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Liebe SF‐Freunde! Heute wieder einmal ein paar Worte zu TERRA FANTASY. Hugh Walker hat neue Leserpost in Sachen TF zusammengestellt und präsentiert und kommentiert sie auch nachfolgend. Sven Künkele aus Kiel schreibt: „Als ich mir vor kurzer Zeit Moorcocks Buch Feind des dunklen Imperiums kaufte, bemerkte ich in dem, wie immer, interessant und informativ gehaltenen Vorwort die Aufforderung (ich darf zitieren): … Aber wie ich schon zu Beginn der Reihe erwähnte, soll es in der Hauptsache von Ihnen, dem Leser, abhangen, was in TERRA FANTASY erscheint. Dazu ist es notwendig, daß Sie uns schreiben…’ Dieser Bitte möchte ich hiermit Folge leisten und Ihnen meine Meinung zu TERRA FANTASY mitteilen. Da die negative Kritik eigentlich nur aus zwei Punkten besteht, möchte ich mit ihr beginnen: Störend wirkte sich auf mich als begeisterten Fantasy‐Fan die Tatsache aus, daß es anscheinend keinen Katalog über die PABEL‐Bücher gibt. Um über die Reihe TERRA FANTASY mehr zu erfahren, war ich gezwungen, aus den neuen eigenen Titeln anhand der Vorworte und rückseitigen Vorschauen eine Liste zusammenzustellen, die natürlich nicht vollständig ist. Falls solche Kataloge dennoch existieren, möchte ich Sie bitten, mir einen solchen zu schicken. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich meine Feststeilung revidieren könnte, denn es ist sicher auch im Sinn der anderen Leser, mehr über Titel und Autoren zu erfahren. Meine zweite negative Kritik richtet sich auf den Verkauf Ihrer Bücher. Soweit mir bekannt, sind diese nur im Bahnhofsbuchhandel und Zeitschriftenhandel erhältlich. Leider ist es mir bis jetzt noch nicht gelungen, über den Bahnhofsbuchhandel erfolgreich Bücher zu bestellen. Obwohl angenommen, erreichten diese Bestellungen nie ihren Zweck. Es gibt aber wahrlich genug Gründe, positive Seiten zu beleuchten. Da wäre, besonders für junge Leser interessant, die Tatsache, daß PABEL‐ Taschenbücher, im Vergleich zu anderen, ausnahmslos sehr preiswert sind. Außerdem bilden die Einleitungen genügend Material für informationshungrige Leser. Einen Paradefall bildet Band 3. Herrscher der Nacht. Zu Ihrer Einleitung folgte eine des Autors selbst. Ich finde, daß gerade diese Tatsache das Interesse des PABEL‐ Verlages deutlich macht, dem Leser nicht nur den Lesestoff, sondern auch die Hintergründe einer eben gelesenen Story zu vermitteln. Dies finde ich großartig. Ebenfalls bewunderswert ist die Auswahl der Stories von selbst bekannten Autoren. So ist zwar jedem Howard‐Fan bekannt, daß dieser der Autor von Conan ist, doch wie viele wissen wohl von Bran Mak Morn, oder Turlogh O’Brien, dem schwarzen
Galen? Und gerade diese unbekannteren Erzählungen sind die literarisch wertvolleren, denn so großer Erfolg, wie er Perry Rhodan oder Conan zuteil wurde, verführt zu quantitativer Arbeit, statt zu qualitativer. Aus diesem Grund wünsche auch ich für TERRA FANTASY ein langes Leben.“ Ein paar Worte zu diesem umfangreichen Brief. Wie Sie sicherlich in der Zwischenzeit bemerkt haben, befand sich in Band 19 eine Bestelliste, in Band 20 und 21 leider wieder nicht. Es liegt zum Teil wohl an der Länge des Manuskripts. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß Nachbestellungen an Bahnhofsbuchhandlungen und Zeitungsständen nicht immer klappen. Am besten ist es also, direkt an die RASTATTER VERSANDBUCHHANDLUNG, Postfach 1760 (Pabelhaus), 7550 Rastatt, zu schreiben und DM 3,‐ pro Band auf das Postscheckkonto Karlsruhe 95.368‐754 im voraus zu überweisen. Man braucht dort auch nicht Titel und Autor anzugeben, sondern nur die Nummer. Noch sind übrigens, soweit ich informiert bin, alle Titel lieferbar. Hier noch eine kurze Obersicht über laufende Titel und eine kleine Vorschau: TERRA FANTASY 16: Andre Norton ANGRIFF DER SCHATTEN, 4. Roman aus der Hexenwelt. Band 17: Robert E. Howard RÄCHER DER VERDAMMTEN, 2. Band um Solomon Kane. Band 18: Michael Moorcock FEIND DES DUNKLEN IMPERIUMS, 2. Roman des Runenstab‐Zyklus. Band 19. John Jakes AM ABGRUND DER WELT, letzter Band der Serie um Brak, den Barbaren. Band 20: Hugh Walker BOTEN DER FINSTERNIS, 3. Roman aus Mägira. Band 21: Lin Carter, Herausgeber FLUG DER MAGIER, ein Anthologieband mit Stories von Poul Anderson und Jack Vance. Band 22: Andre Norton DAS MADCHEN UND DER MAGIER, 5. Roman aus der Hexenwelt. Band 23: Robert E. Howard KRIEGER DES NORDENS, Stories um Cormac McArt, einen gälischen Abenteurer aus der Zeit des legendären Königs Artus. Band 24: Michael Moorcock DIENER DES RUNENSTABS, 3. Roman aus dem Runenstab‐Zyklus. Band 25: Catherine L. Moore JIREL, DIE AMAZONE, 3 Novellen um einen weiblichen Haudegen aus dem Frankreich des 14. oder 15. Jahrhunderts. Soweit eine kleine Vorschau. Hinweisen möchte ich noch darauf, daß als Nr. 28 und 29 Robert E. Howards KING KULL erscheinen wird. Joachim Wieland aus Bochum schreibt uns: „Ich bin durch Ihre TERRA‐FANTASY‐ Reihe ein Fantasy‐Fan geworden und habe ein paar Wünsche. Ich möchte von Ihnen wissen, ob die Conan‐Romane und Fritz Leibers Schwerter‐Zyklus im Rahmen von TERRA FANTASY erscheinen werden. Wann kommt Jirel of Joiry? Zu Ihrer Fantasy‐Reihe möchte ich sagen, daß mir bisher alle Bände sehr gut gefallen haben. Vor allem die Bände um Brak, den Barbaren, Magira, die Hexenwelt, Bran Mak Morn und Solomon Kane. Ich glaube, daß es auf dem Fantasy‐Sektor noch nie so einen guten Schriftsteller wie Robert Ervin Howard gegeben hat. Seine Geschichten sind so lebensecht dargestellt, daß man die Geschehnisse miterlebt. Nun hätte ich noch einen Vorschlag zu machen. Da Dragon nicht mehr existiert, es aber noch viele Fantasy‐Fahs gibt, sollte in TERRA ASTRA einmal im Monat ein Fantasy‐Roman erscheinen…“ Nein, die Conan‐Bände und Schwerter‐Bände werden nicht in der TERRA‐ FANTASY‐Reihe erscheinen. Jirel von Joiry ist zu diesem Zeitpunkt bereits in Arbeit und wird, wie oben bereits
angekündigt, als Band 25 erscheinen. Wenn Sie sich das TERRA‐ASTRA‐ und TERRA‐TB‐Programm genau ansehen, erscheint dort so manches, das der Fantasy recht nahekommt. An ein regelmäßiges Erscheinen von Fantasy in diesen Reihen ist allerdings nicht gedacht, wie ich eben erfuhr. Soweit Hugh Walker, liebe Freunde, mit herzlichen Grüßen an alle Liebhaber der Fantasy. Diesen Grüßen schließt sich an. Die SF‐ und Fantasy‐Redaktion des FABEL‐VERLAGES Günther M. Schelwokat
Berg der Götter von Harvey Patton Printed in Germany August 1976
Die Hauptpersonen des Romans: John Cork – Der Kommandant der ARLENE unternimmt eine gefährliche Expedition. Dolf van Sprengel und Carl Morgan – Begleiter des Kommandanten. Dr. Young – Ärztin des Raumschiffs ARLENE. Dr. Mbunga – Der Gegner des Kommandanten wird ein anderer Mensch. Gernal – Der Meisterheiler erhält eine Hypnoschulung.
1. Notiz im Bordbuch‐Recorder des Raumschiffs ARLENE unter dem Datum des 29.8.2475 (Erdzeit): „Ein Wunder ist geschehen, auf das wir kaum noch zu hoffen wagten: Die gesamte Besatzung des Schiffes hat ihre normale Größe wiedererlangt! Zugleich wurde auch die geistige Reduzierung, die fünf Sechstel der 300 Männer und Frauen erfaßt hatte, wieder aufgehoben. Es ist einfach herrlich – wir sind keine Zwerge mehr! In einem Punkt muß ich mich berichtigen: Es ist kein Wunder. Ich habe noch nicht viel Zeit zum Nachdenken gehabt, dafür war der heutige Morgen zu turbulent. Inzwischen ist mir aber doch klar geworden, worauf die Aufhebung des Verkleinerungsprozesses zurückzuführen ist: auf die Zerstörung einer Maschine, die im Labyrinth des Schreckens stand. So haben wir jenes System von verschlungenen Korridoren und Kavernen genannt, auf das wir gestern gestoßen sind. Es liegt unterhalb jenes Geländes, das bei den einheimischen Menschen der „Große Grasfleck“ heißt. Ihn hatten wir ausgesucht, um darauf eine Siedlung zu errichten, nachdem feststand, daß wir den Planeten Garal nicht mehr verlassen konnten. Die Vorarbeiten dazu waren bereits abgeschlossen, aber ich hatte unseren Technikern eine Pause verordnet, bevor mit dem eigentlichen Bauen begonnen werden sollte. Sie brauchten eine Erholung, weil sie total übermüdet waren. Die Entdeckung des Labyrinths erfolgte durch einen simplen Zufall, aber gerade noch rechtzeitig. Wenn ich daran denke, daß wir vielleicht unsere Häuser bezogen hätten, ohne zu ahnen, was unter ihnen verborgen lag, läuft es mir jetzt noch kalt über den Rücken! Die Wasservorräte in der ARLENE gingen zur Neige. Sie durch den Einsatz von
Tankwagen aus dem Fluß Gar wieder zu ergänzen, wäre unverhältnismäßig schwierig gewesen. Deshalb setzte ich ein Spezialfahrzeug ein, um einen der Hohlräume unter unserem Siedlungsgelände anzuzapfen. Dort sollte es nach Meinung der Experten reichlich sauberes Wasser geben. Doch die Experten hatten sich geirrt. Als der Bohrschacht die betreffende Kaverne erreichte, war sie lediglich mit Luft angefüllt. Doch aus dem Schacht drang helles Licht zu uns herauf, und das war mehr als ungewöhnlich. Zusammen mit dem Xenologen Dr. Jordan, dem Ingenieur Robert Mall und dem Techniker Dolf van Sprengel drang ich in diesen Hohlraum ein. Er war leer, aber seine Wände waren mit einer eindeutig künstlichen Beschichtung überzogen, von der ein helles, schattenloses Licht ausging. Von diesem Hohlraum führte eine Tür in ein System von scheinbar sinnlos verschlungenen Gängen. Wir arbeiteten uns durch diese vor und erreichten eine weitere große Tür, durch die das Arbeitsgeräusch von Kraftanlagen zu vernehmen war. Es gelang uns, auch diese Tür zu öffnen, und damit begann etwas, das wir uns nie hätten träumen lassen. Wir gelangten in eine weitere große Kaverne, die nur matt beleuchtet war. Ihre größte Länge betrug etwa hundert Meter, und ihre linke Wandung war vollständig mit fremdartigen Schalt‐ und Computeranlagen bedeckt. In der Mitte des Raumes ragten riesige, kastenförmige Behälter auf, durch Zwischenwände in jeweils hundert kleinere Abteile unterteilt. Diese besaßen gewölbte, transparente Frontscheiben und waren mit einer trüben, bräunlichen Flüssigkeit angefüllt. Und in jedem dieser Abteile befand sich ein nackter menschlicher Körper! Zehn große Behälter waren es, und jeder war wieder in zehn dieser Aquarien aufgeteilt. Das bedeutete tausend sichtbare Körper. Vermutlich waren es aber weit mehr, darauf ließ die Tiefe der Behälter schließen. Sie standen durch Leitungen mit den Schaltelementen in Verbindung, jedes Abteil bildete ein separates Lebenserhaltungssystem. Die Entdeckung dieser Anlagen versetzte uns in erhebliches Erstaunen. Nirgendwo auf dem Planeten hatten wir außer den in die Primitivität zurückgesunkenen zwergenhaften Nachkommen einer irdischen Raumschiffsbesatzung andere Intelligenzen entdeckt. Wo kamen all diese Körper her, die anscheinend schon seit langer Zeit in diesem Gewölbe ruhten? Unser Erstaunen verwandelte sich in Bestürzung, als wir dann eine erschreckende Feststellung machten: Keiner der in diesen Aquarien ruhenden Körper besaß ein Gesicht! Es waren alles voll ausgewachsene Männer und Frauen – aber dort, wo sich ihre Gesichter hätten befinden sollen, gab es nur leicht gewölbte glatte Hautflächen, weiter nichts… Wir rätselten noch an diesem Phänomen herum, als plötzlich eine der vielen Überwachungsanlagen aktiv wurde. Wenig später öffnete sich eine der transparenten Scheiben, ein Mann entstieg seinem Behälter. Obwohl er keine Augen besaß, durch die er uns hätte wahrnehmen können, schien er doch um unsere Anwesenheit zu wissen. Es war eine gespenstisch anmutende Situation. Was gleich darauf geschah, entsetzte uns zutiefst: Die leere Gesichtsfläche des
Mannes begann sich zu verändern. Innerhalb kurzer Zeit bildeten sich darin Augen, Nase und Mund aus, ein richtiges menschliches Gesicht entstand. Und dieses Gesicht trug, bis in die kleinste Einzelheit nachgebildet, meine Züge! Schon zuvor hatten wir uns nur schwer beherrschen können. Nun wurde die psychische Belastung für Dolf van Sprengel zu groß. Er zog seinen Strahler und schoß meinen Doppelgänger nieder. Der Mann brach zusammen, aber im nächsten Moment schon verlor sein Körper die menschliche Gestalt. Rumpf und Glieder schmolzen förmlich zusammen und vereinigten sich zu einer wabbelnden, rosigen Masse. Und diese Masse bildete Bewegungsorgane aus und versuchte, davonzukriechen – es war ein schrecklicher, grauenhafter Anblick! Wir vernichteten dieses Wesen in instinktivem, verständlichem Abscheu. Doch inzwischen war bereits ein Dutzend anderer Pseudo‐Menschen erweckt worden und den Aquarien entstiegen, und der Vorgang setzte sich immer weiter fort. Rund zweitausend Körper lagen in den Behältern; wenn wir abgewartet hätten, bis alle erwachten, wäre das unser Ende gewesen. Wir töteten auch diese Mimikryten – diese Bezeichnung haben wir für die Fremdwesen geprägt – und zerstörten dann systematisch sämtliche Schaltelemente. Anschließend mußten wir feststellen, daß uns der Ausgang versperrt war. Wir konnten die Kaverne erst verlassen, nachdem wir die Tür aufgebrannt hatten. Die Schlußfolgerung lag klar auf der Hand: Wir sollten überwältigt, vermutlich getötet und dann durch Doppelgänger ersetzt werden, die sich an unserer Stelle zurück ins Schiff begeben hätten! Ob die Mimikryten auch über parapsychische Fähigkeiten verfügten, um sich nach der Verwandlung den Geistesinhalt ihres Opfers anzueignen, wissen wir noch nicht. Die Vermutung liegt aber nahe, denn nur dann hätten sie unsere Rollen überzeugend spielen können. Vielleicht erfahren wir es noch. Bei einem zweiten Besuch der Kaverne stellten wir fest, daß nach dem Ausfall ihrer Versorgungsanlagen inzwischen fast alle Fremdwesen abgestorben waren. Sie hatten ihre menschliche Gestalt verloren und waren zu Plasmaklumpen geworden, die sich bereits zu zersetzen begannen. Es gelang uns aber, eines der Wesen noch lebend zu bergen und mit ins Schiff zu bringen. Jetzt ruht es in einem hermetisch verschlossenen Behälter, bis unsere Biologen Zeit finden, sich eingehend mit ihm zu beschäftigen. Nachdem nun alle Wissenschaftler neben ihrer Körpergröße auch ihre Intelligenz zurückerhalten haben, sind die Voraussetzungen dafür gegeben. Dringender ist aber ein zweites, äußerst besorgniserregendes Problem. Ebenfalls gestern unternahmen unsere Astro‐Experten Rappan und Bella einen Flug zum inneren Mond von Garal. Dort entdeckten sie in drei Kratern große Plastikkuppeln, unter denen sich Gebäude befinden. Ob diese Anlagen von dem Mimikryten erbaut wurden, war nicht festzustellen; die Vermutung liegt aber nahe. Möglicherweise gibt es dort eine zweite Bedrohung für uns. Deshalb werden wir so bald wie möglich eine zweite Expedition dorthin unternehmen. Zuerst müssen aber einmal die Verhältnisse hier an Bord neu geregelt werden. Wie bald wieder alle Kräfte in der gewohnten Weise eingesetzt werden können, ist noch
