Atlan ‐ Die Abenteuer der SOL Nr. 545 All‐Mohandot
Der Atombrand von Horst Hoffmann
Das Ende einer Welt ...
12 downloads
599 Views
880KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Atlan ‐ Die Abenteuer der SOL Nr. 545 All‐Mohandot
Der Atombrand von Horst Hoffmann
Das Ende einer Welt
Seit Dezember des Jahres 3586, als die SOL unter dem Kommando der Solgeborenen auf große Fahrt ging und mit unbekanntem Ziel in den Tiefen des Sternenmeeres verschwand, sind mehr als zweihundert Jahre vergangen, und niemand hat in der Zwischenzeit etwas vom Verbleib des Generationenschiffs gehört. Schließlich ist es jedoch soweit – und ein Mann kommt wieder in Kontakt mit dem verschollenen Schiff. Dieser Mann ist Atlan. Die Kosmokraten entlassen ihn, damit er sich um die SOL kümmert und sie einer neuen Bestimmung zuführt. Jetzt schreibt man an Bord des Schiffes den Anfang des Jahres 3792, und der Arkonide hat trotz seines relativ kurzen Wirkens auf der SOL bereits den Anstoß zu entscheidenden positiven Veränderungen im Leben der Solaner gegeben – ganz davon abgesehen, daß er gleich nach seinem Erscheinen die SOL vor der Vernichtung rettete. Gegenwärtig hält sich Atlan mit der abgekoppelten SZ‐2 in der Kleingalaxis Flatterfeld auf. Ihm geht es darum, die unbekannte Macht daran zu hindern, weitere Welten durch die Nickelraubzüge der Ysteronen vernichten zu lassen. Zwangsläufig ergeben sich dabei Auseinandersetzungen zwischen den Solanern und den Dienern der unbekannten Macht. Klimax dieser Konflikte ist DER ATOMBRAND …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan ‐ Der Arkonide auf der Suche nach Schiffbrüchigen. Breckcrown Hayes ‐ Der Solaner löste einen Atombrand aus. Sternfeuer, Jasper Swinn und Jessica Damarge ‐ Besatzungsmitglieder der FEUERSCHAUKEL. Sanny und Argan U ‐ Die Gefangenen des Ysterioons kämpfen um ihre Freiheit.
1. Breckcrown Hayesʹ Finger huschten über die Kontakte einer Schaltleiste rechts vor dem Pilotensitz. Zahlenkolonnen und Funktionsanzeigen erschienen auf den Monitoren. Das leise Summen der Aggregate veränderte sich geringfügig. Sternfeuer beobachtete eine Weile das ausdruckslose Gesicht des Solaners, dann die von Jasper Swinn und Jessica Damaree, die schon eher das zeigten, was sie selbst fühlte: eine gehörige Portion Unbehagen. Schließlich legte sie den Kopf in den Nacken und starrte durch die transparente Kanzel der Space‐Jet auf die Leuchtleisten im Hangardach. »Man kann alles übertreiben«, meinte Jessica anzüglich. »Findest du nicht auch, Jasper?« Sie war siebenundzwanzig, er fünf Jahre älter. Jessica Damaree, bis vor kurzem eine Mitläuferin der Basiskämpfer, bezeichnete sich selbst als Zweite Pilotin. Tatsache war, daß sie wesentlich mehr von der Technik und Steuerung eines Beiboots verstand als ihr Freund, der Pyrride. Sie trug eine in grellen Farben gehaltene Phantasieuniform, die sich eng an ihren wohlproportionierten Körper schmiegte. Die junge Solanerin war nicht gerade üppig. Dennoch bildete sie einen Kontrast zu der eher knabenhaften Sternfeuer, der noch unterstrichen wurde durch das blau‐schwarze, frei auf ihre Schultern fallende Haar.
»Kann man sagen«, brummte Swinn in seiner hellroten Kombination. Die Atomsymbole waren von den Oberarmen abgerissen zum Zeichen, daß er mit seiner Kaste und der SOLAG nicht mehr allzu viel im Sinn hatte. Swinns ganzes Wesen hingegen entsprach dem Bild, das man sich allgemein von den Brüdern der vierten Wertigkeit machte. Seine Wortkargheit hatte er mit Hayes gemeinsam. Dieser lächelte schwach. »Immer mit der Ruhe. Wenn ich etwas mache, tue ichʹs gründlich.« Phrasen! dachte Sternfeuer. Sie reden, um sich selbst reden zu hören. Dabei spüren sie es alle, Breck auch. Umsonst hält er sich nicht so lange mit dem Check auf. Wir sind Fremde hier und im Begriff, uns aufs Pulverfaß zu setzen, das jeden Moment in die Luft gehen kann. Wieder schrak sie vor den eigenen Zweifeln zurück. Sie mußten es tun. Sie mußten sich Klarheit darüber verschaffen, was dort unten auf dem Planeten geschah oder von dort aus gesteuert wurde. »Wir sind soweit, Atlan«, hörte sie endlich Hayesʹ Stimme, und es kam ihr wie eine Erlösung vor. Ihr Körper straffte sich, ihr Kopf kippte nach vorn. Auf einem der Bildschirme sah sie das Gesicht des Arkoniden. Atlan lächelte matt. »Ihr seht nicht gerade so aus, als sprühtet ihr vor Begeisterung. Wenn jemand von euch glaubt, besser in der DUSTY QUEEN aufgehoben zu sein, dann …« Hayes winkte ab. »Wir sehen uns diese Gluthölle aus der Nähe an und werfen ein Auge auf dieses kreisförmige, dunkle Gebilde, von dem die angemessene energetische Aktivität ausgeht. Mit etwas Glück wissen wir bald mehr über das Ysterioon, dieses ganze System und …« Hayes zuckte die Schultern. »Eben über alles. Wir machen keinen Ausflug zur nächsten Galaxis. Weshalb also dieses ganze Aufhebens? Wir sind alle freiwillig hier. Also was ist? Können wir?« Zur nächsten Galaxis, dachte Sternfeuer. Natürlich, Breckcrown macht noch seine Scherze. Dabei kämen wir nicht einmal bis zur SZ‐
2! Die Solzelle saß auf dem Planeten Break‐2 fest. Die eigene Korvette stand im Trümmerring um die Sonne Nickelmaul. Operieren konnte sie auch im Raum zwischen der Sonne und dem Ring aus den Bruchstücken von ehemals etwa zwanzig Planeten, denen das gleiche Schicksal bestimmt gewesen war wie vielen Welten der Sternenballung Bumerang. Erst .jenseits dieses Trümmerrings, so hatten die energetischen Vermessungen gezeigt, kam die eigentliche Nickel‐Absorber‐ Strahlung des Ysterioons voll zum Tragen, die bis etwa fünf Lichtjahre in den Raum hinauswirkte. In diesem Bereich vermochte sich kein Raumschiff dem Ysterioon weiter zu nähern – es sei denn, es hätte ganz oder überwiegend aus Nickel bestanden. Deshalb kam die SZ‐2 nicht von Break‐2 fort. Erst die DUSTY QUEEN hatte diese unsichtbare Grenze überwinden können, nachdem man alles, was sich an Bord nur irgendwie entbehren ließ, aus den Schleusen geworfen und durch das von den Ysteronen so sehr begehrte Element ersetzt hatte. Nickel aus dem Innern von Break‐2 war überall gewesen, in den Laderäumen, den Korridoren, den Unterkünften – eben überall dort, wo Platz geschaffen worden war. Hayes und Atlan besprachen noch einige Einzelheiten. Sternfeuer bekam kaum etwas davon mit. Sie hörte nur noch Atlans: »Viel Glück!« Dann öffnete sich das Schleusenschott. Hayes nickte den anderen noch einmal aufmunternd zu, und Sternfeuer tat in diesem Moment etwas, das ihr sonst nie in den Sinn gekommen wäre. Sie esperte Hayesʹ Gedanken und fand nichts als hartnäckige Konzentration auf die gemeinsame Aufgabe. Es war fast so, als könnte dieser Mann alles andere einfach ausschalten. Himmel! durchfuhr es die Mutantin. Was ist nur los mit mir? »Es geht los«, verkündete Breckcrown. Jessica gab einen Seufzer von sich. Swinn, ihr stets etwas mürrischer Freund, verzog keine
Miene. Aber er hält sich krampfhaft an den Lehnen fest! So als ob er Angst davor hätte, ins Nichts zu stürzen! Sternfeuer biß die Zähne aufeinander und zog die Beine an. Bring uns ʹraus, Breckcrown! Dieses verdammte Warten ist es, das uns verrückt macht! Künstliche Schwerkraftfelder hoben die Space‐Jet vom Hangarboden ab und schoben sie sanft aus der Schleuse. Sternfeuer sah die Lichter der Korvette hinter sich zurückbleiben. Die DUSTY QUEEN stand – auf das Ysterioon bezogen – hinter der Sonne im Trümmerring und war somit vor einer direkten Ortung durch die Ysteronen geschützt. Noch galt dies auch für die FEUERSCHAUKEL, wie irgend jemand die Space‐Jet getauft hatte. Durch das Kanzeldach leuchtete hell die blaue Riesensonne vom O‐Typ, ein Stern mit einem Durchmesser von rund 28 Millionen Kilometern, aber von nur einem Zweihundertfünfzigstel der Dichte Sols. Nickelmaul, dachte Sternfeuer. Nikkeldiebe, Nickelstrahlung. Zum Teufel mit allem Nickel! Hayes zündete die Impulstriebwerke. Rasend schnell nun schrumpfte die DUSTY QUEEN zu einem noch schwach leuchtenden Punkt und verschwand dann völlig im Trümmerring. Voraus brannte Nickelmaul. Dahinter wartete Pryttar, warteten die Ysteronen – und jene unbekannte Macht, die dieses Volk von Riesen steuerte. * Während er sorgsam darauf bedacht war, die FEUERSCHAUKEL im Ortungsschatten der Sonne zu halten, ließ Breckcrown Hayes die Ereignisse der letzten Wochen noch einmal vor seinem geistigen Auge Revue passieren. Der Flug der DUSTY QUEEN hatte einiges
an neuen Erkenntnissen gebracht, aber doppelt und dreifach neue Fragen aufgeworfen. Davon abgesehen, war die Lage der Menschen im Kores‐System alles andere als rosig. Nach dem Erreichen des Ysterioons, jenes riesigen würfelförmigen Gebildes aus 27 Kugeln, die durch dicke Röhrenkonstruktionen miteinander verbunden waren, war es zu einem ersten kurzen Funkkontakt zwischen Atlan und Girgeltjoff einerseits und den Ysteronen andererseits gekommen. Die Riesen hatten schnell zu verstehen gegeben, daß sie keine Eindringlinge gebrauchen konnten. Vermutlich war es dem Erscheinen des Molaaten Oserfan im Erfassungsbereich der Bildoptik zu verdanken gewesen, daß die Fremden dann doch ihre Meinung änderten und die Korvette in eine der 150 Kilometer durchmessenden Kugeln schleusten. Und dort, dachte Hayes, würden wir vermutlich heute noch schmoren, wenn Atlan nicht die Geduld gerissen wäre, als sich niemand mehr um das Schiff kümmerte. Ein erster Vorstoß ins Innere des überwiegend aus Nickel bestehenden Ysterioons hatte unter anderem die Erkenntnis gebracht, daß die Ysteronen mit Transmittern arbeiteten, die denen terranischer Bauart nicht unähnlich waren. Man hatte eine Gruppe Riesen beobachten können, die sich offenbar auf einen neuen Nickelraubzug vorbereiteten. Und immer wieder war es zu fast panischen Reaktionen der Ysteronen gekommen, wenn sie eines Molaaten ansichtig wurden. Sternfeuer vermochte die Gedanken der Riesen nur dann zu lesen, wenn sie bis auf Sichtweite in ihre Nähe gelangten. Das Ergebnis war fast immer das gleiche: Schamgefühl, Verwirrung beim Anblick der Eindringlinge und Angst. Ysteronen, die zur DUSTY QUEEN vorgedrungen waren, hatten die sofortige Rückkehr von Atlans kleiner Gruppe gefordert und endlich in Aussicht gestellt, daß Atlan und einige seiner Begleiter zur Statue in der Zentralkugel gebracht werden sollten – oder auch in der Tabuzone, wie sie sich ausdrückten. Und wieder hatten sie lange Zeit untätig warten müssen. Atlan
brannte die Zeit unter den Nägeln. Schließlich ging es nicht nur darum, herauszufinden, wer oder was sich hinter den Ysteronen verbarg, sondern es galt, die Quelle auszuschalten, die die SZ‐2 auf Break‐2 festhielt. Welche Rolle der geheimnisvollen Statue dabei zukam, darüber konnten nur Vermutungen angestellt werden. Die Besatzungsmitglieder der DUSTY QUEEN entwickelten angesichts der undurchdringbaren Absperrungen rund um das Schiff eine regelrechte Klaustrophobie, die schließlich dazu führte, daß Atlan einen gewaltsamen Ausbruchsversuch riskieren wollte. Kurz, bevor es dazu kommen konnte, meldeten sich die Ysteronen erneut und forderten den Arkoniden auf, die drei wichtigsten Personen an Bord der Korvette zu benennen, die dann Gelegenheit bekommen sollten, mit Vertretern aus der Tabuzone zu sprechen. Atlan hatte sich selbst genannt, dazu ihn, Hayes, und Osa. Hayesʹ Miene verfinsterte sich, als er nun daran dachte, was aus dem so fein eingefädelten Plan geworden war, in der robotischen Hülle, die den Ysteronen den Solaner Osa vorgaukeln sollte, die Molaaten Sanny und Oserfan und dazu den Extra Argan U zu verstecken und quasi als Rückendeckung in die Nähe der Tabuzone einzuschleusen. Tatsächlich war es Sanny und dem Extra gelungen, sich in einem geeigneten Augenblick abzusetzen und in einem Seitengang zu verschwinden. Das Ergebnis war, daß die beiden sich nun entweder in der Gewalt der Ysteronen befanden oder von einem Versteck ins andere flüchten mußten. Jedenfalls hatte Atlan und er die beiden nach einem für sie wenig ergiebigen Gespräch mit zwei Ysteronen, von denen einer gar kein Ysterone war, allein im Ysterioon zurücklassen müssen. Ihnen war keine, andere Wahl geblieben, als die Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen und mit der DUSTY QUEEN in den freien Weltraum zu fliehen, nachdem einer ihrer Führer ihnen die Gelegenheit dazu geboten hatte. Bungeltjat war sein Name gewesen, erinnerte sich Hayes. Er hatte gewußt, daß er nicht mehr lange zu leben hatte. Dies war
ausschlaggebend für ihn gewesen, vor seinem Ende noch wenigstens etwas Gutes zu tun, um sein Gewissen zu beruhigen. Wer aber war der andere gewesen, WyltʹRong? Mit Sicherheit kein Ysterone, sondern eine Hülle wie Osa. Welches Wesen verbarg sich in Wirklichkeit in ihr? Man war keinen Schritt weitergekommen, hatte nicht einmal einen Blick auf diese merkwürdige Statue werfen können. Die DUSTY QUEEN hatte ein Scheinlandemanöver auf den einzigen erhaltenen Planeten, Pryttar, geflogen, um die vor ihren Orterschirmen sitzenden Ysteronen irrezuführen. Dann war sie an der Sonne vorbei und in deren Schutz weiter bis zum Trümmerring geflogen, wo sie nun darauf wartete, daß die FEUERSCHAUKEL mit brauchbaren Informationen von Pryttar zurückkehrte. Denn soviel stand fest: Nicht nur das Ysterioon war für die Nickel‐ Absorber‐Strahlung und das damit verbundene Festsitzen der SZ‐2 auf Break‐2 verantwortlich. Und nicht nur das Ysterioon ließ die ungeheuren Nickelmengen, die ins Kores‐System gelangten, kurz vor der Sonne im Hyperraum verschwinden. Das System mußte weitaus komplexer sein. Zweifellos erfüllte auch der Trümmerring eine Funktion darin – vor allem aber Pryttar. Hayes war es gewesen, der im Vorbeiflug am Planeten alle Aufzeichnungsgeräte hatte laufen lassen. Schon die. ersten Auswertungen hatten überrascht. Auf der Glutwelt gab es ein Zentrum hoher und einwandfrei künstlicher energetischer Aktivität. Auf den fotographischen Aufnahmen war ein dunkles Gebilde auf der Oberfläche zu sehen gewesen, das sich mit der Stelle deckte, von der die Impulse kamen. Weitere Vermessungen hatten gezeigt, daß zwischen Pryttar und dem Ysterioon ein ständiger Datenfluß oder etwas Ähnliches erfolgte. Das, dachte Hayes, wissen wir also. Und es wird Zeit, endlich mehr über diese ganzen Zusammenhänge zu erfahren. Über allen Rätseln schwebte wie ein Schatten jene geheimnisvolle
Macht im Hintergrund, die man in Ermangelung jeglicher Kenntnis Hidden X genannt hatte. Eigentlich wußte man nur, daß diese Macht einen unglaublichen Bedarf an Nickel an den Tag legte und die Ysteronen irgendwie manipuliert hatte. Sie konnten ohne Nickel nicht leben. Eine Ausnahme stellte Girgeltjoff dar. Auf ihm, der ebenfalls im Ysterioon zurückgeblieben war, ruhten die Hoffnungen der Menschen – zumindest, was Sanny und Argan U anbetraf. Hayes fuhr sich mit einer Hand durch das kurzgeschnittene, graue Haar und konzentrierte sich weiter auf den Flug. Mit hochgefahrenen Schutzschirmen tauchte die Space‐Jet in die äußere Sonnenkorona ein. Filter schoben sich über die transparente Kanzel und milderten das blaue Licht auf ein erträgliches Maß herab. Jessica Damaree hielt den Funkkontakt mit der DUSTY QUEEN. Swinn stierte mit mürrischem Gesicht vor sich hin, als hätte er in der FEUERSCHAUKEL gar nichts zu suchen, und Sternfeuer gefiel Hayes ganz und gar nicht. Er zeigte es nicht, doch die Veränderung, die mit der Telepathin seit dem Besteigen der Space‐Jet vor sich gegangen war, beunruhigte ihn mehr als das, was sie vielleicht bei Pryttar erwarten mochte. Hayes lehnte sich zurück und streckte die Beine von sich. Im Augenblick konnte auch er nichts tun. Der Bordcomputer regulierte den Auslastungsgrad der Schirme und brachte das Beiboot sicher durch die flammende Korona. »Was tun wir?« fragte Swinn überraschend, »wenn plötzlich Schiffe auftauchen?« Hayes runzelte die Stirn. »Das wären die ersten hier«, erwiderte er. »Wir haben noch kein einziges zu sehen bekommen. Aus irgendeinem Grund scheint dieses System für Raumschiffe der Ysteronen tabu zu sein.« »Du stellst vielleicht Fragen!« wandte sich Jessica an den Pyrriden. »So? Vielleicht meine ich auch gar nicht Schiffe der Ysteronen.«
»Welche dann?« Swinn winkte ab. »War nur so eine Idee von mir. Aber was würden wir tun, falls welche auftauchten? Immerhin dürften diese Vierbeinerriesen uns noch auf Pryttar vermuten.« »Etwa in der glutflüssigen Lava dort?« Jessica drehte sich halb zu Hayes um und tippte sich bezeichnend gegen die Stirn. »Jasper, wenn ich dich nicht besser kennen würde …« »Was würden wir tun?« fragte der Pyrride beharrlich. Hayes zuckte die Schultern. »Anfunken, Uns aus dem Staub machen. Es käme ganz auf die Situation an.« »Nicht schießen?« »Schießen!« rief Jessica aus. »Hört ihr das? Da kommt dieser Mensch einmal aus der SOL heraus, und was passiert in seinem madigen Gehirn? Er denkt an die alten Zeiten, als die SOL noch von einer Gefahr in die andere trudelte, und wetzt die Klinge!« »Hört endlich auf!« schimpfte Sternfeuer. »Was wißt denn ihr von den sogenannten alten Zeiten!« Sie verschränkte die Arme über der Brust und blickte starr vor sich hin. »Glaubst du auch schon an Schiffe, die plötzlich aus dem Nichts auftauchen und uns angreifen?« fragte Jessica. »Sagʹs doch. Du hast Angst.« »Es wird etwas geschehen«, flüsterte die Mutantin. »Mehr weiß ich auch nicht, aber ich fühle es. Irgend etwas.« »Das wollen wir hoffen«, brummte Swinn. »Besser, wir kommen nicht mit leeren Händen zu Atlan zurück.« Hayesʹ Aufmerksamkeit wurde auf den Weltraum gelenkt. Die FEUERSCHAUKEL flog aus den Gasschwaden heraus und hielt Kurs auf den Planeten, der noch zwischen ihr und dem Ysterioon stand. Hayes übernahm wieder selbst die Steuerung, während die junge Solanerin sich ihrer Aufgabe erinnerte, die DUSTY QUEEN
über alle angestellten Beobachtungen auf dem laufenden zu halten. Sie sprach gerade mit der Magnidin Brooklyn, als die Massetaster der Space‐Jet schlagartig ansprachen. Fast gleichzeitig erhellten sich selbsttätig die Orterschirme. Das war, als die FEUERSCHAUKEL sich bis auf eine Entfernung von etwa einer Million Kilometer an Pryttar herangepirscht hatte. Der Planet war als dunkelrot glühende Kugel durch die Kanzel zu sehen, die von helleren, bis ins Gelbliche gehenden Linien überzogen waren. Augenblicklich war das Wortgeplänkel vergessen. Sternfeuer beugte sich im Kontursessel vor und blickte von einem Schirm auf den anderen. Ihr Zeigefinger berührte in schneller Folge eine Reihe von Tasten. »Nickel«, sagte sie. »Riesige Nickelbrocken.« Hayes drosselte die Geschwindigkeit des Schiffes etwas, ohne den Kurs zu verändern. Mit einem Auge schielte er auf die Textzeilen, die auf einem Monitor erschienen. »Tatsächlich Nickel, aber was hätten wir hier schon anderes erwarten sollen.« »Diese Brocken sind einfach materialisiert«, kam es von Swinn. »Und verdammt, sie halten auf uns zu!« »Entfernung?« fragte Hayes, während er sich bemühte, durch die Kanzel etwas von den Trümmern zu erkennen. Noch waren sie zu weit weg. »Jetzt zwei Millionen Kilometer«, meldete Jessica, gleichzeitig als Information für Brooklyn und Atlan, der neben der Magnidin auf dem Bildschirm aufgetaucht war. »Aber das besagt gar nichts. Sie rasen auf Pryttar zu und damit auf uns. Wir haben sie im Rücken, und sie kommen mit …« Sie schüttelte in ungläubigem Staunen den Kopf. »Bei allen Planeten! Die Dinger sind halb lichtschnell!« Das letzte ging fast im Heulen der Alarmsirenen unter. Vor Hayes leuchtete ein rotes Feld auf. Plötzlich ging alles viel zu schnell, um noch eine Reaktion zu erlauben.
