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Das Flaschen...
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. . Das Flaschenteufelchen Mit Holzschnitten von Hans Alexander Müller Insel-Bücherei Nr.
Das Flaschenteufelchen E I N E E R Z Ä H LU N G VO N R . L . ST EV E N S O N
Mit Holzschnitten von Hans Alexander Müller
IM INSEL-VERLAG
A
der Insel Hawai gab es einen Mann, den ich Keawe nennen will; er lebt nämlich noch, und sein Name soll geheim bleiben; sein Geburtsort liegt nicht weit von Honaunau, wo die Gebeine Keawes des Großen in einer Höhle begraben liegen. Dieser Mann war arm, ehrlich und fleißig; er konnte lesen und schreiben wie ein Schulmeister und war dabei ein ausgezeichneter Schiffer. Eine Zeitlang fuhr er auf einem der Inseldampfer, dann steuerte er einen Walfischfänger an der Küste von Hamakua. Schließlich kam es Keawe in den Kopf, er wolle sich die weite Welt und fremde Städte ansehen, und so ließ er sich auf einem Dampfer anheuern, der nach San Franzisko fuhr. Das ist eine schöne Stadt mit einem herrlichen Hafen und unzähligen reichen Menschen; besonders ein Hügel ist dicht mit Palästen bebaut. Dahin machte Keawe eines Tages einen Spaziergang. In seiner Tasche klimperte das
Geld, und mit Vergnügen besah er die großen Häuser zu beiden Seiten. »Was sind das für schöne Häuser,« dachte er, »wie glücklich müssen die Leute sein, die darin wohnen und sich nicht um den morgigen Tag sorgen brauchen!« Wie er so darüber nachdachte, kam er an einem Haus vorbei, das etwas kleiner als die anderen war, aber wunderhübsch und zierlich wie ein Spielzeug. Die Stufen vor dem Haus glänzten wie Silber, die Beete im Garten glichen Girlanden voller Blumen, und die Fensterscheiben leuchteten wie Diamanten. Keawe blieb stehen und bewunderte all die Herrlichkeiten vor ihm. Während er dastand, gewahrte er einen Mann, der ihn durch ein Fenster beobachtete. Das Fenster
war blank und durchsichtig, und Keawe konnte ihn so deutlich sehen wie einen Fisch auf dem Grund eines Teiches. Der Mann war schon ältlich, mit kahlem Kopf und weißem Bart. Sein Gesicht war sorgenvoll, und er seufzte schwer. In Wirklichkeit beneideten die beiden sich gegenseitig; der Mann, der herausblickte, ebenso wie Keawe, der hineinsah. Plötzlich lächelte und nickte der Mann Keawe zu und bat ihn hereinzutreten. Er kam ihm sogar an die Haustür entgegen. »Nicht wahr, ein schönes Haus gehört mir da?« sagte er und seufzte tief. »Hätten Sie wohl Lust, die Zimmer zu sehen?« Er führte Keawe nun durchs ganze Haus, vom Keller bis zum Boden. Alles war vollkommen in seiner Art.
Keawe war sehr erstaunt. »Wahrhaig,« sagte er, »das Haus ist wunderhübsch. Wenn ich in so einem Haus wohnte, ich würde den ganzen Tag lachen. Wie kommt es nur, daß Sie immerfort seufzen? »Es ist ja gar kein Grund vorhanden, daß Sie nicht auch so ein schönes Haus bekämen, wie dies hier. Ja, Sie können es sich noch schöner machen, wenn Sie wollen. Sie haben doch gewiß etwas Geld?« »Ich besitze fünfzig Dollar,« sagte Keawe, »aber so eine Villa kostet doch mehr als fünfzig Dollar.« Der Mann schien im stillen zu rechnen. »Schade, daß Sie nicht mehr haben,« sagte er, »denn daraus kann ihnen in Zukun Kummer erwachsen; aber Sie sollen sie für fünfzig Dollar haben.« »Was, die Villa?« »Nein, nicht die Villa,« erwiderte der Mann, »aber die Flasche. Denn eines muß ich Ihnen erklären: ich erscheine Ihnen reich und glücklich, aber all mein Vermögen, dies Haus und der Garten, alles kam aus einer Flasche, die nicht mehr als einen halben Liter faßt. Hier ist sie.« Er öffnete einen Geldschrank und nahm eine dickbauchige, langhalsige Flasche heraus. Das Glas war milchweiß und schillerte in allen Regenbogenfarben. Innen bewegte sich etwas Undeutliches, das wie ein glühender Schatten aussah. »Das ist die Flasche«, sagte der Mann; und als er Keawe lachen sah, fügte er hinzu: »Sie glauben mir wohl nicht? Versuchen Sie es nur selber. Sehen Sie mal zu, ob Sie sie zerbrechen können.« Keawe nahm die Flasche und warf sie so lange auf den
Fußboden, bis er erlahmte. Die Flasche prallte vom Boden ab wie ein Spielball und bekam keinen Sprung. »Das ist ein merkwürdiges Ding,« sagte Keawe, »wenn man die Flasche ansieht und anfühlt, scheint sie wirklich aus Glas.« »Sie ist auch aus Glas,« erwiderte der Mann und seufzte
schwerer als vorher, »aber das Glas wurde im Feuer der Hölle geblasen. Der Schatten, den wir da sehen, ist ein Teufelchen, das drinnen wohnt. So denk ich es mir wenigstens. Jedem, der diese Flasche kau, ist es Untertan. Alles, was er sich wünscht: Liebe, Ruhm, Geld, Häuser wie dies hier, ja, eine Stadt wie diese hier – alles ist sein auf ein einziges Wort hin. Napoleon besaß diese Flasche und wurde durch sie zum Herrn der Welt. Aber zuletzt verkaue er sie
und stürzte. Kapitän Cook besaß die Flasche und entdeckte durch sie viele neue Inseln; aber er verkaue sie auch und wurde auf Hawai erschlagen. Denn ist die Flasche erst verkau, so weichen Macht und Schutz; gibt der einstige Besitzer sich nicht zufrieden mit dem, was er hat, so kommt Unglück über ihn.« »Wollen Sie sie trotzdem verkaufen?« fragte Keawe. »Ich habe alles, was ich brauche, und ich werde alt«, antwortete der Mann. »Eines kann das Teufelchen nämlich nicht, es kann das Leben nicht verlängern. Und es wäre unrecht von mir, Ihnen den Nachteil der Flasche zu verhehlen: stirbt ein Mensch, bevor er sie verkau hat, so muß er bis in alle Ewigkeit in der Hölle brennen.« »Wahrhaig,« rief Keawe, »das ist ein Nachteil, wenn er auch berechtigt ist! Ich will mit dem Ding da nichts zu tun haben. Ich kann Gott sei Dank ohne Haus auskommen. Eines aber kann ich nicht ertragen, nämlich in die Hölle zu kommen.« »Na, na, Sie müssen nicht gleich die Flinte ins Korn werfen«, antwortete der Mann. »Sie brauchen die Zaubermacht ja nur mit Maßen anzuwenden und dann an jemanden zu verkaufen, wie ich es jetzt tue. Dann können Sie Ihr Leben in Behaglichkeit beschließen.« »Das mag schon sein,« sagte Keawe, »aber ich mache zwei Beobachtungen: erstens seufzen Sie immerfort wie ein verliebtes Mädchen, und zweitens verkaufen Sie die Flasche sehr billig.« »Ich habe Ihnen ja schon erzählt, warum ich seufze«, sagte der Mann. »Ich fürchte, meine Gesundheit ist untergraben, und Sie selbst sagten ja auch, daß es jammervoll sein müßte,
in die Hölle zu fahren. Den Grund, weshalb ich Ihnen die Flasche so billig verkaufe, muß ich Ihnen noch erklären. Mit dem Verkauf der Flasche hat es eine Bewandtnis. Einstmals, als der Teufel sie zum ersten Mal auf die Erde brachte, war sie sehr teuer und wurde dem Priester Johannes für viele Millionen Dollars verkau. Aber sie kann überhaupt nur mit Verlust verkau werden. Wenn Sie sie ebenso teuer verkaufen, wie Sie dafür gezahlt haben, kommt sie wie eine Brieaube zu Ihnen zurück. Die natürliche Folge ist, daß der Preis im Laufe der Jahrhunderte dauernd gefallen und daß die Flasche jetzt auffallend billig ist. Ich selbst kaue sie von einem meiner reichen Nachbarn hier auf dem Hügel und habe nur neunzig Dollar dafür bezahlt. Ich könnte sie für Dollar Cent verkaufen, aber nicht für einen Pfennig teurer, sonst müßte das Ding zu mir zurückkommen. Dabei sind nun zwei Plagen vermacht: erstens: wenn Sie eine so simple Flasche für einige achtzig Dollar anbieten, so denken die Leute, Sie halten sie zum Narren; zweitens: … aber das braucht Sie nicht zu beunruhigen, und ich kann darüber hinweggehen. Nur merken Sie sich, daß die Flasche für gemünztes Geld verkau werden muß.« »Wie soll ich aber erkennen, ob dies alles wahr ist?« fragte Keawe. »Sie können es gleich einmal probieren«, entgegnete der Mann. »Geben Sie mir Ihre fünfzig Dollar, nehmen Sie die Flasche und wünschen Sie sich Ihre fünfzig Dollar wieder in Ihre Tasche zurück. Wenn das nicht eintri, verpflichte ich mich bei meiner Ehre, den Kauf rückgängig zu machen und Ihnen Ihr Geld wiederzugeben.« »Sie betrügen mich doch nicht?« fragte Keawe.