unklar. Es hängt ganz davon ab, wie schnell die bisher reduzierten Männer und Frauen in der Lage sind, sich wieder einzuordnen. Das alles dürfte sich im Laufe des heutigen Tages klären. Ehe ich es vergesse: Bei der zweiten Exkursion in die Höhle wurden wir von Robotern angegriffen, die mit Reparaturen an den Anlagen beschäftigt waren. Es gelang uns, sie zu zerstören, ehe sie uns gefährlich werden konnten. Sie waren aus einer Nebenhöhle gekommen, in der sich auch das Aggregat befand, dessen Inaktivierung unsere Rückwandlung herbeiführte. Lücken in diesem Bericht werde ich später noch ausfüllen. Der heutige Tag wird auf jeden Fall für alle an Bord ein Tag der Freude sein. Zwar sitzt die ARLENE noch immer hier auf Garal fest, aber das erscheint jetzt schon fast als bedeutungslos. Wenn es nicht anders geht – und wenn wir in Ruhe gelassen werden! –, werden wir uns eben hier ein neues Leben aufbauen.“ Captain John Cork, Kommandant der ARLENE, schaltete den Recorder ab und lehnte sich behaglich in seinem Sitz zurück, der nun wieder seinen körperlichen Proportionen entsprach. Er steckte sich eine Zigarette an, kam aber nicht dazu, sie in Ruhe zu Ende zu rauchen. Schon wenige Minuten später betrat Carl Morgan den Raum. Dem stämmigen Ersten Offizier des Schiffes war nichts mehr davon anzumerken, daß er bis zur letzten Nacht noch zum Kreis der geistig Reduzierten gehört hatte. Sein Gesicht über dem dunklen Vollbart zeigte wieder die frühere Vitalität, und davon bekam der Captain auch sofort etwas zu spüren. „Wo bleiben Sie denn nur, Sir?“ fragte er lebhaft. „Der ganze Verein ist bereits in der großen Messe versammelt, alle warten nur noch auf Sie. Die meisten haben ja nicht begriffen, was zuletzt hier vorgegangen ist, dafür sind sie jetzt um so neugieriger. Dr. Rappan und die anderen ,Wissenden’ weigern sich standhaft, uns darüber aufzuklären.“ John Cork lächelte leicht und drückte die Zigarette aus. „Das geht auf meine ausdrückliche Anweisung zurück, Carl. Ich mußte Ihnen allen doch erst wieder Zeit lassen, die Folgen der Reduzierung zu überwinden. Gleichzeitig auch noch die neuen Fakten zu verarbeiten, wäre bestimmt für die meisten zuviel gewesen.“ „Damit haben Sie allerdings recht“, bestätigte Carl Morgan. „Ich kann mich kaum noch darauf besinnen, was in der letzten Woche mit mir geschehen ist. Alles liegt wie unter einem Schleier, als hätte ich alles nur geträumt. Den anderen ergeht es auch nicht besser, das habe ich schon festgestellt.“ Der Kommandant zuckte mit den Schultern. „Zerbrechen Sie sich nicht unnütz den Kopf darüber. Sie waren für kurze Zeit auf das Niveau der Bewohner der Stadt Garal abgerutscht, aber das ist jetzt endgültig vorbei. Gehen wir.“ * Es wurde eine lange Aussprache. Der großen Masse der Schiffsbesatzung ging es so wie dem Ersten Offizier. Die
Männer und Frauen erinnerten sich kaum noch an die vielfachen Schwierigkeiten, die ihnen die körperliche und geistige Reduzierung gebracht hatte. Auch die Wissenschaftler machten hier keine Ausnahme. Die geistige Stabilität aller war aber nun offenbar wieder hergestellt. Das bewiesen die zahlreichen Zwischenfragen während John Corks Referat. Der Captain ging systematisch vor, begann mit dem Einsetzen der Reduzierung und schilderte ihre Folgen. Erst dann kam er auf das zu sprechen, was sich im Labyrinth ereignet hatte, und plötzlich breitete sich ein lähmendes Schweigen in der Messe aus. Es wurde von einem Durcheinander von Schreckensrufen abgelöst, als auf der großen Projektionswand das Bild eines Mimikryten erschien. Der Ingenieur Bob Mall hatte diese Aufnahme in der Kaverne gemacht, und der nackte Pseudo‐Mensch trug, für alle deutlich erkennbar, keine Gesichtszüge. Der Schock saß tief. Einige Frauen wurden ohnmächtig und mußten erst einmal betreut werden. So vergingen mehrere Minuten, bis der Kommandant seine Schilderung fortsetzen konnte. Als er geendet hatte, ergriff der Astro‐Biologe Dr. Dombrowski das Wort. „Wie Sie alle wissen, ging die Ausbreitung der Menschheit in unserem Spiralarm bisher fast ungestört vor sich. Wir sind bisher nur auf wenige intelligente Rassen gestoßen, von denen nur zwei eine nennenswerte Raumfahrt besaßen. Zu ihnen unterhalten wir lockere Beziehungen, während die unterentwickelten Rassen sich ohne jede Einmischung frei entwickeln können. Daß es schon früher Lebewesen gegeben hat, die uns gleichwertig oder sogar überlegen waren, wurde nur durch die Entdeckung spärlicher Relikte festgestellt. Bisher gab es also in dieser Hinsicht keine Probleme für uns. Das hat sich nun aber drastisch geändert! Die Mimikryten sind offenbar eine alte Rasse, darauf weisen alle Anzeichen hin. Ihre Technik ist der unseren mindestens ebenbürtig, in mancher Hinsicht sogar überlegen. Wir kennen beispielsweise keine Methode, durch die wir eine körperliche und geistige Reduzierung herbeiführen könnten. Vielleicht sind wir in anderer Hinsicht weiter, aber das spielt keine Rolle. Die eigentliche Gefährlichkeit dieser Wesen liegt in ihrer Fähigkeit, andere Lebewesen so täuschend wirklichkeitsgetreu zu imitieren, daß selbst eine genaue Untersuchung durch Biologen sie nicht entlarven könnte. Ihre Zellen sind nicht einseitig spezialisiert wie bei uns, sondern anpassungsfähig im höchsten Grade. Sie nehmen nicht nur scheinbar eine andere Struktur an. In dem Moment, wo ein Mimikryt ein menschliches Skelett bildet, besitzt er tatsächlich echte Knochen!“ Der Schiffstechniker Vaclav Hruby hob die Hand. „Spielt das alles jetzt eigentlich noch eine Rolle für uns?“ erkundigte er sich. „Die Fremdwesen in dem Gewölbe sind doch inzwischen alle tot. Damit müßte die Gefahr eigentlich beseitigt sein.“ John Cork schüttelte den Kopf. „Wir haben lediglich die unmittelbare Gefahr für uns beseitigt, Mister Hruby. Noch existieren aber die Anlagen auf dem Mond, und dort kann es noch ungezählte Mimikryten geben! Wenn sie über die Mittel verfügen, uns hier anzugreifen, dürfte es schlecht um uns bestellt sein. Die ARLENE ist bekanntlich unbewaffnet, und
unsere Handstrahler besitzen nur eine sehr begrenzte Reichweite.“ „Sie haben noch etwas vergessen, Captain“, warf nun Dr. Rappan ein. „Wir sind schließlich nicht die ersten Menschen, die hier auf Garal gelandet sind. Die Vorfahren der jetzigen siebenhundert Stadtbewohner haben den Planeten bereits vor etwa 350 Jahren angeflogen und sich hier niedergelassen. Wir haben sie als Zwerge vorgefunden, aber das sind sie nicht immer gewesen. Sie wurden erst durch das inzwischen zerstörte Aggregat der Mimikryten dazu gemacht! Was das bedeutet, läßt sich leicht erraten.“ Erneut breitete sich Unruhe unter den Männern und Frauen aus. Der Kommandant preßte die Lippen zusammen, dann nickte er langsam. „Allerdings, Doc. Soweit habe ich noch gar nicht gedacht, dafür waren die Ereignisse zu turbulent. Es spricht also alles dafür, daß diese Wesen schon die Landung der ersten Siedler bemerkt haben und daraufhin aktiv geworden sind. Was damals wirklich geschehen ist, läßt sich heute natürlich nicht mehr rekonstruieren.“ „Wir sollten es trotzdem versuchen“, bemerkte der cholerisch veranlagte Dr. Dombrowski erregt. „Das Schiff von der Erde kam an, die Menschen errichteten die Stadt Die Mimikryten wurden darauf aufmerksam – vermutlich auf ähnliche Weise wie bei uns – und begannen, dennoch lebenden Angehörigen der Spezies menschliche Körperformen zu geben. Ich nehme an, daß sie damals einige echte Menschen irgendwie beseitigt haben, um sich dann unerkannt unter die Siedler mischen zu können. Als sie genug über unsere Rasse erfahren hätten, brachten sie sich in den Besitz des Siedlerschiffes und flogen damit ab!“ Dr. Rappan schüttelte den Kopf. „So einfach, wie Sie es darstellen, kann es nicht gewesen sein, Jan. Ihre Hypothese weist einige beträchtliche Lücken auf, meine ich. Warum hätten die Fremden zweitausend ihrer Artgenossen einfach hier in der Kaverne zurücklassen sollen? Die Größe der irdischen Raumschiffe hat sich in den vergangenen 350 Jahren kaum verändert; in den Lagerräumen wäre also genügend Platz gewesen, um auch diese Mimikryten mitzunehmen, wenn auch nicht in menschlicher Gestalt.“ Der Xenologe Dr. Jordan nickte. „Das stimmt zweifellos. Wenn diese Wesen wirklich beabsichtigten, sozusagen eine Infiltration der Menschheit vorzunehmen, hätten sie das wohl mit vollem Einsatz aller Kräfte getan. Die Schläfer in der Kaverne wären für sie nur totes Kapital gewesen. Daß sie nun schon seit 350 Jahren in ihren Versorgungssystemen ruhen, beweist meiner Ansicht nach, daß an Dr. Dombrowskis Ausführungen noch mehr nicht stimmt. Ich glaube vielmehr, daß überhaupt kein Mimikryt diesen Planeten verlassen hat.“ Der Astro‐Biologe sprang auf. Sein massiger Körper bebte. „So ein Unsinn!“ empörte er sich. „Schließlich muß es doch einen Grund dafür gegeben haben, daß diese Wesen eine Anlage installierten, die die damaligen Siedler und ihre Nachkommen zu einem Dasein als Zwerge mit beschränktem Verstand verurteilte. Sie wollten nicht, daß später ankommende Menschen von ihnen erfahren konnten, was sich hier abgespielt hat. So sehe ich das – beweisen Sie mir das Gegenteil!“
Die Diskussion drohte zu einem Streit der Wissenschaftler auszuarten. John Cork erkannte das und griff ein. „Bitte Ruhe, meine Herren!“ dröhnte seine Stimme durch den Raum. „Standpunkte sind dazu da, um behauptet zu werden, hat einmal ein großer Spötter gesagt. Im Moment bringt uns das aber herzlich wenig ein, vor allem beseitigt es keines unserer wirklich dringenden Probleme. Wenden wir uns also wieder diesen zu – ich erbitte entsprechende Vorschläge.“ Er begann innerlich zu schmunzeln, als diese ausblieben, und ergriff erneut das Wort. „Da niemand mehr neue Gesichtspunkte vorzubringen hat, beschließe ich hiermit die Diskussion. Ich bitte alle Anwesenden, die von der Reduzierung betroffen waren, sich selbst eingehend zu prüfen. Sollte der eine oder andere meinen, noch nicht wieder voll einsatzfähig zu sein, soll er sich in der Medostation bei Dr. Singh melden. Alle übrigen haben vorerst frei, soweit sie nicht mit besonderen Aufgaben betraut wurden. Die Leiter der einzelnen Teams bitte ich, sich in einer Stunde zu einer Einsatzbesprechung in der Zentrale einzufinden.“ Langsam löste sich die Versammlung auf. Nun erst fand der Captain Zeit, sich der Ärztin Anne Young zu widmen, die sich jetzt wieder im vollen Besitz ihrer Geisteskräfte befand. Er wurde aber gleich wieder gestört, als der Ingenieur Bob Mall auf die beiden zukam. „Es tut mir leid, daß ich Sie behelligen muß, Sir, aber der Meister der Heiler verlangt Sie dringend zu sprechen.“ John Cork lächelte und nickte kurz. „In Ordnung, Bob, ich komme.“ 2. Die „Heiler“ gehörten zu den Menschen aus der alten Stadt Ihre Gruppe war zahlenmäßig gering. Sie umfaßte nur siebzehn Männer und drei junge Frauen, die aber sämtlich parapsychische Gaben besaßen. Sie waren erheblich intelligenter als die anderen Stadtbewohner und hatten mit ihrer Fähigkeit, Krankheiten und Verletzungen auf unbegreifliche Weise zu heilen, diesen stets große Dienste geleistet. Nur ihnen hatten es die Einheimischen zu verdanken, daß ihre Kopfzahl noch konstant blieb, obwohl es infolge langer Inzucht nur noch wenig Kinder gab. Den Priestern von Garal, die in ihrem Tempel vier steinernen Göttern huldigten, waren sie stets ein Dorn im Auge gewesen. Infolge ihrer Sonderstellung gehorchten die Heiler ihnen nicht widerspruchslos wie das übrige Volk und besaßen zudem noch verschiedene Privilegien. Das hatte den durchtriebenen und ränkesüchtigen Oberpriester Ramto schließlich dazu bewegen, sie aus der Stadt zu entfernen. Am Abend des „Festes aller Götter“ waren sie von ihm verflucht und aus Garal vertrieben worden. Sie hatten keinen Widerstand geleistet, sondern waren gegangen, ohne zu versuchen, durch den Einsatz ihrer Gaben ihr Schicksal zu ändern. Vier
weitere junge Mädchen waren freiwillig mit ihnen gezogen, außerdem Nandu Der Wissende, ein sehr alter, alleinstehender Mann. Außerhalb der Stadt hatte es keinen Ort gegeben, der ihnen hätte als Asyl dienen können. Deshalb waren sie zur ARLENE gekommen, und der Kommandant hatte sie aufgenommen. Allerdings hatten sie sich nicht dazu entschließen können, im Schiff zu bleiben. Sie waren betreut und mit guter Kleidung versehen worden und wohnten nun in Zelten in der Nähe der ARLENE. Dieser Morgen hatte sie in große Verwirrung gestürzt, denn auch sie waren über Nacht plötzlich um sechzig Zentimeter größer geworden. Das war im Schiff nicht unbemerkt geblieben, und John Cork hatte dafür gesorgt, daß sie neben ihrer Verpflegung auch Bekleidung entsprechender Größe bekamen. Mehr hatte er im Augenblick nicht für die Leute tun können, die Regelung der Angelegenheiten in der ARLENE mußte Vorrang haben. Als der Captain nun ins Freie kam, warteten Meister Gernal und Nandu bereits auf ihn. Der Captain begrüßte die beiden Männer in dem alten Englisch, das von den Dorfbewohnern gesprochen wurde. „Es tut mir leid, daß ich nicht eher Zeit für euch hatte“, entschuldigte er sich. „Nach all dem, was seit gestern passiert ist, gab es für mich eine Menge zu tun, das keinen Aufschub duldete.“ Gernal nickte ruhig. „Ich verstehe das vollkommen, John Cork. Dein Schiff ist gewissermaßen auch eine Stadt, in der alles seine Ordnung haben muß. Wir sind dir dankbar, daß du uns auch mit neuer Kleidung versorgt hast. Du tust viel für uns, ohne daß wir es dir irgendwie vergelten können.“ „Das ist doch selbstverständlich“, wehrte der Kommandant fast verlegen ab. „Indirekt ist es ja unsere Schuld, daß ihr in diese Lage gekommen seid. Wären wir nicht hier, hätte es auch den Aufruhr in der Stadt nicht gegeben.“ Der Meister zuckte mit den Schultern. „Früher oder später wäre es wohl doch so gekommen. Ramto ist ein Mann, der niemand neben sich duldet, der sich ihm nicht völlig unterwirft. Euer Auftauchen hat diese Entwicklung nur beschleunigt“ „Schon möglich“, räumte der Captain ein. „Doch was kann ich jetzt noch für euch tun? Wollt ihr uns verlassen, um in die Stadt zurückzukehren? Vermutlich sind jetzt auch dort alle Bewohner größer geworden, und das kann manches geändert haben.“ Nandu Der Wissende lächelte resigniert. „Das glaube ich nicht, John Cork. Was auch geschehen mag, ein Mann wie der Oberpriester ändert sich nie. Sein Ansehen hatte während der Vorkommnisse im Tempel gelitten, aber jetzt wird er sich um so stärker fühlen. Er wird es dem Wirken der Götter zuschreiben, daß die Stadtbewohner nun auch so groß geworden sind, wie ihr es bei eurer Ankunft wart. Das gibt ihm einen Vorwand, die Leute wieder in den Tempel zu locken, um neue Opfer zu bringen.“ Gernal ergriff wieder das Wort. „Nein, wir wollen nicht nach Garal zurück. Im Gegenteil, wir wollten dich bitten, uns in deinem Schiff aufzunehmen. Wir sind nicht nur körperlich größer geworden, auch mit unseren Gehirnen muß etwas geschehen sein! Wir können jetzt plötzlich viel freier denken als früher und haben die Scheu vor der fremden Umgebung verloren. Selbst die Mädchen, die nicht zu uns Heilern gehören, würden mitkommen. Wir glauben, daß wir von euch viel Neues lernen
können.“ John Cork war aufs höchste überrascht, aber er verbarg sein Erstaunen. Bisher hatte er noch gar nicht daran gedacht, daß der Ausfall des Reduzierungsaggregats der Mimikryten sich auch in dieser Hinsicht bemerkbar machen könnte. Dabei hatte diese Schlußfolgerung doch auf der Hand gelegen! Was für die Männer und Frauen in der ARLENE galt, mußte notwendigerweise auch auf die Leute aus Garal zutreffen. Das bedeutete allerdings nicht, daß sie im Laufe der letzten Nacht plötzlich ebenso klug geworden waren wie die Schiffsbesatzung. Ihre geistige Kapazität war zwar vermutlich wieder auf den Normalstand zurückgeführt worden, aber das allein hatte nicht viel zu besagen. Solange die sozusagen „befreiten“ Hirne keine weiterführenden Informationen zugeleitet bekamen, blieben sie trotzdem leer. Der Captain begriff, welche Chance sich hier bot. Der Chefarzt Dr. Singh hatte sich von Anfang an sehr für die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Heilerkaste interessiert. Er würde nun mit Freuden zugreifen und diese Leute in seine Obhut nehmen. Eine behutsame Weiterbildung durch hypnotische Schulung würde allmählich ihr Wissen erweitern, so daß sie schließlich, wenn sie wollten, in die Schiffsbesatzung integriert werden konnten. Das mußte für beide Seiten nur Vorteile bringen. Er nickte lächelnd. „Wir nehmen euch gern bei uns auf, Gernal. Macht euch fertig, ich schicke in einer Stunde jemand, der euch zu dem Arzt bringt, den ihr ja schon kennt. Er wird wissen, was für euch am besten zu tun ist.“ * Dr. Singh war geradezu fasziniert, als ihn der Kommandant nach seiner Rückkehr ins Schiff unterrichtet hatte. „Das ist ja phantastisch, Captain!“ rief er erfreut. „Jetzt, wo meine Leute wieder einsatzfähig sind, können wir diese Aufgabe ohne weiteres übernehmen. Auf die Erfolge bin ich gespannt; ich bedaure nur, daß ich mich nicht persönlich darum kümmern kann. Dr. Dombrowski hat mich gebeten, ihm bei der Untersuchung des Mimikryten zu helfen, die er nach dem Mittagessen in Angriff nehmen will. Ich werde Dr. Young mit der Betreuung der Heiler beauftragen.“ Das konnte John Cork nur recht sein. Er spürte auch jetzt noch eine unüberwindliche Abscheu gegenüber diesem fremden Wesen. Der Gedanke, die junge Ärztin, die er liebte, in der unmittelbaren Nachbarschaft dieses unberechenbaren Plasmaklumpens zu wissen, hätte ihn aufs tiefste beunruhigt. Er verabschiedete sich von dem Inder, denn die Zeit für die anberaumte Konferenz mit den Teamchefs war gekommen. Sie fand in einem der kleinen Aufenthaltsräume statt. Dort traf er erstmals wieder mit Dr. Mbunga zusammen. Der Afrikaner, Leiter des Teams zur Planetenerforschung, war zwar ein tüchtiger Fachmann, hatte sich aber nie richtig in die Bordgemeinschaft einordnen können. Sein Bestreben, um jeden Preis eine hervorragende Rolle spielen zu wollen, hatte ihn
