Pat Lauer
Das Ei des Kolumbus und andere Irrtümer 350 populäre Halbwahrheiten richtiggestellt
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Pat Lauer
Das Ei des Kolumbus und andere Irrtümer 350 populäre Halbwahrheiten richtiggestellt
scanned by unknown corrected by minyaia Wussten Sie;... § dass es in Wirklichkeit nicht 12, sondern 13 Apostel gab, § dass der französische Arzt Guillotin gar nicht der Erfinder der berühmt -berüchtigten Henkersmaschine war, § dass Luther seine Thesen niemals an eine Kirchentür genagelt hat, § dass das Jodeln gar nicht in den Alpen erfunden wurde? Pat Lauer hat alltägliche Weisheiten, Theorien und Gerüchte genau unter die Lupe genommen und dabei zahlreiche Irrtümer und Halbwahrheiten aufgedeckt. ISBN 3-572-01171-X 2000 Orbis Verlag Einbandgestaltung: Norbert Pautner, München
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
Ein Dankeschön für tatkräftige Hilfe und moralische Unterstützung geht an Gerald Drews, Sabine Geier-Leisch, Ronald Hinzpeter und Michael Loerke.
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ................................................................. 3 Einleitung .............................................................................. 15 1. Von Abendrot bis Autobahn........................................... 17 A wie Abendrot .................................................................. 17 A wie Affe(n) ..................................................................... 17 A wie Affenschande........................................................... 19 A wie Akropolis ................................................................. 19 A wie Alkohol.................................................................... 19 A wie Alrun oder Alraun.................................................... 20 A wie Amateure ................................................................. 20 A wie Angsthase................................................................. 22 A wie Apfel........................................................................ 22 A wie Apfelbaum ............................................................... 23 A wie Apostel..................................................................... 23 A wie Äquator .................................................................... 24 A wie Arbeit ....................................................................... 24 A wie Archimedes .............................................................. 25 A wie Arsenpilz.................................................................. 26 A wie Atlantis ..................................................................... 27 A wie »Auch du mein Sohn, Brutus…«............................. 28 A wie Autobahnen.............................................................. 28 2. Von Babel bis Bumerang ................................................. 30 B wie Babel........................................................................ 30 B wie Bakterien.................................................................. 31 B wie Bananen ................................................................... 32 B wie Bastille ..................................................................... 32 B wie Bauchredner............................................................. 33
B wie Bermuda-Dreieck ..................................................... 34 B wie Beton........................................................................ 35 B wie Bewusstloser ............................................................ 35 B wie Bier........................................................................... 36 B wie Bisamratte ................................................................ 37 B wie Blauer Enge l ............................................................ 37 B wie Blausäure ................................................................. 37 B wie Bleistift..................................................................... 38 B wie Blinddarmentzündung.............................................. 38 B wie Blindschleiche .......................................................... 39 B wie Blitz.......................................................................... 39 B wie Bockbier ................................................................... 40 B wie Bocksbeutel.............................................................. 41 B wie Borke........................................................................ 41 B wie Boxeraufstand .......................................................... 42 B wie Braille....................................................................... 43 B wie Brücken.................................................................... 43 B wie Büffel ....................................................................... 44 B wie Bumerang................................................................. 44 3. Von Cancan bis Curry ..................................................... 46 C wie Cancan ..................................................................... 46 C wie Capri......................................................................... 47 C wie Chamäleon............................................................... 48 C wie Chinesen................................................................... 48 C wie Chop suey ................................................................ 49 C wie Colosseum................................................................ 49 C wie Columbus ................................................................. 50 C wie Cowboys .................................................................. 51 C wie Curry........................................................................ 52 4. Von Dampfmaschine bis Dudelsack............................... 53 D wie Dampfmaschine ....................................................... 53
D wie Der Denker .............................................................. 53 D wie Diamanten................................................................ 54 D wie Diogenes .................................................................. 54 D wie Don Carlos ............................................................... 55 D wie Dracula ..................................................................... 56 D wie Drei Könige ............................................................. 56 D wie Dudelsack ................................................................ 57 5. Von Eichhörnchen bis Exkommunikation .................... 58 E wie Eichhörnchen ........................................................... 58 E wie Eiffelturm................................................................. 58 E wie Einhorn..................................................................... 59 E wie Einsamkeit................................................................ 60 E wie Einstein..................................................................... 60 E wie Eisbein...................................................................... 61 E wie Eiserner Vorhang ..................................................... 61 E wie Elefanten .................................................................. 62 E wie Elefantenläuse .......................................................... 63 E wie Elektrizität ................................................................ 63 E wie Elmsfeuer ................................................................. 65 E wie England .................................................................... 65 E wie Erde .......................................................................... 66 E wie Erkältung.................................................................. 66 E wie Evangelisches Kloster.............................................. 67 E wie Exkommunikation.................................................... 68 6. Von Farbe bis Fußball ..................................................... 69 F wie Farbe ......................................................................... 69 F wie Fast Food .................................................................. 69 F wie Faust ......................................................................... 70 F wie Felleisen ................................................................... 71 F wie Fette .......................................................................... 71 F wie Fetthenne .................................................................. 72
F wie Fetus ......................................................................... 72 F wie Feuerland .................................................................. 73 F wie Fische ....................................................................... 73 F wie Flaschenpost............................................................. 75 F wie Fledermäuse ............................................................. 76 F wie Fliegen...................................................................... 76 F wie Fluch des Pharao ...................................................... 77 F wie Föhn.......................................................................... 78 F wie Frankenstein ............................................................. 79 F wie Freie Hansestadt Hamburg....................................... 80 F wie Fremdenlegion.......................................................... 82 F wie Friedhof.................................................................... 82 F wie Frostbeulen............................................................... 83 F wie Fußball...................................................................... 83 7. Von Galgen bis Gutenberg .............................................. 85 G wie Galgen...................................................................... 85 G wie Galileo Galilei.......................................................... 86 G wie Gehirn...................................................................... 87 G wie Gehör ....................................................................... 88 G wie Geschwindigkeit ...................................................... 88 G wie Gewitter ................................................................... 89 G wie Giftgas ..................................................................... 90 G wie Glück Auf ................................................................ 90 G wie Göttliche Komödie .................................................. 90 G wie Gold ......................................................................... 91 G wie Golfstrom................................................................. 91 G wie Guillotine ................................................................. 92 G wie Gutenberg ................................................................ 93 8. Von Haare bis Hund........................................................ 94 H wie Haare........................................................................ 94 H wie Hängematte .............................................................. 95
H wie Haie.......................................................................... 95 H wie Hamburger............................................................... 96 H wie Haschisch................................................................. 97 H wie Hattrick .................................................................... 98 H wie Hauptmann von Köpenick ....................................... 98 H wie Hermann der Cherusker ........................................... 99 H wie Herz ....................................................................... 100 H wie Hexen..................................................................... 101 H wie Hinkelsteine ........................................................... 102 H wie Hippokrates............................................................ 103 H wie Höhlenmenschen ................................................... 103 H wie Holz ....................................................................... 104 H wie Holzblasinstrumente .............................................. 104 H wie Hühner ................................................................... 105 H wie Hund ...................................................................... 105 9. Von Iglu bis Jungfrau von Orleans .............................. 108 I wie Iglu .......................................................................... 108 I wie Indianer ................................................................... 108 I wie Inflation................................................................... 110 J wie Jesus oder Jungfrauengeburt................................... 111 J wie Jodeln ...................................................................... 112 J wie die Jungfrau von Orleans ........................................ 112 10. Von Kainsmal bis Kuchen........................................... 114 K wie Kainsmal................................................................ 114 K wie Kaiserschmarrn...................................................... 114 K wie Kalbsleberwurst..................................................... 115 K wie Kalender................................................................. 115 K wie Kaltblut .................................................................. 116 K wie Kamele ................................................................... 116 K wie Kanada................................................................... 117 K wie Karl der Große....................................................... 118
K wie Kartoffeln............................................................... 119 K wie Kaspar Hauser........................................................ 119 K wie Kasseler ................................................................. 120 K wie Kaugummi ............................................................. 121 K wie Keilschrift .............................................................. 121 K wie Ketchup .................................................................. 121 K wie Klaustrophobie ....................................................... 122 K wie Kleopatra ............................................................... 122 K wie Knigge ................................................................... 123 K wie Knoblauch.............................................................. 124 K wie Kompass ................................................................ 125 K wie Kopernikus............................................................. 125 K wie Kraken ................................................................... 127 K wie Kreml ..................................................................... 128 K wie kriminell................................................................. 128 K wie Kröten.................................................................... 129 K wie Krokodilstränen..................................................... 129 K wie Kuchen................................................................... 129 11. Von Lakritze bis Luzifer............................................. 130 L wie Lakritze .................................................................. 130 L wie Leberkäse ............................................................... 130 L wie Lederstrumpf.......................................................... 131 L wie Leiche ..................................................................... 131 L wie Lemminge .............................................................. 132 L wie Lesen...................................................................... 133 L wie Lilith....................................................................... 133 L wie Lindbergh............................................................... 134 L wie Linksverkehr .......................................................... 135 L wie Loch Ness............................................................... 136 L wie Lucrezia Borgia ...................................................... 136 L wie Ludwig XIV. .......................................................... 137
L wie Lügendetektor ........................................................ 138 L wie Luther..................................................................... 138 L wie Luzifer .................................................................... 140 12. Von Machiavelli bis Muscheln.................................... 141 M wie Machiavelli ........................................................... 141 M wie Mandeln ................................................................ 142 M wie Mann ..................................................................... 142 M wie Manna ................................................................... 143 M wie Marathon............................................................... 143 M wie Mars ...................................................................... 144 M wie Maulwurf............................................................... 145 M wie May....................................................................... 145 M wie Mehltau................................................................. 146 M wie Mens sana .............................................................. 146 M wie Meuterei................................................................ 147 M wie Mona Lisa ............................................................. 147 M wie Mond ..................................................................... 148 M wie Mormonen............................................................. 149 M wie Morse .................................................................... 149 M wie Motten................................................................... 151 M wie Mozart................................................................... 151 M wie München ............................................................... 152 M wie Münchhausen........................................................ 153 M wie Muscheln............................................................... 154 13. Von Nachtwache bis Nordpol ..................................... 155 N wie Nachtwache ........................................................... 155 N wie Nadelbaum............................................................. 156 N wie Napoleon................................................................ 156 N wie Nasenbluten........................................................... 157 N wie Nero ....................................................................... 158 N wie New York .............................................................. 159
N wie Nordkap ................................................................. 160 N wie Nordpol.................................................................. 160 14. Von Obst bis Oscar...................................................... 162 O wie Obst........................................................................ 162 O wie Odyssee.................................................................. 162 O wie Ohrwurm................................................................ 163 O wie Oktober .................................................................. 164 O wie Olympische Spiele ................................................. 164 O wie Oscar ...................................................................... 165 15. Von Panama-Hut bis Pyramiden ............................... 166 P wie Panama-Hut ............................................................ 166 P wie Papagei ................................................................... 166 P wie Pfefferkuchen......................................................... 166 P wie Pferde ..................................................................... 167 P wie Pflanzen.................................................................. 167 P wie Pilatus ..................................................................... 168 P wie Pilze ........................................................................ 169 P wie Piraten..................................................................... 170 P wie »Play it again, Sam«............................................... 171 P wie Plumpudding .......................................................... 171 P wie Poker....................................................................... 172 P wie Pompeji................................................................... 172 P wie Potemkinsche Dörfer .............................................. 173 P wie Potenz ..................................................................... 174 P wie Prager Fenstersturz................................................. 175 P wie Pyramiden............................................................... 175 16. Von Raben bis Ruhrgebiet.......................................... 176 R wie Raben..................................................................... 176 R wie Rattenfänger ........................................................... 177 R wie Rauchen ................................................................. 178
R wie Reis ........................................................................ 179 R wie Ringe des Saturn.................................................... 180 R wie Ritter ...................................................................... 181 R wie Robinson Crusoe.................................................... 182 R wie Roland .................................................................... 182 R wie Rom........................................................................ 183 R wie Romeo und Julia .................................................... 184 R wie Roter Platz.............................................................. 184 R wie Rotes Tuch............................................................. 184 R wie ruchlos.................................................................... 185 R wie Ruhrgebiet.............................................................. 185 17. Von Salome bis Strauss ............................................... 187 S wie Salome .................................................................... 187 S wie Salz ......................................................................... 188 S wie salziger Boden........................................................ 188 S wie Samowar ................................................................. 188 S wie Sauerstoff ............................................................... 189 S wie Schinderhannes....................................................... 189 S wie Schlaf...................................................................... 190 S wie Schlangen............................................................... 191 S wie Schnee .................................................................... 192 S wie Schokolade ............................................................. 193 S wie Schwarzpulver ........................................................ 194 S wie Schwein .................................................................. 195 S wie Schweizer Sprachen ............................................... 195 S wie Schwimmen............................................................ 196 S wie Schule ..................................................................... 196 S wie Seepferdchen.......................................................... 197 S wie Sex.......................................................................... 197 S wie Siebenschläfer ........................................................ 198 S wie Silbermünzen.......................................................... 198
S wie Sintflut .................................................................... 199 S wie Skalpieren............................................................... 200 S wie Sklaven................................................................... 200 S wie Sonne ...................................................................... 201 S wie SOS......................................................................... 202 S wie Spaghetti................................................................. 202 S wie Sphinx..................................................................... 202 S wie Spinat...................................................................... 203 S wie Stachelschwein ....................................................... 203 S wie Steine ...................................................................... 204 S wie Steuben................................................................... 204 S wie Storchschnabel ....................................................... 206 S wie Strauß ..................................................................... 206 18. Von Tabak bis Traubenzucker................................... 207 T wie Tabak...................................................................... 207 T wie Tanzmaus ............................................................... 207 T wie Taschentuch ........................................................... 208 T wie Tauben.................................................................... 209 T wie Teflon..................................................................... 209 T wie Telefon................................................................... 210 T wie Tell ......................................................................... 211 T wie Tempel ................................................................... 212 T wie Tetanus ................................................................... 213 T wie Titanic .................................................................... 213 T wie Tollkirsche ............................................................. 214 T wie Totes Meer ............................................................. 215 T wie Traubenzucker........................................................ 215 19. Von Unabhängigkeitserklärung bis Völkerwanderung ............................................................................................. 217 U wie Unabhängigkeitserklärung..................................... 217 U wie Unfehlbarkeit ......................................................... 217
V wie Vampire ................................................................. 218 V wie Vandalen................................................................ 219 V wie Vatikan................................................................... 220 V wie vegetarisch............................................................. 222 V wie Venedig/Venezuela................................................ 222 V wie Venus von Milo ..................................................... 223 V wie Verbrennungen ...................................................... 223 V wie Vertrag................................................................... 224 V wie Visitenkarte............................................................ 224 V wie Vitamine ................................................................ 225 V wie Vögel ..................................................................... 225 V wie Vogelspinne ........................................................... 226 V wie Völkerwanderung .................................................. 226 20. Von Wasser bis Wüste................................................. 228 W wie Wasser................................................................... 228 W wie Wasserdampf ........................................................ 229 W wie Wasserfälle ........................................................... 230 W wie Wasserwaage ........................................................ 230 W wie Weihnachten......................................................... 230 W wie Wein...................................................................... 231 W wie Weißbrot ............................................................... 232 W wie Wellen................................................................... 233 W wie Wikinger ............................................................... 233 W wie willensschwach..................................................... 235 W wie Windstärken.......................................................... 235 W wie Winterschlaf.......................................................... 236 W wie Wodka ................................................................... 236 W wie Wölfe .................................................................... 237 W wie Wolkenkratzer....................................................... 238 W wie Wolpertinger......................................................... 238 W wie Woodstock ............................................................ 239
W wie Wüste .................................................................... 239 21. Von Xanthippe bis Zigarren....................................... 241 X wie Xanthippe............................................................... 241 Z wie Zahnersatz.............................................................. 241 Z wie Zauberberg............................................................. 242 Z wie Zeit ......................................................................... 243 Z wie Zentralheizung ....................................................... 244 Z wie Zeppelin ................................................................. 245 Z wie Zigarren.................................................................. 246 Literatur ............................................................................. 247
Einleitung »Wissen ist Macht, aber nix wissen macht nix« - dieser ebenso eingängig wie salopp formulierte Satz findet sich auf Hauswänden und Toilettentüren. Man mag nun argumentieren, dass es sich hierbei um eine bloße Worthülse und um sinnentleertes Geschwafel handelt, doch das wäre gar zu einfach. Tatsächlich scheint die Formulierung wohl eher Ausdruck für eine gewisse Hilflosigkeit zu sein, mit der die wachsende Informationsflut, die täglich auf uns einstürmt, humorvoll verarbeitet werden kann. Nicht einmal den klügsten Köpfen und den größten Geistern lässt sich heute noch eine umfassende Allgemeinbildung attestieren. Viel zu umfangreich ist das menschliche Wissen mittlerweile geworden, viel zu rasant entwickeln sich Wissenschaften, Technik und Politik. Das »machtverleihende« Wissen ist das Knowhow der Spezialisten, die in ihren eigenen Welten mit den Pfunden wuchern können, dürfen und sollen. Kein Wunder also, dass so mancher sich frühzeitig seinen Neigungen und Vorlieben ergibt und all das, was abseits seines beruflichen Werdegangs liegen könnte, dem vordringlichen Ziel des persönlichen Weiterkommens opfert. Trotzdem - es sei dem Autor ein wenig Traurigkeit gestattet, angesichts der perspektivenorientierten Einbahnstraßen zum Erfolg. Leonardo da Vinci, Erasmus von Rotterdam oder Johann Wolfgang von Goethe wären heute nicht mehr denkbar: Universal gebildete Männer, deren Weltsicht mehrgleisig verlief, die sich in ihrer Gegenwart verhaftet fühlten, aus der Vergangenheit lernten und zukunftsorientiert dachten. Literatur und Politik, Kunst und Architektur, Medizin und Philosophie das und etliches mehr waren die Betätigungsfelder der aufgezählten Herren - ein Bildungskonglomerat, das heute nicht mehr vorstellbar ist. Schade eigentlich, denn wir sollten niemals vergessen, dass Spezialisten besonders anfällig für Irrtümer sind. -15-
Nicht innerhalb ihrer Fachbereiche natürlich (obwohl auch das vorkommen soll), sondern gerade bei der Beantwortung jener Fragen, die sich ihrem objektiven Erfahrungsschatz entziehen. »Wissen ist Macht«, doch wenn dieses Wissen zu einseitig ist, kann es manchmal zur bloßen Makulatur verkommen, benutzt und missbraucht werden und somit seinen Wert selbst in Frage stellen. Es waren Gelehrte, die die Rassenlehre des Dritten Reichs ersannen, es waren Mediziner, die im Namen dieser Lehre grauenhafte Experimente durchführten. Nur ein Beispiel, sicherlich, und dazu noch ein recht extremes, doch gehen Sie sicher mit mir konform, wenn ich behaupte, dass der umfassend gebildete Mensch eher in der Lage ist, sich ein eigenes Urteil zu bilden, eigene Wege zu gehen und nicht so leicht in Gefahr gerät, Phrasen, Vorurteilen und Irrtümern aufzusitzen. Wir wollen diesen Aspekt jetzt nicht unbedingt vertiefen, zumal auch der Schreiber dieser Zeilen keinesfalls eine wirklich umfassende Bildung für sich reklamieren kann und will. Dieses Buch allerdings soll Ihnen ein wenig helfen, Irrtümer und Verballhornungen, Phrasen und Missverständnisse zu erkennen. Es soll Ihnen zeigen, wie viel Unsinn verbreitet, wie viel Vorurteile nach wie vor gelehrt werden. Dabei geht es nicht nur um historische Denk- und Überlieferungsfehler, sondern auch um ganz alltägliche »Halb- und Unwahrheiten«, die selbst durch ständige Wiederholung nicht richtiger oder wahrhaftiger werden. Und ich kann Ihnen versichern, dass Sie sich das eine oder andere Mal verstohlen auf die Unterlippe beißen werden und vielleicht vor sich hin murmeln: »Ups - das hab' ich bis jetzt auch geglaubt!« Kein Grund, sich zu schämen, die Lektüre dieses Buches allein mag Ihnen schon als Beleg dafür dienen, dass Sie nicht gewillt sind, langfristig zu den Leichtgläubigen zu gehören. Viel Spaß.
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1. Von Abendrot bis Autobahn
A wie Abendrot Wie wurde es besungen, wie wurde es bedichtet: Als »brennenden Himmel« bezeichneten Romantiker das Abendrot und untermalten mit den Farbtönen zwischen purpur und rosé verbal ihre verklärten Hoffnungen auf einen neuen, besseren Tag. Auch ins sogenannte »Volksvokabular« hielt diese Vorstellung Einzug: »Wenn der Himmel so schön rot ist, wird's morgen schönes Wetter«, so die oftmals gehörte Behauptung, die auch von diversen Bauernregeln untermalt wird: »Abendrot gut Wetter Bot« oder auch »Der Abend rot und weiß das Morgenlicht, dann trifft uns böses Wetter nicht«. Aber das stimmt leider nicht so ganz. Zwar entsteht durch besonders trockene Luft tatsächlich ein schwaches, rötliches Glimmen über dem von der untergehenden Sonne bestrahlten Horizont, und dass bei trockener Luft die Regenwahrscheinlichkeit sinkt, dürfte auf der Hand liegen. Doch wenn der Abend himmel im knalligen »Leuchtrot« erstrahlt, bedeutet dies nichts anderes, als dass sich eine stattliche Menge feuchter Staubpartikel in der Luft befindet und dass Sie deshalb in der Nacht und am nächsten Morgen durchaus mit ausgiebigen Regenfällen rechnen können.
A wie Affe(n) Wenn wir die Redewendung »Wenn er das wüsste, würde er sich im Grabe 'rumdrehen« zugrunde legen, dann dürfte das Skelett eines gewissen Charles Darwin (1809-1882) geradezu rotieren. Denn kaum jemand wird so häufig missverstanden und -17-
fehlinterpretiert wie der große englische Wissenschaftler, der als »Vater der Evolutionstheorie« gilt. Um es gleich vorwegzunehmen: Einen Satz wie »Der Mensch stammt vom Affen ab« hat Darwin nie gesagt und ganz sicher auch nicht gedacht. Im Gegenteil: Bereits in seinem allerersten Aufsatz zum Thema »Evolution« schrieb Darwin: »Wir dürfen nicht dem Irrtum verfallen, zu glauben, der gemeinsame Ahne der Primaten und des Menschen sei mit irgendeinem existierenden Affen identisch, oder diesem auch nur über Gebühr ähnlich gewesen«. Darwin vertrat vielmehr die Theorie, dass sich der menschliche Stammbaum in grauer Vorzeit in zwei unterschiedliche Zweige gegabelt hat, von denen der eine zum heutigen Menschen, der andere aber zum Affen führte. Sollten Sie also durch die Gitterstäbe eines Zoogeheges einem Gorilla beim Bananenfuttern zuschauen, müssen Sie keine verwandtschaftlichen Gefühle hegen. Richtig und mittlerweile auch anhand zahlreicher Fossilienfunde belegt - ist Darwins Vermutung, dass Mensch und Affe einen gemeinsamen Vorfahren haben. Und wenn wir schon beim Thema sind: Falsch ist auch der häufig gehörte Satz, der heutige Mensch stamme vom Neandertaler ab. Die urzeitlichen Schädelknochen, die Ende des 19. Jahrhunderts im »Neandertal« (unweit des heutigen Düsseldorf) entdeckt wurden, beweisen vielmehr, dass es vor dem Auftreten des Homo sapiens (vielleicht auch gleichzeitig) eine andere, durchaus unterschiedliche, humanoide Spezies gegeben haben muss. Der Neandertaler allerdings ist ausgestorben - der Homo sapiens (denkende Mensch) hat sich zu seiner jetzigen Blüte (?) weiterentwickelt. Warum der Neandertaler ausgestorben ist, ist bislang unbekannt - wenn Sie sich gerne mit Spekulationen und (zuweilen recht wilden) Theorien beschäftigen, empfehlen wir Ihnen den Roman »Neanderthal« (dt. »Tal des Lebens«, erschienen bei C. Bertelsmann) von John Darnton. -18-
A wie Affenschande Diese Form der Blamage einem Affen unterzuschieben, ist zwar bequem, aber unlogisch. Schließlich dürfte es ziemlich schwierig sein, einen Affen zu beschämen, und noch schwieriger, in unserem behaarten Freund ein Gefühl für »schändliches Tun« zu erwecken. Das Wort »Affenschande« entstammt vielmehr dem Plattdeutschen »apenbare Schand« (offenbare Schande).
A wie Akropolis Spricht der Kosmopolit heute von der Akropolis, so meint er im allgemeinen die größte Sehenswürdigkeit der griechischen Hauptstadt Athen. Im klassischen Altertum dürfte der Satz »Ich war auf der Akropolis« allerdings eher Stirnrunzeln erzeugt und die Frage »auf welcher?« nach sich gezoge n haben. Denn »Akropolis« heißt lediglich »höchste Stadt« und meinte eine mauernbewehrte Festung innerhalb einer größeren Ansiedlung. In den antiken Städten des Peloponnes gab es davon rund 25 die Athener Ausführung war allerdings die größte und bekannteste.
A wie Alkohol Dass Alkohol nicht gleich Alkohol ist, gestehen wir gerne ein. Auch die Behauptung, dass ein Gläschen Wein noch niemandem geschadet hat, wollen wir mit Freuden unterschreiben, zumal amerikanische Wissenschaftler sogar nachgewiesen haben, dass in Maßen genossener Alkohol den Stoffwechsel anregt und die Durchblutung fördert. Doch um den Alkohol und den Genuss desselben haben sich einige Legenden gebildet, die durchaus -19-
verhängnisvoll sein können. So hält sich beispielsweise seit Jahrhunderten das hartnäckige Gerücht, Alkohol erwärme den Körper. Zwar mag das subjektive Gefühl der Erwärmung mittels eines schönen Glases »Jagertee« durchaus vorhanden sein, und auch ein Schlückchen Malt-Whiskey rinnt angenehm feurig durch die Kehle, doch medizinisch betrachtet, bewirkt der Alkohol eine Abkühlung. Die Blutgefäße an der Oberfläche des Körpers weiten sich aus, das Blut gelangt verstärkt an die Außenfläche und kühlt sich dort ab. Bei stattlichen Minusgraden fördert der Alkohol demzufolge sogar Erfrierungen.
A wie Alrun oder Alraun Heute ab und zu noch als Frauenname gebräuchlich, entstammt das Wort »Alrun« nicht - wie sehr häufig behauptet dem Sprachschatz der Wikinger und bezeichnet keinesfalls eine »Universalrune«, mit der göttliches Wirken beschrieben wurde. Alrun (oder Alraune) ist vielmehr aus dem Althochdeutschen entlehnt und stammt vom Wort »albrun«. Damit wurden ein Kobold oder eine Elfe bezeichnet. Später diente der Begriff auch als Synonym für die als zauberkräftig angesehene MandragoraWurzel der Alraunpflanze, der ein guter Geist seine Heilkräfte eingehaucht haben soll.
A wie Amateure Das Wort Amateur bezeichnete ursprünglich nur einen Liebhaber. Nicht den einer schönen Dame, sondern denjenigen, der einer Tätigkeit nur um ihrer selbst willen huldigte, ohne damit seine Brötchen verdienen zu wollen. Im heutigen Sprachgebrauch werden als Amateure zumeist Sportler bezeichnet, die für ihre Leibesübungen nicht bezahlt werden, -20-
und bis zum Beginn der 70er Jahre waren auch nur solche bei Olympischen Spielen zugelassen. So wurden dem amerikanischen Zehnkämpfer Jim Thorpe, einem der größten Athleten seiner Zeit, im Jahre 1912 seine beiden Goldmedaillen im Fünf- und im Zehnkampf wieder aberkannt, weil er 1909 einige Monate lang für etwa 80 Dollar im Monat als BaseballProfi aktiv war. Diese rigide Sicht des olympischen Gedankens »verdanken« die hohen Herren des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) der irrigen Auffassung, dass auch bei den olympischen Spielen der Antike lediglich »edle Amateure« zugelassen waren. Alles Unsinn: Zwar schmückten sich die Sieger seinerzeit mit Palmzweigen und wedelten nicht mit dicken Schecks ins Publikum, doch wurden auch ganz erhebliche Prämien und Preisgelder bezahlt. Denn schon damals waren der sportliche Wettkampf und seine Stadien allzu häufig nur Ersatzschauplätze für politisch brisante Auseinandersetzungen. Der Kampf um den Sieg wurde von den Athleten stellvertretend für die mächtigen Männer im Hintergrund ausgetragen. Dass es dabei auch zu unschönen Szenen kam und schließlich sogar der klassische Faustkampf aufgrund übergroßer Todesgefahr für die Teilnehmer abgesetzt werden musste, kann also kaum verwundern. Ein für die Athleten durchaus angenehmer Nebeneffekt dieser »Ersatzkriege« war die Tatsache, dass sie für ihre körperlichen Leistungen zumeist fürstlich entlohnt wurden. Ein Olympiasieg brachte nicht selten lebenslange Leibrenten und Steuerfreiheit sowie bedeutende Geldsummen, für die ein einfacher Landarbeiter wohl sein Leben lang hätte sparen müssen. Zudem verdienten sich die Asse auf zahlreichen regionalen Sportfesten so manche steuerfreie Drachme hinzu - der Amateurstatus wäre ihnen dabei höchst hinderlich gewesen.
-21-
A wie Angsthase Der Hase ist wieder einmal ein Beispiel dafür, wie häufig der Mensch der Tierwelt bitter Unrecht tut. So ist der Esel als »strohdumm«, das Schwein als »dreckig« und der Hase eben als »ängstlich« verschrien. Und das, obwohl »Meister Lampe« über vergleichsweise stählerne Nerven verfügt. Wenn sich nämlich ein Feind nähert, bleibt er buchstäblich bis zum letzten Moment in geduckter Haltung auf seiner Position und baut auf die schützende Wirkung seiner Tarnfarbe und der Bewegungslosigkeit. Erst wenn sich der hungrige Feind bis auf Armeslänge genähert hat, sprintet der Hase davon und erreicht dabei Spitzengeschwindigkeiten von über 80 km/h. Zugegeben dieses Verhalten macht ihn nun auch nicht gerade zum Helden, aber bitte bedenken Sie, dass unser langohriger Freund über keinerlei Verteidigungsmittel verfügt, sondern sich ausschließlich auf seine Wendigkeit und Schnelligkeit verlassen muss.
A wie Apfel Warum ausgerechnet der Apfel die »verbotene Frucht« der Schöpfungsgeschichte gewesen sein soll, bleibt rätselhaft - in der Bibel wird er jedenfalls nicht erwähnt. In der deutschen Standardübersetzung des entsprechenden Bibeltextes heißt es wörtlich: »… Nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen, und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben.« Ein Apfelbaum dürfte damit jedoch kaum gemeint gewesen sein, denn im Nahen Osten gab es die seinerzeit noch nicht einmal. Allerdings galt der Apfel den Griechen als Symbol der Liebesgöttin Aphrodite, und was liegt näher, als aus den Vorlieben dieser durchaus sexuell interessierten Dame eine -22-
»verbotene Frucht« zu machen.
A wie Apfelbaum Auf einem Apfelbaum wachsen Äpfel. Diese verblüffende Erkenntnis ist ebenso einleuchtend wie in ihrer Ausschließlichkeit falsch. Denn es gibt durchaus Apfelbäume, auf denen Birnen wachsen können, auch wenn sie natürlich wesentlich seltener sind als die »normalen« Exemplare. Bei den sogenannten »vegetativen Hybriden« wird durch die Technik des »Pfropfens« ein Teil einer anderen Pflanze dem ursprünglichen Stamm angegliedert. Dies wiederum bedeutet den passenden Nährboden vorausgesetzt -, dass ein Birnenzweig ohne weiteres aus einem Apfelbaum herausragen kann, sobald die beiden unterschiedlichen Pflanzen zu einer künstlichen Lebenseinheit verwachsen sind. Das »Pfropfen« ist übrigens seit Jahrhunderten bekannt, und das berühmteste Beispiel für diesen Trick der Obstanbauer ist ein Zitrusbaum in Sotschi am Schwarzen Meer: Dort wachsen über 45 verschiedene Früchte von der gewöhnlichen Zitrone über die Orange bis hin zur Grapefruit - an einem einzigen Baum.
A wie Apostel Selbst höchst bibelkundige Menschen sprechen, wenn die Sprache auf die Jünger Jesu' kommt, von den »Zwölf Aposteln«. Dies ist allerdings nicht ganz korrekt, denn tatsächlich gab es deren 13. Nachzulesen ist dies in der Apostelgeschichte, Kapitel 1, Vers 20. Denn nachdem Judas Ischariot Selbstmord begangen hatte, wurde ein junger Mann namens Matthias in die Runde aufgenommen - sozusagen der 13. der zwölf Apostel. Von oder über ihn existieren allerdings so gut wie keine Aufzeichnungen -23-
lediglich die griechische Apostelgeschichte aus dem vierten Jahrhundert erzählt von den Abenteuern des Andreas und Matthias in Äthiopien. Hartnäckig hält sich in Kreisen der Kirchenhistoriker das Gerücht, dass auch der besagte Matthias ein eigenes Evangelium ve rfasst hat (wir empfehlen die Lektüre des Romans »Der 13. Apostel« v. Wilton Bernhardt, erschienen bei Knaur), doch gibt es für diese Theorie bis heute keinen greifbaren Beleg. Interessant ist auch die Frage, warum Matthias so schnell und so gründlich in Vergessenheit geraten konnte: Dies liegt vermutlich an seiner unglückseligen Namensähnlichkeit mit dem weitaus prominenteren Matthäus. Offensichtlich haben viele Überlieferer und Übersetzer die Namensähnlichkeit falsch interpretiert und aus Matthias und Matthäus ein und dieselbe Person gemacht.
A wie Äquator »… und am Äquator ist es am wärmsten« - ein Satz, der in jedem Geographieunterricht jedweder Schule irgendwann einmal fällt. Für Schüler aller Länder, Klassen und Jahrgangsstufen mag er zukünftig auch als ein weiteres Indiz dafür stehen, dass man eben doch nicht alles unwidersprochen hinnehmen und glauben sollte, was der Lehrer so erzählt. Schließlich wurden die höchsten Temperaturen bisher im »Tal des Todes« in der kalifornischen Wüste gemessen: Stolze 56,7 Grad Celsius. »Death Valley« allerdings liegt rund 3000 Kilometer vom Äquator entfernt
A wie Arbeit Arbeit - für die meisten Menschen kein schönes Wort, gleichzeitig aber auch ein Beispiel dafür, wie unterschiedlich -24-
Begriffe bewertet werden können. Während das »Arbeiten« für den ach so gestressten Manager nämlich ein echter Frondienst ist (ein gut bezahlter allerdings), wäre jeder »Arbeitslose« froh um diese Mühsal. »Arbeit macht frei« schrieben die Nazis über die Tore ihrer Vernichtungslager und demons trierten damit, wie ein Wort zur bloßen zynischen Phrase umfunktioniert werden kann. Und »schwere Arbeit lässt uns schneller alt werden«, behauptet der Volksmund seit Jahrhunderten. Letzteres ist schlichtweg falsch, denn jahrzehntelange Beobachtungen ergaben, dass Menschen, die einer geregelten körperlichen Arbeit nachgehen, normalerweise sogar eine höhere Lebenserwartung haben, als diejenigen, die viel sitzen. Ausgenommen davon sind »Extremarbeiter« wie beispielsweise Bergleute, denen die Staublunge allzu häufig einen Strich durch die Lebensrechnung macht. Die soeben zitierten Beobachtungen machen allerdings auch deutlich, dass nicht nur die Arbeit an sich, sondern natürlich auch die übrigen Lebensumstände eine gewichtige Rolle spielen. So hat der Landwirt alleine durch seine häufigen Aufenthalte an der frischen Luft schon gewisse Vorteile gegenüber dem Fliesenleger oder dem Klempner, die körperlich etwa im gleichen Maße beansprucht werden.
A wie Archimedes Archimedes war zweifellos ein Universalgenie. Als Mathematiker, Philosoph und begnadeter Mechaniker verblüffte er im dritten Jahrhundert vor Christus ein ums andere Mal seine Zeitgenossen. Seine Verdienste um die Mathematik will dieses Buch um Gottes willen nicht in Frage stellen. Dass aber der große Grieche im Jahre 212 v. Chr. die römische Flotte mittels Brennspiegeln vor Syrakus (Sizilien) in Brand gesteckt haben soll, muss bezweifelt werden. Erstmals schriftlich niedergelegt wurde diese Legende um 535 n. Chr. vom Architekten und -25-
Mathematiker Anthemios von Tralles. Mehr als 700 Jahre nach dem angeblichen Geschehen behauptete der Erbauer der »Hagia Sophia«, dass Archimedes seinerzeit riesige, gläserne Brennspiegel auf den Mauern von Syrakus habe installieren lassen. Mit den gebündelten Sonnenstrahlen sei dann die angreifende römische Flotte unter Führung des Konsuls Marcus Claudius Marcellus in Brand gesteckt und vernichtet worden. Kein einziges der 60 Schiffe sei dem »Feuer durch das Licht« entkommen. Andere Schreiber und Chroniken übernahmen die Geschichte in der Folgezeit bereitwillig, und bis heute ist sie in so manchem Schulbuch zu finden. Stutzig macht uns allerdings die Tatsache, dass die Römer die damalige Schlacht trotzdem gewonnen haben, dass keiner der Zeitgenossen des Archimedes die Episode beschrieben oder festgehalten hat und dass die moderne Wissenschaft die Unwahrscheinlichkeit einer solchen Technik anschaulich demonstriert hat. 1975 installierte der griechische Ingenieur Sakkas 70 Parabolspiegel aus 1,70 in auf 0,70 in großen Glasplatten an der Küste vor Athen. Die Platten waren auf der Rückseite mit Kupfer beschichtet und von Metallrahmen eingefasst. Diese Materialien konnten Archimedes natürlich nicht zur Verfügung gestanden haben. Erst als Sakkas alle 70 Spiegel auf ein einziges kleines Ruderboot richten ließ, fing dieses schließlich Feuer und verbrannte. Voraussetzung war allerdings der absolute Stillstand des Bootes, denn das Licht der Parabolspiegel musste mindestens 30 Sekunden auf eine einzige Stelle konzentriert werden. Der römischen Flotte im Jahre 212 v. Chr. allerdings Bewegungslosigkeit unterstellen zu wollen, wäre wohl unsinnig.
A wie Arsenpilz Arsenpilz - ein Name, ein Programm? Falsch, denn der primitive Schlauchpilz ist ganz und gar nicht giftig und enthält -26-
erst recht kein Arsen. Seinen abschreckenden Namen verdankt er einzig und allein seinem selbstlosen Einsatz für die Kriminalistik, denn dort wurde er als hochsensibler »Testpilz« in der Vergangenheit für den Nachweis von Arsenspuren verwendet. Kommt das eigentlich harmlose Gewächs nämlich mit Arsen in Berührung, bildet sich sofort ein hochgiftiger Stoff, der einen knoblauchartigen Geruch verbreitet. So manch finsterer Giftmischer verdankt seine Überführung also einem unschuldigen Pilz. Übrigens: Pilzkenner haben uns versichert, dass der Arsenpilz zwar nicht giftig, keinesfalls aber wohlschmeckend sei. Zum Verzehr nicht geeignet.
A wie Atlantis Dass auch mit großen Geistern mal »der Gaul der Phantasie« durchgehen kann, bewies der griechische Philosoph Plato, als er die Legende vo n Atlantis ins Leben rief. Damals behauptete er nämlich, dass mitten im Atlantik 9000 Jahre vor der hellenischen Blütezeit eine riesige Insel gelegen habe, deren Bewohner zunächst glücklich und zufrieden gelebt hätten. Dann aber seien sie moralisch verkommen, hätten sich Welteroberungsgelüsten hingegeben und seien von Zeus mit einem Erdbeben gestraft und im Meer versenkt worden. Obwohl Plato Zeit seines Lebens beteuerte, es handle sich hierbei um eine wahre Überlieferung aus dem alten Ägypten, fehlt bis heute jeder konkrete Hinweis auf den angeblich verschwundenen Kontinent. Zwar bildeten Afrika, Amerika und Europa vor etwa 200 Millionen Jahren tatsächlich noch eine zusammenhängende Landmasse. Deshalb könnte an der Stelle des heutigen Atlantik durchaus fester Boden gewesen sein, doch menschliche Besiedlung gab es darauf - in Ermangelung von irgendwelchen Humanoiden auf dem Planeten - mit absoluter Sicherheit noch nicht. Auch in den bislang entzifferten -27-
altägyptischen Hieroglyphen fanden sich keinerlei Hinweise auf das versunkene Riesenreich. Plato hat die ganze Geschichte wohl lediglich als Fabel erfunden, um den damals vereinzelt auftretenden Größenwahn seiner Landsleute durch eine einprägsame Warnung in Legendenform im Keim zu ersticken.
A wie »Auch du mein Sohn, Brutus…« …soll Cäsar gesagt haben, als er an den »Iden des März« von Meuchelmördern niedergestreckt wurde. Laut Augenzeugen hat Cäsar allerdings nichts dergleichen gesagt. Einig sind sich die Historiker darüber, dass Brutus mit unter den Killern war. Zum einen stieß man dem Imperator die (ungefähr) acht Dolche in den Rücken, er konnte also niemanden mehr erkennen. Zweitens dürfte ein Mensch mit so vielen Messern im Leib kaum in der Lage sein, überhaupt noch etwas Verständliches von sich zu geben. Der Autor tippt deswegen eher auf ein »Aaarghh« als letztes Wort des Kaisers.
A wie Autobahnen Der Satz »Immerhin hat Hitler die Autobahnen gebaut« hat den Schreiber dieser Zeilen schon immer zur Weißglut gereizt. Abgesehen von der Tatsache, dass damit krampfhaft versucht wird, einem Ungeheuer in Menschengestalt positive Seiten abzugewinnen, ist an dieser Aussage so gut wie gar nichts richtig. Zum einen ließ Hitler bauen und zwar unter Arbeitsbedingungen, die vielen Geschundenen die zuvor erlittene Arbeitslosigkeit der Weimarer Zeit wie den Himmel auf Erden erscheinen ließ. Zum anderen stammte die Idee zum Bau der Autobahnen nicht von ihm und zum dritten waren sie lediglich aus militärtechnischer Sicht von Nutzen - ihr sonstiger -28-
Wert tendierte in den 30er Jahren gegen Null. Dröseln wir diese Informationen von hinten auf: Auf 100 Deutsche kam zur damaligen Zeit etwa ein Kraftfahrzeug, das auf Landstraßen ebenso gut und schnell gefahren werden konnte. Punkt 2: Schon 1921 wurde in Berlin die AVUS eingeweiht, die bis heute als erste Autobahn der Welt gilt. In den USA entstanden in den 20er 3ahren die ersten sogenannten »Highways« und in Italien baute der Unternehmer Puricelli die 130 Kilometer lange »Autostrada« von Mailand in die Lombardei. 1927 wurde in Deutschland das erste großflächige Autobahnkonzept vorgestellt und noch im gleichen Jahr lagen die Pläne für eine Strecke Hamburg-Basel bis in die letzten Einzelheiten bereit - für ihre Realisierung fehlte allerdings das Geld. Im August 1932 wurde die Autobahn Köln-Bonn in Betrieb genommen und schon ein Jahr zuvor hatte der »Erste Internationale Autobahnkongress« in Genf getagt und den Bau von Autobahnen als Möglichkeit zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ausgelobt. Als Hitler 1933 dann die vollständigen Unterlagen für ein deutsches Autobahnnetz in die Hände bekam, griff er zu: Er gründete die Gesellschaft »Reichsautobahn« und tat am 23. 9. 1933 bei Frankfurt a. Main den ersten Spatenstich für das »Reichsautobahnnetz«. Sein »Verdienst« besteht also darin, sich die Ideen anderer zu einem günstigen Zeitpunkt unter den Nagel gerissen und sie als seine eigenen verkauft zu haben. Von nun an war nämlich nur noch von einer »genialen Idee unseres Führers« die Rede und die Propagandisten des Dritten Reichs scheuten sich nicht, den Bau des Kölner Doms und die »Betonschönheit« der Autobahnen als »urdeutsche Tugenden« in einem Atemzug zu preisen.
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2. Von Babel bis Bumerang
B wie Babel Nicht nur Agnostiker tun die angebliche »Mär vom Turmbau zu Babel« mit einem Lächeln und einem Schulterzucken ab. Bis in den Himmel soll er hineingeragt haben - wie bitteschön sollen die Menschen vor vier- bis fünftausend Jahren denn so etwas zustande gebracht haben? Wie in so vielen Legenden und Sagen ist allerdings auch in dieser alttestamentarischen Überlieferung mehr als nur ein Körnchen Wahrheit enthalten, beschrieb doch immerhin der griechische Geschichtsschreiber Herodot (bekannt für seine Gründlichkeit) das folgende Bauwerk: »Der Tempel ist ein quadratischer Bau von 400 Metern Seitenlänge mit bronzenen Toren. Ich (Herodot) habe ihn seinerzeit selbst gesehen: Er besitzt einen machtvollen Mittelturm, der wohl 200 Meter im Quadrat misst. Darauf steht ein zweiter, darauf wiederum ein dritter Turm fortfahrend bis zum achten Turm. An allen acht Türmen führt eine äußere Wendeltreppe nach oben. Auf der Spitze des obersten Turmes steht ein großer Tempel…» Soweit also Herodot, Geschichtskenner mögen nun einwenden, dass der babylonische Turm doch weit vor den Zeiten des griechischen Historikers gebaut worden sein soll. Richtig, aber das gewaltige Bauwerk in der Tiefebene zwischen Euphrat und Tigris war nach seiner Errichtung im dritten Jahrtausend vor Christus mehrmals zerstört und immer wieder aufgebaut worden. Erst der griechische Erobererkönig Xerxes ging 469 v. Chr. so gründlich vor, dass nach dem Wüten seiner Truppen nicht einmal mehr ein brauchbares Fundament übrig blieb. Offensichtlich hat es den babylonischen Turm also tatsächlich gegeben - ob er aber Gott derart erzürnt hat, dass er die -30-
sogenannte »babylonische Sprachverwirrung« zu den Menschen hernieder schickte, überlassen wir Ihrem eigenen Urteil. Doch selbst für diese Legende könnte es eine plausible Erklärung geben: Beim ursprünglichen Bau des Turmes hat wohl eine Vielzahl von »Fremdarbeitern« aus zahlreichen Regionen des Nahen Ostens mehr oder weniger freiwillig mitgeholfen. Schließlich war zu den Zeiten des Babylonischen Riesenreichs die Sklavenhaltung durchaus modern. Kein Wunder also, dass der gigantische, Jahrzehnte währende Bau eine reiche Sprachenund Dialektvielfalt hervorbrachte. Dieser für damalige Verhältnisse recht ungewöhnliche Umstand könnte zur erwähnten Sprachverwirrung geführt haben.
B wie Bakterien »Nimm dich vor Bakterien in Acht«, »Hüte dich vor Bakterien«, »Bakterien sind gefähr lich« - derartige Weisheiten und Ratschläge sind wohlfeil und ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie sehr der Mensch dazu neigt, Wissen und Erfahrungen nach seinen Ängsten auszurichten und zu filtern. Um es vorwegzunehmen: Nur die wenigsten Bakterien sind für den Menschen eine Gefahr. Natürlich sollten Sie sich nicht mit denen anlegen, die Typhus, Cholera, Wundstarrkrampf oder Tuberkulose verursachen. Doch wenn Sie beispielsweise den Darmbakterien zu Leibe rücken, wird Ihre Verdauung entschieden ins Stocken geraten - Sie könnten ohne diese nützlichen Miniaturwesen tatsächlich an Verstopfung zugrunde gehen. Die Mehrzahl der Bakterien ist äußerst nützlich: Sie sorgen beispielsweise für Gärungsprozesse, ohne die es weder Bier noch Käse oder Joghurt geben würde. Sie zerlegen Menschenleichen, Tierkadaver und Pflanzenreste in (abbaubare und wiederverwertbare) Einzelteile, bescheren uns brauchbares Erdöl und Zellulose und sie reinigen schmutzige Abwässer. Und -31-
den Putzwütigen unter Ihnen sei gesagt, dass der Kontakt mit Bakterien im Alltag ohnehin unvermeidbar ist: In einem einzigen Wassertropfen, auf der Spitze eines Grashalms oder im Inneren eines Sandkorns tummeln sich nämlich jeweils mehrere 100000.
B wie Bananen Haben Sie schon mal Salz und Zucker verwechselt? Ja? Dem Schreiber dieser Zeilen ist das auch schon passiert, just an dem Tag, an dem er den ersten und einzigen Apfelkuchen seines Lebens produzieren wollte. Es schmeckte furchtbar. Salz passt eben nicht zu süßem Obst - so die allgemeine Annahme. Dabei wird allerdings zumeist übersehen, dass manche Obstsorten reichlich Salz enthalten: In 100 Gramm Beerenobst sind beispielsweise ca. 25 mg Kochsalz enthalten, bei Steinobst sind es schon rund 100 mg und einhundert Gramm Banane enthält sogar stolze 200 mg. Anders ausgedrückt: Einen Großteil des unvergleichlichen Bananengeschmacks verdanken wir dem Salz.
B wie Bastille Er wurde zum sprichwörtlichen Symbol des Sieges der »kleinen Leute« gegen ihre verhassten Unterdrücker: Der »Sturm auf die Bastille«. Am 14. Juli 1789 soll mit ihm die französische Revolution begonnen haben. Doch bekanntlich schreiben die Sieger die Geschichte und in diesem Fall haben sie die Tatsachen besonders schamlos manipuliert. Zum einen war die Bastille im wilden Sommer 1789 schon ein recht unbedeutendes Gefängnis geworden, das zum Zeitpunkt seiner angeblichen Erstürmung gerade noch sieben Insassen beherbergte. Diese wunderten sich nicht schlecht, als sie -32-
plötzlich aus ihren vergleichsweise komfortablen Zellen gezerrt und als »Märtyrer des königlichen Despotismus« gefeiert wurden. Zum anderen gab einer der berühmtesten »Erstürmer«, der Revolutionsgardist Elie, schon wenige Monate später zu Protokoll, dass sich das angeblich dramatische Feuergefecht zwischen den königstreuen Verteidigern der Feste und dem wütenden Volk auf etwa zwei bis drei Schüsse beschränkt hatte, die offensichtlich aus Versehen und Nervosität abgefeuert worden waren, ohne den geringsten Schaden anzurichten. Die Wachmannschaft selbst hatte nach kurzem Verhandeln die Tore geöffnet. Grund für die abenteuerlich ausgeschmückte Legende dürfte sein, dass die Bastille schon seit Mitte des 15. Jahrhunderts als Symbol der Unterdrückung galt. Man hoffte, mit der Mär von der blutigen Eroberung das Feuer der Revolution noch weiter anzuheizen. Außerdem erwarteten die Eroberer, in den Mauern der Bastille brauchbare Waffen und Pulver zu erbeuten. Mit allzu viel Widerstand hatten sie bei der Einnahme nicht zu rechnen: Es war bekannt, dass die Wachmannschaft aus verdienten Veteranen und Invaliden bestand, die wohl kaum genügend Motivation aufgebracht hätten, dem anstürmenden Volk mehrere Stunden lang zu trotzen.
B wie Bauchredner Selten war ein Begriff so irreführend wie »Bauchreden«. Niemand ist nämlich in der Lage, mit seinem Bauch Töne oder gar Worte bewusst zu erzeugen (wir sprechen jetzt nicht vom Darmtrakt). Beim Bauchredner handelt es sich vielmehr um einen Akrobaten, der seine echte Stimme gewissermaßen die Kehle hinunterlaufen lässt, sie also »verschluckt« und dann in höherer Tonlage wieder hören lässt. Der hintere Rachenbereich dient dabei als Resonanzkörper. Dabei bewegt sich (bei echten -33-
Könnern) kein einziger Gesichtsmuskel.
B wie Bermuda-Dreieck Das vorliegende Buch möchte sich an dieser Stelle nicht anmaßen, das sogenannte »Rätsel des Bermuda-Dreiecks« endgültig lösen zu können. Fest steht, dass in dieser Meeresgegend zwischen Puerto Rico, der Südspitze Floridas und der Inselgruppe der Bermudas in den letzten 35 Jahren rund 25 Schiffe und auch etliche Flugzeuge urplötzlich vom Radarschirm verschwunden sind und zum Teil nie mehr gefunden wurden. Sehr gewissenhafte und kostenintensive Forschungen haben allerdings einige Theorien über dieses Phänomen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit widerlegt: So gibt es beispielsweise keinerlei Hinweise darauf, dass Außerirdische sich just in diesem Bereich menschliches Studienmaterial entführen. Von der Hand gewiesen wurde auch die Version der mörderischen Riesenkraken, die mit monströsen Fangarmen ihre Opfer in die Tiefe ziehen. Für (möglicherweise durchaus existente) Tiere dieser Größenordnung wäre es an der Meeresoberfläche in diesen Gewässern wesentlich zu warm und zu drucklos: Sie würden wahrscheinlich binnen Sekunden aufgehen wie ein Pfannkuchen und schließlich platzen (siehe auch das Stichwort »Kraken«). Und auch die Sage vom »Fliegenden Holländer« - einem legendenumwobenen Geisterschiff -, der in dieser Gegend sein Unwesen treiben könnte, entbehrt wohl jeder ernstzunehmenden Grundlage. Somit bleiben eigentlich nur noch zwei Möglichkeiten: Extreme, kurzfristige und gänzlich unerwartete Wetteränderungen oder einfach eine Verkettung von Zufällen. Suchen Sie sich's aus.