Der Mann schwor hoch und heilig. »Gut, so will ich es wagen,« sagte Keawe, »denn das kann kein Unheil anrichten.« Er zählte dem Mann sein Geld hin, und der Mann überreichte ihm die Flasche. »Flaschenteufelchen,« sagte Keawe, »gib mir meine fünfzig Dollar wieder.« Kaum hatte er dies gesagt, so war seine Tasche so schwer wie zuvor. »Wahrhaig, die Flasche ist wundervoll«, sagte Keawe. »Na, dann leben Sie wohl, mein Guter, und der Teufel mag Sie nun an meiner Statt begleiten«, sagte der Mann. »Halt, stopp!« rief Keawe, »nun aber Schluß mit dem Spaßmachen! Hier, nehmen Sie Ihre Flasche zurück.« »Sie haben sie billiger gekau als ich«, erwiderte händereibend der Mann; »sie gehört nun Ihnen, und ich wünsche nur noch Ihre Rückansicht zu sehen.« Mit diesen Worten läutete er nach dem chinesischen Diener und befahl ihm, Keawe hinauszugeleiten. Als Keawe auf der Straße stand, mit der Flasche unter dem Arm, begann er zu überlegen. »Wenn das alles mit der Flasche stimmt, hab ich einen tollen Kauf gemacht«, dachte er; »aber vielleicht hat der Mann mich nur zum Narren gehabt.« Vor allen Dingen zählte er erst einmal sein Geld; die Summe stimmte genau – neunundvierzig amerikanische Dollar und ein chilenischer Peso. »Das sieht ganz nach Wahrheit aus«, sagte Keawe; »nun will ich einmal etwas andres versuchen.« Die Straßen in diesem Stadtteil waren so sauber wie ein Schiffsdeck; selbst in dieser Nachmittagsstunde war kein Spaziergänger zu sehen. Keawe legte die Flasche in den Rinnstein und ging davon. Zweimal sah er sich um; beide
Male lag die milchweiße, rundbauchige Flasche, wo er sie gelassen hatte. Er sah sich zum dritten Mal um und bog dann um eine Ecke. Kaum aber hatte er das getan, so stieß etwas gegen seinen Ellbogen, und siehe da, es war der lange Flaschenhals, der ihn berührte; der runde Bauch war in die Tasche seiner Seemannsjacke gezwängt. »Ja, das sieht auch nach Wahrheit aus!« sagte Keawe. Als nächstes kaue er sich einen Korkzieher und ging abseits an einen einsamen Platz in den Feldern. Da versuchte er den Pfropfen herauszuziehen, aber soo er den Korkzieher auch hineinbohrte, immer kam er wieder heraus, und der Kork war und blieb unversehrt. »Das ist eine neue Art Kork«, sagte Keawe, und plötzlich fing er an zu zittern und zu beben, denn er bekam Angst vor der Flasche.
Auf dem Rückweg zum Hafen sah er einen Laden, wo Muscheln und Keulen von wilden Inseln, alte heidnische Götzen, altertümlich geprägte Münzen, Bilder aus China und Japan und sonst alle möglichen Sachen verkau wurden, die die Matrosen in ihren Seemannskisten mitbringen. Da kam ihm ein Gedanke. Er ging hinein und bot seine Flasche für hundert Dollar an. Der Kaufmann lachte ihn erst aus und bot ihm fünf; aber die Flasche war wirklich seltsam: – solch ein Glas war noch nie in einer menschlichen Glashütte geblasen worden, die Farben schimmerten so schön unter dem milchigen Weiß, und in der Mitte hüpe der Schatten so absonderlich. Nach langem Hin und Her, wie das so üblich ist unter seinesgleichen, gab der Handelsmann Keawe sechzig Silberdollar für das Ding und setzte es auf ein Bort mitten im Ladenfenster. »So,« sagte Keawe, »ich habe die Flasche nun für sechzig Dollar verkau, und ich selber kaue sie für fünfzig – oder wenn ich ganz ehrlich bin, für etwas weniger, denn der eine Dollar war aus Chile. Nun will ich mal sehen, ob diese Sache auch auf Wahrheit beruht.« Er ging also an Bord seines Schiffes; als er dort seine Kiste aufmachte, lag die Flasche da: sie war schneller als er selbst angelangt. Keawe hatte nun einen Maat an Bord, der Lopaka hieß. »Na, wo fehlts denn?« fragte Lopaka. »Was starrst du denn so in deine Kiste?« Sie waren allein auf dem Vorderdeck. Keawe nahm Lopaka das Versprechen ab, nicht darüber zu reden, und erzählte ihm alles. »Das ist eine merkwürdige Geschichte,« sagte Lopaka,
»ich fürchte fast, du wirst noch hineinfallen mit dieser Flasche. Eins ist jedenfalls gewiß: du kennst das Unheil; da mußt du möglichst auch den Vorteil aus dem Handel ziehen. Mach dir klar, was du willst, gib deine Befehle, und wenn alles in Erfüllung gegangen ist, was du dir wünschst, will ich selber dir die Flasche abkaufen; denn ich möchte mir gern einen eigenen Schoner zulegen und zwischen den Inseln Handel treiben.« »Dahin gehen meine Wünsche nun nicht«, sagte Keawe; »aber ich möchte ein schönes Haus mit Garten besitzen, an der Küste von Kona, wo ich geboren bin. Die Sonne müßte in die Tür scheinen, im Garten müßten Blumen stehen, in den Fenstern Glasscheiben sein, Bilder an den Wänden hängen, auf allen Tischen. Nippsachen und feine Decken liegen; es müßte alles so sein wie in dem Haus, in dem ich heute war – nur einen Stock höher könnte es sein und rundherum mit Balkons wie der Palast des Königs; da möchte ich dann mit meinen Freunden und Verwandten leben und sorglos fröhlich sein.« »Gut,« sagte Lopaka, »dann wollen wir sie mit nach Hawai nehmen; wenn dann alles wirklich eintri, wie du es möchtest, kauf ich dir, wie ich schon gesagt, die Flasche ab und wünsche mir einen Schoner.« Sie wurden also einig, und bald darauf fuhr das Schiff nach Honolulu zurück mit Keawe, Lopaka und der Flasche an Bord. Kaum waren sie an Land gekommen, als ihnen ein Freund begegnete, der Keawe sogleich sein Beileid aussprach. »Ich weiß gar nicht, warum, ich trauern sollte«, sagte Keawe.
»Du hast es wohl noch gar nicht gehört?« sagte der Freund. »Dein Onkel, der gute, alte Mann, ist gestorben, und dein Vetter – der prächtige Junge – ist in der See ertrunken!« Keawes Kummer war groß. Er fing an zu weinen und zu klagen. Die Flasche vergaß er ganz. Lopaka aber dachte wohl daran. Als Keawe sich etwas beruhigt hatte, sagte er: »Mir fällt eben ein, hatte dein Onkel nicht Besitzungen auf Hawai in der Provinz Kaü?« »Nein,« sagte Keawe, »nicht in Kaü; sie liegen am Bergabhang, etwas südlich von Hookena.« »Diese Ländereien fallen nun also dir zu?« fragte Lopaka. »Ja, ja, freilich«, klagte Keawe und jammerte um seine Verwandten. »Nun, jammere jetzt nicht«, sagte Lopaka; »ich denke mir, wenn das nur nicht die Macht der Flasche ist. Denn der Platz ist doch wie gemacht für dein Haus.« »Wenn das der Fall ist,« rief Keawe, »so ist das ein recht übler Dienst, mir meine Verwandten umzubringen. Aber es kann schon stimmen; gerade an so einem Platz sah ich im Geiste das Haus.« »Das Haus ist jedoch noch nicht gebaut«, sagte Lopaka. »Das wird es wohl auch nicht sein,« sagte Keawe, »mein Onkel hat wohl etwas Kaffee, Ava und Bananen gebaut, aber das wird gerade dazu ausreichen, mein Leben behaglich zu machen. Alles übrige Land ist nämlich schwarze Lava.« »Wir wollen mal zu dem Notar gehen,« meinte Lopaka, »ich ahne da noch etwas.« Als sie zu dem Notar kamen, erfuhren sie, daß Keawes Onkel in den letzten Tagen unheimlich reich geworden war und eine Unmenge Geld hinterlassen hatte.