bei vielen unbeliebt gemacht. Nur ihm hatten es die Männer und Frauen der ARLENE zu verdanken, daß sie nun auf Garal festsaßen. John Cork trat ihm mit gemischten Gefühlen entgegen, doch er erlebte eine große Überraschung. Mbunga kam ihm gleich nach seinem Eintritt entgegen und reichte ihm die Hand. „Ich möchte mich in aller Form bei Ihnen entschuldigen, Sir“, sagte er ernst. „Inzwischen habe ich begriffen, was ich durch meine Intrigen gegen Sie alles angerichtet habe. Ich hoffe, daß Sie mir Gelegenheit geben werden, wenigstens einen Teil davon wiedergutzumachen.“ Das klang aufrichtig. Und der Captain sagte: „In Ordnung, Doc, reden wir nicht mehr darüber. Vieles ist hier auf Garal geschehen, aber ich glaube jetzt fast, daß es uns so bestimmt war. Ohne unser Eintreffen auf dieser Welt wären die Bewohner von Garal schließlich zum Aussterben verurteilt gewesen. Dadurch, daß wir die Mimikryten fanden, haben wir auch ihr Schicksal gewendet, dafür haben mir die Heiler eben ein Beispiel gegeben. Unsere Lage ist zwar auch nicht gerade rosig, aber wir werden tun, was wir können, um sie zu meistern.“ Wenigstens einer, dem die Reduzierung gut bekommen ist! dachte John Cork sarkastisch, als er anschließend Platz nahm. Der Kreis der Teamleiter war nicht vollzählig. Dr. Singh und Dombrowski fehlten, wurden allerdings auch nicht gebraucht. Außer Mbunga waren Bob Mall, Dr. Gargunsa, Carl Morgan, Dr. Rappan und die beiden Piloten Jens Hagerup und Bert Keller anwesend. Morgan und Hagerup waren geistig reduziert gewesen, nun aber wieder voll einsatzfähig, wie Dr. Singh dem Kommandanten versichert hatte. John Cork nickte allen zu. „Wie es um uns steht, wissen Sie. Theoretisch könnten wir jetzt wieder von Garal starten, allerdings ohne einsatzfähiges Hypertriebwerk. Das wäre sinnlos, nicht nur wegen der siebzig Lichtjahre, die bis zur nächsten bewohnten Welt Sadir IV zurückzulegen sind. Wir müßten zugleich siebenhundert Menschen drüben in der alten Stadt einem Schicksal überlassen, an dessen Ende ihr Untergang stehen würde. Vor allem wäre es unverantwortlich, wenn wir uns von hier entfernten, ehe nicht die Rätsel um die Mimikryten restlos gelöst sind! Dieses Problem werden wir von drei Seiten her angehen. Die Ärzte und Biologen nehmen sich das gefangene Wesen vor, um es in jeder Hinsicht zu untersuchen und zu testen. Der Meister der Heiler hat mir gestern abend versichert, daß auch dieser Plasmaklumpen denkt, und das ist schon ein erster Hinweis. Als zweites werden noch heute die noch nicht erkundeten Höhlen untersucht. Bob, trommeln Sie nach dem Essen Ihr Team zusammen. Alle drei Bohrfahrzeuge werden gleichzeitig eingesetzt, um die Kavernen von oben her zu öffnen. Sollten wieder ungewöhnliche Dinge entdeckt werden, sind die Schächte augenblicklich wieder zu schließen. Ihre Leute halten dann dort Wache und verständigen sofort das Schiff, bis ein Kommando eintrifft, das die nähere Untersuchung in Angriff nimmt. Unternehmen Sie nichts auf eigene Faust – denken Sie an gestern!“ Der Ingenieur nickte und erklärte:
„Worauf Sie sich verlassen können, Sir. Wir werden vorsichtshalber gleich Waffen mitnehmen, für alle Fälle. Lieber wäre es mir ja, wenn wir auf Wasser stoßen würden; Maria Tschwerkowa hat mich vorhin noch einmal daran erinnert, daß unsere Tanks fast leer sind.“ „Falls nicht, setzen Sie im Laufe des Nachmittags drei Tankwagen zum Fluß in Marsch“, bestimmte der Kommandant. „Gut, das wäre besprochen, jetzt kommt der dritte Punkt. Jens und Bert, Sie beide inspizieren nachher gleich alle vier Beiboote. Drei davon werden für einen Flug zum Mond ausgerüstet. Vorräte und Raumanzüge für jeweils zehn Männer sind an Bord zu nehmen. Außerdem Handstrahler und Paralysatoren, Elektrolanzen und Sprengstoffe. Das vierte Boot behält die normale Ausrüstung zur Planetenerforschung.“ Die beiden Piloten nickten, und Cork wandte sich an Dr. Mbunga. „Dieses Fahrzeug steht Ihnen zur Verfügung, Doc. Trommeln Sie Ihr Team zusammen und gehen Sie daran, diesen Kontinent gründlich zu untersuchen. Dr. Gargunsa und Juan Lopez werden Ihnen zugeteilt – sollten Sie noch weitere Leute benötigen, lassen Sie es mich bitte wissen. Neben der üblichen Routine ist besonders auf Anzeichen einer früheren Besiedlung zu achten, klar?“ „Sie können sich auf uns verlassen“, versprach der Leiter des Geo‐Teams, wie die Abteilung zur Planetenerforschung meist kurz genannt wurde. „Sie selbst wollen den Erkundungsflug zum Mond leiten, nehme ich an?“ „Ganz recht“, bestätigte der Kommandant. „Doc Rappan, Sie und Dr. Bella hätte ich auch gern mit an Bord. Sie waren schon oben und könnten Hagerup und Carl Morgan einweisen, die zwei der Boote fliegen werden. Sie müssen aber nicht unbedingt mitkommen. Die Angelegenheit könnte gefährlich werden, deshalb…“ „Natürlich werden wir mitfliegen“, unterbrach ihn der Leiter des Astro‐Teams. „Wir können noch etwas mehr, als lediglich Spektralanalysen erstellen und Mondkrater zählen, Captain.“ John Cork schmunzelte. „Nur keine Aufregung, Doc, das weiß ich längst. Gut, dann bleibt es bei dieser Einteilung. Allerdings werden wir erst dann starten, wenn die Beschaffenheit der Kavernen unter unserem Baugelände geklärt ist. Falls es dort Komplikationen geben sollte, möchte ich gern selbst den Einsatz leiten. So, das wäre dann wohl vorerst alles. Natürlich werden wir uns auch noch um die Leute in Garal kümmern müssen, aber das kann notfalls ein paar Tage warten.“ „Sie haben mich vergessen, Sir“, brachte sich Dr. Jordan in Erinnerung. Der Captain schüttelte den Kopf. „Keineswegs, Doc. Sie können sich zur Medostation begeben, um dort in Ihrer Eigenschaft als Spezialist für Fremdrassen an der Untersuchung des Mimikryten teilzunehmen. Allerdings müssen Sie damit rechnen, kurzfristig abberufen zu werden. Falls in den Höhlen weitere Anlagen der Plasmawesen entdeckt werden sollten, wäre Ihre Anwesenheit dort angebracht.“ Der Xenologe nickte, und John Cork erhob sich. „Gehen wir jetzt erst einmal zum Mittagessen, ehe es ernst wird, meine Herren. Ich habe veranlaßt, daß zur Feier des Tages einige besonders gute Dinge auf den Tisch kommen. Schließlich haben wir doch so etwas wie eine Wiedergeburt hinter uns.“
Carl Morgan zog eine Grimasse. „In gewisser Hinsicht hatte die körperliche Verkleinerung ja auch ihre Vorteile“, bemerkte er. „Als Zwerge haben wir erheblich weniger gegessen – jetzt werden unsere Vorräte sehr schnell zusammenschmelzen.“ Der Captain klopfte ihm auf die Schulter. „Halb so schlimm, Carl. Vergessen Sie nicht, daß inzwischen auch das Vieh drüben in Garal größer geworden ist, das ebenfalls von der Reduzierung betroffen war. Wenn es hier keine größeren Komplikationen mehr gibt, winken uns demnächst große, frische Schweineschinken!“ 3. Drei Stunden später stand fest, daß es in den Kavernen unter dem „Großen Grasfleck“ keine weiteren Fremdwesen mehr gab. Die Spezialfahrzeuge hatten acht weitere Hohlräume angebohrt. Zwei von ihnen standen mit dem Labyrinth in Verbindung, waren allerdings bis auf die leuchtende Beschichtung ihrer Decken und Wände vollkommen leer. Die übrigen sechs waren mit klarem Wasser gefüllt, so daß die Versorgung der Schiffsbesatzung für längere Zeit gesichert war. John Cork atmete auf, als ihn diese Nachricht erreichte. „Das bedeutet, daß wir unsere Siedlung wie geplant auf diesem Gelände errichten können, Carl. Allerdings werden wir ringsum eine Abzäunung mit Ultraschallprojektoren anlegen müssen, um die Tiere des Planeten fernzuhalten. Bob Mall hat festgestellt, daß neuerdings hier bärengroße Pelztiere auftauchen, die wir früher nicht bemerkt haben. Die Reduzierungsanlage scheint sie irgendwie ferngehalten zu haben.“ Das bärtige Gesicht des Ersten Offiziers blieb skeptisch. „Schön wäre es ja, wenn alles so glatt abginge, Sir. Allerdings ist es immer noch fraglich, wie es oben auf dem Mond aussieht. Wir können uns hier erst sicher fühlen, wenn feststeht, daß es dort keine Mimikryten gibt. Falls, wie vermutet, eine Verbindung zwischen dem Labyrinth und den Kuppeln in den Kratern bestanden hat, dürften sie auf unser Kommen vorbereitet sein!“ Der Captain zuckte mit den Schultern. „Das ist natürlich nicht auszuschließen“, räumte er ein. „In ein paar Stunden werden wir es genau wissen.“ Er stellte eine Verbindung zur Medostation her und erkundigte sich nach den bisherigen Ergebnissen bei der Untersuchung des Plasmawesens. Dr. Singh kam an das Bildgerät und sagte: „Wir stehen noch ganz am Anfang, Captain. Im Moment sind wir dabei, einige Fragmente seiner Körpermasse zu untersuchen. Der Aufbau seiner Zellen ist einerseits fast primitiv, andererseits aber wieder ziemlich rätselhaft zu nennen. Das liegt vor allem an den Chromosomen, deren Anzahl so sehr differiert…“
John Cork unterbrach ihn kurzerhand, denn seine Zeit war bemessen. „Danke, Doc, das genügt für jetzt. Machen Sie weiter, ich bitte um einen kurzen Arbeitsbericht nach unserer Rückkehr vom Mond.“ Er schaltete um zu Anne Young, die die Betreuung der Heiler übernommen hatte. Gleich darauf lächelte ihm die Ärztin entgegen. „Bei mir läßt sich alles gut an, John“, meinte sie optimistisch. „Die ersten Tests haben ergeben, daß diese Leute ausgezeichnet auf die Hypnoschuler ansprechen. Ihre Gehirne sind wie trockene Schwämme, sie nehmen den Lernstoff geradezu begierig auf und verarbeiten ihn ohne Schwierigkeiten. Ich glaube, daß sie in ein paar Tagen ebensoviel wissen werden wie wir.“ Dann verschwand das Lächeln aus ihrem Gesicht, denn ihr war bewußt geworden, daß dieser Anruf der Abschied von der Mondexpedition war. „Paß gut auf dich auf, John!“ flüsterte sie. Der Captain nickte und setzte ein optimistisches Lächeln auf. „Wir haben alle nur denkbaren Vorbereitungen getroffen, Anne. Natürlich gehen wir bei dem Flug ein Risiko ein, aber das ist eben nicht zu vermeiden. Wir müssen hin, weil davon unsere Zukunft auf Garal abhängen kann.“ Er schaltete ab und wandte sich an den Funker Herb Sheer, der die Ortungsanlagen in der ARLENE überwachte, bisher aber arbeitslos geblieben war. „Hat sich das Geo‐ Team inzwischen gemeldet?“ fragte er. „Vor einer Viertelstunde, Sir. Doc Mbunga gab durch, daß man bis jetzt nichts Besonderes festgestellt hat. Er hofft, bis zum Abend alle Gebiete erkundet zu haben, die für uns irgendwie von Interesse sind.“ John Cork dankte ihm und winkte dem Ersten Offizier. „Kommen Sie, Carl, in fünfzehn Minuten starten wir. Werden Sie auch bestimmt mit der Steuerung des Bootes klarkommen?“ „Ganz bestimmt“, versicherte Morgan. „Es wird mir direkt Spaß machen, wieder einmal selbst Pilot zu spielen. Nur der Anlaß dazu will mir nicht gefallen, Sir.“ Der Captain hob die Schultern. „Der gefällt keinem von uns“, gab er ernst zurück. „Wenn es nach mir ginge, wären wir jetzt schon auf der Erde und irgendwo in Urlaub. Doch das Schicksal hat es anders gewollt, und damit müssen wir uns abfinden.“ Sie begaben sich zum Haupthangar, in dem die Beiboote lagen. Dort warteten bereits die übrigen achtundzwanzig Männer vor der offenen Schleuse, plauderten oder rauchten eine letzte Zigarette. Rund die Hälfte der Teilnehmer an dieser Expedition war am Tage vorher noch geistig reduziert gewesen. Alle hatten aber die anfängliche Verwirrung inzwischen überwunden und versichert, wieder voll einsatzfähig zu sein. Auch bei den Tests in der Medostation war nichts festgestellt worden, was Anlaß zur Besorgnis gegeben hätte. „Es ist alles bereit, Sir“, meldete Jens Hagerup, der Erste Pilot der ARLENE. „Die Boote sind durchgecheckt und raumklar, die Ausrüstungen befinden sich an Bord. Von uns aus kann es losgehen.“ Die Verteilung der Männer auf die einzelnen Fahrzeuge war schon vorher geregelt worden. Nun begaben sich alle an Bord und nahmen ihre vorgesehenen Positionen
ein. Die Raumanzüge wurden angelegt und durchgeprüft, die Funkverbindung zwischen den Booten kontrolliert. Durch einfaches Umschalten auf eine andere Frequenz konnte auch jederzeit Verbindung zum Schiff aufgenommen werden. Dort blieb der Funker für die Dauer der Expedition durchgehend auf Empfang. Punkt fünfzehn Uhr planetarer Zeit – der Tag von Garal zählte 26,4 Stunden – schwebten die Boote nacheinander auf ihren Antigravpolstern aus dem Hangar. Sie überquerten das Siedlungsgelände in geringer Höhe und wurden erst dann mit den eigentlichen Triebwerken beschleunigt. Kaum eine halbe Minute später hatten sie die Atmosphäre hinter sich gelassen und den freien Raum erreicht. Sie mußten einen weiten Bogen fliegen, denn der Mond befand sich zur Zeit auf der anderen Seite des Planeten. Da er nur knapp hunderttausend Kilometer von Garal entfernt war, konnte er auf Sicht angeflogen werden. Seine Bahngeschwindigkeit und Bewegungsrichtung waren bekannt. So bereitete es den Piloten keine Mühe, unter Berücksichtigung der Eigengeschwindigkeit den erforderlichen Vorhaltewinkel zu bestimmen. Mit leiser Wehmut sah John Cork auf die Bildschirme. Sie zeigten das kalte Funkeln der Sterne der Cygnusgruppe, in deren Randbezirk sich die Sonne ARLENIS befand. Bisher waren die Menschen noch nicht in dieses Gebiet vorgestoßen, obwohl ihre Expansion nun schon seit rund vierhundert Jahren im Gange war. Langsam schob sich nun der zu zwei Dritteln erleuchtete Mond ins Bild. Dr. Rappan, der sich mit dem Captain, Carl Morgan und Dolf van Sprengel im Steuerraum befand, deutete auf ihn. „Wir werden keine besonders günstigen Lichtverhältnisse mehr antreffen, fürchte ich“, bemerkte er. „Der Trabant rotiert – für einen Mond eine ungewöhnliche Tatsache – sehr schnell. Die betreffenden Krater liegen jetzt bereits wieder in der Nähe des Terminators.“ Er behielt recht. Als die Boote den kleinen Himmelskörper erreicht hatten und anhand der angefertigten Aufnahmen herandirigiert wurden, lagen nur die oberen Kraterränder noch im Sonnenlicht. Rasch schaltete der Captain die Bilderfassung auf Infrarot um, und das half. Das Gestein hatte die während des Mondtages aufgenommene Hitze noch nicht ganz wieder abgestrahlt, so daß eine gute Orientierung möglich war. Langsam manövrierte Morgan das Führungsboot an den ersten Krater heran, während die beiden anderen Fahrzeuge in zwei Kilometer Höhe auf Warteposition blieben. Geschickt ließ er es dicht über den Rand des Ringberges hinweggleiten und nahm dann sofort die Fahrt ganz Weg. Nun war das Innere des Kraters deutlich zu erkennen. Er durchmaß etwa fünfhundert Meter, und seine Wände fielen ungefähr dreihundert Meter tief steil ab. Auf diesem Niveau lag eine fast ebene Mulde von noch zweihundertfünfzig Meter Durchmesser, und über diese hinweg spannte sich das leicht nach oben gewölbte transparente Dach. Die Männer hielten unwillkürlich die Luft an, als sie die darunter befindlichen Gebäude sahen. Rasch warf John Cork einen Blick auf die Anzeigen der Energieortung, doch er konnte keinen Ausschlag feststellen.
