Das Buch:
Konsaliks großes Epos über den Opfergang der 6.Armee. Ein berühmter Roman von gestalterischer Dichte und mah...
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Das Buch:
Konsaliks großes Epos über den Opfergang der 6.Armee. Ein berühmter Roman von gestalterischer Dichte und mahnender Kraft! Hier wird Stalingrad nicht aus der Warte des Generalstäblers gesehen, sondern mit den Augen des leidenden und hungernden Soldaten, der sich in der Steppe oder in den Trümmerbergen Stalingrads verkroch, von Granaten in Stücke gerissen wurde, erfror oder dem Wahnsinn verfiel - der deutsche Landser und der sowjetische Rotarmist. Der Autor schrieb dieses Buch nach Erinnerungen von Stalingrad-Kämpfern, die der Hölle lebend entkommen konnten - viele allerdings erst nach jahrelanger Kriegsgefangenschaft - und nach eingehendem Studium deutscher und sowjetischer Frontberichte. Das macht dieses menschlich bewegende Untergangsgemälde so authentisch, der Roman weitet sich zur mahnenden, apokalyptischen Darstellung; er macht die Sinnlosigkeit des bei Stalingrad von einem Fanatiker geforderten »Heldentums« deutlich und appelliert für Frieden und Menschlichkeit.
HEINZ G. KONSALIK
DAS HERZ DER 6. ARMEE Roman
Scanned June 2004 by Binchen71 Not for sale
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
HEYNE-BUCH Nr. 564 im Wilhelm Heyne Verlag, München
23. Auflage Taschenbuchausgabe mit Genehmigung des Lichtenberg Verlages, München Printed in Germany 1980 Umschlaggestaltung: Atelier Heinrichs, München Gesamtherstellung: Ebner Ulm ISBN 3-453-00067-6
Dem einfachen Landser, auf dessen Rücken von jeher die Sünden der Politiker ausgetragen wurden, als Mahnung und ständiger Aufruf gewidmet
... Die Lage Ihrer eingekesselten Truppen ist schwer. Sie leiden unter Hunger, Krankheiten und Kälte. Der grimmige russische Winter hat kaum erst begonnen. Starke Fröste, kalte Winde und Schneestürme stehen noch bevor. Ihre Soldaten aber sind nicht mit Winterkleidung versorgt und befinden sich in schweren sanitätswidrigen Verhältnissen. Sie als Befehlshaber und alle Offiziere der eingekesselten Truppen verstehen ausgezeichnet, daß Sie über keine realen Möglichkeiten verfügen, den Einschließungsring zu durchbrechen. Ihre Lage ist hoffnungslos und weiterer Widerstand sinnlos ... Aus dem Ultimatum Generalleutnants Rokossowskijs an Generaloberst Paulus am 8. Januar 1943.