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B wie Beton Es gibt kaum ein Wort der Alltagssprache, das mit mehr negativen Assoziationen belegt ist als »Beton«. Würden Sie etwa sagen, der Begriff »Betonklotz« oder die Redewendung »völlig zubetoniert« erfüllten Sie mit angenehmen Gedanken? Natürlich nicht, und die deutschen Betonproduzenten sahen sich sogar veranlasst, mit dem Slogan »Beton: Es kommt drauf an, was man draus macht« für ihr missverstandenes Produkt zu werben. Dabei hätte vielleicht ein Hinweis auf die Historie dieses Materials genügt. Denn anders als zumeist vermutet, ist das Gemisch aus Stein, Sand und Kies kein Produkt des erbarmungslosen Erfindungsreichtums der Neuzeit, sondern uralt und wurde erstmals vor rund 2400 Jahren von den alten Römern benutzt. So sind beispielsweise die Fundamente des Castor-Tempels auf dem Forum Romanum aus einer Art Beton, und auch damals schon wurde das widerstandsfähige Gemisch in Holzverschalungen gegossen und ausgehärtet. Aber auch im Wasserbau des römischen Imperiums spielte das »pulvis puteolanus« eine gewichtige Rolle, denn Aquädukte, Hafenanlagen und Abwasserkanäle wurden oft und gerne mit Beton ausgekleidet und geflickt.
B wie Bewusstloser Manche Menschen müssen über Gebühr leiden: Erst kippen sie - aus welchen Gründen auch immer - bewusstlos ins Reich der Träume und dann werden sie auch noch von wohlmeinenden Mitmenschen mit kaltem Wasser übergossen. Bitte nicht, ist man geneigt zu rufen, denn in der Regel geht ein Ohnmachtsanfall ohnehin binnen weniger Augenblicke vorbei. Wenn Sie dem Regungslosen Wasser ins Gesicht schütten, behindern Sie womöglich nur seine Nasenatmung. Lockern Sie -35-
statt dessen seine Kleidung, legen Sie ihn auf den Rücken und sorgen Sie dafür, dass die Beine höher gelagert sind als der übrige Körper. Alles weitere erledigt normalerweise die Natur und im Zweifelsfall wird der Patient sicherlich von einem Mediziner besser versorgt als von einem Eimer Eiswasser. Der beschert ihm höchstens ein unangenehmes Frösteln nach dem Erwachen.
B wie Bier Zum Thema Bier gibt es eine Menge zu erzählen (siehe auch Stichwort »Bockbier«), doch wir wollen ein Volk von Bierliebhabern an dieser Stelle keinesfalls langweilen. Ihnen bleibt also eine Erläuterung des Begriffes »Stammwürze« ebenso erspart wie die ausführliche Würdigung des bayerischen Reinheitsgebotes. Verschwiegen wird an dieser Stelle auch die Tatsache, dass nicht in Bayern, sondern in Nordrhein-Westfalen der größte Pro-Kopf-Verbrauch von Bier gemessen wird und dass die Guinness-Brauerei im irischen Dublin die größte der Welt ist. Nein - wir möchten Sie vielmehr mit der verblüffenden Tatsache vertraut machen, dass Bier auch durch direkte Sonnenbestrahlung gekühlt werden kann. Wie das gehen soll? Ganz einfach: Man wickelt die Flasche in ein feuchtes Tuch und hängt sie ins Sonnenlicht. Durch die Erwärmung verdunstet die Feuchtigkeit des Tuches und dabei entsteht Kälte. O. K. - eiskalt dürfte das Fläschchen dadurch nicht werden und natürlich ließe sich das Experiment auch mit einer Sprudelflasche durchführen. Aber mit Bier klingt’s irgendwie besser, nicht wahr?
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B wie Bisamratte Ein grauer Pelz macht noch keine Ratte. Dieser an und für sich völlig sinnlose Satz gilt für die Bisamratte, die eigentlich gar keine Ratte ist, sondern der Familie der Wühlmäuse zugerechnet wird. Ursprünglich in Nordamerika beheimatet und dort wegen ihres schönen Fells erbarmungslos gejagt und beinahe ausgerottet, ist sie mittlerweile auch in Europa zuhause.
B wie Blauer Engel Fragt man heute nach der berühmtesten Filmrolle der Marlene Dietrich, so bekommt man als Antwort häufig »Blauer Engel« zu hören. Tatsächlich aber hieß lediglich der Streifen, der ihr den Durchbruch brachte, »Der Blaue Enge l«, und dieser Name wiederum stand für eine Kabarett-Kneipe in Berlin, in die der Schriftsteller Heinrich Mann einen fiktiven Professor namens Unrat hineingeraten ließ. Die Dietrich verkörperte in diesem Film des Regisseurs Josef Sternberg das Revuegirl Rosa Fröhlich, dem der besagte Professor mit Haut und Haar verfiel. Engelhaftes hatte sie dabei wirklich kaum zu bieten, aber diese Beine…
B wie Blausäure Welche Farbe hat die Blausäure? Kurzes Nachdenken aha die Antwort liegt ja auf der Hand: Blau, natürlich. Tja, doch nicht alles, was uns so logisch daherkommt, ist auch richtig. In Wirklichkeit ist Blausäure eine vollständig farblose Flüssigkeit, der man ihre tödliche Wirkung auf den Menschen überhaupt nicht ansieht. Ihren Namen hat sie von der Farbe »Berliner -37-
Blau«, einem der ältesten künstlichen Farbstoffe, aus dem sie im Jahre 1782 zum ersten Mal hergestellt wurde. Für Hobby-Kriminologen noch einige Detailinformationen: Blausäure ist auch als »Zyankali« bekannt und ist bereits in einer Dosierung von einem Milligramm pro Kilo Körpergewicht mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlich. Winzige Mengen von ihr sind auch in den Kernen von Kirschen, Aprikosen und vor allem Mandeln enthalten, wobei Sie allerdings schon tonnenweise (binnen weniger Stunden) Kerne futtern müssten, um Ihre Gesundheit in Gefahr zu bringen.
B wie Bleistift Noch so ein Hochstapler! Nicht aus Blei, sondern aus Graphit besteht die »Mine« eines normalen Bleistifts, der um 1690 herum erfunden und ab 1790 in Nürnberg »serienmäßig« hergestellt wurde. Der Name geht vermutlich auf die kleinen Bleischeibchen zurück, die noch bis ins Mittelalter hinein zum Zeichnen von Linien benutzt wurden. Im 18. Jahrhundert gelang es Caspar Faber aus Stein bei Nürnberg, den Stift noch einmal zu verbessern, indem er Graphit mit Schwefel, Antimon und Harzen mischte, so dass dieser nicht mehr bröckeln und nur noch schwerlich brechen konnte.
B wie Blinddarmentzündung Wir möchten Ihnen von Herzen wünschen, dass Sie niemals eine Blinddarmentzündung erleben, denn daran würden Sie wahrscheinlich jämmerlich zugrunde gehen. Halt, mögen Sie jetzt einwenden, eine Blinddarmentzündung ist zwar unangenehm und schmerzhaft, lässt sich jedoch in der Regel problemlos operativ beheben. Falsch, denn was im allgemeinen -38-
unter Blinddarmentzünd ung verstanden wird, ist lediglich die schmerzhafte Reizung des sogenannten »Wurmfortsatzes« des Blinddarms. Der Blinddarm selbst ist ein Teil des Dickdarms und bei der Verdauung äußerst hilfreich. Wozu allerdings der kleine »Wurmfortsatz« (Appendix vermiformis) benötigt wird, blieb bislang auch den Medizinern ein echtes Rätsel. Möglicherweise spielt er eine Rolle bei der Abwehr von Krankheitserregern - bewiesen ist dies allerdings nicht. Immerhin hat er eine Länge von etwa zehn Zentimetern und kann uns ganz schön zu schaffen machen.
B wie Blindschleiche Man sollte meinen, dass sich die folgende Erkenntnis bereits seit geraumer Zeit durchgesetzt hat, aber dem ist offensichtlich noch längst nicht so. Deshalb hier noch mal für alle: Die Blindschleiche ist weder blind, noch ist sie eine Schlange. Giftig ist sie übrigens auch nicht. Die Blindschleiche ist vielmehr eine Eidechse ohne Füße, sehr scheu und geradezu erschreckend harmlos. Um zudringlichen Verfolgern zu entkommen, ist das ängstliche Tierchen mit einem erstaunlichen Mechanismus ausgerüstet: Bei der geringsten Berührung »bricht« nämlich der Schwanz der Blindschleiche ab und bewegt sich anschließend noch eine ganze Weile mit wilden Zuckungen weiter. So haben die meisten Raubtiere erst einmal genug damit zu tun, den zappelnden Schwanz zu bändigen und in dieser Zeit ergreift der unbeschadete Rest der »schlauen Schleiche« die Flucht.
B wie Blitz Zahlreiche Legenden ranken sich um Blitze - mehr oder weniger sinnvolle Ratschläge beschäftigen sich mit den -39-
gewaltigen Entladungen elektrischer Energie. Zunächst mal sollten Sie die Regel »Vor Eichen sollst du weichen, Buchen sollst du suchen« ganz schnell vergessen. Ob sich ein Blitz für einen Baum interessiert, hängt in erster Linie von dessen Höhe ab - eine Vorliebe für spezielle Gattungen der Flora ließ sich bei Blitzen bisher noch nicht ausmachen. Es gilt statt dessen die Faustregel: Je höher der Baum, desto größer die Wahrscheinlichkeit für einen Einschlag. Auch der schöne Satz »Der Blitz schlägt nicht zweimal an derselben Stelle ein« entbehrt leider jeder Grundlage. Denn ansonsten wäre sicherlich schon so manch schlauer Häuslebauer auf die Idee gekommen, ein künstlich erzeugtes »Blitzchen« auf sein Haus hernieder fahren zu lassen und somit das Risiko eines natürlichen Einschlags entscheidend zu minimieren. (Man könnte sich durchaus eine florierende, Blitze produzierende Industrie vorstellen: »Die schönsten Blitzchen nur bei uns«). Wie unsinnig der Satz ist, lässt sich anhand zweier weltberühmter Bauwerke anschaulich demonstrieren: Das New Yorker Empire-State-Building wurde bisher rund fünfzigmal vom Blitz getroffen. Und der Pariser Eiffelturm war kurz nach seiner Errichtung geradezu ein Tummelplatz gewaltiger Einschläge. Mittlerweile hat man allerdings jeweils wirksame blitzableitende Systeme installiert. Übrigens: Nicht jeder Blitz wird auch von einem nachfolgenden Donner begleitet: Etwas weniger als die Hälfte aller Blitze gehen vollständig geräuschlos über die Bühne.
B wie Bockbier Von einer liebgewonnenen Fabel müssen sich jetzt die bayerischen Bierliebhaber verabschieden. Weder der Ziegennoch gar der Schafbock waren die Namensgeber des sogenannten »Bockbiers«. Ein Mann namens Elias Pichler (kein -40-
Scherz - der Gute hieß wirklich so), seines Zeichens Braumeister aus dem niedersächsischen Einbeck, brachte die Kunst des Bockbierbrauens um 1615 nach Bayern. Ursprünglich hieß seine würzig herbe Hausmarke nach seinem Heimatort und wurde im Mittelhochdeutschen schlicht »Ainphöckisch Bier« (Einbecker Bier) genannt. Für die bayerische Mundart war diese Bezeichnung allerdings gar zu ungewohnt und so wurde zunächst das »Oabockbier« und schließlich einfach das »Bockbier« daraus. Der »Maibock« ist mittlerweile der berühmteste Vertreter dieses »Kulturgetränks«, und dass auf den Etiketten heute zumeist Ziegenköpfe prangen, dürfte wirklich nur Puristen grämen. Das Städtchen Einbeck wäre als Blickfang doch auch denkbar ungeeignet, oder? Ozapft is - Prost!
B wie Bocksbeutel Beim berühmten »Bocksbeutel« handelt es sich nicht um eine bestimmte Weinsorte, sondern um eine relativ platte, seitlich ausladende, grüne Weinflasche, in die bestimmte fränkische und badische Weine gefüllt werden. Den Namen dürfen Sie übrigens wörtlich nehmen: Im Hodensack des geschlachteten Ziegenbocks wurden in den vergangenen Jahrhunderten häufig Flüssigkeiten transportiert.
B wie Borke Häufig verwechselt werden die Begriffe Rinde und Borke. Dabei handelt es sich keinesfalls um zwei Bezeichnungen für ein und dieselbe Sache. Als Borke bezeichnet man lediglich den abgestorbenen Teil der Baumrinde, der zumeist in Streifen oder Platten abgeworfen wird und wirtschaftlich sinnvoll genutzt werden kann: So werden beispielsweise Bodenisolierungen und -41-
Flaschenkorken aus diesem natürlichen Material hergestellt. Um Ihnen eine Vorstellung von der »Hauterneuerung« eines Baumes zu geben: Bei der Korkeiche, die vor allem im Mittelmeerraum sehr verbreitet ist, wird die Borke etwa alle zehn Jahre abgeschält und verarbeitet.
B wie Boxeraufstand »Papa, Papa, was war denn der Boxeraufstand?« »Tja, mmmh, mein Sohn - da waren also Muhammed Ali und Sugar Ray Leonhard und ich glaube, Henry Maske war auch dabei. Die wollten sich eines Tages nicht mehr auf die Nase hauen lassen und haben deswegen gestreikt…« Halt! Tun Sie's nicht. Denken Sie daran, dass der Sohnemann eines Tages mal erwachsen sein wird und selbst nachlesen könnte - spätestens dann müssen Sie einen echten Autoritätsverlust befürchten. Beim Boxeraufstand handelte es sich um eine Revolte des chinesischen Geheimbundes »Die Boxer«, der sich im Jahre 1900 vor allem gegen die zunehmende Christianisierung Chinas und später gegen alle Ausländer im »Reich der Mitte« wandte. Nach grausigen Massakern wurde sogar die damalige chinesische Regierung von dieser Christenund ausländerfeindlichen Haltung angesteckt, legitimierte die »Boxer« und erklärte allen Mächten, die kolonialen Einfluss in China ausübten, den Krieg. Daraufhin marschierte eine multinationale Truppe (bestehend aus englischen, deutschen, französischen, italienischen, japanischen, österreichischen, russischen und amerikanischen Soldaten) in Peking ein und machte dem Spuk ein Ende. Man sollte allerdings auch wissen, dass sich vor allem Japan, die USA und England in China sorglos bedienten und rücksichtslos benahmen. Der Boxeraufstand war also durchaus eine verständliche - wenn auch extreme - Reaktion auf koloniale Standesdünkel und Arroganz. -42-
B wie Braille Es liegt uns fern, die Verdienste des Louis Braille (18091852) zu schmälern, aber als Erfinder der Blindenschrift kann man ihn eigentlich nicht bezeichnen. Der in seiner Kindheit erblindete Braille kam als 16jähriger am »Königlichen Institut für junge Blinde« in Paris erstmals mit einem vom Belgier Valentin Haüy entwickelten Reliefverfahren in Berührung, bei dem die Schrift mit der Hand ertastet werden konnte. Fast zeitgleich wurde von Nicolas Marie-Charles Barbier auch ein sogenanntes »Zwölfpunktsystem« entwickelt. Braille benutzte beide Methoden und ersann ein auf sechs Punkten basierendes Verfahren. Dabei wurden die Buchstaben durch erhöhte Punkte in verschiedenen Positionen und unterschiedlicher Anzahl dargestellt. Aus dieser ersten Version entwickelten sich in der Folgezeit 64 Varianten und schon 1830 wurde Brailles Weiterentwicklung als offizielle Blindenschrift eingeführt. Er selbst hat übrigens die Erfindung niemals für sich alleine reklamiert, sondern stets auf seine Wegbereiter verwiesen.
B wie Brücken Denkt man an Brücken, dann denkt man an Venedig. In der Stadt der Lagunen und der Gondeln dürfte es ja wohl die mit Abstand meisten Brücken geben, oder? Falsch gedacht. In Venedig gibt es knapp 400 Brücken (die berühmte Seufzerbrücke eingeschlossen), in Amsterdam (der Stadt der Grachten) sind es schon knapp 1300 und in der Spreestadt Berlin existieren sogar 1664 Brücken. Den europäischen Rekord jedoch hält die Hansestadt Hamburg: 2124 Brücken wurden dort bei letzten Zählungen registriert.
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B wie Büffel In Nordamerika gibt es keine Büffel! »Nicht mehr«, werden Sie jetzt sagen und darauf verweisen, dass Männer wie der berühmte Buffalo Bill Herden dieser Tiere systematisch abgeschlachtet haben und damit den Indianern die Lebensgrundlage entzogen. Bei einer derartigen Antwort ziehen wir zwar den Hut vor Ihrem Geschichtswissen, aber wir erweitern diese Aussage sogar noch: In Nordamerika gibt und gab es niemals Büffel. Bei den massigen und recht haarigen Herdentieren handelte es sich um Bisons, die mit den kaukasischen und afrikanischen Büffeln (fast ausgestorben) in keiner Weise verwandt sind. Warum die Bisons so hartnäckig Büffel genannt werden, entzieht sich allerdings unserer Kenntnis.
B wie Bumerang Sie kennen den Bilderwitz? Ein Mann schleudert einen Bumerang, legt sich dann einen Apfel auf den Kopf und im nächsten Bildchen kommt der Bumerang zurück und teilt den Apfel mit Wucht in der Mitte durch. Doch um diesen Effekt tatsächlich zu erzielen, sollten Sie auf keinen Fall den Original››Boomerang« verwenden, der von den australischen Ureinwohnern als Jagdgerät benutzt wurde. Dieses Holzstück, das einen tragflächenähnlichen Querschnitt aufweist, war nämlich ziemlich schwer und wurde nicht nur geworfen, sondern auch als Schlagwerkzeug genutzt. Zurück zum Werfer kam er jedenfalls nicht von alleine. Etwas besser sieht's da schon mit dem modernen Sport-Bumerang aus, der durch seinen enormen Drall durchaus in Ihre Richtung zurückkehren kann. Dafür sollten Sie ihn aber gegen den Wind schleudern, und mit Abweichungen von mehreren Metern bei seiner Rückkehr -44-
müssen Sie auch bei fleißigem Training jederzeit rechnen. Und bitte versuchen Sie nicht, das Geschoss mit den Händen wieder zu fangen: Durch die Drehung innerhalb der Flugphase werden enorme Geschwindigkeiten erreicht. Schwupps - die Finger könnten ab sein.
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3. Von Cancan bis Curry
C wie Cancan Er gilt als Inbegriff altväterlicher Frivolität: Der Cancan. Üppige Damen in üppigen Kostümen schwingen ihre üppigen Schenkel und werfen dabei ihre Röcke unter schrillen Quietschern in die Höhe. Da sie dabei auch in Sachen Unterwäsche höchst reichhaltig sortiert sind und somit der gierigen Männerwelt wirklich anstößige Einblicke verborgen bleiben, betrachten die meisten Zeitgenossen heutzutage den Cancan als folkloristische Note des Pariser Nachtlebens. Dies war nicht immer so, denn als der fröhliche Bühnengalopp um die Jahrhundertwende in Mode kam, galt selbst der Blick auf die Spitzen besetzten Unterhosen eines weiblichen Wesens als höchst frivol, und kurzfristig erwog die französische Regierung ein Verbot des »lustbetonten Treibens«. Später allerdings wurde der Cancan eine Weile sogar zum Gesellschaftstanz junger Bürger und damit endgültig salonfähig. Prompt reklamierten die Pariser ihn als ihre eigene Kreation, doch da irrte das lebenslustige Völkchen. Entstanden ist der Tanz nämlich um 1890 in Algier, das damals noch in französischem Kolonialbesitz war. Der Weg auf die Pariser Kabarett-Bühnen war für den Cancan also kurz, und einmal dort angekommen, inspirierte er unter anderem den Maler Toulouse-Lautrec zu seinen berühmten Gemälden und Plakaten.
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C wie Capri »Wenn vor Capri die rote Sonne im Meer versinkt…« dann sehen wir garantiert eine Oldie-Sendung aus den 50ern und manch Träne wird in blütenweiße Taschentücher geweint. Doch die italienische Insel Capri hatte im christlichen Abendland Jahrhunderte lang keinen guten Ruf. Im Gegenteil - sie galt als mediterrane Version von Sodom und Gomorrha, als Hort der Verderbtheit und der Perversion. Völlig zu Unrecht übrigens. Tatsache ist, dass ein römischer Kaiser namens Tiberius, der Stiefsohn des ungleich populäreren Augustus, auf Capri seinen Lebensabend verbrachte. Unter Zeitgenossen galt Tiberius als echter Langweiler. Zwar war er ein erfolgreicher Heerführer und offensichtlich auch ein gerechter Imperator, doch haftete ihm eine gewisse Farblosigkeit an und auch seine Menschenscheu war für die tägliche Intrigenküche des alten Rom nicht unbedingt brauchbar. Immerhin gelangen ihm in seiner Regierungszeit eine Reihe von Friedensschlüssen, und auch die blutigen Eroberungsfeldzüge seiner Landsleute wurden spürbar weniger. Tiberius starb als geachteter - wenn auch nicht beliebter - Mann im Jahre 37 n. Chr. Etwa 100 Jahre später behaupteten dann mehrere römische Geschichtsschreiber, Tiberius habe auf Capri Hunderte von Menschen zu Tode schleifen lassen, habe reihenweise Jungfrauen geschändet, gigantische Orgien zelebriert und grauenhafte Folterungen erdacht und durchgeführt. Historiker der Neuzeit haben mittlerweile nachgewiesen, dass all diese Behauptungen reine Erfindungen und plumpe Verleumdungen waren, doch hielten sich diese Lügen bis in unsere Zeit hinein. Warum sie aufkamen - darüber kann nur spekuliert werden. Am wahrscheinlichsten erscheint heute, dass der Schriftsteller Sueton, der nachweislich die Legende ins Leben gerufen hat, -47-
schlicht ein spektakuläres Pamphlet brauchte, um auf sich aufmerksam zu mache n. Und da kam ihm ein unpopulärer Kaiser, der zudem bereits 100 Jahre tot war, gerade recht.
C wie Chamäleon Dass ein Chamäleon seine Farbe nach Bedarf und Belieben ändern kann, gilt als allgemein bekannt und hat sogar Einzug in den Alltagswortschatz gehalten, obwohl die meisten Menschen noch nie in ihrem Leben ein Exemplar dieser Echsenart gesehen haben. Tatsächlich kann ein Chamäleon seine Farbe verändern und tut dies auch recht häufig. Allerdings tut es das nicht bewusst, sondern es reagiert damit lediglich auf Stimmungen oder Zustände wie Hunger, Kälte oder Angst. Auch die jeweiligen Lichtverhältnisse spielen bei der Farbskala, die von Grün bis Braun reicht, eine Rolle. Wenn Sie aber immer noch der Meinung sind, das Tier passe sich instinktiv seiner Umgebung an, sei Ihnen vorgehalten, dass Chamäleons in der Nacht zumeist eine hellere Tönung haben. Dies kann wohl kaum als gute Tarnung durchgehen, oder?
C wie Chinesen Kein Zweifel - es gibt ziemlich viele Chinesen. Doch haben Sie schon einmal einen »gelben« Chinesen gesehen? Der Autor nicht und auch sonst keiner, den ich dazu bisher befragen konnte. Woher kommt also das Vorurteil von der »gelben Rasse«. Die Erklärung ist ebenso einleuchtend wie lächerlich und geht auf das Handbuch eines Göttinger Medizinprofessors namens Johann Friedrich Blumenbach zurück, der sich Mitte des 18. Jahrhunderts bemüßigt sah, eine Art Rassenlehre aufzustellen. Nach seiner Definition waren die Kaukasier -48-
»weiß«, die Afrikaner »schwarz«, die Indianer »kupferrot« und die Asiaten eben »gelb«. Wahrscheinlich hatte Blumenbach niemals einen Indianer oder gar einen Chinesen gesehen, aber von Fernreisenden erfahren, dass im Asien der damaligen Zeit die Gelbsucht recht weit verbreitet war. Flugs war die »gelbe Gefahr« erfunden, und diese abenteuerliche Konstruktion wurde von den Chinesen (unbewusst) auch noch unterstützt: Schließlich galt Gelb bei ihnen als göttliche Farbe und sie sahen sich durch einige dümmliche Europäer nicht genötigt, aus dieser Vorliebe einen Hehl zu machen. Gelber wurden sie dadurch allerdings nicht.
C wie Chop suey Außer der »Flühlingslolle« dürfte das »Chop suey« (übersetzt: »gemischte Küche«) das am meisten bestellte Gericht in chinesischen Restaurants sein. (Ich bevorzuge allerdings die Peking- Ente, süßsauer. Ein Gedicht!) Allerdings ist Chop suey, eine delikate Mischung aus Hühner- und Schweinefleisch, Pilzen, Nudeln und Bambussprossen, in China selbst weitgehend unbekannt und auf keinen Fall ein »Original chinesisches Gericht«. Erfunden wurde es vielmehr in Amerika von den Nachkommen chinesischer Einwanderer und avancierte in den Vereinigten Staaten schnell zu einem echten »Knüller«.
C wie Colosseum Der italienische Reiseführer greift sich mit der Hand an die behaarte Männerbrust, holt aus den Untiefen seines blütenweißen Hemdes ein goldenes Kreuz hervor, presst es kurz an die Lippen und senkt die Stimme: »Hier wurden auch die -49-
Christen den Löwen zum Fraße vorgeworfen«, erzählt er sodann in Englisch und - als besonderer Service - auch in Deutsch. Die Touristengruppe blickt sich schaudernd um. Man steht im Colosseum, dem gewaltigsten der Prachtbauten, den die alten Römer der Neuzeit hinterlassen haben. Und da! Ist da nicht noch der Blutfleck eines Märtyrers? Bei näherem Hinsehen entpuppt sich der Fleck als Etikett einer Cola-Flasche und würde wohl auch intensives Suchen im Boden der Arena keine sterblichen Überreste der frühen Christenheit zutage fördern. Nach dem Erlebnis der eingangs beschriebenen Szene fühlte der Autor sich bemüßigt nachzuforschen und muss nun nüchtern feststellen: Christen wurden im Colosseum weder irgendwelchen hungrigen Raubkatzen geopfert, noch gevierteilt oder auf andere, grausige Arten vom Leben zum Tode befördert. Zwar gab es eine äußerst blutige Dekade der Christenverfolgung und tatsächlich starben viele von Mörderhand oder in dunklen Kerkern, doch das Colosseum war den Römern stets ein Ort des Vergnügens. Wagenrennen wollen wir durchgehen lassen, auch Gladiatorenkämpfe und akrobatische Kunststücke, doch außer in manchen Abenteuerromanen taucht das Colosseum in keiner ernstzunehmenden Chronik als Schauplatz grausamer Massentötungen auf.
C wie Columbus Zahlreiche Legenden ranken sich um den Entdecker Amerikas (der er eigentlich nicht war. Die Wikinger waren schon etliche Jahrhunderte zuvor da), doch viele, wenn nicht die meisten davon sind falsch. So wird beispielsweise gern behauptet, Columbus hätte vergeblich versucht, das portugiesische Königshaus von der Kugelform der Erde zu überzeugen und sei anschließend auch in Spanien auf viel Skepsis gestoßen. Das Gegenteil ist richtig. In beiden Ländern war man durch den -50-
Einfluss von Gelehrten, Astronomen und Mathematikern schon lange vor Columbus der Meinung, die Erde müsse rund sein, doch wollte man den Entfernungsangaben des Genuesers keinen rechten Gla uben schenken. Der stützte sich tatsächlich auf falsche Berechnungen und war nicht zuletzt deshalb unerwartet lange unterwegs. Als er dann endlich angekommen war, war er immer noch der festen Überzeugung, indischen Boden betreten zu haben - daran glaubte er bis zum Ende seines Lebens. Der Entdecker Amerikas war er also höchstens unfreiwillig. Zudem war Columbus schon etliche Jahre tot, bevor man ihm die Geschichte mit dem Ei andichtete. Der italienische Schriftsteller Giuseppe Benzoni erfand die Mär von der festlichen Tafel, bei der Columbus die Anwesenden gefragt habe, wer es sich zutraue, ein Ei auf einem der beiden Enden zum Stehen zu bringen. Nachdem es niemand geschafft hatte, hat sich C. C. angeblich das Hühnerprodukt geschnappt, eine Spitze eingedrückt und es mitten auf die Tafel gestellt. Warum Benzoni diesen Trick ausgerechnet Columbus andichtete, entzieht sich leider der Erkenntnis des Verfassers. Fest steht, dass die Geschichte schon vorher existierte - der berühmte Florentiner Baumeister Filippo Brunelleschi soll mit dem »Eierbeweis« die bestmögliche Konstruktion der Domkuppel zu Florenz demonstriert haben.
C wie Cowboys In aller Kürze: Cowboys (wörtl. »Kuhjungen«) trugen nur in den seltensten Fällen Revolver am Gürtel. Nur die wenigsten dieser Farm- und Vieharbeiter konnten ordentlich schießen und die Mär vom blitzschnell ziehenden und treffsicher aus der Hüfte feuernden Pistolero verdanken wir maßlosen Übertreibungen und Western-Filmen. Abgesehen davon, dass eine solche Kunstfertigkeit unglaublich viel Übung auf Kosten -51-
der Arbeitszeit benötigt hätte, war Munition auch damals schon recht teuer. Natürlich gab es echte Kunstschützen, doch nur die wenigsten von ihnen verdienten sich ihre Brötchen als Sheriffs, Kopfgeldjäger oder Banditen. Zumeist tingelten sie auf Jahrmärkten und demonstrierten ihre Treffsicherheit einem zahlenden und staunenden Publikum. Dabei kam es oft vor, dass der Besitzer der jeweiligen »Schießbude« seinen »Künstler« mit blutrünstigen Abenteuergeschichten noch ein wenig »aufpeppte«. Zur Legendenbildung war es dann nur noch ein kleiner Schritt. Übrigens: In der ganzen Ära des »Wilden Westens« sind nur rund ein Dutzend Revolverduelle wirklich belegt. Auch wenn es vielleicht ein paar mehr waren - der sicherste Schuss war seinerzeit immer noch der in den Rücken. Der berüchtigte Billy the Kid killte - zumeist auf diese Weise nachweislich immerhin 21 Menschen.
C wie Curry Curry stammt aus geriebenen (oder gemahlenen) CurryBlättern. Klingt logisch, ist aber falsch. Tatsächlich ist das aus Indien stammende Gewürz, das die Engländer aus ihrer Kolonie nach Europa importierten, eine Mischung aus insgesamt etwa zehn Zutaten. Unter anderem sind Ingwer, Pfeffer, Koriander, Kurkuma, Kreuzkümmel und Muskat enthalten. Die Bezeichnung »Curry« ist die englische Version des tamilischen Wortes »kari« (Sauce).
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4. Von Dampfmaschine bis Dudelsack
D wie Dampfmaschine Erfindungen sind in den seltensten Fällen Produkt eines Geistesblitzes oder einer spontanen Eingebung. Zumeist steht das vorzeigbare Resultat am Ende einer Reihe von Versuchen und Entwicklungen. Der Letzte in dieser Parade reklamiert dann zumeist den alleinigen Ruhm für sich. Genauso verhält es sich auch mit James Watts, der als Erfinder der Dampfmaschine gilt. Schon um 1695 hatte der französische Physikprofessor Denis Papin die Idee, Dampfkraft zu benutzen, um einen Kolben zu bewegen. Prompt baute er eine entsprechende Maschinerie, die allerdings zu klein war, um im praktischen Gebrauch wirklich von Nutzen zu sein, folgerichtig geriet Papin’s Erfindung schnell in Vergessenheit. Im Jahre 1705 war es dann der englische Schrotthändler Thomas Newcomen aus Dartmouth, der eine Dampfmaschine mit Kessel konstruierte. Diese Maschinen erwiesen sich schon als recht brauchbar und wurden prompt in zahlreiche n britischen Bergwerken installiert. 1796 schließlich verbesserte James Watts die Idee von Newcomen, verfeinerte das Prinzip und war schlau genug, sofort das Patent anzumelden. Er wurde anschließend als Erfinder der Dampfmaschine gefeiert - aus heutiger Sicht war er wohl eher ein technisch begabter Plagiator.
D wie Der Denker »Der Denker« ist eine der bekanntesten Skulpturen aller Zeiten. Doch der französische Bildhauer Auguste Rodin (1840-53-
1917) wollte nicht - wie heute irrtümlich angenommen - das »Sinnbild des denkenden Menschen« erschaffen, sondern schlicht und einfach ein Portrait. Die Statue des in Gedanken verlorenen nackten Mannes, der seinen Kopf auf die Faust stützt, ist eine stilisierte Abbildung des italienischen Dichters Dante Alighieri, der die berühmte »Göttliche Komödie« (siehe auch Stichwort »Göttliche Komödie«) schuf.
D wie Diamanten Diamanten sind die härteste bekannte chemische Verbindung der Erde. Doch eine andere Behauptung über dieses kostbare Mineral ist falsch: Diamanten können sehr wohl verbrennen. Aus reinem Kohlenstoff bestehend, bedarf es allerdings einer Temperatur um die 900 bis 1000 Grad Celsius, doch in einem solchen »Schmelzkessel« würde der Diamant tatsächlich verschwinden, ohne auch nur eine Spur seiner Existenz zurückzulassen.
D wie Diogenes Der berühmteste Sonderling der Antike hieß Diogenes. Der Mann, der bei helllichtem Tage mit einer brennenden Laterne durch Athen spazierte, »um Menschen zu entdecken«, war menschlichem Anspruchsdenken gegenüber offensichtlich völlig immun. Die Überlieferung behauptet, er habe gerade mal einen alten Mantel, einen Brotbeutel und einen hölzernen Trinkbecher besessen und habe in einem alten Weinfass - einer Tonne gehaust. Bei letztem Punkt haben allerdings die Übersetzer aus dem Altgriechischen ein bisschen geschlampt. Sie unterschlugen nämlich die Tatsache, dass die Athener die Behausung des Diogenes in gutmütigem Spott zwar als »Tonne« bezeichneten, -54-
dass es sich dabei aber um eine durchaus gebräuchliche (wenn auch ziemlich kleine und schäbige) Hütte gehandelt hat.
D wie Don Carlos Warum Friedrich Schiller den spanischen Prinzen Don Carlos zu einem Helden und Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit hochstilisierte, wird wohl auf ewig ein Rätsel bleiben. Heute würden wir den Sohn von König Philipp II. wohl eher als perversen Widerling bezeichnen. Schwächlich, klein und mit einem großen Quadratschädel ausgestattet, schikanierte er mit Vorliebe das Personal, benahm sich Gästen gegenüber infantil und boshaft und außerdem soll er einen Diener in eine m unmotivierten Wutausbruch sogar aus dem Fenster geworfen haben. In seinem Trauerspiel »Don Carlos« hat Schiller auch behauptet, der Thronfolger sei von seinem Vater ermordet worden, weil er in seinem unbändigen Drang nach Freiheit und Gerechtigkeit holländischen Rebellen versprochen habe, sich auf ihre Seite und damit gegen seinen Erzeuger zu stellen. Richtig ist zwar, dass Don Carlos seinen Vater hasste, doch bewies dieser eine bemerkenswerte Geduld mit seinem ungeratenen Sprössling. Obwohl Don Carlos me hrere Mordanschläge gegen Philipp plante, hat dieser ihn erst verhaften lassen, als die Forderungen nach einem Exempel am spanischen Hof immer lauter wurden. Und auch dann wurde der Prinz nicht etwa in ein finsteres Verließ geworfen und dort klammheimlich vergiftet, sondern unter einen recht luxuriösen Hausarrest gestellt, in dem er sich schließlich buchstäblich zu Tode fraß und soff. Die Chroniken sprechen von einem Brechdurchfall, ausgelöst durch übermäßigen Bratengenuss in Kombination mit Alkohol. Anschließend soll der Prinz dann literweise Eiswasser »gekippt« haben, was seinem angegriffenen Magen den Rest gab. -55-
D wie Dracula Nicht dass Sie jetzt glauben, dieses Buch möchte Aberglauben schüren und gruselige Ammenmärchen am Leben erhalten, aber Dracula hat es tatsächlich gegeben. Allerdings möchten wir einschränkend gleich bemerken, dass der Mann mittlerweile schon seit geraumer Zeit mausetot ist und es keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass er als Untoter ahnungslosen Zeitgenossen den Lebenssaft aus den Adern saugt. Der literarische »Erfinder« des Grafen Dracula, der Engländer Bram Stoker, hatte jedoch ein sehr konkretes »Vorbild«. Dabei handelte es sich um den karpatischen Kleinfürsten Wojwode Vlad II. (1431-1476), der von seinen Untertanen »Dracul« genannt wurde. »Dracul« heißt »der Pfähler« und dieser »Kosename« erschließt sich durch einen Blick auf das Lieblingshobby dieses Tyrannen. Er ließ seine Feinde, Verbrecher und manchmal auch unbequem gewordene alte Freunde vor seiner Burg auf Pfähle aufspießen, »so dass ihre Gedärme erbarmungsvoll aus dem Leibe quollen«. Anschließend ließ er seinen Mittagstisch just vor den qualvoll sterbenden Opfern aufbauen und genoss sein Mahl. Angesichts dieser Schilderung kann uns der filmische Dracula schon weit weniger erschü ttern.
D wie Drei Könige Wenn am nächsten 6. Januar wiederum der »Dreikönigstag« gefeiert wird, dürfen Sie sich ein wenig ins Fäustchen lachen. Schließlich dürfte es aus kirchlicher Sicht diesen arbeitsfreien Tag gar nicht geben - zumindest nicht unter die sem Namen. Denn in der katholischen Kirche wird der sechste Januar streng genommen als »Fest der Erscheinung des Herren« begangen, damit war ursprünglich die Geburt Jesu und die anschließende Anbetung durch die »Weisen aus dem Morgenland« gemeint. -56-
Nachdem man dann Jesu Geburt auf das Weihnachtsdatum (eigentlich recht willkürlich) »verlegt« hatte, wurde der sechste Januar zum »Fest der drei Wunder«: Der Anbetung durch die Weisen, die Taufe des Jesuskindes in Jerusalem und die Hochzeit zu Kanaa. Als Fest der »Heiligen drei Könige« hat die Kirche dieses Datum jedenfalls nie legalisiert. Zum einen ist im Matthäus-Evangelium an keiner Stelle von Königen die Rede, sondern von »Magiern«, und auch die Anzahl wird von ihm nicht erwähnt. Im Psalm 72,10 heißt es allerdings: »Die Könige von Tarsis und auf den Inseln sollten Geschenke bringen…«. Unabhängig davon, ob es sich nun um Könige handelte und wie viele es tatsächlich waren - ganz sicher hat die Kirche sie niemals heiliggesprochen.
D wie Dudelsack Ob »Cornemuse« (frz.), »cornamusa« (ital.), »tibia utricularis« (lat.) oder »Sackpfeife« - gemeint ist immer der Dudelsack. Diese Namen in verschiedenen Sprachen weisen bereits darauf hin, dass das schwierig zu erlernende Instrument (hören Sie bloß niemals beim Üben zu) keinesfalls nur in Schottland bekannt ist oder gar dort erfunden wurde. Da schon die alten Römer das Instrument kannten und der Legende nach auch der berühmtberüchtigte Nero es erlernen wollte, ist anzunehmen, dass der Dudelsack mit Cäsars Legionen nach Britannien kam und von dort aus zu den Schotten. Die hießen seinerzeit noch Pikten und waren ob ihrer zähen Unbesiegbarkeit durch den Hadrianswall von der übrigen, angeblich römischzivilisierten, Welt getrennt. Ursprünglich dürfte der Dudelsack aus Asien stammen und mit Nomadenvölkern seinen kurzfristigen Siegeszug durchs mittelalterliche Europa begonnen haben. Im 15. und 16. Jahrhundert galt er unter dem Namen »Sackpfeiffe« in deutschen Landen als Instrument der Hirten und Schäfer. -57-
5. Von Eichhörnchen bis Exkommunikation
E wie Eichhörnchen Eichhörnchen sind bekanntlich possierliche Tierchen, derer man nur sehr schwer habhaft wird und die mit Vorliebe Eicheln und Nüsse sammeln, um sich für den Winterschlaf einen ausreichenden Wanst anzufressen. So weit, so gut. Der Name der Tiere geht allerdings nicht, wie ganz natürlich angenommen, auf die »Eiche« als ihre bevorzugte Behausung zurück, sondern auf das altdeutsche Wort »aig«, das »schwingen« oder auch »sich heftig bewegen« bedeutet.
E wie Eiffelturm 9700 Tonnen schwer und genau 321 Meter hoch: Der Eiffelturm war von seiner Errichtung im Jahre 1889 bis zur Fertigstellung des Empire State Building (1930) das höchste Bauwerk der Welt. Die Metall-Konstruktion des Ingenieurs Gustave Eiffel lockte Scharen von Schaulustigen in die Stadt und galt lange Jahre als technische Pionierleistung und Meilenstein moderner Architektur. Die wenigsten von denen, die heute vor dem Turm stehen und den Kopf in den Nacken legen, wissen jedoch, dass die Höhe des Eiffelturms keineswegs unveränderlich ist. Im Sommer nämlich dehnt die Sonnenwärme das Eisen des Turms Messungen haben ergeben, dass er in der warmen Jahreszeit bis zu 15 Zentimeter »wächst«. -58-
E wie Einhorn Schon wieder eine Enttäuschung: Entgegen allen anders lautenden Fabeln und Gerüchten hat es das sogenannte »weiße Einhorn« nie gegeben. Zwar wurden vor allem im 15. und 16. Jahrhundert Dutzende sogenannter »Einhorn-Hörner« für gutes Geld verkauft, doch Nachforschungen und Untersuchungen ergaben, dass es sich dabei höchstwahrscheinlich um die Stoßzähne gefangener Narwale handelte. Schon der römische Schriftsteller Plinius glaubte fest an die Legende vom Einhorn, so fest, dass er sich sogar zu einer detaillierten Beschreibung hinreißen ließ: Demnach hatte das Tier einen »Körper wie ein Pferd, einen Kopf wie ein Hirsch, Füße wie ein Elefant und den Schwanz eines Wildschweins. Mitten auf der Stirn trägt es ein etwa ein Meter langes Horn«. Kein Wunder, dass spätestens jetzt die Phantasie der nachfolgenden Generationen angestachelt worden war, zumal Plinius nicht vergessen hatte zu erwähnen, »dass das Einhorn lebend nicht gefangen werden kann«. Diese Behauptung kam vor allem den Geschäftemachern des mythenanfälligen Mittelalters zugute, die beim Verkauf der Hörner vielleicht in die Verlegenheit gekommen wären, ein gefangenes Tier auch einmal vorführen zu müssen. Begehrt war das ominöse Horn vor allem als Talisman, der seinen Besitzer vor Attentaten bewahren und seine Gesundheit schützen sollte. Aber auch gegen Giftmörder soll die Hornspitze ein probates Mittel gewesen sein: Wenn man sie auf die Tafel stellte und in irgendeinem der sie umgebenden Gerichte war eine Spur von Gift enthalten, dann soll sie sich mit einer Art Schweiß bedeckt haben.
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E wie Einsamkeit Hier irrt der Volksmund einmal nicht: Einsamkeit macht tatsächlich krank. An der Universität von Kalifornien hat man herausgefunden, dass einsame Menschen viermal so häufig schwer erkranken wie gesellige Zeitgenossen. Dazu trägt unter anderem auch die Tatsache bei, dass einsame Menschen mehr als andere zu übermäßigem Rauchen und Trinken neigen und sich wenig Bewegung gönnen. Herzattacken und Unfälle sind bei allein lebenden Menschen ebenfalls wesentlich häufiger.
E wie Einstein Auch ich benutzte für schulisches Versagen dereinst die Entschuldigung, dass schließlich selbst Albert Einstein ein schlechter Schüler gewesen war. Die Antwort »Schon, aber aus dem ist dann später immerhin etwas geworden, was bei dir bezweifelt werden muss«, stürzte mich zwar nicht gerade in eine Identitätskrise, veranlasste mich aber immerhin schon in frühen Jahren, Genaueres über Einsteins Werdegang herauszufinden. Die Wahrheit war ernüchternd: Albert Einstein ist entgegen anders lautenden Gerüchten niemals sitzen geblieben und gehörte in den Fächern Mathematik und Physik schon immer zu den herausragenden Begabungen seiner Jahrgangsstufe. Allerdings war er an Sport und Sprachen nur sehr mäßig interessiert und wurde von seinen Lehrern am Münchener Luitpold-Gymnasium des öfteren als nichtsnutziger Träumer beschimpft. Später allerdings zahlte er es ihnen heim: Er bezeichnete den Umgangston seiner ehemaligen Erzieher als »dümmlich« und verglich ihr Gehabe mit dem von MöchtegernMilitärs.
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E wie Eisbein Zusammen mit Sauerkraut gilt es als Verkörperung germanischer Esskultur: Das Eisbein. Doch wissen Sie eigentlich, woher dieses schmackhafte Stück gepökelten Schweins seinen Namen hat. Nicht etwa - wie zu vermuten wäre - vom Kühlverfahren, sondern weil die harten SchienBeinknochen des Schweins lange Zeit als Schlittenkufen verwendet wurden. Schon in der nordischen Sagensammlung »Edda« aus dem 12. Jahrhundert ist vom sogenannten »Eisknochen« die Rede, mit dem die rauen Nordmänner ihre Transportschlitten bestückten. Aus »Eisknochen« wurde schließlich »Eisbein« - wahrscheinlich nicht zuletzt deshalb, weil der eigentliche Verwendungszweck des Knochens in Vergessenheit geriet und man sich eher den kulinarischen Verwendungsmöglichkeiten dieses Stücks tierischer Anatomie zuwandte.
E wie Eiserner Vorhang Winston Churchill, der große britische Staatsmann, sagte im März 1946 bei einer Rede in den USA: »(…) an iron curtain has descended across the continent« (…ein eiserner Vorhang hat sich quer durch den Kontinent gesenkt) und wird seitdem als Schöpfer des Bildes vom »Eisernen Vorhang« bezeichnet. Doch nachweislich hat schon die belgische Königin Elisabeth, anlässlich des deutschen Einmarsches 1941 in ihr Land, gesagt: »Zwischen ihnen (den Deutschen) und mir ist für alle Zeiten ein eiserner Vorhang niedergegangen«. Auch der deutsche Propagandaminister Joseph Goebbels soll im Februar 1945 in einer Berliner Rede zweimal vom »Eisernen Vorhang« zwischen Russland und Deutschland gesprochen haben. Kein Wunder, dass Churchill nicht begeistert gewesen wäre, wenn bekannt -61-
geworden wäre, wer diese Metapher vor ihm gebraucht hat. Lange Zeit blieb der »Eiserne Vorhang« tatsächlich schier undurchdringlich. Es bedurfte rund 40 Jahre des sogenannten »kalten Krieges« zwischen den großen Machtblöcken in der Welt, ehe das sowjetische Staatsoberhaupt Michail Gorbatschow um 1986 seine Politik von »Glasnost« und »Perestroika« etablierte und das bis dato scheinbar zementierte Weltbild aus den Fugen geriet. In dieser Phase der Entspannung erfolgte schließlich das Ende des östlichen, militärischen Bündnisblocks »Warschauer Pakt« und damit war auch der »Eiserne Vorhang« endgültig gefallen.
E wie Elefanten Neben der Schlange, dem Löwen und vielleicht noch dem Wal ist sicherlich der Elefant das Tier, das die menschliche Phantasie am meisten beschäftigt. Zahlreiche Legenden ranken sich um die »grauen Riesen«, zahlreiche »geflügelte Worte« beschäftigen sich mit ihnen. »Dick wie Elefantenhaut«, »Elefanten vergessen nicht«, »Ein Elefant fürchtet die Maus« usw. Klingt nett, klingt einprägsam - ist aber oft unsinnig. So ist die Elefantenhaut zwar tatsächlich zwischen zwei und vier Zentimetern dick, aber dies mit Unempfindlichkeit gleichzusetzen, wäre falsch. Vielmehr ist die Haut sogar sehr tastempfindlich und wenn der »Dickhäuter« seine »Außenhülle« mit Schlamm einreibt, geschieht dies in erster Linie zum Schutz gegen lästige Insektenstiche. Auch das unfehlbare Gedächtnis der Elefanten ist eine Fabel: Sie speichern Gerüche und Geräusche, doch nicht mehr oder weniger als andere Tiere auch. Zudem werden Elefanten längst nicht so alt, wie oft behauptet wird - im Guinness-Buch der Rekorde wurden 76 Jahre als Rekordalter vermeldet - die meisten Tiere sterben allerdings noch vor ihrem 50.Geburtstag. Angst vor Mäusen haben -62-
Elefanten in der Regel nicht. Sie sind aber auch nicht extrem mutig. Normalerweise zieht sich die Herde vor unbekannten Kreaturen geschlossen zurück - egal, ob es sich nun um andalusische Bergziegen oder um australische Dingos handelt. Wenn sie sich mit der Gegenwart von Mäusen abgefunden und deren Harmlosigkeit erkannt haben, werden diese schlicht ignoriert oder auch einfach plattgetreten. Auf einer falschen Schlussfolgerung basiert auch die Behauptung, Elefanten zögen sich zum Sterben auf sogenannte »Elefantenfriedhöfe« zurück. Zwar werden immer wieder Anhäufungen vo n Elefantenknochen gefunden, doch Biologen und Verhaltensforscher deuten dies heute als Unfälle einer Herde im Morast oder als Überbleibsel großer Elefantenhetzjagden durch menschliche oder tierische Jäger. Eine »Pilgerfahrt« eines alten Bullen zu den Grabstätten seiner Ahnen konnte jedenfalls noch nie beobachtet werden.
E wie Elefantenläuse …sind essbar. Mit dieser Bezeichnung werden nicht die Parasiten der »grauen Riesen« bezeichnet, sondern verschiedene Nussarten. So ist die westindische »Elefantenlaus« nichts anderes als die beliebte »Cashewnuss« und auch die »Paranuss« (aus Brasilien) wird häufig »Elefantenlaus« genannt. »Echte« Elefantenläuse gibt es allerdings natürlich auch und Sie dürfen mir glauben, dass diese unseren riesigen Freunden sehr lästig sind.
E wie Elektrizität Man schrieb das Jahr 1789. In Frankreich tobte die Revolution und in Italien ließ ein gewisser Luigi Galvani an der -63-
Universität von Bologna Froschschenkel zucken. Er war es, der Pol und Gegenpol an metallischen Gegenständen entdeckte und die sogenannte Elektrolyse benutzte, um elektrischen Strom zu erzeugen. Dann dauerte es noch weitere 51 Jahre, bis ein gewisser Werner Siemens einen silbernen Teelöffel in einen Becher unterschwefliger Goldlösung tauchte, Zink als Minusund Kupfer - in Verbindung mit einer Goldmünze - als Pluspol verwendete und seinen Silberlöffel schon wenige Minuten später vergoldet fand. Siemens hatte die erste Anwendungsmöglichkeit der Elektrizität entdeckt - so jedenfalls glaubte man. Doch ein Jahrhundert später stieß der deutsche Archäologe Wilhelm König bei Ausgrabungen in einer Siedlung der Parther unweit des heutigen Bagdad auf einen merkwürdigen Apparat. In einer rund 20 Zentimeter hohen Vase befand sich ein etwas kürzerer Kupferzylinder, in dem wiederum ein oxydierter Eisenstab steckte. Dieser wies Reste von Bitumen und Blei auf. Zwar kam bereits König auf die Idee, er könnte damit auf eine antike, Strom erzeugende Batterie gestoßen sein, doch lange wurde er für diesen Einfall nur mitleidig belächelt. Erst 1957 bewiesen amerikanische Forscher, dass sich mit einem exakten Nachbau dieser Apparatur tatsächlich elektrischer Strom erzeugen ließ, und weitere Tests in den Folgejahren ergaben, dass das legendäre Volk der Parther offensichtlich diese Batterien ebenfalls - wie Siemens zwei Jahrtausende später - zum Vergolden silberner Gegenstände verwendet hatte. Zudem waren bei anderen Grabungen weitere altertümliche »Batterien« entdeckt worden, so dass kein Zweifel mehr möglich war: Die Parther wussten um das Geheimnis des elektrischen Stroms. In großem Ausmaß konnten sie ihn jedoch noch nicht benutzt haben, denn jede dieser Batterien war bestenfalls für eine Spannung von 0,5 bis 0,7 Volt gut.
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E wie Elmsfeuer Das Elmsfeuer ist weder eine Art Sonnwendfeuer, noch ein Indiz für das Auftreten böser Geister. Letzteres vermuteten Seeleute aller Nationen viele Jahrhunderte lang, denn sie konnten diese Erscheinung relativ häufig an den Spitzen ihrer Masten beobachten und riefen dann jeweils den Schutzheiligen ihrer Zunft, den heiligen Erasmus (oder auch St. Elmo) an, von dem das Elmsfeuer seinen Namen erhielt. Das Elmsfeuer ist eine fächerförmige Gasentladung, die vor allem an aufragenden, spitzen Gegenständen auftritt. Es besteht aus sogenannten »Elektronenlawinen«, die »unter Mitwirkung ultravioletten Lichts durch Stoßionisation gebildet werden«. Damit wissen trotzdem nur Physiker, wie das Elmsfeuer entsteht, doch für eine populärwissenschaftliche Erklärung bietet dieses Buch leider keinen Raum. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die atmosphärischen Bedingungen und das weitgehende Fehlen künstlicher Lichtquellen auf See das »Sichtbarwerden« der Elmsfeuer sehr begünstigen. Oftmals wird die Erscheinung auch im Gebirge, vor allem an schroffen Felsspitzen, gesehen.