Dr. Rappan hatte über seine Schulter gesehen und nickte mit düsterem Gesicht. „Nichts, wie bei unserem ersten Anflug. Die Frage ist nur: Gibt es da unten wirklich kein Leben mehr? Oder stellt man sich nur tot und wartet auf unser Kommen, um uns dann eine böse Überraschung zu bereiten?“ Der Kommandant lächelte humorlos. „Das merken wir spätestens dann, wenn es kracht, Doc! Doch jetzt sind wir einmal hier und wollen handeln. Achtung, Boot 2 und 3: In den Krater einfliegen! Wir landen auf einem Felsband dicht oberhalb der Kuppel, dort finden alle drei Fahrzeuge Platz. Achten Sie auf Infrarot‐Blinkzeichen als Positionsangabe. Ende.“ Hagerup und Keller bestätigten. Dann ließ Carl Morgan sein Fahrzeug behutsam in den Krater hinabsinken; seine Linke lag über dem Alarmstartknopf, bereit, beim ersten verdächtigen Anzeichen zuzudrücken. Quälend langsam vergingen die Sekunden, doch nichts geschah. Schließlich verrieten ein leichter Ruck und ein gedämpftes Knirschen, daß die Landebeine Halt gefunden hatten. Kaum zehn Meter unterhalb des Fahrzeugs dehnte sich die Kuppel, die nun nicht mehr voll zu übersehen war. Der Erste Offizier schaltete den Antigrav ab, und sofort machte sich die geringe Schwerkraft von nur 0,1 Gravo im Boot bemerkbar, die auf dem Trabanten herrschte. Dolf van Sprengel grinste schief und wischte sich imaginäre Schweißtropfen von der Stirn. „Wie sagte doch der alte Shakespeare noch? Sein oder Nichtsein…“ „Behalten Sie es für sich“, unterbrach ihn John Cork. „Alle fertig machen – sobald die anderen gelandet sind, steigen wir aus!“ * „Da, sehen Sie sich das selbst an“, sagte Dr. Dombrowski zu Dr. Singh und erhob sich von dem Hocker vor dem Elektronenmikroskop. „Ich werde der Lösung, in der die Zellen schwimmen, eine kleine Dosis Traubenzucker zusetzen, den können sie am schnellsten absorbieren. Sie werden staunen, das sage ich Ihnen.“ Der Chefarzt nickte und brachte die Augen vor das Biokular. Er erblickte den beleuchteten Objektträger, in den eine kleine Vertiefung eingelassen war. Darin befand sich eine klare Flüssigkeit, in der sich ein rosiges, nahezu rundes Gebilde träge zu bewegen schien. Die starke Vergrößerung brachte es mit sich, daß der Durchmesser des Lösungstropfens scheinbar einen halben Meter betrug. Das Gebilde darin schien die Größe einer Männerfaust zu erreichen. Es war aber deutlich zu erkennen, daß es sich aus vier gleich großen Teilen zusammensetzte, die von transparenten Häutchen umgeben waren. Sie schmiegten sich eng zusammen und pulsierten ständig in unregelmäßigem Rhythmus. Es handelte sich um vier Zellen des Mimikryten, der noch immer in dem ausbruchsicheren Quarantänetank lag. Fasziniert sah der Arzt durch das Protoplasma hindurch die Zellkerne schimmern. Von ihnen ging das Pulsieren aus, so daß sich ihre Form ständig veränderte. Trotzdem war zu erkennen, daß sie eine äußerst einfache Struktur besaßen, die tatsächlich an Amöben erinnerte. Als Dr. Singh jedoch die vollkommen fremdartigen
Gebilde darin sah, die einen großen Teil der Zellkerne einnahmen, fuhr er unwillkürlich zusammen. „Ich habe Ihnen doch prophezeit, daß Sie staunen würden“, klang hinter seinem Rücken die Stimme des Astro‐Biologen auf. „Diese Körperchen sind beliebig wandelbar, verehrter Kollege! Aus ihnen entstehen je nach Bedarf Nukleolen, Chromosomen, Mitochondrien – einfach alles, was Sie wollen. Verstehen Sie jetzt, weshalb diese Wesen imstande sind, jedes andere Lebewesen nachzuahmen? Nein, warten Sie noch“, wehrte er ab, als Singh die Augen von dem Gerät lösen wollte. „Jetzt werde ich die Dinger mit Traubenzucker füttern, und dann wird es erst richtig interessant.“ Von der Seite her schob sich eine scheinbar armdicke Röhre ins Bild, aus der gleich darauf weiße Brocken in die Flüssigkeit fielen. Sie lösten sich sofort auf und trübten sie, aber nicht für lange. In den Außenhäuten der Zellen bildeten sich winzige Öffnungen, durch die sie gierig die hochwertige Nahrung aufnahmen. Innerhalb weniger Sekunden waren auch die letzten Spuren des Traubenzuckers verschwunden. Nun begannen die Zellkerne weit heftiger zu pulsieren. Auch die Zellwände bewegten sich nun, und plötzlich bildeten sich in ihnen deutlich sichtbare Einschnürungen aus. Sie zogen sich immer weiter nach innen, bis sie die Zellkerne erreicht hatten. Diese teilten sich gleich darauf in jeweils zwei selbständige runde Gebilde, die sich pulsierend nach den Seiten entfernten, bis sich die Einschnürungen hinter ihnen geschlossen hatten. Aus den vier Zellen waren in einem Zeitraum von höchstens einer halben Minute acht geworden! Langsam hob der Chefarzt den Kopf. „Das darf doch nicht wahr sein!“ sagte er. „Großer Gott, des ist ja geradezu unheimlich – das bedeutet doch…“ „Daß jeder Mimikryt bei genügender Nahrungszufuhr innerhalb kurzer Zeit durch Zellteilung ein weiteres Wesen hervorbringen kann“, vollendete Dombrowski ungerührt. „Und dieser Vorgang läßt sich beliebig oft wiederholen, er kann fast bis ins Unendliche fortgesetzt werden. Natürlich altern auch diese Zellen und sterben nach einer gewissen Zeit ab. Sie werden dann auf dieselbe Weise durch neu geschaffene ersetzt, das ist für die Mimikryten gar kein Problem.“ „Hören Sie auf, Jan!“ keuchte Dr. Singh, aber der Astro‐Biologe schüttelte den Kopf. „Nein, Abu, wir müssen der Wahrheit schon ins Auge sehen. Diese Fähigkeiten erscheinen Ihnen schon unheimlich, aber sie stellen durchaus nicht das eigentliche Problem für uns dar. Schlimmer ist, daß diese Zellverbände auch ein kollektives Denkvermögen entwickeln! Diese acht da noch nicht, aber sobald eine genügend große Anzahl beisammen ist, tritt dieser Vorgang unweigerlich ein.“ Dr. Jordan, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, nickte. „Gernal sagte gestern abend, als wir den Plasmaklumpen ins Schiff brachten, wörtlich: ,Das Ding darin denkt!’ Da die Heiler über parapsychische Gaben verfügen, kann an seiner Feststellung nicht gezweifelt werden. Die Mimikryten müssen über ähnliche Fähigkeiten verfügen, denn sonst wäre es für sie sinnlos gewesen, unsere Gestalt annehmen zu wollen. Das ist es, was sie so gefährlich für uns macht. Falls es noch
mehr von ihnen geben sollte, müssen sie unbedingt daran gehindert werden, irgendwie in bewohnte Planetensysteme zu gelangen. Das könnte im Endeffekt das Ende der Menschheit bedeuten!“ Dr. Dombrowski schaltete das Elektronenmikroskop ab, und die drei Wissenschaftler verließen schweigend das Labor. Als sie aber im Nebenraum angekommen waren, lachte der Chefarzt fast hysterisch auf. Er wies auf den transparenten Quarantänetank, der darin stand. „Den da haben Sie auch zu gut gefüttert, Jan“, sagte er sarkastisch. „Sehen Sie nur einmal genau hin!“ Die anderen folgten dem Wink seiner Hand und erblaßten unwillkürlich. In dem Tank gab es nun bereits zwei Mimikryten, von denen jeder nur unwesentlich kleiner als der ursprüngliche Körper war… 4. Die beiden anderen Boote waren gelandet. Nun gab John Cork seinen Männern über Helmfunk die nötigen Anweisungen. „Vorerst steigen nur Morgan, van Sprengel und ich aus; die anderen halten sich in Bereitschaft“, bestimmte er. „Ehe wir unser weiteres Vorgehen festlegen können, müssen wir erst einmal wissen, ob die Kuppel noch unter Druck steht. Sollte das der Fall sein, ist es nicht nur bedenklich, sondern kompliziert unser Eindringen auch sehr.“ Er schleuste sich als erster aus, stieß sich leicht ab und schwebte langsam zum Boden hinunter. Die Infrarotblende an seinem Raumhelm ließ ihn die Umgebung gut erkennen. Das Felsband war mit Staub und kleinen Gesteinsbrocken bedeckt. Die Erosion infolge des ständigen Wechsels von Hitze und Kälte hatte sie aus den Kraterwänden gelöst. Doch diese Schicht war nur dünn, und das Gestein darunter war fest. Der Captain bewegte sich zur Seite und machte den beiden anderen Platz, die nun nachkamen. Sie mußten sich sehr vorsehen, um in der geringen Schwerkraft des kleinen Trabanten keine unfreiwilligen Sprünge zu machen. Behutsam schoben sie sich an dem Bootskörper vorbei, bis sie die Kante des Bandes erreicht hatten. Dort fiel der Fels steil bis zum Rand der Kuppel hin ab. Er war eindeutig künstlich bearbeitet, das war sofort zu erkennen. „Vollkommen glatt, wie glasiert“, stellte Carl Morgan fest. Er zog die Weitsichtblende vor sein Helmfenster und nickte nach einem kurzen Rundblick. „Das geht nach beiden Seiten hin so weiter. Man hat mit Hitzebrennern alle Unebenheiten beseitigt, damit die Kuppel genau eingepaßt werden konnte. Vermutlich wurde sie auch durch Hitze unlösbar mit dem Gestein verbunden.“ „Eine respektable Leistung“, meinte Dolf van Sprengel. „Die Kuppel scheint aus einem Stück zu bestehen.“
Der Captain gab den anderen einen Wink und ließ sich dann vorsichtig über die Kante hinabgleiten. Wie in Zeitlupe schwebte er nach unten und setzte am Rand der Kuppel auf. Morgan und van Sprengel folgten ihm, und dann starrten alle drei durch das transparente Material, das nur von einem dünnen Schleier aus Staubteilchen bedeckt war. Weiter unten war der Fels im Naturzustand belassen worden. Die Kraterwand zeigte zahlreiche Unebenheiten. Sie fiel zuerst steil, dann in einem immer stumpfer werdenden Winkel zum Grund des Kraters hin ab. Von ihrem Standort aus konnten die Männer nichts von den Gebäuden sehen, Felsnasen und andere Vorsprünge versperrten ihnen die Sicht. John Cork nickte befriedigt. „Da die Bauten außerhalb unseres Gesichtsfeldes liegen, sind wir von unten aus auch nicht zu entdecken. Das ist gut – jetzt werden wir bald wissen, ob es in der Kuppel noch Luft gibt.“ Er kauerte sich zusammen, verstellte den Fokus des Scheinwerfers auf seiner Brust und schaltete diesen ein. Ein dünner Lichtstrahl drang durch die Kuppeldecke nach unten und traf dort auf das Gestein. Im nächsten Moment stieß der Kommandant einen Laut der Enttäuschung aus. „Das Innere der Kuppel steht unter Druck!“ erklärte er. „Das Licht des Scheinwerfers wird gestreut, folglich muß es da unten eine Atmosphäre geben. Verdammt, das wird Schwerarbeit für uns, wenn wir hineinwollen.“ „Wir wollen nicht nur, wir müssen“, stellte der Erste Offizier lakonisch fest. „Ehe wir nicht wissen, was da unten los ist, können wir uns auf Garal nicht sicher fühlen.“ Die Männer stießen sich mit geübten Bewegungen ab und gelangten so auf das Felsband zurück. Sie begaben sich wieder in das Boot, und John Cork gab die nächsten Anordnungen. „Sie haben ja mitgehört, Bob, also wissen Sie Bescheid. Wir können die Kuppel nicht einfach anschneiden, sonst verpufft die Atmosphäre schlagartig daraus. Falls es da drin Mimikryten gibt, möchte ich sie nicht auf so spektakuläre Weise aufmerksam machen und zu Gegenmaßnahmen veranlassen. Kommen Sie also mit Ihren Männern, bringen Sie die Vakublase und alle sonst nötigen Utensilien mit.“ „Wird gemacht, Sir“, bestätigte Bob Mall aus dem zweiten Boot. Zwei Minuten später öffnete sich dort die Schleuse, und sechs Männer kamen ins Freie, die eine Anzahl von Gerätschaften und ein flaches, längliches Paket mit sich führten. Der Captain und seine Begleiter hatten inzwischen ihre Ausrüstung ergänzt und stießen zu ihnen. Eine emsige Tätigkeit begann. Der Inhalt des Pakets entpuppte sich als eine silbrige Folie, die vorsichtig entfaltet wurde. Während vier der Raumfahrer damit beschäftigt waren, säuberten die anderen im Umkreis von zehn Metern die Kuppeldecke von Staubteilchen. Dann wurde die Folie auf der freien Fläche ausgebreitet und mit ihren Rändern fest gegen das Material der Kuppel gepreßt. Diese verbanden sich augenblicklich damit, und so entstand innerhalb weniger Minuten ein etwa acht Meter durchmessendes Rund. Dann wurde eine Druckflasche an ein Ventil gesetzt und entleerte ihren Inhalt in die Folie. Diese bauschte sich auf, und gleich darauf stand eine halbkugelförmige
Blase von etwa vier Meter Höhe auf der Kuppel. Bob Mall begutachtete sie fachmännisch und machte dann eine einladende Handbewegung. „Bitte eintreten, meine Herren – es kann losgehen!“ „Einen Moment noch“, sagte der Kommandant. „Achtung, an die Besatzungen der Boote: Wir begeben uns jetzt in die Blase und werden versuchen, uns Zugang zum Innern der Kuppel zu verschaffen. Beobachten Sie inzwischen sorgfältig die Umgebung, damit wir keine unliebsamen Überraschungen erleben. Die Funkverbindung bleibt bestehen, wir werden Sie regelmäßig von den Ereignissen unterrichten. Sollten wir Verstärkung brauchen, bleiben die Piloten und die Wissenschaftler auf jeden Fall an Bord. Sollte etwas schiefgehen, muß wenigstens jemand da sein, der zur ARLENE zurückkehrt, um die Besatzung zu warnen. Klar?“ Hagerup und Keller bestätigten, und John Cork winkte seinen Begleitern. Zusammen drängten sie sich in die Luftschleuse, die sich an der Außenseite der Blase befand. Sie wurde durch das Andrücken magnetischer Säume geschlossen und dann gleichfalls unter Druck gesetzt. Schon Sekunden später öffnete sich automatisch ein Segment der großen Folie, durch das die Männer hineinschlüpfen konnten. Im gedämpften Licht eines Kugelscheinwerfers begannen sie nun ihr Werk. Während sich die anderen nach den Seiten hin zurückzogen, setzte van Sprengel eine Sauerstofflanze in Tätigkeit. Zunächst mußte festgestellt werden, ob sich das Material der Kuppel damit durchbrennen ließ. Er richtete deshalb den Schneidestrahl kurz auf eine Stelle im Mittelpunkt des Rundes. Funken sprühten davon, doch sie konnten keinen Schaden anrichten. Die Vakublase war mit Helium gefüllt und bestand aus einem Material, das erst bei fünftausend Grad zu schmelzen begann. „Ziemlich zähes Zeug“, meinte der Techniker. Es dauerte fast zehn Sekunden, bis das transparente Material erste Blasen zu werfen begann, aber dann bildete sich rasch eine von Schmelzfluß umgebene Vertiefung. Van Sprengel schaltete die Lanze aus und nickte dem Captain zu. Nun markierte John Cork mit einem Fluoreszenzstift einen etwa zwei Meter durchmessenden Kreis in der Mitte. Gleich darauf nahmen drei Männer die Arbeit auf und führten die Brenner auf dieser Linie entlang. Sie achteten darauf, daß die etwa fünf Zentimeter dicke Kuppeldecke nicht ganz aufgeschnitten wurde, sondern eine dünne, Schicht erhalten blieb. Anschließend wurde in der Mitte des Kreises ein Vakuumsauger angebracht. An dessen Oberseite waren vier Leinen befestigt, die von jeweils zwei Männern straff gehalten wurden. Nun nahm Bob Mall einen großen Hammer zur Hand und schlug damit wuchtig gegen die daruntersitzende Platte. Ein dumpfes Dröhnen lief durch die Kuppeldecke, von einem reißenden und splitternden Geräusch begleitet. Die Platte brach an den Schnitträndern durch, und ein dumpfes Gurgeln wurde hörbar, als der Druckausgleich zwischen der Blase und dem Innern der Kuppel hergestellt wurde. Die herausgebrochene Platte pendelte leicht, konnte aber von den Männern mühelos gehalten werden. Sie besaß ein beträchtliches Gewicht, das jedoch infolge der geringen Gravitation kaum zur Geltung kam. Sie wurde zur Seite gezogen und abgelegt, und dann nahm Carl Morgan eine kurze Analyse der Kuppelatmosphäre vor. Als er die Anzeigen des kleinen Analysators