»Das ist ja das Geld für das Haus«, rief Lopaka aus. »Wenn Sie daran denken, ein neues Haus zu bauen,« sagte der Notar, »so kann ich Ihnen den Namen eines neuen Baumeisters angeben, von dem man große Stücke hält.« »Es kommt immer besser!« rief Lopaka, »hier ist ja alles für uns vorbereitet. Wir wollen nur ruhig den Befehlen weiter gehorchen.« Sie gingen also zu dem Baumeister, bei dem viele Häuserentwürfe auf dem Tisch ausgebreitet lagen. »Sie wünschen etwas ganz Besonderes?« fragte der Baumeister. »Was meinen Sie hierzu?« Damit reichte er Keawe eine Zeichnung hin. Kaum hatte Keawe einen Blick auf das Blatt geworfen, so brach er in lautes Staunen aus, denn vor sich sah er das genaue Abbild seines erträumten Hauses. »Das Haus ist für mich bestimmt,« dachte er, »so unlieb mir auch die Art und Weise ist, wie es mir zufällt. Ich soll es nun einmal bekommen und muß das Gute mit dem Schlimmen in Kauf nehmen.« Er zählte also dem Baumeister seine Wünsche auf, wie das Haus eingerichtet werden sollte; er beschrieb die Bilder für die Wände und die Nippsachen für die Tische; zuletzt fragte er den Mann geradezu, wieviel er für das ganze Unternehmen veranschlage. Der Baumeister stellte noch viele Fragen, nahm seinen Bleisti und machte einen Überschlag; als er damit fertig war, nannte er genau die Summe, die Keawe geerbt hatte. Lopaka und Keawe sahen sich an und nickten. »Es ist ganz klar,« dachte Keawe, »ich soll das Haus nun einmal haben. Es kommt freilich vom Teufel, und ich fürchte fast,
ich werde wenig Gutes davon haben; eines aber weiß ich gewiß: solange die Flasche in meinem Besitz ist, werde ich keinen Wunsch mehr äußern. Aber mit dem Haus bin ich nun festgenagelt und muß das Gute mit dem Bösen hinnehmen.« Er machte also einen Vertrag mit dem Baumeister, und sie unterschrieben ein Papier. Keawe und Lopaka schien sich wieder ein und fuhren nach Australien; denn sie hatten beschlossen, sie wollten überhaupt nicht bei dem Bau hineinreden, sondern den Baumeister und das Flaschenteufelchen das Haus nach Herzenslust bauen und einrichten lassen. Die Reise ging gut vonstatten; nur mußte Keawe die ganze Zeit an sich halten, daß er keinen Wunsch äußerte, denn er hatte es sich geschworen, er wollte das Teufelchen nicht noch einmal beanspruchen. Als sie heimkehrten war die Zeit abgelaufen. Der Baumeister sagte ihnen, das Haus sei fertig. Keawe und Lopaka nahmen sogleich einen Platz auf der »Hall« und reisten nach Kona, um das Haus zu besichtigen und nachzusehen, ob alles genau nach den Gedanken Keawes ausgeführt worden war. Das Haus lag am Abhang, allen Schiffen sichtbar. Bergaufwärts dehnten sich die Wälder bis in die Regenwolken hinein. Abwärts fiel die schwarze Lava in Klippen hinab bis an die alten Königsgräber. Der Garten um das Haus herum blühte von Blumen in allen Farben und Arten; ein Obstgarten von Papaia lag auf der einen Seite, ein zweiter von Brotfruchtbäumen auf der andern. Gerade vor dem Haus auf der Seeseite stand ein Schiffsmast mit gehißter Flagge. Das Haus selbst war drei Stockwerke hoch; es hatte große Zimmer und breite Balkons davor. Die Fenster hatten
Glasscheiben, so durchsichtig wie Wasser und so hell wie der Tag. Alle Arten Möbel schmückten die Zimmer. An den Wänden hingen Bilder in goldenen Rahmen: Bilder von Schiffen, von kämpfenden Soldaten, von wunderschönen Frauen und von berühmten Städten; es gab gewiß nirgendwo in der Welt so prachtvolle Gemälde wie die, die Keawe in seinem Hause vorfand. Ganz besonders fein waren die Nippsachen: Uhren mit Glockengeläute, Musikdosen, kleine Männer, die mit dem Kopf nickten, Bücher voll schönster Bilder, kostbare Waffen aus aller Herren Ländern und besonders auch hübsche Geduldspiele, die einem einsamen Mann die Langeweile wohl vertreiben konnten. Da Keawe in diesen Räumen voraussichtlich nicht immer
allein und zur Augenweide herumspazieren würde, hatte der Baumeister die Balkons so breit gemacht, daß die ganze Stadt sich darauf hätte vergnügen können. Keawe wußte nicht, welcher Platz ihm am liebsten war. Schön war es, durch die Hintertür über die Obstgärten und Blumen hinzusehen und die Landlu einzuatmen, aber herrlich war es auch, auf dem vorderen Balkon den Seewind zu trinken und den steilen Berghang hinabzublicken, wo unten die »Hall« einmal wöchentlich vorbeifuhr. Köstlich war auch die Aussicht zwischen Hookena und den Hügeln von Pele oder auf die Schiffe, die an der Küste anlegten, um Holz und Ava und Bananen zu laden. Als Keawe und Lopaka alles besichtigt hatten, setzten sie sich in die Vorhalle. »Nun,« fragte Lopaka, »ist alles so, wie du es dir vorgestellt hast?« »Es ist gar nicht in Worte zu fassen,« sagte Keawe, »es ist schöner, als ich es geträumt habe, und ich bin ganz krank vor Zufriedenheit.« »Eins nur ist zu bedenken,« sagte Lopaka, »all dies kann sich auch ganz natürlich zugetragen haben. Vielleicht hat das Flaschenteufelchen gar nichts damit zu tun. Wenn ich nun die Flasche kaufe und bekomme gar keinen Schoner? Dann hätte ich ja ganz umsonst meine Hand ins Feuer gelegt. Gewiß, ich hab dir mein Wort gegeben; aber ich denke, du wirst es mir nicht verübeln, wenn ich noch eine Probe anstelle.« »Ich habe geschworen, ich wollte kein einziges Geschenk mehr annehmen«, sagte Keawe. »Ich bin schon tief genug verschuldet.«
»Das, woran ich denke, ist kein Geschenk«, erwiderte Lopaka. »Ich möchte nur das Teufelchen selbst mal sehen. Dadurch bereicherst du dich ja nicht und brauchst dich deswegen nicht zu schämen. Wenn ich jedoch den Dämon ein einziges Mal sehe, bin ich meiner Sache sicher. Tu mir den Gefallen und laß mich das Teufelchen sehen. Danach will ich es auch kaufen, hier in der Hand hab ich schon das Geld.« »Ich fürchte nur, das Teufelchen wird sehr garstig aussehen«, sagte Keawe. »Und wenn du es erst einmal erblickt hast, willst du die Flasche am Ende nicht mehr haben.« »Ich halte mein Wort,« sagte Lopaka, »das Geld leg ich hier zwischen uns.« »Gut denn,« antwortete Keawe, »ich bin selbst schon neugierig. Kommen Sie, Herr Teufel, wir möchten Sie gern einmal ansehen!« Kaum war das Wort gesprochen, so guckte das Teufelchen aus der Flasche und schlüpe auch schon wieder hinein, so flink wie eine Eidechse. Keawe und Lo-
paka saßen ganz versteinert da. Es dämmerte bereits, ehe sie einen Gedanken fassen oder ein Wörtchen äußern konnten. Dann schob Lopaka Keawe das Geld zu und nahm die Flasche. »Ich bin ein Mann von Wort,« sagte er, »und ich muß es halten, sonst würde ich diese Flasche nicht einmal mit dem Fuß anrühren. Also just meinen Schoner werde ich bekommen und vielleicht auch einen oder zwei Dollar Taschengeld; dann aber entledige ich mich so schnell wie möglich dieses Teufelchens. Denn das kann ich dir sagen, sein Anblick hat mich fast umgeworfen.« »Lopaka,« sagte Keawe, »denke nicht zu schlecht von mir. Ich weiß, es ist Nacht, und die Wege sind schlecht, und der Pfad an den Gräbern vorbei ist unheimlich zu so später Stunde, aber seit ich das kleine Gesicht gesehen habe, kann ich nicht eher wieder essen noch schlafen noch beten, bis ich es los bin. Ich will dir eine Laterne mitgeben und einen Korb, in den kannst du die Flasche hineintun; du kannst dir auch aus meinem Haus ein Bild oder sonst irgend etwas Schönes mitnehmen, was dir gerade gefällt; nur mach, daß du recht bald wegkommst, und geh schlafen in Hookena bei Nahinu.« »Keawe,« sagte Lopaka, »manch einer würde dir das übelnehmen, zumal nachdem ich dir eine so große Freundlichkeit erwiesen, dir mein Wort gehalten und die Flasche abgekau habe. Überdies ist die Nacht und das Dunkel und der Weg bei den Gräbern vorbei zehnmal gefährlicher für einen Menschen mit einer so großen Sünde auf dem Gewissen und einer solchen Flasche unter dem Arm. Aber ich bin selber so entsetzt, daß ich dich nicht zu tadeln wage. Ich will nun gehen und will Gott bitten, daß er dich glück
lich werden läßt in diesem Haus. Möge ein guter Stern auch über meinem Schoner leuchten und uns beiden einst der Weg zum Himmel offenstehen, trotz des Teufels und der Flasche.« Lopaka stieg also den Berg hinab; Keawe blieb auf seinem Vorderbalkon stehen und horchte auf das Klappern der Pferdehufe. Ängstlich beobachtete er, wie das Licht der Laterne den Pfad hinunterschwankte, an den Klippen vorbei, wo die alten Gräber lagen; die ganze Zeit zitterte er und betete mit gefalteten Händen für seinen Freund; er pries und dankte Gott, daß er selbst dieser Not entgangen war. Der nächste Tag war so strahlend schön, und es war so entzückend, das neue Haus zu betrachten, daß er seine
Ängste vergaß. Ein Tag folgte dem andern, und Keawe lebte in ununterbrochener Freude dahin. Sein Lieblingsplatz war der hintere Balkon; dort lebte und aß er und las die Geschichten in der Zeitung von Honolulu. Kam aber jemand, ihn zu besuchen, so führte er ihn herum und zeigte ihm die Zimmer und die Bilder. Weit und breit wurde das Haus berühmt. Man nannte es in ganz Kona »Ka-HaleNui«, das Große Haus, manchmal auch das »Blanke Haus«, denn Kiawe hielt sich einen Chinesen, der den ganzen Tag abstäuben und putzen mußte. Das Glas und das Gold, die schönen Stoffe und die Bilder, alles glänzte so hell wie der Tag. Keawe selbst konnte gar nicht anders, er mußte immer singend durch die Zimmer gehen, so voller Freude war sein Herz; und wenn ein Schiff vorübersegelte, ließ er seine Fahne am Mast flattern. So ging die Zeit hin, bis Keawe eines Tages eine Besuchsfahrt unternahm ganz bis Kailua, wo er sich nach einem seiner Freunde umsehen wollte. Er wurde dort sehr festlich bewirtet. Am nächsten Morgen aber brach er so früh wie möglich auf und ritt schnell heim, denn er konnte es kaum erwarten, sein schönes Haus wiederzusehen; überdies war die kommende Nacht die Nacht, in der die Toten aus alten Zeiten an den Küsten von Kona umgingen, und da er schon einmal einen Handel mit dem Teufel gehabt hatte, war er um so mehr bedacht, den Toten nicht zu begegnen. Ein Stückchen hinter Honaunau gewahrte er, in die Ferne blikkend, ein Weib, das in der Meeresbucht badete. Es schien ein hübschgewachsenes Mädchen zu sein, aber er dachte nicht weiter daran. Dann sah er, wie sie ihr weißes flatterndes Hemd anzog und ihr rotes Holoku darüberstreie. Wäh
rend er näherkam, zog sie sich fertig an, stieg vom Strand herauf und blieb am Wegrand stehen, in ihrem roten Holoku. Sie war von dem Bade erfrischt, denn ihre Augen leuchteten und sahen ihn freundlich an. Keawe bemerkte sie nicht eher, als bis er das Pferd anhalten mußte. »Ich dachte, ich kennte hierzulande jedermann,« sagte er, »wie kommt es, daß ich dich noch nie sah?« »Ich bin Kokua, Kianos Tochter,« antwortete das Mädchen, »ich bin gerade von Oahu zurückgekehrt. Wer bist du denn?« »Das sag ich dir späterhin, wer ich bin,« erwiderte Keawe, während er vom Pferd herabstieg, »jetzt noch nicht. Denn mir geht da etwas durch den Sinn, und wenn du wüßtest, wer ich bin, hättest du vielleicht schon allerlei über
mich gehört und würdest mir nicht aufrichtig antworten. Aber zuallererst, sag mir eines: bist du verheiratet?« Kokua lachte laut auf. »Du fragst aber sonderbar«, sagte sie; »bist du denn verheiratet?« »Nein, Kokua, natürlich bin ich es nicht,« erwiderte Keawe, »und bis zu dieser Stunde habe ich auch nie daran gedacht. Aber was ich jetzt sage, ist volle Wahrheit: ich erblickte dich hier am Wegrand und sah in deine hellen Augen, und sogleich flog mein Herz dir zu wie ein Vogel. Wenn du nun nichts von mir wissen willst, sag es mir, dann geh ich meiner Wege. Findest du mich aber nicht schlimmer als jeden andern jungen Mann, so sag mir das auch: dann will ich für diese Nacht mit dir zurück zu deines Vaters Haus gehen und morgen früh mit dem guten Mann sprechen.« Kokua erwiderte kein Wort, sondern blickte hinaus auf das Meer und lachte. »Kokua,« sagte Keawe, »keine Antwort ist auch eine Antwort; dann wollen wir nur miteinander zu deines Vaters Haus wandern.« Sie ging vor ihm her, ohne ein Wort zu sagen. Nur von Zeit zu Zeit sah sie sich um und blickte dann wieder fort, dabei hielt sie die Bänder ihres Hutes zwischen den Zähnen. Wie sie nun nahe am Hause waren, kam Kiano auf seine Veranda heraus und bewillkommnete Keawe mit Namen. Da horchte das Mädchen auf, denn der Ruf des »Blanken Hauses« war auch bis zu ihren Ohren gedrungen. Es war wirklich eine große Versuchung für sie. Den ganzen Abend waren sie sehr vergnügt miteinander. Das Mädchen war keck und dreist im Beisein ihrer Eltern, denn sie besaß viel Mutterwitz. Am nächsten Tage besprach sich Keawe mit Kiano.
