar, daß sie keine Chance hatte. Die halbe Welt suchte die sechs Wissenschaftler. Wenn sich herausstellte, daß sie mitschuldig war an ihrem Ende, kostete sie das lebenslänglich. Er redete lange auf sie ein und versprach, ihr aus der Klemme zu helfen. Endlich entschied sie sich. „Ich führe dich hin", sagte sie verzweifelt. „Aber es wird mein Leben kosten."
In Kairo kam es zu einer Geiselnahme. Der Botschafter Israels wurde auf der Fahrt ins ägyptische Außenministerium gestoppt und aus seinem Cadillac gezerrt. - Die Entführer forderten die Freilassung von zwölf Palästinensern in Tel Aviv. Offiziell ließ Israel sich nicht erpressen. Einen Tag später war der Botschafter jedoch wieder auf freiem Fuß. Die Möglichkeit, daß der Geheimdienst Mossad mit Abu Jovis Kontakt aufgenommen und auf andere Weise die Freilassung der Geisel erreicht hatte, wurde in Journalistenkreisen unter der Hand kolportiert.
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Zehnte Aktion
Lyon
Mit diesem unverschämten Preis für eine Stinger hatte Holger Lummet nicht gerechnet. Sein Lieferant begründete es mit den außeror dentlichen Schwierigkeiten bei der Beschaffung. Die Übergabe des harmonikagroßen Behälters gegen bare 700 000 Dollar fand in den Vogesenber gen, zwanzig Kilometer östlich von Epinal, statt. „Allein der Transport vom Depot in Hessen hierher", jammerte Jeanpierre, „war eine lebensge fährliche Operation. Nicht auszudenken, wenn mein Kofferraum kontrolliert worden wäre." „Der Preis ist exorbitant", erklärte Lummet. „Stimmt", räumte der Serviceingenieur ein. „Aber bedenke meine Vorkosten. Der Kontrolleur im US-Depot bei Hanau ist ein Kumpel von mir. Er überprüft die Stinger routinemäßig. Er muß eine davon wegen zu vieler Minuspunkte ausmustern. Die Dinger dürfen aber nur in den USA verschrottet werden. Es war also nötig, aus Ersatzteilen eine Art Türken zusammenzuschrauben. Jeder, der damit zu tun hat, hält die Hand auf." „Eh bien", sagte Lummet. „Ich glaube dir jedes Wort. Ist die Rakete voll funktionsfähig?" „Sie putzt dir sogar eine Concorde vom Himmel, die auf dreißigtausend Fuß Höhe mit Doppelschall fliegt. Das ist das Unglaubliche an diesem Wunder apparat. Und umgehen kann damit jeder Analpha bet, ja sogar ein taubstummer Blinder, würde ich sagen." „Aber ohne die Schaltpläne kein Geld", entschied Lummet. Er bekam die fotokopierten Unterlagen. 81
„Wozu brauchst du sie?" wollte Jeanpierre wissen. Lummet sagte es ihm. „Die Stinger ist eine Boden-Luft-Rakete. Sie wird von der Erde aus abgeschossen und trifft Luftziele. Wie muß man die Elektronik umfum meln, daß sie auch Bordziele trifft, ähnlich einem Bumerang?" Der Ingenieur blätterte lange in der ServiceAnleitung und deutete schließlich auf eine der beigehefteten Skizzen. Sie zeigte einen für Lummet nicht durchschaubaren Schaltplan. Tausend Linien, die ineinander, übereinander und durchein ander liefen. Ziffern und Codes, Knotenpunkte, Schaltstellen, Schnittstellen. Ein Computer war eine Dorfrechenmaschine dagegen. „Hier!" Jeanpierre zog einen Filzstiftkreis um die Stelle, auf die es ankam. „Was hast du vor, Lummet?' „Daß ich schweige", antwortete Lummet, „ist im Preis Inbegriffen." „Auch, daß du verschweigst, woher du das Ding hast." „Eher sterbe ich." „Bleib am Leben", wünschte sich Jeanpierre. „Schätze, du bist meine Altersversorgung." Der Behälter kam hinten in Lummets R 4. Sie rauchten noch eine Zigarette, dann trennten sie ach. Der US-Bedienstete Mir in Richtung Paris, Lummet nahm die Straße nach Dole und dort die Autobahn nach Lyon.
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In Lyon lebte Fontebelli, ein eingewanderter Italie ner aus Genua, der sich selbst als den größten Bastler Europas bezeichnete. Sein Talent lag auf dem Gebiet der Mikroelek tronik. Fontebelli war ein Chaot. In der Einzimmerwoh nung, die zugleich Werkstatt war, sah es wüst aus. Als hätte man den Inhalt von Containern voller Radioinnereien dort ausgeschüttet. Er nannte das Durcheinander seinen Ausgleich für die Ordnung und Präzision, die im Innern von Computern und deren geheimnisvollen Schaltkrei sen herrschte. Lummet fand ihn unrasiert, im Bademantel, ungewaschen, stinkend, eine kalte Gauloises-Kippe an die Lippe geklebt, an seinem Arbeitstisch am Fenster. Unter einer tellergroßen Lupe werkelte er an einem fingernagelkleinen Chip. Daneben stand ein Topf mit kalten Spaghetti und eine Tasse Espresso. Ohne aufzublicken, sagte Fontebelli: „Ich versuche gerade, die Gehirnzelle eines IBM 3007 zu überreden, daß sie das Gegenteil von dem tut, wozu sie programmiert ist." „Und?" fragte Lummet „Noch lautet ihre Antwort nein." „Du wirst sie dazu bringen." „Notfalls mit dem Hammer." Lummet übte sich in Geduld. Nach einer Stunde ungefähr hatte Fontebelli sein Ziel erreicht und fragte Lummet: „Wo hast du es?" Lummet holte einen kegelförmigen, etwa tennis ballgroßen, schwarzverchromten Gegenstand aus 83
seiner Tasche, der in ein weiches Tuch gewickelt war. „Aha", sagte der Italiener. „Das hat vor dir in Europa noch keiner in der Hand gehabt, Fontebelli." Der Italiener wußte bereits, um was es ging. Lummet hatte ihn vorinformiert. Er vertiefte sich in die Schaltpläne und stellte fest, daß das, was er ändern sollte, nicht dort lag, wo der ServiceIngenieur seinen Kreis gezogen hatte, sondern anderswo. - Sofort machte er sich an die Arbeit. Lummet vertraute ihm absolut. Er fragte nur, wann er wiederkommen könne. „Schau morgen vorbei", antwortete Fontebelli. „Ich werde es einer Gehirnwäsche unterziehen. Waffenelektronik ist einfach. Entweder man schafft es sofort oder nie." „Hau alles in Scherben", riet Lummet, „und mach etwas Neues daraus." „Wie immer", versprach der Elektroniker, „wie immer." Um was es ging, wußte er. Nur, wie es zu machen sei, das würde ihn wohl eine Nacht und drei Liter Kaffee kosten. Aber er würde es hinkriegen. Für ihn gab es keine Geheimnisse. Nicht bei Dingen, die Menschen erdacht hatten.
Am nächsten Tag, als Fontebelli signalisiert hatte, daß er es hinbekäme, rief Lummet eine Nummer in Südfrankreich an. Sie war eine der vielen Relaisstationen, die vorgeschaltet wurden, um die Sicherheit von Abu 84
Jovis wechselnden Aufenthaltsorten zu gewährlei sten. „Was kann ich an ihn weitergeben?" wurde er gefragt. Lummet - in bester Laune, denn sein Plan schien zu gelingen - sagte: „Gruß an Vater Jupiter." Er wählte die Überset zung. „Es ist soweit." „Was ist soweit?" „Bist du qualifiziert, Bruder, wirklich wichtige Fakten zu übermitteln?" „Wir hatten dieselbe Amme", sagte der andere. „Jovis Blut ist mein Blut." „Bon, dann melde ihm: Stinger." „Stinger. Und was noch?" „Nur Stinger." „Ist das alles?" „Stinger ist bereit." Der Araber hatte offenbar keine Ahnung. „Wurde Stinger vom Commandante angefor dert?" „Ja, er ist scharf darauf." „Wurde über den Preis verhandelt?" „Stinger kostet eine Million Dollar pro Stück." „Gib mir deine Nummer. Du hörst von mir." Lummet wartete, auf dem Bett liegend, in seinem Hotelzimmer. Daß er nach diesem Anruf sofort die Wohnung wechselte, das stand fest. Er traute Abu Jovis so wenig wie der ihm. Jovis traute ihm zu, daß er mit der Stinger aufs Kreuz gelegt wurde, und Lummet traute dem Commandante zu, daß er die Stinger gern als Geschenk betrachtet hätte, ebenso wie die Haftla dungen in Beirut. 85
Während er noch darüber und über seine näch sten Züge in diesem oder in jenem Fall nachdachte, klingelte das Telefon. Der Palästinenser hatte Weisungen erhalten. „Ist es eine original Stinger?" wollte er wissen. „Es gibt davon keine Fälschungen." „Der Commandante möchte das Gerät testen lassen." „Einverstanden", erklärte Lummet. „Aber nur unter meiner und seiner persönlichen Anwesenheit im Beisein mehrerer Zeugen." „Bei Versagen erfolgt keine Bezahlung." Demnach stellten sie sich den Test so vor, daß ein für sie wichtiges Objekt zerstört werden sollte. Für eine Rakete, die am Himmel zerpuffte, zahlten sie nicht eine so hohe Summe. Andererseits waren Stingers in ihren Händen ein Vielfaches des Kauf preises wert. „Einverstanden. Bei Versagen keine Bezahlung. Also, wann und wo?" „Du hörst von uns." „Bedaure. Gewisse Umstände zwingen mich, ein wenig zigeunerhaft zu leben. Dies ist mein letztes Gespräch auf diesem Anschluß." Lummet bekam eine zehnstellige Nummer. Die Vorwahl deutete wieder auf Südfrankreich hin. „Wir bereiten alles vor", erwähnte der Araber, „Ort und Zeit. Melde dich genau in vierzig Stunden. Von jetzt ab gerechnet." Lummet präzisierte: „Übermorgen zehn Uhr vormittags. Ich werde pünktlich sein." „Das ist Bedingung" forderte der andere und legte auf. Lummet trat ans Fenster und blickte über die 86
Stadt auf die Rhône hinunter. Er liebte Lyon, eine im Vergleich zu Paris seriöse, arbeitsame Stadt, mit weniger Zauber, aber mehr Verläßlichkeit. Ein Unterschied wie zwischen Frauen. Die eine war schön, aber leichtfertig, die andere weniger hübsch, aber treu und ergeben. Vielleicht war er das letzte Mal hier. Er ging zurück ins Zimmer und packte den kleinen Koffer. Elfte Aktion
Brüssel
Die Supranationale Kommission zur Rettung des Einstein-Clubs trat noch einmal zusammen. Heute war sie um Abgeordnete aus Israel und Ägypten erweitert worden. Der General faßte den Stand der Ermittlungen zusammen: „Gentlemen", begann er, sich räuspernd. „Seit unserer letzten Sitzung hat sich die Aussicht, die Mitglieder des EC jemals wiederzufinden ver schlechtert. Hervorragende Agenten wurden ange setzt. Ein Mann des KGB starb auf ungeklärte Weise, als er in Havanna dem Ursprung eines Kartengrußes nachging, den Professor Morgan an seine Schwester in Washington sandte. Die Schrift war perfekt gefälscht. Die Täter können sie nach Morgans Manuskripten im Rockefellerinstitut kopiert haben, oder er lieferte sie gezwungenerma ßen selbst. Dann hätten sie ihn allerdings in ihrer Hand, und es bestünde noch gewisse Hoffnung." Der General führte weiter aus, daß die Nachfor schungen im Privatbereich von Midland, Koller und Delattre nichts erbracht hatten. 87
„Für Professor Shmuel Karovs Integrität garan tieren wir", betonte der russische Delegierte. Auch der Mann des japanischen Geheimdienstes Kempetai gab eine Erklärung ab: „Trotz ihrer Jugend kann auch bei Professor Kiki Kuma ausgeschlossen werden, daß sie im Auftrag von Industriemultis mit der Entführung ihrer Kol legen zu tun hat." „Bastelten die sechs Weisen etwa an einer neuen Weltuntergangsformel?" wurde eingeworfen, aber nicht näher bewertet. Der Spanier, Coronel Segovia, meldete sich zu Wort. „Am Strand bei Alicante wurde ein Mann beob achtet, der mit jenem Strandläufer identisch ist, der mit der Wissenschaftlergruppe vielleicht kurzen Kontakt hatte. Die Schuhabdrücke stimmen über ein. Der Mann ist sehr groß und kräftig und trug einen Kopfverband. Leider konnte er nicht weiter verfolgt werden, denn er wurde von einem Hub schrauber abgeholt. Der Vertreter des israelischen Geheimdienstes Mossad unterbrach hier den Spanier. „Ich bin zwar nur Gast in der Runde", betonte der Mann aus Tel Aviv, „und wir gehören nicht zu den unmittelbar Betroffenen, aber eine Frage sei erlaubt. War denn die Herkunft des Hubschraubers nicht zu ermitteln? Hubschrauber sind registriert. Ebenso bedürfen private Landeplätze einer Geneh migung." Segovia bedauerte, mit weiteren Angaben nicht dienen zu können. Doch der Israeli ließ nicht locker. „Warum haben Sie verschwiegen, Coronello", 88
fragte er, „daß ein Sardinenkutter von diesem Hubschrauber beschossen wurde?" Segovia wehrte den Vorwarf elegant ab. „Ich antworte Ihnen gerne, Herr Kollege, wenn Sie mir sagen, woher Sie diese Information be sitzen." „Die Sache war doch Tagesgespräch in Altea", behauptete der Mossad-Offizier. „Sie haben wohl überall Ihre Spione sitzen." „Es geht um die Sicherheit meines Landes", erklärte der Mossad-Mann. „Alles, was uns gefähr det, jede Form von Terrorismus, muß im Ansatz erkannt und beseitigt werden. Gewisse Spuren führen bedauerlicherweise an eine Ihrer wunder schönen Küsten, Oberst Segovia." Der Spanier räumte ein, daß ein Kutter beschossen worden sei. Vielleicht, we il die Fischer sich falsch verhalten hatten. Zur Identi fizierung des Helikopters habe das leider nicht beigetragen. Es schien so, als käme man jetzt zur Beschlußfas sung weiterer Maßnahmen, als der Israeli sich erneut zu Wort meldete. „Gentlemen", wiederholte er in einer Sprache, die so kantig war wie sein Gesicht. „Wir sind nur Gäste hier, aber der Fall berührt unsere Interes sen. Deshalb meine Frage: Stimmt mein Eindruck, daß hier Informationen unterdrückt werden? Gibt es vielleicht innerhalb der NATO-Geheimdienste Sondergruppen, die ihr eigenes Süppchen ko chen?" Seine Frage erzeugte lautstarken Protest. Nur der BND-Delegierte beteiligte sich nicht daran. Schließlich trat der General ans Mikrofon und sagte, daß es Zeit für eine Kaffeepause sei. Als 89
gewiefter Konferenzleiter wußte er, daß sich hoch gehende Wogen am besten glätteten, wenn man sie in Ruhe ausrollen ließ.
