KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR- UND
KULT URKUNDLICHE HEFTE,
H TAZIEFF
DER ÄTNA UND SEINE NACH...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR- UND
KULT URKUNDLICHE HEFTE,
H TAZIEFF
DER ÄTNA UND SEINE NACHBARN STROMBOLI, VULCANO, LIPARI
LUX-LESEBOGEN KÜNFTIG 30 PFENNIG Seit der Währungsreform, seit zwölf Jahren, ist der Preis für die LUX-LESEBOGEN unverändert geblieben. Die inzwischen eingetretene erhebliche Steigerung der Herstellungskosten macht eine Erhöhung des Heftpreises um fünf Pfennig notwendig. Das Einzelheft kostet ab 1. Januar 1961 30 Pfennig, der Abonnementspreis beträgt statt 1,50 DM vierteljährlich 1,80 DM. Die Lesebogen Nr. 1 bis 332, die jederzeit nachbestellt werden können, werden wie bisher zum Preis von 25 Pfennig je Heft ausgeliefert.
VERLAG
SEBASTIAN
LUX
M U R N A U • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K . BASET
Menschen ohne Hoffnung J ^ s ist Ende Januar, als wir den schneebedeckten Riesenvulkan besteigen. Die Sizilianer nennen ihn „il Monte": den ,Berg'. Schon letztes Jahr hatte es ausgesehen, als wollte der Ätna erwachen, doch diesmal ist es mit dem Ausbruch Ernst. Seit mehreren Wochen schon rinnt die Lava über die Hänge und vertreibt die Weinbauern aus ihren Dörfern. Ich habe hier einige Freunde aus Sizilien wiedergefunden. Picciotto, ein alter Gefährte, wird morgen zu uns stoßen. Von Paris habe ich den jungen Gery mitgebracht, damit er mir bei den Filmaufnahmen hilft. Es ist ein kräftiger, untersetzter Bursche, Hochgebirgsführer, voller Neugier auf dieses ikm noch unbekannte Schauspiel. Als wir die Lavaflut erreichen, ist die Nacht hereingebrochen. In fünfzehn Meter Entfernung rückt der scharlachrote glühende Wall unwiderstehlich gegen uns vor. Das Fontanella-Tal herabkommend, ein ausgetrocknetes Bachbett, in das sich die Schmelzwässer des Frühlings gegraben haben, ist dieser Erguß fünfzig Meter breit und zehn Meter hoch. Zehn Meter: ein dreistöckiges Haus .. .Mit Kreide bringe ich ein paar Zeichen als Anhaltspunkte auf dem Boden an. Eines nach dem andern verschluckt sie die Lava: rund sechzig Zentimeter rückte sie je Minute vor, fünfunddreißig Meter in der Stunde. Zwanzig Schritt von dieser fließenden Glutmasse entfernt ist die Wärme in dieser Winternacht gerade angenehm. Fünf Meter davon 2
wird die Luft glühend heiß. Bei vier Meter reicht es eben noch zu einem Kreidestrich am Boden, zu einem Blick in den Sucher des Photoapparats, und schon glaube ich zu brennen. Es handelt sich hier nicht um einen mehr oder weniger flüssigen Teig vorrückender Lava. Unter einer Anhäufung rotglühender Blöcke aller Größen bleibt das Magma, der Schmelzfluß selber, unsichtbar. Aber es ist das Magma, das, im Bett der Fontanella gleitend, die enorme Halde vorwärts drückt. Da und dort entquellen der Lavamasse mit einem leichten, hinterlistigen, beinahe freundlichen Zischeln Rinnsale aus brennendem Sand. Ab und zu geraten auch größere Blöcke in Bewegung: dumpfes Rollen, Aufsprühen von Funken — eine rote, manchmal gelbe Wunde reißt den ungeheuerlichen Damm auf. Neben mir arbeiten die Vulkanforscher der Universität Catania, Doktor Abbruzzese und Professor Cumin. Vom Anfang des Ausbruchs an, seit beinahe vierzig Tagen, sind sie hier, beobachten und erteilen Anweisungen für den Schutz und die Evakuierung der Bevölkerung. Hinter uns verharrt reglos eine dichte Gruppe von Männern und Frauen. Irgendein Satz im rauhen sizilianischen Dialekt durchbricht hie und da ihr tragisches Schweigen. Neugierige und Touristen sind verschwunden; geblieben sind bloß diese harten, einfachen Bauern, die zuschauen, wie der schmelzflüssige Fels nach und nach ihren bescheidenen Reichtum bedeckt: Rebberge, Obstgärten, Terrassen, die von geduldigen Generationen an den steilen Hängen des schmalen Tales angelegt worden sind. „Professore?" Ein Mann ist nähergetreten. Schüchtern fragt er. Gibt es eine Hoffnung? Wird es nicht endlich aufhören? Wird die Lava bis zum Dorf vordringen? Fornazzo liegt nur einen Kilometer weiter unten . .. Fünfzehn Kilometer hat der Glutstrom von den Austrittsöffnungen her bereits zurückgelegt. Wenn er vor Fornazzo innehalten sollte, müßte der Nachschub aus den Kratern versiegen. Morgen werden wir hinaufsteigen, um zu erkunden, was die Zukunft bringen mag. Cumin antwortet: „Nicht viel Hoffnung, mein Guter!" Unerbittlich treibt uns der brennende Odem zurück. Der Strom nähert sich nach und nach einem auf halber Hanghöhe aus Steinen 3
errrichteten Haus, er wird es berühren, er berührt es . . . In unserer Nähe ein kurzes Aufschluchzen. Ich wende den Kopf: In dem purpurnen Widerschein verzerren sich zwei fünfzigjährige Gesichter. Ein gewaltiger Block wird am Rand der roten Wand sichtbar, eine dunkle drohende Silhouette, die sich vom purpurnen Grund des Rauches abhebt. Turmhoch neigt sich der Block und beginnt überzuhängen. Links und rechts wird seine dunkle Basis durch das Rinnen des flammenden Sandes unterhöhlt. Unsere Gruppe verharrt, stumm und gespannt, die Augen auf das hohe, schwarze Ungetüm gerichtet. Gery hat seine Filmkamera darauf gerichtet. Dieser an Klettereien gewöhnte Bursche, vertraut mit Gletscherabbrüchen und Lawinen, ist durch das grausame Schauspiel derart gefesselt, daß er seine ganze Zungenfertigkeit verloren hat. Er arbeitet schweigend, von der gleichen Demut erfüllt wie die Bauern, die uns umstehen. Wie ein Feuerstrich geht eine schmale Spalte auf, die den dunklen Turm von oben bis unten aufsprengt. Einige Sekunden noch, und die riesige Masse zerspringt in zwei Teile, sie enthüllt eine unwahrscheinliche Glut, die in einer gleißenden Lawine niederstürzt. Einer der Blöcke, scharlachrot, rollt und bleibt kaum zwei Schritt entfernt vor mir liegen; seine Hitzestrahlung verbrennt mir das Gesicht. Ein anderer, groß wie ein Lastwagen, stürzt gegen die Ecke des kleinen H a u s e s . . . Einen Augenblick fürchte ich, daß es in sich zusammenfallen wird. Aber es hält stand. Das intensive Gelb des Blocks ist bereits in Rot übergegangen, rasch überzieht ihn das Schwarz der Abkühlungskruste und löscht ihn aus. Das verlorene Haus wird noch nicht in Flammen aufgehen. Am oberen Rande der Lavahalde erscheinen weitere Blöcke. An der äußersten Kante angelangt, neigen sie sich, zerteilen sich in blendendem Glanz und rollen als Zungen brausenden Feuers herab. Wir kehren nach Zafferana zurück, dem Hauptquartier der catanischen Vulkanforscher. Es liegt in etwa 600 m Höhe, im Süden des Hauptvulkans. Vor einer transportablen Funkstation sitzt ein Unteroffizier, der unerschütterlich in Morsezeichen die Meldungen weitergibt, die Professor Cumin ihm ausgehändigt hat. Morgen früh werden die Lastwagen der Landpolizei eintreffen, und man wird weitere Heime evakuieren. 4
Der Hauptkrater des Ätna um das Jahr 1805: Aus dem trichterförmigen Lavasee steigen zwei Dampfsäulen auf . . .
. . . und ein Jahr später: Eine Eruption ließ aus ausgeworfener Asche inmitten der Lavamassen einen neuen Krater entstehen, um den sich aus dem Fels gerissene Bomben lagern.