»Wir können nicht ausweichen!« schrie Sternfeuer. »Es sind Hunderte, die meisten mehrere Dutzend Kilometer groß! Breckcrown, sie haben uns! Die Feldschirme …!« Hayes hatte sie schon hochgefahren und erwartete die grellen Lichtblitze im Fall, daß einer der Materiebrocken die Space‐Jet nur streifte – oder den einen, letzten Blitz, wenn die FEUERSCHAUKEL voll getroffen wurde. Es kam nicht dazu. Hayes sah die Trümmer in dem Augenblick, in dem sie aus dem Einsteinraum verschwanden. Etwas schnürte ihm die Kehle zu. Er merkte, daß er leicht zitterte. Noch war er unfähig, zu begreifen, was eigentlich geschehen war. »Hui!« machte Jessica. Sie lachte gekünstelt. »Schätze, da sind wir noch einmal ganz knapp davongekommen. Die Brocken waren bis auf hunderttausend Kilometer heran. Das heißt bei ihrer Geschwindigkeit: noch zwei Drittel Sekunden, und sie hätten uns …« Hayes fuhr sich mit der Hand über die Stirn und fühlte, daß sie schweißnaß war. Erst allmählich fand er seine Ruhe wieder. »Meinetwegen waren es Hunderte«, versuchte er abzuwiegeln. »Aber dennoch wäre die Wahrscheinlichkeit, daß einer von ihnen mit uns kollidiert wäre, verschwindend gering gewesen.« »Weil sie schlecht gezielt haben oder uns nur einen letzten Schuß vor den Bug setzen wollten«, sagte Swinn. »Was?« fragte Jessica entgeistert. Er nickte ernst. »Für meine Begriffe war das ein Angriff.« »Oh, Jasper! Wer greift uns an und läßt die Brocken kurz vor dem Ziel in den Hyperraum verschwinden?« »Niemand«, antwortete Hayes für den Pyrriden. »Wir bleiben auf Kurs. Das war nichts, das uns galt. Wir haben etwas beobachtet, das uns bekannt ist. Nickel in großen Mengen wurde ins Kores‐System gebracht und dort in den Hyperraum abgestrahlt. Hidden X braucht
Nahrung. Daß wir zufällig im Kurs dieser Brocken lagen, liegt allein an uns.« »Kann vielleicht einmal, jemand einen klaren Bericht geben?« fragte Atlan über die Funkstrecke. Jessica faßte sich und übernahm das. Sternfeuer murmelte neben Breckcrown: »Aber wären wir nur hunderttausend Kilometer weiter zurück gewesen, hätte es uns erwischt, ob Zufall oder nicht.« * »Erhöhte Energieemission von Pryttar«, meldete Sternfeuer, die der Schreck zumindest teilweise aus ihrer Lethargie gerissen hatte. Jessica gab jedes ihrer Worte an Atlan und Brooklyn weiter. Obgleich der dunkle Kreis auf der Oberfläche noch den Blicken der Raumfahrer entzogen war, konnten sie doch die von dort ausgehenden Emissionen anmessen. Diese hatten nun den fast doppelten Wert erreicht. »Wir sollten den Planeten so weit umrunden, daß wir über dem Fleck stehen, Breckcrown.« Hayes nickte. »Bin schon dabei, Sternfeuer.« »Weitere Ortungen. Es kommt noch mehr Nickel an.« Eine halbe Million Kilometer über Pryttar ließ Hayes die Space‐Jet in eine weite Kreisbahn einschwenken, bis tief unter ihnen die kreisrunde dunkle Fläche zu erkennen war. Das heißt: dunkel war sie nicht mehr. Swinn stieß pfeifend die Luft aus. »Dort unten müssen gewaltige Energien toben«, sagte er leise. Lauter dann: »Und was soll das sein? Das sieht aus wie ein … Schlauch!« Hayes nickte und nahm noch mehr Fahrt weg, bis die
FEUERSCHAUKEL quasi unbeweglich über der Insel in den sich wälzenden und brodelnden Lavamassen stand. Was Swinn meinte, war auch mit bloßem Auge zu erkennen. Dort, wo der dunkle Fleck beobachtet worden war, strahlte die Oberfläche in bläulichweißem Licht, das sich in seinem Mittelpunkt verdichtete und wie von starken Gravitationskräften scheinbar in den Weltraum gerissen wurde. Das genaue Gegenteil war der Fall. Gebannt sahen die vier Solaner, wie sich von der Sonne Nickelmaul ein bläulichweißer, hauchdünn erscheinender energetischer Schlauch bis nach Pryttar spannte. Die in ihm auf den Planeten fließenden Energien verteilten sich dort und verschwanden scheinbar im Nichts. Was wirklich geschah, verrieten schnell angestellte Messungen. »Dieses Gebilde dort unten zapft die Energien der Sonne an«, erklärte Sternfeuer. »Daß sie sich dort zusammenballen und sich dann einfach aufzulösen scheinen, kann nur bedeuten, daß sie transformiert werden.« »Und das heißt?« wollte Swinn wissen. »Es kann bedeuten, daß dort die Vorgänge ablaufen, die es den Ysteronen oder unserer Macht im Hintergrund erlauben, alles ankommende Nickel kurz vor Pryttar in eine höhere Dimension zu befördern.« »Den Hyperraum«, sagte der Pyrride. »Möglich«, gab Sternfeuer zu. »Sicher können wir nicht sein. Es gibt nicht nur unser Kontinuum und einen Hyperraum, auch wenn wir ihn zur Vereinfachung heranziehen.« »Irgendwo«, versetzte Swinn trotzig, »muß das Zeug bleiben.« Hayes hielt die Space‐Jet in ihrer Position und beugte sich zu den Orterschirmen hinüber. »Das hört nicht auf, was? Es kommt immer noch Nickel. Kilometergroße, unregelmäßig geformte Brocken, wie schon gehabt. Und alle verschwinden sie in genau gleichem Abstand zu Pryttar.«
Jessica berichtete zur DUSTY QUEEN. »Es paßt alles irgendwie zusammen«, sagte Atlan darauf. »Dieses ganze System ist eine gigantische Nickel‐Verwertungs‐ und Abstrahlstation. Die Ysteronen werden durch ihre Nikkelbindung gefügig gemacht. Aber wozu braucht Hidden X das Element noch?« »Vor allem«, meinte Hayes, »welches Volk oder welche Macht verfügt über die Technologie, diese ungeheuren Energiemengen aus der Sonne zu zapfen?« »Das hatʹs schon gegeben, Breckcrown«, wurde er vom Arkoniden belehrt. »Die Terraner haben ganz andere Dinge fertiggebracht.« »Das mag sein. Aber du kannst die Ysteronen nicht mit ihnen vergleichen.« »Sie nicht«, stimmte Atlan zu. »Achtung!« rief Sternfeuer. »Der Nickelzustrom scheint aufgehört zu haben. Es taucht keine Materie mehr auf!« »Dann werden wir gleich sehen, ob du recht hattest.« Schweigend blickten die vier aus der Kanzel oder auf die Bildschirme. Und wahrhaftig löste das schlauchähnliche Gebilde sich in genau dem Moment auf, in dem die letzten Nikkelbrocken aus dem vierdimensionalen Raum‐Zeit‐Gefüge verschwanden. Sternfeuer lehnte sich zurück. Sieʹ nickte. »Das warʹs dann. Dort unten befindet sich eine Umwandlerstation, die ihre Energie von der Sonne zapft und das Nickel an ein unbekanntes Ziel schickt. Kein Nickel mehr, kein weiterer Energiebedarf.« Sie deutete mit dem Kinn auf die entsprechenden Zahlenkolonnen auf einem der Monitoren. »Werte wieder wie gehabt.« Hayes überlas die Textzeilen des Analysators, warf einen Blick auf Taster‐ und Orterschirme und nickte ebenfalls. »Keine Schiffe, Jasper. Wir sind auch weiterhin die einzigen hier und gehen jetzt näher an diese Station heran, wie Sternfeuer die Zone genannt hat.« »Du weißt, wieʹs gemeint war«, murmelte die Mutantin. »Es muß
nicht eine Station sein, wie wir sie uns vorstellen. Vielleicht nur ein Kraftfeld.« Sie rieb sich die Arme, als ob sie fröre. Hayes begriff, daß sie sich nach wie vor in einem miserablen psychischen Zustand befand, auch wenn sie nun versuchte, diesen Eindruck zu verwischen. »Wir gehen näher heran«, wiederholte er. »Seid vorsichtig«, warnte Brooklyn. »Du siehst auch schon Phantomschiffe?« »Es müssen keine Schiffe sein, Breckcrown. Wenn Pryttar so wichtig für die großen Unbekannten ist, wie wir annehmen müssen, werden sie auf eure Annäherung reagieren.« »Ein Grund mehr, es hinter uns zu bringen.« Die FEUERSCHAUKEL beschleunigte und begann, dem Planeten entgegenzustürzen. »Abstand dreihunderttausend Kilometer«, meldete Jessica, als Sternfeuer keine Anstalten machte, sich um die Beobachtung der Instrumente zu kümmern. »Langsamer, Breck! Zweihundertfünfzigtausend. Willst du der Space‐Jet eine Glutwäsche verpassen? Jetzt – zweihunderttausend! Langsamer, Mann!« Hayes bremste mit Vollschub. Einhundertsechzigtausend Kilometer über der glutfreien Fläche sank das Schiff nur noch langsam weiter. »Und wozu sollte das gut sein?« fragte Jessica ungehalten. »Werte?« lautete Hayes Antwort. Sie nahm einige Schaltungen vor und schüttelte den Kopf. »Alles normal, wenn man dies hier als normal bezeichnen kann.« »Das klingt fast enttäuscht«, kam es von Swinn. »Was hast du erwartet?« »Wir haben Bilder«, sagte Sternfeuer unerwartet. »Die Teleoptiken zeigen … Ringe. Ja, diese ganze Zone besteht aus Ringen von etwa hundert Metern Breite. Und dort im Zentrum … Wir müssen noch etwas näher heran, Breck. Es könnten Kuppeln sein.«
Während der Pilot sich noch über das wiederauflebende Interesse der Telepathin wunderte, geschahen zwei Dinge auf einmal. Von der vermuteten Umformer‐ und Abstrahlstation aus wurde das Feuer auf die Space‐Jet eröffnet. Gleichzeitig zeigte die Ortung das Auftauchen von zwei Energie emittierenden Objekten in unmittelbarer Nähe der FEUERSCHAUKEL. »Es muß eine robotische Station sein«, erklärte Sternfeuer. »Ich spüre kein Anzeichen von Leben auf Pryttar.« Breckcrown Hayes reagierte instinktiv. So, wie er in Sekundenbruchteilen das Schiff zur Seite ausbrechen ließ, den Antrieb hochfuhr und es in den freien Raum zurückführte, würde ihm später niemand mehr abnehmen, daß er den Angriff nicht doch erwartet hätte. Swinn aktivierte die Schutzschirme. Jessica schrie etwas ins Mikro des Funkgeräts. Nur Sternfeuer saß wie zu Stein erstarrt in ihrem Sessel und blickte durch die Kanzel auf die grellen Lichtbahnen, die in nur wenigen Kilometern Entfernung an der FEUERSCHAUKEL vorbei in den Raum schossen. »Wenn das kein Angriff ist!« schrie Swinn. »Und wenn das dort keine Schiffe sind!« Hayes schluckte, aber nicht nur, weil er jetzt mit bloßem Auge die beiden Objekte sah, die sich, in leuchtende Energieschirme gehüllt, in den Fluchtkurs der FEUERSCHAUKEL schoben. Das war schlimm genug, denn nach wie vor feuerte die Pryttar‐Station. Hayes flog weitere gewagte Ausweichmanöver, die die Schiffszelle zum Ächzen und Beben brachten. Er hatte nur Augen für die so unvermittelt aufgetauchten Gegner, und er kannte diese Art Raumer. Er erkannte sie auf Anhieb wieder. Ovale Zellen, jede von ihnen nicht größer als hundert Meter und in eine Aura aus schillernden Farben gehüllt. Es konnte kein Zweifel bestehen. Das waren … »Roxharen!« preßte Hayes hervor. »Atlan hatte mit seinen Vermutungen recht! Das sind Roxharen‐Zellen, und Roxharen stecken hinter dem ganzen Nickelspuk!«
»Zum Teufel damit, wer sie sind!« rief Swinn. »Sie feuern auf uns!« »Wir müssen in den freien Raum, Breckcrown!« schrie Jessica. »Weg von hier!« »Sag das denen. Sie sind wendiger als wir. Sie blockieren uns. Jessi, falls Atlan nicht schon ohnehin mitbekommen hat, was sich hier abspielt, informiere ihn schnell. Er muß wissen, daß es Roxharen sind. Dann versuche, Kontakt mit den Ratten zu bekommen.« »Ratten?« »Tu, was ich sage! Sie sehen aus wie Ratten!« »Funkt sie an!« kam es aus den Lautsprechern. Das war Atlans Stimme. »Ich habe mitgehört. Funkt sie an! Sie müssen das Feuer einstellen!« Jessica verlor keine Zeit mehr, während Hayes der Schweiß aus allen Poren brach. Die Space‐Jet vollführte wilde Sprünge im Raum, doch wo sie auch auszubrechen versuchte – die beiden Zellen waren vor ihr. Von Pryttar feuerten die Abwehrgeschütze der Robotstation. »Ich bekomme keinen Kontakt!« schrie Jessica Damaree in das Knistern und Kreischen, als der erste Treffer in die Schutzschirme der Space‐Jet fuhr. 2. Also Roxharen! Atlan starrte auf den dunkel gewordenen Schirm der Funkverbindung zur FEUERSCHAUKEL. Übergangslos hatten die in Not Geratenen die Verbindung unterbrochen. Atlan wollte aber nicht an eine Vernichtung der Space‐Jet glauben. Er versetzte die Korvette in Alarmbereitschaft und setzte sich so, daß er den Bildschirm jederzeit im Auge Behielt. Brooklyn stand mit
beiden Händen auf ein Pult gestützt, schüttelte stumm den Kopf und sah Atlan forschend an. Die übrigen in der Zentrale versammelten Besatzungsmitglieder tuschelten miteinander. Atlan entgingen ihre Blicke nicht. Sie erwarteten Anweisungen. »Was tun wir also?« fragte Brooklyn endlich in die Stille hinein. Der Arkonide hob den Kopf etwas und musterte ihr Gesicht. Die Magnidin war etwa sechzig Jahre alt, mittelgroß und nach außen hin gelassen, immer von einem gewissen Charme umgeben und liebenswürdig. Es bedurfte schon einiger Provokation, um sie aus ihrer Reserve zu locken. Hinter dieser Fassade, wußte Atlan, verbarg sich ein Wesen voller Vorurteile gegen Andersgeartete. Dies und ihren angeborenen Starrsinn, wenn es um die Durchsetzung ihrer Ziele ging, hatte Brooklyn trotz einer im Grunde positiven Entwicklung noch nicht abgelegt. Roxharen waren Andersgeartete – und sie hatten der SOL im Chail‐System arg zugesetzt. Nicht, daß sich nicht auch Brooklyn um Hayes und die drei anderen sorgte, doch ihre Frage nun galt ganz eindeutig den so unverhofft wiederaufgetauchten Fremden. »Warten«, sagte Atlan. »Hayes meldete sich wieder. Er hat noch keinen Notruf gesendet.« Brooklyn lachte spitz. »Das besagt gar nichts!« »Bei Breckcrown vieles, meine Liebe. Wenn er keine Hilfe anfordert, ist er davon überzeugt, selbst mit den Roxharen fertig zu werden. Und wenn ichʹs einem Mann zutraue, dann ihm.« »Einfach warten und … nichts tun?« Atlan lächelte schwach. »Du kannst etwas tun. Wo steckt Oserfan? Würdest du ihn ausfindig machen und in die Zentrale rufen?« Ohne weitere Fragen zu stellen, kam sie der Bitte nach. Atlan schlug die Augen nieder.
Roxharen. Er war nicht einmal wirklich überrascht. Er hatte an sie gedacht, die über zwei Meter großen Rattenähnlichen und ihren geistigen Faktor. Parallelen zu den nickelabhängigen Ysteronen und Hidden X hatten sich ja förmlich aufgedrängt. Beide Völker waren nur vorgeschobene Werkzeuge einer Macht, die aus dem Hintergrund wirkte. Es fiel schwer, sich dabei vor voreiligen Schlüssen zu hüten. Den Spekulationen waren Tür und Tor geöffnet. Man konnte sich die Frage stellen, ob der geistige Faktor der Roxharen und Hidden X nicht identisch waren. Man konnte dieses Gedankenspiel noch weitertreiben und auf die Ebene der Superintelligenzen tragen. Atlan war von den Kosmokraten mitten in den sich anbahnenden Konflikt zwischen ES und Seth‐Apophis hineingeworfen worden. Er sollte die SOL nach Varnhagher‐Ghynnst bringen und dort eine ladung an Bord nehmen, über die er nur wußte, daß sie eine gewichtige Rolle in dieser Auseinandersetzung spielen mußte. Friedenszellen schaffen – im Limbus zwischen den Einflußbereichen der Superintelligenzen. Konnte eine von ihnen dann hier wirken? Atlan schob diese Gedanken von sich, wieder einmal. Ihnen nachzuhängen und dort eine Ladung an Bord nehmen, über die er nur wußte, daß sie eine gewichtige Rolle in dieser Auseinandersetzung spielen mußte. Wichtiger war nun, Oserfan einige Fragen zu stellen. Atlan bezweifelte Hayesʹ Aussage nicht. Es gab Roxharen hier im Kores‐ System. Doch welche Rolle spielten sie? Waren sie identisch mit jenen Wesen, die Sanny und Argan U im Ysterioon und dort ganz in der Nähe der Tabuzone hatten beobachten können? Sanny und U war es wegen der hohen Entdeckungsgefahr nur möglich gewesen, einige wenige Informationen an Oserfan weiterzugeben, bevor dessen Osa‐Attrappe und damit das eingebaute Mini‐Funkgerät von einem Energiestrahl zerschmolzen
worden war. Was der Molaate dann berichten konnte, war recht spärlich gewesen. Außerdem hatte sich Atlan ihm kaum genügend widmen können, da Bungeltjat und WyltʹRong seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hatten. »Er ist unterwegs hierher«, sagte Brooklyn. Sie setzte sich zu Atlan. »Was suchen die Kerle hier? Ich meine, was haben die Roxharen mit den Ysteronen zu tun? Wie kommen sie überhaupt nach Flatterfeld?« »Was sie mit den Nickeldieben zu tun haben, wird uns hoffentlich Oserfan beantworten können. Wie sie die gewaltige Entfernung überbrücken können? Frag mich etwas Leichteres. Wir wissen im Grunde viel zu wenig über sie. Wir kennen nicht einmal die Position ihrer Heimatwelt Roxha.« »Dann könnte Roxha in Flatterfeld liegen?« bohrte Brooklyn weiter. »Oder All‐Mohandot, wie die Pluuh ihre Zwerggalaxis nennen?« »Könnte, Brooklyn, könnte! Welchen Sinn hat es, sich darüber jetzt den Kopf zu zerbrechen. Wir haben andere Probleme.« »Unter anderem das mit der Besatzung«, murmelte die Magnidin. »Sie hat sich einigermaßen gefangen und die Klaustrophobie überwunden. Wenn nun allerdings eine neue Bedrohung auftaucht …« Oserfans Erscheinen brachte sie zum Verstummen. Der mit Ausnahme des Kopfes am ganzen Körper lindgrün behaarte, zwergenhafte Humanoide betrat wort‐ und grußlos die Zentrale und blieb mit gesenktem Kopf vor den beiden Menschen stehen. Atlan hatte Mitleid mit ihm. Oserfan litt zunehmend unter der Ungewißheit über Sannys Schicksal. Alle Versuche, ihn aufzuheitern, waren gescheitert. Während der letzten Tage hatte er sich fast nur noch in seiner Kabine aufgehalten, um dort vor sich hin zu brüten. »Es gibt Neuigkeiten«, sagte der Arkonide. Oserfans Kopf ruckte in die Höhe.
»Von Sanny? Habt ihr …?« »Leider nein«, mußte Atlan zugeben. »Oserfan, zunächst brauche ich eine genaue Wiedergabe der Beschreibung von dir, die Sanny und Argan U von den Fremden gegeben haben, die sie die Tabuzone betreten und verlassen sahen. Es ist wichtig. Bitte versuche, dich ganz genau zu erinnern. Jede Einzelheit ist bedeutend für uns.« »Es war nicht viel«, sagte der Molaate. »Und unklar, wie du weißt. Sie waren … groß, ja. Größer als ihr Menschen.« »Ihre Haut«, versuchte Atlan, Oserfan auf die Sprünge zu helfen. »Sanny sagte …« Oserfan bemühte sich sichtlich. Er streckte hilflos beide Ärmchen von sich. »Sie konnten sie auch nicht so gut sehen. Vielleicht war es zu dunkel. Vielleicht waren sie nicht nahe genug. Sanny meinte, daß die Fremden einen Pelz hätten wie wir, aber auch in den Gesichtern, und … ja, sie waren groß, größer als ihr.« »Das wissen wir bereits«, seufzte Brooklyn. Atlan legte ihr eine Hand auf den Arm und nickte dem Molaaten nochmals beruhigend zu. »Glichen ihre Gesichter den unseren?« Jetzt schüttelte Oserfan heftig den Kopf. »Nein, sie waren spitz, ganz anders. Jetzt erinnere ich mich wieder. Es geschah so vieles auf einmal, daß ich …« »Warte.« Atlan stand auf und suchte nach einer Folie und einem Schreiber. Als er beides von einem Besatzungsmitglied gereicht bekam, begann er, einen Roxharen zu zeichnen. »Kein berauschendes Kunstwerk zwar, aber man sollte ihn erkennen.« Er zeigte Oserfan das Bild, und dieser nickte. »Ja, kleine Augen, ein tief gespaltener Mund und diese runden und abstehenden Ohren. So hat Sanny sie beschrieben. Aber … woher weißt du …?« »Du bist ganz sicher?« vergewisserte sich der Arkonide noch einmal.
»Jetzt ja, Atlan. So müssen diese Wesen ausgesehen haben, die Sanny und U beobachteten.« Atlan drehte sich zu Brooklyn um, die nun ebenfalls aufgestanden war und einen Blick auf die Zeichnung warf. »Roxharen«, sagte er. »In der Tabuzone im Ysterioon leben Roxharen. Vermutlich haben sie ihre Zellen in einer der Kugeln, vielleicht eine kleine Flotte.« »Dann sind sie das, was wir als Hidden X bezeichneten?« Atlan schüttelte den Kopf. »Wohl kaum, Brooklyn. Ich bin eher der Ansicht, daß sie zwischen den Ysteronen und Hidden X stehen. Das könnte bedeuten, daß Hidden X tatsächlich nichts anderes ist als ihr geistiger Faktor.« Sie setzte sich wieder und starrte vor sich hin. »Allmählich begreife ich gar nichts mehr. Ich dachte immer, dieser geistige Faktor säße auf Roxha. Und das Ysterioon ist bestimmt nicht Roxha.« Sie hob den Kopf. »Oder?« »Ich fürchte«, sagte der Arkonide, »die Antwort auf diese Fragen können uns nur die Roxharen selbst geben. Und damit haben Breckcrown, Sternfeuer und die beiden anderen in der FEUERSCHAUKEL es in der Hand, uns endlich ein großes Stück weiterzubringen. Es muß ihnen einfach gelingen, Kontakt mit ihnen aufzunehmen.« Brooklyn lachte humorlos. »Dazu müssen sie erst einmal überleben.« 3. Für die vier Solaner in der FEUERSCHAUKEL sah es nicht so aus, als sollten sich Atlans in sie gesetzte Hoffnungen erfüllen. »Sie antworten nicht«, meldete Jessicaʹ. »Himmel, was tun wir, Breckcrown? Wir werden sie nicht los, und der nächste Treffer zerreißt uns.«
»Schutzschirmkapazität jetzt auf 120 Prozent«, meldete Swinn. »Dann fahr sie noch höher!« rief Hayes. »Sie vertragen hundertfünfzig!« »Aber du kannst ihnen nicht andauernd vor den Nasen herumhüpfen und dabei auch noch aufpassen, daß wir uns keinen Treffer von Pryttar einfangen!« Vor den Nasen herumhüpfen! Sternfeuer nickte unmerklich. Jaspers Vergleich hatte es genau getroffen. Die Space‐Jet vollführte regelrechte Bocksprünge im All – zwischen Pryttar und den beiden Roxharen‐Zellen. Es gab kein Ausbrechen aus dieser Falle. Breckcrown war zweifellos ein guter Pilot, einer von der Sorte, die jedes Risiko eingingen, bis ihnen der eigene Antrieb um die Ohren flog. Doch die Roxharen schienen jedes Manöver im Voraus zu erahnen und waren immer genau dort, wo Hayes eben noch einen Fluchtweg gesehen hatte. Zwei Treffer hatten die Schutzschirme aufgefangen und absorbiert. Sie waren überlasteter, als Swinn zugeben wollte. In einem hatte er recht: Der nächste würde das endgültige Aus bedeuten. Warum rühre ich mich nicht? Die Telepathin kannte inzwischen die Antwort und war doch unfähig, etwas gegen das zu tun, das sie gefangenhielt. Es war das Gefühl, dem Tode nahe zu sein. Es war wie damals, als sie hilflos auf der Antigravscheibe lag, inmitten wogender Kristallmassen in einer Nische des Giftwalls. Sie hatte niemals mit jemandem darüber gesprochen und bis jetzt nicht einmal selbst gewußt, daß sie im Grunde bereits tot gewesen war. Dieses Erleben des Todes, auch wenn sie die Schwelle noch nicht ganz überschritten gehabt hatte, jenseits derer keine Rettung mehr möglich war, mußte so umfassend gewesen sein, daß sie es bis heute verdrängt hatte. Nun war es aus den Tiefen des Unterbewußtseins herausgebrochen und lähmte sie. Aber es ist nur Angst! versuchte sie sich klarzumachen. Irgend
etwas in den letzten Tagen muß auf mich eingewirkt haben in einer Weise, daß das Verdrängte sich den Weg an die Oberfläche des Bewußtseins bahnte, ohne daß ich mir darüber im klaren war, was es war. Daher die Todesahnung. Sie ist nicht begründet! Es ist nur ein Nachhall und kann nichts mit der Situation zu tun haben, in der wir uns jetzt befinden. Ich muß die Angst überwinden, darf die anderen nicht im Stich lassen! »Treffer!« schrie Jessica. Hayes hockte mit zusammengebissenen Zähnen vor seinen Kontrollen und schien nichts mehr zu hören und zu sehen. Wieder mußte er glauben, eine Lücke entdeckt zu haben. Die Schiffszelle wurde erschüttert, doch die alles vernichtende Explosion blieb aus. »Die Schirme halten kein Staubkorn mehr aus!« rief Swinn. »Breckcrown, du mußt den Kerlen jetzt einen Schuß vor den Bug setzen!« »Du hast recht, Jasper«, sagte Hayes nur. Sternfeuer mußte ihn für seine Kaltblütigkeit bewundern. Er behielt die Nerven, während es dem Mädchen und dem Pyrriden nicht zu verdenken war, daß sie in Panik gerieten. Sie kannten doch nur die Sicherheit der SOL. Diesmal versuchte Hayes kein Ausweichmanöver mehr. Er hielt direkt auf eines der beiden Raumfahrzeuge zu und feuerte. Die buntschillernde Aura um die Roxharen‐Zelle glühte auf und schien sich für Sekunden bis ins Grenzenlose auszudehnen. Dann stand das Schiff wieder klar und deutlich auf den, Schirmen. »Sie stellen das Feuer ein«, flüsterte Jessica ungläubig. »Bei den Geistern der SOL, sie hören auf zu schießen!« »Die Robotstation auch«, sagte Swinn. »Anfunken«, knurrte Hayes. »Wir wollen sehen, ob sie auch ihre Sturheit abgelegt haben.« Jessica kam der Aufforderung nach – und schrak zurück, als sie plötzlich das Gesicht eines Roxharen auf ihrem Schirm hatte.