abgelesen hatte, pfiff er leise durch die Zähne. „Gar nicht schlecht, Herrschaften, die Luft da drin ist für uns atembar. Rund zwanzig Prozent Sauerstoff und jeweils vierzig Prozent Stickstoff und Helium, nur wenige Spuren anderer Gase. Lediglich der Druck ist etwas niedrig, er beträgt nur 930 Millibar, auf die irdische Norm umgerechnet.“ „Die Druckhelme bleiben trotzdem geschlossen“, ordnete der Kommandant an. „Phase zwei beginnt. Alles nicht unbedingt nötige Gerät wird hier zurückgelassen, auch die Sauerstofflanzen. Sollten wir uns irgendwo gewaltsam Eingang verschaffen müssen, werden die Strahler eingesetzt. Bob, die Leiter her.“ Der Ingenieur nickte und nestelte ein kleines Päckchen von seinem Gürtel. Es enthielt eine Strickleiter aus Kunststoff und Glasfiber, die mühsam eine Last von mehreren Tonnen Gewicht tragen konnte. Sie wurde ebenfalls mit Vakuumsaugern am Rand der Öffnung befestigt und dann herabgelassen, bis sie in etwa zwanzig Meter Tiefe die Kraterwand erreicht hatte. John Cork schaltete sein Funkgerät auf die Frequenz der Beiboote um. „Wir haben eine Öffnung geschaffen und beginnen nun mit dem Einstieg“, unterrichtete er die oben wartenden Männer. „Jens, schicken Sie zwei Mann heraus, die vom Rand des Felsbandes aus die Gegend beobachten, in der wir absteigen. Sie sollen sich aber passiv verhalten, solange ich keinen Gegenbefehl gebe. Ich werde Sie alle zwanzig Minuten über die Lage unterrichten und gegebenenfalls Hilfe anfordern.“ Der Pilot bestätigte, und dann machte sich der Captain als erster an den Abstieg ins Ungewisse. Die anderen Männer folgten dichtauf. * Sie kamen zügig voran. Die Kraterwand war zwar steil, aber von zahlreichen Unebenheiten durchsetzt. Diese boten den Männern immer wieder Halt, wenn auch zuweilen Luftsprünge von bis zu zehn Metern erforderlich wurden. Nach kaum zwei Minuten war bereits der Boden des Kraters erreicht. Die Sicht durch die Infrarotblenden war noch immer gut. Die Luft innerhalb der Kuppel hielt die Wärme auch während der Mondnacht fest, die Temperatur betrug 18,5 Grad. Das stellte John Cork aber nur ganz nebenbei fest. Sein Hauptaugenmerk galt den ersten Gebäuden, die etwa dreißig Meter vor der Gruppe aufragten. Es waren plumpe, rechteckige Kästen von ungefähr zehn mal zwanzig Meter, alle gleichmäßig etwa acht Meter hoch. Es schien jeweils drei Etagen zu geben, darauf wiesen die kleinen quadratischen Fensteröffnungen hin, die in regelmäßigen Abständen angebracht waren. Sie waren jedoch alle dunkel, und die Meßgeräte zeigten nicht die kleinsten Spuren von energetischer Aktivität an. „Ziemlich phantasielose Burschen, was ihre Bauweise angeht“, meinte Carl Morgan. Der Kommandant zuckte mit den Schultern. „Hier ging es auch nicht um einen Schönheitspreis für Architektur, Carl. Das sind reine Zweckbauten in einer lebensfeindlichen Umgebung, weiter nichts. Die
Fremden haben sich übrigens auch gegen einen plötzlichen Druckverlust abgesichert. Sehen Sie die Röhren, durch die alle Bauten miteinander verbunden sind? Ich wette, daß auch die Fenster aus einer Art von Panzerglas bestehen.“ Er hob seine Stimme. „Wir bleiben zusammen und dringen in einer Reihe mit fünf Meter Abstand zu dem nächstliegenden Bauwerk vor. Nach allen Seiten hin Ausschau halten, beim geringsten verdächtigen Anzeichen Alarm geben. Strahlwaffen feuerbereit machen; geschossen wird aber nur im Falle eines direkten Angriffs, klar?“ Die anderen bestätigten, und John Cork setzte sich als erster in Bewegung. Er hatte erst wenige Schritte getan, als er bemerkte, daß der Boden unter seinen Füßen weicher wurde. Der Captain schaltete seine Helmlampe auf schwächste Leistung und richtete ihren Schein nach unten. Nun sah er, daß er sich auf Humusboden befand, und beiderseits ragten daraus die verdorrten Überreste niedriger Gewächse hervor. Er machte die anderen darauf aufmerksam. „Da haben sich die Fremden aber eine Menge Arbeit gemacht“, meinte der Erste Offizier, „Der Mond durchmißt kaum mehr als 1200 Kilometer, hier kann es nie fruchtbaren Boden gegeben haben. Es sieht so aus, als hätten sie die Kuppel über einen langen Zeitraum hin bewohnt und deshalb versucht, sich hier eine möglichst angenehme Umgebung zu schaffen.“ Cork nickte. „Jetzt ist hier aber alles tot und verdorrt. Das beweist, daß sich seit langer Zeit niemand mehr um diese Pflanzen gekümmert hat. Sie sind eingegangen, obwohl der Boden feucht genug ist und sie während des Mondtages ausreichend Licht erhielten, um gedeihen zu können.“ „Das müßte bedeuten, daß die Kuppelstation verlassen ist“, meinte Bob Mall, aber der Kommandant wehrte sofort ab. „Keine voreiligen Rückschlüsse, Bob. Es kann auch sein, daß spätere Bewohner das Interesse an den Gewächsen verloren haben, so etwas kommt ja auch bei uns vor.“ Er bückte sich, brach einige Zweige ab und verstaute sie in einer Außentasche des Raumanzugs. „Ich werde sie mit ins Schiff nehmen und dort nach der C 14‐Methode untersuchen lassen. Die Altersbestimmung könnte unter Umständen aufschlußreich sein. Los, gehen wir weiter.“ Sie bewegten sich auf den freien Raum zwischen zwei Gebäuden zu und suchten mit ihren. Blicken die Fassaden ab, konnten aber nichts Ungewöhnliches entdecken. Die Wände bestanden aus einem glatten, hellgrauen Material, also hatten die Erbauer nicht auf das dunkle Vulkangestein des Trabanten zurückgegriffen. Was sich hinter den kleinen Fenstern befinden mochte, war nicht zu erkennen, dazu lagen sie zu hoch. Die Männer verzichteten auch vorerst darauf, hineinzuleuchten. Solange sie nicht definitiv wußten, daß es in der Kuppel keine Mimikryten mehr gab, mußten sie vorsichtig sein. Die subplanetaren Anlagen auf Garal gaben ihnen ein warnendes Beispiel. Die Krafterzeuger in der Hauptkaverne mußten schon seit längerer Zeit in Betrieb gewesen sein, ohne daß die empfindlichen Geräte in der ARLENE sie hatten anmessen können. Dasselbe konnte auch auf dem Mond der Fall sein, falls hier ähnliche Anlagen existierten.
John Cork hatte das jenseitige Ende der Gebäude erreicht und ließ die anderen Männer zu sich aufschließen. Der Blick nach vorn wurde ihm durch weitere Bauwerke derselben Art verwehrt, die etwa zehn Meter weiter vorn aufragten. Noch immer gab es keinerlei Anzeichen von Leben oder energetischer Aktivität. Nach einem kurzen Halt machte die Gruppe einen Bogen nach rechts und bewegte sich auf jene Stelle zu, an der sich eine der etwa zwei Meter durchmessenden Röhren befand, die das Gebäude mit seinem Pendant in der zweiten Häuserreihe verband. Dort stießen sie auch auf einen Eingang. Er befand sich direkt neben der Röhre und war rechteckig, etwa 1,20 Meter breit und 1,80 Meter hoch. Er glich so sehr einer normalen irdischen Haustür, daß die Männer regelrecht verblüfft waren. Als jedoch eine entsprechende Bemerkung fiel, schüttelte der Captain den Kopf. „Diese Übereinstimmung kann rein zufällig sein und läßt keinen Schluß auf die eigentliche Körperform der Fremden zu. Bitte, da haben wir es schon: Der Öffnungsgriff befindet sich nur fünfzig Zentimeter über dem Boden!“ Er klopfte vorsichtig gegen die Tür, die aus einem grünlichen Kunststoff zu bestehen schien. Der hallende Ton belehrte ihn aber, daß sich darunter solides Metall befand, und etwas anderes hatte er auch nicht erwartet. Er bückte sich und griff nach dem Türknauf, der die Form eines dreizackigen Sternes besaß. Zu seiner Überraschung ließ er sich mühelos nach rechts drehen, und die Tür öffnete sich schon nach einem leichten Zug. Im gleichen Moment klang im Innern des Gebäudes ein laut hallender Ton auf, der in der herrschenden Stille wie ein Donnerschlag wirkte. Die Männer fuhren zusammen und hoben ihre Waffen, aber der Kommandant lachte nur leise auf. „Kein Grund zur Besorgnis“, beruhigte er sie. „Das ist zweifellos nur das Gegenstück zu einer Glocke oder einem Summer bei uns Menschen. Irgendwie scheinen sich die betreffenden Bräuche bei allen intelligenten Lebewesen zu gleichen.“ Hinter der Tür befand sich ein schmaler Korridor mit weiteren Türen. John Cork sah auf seine Uhr und stellte fest, daß die Zeit für eine erste Meldung bei den Besatzungen der Beiboote gekommen war. Er unterrichtete seine Leute mit einigen kurzen Sätzen und drang dann an der Spitze von drei weiteren Männern in das Gebäude ein. Sie bewegten sich vorsichtig und setzten ihre Helmlampen nur sparsam ein. Doch schon die Erkundung der Räume im Erdgeschoß brachte ihnen eine Enttäuschung. Sie enthielten weiter nichts als leere Regale unterschiedlicher Höhe, so daß sie schon nach flüchtigem Hinsehen als Lagerräume eingestuft werden konnten. Über eine, steile Rampe gelangten die Männer in die höher gelegenen Räume. Dort bot sich ihnen das gleiche Bild, und Carl Morgan schnaufte enttäuscht auf. „Wieder nichts! Ich hatte gehofft, endlich einen Hinweis auf das wirkliche Aussehen der Mimikryten zu finden. Sie müssen ja schließlich irgendeine Körperform angenommen haben, die es ihnen ermöglichte, sich schnell zu bewegen und sinnvolle Arbeit zu verrichten. Als bloße Plasmaklumpen konnten sie das wohl kaum.“
Sie verließen den Bau wieder und gingen zusammen mit den Männern weiter, die inzwischen draußen Wache gehalten hatten. „Hier im Außenbezirk dürfte es überall ähnlich aussehen“, meinte der Captain. „Die wirklich wichtigen Anlagen befinden sich vermutlich wie bei uns im Zentrum, die Wohngebäude in ihrer Nähe. Wir werden uns deshalb nicht weiter hier aufhalten, sondern nehmen uns gleich die nächste Gebäudereihe vor.“ Dort brachte aber eine Stichprobe wieder nichts ein; auch diese Häuser schienen verlassen zu sein. Kaum eine Minute später machten sie sich erneut auf den Weg. Als sie dann den freien Raum zwischen den nächsten Gebäuden passiert hatten, stieß Dolf van Sprengel einen Ruf der Überraschung aus und deutete nach links. „Sehen Sie doch, Captain! Da vorn scheint die Zentrale der Kuppel zu liegen!“ Vor der dritten Gebäudereihe befand sich ein freier Platz, der dieses Bauwerk umgab. Es war rund, durchmaß etwa dreißig Meter und mochte ungefähr zwanzig Meter hoch sein. Details waren vom Standort der Männer aus nicht zu erkennen, dafür war das Infrarotlicht zu schwach. Die Gruppe hatte angehalten, und John Cork überlegte kurz. Dann nickte er entschlossen. „Gut, packen wir also den Stier bei den Hörnern! Wenn es hier noch etwas Interessantes zu sehen gibt, ist es bestimmt dort am ehesten zu finden. Weiterhin größte Vorsicht!“ Als sie auf gleicher Höhe mit dem runden Gebäude angekommen waren, machte der Captain halt. Er wartete ab, bis die anderen herangekommen waren und wollte ihnen eben weitere Anweisungen geben, als es ganz plötzlich geschah. An der Oberkante des Bauwerks flammten ringsum starke Kunstsonnen auf und übergossen die gesamte Umgebung mit grellweißem Licht. Sekunden später öffnete sich ihnen gegenüber ein großes Tor, und aus diesem schwebten metallisch glänzende Körper in großer Zahl hervor! Die Sichtblenden der Raumhelme verdunkelten sich automatisch. Das bewahrte die Männer davor, von der plötzlichen Lichtflut übermäßig geblendet zu werden, und sie reagierten sofort. Daß sie angegriffen wurden, daran konnte kein Zweifel bestehen. „Alle auseinander und Deckung suchen!“ rief der Kommandant, der sich selbst augenblicklich hinwarf. „Feuerfrei!“ Die übrigen folgten seinem Beispiel, sprangen nach rechts und links davon und warfen sich zu Boden. Sie fanden hinter einer Reihe niedriger Kästen Schutz, die vermutlich als Abfallbehälter gedient hatten. Von dort aus sahen sie, wie sich aus dem Tor eine Schar von etwa dreißig Robotern ergoß. Die Ähnlichkeit mit denen im Labyrinth des Schreckens war unverkennbar. Ihre Greifarme hielten jedoch keine Werkzeuge, sondern Waffen, die irdischen Strahlern glichen! Die Roboter begannen nach den Seiten hin auszuschwärmen, behinderten sich dabei aber infolge ihrer großen Zahl gegenseitig. So war noch keiner von ihnen zum Schuß gekommen, als ihnen bereits das Strahlenfeuer der acht Männer entgegenschlug. Die Entfernung betrug nur etwa dreißig Meter, und die Ziele waren kaum zu verfehlen. Schon nach Sekunden explodierten die ersten Maschinen. Ihre Trümmer
flogen nach allen Seiten davon, trafen weitere Roboter und brachten auch diese zur Detonation. Ein Krachen und Bersten erfüllte die Kuppel. Es marterte die Ohren der Menschen, die keine Zeit fanden, die Empfindlichkeit ihrer Außenmikrophone herabzusetzen, denn ein Dutzend der zylindrisch geformten Roboter, die dem Inferno der ersten Sekunden unbeschädigt entkommen waren, begannen zu schießen, aber sie trafen schlecht. Ihre elektronischen Wahrnehmungsorgane wurden offenbar durch die bei den Explosionen freigesetzten Energien beeinträchtigt, denn die von den Waffenmündungen ausgehenden rötlichen Strahlbahnen zuckten unkontrolliert durch die Gegend. Die Männer ließen ihnen auch keine Zeit, wieder zur „Besinnung“ zu kommen. Sie feuerten pausenlos weiter und trafen auch, weil keiner der Automaten Anstalten machte, seine eigene Existenz zu schützen. Es schien sich um ausgesprochene Kampfroboter zu handeln, in deren Steuergehirnen die altbekannten Grundgesetze nicht verankert waren. Sie folgten stur ihrer Programmierung, bis auch der letzte unter schmetterndem Krachen auseinandergeflogen war. Doch ausgerechnet er erzielte Sekundenbruchteile zuvor noch einen verhängnisvollen Treffer. Der Strahl aus seiner Waffe durchschlug einen der Behälter und tötete den Schiffstechniker Rolf Seifert, der erst wenige Tage vorher fünfundzwanzig Jahre alt geworden war… Die Rauchschwaden der Explosionen stiegen langsam in die Höhe und gaben den Blick auf die zahllosen Trümmerstücke frei. John Cork beachtete sie nicht, sondern versuchte zu erkennen, was sich hinter dem großen Tor verbarg. Es war nach wie vor offen, aber das Streulicht reichte nicht aus, um mehr als ein paar Meter weit in das Innere des Bauwerks sehen zu können. Immerhin schien darin alles ruhig zu bleiben, und so wandte der Captain sich wieder den anderen zu. Sie standen stumm bei der Leiche des jungen Mannes, dessen linke Körperhälfte starke Verbrennungen aufwies. Der Kommandant brach das Schweigen. „Was ich jetzt sage, mag vielleicht hart klingen, ist es aber auf keinen Fall. Wir dürfen über Seiferts Tod nicht vergessen, daß unsere Aufgabe hier noch längst nicht beendet ist. Wir müssen auf jeden Fall noch den runden Bau durchsuchen! Erst dann können wir sicher sein, daß den Menschen auf Garal von hier aus keine Gefahr mehr droht.“ Die Männer stimmten ihm zu. Es wurde beschlossen, daß van Sprengel und zwei weitere Techniker im Freien bleiben und die Umgebung beobachten sollten. Cork, Morgan, Mall und der Transmitterspezialist Boris Wlassow übernahmen es, in das Gebäude vorzudringen. 5. Die Besatzungen der Beiboote wurden von den Geschehnissen unterrichtet, dann brachen die Männer auf. Sie bahnten sich einen Weg durch das Trümmerfeld zum Eingang. Als sie ihn
passiert hatten und nicht mehr durch das grelle Licht in ihrer Sehfähigkeit behindert wurden, konnten sie gut erkennen, was dahinterlag. Es war eine geräumige Schleusenkammer, von der aus es beiderseits Eingänge in zwei weitere Räume gab. Sie waren jetzt leer, aber einige Anzeichen wiesen darauf hin, daß sie zuvor die Kampfroboter beherbergt hatten. „Weiter“, bestimmte der Captain, und sie gingen auf das innere Tor der Schleuse zu. Sie waren dicht davor, als es vollkommen geräuschlos zur Seite glitt und den Blick in einen großen, hell erleuchteten Raum freigab. Dann stöhnte Bob Mall unwillkürlich auf. „Da haben wir es – das genaue Gegenstück zu den Anlagen in der großen Kaverne auf Garal!“ Die Männer hatten sich eng gegen die Wände der Schleuse gepreßt. Mit gemischten Gefühlen betrachteten sie die Anlagen, die offenbar die ganze Halle im Untergeschoß einnahmen. Auch hier war die linke gewölbte Wand mit Schalt‐ und Kontrollelementen bedeckt, während in der Mitte die Aquarienbehälter aufragten. Etwas war hier aber doch anders, und das fiel dem Ingenieur zuerst auf. „Hier ist es ausgesprochen ruhig, Sir! In der Kaverne liefen mehrere Konverter, aber das scheint hier nicht der Fall zu sein. Das Licht kommt von Speicherbänken, nehme ich an.“ John Cork nickte. „Schon möglich, Bob. Legen Sie irgendeinen Gegenstand vor die Füllung des Tores, damit wir nicht wieder eingesperrt werden können. Gut so, gehen wir weiter.“ Sie bewegten sich zwar vorsichtig, aber schnell voran und erreichten die Vorderseite der Kästen mit den Lebenserhaltungssystemen. Doch in diesen gab es keinen einzigen Mimikryten – sämtliche Aquarien waren leer! „Die Vögel sind ausgeflogen“, stellte Carl Morgan lakonisch fest. „Und das offenbar schon vor langer Zeit, darauf weist vieles hin.“ Bob Mall war zu den Armaturen an der Wand getreten und betrachtete sie eingehend. „Hier ist alles tot, kein einziger Zeiger bewegt sich. Ich frage mich nur, weshalb die Roboter dann diesen verlassenen Bau noch verteidigt haben.“ Wlassow zuckte mit den Schultern. „Vermutlich hat man sie zurückgelassen, ohne ihre Programmierung zu ändern. Als die sicher vorhandenen Sensoren dann unsere Annäherung erfaßten, wurden die Maschinen aktiviert und handelten sozusagen blindlings.“ Der Captain zog die Brauen zusammen. „Ich glaube, wir sollten uns nicht lange hier aufhalten. Schließlich haben wir ja noch zwei weitere Krater zu erkunden. Sehen wir nach, was sich in den anderen Räumen befindet; ich glaube, wir können uns jetzt unbesorgt überall bewegen.“ Sie fanden noch einige kleine Nebenräume mit fremdartigen Geräten, die ihnen nichts sagten. Über eine steile Rampe gelangten sie dann in das Obergeschoß des Bauwerks. Dort war es dunkel, und sie mußten ihre Lampen benutzen. Sie fanden erneut eine Vielzahl von Schaltkonsolen, die aber wesentlich kleiner waren als unten. John Cork wollte bereits den Befehl zum Rückzug geben, als ein erregter Ausruf Wlassows aus seinem Kopfhörer drang.