E wie England Fragen Sie doch mal ihre Freunde und Bekannten, welches Land sie für das regenreichste Europas halten. »England oder Irland« wird die Antwort in mindestens 90 Prozent aller Fälle lauten, doch damit tun wir den britischen Inseln bitter Unrecht. Laut den Beobachtungen der Meteorologen fallen in der englischen Hauptstadt London pro Jahr etwa 590 mm Niederschlag. Damit gehört London zu den »trockensten« Städten des Kontinents. Zum Vergleich: In Rom fallen 760 mm - in Genua sogar 1100. Mit 900 mm pro Jahr ist allerdings der -65-
britische Nordwesten durchaus wieder dem »gehobenen Regendurchschnitt« zuzurechnen, wobei sich die Niederschläge auf das ganze Jahr verteilen. Deshalb mag es dem Besucher vom Kontinent auch so vorkommen, als regne es in England ununterbroche n. In den Mittelmeerländern beispielsweise regnet es fast ausschließlich im Winter, dann aber kräftig.
E wie Erde Spätestens seit Columbus gilt der Satz »Die Erde ist eine Kugel« als unbedingte Wahrheit. Abgesehen davon, dass schon 200 Jahre v. Chr. der griechische Gelehrte Eratosthenes von Kyrene die Kugelform der Erde berechnete und sich in Sachen Erdumfang gerade mal um rund 400 Kilometer irrte (im Mittelalter bevorzugte man allerdings aus obskuren religiösen Motiven wieder die Scheibentheorie), ist auch die Sache mit der »Kugel« nicht so ganz richtig. Der Fachausdruck für die Form unseres Mutterplaneten heißt eigentlich »abgeplattetes Rotationsellipsoid«, was bedeutet, dass der »Erdball« an den Polen abgeflacht und am Äquator ziemlich ausgebeult ist. Erdsatelliten haben zwischenzeitlich bewiesen, dass unser Planet in etwa die Form eines Apfels hat.
E wie Erkältung Dass Erkältungen ausgerechnet Erkältungen heißen, ist eigentlich ein Rätsel. Denn mit Kälte haben Husten, Schnupfen oder Heiserkeit nicht viel zu tun, denn sonst müssten die Bewohner Grönlands oder Alaskas einen ungeheueren Taschentuchverbrauch haben. Dagegen scheint die Erklärung, dass der Körper auf ungewohnte Kälte mit einer Schwächung seines Immunsystems reagiert und damit anfälliger für Viren -66-
aller Art ist, durchaus etwas für sich zu haben. Die Eskimos haben keine Umstellungsprobleme - sie sind die Minusgrade gewohnt. (Sie dürften in tropischen Breiten wesentlich mehr Probleme mit ihren Widerstandskräften haben.) Eine weitere Erklärung für die Häufigkeit von »Erkältungen« in der kalten Jahreszeit könnte auch sein, dass der Mensch sich dann gerne und oft zusammen mit anderen Menschen in geschlossenen und möglichst warmen Räumen aufhält. Dies vergrößert die Ansteckungsgefahr um ein Vielfaches, was wiederum unsere Theorie bestätigt, dass der Herdentrieb die Menschheit eines Tages noch ins Verderben treiben wird. Aber das nur nebenbei…
E wie Evangelisches Kloster Dass nur die katholischen Christen Zuflucht in Klöstern suchen und finden können, ist nicht ganz richtig. Denn in Niedersachsen gibt es das weltweit einzige Evangelische Kloster. Gegründet wurde Kloster Loccum im zwölften Jahrhundert noch als katholisches Zisterzienserkloster, nahm aber nach der Reformation die lutherische Lehre an. 1820 wurde dann ein evangelisches Priesterseminar daraus, dessen Seminaristen unverheiratet sein und im Kloster wohnen mussten. Seit 1967 gibt es in Loccum allerdings auch Wohnungen für verheiratete Geistliche. Klostervorstand ist ein Abt, der von einem acht Geistliche umfassenden Konvent auf Lebenszeit gewählt wird. Üblicherweise ist der Landesbischof von Hannover gleichzeitig auch Abt von Loccum.
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E wie Exkommunikation Verweilen wir noch ein wenig bei kirchlichen Themen und beschäftigen uns mit dem Wort »Exkommunikation«. Dieses bedeutet nicht, dass der betreffende Sünder aus der Gemeinschaft der Kirche ausgeschlossen wird, sondern aus der Gemeinde der Gläubigen. Dieser kleine, aber feine Unterschied heißt, dass der »Exkommunizierte« nicht mehr am Gottesdienst oder am Empfang der Sakramente teilnehmen darf, dass er aber weiterhin Kirchensteuer zahlen »darf« und dass der Pfarrer ihm - sofern die Gemeinde dagegen nicht ausdrücklich protestiert auch ein christliches Begräbnis gewähren kann.
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6. Von Farbe bis Fußball
F wie Farbe Schwarz gilt hierzulande als die Farbe der Trauer, doch ein Blick über den eigenen Tellerrand verrät, dass dies keineswegs überall der Fall ist. So gilt in Südostasien - einschließlich China - Weiß als Todes- und Trauerfarbe, wobei damit vor allem an den Dahingeschiedenen gedacht wird. Denn Weiß soll ihm im Jenseits Glück, Reichtum und Zufriedenheit bescheren. Bei den Sinti und Roma hingegen trägt man anlässlich einer Beerdigung überwiegend Rot und dies dürfte das »fahrende Volk« von den Kelten übernommen haben. Bei denen war nämlich Rot die Symbolfarbe für Unglück und Trauer.
F wie Fast Food …gilt - vor allem bei Eltern und Erziehern - als »ungesund«. Und dies, obwohl die »Big Mac« genannte »Maulsperre« des Fast-Food-Riesen McDonalds weder gesünder noch ungesünder ist als eine Vielzahl »normaler« Gerichte. So sind in einem Big Mac weit mehr Vitamine, Kalzium und Eisen enthalten als in einem Wiener Schnitzel, das als beliebtestes Restaurant-Essen überhaupt gilt. Allerdings enthalten Hamburger, Cheeseburger und Big Mac in Relation zu ihren Kalorien zu viel Fett und zu wenig Ballaststoffe, doch das richtige Gleichgewicht lässt sich problemlos mit einem Glas Orangensaft wiederherstellen. Ein Gerücht ist es auch, dass Fast Food ein Produkt unserer schnelllebigen Zeit sei. Denn vorgekochtes Essen gab es in Asien und Europa schon seit Hunderten von Jahren - vor allem -69-
die indischen und chinesischen Reisküchen ernährten mit dem schnellen Imbiss ganze Generationen von Arbeitern. Da seinerzeit allerdings weit weniger auf Hygiene und Vitaminzufuhr geachtet wurde als heute bei »Wimpys«, »Wendys«, »Burger King« oder »McDonalds«, dürfte die »traditionelle« Fast Food-Küche weitaus ungesünder gewesen sein als die modernen »Fresstempel« der jungen Generation. Ein Hinweis an unsere jungen Leser: Sollten Papa oder Mama immer noch auf dem Standpunkt stehen, Euch den Hamburger verbieten zu müssen, kontert einfach mit der »urdeutschen« Bratwurst: Die enthält wesentlich mehr Fett und wesentlich weniger Vitamine und Kalzium als das belegte Sesam- Brötchen von der Fast Food-Theke.
F wie Faust Millionen seufzender Eleven wuchsen in dem festen Glauben auf, Goethes Faust sei eine reine Erfindung und habe nie gelebt. Vielleicht wäre ihr Interesse am mutmaßlich bekanntesten deutschen Drama sprunghaft gestiegen, wenn man ihnen erzählt hätte, dass Dichterfürst Goethe sich an einer real existierenden Figur orientiert hat. Ein gewisser Johannes (andere Chroniken sprechen allerdings auch von Georg) Faust soll um 1480 im württembergischen Knittlingen geboren worden sein. Er war als Arzt und Möchtegern-Magier bis zu seinem Tod (um 1538) eine regionale Berühmtheit, weil er sich angeblich als Schwarzkünstler und Alchimist betätigt haben soll. Schon 1587 erschien in Stuttgart eine Chronik (Verfasser unbekannt) mit dem Titel: »Historia von D. Johann Fausten, dem weitbeschreyten Zauberer und Schwarzkünstler« und um 1590 vollendete der englische Dichter Christopher Marlowe ein erstes Faustdrama. Darin war bereits die Figur des Teufels enthalten, denn im Heimatstädtchen des »Fausten«, in Knittlingen, wurde -70-
schon kurz nach dem jähen Tod des geheimnisumwitterten Mannes behauptet, dieser sei »wohl vom Deibel geholet« worden. Vermutlich hatte sich Goethe recht ungeniert aus diesen alten Überlieferungen bedient - er vollendete seinen »Faust« erst im Jahre 1806. Auch die Gretchen-Tragödie innerhalb des »Faust« ist keine reine Erfindung. Inspirieren ließ sich Goethe dabei nämlich von einem realen Kriminalfall, der seinerzeit in Frankfurt a. Main für viel Aufsehen sorgte. Eine gewisse Susanna Margarethe Brandt, ihres Zeichens Kellnerin, hatte ihr Neugeborenes sogleich nach der eigenhändigen Entbindung mit einer Schere umgebracht und gegenüber der Polizei behauptet, ein durchreisender Goldschmied sei der Vater dieses Kindes gewesen. Der Reisende habe sie mit einem geheimnisvollen Pulver gefügig gemacht, so dass der Satan wohl seine Hand im Spiel gehabt haben müsse. Diese Behauptungen halfen Fräulein Brandt allerdings herzlich wenig - sie wurde 1772 auf dem Frankfurter Rossmarkt öffentlich hingerichtet.
F wie Felleisen … hat weder etwas mit Fell noch mit Eisen zu tun. Bezeichnet wird damit vielmehr ein Gepäckstück, nämlich eine Reisetasche aus Leder. Der Name ist eine Verballhornung des französischen Wortes »valise« (für Gepäckstück oder Koffer) und dieses wiederum stammt vom arabischen »waliha«, mit dem man schlicht einen Getreidesack bezeichnete.
F wie Fette Oft hört man, tierische Nahrungsfette wie Butter oder Gänseschmalz machten viel eher dick als die pflanzlichen Fette -71-
wie zum Beispiel Erdnussbutter oder Olivenöl. Das ist Blödsinn, denn Fett bleibt Fett - egal, woher es stammt. 100 Gramm jeden Öls oder Fettes haben rund 930 Kalorien (etwa 3900 Joule). Verweilen wir noch ein wenig beim Thema »Fett« und versetzen der Männerwelt einen harten Hieb: Die als unumstößlich geltende Annahme, der Frauenkörper habe per se einen höheren Fettanteil als der männliche, muss als widerlegt gelten. Neueste Messungen haben ergeben, dass die Geschlechter ihre Fettgewebe zwar an unterschiedlichen Körperregionen konzentrieren (Frauen zumeist unter, Männer über der Gürtellinie), doch die reinen Mengen sind in etwa gleich und betragen geschlechtsneutral rund 23 Prozent.
F wie Fetthenne Vorsicht - wenn Sie nicht gerade Botaniker sind, können Sie sich bei der Definition dieses Wortes unsterblich blamieren. »Fetthenne« bezeichnet nämlich keinesfalls ein wohlgenährtes Suppenhuhn, sondern eine bestimmte Pflanzenart. Sie gehört zur Gattung der sogenannten »Dickblattgewächse« und ist in unseren Breiten mit über 300 verschiedenen Arten und Ausformungen vertreten. Der bekannteste Vertreter der »Fetthennen-Gattung« ist wohl der »Mauerpfeffer«, der im Sommer goldgelb blüht und vorzugsweise an sandigen Stellen eingepflanzt wird. Der Grund: Die Fetthenne ist dafür bekannt, auch unter schwierigen Licht- oder Bodenverhältnissen zufriedenstellend zu gedeihen.
F wie Fetus Fetus (oder Fötus) ist nicht, wie gemeinhin angenommen, eine andere Bezeichnung für den menschlichen Embryo. Die -72-
heranwachsende Leibesfrucht wird bis zum dritten Schwangerschaftsmonat ausschließlich als Embryo bezeichnet. Dann ist die menschliche Gestalt im »Kleinformat« ausgebildet und ab diesem Moment, in dem auch die Bewegungen der Extremitäten beginnen, nennt man den Nachwuchs »Fetus«.
F wie Feuerland Die Inselgruppe Feuerland gilt zu Unrecht als südlichste Spitze des südamerikanischen Subkontinents. Feuerland, im Jahre 1520 vom portugiesischen Seefahrer Ferdinand Magellan entdeckt, erhielt seinen Namen aufgrund der zahlreichen Feuer, die die eingeborenen Indianer Tag und Nacht brennen ließen. Bis 1620 galt Feuerland als südlichste Landmasse Amerikas, ehe die niederländischen Seefahrer le Maire und van Schouten noch einige Dutzend Kilometer weiter südlich eine weitere Insel aufspürten. Van Schouten nannte sie nach seiner Geburtsstadt Hoorn und seitdem gilt Kap Hoorn, gefürchtet für seine jähen Wetterumschwünge und seine gefährlichen Untiefen und Klippen, als südlichster Zipfel der bewohnten Welt.
F wie Fische Fische leben im Wasser. Das zumindest können wir einfach als gegeben akzeptieren und vielleicht lässt sich mit dieser simplen Wahrheit auch begründen, warum über die Fische so viele Gerüchte und Halbwahrheiten im Umlauf sind. Wasser ist nun kein dem Menschen gemäßes Element (Mark Spitz und Franzi van Almsick mal ausgenommen) und deshalb sind wir geneigt, vieles widerspruchslos hinzunehmen, was uns der Volksmund glauben machen möchte. Beispielsweise wird behauptet, Fische könnten nicht ertrinken. Das stimmt zwar im -73-
Regelfall, doch ist zum Beispiel der sogenannte Labyrinthfisch neben der Kiemenatmung (bei der Sauerstoff durch die Kiemen aus dem Wasser gefiltert wird) auch auf Lungenatmung angewiesen. Wenn er nicht an die Oberfläche gelangen kann, um dort »nach Luft zu schnappen«, ertrinkt (oder erstickt?) er jämmerlich. Zugegeben, dieses Exemplar ist die Ausnahme von der Regel, aber für beinahe alle Fischarten trifft zu, dass sie keinesfalls stumm sind. »Stumm wie ein Fisch« ist eine sehr beliebte Redewendung, doch Fische können durchaus Töne hervorbringen, auch wenn diese vom menschlichen Ohr nicht immer wahrzunehmen sind. Empfindliche UnterwasserMikrofone haben an den Tag gebracht, dass Flossen, Zähne und Schwimmblasen zur Schallerzeugung benutzt werden. Mittlerweile geht man davon aus, dass die fischigen Töne als Erkennungssignale für Paarungsriten oder auch zur Abschreckung potentieller Feinde dienen. Für ihr »durchdringendes Organ« berühmt - und auch für den Menschen problemlos vernehmbar - sind der »Knurrhahn«, der »Seewels« und der sogenannte »Krächzerfisch«. Noch ein kurzer Abstecher für diejenigen, die Fische in erster Linie als schmackhaftes Nahrungsmittel betrachten. Ebenso verbreitet wie grundfalsch ist die Auffassung, man dürfe Fisch aus stilistischen Gründen nicht mit dem Messer essen. Diese »Verordnung« stammt aus einer Zeit, in der Messerklingen noch aus rostanfälligem Stahl bestanden. Dadurch wurde der Fischgeschmack natürlich unangenehm beeinflusst. Moderne Benimmbücher weisen mittlerweile ausdrücklich darauf hin, dass der Fisch auf dem Teller nun durchaus mit dem Messer zerteilt werden darf. Verweilen wir noch einen Moment beim »Fischgenuss« und betrachten den Mythos, dass Fisch »Gehirnnahrung« sei. Zwar hat der deutsche Mediziner Friedrich Büchner um 1860 Phosphor im mens chlichen Gehirn entdeckt, doch schon seine Folgerung, dieser Phosphor diene als Katalysator für -74-
menschliches Denken, war recht weit hergeholt. Da aber auch Fischfleisch viel Phosphor enthält, empfahlen seit Büchner zahlreiche Mediziner immer wieder Fisch zur Aktivierung des Gehirns. Mittlerweile aber ist bewiesen, dass Phosphor keinerlei Auswirkungen auf den Intellekt oder die Fähigkeit zum »Schnelldenken« hat.
F wie Flaschenpost Auf ihr fußt so manche Legende von versunkenen oder vergrabenen Schätzen: Die Flaschenpost. Im Zeitalter der modernen Telekommunikation und zumeist funktionierender Funkverbindungen ist sie zwar mittlerweile fast völlig ausgestorben, doch haftet ihr noch immer ein romantisches Flair an, das vergessen lässt, dass es sich eigentlich um eine schlichte postalische Benachrichtigung handelt. Nach international geltendem Recht darf nämlich der Finder einer Flaschenpost diese nicht einfach behalten, sondern hat die Pflicht, sie an die Behörden weiterzuleiten. Via Konsulate soll die Nachricht schließlich dem Empfänger zugestellt werden - auch wenn dieser mittlerweile schon seit geraumer Zeit verstorben ist. In diesem Fall haben dann seine Nachkommen Anspruch auf die Nachricht. Übrigens: Das Ankommen einer Flaschenpost ist längst nicht so sehr von Zufälligkeiten bestimmt, wie angenommen wird. Seefahrer kannten sich schließlich mit Meeresströmungen recht gut aus und kalkulierten demnach häufig ganz genau, wo die Flasche schließlich an Land gespült wurde. 1842 erschien sogar eine regelrechte »Flaschenkarte«, auf der die »Routen« und Reisewege zahlreicher Flaschenpostsendungen dokumentiert waren.
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F wie Fledermäuse Genauso falsch wie die Redewendung »Stumm wie ein Fisch« (siehe Stichwort »Fische«) ist auch »Blind wie eine Fledermaus«. Jahrzehntelang waren Biologen der Ansicht, dass die geflügelten Gleiter sich ausschließlich auf ihr UltraschallOrtungssystem verlassen: Für Menschen unhörbare Töne werden in einer fast ununterbrochenen Reihe ausgestoßen, von Wänden und Gegenständen reflektiert und gelangen sozusagen als Echo zurück zu den übergroßen Ohren der Tiere. Das geschieht zwar durchaus, doch dass Fledermäuse auch ihre Augen benutzen, bewies ein Laborexperiment des amerikanischen Zoologen Donald Griffins. Dieser verklebte etlichen Versuchstieren die Augen und verstopfte ihnen zusätzlich gründlich die Ohren, damit sie den reflektierten Schall nicht mehr wahrnehmen konnten. Dann hängte er in seinem Labor Stoffstreifen auf, und als er die Tiere frei ließ, segelten sie prompt gegen diese Hindernisse. Nachdem er ihnen anschließend jedoch die Augenklappen entfernt hatte (die Ohren blieben verstopft), wurden dieselben Stoffstreifen elegant umsegelt. Der naheliegende Schluss: Die beiden OrtungsSysteme bilden eine perfekte, für Dämmerung und Dunkelheit geschaffene Kombination. Wenn die Entfernung zum Hindernis für eine Ultraschallortung zu groß wird, springen die Augen als Wahrnehmungsinstrumente ein. Allzu gut sind diese Augen allerdings nicht - nur Umrisse können von ihnen ausgemacht und ans Gehirn weitergegeben werden.
F wie Fliegen Haben Sie Flugangst? Ja? Dann haben Sie womöglich durchaus recht mit Ihren angeblich irrationalen Befürchtungen. Zwar wird behauptet, Fliegen sei die sicherste Methode des -76-
Reisens, doch das hängt letztlich davon ab, wie man die Statistik interpretiert. Fest steht, dass das Autofahren mit Abstand die gefährlichste aller Reisearten ist. Doch wenn wir Bahn und Flugzeug vergleichen, entdecken wir durchaus Überraschendes. Wenn man weltweit die Todesopfer addiert und diese Zahlen durch die zurückgelegten Kilometer teilt, kommt man bei der Bahnreise auf neun Tote je 10 Milliarden Passagierkilometer. Das ist nicht besonders beängstigend und weniger besorgniserregend ist die Zahl beim Flugzeug: Dort sterben »nur« drei Menschen auf besagten zehn Milliarden Kilometern. Betrachtet man jedoch den Faktor Zeit, kann man durchaus zu der Ansicht kommen, die größere Geschwindigkeit des Flugzeugs sei auch sein Fluch: Bei 100 Millionen Passagierstunden (Zeit, die im Flugzeug verbracht wird) sterben laut Statistik 24 Menschen. Zum Vergleich: Bei Bahnfahrten sind es im selben statistischen Zeitraum lediglich sieben Personen.
F wie Fluch des Pharao Als der Archäologe Howard Carter am 6. November 1922 im ägyptischen »Tal der Könige« das Grab des legendären Pharao »Tutench-Amun« fand, galt dies als Sensation des Jahrhunderts. Die Entdeckung der reich geschmückten Grabkammer mit der fast unversehrten Mumie des altägyptischen Herrschers wurde weltweit jahrelang immer wieder publiziert und analysiert, zumal sich schnell Gerüchte um den sogenannten »Fluch des Pharao« zu ranken begannen. Carter soll beim Betreten der Grabkammer eine Inschrift entdeckt haben, die all denen den Tod ankündigte, die die Ruhe des toten Herrschers zu stören wagten. Und tatsächlich: Zunächst starb der Carter-Freund und Geldgeber der Expedition, Lord Carnavon, an den infektiösen Folgen eines Moskitostichs. In den folgenden Monaten und -77-
Jahren kamen weitere Teilnehmer der Expedition bei teilweise rätselhaften Unfällen oder durch Selbstmorde ums Leben. Die Legende vom Fluch war geboren und wurde durch weitere Todesfälle genährt. Übersehen hatten die Anhänger dieser abenteuerlichen Mär jedoch, dass beispielsweise Lord Carnavon schon vor der Entdeckung der Grabkammer aufgrund der extremen klimatischen Bedingungen des ägyptischen Sommers höchst anfällig für Infektionen war und sein 57jähriger Körper der neuerlichen Belastung wohl nicht mehr gewachsen war. Auch die übrigen zwölf »unerklärlichen« Todesfälle ehemaliger Expeditionsteilnehmer in den darauffolgenden Jahren wurden nach und nach »enträtselt« und hatten alle natürliche und nachvollziehbare Ursachen und Gründe. Carter selbst hat übrigens von Anfang an bestritten, jemals eine Inschrift mit einer wie auch immer gearteten Todesdrohung gesehen oder entdeckt zu haben: »Die Gerüchte von einem Fluch TutenchAmuns sind verleumderische Erfindungen.«
F wie Föhn Die Münchner reklamieren ihn seit jeher als ihr Eigentum: Den Föhn. Dieser trockene und warme Fallwind komme von den Alpen herunter auf die bayerische Landeshauptstadt und sei ansonsten nirgendwo auf der Welt in dieser Intensität anzutreffen. Tja - schade für die Münchner, dass sich diese kühne Behauptung so einfach widerlegen lässt. Der Föhn kommt auf der Leeseite so ziemlich aller hohen Gebirge vor und wird in anderen Regionen lediglich anders genannt. Vor den Ausläufern der Rocky Mountains heißt er beispielsweise Chinook. Der meteorologische Vorgang jedoch ist überall gleich: Kühle, feuchte Luft zieht über einen Bergkamm, entlässt dabei ergiebige Niederschläge und »klettert« anschließend auf der -78-
Leeseite des Gebirges nach unten. Die nunmehr trockene Luft erwärmt sich dabei auf 100 Meter Höhenunterschied um etwa ein Grad Celsius. Innerhalb weniger Stunden kann der Temperaturanstieg in dem betreffenden Gebiet, in das der Föhn »einfällt«, bis zu 20 Grad Celsius betragen. Damit kommt es dann auch zu Schwankungen der Luftelektrizität und dies wiederum kann bei sensibleren Menschen Kopfschmerzen und Leistungsprobleme aller Art hervorrufen.
F wie Frankenstein Nachdem wir uns bereits ausführlich mit Dracula beschäftigt haben (siehe Stichwort »Dracula«), können wir natürlich auch Frankenstein nicht vernachlässigen. Den Fans dieses Schauermärchens sei allerdings gleich gesagt, dass Frankenstein - im Gegensatz zu Dracula kein »echtes« Vorbild hatte. Die Schriftstellerin Mary Shelley verdankte alle Figuren ihres Romans ausschließlich ihrer schöpferischen Phantasie. Wenn Kinder sich heutzutage im Karneval als »Frankenstein« verkleiden, tun sie dies leider meis t in Unkenntnis der literarischen Vorlage. Bei Shelley hieß nämlich nicht etwa das gruselige, aus Leichenteilen zusammengestückelte Monster »Frankenstein«, sondern sein Erschaffer. Dieser ist laut Buch ein junger, adliger, ehrgeiziger Student an der Ingols tädter Universität, der mit dem »Bau« des künstlichen Menschen beweisen will, dass Leben nicht ausschließlich von der natürlichen Geburt abhängt. Leider entgleiten die Dinge schließlich seiner Kontrolle (das dürfen Sie aber selbst nachlesen), doch fest steht, dass Baron von Frankenstein dem »Monster« keinesfalls seinen Namen verliehen hat.
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F wie Freie Hansestadt Hamburg Die Hamburger werden es nicht gerne hören, doch die Bezeichnung »Freie Hansestadt Hamburg« basiert auf einem grandiosen Schwindel. Die heut ige Strafgerichtsbarkeit würde wohl den Tatbestand der »Urkundenfälschung im besonders schweren Fall« zugrunde legen. Noch heute feiern die Hamburger am 7. Mai alljährlich ihren Hafengeburtstag und ebenso regelmäßig verbreitet die Pressestelle der Stadt die folgende Historie: Im Jahr 1189 soll Kaiser Friedrich Barbarossa dem Grafen Adolf von Schauenburg erlaubt haben, an Elbe und Alster einen Hafen anzulegen. Mit der entsprechenden Urkunde seien auch zahlreiche Privilegien verbunden gewesen - so zum Beispie l der zollfreie Warentransport auf der Unterelbe. Doch ausgerechnet ein Einheimischer wies zweifelsfrei nach, dass das Dokument, das Hamburg zu Deutschlands »Tor zur Welt« erklärte, keinesfalls vom Kaiser oder seinen Schreibern stammte, sondern im Hamburger Rathaus gefälscht worden war. Anhand von Siegel, Pergamentart, Schrift, Stil und den angegebenen Zeugennamen konnte Heinrich Reincke im Jahre 1907 unzweifelhaft belegen, dass die Hamburger sich ihren »Freien Hafen« einfach erschwindelt hatten. Und zwar erst um 1266, denn das war das Jahr, in dem sie sich zum ersten Mal auf das angeblich kaiserliche Dokument beriefen. Hintergrund war ein erbitterter Handelsstreit mit den Städten Stade und Bremen, die für die Schiffe nach und von Hamburg hohe Zölle einforderten. Den Hamburger Hafen hatte es nämlich schon lange vor Erstellung der ominösen Urkunde gegeben, und er war demzufolge auch schon seit geraumer Zeit ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im Leben der Küstenbewohner. Erst als die Hamburger vor dem Bremer Erzbischof mit besagter Urkunde auftraten und sich auf ihre vorgeblichen Privilegien beriefen, mussten Stade und Bremen wohl oder übel ihre Zollschranken -80-
öffnen. Die Folgen sind bekannt: Der Hamburger Hafen wurde zum größten Warenumschlagplatz Europas, die Stadt blühte auf und nannte sich schon sehr bald »Freie Stadt«. Und weil das mit der ersten Fälschung so gut geklappt hatte, wiederholten die cleveren Hamburger Ratsherren ihren Coup 400 Jahre später. Anhand eines ganzen Pakets von gefälschten Unterlagen und Urkunden wiesen die Hanseaten dem Reichskammergericht nach, dass sie schon seit den Zeiten Karls des Großen eine Freie Reichsstadt gewesen waren - eine Behauptung, die aus heutiger Sicht abenteuerlich anmuten muss. Denn als Karl der Große seine Regierungsgeschäfte tätigte, war Hamburg noch nicht viel mehr als eine mittelgroße Ansiedlung in morastigem Gelände. Von einer Stadt, einer Reichsstadt oder gar einer »Freien Reichsstadt« konnte nicht die Rede sein. Doch die Historiker waren offenbar dünn gesät, so dass das Reichskammergericht nach langwierigen Verhandlungen die »Hamburger Kröte« schließlich schluckte und die Stadt im Jahr 1768 offiziell zur »Freien Reichsstadt« erhob - ein Titel, der wenig später in »Freie und Hansestadt Hamburg« umgewandelt wurde. Der Historiker Reincke übrigens wurde mit seinen Erkenntnissen nicht glücklich. Der Hamburger Senat des Jahres 1907 verbot ihm sogar, sie zu veröffentlichen eine Zuwiderhandlung wäre mit Kerkerhaft bestraft worden. Bevor Sie jetzt aber, lieber Leser, verächt lich den Kopf schütteln und von betrügerischem Etikettenschwindel sprechen, möchten wir Ihnen eines zu bedenken geben: Die Hamburger vertraten lediglich die legitimen Interessen ihrer Stadt und Urkundenfälschungen gehörten im Mittelalter durchaus zu den normalen Gepflogenheiten, um sich durchzusetzen. Auch die Staufer und Habsburger »erschwindelten« sich auf diese Art so manchen Titel und so manches Erbe.
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F wie Fremdenlegion So mancher Ganove spekuliert tatsächlich heute noch darauf, im völlig ausweglosen Fall sein Glück bei der Fremdenlegion versuchen zu können. Doch diese französische Kompanie, die auf die Kolonialzeit zurückgeht, akzeptiert schon lange keine Kriminellen mehr in ihren Reihen. Früher wurden in die Legion, die in der algerischen Wüste ihr Hauptquartier hatte, ausschließlich ausländische Legionäre aufgenommen, wobei sicherlich auch der eine oder andere gesuchte Gesetzesbrecher Unterschlupf fand. Noch zu Zeiten des Indochina-Kriegs in der Mitte des 20. Jahrhunderts zählte die Legion rund 40000 Mann, die einzig für französische Interessen außerhalb der Grenzen des Mutterlandes kämpfen durften. Mittlerweile versehen höchstes noch 8000-10000 Männer ihren Dienst in der Legion, die auch zur eventuellen Verteidigung Frankreichs eingesetzt werden könnten. Zwar werden nach wie vor Ausländer aufgenommen, doch erst nach Rücksprache mit den Strafverfolgungsbehörden der jeweiligen Heimatländer. Gesuchte Verbrecher oder Drogenabhängige werden von vorneherein ausgeschlossen.
F wie Friedhof Die Bezeichnung Friedhof hat eigentlich nichts mit dem »Frieden« der dort Begrabenen zu tun. Das Wort stammt vom althochdeutschen »frithof«, mit dem sowohl ein Vorplatz als auch der Vorraum einer Kirche bezeichnet wurden. Dieser ummauerte, geschützte Platz vor der Kirche diente häufig als Begräbnisstätte.
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F wie Frostbeulen »Mensch, ist das kalt heute. Ich krieg' noch Frostbeulen«. Solchen Sätzen fehlt eigentlich der kausale Zusammenhang. Denn die sogenannten Frostbeulen haben mit arktischer Kälte direkt nichts zu tun, sondern sind lediglich das Resultat von Gefäß- und Kreislaufstörungen der Haut. Zu diesen kommt es, wenn die Empfindlichkeit der betreffenden Hautpartien krankhaft gesteigert ist und sie damit anfällig gegen Nässe und Kälte werden. Frostbeulen können also durchaus von Kälte hervorgerufen werden - ein Resultat der Temperatur sind sie jedoch nicht.
F wie Fußball Fußball - Hobby, Leidenschaft, Religion. Zumindest in Europa und Südamerika ist dieses Ballspiel in Sachen Popularität ganz weit oben angesiedelt und vor allem dem sogenannten »kleinen Mann« oftmals eine Herzensangelegenheit. Nicht zuletzt deshalb wird gern und oft behauptet, Fußball sei von der Arbeiterklasse ersonnen und verbreitet worden - das Gegenteil jedoch ist richtig. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren es vor allem junge englische Akademiker, die in langarmigen Hemden und wadenlangen Hosen gegen den Lederball traten. Auch als das Spiel auf den Kontinent kam, gaben zunächst Studenten, Juristen und junge Offiziere den Ton auf den Bolzplätzen an. Der traditionelle Arbeitersport in diesen Jahren war das Turnen. Auch und vor allem die Burschenschaften und schlagenden Verbindungen der Hochschulen entdeckten den Fußball als elitäres Hobby und gaben den ersten Clubs auch die patriotisch anmutenden Namen: »Borussia«, »Alemannia« oder »Westfalia« hießen die Vereine damals. -83-
Erst in den 30er Jahren wurden immer mehr einfache Arbeiter in den Spielgemeinschaften geduldet nicht zuletzt dank der Erfolge der Ruhrpotthelden von Schalke 04. Dieser Club aus Gelsenkirchen, benannt nach einem Zechenstadtteil, galt als Symbol für die sportliche Schlagkraft der Bergwerkkumpel, und Schalke ist es auch, das heute zu Recht den Anspruch erheben kann, den Fußball zu den »kleinen Leuten« gebracht zu haben.
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7. Von Galgen bis Gutenberg
G wie Galgen Ein schwarz gekleideter, hagerer Mann steht auf einem Podest. Um ihn herum eine gaffende und zuweilen johlende Menschenmenge in Erwartung des schaurigen Schauspiels, das gleich geboten werden soll. Der schwarze Mann ist der Henker und der andere, der jetzt von zwei grobschlächtigen Schergen auf die Plattform geführt wird, ist sein Opfer. Sie haben diese Szenerie vermutlich schon im einen oder anderen Film miterlebt - im wirklichen Leben ist der »Tod durch den Strang« glücklicherweise nicht mehr üblich. Doch nach wie vor ist das »Hängen« die berühmteste (und berüchtigtste) HinrichtungsMethode und nach wie vor sind auch die meisten Menschen der Meinung, der Delinquent sterbe am Galgen den langsamen, qualvollen Erstickungstod. Dem ist jedoch nic ht so. Zwar bleibt das Resultat das gleiche, doch am »Henkersbaum« starben die Verurteilten zumeist innerhalb weniger Sekunden (manchmal nur Bruchteile von Sekunden), nachdem die Klappe zu ihren Füßen sich unter ihnen geöffnet hatte. Ohne dies jetzt weiter vertiefen zu wollen (vielleicht sind Sie ja gerade beim Essen oder gehören zu den höchst sensiblen Gemütern), dürfen wir Ihnen sagen, dass der Tod zumeist durch Genickbruch bei gleichzeitiger Zerstörung des Atemzentrums eintrat. Allerdings konnte es auch vorkommen, dass die Schlinge unsachgemäß angesetzt wurde, dies konnte dann durchaus bedeuten, dass das Genick zunächst intakt blieb und die Atemwege und Halsschlagadern zusammengepresst und somit undurchlässig wurden. In diesen Fällen kam es dann zum minutenlangen Zappeln der Opfer, denen sowohl die Blutzufuhr zum Großhirn -85-
abgeschnitten wurde als auch die Luft langsam ausging. Sie erstickten qualvoll.
G wie Galileo Galilei Vor allem Agnostiker und Atheisten führen immer wieder gerne den italienischen Astronomen und Physiker Galileo Galilei an, wenn es darum geht, die Intoleranz und Engstirnigkeit der Kirche zu beweisen. Der Gelehrte aus der Toskana (1564-1642), der vermeintlich auch den unsterblichen Satz »Und sie bewegt sich doch« geprägt haben soll (hat er nie gesagt. Wurde von einem Historiker des 17. Jahrhunderts erdichtet), vertrat Zeit seines Lebens das Weltbild des Kopernikus. Das heißt, Galileo ging von einer sich bewegenden Erde aus und spätestens als er durch sein mächtiges Teleskop die Monde des Jupiter entdeckt hatte, warf er das bis dahin gültige Weltbild von der Erde als Mittelpunkt des Universums über Bord. Für die damals allmächtige Kirche wäre das Grund genug gewesen, den unbequemen Professor schon jetzt zu verurteilen, doch lange Jahre gescha h nichts dergleichen. Im Gegenteil: Der Vatikan zeigte sich durchaus interessiert an Galileis Theorien, der Papst empfing ihn zur Audienz und vom Orden der Jesuiten wurde er für seine wissenschaftlichen Verdienste sogar geehrt. Erst als er, der immer wieder auf Neid, Anfeindungen und Unverständnis seiner weniger berühmten Kollegen stieß, das ptolemäische Weltbild endgültig als »grundfalsch« bezeichnete und seine eigenen Theorien die einzig richtigen nannte, wurde man in Rom ein wenig ungehalten. Die Kirche sah ihren Monopolanspruch attackiert und da dies auch noch in aller Öffentlichkeit geschah, zitierte man den Mann aus der Toskana zum Rapport. Allzu streng war man aber immer noch nicht, denn Galileo durfte aufgrund einer angeblichen Krankheit die Reise mehrmals verschieben. Als er -86-
1633 dann endlich in Rom eintraf, bewohnte er recht komfortable Räumlichkeiten und der Vatikan stellte ihm sogar einen Dienstboten zur Verfügung. Unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit kam es dann zum Inquisitionsverfahren, in dem sich die Richter ebenfalls unerwartet nachsichtig zeigten. Sie veranlassten ihn zwar durch »sanften Druck«, seinen Lehren abzuschwören, doch das Urteil lautete schließlich lediglich auf Ungehorsam. Sieben Bußpsalmen sollte er in den anschließenden drei Jahren jede Woche beten und eine mehrmonatige Kerkerstrafe verbüßen. Diese jedoch musste Galileo aufgrund seiner angegriffenen Gesundheit nicht einmal antreten - die Kirche erlaubte ihm, seinen Lebensabend auf dem luxuriösen Anwesen des Erzherzogs der Toskana zu verbringen. Dort stand er zwar unter Aufsicht, aber nur, was seine Äußerungen in der Öffentlichkeit betraf, seine Forschungen durfte er weiterhin betreiben. Vom Vatikan erhielt er bis zu seinem Tod sogar eine großzügige Rente, so dass offensic htlich die Mär vom verarmten und verbitterten Folteropfer in späteren Jahren von seinen Jüngern erfunden wurde.
G wie Gehirn Masse ist nicht gleich Klasse - dass dieser simple Merksatz auch für das Gehirn zutrifft, dürfte die meisten Leser überraschen. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung muss nämlich das Hirn eines großen Denkers keinesfalls größer oder schwerer ausfallen als das »Oberstübchen« eines anerkannten Trottels. So wog das Gehirn, das man dem Schädel des berühmten französischen Schriftstellers, Essayisten und Humanisten Anatole France (1844-1924) nach seinem Ableben entnahm, gerade mal 1160 Gramm - nicht viel, wenn man bedenkt, dass der Durchschnitt eines Männerhirns bei 1375 Gramm liegt. Sein russischer Kollege Iwan Turgenjew hätte -87-
dagegen mit 2012 Gramm »prahlen« können und auch Friedrich Schiller brachte es immerhin auf 1530 Gramm. War France also dümmer? Ach was - nicht die Schwere macht's, sondern die Anzahl der kleinen grauen Zellen in der Gehirnrinde, und da war Anatole France sicherlich ganz weit vorn dabei.
G wie Gehör Hochmusikalische Menschen verfügen zumeist über das sogenannte »absolute Gehör«. Falsche Töne filtern sie mit verblüffender Sicherheit aus der gewaltigen Klangfülle eines Orchesters heraus und eine nicht ganz korrekt gestimmte Violine mag ihnen Höllenqualen bescheren. So weit, so gut, doch der daraus abzuleitende Umkehrschluss ist leider falsch: Ein absolutes Gehör kann nämlich nicht ohne weiteres als Beweis für Musikalität herangezogen werden. Die Begabung eines Menschen lässt sich nicht daran festmachen, ob er einen Ton in seiner tatsächlichen Höhe bestimmen kann, ohne ihn mit einem anderen Ton vergleichen zu müssen. Das ist zwar schon ganz nett, doch ob er deswegen mit dem Gehörten auch ein Klangbild verbindet oder musikalisches Verständnis aufbringt, ist damit nicht gesagt. Ein gutes Gehör lässt sich durch Übung zu einem »absoluten« verbessern - Talent allerdings kann man sich durch Üben nicht erwerben.
G wie Geschwindigkeit Mit den physikalischen Erkenntnissen des 20. Jahrhunderts hat sich die menschliche Sprache auch beim Thema »Geschwindigkeit« um zwei Varianten erweitert: Die Schallund die Lichtgeschwindigkeit. Doch wie so häufig, werden auch -88-
hier wissenschaftliche Arbeitsgrundlagen als »Allgemeinplätze« missbraucht und fehlgedeutet. So ist zum Beispiel die »Schallgeschwindigkeit« keine Konstante. Mit ihr lässt sich nicht exakt messen, wie schnell beispielsweise ein Flugzeug unterwegs ist. Warum? Nun, bei einer Temperatur von exakt 0 Grad Celsius legt der Schall in eine r Sekunde 331 Meter zurück. Bei etwa 15 Grad sind es schon 341 Meter. So beginnt ein »Überschallflug« in der arktischen Kälte von rund -30 Grad bereits bei etwa 1070 km/h und bei 20 Grad plus erst bei etwa 1240 km/h. Ähnlich unbestimmt verhält es sich auch mit der Lichtgeschwindigkeit: Diese beträgt im luftleeren Raum, dem sogenannten Vakuum, tatsächlich die vielzitierten 300 000 km/h. Doch die Phasengeschwindigkeit des Lichts hängt direkt mit dem sogenannten »Brechungsindex« des jeweiligen Mediums zusammen. Im Klartext: Im Wasser ist das Licht rund 70000 km/h langsamer und auch in der normalen Atmosphäre ist die Geschwindigkeit des Lichts deutlich niedriger als im luftleeren Raum.
G wie Gewitter »Nur ein Wunder rettet diejenigen, die in einem Gewitter vom Blitz getroffen werden - in der Regel stirbt man sofort.« Diese Behauptung klingt einleuchtend, wenn man die enormen Kräfte und Spannungen berücksichtigt, die sich in einem Blitzschlag entladen ist aber (Gottseidank) nicht richtig. Der Mensch nämlich erweist sich als wesentlich zäher als vermutet: Tatsächlich sterben nur etwa 40 Prozent der Blitzschlagopfer.
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G wie Giftgas Nach der Genfer Konvention geächtet, gilt »Giftgas« heute als eine der schrecklichsten Erfindungen der Neuzeit. Bei »schrecklich« können wir zustimmen, doch das mit der »Neuzeit« ist nachweislich falsch. Schon um 400 n. Chr. verwendeten die Truppen des chinesischen Kaiserreichs Senfgas, um ihre Gegner zu betäuben. Die übelriechende Wolke wurde mit großen Gebläsekonstruktionen in Richtung des Feindes getrieben, und wer zuviel davon einatmete, konnte auch daran sterben.
G wie Glück Auf Dieser angeblich traditionelle Bergmannsgruß wurde nicht von den »Kumpeln« erfunden. Schon im 15. Jahrhundert war in Franken die Wendung »Glück Zu« ein beliebter Gruß, die Nürnberger ersetzten um 1600 erstmals das »zu« durch »auf«. Um 1675 kam der Gruß dann zu den Grubenarbeitern des Erzgebirges, die sich damit von den städtischen Zünften absetzen wollten. Die pflegten nämlich noch das althergebrachte »Glück zu« zu verwenden.
G wie Göttliche Komödie Dante Alighieri, zumeist einfach »Dante« genannt, gilt noch heute als größter Dichter Italiens. Außer seiner Brillanz zeichnete sich Dante auch durch vorbildliche Bescheidenheit aus und er selbst wäre wohl nie auf die Idee gekommen, sein größtes Werk als »Göttliche Komödie« zu bezeichnen. Er selbst betitelte sie nämlich schlicht als »La Commedia« und erst 200 Jahre nach seinem Tod ließen geschäftstüchtige Buchdrucker um 1550 das -90-
Wörtchen »göttlich« hinzufügen.
G wie Gold Jahrhunderte lang versuchten Alchimisten aller Herren Länder, aus Blei oder Eisen Gold zu machen. Offensichtlich ist es allerdings keinem gelungen, denn sonst wäre dies der Historie wohl kaum verborgen geblieben. Möglich ist es mittlerweile jedoch, denn mittels künstlich erzeugter Radioaktivität ließen sich die Elemente im gewünschten Sinne umformen. Aus Blei würde dann Gold, doch das Verfahren ist zum einen sehr langwierig und zum anderen derart kostspielig, dass der mögliche Verkaufserlös des gewonnenen Goldes dagegen höchst bescheiden ausfiele.
G wie Golfstrom Ein echter Klassiker des Geographieunterrichts ist die Behauptung, der Golfstrom sei die Warmwasserheizung Europas. Diese Meeresströmung, die im Golf von Mexiko ihren Anfang nimmt, fließt entlang der amerikanischen Ostküste nordwärts und trifft schließlich auf den eiskalten Labradorstrom. Doch dass der Golfstrom tatsächlich den Atlantik überquert und unter anderem die Südküste Irlands erwärmt und die skandinavischen Häfen eisfrei hält, konnte bis he ute nicht bewiesen werden. Zwar gibt es tatsächlich eine warme Meeresströmung innerhalb der genannten Nordseeregionen, doch woher diese stammt, konnte bis zur Drucklegung dieses Buches nicht ermittelt werden. Der Golfstrom jedenfalls ist es nicht - dieser verliert sich in den Weiten des Nordatlantik.
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G wie Guillotine Fast selbstverständlich verbindet man die französische Revolution mit der Guillotine. Doch dieses höchst effiziente Instrument, mit dessen Hilfe so manch adliger Kopf vom Rumpf getrennt wurde, ist nicht den Franzosen und schon gar nicht ihren Revolutionären zuzuschreiben. Und auch der Pariser Arzt Dr. Guillotin dürfte nicht eben erbaut darüber gewesen sein, dass seine Landsleute der »Köpfmaschine« ausgerechnet seinen Namen verliehen - hatte er doch eher humane Anliegen vertreten. Er hatte in der Nationalversammlung am 10. Oktober 1789, drei Monate nach Beginn der Revolution, gefordert, eine etwas menschenwürdigere Form der Todesstrafe zu finden, bei der die Opfer nicht unnötig zu leiden hätten. Die Versammlung griff den Vorschlag auf und konstruiert wurde die Maschine schließlich von einem Chirurgen des Pariser Krankenhauses, der sie im Jahr 1792 der Öffentlichkeit vorstellte. Nach ihm, Dr. Antoine Louis, wurde das Gerät zunächst auch benannt: »Petit Louison«. Wann der Begriff »Guillotine« schließlich in den allgemeinen Sprachgebrauch überging, ist nicht bekannt. Dr. Louis hat sich vermutlich an bereits bestehenden »Vorbildern« aus England und Deutschland orientiert. In England hatte man zum Köpfen der Verurteilten schon knapp 100 Jahre zuvor eine primitivere Form des Instruments verwendet, und diese, wie auch ihre deutsche »Schwester«, schienen ihren Zweck ebenfalls »ausgezeichnet« zu erfüllen. Dass die »Guillotine« schließlich so bekannt wurde, lag wahrscheinlich an der Häufigkeit ihrer Benutzung: Ohne unnötigen »Stress« oder gar »Materialermüdung« konnte ein einziger Henker mit ihr stündlich Dutzende von Opfern vom Leben zum Tode befördern.
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G wie Gutenberg Gutenberg, geboren 1400 in Mainz, war nicht der Erfinder des Buchdrucks. Zwar wird dies nach wie vor behauptet und lässt sich auch in vielen Geschichtsbüchern nachlesen, doch der als Johannes Gensfleisch geborene Mainzer war »lediglich« der Erfinder der »beweglichen Lettern«. Er produzierte einze lne Druckbuchstaben, die - je nach Bedarf - zu Worten und Zeilen zusammengesetzt werden konnten. Nach Beendigung des Druckauftrags konnte man diese Lettern für weitere Zwecke wieder verwenden. Einzelne Druckversuche und erste Ansätze zum Buchstabendruck jedoch hatte es schon lange vor Gutenberg gegeben. Sein Verdienst bestand in erster Linie darin, diese Ideen gebündelt und in ein sinnreiches System eingebunden zu haben. So entwickelte er unter anderem auch eine Gießerei für die Lettern, eine brauch- und haltbare Druckfarbe sowie eine geeignete Druckerpresse. Mit der weltberühmten GutenbergBibel, dem ersten vielseitigen Druckerzeugnis der Menschheitsgeschichte, überzeugte er auch seine Zeitgenossen von der neuen Technik und starb 1468 als berühmter, geachteter und reicher Mann.
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8. Von Haare bis Hund
H wie Haare Samson wusste schon, was er an seiner Haarpracht hatte: Ohne sie war er kraftlos. Und wenn wir uns heute nicht mehr ganz schlüssig sind, was die Bibel uns damit lehren wollte, können wir doch mit Fug und Recht behaupten, dass auch der moderne Mensch an seinen Haaren »hängt«. Fast logisch also, dass sich um des Kopfes Zier so manche Legende »rankt« und so manche Behauptung an einem ganz langen, dünnen Haar herbeigezogen wird. Beispiele gefällig? Bitteschön. So manche Mutter einer pubertierenden Tochter seufzt angesichts der unzähligen Stunden, die ihr erblühender Nachwuchs im Badezimmer zubringt: »Kind - wasch dir doch nicht so oft die Haare. Davon fallen sie aus«. In Zukunft kann das Töchterchen auf die folgenden Zeilen verweisen: »Falsch, Mutti. Der Mensch verliert pro Tag ohnehin rund 70 Haare (mal zehn mehr, mal zehn weniger) - ganz unabhängig davon, wie oft er sie wäscht.« Viele von denjenigen, die schon ein bisschen zuviel Haare verloren haben, gehe n besonders häufig zum Friseur. Unter der Schädeldecke mit dem lichten Haar tragen sie nämlich die Hoffnung, dass durch häufiges Schneiden das Haarwachstum gefördert wird. Leider, leider - dem ist nicht so. Zwar wachsen kürzere Haare in der Tat schneller als lange Mähnen, doch die Zahl wird dadurch nicht größer. Kahle Stellen bleiben kahl und bis zum heutigen Tag ist auch noch kein Mittelchen gefunden worden, das dagegen etwas ausrichten könnte. Eine besonders schaurige Geschichte rund ums Haupthaar wird ebenfalls gern und oft kolportiert. So wird behauptet, das Haar von Verstorbenen wachse noch eine ganze Weile weiter. -94-
Welcher Leichenbestatter diese Fabel auch in Umlauf gesetzt hat - er hat entweder ein Schlückchen zuviel getrunken oder wollte seine Zuhörer ein bisschen schockieren. Tatsache ist, dass Haar und Nägel über den Blutkreislauf mit Nährstoffen versorgt werden. Wenn also das Herz stillsteht und kein »Nachschub« mehr geliefert wird, hört auch das Haarwachstum auf. Lediglich Bärte können noch etwas länger werden, doch selbst das ist eine optische Täuschung: Wenn die Gesichtshaut austrocknet und einschrumpft, kann das einzelne Barthaar schließlich bis zur Wurzel »gesichtet« werden und mag dem Betrachter damit länger vorkommen.
H wie Hängematte Völlig logisch - das Wort »Hängematte« setzt sich aus »hängen« und »Matte« zusammen. Völlig logisch… aber leider falsch. Tatsächlich leitet sich der Name der gemütlichen Schlummerschaukel vom indianischen »hamaca« her. Die Maya transportierten darin hohe Würdenträger, und von Mittelamerika aus fand die Hängematte über Spanien und Portugal auch den Weg nach Deutschland. Ausgesprochen wurde der indianische Begriff unterschiedlich - die Briten sollen aus »hamaca« seinerzeit »hangmatta« gemacht haben: Bis zur deutschen »Hängematte« war es von da aus nur noch ein kurzer Weg.
H wie Haie Spätestens seit Hollywood den »Weißen Hai« auf die erschreckten Kinobesucher losließ, haftet dem »Tiger der Meere« der Ruf des erbarmungslosen Menschenkillers an. Doch damit tut man den me isten Haien Unrecht, denn nur ein knappes Dutzend der über 350 verschiedenen Arten trauen sich -95-
überhaupt an den Menschen ran. Zugegeben - das ist noch keine wirkliche Beruhigung, und wenn Sie im Küstengewässer einem Hai begegnen, sollten Sie nicht unbedingt Zeit damit verschwenden, seine Art festzustellen. Doch fest steht, dass Haie normalerweise nur dann attackieren, wenn sie provoziert werden oder wenn gar nichts anderes zu fressen da ist als der einsame Surfer. Eine Ausnahme ist allerdings der weiße Hai (Hollywood hatte also doch Recht). Dieser größte und gefährlichste seiner Art greift mitunter auch grundlos an - ihm verdanken seine Artgenossen ihren schlechten Ruf. Insgesamt sollen seit 1911 (frühere Aufzeichnungen stehen nicht zur Verfügung) bis heute 29 Menschen weltweit von weißen Haien getötet worden sein. Da auch andere Haie (Tigerhai oder Blauhai) schon Menschen als zweites Frühstück goutiert haben, beläuft sich die Zahl der Todesopfer durch Haiangriffe auf rund 60.