Hayes nickte grimmig. »Und jetzt werden wir uns unterhalten. Rede mit ihm, Jessi. Ich versuche, die FEUERSCHAUKEL aus der Reichweite der planetaren Abwehrgeschütze zu bringen.« »Mir hängt das Herz in der Hose, und ich soll mit dem Kerl verhandeln? Wie …?« »Jessi, ihre Sprache ist im Translator gespeichert. Den schaltest du ein und sagst, daß wir keine feindlichen Absichten haben. Himmel nochmal, halte ihn hin, bis wie eine sichere Position erreicht haben!« Sternfeuer gab sich einen Ruck. Sie mußte aus ihrem Alptraum erwachen, sollte er nicht fatale Wirklichkeit werden. »Laß mich das machen«, sagte sie und nickte der jungen Solanerin zu. * Hayesʹ Versuch, sich behutsam weiter von Pryttar zu entfernen, scheiterte, noch ehe er richtig begonnen hatte. Einige Strahlschüsse in den Kurs der Space‐Jet zeigten ihm, was die Roxharen von seiner Absicht hielten. Gleichzeitig begann jener zu reden, dessen rattenähnliches Gesicht auf dem Schirm abgebildet war. Dabei bediente er sich jener Gesten, über die Atlan sich einige Male ausgelassen hatte. Die erstaunlich zarten Zwitschertöne aus den Lautsprechern der Funkanlage verwandelten sich augenblicklich in verständliche Worte, als Sternfeuer den Translator zwischenschaltete. »… Versuch absehen«, hörten die Raumfahrer. »Wenn ihr uns etwas mitzuteilen habt, tut es jetzt. Aber es müßte schon etwas sehr Gewichtiges sein, um euer Leben zu retten. Wir hatten lange genug Geduld und sahen zu, wie ihr für Unruhe sorgtet.« Die Stimme verstummte. Sternfeuer, die Jessicas Platz eingenommen hatte, sah die kleinen, schwarzen Augen des
Roxharen auf sich gerichtet. Sie nickte, und je mehr sie sich auf das konzentrierte, was sie zu sagen hatte, desto leichter wurde ihr. Nach wie vor hatte sie diese schreckliche Angst, aber sie ließ sich besser ertragen. »Ich denke«, begann sie, »daß nicht wir uns zu rechtfertigen haben. Euer Angriff ist ein kriegerischer Akt. Stellt ihn ein und laßt uns ziehen. Es lag nicht in unserer Absicht, euch …« Der Roxhare unterbrach sie mit einer Handbewegung. Sein gesträubtes Fell signalisierte Zorn und hochgradige Erregung, die nach hinten gedrehten Qhren Ablehnung. »Ihr seid in dieses System eingedrungen und habt die bestehende Ordnung nachhaltig gestört. Da wir nicht damit rechnen können, daß ihr es verlaßt, ohne eure Ziele zu verwirklichen, bleibt uns keine andere Wahl, als euch zu vernichten.« »Einen Augenblick!« Breckcrown Hayes beugte sich über das Kontrollpult und berührte einen Knopf. Die Bildoptik schwenkte auf ihn ein, bis er ganz in ihrem Erfassungsbereich war. »Vernichten, ja? Mein lieber Freund, ihr scheint verdammt schnell damit bei der Hand zu sein. Und wenn hier jemand die Geduld verliert, sind wir es!« »Nicht, Breckcrown!« flüsterte Sternfeuer. Auch Jessica und Swinn, der noch vor kurzem ganz eigene Vorstellungen von der Begegnung mit fremden Schiffen gehabt hatte, machten ihm Zeichen, sich zu beruhigen. Hayes winkte ab. »Hör zu, Roxhare. Was ihr in diesem Sektor zu suchen habt, ist mir schleierhaft. Das heißt, ich ahne es, und dann gibt es für uns zwei Möglichkeiten. Entweder wir unterhalten uns in aller Ruhe über einige Dinge, zum Beispiel Nickel, unsere beiden im Ysterioon gefangenen Freunde oder ein gewisses Schiff, das wir ganz gerne wieder flott haben möchten, oder …« »Oder?« wiederholte der Roxhare, als Hayes eine Pause machte.
Breckcrowns Gestalt straffte sich. Er schüttelte eine Faust. »Oder wir zahlen mit gleicher Münze zurück, und falls du das nicht verstehst: Wir sind immer noch in der Lage, Pryttar und eure Station dort in den Weltraum zu blasen, wenn ihr uns nicht in Ruhe laßt und Verhandlungsbereitschaft zeigt.« »Das ist ein offene Drohung!« Aus der Translatorstimme war nicht herauszuhören, ob der Roxhare sich über Hayesʹ Worte amüsierte. Sein Gesicht jedenfalls sah danach aus. »Eine Drohung?« Breckcrown lachte rauh und winkte ab, als Sternfeuer ihm heftige Zeichen machte, er solle schweigen. »Und als was haben wir euren Beschuß einzustufen?« Der Roxhare schwieg für Sekunden. Dann war schon am noch stärkeren Sträuben seines Felles und den gefährlich aufblitzenden Augen abzulesen, wie seine Antwort ausfallen würde. »Was wir gehört haben, reicht uns«, kam es aus dem Lautsprecher. »Ihr habt euer Urteil selbst gesprochen. Und gebt euch nicht der Hoffnung hin, daß wie euer Mutterschiff nicht auch aufspüren und eliminieren werden!« Die Worte hallten noch in den Ohren der Menschen nach, als der Bildschirm dunkler wurde. »Ich begreife dich nicht, Breckcrown!« sagte Jessica vorwurfsvoll. »Die ganze Zeit über bist du scheinbar die Ruhe selbst, und ausgerechnet jetzt verlierst du die Nerven!« »Da war nichts mehr zu verderben, Jessi«, entgegnete Hayes finster, während er seinen Kontursessel herumschwenkte und die Finger schon wieder über die Kontrollen huschen ließ. »Diese Burschen waren nie zu Verhandlungen bereit – oder dazu, uns ziehen zu lassen. Unsere Vernichtung war von Anfang an beschlossene Sache.« »Und du bildest dir ein, daß eine Drohung wirkt?« »Vielleicht. Wir werden sehen. Es war alles, was wir in unserer Lage tun konnten. Kein Hilferuf an die QUEEN, solange es sich
vermeiden läßt. Besser, ihr schließt jetzt die Raumanzüge.« Diese hatten sie alle vier nach dem Beginn der Angriffe übergestreift und überprüft, was bei Hayes mit einigen Schwierigkeiten verbunden gewesen war, da er sich um die Steuerung der FEUERSCHAUKEL zu kümmern hatte. »Festhalten!« rief der Pilot überflüssigerweise. Sternfeuer hatte ihren Platz wieder eingenommen. Die Sicherheitsgurte schlossen sich selbsttätig um ihren Körper und drückten sie in den Sessel. Dann jagte die Space‐Jet davon. Hayes holte alles aus dem Antrieb heraus, was dieser nur herzugeben vermochte. Für Sekunden konnten die Andruckabsorber die Gravitationskräfte nicht völlig auffangen. Sternfeuer preßte die Zähne zusammen und hörte Jessica stöhnen. Pryttar schien einen Sprung im Weltraum zu machen. Die beiden Roxharen‐Zellen blieben zurück, doch nur für Augenblicke. Wieder zeigte sich, daß an ihren Kontrollen Piloten saßen, die Breckcrown kaum nachstanden. Als die ersten Strahlbahnen durch das Dunkel des Weltalls zuckten, war die FEUERSCHAUKEL so weit um den Planeten herum, daß die Abwehrgeschütze der Station ihr nicht mehr gefährlich werden konnten. Doch auch das rettete die Space‐Jet nicht. »Sie sind schneller als wir!« rief Jasper Swinn. »Streifschuß! Belastung der Schirme …« »Ist jetzt gleichgültig! Der nächste Treffer zerreißt uns wirklich! Jasper, du weißt, wie die Arkonbomben zu bedienen sind?« »Weiß ich. Aber du willst nicht wirklich …?« Hayes wischte sich den Schweiß aus der Stirn und jagte die Space‐ Jet auf den Planeten zu. »Und ob ich das will! Mach sie scharf, Jasper. Verdammt, das ist ein Befehl! Scharfmachen und die Abschußvorrichtungen aktivieren!« Kopfschüttelnd schnallte der Pyrride sich los und tat, wie ihm geheißen.
Kaum war damit fertig, als der befürchtete Treffer die FEUERSCHAUKEL mit verheerender Wucht traf. Die Schutzschirme glühten grell auf. Entsetzt sahen die Raumfahrer für Augenblicke die tödlichen Energien an ihnen abfließen, dann ihren Zusammenbruch. »Notsignal, Jessi!« rief Hayes, als er sich losschnallte. »Extreme Fächerung. Jetzt kannʹs egal sein, ob uns das halbe Universum hört. Hauptsache, wie verraten den Ratten nicht den Standort der QUEEN. Jasper, die Bomben ʹraus! Sternfeuer, bereithalten! Ich sprenge die Kuppel ab!« Swinn und seine Freundin verloren keine Zeit. Sternfeuer schloß den Raumhelm und legte die Hände auf die Schaltleisten der Gravo‐ Aggregate. Sie zitterten. Die Mutantin spürte, wie die Panik nach ihr greifen wollte, fühlte den hämmernden Pulsschlag in den Schläfen. Ruhig bleiben! »Fertig!« riefen Swinn und Jessica zugleich. Hayesʹ Handfläche näherte sich einem hellrot leuchtenden Knopf, als die beiden Arkonbomben fauchend aus ihren Abschußkanälen fuhren, um sich, einmal programmiert und freigegeben, unaufhaltsam ihrem Ziel, der unbelebten Welt, Pryttar, zu nähern und dort einen durch nichts zu löschenden Atombrand in Gang zu setzen. Dies alles vollzog sich in Sekundenschnelle, und doch ging für Sternfeuer alles viel zu langam. Jeden Moment konnte der nächste Schuß in die nun schutzlose Space‐Jet einschlagen. Die Todesangst übermannte sie. Sie wollte schreien, doch plötzlich hatte sie keine Stimme mehr. Irgend etwas explodierte in ihr. Sie glaubte zu sehen, wie Hayes das Kanzeldach wegsprengte, zu spüren, wie die Luft aus dem Schiff ins Vakuum gerissen wurde, zu hören, wie eine Stimme in ihrem Helmlautsprecher schrie. Alles vermischte sich zu einem einzigen, unwirklichen Eindruck. Sternfeuers Finger bewegten sich mechanisch, taten das, was sie sich
*ʹuvor in Gedanken zurechtgelegt hatte. Sie berührten Kontakte auf den Schaltleisten. Im nächsten Moment wurde sie von den Beinen gerissen, hinein in die von Lichtblitzen jäh zerrissene Schwärze des Alls. Ihre letzte Wahrnehmung war die schnell hinter ihr schrumpfende Space‐Jet und der fürchterliche Blitz einer Explosion. Es war viel zu wenig Zeit geblieben, und Breckcrown Hayes wußte, daß es seine Schuld war, wenn nun der Bluff nicht funktionierte. Bluff! dachte er, während er weit über Pryttar und Kilometer von der Explosionsstelle der Space‐Jet entfernt um seine Körperachse gewirbelt wurde. Der kurze Stoß aus den Gravo‐Aggregaten hatte ihn im allerletzten Moment aus der FEUERSCHAUKEL katapultiert und würde ihn durch das All treiben lassen, bis er Gegenschub gab. Genau das konnte er sich nicht erlauben, bis die Roxharen abzogen und keine direkte Gefahr einer Ortung mehr bestand. Der Glutball der Explosion war verblaßt. Nicht einmal Trümmer von der FEUERSCHAUKEL konnte Hayes sehen, geschweige denn einen der drei anderen. Er konnte nur hoffen, daß sie alle geistesgegenwärtig genug gewesen waren, die Richtungsvektoren ihrer Aggregate so einzustellen, daß es sie von Pryttar wegriß. Dann befanden sie sich weit genug über dem Planeten, um nicht von seiner Anziehungskraft eingefangen zu werden. Sie waren unerfahren im Raum, zumindest Jessica und Jasper. Er hätte ihnen sagen müssen, was sie zu tun hatten. Dazu gehörte auch, daß sie sich nicht in ihrer Angst über Helmfunk meldeten oder weiter an den Aggregaten herumspielten. Die Ungewißheit über das Schicksal der jeweils anderen mußte sie verrückt machen. Hayes war selbst nahe daran, nach ihnen zu rufen. Er konnte nicht einmal sicher sein, daß sie alle rechtzeitig gestartet waren. Bluff! Natürlich konnte er die Sache jetzt so drehen, daß er letztlich den Aggressoren ein Schnippchen geschlagen hatte. Sie mußten
glauben, die Besatzung der Space‐Jet mit dem Schiff selbst vernichtet zu haben. In Wirklichkeit hatten sie die Handlungsweise der Solaner diktiert. Ihnen war gar keine Wahl geblieben. Zum Teufel mit diesen Gedanken! schalt Hayes sich selbst. Sie brachten nichts ein. Natürlich lebten die anderen. Sie mußten es einfach geschafft haben und nun klug genug sein, abzuwarten und sich nicht durch unbedachte Reaktionen an die Roxharen zu verraten. Hayes konnte seine Drehung um sich selbst nicht kontrollieren. Jedesmal, wenn er in die Position kam, aus der er die beiden leuchtenden Zellen sehen konnte, fluchte er lautlos. Sie standen scheinbar fahrtlos im Raum. Worauf warteten sie denn noch? Daß sich die FEUERSCHAUKEL aus ihren Trümmern wieder zusammensetzte? Dann endlich beschleunigten sie, und wo ihr Ziel lag, war nicht schwer zu erraten. Sie stürzten dem Planeten entgegen, wo sich die Lavaglut an zwei Stellen in eine andere Glut zu verwandeln begann – die des unlöschbaren Atombrands, der sich weiter und weiter in den Planeten hineinfressen würde, bis die Kruste aufriß und das Magma aus dem Innern dieser Welt den Rest besorgte. Unaufhaltsam, dachte Hayes. Die Selbstvorwürfe waren da. Er konnte sie nicht ganz zurückdrängen. War seine Reaktion auf den Angriff der Roxharen angemessen gewesen? Hatte er nicht jegliche Verständigungsmöglichkeit zunichte gemacht? Hatte er sich nicht einfach provozieren lassen – von primitiven Rachegelüsten geleitet? Sicher, der Atombrand würde mit dem Planeten die Station vernichten. Vielleicht erlosch damit die Strahlung, die die SZ‐2 festhielt. Aber um welchen Preis? Konnte denn ausgeschlossen werden, daß es auf dieser Glutwelt Leben gab? Es ist geschehen, verdammt! dachte Hayes. Nichts macht es mehr
rückgängig! Die beiden Roxharen‐Zellen waren in ihren schillernden Auren auch tief über der Oberfläche Pryttars noch mit bloßem Auge zu erkennen. Sie umkreisten nun die beiden Stellen, von denen aus sich der Atombrand in die Kruste fraß. Hayes versuchte sich vorzustellen, wie es nun in den Schiffen aussah. Wußten die Roxharen, daß dort unten nichts mehr zu retten war? Riefen sie weitere Zellen herbei? Hayes warf einen Blick auf die Leuchtziffern der Zeitmessung wenige Zentimeter vor seinen Augen, direkt über der Sichtscheibe des Raumhelms. Er tat es noch einmal, als die Roxharen endlich Fahrt aufnahmen und sich schnell von Pryttar entfernten. Sie verschwanden hinter dem Planeten, offenbar mit Kurs auf das Ysterioon. Zwanzig Minuten waren verstrichen. Zwanzig Minuten quälender Ungewißheit. Hayes glaubte, es nun riskieren zu können, die anderen über den Helmfunk zu rufen. Mit Erleichterung registrierte er, daß Swinn und das Mädchen sich sofort meldeten. »Das wurde auch allmählich Zeit«, war Jessicas Stimme zu hören. »Breckcrown, wo steckst du? Ich sehe Jasper, aber keinen von euch beiden.« »Willst du meine Koordinaten?« fragte Hayes spöttisch. »Paßt auf. Ich gebe einige Schüsse mit dem Impulsstrahler ab. Wenn ihrʹs aufblitzen seht …« »Das ist riskant«, unterbrach ihn der Pyrride. »Wir wissen nicht, ob die Roxharen vielleicht Sonden ausgeschleust haben, bevor sie abzogen.« »Ich weiß, daß das riskant ist«, knurrte Breckcrown. »Hast du einen besseren Vorschlag? Wenn sie uns holen, sollten wir besser zusammen sein.« »Wer?« fragte Jessica. »Wer soll uns holen?« »Wer schon«, seufzte Swinn. »Oh, Jessi! Manchmal …«
»Redet nur weiter«, empfahl Hayes sarkastisch. »Je mehr wir von uns geben, desto geringer wird die Gefahr einer Entdeckung. Ich schieße jetzt dreimal kurz hintereinander. Das sollte reichen.« »Breckcrown?« »Was ist denn noch, Jessi?« »Sternfeuer. Warum meldet sie sich nicht?« 4. Die Nachricht traf Atlan hart. »Was sagst du?« fragte er leise. »Sie haben … Arkonbomben gezündet?« Brooklyn wies auf einen der beiden Schirme, auf denen die Bilder zu sehen waren, die von zwei ausgeschleusten Mikrosonden aus unmittelbarer Nähe von Pryttar übermittelt wurden. Das war alles gewesen, was man von der DUSTY QUEEN aus für Hayes und seine Begleiter hatte tun können, ohne die Gefahr einer Entdeckung einzugehen. »Ich bin keine Waffenexpertin«, sagte die Magnidin. »Aber was sonst sollte einen Atombrand entfachen können?« Dabei fuhren ihre Finger über die eingeblendeten Textzeilen und Ziffernfolgen der Analyse. Atlan starrte lange darauf. Er preßte die Lippen so fest aufeinander, daß alles Blut aus ihnen wich. Seine Augen tränten leicht – eine Zeichen seiner Erregung. »Dieser Narr!« fluchte er dann. »Er muß den Verstand verloren haben! Er sollte mit den Roxharen reden!« »Vielleicht hat erʹs versucht. Wir stecken nicht in seiner Haut, Atlan. Die Roxharen griffen ohne Vorwarnung an. Ihr Ziel war ganz ohne Zweifel die Vernichtung der FEUERSCHAUKEL. Das weißt du so gut wie ich.« »Das ist noch lange kein Grund, Arkonbomben einzusetzen!
Ausgerechnet Arkonbomben! Brooklyn, von Pryttar wird am Ende nichts übrigbleiben! Sie sollten die Station beobachten, nicht vernichten!« Er setzte sich und starrte mit ausdrucksloser Miene auf seine Hände. Brooklyn lächelte spöttisch. »Ich muß mich über dich wundern. Eben noch sprachst du in den höchsten Tönen von Breckcrown. Wenn es einem gelingen würde, die Roxharen zur Vernunft zu bringen, dann ihm.« Sie schob sich auf einen Kartentisch und ließ die Beine baumeln. »Offensichtlich hat er es nicht geschafft. Der Notruf beweist eindeutig, daß die Space‐Jet nicht mehr zu halten war. Hayes und die anderen waren klug genug, ihn nicht gebündelt zu senden. Für mich beweist das, daß sie sehr wohl ihren klaren Kopf behielten. Und hätten wir die Sonden früher geschickt, dann wüßten wie nun mehr.« Atlan beobachtete die beiden Roxharen‐Zellen, die über den Zentren des Atombrands standen. Von der FEUERSCHAUKEL und deren Besatzung war nichts mehr zu sehen. Er gestand sich ein, daß Brooklyns Folgerungen richtig waren, was seine Enttäuschung jedoch nur wenig mildern konnte. Breckcrown hatte die Funkverbindung zur QUEEN unterbrochen, nachdem er Atlan über die Roxharen informiert hatte. Auch das war nötig gewesen, wenngleich der Arkonide nun vieles dafür gegeben hätte, zu wissen, was sich bis zum Empfang des Notrufs getan hatte. Er mußte davon ausgehen, daß es den vieren gelungen war, vor der Vernichtung der Space‐Jet auszusteigen – und daß sie jetzt auf Hilfe warteten. Die Roxharen würden nicht zögern, auch die Korvette anzugreifen, sobald sie ihren Standort ausfindig machen konnten. Er erinnerte sich an die erste Begegnung mit diesen Wesen im Chail‐System, mit welcher Höflichkeit ihm KʹEsbah gegenübergetreten war. Wieso gebärdeten sie sich hier so völlig anders, kompromißlos?
»Die halbe SOL für deine Gedanken«, sagte Brooklyn. »Was tun wir jetzt?« »Wir können nur abwarten, bis die beiden Zellen verschwunden sind. Dann kümmern wir uns um unsere Leute. Mich beschäftigt etwas anderes. Die Roxharen müssen Angst haben, große Angst vor jemandem oder etwas, wenn sie uns nicht einmal die Chance geben, ihnen die Gründe für unser Hiersein zu erklären.« »Du glaubst also auch, daß Breckcrown es versuchte.« Die Magnidin neigte den Kopf etwas. »Angst wovor? Doch nicht vor den Ysteronen?« »Darauf wollte ich hinaus. Es gibt einen entscheidenden Unterschied zu den Verhältnissen auf Chail. Dort versteckten sie sich nicht. Sie kamen offen zu den Chailiden und führten sich als deren Wohltäter und Freunde auf. Sie flogen in ihrem System ein und aus, und jeder wußte es.« »Und hier?« »Ich bin fast sicher, daß die Ysteronen gar nicht wissen, daß sie hier sind.« Brookyn pfiff durch die Zähne. Oserfan, der bisher schweigend zugehört hatte, sagte: »Dann meinst du, sie haben Angst davor, von den Nickeldieben entdeckt zu werden? Oder daß wir sie an die Ysteronen verraten?« »Dann hätten sie sich uns nicht zu zeigen brauchen«, wehrte Brooklyn ab. Atlan schüttelte den Kopf. »Sie mußten vielleicht annehmen, daß wir die FEUERSCHAUKEL geschickt hätten, um die Station auf Pryttar zu vernichten. Es ergäbe einen Sinn, Brooklyn. Dann aber muß diese Station für sie und Hidden X von noch viel größerer Bedeutung sein, als wir bislang annahmen. Die Angst vor deren Zerstörung lockte sie aus der Reserve. Wie sie es schafften, ihre Zellen von den Ysteronen unbemerkt in den Raum zu bringen, mag dahingestellt sein. Aber es würde erklären, weshalb sie die FEUERSCHAUKEL angriffen.
