KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
KULTURKUNDL1CHE
UND
OTTO
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DAS MAMMUT JAGDWILD...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
KULTURKUNDL1CHE
UND
OTTO
HEFTE
KRÖSCHE
DAS MAMMUT JAGDWILD
DER
VERLAG
EISZEITMENSCHEN
SEBASTIAN
LUX
MURNAU•MÜNCHEN • INNSBRUCK- BASEL
Gebein des Riesen Goliath Dem Fremden, der um das Jahr 1700 in die Kaiserstadt an der Donau kam und beim Durchwandern der Altstadt zum Stephansdom pilgerte, zeigten die Wiener am Südturm als besondere Sehenswürdigkeit den Armknochen des Riesen Goliath. An eisernen Ringen fest verankert, hing das ungefüge Gebein an der grauen Quaderwand; von der Zeit und von Wind und Wetter angenagt, war das Schaustück schon zum großen Teil verwittert — aber es war für die Menschen immer noch ein sehr beunruhigender Zeuge für jenes Geschlecht von Riesen, das einst die Erde bevölkert haben sollte. Den Resten dieser Hünen der Vorzeit begegnete der Wanderer in Europa an vielen hervorragenden Punkten, in Schlössern, Kirchen und an Rathäusern. Der Rückenwirbel eines solchen Mordskerls aus Olims Zeiten war unter das Gewölbe der Doppelkapelle auf dem Innsbrucker Spitalsfriedhof aufgehängt und wirkte dort wie ein knorriger Baumstumpf; ein anderer, den man an Ketten über einem Hoftor der Meraner Burg befestigt hatte, war berühmt wegen seiner besonderen Größe; er wurde einem sagenhaften Riesen zugeschrieben, der einstmals im Tiroler Lande sein Unwesen getrieben habe. Nicht weit davon, in der Stiftskirche von Innichen, zeigte man sogar die Rippe eines Riesen, die so groß war wie der Hauptast des Eichbaumes an der nahen Straßenkreuzung. Irgendwo im europäischen Lande und irgendwann in Europas Vergangenheit mußte es zyklopische Lebewesen gegeben haben, von 2
denen die Knochenteile stammten. Und da der Verstand bei der Betrachtung dieser kolossalen Schaustücke nicht mehr weiterkam, so hatte sich ihrer die Phantasie bemächtigt. Stand nicht in den alten Geschichten, die man auf den Schulen lernte, daß es einst Giganten, Zyklopen und Titanen gegeben habe, daß diese Riesen im Kampfe mit den Göttern gestanden hätten und daß sie den Göttern zuletzt unterlegen seien? Das Volk wußte von nicht minder großgewachsenen Dämonen, die im Wald und in Einöden gehaust hatten, einäugigen, einbeinigen, kopflosen Ungeheuern, wußte von Riesen und Zwergen, von mächtigen Sagenhelden, die sich im Kampf gegen Lindwürmer und Drachen bewährt hatten. In den Klosterbibliotheken lagen alte Bücher, in denen man von Ajax dem Großen lesen konnte, dem riesigen Sohn des Telamon, des Königs von Salamis, der unter den trojanischen Helden nächst Achill der tapferste gewesen war. In einer Römerchronik war von dem gewaltig aufragenden König Teutobochus die Rede, der als Anführer der Cimbern im Kampf gegen den römischen Feldherrn Marius gefallen war. Die Heiligengeschichte erzählte von dem frommen Riesen Christophorus, den die Fischer und Fuhrleute als ihren Patron verehrten und den das Volk als einen der vierzehn Nothelfer in Pestzeiten und als Helfer in Todesgefahr anrief, ein Koloß von unvorstellbarer Körperkraft. Von solchen Hünen und Riesen, so dachte sich das Volk, mußten die mächtigen Gebeinstücke herrühren, die von Zeit zu Zeit beim Ausheben von Wohngruben, beim Anschneiden von Kieslagern oder bei der Anlage von Straßen zutage traten. So glaubte man bis weithin in die Neuzeit.
Die Meinungen gehen hin und her In der M'chaeliskirche zu Schwäbisch Hall hängt neben einem gewaltigen Stoßzahn eine Tafel mit der Inschrift: i „Tausend Sechshundert und 5 Jahr den dreyzehnten Februar ich fuaden war bey Neubronn in dem hallischen Land samt großen Knochen und lang Gebein, Rat, Lieber, wes Art ich mag seyn". Der Lehrer oder Pfarrer, der zu Beginn des 17. Jahrhunderts diese Inschrift verfaßt hatte, war — darauf deutet die Frage am 3
Sciiluß der Inschrift hin — offenbar schon nicht mehr davon überzeugt, daß dieses rätselhafte Fundstück von einem menschlichen oder dämonischen Riesen der Urzeit stamme. Die Zeit war fortgeschritten, schon befaßte sich die Wissenschaft mit den entlegenen Räumen des Weltalls, überall öffneten sich Tore in die Bereiche neuer Wissenschaften. Auch für die angeketteten und angeschmiedeten Riesenknochen in den Vorhallen der Rathäuser, in den Sammlungen von Fürsten, an den Portalen und unter den Gewölben der Kirchen begann man mit viel Eifer und Scharfsinn die verschiedenartigsten natürlichen Erklärungen zu suchen. Von Riesenmenschen und Drachen sprach nur noch das einfache Volk, die Gelehrten stritten sich um andere Deutungen, zumal die Bodenfunde sich auffallend häuften. Der Streit um die Herkunft des fremdartigen Gebeins entbrannte zu besonders großer Heftigkeit, als im Jahre 1700 in Cannstatt bei Stuttgart eine ganze Lagerstätte solcher riesigen Zähne und Knochen geborgen werden konnte. Soviel „Riesen" an einer einzigen Stätte — das ging selbst über die Vorstellungskraft des märchengläubigsten Mannes im Volke. Es seien angeschwemmte Knochen von Tieren, die vor der Sintflut gelebt hätten, das war die Meinung der einen; es seien Überreste römischer Viehopfer, von denen die antiken Schriftsteller berichteten, so sagten die anderen. Es gab aber auch die Auffassung, daß eine geheimnisvolle Naturkraft, die „vis plastica", hier am Werke gewesen sei. So wie die Natur über der Erde die seltsamsten Gebilde aufwachsen lasse, herrlich verzweigte Bäume, Blumen und Blüten in den bizarrjten Formen und Farben, so habe sie auch unter der Erde ihr Spiel getrieben in merkwürdig gewundenen Versteinerungen, Nachbildungen von Tierskeletten und in bunt geschichteten Gesteinen; auch die elfenbeinernen „Hörner" und die wie Rippen oder Armknochen aussehenden, gewölbten Knochenäste, die man in den Lehmund Kiesgruben, finde, müsse man zu diesen „Naiurspielen" zählen. Um eben diese Zeit hatte der am Hofe von Moskau lebende holländische Gesandte Wittsen ein Buch erscheinen lassen über eine „merkwürdige und abenteuerliche Reise in die Nord- und Ost-Tartarei". Zum erstenmal erfuhren hier die europäischen Gelehrten, daß es in der Tartarei, in Sibirien, unbekannte Riesentiere gebe, die von den Juktuen Maulwürfe, Mammuts, genannt würden. Sie durchpflüg4
Ausschnitt aus der berühmten, von Lartet gefundenen Elfenbeinplatte von ]ja Madeleine; sie entschied die Streitfrage, ob Mensch und Mammut zusammen gelebt hatten. ten den ewig gefrorenen Boden an den Nordküsten Sibiriens und sie trügen ähnliche Zahnhörner im Maul, wie man sie an den verschiedenen Stellen Europas im Boden gefunden habe. Ein paar Jahre später lag ein ausführlicher Bericht über diese seltsamen „Bodendurchwühler" vor. Er fand sich in dem Tagebuch über die Expedition des Isbrand Ides, der als Gesandter des Zaren Peter I. an den chinesischen Kaiserhof gereist war. Ides hatte die „Wühltiere" selber nicht gesehen, aber unter seinen Reisegefährten sei einer gewesen, der ihm zuverlässige Einzelheiten habe mitteilen können.
