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G. F. UNGER Ein Begriff für Western-Kenner G. F. UNGER ist der erfolgreichste WesternSchriftsteller deutscher Sprache. BASTEILÜBBE veröffentlicht in dieser Reihe exklusiv seine großen Taschenbuch-Bestseller.
Der Blechstern Die Versuchung ist groß, mit dem ihm anvertrauten Geld einfach zu verschwinden. Doch Black Jim Jones trägt den Stern eines US-Marshals, und eher riskiert er Kopf und Kragen, als seinen Eid zu brechen …
BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH � Band 43 398 � 1. Auflage: Januar 2004 Vollständige Taschenbuchausgabe � Bastei Lübbe Taschenbücher � ist ein Imprint der Verlagsgruppe Lübbe � Originalausgabe � All rights reserved � © 2004 by � Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, � Bergisch Gladbach � Lektorat: Will Platten � Titelillustration: Prieto/Norma Agency, Barcelona � Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg � Satz: Fanslau, Communication/EDV, Düsseldorf � Druck und Verarbeitung: � AIT, Trondheim AS, Norwegen � Printed in Norway � ISBN3-404-43398-X � Sie finden uns im Internet unter � http://www.bastei.de � oder � http://www.luebbe.de Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer
Als er ihn bekam und ihn in der Hand hielt und betrachtete, da erschien ihm dieser Stern als nicht besonders wichtig. Dieser Stern war nichts anderes als ein Stück vernickeltes Blech. Doch plötzlich war alles ganz anders. Jim Jones spürte mit einem Mal, dass dieser Blechstern Macht über ihn hatte und sein ganzes Denken und Handeln bestimmte. Nun, beginnen wir damit, wie er den Stern bekommt …
1 »Es tut mir Leid, Jim«, sagt Sam Derringer trocken. »Du kommst drei Tage zu spät, um deinen Bruder zu holen. Sie haben ihn drei Tage früher entlassen. Ich glaube, dass er in diesen drei Tagen zumindest hundert Meilen geritten ist.« Nach diesen Worten schweigt Sam Derringer und leckt über das lose Deckblatt seiner Zigarre. Er ist eisgrau und trägt einen kleinen Spitzbart. Er wirkt wie ein alter, erfahrener Jagdfalke, der keine Gnade kennt. Dies alles trifft auch wirklich zu. Denn er ist ein Jagdfalke – wenn auch einer ohne Schnabel und Flügel. Er ist US Marshal. Und Gnade? Nun, Jim Jones glaubt nicht, dass dieser alte Falke jemals welche kannte. Er betrachtet ihn bitter, und er ist ein ziemlich großer, hagerer Mann, der wie ein Cowboy gekleidet ist, dunkelhaarig und grauäugig. Er hat ein fast hässliches, unregelmäßiges Gesicht, in dem die Narben einiger Kämpfe sind. Doch sein Kopf ist sehr gut geschnitten. Jim Jones ist ganz gewiss ein Mann, der für sich sorgen kann. An seiner linken Seite trägt er einen Revolver, eine Waffe mit einem einfachen Holzkolben. Sie wirkt sehr alt und abgenutzt.
»Warum habt ihr das getan, Marshal?« So fragt er nun bitter. »Ihr wusstet genau, dass ich meinen kleinen Bruder …« Er verstummt und macht eine verächtliche Handbewegung. Er hält es für unnötig, noch einmal zu wiederholen, was der Marshal und die Gefängnisleute seiner Meinung nach genau wussten und was sie dennoch nicht beachteten. US Marshal Sam Derringer – er hat den Rang eines Majors – ist mit der Reparatur seines Zigarrenstummels fertig. Er blickt Jim fest an und sagt knapp: »Hilf uns, Jim – und du hilfst damit auch deinem kleinen Bruder. Du weißt ganz genau, dass es zu nichts geführt haben würde, hättest du ihn hier in Empfang genommen und mit auf deine kleine Pferderanch reiten lassen. Dein Bruder war an einem Bankraub beteiligt, bei dem achtzigtausend Dollar erbeutet wurden. Er war der einzige der Banditen, den man erwischen konnte. Er war damals siebzehn Jahre, und er hat nichts anderes getan, als draußen vor der Bank die Pferde der Bande zu halten. Er wäre mit einer kleinen Strafe davongekommen, wenn er dem Gericht die Namen der Banditen genannt hatte. Doch er wollte wohl kein Verräter sein. Er war ein stolzer Junge, dessen Denken verzerrt war. Er erhielt vier Jahre Haft mit Strafarbeit und wurde zu seinem einundzwanzigsten Geburtstag entlassen.«
Der Marshal macht nun eine kleine Pause. Er betrachtet bitter den Rest seiner Zigarre, entscheidet, dass es keinen Sinn hat, sich mit diesem Rest noch zu plagen und wirft ihn in den Spucknapf. Dann blickt er Jim hart an und sagt: »Jetzt ist Little Adam unterwegs zu seinen alten Partnern, um seinen Anteil zu kassieren. Und auf diese Art bekommen wir vielleicht die achtzigtausend Dollar zurück und die drei anderen Burschen zu fassen. So ungefähr wissen wir nämlich, wohin Adam sich wenden wird. Und nun kommen wir zu dir, Jim, mein Junge. Es gab einmal eine Zeit, da sagtest du Onkel Sam zu mir, nicht wahr?« Jim sieht ihn an und nickt langsam. »Ja«, sagt er, »das war damals, als mein Vater noch lebte und dein Freund war, Sam Derringer. Du warst damals ein junger und ehrgeiziger Sheriff. Ich war ein kleiner Junge und bewunderte dich immer. Dein blitzender Stern war für mich …« Er bricht wieder ab und macht abermals eine verächtliche Handbewegung, so als lohnte es sich nicht, über diesen Stern noch ein Wort zu verlieren. Aber dann spricht er doch weiter: »… der war für mich etwas Großartiges. Und immer wenn du zuverlässige Helfer brauchtest, ritt mein Vater als dein Vertreter mit dir. Auch er bekam dann solch einen Stern an die Weste gesteckt. Er war dann
dein Erster Gehilfe. Oh, ihr hieltet Ordnung in unserem Land. Ihr wurdet mit jeder Bande fertig, mit jedem Revolverhelden und jeder Art von Schwierigkeit und Bedrohung von Recht und Ordnung. Doch eines Tages wurde mein Vater dabei erschossen, als er dir wieder einmal den Rücken deckte. Ich war damals acht Jahre. Und mein Bruder Adam war zwei Jahre geworden. Unsere Mutter aber war eine zarte Frau. Sie zerbrach daran, unsere Heimstätte zu erhalten und schuldenfrei zu bekommen. Ja, damals sagte ich noch Onkel Sam zu dir, Marshal. Doch das ist lange her. Und jetzt willst du was von mir? Willst du Hilfe, wie mein Vater sie dir schon einmal gab?« Er fragt es mit bitterem Spott. Und US Marshal Sam Derringer nickt. »Es ist ganz einfach«, sagt er. »Dein Bruder nimmt Verbindungen zu seinen alten Partnern auf. Er wird von ihnen seinen Anteil verlangen.« »Er hat dafür seine Strafe abgesessen«, sagt Jim Jones bitter. Sam Derringer nickt. »Wenn er ihn bekommt«, sagt er. »Vielleicht schießen sie ihn tot, bevor sie mit ihm teilen müssen oder er sie verraten kann. Oder sie nehmen ihn in ihren Verein auf und machen ihn zum Teilhaber an den Geschäften, die sie mit ihrem Raubgeld aufbauten.«
»He«, sagt Jim Jones scharf. »Ihr wisst viel über diese Bande?« Der Marshal nickt. »Uns fehlen nur Beweise«, sagt er. »Jim, es wäre falsch gewesen, deinen Bruder mit auf die Pferderanch zu nehmen. Er ist mit seiner Vergangenheit noch nicht fertig. Du musst ihm bei der Bewältigung dieser Vergangenheit helfen. Reite ihm nach und hilf ihm!« Jim Jones erhebt sich langsam. »Du alter Fuchs«, sagt er. Sam Derringer nickt. »Es gehört zu meinem Geschäft, fuchsschlau zu sein. Ich will die drei anderen Banditen und die achtzigtausend Dollar nebst Zinsen haben. Du aber willst deinen kleinen Bruder retten. Das führt uns zusammen, Jim, mein Junge. Ich weiß keinen besseren Mann für diese Sache. Und ich gebe dir einen Stern. Ich mache dich zum US-Hilfsmarshal mit dem Rang und der Besoldung eines Captains der Bundesregierung. Überleg es dir schnell! Denn mit jeder Stunde wird der Vorsprung deines Bruders größer. Ich schicke auch zwei zuverlässige Leute zu deiner Pferderanch. Ich gebe dir den Stern. Und nur damit kannst du deinen Bruder retten.« Jim Jones starrt ihn bitter an. »Mit einem Blechstern«, sagt er, »kann man auch kein Wunder vollbringen. Meinem Vater hat dieser Stern nichts genützt.«
Sam Derringer schnauft. Er greift in die Schreibtischschublade und holt einen Stern heraus. Es ist, genau genommen, kein Stern wie ein Sheriffstern, eher eine Plakette in hufeisenähnlicher Form, in der ein Stern eingepresst ist. Darunter steht im Halbrund: US-HILFSMARSHAL Jim starrt auf das Ding nieder. »Ich kann auch einen anderen Mann schicken«, sagt Sam Derringer. »Ich kann zum Beispiel auch Jeff Frazee schicken. Doch er könnte deinen kleinen Bruder gewiss nicht vor Dummheiten bewahren, so wie du es vielleicht kannst.« Als Jim Jones dies hört, da weiß er, dass Sam Derringer ihm wahrhaftig einen Dienst erweisen will. Er erkennt schnell, dass er verhindern muss, dass ein anderer Mann auf der Fährte seines Bruders reitet. »Ich werde diesen Blechstern nehmen«, sagt er. »Und ich bitte um die genauen Einzelheiten.« »Zuerst muss ich dich unter Eid nehmen«, sagt der alte Falke. « Jim Jones’ Pferd ist ein hagerer, mausgrauer Wallach, den man auf den ersten Blick fast für ein Maultier hält. Jim nennt ihn einfach nur Pete.
Bei diesem Wort spitzt der Wallach stets die Ohren wie ein Hund, den sein Herr ruft. Man kann nicht sagen, dass Pete über eine Meile Chancen gegen ein halbwegs schnelles Pferd hätte. Über fünf oder gar zehn Meilen sieht die Sache schon anders aus. Da kommt er schon besser in Fahrt. Und wenn sich die Distanz gar über hundert, zweihundert oder fünfhundert Meilen beläuft, nun, dann gibt es kein besseres Pferd als Pete. Da kann er sie alle schlagen. Deshalb beginnt Jim Jones den Ritt sehr zuversichtlich. Denn der Ort, zu dem er will, liegt etwa fünfhundert Meilen weit entfernt. Er kann mit nicht unberechtigter Zuversicht hoffen, dass er seinen Bruder Adam einholen oder nicht sehr viel später dort eintreffen wird. Der Ort heißt Waterwale. Das bedeutet nichts anderes als Wasserstrieme. Der Ort muss wohl an einem kleinen Creek liegen, der sich wie eine Wasserstrieme durch das Land windet oder vielmehr zieht wie eine Peitschenstrieme über eine Wange. Da Pete nur langsam in Gang kommt und eine Menge Meilen benötigt, um sich erst richtig warm zu laufen, legt Jim in der ersten Nacht »nur« fünfzig Meilen zurück. Dann rastet er zwei Stunden.
Während der nächsten zehn Stunden schafft er siebenundfünfzig Meilen, ein Zeichen dafür, dass Pete langsam in Fahrt kommt, zumal das Gelände rauer und beschwerlicher war als am Anfang. Nun rastet er drei Stunden, kocht sich ein gutes Essen und wartet, bis der Mond aufgegangen ist und die Sterne strahlen. Dann reitet er weiter. Ihm und seinem Wallach sieht man die hundertsieben Meilen durch zumeist raues Land gar nicht an. Sie haben ja auch noch vierhundert Meilen vor sich. Die Sache hat erst begonnen. Und wie weit mag Adam vor ihnen sein? « Dreimal vierundzwanzig Stunden später haben Mann und Pferd etwa vierhundertdreißig Meilen geschafft und noch etwa siebzig bis Waterwale. Jim glaubt nun schon fast nicht mehr daran, dass Adam noch vor ihm ist. Er muss Adam irgendwann während der letzten Stunden überholt haben und auf einem anderen Weg geritten sein als der jüngere Bruder. Es wird eine finstere Nacht. Jim hat das Feuer etwa fünfzig Schritte neben einem Wagenweg angezündet, sich rasch ein Abendessen bereitet, Kaffee gekocht und sich dann mit seinem Pferd von dem Feuer entfernt. Er hat auch Pete gut versorgt, durchmassiert, abgerieben und an der
Wasserstelle ganz abgewaschen. Das tat Pete gut. Nun hat er sich zwischen einigen Bäumen auf einer leichten Anhöhe nieder getan. Jim hockt unter einer Tanne. Er hört das Plätschern des kleinen Baches, der die Wasserstelle immer wieder füllt, sodass ein kleiner Weiher entstanden ist. Er sieht das Feuer leuchten, später dann glühen. Und drüben jenseits des Feuers sind die Radfurchen des Wagenweges. Es gibt nur diesen einen Wagenweg über den fernen Hügelpass. Wenn er seinen Bruder Adam irgendwo überholt hat, müsste Adam drüben auf dem Wagenwege vorbeikommen – vorausgesetzt, er reitet jetzt in der Nacht noch. Jim glaubt nicht, dass er besonderes Glück haben wird. Vielleicht kommen ganz andere Reiter hier vorbei und halten an, um zu sehen, wessen Feuer dort brennt. Jim spürt seine Sattelmüdigkeit in allen Gliedern. Als er seine Pfeife geraucht hat, schläft er für eine Weile ein. Doch sein Schlaf ist so leicht wie der eines Apachen in der Wüste. Als er den Reiter kommen hört, erwacht er sofort. Der Mann hält kurz auf dem Wagenweg an und kommt dann herüber zum Feuer. Noch bevor er die Grenze des Feuerscheines erreicht, verhält er nochmals und ruft heiser und gepresst: »Hoii,
wer gehört zu diesem Feuer? Ich möchte wissen, wer hier …« Er kann nicht weiter. Seine heisere und gepresste Stimme versagt ihm. Er muss husten. Dieser Husten wirft ihn fast vom Pferd. Jim kann die Silhouette des Reiters gut genug erkennen. Er begreift, dass der Besucher entweder krank oder verwundet ist. Und es ist bestimmt nicht sein Bruder Adam. Dieser Mann dort auf dem Pferd ist älter, viel älter. Jim nähert sich dem Feuer und damit dem Reiter auf der anderen Seite des Feuers. Er trägt sein Gewehr in der Rechten und hat die Linke dicht über dem Revolverkolben. Die Art, in der er sich bewegt, ist ebenfalls recht bemerkenswert. Seine Haltung gleicht der eines Apachen, der bereit ist, in Sekundenbruchteilen in Deckung zu gehen, herumzuwirbeln oder sonst wie überraschend zu handeln. Er geht langsam um das Feuer herum, bleibt außerhalb der Lichtgrenze und sagt dabei: »Ich komme zu Ihnen, Freund. Was ist mit Ihnen? Sind Sie krank? Kommen Sie doch an mein Feuer! Ich bin allein und raste hier nur für diese Nacht. Kommen Sie, Mister!« Da er nun näher an den Reiter herangekommen ist, kann er unschwer erkennen, wie dieser im Sattel schwankt. Er tritt noch näher
und sagt ruhig: »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?« Der Mann im Sattel reißt sich noch einmal zusammen. »Gewiss«, spricht er gepresst. »Ich habe eine Kugel in der Hüfte, und ich kann sie mir allein nicht entfernen. Ich reite schon seit zwanzig Stunden mit dieser Kugel und schaffe es ganz gewiss nicht mehr bis Waterwale, wenn ich nicht jemand finde, der mir diese Kugel entfernt.« Jim Jones hört es, denkt zwei Sekunden lang nach und nickt dann, als wäre es eine ganz normale und selbstverständliche Sache, dass jemand hier mitten in Arizona an sein nächtliches Campfeuer kommt und von ihm verlangt, er solle ihm eine Kugel entfernen. Der Mann im Sattel atmet langsam aus – zitternd und seufzend, so als löste sich in ihm ein Krampf, eine Spannung. Er fühlt sich wohl wie ein Schwimmer, der schon glaubte, untergehen zu müssen und nun doch noch eine Rettung fand. »Ich kann Ihnen helfen«, murmelt Jim, »wenn die Kugel nicht zu tief sitzt.« Er nimmt das Pferd am Zügel und führt es zum Feuer. Der Mann sagt indes seufzend: »Es ist ein Querschläger. Die Kugel war an einem Felsen abgeprallt und schlug wohl quer in die Hüfte. Helfen Sie mir beim Absitzen.« Jim hilft wortlos. Er stellt dabei fest, dass der Mann etwa zehn Jahre älter ist als er, also fast
vierzig Jahre. Er ist bestimmt ein harter Mann, einer vom Schlag des US Marshal Sam Derringer. Das Pferd, auf dem er sitzt, ist erstklassig. Das ist ein echter Vollbluthengst aus Kentucky. Doch jetzt ist er am Ende seiner Kraft und kann kaum noch auf den Hufen stehen. Dieser Mann ist schon viele Tage unterwegs. Vor sich hat der Reiter zwei prall gefüllte Satteltaschen, schwer und fest. Jim schlägt einmal kurz mit der Faust dagegen. Es klirrt zwar nicht nach Goldstücken, doch glaubt Jim mit Sicherheit, dass die beiden Taschen mit goldenen Zwanzigdollarstücken gefüllt sind. Der Mann stöhnt gepresst, als er ihm vom Pferd hilft. Jim fühlt, dass der Mann unter der Kleidung einen prall gefüllten Geldgürtel trägt. In den vielen Taschen dieses Geldgürtels wird Papiergeld sein, Hundertdollarscheine sicherlich. Wenig später hat Jim den Mann neben dem Feuer auf einer Decke liegen. Er hat ihm Hose und Hemd geöffnet. Der Mann nahm den auf der einen Seite blutigen Geldgürtel ab. Jim sieht nun die Wunde, nachdem er einen blutigen Verband entfernte, den sich der Mann gewiss selbst angelegt hat. Die Wunde sieht böse aus. Sie ist groß, wie sie nur ein Querschläger verursachen kann. Und sie beginnt sich schon zu entzünden. Der Mann muss wirklich hart sein. Mit solch einer
Wunde zu reiten, hätte es selbst ziemlich harte Burschen nach wenigen Meilen zerbrochen. Dieser Mann jedoch reitet schon seit zwanzig Stunden. Ist er ein Flüchtling, der von Aufgeboten verfolgt wird, weil er eine Bank ausraubte oder einen Geldtransport überfiel? Oder warum ist er sonst mit zwei Packtaschen und einem dicken Gürtel voller Geld unterwegs? Jetzt ist er am Ende seiner Kraft und braucht Hilfe. Er musste sich an den ersten Menschen wenden, den er traf. Wahrscheinlich ist seine Not so groß, dass es ihm erst einmal gleich ist, ob der Mensch gut oder schlecht und das viele Geld in Gefahr ist. Jim Jones holt Wasser und ein Handtuch. Er säubert die Seite und gießt dann aus einer kleinen Flasche Whisky in die Wunde. Den Rest des Whiskys gibt er dem Mann zu trinken. Dann hält er die Klinge seines Messers über das Feuer und macht sich an die Arbeit. Er schafft es ziemlich schnell, und sein Patient knirscht dabei mit den Zähnen und schnauft stöhnend. Oh, dieser Mann ist wirklich hart. Jim glaubt ihm jetzt, dass er schon zwanzig Stunden mit dieser Wunde und der Kugel darinnen im Sattel saß. Es ist ein nur mittelgroßer Mann, schon grauhaarig, doch drahtig und untersetzt. Ein
eisenharter Bursche. Jim kennt diese gedrungene, drahtige Sorte. Er zeigt ihm dann die Kugel. »Da ist das Ding, Mister«, sagt er dabei. Nun legt er ihm das Handtuch auf die Wunde und reißt einen langen Streifen von der Decke. Er umwickelt den Leib des Mannes fest damit, sodass sich das Handtuch fest auf die Wunde presst. Mehr kann er nicht tun. Er hofft, dass der Whisky und die heftige Blutung die beginnende Entzündung bekämpfen. Wenn es Tag wäre, könnte er vielleicht versuchen, einige Kräuter zu finden, deren Saft gut wäre für solch eine Wunde. Er weiß einigermaßen gut Bescheid mit Heilkräutern, wie die Indianer sie benutzen. Der Mann liegt nun mit geschlossenen Augen keuchend da. Er kämpft sicherlich gegen seine Schwäche an, die ihn bewusstlos zu machen droht. Und er will nicht die Besinnung verlieren. Gewiss denkt er nun wieder stark daran, dass er mit dem vielen Geld hier mitten in der Wildnis dem Fremden, der ihm half, ausgeliefert ist. Vielleicht aber auch denkt er an seine Verfolger. Er muss Verfolger auf der Fährte haben. »Wer sind Sie? Wohin wollen Sie? Sind Sie auf der Flucht? Sie haben eine Menge Geld bei sich, nicht wahr?« Jim stellt diese Fragen ruhig. Dann wartet er und lauscht in die Nacht. Er tritt sogar etwas vom Feuer fort, weil die knisternden Flammen alle anderen Geräusche hier in der Nähe übertönen. Er
blickt auch nicht mehr in Richtung des Feuers, sondern gewöhnt seine Augen wieder an die Schwärze der Nacht. Es ist eine dunkle Nacht, mit tiefen Wolken am Himmel. Jim konnte sich schon immer auf die feinen und unbestimmbaren Signale seines Instinktes verlassen, wenn eine Gefahr drohte. Jetzt spürt er es wieder. Der Mann am Boden hat wieder etwas Kraft geschöpft. »Ja«, sagt er mühsam, »ich habe eine Menge Geld bei mir. Es sind mehr als vierzigtausend Dollar. Aber sie gehören nicht mir. Die kleinen Rancher im Bezirk um Waterwale stellten eine Sammelherde zusammen. Ich bin mit dem Erlös für diese Herde nach Waterwale unterwegs. Mein Name ist Tom O’Rourke. Ich bin der Sheriff von Waterwale. Und wenn Sie mir jetzt das Geld nehmen, Fremder, so sind Sie ein ganz besonderer Schuft. Viele Familien werden von ihrem Besitz vertrieben, wenn dieses Geld nicht rechtzeitig in Waterwale eintrifft. Wer sind Sie? Was tun Sie hier? Ich muss Ihnen sehr danken, dass Sie mir halfen. Doch nun kann ich wohl nur hoffen, dass Sie kein Schuft, sondern ein redlicher Mann sind.« Jim nickt, als er dies hört. »Ja«, sagt er, »dies können Sie nur hoffen. Denn bei einem Betrag von mehr als vierzigtausend Dollar und in einer
Situation wie dieser, da würden nicht wenige Burschen lange zögern. Es wäre leicht, mit dem Geld fort zu reiten. Vierzigtausend Dollar sind ein mächtiger Berg Geld. Ein Cowboy müsste an die hundert Jahre dafür arbeiten. Und jetzt sind sie binnen weniger Sekunden zu bekommen.« »Ja«, stöhnt O’Rourke. Aber er verschwendet keine Worte mehr. Er ist wohl nicht nur zu erschöpft dazu, er schweigt wohl auch deshalb, weil er spürt, dass er mit Worten diesen hageren und fast indianerhaft wirkenden Fremden nicht umstimmen oder davon abhalten könnte, das Geld zu nehmen und damit zu verschwinden. Jim Jones aber lässt in diesen Sekunden noch einmal sein Leben an sich vorbeiziehen. Eigentlich ist er nichts anderes als ein Revolvermann, der sich vor einiger Zeit in die Einsamkeit eines Hochtales zurückzog und eine kleine Pferderanch aufbaute. Er wird noch in zehn Jahren ein ziemlich armer Teufel sein. Kostbare Jahre vertat er damit, auf rauen Wegen zu reiten, Fehden auszutragen und nach einem Glück zu suchen, von dem er nur unvollständige Vorstellungen hatte. Es dauerte lange, bis er endlich begriff, dass es besser ist, nicht auf ein Wunder zu warten, sondern selbst Hand anzulegen. Denn in all den Jahren hat er nicht viel mehr als nur Revolverruhm gewonnen.
Jetzt aber könnte er vierzigtausend Dollar bekommen, leicht, glatt und schnell. Vierzigtausend Dollar! Diese Summe ist atemberaubend. Ist das das Glück, auf das er immer wartete? Ist das die große Chance, mit einem Mal ein großer Mann werden zu können? Jim Jones spürt tatsächlich die Versuchung, denn es sieht so sehr mühelos und leicht aus. Es gibt gewiss nicht wenige Männer, die groß und mächtig wurden, weil sie am Anfang keine Gewissensbisse hatten. Jim Jones blickt auf Tom O’Rourke nieder. Ein Sheriff ist das also, und dazu noch der Sheriff von Waterwale. Das ist ein merkwürdiger Zufall. Jim Jones erinnert sich erst jetzt wieder daran, dass er ja US Hilfsmarshal ist – ein Gesetzesmann also. Er trägt irgendwo in einer seiner Taschen den Stern. Dieser Tatsache wird er sich nun mächtig bewusst. Er hat doch einen Eid geschworen. Er ist ein Gesetzesmann, und er kann doch nicht einfach so mit dem Gedanken spielen, mit vierzigtausend Dollar zu verschwinden. Überdies muss er nach Waterwale, um seinem Bruder dort aus der Klemme zu helfen. Oh, plötzlich sind viele Gründe dagegen, dass er zum Banditen wird. Er lächelt schief und sagt zu Tom O’Rourke: »Keine Sorge, Sheriff! Sie haben Glück gehabt! Obwohl ich vierzigtausend Dollar gut gebrauchen
könnte und es für einen hungrigen Burschen keine bessere Gelegenheit geben kann als diese hier, bin ich nicht interessiert an dem Geld.« »Sie müssen es möglichst schnell nach Waterwale zu meiner Tochter Jennifer bringen. Die wird dann schon für alles, was nötig ist, sorgen. Ich kann nicht mehr weiter – ich bin erledigt. Und so muss ich Ihnen vertrauen, Freund. Wollen Sie …« »Still«, sagt Jim leise, doch unverkennbar scharf. Er entfernt sich plötzlich weiter vom Feuer bis unter einen Baum. Seine Bewegungen sind so leicht wie die eines Mannes aus dem Wald. Aber er ist unverkennbar ein Reiter. Es vergehen einige Minuten. Das Feuer brennt nun wieder niedriger. Tom O’Rourke liegt still da und bewegt sich nicht. Jim lauscht. Dann hört er die Pferde wieder, und er weiß, dass die Reiter dort draußen in der Nacht angehalten haben, um das Feuer zu beobachten. Nun wurden sie sich schlüssig und kommen näher heran. Bald darauf kann er ihre Silhouetten erkennen. Sie halten an und sitzen ab. Und erst dann fragt eine Stimme präzise: »Ist Tom O’Rourke dort?«
2 Es ist eine kalte, leidenschaftslose Stimme, die Stimme eines Mannes, der eine lange Fährte verfolgte und nun gewiss ist, das Ende dieser Fährte erreicht zu haben. Jim Jones spürt dies alles instinktiv, denn es gab einmal eine Zeit, da hat er selbst dann und wann eine solche Jagd gemacht. Tom O’Rourke hat sich am Feuer auf der Decke mit letzter Kraft etwas aufgesetzt. Er hat jedoch keine Waffe in Reichweite. Jim hat ihm den Revolvergürtel abgenommen, um ihm besser die Kleidung öffnen zu können. Nun sagt Tom O’Rourke heiser und gepresst: »Ihr habt mich nun endlich, ihr Schufte. Aber es …« »Bitte schweigen Sie, Mister O’Rourke!« Jim Jones ruft es entschieden. Er tritt etwas vor, denn er weiß inzwischen, dass nur zwei Reiter kamen – nur zwei Männer. Er kann sie sehen. Sie wichen etwas auseinander, aber nicht zu weit. »Mister O’Rourke kann nicht mehr kämpfen«, sagt Jim nach einer kurzen Pause. »Er hat mir auch sein kostbares Gepäck anvertraut. Wenn Sie den Wunsch haben, irgendwelche Dinge zu regeln, so wenden Sie sich bitte an mich.« Seine Worte sind eine kühle und deutliche Warnung, aber auch eine Herausforderung. Sie
begreifen, dass er ein Mann sein muss, der sich vor zwei Revolverschwingern nicht fürchtet. Also muss er selbst ein Künstler mit dem Revolver sein. Als sie einige Atemzüge lang darüber nachgedacht haben, kommt auch schon die zwangsläufig zu erwartende Frage: »Hoi, nun gut, wer sind Sie, Bruder? Verraten Sie uns mal Ihren Kriegsnamen, bevor wir zur Sache kommen.« Jim wartet einige Sekunden. Dann sagt er schlicht: »Geht zum Teufel, Jungens! Hier gibt es nur Verdruss für euch.« Nun lachen sie leise. Dieses Lachen klingt selbstbewusst und schon etwas spöttisch. Da er ihnen keinen berühmt-berüchtigten Namen nannte, halten sie ihn für keine besonders große Nummer. »Den Verdruss bekommst du, Bruder – jetzt gleich auf der Stelle, wenn du nicht aufgibst. Wir wollen das Geld, das Tom O’Rourke bei sich hat. Wenn wir es nicht freiwillig bekommen, werden wir rau.« In der kalten, präzisen Stimme klirrt nun eine mitleidlose Härte. Es ist völlig klar, dass es für Jim nur zwei Möglichkeiten gibt. Er kann sich aus der Sache heraushalten und den beiden Männern das Geld überlassen – oder auch nicht. Entscheidet er sich für die zweite Möglichkeit, so muss er kämpfen.
Sind vierzigtausend Dollar es wert, dass er zwei Banditen tötet? Kann man von ihm verlangen, dass er nicht nur sein Leben einsetzt, sondern auch noch zwei andere Leben auf sein Gewissen nimmt, um vierzigtausend Dollar zu retten? Vielleicht hätte er nicht gekämpft und sich herausgehalten. Doch nun fällt ihm wieder ein, dass er einen Stern in der Tasche trägt, einen versilberten Blechstern. Und US-Hilfsmarshal ist er auch. Tom O’Rourke aber gab sich als der Sheriff von Waterwale aus. Jim Jones flucht in Gedanken. Dieser Blechstern, denkt er, hindert mich nicht nur daran, das viele Geld zu nehmen, er zwingt mich jetzt auch noch dazu, mit diesen beiden gefährlichen Pilgern mein Glück zu versuchen. Als er dies gedacht hat, sagt er schlicht: »Dann werdet mal rau, Freunde! Werdet mal richtig rau!« Als sie seine Entscheidung so herausfordernd hören, handeln sie sofort wie auf ein geheimes Kommando. Sie ziehen ihre Waffen. Jim Jones sieht sie nur als Silhouetten in der dunklen Nacht, doch er erkennt ihre schnellen Schulterbewegungen. Und so zieht er seinen alten Revolver, um ihnen zuvorzukommen.
Sie sind schnell, doch er ist schneller. Sein Revolver kracht zuerst. Er schießt nur zweimal – und trifft. Einer der beiden Männer schießt einen Fuß vor ihm in den Boden. Der andere Mann schießt in die Luft und fällt dann aufs Gesicht. Der erste, der vor Jim in den Boden schoss, lässt den Revolver fallen und schwankt. Es sieht so aus, als würde auch er fallen, doch er bringt es fertig, auf den Beinen zu bleiben. Jim nähert sich ihm langsam. Er sieht, wie der Mann sich schwankend wendet und sich in Bewegung setzt. »He!« Jim Jones ruft es scharf. Der getroffene Mann hält inne, blickt über die Schulter und sagt gepresst: »Lass mich gehen. Ich habe genug! Hörst du, ich habe genug und will das Geld nicht mehr. Lass mich nur zu meinem Pferd.« Nach diesen Worten schwankt er davon. Er erreicht sein Pferd. Jim kann hören, wie mühsam und stöhnend er sich in den Sattel zieht. Er hört ihn fortreiten. Jim untersucht den anderen Mann. Dieser ist tot. Jim kennt ihn nicht, obwohl er viele Revolvermänner kennt. Er geht zu Tom O’Rourke hinüber. Dieser ist bewusstlos. Jim Jones spürt eine tiefe Bitterkeit. Obwohl er einen Stern in der Tasche trägt, den er sich offen an die Weste stecken könnte, obwohl er also ein
Gesetzesmann ist, begreift er, dass er in das alte, raue, gewalttätige Leben zurückgekehrt ist. Er ist dazu befähigt zu zerstören. Jene schreckliche Fähigkeit kam wieder einmal zur Wirkung. Mit einem Mal hat er den Wunsch, umzukehren. Es wäre wohl gut, wenn er seinen Stern zu US Marshal Sam Derringer zurückbringen und wieder zu seiner kleinen Ranch in das einsame Hochtal reiten würde. Dort ist Frieden wie auf einer einsamen Insel. Dort braucht der Revolvermann Jim Jones keinen Anteil zu nehmen an den Dingen dieser gewalttätigen Welt. Er hockt sich ans Feuer, dreht sich eine Zigarette, raucht und starrt in die immer dunkler werdende Glut. Doch er wird sich darüber klar, dass er nicht umkehren kann. Er muss den angeschossenen Sheriff nach Waterwale bringen und auch das Geld. Plötzlich fällt ihm der Bruder wieder ein. Er muss plötzlich scharf und stark an Adam denken, etwa so, wie man an einen nahe stehenden Menschen denkt, der im nächsten Moment in Erscheinung treten wird. Jim hört nun abermals Hufschlag in der Nacht, und er wundert sich gar nicht darüber, dass nun noch jemand kommt. Irgendwie ist es ihm plötzlich ganz selbstverständlich.
Und er denkt immer noch stark und scharf an seinen Bruder Adam. Er stellt ihn sich in diesem Augenblick vor. Vor einem Jahr hatte er ihn einmal in der Strafanstalt besuchen dürfen. Adam ist rotköpfig und blauäugig, ganz ein verwegener und auf eine wilde Art hübscher Typ. Der Reiter hält nun auf dem Wagenweg. »Hallo, Feuer!« So ruft er herüber. Und Jim glaubt sofort, dass es sein Bruder Adam ist. Er hatte Adam also doch irgendwann auf der langen Strecke überholt, ohne ihn zu bemerken. Adam muss ganz in der Nähe gerastet haben. Dann hörte er wohl die Schüsse und kommt nun, um nachzusehen. Diese Neugierde ist genau richtig. Denn es kann für einen Mann sehr gefährlich werden, in der Nähe eines Camps zu rasten, in dem geschossen wurde. Solch ein Mann kann ahnungslos in einen schlimmen Verdacht geraten. »Ja!« Nichts anderes erwidert Jim. Adam fragt nun: »Ich hörte Schüsse. Was ist denn geschehen?« Jim ist nun sicher, dass es Adam ist. »Komm her, Adam«, sagt er ruhig hinüber. »Komm nur zu mir. Ich bin es, Jim, dein Bruder.« Eine Weile bleibt es still. Adam Jones braucht eine Weile, bis er es verarbeitet hat, hier auf seinen großen Bruder gestoßen zu sein. Sicherlich kam ihm nun auch die Erkenntnis, dass Jim ihm
gefolgt war und ihn dann sogar auf seinem unübertrefflichen Pete überholt hat. Vielleicht hält ihn jetzt nur noch ein letzter Rest von Vernunft davon ab, seinem Pferd die Sporen zu geben und in der Nacht zu verschwinden. Er weiß, dass Jim ihn gewiss bald wieder eingeholt hätte. Sicherlich findet er es auch beunruhigend, dass sein großer Bruder offenbar wusste, wohin er reiten musste, um ihn zu finden. Adam Jones kommt wortlos vom Weg herübergeritten. Als er an dem Toten vorbeireitet, scheut sein Pferd. Er hält an, blickt auf den leblosen Mann nieder und fragt: »Hast du ihn erschossen, Bruder?« »Ja«, sagt Jim knapp. »Ich hörte die beiden Reiter auf dem Weg kommen«, murmelt Adam. »Zuerst glaubte ich schon, sie wären meiner Fährte gefolgt. Sie ritten jedoch an meinem feuerlosen Camp vorbei. Was bedeutet das?« »Steig ab, Bruder«, sagt Jim ruhig. Er deutet auf den bewusstlosen Tom O’Rourke, der auf der Decke am Feuer liegt. »Dies ist der Sheriff von Waterwale«, sagt er. »Er war mit vierzigtausend Dollar unterwegs. Er wurde schon vor zwanzig Stunden ziemlich übel angeschossen, konnte mit dem Geld seinen Verfolgern aber noch einmal entkommen. Nun hatten sie ihn hier eingeholt. Aber weil er nicht
mehr kämpfen konnte, habe ich das für ihn besorgt. Der zweite Bandit ritt verwundet fort. Und wohin bist du unterwegs, Adam? Hatten wir nicht vor einem Jahr ausgemacht, dass du zu mir auf die Ranch kommst, wenn du entlassen wirst? Aber dies ist nicht die Richtung zur Ranch.« »Nein!« Adam sagt es trotzig. Er gleitet aus dem Sattel, und obwohl er doch vier Jahre lang nicht mit Reitpferden umgehen konnte und auch nicht reiten durfte, haben die wenigen Tage nach seiner Entlassung genügt, um ihm wieder jene indianerhafte Geschmeidigkeit zurückzugeben, die er schon als Junge besaß. Er ist groß, nicht kleiner als einsachtzig, und die Sträflingsarbeit in den Steinbrüchen und beim Straßenbau hat ihn hart und zäh gemacht. Er hat vier Jahre unter hart gesottenen Gefangenen gelebt und musste lernen, sich unter solchen Burschen zu behaupten. Auch mit den Wächtern und Wärtern, von denen nicht wenige gemein waren, musste er zurechtkommen. Adam weiß nicht sehr viel von der Welt, aber er weiß viel über Gemeinheiten, über wirklich harte Burschen und über viele andere Dinge, die man nur als Sträfling lernt. Er tritt auf die andere Seite des Feuers. Über das Feuer hinweg betrachten sich die Brüder. Adam wirkt verschlossen und trotzig, ganz und gar wie ein Mann, der sich gegen alles
auflehnen wird, weil er es viele Jahre als Gefangener nicht durfte. Er wirkt auch älter als einundzwanzig Jahre. Nachdem er Jim angesehen hat und diesen fühlen und erkennen ließ, dass er sich ihm gewiss nicht unterordnen wird, wendet er den Kopf und betrachtet den bewusstlosen Sheriff – und dann die beiden Satteltaschen und den gefüllten Geldgürtel, die neben dem Sheriff auf der Decke liegen. »Vierzigtausend Dollar«, murmelt er. »Es ist dort in den beiden Packen und dem dicken Gürtel?« Jim nickt. »Ich werde diesen Mann und das Geld nach Waterwale bringen«, sagt er. »Du wirst mir dabei helfen. Ich bin sehr froh, dich nun bei mir zu haben. Wärst du noch vor mir gewesen, so hätte ich dich nun gewiss nicht mehr einholen können. Oh, ich weiß, dass auch du nach Waterwale unterwegs bist!« Adam hockt sich wortlos bei den Packtaschen nieder und befühlt sie mit kräftigen, geschmeidigen Fingern. »Wahrhaftig«, murmelt er, »da drin muss viel Geld sein.« Er erhebt sich langsam. Als er Jim anblickt, ist sein Blick misstrauisch und nachdenklich zugleich.