Der Israeli gab keine Ruhe. Nach der Pause nannte er sogar Namen. Aber vorher erneuerte er seine Anschuldigungen. „Warum werden hier wichtige Informationen unterschlagen?" „Bitte fassen Sie sich genauer", bat der General. „Ich meine, wenn Sie schon solche Anschuldigun gen erheben, dann bitte ich um mehr Klarheit." Der Mossad-Mann sprang auf. „Oberst Segovia berichtete uns nicht erschöpfend über die Vorgänge bei Alicante und Valencia." Segovia blätterte in seinen Akten und schwieg. Der Mossad-Major wurde lauter und deutlicher. „Am Ort der Ereignisse, wo man die Gruppe der sechs Wissenschaftler zuletzt lokalisiert hat, wurde eine Person aufgefunden. Stimmt das?" Segovia winkte gelangweilt ab. Der General tat, als sei ihm das zwar neu, aber auch nicht gänzlich unbekannt. Der Mossad-Offizier ließ nicht locker. „Eine weibliche Person. Sie wurde vom Meer angeschwemmt und stand unter Drogen." Der Israeli versuchte den BND-Delegierten zu fixieren, der aber schaute angestrengt in eine Ecke des Raumes. Nun wurde der Mossad-Major konkret. „Diese Frau ist Japanerin. Es handelt sich um die Physikerin Professor Kiki Kuma von der Universi tät Tokio." 90
Im Raum wurde es mäuschenstill. Man hörte die Klimaanlage summen. Sogar die in den Gläsern aufsteigenden Mineralwasserperlen schienen Geräusche zu verursachen. Der Mossad-Major deutete nun auf den Mann vom deutschen Bundesnachrichtendienst. „Warum verschweigen Sie uns das?" schrie er entrüstet. Sein Fingerzeig bewirkte, daß alle im Saal den Kollegen aus Pullach anstarrten. Der wechselte mit Segovia einen raschen Blick, erhob sich von seinem Stuhl und wandte sich an den General. „Kann ich Sie unter vier Augen sprechen, Sir?" fragte er. „Moment mal!" fuhr der Israeli dazwischen. „Gibt es hier vielleicht Geheimnisse erster Ordnung und Delegierte zweiter Klasse?" Soviel Einmischung war dem General zuviel. „Sie, Major", wies er den Israeli zurecht, „fügen sich gefälligst unserem Komment. Setzen Sie sich hin, und halten Sie den Mund."
Im Nebenzimmer, als sich die Polstertür hinter ihnen geschlossen hatte, weihte der Mann aus Pullach den General ein. „Ich bekam es Minuten vor Beginn der Sitzung telefonisch von meiner Zentrale", erklärte er, „und konnte sie nicht mehr informieren. Außerdem halte ich es nicht für so wichtig. Zumindest nicht im Augenblick." Der General hatte sich auf die Tischkante gescho ben und strich seinen weißen Schnurrbart glatt. 91
„Neuigkeiten von Dynamit und dieser Profes sorin?" „Sie ist keine Professorin, Sir." „Dann wäre sie auch nicht Kiki Kuma", schluß folgerte der General. „Wer ist sie dann?" „Eine japanische Studentin, die von einer nicht näher bekannten Gruppe dazu gebracht wurde, Kiki Kuma zu spielen." „Wie fand Ihr Mann das heraus? Dieser Urban ist schon ein dreister Hund." „Kein Geheimnis, Sir. Offenbar wußte die Japa nerin Dinge, die sie gar nicht wissen konnte. Da sie sie aber kannte, müssen sie von Leuten stammen, die Elias Morgan in der Hand haben." „Die Havanna-Geschichte?" Der BND-Delegierte bestätigte es. Auch, daß Urban daran arbeite, der Spur der sechs zu folgen und ihren Aufenthalt zu erkunden. Das sei ein äußerst gefahrvolles Vorhaben. Nur der BND sei informiert, die spanische BIS und jetzt der General. „Wem mißtrauen Sie?" fragte der Amerikaner. „Alte Kriminalistenregel", wich der Mann aus Pullach aus: „Über eine Operation kann man vorher oder nachher reden, aber nicht, solange sie läuft." Der General steckte sich eine Zigarette an, dachte nach und riet dann: „Sie gehen am besten gar nicht mehr hinein." „Ist mir auch lieber, Sir." „Dann kann man sie nicht angreifen. Ich werde mit diesem Burschen schon fertig. - Wäre auch gelacht. Ich habe im Kongreß das neue Raketenund Panzerprogramm der US-Army durchgeboxt. Ich stopfe ihnen das Maul. Wie lautete doch dieser löbliche Grundsatz?" 92
„In laufende Operationen pfuscht man nicht hinein", vereinfachte der Deutsche es. „Das werden die Gentlemen schon schlucken", hoffte der General. „Außerdem trage ich die Gesamtverantwortung, und kein anderer. Ich wün sche Ihnen Glück." „Wünschen Sie es unserem Mann." „Ich kenne Urban", sagte der General. „Der hat immer Glück. Und wenn es nicht will, dann macht er ihm Beine."
Bei einem Überfall auf die Niederlassung einer deutschen Großbank im Raum Frankfurt/Main erbeuteten die Täter sechs Millionen D-Mark. Sie warteten die Anlieferung von Bargeld durch den Panzerwagen ab und nahmen dessen Inhalt gleich mit. - Der Überfall war perfekt geplant und perfekt durchgeführt. Die Täter entkamen auf mehreren Wegen, was die Verfolgung unmöglich machte. Wenige Stunden nach dem Überfall bekannte sich eine Gruppe Neues Palästina zu der Tat. Man betrachtete die sechs Millionen Mark als Unterstützung des Heiligen Krieges. Unterzeichnet war der Bekennerbrief mit A. J. Man nahm an, daß es sich um Abu Jovis handelte.
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Zwölfte Aktion
Costa Bianca
„Du mußt das verstehen", bat die Japanerin. „Für eine, die nichts besitzt, scheint über jedem Packen Dollar die Sonne." „Habe ich dir etwas vorgeworfen?" „Nein, aber du bist sehr schweigsam seitdem." Er glühte den Landroverdiesel vor und ließ ihn an. Sie rollten in Richtung Benidorm. Die falsche Kiki Kuma hatte ihm gesagt, daß er dorthin fahren solle. „Normalerweise wü rde ein Mann jetzt toben, die Gläser an die Wand werfen oder zuschlagen", bemerkte sie. „Bin ich Schimansky?" fragte er. „Wer ist Schimansky?" „Eben", sagte er. „Das ist ein anderer Film." „Sie haben meine Schulden in London bezahlt und fünftausend extra." „Plus Drohungen", ergänzte er. „Es hat mich von Anfang an angewidert." „Wer sind diese Leute?" Er stellte diese Frage zum x-ten Mal. Diesmal antwortete sie sogar. „Ich bringe dich hin, Darling." Urban hatte angenommen, das Versteck läge in der Sierra. Sie fuhren aber an der Küstenstraße entlang, immer auf Alicante zu. In dreißig Minuten würden sie dort sein. Sie bat um eine Zigarette und warf sie, kaum angeraucht, hinaus. Dann fragte sie, ob er einen Schluck zu trinken hätte. Er holte die silberne Flasche aus dem Türfach. Sie setzte an, und es war mehr als ein Dreifacher, den 94
sie zu sich nahm. - Trotzdem vibrierten ihre Hände wie bei einem Greis, der an der Parkinsonschen Krankheit litt. „Nervös?" fragte er. „Erst verliert man die Nerven, dann das Leben. Reiß dich gefälligst zusammen." „Ich zeige dir ihr Versteck. Das Schlimmste, was ich tun kann." „Du zeigst es mir nur. Ich gehe alleine hinein. Keiner weiß, wie ich es fand. Okay?" „Okay, okay", sagte sie. Die Straße stieg an. Man konnte bis Cabo Huertas blicken. Über dem Meer hing noch Frühdunst. Um diese Stunde herrschte reger Schiffsverkehr. Fäh ren kamen und liefen aus. Frachter lagen auf Reede und warteten auf einen Platz an den Piers. Fisch kutter tuckerten vor Netz. Jachten schossen kreuz und quer, als gäbe es für sie keine Seestraßenord nung. Bevor die weite Kurve kam, wo die Straße abwärts führte und der Panoramablick von einer Felswand wie von einem Vorhang verdeckt wurde, bat Kiki Urban anzuhalten. Er rollte links heraus auf eine Art Aussichts punkt. „Hast du ein Glas?" „Im Koffer. Aber ganz scharfe Augen." Sie deutete in den Glanz der steigenden Sonne. Vor lauter Silberflitter waren die Konturen un scharf. „Wofür hältst du das?" „Für einen Tanker." „Was fällt dir an ihm auf?" „Er liegt vor Anker." „En Riesentanker vor Anker, ist das normal?" 95
„Wenn er warten muß, bis das Ölterminal für die Entladung frei wird, dann schon." „Gibt es in Alicante einen Ölhafen?" Er fühlte sich überfragt, aber es gab wohl keinen. Aus ihrer Frage zog Urban seine Schlüsse. „Was ist mit dem Tanker? Ein alter Schrotthau fen, denke ich." „Nein, er ist nagelneu. Noch gar nicht in Betrieb genommen. Er wurde von der Werft in diese Bucht gebracht und eingemottet. So nennt man das doch, oder?" Ja, man nennt es so, wenn man Tonnage aus dem Verkehr zieht, weil die Frachtraten zu niedrig sind." Nun stieg er doch aus, machte hinten auf, holte das Zeissglas aus der Reisetasche und betrachtete den Tanker. Ein riesiges Schiff, mindestens zwei hunderttausend Tonnen. Es ragte hoch heraus, war also leer und an mindestens vier Ankern vertäut. Auf dem Tanker können leicht sechs Hubschrau ber landen", schätzte er. „Ein Dutzend." „Dann können wir in der Sierra lange suchen." „Es war vergeudete Zeit." Kopfschüttelnd stand er da. Auf diese Idee mußte erst mal einer kommen. „Da staunst du, wie?" ließ Kiki sich vernehmen. „Nein", log er. „Magst du es, daß ich immer nur du zu dir sage?" fragte die Japanerin. „Wie heißt du eigentlich?" „Roberto in Spanien, Bob auf englisch." „Ich heiße wirklich Kiki. Aber nicht Kuma mit Familiennamen. Kiki ist sehr verbreitet in Japan." „Der Tanker ist bewaffnet?" fragte Urban. „Wie eine Festung." 96
„Dient er nur als Gefängnis für die sechs Eier köpfe?" „Wozu sonst. Ich weiß wenig darüber." „Ich muß hin", entschied er. „Da holst du dir mehr als eine blutige Nase." „Möglich, daß danach eine Menge mehr blutet", fürchtete er, „aber es ist nun mal mein Job." Er stieg ein, ließ an und fuhr weiter. Von jetzt ab dachte er nur daran, wie er auf dieses Schiff hinauf- und hineinkäme. Erst einmal mußte er sich Klarheit verschaffen, wie es geschützt wurde, wo die Wachen standen, welche Maßnahmen man getroffen hatte, um es uneinnehmbar zu machen. Eine Wachkompanie würde ihm lieber sein als ein paar Scharfschützen mit Habichtsaugen.
Urban mietete ein Motorboot, fuhr gegen Mittag um das Kap herum und näherte sich dem aufgelegten Supertanker, soweit das möglich war, ohne aufzu fallen. Überall, am Bug, am Heck, mittschiffs, auf der Brücke, im Mastkorb, waren Posten verteilt. Eine so gut wie uneinnehmbare Festung, das war deutlich im Glas zu erkennen. Trotzdem entdeckte Urban etwas, das ihm eine Chance versprach. Er glaubte, etwas gesehen zu haben, eine Lücke im Verteidigungssystem, durch die der Schutzring vielleicht aufzubrechen war. Wieder in Alicante, ließ er das Boot volltanken und mietete es für einen weiteren Tag. „Was hast du vor?" fragte die Japanerin, die in einem Cafe an der Marina auf ihn gewartet hatte. 97
„Ich muß auf die Santa Luisa", entschied er. „Ist das nicht Selbstmord?" „Die Leute vom Einstein-Club waren mal dort. Stimmt das?" „Vor einer Woche." „Warum bewachen sie den Tanker wie Fort Knox, wenn es nichts mehr zu bewachen gibt?" „Vielleicht vor randalierenden Schiffsräubern." „Dazu genügen zwei Mann. Ich habe mehr als zehn gezählt." „Deshalb ist es Selbstmord, Darling." Er stürzte einen Kaffee hinunter und graste mit dem Landrover eine Reihe von Bootsausrüstern ab. Erst kaufte er einen Leinenschußapparat, wie er zur Seenotausrüstung größerer Schiffe dient. Sie hatten zwei Modelle. Eines, wobei der Patent anker mit der Leine daran mittels einer Pulverpa trone nach oben geschossen wurde, ein anderes für Preßluftbetrieb. In jedem Fall würde er versuchen, den Draggen mit der Hand hinaufzuschleudern. Aber die Bordwand eines leeren Supertankers war bis zu fünfzehn Meter hoch. Fraglich, ob er das schaffte. „Das Preßluftmodell", entschied er sich. „Dann brauche ich eine Nylontrittleiter und einen Bolzen schneider." Im nächsten Laden erwarb er einen schwarzen Monteuroverall, eine Taschenlampe mit Ersatzbat terie und steifen Schweißdraht, den er im Wagen zu Dietrichen zurechtbog. „Wozu die Sprühdose?" fragte Kiki. „Damit macht man Schlösser leichtgängig. Es genügt ein Hauch, und sie sind offen." „Und der Verbandskasten?" 98
„Zum draufsetzen bei der Zigarettenpause, Dar ling." Gegen 22.00 Uhr, der Mond war nur schmal, schickte er Kiki weg und schlenderte den Anleger hinaus. Nachdem er alles an Bord verstaut hatte, warf er die Leinen los und bugsierte das Boot mit den zwei Volvo-Penta-Motoren aus dem Jachthafen. Dicht an der Küste bleibend, fuhr er um Cap Huertas herum. Die Touristenfahrzeuge an der Autobahn bildeten lange Lichterketten. Er wich einer Flottille einlaufender Fischer aus. Als er auf Nordkurs ging, hatte er das Leucht feuer an Backbord. An Steuerbord tauchte bald ein stählernes Gebirge auf - die Bordwand des Super tankers Santa Luisa. Mit sechshundert Motorumdrehungen, also kaum hörbar, mogelte er sich an den Tanker heran. Die geeignetste Stelle hatte er sich schon am Mittag ausgesucht. Sie lag achtern. Das vorstehende Heck deckte ihn. Andererseits glich das Ende des Schiffes eher einer überhängenden Felswand. So versuchte er gar nicht erst, den Patentanker hinaufzuwerfen. Er schob den Ankerstock in die Harpunenmündung, knotete die Leine in die Öse und visierte. Ein Druck. Dreißig Atü zischten aus der Preßluft flasche auf den Kolben und schössen den Anker nach oben. Dort schlug er gegen Metall, hakte aber nicht fest. Urban zog die Leine zurück und wiederholte die Prozedur. Beim zweiten Mal saß der Anker. Er wartete und lauschte angestrengt. Nach mehreren Minuten prüfte er die Festigkeit der Leine. Sie saß bombig. Nun hakte er die Gleitsteine der fünfstufigen 99
Nylontrittleiter ein und war fertig zum Aufstieg. Nur noch die Ausrüstung mußte er umhängen. Sie lag in der Kajüte. Mit einemmal hatte er einen Revolver vor dem Bauch. Er gehörte der Japanerin. Er kannte ihr Parfüm. „Du gehst nicht", entschied sie. „Willst du mich daran hindern?" „Notfalls schieße ich." Notfalls werde ich grob, dachte er und schlug zu. Erst hämmerte er den Lauf der Waffe nach links, dann stieß er sie mit einem Tritt in den Leib an die Kajütwand. Ehe sie wieder hochkam, hatte er das Knie auf ihre Brust gesetzt. Er riß den Cordgürtel aus ihren Jeans und fesselte sie. Dann verklebte er ihren Mund mit Leukoplast aus dem Verbandska sten. Sie fluchte und keuchte, aber es war nichts zu verstehen. Urban hängte die Ausrüstung um und kletterte, indem er die Gleitsteine der Trittleiter Meter um Meter an der Leine nach oben schob und nachstieg an Bord.