„Hier, Sir – hier steht ein Transmitter!“ Die anderen waren achtlos an dem großen, in der rechten Hälfte des Raumes stehenden Kasten vorbeigegangen. Auf den ersten Blick war keinerlei Ähnlichkeit mit einem terranischen Transmitter festzustellen. Der Captain schüttelte ungläubig den Kopf. „Irren Sie sich da auch nicht, Boris?“ fragte er skeptisch. Der Transmitterspezialist lächelte hinter der Helmscheibe. „Auf keinen Fall, Sir. Hier ist zwar einiges anders als bei uns, aber es ist alles da, was zu einer solchen Anlage gehört. Wenn Sie Ihre Phantasie zu Hilfe nehmen, wird es Ihnen nicht schwerfallen, in den vier isolatorähnlichen Gebilden an den Wänden die Pole zu erkennen, zwischen denen das Transportfeld aufgebaut wird.“ Bob Mall wiegte den Kopf. „Es sieht tatsächlich so aus, als hätte Boris recht“, meinte er. Plötzlich fuhr er zusammen. „Können Sie irgendwie feststellen, ob diese Anlage nach dem gleichen Prinzip arbeitet, wie die unseren? Wenn ja, dann könnten wir darin die Kristalle finden, die uns so sehr fehlen!“ Eine fieberhafte Erregung ergriff die Männer von einem Augenblick zum anderen. Sie besaßen schließlich einen Transmitter, mit dem sie innerhalb kürzester Zeit Garal verlassen konnten, sobald die durch einen Hypersturm zerstörten Schwingkristalle ersetzt wurden! „Was meinen Sie, Boris?“ erkundigte sich der Kommandant mit rauher Stimme. „Trauen Sie sich zu, den Kasten zu öffnen und nachzusehen? Wir brauchen vier faustgroße Kristalle, weiter nichts! Dann sind alle unsere Sorgen mit einem Schlag behoben.“ Wlassow trat einen Schritt zurück und überlegte. „Das dürfte eine schwierige und zeitraubende Angelegenheit werden, Sir. Mit den wenigen Werkzeugen, die wir bei uns haben, schaffe ich das auf keinen Fall. Da wäre es schon viel einfacher, einen Versuch zu machen, diese Anlage in Betrieb zu nehmen.“ „Das wäre auch ein Weg“, meinte der Erste Offizier. „Wenn es nicht klappt, können wir immer noch versuchen, die Kristalle aus dem Gerät zu holen. Funktioniert es jedoch, müßte es unseren Leuten auch gelingen, den Transmitter auf eine terranische Gegenstation zu justieren.“ John Cork überlegte. Wenn diese Anlage auf eine Station der Mimikryten eingestellt war – und die Wahrscheinlichkeit dafür war sehr groß – konnten sie alle in Teufels Küche kommen. Andererseits schien die Kuppelstation aber schon seit langer Zeit verlassen zu ein. Vielleicht gab es diese Gegenstation längst nicht mehr, dann waren alle Sorgen hinfällig. „Alles, was wir tun, kann falsch sein“, murmelte er schließlich. „Gut, riskieren wir einen Versuch. Beim gerinsten verdächtigen Anzeichen wird er aber wieder abgebrochen, klar?“ Der Transmitterspezialist nickte und vertiefte sich in das Studium der Schaltanlagen. Darüber verging eine Viertelstunde, und der Kommandant rief inzwischen noch einmal die Beiboote an. Er gab den Männern jedoch kein präzisen Auskünfte, um nicht falsche Hoffnungen zu wecken, die später vielleicht doch nicht in Erfüllung gingen.
„Ich glaube jetzt das richtige Schema gefunden zu haben, Sir“, meinte Wlassow schließlich. „Dieser Kontaktsensor hier müßte der Hauptschalter sein, der die Energieversorgung aktiviert. Alles hängt natürlich davon ab, ob es hier noch betriebsklare Konverter gibt. Wenn ja, ist alles Weitere mehr oder weniger nur eine Zeitfrage.“ „In Ordnung, fangen Sie an“, bestimmte John Cork. Der Techniker zögerte unwillkürlich noch einen Moment, doch dann griff seine Hand zu. Einige Sekunden lang schien nichts zu geschehen, doch dann klang ein lautes Summen auf, und der Boden des Raumes begann leicht zu vibrieren. Irgendwo unten, vermutlich in Räumen, die unter dem Bauwerk lagen, mußten starke Krafterzeuger angelaufen sein. Die Männer sahen sich triumphierend an, und Boris Wlassow griff bereits nach dem nächsten Schalter. Doch dann hielt er inne und wich zurück. „Schnellstens raus hier – das Aggregat geht durch!“ schrie er. Die anderen sahen ungläubig auf die Anlage, aber schon im nächsten Moment wandten sie sich um und begannen zu rennen. Die warnenden Anzeichen waren zu eindeutig. Ohne daß Wlassow weitere Schaltungen vorgenommen hatte, war eines der zahlreichen Armaturenbretter plötzlich zum Leben erwacht. Die darauf befindlichen Skalenzeiger kletterten innerhalb von Sekunden in die blau markierten Bereiche, die bei den Mimikryten offenbar die kritischen Zonen darstellten. Zugleich begann das ganze Aggregat zu vibrieren und gab ein bösartig klingendes Brummen von sich, das keinerlei Ähnlichkeit mit dem normalen Arbeitsgeräusch einer Transmitteranlage hatte. Dazu kam ein unheilverkündendes Zischen und Knistern von elektrischen Entladungen, und das sagte den erfahrenen Männern genug. Durch die minimale Schwerkraft begünstigt, hetzten sie mit großen Sprüngen aus dem Raum. John Cork wandte sich noch einmal kurz um und sah, wie das Gehäuse der Anlage bereits an einigen Stellen von innen heraus zu glühen begann. Und noch immer liefen die Konverter unter dem Gebäude und beschickten das Aggregat mit großen Energiemengen. In dem Moment, wo sie endgültig außer Kontrolle gerieten, mußte es unweigerlich zur Katastrophe kommen! Die Männer brauchten nicht mehr als zehn Sekunden, um das Bauwerk zu verlassen, denn die Angst saß ihnen im Nacken. In weiten Sätzen überwanden sie das Trümmerfeld aus Roboterteilen, und inzwischen rief der Kommandant bereits den draußen wartenden Männern den Befehl zum schleunigen Aufbruch zu. Sie stellten keine Fragen, denn sie hatten aus dem erschreckten Ausruf des Transmittertechnikers bereits selbst ihre Schlüsse gezogen. Während die anderen das runde Bauwerk inspizierten, hatten sie schon eine behelfsmäßige Bahre für den Toten angefertigt. Nun nahmen sie sie auf, und der Wettlauf mit dem Tod begann… * „Eine automatische Selbstzerstörungsanlage!“ keuchte Bob Mall während des rasenden Laufes. „Man hat den Transmitter so präpariert, daß er durchgehen mußte,
sobald jemand daran hantierte, der bestimmte Kniffe nicht kannte. Wirklich schlimm wird es allerdings erst, wenn die Konverter heißgelaufen sind und hochgehen. Wenn wir bis dahin nicht oben sind, dann gnade uns Gott…!“ Die Kunstsonnen auf dem Gebäude brannten noch immer, und ihr Licht erleichterte der Gruppe das Vorwärtskommen. Sie erloschen, als ein dumpfes Grollen anzeigte, daß der Transmitter in die Luft gegangen war. Doch da hatten die Männer bereits die Stelle erreicht, an der die Strickleiter endete. Sie war unten verankert worden, und das erwies sich nun als große Hilfe. Seit dem Beginn ihrer Flucht waren kaum zwei Minuten vergangen, als sich John Cork als letzter in die Luftschleuse der Vakublase schob. Alles noch darin befindliche Gerät wurde zurückgelassen, denn die Mitnahme hätte wertvolle Sekunden gekostet. Dann öffnete sich die äußere Klappe, und das Helium schoß hinaus ins Vakuum. Die Männer stießen sich von der Kuppel ab und erreichten das Felsband. Die Besatzungen der Beiboote hatten längst alles für einen Alarmstart vorbereitet. Die Luftschleusen standen offen, und die Rückkehrer warfen sich förmlich hinein. Es gab einen kurzen Aufenthalt, als der Tote heraufgebracht wurde, und der Captain sah noch einmal zurück. Auf dem Grund des Kraters zuckten bereits schwere energetische Entladungen auf und übergossen die Gebäude mit einem irrlichternden Schein. Vermutlich erfolgten dort schon weitere Explosionen, aber das Fehlen einer Atmosphäre verhinderte, daß die Geräusche bis nach oben drangen. Endlich glitten die Außenschotte zu, und schon hoben die beiden ersten Boote ab. Sie schossen mit höchster Beschleunigung in den Raum, nur das dritte Fahrzeug konnte noch nicht starten. Dr. Rappan hatte zwar schon vorbereitende Schaltungen durchgeführt, aber er war kein Pilot. Bange Sekunden vergingen, bis Carl Morgan endlich den Steuerraum erreicht hatte und sich in den Kontursitz vor den Kontrollen warf. Er schaltete mit fliegenden Händen. Das Triebwerk kam augenblicklich, und das Boot hob ab. Im gleichen Augenblick zuckte unten im Krater ein greller Feuerschein auf. Das Fahrzeug stieg in die Höhe, aber John Cork, der auf die Bildschirme blickte, erkannte in jähem Schreck, daß ihm die Kuppel folgte! Die Konverter waren explodiert, und der Luftdruck hatte die transparente Decke über dem Krater aus ihrer Verankerung gerissen. Das ergab naturgemäß eine explosive Dekompression, und von ihr getragen, schnellte die Kuppel wie ein riesiges Geschoß in die Höhe und folgte dem Boot… Doch auch Carl Morgan hatte die drohende Gefahr erkannt. Mit einem entschlossenen Griff schaltete er den Konverter des Fahrzeugs auf Notleistung und führte die volle Energie dem Triebwerk zu. Der Bootskörper schüttelte sich einige Sekundenbruchteile lang, und der Captain hielt unwillkürlich den Atem an. Diese Situation war mehr als kritisch, das wußte er aufgrund seiner langjährigen Erfahrung. Nur ein kleiner Fehler in der Statik des Fahrzeugs, und es mußte aufplatzen wie eine reife Frucht! Seine Befürchtung erwies sich als grundlos. Das Boot hielt der Überlastung stand
und schnellte, wie von einem Katapult geschleudert, in die Höhe. Das Inferno blieb hinter ihnen zurück, und der Erste Offizier schaltete wieder auf normale Leistung um. Anschließend sah er seinen Kommandanten an und grinste verzerrt. „Verdammt knapp ist gar kein Ausdruck dafür, möchte ich sagen. Da, sehen Sie: Jetzt kippt die Kuppeldecke zur Seite und stürzt zurück in den Krater. Da unten ist nun wirklich die Hölle los.“ Die Gewalten der atomaren Explosionen tobten sich aber nicht nur innerhalb des Ringwalls aus. Eine glühende Fontäne aus Luft und Trümmern schoß weit in den Raum hinaus, ohne aber das Boot noch gefährden zu können. John Cork wollte gerade Verbindung zu den anderen Beibooten aufnehmen, als ihn Dr. Rappan erregt am Arm packte. Er wies auf die Bildschirme, die nun schon einen großen Teil der Mondoberfläche zeigten. „Sehen Sie da hinüber, Captain – die beiden anderen Kuppeln sind gleichzeitig hochgegangen! Es muß also eine Art Synchronschaltung gegeben haben, die das bewirkt hat.“ Zwei weitere Feuersäulen hatten sich über den betreffenden Kratern gebildet, und der Kommandant nickte resigniert. „Die Plasmawesen wollten eben ganz sichergehen, Doc. Sie haben auch den Fall einkalkuliert, daß es unerwünschten Besuchern gelingen konnte, dieser ersten Falle zu entgehen. Wir hätten beim Erkunden der anderen Anlagen wohl kaum nochmals den Fehler gemacht, an Dingen zu manipulieren, die wir nicht kennen, und dann vielleicht mehr herausgefunden, als den Fremden lieb sein konnte.“ „Jetzt werden wir überhaupt nichts mehr herausfinden“, sagte Bob Mall mit dumpfer Stimme. „Alles ist hin und in Atome zerpulvert – auch die Kristalle, die wir so nötig hätten brauchen können…!“ Der Kommandant zuckte mit den Schultern. „Nehmen Sie es nicht so tragisch“, tröstete er den niedergeschlagenen Ingenieur. „Daß es in diesem oder vielleicht auch weiteren Transmittern wirklich Schwingkristalle gab, die wir hätten verwenden können, war schließlich nur eine Annahme.“ Die drei Boote sammelten sich tausend Kilometer über dem Mond. Es gab eine kurze Lagebesprechung, aber niemand hatte noch viel zu sagen. Alle waren zu derselben Erkenntnis gekommen, die nun wie ein dumpfer Druck auf ihnen lastete. Man konnte nur noch die Rückkehr zum Schiff beschließen, und während dieser wurde kaum ein Wort gesprochen. * „Du solltest dir das nicht so zu Herzen nehmen, John“, sagte Anne Young und strich dem Captain sanft über die Wange. „Ihr habt getan, was ihr konntet, und mehr kann man von niemand verlangen. Daß es so ausgehen würde, konnte keiner ahnen.“ John Cork schüttelte den Kopf. „Du meinst es gut, Anne, und ich danke dir dafür. Das ändert aber nichts an den Tatsachen. Dieses Unternehmen hat uns nichts eingebracht, aber ein wertvolles
Menschenleben gekostet. Ich als Kommandant hätte weiter denken müssen! Ich hätte einfach nicht zulassen dürfen, daß…“ Die junge Ärztin verschloß ihm energisch mit der Hand den Mund. „Höre mir jetzt einmal gut zu, John: Deine Selbstvorwürfe können an dem Geschehenen nichts mehr ändern. Rolf Seifert ist tot, aber es hätte ebensogut euch alle erwischen können. Aus deinem Bericht nach dem Abendessen ist klar genug hervorgegangen, wie knapp ihr noch davongekommen seid. Anstatt nun in Trübsal zu versinken, solltest du besser alles tun, um die angeknackste Moral der Leute wieder zu heben! Es gibt hier für uns in der nächsten Zeit eine Menge zu tun. Die Siedlung muß errichtet werden, und auch sonst haben wir noch allerhand Probleme. Das alles erfordert einen Kommandanten, der zielstrebig denkt und handelt, der den anderen ein Beispiel gibt.“ Sie hatte sich in Eifer geredet; ihre Augen blitzten, ihre Wangen waren gerötet. Als der Captain sie so sah, huschte erstmals wieder ein schwaches Lächeln über sein Gesicht. Er nickte entschlossen. „In Ordnung, Anne, du hast natürlich recht. Ganz verdrängen läßt sich das Erlebte nicht, dafür sind die Eindrücke noch zu frisch. Trotzdem werde ich mich nun zusammennehmen und für die anderen ebenso den Seelenapostel spielen, wie du eben bei mir.“ Nun lächelte auch die junge Frau. „Das klingt zwar noch etwas bitter, aber das wird sich auch noch geben. Hast du inzwischen schon mit meinem Chef oder Dr. Dombrowski gesprochen? Also nicht – dann hast du aber einige bemerkenswerte Dinge versäumt. Wir haben jetzt nämlich schon zwei Mimikryten an Bord!“ Cork sah sie verblüfft an, und sie nickte bekräftigend. „Ich wollte es zuerst auch nicht glauben, aber es ist schon so. Der Plasmaklumpen, den ihr an Bord gebracht habt, hat sich heute nachmittag geteilt. Wir haben schon immer darüber gestaunt, welchen Appetit das Ding entwickelte, und jetzt wissen wir auch, wieso. Diese Wesen scheinen das natürliche Bestreben zu haben, sich so schnell wie möglich zu vermehren, und das erscheint uns recht bedenklich.“ John Cork wiegte den Kopf. „In einer Hinsicht schon, da hast du recht. Andererseits ist dadurch unser Wissen über die Mimikryten wieder etwas erweitert worden, und das mag auch sein Gutes haben. Ich werde morgen früh mit Dombrowski reden und ihm einen ganz bestimmten Vorschlag machen.“ Auf ihren fragenden Blick hin wehrte er ab. „Laß gut sein, ich möchte jetzt auch einmal über andere Dinge reden. Wie bist du mit den Heilern zurechtgekommen? Geht die Hypnoschulung so gut voran, wie du vor unserem Abflug gemeint hast?“ „Sogar noch viel besser“, gab die Ärztin zurück. „Ich konnte ihnen schon heute noch zusätzlich den Lehrstoff eingeben, der im Plan erst für morgen vorgesehen war. Ihr Elementarwissen hat sich bereits so sehr erweitert, daß es fast dem unseren gleichkommt. Nur noch eine Lektion, dann können wir dazu übergehen, sie in Spezial‐Schulung zu nehmen, die ihrer Veranlagung entspricht.“ Der Mann lächelte. „Deinen beruflichen Eifer in Ehren, aber davon möchte ich vorerst doch noch absehen. Diese Leute können uns nämlich auf einem ganz anderen
Gebiet nützlich werden, das nichts mit Technik und dergleichen zu tun hat. Ich denke da an ihre parapsychischen Fähigkeiten. Falls sich auch hier eine Steigerung abzeichnen sollte, würden wir in vielfacher Hinsicht davon profitieren können. Selbstverständlich denke ich natürlich nicht daran, sie lediglich auszunützen. Sie sollen mindestens den gleichen Nutzen davon haben, wie wir auch. Falls sie es wünschen, können sie auch in die Stadt zurückkehren, die schließlich ihre Heimat ist. Dort müssen wir übrigens auch noch nach dem Rechten sehen. Die Bewohner sind zweifellos zur gleichen Zeit wie wir zu normal großen Menschen geworden. Ob sie dieses für sie unbegreifliche Ereignis verkraftet haben, ist sehr die Frage.“ Anne Young begann zu schmollen. Sie wies auf sein Glas mit gutem, irdischem Whisky, das noch immer unberührt vor ihm stand. „So ist es richtig, John! Du bist als großer Pessimist zu mir gekommen, den ich erst wieder moralisch aufrichten mußte. Jetzt bist du darüber hinweg, und schon schießt du weit über das Ziel hinaus. Hast du mir sonst gar nichts mehr zu sagen?“ „Sehr viel sogar!“ gab John Cork schmunzelnd zurück und zog sie an sich. 6. Am nächsten Morgen kam auch das vierte Boot von dem Erkundungsflug zurück. Dr. Mbunga hatte sich am Abend über Funk gemeldet und mitgeteilt, daß das Geo‐ Team über Nacht ausbleiben würde. Mittels der Bodentaster hatte man am Südende des Kontinents Vorkommen von legierten Metallen und Kunststoffen festgestellt. Das war ein deutlicher Hinweis auf eine frühere Zivilisation, und man war sofort darangegangen, die betreffende Gegend genau unter die Lupe zu nehmen. Der Afrikaner gab seinen Bericht während der Zusammenkunft der Teamleiter ab, die gleich nach dem Frühstück in der Messe stattfand. „Viel haben wir leider nicht mehr gefunden, Captain. Es hat in dieser Gegend zweifellos einmal eine ganze Reihe von Städten gegeben, aber die Überreste sind mehr als dürftig. Jetzt erstreckt sich dort ein ausgedehntes Waldgebiet, alles ist vollkommen überwuchert. Trotzdem entdeckten wir eine Anzahl von Ruinen, die früher einmal imposante Gebäude gewesen sein müssen. Wir haben einige Grabungen vorgenommen, doch der Erfolg war gleich Null. Die Metalle und Kunststoffe hatten sich schon weitgehend zersetzt; wir konnten nicht einmal annähernd bestimmen, um welche Gegenstände oder Maschinen es sich gehandelt haben mag.“ „Könnten es Ansiedlungen der Mimikryten gewesen sein?“ fragte Dr. Rappan. Der Astro‐Geologe schüttelte den Kopf. „Das halte ich für ausgeschlossen, Ernest. Die C 14‐Analyse hat ergeben, daß der Untergang dieser Kultur schon etwa 20.000 Jahre zurückliegen muß. So alt können die Anlagen in den Höhlen noch nicht sein, und wir haben auch nichts gefunden, das als Verbindungsglied dazu anzusehen wäre. Es muß sich also um eine ganz andere, inzwischen ausgestorbene Rasse gehandelt haben.“