Wenn die Roxharen im Ysterioon leben, wissen sie von unserem Besuch dort. Vielleicht ist ihnen auch bekannt, daß Girgeltjoff für uns arbeitet. Auf jeden Fall sollten Breckcrown, Sternfeuer, Swinn und dieses Mädchen keine Gelegenheit bekommen, uns zu benachrichtigen.« »Gehen wir davon aus«, überlegte Brooklyn laut, »daß die Roxharen hier keinen Kontakt mit jenen haben, denen wir im Chail‐ System begegneten, dann konnten sie nicht wissen, daß wie sie allein an ihren Zellen erkennen würden.« »Das ist richtig«, nickte Atlan. »Aber sie wissen auch, daß die QUEEN irgendwo im Trümmerring verborgen auf die Rückkehr der FEUERSCHAUKEL wartete. Mit anderen Worten: Sie werden alles versuchen, um auch die Korvette zu vernichten.« »Und hinter allem steckt Hidden‐X.« Atlan stand auf und trat vor die Bildschirme. Die Unterhaltung begann sich im Kreis zu drehen. Klarheit konnte nur von Hayes und den anderen kommen. Falls sie noch lebten … »Sie ziehen ab«, sagte der Arkonide. »Die Zellen entfernen sich von Pryttar und nehmen Kurs auf das Ysterioon.« »Du willst mit der QUEEN …?« »Ich nehme unsere letzte Reserve, den Drei‐Mann‐Jäger.« Er wurde von einer Solanerin unterbrochen, die an den Funkgeräten saß. Sie rief seinen Namen und winkte ihn zu sich. Brooklyn runzelte die Stirn und folgte ihm. Oserfan hatte Mühe, mit ihnen Schritt zu halten. »Girgeltjoff«, sagte die Funkerin überflüssigerweise. Atlan blickte in das dreidimensional abgebildete Gesicht des Ysteronen. »Ich weiß jetzt, wo sich eure Freunde aufhalten«, erklärte Girgeltjoff ohne lange Begrüßungsfloskeln. Atlan hörte es mit gemischten Gefühlen. Einerseits war er
erleichtert darüber, daß Sanny und Argan U noch lebten und endlich von Girgeljoff gefunden worden waren. Zum anderen war jetzt genau das eingetreten, was vermieden werden sollte. Da anzunehmen war, daß die Roxharen im Ysterioon sämtlichen nach draußen gehenden Funkverkehr kontrollierten, wußten sie nun, wo sie die DUSTY QUEEN zu suchen hatten. Daß sie bisher nicht erschienen waren, konnte viele Gründe haben – unter anderem den, daß Hidden‐X ihnen erst nach der Annäherung der FEUERSCHAUKEL an Pryttar den Angriffsbefehl gegeben hatte. Oserfan teilte diese Bedenken ganz offensichtlich nicht. Der nur etwa einen halben Meter große Molaate streckte Atlan die Ärmchen entgegen, damit dieser ihn in den Erfassungsbereich der Optik hob. Der Arkonide konnte nicht anders, als der Bitte zu entsprechen. Oserfan wäre an ihm hinaufgeklettert, nur um dem Ysteronen von den Lippen abzulesen, was er über Sanny zu sagen hatte. Girgeltjoff wirkte auf dem Bildschirm nicht viel anders als jedes andere Wesen. Atlan mußte sich vor Augen halten, daß der Ysterone ein zwanzig Meter großer Riese war. Und er redete schnell, so als ob er jeden Moment eine Entdeckung durch seine Artgenossen befürchten müßte. »Wo sind sie?« fragte Atlan. »Hast du sie bei dir?« »Leider nicht. Ich habe sie noch nicht gefunden, werde mich aber sogleich auf die Suche machen. Ich wollte nur, daß ihr wißt, daß sie wohlauf sind. Sie verbergen sich in der Nähe der Tabuzone.« »Dann kümmere dich um sie«, bat Atlan. »Und funke nur wieder, wenn ihr in Gefahr seid.« »Aber ihr müßt kommen!« begehrte Girgeltjoff auf. »Sie sind in Gefahr. Ich bringe sie zu …« Atlan hob eine Hand. »Später, Girgeltjoff. Im Augenblick ist uns das nicht möglich. Versteckt euch und haltet aus. Wir holen euch, sobald wir.« »Wir müssen sofort hin!« protestierte Oserfan. Er wollte sich an
den Ysteronen direkt wenden, doch in diesem Moment wurde der Bildschirm dunkel. Oserfan schluckte hörbar. Eine Weile starrte er auf den Schirm. Dann, als Atlan ihn sanft absetzte, schüttelte er ihm die Fäuste entgegen. »Das hast du jetzt davon!« schimpfte er. »Jetzt wissen wir nicht, wo er uns erwarten wollte! Warum können wie sie nicht holen, wenn sie Hilfe brauchen?« »Weil«, sagte Atlan gefaßt, »es noch andere gibt, die unsere Hilfe dringender brauchen. Oder hast du unsere Schiffbrüchigen vergessen?« Oserfan senkte den Kopf. »Es tut mir leid. Ich dachte nur an … Sanny.« Brooklyn rang sich ein Lächeln ab, streichelte über Oserfans kahlen Kopf und sagte leise: »Das verstehen wir. Aber du mußt auch uns verstehen.« Der Molaate verließ mit hängenden Schultern die Zentrale, nicht ohne sich im Eingang noch einmal umzudrehen. »Aber dann holen wie sie, ja?« »Bestimmt, Oserfan«, versprach Atlan. Brooklyns Blicke drückten Zweifel aus. »Im Moment kommt es doch darauf an, daß wir von hier verschwinden und uns an anderer Stelle im Trümmerring verstecken, bevor die Roxharen hier eintreffen.« Atlan nickte. »Natürlich. Aber wir lassen eine Raumboje hier, die als Relais fungiert, falls Girgeltjoff sich abermals meldete.« »Du rechnest nicht damit?« Atlan atmete tief ein und betrachtete die Schirme. »Es ist eine Entwicklung in Gang geraten«, sagte er düster, »die sich unserer Kontrolle entzieht. Vorerst geht es darum, die Schiffbrüchigen zu holen und die QUEEN in Sicherheit zu bringen. Dann können wir weitersehen. Aber ich denke nicht daran, Sanny,
Argan U und Girgeltjoff aufzugeben, wenn du das meinst.« »Ich habe nichts anderes von dir erwartet«, sagte sie. »Du willst selbst fliegen?« »Wir haben noch den Drei‐Mann‐Jäger. Ich will ihn startbereit im Hangar haben, wenn ich unten bin.« »Wie du meinst«, seufzte Brooklyn. »Und vergiß nicht, daß wir dich in der SOL noch brauchen.« Schon im Gehen begriffen, drehte der Arkonide sich noch einmal zu ihr um. Ein spöttisches Lächeln umflog seine Mundwinkel. »Und das aus dem Mund der stolzen Magnidin?« 5. Von alledem, was sich »draußen« tat, ahnten Sanny und Argan U ebensowenig wie von Girgeltjoffs Hilfeersuchen an die DUSTY QUEEN. Seit Tagen nun hatten sie sich von einem Versteck ins nächste flüchten müssen, wobei sie trotz aller Angst vor Entdeckung immer darauf bedacht waren, in der Nähe der Tabuzone zu bleiben. Einen Raum zu finden, in dem sie sich einerseits einigermaßen sicher fühlen konnten, zum anderen durch die Energiegitter die Statue und die Fremden im Auge zu behalten vermochten, erwies sich dabei als alles andere als leicht. Hier herrschte ununterbrochen reges Treiben. Hinter den Energiegittern waren die Fremden, auf der anderen Seite die Ysteronen. Dennoch hatten Sanny und der Extra keine einzige Begegnung dieser beiden Gruppen beobachten können. »Eigentlich«, sagte Argan, »müßten sie uns längst aufgegriffen haben. Wir sind Dutzenden von Ysteronen begegnet. Die brachen zwar in die übliche Panik bei deinem Anblick aus, aber sie müssen doch wissen, das wir uns in der Nähe der Tabuzone aufhalten.« Sie befanden sich in einem Raum mit rechteckiger Grundfläche. Kratzer und Schleifspuren auf dem Boden deuteten darauf hin, daß
der Raum einmal stark frequentier gewesen war. Hier hatten Geräte gestanden oder Kisten. Jetzt war er vollkommen leer wie die meisten in diesem Sektor des Ysterioons. Eine schmale Öffnung in der der Tabuzone zugewandten Wand, kaum mehr als ein Spalt, ermöglichte die Sicht auf eines der Energiegitter und die fünfzig Meter hohe Statue dahinter. Sie war ganz eindeutig die Nachbildung eines Ysteronen und ruhte auf einem quadratischen Sockel von zehn Meter Höhe und vierzig Meter Kantenlänge. In diesem Sockel wiederum befanden sich mehrere Eingänge, aus denen die Unbekannten kamen oder in denen sie verschwanden, wenn sie aus dem Ysterioon zurückkehrten. Meistens schleppten sie dann irgendwelche Geräte oder Nahrungsmittel. Der einzige Korridor, über den das Versteck zu erreichen war, wurde allein von den Fremden benutzt, die dann und wann das Energiegitter passierten. Diesem wie auch den anderen Räumen in der unmittelbaren Umgebung maßen sie dabei keine Bedeutung bei. »Wir begegneten den Ysteronen nicht hier«, sagte Sanny. »Das war weiter von der Tabuzone entfernt. Keiner von ihnen wagt sich bis hierher, das müßtest auch du inzwischen begriffen haben. Darum heißt sie ja auch Tabuzone.« »Begriffen ja«, meinte Argan. »Das heißt, die Ysteronen sind also nicht Herr im eigenen Haus.« Der Puschyde, der aussah wie ein anderthalb Meter großer, geschuppter Bär und mit seiner gutmütigen Art sofort die Sympathien der Menschen an Bord der SOL zu gewinnen verstand, seufzte. »Ich meine, das Ysterioon ist nach allem, was wir wissen, doch ihre Heimat. Hier leben sie, und doch trauen sie sich nicht bis an die Energiegitter heran, geschweige denn bis an die Statue, die einen von ihnen zeigt. Warum, Sanny? Du bist so schlau. Warum?« »Ach, Argan.« Die Molaatin streckte sich, um das Blut in den steifen Gliedern
zirkulieren zu lassen. »Darüber haben wie uns doch schon die ganze Zeit über, die wir hier sind, die Köpfe zerbrochen. Vielleicht wollen die Fremden keine Ysteronen in ihrer Nähe.« »Du willst sagen, die Ysteronen sollen gar nicht wissen, daß es sie hier gibt.« »Ja, Argan. So wird es sein.« Der Puschyde musterte sie aus seinen kleinen Augen. Er saß auf dem Boden. »Du gefällst mir nicht, Sanny. Dir scheint das alles egal zu sein. Mir aber nicht. Ich will zurück in die SOL.« »Glaubst du, ich etwa nicht? Aber mit leerem Magen läßt sich nicht gut denken, und ich bin müde. Auch das kommt vom Hunger.« Dabei klopfte sie sich auf die kleinen Taschen am Lendenschurz, ihrer einzigen Bekleidung. »Mit anderen Worten, du hast schon wieder alles aufgegessen und willst wieder die Nahrungslager der Ysteronen plündern.« »Was heißt wollen? Was weißt du denn schon vom Hunger? Du mit deinem Ding da.« Der Extra legte beide Hände auf sein Destilliergerät. »Du hast doch dein Zuckerwasser immer griffbereit. Manchmal glaube ich, daß darin eine Quelle ist, die einfach nie versiegt.« »Du irrst dich«, wurde sie belehrt. »Es liegt daran, daß ich meinen Hunger zu zügeln vermag.« »Aha.« Sanny setzte sich auf eines von Argans ausgestreckten Beinen und schüttelte den Kopf. »Auf jeden Fall müssen wir wieder in dieses Nahrungslager. Das Zeug, das die Ysteronen zu sich nehmen, schmeckt zwar scheußlich, aber ich kannʹs essen.« »Warum holen sie uns nicht?« fragte der Puschyde hartnäckig. »Sie haben uns fast jedesmal gesehen, wenn wir dir etwas zu essen
holen mußten – und auch auf unseren anderen Ausflügen. Dann flohen wir in die Nähe der Tabuzone, und verschwunden waren alle Ysteronen. Aber sie wissen, wo wir sind, und brauchten nur diese Gegend abzuriegeln und uns …« Er nickte und legte der Molaatin eine Hand auf den haarlosen Kopf. »Die Antwort lautet: Entweder dürfen sie nichts von dem Fremden wissen, oder es gibt etwas, das sie von hier zurückhält. Richtig?« »Zum Teil«, sagte Sanny. »Kein Entweder‐Oder. Die Fremden wollen nicht, daß sie mit ihnen in Berührung kommen, vielleicht auch nicht, daß sie überhaupt von ihrem Hiersein wissen. Darum haben sie dafür gesorgt, daß kein Ysterone sich der Tabzone nähern kann. Damit sie unentdeckt bleiben, wie sie es vielleicht schon seit Jahren oder Jahrzehnten sind.« »Oder Jahrhunderten«, nahm Argan den Faden auf. »Aber wir können uns ihnen nähern, Sanny. Warum wir und nicht die Ysteronen?« »Weil wir anders sind. Wie die Buhrlos.« »Die Buhrlos?« Argan drehte den Kopf der Molaatin so, daß sie ihm in die Augen sehen mußte. »Was haben die Buhrlos damit zu tun?« »Sie können ohne Schutzanzug in den Weltraum gehen, die Solaner und wir nicht. Zufrieden? Können wir jetzt gehen?« »Damit sie uns wieder entdecken? Sanny, irgendwann geht das ins Auge!« »Irgendwann müssen wir sowieso versuchen, hier auszubrechen und zu Atlan und den anderen zu finden. Vielleicht haben sie das Ysterioon längst verlassen. Dann müssen wir eine Fluchtmöglichkeit suchen. Und rede nicht dauernd so seltsam. Was kann einem ins Auge gehen?« »Woher soll ich das wissen? Aber ich kann dir sagen, was ich bald in den Augen haben werde, nämlich Tränen. Wir sitzen hier herum
wie bestellt und nicht abgeholt, während …« »U!« »Du weißt, was ich meine. Wir beobachten und beobachten, und nichts Neues tut sich bei der Statue. Sanny, wir hätten schon längst nach den anderen suchen müssen.« »Sage ich doch. Hör zu, Argan. Wir besorgen uns etwas für mich zu essen, und wenn wir diesmal nicht gesehen werden, versuchen wir, in eine der anderen Kugeln zu gelangen.« »Überredet«, seufzte der Puschyde. Sanny sprang von seinem Bein herunter und lugte durch den Spalt. »Ich kann keine Graupelze sehen. Bei der Statue ist alles ruhig. Wir versuchen unser Glück, Argan. Aber …« »Graupelze sagt sie«, brummelte ihr Gefährte. »Und ich soll mich einer anderen Redeweise befleißigen.« »Aber du«, fuhr Sanny ungerührt fort, »wirst uns schon den Weg zu der Kugel weisen müssen, in der die DUSTY QUEEN steht oder stand. Ich kenne ihn nämlich nicht mehr.« * Sie erreichten unangefochten den riesigen Lagerraum, in dem sich an sämtlichen vier Wänden große Kisten bis zur gut dreißig Meter hohen Decke stapelten. Daß Sanny sich überhaupt hier bedienen konnte, lag daran, daß es keine Tür gab. Der Eingang bestand aus einem ebenfalls dreißig Meter hohen Torbogen. Vorsichtig, jede sich bietende Deckung ausnutzend, schlichen die beiden sich auf jene Kiste zu, in deren Nickelhülle Argan U mit dem kleinen Thermostrahler, der in seinem Destilliergerät versteckt war, ein Loch gebrannt hatte – gerade groß genug, um Sanny mit der Hand hindurchfassen zu lassen. Neben dem Strahler hatte Breckcrown Hayes dem Puschyden
auch einen winzigen Translator in seine Anlage installiert, was sie zu einem noch wertvolleren Besitz machte. »Mach schnell«, flüsterte Argan, während er sich zwischen zwei Kistenstapeln versteckt hielt und nur mit dem Kopf herausspähte. »Beeile dich und nimm gleich soviel mit, daß wir nicht in ein paar Stunden schon wieder hierherkommen müssen.« »Beruhige dich doch endlich«, gab Sanny ebenso leise zurück und stopfte sich große Brocken der käseähnlichen, schwammigen Substanz in die Taschen des Lendenschurzes. »Ich bin ja schon fertig. Komm.« »Nein. Warte.« »Was ist denn? Ich dachte, du hättest es so eilig und …« »Sei doch still! Hörst du denn nichts?« Schnell streckte der Puschyde einen Arm nach ihr aus und zog sie zu sich in den Spalt. Er legte ihr eine Hand auf den Mund und hob sie so, daß ihr Kopf ganz dicht an seinem war. »Schritte«, flüsterte er. »Ich wußte es ja. Sei ganz still. Vielleicht entdeckt er uns nicht.« Er – das war zunächst ein Schatten, der aus dem heller erleuchteten Korridor in die Halle fiel. Dann schoben sich vier zehn Meter lange Beine in den Eingang. Sanny drückte den Hinterkopf tief in Argans Fell und sah auch den Körper, der zu den Gliedmaßen gehörte. Der Anblick eines Ysteronen war für sie beileibe nichts Neues mehr. Dennoch machte er sie fast schwindeln. Auf den mächtigen Beinen saß ein Rumpf mit zwei verhältnismäßig kurzen, nur jeweils einen Meter langen Armen, die in fünffingrigen, feingliedrigen Händen endeten. Der Kopf schließlich ähnelte dem der Menschen. Beherrschend in den Gesichtern aller bisher beobachteten Ysteronen waren die großen, stets traurig blickenden Augen. Argan U drückte sich mit der Molaatin tiefer in den Spalt, doch das war bereits sinnlos geworden. Der Ysterone kam geradewegs auf ihr Versteck zu. Die Art und
Weise, wie er sich dabei bewegte, machte deutlich, daß er nicht zufällig hier war. »Da hast duʹs!« flüsterte der Extra. »Sie haben gewußt, daß wir wiederkommen! Sie haben einen zurückgelassen, der uns auflauern sollte.« Sanny wollte etwas entgegnen, doch Argan drückte ihr die Hand noch fester auf den Mund. »Jetzt kann es ungemütlich werden, meine Kleine«, flüsterte der Puschyde. »Sobald er den Kopf hier hereinsteckt, laufe ich ihm durch die Beine. Jetzt halte doch endlich still!« Argan U kam gar nicht auf den Gedanken, sich den Riesen etwas genauer anzusehen. Einer von ihnen war wie der andere. Alle sahen gleich aus. Selbst wenn er sich die Mühe gemacht hätte, wäre er viel zu aufgeregt gewesen, um den Ysteronen als den zu erkennen, der er war. Mit angehaltenem Atem wartete er, bis die mächtigen Beine zur Ruhe kamen und sich der Schatten über den Spalt senkte. Eine Hand tauchte in Argans Gesichtsfeld auf, und das war das Zeichen für ihn. Bevor Girgeltjoff sich zu erkennen geben konnte, war der Extra mit der Molaatin auf den Armen durch seine Beine hindurch und rannte auf den Eingang zu. »Bleibt doch!« rief Girgeltjoff. »Lauft nicht fort! Ich will euch doch helfen!« Seine Worte verhallten ohne Wirkung. Die beiden Wesen waren auf dem Korridor, und als der Ysterone ihnen folgte, sah er sie in einem Gang verschwinden, der ohne weitere Abzweigung direkt zur Tabuzone führte. »Kommt zurück! Ich bin es, Girgeltjoff!« Doch sie hörten ihn nicht. Unentschlossen stand der Ysterone vor dem Gang. Er mußte die beiden Kleinen in Sicherheit bringen und konnte nicht auf eine weitere Gelegenheit warten. Sie würden sich ein neues Versteck
suchen und nicht mehr hier auftauchen, wo sie gesehen worden waren. Aber sie durften den anderen nicht in die Hände fallen. Alles hatte sich mit einemmal geändert. Im Ysterioon herrschte helle Aufregung, seitdem die Nachricht hereingekommen war, daß die Menschen einen Angriff auf Pryttar geflogen und dort einen Atombrand in Gang gesetzt hatten. Girgeltjoffs Artgenossen würden den beiden Kleinen die Mitschuld geben und nicht länger zögern, sich ihrer zu bemächtigen. Auch ihm, Girgeltjoff, trauten sie nicht mehr. Sie hatten ihn dabei überrascht, wie er mit Atlan sprach. Wieviel sie von dem, was er sagte, mitbekommen hatten, wußte er nicht. Im Grunde hatte er seine Bewegungsfreiheit dem Umstand zu verdanken, daß gerade, als sie Fragen zu stellen begannen, die Schreckensnachricht von der Pryttar‐Station eintraf. Girgeltjoff konnte sich unbemerkt entfernen und nun hierhin begeben, wo die beiden Eindringlinge gesehen worden waren. Er hatte die Chance vertan, sie hier in seine Obhut zu nehmen. Nun flohen sie zum einzigen Ort im Ysterioon, an den er ihnen unmöglich folgen konnte. Aber er mußte es tun, es wenigstens versuchen. Vielleicht wirkte die Strahlung, die von der Statue ausging und jeden Ysteronen von der Tabuzone fernhielt, nicht sofort auf ihn. Es gab keinen anderen Weg. Die Artgenossen würden unbarmherzig auf die beiden Kleinen Jagd machen. Sie fürchteten sich zwar vor Sannys Anblick – weit größer aber war ihre Angst vor der Macht in der Statue. Girgeltjoff bewegte sich schnell auf seinen vier Beinen. Durch sein Zögern hatten die Kleinen einen Vorsprung gewonnen, den selbst er nur schwer wettmachen konnte. Er begann zu laufen. Er mußte sie vor der Strahlungszone erreichen!
* Sanny strampelte in den Armen des Puschyden, doch der dachte gar nicht daran, die zierliche Molaatin loszulassen. Er hielt ihr den Mund zu und rannte immer weiter auf die Tabuzone zu. Dann und wann blieb er dabei stehen, um sich kurz umzublicken. Von dem Ysteronen war nichts mehr zusehen, seitdem er in den Gang eingebogen war. Natürlich! dachte Argan U. Weil sie nicht weiter an die Tabuzone heran dürfen! Ganz sicher war er sich dessen jedoch nicht. So lief er auch dann noch weiter, als sich zu beiden Seiten des Ganges Verstecke anboten. Nur nahe genug an die Energiegitter heran, dachte er sich. Übertriebene Vorsicht kann nicht schaden. Aber so oder so – sie saßen wieder fest, und das alles nur wegen Sannys Hunger. Argan U wollte Sanny absetzen, als er nun vor sich das helle Licht der Hallen sah, die die Tabuzone mit der Statue umgaben. Dort befanden sich genug Versteckmöglichkeiten zwischen riesigen Aggregateblöcken, Kontrollwänden und Maschinen. Argan hatte keine Lust mehr, sich wieder für vielleicht Tage in einem unbenutzten Raum zu verkriechen. In einer dieser Hallen war er genauso sicher und vor allem beweglicher. Vorsichtshalber drehte der Puschyde sich noch einmal um, bevor er die Hand von Sannys Mund nahm. Er gab einen heiseren Laut von sich, als er den Ysteronen herankommen sah. Die riesige Gestalt füllte den Gang aus. Aber er war der Tabuzone doch schon viel zu nahe! Schnell hielt der Extra Sanny wieder den Mund zu und drückte sie mit dem anderen Arm fest an seine Brust. Er wollte sich jetzt nicht fragen, ob seine und Sannys Überlegungen denn doch falsch
gewesen sein könnten. Er mußte die Beine in die Hand nehmen, um vor dem Ysteronen irgendwo unterschlüpfen zu können. Vielleicht war dies ein besonders mutiger Vertreter der Nickeldiebe, der sich gerade so weit vorwagte, wie er es noch vertragen konnte. Vor den Energiegittern aber mußte er kapitulieren – oder alles, was Argan und Sanny in den letzten Tagen beobachtet hatten, ergab keinen Sinn. Argans Atem ging so laut, daß er kaum hörte, was der Verfolger ihm zurief. Sicher forderte er ihn auf, stehenzubleiben, und drohte ihm. Argan sah das Ende des Ganges vor sich, legte sogar noch etwas an Tempo zu und erreichte die Halle, kurz bevor die Beine des Ysteronen über ihm waren. Eines setzte sich vor ihn, ein zweites berührte rechts neben ihm den Boden. Argan U war vor Schreck wie gelähmt und erwartete schon, von dem Riesen gepackt und in dieʹ Höhe gerissen zu werden, als er sah, daß die Beine zitterten. Es gab keinen Zweifel. Die Beine des Riesen zitterten, und sein ganzer Körper schwankte. Dazu erklangen klagende, viel zu hastig hervorgestoßene Laute. Sanny hatte sich in Argans Griff gedreht und trommelte ihm mit den kleinen Fäusten gegen den Kopf. Für einen Moment bekam sie den Mund frei. »Du Tölpel!« schrie sie schrill. »Siehst du nicht, wer das ist? Das ist …!« Schnell war seine Hand wieder auf ihrem Mund. »Ein Ysterone natürlich. Und ich will nicht unter ihm stehen, wenn er zusammenbricht.« Der Extra erspähte zwei eng beieinander stehende Maschinenblöcke direkt neben einem der Energiegitter an einem Pfeiler, der mindestens fünfzig Meter hoch bis zur Decke reichte. Zwischen ihnen war etwa ein Meter Raum. Argan lief darauf zu, setzte Sanny ab und schob sie schnell in den Spalt.