»Wie kommt es, dass du weißt, wohin ich will?« So fragt er. Jim lächelt bitter. »Du hast die Bankräuber, für die du die Pferde hieltest, nie verraten«, sagt er. »Obwohl du das Pech hattest, dass man dir das Pferd unter dem Sattel erschoss und du als einziger Mann gefangen wurdest, verrietest du deine Partner nicht. Es gibt keine Beweise gegen sie, nicht einmal Augenzeugen, denn sie waren maskiert und beschafften sich gewiss auch gute Alibis. Nur du allein konntest sie verraten. Aber man weiß doch ungefähr, wer diese Männer waren. Man weiß, dass sie nun in Waterwale leben und dort sehr geschäftstüchtig ihr Vermögen mehrten. Ich denke, dass du deinen Anteil kassieren möchtest. Deshalb konntest du nur nach Waterwale unterwegs sein. Du wirst versuchen, dich mit deinen alten Partnern in Verbindung zu setzen. Ich glaube, dass dies mit einigen Schwierigkeiten verbunden sein wird. Deine alten Partner werden dich verleugnen müssen. Und wenn du sie zu sehr bedrängst, wirst du in große Gefahr geraten, weil du sie in Gefahr bringst. Adam, reite nicht nach Waterwale. Es wäre falsch, und es kann dich umbringen. Verzichte auf deinen Anteil. Komm mit mir auf die Ranch. Wir finden gewiss irgendwo jemanden, der diesen Mann hier und das Geld für uns nach Waterwale schafft. Irgendwo wird es
doch eine Pferdewechselstation der Postlinie geben. Also, Adam!« Der starrt ihn seltsam an. Dann grinst er. »So, man hat meine einstigen Partner in Verdacht und kann ihnen nur nichts beweisen? Das ist gut, sehr gut! Dann werden sie sehr schnell meinen Anteil herausrücken, um mich loszuwerden. Und gefährlich? Oh, sicher wird es gefährlich sein. Vielleicht werden sie versuchen, mich umzubringen. Doch ich habe als Sträfling eine Menge gelernt. Ich hatte ja genügend Zeit, mich auf einige Dinge vorzubereiten. Ich kann auf mich achten.« Seine letzten Worte sind abweisend – und trotzig. Aber als sein schweifender Blick dann wieder auf die Packtaschen und den Geldgürtel fällt, da hebt er die Hand und wischt sich übers Gesicht. »Vierzigtausend Dollar«, sagt er. »Und in Waterwale hätte ich nur zwanzigtausend und die Zinsen zu bekommen. Es wird auch bestimmt nicht leicht sein, sie zu bekommen. Bruder, dieser Sheriff ist bewusstlos? Dann ist es doch leicht! Leichter kann man sich vierzigtausend Dollar nicht verdienen. Wenn ich die Hälfte davon bekäme, würde ich nicht nach Waterwale reiten. Ich würde mit dir auf die Ranch kommen – für eine Weile jedenfalls.« In seinen Augen ist ein wildes Leuchten. Jim betrachtet den Bruder bitter. Das hat er immer
befürchtet. Damals war Jim nur ein wilder Junge, der in schlechte Gesellschaft geraten war und mit einem Schlag reich werden wollte. Jetzt gleicht Adam einem nach allen Dingen des Lebens hungrigen Wolf, der lange Zeit eingesperrt war und die ganze Zeit davon träumte, was er alles reißen und fressen würde, wenn er erst wieder in Freiheit wäre. Adam kennt die Schwierigkeiten, die in Waterwale auf ihn warten, ganz genau. Und jetzt, da er glaubt, auf sehr viel leichtere Art zum gleichen Gewinn kommen zu können, will er gerne einen Tausch machen. Er will sogar seinen Bruder irgendwie erpressen. Die Bitterkeit in Jim ist wirklich tief. Doch dann fällt ihm ein, dass ja selbst er zumindest einige Sekunden gegen die Versuchung ankämpfen musste. Adam hat keinen Stern wie er in der Tasche. Adam ist kein Gesetzesmann, sondern kommt aus einer Strafanstalt, wo er all die Jahre mit Verbrechern lebte. Adams Fühlen und Denken muss ja anders sein. Und dennoch spürt nun auch Jim wieder die Versuchung. Denn es wäre ja nun auch für ihn alles leichter. Er brauchte dann nicht nach Waterwale, kommt mit Adam oder Adams wegen nicht in Schwierigkeiten. Oh, es wäre so einfach, das
Geld zu nehmen und mit Adam fortzureiten! Er könnte auch Sam Derringer den Stern zurückschicken und ihm schreiben, dass sich alles erledigt hätte und er gar nicht nach Waterwale reiten musste. Er blickt nachdenklich auf den bewusstlosen Sheriff. Tom O’Rourke heißt er, und er hat auch von seiner Tochter gesprochen. Er hatte gesagt, dass Jim das Geld zu seiner Tochter Jennifer bringen soll, die dann schon für die weitere Erledigung der Dinge sorgen würde. Ja, so ähnlich waren die Worte. Jim fragt sich, was dies wohl für eine Tochter ist. Ob sie schön ist? Oder schon verheiratet? Oder hässlich? Sie müssten den Sheriff hier am Feuer auf der Decke liegen lassen. Jemand würde ihn finden. Jener Bandit, der verwundet fortreiten konnte, wird gewiss jemanden schicken, um nach dem toten Partner sehen zu lassen. Jim hebt den Blick und sieht Adam an. In dessen Augen ist wieder deutlich jenes gierige Leuchten. Die Flammen des Feuers lassen dies alles erkennen. Adam grinst nun auf eine fast siegessichere Art. Dieses Grinsen drückt irgendwie aus: Siehst du, Großer, wenn es um vierzigtausend Dollar geht, so kannst selbst du nicht widerstehen. Und überdies kannst du mich
auf diese Art davon abhalten, nach Waterwale zu reiten. Ja, dies ungefähr drückt Adams Grinsen aus. In Jim ist nun ein bitterer Zorn. Es ist ein Zorn, den er fürchtet, denn er hat ihn schon oft zu Dingen verleitet, die in seiner Erinnerung wie schreckliche Narben blieben. Er schüttelt den Kopf. »Nein, Adam«, sagt er. »Du kannst das neue Leben nicht damit beginnen, dass du einen gemeinen Diebstahl begehst. Ich werde nicht zulassen, dass du nochmals zum Dieb wirst.« Adams Grinsen wirkt wie eingefroren. Seine Handfläche streicht sanft und sachte über den Revolverkolben. Ja, er trägt einen Revolver. Schon als Junge konnte er gut mit einem Revolver umgehen. Dies konnte auch ihr Vater. Alle Jones besitzen oder besaßen jenen Instinkt, den besondere Revolverkämpfer haben müssen. Es ist eine Kombination von Gefühl, Augenmaß, Griffsicherheit und außergewöhnlicher Reaktionsschnelligkeit. Adams Handfläche streift also über den Revolver. »Bruder«, sagt er, »ich weiß, du hast einen großen Namen. Als ich ins Gefängnis kam, da warst du im Krieg. Und vorher und nachher warst du einer der großen Revolverkämpfer daheim in Texas. Aber ich sage dir jetzt trotzdem, dass ich erwachsen bin und du mir nicht in die Quere
kommen sollst. Mit einem anderen Mann würde ich jetzt um die vierzigtausend Dollar kämpfen. Du hast Glück, dass du mein Bruder bist. Also werde ich mich auf den Weg machen, um mir in Waterwale meinen Anteil zu holen.« Er wendet sich langsam ab und tritt zu seinem Pferd. Mit einem leichten und geschmeidigen Sprung sitzt er auf und reitet davon. Von der Straße ruft er noch einmal zurück: »Komm nicht nach Waterwale, Bruder! Komm mir nur nicht in die Quere! Mein Weg ist nicht dein Weg!« Dann reitet er davon, und Jim denkt daran, dass er damals nicht auf ihn achten konnte, weil er im Krieg war. Damals in jenen Jahren, da hätte Adam den größeren und reiferen Bruder nötig gehabt. Doch was war er damals schon? Ein Revolverkämpfer! Und das war wohl auch Adams ganzer Ehrgeiz. Er lauscht auf den langsam verklingenden Hufschlag. Dann begreift er, dass er nicht länger mehr rasten kann. Adams Vorsprung darf nicht so groß sein. Jim geht daran, eine Schleppbahre zu machen, wie die Indianer sie zum Transport ihrer Habe benutzen.
Als er Tom O’Rourke später dann darin bettet, erwacht dieser nicht einmal. O’Rourke hat starkes Fieber, und er ist völlig erschöpft. Jim legt auch den Toten, den er in die Satteldecke wickelte, quer über dessen Pferd. Dann beginnt er seinen Weg nach Waterwale. Wegen der Schleppbahre muss er im Schritt reiten. Zwanzig Meilen weit. Dann kommt er an eine Wegegabelung. Hier stößt er auf die Pferdewechselstation der Postlinie nach Waterwale. Er lässt Tom O’Rourke und den Toten hier. Mit dem Geld macht er sich auf den Weg, nachdem er eine Stunde gerastet und gegessen hat. Die Fragen des Stationsagenten und dessen Frau und Helfer beantwortete er nur knapp und unklar. Er ist auf die Stadt Waterwale neugierig. Sein grauer Wallach schlägt einen schnellen und ausdauernden Trott ein. Es sind noch fünfzig Meilen bis nach Waterwale. Jim ist sicher, dass sein Bruder gar nicht so sehr viel früher dort ankommen wird. Es kann sich nur um ein oder zwei Stunden handeln.
3 Als er das Ende seines Fünfhundert-Meilen-Rittes erreicht, ist es wieder Nacht. Die Lichter von Waterwale sind vor ihm in der Nacht. Es ist eine unfreundliche, windige Regennacht, wie man sie in Arizona nur sehr selten hat. Jim hielt sich immer auf der Poststraße, und diese führte ihn in ein Hügelland, mit vielen Tälern und Senken. Es ist ein unübersichtliches Land, jedoch geschützt, und mit reichlich Wasser und bester Weide, mit Baumgruppen oder gar ganzen Waldstücken durchsetzt. Es ist noch nicht lange her, da schlugen hier die Apachen jeden Weißen tot, denn während des Krieges wurden die Schutztruppen aus diesem Territorium abgezogen, um irgendwo auf den Kriegsschauplätzen zu kämpfen. Die Zivilbevölkerung von Arizona musste sich selber schützen. Jetzt wird es langsam besser, aber es ist immer noch überall gefährlich, obwohl die Apachen ihren Kampf gegen die Weißen weiter im Süden kämpfen. Jim betrachtet die Lichter der kleinen Stadt in der Regennacht. Waterwale liegt in einem lang gestreckten Hügeltal. Es ist eine sehr kleine Stadt. Der Wagenweg führt an einem Creek entlang,
und dieser Creek fließt offensichtlich durch die Stadt. Jim reitet von Norden her in die Stadt hinein, und er erkennt die Einfahrt zum Wagenhof der Fracht- und Postlinie. Auf der anderen Seite ist eine Schmiede. Jim reitet langsam weiter. Im schwachen Licht der Laternen, die da und dort hängen, erkennt er die Einfahrt zum Mietstall. Es folgen die Futtermittelhandlung, die Sattlerei und auf der anderen Seite ein Barbierladen und eine Schreinerei mit einem Sarglager. Dann erkennt Jim das Sheriff’s Office mit dem Gefängnis. Als er anhält, öffnet sich die Tür des benachbarten Wohnhauses. Es ist ein nur kleines Haus, schmal wie ein Handtuch. Im herausfallenden Lichtschein erkennt Jim die Gestalt eines Mädchens. Sie späht zu ihm her, doch ihre Augen haben sich gewiss noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt. Sie kann ihn nicht erkennen. Er hört ihre Stimme fragen: »Vater, bist du das?« Er atmet zufrieden auf, denn er weiß, dass er Jennifer O’Rourke schon gefunden hat. Dies war nicht einmal Glück. Es ist nur natürlich, dass sie gewiss schon seit dem Vortag auf die Rückkehr ihres Vaters wartet. Und als sie einen Reiter kommen und vor dem Gefängnis anhalten hörte, da musste sie annehmen, dass ihr Vater eingetroffen ist.
Jim zieht seinen müden Pete herum und reitet bis zum Rand des herausfallenden Lichtstreifens, der wie eine goldene Barriere durch den Regen bricht und erkennen lässt, wie morastig die Fahrbahn ist. Der Plankengehsteig vor den Häusern ist überdacht. So steht das Mädchen etwas geschützt. Doch der Wind fegt ihren Rock etwas hoch, presst ihn gegen ihre langen Beine und spritzt auch Regen dagegen. Jim sitzt bewegungslos im Sattel. Regen und Wind stören ihn nicht. Er betrachtet das Mädchen. Unterwegs hat er oft daran gedacht, wie Tom O’Rourkes Tochter wohl aussehen würde. Der Name Jennifer gefiel ihm gleich beim ersten Mal, da er ihn hörte. Es ist ein Name, bei dessen Erklingen man sich irgendwie ein besonderes Mädchen vorstellt. Jedenfalls Jim erging es so, ohne dass er es erklären konnte. Sie ist mittelgroß, und ihr rotes Haar hat sie zu zwei Zöpfen geflochten, die ihr nach vorn über Schultern und Brust niederhängen. Sie trägt einen schon verwaschenen Morgenrock, wollte also ins Bett. Ihre Augen leuchten grün, und als sie erkennt, dass Jim ein Fremder ist, werden diese Augen einen Moment weit und groß. Ihr Gesicht hat eine ovale Form, doch die Wangenknochen sind recht hoch. Die Art, wie sie nun den Kopf hebt, gefällt Jim sehr. Denn man
sieht ihr an, dass sie mutig und selbstbewusst ist, dass sie mit schwierigen Dingen immer irgendwie zurechtkommen wird. Ihr Mund ist breit und voll. Doch das ziemlich energische Kinn und die kurze Nase lassen darauf schließen, dass sie sehr tapfer sein kann. Sie will sich wortlos abwenden, um wieder ins Haus zu treten. Nun sagt Jim: »Sind Sie Jennifer O’Rourke?« Da verhält sie und betrachtet ihn nochmals, diesmal schärfer und wachsamer. »Ja«, sagt sie schlicht. Er seufzt erleichtert. »Dann bin ich am Ziel«, sagt er. »Ihr Vater schickt mich zu Ihnen. Ich soll Grüße bestellen. Er kommt morgen oder übermorgen mit der Postkutsche nach.« Sie verhält einige Sekunden, denkt über seine Worte nach. Dann tritt sie dicht an den Rand des Plankengehsteiges und betrachtet ihn, das müde Pferd und die beiden prall gefüllten Satteltaschen. »Mein Vater kann nicht kommen?« »Noch nicht – später!« »Was ist geschehen?« »Ein Schuss in die Hüfte. Er ruht sich fünfzig Meilen von hier in der Poststation etwas aus. Keine Sorge, Miss Jennifer!« »Und er hat Sie geschickt?« »Er fand keinen anderen Mann als mich.« »Und er gab Ihnen das Geld?«
»Er konnte es keinem anderen Mann geben. Ich habe es hier. Wohin damit?« »Steigen Sie ab und bringen Sie es herein«, sagt sie fest. In ihrer Stimme klingt eine Spur von Triumph und Freude, obwohl sie doch in Sorge sein muss wegen ihres Vaters. Jim gehorcht wortlos. Sie lässt ihn an sich vorbei eintreten. Dabei betrachtet sie ihn noch einmal scharf und aufmerksam. Sie ist fast einen ganzen Kopf kleiner und muss zu ihm aufblicken. Er ist völlig durchnässt und stoppelbärtig. Als sie die Tür hinter ihm schließt, befinden sie sich in einer recht einfach, doch behaglich und freundlich eingerichteten Wohnküche. Sie lehnt mit dem Rücken von innen an der Tür und betrachtet ihn nochmals. Sie achtet nicht darauf, dass das Wasser von ihm auf die weiß gescheuerten Dielen läuft und sich zu einer Pfütze sammelt. »Sie haben mich doch nicht belogen, als Sie sagten, dass mein Vater sich nur etwas ausruht? Seine Verwundung an der Hüfte ist nicht schlimm?« »Er ist zwanzig Stunden damit geritten, bis er nicht mehr konnte«, erwidert Jim und setzt die beiden schweren Taschen ab. Er holt auch den prall gefüllten Geldgürtel unter der Jacke hervor. »Es sind vierzigtausend Dollar«, sagt er. »Man sollte sie jetzt noch zur Bank schaffen. Das müsste doch möglich sein, nicht wahr?«
Jennifer O’Rourke schüttelt den Kopf. »Mein Vater hat Sie wohl nicht richtig einweihen können«, sagt sie herb. »Dies lässt mich befürchten, dass er schlimmer verwundet ist, als Sie zugeben, Mister. Wir können das Geld nicht zur Bank bringen! Ich werde Ihnen das noch erklären. Ich muss Sie auch bitten, bei mir zu bleiben mit dem Geld und es noch bis morgen zu beschützen.« Er nickt. »Und morgen?« So fragt er. »Morgen Mittag läuft die Frist ab, da ein halbes Dutzend Rancher ihre Schulden löschen müssen«, sagt sie schlicht. »Wenn sie es nicht können, übernimmt die Bank die Rinder und damit auch das Weideland. Wenn es hier in Waterwale bekannt wird, dass das Geld der kleinen Rancher schon in der Stadt ist, dann könnte es sein, dass man versucht, es uns wieder abzunehmen. Ich werde Ihnen trockenes Zeug von meinem Vater heraussuchen und ein Nachtessen kochen. Machen Sie es sich bequem, Mister! Sie haben mir immer noch nicht Ihren Namen genannt.« »Jones – Jim Jones«, sagt er langsam und blickt das Mädchen immer noch aufmerksam an. Sie gefällt ihm. Dieser Tatsache wird er sich immer mehr bewusst. Hier im Lampenschein der Wohnküche erscheint sie ihm noch lebendiger und erfreulicher. Er spürt, dass hinter ihrer
energischen und sachlichen Kühle eine Menge Lebenslust und Wärme verborgen sind. Dieses Mädel ist ein Vollblut. Er spürt es und erkennt es an ihr. Langsam nickt er. »Sie müssen mich noch einmal entschuldigen«, sagt er. »Es wird nicht lange dauern, und Sie können ja hinter mir die Tür abriegeln und mit einer Schrotflinte in der Hand darauf warten, bis ich wieder zurück bin. Denn ich muss erst mein Pferd versorgen. Es ist ein gutes Pferd, und ich bin fast ununterbrochen fünfhundert Meilen damit geritten. Ich traf erst siebzig Meilen von hier auf Ihren Vater. Mein Pferd hat ein Recht darauf, dass es jetzt in den Mietstall kommt.« In ihren Augen blitzt Interesse. Dann nickt sie und verschwendet keine weiteren Worte mehr. Sie tritt in die Ecke, holt eine Schrotflinte aus einem Schrank, in dem noch zwei andere Gewehre stehen, öffnet eine Schublade und entnimmt ihr zwei Schrotpatronen. Sie lädt das Gewehr und nickt Jim dann zu. »Jetzt können Sie gehen«, sagt sie. »Ich lasse niemanden durch die Tür ins Haus kommen außer Ihnen. Klopfen Sie fünfmal kurz an die Tür, wenn Sie wieder zurück sind. Sie werden doch zu mir zurückkommen?« Er betrachtet sie ernst und schweigend.
Dann nickt er. »Ich lasse Sie nicht im Stich«, sagt er. »Wo sind denn diese Rancher und deren Männer?« »Sie alle trieben die Rinderherde zu den Minen in Colorado«, erwidert das Mädchen. »Man bekommt dort die besten Preise für Rinder. Mein Vater besaß das schnellste Pferd und ist überdies auch noch der Sheriff. Es war ausgemacht, dass er das Geld herbringen würde. Wir wussten schon vorher, dass es ein knappes Rennen gibt. Es gab hier einige Schwierigkeiten. Es war eine große Leistung, dass die Rancher ihre Herde ans Ziel bringen und verkaufen konnten.« Jim nickt. Er beginnt die Dinge hier nun besser zu begreifen. Doch er hat auch noch eine Menge anderer Sorgen. Er geht zur Tür, öffnet sie und tritt hinaus. Hinter ihm wird zugeriegelt. Als Jims Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben, erblickt er einen Mann drei Schritte weiter entfernt an der Hauswand. Der Mann kommt nun einen langen Schritt näher und betrachtet ihn, so gut es geht. »Wer sind Sie? Was wollten Sie bei Miss O’Rourke? Was brachten Sie ins Haus zu ihr?« Diese drei Fragen stellt der Mann präzise und ziemlich barsch. Es ist ein großer, schlanker und in den Schultern sehr breiter Mann. Er trägt die dunkle Tracht eines berufsmäßigen Spielers. Ein Stück
weiter befindet sich ein Saloon. Jim kann im Schein zweier Lampen lesen, dass es sich um den Gentlemen Saloon handelt. Dahinter ist noch ein weiteres Vergnügungslokal. Auf dem im Lampenschein unter dem Schutzdach zu erkennenden Schild kann Jim lesen: Moses’ Spielhallen. Sicherlich kam der Mann aus einem dieser beiden Häuser. »Ich beantworte keine Fragen«, sagt Jim zu diesem Mann und tritt aus dem Schutz des Gehsteigdaches hervor in den Regen. Er bückt sich unter dem Geländer hindurch zur Fahrbahn hinunter, tritt zu seinem Pferd und sitzt auf. Der Mann sagt vom Gehsteig zu ihm her: »Sie sind sehr unvorsichtig, Fremder. Mein Name ist Moses, Steve Moses, und wenn ich hier in dieser Stadt Fragen stelle, da bekomme ich Antwort. Also!« Jim grinst vom Pferd zu ihm nieder. Dann sagt er mit deutlicher Schärfe in der Stimme: »Sie stellen Fragen, als machten Sie hier in Waterwale die Gesetze so wie der andere Moses damals vor mehr als dreitausend Jahren.« Nach diesen Worten reitet er davon und lässt Steve Moses ziemlich sprachlos zurück. Und als Steve Moses dann endlich seine Sprache wiedergefunden hat, murmelt er: »Ein ziemlich unverschämter Bursche! Nun, das wird er noch bedauern.«
Er tritt an die Haustür und klopft mit der Faust dagegen. »Wer ist dort draußen?«, fragt Jennifers Stimme sofort. »Was war das für ein Mann?« Moses fragt es barsch. »Ihr habt verloren«, erwidert Jennifer. »Dieser Mann hat das Geld gebracht. Ihr habt verloren, Mister Moses.« Da geht er wortlos davon. Inzwischen erreicht Jim den Mietstall. Der Nachtmann öffnet ihm verschlafen einen Torflügel, sodass Jim seinen grauen Wallach hineinführen kann. Gleich vorn im Stroh schlafen einige Männer, wahrscheinlich Cowboys, die bei diesem Regen nicht Heim reiten wollen, durchziehende Satteltramps oder gar Betrunkene, die ihren Rausch ausschlafen möchten. In fast jedem Mietstall einer solchen Stadt findet man bei solch einem schlechten Wetter Schläfer dieser Art. Einer dieser Schläfer ist Adam Jones. Er schläft tief und fest. Der lange Ritt hat ihn stark ermüdet. Er kann noch nicht sehr lange hier sein in diesem Stall, denn seine Kleidung ist noch nass. Jim deutet mit dem Finger auf ihn und fragt den Stallmann: »Wann kam dieser Rotkopf?«
»Vor gut einer Stunde. Sein Pferd hinkte. Er hat es fast zu Schanden geritten und muss es morgen neu beschlagen lassen. Sind Sie hinter ihm her?« Der alte Nachtmann ist ein erfahrener Bursche, mit tausend Falten im Gesicht und scharfen, wachsamen Augen. Seine Frage deutet darauf hin, dass er Adam für einen Flüchtling und Jim für einen Verfolger hält. Aber Jim schüttelt den Kopf. Dann bringt er seinen Pete in eine Box und versorgt ihn mit Hilfe des Stallmannes. Er gibt ihm ein gutes Trinkgeld und geht wieder hinaus. Diesmal braucht nicht der ganze Stallflügel geöffnet zu werden. Es gibt in diesem Flügel eine kleine Tür, durch die Jim wieder in den Regen tritt. Bevor seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen können, sagt eine Stimme neben ihm: »Dies muss er sein!« Dann fallen zwei Männer von rechts und links über ihn her. Sie schlagen hart zu, ganz wie erfahrene Schläger. Einer benutzt einen gemeinen Schlagring, und Jim ist von diesem Angriff wahrhaftig überrumpelt und geht zu Boden. Mit aller Wildheit tritt und schlägt er um sich. Oh, er gleicht mit einem Mal einem Berglöwen, der am Boden gegen ein Lasso kämpft. Und er hat Glück. Seine Tritte treffen Schienbeine und Knie. Er rollt sich wild zur
Seite. Es ist sein Glück, dass die beiden Schläger sich nicht im Morast des Hofes wälzen möchten. Sie haben geglaubt, ihn auch so niederschlagen zu können. Doch sie trafen ihn wohl sehr schmerzhaft und gemein, nicht so, dass er bewusstlos zu Boden ging. Nun kann er sich zur Seite rollen. Sie folgen ihm fluchend, und gewiss haben sie nun auch erkannt, dass der Kampf noch längst nicht beendet ist und sie es recht schwer haben werden. Sie sind an einen Mann geraten, der sich auskennt. Einer der beiden Burschen versucht nun, mit beiden Füßen auf ihn nieder zu springen. Aber es gelingt ihm nicht richtig. Jim klammert sich an seine Beine, wirft sich herum und bringt ihn zu Fall. Sie rollen nun übereinander durch den Schlamm, und der Mann keucht wild: »Jorge, schlag zu! Los, Jorge!« Der Schlag kommt auch. Aber er trifft nur Jims Schulter. Er wirft sich knurrend zurück, prallt mit seinem Rücken gegen die Knie des zweiten Mannes und bringt auch diesen zu Fall. Bevor er aufspringt, tritt er kräftig aus, und er trifft den Mann, mit dem er zuerst herum gerollt ist, vor die Brust. Er ist zuerst auf den Beinen. Seinen Revolver hat er verloren. Er muss es mit den Fäusten mit den beiden Burschen aufnehmen. Er ahnt, dass es Rauswerfer aus dem
Saloon sind, die sich auf solche Arbeit gut verstehen. Er aber ist müde und ausgebrannt nach einem langen Ritt. Aber da ist auch der wilde und zerstörerische Zorn in ihm. Sie haben ihn gemein und hinterhältig angegriffen. Er greift nun den ersten Mann an, der auf die Beine kommt. Und er trifft ihn mit zwei kurzen, präzisen Haken, die blitzschnell und aus den Hüften heraus kommen. Der Mann rutscht aus und fällt wieder in den Morast des aufgeweichten Hofes. Jims Augen haben sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt. Er sieht den anderen Mann kommen, und er weicht dem Ansturm mit einer Körperdrehung aus, so wie ein Stierkämpfer vor einem Stier. Mit dem Knie aber trifft er hart den Oberschenkel des an ihm vorbeistolpernden Burschen. Dessen Beinmuskeln spielen sofort nicht mehr mit. Er kann sein getroffenes Bein für eine Weile nicht mehr benutzen. Der Mann ist für eine halbe Minute so gut wie einbeinig. Und das genügt für Jim. Er hat es jetzt für eine Weile nur mit einem Gegner zu tun, und er kämpft hart und schnell wie ein Preisboxer und wild wie ein Indianer. Er verdrischt sie beide. Denn als der »Beingelähmte« wieder mitmachen kann, liegt sein Kollege schon im Schlamm und versucht mit seiner Not zurechtzukommen.
Jim macht es härter, als er es vielleicht sonst getan hätte, wäre er nicht so sattelmüde und hätten ihn die Burschen nicht so heimtückisch angefallen. Noch schlimmer wird es für die Schläger, als er an der Stallwand eine Schaufel findet. Sie lehnt dort vergessen im Regen. Als er einmal gegen die Stallwand prallt, kommt sie ihm wie von selbst in die Hand. Er verprügelt die beiden Burschen mit dem Schaufelblatt, und es klatscht mächtig, wenn er ihnen das breite Stahlblech auf die nun nassen Hosenböden schlägt. Als er fertig ist, geht er in den Stall, holt sich eine Laterne und sucht nach seinem Revolver. Der Stallmann hat sich in seinen Verschlag zurückgezogen, ganz offensichtlich bestrebt, sich nicht einzumischen und außer Sicht zu halten. Jim findet den Revolver und betrachtet die beiden Burschen, die sich stöhnend erheben und Betrunkenen gleichen. »Habt ihr genug?« So fragt er sie. Doch sie geben keine richtige Antwort. Sie schwanken davon. Er blickt ihnen grimmig nach, und er ahnt, dass jener Steve Moses sie schickte, um ihm eine Lektion erteilen zu lassen. Oh, er weiß jetzt genau, in was für eine Stadt er kam. �
« Als er wenig später an Jennifer O’Rourkes Tür klopft, öffnet diese ihm sofort – und erschrickt. Obwohl der Regen ihm viel von dem Schlamm abwusch, sieht man ihm einen schweren Kampf an. Er blutet an der Schläfe, aus der Nase und am Kinn. Zu seinen alten Narben im Gesicht, die von früheren Kämpfen erzählen, werden neue hinzukommen. Jennifer lässt ihn wortlos eintreten, riegelt ab und geht sofort zum Herd, um viel Wasser aufzusetzen. »Ich werde alles tun, was ich kann«, sagt sie schlicht. Und sie tut es. Eine Stunde später fühlt er sich besser. Er konnte sich waschen und vollkommen umkleiden. Sie hat seine Risse und Abschürfungen behandelt und ihm ein gutes Nachtessen bereitet. Zum Schluss gießt sie ihm einen Whisky ein, legt ihm Tabak und Blättchen hin. Er aber ist dabei, seinen Revolver zu säubern. Die Waffe war vom Schlamm des Mietstalles schlimm verdreckt worden. »Es waren bestimmt Steve Moses’ Männer«, sagt sie nun. Sie sitzt ihm am Tisch gegenüber und trinkt dann und wann einige Schlucke Kaffee. »Ich habe die Unterhaltung gehört, die
Sie mit Steve Moses vor der Tür führten. Sie haben ihn nicht wie einen großen Mann behandelt, der die Befehle gibt. Sie haben sogar über ihn gespottet. Dafür hat er zwei von seinen Rauswerfern geschickt.« Jim nickt. »Was ist er für ein Mann?«, fragt er. Jennifer lächelt bitter. »Ihm gehören der Gentlemen Saloon, die Spielhallen, das ImperialHotel, der Alamo Saloon, das Silver-Star-Hotel und zwei Speisewirtschaften. Er beherrscht das Vergnügungsleben dieser Stadt und beherbergt in seinen Hotels und Restaurants alle Gäste.« »Aha«, sagt Jim. »Hat er Freunde?« Sie lächelt noch ernster und nickt. »Al Kilman ist sein Freund oder Partner. Al Kilman besitzt die Bank, den General Store und leitet die Land-und-Bodenverwertungs- und Viehzuchtgesellschaft.« Wieder nickt Jim, und er fragt weiter: »Gibt es noch einen dritten Mann, der zu diesen beiden tüchtigen Geschäftsleuten passt?« Jennifer O’Rourke stutzt nun, und sie betrachtet ihn forschend. Dann nickt sie und sagt: »Ja, es gibt noch einen Mann – einen dritten Mann. Sie sind zusammen ein Kleeblatt, das hier alle großen Geschäfte macht und alle Fäden in den Händen hält. Sie werden immer mehr eine Macht im Land. Wenn die vierzigtausend Dollar nicht rechtzeitig eingetroffen wären, hätte dieses
Drei-Männer-Kleeblatt wieder einen großen Schritt gemacht. Der dritte Mann heißt Ken Kendall. Und er besitzt die große KK Ranch. Es ist die größte Ranch im Land. Die meisten Reiter seiner Mannschaft können mit den Revolvern besser umgehen als mit dem Lasso. Jim Jones, es kommt mir etwas merkwürdig vor, dass Sie mir solche Fragen stellten. Ich habe den Eindruck, als hätten Sie erwartet, dass es hier drei so mächtige Männer gibt, die zusammenhalten wie Drillinge. Haben Sie schon über die Verhältnisse hier Bescheid gewusst? Und warum kamen Sie her? Sie sind siebzig Meilen von hier auf meinen Vater getroffen. Gut! Wo wollten Sie hin, bevor Sie auf meinen Vater trafen?« Sie blickt ihn ernst an. Er erwidert ihren Blick und spürt, dass er ihr vertrauen kann. Sie ist ein Mädchen, dem ein Mann immer vertrauen könnte. »Ich war nach Waterwale unterwegs«, sagt er langsam. »Ich habe hier einige Dinge zu erledigen. Ja, ich kannte die Namen Steve Moses, Al Kilman und Ken Kendall schon vorher. Ich glaubte nur nicht, dass sie so offensichtlich zusammenarbeiten würden. Sie müssen sich unheimlich groß und sicher fühlen. Na, wir werden sehen!« Er verstummt, und man kann unschwer erkennen, dass er nicht gewillt ist, vorerst mehr zu sagen.
Er deutet auf das Sofa. »Könnte ich dort einige Stunden schlafen? Ich muss gestehen, dass ich ziemlich erledigt bin. Aber Sie können sicher sein, dass ich sehr schnell wach bin, wenn jemand hier einzudringen versucht. Gibt es eine Hintertür?« »Die ist gut und fest«, spricht das Mädchen. »Überdies werde ich kein Auge schließen und das geringste Geräusch im Haus sofort hören. Schlafen Sie ruhig, Jim Jones. Ich würde Sie bitten, in der Schlafkammer meines Vaters zu schlafen. Doch es ist wohl besser, dass wir zusammen mit dem Geld in einem Raum bleiben. Da kann ich Sie schneller und leiser wecken, sollte jemand einzudringen versuchen.« Er nickt. »Sie sind ein Mädchen von besonderer Art«, murmelt er und setzt sich aufs Sofa. Er zieht sich die Stiefel aus und nimmt seinen frisch gereinigten Revolver in die Hand. Dann legt er sich auf die Seite und murmelt gähnend: »Sie brauchen nur einmal leise meinen Namen zu sagen, Jennifer, dann bin ich auch schon wach.« Als er es gesagt hat, werden seine Atemzüge auch schon tief und ruhig. Er ist von einer Sekunde zur anderen eingeschlafen. Jennifer sitzt in der Ecke in einem bequemen Schaukelstuhl. Sie hat die Schrotflinte griffbereit neben sich und kann von ihrem Sitzplatz aus die
beiden Türen beobachten, durch die jemand in die große Wohnküche kommen könnte. Sie blickt auf Jims Rücken. Was für ein Mann ist das? Diese Frage stellt sie sich immer wieder. Und sie spürt, dass er sie auf eine Art, die sie nur unklar beschreiben könnte, beeindruckt hat. Sie weißt noch nicht, dass er ihrem Vater das Leben rettete. Auch weiß sie nicht, dass er ein Gesetzesmann ist. Es sind andere Dinge an ihm, die sie beeindrucken. Oh, sie spürt, dass er wild und gefährlich sein kann, dass er ein Revolverkämpfer ist, der gewiss schon Gegner getötet hat. Sie spürt auch, dass seine Wege gewiss stets rau waren und oft genug ohne rechtes Ziel. Aber sie hält ihn dennoch nicht für einen Sattelzigeuner. Sie hat noch andere Dinge in ihm gespürt. Sie glaubt, dass er ein Mann ist, der stets für den Schwächeren eintreten wird. Sie glaubt, dass er redlich ist. Sie hält ihn für eine Art wilden Ritter. Er ist fast hässlich. Wenn sein Kopf und sein Profil nicht so gut geschnitten wären, wäre er hässlich. Doch seine ruhigen grauen Augen lassen ihn gar nicht hässlich wirken. Plötzlich weiß Jennifer, was sie an ihm so beeindruckt hat. �
Ich glaube, er ist ein Mann, wie ich mir einen Mann vorstelle. So denkt sie.
4 Als er erwacht, riecht er Kaffee, und es ist Tag. Er hat die ganze Nacht tief und fest geschlafen. Für einen Mann wie ihn, der oft genug auf dem Erdboden schlafen musste, war das große Sofa ein herrliches Bett. Und den Revolver hält er immer noch in der Hand. Er war viele Jahre lang dazu genötigt, mit dem Revolver in der Hand zu schlafen, so rau und gefährlich war sein Leben – und ist es jetzt wohl wieder. »Nebenan in der Kammer steht sogar Rasierzeug bereit«, sagt Jennifer vom Herd her. »Und Sie müssen sich beeilen, Jim!« Er sitzt nun und staunt sie an. Obwohl sie die ganze Nacht wachte, wirkt sie sehr frisch. Nun trägt sie ein grünes Kleid, das zu ihrem braunroten Haar einen schönen Kontrast bildet. Sie hat ihre Zöpfe gelöst und das Haar aufgesteckt. Oh, sie gefällt Jim sehr. »Habe ich geschnarcht?« So fragt er und seufzt dann. »Nein«, sagt sie. »Aber Sie sprachen im Schlaf einmal von einem Adam. Er muss Ihnen Kummer bereitet haben, dieser Adam.«
»Ja«, sagt er, »er hat mir Kummer bereitet. Er ist mein kleiner Bruder. Ich war im Krieg und konnte nicht auf ihn achten.« Er fährt in die Stiefel und geht zur Waschkammer hinüber. Er beeilt sich, und als er wieder zum Vorschein kommt, wirkt er sehr wach und ausgeruht. Einige dunkle und scharfe Linien in seinem Gesicht wirken nicht mehr ganz so scharf und tief wie am Tag zuvor. Sie speisen eine Weile wortlos. Doch sie betrachten sich oft. Er spürt, dass sie zu stolz ist, um ihn mit irgendwelchen Fragen zu behelligen. Dies gefällt ihm. Doch er möchte nicht über sich mit ihr sprechen. Er hat eine Menge Sorgen. Er muss immerzu an seinen Bruder denken. Auch Adam ist jetzt vielleicht schon im Mietstall aufgewacht. Er wird sich nun gewiss die Stadt ansehen, wird ein Frühstück einnehmen und dann gewiss Verbindung zu seinen drei ehemaligen Partnern aufnehmen. Diese ehemaligen Partner, denen man jedoch nichts beweisen konnte, sind Steve Moses, Al Kilman und Ken Kendall. Jim kennt die Namen von US Marshal Sam Derringer. Wie wird die Sache nun weitergehen? Die Frage stellt sich Jim immer wieder und vergisst dabei, dass er mit einem so erfreulich anzusehenden und auch so recht bemerkenswerten Mädchen am Tisch sitzt.
Einen Moment spielt er mit dem Gedanken, seinen Bruder Adam mit Gewalt von Waterwale fortzubringen. Aber zugleich wird ihm klar, dass dies falsch wäre. Adam hat im Gefängnis immerzu gehorchen müssen. Jetzt, da er frei ist, wird er mit allen Mitteln gegen jeden Zwang ankämpfen. Er wird wild und störrisch werden und völlig jede Vernunft verlieren. Nein, so geht es nicht. Jim muss auf eine andere Chance warten. Er blickt Jennifer an. »Verzeihen Sie mir, wenn ich so wortkarg bin«, sagt er, »doch ich habe einige Sorgen – genau wie Sie sicherlich auch. Wir sind wahrhaftig ein mit Sorgen bepacktes Paar. Und dabei habe ich mir immer gewünscht, einmal solch einem Mädchen zu begegnen, wie Sie es sind.« »Sie brauchen mir keine Komplimente zu machen, Jim«, sagt sie ernst. Da schüttelt er den Kopf. »Jeder Mann macht sich irgendwie ein Bild zurecht. Sie gleichen meinem Bild, Jenny. Ich habe eine Pferderanch. Sie liegt mehr als sechshundert Meilen von hier im Norden. Es ist einsam dort. Ich glaube, dass ich nie ein Mädel finden werde, das als meine Frau dort oben in der Einsamkeit leben könnte.« »Und warum leben Sie dort, Jim?«, fragt sie ernst. Er lächelt bitter.