Die „Mammutmäuse" der Tartarei „Dieser Mann zog mit mir auf meiner Reise nach China", so erzählt Ides, „und er berichtete mir, daß er jährlich ausgezogen sei, um Zähne dieser Mammute zu suchen. Dieser Mann hat mir als gewisse Wahrheit vorgetragen, daß er einmal mit seinen Gefährten den Kopf 5
eines Mammuts gefunden habe, welches aus heruntergefallener, gef orener Erde zum Vorschein gekommen sei. Sobald sie denselben hervorarbeiteten, fanden sie das Fleisch noch nicht ganz verwest. Sie hatten die Zähne, die rechts wie Elefantenzähne vorn zum Maule herausstünden, nicht ohne Mühe ausgebrochen, so auch einige Knochen am Kopf und waren endlich an einen Vorderfuß geraten, den sie abhauten und von dem sie ein Glied nach der Stadt Turuchansk brachten; dies war so groß von Umfang, als ein Mann um die Mitte des Leibes mißt. In der Gegend des Halses hatte man an den Knochen noch etwas wie rotes Blut sehen können." Isbrand Ides, der ein sehr wissenshungriger Mann war, hatte sich dann weiter unter seinen Begleitern umgehört und erfuhr von ihnen, daß die Eingeborenen der Tartarei, Jakuten und Tungusen, glaubten, bei dem eigenartigen Wesen handle es sich um unterirdisch lebende Tiere; sie stürben, sobald sie aus ihrem Wohnbereich in der Tiefe an die freie Luft gerieten. „Dies ist jedoch nur die Meinung der ungläubigen Heiden über diese Tiere", schreibt Isbrand Ides in seinem Buch weiter. „Die sibirischen christlichen Russen jedoch glauben, daß das Mammut eben ein solches Tier ist wie der Elefant, ausgenommen, daß die Zähne etwas mehr gekrümmt sind als die des Elefanten. Sie meinen deshalb, daß die Mammute vor der Sintflut sich in diesen Ländern aufgehalten hätten, allwo damals eine wärmere Luft gewesen sein müsse und daß bei der Sintflut ihre ertrunkenen Körper auf dem Wasser fortgeschwemmt und unter die Erde gespült worden seien. Nach der Sintflut sei der Himmelsstrich, welcher zuvor warm gewesen, in einen kälteren verändert worden, so daß die Tiere von dieser Zeit an in der Erde eingefroren gelegen hätten." Die Kunde von den „Mammutmäusen" im sibirischen Boden war inzwischen auch bis nach China gelangt. Hier hatte, ebenfalls um die Wende zum 18. Jahrhundert derMandschu-KaiserKangh-si eine Schrift veröffentlicht, in der er ein Tier namens Fen-schü, die grabende Wühlratte des Nordens, erwähnt, die auchYn-schü — verborgene Maus, oder Schü-mu, Mutter der Mäuse, genannt werde. Es gäbe hoch im Norden, im Lande der Russen, nahe dem Meere, eine Art Ratten, so groß wie Elefanten, die in der Erde lebten und die, sobald die Luft sie berühre oder das Sonnenlicht sie treffe, sofort dahinstürben. Von diesen Nachrichten, die durch Berichte anderer Ostlandreisender 6
der Zeit ergänzt wurden, muß der württembergische Theologe Bilfinger Kenntnis gehabt haben, als er das Knochenlager von Cannstatt besichtigte. Für ihn gab es keinen Zweifel, daß die Tiere, von denen diese Knochenreste herrührten, von gleicher Art gewesen sein müßten, wie die in Sibirien aufgefundenen Tiere, und er schloß daraus, daß Mammute früher einmal auch in Schwaben beheimatet gewesen und daß sie durch örtliche Katastrophen, durch Erdbeben oder Überschwemmungen, umgekommen wären.
Die geistige Wende So kam allmählich Licht in die Zusammenhänge. Immer häufiger tauchte der Name Mammut in den Forschungsberichten der Zeit auf. Trotzdem waren es vorerst nur wenige, die sich der Meinung Bilfingers anschließen konnten, selbst ein so weltbekannter Universalgelehrter wie Gottfried Wilhelm Leibniz, der Begründer der Differential- und Integralrechnung, wollte an so ungeheuer große Lebewesen auf deutschem Boden nicht glauben. Er schrieb die im Boden gefundenen Skelett-Teile einem „Einhorn" zu, das von jeher im Volksglauben eine Rolle gespielt hatte. Leibniz bastelte aus den Knochen sogar ein solches Einhorn zusammen, das aber in seinem verzwickten Körperbau niemals lebensfähig gewesen wäre. Der Grund für solche Täuschungen selbst bei hervorragenden Wissenschaftlern lag darin, daß man damals überhaupt noch nichts von vergangenen, jahrmillionenalten Erdzeitepochen mit einer völlig anderen Lebewelt wußte. Die Bibel sagte darüber nichts aus, die Wissenschaft der Geologie und der Pflanzen- und Tierversteinerungen, der Paläontologie, war noch nicht begründet, aber vieles deutete darauf hin, daß diese Periode des Unwissens bald überwunden sein werde. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts setzte die geistesgeschichtliche Wende ein. Ein neues Denken brach sich Bahn, dem Menschen öffnete sich das innere Auge für die Tatsache, daß die Welt mit all ihren vielfältigen Erscheinungen — vom riesigen Himmelskörper bis zum winzigsten Pflänzchen — nicht auf einmal entstanden war und seitdem unverändert in sich ruhend bestand, sondern daß sie sich zu ihrem heutigen Zustand im Laufe der Zeit fortentwickelt hatte und auch
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••i die Zukunft hinein weiterentwickeln werde. Aus diesem neuen "entwicklungsgeschichtlichen" Denken erwuchsen dann die beiden Schwesternwissenschaften: die Geologie, die Lehre von der Erdgeschichte, und die Paläontologie, die Lehre von der Entwicklungsgeschichte der Lebewesen vergangener Zeiten. Doch nur mühsam rang man sich zu der Einsicht durch, daß die Verteilung von Land und Meer, die Beschaffenheit der Landgebiete sowie die Tier- und Pflanzenwelt in früheren Zeitaltern der Erde ganz anders gewesen war als heute. Die Geologen und Paläontologen sind in der Folgezeit zu wahren Detektiven geworden. Aus den Gesteinen und aus den spärlichen Überresten der einstigen Lebewesen, aus ausgegrabenen Knochen, Zähnen, Gehäuseschalen, hauchzarten Pflanzenabdrücken, aus Spuren, die vor Jahrmillionen ein flüchtiger Fuß in den Sand drückte, und aus vielerlei anderen, oft unscheinbaren Fährten haben sie längst versunkene Welten, belebt mit seltsamen, nie geschauten Geschöpfen, erstehen lassen. In mühsamer Kleinarbeit setzten sie urweltliche Lebensbilder zusammen und ersetzten die Lücken in diesen Bildern mit einer von wissenschaftlichen Schlußfolgerungen gelenkten Vorstellungskraft, bis ein neuer glücklicher Fund ihre Ansicht bestätigte, verwarf oder berichtigte. In vielen Fällen aber ließen sich die Lücken niemals ganz schließen; denn es waren ja zumeist nur Knochen, Zähne und andere Hartteile, die sich erhalten hatten — das lebendige Fleisch, das die Knochen einmal umkleidete, war vergangen. So blieb das Wissen über die äußere Form einstmals existierender Lebewesen, über ihre wahre Gestalt, die Färbung, Behaarung, Befiederung oder Verzierung ihrer Körper meist mehr oder weniger unvollständig. Nur in seltenen Fällen, in denen die Umstände der Erhaltung besonders günstig waren, blieben Reste der sonst vergänglichen Weichteile bestehen, und es ergaben sich plastische und farbige Tierbilder längst vergangener Zeiten.
Die Mammute Sibiriens Inzwischen hatte sich auch das Märchen von den in der Erde lebenden Wühlratten „so groß wie Elefanten" in Luft aufgelöst. Doch die Tatsache blieb bestehen, daß im ewig gefrorenen Boden des 8
nördlichen Sibirien Mammutkörper in gut erhaltenem Zustand aufgefunden worden waren. Der Zugang in diese weit entlegenen polaren Zonen war noch kaum erschlossen. Der Wunsch, mehr über diese Tiere zu erfahren, die sich dort oben wie in einem Eiskeller konserviert hatten, ließ sich mit den Verkehrsmitteln der Zeit vorerst kaum verwirklichen, zumal man nicht genau wußte, wo man den Spaten ansetzen müsse. So setzte die Akademie der Wissenschaften in Petersburg Prämien für die Meldung solcher Funde aus. Aber entweder versickerte die Kunde von diesen Prämien in irgendwelchen Amtsstuben und drang gar nicht bis zu den eingeborenen Nomaden des Nordens durch, oder die Sibiriaken wollten so wenig wie möglich mit den Behörden zu tun haben und zogen es vor, ihre Funde privat auszubeuten, aus den Kadavern die Stoßzähne zu bergen und sie an die Pelzhändler, die von Zeit zu Zeit in der arktischen Steppe auftauchten, zu verkaufen. Im Jahre 1805 wagte sich der Botaniker Adams in jene Gegenden. In Jakutsk, dem großen Handelsplatz des sibirischen Nordens, traf er mit einem Tungusen zusammen, dem er endlich einige zuverlässige Angaben entlocken konnte. Der Tunguse hatte vor sechs Jahren in einer Uferwand im Delta der Lena ein von den Fluten freigespültes Mammut entdeckt und vor kurzem war er nochmals an die Fundstelle gegangen, um die Stoßzähne zu bergen. Er erzählte, daß das Mammut in einem riesigen Eisblock in der Wand stecke, daß die Sonne es aber inzwischen zum größten Teil herausgetaut habe. Adams ließ sich von seinem Gewährsmann an den Fundplatz führen und mußte feststellen, daß von dem Körper des Mammuts nicht mehr viel erhalten war. Füchse und andere Räuber hatten sich an dem Fleisch gütlich getan, einiges hatten auch die Tungusen weggeschleppt, um damit ihre Schlittenhunde zu füttern. Trotzdem schätzte Adams sich glücklich, daß er am Kopf und an zwei Füßen des Mammuts, die noch vom Eis und von der gefrorenen Erde bedeckt waren, einige Weichteilreste freilegen konnte. Mit Hilfe der Bevölkerung schälte er das völlig erhaltene Skelett aus seinem eisigen und lehmigen Bett, raffte etwa dreißig Pfund Haare zusammen und brachte seinen Reichtum im folgenden Jahre unter schwierigsten Umständen nach Petersburg. 9
Auf Adams' Spuren drangen in den folgenden Jahrzehnten andere Forscher in den Eisnorden vor, sobald auf umständlichen Wegen die Meldung über einen Mammutfund die Forschungsinstitute Moskaus der Petersburgs erreichte. Wenn die Wissenschaftler dann endlich nach Monaten, manchmal auch erst nach Jahren an den Fundort gelangten, war das meiste bereits zerstört oder verschwunden. Nur ein einziges Mal gelang es in jener Zeit einem Reisenden, dem russischen Geographen Benkendorf, beim Auftauchen eines Mammutkadavers anwesend zu sein.