H wie Hamburger Als das möglicherweise amerikanischste aller Gerichte hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte der »Hamburger« etabliert. Folgerichtig sind auch die meisten Amerikaner der Überzeugung, das Wort leite sich von »ham« (Schinken) ab - so wie der »Cheeseburger« seinen Namen eben vom darauf drapierten Käse erhielt. Doch in Wahrheit stammt der Name »hamburger« tatsächlich von der deutschen Großstadt Hamburg und kann auf eine stolze Tradition zurückblicken. Das »Hackfleischscheibchen« nämlich wurde von den Hanseaten bereits im 14. Jahrhundert als schnelle Zwischenmahlzeit entdeckt und gelangte dann etwa 400 Jahre später mit deutschen Einwanderern nach New York. Dort hatte ein aus Pinneberg stammender Koch namens Georg Knecht die Idee, seinen Gästen einen schnellen Mittagstisch zu servieren, den sie im Falle einer überfüllten Gaststätte oder wenn sie in großer Eile -96-
waren, auch ohne Teller und Besteck genießen konnten. Also klemmte er das Hackfleisch einfach zwischen zwei Brotscheiben. 1904 wurde diese Kreation dann der »kulinarische Schlager« auf der Weltausstellung von St. Louis, wo man mittlerweile noch auf die Idee gekommen war, das Hackfleisch mit Soße und Zwiebeln zu versehen. Diese Köstlichkeit hieß zu dieser Zeit noch einfach »Hamburg« - das »er« wurde im Laufe der Jahre angehängt.
H wie Haschisch Der Erwerb von Haschisch, der Handel mit Haschisch und der Anbau von Haschisch sind verboten. Nicht aber der Besitz von Haschisch, doch dieser wird fast unmöglich, wenn man es weder kaufen noch anbauen darf. Ein Grund für diese rigide Haltung der Justiz ist die Meinung, Haschisch sei eine süchtigmachende Substanz und damit gefährlich. Egal ob die Konferenz der Innenminister nun entsetzt aufstöhnt - Haschisch macht nicht automatisch süchtig und ist wesentlich ungefährlicher als beispielsweise Alkohol oder Nikotin. Nicht dass Sie diese Zeilen missverstehen: Wir wollen keinesfalls zum Haschisch-Konsum anregen. Doch der Blütenextrakt der Hanfpflanze, die vor allem in Kleinasien angebaut und geerntet wird, kann in Maßen sogar gesundheitsfördernde Wirkung haben. Dies lässt sich von Alkohol und Nikotin nicht behaupten und noch viel weniger von den »harten« und wirklich süchtigmachenden Drogen wie Kokain, LSD oder Heroin. Es gilt jedoch für den Gebrauch von Haschisch auch, dass es den Konsumenten mehr oder weniger in einen Rauschzustand versetzt, so dass er alltägliche Verrichtungen wie beispielsweise Autofahren tunlichst unterlassen sollte. Das Wahrnehmungsvermögen und die Reaktionsfähigkeit werden durch Haschisch-Genuss erheblich eingeschränkt. -97-
H wie Hattrick Gerd Müller, der »kleine dicke Bomber der Nation«, feierte im Laufe seiner Karriere ein halbes Dutzend »Hattricks« und setzte sich nicht zuletzt dadurch ein Denkmal für die Ewigkeit. Einen »Hattrick« schafft ein Fußballer dann, wenn er binnen einer einzigen Halbzeit dreimal ins gegnerische Tor trifft, ohne dass ein anderer Spieler zwischendurch erfolgreich war oder die andere Mannschaft getroffen hat. Doch die meisten Fußballreporter, die einen Hattrick voller Leidenschaft kommentieren, ahnen nicht, dass der Ausdruck gar nicht aus der Fußballterminologie stammt. Tatsächlich entspringt er dem urbritischen »Kricket«, bei dem es unter anderem darum geht, mit einem Ballwurf das sogenannte »Wicket« zu treffen. Schaffte ein Werfer dies dreimal hintereinander, so wurde ihm anschließend ein spezieller »hat« (engl. für Hut) verliehen und aus den Worten »hat« und »Wicket« entstand der »Hattrick«.
H wie Hauptmann von Köpenick Ob Heinz Rühmann oder Harald Juhnke ihn verkörperten immer spielten sie Wilhelm Voigt alias »Der Hauptmann von Köpenick« als ewigen Verlierer, dem am Ende weder Mutterwitz noch Einfallsreichtum aus der Patsche helfen können. Doch ganz so ein armes Würstchen war Voigt nicht. Im Gegensatz zu den meisten Verfilmungen und Bühnenversione n seines berühmten Bubenstückes hatte dieses nämlich durchaus ein Happyend. Zunächst mal eine kurze Inhaltsangabe für alle diejenigen, die mit Wilhelm Voigts berühmter Amtsanmaßung nicht ganz so vertraut sind. Am 16. Oktober 1906 machte sich Voigt die typisch deutsche Uniformhörigkeit zunutze, schmiss sich in einen altgedienten Offiziersfummel, gab sich gegenüber einigen -98-
vorbeikommenden Grenadieren als Hauptmann aus und besetzte das Rathaus von Köpenick. Zu diesem Zeitpunkt hatte der 54jährige bereits 28 Lebensjahre hinter schwedischen Gardinen verbracht, denn in den preußischen Polizeiakten war er als notorischer Kleinganove bekannt, der sich mit Einbrüchen, kleinen Betrügereien und Diebstählen über Wasser hielt. Sein berühmter Streich brachte ihn noch einmal 20 Monate hinter Gitter - eine relativ milde Strafe angesichts der Anklage, die auf Amtsanmaßung, Urkundenfälschung, Beleidigung, Betrug und Freiheitsberaubung lautete. Nach Verbüßung seiner Strafe war Voigt ein gefragter Mann: Zunächst tingelte er als »Ein-MannKabarett« über deutsche Jahrmärkte und erzählte seine Geschichte wohl an die tausend Mal, wobei er natürlich nicht zu erwähnen vergaß, dass der offensichtlich recht amüsierte Kaiser ihm einen Großteil der Gefängnisstrafe erlassen hatte. Nicht zuletzt dank des florierenden Verkaufs handsignierter Postkarten, die ihn in der Hauptmannsuniform zeigten, verdiente er mehr Geld als je zuvor in seinem Leben, kaufte sich in Luxemburg ein kleines Häuschen und lebte dort bis 1922 als durchaus zufriedener Rentner und wohlgelittener Nachbar.
H wie Hermann der Cherusker Siegfried, Roland und Hermann - was haben diese drei Herren gemeinsam? Nun, zum einen gelten sie alle als Verkörperung deutschen Heldentums und zum anderen ist bei allen dreien recht zweifelhaft, ob sie überhaupt gelebt haben. (Siehe auch Stichwort »Roland«.) In Hermanns Fall rührt die Skepsis daher, dass in den römischen Aufzeichnungen der Schlacht vom Teutoburger Wald ein gewisser »Arminius« als Anführer des Cherusker-Heeres genannt wird. Andere Aufzeichnungen über diese Schlacht im 9. Jahrhundert existieren nicht. Historiker halten es für höchst zweifelhaft, dass Arminius eine lateinische -99-
Version des Namens Hermann ist, sie verweisen vielmehr auf einen ehemaligen römischen Militärtribun namens Arminius, der eines Tages die Seiten wechselte, sich gegen Kaiser Tiberius stellte und den germanischen Widerstand gegen die vorrückenden Invasoren aus dem fernen Rom organisierte. Warum Arminius das tat, ist nicht überliefert. Wenn man davon ausgeht, dass dieser Arminius und der ominöse Germane Hermann ein und dieselbe Person waren, lässt sich bilanzieren, dass er in seinen Bemühungen sehr erfolgreich war. Schließlich gelang es ihm unweit des Teutoburger Waldes, dank ausgeklügelter Strategie, ein zahlenmäßig deutlich überlegenes Heer vernichtend zu schlagen. Die römische Geschichtsschreibung nennt sogar eine Zahl von 20000 Toten, die allerdings auch bezweifelt werden muss. Denn damit wäre die römische Besatzungsmacht im Norden Germaniens binnen weniger Stunden fast vollständig aufgerieben worden, kaum anzunehmen ist jedoch, dass ein Heerführer seine gesamten Einheiten in einer einzigen regionalen Auseinandersetzung konzentrierte.
H wie Herz Nur eine kleine Randnotiz zum folgenden Satz: »Ich bin so aufgeregt - ich kann spüren, dass mein Herz schneller schlägt«. Richtig müsste dieser Satz lauten: »Ich glaube subjektiv wahrzunehmen, dass sich meine Herzfrequenz erhöht hat«. Hat sie aber nicht, denn ein durch Aufregung erhöhter Blutdruck lässt das Herz nur kräftiger schlagen, nicht aber schneller. Wenn ihr Puls also nach oben geht, haben Sie sich gerade sportlich oder körperlich verausgabt, oder Sie haben Fieber: In diesen Fällen schlägt das Herz tatsächlich schneller.
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H wie Hexen Der englische Historiker Dr. Wolf Chapman sagte einmal: »Das einzig Helle am finsteren Mittelalter waren die Feuer der Hexenverbrennungen.« Was Chapman dabei allerdings nicht erwähnte, ist die Tatsache, dass Hexenverbrennungen in der von ihm angesprochenen Zeitspanne eigentlich kaum praktiziert wurden. Die sogenannten »dark ages« - finsteren Zeiten - waren nämlich die Epoche zwischen dem Untergang des weströmischen bis zu dem des oströmischen Reiches - also von etwa 500 bis 1000 n. Chr. Zwar konnte man auch in diesen Tagen auf dem lodernden Scheiterhaufen seine Seele aushauchen, doch waren die Anklagen zumeist wesentlich konkreter als diejenigen der absurden Hexenprozesse der Renaissance. In einer Zeit, in der Luther und Gutenberg in Deutschland wirkten und zahlreiche Humanisten das Licht der Aufklärung am »Ende des Tunnels« leuchten sahen, feierte der Aberglauben fröhliche und makabere Urständ. Größtenteils Frauen - aber auch etliche sogenannte »schwarze Magier« und Zauberer männlichen Geschlechts - wurden beschuldigt, die Nachbarskühe verhe xt zu haben, für schlechte Ernten und übles Wetter verantwortlich zu sein oder im stillen Kämmerlein Giftmischerei zu betreiben. In diesen Jahren der kollektiven Hexenhysterie (ca. 1480 bis 1630) waren keinesfalls nur dumpfe Dorftrottel und einfältiggrausame Provinzrichter für die sinnlosen Pogrome verantwortlich. Nein, auch die erwähnten Humanisten - Professoren, Mediziner, Philosophen, Politiker und Juristen - ließen sich vom Irrsinn anstecken oder benutzten ihn gezielt für ihre eigenen Intrigen und Ränke. Denn was könnte einen unliebsamen Rivalen schneller mundtot machen, als ihm Hexerei anzudichten? Wie bringt man einen Mann eher zum Schweigen, als seiner Frau als »Hexe« den Prozess zu machen? Unrühmlich taten sich auch zwei berühmte Theologen und Reformatoren hervor: Martin Luther und Johann Calvin. -101-
Luther bezeichnete die Hexenverfolgung in einer seiner Schriften als »leider notwendig Übel wider die Wucherung der schwarzen Kuenste« und Calvin forderte die Bürger seiner Genfer Heimat ultimativ auf, »die Zauberer und Hexenweiber mit Stumpf und Stiel« auszurotten. Dass er dabei auf möglichst grausamen Verhörmethoden und qualvollen Hinrichtungen bestand, sei hier nur als Fußnote der Geschichte erwähnt. Festzuhalten bleibt, dass das »echte« Mittelalter zwar den Tod durch den Scheiterhaufen »eingeführt« haben dürfte, doch die systematische Verfolgung angeblicher Hexen und die damit verbundenen grausamen und sinnlosen Exzesse ließen noch gut 400 Jahre auf sich warten.
H wie Hinkelsteine Ein Indiz dafür, dass Comic-Lesen auch bilden kann, sind die Abenteuer von »Asterix und Obelix«. Die beiden »unbeugsamen Gallier« des Autorenduos Uderzo/Goscinny haben zwar nicht wirklich gelebt und auch die Existenz des »Zaubertranks« muss ganz entschieden angezweifelt werden, doch zumindest das Lieblingsspielzeug des starken Obelix gab es tatsächlich: Den Hinkelstein. In der Normandie wurden mehrere sogenannte »Menhir-Felder« gefunden, auf denen Dutzende der bis zu 20 Meter hohen, von Menschenhand konkav geformten Steinriesen in langen Reihen stehen. Vermutlich handelt es sich bei diesen steinernen Alleen um Kult- und Begegnungsstätten einer uralten vorchristlichen Religion. Die deutsche Übersetzung des Wortes »menhir« kommt übrigens aus Rheinland-Pfalz. Dort wurde bei Monsheim ein derart behauener Menhir gefunden, der als Hinkelstein bezeichnet wurde. Der Name dürfte sich von »Hünenstein« ableiten - eine althochdeutsche Bezeichnung für die ebenfalls meist konkav geformten schweren Steine auf den sogenannten Hünengräbern der Wikinger. Wer allerdings aus -102-
dem »Hünen« einen »Hinkel« gemacht hat, ist nicht bekannt.
H wie Hippokrates Mediziner aller Länder berufen sich heute auf den »Eid des Hippokrates«, wenn es um ihr Berufsethos geht. Doch der griechische Arzt, der 377 v. Chr. das Zeitliche segnete, hat diesen Eid weder erfunden noch ihn der Nachwelt hinterlassen. Er wurde ihm erst etliche Jahrhunderte nach seinem Tod angedichtet, vermutlich um eine spätere medizinische Schrift durch den berühmten Namen und große Worte aufzuwerten. Fest steht, dass sich das sogenannte Genfer Ärztegelöbnis des Jahres 1948 auf diese dubiose Schrift beruft und dass dabei auch noch geschummelt wurde. Denn der unbekannte Hippokrates››Nachdichter« hatte neben der ersten Passage der Eidformel, die sich dem Wohl und der Gesundheit des Patienten verpflichtet gab, auch noch weitere Zeilen zu Papier gebracht: Darin hieß es unter anderem, dass jeder Arzt seine Kunst und sein Wissen nur an seine Söhne oder die Söhne seiner Lehrer weitergeben dürfe - offensichtlich in der Absicht, die Zahl der möglichen Konkurrenten auf dem medizinischen Sektor so gering wie möglich zu halten. Diese und andere Textzeilen wurden in Genf stillschweigend übergangen - wahrscheinlich war's auch besser so.
H wie Höhlenmenschen … haben höchstwahrscheinlich gar nicht in Höhlen gelebt. Die Bezeichnung »Höhlenmensch« beruht lediglich darauf, dass viele Relikte unserer Urahnen in Höhlen gefunden wurden. So wurde gefolgert, der Urmensch müsse dort auch sein ständiges Domizil gehabt haben. Wie Erkenntnisse des 20. Jahrhunderts -103-
allerdings beweisen, hielten sich die ersten Menschen vorzugsweise im Freien auf und zogen sich in die düsteren und wohl auch angsteinflößenden, dunklen Räumlichkeiten nur dann zurück, wenn sie sich vor Gefahren oder dem Wetter verstecken mussten. Dass dennoch so viele Zeugnisse ihres Daseins in Höhlen entdeckt wurden, liegt schlicht und ergreifend daran, dass sie dort wesentlich besser konserviert wurden.
H wie Holz Kennen Sie eigentlich den ehemaligen Werbespot für einen Schokoriegel? »Der ist so leicht, der schwimmt sogar in Milch«, hieß der Slogan, doch wäre es interessant zu wissen, ob sich die Autoren jemals Gedanken darüber gemacht haben, dass schließlich auch Holz oder ein Kuhfladen in Milch schwimmen können. Würden sie's deswegen essen? Allerdings ist die allgemeine Auffassung falsch, dass Holz immer auf Milch - oder auch auf Wasser - schwimmt. Holz kann nämlich nur dann an der Oberfläche schwimmen, wenn sein Eigengewicht kleiner ist als das Gewicht der von ihm verdrängten Flüssigkeit. So wiegt ein Kubikmeter Wasser bekanntlich tausend Kilogramm, doch ein Kubikmeter vom Stamm eines afrikanischen Eisenholzbaumes kann es durchaus auf 1500 Kilo bringen. Ergo geht das Holz unter - wie ein Stein.
H wie Holzblasinstrumente Ein diebisches Vergnügen bereitet es, scheinbar offensichtliche Tatsachen zu widerlegen. Dafür ein weiteres Beispiel: Holzblasinstrumente sind per Definition aus Holz! Falsch! Denn für die Klassifizierung des Instruments ist lediglich die Art der Klangerzeugung ausschlaggebend - nicht -104-
der überwiegende Teil der Bausubstanz. So wird beispielsweise das Rohrblatt eines Saxophons aus Holz geschnitzt, und damit zählt dieses Instrument auch schon zu den Holzblasinstrumenten.
H wie Hühner Zahlreiche Bauernregeln dichten Hühnern ganz erstaunliche Fähigkeiten an, von denen eine angeblich phänomenale Wetterfühligkeit zu den geläufigsten gehört. Ebenso wird seit Generationen behauptet, eine Henne gackere genau dann, wenn sie gerade ein Ei gelegt hat, um dieses freudige Ereignis der Umwelt kundzutun. Dies ist leider nicht ganz korrekt, denn eigentlich ist es dem Huhn ziemlich egal, ob die Kolleginnen das vollbrachte Werk zu würdigen wissen. Das Gackern ist lediglich ein Instinkt, den unsere geflügelten Freundinnen von ihren asiatischen Urahnen übernommen haben. Wenn nämlich ein Wildhuhn ein Ei zu legen hatte, suchte es sich ein ruhiges Plätzchen, und dies konnte zuweilen recht weit draußen in der Taiga sein. Da die Tiere von der Natur allerdings nicht eben mit einem guten Orientierungssinn ausgestattet wurden, gewöhnten sie sich an, nach getaner Arbeit möglichst laut zu gackern. Daraufhin gackerte oder krähte der weit entfernte Hahn ebenfalls eine Weile und anhand dieses akustischen Lotsendienstes fand die Henne zurück in heimatliche Gefilde. Wenn sie sich den Weg eingeprägt hatte, ging die junge Mutter wieder zum Ei zurück und tat ihre Pflicht: Sie brütete.
H wie Hund Angeblich ist der Hund der beste Freund des Menschen, und da verwundert es doch sehr, dass viele Hundehalter sic h so -105-
wenig Mühe geben, ihn besser kennenzulernen. Abgesehen von Kampfhundbesitzern, denen das Innenleben ihres Vierbeiners recht egal zu sein scheint, gibt es auch etliche Gerüchte und Halbwahrheiten zum Thema Hund, die dringend einer Korrektur bedürfen. So müssen wir beispielsweise dem Satz: »Also, der Hasso - der versteht jedes Wort«, energisch widersprechen, denn in diesem Fall wäre Hasso kein Hund, sondern ein Mensch. In aller Deutlichkeit: Der Hund versteht kein Wort von dem, was ihm gesagt wird. Weder in Deutsch, noch in Englisch, Japanisch oder Russisch. Kein Wort! Ehrlich! Allerdings verfügen Hunde über ein sehr starkes Empfindungsvermögen und über ein brauchbares Kurzzeitgedächtnis. Sie sind in der Lage, am Tonfall eines Menschen zu erkennen, welcher Stimmung er ist, und wenn sie ein bestimmtes Wort oft genug gehört haben, wissen sie auch, was sie daraufhin zu tun haben. Aber sie verstehen den Sinn oder den Inhalt dieses Wortes deswegen noch lange nicht. Sie können das gerne ausprobieren. Flüstern Sie Ihrem Hund doch mal mit zärtlicher Stimme folgende Worte zu: »Du blöder, blöder Köter. Du bist einfach der allerdümmste Hund, den ich kenne. Ich glaube, wir lassen dich bald einschläfern«. Wenn Sie den Tonfall treffen, in dem Sie Ihren kleinen Liebling normalerweise loben, wird er Ihnen auch diesmal ein Küsschen geben. Wenn er Sie allerdings entgegen den Aussagen dieser Zeilen wirklich verstehen sollte, dann bringen Sie sich in Sicherheit. Auch die Behauptung, Hunde und Katzen könnten einfach nicht miteinander auskommen, ist aus biologischer Sicht nicht haltbar. Dass sie sich in der Regel nicht besonders gut verstehen, hängt in erster Linie mit ihrer unterschiedlichen Körpersprache zusammen. Wenn ein Hund beispielsweise die Pfote hebt, bedeutet das häufig, dass er spielen will. Wenn eine Katze das gleiche tut, möchte sie tunlichst in Ruhe gelassen werden. Und dass Hunde so gerne Katzen jagen, hängt einfach damit zusammen, dass Katzen sehr schnell rennen und sehr vorsichtig -106-
sind. Einer davonlaufenden potentiellen Beute nachzurennen, ist ein Instinkt des Hundes - egal ob es sich nun um eine Katze, einen Fuchs oder einen Hasen handelt. Wenn man allerdings Hund und Katze von klein auf aneinander gewöhnt, kommen sie normalerweise prächtig miteinander aus. Streitsüchtige Exemplare beider Gattungen natürlich ausgenommen.
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9. Von Iglu bis Jungfrau von Orleans
I wie Iglu Unter einem Iglu stellt sich der Europäer in der Regel eine kuppelartige Behausung aus Schneequadern vor. »Iglu« bedeutet in der Sprache der Eskimos jedoch ganz einfach »Haus«, und von den etwa 35000 Eskimos, die heute in Grönland, Kanada und Teilen Alaskas leben, bevorzugen die meisten auch ganz normale Häuser. Nur sehr wenige Eskimo-Stämme leben in den eingangs beschriebenen Eishütten und auch nur dann, wenn sich absolut kein anderes Baumaterial finden lässt. Zwar waren die Schneehäuser in der Vergangenheit etwas gebräuchlicher, aber auch nur deshalb, weil die Eskimos zur Jagdsaison zuweilen mit Kind und Kegel ins ewige Eis zogen. Und dort sind Holz und Steine bekanntlich schwer zu finden.
I wie Indianer Kaum einer Rasse wurde im Laufe der Menschheitsgeschichte übler mitgespielt als den Indianern. Die Ureinwohner Amerikas, die vor rund 20 000 Jahren aus der sibirischen Taiga über die Bering-Straße auf den amerikanischen Kontinent kamen und sich dort allmählich nach Süden ausbreiteten, wurden von den europäischen Einwanderern im Schlepptau von Columbus im Laufe der Jahre systematisch bekriegt und dezimiert und die Diskriminierung reicht bis in die heutige Zeit hinein. Angesichts dieser bitteren Geschichte neigt so mancher Historiker dazu, die Geschichte der Indianer im Gegenzug außerordentlich zu romantisieren. Zunächst einmal muss konstatiert werden, dass es -108-
»die Indianer« eigentlich genauso wenig gibt wie »die Asiaten« oder »die Afrikaner«. Jeder Stamm sprach und spricht eine eigene Sprache und auch ihre Lebensgewohnheiten, Religionen und kulturellen Errungenschaften wiesen enorme Unterschiede auf. Ins Auge fällt sofort ein gewaltiges Süd-Nord-Gefälle, denn während die Inka und die Maya in Mittel- und Südamerika schon gewaltige Zivilisationen geschaffen hatten, lebten und jagten die Stämme des Nordens noch unter eher primitiven Umständen und bevorzugten das Nomadenleben. Dabei benutzten sie übrigens keine Pferde - die Vierbeiner waren bis zum Eintreffen der Spanier auf dem amerikanischen Kontinent völlig unbekannt. Nicht ganz korrekt ist auch die weitverbreitete Darstellung, die spanischen und portugiesischen Eroberer seien für die blutige Unterjochung der Indianer allein verantwortlich. Zwar gingen die »Conquistadores« tatsächlich mit erschreckender Brutalität und Menschenverachtung zu Werke und nutzten den Vorteil des Schießpulvers erbarmungslos aus, doch kaum jemand weiß, dass ihnen dabei auch Hilfe von den Eingeborenen selbst zuteil wurde. Anders wäre die zügige Eroberung auch gar nicht möglich gewesen, denn das Heer der Eroberer, das in erster Linie aufs Gold versessen war, war mit seinen rund 50000 bis 100000 Mann den Einheimischen zahlenmäßig weit unterlegen. Zudem hatten die Indianer den unschätzbaren Vorteil, die Region wesentlich besser zu kennen, und hätten anhand dieses strategischen Vorsprungs einen jahrzehntelangen Partisanenkrieg anzetteln können, der wahrscheinlich sogar von Erfolg gekrönt gewesen wäre. Doch die Größe der Azteken war auch ihr Untergang: Die spanischen Heerführer erkannten rasch, dass nicht alle Indianer gleich waren, sondern dass im aztekischen Riesenreich zahlreiche geknechtete und versklavte Völker lebten. Deren Unzufriedenheit machten sich die Europäer zunutze, heuerten einheimische Führer an und bildeten ihre neuen Verbündeten in europäischer Kriegstechnik aus. So -109-
half bei der Eroberung der monumentalen Aztekenhauptstadt Tenochtitlan das bislang unterjochte Volk der Tlaxcala bereitwillig mit. Etwa 15000 Krieger wurden den Spaniern zur Verfügung gestellt. Auch am Feldzug gegen die Inka im heutigen Peru waren nachweislich mindestens vier Indianerstämme beteiligt. Trotzdem tragen natürlich die rücksichtslosen und barbarischen Eroberer aus dem fernen Europa die Hauptschuld an der Ausrottung der uralten Kulturen Mittelamerikas. Wie wenig sich die Herren Cortez und Pizzaro um das Wohl und Wehe der Eingeborenen scherten, wird anhand ihres Umgangs mit den neuen Verbündeten deutlich. Nach gewonnener Schlacht gegen die Hauptgegner wurden diejenigen Indianer, die wenige Monate zuvor noch auf der Seite der Konquistadoren gekämpft hatten, ebenso grausam gejagt und abgeschlachtet.
I wie Inflation Im Gegensatz zur landläufigen Meinung ist »Inflation« keine Erscheinung der Neuzeit. Bereits aus dem Jahr 65 v. Chr. stammen erste Berichte über Geldentwertungen der römischen Währung. Ursache war hier wie auch im Jahre 850 n. Chr. in China ein zu hoher Geldausstoß der jeweiligen »Zentralbank«, wobei im alten Rom allerdings ausschließlich Münzen im Umlauf waren. In China hantierte man vor knapp 1200 Jahren schon mit Papiergeld, wenn man bedenkt, dass die Druckkunst noch nicht erfunden war, müssen wahrlich fleißige Zeichner am Werk gewesen sein. Um 1550 war auch Spanien von einer massiven Inflation betroffen, wobei sich hier wohl die Redewendung vom »Fluch der bösen Tat« bewahrheitet hat: Unmengen von geraubtem Silber aus Südamerika erreichte die spanischen Küsten und prompt verlor das einheimische Geld schnell an Wert. Die bislang größten Ausmaße erreichte eine -110-
Inflation im Jahre 1923 in Deutschland: Ein Billion Reichsmark ermöglichten dem Konsumenten gerade noch den Kauf eines Brotlaibs.
J wie Jesus oder Jungfrauengeburt Mit den folgenden Zeilen begeben wir uns auf ein heißes Pflaster und wollen vorsorglich gleich darauf hinweisen, dass wir keinesfalls beabsichtigen, die Grundfesten des christlichen Glaubens zu erschüttern. Es geht um die sogenannte »Jungfrauengeburt«. Wenn wir diesen Passus der verschiedenen Evangelien als umstritten bezeichnen, befinden wir uns in guter Gesellschaft. Jahrhunderte lang stritten sich nämlich Theologen über die Frage, ob die jungfräuliche Geburt wirklich wörtlich zu nehmen sei oder interpretatorischen Freiraum biete. Fürs Wörtlich-Nehmen spricht das Johannes-Evangelium, das ausdrücklich betont, Jesus habe keinen anderen Vater gehabt als Gott selbst. In der hebräischen Urfassung des MatthäusEvangeliums liest sich das allerdings anders, denn dort ist nicht von einer »Jungfrau«, sondern lediglich von einer »jungen Frau« die Rede. Doch schon bei der ersten Übersetzung dieses Textes ins Griechische wurde - wahrscheinlich in Anlehnung an Johannes - daraus eine »Jungfrau«. Bemerkenswert ist außerdem die Tatsache, dass Markus - der erste der Jünger, der ein Evangelium verfasste - die Jungfrauengeburt nicht einmal erwähnte, sondern schreibt, Gott habe Jesus zu seinem Sohn »erklärt«. Und auch der Apostel Paulus ließ viel Raum für Spekulationen, als er zu Papyrus brachte, Jesus sei zum Sohn Gottes »eingesetzt« worden - zum Zwecke seiner Auferstehung von den Toten. Vieles spricht dafür, dass Johannes und Lukas die jungfräuliche Geburt des Jesus von Nazareth nur deshalb so betonten, um seiner Gegenwart auf Erden noch größeres -111-
Gewicht zu verleihen. Wie gesagt - vieles spricht dafür, doch einen Beweis können beide Seiten nicht ins Feld führen. Die evangelische Kirche hat die Jungfrauengeburt aufgrund der herrschenden Unklarheiten jedenfalls nicht dem ältesten Bekenntnis der Kirche zugerechnet - die katholische Kirche hingegen hält am wörtlichen Verständnis fest und hat dies auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil im Jahre 1964 noch einmal ausdrücklich untermauert.
J wie Jodeln Kuhglocken, Berge, stramme Sennerinnenwaden und jodelnde Burschen - so oder so ähnlich dürften Nicht-Europäer das Klischee der Alpenrepubliken Österreich und Schweiz zeichnen. Doch zumindest mit dem Jodeln ist das so eine Sache (und auch die strammen Waden werden weniger), denn erfunden wurde der kehlige Singsang wohl nicht in den Alpen. Der fröhliche Juchzer, zwischen Brust- und Kopfstimme pendelnd und von Uneingeweihten nur äußerst schwer nachzuahmen, wurde nachweislich schon im alten China, in Bali, Indonesien, im Kaukasus, in Thailand und Rumänien praktiziert. Erst zum Ende des 18. Jahrhunderts soll das ›Jodeln« schließlich in Österreich heimisch geworden sein - ob es gar ein zugewanderter Chinese war, der den Einheimischen diese hohe Sangeskunst vermittelte, verraten die Chroniken leider nicht.
J wie die Jungfrau von Orleans So ist es oft mit Helden (und in diesem Fall auch mit Heldinnen): Wenn die Geschichte sie eingehend unter die Lupe genommen hat, bleibt vom ursprünglichen Glanz und Glamour nicht mehr allzu viel übrig. So dürfte es für manchen Franzosen -112-
ein harter Schlag sein, dass die berühmte Dungfrau von Orleans nachweislich keine Französin war, und noch fürchterlicher trifft ihn womöglich die Erkenntnis, dass sie vielleicht nicht einmal eine »echte« Frau gewesen ist. Tatsache ist, dass eine gewisse Jeanne d'Arc im belagerten Orleans Großartiges geleistet hat. Sie machte den Eingeschlossenen nicht nur Mut, sondern setzte sich schließlich sogar an die Spitze der französischen Truppen und sprengte den englischen Belagerungsring. Geboren wurde Jeanne d'Arc allerdings nicht in der von ihr befreiten Stadt, sondern im lothringischen Domremy la Pucelle, das seinerzeit nicht innerhalb der Grenzen Frankreichs lag, sondern dem Deutschen Staatenbund zugerechnet wurde. Zudem war Johanna auch kein armes Hirtenmädel, zu dem sie die Legende verklärt, sondern das einzige Kind eines begüterten Landbesitzers, der feudal auf einem Schloss residierte. Und schließlich und endlich behauptet der Historiker Walter Rost, dass Jeanne d'Arc ein »Zwitter« gewesen sei - ein Mensch, der aufgrund seiner genetischen Anlagen zwar männlich war, dessen Erscheinungsbild aber dem einer Frau glich. »Syndrom der testikulären Feminisierung« nennt Rost dieses Phänomen, das den Löwenmut der jungen Dame in einem etwas weniger ungewöhnlichen Licht erscheinen lässt. Schließlich war das Gebaren der Jeanne d'Arc auf dem Schlachtfeld für eine Frau doch äußerst ungewöhnlich, auch wenn hier nicht der Unsinn vom »schwachen Geschlecht« nachgeplappert werden soll.
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10. Von Kainsmal bis Kuchen
K wie Kainsmal An seinem »Kainsmal« kann man angeblich einen Mörder erkennen - an dem »Mal« also, das Gott Kain auf die Stirn drückte, nachdem dieser seinen Bruder Abel erschlagen hatte. Doch diese Metapher wird heute zumeist falsch verwendet, denn Gott hatte laut Bibeltext nicht die Absicht, Kain mit diesem Mal zu strafen oder gar zu brandmarken. Vielmehr sollte es sogar dem Schutz des Unglücklichen dienen, denn der fürchtete »…wer mich findet, wird mich erschlagen«. Doch Gott versprach ihm, dass man ihm nichts tun würde und verpasste ihm - quasi als Passierschein - das besagte »Kainsmal«. Und dies dürfte auch tatsächlich geklappt haben, denn auf seinem Weg ins »Lande Nod, östlich von Eden«, scheint dem Brudermörder nichts zugestoßen zu sein.
K wie Kaiserschmarrn …wurde nicht von einem Kaiser erfunden (auch nicht von Franz B., genannt »der Kaiser«). Der Eierkuchen aus der Pfanne ist in Böhmen, Mähren und Süddeutschland bekannt - sein berühmtester Vertreter ist jedoch der österreichische. Und auch wenn der Kaiser nicht direkt für seine Kreation verantwortlich war, so hat die k. u. k. Monarchie doch zumindest Einfluss auf den Namen der Köstlichkeit gehabt. Dereinst soll sich Kaiser Franz Joseph bei einer Treibjagd im Wald verirrt haben und schließlich müde, durstig und hungrig auf einen Einödhof gestoßen sein. Die Bäuerin vermochte zwar kaum zu glauben, -114-
dass der abgerissene und ungepflegte Fremde wirklich der Kaiser sein könnte, doch kochte sie ihm zumindest »a bisserl was Schnelles«. Dabei misslang ihr allerdings der eigentlich geplante Eierkuchen, der noch in der Pfanne in kleine Stückchen zerfiel. Um diese Scharte auszuwetzen, setzte die Bäuerin gleich noch ein paar zusätzliche Eier hinein, gab kräftig Rosinen zu und servierte den »Schmarrn« in mundgerechten Happen. Dem Kaiser scheint's geschmeckt zu haben - er empfahl die Zubereitungsmethode den höfischen Köchen, und das durch ein Missgeschick entstandene Gericht galt fortan als »Kaiserschmarrn«.
K wie Kalbsleberwurst Vorsicht - hier könnte es sich um einen echten (und legalen) Etikettenschwindel handeln. Laut Gesetzgebung muss nämlich eine »Kalbsleberwurst« keine Kalbsleber enthalten. Vorgeschrieben ist eigentlich nur, dass in dieser Wurstsorte entweder »entsehntes Kalbfleisch« oder »Jungrindfleisch« vorhanden sein müssen - von Leber irgendeiner Art ist überhaupt nicht die Rede. Das Fehlen von Kalbsleber ist aus geschmacklicher Sicht im Übrigen durchaus zu begrüßen, denn diese schmeckt nach fachmännischem Urteil höchst bitter. Tatsächlich besteht eine »Kalbsleberwurst« in der Regel aus Rindfleisch mit einem Hauch von Schweineleber.
K wie Kalender Der erste Tag des 20. Jahrhunderts? Natürlich der 1. Januar 1900! Sollte man meinen - ist aber falsch. Nach dem gregorianischen Kalender war der 1. Januar 1901 der erste Tag des 20. Jahrhunderts - ein gutes Beispiel dafür, dass sich manche -115-
Fehler auch langfristig nicht korrigieren lassen. Denn als der heute übliche Kalender ersonnen und aufgestellt wurde, begannen die »Macher« gleich mit dem Jahr 1 nach Christus. Das Jahr Null hatten sie einfach unter den Tisch fallen lassen. Wenn man also den Kalender durch die Jahrhunderte entlang rechnet, dann beginnt jedes neue Jahrhundert exakt um ein Jahr zu spät. Demnach rechnen wir das Jahr 2000 folgerichtig auch noch zum 20. Jahrhundert hinzu.
K wie Kaltblut Pferdefreunde wissen es natürlich, doch da bei weitem nicht alle Menschen passionierte Reiter sind oder der Schar der (meist weiblichen) 11- bis 17jährigen Teenager angehören, die ihre Wände mit Pferdepostern tapeziert haben, existiert beim Begriff »Kaltblut« ein nachvollziehbares Missverständnis. Ein Pferd wird nämlich nicht aufgrund einer kälteren Bluttemperatur als »Kaltblut« bezeichnet, sondern aufgrund seines Unvermögens, die eigene Körpertemperatur zu regulieren. Als »Kaltblüter« gelten beispielsweise belgische oder schleswig-holsteinische Zugpferde, die über starke Knochen und einen tiefliegenden Rumpf verfügen. Diese Tiere sind sehr kräftig, doch gleichzeitig auch sehr träge. Ihre Muskelmassen brauchen lange, um in Bewegung zu kommen - Hitze durch Anstrengung ist diesen Rassen fremd. Ihre Körpertemperatur ist deshalb zumeist von den Plus- oder Minusgraden ihrer Umgebung abhängig eiskaltes Blut haben sie damit aber noch lange nicht.
K wie Kamele So mancher begeisterte Leser von Abenteuergeschichten mag sich angesichts eines Wüstendramas, in dem der menschliche -116-
Durst naturgemäß eine große Rolle spielt, schon gefragt haben, warum die Reisenden nicht einfach die Höcker ihrer Kamele »angezapft« haben. Schließlich speichern diese doch Wasser, oder? Leider nicht, auch wenn sich dieses Gerücht hartnäckig hält. Der Höcker eines Kamels dient vielmehr als Fettspeicher quasi ein zusätzliches Energiereservoir auf dem Rücken. Dass Kamele aber trotzdem wesentlich länger als andere Lebewesen ohne frisches Wasser auskommen können, liegt an ihrem ureigenen, höchst ausgeklügelten Öko-System. Zum einen bleibt das Blut der Tiere auch bei größter Hitze und Anstrengung stets dünnflüssig und wird in den Kapillargefäßen der Außenhaut schnell abgekühlt. Dies wiederum bedeutet, dass ein Kamel kaum schwitzt (erst ab einer Körpertemperatur von über 40 Grad) und deswegen kaum Flüssigkeit verliert. Und sogar im Schlaf bleiben Kamele sparsam: Ihre Nasenlöcher saugen aus der eigenen Atemluft das Wasser wieder in den Körper zurück.
K wie Kanada Schneebedeckte Wälder, sibirische Kälte und vermummte Menschen: So oder so ähnlich sehen die meisten Bilder aus, die sich in europäischen Köpfen zum Thema Kanada eingenistet haben. Folgerichtig sind deshalb auch viele Europäer der festen Überzeugung, Kanada liege dem Nordpol wesentlich näher als beispielsweise Deutschland. Doch Überraschung, Überraschung: Die Stadt Toronto liegt südlicher als das italienische Mailand und selbst das ob seiner Kälte gefürchtete Montreal liegt weiter südlich als alle deutschen Städte. Dass Kanada dennoch als »kaltes Land« gilt, liegt am kontinentalen Klima dieses riesigen Staates, dort können sich die Luftmassen lange nicht so schnell erwärmen wie im meerumschlungenen Europa. Der Winter ist dort tatsächlich wesentlich kälter als bei uns, und ein großer Teil der Landfläche ragt tatsächlich in den -117-
sehr kalten Norden hinein. Wahrscheinlich leben nicht zuletzt aufgrund dieser frostigen Temperaturen dort nur sehr wenig Menschen - gerade mal 6,7 Millionen Kanadier leben nördlicher als wir und rund 28 Millionen haben sich weiter südlich angesiedelt.
K wie Karl der Große Karl der Große - Sachsenschlächter. Wir können heute natürlich nicht beurteilen, ob der deutsche Kaiser über diesen »Spitznamen« geschmunzelt oder sich sogar geschmeichelt gefühlt hätte. Als annähernd sicher können wir allerdings davon ausgehen, dass Karl niemals 4000 Sachsen binnen eines einzigen Tages hatte massakrieren lassen. Diese Behauptung stellte 300 Jahre nach Karls Tod (also etwa 1100 n. Chr.) der Erzbischof von Reims und Hobby-Historiker Jean Turpin auf und seitdem zieht sie sich wie ein roter Faden durch sämtliche Geschichtsbücher. Das grausige Gemetzel soll bei Verden an der Aller stattgefunden haben, doch in anderen, zeitgenössischen Überlieferungen ist von diesem aufsehenerregenden Massaker nichts erwähnt. Zwar hatte Karl der Große viel Ärger mit den widerspenstigen Sachsen, die sich seiner kaiserlichen Autorität so gar nicht beugen wollten, doch 4000 Gefangene köpfen zu lassen, wäre selbst für mittelalterliche Maßstäbe eine beispiellose Barbarei gewesen. Viel wahrscheinlicher ist, dass Karl einige sächsische Stämme hat umsiedeln lassen (lat: delocati) und dass ein schlampiger Schreiber daraus ein »decollati« (lat. für »hinrichten«) machte. Solc he und ähnliche Umsiedelungsaktionen, mit denen den Aufständischen der heimatliche Nährboden entzogen werden sollte, sind zuhauf bekannt und galten damals als durchaus legitimes politisches Instrument. Ein Ortsname wie »Sachsenhausen« in Hessen deutet beispielsweise auf eine solche »Verpflanzung« hin. -118-
K wie Kartoffeln …sind vor allem in Deutschlands Norden nach wie vor Haupt- und Grundnahrungsmittel. Und dies, obwohl die Kartoffel in Zeiten des Schlankheitswahns einen miserablen Ruf »genießt«. »Kartoffeln machen dick«, hört und liest man häufig, doch damit tut man der »goldigen Knolle« Unrecht. 100 Gramm Kartoffel bedeuten für den Esser eine Kalorienaufnahme von rund 300 Kilojoule - ein 100 Gramm »schweres« Brötchen hingegen bringt es auf satte 1100 Kilojoule. Auch der »Dickmacherfaktor« von Fleisch ist wesentlich höher. Voraussetzung für das Schlankbleiben ist für den Kartoffelliebhaber allerdings der sparsame Umgang mit Fett: Bei Pommes frites oder herzhaften Bratkartoffeln erhöht sich die Kalorienzufuhr durch die Verwendung von Öl oder Butter natürlich gewaltig.
K wie Kaspar Hauser Eine der rätselhaftesten Figuren der deutschen Geschichte ist »Kaspar Hauser«. Am 26. Mai 1828 tauchte dieser zerlumpte Halbwüchsige urplötzlich in der Nürnberger Innenstadt auf. Egal, was man ihn fragte - er vermochte als Antwort lediglich den Satz »Ich möcht’ ein solcher Reitersmann werden, wie mein Vater« zu geben. Die einzige weitere, brauchbare Aussage war: »Ich heiß' Kaspar.« Fünfeinhalb Jahre später, am 14. Dezember 1833, wurde der junge Mann von Unbekannten durch mehrere Messerstiche ermordet - die Spekulationen um seine Herkunft wurden neu angeheizt. Mittlerweile haben sich zahllose Historiker mit dem jungen Mann beschäftigt, der nach seiner Ankunft in Nürnberg in der Familie eines Lehrers Unterschlupf gefunden hatte. Nach detaillierten Recherchen und Forschungen kann die Aussage -119-
»Die Herkunft Kaspar Hausers konnte nie geklärt werden« heute nur noch mit einem glasklaren »Jein« gekontert werden. Zahlreiche Indizien sprechen nämlich dafür, dass der junge Mann ein Abkömmling des badischen Großherzogs war, dessen Frau am 29. September 1812 einen Sohn geboren hatte. Dieser soll kurz nach der Geburt gestorben sein - ein entsprechendes Begräbnis wurde allerdings nirgendwo dokumentiert. Vieles spricht dafür, dass Kaspar Hauser schon als Kind den Ränken des Hofes zum Opfer fiel, zumal er - nachdem er das Sprechen neu erlernt hatte - als einzige Erinnerung an seine Jugend einen kastenähnlichen Raum von etwa drei Quadratmetern beschreiben konnte. Ob der Großherzog selbst ihn dort einkerkerte, ob seine Frau sich des unerwünschten Kindes ohne Blutvergießen entledigen wollte oder ob ein Rivale um die Thronfolge das Kind entführen ließ, entzieht sich allen Nachforschungen. Vergleiche mit Familienbildern aus dem badischen Herzogshaus ließen allerdings an Kaspars adliger Abstammung kaum noch Zweifel zu: Er war seinem möglichen Vater wie aus dem Gesicht geschnitten.
K wie Kasseler Der Hamburger kommt zwar tatsächlich aus Hamburg (siehe Stichwort »Hamburger«), doch der »Kasseler Rippenspeer« auch einfach »Kasseler« genannt stammt nicht aus Kassel. Richtig ist vielmehr, dass ein Berliner Fleischermeister namens »Cassel« oder »Casel« als erster das Kotelettstück vom Schwein gepökelt und seinen Berlinern damit über Nacht eine neue Leibspeise beschert haben soll. Übrigens: Auch die Wiener Würstchen haben mit der österreichischen Hauptstadt nix am Hut. Ein Gehilfe einer Berliner Kellerweinstube mit dem schönen Namen Johann Wiener soll sie ersonnen haben.
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K wie Kaugummi Die Amerikaner selbst bezeichnen sich als Erfinder des Kaugummis und angesichts der enormen Begeisterung, mit der sie auf der zähen Masse herumbeißen, scheint ihr Urheberrecht auch nicht in Frage zu stehen. Doch Kaugummikauen war schon in der Antike verbreitet: Die ollen Griechen verwendeten das Gummi des Mastixbaumes zum Kauen, die Maya zapften ihren Sapotillbaum an, und die Indianer der heutigen NeuenglandStaaten benutzten Fichtenharz als Kaumittel.
K wie Keilschrift Die »Keilschrift« heißt so, weil sie dereinst mit »Keilen« in Stein gehauen wurde. Diese Ansicht ist ebenso verbreitet wie falsch. Die rund 5000 Jahre alte Schrift der Assyrer und Babylonier hat ihren Namen vielmehr wegen ihres optischen Eindrucks bekommen. Bei der »Keilschrift« besteht nämlich jedes Zeichen aus einem am Ende spitz zulaufenden Strich, der einem Keil gleicht. Um die Schrift aufzuzeichnen waren echte »Keile« gar nicht nötig. Sie wurde mit einem Rohrgriffel in weiche Tontafeln gedrückt, die später gehärtet wurden.
K wie Ketchup Auch beim Thema Ketchup müssen wir unseren amerikanischen Brüdern und Schwestern wieder eine Illusion rauben. Nicht in New York oder Los Angeles, nicht in Chicago oder St. Louis wurde die Tomatensoße erfunden, sondern im fernen China. Einwanderer aus dem »Reich der Mitte« brachten ihre Lieblingssoße unter der Bezeichnung »Ketsiap« mit in die USA, und dort wurde ein deutschstämmiger New Yorker -121-
namens Henry John Heinz auf das Produkt aufmerksam. Mittels ausgeklügelter Marketing-Strategien und industrieller Massenproduktion machte er das chinesische Sößchen ab 1869 zum »Original amerikanischen Genussartikel«.
K wie Klaustrophobie Kaum ein langes Fremdwort erfreut sich so großer Popularität wie »Klaustrophobie« und kaum eines wird gründlicher missverstanden. 99 Prozent aller Befragten würden nämlich sofort und unmissverständlich »Platzangst« als deutsche Entsprechung nennen, doch ist dies leider falsch. Unter »Platzangst« versteht der Mediziner nämlich die irrationale Angst, allein über große Plätze oder freie Flächen zu gehen. Bei den meisten Patienten, die sich dazu zwingen, treten Schwindel und Schwächegefühle auf. Der medizinisch korrekte Name dafür ist »Agoraphobie«. »Klaustrophobie« hingegen meint die krankhafte Furcht vor einem Aufenthalt in geschlossenen Räumen, dunklen Unterführungen oder Fahrstühlen. Beide Krankheiten gehören zur Gattung der »Angstneurosen« - haben miteinander aber nichts zu tun.
K wie Kleopatra Jeanne D'Arc (siehe Stichwort »Jungfrau von Orleans«) und Kleopatra - zwei historische Frauengestalten, denen die Bewunderung späterer Epochen gewiss war und ist. Doch nicht nur bei der Befreierin von Orleans, sondern auch bei der berühmten Herrscherin der Antike haben Schwärmerei und verfälschte Überlieferungen ein Bild erzeugt, das mit der Wirklichkeit nicht mehr allzu viel gemein hat. So wurde Kleopatra (von Liz Taylor übrigens unvergleichlich verkörpert) -122-
als »schönste Frau ihrer Zeit« gerühmt und zwar vom antiken Geschichtsschreiber Cassius Dio, der rund 100 Jahre nach ihrem Tod geboren wurde. Doch Überlieferungen aus Kleopatras eigener Zeit beschreiben die Herrscherin Ägyptens als »magere« Frau, die zwar ein ausdrucksstarkes Gesicht gehabt haben soll, deren Nase allerdings viel zu lang war. Ihre weiblichen Triumphe als Geliebte von Julius Cäsar und Marc Antonius beruhten wohl eher auf ihrer unnachahmlichen Ausstrahlung, ihrem erotischsprühenden Charme und ihrer Klugheit. Im übrigen war Kleopatra auch keine Ägypterin, sondern entstammte dem Geschlecht der Ptolemäer, das aus Mazedonien nach Nordafrika gekommen war.
K wie Knigge Adolf Freiherr von Knigge würde sich wahrscheinlich kringeln vor Lachen, wüsste er, was in seinem Namen alles verkauft und behauptet wird. Dem niedersächsischen Beamten lag nämlich nichts ferner, als ein Benimmbuch für die gute Gesellschaft zu schreiben - der hochintelligente aber auch höchst pedantische Mann verfasste vielmehr ein zweibändiges Werk, das wir heute als psychologischen Ratgeber bezeichnen würden. Der Titel des 1788 erschienen Buches lautete »Über den Umgang mit Menschen« und befasste sich ausschließlich mit dem Thema, wie verschiedene Personengruppen besser miteinander zurechtkommen. Akribisch genau beschrieb Knigge dabei den Umgangston des Hausherren mit dem Dienstpersonal, den des vorgesetzten Offiziers mit dem einfachen Soldaten und so weiter und so weiter. Allerdings wurden Fragen, welches Besteck man zum Fischessen zu verwenden habe, wann man seine Visitenkarte überreicht (siehe auch Stichwort »Visitenkarte«) oder wer wen wann zum Tanz bittet, überhaupt -123-
nicht oder nur in Nebensätzen erörtert. Tischsitten oder Etikettenfragen waren für Knigge kein relevantes Thema. Der Freiherr beließ es auch nicht bei dem einen Werk, sondern schrieb noch eine vierbändige Biographie sowie etliche Romane und Schauspiele, die allesamt schnell in der Versenkung der literarischen Mittelmäßigkeit verschwanden. Er starb als 43jähriger im Jahre 1796 an Typhus.
K wie Knoblauch Knoblauch riecht. Das steht fest. Vielen Zeitgenossen ist das herzlich egal, denn entweder sie mögen den Geruch oder sie können ihn zumindest tolerieren, weil ihnen die Knolle halt so gut schmeckt. Selbst als geruchsempfindlicher Zeitgenosse können Sie dagegen nicht viel einwenden, und die einzige Möglichkeit, sich gegen unerwünschte Düfte zur Wehr zu setzen, ist wahrscheinlich, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und dasselbe Aroma zu verströmen. Allerdings sollten Sie sich in Zukunft nichts mehr von der unglaublichen Gesundheitsförderung durch Knoblauch erzählen lassen. Denn die meisten angeblich heilsamen Wirkungen des Knoblauchs basieren auf Geschwätz und Einbildung. So wird beispielsweise behauptet, Knoblauch reinige die Blutgefäße und langfristiger Genuss baue Arterienverkalkung vor. Auch »Vitalität« bis ins hohe Alter verspricht die Werbung und empfiehlt mittels bärtigem, ungeheuer lebensbejahendem Konterfei eines Mittsiebzigers die Einnahme von Knoblauch-Tabletten. Ungeachtet der Tatsache, dass die profunde Ersinnung dieser duftumrankten Legende uns durchaus Respekt abnötigen mag, sehen wir uns doch gezwungen, mit diesem Unsinn ein für allemal aufzuräumen. Trotz langwieriger und langjähriger Versuche konnte bis heute kaum eine dieser angeblich gesundheitsfördernden Wirkungen nachgewiesen werden. -124-
Knoblauch hilft genauso wenig gegen Vampire, wie er die Adern putzt oder die Arterien entkalkt. Knoblauch-Freaks sterben genauso früh oder so spät wie ihre weniger begeisterten Nachbarn - keine noch so geschickt manipulierte Statistik konnte bisher Gegenteiliges beweisen. In sehr hohen Dosierungen eingenommen, kann Knoblauch allerdings mithelfen, den Cholesterin-Spiegel zu senken und damit das Herzinfarkt-Risiko zu vermindern, doch um diesen Effekt zu erzielen, müssten Sie schon beim Frühstück mit der Knoblauch-Einnahme beginnen und diese über den ganzen Tag kontinuierlich steigern. Man könnte auch sagen, Sie müssten sich von Knoblauch ernähren, damit Ihr Hausarzt wirklich spürbare Verbesserungen konstatieren kann.
K wie Kompass »Kind, schau dir den Kompass an, dann weißt du immer, wo Norden ist«. Diese elterliche Anweisung ist zwar gut gemeint und mag in manchem Pfadfinderlager von Nutzen sein, doch so ganz korrekt ist sie eigentlich nicht. Denn der sogenannte »magnetische Nordpol« und der »echte Nordpol« - also die Stelle, an der die theoretische Achse der Erde die Kugel durchstoßen würde, liegen rund 5000 Kilometer voneinander entfernt. Je weiter man nach Norden vorstößt, desto größer wird schließlich die Verzerrung, und wenn man sich zwischen dem magnetischen und dem »wahren« Pol befindet, zeigt die Nadel sogar direkt nach Süden.