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Rund um den Schneeriesen Nach einem kurzen Aufenthalt entführt uns Doktor Abbruzzese in seinem klapprigen Fiat. Die Karosserie ist voller Narben, doch der Motor dreht tadellos. Die Fahrt geht auf schmaler Straße über Flori, Trecastagne auf die Westseite des Ätna. Mit kurzem Bärtchen, mit Hornbrille, blitzenden Zähnen, ein bißchen beleibt, braust Abbruzzese mit höchster Fahrt durch die unübersichtlichsten Kurven. Die Straße zieht sich um den gigantischen Vulkan herum. Apfelbäume mit vom Winter entblößten Ästen, Olivenhaine in grau überhauchtem Grün, einige Zypressen, Pinien mit weit ausladenden Kronen säumen sie. Dann senkt sich die Straße ein wenig zwischen buschigen Orangenbäumen — dunkle, von tausend goldenen Punkten gesprenkelte Masse. Zu unserer Rechten steigt der Hang geradewegs bis zu der grauen Wolkendecke an. Bis auf dreitausend Meter Höhe bleibt die Neigung des Hanges ziemlich gering. Doch überall wird sie von Hügeln oder vielmehr Stumpfkegeln durchbrochen. Es sind Hunderte von Nebenvulkanen, jeder hundert bis vierhundert Meter hoch, von denen einige viele Jahrhunderte alt sind. Manche sind bis zum Gipfel bebaut, während andere, jüngere, sich in ihrem unfruchtbaren Schwarz vom Hintergrund der Weinberge und Obstgärten abheben. Die nach Catania ans Meer führende Straße lassen wir schon bald links liegen und steigen in Schleifen empor. Nicolosi, die letzte Ortschaft, liegt über siebenhundert Meter über dem Meer. Von hier ungefähr ging der schreckliche Glutstrom aus, der im Jahre 1669 das am Meer liegende Catania zerstörte . . . Wir nehmen nun einen vorzüglichen Ätnakenner in unsere Gruppe auf, den kräftigen Barbagallo mit seinem gebräunten Gesicht unter grauen Locken. Die schönfi, asphaltierte Straße schlängelt sich durch das Chaos von 1886 und 1910, eine Anhäufung schwarzer und brauner, verschlackter, zerrissener Blöcke. Sie verläßt es, zieht sich wieder durch bebaute Zonen, dringt abermals in das düstere Fegefeuer ein. Jetzt folgen Kastanienhaine, dann Eichen- und Birkenwälder. „Giacomina" — so heißt unser Wagen — läßt auch sie hinter sich zurück; das Auto ist sechzehn Jahre alt, aber noch voll jugendlichen Schwungs. Ein Windstoß . . . 6
Weit vor uns und über uns, funkelnd in der Bläue, erscheint der Gipfelkegel des Ätna. Dreitausendzweihundertachtzig Meter hoch. Wir verbringen die Nacht in der Montagnola-Hütte, auf zweitausend Meter Höhe. Und gleich am nächsten Morgen, bei glänzendem Wetter und über einen ausgezeichnet tragenden Schnee, nehmen wir die letzten tausend Meter in Angriff, die uns von der am Fuße des Gipfelvulkans errichteten Beobachtungsstation trennen. Unsere Gruppe hat eine Veränderung erfahren: Cumin und Abbruzzese wurden durch Faraone und Picciotto ersetzt. Wir gehen rasch, ungeduldig, um in Sichtnähe der Lava-Ausbruchkanäle zu gelangen. Doch die Schönheit des überschneiten Gipfels hält uns unterwegs immer wieder auf. Eine gewaltige Landschaft dehnt sich zweitausend Meter tiefer zu unsern Füßen aus: die Bucht von Catania, und die von Syracus, das Schimmern des Semetoflusses und dann, gegen Enna zu, die lange Folge der braunen und dunkelgrünen Hügel. Zu unserer Rechten, über dem weißen Grat des Gipfels, der sich nähert, steigen zwei Säulen auf: die eine aus weißem Dampf, eine blendende, von bläulichen Schatten markierte Zusammenballung, die andere braun, dick, in brutalen Stößen emporstrebend, aus denen dunkle Auswüchse sprießen. Die erste muß von den Nebenkanälen aufsteigen, denen die Ergüsse entströmen. Die zweite, schwer von Staub, quillt vermutlich aus dem Hauptschlot des Ätna.
Am Feuerschlund Wir gehen auf das Ätna-Observatorium zu, einen mächtigen, von einer Kuppel gekrönten Betonwürfel, den man auf einer weiten Abflachung am Fuße des Gipfelkegels errichtet hat. Wir bewundern die stählernen Läden, die die Doppelfenster und Türen schützen, sowie die Dicke der Mauern, die über einen Meter beträgt. Doch diese Festung der Wissenschaft ist leer. Weshalb? Faraone erzählt uns die traurige Geschichte: kein Geld! Laboratorien waren vorgesehen, Wasserleitungen sollten installiert werden, sogar eine Zentralheizung war geplant. Alle diese Pläne wurden 1940 beiseite gelegt, und nach dem Krieg fehlten die nötigen Mittel, so daß das prachtvolle Gebäude seine Aufgabe nicht erfüllen kann. In der Küche finden wir einen kleinen Vorrat Haferflocken wieder, den ich im vergangenen Jahr zurückgelassen hatte, als ich hierher 7
gekommen "war, um verschiedene Beobachtungen anzustellen. Nun, da diese Haferflocken auf mich gewartet haben, wollen wir sie verspeisen. Die Italiener sind so etwas nicht gewohnt. Höflich tun sie, als ob der dicke Brei ihnen schmecken würde. Wir plaudern ein wenig, doch ist es ratsam, die letzten Stunden des Tages zu ruhen; morgen steht uns harte Arbeit bevor. Um zwei Uhr morgens sind wir aufgestanden. Der Mond, in seinem letzten Viertel, ist nicht die einzige Lichtquelle, die unseren Weg erhellt: Tragische Brandröte zieht sich über den östlichen Teil des Himmels. In der eisigen Nacht lassen mich die in Pullover, Daunenjacken und Anoraks gehüllten Männer an eine antarktische Expedition denken. Recht unerwartet ist diese Temperatur von 15° unter Null hier in Sizilien . . . Tief am Rand des Meeres, in zwanzig Kilometer Entfernung flimmern die Lichter von Catania; andere Ortschaften und Dörfer sind wie weitere Sternhaufen kleinerer Ausdehnung im nächtlichen All. Nach Osten vorstoßend, bringen wir bald eine Felswand hinter uns; dann erscheint ein zweiter großer „Sternhaufen": die Lichter von Reggio di Calabria, der großen Hafenstadt an der Stiefelspitze Italiens, auf der anderen Seite der Meerenge von Messina, von uns siebzig Kilometer entfernt. Heftiger Wind drückt uns vorwärts, ein Sturm, der den Schnee der Vulkanhänge vor sich hinjagt. Ein dunkler Grat . . . Wir treten in den oberen Teil einer weiten Senke, die „Löwenschlucht". Zu unsern Füßen, einige hundert Meter entfernt, enthüllt sich unvermittelt einer der Lava-Schlote. Ein roter Schlund, dem die eindrucksvolle Säule schwarzen Rauchs entsteigt. Alle zwei oder drei Sekunden, durch eine sich rasch aufblähende, purpurne Halbkugel hervorgehoben, wird ein heftiger Gasschub ausgespieen. Eine Garbe glühender Steine schnellt empor und fällt in dichtem Hagel nieder. Der Geruch von Schwefelwasserstoff steigt uns in die Nase. Fünfhundert Meter trennen uns vom Schlot. Mit weit ausgreifenden Schritten steigen wir die von Aschen bedeckte „Löwenschlucht" hinab. Manchmal drücken die Absätze helle Flecken in den Untergrund; jetzt sind wir weniger als hundert Meter vom Krater entfernt. 8
Der Ätna und die Liparisehen Inselvulkane mit dem Stromboli. In dieser Nacht regnen feine Lapilli, stecknadelkopfgroße erstarrte Magmabröckchen, unablässig von der schwarzen Wolke herab, die plötzlich den Mond verborgen hat. Der Geruch von Schwefelwasserstoff ist verschwunden und wird ersetzt durch den beizenden Duft von schwefliger Säure. Der schwarze Schnee ist hier mit Löchern übersät; es sind die Spuren der Bomben. Ich bleibe stehen und hole aus meinem Rucksack den Schutzhelm hervor. Vorsichtig gehe ich weiter. Die Lapilli fallen dicht und prasseln auf meinen Helm. Langsam nähere ich mich dem Schlund des Vulkans. Dort möchte ich einen Blick hineinwerfen, sehen, auf welcher Höhe die brodelnde Lava in der Öffnung steht. Doch der Rauch und der Staub bilden einen undurchsichtigen Schleier, den einzig die Explosionen für wenige Sekunden zerreißen. Ein Zischen, ein Aufschlag unmittelbar neben mir . .. Die erste Bombe. Mein Herz schlägt stürmisch . . . 9