Es war kein Treibholz „Es war im Frühjahr 1846", so berichtet Benkendorf, „als in Nordsibirien ein ungewöhnlich warmes Wetter herrschte. Bereits im Mai ergossen sich unnormale Regenfälle auf die Sümpfe und Moore, Stürme brausten über das Land, und die Ströme trugen nicht nur die Treibeismengen ins Meer, sondern schwemmten auch gewaltige Bodenmassen mit sich, die von den warmen Regengüssen im Süden aufgetaut worden waren. Am ersten günstigen Tage dampften wir den Indigirka-Fluß aufwärts. So weit das Auge sehen konnte, war das Land überflutet. Um uns herum ein Meer von schmutzigbraunem Wasser; daß wir uns noch auf dem Fluß befanden, erkannten wir lediglich an der Stärke der Strömung. Eine Unmenge von Treibgut kam den Fluß herab, entwurzelte Bäume, Moorbodenbrocken und große Massen treibender Grasbüschel, so daß das Steuern des Schiffes nicht einfach war. Am Ende des zweiten Tages waren wir erst vierzig Werst stromauf gekommen. Ständig mußte ein Mann die Tiefe mit einem Stab ausloten, und unser kleiner Dampfer erhielt manchen Stoß, der ihn bis zum Kiel erzittern ließ; ein hölzernes Fahrzeug wäre hier sicher zertrümmert worden. Acht Tage mühten wir uns auf diese Weise vorwärts, bis wir schließlich den Platz erreichten, an welchem wir mit unseren Jakuten zusammentreffen sollten. Sie kamen von der weiter aufwärts liegenden Siedlung Ujandian. Doch war noch keiner von ihnen erschienen, offensichtlich hatten die Fluten sie aufgehalten. Da wir schon einige Jahre zuvor hier gewesen waren, kannten wir den Platz. Aber, wie hatte er sich verändert! Die Indigirka, hier 10
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2007.01.14 11:43:03 +01'00'
ungefähr drei Werst breit, hatte das Land aufgewühlt und sich ein neues Bett gegraben. Als die Überschwemmung zurückging, sahen wir zu unserem Erstaunen, daß das alte Flußbett nur noch ein unbedeutendes Flüßchen enthielt. Mit einem Boot stakten wir durch den weichen Schlamm und gingen daran, den neuen Strom zu erkünden, der seinen Weg westwärts durch das Land geschnitten hatte. Später landeten wir an der neuen Uferbank, um die untergrabende und zerstörende Arbeit der wilden Wassermengen zu betrachten, die mit außerordentlicher Geschwindigkeit Massen von Torf und Lehm davonführten. Dabei machten wir eine wundervolle Entdeckung. Das Land, auf dem wir gingen, war torfiger Moorboden, dicht bedeckt mit jungem Pflanzenwuchs. Zahlreiche liebliche Blumen erfreuten das Auge im wärmenden Schein einer Sonne, die jetzt schon während des Tages 22 Stunden lang am Himmel blieb. Der Strom riß ständig Stücke des weichen Moorufers mit sich, so daß es gefährlich war, nahe am Uferrand zu gehen. Während einer Pause in unserer Unterhaltung vernahmen wir plötzlich unter unseren Füßen ein Gurgeln und gewahrten eine Bewegung in dem Wasser unterhalb des Ufers. Einer der Männer stieß einen Ruf aus und wies auf eine seltsame formlose Masse, die in dem wirbelnden Wasser sich hob und senkte. Ich hatte die Masse auch bemerkt, ihr jedoch keine Aufmerksamkeit geschenkt in der Meinung, daß es sich nur um Treibholz handele. Aber jetzt eilten wir alle an das Ufer. Unser Boot hatten wir dicht bei uns und warteten nun, bis das seltsame Ding sich wieder zeigen würde."
„Rasch, Ketten und Seile her!" „Unsere Geduld wurde auf eine lange Probe gestellt", schreibt Benkendorf weiter, „aber endlich tauchte eine ungeheure schwarze schreckliche Masse aus dem Wasser empor. Wir sahen einen kolossalen Elefantenkopf, bewaffnet mit mächtigen Stoßzähnen, der lange Rüssel unheimlich im Wasser wedelnd, als suche er etwas Verlorenes. Atemlos vor Aufregung betrachtete ich das kaum vier Meter entfernte Ungeheuer, das das Weiße seines halboffenen Auges sehen ließ. ,Ein Mammut, ein Mammut', rief irgend jemand. Ich schrie: ,Rasch, Ketten und Seile her'! Und nun gingen wir daran, uns das Ungeheuer, das der Fluß uns zu entreißen drohte, zu sichern. 11
Nachdem es wieder unter das Wasser versunken war, mußten wir auf die nächste Gelegenheit warten, ihm ein Seil über den Kopf zu werfen, was uns jedoch erst nach verschiedenen Versuchen gelang. Nach näherer Untersuchung konnte ich zu meiner Beruhigung feststellen daß die Hinterbeine des Mammuts noch in dem gefrorenen Schlamm steckten und daß das Wasser, das über die Uferwände schwemmte, uns das Mammut freispülen würde. So machten wir dem Kadaver eine Schlinge um den Hals, warfen eine Kette über die fast drei Meter langen Stoßzähne, trieben sechs Meter vom Ufer entfernt einen Pfahl in den Boden und befestigten daran Kette und Seil. Mich interessierte die Stellung des Tieres. Es lag nicht auf der Seite wie ein verendetes Tier, sondern stand aufrecht im Boden, so die Art seines Unterganges anzeigend. Vor Tausenden von Jahren hatte der weiche Moorboden, auf den das Tier getreten war, unter
Aus zehntausendjährigem Schlaf gestört: Mammut, zum Teil noch im Eis und gefrorenem Lehm steckend, kommt ans Tageslicht (1901). 12
dem Gewicht des Riesen nacngegeben, und er war, so wie er stand, versunken, unfähig, sich zu retten. Danach folgte ein scharfer Frost, der das Tier und den Moorboden, der es verschlungen hatte, gefrieren ließ. Mit jeder Frühjahrsüberschwemmung war das Moor allmählich immer mehr mit Treibholz, Sand und entwurzelten Pflanzen bedeckt worden, und Gott allein weiß, durch welche Mittel das Tier erhalten geblieben war. Nun aber hatte es der Strom wieder ans Tageslicht gebracht, und ich, eine Eintagsfliege des Lebens verglichen mit diesem urweltlichen Riesen, war von dtr Vorsehung gerade zur rechten Zeit hierher gesandt worden, ihn zu begrüßen. Man kann sich meine Freude vorstellen! Während unseres Abendessens meldete die Wache die Annäherung einiger Fremder, einer Gruppe von Jakuten auf ihren schnellen struppigen Ponies. Es waren die Leute, mit denen wir verabredet waren, und sie freuten sich sehr, uns gefunden zu haben; mit ihnen vergrößerte sich unsere Gesellschaft auf etwa fünfzig Personen. Als wir ihnen von unserem herrlichen Fund erzählten, eilten sie an das Ufer, und es war spaßig anzusehen, wie sie beim Anblick des Mammuts ganz aufgeregt wurden und unaufhörlich durcheinanderschwatzten. Einen Tag lang überließ ich sie ihrer abergläubischen Aufregung, aber als am folgenden Tage ein starker Ruck an Kette und Seil anzeigte, daß das Mammut aus der Umklammerung des gefrorenen Bodens freigespült war, befahl ich ihnen, ihre ganze Stärke aufzubieten, um das Ungeheuer ans Ufer zu ziehen. Nach harter Arbeit, bei der sich auch die Pferde als sehr nützlich erwiesen, gelang uns dies schließlich, und wir zogen den Kadaver etwa vier Meter weit auf das Land. Erstaunlich war dabei die rascher zersetzende Wirkung der warmen Luft auf die Leiche."