K wie Kopernikus Um gleich zur Sache zu kommen: Kopernikus war nicht nur Mathematiker, sondern auch Philosoph. Und seine »Sechs -125-
Bücher über die Umläufe der Himmelskörper« erwiesen sich im Nachhinein zwar als durchaus konkrete und richtige Arbeitsgrundlagen, doch basierten sie nicht auf wissenschaftlichen Experimenten und langjährigen HimmelsBeobachtungen, sondern auf der philosophischen Idee eines vollkommenen Weltbilds. Mit der ptolemäischen Theorie von der stillstehenden Erde, um die sich die übrigen Himmelskörper bewegen, konnte er sich nämlich nicht so recht anfreunden. Zudem war seine Idee auch nicht ganz neu, denn schon im dritten Jahrhundert v. Chr. hatte der griechische Philosoph Aristarch von Samos eine ähnlich lautende Auffassung publik gemacht, in der er die Sonne in den Mittelpunkt des Universums rückte. Wie auch bei seinem Nachfolger Galileo Galilei (siehe Stichwort »Galileo«) war es auch in Kopernikus' Fall nicht - wie fälschlich behauptet - die römischkatholische Kir che, die gegen seine Ideen Sturm lief. Er selbst hatte 30 Jahre lang Bedenken, sich mit seinen Theorien lächerlich zu machen, und erst die ausdrückliche Aufforderung der Kurie ermutigte den mittlerweile 70jährigen zum Schritt an die Öffentlichkeit. Erst ein Brief des engen Papst-Vertrauten Kardinal Schönberg, in dem dieser ihn aufforderte, seine Entdeckungen doch bitte »der gelehrten Welt mitzuteilen und mir sobald wie möglich deine Theorien über das Universum zu senden«, bewogen Kopernikus zur Veröffentlichung. Prompt versah er seine Schriften noch mit einer Widmung für Papst Paul III. Auch nach der Veröffentlichung seines bedeutendsten Werkes blieb es lange Zeit still um diese Schriften. Die Kirche akzeptierte sie als Arbeitsgrundlage, ohne sie allerdings als endgültige Wahrheit hinzunehmen. Erst 70 Jahre später, mit dem Auftauchen Galileis auf der wissenschaftlichen Weltbühne, sollte sich dies ändern…
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K wie Kraken Gut - »Moby Dick« mag nie gelebt haben, doch am vielgesponnenen »Seemannsgarn« über riesige Kraken, die mit ihren Tentakeln ganze Schiffe in schäumende Tiefen rissen, könnte durchaus etwas dran sein. So wurden 1896 an Floridas Südküste Teile eines gigantischen Seetieres gefunden, die seinerzeit niemand einzuordnen vermochte. Erst 1970 glaubten Forscher, die konservierten Überreste als Glieder einer wahren »Monsterkrake« identifizieren zu können, die eine Länge von rund 60 Metern erreicht haben dürfte. Man errechnete daraufhin ein theoretisches Gewicht von über 150 Tonnen. Doch in jüngster Zeit neigen Biochemiker aufgrund neuester Analysen der vorliegenden Gewebeproben wieder zu der Meinung, bei den damals entdeckten Fleischbrocken handele es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um die Reste eines toten Wals. Kraken mit einer Körperlänge von über 20 Metern wurden allerdings wiederholt gesichtet, doch dass sie an die Meeresoberfläche kamen, um Schiffe zu versenken, ist eher unwahrscheinlich. Die Tiere können aufgrund ihrer Beschaffenheit nur in großen Tiefen existieren und sterben ab, sobald sie sich der Oberfläche nähern. Warum dann allerdings Zeichnungen aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert schon recht detailgenau ausfielen und auch den Vergleichen mit Erkenntnissen der modernen Wissenschaft durchaus standhalten, ist ungeklärt. Möglicherweise gab es bis vor wenigen Jahrzehnten tatsächlich noch sogenannte »Riesenkraken«, die mittlerweile den veränderten Lebensbedingungen zum Opfer gefallen sind. Beweisen lässt sich das allerdings nicht mehr.
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K wie Kreml Spricht man heute vom Kreml, so meint man natürlich den russischen Regierungspalast in Moskau. Doch ebenso wie das griechische Wort »Akropolis« (siehe Stichwort »Akropolis«) stand »Kreml« ursprünglich nur für einen befestigten Platz im Kern einer russischen Stadt, in der die Verwaltung residierte. Der Moskauer Kreml ist zwar der größte, doch auch in anderen Kommunen gab und gibt es derartige Befestigungen, wobei die meisten allerdings in einem wesentlich schlechteren Zustand sind.
K wie kriminell »Wie der Vater, so der Sohn«, oder auch: »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.« Man mag von diesen Sprichwörtern halten, was man will, doch zumindest auf dem Gebiet der »kriminellen Neigungen« sind derartige Allgemeinplätze höchst umstritten. Zwar wird immer wieder behauptet, dass Kinder von Verbrechern fast automa tisch ebenfalls verbrecherische Neigungen hätten, doch die Genforschung hat zweifelsfrei erwiesen, dass Kriminalität keine vererbbare Eigenschaft ist. Bei der Entwicklung der Persönlichkeit spielt eher das soziale Umfeld als eine vererbte Charaktereigenschaft eine wichtige Rolle. Und darin mag auch der Schlüssel zu den eingangs zitierten Sprichwörtern liegen: Wenn ein Kind in einem Elternhaus und einer Umgebung aufwächst, in der das Verbrechen zum Alltag gehört, dann ist es natürlich geneigt, diese Alltäglichkeit in sein eigenes Erwachsenenleben zu übernehmen.
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K wie Kröten Die meisten Menschen ekeln sich vor Kröten. Ein Grund dafür dürfte sein, dass sie diese Tiere mit den Eigenschaften »glitschig« und »schleimig« verbinden. Doch Tatsache ist, dass die Krötenhaut ebenso trocken ist wie die des Menschen und nur beim Aufenthalt im nassen Element entsprechend angefeuchtet wird.
K wie Krokodilstränen …die gibt es zwar tatsächlich, doch die Mär vom heuchlerischen Reptil, das zunächst sein Opfer verspeist und dann einige bittere »Krokodilstränen« vergießt, ist nur eine Fabel. Lediglich bei der Anstrengung des Eierlegens kommt es zu einer gewissen Feuchtigkeit in den Augen des gepanzerten Sumpfschreckens. Das Weinen aufgrund einer bestimmten Stimmungslage bleibt allein dem Menschen vorbehalten.
K wie Kuchen »Sie haben kein Brot? Dann sollen sie doch Kuchen essen.« So dummdreist soll die französische Königin Marie-Antoinette auf die Klagen ihrer hungernden Landsleute reagiert haben, doch diese Behauptung ist nur eines von vielen Märchen, die sich um die französische Revolution ranken. Schon 1760 (Marie-Antoinette hatte gerade in Österreich das Licht der Welt erblickt) hatte der Aufklärer Jean-Jacques Rousseau diese Worte erfunden und sie einer namenlosen Fürstin in den Mund gelegt. Später soll sie dann Marie-Antoinette gesagt haben Aufzeichnungen oder Hinweise, die das bestätigen können, gibt es nicht. Sei's drum - hingerichtet wurde sie dennoch. -129-
11. Von Lakritze bis Luzifer
L wie Lakritze Wäre »Lakritze« - von Kindermund zärtlich auch als »Katzenmist« oder »Bärendreck« bezeichnet - wohl immer noch so beliebt, wenn Erwachsene es als »Medizin« bezeichnen würden? Entgegen der Pauschalverurteilung aller Naschereien als »ungesund«, haben die schwarzen Stangen, Rollen und Figürchen nämlich tatsächlich eine medizinische Anwendungsmöglichkeit. Sie können gegen Gastritis helfen und sind durch ihre schleimlösende Wirkung auch hustenlindernd. Hergestellt aus Süßholzsaft, Stärke, Mehl, Zucker, Anis und Gummiarabikum erzielt die »Lakritze« sogar bei Magen- oder Darmgeschwüren erstaunliche Resultate.
L wie Leberkäse Überaus beliebt ist in Bayern der sogenannte »Leberkas«, und unter der hochdeutschen Bezeichnung »Leberkäse« erobert er sich auch im übrigen Deutschland seit Jahr und Tag mehr Sympathien. Doch wie schon l die »Kalbsleberwurst« (siehe Stichwort »Kalbsleberwurst«) ist auch in diesem Fall die »Leber« ein grandioses Missverständnis. Tatsächlich enthält die beliebte Vespermahlzeit meistens keine Spur einer, woher auch immer stammenden, Leber, sondern besteht zum größten Teil aus Schweinefleisch. Lediglich der »Original bayerische Leberkäse« enthält zwischen 2 und 8 Prozent Leberanteil, der Rest besteht aus Rindfleisch und Fettgewebe. Allerdings darf das Wort »Leberkäse« trotzdem nicht als bewusste Irreführung -130-
der Konsumenten betrachtet werden. Es entstand vielmehr durch die zweite Lautverschiebung der deutschen Sprache, denn ursprünglich hieß das Wort »Laibkas« und nahm damit Bezug auf die brotlaibartige Form des fleischigen Backwerks. Mit »Käse« hat der »Leberkäse« übrigens rein gar nichts zu tun.
L wie Lederstrumpf Er gilt mittlerweile fast als »klassische« Sagengestalt, doch »Lederstrumpf« hat wirklich gelebt. Oft wird behauptet, der amerikanische Schriftsteller James Fenimore Cooper hätte die Abenteuer eines gewissen »Natty Bumppo«, den die Indianer aufgrund seiner Gamaschen »Lederstrumpf« nannten, frei erfunden. Doch schon zu Lebzeiten bewies Cooper (1789-1851), dass er mit dem legendären Trapper, Abenteurer und Siedlungsgründer Daniel Boone ein sehr konkretes Vorbild gehabt hat. Dieser habe ihm als alter Mann seine komplette Lebensgeschichte erzählt, die er, Cooper, dann zu insgesamt fünf Büchern verarbeitet hat. Tatsächlich war Daniel Boone, der von 1734 bis 1820 in den nördlichen Wäldern der USA und in Kanada sein aufregendes Leben führte, ein Volksheld ganz besonderer Prägung. Er verlieh den Pioniertagen des Nordens durch seine Ansichten und seinen Umgang mit den Indianern eine Art ritterlichen Charme und war so bekannt, dass beim Eintreffen der Nachricht seines Todes der amerikanische Kongress seine Sitzung unterbrach und eine Schweigeminute einlegte.
L wie Leiche »Wenn ich mal völlig pleite bin, verkaufe ich meinen Körper halt der Anatomie.« Immer noch hält sich dieser Satz im -131-
Standardrepertoire von Zynikern und potentiellen Bankrotteuren, doch leider fehlt es ihm schon seit geraumer Zeit an einer berechtigten Grundlage. Denn die deutschen Forschungslabore und medizinischen Fakultäten »kaufen« schon lange keine toten Körper mehr und vor allem lassen sie sich auf keinerlei »Kuhhandel« mit noch quicklebendigen Kandidaten ein. Zu Lebzeiten kann man seinen zukünftig toten Körper also noch nicht als Kapital verwerten. Es ist allerdings immer noch möglich, den Corpus der anatomische n Forschung zu »vermachen«. Voraussetzung ist eine entsprechende Passage im Testament. Die Bezahlung besteht aber nicht aus harter Währung für eventuelle Hinterbliebene, sondern einzig und allein aus einem kostenlosen Begräbnis. Wenn die angehenden Mediziner mit dem »Schnibbeln« fertig sind - versteht sich.
L wie Lemminge Es haftet ihnen nicht zu Unrecht der düstere Hauch der Tragödie an - den Lemmingen. Jahrzehntelang war die Wissenschaft der Überzeugung, bei den Herden dieser possierlichen Nagetiere eine unfassbare Neigung zum Massenselbstmord entdeckt zu haben. Was mochte diese Tiere so in Verzweiflung stürzen, dass sie zu Hunderten über den Klippenrand ins »Wasser gingen«? Kollektive Hysterie? Das Wissen um die Sinnlosigkeit des irdischen Daseins? Tiefere Einsicht oder schlichter Wahnsinn? Schade eigentlich, dass wir diesen wuchernden Spekulationen ein Ende setzen müssen, denn in der Realität liegt den Lemmingen das eigene Leben durchaus am Herzen, und ihnen suizidale Neigungen zu unterstellen ist zwar verständlich, aber falsch. In Wahrheit sind sie Opfer ihrer »karnickelartigen« Vermehrung sowie ihrer Kurzsichtigkeit und einer gewissen Selbstüberschätzung. In schöner Regelmäßigkeit wird einem Stamm aufgrund von Überbevölkerung der -132-
ursprünglich gewählte Lebensraum zu eng. Die Nahrung wird immer knapper, und instinktiv macht sich dann ein Teil des Völkchens auf, um ein neues Revier zu suchen. Pech haben diese »Pioniere« immer dann, wenn sie an der Küste leben, denn die vor ihnen auftauchende Wasserfläche halten sie offensichtlich lediglich für einen Fluss oder einen See, den es zu überschwimmen gilt, um sich neue »Reiche« zu erschließen. Schließlich sind Lemminge begabte Schwimmer, doch an der Überquerung des Atlantiks scheitern sie trotzdem und ertrinken. Dass die »Selbstmordthese« nicht haltbar ist, erkannten die Biologen, als sie den Weg von Lemmingen konsequent verfolgten. Die hüpften nämlich nicht nur ins Wasser, große Gruppen machten sich auch in die andere Richtung davon und lebten fortan »glücklich und zufrieden« in neuen Territorien.
L wie Lesen Wieder einmal beginnen wir mit einem typischen »Erzieherzitat«: »Kind, lies doch nicht bei so schlechtem Licht. Du machst dir nur die Augen kaputt«. Allen Eltern sei an dieser Stelle ausdrücklich gesagt, dass diese Behauptung blanker Unsinn ist. Zwar muss man zum Lesen im Dämmerlicht die Augen deutlich mehr anstrengen, und sie ermüden rascher, doch dies schadet den »Guckern« überhaupt nicht. Ein Vergleich gefällig? Würden Sie vielleicht dem Jogger zurufen: »Lauf doch nicht bergauf - das schadet deinen Beinen.«? Nein? Na also!
L wie Lilith Adam und Eva - bis zum Sündenfall ein echtes Traumpaar und zudem noch die ersten Menschen. Doch liest man den jüdischen Talmud, so muss man konstatieren, dass Adam wohl -133-
schon vor der Begegnung mit der »rippengeschnitzten« Eva seine Erfahrungen mit der Weiblichkeit hatte, ja, dass er sogar in Scheidung lebte. Denn laut Talmud war Adam zuvor schon mit »Lilith« vermählt gewesen, die den angeblichen Stammvater der Menschheit allerdings verlassen hatte und daraufhin zum bösen Dämon mutiert war. Johann Wolfgang von Goethe brachte die schöne »Untote« seinen Zeitgenossen ins Bewusstsein, als er sie im »Faust« am Hexentanz auf dem Brocken teilnehmen ließ. Mephisto lieferte dem erstaunten Faust damals die Erklärung: »Das ist Lilith. Adams erste Frau. Nimm dich in Acht vor ihren schönen Haaren, vor diesem Schmuck, mit dem sie so einzig prangt. Wenn sie damit den jungen Mann erlangt, so lässt sie ihn so bald nicht wieder fahren.«
L wie Lindbergh Zweimal rückte der Amerikaner Charles Lindbergh ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit. Zum einen durch seine Atlantiküberquerung per Flugzeug (1927) - zum anderen als sein Kind von skrupellosen Kidnappern entführt und ermordet wurde: Der Fall des »Lindbergh-Babys« bedeutete den traurigen Auftakt einer neuen Verbrechensart: Der »erpresserische Menschenraub«. An dieser Stelle wollen wir uns aber mit dem erstgenannten Fakt befassen und müssen feststellen, dass Lindbergh keineswegs als erster den Ozean zwischen Amerika und Europa auf dem Luftweg überquert hat. Seine Leistung bestand vor allem darin, dass er es in seiner »Spirit of St. Louis« von Weltstadt zu Weltstadt also von New York nach Paris ohne Zwischenlandung geschafft hat. Schon acht Jahre zuvor waren die beiden britischen Flugpioniere John Alcock und Arthur Whitten-Brown von Neufundland aus gestartet und waren im irischen Nordwesten gelandet. Allerdings zählte man Irland damals noch kaum zum Kontinent, eine Landung unterm -134-
Eiffelturm galt den meisten Amerikanern und Europäern als wesentlich spektakulärere Leistung. Seine Berühmtheit verdankt Lindbergh unter anderem auch der Tatsache, dass sein Flieger insgesamt über 33 Stunden in der Luft war, während seine britischen Vorgänger für die etwas kürzere Distanz »nur« knapp 16 Stunden benötigt hatten. Doch von Kontinent zu Kontinent waren auch sie schon geflogen und noch vor Lindberghs Tat hatten es ihnen einige Wagemutige nachgemacht.
L wie Linksverkehr Dass man auf den angelsächsischen Inseln nach wie vor im sogenannten »Linksverkehr« unterwegs ist, dient vielen Kontinentaleuropäern als Beleg für die Verschrobenheit der Briten. Dabei wird jedoch übersehen, dass das Fahren auf der linken Straßenseite zu den Zeiten seiner Einführung ein durchaus logisches Motiv hatte - so logisch, dass man sich fragen könnte, warum nicht auch der Rest Europas darauf verfallen ist. Im England des Mittelalters waren die Straßen und Wege ein recht unsicheres »Pflaster«. Egal ob man zu Pferde oder auf dem Fuhrwerk reiste - jeder entgegenkommende Fremde konnte in diesen rauen Zeiten ein potentieller Straßenräuber sein. Also ritt oder fuhr man vorsichtshalber auf der linken Straßenseite, um Entgegenkommenden den rechten Schwertarm zuwenden zu können. Diese Angewohnheit wurde Jahrhunderte lang beibehalten - es lag also nahe, sie auch in den Zeiten des motorisierten Verkehrs zu übernehmen. Vor allem die ausgedehnten Wälder Nordenglands boten zahlreichen Räuberbanden Unterschlupf, und so wurde im 13. Jahrhundert von der britischen Regierung sogar eine Verordnung erlassen, wonach auf beiden Seiten aller Straßen ein rund 200 Fuß breiter Streifen zu roden war, damit Reisende nicht ständig aus -135-
angrenzenden Büschen heraus attackiert werden konnten.
L wie Loch Ness … ist ein See in Schottland. Punkt. Und wer heute noch behauptet, es könne ein Ungeheuer darin schwimmen, ist entweder ein unverbesserlicher Romantiker oder einfach furchtbar schlecht informiert. Zwar behauptet die schottische Tourismusbranche bis zum heutigen Tag, es sei unbekannt, woher die Mär stamme, und nährt somit den Verdacht, es könne ja doch irgend etwas dran sein. Doch der italienische Journalist Francesco Gasparini hat bereits 1959 öffentlich eingestanden, die Fabel vom Ungeheuer rund 25 Jahre zuvor frei erfunden zu haben. Sein Motiv: Das vielzitierte »Sommerloch« - der Alptraum aller Zeitungsmacher.
L wie Lucrezia Borgia Wie unbarmherzig die Legendenbildung mit manchen Persönlichkeiten umgeht, mag am Beispiel der Lucrezia Borgia verdeutlicht werden. Die Tochter von Papst Alexander VI. war zu ihren Lebzeiten keinesfalls das Symbol für Maßlosigkeit, Intrigantentum, Völlerei und Inzucht, zu dem sie die Geschichtsschreibung stilisiert hat. Vielmehr war Lucrezia Borgia (1480-1519) ein Opfer der politischen Ränkespiele jener Tage und wurde schon als Elfjährige mit einem süditalienischen Landgrafen vermählt. Ihr Vater wollte sich damit dessen Treue im Kampf gegen die aufständischen Neapolitaner »erkaufen«, die nichtsahnende Lucrezia hatte fortan den Ruf des »frühreifen Flittchens«. Nachdem ihr erster Ehemann die Fronten gewechselt und sich gegen den Papst gestellt hatte, schickte er seine kindliche Ehefrau einfach zurück in den Vatikan, ließ die -136-
Ehe annullieren und begann, seine »Ehemalige« kräftig zu verleumden. So behauptete er beispielsweise, diese habe Inzucht mit ihrem Vater (einem wirklich üblen Wüstling) und ihrem Bruder Cesare (der war womöglich noch schlimmer) getrieben ein Gerücht, das im schon damals sensationslüsternen Italien auf fruchtbaren Boden fiel. Der zweite Ehe mann Lucrezias - sie hatte mit 16 Jahren erneut geheiratet wurde wenig später von gedungenen Mördern umgebracht, die angeblich ihr Vater selbst geschickt hatte, was aber die Öffentlichkeit nicht daran hinderte, ihr die Schuld an seinem Tod in die Schuhe zu schieben. Deutlich mehr Glück hatte Lucrezia Borgia mit ihrem dritten Mann, dem Herzog von Ferrara. Ihm schenkte sie insgesamt acht Kinder, galt als vorbildliche und treusorgende Ehefrau und Mutter und starb schließlich mit 38 Jahren einen frühen und von ihrer Familie vielbeweinten Tod.
L wie Ludwig XIV. …soll am 13. April 1655 in einer Parlamentssitzung gesagt haben: »L'Etat c'est moi« (Der Staat bin ich). Historiker, die das Protokoll der entsprechenden Sitzung überprüften, fanden allerdings keinen derartigen Ausspruch, und auch zeitgenössische Quellen liefern dafür keinen Anhaltspunkt. Zwar nahm das absolutistische Denken des Sonnenkönigs in jenen Tagen tatsächlich derart groteske Züge an, dass er diesen Satz durchaus gesagt haben könnte - er tat es jedoch wahrscheinlich niemals. Wer ihm allerdings diese Worte in den Mund gelegt haben könnte, ist nach wie vor unbekannt: Etwa zehn Jahre nach Ludwigs Tod wurden sie erstmals kolportiert.
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L wie Lügendetektor Kriminologen und Kriminalisten wissen es natürlich besser, doch das »gemeine Volk« glaubt häufig immer noch an die unbestechliche Aussagekraft des »Lügendetektors«. Diese Maschinen werden über Drähte und Sensoren mit der menschlichen Haut verbunden und messen Herzschlag, Blutdruck, Hautfeuchtigkeit und Atemfrequenz. Beim »verkabelten« Befragten soll sich anhand dieser Daten einwandfrei feststellen lassen, ob und wann er die Unwahrheit sagt. So weit, so gut, und tatsächlich kann man aus den Spannungszuständen einer Person bestimmte Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen ziehen. Doch unmissverständlich oder gar unwiderlegbar sind die Resultate eines »Lügendetektors« auf keinen Fall, zumal ihre Interpretation in erster Linie vom menschlichen Verstand abhängt. Und dieser ist bekanntlich äußerst fehlerhaft. Außerdem kann das Gerät auch manipuliert werden - schon wenn der Verhörte über extrem gute Nerven verfügt oder seine Reaktionen mittels autogenem Training geschult hat, wird die Maschine kaum brauchbare Aufzeichnungen liefern. Eine grobe Verzerrung der Ergebnisse kann auch dann eintreten, wenn bestimmte Fragen der angeschlossenen Person unangenehm sind: Sie antwortet dann zwar wahrheitsgemäß, doch die Spannungskurve steigt trotzdem rapide an. Vor den meisten Gerichten der Welt werden Ergebnisse des Lügendetektors aus den genannten Gründen nicht als Beweismittel zugelassen.
L wie Luther Am 31. Oktober des Jahres 1517 soll ein gewisser Dr. Martin Luther, Theologieprofessor in Wittenberg, seine Thesen zur -138-
Erneuerung der kirchlichen Lehre an die Tore der Wittenberger Schlosskirche genagelt und damit die Reformation eingeleitet haben. So oder so ähnlich wird es seit rund 400 Jahren behauptet und dies, obwohl doch an diesem Satz so gut wie nichts richtig ist. Zum einen war Luther seinerzeit ein gesetzestreuer Bürger und ordentlicher Theologieprofessor. Einer wie er wäre niemals auf die Idee zu einer solch spektakulären Aktion verfallen. Luther schickte seine 95 Thesen vielmehr auf dem üblichen Dienstweg an seine geistlichen Vorgesetzten, den Bischof von Brandenburg und den Erzbischof von Mainz. Erst im Januar 1518 ließen einige seiner Freunde die Thesen drucken, und erst von diesem Zeitpunkt an waren sie auch der Öffentlichkeit zugänglich. Zu seinen Lebzeiten war von einem »Anschlag an die Kirchentüre« niemals die Rede - diese Legende entstand erst kurz nach seinem Tode durch das Vorwort zu seinen gesammelten Werken, das ein württembergischer ReformationsTheologe namens Philipp Melanchthon verfasst hat. Zum anderen hatte Luther ursprünglich keinesfalls eine »Rundum-Erneuerung« der Kirche oder gar die Reformation im Sinn. Er prangerte - in sehr höflichem Ton - lediglich eine ganz bestimmte Praxis der Kirche an, die seines Erachtens mit der biblischen Lehre nicht vereinbar war. Dabei ging es um den sogenannten »Ablasshandel«. Mit mehr oder weniger großzügigen Spenden und Zahlungen an die Kirche konnten sich betuchte Sünder von ihren »irdischen Verfehlungen« freikaufen und damit angeblich dem Fegefeuer und der ewigen Verdammnis entziehen. Ganz gewaltig erboste Lut her, dass ein gewisser Ablasshändler namens Tetzel eine besonders originelle Einnahmequelle für die Geistlichkeit entdeckt hatte: Sogar nach dem Tod des Sünders konnten dessen Verwandte ihn mittels Geld- oder Sachspenden aus der Hölle freikaufen und ihn die »Stufen zum Paradies« emporklimmen lassen. Sicher nicht zu Unrecht bezeichnete Luther diese Praktiken als »schamloses und -139-
lästerliches Treiben«. Fest steht, dass Luther ursprünglich nicht auf Konfrontation, sondern lediglich auf eine Diskussion aus war. Erst nachdem er auf seine Briefe an die Bischöfe keine Antwort erhalten hatte, erlaubte er seinen Anhängern, seine Thesen zu veröffentlichen, und dies führte schließlich dazu, dass er vom Mainzer Reichstag in Acht und Bann geschlagen wurde. Bei seiner Anhö rung vor den hohen Herrschaften soll er damals abschließend gesagt haben »Hier stehe ich. Ich kann nicht anders«, doch selbst dieses Zitat ist frei erfunden. In den entsprechenden SitzungsProtokollen und zeitgenössischen Kommentaren wird jedenfalls überliefert, dass Luther seine Verteidigungsrede mit den üblichen Worten »Gott helfe mir. Amen« schloss.
L wie Luzifer Die Bezeichnung »Luzifer« für »Teufel« kann kirchenhistorisch nicht belegt werden. In der Bibel jedenfalls kommt der Name nirgendwo vor. Der einzige Hinweis taucht beim Propheten Jesaja (14.12) auf, denn dort wird der legendäre König von Babylon als gefallener, einstmals »strahlender Sohn der Morgenröte« bezeichnet. »Zu Boden« sei er »geschmettert«, der »Bezwinger der Völker«. Da in der Antike der Morgenstern (Planet Venus) als »Luzifer« bezeichnet wurde, haben frühe Geistliche den »Bezwinger der Völker« und »Sohn der Morgenröte« (Morgenstern) mit Satan gleichgesetzt und gaben ihm folgerichtig den antiken Namen Luzifer. Doch galt diese Interpretation jener Bibelstelle schon immer als recht großzügig und nährte so manchen Streit zwischen Theologen.
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12. Von Machiavelli bis Muscheln
M wie Machiavelli Wenn es jemals einen Politiker mit einem wirklich schlechten Ruf gegeben hat, dann war dies Nicolo Machiavelli. Zynismus, Menschenverachtung und Gier wurden und werden dem Florentiner Staatstheoretiker nachgesagt, und wenn ein moderner Politiker »über Leichen geht«, um seine Ziele zu erreichen, bezichtigt ihn der gebildete Kritiker gerne »machiavellischer Methoden«. Doch im Gegensatz zur Legende scheint der 1469 geborene Machiavelli ein freundlicher und ungemein sozial eingestellter Mensch gewesen zu sein, dem das Wohl seiner Mitbürger sehr am Herzen lag. Das Negativste, was sich aus korrekter historischer Sicht über ihn sagen lässt, ist die Vermutung, dass er wohl ein Realist war, der die Menschen nicht rosiger färbte als sie eben waren. Dies führte zu seinen Ratschlägen an die Herrschenden, in denen er ein geeintes und friedliches Land nur unter der Voraussetzung etlicher Kompromisse für möglich hielt. Seine Maxime scheint es gewesen zu sein, unter zwei Übeln das kleinere zu wählen - im Bewusstsein seiner Gegner blieb allerdings nicht der Kompromiss, sondern nur das ausgewählte Übel haften. Zwar sind seine Methoden zur Staatssanierung heute höchst umstritten, doch war Machiavelli ganz sicher kein unmoralischer Mann, und letztlich fühlten sich seine zahlreichen Feinde wohl in erster Linie durch seine Zweifel an der menschlichen Moral provoziert. Ihre Reaktion auf seine Ideen dürfte diese Zweifel allerdings noch verstärkt haben. Auch der berühmte Ausspruch »Divide et impera« (teile und herrsche) wurde ihm nur in den Mund gelegt - der Urheber war er -141-
nachweislich nicht.
M wie Mandeln Ebenso wie der Blinddarm (sie he Stichwort »Blinddarmentzündung«) gelten auch die Mandeln als höchst überflüssig, ihre operative Entfernung ist eher ein notwendiges Übel als ein wirklicher Verlust. Dies ist jedoch nicht ganz richtig, denn die moderne Medizin hat ermittelt, dass die Rachenmandeln vor örtlichen Infektionen schützen und entscheidenden Anteil am Kampf gegen die Invasion von Krankheitserregern haben können. Wenn sie sich allerdings allzu häufig entzünden, ist es sogar ratsam, sie zu entfernen. Zum einen haben sie ihre eigene Wirksamkeit damit verloren, zum anderen können sie auch andere Organe »anstecken«: Entzündete Mandeln wirken sich unter Umständen auf die Augen sowie auf Herz und Kreislauf nachteilig aus.
M wie Mann Weiter geht der erbarmungslose Kahlschlag im Wald der beliebtesten Vorurteile, und an dieser Stelle widmet sich das vorliegende Buch einem männlichen »Lieblingsirrtum«: Das Gehirn des Mannes sei größer als das der Frau. Abgesehen davon, dass die Größe des Gehirns für seine Qualität keine wirkliche Rolle spielt (siehe Stichwort »Gehirn«), ist diese Behauptung auch noch falsch. Gemessen an den Größen und Gewichtsverhältnissen der Körper, haben die Gehirne der Geschlechter im statistischen Mittel so ziemlich das gleiche relative Gewicht. Die Grammzahlen schwanken je nach Rasse und Alter - nicht aber nach Männlein oder Weiblein.
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M wie Manna Der legendäre »Münchner im Himmel« verlangte lautstark nach seinem »Manna«, schon allein dadurch wird die legendenumrankte Bedeutung dieser angeblichen »Götterspeise« auch den bekanntlich unbelehrbaren Preußen klar. Nun neigt der aufgeklärte Abendländer erfahrungsgemäß dazu, das Alte Testament nicht allzu wörtlich zu nehmen und bezweifelt auch die entsprechenden Textpassagen im 2. Buch Moses. Dort steht nämlich geschrieben, dass »Manna vom Himmel« fiel, um die aus Ägypten ausziehenden Juden zu stärken. Sie dürfen dem »aufgeklärten Abendländer« jetzt eine lange Nase drehen und sagen »Ätsch - möglich wäre es doch«. Denn die »Mannaflechte«, ein essbares Bodengewächs, das vor allem in den Steppen und Wüsten Nordafrikas zuhause ist, kann vom Wind leicht abgelöst und weite Strecken durch die Luft getragen werden. Eine einzige dieser Pflanzen wiegt nicht einmal ein halbes Gramm, und essbar ist sie auch. Also - Manna kann es durchaus regnen, doch bei aller Euphorie sind wir bereit einzuräumen, dass diese kugelförmige, federleichte Pflanze wohl kaum als »göttliche Speise« und wohl auch nicht als Nahrung für ein Heerlager voller Menschen gedient haben dürfte. Das »Manna«, von dem die Bibel spricht, ist wohl eher der eingedickte Honigtau der Manna-Schildlaus, und ob der jemals vom Himmel fiel, muss bezweifelt werden.
M wie Marathon Nur selten wird der historische Ursprung des MarathonLaufes in Zweifel gezogen, und dabei gäbe es doch für Skepsis jede Menge Anlass. So soll ein gewisser Thersippos aus Eroia im Jahre 490 v. Chr. aus der Ebene um Marathon bis auf den Athener Marktplatz gerannt sein - nur um den Hauptstädtern die -143-
Nachricht vom Sieg des griechischen Heeres gegen die Perser mitzuteilen. Auf besagtem Marktplatz - so die Legende soll er dann nach den Worten »Freut euch, wir haben gesiegt« vor Erschöpfung tot umgefallen sein. Mittlerweile haben sich natürlich auch Ethnologen und Sportwissenschaftler mit dieser Geschichte beschäftigt und übereinstimmend kommen sie zu der Ansicht, dass ein Lauf von über 40 Kilometern binnen dreier Stunden für einen normalen Mann dieser Zeit kaum machbar gewesen wäre. Schließlich wissen wir spätestens seit der Wiederaufnahme der Olympischen Spiele, dass die Marathon-Distanz selbst an ausgezeichnet trainierte und spezialisierte Spitzenläufer enorme Anforderungen stellt, und über Thersippos ist lediglich bekannt, dass er ein einfacher Soldat war. Wesentlich wahrscheinlicher ist, dass ein leicht verwundeter und damit nutzloser Krieger auf einem Pferd oder einem Streitwagen zurückgeschickt wurde, dass sein Beförderungsmittel im Laufe der vielen Kilometer seinen Geist aufgegeben hat und er die restliche Strecke schließlich zu Fuß zurücklegte. Dass diese Strapazen in Kombination mit der angeblich glühenden Hitze seiner Verwundung nicht zuträglich waren, dürfte jedermann einleuchten. Damit wäre auch sein tödlicher Kollaps nach der Ankunft zu erklären.
M wie Mars Seit mittlerweile über 100 Jahren hält sich hartnäckig das Gerücht, auf dem Mars - unserem Nachbarplaneten - gäbe es Kanäle. Wilde Spekulationen und Theorien ranken sich um diese vermeintlichen Bauwerke, wobei vor allem deren regelmäßige und scheinbar schachbrettartige Musterung die Mär von den kleinen grünen Männchen (Kanalarbeitern?) nährte. Doch eigentlich kam man der Wahrheit schon 1924 auf die -144-
Spur: Anhand verschiedener psychologischer Experimente wies der Astronom Kühl nach, dass es sich bei den »Marskanälen« schlicht um eine optische Täuschung handelt. Sogenannte »Marsflecken«, die in unregelmäßigen Abständen auf der Oberfläche des Planeten auftauchen und auf Gebirgsverwerfungen oder Tiefebenen gleichermaßen hindeuten können, verbindet das menschliche Auge ungewollt mit imaginären Linien. Aufnahmen von Raumsonden, die in den 80er Jahren unter anderem auch den Mars photographierten, beendeten die letzten Hoffnungen der Aliengläubigen: Keine Spur von Wasser, keine Spur von Kanälen und schon gar keine Spur von intelligenten Lebewesen.
M wie Maulwurf In zahlreiche n kleinen Bildgeschichten ist er verewigt: Der Maulwurf, der Schrecken aller Gärtner. Doch seinen Ruf als bösartiger Pflanzenschädling trägt der blinde Nager zu Unrecht, denn er ist eigentlich ein ausgewiesener Insektenfresser. Wenn man Maulwurfskanäle immer ausgerechnet unter Pflanzen mit abgefressenen Wurzeln findet, so liegt das daran, dass der Maulwurf just hier Jagd auf die wahren Schädlinge gemacht hat: Pflanzenfressende Würmer.
M wie May Er war schon ein Fabulierer und Lügenbeutel vor dem Herrn: Der aus Sachsen stammende Fließbandschreiber Karl May. Ihm verdankt die Welt den Winnetou, er erschuf Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar. Fiktion und Wirklichkeit vermochte er manchmal nicht so recht zu trennen und behauptete naiven Fragestellern gegenüber jahrelang, bei seinen Abenteuer-145-
Geschichten handele es sich um Reiseerzählungen und viel davon habe er selbst erlebt. Zwar wurde er schon zu Lebzeiten als Aufschneider entlarvt, doch entgegen der heute vorherrschenden Ansicht darf man nicht behaupten, Karl May sei niemals selbst in Amerika gewesen. 1908, im Alter von 66 Jahren, besuchte er erstmals die USA, und zwei Jahre später weilte er in Begleitung seiner Frau Klara noch einige Wochen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Seine Romane hatte er allerdings schon lange vor diesen Reisen veröffentlicht und im Nahen Osten, in dem ebenfalls etliche seiner Bücher spielen, ist er nachweislich nie gewesen.
M wie Mehltau … hat rein gar nix mit Mehl zu tun, auch wenn Name und Aussehen diese Vermutung nahe legen. Der weißliche Schimmelüberzug auf Blättern leitet seinen Namen vom mittelhochdeutschen Wort »miltou« ab, wobei »mil« »Honig« bedeutet und das »tou« für Tau steht. Eigentlich heißt der Mehltau also Honigtau.
M wie Mens sana Viel Schindluder wurde mit dem Zitat »Mens sana in corpore sano« getrieben, und es mag als gutes Beispiel dafür gelten, wie die Worte eines Satirikers missgedeutet und ihr Sinn ins Gegenteil verkehrt werden kann. Der Satz des römischen Schriftstellers Juvenal wird heute nämlich nur unvollständig wiedergegeben - aus dem Zusammenhang gerissen - und lautet eigentlich wie folgt: »Orandum est ut sit mens sana in corpore sano« (Es wäre zu wünschen, dass in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist stecken möge). Juvenal verstand diese -146-
Textpassage als eine Attacke auf den schon im alten Rom grassierenden Körperkult und Fitnesswahn und bezweifelte, dass Menschen, die soviel Zeit auf ihren Körper verwenden, auch noch klar denken können. Die Behauptung, dass ein kluger Kopf über einem perfekten Körper zu sitzen habe, lag weder in Juvenals Absicht, noch hat sie allzu viel mit der Realität zu tun.
M wie Meuterei Was ist das verwerflichste Verbrechen auf hoher See? »Meuterei natürlich«, werden jetzt die meisten von Ihnen sagen, doch eigentlich gibt es diesen Begriff in der maritimen Gesetzgebung gar nicht. Im internationalen Seerecht ist lediglich von einem »Nichtbefolgen dienstlicher Anordnungen« die Rede, was mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden kann. Der Begriff »Meuterei« taucht also in der Kriegsoder Handelsmarine offiziell nicht auf. Zulässig ist er - auch im juristischen Sinne - bei sogenannten Gefängnisrevolten oder im Militärstrafrecht, wenn sich mehrere Soldaten der Gehorsamsverweigerung schuldig machen. In diesen Fällen spricht die Strafgerichtsbarkeit vom Tatbestand der »Meuterei«.
M wie Mona Lisa Das mutmaßlich berühmteste Gemälde der Welt trägt wahrscheinlich einen falschen Namen. Denn das mit »Mona Lisa« betitelte Bild, das zu den Schätzen des Pariser Louvre zählt, zeigt allem Anschein nach gar nicht wie ursprünglich angenommen - die Frau des Kaufmanns Francesco del Giocondo. Diese hieß zwar Mona Lisa, und tatsächlich hat Leonardo da Vinci auch von ihr und ihrem Gatten Portraits angefertigt, doch diese beiden Bilder gelten als verschollen. -147-
Dass sich der falsche Name dennoch in der Kunstwelt etablieren konnte, geht auf ein Missverständnis aus dem 16. Jahrhundert zurück. Damals berichtete der italienische Kunsthistoriker Vasari, dass da Vinci ein Bild der besagten Kaufmannsgattin gemalt habe. Dieses »unvergleichliche« Werk befinde sich jetzt im Besitz des französischen Königs. Doch die Beschreibung, die Vasari weiter von dem Gemälde gibt, ähnelt dem Louvre-Kunstwerk eigentlich gar nicht. So sei es »unvollendet« und weise eine unglaublich ausdrucksvolle Augenbrauenpartie auf - Merkmale, die auf die uns bekannte Mona Lisa gar nicht zutreffen. Offensichtlich hat Vasari 30 Jahre nach da Vincis Tod ein wenig den Überblick verloren und zwei Bilder schlicht verwechselt. Nach vorherrschender Meinung der Kunsthistoriker zeigt da Vincis Gemälde Isabella von Aragon. Schließlich lebte Leonardo jahrelang als Hofmaler in ihrer unmittelbaren Umgebung, und zudem weist das berühmte Bild auch etliche signifikante Ähnlichkeiten mit anderen Abbildungen der Herzogin auf.
M wie Mond Auf dem Mars gibt es keine Kanäle (siehe Stichwort »Mars«) und auf dem Mond keine Meere. Letztgenanntes dürfte mittlerweile zwar ins allgemeine Bewusstsein gerückt sein, doch nach wie vor hält sich das Gerücht, die dunklen Flecken auf der Mondoberfläche könnten in grauer Vorzeit einmal Wasser enthalten haben. Nein, nein und nochmals nein. Den Mann im Mond gab es auch als Fischwesen nicht, und bei den dunklen Flecken handelt es sich um Tiefebenen, die aufgrund der umliegenden Berge und Krater fast permanent im Schatten liegen. Manche davon könnten auch auf Meteoriteneinschläge zurückzuführen sein. -148-
M wie Mormonen So mancher Pascha träumt nach wie vor von einem Leben als Mormone. Grund: Diese dürfen angeblich mehrere Frauen heiraten. Wir enttäuschen natürlich nur ungern diese Wunschträume, doch haben sie mit der Realität leider schon lange nicht mehr viel zu tun. Schon 1890 nämlich verzichtete die, von Joseph Smith im Jahr 1830 gegründete, Kirche der »Heiligen der Letzten Tage« auf ihren Anspruch der Vielweiberei. Bis dato hatten ohnehin nur etwa 20 Prozent der männlichen Kirchenmitglieder von diesem Privileg Gebrauch gemacht. Hintergrund für den Verzicht waren massive Interventionen durch die amerikanischen Bundesbehörden, die sich mit der legalen Polygamie überhaupt nicht anzufreunden vermochten und der Sekte mit weiterführenden Verboten drohten. Nach gesetzlich anerkanntem Ritus dürfen Mormonen also nach wie vor nur eine einzige Frau ehelichen und haben erst nach deren Tod oder nach einer Scheidung die Möglichkeit, eine weitere Ehe einzugehen. Doch »Nebenfrauen« sind von der Sekte nach wie vor erlaubt, auch wenn sie von Staats wegen keinen eheähnlichen Status haben. Etwa 10 Prozent der Mormonen machen von dieser Möglichkeit heute noch Gebrauch.
M wie Morse Er war zweifellos einer der ganz großen Amerikaner: Samuel Morse. Ein brillanter Gelehrter, ein talentierter Maler und ein erfolgreicher Unternehmer. Nur eines war Morse nicht: ein Erfinder. Die Ironie der Geschichte will es, dass er ausgerechnet aufgrund einer vermeintlichen Erfindung im Gedächtnis der Menschen blieb, doch zu seiner Ehrenrettung sei gesagt, dass er sich um die Erfindung des »Morseapparats« und des -149-
»Morsealphabets« sehr große Verdienste erworben hat. Diese beiden revolutionären Entwicklungen wurden also nicht zu Unrecht nach ihm benannt. Blicken wir zurück ins Jahr 1832. Samuel Morse, Sohn des berühmten Geistlichen und Geographen Jedediah Morse, kehrte nach einem dreijährigen Europaaufenthalt nach Amerika zurück. Auf dem alten Kontinent hatte er sich ziemlich erfolglos als Maler versucht - sein Talent wurde zwar anerkannt, doch zum finanziellen Durchbruch reichte dies noch lange nicht. Auf der Schiffsreise erzählte ihm ein Mitreisender von einem vor kurzem entwickelten Apparat, bei dem man mittels Magnetismus über eine Kupferdrahtspule einen Impuls am anderen Ende der »Leitung« auslösen könne. Morse besaß genug Phantasie, um sich die Anwendungsmöglichkeiten eines solchen Apparates ausmalen zu können. Zurück in den Vereinigten Staaten suchte er Mitarbeiter, die über genügend technisches Knowhow verfügten, um seine vagen Pläne Gestalt annehmen zu lassen. In den beiden jungen Technikern Joseph Henry und Arthur Vail wurde er schließlich fündig, und während er an der Universität von New York als ordentlicher Professor wirkte, bastelten die beiden unermüdlich am ersten »Telegraphen«. 1838 war dann ein erster Prototyp fertiggestellt, doch einsatzfähig war dieser noch nicht: Es fehlte nämlich an einer »Übersetzungsmöglichkeit« für die ausgelösten Impulse, und es dauerte noch weitere Monate, ehe Arthur Vail ein Zeichensystem aus unterschiedlich langen Strichen entwickelt hatte: Das »Morsealphabet« war erfunden. Vail und Henry hatten im Auftrag Samuel Morses gearbeitet. Er hatte sie finanziert - folgerichtig bekam er das Patent, und nach zähem Ringen konnte er auch die Politiker überzeugen: 1841 ließ der Kongress der USA die erste Telegraphenstrecke bauen.
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M wie Motten In den Zeiten der Insektensprays und Mottenpülverchen hat die Angst vor überraschenden Löchern in abgehängter Kleidung zunehmend an Bedeutung verloren. Doch immer noch kann es vorkommen, dass Sie im Sakko, das säuberlich im Schrank verstaut war, unliebsame Bissspuren finden, und natürlich lautet dann der erste Ruf: »Aha - Motten!« Doch verantwortlich für den Schaden sind in Wirklichkeit nicht die kleinen Falter mit den gezackten Flügeln, sondern ihre unmündigen Kinder. Denn nur die Larven der Motten knabbern in ihrer unersättlichen Gier nach Futter an Teppichen, Stoffen und Polstergarnituren - wenn sie ausgewachsene Motten sind, stellen sie fürs textile Hab und Gut keinerlei Bedrohung mehr dar.
M wie Mozart Legenden ranken sich um Wolfgang Amadeus Mozart, Legenden der unterschiedlichsten Art. Eine der beliebtesten behauptet, Mozart sei Zeit seines Lebens von den Mächtigen ausgebeutet und gedemütigt worden und schließlich als mittelloser und entkräfteter Mann gestorben. Die Wahrheit sieht ein wenig anders aus. Schon als Kind konnte Mozart für Klavierkonzerte fürstliche Honorare verlangen und, »gemanagt« von seinem Vater, tat er dies auch nach Kräften. Später berechnete er für eine einzige Klavierstunde den Preis von zwei Gulden, was in etwa dem Monatslohn eines gewöhnlichen Arbeiters entsprach. Für einen öffentlichen Auftritt forderte und bekam er 1000 Gulden - eine Summe, die sich bestenfalls mit den heute üblichen Salären mancher Sportgrößen vergleichen lässt. Sein Jahreseinkommen belief sich auf umgerechnet knapp 400000 Mark, eine Summe, mit der es sich gut hätte leben lassen. -151-
Doch zum einen war Mozart nicht nur ein begnadeter Pianist und Komponist, sondern auch ein »genialer« Verschwender, und zum anderen verlor er einen erklecklichen Teil seiner Einnahmen beim Spiel. Regelmäßig ließ er sich von »guten Freunden« beim Kartenspiel über den Tisch ziehen und so virtuos er auch am Klavier war, so überaus mittelmäßig war er am Billardtisch. Da er aber gleichzeitig zu einer gewissen Selbstüberschätzung neigte, hinderte ihn dies nicht daran, immer wieder sein Glück gegen stärkere Gegner zu versuchen und zu verlieren. Bei seinem Tod war Mozart tatsächlich ein armer Mann, doch nicht etwa missgünstige Adelige hatten ihn still und heimlich im Armengrab verscharren lassen. Verantwortlich dafür war vielmehr seine Witwe Constanze, die zu Lebzeiten ihres Mannes auch nicht eben durch Sparsamkeit geglänzt hatte. Aufgrund des vorhandenen Schuldenberges lehnte sie das Erbe ab, weigerte sich, für das Begräbnis irgendwelche Zahlungen zu leisten und ließ den Körper des Genies auf einem Armenfriedhof begraben. Dort allerdings wurde er wenige Jahrzehnte später wieder ausgebuddelt und anschließend standesgemäß in der »Prominenten-Ecke« des Wiener Zentralfriedhofs noch einmal beigesetzt.
M wie München Zwei Versionen gibt's zum Münchner Stadtwappen. Die eine behauptet, darauf sei das sogenannte »Münchner Kindl« abgebildet, die andere spricht von einem Mönch. Beides ist falsch. Die Wahrheit liegt - wie so oft - in der Mitte. Denn tatsächlich handelt es sich bei dem Symbol um eine Art »graphisches Zwitterwesen« zwischen Mönch und Mädchen. Ein Geistlicher hatte im 13. Jahrhundert das erste offizielle Stadtwappen geziert - kein Wunder bei einer Kommune, die im -152-
Althochdeutschen einfach »Bei den Mönchen« hieß. Erst 1807 wurde der altgediente To nsurträger, der stets mit Kapuze und Bibel in der Hand dargestellt worden war, demontiert: Die Säkularisation machte die bildliche Darstellung katholischer Geistlicher zeitweise äußerst unbeliebt. Vorübergehend wurde ein Löwe zum Wappentier erkoren, doch König Ludwig I. entschied sich wieder für den Würdenträger, der nun allerdings harte Konkurrenz bekam. Denn als inoffizielles Symbol war das »Münchner Kindl« zwischenzeitlich schon sehr beliebt geworden, und schließlich entschieden sich die Stadtväter in der Mitte des 19. Jahrhunderts für den unglaublichen Kompromiss: Dem »Kindl«, das bis dato fröhlich einen Maßkrug gestemmt hatte, wurde eine Heilige Schrift in die Hand gedrückt, es bekam Mönchskutte und Kapuze übergeworfen und wurde damit zum einzigen zweigeschlechtlichen Humanoiden in einem der bekanntesten Wappen dieser Welt.
M wie Münchhausen Und es hat ihn doch gegeben. Der »Lügenbaron« Münchhausen selbst war keine Lüge oder Erfindung, sondern eine durchaus reale Gestalt, der der Göttinger Dichter Gottfr ied August Bürger zu Weltruhm verhalf. Geboren im Jahre 1720 im Städtchen Bodenwerder, wurde Karl Friedrich Hieronymus Freiherr von Münchhausen zunächst Page am Braunschweiger Hof, als 18jähriger Kürassier im Regiment des Prinzen Anton Ulrich von Braunschweig und schließlich wohlhabender Privatier auf ausgedehnten Ländereien. Seine Freunde und Gäste pflegte der begabte Erzähler mit augenzwinkernder Heiterkeit durch fabelhafte Geschichten und Lügenmärchen zu erheitern, und einige dieser überlieferten »Stories« benutzte G. A. Bürger als Grundlage für seine »Lustigen Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen«. Das Werk erschien 1786 - also noch 13 Jahre -153-
vor dem Tod des adligen Fabulierers, der beim Lesen seiner ausgeschmückten Anekdoten sicherlich seine helle Freude gehabt haben wird. Dies aber dürfte der einzige Spaß im Alter des Barons gewesen sein, denn durch Pech und einige Fehlspekulationen hatte er sich um sein gesamtes Vermögen gebracht und starb schließlich einsam und verbittert in seiner Geburtsstadt Bodenwerder.
M wie Muscheln Nicht nur phantasiebegabte oder hörgeschädigte Zeitgenossen vermeinen im Inneren einer Strandmuschel das Rauschen des Meeres vernehmen zu können. Doch obwohl das Geräusch so deutlich zu vernehmen ist, ist es doch nicht mehr als eine akustische Täuschung. Es ist vielmehr das Echo des eigenen Blutes, dessen normalerweise unhörbares Rauschen von den glatten Muschelwänden reflektiert und hörbar gemacht wird.
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13. Von Nachtwache bis Nordpol
N wie Nachtwache Neben dem »Mann mit Goldhelm« ist »Die Nachtwache« das vermutlich berühmteste Gemälde des niederländischen Malers Rembrandt und gleichzeitig ein gutes Beispiel dafür, wie die Jahre Auffassungen und Ansichten verändern können. Als Rembrandt das Bild 1642 fertiggestellt hatte, wurde er mit Schimpf und Spott überhäuft. Er hatte nämlich die »Compagnie des Hauptmanns Frans Banningh Cocq« gemalt und das Bild auch so betitelt. Doch einige Mitglieder der verewigten Bürgerwehr fühlten sich völlig falsch wiedergegeben, andere monierten, dass zuviel Schatten auf ihre Gesichter falle, und mit den gewählten Farben war eigentlich überhaupt niemand zufrieden. So geriet es lange Zeit in Vergessenheit und setzte in dunklen Kellergewölben mit der Zeit deutlich Patina an. 1891 entschloss sich das Amsterdamer Rijksmuseum dann doch, das Bild auszustellen - schließlich war Rembrandt mittlerweile einer der anerkanntesten und berühmtesten der großen Meister und nannte es »Nachtwache«. 1911 stürmte ein junger Wirrkopf auf das Gemälde zu, und bevor er überwältigt werden konnte, hatte er mit einem Messer schon verheerenden Schaden angerichtet. Doch aus dem vermeintlichen Unglück wurde durch die fachkundige und liebevolle Restauration ein wahrer Segen. Die Fachleute entfernten beim sorgfältigen Zusammenflicken nämlich gleich noch einige Firnisschichten und entdeckten, dass das Bild längst nicht so düster war, wie man lange Zeit vermutet hatte. Im Gegenteil: Das 4,35 Meter breite und 3,95 Meter hohe Kolossalgemälde wies ungeheuer leuchtende Farben auf, und schlagartig verwandelte sich die Nacht- in eine »Tagwache«. -155-
Das Bild wurde im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts noch zweimal attackiert, doch heute ist es in Amsterdam wieder in seiner ganzen Pracht und Schönheit zu besichtigen.