Als Urban sich an Deck des Tankers Santa Luisa schwang, stand einer der Posten da, die Maschinen pistole im Anschlag. Jetzt würde sich zeigen, ob er im Licht des Nachmittags schlecht gesehen hatte. - In der Tat, er hatte sich nicht geirrt. Der Posten bewegte sich nicht. Er war blind und stumm und völlig leblos, so wie es nur eine Puppe sein konnte. Ein Dutzend Wächter, und alles nur Attrappen. 100
Aber warum? Einen leeren Tanker bewachte man nicht, nicht einmal mit Dummies. „Hallo, Kumpel!" sagte er und hastete über die Schanz zu den Heckaufbauten. Gegen Mitternacht stieg er dort ein und brauchte gut und gern eine halbe Stunde, um das achtstök kige Haus aus Stahl, das die Kombüse enthielt, die Schlafräume von Mannschaft und Offizieren, die Messe, Funkraum, Vorratsräume, Krankenstation, Kartenhaus und Brücke, zu durchsuchen. Nach unten ging es zu den Maschinen, nach oben zum Boots- und Signaldeck Aber er fand nicht die Spur einer Maus. Das Schiff wirkte klinisch sauber. Es stank sogar ein wenig nach Apotheke, was aber vom Reinigungs mittel herrühren mochte. Selbst die Papierkörbe, die Müllschlucker und Müllcontainer waren leer und blitzblank gescheuert. Daß er sich hundertprozentig auf dem falschen Dampfer befand, wagte er sich nicht vorzustellen. Er schloß es einfach aus. Unten gab es noch einige Räume und Bunker flir Treibstoff, Wasser und Öl, die er noch nicht inspiziert hatte. Vielleicht fand sich dort etwas. Noch auf der Brücke rauchte Urban eine MC. Den Kegel der 100-Meter-Lampe ließ er durch die Verglasung über das Deck gleiten. Dort lagen nur noch die mächtigen Tanks und ganz vorne im Bug ein paar Lasten für Tauwerk, Ersatzteile, Farben und das Schlauchlager. Da sah er etwas flattern. Es war kein Wimpel, eher ein Stück Papier, das der Wind hochgewirbelt hatte, bevor das große Reinemachen begonnen hatte. Er öffnete die Schiebetür zur Nock, kletterte nach 101
oben zum Signaldeck und ein Stück die Steigeisen am Funkmast hoch. Er konnte das Papier fassen. Es zerriß beim Losmachen, aber was er hatte, würde genügen. Drinnen leuchtete er es ab. Eine Zeitung. Schrift und Sprache waren nur mühsam zu entziffern. Eine hebräische Zeitung aus Tel Aviv. Wer immer diese Leute waren, die den EinsteinClub kassiert hatten, daß sie Hebräisch verstanden, das wunderte ihn. Und dann wunderte ihn noch mehr, daß die Zeitung nur drei Tage alt war. Am Mittwoch in Israel gedruckt, war sie ziemlich schnell nach Spanien gelangt, war dort gelesen und weggeworfen worden. Noch paßte das nicht in sein löchriges Mosaik. Aber es veranlaßte ihn, auf dem Tanker weiterzusu chen. Er marschierte über den Mittelsteg nach vorn. Außer zwei Wachpuppen mit Plastikmaschinenpi stolen fand er nichts. Also machte er kehrt und ging die zweihundertfünfzig Meter in Richtung Heck wieder zurück. Plötzlich hörte er etwas klopfen. Es kam tief aus dem Inneren des Tankers. Ein rhythmi sches Hämmern, so als würden sich eingeschlossene Bergleute miteinander verständigen. Zuerst dachte Urban an ein loses Tauende oder ein Maschinenteil, das diese Töne auslöste. Dann aber zählte er mit und merkte, daß es sich um das Knastalphabet handelte. Einmal Klopfen bedeutete A, zweimal Klopfen den Buchstaben B und so, fort. Offenbar hatte jemand seine Schritte ve rnommen und machte sich nun bemerkbar. So ein Schiff war hellhörig wie ein Suppenkessel. Er kletterte hinunter zur Maschine. Der schwere IS-Zylinder-Turbo-Diesel stand da wie ein Denk 102
mal aus Gußeisen, lang wie drei Reihenhäuser und ebenso hoch. Ein Koloß makellos grau lackiert. Über die etagenförmig angebauten Grätings kam er nach unten. Im Hilfsmaschinenraum, durch den er mußte, stand ein Schott offen. Von außen leuchtete er hinein. Ein Gang führte um die Ecke. Urban mußte über den Süllrand steigen. Der Gang win kelte nach Steuerbord ab und endete bei einem zweiten Schott. Es war zu, von außen verschlossen. Er packte die Vorreiber. Sie saßen fest. In diesem Moment dröhnte ein Gongschlag durch den Riesentanker. Es gab keine Uhr, die so eine Glocke schlug. Urban rannte zurück, hechtete das Schott zum Maschinenraum an. Zu spät. Es war dicht. Draußen wurden die Vorreiber betätigt. Die Innenbacken klemmten das Schott luftdicht zu, und dann wur den die Hebel arretiert. Da wußte er, daß seine Lage so beschissen war, daß es sich erübrigte zu fluchen. Rundum nichts als Stahlwände. Kein Bulleye, kein Lüftungsgitter. Sogar die Flurplatten waren verschweißt. Siedend heiß wurde ihm bewußt, daß er in der Falle saß. Irgend jemand hatte sie aufgebaut, und er war hineingerannt. Du bist lebensmüde, hatte die Japanerin gesagt. Und es sah verdammt so aus, als sollte sie recht haben.
In der Welt der Terroristen und Geheimdienste herrschte trügerische Ruhe. Seit Tagen gab es keine Meldungen über Anschläge irgendwelcher Art. Die Szene schien 103
jedoch auf etwas zu starren wie auf einen Punkt. Noch nicht sichtbar, aber doch unaufhaltsam näherkommend. Dreizehnte Aktion
Französische Seealpen
Bis Grenoble und weiter nach Gap ging es einiger maßen. Dann aber, hinauf in die Hôtes Alpes, in die Berge zwischen Mourre-froid und dem PelvouxMassiv, wurde es happig. Die schmale Straße dritter Ordnung war steil, kurvenreich, mit steinigen Stufen durchsetzt, und ein R 4 war keine Bergziege. Oberhalb der Tannen, wo nur noch Latschenkie fern wuchsen, gab der schwache Motor sein Letztes. In den steilen Serpentinen, die Lummet nur im Ersten und mit rutschender Kupplung schaffte, stank es stark nach verbranntem Belag. Diese Vollidioten, dachte er, wissen alles und doch nichts. Er war gern pünktlich. Aber wenn es so weiter ging, kam er nie auf diesem 2500 Meter hohen Plateau - nicht weit vom ewigen Schnee entfernt an, das sich dieser Wahnsinnige als Treffpunkt ausgesucht hatte. Dort, nahe der Grenzen nach Italien und in die Schweiz, schien sich Abu Jovis offenbar sicher zu fühlen. Der Wagen war nicht schwer beladen. Lummet hatte nur den Behälter mit der Stinger, eine Thermos voll Kaffee und ein paar belegte Baguette stücke dabei. Als sich die erreichte Höhe durch Druck im Ohr 104
und den Schluckzwang bemerkbar machte, gab der R 4 seinen Geist auf. Er mochte einfach nicht mehr weiter. Erst wenn er abgekühlt war, würde der Motor wieder laufen. Lummet schaffte es gerade noch bis zu einem Geröllfeld. Er stieg aus, atmete tief und steckte sich eine Zigarette an. Der Motor knackte vor Hitze. Der Himmel war fast wolkenlos. Die Türme der Dreitausender über ihm hatten weiße Hauben. Es ging auf Mittag. Um zwölf Uhr war er verabredet. Angeblich hatten sie sich mit einem kompletten Team in die Seealpen begeben. Sie warteten auf ihn und würden ihn suchen. Nicht, weil sie sich Sorgen machten, sondern weil sie die Stinger haben wollten. Das wußte er, damit rechnete er, und deshalb wartete er, bis sie kamen. Er hatte richtig kombiniert. Wenig später schon vernahm er das Brummen eines Motors. Es war aber kein Flugzeug, sondern ein Jeep. Es dauerte nicht lange, dann hatten sie seine Spur. Sie sahen ihn, fuhren auf ihn zu und stoppten. „He, sind Sie Lummet?" „Bin ich." „Wollen Sie nicht weiter oder können Sie nicht?" „Fragen Sie mein Auto", antwortete er.
Auf dem sonnenbestrahlten Gletscher stand eine Kolonne von Geländewagen im Schnee. Nur Merce des und Rangerover, das Beste vom Besten. Dazu ungefähr sechs Leute. Der große Commandante war nicht dabei. Sie hatten den Behälter mit der Stinger wie ein rohes Ei behandelt. Sie wollten sich nicht den 105
Vorwurf einhandeln, achtlos damit umgegangen zu sein. Nun hoben sie das kindersargähnliche Ding heraus und setzten es vorsichtig ab. Lummet ging zu einem der Burschen, von dem er annahm, er führe hier das Wort. Gewöhnlich erkannte man das an Haltung und Auftreten. „Von mir aus kann's losgehen", sagte Lummet. Der Angesprochene lächelte spöttisch. „Seien Sie nicht so forsch, Lummet", riet er ihm. „Ihr Ding wird es schwer haben." Einer schaute auf die Uhr. „Wenn sie pünktlich ist, taucht sie bald auf." „Die British Airways ist pünktlich. Nicht ganz so wie die Lufthansa, aber Engländer sind auch keine Preußen, oder?" „Was haben Sie vor?" fragte Lummet. „Ganz einfach", erklärte man ihm. In wenigen Minuten kommt der Jumbo London - Mailand hier vorbei. Flughöhe zehntausend Meter, Geschwindig keit neunhundert Stundenkilometer. Die Boeing 747 ist das robusteste aller bekannten Fluggeräte. Wenn Ihre Stinger sie runterputzt, ist sie gekauft und ein Dutzend ihrer Brüder." Der Mann in grüner Hose, Springerstiefeln, grü ner Schildmütze und grünem Parka ließ sich einen Aktenkoffer reichen. Er öffnete ihn auf dem ange winkelten Knie und zeigte Lummet den Inhalt. Der Koffer war voll mit gebündelten Dollarscheinen. »Okay?" fragte der Araber. „Okay", sagte Lummet. An den Geländewagen standen die Türen offen. Man vernahm Funkgespräche auf den Luftfahrtfre quenzen. Abu Jovis war noch nicht zu sehen. Verdammt, dachte Lummet, er hat dich aufs Kreuz gelegt. 106
So vergingen mehrere Minuten bei wachsender Spannung. Als einer, der Kopfhörer 1mg, aus dem Gelände wagen Zeichen machte, trat der Boß der Gruppe zu Lummet. „Mach das Ding klar!" Lummet öffnete die Schnappverschlüsse des natogrünen, innen gepolsterten Plastikbehälters und nahm das Aggregat heraus. Es war eine etwas bizarre Konstruktion von Visiereinrichtung, Com puter, Schußrechner, Starter und Raketenhalte rung. Das ganze konnte man auf die Schulter legen. Lummet erklärte: „Kalt hier oben. Ich brauche eine kurze Vor warnzeit für die Elektronik." Der Mann, der offenbar das Team befehligte, stoppte ihn. „Erzähl das dem Commandante." Als Signal nahm er die Mütze. Daraufhin stieg ein Mann aus dem zweiten Mercedes G. Er war etwa zwei Meter lang, kräftig und ging raubtierhaft Sein Gesicht verdeckten Bart und Brille. Abu Jovis kam näher. „Hallo, Lummet!" rief er distanziert. „Hallo, Commandante", sagte der Waffenhänd ler.
Auf irgendeine Weise kam ihm der Commandante fremd vor. Er zeigte nicht mehr die abgrundtiefe Verachtung, an die Lummet sich erinnerte. Er wirkte eiskalt und fremd wie ein Stück Stein vom Mond. Er ist Realist, dachte Lummet, er vergißt, was war 107
und denkt an die Zukunft. Er braucht dich. Du hast die Stinger-Quelle. Mit mehr Worten als nötig, und das ziemlich hektisch, erklärte Lummet die Funktionsweise der besten Boden-Luft-Rakete der Welt. Dazu pries er immer wieder ihre Vorzüge. „Wird sich zeigen", knurrte Abu Jovis. „Ich bin sicher." „Gut für dich. Ein Versagen würdest du nicht überleben. Es gibt keine zweite Flucht aus Beirut. Ist das klar?" Immerhin erinnerte er sich an die Sache mit der 6. Flotte. Lummet erläuterte, wie das Gerät aufzunehmen war, wie man es in die Schulter einzog, wo man in das Okular blickte, wie man visierte und die zwei Kreuze in Deckung brachte, wie man wartete, bis die rote Diode auf Grün umschaltete, und wie man dann nach Lösung der Sicherheitssperre abzog. Seine Stimme wirkte kreischend laut. Die Araber empfanden es als äußerst unangenehm. Und dann meldete der Peiler das Flugzeug. Lummet tänzelte um den Commandante und korrigierte den Sitz des Stinger-Abschußgerätes an dessen Schulter. „Sehen Sie die beleuchteten Kreuze?" „Verdammt, ja" „Haben Sie das Flugzeug im Visier?" „Noch nicht." „Bringen Sie die Kreuze in Deckung, Comman dante." Jovis kannte sich bei Waffen aus. Er war von rascher Auffassungsgabe und hatte die Stinger sofort im Griff. Sie war außerdem so konstruiert, daß sie von Fellachen bedient werden konnte. 108
„Achten Sie auf die Dioden!" rief Lummet. „Halt den Schnabel!" sagte Jovis, durch die Optik visierend. Über die westlichen Gipfel kam die Boeing, Kondensstreifen ziehend. Jovis hatte zu tun, um präzise zu visieren. „Abschuß erst bei Grün, wegen des Vorhaltewin kels." „Klar doch!" „Sehen Sie schon Grün, Commandante?" „Nein, Rot", Jovis fluchte: „Verdammt, schafft mir diesen Nervösmacher vom Hals." „Es geht um mein Geld", wehrte Lummet sich, war aber froh, daß zwei Mann ihn packten und gut fünfzig Meter fortführten. Dort mußte er sich hinsetzen. „Du rührst dich nicht einen Meter vom Fleck!" befahlen sie und kehrten zu der Gruppe zurück. Lummet saß da und wartete. Es lief perfekt. Die Nervensäge hatte er absichtlich gespielt. - Fünfzig Meter Abstand, das mußte reichen, um am Leben zu bleiben.