„Schreckeinflößend, fremd und wild" „Man stelle sich einen Elefanten vor", so heißt es weiter in Benkendorfs Bericht, „den Leib von einem dichten Pelz bedeckt, über vier Meter hoch, fünf Meter lang und mit fast drei Meter langen, dicken und an ihren Enden auswärts gebogenen Stoßzähnen. Ein kräftiger Rüssel zwei Meter lang, kolossale halbmeterdicke Beine und ein kahler Schwanz, der nur an der Spitze ein dichtes Haarbüschel 13
trug. Das Tier war fett und ausgewachsen, der Tod hatte es in der Fülle seiner Kraft überwältigt. Seine großen, pergamentartigen nackten Ohren lagen über den Kopf geklappt, auf Schultern und Rücken trug es eine aus steifen, ungefähr dreißig Zentimeter langen Haaren gebildete Mähne. Der Schädel war dick mit Schlamm bedeckt, aber an den Seiten war das Tier sauberer, und unter den langen dunkelbraunen Außenhaaren fand sich überall eine ganz weiche, warme und dichte fahlbraune Wolle, durch die der Riese gut gegen die Kälte geschützt war. Die ganze Erscheinung des riesigen Tieres war schreckeinflößend, fremd und wild. Es hatte nicht das Aussehen unserer heutigen Elefanten. Verglichen mit dem Indischen Elefanten war sein Kopf grob, das Schädeldach niedrig und schmal, Rüssel und Maul viel größer. Der heutige Elefant ist ein ehrfurchtgebietendes Tier, aber verglichen mit diesem Mammut ist er ein arabischer Hengst gegen ein grobes schwerfälliges Zugpferd. Ich konnte mich nicht eines gewissen Gefühls der Furcht erwehren, als ich mich dem Kopf näherte. Die offenen Augen verliehen dem Ungeheuer einen fast lebendigen Ausdruck, so als könnte es sich plötzlich bewegen, sich erheben und mit fürchterlichem Gebrüll auf uns eindringen. Der üble Geruch der Leiche mahnte uns, daß es höchste Zeit sei, von ihr zu bergen, was wir konnten, ebenso trieb uns der ständig am Uferrand nagende Fluß zur Eile. Zuerst hackten wir die Stoßzähne ab und trugen sie zum Boot. Dann versuchten die Jakuten den Kopf abzuhauen, aber trotz ihrer Anstrengungen ging diese Arbeit nur langsam voran. Ferner ließ ich den Magen ausschneiden und beiseite ziehen. Er war gut gefüllt, sein Inhalt wohlerhalten, seine Hauptbestandteile waren junge Fichten- und Kiefernschosse, auch eine Anzahl unreifer Fichtenzapfen fand sich in zerkautem Zustand in der Masse des Mageninhalts. Beim Ausweiden des Tieres war ich genau so unaufmerksam und achtlos wie meine Jakuten, die gar nicht bemerkten, daß der Boden unter ihren Füßen immer mehr nachgab, bis plötzlich ein Schreckensschrei mich aus meinem Wühlen in dem Mammutmagen aufriß und die gefährliche Lage erkennen ließ. Überrascht sprang ich auf und sah, daß das ganze vom Wasser unterwühlte Ufer mit den Jakuten 14
und unserem so mühsam geborgenen Fund einsank. Glücklicherweise war unser Boot dicht bei der Hand, so daß wir die Eingeborenen im letzten Augenblick retten konnten, aber die Mammutleiche wurde von der reißenden Strömung mitgenommen, versank und erschien nicht wieder vor unseren Augen."
Abenteuer eines Schwaben Fünf Jahrzehnte vergingen, bis man endlich einen Mammutfund machte, wie man ihn lange erhofft hatte. Im April 1901 traf in der Akademie der Wissenschaften in Petersburg ein Brief ein, der von einer Station an der Eismeerküste abgesandt war. Der Absender teilte mit, daß an der Beresowka, einem rechten Nebenfluß der ins Eismeer mündenden Kolyma, ein Mammutkörper aufgetaucht sei, der sehr gut erhalten sein sollte. Die Akademie rüstete in Eile eine Expedition aus, der die Forscher Herz, Sewastianow und Pfizenmayer, ein Schwabe, angehörten. Pfizenmayer hat später in einem spannend geschriebenen Buch über „Mammutleichen und Urwaldmenschen in Nordost-Sibirien" einen ausführlichen Bericht von dieser Reise gegeben. Die Expedition begab sich Anfang Mai von Petersburg aus auf den Weg. Nach achttägiger Fahrt mit der transsibirischen Eisenbahn gelangten die Reisenden nach Irkutsk, der Hauptstadt Sibiriens. Von hier aus ging es mit dem Tarantas, einem von drei Pferden gezogenen Wagen, 360 km weit nach Schigalowa an der Lena, mit einem Boot abermals 360 km weiter die Lena abwärts nach Ustkutsk und dann mit einem Dampferchen nach Jakutsk, wo die Reisenden am 1. Juni eintrafen. Drei Wochen ruhten sie sich von den Strapazen aus. Am 20. Juni brachte sie der Dampfer flußabwärts. Dann bestiegen sie die Pferde und in einem über zweiwöchigem Ritt durch Urwald und Gebirge erreichten sie Werchojansk, einen der kältesten Plätze auf dem Erdball, an dem im Winter Kältegrade bis zu 70 Grad gemessen worden sind. Jetzt, Anfang Juli, triumphierte auch hier der Frühling mit bunten Blumen und Vogelsang und Millionen von Mücken, die diese von schwermütigem Zauber erfüllte nordische Landschaft zur Hölle machen können. 15
Von Werchojansk führte Mitte Juli die Reise weiter zu Pferde nach Norden durch die Urwälder der Taiga. Die Mittsommernacht war längst vorüber, tagelange Regengüsse verzögerten den Marsch, schon sank nachts die Temperatur weit unter den Gefrierpunkt, und am 29. Juli schneite es zum ersten Male. Doch dann besserte sich das Wetter noch einmal, und am 2. September endlich traf die Expedition in Sredne-Kolymsk ein, der östlichsten Kreisstadt des Jakutskgebietes mit 273 Einwohnern; von hier aus waren es „nur" noch drei Tage Bootsfahrt und drei Tage Pferderitt zu dem Fundplatz des Mammuts. Es war die erste Septemberhälfte, die Expedition bestand nur noch aus Pfizenmayer und Herz; der Geologe Sewastianow hatte inzwischen aufgegeben. Die beiden Männer ließen einen Kilometer weit vom Mammutfundplatz entfernt eine feste, mollig warme Blockhütte errichten, die für die kommende Zeit als Standquartier diente. „Doch jetzt spürte ich keine Müdigkeit", schreibt Pfizenmayer am Ziel der langen Reise, „nach einer halben Stunde eilte ich mit Herz nach der Fundstätte, zu der es mich mit immer mehr wachsender Ungeduld hinzog. An einer Biegung des Flusses erreichte der Pfad das Absturzgebiet am linken Ufer und führte, langsam ansteigend, zwischen abgerutschten Erdmassen und in die Luft ragenden Baumwurzeln bis in halbe Höhe des wild zerrissenen und zerklüfteten Absturzgebietes empor. Schon eine geraume Weile, bevor der Mammutkadaver in Sicht kam, traf meine Nase der keineswegs liebliche Duft, der von ihm ausging, vergleichbar den Dünsten eines schlechtgehaltenen Pferdestalls, stark gemischt mit Aasgeruch. Dann tauchte nach einer Biegung des Pfades der hochragende Schädel auf, und jetzt standen wir am Grab des eiszeitlichen Riesentieres: Rumpf und Gliedmaßen steckten teilweise noch in den Erdmassen, mit denen zusammen der Kadaver von oben aus einer der weiten Spalten der Eisbank abgerutscht war. Die Wände dieser Eisbank ragten an verschiedenen Stellen nahezu senkrecht über dem Absturzgebiet empor. Wortlos standen wir vor diesem Zeugen der Vorwelt, der bis auf unsere Tage in seinem Eisgrab Jahrtausende lang fast unversehrt erhaltengeblieben war, und lange konnten wir uns von diesem sagenumsponnenen Urwaldwesen nicht trennen, dessen bloßer An16