Dann suchte er das Mädchen allein auf. »Kokua,« sagte er, »du hast dich zwar den ganzen Abend über mich lustig gemacht; jetzt ist noch Zeit zu gehen. Ich hätte dir nicht gesagt, wer ich bin, weil ich ein so schönes Haus habe. Ich fürchtete, du würdest das Haus zu sehr und den Mann darin zu wenig lieben. Nun weißt du alles, und wenn du mich nicht wiedersehen möchtest, so brauchst du es nur zu sagen.« »Nein«, sagte Kokua; aber diesmal lachte sie nicht, und mehr wollte Keawe auch gar nicht wissen. Das war Keawes Werbung. Es war schnell gegangen; aber ein Pfeil geht ebenso schnell und die Kugel aus einer Büchse gar noch schneller, und beide treffen doch ihr Ziel. Es war alles sehr schnell gegangen, aber es hatte tiefen Eindruck auf das Mädchen gemacht, und der Gedanke an Keawe erfüllte ihr Herz. Sie hörte seine Stimme in der Brandung auf der Lava, und obwohl sie ihn erst zweimal gesehen hatte, hätte sie Vater und Mutter und ihre Heimat für den
Jüngling verlassen. Keawe flog auf seinem Pferd dahin über den Bergpfad an den Gräberklippen vorbei. Das Trappeln der Hufe und die Stimme Keawes, der vor Freude sang, hallten in den Grüen wider. Noch immer singend, kam er vor seinem »Blanken Hause« an. Er speiste auf dem breiten Balkon, und der Chinese wunderte sich, wie sein Herr sogar zwischen den einzelnen Bissen sang. Die Sonne ging unter im Meer, und die Nacht kam. Keawe wanderte auf den Balkons bei Lampenlicht hin und her, und seine Lieder vom hohen Berg herab weckten die Menschen auf den Schiffen. »Hier oben wohne ich nun«, sagte er zu sich selber. »Das Leben kann nirgendwo schöner sein. Hier ist der höchste Punkt; rundherum geht es bergab zum Bösen. Heute will ich zum ersten Mal die Lichter in meinen Zimmern anzünden und mich baden in meinem schönen Bad mit dem heißen und kalten Wasser. Und dann will ich allein in dem Bett meiner Brautkammer schlafen.« Dem Chinesen wurde befohlen, die Kronleuchter anzuzünden; mitten aus dem Schlaf mußte er aufstehen. Während er unten am Ofen arbeitete, hörte er seinen Herrn oben in den Zimmern singen und sich freuen. Als das Wasser heiß war, rief er seinen Herrn, und Keawe ging in das Badezimmer. Der Chinese hörte ihn noch, während er das Wasser in die marmorne Wanne laufen ließ, manchmal unterbrochen durch das Ausziehen. – Ganz plötzlich aber hörte der Gesang auf. Der Chinese horchte und horchte; er rief durchs Haus Keawe zu, ob alles in Ordnung wäre. Keawe antwortete: »Ja«, und sagte, er solle nur ins Bett gehen. Aber es tönte kein Gesang mehr durch das »Blanke Haus«; die ganze Nacht hörte der Chinese
seines Herrn Schritte ruhelos auf den Balkons umhergehen. Der Grund war folgender: Als Keawe sich für das Bad auszog, gewahrte er auf seiner Haut einen Fleck wie eine Moosflechte auf dem Felsen, und in dem Augenblick hörte er auf zu singen. Denn er kannte diese Art Flecken und wußte, daß er von der Chinesischen Krankheit * befallen war.
Es ist sehr traurig für einen Menschen, wenn er von dieser Krankheit befallen wird, und es wäre traurig für jedermann, ein so schönes und bequemes Haus zu verlassen, von all seinen Freunden fortgehen zu müssen an die Nordküste von Molokai, zwischen die Klippen und die Brandung. Aber wie entsetzlich war es für Keawe, der erst gestern seiner Liebsten begegnet war, sie erst heute morgen erobert hatte und nun in einem Augenblick alle Hoffnung zertrümmert sah wie ein Stück Glas. * Lepra
Eine Weile blieb er auf dem Rande der Badewanne sitzen; dann sprang er mit einem Schrei auf und stürzte hinaus und rannte auf dem Balkon hin und her, hin und her wie ein Verzweifelter. »Ich würde ja gern Hawai, die Heimat meiner Väter, verlassen,« dachte Keawe, »willig ließe ich mein Haus, das hochgelegene, vielfenstrige, hier am Berge. Tapfer ginge ich nach Molokai, nach Kalaupapa bei den Kuppen, um mit den Ausgestoßenen zu leben und zu sterben, fern von meinen Vätern. Aber welches Unrecht habe ich begangen, welche Sünde lastet auf meiner Seele, daß ich Kokua begegnet bin, wie sie so frisch aus der See kam an jenem Abend? Kokua, du Seelenzauberin! Kokua, du Licht meines Lebens! Dich kann ich nun nicht mehr freien, kann dich nicht mehr betrachten, dich nicht mehr streicheln mit liebender Hand; und darum, nur um deinetwillen, Kokua, klage ich!« Nun muß man wissen, was für ein Mann Keawe war; er hätte jahrelang im »Blanken Haus« leben können, ohne daß irgend jemand von seiner Krankheit erfahren hätte; er aber zählte das alles nicht, weil er Kokua verlieren sollte. Er hätte auch Kokua so heiraten können, mit der Krankheit; viele hätten es getan, es gibt ja Schweine genug. Keawe aber liebte das Mädchen mannha und hätte ihr nie weh tun oder sie in Gefahr bringen können. Kurz nach Mitternacht fiel ihm plötzlich die Flasche ein. Er ging herum zu der hinteren Halle und rief sich den Tag ins Gedächtnis, an dem das Teufelchen aus der Flasche gelugt hatte. Der Gedanke daran ließ ihn noch fast erstarren. »Diese Flasche ist ein scheußliches Ding,« dachte er, »und das Teufelchen ist greulich, und es ist eine schlimme Ge
schichte, wenn man Gefahr läu, den höllischen Flammen zu verfallen. Aber ich habe ja keine andere Hoffnung, wenn ich von dieser Krankheit geheilt werden will, um Kokua zu freien. – Ach was!« dachte er, »hab ich dem Teufel Trotz geboten, um ein Haus zu bekommen, warum sollte ich ihm nun nicht auch mutig entgegentreten, um Kokua zu gewinnen?« Dann besann er sich darauf, daß am nächsten Tag die »Hall« nach Honolulu zurückfuhr. »Dahin muß ich zuerst fahren, um Lopaka zu sehen«, überlegte er. »Denn meine sehnlichste Hoffnung ist jetzt nur, die Flasche wiederzufinden, die ich damals so gern loswerden wollte.« Keine Sekunde konnte er schlafen; das Essen blieb ihm im Halse stecken. Aber an Kiano schrieb er einen Brief, und als die Zeit nahte, wo der Dampfer ankommen sollte, ritt er die Gräberklippen hinab. Es regnete; das Pferd ging mühsam. Bei den dunklen Höhlen der Gräber sah Keawe auf, und er beneidete die Toten, die da so ruhig schliefen
und von keiner Sorge mehr geplagt wurden. Erstaunt erinnerte er sich daran, wie er einige Tage vorher noch vorbeigaloppiert war. So kam er nach Hookena hinunter, wo alle Welt wie gewöhnlich in Erwartung des Dampfers versammelt war. Man saß in dem Schuppen vor dem Vorratshaus und spaßte und erzählte sich Neuigkeiten. Aber Kea-
we war es nicht nach Schwatzen zumute; er setzte sich unter die Leute und starrte hinaus in den Regen, der auf die Häuser rieselte, und auf die Brandung zwischen den Felsen, und ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust. »Keawe aus dem ›Blanken Haus‹ ist trübsinnig«, sagten sie zueinander. Wahrhaig, er war traurig, und das war nicht weiter verwunderlich. Dann kam die »Hall«, und das Beiboot brachte ihn an
Bord. Auf dem Achterdeck saßen lauter Haolen *, die wie üblich den Vulkan besichtigt hatten; das Mittelschiff wimmelte von Kanaken, und auf dem Vorderdeck standen wilde Ochsen aus Hilo und Pferde aus Kaü. Keawe saß in seinem Kummer weit von den andern entfernt und lugte nach Kianos Haus aus. Da lag es, eben oberhalb des Strandes in den schwarzen Felsen, von Kokospalmen beschattet. Vor der Tür konnte man ein rotes Holoku erspähen, nicht größer
als eine Fliege; es bewegte sich hin und her, so fleißig wie eine Biene. »O Königin meines Herzens,« rief er aus, »ich will das Heil meiner Seele daran wagen, dich zu erobern!« Bald danach brach die Dämmerung herein, das Licht in den Kabinen wurde angezündet; die Haolen saßen nach ihrer Gewohnheit beim Kartenspiel und tranken Whisky. Keawe aber wanderte die ganze Nacht auf dem Deck auf und ab; auch den nächsten Tag, als sie im Schutz von Maui und Molokai dahindampen, lief er herum wie ein wildes Tier in seinem Käfig. Gegen Abend passierten sie * Weiße.