Der Kommandant nickte. „Darin stimme ich Ihnen voll zu, Doc. Die Mimikryten müssen erst vor relativ kurzer Zeit hier auf Garal aufgetaucht sein. Ich glaube sogar, daß sie überhaupt nicht aus diesem Sonnensystem stammen.“ „Ist das Ihr Ernst?“ meinte Dr. Bella verwundert. Er sprach das aus, was auch die anderen dachten, man sah es ihren Gesichtern an. John Cork lächelte leicht. „Ich habe noch keine Beweise für diese Hypothese, doch ich bin von ihrer Richtigkeit überzeugt. Was mich darauf gebracht hat, waren die Anlagen auf dem Mond. Inzwischen habe ich im Labor die Zweige untersuchen lassen, die ich dort oben abgepflückt habe. Sie waren so gut erhalten, daß ich zuerst annahm, sie müßten erst vor relativ kurzer Zeit abgestorben sein. Als ich das Ergebnis erfuhr, war ich selbst überrascht – sie sind schon rund zweitausend Jahre alt!“ „Das ist allerdings bemerkenswert“, räumte Dr. Jordan ein. „Die Anlagen in den Kavernen müßten meiner Ansicht nach etwa zur gleichen Zeit angelegt worden sein. Trotzdem sehe ich auch in dieser Übereinstimmung noch nichts, das Ihre Theorie irgendwie stützen könnte, Captain.“ Das Lächeln des Kommandanten blieb. „Habe ich Ihnen nicht schon unten im Labyrinth gesagt, daß wir im Zusammenhang mit den Plasmawesen noch gewaltige Überraschungen erleben werden? Schon damals habe ich mir meine eigenen Gedanken gemacht, und inzwischen ist noch einiges dazugekommen. Deshalb wiederhole ich jetzt: Die Mimikryten stammen nicht aus diesem System. Sie sind hier genauso fremd wie wir, gewissermaßen Zugereiste. Sie sind allerdings mit einem ganz besonderen Fahrzeug gekommen – ihr Raumschiff war der innere Mond!“ „Das ist doch blanker Unsinn“, empörte sich Dr. Dombrowski in seiner typischen Art. „Entschuldigen Sie das harte Wort, Captain, aber so sehe ich das eben. Man kann doch einen Mond nicht beliebig manipulieren und zwischen den Sternen fliegen lassen. Der technische Aufwand wäre viel zu groß.“ John Cork sah ihn fest an. „Wir können das nicht, Doc, das meinen Sie doch wohl. Dabei vergessen Sie aber, daß die Fremden schon Transmitter besessen haben müssen, als auf der Erde gerade die ersten Völkerwanderungen im Gange waren! Wenn sie soweit waren, warum sollten sie es dann nicht auch geschafft haben, einen relativ kleinen Himmelskörper in gezielte Bewegung zu versetzen?“ Dr. Rappan sah nachdenklich vor sich hin. „Rein theoretisch könnten Sie damit sogar recht haben, Captain“, bemerkte er schließlich. „Ich habe mich schon von Anfang an über die seltsamen Umlaufbahnen der Garalmonde gewundert, die einfach in kein Schema passen wollen. Außerdem ist der innere Mond kleiner als der äußere, und auch das ist wirklich ungewöhnlich. Ich fürchte nur, daß es Ihnen schwerfallen wird, jetzt noch einen Beweis für Ihre Theorie zu bekommen, nachdem alle drei Kuppeln vernichtet sind.“ „Warten Sie es ab, Doc“, meinte der Kommandant hintergründig. „Fürs erste wollen wir dieses Thema fallenlassen, ich werde es zu gegebener Zeit wieder anschneiden. Jetzt wollen wir uns mit den Dingen beschäftigen, die für uns von praktischem Wert sind. Können Sie noch heute mit den weiteren Arbeiten zum Aufbau unserer
Siedlung beginnen, Bob?“ Der Ingenieur nickte. „Selbstverständlich, Sir. Mein Team ist jetzt schließlich wieder vollständig, und wir haben nicht mehr mit den Schwierigkeiten zu kämpfen, die wir als Zwerge hatten. Die Männer brennen förmlich darauf, zu zeigen, daß sie inzwischen nichts verlernt haben.“ „Gut, dann sollen sie auch Gelegenheit bekommen, das zu beweisen. Bringen Sie alle erforderlichen Maschinen ins Freie, der Bau der Siedlung wird fortgesetzt. Das Wetter ist noch gut, das muß ausgenutzt werden.“ Er wandte sich an Dr. Mbunga. „Sie und Ihre Leute sind eben erst zurückgekommen, haben also eine Pause verdient. Ruhen Sie sich heute aus. Morgen möchte ich Sie erneut losschicken, um auch die anderen Kontinente noch zu erkunden. Neben den üblichen Untersuchungen ist auch eine topografische Erfassung vorzunehmen. Wenn wir schon auf Garal bleiben, müssen, sollten wir wenigstens wissen, wie unser zukünftiger Heimatplanet beschaffen ist.“ „Sie wollten doch auch eine Gruppe entsenden, um in der Stadt nach dem Rechten zu sehen“, erinnerte ihn der Erste Offizier. John Cork schüttelte den Kopf. „Heute morgen noch nicht, Carl. An diesem Flug sollen auch einige Heiler teilnehmen, sie könnten uns dabei von Nutzen sein. Jetzt liegen sie aber noch unter den Schulungshauben und können nicht einfach von da weggeholt werden. Vielleicht starten wir heute nachmittag, bis dahin könnten sie soweit sein.“ Dann kam Dr. Mathieu an die Reihe, der kleine, schwarzhaarige Chefkybernetiker der ARLENE. „Doc, Sie erhalten im Laufe des Vormittags die Berichte über sämtliche Vorkommnisse hier auf Garal und auf dem Mond. Bereiten Sie Ihre Männer darauf vor, alle Fakten von Belang in den Bordcomputer einzuspeisen. Er soll dann auf dem Wege der Selektion und durch vergleichende Berechnungen versuchen, Zusammenhänge zu finden, die uns vielleicht bisher entgangen sind.“ Paul Mathieu nickte, aber der Captain schien ihn schon wieder vergessen zu haben. Er sah grübelnd vor sich hin und schlug sich nach einer Weile an den Kopf. „Für Sie habe ich auch noch etwas“, wandte er sich an Dr. Rappan. „Sie haben vorhin gesagt, daß Ihnen die Monde einige Rätsel aufgeben, und Sie kennen meine Theorie vom Raumschiff Mond. Können Sie durch vergleichende Feststellungen herausfinden, ob der innere Trabant tatsächlich fremd in diesem System ist?“ Der Leiter des Astrp‐Teams nickte. „Selbstverständlich, Captain. Sämtliche Himmelskörper eines Systems haben den gleichen Ursprung, Planeten und Monde sind gewissermaßen Ableger ihrer Sonne. Jede Sonne weist wiederum ihre eigenen Merkmale auf, keine gleicht der anderen ganz. Auch bei Sternen des gleichen Typs gibt es immer kleine Abweichungen in der Zusammensetzung der Elemente, die sich durch die Spektralanalyse feststellen lassen. Gewisse charakteristische Elemente gibt es dementsprechend auch auf allen Körpern des Systems in vergleichbaren Mengen. Wenn der innere Mond eine davon abweichende Häufigkeit aufweisen sollte, wäre das ein klarer Beweis dafür, daß er nicht von hier stammt.“ „Und genau das sollen Sie feststellen“, sagte John Cork. „Unsere Piloten und zwei Boote stehen in einer Stunde zu Ihrer Verfügung. Nehmen Sie Ihr Team und alle erforderlichen Geräte mit, und führen Sie vergleichende Untersuchungen an beiden
Monden durch. Sollte das nicht ausreichen, können Sie auch die entsprechenden Daten von Garal heranziehen, um ganz sicherzugehen.“ „Geht in Ordnung, Captain“, entgegnete Dr. Rappan. Dann wurden noch einige Probleme erörtert, die die Versorgungslage des Schiffes betrafen. Einzelne Lebensmittel gab es noch in größeren Mengen, aber einige begannen bereits knapp zu werden, besonders das Fleisch. Deshalb kam dem geplanten Flug in die Stadt, die als einziger Lieferant in Frage kam, erhöhte Bedeutung zu. Anschließend wandte sich der Kommandant an den Chefarzt und Dr. Jordan. „Kommen Sie, meine Herren. Jetzt wollen wir einmal sehen, was es in bezug auf unseren Beute‐Mimikryten und seinen Ableger an Neuigkeiten gibt.“ * Dr. Dombrowski schwitzte, obwohl er nur ein kurzärmeliges Hemd und Shorts trug, was bei seiner Leibesfülle ausgesprochen komisch wirkte. „Gut, daß Sie kommen“, meinte er und wischte sich zerstreut mit einem Erfrischungstuch über die hohe Stirn. „Die beiden Dinger in dem Tank machen mir Sorgen. Ich wage mich schon gar nicht mehr in ihre Nähe – sobald ich bei ihnen auftauche, versuchen sie, meine Gestalt anzunehmen!“ Dr. Singh sah ihn ungläubig an, aber John Cork nickte nur. „Mit etwas Ähnlichem habe ich schon gerechnet, Doc. Diese Wesen müssen im Laufe ihrer Geschichte so oft fremde Gestalt angenommen haben, daß es gewissermaßen zu einem festen Bestandteil ihres Daseins geworden ist. Als bloße Plasmaklumpen sind sie hilflos, können lediglich denken, weiter nichts. Daß dies ein äußerst unbefriedigender Zustand ist, läßt sich vorstellen. Schön, dann will ich ihnen eben etwas entgegenkommen.“ „Was haben Sie vor, Captain?“ erkundigte sich der Xenologe besorgt. Der Kommandant lächelte. „Ich bin davon überzeugt, daß unsere Spezialisten im Laufe der Zeit noch eine Menge über die Mimikryten herausfinden werden. Das ist aber nicht nur sehr mühsam, sondern auch weitgehend nur von wissenschaftlich‐theoretischem Wert, und das genügt mir nicht. Wir können erheblich mehr erfahren, wenn wir einen von ihnen direkt befragen!“ Der Chefarzt zog die Brauen hoch. „Ich weiß jetzt, worauf Sie hinauswollen, Captain. Sind Sie da nicht etwas zu optimistisch? Selbst wenn diese Wesen menschliche Gestalt annehmen, bleiben sie doch im Grunde das, was sie immer waren. Glauben Sie wirklich, daß sie uns, die sie als ihre Gegner ansehen müssen, wahrheitsgetreue Auskünfte geben würden?“ John Cork winkte ab und wandte sich dem Astro‐Biologen zu. „Sie haben selbst gesagt, daß die Mimikryten, sobald sie unsere Gestalt annehmen, nicht nur Menschen zu sein scheinen, sondern tatsächlich infolge der Veränderungen ihrer Zellstruktur wirklich Menschen sind. Gilt für diese nachgeahmten Körper dann auch alles, was für uns gilt? Ich beziehe diese Frage in erster Linie auf ihren
Stoffwechsel.“ Dr. Dombrowski nickte. „Zweifellos, Captain. Sobald sich ihre Zellen einmal auf eine bestimmte Aufgabe spezialisiert haben, erfüllen sie die betreffende Funktion voll und ganz. Die Pseudo‐Menschen sind dann sogar gegen die gleichen Krankheiten anfällig, wie wir auch.“ Über das Gesicht des Kommandanten huschte ein listiges Grinsen. „Das bedeutet also, daß sie dann auf die gleichen Medikamente ansprechen, wie wir auch. So zum Beispiel auch auf Psychopharmaka, nicht wahr?“ Dr. Singhs Augen wurden groß. „Jetzt begreife ich erst ganz: Sie wollen, daß eines dieser Wesen menschliche Gestalt annimmt, aber Sie wollen es zuvor unter Drogen setzen! Unter ihrem Einfluß soll der Doppelgänger dann alles ausplaudern, was er uns sonst nie sagen würde… Eine grandiose Idee – vorausgesetzt, die Sache klappt.“ John Cork zuckte mit den Schultern. „Das wird sich wohl bald herausstellen, Doc. Sehen Sie einmal in Ihrem Medikamentenvorrat nach, und suchen Sie etwas heraus, das sich als Wahrheitsdroge verwenden läßt. Falls nötig, können Sie auch mehrere Mittel kombinieren, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Wir werden einen der Mimikryten damit füttern und dann dazu bringen, daß er menschliche Gestalt annimmt.“ Dr. Jordan hob die Hand. „Aus Ihren Äußerungen entnehme ich, daß Sie selbst der Mann sein wollen, den das Plasmawesen kopieren soll. Das geht aber leider nicht, Captain! Sie haben vergessen, daß die Fremden zugleich auch auf parapsychischer Ebene einen Teil des Gedankenguts ihres Vorbilds übernehmen. Ihre Kopie würde also von Anfang an wissen, was wir ihr zugedacht haben, verstehen Sie?“ Der Captain nickte ernüchtert. „Vollkommen, Doc. Ich wollte einmal besonders schlau sein, und damit hätte ich mich fast selbst hereingelegt… Besten Dank für Ihren Hinweis, er kam gerade noch zur rechten Zeit. Das ändert aber nichts an meinem Vorhaben. Wir werden jetzt lediglich als Vorlage für den Mimikryten einen Mann auswählen müssen, der nichts über unsere Absichten weiß.“ „Ich schlage Jean Foucault vor“, meinte Dr. Dombrowski. „Er ist hier gewissermaßen das Faktotum und hat bisher meist die Fütterung der Plasmaten vorgenommen. Ihn kann so leicht nichts erschüttern, auch nicht ein Doppelgänger seiner eigenen Person. Wenn ich ihm sage, daß wir ein interessantes Experiment durchführen wollen, wird er Feuer und Flamme sein. Soll ich ihn gleich rufen?“ „Warten Sie noch etwas damit“, bestimmte der Kommandant. „Holen Sie zuerst einmal die nötigen Präparate, Dr. Singh. Wir werden sie unter die Nahrung des Wesens mischen, und dann kann Foucault sie ihm wie gewohnt verabreichen.“ Der Chefarzt nickte und verließ den Raum. Zehn Minuten später erschien er wieder, eine kleine Flasche in der Hand. „So, hier habe ich eine Mixtur zusammengestellt, von der ich hoffe, daß sie die gewünschte Wirkung erzielen wird. Der Basisstoff ist Penthatol, einige weitere Stoffe sollen als Verstärker dienen. Das Ganze habe ich unter eine süß schmeckende
Emulsion gemischt, so daß der strenge Geschmack verdeckt wird.“ „Dann sollten wir es dem Mimikryten zusammen mit der Ration von Protein eingeben, die er täglich einmal erhält“, meinte Dombrowski. „Soll ich jetzt Foucault rufen?“ John Cork stimmte zu, und gleich darauf betrat ein großer, pausbäckiger Mann den Raum. Er stutzte, als er den Captain sah, aber John Cork winkte ihn heran. „Was halten Sie von den Plasmawesen?“ fragte er. Foucault wiegte den Kopf. „Das sind schon wirklich seltsame Geschöpfe, Sir. Mir macht es aber nichts aus, sie zu betreuen. Ich amüsiere mich höchstens darüber, daß sie neuerdings sogar versuchen, mich zu kopieren, wenn ich mich einige Zeit bei dem Tank aufhalte.“ Der Kommandant sah ihn ernst an. „Wir planen ein Experiment, das damit in Zusammenhang steht, Mister Foucault. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn einer der Mimikryten tatsächlich Ihre Gestalt annähme? Wir könnten dann mit ihm reden und versuchen, von ihm Informationen zu erhalten.“ Der Medogehilfe grinste. „Absolut nicht, Sir. Ich möchte selbst gern wissen, was es mit ihnen auf sich hat, schließlich haben sie uns ja genug Ärger bereitet. Dafür nähme ich auch die Existenz eines Doppelgängers in Kauf.“ Dr. Dombrowski hatte sich inzwischen mit dem Fläschchen entfernt. Nun kam er zurück und nickte dem Captain verstohlen zu. „Dann schlage ich vor, daß Sie jetzt gleich einen von ihnen füttern; eine Dose mit Protein habe ich schon bereitgestellt. Anschließend bleiben Sie so lange vor dem Tank stehen, bis er das Zeug aufgenommen hat. Dann geben Sie auch dem anderen etwas, das ihn beschäftigt, während der erste Ihren Körper nachbildet. Verstanden?“ „Alles klar, Doc.“ Jean Foucault nickte. * John Cork war zusammen mit dem Chefarzt und dem Astro‐Biologen im Hintergrund stehengeblieben. Er hatte noch nicht miterlebt, wie die Plasmawesen Nahrung zu sich nahmen; dieser Vorgangs faszinierte ihn. Der Medogehilfe trat an die rechte Seite des Quarantänetanks, wo eine kleine Nebenkammer angesetzt war. Er öffnete sie, entleerte den Inhalt der Dose in einen darin befindlichen Behälter und drückte dann auf einen Knopf. Nachdem er die Kammer wieder verschlossen hatte, trat die Versorgungsautomatik in Tätigkeit. Ein mechanischer Arm wurde ausgeschwenkt, entleerte den Nährbrei auf den Tankboden und zog sich dann wieder zurück. Beide Mimikryten waren sichtbar unruhig geworden. Die rosige Masse ihrer Körper zuckte hin und her, einzelne Pseudopodien wurden ausgebildet und wieder eingezogen. Als dann der Brei herabfiel, stürzte sich das in seiner Nähe liegende Wesen förmlich auf ihn. Es schob sich voran und stülpte seinen Körper über die Masse, und dann lag es vollkommen still. Sein Gefährte hatte ebenfalls versucht, an die Nahrung zu gelangen. Nun zog er sich zurück und bildete eine Halbkugel, die einige Auswüchse wie fordernd auszustrecken schien.