Abu Jovis ließ es sich nicht nehmen, die Stinger selbst zu erproben. Diese Waffe war dafür gut, vernichtende Schläge zu führen, um das hohe Ziel zu erreichen: Freiheit für Palästina. Jovis stand da, breitbeinig, von zwei seiner Männer gestützt. Langsam schwenkte er das Stin ger-Abschußgerät mit. Der BA-Jumbo flog hoch, etwa 7500 Meter über ihnen. Trotzdem glaubte man, das Singen seiner vier Triebwerke zu hören. 109
Dann begann Jovis zu zählen. Von zehn rück wärts. Seine Männer starrten nach oben. Sie erwar teten, daß die Rakete, wenn sie erst gestartet war, den Jumbo bersten lassen würde. Dazu war eine Stinger konstruiert. - Nur diese nicht. „Drei", zählte Jovis, „zwei - eins - Grün!" Jovis Hand tastete nach vorn und betätigte den Abzug. Die Startladung zündete. Die Rakete ver ließ, weißen Treibstoff blasend, das Rohr. Sofort beschrieb sie eine Aufwärtskurve in Richtung auf den Jumbo. Lummet warf sich hinter einen Felsbrocken in Deckung, zog den Kopf ein und hielt sich beide Ohren zu. Er sah nicht, wie die Stinger auf ihrer Abgasspur in die Höhe rotierte, gut und gern zweihundert Meter, es sich dann aber anders zu überlegen schien, als setze die Elektronik in ihrem Gehirn aus. Ein umgepolter Chip gab den falschen Befehl. Die Rakete flog nicht weiter hinauf zu dem Jumbo-Jet, dessen Triebwerkhitze und seine magnetische Masse suchend, sondern kippte ab. Sie beschrieb eine Parabel und behielt sie so lange bei, bis sie auf Gegenkurs, zum Ort ihrer Geburt zurückkehrte. „Die spinnt!" schrie einer entsetzt. „Teufel!" rief Abu Jovis. ,Alles in Deckung!" Sie suchten irgendwo Schutz, aber nicht rasch genug für eine Rakete, die zweimal schneller war als der Schall. Die Stinger raste auf sie zu, suchte sich einen Punkt, der ihr schmeckte - den massivsten Batzen aus Stahl -, und das war der Rangerover, der neben dem Mercedes parkte. Sie schoß heran, rotierend, giftig, todbringend und schlug auf. 110
Stille für den Bruchteil einer Sekunde. Dann die Explosion. Extrem energiereicher Spezialspreng stoff zerfetzte alles im Umkreis von zwanzig Metern. Fast gleichzeitig schlössen sich mehrere hundert Liter Superbenzin in den Geländewagen tanks der Explosion an. Stahl, Eisen, Glas und Kunststoff wurden atomi siert, die Menschen ringsum zerfetzt, zerschlagen, in Stücke gerissen. Unwillig verhallte der Donner in den Bergen. Die Felswände des Les Ecrins warfen das Echo zurück, ein-, zweimal. Aber der JumboJet flog weiter nach Mailand. Holger Lummet verließ wie betäubt seine Dek kung und schaute sich am Schlachtfeld um. Fontebelli hatte perfekt gearbeitet. Er hatte der Stinger gut zugeredet, und sie hatte nicht nein gesagt Bis auf einen waren alle tot. Der Schwerverletzte schrie, aber während er schrie, quoll ihm das Blut aus der Halsschlagader. Bald würde es auch mit ihm zu Ende gehen. Lummet fand Abu Jovis. Seine grüne Uniform färbte sich rot. Sein Kopf hatte die Stellung wie bei einem Genickbruch eingenommen. Seine Augen starrten glasig in die Ferne. „Geh zur Hölle, Commandante!" Das war Lummets Rache. „Für dich, Simone", murmelte er und stieg talwärts zu seinem R 4 ab. Von Paris aus benachrichtigte er die Redaktionen mehrerer Tageszeitungen und einige Pressedienste.
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Der France Soir brachte es als erster. Auf der Titelseite, Schlagzeile und fett, aber so schlicht in der Wortwahl, wie man etwas ausdrückt, das einen ungeheuer erleichtert. - Ist der Gott der Terroristen tot? Dahinter hieß es im Text: Wie wir aus zuverlässiger Quelle erfahren haben, ist der meistgefürchtete Terroristenführer unserer Zeit, der Palästinenser Abu Jovis, beim Testen einer neuen Waffe ums Leben gekommen. Vierzehnte Aktion
Spanien
Die Agenten der BIS ließen die Japanerin nicht mehr aus den Augen. Dann wunderten sie sich aber doch, daß sie nicht im Hotel geschlafen hatte, sondern sehr früh am Morgen mit dem Landrover vorfuhr. „Diavolo!" fluchte der Mann von der Brigada investigación. „Jetzt haben wir uns die Nacht vergebens um die Ohren geschlagen. Dachte, sie wäre in ihrem Zimmer." „Und der Deutsche?" fragte sein Partner. „Er fuhr spät mit dem Boot hinaus. Das weißt du." „Ich weiß nur, daß die Japanerin seinen Wagen benutzt. Aber auf ihn kommt es an. Er ist so was wie der Blutsbruder des Coronel. Unser Auftrag lautet, aus der Distanz dafür zu sorgen, daß etwas Ähnli ches wie die Ballerei aus dem Hubschrauber nicht in seine grauen Augen geht." „Sie nennen ihn Senor Dynamit", bemerkte der andere. „Er paßt alleine auf sich auf." 112
„Na schön. Und wo, bitte, steckt er?" Vom Hotelparkplatz sahen sie, wie die Japanerin ins Hotel eilte. Einer stieg aus und untersuchte den Landrover. Am Tag zuvor hatte der deutsche Agent merk würdige Dinge gekauft. Als wollte er die Fassade eines Hauses entern. Nichts davon war im Gelände kombi. Der Spanier kehrte zu seinem Kollegen in den Chrysler zurück. „Der Rover stand die ganze Nacht am Jachthafen. Ich rufe dort an," Sie hatten Autotelefon, kannten die Nummer und hatten den Bootsverleih sofort am Apparat. Allerdings erreichten sie nur einen Handlanger, der die Boote reinigte und nachtankte. Der Bursche erinnerte sich an den Deutschen anhand ihrer Beschreibung. „Das Boot ist zurück", sagte er. „Eine Iron-Glide mit Volvo-Pentas." „Sind Sie sicher, daß es das Boot ist?" „Das Boot, in dem der Mann gestern nacht um dreiundzwanzig Uhr hinausfuhr." „Wer brachte das Boot herein?" „Weiß nicht. Es lag schon da, als ich meinen Dienst antrat." „Und wo wollte der Mister damit hin?" „Richtung Playa de San Juan, glaube ich." „Doch wohl nicht zum Baden." „Fragen Sie den Senor", riet der Arbeiter im Jachthafen. Der BIS-Agent legte auf. „Wir werden die Japanerin fragen", entschied er. Wenig später kam sie mit einer Reisetasche aus 113
dem Hotel. Sie warf das Gepäckstück in den Landrover und rauschte davon. Sie folgten ihr mit dem nötigen Sicherheitsab stand. Der BIS-Agent, der rechts saß, lutschte an einem kalten Zigarillo. „Was sagst du jetzt?" „Gar nichts", meinte der Fahrer. „Die haut ab." Die Japanerin fuhr erst in Richtung Flughafen und dann, als kenne sie sich aus oder habe die Karte studiert, unvermittelt auf die Autobahn nach Nord osten. So kam man am schnellsten nach Valencia und weg aus der Provinz. Dranbleiben war kein Problem für sie. Der Landrover Diesel marschierte maximal hundert zehn. Sie hielten etwa dreihundert Meter Abstand und waren ein wenig ratlos. „Ob sie den Deutschen irgendwo an der Küste auffischt?" „Wozu die Umstände." „Ich durchschaue die Sache ohnehin nicht mehr." „Ruf in Madrid an. Da sitzen ein paar Schlauber ger, die wissen besser Bescheid." „Und was zu tun ist", ergänzte der Beifahrer. Sie wählten nach Madrid durch, bekamen Sego vias Adjutanten und erstatteten Bericht. Dann kam der Chef selbst an den Apparat. „Folgt ihr weiter", entschied Segovia. „Wenn sie einen Treff hat, nehmt sie und die Kontaktperson fest. Sollte sie das Fahrzeug wechseln, eventuell in einen Zug umsteigen, dann Kontakt halten." „Und wenn sie den Flieger nimmt?" „Dann gilt Paragraph vier. Festnahme zwecks Unterbindung eines Fluchtversuches." Drei Stunden später schnappten sie die Japanerin 114
am Flughafen Manises bei Valencia, als sie ver suchte, mit einer Maschine der Iberia nach Portugal zu entkommen.
Die Japanerin erzählte den BIS-Agenten eine unglaubliche Geschichte. Sie gaben sie nach Madrid durch und erfuhren, daß die Dame Spezialistin im Erfinden von Stories sei. Sie hatte auch dem deutschen Agenten schon ihre Märchen aufgetischt. Sie machten Druck. Ihren Grobheiten leistete die Japanerin nicht lange Widerstand. So kam es, daß ein BIS-Kommando am Abend auf dem Tanker Santa Luisa landete. Sie befreiten den BND-Agenten Robert Urban aus seiner mißlichen Lage und folgten ihm dann in die Tiefe des Schiffsrumpfes, von wo die Klopfge räusche gekommen waren. Daß die Japanerin ihn damit in die Falle gelockt hatte, schloß Urban nicht völlig aus. Eine andere Möglichkeit war aber auch nicht von der Hand zu weisen. Endlich fanden sie in einem der untersten leeren Frischwasserbunker fünf Männer und eine Frau. Man konnte ihre stählerne Zelle nur durch ein Mannloch erreichen. Die sechs sahen entsprechend heruntergekommen aus und waren stark ge schwächt. Nichtsdestoweniger fielen sie den Befreiern dankbar in die Arme. Man brachte sie in ihr First-class-Hotel in Ali cante zurück. Auf der Fahrt dorthin konnte Urban 115
sich mit dem deutschen Clubmitglied, Professor Koller, unterhalten. „Sie sind unser wahrer Befreier", erklärte Koller. „Wenn Sie uns nicht gesucht hätten, dann hätten die Spanier Sie nicht gesucht und auch uns nicht gefunden. Was möchten Sie wissen, Doktor Urban?" Urban hatte nicht allzu viele Fragen. „Warum, glauben Sie, Professor, hat man Sie entführt?" „Damit wir schweigen." „Wie ich inzwischen weiß, handelte es sich um die Begegnung mit einem Mann, etwa zwei Meter lang, athletisch, schwarzer Bart, Strandläufer." Kollers Scharfsinn hatte in den zwölf Tagen Gefangenschaft trotz Hunger und der ständigen Angst ums nackte Leben nicht gelitten. Seine Antwort traf den Punkt. „Abu Jovis." „Sind Sie sicher?" „Ich war nicht derjenige, der ihn erkannte. Aber inzwischen, ich meine, nachdem was geschah, ist die Überzeugung einstimmig. Es war dieser Terrori stenchef." „Er ließ Sie verschwinden, damit Sie nicht weitergeben konnten, daß Sie ihn hier gesehen haben." „Und man eine Riesenfahndung nach ihm aus löste." „Normalerweise", kombinierte Urban, „wäre es ihm leichtgefallen zu entkommen. Es gab Gründe, die ihn zwangen, hier zu bleiben. Ich glaube, diese Gründe inzwischen zu kennen." „Sie machen mich neugierig", gestand der Pro fessor. 116
„Ich begegnete ihm ebenfalls", erzählte Urban. „Als ich mich bei Altea herumtrieb und Sie suchte. Erst fand ich den Bus mit dem toten Fahrer unter Wasser, dann begegnete ich dem Mann, dessen Spuren sich mit den Ihren gekreuzt hatten. Einem Strandläufer, fast zwei Meter lang, athletisch. Seine Schuhabdrücke waren mit denen Ihres Mannes identisch." „Schwarzer Bart, Sonnenbrille", ergänzte Ger hard Koller. „Leider nein", klärte Urban ihn auf. „Er trug einen Kopfverband." „Höre ich richtig? Einen Kopfverband?" „Wie nach einer Verwundung oder Operation." Die Züge im grauen unrasierten Gesicht des Wissenschaftlers hellten sich auf. „Daher also der Gestank wie in einer Klinik." „Auf dem Tanker?" „Es drang bis zu uns. Eine unverwechselbare Krankenhausmischung aus Lysol, Narkosemittel, Äther, medizinischem Alkohol und Reinigungs benzin." Urban schwieg auffallend. Das Motorboot des BIS-Kommandos näherte sich der Stadt. Vereinzelt gingen schon Lichter an. Der Professor zog nun seine Schlußfolgerung. „Verletzt kann Abu Jovis nicht gewesen sein. Wir sahen ihn ja ohne Verband. Also unterzog er sich an Bord des Tankers einer langfristig vorbereiteten kosmetischen Operation." Das stimmte mit Urbans Theorie überein. „Ja, er ließ sich verändern, weil er eines wußte, nämlich daß viele Jäger des Hasen Tod sind. Sieht der Hase aber aus wie ein Hund, wird man ihn wohl nicht erwischen, weil man ihn nicht in dieser Maske 117
vermutet. Das muß es gewesen sein, was ihn dazu veranlaßte. - Nein, so ist es gewesen." Abu Jovis hatte sein Aussehen mit dem Messer eines Chirurgen verändern lassen. Jetzt würde es noch schwieriger sein, ihn zu kriegen, dachte Urban, und er hatte Zeit gewonnen, weiter zu wüten wie ein Berserker. „Und warum lockte man Sie in diese Falle?" fragte Koller. „Ich war der Wahrheit zu dicht auf den Fersen." „Wie ist es möglich, daß ein erfahrener Agent, wie Sie - man nennt Sie doch Mister Dynamit - da hineinschlitterte?" „Das ist eine kurze Geschichte", sagte Urban. „Cherchez la femme. Ich beging den Fehler, eine Frau für dümmer zu halten als sie ist." „Ja, diesen Fehler begeht man leicht", pflichtete der Professor ihm bei.