das Diamant-Kap und legten an der Mole von Honolulu an. Keawe stieg mit der Menge aus und begann sogleich nach Lopaka zu fragen. Es hieß, er besäße jetzt den schönsten Schoner auf der Insel und wäre damit auf Abenteuer gesegelt ganz bis nach Pola-Pola oder Kahiki. Also bestand keine Aussicht, Lopaka zu erwischen. Keawe erinnerte sich nun eines seiner Freunde, eines Rechtsanwalts in der Stadt (ich brauche den Namen nicht zu nennen), und erkundigte sich nach ihm. Man sagte, er sei plötzlich reich geworden und besäße ein schönes neues Haus am Strande von Waikiki. Das machte Keawe stutzig. Er rief eine Droschke herbei und fuhr zu dem Haus des Anwalts. Das Haus war funkelnagelneu, die Bäume im Garten waren kaum größer als Spazierstöcke; der Anwalt sah, wie er so daherkam, sehr zufrieden aus. »Womit kann ich Ihnen dienen?« fragte er. »Sind Sie nicht ein Freund von Lopaka?« entgegnete Keawe. »Lopaka erhandelte ein gewisses Ding von mir. Können Sie mir nicht vielleicht helfen, dieses wieder ausfindig zu machen?« Das Gesicht des Advokaten verdunkelte sich. »Ich glaube Sie nicht mißzuverstehen, Mister Keawe,« sagte er, »obwohl man an diesen üblen Handel lieber nicht rühren sollte. Glauben Sie mir, ich weiß nichts Genaues, aber ich kann Ihnen einen Fingerzeig geben. Wenn Sie sich danach in einem bestimmten Viertel umsehen, könnten Sie vielleicht mehr erfahren.« Er nannte den Namen eines Mannes, den ich wiederum lieber nicht wiederholen will. Ähnlich erging es Keawe nun fast Tag für Tag; überall fand er neue Kleider und Wagen,
neue schöne Häuser, und alle Leute schienen sehr zufrieden. Trotzdem verdunkelten sich ihre Gesichter jedesmal, wenn er seinen Handel andeutete. »Ich bin zweifellos auf der Spur«, dachte Keawe. »Diese neuen Kleider und Wagen sind alles Gaben des kleinen Teufels, und die glücklichen Gesichter dazu zeugen davon, daß die Leute ihren Vorteil aus der Sache gezogen haben und nun froh sind, das verdammte Ding sicher losgeworden zu sein. Wenn ich erst bleichen Wangen begegne und Seufzer höre, werde ich der Flasche ganz nahe sein.« So kam es zuletzt, daß er zu einem Haolen in der Britanniastraße gewiesen wurde. Als er gegen Abend an dessen Tür kam, sah er wiederum die üblichen Zeichen eines neuen Hauses, den neuangelegten Garten und das elektrische Licht, das aus den Fenstern leuchtete. Als der Eigentümer aber kam, durchfuhr Keawe ein Hoffnungsschimmer, denn der junge Mann sah leichenblaß aus, mit tiefen Schatten unter den Augen, das Haar fiel ihm unordentlich in die Stirn, kurz, er sah aus wie ein Mensch, der vor der Hinrichtung steht. »Hier ist es gewiß«, dachte Keawe. Deshalb machte er bei diesem Mann aus seinem Anliegen kein Hehl und sagte: »Ich komme her, um die Flasche zu kaufen.« Bei diesen Worten taumelte der junge Haole aus der Britanniastraße gegen die Wand. »Die Flasche,« hauchte er, »die Flasche wollen Sie kaufen?« Es schien ihm den Atem zu benehmen; er ergriff Keawe am Arm, zog ihn in ein anderes Zimmer und schenkte Wein in zwei Gläser. »Auf Ihr besonderes Wohl!« sagte Keawe, der früher viel mit Haolen zusammen gewesen war. »Ja, ich möchte die
Flasche gern kaufen. Wie hoch ist denn jetzt ihr Preis?« Bei dieser Frage glitt dem jungen Mann das Weinglas aus den Fingern; er sah Keawe an wie einen Geist. »Ihr Preis?« rief er, »wie hoch ihr Preis ist? Ja, wissen Sie denn den Preis noch nicht?« »Nein, darum frage ich Sie doch gerade«, gab Keawe zurück. »Aber warum sind Sie nur so verstört? Stimmt da etwas nicht mit dem Preis?« »Der Preis ist sehr gefallen seit Ihrer Zeit«, stammelte der junge Mann. »Gut, da bekomme ich sie ja um so billiger«, sagte Keawe. »Wieviel haben Sie denn bezahlt?« Der junge Mann war so weiß wie die Wand. »Zwei Cent«, sagte er. »Was?« schrie Keawe, »zwei Cent? Da können Sie sie also nur für einen Cent verkaufen. Und wer sie kau …« Das Wort erstarb Keawe auf den Lippen; wer die Flasche jetzt kaue, konnte sie nie wieder los werden; die Flasche und das Teufelchen mußten bei ihm ausharren, bis er starb. Bei seinem Tode aber trugen sie ihn hinab in den feurigen Abgrund der Hölle. Der junge Mann aus der Britanniastraße fiel auf die Kniee. »Um des Herrgotts willen, kaufen Sie sie«, jammerte er. »Sie können mein ganzes Hab und Gut bei dem Handel verdienen. Ich war wahnsinnig, als ich das Ding zu diesem Preis kaue. Ich hatte Geld unterschlagen im Geschä; ich wäre verloren gewesen; ich wäre ins Gefängnis gekommen.« »Armer Mensch!« sagte Keawe. »Sie wollten Ihr Seelenheil daransetzen bei diesem verzweifelten Abenteuer, um der gerechten Strafe für Ihre eigene Schande zu entgehen;
denken Sie, ich könnte zögern, wo Liebe mich leitet? Geben Sie mir die Flasche, Sie haben gewiß Kleingeld bereit.« Damit reichte er ihm ein Fünfcentstück. Es war, wie Keawe gesagt hatte; der junge Mann hatte Kleingeld in einer Schieblade zur Hand; die Flasche wechselte den Besitzer. Keawes Finger hatten kaum den Hals der Flasche umklammert, als er auch schon seinen Wunsch, wieder ein reiner Mann zu werden, geflüstert hatte. Und wahrhaig, als er sich zu Hause vor dem Spiegel auszog, war seine Haut wieder so glatt wie die eines Kindes. Da aber geschah etwas Seltsames: kaum hatte er das Wunder erblickt, als seine Stimmung sich unwillkürlich änderte; er achtete die »Chinesenkrankheit« für nichts mehr, gedachte kaum noch seiner Kokua; nur noch der einzige Gedanke
beseelte ihn, daß er nun an das Flaschenteufelchen für Zeit und Ewigkeit gebunden sei und keine andere Aussicht habe, als Schlacke zu werden im Höllenfeuer. Er sah die Flammen im Geiste schon flackern, seine Seele schauderte, und alle lichten Aussichten umnachteten sich ihm. Als Keawe wieder ein wenig zu sich kam, gewahrte er,
daß es Nacht war und die Kapelle schon vor dem Hotel spielte. Dorthin ging er, denn er hatte Angst vor dem Alleinsein. Da drüben ging er zwischen den frohen Gesichtern hin und her, hörte, wie die Töne auf und ab schwangen, sah, wie der Dirigent Berger den Takt schlug, doch immer hörte er die Flammen knistern und sah das rote Feuer im bodenlosen Abgrund brennen. Plötzlich spielte die Musik »Hiki-ao-ao«, ein Lied, das
er mit Kokua gesungen hatte; und sein Mut kehrte zurück. »Es ist nun geschehen«, dachte er; »noch einmal muß ich das Böse mit dem Guten hinnehmen.« So geschah es, daß er mit dem ersten Dampfer nach Hawai zurückkehrte und, sobald es irgend ging, Kokua heiratete und zu sich hinauf in das »Blanke Haus« am Berghang trug. Zwischen den beiden wurde es nun so, daß Keawes Herz ruhig schlug, solange sie zusammen waren; sobald er aber allein blieb, verfiel er in brütendes Sinnen, hörte die Flammen knistern und sah das rote Feuer in dem bodenlosen Abgrund brennen. Das Mädchen hing mit ganzer Seele an ihm; ihr Herz schlug schneller, wenn sie ihn sah, ihre Hand suchte die seine; sie war so schön vom Scheitel bis zur Sohle, daß jeder sie nur mit Freude ansehen konnte. Sie war froh von Natur und fand überall das rechte Wort. Immerfort sang sie und ging wie ein Vogel zwitschernd in den drei Stockwerken des »Blanken Hauses« umher, selber strahlender als alle Dinge darin. Keawe betrachtete sie und horte ihr voller Freude zu und mußte doch auf der anderen Seite schaudern und weinen und seufzen, wenn er an den Preis dachte, den er für all das hatte zahlen müssen. Aber er mußte seine Augen wieder trocknen, sein Gesicht kühlen und sich mit ihr auf den breiten Balkon setzen, in ihre Lieder einstimmen und mit krankem Herzen ihr Lächeln erwidern. Der Tag aber kam, wo auch ihre Füße schwerer und ihre Lieder seltener wurden; jetzt war es nicht nur Keawe allein, der abseits weinte; getrennt voneinander saßen sie auf entgegengesetzten Balkonen, die ganze Tiefe des »Blanken
Hauses« zwischen sich. Keawe war so in seine Verzweiflung versunken, daß er diese Veränderung kaum bemerkte, und war nur glücklich, noch mehr Stunden allein sitzen und über sein Geschick nachsinnen zu können. Er war nun nicht mehr so o dazu verurteilt, mit seinem kranken Herzen lachende Miene zu zeigen. Eines Tages aber, als er leise durch das Haus ging, hörte er kindliches Schluchzen; da lag Kokua mit dem Gesicht auf dem Boden des Balkons und weinte verzweifelt. »Du tust recht, Kokua,« sagte Keawe, »daß du in diesem Hause weinst. Und doch hätte ich meinen Kopf dafür gewettet, daß wenigstens du hier glücklich sein würdest.« »Glücklich!« rief Kokua. »Keawe, als du allein in deinem ›Blanken Hause‹ wohntest, galtest du auf der Insel sprichwörtlich für einen glücklichen Mann; du sangst und lachtest, und dein Gesicht war so strahlend wie Sonnenaufgang. Dann heiratetest du die arme Kokua; der liebe Gott weiß, was fehlerha an ihr ist – aber von dem Tage an hast du nicht mehr gelacht. – O,« weinte sie, »was fehlt mir? Ich dachte, ich sei hübsch, und ich wußte, ich liebte dich. Was habe ich getan, daß diese Wolke die Stirn meines Mannes beschattet?« »Arme Kokua!« sagte Keawe, setzte sich an ihre Seite und suchte ihre Hand; aber sie entzog sie ihm. »Arme Kokua,« wiederholte er, »mein armes Kind – Liebling! Und ich dachte die ganze Zeit, ich wollte dich schonen. Gut, du sollst alles wissen. Dann wirst du wenigstens Mitleid mit Keawe haben. Dann wirst du begreifen, wie sehr er dich früher liebte, daß er sogar das Höllenfeuer herausforderte, um dich zu besitzen – und wie sehr er dich noch