blick die Naturkinder der Wälder und Tundren schon mit abergläubischem Grauen erfüllt. Schon als Knabe hatte ich mich für die Eiszeitfunde in den Albhöhlen meiner schwäbischen Heimat begeistert, hatte auch Grabungen beiwohnen dürfen und daraufhin wochenlang von Mammut und Höhlenbär, Wisent und Riesenhirsch geträumt. Als Mann führte mich jetzt mein Schicksal in die eisige Arktis Sibiriens, und einstige Jugendträume wurden Wirklichkeit; es sollte mir vergönnt sein, an der Ausgrabung einer vieltausendjährigen Mammutleiche teilzunehmen. Das Bewußtsein, daß von allen Kulturmenschen nur allein uns dieser einzigartige Anblick vergönnt war, hielt uns noch immer gefangen, als wir in der Dämmerung dieses unvergeßlichen Herbstabends durch die schweigende nordische Urwaldeinsamkeit nach unserer Blockhütte zurückwanderten." Mit Hilfe der Eingeborenen errichteten Herz und Pfizenmayer aus Baumstämmen über dem Kadaver eine Hütte mit zwei Öfen darin, um die gefrorenen Erdmassen um das Mammut herum aufzutauen und so die Leiche freizulegen, ohne die lange Behaarung des Tieres zu zerstören und die Weichteile zu verletzen. Nur der über dem Rumpf aufragende Schädel wurde vorher abgetrennt, da sonst ein zu hohes Hüttendach notwendig gewesen wäre. Beim Abnehmen des Schädels fanden sich auf den Backenzähnen sowie auf der noch sehr gut erhaltenen Zunge Reste des von dem Tier kurz vor seinem Tode aufgenommenen Futters; später bargen sie auch aus dem Magen 30 Pfund Nahrungsreste. Die Reste wurden nach der Rückkehr nach Petersburg im Botanischen Museum untersucht, sie enthielten verschiedene Arten von Gräsern und Blütenpflanzen, wie Thymian, gelber Alpenmohn, scharfer Hahnenfuß, Enzian, Alpenraute und andere, jedoch keine Reste von Nadelhölzern, Birken und Weiden, wie man sia später in den Mägen anderer Mammute fand. Nach Abnahme des Schädels setzten sie der Blockhütte das Dach auf und begannen mit dem Heizen. Mit dem fortschreitenden Auftauen zerlegte Pfizenmayer das Mammut in knapp dreiwöchiger Arbeit so kunstgerecht, daß die einzelnen Teile gerade so groß und schwer waren, um noch auf den Rentierschlitten transportiert werden zu 17
können. Die Zerlegung der Leiche war sehr unangenehm, da sieh das Mammutfleisch beim Auftauen weiter zersetzte. Hatte es in gefrorenem Zustand noch frisch rot und appetitlich ausgesehen, so wurde es nach dem Auftauen welk und grau und verbreitete einen widerlichen Ammoniakgeruch, der allem anhaftete und die Männer auf Schritt und Tritt begleitete. Doch sie trösteten sich damit, daß es ja ein ganz rarer Gestank, eben „Mammutduft" sei. Indessen konnten sie sich trotz gegenseitigem Zureden nicht entschließen, von dem zunächst so appetitlich aussehenden Fleisch zu kosten, so daß die jakutische Laika, der Hund eines Kosaken, das einzige Expeditionsmitglied blieb, das dieses Wildbret schätzte. Beim Zerlegen des Riesen stellte sich heraus, daß das Tier seinerzeit beim Wandern über das Wiesenmoor in eine Spalte des darunter befindlichen ewigen Eises gestürzt war. Im Sturz hatte es sich den Oberschenkel des rechten Vorderfußes und das Becken gebrochen, war bewegungsunfähig geworden und wurde von nachfallenden Erdmassen rasch erstickt. In ihrem kalten Grab. blieb die Leiche Jahrtausende lang gefroren erhalten, bis schließlich eine Schlinge des Beresowka-Flusses sich an die Grabkammer herangenagt und sie mit einem Stück Uferwand zum Abrutschen und damit das Mammut ans Tageslicht gebracht hatte. Entdecker war ein jagender Lamute, dessen Hund ihn, angezogen von dem Aasgeruch, an den Platz geführt hatte. Der Kopf, so erzählte der Lamute, sei noch mit Weichteilen erhalten gewesen, habe auch eine „Nase" von der Länge eines einjährigen Rentierkalbes sowie einen Stoßzahn gehabt. Zunächst habe er sich gefürchtet, den unheimlichen Fund zu berühren, am nächsten Tag jedoch sei er mit zwei Stammesgenossen nochmals an den Pla.tz gegangen, um den Stoßzahn loszuschlagen. In Kolymsk verkauften die drei dann einige Tage später den Zahn. Dadurch wurde der Fund bekannt. Der Kreischef besichtigte ihn und gab über den Gouverneur von Jakutsk die Fundmeldung nach Petersburg. Die lange Nase des Mammuts, der Rüssel, die meisten Weichteile des Kopfes und verschiedene Eingeweide waren bis zum Eintreffen der Expedition schon von Raubtieren gefressen worden, doch im großen und ganzen war das Mammut noch prächtig erhalten und erbrachte manche neue Erkenntnis über den Körperbau dieses Vorzeitkolosses. 18
Transport nach Petersburg Viel Kopfzerbrechen hatte vor der Abreise in Petersburg die Frage bereitet, wie wohl die Weichteile am besten zu konservieren seien, und ganze Säcke von Chemikalien hatten die Forscher mitnehmen müssen — aber gerade dieses Problem war am einfachsten zu lösen: Alle zerschnittenen Teile des Mammuts wurden in Rinder- und Pferdehäute eingenäht und im Freien aufbewahrt, wo sie wieder einfroren. Die Expedition mußte nur bis zum Ende des Winters wieder in Irkutsk sein, von wo aus die Mammut-Gefrierfleischladung in einem Kühlwagen mit der Eisenbahn nach Petersburg verbracht werden konnte. Am 10. Oktober war die Bergung beendet. Einige Tage später begann die Rückreise nach Irkutsk mit Rentier- und später mit Pferdeschlitten. Als sie endlich am 18. Februar 1902 in Petersburg eintrafen, war die Kunde von der geglückten Expedition den Reisenden schon vorangeeilt. Überall auf den Bahnstationen wollten die Leute das Mammut sehen. In Petersburg wurden die Rückkehrenden von den Reportern der Weltzeitungen bestürmt, die ihren Lesern sensationell aufgemacht über das Riesenmammut berichteten und über die Strapazen der Expedition, „während der mehrere Leute gestorben und die Überlebenden sich von Salzfischen, Stutenmilch und abgekochter Baumrinde ernährt hatten". Aber das war alles freie Erfindung; vielleicht hatte auch irgendwer den Reportern einen Bären aufgebunden. Auch der Flerrscher aller Reußen, der Zar, besichtigte mit seiner Gemahlin und zahlreichem Gefolge das Mammut, das im Eingangssaal des Museums zusammengesetzt worden war. Eine schöne Ergänzung dieses Mammutfundes erbrachte eine zweite Reise Pfizenmayers, die er im Jahre 1908 an die Eismeerküste gegenüber den Neusibirischen Inseln unternahm, von wo der Fund eines Mammuts im Bett des Küstenflüßchsns Sanga-jurach gemeldet worden war. Zwar erwies sich der Fund nicht als ein vollständiges Mammut: doch war die weite Reise nicht vergeblich, da sich am Schädel des Tieres noch der fast vollständig erhaltene Rüssel befand, der dem Beresowka-Mammut gefehlt hatte, so daß man nunmehr über das Aussehen des Mammuts recht genau unterrichtet war. 19
In der Eiszeitlandschaft Danach unterschied sich das Mammut von den heute lebenden Elefanten vor allem durch eine starke Behaarung des ganzen Körpers, unter der das Tier noch eine dicke Fettschicht besaß. Auch Rüssel, Ohren und Schwanz waren dicht behaart, und schließlich verfügte das Mammut noch über ein ganz besonderes Kälteschutzorgan in Gestalt einer Afterklappe, die als ein kräftiges Muskelpolster den After und seine Umgebung vollständig bedeckte. Alle diese Ausbildungen weisen darauf hin, daß das Tier in einem kalten Klima lebte. Das Mammut war ein Geschöpf der Eiszeit — oder genauer, der vierten Eiszeit.