Am nächsten Tag, als sich die Mitglieder des Einstein-Clubs soweit erholt hatten, daß sie ihre Aussagen machen konnten, bereitete der BNDAgent Robert Urban seinen Rückflug nach Mün chen vor. Coronel Erneste Segovia kam auf Urbans Hotel zimmer. Er wirkte übernächtig und hatte dunkle Ringe unter den Augen seines scharfgeschnittenen, blassen Stierkämpfergesichts. „Da kommt nichts heraus", sagte er, „das weiß ich jetzt schon. Morgan mußte die kubanische Karte schreiben. Das ist alles." „Klar, was sie wissen, das war gestern. Heute ist 118
Abu Jovis über alle Berge. Und schon morgen wird er uns wieder peinigen." „Was hast du vor?" fragte der Spanier. Urban sah keine deutliche Linie. Er hatte das Seine dazu beigetragen, die sechs Wissenschaftler zu finden und zu befreien. Sein Auftrag war hiermit beendet. Aber der Spanier musterte ihn auf eine penetrant merkwürdige Weise, daß Urban befürchtete, Sevo gia führe irgend etwas im Schilde. „Einen Bourbon?" fragte Urban und schraubte die silberne Reiseflasche auf. „No, gracias." „Zigarette?" „No, gracias." „Danke, daß ihr mich so schnell befreit habt." „Das war selbstverständlich. Dafür heimse ich jetzt den Ruhm ein, den Club aus Jovis Klauen gerissen zu haben." „Es wird ihn mächtig wurmen, daß es so schnell ging. Damit haben wir gegen ihn aufgeholt. Wir wissen auch, daß er sich eine andere Visage schneidern ließ. Der Abstand zu ihm verkürzt sich. Würde mich nicht wundern, wenn demnächst ein Anschlußauftrag lautet: Fangen Sie uns Abu Jovis. - Aber ohne Robertowitsch Urbanski." Segovia trat ans Fenster, schaute hinaus und drehte sich wieder um. „Eines kann ich dir garantieren", sagte er. „Niemals wird man dich beauftragen, Jovis zu jagen. Und was den Abstand von uns zu ihm betrifft, so hat er sich nicht nur verkürzt, es gibt keinen mehr. Er ist bis auf null Meter ge schrumpft." Urban grinste. 119
„Bist du vielleicht Abu Jovis?" Ohne Erklärung zog der Coronel eine noch druckfrische Zeitung aus seiner Sakkotasche. Urban schlug sie auf. Vorne strahlte ihm mit sechzig Zähnen das Gebiß des Commandante entgegen. Aber die Überschrift las sich so, daß man Abu Jovis Lachen als tödliches Grinsen verstehen mußte. „Das gibt´s doch nicht", äußerste Urban. „Das wäre glatt ein Grund zum Feiern." „Erst hielt man es für ein Gerücht. Jetzt hat man die Beweise." Urban brach nicht in den erwarteten Jubel aus. Er wurde skeptisch. „Die Leiche?" „Ist stark beeinträchtigt." „Er ließ sein Gesicht verändern." „Es gibt einen Augenzeugen, daß er es ist." „Kennt man den Augenzeugen?" „Er hält sich versteckt. Er lieferte, wie man hört, dem Palästinenser eine Stinger-Rakete. Bei dem Test, den Abu Jovis irgendwo in den Seealpen selbst vornahm, kam es zu einer Rohrdetonation. So vermutet man. Das ganze Team, der engste Berater stab von Jovis, alle hinüber über den Jordan." „Eine Stinger", bemerkte Urban kopfschüttelnd. „Die krepiert nicht im Abschußgestell. Unmöglich." „Vielleicht wurde sie manipuliert." „Eine Stinger ..." Urban versuchte die Meldung zu verarbeiten. „Wer will die manipulieren. Ihre Elektronik ist das Perfekteste auf diesem Gebiet. Da blicken nur zwei, drei Leute durch, ich meine durch die Funktion dieses Gehirns aus Chips und Schaltkreisen. - Außerdem, wie sollte ein Waffen 120
händler an eine Stinger herangekommen sein? Das klingt alles verdammt fantastisch." „Deshalb rotieren die Kollegen von der CIA auch entsprechend." Urban war müde. Vor einer Minute noch hatte er geglaubt, dieses Kapitel sei abgeschlossen. Aber der Roman war noch nicht zu Ende. Gerade durch Abu Jovis Tod sah es aus, als käme es noch ganz dick. Manchmal hatte er nur einen Wunsch: davonzu laufen. Immer weiter, bis zum Rand dieser Welt. Und sich dann einfach fallenzulassen. Er setzte die Flasche an. „Glaub mir, Hombre", sagte er, „dieser Abu Jovis, dieser Hundesohn, lebt noch. Er besitzt sieben Leben wie eine Katze, und höchstens zwei davon hat er verbraucht." Fünfzehnte Aktion
Kreta
Sie hatten das ganze Hotel gemietet. Es lag zwölf Kilometer östlich von Heraklion in einer einsamen Bucht. Alles war vorbereitet, um den Commandante und sein Team aufzunehmen. Sie flogen ihn in der Nacht mit dem Hubschrauber vom Festland herüber. Kaum war Abu Jovis in seinem Zimmer, rief er nach dem Arzt. Er hatte Schmerzen. Der Arzt, ein junger, stark semitisch wirkender Brillenträger, kam und untersuchte seinen Pa tienten. Mit dem Ergebnis der Operation war er zufrieden, „Kaum Narben", sagte er, „und was sein mußte,
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verschwindet bereits. Sie haben erstklassiges Heil fleisch, Commandante." „Aber Leibschmerzen", erklärte der Palästinen serführer. „Bringen Sie mir diese verdammten Koliken weg, Doktor. Ich maß wieder an die Arbeit." „Was haben Sie vor, Commandante?" fragte der Arzt in besorgtem Ton. „Sie gehören nicht zum inneren Stab", fertigte Abu Jovis ihn ab. „Aber ich bin verantwortlich für Ihre Gesund heit. Oder nennen wir es, für Ihre einwandfreie Funktion. Diese Rackerei im Schwimmbad, am Hometrainer, an den Gewichten ist nichts für Sie. Ich habe Sie schon einmal gewarnt. Noch im Kopfverband zu joggen war Wahnsinn. Das haben Sie jetzt davon." „Was, verdammt", fluchte der Commandante, „hab’ ich davon?" Der Arzt glaubte, daß es am wirkungsvollsten sei, ihm mit der Wahrheit zu schocken. „Ich mußte Ihnen schweres Geschütz spritzen." „Drogen?" „Auch Kaffee, Tee, Nikotin und Alkohol sind Drogen. Nein, härtere Sachen. Nun hat sich Ihr Körper daran gewöhnt und verlangt mehr." „Wir werden sie ihm entziehen", entschied der Palästinenser. „Dann reagiert er mit entsprechenden Reak tionen." „Wie lange?" „Das kann Monate dauern." Eine neue Kolik ließ ihn aufbäumen. Der Araber tastete seinen Leib ab. Er war hart. Jovis stöhnte. 122
„Geben Sie mir etwas", forderte er. „Ich muß diese Sache noch durchziehen. Ich muß die Eini gung herbeiführen." „Die Einigung der Araber gegen Israel?" fragte der Arzt. „Was sonst, Mann." „Warum nicht die Einigung mit Israel? Israel ist nur ein Gegner, die Araber sind hundert Gegner." „Aber meine Freunde." „Gegner", betonte der Arzt und setzte die Spritze. „Besser einen erkannten Feind als zu viele Freunde, lautet ein arabisches Sprichwort." „Gehen Sie!" zischte der Patient. „Gehen Sie jetzt, Doktor!"
Seine Freunde kamen. „Wie fühlst du dich, Bruder?" „Gut, seit ich tot bin." „Keiner ahnt", sagten sie, „daß es dein Doppel gänger für die Dauer der Operation war, den es erwischte." „Wie konnte das geschehen?" „Ein Unfall. Frühzündung. Es gibt keine Zeugen." „Es war Sabotage", beharrte Jovis. „Wie viele Leichen fand man in den Alpen?" „Alle." „Wie viele? Ich möchte die Zahl hören." „Eine zu wenig", befürchteten sie, „wenn man diesen Waffenhändler hinzuzählt." „Ich hatte befohlen, daß er dabei zu sein hat." „Er war dabei. Aber er scheint entkommen zu sein." ,,Dann wußte Lummet, was passieren würde", 123
erklärte der Commandante. „Er hat es manipuliert. Es war ein Anschlag gegen meine Person. Seine Rache für Beirut." Keiner widersprach ihm. Im Grunde sahen sie es auch so. „Was befiehlst du, Bruder?" Der Commandante stand auf. Die Spritze hatte ihn schmerzfrei gemacht. Zumindest für ein paar Stunden. „Ich will diesen Lummet", forderte er, „diese Ratte, diese Bestie, diese Kanaille." „Unsere Leute suchen ihn bereits." „Sie sollen sich beeilen, und wenn sie ihn haben, hierherbringen. Ich lasse ihn in Zeitlupe füsilieren." Mit einemmal lachte Jovis hektisch. „Ich weiß", sagte er, „eigentlich hätte ich Grund, diesem Aas dankbar zu sein. Sein Anschlag kommt mir gelegen. Er paßt genau in unser Konzept. Ich bin tot und erwache neu zum Leben. Mit einem anderen Gesicht. Eine bessere Lösung ist nicht vorstellbar. - Aber, daß er es wagte, gegen mich, gegen Abu Jovis die Hand zu erheben ..." „Wir kriegen ihn, verlaß dich drauf, Comman dante! " „Erst wenn ich ihn vor mir habe und ihm die Kehle zudrücke, dann geht es mir besser." Jovis sagte, er müsse an dem Plan für die Geheimkonferenz mit den arabischen Führern erar beiten. Es gelte, einen Ort dafür auszuwählen, der absolut sicher sei. Sie sollten ihn alleine lassen. Seine engsten Freunde gingen hinaus. „Er hat sich verändert", sagte einer leise. „Der Arzt hat zuviel Einfluß auf ihn." „Dieser Doktor, woher kommt der eigentlich?" „Von der Universität Teheran." 124
„Sieht aus wie ein Jude." „Und was den Commandante betrifft", bemerkte ein anderer, „so finde ich, hat er mit seinem Gesicht auch seine Seele verändert." „Das mußt du mir erklären, Bruder." „Kann ich nicht", bedauerte der andere. „Nur so ein Gefühl."
Um Mitternacht wurde Dr. Ali Aladin gerufen. „Haben Sie genug", fragte der Commandante, „von den Ampullen?" „Bald muß ich nach Heraklion und meine Vorräte ergänzen." „Würde man dort Fragen stellen?" „Schon möglich." „Und wo stellt man keine Fragen?" „In Beirut." „Dann besorgen Sie dort, was Sie brauchen. Irgendwann wird man meine Fährte wieder aufneh men, aber erst dann, wenn es mir paßt. Beirut ist sicherer. Was spritzen Sie da überhaupt, Doktor?" „Eine spezielle Mischung." „Aus was bestehend?" „Valium, Kokain, etwas Morphium und pflanzli che Extrakte, Curare, wie sie auch südamerikani sche Pfeilgifte enthalten, in geringen Dosen." „Ich werde es in Beirut bestellen. Ein Kurier wird es herschaffen. Schreiben Sie alles auf, aber bitte leserlich. Wir funken es sofort hinüber." Der Arzt hatte sich vorgenommen, offen mit dem Commandante zu reden. Er fragte: „Warum, in Teufels Namen, mußten Sie unbe dingt nach Kreta? Die Insel ist griechisch. Grie 125
chenland gehört zum NATO-Bereich. Hier werden Sie gesucht." Jovis antwortete lakonisch und kurz. „Eben deshalb." ,,Das verstehe ich nicht." „Kreta bringt mir Glück", sagte Abu Jovis. „Wissen Sie nicht, daß ich in Kreta geboren wurde und daß man mich deshalb Jovis nennt oder Jupiter, weil mein Schicksal mit dem Jupiters Ähnlichkeit hat." „Ich bin Mediziner und kein Kenner der klassi schen Mythologie", wandte Dr. Aladin ein und stach die Injektionsnadel in die Armvene. Jovis ging es rasch besser. Er rauchte eine Zigarette, nahm einen Schluck Kaffee und begann im Ton eines arabischen Erzählers: „Jupiter oder Jovis, auch Zeus genannt, war der Gottvater, der Urheber des Himmels, des himmli schen Lichtes. Er wurde hier auf Kreta in einer Grotte des Berges Ida geboren. In diese Grotte flüchtete Rhea, seine Mutter. Sie wollte ihr Neuge borenes vor Kronos, der seine eigenen Kinder verschlang, schützen. - Die Kureten übertönten durch ihre Waffentänze das Schreien des Säuglings. - der überlistete Kronos verschlang an seiner Stelle einen in Windeln gewickelten Stein. Der erwachsene Jupiter oder Zeus nötigte Kronos die verschlungenen Kinder wieder von sich zu geben. Mit ihrer Hilfe, unterstützt von einäuigen, hundertarmigen Riesen, bestand er den Kampf gegen seinen Vater. Er verbannte ihn in den Tartaros, und eine neue Weltordnung wurde be gründet." Der Arzt hatte sein Besteckt weggepackt und bemerkte: 126
„Ihre Mutter mußte nach Kreta fliehen?" „Ja, vor ihrem Kronos, in meinem Fall die Israelis, die uns verjagten." „Und im Kampf gegen Israel wollen Sie Ihre Brüder befreien, um Kronos eines Tages endgültig zu besiegen." „Jupiter hatte noch andere Helfer. Theseus und Prometheus. Auch wir haben Freunde. Die anderen Völker Arabiens. Bis auf ein paar ungläubige Hunde in Bagdad." „Und wenn Sie gesiegt haben, was dann?" Abu Jovis sprach von seinen Visionen wie ein Prophet. „Dann wird eine neue Weltordnung gegründet", äußerte der Palästinenser voller Hoffnung, aber auch voller Fanatismus. „Das eine ist Legende", bemerkte der Arzt nüchtern, „das andere Realität." „Man kann selbst aus Märchen lernen", entgeg nete Abu Jovis. „Arabisches Sprichwort. Zu Jupiter gibt es auch astronomische Analogien. Aber soviel steht fest: Ist ein Jupiter erst einmal geboren, wird er es schaffen. Große Dinge haben Ausstrahlung. Sie bewirken Effekte." „Im Sinne von Wirkung und Erfolg." „Nennen wir es den Jupiter-Effekt." Abu Jovis massierte seine Narben am Haaransatz. Sie zogen sich seitlich von der Stirn über die Schläfen bis unter die Kinnladen. Manchmal glaubte er, sein Gesicht sei zur Maske erstarrt. „Wenn Sie mir wichtige Nervenstränge durch schnitten haben, Doktor", drohte er, „und ich zu Stein werde, dann lasse ich Sie in Zement gießen." „Und wer kuriert Sie dann?" erkundigte sich Dr. Aladin lächelnd. 127
„Stein fühlt keinen Schmerz." An den Symptomen glaubte der Arzt zu erkennen, daß der Commandante immer mehr in Abhängig keit von ihm geriet. Das war von Anfang an beabsichtigt. - Bald würde der Tag kommen, wo Jovis zu seinem Instrument wurde und alles tat, was er ihm befahl. Sechzehnte Aktion
Paris
Der BND-Agent Robert Urban führte ein längeres Gespräch mit Tim Timothy. Der CIA-Agent war, wie er, auf den Fall EinsteinClub angesetzt gewesen. Timothy, schon mit einem Bein im Jumbo nach Washington, trank mit Urban am Flughafen noch einen Bourbon. „Was willst du wissen, Dynamit?" fragte er und schaute dabei ständig auf die Armbanduhr. Urban faßte sich kurz. „Wie kommt ein europäischer Waffenhändler an eine Stinger-Rakete?" „Die handeln sogar mit Abrams-Panzern und F 15-Jägern." „Die ganz großen vielleicht", schränkte Urban ein. „Der Lieferant von Abu Jovis zählt eher zu den kleinen." Der Amerikaner war wohl schon halb zu Hause in den USA. Die Einstein-Sache war für ihn erledigt. Was also interessierte ihn Europa mit seinen Problemen. „Es gibt Löcher", erklärte er, „zu klein für Ratten, aber noch groß genug für Mäuse." „Reden wir nicht über Nagetiere", schlug Urban 128
vor. „An Abu Jovis wurde eine Stinger geliefert. Woher kann er sie bezogen haben?" „Aus einem Depot. Gibt ja genug Depots. Viel leicht sogar vom Hersteller. Überall klaffen undichte Stellen. Vielleicht wurde sie aus einem Waffencontainer geklaut. Und möglicherweise war es gar keine Stinger." „Er bestätigt es selbst." „Gibt es diesen Mann überhaupt?" zweifelte Agent Timothy. Klar. Sie versuchten es so hinzudrehen, daß es ein anderes Sprengmittel gewesen sein mußte, dachte Urban, denn offiziell kam niemand an eine Stinger heran. Und außerdem versagten Stinger-Raketen nicht. Tim Timothy schien Urbans Gedanken zu erra ten. Er korrigierte sie sofort. „Eine Stinger ist so programmiert, daß sie nicht versagen kann. Eingriffe in die Steuerelektronik kontert der Zentralchip mit Selbstkorrektur oder mit totalem Blackout. Dann geht gar nichts mehr." „Sie funktioniert also, oder sie schwirrt gar nicht erst ab." „So ist es." „Man kann sie nur im Werk manipulieren." „Im Werklabor", verbesserte Timothy. „Ein oder zwei Ingenieure dort können das. - Oder auch überhaupt nicht." „Spitzenelektroniker gibt es auch in Europa." „Nicht mit dem nötigen Durchblick" „Ein paar schon." „Okay, einer oder zwei vielleicht", räumte der Amerikaner gnädigerweise ein. Es war wie immer, wenn etwas nicht geschehen sein konnte, weil es nicht hätte geschehen dürfen. 129
Der Amerikaner kippte seinen Bourbon und schaute wieder auf die Uhr. Die Sonne spiegelte sich auf dem japanischen Digitalschrott. Er konnte die Zeit mit Sicherzeit nicht ablesen. „Beeil dich, Tim", riet Urban. „Du könntest zu spät zur Mama kommen." Der CIA-Agent nahm Trenchcoat, Hut und Hand gepäck. Dabei war sein Flug noch gar nicht aufgerufen. „Verbrenn dir die Finger nicht", warnte er Urban und machte eine Handbewegung, die Urban nicht genau verstand. Sie konnte das Siegeszeichen bedeuten, aber auch: Geh zur Hölle, Mann.