I Pawel Nikolajewitsch Abranow sah hinauf in den Himmel und dann über seine Stiefelspitzen hinweg hinunter zur Wolga und kaute an einem Kanten Brot. Der Himmel war fahl, grau, unergründlich, schwer, und die Wolga schien schwarz zu sein, ein breiter Strom voll Tinte. Abranow seufzte und benetzte den harten Kanten Brot mit Speichel, damit er aufweichte und sich beißen ließ. Neben ihm lag ein großer Mann in Uniform mit breiten Schulterstücken, unrasiert, dreckig, mit Lehm beschmiert. Auch er sah über die Wolga hinüber nach Krasnaja Sloboda, aber er seufzte nicht, sondern kaute an einer Zigarette. Es war eine gute, dicke Zigarette aus Machorka, gerollt aus einem Teil des vorgestrigen Lageberichts der Prawda. »Was ist, Väterchen?« fragte der Uniformierte. »Warum seufzt du?« »Es müßte Winter werden, Genosse Major. Zeit ist's dafür! Ein schneller Winter, hui — wie die Reiter aus der Steppe von Kasachstan! Über Nacht sollte es zufrieren ... dann können sie aus der Tiefe zu uns kommen über die Wolga, unsere Panzerchen ...« Abranow lachte leise. Es war ein fast wimmerndes Lachen, denn Pawel Nikolajewitsch war immerhin zweiundsiebzig Jahre alt. Ein richtiger Greis war er, so wie man sich einen alten Mann vorstellt, mit weißen Haaren, die sich im Nacken bogen, mit einer dicken Nase, mit Falten um die Augen, deren Pupillen noch glänzten, auch wenn die Augäpfel schon gelb waren wie tabakgebeizte Fingerkuppen. Und ein kräftiger Kerl war er noch, bei Gott ... einmal, in seiner Jugend, war er bei der Garde des Zaren, und später stand er in der Fabrik »Roter Oktober« am Eisenhammer und ließ im Funkenregen die Stahlplatten sich biegen. So ein Kerl war er geblieben mit seinen zweiundsiebzig Jahren. Nur wenn er lachte, war es das Kichern eines Greises, ein wenig linkisch und nicht jedermanns Sache. Major Jewgenij Alexandrowitsch Kubowski tat einen tiefen Zug an seiner dicken Zigarette. Er stieß den Qualm gegen den erd-
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grauen Himmel und kratzte sich über die linke Wange. Hinter ihnen donnerte und krachte es. Häuser verbrannten und stürzten ein, Keller wurden in die Luft geschleudert, Eisenträger bogen sich wie dünne Drähte, und Menschen zerplatzten, als seien sie aus sprödem Glas. Hinter ihnen war die Hölle aufgebrochen, starb eine Stadt unter Feuer und Explosion, gab es keinen Himmel und keine Erde mehr, sondern nur eine Wolke aus Eisen, Flammen, 5teinen, Staub, Lehm und zerfetzten Leibern. Ob im Norden, dort wo die großen Werke lagen — das Traktorenwerk >DsershinskiRote BarrikadeRoter Oktober< und die Erdölraffinerien — oder im Süden bei den Hafenanlagen, dem Getreidesilo und den Kais, und erst recht im Westen, am Stadtrand, am Tatarenwall und am Mamai-Kurgan, der Höhe 102, lagen die deutschen Divisionen in den Trümmern und Kellern und berannten die wenigen Stützpunkte, in denen sich die Rote Armee festkrallte. Nur hier, wo der Greis Abranow und der lange Major Kubowski lagen, war es still, wie auf einer windstillen Seite. Sie lagen in einer Mulde im Steilufer der Wolga. Nur ein drei Kilometer langer Streifen war es, der sicher war vor allen deutschen Granaten. In diese drei Kilometer Erde hatten sie sich eingewühlt wie die Füchse ... Sanitätsbunker, Lagerräume, Küchen, Stäbe, Unterkünfte, Funkstellen ... die ganze zweiundsechzigste Sowjetarmee, die Stalingrad verteidigte, lebte auf diesen drei Kilometern Steilhang an der Wolga. Sie waren das Herz und das Hirn, die Kraft und die Hoffnung. »Es hat alles zwei Seiten, Väterchen Pawel Nikolajewitsch«, sagte Major Kubowski. Er rauchte mit Genuß weiter, denn er hatte zwei Tage Erholungsurlaub. Auch das gab es noch in Stalingrad. In den Kellern und Hausruinen, in dem Gewirr und Labyrinth der zerfetzten Fabrikhallen, in den Laufgräben, die jetzt die Straßen ersetzten, hockte und starb nur ein Teil der Armee. Ein anderer Teil lag in den Fuchsbauten des Steilufers in Ruhe und Bereitschaft; alle paar Tage wurden sie ausgewechselt, damit sie wieder frisch wurden und harten Widerstand leisteten. So kam es, daß immer ausgeruhte Truppen den Deutschen gegenüberlagen. »Wenn der Boden gefriert, können auch die Deutschen besser operieren.