N wie Nadelbaum Der Tannenbaum »grünt« bekanntlich nicht nur zur Sommerszeit, sondern behält seine schmucke Zier das gesamte Jahr hindurch. Doch es gibt auch in Deutschland einen Nadelbaum, der in der kalten Jahreszeit sein »Gefieder« verliert. Hätten Sie's gewusst? Es ist die Lärche. Sie wirft im Winter ihre Nadeln ab und bildet sie im Frühling neu.
N wie Napoleon Einig sind sich alle ernstzunehmenden Historiker darüber, dass das Ende der napoleonischen Glückssträhne mit dem ominösen Russlandfeldzug begann. Doch wie so viele große Männer hatte auch der kleine Korse sofort eine plausible Entschuldigung parat, um die Niederlage seiner glorreichen französischen Armee und damit sein eigenes Scheitern zu erklären. Seitdem wurde diese Ausrede vom Gros der Geschichtsschreiber widerspruchslos übernommen: Der unerwartet harte russische Winter soll schuld gewesen sein. Doch die verbreitete Untugend, das eigene Versagen auf die Unbilden des Wetters zu schieben, vermag in diesem Fall eigentlich nicht zu überzeugen. Denn der betreffende Winter war keinesfalls härter als gewöhnlich - mit derartigen Bedingungen hätten die französischen Truppen eigentlich rechnen müssen. Die große Kälte, die Napoleon in seinen Erinnerungen notierte, brach in Wahrheit erst wesentlich später ein - der Feldzug fand zunächst eher bei vergleichsweise -156-
angenehmer Witterung statt. Ursächlich für die Niederlage war vielmehr eine miserable Logistik. Zum einen hatte Bonaparte den Kampfeswillen der russischen Armee offensichtlich unterschätzt und deshalb hatte sich der Marsch auf Moskau schon über Gebühr verzögert. Die Armee war also bereits geschwächt, als sie vor der russischen Hauptstadt stand, und als sich dort abzeichnete, dass deren Mauern längst nicht so einfach zu erstürmen waren wie vermutet, ging man in einen ziemlich ungeordneten Rückzug über. Als »Panikreaktion« wird dieser Aufbruch von Wissenschaftlern heute interpretiert, und tatsächlich vergaßen die Verantwortlichen beinahe alles, was man für eine strategisch sinnvolle Rückwärtsbewegung benötigt hätte. So hatte die Vorratsabteilung zwar ausreichende Mengen an Lebensmitteln für die Soldaten im Gepäck, doch mangelte es an Pferdefutter und warmen Decken. Binnen zweier Wochen krepierten somit Tausende von Vierbeinern elendig an Hunger und Erschöpfung und die von ihnen gezogenen Wage n und Kanonen fielen fast kampflos dem nachrückenden Feind in die Hände. Dieser benutzte das unerwartete Geschenk natürlich dankbar, um den abziehenden Franzosen noch die eigene Munition hinterher zu schicken, und so gelang nur wenigen Soldaten der Grande Nation der Heimweg. Ganz am Ende dieser chaotischen Flucht kam es dann wirklich zum Ausbruch jener großen Kälte, die das Thermometer zeitweise auf unter -20 Grad sinken ließ. Die Berichte der wenigen Heimkehrer schienen die Version des Kaisers also zu bestätigen - für eine genauere Überprüfung fehlte den meisten Zeitgenossen ohnehin Muße und Mut.
N wie Nasenbluten Die verbreitetste Reaktion ist auch die verkehrteste: Bei Nasenbluten soll man nämlich den Kopf nicht in den Nacken -157-
legen, weil dem Betroffenen das Blut dann in den Rachen laufen kann. Besser ist es, sich möglichst aufrecht hinzusetzen und den Kopf nach vorne zu neigen. Um die Blutung zu stoppen, stecken Sie sich ein Wattebäuschchen oder einen kleinen Teil eines Papiertaschentuchs ins Nasenloch und drücken einige Minuten dagegen.
N wie Nero Ein Narr dürfte er gewesen sein, ein schlechter Sänger obendrein. Den »Tyrannen und Despoten« könnte man unter Umständen auch noch durchgehen lassen, und ein richtig netter Mensch war er auf keinen Fall. Doch eines war Kaiser Nero auf keinen Fall: ein irrer Brandstifter. Schon kurz nach Neros Tod waren erste Gerüchte entstanden, der eigenwillige Kaiser selbst habe im Jahre 64 n. Chr. die Hauptstadt des römischen Reiches eigenhändig in Brand gesteckt und die Schuld anschließend den Christen in die Schuhe geschoben. Schon der Geschichtsschreiber Tacitus zitiert diese Vermutung als vages Gerücht, und spätestens mit dem Sieg des Christentums (so etwa ab dem fünften Jahrhundert) hatte sich die Legende endgültig etabliert. Und dies, obwohl die Geschichte doch offensichtlich nicht wahr sein konnte. Am Tag des Brandes nämlich, am 18. Juli 64, hielt sich Nero zusammen mit Teilen seines Hofstaats in seinem Landhaus in Antium auf - rund 60 Kilometer von Rom entfernt. Als er in Rom eintraf, stand die Stadt schon in hellen Flammen, durch die auch sein eigener Palast und seine über alles geliebte Kunstsammlung in Asche und Rauch aufgingen. Dass er dafür selbst verantwortlich gewesen sein soll, ist doch in hohem Maße unwahrscheinlich. Es ist sogar überliefert, dass Nero tatkräftig und eigenhändig bei den Löscharbeiten geholfen haben soll und den obdachlos -158-
Gewordenen Tempel, Paläste und Gärten über Wochen und Monate hinweg als Ausweichquartiere zur Verfügung stellte. Dass er aber mit schaurigschönen Moritaten das brennende Rom besungen hat, bemerkte kein einziger Zeitgenosse - auch diese Fabel entstand erst Jahrhunderte später. Richtig ist wohl lediglich, dass Nero ein Mann war, der seine eigenen musikalischen Fähigkeiten maßlos überschätzte und seine wehrlosen Höflinge und Gäste gerne und oft mit selbstkomponierten Liedern »folterte«. Im übrigen galt Nero zu seiner Zeit als durchaus maßvoller, wenn auch nicht allzu intelligenter Herrscher. Er hatte eine Vorliebe für alles Griechische, was sich auch in seinen Prachtbauten manifestierte, und außerdem keinen besonders ausgeprägten Sinn für Politik. Von grausamen Folterungen, ungewöhnlich vielen Hinrichtungen oder sexuellen Perversionen in seinem Palast berichten Zeitzeugen allerdings nicht. Andere Kaiser vor und nach ihm hatten schon wesentlich schlimmer gewütet - mit Caligula darf Nero nun wirklich nicht verglichen werden.
N wie New York Die Hauptstadt des amerikanischen Bundesstaates New York ist…? Albany! Und zwar schon seit 1797. Albany, 220 Kilometer nördlich des »Big apple«, liegt ebenfalls am HudsonRiver, aber das ist eigentlich schon die einzige Gemeinsamkeit beider Städte. In Albany dominieren nämlich Ruhe und Beschaulichkeit - ähnliches lässt sich von New York nun wirklich nicht behaupten. Auch eines der vermeintlichen Wahrzeichen der Stadt können die Bewohner New Yorks gar nicht für sich reklamieren. Die »Statue of Liberty« auf »Liberty Island« steht nämlich auf dem Territorium des Bundesstaates New Jersey.
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N wie Nordkap Allgemein gilt das Nordkap als nördlichste Landmasse Europas. Doch auch wenn der Name so schön danach klingt, haben Vermessungen ergeben, dass die benachbarte Landspitze der Halbinsel Knivskjellodden dem Nordpol noch rund 1700 Meter näher ist als das Nordkap.
N wie Nordpol Es ist nicht angenehm, große und berühmte Männer als Lügenbeutel entlarven zu müssen, doch im Falle des amerikanischen Offiziers Richard E. Byrd kommen wir nicht darum herum. Dieser hat nämlich zeitlebens behauptet, zusammen mit seinem Co-Piloten Floyd Bennett als erster Mensch den Nordpol überflogen zu haben. Am 9. Mai 1926 waren die beiden von Spitzbergen aus gestartet und 15 ½ Stunden später wieder auf ihrem Ausgangsflughafen gelandet. Für Byrd zahlte sich die angebliche Pionierleistung aus. Er machte als berühmter Mann in der amerikanischen Marine schnell Karriere, wurde schließlich sogar Admiral und starb hochgeachtet und hochdekoriert mit 68 Jahren an einem Herzleiden. Im Jahre 1971 ließ ein gewisser Richard Montegue, Redakteur einer amerikanischen Wochenzeitung, die Bombe platzen. Er hatte gründlich nachrecherchiert und eine Fülle von Material zusammengetragen, die einwandfrei bewies, dass Byrd und Bennett den Pol unmöglich überflogen haben konnten. Für erste Zweifel hatte der Flieger selbst gesorgt. Nach der Landung in Spitzbergen hatte Byrd den atemlos lauschenden Journalisten nämlich erzählt, dass kurz nach dem Start ein Triebwerk der dreimotorigen Focker ausgefallen war und man phasenweise nur mit zwei Dritteln der Höchstgeschwindigkeit habe fliegen können. Nur günstigem Rückenwind sei es zu verdanken -160-
gewesen, dass man es doch noch bis zum Pol geschafft habe. Eine Überprüfung der Wetterkarten ergab jedoch rasch, dass der entsprechende Wind an jenem Tag unmöglich geweht haben konnte. Auch hatten Flugexperten schon frühzeitig vermutet, dass die Strecke vom norwegischen Spitzbergen bis zum geographischen Pol in den notierten 15 ½ Stunden unter den geschilderten Bedingungen kaum zu schaffen war, doch die aufkommende leise Skepsis wurde als Neid und Missgunst abgetan. Noch weit mehr ins Gewicht als alle theoretischen Zweifel an der technischen Durchführbarkeit fällt allerdings das Geständnis, das Co-Pilot Bennett einem anderen Flieger anvertraut hat. Gegenüber dem Norweger Bernt Baichen gab Bennett zu, dass Byrd nach dem Ausfall des Motors den Versuch abgebrochen habe und zunächst wieder in Richtung Spitzbergen geflogen sei. Als dann aber die beiden anderen Triebwerke keine Schwächen zeigten, kehrte er noch mal um und die beiden flogen insgesamt über 14 Stunden einfach immer wieder hin und her. Die Route zum Pol noch einmal einzuschlagen, wagten sie nicht mehr. Baichen wollte dies in seiner Autobiographie bereits in den 50er Jahren veröffentlichen, doch Byrds Bruder, der Senator Harry Flood Byrd, setzte ihn massiv unter Druck, diese Fassung nicht auf den Markt zu bringen. Statt dessen erschien eine »bereinigte« Ausgabe, in der das Kapitel über Byrds Lüge einfach ausgespart worden war. Somit ist nun einwandfrei erwiesen, dass der Norweger Roald Amundsen und der Italiener Umberto Nobile zusammen mit ihrer dreizehnköpfigen Besatzung die ersten waren, die den Nordpol überquerten. Ihnen gelang das in einem gewaltigen Luftschiff - ganze drei Tage nach Byrds angeblichem Rekord. Gestartet waren sie ebenfalls von Spitzbergen aus, und nach 70stündiger Fahrt landete das gewaltige Flugobjekt namens »Norge« in Alaska. Damit hatten Menschen auch zum allerersten Mal das gesamte Polargebiet überquert. -161-
14. Von Obst bis Oscar
O wie Obst Nach dem Genuss von Obst soll man kein Wasser trinken diese Regel scheint so lange zu existieren, wie es Mütter und Großmütter gibt. Angeblich verursacht nämlich der übermäßige Genuss kalten Wassers nach dem Äpfelchen arges Bauchgrimmen - eine Behauptung, die wir jetzt ein für allemal ins Reich der Fabel verweisen. Allerdings hatte die Warnung bis vor etlichen Jahrzehnten noch ihre Berechtigung, denn damals gab es noch keine Kläranlagen und selbst das bestmögliche Trinkwasser war mit Keimen durchsetzt. Diese wiederum brachten die Früchte im Kindermagen zum Gären, was die bekannten, höchst unangenehmen Folgen haben konnte: Da endete ein Tag schon mal auf dem »Donnerbalken«. Heute jedoch ist unser Trinkwasser in der Regel porentief rein, so dass wir zumindest in Mitteleuropa auch nach Obstgenuss literweise Wasser trinken können. In manchen Ländern Afrikas, Asiens oder Südamerikas sollten Sie da jedoch wesentlich vorsichtiger sein und die mütterliche Mahnung stets im Gedächtnis behalten.
O wie Odyssee »Ach«, pflegte mein alter Lateinlehrer zu schwärmen, »Sie hätten Altgriechisch statt dieses stupiden Französisch belegen sollen. Homers llias, Homers Odyssee im Original sind das einfach unvergleichliche Werke.« Tja - Herr Brune, diese Werke mögen tatsächlich unvergleichlich sein und vielleicht hätte der Schreiber dieser Zeilen im Griechischen auch mehr reüssiert als -162-
in der schwierig auszusprechenden Sprache unserer gallischen Freunde, doch die beiden von Ihnen zitierten Epen stammen leider nur zum Teil von Homer. Einwandfrei erwiesen ist, dass der »blinde Sänger« Homer zwar die llias verfasst hat, doch die Odyssee entstand erst Jahrzehnte nach seinem Tod. Allerdings haben der oder die unbekannten Verfasser sich alle erdenkliche Mühe gegeben, ganz in Stil und Sprache Homers zu bleiben, doch ganz ist ihnen das nicht gelungen. Sprach- und Literaturforscher wiesen anhand etlicher Feinheiten zweifelsfrei nach, dass sich vor allem die inhaltliche Gliederung deutlich vom Homerschen Stil unterscheidet, auch wenn sie nicht weniger eindrucksvoll gelungen ist. Auch weisen winzige Details - vor allem bei diversen Metaphern - darauf hin, dass an der Odyssee mehrere Autoren gearbeitet haben müssen.
O wie Ohrwurm Ein Wort mit zwei Bedeutungen: Zum einen wird mit »Ohrwurm« eine eingängige Melodie bezeichnet zum anderen ein Wurm, der sich's angeblich gerne im menschlichen Ohr gemütlich macht. Die Beurteilung der Metapher obliegt uns an dieser Stelle nicht, doch die zweite Behauptung ist schlichtweg Unsinn. Zum einen ist der »Ohrwurm« gar kein Wurm, sondern ein geflügeltes Insekt, zum anderen hat er überhaupt keinen Grund, sich in Menschenohren einzunisten. Er lebt schließlich von Blättern und kleineren Insekten und würde unser Ohrenschmalz in höchstem Maße »unappetitlich« finden. Seinen Namen hat er von den Hinterflü geln, die einer Hörmuschel sehr ähnlich sehen.
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O wie Oktober Der Oktober ist ein häufig missverstandener Monat. Zum einen ist er in unseren Breiten als nass und unfreundlich verschrieen und das, obwohl sein Regendurchschnitt unter dem des »Wonnemonats« Mai liegt. Zum zweiten glauben die meisten Ausländer und Norddeutschen immer noch, im Oktober starte das gleichnamige Münchner Volksfest, obwohl die »Wiesn« traditionell schon in der letzten Septemberwoche in die Vollen geht. Und zum dritten ist die sogenannte »Oktoberrevolution«, die Lenins berühmter Aufruf »An die Bürger Russlands« einläutete, eigentlich eine NovemberRevolution. Denn der gregorianische Kalender wurde in Russland erst im Februar 1918 eingeführt und Lenins Rotgardisten hatten Petrograd bereits ein halbes Jahr vorher besetzt. Der Startschuss zur bolschewistischen Revolte fiel nach der alten Zeitrechnung am 25. Oktober, doch nach dem heute gültigen Kalender verschiebt sich dieses Datum auf den 7. November. Doch der Begriff »Oktoberrevolution« hatte sich schnell eingebürgert warum etwas ändern, was sich bestens bewährt hat?
O wie Olympische Spiele Warum ist der Satz »Die nächste Olympiade findet in Soundso statt« grundverkehrt?…Geben Sie's auf - da kommen Sie nie drauf. Im ursprünglichen, altgriechischen Sinn meint das Wort Olympiade nämlich einen Zeitraum von vier Jahren, der im Jahr der Spiele begann. Die 25. Olympischen Spiele könnte man also bestenfalls als »Spiele der 25. Olympiade« bezeichnen, aber nicht einfach als »Olympiade«. Mit einem anderen Mythos haben wir schon beim Stichwort »Amateur« gründlich aufgeräumt. Auch die Sportheroen der -164-
Antike waren nämlich Profis, die sich ihren Lorbeerkranz angemessen »versilbern« ließen und nicht nur um Ruhm und Ehre kämpften.
O wie Oscar Was hat sich Ho llywood da nur entgehen lassen: Da hat man schon einen Filmpreis namens »Oscar«, und kein Mensch kommt auf die Idee, eine spannende Story um einen großzügigen Gönner zu erfinden, der sich nach dem Hochgenuss eines grandiosen filmischen Meisterwerks selbst ein Denkmal setzen wollte und die kleine goldfarbene Statue stiftete. Aber nein, die Wahrheit ist ebenso bekannt wie banal, wenngleich auch nicht ohne eine gewisse heitere Note. Einen Stifter namens »Oscar« hat es nie gegeben - vielmehr glaubte eine betrunkene Angestellte einer Produktionsfirma in dem kleinen Goldmännchen eine Abbildung ihres Lieblingsonkels erkennen zu können und der hieß nun einmal Oscar. Die korrekte Bezeichnung für die Trophäe, die die Akademie der Filmkünste und -Wissenschaften alljähr lich in diversen Sparten vergibt, lautet »Academy Award«. Bis zur Drucklegung dieses Buches war der Monumentalschinken »Ben Hur« mit elf von zwölf möglichen Oscars der Rekordhalter. Mit sieben beziehungsweise neun Oscars folgen »Schindlers Liste« und »Der englische Patient«.
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15. Von Panama-Hut bis Pyramiden
P wie Panama-Hut … hat mit Panama nix am Hut. Diese breitkrempige, elegante Kopfbedeckung für den sommerlichen Flanierer von Welt wird aus den getrockneten Blättern der sogenannten Panama-Palme hergestellt. Diese wächst allerdings nicht im mittelamerikanischen »Kanalstaat«, sondern in Bolivien und Peru. Hergestellt werden die Hüte heute zumeist in Ecuador dort hatte die Produktion zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch ihre Ursprünge.
P wie Papagei Zum Thema »Papagei« gilt es gleich zwei verbreitete Missverständnisse aufzuklären. Zum einen kann nicht jeder Papagei sprechen - selbst mit viel Liebe und Geduld werden Sie einige Arten niemals dazu bringen, menschliche Laute nachzuplappern. Zum anderen werden Papageien in der Regel auch nicht uralt - nur der Kakadu kann im extremen Einzelfall die 100-Jahre-Marke knacken. Die übrigen Arten der bunten Urwaldvögel sterben wesentlich früher, und vor allem Käfigvögel erreichen selten mehr als 30 Jahre.
P wie Pfefferkuchen Von den Bäckern des Mittelalters durfte man bei der Namensgebung nicht allzu viel Kreativität erwarten, und so -166-
kommt es, dass der Pfefferkuchen seinen Namen einzig und allein der Tatsache verdankt, dass bei seiner Erfindung alle exotischen Gewürze einfach als »Pfeffer« bezeichnet worden waren. Die wirklichen, damals recht exotischen Zutaten - Zimt, Nelken, Piment, Safran, Muskat und Ingwer - wurden also der Einfachheit halber unter dem Begriff »Pfeffer« zusammengefasst. Wirklichen Pfeffer enthält das leckere Lebkuchengebäck natürlich nicht - würde wahrscheinlich auch komisch schmecken.
P wie Pferde »Liegt ein Pferd auf dem Boden, dann ist es entweder gestolpert oder tot.« Diesen Satz hört man oft auch von sogenannten Pferdekennern, die häufig der felsenfesten Überzeugung sind, ihr vierbeiniger Liebling schlafe stets im Stehen. Pferde können dies zwar, doch wenn sie sich sicher genug vor eventuellen Gefahren fühlen - also beispielsweise im gewohnten Stall - bevorzugen sie zum Schlummern eine bequemere Haltung: Sie knicken zuerst die Vorderbeine ab und lassen sich dann aus dieser »knienden« Position auf die Seite plumpsen.
P wie Pflanzen Es gibt Menschen, die reden beruhigend auf ihre Zimmerpflanzen ein und behaupten steif und fest, dies bewirke Gesundheit und besseres Wachstum. Ohne das ausführlich zu begründen, dürfen wir diese abenteuerliche Mär mit Bausch und Bogen ins Reich der Fabel verweisen: Ausführliche Experimente haben ergeben, dass menschliche Gegenwart - so angenehm und zartfühlend sie auch sein mag - von Pflanzen -167-
jedweder Art ignoriert wird. Doch die wenigsten HobbyBotaniker wissen, dass es Pflanzen gibt, die in einem bestimmten Bereich tatsächlich höchst humanoide Züge entwickeln können: Wenn sie krank sind, bekommen sie Fieber. Das klingt unglaublich, aber amerikanische Wissenschaftler haben doch nachgewiesen, dass die Blätter kranker Pflanzen eine um drei bis fünf Grad höhere Temperatur aufweisen als die ihrer gesunden Artgenossen. Die Begründung für dieses Phänomen lieferten die Forscher gleich mit. Die Beschädigung an den Wurzeln führt zu einer massiven Störung bei der lebensnotwendigen Aufnahme von Wasser, was nicht nur »Hunger« bedeutet, sondern auch einen Verlust der inneren Kühlung.
P wie Pilatus Der arme Pontius Pilatus: Er wäre nun wirklich einer gewesen, der sich die Hände hätte in Unschuld waschen können, doch die Christenheit hat ihn schon seit ewigen Zeiten auf dem Kieker. Der römische Statthalter Judäas soll es gewesen sein, der Jesus dereinst zum Tod am Kreuz verurteilte. Doch Pilatus hatte mit der Angelegenheit wirklich kaum etwas zu tun. Er hatte Jesus zunächst sogar »freigesprochen«, doch der hatte seit seiner »Rausschmiss-Aktion« im Tempel bei der Jerusalemer Bevölkerung keine rechte Lobby mehr. Die aufgebrachte Volksmenge forderte Pilatus ultimativ auf, Jesus dem Urteil des sogenannten »Hohen Rats« zu unterstellen, und dieser oberste Gerichtshof der Juden verurteilte den Religionsgründer schließlich zum Tode. Den Vorsitz dieses Gerichts, dessen Urteil von der römischen Verwaltung aus diplomatischen Gründen (man wollte keinen Aufstand provozieren) notgedrungen bestätigt wurde, führte der Hohepriester Kaiphas. Pilatus hatte nur die unangenehme Aufgabe, das rechtmäßig -168-
ergangene Urteil vollstrecken zu lassen. Er tat dies wesentlich weniger grausam, als ihm lange unterstellt wurde. So musste Jesus entgegen den meisten Schilderungen keineswegs sein ganzes Kreuz auf Golgathas Höhen schleppen: Historiker wiesen nach, dass es damals lediglich üblich war, die Delinquenten den Querbalken tragen zu lassen. Und dass Pontius Pilatus in diesem Fall vom üblichen Vorgehen abwich, ist nicht zu vermuten, denn unter Zeitgenossen galt er als gerechter und korrekter Politiker.
P wie Pilze Insekten - gleich welcher Art - gelten nicht unbedingt als Krönung der Schöpfung, sondern im allgemeinen als höchst lästige Lebewesen. Doch abgesehen davon, dass sie für den biologischen Kreislauf unverzichtbar sind, haben einige von ihnen dem Menschen auch etwas voraus: Sie züchten nämlich schon seit Jahrtausenden Pilze. Nun mögen Sie einwenden, dies sei doch keine große Kunst, doch dem Menschen gelang es erst kurz vor Drucklegung dieses Buches, nämlich im Februar 1997, erstmals essbare Pilzkulturen eigenhändig zu züchten. Ein Team von schwedischen und amerikanischen Wissenschaftlern vollzog dieses höchst komplizierte Experiment unter Laborbedingungen. Doch beispielsweise die Blattschneider-Ameise erweist sich schon von jeher als perfekter »Pilzzüchter«, denn sie benutzt feinzerkaute Pflanzenteile als Nährboden für Pilzkulturen. Beim Heranwachsen werden bestimmte Stellen der Pflanzen systematisch abgebissen, und die ständige »gärtnerische« Pflege führt tatsächlich zum gewünschten Wuchs. Auch Termiten züchten Pilze, wobei sie als Dünger ihren eigenen, sehr nährstoffreichen Kot benutzen. Das Resultat ist eine sehr spezielle Form, die auf natürlichem Wege nie und nimmer zustande gekommen wäre. -169-
P wie Piraten Nicht alle Piraten waren wilde, barbarische Raubritter der Meere, und noch weniger von ihnen waren edle Gestalten, wie Errol Flynn sie einst verkörperte. Die Wahrheit ist - es gab solche und solche. Neben denjenigen, die unter der Totenkopfflagge so ziemlich jedes schwächere Schiff angriffen, versenkten oder kaperten und alles mitnahmen, was nicht nietund nagelfest war (einschließlich die bedauernswerten Frauen an Bord - die männlichen Gefangenen wurden zumeist ermordet), existierten tatsächlich auch die »guten« Piraten. Sie nannten sich in der Regel »Korsaren« oder »Freibeuter« und waren in offiziellem Auftrag unterwegs. Der berühmteste unter ihnen war Sir Francis Drake, der es nach seiner Freibeuter-Laufbahn immerhin zum Vizeadmiral der britischen Flotte brachte und vom König für seine Verdienste geadelt wurde. Ausgestattet mit einem »Kaperbrief« ihrer Regierung, waren die Korsaren damit beauftragt, den jeweiligen Feind oder Kriegsgegner abseits der üblichen Routen und fernab der großen Seeschlachten zu jagen, zu schwächen und auszurauben. Mit eventuellen Gefangenen wurde dabei normalerweise höchst ritterlich umgegangen, wenngleich natürlich bessergestellte Passagiere um die Zahlung eines Lösegelds nicht herumkamen. Korsaren waren also ein Art »selbstständige Unternehmer in Sachen Raub«, wobei sie zwischen 60 und 70 Prozent der Beute an ihre jeweilige Regierung abzuliefern hatten. Der Rest der »Prise« ging zur Hälfte an den Kapitän - der verbleibende Teil wurde unter der Mannschaft aufgeteilt. Ihre Blütezeit erlebten Piraten und Korsaren zwischen dem 14. und dem 19. Jahrhundert, doch auch heute gibt es (vor allem im südchinesischen Meer) einzelne Seeräuber, die sich allerdings vor allem an kleinen Fischerbooten oder wehrlosen Dschunken gütlich tun.
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P wie »Play it again, Sam« Zumindest diejenigen unter den Cineasten, die den Kultfilm »Casablanca« schon mehr als dreimal gesehen haben (und davon gibt es viele), müssten eigentlich wissen, dass der berühmte Satz »Play it again, Sam« nie gefallen ist. Weder der unvergleichliche Humphrey Bogart noch die betörende Ingrid Bergman hatten diesen Ausspruch in ihrem Text. Das angebliche Zitat ist lediglich eine sehr stark verkürzte Version einer Bergman'schen Aufforderung an den Klavierspieler Sam: »Play it once, Sam, for old time's sake« (Spiel es noch einmal, Sam - um der alten Zeiten willen).
P wie Plumpudding Wie freute sich der Schreiber dieser Zeilen, als ihm die beleibte Haushälterin zur Feier seines 10. Geburtstags am Abend einen schönen »Plumpudding« versprach. Einen ganzen Schultag lang malte er sich die zweifelsohne süße Köstlichkeit aus, die ihn am Abend erwarten würde - doch wie groß war schließlich die Enttäuschung. Denn die kochfreudige Dame war Britin, und leider verstand sie unter »pudding« etwas völlig anderes als der naive Spross der Familie. Dieser bekam nämlich am Abend eine Mischung aus Mehl, Nierenfett, ein wenig Hackfleisch, Weißbrot und Nüssen serviert. Das Ganze wurde perverserweise auch noch in einer Puddingform zubereitet, enthielt Sherry und wurde mit zuckersüßer Vanillesauce übergössen. Nach einem Höflichkeitsbissen schützte das jugendliche Geburtstagskind eine leichte Magenverstimmung vor (die bei weiterem Verzehr wahrscheinlich auch bittere Realität geworden wäre) und verließ fluchtartig die Küche. Seitdem weiß der Autor, dass der britische »pudding« nichts mit der gleichnamigen deutschen Süßspeise gemein hat. Bei »black -171-
pudding« handelt es sich beispielsweise um eine Art bittere Blutwurst.
P wie Poker Nicht etwa in den Saloons von Kalifornien oder Texas ist das Pokerspiel entstanden, sondern schon vor etwa 3000 Jahren im alten Persien. Das Spiel nannte sich »As« und bezog seinen Reiz schon damals aus der als »Bluffen« bekannten Hochstapelei. Auf seinem Weg nach Europa fand das Spiel schnell neue Freunde und wurde unter anderem in Griechenland, Italien und Frankreich gepflegt. Von der französischen Version »Boulotte« leitete sich dann das amerikanische »Poker« in seinen verschiedenen Varianten ab.
P wie Pompeji Nicht etwa die heiße Lava des Vesuv besiegelte den Untergang Pompejis, sondern die meisten Bewohner fanden den Tod durch giftige Dämpfe, die der Vulkan produzierte. Wäre nämlich der heiße Magmastrom tatsächlich - wie in so manchem Katastrophenschinken dargestellt - als alles verzehrende Feuerwalze über die antike Stadt hereingebrochen, so hätten die Archäologen des 19. und 20. Jahrhunderts kaum noch so gut erhaltene Überreste der Stadt gefunden. Die Lava hätte vermutlich keinen einzigen Stein auf dem anderen gelassen. Begraben wurde Pompeji im Jahre 79 n. Chr. von einem gewaltigen Aschenregen, über dessen Ausmaß man heute nur noch spekulieren kann. Fest steht, daß der dunkle »Mantel« über den Mauern und Ruinen (viele Häuser waren schon durch die Erschütterungen des Ausbruchs eingestürzt) fast acht Meter dick war. Durch heftige Regenfälle, die wahrscheinlich durch die -172-
regionalen Wetterveränderungen nach der Eruption ausgelöst wurden, klebte die Asche zu einer zähen Masse zusammen und »konservierte« die tote Stadt somit für die Nachwelt.
P wie Potemkinsche Dörfer ... hat es nie gegeben. Sie waren eine böswillige Unterstellung eines grantigen deutschen Diplomaten namens Heibig und wurden von der europäischen Presse des 18. Jahrhunderts bereitwillig übernommen und verbreitet. Nach einer Reise durchs russische Hinterland, zu der man den eigenwilligen Diplomaten nicht eingeladen hatte, verbreitete er eine abenteuerliche Geschichte. Demnach habe der Fürst Gregor Alexandrowitsch Potemkin, ein Feldmarschall und Baumeister, seiner Zarin Katharina der Großen falsche Tatsachen vorgespiegelt. So habe er am Straßenrand »Dörfer« aus buntbemalten Holzfassaden errichten lassen - lauter Scheinfassaden ohne Substanz und echtes Leben. Abgesehen von der Frage, ob ein solch ungeheurer logistischer Aufwand durchführbar gewesen wäre, ohne daß die Zarin davon gehört hätte, ist es auch sehr unwahrscheinlich, daß sich eine derart plumpe Täuschung hätte durchführen lassen. Andere zeitgenössische Quellen berichten jedenfalls an keiner Stelle von einem derart dreisten Bubenstück Potemkins. Dieser Günstling der Zarin galt vielmehr als ungeheuer kluger und vitaler Mann, der zahlreiche »echte« Städte begründet hat. Seiner Initiative sind unter anderem Cherson und Sewastopol zu verdanken. Daß die Lüge über die Potemkinschen Dörfer sowohl in Europa als auch in Moskau selbst so schnell zur eingängigen »Latrinenparole« wurde, ist nachvollziehbar: Im Westen beobachtete man den schnellen Aufstieg Russlands zur Weltmacht mit Argwohn und Neid, hatte man den »russischen Bären« doch zeitlebens als »hinterwäldlerisches, tapsiges -173-
Dummerchen« dargestellt. Leistungen, wie Potemkin sie tatsächlich erbrachte, hätten diese Ansicht womöglich untergraben, und da kam es der westeuropäischen Politik gerade recht, das gepriesene Genie als Hochstapler »entlarven« zu können. Und in Moskau war man ohnehin neidisch auf den Feldmarschall, der trotz zahlreicher gegen ihn gesponnener Intrigen nach wie vor zu den Lieblingen Katharinas gehörte. Die Zarin selbst hat das Märchen von den Potemkinschen Dörfern übrigens nie für bare Münze genommen - einigen Andeutungen in verschiedenen Quellen zufolge soll sie sich darüber sogar sehr geärgert haben.
P wie Potenz Wir wollen an dieser Stelle nicht darüber spekulieren, ob es tatsächlich potenzsteigernde oder erhaltende Mittelchen gibt, die den männlichen Homo sapiens zu sexuellen Höchstleistungen anspornen. »Tigerhoden« sind es jedenfalls nicht. Feststellen müssen wir aber, dass so mancher Mann, der freiwillig auf ein solches »Wundermittel« zurückgreift, es eigentlich gar nicht nötig hätte. Denn die Ansicht, dass man mit zunehmendem Alter auch automatisch seine »starre« Männlichkeit einbüße, entbehrt der Grundlage. So wurde der amerikanische Arzt Dr. James D. Hullinger im stolzen Alter von 92 Jahren noch Vater - erlebte sein Kind anschließend allerdings nur noch drei Monate. Ob er durch den Zeugungsakt seine letzten Reserven verbraucht hat, wissen wir natürlich nicht, doch ganz sicher ist, dass sehr viele Männer noch nach ihrem achtzigsten Lebensjahr die Fähigkeit zum Beischlaf besitzen. Ob sich die rechte »Lust« in diesem Alter noch einstellt, ist eine andere Frage, doch wo kein Wille vorhanden, ist auch kein Verlust zu beklagen. Theoretisch kann auch der Senior noch durchaus »seinen Mann stehen« medizinisch spricht jedenfalls nichts dagegen. -174-
P wie Prager Fenstersturz Der »Prager Fenstersturz« war der Auslöser für den 30jährigen Krieg. Dies ist zwar richtig, doch selbst in Historikerkreisen wird oft übersehen, dass der »Prager Fenstersturz« kein einmaliges Ereignis war, sondern dass es 200 Jahre zuvor schon einmal ein fast identisches Geschehen gegeben hatte. Am 30. Juli 1419 nämlich stürmten Anhänger des Reformators Hus das Rathaus der Prager Neustadt und warfen aus Wut über die hussitenfeindliche Politik von König Wenzel etliche Ratsherren aus den Fenstern. Die daraus entstandenen Prozesse und Verwicklungen mündeten schließlich in die Hussitenkriege, die bis ins Jahr 1436 andauerten. Am 23. Mai 1618 dann warfen böhmische Protestanten zwei Statthalter des deutschen Kaisers von einem Fenster der Prager Burg in den darunter liegenden Graben und läuteten damit den protestantischen Aufstand ein. Der 30jährige Krieg hatte begonnen.
P wie Pyramiden Den Begriff »Pyramide« assoziiert man in aller Regel mit Ägypten, dem Wüstensand und dem Nil. Dabei vergisst man allzu häufig, dass es Pyramiden auch im heutigen Mexico gab und gibt und dass die Azteken sogar die allergrößte Pyramide der Welt errichteten. Unweit des Städtchens Cholula - 108 Kilometer südlich des Stadtzentrums von Mexico-City - steht das gewaltige Bauwerk, das allerdings noch immer nicht vollständig freigelegt wurde. Die Pyramide ist in vie r gewaltigen Stufen angelegt, sie ist 54 Meter hoch und umspannt eine Grundfläche von 18 Hektar. Mit einem Rauminhalt von 3,3 Millionen Kubikmetern ist sie fast ein Drittel größer als die berühmte Cheops-Pyramide in Ägypten. -175-
16. Von Raben bis Ruhrgebiet
R wie Raben Völlig zu Unrecht gelten Raben als schlechte Eltern. Der Begriff »Rabeneltern« basiert auf der Annahme, dass die schwarzgefiederten Vögel ihre Brut aus dem Nest werfen, wenn es ihnen zu lästig wird, die Kleinen durchzufüttern. Doch genau das Gege nteil ist richtig: Raben sind höchst fürsorgliche Eltern. Sie leisten beim Ausschlüpfen intensive »Geburtshilfe«, decken ihre Jungen zärtlich zu, wenn es denen zu kalt wird und sorgen mit rührender Anteilnahme dafür, dass der Nachwuchs niemals Hunger leidet. Warum sie dennoch so einen schlechten Ruf haben? Nun - Rabeneltern sorgen tatsächlich dafür, dass ihre Jungen so schnell wie möglich flügge werden; sobald die kleinen Raben ihre Flügel gebrauchen können, werden sie auch schon aus dem Nest geschubst. Das hat allerdings nichts mit Überdruss zu tun, sondern viel mehr mit weiser Voraussicht. Junge Raben sind nämlich für so manchen Raubvogel ein gefundenes Fressen; um schnell fliehen und sich einem Schwarm angliedern zu können, müssen sie so schnell wie möglich selbständig werden. In der Regel klappt das auch prima - jedenfalls hat noch niemand beobachtet, dass die aus dem Nest geschubsten Jungraben wie Steine zu Boden plumpsen. Zwar sehen die ersten Flugversuche noch etwas wacklig aus, aber letztlich behält der Instinkt die Oberhand und alle landen sicher wieder auf dem nächsten Ast.
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R wie Rattenfänger Wie so viele Volkssagen scheint auch die vom »Rattenfänger von Hameln« einen wahren Kern zu haben. Am 26. Juni 1284 soll ein eleganter Jüngling in Hameln erschienen sein und den Stadtvätern der rattengeplagten Kommune ein Angebot unterbreitet haben: Für 1000 Taler wolle er die Stadt von der Rattenplage befreien. Die Bürger waren einverstanden und beobachteten staunend, wie der Fremde mittels einer silbernen Flöte die Ratten aus ihren Verstecken »heraustrillerte« und sie in die Weser lockte, wo sie allesamt ertranken. Doch dann schien den Hamelnern der zuvor ausgehandelte Lohn zu hoch zu sein und sie trieben den Fremden aus ihren Toren. Aber der Pfeifer kam wieder, spielte erneut seine Flöte und lockte diesmal 130 Kinder aus dem Osttor, die den Klängen seiner Musik wie hypnotisiert folgten. Anschließend verschwand er mit dem Zug der Kinder und ward nie mehr gesehen. So weit die Sage, doch der Studiendirektor Heinrich Spanuth, ein waschechter Hamelner, mochte sich um 1950 mit dieser Version der Legende nicht so recht anfreunden. Das intensive Studium alter handschriftlicher Quellen und Berichte brachte ihn schließlich auf die richtige Spur. Richtig schien demnach das genannte Datum zu sein, und auch der Auftritt des eleganten jungen Mannes ist verbürgt. Doch hatten die Übersetzer aus dem Mittelhochdeutschen das Wort »kint« mit dem modernen »Kind« gleichgesetzt, obwohl es ursprünglich nicht nur Unmündige bezeichnet hat, sondern auch junge Männer und Frauen. Spanuth kam nun zu Hilfe, dass der Würzburger Stadtarchivar Wolfgang Wann bei seinem Geschichtsstudium in Prag ebenfalls auf alte Handschriften gestoßen war, die belegten, dass unweit der mährischen Stadt Brunn zum fraglichen Zeitpunkt im 13. Jahrhundert eine Stadt namens Hamlingow gegründet worden war - die slawische Version von »Hamlingen«, das heute Hameln heißt. Das Rätsel war somit -177-
gelöst: Beim eleganten Jüngling handelte es sich offensichtlich um einen Werber, der im Auftrag des Bischof von Olmütz unterwegs war. Da um das damalige Hameln seinerzeit akute Platznot herrschte, hatte der »Rattenfänger« keine Probleme, junge Leute zu bewegen, ihm in neue Siedlungsgebiete zu folgen. Am 26. Juni 1284 formierten sich dann tatsächlich die Aussiedler auf dem Hamelner Marktplatz und zogen unter der Führung des legendären Pfeifers durch das Osttor aus der Stadt. Hameln war allerdings nicht die einzige Stadt, die ihre »Kinder« in diesen Jahren nach Osten entließ: Insgesamt fast 30000 junge Männer und Frauen folgten der Verlockung des wohlfeilen Lands in Mähren und Pommern und ließen sich dort nieder.
R wie Rauchen »Niemand ist intoleranter als ein ehemaliger Raucher«, behaupten Tabakanhänger oft und gerne, und um diesen »leisen« Vorwurf zu widerlegen, möchte der Autor an dieser Stelle eine Lanze für die Raucher brechen. So ist beispielsweise die Pauschalverurteilung des Rauchens als »stets gesundheitsschädlich« nicht ganz korrekt. Durch den Zigarettenkonsum nämlich werden so jedenfalls wissenschaftliche Studien - Krankheiten wie »Parkinson« und »Alzheimer« gebremst oder sogar verhindert. Dabei spielt wahrscheinlich die Kombination von Nikotin und einer chemischen Substanz namens Acetylcholin, die elektrische Impulse von Gehirnze lle zu Gehirnzelle leitet, eine entscheidende Rolle: Der Alterungsprozess der kleinen grauen Zellen wird verlangsamt. Dies soll jetzt allerdings nicht bedeuten, dass Nichtraucher grundsätzlich früher »verblöden« oder gar, dass Raucher länger leben. Im Gege nteil - die krebserregende Wirkung des Rauchens ist unumstritten, und selbst amerikanische Zigarettenhersteller -178-
gaben jüngst offiziell zu, dass Glimmstängel süchtig machen. Doch die wachsende Legion der Nichtraucher führt noch ein anderes Argument für den Tabakverzicht ins Feld, das einer exakten Prüfung nicht standhält. Der Raucher belastet angeblich unser Gesundheitswesen über Gebühr. Sorry, liebe TabakGegner, aber wenn man nur die nackten Zahlen zugrunde legt, stimmt dies einfach nicht. Richtig ist, dass ein Raucher im Schnitt früher und häufiger krank wird und zu Lebzeiten die Krankenkassen wesentlich mehr kostet als ein gleichaltriger Nichtraucher. Traut man den Statistiken, macht der »blaue Dunst« pro Jahr 100000 Deutsche zu Frühinvaliden und verursacht rund ein Drittel aller Krebsgeschwüre. Beeindruckende Zahlen, sicherlich, doch der Raucher stirbt eben auch wesentlich früher. Langjährige Studien haben ergeben, dass der Gewohnheitsqualmer im Durchschnitt vier bis sechs Jahre früher den »Löffel abgibt« - bei Kettenrauchern kann der Unterschied sogar zwölf Jahre betragen. Dies wiederum bedeutet, dass die Versicherungen für diese Gruppe ihrer Mitglieder eine deutlich kürzere Zeitspanne zu sorgen haben und letztlich deutlich günstiger fahren als mit den nichtrauchenden Versicherten. Hinzu kommt der Aspekt der Sozialversicherung: Da Zigarettenkonsumenten früher sterben, haben sie in der Regel zwar kräftig in die Rentenkasse eingezahlt holen aber häufig - mangels Gelegenheit - kaum noch etwas heraus. Zählt ma n dazu nun noch die Tabaksteuer, auf die der Finanzminister wohl kaum verzichten möchte, muss man konstatieren, dass Raucher in erster Linie sich selbst schaden.
R wie Reis Betont schlicht verpackt dient der »braune Reis« heute so manchem Naturkostladen als Zierde des Sortiments. »Besonders gesund« sei er, schwärmt der makrobiotisch ernährte -179-
Strickpulloverträger hinter dem Ladentisch und natürlich »absolute Vollwert-Nahrung«. Bedauerlicherweise müssen wir dem sympathischen Vollbart energisch widersprechen. Braunem Reis fehlen nämlich die wichtigen Vitamine A, C und B 12, und auch der Gehalt von Eisen und Kalzium ist denkbar gering. Sollten Sie also tatsächlich erwägen, sich einige Wochen nur von den braunen Körnern ernähren zu wollen, tun Sie's auf eigene Gefahr: Gesund ist es jedenfalls nicht.
R wie Ringe des Saturn Seit seiner Entdeckung zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren Astronomen überzeugt davon, beim Saturn auf ein einmaliges Phänomen gestoßen zu sein. In seinen Ausmaßen fast 700mal so groß wie die Erde, besteht der Planet aus einem relativ bescheidenen Gaskern und einer Tausende von Kilometern dicken Hülle aus Eis und Gas. Insofern ähnelt er dem Jupiter, doch wie wir alle wissen, ist der Saturn von Ringen umgeben. Diese sind wahrscheinlich Überreste eines anderen Himmelskörpers, der der Anziehungskraft des Riesen nicht gewachsen war und dadurch buchstäblich in Stücke gerissen wurde. Doch tatsächlich ist der Saturn nicht der einzige Planet, der von derartigen Ringen umkreist wird - ja, nicht einmal der einzige unseres Sonnensystems. 1977 wurde mit Hilfe von Raumsonden ermittelt, dass auch Uranus und Jupiter Ringe (wenn auch nicht so gewaltige) besitzen, und einige Forscher gehen mittlerweile davon aus, dass sogar die Sonne selbst von einigen ringförmigen Trümmerteilen umkreist wird.
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R wie Ritter »Ach, wie ritterlich«, denkt sich die schöne junge Dame mit den empfindlichen Schuhen, als der jugendlich feurige Galan sich das Sakko vom Leib reißt, es über die Pfütze legt und damit für ihre trockene Straßenüberquerung sorgt. Doch Gott helfe der Lady, wenn sich der charmante Kavalier wirklich »ritterlich« verhält. Dann würde er ihr nämlich wahrscheinlich zunächst die Perlenkette vom Hals reißen, sie dann unsanft um die Taille packen, auf seinen breiten Rücken schwingen und bei nächster Gelegenheit den erzwungenen Beischlaf praktizieren. Entgegen der heute landläufigen Meinung, waren die meisten Ritter zwischen dem 6. und dem 16. Jahrhundert nämlich weder edle Minnesänger noch tapfere Duellanten, sondern Räuber, Diebe, Totschläger, Vergewaltiger und Tyrannen. Von der Obrigkeit ursprünglich für zweifelhafte Verdienste auf dem Schlachtfeld mit dem Rittertitel ausgezeichnet und diesen von Generation zu Generation vererbend, plünderten sie systematisch die kleinen Leute aus, forderten und erhielten von reisenden Kaufleuten horrende Wegzölle und machten auch vor Nonnenschändungen und Menschenhandel nicht halt. Beheimatet waren sie zumeist auf kleinen Burgen, die sie sich von versklavten Untertanen hatten errichten lassen, und lediglich wenn ein höhergestellter Adliger sie an ihre kriegerischen Pflichten erinnerte, unterbrachen sie ihr barbarisches Treiben eine Weile und mordeten statt dessen auf diversen Schlachtfeldern. Das »deutsche Rittertum« erfuhr erst durch den »Allgemeinen Landfrieden« von Kaiser Barbarossa eine gewisse Besserung, und als der Heilige Stuhl dann zum Kampf gegen die Heiden des Morgenlandes aufrief, machten sie sich scharenweise zu den Kreuzzügen auf. Militärisch geführt, entdeckten etliche der vormaligen Schlächter dadurch eine etwas gesittetere Lebensart, auch wenn viele lediglich mitgezogen waren, um sich mit der Kriegsbeute aus dem heiligen Land die eigene Kasse -181-
aufzufüllen. Das Bild vom »edlen Ritter« geht auf einige wenige Ausnahmeerscheinungen zurück, wobei hier natürlich in erster Linie die Artus-Sage zu nennen ist. Die Ritter der legendären Tafelrunde dürften dem heute vorherrschenden Ideal recht nahe gekommen sein.
R wie Robinson Crusoe …war beileibe keine reine Erfindung des britischen Autors Daniel Defoe. Allerdings hieß der schicksalsgeplagte Seemann nicht Robinson, sondern Alexander Selkirk. Der Schotte war im Jahre 1704 nach einer Revolte an Bord seines Schiffes auf der Insel Juan Fernandez ausgesetzt worden. Auf dem menschenleeren Eiland, fernab der üblichen Schifffahrtsrouten, hauste er vier Jahre und vier Monate, ehe ihn ein gewisser Kapitän Jason Rogers von diesem öden Dasein erlöste. Rogers war es auch, der einige Zeit später einen ersten Bericht über das Inselleben des Alexander Selkirk veröffentlichte, diesen Aufsatz benutzte Defoe für seinen Roman. Allerdings nahm er sich etliche dichterische Freiheiten heraus. Aus Alexander wurde Robinson, aus vier Jahren wurden 28, und einen gewissen Freitag hat der »echte Insulaner« auch nie getroffen.
R wie Roland Ein junger, strahlender Held soll Roland gewesen sein, als er sich fast allein einer Horde wildentschlossener Barbaren in den Weg stellte und im Sterben noch sein »Rolandshorn« blies, um die Armee des Kaisers zu warnen und zur Hilfe zu rufen. Zeitgenössische Quellen jedoch beweisen, dass große Teile des Rolandsliedes frei erfunden sind. »Hruodland«, ein Neffe -182-
Karls des Großen, hatte diesen bei einem Feldzug gegen die Mauren begleitet. Bei der Rückkehr über die Pyrenäen wurde die Nachhut des Heeres von einer Einheit baskischer Christen überfallen und unterlag den Angreifern in einem kurzen, aber blutigen Scharmützel. Hruodland, ein offensichtlich recht mittelmäßig begabter Kämpfer und weithin unbekannter Adliger, starb bei diesem Gefecht ebenso wie der Senneschall des Königs, Eggibert, und ein gewisser Pfalzgraf Anshel. Hruodland, zu dieser Zeit Präfekt der Bretagne, wurde wohl aufgrund seiner reichen Erfahrung der Nachhut zugeteilt - so jung, wie uns das Rolandslied weismachen möchte, kann er wohl kaum gewesen sein. Im übrigen wird der ganze Vorfall vom Hofbiographen Karls des Großen nur in einem einzigen Satz erwähnt, und andere Quellen finden das Ereignis nicht einmal einer Erwähnung wert. Von einem Rolandshorn ist also ebenso wenig die Rede wie von einer entscheidenden Attacke der heidnischen Mauren.
R wie Rom …gilt wahlweise als »Ewige Stadt« oder als »Die Stadt auf den sieben Hügeln«. Über die erste, höchst subjektive, Metapher wollen wir hier nicht urteilen, doch beim zweiten Bild bleibt uns nichts anderes übrig als einzuhaken. Denn entweder hat sich da jemand ganz gewaltig verzählt oder es liegt ein klarer »Übertragungsfehler« vor: Schon zu Regierungszeiten Konstantins (306-337), in denen die Sieben-Hügel-Phrase zum ersten Mal verwendet wurde, waren es nachweislich mindestens zwölf Hügel, auf denen Rom erbaut worden war. Und wenn man die Ausdehnung der Stadt heute sieht und die Definition des Wortes »Hügel« ein bisschen großzügiger auffasst, dann sind es mittlerweile rund 25.
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R wie Romeo und Julia Auch wenn es dem Touristenbüro von Verona in der Seele weh tun mag: Romeo und Julia haben nie gelebt. Die beiden tragischen Liebenden sind allerdings auch keine Erfindung des englischen Dichters Shakespeare, sondern wurden bereits um 1450 vom italienischen Barden Massucio Salernitano ersonnen. Weitere italienische Poeten griffen den Stoff in der Folgezeit begeistert auf und strickten ihre eigenen Versionen. Erst 1597 veröffentlichte William Shakespeare sein weltberühmtes Drama. Kompliment dem veronesischen Fremdenverkehrsverband: Man kann in der norditalienischen Stadt das angebliche Haus der Julia besichtigen, den Sarg der toten Schönen und natürlich auch Romeos Elternhaus. Nach einem »Echtheitszertifikat« werden Sie allerdings vergeblich suchen.
R wie Roter Platz Nicht etwa zu Ehren der dereinst siegreichen Kommunisten oder der Roten Garden heißt der zentrale Platz Moskaus »Roter Platz«. Im Russischen lautet die Bezeichnung nämlich »Krasnaja Plotschtschad«, und das Wörtchen »krasnaja« bedeutet »rot« ebenso wie »schön«. Nun ließe sich sicherlich trefflich darüber spekulieren, warum »rot« und »schön« im Russischen den gleichen Wortlaut haben, doch können wir dies getrost den Linguisten überlassen. Der Russe verbindet mit Moskaus Zentrum jedenfalls einfach »Schöner Platz«.
R wie Rotes Tuch Allen ängstlichen Spaziergängern sei hiermit ausdrücklich versichert: Dem Stier auf der Weide ist es völlig egal, welche -184-
Farbe Ihr Mantel hat. Er kann gelb, grün oder auch knallrot sein. In der Arena wird der farbenb linde Vierbeiner nämlich nicht vom grellen Rot des Tuchs gereizt, sondern nur durch das wilde Schwenken desselben durch einen zappeligen Torero. Wenn Sie sich also plötzlich Aug in Aug mit acht Zentnern gehörnter Masse wiederfinden, sollten Sie vor allem hastige Bewegungen vermeiden.