Der BND-Computer warf zwei Namen aus. Die Namen hochspezialisierter Elektronikfachleute, die schon einmal im Zusammenhang mit Computerde likten aufgefallen waren. Der eine war Norweger, der andere ein deutscher Freak. Der Norweger hatte sich inzwi schen eine eigene Computerfirma aufgebaut. Dem Deutschen, einem ehemaligen Informatik-Studenten, war als Hacker gelungen, in das NSCS, das berühmte NATOStrategie-Computer-System, einzudringen. Jetzt arbeitete er als Chip-Designer bei Siemens. Er war dabei, die x-Millionen Megabit Etagenchips der Zukunft zu konstruieren. Beide kamen nicht in Betracht. Während Urban noch in Paris saß, mit dem Kollegen vom SDECE sprach und nach Wegen 130
suchte, wie man über die Unterwelt an diesen Waffenhändler herankam, schob das BND-Haupt quartier eine weitere Information nach. „Fontebelli!" lautete die Nachricht. „Italiener aus Genua, wohnhaft in Lyon. Er steht im Telefon buch." Am Abend stand Urban vor Fontebellis Tür. Der Italiener mußte erst Gegenstände wegräumen, um sie aufzubekommen. Eines sah Urban sofort. Der Mann war ein Chaot. Werkstatt, Küche, Schlafzimmer und Wohnraum gingen ineinander, durcheinander und übereinan der, und alles war eins. Das Computer-Genie stellte sich erst störrisch, so daß Urban bedauerte, nicht Gil Quatembre vom SDECE mitgenommen zu haben oder einen Kom missar der Sûrete. Aber mit einer geballten Ladung Italienisch und einer im richtigen Augenblick geäu ßerten Bemerkung kam er an den Burschen heran. „Ich komme allein", sagte er, „denn ein Polizist müßte die Sache an den Staatsanwalt weiterleiten. Ich versichere Ihnen, Fontebelli, daß alles unter uns bleibt. Sie brauchen nur mit dem Kopf zu nicken. Sind Sie dazu bereit?" „Fragen Sie", sagte der Italiener in Jeans, T-Shirt und ohne Socken in den Latschen. „Ein Mann kam zu Ihnen mit einem InfrarotSuchkopf, in dem sich ein Chip befand." „Ich hielt es für den Metallkegel an einem Flipper-Automaten." „Sie sollten den Chip umprogrammieren." „Es war eine Reihe parallelgeschalteter SuperChips. Sie verarbeiten Millionen Recheneinheiten pro Mikrosekunde. Ich hatte so was nie zuvor gesehen. Ich wußte, daß man solche Rechner plant, 131
daß man in Labors an ihrer Konstruktion tüftelt, aber das war einer, wirklich und wahrhaftig." „Und es gelang Ihnen, seine Funktionen umzu kehren." „Die schwierigste Arbeit, die ich je übernahm. Aber ich legte meinen Ehrgeiz hinein, es zu schaf fen. Geben Sie mir einen Mikrobohrer, ein Mikro lötgerät, haarfeine Goldrähte, und ich mache Ihnen aus dem großen Kriegsspielcomputer im Pentagon einen Engel, der den ganzen Tag Halleluja singt." Urban steckte sich eine MC an, was der Experte nicht gerne sah, denn alles vertrugen die Innereien seiner Gerate, bloß keine verunreinigte Luft. „Gratuliere", sagte Urban. „Sie hatten Erfolg. Das Ding leistete, wie bestellt, ganze Arbeit." „Keine Ahnung, wozu er sie benutzte." „Darauf kommt es nicht an", erklärte Urban. „Es kommt einzig darauf an, wer das Ding benutzte. Wie heißt er, wie sieht er aus?" Fontebelli schien zu wissen, daß er ihnen nicht entkam. Er hatte längst die Schlinge um den Hals. Dieser Fremde zog sie nicht zu, aber wenn er nicht mit ihm arbeitete, würden die echten Henker kommen. „Holger Lummet", gab er preis. „Wie ich hörte, hatte er mit Abu Jovis eine private Abrechnung. Er lieferte ihm Haftladungen zum Sprengen von Schif fen. Der Anschlag mißlang. Aber es war Jovis Fehler. Das wollte er vertuschen, indem er Lummet opferte. Er erwischte aber nur Lummets Frau. Lummet selbst entkam und schwor Rache. In Paris hat er alles zu Geld gemacht, um Jovis eins aufs Haupt zu geben. Was ihm ja auch gelang, wie man las." 132
„Und jetzt sind sie hinter ihm her", erwähnte Urban. „Davor wollen wir ihn schützen." „Doch nur, um den Rest von Jovis Organisation aufzurollen, oder?" „Und seine Waffenquellen", ergänzte Urban. „Wo wohnt Lummet?" „Ich habe nur eine Telefonnummer." Die genügte Urban. Er fuhr nach Paris zurück und rief bei der Nummer an. Ein Hotel meldete sich. Urban informierte seinen Freund Gil Quatembre vom Geheimdienst, „Ich habe Namen und Versteck des Waffenhänd lers. Er heißt Lummet. Wie es aussieht, jagen ihn auch die Killer von Jovis Organisation. Könnte sein, daß sie schneller waren und ich eine Leiche vorfinde. Besser also, du kommst mit." Quatembres helles Konfirmandenorgan zeigte einen Anflug von Spott. „Ein deutscher Agent in einer Pariser Absteige, dazu eine Leiche, das sieht nicht gut aus, meinst du." „Nein, vom Feinsten wäre es nicht", stimmte Urban ihm zu.
Sie betraten das Zimmer Lummets um 23.55 Uhr. Es war noch gemietet und bis Ende der Woche bezahlt. Am Nachmittag hatte der Portier Lummet zuletzt gesehen. Jetzt war das Zimmer leer. Es machte den Eindruck, als habe ein Kampf, zumindest aber eine Auseinandersetzung stattgefunden. „Sie waren schon da", kommentierte Gil Qua 133
tembre und wechselte die Drahtbrille gegen eine andere Drahtbrille aus. Urban fingerte etwas aus dem Papierkorb. Ein Foto im Silberrahmen. Es zeigte einen Mann und eine Frau vor Fahnen. Sie gingen wieder hinunter und zeigten dem Portier das Foto. „Ja, das ist Monsieur Lummet." „Hatte er Besuch?" „Seit Wochen überhaupt nicht und nun an einem Tag gleich zweimal." „Wer war der erste?" fragte Quatembre im Ton Pariser Sûrete-Kommissare. „Das waren auch zwei." „Belegte Brötchen, oder was?" „Algerier." Der Portier, selbst ein Farbiger, wollte offenbar seine Landsleute nicht anschwärzen. „Oder Araber?" fragte Urban. Der Portier zuckte mit den Schultern. „Kann sein." Da packte Gil Quatembre ihn vorn am Sakko und stemmte ihn hoch. Wenn er wütend war, verfügte Gil über beachtliche Kräfte. „Es waren also Nigger, wie du. Du wirst doch wohl wissen, was ein Nigger ist, he?" „Sie sprachen aber englisch", stotterte der Por tier. Demnach keine Algerier. Dort wurde Franzö sisch immer noch als Hauptsprache an den Schulen gelehrt. „Da gingst du auf Tauchstation, um nichts zu sehen, nichts zu hören und nichts zu riechen." „Ich hatte im Keller zu tun, Monsieur." „Ich prügle es dir aus den Rippen, wenn du dein Maul nicht aufmachst", drohte Gil. 134
Schließlich erzählte der Portier, daß die zwei mit einem schweren Wagen gekommen waren. Er hatte draußen in der zweiten Reihe geparkt, und ein Müllwagen war nicht daran vorbeigekommen. Aber da hatten sie ihre Arbeit schon erledigt gehabt und fuhren wieder weg. „Mit Lummet?" Der Portier nickte verängstigt. „Was für ein Auto?" „Schwarz." „Marke, du Idiot." „Chevrolet oder Buick oder Chrysler." „Oder 'ne Gemüsekarre. Spuck es aus, Mann!" „Jedenfalls ein Amerikaner." „Nummer?" „Ich glaube, oval. Schwarze Schrift auf Weiß." „Zollkennzeichen", bemerkte Urban. „Den krie gen wir." Quatembre ließ den Afrikaner los und schüttelte die Hand aus, als ekle ihn vor dem Burschen.