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Die Eiszeit ist die jüngste Epoche der Erdgeschichte, sie begann vor etwa 600 000 Jahren. Aus irgendwelchen Ursachen, für die es bis heute noch keine befriedigende Erklärung gibt, verschlechterte sich das Klima auf der Erde. Die mittlere Jahrestemperatur sank um mehrere Grad, Regen- und Schneestürme überfielen das Land. In den Polargebieten und auf den Gebirgen bildeten sich ausgedehnte Schneefelder, die im Sommer nicht mehr abschmolzen und im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende zu mächtigen Firngebieten wurden, aus denen gewaltige Eisgletscher weite Teile von Europa, Asien und Nordamerika überzogen. Aus den Gesteinsablagerungen der Gletscher, den Moränen, haben die Geologen ersehen können, daß innerhalb der 600 000 Jahre der gesamten Eiszeitepoche die Gletscher mehrmals vorstießen und wieder zurückwichen. Vier große Abschnitte ausgedehnter Vereisung lassen sich besonders deutlich erkennen, und dazwischen drei wärmere Zwischeneiszeiten, „Warmzeiten", in denen die Gletscher sich wieder abschmelzend zurückzogen. Der letzte, vierte Gletschervorstoß begann vor 120 000 Jahren, und er endete in Mitteleuropa vor etwa 10 000 Jahren, in den südlichen Gebieten noch früher. Der Norden aber lag noch viel länger unter dem Eispanzer, und in den Polargebieten sind noch gewaltige Landgebiete mit einem kilometerdicken Eispanzer bedeckt, und niemand vermag zu sagen, ob diese Eisdecke in den nächsten Jahrtausenden völlig verschwindet 20
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oder ob nicht die Gletscher abermals vordringen und das vom Menschen seither kultivierte Land mitsamt seinen Großstädten überdecken werden. Mit dem vierten großen Eisvorstoß erschien im Geschlecht der. damals weltweit verbreiteten Elefanten eine neue, dem kälteren Klima angepaßte Art: das Mammut, dessen Oberreste die Menschen so lange für Reste von Riesen gehalten hatten. In Norddeutschland erstreckte sich der Eisrand von Süd-Ostpreußen südwestwärts bis nach Grünberg in der Lausitz und wandte sich von hier aus wieder nordwestwärts nach Brandenburg und weiter hinauf nach Schleswig-Holstein. Weiter westlich war ganz Schottland vom Eis bedeckt; die Nordsee drang nicht so weit wie heute nach Süden in die Deutsche Bucht hinein, die Nordseeküste lag damals etwa in der Gegend der Doggerbank, und auch der Ärmelkanal, der heute England vom Festland trennt, bestand noch nicht. Und da auch im Süden von den Alpen her Gletscher in das nördliche Alpenvorland vorstießen und selbst die niedrigeren Mittelgebirge — Schwarzwald, .Vogesen, Rheinisches Schiefergebirge, Harz, Thüringer Wald, Erz- und
Hier, bei Predmost, befand sich eines der großen Lager der Mammutjäger mit Vieltausend Mammuiresten. 21
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Riesengebirge und in Westeuropa die Pyrenäen — kleinere Gletscher besaßen, war das dazwischen liegende Gebiet fast ringsum von Eis umgeben. Inmitten dieser eisigen Umrahmung herrschte in dem eisfreien Mitteleuropa ein arktisches Klima mit kühlen Sommern und sehr kalten Wintern. In Mitteldeutschland in der Nähe des Eisrandes betrug die durchschnittliche Juli-Temperatur fünf Grad Wärme, die JanuarTemperatur 22 Grad Kälte. In der Gegend von Paris, wo heute ein recht mildes Klima herrscht, lag die Juli-Temperatur bei etwa zehn Grad, die Januartemperatur bei minus 16 Grad. Das kalte Klima veränderte das Pflanzenkleid. Überall wo aus den eiszeitlichen Bodenschichten Pflanzenreste geborgen werden konnten, fanden sich an Holzgewächsen lediglich die Zwergformen von Weide, Birke und Erle, und im übrigen jene Arten von Moosen, Gräsern und Kräutern, die heute im hohen Norden vorkommen. Der europäische Wald der dritten Zwischeneiszeit, in dem es so wärmeliebende Bäume wie Buchsbaum, Feige und Lorbeer gegeben hatte, war mit dem Herannahen der Gletscher vergangen. Das üppigbunte Wachstum hatte sich in eine bescheidene Pflanzendecke aus Moostundren und Grassteppen mit einigen kleinen Gehölzen an besonders geschützten Stellen verwandelt. Acht Monate lang breitete sich Schnee über Tundren und Steppe.
Wanderung in die Vergangenheit Versetzen wir uns um 50 000 Jahre zurück. Wir befinden uns in Südwestdeutschland im nördlichen Hegau, doch von den Vulkanbergen, die heute dieser Landschaft das bezeichnende Gepräge geben, erblicken wir lediglich den Hohenstoffeln und Hohenhöwen. Die anderen, und sogar der mächtige Hohentwiel, sind völlig unter der vielhundert Meter starken Eisdecke des Rheingletschers begraben, dessen Abbruchkante hier entlang verläuft. Auf den Wiesen und Mooren nördlich des Gletscherrandes ist der Schnee nahezu völlig verschwunden, und frisches lebendiges Grün und Blumenbunt hebt sich in den Sonnenschein und den kalten Wind, der ständig vom Eise her ins Land weht. Die weißen Flöckchen des Wollgrases wiegen 22
sich neben den gelben Blüten des Hahnenfußes und den fleischroten der Kuckuckslichtnelken, die Kriechweiden haben goldene und grüne Kätzchen aufgesteckt. Die Lieder von Finken, Ammern und Drosseln klingen durch die klare, kühle Luft, über den Wiesen wuchtein und quienen die Kiebitze, von weiter her grummelt das Trommeln und Kollern balzender Birkhähne. An dem Schmelzwasserfluß des Gletschers, der südwestwärts nach Schaffhausen in den Rhein fließt, begegnen wir einer Herde Rentiere und einem Rudel Wildpferde. Ein Eisfuchs bummelt über das Moor, auf der Jagd nach Halsbandlemmingen, Schnee- und Zwiebelmäusen oder nach Zwergpfeifhasen und Hamstern, die auf den höheren, trockneren Grassteppen wohnen. Wolf, Luchs, Bär und Vielfraß, die hier vorkommen, lassen sich heute nicht blicken; in der Ferne aber beobachten wir ein grasendes wollhaariges Nashorn und dann endlich auch jene Riesen, nach denen wir schon lange Ausschau halten: Mammuts. Fünf Tiere sind es, ein gewaltiger, mindestens vier Meter hoher Bulle und zwei kleinere Kühe, jede mit einem mannsgroßen Kalb. Gemächlich ziehen diese „Riesen" durch das flache Gelände — die Berge lieben sie nicht; vielleicht befinden sie sich auf ihrer Frühjahrswanderung weiter nach Süden, tiefer in die Gletscherzone, wo es auch im Eiszeitsommer angenehm kalt bleiben wird. Das Bild dieses dahintrottenden Rudels ist ein Anblick, der das Herz höher schlagen läßt — leider ist es nur ein Anblick für das geistige Auge. Doch ist unsere Wanderung durch die südwestdeutsche Eiszeitlandschaft keineswegs nur ein Erzeugnis blühender Phantasie; das Aussehen des Landes, die Mächtigkeit der Eisdecke und ihre räumlidie Ausdehnung, der Verlauf der Schmelzwasserflüsse und manches andere sind aus den Gesteinsablagerungen deutlich zu erschließen; die Pflanzen der Landschaft kennt man aus winzigen Überresten in Moorr und Seebodenablagerungen, und die Tiere schließlich aus den Küchenabfällen an den Wohnplätzen der damals lebenden Menschen. Solche Wohnplätze treffen wir in der Hegau-Gegend, die wir eben durchstreift haben, an verschiedenen Orten, so am Petersfels bei Engen, im Kesslerloch bei Thayngen und am Schweizersbild bei Schaffhausen, einer in warmer, sonniger Südlage gelegenen Felswand. Dieser Platz war jahrtausendelang ein immer wieder von den Menschen aufgesuchter Ort; in seinem Boden fanden sich - zahlreiche Tier23
knochen zusammen mit Werkzeugresten, die aus völlig verschiedenen Zeitabschnitten stammen. Erst in der zweiten Schicht gesellt sich das Mammut zu den vorhandenen Tieren, aber schon in der dritten Schicht sucht man es vergebens. So kurz war, gemessen an der Eiszeitperiode, die Zeit seines Erdenwandels.
Lager der Mammut Jäger Auf der „Speisekarte" der altsteinzeitlichen Menschen der späten Eiszeit stand Mammutfleisch mit an der ersten Stelle; denn anders als im heißen Afrika, wo das Fleisch eines erlegten Elefanten gleich an Ort und Stelle verzehrt werden muß, weil es in der Hitze rasch verwest, konnte im Eiszeitklima der Mammutlandschaft das Fleisch zu Streifen zerschnitten und an der Luft getrocknet und eingefroren werden, so wie es heute die Eskimos und nordkanadischen Indianer noch mit ihrer tierischen Beute tun, um für Notzeiten einen ansehnlichen Speisevorrat bereitzuhalten. Die Mammutjäger schätzten aber nicht nur das Fleisch. Die Mammute waren auch Großlieferanten für manchen anderen Bedarf des Menschen. In Niederösterreich, in Lang-Mannersdorf, hat in unserer Zeit der Spaten des Vorgeschichtsforschers zwei Wohnplätze der Mammutjäger freigelegt, die Herbert Kühn beschrieben hat: „Die Fundstelle des ersten Lagerplatzes liegt nur 30 cm unter der heutigen Oberfläche, der Boden war in einer Ausdehnung von mehreren Metern mit Sandsteinplatten bedeckt. Auf ihnen lagen noch die Mahlzeitreste, Knochen vom Mammut und anderen Tieren, zusammen mit Feuersteingeräten. Hier »war der große Platz, wo das Wild zerlegt wurde, wo die Jäger aßen. Die Steinplatten dienten als Unterlagen beim Zerlegen der Tiere und auch als Teller und Tisch. Die Zahl der Plätze läßt auf acht bis zehn Personen schließen. Bei einem der Steine lag noch ein Zerstampfer aus Mammutstoßzahn, in der Nähe waren Muscheln als Schmuckstücke und Rötel. Es fand sich weiter eine große Anzahl von Feuersteinabfallstücken, und das sagt deutlich aus, daß hier die Steingeräte hergestellt wurden. Zwei Meter entfernt nach Nordwesten hin fand sich der Abkochplatz. Es ist eine kreisrunde Feuerstelle mit flacher Vertiefung in einer dicken Schicht 24