Sie kam zurück wie von einer Feder abgeschnellt, schlug einen Haken um Argan, als dieser sie zurückhalten wollte, und lief geradewegs auf den Ysteronen zu, der sich an einem Wandvorsprung festhielt und offensichtlich nur so sein Gleichgewicht bewahrte. »Girgeltjoff!« rief sie, so laut sie konnte. »Geh weg! Lauf voraus, wir folgen dir! Hier kannst du nicht bleiben!« Argan U bekam große Augen. Sein Kiefer klappte herunter. »Das … das ist unser Freund Girgeltjoff?« ächzte er. »Was ich dir die ganze Zeit über begreiflich machen wollte!« erwiderte Sanny, ohne sich dabei umzudrehen. Ihr Kopf lag weit im Nacken, so daß sie in Girgeltjoffs trauriges und nun vor Qualen verzerrtes Gesicht blickte. »Es ist … zu spät«, sagte dieser. »Die Strahlung hat … mich …« »Achtung!« schrie der Puschyde, als er sah, wie sich Girgetjoffs Finger von dem Vorsprung lösten. »Er kippt um!« Er rannte auf Sanny zu, die sich nicht vom Fleck rührte, packte sie abermals und zog sich mit ihr bis zum Pfeiler und den Maschinenblöcken zurück. Vor ihnen knickten die Beine des Ysteronen in den Gelenken ein. Der mächtige Körper neigte sich zur Seite, hatte keinen Halt mehr und stürzte schwer zu Boden. Girgeltjoffs Kopf lag auf der Seite. Es mußte ihn eine ungeheure Überwindung kosten, die Augen offenzuhalten. Sanny riß sich los und warf sich vor ihm auf die Knie. »Girgeltjoff! So sage doch etwas! Du hast uns gesucht. Warum? Wolltest du uns zu den Freunden bringen? Bitte, sag etwas!« »Es ist … zu spät. Angriff … Pryttar …« preßte der Riese hervor. »Ich verstehe dich nicht. Was ist mit Pryttar? Und von welchem Angriff …?« Er bedeutete ihr zu schweigen, indem er einen Finger hob. Girgeltoffs Blick ging an ihr vorbei, fand den fassungslosen Puschyden, dann etwas auf einem der länglichen Pulte, die vor den
Maschinenblöcken (oder was immer diese riesigen summenden Kästen mit den vielen Knöpfen, Datenfenstern und Lichtern darstellten) aufgestellt waren. Ein Zittern durchlief den Körper des Riesen. Sanny sprang auf und wich entsetzt zurück, als sie sah, wie Girgeltjoff sich auf das Pult zuschleppte. »Bleib doch liegen!« flehte sie ihn an. »Vielleicht können wir dir helfen. Uns lähmt die Strahlung ja nicht. Girgeltjoff! Du bringst dich um!« Er antwortete nicht, schob sich weiter, verharrte, um die allerletzten Kräften zu mobilisieren, und erreichte endlich das Pult. Wie in einer Zeitlupe hob sich sein rechter Arm, bis einer der Finger einen Knopf drücken konnte. Der Arm fiel schlaff auf den Boden zurück. Sanny fühlte Argans Hand auf ihrer Schulter. Sie sah den Puschyden kurz an, und in ihren Augen standen Tränen. »Was tut er, Argan? Was will er nur?« Girgeltjoff hatte die Augen geschlossen. Es war nicht zu erkennen, ob er überhaupt noch atmete. Dann brachte er noch einmal den Arm nach oben, drehte an einem weiteren, großen und runden Knopf und beobachtete mit einem Auge, wie in einem Datenfenster Leuchtsymbole erschienen und sich abwechselten. Sanny schüttelte verzweifelt den Kopf. Konnte sie denn wirklich nichts für ihn tun? Wenn sie nur wüßte, was er vorhatte. Es mußte jedenfalls von immenser Wichtigkeit sein. Endlich schien der Ysterone erreicht zu haben, was er wollte. Ein letztesmal hob sich sein Kopf etwas, bewegten sich seine breiten Lippen, hörte Sanny seine nur noch ganz schwache Stimme: »Wenn du mich empfängst, Atlan, dann … rette deine Freunde. Ich …« Girgeltjoffs Kopf schlug hart auf den Boden. »Ich … kann ihnen … nicht mehr … helfen …« Erschüttert stand Sanny vor ihm, sah, wie der Körper schlaff wurde, und begriff.
»Aus«, flüsterte Argan U. »Besinnungslos, Sanny, diese Strahlung – sie wird ihn doch nicht umbringen?« »Ich weiß es nicht«, gab sie leise zurück. »Argan, er wollte uns vor etwas retten, wahrscheinlich vor den anderen Ysteronen. Etwas Ungeheuerliches muß draußen geschehen sein.« Sie deutete auf das noch erleuchtete Datensichtfenster. »Das muß ein Funkgerät sein, mit dem er die DUSTY QUEEN erreichen wollte. Und das wiederum kann nur bedeuten, daß wir tatsächlich allein sind. Das Schiff ist nicht mehr im Ysterioon.« »Warum nicht?« Argan schüttelte den Kopf. »Sanny, er kann es auch innerhalb des Ysterioons angefunkt haben.« »Ich glaube nicht, daß er dieses Risiko eingegangen wäre.« Der Extra schwieg betroffen. Hilfesuchend sah er sich um. Noch war alles still. Nur das leise Summen der Geräte war zu hören. »Sie haben uns bestimmt nicht ohne Grund zurückgelassen«, sagte er dann. »Aber was tun wir jetzt, Sanny?« »Wenn wir ihm nur helfen könnten. Oh Argan! Hättest du dich nur nicht so furchtbar dumm angestellt!« »Es ist nun einmal geschehen, und wir sollten an uns denken!« Er hatte noch nicht ausgesprochen, als in allen Ausgängen der Halle Energiegitter zu flimmern begannen. Der Puschyde wechselte einen schnellen Blick mit der Molaatin. Dann lief er um die Maschinenblöcke herum, bis er die Statue sehen konnte. »Die Fremden! Sanny, sie kommen mit Robotern aus der Statue! Und wir sind eingeschlossen. Sanny, sie wollen uns holen!« * Jede Gegenwehr war sinnlos. Die Fremden schalteten eine Strukturlücke und passierten die Energiegitter. Zielstrebig und mit vorgehaltenen Waffen näherten sie sich den wie versteinert
dastehenden Eindringlingen. Roboter stellten sich um die beiden herum auf. Andere schoben eine Antigravplattform vor sich her, auf die sie Girgeltjoffs reglosen Körper hoben. Vier Maschinen mußten zupacken, bis der Ysterone auf der Plattform lag, wo er von energetischen Fesselfeldern gehalten wurde. »Was macht ihr mit ihm?« fragte Sanny einen der Fremden. »Wohin bringt ihr ihn?« Die Fremden trugen Translatoren um den Hals. Der Angesprochene sagte, wobei sich seine runden Ohren nach vorne drehten: »Zurück ins Ysterioon. Ihr beide folgt uns.« Mit der Waffe unterstrich er seine Aufforderung. Er richtete den Lauf auf Sannys, dann auf Argans Brust. Schließlich deutete er auf die Strukturlücke und die Statue dahinter. »Nehmt ihnen ihre Sachen ab!« forderte er einen seiner Begleiter auf. »Alles.« Sanny ließ es geschehen, daß ihr die Taschen vom Lendenschurz abgetrennt wurden. Doch als die Reihe an Argan U war, machte der Extra einen Schritt zurück und streckte abwehrend beide Hände von sich. »Nicht das Gerät! Ich brauche es zum Leben. Ohne mein Destilliergerät sterbe ich!« Der Graubepelzte, der schon die Finger nach dem Trageriemen des Apparates ausgestreckt hatte, blickte den Anführer fragend an. »Woher sollen wir wissen, daß es so ist?« fragte dieser. »Weil ich es euch sage!« versetzte der Puschyde wütend. »Ihr würdet es merken, wenn ihr plötzlich eine Leiche vor euch hättet!« Schnell steigerte er sich in seinen Zorn hinein. »Und überhaupt habe ich keine Lust, mit euch zu gehen! Verschwindet und laßt uns in Ruhe!« »Argan!« flüsterte Sanny eindringlich. Die Fremden besprachen sich. Argan U suchte verzweifelt nach
einem Ausweg. Was, wenn diese Graupelze auf die Idee kamen, das Gerät zu untersuchen, und dabei den Strahler fanden? Hilfesuchend blickte er Sanny an. Diese zuckte die Schultern und bedeutete ihm mit Blicken, ruhig zu bleiben. Aber was sollte es ihnen nützen, in diese Statue geführt zu werden? So groß, sich freiwillig in die Gefangenschaft dieser Wesen zu geben, .war Argans Neugierde auch wieder nicht. »Du kannst das Gerät behalten«, sagte schließlich der Führer der Fremden. »Jetzt kommt und geht vor uns her. Wir schießen beim geringsten Anzeichen für einen Fluchtversuch.« »Wir kommen freiwillig mit«, beeilte sich Sanny zu versichern. »Nur sagt mir eines. Wer seid ihr?« »Roxharen«, sagte der Anführer knapp. Wieder winkte er mit der Waffe. »Rox …!« Argan U verschluckte sich fast an dem Wort. Für einen Moment sah es so aus, als wollte er die Roboter einfach umrennen und davonlaufen. Dann ließ er die Schultern hängen und sagte nichts mehr. Einer der Fremden, die nun einen Namen hatten, ging voraus. Sanny und der Puschyde folgten ihnen. Die anderen Graupelze und die Roboter passierten als letzte das Energiegitter. Hinter ihnen schloß es sich. Und vor der Gruppe ragte die Statue weit in die Höhe. Sanny war an dreißig und mehr Meter hohe Decken gewöhnt, doch in diesem gewaltigen Dom kam sie sich winzig vor, verloren. Erst jetzt bemerkte die Molaatin die offensichtliche Erregung der Fremden. Diejenigen, die sie bis jetzt hatte beobachten können, waren viel ruhiger gewesen und hatten sich so verhalten, als wären sie hier zu Hause und brauchten nichts und niemanden zu fürchten. Jetzt aber spürte sie ganz deutlich, daß diese Wesen Angst hatten. Ihre Neugier wurde dadurch noch größer. Was hatte Girgeltjoff ihnen sagen wollen? Was war draußen geschehen?
Und was verbarg sich hinter den vielen Eingängen im Sockel der Statue? Wenn sie schon gefangen war und vorerst keine Hoffnung haben durfte, von den Freunden befreit zu werden, wollte sie zumindest soviel in Erfahrung bringen wie möglich. Etwas Unheimliches ging von der Statue aus, je näher sie ihr kamen. Das war keine Einbildung. Die Satue war in eine Aura gehüllt, von der etwas ungeheuer Fremdartiges ausstrahlte. Argan U bemerkte dies auch. Sanny sah es an den scheuen Blicken, die er ihr zuwarf. Durch eine der Öffnungen wurden sie in den Sockel geführt. Der Anblick langer Korridore und auf den ersten Blick ganz normale Räume enttäuschte Sanny. Aber was hatte sie erwartet? Dann plötzlich ertönte ein Summton, der sich schnell zu einem schrillen Kreischen steigerte. Wie gegen eine unsichtbare Wand gelaufen, blieben die Roxharen stehen. Andere Graupelze, die in den Räumen ihren Tätigkeiten nachgingen, erstarrten wie sie. Sannys Herz schlug schneller. Sie wußte, daß etwas geschehen würde. Der Ton wurde so unerträglich, daß sie sich beide Hände gegen die Ohren preßte. Im nächsten Moment dröhnte eine mächtige Stimme aus dem Nichts auf. Sie war überall, in den Ohren, mitten im Bewußtsein. Sanny ahnte, daß jeder in dieser Statue sie in diesem Augenblick wie sie vernahm. »Unterbrecht eure Arbeiten!« hallte es in Sannys Kopf. »Euren Zellen ist es nicht gelungen, den durch den Angriff der Fremden auf Pryttar entfachten Atombrand aufzuhalten! Setzt alles daran, den Planeten und die Station zu retten! Alles andere muß vorerst hinter dieser Aufgabe zurückstehen! Verliert keine Zeit!« Sanny hörte sich schreien, als die Stimme verhallte. Sie hatte das Gefühl, ihr Kopf müßte zerspringen. Kaum nahm sie wahr, wie wieder Bewegung in die Roxharen kam. Argan U und sie wurden in den nächstbesten Raum gedrängt. Eine schwere, metallene Tür schnappte hinter ihnen zu.
Nur allmählich beruhigte sich Sanny. Dann hörte sie die erregten Stimmen vieler Fremder und Laufschritte vom Korridor. Argan U saß neben der Tür und starrte blicklos vor sich hin. »Was war das, Argan?« fragte die Molaatin. »Was …? Argan!« Er hob den Kopf. Sein Blick klärte sich. Ganz leise sagte er: »Roxharen. Es sind Roxharen, Sanny.« »Ja und? So nennen sie sich.« Sie wurde stutzig. Ihre Benommenheit schwand vollkommen. »Kennst du sie etwa?« »Wir sind ihnen schon einmal begegnet, aber das war in …« Er schüttelte den Kopf, als könnte er immer noch nicht fassen, was er erfahren hatte. Dann berichtete er in groben Zügen, was er über die Ereignisse im Chail‐System gehört hatte. 6. Die Orter zeigten keine Roxharen‐Zellen in der Nähe des Planeten. Was hinter Pryttar geschah, wußte Atlan nicht. Er konnte es auch nicht riskieren, sich darüber Gewißheit zu verschaffen. Sicher würde es nicht mehr lange dauern, bis die Roxharen über Pryttar erschienen und alles versuchen würden, den Atombrand zu löschen. Bis dahin mußte er alle Schiffbrüchigen an Bord haben und mit ihnen verschwunden sein. Breckcrown Hayes, Jessica Damaree und Jasper Swinn saßen hinter ihm in den halb geöffneten Raumanzügen. Das Mädchen und der Pyrride fanden in einem Sessel Platz. Ihr Kopf lag an seiner Brust. Sie schluchzte hemmungslos. Swinn redete auf sie ein. »Kann sie im Schiff geblieben sein, Breckcrown?« fragte der Arkonide, ohne die Schirme zu vernachlässigen. »Können wir sicher sein, daß es ihr gelang, rechtzeitig mit euch auszusteigen?« Hayes saß schweigend da und starrte düster auf einige schnell
wechselnde Anzeigen, ohne sie wirklich bewußt wahrzunehmen. »Nein«, knurrte er endlich. »Das können wir nicht. Alles geschah viel zu plötzlich. Und in der Verfassung, in der Sternfeuer war …« Er sprach nicht zu Ende, sondern schüttelte nur grimmig den Kopf. »Aber verdammt, wir können nicht noch länger hier in der Gegend herumfunken! Ebenso wenig denke ich daran, ohne Gewißheit zurückzufliegen!« »Alle Systeme aus, totstellen und warten«, brummte Hayes sarkastisch. Atlan warf ihm einen undefinierbaren Blick zu. Falls die Mutantin die Explosion der FEUERSCHAUKEL überlebt hatte, trieb sie irgendwo dort draußen im Raum. Sie gab kein Lebenszeichen. Das wiederum konnte bedeuten, daß sie von einem Trümmerstück getroffen worden oder ganz einfach nur besinnungslos war. Aber wie spürte man im All jemand auf, der weder funkte noch sich durch Energieabgabe bemerkbar machte? »Ich will noch einmal hören, was eigentlich mit ihr los war, Breckcrown«, sagte der Arkonide, ohne Hayes dabei anzusehen. Für Sekundenbruchteile nur konnten die Schirme etwas zeigen, das über Sternfeuers Schicksal entschied. »Alles, jede Einzelheit, die dir aufgefallen ist.« »Einzelheiten kannst du haben. Wenn du allerdings wissen willst, was sie verändert hat, muß ich passen. Es begann, als wir noch im Hangar waren.« »Nein«, kam es von Jessica. Sie schien sich beruhigt zu haben und machte sich von Jasper los. Ihre Hand fuhr über die feuchten Wangen, dann über die geröteten Augen. »Es fing früher an, Breck. Du weißt, daß sie und ich als letzte in die Space‐Jet kamen. Wir waren in ihrer Kabine und …« »Und was?« fragte Atlan. Jessica zuckte die Schultern.
»Sie rief mich an und wollte, daß ich zu ihr käme. Angeblich wollte sie etwas mit mir bereden. Dann aber schien sie davon nichts mehr zu wissen. Sie wirkte da schon verstört und …« »Keine Romane, Jessi«, ermahnte Hayes die Solanerin. »Bitte, Breckcrown. Ich wollte nur sagen, daß sie sich etwas injizierte. Sie glaubte sich dabei unbeobachtet. Ich bin ganz sicher, daß ichʹs nicht sehen, sollte, Atlan.« »Warum hat sie dich dann zu sich bestellt, wenn sie doch nichts zu bereden hatte?« wollte Swinn wissen. »Oh, Jasper! Man merkt, daß ihr Männer seid! Sie wollte jemanden bei sich haben, einfach nicht allein sein. Weiß der Himmel, was sie beschäftigte, aber sie war bedrückt. Sie hatte Angst vor etwas und machte seltsame Andeutungen.« »Welche?« Hayes hob eine Hand, bevor Jessi antworten konnte. Atlan sah den hellroten Punkt auf dem Orterschirm und die Anzeige darunter im gleichen Augenblick. »Ganz kurz nur«, murmelte der Arkonide. »Lange genug, um einem im Weltraum Treibenden eine andere Richtung zu geben«, sagte Hayes. Er deutete auf die vom Analysator ausgeworfenen Werte. »Da! Keine Roxharen und kein Weltraumspuk. Das muß sie sein. Vielleicht kann sie uns weder sehen noch anfunken. Vielleicht stürzte sie auf Pryttar zu und korrigierte den Flug. Ganz gleich, was nun zutrifft, das ist Sternfeuer.« »Sie sah uns doch und will so auf sich aufmerksam machen«, widersprach Jessica. Atlan schwieg dazu. Ihm konnte es gleich sein, wer recht hatte. Der Jäger nahm Fahrt auf, und eine Minute später sprachen die Massetaster an. Mit gemischten Gefühlen steuerte der Arkonide das Raumfahrzeug auf die in ihrem Schutzanzug um sich selbst wirbelnde Gestalt zu. Mit Unbehagen dachte er daran, in welcher
Verfassung er die Solanerin sehen würde. Sternfeuer war sicher nicht psychisch labil. Was also konnte sie dermaßen aus dem Gleichgewicht gebracht haben? Atlan blickte auf die Uhr, als Hayes die Schiffbrüchige an Bord holte, wo es noch enger wurde. Hayes hielt die Bewußtlose mit beiden Armen fest. Der Jäger beschleunigte und nahm Kurs auf das neue Versteck der DUSTY QUEEN, dessen Koordinaten vom Autopiloten aus dem Computer abgerufen wurden. Atlan lehnte sich im Sessel zurück und überließ die Maschine sich selbst. Noch immer waren keine Roxharen aufgetaucht. Atlan mußte sich fragen, ob dies einfach nur Glück war, Zufall oder etwas anderes. Wurde der Jäger doch beobachtet? Erhofften sich die Roxharen (und damit Hidden‐X), daß er sie direkt zur DUSTY QUEEN führen würde? Diese Zweifel nagten am Arkoniden, bis er wieder in der Zentrale der Korvette stand. Kurz vor dem Einschleusen hatte er Brooklyn über Funk angewiesen, das Schiff in Alarmzustand zu versetzen. Dann aber drang die Stimme aus den Lautsprechern, die weder einem Roxharen gehörte noch Girgeltjoff. * »Aufzeichner!« flüsterte Atlan der Magnidin zu. »Laufen!« Die Botschaft wiederholte sich. Die Bildschirme der Funkanlage blieben weiterhin dunkel. Nur die Stimme war zu hören – wie aus Anrufen verschiedener Besatzungsmitglieder deutlich wurde, fast überall im Schiff. Atlan, Brooklyn, Hayes und die restliche Zentralebesatzung hörten gebannt zu. Niemand sprach, niemand bewegte sich. Nur die
schnell gewechselten Blicke sprachen Bände. »Stellt eure Aktivitäten ein, wenn ihr die beiden Eindringlinge lebend wiedersehen wollt, die sich in meiner Gewalt befinden! Ihr habt den Planeten Pryttar angegriffen und dort einen Atombrand entfesselt. In diesen Augenblicken versuchen meine Diener alles zur Rettung dieser Welt und der Station. Verhaltet euch abwartend und unternehmt nichts, das sie dabei behindern könnte. Sollte der Atombrand aufgehalten werden können, werde ich mich wieder melden. Ich wiederhole: Die beiden von euch zurückgelassenen Eindringlinge befinden sich in meiner Gewalt. Ich werde nicht zögern, sie zu töten, falls ihr meinen Anweisungen zuwiderhandelt!« »Da!« Brooklyn wies auf einen der Schirme, auf denen die von den Sonden eingefangenen Bilder aus der Nähe Pryttars zu sehen waren. Roxharische Zellen waren aufgetaucht und näherten sich den Brandherden. »Sie können nichts mehr aufhalten«, sagte Hayes. Er war bleich geworden. »Nicht das, was zwei Arkonbomben auslösen. Sagt es ruhig. Ich war ein Idiot!« Atlan winkte ab. »Darüber reden wir später, Breckcrown. Euch ist doch klar, wer sich da gemeldet hat?« »Über die zurückgelassene Raumboje«, sagte Brooklyn grimmig. »Die SOL‐Geister mögen wissen, wie Hidden‐X es schaffte, gleichzeitig mit der Aktivierung unserer Empfänger auch die Rundrufanlage hier an Bord in Betrieb zu setzen. Und es war doch Hidden‐X oder?« »Wer sonst sollte von den Roxharen als seinen Dienern sprechen«, brummte Hayes. »Natürlich können wir einen Bluff nicht ausschließen.« »Kein Bluff der Roxharen«, entgegnete Atlan entschieden. »Das war Hidden‐X.« Er fuhr sich mit einer Hand durch das silberweiße Haar. »Und die Warnung war deutlich genug. Sanny und Argan U sind verloren, wenn die Roxharen keinen Erfolg haben – und den werden sie nicht haben.«
»Wieder melden, falls der Planet gerettet werden kann«, lachte Hayes trocken. Er ballte die Fäuste. »Hidden‐X sagte nicht, was geschehen wird, falls sie scheitern! Was mit uns geschehen wird, meine ich.« »Wir könnenʹs auch so denken«, sagte Brooklyn. »Und ich kann mir nicht vorstellen, daß dieses Etwas damit warten will, bis ein Ergebnis vorliegt. Auch wenn wir nur über das Relais angefunkt wurden, muß unsere Position jetzt bekannt sein. Wir haben ja genug gefunkt, um längst geortet geworden zu sein. Wenn ihr mich fragt, will uns Hidden‐X nur in Sicherheit wiegen, während im Ysterioon die Zellen klargemacht werden, die uns eliminieren sollen.« Oserfan hatte die Zentrale betreten und breitete verzweifelt die Arme aus. »Wir müssen Sanny helfen«, flehte der Molaate. »Ihr und Argan. Ihr dürft nicht noch länger warten.« Atlan schüttelte traurig den Kopf. Er hockte sich vor Oserfan hin und sagte sanft: »Glaubst du, einem von uns fiele es leicht, dies zurückzustellen? Aber das müssen wir noch tun. Wie sollten wir sie aus dem Ysterioon herausholen, Oserfan? Wie aus den Klauen von Hidden‐ X?« »Ihr müßt es wenigstens versuchen!« Der Molaate griff nach Atlans Armen und rüttelte daran. »Oder schickt wenigstens mich! Tut, was diese Macht von euch verlangt!« »Eben das können wir nicht. Wäre dies anders, so gäbe es vielleicht einen Weg, doch noch friedlichen Kontakt zu den Roxharen und Hidden‐X aufzunehmen – indem wir ihnen bei der Rettung ihrer Station zu Hilfe kämen oder dies Hidden‐X zumindest vorzulügen.« »Dann sagt das dieser Macht! Sagt ihr, daß es euch leid tut und wir nichts tun können! Wir können sie doch auch anfunken …« Atlan stand auf und blickte einige Sekunden zur Funkanlage hinüber.