»Ich bin ziemlich bekannt«, murmelt er. »Als Revolverkämpfer habe ich einen ziemlich bitteren Ruhm. Ich hielt es für besser, in die Einsamkeit zu gehen. Ich möchte mich nicht mit jedem ruhmsüchtigen Burschen messen müssen, denn ich bin Black Jim Jones.« Er erhebt sich plötzlich. »Können wir jetzt mit dem Geld zur Bank hinüber?« Sie nickt und ist sofort bereit. »Ja, die Bank hat jetzt geöffnet. Jetzt muss sie die Einzahlung des Geldes auf die Konten der Rancher annehmen.« Sie machen sich fertig und verlassen das Haus. Jim trägt die beiden prall mit Goldstücken gefüllten Packtaschen über der rechten Schulter, und er hat daran schwer zu tragen. Seine Linke ist frei und berührt mit den Fingerspitzen den Revolver. Jennifer O’Rourke trägt die Schrotflinte unterm Arm. Als sie schräg über die Fahrbahn gehen, werden sie da und dort von den Bürgern der Stadt bemerkt. Einige Männer kommen aus dem Restaurant neben dem Silver-Star-Hotel. Es regnet nicht mehr. Die Männer bleiben auf der Veranda stehen, betrachten das Mädchen und den Fremden. Einer ruft fragend herüber: »Jennifer, was ist das?«
»Das Geld ist gekommen«, erwidert sie. »Wir bringen es zur Bank. Die Rancher-Vereinigung tilgt ihre Schulden. Das ist es!« Ihre Stimme hat einen triumphierenden Beiklang, und Jim kann sie gut verstehen. Dieses Mädel wird immer gegen jedes Unrecht kämpfen. Sie steht ganz auf der Seite ihres Vaters, der als Sheriff dafür sorgte, dass man die vierzigtausend Dollar an ihren Bestimmungsort bringen konnte. Gewiss verlangt die Bank Bargeld und würde einen Scheck ablehnen. Jim kennt all diese Tricks und Schwierigkeiten. Als sie die Bank betreten, werden sie offensichtlich schon erwartet. Einer der beiden Angestellten öffnet die Barriere und dann die Tür zum Büro des Bankleiters. »Mister Kilman erwartet Sie, Miss O’Rourke«, sagt er. Sie schüttelt sofort den Kopf. »Der Schalterund Kassenraum ist hier. Ich bin gekommen, um auf das Konto der Rancher-Vereinigung Geld einzuzahlen. Also bitte, fangen wir an zu zählen!« »Aber – aber«, stottert der Kassierer. Er schielt in den Raum, dessen Tür er geöffnet hat. Dort kommen nun drei Männer heraus. Steve Moses ist dabei. Ein anderer Mann, der ebenfalls nobel gekleidet ist, ein gedrungener Mann ohne Hals und mit einem geröteten Vollmondgesicht, ist gewiss Al Kilman.
Er sagt jetzt: »Aber Miss O’Rourke! Solche Kundschaft empfange ich doch stets in meinem Büro! Es freut mich sehr, dass man das Geld noch rechtzeitig einzahlen kann. Und wer ist denn Ihr Begleiter? Es scheint sich um einen sehr tüchtigen Mann zu handeln, dem Ihr Vater und die Rancher-Vereinigung vertraut. Darf ich erfahren, wie der Name …« »Jim Jones«, sagt dieser schlicht. »Mein Name ist Jim Jones. Und der Name Jones ist gar nicht so selten, nicht wahr?« Sie blicken ihn schweigend an. Der dritte Mann ist wie ein Cowboy gekleidet, doch sein Hut war teuer. Auch seine Stiefel sind es. Dieser blondbärtige, untersetzte und kantige Mann ist gewiss Ken Kendall, der die große KK Ranch besitzt, die nicht zur Rancher-Vereinigung gehört, sondern die Rancher wahrscheinlich erst zur Vereinigung zwang, weil sie sonst kein Gegengewicht bilden konnten. Jim Jones weiß, dass er nun auf diese Art früher jenen drei Männern, die wahrscheinlich vor fast fünf Jahren seines Bruders Partner waren, gegenübersteht als sein Bruder. Sie wissen noch nicht, dass Adam so nahe ist. Sie sind sehr viel älter als Adam. Ken Kendall ist wahrscheinlich der jüngste von ihnen, und auch er ist zumindest zehn Jahre älter als Adam. Für sie war er damals gewiss nichts anderes als ein wilder Junge, den man gut dazu verwenden
konnte, auf die Pferde zu achten. Und auf Pferde verstand sich Adam gut. Als Jim die drei Männer betrachtet, die sich natürlich in den fast fünf Jahren sehr verändert haben, glaubt er nicht daran, dass sie Adam einen vollen Zwanzigtausend-Dollar-Anteil an dem Achtzigtausend-Dollar-Raub gelassen hätten. Für Adam war es vielleicht damals ein Glück, dass er sein Pferd verlor und gefangen wurde. Diese drei Männer hätten sich des Jungen bestimmt irgendwie entledigt, um ihm nicht zwanzigtausend Dollar überlassen zu müssen. Sie starren ihn kühl und kalt an. Wenn sie es waren, die durch Handlanger zu verhindern versuchten, dass der Sheriff das Geld rechtzeitig oder überhaupt herbringen konnte, so wissen sie gewiss schon, dass Jim Jones einen ihrer Männer tötete und den anderen schlimm verwundete. Sie wissen also, dass er ein besonders schneller Revolvermann sein muss. Nun hörten sie seinen Namen. Obwohl er ihnen sagte, dass dieser Name gar nicht so selten sei, wissen sie Bescheid. Sie haben gewiss von Jim Jones schon gehört, von Black Jim Jones. Und vielleicht denken sie in diesem Moment auch daran, dass ein Adam Jones mal ihr Partner war. Al Kilman, der Bankier, sagt nun ruhig: »Gewiss, der Name ist nicht selten, Jones. Doch
Sie werden wohl der berüchtigte Black Jim Jones sein, nicht wahr? Nun gut, beginnen wir also zu zählen. Es werden jetzt gewiss keine Banditen einen Bankraub versuchen – und wenn, so wird der große Black Jim Jones sie gewiss totschießen. Zählen wir!« Er gibt seinen beiden Angestellten ein Zeichen. Steve Moses und Ken Kendall kommen nun durch die offene Schranke aus dem Kassenraum in den Kundenraum. Sie gehen halb um Jim Jones herum, betrachten ihn immer noch scharf dabei und verlassen die Bank wortlos. Jim Jones folgt ihnen bis zur Tür, und er blickt ihnen nach und sieht, wie sie im Gentlemen Saloon verschwinden. Er blickt über die Schulter in den Kassenraum zurück und sieht, dass das Geldzählen im vollen Gange ist. Jennifer O’Rourke achtet aufmerksam darauf, dass richtig gezählt wird. Wo mag Adam sein? Diese Frage stellt Jim sich nun immer drängender. Er verspürt eine tiefe Unruhe in sich, und er wird froh sein, wenn Jennifer seinen Schutz nicht mehr benötigt, wenn das Geld gezählt und verbucht und quittiert sein wird. Wo mag Adam jetzt sein? Noch im Mietstall – oder beim Frühstück? Oder …
« Als Steve Moses und Ken Kendall über die Fahrbahn gehen, murmelt Moses bitter: »Jetzt weißt du genau, Ken, warum meine Leute nicht mit ihm fertig werden konnten. Er ist Black Jim Jones. Meine zwei Schläger konnten ihn nicht verprügeln. Und deine Revolverschwinger konnten dem Sheriff nicht das Geld abnehmen, weil er den Sheriff beschützte. Jesse, den er schlimm verwundet hat, schickte Nachricht. Na gut, wir haben dieses Spiel verloren. Ist dir das klar? Auf diese Weise bekommen wir die wichtigen Wasserstellen und das Weideland nicht. Aber wir müssen es bekommen. Wir haben zwanzigtausend Rinder gekauft, die schon unterwegs sind. Wir müssen uns etwas einfallen lassen.« Ken Kendall sagt zu diesen Worten nichts. Schweigsam folgt er Steve Moses in den Saloon. Dieser ist leer bis auf einen einzigen Gast in der Ecke neben der Treppe nach oben. Es scheint ein junger, rotköpfiger, abgerissener Cowboy zu sein. Moses und Kendall erkennen Adam Jones nicht wieder. Fast fünf Jahre verändern einen Jungen sehr. Und Adam Jones sieht älter aus als er ist.
Der Barmann sagt zu Moses: »Boss, da sitzt einer, der kein Geld bei sich hat. Ich wollte ihn feuern, doch er sagte, dass Sie ihm schon bezahlen würden, was er braucht.« Moses und Kendali wenden sich um, und sie beide wirken irgendwie alarmiert. Nachdem sie an diesem Morgen schon so böse überrascht wurden, sind sie nun misstrauisch. Sie treten zu Adam an den Tisch. Der grinst sie an und sagt: »Ihr kennt mich sicherlich nicht mehr wieder. Doch ihr solltet mich kennen. Denn schließlich habe ich eine ganze Menge für euch getan, nicht wahr? Muss ich euch noch mehr sagen?« Er verstummt wie ein Mann, der glaubt, ihm wäre eine Überraschung geglückt und er hätte alle Trümpfe in der Hand. Moses und Kendall tauschen einen Blick aus. Dann sagt Kendall: »Ich glaube, wir gehen hinauf in dein Büro, Steve. Dieser Bursche da hat uns offenbar etwas zu sagen. Und wir wollen ihm ungestört zuhören, nicht wahr, Steve?« Steve Moses nickt. Er wendet sich um und geht die Treppe hinauf. Zum Barmann sagt er: »Wir möchten nicht gestört werden.« Adam Jones folgt ihm. Und den Schluss macht Ken Kendall, dessen kantiges, dunkles Gesicht nun besonders starr wirkt. Kendalls Augen sind klein und liegen tief unter vorspringenden Brauen verborgen. Er
schiebt auf eine grimmige Art das breite Kinn vor. Und er trägt eine Bullpeitsche in der Rechten. So gehen sie hinauf und verschwinden in Steve Moses’ Büro, in dem nicht selten Zusammenkünfte besonderer Art stattfinden. Steve Moses setzt sich hinter seinen Schreibtisch und zündet sich eine Zigarre an. Adam Jones greift ebenfalls unaufgefordert in die Kiste und bedient sich. Er setzt sich in den bequemsten Sessel und widmet seine Aufmerksamkeit scheinbar ganz dem Anzünden seiner Zigarre. Nachdem er die Spitze abgebissen und einfach auf den Boden gespuckt hat, riecht er an der Zigarre und sagt: »Das habe ich all die Jahre nicht bekommen, und ich war jung und wollte was vom Leben haben. Ich war ein hungriger junger Wolf und wollte rohes Fleisch, aber ich bekam nur in einem Käfig schäbige Reste. Habt ihr schon einmal als Sträfling in den Steinbrüchen gearbeitet? Man muss zwölf Stunden am Tage einen Fünfzehn-Pfund-Hammer schwingen. Und die Aufseher …« »Junge, warum redest du so viel unnötiges Zeug?« Dies fragt Steve Moses kalt. Adam zuckt leicht zusammen, und sein hageres Gesicht verzerrt sich vor wildem Zorn. »Ich habe euch nicht verraten«, sagt er. »Obwohl man mir schlimm zugesetzt hat, verriet ich meine Partner nicht, die mit achtzigtausend
Dollar Beute entkommen konnten. Ich dachte immer an meinen Anteil. Den wollte ich nicht verlieren. Ich wusste ja, dass ihr die Beute nicht verprassen, sondern als Anfangskapital für große Geschäfte verwenden wolltet. Das waren eure Pläne. Darüber spracht ihr immer. Oh, ich zweifelte nicht einen Moment daran, dass ihr mit achtzigtausend Dollar eine ganze Menge auf die Beine bringen würdet. Und das habt ihr ja auch. Und ich bin immer noch euer Partner. Ihr wart in Freiheit und bautet das Geschäft auf. Gut! Ich war im Gefängnis und hielt durch. Auch gut, nicht wahr? Und nun bin ich wieder bei euch und euer Partner. Wenn ihr mich hier nicht haben wollt, so zahlt mich aus. Mein Zwanzigtausend-DollarAnteil hätte gewiss zehn Prozent Zinsen bringen können. Das sind in vier Jahren achttausend Dollar. Dazu kommen für jedes Jahr Gefängnis noch dreitausend Dollar. Macht zusammen zwanzigtausend Dollar. Ich bekomme also zusammen vierzigtausend. Habt ihr mich verstanden?« Er pafft nun an seiner Zigarre, und er macht einen sehr selbstsicheren und zufriedenen Eindruck. Steve Moses und Ken Kendall tauschen wieder einen Blick aus. Ken Kendall hat nicht in einem der Sessel Platz genommen. Er steht nur zwei Schritte von Adam Jones entfernt beim Fenster. Jetzt setzt er sich leicht auf die Fensterbank.
Steve Moses aber sagt: »Ken, kennst du ihn oder kannst du etwas begreifen von dem, was er redet?« Ken Kendall schüttelt den Kopf. »Er scheint in einer Strafanstalt gewesen zu sein«, murmelt er. »Dort werden nicht wenige Jungen verrückt. Sie bilden sich irgendwelche Dinge ein, denken immerzu daran und glauben schließlich, es wäre wahr.« Er macht eine Pause und betrachtet Adam fest. »Rotkopf«, sagt er, »wir kennen dich nicht, und wir haben dich nie gekannt und auch nicht von dir gehört. Du bist hier nicht richtig, verstehst du? Hier!« Er griff in die Westentasche, holte einen Dollar heraus und wirft ihn Adam zu. Dieser ist so überrascht, dass er die Münze instinktiv auffängt. Dann betrachtet er sie verblüfft. Seine Stimme klingt tonlos, als er flüstert: »Einen Dollar? Einen einzigen Dollar werft ihr mir zu? Und ihr wollt behaupten, ihr hättet mich nie gekannt? Und ich soll in der Strafanstalt verrückt geworden sein? Aaah …« Nun verschlägt es ihm die Stimme. Dann wirft er den Dollar zu Boden und springt auf. Während des Aufspringens zieht er den Revolver. Bei seiner Entlassung bekam er etwas Geld. Er kaufte sich davon ein Pferd und den Revolver sowie etwas Proviant.
Er ist nicht schnell genug. Wenn er schon gestanden und nicht im Sessel gesessen hätte, würde er es geschafft haben. Doch so verliert er eine kostbare Sekunde. Doch bevor er den Revolver heraus hat, ist Ken Kendall bei ihm und trifft ihn mit einem Schwinger auf Kinnwinkel und Ohr. Dieser Schwinger fegt Adam Jones von den Beinen, und er kracht gegen die vier Schritte entfernte Wand zu seiner Rechten. Den Revolver verlor er. Obwohl er schon halb betäubt ist, wirft er sich herum, um den Revolver greifen zu können. Doch wieder ist Ken Kendall schneller und stampft ihm den Absatz auf die nach dem Revolver greifende Hand. Adam Jones knurrt wie ein Wolf – ja, es hört sich so an. Dann wirft er sich gegen Kendalls Beine. Oh, er hat als Sträfling mit vielen harten Burschen kämpfen gelernt. Doch er ist Ken Kendall nicht gewachsen. Dieser gedrungene Mann ist unheimlich schnell und voll geballter Kraft. Schon die Art, wie sein Schwinger den hundertachtzig Pfund schweren Adam Jones von den Beinen fegt, ist ein deutliches Zeichen. Ken Kendall ist fast einen Kopf kleiner als Adam Jones, doch bestimmt zweihundert Pfund schwer. Er ist ein Mann aus starken Knochen und gewaltigen Muskeln.
Als Adam Jones sich gegen seine Beine wirft, springt er in die Höhe und landet dann auf ihm. Er kennt keine Gnade, ist grausam und gemein. Es gelingt Adam Jones dann hochzukommen. Doch es erweist sich, dass Ken Kendall dies nur deshalb gestattete, damit er sich nicht bücken muss und aufrecht kämpfen kann. Er blockiert Adams wilde Schläge so leicht und mühelos, dass es aussieht, als hätten sie das einstudiert und führten eine Schaunummer vor. Doch es ist keine Schaunummer. Ken Kendall besitzt die Gabe, Adams Schläge erahnen, berechnen und instinktiv kommen zu sehen, sodass er sie abblocken kann. Dann trifft er Adam über der Gürtelschnalle. Oh, es ist schlimm für Adam. Und dann bekommt er es richtig. Diese Schläge sind mehr, als er vertragen kann. Noch nie wurde er von einem Mann so getroffen. Bevor er die Besinnung verliert, denkt er mühsam: Er schlägt mich tot – oh, er schlägt mich in Stücke, dieser … Es dauert dann ziemlich lange, bis er wieder bei Verstand ist und sich erinnern kann, was ihm geschah. Es dauert noch länger, bis er sich aufsetzen kann. Steve Moses sitzt immer noch hinter dem Schreibtisch. Und Ken Kendall steht wieder beim Fenster. Er setzt sich nun auf die Fensterbank. Es ist wieder so wie am Anfang, nur dass Adam Jones
inzwischen eine bittere und schmerzvolle Lektion erhielt. »Oh, ihr Schufte«, ächzt er. »Junge, wenn du jetzt immer noch nicht klug geworden bist, dann muss ich dich noch schlimmer prügeln«, murmelt Ken Kendall langsam. Er wirkt ganz ruhig und beherrscht, und Adam Jones spürt plötzlich Furcht. Es gab in der Strafanstalt einen Wächter, den fürchtete er ebenso. »Ihr wollt mich also um meinen redlichen Anteil betrügen?« So fragt er, und weil er am ganzen Körper Schmerzen spürt und die Furcht vor neuer Prügel in ihm ist, klingt seine Stimme richtig kläglich. »Wir kennen dich nicht«, sagt Steve Moses sanft. »Wir haben dich nie gekannt. Wir waren niemals Partner. Und weil das alles so ist, können wir dir auch keinen Anteil geben. Wenn wir dies täten, würden wir zugeben, einmal wirklich deine Partner gewesen zu sein. Du Narr, wie konntest du glauben …« »Rede nicht zu viel mit ihm, Steve«, mischt sich Kendall ruhig ein. Dann schweigen sie alle drei. Sogar Adam Jones denkt nach, obwohl es ihm wahrhaftig nicht leicht fällt. Aber er begreift, dass er ein Dummkopf war. Diese drei Männer sind drei Banditen, denen man einen Achtzigtausend-Dollar-Raub nicht
nachweisen konnte. Nur er, Adam Jones, könnte schwören, dass sie seine Partner waren. Und das ist nicht genug. Denn sie haben gewiss für erstklassige Alibis gesorgt. Wenn sie ihn jedoch als Partner aufnehmen oder ihm gar einen Anteil geben würden, nun, damit würden sie zugeben, dass sie damals doch seine Partner waren – und nicht nur die Partner, sondern die Männer, denen er damals als Halbwüchsiger half. Adam erkennt, was für ein Narr er war. Aber er versucht es noch einmal. Er sagt: »Ich verstehe, dass ihr eine Art Schuldbekenntnis ablegt, wenn ihr mich anerkennt und bezahlt. Doch ihr könnt beruhigt sein. Mir ist niemand gefolgt. Ich werde nicht von Gesetzesleuten beobachtet. Nein, ich …« »Du hast nur deinen großen Bruder mitgebracht, du Narr«, sagt Steve Moses kalt. »Und dein großer Bruder hat uns schon eine Menge Schaden zugefügt. Raus jetzt mit dir! Und wenn du dich morgen noch in einem Umkreis von fünfzig Meilen blicken lässt, so bist du ein toter Mann! Hast du das verstanden? Du bist tot, wenn du nicht verschwindest!« Er spricht die letzten Worte mit so viel Nachdruck, dass Adam wieder die heiße Furcht spürt, die schon Ken Kendall ihm einjagte. Damals als Junge hat er es nicht so gespürt, oder erkannt, wie hart diese Männer sind. Sie
gaben sich ihm gegenüber auch gönnerhaft und ganz so wie große Brüder. Und dafür war er auch zuverlässig. Er hat ihnen die besten Pferde verschafft, die es im Umkreis von hundert Meilen gab. Er war auf einer Pferderanch beschäftigt. Ihn hatten sie nötig gebraucht. Oh, was war er für ein Narr! Er erhebt sich langsam. »Nimm deinen Revolver mit – und den Dollar«, sagt Ken Kendall. Adam zögert. Er starrt auf die Waffe. Sie liegt halb unter einem Schrank in der Ecke. Er geht hin und bückt sich langsam, denn er spürt große Schmerzen dabei. Als er die Waffe in der Hand hält, überkommt ihn der heiße Hass. Er wirbelt herum und richtet die Waffe auf die beiden Männer. »Jetzt habe ich euch! Und ich werde euch totschießen, ihr Schufte, wenn ihr nicht …« »Schieß doch, mein Junge«, sagt Ken Kendall kalt. Da weiß er, dass sie die Waffe entladen haben. Er drückt einige Male ab, doch es fällt kein Schuss. Sie haben ihm leere Hülsen in die Trommel getan. »Wenn dich jemand auf der Straße herausgefordert hätte, würdest du zum Colt gegriffen haben und wärest jetzt tot«, sagt Kendall. »Du bist immer noch ein Dummkopf,
Junge. Nun nimm endlich deinen Dollar und verschwinde!« Adam Jones zittert am ganzen Körper. Dass er so dumm war zu glauben, der Revolver wäre noch geladen, nimmt ihm das letzte Selbstvertrauen. Er fühlt sich plötzlich als kleiner Wicht. Und er gehorcht. Er holt sich den Dollar, und er muss sich dabei dicht vor Ken Kendall bücken. Er könnte Kendalls Stiefel berühren, und plötzlich spürt er Furcht, Kendall könnte verlangen, er solle ihm die Stiefel ablecken. Er fühlt, dass er es tun würde. Sie haben mich in der Strafanstalt zerbrochen, denkt er. Und wenn ich auf harte Burschen stoße, dann verspüre ich Furcht wie vor den gemeinen Aufsehern. Ich bin eine Null. Er nimmt den Dollar und stolpert wortlos hinaus. Steve Moses und Ken Kendall blicken auf die Tür, die sich hinter ihm geschlossen hat. »Er ist ein Wicht«, murmelt Steve Moses. »Doch wie passt Black Jim Jones hierher? Ich erinnere mich, dass der Junge damals schon von seinem großen Bruder sprach, der im Krieg wäre. Es muss Black Jim Jones sein. Es gibt keine Zufälle. Zwei Jones tauchen hier auf. Der eine hilft dem Sheriff und der Rancher-Vereinigung, und der Kleine kommt zu uns und will uns erpressen. Wie passt das zusammen?«
»Das wird sich finden«, murmelt Ken Kendall. »Wir werden die beiden Burschen schon los. Black Jim Jones hat genug Feinde. Die hat ein berühmter Revolverkämpfer immer. Vielleicht kennt ihn jemand aus meiner Mannschaft von früher. Wir werden uns einige erstklassige Revolverhelden kommen lassen. Aber wir dürfen nicht mit ihnen in Verbindung gebracht werden können. Wir müssen sie durch einen Mittelsmann anwerben und bezahlen. Ach, wir müssen erst einmal mit Al Kilman beraten. Es wäre alles nicht so schlimm, wenn wir nicht schon drei große Rinderherden von zusammen fünfzehntausend Rindern unterwegs hätten, für die wir Weideland benötigen. Wir waren zu sicher, dass die Rancher nicht zahlen können und die Bank ihren Besitz übernehmen wird. Jetzt wird es ziemlich rau werden, denke ich.«
5 Als Adam Jones auf die Straße kommt, erblickt er Jim, der sich vor dem Haus neben dem Sheriff’s Office von einem Mädchen verabschiedet, bei dessen Anblick sich Adam Jones wieder daran erinnert, was alles er doch in all den Jahren versäumte und nicht haben konnte. Oh, wenn ich ein Bursche wie Jim wäre! So denkt er neidvoll. Mit meinem Bruder Jim hätte man nicht so umspringen können wie mit mir. Der hätte … Er unterbricht seine bitteren und neidvollen Gedanken, und er verspürt mit einem Mal ein Gefühl der bösen Freude. Wenn ich es geschickt anstelle, denkt er, werden sie mit meinem großen Bruder Jim zu tun bekommen. Ich brauche dann nur zuzusehen. Da Jim mir gefolgt ist – wahrscheinlich um mich zu beschützen oder auf den rechten Weg zu führen –, soll er auch was für mich tun. Nun gut! Er wartet, bis Jim sich verabschiedet hat, sich umwendet und ihn erblickt. Er lehnt mit einer Schulter an der Wand des Saloons, als Jim zu ihm kommt und ihn betrachtet. »Na?« So fragt Jim. »Hast du jetzt genug? Sie haben natürlich abgestritten, dich zu kennen. Es sieht sogar so aus, als hättest du Prügel bekommen. Willst du jetzt mit mir heimkommen
zu unserer Pferderanch? Sie gehört dir genau so wie mir. Also komm! Lassen wir das alles hinter uns! Fang ganz von vorn an, Adam! Ich bin dein Bruder, und zusammen werden wir es schon …« »Nein«, unterbricht ihn Adam eigensinnig, »so schnell gebe ich nicht auf. Gewiss, sie haben mich rausgeworfen, und sie haben abgestritten, mich jemals gekannt zu haben. Sie haben mir sogar gedroht, dass ich ein toter Mann bin, wenn ich nicht aus dem Land verschwinde. Doch ich werde den Kampf aufnehmen. Ich setze mich zur Wehr. Ich kann kämpfen. Oh, sie wollen mich betrügen! Das werden sie bedauern. Denn …« Er tritt ganz dicht an den Bruder heran. »Ich weiß etwas«, flüstert er. »Damals haben sie immerzu Pläne gemacht, was sie mit dem Geld beginnen würden. Sie haben sich aber auch gegenseitig abgesichert. Jedenfalls besprachen sie damals, dass sie es tun würden, bevor sie das große Geschäft begannen.« Er rückt nun noch näher an Jim und flüstert: »Jeder von ihnen hat das schriftliche Schuldbekenntnis der beiden anderen. Man müsste diese Geständnisse nur in die Hand bekommen, dann …« Er verstummt, grinst und tritt zurück. »Möchtest du mir nicht helfen, Jim? Ich würde mit dir teilen.«
Jim betrachtet ihn traurig, und es ist auch eine Menge Bitterkeit dabei. Fast möchte er Mitleid mit ihm haben. Du lieber Himmel, denkt er, wie kommen wir hier heil heraus? Wie soll ich es machen, dass er aufgibt und mit mir kommt? Muss ich diese drei Männer, die sich damals von ihm helfen ließen, erst vernichten, damit er zur Ruhe kommt? »Adam«, murmelt er, »muss ich dich mit Gewalt von hier fortschaffen? Muss ich dich niederschlagen und auf deinem Pferd festbinden?« In Adams Augen ist ein fiebriges Flackern. Sein hageres Gesicht zuckt an vielen Stellen, und sein Mund wird schmal, verzerrt sich. »Bruder«, sagt er heiser, »ich bin alt genug. Wenn du die Hand gegen mich erheben würdest, würde ich gegen dich kämpfen wie gegen einen Fremden. Versuch nur nicht, mich zu etwas zu zwingen. Ich würde dich hassen, so wie ich die Wärter der Strafanstalt hasste, die mich auch immer wieder zu Dingen zwangen, die ich nicht tun wollte. Warum bist du mir überhaupt gefolgt, wenn du mir nicht beistehen willst wie einem Bruder?« Er wendet sich plötzlich ab und geht mit langen Schritten davon. Jim macht den Ansatz zu einer Bewegung, um ihn am Arm oder an der Schulter festzuhalten, doch er lässt es.
Er blickt Adam bewegungslos nach. Adam verschwindet bald darauf im großen Topstore. Jim wendet sich um. Sein Blick schweift in die Runde. Er erkennt da und dort Menschen, die ihn und Adam beobachten. Es hat sich in der kleinen Stadt längst herumgesprochen, dass es eine besondere Bewandtnis mit ihm haben muss. Er brachte das Geld der Rancher-Vereinigung. Das allein schon macht ihn zu einer besonderen Figur in dieser Stadt. Man wird auf ihn achten. Langsam setzt er sich in Bewegung und begibt sich zum Mietstall. Der Nachtmann ist fort. Ein blondbärtiger, hagerer und nicht sehr großer Mann sitzt auf einer der Futterkisten im Vorraum und näht an einem aufgeplatzten Sattelgurt. Er betrachtet Jim scharf, und dann weiten sich seine Augen plötzlich, denn Jim hat sich etwas zur Seite bewegt, sodass das hereinfallende Tageslicht sein Gesicht beleuchtet. »Nun«, sagt er, »so trifft man sich wieder, Riv McLane, nicht wahr?« Der blondbärtige Mann nickt leicht. »Ich erkannte dein Pferd sofort, als ich heute Morgen meinen Nachtmann ablöste. Dies ist das Pferd, das uns damals mehr als hundert Meilen mitten durch die feindlichen Linien trug. Und mein zerschossenes Bein wurde von einem Doc behandelt. Es blieb danach wohl ziemlich steif,
doch es brauchte nicht abgenommen zu werden. Jim, ich verdanke dir eine ganze Menge. Der Stümper von Arzt im Gefangenenlager wollte mir das Bein abnehmen. Doch als wir hörten, dass unsere Truppen nicht mehr sehr weit wären, brachst du aus und brachtest mich zu einem richtigen Arzt, der sein Handwerk verstand. Ich wollte damals einige Male aufgeben, doch du, Jim, kennst dieses Wort wohl nicht. Du gibst nie auf.« »Vergiss das alles, Riv«, murmelt Jim und setzt sich zu ihm auf die Futterkiste. »Erzähl mir lieber etwas über diese Stadt, über das Land und über Moses, Kilman und Kendall.« Riv McLane, ein Mann aus Texas, der hier den Mietstall und einen Pferdehandel betreibt, hockt noch eine Weile wie nachdenklich da. »Haben die Rancher dich angeworben?« So fragt er dann schlicht. »Du hast das Geld gebracht, das der Sheriff bringen wollte. Sollst du das Gegengewicht für Ken Kendalls Revolverhelden sein, mit deren Hilfe er die Weide erobert und alle kleineren Nachbarn zum Teufel jagt?« Jim Jones gibt nicht sogleich eine Antwort. Erst blickt er den langen Stallgang hinunter. »Es ist niemand im Stall«, murmelt McLane. »Wir sind ganz allein, und ich bin dir zumindest ein Bein schuldig. Also sprich, wenn du Hilfe brauchst. Ich kann es darauf ankommen lassen,
denn die Bank will meinen Mietstall. Die Bank will alles. Die Bank möchte die ganze Stadt kontrollieren. Dazu ist auch der Besitz des Mietstalles nötig. Bist du hier, um Moses, Kilman und Kendall ans Leder zu gehen? Jim, ich kenne deinen Ruf. Ich weiß, dass du früher solche Aufgaben übernommen und erledigt hast.« Jim bewegt leicht die Schultern. »Ja, ich werde wohl mit diesen drei erfolgreichen Gentlemen früher oder später zusammengeraten«, sagt er. »Mein kleiner Bruder hat sich nämlich mit ihnen angelegt. Sie haben ihn übel zurechtgestutzt, und nun fordert er sie heraus, weil er weiß, dass ich nicht dulden werde, wenn sie noch rauer auf ihn losgehen. Auf diese Weise will er sich an ihnen rächen.« Riv McLane nickt nachdenklich, als er dies hört. »Und du kannst deinen Bruder nicht von hier fortbringen?« So fragt er. Jim schüttelt den Kopf. »Adam würde mir bei der nächsten Gelegenheit wieder weglaufen. Nein, es hätte wenig Sinn. Ich muss die Sache mit ihm hier hinter mich bringen, und es steht eins zu eins, dass er dabei zum Teufel geht. Erzähle mir alles über diese Stadt und dieses Land hier, Riv.« Dieser nickt und beginnt: »Es ist ganz einfach zu berichten. Waterwale war eine kleine Stadt, und es gab ein halbes Dutzend kleine Ranches und einige Silberminen in der Umgebung. Die
Stadt lebte hauptsächlich vom Durchgangsverkehr der Wagenzüge und Postkutschen. Das änderte sich, als Moses, Kilman und Kendall kamen. Man wusste bald, dass sie in Flagstaff von einem reichen Minenbesitzer achtzigtausend Dollar beim Poker gewonnen hatten. Mit diesem Geld kamen sie her. Steve Moses kaufte den Gentlemen Saloon und das SilverStar-Hotel. Al Kilman kaufte den Topstore und eröffnete später ein Bankgeschäft. Ken Kendall aber kaufte sich einige wichtige Wasserstellen, ließ Rinder aus Texas kommen und baute eine Ranch auf. So fingen sie an, und sie machten lange Schritte und waren rau und rücksichtslos. Sie drängten jede Konkurrenz aus dem Spiel und bilden nun eine Art Syndikat. Kilman und Moses beherrschen diese Stadt. Seit einiger Zeit stecken sie ihr ganzes Geld in Rinderherden. Sie spekulieren mit Rindern. Sie kaufen sie billig in Texas oder Mexiko. Die Rinder aus Mexiko sind wahrscheinlich gestohlen. Sie besitzen jetzt schon mehr als fünfzehntausend Rinder. Man spricht davon, dass weitere Herden unterwegs sind. Das Land hier ist überall freie Regierungsweide. Nur die Wasserstellen und Flussläufe sind eingetragener Besitz. Ken Kendalls Stil ist recht einfach. Er besetzt ohne Rücksicht auf eigene Verluste die Weiden mit Rindern. Diese Herden ziehen grasend umher. Sie beachten keine
Grenzen, und weil das so ist, fressen sie auch die Weiden der kleineren Rancher kahl. Wenn sie weiterziehen, finden die Rinder der Rancher kein Futter mehr. Oder aber die Rinder der verschiedensten Brandzeichen haben sich vermengt. Und die Rancher können nicht viel dagegen tun, denn Ken Kendall hat vier Dutzend Revolverschwinger in den Sätteln, die mit den Revolvern noch besser umgehen können als mit Lassos. Er vertröstet die Rancher damit, dass beim Round-up die Rinder wieder aussortiert werden, doch bisher fand noch kein Round-up statt. Die Bank aber hat am Anfang den kleinen Ranchers Kredite gegeben. Diese Schuld war heute fällig. Da du das Geld noch rechtzeitig brachtest, sind die Rancher für eine Weile gerettet. Du aber hast dir Feinde gemacht.« Jim Jones nickt, als er dies alles gehört hat. »Und der Sheriff?« Er fragt es sanft. Riv McLane hebt die Schultern. »Tom O’Rourke ist ein guter Mann«, sagt er. »Tom tut, was er kann. Eines Tages wird ihn einer der Revolverhelden abschießen, das ist sicher. Sie fordern ihn immer wieder heraus. Sie machen ihn nervlich fertig. Er kann es nicht mehr lange durchhalten. Wenn er ausgeschaltet ist, wird man einen neuen Sheriff wählen. Damals, als er gewählt wurde, gab es noch genügend Stimmen für einen Mann von seiner Sorte. Das ist jetzt anders geworden. Bei einer neuen Wahl werden
Moses, Kilman und Kendall ihren Mann durchbringen. Der Sheriff wird dann ihr Sheriff sein. Manchmal wollte ich hier schon aufgeben, verkaufen und in eine andere Stadt gehen. Aber Kilman bietet mir nur tausend Dollar für den Mietstall und was sonst noch dazugehört. Aber allein schon das unbebaute Grundstück wäre diesen Preis wert. Zu diesem großen Stall gehören einige erstklassige Corrals, zwei gute Brunnen, eine Scheune und zwei Heuwiesen hinter der Stadt. Wenn ich eine Chance erkennen könnte, würde ich kämpfen. Du siehst, ich habe zwei Gründe, um dir beizustehen, solltest du auf die drei Burschen losgehen.« Jim nickt. »Beschreib mir das Land«, sagt er. »Ich will in den nächsten Tagen viel herumreiten und mich umsehen. Dann …« »Ich kann dir eine selbstgezeichnete Karte geben«, unterbricht ihn Riv McLane. « Eine halbe Stunde später reitet Jim auf seinem grauen Wallach langsam aus der Stadt. Viele Blicke folgen ihm. Auf diesem großen, hageren, narbigen grauen Wallach, den man sofort als Kriegspferd erkennt, wirkt Black Jim Jones noch beachtlicher. Es geht etwas Entschiedenes und Unaufhaltsames von ihm aus, und man ahnt, dass er unerschütterlich seinen Weg reiten kann.
Langsam reitet er aus der Stadt. Und eine Viertelmeile weiter hört er zwischen einigen großen Felsen, die neben der Straße wie eine versteinerte Elefantenherde anmuten, die rasch aufeinander folgenden Detonationen eines Revolvers. Er hält an und zögert. Doch dann reitet er von der Straße und um einen der Felsen herum. Der Revolver kracht schon wieder. Es ist sein Bruder Adam, der hier das Schießen übt. Adam hat den Dollar, den er zum Hohn bekam, offensichtlich in Munition angelegt. Auf einen zwanzig Schritte entfernten, lang gestreckten Felsen hat er einige faustgroße Steine gelegt. Diese versucht er zu treffen. Während des Schießens verändert er ständig seine Haltung. Und er schießt nicht schlecht. Obwohl er keinen dieser nur faustgroßen Steine trifft, schlagen seine Kugeln jeweils dicht in der Nähe gegen den lang gestreckten Felsen. Als der Revolver leer ist, wendet er sich um und erkennt den großen Bruder im Sattel. Er lädt den Revolver neu und sagt dabei: »Ich hatte nicht genug Gelegenheit zu solchen Übungen, aber es liegt uns Jones im Blut, dass wir gut mit dem Revolver umgehen können. Ich habe nur nicht genügend Munition. Gib mir Geld, Bruder!« Er fordert es ziemlich frech.