Im SDECE-Büro leierten sie die Fahndung an. Als sie lief, fragte Quatembre, an einer Tasse Kaffee süffelnd: „Was versprichst du dir von diesem Lummet?" „Meine Zentrale verspricht sich etwas von ihm." „Und was verspricht sich deine Zentrale?" „Das, was sie sich in Brüssel von ihm verspre chen." „Und Brüssel?" Da konnte Urban auch nur kombinieren. „Terrorismus ist eine hundertköpfige Hydra. Ein Kopf wird abgeschlagen, zehn andere wachsen 135
nach. Wer tritt an Jovis Stelle? Man will es unter Kontrolle haben." „Da steckt mehr dahinter", vermutete Qua tembre, „viel mehr." „Und nach jeder Hydra kommt eine neue." „Du möchtest nicht darüber reden." Über Vermutungen, Befürchtungen und Ahnungen sprach Urban nur, wenn es unum gänglich war. Es ging auf vier Uhr morgens. Von den Haupt grenzübergängen liefen die ersten Meldungen ein. Eine davon klang positiv. Die Grenzstation St. Julien nahe Genf hatte einen Ford LTD Country Squire durchgelassen. Einen schwarzen Kombi, besetzt mit drei Personen. Araber mit Diplomatenpässen. Sie hatten das CD Schild geführt, das Zeichen des Corps Diplomatique, aber auch ovale Zollkennzei chen. „Damit tauchen sie in der Schweiz unter", befürchtete Urban. „Aber diesen sechs Meter lan gen Combi kann man nicht so leicht verstecken. Irgendwo muß er zu finden sein." „Auf einem der tausend Parkplätze oder in einer der zweitausend Tiefgaragen", höhnte Qua tembre. Da es sich um einen Fall von Entführung han delte, schalteten sie die Schweizer Polizei ein. Diese fand den Wagen binnen eines halben Tages. Sie ermittelten, daß er zum Fuhrpark der iranischen Botschaft gehörte, daß er aber am Flughafen Cointrin stand. Urban flog nach Genf. Am Abend wußte er, wohin sie Holger Lummet gebracht hatten. 136
Nicht nach Nahost, sondern nach Kreta. Auf eine griechische Insel also. Warum, so fragte er sich, ausgerechnet nach Kreta. Siebzehnte Aktion
Kreta
Kaum war die Boeing der Olympic Airways in Heraklion gelandet, ließ Urban sich in ein Hotel bringen und begann dort zu telefonieren. Zuerst sprach er mit dem Residenten des BND in Athen. Sie nannten den Halbgriechen nur Katastro pholos. Ein schwarzgelockter, ein wenig dicklicher Bursche, leicht hektisch, aber ein guter Mann. Ignazios war bereits tätig gewesen. „Es waren drei Personen. Zwei Araber und ein Europäer. Sie kamen mit einer Schweizer CharterCessna gestern nach Heraklion." „Kreta ist eine Insel", sagte Urban. „Es wäre Sache der Griechen, diese Brut auszuräuchern." „Erst muß man sie haben." „Da ist doch ein ganzes Nest", befürchtete Urban. „Und irgendwann ist auch Griechenland mit Ter roranschlägen an der Reihe." Der BND-Mann in Athen äußerte sich vorsichtig. „Ist dir eigentlich schon aufgefallen, daß die Griechen davon deutlich verschont bleiben?" „Was willst du damit sagen?" „Nun, daß es zwar Sache der Griechen wäre, auf Kreta für Sauberkeit zu sorgen, aber Geschäft ist Geschäft." „Athen macht Geschäfte mit den Palästinensern? Das ist mir neu." „Mit ihnen, aber vor allem mit den mächtigen 137
Leuten, die sie stützen und mit Geldmitteln versor gen. Sollte es euch Eskimos entgangen sein, daß Griechenland sich zum bedeutendsten Waffenex porteur unter den NATO-Staaten entwickelt? Athen erließ noch kein Gesetz, das Waffenherstel lung und Ausfuhr verbietet, wohin auch immer. Da gibt es keine Einschränkungen zwischen Offensivund Verteidigungswaffen oder Lieferung in Krisen gebiete oder Nicht-Krisengebiete. Ist ja ohnehin idiotisch. Waffen werden immer nur in Krisenge bieten gebraucht. Also, was der deutschen Rüstungsindustrie aus moralischen oder welchen Gründen auch immer verboten ist, die Griechen springen gerne in die Bresche. Die verscherbeln sogar eigenes Armee-Eigentum. Du kannst kriegen, was du willst. Geländegängige Lastwagen aus Österreich, Fliegerabwehrkanonen auf Selbstfahr lafetten, Panzer, Flugzeuge, Ersatzteile mit original NATO-Nummer. Ein Milliardengeschäft. Und das lassen sie sich nicht kaputtmachen." „Also keine Unterstützung durch den griechi schen Geheimdienst", fürchtete Urban. „Nicht offiziell." Katastropholos wäre nicht ein As gewesen, wenn er nicht doch eine Hintertür gefunden hätte. „Der zweite Mann des griechischen Geheimdien stes in Kreta steht auf unserer Schmiergeldliste. Ist das was?" „Besser als nichts", erklärte Urban. „Aber du kannst ihn nicht anrufen, verstehst du. Der Mann darf sich nicht exponieren, nur wegen einem mehr oder weniger ..." „Ich behandle ihn wie eine zerbrechliche Statue der Pallas Athene", versprach Urban. „Wo erreiche ich sein geneigtes Ohr?" 138
„Er sucht dich auf", versprach Katastropholes. Urban legte sich hin. Es war dunkel. Durch das Fenster sah man die Sterne. Immer wieder fragte er sich, ob man die Dinge angesichts der Dimensionen des Weltraums nicht zu wichtig nahm. Aber die Erde war nun einmal der einzige Ort, auf dem man vegetierte. Man mußte versuchen, ihn in Ordnung zu halten, daß er nicht aus der Balance rutschte. Nur dann war es möglich, die paar schönen Dinge zu genießen. Ein Glas Wein, eine Havanna, eine Frau. Urban kam nicht zur Ruhe, Immer wieder trieb es ihn auf die Beine. Weggehen war nicht möglich, der Grieche konnte sich melden. Jetzt, morgen oder gar nicht. Verdammt! Lummets Entführer hatten einen Tag Vorsprung. Vielleicht war Lummet schon tot. Warum hatten sie ihn aus Paris weggeholt? - Nur um ihn zu töten? Aber wer hatte das befohlen? Stand es in Abu Jovis Testament, oder gab es gar keines? War der Commandante, den die Stinger in den Seealpen zerfetzt hatte, nur der Ersatzmann für die Dauer der Operation gewesen? Warum rief der Grieche nicht an. Urban gab ihm noch Zeit bis morgen. Dann würde er keine Rücksicht mehr nehmen. Zwei Kidnapper mit ihrem Opfer mußten einfach irgendwelche Spuren hinterlassen. Das Telefon riß ihn aus dem Schlaf. Es dämmerte schon. In der Hotelhalle wartete ein Mann, der ihn sprechen wollte. „Er soll raufkommen", sagte Urban.
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„Ich kann nichts für Sie tun", sagte der elegante Grieche. Er trug Zivil, hatte aber eine Haltung, als wäre er in Uniform. „Warum sind Sie dann da? Wollen Sie eine Quittung von mir, daß Sie hier gewesen sind? Als Beleg für Unkosten, die Sie Ignazio in Rechnung stellen?" Der Grieche tat beleidigt. Aber der Grund war wohl, daß er das wenige, das er hatte, so gut wie möglich verkaufen wollte. „Wenn es gegen Geschäftsfreunde geht, kennt unsere Regierung keinen Spaß", äußerte er. „Gegen Ihre sogenannten Freunde kennen wir auch keinen." „Ich kann Ihnen sagen, wer sie sind und wo sie sich aufhalten. Mehr nicht." „Dann los!" drängte Urban. „Sie kennen mich nicht", versicherte sich der Grieche. „Sie folgten lediglich einer NATO-Infor mation." „Ich habe Sie nie gesehen", betonte Urban abfällig. „Es ist ein Hotel, zwölf Kilometer östlich von hier. Das Hotel Poseidon liegt auf einer Landspitze zwischen zwei Buchten, wie eine Festung." „Wer hat es gemietet?" „Ein Reisebüro aus dem Libanon." „Für welche Gäste?" „Mit Sicherheit keine Israelis," „Palästinenser?" „Wer vermag noch zwischen PLO und Arafat, Abu Jovis und schiitischen Gruppen, Armee roter Halbmond, Organisation Heiliger Krieg und und und zu unterscheiden." „Jovis ist tot." 140
„So sagt man." „Wissen Sie es anders?" Der Grieche hob die Hand und ließ sie fallen. Nervös steckte er sich eine Zigarette an. Es sah aus, als fühlte er sich höchst ungemütlich. Er hatte Angst davor, Urban könne etwas Außergewöhnli ches von ihm verlangen. Seine Angst war berechtigt. „Wie komme ich", fragte Urban, „in das Hotel Poseidon?" „Niemals." „Es gibt elektrischen Strom dort, Wasserversor gung, Telefon. Irgend etwas davon kann kaputt gehen." Der Grieche schien zu ahnen, daß er gegen Urbans Hartnäckigkeit nicht ankam. „Was liegt Ihnen am besten?" „Ich bin studierter Schwachstrom-Ingenieur." „Telefon also." „Könnten Sie nicht für eine Stunde die Leitung unterbrechen? Sie läuft doch gewiß über Masten an der Küste entlang." „Sie meinen, daß ein Störtrupp ..." „Bestehend aus einem Mann, nämlich mir." Der Grieche zog die Stirn in Falten und atmete schwer. „Dazu ist ein Overall nötig, ein Fahrzeug des staatlich griechischen Telefon- und Telegraphen amtes." „Alles andere übernehme ich", versprach Urban. Der Grieche rang die Hände wie zum Stoßgebet. „Ich kann es versuchen", stöhnte er. „Nein, Sie werden es tun, Major." „Das ist Erpressung." „Nur ein bißchen Arbeit für geleistete Zahlun 141
gen", entgegnete Urban. „Daß man einmal auf Sie zurückkommt, damit mußten Sie rechnen." „Dann ist das heute also der Tag", jammerte der Grieche, „der schlimmste in meinem Leben." „Und morgen schon ist er vorbei." „Wagen, Overall, was noch?" „Und Ausweise", ergänzte Urban. „Bis heute mittag." „Laß dich nie mit einem Deutschen ein", sagte der Grieche verzweifelt. „Stimmt", pflichtete Urban ihm bei. „Selbst ich falle mir allmählich auf den Wecker."
Die T&T setzte in Kreta Meine Fiat-Kombis ein. Es waren die alten Fiorino. Vorne hatten sie Platz für zwei Mann, dann kam ein Kastenaufbau ohne Fenster, aber hinten mit zwei Türen. Farbe: Ägäis blati. Die Monteuroveralls waren ebenfalls blau und trugen hinten T&T weiß aufgedruckt. Auf Urbans teutonischem Körper von 187 cm Länge saß der Overall etwas stramm. Besonders im Schritt. Deshalb ließ er die Reißverschlüsse halb offen. So kam er mühelos den Mast hoch und durch schnitt die Telefondrähte zur Poseidon-Bucht in der Nähe der Porzellan-Isolatoren. Es sah so aus, als hätten sie sich durchgescheuert. Draußen im Hotel hatten sie jetzt totale Stille. Vermutlich gab es Funkgeräte, aber die reichten wohl nicht sehr weit und stellten auch nicht die nötige Kommunikation her. Urban schaute auf die Uhr. - Noch zu früh. 142
Er setzte sich auf einen Stein, steckte sich eine MC an, nahm einen Schluck Retsina aus der Korbflasche und später ein Sandwich, belegt mit Salat, Salami und Ziegenkäse. Nach 35 Minuten dachte er, daß es an der Zeit sei. Gemütlich fuhr er weiter Richtung Kap. Auf den letzten fünfhundert Metern der Straße, dort wo sie zum Hotel hinauflief, sah er die Sperre. Spanische Reiter, mit Messerdraht umwickelt. Auf jeder Seite standen zwei Mann mit MPis. Er vertraute seiner Tarnung, machte sie aber perfekt. Auch wenn es Brechreiz auslöste, biß er auf eine Knoblauchzehe. Er zerkaute sie und hoffte, daß sein original kretischer Atem sie umhauen würde. Er bremste. Sie forderten, daß er ausstieg. „Hört zu, Freunde", sagte Urban in gebrochenem Englisch. „Wenn hier einer einen braucht, dann ihr mich. Wir haben durchgemessen, daß eure Telefon anlage spinnt. Ich bleibe hier sitzen, und ihr räumt diesen blöden Drahthaufen weg, oder ich mache kehrt." Einer fuhr mit und übergab ihn an der Innen sperre. Dort durchsuchten sie den Fiat. Sie fanden aber nur Strippen und Meßgeräte, Zangen, Zeug zum Löten, Ersatzteile und anderen Telefonkram. Sie ließen sich seinen Ausweis zeigen, dann hauchte er sie an und durfte durch. Von jetzt ab genoß er, falls er sich nicht benahm wie ein Elefant im Porzellanladen, eine gewisse Freizügigkeit. Telefonleute ließ man in der Regel überall hinein. Er parkte vor dem Hotel, nahm den Werkzeugka sten und das kleine Prüftelefon in der Lederhülle, ging durch die Drehtür und nahm an der Rezeption den Hörer ab. Das Telefon war tot. 143
„Kriegen wir schon hin." Als sei das ein Klaks, legte er den Hörer auf und fuhr mit dem Lift nach oben. Dort betrat er die Konferenzräume, die Einzel zimmer, die Suiten. Vor der Fürstensuite standen Posten. Einer von ihnen stieß ihm den MPi-Lauf gegen die Brust. „Okay", sagte Urban. „Es ist nicht mein Telefon, Bruder. Entweder man läßt mich arbeiten, oder ihr sitzt noch zu Ramadan auf den Ohren." Sie fragten einen Vorgesetzten, dann durfte Urban hinein. Es war ein Arbeitsraum, mit Karten überall, vollen Aschenbechern und halbleeren Tellern mit Reis und Hammelfleisch. Zunächst prüfte Urban die Apparate, dann die Anschlußdosen, die Leitungen unter und über Putz, bis hin zu einer breiten Doppeltür, die ebenfalls bewacht war. „Mach mal Platz, Kumpel!" „Zutritt verboten." ,,Dann komme ich morgen wieder." Die Tür ging auf. Durch den Spalt sah Urban ein Bett, darauf einen Mann, aber nicht sein Gesicht. Am Bett saß ein Arzt, zumindest einer, der einen weißen Mantel und ein Stethoskop um den Hals trug. „Da drinnen ist kein Telefon", erklärte der Mann, der herauskam. „Na schön", sagte Urban. „Wenn Sie es genau wissen. Aber auf Ihre Verantwortung, Sir. Ein Kurzer irgendwo und das ganze Netz bricht zu sammen." „Machen Sie Ihre Arbeit und beeilen Sie ach." Urban zerlegte einen Hörer. Dabei schielte er auf 144
die Karten an den Wänden und versuchte, Notizen zu lesen. Alles recht unergiebig. Das, worauf es ankam, fand hinter der Doppeltür statt. Er schraubte den Hörer zusammen und wollte gerade gehen, als die Doppeltür wieder aufging und der Arzt herauskam. Der Arzt musterte Urban, und Urban musterte ihn, als würden sie sich kennen. Urban wußte sofort, wer der Arzt war, der Doktor aber hatte seine Zweifel. Der schwarze Oberlippen bart bei Urban irritierte ihn wohl. Wenn er einen Verdacht hatte, dann schüttelte er ihn von sich. „Wann funktioniert das verdammte Telefon wie der?" erkundigte er sich. „Ich tue was ich kann", antwortete Urban auf griechisch. Der Arzt ging hinaus, und Urban schluckte zweimal. Kein Zweifel, der Arzt war ein wirklich sehr guter Doktor. Aber das letzte Mal war Urban ihm beim israelischen Geheimdienst Mossad in Tel Aviv begegnet. Er war einer ihrer Spezial-Agenten. „Der Boß ist krank?" fragte er die herumstehen den Palästinenser. „Mach deine Arbeit", fuhr man ihn an. Urban ging hinaus, den Gang hinunter und auf die Terrasse. Dort steckte er sich eine MC an. Noch während er über den Leibarzt nachdachte, der ein Mossad-Agent war, fiel ihm die zerfetzte Zeitung auf dem Supertanker ein. Der Israeli hatte sie gekauft, gelesen und weggeworfen. - Nicht zu fassen. Ein Mossad-Arzt behandelte einen kranken Palästinenser. Einen sehr hochgestellten Patienten sogar. Er war mit ihm auf dem Tanker gewesen und hatte ihm dort womöglich ein neues Gesicht ge schneidert. 145
Demnach hatte Mossad seine Hände im Spiel. Sie hatten einen ihrer Leute in Abu Jovis Gruppe eingeschleust, um die Operationen dort zu beein flussen, wo es am wirkungsvollsten war, nämlich an ihrem Kopf. Wenn der Arzt ihn erkannt hatte, würde er ihn gnadenlos opfern. Der Mossad ließ sich nicht von einem BND-Agenten in seine exquisit angerichtete Suppe spucken. Urban begann nun, systematisch alle Räume abzusuchen. Vom Dachboden bis zum Keller. Irgendwo mußten sie Lummet eingesperrt haben.