»Nein, Oserfan. Wir müssen warten und zusehen, daß wir am Leben bleiben. Tot können wir für Sanny und Argan ganz gewiß nichts mehr tun. Wir müssen erneut unseren Standort im Trümmerring wechseln, denn ich glaube, daß Brooklyn recht hat.« »Außerdem hat Argan U den Thermostrahler in seinem Destilliergerät«, kam Hayes Atlan zu Hilfe. »Wie ich unseren kleinen Freund kenne, gibt er das Ding für nichts auf der Welt aus der Hand. Sie sind also nicht ganz wehrlos und werden sich schon selbst zu helfen wissen.« Brooklyn runzelte die Stirn, sagte aber nicht. Oserfan wandte sich ab. Atlans Mitleid für den Kleinen wuchs, aber Hidden‐X diktierte die Situation. »Brooklyn, Breckcrown. Wir verschwinden von hier, aber nicht, ohne den Roxharen eine Überraschung zu hinterlassen. Hört zu …« * Zur gleichen Zeit befanden sich Jessica Damaree und Jasper Swinn in der kleinen Medo‐Station der Korvette. Sternfeuer lag auf einer weißen, gepolsterten Scheibe mit einem Durchmesser von zwei Metern, die durch Antigrav‐Projektoren in verschiedene Stellungen gehoben und gedreht wurde. Fesselfelder hielten die Mutantin in ihrer Position. Kleine robotische Sonden schwebten über ihr und nahmen Messungen vor, deren Ergebnisse auf einer Reihe von Monitoren zu beobachten waren. Kontakte saßen an den Schläfen, den Gelenken und der Brust der Solanerin. Ein Medo‐Roboter stakste vor der Scheibe auf und ab oder bediente die Geräte, die unter anderem Sternfeuers Gehirnströme aufzeichneten. »Ich verstehe das nicht«, sagte Swinn. Nervös rutschte er in seinem Sessel hin und her, streckte die Arme mit nach oben gedrehten Handflächen von sich und schüttelte den Kopf. »Sie war
bewußtlos, als wir sie auffischten, und ist es immer noch. Aber sie hat sich diesen Gegenschub gegeben!« »Ihre Hand kann auch zufällig den entsprechenden Kontakt berührt haben«, meinte Jessica. »Glaubst du daran?« »Nein. Sie war wach. Bestimmt war sie das, wenn auch nur für Sekunden. Und sie hat keine Verletzungen, keinen Kratzer. Aber du gleich, wenn du die Hand nicht bald herunternimmst.« Der Pyrride hatte die Angewohnheit, sich mit den Fingern durch sein Haar zu fahren, wenn er nicht weiter wußte. »Wenn dieser Blechklumpen endlich etwas sagen würde!« knurrte er. »Jasper Benedikt Mosley Swinn! Weißt du, daß du mir manchmal verdammt auf die Nerven gehen kannst? Dann frage ich mich, wie ich überhaupt dazu kam, mich mit einem groben Pyrridenklotz einzulassen.« Sie blickte ihn an. »Ich hätte mir die Kerle wirklich aussuchen können. Wie ich ausgerechnet auf dich kam, wird mir ewig ein Rätsel bleiben. Aber wenn du Wert auf eine Fortführung unserer Beziehung legst, dann halte jetzt für eine Minute den Mund.« »Hayes«, knurrte Swinn. »Was ist?« »Du hast dich in Hayes verknallt. Glaubst du, ich hätte keine Augen im Kopf?« Sie seufzte und schickte einen verzweifelten Blick zur Decke. »Abgesehen von seinem Fehler, die Arkonbomben zu werfen, ist er in Ordnung. Er jedenfalls denkt vorher nach, ehe er den Mund aufmacht. Jasper, irgend etwas geschieht mit Sternfeuer. Sie wollte mit mir darüber reden, da bin ich ganz sicher. Was weiß ich, warum sieʹs dann doch nicht konnte. Auf jeden Fall braucht sie Hilfe – einen Menschen, dem sie sich anvertrauen kann.« »Und der«, knurrte Swinn, »bist du, ja?« Sie stand auf. Vor einem der Monitoren, der Sternfeuers
Herzfunktionen zeigte, blieb sie stehen und legte die Hände auf den Rücken. »Du kennst sie doch kaum«, sagte der Pyrride weiter. »Bei allen lausigen Planeten dort draußen! Jessi, mit dir stimmt auch etwas nicht. Du führst dich auf wie ein Weib mit Haaren auf den Zähnen. Sag mir eines: Was habe ich dir eigentlich getan?« Der Medo‐Robot kam um die Scheibe herum, die nun in einem Winkel von etwa dreißig Grad geneigt war, und bugsierte das Mädchen mit sanfter Gewalt von den Schirmen fort. Jessica holte tief Luft. Als sie sich zu Swinn umdrehte und zu ihm kam, stand ein unsicheres Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie küßte ihn. »Ich weiß selbst nicht, was ich habe. Entschuldige, Jasper. Mir geht einfach alles auf die Nerven. Dort liegt Sternfeuer, und keiner weiß, wieʹs in ihr aussieht. Jede Wette, daß die Roboter nichts finden. Aber das ändert nichts.« »Du hast sie gern, ja?« Sie nickte. »Sehr gern, Jasper. Zugegeben, ich kenne sie wirklich kaum. Genau genommen begegneten wir uns erstmals hier auf der QUEEN. Aber entweder man findet einen anderen auf Anhieb sympathisch oder gar nicht.« Swinn grinste schwach. »Stimmt nicht immer, Schatz. Dich konnte ich anfangs überhaupt nicht leiden.« Wieder lächelte sie matt. »Tu mir jetzt bitte einen Gefallen und sei ruhig, ja?« »Ich weiß noch etwas Besseres.« Swinn stand auf und gab ihr einen Klaps. »Ich lasse dich mit ihr und dem Blechdoktor allein. Aber sag mir Bescheid, wenn sich etwas tut.« »Danke«, flüsterte Jessica. Schon in der Tür, drehte Jasper sich noch einmal um, nickte in Richtung der Bewußtlosen und sagte:
»Ich mag sie nämlich auch.« * Die DUSTY QUEEN befand sich kaum fünfzehn Minuten in ihrem neuen Versteck, gut eine Million Kilometer von ihrem letzten Standort im Trümmerring entfernt, als das Geschah, was Brooklyn und Atlan befürchtet hatten. Atlan saß zusammen mit Breckcrown Hayes, der Funkerin und zwei anderen diensttuenden Besatzungsmitgliedern am Kartentisch, wo sie einen starken Kaffee zu sich nahmen. Brooklyn schaltete das hereinkommende Bild auf den Panoramaschirm. »Da sind sie«, sagte sie. »Zwei Zellen, und sie halten genau auf die Stelle zu, an der Hidden‐X uns vermutet.« Schweigend verfolgten die Raumfahrer, was dann geschah. Die Roxharen eröffneten das Feuer. Sie zerstrahlten systematisch alle Materie in jenem Sektor des 880 Kilometer dicken Trümmerrings, in dem sich die Korvette noch vor einer halben Stunde verborgen hatte. Die Reste der ehemaligen zwanzig Planeten standen dort so dicht beieinander, daß es den Roxharen unmöglich war, aus ihrer Entfernung zu erkennen, ob die Korvette sich nach wie vor an ihrem Standort befand oder nicht. »Sie lassen nichts übrig«, murmelte Hayes. »Verdammt gute Arbeit der Burschen.« Er stieß Atlan mit dem Ellbogen an. »Verstehst du mich vielleicht jetzt?« Der Arkonide gab keine Antwort. Wie hätte er an Breckcrowns Stelle gehandelt? Gedroht wie er? Sicherlich. Aber diese Drohung auch wahrgemacht? »Gleich wird das Ding hochgehen«, sagte Brooklyn, »und ihnen die Genugtuung geben, uns vernichtet zu haben. Eine gute Idee von dir, Atlan, den Sprengsatz zusammen mit der Mikrosonde zurückzulassen. Das muß ihnen jeden Zweifel nehmen. Sie werden
überzeugt davon sein, die QUEEN und ihre Besatzung vernichtet zu haben.« »Keine Genugtuung, Brooklyn«, wehrte Atlan ab. »Ich kann und will nicht daran glauben, daß die Roxharen aus freiem Willen so handeln.« Sie warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Dein Glaube an das Gute in jedem vernunftbegabten Wesen mag dich vielleicht ehren, Atlan. Ich glaube an das, was ich sehe.« Und das war die grelle Lichtflut einer Explosion, bevor der Schirm schlagartig dunkel wurde. Atlan erhob sich. »Das wärʹs gewesen«, sagte er hart. »Die Mikrosonde ist ebenfalls zerstört. Wir bleiben auf Tauchstation. Nur die Systeme der Lebenserhaltung und der passiven Beobachtung dürfen laufen. Wie sieht es auf Pryttar aus?« Ein junger Solaner nahm eine Schaltung vor. Die passive Energiemessung lieferte eindeutige Ergebnisse. »Atombrand schreitet unaufhaltsam fort.« »Wer oder was Hidden‐X auch immer sein mag, ob es nun mit dem geistigen Faktor der Roxharen identisch ist oder nicht«, sagte Brooklyn. »Wir sehen, daß auch seine Macht Grenzen hat.« Und was wird die Vernichtung der Anstrahl‐ und Umformerstation auf Pryttar zur Folge haben? fragte sich Atlan. Er wollte sich nicht der vielleicht irrigen Hoffnung hingeben, daß durch sie die SZ‐2 wieder freikommen würde. Aber es lag im Bereich des Möglichen. »Beobachtet weiter und haltet mich auf dem laufenden«, sagte er. »Ich bin in der Medo‐Sation. Es wird Zeit, daß ich mich um Stemfeuer kümmere.« »Ich komme mit!« erklärte Hayes. Nachdem sie die Zentrale verlassen hatten, hielt er den Arkoniden am Arm fest und blickte ihm fest in die Augen. »Atlan, ich will jetzt eine klare Antwort haben. War es falsch, die
Arkonbomben zu zünden? Wenn diese Station ausgeschaltet ist, kann es sein, daß in der Folge Dinge eintreten, die mein Verhalten nachträglich als richtig erscheinen lassen. Das meine ich jetzt nicht. Hätte ich es bei der Drohung belassen sollen und …?« »Würdest du es wieder tun, wenn du in der gleichen Lage wärst?« Hayes versuchte, im Gesicht seines Gegenübers zu lesen. Dann schüttelte er den Kopf. »Wahrscheinlich nicht. Nein, Atlan, ganz sicher nicht. Ich wußte, was diese Bomben anrichten, aber eben nur in der Theorie. Jetzt, nachdem ich sehen mußte, wie verheerend …« Er ließ den Arkoniden los und nickte grimmig. »Nein. Es hätte andere Mittel gegeben, die Station unschädlich zu machen, ohne daß gleich eine ganze Welt zerrissen würde. Mag sein, daß ich im Affekt handelte, aus der Wut über die Kompromißlosigkeit der Roxharen heraus. Es war falsch, und ich weiß es jetzt. Ich denke, ich habe meine Lektion gelernt.« Atlan legte ihm lächelnd eine Hand auf die Schulter. »Und das ist eine ganze Menge wert. Ich könnte dein Handeln gar nicht verurteilen, Breckcrown, denn auch ich mußte einiges lernen. Was geschehen ist, läßt sich nicht rückgängig machen, und so wollen wir hoffen, daß wenigstens die Folgen positiv sein werden. Und jetzt komm.« Als das Schott der Medo‐Station sich vor ihnen öffnete, sahen sie Sternfeuer auf der Scheibe, den Medo‐Roboter und die kreisenden Sonden – und Jessica Damaree, die ihnen Zeichen machte, daß sie ruhig sein sollten. Sie kam auf sie zu und flüsterte: »Sternfeuer hat gerade die Augen aufgeschlagen, aber sie ist noch wie in Trance. Weiß der Himmel, mit welchen Drogen dieser Roboter sie vollgepumpt hat. Atlan, diese Sonden sollen verschwinden, der Roboter auch. Sie können ihr nicht helfen. Nur ein Mensch kann das.« Als sie den forschenden Blick des Arkoniden auf sich ruhen sah,
fügte sie schulterzuckend hinzu: »Jaja, ich weiß, ich bilde mir das nur ein – oder? Aber ein Mensch spürt so etwas!« »Eine Frau«, flüsterte Breckcrown anzüglich. »Eine Frau spürt so etwas.« Atlan ging an den beiden vorbei und beugte sich über die Mutantin. Was er in ihren blicklosen Augen sah, ließ ihn erschrecken. Eine halbe Stunde mußten sie warten, bis die Telepathin vom Medo‐Roboter »freigegeben« wurde. Die Fesselfelder erloschen. Sternfeuer erhob sich und ließ sich von Jessica von der Scheibe helfen. Die Endauswertung der vorgenommenen Untersuchungen vermochte nicht viel Aufschluß über den Grund für Sternfeuers lange Bewußtlosigkeit zu geben. Nur soviel schien festzustehen: Dieser Grund lag nicht in einer Einwirkung von außen, wie bisher vermutet. Die Gehirnwellenmessungen zeigten eine deutlich über den Normalwerten liegende Aktivität des Angstzentrums. Einher damit ging eine ebenfalls weit über normal liegende Adrenalinproduktion. Atlan hielt die Folien noch in den Händen, als Sternfeuer vor ihm stand. Das eigentlich Seltsame war, daß sich beide Werte schlagartig wieder gesenkt hatten – und ein Zeitvergleich zeigte, daß dies nur Minuten vor dem Moment geschehen war, in dem Sternfeuer die Augen aufschlug. Der Medo‐Robot entfernte sich. Seine Arbeit war getan. Mit den Empfehlungen für eine Therapie, die unter den Auswertungen auf die Folie gedruckt waren, wußte der Arkonide nicht viel anzufangen. Im Grunde liefen sie auf den Ratschlag hinaus: Wartet ab und beobachtet die Patientin. »Und?« fragte Hayes mit einer etwas gekünstelt wirkenden Unbekümmertheit. »Wie gehtʹs unserem Problemkind?« Sternfeuer lachte schwach und rieb sich über die Hautstellen, an
denen die Kontakte gesessen hatten. Jessica reichte ihr einen Mantel, den sie sich umhängte. »Danke der Nachfrage, Breck. Wenn ihr mich fragt – ich weiß nicht, was mit mir los war. Guckt mich nicht so an. Ich weiß es wirklich nicht.« Wie um diese Aussage zu untermauern, blickte sie sich um und seufzte. »Ich habe auch keine Ahnung, was dieser Roboter mit mir angestellt hat. Jedenfalls ist meine Kehle wie ausgetrocknet. Wie ist es – kann man hier etwas zu trinken bekommen?« Jessica kniff die Augen zusammen. »Jetzt mach einen Punkt, Sternfeuer!« sagte sie etwas unsicher. »Etwas stimmt mit dir nicht, und das weißt du, das wissen wir. Gut, vielleicht kennen wir beide uns wirklich noch nicht lange genug, und ich sollte mich da heraushalten. Aber Atlan kannst du doch vertrauen. Wenn du Angst hast, wir könnten über dich lachen, dann …« »Lachen?« Sternfeuer blickte sie offenbar völlig verständnislos an. »Weshalb lachen? Also jetzt hört einmal zu. Ich weiß, ich bin umgekippt. Und natürlich war ich verstört. Ich streite das gar nicht ab, Jessi. Ist euch so etwas noch nie passiert? Gegen Depressionen ist auch heute noch kein Kraut gewachsen. Natürlich, ich könnte mir mit Medikamenten helfen, aber das bedeutete nur, die Probleme vor sich hinschieben.« Sie lachte wieder und breitete die Arme aus. »Ich bin in Ordnung. Es ist vorbei. Ich bin euch dankbar dafür, daß ihr euch um mich Sorgen machtet, aber es ist wirklich nichts mehr. Und darum schlage ich vor, wir genehmigen uns jetzt alle zusammen eine Stärkung. Ihr seht auch aus, als könntet ihr eine gebrauchen.« »Da hast du allerdings recht«, sagte Hayes. Jessica sah es Atlan an, daß er Breckcrowns Worte für das nahm, was sie waren: ein vorsichtiges Eingehen auf die Mutantin. Hayes nahm Sternfeuer bei der Hand. Gemeinsam verließen sie den Raum. Jessica hielt Atlan fest.
»Von wegen keine Medikamente nehmen«, flüsterte sie ihm zu, als die beiden anderen schon auf dem Korridor waren. »Ich habe gesehen, wie sie sich etwas injizierte. Sie macht sich und uns etwas vor.« Für Augenblicke wirkte der Arkonide unentschlossen. Dann legte er der jungen Solanerin freundschaftlich den Arm um die Schulter und nickte nachdenklich. »Sie ist kein Kind. Sie wird zu uns kommen, wenn sie unsere Hilfe braucht.« Ganz überzeugt davon war er nicht, und er wünschte sich, daß Federspiel jetzt an Bord der DUSTY QUEEN wäre, Sternfeuers Zwillingsbruder. »Wir müssen in die Zentrale zurück. Das heißt – du kannst natürlich zu den beiden gehen und …« »Lieber nicht«, winkte Jessica ab. »Erstens bilde ich mir vielleicht wirklich nur ein, daß sie sich ausgerechnet mir anvertrauen wollte, und zweitens gibtʹs da einen Kerl, der schon Stielaugen kriegt, wenn ich Breck nur ansehe. Ich muß etwas zu seiner moralischen Aufrichtung tun, wenn du verstehst, was ich meine.« Atlan lächelte. »Dann ist dieser Kerl wirklich zu beneiden.« Jessica warf ihm einen schwer zu deutenden Blick zu. »Wie alt bist du noch einmal, Atlan? Zwölftausend Jahre?« »Ungefähr. Weshalb?« »Ach, nur so. Sicher hast du in diesen zwölftausend Jahren eine Menge Frauen gehabt, oder?« Sie lachte über sich selbst. »Vergiß es. Jasper könnte auch auf dich eifersüchtig werden, und außerdem fühlst du dich ja höheren Mächten verpflichtet. Trotzdem schade.« Er blickte ihr nach, als sie den Korridor hinunterging, und schüttelte lächelnd den Kopf. Hatte sie nicht recht? Was ihn in der Zentrale erwartete, ließ ihn jene gewisse Wehmut, die Jessicas Worte in ihm ausgelöst hatte, schnell wieder vergessen.
»Ich weiß nicht, was sie da tun«, sagte Brooklyn. »Aber eines ist sicher. Erreichen werden sie gar nichts.« Das galt den Roxharen, deren Zellen über der glühenden und strahlenden Oberfläche von Pryttar kreisten. Es waren noch mehr geworden, und soweit sich dies auf den von den Mikrosonden übertragenen Bildern erkennen ließ, warfen sie etwas ab, das in der roten Glut wie feiner Kristallstaub glitzerte. »Auch möglich«, fuhr die Magnidin fort, »daß Hidden‐X vom Ysterioon aus versucht, die Station zu retten. Wir können gar nichts tun, oder?« Atlan brauchte nicht zu antworten. Die Frage war rhetorisch. »Also warten«, seufzte Brooklyn. Atlan bemerkte wieder Oserfans flehende Blicke. Der Molaate bot ein Bild des Jammers. Die passive Energiemessung sagte genug aus. Der Atombrand hatte sich mittlerweile über eine Fläche von gut drei Millionen Quadratkilometern ausgebreitet. Noch war die Station nicht erreicht, doch das würde sich im Verlauf der nächsten drei Stunden ändern. Und diese Stunden vergingen in weiterem quälendem Warten. Sternfeuer erschien in der Zentrale und beobachtete lange Zeit schweigend die Schirme. Atlan musterte sie nicht ohne Besorgnis. Um so überraschender war die heftige Reaktion der Mutantin, als der Atombrand die Pryttar‐Station noch nicht ganz erreicht hatte. »Die Strahlung läßt nach!« rief sie aus. »Diese undefinierbaren Strahlungen, die vom Ysterioon ausgehen, lassen plötzlich nach!« »Bist du ganz sicher?« fragte Atlan. »Vollkommen.« »Und das bedeutet?« fragte Brooklyn. Atlan mußte ihr die Antwort schuldig bleiben. Gemeint konnte nur jene geheimnisvolle Mental‐Strahlung sein, die Bjo Breiskoll als erster gespürt hatte, als man sich mit der SZ‐2 der Zwerggalaxis näherte. Diese Nickel‐Mental‐Strahlung reichte also weit über die
Grenzen von Flatterfeld hinaus. Doch die Pryttar‐Station existierte noch. Was also konnte dann die Ursache für das Nachlassen der Strahlung sein? Unwillkürlich mußte der Arkonide an Sanny und Argan U denken. »Läßt weiter nach«, erklärte die Telepathin. »Der Atombrand wird die Station in wenigen Minuten erreicht haben!« meldete Brooklyn. »Der Planet selbst hat nur noch Stunden!« Atlan spürte instinktiv, daß in diesen Augenblicken eine Entwicklung einsetzte, die über das, was mit Pryttar geschah, weit hinausging. Aber was würde an ihrem Ende stehen? Hatte man es hier mit Gewalten zu tun, die in der Lage waren, diesen ganzen Raumsektor ins Chaos zu stürzen? Sein Unbehagen wuchs. Was brachten die nächsten Stunden? Wenn sich nur Girgeltjoff melden und darüber berichten würde, was jetzt im Ysterioon geschah! Er kann es nicht, dachte der Arkonide. Selbst diese Möglichkeit bleibt uns nicht mehr. Gebannt verfolgte die Zentralbesatzung die Entwicklung auf dem Glutplaneten, und es gab niemanden mehr, der in die bedrückende Stille hineinsprach. Wann meldete sich Hidden‐X? 7. Sanny wußte nicht zu sagen, wieviel Zeit vergangen war, als die Stimmen und Schritte auf dem Korridor verklangen. Es hatte den Anschein gehabt, als befände sich das ganze Ysterioon im Aufbruch – zumindest aber dieser innere Bereich. »Still«, flüsterte Argan U, als könnte jedes zu laut gesprochene Wort jene Wesenheit auf den Plan rufen, die zu den Roxharen
gesprochen hatte und nur mit Hidden‐X identisch sein konnte. »Kannst du noch etwas hören, Sanny?« Die Molaatin hatte den Kopf an die Tür gelegt und bedeutete Argan, ruhig zu sein. Eine Weile lauschte sie, dann drehte sie sich zum Puschyden um. »Nichts. Es sieht so aus, als wären wir allein in diesem Teil des Sockels. Argan … was machst du?« »Wir haben jetzt lange genug gewartet. Du hast gesehen, was du sehen wolltest, und wenn sich die Roxharen erst wieder einmal an uns erinnern, haben wir nichts Gutes zu erwarten. Wir wissen jetzt, daß es sie gibt, und müssen schon allein deshalb mundtot gemacht werden, um den Ysteronen nichts verraten zu können. Wir versuchen zu fliehen, oder hast du eine bessere Idee?« Der Extra hatte sein Destilliergerät geöffnet und entnahm ihm den Thermostrahler. Er richtete ihn auf die Schaltplatte neben der Tür. »Was ist nun? Gehst du zur Seite oder nicht?« Sanny beeilte sich, aus der Schußlinie zu kommen. Schweigend sah sie zu, wie Argan die Platte zerstrahlte. Sie gab sich keinen übertriebenen Hoffnungen hin, daß er die Tür auf diese Weise öffnen könnte. Es war ein eher blindes Zerstörungswerk, und die Wut, die sich in Argan aufgestaut hatte, fand ein Ventil. Dabei verstand sie ihn nur zu gut. Und er hatte ja recht. Was sie bisher ap Wissen zusammengetragen hatten, reichte aus, um Atlan und den anderen vielleicht die entscheidenden Hinweise zu geben. Doch dazu mußten sie sie erst einmal erreichen. Ganz nebenbei, dachte sie, geht es darum, daß wir lebend hier herauskommen. Im Bereich jenseits der Energiesperren sind wir wenigstens relativ sicher, und dort sollte sich auch die Möglichkeit finden, die DUSTY QUEEN anzufunken. Die Roxharen durften es nicht wagen, sie bis in den Lebensbereich der Ysteronen zu verfolgen. Die Tür fuhr auf.