Nach kurzem Innehalten setze ich mich wieder in Bewegung. Plötzlich schwankt die Erde unter mir. Den Bruchteil einer Sekunde später blitzt die Explosion aus dem Krater auf. Jede Garbe wird mir nun durch eines dieser kleinen, gedämpften Erdbeben angekündigt. Ein Schwärm von Geschossen geht unweit nieder, einige davon fallen hinter mir herab. Weiter vorzustoßen, wäre tollkühn. Zwei oder drei Minuten achte ich auf die Niedergänge und mache Aufnahmen. In unmittelbarer Nähe photographiert Picciotto und macht Notizen. Faraone und die drei Träger sind hundert Schritt hinter uns zurückgeblieben. Ein Schwärm glühender Schlacken prasselt um uns nieder. Eine davon prallt ab und trifft mich am Schenkel. Ich verzichte auf den Blick in den Krater und ziehe mich zurück. Wir umgehen den Feuerschlund. Spalten, die sich in den Basalten auftun — sie sind verräterisch unter Schneebrücken verborgen — machen uns beträchtliche Mühe. Überall, unheimlich in der Nacht, steigen Aushauchungen aus dem Krater auf. Wir gehen auf einem schwarzen, harten Schneehang, der vierzig bis fünfzig Grad Neigung aufweist. Mit Hilfe unserer Eispickel lassen Gery und ich uns in der Hocke hinabgleiten, während unsere Kameraden zu vorsichtigem Zickzack gezwungen sind. Zu unseren Füßen öffnet sich, gelb vor Hitze, ein Kanal, durch den Lava abströmt. Die vulkanischen Gegebenheiten sind uns klar. Wir haben einen Längsriß im gigantischen Hauptkegel des Ätna vor uns; in ihrem oberen Teil, auf rund zweitausendsiebenhundert Meter über dem Meer, öffnet sich der explosive Schlot, dem die Gase mit mehr oder minder großer Heftigkeit entrinnen, wobei sie Magma mitreißen, das durch die Kraft der Explosionen zerfetzt wird; im unteren Teil, auf zweitausendzweihundert Meter Höhe, also fünfhundert Meter tiefer, strömt die Lava wie aus einem gigantischen Hochofen. Schritt um Schritt steige ich auf der eisharten Schneehalde ab. Ich möchte das Innere dieses Kessels sehen, dessen mächtiges Fauchen ich bereits höre. Noch fünf Meter, noch vier ... Noch immer nehme ich bloß die dicke Dampfsäule wahr, die der Abgrund mit einer seltsamen Eile ausspeit. Noch ein Schritt. Mein Gott, wie dieser Schnee hart und glatt ist! Ich strecke den Hals, bestrebt, über den 10
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2006.12.28 11:21:47 +01'00'
schwarzen Rand des Tiegels hinweg seinen brodelnden Inhalt zu erspähen. Ein mit einem Pickelschlag ausgehauener Tritt erlaubt mir, noch einen Schritt weiter vorzudringen. Nur nicht ausrutschen! Dicht vor mir gähnt, lotrecht, der keuchende Schlund. Leider ist auch hier der Dampf noch so dicht, daß ich nur ab und zu einen flüchtigen Eindruck von der phantastischen Brandung erhaschen kann. Nichts zu machen! Vorsichtig, Schritt um Schritt, trete ich den Rückzug an. Wir verlassen die „Löwenschlucht".
Lavaströme fluten zu Tal Die Nacht muß ihrem Ende zugehen. Wir beeilen uns, den großen Kegel zu umgehen, der die Ätnaspitze bildet. Sein Kessel läuft über. Ein Haken nach links, dann biegen wir gegen Osten ab, in Richtung der Ergüsse. Der harte Schnee ist unsicheren Hängen verschlackter Blöcke gewichen, in denen wir mehr als einmal straucheln. Ein Schwaden schwefligen Gases, das der Wind über uns hintreibt, würgt uns einen Augenblick den Atem ab; doch dann, nach einem letzten Felsgrat, enthüllt sich uns der unvorstellbare Anblick zweier mächtiger Ströme flüssigen Feuers. Einer davon, scharlachrot, strebt geradewegs auf uns zu, mündet aber in wenigen Schritt Entfernung in den andern ein, der ganz nahe ist und so heiß, daß seine Farbe in ein goldenes Gelb übergeht. Überdies ist er so dünnflüssig, daß er rechts und links von uns mit einer Geschwindigkeit über den Hang rinnt, die der von Wasser gleicht, das über die Krone einer Staumauer fließt. Noch nie habe ich einen so schnell strömenden Lavafluß gesehen . . . Wir schätzen, daß die glühende Flut mit einer Geschwindigkeit von dreißig Kilometern in der Stunde talwärts rollt, vielleicht sogar noch rascher. Es genau festzustellen, ist kaum möglich. Ich trete noch einen Schritt näher heran, dann läßt mich die „Hitzemauer" innehalten. Von hier an, die Erfahrung hat es mich gelehrt, versengt die ausgestrahlte Hitze unerbittlich. Ich richte das elektrische Pyrometer, das Thermometer für solche Temperaturen, auf die geschmolzene Masse, und bevor ich noch die Angaben ablesen kann, sind meine Hände trotz der schützenden Fäustlinge geschmort. Um die Messungen vorzunehmen, muß ich einen Schritt 11
zurückweichen. Auf der Rotglut stelle ich 980° Celsius fest, dann 948°, dann 1010°, auf dem gelben Strom messe ich 1120°, 1090°, 1110° Celsius. In diesem Augenblick schlägt der Wind um und treibt den Rauch auf uns zu. Tief gebückt, von einem schmerzenden Husten geschüttelt, habe ich den Eindruck, daß jedes Keuchen in meiner Lunge feine Nadeln aufwirbeln läßt. Vergeblich suchen wir durch unsere Taschentücher hindurch etwas reine Luft zu bekommen. Wir fliehen, um uns zu e r h o l e n . . . Dann kehren wir zu den Glutströmen zurück. Neuer Angriff der Gase, neuerliches Ersticken, heuerliche Flucht, abermals ein Versuch . . . Der Tag ist angebrochen, und der Glanz der Sonne hat den der schmelzflüssigen Laven nicht getrübt. Der Strom aus dem Gipfel mündet in dem mächtigen „Tal des Stieres". In der Ferne, viele Hunderte von Metern unter uns, verschwindet das brennende Rot des Magmas nach und nach unter einer Abkühlungskruste, erscheint dann aber wieder da und dort inmitten der weiten Anhäufung dunkler Basalte. Leider ist dieses grandiose Schauspiel nicht derart, daß es uns erlauben würde, nach unserer Rückkehr die erschrockenen Anwohner zu beruhigen. Die Dünnflüssigkeit der Lava, ihre eindrucksvolle Menge, die wir auf ungefähr eine Million Kubikmeter schätzen, die hohe Temperatur des Förderschlots, die Häufigkeit der kleinen Erdbeben, der gewaltige Gasausstoß, all das deutet keineswegs auf ein bevorstehendes Abflauen des Lavaausbruches hin. Als wir uns vor der Lavafront bei dem Dorfe Fontanella befanden, hatten wir die Hoffnung, daß die Lava innehalten würde, ehe die schönen Obstgärten, die gepflegten Weinberge, die unterhalb gelegenen Kastanienhaine vernichtet würden. Jetzt wissen wir, daß dies alles verloren ist; wir wissen, daß weiter unten die Straße begraben werden wird, daß weitere Häuser vor der Vernichtung stehen. * Gegen elf Uhr, erschöpft durch die Gase und die Hitze, brechen wir endlich aus der Umgebung des phantastischen Feuersprudels auf. So nahe wie möglich dem Lavafluß entlanggehend, kommen wir an zwei prachtvollen Feuerabstürzen vorbei, wo die glühende Lava ihre grauenhafte Geschwindigkeit des Anfangs wiederfindet. Hier merke 12
ich, daß meine Windjacke aus dickem Tuch stark angesengt ist und in Fetzen zerfällt, die leichter reißen als Gaze. Mehr oder weniger nur noch in Lumpen gehüllt, gehe ich weiter. Das Meer funkelt in der Ferne unter der Sonne. Doch wir. selbst sind noch immer im Schatten des weithin reichenden Wipfels aus Rauch und Aschen. Ständig rieselt der merkwürdige Staubregen der Lapilli herab. Einige hundert Meter über uns, speit der Hauptkrater nach wie vor seine Säule brauner Tinte aus, und wir können jetzt den gewaltigen Stumpfkegel in seiner Gesamtheit überblicken, der als eigener Berg dem gigantischen Gebilde des Ätna aufgetürmt ist,
Erst dreizehn Stunden nach unserem nächtlichen Aufbruch erreichen wir die Hauptstraße . . . Im gleichen Augenblick drängt sich die rote Zunge der Lava unter der Brücke durch, die sich über die Schlucht zieht. Nie mehr werden die Wasser der Frühlingsschmelze darunter rauschen. Unterhalb und beidseits des Lava-Ergusses legen Männer mit hastigen Axthieben Apfelbäume, Eichen und Kastanienbäume um und schleppen das kostbare Holz zu Tal. Andere bemühen sich, den fruchtbaren Humus abzugraben und wegzuführen oder einige Stöcke ihrer kostbaren Reben zu retten, die die Glut für immer bedecken wird. Kinder reißen Gras aus: etwas Heu, das der Vernichtung entrinnt. In der Nähe haben sich schweigende, reglose Gruppen gebildet und schauen, wie das Ungeheuer die Arbeit der Menschen verschlingt. Wir verlassen die Stätte des Grauens am Ätna.