von Brandresten. Man konnte hier auch erkennen, daß nicht Holz zum Brand verwendet worden ist, denn die Landschaft ist ja ohne Bäume. Es waren verkohlte Kriochenstücke vom Mammut, die ins Feuer geworfen wurden, um damit zu heizen. Neben dem Herd lagen noch einige große unverbrannte Knochen, und einen Meter von diesem Herd entfernt befand sich auf der Nordseite ein Haufen von unverbrannten Mammutknochen, und zwar besonders Rippen und die Kieferteile von Backenzähnen. Dieser Haufen war der Stapelplatz des Feuerungsmaterials. Etwas später wurde der zweite Lagerplatz ausgegraben. Er befindet sich etwa sechzig Meter südlich von dem ersten und bedeckt eine. Fläche von zwanzig mal vierzehn Metern. Hier liegen in der Mitte eine große Abkochstelle und um sie herum die Mahlzeitplätze, die Küchenabfallplätze und die Arbeitsplätze der Feuersteinschläger. Um den großen Platz herum lagen einzelne Steinplatten und seltsamerweise auch achtzehn kugelrunde Steinbildungen aus der Tertiärzeit. Sie lagen auf einem Fleck zusammen. Zweifellos waren es Spielkugeln, und schon mehrfach sind solche Spielkugeln an den eiszeitlichen Rastplätzen beobachtet worden. Das Interessanteste aber war südlich des großen Abkochplatzes die Wohnung: eine Wohngrube von fast rundem Grundriß mit ungefähr zweieinhalb Meter Durchmesser, über eineinhalb Meter tief in den Löß eingegraben. In der Hütte fand sich eine Sitzbank. Ein länglicher Lößblock war beim Ausgraben der Grube stehengeblieben. Hier saß der Steinschläger. Um die Sitzbank herum lag eine große Menge von Feuersteinsplissen. Die Grube war sicherlich mit einem Dach aus Reisig und Fellen bedeckt, und Windschirme haben an der Nord- und Westseite Schutz vor Kälte und dem Wehen des Lößwindes gegeben. In einiger Entfernung von der Grube fand sich eine große Menge von Rötel und Graphit. In der Nähe lag ein großer Mammutstoßzahn, noch zwei Meter lang. Er war als Schlagbank benutzt worden. Die Oberfläche war durch Abschläge ganz gerauht und abgetragen. Auf ihm hatte der Steinschläger seine Steine geschlagen, vielleicht wurden auch die Knochen auf ihm zerschlagen." Ganz ähnliche Mammutjägerlager sind an zahlreichen anderen Stellen in Europa, Nordamerika und selbst in Sibirien ausgegraben worden. Auch der schon erwähnte Mammut-Knochenfund von Cannstatt 25
aus dem Jahre 1700 gehörte zu einem solchen Lager. Heute weiß man auch, daß die Knochenlagerstätte von Predmost in Böhmen von Mammutjägern angelegt worden ist. Hier hatte im 16. Jahrhundert unterhalb eines Lößhügels ein Mann namens Chrometschek, um seinen Garten zu vergrößern, den Hügel angeschnitten und war dabei auf eine so ungeheure Menge von Knochen riesiger Tiere gestoßen, daß er sie zerstampfen und zu Dünger für die Felder von Predmost zermahlen ließ. Als in späterer Zeit Forscher noch tiefer in den Hügel vordrangen, entdeckten sie, daß die Lagerstätte einstmals wohlgeordnet angelegt worden war; Backenknochen, Schulterblätter, Stoßzähne, Mahlzähne, Gelenkkapseln, Gelenkköpfe der Mammute waren sorgfältig sortiert und deutlich von den Resten anderer Eiszeittiere, des Rhinozeros, des kleinen Bären, der Rentiere, Pferde, Elentiere, Büffel, Hirsche, Rehe, Schneehasen, Wölfe, Füchse, Vielfraße, Marder, Höhllöwen, geschieden. Es fanden sich auch Zehntausende von Steinwerkzeugen und die Skelette von acht Erwachsenen und zwölf Kindern der Eiszeitmenschen. Auch dieser Fundplatz bot ein lebendiges Bild vom Leben der Mammutjäger.
Mit Pfeil, Speer und Fallgrube Es war nicht leicht für die altsteinzeitlichen Menschen, dem Mammut zuleibe zu rücken. In seinem dichten Haarkleid und mit dem kräftigen Polster seiner Fettschicht ausgestattet, war es weitgehend gegen ernsthafte Verwundungen gefeit. Trotzdem können wir aus manchen Funden schließen, daß die Jäger das Mammut mit ihren Speeren und Lanzen und später auch mit Pfeil und Bogen erlegt haben. So weiß man, daß der noch weit größere Altelefant, der Vorfahre des Mammut, in noch viel früherer Zeit auf solche Weise gejagt worden ist. Im Sommer 1948 gruben Arbeiter bei Verden an der Aller in Norddeutschland einen Altelefanten aus, zwischen dessen Rippen noch ein scharfzugespitzter und im Feuer gehärteter Speer aus Eichenholz steckte. Auch in Spanien und in England fand man neben erlegten Altelefanten die Spitzen von Holzspeeren. Mit solchen Speeren bewaffnet, schlich sich der Jäger gewiß auch an das Mammut heran und stieß ihm von hinten die Waffe in die weiche Bauchdecke. Aber auch in Fallgruben wurden die Riesen erjagt. Die Steinzeit26
jäger legten die getarnten Tretfallen in ganzen Gruppen und Reihen an, so daß die zweite Grubenreihe in den Lücken der ersten lag und das Wild, das mit Feuerbränden gescheucht wurde, mit Sicherheit in eines der Fall-Löcher stürzte. Fallgruben mit Knochenresten von Mammuts wurden an verschiedenen Plätzen nachgewiesen. Der Eiszeitmensch hat uns aber noch ein weiteres Zeugnis für dieses Jagdverfahren hinterlassen. Im Innern der Höhle Fort-de-Gaume in Südfrankreich fand man unter vielen anderen Bildern den Aufriß einer solchen Fallgrube an die Felswand gemalt.
Ein Rechtsanwalt und ein Kind lösen das Rätsel Denn inzwischen hatte das Mammut, das in Knochenresten, in unversehrten Skeletten und sogar in seiner ganzen Körperfülle wieder zum Vorschein gekommen war, auch im Bilde Auferstehung gefeiert und war darüber erneut in den Streit der Gelehrten geraten. Damals, vor der Mitte des vorigen Jahrhunderts, war die Bodenforschung noch nicht in der Lage, aus den Ablagerungen und Schichten in der Umgebung der Fundplätze zuverlässig auf die Zeit zu schließen, in der der Vorzeitkoloß gelebt hatte. Man rechnete das Mammut zu den Urwelttieren, die lange vor dem Erscheinen der ersten Menschen von der Bühne des Lebens abgetreten waren. Die Frage, ob der Mensch das Mammut noch erlebt habe, wurde auch deshalb verneint, weil man ein so hohes Alter des Menschengeschlechtes nicht für möglich hielt und Menschenfunde aus der Vorzeit nicht sicher bekannt waren. Ein Rechtsanwalt und ein fünfjähriges Mädchen sollten Antwort auf diese Frage geben. Der Rechtsanwalt war der Franzose Edouard Lartet, der schon früh seinen Juristenberuf nur noch im Nebenamt betrieb, da er sich der Erforschung der Eiszeit, des möglichen Eiszeitmenschen und der Eiszeittiere, vornehmlich des Mammuts, verschrieben hatte. Die Anwaltskanzlei sah ihn nur selten, sein eigentliches Feld wurden die Höhlen Südfrankreichs, wo er die Beweisstücke für seine Behauptung zu finden hoffte, daß es schon in der Eiszeit Menschen gegeben und daß diese Menschen mit dem Mammut zusammengelebt hätten. In der Höhle La Madeleine im Departement Dordogne gelang ihm 1864 27