»Na bitte«, rief Argan U grimmig und warf Sanny einen Blick zu, als wollte er sagen: »Es geht doch, wenn man nur will!« »Wir müssen vorsichtig sein«, dämpfte sie den augenblicklichen Überschwang des Puschyden. »Noch können Roxharen in der Nähe sein, auch wenn wir nichts von ihnen hören.« Argan war schon auf dem Gang. »Ich sehe keine«, flüsterte er wieder. »Komm!« Sanny folgte der Aufforderung nur zögernd. Sie hatte das Gefühl, von Tausenden von Augen beobachtet zu werden. Konnten sie wirklich darauf hoffen, daß der Macht in der Staute ihre flucht verborgen blieb? Argan ließ ihr nicht viel Zeit zum Nachdenken. Er entwickelte sich zum unermüdlichen Antreiber. Die beiden Gefangenen liefen die Korridore entlang. Einige glaubte Sanny wiederzuerkennen, doch als die Roxharen sie abführten, hatte sie kaum Gelegenheit dazu gehabt, sich den Weg genau einzuprägen. So kam es, daß sie sich bald hoffnungslos verirrt hatten. »Wohin jetzt?« fragte die Molaatin, als sie einen Verteilerpunkt erreicht hatten, von dem gleich sechs Gänge sternförmig abzweigten. Für den Puschyden schien sich das Problem nicht zu stellen. Er deutete mit der Waffe in einen der Korridore. »Wenn wir uns immer nur in einer Richtung bewegen«, flüsterte er, »kommen wir irgendwann heraus. Wo das ist, soll uns gleich sein. Hauptsache, wir werden nicht aufgehalten.« Er lief weiter. Sanny hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Nach etwa zehn Metern nur standen sie in einem schmalen, langgezogenen Raum, dessen Wände bis hinauf zur drei Meter hohen Decke nur aus Schaltanlagen zu bestehen schienen. »Ausgezeichnet«, flüsterte der Extra. »Jetzt tun wir etwas gegen die Energiegitter.« Er zog Sanny mit sich bis zum Ausgang und richtete den Strahler auf einen der Schaltblöcke.
»Argan«, rief die Molaatin bestürzt. »Was soll das?« »Die Energie für die Sperren kommt von hier. Je mehr Anlagen wir zerstören, desto eher brechen sie zusammen.« »Aber …!« Argan hörte sie nicht an. Der Strahl seiner Waffe fraß sich in die Verkleidungen der Geräte, ließ kleine Bildschirme platzen und löste Explosionen aus. Sanny drückte sich gegen die Korridorwand und schloß die Augen vor der blendenden Helligkeit. Stichflammen fuhren aus den einzelnen Blöcken, und erst, als nach einer weiteren Explosion ein Funkenregen auf ihn herabging, zog sich auch der Puschyde zurück. »Hier funktioniert nichts mehr«, flüsterte er, als das Krachen und Knistern der Entladung sich legte. »Komm weiter!« »Du brauchst gar nicht andauernd zu flüstern«, warf Sanny ihm vor. »Wenn die Roxharen bis jetzt nicht wußten, daß wir ausgebrochen sind, wissen sieʹs spätestens jetzt!« »Dann müssen wir uns noch mehr beeilen!« »Deine Logik ist geradezu überwältigend«, seufzte Sanny. »Du wirst sehen, was du von deinem Amoklauf hast!« Sie sprach ins Leere. Argan war schon wieder ein Stück weiter. Sanny mußte rennen, um zu ihm aufzuschließen. Insgeheim erwartete sie, wieder die mächtige Stimme zu hören, die ihnen befahl, in ihr Gefängnis zurückzukehren. Als Argan U stehenblieb, als wäre er gegen ein unsichtbares Hindernis geprallt, erkannte sie, daß Hidden‐X sich anderer Mittel zu bedienen wußte, um sie unschädlich zu machen. Argan hatte den Verteiler erreicht. Aus einem der abzweigenden Gänge drangen Roboter. »Ich denke«, sagte der Puschyde, »daß dies deine Skrupel beseitigt, Sanny. Jetzt haben wir einmal angefangen und müssen es zu Ende bringen.« Noch während er sprach, schoß er auf die Maschinen. Eine nach der anderen verging in seinem Feuer. Sanny schloß wieder die
Augen, erwartete die tödlichen Strahlbahnen aus den Waffen der Roboter. Doch als ihr etwas gegen die Schulter schlug, war es nur Argans Hand. Fassungslos sah die Molaatin die Roboter in ihren Trümmern liegen. Das kann doch nicht alles sein, was Hidden‐X gegen uns aufbietet! durchfuhr es sie. »Weiter!« drängte Argan. »Komm!« Und wieder liefen sie ziellos in einen der freien Korridore hinein. Auftauchende Roboter wurden von Argan zerstrahlt, bevor sie ihre Waffenarme ʹ auf die Flüchtenden richten konnten. Dann aber geschah das, worauf Sanny ängstlich gewartet hatte. Ein Energiegitter bildete sich wie aus dem Nichts heraus und versperrte ihnen den Weg. Sanny fuhr herum und sah, daß auch hinter ihnen eine Barriere entstanden war. »Und nun?« fragte sie. Der Sarkasmus war ihr inzwischen vergangen. Sie erkannte, daß sie Argans Führerrolle akzeptiert hatte und sich nun von ihm einen Einfall erhoffte, der ihren aus dieser Lage heraushalf. Es war, als böte ihnen der Gegner selbst diesen Ausweg. »Dort vorne!« Argan deutete mit dem Strahler in den Korridor. »Noch vor der Sperre zweigt ein Gang ab. Wir haben gar keine andere Wahl, oder?« Das nicht, mußte Sanny zugeben, wenngleich ihr unverständlich war, daß Hidden‐X diesen Fluchtweg übersehen haben sollte. »Warte, Argan«, sagte sie. »Ich weiß nicht recht. Vielleicht sollten wir …« »Hier stehenbleiben und auf weitere Roboter warten, die diesmal schneller sind als wir?« »Argan, du hast die schreckliche Unart, andere nie ausreden zu lassen!« schimpfte Sanny. Der Puschyde blickte sie an und verzog sein Gesicht zu einem
ziemlich dürftigen Lächeln, das wohl entschuldigend wirken sollte. »Ist ja schon gut, Sanny. Aber wir haben eben keine Zeit.« Er gestikulierte mit der Waffe. »Uns bleibt nur dieser Weg. Was wolltest du sagen?« »Vergiß es«, murrte die Molaatin. »Es war nicht wichtig. Aber fuchtele mir nicht mit dem Ding vor der Nase herum!« »Manchmal begreife ich dich nicht«, murmelte Argan. Dann gab er sich einen Ruck. »Komm endlich, bevor die Barriere in unsere Richtung zu wandern beginnt.« Resignierend folgte sie ihm. Wieder betraten sie einen Korridor, der sich scheinbar in nichts von den anderen bisher passierten unterschied. Er war etwa zwanzig Meter lang, bis er sich gabelte. Ein Weg war versperrt. Dort schimmerte eine Energiewand. So blieb wieder nur eine Richtung, in die sie sich wenden konnten. Diesmal sagte Sanny nichts, aber als sie dann zum drittenmal vor der gleichen Situation standen, hielt sie den Puschyden am Fell fest. »Begreifst du denn nicht, daß wir in eine Falle gelockt werden sollen, Argan? Überall um uns herum sind Energiegitter, nur ein Weg bleibt frei. Warum?« »Eine Falle?« Argan U suchte in den abzweigenden Gängen nach Robotern, die sich hinter den Energiesperren verbergen mochten, und schüttelte den Kopf. »Sanny, das leuchtet mir nur zum Teil ein. Wenn dieses Hidden‐X uns hier festhalten wollte, brauchte es sich keine solchen Umstände zu machen. Diese Energiegitter können überallhin projiziert werden, also auch dort in diesen freien Gang vor uns. Wir säßen fest.« Sanny dachte nach. Es bereitete ihr immer mehr Mühe, ihre Gedanken zu sammeln, denn warum geschah nichts weiter? Bestimmt gab es noch mehr Roboter hier – falls tatsächlich alle Roxharen zur Rettung des Planeten aufgebrochen waren. Warum meldete sich die Geisterstimme nicht mehr? Warum zischte nicht einfach ein Energiestrahl aus einer der
Wände und tötete sie und Argan? Weshalb hatten die Roboter mit dem Schießen gezögert? Sicher war doch, daß Hidden‐X weitere Zerstörungen fürchten mußte. War diese Macht über das, was auf Pryttar vorging, so schockiert, daß sie in ihrem Denken und Handeln gelähmt war? Sanny konnte nicht daran glauben. Aber dann gab es nur eine Möglichkeit. Zugegeben, Sanny war nicht sehr überzeugt von dem Ergebnis ihrer Überlegungen, doch von allen vorstellbaren Motiven des Gegners war dies jenes, das ihr am wahrscheinlichsten erschien. Der größte Unsicherheitsfaktor war der, daß sie sich nicht in die Denkweise einer völlig unbekannten und zweifellos überlegenen Macht hineinversetzen konnte. »Sanny!« Sie nickte. »Argan, wahrscheinlich sollen wir an einen Ort getrieben werden, an dem wir keinen Schaden anrichten können. Natürlich könnte uns Hidden‐X hier einschließen. Aber du hättest noch den Strahler und könntest in die Wände feuern. Ich denke mir, daß sich hinter ihnen wichtige Installationen befinden.« »Sehr weit hergeholt, Sanny! Wirklich!« tat der Puschyde seine Meinung dazu kund. »Wir sollen in eine bestimmte Richtung geführt werden, das steht fest«, beharrte die Molaatin. »Und eine Richtung, die für den Gegner gut ist, ist das bestimmt nicht für uns.« »So. Und was willst du dagegen tun?« »Das.« Bevor Argan U sie daran hindern konnte, ging Sanny auf die Energiesperre zu, die sich nur einen Meter hinter ihnen gebildet hatte. Argan schrie schrill auf und wollte sie zurückreißen. Es war nicht mehr nötig. »Das Gitter … weicht zurück!« stieß er fassungslos hervor. Sein Mund stand weit offen. »Sanny, du hast das gewußt?« »Nur vermutet«, lächelte sie. »Aus welchem Grund auch immer –
wir sollen am Leben bleiben. Wahrscheinlich braucht man uns noch als Geiseln. Allerdings hört der Gegner auch alles mit, was wir hier bereden. Also los, Argan. Wir sollten von etwas weggelockt werden, vermutlich von einem wichtigen Schaltzentrum. Ich glaube, wir finden es, wenn wir genau in die entgegengesetzte Richtung laufen. Aber dann müssen wir uns sehr beeilen, bevor die Gegenmaßnahmen eingeleitet sind. Die Sperren bedeuten keine Hindernisse mehr. Wenn wir leben sollen, dürfen wir nicht darin verbrennen.« Argans Blicke drückten fast grenzenlose Bewunderung aus. Sanny war es, die diesmal zu rennen begann und den Puschyden damit aus seinem Staunen riß. Vierzig Meter Kantenlänge! dachte sie, während eine Energiebarriere nach der anderen vor ihnen zusammenfiel. Das heißt zwanzig Meter von jedem Eingang bis zum Zentrum des Sockels. Wir können es schaffen, denn bisher sind wir wahrscheinlich nur um dieses Zentrum herumgeirrt oder herumgeführt worden! Argan mußte so schnell auf alles schießen, was sie an Schaltanlagen zu sehen bekamen, daß dem Gegner nicht einmal die Zeit blieb, seine Waffen einzusetzen. Sanny dachte dabei an solche, die nur lähmten oder betäubten. Jetzt, da aus einer vagen Vermutung Gewißheit geworden war, bekam auch das zögernde Verhalten der Roboter einen Sinn. Hidden‐ X mußte davon überzeugt gewesen sein, daß allein deren Anblick die Ausbrecher aufgeben lassen würde. Und jetzt dröhnte auch wieder die Stimme auf. Sanny lief weiter, auf die letzte Barriere zu, hinter der sie schwach Maschinenblöcke in einem unnatürlichen, weißen Kunstlicht sehen konnte. Sie kämpfte gegen den Impuls an, sich hinzuwerfen und die Hände gegen die Ohren zu pressen. Es würde nicht helfen. Die Stimme entstand mitten in ihrem Schädel: »Gebt auf! Begebt euch in einen der offenstehenden Räume und wartet
auf meine Diener! Andererseits sehe ich mich gezwungen, neue Präferenzen zu setzen und euch zu töten!« »Nicht hinhören, Argan!« hörte Sanny sich rufen. Es war vollkommen unnötig. Der Puschyde schrie auf, packte die Molaatin, klemmte sie sich unter den linken Arm und rannte mit ihr durch die letzte Sperre, die im gleichen Moment in sich zusammenfiel. Die Stimme, die ununterbrochen die gleichen Worte wiederholte, schien ihn noch einmal jäh in jene stumme Wut zu versetzen, vor der Sanny schon einmal erschrocken war. Vor ihnen lag eine Zentrale. Es muß sich um eine solche handeln, vielleicht um das Herz dieser gesamten Anlage, wenn nicht gar des Ysterioons selbst. In mehreren Reihen standen Maschinenblöcke aneinander. Der Raum war mindestens zehn mal zehn Meter groß, was Sanny angesichts der im Sockel bereits zurückgelegten Strecke einigermaßen in Verwunderung versetzte. Waren sie doch noch im Kreis gelaufen? Es schien nur diese eine Erklärung zu geben. Doch sich darüber den Kopf zu zerbrechen, dazu blieb der Molaatin keine Zeit mehr. Argan setzte sie im Eingang ab und begann zu feuern. Der Strahl seiner Waffe wanderte über die Wände, die lückenlos mit technischen Geräten bedeckt waren. Riesige Blöcke mit Datenfenstern und Schaltplatten in der Verkleidung wechselten mit langgezogenen, flachen Pulten ab, auf denen in allen Farben Lichter leuchteten. Erst jetzt nahm Sanny das Summen wahr, das den Raum erfüllte, und in das sich die Geisterstimme und das Fauchen der Strahlschüsse mischte – dann das Krachen der ersten Detonationen. Hier hielt sich außer ihnen kein lebendes Wesen auf. Kein Roxhare stürmte durch eine der anderen Eingänge in diese Zentrale. Kein Roboter erschien oben auf der Galerie, die sich in einer Höhe von etwa drei Metern rings um diese Ansammlung komplizierter Technik zog. Insgesamt mochte der Raum fünf, sechs Meter hoch sein.
Aber Hidden‐X muß doch über Möglichkeiten verfügen, diese Anlagen zu schützen! dachte Sanny. Sie zog sich ein Stück weiter in den Gang zurück und sah sich ängstlich um. Nichts. Dabei spürte die Molaatin nun überdeutlich, daß sie und Argan in Gefahr schwebten – nicht nur durch die Explosionen, die nun in einer, wahren Kettenreaktion von den teilweise schon zerstrahlen und brennenden Teilen der Anlage auf andere übergriffen. Die Stichflammen blendeten Sanny. Das Krachen und Knistern machte sie fast taub. Und immer noch stand Argan wie ein dunkler Schemen vor ihr und schoß, ohne den Finger vom Abzug zu nehmen. Der gleißende Energiestrahl fraß sich durch dichter werdenden Qualm und eine Luft, die nur aus Helligkeit zu bestehen schien. Es wurde unerträglich heiß. Rauch drang in Sannys Lungen, bis sie das Gefühl hatte, nicht mehr atmen zu können. Argan U begann zu taumeln. Aber es war genug! Sie mußten fort von hier, weg von den zuckenden Überschlagblitzen und explodierenden Pulten, deren Trümmer wie Geschosse in die Wände fuhren und die Zerstörung auch dorthin trugen. Sanny schrie Argan an, doch dieser hörte sie nicht. Er ist wie besessen! durchfuhr es die Molaatin. Sie brachte es nicht fertig, auf ihn zuzugehen und ihn zurückzureißen. Bei meinen Ahnen! dachte sie entsetzt. Die ganze Statue wird explodieren! Wir kommen hier um! Was haben wir angerichtet! Ein Schwall kochender Luft fuhr in den Gang. Sanny warf sich schreiend zu Boden, bis sie keinen Laut mehr hervorbrachte. Dafür mischte sich ein anderer in das akustische Chaos – ein Heulton, eine Sirene! »Argan! Komm endlich und …!« Er drehte sich zu ihr um. Sanny spürte ihren Körper kaum noch, als sie sich aufrichtete und ihm die Hände entgegenstreckte.
Eine Bewegung hinter dem Puschyden zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sanny sah, als die Rauchwolken für einen Moment aufrissen, wie sich an der Decke ein Projektor drehte und auf sie richtete. »Schnell fort von hier!« rief sie. »An die Wand, Argan! Dort …!« Die Warnung kam zu spät. Mitten in der Bewegung erstarrte der Extra, stand für ein, zwei Sekunden schwankend auf seinen Beinen, um dann wie leblos zu Boden zu sinken. Die Waffe entfiel seiner kraftlos gewordenen Hand. Das sah die Molaatin nur noch verschwommen. Tausende winziger, heller Punkte tanzten in der Dunkelheit, die plötzlich vor ihren Augen war. Dieses Dunkel wich erst wieder, als Sanny spürte, wie ihr Körper angehoben wurde. Jemand trug sie fort. Sie konnte den Rücken eines Roboters sehen, der im Schein der Feuer rostrot glühte. Sie spürte die kalten Greifwerkzeuge der Maschinen nicht. Sie hatte überhaupt kein Gefühl für ihren Körper mehr. Argan! schrie es lautlos in ihr. Wo ist Argan! Scheinbar endlos zogen sich die Wände der Gänge dahin, die Sanny nur sehen konnte, wenn ihr Kopf gerade zur Seite fiel. Sie war nicht steif, aber bewegungsunfähig. Der Strahl aus dem Projektor hatte sie gelähmt, doch nicht betäubt. Sie konnte sehen und hören, was um sie herum vorging, doch nicht mehr aktiv in das Geschehen eingreifen. Sanny verlor jeden Zeitsinn. Irgendwann lag sie auf dem Rücken in einem kleineren, kühlen Raum, dessen Halbdunkel ihr wie eine Erlösung vorkam. Ihr Kopf lag so, daß sie Argan U sehen konnte. Sie hörte, wie eine Tür sich schloß. Der Puschyde mußte sie ebenfalls sehen, denn sein Gesicht war ihr zugedreht. Als ob sie es mit Absicht getan hätten! dachte die Molaatin verzweifelt. Sie konnten einander sehen, aber kein Zeichen geben – nicht einmal mit einer Wimper zucken.
Ein jeder von ihnen war in seiner eigenen Hilflosigkeit gefangen. Es gab so vieles, das Sanny dem Gefährten zu sagen gehabt hätte, so viele Fragen ohne Antwort. War er verletzt? War sie es? Warum konnte sie nichts fühlen? Die Roboter hatten sie in ein anderes Gefängnis gebracht, aber was geschah jetzt draußen auf den Gängen? Standen die Energiegitter um den Bereich der Statue noch? War Argans Zerstörungswerk überhaupt von irgendeinem Nutzen gewesen – wenn nicht für sie, dann wenigstens für Atlan und die Männer und Frauen in der DUSTY QUEEN? Unsere Freunde draußen! dachte Sanny flehentlich. Allmächtiger Geist des unendlichen Alls – laß unseren Tod wenigstens für sie einen Sinn haben. Laß uns nicht umsonst sterben müssen! Sie durfte nicht mehr darauf hoffen, am Leben gelassen zu werden. Und der Tod war vielleicht ein gnädigeres Schicksal als eine lebenslange Gefangenschaft. So sehr sie sich auch bemühte, einen Hoffnungsschimmer zu sehen, fest stand, daß sie Dinge beobachtet hatten, von denen kein Ysterone jemals erfahren durfte. Damit war das Urteil über sie gesprochen. Sanny wünschte sich nur noch eines. Sie hatte die Roxharen und das Innere des Sockels gesehen. Sie wollte auch den Rest sehen – die Statue und das, was sich in ihr verbarg. 8. »Nichts mehr«, flüsterte Sternfeuer. Sie stand mit ausdruckslosem Gesicht vor dem Panoramaschirm, der die vom Atombrand zerfressene Glutwelt zeigte, ohne das Bild wirklich wahrzunehmen. Ihre Lippen bewegten sich, als gehörten sie gar nicht zu ihr. »Die Strahlung ist jetzt völlig erloschen.«
Atlan wechselte einen Blick mit Brooklyn und Hayes, der ebenfalls wieder die Zentrale betreten hatte. »Die Mental‐Strahlung«, sagte er gedehnt, um erst gar keine falschen Hoffnungen aufkommen zu lassen. »Das muß nicht bedeuten, daß nun auch die Nickel‐Absorber‐Strahlung erloschen ist, die die SZ‐2 festhält.« »Der Atombrand kann nicht die Ursache sein«, überlegte Hayes laut. »Er hat die Station noch nicht erreicht.« »Doch!« rief die Magnidin. »Jetzt!« Von der roten bis hin ins Gelbliche reichenden Glut der Oberfläche schossen gewaltige Feuerspeere von Pryttar aus in den Raum. Die Roxharen‐Zellen, die sich noch über der betreffenden Stelle bewegten, nahmen schnell Fahrt auf, um sich in sicherer Entfernung zu sammeln. Die Explosionen schienen kein Ende zu nehmen. Atlan schauderte, als er sich vorzustellen versuchte, welche Gewalten dort nun freigesetzt worden waren. »Das beschleunigt die Sache nur noch«, hörte er Brooklyn sagen. »Pryttar wird in kürzerer Zeit bersten, als wir uns ausrechneten.« »Und sie wissen das auch«, sagte Hayes. Die Roxharen drehten ab und verschwanden nach wenigen Sekunden von den Schirmen der passiven Energiemessung. Oserfan stieß einen Schrei aus und lief aus der Zentrale. »Lauf ihm nach«, bat der Arkonide Hayes. »Du meinst, er könnte auf dumme Gedanken kommen?« Atlan ballte die Fäuste. »Ich meine, daß er uns dafür verantwortlich macht, daß Sanny jetzt in der Gewalt von Hidden‐X ist.« »Aber unter den gegebenen Umständen …« »Ich weiß!« schnitt Atlan ihm barsch das Wort ab. »Immer sind es die Umstände!« Hayes zuckte die Schultern und ging. Brooklyn warf Atlan einen tadelnden Blick zu.
»Du brauchst deine Wut nicht an ihm auszulassen, Arkonide!« . »Meine Wut!« Er lachte rauh und wies auf den Panoramaschirm. »Habe ich etwa keinen Grund, wütend zu sein? Die SOL stößt in diesen Raumsektor vor. Wir finden Sonnensysteme ohne Planeten vor, als wir uns die dringend benötigten Rohstoffe holen wollen. Natürlich gibt es noch einige Welten, die nichts an Nickel hergeben, jedenfalls keine lohnenden Mengen. Alle anderen aber treiben als Trümmerringe um ihre Sonnen. Wir finden diese armen Wesen, die Molaaten, deren Volk von heute auf morgen spurlos verschwand, nur weil eine Macht, die unbekannte Absichten verfolgt, Nickel braucht.« Er breitete die Arme aus. »Wir erfahren, daß es Ysteronen gibt, und daß diese für die Planetenzerstörungen verantwortlich sind. Wir stoßen nach Flatterfeld vor und erhalten die ersten Hinweise darauf, daß die Ysteronen nicht aus eigenem Willen handeln. Brooklyn, wann wird es einmal soweit sein, daß wir uns mit Wesen wie ihnen, selbst mit den Roxharen verständigen und einigen können, ohne daß eine Welt geopfert werden muß, ein scheinbar wertloser Planet! Aber wer hat das Recht, diese Maßstäbe zu setzen? Pryttar ist ebenso Teil der gewaltigen Schöpfung wie die Erde, wie Arkon!« Die Magnidin schwieg beeindruckt, obgleich ihr Begriffe wie Erde und Arkon kaum viel sagen mochten. »Zwei Freunde befinden sich in Lebensgefahr, sind vielleicht schon tot, weil die Umstände es so wollten, Brooklyn! Ich will gar nicht davon reden, welches Leid den Ysteronen von Hidden‐X angetan wurde und wird. Verdammt, die Arkonbomben hätten nicht auf Pryttar zünden sollen, sondern dort, wo diese Macht sich versteckt!« »So habe ich dich noch nie reden gehört, Atlan«, sagte Brooklyn leise. »Dort!« schrie in diesem Augenblick ein Solaner. »Der Planet! Er bricht auseinander!« Und sie sahen es alle.