R wie ruchlos Gäbe es eine Zeitmaschine, so würden wir uns über so manche Wortwahl unserer Vorfahren sehr wundern. Ein perfektes Beispiel dafür ist das Wort »ruchlos«, das heute für »gottlos«, »frevelhaft« oder »gemein« steht. Es hatte nämlich ursprünglich eine völlig andere Bedeutung. Ein »ruchloser Gesell« war bis zum 17. Jahrhundert lediglich ein »unbekümmerter Bursche« und eine »ruchlose Tat« war höchstens »sorglos« zu nennen. Den negativen »Touch« erhielt das Wort erst durch die Kirche: Denn »Ruchlosigkeit« (Sorglosigkeit) gegenüber dem, was heilig ist, wurde natürlich als Blasphemie empfunden.
R wie Ruhrgebiet Noch heute wird - vor allem von sozialdemokratischen Politikern - gerne der Irrglauben genährt, das Ruhrgebiet sei eine reine Arbeiterregion. Tatsache ist, dass nur etwa ein Fünftel der dortigen Arbeitnehmer im ausgehenden 20. Jahrhundert noch in Bergbau und Industrie beschäftigt sind. Die überwiegende Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung rechnet sich zu den Angestellten im Dienstleistungssektor. Im Sauerland arbeiten prozentual gesehen wesentlich mehr -185-
Menschen im industriellen Bereich: Teilweise sind es dort zwischen 30 und 50 Prozent.
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17. Von Salome bis Strauss
S wie Salome Wieder mal eine historische Gestalt mit eine m schlechten Ruf: Salome, so munkelt heute der gläubige und einigermaßen belesene Kirchgänger, war schuld an der Enthauptung Johannes des Täufers. Doch verantwortlich war nicht die schöne Tänzerin, sondern vielmehr ihre Mutter. Nachzulesen ist dies beim Evangelisten Markus (6,24.): Der beschreibt nämlich, dass König Herodes von Salomes Tanzkunst so beeindruckt war, dass er ihr einen Wunsch freistellte. Da das Mädchen offenbar nicht so recht wusste, was sie sich nun wünschen solle, ging sie und fragte - wie es brave Kinder eben tun - ihre Mutti. Die Dame namens Herodias sagte »Das Haupt Johannes des Täufers«, und tatsächlich war damit das Todesurteil über Johannes gesprochen. Warum Salomes Mutter diesen grausigen Wunsch äußerte, ist beim jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus nachzulesen: Herodias war nämlich ursprünglich die Frau des Bruders von König Herodes, doch der Monarch war von seiner schönen Schwägerin so beeindruckt, dass er sie seinem Bruder einfach wegnahm. Die Dame zeigte sich darüber sehr geschmeichelt, statt angemessene Gegenwehr zu leisten - und genau diese unmoralische Haltung hatte ihr Johannes der Täufer öffentlich vorgehalten. Dies erboste die schöne Mutter derart, dass sie seinen Tod forderte.
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S wie Salz Bis in die jüngste Vergange nheit wurde von wohlmeinenden Betreuern oder Trainern empfohlen, nach schweißtreibenden, sportlichen Aktivitäten doch bitteschön etwas Salz zu sich zu nehmen. Die Begründung: Schweiß entzieht dem Körper Salz. Das ist zwar nicht falsch, doch Salz entzieht dem Körper noch zusätzlich Flüssigkeit, und damit mag dann zwar der Salzhaushalt wieder ausgeglichen sein - der körpereigene Wasserhaushalt ist es sicher nicht. Salzzufuhr direkt nach dem Sport kann sogar zu völliger Entkräftung und einem Kreislaufkollaps führen.
S wie salziger Boden Viele Kleingärtner beklagen ihren »salzigen Boden« und behaupten, darauf könne ohnehin nichts wachsen. Doch manche Pflanzen fühlen sich gerade auf einem salzreichen Terrain besonders wohl wie zum Beispiel das Kalisalzkraut, der Queller oder die Strandnelke. Eines haben diese Vertreter der Flora allerdings gemein - sie wirken eher karg und sind nicht unbedingt eine Zier für den gepflegten Vorgarten.
S wie Samowar Vor allem überzeugte Kaffeetrinker sind der Meinung, der Samowar sei eine Art »russische Teemaschine«. Teeliebhaber wissen es natürlich besser, denn bei einem Samowar handelt es sich um ein zuweilen malerisch geschmücktes, kesselartiges Gefäß, das über einer Art Grill thront. Im Samowar wird lediglich das Wasser erhitzt - hochkonzentrierter Tee- Extrakt -188-
wird in einem Extraschälchen offeriert. Davon schüttet man sich etwas in die Tasse - die Menge hängt natürlich davon ab, wie stark Sie ihren Tee wünschen - und lässt dann aus dem Samowar das kochende Wasser darüber laufen.
S wie Sauerstoff Noch immer herrscht die Meinung, die Atemluft bestünde zum größten Teil aus Sauerstoff. Wenn dem so wäre, wären wir alle entweder ständig »high« oder hätten andere Atemorgane. Tatsächlich besteht Luft nämlich zu 78 Prozent aus Stickstoff und nur zu 21 Prozent aus Sauerstoff. Das restliche Prozent wird mit sogenannten »Edelgasen« aufgefüllt: Neon, Helium, Argon Kohlensäure und Wasserdampf. Übrigens: Auch Wasser enthält Sauerstoff, denn auch Fische müssen atmen. Sie filtern das kostbare Gas durch ihre Kiemen in die Körper.
S wie Schinderhannes Curd Jürgens verkörperte den »Schinderhannes« dereinst als eine Art »Rächer der Enterbten«, und auch zahlreiche Novellen und Romane sehen in dem Räuberhauptmann Johannes Bückler eine Art deutschen Robin Hood. Der romantischen Verklärung zum Trotz wiesen Historiker jedoch schon vor geraumer Zeit nach, dass am ehemaligen Pferdeschlachter (damals »Schinder«) kaum edle Charakterzüge zu entdecken waren. Schon als 15jähriger klaute er Geld und Vieh und mit 16 Jahren schloss er sich im Hunsrück einer wilden Räuberbande an. Bereits nach kurzer Zeit erwies er sich als besonders rücksichtslos und wagemutig und wurde zu einer Art »Hauptmann« der gesetzlosen Meute. Nach zahlreichen Diebstählen, Raubzügen und Einbrüche n, bei denen er wenig Rücksicht auf Leib und -189-
Leben seiner Opfer nahm, wurde er 1802 bei Limburg festgenommen und später enthauptet. Dass er so schnell zum Helden verklärt wurde, mag an der Schadenfreude der »kleinen Leute« gelegen haben. Schließlich klaute der »Schinderhannes« am liebsten da, wo es etwas zu holen gab, und dies war nun einmal beim reichen Bürgertum oder in adligen Häusern.
S wie Schlaf Sie kennen das sicherlich: Am Samstag morgen will die Familie in den Urlaub aufbrechen. Griechenland soll das Ziel der Reise sein, und man hat sich für das Auto als Transportmittel entschieden. Es steht also eine lange Autofahrt bevor und am Freitag Abend verabschiedet Papi sich schon um 19 Uhr ins Bett. Er will auf Vorrat schlafen. Tja - probieren kann er's schon, doch klappen wird das nicht. Denn der menschliche Schlaf kann als »Erholungsphase« nicht konserviert werden. Schlaf ist eine Reaktion des Körpers auf Müdigkeit, und diese tritt naturgemäß schneller ein, wenn der Körper hohe oder ungewohnte Belastungen zu verkraften hat. Wenn Sie also am Morgen vor einer »langen Nacht« einige Stunden länger liegen bleiben, schaffen Sie sich keinen Vorrat an. Der Körper ist nach der üblichen Schlafration nicht mehr müde - es besteht kein Regenerationsbedürfnis. Ein weiterer Irrtum zum Thema Schlafen betrifft die Träume. Egal, wie überzeugend Ihnen manche Zeitgenossen versichern, sie schliefen absolut traumlos glauben Sie ihnen kein Wort. Dies würde nämlich bedeuten, dass der Betreffende seine Hirntätigkeit vollständig eingestellt hat, und dies wiederum hieße, dass er nicht schläft, sondern mausetot ist. Dass aber dennoch viele Menschen glauben, nicht zu träumen, liegt daran, dass sie sich einfach nicht an ihre Träume erinnern. Denn diese -190-
haben häufig keine logische Abfolge und besitzen damit auch keinen »roten Faden«, an dem sich das Gedächtnis langfristig orientieren kann. Dass der Mensch allerdings sein Bewusstsein in den Schlaf »hinüberretten« kann, beweisen etliche Langzeitstudien. Demnach können besonders willensstarke Menschen im Verlauf eines Alptraums durchaus wahrnehmen, dass es sich nur um einen Traum handelt, und dessen Verlauf entscheidend ändern oder aufwachen. Und wenn Sie sich an Ihre Träume erinnern wollen, kann es durchaus helfen, sich dies vor dem Einschlafen fest vorzunehmen: Das Gehirn wird damit sozusagen auf Erinnerung programmiert.
S wie Schlangen Nach statistischen Erhebungen ekeln oder fürchten sich rund 70% der Deutschen vor Schlangen. Und dies, obwohl unsere Republik zu den »schlangenärmsten« Gegenden der Welt gezählt werden darf und vor allem die giftigen unter diesen Reptilien zum größten Teil schon lange ausgerottet sind. Allerdings gibt es hierzulande nicht - wie oftmals behauptet nur eine giftige Schlangenart: Außer der vielzitierten Kreuzotter existiert vereinzelt auch noch die Juraviper. In der Regel sind allerdings beide Bisse für einen erwachsenen Menschen nicht tödlich - kleine Kinder sollten sich jedoch in acht nehmen. Obwohl das Risiko also minimal ist, lebt die Schlangenphobie im Volksbewusstsein weiter. In Ermangelung eigener Schlangen projiziert man seine Ängste nun auf die exotischen Vertreter der Spezies, und so wird beispielsweise behauptet, dass Riesenschlangen ihre Opfer buchstäblich zu Tode würgen. Diese Vorstellung mag zwar nahe liegen, doch entspricht sie zumeist nicht der Realität. Eine Python oder eine Boa constrictor nämlich umfassen ihr Opfer zunächst ganz zärtlich, wobei die Schlange allerdings bei jedem Atemzug der Beute die Schlinge -191-
ein bisschen enger zieht. Dies dauert eine ganze Weile und allmählich geht dann dem hilflosen Gefangenen die Puste aus. Um ein »Erwürgen« im landläufigen Sinne handelt es sich allerdings ganz sicher nicht. Legendenumrankt sind auch die Klapperschlangen, denen man nachsagt, vor dem tödlichen Biss übermütig zu rasseln. Das wäre jedoch ziemlich blöd, denn damit würde das Raubtier schließlich jedes mit Hörorganen ausgestattete Beutetier warnen. Klapperschlangen wollen durch das »Klappern« vielmehr den gegenteiligen Effekt erzielen: Nicht verwert- oder verdaubare potentielle Feinde sollen vor der Anwesenheit des giftigen Kriechtieres gewarnt werden. Übersetzen ließe sich das wilde Rasseln also am ehesten mit: »Mach dich vom Acker oder ich beiß dich.«
S wie Schnee Lassen Sie doch bitte mal die folgende Szenerie vor Ihrem geistigen Auge entstehen: Ein Lawinenopfer, beide Beine gebrochen, hat sich aus den Schneemassen nach oben gebuddelt und liegt nun in sibirischer Kälte hilflos am steilen Abhang. Die Minus-Grade fordern ihren Tribut, denn der Verletzte spürt deutlich, wie manche Körperstellen auskühlen und erfrieren. Doch Rettung naht: Ein Skitourist nähert sich dem Leidgeprüften und wie's der Zufall will, hat er vor Jahrzehnten einen Erste-Hilfe-Kurs der Bergrettung besucht. Unverzüglich beginnt er, die erfrorenen Gliedmaßen mit Schnee abzurubbeln. Sie können sich die Szene vorstellen? Ja? Hätten Sie's genauso gemacht? Ja? Dann hätte der Verletzte doppeltes Pech und Sie wären der fahrlässigen Körperverletzung schuldig. Zwar hat man früher tatsächlich behauptet, erfrorene Arme oder Beine müssten mit Schnee eingerieben werden, doch das war auch schon früher Blödsinn. Durch den kalten Schnee kommt es -192-
nämlich zu weiterer Abkühlung. Eigentlich logisch, oder? Sinnvoll ist es vielmehr, den Verunglückten mit warmen, trockenen und rauen Tüchern abzureiben. Auch heiße Getränke sind empfehlenswert - vorausgesetzt sie enthalten keinen Alkohol. Völlig verkehrt wäre es übrigens auch, die betroffenen Gliedmaßen auf einem mollig warmen Ofen zu lagern oder sie von einem Heizlüfter intensiv bestrahlen zu lassen. Damit wären zusätzliche Gewebeverletzungen vorprogrammiert.
S wie Schokolade Egal ob sie nun von lila Kühen stammt oder von pausbäckigen Elitekickern beworben wird: Schokolade ist zwar nach wie vor beliebt, genießt aber vor allem bei Eltern und Erziehern einen denkbar schlechten Ruf. Als leidenschaftlicher Schokoladenesser sieht sich der Autor demzufolge genötigt, einige »rufschädigende« Vorurteile aus dem Weg zu räumen. So ist Schokolade nicht automatisch schlecht fü r die Zähne. Eine Untersuchung des renommierten Massachusetts Institute of Technology hat unlängst ergeben, dass Kakaopulver sogar eine Kariesbremse ist. Allerdings ist zu bedenken, dass Schokolade zu etwa 40 Prozent aus Zucker besteht, und der ist natürlich nicht gerade vorteilhaft für unsere Beißerchen. Damit wären wir schon beim nächsten Punkt. Schokolade macht dick. Na ja eigentlich machen alle Süßigkeiten dick, wenn man nicht rechtzeitig mit dem Essen aufhört, doch Schokolade ist keineswegs schlimmer als Bonbons, Lakritze oder Zuckerwatte. Man sollte aber wissen, dass Zucker nicht den Hauptanteil der schokoeigenen Kalorien ausmacht: 50 Prozent rühren vom Fett im schmackhaften Riegelchen. Abschließend noch ein beruhigender Hinweis für alle Leckermäuler im Teeny-Alter: Schokolade verursacht keine Pickel. Dies ergab bereits in den -193-
60er Jahren ein Langzeitversuch eines amerikanischen Mediziners, der eine Gruppe von Teenagern über Wochen hinweg mit Schokolade geradezu voll stopfte. Eine andere Gruppe bekam ein Ersatzprodukt, das genauso schmeckte und aussah, aber eben keine Schokolade war. Am Ende hatten beide Probandengruppen genauso viel oder genauso wenig Pickel - es war kein signifikanter Unterschied auszumachen.
S wie Schwarzpulver Ein deutscher Mönch namens Berthold Schwarz wird in den meisten Lexika nach wie vor als Erfinder des »Schwarzpulvers« bezeichnet. Doch auch wenn der Nachname des Ordensbruders die Vermutung nahe legt und er auch tatsächlich mit diversen chemischen Experimenten »durchschlagende« Erfolge erzielte, war die »Geisel der Menschheit« doch nicht seine Erfindung. Schon die Chinesen verwendeten im 7. und 8. Jahrhundert die Mischung aus Kalisalpeter (ca. 75 Prozent), Holzkohle (ca. 15 Prozent) und Schwefel (ca. 10 Prozent) als Antriebsmittel für ihre Feuerwerkskörper, und schon um 1300 war das teuflische Gemisch auch in Europa bekannt. Der besagte Berthold Schwarz lebte jedoch erst um 1380, und zeitgenössische Chroniken berichten lediglich, dass er »die chunst aus püchsen zu schyssen« (die Kunst aus Büchsen zu schießen) verbessert habe. Die Methode als solche war allerdings vor dem Geistlichen schon bekannt, wenngleich auch noch nicht allzu verbreitet. Und selbst den Namen des Pülverchens gab es schon vor dem frommen Mann, denn das »Schwarzpulver« wurde nicht nach ihm benannt, sondern einfach nach seiner Farbe.
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S wie Schwein Der Esel gilt gemeinhin als dumm, der Stier als wild und das Schwein als schmuddelig. Des Stieres haben wir uns schon beim Stichwort »Rotes Tuch« angenommen, den IntelligenzQuotienten eines Esels überlassen wir Ihrer Beurteilung - doch für das Hausschwein werfen wir uns hier in die Bresche. Entgegen der landläufigen Auffassung sind Schweine nämlich höchst reinliche Tiere, die möglichst niemals das eigene Nest beschmutzen. Selbst das häufig zu beobachtende Suhlen im Schlamm ist nicht etwa eine Vorliebe für dreckigen Matsch, sondern entspricht einem uralten Instinkt. Die Wildschweine nämlich wälzten sich, um ihrem Körper eine Kruste aus Schlamm zu verpassen. Diese bot Schut z gegen lästige Insektenstiche aller Art und hielt zudem noch ordentlich warm.
S wie Schweizer Sprachen Nicht nur drei, sondern sogar vier Sprachen werden in der Schweiz gesprochen. Neben Deutsch, Französisch und Italienisch existiert auch das sogenannte Rätoromanisch. Diese als »Bergbauernlatein« verspottete Hinterlassenschaft des römischen Weltreichs konnte sich allerdings nur noch in einigen wenigen abgeschiedenen Alpentälern halten und verliert immer mehr an Bedeutung. Nur noch rund 0,5 Prozent der Schweizer sprechen oder verstehen diese uralte Version des Lateinischen. Und dies, obwohl sie 1938 sogar offiziell zur vierten Nationalsprache erhoben wurde.
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S wie Schwimmen Als überzeugter Nichtschwimmer hat sich der Schreiber dieser Zeilen mit der folgenden Begründung oft und gerne vor dem nachmittäglichen Bad im Baggersee gedrückt: »Ach weißt du, ich hab' gerade gegessen und dann soll man ja nicht schwimmen. Das ist ungesund«. Zukünftig können Sie eine derartige Behauptung mit einer lässigen Handbewegung beiseite schieben, denn sie entbehrt jeder Grundlage. Selbst Hochleistungsschwimmer drehen direkt nach dem Essen ihre Runden - bislang wurden noch keine gesundheitlichen Folgen entdeckt. Wenn Sie aber nach einem opulenten Festmahl in den See hüpfen und einige flotte Kraulrunden drehen, kann Ihnen durchaus eine gewisse Übelkeit drohen. Das würde Ihnen aber auch beim Fußball, Tennis oder Joggen passieren.
S wie Schule »Non scholae sed vitae discimus.« Selbst Nicht-Lateiner kennen diesen Satz und seine deutsche Bedeutung: »Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir«, soll der römische Philosoph Seneca gesagt haben, und so mancher Lehrer rechtfertigt damit heute noch den allerlangweiligsten Unterrichtsstoff. Das nervt - vor allem wenn man bedenkt, dass Seneca einfach falsch zitiert wird. Der hat nämlich genau das Gegenteil gesagt: Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir. Irgendein schlauer Pädagoge hat den Satz dann einfach umgedreht - welch verantwortungsloser Umgang mit der Klassik. Seneca allerdings würde sich bestätigt fühlen, denn dem Vernehmen nach hielt er nicht allzu viel von Schulen und Lehrern. -196-
S wie Seepferdchen Männer müssen (können) keine Kinder kriegen. Dies mag den einen oder anderen männlichen Menschen schmerzen und den anderen belasten, doch Tatsache ist, dass es nicht für alle Lebewesen gilt. Denn bei den Seepferdchen, lustig aufrecht im Wasser stehenden Fischen mit einer Art Stachelpanzer, legt das Weibchen seine Eier einfach im Brutbeutel des männlichen Partners ab und macht sich dann 'nen schönen Lenz. Im Brutbeutel wachsen die Jungen - im Höchstfall immerhin rund 500 Exemplare - dann heran und mannhaft erträgt der glückliche (?) Vater nach rund zwei Monaten auch die Geburtswehen.
S wie Sex Jede Wette: Wenn Sie dieses Buch nach interessanten Stichworten durchforstet haben, dann sind Sie wahrscheinlich zunächst bei diesem hängen geblieben. Machen Sie sich nichts draus - Sex zieht eben immer. Damit wir Ihre Erwartungen nicht enttäuschen, widerlegen wir hiermit ein ganz besonders spektakuläres Gerücht: Sexuelle Enthaltsamkeit erhöht die Lebenserwartung. Quatsch - das Gegenteil ist wahrscheinlich eher richtig. Unfreiwillige Askese kann sogar zu Angst oder Zwangsneurosen führen, kann Impotenz, Frigidität und Hysterie zur Folge haben und durch diese Stressfaktoren das Leben deutlich verkürzen. Der Irrglaube rührt wahrscheinlich daher, dass Mönche und Nonnen im Schnitt tatsächlich deutlich länger leben als ihre weltlichen Brüder und Schwestern. Dies liegt allerdings daran, dass sie einen wesentlich gesünderen Lebenswandel (ohne Zigaretten, Drogen oder Alkohol) pflegen und sich zum anderen freiwillig zum Verzicht entschlossen haben. Wenn die geistige Auseinandersetzung nämlich abgeschlossen ist, kann der -197-
Verzicht auf die Verlockungen des Fleisches durchaus eine stresshemmende Wirkung haben. Wenn Sie allerdings kein Gelübde abgelegt haben, dürfen Sie ihren Trieben weiter frönen. Vorausgesetzt, Sie übertreiben's nicht.
S wie Siebenschläfer Wie die meisten Bauernregeln ist auch der »SiebenschläferSpruch« blanker Nonsens. So soll schlechtes Wetter am 27. Juni, dem sogenannten »Siebenschläfer-Tag«, bedeuten, dass es auch die nächsten sieben Wochen schlecht bleibt. Für diese Theorie gab es allerdings in den vergangenen drei Jahrzehnten keinen einzigen Beleg, auch wenn die alte Regel durchaus einen realen Hintergrund haben könnte: Schließlich kann eine Kaltfront aus Westen in dieser Jahreszeit durchaus eine längere Niederschlagsperiode mit sich bringen, auch wenn es bisher nur in den allerseltensten Fällen tatsächlich sieben Wochen waren. Der »Siebenschläfer-Tag« hat seinen Namen übrigens von einer alten christlichen Legende. So sollen im dritten Jahrhundert nach Christus sieben Brüder vor ihren römischen Verfolgern in eine Höhle bei Ephesus geflüchtet sein. Dort wurden sie eingemauert, schliefen 200 Jahre lang und erstanden von den Toten dann wieder auf. Wenn Sie an diese Sage glauben, dürfen Sie auch den Bauernkalender zukünftig für bare Münze nehmen.
S wie Silbermünzen … bestehen zumindest hierzulande nicht aus Silber. Vom Fünfzig-Pfennig-Stück bis zur heutigen Fünf-Mark-Münze enthält unser »Silbergeld« kein einziges Gramm Silber, sondern besteht aus sogenannten Kupfer-Nickel-Legierungen. Lediglich -198-
das alte Fünf-Mark-Stück enthielt bis 1974 noch einen ZweiDrittel Silberanteil. Eine Ausnahme bilden die sogenannten Gedenkmünzen, die allerdings kaum als Zahlungsmittel verwendet werden. Deren Silberanteil entspricht noch den alten Gepflogenheiten. Die Bezeichnung »Silbergeld« jedenfalls ist de facto überholt.
S wie Sintflut Und die Bibel hat doch recht: Recht fahrlässig wird heute oft behauptet, die Sintflut habe niemals stattgefunden. Doch bei Ausgrabungen im ehemaligen Mesopotamien (westlich des Persischen Golfs) stießen Archäologen auf Funde, die das Gegenteil zu beweisen scheinen. Sie entdeckten eine zweieinhalb Meter dicke Lehmschicht mit den Fossilien kleiner Meerestiere. Für eine Lehmschicht derart gewaltigen Ausmaßes muss in der betreffenden Region das Wasser über einen längeren Zeitraum mindestens acht bis zehn Meter hoch gestanden haben; heute geht man davon aus, dass um das Jahr 4000 v. Chr. tatsächlich eine gewaltige Flutkatastrophe ein Gebiet von etwa 600 Kilometern Länge und 160 Kilometern Breite heimgesucht hat. In der Bibliothek von Ninive entdeckte man außerdem ein Epos über einen gewissen Utnapischtim, der mit seiner Sippe auf einer Arche diese Sintflut überlebt haben soll. Stattgefunden hat die Katastrophe also wahrscheinlich wirklich, doch war sie zumindest regional begrenzt und überspülte keineswegs die ganze Welt. (Sollten Sie Interesse daran haben, eine regionale Sintflut zumindest literarisch zu erfahren, so empfehlen wir das höchst amüsante Buch von T. H. White: »Mr. White treibt auf der reißenden Liffey nach Dublin«, erschienen beim Eugen Diederichs Verlag.)
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S wie Skalpieren Diese grausige Praxis bestätigte jahrzehntelang den furchtbar schlechten Ruf der Indianer, doch die Amerikaner übersahen dabei geflissentlich, dass es die Weißen waren, die diese »schlechte Angewohnheit« eingeführt hatten. Historiker nämlich bezweifeln heute, dass das »Skalpieren« vor der Ankunft der Europäer in Nord-Amerika überhaupt bekannt war. Berühmt und berüchtigt wurde es erst, nachdem weiße Siedler Kopfprämien auf Indianer ausgelobt hatten und die Abenteurer der Pionierzeit für jeden mitgebrachten »Skalp« ihren Obulus erhielten. Diesen »schönen Brauch« übernahmen die Indianer dann prompt und gingen dabei wesentlich konsequenter als ihre unfreiwilligen Vorbilder zu Werke. Sie betrachteten die Skalps der getöteten Feinde nämlich als Zeichen kriegerischer Würde und hängten sie sich an die Felle ihrer Wigwams oder an den Gürtel. Übrigens war die Jagd nach »Skalps« schon lange vor der Entdeckung Amerikas ein Thema. Die Skythen, ein antikes, recht kriegerisches Völkchen, sollen »dem Schädel die Haut abgezogen haben, indem sie rings um die Ohren einen Schnitt machten, dann die Haare fassten und den Kopf herausschütteln.« So jedenfalls notierte es der griechische Geschichtsschreiber Herodot.
S wie Sklaven Nicht die Europäer und schon gar nicht die Amerikaner waren die Erfinder des Sklavenhandels. Die größten Sklavenhändler waren vielmehr die Araber, die diese barbarische Tradition schon im 7. Jahrhundert etablierten und erst im 19. Jahrhundert beendeten. 14 bis 15 Millionen Opfer soll die Sklaverei gefordert haben. Die Europäer begannen erst wesentlich später -200-
mit dem Sklavenhandel und stellten ihn »schon« zu Beginn des 16. Jahrhunderts offiziell wieder ein. Zehn Millionen junge Afrikaner hatten bis dahin durch die »Kulturnationen« Europas ihre Freiheit und zuweilen auch ihr Leben verloren. Dass heute die Europäer weltweit als Erfinder des Handels mit Menschen gelten, hat einen ebenso simplen wie paradoxen Grund: Sie behandelten ihre »menschliche Fracht« vergleic hsweise besser und damit überlebten wesentlich mehr Sklaven als bei den Arabern. In den arabischen Nationen starben die Unterjochten zumeist früh und die Männer wurden für gewöhnlich kastriert. Zum Thema »Sklaverei« ist auch noch anzumerken, dass sie nicht die Ursache für den amerikanischen Bürgerkrieg war. Präsident Abraham Lincoln hatte zu Beginn des Krieges (1861) in erster Linie die Einheit der Nation im Sinn, auch wenn er den Sklavenhandel schon frühzeitig öffentlich verurteilte. Für den Süden der USA, auf dessen ausgedehnten Baumwollplantagen die meisten amerikanischen Schwarzen lebten und schufteten, war Lincolns Ablehnung der Sklaverei nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die eigentlichen Gründe für den Versuch der Abspaltung vom Norden lagen in einer tiefen Rivalität zwischen dem industriellen und progressiven Norden und dem konservativen, landwirtschaftlich geprägten Süden. Nachdem der Sezessionskrieg allerdings ausgebrochen war, wollte der Norden auch in der Frage der Sklavenhaltung keinen Fußbreit mehr nachgeben. Lincoln darf sich also zu Recht als Befreier der Afroamerikaner feiern lassen.
S wie Sonne Die Planeten drehen sich um die Sonne. Das dürfen wir als bekannt voraussetzen. Doch wussten Sie, dass sich auch die Sonne selbst bewegt. Mit rund 250 Kilometer in der Sekunde rotiert sie um den Mittelpunkt der Milchstraße und zusätzlich -201-
auch noch um ihre eigene Achse. Eine Umdrehung dauert am »Äquator« rund 27 Tage.
S wie SOS Das international gültige Alarmsignal SOS wird häufig als Kurzform von »Save our souls« interpretiert. Zugegeben - das klingt logisch und sogar ein wenig poetisch, doch die Erfinder hatten wesentlich pragmatischere Gründe für ihren Code. Der Morserhythmus mit drei Punkten, drei Strichen und wiederum drei Punkten lässt sich nämlich aus dem weltweiten »Wellensalat« besonders gut heraushören und bekommt damit leichter die gebührende Aufmerksamkeit.
S wie Spaghetti Neben der Pizza gelten die »Spaghetti« als das italienischste aller Gerichte. Was für ein Schock für den Koch von Venedig, welch Erschauern für den Gourmet in Verona, wenn er erfährt, dass die langen Nudeln gar keine Kreation seiner Heimat sind. Tatsächlich stammen sie aus dem fernen China und wurden erst im 13. Jahrhundert von Marco Polo importiert.
S wie Sphinx Es gibt zwei bekannte Erklärungen dafür, warum der riesige steinerne Löwe mit den menschlichen Gesichtszügen - bekannt als die »Sphinx« und fast ebenso populär wie die benachbarten Pyramiden keine Nase mehr hat. Asterix-Leser bevorzugen die Version, nach der der dicke Obelix das gigantische Riechorgan beim Klettern abgebrochen hat - weniger Comicinteressierte -202-
sprechen von Erosion. Falsch sind beide Theorien, denn tatsächlich wurde die Nase im 19. Jahrhundert von türkischen Soldaten buchstäblich »abgeschossen«. Diese hatten bei ihrem Ägypten-Feldzug im Tal von Gizeh Zielübungen mit ihrer Artillerie veranstaltet.
S wie Spinat Die meisten Kinder hassen ihn, die meisten Eltern füttern ihn: Spinat. Die Begründung für die kulinarische Quälerei liefern die Erziehungsberechtigten gleich mit. Spinat enthält angeblich besonders viel Eisen und soll deshalb für Heranwachsende besonders gesund sein. Tatsächlich sind im gekochten Spinat ziemlich genau 2,2 Milligramm Eisen enthalten. Zum Vergleich: Gekochte Bohnen enthalten 2,7 Milligramm, Mandeln bringen es auf 4,6 und Schokolade kann mit 6,7 Milligramm protzen. Der Irrglauben basiert auf einem schlichten Tippfehler, denn bei der allerersten Analyse des »leckeren«(?) Gemüses rutschte ein Komma um eine Stelle zu weit nach rechts, was den Eisengehalt gleich verzehnfachte. Zwar wurde der Irrtum schnell bemerkt und berichtigt, doch hatte sich das Gerücht schon in den Köpfen festgesetzt. Spinatliebhaber (auch die soll es geben) seien aber ausdrücklich beruhigt: Gesundheitsschädlich ist die grüne Pampe auch nicht.
S wie Stachelschwein …trägt seinen Namen völlig zu Unrecht, denn eigentlich hat es mit Schweinen ungefähr ebenso viel zu tun wie mit SeeElefanten. Das stachelige Tierchen gehört der Familie der Nagetiere an, dass man es landläufig mit dem Terminus »Schwein« belegt hat, kommt wahrscheinlich nur von seinen -203-
ähnlich klingenden Grunzlauten. Das rund 70 Zentimeter lange Tier kommt ursprünglich aus Südostasien und Afrika und wurde von den Römern nach Südeuropa eingeführt. Bewehrt ist der harmlose Pflanzenfresser mit bis zu 40 Zentimeter langen, spitzen Dornen, die sich bei drohender Gefahr aufrichten, um potentielle Gegner abzuschrecken.
S wie Steine Entgegen festgefügten Überzeugungen gibt es auch biegsame Steine. Die Rege l sind sie allerdings nicht, wie uns der Test mit einem beliebigen Flusskiesel eindrucksvoll beweist. Doch im brasilianischen Regenwald existiert ein Gestein namens Itakolumit, das sich biegen lässt, als wäre es aus Gummi oder dünnem Blech. Der glimmerhaltige Sandstein enthält nämlich gelenkartige, ineinander verzahnte Quarzkristalle, die das übliche Brechen oder Zerbröseln verhindern.
S wie Steuben Was haben der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger, der Fußballjongleur Franz Beckenbauer, das Fräulein-Wunder Steffi Graf, der Physiker Albert Einstein und ein gewisser Friedrich Wilhelm von Steuben gemeinsam? Nun sie entstammen allesamt deutschen Landen und werden von den Amerikanern dennoch grenzenlos als »quasieinheimische«, nationale Ikonen verehrt. (Kissinger wurde in Nürnberg geboren, Einstein in Ulm.) Wir wollen uns an dieser Stelle jedoch dem Letztgenannten dieser illustren Reihe widmen. Friedrich Wilhelm von Steuben, so wird es heute noch an amerikanischen Colleges gelehrt, war im Siebenjährigen Krieg der Adjutant des deutschen Königs Friedrich der Große, einer -204-
der besten Freunde des Monarchen und General der preußischen Armee. 1777 kam er dann in die USA und trat dort in die Kolonialarmee ein, die er mit preußischem Drill zu militärischen Höchstleistungen führte und deren berühmtester und erfolgreichster General er wurde. Das Ende der Geschichte ist absolut richtig, denn Steuben erwarb sich in den USA tatsächlich große Verdienste um die Unabhängigkeit des Landes und starb 1794 als legendäre Gestalt. Der Anfang jedoch ist frei erfunden, denn Steuben war weder General noch des Königs Intimus und nicht einmal adlig. Eigentlich hieß »von Steuben« nur Steube - das »von« hatte sein Großvater hinzugedichtet, der der Familie auch gleich noch einen hübsch anzusehenden, aber leider nur frech erdichteten Stammbaum bescherte. Dass er damit über Generationen durchkam, mag schon als kleines Wunder gelten, doch dass auch der Rest der »von Steuben«Saga nie hinterfragt wurde, ist womöglich noch überraschender. Tatsächlich hatte der junge Offizier zwar im Siebenjährigen Krieg gedient, doch war er nicht besonders aufgefallen und quittierte den Dienst lediglich als »Kapitän«. Die hohen Orden, mit denen er angeblich ausgezeichnet worden war, bestanden nur auf leidlich gefälschten Dokumenten, und seine Überfahrt nach Amerika galt weniger dem großen Ziel des Freiheitskampfes, sondern war durch die fehlende persönliche Perspektive in Europa begründet. Dass er die amerikanischen Revolutionsarmisten so schnell auf Vordermann brachte, ist im übrigen kein Wunder. Schließlich rekrutierte sich diese »Armee« zum Zeitpunkt von Steubens Ankunft aus einem wilden Haufen ungeübter Freiwilliger, denen preußische Disziplin und militärische Strategien völlig fremd waren. Steuben war also genau der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
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S wie Storchschnabel Mit »Storchschnabel« bezeichnet man nicht den langen Schnabel des »Meister Adebar«, denn dieser müsste korrekt »Storchenschnabel« betitelt werden. Ohne die Silbe »en« in der Mitte ist mit dem Wort ein sogenannter »Pantograph« gemeint ein Apparat, der Zeichnungen proportional vergrößern oder verkleinern kann.
S wie Strauß Abgesehen davon, dass Strauße schnell rennen können (bis zu 80 km/h wurden schon gemessen), glaubt man von ihnen auch zu wissen, dass sie bei Gefahr den Kopf in den Sand stecken. Dies jedoch wäre höchst unlogisch, weil sich das Tier damit des Vorteils seiner schnellen Beine berauben und außerdem jämmerlich ersticken würde. Schließlich atmet der Strauß, wie die meisten anderen Tiere, bevorzugt mit Organen, die am Kopf beheimatet sind, und diese sind - im Sand vergraben - zur Regungslosigkeit verdammt. Das Gerücht basiert wahrscheinlich auf einem Beobachtungsfehler, denn häufig werden Strauße gesehen, die ihren Kopf ganz dicht über dem Boden halten. Durch dessen Vibrationen können sie sich nämlich ein recht genaues Bild von Menge und Ausmaß der anrückenden Zwei- oder Vierbeiner machen.
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18. Von Tabak bis Traubenzucker
T wie Tabak Ein verbreiteter Irrtum zum Thema »Tabakgenuss« ist die Meinung, jeder Tabak enthalte automatisch ein gewisses Quantum Nikotin. Doch Überzeugungsraucher können seit geraumer Zeit auf den sogenannten »Atrotabak« zurückgreifen. Diesen gewinnt man, indem man gewöhnliche Tabakpflanzen auf Stechapfeloder andere Nachtschattengewächse »aufpfropft«. Beim »normalen« Tabak nämlich bildet sich das hochgiftige Nikotin, dessen »pure« Einnahme schon bei Mengen von wenigen Milligramm tödlich ist, in der Wurzel und gelangt von dort aus in feinen Dosierungen in die Blätter. Bei der »Pfropf-Methode« ist dies ausgeschlossen. Atrotabak wird derzeit bevorzugt in Südosteuropa angebaut und hat noch einen angenehmen Nebeneffekt: Samen und Blätter des Stechapfels wurden nämlich schon seit jeher zu einer Essenz verarbeitet, die in Verbindung mit anderen Tinkturen entscheidend mithelfen kann, Asthmaleiden zu mildern. In Kombination mit diesen anderen Wirkstoffen (Ihr Apotheker berät Sie sicher gern) darf man Atrotabak also mit Fug und Recht als »gesund« bezeichnen, und Sie können dem Bundesgesundheitsministerium mit Ihrer neuen Selbstgedrehten ein echtes Schnippchen schlagen.
T wie Tanzmaus Wir sprechen hier nicht von rheinischen »Gardemädeln« oder besonders ausdauernden Disco-Queens: Nein, die Tanzmaus, die -207-
hier gewürdigt werden soll, ist eine echte Maus. Allerdings ist nicht jedes dieser possierlichen Tiere automatisch eine »Tanzmaus«, sobald es dressiert wurde. Zwar kann theoretisch jeder kleine Nager mit entsprechender Zuwendung dazu gebracht werden, »Männchen« zu machen oder bestimmte Pirouetten zu drehen, doch die »Berufsbezeichnung Tanzmaus« gebührt ausschließlich einer japanischen Mutation. Durch eine genetisch bedingte Missbildung im inneren Gehörgang ist bei diesen Tieren der Gleichgewichtssinn erheblich gestört, so dass sie dazu neigen, ständig im Kreis herumzulaufen. Manchmal drehen sich die kleinen Racker auch wie wild auf der Stelle, und wenn man dazu flotte Musik auflegt, wirkt es tatsächlich so, als würde das Mäuschen tanzen.
T wie Taschentuch Respektlos schnäuzen wir im Schnupfenfall infektionsgeplagten Bazillenmutterschiffe ins Taschentuch und geben uns der Überzeugung hin, dass es dazu schließlich auch erfunden worden sei. Falsch, denn ursprünglich war das zarte Stofftuch ausschließlich für dekorative Zwecke gedacht. Als es im 15. Jahrhundert in Italien modern wurde, diente der helle Stofffetzen in erster Linie dazu, geziertes Gestikulieren anmutig zu untermalen. Erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das Ziertuch dann allmählich prosaischeren Zwecken zugeführt, ehe es zwischenzeitlich erneut zur Dekoration mutierte: Die Herrenmode versah den Gentleman mit einem farblich exakt abgestimmten Tüchlein in der Brusttasche des Sakkos, in das zumeist auch noch das persönliche Monogramm eingestickt war. Zum Schnäuzen viel zu schade!
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T wie Tauben Warum ausgerechnet die Tauben zum Friedenssymbol ernannt wurden, weiß wahrscheinlich nicht einmal der Geier. Allerdings ist diese Symbolik keine Erfindung unserer Tage. Eine Taube unterrichtete Noah mittels Ölzweig vo m Ende der Sintflut, Tauben steigen seit alters her aus den Zylindern und Hüten der Zauberer und im Orient galt das Töten einer Taube Jahrhunderte lang als Sakrileg ersten Ranges. Besonders friedlich sind Tauben jedoch nicht, denn Verhaltensforscher haben ermittelt, dass bei ihnen eine strenge »Hackordnung« herrscht: Der Stärkere setzt seine vermeintlichen Rechte durchaus auch mit Gewalt durch und der spitze Schnabel wird gegen andere, kleinere Vögel gerne als Waffe verwendet.
T wie Teflon Kommt man heute auf die enormen Kosten der bemannten Raumfahrt zu sprechen, rechtfertigen Befürworter des »Abenteuers Weltraum« ihre Vorliebe zumeist mit dem angeblichen Nutzen der schwerelosen Forschung. Als Lieblingsbeispiel wird dann das »Teflon« angeführt, das ein Entwicklungsprodukt der Raumfahrtindustrie sein soll. Zwar gehört auch der Autor zu den begeisterten Science-FictionLesern und würde bedenkenlos für den nächsten Flug zum Mars eine Kabine buchen, doch die Teflon-Story wird er als Begründung für den Sinn der aufwendigen Technologie tunlichst vermeiden. Entdeckt wurde Teflon, das ursprünglich »Polytetrafluorethylen« hieß, bereits in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Chemiker besetzten die freien Wertigkeiten von Kohlenstoff ketten mit Fluoratomen und schufen damit einen neuen Stoff, der allerdings zunächst recht nutzlos schien. 1954 -209-
stieß der Franzose Marc Gregoire per Zufall erneut auf das mittlerweile fast in Vergessenheit geratene Material, erkannte dessen Anwendungsmöglichkeiten und gründete die Firma Tefal. Fortan hieß die Beschichtung seiner Pfannen »Teflon« und wurde vor allem in den Vereinigten Staaten ein echter Verkaufsschlager. Zwar behaupten die Amerikaner heute, dass schon 1950 Töpfe und Pfannen mit »Teflon« (noch unter dem alten, komplizierten Namen) beschichtet gewesen sein sollen, doch auch aufwendige Nachforschungen erbrachten dafür keine Bestätigung. Auf den Trick mit der »Raumfahrttechnologie« dürften übrigens geschickte Marketing-Manager gekommen sein. Im Zuge unserer Nachforschungen stießen wir auch auf einen alten amerikanischen Werbeprospekt aus dem Jahre 1970, in dem Teflon als NASA-Produkt angepriesen wurde. Der Prospekt stammte übrigens von einem New-Yorker Großhändler, der vor allem Produkte der Firma Tefal im Sortiment führte. Wenn das kein Zufall ist…
T wie Telefon Das beliebteste Kommunikationsmittel unserer Tage wurde nicht von Alexander Graham Bell erfunden. So steht's zwar in beinahe jedem Nachschlagewerk, doch hatte bereits im Jahre 1860 ein deutscher Lehrer namens Johann Philipp Reis aus Friedrichsdorf die Idee für das Telefon. Er verwendete einen Violinenkasten als Resonator, den hohlen Spund eines Bierfasses als »Sprechmuschel« und für die Membran benutzte er eine straff gespannte Wursthaut. Den wenigen Aufzeichnungen, die aus diesen Tagen existieren, ist jedoch zu entnehmen, dass es seinen Schallübertragungsversuchen an Verständlichkeit gebrach. 1876 bediente sich Bell dann der Elektrizität, um die Methode des Deutschen zu verfeinern, und -210-
schaffte es tatsächlich, die menschliche Stimme hörbar und verständlich auf die Reise zu schicken. Seine erste Botschaft an seinen Assistenten lautete übrigens: »Watson, kommen Sie mal rüber. Ich brauche Sie.«
T wie Tell Auch wenn die Schweizer hartnäckig an der Legende vom »Freiheitskämpfer Wilhelm Tell« festhalten, müssen wir unseren alpenländischen Nachbarn ein für allemal erklären, dass der angebliche Meisterschütze nie gelebt hat. Die Sage wurde allerdings auch nicht, wie wiederum die Deutschen gerne behaupten, vom Dichterfürsten Friedrich Schiller erfunden, sondern vom Schweizer Dramatiker Aegidius Tschudi. Schiller »schmückte« Tschudis Version noch weiter aus und brachte neue Elemente mit hinein. Nach Tschudi und Schiller soll der besagte Tell, auf Geheiß des habsburgischen Landvogts Hermann Geßler, seinem eigenen Sohn mit der Armbrust einen Apfel vom Kopf geschossen haben. Anschließend »revanchierte« er sich mit einem weiteren Pfeil für den willkürlichen und gefährlichen Befehl und tötete den Tyrannen. Damit sei der Aufstand der Schweizer gegen die verhasste Herrschaft der Habsburger ausgelöst worden. Wie gesagt - alles reine Erfindung, doch Schweizer Historiker wiesen nach, dass Tschudi zumindest ein konkretes Beispiel im Kopf hatte, als er sein Heldenepos erfand. Demnach soll ein gewisser Rudolf Stauffacher um 1290 den Landvogt Konrad von Tillendorf erschlagen haben, weil dieser ihn zwingen wollte, dem auf dem Markt von Altdorf aufgestellten Hut des Vogts seine Hochachtung zu erweisen. Stauffacher hielt von dieser Idee offensichtlich nicht allzu viel, doch seinen »Totschlag im Affekt« überlebte er nicht lange: Er wurde ohne viel Federlesens hingerichtet, und bis zum Schweizer Freiheitskampf vergingen -211-
noch viele Jahre.
T wie Tempel Geldwechsler und angebliche Wucherer im Tempel zu Jerusalem - nicht nur Jesus fand's verwerflich und wollte sie mit Bausch und Bogen aus den heiligen Hallen verbannen. Doch während wir heute zustimmend mit dem Kopf nicken und ihm das moralische Recht zu seinem Wutausbruch attestieren, stieß sein Verhalten bei seine n Zeitgenossen zumeist auf verständnisloses Kopfschütteln. Denn schließlich waren Tempel in diesen Tagen nicht nur Heiligtümer, sondern auch Kreditinstitute. Diese Tradition wurde schon im alten Ägypten begründet und von Griechen, Römern und eben auch Juden übernommen. Eigentlich logisch, denn schon immer brauchte man zum Bau eines Tempels Geld, und auch die Priester, Tempeldiener und das »Fußvolk« der Bediensteten konnten von Gotteslohn allein nicht leben. So hatte es sich beispielsweise im antiken Grieche nland eingebürgert, dass sich das Heiligtum Olympia fast ausschließlich über gewonnene Kriege des Staates finanzierte. Zehn Prozent jeder Kriegsbeute sollen an den Tempel gegangen sein, der damit weit mehr hatte, als er zur Instandhaltung und für das Leben seiner »Insassen« brauchte. Doch die Priesterkaste revanchierte sich dafür wieder, denn wenn der attische Staat seinerseits Geld für einen neuen Krieg oder wichtige Bauprojekte brauchte, dann bekam er vom Tempel einen besonders zinsgünstigen Kredit. Auch Privatpersonen nutzten die unangreifbaren Heiligtümer als sichere Aufbewahrungshorte für ihr persönliches Vermögen, und tatsächlich zahlten die Tempel für bestimmte Anlageformen sogar Zinsen aus. Der Jerusalemer Tempel war zu Jesus' Zeiten wahrscheinlich -212-
der reichste der Welt. Jeder Jude, egal wo er lebte, war gesetzlich verpflichtet, eine Tempelsteuer zu bezahlen. Vom eingenommenen Geld finanzierten die Priester den Kauf großer Ländereien, die sie gewinnbringend verpachteten. Für steten Geldfluss war also gesorgt. Jesus dürfte sich weniger über die pekuniären Aktivitäten des Gotteshauses geärgert haben, als vielmehr über dessen mangelhafte soziale Einstellung. Geschenkt gab's vom Tempel nämlich gar nichts, und selbst die Ärmsten der Armen kamen um die Tempelsteuer nicht herum.
T wie Tetanus Wundstarrkrampf, auch als »Tetanus« bekannt, wird nicht durch Rost übertragen. Verantwortlich ist einzig und allein das Bakterium »Clostridium Tetani«, das vor allem in der Darmflora pflanzenfressender Tiere gedeiht und deshalb durch deren Kot übertragen werden kann. Die Meinung, dass die Wundstarrkrampf- Gefahr besonders hoch sei, wenn man sich eine Wunde an einem scharfkantigen oder spitzen, rostigen Gegenstand zuziehe, ist also durch nichts zu belegen.
T wie Titanic Eine Serie von kleineren Rissen im Rumpf und nicht etwa ein großes Loch hat nach Expertenmeinung den Untergang der legendären Titanic verursacht. Ein internationales Team von Tauchern und Wissenschaftlern hat nämlich 1996 festgestellt, so die renommierte New York Times, dass der eigentliche Schaden am Rumpf des gewaltigen Schiffes erstaunlich gering gewesen sei. Sie berichteten von sechs relativ schmalen Öffnungen, durch die das Wasser ins Schiff eingedrungen sein muss. Bei der Katastrophe im Jahr 1912 waren auf der Jungfernfahrt des -213-
Ozeanriesen insgesamt über 1500 Menschen ums Leben gekommen. Lange Zeit galt es als unumstößlich, dass nur ein gewaltiges Leck das schnelle Sinken des Schiffes habe verursachen können. Doch die mit Hilfe von Schallwellen festgestellten Beschädigungen weisen insgesamt lediglich einen Umfang von etwa ein bis zwei Quadratmetern auf. Wie die Wissenschaftler allerdings ergänzend feststellten, hat der hohe Druck des einströmenden Wasser dennoch sehr rasch für den schnellen Untergang des Schiffes gesorgt.
T wie Tollkirsche Die »Atropa Belladonna« ist bei uns weithin unter dem Namen »Tollkirsche« bekannt und damit vor allem für Kinder nicht ohne Risiko. Wenn diese nämlich lediglich den Namen des hübschen roten Nachtschattengewächses erfahren, könnten sie durchaus losstürmen und ein paar der vermeintlichen Leckerbissen kosten. Davon wird allerdings dringend abgeraten, denn schon der Genuss dreier Früchte kann tödliche Folgen haben. Ihren Namen trägt die »Tollkirsche« übrigens zu Unrecht, denn - wie gesagt - es handelt sich bei ihr nicht um ein Kernobstgewächs und damit auch nicht um eine Kirschenart. Allerdings sieht vor allem die Schwarze Tollkirsche, deren Sträucher knapp zwei Meter hoch werden können, einer dunklen Kirsche sehr ähnlich, und somit ist auch die Bezeichnung nicht weiter verwunderlich. Den Zusatz »toll« erhielt die Pflanze schon im Mittelalter. Damals stellte man fest, dass der Verzehr einer einzigen dieser »Pseudokirschen« den Esser geradezu »toll« (wirr, wild, unempfindlich) machen kann: Soldaten spürten auf einmal keine Schmerzen mehr, Arbeiter vergaßen ihre Müdigkeit. Grund dafür ist der hohe Alkaloidgehalt der Pflanze, die vor allem -214-
Hyoscamin, Scopolamin und Atropin enthält - Essenzen, die mittlerweile auf keiner ordentlichen Dopingliste fehlen dürfen. Doch heute profitiert auch die Medizin von der Tollkirsche: Ihr Saft wird als krampflösendes, gefäß- und pupillenerweiterndes Mittel geschätzt.
T wie Totes Meer Der heilige Hieronymus irrte sich, als er den Salzsee im Jordangraben vor rund 1500 Jahren zum ersten Mal als »Totes Meer« bezeichnete. Allerdings müssen wir dem Mann natürlich zugute halten, dass er weder über eine Lupe noch gar über ein Mikroskop verfügte und mit bloßem Auge die Abwesenheit jeglichen Lebens festzustellen glaubte. Doch auch in dieser Salzlake, die mit ihren 393 Metern unter dem Meeresspiegel die tiefste freiliegende Senke aller Landgebiete der Erde darstellt, wimmelt es noch von Bakterien, die vor allem Cellulose abbauen. Schwimmen kann man im »Toten Meer« übrigens nur sehr mühsam und untergehen schon gar nicht. Das Wasser besteht nämlich zu 25 Prozent aus Chlormagnesium, Chlorkalzium und Chlornatrium, was wiederum zur Folge hat, dass Salz sich darin nicht mehr auflösen kann. Kein Fisch und kein Krustentier können in dieser Mischung existieren. Beim »Toten Meer« handelt es sich übrigens nicht um ein »echtes« Meer, sondern um einen See mit einer 940 Quadratkilometer großen Wasserfläche. Er wird vom Fluss Jordan gespeist.
T wie Traubenzucker Obwohl es scheinbar unmöglich ist zu ermitteln, woher der Name letztlich stammt, können wir mit Bestimmtheit sagen, dass Traubenzucker nicht aus Trauben gemacht wird. Er ist zwar -215-
auch in Weintrauben enthalten, doch in allen anderen süßen Früchten auch. Der heute verkaufte Traubenzucker wird industriell zumeist aus Kartoffeln und Maisstärke gewonnen und ist der biologisch bedeutsamste Zucker. Seinen Ruf als »Energielieferant« trägt er völlig zu Recht. Normalerweise liegt die Menge Traubenzucker im Blut bei etwa 0,1 Prozent, und wenn dieser Anteil fällt, kann dies durchaus dramatische Folgen haben. Der Traubenzucker ist nämlich der einzige Energielieferant des Gehirns und ohne ihn würden unsere kleinen grauen Zellen schnell ihren Dienst verweigern.