Fahrt zum Vulcano Wir wollen in den nächsten Tagen noch den Inselvulkanen einen Besuch abstatten, die als versprengte Gefährten des Ätna nördlich von ihm inmitten des Mittelländischen Meeres liegen. Das Schiff bringt uns im Dunkel des Morgens von Catania aus an der sizilischen Küste entlang in die Straße von Messina. Die hochragende Küste Siziliens funkelt von Tausenden kleiner Lichter. Dörfer und kleine Städte, Straßenlaternen, erleuchtete Fenster, das 13
ganze Ufer flimmert und scheint uns zuzulächeln. Als wir an Messina vorbeifahren, beginnt es gerade zu tagen.
Gemächlich führt uns der Dampfer den vielen Inselbergen zu, die vor der Nordseite Siziliens aus dem herrlichen Blau des Tyrrhenischen Meeres aufragen und alle vulkanischen Ursprungs sind. Es sind die Liparischen oder Äolischen Inseln, die noch zum Kreis Messina gehören. Messina am nächsten liegt der Vulcano, dem der Gott der unterirdischen Essen seinen Namen gegeben hat und der zum Namenspatron aller Vulkane geworden ist. Der Berg zeigt uns einen harmonischen Aufbau von über vierhundert Meter Höhe. Eine niedere Zunge verbindet ihn mit seinem kleineren, erst im Jahre 200 v. Chr. geborenen Bruder Vulcanello. Die Vulkanhänge sind von sanft grauer Farbe, von der sich das Rostrot der Eisenoxyde und das Gelb des Schwefels abheben. Weiße Aushauchungen aus Schwefelwasserstoff, Schwefeldioxyd und Wasserdampf treten da und dort aus, auch unter dem Meeresspiegel in einiger Entfernung vom Ufer, wobei das Wasser geräuschvoll aufsprudelt. Wir gehen an Land, und eine Stunde Marsches bringt uns zum Gipfel, wo sich ein breiter, regelmäßiger Trichter öffnet, den Lawinen trockenen Staubes durchfurchen. Rund dreihundertfünfzig Meter tiefer endet der Trichter mit einem kleinen, flachen Boden. Ebenso wie der Lipari, sein erloschener und vom Regen ausgewaschener Nachbar, gehört der Vulcano zu den Vulkanen mit äußerst zähflüssiger, kieselsaurer Lava. Dementsprechend sind seine Ausbrüche schrecklich. Doch statt seitlich auszubrechen, als Glutwolke wie beim Mont Pele, werden die Gase mit den Millionen Tonnen Lava, die sie pulverisieren, in die Höhe geschleudert. Eine dunkle, viele hundert Meter hoch steigende Wolke breitet sich dann zu einem schwarzen Pilz aus, den Blitze durchzucken, aus dem Bomben herabstürzen, und der mehr und mehr anschwillt, bis er zu einem ungeheuren Blumenkohl aus Ruß geworden ist. Die letzte Eruption des Vulcanos begann 1888. Sie dauerte zwei Jahre. Die mageren Äcker wurden vernichtet, die Häuser der wenigen Inselbewohner, der Fischer und Schwefelgruben-Arbeiter, zerstört. Sie sind zurückgekehrt, haben wieder aufgebaut und wieder ausgesät... 14
Die Bimsstein-Insel Auf der nächsten Insel, Lipari — mit siebenunddreißig Quadratkilometern die größte der Gruppe —, ist man im Reich des Bimssteins, der hier vorwiegend aus Obsidian besteht. Wenn solche glasigen Schmelzmassen in Vulkanen längere Zeit etwa 1000" C heiß bleiben, können die ursprünglich chemisch gebundenen Gase Chlor, Chlorwasserstoff, Schwefeldioxyd, Stickstoff, Wasserdampf plötzlich explosionsartig entweichen. Dadurch entsteht ein aufgelockertes Gestein, durchsetzt mit zahllosen blasenartigen Leerräumen, die von den Gasbläschen gebildet wurden. Die Zahl dieser Leerräume ist so groß, daß das spezifische Gewicht durch die Aufblähung von 2,4, der Dichte der Schmelze, auf etwa 0,3, also unter das spezifische Gewicht des Wassers, sinkt. Daher kommt es nach Ausbrüchen derartiger Vulkane vor, daß das Meer — manchmal auf weiten Flächen — von porösen Laven bedeckt ist, die auf den Wellen schaukeln. Wenn man Lipari sieht, einen weißgrauen Bimssteinberg inmitten der blauen Weite, hat man zunächst den verwirrenden Eindruck eines verschneiten Gipfels unter all diesem beinahe afrikanischen Blau. Das als Schleif- und Poliermittel dienende glasharte Material wird abgebaut. In den weißen Steinbrüchen, die in der flutenden Sonne flimmern, rackern sich die mageren, sehnigen Männer, halbnackt, braun wie Beduinen, ab, den blendenden Stein zu fördern, den geräuschvolle Steinbrecher erst zu Splittern, dann zu Pulver zermahlen; der weiße Statib verdeckt alles, löscht jede Andeutung von Farben, trocknet unbarmherzig die Kehlen aus. Der „schneeige" Berg ist im Nordosten schartig. Diese enormen Furchen, die Krater dieser Art oft aufreißen, nennt man Barrancos. Vom Barranco des Lipari zieht sich ein gewaltiger BimssteinErguß von beinahe schwarzem Glanz, einem dicken, dunkelgrünen Alligator gleich, schwerfällig bis zum Meer.
Schiffsreise zum Stromboli Unser Schiff fährt weiter, von einer Insel zur andern, überall legen wir an und verweilen kurze Zeit. Auf die beiden genau gleichen Hügel von Salina folgen lohfarbene Küstenfelsen. Das ist Panaria, ein Flecken heller, aus dem 15
Meere aufgestiegener Türme, die Überreste eines alten Vulkans, der sich in einer letzten Explosion selbst zerstört hat. Endlich haben wir die Inselwelt umrundet und das Schiff wendet sich weiter nach Norden. Aus dem Meer steigt mächtig das dunkle Dreieck des Stromboli auf, der nördlichsten der Liparischen Inseln. Ich wende den Blick nicht von ihm a b . . . das gleiche gilt für meinen Kameraden Picciotto, der neben mir steht, und für Professor Faraone, der uns seit Messina begleitet. Wir hofften alle drei, über dem Gipfel den berühmten „Pino" zu sehen, jenen breiten Schirm aus Rauch und Aschen, der beim Stromboli die Gewaltausbrüche anzeigt. Heute gibt es nur eine Fahne brauner und rötlicher Dämpfe, die der Nordwestwind schräg davon trägt. Vom Meer aus erscheint der Stromboli wie ein kreisrunder Kegel, doch in Wirklichkeit ist er eine Pyramide mit rechteckiger Grundfläche von ein bis zwei Kilometer Seitenlänge. Sein Gipfel erreicht neunhundertsechsundzwanzig Meter Höhe. Doch liegen seine eigentlichen Fundamente mehr als achthundert Meter unter dem Meeresspiegel, so daß in Wahrheit seine Masse zehnmal größer ist als die des Vesuvs. Der Gipfel des Stromboli gehört, ebenso wie der ganze östliche Teil der Insel, zu einem Ahnen des jetzigen Vulkans. Eines Tages sprengte eine gewaltige Explosion das alte Gebäude, und in dem mächtigen, in der Westflanke sich öffnenden Riß entwickelte sich ein neuer Stromboli, der mit den Resten des Vorgängers verschmolz. Unser Schiff nähert sich der Insel von Süden her. Erstarrte Laven zeigen sich, Überhänge, Schlackenhalden und senkrechte Abstürze von schwarzem Fels. Eine jähe, unwirtliche Wand stößt hier geradewegs ins Meer hinab; sie erscheint unbesteigbar. Erst an der Südwestspitze hat eine vor den Explosionen geschützte Abflachung den Menschen erlaubt, sich anzusiedeln, und ermöglicht es den Pflanzen zu wachsen. Weiße Häuschen liegen im Dunkelgrün des Ginsters verstreut. Vom Ginster trägt das Dorf seinen Namen Ginostra. Langsam umschiffen wir die Insel in westlicher Richtung, und da, unter dem rauchenden Krater, erscheint, entwickelt sich, zeigt sich endlich in ihrer ganzen Ausdehnung die unglaubliche „Narbe", die bis zum Meer abfällt: die berüchtigte „Sciara del Fuoco". 16
Lava-Landschaft am Ätna, in den ruhigen Zeiten des Vulkanriesen tummeln sich an seinen Schneehängen die Skiläufer. Was bedeutet dieser seltsame Name? Die Schrunde des Feuers, die Wunde des Feuers! Die rauhen Silben — auf der Insel sagt man „Chiarra", mit harter Betonung des Buchstabens ä — kennzeichnen vortrefflich das grausige Bild dieser Brandnarbe. Achthundert Meter lang, an ihrem oberen Ausgangspunkt einen halben Kilometer breit, einen Kilometer am unteren Rand, taucht die gewaltige Halde steil ins Meer, Feuerströme fließen rauschend hinab. An San Bartolo vorüber geht es mit dem Schiff nach San Vincenzo. Hinter einer zerklüfteten Mauer schwarzer Basalte breitet sich das blendend weiße Dorf am nördlichen Ufer aus. Wir blicken auf quadratische, hellgetünchte Häuser, schmale, gewundene Sträßchen, gesäumt von blühenden Gärten. Das Dorf schlummert, in eine Stille gehüllt, die das Geräusch der Brandung und das Säuseln des Windes in den Olivenbäumen im Augenblick kaum durchbrechen. Einige Morgen Kornfelder, ein paar sich -an den Berg klammernde Weinberge, ein Dutzend Sträuße von Olivenbäumen, Kapernsträu17
eher mit ihren seltsamen, malvenfarbenen, herb duftenden Blüten, einige Fischerboote am Strand . .. Man arbeitet hart zu Land und zu Wasser, man lebt kärglich, in Frieden. Zwischen zwei heftigen Ausbrüchen erfreut man sich der Ruhe weniger Jahrzehnte.