der entscheidende Fund: Aus dem Höhlenboden schürfte er eine Elfenbeinplatte mit der Rkzzeichnung eines Mammuts, die so wirklichkeitsecht war, daß sie nur nach einem lebenden Vorbild gezeichnet ] sein konnte. Mit wenigen sicheren Ritzstrichen war hier das Mammut gleichsam zoologisch beschrieben: deutlich sah man die weit vorragenden und nach vorn gebogenen Stoßzähne, die sich weder zur Nahrungsaufnahme noch als Waffe verwenden ließen, nutzlose, überentwickelte Gebilde; man sah den hochaufragenden kegelförmig nach oben zulaufenden Kopf, den hohen Widerrist, die Mähne um den Nacken und das dichte Haarkleid des Rumpfes, das lebensvolle Auge und den hängenden, schwach eingebogenen Rüssel. Das Mammut schien auf einen unsichtbaren Gegner anzustürmen (Abb. Seite 5). Das Mädchen, das fünfzehn Jahre später, acht Jahre nach Lartets Tod, die Fortsetzung seiner Erkenntnisse in Szene setzte, war die j Tochter des Don Marcelino de Sautuola, eines spanischen Landedelmannes, der ebenfalls unter die Ausgräber gegangen war und seit 1879 die auf seinem Gut liegende Höhle Altamira zu durchforschen begann. Die Höhle war zehn Jahre vorher von einem Jäger entdeckt worden, als ein Jagdhund hinter einem Fuchs her in dessen Bau eingedrungen war und nicht wieder zum Vorschein kam. Als der Jäger ihn freigrub, gähnte ihm das Dunkel einer tief in die Erde führenden Höhle entgegen. Aber erst als Don Marcelina in Paris vorgeschichtliche Steinwerkzeuge aus südfranzösischen Höhlen zu Gesicht bekam, erwachte in ihm das Interesse für „seine" Höhle Altamira. Das erste, was er fand, waren Steinwerkzeuge. Eines Tages begleitete ihn auch seine Tochter —• und dieses kleine Ding war es, das beim neugierigen Umherschauen an der Decke eines niedrigen Ganges eine Menge von Felsbildern in bunten kräftigen Farben erblickte, Darstellungen der großen Jagdtiere der Eiszeit, unter ihnen das Mammut. Lartets Glaube an die Zeitgenossenschaft von Mensch und Mammut war damit erneut gerechtfertigt. Don Marcelino verständigte den Professor für Geologie an der Universität Madrid, Vilanova, von dem seltsamen Bilderfund, und dieser Gelehrte bestätigte nach einem Besuch der Höhle die Vermutung des Don Marcelino, daß es sich bei diesen Bildern um Malereien der Eiszeitmenschen handele. Dieser Mensch hatte das Mimmut draußen in der Natur scharf beobachtet und es dann an die 28
Höhlenwände gemalt. Der Mensch war also viel älter, als die meisten Forscher bisher angenommen hatten. Die Mehrheit der Wissenschaftler indessen schloß sich dieser Meinung nicht an, vielmehr wurde auf dem Internationalen Kongreß für Vorgeschichte in Lissabon im Jahre 1880 die Echtheit der Bilder von Altamira einmütig verneint. Man bezeichnete sie als Fälschungen oder als Scherze eines Spaßmachers. Es dauerte noch über zwei Jahrzehnte, bis die Ablehnung sich in begeisterte Zustimmung verwandelte; Don Marcelino hat diese Anerkennung nicht mehr erlebt, mit einer Enttäuschung im Herzen ist er gestorben. Die eigentliche Entdeckerin, sein Töchterchen, aber durfte sich an dem Triumph noch erfreuen. Über hundert eiszeitliche Gemäldehöhlen sind bis heute in Spanien und Frankreich erschlossen worden, mit Tausenden von geritzten, getönten oder gemalten Abbildungen; unter ihnen die berühmten dreiundzwanzig Mammut-Bilder der Höhle Font-de-Gaume, die dreizehn Mammute der Höhle von Camarelles und die fünf herrlichen Mammutporträts der Höhle Cabrerets. Merkwürdigerweise haben sich in keiner der vielen Höhlen in Deutschland — mit Ausnahme einer umstrittenen Ritzzeichnung im Schulerloch im Altmühltal — solche Felsbilder gefunden, obwohl die meisten ebenfalls von Eiszeitmenschen bewohnt waren, wie die Werkzeugfunde in ihnen zeigen. Doch auch bei uns haben die Eiszeitmenschen sich bildnerisch betätigt, und zwar in Form von Schnitzereien und Gravierungen in Elfenbein. Es sind gegenüber den Tausenden in Frankreich nur einige wenige Stücke; die schönsten erbrachte die Vogelherd-Höhle auf der Schwäbischen Alb nordöstlich von Ulm.
In der Vogelherd-Höhle Auch diese Höhle wurde auf eine besondere Art erkundet; die Fundumstände beweisen, daß ein aufmerksamer Naturbeobachter auch in unserer scheinbar so gründlich durchforschten Heimat zuweilen noch etwas Neues entdecken kann. Der Vogelherd ist ein trockener unbewaldeter Hang im Tal der Lone, gekrönt von einer kleinen Kalkfelsengruppe, und am Fuß dieser Felsen fand im Mai 1931 29
ein Wanderer einen Dachsbau. Nichts Außergewöhnliches! Aber im Erdboden am Eingang des Baues bemerkte der Wanderer einige Feuersteinsplitter, die von den Dachsen aus dem Innern herausgescharrt worden waren. Aus diesem unscheinbaren Fund schloß der Beobachter, daß in dem Felsen eine verschüttete Höhle vorhanden sein müsse, die einst von Eiszeitmenschen bewohnt gewesen sei. So verhielt es sich auch. Die von dem Tübinger Universitätsprofessor Riek im Sommer 1931 durchgeführte Grabung legte eine Höhle frei, die während der ganzen Eiszeit besiedelt war; das bewiesen die aufgefundenen Steinwerkzeuge aus verschiedenen Kulturepochen. Bedeutender aber als diese Werkzeugfunde war die Auffindung zweier Menschenschädel sowie einer kleinen Zahl zierlicher, etwa handflächengroßer in Elfenbein geschnitzter Figuren, meist Darstellungen von Tieren, und zwar vom Mammut, Wildpferd, Rentier, Panther und Höhlenbär. Neben der großen Bedeutung, die diese eiszeitlichen Kunstwerke als Ausdruck der geistigen Haltung und religiösen Vorstellungen der damaligen Menschen für uns haben, berichten die Vogelherdbilder des Mammuts noch von einer interessanten Besonderheit im Körperbau dieses ausgestorbenen Tierriesen, von der wir ohne jene Bilder nichts wüßten. Auf den Bildern nämlich ist das Mammut mit einem kräftig aufgewölbten Rückenhöcker hinter dem Schädel dargestellt. Aus dem Bau des Skeletts ist dieser Höcker nicht erklärbar, und auch bei den sibirischen Mammuts war nichts davon zu erkennen. Man deutete ihn als Fetthöcker, den das Tier im nahrungsreichen Sommer ausbildete und der im Winter vom Körper wieder aufgebraucht wurde.
Seitenzweig am Stammbaum des Lebens Wer die Höhlenkataloge durchsieht, entdeckt, daß in den Felsbildergalerien die Zeichnungen und Gemälde mit Mammuts nur in den älteren Kulturepochen auftreten. Genau wie in den Speisekarten der Eiszeitmenschen, verschwindet auch in den Bildern der jüngeren Kulturen zum Ende der Eiszeit hin das Mammut — die Jäger und Maler der Spätzeit begegneten diesem Wild nicht mehr. Mit dem Zuendegehen der Eiszeit zog es sich, als die Gletscher abschmolzen 30
und das Klima milder wurde, von Westen nach Osteuropa zurück, wo seine Spuren auch noch in jüngeren Kulturen auftreten. Es wanderte dem dahinschwindenden Eise nach und fand seine letzte Heimstatt im heute noch rauhen, unwirtlichen Nordsibirien. Dort muß es noch lange und in großer 2ahl gelebt haben, wie aus den großen Mengen von Stoßzähnen ersichtlich ist, die seit etwa 300 Jahren in Nordsibirien und auf den vorgelagerten Eismeerinseln gesammelt und auf den Markt gebracht worden sind. Die meisten früheren Elfenbeinarbeiten in Europa sind nicht aus den Stoßzähnen afrikanischer oder indischer Elefanten, sondern aus den Zähnen sibirischer Mammute geschnitzt worden; die Zahl der in Sibirien gefundenen Mammutreste wird auf 20 000 bis 25 000 Tiere geschätzt. Warum das Mammut schließlich auch im arktischen Sibirien ausstarb, wissen wir nicht. Das Klima, die Landschaft und die Nahrungspflanzen sind dort heute noch die gleichen wie in Mitteleuropa zur Eiszeit; das Mammut wie so viele seiner einstigen Zeitgenossen hätte klimamäßig also durchaus weiter bestehen können. Daß es vom Menschen ausgerottet wurde, ist nicht wahrscheinlich, denn die gleichfalls vielbejagten Elefanten in Afrika haben sich dennoch zahlreich erhalten. So müssen wir annehmen, daß auch das Mammut wie so viele Geschöpfe im Laufe der Erdgeschichte nur einen kurzen Seitenzweig am vielverästelten Stammbaum des Lebens bildete und daß seine Lebenskraft nach einer vorübergehenden strahlenden Blüte bald wieder erlosch.
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Natur- und kulturkundliehe Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt. — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig oder können dort nachbestellt werden. — Druck: Hieronymus Mühlberger, Augsburg. — Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München. 31
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Die karmesinrote Kassette aus Luxusplastik trägt in Goldprägung den Aufdruck LUX LESEBOGEN. Ganz nach Wunsch, kann der Leser durch mitgelieferte Etiketten, die in eine Klarsichtfolie auf dem Buchrücken eingesteckt werden, die Kassetten nach Jahrgängen oder nach Sachgebieten ordnen. Die Zusatzschilder für Sachgebiete tragen folgende Bezeichnungen: Kunst und Dichtung, Geschichte, Naturkunde, Erdkunde und Sternenkunde, Technik und Physik. Durch das Sammeln der monatlich erscheinenden Lesebogen in diesen buchförmigen Kassetten kann sich jeder Bezieher mit einfachsten Mitteln nach und nich eine hervorragende und wertvolle
Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens schaffen. Die Kassettenreihe ist eine Zierde jedes Bücherschrankes. Schneller wird man natürlich stolzer Besitzer der prachtvollen Bibliothek, wenn man nicht nur die Monatshefte sammelt, sondern aus der langen Reihe der bisher erschienenen Titel die schönsten und interessantesten heraussucht und nachbestellt. Fordern Sie die Titelliste der Lesebogen 1-308! Und bestellen Sie noch heute die LESE B OGEN-KASSETTE (LUXUS) zum Preis von DM 2.75. Die einfache Ausführung kostet nur DM 1.35.
VERLAG S E B A S T I A N LUX MURNAU VOR M Ö N C H E N , SEIDLPARK