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19. Von Unabhängigkeitserklärung bis Völkerwanderung
U wie Unabhängigkeitserklärung Der 4. Juli ist der amerikanische Nationalfeiertag, denn an diesem Datum des Jahres 1776 sagten sich 13 britische Kolonien in Nordamerika vom »Mutterland« England los. Denkste!! Eigentlich müssten die Amerikaner den 2. Juli feiern, denn an diesem Tag beschloss der »2. Kontinentalkongress« beinahe einstimmig, sich der britischen Fesseln ein für allemal zu entledigen. Zwei Tage später, also am 4. Juli, wurde dieser Beschluss auch vom Kongress ratifiziert, doch die Entscheidung war schon zuvor gefallen.
U wie Unfehlbarkeit Die katholische Kirche mag ihre Fehler und Unzulänglichkeiten haben und vieles von dem, was man ihr heute vorwirft, ist sicherlich auch berechtigt. Doch dass das sogenannte »Unfehlbarkeitsdogma« des Papstes erst in jüngster Zeit eingeführt worden ist und deshalb auf keinerlei religiös motivierte Tradition zurückblicken kann, ist falsch. Denn schon die allerersten Päpste haben diesen Anspruch erhoben, und somit ist dieses Dogma beinahe so alt wie die christliche Kirche selbst. Das Vertrauen des Papstes in die eigene Vollkommenheit ist sozusagen eine Dienstpflicht und basiert auf der festen Überzeugung, dass Gott selbst seine Schäfchen in Glaubensdingen vor Irrtümern und Missverständnissen bewahrt. Auf dem ersten Vatikanischen Konzil (1870), das viele heute für -217-
die Geburtsstunde des Dogmas halten, wurden nur die Richtlinien und Bedingungen für die Unfehlbarkeit noch einmal ausdrücklich festgeschrieben. Demnach gelten nicht nur der Papst, sondern auch die Gesamtheit der Bischöfe und ein Konzil als unfehlbar - vorausgesetzt, sie entscheiden einstimmig.
V wie Vampire Schon beim Stichwort »Dracula« haben wir uns mit dem schaurigschönen Thema Vampire beschäftigt. Ohne Sie jetzt unnötig erschrecken zu wollen, müssen wir Ihnen mitteilen: Es gibt sie wirklich. Einschränkend sei allerdings hinzugefügt, dass es sich nicht um Untote handelt, die nur mit Hilfe spitzer Holzpflöcke von ihrem ewigen Dasein erlöst werden können, und dass sie für Menschen in der Regel auch nicht gefährlich sind. Richtig ist an der verbreiteten Legende allerdings der Fledermaus-Faktor, denn die Vampire, von denen wir hier berichten, gehören tatsächlich zur Gattung der geflügelten Nager. Sie leben vorzugsweise in den feuchten Urwäldern des Amazonas-Beckens, hausen in modrigen Höhlen oder Baumstämmen und leben vom Blut anderer Säugetiere. Nachts nämlich verlassen sie ihren Unterschlupf (… um Mitternacht hob sich knarrend der Sargdeckel…) und machen sich auf die Jagd nach vierbeinigen Opfern. Mit rasiermesserscharfen Schneide- und Eckzähnen suchen sie sich dann eine möglichst unbehaarte Stelle aus (…oooh, wie glatt war dieser Alabasterhals…), säbeln blitzschnell eine kleine Wunde in die Haut und lecken das austretende Blut auf. Dies geht normalerweise so schnell, dass die Betroffenen außer einem ganz leichten Piekser überhaupt nichts davon mitbekommen. Gefährlich kann ein derartiger Biss nur deshalb sein, weil die Tiere natürlich auch Krankheiten, wie beispielsweise die Tollwut, übertragen können. -218-
V wie Vandalen Wenn von jugendlichen Kleinkriminellen des Nachts sinnlose Verwüstungen begangen werden, so spricht der Polizeibericht gerne davon, dass die Unbekannten »wie die Vandalen« hausten. Nun möchten wir aber unsere wackeren Gesetzeshüter und jeden anderen in aller Bescheidenheit davon in Kenntnis setzen, dass der germanische Volksstamm der Vandalen seinen schlechten Ruf zu Unrecht trägt. Während der Völkerwanderung waren die Vandalen (zuweilen auch Wandalen) aus dem Gebiet des heutigen Schlesien quer durch Europa über Spanien bis nach Nordafrika gezogen. Dort ließ sich das wehrhafte Völkchen zunächst häuslich nieder, und ihr damaliger König Geiserich errichtete in der sogenannten »Kornkammer« des weströmischen Reiches tatsächlich einen unabhängigen Germanenstaat. Mit Kaiser Valentinian schloss Geiserich einen Friedensvertrag, in dem sich beide Seiten zu friedlicher Kooperation verpflichteten und rege Handelsbeziehungen unterhielten. Doch dann wurde Valentinian in Rom ermordet, und Geiserich betrachtete dies als das Ende aller Formalitäten. Überraschend segelte er mit seiner ansehnlichen Flotte in Richtung Rom, und als er vor der Tibermündung gesichtet wurde, versetzte dies Valentinians Nachfolger Maximus derart in Panik, dass er seinem Hofstaat und den »besseren Kreisen« die Parole »Rette sich wer kann« ausgab. Fast ohne Widerstand konnten die überraschten Vandalen also Rom besetzen, und dies scheint ihnen die Kampfeslust ein wenig genommen zu haben. Zwar plünderten sie nach Kräften, doch vom vielzitierten »Morden, Brandschatzen und Schänden« ist in zeitgenössischen Überlieferungen nirgendwo die Rede, und dass nach ihrem Abzug (schon nach knapp zwei Wochen) kein Stein mehr auf dem anderen war, ist ebenfalls frei erfunden. Dass den Vandalen trotzdem soviel Schlechtes nachgesagt -219-
wird, mag zum einen an ihrer germanischen Gründlichkeit gelegen haben: Sie nahmen nämlich wirklich alles mit, was irgendwie von Wert sein konnte, und deckten dabei sogar das goldene Dach des Jupitertempels ab. Außerdem verschleppten sie eine stattliche Anzahl Gefangener, darunter auch die Kaiserin und deren Tochter, die sich wenig später mit Geiserichs Sohn Hunerich vermählt fand. Zum anderen könnte der »Rufmord« an den Vandalen auch damit zusammenhängen, dass die berühmteste Stadt der bekannten Welt so einfach überfallen und besiegt worden war. Schnell reimten sich die Menschen überall zusammen, dass dies nur durch besondere Brutalität und Rücksichtslosigkeit möglich gewesen sein konnte, und damit hatten die Vandalen, die sich hochzufrieden und schwer bepackt in ihren Heimathäfen feiern ließen, ihren miserablen Ruf auch schon weg.
V wie Vatikan Wenn Sie sich beim Lesen des vorliegenden Buches an die alphabetische Reihenfolge gehalten haben, dann ist Ihnen sicher noch geläufig, dass die Ansprüche der Stadt Hamburg auf den Titel »Freie Hansestadt« auf einer Menge gefälschter Urkunden basieren. Ein weiteres gutes Beispiel für den ehedem recht sorglosen und höchst unmoralischen Umgang mit Dokumenten ist eine der moralischsten Instanzen der Welt: der Vatikan. Der kleine Kirchenstaat im Herzen Roms hatte nicht immer diese relativ bescheidenen Ausmaße. Einstmals nannte der »Vatikanstaat« ausgedehnte Ländereien und Besitztümer in ganz Italien sein eigen. Seinen Anspruch begründete der »Heilige Stuhl« Jahrhunderte lang mit der sogenannten Konstantinischen Schenkung, die als Urkunde dem Frankenkönig Pippin um 760 präsentiert wurde. Diesem Pippin, dem mächtigsten Mann des Abendlandes, hatte die Kurie das Dokument vorgelegt, in dem -220-
der einstige Kaiser des Römischen Reiches, Konstantin, erklärte, durch Papst Silvester vom Aussatz geheilt worden und dadurch zum christlichen Glauben bekehrt worden zu sein. Als Dank habe er die römische Kirche über sein eigenes Kaiserreich erhoben und den Bischof von Rom zum Herren aller Bischöfe der Welt gemacht. Außerdem habe er der römischen Kurie sämtliche Provinzen Italiens unterstellt. Obwohl Pippin die Urkunde sicherlich mit Skepsis gelesen haben dürfte und sie wahrscheinlich auch nicht ganz so ernst nahm, wagte der fromme Christ doch auch nicht, sie öffentlich in Zweifel zu ziehen. Außerdem waren seine politischen Interessen in Italien äußerst gering und folgerichtig bestätigte er bereitwillig den erhobenen Anspruch. Die römische Kirche hatte ihr Ziel erreicht: Sie etablierte sich als bestimmende Gemeinde und ihren Bischof als »Fürsten aller Bischöfe«. Dagegen hatten sich bisher andere Bischöfe stets gewehrt, doch nun wagte niemand mehr, gegen den römischen Führungsanspruch aufzubegehren. Erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts, also rund 750 Jahre nach Pippin, entlarvte der Humanist Lorenzo Valla die »Konstantinische Schenkung« als recht plumpe Fälschung. Valla wies zweifelsfrei nach, dass Papst Silvester sich niemals als Heiler betätigt hat, dass Kaiser Konstantin an keinerlei Aussatz gelitten und niemals auch nur im Traum daran gedacht hat, riesige Teile seines Reichs an eine damals noch skeptisch beäugte Religionsgemeinschaft abzutreten. Außerdem deckte er sprachliche und stilistische Fehler auf, die Kons tantins Schreibern sicher nicht passiert wären. Doch zu diesem Zeitpunkt war der Zweck der Fälschung schon erreicht: Die Führung der christlichen Kirche saß in Rom und scheffelte Reichtümer.
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V wie vegetarisch Im Gegensatz zu dem, was Vegetarier gerne behaupten, hat der Mensch schon immer Fleisch verzehrt. Die vegetarische Ernährungsweise mag zwar gesünder sein (auch dazu gibt es verschiedene Standpunkte), doch »natürlicher« ist sie deshalb noch lange nicht. Zoologen behaupten sogar, dass nur die gemeinsame Jagd den Homo sapiens zu dem gemacht hat, was er heute ist: ein wehrhaftes, rudelerfahrenes Raubtier. Schon die Urwaldaffen, von denen wir abstammen (wenn auch nicht in gerader Linie), bevorzugten neben Blättern, Beeren und Früchten vor allem rohe Käfer, Eidechsen und kleine Säugetiere, wobei sich die Jagd auf letztgenannte schwierig gestaltet haben dürfte. Mit dem »Auszug« unserer Vorfahren vom Urwald in die Steppe wurde das »FleischEssen« noch wesentlich wichtiger - schon allein deshalb, um gegen die mit Zähnen und Beinen besser ausgestatteten Wölfe, Bären oder Raubkatzen bestehen zu können. Wie wir heute wissen, war der Mensch dabei erfolgreicher als alle anderen Arten - ob dies positiv zu bewerten ist, lassen wir dahingestellt. Festzustehen scheint indes, dass der Homo sapiens als reiner Vegetarier in seiner jetzigen Form wohl kaum existieren würde.
V wie Venedig/Venezuela »Papa, Papa - liegen Venedig und Venezuela nebeneinander«, fragt der Sprössling seinen geographieerfahrenen Erzeuger. »Aber nein, mein Kind. Venedig ist eine Stadt und Venezuela ein Land. Die haben nichts miteinander zu tun«, antwortet dieser und… liegt voll daneben. Zwar stimmt der erste Teil seiner Antwort der mit der Stadt und dem Land - aber was kaum jemand weiß, ist, dass Venezuela seinen Namen tatsächlich von der norditalienischen Lagunenstadt ableitet. -222-
Als der spanische Entdecker Alonso de Hojeda nämlich 1499 zu einer Halbinsel am Karibischen Meer kam, entdeckte er Pfahlbauten, in denen die einheimischen Indianer wohnten. Diese Häuser erinnerten ihn stark an Venedig, so dass er das Land als »Klein-Venedig« - Venezuela - bezeichnete.
V wie Venus von Milo Wer schuf die berühmte Statue »Venus von Milo«. 99 Prozent aller Befragten halten dies für eine Scherzfrage und antworten mit eine m breiten Lächeln: »Na, Milo natürlich.« Nun mag es zwar dereinst einen Milo gegeben haben, doch die Frauengestalt, die als Verkörperung klassischer Schönheit gilt und seit 1820 im Louvre zu bewundern ist, leitet ihren Namen einfach von ihrem Fundort ab. Sie wurde nämlich bei Ausgrabungen auf der griechischen Insel Melos - italienisch Milo - entdeckt.
V wie Verbrennungen Bei Verbrennungen aller Art greift der »DoityourselfMediziner« gerne zur Brandsalbe. Dies jedoch hat keinerlei heilende Wirkung, sondern kann die Gewebeverletzungen sogar zu bleibenden Schäden werden lassen. Zumindest hässliche Narben sind beinahe garantiert. Statt dessen raten die Ärzte dazu, die betroffene Körperpartie so schnell wie möglich bis zu 20 Minuten lang mit fließendem eiskalten Wasser zu kühlen. Anschließend soll man die Wunde mit einem Brandwundenverbandtuch oder mit keimfreien Tüchern abdecken und schleunigst einen Spezialisten aufsuchen. Erst nach dieser Sofort-Behandlung lohnt der Griff zur Brandsalbe. Dann nämlich entwickelt sie eine langfristig kühlende und damit -223-
schmerzlindernde Wirkung.
V wie Vertrag Um einen Vertrag rechtsgültig zu gestalten, bedarf es nicht der schriftlichen Form. Entgegen landläufiger Meinung genügt in der Regel schon eine mündliche Absprache, wobei man allerdings darauf achten sollte, dass Zeugen anwesend sind. Dies ist zwar nicht zwingend vorgeschrieben, doch wenn sich eine Partei nicht an die Abmachungen gebunden fühlt, muss das Gericht entscheiden. Und der Richter tut sich naturgemäß leichter, wenn er Dritte zum Inhalt der geschlossenen Vereinbarung befragen kann. Einige Verträge müssen allerdings schriftlich abgeschlossen werden. In Deutschland sind dies Ausbildungsverträge, Schenkungsversprechen, Ratenzahlungsvereinbarungen und Bürgschaften. In den meisten anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft kommen noch Pacht- und Kreditverträge hinzu.
V wie Visitenkarte Der schwungvolle Griff zur eleganten Visitenkarte kann gesellschaftlich durchaus ein »Missgriff« sein. Wenn man nämlich die Etikette befo lgt, darf man seine Karte zumindest bei gesellschaftlichen Anlässen (Einladungen, Feiern u. ä.) nicht persönlich übergeben. Die Vorstellung beim Gastgeber übernimmt jemand, der mit beiden Betroffenen bekannt ist, und überreicht dabei auch die Visitenkarte.
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V wie Vitamine Vitamine kann man gar nicht genug zu sich nehmen, lautet ein weit verbreiteter Irrtum der Gesundheits-Fetischisten. Doch unser Körper kann nur seinen »echten« Bedarf an Vitaminen verarbeiten - alles, was darüber hinausgeht, ist überflüssig und zuweilen sogar gefährlich. So kann das berühmte Vitamin C in hohen Dosierungen zu Nierensteinen führen, große Mengen von Vitamin A verursachen bei einigen Menschen Kopfschmerzen, Gliederreißen und Haarausfall, und zuviel Vitamin D kann in dramatischen Fällen eine Dehydrierung des Körpers zur Folge haben, die mit Übelkeit, Erbrechen und Durchfall einhergeht. Man sollte also nur so viele Vitamine zu sich nehmen, wie der Körper wirklich benötigt. Eine entsprechende Übersicht liefert Ihnen in der Regel ein guter Hausarzt. Zum Thema Vitamine gleich noch eine Anmerkung: Viele der angeblichen Heilwirkungen sind blanker Unsinn. So hat Vitamin A keinerlei Auswirkungen auf schlechte Augen, und Vitamin C senkt weder den Blutdruck noch hilft es beim Auskurieren einer Erkältung entscheidend weiter. Eine Besserung können Sie nur dann spüren, wenn Sie bislang zu wenig Vitamine aufgenommen haben.
V wie Vögel Fische leben im Wasser und sind uns wahrscheinlich deshalb oft fremd (siehe Stichwort »Fische«). Vögel fliegen in der Luft und… ergänzen Sie bitte den Rest. Wie schon bei unseren geschuppten Freunden kommen wir nun auch bei unseren gefiederten Kumpanen unserer Pflicht nach und korrigieren einige elementare Irrtümer. Einer davon steckte schon im vorangegangenen Satz, denn beileibe nicht alle Vögel können sich in die Lüfte erheben. Der Vogel Strauß (siehe auch -225-
Stichwort »Strauß«) bleibt am Boden kleben und kompensiert seine nur rudimentären Stummelflügelchen mit seinen langen Beinen und einer erstaunlichen Laufgeschwindigkeit. Ein anderes Beispiel ist der Pinguin, der zwar Eier legt und ebenfalls Flügel hat, sich aber viel lieber im Wasser tummelt. Dabei sind ihm seine »angedeuteten Schwingen« als Seitenruder behilflich. Und gleich noch ein Irrtum hinterher: Vögel erfrieren im Winter. Nein, nein und nochmals nein. Ihr dichtes Federkleid befähigt sie ohne weiteres, auch arktische Temperaturen einigermaßen unbeschadet zu überstehen. Ein anderes Problem ist allerdings die Futtersuche bei einer dichten Schnee- oder Eisdecke, denn Verhungern können die sangesfreudigen Gesellen allemal.
V wie Vogelspinne Der Verfasser dieser Zeilen bekennt offen, an Arachnophobie (Angst vor Spinnen) zu leiden, und schon der Anblick einer Vogelspinne lässt ihm das Blut in den Adern gefrieren. Doch auch wenn es viele behaupten - der Biss dieses behaarten Spinnentiers ist nicht tödlich. Erstens sind die bis zu zwölf Zentimeter langen Tiere recht scheu und beißen nur im äußersten Notfall, zum anderen hat ihr Gift auf den Menschen ungefähr dieselbe Wirkung wie ein Bienenstich. Nur Säuglinge könnten mit einer Vogelspinnen-Attacke größere gesundheitliche Probleme haben.
V wie Völkerwanderung Es waren keine »Völker«, die in den bewegten Zeiten zwischen dem dritten und dem sechsten Jahrhundert quer durch Europa zogen und sich fernab ihrer ursprünglichen Heimat -226-
niederließen. In erster Linie waren es germanische Stämme, wobei sich die vagabundierenden Massen nicht etwa aus einzelnen, fest umrissenen Gruppen zusammensetzten, sondern jeweils aus mehreren unterschiedlichen Stammeseinheiten bestanden. Sie folgten in aller Regel einer oder mehreren charismatischen Führungspersönlichkeiten und wurden durch die gemeinsame Flucht aus dem alten, übervölkerten Lebensraum zu einer neuen Einheit zusammengeschweißt. Der Begriff Völkerwanderung basiert auf einer missverständlichen Interpretation des Wortes »Volk«. So wurden beispielsweise die Goten, die aus rund 25 verschiedenen Stämmen bestanden und nachweislich völlig unterschiedliche Sprachen, Dialekte und Bräuche pflegten, gerne als »Volk« bezeichnet. Dies lässt sich aber mit der heutigen Definition nicht mehr vereinbaren. Korrekt müsste man die »Völkerwanderung« also als »Stämmewanderung« bezeichnen.
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20. Von Wasser bis Wüste
W wie Wasser Wasser ist Leben. Um dies zu bemerken, muss man nicht unbedingt in der Wüste fassungslos die leere Feldflasche schütteln. Es reicht, sich zu vergegenwärtigen, dass der menschliche Körper zu zwei Dritteln aus Wasser besteht, dass die Erdoberfläche zu drei Vierteln von Wasser bedeckt wird und dass Wasser die Basis jeder trinkbaren Flüssigkeit ist. Eines aber ist Wasser nicht: des Menschen ureigenes Element. Und wahrscheinlich haben sich deshalb im Laufe der Jahre einige Halbwahrheiten zum Thema »Wasser« eingeschlichen, die es zu berichtigen gilt. Beispielsweise wird behauptet, Wasser koche exakt bei 100 Grad Celsius. Dies stimmt aber nur dann, wenn der Luftdruck bei exakt einem bar liegt, und das ist natürlich in den seltensten Fällen so. Auf dem Gipfel eines hohen Bergs ist der Luftdruck beispielsweise wesentlich geringer, und deshalb köchelt Ihr »Süppchen« dort womöglich schon bei einer Temperatur von 90 Grad. An einem Ort, der unter Meereshöhe liegt - zum Beispiel im »Tal des Todes« in den Vereinigten Staaten -, müssen Sie hingegen schon rund 110 Grad Hitze erzeugen. Wasser kann sogar bei 0 Grad kochen. Wenn Sie beispielsweise mittels einer Pumpe den Luftdruck innerhalb eines Wassertopfs auf zwei Hundertstel des normalen Wertes verringern, kocht Ihr Wasser exakt bei der Temperatur, bei der es unter normalen Bedingungen beginnen würde zu gefrieren. Außerdem wiegt ein Liter Wasser keineswegs immer genau ein Kilogramm. Als Berechnungsgrundlage dürfen Sie diese »Eselsbrücke« zwar getrost weiterhin benutzen, doch ganz korrekt ist sie nicht. Ein Liter wiegt bei einer Temperatur von -228-
genau 0 Grad exakt 999,8 Gramm. Wenn dieser Liter nun allmählich erwärmt wird, steigt die Dichte zunächst an und erreicht bei vier Grad Celsius das erste und einzige Mal die »Ein-Kilogramm-Marke«. Von nun an nimmt die Dichte jedoch wieder ab, und wenn 20 Grad erreicht sind, wiegt der Liter nur noch 998 Gramm. So richtig verblüffend wird es, wenn der Liter bei Minusgraden gefrorene Konsistenz angenommen hat also zu Eis wurde. Dann nämlich hat sich seine Dichte rapide verringert, und er wiegt nur noch knapp 917 Gramm. Nur deshalb schwimmt Eis nämlich auf der Wasseroberfläche. Abschließend noch ein wichtiger Gesundheitstipp: Destilliertes Wasser eignet sich keinesfalls als Trinkwasser. Normales Brunnen- oder Quellwasser nämlich ist reich an Mineralien und keinesfalls chemisch rein. Diese mineralischen Bestandteile jedoch benötigt der Körper unbedingt, um das aufgenommene Wasser ablagern und verarbeiten zu können beim Genuss von destilliertem Wasser kann es zu osmotischen Reaktionen kommen, die zur Sprengung der Körperzellen führen. Übrigens - auch Regenwasser enthält normalerweise herzlich wenig Mineralstoffe und ist folgerichtig auch nicht unbedingt - zumindest nicht in größeren Mengen - zum Trinken geeignet.
W wie Wasserdampf Was sieht man, wenn ein Topf mit Wasser auf dem Herd kocht, zur Decke steigen? »Natürlich den Wasserdampf«, lautet die übliche Antwort, doch die ist falsch. Wasserdampf ist vollständig unsichtbar, und wer's nachprüfen will, sollte den Kochtopf im entscheidenden Moment mal genau über der Öffnung unter die Lupe nehmen: Dort sieht er nämlich gar nichts. Bei den aufsteigenden »Wolken« handelt es sich um -229-
winzige Wassertröpfchen, die dadurch entstehen, dass der Dampf blitzschnell abkühlt. Doch nur Sekunden nach ihrer Entstehung sind sie auch schon wieder verschwunden, denn infolge ihrer vergleichsweise großen Oberfläche verdunsten sie sehr schnell.
W wie Wasserfälle Die größten Wasserfälle der Welt hat noch kein menschliches Auge je erblickt. Anders als beinahe alle Nachschlagewerke behaupten, sind nämlich nicht die Angelsfalls in Venezuela mit ihrer stolzen Höhe von knapp 1000 Metern die höchsten Wasserfälle und schon gar nicht die berühmten Niagara-Fälle in Nordamerika. Die gewaltigsten Wasserfälle erreichen eine Breite von etwa 200 Kilometern, eine Höhe von mindestens 4000 Metern und lassen pro Sekunde rund fünf Millionen Kubikmeter in die Tiefe stürzen. Sie verlaufen unter der Meeresoberfläche zwischen Island und Grönland, wo das kalte und schwere Nordpolwasser mit atemberaubender Wucht auf das tiefer gelegene, wärmere Atlantikwasser stürzt.
W wie Wasserwaage …enthält überhaupt kein Wasser. Das Glasröhrchen, das »Libelle« genannt wird, ist mit Alkohol gefüllt.
W wie Weihnachten Am 25. Dezember feiert die vereinte Christenheit einmütig den Geburtstag des Heilands. Doch dieses Datum ist vollkommen willkürlich festgelegt worden, denn in den -230-
Anfängen des Christentums feierten die einzelnen Gemeinden an ganz unterschiedlichen Daten. Tatsache ist, dass keine einzige Überlieferung darüber Aufschluss gibt, wann Jesus tatsächlich geboren wurde, und auch in der Bibel findet sich kein konkreter Hinweis. In der Mitte des 4. Jahrhunderts einigte man sich erstmals auf den 25. Dezember, denn man glaubte zu wissen, dass Marias Empfängnis zum Jahresanfang stattgefunden hatte. Nach dem alten, babylonischen Kalender, aus dem später auch die jüdische Zeiteinteilung entstand (ca. 400 v. Chr.) und der in den nichtchristlichen Ländern des Vorderen Orients nach wie vor Bestand hat, war dies der 25. März. Nach der Kalenderreform der Römer, die ihrerseits die ägyptische Zeitrechnung übernommen und modifiziert hatten (Julianischer Kalender), musste man nun neun Monate dazu addieren und kam folgerichtig auf den 25. Dezember. (Die nächste, große Kalenderreform erfolgte dann im Jahre 1582 siehe auch Stichwort »Kalender«.) Wenn man aber den Schriften des Evangelisten Lukas Glauben schenkt, dann dürfte selbst die Theorie vom »Jahresanfang« falsch sein, denn bei ihm »lagerten die Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde«. Dafür dürfte es jedoch auch in und um Bethlehem im Dezember deutlich zu kalt gewesen sein - im Winter blieb das Vieh normalerweise durchgehend in den Ställen.
W wie Wein Um sich auf dem glatten gesellschaftlichen Parkett möglichst geschmeidig zu bewegen, ist es fast unumgänglich, sich als »Weinkenner« zu zeigen, denn schließlich gilt der Wein seit geraumer Zeit als »Kulturgetränk«. Folgerichtig sollten die folgenden Irrtümer im Zuge unverbindlicher Partyplaudereien unbedingt vermieden werden: Weißwein wird nicht ausschließlich aus weißen Trauben -231-
hergestellt. Im Gegenteil: Zu 75 Prozent basiert auch »der Weiße« auf roten Trauben, wobei der Unterschied zum Rotwein vor allem in der Herstellungsart liegt. Beim Rotwein nämlich lässt man den Most ungekeltert auf der Traubenmaische stehen. Bei der Gärung löst sich die rote Farbe der Trauben und geht in den Most über. Beim Weißwein hingegen wird der Most von der Maische getrennt und in großen Bottichen aufgefangen. Von dort gelangt er dann in die Gärfässer und bleibt demzufolge wesentlich farbloser als sein roter »Kollege«. Ein anderes wichtiges Thema ist die richtige Trinktemperatur. Häufig wird behauptet, einen guten Rotwein müsse man bei »Zimmertemperatur« genießen. Dies jedoch stammt aus Zeiten, in denen die Räumlichkeiten noch lange nicht so gut geheizt waren wie in unseren Tagen, denn die Temperatur in den deutschen Wohnstuben schwankt heutzutage zwischen 20 und 23 Grad. Wenn man den Wein tatsächlich mit dieser Temperatur servierte, würde er reichlich lauwarm und abgestanden schmecken. Die korrekte Temperatur liegt je nach Sorte zwischen 12 und 18 Grad Celsius. Noch einmal zurück zur Farbe. Rosewein wird nicht, wie häufig angenommen, aus rotem und weißem Wein gemixt. Rosé wird in der Regel aus roten Trauben gewonnen und nach dem Vermaischen so gekeltert, dass nur ein kleiner Teil der Beerenfarbe in den Most gelangt. Eine Ausnahme machen nur die rosefarbenen Sorten von Sekt und Champagner. Diese basieren ohnehin auf Weinmischungen, und hier entsteht die Farbe tatsächlich durch eine Kombination aus roten und weißen Weinen.
W wie Weißbrot Das Weißbrot hat seinen Namen nicht wegen seiner hellen Farbe, sondern hieß ursprünglich Weizenbrot. »Weizen« wurde -232-
im Mittelhochdeutschen nämlich »Weiße« genannt. Daraus entstand zunächst »Weißenbrot« und später das heute verkaufte »Weißbrot«.
W wie Wellen Skeptiker bleiben zumeist felsenfest bei ihrer Überzeugung, sogenannte »Riesenwellen« seien bloßes »Seemannsgarn«. Doch es kann tatsächlich zu Meereswellen kommen, die sich bis auf eine Höhe von knapp 40 Metern »hochschaukeln«. Vor allem im Atlantik, aber auch im Pazifik wurden solche gigantischen »Freakwaves« schon mehrmals gesichtet. Am Rande von Meeresströmungen muss mit ihnen gerechnet werden, wobei vor allem die Agulhas-Strömung vor Südafrika berüchtigt ist für ihre alles zermalmenden Wellen, die sogar Riesentanker und die allergrößten Passagierschiffe in ernste Schwierigkeiten bringen können.
W wie Wikinger Vor allem in Deutschland lebt die Legende vom Wikinger als »edlem Wilden« noch heute fort. Für uns gutgläubige Germanen stellen die Wikinger wohl das Pendant zu den Indianern dar, doch erklärbar ist dies lediglich mit einer romantischverklärten Sicht der Geschichte. In Wirklichkeit waren die Wikinger ein Volk, das seinen einst miesen Ruf völlig zu Recht hatte. Mit ihren unvergleichlich schnellen und wendigen Schiffen beherrschten sie zwischen dem 9. und dem 11. Jahrhundert die europäischen Meere und nutzten dies weidlich aus. Von Skandinavien führten ihre wilden Raubzüge sie nach England, Irland, Frankreich und Spanien bis nach Italien. Über die Ostsee wurden auch Polen und Russland -233-
attackiert, und über die Elb- und die Wesermündung fielen sie regelmäßig auch über deutsche Städte her. Ihre Taktik dabei war ebenso simpel wie erfolgreich: Die Angriffe erfolgten blitzschnell und mit beeindruckender Brutalität. Jeder potentielle männliche Feind wurde möglichst sofort getötet - unabhängig davon, ob er bewaffnet war oder nicht. Frauen wurden häufig vergewaltigt und anschließend ermordet, zahlreiche Kinder wurden verschleppt und fanden sich später als Leibeigene auf skandinavischen Einödhöfen wieder. In den Städten, die sie heimsuchten, bemühten sich die »Wölfe des Nordens« nach einer gründlichen Plünderung, möglichst keinen Stein auf dem anderen zu lassen, und wenn ihnen dies zu langwierig erschien, legten sie einfach an mehreren Stellen Feuer und guckten sich die verzehrenden Brände frohgelaunt vom Deck ihrer davon segelnden Schiffe an. Manche Nationen wurden so oft und so unbarmherzig von verschiedenen Wikingerstämmen heimgesucht, dass sie schließlich sogar bereit waren, einen »Friedensobolus« zu entrichten. So zahlte der französische König Karl der Kahle im Jahre 845 nachweislich 7000 Pfund Silber - für damalige Verhältnisse eine schier unvorstellbare Summe -, damit sie wieder abzogen, und auch die Engländer sahen sich genötigt, Jahr für Jahr einen 10000-Pfund-Tribut an die Anführer der wilden Horden zu entrichten. Der Hauptumschlagsplatz für ihre Waren und ihre Sklaven war die Stadt Haithabu, unweit des heutigen Schleswig. Dorthin verschifften sie ihre Beute, wobei die Raubzüge immer müheloser und gleichzeitig lohnender wurden - allein ihr Ruf bescherte den Wikingern schon einen steten Einnahmefluss. So paradox dies klingen mag, so war es doch dieser mühelose Erfolg, der für sie den Anfang vom Ende bedeutete. Immer mehr der kriegerischen Nomaden wurden in Irland, der Normandie und in Süditalien sesshaft, immer mehr wurden friedliche Händle r, die ein ungefährliches Leben bevorzugten, und etliche -234-
ließen sich sogar zum Christentum bekehren. Schon Ende des 12. Jahrhunderts waren die Raubzüge der Wikinger nur mehr Legende.
W wie willensschwach Im Jahr 1996 existierte im Deutschen Fernsehen eine Sendung, in der vollständig normale Menschen minutenlang der festen Überzeugung waren, ein Staubsauger zu sein, und tatsächlich auch die entsprechenden Geräusche und Bewegungen vollführten. Sie waren freiwillige Opfer eines »Hypnotiseurs« und wurden von diesem mit eleganten Gesten der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Sendung »überlebte« nicht lange - die Grenzen des guten Geschmacks schienen dem Publikum verletzt zu sein. Auch Kritiker schossen sich auf die neue Show ein, und in einer bekannten Programmzeitschrift schrieb einer von ihnen, dass es sich bei den Probanden um ausgesprochen willensschwache Hohlköpfe handeln müsse. Dies jedoch kann eigentlich kaum sein, denn entgegen der allgemeinen Ansicht sind willensschwache oder minderbegabte Menschen nur äußerst schwer zu hypnotisieren. Dies liegt daran, dass sie sich in der Regel nicht besonders gut konzentrieren und ihre Gedanken in eine bestimmte Richtung lenken können. Die besten »Opfer« sind die Intellektuellen, die sich ganz und gar auf die Wirkung der Hypnose konzentrieren und sich demzufolge tatsächlich leichter manipulieren lassen.
W wie Windstärken Im allgemeinen spricht man von zwölf Windstärken, doch ist dies ein Denkfehler. Tatsächlich gibt es nämlich 13, da die Messung bei Null (Windstille) beginnt und bei Zwölf (Orkan) -235-
endet.
W wie Winterschlaf Zugegeben - in der Regel dauert ein Winterschlaf tatsächlich nur einige Monate - manchmal sogar nur Wochen. Doch an dieser Stelle sei erwähnt, dass auch schon ein über 100jähriger Winterschlaf nachgewiesen wurde. Bei Arbeiten in einer Goldmine Ostsibiriens entdeckten Bergleute einen Winkelzahnmolch, der im Dauerfrostboden im Inneren eines großen Eisklumpens nachweislich mehr als zehn Dekaden geschlafen haben musste. Nachdem man das Eis langsam weggeschmolzen hatte, erwachte das Tier aus der Gattung der Schwanzlurche zum Erstaunen aller Anwesenden wieder zum Leben. Es dürfte sich bei ihm damit um den ältesten Vertreter seiner Gattung gehandelt haben, denn Winkelzahnmolche haben normalerweise nur eine Lebenserwartung von etwa 15 Jahren.
W wie Wodka Als »Kartoffelschnaps« wird Wodka gern bezeichnet, doch auch wenn er ursprünglich aus gepressten Erdäpfeln hergestellt wurde, so ist die Bezeichnung mittlerweile doch übertrieben. Denn Wodkahersteller achten peinlich genau darauf, ihr Produkt so zu destillieren und zu filtern, dass überhaupt kein Geschmacksstoff erhalten bleibt, und nur durch das vollständige Fehlen sämtlichen Buketts ist die charakteristische Reinheit und Weichheit von Wodka überhaupt zu erreichen. Man könnte durchaus sagen, dass es sich beim russischen Nationalgetränk um »gesäuberten Sprit« handelt, der erst durch das Hinzufügen von möglichst neutralem Wasser überhaupt trinkbar wird. Folgerichtig auch der Name: Wodka bedeutet »Wässerchen«. -236-
Übrigens gibt es noch einen »trinkbaren Sprit«: Rapsöl, von Landwirten produziert, kann zum Anmachen eines Salats ebenso verwendet werden wie zum Autofahren. Nötig ist allerdings ein leicht veränderter und umgerüsteter Motor, doch dann hat das dickflüssige Öl in etwa dieselben Eigenschaften wie DieselKraftstoff.
W wie Wölfe Zwei der am häufigsten gehörten Vorurteile über Wölfe lauten: »Sie jagen in Rudeln« und »sie attackieren Menschen grundlos«. Beides trifft nicht zu: Lediglich im Winter, wenn das Futter knapp wird, schließen sich Wölfe bei der Jagd zu größeren und damit effizienteren Gruppen zusammen. Während der übrigen Zeit des Jahres fangen sie sich ihre Eichhörnchen, Mäuse oder Kaninchen viel lieber allein, weil sie dann natürlich auch nicht teilen müssen. Eine Ausnahme bildet für eine Weile nur eine Wolfsfamilie, denn zumindest die Mutter bleibt solange bei ihren Jungen, bis sie sicher ist, dass sie sich behaupten können. Auch die vielzitierten »Menschenfresser-Ambitionen« der Wölfe sind ein Märchen. Natürlich wurden in der Vergangenheit auch Menschen von den Wildtieren angefallen und getötet, doch dabei handelte es sich nicht um gewöhnliche Reisende, sondern zumeist um Jäger, die den Tieren zuvor nachgestellt hatten. Verhaltensforscher bezeichnen Wölfe heute als »sehr scheue Tiere«, denen man möglichst ohne Angst oder Aggression gegenübertreten sollte. Bei entsprechendem Verhalten können sie sogar Menschen in ihre Zweckgemeinschaft aufnehmen, was ein hessischer Wolfsforscher über mehrere Jahre hinweg eindrucksvo ll bewiesen hat. Er »heulte« in einem riesigen Freigehege zusammen mit den Tieren, die ihn nach anfänglichem Misstrauen schließlich als »harmlosen -237-
Sonderling« akzeptierten. Die einzigen Kratzer, die er sich je zugezogen hat, stammten von spielerischen Balgereien.
W wie Wolkenkratzer Angesichts der Skyline von Manhattan könnte dem Betrachter angst und bange werden um die New Yorker Halbinsel. Wolkenkratzer reiht sich da an Wolkenkratzer, und nicht wenige vermuten, dass jedes weitere derartige Bauwerk zuviel für das bisschen Boden wird: Manhattan wird eines Tages versinken. Keine Panik: In Wirklichkeit ist der Boden New Yorks durch die Monumentalbauten weniger belastet als ohne sie. Für die Fundamente mussten nämlich gewaltige Mengen von Granit ausgehoben und entfernt werden, und das ausgehobene Gewicht übertrifft das der Hochhäuser deutlich. Manhattan ist damit sogar »leichter« geworden als zuvor.
W wie Wolpertinger Arme Preußen. Da tragt Ihr Jahr für Jahr Millionen Eures sauer verdienten Geldes ins idyllische bayerische Bergland und dann werdet Ihr auch noch gnadenlos veralbert: Denn noch immer erzählen kernige Bergführer ihrer atemlos staunenden Touristenschar die Geschichte vom Fabeltier namens »Wolpertinger«. Je nach Region und Phantasie des Erzählers soll dieses Vieh eine Mischung aus Fuchs und Gemse, aus Eichhörnchen und Katze oder aus Hecht und Drachen sein, wobei den Kombinationsmöglichkeiten kaum Grenzen gesetzt sind. Fangen ließe sich das scheue Tier nur von einem verliebten Paar im Vollmond, wobei lediglich eine Kerze und ein Sack als Hilfsmittel erlaubt sind. Ein für allemal, liebe gutgläubige Pensionsgäste: Obwohl es -238-
mittlerweile ein »Wolpertinger-Museum«, mehrere wissenschaftliche Abhandlungen und erstaunlich unscharfe Photographien des gespenstischen Tieres gibt, hat und wird es nie existieren. Der »Wolpertinger« wurde ausschließlich für Euch erfunden. Tut mir leid.
W wie Woodstock Über 200000 Menschen sollen im Sommer des Jahres 1969 zum Rockkonzert von »Woodstock« gepilgert sein, um die Idole der Beat- und Hippieära »livehaftig« zu erleben. Mit einem derartigen Ansturm hatten die Veranstalter nie und nimmer gerechnet, und so musste man schließlich die Kassenhäuschen aufgeben und die anbrandende Menge umsonst aufs Gelände lassen. Ansonsten hätte man nämlich noch drei weitere Tage mit Kassieren verbracht. Doch Joe Cocker, Joan Baez, Carlos Santana und die anderen Musikgrößen dieser Tage waren gar nicht in Woodstock. Zwar spielten und sangen sie tatsächlich vor den enthusiastischen Massen, doch das Konzertgelände lag unweit der Stadt Bethel. Die Kommune »Woodstock« ist davon rund 100 Kilometer entfernt, aber die Plattenfirma fand, »Bethel« sei kein angemessener Titel für das hitparadenverdächtige Doppelalbum.
W wie Wüste Mahnend hebt der Biologielehrer den Zeigefinger: «… doch selbst in der trockensten Wüste gibt es noch Spuren von Leben«, doziert er, und diejenigen seiner Eleven, die ihre Augen noch offen halten können, nicken beeindruckt. Was sie jedoch nicht wissen - der Mann irrt. Im Zentraliran existiert ein sogenannter »abiotischer« Bereich, eine Gegend, die für jedwede Form -239-
pflanzlichen oder tierischen Lebens zu trocken und zu windig ist. Der Name der ausgesprochen abweisenden, mehrere tausend Quadratkilometer großen Fläche lautet »Wüste Lut«.
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21. Von Xanthippe bis Zigarren
X wie Xanthippe Als »Xanthippe« werden seit geraumer Zeit besonders kratzbürstige und streitlustige Ehefrauen bezeichnet. Das geht zurück auf die gleichnamige Ehefrau des griechischen Philosophen Sokrates. Doch nach dessen eigene n Aufzeichnungen war sein Weib alles andere als ein typischer Hausdrachen, sondern vielmehr eine durchaus treusorgende und angenehme Gemahlin. Dass ihr Name dennoch als Synonym für »zänkische« Frauen herhalten muss, liegt an einigen schlampigen Übersetzungen und Fehlinterpretationen aus den Werken eines Sokrates-Schülers. Dieser, ein Mann mit Namen Xenophon, hatte die Frau seines Lehrmeisters in seinem Werk »Erinnerungen an Sokrates« mehrfach erwähnt. Neueren Übersetzungen ist jedoch zu entnehmen, dass Xant hippe (griechisch für »blondes Pferd«) offensichtlich keineswegs so streitsüchtig war, wie lange angenommen wurde.
Z wie Zahnersatz Jahrhunderte lang war das Wissen verloren, doch die weißbekittelten Dentisten der Neuzeit haben es uns zurückgebracht: Noch im vergangenen Jahrhundert war es ein Ding der Unmöglichkeit, ausgebrochene Zähne zu ersetzen, und so mancher Mensch musste sich nach einem herzhaften Biss ins harte Kotelett für immer entstellt fühlen. Doch die Zahnärzte des 20. Jahrhunderts waren nicht die ersten, die um die Möglichkeiten von Brücken, Kronen, Stiftzähnen und Prothesen -241-
wussten. Schon die Etrusker und die alten Römer waren echte Künstler beim Anfertigen von Zahnersatz. In etruskischen Gräbern fanden Archäologen in den Schädeln der Toten raffinierte Brücken, bei denen zum Teil drei oder vier Zähne aus Elfenbein zwischen »echten« Zähnen geschickt eingeklemmt waren. Goldzähne gab es schon im alten Ägypten, wie dortige Gräberfunde bewiesen, und dass auch im blühenden Rom die Herstellung und das Tragen von Zahnersatz zum Alltag gehörten, lehrt uns die Literatur: In seinen Spottversen dichtete beispielsweise der Satiriker Martial (1. Jh. n. Chr.) von »gekauften Zähnen« und berichtet von Prothesen, »die du nachts beiseite legst, wie dein seidenes Kleid.« Dass das Wissen um künstliche Zähne so lange verschüttet war, liegt wahrscheinlich an der allmählichen Dominanz des Christentums. Schließlich war in dieser Lehre, die zunächst noch buchstabengetreu befolgt wurde, kein Raum für schnöden Schein. Künstliche Zähne wären wohl als »Teufelswerk« gebrandmarkt worden, und bevor sich die Kirche etwas weltlicher geben konnte, war's um große Teile der zahnärztlichen Kunst schon geschehen.
Z wie Zauberberg Seine schöpferische Kraft in allen Ehren, doch alles konnte Thomas Mann sich doch nicht »aus den Fingern saugen«. Und somit gibt es, entgegen anderslautenden Behauptungen, für sein Berg-Sanatorium im Roman »Zauberberg« durchaus ein konkretes Vorbild. Man schrieb das Jahr 1912, als Manns kränkelnde Gattin notgedrungen ein Lungensanatorium unweit der Schweizer Stadt Davos aufsuchen musste. Für drei Wochen leistete ihr Thomas Mann dort Gesellschaft, was er in einem Brief an einen Freund unter anderem mit folgenden Worten beschrieb: »Ein paar Tage -242-
machten mir die 1600 Meter Höhe sogar Fieber, so dass der Professor mich schon profitlich lächelnd für offenbar tuberkulös und einer längeren Kur bedürftig erklärte.« Nun - auf die Kur konnte der Schöpfer der »Buddenbrooks« und des »Hochstaplers Felix Krull« verzichten, doch seine Eindrücke verarbeitete er in seiner fast drei Jahre dauernden Arbeit am berühmten »Zauberberg«.
Z wie Zeit Seit jeher hat die Zeit die Menschen fasziniert und beschäftigt. Ist sie nur ein Kunstgebilde des menschlichen Intellekts? Sind unsere Ansichten über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft richtig? Wie definiert man die Unendlichkeit? Am Versuch, diese philosophischen Fragen zu beantworten, sind schon klügere Köpfe gescheitert, doch es gibt einige »Schludrigkeiten« beim alltäglichen Umgang mit der Zeit, denen sich ohne weiteres auf den Zahn fühlen lässt. So gilt beispielsweise die Faustregel, dass jedes vierte Jahr ein Schaltjahr ist. Zurückzuführen ist dies auf den Gregorianischen Kalender, der im Jahr 1582 eingeführt wurde und den Zeitraum eines Jahres exakt auf 365,2424 Tage festlegte. Die »Bruchteile« werden durch das Einschieben sogenannter »Schalttage« ausgeglichen und zwar in den Jahren, deren letzte beiden Zahlen durch vier teilbar sind. Demnach waren zum Beispiel 1988, 1992 und 1996 »Schaltjahre«. Der »Schalttag« ist jeweils der 29. Februar, der in den übrigen Jahren bekanntlich entfällt. Doch trotz dieses genialen Tricks wurde die Differenz noch nicht vollständig ausgeglichen, und deshalb müssen in einem Zeitraum von 800 Jahren sechs Schaltjahre ausfallen. Diese »Ausfälle« werden jeweils auf den Jahrhundertbeginn gelegt, und deswegen sind diejenigen »Säkularjahre«, deren Jahreszahl nicht durch Vier teilbar ist, keine Schaltjahre (z. B. -243-
1800, 1900, 2100). Übrigens beginnt unsere Zeitrechnung auch nicht mit dem Jahr von Christi Geburt. So paradox das klingen mag Bibelwissenschaftler haben errechnet, dass Jesus im Jahre 6 v. Chr. geboren sein muss. Schließlich ist der Sohn des Herrn - laut Matthäus-Evangelium - in der Amtszeit des Königs Herodes zur Welt gekommen und nicht im Jahre 754 der alten, varronischen Zeitrechnung. Da war nämlich Herodes schon einige Jahre tot. Die Festlegung von Christi Geburt traf im Jahre 525 n. Chr. ein römischer Mönch namens Dionysius Exiguus. Heute müssen wir dem frommen Mann leider vorhalten, dass er sich verrechnet hat. Dazu passt auch die folgende Frage: »Nennen Sie mir doch einmal den ersten Tag des 20. Jahrhunderts.« Die Antwort lautet in 99,9 Prozent aller Fälle: »Na der erste Januar 1900, natürlich.« Genaugenommen ist dies falsch. Als nämlich der schon erwähnte Gregorianische Kalender aufgestellt wurde, ließ man - aus welchen Gründen auch immer - das Jahr Null einfach unter den Tisch fallen. Im Klartext: Dem Jahre 1 v. Chr. ließ man sogleich das Jahr 1 n. Chr. folgen, und dieser Fehler schleppt sich natürlich seit jenem Zeitpunkt durch die Jahrhunderte (siehe auch Stichwort »Kalender«).
Z wie Zentralheizung Egal, was der Heizungsbauer sagt und was der Klempner denkt: Die Zentralheizung gab's schon lange vor der Etablierung des ungemein tüchtigen deutschen Handwerkerstandes. Schon die alten Römer kannten das sinnreiche Prinzip, das sie sogar in Form einer Fußbodenheizung verwirklicht hatten. Wie Ausgrabungen belegen, funktionierte das System mit Hilfe eines außerhalb des Hauses gelegenen Wärmeraumes (Formax), in dem permanent ein Feuer unterhalten wurde. Von diesem aus -244-
wurden Rohre und Kanäle verlegt, durch die die heißen Gase in einen Hohlraum unterhalb der zu beheizenden Räumlichkeit geführt wurden. An der entge gengesetzten Raumseite konnten Rauch und Gase durch einen Lüftungsschlitz wieder abziehen. Benutzt wurde diese Konstruktion vor allem in öffentlichen Bädern und in den Häusern wohlhabender Bürger. Ein gewisser C. Sergius Orato soll das Prinzip im 1. Jahrhundert v. Chr. erdacht und in die Tat umgesetzt haben.
Z wie Zeppelin Fälschlich wird dem deutschen Adeligen Ferdinand Graf von Zeppelin die Erfindung des ersten lenkbaren Luftschiffs zugeschrieben. Sein Verdienst besteht lediglich darin, bereits bestehende Konstruktionen entscheidend verbessert zu haben. Schon im Jahre 1852 erhob sich ein Franzose namens Henry Giffard mit einem Gasballon in die Lüfte, der mittels eines Propellers auch gelenkt werden konnte, und im Jahr 1884 machten es ihm seine Landsleute Renard und Krebs nach, die sogar schon recht exakt zu manövrieren wussten. 1898 sorgte dann der Brasilianer Alberto Santos-Dumont für Aufsehen, als er in Paris ein Luftschiff mit Benzinmotor vorstellte. Der junge Mann, von Beruf »reicher Sohn«, soll sogar die Champs-Elysees hinuntergeflogen sein und beim Café-Besuch sein Luftschiff per Seil an ein Geländer gebunden haben. Graf Zeppelin blieb es im Jahre 1900 vorbehalten, die Konstruktionen seiner Vorgänger entscheidend zu verbessern. Sein Luftschiff, das am 2. Juli zum Jungfernflug aufbrach, hatte riesige Dimensionen, da Zeppelin die berechtigte Hoffnung hatte, mit großen Ausmaßen auch viel Stabilität zu erreichen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Pionieren verwendete er eine starre Außenhülle und Segeltuc hsteuer an Bug und Stern.
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Z wie Zigarren Auch wenn's edel aussieht und angenehm versnobt wirkt: Zigarren müssen vor dem Genuss heute nicht mehr erwärmt werden. Das Ritual, eine Zigarre vor dem eigentlichen Anzünden über einer offenen Streichholzflamme hin und her zu drehen, stammt aus einer Zeit, in der das Deckblatt bestimmter spanischer Zigarren noch mit Tragantgummi angeklebt worden war. Dieser roch ein wenig streng, und deswegen gewöhnten es sich die »Edel-Paffer« an, den Geruch durch eine offene Flamme zu vertreiben. Mittlerweile werden die Deckblätter jedoch absolut geruchlos angeklebt - bei wahren Zigarrenkennern würde die vormals beschriebene Geste nur noch verständnisloses Kopfschütteln auslösen.
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Literatur Beim Schreiben dieses Buches stützte sich der Autor auf folgende Quellen: Asimov, Isaac: »Kleine Geschichte der Chemie«, München 1969. Bergmann, Edgar: »Wie intelligent bin ich?«, Wiesbaden. Brandon, S. George Frederick und Heer, Friedrich (Hrsg.): »Meilensteine der Geschichte«, Ovelgönne Büchmann, Georg: »Geflügelte Worte«, München 1986. »Der DUDEN 7, Das Herkunftswörterbuch«, 1. Auflage, Mannheim 1963. »Der Sport-Brockhaus«, 5. Auflage, Mannheim 1989. Elias, Norbert: »Über den Prozeß der Zivilisation«, Band l und II, 1. Auflage, Frankfurt am Main 1976. »Flaggen, Wappen, Daten«, Wien 1975. Hansen, Walter: »Die Ritter«, Gütersloh 1977. Krämer, Waller und Trenkler, Götz: »Lexikon der populären Irrtümer«, Frankfurt am Main 1996. Krüger-Lorenzen, Kurt: »Deutsche Redensarten«, Wiesbaden. Michael, Roland (Hrsg.): »Wie, Was, Warum«, Augsburg 1993. Mickel, Wolfgang W. (Hrsg.): »Politik und Gesellschaft«, Band l, 14. Auflage, Frankfurt am Main 1985. Morawetz, Werner: »Freude an Haus und Garten«, Bindlach 1990. Morris, Desmond: »Der Mensch, mit dem wir leben«, München 1977. Nigg, Walter: »Große Heilige«, 10. Auflage, Zürich und -247-
München 1981. Pförtner, Rudolf: »Die Wikinger Saga«, 6. Auflage, München 1977. Prause, Gerhard: »Tratschkes Lexikon für Besserwisser«, München 1984. Toynbee, Arnold J.: »Der Gang der Weltgeschichte«, Band l und II, München 1970. Vester, Frederic: »Ausfahrt Zukunft«, 2. korrigierte Auflage, München 1990. …sowie etliche Meldungen der Deutschen Presse Agentur (dpa), Veröffentlichungen im »Spiegel«, »Geo« und diverse Seiten des Internets.
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