liebt, als armer Verdammter, daß er trotz allem noch ein Lächeln auringt, wenn er dich sieht.« So erzählte er ihr alles von Anfang an. »Das hast du für mich getan?« rief sie aus. »Ach, dann ist alles gut; um was sorge ich mich dann?« und sie umarmte ihn und lachte unter Tränen. »Ach, Kind,« sagte Keawe, »und doch, wenn ich an das Höllenfeuer denke, hab ich ein gut Teil Angst.« »Niemals,« sagte sie, »nie kann ein Mensch verdammt werden, weil er Kokua liebte und weiter kein anderes Unrecht begangen hat. Ich verspreche dir, Keawe, ich will dich mit diesen Händen retten oder zusammen mit dir untergehen. Wie, du liebtest mich und gabst deine Seele daran und denkst, ich wollte nicht sterben, um dich nun zu retten?« »Ach, Liebste, du könntest hundertmal sterben, was würdest du damit ändern? Ich müßte nur einsam auf den Tag meiner Verdammnis warten.« »Du verstehst mich nicht«, sagte sie. »Ich bin in Honolulu zur Schule gegangen; ich bin kein dummes Mädchen. Ich sage dir, ich werde meinen Geliebten retten. Was sagtest du da von einem Cent? Die ganze Welt ist doch nicht amerikanisch? In England gibt es ein Geldstück, das ungefähr einen halben Cent wert ist. Aber, o Jammer,« rief sie, »das macht die Sache kaum besser, denn der Käufer ist dann verloren, und es wird sich kaum einer finden, der so tapfer ist wie mein Keawe! Aber halt, in Frankreich! Da gibt es eine kleine Münze, die heißt Centime, davon gehen ungefähr fünf auf einen Cent. Was Besseres gibt es gar nicht für uns! Komm, Keawe, laß uns zu einer der französischen Inseln gehen. So schnell uns ein Schiff nur
tragen kann, wollen wir nach Tahiti reisen. Da gibt es vier Centimes, drei Centimes, zwei Centimes, einen Centime; vier verschiedene Verkaufsmöglichkeiten gibt es da, um vorwärtszukommen, und zu zweit können wir den Handel zu Ende bringen. Komm, Keawe, küsse mich und verjage die Sorgen! Kokua wird dich schon verteidigen!« »Du Engel Gottes,« rief Keawe aus, »ich kann mir nicht denken, daß Gott mich dafür strafen sollte, daß ich etwas so Gutes begehrte. Es soll alles geschehen, wie du es willst; führe mich, wohin du willst: ich lege mein Leben und meine Rettung in deine Hände.« Schon früh am nächsten Morgen begann Kokua mit ihren Vorbereitungen. Sie holte Keawes Kiste, die er sonst mit auf See nahm, und packte zuerst die Flasche in eine Ecke; darauf legte sie ihre schönsten Kleider und die kostbarsten Schmucksachen des Hauses. »Denn«, sagte sie, »wir müssen wie reiche Leute auftreten; wer würde sonst an die Flasche glauben?«
Während all dieser Vorbereitungen war sie so froh wie ein Vogel; nur wenn sie Keawe ansah, kamen ihr die Tränen in die Augen, und sie mußte schnell zu ihm laufen und ihn küssen. Keawe aber war eine schwere Last von der Seele genommen; nun, wo er sein Geheimnis los war und ein wenig Hoffnung auauchte, kam er sich wie ein neuer Mensch vor. Die Füße liefen wieder leicht über die Erde, und er atmete wieder frei. Aber der Schrecken saß ihm noch im Nacken. Von Zeit zu Zeit erstarb die Hoffnung in ihm, so wie der Wind eine Fackel ausbläst; dann hörte er die Flammen wieder knattern und sah das Feuer in der Hölle brennen. In der Gegend hieß es, sie machten eine Vergnügungsreise in die Vereinigten Staaten; das klang zwar merkwürdig, aber doch nicht so seltsam wie die Wahrheit, wenn einer sie hätte erraten können. So führen sie mit der »Hall«
nach Honolulu und von da mit der »Umatilla« nach San Franzisko, zusammen mit einer Anzahl von Haolen. In San Franzisko belegten sie eine Kabine bei der »Brigantine Post« auf der »Tropic Bird« nach Papeete, dem Hauptplatz auf den französischen Südsee-Inseln. Nach einer angenehmen Überfahrt kamen sie an einem sehr schönen Tage bei Passatwind dort an und sahen die Mole mit der Brandung, Motuiti mit seinen Palmen und die draußen liegenden Schoner. Die weißen Häuser der Stadt lagen unter grünen Bäumen am Strand entlang, und darüber sah man die Berge und die Wolken von Tahiti, der verzauberten Insel. Es schien das geratenste, ein Haus zu mieten; sie fanden eins, gerade dem englischen Konsulat gegenüber; so konnten sie rechten Staat mit ihrem Gelde machen. Auch taten sie sich hervor mit Wagen und Pferden. Das fiel ihnen ja sehr leicht, solange sie die Flasche noch besaßen; Kokua war darin nämlich kühner als Keawe; wenn ihr irgend etwas in den Sinn kam, rief sie sogleich das Flaschenteufelchen an und wünschte sich zwanzig oder hundert Dollar. Auf diese Weise fielen sie sehr bald in der Stadt auf, und die Fremden aus Hawai, ihr Tun und Treiben, die schönen Holokus und reichen Spitzen von Kokua wurden bald Stadtgespräch. Die Sprache von Tahiti erlernten sie sehr bald; sie ähnelt nämlich in der Tat der von Hawai sehr, nur einige Buchstaben sind verändert. Sobald die beiden aber einige Bewegungsfreiheit in der Sprache hatten, versuchten sie die Flasche loszuschlagen. Nun muß man bedenken, daß es nicht so einfach war, die Sache einzufädeln. Wenn man für nur vier Centimes die Quelle aller Gesundheit und aller
erdenklichen Reichtümer anbot, wirkte das nicht gerade ernstha und überzeugend; zudem mußte man aber auch die Nachteile der Flasche auseinandersetzen. Manche zweifelten die ganze Geschichte an und lachten darüber, oder sie dachten mehr an den dunklen Teil der Sache, machten bedenkliche Gesichter und zogen sich von Keawe und Kokua zurück, weil die mit dem Teufel unter einer Decke steckten. Sie waren weit davon entfernt, Boden in der Stadt zu gewinnen, eher merkten sie, daß man sie zu meiden begann; die Kinder liefen schreiend vor ihnen davon, was Kokua besonders unerträglich war; die Katholiken bekreuzten sich, wenn sie vorübergingen, und alle Leute fingen wie auf Verabredung an, die bisher so entgegenkommende Haltung aufzugeben. Tiefe Niedergeschlagenheit befiel die beiden. Es kam vor,
daß sie des Nachts nach des Tages Kümmernissen in ihrem neuen Hause saßen, ohne ein Wort zu sprechen; nur von Zeit zu Zeit wurde die Stille unterbrochen, wenn Kokua in Tränen ausbrach. Manchmal beteten sie zusammen; manchmal saßen sie den ganzen Abend vor der Flasche, die auf dem Flur stand, und beobachteten den mitten darin sich bewegenden Schatten. An solchen Abenden fürchteten sie sich davor, ins Bett zu gehen. Es dauerte lange, ehe sie einschlafen konnten, und wenn der eine still vor sich hindöste, sah er beim Erwachen, wie der andere in der Dunkelheit leise weinte; oder einer wachte allein, weil der andere aus dem Haus und der Nähe der Flasche geflohen war und unter den Bananen in dem kleinen Garten auf und ab ging oder am Strand im Mondlicht wanderte. Eines Nachts, als Kokua aufwachte, war Keawe fortgegangen. Sie befühlte seinen Platz im Bett, er war kalt. Da fing sie an, sich zu fürchten und richtete sich in ihrem Bett auf. Ein Streifen Mondlicht fiel durch die Fensterladen. Das Zimmer war ganz hell, sie konnte die Flasche auf dem Fußboden erkennen. Draußen blies der Wind; die großen Bäume in der Allee beugten sich, und die welken Blätter raschelten in der Veranda. Durch all den Lärm hindurch hörte Kokua einen Laut; sie wußte nicht, rührte er von einem Tier oder von einem Menschen her; jedenfalls war er so todestraurig, daß es ihr in die Seele schnitt. Leise stand sie auf, öffnete die Tür halb und spähte in den mondhellen Garten. Da lag Keawe unter den Bananen, mit dem Mund auf der Erde, und ächzte. Kokuas erster Gedanke war, zu ihm hinzulaufen und ihn zu trösten; der zweite hielt sie energisch zurück. Keawe
hatte sich vor seiner Frau mannha gehalten; es stand ihr nicht zu, ihn in einer schwachen Stunde zu beschämen. Mit diesem Gedanken zog sie sich in das Haus zurück. »Himmel!« dachte sie, »wie lieblos bin ich gewesen, wie schwächlich! Er ist es doch, nicht ich. der in der ewigen Gefahr schwebt; er war es, nicht ich, der den Fluch auf seine Seele nahm. Für mich, aus Liebe zu einem so wertlosen Geschöpf, das ihm so wenig helfen kann, drohen ihm nun die Flammen der Hölle und spürt er den Qualm schon, während er so da draußen im Sturm und Mondschein liegt. Bin ich denn so dumm, daß ich bis jetzt meine Pflichten nicht erkannt habe, oder hab ich sie vorher gesehen und habe mich nur abgewandt? Nun aber will ich endlich meine Seele mit meinen beiden liebevollen Händen fassen, nun will ich den weißen Stufen des Himmels, den erwar