Jim zögert. Er möchte absteigen und Adam verprügeln. Doch er könnte wahrscheinlich nichts Falscheres tun. Und wenn er ihm jetzt kein Geld gibt, so wird sich Adam gewiss welches auf die schnelle und leichte Art besorgen. Er wird vielleicht zum Banditen werden. Ob Adam verloren ist? Ob es ihm, Jim, nicht möglich sein wird, den Bruder von diesem Weg zur Hölle abzubringen? Einen Moment verspürt er eine bittere Mutlosigkeit. Er ist für einen Augenblick fast dazu entschlossen, den Bruder aufzugeben und Heim zu reiten. Aber dann greift er in die Tasche und holt einige Geldstücke hervor. Er betrachtet sie, zählt sie und stellt fest, dass es dreiundzwanzig Dollar sind. Er reicht sie Adam hinunter, und der kommt schnell und nimmt sie. »Wenigstens wirfst du sie mir nicht in den Staub vor die Füße«, sagt Adam. Er zählt das Geld. »Viel ist es nicht«, sagt er. »Wenn du mir helfen würdest, könnten wir schnell an vierzigtausend Dollar kommen. Warum willst du mir nicht helfen?« Jim schüttelt den Kopf. »Bruder«, sagt er, »ich habe erkannt, dass jedes Wort vergeblich ist. Du wirst erst eine
bittere Lektion schlucken müssen, bevor du zur Vernunft kommst und begreifst, dass man so nicht neu beginnen kann. Ich werde noch eine Weile bleiben und zusehen, wie du dich zum Narren machst. Ich gebe dir noch eine Weile Zeit, um zur Vernunft kommen zu können. Doch wenn ich dich eines Tages aufgebe, dann wird es deine Schuld sein.« Er zieht seinen grauen Wallach herum und reitet davon. Adam aber lud indes die Waffe wieder auf und beginnt zu schießen. Diesmal trifft er zweimal einen der faustgroßen Steine. Er macht wirklich schnelle Fortschritte. Er ist offensichtlich begabt fürs schnelle Schießen. Er lernt in Minuten, was ein anderer Mann in Monaten nicht lernen würde. Er besitzt das richtige Augenmaß, Instinkt und geschickte, schnelle Hände. Jim hört das Krachen der Schüsse. Du lieber Himmel, denkt er, wie wird das enden? Was soll ich denn mit Adam tun? Brächte ich ihn mit Gewalt von hier fort, so müsste ich ihn einsperren. Oh, er wird nur durch eine bittere Lektion geheilt werden können. Er ist krank. Sein Denken und all seine Maßstäbe sind so sehr verzerrt, dass er so gut wie krank ist. «
Jim reitet bis zum Abend in der Umgebung der Stadt herum. Am Nachmittag reitet er auf eine kleine Ranch. Zwei blonde Kinder, ein Bub und ein Mädchen, spielen im Hof. Eine blonde Frau wäscht beim Brunnen die Wäsche der Familie. Und ein alter Mann ist dabei, einen mit Heu gefüllten Wagen abzuladen. Als Jim heranreitet, verharren sie alle und blicken ihn starr an. Er wird sich darüber klar, dass sie misstrauisch, ja fast furchtsam sind. Er hält beim Brunnen an und zieht vor der Frau den Hut. »Darf ich mein Pferd tränken?« So fragt er ruhig. Der alte Mann kommt von der Scheune herüber. Er trägt die Heugabel in den Händen. Er blickt auf das Brandzeichen von Jims Wallach. Dann nickt er und sagt: »Steigen Sie ab und tränken Sie Ihr Pferd.« Jim tut es, und er blickt sich dann um, indes er neben dem Pferd beim Tränktrog steht und sich eine Zigarette dreht. »Hier wohnt die Familie Peters, nicht wahr?« So fragt er ruhig, denn er weiß dies aus Riv McLanes Karte. Die blonde Frau hinter dem Waschzuber nickt. »Was wollen Sie?«, fragt der alte Mann. »Kommen Sie von der KK Ranch? Sie kommen doch nicht nur her, um Ihr Pferd zu tränken?«
»Nein«, sagt Jim. »Ich möchte das Land und alle Leute kennen lernen. Ich bin Jim Jones. Ich brachte das Geld nach Waterwale.« Als er dies gesagt hat, kommen die Frau und der alte Mann zu ihm. Sie drücken ihm die Hand, und die Frau sagt lächelnd: »Mister Jones, ich möchte Sie bitten, unser Gast zu sein. Darf ich Ihnen etwas anbieten? Wir haben noch eine Menge Kuchen und …« Er schüttelt lächelnd den Kopf. »Ich komme gewiss in den nächsten Tagen noch einmal«, sagt er. »Dann richte ich es so ein, dass ich zum Mittagessen oder Abendbrot komme, ja? Dies ist Ihr Schwiegervater? Ihr Mann und Ihr Schwager werden erst in einigen Tagen heimkehren mit den anderen Nachbarn und deren Reitern, die die Herde nach Colorado gebracht haben?« Sie nicken beide eifrig. »Es ging alles gut«, sagt der Alte dann und betrachtet ihn falkenäugig. »Der Sheriff und Sie haben uns gerettet. Auf dieser Ranch haben Sie dankbare Freunde, Jim Jones.« Er wendet sich an die beiden Kinder, die mit großen Augen dabeistehen. »Sue! Frank! Gebt Mister Jones die Hand! Er ist unser Freund! Merkt euch sein Gesicht.« Das Mädchen ist sechs und der Junge etwa sieben oder acht Jahre. Sie kommen etwas zögernd und blicken Jim aus nächster Nähe forschend an. Da er so dunkel und indianerhaft
wirkt, spürten sie vielleicht am Anfang etwas Furcht. Doch als sie nun in seine Augen sehen und er ihnen zulächelt, da werden sie mit einem Mal sehr zutraulich. Der Junge sagt: »Sie haben aber ein großes Pferd, Jim Jones! Darf ich mal darauf sitzen?« »Ich auch – und meine Puppe auch!« Dies verlangt die kleine Sue sofort energisch. Jim hebt sie beide hinauf. Sie haben in seinem Sattel Platz. Pete wendet den Kopf, betrachtet die beiden kleinen Kerlchen und schnaubt seltsam sanft. Jim führt ihn im Hof herum. Dann hebt er die Kinder herunter, sitzt auf und reitet mit einem kurzen Gruß davon. Die Kinder winken ihm nach. Und der alte Mann sagt zu der blonden Frau: »Der gehört zu jener seltenen Sorte. Hast du gesehen, wie ihn deine Kinder sofort mochten? Kinder sind wie Hunde. Sie spüren instinktiv, ob einer gut oder schlecht ist. Dieser da gehört zu jener Sorte.« »Zu welcher Sorte, Pop?« So fragt die Frau nachdenklich. Der Alte kratzt sich im weißen Haar. »Ich traf zwei oder dreimal solch einen Mann«, murmelt er, »oder vielmehr, ich konnte ihn beobachten und seine Arbeit verrichten sehen. Das ist die Sorte, die einsam durch diese Welt
reitet. Und überall dort, wo Unrecht geschieht, dort kann sie einfach nicht vorbeireiten. Sie muss anhalten und kämpfen. Diese Sorte kann nicht anders. Es ist irgendwie ihr Schicksal. Sie sind dazu befähigt, zerstören zu können, und ihr Gerechtigkeitssinn und ihr redliches Verantwortungsgefühl zwingen sie immer dazu, die Gutgearteten vor den Bösen zu schützen. Manchmal tragen sie einen Stern – aber oft auch nicht. Sie sind die letzten Ritter unserer Zeit. Und der da gehört dazu.«
6 Adam Jones kommt am späten Mittag in die Stadt zurück. Er kauft sich im Store sofort neue Munition, geht dann zum Mittagessen und lässt am Nachmittag sein Pferd beschlagen. Aber er bringt das Tier in den Mietstall zurück und macht damit deutlich, dass er nicht daran denkt, aus der Stadt zu reiten und das Land zu verlassen. Er geht in den Gentlemen Saloon, trinkt dort einen Whisky und ein Bier, kauft sich eine Zigarre und wandert zu den Spielhallen hinüber. Hier gewinnt er bis zum Abend am Würfeltisch siebzehn Dollar. Es beunruhigt ihn etwas, dass sein Bruder Jim nicht in der Stadt ist. Doch er hat mit dem Revolver gute Fortschritte gemacht. Als er unterwegs nach Waterwale war, übte er immer wieder das schnelle Ziehen. Mit Munition allerdings musste er sparsam umgehen. Doch er schoss nicht schlecht. Er traut sich zu, es mit jedem zweitklassigen Revolverschwinger aufzunehmen. Er geht wieder zum Saloon hinüber, kauft sich nochmals ein Bier und eine Zigarre. Der Barmann sagt zu ihm: »Du hast ja Nerven, Reddy! Aber wenn ich dir einen Rat geben darf, dann verschwinde höllisch schnell aus der Stadt.«
»Ich spucke auf deinen Rat«, erwidert Adam und geht hinaus. Es wurde nun dunkel. Er verschwindet in einer engen Gasse und erreicht den Creek, der hinter der Stadt vorbeifließt. Er folgt dem Wasserlauf bis zur Brücke. Über diese Brücke muss man reiten, will man zur KK Ranch hinaus. Dies fand er im Laufe des Tages heraus. Dicht neben der Brücke stehen einige große Bäume. Adam stellt sich an einem der dicken Stämme auf und wartet. Er ist im Schatten gut verborgen und unterscheidet sich kaum vom dunklen Stamm. Er weiß, dass Ken Kendall nach dem Mittagessen die Stadt verließ. Und er ist sicher, dass Kendall einen in der Stadt noch nicht bekannten Mann seiner Mannschaft schicken wird. Dieser Mann wird als Fremder auftreten und mit ihm Streit anfangen. Es wird dann so aussehen, als wäre Adam Jones in Waterwale von einem alten Feind, vor dem er auf der Flucht war, eingeholt worden. Adam Jones, der in der Strafanstalt von den Mitgefangenen viel gelernt hat, glaubt, dass man erst einmal in diesem Stil auf ihn losgehen wird, da er in der Stadt geblieben ist. Etwa zwei Stunden vor Mitternacht hört er einen Reiter kommen. Er tritt aus dem Schatten des Baumes und stellt sich auf die Brücke. Er lehnt sich über das Geländer und spuckt in den Creek. Dabei denkt er
an Ken Kendall und spürt, wie der Hass in ihm eine Hitzewelle durch den Körper jagt. Er denkt an die Prügel, die er erhielt und spürt die Schmerzen am Körper und in der angeschwollenen Hand wieder besonders stark. Zugleich aber spürt er auch ein Frohlocken. Denn er ist irgendwie stolz darauf, dass er Ken Kendalls Handeln so sicher voraussagen konnte, dass er genau wusste, was kommen würde. Ja, er ist vollkommen sicher in der Überzeugung, dass Kendall, nachdem er auf der KK Ranch eingetroffen ist, sofort einen seiner Reiter zur Stadt geschickt hat. Und dieser Reiter dort könnte es sein. Der Mann lenkt das Pferd langsam auf die Brücke. Er hat Adam Jones’ ruhig am Brückengeländer lehnende Gestalt längst bemerkt. Als er bei Adam ist, verhält er sein Pferd und blickt auf Adam nieder. »Bist du der Mann, den Kendall schicken wollte?« So fragt Adam ruhig hinauf. »Der bin ich«, erwidert der Reiter. »Was ist?« »Du kommst zu spät«, erwidert Adam. »Dieser Rotkopf, um den du dich kümmern solltest, hat die Stadt schon verlassen und ist auf der Poststraße nach Norden. Er hat etwa fünf Meilen Vorsprung. Du wirst ihn gewiss erst nach einigen Stunden einholen können. Also beeile dich!« Der Mann flucht bitter. Dann gibt er seinem Tier die Sporen.
Adam Jones aber lacht leise und zufrieden. Er hält sich nun für einen tüchtigen Burschen, und etwas von seinem Selbstvertrauen, das er verloren hatte, als Ken Kendall ihn verprügelte, ist nun wieder vorhanden. Er kehrt in die Stadt zurück, geht in die Spielhalle und versucht sein Glück nochmals beim Würfelspiel. Er gewinnt einige Male und hat einige Zeit später fünfzig Dollar in der Tasche. Damit geht er zum Saloon hinüber, um sich wieder ein Bier und eine Zigarre zu kaufen. Es kamen von überall Reiter in die Stadt, und aus den Minen trafen einige Wagen voll Minenarbeiter ein. Die Reiter aber, die kamen, sind zumeist schweigsam und wachsam. Sie kommen offenbar aus weit entfernten und verborgenen Camps. In den Lokalen der Stadt ist also gegen Mitternacht einiger Betrieb. Adam Jones verspürt eine leichte Unruhe. Wo mag Jim sein? Dies fragt er sich. Er trinkt sein Bier, raucht seine Zigarre an und kehrt in die Spielhallen zurück. Zehn Minuten später hat er all sein Geld verloren. Und das trifft ihn wie ein Hammerschlag. Er wird sich wieder einmal mehr bewusst, dass er ein Narr ist, ein Dummkopf, der immerzu glaubt, Glück zu haben.
Er geht hinaus in die Nacht und verschwindet abermals in einer der Gassen. Man könnte es fast für einen Zufall halten, dass er sich nach einer Weile hinter dem Saloon befindet. Eine Außentreppe führt hinauf zu Steve Moses’ Büro, in dem Adam am Morgen war und wo er von Kendall verprügelt wurde. Er hat sich alles im Büro gut angesehen. Nun brennt kein Licht dort oben. Er zögert noch etwas. Dann geht er die Außentreppe hinauf. Die Tür ist verschlossen, doch es ist nicht sehr schwer, von der Treppe zu einem der Fenster zu turnen. Es ist nur angelehnt. Drei Minuten später stiehlt Adam Jones aus Steve Moses’ Schreibtisch etwas mehr als dreihundert Dollar. Er tut es ohne jede Gewissensbisse, denn seiner Meinung nach hat er doch ein Anrecht auf vierzigtausend Dollar. Mit dem gestohlenen Geld taucht er wenig später abermals in den Spielhallen auf. Er kauft sich bald darauf in eine Pokerrunde ein, die an einem runden Ecktisch aus vier hart gesottenen Burschen besteht. Adam Jones kann sich mit seinem Geld bis drei Uhr morgens in der Pokerrunde behaupten. Dann behauptet er, dass einer der Männer falsch geben würde. Und dann hat er Glück.
Denn der Mann, den er des falschen Kartenausteilens beschuldigt, zieht sofort seinen Revolver und schießt. Aber er trifft nicht, weil Adam den Tisch umwirft und sich rasch bewegt. Dann schießt Adam, und er weiß später nicht zu sagen, wie der Colt so schnell in seine Hand geriet und wie er zu dem Entschluss kommen konnte, abzudrücken. Doch seine Überlegung und die Fähigkeit, zu denken und zu begreifen, dies holt ihn alles erst wieder ein, als sich der Pulverdampf verzieht, der Gegner am Boden liegt und ein Kreis von Zuschauern ihn anstarrt. »Er zog und schoss zuerst, nicht wahr?« Dies sagt Adam Jones schrill. Jeder sieht ihm an, wie gefährlich er jetzt ist. Und der Kreis der Zuschauer öffnet sich von selbst und gibt ihm einen Weg zum Ausgang frei. Er aber sagt noch: »Ich hatte dreihundert Dollar, und ich nehme sie mir wieder.« Er bückt sich. Neben dem umgekippten Tisch liegt Geld durcheinander. Er nimmt sich etwa dreihundert Dollar. Einer der zurückgewichenen Mitspieler sagt nun: »Jetzt ist es genug, Reddy! Jetzt solltest du verschwinden.« Er gehorcht. Und auf dem Weg zum Ausgang muss er an Steve Moses vorbei, der aus einer Seitentür vom Saloon herüberkam. Steve Moses hat zwei Männer bei sich. Einer ist ein bulliger
Rauswerfer, dem man ansieht, dass er einmal Preiskämpfer war. Der andere Mann ist ein Revolvermann. Sie versperren Adam Jones den Weg zur Tür. Er aber hält noch seinen Revolver schussbereit in der Hand und winkt damit: »Zur Seite! Platz da! Habt ihr verstanden?!« »Einen Moment!«, sagt Steve Moses. »Was wollen Sie?« Adam Jones fragt es wieder auf seine schrille Art. Er hat zum ersten Mal auf einen Mann geschossen und diesen vielleicht sogar getötet. Dies alles zerrt an seinen Nerven und macht ihn so sehr gefährlich wie einen Wolf, der sich in die Enge getrieben fühlt und raus möchte aus der Falle. »Kommen Sie nicht wieder in diese Spielhallen, Reddy«, sagt Steve Moses mit Nachdruck. »Kommen Sie auch nicht in eines meiner anderen Häuser. Sie haben überall in meinen Betrieben Lokalverbot. Und ich werde dafür sorgen, dass Sie nirgendwo in dieser Stadt etwas bekommen. Das ist eine ernste Warnung. Nun raus hier, Reddy!« Adam Jones grinst ihn an, doch seine Augen flackern dabei unruhig und hässlich. »Ihr Schufte«, sagt er, und Steve Moses weiß, dass er damit außer ihm noch Al Kilman und Ken Kendall meint. »Ihr Schufte«, wiederholt Adam Jones heiser, »ich werde euch schon noch klein und hässlich bekommen, verlasst euch darauf!«
Sein Kopf zuckt herum, als ein Mann durch die vordere Schwingtür von der Straße hereinkommt. Es ist Jim Jones, und er muss schon eine Weile dort draußen gestanden und über die nur brusthohe Schwingtür hinweg zugehört und alles genau mitbekommen haben, was drinnen geschah. Denn er sagt nun ruhig: »Komm, Adam, komm!« »Ich gehe oder bleibe in dieser lausigen Stadt, wann ich will und wie ich will!«, ruft Adam mit deutlich spürbarem Eigensinn. Aber dann geht er an Jim vorbei hinaus in die Nacht. Jim Jones aber bleibt noch eine Weile stehen und betrachtet die Gäste und Steve Moses, nebst dessen beiden Hauspolizisten. Steve Moses kommt plötzlich näher. Er deutet mit dem Zeigefinger auf Jim und sagt: »Sie haben das Geld der Rancher-Vereinigung nach Waterwale gebracht, und deshalb könnte man denken, Sie wären ein ehrenwerter Mann. Doch wenn diese rotköpfige Giftnummer Ihr Bruder ist, dann schaffen Sie ihn fort. Er hat einen Mann beschuldigt, falsch Karten ausgeteilt zu haben. Doch das hat dieser Mann niemals! Nur einen Fehler machte er, nämlich den, zur Waffe zu greifen. Fragen Sie Ihren Bruder einmal, woher er die dreihundert Dollar hatte, mit denen er sich in
die Pokerrunde einkaufte. Fragen Sie ihn einmal! In dieser Nacht wurde nämlich mein Schreibtisch aufgebrochen. Dreihundert Dollar verschwanden. Der Dieb kam über die Hintertreppe durch ein Fenster. Ich kann es diesem Rotkopf nicht beweisen, aber …« Er zeigt Jim Jones die Faust. »Woher hatte er dreihundert Dollar zum Pokerspiel?« Jim nickt langsam. »Was ist mit dem Mann dort?« Er fragt es ernst. Inzwischen hat man den Niedergeschossenen untersucht. Eine Stimme sagt laut: »Das ist kein Kopfschuss! Dies ist nur eine Streifwunde, die heftig blutete. Der Mann wird nur eine Gehirnerschütterung haben. Helft mir, ihn in ein Bett zu bringen.« Jim geht hinaus, und er spürt eine dankbare Erleichterung darüber, dass Adam nicht getötet hat – noch nicht! Aber wohin führt Adams Weg ? Jim beeilt sich nun, zum Mietstall zu kommen. Als er die Einfahrt erreicht, reitet Adam gerade auf die Fahrbahn heraus. »Adam!« Jim ruft es scharf, und es ist Zorn in seiner Stimme. Adam zügelt sein Pferd. »Was willst du, Jim?« »Dein Gegner hat nur einen Streifschuss. Er war nur bewusstlos! Du hast noch nicht getötet, Bruder! Willst du jetzt aufhören? Wollen wir jetzt zusammen Heim reiten zu unserer Pferderanch?«
»Oh, geh zum Teufel, Jim! Ich bin dabei, mir vierzigtausend Dollar zu erobern! Und wenn du mir nicht dabei helfen willst, so kannst du zur Hölle gehen! Ich schaffe es auch ohne dich!« Er gibt seinem Pferd die Sporen und jagt in die Nacht. Einen Moment verspürt Jim den wilden Wunsch, sich ebenfalls sein Pferd zu holen und ihm zu folgen. Doch es hätte wenig Sinn. Adams Vorsprung in der Nacht ist zu groß. Erst bei Tageslicht könnte er Adams Spuren folgen. Und überdies ist er mit Pete den ganzen Tag herumgeritten. Der Fünfhundert-Meilen-Ritt steckt Pete noch in den Knochen. Er ist nach dem heutigen Reiten müde. Jim könnte mit ihm oder auf ihm Adam auch nicht bei Tage einholen. Er späht nachdenklich hinter ihm her in die Nacht. Wohin wird Adam jetzt reiten? Adam hat keinerlei Ausrüstung und Proviant bei sich. Er wird nicht lange draußen bleiben können, sondern bald wieder in die Stadt zurückkommen müssen. Darauf verlässt sich Jim. Er hat in der vergangenen Nacht einige Stunden auf einem Sofa geschlafen. Er fühlt sich rechtschaffen müde und erschöpft. Er wird sich ein richtiges Bett im Hotel leisten. Zuvor geht er noch einmal in den Mietstall hinein und sagt dort Bescheid, dass man ihm
Nachricht geben soll, wenn sein Bruder sein Pferd in den Stall bringt. Auf dem Weg zum Hotel kommt er dann am Wohnhaus des Sheriffs vorbei. Er hält eine Sekunde inne und denkt an das Mädchen Jennifer. Ein starkes Gefühl des Bedauerns wird in ihm lebendig. Solch ein Mädel, denkt er, ist etwas für einen Mann, der ihr Sicherheit und Frieden bieten kann. Warum bin ich nicht solch ein Mann? Später noch im Bett denkt er darüber nach. Es ist merkwürdig mit ihm. Immer wieder trägt er Kämpfe aus, und immer wieder muss er damit rechnen, getötet zu werden. Und als er sich in die Einsamkeit eines Hochtales zurückzog, holte ihn US Marshal Sam Derringer wieder hervor und gab ihm einen Stern. Oh, ja, der Stern! Er erinnert sich wieder stark daran und wird sich des Sterns wieder bewusster. Es ist nicht zum ersten Mal, dass er einen Stern trägt. Er war schon einmal Marshal in einer wilden Stadt und beim Bahnbau. Er denkt an die kleinen Rancher und an die drei großen Burschen, die nicht nur Adams alte Partner sind, sondern hier ein viel größeres und härteres Spiel in Gang brachten. Kann ein Mann, der einen Stern trägt, überhaupt an die eigenen Probleme mit seinem
wilden Bruder denken, wenn doch hier in diesem Land die Freiheit und das Recht in Gefahr sind? Endlich erlöst ihn der Schlaf, und er braucht sich diese Frage nicht zu beantworten – noch nicht. « Als Jim am nächsten Morgen nach dem Frühstück aus der Stadt reitet, hört er schon bald bei der Felsengruppe das Krachen eines Revolvers. Sein Bruder Adam ist also nicht weit geritten, sondern hat eine Viertelmeile vor der Stadt zwischen den Felsen die Nacht verbracht. Nun, da sein Waffengurt wohl gefüllt ist, übt er sich wieder im scharfen Schießen aus der Bewegung heraus auf kleine Ziele. Jim reitet zu ihm hin und sieht dann vom Sattel aus eine Weile wortlos zu. Adam blickt ihn nur einmal kurz über die Schulter an und tut dann ganz so, als wäre Jim nicht vorhanden. Jim kann schnell erkennen, dass Adam nun schon sehr viel besser schießt. Als Adam die Waffe wieder einmal nachlädt, fragt er ihn: »Hast du gestern wirklich Steve Moses dreihundert Dollar aus dem Schreibtisch gestohlen?« Adam grinst schief. »Gestohlen?« Er fragt es höhnend. »Ich nenne das nicht einen Diebstahl. Ich bekomme vierzigtausend Dollar. Nein, nicht
nur zwanzigtausend! Denn ich bekomme Zinsen und eine Entschädigung dafür, dass ich im Gefängnis war, meine Partner nicht verriet und ihnen somit ermöglichen konnte, groß und erfolgreich zu werden. Ich bekomme vierzigtausend Dollar. Diese dreihundert Dollar sind nur ein winziger Vorschuss.« Jim nickt bitter, und er weiß, dass es wenig Sinn hätte, mit dem Bruder zu diskutieren. Er sagt nur: »Sie werden dich töten, Adam. Warum willst du das nicht einsehen? Gestern hättest du selbst fast einen Mann getötet. Ich sage dir, dass es eine gnädige Fügung war, als deine Kugel ihn nur streifte und er nur bewusstlos wurde. Adam, es ist schlimm, wenn man einen Gegner töten muss. Man fühlt sich mit einem Mal mitten in der Hölle, und nicht jedem Burschen gelingt dann der Weg zurück. Und wenn du erst den ersten Mann getötet hast, bleibt es zumeist nicht dabei, jedenfalls nicht bei Burschen, wie du einer bist. Du bist auf dem besten Wege zu einem Revolverhelden. Und wenn du erst einen Namen hast als schneller Schießer, werden andere Burschen kommen und es aus Ruhmsucht mit dir versuchen. Adam …« »Du redest wie der Vorsitzende eines Betvereins.« Adam grinst schief. »Aber ich gehöre zu keinem Betverein. Ich war ein Sträfling, und meine alten Partner wollen mich um meinen Anteil betrügen. Ja, ich will ein
Revolvermann werden. Ich lasse mich nicht betrügen. Ich habe dir schon einmal gesagt, dass es eine Möglichkeit gibt, diese drei Schurken in die Hand zu bekommen. Sie haben sich gegenseitig abgesichert. Dessen bin ich sicher. Das gehörte zu ihren Plänen. Jeder von ihnen hat die Schuldbekenntnisse der beiden anderen. Nur so sind sie sicher, dass sie sich nicht eines Tages gegenseitig das Fell über die Ohren ziehen. Man braucht nur eines dieser Schuldbekenntnisse finden. Oh, sie werden sie irgendwo versteckt haben. Der Bankier hat sie vielleicht in seinem Tresor. Steve Moses hat sie vielleicht in seinem Safe im Saloon. Und Ken Kendall … Nun, irgendwo sind diese gegenseitigen Absicherungen zu finden. Nur ich weiß aus ihren damaligen Reden, dass es solche Absicherungen geben muss. Ich werde sie suchen. Wenn ich nur eine in den Händen habe, sind diese drei Schufte sooo klein!« Er zeigt, als er »sooo« sagt, den Abstand zwischen Zeigefinger und Daumen. »Warum bist du eigentlich hier, wenn du mir nicht helfen willst, Bruder?« So fragt er. Jim betrachtet ihn ernst. »Ich hoffe«, sagt er, »dass etwas geschehen wird, was dich davor bewahrt, für immer verloren zu sein. Und ich warte auf diese Chance. Ich will dir dann beistehen, damit wir Heim reiten können zu unserer kleinen Ranch.«
Er zieht sein Pferd herum und reitet davon. An diesem Tag will er sich einmal die KK Ranch ansehen, zumindest aus der Ferne. Hinter ihm beginnt Adam wieder zu schießen. Er trifft jetzt fast mit jedem Schuss einen der faustgroßen Steine auf zwanzig Schritt Entfernung. Dies ist schon eine Zielsicherheit, wie sie ein normaler Cowboy im ganzen Leben niemals lernt. Als in seinem Waffengürtel keine Patronen mehr in den Schlaufen sind, fühlt er sich sehr viel tüchtiger und unüberwindlicher. Er steckt den Revolver fort, in dem sich seine letzten Patronen befinden, sitzt auf und reitet zur Stadt zurück. Er ist hungrig, und er will nach dem Frühstück zum Barbier. Er will sich auch prächtiger ausrüsten. Und dann will er zum Schein verschwinden. Es ist sein Plan, zuerst auf der KK Ranch nach dem Schuldbekenntnis von Kendalls Partnern zu suchen. Als er in der Stadt ist, hält er gegenüber dem Gentlemen Saloon vor dem Speiserestaurant des Silver-Star-Hotels an, sitzt ab und geht hinein. Sein Kommen wurde bemerkt. Bald weiß die ganze Stadt, dass er wieder aufgetaucht ist. Noch vor ihm kam ein müder Reiter aus dem Norden zurück. Es ist jener Mann, den er auf der Brücke abfing und nach Norden schickte. Dieser Revolverheld befindet sich im Gentlemen Saloon.
Als Adam Jones dann aus dem Restaurant kommt und zufrieden denkt, dass ein solches Frühstück doch etwas anderes als Gefängnisessen sei, steht der Mann, der aus dem Norden zurückgekommen ist, auf der Veranda des Saloons. Als Adam aufsitzen will, um vor den Barbierladen zu reiten, wird er von der Seite angerufen. Er wendet sich schnell und gleitet instinktiv etwas von seinem Pferd weg. Denn obwohl er den Mann nicht erkennt, weil es ja ziemlich dunkel war, als sie miteinander auf der Brücke sprachen, glaubt er mit ziemlicher Sicherheit zu wissen, wer da auf ihn losgehen will. »Du bist ein lausiger Lügner, Adam Jones«, sagt der Mann heiser. »Du hast mich auch recht leicht reinlegen können, so als wäre ich einer der größten Dummköpfe. Doch jetzt ist Schluss damit!« »Was wollen Sie?«, fragt Adam Jones und wendet sich ihm richtig zu. Er hat seine Hand hinter dem Revolverkolben und weiß, dass er nun durch seinen ersten wirklichen Revolverkampf gehen muss. »Das fragst du noch?« Dies ruft der Mann zurück. Es haben sich inzwischen in einiger Entfernung Zuschauer eingefunden, denn der laute und scharfe Wortwechsel wurde selbst in den Geschäften gehört.
»Du fragst, was ich von dir will? Wo du doch meiner Schwester die Ehe versprachst und dann mit ihren Ersparnissen durchbranntest! Oha, ich bin dir jetzt schon fünfhundert Meilen gefolgt. Doch jetzt …« Er bricht ab und zieht den Revolver. Und seine lauten Lügen waren sehr geschickt. Er brachte auf diese Art die Zuschauer auf seine Seite. Er konnte glaubhaft den Eindruck erwecken, er wäre einem Burschen gefolgt, auf den seine Schwester schlimm hereingefallen ist. Er zieht schnell und glatt. Und er zieht zuerst. Adam Jones wartet einen winzigen Sekundenbruchteil, bevor er zu ziehen beginnt. Als er seine Waffe auf den Revolvermann richtet, dessen Namen er nicht einmal kennt, sieht er schon in dessen Mündungsfeuer. Aber die Kugel schlägt nur durch das über dem Gürtel aufgebauschte Hemd. Dann schießt er, und irgendwie erschrickt er heftig dabei, denn er weiß schon jetzt, dass er diesmal nicht durch eine gnädige Fügung davor bewahrt bleiben wird, den Gegner zu töten. Diesmal trifft er wirklich mitten ins Leben. Der Schrecken verursacht in ihm eine Panik. Er steht dann einige Sekunden da, und jeder Zuschauer kann erkennen, dass er zittert. Dann schwingt er sich aufs Pferd und jagt aus der Stadt.
Die Menschen laufen zu der bewegungslosen Gestalt mitten auf der Fahrbahn. Sie bilden einen dichten Kreis, und der Doc kommt, um den Leblosen zu untersuchen. Indes sagt einer der Zuschauer – es ist ein Frachtfahrer – nachdenklich zu zwei Kameraden: »Dies ist doch Fess Hardin, der Revolverheld Fess Hardin. Er zog zuerst den Revolver, und er schoss auch zuerst. Doch dieser Rotkopf behielt die Nerven und zielte besser. Er hat den berüchtigten Revolverhelden Fess Hardin getötet. Das wird ihn nun berühmt machen – sogar noch berühmter als Fess Hardin es war.« »Berüchtigter«, sagt ein anderer Mann. Es ist der Bäcker der Stadt. »Dies alles kann hier geschehen, weil wir keinen Sheriff mehr haben. Gestern gab es eine Schießerei in der Spielhalle und jetzt hier auf offener Straße. Dieser Rotkopf soll der Bruder dieses Black Jim Jones sein. Aber sie sind wohl sehr verschieden, nicht wahr? Gut wäre es, wenn dieser wilde Feuerkopf nicht mehr in die Stadt kommen würde.«
7 Jim kommt am frühen Abend zurück. Und er hört nicht nur von Riv McLane, dass sein Bruder einen Revolverkampf hatte und den berüchtigten Fess Hardin tötete, er hört auch, dass der Sheriff und einige Rancher, die mit in Colorado waren, mit der Postkutsche in die Stadt kamen und schon mit der nächsten Postkutsche weitere Männer der Treibmannschaft folgen. Als Jim dann zum Hotel geht, kommt ihm Jennifer O’Rourke entgegen. Sie fasst ihn an beiden Oberarmen und blickt zu ihm empor. »Jim«, sagt sie, »Sie haben mir ja gar nicht alles gesagt. Sie haben mir verschwiegen, dass mein Vater Ihnen sein Leben verdankt. Bevor Sie ihn zur nächsten Poststation schaffen konnten, mussten Sie erst mit seinen Verfolgern kämpfen. Oh, Jim, wie konnten Sie nur so bescheiden sein und Ihre Tat mit keinem Wort erwähnen! Jim, bitte kommen Sie zu uns! Mein Vater wird sich freuen. Ich werde für uns ein Abendbrot machen. Bitte, Jim Jones!« In ihren Augen ist eine echte Warme, und ihr Mund lächelt ihm zu. Es ist ein ausdrucksvoller Mund; er verrät viel von ihren Gefühlen. Jim spürt für einen Moment den Wunsch, dieses Mädchen zu küssen.
Aber das geht nicht hier auf der Straße. Es geht überhaupt nicht, so denkt er. Irgendwie kann er sich nicht gegen ihr Drängen wehren. Er muss mit ihr gehen. Sie hängt sich bei ihm ein. Und obwohl nun schon die Dämmerung über der Stadt liegt, sehen viele Bürger das Paar. Auch Steve Moses, der durch die Stadt geht, um seine Betriebe zu kontrollieren, sieht es. Es ist vielleicht gut, dass es nun doch schon dämmrig wurde. Vielleicht hätte sonst jemand das gefährliche Glitzern in den Augen des Exspielers und Revolvermannes Steve Moses erkennen können. Er verschwindet dann in der Bank und dort in Al Kilmans Büro. »Wir müssen diesen Black Jim Jones ausschalten, Al«, sagt er dort. »Soeben hat ihn Jennifer zu ihrem Vater geholt. Tom O’Rourke kann sich für die Dauer seiner Dienstunfähigkeit einen Vertreter ernennen. Was machen wir, wenn er Jim Jones zum Gehilfen einsetzt? Ist es möglich, dass die beiden Jones-Brüder zusammenarbeiten und …« Er verstummt, denn Al Kilman winkt ab. »Nein«, sagt er zu Moses, »es ist anders. Ich habe darüber nachgedacht. Jim Jones ist seinem kleinen Bruder gefolgt, um ihn vor Dummheiten zu bewahren. Vielleicht wollte Adam seine Hilfe haben. Und sicherlich hat er ihm auch alles über uns erzählt. Jim Jones weiß bestimmt genau
Bescheid. Es ist ihm jedoch nicht gelungen, seinen kleinen Bruder zur Vernunft zu bringen. Er ist rechtlich und redlich. Gewiss, er hat den Ruf eines Revolvermannes, den noch niemand schlagen konnte. Doch er gilt als redlich. Dass er dem Sheriff beistand und das Geld nach Waterwale brachte, geschah zufällig. Er wird uns gefährlich werden, wenn wir seinen kleinen Bruder erledigen. Und deshalb müssen wir Vorsorge treffen. Ich habe an alle wilden Städte auf tausend Meilen in der Runde die Nachricht geschickt, dass Black Jim Jones in Waterwale ist und es mit jedem Mann aufnehmen will, der den Mut hat, es mit einem Revolverkampf zu versuchen. Ich habe gewissermaßen eine Herausforderung in alle Winde und Himmelsrichtungen ausgeschickt. Und ich wette, dass eine ganze Menge ruhmsüchtiger und ehrgeiziger Wild Bills kommen werden und auch einige alte Feinde und Gegner, die mit ihm noch etwas quittmachen müssen. Ein Revolverkämpfer wie er hat Feinde: Brüder, Freunde oder irgendwelche Verwandte besiegter Gegner. Ich habe dafür gesorgt, dass Jim Jones hier in Waterwale von seiner Vergangenheit eingeholt wird. Er wird mit all diesen Jungens kämpfen oder die Flucht ergreifen müssen.« »Das ist gut«, nickt Steve Moses, als er es gehört hat. »Ja, ein Mann wie er hat Feinde, die er manchmal gar nicht kennt, weil es Brüder oder
Freunde getöteter Gegner sind. Nun gut! Was macht Kendall?« »Die Herden sind schon sehr nahe«, erklärt Al Kilman. »Ken Kendall und dessen Jungens haben alle Hände voll damit zu tun, die Herden zu übernehmen und auf der Weide zu verteilen. Wir brauchen noch mehr Reiter. Wenn Statteltramps zu dir in die Saloons kommen, so schicke sie zu Kendall. Wir stellen noch Reiter ein.« « Indes sitzt Jim an des Sheriffs Bett. Die Lampe brennt, und Tom O’Rourke verzerrt sein mager und blutleer gewordenes Gesicht zu einem Lächeln. »Nun, Jim«, sagt er, »ich bin froh, Sie wieder zu sehen. Die Rancher wären von Haus und Hof vertrieben worden, hätten Sie …« »Schon gut, Sheriff«, unterbricht ihn Jim. »Vergessen Sie es und werden Sie schnell gesund. Dieses Land …« Er verstummt, denn er möchte doch nicht so grob sagen, dass dieses Land jetzt einen energischen Sheriff nötiger hat denn je. Tom O’Rourke nickt in den Kissen. »Dieses Land hat einen Sheriff nötig«, sagt er. »Und ich bin ausgefallen. Aber ich kann Gehilfen ernennen. Jim, wollen Sie mein Erster
Hilfssheriff sein? Wollen Sie uns noch einmal helfen?« Er hat kaum ausgesprochen, als Jennifer einige Männer ins Zimmer lässt. Es sind die Rancher, die ihre Rinder nach Colorado getrieben hatten, weil dort in den Minencamps die besten Preise gezahlt werden. Sie haben den ausgefallenen Sheriff dann eingeholt und mit nach Waterwale gebracht. Sie sind noch nicht vollzählig. Ihre Söhne und Cowboys, die in der Postkutsche keinen Platz mehr fanden, folgen mit den Pferden. Diese Männer hier, die nun in das Zimmer treten, hielten die Ungewissheit nicht länger aus. Sie mussten herausfinden, ob der Sheriff ihr Geld einem Schurken oder einem redlichen Mann anvertraut hatte. Nun wissen sie es. Und sie blicken Jim Jones dankbar an. Sie finden nicht viele Worte, treten zu ihm und drücken ihm die Hände. »Jim Jones, Sie sind ein Gentleman«, sagt einer dann zu ihm. »Wir hoffen, dass wir Ihnen diese Tat einmal vergelten können. Wir stehen tief in Ihrer Schuld.« Jim schüttelt etwas ärgerlich den Kopf. Denn er fühlt sich nicht sehr wohl, wenn jemand sich bei ihm bedankt. »Schon gut«, sagt er und nickt Tom O’Rourke zu. »Werden Sie bald gesund, Sheriff.« �
Er wendet sich zur Tür. Die Männer blicken ihn alle an, und ihre Blicke sind verwundert und irgendwie enttäuscht. Aber er will wirklich gehen. Doch er kann es nicht. Jennifer versperrt ihm in der Tür den Weg. Sie sieht ihn gerade und offen an und fragt: »Jim, warum wollen Sie meinen Vater nicht vertreten?« Er betrachtet sie etwas mitleidig, und er begreift, dass sie ihn so gerne auf der Seite ihres Vaters wüsste. Weil ich ein bekannter Revolvermann bin, der noch niemals von einem anderen Gegner besiegt wurde, denkt er bitter. Er kann ihr nicht sagen, dass er schon auf einen Stern vereidigt wurde und hergekommen ist, um das Bundesgesetz zu vertreten. Er möchte das noch keinem Menschen hier sagen. Und so erwidert er auf ihre Frage: »Jennifer, es ist nicht nötig, dass ich Ihres Vaters Vertreter werde. Ich bin fremd hier und habe einen ziemlich wilden Bruder, der hier in dieser Stadt schon zweimal einen Revolverkampf hatte. Nein, ich möchte nicht.« Sie erkennt den tiefen Ernst in seinen Augen, und plötzlich nickt sie, als spürte sie deutlich, dass seine Beweggründe besonderer Art sind. »Kommen Sie in die Küche, Jim«, sagt sie. »Ich habe das Abendbrot fertig.« �
Er folgt ihr. Sie sitzen sich dann am Tisch beim Schein der Lampe gegenüber. Sie bedient ihn, und sie blicken sich manchmal an. Im anderen Zimmer klingen die Stimmen der Männer. Sie beraten offensichtlich mit dem Sheriff. Jennifer sagt: »Es kommen einige große Rinderherden in unser Land. Unsere Kundschafter fanden das schon vor Tagen heraus. Die KK Ranch hat kein Weideland mehr frei. Also muss sie die Herden auf die Weiden der Nachbarn treiben. Dies hat die KK Ranch schon mehrmals getan, doch nie in einem solchen Maß, wie es jetzt geschehen wird. Jim, es wird Krieg geben. Werden Sie uns helfen?« Er blickt sie an. Ihr Gesicht wirkt etwas klein und blass. Sie ist voller Furcht. Jim erkennt es. Ihr Vater ist der Sheriff. Tom O’Rourke wird sich mit der KK Ranch anlegen müssen, sobald er wieder einigermaßen auf den Beinen stehen kann. Davor fürchtet sich Jennifer. Jim Jones nickt langsam. »Es sieht so aus«, murmelt er, »als würde ich dieses Land von drei bemerkenswerten Männern befreien müssen. Ich sehe keinen anderen Ausweg. Machen Sie sich also keine Sorgen, Jenny.« Ihre Augen werden groß, und sie kann nicht mehr verhindern, dass sie zittert.