« Major Kubowski zuckte zusammen. Vor ihm rauschte die Wolga auf, eine hohe Fontäne stieg empor, erst dann kam die Detonation und ein Regen aufgeschleuderten, nassen Bodens. »Unsere Panzer stehen in der Steppe, ich weiß es, hab's gehört
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beim Stab ... es sollen tausend sein und mehr. Nur über die Wolga kommen sie nicht, man kann sie abschießen wie lahme Hunde, wenn sie mit der Fähre übergesetzt werden. Aber wenn es friert ... Genosse Major, da fahren sie über die Wolga, wo sie wollen ... So viel Rohre haben die Deutschen gar nicht, um sie überall zu treffen.« Abranow, der Greis, hatte sich in Hitze geredet. Major Kubowski schwieg. Was sollte man auch sagen? Hinter ihnen starb Stalingrad. Vor ihnen lag die Wolga. Und wenn man daran dachte, was die alten Bauern sagten, konnte man stumm und nachdenklich werden. Sie sagten nämlich: »Solange der Feind Mutter Wolga nicht bezwungen hat, ist Rußland nicht verloren!« Und nun stand sie an der Wolga, eine ganze deutsche Armee, und vor ihr lag die Steppe von Kasachstan, ein offenes, tellerglattes Land, durch das sie hindurchziehen konnte bis ans Ende der Welt. Das darf nie sein, hieß es immer wieder. Und wenn in Stalingrad sämtliche Männer Rußlands verbluten ... aus ihren Leibern bauen wir eine Mauer vor die Wolga. Das war nicht so dahergeredet, bei Gott nicht! Major Kubowski hatte es erlebt. Vier Bataillone hatte er in den Trümmern der Stadt gelassen, und immer, wenn er zurückkam an das Steilufer, stand ein neues Bataillon bereit, wie Schlachthammel mit leeren, großen Augen, und wurde hineingeführt in die Hölle am Hüttenwerk >Roter Oktober< oder zu jener merkwürdig geformten, mitten in der Stadt liegenden Eisenbahnschleife, die man >Tennisschläger< getauft hatte. Hier bissen sich die Rotarmisten in jeden Zentimeter Dreck, krallten sich an jeden Trümmerstein und bauten wahrhaftig einen Wall aus ihren blutigen Leibern. Abranow, der Greis, hatte seinen Kanten Brot aufgegessen. Er war durchaus nicht satt, aber er hatte doch ein klein wenig das Gefühl, daß sein Magen keine hallende Höhle mehr sei. Am Steilufer der Wolga diente er der Armee als Handlanger für alles. Er schleppte Bahren mit Verwundeten, begrub die Gefallenen, sortierte Kisten mit Munition und kochte in großen Eisenwannen, die eigentlich Rohstücke für Panzerkuppeln sein sollten, Hektoliter von Tee, um die abgelösten erschöpften Soldaten von innen zu stärken, ja, er reparierte sogar Geschütze, nicht am Verschluß, denn das ist eine Facharbeitersache, sondern an den Rädern und Lafetten und Schutzschilden. Als man Pawel Nikolajewitsch Abranow aus Stalingrad evakuieren wollte, vor ein paar Wochen, als sich herausstellte, daß die deutschen Divisionen durchbrachen und
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die Stadt Stück um Stück, Haus nach Haus eroberten, hatte er geschrien: »Was, Genossen? Ich soll aus meiner Stadt hinaus? Ja, bin ich denn kein Russe? Was wollt ihr mit mir tun, Brüder? Auch wenn ich alt bin ... verlaßt euch drauf, ich habe ein junges Herz!« So war er in Stalingrad geblieben, und mit ihm Tausende von Greisen, Frauen und sogar Kindern, während die Arbeiter in den Fabriken zu den Waffen griffen und sich in die Front einreihten. »Wann müssen Sie wieder weg, Genosse Major?« fragte er Kubowski. »Morgen.« »Wieder zum >Tennisschläger