tenden Gesichtern meiner Freunde Lebewohl sagen. Eine Liebe ist der anderen wert; mein Opfer soll ebenso groß werden wie das von Keawe. Eine Seele soll für die andere einspringen, mag die meine denn auch verderben!« Sie war geschickt mit ihren Händen, schnell war sie angezogen. Sie nahm ihr Kleingeld in die Hand – die kostbaren Centimes, die sie immer bei sich hatte; denn diese Münze wird wenig benutzt, und sie hatten sich erst in einer Amtsstube damit versehen müssen. Als sie hinaus in die Allee kam, stürmten Wolken daher und verdunkelten den Mond. Die Stadt schlief, und sie wußte nicht, wohin sie sich wenden sollte, bis sie jemanden hinter den Bäumen husten hörte. »Du, Alter, was machst du hier draußen in der kalten Nacht?« fragte Kokua. Der alte Mann konnte sich vor Husten kaum verständlich machen, aber sie hörte doch heraus, daß er alt und arm war und fremd auf der Insel. »Willst du mir einen Gefallen tun?« fragte Kokua. »So wie ein Fremder einem andern Fremden einen Gefallen erweist oder ein alter Mann einer jungen Frau? Willst du einer Tochter Hawais helfen?« »So?« sagte er, »du bist wohl die Hexe von den acht Inseln und willst auch meine alte Seele umgarnen? Aber ich habe schon von dir gehört und werde mich wehren trotz meiner Schwäche.« »Setz dich hierhin,« sagte Kokua, »ich will dir eine Geschichte erzählen.« Und sie erzählte ihm Keawes Geschichte von Anfang bis zu Ende. »Siehst du,« sagte sie, »und ich bin seine Frau, für die
er sein Seelenheil verkaue. Was könnte ich tun? Wenn ich selbst zu ihm ginge und wollte ihm die Flasche abkaufen, so würde er mich abweisen. Aber wenn du nun gingest, dann würde er sie sofort verkaufen; ich warte hier auf dich, du kaufst sie für vier Centimes, ich kaufe sie für drei wieder von dir. Und der Herr mag mir armem Mädchen beistehn!« »Wenn du jetzt lögest,« sagte der Mann, »so glaube ich, müßte Gott dich tot niederstrecken.« »Bestimmt würde er das tun!« rief Kokua. »Ich könnte nicht betrügen, Gott würde es nicht leiden.« »Gib mir die vier Centimes und warte hier auf mich«, sagte der alte Mann. Wie nun Kokua allein auf der Straße stand, schwand ihr Mut dahin. Der Wind sauste in den Bäumen, und das dünkte ihr wie das Flackern der Höllenflammen. Die Schatten bewegten sich in dem Licht der Straßenlaternen heig hin und her, sie aber glaubte, es seien böse Geister. Wenn sie
die Kräe gehabt hätte, wäre sie davongelaufen; wenn sie Atem gehabt hätte, hätte sie laut geschrieen; in Wirklichkeit aber tat sie keins von beiden, sondern stand zitternd in der Allee wie ein erschrecktes Kind. Dann sah sie den alten Mann zurückkommen, die Flasche in der Hand. »Ich habe deine Bitte erfüllt«, sagte er; »ich verließ deinen Mann weinend wie ein Kind, heute nacht wird er gut schlafen.« Und er hielt ihr die Flasche hin. »Ehe du sie mir gibst,« fiel Kokua ein, »nütze das Gute bei dem Bösen und bitte, daß du von dem Husten befreit wirst.« »Ich bin ein alter Mann,« sagte der andere, »ich bin dem Grabe schon zu nah, um ein Geschenk vom Teufel anzunehmen. Aber was heißt das? Warum nimmst du die Flasche nicht? Zögerst du etwa?« »O nein,« schluchzte Kokua, »ich bin nur schwach. Gib mir einen Augenblick Zeit. Nur meine Hand widersteht, sie schrickt zurück vor dem verfluchten Ding. Einen Augenblick nur!« Der alte Mann sah Kokua freundlich an. »Armes Kind,« sagte er, »du fürchtest dich! Deine Seele ist von bösen Ahnungen erfüllt? Gut, laß sie mir. Ich bin alt und werde auf dieser Welt nicht mehr glücklich. Und was dann kommt …« »Gib sie mir,« keuchte Kokua, »hier ist dein Geld. Denkst du, ich sei so gemein? Gib sie her.« »Gott segne dich, Kind!« sagte der alte Mann. Kokua verbarg die Flasche unter ihrem Holoku, sagte dem Alten Lebewohl und ging die Allee entlang; sie küm
merte sich nicht darum, wohin sie führte, denn alle Wege gelangten für sie jetzt an denselben Ort, alle brachten sie in die Hölle. Manchmal ging sie, und manchmal lief sie. Manchmal schrie sie laut in die Nacht hinaus, und manchmal lag sie am Wegrand und weinte. Alles, was sie je von der Hölle gehört hatte, fiel ihr wieder ein. Sie sah die Flammen flackern, sie roch den Qualm, ihr Leib dörrte auf den Kohlen. Als der Tag graute, kam sie wieder zur Besinnung und kehrte nach Hause zurück. Es war, wie der alte Mann gesagt hatte: Keawe schlummerte fest wie ein Kind. Kokua stand und betrachtete sein Gesicht. »Nun bist du an der Reihe zu schlafen, lieber Mann«, sagte sie; »wenn du erwachst, wirst du singen und lachen. Aber die arme Kokua, die an nichts Böses dachte – ach, die arme Kokua wird nun nicht mehr schlafen, nicht mehr singen, keine Freude mehr kennen, weder im Himmel noch auf Erden.« Mit diesen Worten legte sie sich ins Bett an seine Seite, und ihr Elend war so groß, daß sie augenblicklich in einen tiefen Schlummer verfiel. Spät am Morgen erwachte ihr Mann und erzählte ihr die große Neuigkeit. Er schien verrückt geworden vor Freude; er wurde ihren Kummer gar nicht gewahr, obwohl sie ihn nur schlecht verbergen konnte. Die Worte blieben ihr im Halse stecken, Keawe hörte es nicht; er besorgte das Reden. Sie aß keinen Bissen, aber wer beobachtete das? Keawe machte reinen Tisch. Kokua sah und hörte ihn, wie ein fremdes Ding in einem Traum; es gab wohl Augenblicke, wo sie sich vergaß und daran zweifelte und sich an die Stirn faßte; es schien ja so undenkbar, daß ihr Mann schwatzte, während sie selber verurteilt war. Keawe redete und aß die ganze Zeit; er machte Pläne
für ihre Heimreise, dankte ihr, daß sie ihn gerettet hatte, und liebkoste sie und nannte sie den wahren Helfer aus allem Unheil. Er spottete über den alten Mann, der so dumm war, daß er die Flasche gekau hatte. »Er schien ein ehrlicher alter Mann zu sein«, sagte Keawe. »Aber man kann niemand nach dem Äußeren beurteilen. Denn warum suchte dieser alte Kerl die Flasche?« »Lieber Mann,« sagte Kokua bescheiden, »er hat vielleicht eine gute Absicht dabei gehabt!« Keawe lachte aufgebracht. »Dummes Zeug! Das war ein Spitzbube, sag ich dir, der wollte jemanden anführen. Denn es war schwer genug, die Flasche für vier Centimes zu verkaufen; für drei wird es ganz unmöglich sein. Der Abstand ist nicht mehr groß genug, das Ding fängt an, nach der Hölle zu riechen … Brrrrr!« sagte er und schüttelte sich. »Gewiß, ich kaue sie selber für einen Cent, als ich nicht wußte, daß es noch kleinere Münzen gab. Ich war damals toll wegen meiner Krankheit; ein zweiter in ähnlicher Lage wird sich so leicht nicht finden. Wer die Flasche jetzt hat, wird sie mit hinabnehmen müssen in den Abgrund.« »O, mein lieber Mann,« sagte Kokua, »ist es nicht entsetzlich, sich selbst zu retten auf Kosten eines andern? Mir scheint, ich könnte darüber nicht lachen, ich würde niedergedrückt sein. Mein Herz wäre voll Trauer. Ich würde für den armen Käufer beten.« Da wurde Keawe noch böser, denn er fühlte die Berechtigung ihrer Worte. »Papperlapapp! Sei du voller Trauer, wenn du willst,« schrie er, »das ist nicht die rechte Gesinnung für eine gute
Frau. Wenn du an mich dächtest, würdest du dich schämen.« Darauf ging er aus, und Kokua blieb allein. Hatte sie noch irgendeine Aussicht, die Flasche für zwei Centimes zu verkaufen? Sie sah keine. Und wenn sie irgendeine hätte – reiste ihr Mann nicht davon in ein Land, das keine kleinere Münze hatte als einen Cent? Und jetzt am Morgen nach ihrem Opfer lief ihr Mann davon und schalt obendrein mit ihr! Sie versuchte gar nicht, die Zeit zu nützen, die ihr blieb, sondern saß in ihrem Haus. Bald holte sie die Flasche heraus und betrachtete sie mit unaussprechlicher Furcht, bald versteckte sie sie voller Ekel, um sie nur nicht mehr zu sehen. Nach einiger Zeit kam Keawe zurück und wollte sie mitnehmen zu einer Spazierfahrt. »Lieber Mann,« sagte sie, »ich bin krank; mir ist nicht wohl zumute. Entschuldige mich, ich kann heut nicht vergnügt sein.« Da wurde Keawe noch zorniger. Mit ihr war er böse, weil er glaubte, sie dächte noch über den alten Mann nach, und mit sich selbst, weil er fühlte, daß sie recht hatte und er sich schämte, so glücklich zu sein. »Das soll deine Treue und deine Liebe sein?« schrie er, »dein Mann ist gerade aus ewiger Verdammnis gerettet, in die er sich aus Liebe zu dir gestürzt hatte, und du kannst nicht vergnügt sein? Kokua, du hast ein treuloses Herz.« Wütend ging er wieder fort und lief den ganzen Tag in der Stadt umher. Dort traf er Freunde und zechte mit ihnen; sie mieteten einen Wagen und fuhren aufs Land hinaus und tranken dort von neuem. Die ganze Zeit über fühlte sich Keawe aber nicht recht