Zeltlager auf dem Feuergipfel Hier legt unser Schiff an, wir klettern die Bergflanke hinauf und errichten unser Zelt in neunhundert Meter Höhe in einer Mulde von schwarzen Schlacken. Aus diesem dunklen Gewirr erkalteten Basalts, diesen im Laufe der Eruptionen angesammelten Körnern, ragen die rostigen, tausendjährigen Türme des ursprünglichen Vulkans auf. Noch am gleichen Tage unternehmen wir die ersten Erkundungsgänge . . . Wir erforschen die Umgebung des Gipfels, die südliche Lippe des tiefen Trichters: Auf seinem Grunde blicken wir in den mächtigen, senkrechten Schacht des Förderschlots. Die jähen Hänge, die zu unseren Füßen bis zum Abgrund abfallen, gibt es auf der andern Seite des Trichters nicht; dort ist er nur durch einen schmalen Grat von der „Sciara del Fuoco" getrennt. Picciotto hat seinen Schutzhelm aufgesetzt. In Khakibluse und Shorts, ein lichter Fleck inmitten dieses Gerölls, macht er sich an den Abstieg in den Trichter. Die Steine rollen unter seinen Füßen weg, hüpfen und verschwinden in den Dämpfen des Abgrunds. Er wagt sich bis zu den großen Spalten vor, die weiter unten konzentrisch auf den Rand des Schlotes zulaufen. Doch seine Kühnheit wird nicht belohnt! Er sieht sich gezwungen, wieder aufzusteigen, ohne den dichten Schleier des Rauchs durchdrungen zu haben. Am Rande des Kraters nehmen wir inzwischen mit Hilfe einer Ionisationskammer Messungen der Radioaktivität vor. Aber sie sind ohne Ergebnis. Auf Vulcano war die Luft merklich radioaktiv gewesen. Woraus mochte sich dieser Unterschied erklären? Vielleicht aus der Art der Laven: dort saure Gesteine, die gleich den Graniten an radioaktiven Bestandteilen reich sein sollen; hier Basalte, die ohne jeden radioaktiven Gehalt sind. Professor Faraone, Physiker ebenso wie Picciotto, und gerade wegen dieser Messungen hierhergekommen, ist ziemlich enttäuscht. 18
Der Durst,die Müdigkeit und die unbarmherzige Sonne lähmen nach und nach unsere Muskeln und unser Denkvermögen. Gegen Mittag steigt Faraone mit den beiden jungen Inselbewohnern, die uns als Träger gedient haben, wieder ins Dorf ab. Sie sollen am nächsten Tag zurückkommen, um uns mit Brot und Wasser zu versorgen. Wir bleiben in dieser Aschenwüste des Gipfels allein zurück. Der Himmel und das Meer umschließen uns mit einer einzigen unendlichen Bläue. Vergeblich suchen Picciotto und ich ein Fleckchen Schatten. Überall flammt die Sonne, und im Innern des Zeltes glauben wir zu ersticken. Gegen Ende des Nachmittags läßt diese Glut etwas nach, und wir kehren an den Rand des Kraters zurück. Dem Grat folgend, gelangen wir zu einer Felsnadel, die von dieser Seite aus leicht zu erklimmen ist. Von der Spitze aus taucht der Blick in den Abgrund. Ein Windstoß enthüllt den Eingang für einen kurzen Augenblick, und wir können sehen, daß die lotrechten Wände einige Meter tiefer in einem Rot glühen, das der Schleier der Gase gleichsam zu giftigem Purpurviolett werden läßt. „Na, mein guter Pit, dort hinein sollte man sich abseilen lassen können . . . An einem Metallkabel natürlich, und in einem isolierenden Förderkorb." Picciottos durchdringende Augen lösen sich nicht von dem Abgrund. Völlig ernst murmelt er: „Das sollte sich doch machen lassen .. ." Von der Höhe unseres Beobachtungsstandes aus, den die Leute der Insel „Torrione di Ponente" — ,Turm des Westens' — nennen, können wir uns davon überzeugen, daß die Lavaströme, die man vom Meer aus über die „Sciara del Fuoco" rinnen sieht, nicht dem großen Krater entspringen. Nichts ist von hier aus wahrzunehmen, was ihre Quelle sein kann. Aber unterhalb des Schlundes, über dessen Tiefe wir thronen, speien zwei kleinere Öffnungen dichte Wolken weißer Dämpfe aus. Diese Gase, dieser Rauch, diese Dämpfe vereinigen sich in einer gewissen Höhe mit den Ausdünstungen des Hauptkamins zu einer mächtigen Fahne, die der Südwestwind packt und davonträgt. Es ist etwas Fesselndes im Schauspiel dieser dichten Wirbel, die sich ununterbrochen auflösen, neu bilden und nur ab und zu den 19
glühenden Rachen flüchtig freigeben. Manchmal erschreckt ein brüskes Grollen die Dampfquellen, und rötliche Ballen werden gegen den rauchigen Himmel emporgestoßen. Wir denken kurz daran, auf der andern Seite des „Turmes des Westens" abzusteigen. Sie ist lotrecht. Sollten wir uns abseilen? Bei näherer Überlegung scheint es uns nicht der Mühe wert zu sein. Bestimmt gibt es eine Möglichkeit, zurückzugehen und am Rand äes Förderschlots entlang, dann auf der festen Lippe, die den Haupttrichter von der steilen Halde der „Sciara" trennt, zu den beiden Nebenkanälen zu gelangen, die wir von hier aus sehen. Wer weiß, ob wir dort nicht den Ursprung jener glühenden Sturzbäche feststellen können, die zur Nacht den Schiffen schon von weither die Insel anzeigen? Wir verbringen den folgenden Tag mit Geländevermessungen, mit dem Sammeln von Proben und Notizen über das Verhalten des Vulkans, insbesondere über die Häufigkeit der Explosionen, der „Scoppi", wie die Einheimischen sagen, die sie von ihren Rebbergen oder ihren Betten aus vernehmen. Die „Schläge" liegen im allgemeinen zwölf bis fünfzehn Minuten auseinander. Das gibt uns, nachdem wir den Schutz des „Turmes des Westens" verlassen haben, genügend Zeit, die Fallzone der Bomben zu durchqueren und vor der nächsten Explosion zu unserem Zelt zu gelangen. Morgen wollen wir in die „Sciara" absteigen.