»Oh, Jim …«, so murmelt sie, aber sie findet keine Worte. Er aber spürt genau, um welche Dinge sich nun ihr Denken bewegt. »Ja«, sagt er, »ich bin ein Revolvermann. Aber diesmal ist es etwas anders, Jenny. Diesmal stehe ich nicht nur auf der Seite einer Partei, von der ich glaube, dass sie im Recht ist. Diesmal ist es anders.« Sie kann seine Worte nicht richtig deuten. Sie glaubt immer noch, dass er dazu bereit ist, Steve Moses, Al Kilman und Ken Kendall zu töten. Denn er sagte: »Es sieht so aus, als würde ich dieses Land von drei bemerkenswerten Männern befreien müssen.« »Nein, Jim«, spricht sie plötzlich. »Sie dürfen es aus eigener Verantwortung heraus nicht tun. Sie dürfen es nur innerhalb des Gesetzes tun. Sie sind ein wirklicher Revolverheld, wenn Sie sich einfach zum Richter machen.« Nun begreift er, dass sie ihn mag. Denn sie will nicht, dass er dieses Land auf diese Art befreit. Sie will nicht, dass er es wie ein angeworbener Schießer tut. Da greift er in die Tasche und holt die Hand geschlossen wieder heraus. Er legt die geschlossene Hand auf den Tisch mit dem Handrücken nach unten. Dann öffnet er die Hand. Jennifer erblickt den Stern.
»Das ist es«, murmelt Jim. »Dieser Blechstern zwingt mich dazu, es streng gesetzlich zu machen – nicht wie ein angeworbener Revolverheld. Jenny, Sie schwören mir jetzt, dass Sie keinem Menschen verraten werden, dass ich ein US Marshal bin.« »Ich schwöre es«, spricht sie ernst. In ihren Augen ist ein seltsamer Ausdruck. Die Rancher kommen nun nacheinander aus Tom O’Rourkes Zimmer. Sie halten einen Moment inne und betrachten das Paar am Tisch. »Was können wir Ihnen bieten, damit Sie uns beistehen, Jim Jones?« Dies fragt ihr Sprecher. »Wollen Sie in unserer Mitte ein Stück Land mit eingetragenen Wasserstellen?« Jim schüttelt den Kopf. »Ich habe das schon einige Male erlebt«, murmelt er. »Wenn alles vorbei ist, wird es schnell vergessen. Man erinnert sich nur immer wieder neu daran, dass man einen Revolvermann mitten unter sich hat. Ich würde später, wenn alles vorbei ist, mitten unter euch einsamer sein als allein in der Wildnis, denn ich würde diese Einsamkeit schlimmer spüren. Nein, diesmal ist für mich alles anders.« Sie sagen nichts mehr, denn sie sind zu stolz. Sie betrachten ihn mit einem Gemisch von Bitterkeit, Nachdenklichkeit und Verständnis. Er hat schon viel für sie getan. Grüßend gehen sie hinaus.
Als Jennifer und Jim allein sind, sagt das Mädchen: »Jetzt beginne ich zu begreifen, Jim, warum Sie sich in der Einsamkeit eine Pferderanch aufbauten. Sie haben gewiss versucht, mitten unter guten und friedfertigen Menschen zu leben.« Er nickt. »Es ging nicht«, murmelt er. »Ein Revolvermann ist wie ein wilder Tiger unter friedlichen Schafen. Selbst wenn er gar kein wilder Tiger mehr sein will, haftet ihm immer noch der Geruch an. Er wird mit Respekt behandelt, ja sogar mit Unterwürfigkeit. Doch er findet keinen Kontakt. Er bleibt einsam unter den Friedfertigen. Er ist wie ein Ausgestoßener.« Er erhebt sich und geht zur Tür. »Danke für das Abendbrot, Jenny.« Da eilt sie zu ihm. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und legt ihre Hände um seinen Nacken. Dann küsst sie ihn, und sie ist lebendig, voll Wärme und jener Weiblichkeit, wie nur ein geliebter Mann sie erhält von einem Vollblutmädchen. »Du bist nicht mehr allein auf dieser Welt, Jim«, sagt sie und tritt zurück. »Ich glaube«, murmelt sie, »dass ich mit dir auf der einsamen Pferderanch leben könnte und glücklich wäre. Doch eines Tages werden deine Mitmenschen herausfinden, dass du kein wilder Tiger bist. Die
Schafe werden sich nicht mehr davor fürchten, dich in ihrer Mitte zu haben.« Er betrachtet sie ernst. »Ich habe dich vom ersten Moment an geliebt«, murmelt er langsam. »Doch es wäre das Letzte, was ich tun würde, dich unglücklich zu machen an meiner Seite. Küsse mich nie wieder, hörst du! Ich bin ein Revolvermann. Daran ändert sich nichts dadurch, dass ich jetzt einen Blechstern in der Tasche trage. Ich habe getötet, und wenn es sich erst herumgesprochen hat, dass ich hier in Waterwale lebe, dann kommen alte Feinde und ruhmsüchtige Burschen von überall her, um alte Fehden auszutragen, irgendwelche Männer zu rächen – oder nur, um sich mit mir zu messen, weil dies zu eigener Berühmtheit führen könnte. Oh, Jenny, für mich gibt es kein Glück wie für normale Burschen. Ich bin hier, um meinen Bruder zu retten. Und ich weiß nicht einmal, ob es mir gelingen wird. Nur …« Er bricht ab, winkt mit der Hand und geht hinaus. Obwohl er müde ist, fühlt er sich aufgewühlt. Oh, dieses Mädchen! Was für ein Glück gäbe es auf dieser Welt, wäre er nicht Black Jim Jones. Aber er ist es. Und wo ist sein Bruder? Wo ist Adam? Denn er tötete einen Mann, und er wird sich jetzt gewiss in einem schlimmen Zustand befinden. Er
tötete den ziemlich berüchtigten und gefürchteten Fess Hardin. Damit erwarb er sich Revolverruhm. Und jetzt? Jim wird am nächsten Morgen nach Adam zu suchen beginnen – wenn die Fährten von Adams frisch beschlagenem Pferd zu erkennen sind und wenn Jim und sein Pete wieder zu Kräften kamen. « Zuerst ist die Spur gut zu verfolgen, denn bei der Familie Peters kaufte Adam sich Proviant, eine Decke und andere Dinge, wie ein Mann sie braucht, der längere Zeit im Freien nächtigen will. Sollte Adam das Land verlassen wollen, nachdem er bei einem Revolverkampf einen Mann töten musste? Nachdem Jim länger darüber nachgedacht hat, glaubt er es nicht. Denn Adam hat sich offenbar in die Idee verrannt, dass Moses, Kilman und Kendall sich gegenseitig mit Schuldbekenntnissen absicherten. Wenn das stimmt, so haben sie diese Bekenntnisse gewiss irgendwo sehr sicher deponiert oder versteckt. Es gibt kaum eine Chance, solch einen Beweis in die Hand zu bekommen. Adam ist verrückt, wenn er es jetzt versucht.
Jim nimmt bei den Peters ein frühes Mittagessen ein und reitet dann weiter. Adams Fährte ist gut zu verfolgen, denn sein frisch beschlagenes Pferd hinterlässt besonders deutliche und scharfrändrige Spuren, die sich von anderen Spuren deutlich unterscheiden. Jim reitet den ganzen Tag auf dieser Fährte. Manchmal verliert er sie auf steinigem Gelände, doch er findet sie immer wieder. Er kann es im Fährtenlesen und im Verfolgen einer Spur mit jedem Apachen aufnehmen. Er ist auch für diese Kunst besonders befähigt. Schon am frühen Nachmittag wird ihm klar, dass Bruder Adam einfach nur ziellos umherreitet. Der Grund ist recht einfach. Adam wird erst nach Anbruch der Nacht die wirkliche Richtung wählen und seinem Ziele zureiten. Das wird am späten Nachmittag noch deutlicher, denn nun versucht er allerlei Tricks, um seine Fährte zu verwirren. Jim befindet sich inmitten wilder Hügel, in einem zerhackten Land voller Canyons und Senken, Hügelketten und tausend Verstecken. Es ist ein fruchtbares Land, obwohl es so wild ist. Denn überall gibt es Wasser, was in Arizona gar nicht so reichlich ist. Hier jedoch ist es überall vorhanden. Jim findet mehrmals erst mit ziemlicher Mühe heraus, dass sein Bruder die Bäche hinauf und hinunter ritt und sie auf steinigem Boden verließ oder gar absaß, zurückging und die Fährte
verwischte. Adam benutzt alle Tricks, die er einmal als Junge und junger Bursche gelernt hatte. Jim begreift jedoch, dass es immer weniger Sinn hat, die Fährte weiter zu verfolgen. Denn er wird die ganze Nacht rasten müssen. Er wird am nächsten Tag in der Frühe nicht weiter sein als jetzt. Immer wird der Vorsprung einer ganzen Nacht zwischen ihm und dem Bruder liegen. Mehrmals ritt er im Kreise hinter der Fährte, und es ist sogar wahrscheinlich, dass Adam ihn zweioder dreimal aus der Ferne von einem der Hügel beobachtete, zu dem er, Jim, erst nach langer Zeit auf Umwegen gelangte. Doch da war Adam schon wieder viele Meilen weiter. Am nächsten Tag würde sich die Verfolgung ähnlich wiederholen. Einem Reiter, der seine Fährten immer wieder verwirrt, kann man nicht so schnell folgen wie der Reiter selbst reitet. Jim hält an, kocht sich ein Abendbrot und löscht dann das Feuer, bevor die Nacht anbricht. Er denkt nach, wohin Adam wohl reiten wird. Es kann nur die KK Ranch sein. Dort hat er die meisten Chancen. Denn auf der Ranch wird kaum jemand anzutreffen sein. Ken Kendall und all seine Reiter sind gewiss unterwegs, um die Rinderherden in Empfang zu nehmen und zu verteilen. Ein Mann könnte sich leicht auf solch eine Ranch schleichen, ins Haupthaus eindringen und
zu suchen beginnen. Da der Koch und die wenigen auf der Ranch gebliebenen Männer sich bestimmt nicht im Haupthaus aufhalten dürfen, hat solch ein Eindringling viele Stunden Zeit, alles zu durchsuchen. Überdies hasst Adam diesen Ken Kendall gewiss am meisten, hat er doch von ihm schlimme Prügel erhalten. Ja, er wird sein Glück zuerst auf der KK Ranch versuchen. Jim glaubt es nun. Auch er würde so handeln. Er würde während der Nacht zu einem der Hügel dicht bei der KK Ranch reiten, sich dort oben einen Tag lang verborgen halten und die Ranch beobachten. Am Abend wüsste er dann schon eine Menge darüber, wie die Gebäude liegen und wie viele Männer dort sind. Jim streckt sich zum Schlaf aus. Er schläft einige Stunden und macht sich dann auf den Weg. Auch er will in die Nähe der KK Ranch. Er glaubt, dass er dort auf den Bruder stoßen wird. « Jim reitet etwa fünf Meilen in Richtung KK Ranch. Es kommt ihm dabei zustatten, dass er sich vorher schon überall im Land umsah und sich der KK Ranch bis auf Sichtweite näherte.
Als er einmal anhält, hört er Rinder in der Nacht. Nun, er war vorher schon da und dort auf Rinderrudel gestoßen, denn das Weideland in der Nähe von Wasserstellen ist dicht mit Rindern besetzt. Was er jetzt jedoch in der Ferne hört, ist nicht nur ein großes Rinderrudel. Es ist eine Herde, die von Reitern zusammengehalten wird, eine Treibherde wahrscheinlich. Jim begreift, dass es eine jener Herden ist, die neu ins Land gebracht werden und von deren Nahen man in der Stadt erzählen hörte. Jim reitet langsam weiter. Er will rechts an der lagernden Herde vorbei. Doch er erblickt nirgendwo ein Campfeuer. Dies ist wieder ein Zeichen, dass die Mannschaft möglichst unbemerkt tief ins Land der Rancher-Vereinigung eindringen will. Jim hält bei einigen Bäumen, als er Reiter kommen hört. Es sind zwei. Bald kann er sie einigermaßen erkennen. Ihre Silhouetten heben sich gegen den Himmel ab. Sie kommen dicht an ihm vorbei. Er glaubt schon, dass sie ihn nicht bemerken würden, doch dann tun sie es doch. »He, da ist jemand!« Einer der beiden Reiter ruft es scharf. Sie halten sofort an und reißen ihre Pferde herum. Dann verharren sie. Einer fragt scharf: »Wer ist das dort?« »Reitet nur eures Weges und kümmert euch nicht um mich«, erwidert Jim sanft, doch es ist
ein gefährlicher und warnender Beiklang in dieser Sanftheit. Sie stoßen ein überraschtes Knurren aus. Nun sind sie sicher, dass er nicht zu ihnen gehört, und sie treiben ihre Pferde näher an ihn heran. Gewiss haben sie schon ihre Revolver in der Hand. Das hat Jim auch. Denn er kann sich ausrechnen, dass er nun Verdruss bekommen wird. Sie werden ihn für einen Kundschafter der Rancher-Vereinigung halten, der ihr Eindringen beobachtet hat. Sie werden verhindern wollen, dass er die Herde zu früh melden kann. »He, wenn du zur Waffe greifst, bist du ein toter Mann«, sagt einer der beiden Reiter scharf und warnend. Und der andere spricht: »Wir kommen zu dir, um zu sehen, wer du bist. Und du wirst uns genau erklären müssen, warum du hier in der Nähe unserer Herde herumreitest.« »Es geht euch nichts an«, murmelt Jim. »Ich reite wann ich will und wie ich will. Hört nur auf und lasst mich zufrieden. Ich will nicht zu euch. Ich wollte nur an der Herde vorbei, ohne in sie hineinzugeraten.« Sie sind ihm nun sehr nahe. Einer sagt scharf: »Larry, dies ist ein seltsamer Vogel. Den müssen wir uns genauer ansehen! Pass auf!« Sie sind nun rechts und links neben ihm und wollen ihn einkeilen mit ihren Pferden. Da lässt er seinen grauen Wallach explodieren. Ja, man kann es nicht anders nennen, denn es ist
wie eine Explosion, so sehr keilt Pete nun aus und beißt um sich. Jim aber beugt sich zur Seite und trifft den Sprecher mit dem Coltlauf schräg übers Gesicht. Der andere Mann schießt wahrhaftig, obwohl er damit doch seinen Partner gefährdet. Die Kugel trifft nicht, denn die Pferde bewegen sich viel zu heftig und tanzen, keilen aus und weichen auseinander, weil der graue Wallach sie traf. Dann lässt Jim sein Tier gegen den anderen Mann anspringen. Dieser schießt nicht mehr, hat alle Mühe, sich im Sattel zu halten. Jim schlägt ihn mit einem Hieb vom Pferd und reitet in die Nacht. Doch er hält bald an, weil er etwas hört, was außergewöhnlich ist. Zuerst ist es das Gebrüll von mehr als tausend Rindern. Dann wird der Hufdonner laut und lauter. Nun ist es klar, dass dieser eine Schuss die Herde in Stampede versetzt hat. Das ist gar nicht ungewöhnlich, wenn man bedenkt, dass die Rinder schon viele Tage scharf getrieben wurden und nervös sind. Und auch jetzt wurden sie beisammen gehalten, durften sich nicht zerstreuen und grasen oder zum Wasser. Jim hat schon erlebt, dass eine nervöse Herde in Stampede ausbrach, weil im Camp dem Koch ein Stapel Blechteller umgekippt war.
Und auch ein lauter Ruf, ein schriller Pfiff oder ein Schuss können solch eine nervöse und unberechenbare Herde losrasen lassen. Sie stürmen auf ihn zu, und er muss seinen Pete tüchtig laufen lassen, um aus ihrem Weg zu geraten. Er macht sich davon, denn er möchte mit den Reitern, die zu dieser Herde gehören, nichts zu tun bekommen. Gewiss, diese Reiter werden nun viel Mühe und alle Hände voll zu tun haben, um die Herde wieder unter Kontrolle bekommen zu können. Doch es könnte auch sein, dass einige ausschwärmen und nach ihm suchen. Er verschwindet irgendwo in den Canyons.
8 Adam Jones liegt am nächsten Tag tatsächlich auf einem der Hügel und beobachtet von diesem die KK Ranch. Er hat sein Pferd im Hügelwald gut versteckt und ist reichlich mit Proviant und Wasser versehen. Die KK Ranch ist eine große Ranch, ganz und gar imposant und wie für einen König gebaut, obwohl alles nur rein zweckmäßigen Dingen dient und die Ranch äußerlich nicht wie ein Familienbesitz wirkt. Die Corrals sind weitläufig, stark und fest. Auch die vielen Gebäude sind solide gebaut. Alles ist durchdacht und zweckmäßig. Sogar Adam Jones, der noch nicht sehr viele Erfahrungen sammeln konnte, erkennt unschwer, dass dort unten ein Mann sein Meisterstück machte. Er erinnert sich wieder, wie Ken Kendall damals schon davon sprach, dass er mit seinem Beuteanteil eine prächtige Ranch schaffen würde, die ihm so leicht kein anderer Mann nachmachen könnte. Dort unten ist sie. Ken Kendall schaffte es. Er muss auf diesem Gebiet ein tüchtiger Mann sein und hätte es gewiss auch ohne Raubgeld zu etwas bringen können. Nur hätte er dann länger dazu gebraucht als nur vier Jahre.
Adam Jones findet an diesem Tag allerlei heraus. Er sieht, wie Reiter kommen und gehen, wie die wenigen Männer auf der Ranch bei den Corrals und in den Ställen und in der Schmiede arbeiten. Der Koch verlässt am Vormittag die Ranch und kommt erst am späten Nachmittag wieder zurück. Er fuhr mit einem Wagen. Wahrscheinlich brachte er Essen irgendwohin zu den Reitern in die Herdencamps. Adam Jones denkt an diesem Tag über viele Dinge nach, auch über seinen Bruder Jim. Und immer dann, wenn er an Jim denkt, wollen gute Gefühle in ihm hochkommen. Und Zweifel kündigen sich an, ob es nicht vielleicht doch besser wäre, auf Jim zu hören und mit ihm Heim zu reiten auf die Pferderanch, die er noch gar nicht kennt. Doch sie soll sehr einsam liegen. Er aber will etwas vom Leben haben. Er war lange genug ein Sträfling und verlor mehr als vier Jahre. Oh, er will alles nachholen! Und seinen Anteil will er. Wenn er mit seinen Gedanken so weit ist, denkt er wieder an Ken Kendall und die Prügel, die er von ihm erhielt. Dann ist sein Hass wieder groß und stark und verdrängt alle Gedanken der Vernunft und Einsicht.
Er wird wieder zu einem hungrigen Wolf, der auf der Lauer liegt, um sich bei Nacht einzuschleichen. Und manchmal denkt er auch daran, dass er jetzt schon zwei Revolverkämpfe bestand. Er hat den zweiten Gegner bestimmt getötet. Irgendwie erschauert er immer wieder, wenn er daran denkt. Er fragt sich manchmal, ob dieser Mann jetzt vielleicht aus dem Jenseits auf ihn niederblickt und in der Lage ist, ihn zu beobachten. Er hätte mich nicht angreifen sollen, denkt er dann immer wieder trotzig. Ich habe mich nur meiner Haut gewehrt und überließ ihm den ersten Schuss. Er ist selbst schuld, dass er nun tot ist. Jedes Lebewesen wird mit dem Selbsterhaltungstrieb ausgestattet und hat somit ein Recht darauf, ums Leben zu kämpfen. Ich habe nichts zu bedauern. Ich bin ein Mann, der für sich sorgen kann. Seine Gedanken wandern dann wieder zu anderen Dingen, doch irgendwann wiederholt sich alles, beginnt sich im Kreise zu drehen. Man kann sagen, dass Adam Jones an diesem langen Tag auf dem Hügel in seiner Einsamkeit mit seinen Gedanken zu einem Nervenbündel wird und einen Vorgeschmack von der Hölle bekommt, durch die ein Revolverheld muss. Er wünscht sich manchmal, er hätte eine Flasche
Schnaps bei sich und könnte sich etwas damit betäuben. So also vergeht für Adam der Tag, und dann kommt die Nacht. Er wartet bis lange nach Mitternacht, bevor er sich auf den Weg macht zur Ranch. Sein Pferd im Hügelwald ist gut versorgt. Er hat es auf einer Lichtung an dem langen Lasso angebunden. Für etwa zwei Tage wird das Tier keine besondere Not haben. Und zwei Tage werden vielleicht vergehen. Es ist leicht für Adam, sich auf die Ranch zu schleichen und in Ken Kendalls Haus einzudringen. Es ist plötzlich eine siegesgewisse Verwegenheit in Adam Jones. Er geht in Ken Kendalls Schlafzimmer und legt sich vor dessen Bett auf das große Wolfsfell. Als er erwacht, ist es Tag, und er befindet sich immer noch allein im Haus. Ken Kendall kam nicht von der Weide herein, und vielleicht wird er noch viele Tage draußen bei seinen Reitern bleiben. Er ist ein Mann, der sich um alle wichtigen Dinge selber kümmert. Adam aber beginnt sich umzusehen. Das Haus hat vier Räume und eine große Diele. Es ist alles recht gut eingerichtet, mit schweren Möbeln, Bildern, Fellen, indianischen Teppichen und alten Waffen an den Wänden. Es gibt sogar Dinge, die Adam nicht kennt – einen Globus zum Beispiel, alte Landkarten von
Europa, Bücher und ein Spinett. Er tippt einmal darauf und erschrickt, als es erklingt. Doch dann macht er sich auf die Suche. Er nimmt sich Zeit und ist darauf vorbereitet, viele Stunden suchen zu müssen – vielleicht erfolglos sogar. Doch irgendwie spürt er instinktiv, dass er Erfolg haben wird. Er kann sich dieses sichere Gefühl nicht erklären. Es ist einfach da. « An diesem Tag ist auch Jim in der Nähe der KK Ranch und durchstreift die bewaldeten Hügel in der näheren Umgebung. Auch er ließ sein Pferd irgendwo zurück und bewegt sich zu Fuß wie ein geschmeidiger Apache. Gegen Mittag findet er Adams Pferd und auch den Platz, von dem aus er die Ranch beobachtete. Auch Jim beobachtet die Ranch eine Weile. Er weiß nun, dass Adam dort im Ranchhaus sein muss. Er wird es nicht vor Anbruch der Nacht verlassen können. Jim hat also Zeit. Er macht sich auf den Weg zu seinem Pferd, sitzt auf und reitet davon. Er will sich ein Bild von der Entwicklung auf der Weide machen. Und überdies hat er sich nicht genügend Proviant mitgenommen. Jetzt hat er noch Zeit, sich welchen zu besorgen.
Nachdem er weit genug von der KK Ranch entfernt ist, reitet er ganz offen und gibt sich wenig Mühe, die Deckungsmöglichkeiten des Geländes auszunutzen. Er sieht überall Rinder. Das Land hier wimmelt geradezu von Rindern. Sie haben die Weide ziemlich abgegrast, und es ist fraglich, ob sie während der Trockenzeit genügend Futter bekommen werden. Denn es sind sehr viele. Dann und wann erblickt Jim in der Ferne einen Reiter. Immer mehr nähert er sich dem Waterwale Creek, der die natürliche Grenze zwischen der KK Ranch und den Weiden bildet. Als er den Creek erreicht, kann er sofort erkennen, dass hier eine große Herde übersetzte. Es kann nicht jene Herde sein, die gestern in Stampede geriet, und gewiss gibt es außer diesen beiden Herden noch weitere, die unterwegs sind nach hier. Auch Jim reitet durch den Creek. Er folgt der breiten Fährte. Bald erblickt er die ersten Rinder. Man hat schon bald hinter dem Creek angefangen, die Rinder zu zerstreuen. Dass es neue Rinder in diesem Land sind, erkennt Jim sofort, und auch jeder Laie würde es erkennen. Denn die Tiere sind knochendürr und mager. Sie sind viele Tage und Wochen scharf getrieben worden und verloren viel von ihrem Gewicht. Ihr Fell ist struppig, voller Kletten und Staub. Ja, so sehen Rinder aus, die einen langen
Treibweg hinter sich haben. Überall sind sie nun zu sehen, je weiter Jim reitet. Sie ruhen sich aus und fressen. Die alten Brandzeichen dieser Rinder wurden durch einen Schrägstrich gelöscht. Daneben hat man das KK der KK Ranch eingebrannt. Dies alles muss schon in Texas geschehen sein. Diese Rinder gingen schon als KK Herde auf den Trail. Und jetzt sind sie hier. Jim erblickt da und dort andere Rinder zwischen ihnen. Es sind Tiere, die fleischiger und gepflegter wirken. Dies sind Rinder der Rancher. Jetzt gehen sie in der Masse der Texasrinder fast unter. Jim nimmt sein Lasso vom Sattelhorn und fängt damit einen der Texaner ein. Er bringt ihn zu Fall und schlägt mit dem Lasso einige Schlingen um die Hufe. Dann untersucht er die Bauchseite des Tieres. Und da sieht er es. Zecken! Es sind Rinderzecken, und fast so groß wie Trauben sind sie. Nun ist die ganze Gemeinheit der KK Ranch offenkundig. Für Texas-Rinder sind jene Zecken ungefährlich. Sie sind seit vielen Generationen daran gewöhnt, entwickelten längst Abwehrstoffe in sich und wurden dadurch vollkommen immun. Aber für Rinder, die nicht unmittelbar von Texasrindern abstammen und deshalb diese
Abwehrstoffe nicht in sich besitzen, werden die Rinderzecken zu einer tödlichen Gefahr. Diese Rinder bekommen das gefürchtete Texasfieber und verenden nach schlimmen Qualen. (Anmerkung: Als damals in den siebziger Jahren die Texas-Rancher ihre Rinderherden zu den Eisenbahnstädten in Kansas trieben, wurde die Texas-Zecke auch dort eingeschleppt. Die Kansas-Rancher sperrten dann mit Waffengewalt die Grenzen. Es kam zu einem regelrechten Krieg, in den die Truppen eingreifen mussten. Es wurden Gesetze erlassen, die den Texas-Herden verboten, über eine Weide außerhalb der Treibwege zu wandern. Da aber auf den Treibwegen das Gras knapp wurde, gab es immer wieder Streitigkeiten.) Als Jim sein Lasso wieder löst und das Tier brüllend aufspringt und fortläuft, ist er angefüllt mit Bitterkeit. Denn es ist alles klar für ihn. Ken Kendall braucht nun nichts anderes mehr zu tun als zu warten. Er ließ die Texas-Rinder auf die Weide der Rancher-Vereinigung treiben, und er hat auf diese Weise nicht nur die Weide besetzt und bekommt kostenloses Futter für die hungrigen Rinder, sondern ruiniert die Rancher zugleich auch mit der Texas-Seuche. Es ist ein gemeiner, rücksichtsloser Schachzug. Doch Jim hat dies schon erlebt. Es
gab immer wieder solche Burschen wie Ken Kendall, die auf die raue Art große Schritte machten, ihre kleineren Nachbarn einfach in den Boden traten und immer größer und mächtiger wurden, bis sie sich wie Könige fühlten und allein ihr Wille Gesetz wurde auf hundert oder noch mehr Meilen in der Runde. Als Jim sich umblickt, sieht er zwei Reiter kommen. Es sind gewiss Reiter der KK Ranch. Da es wieder zwei sind, deutet dies darauf hin, dass die KK-Reiter den Befehl haben, sich hier auf dieser Weide, die erobert werden soll, nicht allein zu bewegen. Die beiden Reiter kommen schnell heran. Jim sitzt wieder im Sattel, als sie einige Schritte vor ihm verhalten. Jim kennt sie nicht. Doch er kann erkennen, dass es Revolverreiter sind, hartbeinige Burschen, die nicht für die Herdenarbeit, sondern zum Kämpfen angeworben wurden. Solche Revolverschwinger erhalten zumeist doppelten Cowboylohn. »Was machst du hier, Bruder?« So fragt einer der scharfäugigen und hartgesichtigen Burschen. Sie kennen ihn nicht. »Du hattest soeben eine Kuh am Lasso und am Boden«, sagt der andere Mann gedehnt. Jim Jones grinst bitter. »Ich will mit euch nicht lange herumtändeln, Nachbarn«, sagt er kalt. »Mein Name ist Jim Jones, Black Jim Jones, und
ihr könnt jetzt jeden Wunsch erfüllt bekommen. Also fangt an oder geht zum Teufel! Los, was wollt ihr?!« In seiner Stimme schwingt eine kalte Härte. Ja, er schleudert ihnen seine Herausforderung ins Gesicht. Er ist voller Zorn über das, was er soeben erkennen musste, als er die Texas-Zecken an dem Tier sah. Als er seinen Namen nennt, zucken die beiden Revolverschwinger zusammen. Und als er ihnen seine Herausforderung sagt, werden sie dunkel im Gesicht. Dann schlucken sie, und weil sie nur zweitklassige Revolverschwinger sind, ergeht es ihnen wie zwei Wölfen, die einem Panther begegneten. Sie tauschen einen Blick, ziehen wortlos ihre Pferde herum und reiten davon. Jims Lächeln ist immer noch bitter, als er ihnen nachblickt. Da ist es wieder – da war es wieder: sein bitterer Ruhm! Sie bekamen Angst und kniffen. Gewiss werden sie nicht darüber sprechen, ihm begegnet zu sein. Man würde sie sonst fragen, was sie getan hätten. Nein, sie reiten einfach davon. Aber wenn Jim kein so auf die bittere Art berühmter Revolverkämpfer wäre …? Nun, dann hätten sie jetzt gewiss einen armen Teufel zurechtgestutzt.
Er setzt seinen Weg fort. Noch zweimal erblickt er Reiter in der Ferne, und überall sind Rinder. Die Herde, die hier verteilt wurde, muss mehr als dreitausend Tiere stark gewesen sein. Es ist schon Nachmittag, als Jim auf die Ranch der Peters’ reitet. Der alte Mann, die blonde Frau und die beiden Kinder sind vor dem Haus. Und es ist nun noch ein Mann da, der gerade in den Stall will. Es ist Glen Peters, der inzwischen mit den anderen Ranchern aus Colorado heimkehrte. Jim hat ihn schon einmal gesehen. Glen Peters gehörte zu den Männern, die zum Sheriff kamen, als Jim dort war. Glen Peters sieht Jim an. »Haben Sie es schon gesehen?« So fragt er. »Das bedeutet Krieg«, fügt er hinzu. »Wir sammeln uns alle bei Pan Russian. Das ist fünf Meilen von hier. Wollen Sie mitkommen, Jim?« Jim betrachtet die Frau, und er erkennt in deren Augen die nackte Angst. Dann betrachtet er die Kinder, die genau begriffen haben, dass etwas Außergewöhnliches und Schlimmes geschieht. Und dann hört er den alten Mann sagen: »Sohn, es hat wenig Sinn. Ich habe es zu meiner Zeit auch einmal erlebt, dass ein Großer auf uns Kleinen herumzutrampeln begann. Wir setzten uns zur Wehr, und nachher war die Not noch größer, weil es einige Familienväter erwischte. Wir wurden vertrieben.
Nein, Sohn, es hat keinen Sinn. Nur das Gesetz kann helfen. Der Sheriff muss die Dinge in die Hand nehmen.« »Tom O’Rourke liegt krank im Bett, und wenn er gesund wäre und sich blicken ließe, so bekäme er bestimmt mit einem dieser Revolverschwinger Streit. Ohne unsere entschlossene Hilfe könnte er ohnehin nichts ausrichten. Also können wir es gleich selbst machen. Wir werden kämpfen!« Er will aufsitzen. Doch Jim sagt ruhig: »Es hat wirklich keinen Sinn, Glen Peters. Ihr seid ein halbes Dutzend Rancher, und dazu kommen einige Söhne und einige Cowboys. Ihr seid kaum mehr als zwei Dutzend Männer, und ihr müsstet gegen fünf oder sechs Dutzend Revolverschwinger reiten. Die KK-Mannschaft ist durch die Treibmannschaften aus Texas sehr viel stärker geworden. Dazu kommt, dass diese Texaner, die mit den Herden kamen, hier nicht bekannt sind und völlig anonym bleiben. Sie können euch hier eine Niederlage bereiten, fortreiten und sich in alle Winde zerstreuen. Ken Kendall könnte sogar behaupten, er hätte das nicht gewollt, und sie hätten gegen seinen Willen mit euch gekämpft. Treibmannschaften aus Texas kämpfen überall gegen Rancher, die ihre Weiden sauber halten möchten. Nein, Glen Peters, so geht es nicht. Steigen Sie ab!«
Glen Peters ist ein blonder, bulliger Mann, dem man ansieht, dass er furchtlos ist und auch kämpfen kann. Er nimmt den Fuß wieder aus dem Steigbügel und tritt vom Pferd weg. »Was sollen wir denn tun?« So fragt er bitter. Bevor Jim ihm eine Antwort geben kann, sagt der alte Pop, der in die Ferne blickte, schnell: »Dort kommen Reiter! Wenn meine alten Augen mich nicht täuschen, ist das Ken Kendall persönlich.« Jim wendet sich im Sattel. Ja, er erkennt Ken Kendall. Dieser kommt mit einem halben Dutzend Reiter. Der alte Mann drängt nun seine Schwiegertochter und die beiden Kinder ins Haus. »Auch du bleibst bei ihnen im Hause«, sagt Glen Peters bestimmt. Er führt das Pferd zur Seite und stellt sich dann auf die Veranda seines Hauses. Jim wendet sein Pferd. Er reitet damit um die Ecke des Hauses. Es sieht so aus, als würde er fortreiten und das Haus zwischen sich und die sich nähernden Reiter bringen. Glen Peters will ihm etwas nachrufen – bittere Worte sicherlich. Doch er lässt es sein. Er wird sich bewusst, dass Jim Jones mit seinen Sorgen hier wirklich nichts zu tun hat.
Aber dann taucht Jim Jones doch wieder auf. Er hat sein Pferd hinters Haus gebracht. Er lehnt sich dicht bei der Ecke des Hauses mit der rechten Schulter an die Wand. Und da er den Revolver links trägt, kann man die Waffe und die Revolverhand gut sehen. Er hat sich den Hut tief ins Gesicht gezogen, sodass die Augen unter der Hutkrempe verborgen sind. Es ist ein sehr alter Hut, so wie er im Krieg von der Südstaaten-Kavallerie getragen wurde. Ken Kendall kommt mit seinen Reitern ziemlich langsam herangeritten. Er sitzt gedrungen und gewichtig auf einem herrlichen Fuchs, und er kommt wie etwas Unabänderliches, Unaufhaltsames, ganz wie ein Mann, der unbeirrbar seinen Weg reitet und den man nicht aufhalten kann. Dies alles geht wie eine Strömung oder weht ihm wie ein Atem voraus. Oh, er hat Jim Jones an der Hausecke sofort erkannt. Er lässt sich jedoch nichts anmerken, beachtet ihn scheinbar gar nicht – scheinbar. Als er das Pferd verhält, verteilen sich seine Begleiter hinter ihm vor dem Haus, bilden eine breite Front. Und auch diese Reiter sind Revolverreiter, hartgesottene und gefährliche Burschen, die ein Mächtiger sich anwerben kann wie Landsknechte. Einen dieser Reiter kennt Jim Jones, und er weiß, dass auch dieser Mann ihn kennt. Er weiß den Namen dieses Revolvermannes nicht mehr,
doch sie standen sich in Nebraska schon einmal gegenüber, weil sie auch dort zwei verschiedenen Parteien angehörten. Ken Kendall sagt: »Ich bin ein friedlicher Mensch, und wenn ich meinem Nachbar ungewollt Schaden zufüge, so bin ich zu Entschädigungen bereit. Meine Herden haben sich stark vermehrt, und deshalb muss ich die freie Weide endgültig für mich beanspruchen. Diese kleine Ranch könnte ich zu einem Vorwerk der KK Ranch machen. Ich biete für die Gebäude und das Wasserrecht zweitausend Dollar. Peters, wollen Sie verkaufen?« Glen Peters schluckt mühsam. »Sie sind verrückt, Kendall«, knirscht er. »Auf diese Art können Sie mich nicht rausdrücken. Ich habe noch fünfhundert Rinder auf der Weide, die mehr als fünftausend Dollar wert sind. Und nun befinden sich diese Rinder zwischen Ihren mit Zecken verseuchten Longhorns aus Texas. Ich bekomme schon allein für …« »Sie bekommen zweitausend Dollar und verschwinden – oder Sie bekommen nichts«, sagt Ken Kendall. »Das ist doch eine Drohung, nicht wahr?« So fragt Jim Jones von der Ecke des Hauses her. Nun erst betrachtet ihn Ken Kendall. »Sie stören hier, Jones«, sagt er grob. »Verschwinden Sie! Für Satteltramps ist hier in
diesem Land kein Platz. Nehmen Sie Ihren Bruder und verschwinden Sie!« »Ist das ein Befehl?« »Genau!« »Und so ganz ohne Drohung, Kendall?« Der betrachtet ihn nun finster. »Ihre Anwesenheit macht einem Mann wie Glen Peters offensichtlich Mut«, sagt er dann. »Aber es ist sehr dumm von Ihnen, sich gegen mich zu stellen, Jim Jones.« »Machen Sie nur weiter«, sagt dieser. »Sie haben sechs Reiter mitgebracht und sitzen mächtig hoch und stolz im Sattel. Machen Sie also weiter – oder scheren Sie sich zum Teufel!« Ken Kendall scheint nachzudenken. Unter seinen Reitern hinter ihm ist eine leichte Unruhe erkennbar. Denn jener Mann, den Jim aus Nebraska kennt, hat Bescheid gesagt, wer er ist. Die Revolverschwinger starren ihn an. Er ist ein ganz großer Revolverkämpfer. Man kennt seinen Namen, und nicht wenige Burschen träumen davon, so ein Großer wie er zu werden. Diese Revolverschwinger wissen auch genau, dass er dreimal schießen und mit Sicherheit auch treffen könnte, bevor sie selbst zum Schuss kommen könnten. Drei von ihnen würden tot sein. Das wissen sie genau. Sie kennen sich aus mit den Leistungen eines der Großen. �
Deshalb sind sie nun unruhig. Sie hoffen, dass Ken Kendall jetzt nicht von ihnen verlangt, auf Black Jim Jones loszugehen. Der tut es auch nicht. Er ist zu klug. Er passt! Jawohl, er verzichtet darauf weiterzumachen. Dies aber beweist nur seine Klugheit. Denn es kommt nicht darauf an, ob Glen Peters jetzt oder in zwei Wochen aufgibt und fortzieht. Es gibt ja auch noch andere Rancher mit Familien, deren Frauen Angst vor einem Kampf haben. Ken Kendall winkt seinen Leuten zu. »Reitet weiter und sorgt dafür, dass meine Rinder überall ungestört weiden können.« Die Reiter wirken irgendwie erleichtert. Ken Kendall blickt ihnen nach. Dann wendet er sich an Jim und sagt ruhig: »Ich möchte einmal mit Ihnen unter vier Augen reden. Also kommen Sie!« Als er es gesagt hat, zieht er sein Pferd herum und reitet in der entgegengesetzten Richtung, in der seine Reiter verschwanden, davon. Er beachtet Glen Peters gar nicht mehr, denn er hat erkannt, dass er zuerst mit Jim Jones zurechtkommen muss. Als Jim auf seinem Pferd hinter dem Haus hervorkommt, sagt Glen Peters bitter: »Sie gehen auf seinen Vorschlag ein? Er wird Ihnen viel
Geld bieten. Und dann haben wir wohl auch Sie gegen uns?« Jim Jones lächelt. »Das ist nicht möglich«, erwidert er, und als er Ken Kendall folgt, denkt er an seinen Stern, den er immer noch in der Tasche trägt. Doch er wollte Glen Peters noch nicht sagen, warum es nicht möglich ist, dass er sich von Kendall für viel Geld kaufen lässt. Aber er glaubt auch nicht, dass dies Kendalls Absicht ist. Kendall wird etwas anderes wollen: einen Kampf. Ja, dies würde Kendalls Art entsprechen. Ken Kendall hatte sechs Reiter mitgebracht, und dennoch musste er kneifen. Er hatte deutlich gespürt, dass seine sechs Revolverschwinger gegen Jim Jones keinen Kampf begonnen hätten. Ja, es war eine klare Niederlage. Solche Niederlagen kann Ken Kendall nicht hinnehmen. Er reitet zwei Meilen weit und blickt sich nicht um. Doch als er den Creek erreicht und aus dem Sattel steigt, da ist Jim Jones ganz in seiner Nähe und sitzt ebenfalls ab. Ken Kendall hält den Kopf etwas gesenkt und späht unter der massigen Stirn entlang zu Jim Jones hinüber. »Ich bin kein Revolvermann«, sagt er. »Vorhin hatte ich sechs Männer hinter mir und musste kneifen. Doch jetzt werden Sie wohl kneifen,
Mister! Jetzt haben Sie nämlich die Wahl zwischen einem richtigen Männerkampf oder dem Fortlaufen. Ich komme unbewaffnet! Nur mit meinen zwei blanken Fäusten komme ich! Sind Sie feige, Jones?« Er stellte seine Frage mit beißendem, höhnendem Spott. Dabei löst er die Schnalle seines Waffengurtes und hängt ihn um den Sattelknauf seines Pferdes. Als er sich Jim Jones zuwendet, drückt nicht nur sein Gesichtsausdruck, sondern auch seine Körperhaltung aus, dass er etwas Endgültiges vollziehen will. Er will mit seinen Fäusten einen Mann bezwingen, den er als ebenbürtigen Gegner erkannte. Er brummt zufrieden, als er sieht, dass auch Jim Jones sich seiner Waffe entledigte und ihm nun entgegentritt. Zwei Schritte voreinander halten sie an und betrachten sich. Jim Jones ist fast einen Kopf größer, doch sehr viel schlanker und hagerer. Ken Kendall wiegt mehr als zweihundert Pfund; er ist ganz geballte und gedrungene Kraft. »Nun gut, Jones«, brummt er, »auf jeden Fall sind Sie ein Mann. Das erkenne ich an. Sagen Sie mir noch schnell, warum Sie gegen mich und für die kleinen Rancher sind?«
»Ich habe drei Gründe«, sagt Jim sanft. »Aber hauptsächlich ist es wohl so, dass ich es für ein großes Unrecht halte, wenn drei Banditen wie Sie, Moses und Kilman davonkommen und mächtig werden können und dies auf Kosten anständiger und redlicher Menschen.« »Aaah, ein Weltverbesserer sind Sie, Jones?«, fragt Kendall und senkt schon langsam seinen Kopf. Jim grinst bitter. »Solange Sie ungestraft davonkommen können, wird das Denken meines Bruders verzerrt bleiben und bekomme ich ihn nicht zur Vernunft«, sagt er. Ken Kendall sagt nichts mehr. Er springt knurrend gegen Jim Jones und trifft ihn beidhändig mit harten Schlägen.