behaglich, weil er seinem Vergnügen nachging, während seine Frau traurig war, und weil er im Grunde seines Herzens fühlte, daß sie mehr recht hatte als er; doch diese Erkenntnis ließ ihn nur noch mehr trinken. Nun trank aber ein alter brutaler Haole mit ihm; der war früher Bootsmann auf einem Walfischfänger gewesen, war davongelaufen, war unter die Goldsucher gegangen und hatte im Gefängnis gesessen. Er war ein gemeiner Kerl mit einem losen Mundwerk. Meist war er besoffen und sah dann gern ebenfalls Betrunkene um sich. Er drückte Keawe das Glas in die Hand. Bald hatte keiner von der Gesellscha mehr einen Cent in der Tasche. »Hör mal, du,« sagte der Bootsmann, »du bist ja reich, du hast es immer gesagt. Du hast doch eine Flasche oder so was Närrisches.« »Ja,« sagte Keawe, »ich bin reich; ich will Geld von meiner Frau holen, die bewahrt es auf.«
»Höre, Maat, das ist eine dumme Einrichtung«, sagte der Bootsmann. »Einem Unterrock darfst du keine Dollars anvertrauen, die sind alle falsch wie das Wasser. Behalte sie nur ja immer im Auge.« Dies Wort machte Keawe stutzig. Denn er war schon ganz verwirrt von dem, was er getrunken hatte. »Ich würde mich nicht wundern,« dachte er, »wenn sie wirklich falsch wäre. Warum wäre sie sonst so niedergeschlagen bei meiner Befreiung? Aber ich werde es ihr schon zeigen, ich lasse mich nicht so leicht betrügen! Ich will sie auf frischer Tat ertappen.« So bat Keawe also den Bootsmann, als sie wieder in die Stadt zurückgekehrt waren, er möchte an der Ecke bei dem alten Gefängnis auf ihn warten, und ging allein die Allee hinauf bis zu seiner Haustür. Die Nacht war wieder angebrochen; drinnen brannte Licht, aber es war kein Laut zu hören. Keawe schlich um die Ecke, machte leise die Hinterpforte auf und lugte hinein. Da saß Kokua auf der Diele, die Lampe neben sich. Vor ihr stand eine milchweiße Flasche, rundbauchig und langhalsig. Kokua starrte unverwandt darauf und rang die Hände. Lange Zeit stand Keawe und sah in den Flur hinein. Zuerst war er wie vor den Kopf geschlagen. Dann befiel ihn die Angst, der Handel wäre am Ende rückgängig gemacht worden und die Flasche zu ihm zurückgekommen, so wie sie in San Franzisko zu ihm zurückgekommen war. Seine Kniee wankten bei diesem Gedanken, und der Weindunst zog von seinem Kopf ab wie Nebel in der Frühe aus dem Fluß. Aber dann kam ihm ein anderer Gedanke, ein seltsamer Gedanke, der ihm das Blut in die Wangen trieb. »Das muß ich wissen«, dachte er.
Er schloß die Pforte, ging leise um die Ecke zurück und kam dann geräuschvoll durch die andere Tür herein, als wäre er erst jetzt nach Hause gekommen. Und siehe da! Als er die Vordertür öffnete, war keine Flasche mehr zu sehen, Kokua saß in einem Stuhl und fuhr wie aus dem Schlaf geschreckt empor. »Den ganzen Tag haben wir getrunken und sind sehr vergnügt gewesen«, sagte Keawe. »Ich habe gute Kameraden getroffen und komme nun zurück, um Geld zu holen, dann will ich wieder zu ihnen und trinken und zechen.« Sein Gesicht und seine Stimme waren so düster wie beim Jüngsten Gericht, aber Kokua war so verstört, daß sie es gar nicht gewahrte. »Du tust recht, wenn du dein Hab und Gut genießt,
lieber Mann«, sagte sie, und ihre Stimme zitterte erregt. »O, ich tue immer recht«, erwiderte Keawe, ging stracks zu der Kiste und nahm das Geld. Er sah aber seitwärts in die Ecke, wo sie die Flasche auewahrt hatten – keine Flasche war zu sehen. Da schwankte die Kiste auf dem Fußboden vor ihm auf und ab wie eine Welle, und das Haus drehte sich um ihn wie eine Wolke von Rauch, denn er sah, daß er nun verloren war und daß es keinen Ausweg mehr gab. »Also doch, wie ich befürchtet habe,« dachte er, »sie war es, die sie gekau hat.« Dann kam er wieder etwas zu sich und stand auf; aber der Schweiß lief ihm in eiskalten Strömen über die Backen. »Kokua,« sagte er, »ich habe dir heute manches gesagt, was unrecht war. Nun möchte ich zu meinen Zechkumpanen zurück,« dabei lachte er leise, »vergib mir; dann kann ich fröhlicher sein.« Im selben Augenblick umfaßte sie seine Kniee und küßte sie tränenüberströmt. »O,« sagte sie, »ich will ja nur ein freundliches Wort hören.« »Laß uns nie schlecht voneinander denken«, sagte er, und damit war er auch schon aus dem Haus. Das Geld, das Keawe an sich genommen hatte, war nur von dem Häuflein der Centimen gewesen, das sie bei ihrer Ankun beiseite gelegt hatten. Er wollte ganz gewiß nicht mehr trinken! Seine Frau hatte ihre Seele für ihn geopfert, jetzt mußte er die seine für sie geben. Nur dieser eine Gedanke beseelte ihn. An der Ecke bei dem Gefängnis stand der alte Bootsmann und wartete.
»Meine Frau hat die Flasche,« sagte Keawe, »und wenn du mir nicht hilfst, sie herauszubringen, gibt es heut abend kein Geld und keinen Schnaps mehr.« »Du willst doch nicht etwa sagen, daß das mit der Flasche Ernst ist?« schrie der Bootsmann. »Hier ist die Laterne«, sagte Keawe. »Sehe ich aus wie einer, der Spaß macht?« »Wahrhaig,« antwortete der Alte, »du siehst so ernstha aus wie ein Gespenst.« »Gut denn,« sagte Keawe, »hier sind zwei Centimes; gehe ins Haus zu meiner Frau und biete ihr das für die Flasche; sie wird sie dir, wenn mich nicht alles täuscht, sofort geben. Bring sie mir hierher, dann kaufe ich sie dir wieder für einen Centime ab. Denn das ist das Gesetz der Flasche, daß sie immer für eine kleinere Summe verkau werden muß. Aber was du auch tust, sag kein Wort davon, daß du von mir kommst.« »Es soll mich wundern, Maat, wenn du mich nicht zum besten hast«, sagte der Bootsmann. »Zum mindesten wirds dir keinen Schaden tun«, erwiderte Keawe. »Das stimmt, Maat«, sagte der Bootsmann. »Und wenn du mir nicht glaubst,« fügte Keawe hinzu, »kannst du es ja selbst versuchen. Sobald du dem Haus den Rücken gekehrt hast, kannst du dir eine Tasche voll Geld wünschen oder eine Flasche feinen Rum oder was du gern haben willst, und du wirst die guten Kräe der Flasche schon spüren.« »Also los, du Kanake,« sagte der Bootsmann, »ich wills versuchen; aber wenn du mich angeführt hast, werd ich
dich anführen mit einem Tauende.« Und damit ging der Bootsmann die Allee hinauf. Keawe stand und wartete. Es war nahezu derselbe Fleck, an dem Kokua in der Nacht vorher gewartet hatte, aber Keawe war entschlossener und schwankte nicht bei seinem Vorsatz. Nur seine Seele war voll tiefster Verzweiflung. Sehr lang dünkte ihn die Zeit, bis er eine Stimme in der Allee näher kommen hörte. Er erkannte die Stimme des
Bootsmanns; aber es war merkwürdig, wie betrunken sie auf einmal klang. Darauf kam der Mann selbst ins Laternenlicht heran getorkelt. Er hatte die Teufelsflasche in seinen Mantel eingeknöp, eine andere Flasche hatte er in der Hand. Gerade als er in Sicht kam, setzte er sie an und trank. »Du hast sie,« sagte Keawe, »ich seh es schon.« »Hände weg!« brüllte der Bootsmann und sprang zurück, »noch einen Schritt näher, und ich hau dir ins Maul! Du denkst wohl, du könntest mir was weis machen?« »Was meinst du?« schrie Keawe. »Was ich meine?« brüllte der Bootsmann zurück, »ich
meine, daß dies hier eine reizende kleine Flasche ist, ja, das meine ich. Wie ich zu der gekommen bin für zwei Centimes, begreife ich nicht. Aber das ist sicher, daß du sie nicht für einen Centime bekommst.« »Du willst sie also nicht verkaufen?« fragte Keawe atemlos. »Nein, mein Herr!« schrie der Bootsmann, »aber Sie können einen Schluck von dem Rum kriegen, wenn Sie wollen!« »Aber ich sage dir doch,« redete Keawe dazwischen, »der Mann, der diese Flasche behält, fährt zur Hölle.« »Dahin fahre ich wohl auf jeden Fall,« entgegnete der Schiffer, »und die beste Begleitung dafür scheint mir jetzt diese Flasche zu sein; das ist mir aufgegangen. Nein, Herr, diese Flasche gehört mir jetzt,« brüllte er wieder, »und Sie können sich eine andere angeln.« »Soll es dabei bleiben?« rief Keawe, »zu deinem eigenen Besten beschwöre ich dich, verkaufe sie mir!« »Du kannst dir deine Reden sparen«, antwortete der Bootsmann; »du dachtest, ich wäre ein Dummkopf, nun siehst du aber, daß ich es nicht bin. Das ist das Ende vom Liede. Wenn du keinen Schluck Rum willst, will ich selbst einen nehmen. Prost – und gute Nacht auch!« So ging er die Allee hinunter, der Stadt zu; und damit verläßt auch die Flasche diese Geschichte. Keawe aber rannte so flink wie der Wind zu Kokua, und ihre Freude war sehr groß in dieser Nacht; und ebenso groß war seitdem der Friede all ihrer Tage im »Blanken Haus«.
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