Zu den Quellen des Feuers Am nächsten Tag keine Sonne mehr! Der Wind jagt einen mit Rauch gemischten, grauen Nebel vor sich hin. Wir steigen mit großen Schritten in unsere Mulde abwärts und erreichen, nachdem wir uns nach rechts gewandt und einen Nebengrat und eine zweite Mulde über-quert haben, mühelos den Fuß des Felsturmes. Der Hang ist sehr steil; jeder Tritt bringt Geröll in Bewegung, kleine, klingende Rinnsale, die sich im Nebel verlieren. Der lohfarbene, feste Fels, den wir hangseits umgehen, dient uns nicht nur als Schutz, sondern auch als Stütze: Wir halten uns mit beiden Händen daran fest und können so an der Basis des „Turms" entlanggehen, ohne uns allzusehr um die Schlackenlawinen zu kümmern, die unsere Füße auslösen. Dann halten wir inne und warten auf die nächste Explosion. 20
Der Stromboli, am Fuße links ein Dorf. 21
Sie läßt nicht lange auf sich warten. Der Schlag ist wie der Knall eines gewaltigen Sektpfropfens; dann tritt wieder Stille ein. Sogleich machen wir uns wieder auf. Kriechend, um Zeit zu gewinnen, erklimmen wir die zwanzig oder dreißig Meter, die uns noch vom Rande des Trichters trennen, und richten uns schließlich auf der Lippe des Abgrunds auf. Rechts der Schlund des Hauptkraters, links die riesige Fläche der „Sciara". Dieser Sims ist ein bißchen unsicher! Ich ziehe es vor, auf dem äußeren Hang weiterzugehen, selbst wenn ich dadurch den Vorteil eines beinahe ebenen Geländes verliere. Lange stolpern wir über die haltlose Anhäufung von verschlackten Brocken. Wir wagen einen Abstecher nach unten, um die dort klaffenden enormen, rauchenden Spalten zu erforschen. Vorsichtig folgen wir ihnen. Eine Lücke in dem dichten Rauchschleier enthüllt uns ein dunkles Glühen, dann entzieht sich alles wieder unsern Blicken. Wir befinden uns in einem Irrgarten felsiger Abstürze, schlackenübersäter Runsen und enger Spalten. Manchmal strahlt als unvermitteltes Zauberwerk eine Dolde gelber oder leicht ziegelroter Schwefelkristalle auf. Dann wieder der düstere Rost der Felsen, das Dunkelbraun, das Schwarz. Eine Reihe von Schrunden, die die „Sciara" durchziehen und uns den Weg abschneiden, zwingt uns, wieder nach oben zu steigen. Plötzlich eine erneute Explosion! Das scharfe, kurze Geräusch überrumpelt uns. Instinktiv ziehen wir den Kopf ein. Ein blitzschneller Gedanke: ,Unmöglich, auf diesem Hang vor niederprasselnden Geschossen mit einem Sprung auszuweichen .. .'. Doch schon entspannen wir uns. Die Explosion ist nicht aus dem großen Krater gekommen, sondern aus einem der beiden andern, und bei uns werden keine Bomben niedergehen. Schneller, schneller! Eine senkrechte Felswand; wir umgehen sie. Eine Spalte, eine Sackgasse; wir kehren um, erreichen eine Art breite Terrasse. Wir gehen über Flächen erstarrter Laven — die einen seilartig ineinander gefaltet, die andern mehr oder weniger glatt. Wenige Schritte weiter quellen, drängen sich weiße Schwaden aus einem der beiden kleinen Kanäle, die wir vom „Turm" aus gesehen hatten. Man könnte meinen, daß sie es eilig haben, dem zu entrinnen, was sich in der Tiefe abspielt! 22
Zwei Schritte von einem der sechs oder sieben Meter breiten Schächte entfernt, läßt uns die Hitze innehalten. Das Pyrometer zeigt 980° C an. Ein Blick da hinein müßte doch großartig sein! Wir gehen mit vorsichtigen Schritten auf der Terrasse umher, wo die Basalthügel mit Gräben, Spalten und Flächen schwarzen Felsens abwechseln. Und da! Eine Lache erstarrter Lava! Die dunklen, reglosen Wellen umgeben ein leicht rauchendes Loch, das stellenweise von einem blendendweißen Randbesatz gesäumt ist; diese Lache muß vor wenigen Tagen noch flüssig gewesen sein. Am Rande der Terrasse überragt ein Felsbuckel die „Sciara". Ich klettere hinauf. Nichts, keine frische Lava. Auf der andern Seite Geröll, dann glatte Platten . . . Plötzlich, durch eine Art Fenster, das der Einbruch einer der Platten geöffnet hat, dringt mir der Glanz eines funkelnden Kanals in die Augen. Ich kann es nicht unterlassen, einen Schrei auszustoßen . .. Schon steht Picciotto neben mir. Unsere Blicke dringen durch die flammende Arkade vor, unter der ein seltsamer Fluß dahingleitet. Rasch und lautlos rinnt die flüssige Lava, scharlachrot durch diesen leicht geneigten Kanal. Unser Auge folgt ihm bis zu der feurigen Biegung, die er wenige Meter weiter unten macht; dann verbirgt ihn die gleißende Wand, während er in den Hang der „Sciara" übergeht. Wir haben die Feuerquelle der „Sciara del Fuoco" entdeckt... Picciotto weiß sich vor Begeisterung kaum zu fassen. Die Strömung ist rasch. Wir schätzen ihre Geschwindigkeit auf fünf oder sechs Kilometer in der Stunde. Temperatur: 1100° C. Breite: drei Meter. T i e f e . . . Hm! Wie sollten wir die Tiefe messen? Ich bücke mich, um einen Stein aufzuheben und ihn in die Glut zu werfen. Den Arm schirmend über die Augen gelegt, sehe ich den Brocken wie einen Ball auf einem Gummiteppich von der Oberfläche abprallen! Diese Elastizität der Lava überrascht uns. Die Augen staunen über diesen von einer Flüssigkeit aufhüpfenden festen Körper . . . In Wirklichkeit hat diese Flüssigkeit eine Dichte von etwa drei, sie ist wesentlich höher als die des Bimssteines. Wir sind neugierig, festzustellen, wo der Strom ausmündet und umgehen vorsichtig den Tunnel, dessen Decke bloß aus einer dünnen Schicht Basalt besteht; einige Schritte weiter, und wir stehen am 23
Rande der schwindelnd steilen Wand der „Sciara". Dreißig Meter tiefer tritt die Lava wieder hervor und rinnt eilig abwärts. Weitere glühende Rinnsale quillen links und rechts heraus. All diese rasch durch eine dünne Abkühlungshaut getrübten Bäche fließen in tiefen, parallelen Rinnen über die Oberfläche des Hanges, laufen zusammen und trennen sich wieder. Gegen die Mitte der „Sciara" ist es bereits ein wahrer Fluß. Trotz der Entfernung können wir erkennen, wie die Geschwindigkeit der glühenden Lava unten immer geringer wird, da das Magma schon abgekühlt ist. Von seiner erstarrten Masse lösen sich Fühler, die allein weiter vordringen, während die Lava, die dauernd von oben nachdrängt, Lawinen glühender Blöcke lostrennt, die in immer weiteren Sprüngen talwärts schießen, um schließlich in der fernen Tiefe ins Meer zu tauchen. Piocciotto bemerkt: „Nachts muß das ein ganz erstaunliches Schauspiel sein." „Sicherlich . . . Wollen wir es uns morgen nacht ansehen?" „Einverstanden", erwidert er einfach.
Kameraleute sind unterwegs Ins Dorf abzusteigen, ist ein Kinderspiel. Wir rennen den von Lapilli bedeckten Hang hinab, der sich an der Ostflanke der Insel abwärts zieht. Unten beginnt ein Pfad. Er schlängelt sich durch die mit goldenen Trauben behängten Ginsterbüsche, erreicht die Weinberge, zieht sich im Zickzack zwischen den Mäuerchen hin, die die terrassenförmig angelegten Felder säumen. Zwanzig Minuten haben wir von den rauchenden Kratern und der Ausflußstelle der Lava gebraucht; hier unten ist alles merkwürdig friedlich: das weiße Dorf, das hastige Ding-dong des Angelus-Geläuts, und auf dem kleinen Platz vor der Kirche das Lachen der sonnengebräunten Kinder .. . Wi-r werfen uns in das kühle, durchsichtige Meerwasser, um den Schweiß und die Schwefelsalze loszuwerden. Dann legen wir uns an den Strand, und unter dem Rauschen der Wellen schlafen wir ein. Dennoch führt das Dorf in dieser Zeit ein keineswegs normales Leben. Ein Regisseur ist dabei, auf Stromboli einen Film zu drehen. In den stillen Gassen, die wohl noch genauso aussehen wie vor zweihundert Jahren, begegnet man Lastwagen mit Generatorgrup24
pen, Scheinwerfern, Aufnahmeapparaten, Kabel laufen wie Schlangen über den Boden. Im Pfarrhaus, der einzigen geräumigen Unterkunft weit und breit, hat sich ein ganzer Stab eingerichtet. Man arbeitet Pläne aus: Großflächen-Aufnahmen, Perspektiven, Sequenzen . . . Man organisiert den Transport einer ganzen Menge schweren Materials bis zu den gewählten Stellen. Die Hauptbeteiligten sind nach Messina abgefahren. Der Thunfischfang ist dort in vollem Gang, und sie wollen die erstaunlichen Bilder filmen, die sich beim Einholen des riesigen Netzes bieten, in dem sich die großen Fische erbittert wehren. Wir treffen am nächsten Tag den Adjutanten des „Boß": graumeliert, braungebrannt, römisches Profil mit regelmäßigen Zügen, energisch und liebenswürdig. „Muratori", stellt er sich vor; er wünsche unsern Rat als Spezialisten des Stromboli.