9 Jim Jones ist etwas überrascht von diesem schnellen Angriff. Er wird ziemlich schlimm getroffen, kann den Schlägen jedoch durch Zurückweichen etwas von der Wirkung nehmen. Doch er begreift, dass er erledigt ist, gelingt es Kendall, ihn nur einmal voll zu treffen. Dieser Mann schlägt unheimlich hart und ist außergewöhnlich schnell bei seiner Schwere. Seine Kraft ist gewaltig, und er versteht es, diese Kraft explosiv einzusetzen, sodass sie noch mehr zur Wirkung kommt. Aber auch Jim Jones versteht etwas von einem Männerkampf mit den Fäusten. Er zählt nicht zu den Revolvermännern, die jede körperliche Auseinandersetzung meiden, weil sie überhaupt gegen die primitive Art zu kämpfen sind, wie es vor ihnen jene Degen fechtenden Kavaliere waren. Jim wird von einem Schwinger zu Boden geworfen. Er rollt sich zur Seite, um Ken Kendalls Füßen zu entgehen. Denn dies ist ein Kampf, wie man ihn an der Grenze kämpft. Ken Kendall wird jedes Mittel einsetzen, das die Vernichtung des Gegners beschleunigen kann. Jim entkommt den nieder springenden Füßen. Dann hakt er eine Fußspitze hinter Kendalls Ferse und tritt ihm mit dem anderen Fuß vor das Knie.
Kendall fällt brüllend auf den Rücken. Als er aufspringt, erwartet ihn Jim Jones und trifft ihn mit langen Schlägen, die er sich erlauben kann, weil Kendall keinen festen Stand mehr finden kann. Er schlägt Kendall über den Uferrand in den Creek hinunter. Das Wasser ist nur wenig mehr als kniehoch, doch Kendall fällt so unglücklich, dass er so nass wird, als wäre er durch einen tiefen Fluss geschwommen. Er kommt dann heraufgestürmt wie ein angreifender Bulle, doch Jim erwischt ihn abermals mit zwei langen Schlägen, als er sich über den Uferrand schwingen will. Abermals fällt er. Dann steht er unten im Wasser und starrt empor. »Lass mich nur hinauf«, grollt er, »dann werde ich es dir schon besorgen. Lass mich nur erst Mal hinauf zu dir!« »Versuch es! Wer kann es mir verdenken, wenn ich dir einige Schwierigkeiten bereite?« Jim Jones grinst es keuchend zu ihm nieder. Da grollt Kendall und versucht es abermals. Es ist nicht so leicht für ihn, denn der Boden gibt immer wieder unter ihm nach. Jim Jones empfängt ihn stets mit hämmernden Hieben. Doch Kendall versucht es immer wieder. Dies ist so sehr bezeichnend für ihn. Er ist beharrlich
wie eine Bulldogge und versucht es immer wieder, gibt nicht auf. Endlich gelingt es ihm, Jim Jones am Fuß zu fassen. Sie fallen nun beide übereinander in den Creek, wälzen sich im Wasser und kämpfen immer wilder. Den Grund ihres Kampfes haben sie längst vergessen. Sie sind jetzt so sehr ineinander verbissen, dass sie nur noch von dem Willen beherrscht werden, nicht besiegt zu werden, sondern den Gegner zu besiegen. Jim Jones ist eine Weile schlimm im Nachteil und muss einige Schläge einstecken, die ihn fast wie Huftritte treffen. Kendall versteht es, im Nahkampf kurz und schnell zu schlagen, aber dabei auch hart, sodass Jim glaubt, ihm würden die Rippen zerschlagen. Die Luft wird ihm knapp. Er kann sich etwas vom Gegner lösen und ihn dann mit langen Schlägen treffen. Er ist langbeiniger und kann sich im Wasser des sandigen Creeks etwas schneller bewegen. Er verspürt plötzlich eine heiße Furcht davor, dass er diesen Gegner nicht schlagen kann. Denn Kendall wirkt immer noch unbeirrbar und zuversichtlich, obwohl er ihn doch mehrmals mit ganzer Kraft traf und er viel Kraft dabei verschwendete, als er mehrmals erfolglos versuchte, aus dem Creek und über den Uferrand zu kommen.
Kendall springt ihn wieder knurrend an, packt ihn, und sie fallen wieder ins Wasser, halten sich umschlungen, wälzen sich. Kendall versucht nun, ihn mit dem Kopf unter Wasser zu drücken, doch Jim kann ihn von sich herunterwerfen. Er trifft ihn dann mehr zufällig mit dem Knie in die Herzgegend, indes sie sich umeinander wälzen, sich schlagen und wild kämpfen. Kendall lässt einen Moment nach. Der Kniestoß muss ihn irgendwie gelähmt haben. Jim bekommt ihn nun mit einem Ringergriff von hinten zu fassen. Es ist ein so genannter »Doppel-Nelson«. Jim schob seine Arme von hinten unter Kendalls Achselhöhlen durch und drückt nun mit Händen und Unterarmen auf Kendalls mächtigen Nacken. Er zwingt ihn mit dem Kopfe nach unten und taucht ihn ins Wasser nieder bis zum sandigen Grund. Kendall versucht, sich zu überschlagen. Es gelingt ihm nicht. Er tritt nach hinten, kämpft, ruckt und zuckt. Doch Jim Jones’ Griff ist eisern und fest. Wie lange hält Kendall das wohl unter Wasser aus? Ist er ein guter Schwimmer? Wenn er das ist, so hält er es mit dem Kopf unter Wasser gewiss länger aus als ein Nichtschwimmer. Er erschlafft plötzlich, so als wäre er ohnmächtig geworden. �
Das kann ein Trick sein – aber auch wieder nicht. Jim möchte ihn nicht töten und schon gar nicht ersäufen. So löst er seinen Griff und hebt Kendalls Oberkörper aus dem Wasser. Und da zeigt es sich, dass es ein Trick war. Kendall ist zwar sehr außer Atem, doch er war noch nicht bewusstlos. Er trifft Jim mit einem kurzen Haken unter das Kinn. Doch dieser Schlag hat nicht mehr die explosive Kraft. Jim fällt zwar ins Wasser, doch als sich Kendall auf ihn werfen will, rollt er sich zur Seite. Kendall fällt ins Leere. Und nun setzt Jim sich mit einem Sprung auf ihn, so als wollte er ihn reiten. Kendall wird wieder einen Moment unter Wasser gedrückt. Er verschluckt sich und muss husten. Dieser Hustenanfall macht ihn für einen Moment kampfunfähig. Jim könnte ihn jetzt mühelos besiegen. Doch er lässt von ihm ab und klettert aus dem Creek. Er wartet oben auf dem Uferrand. Kendalls Hustenanfall ist schlimm. Er muss eine Menge Wasser in die Luftröhre bekommen haben. Als er dann seine Not überwunden hat, blickt er sich suchend nach Jim um und erkennt ihn dann oben auf dem Uferrand. »Na komm«, sagt Jim, »wir haben genug gebadet und uns erfrischt. Komm, Mister, wir machen hier oben weiter.«
Kendall starrt verwundert. Ja, es ist unverkennbar ein Staunen in ihm. Er klettert langsam herauf, und er schnauft stark und ist immer noch atemlos. Oben starrt er Jim an und schüttelt den Kopf. »Als ich den Husten bekam, hättest du mich schlagen können«, sagt er keuchend. »Jones, dies ist deine schwache Seite: Du bist zu fair. Als ich husten musste, ließest du von mir ab. Dies ist vielleicht edel, doch auch dumm! Diesen Kampf hast du gewonnen. Er würde mir nichts nützen, wenn ich dich jetzt schlagen könnte, weil du deine Chance nicht ausgenützt hast. Du bist ein Narr, Jim Jones. Wenn du in einigen Tagen noch in diesem Land bist, werden einige besondere Burschen kommen und einen Revolverkampf haben wollen. Du hast dir deine Revolverhand ziemlich zerschlagen, nicht wahr? Na gut, es steht unentschieden. Du bist auf lange Sicht gesehen jedoch erledigt, Jim Jones. Nimm lieber deinen Bruder und verschwinde, sonst holt dich deine Vergangenheit ein. Denk an deine Hand.« Er grinst, schnauft und geht zu seinem Pferd. Jim aber betrachtet seine Linke. Ja, er hat sie sich ziemlich schlimm aufgeschlagen an Kendall. Die Knöchel sind zerschlagen und bluten heftig. Die ganze Hand ist gestaucht worden; sie wird anschwellen und für einige Tage nur schwer zu bewegen sein.
Er hat mich reingelegt, denkt Jim bitter. Er hat gewusst, dass bald einige meiner Feinde und bestimmt nicht wenige jener wilden Jungen kommen werden, die es nach einem Revolverkampf juckt. Diese Schurken haben gewiss Botschaften nach allen wilden Städten gesandt, dass man mich hier in Waterwale finden und zu einem Revolverkampf fordern kann. Er sieht bitter zu, wie Ken Kendall sich in den Sattel schwingt. Kendall schafft es erst beim zweiten Versuch. Er ist von dem Kampf doch sehr erschöpft und ausgebrannt. Dass er beim ersten Mal nicht in den Sattel kommt, ist ein Beweis dafür. Vielleicht hat er deshalb den Kampf nicht fortgesetzt und seine Worte waren nur Bluff. Er reitet ohne noch ein Wort zu sprechen davon. Jim holt sich seinen Revolver, und als er sich die Gürtelschnalle schließt, spürt er schon in den zitternden Fingern eine schmerzende Unbeweglichkeit. Er hockt sich am Rand des Wassers nieder und taucht die Hände hinein. Er kühl und knetet sie, bewegt sie. Denn er wird seine Revolverschnelligkeit bald nötiger haben als je zuvor. Denn er kann nicht fortreiten. Wegen seines Bruders nicht. Wegen der bedrängten Rancher nicht.
Und nicht, weil er einen Stern in der Tasche trägt. Er spürt, dass jetzt bald die Zeit gekommen ist, da er sich diesen Stern offen an die Weste stecken wird. Denn es ist möglich, den Bruder zu retten und in diesem Land rechtliche Verhältnisse zu schaffen. Man braucht nur drei ehemalige Bankräuber zu überführen und festzunehmen. So einfach ist das! Nur die praktische Ausführung ist nicht so leicht und einfach wie die Erkenntnis, wie man es machen muss. Er denkt bitter daran, dass es jetzt gewiss allmählich Zeit wird, nach seinem Bruder zu sehen. Und hoffentlich reitet Ken Kendall jetzt nicht heim zu seiner Ranch. Denn dort befindet sich gewiss noch Adam im Wohnhaus und wartet darauf, es bei schützender Dunkelheit verlassen zu können. Jim lächelt bitter und nachsichtig zugleich, als er jetzt wieder daran denkt, was Adam bei Ken Kendall zu finden hofft. Er glaubt nicht recht an einen Erfolg. « Adam Jones’ Hoffnungen sind jetzt, nachdem er � schon viele Stunden das ganze Haus durchsuchte, �
nicht mehr so groß wie am Anfang. Er ermutigt sich immer noch damit, dass ihm viele Erfahrungen fehlen. Bisher lebte er stets nur in einfachen Hütten oder im Gefängnis. Er kennt sich nicht aus mit all den tausend Möglichkeiten, die es in einem nobel ausgestatteten Wohnhaus gibt. Stunde um Stunde verging, indes er suchte und suchte. Er blätterte alle Bücher durch, blickte in alle Behälter, Schubladen, hinter alle Bilder und Spiegel. Er sah nach, ob man irgendwo ein Dielenbrett herausnehmen konnte und schraubte sogar die vier Messingkugeln von Kendalls Bettgestell los. Er durchsuchte jedes Ding und jeden Quadratzoll in diesem Hause. In Kendalls Schreibtisch fand er sogar das Geheimfach und darinnen zweitausend Dollar. Aber sonst fand er nichts – gar nichts. Sollte ihn seine Hoffnung, die fast schon ein Glaube war, dass Kendall die Schuldbekenntnisse seiner Partner besitzt, getäuscht haben? Aber er glaubt immer noch, dass es diese gegenseitigen Bekenntnisse gibt. Dies hatte man damals abgemacht. Man wollte mit der Beute große Geschäfte tätigen und sich gegenseitig von jedem Verrat absichern. Jeder sollte gleichberechtigt bleiben. Jeder sollte den anderen in der Hand haben. Es muss diese Schuldbekenntnisse geben! Adam ist immer noch
sehr sicher darin. Aber wo steckt das Zeug? Dies ist die Frage. Hat Ken Kendall es gar nicht im Haus? Hat er es deponiert? Aber wo? Bei der Bank kann er es bestimmt nicht getan haben, denn da hat Al Kilman die Möglichkeit, es wieder an sich zu nehmen. Aber vielleicht trägt Ken Kendall die Schuldbekenntnisse seiner beiden Partner stets bei sich. Das könnte sein, und es entspräche auch seiner Art, sich nur auf sich selbst zu verlassen, auch dann, wenn es um die Aufbewahrung einer wichtigen Sicherheit geht, die ihm die Ehrlichkeit seiner Partner gewährleistet und sie alle drei zusammenhält. Adam Jones glaubt nun wahrhaftig mehr und mehr daran, dass Ken Kendall die Schuldbekenntnisse stets bei sich trägt. Ihn überkommt nun eine tiefe Resignation. Wie soll er an Ken Kendall herankommen? Und Kendall ist der einzige Mann, bei dem er eine Chance zu haben glaubte. Kilman und Moses besitzen einbruchsichere Geldschränke. Adam Jones gibt die Suche nun auf. Er verspürt auch Hunger, doch er findet nichts im Haus, was er essen könnte. Nur einige Flaschen mit allerlei alkoholischen Getränken findet er. Doch er hat Angst, davon zu trinken. Er weiß, dass er nicht mehr aufhören kann, wenn er damit
erst angefangen hat. Und wenn er dann betrunken ist, wird er nach Anbruch der Nacht vielleicht nicht unbemerkt von der Ranch schleichen können. Er hat herausgefunden, dass außer dem Koch noch vier andere Männer auf der Ranch sind. Und vielleicht kommen zum Abend noch andere Männer der Mannschaft, vielleicht sogar Ken Kendall. Als Adam daran denkt, durchfährt ihn ein heißes Furchtgefühl. Er erinnert sich wieder an die Prügel, die er erhielt. Oha, wenn Ken Kendall ihn hier in seinem Haus erwischen würde – es wäre nicht auszudenken, was ihm, Adam, dann … Er kommt mit seinen Gedanken nicht weiter, denn draußen auf dem Hof klingt nun der Hufschlag eines Reiters. Hier im Haus ist es schon recht dämmrig, denn draußen sinkt der Abend nieder. Man müsste jetzt in den Häusern die Lampen anzünden. Doch dies kann Adam natürlich nicht tun. Ihm ist es nur willkommen, dass jetzt bald die Nacht anbrechen wird. Er fragt sich bange, was für ein Reiter da wohl über den Ranchhof geritten kommt? Und er wagt einen Blick durch eines der Fenster. Zuerst erkennt er den Reiter nicht, denn er sitzt vorübergeneigt auf dem Pferd. Doch dann wird es Adam klar, dass es Ken Kendall ist. Der Boss der KK Ranch hält vor dem Haus an und rutscht
mühsam aus dem Sattel. Einer seiner Leute kommt von den Ställen herübergelaufen, um sich des Pferdes anzunehmen. Doch Adam sieht das nicht mehr. Adam begibt sich auf dem schnellsten Weg unter Ken Kendalls Bett. Dies erscheint ihm die einzige Möglichkeit, von Kendall nicht entdeckt zu werden. Wenn es schon dunkel wäre, so könnte er durch eines der Fenster das Haus verlassen. Er hört Kendall dann ins Haus kommen, langsam und stolpernd, ganz so, als wäre er betrunken oder erschöpft. Jetzt erst wird Adam sich darüber klar, dass Kendall nicht stolz, sondern recht kläglich im Sattel saß. Ob er krank ist? Diese Frage stellt Adam sich hoffnungsvoll. Dann hält er die Luft an, weil Kendall ins Zimmer kommt und sich mit einem stöhnenden Seufzen rücklings auf das Bett sinken lässt. Neben dem Bett fällt etwas zu Boden. Es ist eine Bullpeitsche. Auch damals, in Steve Moses’ Büro hatte Kendall diese Peitsche bei sich. Adam erinnert sich wieder daran. Doch Kendall verprügelte ihn dann nicht mit dieser Peitsche, sondern mit den Fäusten. Warum eigentlich mit den Fäusten? Diese Frage stellt Adam sich, indes er unter dem Bett hervor die Peitsche betrachtet. Sein Kopf befindet sich nur einen halben Yard vom
Stielende entfernt, und es ist noch hell genug, dass er die Peitsche einigermaßen gut betrachten kann. Über sich auf dem Bett hört er Kendall seufzen und stöhnen. »Dieser Hundesohn, dieser Jim Jones«, ächzt Ken Kendall, »hat mich wahrhaftig verprügeln können – mich, der ich mich für stärker hielt. Er hätte mich wie eine Katze ersäufen können, und er hat mir zumindest zwei Rippen angeknickt, als er mich mit dem Knie stieß.« Adam Jones hört dies, und wenn die Worte auch ziemlich gepresst und stöhnend gesprochen werden, so versteht er sie doch. Es ist plötzlich eine grimmige Freude in ihm. Ken Kendall wurde von Jim verprügelt. Dies gefällt Adam sehr. Aber bald beschäftigen sich seine Gedanken damit, wie er hier herauskommen soll. Er hat nicht damit gerechnet, dass Kendall sich gleich auf das Bett legen würde. Er glaubte, Kendall würde sich zum Abendessen in den Speiseraum begeben oder sich das Essen in sein Wohnzimmer oder gar auf die Veranda bringen lassen. Stattdessen sind sie jetzt nur um wenige Zoll mehr, als die Matratze dick ist, voneinander getrennt. Ich muss mich still und vollkommen lautlos verhalten, bis er eingeschlafen ist, denkt Adam
bitter und voller Sorge. Die Furcht verursacht in seiner Magengegend ein flaues Gefühl. Doch dann erinnert er sich daran, dass er seinen Revolver bei sich hat und dass er zwei Revolverkämpfe siegreich bestand. Oha, er könnte es mit Ken Kendall mit einem Revolver in der Hand gewiss aufnehmen. Er könnte sich jetzt sogar für die erhaltenen Prügel rächen. Doch er verwirft diesen wilden Gedanken. Es ist schon besser, wenn er hier unbemerkt herauskommen und davonkommen kann. Er dreht den Kopf zur Seite und hat nur noch eine Sorge, nämlich, dass er vielleicht niesen oder husten muss. Da er den Kopf zur Seite gedreht hat, sieht er wieder die Peitsche, die Ken Kendall draußen trotz seiner Not vom Sattelhorn genommen und mit ins Schlafzimmer gebracht hat. Warum schleppt er die Peitsche bis in sein Schlafzimmer, wo er doch kein ausgesprochener »Peitschenmann« ist? Denn wenn er einer dieser Burschen wäre, die so gerne eine Peitsche benutzen und sie ständig bei sich haben, so hätte er mich in Steve Moses’ Büro mit der Peitsche und nicht mit den Fäusten verprügelt. Warum also schleppt er trotz seiner Not seine Peitsche mit ins Schlafzimmer? Diese Frage ist in Adam Jones und lässt ihn nicht mehr los, indes er das Ende des
Peitschenstieles dicht vor der Nase und den Augen hat. Der Peitschenstiel ist etwa fußlang und mit Klapperschlangenhaut überzogen. Das Ende besteht jedoch aus einer silbernen Hülse mit einem abgeplatteten Knauf, so wie man es oft an den Spazierstöcken der Gentlemen sehen kann. Adam hat einmal davon gehört, dass man Spazierstöcke kaufen kann, deren Knäufe sich abschrauben und herausziehen lassen. Es befindet sich dann eine lange Klinge an diesen Knäufen, die man aus dem Spazierstock herausziehen kann wie aus einer Degenscheide. Daran denkt Adam flüchtig, indes er das silberne Knaufende der Peitsche betrachtet. Und plötzlich durchfährt es ihn heiß. Hoiii! So denkt er fast erschrocken. Hoii, wenn sich das Griffende abdrehen ließe, so könnte in diesem Peitschenstiel ein Hohlraum sein, in dem man einige zusammengerollte Schriftstücke gut unterbringen könnte, oho! Er liegt atemlos still und lauscht. Über sich hört er Kendall tief atmen. Er glaubt, dass Kendall eingeschlafen ist vor Erschöpfung. Und so wagt er es. Er zieht das Ende des Peitschenstieles ein Stück weiter unter das Bett, sodass er es mit beiden Händen fassen kann. Er versucht den knopfähnlichen Knauf abzudrehen – und es geht ziemlich leicht, nachdem der erste
Widerstand durch eine kräftige Drehbewegung überwunden ist. Als er das Ende abgeschraubt hat, findet er im Griffstück den Hohlraum. Ein Zinnröhrchen, dessen offene Enden zugesiegelt sind, gleitet heraus. Adam ist vollkommen sicher, dass er gefunden hat, was er suchte. Er nimmt das Röhrchen, das etwa einen Durchmesser von zwei Zentimetern hat und etwa fünfzehn Zentimeter lang ist, an sich, schließt das Ende des gut vier Zentimeter dicken Peitschenstieles wieder und wartet, bis die Dunkelheit vollkommen ist und die Atemzüge Ken Kendalls noch tiefer und rasselnder wurden. Ken Kendall schläft nun einen betäubungsähnlichen Schlaf. Er hatte schon in den vergangenen Nächten wenig Schlaf bekommen und sich dann in seinem Kampf gegen Jim Jones vollkommen verausgabt. Adam Jones schiebt sich sachte unter dem Bett hervor und gelangt lautlos aus dem Zimmer. Er verlässt die Ranch genau so unbemerkt, wie er gekommen ist. Es ist ein wildes Frohlocken in ihm. Jetzt hat er Steve Moses und Al Kilman in der Hand. Und da diese wiederum Ken Kendalls Schuldbekenntnis besitzen, haben sie ihn in der Hand. »Sie werden mir nun die vierzigtausend Dollar zahlen müssen«, murmelt Adam Jones, als er sein
Pferd erreicht hat und erst einmal aus der Wasserflasche trinkt. Aber er verschluckt sich schlimm, als dicht neben ihm die Stimme des Bruders sagt: »Hast du tatsächlich gefunden, was du zu finden hofftest, Adam?« Adam war schlimm erschrocken, ließ die Flasche fallen und hält nun den Revolver in der Hand. Doch er hat sich auch stark verschluckt und muss husten. »Mach solch einen Scherz nicht noch einmal, Bruder!«, keucht er. Dann aber überwiegt sein Triumphgefühl den Ärger über das heftige Erschrecken. Er sagt stolz: »Ich habe diese drei Schufte in der Hand. Ja, sie haben damals tatsächlich getan, was sie vorher genau besprochen und geplant hatten. Sie schrieben Schuldbekenntnisse, und somit hatte jeder jeden in der Hand. Auf dieser Basis begannen sie mit ihren großen Geschäften und sind jetzt noch Partner. Und keiner von ihnen kann die anderen übers Ohr hauen. Na gut, ich werde jetzt bald vierzigtausend Dollar kassieren. Willst du mir helfen, Bruder?« »Wie könnte ich das?« So fragt Jim sanft. Adam überlegt nicht lange. »Ich brauche einen Helfer«, sagt er. »Anders kann es nicht gemacht werden. Ich brauche einen Partner, der unschlagbar ist und dem ich vertrauen kann. Das bist du! Denn dich kann keiner schlagen. Auch
bist du mein Bruder. Wenn du mir dein Wort gibst, dass du mir helfen willst, dann werde ich dir vertrauen. Ich werde auch mit dir teilen, jawohl! Also, versprich mir, dass du mir helfen willst!« Jim muss jetzt Farbe bekennen. Dies begreift er. Wieder einmal steht er vor einer Entscheidung. Es geht ihm jetzt nicht viel anders als damals, als der verwundete Sheriff mit einer Menge Geld in sein Camp kam. Schon damals musste er gegen die Versuchung ankämpfen, das Geld zu nehmen. Und als dann sein Bruder Adam ins Camp kam, wurde die Versuchung noch größer. Denn Adam hatte sich bereit gefunden oder vielmehr zur Bedingung gemacht, dass sie das Geld des Sheriffs nehmen müssten, wenn er, Adam, auf seinen Ritt nach Waterwale zu seinen drei einstigen Partnern verzichten sollte. Ja, Jim hat damals die Versuchung gespürt. Doch der Gedanke an den Stern in seiner Tasche half ihm dann bei der Entscheidung. Und so ist es auch jetzt wieder. Er denkt wieder an den Blechstern in seiner Tasche. Mit einem Mal wird ihm klar, dass nun die Zeit gekommen ist, da er sich diesen Stern deutlich sichtbar an die Weste stecken sollte. Aber da ist Adam. Und Adam muss er eine schlimme Enttäuschung bereiten. Oh, er begreift nun klar,
dass er Adam wirklich helfen wird, wenn er dessen drei ehemalige Partner dem Gesetz übergibt. Und so sagt er ruhig: »Ich will und werde dir helfen, Adam. Ich gebe dir mein Wort, dass ich dir wie ein guter Bruder helfen will.« Adam schnauft erleichtert. »Jetzt schaffen wir es bestimmt. Hier, Bruder! Nimm dieses Röhrchen aus Zinn. Es enthält die Schuldbekenntnisse von Moses und Kilman. Diese wieder werden Kendalls Schuldbekenntnis haben. Reite mit diesen Trümpfen in die Stadt, Jim. Halte dich dort auf und lass dir unsere Trümpfe nicht abnehmen. Ich will hier etwas schlafen. Morgen gehe ich dann zu Kendall herunter und stelle ihm meine Forderungen. Er kann mir nicht das Geringste tun. Denn durch seine Unachtsamkeit haben wir seine Partner in der Hand. Und da diese ihn in der Hand haben, müssen sie sich unseren Forderungen fügen. Du kannst in der Stadt mit Moses und Kilman im gleichen Sinne reden. Wir verlangen vierzigtausend Dollar. Ist das alles klar, Jim?« Dieser überlegt noch. Aber er kann keine Gefahr für Adam erkennen. Kendall wird sich wirklich hüten, ihm auch nur ein Haar zu krümmen. Sie werden beide nach Waterwale kommen, dessen ist Jim sicher. Und so sagt er: »Es ist alles klar, Bruder! Wir werden es schaffen. Und vergiss nicht, dass ich
alles tun werde, um dir wirklich zu helfen. Ich werde alles tun, was gut für dich ist.« In seinen Worten ist ein ernster Doppelsinn enthalten, doch Adam erkennt ihn nicht – kann ihn auch gar nicht erkennen. »Ich bin sehr froh, Jim, dass ich dich nun endlich auf meiner Seite habe«, sagt er. »Mit deiner Hilfe können wir das alles sehr leicht schaffen. Wir ziehen diesen Schurken jetzt das Fell über die Ohren. Und ich freue mich schon über Kendalls Gesicht, wenn ich ihm morgen sage, dass ich ihn und die beiden anderen Affen in der Hand habe. Wie geht es dir, Bruder? Kendall war von dem Kampf restlos erschöpft und fiel in einen Schlaf, der fast schon eine Bewusstlosigkeit war. Bist du in Ordnung, Jim?« »Es geht«, sagt dieser. »Natürlich habe ich allerhand Prügel abbekommen, doch ich falle nicht aus. Ich reite jetzt nach Waterwale, lege mich einige Stunden aufs Ohr und warte morgen Vormittag auf dein und Kendalls Eintreffen. Zuvor spreche ich mit Moses und Kilman.« »So ist es richtig«, sagt Adam. Seine Zähne blitzen in der Dunkelheit, und er schlägt Jim auf die Schulter. Dann trennen sie sich. Jim Jones ist nach Waterwale unterwegs. Es ist Mitternacht, als er die Lichter der Stadt erkennt. �
Er hält an und steckt sich den Stern an. Er heftet ihn unter der Weste auf die Hemdtasche. Er braucht jetzt nur die Weste etwas zu öffnen, um diesen Stern zu zeigen. Und er ist der vollsten Überzeugung, dass er wirklich dabei ist, dem Bruder brüderlich zu helfen. Adam wird sicherlich keine vierzigtausend Dollar bekommen. Doch er wird mit der Vergangenheit endgültig fertig sein und ein völlig neues Leben beginnen können. Jim hofft, dass ihn Adam zuletzt nicht hassen wird.
10 Als Jim sein Pferd in den Mietstall bringt, ist nicht der alte Nachtmann da, sondern Riv McLane selbst. »Ich habe mir einige Sorgen gemacht, Jim«, sagt der alte Kriegskamerad. Jim grinst nur müde. Im Laternenschein kann Riv McLane erkennen, dass Jim mit den Fäusten gekämpft hat. Aber er stellt keine Fragen mehr. Jim sitzt auf der Futterkiste, indes Riv McLane den grauen Wallach versorgt. Es sieht so aus, als würde Jim – eingeschlafen sein. Doch als Riv McLane wieder durch den Stallgang nach vorn kommt, hebt Jim den Kopf und sieht Riv McLane fest an. »Ich brauche etwas Hilfe, Riv«, sagt er. »Du könntest dir von Jennifer O’Rourke den Schlüssel zum Sheriff’s Office geben lassen. Wie viel Zellen sind vorhanden?« »Drei«, sagt Riv McLane langsam und betrachtet ihn scharf. »Willst du jemanden in diese Zellen einsperren?« »Drei reichen genau«, erwidert Jim und holt die Röhre aus Zinnblech aus der Hemdtasche. Dabei lüftet er die Weste. Riv McLane erblickt nun das Abzeichen des US-Hilfsmarshals.
»He, hast du wieder deinen alten Rang, Jim?« So fragt er, denn während des Bürgerkrieges war Jim Jones Captain in der Texas-Brigade. Aber Jim grinst nur bitter. Er entfernt mit dem Messer das Siegelwachs aus den Enden des Röhrchens. Er zieht ein Röllchen Papier heraus und rollt es auf. Riv McLane tritt neben ihn, und beide lesen sie: Waterwale, den 17. Mai 1864 Bekenntnis! Wir, die Unterzeichneten, haben vor genau drei Monaten eine Filiale der Kansas-Bank beraubt. Wir erbeuteten achtzigtausend Dollar (Golddollar) Staatsgelder, die zur Verwendung durch einen Regierungsbeauftragten dort bereitgestellt waren. Wir wollen mit dem erbeuteten Geld hier in Waterwale geschäftlich tätig werden. Unser Bekenntnis zu unserer Schuld dient dem Zweck einer gegenseitigen Absicherung. Es wird in dreifacher Ausfertigung verfasst und unterschrieben von den Beteiligten. Al Kilman Steve Moses Ken Kendall
Riv McLane staunt. »Oha«, sagt er. »Das ist aber ein dicker Hund.« »Ich gehe jetzt los, um sie zu verhaften«, sagt Jim ruhig. »Ich möchte sie ohne jeden Aufenthalt in die Zellen bringen. Denn morgen kommt mein Bruder mit Ken Kendall in die Stadt. Den möchte ich auch noch schnell und glatt erwischen.« Riv McLane nickt. »Und was soll ich sonst noch tun, wenn ich das Sheriff’s Office und die Zellen geöffnet habe?« »Verschwinden«, sagt Jim trocken. »Du setzt dich auf dein schnellstes Pferd und reitest zur nächsten Telegraphen-Linie. Dort gibst du ein Telegramm an US Marshal Sam Derringer in Flagstaff auf mit dem Wortlaut: Die drei Bankräuber überführt und in der Zelle. Erbitte Transportwagen und Begleitschutz. Wenn du das getan hast, Riv, kannst du nach Waterwale zurückkommen und dir die Sache ansehen.« »Oha, ich werde mehr tun, als nur zusehen«, sagt Riv McLane bedächtig und streicht sich über den Texanerbart. Jim grinst. Er erhebt sich von der Futterkiste, auf der er bisher so schlaff ruhte. Und er wirkt nun ausgeruhter als zuvor. Die kurze Ruhepause und Entspannung tat ihm gut.
Er verlässt mit Riv McLane den Stall. Doch draußen taucht er beim Tränktrog seinen Kopf ins Wasser. Dann macht er sich auf den Weg. Vor den Moses-Spielhallen stehen noch einige Sattelpferde und Wagen. In den Wagen kamen Arbeiter und Angestellte von den Minen. Jim will nicht länger mehr warten. Er geht hinein, und er findet Steve Moses und Al Kilman wahrhaftig, wie er erwartet hat, an einem Pokertisch. Er wusste von Riv McLane, dass Moses und Kilman oft um hohen Einsatz mit reichen Minenbesitzern Poker spielen und zumeist gewinnen. Der Tisch steht in der Ecke. Außer den sechs Spielern, die rings um den Tisch sitzen, stehen noch fast ein Dutzend Zuschauer herum. Es ist offenbar ein scharfes Spiel im Gange. Das Rouletterad, die Billardtische und alle anderen Tische, an denen sonst gewürfelt, Faro gespielt und andere Spiele ausgetragen werden, sind leer und verlassen. Es ist eine Stunde nach Mitternacht. Als Jim in den Raum tritt, betrachten ihn die Männer neugierig, und es ist mit einem Mal eine Spannung zu spüren. Er tritt langsam an den Tisch. Die Zuschauer machen ihm Platz, weichen zur Seite.
Man sieht seiner Kleidung und auch seinem Gesicht immer noch den harten Kampf mit Ken Kendall an. Seine Stimme klingt schleppend und klirrt, als er sagt: »Schluss jetzt, Gentlemen! Hören Sie auf und gehen Sie heim oder dorthin, wo Sie wohnen. Die Moses-Betriebe in dieser Stadt sind ab sofort geschlossen.« Als er verstummt, wirken sie alle sehr ungläubig, und sie glauben, er hätte einen schlechten Scherz gemacht. Steve Moses aber erhebt sich langsam und fragt barsch: »Sind Sie betrunken, Jim Jones? Oder warum reden Sie sonst einen solchen Unsinn? Aus welchem Grund sollten meine Betriebe wohl geschlossen werden?« »Weil sie mit gestohlenem Geld gekauft oder eröffnet wurden«, sagt Jim Jones ruhig. »Und überdies sind Sie und Al Kilman natürlich verhaftet wegen Bankraubes, begangen am siebzehnten Februar achtzehnhundertvierundsechzig in Kansas. Es wurden damals Gelder der Regierung der Vereinigten Staaten geraubt – achtzigtausend Dollar! Und weil es Regierungsgeld war, bin ich als US-Hilfsmarshal befugt, Sie, Steve Moses, und Sie, Al Kilman, zu verhaften.« Bei seinen letzten Worten schlug er seine Weste auf, sodass man seinen Stern erkennen kann, den er auf der Hemdtasche trägt.
Und als er verstummt, ist es eine Weile still. Dann weichen alle Gäste zurück, die mit der Sache nichts zu tun haben und nicht in die Flugbahn von Kugeln geraten möchten. Auch die anderen Spieler am Tisch erheben sich eilig und bringen sich außer Schusslinie. Dies alles geschieht mit Füßescharren und hastigen Bewegungen. Ein Stuhl kippt um, und eine heisere Stimme sagt: »Heiliger Rauch, der ist ja ein US Marshal!« Dann ist es still. Steve Moses und Al Kilman sind aufgesprungen. Nun stehen sie hinter dem Spieltisch. Vor ihnen liegen Karten, liegt Geld. Sie blicken auf Jim Jones – staunend, ungläubig. Dann fliegen ihre Blicke in die Runde. Steve Moses stellt etwas erleichtert fest, dass sich zwei seiner Hauspolizisten vom Saloon her durch die Seitentür schieben. Doch Jim Jones sieht die beiden Revolverschwinger auch. Er sagt scharf: »Raus mit euch! Habt ihr verstanden! Raus!« In seiner nicht sehr lauten, doch sehr scharfen Stimme ist eine klirrende Härte. Als die beiden Burschen nicht gleich gehorchen, sondern erst noch fragende Blicke auf Steve Moses richten, schlägt Jim Jones klatschend mit der Hand gegen den Revolverkolben. Und er sagt nichts mehr.