Pryttar verging im atomaren Feuer. Der Atombrand hatte das innere Magma erreicht, das die Kruste in einer verheerenden Kettenreaktion von Explosionen weit in den Weltraum sprengte. Für Minuten standen die in der Zentrale Anwesenden reglos und verfolgten das Sterben einer Welt. Trümmerstücke von der Größe kleiner Kontinente schossen wie flammende Meteore durch die Schwärze des Alls. Flüssige Glut spritzte wie die Eruptionen einer Sonne aus dem deformierten Ball und erstarrte erkaltend zu weiteren Brocken, die Nickelmaul bis in alle Ewigkeit als Teile des Trümmerrings umkreisen würden. Dann verdunkelte sich der Bildschirm schlagartig. Nur auf den Monitoren der Energiemessung setzte sich das Drama fort. »Aus«, sagte Brooklyn heiser. »Unsere Mikrosonden werden uns nichts mehr übertragen.« Sternfeuer drehte sich zu Atlan um und nickte. »Keine Strahlung mehr«, versicherte sie. Unausgesprochen stand wieder die bange Frage im Raum: Wann meldet sich Hidden‐X? Atlan zwang sich dazu, die aufwallenden Emotionen zurückzudrängen. Er wußte, daß alle von ihm eine Entscheidung erwarteten. Jetzt eingehende Anrufe aus vielen Teilen des Schiffes bewiesen, daß die Unruhe unter der Besatzung sich wieder gefährlich ausbreitete. »Du darfst die Initiative nicht Hidden‐X überlassen«, sagte Sternfeuer, als hätte sie in seinen Gedanken gelesen. Atlan wußte, daß dem nicht so war. Doch sie hatte recht. Du hast deine Entscheidung längst getroffen, meldete sich der Extrasinn. Die Wahrscheinlichkeit dafür, daß mit der Mental‐Strahlung auch die Nickel‐Absorber‐Strahlung erloschen ist, ist groß. Und du kannst nichts für Sanny und Argan U tun! Nicht mit der DUSTY QUEEN! Atlan rief Breckcrown Hayes über die Rundsprechanlage. »Er soll die QUEEN vorsichtig bis zur Außenseite des
Trümmerrings bringen, Brooklyn. Wir stehen noch im Schutz der Sonne. Außerdem dürfte die Explosion Pryttars unsere eigene Energieentfaltung auch für eventuell im Raum stehende Roxharen ausreichend überdecken. Sobald wir die neue Position erreicht haben, versuchen wir, die SZ‐2 anzufunken.« »Und du?« »Ich werde zur rechten Zeit wieder zurück sein. Jetzt brauche ich dringend Luftveränderung.« * Atlan entnahm einem Automaten ein Getränk und sah sich in der kleinen Messe der Korvette um. Nur wenige dienstfreie Männer und Frauen befanden sich hier und starrten meist schweigend vor sich hin. Wo sich unterhalten wurde, kreisten die Gespräche nur um ein Thema: Pryttar und Hidden‐X. Gerade davon wollte der Arkonide wenigstens für Minuten nichts mehr hören. Die DUSTY QUEEN wußte er bei Hayes in guten Händen. Er erblickte Jessica Damaree und Jasper Swinn an einem Tisch und setzte sich zu ihnen. Das Mädchen lächelte verhalten. »Langeweile, Atlan?« »Was man von euch nicht behaupten kann, oder? Wieder versöhnt?« »Ich sag dir, man hatʹs nicht leicht mit ihr«, seufzte Swinn. »Sieht man ihr an, daß sie sich zur barmherzigen Samariterin berufen fühlt?« »Ach, sei still!« sagte Jessica schnell. »Wo hast du denn den Ausdruck her?« fragte Atlan verwundert. »Den Samariter meine ich.« Der ehemalige Pyrride winkte großzügig ab. »Man hört vieles, wenn man die Ohren offenhält.« Swinn grinste.
Dann stellte er völlig überraschend die Frage: »Werden wir jemals die Erde anfliegen, Atlan?« »Hui!« machte das Mädchen. »Ich wußte nicht, daß du heimlicher Terra‐Idealist bist, Jasper!« »Das hat doch damit nichts zu tun. Ich meine nur, wir von der SOL leben in einem … einem Gefängnis. Ja, lacht nur, aber manchmal kommtʹs mir eben so vor. Als du auftauchtest, Atlan, änderte sich so vieles in kurzer Zeit. Da frage ich mich, wie die Menschen auf Terra sein müssen, wenn du schon …« »Ich wurde nicht auf Terra geboren«, winkte der Arkonide ab. »Und ich will auch nicht darüber reden.« »Weil es dich bedrückt, nicht wahr?« meinte Jessica. »Atlan, du kannst dich nicht gut verstellen. Kosmokraten oder nicht. Aber du sehnst dich nach der Erde zurück. Willst du dir nicht einfach einmal Luft verschaffen? Ich höre gern zu.« Swinn schüttelte in gespielter Verzweiflung den Kopf. »Da hörst duʹs selbst. Das meinte ich mit der Samariterin. Sie bildet sich ein, Sternfeuer helfen zu müssen, und jetzt nimmt sie auch noch dich aufs Korn!« »Ach, was weißt du denn!« fuhr Jessi ihn an. »Ich will dir sagen, was du brauchtest, nämlich …« Atlan streckte die Beine von sich und trank. Der Streit zwischen den beiden Verliebten, der nun wieder ausbrach, befreite ihn von Jessicas sicher gut gemeinter Fürsorge. Aber ihre Worte hatten alte Wunden wieder aufgerissen. Manchmal wünschte der Arkonide sich, ein Mauseloch zu finden, in das er sich verkriechen konnte – vor seinen eigenen quälenden Gedanken. Er war überzeugt von seinem Auftrag und würde alles in seinen Kräften Stehende tun, um ihn auszuführen. Doch irgendwo gab es die Milchstraße, das Solsystem und die alten Freunde, falls sie noch lebten. Perry Rhodan, Bully, die Mutanten – fast war es unvorstellbar, daß
sie eines Tages einfach nicht mehr da sein sollten. Würde er sie jemals wiedersehen, und wenn ja, unter welchen Umständen? Es gab kein Mauseloch für ihn, und so war er froh, als er seinen Namen nach einer Weile ausgerufen hörte. »Entschuldigt mich«, bat er Jessica und Jasper. »Die Pflicht ruft. Und streitet euch nicht zu lange. Euer Leben ist zu kurz dazu.« Die beiden blickten ihm betroffen nach. »Verstehst du, was er meint, Jessi?« fragte Swinn. »Genau das braucht er, Jasper«, erwiderte sie völlig ernst. »Einen Menschen, der ihn versteht.« Er schüttelte nur den Kopf und holte sich ein neues Getränk – das mittlerweile vierte, und die Flüssigkeit roch verdächtig nach starkem Alkohol. Er knallte den Becher auf den Tisch. »So!« rief er so laut, daß alle Anwesenden die Köpfe nach ihm umdrehten. »Und wer versteht mich?« * Als Atlan die Zentrale betrat, blickte ihm von einem der Bildschirme ein vertrautes Gesicht entgegen, und augenblicklich waren alle tiefgründigen Gedanken vergessen. »Brooklyn, Breck«, stieß er überrascht hervor. »Ihr habt schon …?« »Die SZ‐2 angefunkt und erreicht, wie du siehst«, sagte die Magnidin leichthin. »Wir hatten keine Probleme. Und du wirst staunen, wenn du hörst, was Palo zu berichten hat.« Sie drehte sich dem Bildschirm zu und nickte auffordernd. »Sagʹs ihm auch, Palo!« Palo Bow lächelte. »Wir sind gestartet, Atlan. Ja, die SZ‐2 ist wieder im Raum. Die Nickel‐Absorber‐Strahlung existiert nicht mehr.« Der Arkonide brauchte einige Sekunden, bis er die Nachricht verdaut hatte, obwohl er sich etwas Derartiges erhofft hatte.
»Aber?« Es war mehr als ein Gefühl, das ihn ahnen ließ, daß doch nicht alles so reibungslos verlaufen war, wie Bow den Eindruck zu erwecken versuchte. Brooklyn wich seinem Blick aus. »Wir säßen vermutlich noch auf Break‐2 fest«, gab der Magnide zu, »wenn nicht etwas Unerwartetes geschehen wäre. Ich meine damit nicht das Erlöschen der Strahlung. Das konnten wir gar nicht feststellen.« »Sondern?« Atlan setzte sich. »Wir orteten vor wenigen Minuten eine Korvette und glaubten zunächst, daß ihr zurückkehrtet.« Bow nickte ernst. »Es handelt sich eindeutig um eine Korvette von der SOL, Atlan, die mit hoher Fahrt in Richtung Ysterioon fliegt. Wir funkten sie an, aber alle Anrufe blieben unbeantwortet. Als die Korvette also unbeirrt weiterflog, versuchten wir einfach einen Start – und kamen frei. Wir folgen dem Schiff.« »Ihr habt es auf den Schirmen?« Bow schüttelte bedauernd den Kopf. »Das nicht mehr. Es ist vor zwei Minuten aus der Ortung verschwunden, aber an seinem Ziel kann kein Zweifel bestehen.« »Eine Korvette von der SOL«, sagte, Hayes. »Aber die SOL steht noch vor Bumerang. Deccon hätte niemals seine Zustimmung dazu gegeben, die Warteposition zu verlassen – und schon gar nicht mit Kurs auf Flatterfeld.« »Das kann ich mir allerdings auch nicht denken«, stimmte Brooklyn ihm zu. »Wer mag sich an Bord befinden. Roboter?« »Du meinst, ein unbemanntes Schiff«, murmelte Atlan. »Es könnte sein und würde erklären, daß es sich nicht meldete.« »Was tun wir?« Die Dinge schienen eine unerwartete Wende zu nehmen, wenngleich Atlan sich davor hütete, voreilige Schlüsse zu ziehen. »Palo«, wandte er sich an den Magniden, »wenn ihr recht habt,
wird die Korvette bald hier auftauchen. Inzwischen kommt ihr mit der SZ‐2 hierher und nehmt uns auf. Wir geben euch die Koordinaten durch. Brooklyn, wenn du das übernehmen würdest?« Sie entsprach seiner Bitte. Atlan registrierte, wie sich unter den Anwesenden Erleichterung breit machte. Wenn auch nur ein Teil der SOL, so war die Kugelzelle für sie doch ein Stück Heimat und bedeutete Geborgenheit. Atlan berichtete Bow in groben Zügen von dem, was sich seit dem Aufbruch der DUSTY QUEEN, beziehungsweise dem Abreißen der Funkverbindung im Kores‐System getan hatte. »Alles weitere später, Palo«, sagte er schließlich. »Laßt uns nicht zu lange warten.« Die Funkerin unterbrach auf sein Zeichen hin die Verbindung. Atlan lehnte sich im Sessel zurück und sah Sternfeuers Blick auf sich gerichtet. »Eine Korvette von der SOL«, sagte sie nachdenklich. »Was hat das zu bedeuten?« Sie wirkt völlig normal, dachte der Arkonide. Sie ist normal. »Wir werden es bald wissen«, gab Hayes sich zuversichtlich. * Nach exakt 47 Minuten wurde die Korvette geortet, als sie bereits hinter dem Trümmerring aus dem Linearraum kam. Mit unglaublicher Geschwindigkeit raste sie auf das Ysterioon zu. Vorsorglich ausgeschleuste Mikrosonden befanden sich wieder in der Nähe des Ysterioons und übertrugen einwandfreie Bilder. Gleichzeitig fungierten sie als Funkrelais. Doch alle Anrufe seitens der DUSTY QUEEN blieben unbeantwortet. Atlan war das Risiko eingegangen, sich nun an die Roxharen zu verraten. Mit der wiedergewonnenen Bewegungsfreiheit und der erwarteten Ankunft der SZ‐2 war die Gefahr, die durch die Zellen
drohte, weitgehend gebannt. Und schon bald zeigte sich, daß die Roxharen anscheinend nur an dem neu aufgetauchten Schiff interessiert waren. Zwei ihrer Zellen tauchten neben der Korvette auf, die nun kurz vor dem Ysterioon abgebremst wurde. Die Roxharen näherten sich ihr weiter, ohne sie anzugreifen. Was genau geschah, ließ sich nicht feststellen. Jedenfalls wurde die Korvette nun in Richtung Ysterioon in Schlepp genommen. Die Sonden übertrugen die weitere Annäherung. Atlan erwartete schon, daß sich in einer der siebenundzwanzig Kugeln ein Schott öffnen würde. Dann aber wurde deutlich, daß man das Schiff außen am Ysterioon verankerte. »Ich begreife das alles nicht«, sagte Sternfeuer. »Keine Gegenwehr, keine Antwort auf unsere Anrufe! Man sollte annehmen, daß, wer immer die Korvette befehligt, es darauf abgesehen hat, den Roxharen einen Besuch abzustatten.« Sie nickte bekräftigend, als sie die zweifelnden Blicke einiger Solaner bemerkte. »Ja, ich sagte: den Roxharen! Sie müssen die Zellen doch wiedererkennen!« Jemand, dachte Atlan, der sich vom unerwarteten Auftauchen dieser alten Bekannten nicht zu einer Panikreaktion hinreißen läßt. Und unerwartet mußte der Anblick der Zellen sein. Ein Überläufer? Ein Kommando, das Deccon ausgeschickt hatte, um nach den Vermißten zu forschen? Auch dies erschien wenig wahrscheinlich. Das ganze Verhalten der Korvette sprach dagegen. »Ortung!« hörte der Arkonide. »Und Funkkontakt! Das ist die Solzelle! Hurra!« Allein dieser Ausruf verdeutlichte, was die SZ‐2 und deren Erscheinen für die Männer und Frauen an Bord der DUSTY QUEEN bedeutete. Irgendwo brach spontaner Jubel aus, in den Brooklyn
einfiel. Die Magnidin begab sich zur Rundrufanlage und verkündete im gesamten Schiff, daß die Einschleusung der QUEEN unmittelbar bevorstehe. Breckcrown Hayes saß mit unbewegtem Gesicht im Pilotensessel und brachte die Korvette dem Mutterschiff entgegen. »Ich schlage vor, wir sehen uns in der Kommandozentrale, Atlan«, sagte Palo Bow vom Bildschirm. »Sobald wir bei euch sind«, bestätigte dieser. Eine Solanerin gab Hayes von Bord der SZ‐2 aus bekannt, welcher Hangar für die Aufnahme der Korvette vorgesehen war. Was nun folgte, war Routine. Der Panoramaschirm zeigte die 2500 Meter durchmessende Kugelzelle, wie sie scheinbar immer größer wurde, bis nur noch ein Ausschnitt ihrer Oberfläche zu sehen war. Atlan blickte zwischendurch immer wieder auf den Schirm, der die zweite Korvette beim Ysterioon zeigte. Dort tat sich nichts – zumindest nichts, das erkennbar wurde. Was hatte die Vernichtung Pryttars bei den Ysteronen ausgelöst? Und bedeutete das Schweigen von Hidden‐X, daß diese Macht selbst davon betroffen war? »Wenn Sanny und Argan U nicht dort steckten«, sagte Brooklyn, als sie Atlans Blicke sah, »könnten wir mit der SZ‐2 Fahrt aufnehmen und dies alles hier weit hinter uns lassen. Wir könnten bald wieder bei der SOL sein.« Sie sprach nicht von der geheimnisvollen Korvette und wußte genau, daß Atlan ihr niemals zustimmen würde. Doch viele mochten so denken wie sie und das eigentliche Ziel ihrer Mission aus den Augen verloren haben – diesen Raumsektor zu befrieden. Dafür zu sorgen, daß keine Planetenvölker mehr untergehen mußten, nur weil eine fremde Wesenheit die Ysteronen dazu zwang, alles vorhandene Nickel aus ihren Welten herauszuholen. Warum tat sie das? Welche Ziele verfolgte Hidden‐X (oder der
geistige Faktor) in Wirklichkeit? Waren auch sie nur Diener einer noch stärkeren Macht? Wieder merkte Atlan, daß seine Gedanken sich in den immer gleichen Kreisen zu drehen begannen. Er stand auf und verfolgte, wie die DUSTY QUEEN langsam in einen offenen Hangar hineinglitt und von Antigravpolstern sanft aufgefangen wurde. * In der Kommandozentrale der SOL‐Zelle Zwei begrüßten sich Brooklyn und Palo Bow ohne jeglichen Überschwang. Atlan nickte dem Magniden nur zu und ließ sich als erstes die Aufzeichnungen vorspielen, die beim Vorbeiflug der Korvette an Break‐2 gemacht worden waren. Er hatte nicht erwartet, neue Erkenntnisse zu erhalten. Dennoch war er enttäuscht, als er auch nicht den kleinsten Hinweis auf die Besatzung des Schiffes erhielt. Bjo Breiskoll erschien und bestätigte Sternfeuers frühere Aussagen über das Nachlassen und völlige Versiegen der Nickel‐Mental‐ Strahlung. Ein Zeitvergleich zeigte, daß dieser Prozeß tatsächlich vor der Zerstörung der Pryttar‐Station begonnen hatte. »Damit«, sagte Atlan, »müssen wir annehmen, daß im Ysterioon etwas geschah, was mit zu dieser Entwicklung beitrug.« Er sprach es nicht aus, doch Sternfeuer wußte, daß er Sanny und Argan U meinte. Dies konnte kein Trost sein, denn Hidden‐X hatte ja damit gedroht, sie zu töten, falls die Solaner ihre Aktivitäten nicht einstellten oder – verklausuliert – Pryttar nicht gerettet werden konnte. »Wir müssen also davon ausgehen, daß Girgeltjoff als Verbündeter im Ysterioon ausfällt«, stellte Bow fest, nachdem Atlan und Brooklyn noch einmal in allen Einzelheiten über die jüngsten Ereignisse berichtet hatten.
»Nicht Unbedingt«, meinte Hayes dagegen. »Vielleicht wartet er nur auf eine Möglichkeit, uns wieder anzufunken.« »Und was tun wir?« Irgendjemand stellte die Frage, vielleicht zum dutzendsten Mal. Sternfeuer kam sich in der Zentrale überflüssig vor. Als sie sah, wie Breiskoll auf einen Ausgang zustrebte, folgte sie ihm. Über einen Bildschirm konnten sie in der Kabine des Katzers alles mitverfolgen, was sich in der Zentrale tat. Sternfeuer rechnete nicht wirklich damit, daß in den nächsten Stunden eine Entscheidung fallen würde, denn nach wie vor war die geheimnisvolle Korvette am Ysterioon verankert. Niemand schien an Bord gegangen zu sein. Niemand schien sie verlassen zu haben. »Bjo«, sagte sie, als sie sich gegenübersaßen. »Von irgend jemandem erfährst duʹs ja doch. Als Breck und ich zusammen mit zwei anderen an Pryttar heranflogen, da …« Sein Lächeln zeigte ihr, daß er bereits Bescheid wußte. »Von wem?« wollte sie wissen. »Eine dieser .anderenʹ. Ich glaube, du hast eine Bewunderin gefunden, Sternfeuer.« »Ich finde das gar nicht lustig.« Sie stand auf. »Schön, Bjo. Ich habe mir meine Gedanken gemacht. Ich meine, von heute auf morgen gerät man nicht aus dem Gleichgewicht. Du bist kein Psychologe, aber Telepath wie ich. Wir … kennen uns vielleicht in den Belangen unserer menschlichen Psyche etwas besser aus als andere. Bjo, als sich die Tellerstiele im Giftwall in diese Kristallmassen verwandelten, da geriet ich in eine Situation, in der ich mit dem Leben abgeschlossen hatte. Ich meine, vielleicht war ich wirklich an der Schwelle zum Tod.« Er nickte bedächtig. »Du willst auf die sogenannten Sterbeerlebnisse hinaus? Der Geist trennt sich vom Körper, ein goldener Torbogen, grenzenlose Freiheit und …« »Angst, Bjo! Verdammte, nackte Angst! Die habe ich jetzt gehabt
und damals! Nur war sie damals begründet und diesmal nicht. Hältst du es für möglich, daß so etwas nachwirkt? Daß etwas verdrängt wurde und ganz sporadisch wieder an die Oberfläche gespült wird, vielleicht durch eine ganz lächerliche äußere Einwirkung?« Er sah sie mit offensichtlicher Sorge an. »Möglich schon, Sternfeuer. Aber ich kann dich nicht in etwas bestärken, das du dir vielleicht nun allzu leichtfertig als Erklärung heranziehst. Sprich mit einem unserer Bord …« »Nein!« »Sternfeuer, ich meine doch nur … Du weißt, daß ich dir nur einen Ratschlag gebe.« Sie zwang sich zu einem Lächeln und stützte sich auf die Sessellehne. »Schon gut, Bjo. Danke. Aber ich bin schon wieder in Ordnung. Bestimmt war ich nur überreizt, und einiges gelangte urplötzlich zum Durchbruch, das sich im Lauf der Zeit so angesammelt hatte. Bestimmt ist es so. Nun tu mir den Gefallen und sprich nicht darüber, ja? Es muß nicht noch mehr Gerede geben, und diese Jessi nehme ich mir auch noch vor.« »Laß das Mädchen«, bat Breiskoll lächelnd. »Sie meintʹs nur gut.« Sternfeuer seufzte. »Das ist das Leid mit den Leuten, die es immer nur gut meinen. Ich denke, ich werde mich jetzt für ein paar Stunden aufs Ohr legen. Ich dürfte kaum viel verpassen.« Sie irrte sich gründlich. Noch bevor sie sich von Bjo verabschieden konnte, wurde ihre Aufmerksamkeit auf den Bildschirm gelenkt. Irgend etwas tat sich in der Zentrale. Brooklyn, Bow und Hayes redeten aufgeregt durcheinander, was zumindest beim sonst wortkargen Breckcrown einiges bedeuten wollte. Atlan war zu sehen. Sein Gesicht drückte ungläubiges Staunen aus. »Komm!« sagte Bjo, sprang auf und nahm ihre Hand.
In der Kommandozentrale angekommen, wurden sie von Hayes beiseite genommen. Er nickte in Atlans Richtung und sagte leise: »Laßt ihn jetzt. Er hat genug um den Kopf.« »Was ist denn geschehen, Breck?« fragte Breiskoll. Er deutete auf das Bild der fremden Korvette auf den Schirmen. »Jetzt weiß keiner von uns mehr, woran er ist. Wir empfingen einen Funkspruch, der nur von diesem Schiff stammen kann. Alles deutet darauf hin, daß er unter Behinderungen abgesetzt wurde, auch, daß wir nur ganz kurz ein Bildsignal erhielten, das dann gleich wieder abgeschaltet wurde.« »Ihr hattet ein Bild?« fragte Sternfeuer. »Aus der Korvette?« »Sagte ich doch. Und ihr werdet kaum erraten, wer da so kurz zu sehen war, und zwar in ziemlich mitgenommenem Zustand.« »Wer?« »Chart Deccon«, antwortete Hayes. »Unser High Sideryt.« Beide Telepathen starrten ihn an. »Das ist ein Witz!« »Leider nicht, Bjo. Es war ganz zweifellos Deccon, der sich aus der Korvette meldete, bevor irgend jemand ihm den Saft abdrehte.« »Und was sagte er?« fragte Sternfeuer. Hayes setzte sich. »Er sagte nichts, er schrie. Er brüllte irgendwelche Roboter an, daß sie ihn endlich an die Funkanlage lassen sollten …« ENDE Im Atlan‐Band der nächsten Woche blenden wir wieder um zum Geschehen auf der Rest‐SOL. Dort bekommt Chart Deccon, der High Sideryt, mehr und mehr die Folgen seiner mit den Alphas eingegangenen Verbindungen zu spüren. Lähmendes Entsetzen macht sich an Bord des Schiffes breit, denn es kommt zur OFFENSIVE DER EBENBILDER …
OFFENSIVE DER EBENBILDER – so lautet auch der Titel des Atlan‐Bandes 546, der von Arndt Ellmer geschrieben wurde.