Der haushohe Lavastrom zermalmt eine Stadt. 25
„Wir möchten", sagt er, „die Schlußszene, in der die Heldin sich in den Krater stürzen will, an einer möglichst sensationellen Stelle drehen . . . " „Nun, was würden Sie von einem Punkt halten, an dem Ströme von Lava hervorsprudeln? Genau zwischen drei K r a t e r n . . . " erwidere ich. „Großartig! Boß .. . Sicher werden Sie verstehen, daß wir unsere Leute keiner wirklichen Gefahr aussetzen können! Kennen Sie vielleicht eine aufregende, aber sichere Stelle?" Wir überlegen. Da ist wohl das Innere des Hauptkraters, doch dazu muß man berggewohnt sein .. . Die Lippe des großen Schlots jenseits vom „Turme des Westens"? Zwischen zwei Explosionen ist dort die Gefahr gewiß gering, und einigermaßen „sensationell" ist es dort auch. Das alles setzen wir unserm sympathischen Gegenüber möglichst klar auseinander und zeichnen ihm eine ganze Anzahl von Skizzen, Daraufhin machen wir abermals einen Kopfsprung ins blaue Meer.
Die Nacht in der „Sciara" Für den späten Nachmittag haben wir uns einen Träger verpflichtet, einen schlanken, dunkeläugigen Jüngling. Wir folgen wieder mit langsamen Schritten dem Pfad, der zwischen Agaven und Feigenbäumen am Nordwestende der Insel in Zickzacklinie zum Vulkan aufsteigt. Dabei durchqueren wir eine Zone, deren Pflanzenwuchs gestern durch einen Brand verwüstet worden ist. Die herrliche Pracht des duftenden Ginsters ist nur noch eine verkohlte Fläche, mit harten Stoppeln übersät, den Oberresten der verbrannten hohen Gräser. Langsam erklimmen wir den Berg. Zu unseren Füßen, beinahe senkrecht unter uns, dehnt sich immer unermeßlicher das Blau des Mittelmeeres.' Oben rollen dicke, rötliche Wolken brodelnd aus den Kratern und branden, vom Wind getrieben, über den Gipfel hinweg. Als wir die Höhe erreichen, ist es einundzwanzig Uhr. Die Sonne steht tief am Horizont. „Hier ist es, glaube ich . . . oder nicht?" frage ich Picciotto. „ J a . . . von hier geht's quer über den Hang bis zum großen Schacht, dann schräg zu jenem Fels hinüber." 26
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Am Vortag hatten wir beim Abstieg eingehend die schartigen Hänge der „Sciara" beobachtet, um eine Marschroute ausfindig zu machen, die uns in der Nacht leicht zum Lavafluß führen würde. Konnten wir unsere Anhaltspunkte — helle Felsen, weiße Flecken von Salzniederschlägen, Schwefelablagerungen — jetzt in der Dunkelheit noch ausmachen? Der Anfang ist leichter, als wir erwartet haben. In der langen Abenddämmerung kommen wir, einer beinahe horizontalen Linie folgend, unter dem Gipfel vorbei, gehen am oberen Rand breiter Schwefelflächen entlang und erreichen die Lippe des großen Schachtes. Wir hören die Lava in dem weiten Loch plätschern, und dieses dumpfe Murmeln läßt uns unsere Schritte beschleunigen. Wir gelangen ans Ende des Simses und beginnen den Abstieg. Die Nacht ist fast hereingebrochen. In dem indigofarbenen Halbdunkel erscheinen die Feuerströme unter uns in der „Sciara del Fuoco" wie ungeheuerliche rote Schlangen. Schritt um Schritt, Fuß vor Fuß steigen wir den jähen, finsteren Hang hinab. Der letzte Schimmer des Tageslichts ist nun verschwunden, und einzig der rötliche Widerschein der Lava auf der niederen Decke des vom Wind verwehten Rauches erhellt unsern Weg. Eine Felswand, deren Höhe wir nicht abzuschätzen vermögen, bereitet uns Sorgen. Bäuchlings auf dem Stein liegend, mich mit den Fingern anklammernd, erforsche ich mit dem Fuß tastend das Unbekannte. Um drei Meter abzusteigen, brauchen wir eine Viertelstunde. Dann folgt wieder die abschüssige Halde voll Geröll, Schlacken und grobem Sand. Manchmal geraten diese lockeren Massen unter unsern Schritten in Bewegung, gleiten ab und ziehen uns mit dem gleichen feinen Zischeln mit wie abrutschender Schnee. Mit einer heftigen Anstrengung gelingt es uns, anzuhalten und den Bergpickel einzustemmen. Steine und Sand rinnen über unsere Füße, und wir horchen aufmerksam. Wenn plötzlich eine große Lawine entstehen würde, wäre es bös um uns bestellt. Aber die gleitende Masse verlangsamt sich nach und nach und kommt endlich zur Ruhe. Dann erst gehen wir weiter. Nach einer ziemlich langen Strecke biegen wir scharf nach links ab, auf die Mitte der „Sciara" zu. Das Leuchten der glühenden Bäche, 27
das die Dampfschwaden vor uns zurückwerfen, stört uns jetzt mehr, als es uns hilft, und wir stolpern mühselig über die unbeschreibliche Anhäufung von zerriebenen Felsen. In der nächtlichen Kühle trifft mich plötzlich ein warmer, ja, heißer Hauch im Gesicht. Zwischen den Blöcken, gegen die ich stoße, glüht dunkle frische Lava. „Achtung, Piciotto! Sag dem Träger, daß er dort bleiben soll, wo er ist." Zu zweit dringen wir weiter vor. Vor uns hebt sich der zerklüftete Grat von dem purpurnen und unbestimmten Leuchten ab, das die unmittelbare Nähe des feurigen Flusses verrät. Woher aber diese Glut zu unseren Füßen, deren Odem übermäßig heiß ist? Ein Blick hangaufwärts, nach links, läßt unseren Drang zum Rückzug heftiger werden: Lohende Blöcke, gleich einer flammenden Mauer, bilden dort die Front eines Ergusses, der im Erstarren begriffen ist. Manchmal löst sich ein Block, springt und stürzt gegen das unsichtbare Meer hinab und bedeckt die schwarze „Sciara" mit scharlachroten Funkengarben und Feuerkurven. Der Träger hat an der Stelle, wo er von uns zurückgelassen wurde, ruhig auf uns gewartet. Gemeinsam nehmen wir das erschöpfende Vordringen auf den unsicheren Flanken des Berges wieder auf. Wir fühlen uns einsam in dieser von glühendem Hauch durchzogenen Nacht auf dem gefährlichsten Gelände, auf das sich vor uns — soviel wir wissen — noch nie ein menschliches Wesen hinausgewagt hat. Um uns fühlen wir die Macht einer phantastischen Welt, in der es für uns keinen Maßstab gibt. „Verflixtes Pech!" Ich bin gestrauchelt und habe die Stablampe zerbrochen, die an meiner Schultertasche hing und die unsern Rückweg beleuchten sollte. Sie hatte sich beim Abstieg eher als störend denn als nützlich erwiesen, so daß wir sie bald ausgelöscht hatten. Aber später wird sie uns sehr fehlen . . . Seit Stunden bereits steigen wir in der steilen „Sciara" ab. Noch immer ist es unmöglich, die Lavaflüsse zu erreichen. Bald versperren uns bösartige, unter einer allzu dünnen Schicht schwarzen Kokses lauernde Glutbecken den Weg, bald Felsabstürze, die wir nicht zu überwinden vermögen, bald die Mulden einstiger Feuerlawinen oder 28