Aber die beiden Revolverschwinger des Saloons verschwinden. Sie können sich mit Sicherheit darauf verlassen, dass Steve Moses sie entlassen wird. Doch dies erscheint ihnen nicht so schlimm wie ein Kampf gegen Black Jim Jones. Dieser wendet sich wieder Steve Moses und Al Kilman zu. »Nun, ich warte«, sagt er. »Kommt hinter dem Tisch hervor. Ich will euch nach Waffen durchsuchen, bevor ich euch hinüber in die Zellen schaffe.« Sie können es immer noch nicht so richtig glauben. Es erscheint ihnen zu ungeheuerlich. Sie besaßen bis jetzt die Macht in diesem Land. Sie fühlten sich längst völlig sicher. Al Kilman gibt sich einen Ruck. Er sagt hart: »Jones, Sie erheben da eine schwere Anschuldigung gegen uns. Können Sie das auch alles beweisen? Wir sollen eine Bank beraubt haben, in der Regierungsgelder deponiert waren?« Jim nickt. »Ich besitze eines eurer gegenseitigen Schuldbekenntnisse. Die beiden anderen bekomme ich auch noch. Diese Bekenntnisse werden die Aussagen meines Bruders ergänzen. Ihr seid erledigt! Und nun kommt endlich hinter dem Tisch hervor, bevor ich euch hole!« Sie bewegen sich immer noch nicht.
»Und meine Bank wird auch geschlossen?« Dies fragt Al Kilman. Jim nickt. »Bis die Regierung entschieden hat, was mit der Bank geschehen soll«, sagt er knapp. »Ich zähle jetzt bis drei«, fügt er mit gefährlicher Sanftheit hinzu. »Dann hole ich euch hervor!« Seine letzten Worte sind wieder scharf. Man hört ihm an, dass er nun kein weiteres Wort mehr verschwenden wird. Al Kilman seufzt tief. Er wirkt wie ein Mann, der sich geschlagen fühlt und sich seufzend in das Unvermeidbare fügt. Er wendet sich zur Seite, um nun um den Tisch herumgehen zu können. Steve Moses wendet sich nach der anderen Seite. Aber dann handeln sie beide wie auf ein stillschweigendes Kommando. Nun zeigen sie, dass sie nicht nur smarte Geschäftsleute sind, sondern gefährliche Banditen. Steve Moses war ein Spieler, ein gefährlicher Kartenhai. Er trägt auch jetzt noch nach Spielerart einen Derringer im Ärmel, und er zaubert ihn nun heraus, wie es nur ein einstiger Kartenhai vermag, dessen Hände die Geschicklichkeit eines Zauberkünstlers besitzen. Al Kilman jedoch trägt eine kleine Waffe im Schulterholster unter seinem bequem geschneiderten Prinz-Albert-Rock. Es ist eine
zwölfschüssige Walsh-Marinepistole, eine Zweiunddreißiger, sehr flach und gut unter einer Jacke zu verbergen. Beide Männer haben sich zur Seite gewandt, weil sie um den Tisch herumgehen mussten. Sie ziehen beide auf der von Jim Jones abgewandten Seite. Al Kilman fährt mit der Linken unter den Rock, wo er unter der rechten Achselhöhle die Pistole im Schulterholster trägt. Und Steve Moses hat den kleinen ColtDerringer im rechten Ärmel. Aber als sie herumwirbeln, um die Waffen auf Jim Jones abzufeuern, da erweisen sie sich nicht als schnell genug. Die Zuschauer halten den Atem an, und sie können sich nicht einmal zu Boden oder hinter irgendwelche Deckungen werfen, so schnell geht es. Jim Jones’ Hände sind zerschlagen und steif. Er kann deshalb nicht so zauberhaft schnell ziehen wie sonst. Doch er schlägt die beiden Angreifer noch um jenen Sekundenbruchteil, auf den es ankommt. Er trifft Al Kilman in die Schulter und Steve Moses in den Unterarm. Aber Moses drückt doch noch seinen Derringer ab. Beide Läufe drückt er ab. Die Kugeln gehen eine Handbreit über Jim Jones’ Kopf hinweg schräg nach oben in die Decke. Dann ist es vorbei.
Der Pulverrauch verzieht sich. Die Zuschauer halten immer noch den Atem an, und sie hören Jim Jones sagen: »Vorwärts jetzt! Der Doc wird euch in den Zellen verbinden. Ihr werdet Matratzen und weißes Bettzeug aus dem Hotel bekommen. Aber jetzt vorwärts!« Sie gehorchen. Al Kilman taumelt wie ein Betrunkener, und er presst sich unter der Jacke die Rechte auf die Schulterwunde. Dass er noch auf den Beinen steht, beweist nur, wie hart und stark Al Kilman ist. Das Leben als Bankier und Geschäftsmann hat ihn offenbar nicht sehr verweichlichen können. Er geht zuerst. Hinter ihm folgt Moses. Den Schluss macht Jim Jones mit dem schussbereiten Revolver in der Hand. Er sagt zu den Zuschauern: »Jemand soll den Doc benachrichtigen.« Der Weg ist nicht weit. Sie müssen an der Front der Spielhallen und am Gentlemen Saloon vorbei. Dann kommt eine Quergasse. Dahinter hat ein Erzprüfer und Geologe sein Büro. Das Wohnhaus des Sheriffs schließt sich an. Und schon der nächste Eingang führt ins Sheriffs Office. Die Tür steht offen. Im Office brennt die Lampe. Riv McLane steht hinten an der Tür zum Zellenraum und öffnet sie mit einer galanten Verbeugung, so als wäre er der goldbetresste Portier eines feudalen Hotels.
»Die Gemächer sind gerichtet, Sir!« Er ruft es mit grimmiger Freude. Bevor Al Kilman an ihm vorbeistolpert, hält er kurz an und betrachtet ihn. »McLane«, sagt Kilman, »ich hätte Sie schon vor kurzer Zeit zum Verkauf zwingen und aus der Stadt jagen sollen. Aber freuen Sie sich nur nicht zu früh! Dieser Narr hat uns zwar im Kasten. Doch er wird sich bald wünschen, nie nach Waterwale gekommen zu sein. Bald wird er in Waterwale sterben oder die Flucht ergreifen. Und dann sind wir wieder unter uns, McLane.« Dieser erwidert nichts, sondern wartet, bis sie in den Zellen sind. Jim Jones nickt ihm zu. »Jetzt kannst du losreiten, Riv.« »Und Ken Kendall?« Riv fragt es besorgt. »Soll ich nicht lieber bei dir bleiben? Wäre es nicht besser, einen anderen Boten zur nächsten Telegraphenstation zu schicken?« Jim schüttelt den Kopf. »Nein«, sagt er. »Und du musst auf Antwort warten. Ich muss sicher sein, dass US Marshal Sam Derringer meine Nachricht auch erhält. Ich muss wissen, wann der Gefangenentransport losgeht. Und um Kendall mach dir keine Sorgen. Wenn es hart wird, hilft mein Bruder Adam mir. Ich werde es schon schaffen, auch Kendall in die Zelle zu bekommen.«
»Nicht, wenn er zuvor erfährt, was heute hier in Waterwale geschah! Dann kommt er mit seiner rauen Mannschaft.« Riv McLane sagt es bitter. Er blickt Jim fragend an. Doch dieser sagt: »Reite schnell und lass dich nicht aufhalten, Riv.« Da geht dieser. Er ist kaum verschwunden, als Jennifer O’Rourke kommt. Hinter ihr folgt der Arzt. Jennifers Augen sind groß und weit, als sie Jim ansieht. »Ich will dem Doc helfen«, sagt sie knapp. Jim nickt und tritt hinaus auf den Gehsteig. Der schwarze Hausbursche des Silver-Star-Hotels bringt Matratzen und frische Bettwäsche herüber. Jim überzeugt sich, ob nicht eine Waffe dazwischen versteckt ist. Dann lässt er ihn hinein. Die Stadt ist still und wirkt wie ausgestorben. Es brennen nirgendwo mehr Lampen in den Häusern, nur hier und im Wohnhaus des Sheriffs. Die Lokale haben geschlossen. Jim fragt sich, wie es wohl weitergehen wird. Wird Ken Kendall rechtzeitig erfahren, was hier in der Stadt mit Steve Moses und Al Kilman geschah? Jim bezweifelt es stark, denn hier in der Stadt hat Ken Kendall kaum Freunde. Auch von seinen Reitern ist niemand in der Stadt, weil sie bis auf den letzten Mann mit den Rinderherden
beschäftigt sind und einen Angriff der RancherVereinigung erwarten müssen. Aber von Steve Moses’ oder Al Kilmans Leuten könnte jemand zu Ken Kendall reiten und ihn warnen. Dies wäre möglich, und Jim Jones hat immer wieder darüber nachgedacht. Doch er glaubt nicht sehr daran, dass jemand von Steve Moses’ oder Al Kilmans Leuten zur KK Ranch reiten wird. Steve Moses’ zwei Revolvermänner, die vom Saloon in den Speisesaal kamen, haben gekniffen. Es waren also keine zuverlässigen Männer, die für ihren Boss durchs Feuer gingen. So wie sie, so werden gewiss auch alle anderen sein. Die meisten von ihnen werden noch diese Nacht verschwinden, denn jene beiden Revolverschwinger, die vor einem Kampf kniffen, haben hier nichts mehr zu erwarten und gewiss jetzt schon den Anfang gemacht. Nein, es wird wahrscheinlich niemand zu Ken Kendall reiten und diesen warnen. Kendall wird am nächsten Morgen mit Adam in die Stadt kommen. Dessen ist Jim sehr sicher. Es wäre anders gewesen, hätte er zuerst Kendall verhaftet und in eine Zelle gesperrt. Kendalls Reiter hätten gehandelt und etwas unternommen. Jim tritt ins Office zurück und setzt sich hinter den Schreibtisch des Sheriffs. Er fühlt sich müde und ausgebrannt. Fast schläft er ein. Er schreckt
hoch, als der Arzt fertig ist und aus dem Zellenraum zu ihm tritt. »Es sind harmlose Verwundungen«, spricht der Arzt. »Sie werden kaum richtiges Wundfieber bekommen. In einer Woche sind sie transportfähig. Aber ich frage mich, ob Sie, Mister Jones, die Gefangenen in einer Woche noch transportieren wollen. Nun, ich komme am Nachmittag noch einmal nachsehen.« Er geht hinaus. Jim seufzt und sieht dann Jennifer an, die mit dem Arzt aus dem Zellenraum gekommen war. »Die Zellen sind zugeschlossen«, sagt sie. »Du solltest dich dort in der Ecke auf das Feldbett legen und schlafen. Ich werde wachen. Das haben wir schon einmal gemacht, nicht wahr, Jim? Und ich habe doch gut gewacht.« Er nickt. »Ja, ich möchte etwas schlafen«, sagt er. »Jenny, du bist ein gutes Mädel.« »Aber du hast Angst mich zu lieben«, sagt sie etwas herb. « Am nächsten Morgen reitet Adam Jones grinsend auf den Hof der KK Ranch und bis vor das Ranchhaus. Der Koch kam aus dem Küchenhaus, und einer der anderen Männer kam zwischen den Stallungen hervor.
»He, was willst du da, Reddy?« Dies ruft der Mann, der zwischen den Ställen zum Vorschein kam. Aber Adam Jones winkt nur ab. Denn inzwischen trat Ken Kendall aus seinem Haus auf die Veranda. Die Ruhe und der Schlaf haben ihm gut getan, doch dies drückt sich nur in seiner wieder straffen und energischen Körperhaltung aus. Im Gesicht sieht er ziemlich verschwollen aus, stoppelbärtig und grimmig wie eine Bulldogge. Doch Bulldoggen sind meist gar nicht grimmig, sie sehen nur so aus. Ken Kendall aber ist genau so grimmig wie er aussieht. Er betrachtet Adam mit ungläubigem Staunen. »Dass du dich hier auf die Ranch wagst, mein Junge«, sagt er dann, »ist eine ausgesprochene Dummheit. Oder hältst du dich jetzt für einen großen Revolvermann, der sich nicht mehr zu fürchten braucht?« Er fragt es höhnend und blickt an Adam vorbei zur Küche. Adam wendet sich um. Der Koch steht immer noch vor der Tür des Küchenhauses, und er hat nun ein Gewehr angelegt und zielt damit auf Adam. »Der schießt dir den dummen Kopf von den Schultern«, sagt Ken Kendall zufrieden. »Ich habe dich schon mal schlimm verprügelt. Was bringt dich auf die Idee, hier aufzutauchen?«
»Vierzigtausend Dollar«, erwidert Adam Jones schlicht. »Ich möchte dich dazu überreden, mit mir nach Waterwale zu reiten.« Ken Kendall neigt den Kopf zur Seite. In Adam Jones’ Stimme war ein besonderer Klang. Dieser Klang gibt Ken Kendall zu denken. Er beginnt zu ahnen, dass Adam Jones einen Trumpf im Ärmel haben könnte. »Nun, was sollten wir in Waterwale, Adam?« So fragt er langsam, und sein Blick ist jetzt sehr wachsam und forschend. »Du wirst Steve Moses und Al Kilman dazu überreden, mir vierzigtausend Dollar zu geben«, erwidert Adam Jones schlicht. Ken Kendall möchte lachen, doch er weiß, dass dann seine Rippen wieder schmerzen. Auch wäre in diesem Lachen keine Lustigkeit. Er kommt jetzt sofort auf den Kern der Sache, denn er stellt die Frage: »Und wenn ich es nicht tue? Was ist, wenn ich dich jetzt gleich in zwei Stücke reiße und zum Frühstück verputze?« »Das wäre dämlich«, erklärt Adam, und die wilde Freude springt ihm aus den Augen. »Ich habe euch! Ich habe euch drei Schurken in der Klemme! Ihr könnt gar nichts mehr tun, als meinen Forderungen nachzugeben. Sonst seid ihr erledigt.« »Sind wir das?«, fragt Kendall und blickt wieder zum Koch hinüber, der unentwegt mit dem Gewehr auf Adam Jones zielt.
Adam grinst böse. »Sieh mal in deinem Peitschengriff nach«, sagt er. »Und wenn du nachgesehen hast, dann kannst du damit beginnen, über eure Situation nachzudenken.« Ken Kendall wendet sich so schnell, dass er vor Rippenschmerzen aufstöhnt. Er verschwindet im Haus. Als er herauskommt, hat er eine Schrotflinte in der Linken und die Peitsche in der Rechten. Er hält die Schrotflinte so gefasst, dass er sie abdrücken kann wie einen Revolver. »Wirf deinen Colt fort«, sagt er mit grimmiger Ruhe zu Adam Jones. »Und dann steigst du vom Pferd. Ich werde dich mit dieser Peitsche verprügeln bis … »Das wirst du nicht«, unterbricht ihn Adam Jones. »Was in dem hohlen Peitschengriff war, befindet sich in guten Händen. Ich besitze es nicht mehr. Und wenn mir auch nur das kleinste Härchen gekrümmt wird, dann verzichte ich auf die vierzigtausend Dollar und sorge dafür, dass ihr dorthin kommt, wo ich vier Jahre war. Hast du verstanden, großer Mann?!« Ken Kendall bekommt ein dunkles Gesicht. Dann sieht es so aus, als könnte er sich nicht länger beherrschen und würde abdrücken. Einen Moment lang hat Adam Jones Angst, die doppelten Schrotladungen würden ihn in Stücke reißen. Aber dieser Moment geht vorüber.
»Dein Bruder hat es, nicht wahr?« Dies fragt Ken Kendall knirschend. »Ihr habt euch zusammengetan, um …« Er unterbricht sich und schüttelt den Kopf. »Ich verstehe nur nicht, warum ihr der Rancher-Vereinigung die vierzigtausend Dollar wie ehrliche Menschen nach Waterwale brachtet und uns die gleiche Summe abnehmen wollt wie richtige Gauner.« Adam Jones kichert heiser, als er dies hört. »Die vierzigtausend Dollar stehen mir zu«, erklärt er dann. »Ich saß im Gefängnis und verriet euch nicht. Mein Bruder ist ein rechtlicher Mann. Er nimmt nur das, was uns zusteht. Also komm, großer Mann! Wir reiten jetzt zur Kasse!« Ken Kendall schüttelt ungläubig den Kopf. Er kann es nicht fassen, dass dieser Adam Jones ihn so reingelegt hat. Oh, er fragt erst gar nicht, wie Adam Jones wohl an das Zinnblechröhrchen mit dem so wichtigen Inhalt gekommen ist. Dies ist ihm gar nicht mehr wichtig. Wichtig ist, wie er sich das Beweisstück, das sie alle drei vernichten könnte, zurückholen kann. Wenn Black Jim Jones es an sich nahm, wird es schwer sein, es ihm wieder abzunehmen. Man müsste erst einmal die Sachlage prüfen. Auch müsste man sich mit Steve Moses und Al Kilman beraten. Er nickt langsam. »Adam, ich reite mit dir zur Stadt«, sagt er. »Ich glaube, dass wir uns erst einmal aussprechen müssen. Ich glaube, dass wir
dich unterschätzt haben, mein Junge. Na gut, ich mache mich fertig.« »Und ich will erst ein erstklassiges Frühstück von diesem Pfannenschwenker da drüben«, verlangt Adam Jones frech. Ken Kendall wirkt nun so, als hätte ihm jemand kräftig auf die Zehen getreten und ein besonders prächtig entwickeltes Hühnerauge getroffen. »Es ist gut«, knirscht er dann und ruft zu seinem Koch hinüber: »Alles in Ordnung, Charly! Gib ihm was zu essen! Er ist unser Gast und soll nicht hungern!« Nach diesen Worten geht er ins Haus zurück, um sich für einen Ritt in die Stadt anzukleiden. Er will sich auch eine feste Bandage um die Rippen wickeln, damit seine angeknickten Rippen beim Reiten nicht so schmerzen. Und die ganze Zeit denkt er nicht so sehr an Adam, sondern an Jim Jones. Er verspürt einige Sorgen. Jim Jones konnte ihn mit den Fäusten schlagen, und mit dem Revolver ist Jim Jones so gut wie unschlagbar. Es gibt in ganz Texas, Neu Mexiko und Arizona höchstens drei oder vier Revolvermänner, die sich mit ihm messen könnten. Mehrmals denkt Ken Kendall daran, seine Mannschaft zusammenzutrommeln und es mit großer Übermacht zu versuchen.
Aber er gibt dieses Vorhaben wieder auf. Er will doch erst einmal verhandeln. Vielleicht erkennt er dabei eine Chance. Dieser Jim Jones hat uns schlimm getäuscht, denkt er. Er brachte in Vertretung des Sheriffs das Geld der Rancher-Vereinigung durch und kämpfte sogar gegen die Männer, die wir angeworben hatten, damit das Geld nicht nach Waterwale kommen sollte. Wir hielten ihn für rechtlich und redlich und glaubten, er wäre nur gekommen, um seinen Bruder Adam vor Dummheiten zu bewahren. Doch jetzt …
11 Gut zwei Stunden später erreichen Ken Kendall und Adam Jones die Brücke über den Creek. Hier hatte Adam den Revolvermann abgepasst und auf eine falsche Fährte geschickt. Mit ihnen zusammen erreicht ein fremder Reiter die Brücke, der von Westen her am Creek entlang geritten kam. Dieser Fremde muss aus den Hügeln im Westen gekommen sein. Ken Kendalls Augen werden sofort schmal und scharf, als er den Fremden betrachtet. Der Mann sitzt auf einem pechschwarzen Pferd und ist auch selbst dunkel gekleidet. Nur an seinem flachen Stetson glänzt etwas, und es ist ein Hutband aus Goldfäden geflochten. Der Mann hat ein dunkles Gesicht, scharf und mit tiefen Linien; er hat helle Augen, die ausdruckslos sind, und er ist nur mittelgroß und geschmeidig wie ein Apache. Vielleicht ist er das auch zu einem Viertel. Dieser Fremde trägt zwei Revolver im Kreuzgurt. Er verhält sein schwarzes Pferd, um Kendall und Adam zuerst auf die Brücke zu lassen. Dies geschieht gewiss nicht aus Höflichkeit, sondern deshalb, weil er nicht gerne jemanden hinter sich weiß. Aber Kendall, dessen Augen schmal wurden, hält an und nickt leicht.
»Sind Sie Ringo Mannen?« So fragt er mit bei ihm seltener Höflichkeit. Der Fremde nickt. »Haben Sie etwas dagegen, dass ich Ringo Mannen bin?« Ken Kendall schüttelt den Kopf. Er wird nun noch höflicher, und selbst Adam Jones, der doch länger als vier Jahre in einer Strafanstalt war, weiß genau, wer Ringo Mannen ist. Es gibt keinen schlimmeren Banditen und Revolverhelden zwischen dem Pecos und Colorado, und er ist drüben in Mexiko genau so daheim wie hier in Arizona. Ken Kendall schüttelt den Kopf. »Ich habe nichts dagegen, sondern bin sehr erfreut«, sagt er. »Darf ich mir vielleicht die Frage erlauben, was für Geschäfte Sie nach Waterwale führen?« Ringo Mannens dunkles Gesicht bekommt den leisen Ausdruck eines Lächelns. »Sie sind doch Ken Kendall«, sagt er. »Sie sind der Mann, der eine Menge Rinder kauft, um hier die Weide damit zu besetzen. Und es heißt, dass Sie Revolvermänner einstellen. Ich hörte davon und kam in dieses Land. Mit einigen Freunden habe ich ein Camp dort in den Hügeln. Wir wollen die Entwicklung der Dinge hier im Land erst einmal eine Weile beobachten. Nun gut, wir hörten inzwischen, dass Black Jim Jones ebenfalls nach Waterwale kam – der große Black Jim! Ich hatte noch nicht das Vergnügen mit ihm.
Einer meiner Freunde behauptete, dass ich ihn nicht schlagen könne. Die Wette geht um tausend Dollar. Wollen Sie auch wetten, Kendall?« Die Frage kommt scharf und fordernd. Ken Kendall und Adam Jones begreifen jetzt eine Menge. Die Tatsache, dass die KK Ranch gewaltige Rinderherden importiert, hat sich in gewissen Kreisen herumgesprochen. Wo viele Rinder sind und ein Weidekrieg droht, da sammeln sich die Revolverschwinger, die Viehdiebe und Banditen. Und so kam auch der berüchtigte Ringo Mannen mit einigen Freunden in dieses Land. Doch er konnte sich noch nicht entscheiden, ob er einer der streitenden Parteien Revolverhilfe anbieten, oder sich lieber auf Rinderdiebstahl verlegen sollte. Indes er mit seinen Partnern noch im Camp saß und erst einmal abwartete, erhielt er Kenntnis von Black Jim Jones’ Anwesenheit in Waterwale. Und irgendwie kam es dann in jenem verborgenen Camp zu der Tausend-Dollar-Wette. Dass Ringo Mannen aber schon in der Politik dieses Landes gut Bescheid weiß, beweist seine Frage an Kendall. Er muss sehr genau darüber Bescheid wissen, dass Black Jim Jones für Ken Kendall ein gefährliches Hindernis darstellt. Ken Kendall denkt nur eine Sekunde über die Frage des Revolverheiden nach. Dann nickt er ruhig und sagt: »Nun, ich würde tausend Dollar
wetten, dass Sie Black Jim Jones nicht schlagen können, Mister Mannen.« Dieser bekommt um seinen harten Mund wieder den Anflug eines Lächelns. Dann nickt er und murmelt: »Sie trauen Jim Jones aber viel zu. Ich halte diese Wette. Wenn ich zurück bin, werden Sie an mich auszahlen müssen. Haben Sie genügend Geld bei sich?« Kendall nickt. Denn er hat die zweitausend Dollar bei sich, die in seinem Schreibtisch waren und die Adam Jones nicht an sich nahm. »Ich habe genügend bei mir«, sagt er. »Und ich werde hier auf Sie warten.« Ringo Mannen nickt. Sein Blick richtet sich auf Adam. »Wer ist das eigentlich? Einer Ihrer Leute?« »Nicht direkt«, erklärt Ken Kendall ruhig. »Dies ist Black Jims kleiner Bruder, doch dies braucht Sie nicht zu beunruhigen, Mister Mannen.« Als er es gesagt hat, wendet er sich im Sattel zur Seite, und dann kommt ein Schwinger, der Adam Jones aus dem Sattel fegt. Er bekam den Schwinger gegen Schläfe und Ohr und ist schon bewusstlos, bevor er vom Pferd fällt. Ringo Mannen betrachtet Ken Kendall. »Ihr Schlag ist nicht schlecht«, sagt er, »doch gegen einen Revolver hilft niemals eine nackte Faust. Denken Sie daran, wenn ich zurück bin und die gewonnene Wette kassiere.«
»Ich denke daran«, erwidert Ken Kendall ernst. »Ich werde sicherlich mit Ihnen auch noch andere Wetten abschließen, sollten Sie diesmal erfolgreich sein. Es hat mich sehr gefreut, so zufällig Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, Mister Mannen.« Dieser betrachtet ihn mit einem schrägen Blick. »So zufällig ist die Bekanntschaft gar nicht. Ein Mann, der bald dreißigtausend Rinder auf dieser Weide halten wird, ist für mich immer interessant, besonders dann, wenn dieser Mann für seine Rinder erst noch die Weide freimachen muss. Na gut!« Er reitet über die Brücke auf die Stadt zu. Ken Kendall aber sitzt ab. Er nimmt den bewusstlosen Adam und trägt ihn ein Stück von der Brücke fort zu einem dichten Ufergebüsch hinunter. Er holt auch die Pferde. Wenig später sitzt er am Creek. Er hat eine gute Sicht zur Stadt, auf die Brücke und in die Runde. Er kann ziemlich zufrieden sein. Und diese Zufriedenheit äußert er auch, als Adam Jones fluchend erwacht und aufspringen will. Natürlich hat er Adam entwaffnet. Er sagt zu ihm: »Verhalte dich nur recht manierlich, mein wilder Adam. Sonst ertränke ich dich hier im Creek wie eine Katze.«
Er lächelt ihn an und nimmt dann einige Kiesel, um sie nach einigen Forellen zu werfen, die im klaren Wasser unter den Steinen gut zu erkennen sind. »Es gibt die merkwürdigsten Zufälle im Leben«, spricht er weiter. »Es ist wie beim Kartenspiel. Manchmal bekommt man nach einer Pechsträhne gute Karten. Adam, dein Bruder ist erledigt. Ringo Mannen ist einer von den zwei oder drei ›Künstlern‹, die ihm über sind. Es war gut, dass wir ihn an der Brücke trafen.« Er lacht leise. »Niemand hätte gedacht, dass der große Black Jim hier so schnell einen Gegner finden würde, den selbst er fürchten muss. So ist das im Leben. Dein Bruder Jim wird mit dem Schuldbekenntnis meiner alten Partner nichts mehr anfangen können, Junge.« »Er wird mit Ringo Mannen zurechtkommen«, erwidert Adam Jones mit heiserer Stimme, und er hat ein käseweißes Gesicht. Nach dieser Unterhaltung schweigen sie und warten. « Jim Jones schlief einige Stunden tief und fest. Dann weckte ihn Jennifer. Er betrachtet sie nachdenklich. »Du sagtest, ich hätte Angst, dich zu lieben«, murmelt er. »Das habe ich nicht. Ich habe nur
Angst, dich an mich zu binden. Mein Vater wurde von Banditen und Revolverhelden getötet, und meine Mutter hatte es dann sehr schwer. Und wenn ich jetzt auf die Straße gehe, dann ist es möglich, dass dort schon ein Revolverschwinger auf mich wartet, der glaubt, mich besiegen und damit mit einem Schlag berühmt werden zu können. Jenny, ich liebe dich wirklich. Doch wie kann ich dich an mich binden! Das wäre gemein von mir. Es könnte dir eines Tages wie meiner Mutter ergehen.« Da schüttelt sie den Kopf. »Die Zeiten ändern sich«, sagt sie herb. »Und wir könnten entweder in die Einsamkeit auf deine Pferderanch oder dorthin gehen, wo niemand mehr einen Colt trägt. Auch hier in diesem Land wird eines Tages niemand mehr einen Revolver tragen. Die Zeiten ändern sich, werden friedlicher. Jene Revolverkämpfer und Revolverhelden werden bald der Vergangenheit angehören, wie jetzt schon diese Raufdegen und händelsuchenden Kavaliere der Vergangenheit angehören. Du solltest in diesen Dingen mehr Mut haben, Jim. Schließlich kommt es doch ganz allein auf mich an, ob ich dich so will wie du bist oder nicht.« Er gibt ihr keine Antwort, sondern tritt zu dem Waschständer in der Ecke. Jennifer eilt hinaus und kommt später, als er fertig ist, mit dem Frühstück zurück.
Sie beobachtet dann, wie er am Schreibtisch isst und sagt nach einer Weile, nachdem sie ihm Kaffee eingeschüttet hat: »Mein Vater unterstützt alles, was du tust. Die Geschäftsführer der Bank, des Store und aller sonstigen Betriebe, die Kilman und Moses gehören, waren schon bei meinem Vater und fragten, ob sie öffnen oder schließen sollen. Er ordnete Schließung an und stellte sich also hinter dich. Aber ich habe Angst, Jim! Ken Kendall wird es früher oder später erfahren. Er wird in die Stadt kommen. Und dann …« »Ich werde ihn festnehmen, sobald ich ihm begegne«, murmelt Jim. Er erhebt sich und blickt auf Jennifer nieder. »Du bist so richtig die Tochter eines Sheriffs, und wenn du ein Junge geworden wärest, so würdest du jetzt wohl sein Gehilfe sein. Doch jetzt ist Schluss damit. Ich danke dir, doch jetzt gehst du wieder heim. Ich schließe hier ab und mache einen Rundgang durch die Stadt.« Sie schüttelt den Kopf. »Du brauchst nicht abzuschließen. Mein Vater kommt ins Office. Der Doc legt ihm soeben noch einen frischen und festen Verband an. Mein Vater hat jetzt ein Recht darauf, hier in seinem Office zu sein.« Jim nickt langsam. Er wundert sich nicht sehr über Tom O’Rourke. Er hat es insgeheim erhofft, dass der Sheriff kommen und helfen würde. Tom O’Rourke ist ein harter Bursche. Und er braucht
nichts anderes zu tun, als im Office zu sitzen und auf die Gefangenen zu achten. Dazu genügt eine Schrotflinte. Der Zellenraum hat keine Hintertür. Jeder, der zu den Gefangenen will, muss durch die Vordertür herein. Ja, Jim ist sehr zufrieden. Und da kommt der Sheriff auch schon hereingehinkt, blass und hohlwangig zwar, doch mit jenem Feuer in den Augen, das allein schon einen eisernen Willen zum Durchhalten verrät. Sie machen nicht viele Worte, sondern nicken sich nur zu. Und Tom O’Rourke sagt dann knapp: »Fein, dass Sie ein Beamter der Bundesregierung sind, Jim – und noch besser ist, dass wir uns schon genau kennen und einander vertrauen können.« Jim nickt ebenfalls. Er weiß, dass er diesem erfahrenen Jagdfalken nicht erst erklären muss, was zu tun ist. Und so sagt er nur: »Ich bin sehr froh, Tom, dass Sie wieder auf den Beinen sind und ich Sie auf meiner Seite habe. Aber jetzt ist es wohl wahrhaftig besser, Jennifer bleibt hier.« Hinter seinen Worten steckt eine schreckliche Bedeutung, die nicht nur der Sheriff, sondern auch das Mädchen sofort versteht. Sie schüttelt den Kopf. »Nein, Jim, dies traue ich Ken Kendall doch nicht zu, dass er mich hier in der Stadt in seine Gewalt bringen und als Tausch gegen seine Partner anbieten wird.«
Jim bewegt zweifelnd die Schultern. »Kendall wird es vielleicht nicht selbst tun«, murmelt er. »Doch wenn ich ihn nicht erwischen kann, bevor er Bescheid weiß, dann wird er gewiss jedes Wagnis eingehen, um seine beiden Partner freizubekommen.« Er geht hinaus, und er macht seinen Rundgang durch die Stadt. Die Leute sehen ihn an. Viele grüßen ihn höflich. Doch alle halten sie sich mehr oder weniger von ihm fern. Sie warten ab, was noch alles geschehen wird. Einige Reiter, die vergangene Nacht schon in der Stadt waren, sind immer noch da. Sie stehen und lungern überall herum und haben ganz offensichtlich gute Beobachtungsposten bezogen. Nur die Minenleute sind wieder fort und kehrten zu den Minen zurück. Jim überzeugt sich, ob überall die Geschäfte und Vergnügungsbetriebe und auch die Bank, die alle entweder Steve Moses oder Al Kilman gehören, geschlossen sind. Zuletzt geht er in den Laredo Saloon. Es ist der einzige Saloon in der Stadt, der nicht zu dem Syndikat der drei einstigen Bankräuber gehört. Aber es ist ein recht kleiner Saloon. Der Besitzer bedient ihn selbst. Es ist inzwischen Mittvormittag geworden. Die Sonne leuchtet durch eines der Saloonfenster.
»Es ist der beste Whisky in der ganzen Stadt«, sagt Laredo Shayne, der Saloonbesitzer, zu Jim. »Und er geht auf die Rechnung des Hauses.« Jim zögert unmerklich. Er betrachtet den Mann. Dieser hat nur einen Arm und ein von zwei Säbelhieben gezeichnetes Gesicht. »Wir kennen uns flüchtig«, sagt Laredo Shayne. »Ich sah Sie einmal während des Krieges. Aber ich war auf der anderen Seite. Ihr machtet damals einen tollen Angriff auf uns.« »Der Krieg ist vorbei«, murmelt Jim und will hinaus. Doch da öffnet sich die Schwingtür. Ein Mann kommt herein, ein dunkel gekleideter Mann, dessen Hut ein Goldband besitzt und der zwei festgeschnallte Revolver an den Oberschenkeln hat. Aber festgeschnallt sind nur die Holster. Denn die Waffen sitzen gewiss locker genug darin. Der Fremde kommt langsam zum Schanktisch und stellt sich ans andere Ende. Er betrachtet Jim Jones und verlangt dann ein Bier. Auch Jim Jones betrachtet den Ankömmling, und er hat schon längst gespürt, dass da ein Mann gekommen ist, auf den er achten muss. Jim denkt nach, wer es sein könnte. Sein Instinkt sendet immer wieder scharfe Warnungen aus. Oh, dies da muss ein Großer sein -vielleicht Arch Callaghan oder Alvah Jenkins – oder Ringo Mannen. Ja, Ringo Mannen soll immer ein
goldenes Hutband tragen, und seine Revolver sollen helle Beingriffe besitzen. Ringo Mannen! Jim glaubt es nun zu wissen, und er atmet langsam ein. Sein Instinkt schickt keine Warnimpulse mehr aus. In ihm wird es nun ganz ruhig. Er vertraut auf seine Fähigkeiten, sich gegen jeden Gegner behaupten zu können. Selbst seine zerschlagenen Hände, die nicht so beweglich sind wie sonst, bereiten ihm wenig Sorgen. Er blickt Ringo Mannen an. »Sind Sie fremd hier?« Mannen nickt und betrachtet das Bier, das er soeben bekommt. Sie sind die einzigen Gäste im Saloon. »Was wollen Sie hier in Waterwale?« Dies fragt Jim wieder, doch er fragt es nicht barsch oder herausfordernd, sondern ruhig und leicht interessiert. »Warum stellen Sie mir Fragen?«, fragt Ringo Mannen zurück. Sein Gesicht ist ausdruckslos. Seine hellen Augen wirken wie Glas. Nichts ist in ihnen zu erkennen. »Ich vertrete hier den Sheriff«, erwidert Jim. »Und ich selbst bin Hilfsmarshal der Bundesregierung.« Er lüftet seine Weste, sodass Mannen den Stern erblicken kann. �
»Ich habe einigen Verdruss hier«, erklärt Jim Jones weiter. »Und Sie habe ich als Ringo Mannen erkannt. Deshalb wüsste ich gern, welche Geschäfte Sie nach Waterwale lockten.« »Aha.« Ringo Mannen nickt. »Sie haben wirklich gute Gründe, einen Mann auszufragen. Ich will Ihnen genau so höflich antworten, wie Sie fragten. Denn wir sind hier wohl ebenbürtig. Nun, ich habe zwei Wetten abgeschlossen, dass ich den großen Black Jim mit dem Revolver schlagen kann. Es hat mich gejuckt, es auszuprobieren. Doch jetzt sehe ich den Stern eines Bundesbeamten an Ihrem Hemd. Und da muss ich passen. Ich bin kein Narr, der sich mit einem US Marshal anlegt. Denn wenn ich Sie erledige, werde ich in allen Staaten gesucht, nicht nur hier in diesem Territorium. Sie haben Glück, Jim! Und ich kann meine Wetten nicht gewinnen. Wollen Sie das Bier für mich bezahlen?« Jim Jones grinst. »Da Sie auf die Möglichkeit, zwei Wetten zu gewinnen, verzichten, muss ich wohl den Drink ausgeben. Viel Glück, Ringo!« Dieser nickt nur wortlos und geht hinaus. Hinter der Bar atmet Laredo Shayne rasselnd aus. »Du lieber Gott«, sagt er dankbar, »was ist es doch gut, dass dieser Ringo Mannen ein vernünftiger Mann ist! Deshalb wird er wohl auch nicht vom Gesetz gesucht, obwohl man weiß,
dass er ein Viehdieb und Revolverheld ist und sein Name …« Er bricht ab, denn er hat sich einen Whisky eingeschüttet und kippt ihn herunter. »Brrr!« So schüttelt er sich. Jim Jones aber geht hinaus. Draußen sieht er Ringo Mannen über die Straße gehen. Er sieht ihn bei zwei Männern, die an einer Gassenecke stehen, anhalten und mit ihnen reden. Wenig später geht Mannen zu seinem Pferd, sitzt auf und reitet aus der Stadt. Jim verspürt eine ständig ansteigende Unruhe. Was ist mit Ken Kendall? Wo bleibt Kendall? Er glaubt nun schon nicht mehr daran, dass Kendall immer noch nichts von den Vorgängen der vergangenen Nacht weiß. Er glaubt, dass sich dort draußen irgendwelche Dinge zusammenbrauen. Kendall und Adam hätten längst schon in der Stadt sein müssen. Doch sie kommen nicht. Wahrscheinlich ist Adam in Gefahr. Was Adam plante, hat nicht geklappt, weil er, Jim Jones, sich nicht an das, was er Adam glauben ließ, hielt. Was soll er tun? Soll er aus der Stadt reiten und nach Ken Kendall suchen? «
Ken Kendall winkt zur Brücke hinüber, als dort Ringo Mannen auftaucht und die Brücke hinter sich lässt. Ringo Mannen kommt am Creek entlang zu Kendall und Adam Jones geritten und blickt auf die beiden so ungleichen Männer nieder. »Ich habe gar keine Schüsse gehört«, sagt Kendall. »Das konnten Sie auch nicht«, erwidert Ringo Mannen. »Dann haben Sie Jim Jones gar nicht getroffen?« »Doch«, sagt Ringo Mannen und dreht sich mit einer Hand eine Zigarette. Nachdem er über das Blättchen leckte, spricht er weiter: »Ich traf ihn, und wir unterhielten uns. Er trägt den Stern eines US Marshals und vertritt überdies auch noch den örtlichen Polizeibeamten, den Sheriff. Ich habe mich noch nie mit einem US Marshal angelegt. Dies tun in der Öffentlichkeit und vor Zeugen nur Narren. Kendall, wenn Sie es genau wissen wollen, so sage ich Ihnen, dass ich gekniffen habe, ja, richtig gekniffen. Jim Jones hat einen gewissen Steve Moses und einen Al Kilman verhaftet und in den Zellen sitzen. Die Bank, der Store, die Saloons und Spielhallen sind geschlossen. Ich habe mich eine Weile mit zwei Männern unterhalten, die einigermaßen gut
Bescheid wussten. Und ich weiß jetzt auch Bescheid. Leben Sie wohl, Kendall!« Er zieht sein Pferd herum und reitet davon. Als er später erwacht, liegt er quer über seinem Pferd. Sie sind schon wieder recht weit von der Stadt entfernt. Als Kendall merkt, dass Adam erwacht ist, hält er an, damit Adam sich wieder richtig auf sein Pferd setzen kann. Indes Adam dies stöhnend und mühsam tut, denn er wurde von Kendall schlimm verprügelt, sagt dieser zu ihm: »Ihr wolltet mich reinlegen! Du solltest mich in die Stadt bringen, solltest mich in der Hoffnung wiegen, ich könnte mit deinem Bruder wegen des Schuldbekenntnisses verhandeln. Doch er wollte von Anfang an nicht verhandeln. Er ist US Marshal und sperrte meine Partner ein. Auch mich hätte er mit deiner Hilfe überrumpeln können. Was für ein Glück, dass Ringo Mannen zufällig zur gleichen Minute an der Brücke war und ich ihn ansprach. Was für ein Glück! Denn ihr seid gar nicht an vierzigtausend Dollar interessiert! Ihr wolltet uns von Anfang an reinlegen. Oha, die werden sich alle wundern – alle! – alle! Denn niemand aus der Stadt hat mich gewarnt! Niemand von Kilmans oder Moses’ Leuten hat die Stadt verlassen, um mich zu warnen. Sie alle ließen mich …« Er verstummt knirschend und schlägt mit der Faust gegen das Sattelhorn.