Der weiträumige Hotelkomplex mit seinen umfang reichen Anlagen war wie ein Labyrinth. Es gab eine Kraftstation. Dort lärmte ein Diesel aggregat. Es gab ferner die Zentralklimaanlage, die Kühlräume für die Vorräte, den Weinkeller, die Tanks für Kerosin, die Pumpen und Filter für den Pool. Im Basement gab es einen Raum, vor dem ein Posten stand. Was bewachen sie, überlegte Urban. Ihre Kriegs kasse oder Gefangene. „Ich muß da rein", sagte er. „Nie", reagierte der Posten. „Oben tobt der Boß, weil er nicht telefonieren kann." „Ich brauche dazu ein Permit." „Und wenn der Fehler ausgerechnet da drin sitzt?" „Da sitzt nur ein Hundesohn von einem Verräter drin." 146
„Es dauert keine fünf Minuten. Du kannst mit kommen." Der Posten hatte beim Militär eine Menge gelernt Vor allem was die Umgehung von Vorschriften betraf, wenn der Dienstweg nur Ärger mit sich brachte. Er schloß auf. „Kein Wort!" warnte er und hielt die FN gegen den Mann auf der Pritsche gerichtet. Wenn das noch Holger Lummet war, dann wollte Urban alles, nur nicht Gefangener dieser Leute sein. Sie hatten Lummet durch die Mangel gedreht, vorwärts und rückwärts. Sein Hemd war ver schwitzt und zerfetzt. Am Kopf hatte er rote Krusten, am Körper Flecke, Blutergüsse und Strie men. Gebückt wie ein Haufen Elend saß er da, mit schmerzverzerrtem Gesicht, ohne Hoffnung. Urban klappte den Meterstab auf und kreuzte einen Punkt an der Wand mit Kreide an. „Hier muß die Leitung verlaufen", sagte er zu dem Posten. Dann stieß er Lummet an. In einem Ton, als bitte er ihn beiseite zu rücken, sagte er; „Du lebst ja noch, Lummet." Ihn anblickend rutschte der Franzose zur Seite. „Nicht mehr lange", murmelte er kaum ver stehbar. „Todesurteil?" „Sobald sie abziehen." Urban zog eine Kladde, versehen mit Zahlen, aus seinem Overall. So als läse er sie ab, versuchte er mit dem Gefangenen ins Gespräch zu kommen. „Du weißt zuviel, Lummet." Der Gefangene begann zu stöhnen. Der Posten achtete nicht darauf. „Er simuliert nur", sagte der Posten. 147
„Geht mich nichts an", bemerkte Urban. Er hatte eine Dose gefunden. Es handelte sich jedoch um den Kreuzungspunkt mehrerer Stromka bel. Er tat aber so, als wären es Telefonleitungen. Er klemmte einen Strang ab. Das Licht ging aus. Lummet murmelte etwas. Urban verstand nur die Hälfte. „Hol mich raus, und du hast eine Sensation." „Jupiter lebt." Urban sagte nicht Abu Jovis, was der Soldat verstanden hätte. „Er wird manipuliert." „Was hat er vor?" „Hilf mir raus, und du erfährst alles." Urban brachte es fertig, daß das Licht flackerte, ausging und wieder brannte. Als hätte er den Fehler nun gefunden, murmelte er: „Rausholen, wie denn?" ,,Du bist doch kein Elektriker. Stimmt's?" „Fertig", sagte Urban zu dem Posten. Und für das Ohr des Gefangenen bestimmt: „Ich tue, was ich kann." Sie verließen den Keller. Der Palästinenser sperrte zu. Urban bot ihm eine Zigarette an. Sie rauchten. „In einer Stunde sind die Leitungen okay." „Hoffentlich." „Kann immer wieder passieren. Schlampige Arbeit beim Bau. Daran liegt es." „Morgen sind wir fort", erklärte der Wächter. Urban deutete mit dem Daumen über den Rücken. „Und er?" Der Soldat grinste. „Er wird mit dem Müll verbrannt. Der letzte sperrt die Tür zu und verbrennt den Müll. Abfall ist 148
stets ein Verräter. Wir verbrennen immer alles. Den letzten Fetzen Papier und Unrat. Und der da drin gehört auch dazu." „Na dann!" Urban tippte an die Mütze. Draußen bestieg er den Fiat. An der Sperre sagte er „Ich suche jetzt die Überlandleitung ab. Schätze, ich habe den Fehler. Kann aber sein, daß ich noch mal vorbeikomme." „Dann beeil dich, Mann." Er fuhr an der Küstenstraße entlang, kletterte den Mast hinauf, hängte die Drähte wieder zusam men und horchte hinein. Was gesprochen wurde, war Arabisch und in einem Dialekt, den er nicht verstand.
In einer italienischen Zeitung, dem Messaggero, wurden erste Zweifel geäußert, daß das Massaker unter den Terroristen in den französischen Seeal pen auch das Leben von Abu Jovis beendet habe. Zeitungsreporter waren oft einfallsreicher als Agenten. Die Kontakte von Redaktionen und Pres sediensten untereinander brachten mitunter mehr zustande als Geheimdienste. In den Abendnachrichten von Radio Monaco meldeten sie, daß der für tot gehaltene Abu Jovis sich möglicherweise auf einer griechischen Mittel meerinsel aufhalte. Und es sei doch sehr bedenk lich, daß das NATO-Mitglied Griechenland solchen Gruppen Unterschlupf gewähre.
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Achtzehnte Aktion
Kreta
Bei Dunkelheit fand die Verlegung von Abu Jovis Hauptquartier statt. Der alte Fuchs hielt sich selten länger als drei Tage an einem Ort auf. Wie er und seine Männer das Hotel Poseidon verließen, das glich schon eher einer Flucht. Eine schnelle Hochseejacht legte in der Bucht an. Der Commandante, sein Arzt und sein Stab gingen an Bord. Später landete ein Hubschrauber und holte die technische Ausrüstung ab. Aus Heraklion kam ein Bus und nahm den Rest der Palästinenser mit. - Sie trugen jetzt Zivil und sahen aus wie Touristen. Offenbar wollten sie die Morgenfähre nach Alex andria erreichen. Hinter dem Hotel neben dem Tennisplatz hatten sie ihren Abfall zu einem Haufen getürmt. Ein Mann schüttete aus Plastikkanistern gelbli che Flüssigkeit auf den Müll. Sie stank nach Diesel. Der Wind trug es bis zu Urbans Versteck. Seitlich neben dem Kücheneingang des jetzt leeren Hotels stand ein R 4. Urban nahm an, daß der letzte Mann nach getaner Arbeit damit wegfahren würde. Der Mann kam wieder und warf mehrere gefüllte Plastiksäcke auf den Haufen. Dann steckte er ihn an. Das Feuer kam recht mühsam in Gang. Es wollte nicht richtig brennen. Jetzt wurde Urban aktiv. Er mußte verhindern, daß der Palästinenser den Gefangenen im Keller erschoß, ihn dann herauftrug und ihn ins Feuer warf. 150
Während der Araber mit dem Feuermachen beschäftigt war, schlich Urban durch den Küchen eingang ins Hotel und in den Keller. Die Tür der Kerkerzelle war von außen verriegelt. Er öffnete sie, trat hinein, sah Lummet aber nicht. Doch dann vernahm er ein Stöhnen. Lummet lag am Boden. Urban kümmerte sich um ihn, merkte aber bald, daß Lummet nicht in der Lage war, sich ohne Hilfe zu bewegen. Er packte ihn unter den Armen, schleifte ihn hinaus und in eine Art Fahrradkeller. „Zu spät", stöhnte der Franzose. „Es ist zu spät." „Sie sind fort bis auf einen." „Zu spät." „Ich bring dich zum Arzt, Lummet." „Jovis, der Bastard, ist unsterblich", flüsterte Lummet. „Und jetzt rüstet er zum großen Schlag." „Was weißt du?“ „Nichts", sagte der Franzose. Jedes Wort kostete ihm Mühe. „Ich sah nur etwas. Sie ließen mich stundenlang auf einem Bein stehen. Wenn ich umfiel, traten sie mich mit Stiefeln wie ein abge triebenes geschundenes Kamel. Ich stand da und hörte sie reden. Er muß sterben, dachten sie, er kann nichts mehr verraten." „Was hast du gehört?" drängte Urban. „Abu Jovis versucht etwas, das allen anderen mißlang. Er will sämtliche Führer der vielen klei nen Guerillagruppen, Milizen und Armeen verei nen. Und er schafft es. Er ist angesehen wie ein Gott. Als wandle Allah auf Erden. Im Oktober treffen sie sich." „Wo?" fegte Urban. „Dort, wo der Mann mit der grünen Bibel der Herr ist." 151
Gaddafi hatte ein sogenanntes grünes Buch ver faßt, fiel Urban ein. „In Libyen?" „Mitten in der Sahara. Aber der Arzt bestand darauf, daß es eine Oase ist. Der Commandante soll nicht sehr gesund sein." „Welche Oase?" „Sarra en Namus, glaube ich." In diesem Moment hörte Urban Schritte. Jemand kam die Treppe zum Keller herunter. Es war der Mann von der Nachhut. Er fluchte anhaltend, was wohl daran lag, daß sein Feuer nicht brannte, daß es nicht zu dem Scheiterhaufen wurde, den er brauchte. Da merkte Urban, daß er vergessen hatte, die Kellertür zu schließen. Zu spät. Der Posten hatte es gesehen und feuerte wild und blindlings seine Maschinenpistole ab. Er schoß quer durch den Raum und den Kellergang. Dabei bewegte er die Waffe wie das Ende eines Gartenschlauchs, wenn man Rosen goß. Urban hechtete ihn von hinten an. Das Dauer feuer hörte auf. Noch ein oder zwei Einzelschüsse, dann hatte Urban ihm die Waffe aus den Fäusten gehämmert. Der Palästinenser riß sich aus Urbans Umklam merung und hatte jetzt ein Messer in der Hand. Sie umtänzelten sich, beim Gegner eine Lücke suchend. Ein Mann mit Messer war mehr als einer mit bloßen Händen. Aber Urban beherrschte einige Nahkampftechniken. Er trat mit dem linken Fuß gegen den Araber. Eine Finte. Der Gegner wich zur rechten Seite aus, wo ihn Urbans andere Schuh kante erwischte und ihm das Messer aus den Fingern schlug. 152
Doch der Bursche gab nicht auf. Inzwischen hatte er den Telefonmechaniker wie dererkannt. Das machte ihn wütend. Er riß hinten etwas vom Gürtel. Im Dämmerlicht sah es aus wie eine übergroße Walnuß aus Eisen. Oben hatte sie einen Ring und einen Sicherungsstift aus Kupfer. Eine Eierhandgranate. Urban stand mit dem Rücken zur Tür. Der Araber mußte also an ihm vorbei. Das würde er mit der Handgranate zu erzwingen versuchen und Urban mit abgezogener Granate im Keller allein lassen. Er handelte automatisch, wie es ihm eingebleut worden war, - Mit den Zähnen biß er den Siche rungsstift heraus, hielt die scharfgemachte Hand granate hoch und stürzte sich mit einem Kampf schrei auf seinen Gegner. Die Dinger hatten in der Regel einen Vorlauf von drei bis vier Sekunden, damit sie nicht während des Fluges, sondern erst beim Gegner detonierten. Urban preßte sich an die Mauer, ließ den Araber vorbei und stellte ihm ein Bein. In der Tür kam er zu Fall. Urban dachte, er hätte noch Zeit, ihn von der Handgranate, in der der Funke schon unterwegs war, wegzureißen. Aber die Hand des Arabers hatte sich um sie verkrampft. Urbans Instinkt berechnete die Zeit, die ihm blieb. - Noch eine Sekunde. - Er hechtete in den Kellergang, kam auf die Beine und raste in Rich tung Treppe. Dort holte ihn der Blitz ein. Die Detonation schleuderte Urban gegen die Treppenstufen. Wie betäubt blieb er liegen. - Als die Druckwelle vorbei war, und nur noch Dreck und Putz herunterkam, richtete er sich auf. 153
Der Araber lag neben der Tür in seinem Blut. Tot. Nichts mehr zu machen. Urban kümmerte sich um Lummet. „Sarra en Namus", flüsterte Lummet. „Sarra en.. ." „Schon gut. In einer Stunde sind wir beim Arzt." „Zu spät", sagte der Franzose. „Aus." Weil er schwieg und kaum mehr atmete, unter suchte Urban ihn. Lummet hatte recht behalten. Es war aus. Wenig später hörte auch sein Herz auf zu schlagen.
Urban ging hinauf und steckte sich eine MC an. Die Dinge würden jetzt ihren Lauf nehmen. Sicher vermißten sie ihren Mann von der Nach hut gar nicht. Was bedeutete schon ein Mann bei dem, was vorbereitet wurde. Täglich starben Männer. Urban ging zu dem T&T-Fiat und fuhr nach Heraklion. Nichts hatte sich gebessert. Alles war nur noch schlechter geworden. Abu Jovis lebte. Sein Arzt war israelischer Geheimagent. Der Mossad hatte Abu Jovis voll im Griff. Wenn er Abu Jovis warnte, starb der MossadMann. - Wandte er sich aber an die Regierung in Tel Aviv, um sie von dem abzuhalten, was sie vorhatten, würden selbst seine besten Freunde mit einem einzigen Horrorwort kontern. Mit dem Wort Holo caust. Das umschloß alles. Was gibt euch das Recht, euch in den Kampf um unsere Freiheit, um unser Leben, einzumischen? Also blieb ihm nur noch ein Weg. Er mußte 154
diejenigen Staaten informieren, die sich mehr oder weniger als die Schutzmächte in Nahost betrachte ten: die Sowjetunion und die USA. Er würde es tun, bevor es zum nächsten Massaker in der libyschen Wüste kam. Aber erst einmal würde er sich vom Telefontech niker in Robert Urban zurückverwandeln. Im Hotel badete er, nahm einen Imbiß und buchte den nächsten erreichbaren Flug zum Festland.
Die Sache mit Abu Jovis war zu groß, um ein Fall genannt zu werden. Der Kampf der Palästinenser hatte eine neue Dimension angenommen. So etwas konnte einer allein wie er, Bob Urban, nicht lösen. Er konnte nur Weichen stellen. Er hatte sie gestellt. Er hatte Moskau und Washington über die Konferenz der Staatschefs in der Oase der libyschen Sahara informiert. Er hatte angedeutet, daß der Mossad davon wußte und daß der israelische Geheimdienst wohl etwas dagegen tun würde. Sei es durch ein Kommandoun ternehmen oder indem Israel seine Düsenbomber losschickte. An die Vernunft oder an den Verstand zu appel lieren, war hier zwecklos. Die Strategen im Penta gon und im Kreml würden sich etwas einfallen lassen müssen. Wenn sie sich nichts einfallen ließen, sah es verdammt nach Krieg aus. Wieder kam Urban das Bild jener Befreiung in Erinnerung, das ihm seine Phantasie im Hotelzim mer in Alicante vorgegaukelt hatte. Man machte sich auf einen langen Weg. Man ging 155
und ging immer weiter, bis an den Rand dieser Welt. Und dann ließ man sich einfach fallen. Wäre schön gewesen. - Zu schön, um wahr zu sein. Am ersten Montag im Oktober machten sie auf einem Wüstenflugplatz vierzehn Überschall-Jagd bomber einsatzklar. Die Maschinen führten keine Kennzeichen. Die Entfernung bis zum Ziel betrug 1760 Kilome ter. Das entsprach einer Flugzeit von 92 Minuten. Die Staffeln starteten so, daß sie aus der tiefste henden Morgensonne heraus angreifen konnten. Ein Zeltlager nahe der Oase Sarra en Namus in der libyschen Wüste wurde von den gutliegenden Bombenteppichen völlig zerstört. Dabei kam der Mann, der von allen zum Führer des Heiligen Krieges auserwählt werden sollte, Abu Jovis, genannt der Commandante, ums Leben, Ferner starben mehrere PLO-Offiziere, der Dele gierte des Königs von Jordanien, zwei iranische Generäle, ein libyscher Oberst und 65 palästinensi sche Soldaten. Die Jagdbomber unbekannter Nationalität kehr ten ohne Verluste zu ihrer Basis zurück. ENDE
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