Lawinen dunkler Blöcke. Die Müdigkeit lastet auf meinen Schultern, ich fühle mich durch die von giftigen Gasen erfüllte Luft bedrängt. Der Durst wird immer quälender — jener Durst mit Chlorgeschmack, den tätige Vulkane hervorrufen. Fast habe ich Lust, aufzugeben, raschmöglichst den Aufstieg zu beginnen, dessen Vorstellung allein mich schon erschreckt. Je tiefer wir gelangen, um so schwerer, um so ungewisser wird der Rückweg sein . . . Picciotto scheint ihn gleichfalls zu fürchten, diesen Rückweg. Ich höre ihn den Träger auf italienisch fragen: „Meinst du, daß ein Fischer uns sehen und abholen wird, wenn wir bis zum Meer absteigen?" „No. Non credo" — ,Nein. Das glaube ich nicht.' Schade. Auch ich hätte es vorgezogen, die „Sciara del Fuoco" weiter hinunterzukraxeln, bis wir das Ufer erreicht haben. Zwei- oder dreimal schon haben wir bei dem Versuch, den Hang zu queren, versagt. Plötzlich, von der Höhe eines letzten Grates aus, stehe ich im roten Licht des glühenden Stromes und sehe fünf Meter vor mir sein lautloses und rasches . Fluten. Ich gehe noch weiter. Seine Hitze schlägt mir entgegen, meine Augen sind geblendet. Welche Pracht! Picciotto ist mir nachgekommen. Noch ein Schritt, noch einer . . . Nein! Die Hitze verbietet uns, näher heranzugehen. Der Träger bleibt hinter uns stehen. Stumm, gebannt schauen wir in den Feuerstrom. Der Glutstrom des feuerflüssigen Magmas fließt in einem Schweigen, das dennoch kein Schweigen ist. Wenn man aufmerksam hinhorcht, hört man ein gleichmäßiges Zischeln, zart und doch machtvoll, das ewig scheint, unerbittlich. Ich erinnere mich an die Heere tropischer Ameisen, die im unbarmherzigen Raunen ihres unwiderstehlichen Marsches vordringen. Ich weiß nicht, wie lange wir dort geblieben sind. Wir sind gebannt von der schaurigen Schönheit, führen Messungen durch, photographiren und filmen. Picciotto hat sich den Nasenrücken verbrannt, weil er noch einen Schritt näher heran gehen wollte. Unsere Hände, die die Apparate halten, scheinen zu brennen. Der Schweiß rinnt. Der Durst ist schrecklich. 29
Wir ziehen uns zurück Nach dem Strahlen des geschmolzenen Magmas erscheint uns die nächtliche Finsternis, in die wir zurücktreten, wie eine undurchdringliche Mauer. Blindlings streben wir den Hang hinauf, zerschrammen uns die Knie, stauchen uns die Knöchel; aufrecht, öfter auf allen vieren arbeiten wir uns voran. Felswände werfen uns nach links zurück, zu glatte Platten nach rechts . . . Es ist unmöglich, völlig unmöglich, uns zu orientieren. Wir überqueren Schrunden, erklettern scharfe, aus aufgetürmten Blöcken gebildete Grate. Rechts, in der Senkrechten des großen Kraters, stürzen glühende Steine wie vom Abbruch eines „flammenden Gletschers" herab und poltern über den jähen Hang. Dann läßt uns ein Grollen über uns innehalten. Sogleich steigert es sich, begleitet von scharfen Schlägen. Die Lawine? Wir vermögen nichts zu erkennen, doch der Lärm schwillt immer mehr an, wird ohrenzerreißend. Es will kein Ende nehmen. Die Augen in der Schwärze weit aufgerissen, verharren wir reglos. Ein Warnschrei Picciottos! Ein fahler Block, groß wie eines der Häuser des Dorfes, schlägt fünf Meter von uns in der Rinne auf und zieht seine Bahn mit einem phantastischen Sprung weiter. „Pietra molto grossa!" — ,Ein sehr großer Stein', stellt unser Träger sachlich fest. Es gelingt uns nicht, die Marschroute des Herwegs wiederzufinden. Felswände, die wir beim Abstieg nicht bemerkt haben, stellen sich uns entgegen. Wir sind mitten im Unbekannten. Eine Bastei aus hellem Fels steht uns im Weg. Während Picciotto sie zu erklimmen sucht, gehe ich an ihr vorbei nach rechts, versinke bis an die Knöchel in dunklem Sand und bin glücklich, als ich mit der, Hand endlich an festem Stein Halt finde . . . Jeder von uns hofft, den richtigen Weg gewählt zu haben und nicht wieder absteigen zu müssen. Der Träger wartet am Fuß der Wand auf das Ergebnis unserer Erkundung. Anfangs sind wir durch Rufe in Verbindung geblieben. Jetzt müht sich jeder auf seiner Seite ab, aliein mit seinem Problem. Ich steige noch immer, auf allen vieren. Rasch! .. . Meine Augen starren aufwärts. Ja, es scheint, daß da ein Durchgang i s t . . . O weh! 30
Eine Horde weißlicher Wölfe, schwefliger Dämpfe, überfällt mich von der Seite her im Hang. Weitersteigen? Schleunigst absteigen? Nur das nicht! Diese ganze Kletterei soll nicht vergeblich gewesen sein! Ich stoße weiter nach oben vor, der erstickende Nebel holt mich ein. Ein Taschentuch gegen den Mund gepreßt, strebe ich hartnäckig aufwärts. Die scheußliche Wolke ist überwunden. Gerade in diesem Augenblick flammt zwanzig oder dreißig Meter über mir eine große rote Garbe auf! Das ist nichts für mich . . . ich klettere wieder bergab! Unten finde ich Picciotto wieder, der an Überhängen gescheitert ist, und den Träger, der nach wie vor geduldig wartet. Es bleibt nichts anderes übrig, als die Bastei links zu umgehen und den schier endlosen Weg fortzusetzen. Stundenlang schleppen wir unsern Durst noch durch die Finsternis und die Hölle dieser furchtbaren Bergwelt. ..
Tödliche Gase Die Sonne hat uns aus den Schlafsäcken geholt. Picciotto hat die Brennstofftabletten im Kocher gezündet und bereitet mit dem Rest Wasser, den wir gestern abend übriggelassen haben, Tee. Kauernd trinken wir den Absud in kleinen Schlucken. Vor uns branden noch immer Rauchwolken über den Gipfel und den nach Norden auslaufenden Grat, wo der Pfad nach San Vincenzo beginnt. Wir fühlen uns überglücklich . . . Die Schwierigkeiten, die Ängste, die Feuerströme, der teuflische Durst, die Anstrengungen der Nacht, und nun der heiße Tee, die herrliche Morgensonne, dies alles vermischt sich zu einer Glücksstimmung ohnegleichen. „Da, sieh mal! Maultiere .. ." Tatsächlich sind aus dem rauchigen Nebel, der den Gipfel umgibt, Maultiere aufgetaucht, trabend, am Zaum rasch weitergezogen, von den Schreien der Treiber begleitet. Natürlich, es ist nicht ratsam, in diesen Schwefel- und Chlorwolken länger zu verweilen! In vollem Lauf legen sie die letzten Meter zurück, die sie von unserer Mulde trennen, als oben ein weiteres Maultier erscheint, im Schritt, schwankend. Niemand zieht es, aber es trägt einen Reiter. Langsam nähert es sich . . . Mit zusammengekniffenen Augen beobachten wir in dem blendenden Licht den seltsamen Reitersmann. Irgend etwas 31
Unbestimmbares in der Haltung des Mannes läßt uns vermuten, daß da etwas nicht in Ordnung ist . . . Gemeinsam springen wir auf und rennen ihm entgegen. Als wir ihn erreichen, sinkt er uns buchstäblich in die Arme. Jetzt erkennen wir ihn: Es ist Muratori, der Assistent des Regisseurs. Leichenblaß vermag er kaum zu flüstern: „Rauch .. . L u f t . . . " — Er röchelt nur noch. Die Maultiertreiber umringen uns, erklären: Muratori wollte an Ort und Stelle die Verhältnisse prüfen, die wir ihm beschrieben hatten. Doch die Expedition war in die Gasschicht geraten. Die Treiber waren weitergerannt, ein Tuch auf dem Mund, während er vermutlich tief eingeatmet, ganze Züge Gift geschluckt h a t . . . Es ist schrecklich, sich außerstande zu fühlen, einem Menschen zu helfen. Wir versuchen, ihn hinzulegen, ihn aufzusetzen, ihm einen Schluck Tee einzuflößen. Nichts zu machen . . . Die Minuten vergehen, ohne eine Besserung zu bringen. Im Gegenteil, er scheint mehr und mehr zu ersticken. Los, wir müssen ihn zu Tal bringen, so rasch wie möglich! Zu sechst tragen wir ihn. So schnell wir können, stoßen wir unsere Absätze in den schwarzen Sand. Schon sind wir auf dem Hang, der zum Dorf hinabführt. Der Himmel ist mit reinstem Blau überzogen, und das unermeßlich weite Meer funkelt, blauer noch. Die Welt ist in einer wunderbaren Weise groß und klar. Zweihundert Meter tiefer ist Muratori in meinen Armen gestorben.
Fotos: Ullstein-Bilderdienst Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky L u x - L e s e b o g e n 3 3 3 (Erdkunde) H e f t p r e i s 3 0 P f g . Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.80) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt. — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig. — Druck: Hieronymus Mühlberger, Augsburg. — Verlag: Sebastian Lux. Murnau vor München. — Herausgeber: Antonius Lux.
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