»Adam, du bist schon so gut wie tot, wenn dein Bruder nicht dir zuliebe alles wieder aufgibt!« Adam hört den unerschütterlichen Tonfall in seiner Stimme. Kendall aber wendet sich zu Adam um, der langsam vor ihm zurückweicht. Als Kendall dann auf ihn losspringt, versucht Adam Gegenwehr. Doch er hat gegen Kendall keine Chance. Nun spürt er eine Angst wie noch nie. Zu dieser Angst kommt nun noch die Enttäuschung darüber, dass Jim auch ihn reinlegte. Jim ist ein US Marshal, denkt er. Er wollte mir nie helfen, zu den vierzigtausend Dollar zu kommen. Jim wollte immer nur meine drei alten Partner vernichten – nichts anderes! Und was ist, wenn er dies immer noch will und sogar mich dafür opfern wird? Er ist doch mein Bruder! Und er hat versprochen zu tun, was gut für mich … Er unterbricht seine Gedanken, denn jetzt beginnt er zu begreifen, was Jim meinte, als er ihm versprach, ihm brüderlich zu helfen und zu tun, was gut für ihn wäre. Ja, Adam beginnt nun nachzudenken und zu begreifen.
12 Als es Nachmittag ist, weiß Jim mit Sicherheit, dass etwas nicht in Ordnung ist. Die ganze Sache hat nicht geklappt. Adam ist es nicht gelungen, mit Ken Kendall am Morgen auf dem schnellsten Wege nach Waterwale zu kommen. Jetzt befindet sich Adam gewiss in Kendalls Hand. Diese Erkenntnis zerrt an Jims Nerven, und mehrmals ist er schon fast entschlossen, sich auf sein Pferd zu setzen und zu Kendall zu reiten. Aber er macht sich sofort immer wieder klar, dass er dann in eine Falle ritte. Ken Kendall wartet gewiss nur darauf, dass er kommen wird, um nach dem Bruder zu sehen. Dort draußen in dem zumeist unübersichtlichen Hügelland ist er einer rauen Mannschaft, die mit Gewehren ausgerüstet ist, nicht gewachsen. Dort draußen würden sie ihn wie einen Hasen jagen. Nein, er darf nicht hinaus – jedenfalls bei Tag nicht. Er muss warten und die stärkeren Nerven haben. Und so wartet er, schlendert durch die Stadt, geht dann ins Office zum Mittagessen, das Jennifer für ihn und ihren Vater aus dem Wohnhaus zu ihnen herüber bringt. Und dann schlendert er wieder durch die Stadt, wartet, wartet.
Er wirkt sehr einsam und auf sich allein gestellt. Denn der Sheriff kann das Office nicht verlassen. Riv McLane ist fort. Sonst ist niemand auf seiner Seite. Die Rancher-Vereinigung hat gewiss damit zu tun, all die fremden Rinder von ihren Weiden zu halten. Vielleicht gab es dort draußen auf der Weide schon Kämpfe. Die ganze Lage ist noch sehr unklar. Und deshalb ist er wohl auch so einsam. Oh, er kennt das! Und wieder einmal mehr spürt er so etwas wie Verachtung gegen die Herde der Durchschnittsbürger und Ohne-mich-Leute. Zum Teufel, denkt er manchmal, ich bin hergekommen, um meinen Bruder zu retten. Und was habe ich getan? Ich bekämpfe ein DreiMann-Syndikat zum Wohle einer Stadt und eines Landes, in dem ich ein Fremder bin. Warum bin ich solch ein Narr, dies zu tun? Immer dann, wenn er sich diese bittere Frage stellt, erinnert er sich daran, wie US Marshal Derringer ihn vereidigte und ihm dann den Stern übergab. Dieser Blechstern ist es, denkt er dann bitter. Dieser Blechstern hat mich in seiner Gewalt. US Marshal Sam Derringer hat mich mit Hilfe einer Erpressung eingefangen. Sie brauchten nichts anderes zu tun, als meinen Bruder drei Tage
früher freizulassen – und schon kam alles in Gang. Als er von dem südlichen Ortseingang zurückkommt, steht Jennifer in der Tür des Wohnhauses. Sie betrachtet ihn ernst. »Irgendwie wirst du es schaffen, Jim«, sagt sie. »Irgendwie geht es weiter und vorbei.« »Ja«, murmelt er und betrachtet sie. Er spürt, dass sie ihm helfen und beistehen möchte, dass sie ihm Zuversicht und Selbstvertrauen geben möchte und dennoch genau weiß, dass sie ihm kaum helfen kann. Er ist ganz allein und muss es allein hinter sich bringen. Ihr Vater, der Sheriff, kann ihm nicht helfen. Tom O’Rourke tut schon viel, indem er das Office und den Zellenraum bewacht. »Ken Kendall hat mich in der Klemme«, murmelt er. »Mein Plan ist misslungen. Adam hat es nicht geschafft, ihn in die Stadt zu bringen, bevor er etwas von der Verhaftung seiner beiden Partner erfahren konnte. Jetzt hat er Adam, und ich weiß immer noch nicht, was ich tun werde, wenn er mir Adam zum Tausch anbietet.« Er hebt die Hand und wischt sich übers Gesicht. An dieser Geste erkennt Jennifer, wie sehr er innerlich erregt ist. Dann tippt er mit dem Daumen gegen den Stern, den er nun sichtbar auf der Weste trägt.
»Dieser Blechstern macht es mir so schwer, und niemand kann mir bei der Entscheidung helfen, auch du nicht, Jenny.« »Nein«, sagt sie. »Doch ich bin sicher, dass du die einzig mögliche Entscheidung treffen wirst, wie sie auch ausfallen mag. Du wirst genau das tun, was ein redlicher und achtenswerter Mann tun kann – nichts anderes. Dessen bin ich so sicher, Jim, wie ich meiner …« »Sprich nicht weiter, Jenny«, sagt er. »Und sei lieber nicht so sicher. Vielleicht gebe ich alles auf und lasse ich alles in Stich, nur um meinen Bruder zu retten.« Sie nickt. »Dann wird es die richtige Entscheidung sein«, spricht sie ruhig. »Dann wird es dein Bruder wert sein, dass Moses, Kilman und Kendall ihr Spiel gewinnen. Dann wird dein Bruder Adam mehr wert sein als alle anderen Dinge, die verloren gehen.« Er betrachtet sie überrascht, und er glaubt zuerst, dass ihre Worte ironisch gemeint sind. Doch er erkennt den Ernst in ihren Augen. Sie hat tatsächlich in Erwägung gezogen, dass ihm der Bruder mehr wert sein könnte, und sie würde diese Entscheidung anerkennen. Nun weiß er noch sicherer, wie sehr sie ihn lieben muss. Er geht davon. Und wieder vergehen die Minuten sehr langsam für ihn. Er setzt sich später auf die
Veranda des Imperial-Hotels, das sich gegenüber der Land- und Bodenverwertungs- und Viehzuchtgesellschaft befindet. Er weiß jetzt, dass diese Gesellschaft gegründet wurde, um von der Bank die Ranches der Mitglieder der Rancher-Vereinigung zu übernehmen. Es wird Nachmittag, und es wird allmählich Abend. Es war ein heißer Tag. Der Abend bringt keine Kühle. Vielleicht kommt ein Gewitter. Die Menschen in der Stadt beobachten den US Hilfsmarshal immer noch. Es kamen auch Reiter von irgendwo hereingeritten. Doch sie alle haben nicht das Brandzeichen der KK Ranch an ihren Pferden. Es sind Reiter, die in den Hügeln in verborgenen Camps leben – Männer wie Ringo Mannen. Von der KK Mannschaft, von den Rinderherden, die ins Land kommen, und von der Rancher-Vereinigung kommen keinerlei Nachrichten. Es scheint, als wäre hier eine Art Waffenstillstand oder Aufschub zustande gekommen. Vielleicht liegt es daran, dass Ken Kendall jetzt keine Zeit hat, die Dinge weiter voranzutreiben. Noch bevor die Abenddämmerung in die Nacht übergeht, kommt ein Reiter in die Stadt. Er hält vor dem Imperial-Hotel an und betrachtet Jim Jones, der immer noch auf der Veranda sitzt.
»Sind Sie der große Marshal?« So fragt der Mann lässig vom Pferd herüber. Jim erwidert nichts. Er nickt nicht einmal. Doch er betrachtet den Mann aufmerksam. Es ist ein kleiner, hagerer und schon Bursche. Seine abgenutzte weißköpfiger Kleidung ist ihm zu groß. Seine Nase ist die eines Säufers, und er trägt keine Waffe. Er rutscht nun langsam von seiner mageren Stute und kommt zu Jim auf die Veranda. Hier setzt er sich auf einen Stuhl neben Jim und holt eine Zigarre aus der Brusttasche seines fleckigen Rockes. »Ich bin bisher in diesem Land ein sehr unwichtiger Wurm gewesen«, sagt er. »Und dies nicht einmal zu Unrecht, wenn man es sich richtig überlegt. Wissen Sie, Marshal, ich bewundere auf dieser Welt viel zu sehr all die schönen Dinge, die der Herrgott schuf, und so muss ich ständig umherreiten oder stundenlang an einem Bach oder nur unter einem Baum, auf einem Hügel oder zwischen Blumen in der Sonne sitzen. Ich muss den Vögeln lauschen und … Nun ja, ich kann Ihnen auch die größten Dichter der Welt zitieren. Denn was sagte doch der große Goethe in Torquato Tasso: ›Wer der Dichtkunst Stimme nicht vernimmt, ist ein Barbar, er sei auch wer er sei!‹ Und sein Kollege, der große Schiller, der sagte in ›Wallensteins Tod‹:
›Denn nur vom Nutzen wird die Welt regiert‹. Und der große Konfuzius sagte: ›Der Mensch hat dreierlei Wege, klug zu handeln: erstens durch Nachdenken, zweitens durch Nachahmen, das ist der leichteste, und drittens durch Erfahrung, das ist der bitterste.‹ Und nachdem ich Ihnen drei Große zitierte, Mister Jones, können wir zur Sache kommen. Denn ich glaube nun, dass Sie der Dichtkunst Stimme vernommen haben, dass Sie begriffen haben, dass diese Welt nur vom Nutzen regiert wird und dass Sie endlich und zuletzt klug genug sind, um nicht erst durch bittere Erfahrung lernen zu müssen. Ich halte Sie für so klug, dass Sie allein durch Nachdenken zum richtigen Handeln kommen. Mister Kendall schickt mich. Ich soll Ihnen sagen, dass Ihr Bruder Adam genau nach dem letzten Glockenschlag um Mitternacht seinen letzten Atemzug macht, wenn bis dahin nicht Mister Moses und Mister Kilman wieder frei sind. Zugleich habe ich den Auftrag, mir von Ihnen in einem versiegelten Umschlag etwas geben zu lassen, was Kendall entwendet wurde und durch Ihren Bruder Adam in Ihre Hände gelangte. Damit habe ich alles gesagt. Wenn Sie noch einige Aussprüche unserer großen Dichter und Denker hören wollen, so finde ich leicht etwas Passendes. Wollen Sie?« Jim schüttelt leicht ärgerlich den Kopf, und er weiß nun, dass Kendall Ernst machen wird.
Kendall schickte zwar nur diesen Tramp und Nichtstuer, der einmal eine gute Bildung und Erziehung genossen hat und dann so herunterkam, wie es ein Schöngeist nur konnte. Doch wahrscheinlich ist dieser Bursche, der vielleicht einmal Schauspieler war, genau der richtige Bote. »Sie können Ken Kendall sagen«, beginnt Jim, »dass ich mich nicht so schnell entschei…« »Ich vergesse alles, was Sie mir sagen, unterbricht ihn der Marshal«, heruntergekommene Schöngeist, der sich in der Weltdichtung so gut auskennt und auch den Konfuzius zitieren kann. »Mister Kendall will von Ihnen keinerlei Antwort. Ich soll Ihnen nur ausrichten, was geschehen wird, mehr nicht.« Er macht eine kleine Pause und sagt: »Ist Ihnen diese Botschaft vielleicht einige Dollars wert? Ein Schöngeist wie ich, der nur die herrlichen Dinge dieser Welt bewundert, kommt nicht dazu, schnödem Gelderwerb durch Arbeit nachzugehen. Früher einmal, da stand ich vor Fürsten und Königen auf der Bühne und schlug sie in Bann, bezauberte sie und …« »Hier ist ein Dollar«, sagt Jim bitter. Dann beobachtet er, wie der Mann, dessen Namen er nicht weiß und der gewiss längst einen falschen Namen angenommen hat, mit seinem mageren Pferd zum Laredo Saloon geht. Vielleicht wird er von Ken Kendall zehn oder
zwanzig Dollar bekommen haben. Er wird alles Geld in Schnaps umsetzen. In Jim Jones aber ist plötzlich eine kalte Ruhe. Nun, da er weiß, wie die Dinge liegen, schwindet seine Unruhe. Zurück bleibt eine kühle Sachlichkeit und kommt die Erkenntnis, dass er sich entscheiden muss. Wenn er Steve Moses und Al Kilman im Gefängnis hält und ihre Befreiung verhindern kann, bis er von US Marshal Sam Derringer Hilfe erhält, so ist Ken Kendall zwar ebenfalls erledigt. Seine beiden einstigen Partner werden vor Gericht gewiss zugeben, dass auch er beteiligt war. Doch dies alles würde Adam nichts nützen. Adam wird eine Sekunde nach Mitternacht sterben. Dessen ist Jim sicher. Denn Ken Kendall blufft nicht. Das war schon daran zu erkennen, dass er von Jim Jones keine Antwort erwartet. Sein Bote hat nur die Nachricht gebracht, geht jetzt etwas trinken und wird dann noch einmal fragen kommen, ob er das versiegelte Kuvert mitnehmen soll. In diesem Kuvert soll sich nach Ken Kendalls Wunsch jenes Schuldbekenntnis befinden, das ihm Adam aus dem Peitschengriff entwendete. Soll ich alles aufgeben, um Adam zu retten? Diese Frage stellt Jim sich. Denn er ist sich klar darüber, dass Moses, Kilman und Kendall gewonnen haben, wenn das
Beweisstück fehlt. Dann können sie wieder alles abstreiten. Es kann ihnen nichts bewiesen werden. Dann werden sie auch hier nicht aufgeben, sondern weitermachen. Sie werden die Stadt und das Land in der Runde beherrschen. Sie werden die Weide mit ihren Rindern besetzen, und es muss zu einem Weidekrieg kommen, bei dem es Blutvergießen und Tote geben wird. Jim erinnert sich wieder daran, wie Kendall zur Familie Peters auf die Ranch kam und einen lächerlichen Preis bot. Dies alles und noch viel schlimmere Dinge werden in Gang kommen. Und Jennifers Vater ist hier Sheriff und wird in große Gefahr geraten. Ist Adam dies alles wert? Oh, Adam ist sein Bruder, gewiss. Er hat auch alles getan, um Adam zur Vernunft zu bringen. Zuletzt hat er Adam sogar getäuscht, aber nur deshalb, weil er davon überzeugt war, dass dies für Adam gut sein würde. Mit einem Mal spürt Jim die ganze Schwere der Entscheidung. Und wieder berührt er seinen Stern. Er hasst ihn nun schon fast, denn von Anfang an bestimmte dieser Stern irgendwie all seine Entscheidungen. Es begann schon damit, als der verwundete Sheriff mit dem Geld an sein Feuer kam. Wenn sein Bruder Adam ein prächtiger Bursche wäre, aus dem noch etwas werden könnte, und wenn er, Jim Jones, keinen Stern
trüge … Ja, dann wäre die Entscheidung wahrscheinlich leicht. Was ginge ihn diese Welt an? Er würde seinen Bruder retten. Aber dann wäre es erst gar nicht soweit gekommen – Adam wäre gar nicht nach Waterwale geritten. Jims Gedanken drehen sich plötzlich im Kreis. Aber er muss sich entscheiden. Bis Mitternacht sind es wenig mehr als vier Stunden. Jim erhebt sich. Er hat sich plötzlich entschieden. Er geht ins Office. Er klopft einige Male in bestimmten Abständen an die Tür. Dann tönt des Sheriffs Stimme. Tom O’Rourke sitzt auf dem Feldbett in der Ecke. Er hat die Schrotflinte über einer Stuhllehne liegen und zielt auf die Tür. Als er Jim erkennt, nimmt er den Finger von den beiden Hähnen. Jim setzt sich hinter den Schreibtisch, nimmt einen Briefumschlag und ein Stück Papier. Er schreibt darauf: »Kendall, wenn du meinen Bruder Adam tötest, wirst du keine Gerichtsverhandlung bekommen so wie deine beiden Partner.« Er tut das Blatt in den Umschlag und versiegelt ihn mit Kerzenwachs. Dann tritt er zu Tom O’Rourke in die Ecke und sagt ihm, was er tun will. Der Sheriff starrt ihn eine Weile scharf an.
Dann nickt er. »Ein Mann wie du, Jim, muss wohl so handeln. Und nun begreife ich richtig, warum mein Mädel sich schlimm in dich verliebt hat. Sie hat es mir gesagt. Jim, ich glaube, dass ihre Wahl richtig ist. Denn ein Mann darf nicht immer nur den bequemen Weg gehen. Ein Mann muss tun, was für die Gemeinschaft gut ist – oder er ist ein kleiner Bursche, unbedeutend und unwichtig auf dieser Welt. Viel Glück, Jim!« Dieser nickt. »Jennifer ist zu gut für mich«, murmelt er. »Ich bin nur ein Revolvermann.« »Das bist du nicht«, widerspricht der Sheriff. »Was du jetzt tust, würde kein Revolvermann tun.« Jim erwidert nichts. Er geht hinaus, und er geht hinüber in den Laredo Saloon und tritt zu Kendalls Boten. »Hier ist der versiegelte Brief«, spricht er. Der Mann aber erwidert: »Oh, dann muss ich tatsächlich diese Whiskytränke verlassen und darauf verzichten, mich weiterhin mit dem Geiste des Weines anzureichern.« Er lacht kichernd und sagt dann laut: »Der Schnaps, der sei des Menschen böser Feind, so hat der Pater jüngst gemeint. Doch in der Bibel steht geschrieben, du sollst auch deine Feinde lieben!«
Er lacht wieder meckernd wie ein Ziegenbock und strebt der Tür zu. Aber dort hält er an, wendet sich und hebt wie segnend die Hände gegen die anderen Gäste, die ihn wie Jim anstaunen. Er sagt: »Gebt starkes Getränk denen, die umkommen sollen und den Wein den betrübten Seelen, dass sie trinken und ihres Elends vergessen und ihres Unglückes nicht mehr gedenken. So soll es sein, meine Brüder.« Nach diesen Worten schwankt er hinaus. Jim folgt ihm und sieht ihn aus der Stadt reiten. Wenige Minuten später verschwindet Jim in einer Gasse. Und bald verlässt auch er die Stadt, um seinen Bruder zu holen. Ja, er will kämpfen und sein und seines Bruders Leben riskieren. « Adam Jones hat an diesem Tag eigentlich zum ersten Male in seinem Leben so richtig nachgedacht. Er fühlt sich mit einem Mal auch sehr viel reifer und erfahrener als er noch vor Stunden war. Irgendwann dann begann er eine Menge Dinge zu begreifen, nicht zuletzt sich selbst und was für ein Dummkopf er bisher war.
Er begann auch seinen Bruder Jim zu begreifen. Und weil das so ist, rechnet er nicht damit, dass Jim das Tauschgeschäft machen wird. Jim ist zu redlich und zu rechtlich. Jims wird von einem starken Handeln Verantwortungsgefühl bestimmt. Überdies soll er ein US Marshal sein. Deshalb konnte Jim widerstehen, die vierzigtausend Dollar zu nehmen, die der Sheriff nach Waterwale bringen wollte. Jim konnte so viele andere Dinge nicht tun. Und so wird er jetzt auch nicht seinen wertlosen Bruder eintauschen gegen die Möglichkeit, drei Piraten ihrer gerechten Strafe zuführen und diesem Land hier einen neuen Anfang verschaffen zu können. Nein! Adam Jones wird sich darüber klar, dass er nichts taugt. Bis jetzt war sein ganzes Denken darauf ausgerichtet, von seinen einstigen Partnern den verdienten Anteil zu erhalten. Und er wollte damit alle Freuden dieser Welt einkaufen. Aber sein Bruder hat erkannt, dass ihn dieser Weg in die Hölle führen muss. Und da er, Adam, so unvernünftig und vernarrt war in diese Wünsche und Ideen, konnte Jim nichts anderes tun, als Adams Partner ihrer Strafe zuführen. Adam begreift es nun.
Er blickt auf seine gefesselten Hände nieder, und dann hebt er den Blick und richtet ihn auf Ken Kendall, der in der Ecke in einem bequemen Sessel sitzt. Sie befinden sich im Wohnzimmer des Ranchhauses. Kendall hat eine Schrotflinte, deren Läufe und Kolben abgesägt sind, vor sich auf den Knien liegen. Dieses gefährliche Ding ist mit grobem Indianerschrot geladen und kann einen Mann in Stücke hacken. Kendall erwidert Adams Blick und lächelt böse. »Dein großer Bruder wird die Gefangenen natürlich nicht freilassen«, sagt er. »Ich kenne ihn nun schon ziemlich gut. Ich habe mit ihm gekämpft, und bei solch einem Kampf Mann gegen Mann lernt man sich besonders gut kennen. Dein großer Bruder wird kommen, um dich zu holen, Adam. Ich habe sechs erfahrene Revolverschwinger überall auf dieser Ranch verteilt. Dein Bruder wird in die Falle laufen. Wir werden ihn erwischen. Dann ist es leicht für mich, nach Waterwale zu reiten und meine Partner aus dem Gefängnis zu holen. Und das alles hast du deinem Bruder eingebrockt, Junge! Nur du allein. Du bist ein Narr! Du warst immer zu dumm, von Anfang an. Wir brauchten dich damals nur, weil du uns die besten Pferde verschaffen konntest. Du hättest nie einen Anteil erhalten – nur eine Kugel. Und wenn wir so
dumm gewesen wären, dir jetzt vierzigtausend Dollar zu schenken, nun, so hättest du sie schnell durchgebracht. Dann hättest du sicherlich wieder auf die leichte Art Geld beschaffen wollen. Oh, du bist ein Narr!« Adam nickt leicht, als er das hört. Er blickt auf die Uhr. Es ist zwei Stunden vor Mitternacht. Er ist gefesselt und sitzt auf einem Stuhl dicht beim Tisch. Über ihm brennt eine Kreosotöllampe. Draußen klingt Hufschlag, und als der Hufschlag vor dem Haus ertönt und ein Mann hereinkommt, klingt in der Ferne der Donner eines Gewitters durch die Nacht. Ja, es war ein warmer Tag, und die Nacht brachte keine Kühle. Es ist jener verkrachte Schöngeist und Schauspieler, der in Waterwale bei Jim Jones war. Er kommt etwas schwankend herein und gibt Kendall einen Umschlag. »Das war es«, sagt er. »Bekomme ich nun …« Kendall lacht seltsam und wirft ihm ein Zehndollarstück zu. Doch der Mann kann es nicht fangen. Es fällt zu Boden und rollt unter den Tisch bis hinter Adams Stuhl. Der Mann schnauft ärgerlich und kriecht über den Boden, um das Geldstück zu holen. Als er es hat, geht er zur Tür. »Verschwinde aus dem Land«, sagt Kendall.
Der Mann geht wortlos. Kendall aber liest den Zettel, der im Kuvert lag. Es ist nicht das Schuldbekenntnis. Kendall hebt den Kopf und liest Adam vor: »Kendall, wenn du meinen Bruder Adam tötest, dann wirst du keine Gerichtsverhandlung bekommen wie deine beiden Partner.« »Siehst du, Adam, mein Junge, dies ist dein großer Bruder. Er wird also kommen und ist vielleicht schon draußen in der Nähe. Wir werden sehen, nicht wahr?« Adam Jones nickt leicht. »Ja, wir werden sehen«, sagt er. »Und du wirst mich tatsächlich eine Sekunde nach Mitternacht erschießen, Kendall?« »Was bleibt mir denn anderes übrig?« So fragt Kendall zurück. »Es war eine schlechte Idee von dir, Adam, nach Waterwale zu kommen und den Bruder mitzubringen.« Adam nickt abermals, und diesmal schluckt er mühsam. »Ja, es war dumm«, murmelt er. Dann schweigen sie. Draußen grollt wieder das Gewitter, und diesmal ist es schon näher. Es ist noch kein Sturm draußen, doch dieser wird sich gewiss bald erheben. Der Regen wird niederprasseln, Donner und Blitze werden sich abwechseln. »Das Gewitter ist schlecht für deine sechs Revolverschwinger«, sagt Adam. »Man kann
nichts hören und nichts sehen. Mein Bruder Jim aber ist wie ein Indianer.« »Er soll nur kommen!« Ken Kendall grinst breit. »Ich warte auf ihn, um ihm was mit diesem Ding zu verpassen. Und du, Adam, bist mein Köder. Hast du Angst?« Er stellt die Frage mit wirklicher Neugierde. Adam schüttelt den Kopf. »Es ist seltsam«, murmelt er, »ich habe wirklich keine Angst mehr. Vielleicht liegt es daran, dass Jim schon draußen ist.« »Sicher, er wird draußen sein«, knirscht Kendall. »Aber vielleicht interessiert es dich, dass zwei Männer dort draußen zumindest Halbindianer sind. Die kann er nicht so leicht überrumpeln.« « Für Jim ist völlig klar, dass die KK Ranch für ihn eine Falle und sein Bruder Adam der Köder sind. Und dennoch folgte er jenem ziemlich betrunkenen Boten, der so trefflich mit den Zitaten umgehen kann. Als er in die Nähe der Ranch gelangt, bleibt er zurück und sucht sich ein Versteck für sein Pferd. Als er dann zu Fuß weitergeht, bewegt er sich völlig lautlos, denn er ist barfuß. Seine Stiefel ließ er zurück. Dann hört er den Donner des näher
kommenden Gewitters, und er spürt eine grimmige Freude wegen dieses Gewitters. Er hält sich dicht bei dem Reit- und Fahrweg, der in den Ranchhof führt. Nein, er macht nicht den Fehler, sich von den Corrals her oder zwischen den Ställen und sonstigen Gebäuden der Ranch hindurch dem Haupthaus zu nähern. Denn er kann sich ausrechnen, dass überall dort Männer lauern. Nur hier am Weg wird vielleicht weniger scharf aufgepasst werden. Denn welcher Mann, der unbemerkt in die Ranch eindringen will, würde schon den Weg benutzen? Jim tut es, wenn auch etwas seitwärts davon. Wenig später dann legt er sich der Länge nach auf den Boden. Denn der verkrachte Schauspieler kommt nun von der Ranch zurück geritten. Er hört ihn zitieren: »Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest uns hier liegen sehen, wie das Gesetz es befahl! Und wo werde ich liegen, ich, den man in diese Nacht hinaustrieb? Auch ich werde bald irgendwo liegen wie die armen bei den Thermopylen gefallenen Spartaner. Oh, wo bette ich mein müdes Haupt in dieser unfreundlichen Nacht?!« Jim grinst grimmig. Der Gewitterregen wird diesen Burschen gewiss bald wieder nüchtern machen.
Die Stimme und der Hufschlag verklingen allmählich in der Nacht. Jim Jones aber gleitet nun dicht neben dem Weg auf dem Boden weiter. Er erreicht das Ranchtor. Es besteht aus zwei dicken, senkrecht in die Erde getriebenen Stämmen und einem mächtigen Querbalken. An diesem Querbalken hängt ein mächtiger Stierschädel. Dies alles kann Jim in der Nacht nicht erkennen, doch er war ja schon einmal bei Tag in der Nähe und sah es damals. Er kriecht in den Hof hinein und wendet sich nach rechts. Er bleibt nun still und bewegungslos liegen. Der Donner hat für eine Weile ausgesetzt. In der windstillen Schwüle sind gewiss alle Geräusche gut zu hören. Deshalb hört er auch den Mann in seiner Nähe. Es war nur ein leises Scharren. Eine Stiefelspitze scharrte durch den Staub. Aber nun kommt der erste Windstoß, und er wirbelt den Staub im Hof auf. Jim aber schiebt sich vorwärts, bis er die Hinterräder eines hier abgestellten Wagens erreicht. Unter diesem Wagen liegt der Mann. Jim hört ihn bitter fluchen. Wahrscheinlich hat der Wind einen Staubwirbel unter den Wagen geweht und ihm in die Augen geblasen. Jim berührt den Stiefel des Mannes, dann schiebt er sich näher heran und tastet am
Hosenbein entlang nach oben, bis er weiß, wie der Bursche liegt. Er hört ihn immer noch unterdrückt fluchen. Dazwischen donnert es, tobt der Windwirbel, und dann blitzt es. Jetzt sieht er den Mann deutlich. Als der Blitz verloschen ist, wirft Jim sich auf den Mann. Er trifft ihn mit dem Revolverlauf. Und er hat somit den ersten Gegner erwischt. Als er unter dem hochrädrigen Wagen hervorkommt, prasselt der erste Regen nieder. Es ist ein Wolkenbruch, der ihn sofort bis auf die Haut durchnässt und ihn sogar einige Minuten lang nach Luft schnappen lässt. Jim läuft über den Hof und erreicht die Ecke des Haupthauses, bevor ein neuer Blitz durch die tobende Nacht zuckt. Der Blitz kommt erst, als er neben der Veranda kauert und zwischen den Balken des Geländers hindurch über die Veranda späht. Ein Mann steht hier im Trockenen. Jim erblickt ihn im Zucken des Blitzes. Aber der Mann sah ihn offenbar auch. Denn nun blitzt Mündungsfeuer auf. Die Kugel reißt Holzsplitter vom Verandageländer, dicht bei seinem Kopf. Er erwidert den Schuss und trifft. Er hört den Mann stöhnen, und im Zucken eines neuen Blitzes sieht er ihn schwankend zur Haustür stolpern. Der Mann muss sehr in Not sein und
deshalb vollkommen den Verstand verloren haben. Denn er stößt die Haustür auf und will ins Haus hinein. Als er die Tür aufgestoßen hat, befindet er sich sofort in dem gelben Lichtschein. Aber es geht alles zu schnell. Ken Kendall drinnen drückt auch schon ab. Kendall nahm sich nicht die Zeit, erst einmal zu sehen, wer da die Tür aufgestoßen hat. Kendall hat seinen Männern gewiss verboten, einfach so durch die Tür zu kommen, ohne zuvor ein bestimmtes Klopfzeichen hören zu lassen. Der Mann aber stieß in seiner Not die Tür einfach auf, als wäre er ein Fremder, der mit aller Macht ins Haus eindringen wollte. Kendall hatte zuvor auch die beiden Schüsse auf der Veranda gehört. Er war gewiss davon überzeugt, dass Jim Jones die Tür öffnen würde. Er drückt also sofort ab, will dem Revolvermann keine Chance geben. Aber es ist sein eigener Mann. Er bekommt beide Ladungen, und es gibt nichts Schlimmeres als zwei Ladungen Indianerschrot. Er wird zurückgestoßen, als hätte man ihn vor die Mündung einer Kanone gebunden und diese dann abgefeuert. Jim Jones aber verschwendet keine Sekunde.
Er gleitet mit schussbereitem Revolver über die Veranda und durch die Tür, bevor Ken Kendall nachladen kann. Mit dem Fuß tritt Jim die Tür hinter sich zu. »Das war’s wohl, Kendall«, sagt er. »Wollen Sie eine Kugel oder eine Gerichtsverhandlung? Wenn Sie eine Kugel wollen, dann laden Sie nur weiter dieses Ding da, mit dem Sie soeben einen Ihrer Männer in Stücke schossen.« Ken Kendall ist erstarrt. Plötzlich beginnt er am ganzen Körper zu zittern. Er lässt das Schrotgewehr fallen, so als wäre es glühend. »Ich – ich – will eine Gerichtsverhandlung«, sagt er heiser. Jim blickt an ihm vorbei auf Adam. Dieser sagt: »Danke, Jim! Und wenn du mich von meinen Fesseln befreien könntest … Nun, ich würde dir gerne helfen, Mister Kendall nach Waterwale zu seinen beiden Freunden zu bringen.« Jim nickt. Er geht zu ihm hin und zerschneidet seine Fesseln. Dabei lässt er Kendall keinen Sekundenbruchteil unbeobachtet. Draußen tobt das Gewitter. Nun tönen die Donnerschläge unaufhörlich. Gewiss blitzt es auch immer wieder. Doch dies ist hier drinnen nicht zu erkennen, denn die Tür ist zu, und die schweren Fensterläden sind ebenfalls geschlossen. Jim betrachtet Kendall. »Sie Narr«, sagt er.
»Oh, wenn das Gewitter nicht gekommen und sich mit Ihnen verbündet hätte, Jim Jones, so wäre es anders ausgegangen«, sagt Kendall. Sie binden ihn dann, und er unternimmt keine Gegenwehr. Er wirkt wie betäubt, so als hätte man ihm mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen. Draußen tobt das Gewitter. Und es müssen noch einige Revolverschwinger draußen sein. Was werden sie tun? Einen von ihnen hat es schlimm erwischt. Der andere wird jetzt vielleicht unter dem Wagen mit Kopfschmerzen erwachen. Aber was werden sie tun? Jim und Adam Jones warten. Und sie sprechen nicht viel. Sie blicken sich nur manchmal im Lampenschein an. Adam Jones ist jetzt gut bewaffnet. Außer seinem Revolver, den er im Nebenzimmer fand, hat er Kendalls Schrotflinte. Etwa eine halbe Stunde später beginnt Ken Kendall zu toben. Er flucht und brüllt, stößt Drohungen aus und schimpft dann, bis ihm der Schaum auf den Lippen steht. Doch dann wird er still. Er schämt sich gewiss seines sinnlosen Ausbruches. Adam Jones tritt zu ihm und lässt ihn aus einem Becher Wasser trinken. Er sagt nichts zu ihm, und auch Kendall sagt nichts mehr. Das Gewitter tobt noch zwei Stunden.
Dann wird es still. Und niemand von Ken Kendalls Leuten meldet sich. Die beiden Brüder warten bis zum Anbruch des Morgens. Dann klopft es an die Tür. Es ist der Koch. »Ich wollte fragen, was los ist. Außer mir und dem Pferdepfleger Pedro ist niemand mehr auf der Ranch. Und dieser Tote dort noch. Sie alle sind fort. Was …« Jim tritt hinaus auf die Veranda. Es ist nirgendwo eine Bedrohung zu erkennen. Kendalls Revolverschwinger sind fort. Sie haben wohl schnell begriffen, wie sich die Sache abgespielt hat, dass Kendall den eigenen Mann umbrachte und sich nun in der Hand des Marshals befindet. Sie gaben auf und ritten fort. Jim betrachtet den Toten. Es wird schwer sein zu beweisen, wer ihn getötet hat. Denn auch Jim traf ihn zuvor. »Wir reiten mit Kendall zur Stadt«, sagt er zu Adam. « Und dann reiten sie. Es ist ein junger, schöner, sonniger Tag. Das Gewitter hat alles gereinigt und frisch gemacht. Die nassen Gräser funkeln im Sonnenlicht. Ken Kendall hockt mit gesenktem Kopf auf dem Pferd. Er ist ausgebrannt und müde. Doch er
wird gewiss bald wieder anders sein und vor Gericht mit aller Schläue und Tatkraft um seinen Kopf kämpfen. Die beiden Brüder bleiben einige Schritte zurück. »Ich würde jetzt gern mit dir auf die Pferderanch kommen, Bruder – wenn du mich noch haben möchtest«, sagt Adam etwas heiser. Jim blickt in die Runde. Das Land gefällt ihm. Er sagt zu Adam: »Ich will dich bei mir haben, Bruder. Und du musst mir verzeihen, dass ich dein Leben riskierte und das Tauschgeschäft nicht machen konnte.« »Oh, ich weiß«, erwidert Adam. »Als ich das erkannte, begann ich erst richtig nachzudenken und zu begreifen. Ich tauge nichts – noch nicht! Doch das wird sich ändern.« »Hier«, sagt Jim, »hier in diesem Land. Wir verkaufen unsere Pferderanch und bleiben hier unter diesen Menschen. Wir haben einige Freunde hier – den Sheriff, Jennifer, Riv McLane – und die Rancher. Ich kann Jennifer nicht mit in die Einsamkeit nehmen, Bruder. Ich muss mir hier unter den Menschen einen Platz schaffen. Und du auch. Ich werde gewiss noch eine Menge Verdruss bekommen. Es werden Revolverschwinger kommen, die sich mit mir messen wollen. Doch vielleicht helfen mir der Sheriff und die anderen Menschen. Adam, wir müssen versuchen, hier Fuß zu fassen.«
Und sie reiten weiter und weiter mit ihrem Gefangenen. Als sie die Brücke erreichen, treffen sie auf etwa ein Dutzend Reiter. Es sind Rancher. Sie nicken Jim Jones zu und betrachten Kendall mit kühlen Blicken. »Gute Arbeit, Marshal«, sagt Glen Peters. Jim hebt die Schultern und lächelt bitter. »Es ergab sich so«, sagt er, »dass ich mir diesen Blechstern geben ließ. Ich werde ihn zurückgeben und mir hier ein Stück Land abstecken. Ich will mit meinem Bruder hier im Land bleiben.« Die Rancher blicken sich an. Dann nickt Glen Peters. »Wir haben ein Stück für Sie, Jim Jones. Es liegt in unserer Mitte.« « Und als sie Kendall dann in der Stadt zu den beiden Kumpanen ins Gefängnis bringen, ist die ganze Stadt versammelt. Jim aber geht in Jennifers Küche hinüber. »Ich will versuchen, hier zu bleiben, Jenny«, sagt er. Sie betrachtet ihn voller Liebe. »So willst du nicht mehr zu deiner Pferderanch in jenes einsame Hochtal zurück?« »Nur, um sie zu verkaufen.« »Und Adam?« »Er wird mich eine Weile brauchen, Jenny.«
Sie nickt. »Wir werden zurechtkommen. Wirst du mir eines Tages einen Antrag machen, Jim?« Er nickt. »Das war schon einer, Jenny. War er nicht gut genug?« Da kommt sie zu ihm, um ihn zu küssen. »Wir schaffen es«, sagt sie. ENDE