„So geht das immer“, erklärte Dr. Dombrowski leise. „Die Fremden können ihre Umgebung offenbar deutlich wahrnehmen und verhalten sich entsprechend. Der linke Bursche ist jetzt sichtlich frustriert, aber er wird noch eine Weile warten müssen. Bis der andere mit der Nahrungsverwertung fertig ist, vergehen etwa zehn Minuten.“ Genau elf Minuten später geriet der jetzt gesättigte Mimikryt wieder in Bewegung. Er schob sich nach vorn auf Foucault zu, der inzwischen eine weitere Dose mit Proteinbrei vorbereitet hatte, die er nun dem zweiten zukommen ließ. „Da – jetzt geht es los!“ raunte der Chefarzt dem Kommandanten zu. Das Plasmawesen handelte mit verblüffender Schnelligkeit. Sein Körper streckte sich, bis er fast die ganze Länge des zwei Meter großen Tanks einnahm. Unmittelbar danach begann er grobe menschliche Umrisse anzunehmen. Zwei säulenartige Beine wurden ausgebildet, zwei Arme und dann ein plumper Kopf. Die Struktur der Glieder wurde laufend verfeinert, und bald waren sie von echten menschlichen Extremitäten nicht mehr zu unterscheiden. Dasselbe geschah mit Kopf und Körper – dann richtete sich der Mimikryt in sitzende Stellung auf und zeigte den Beobachtern das naturgetreu nachgebildete Gesicht des Medogehilfen! Der ganze Vorgang hatte nicht länger als zehn Minuten gedauert, das zweite Wesen war noch mit der Aufnahme seiner Nahrung beschäftigt. „Das ist ja geradezu unheimlich!“ sagte der Captain. Das gleiche Gefühl schien auch Jean Foucault zu haben. Er war blaß geworden und sah sich hilfesuchend nach den anderen Männern um, die nun näher kamen. Dr. Dombrowski klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. „Danke, Jean, das wäre für Sie ausgestanden. Öffnen Sie jetzt noch den Tank und lassen Sie Ihren Doppelgänger heraus; dann können Sie gehen, wenn Sie wollen.“ „Tun Sie das bitte selbst, Doc“, bat der Medogehilfe. „Ich habe mir da wohl doch etwas zuviel vorgenommen, glaube ich…“ Der Biologe nickte, und Foucault entfernte sich hastig. Nun drückte Dombrowski auf einen Schaltknopf, und die Vorderseite des Tanks klappte herunter. Der Mimikryt verstand diese Einladung sehr gut. Er richtete sich auf, soweit der Tankdeckel das zuließ, und stieg ins Freie. Hinter ihm wurde der Behälter wieder geschlossen, ehe das zweite Wesen ebenfalls aktiv werden konnte. Ein nackter Mann stand vor den drei Menschen, der von dem echten Medogehilfen nicht zu unterscheiden war! Große, blaue Augen sahen sie an, und sie begannen unter diesem klugen Blick unwillkürlich zu frösteln. John Corks Hand lag wie zufällig dicht am Griff seiner Strahlwaffe, um jedem Zwischenfall entsprechend begegnen zu können. „Wer sind Sie?“ fragte der Kommandant heiser. Um die Lippen des Fremden spielte ein leichtes, amüsiert wirkendes Lächeln. „Ich bin Jean Foucault, Medogehilfe, Sir!“ gab er mit voller Stimme zurück, die bis zur letzten Nuance mit der Ausdrucksweise des echten Foucault übereinstimmte. „Wir wissen, daß Sie das nicht sind!“ sagte John Cork hart. „Schließlich haben wir selbst gesehen, wie Sie seine Gestalt angenommen haben. Ich will nicht wissen, wen Sie hier nur darstellen – ich will wissen, wer Sie in Wirklichkeit sind, und das genau
und ausführlich. Antworten Sie!“ Das Lächeln des Fremden verschwand und machte einem Ausdruck von Verwirrung Platz. Diese Situation schien ihn zu überfordern, und seine Blicke gingen gehetzt hin und her. Er blieb jedoch stehen, als er plötzlich die Waffe des Kommandanten auf sich gerichtet sah. „Das Mittel scheint noch nicht voll zu wirken“, flüsterte Dr. Singh diesem zu. „Wiederholen Sie Ihre Frage, treiben Sie ihn in die Enge! Lange kann es nicht mehr dauern.“ John Cork befolgte seinen Rat, und diesmal hatte er Erfolg. Die Augen des Pseudo‐ Menschen hatten begonnen sich zu verschleiern und nahmen einen eigentümlich starren Ausdruck an. Auch seine Stimme klang unbeteiligt und monoton, als er nun willig antwortete. „Das kann ich Ihnen nicht sagen, Sir. Ich habe keinen eigenen Namen.“ Der Captain atmete auf und entspannte sich. „Dann sagen Sie mir, zu welcher Rasse Sie gehören und woher diese stammt“, forderte er nun. „Ich bin ein Harkolter“, lautete die stereotype Antwort. „Wir stammen aus dem offenen Sternenhaufen, der bei Ihnen die Bezeichnung ,Plejaden’ trägt.“ John Cork nickte unwillkürlich. Das Gebiet der Plejaden, etwa fünfhundert Lichtjahre von der Erde entfernt, war bisher noch nicht erforscht oder gar kolonisiert worden. Sofort fragte er weiter. „Warum hat Ihr Volk seine Heimat Verlassen?“ „Wir waren zu viele geworden, Sir. Alle bewohnbaren Welten in der Umgebung wurden bereits von uns beherrscht. Deshalb gingen wir auf die Suche nach neuem Lebensraum.“ „Warum sind Sie gerade hierher gekommen, und wie haben Sie diese relativ große Strecke überwunden?“ „Garal war nicht unser Ziel. Wir wollten zu einem System von vier nahe beisammenstehenden Sonnen unweit unseres Sektors. Alle besaßen bewohnbare Planeten und trugen bereits Leben. Als Transportmittel verwendeten wir einen kleinen Mond, der jetzt um Garal kreist. Doch bald nach der Beschleunigungsphase gerieten die Antriebsfelder außer Kontrolle, so daß wir nicht mehr abbremsen konnten. Sie konnten erst wieder eingesetzt werden, als wir uns in der Nähe dieses Systems befanden, und dann auch nur für kurze Zeit. So waren wir gezwungen, hier zu bleiben und zu warten.“ „Zu warten? Worauf?“ erkundigte sich der Captain. „Auf die Entstehung neuen intelligenten Lebens, Sir. Es gibt hier einige Spezies, die bereits wieder Ansätze dazu zeigen. Sobald sie weit genug gewesen wären, hätten wir uns unter sie gemischt.“ John Cork hob die Brauen. Der Harkolter sprach hier schließlich von einer Entwicklung, die sich noch über Zehntausende von Jahren erstrecken konnte. Er begann allmählich zu begreifen, daß diese Wesen in ganz anderen Zeiträumen dachten als die kurzlebigen Menschen. Sie waren praktisch unsterblich, weil sie sich durch Zellerneuerung immer wieder regenerieren konnten. „Wie lange halten Sie sich schon hier auf?“ forschte er weiter.
„Etwa zweitausend irdische Jahre, Sir. Der größte Teil – wir waren insgesamt zwanzigtausend – blieb auf dem Mond und wurde in einen Kälteschlaf versetzt. Zuvor schickten wir ein kleines Spezialfahrzeug auf den Planeten. Es wurde demontiert, und die Roboter errichteten daraus die subplanetare Station. Zweitausend von uns gingen durch einen Transmitter in die Anlage, um dort gleichfalls in Schlaf versetzt zu werden. Sensoranlagen wachten für uns, um uns zu wecken, sobald intelligente Wesen in ihren Erfassungsbereich gerieten.“ Dr. Dombrowski stieß den Captain an. „Die Wirkung des Mittels läßt bereits nach!“ flüsterte er hastig. „Zuerst hat er nur kurz geantwortet und sich dabei auf jene Dinge beschränkt, die direkt angesprochen wurden. Jetzt redet er flüssig und gibt von sich aus weitere Auskünfte, aber das wird nicht mehr lange so bleiben. Sein Geist befreit sich allmählich von dem Zwang, vermutlich bauen seine Zellen die Drogen sehr schnell wieder ab. Wenn Sie noch wichtige Dinge erfahren wollen, werden Sie sich beeilen müssen.“ Der Kommandant nickte kurz und fragte dann: „Das muß vor etwa dreihundertfünfzig Jahren schon der Fall gewesen sein, als die ersten Menschen hier eintrafen. Wie kommt es, daß Sie jetzt noch in den Lebenssystemen lagen, obwohl Sie bereits menschliche Körperformen angenommen hatten?“ Der Pseudo‐Mensch begann unruhig zu werden. Die vorherige Starre seiner Glieder löste sich, seine Hände bewegten sich ziellos hin und her. Er antwortete noch, aber nur stockend und scheinbar widerwillig, und Dr. Singh entfernte sich rasch, um eine Spritze zu holen, durch die dem Fremden die Drogenmischung erneut beigebracht werden konnte. „Wir wurden noch nicht gebraucht, Sir. Zuerst gingen unsere Gefährten auf dem Mond durch die dortigen Transmitter. Wir…“ Er verstummte endgültig. Seine Augen wirkten jetzt wieder vollkommen klar und zeigten einen Ausdruck unverhüllten Erschreckens. Offenbar war ihm jetzt voll bewußt geworden, daß er Dinge ausplauderte, die die Menschen nie hätten erfahren sollen. Gehetzt sah sich der Mimikryt um, doch es gab keinen Fluchtweg für ihn. Der Strahler des Kommandanten drohte, und in der Tür erschien bereits der Chefarzt, eine Hochdruckspritze in der Hand. John Cork versuchte es noch einmal. „Was haben Ihre Gefährten getan – wohin sind sie durch die Transmitter gegangen? Antworten Sie!“ Doch seine Worte erzielten keine Wirkung mehr. Übergangslos löste sich der pseudomenschliche Körper auf und zerfloß wieder zu einem formlosen Plasmahaufen. Dr. Dombrowski nickte resigniert. „Das hatte ich befürchtet, Captain. Das Wesen hat begriffen, daß wir ihm einen Streich gespielt haben. Ein zweites Mal wird es uns nicht mehr gelingen, es zu überlisten.“ John Cork zuckte mit den Schultern. „Dann müssen wir es eben mit dem anderen versuchen. Ich fühle, daß wir dicht vor der Aufklärung der letzten Rätsel um Garal gestanden haben. Nur noch ein paar Minuten…“ Er unterbrach sich, denn Dr. Singh hatte einen Schreckenslaut ausgestoßen. Verstört
sahen alle drei Männer das, was nun geschah. Der Mimikryt begann abzusterben! Noch zuckte seine Körpermasse konvulsivisch, aber in ihr zeigten sich bereits große, grünliche Flecken. Sie breiteten sich zusehends weiter aus, bis sie den ganzen Plasmaklumpen erfaßt hatten. Dessen Bewegungen waren immer schwächer geworden und erstarben nun ganz. Automatisch glitten die Blicke des Captains zu dem Quarantänetank hinüber, und dann lachte er heiser auf. „Aus, meine Herren! Wir werden gar nichts mehr erfahren, denn auch das zweite Wesen ist tot…“ 7. „Wie ist das nur möglich?“ fragte Dr. Singh ratlos. Der Astro‐Biologe schnaufte enttäuscht auf. „Dafür dürfte es eine sehr plausible Erklärung geben, Ernest Die Mimikryten haben offenbar im Laufe der Zeit so etwas wie einen biologischen Schutzmechanismus entwickelt, der dann wirksam wird, wenn ein Mitglied dieser Rasse in eine aussichtslose Situation gerät! Sie töten sich selbst, wenn sie zu der Erkenntnis gelangt sind, daß ein Weiterleben den Bestand der gesamten Spezies gefährden könnte.“ John Cork stimmte ihm zu. „So ist es zweifellos, Doc. Der Foucault‐Doppelgänger wußte, daß er irgendwann wieder dem Verlangen erliegen würde, erneut einen menschlichen Körper nachzubilden. Das scheint rein reflektorisch zu geschehen, sobald gewisse Voraussetzungen, wie zum Beispiel reichliche Nahrungszufuhr, gegeben sind. Daraus hat er die Konsequenzen gezogen. Da diese Wesen aber auch über gewisse parapsychische Gaben verfügen, erlangte sein Ableger im Tank das gleiche Wissen, als die hemmende Wirkung des Wahrheitsserums nachließ.“ „Worauf es nichts Eiligeres zu tun hatte, als dem schlechten Beispiel zu folgen“, meinte der Chefarzt verkniffen. „Wirklich jammerschade, daß es so gekommen ist, denn allzuviel haben wir nicht mehr erfahren. Was der Mimikryt gesagt hat, war ja mehr oder weniger nur eine Bestätigung unserer bisherigen Vermutungen.“ Der Captain hob die Schultern. „Finden wir uns mit den unerfreulichen Tatsachen ab, Doc. Das Leben muß weitergehen, und von den Plasmawesen haben wir jetzt nichts mehr zu befürchten. Nachdem ihre Anlagen zerstört sind, können sie auf keinen Fall mehr nach Garal zurückkehren. Trotzdem werde ich die Aussagen des Mimikryten festhalten und mit dem anderen Material zur Auswertung durch den Computer geben. Vielleicht zieht dieser Schlußfolgerungen, auf die wir bisher nicht gekommen sind.“ Der Medogehilfe wurde gerufen, um die Überreste der beiden Wesen zu beseitigen. Er schüttelte lange den Kopf, als er sah, was von seinem Ebenbild übriggeblieben war, schien aber doch sichtlich erleichtert. Der Kommandant verließ den Raum und begab sich in den Trakt der Medostation, in der sich die Heiler befanden. Anne Young kam ihm entgegen, und er unterrichtete
sie kurz über das eben Geschehene. Die junge Ärztin lächelte ihm tröstend zu. „Vielleicht war es ganz gut so, John. Diese Wesen waren uns allen unheimlich, möglicherweise hätten sie uns noch unliebsame Überraschungen bereiten können. Jetzt dürfen wir uns unbesorgt auf die anderen Aufgaben konzentrieren.“ „Was macht die Schulung der Heiler?“ erkundigte sich John Cork. „Kann ich damit rechnen, Gernal und einige andere heute nachmittag zur Verfügung zu haben?“ Das Mädchen faßte ihn am Arm. „Heute nachmittag? In spätestens einer Viertelstunde haben sie das gesamte Schulungsprogramm hinter sich! Du weißt doch, daß die Lehrmaschinen die Geschwindigkeit der Wissensübermittlung automatisch dosieren, dem Intelligenzgrad und der Aufnahmefähigkeit der jeweiligen Person entsprechend. Jetzt ist bereits eine Schnelligkeit erreicht, wie ich sie noch nie zuvor beobachtet habe. Diese Leute aus Garal sind einfach ein Phänomen!“ Der Captain drückte sie kurz an sich. „Sehr schön, Anne. Dann leiste ich dir so lange Gesellschaft, bis die Prozedur beendet ist. Ich möchte mich mit Gernal unterhalten, um ihn auf den Flug zur Stadt vorzubereiten.“ Er staunte nicht wenig, als dann die Männer und Mädchen aus den Kabinen kamen. Vor kurzem hatten sie noch zu den Zwergen von Garal gehört. Sie waren zwar relativ intelligent, aber doch geistig bedeutend reduziert gewesen. Nun glichen sie nicht nur rein äußerlich vollkommen den Besatzungsmitgliedern der ARLENE. Ihr gesamtes Wesen hatte sich völlig gewandelt, das war auf den ersten Blick zu sehen. Selbst Nadu Der Wissende und die vier nicht zu der Heilerkaste gehörenden Mädchen bewegten sich mit einer Selbstverständlichkeit, als wären sie schon immer an Bord des Schiffes gewesen. Der Meister Gernal kam mit ausgestreckten Händen auf John Cork zu. „Wir haben Ihnen sehr zu danken, Captain!“ sagte er bewegt. „Für uns hat sich durch die Schulung eine völlig neue Welt aufgetan, das dürfen Sie mir glauben. Früher waren wir stolz auf unsere Gaben, die uns allen Bewohnern von Garal überlegen machten. Jetzt wissen wir, daß wir trotzdem nichts weiter als unwissende Wilde waren.“ Der Kommandant nahm seine Hand. „Dafür konnten Sie schließlich nichts, Gernal. Das war allein auf die Maschinen der Fremden zurückzuführen, durch die die doppelte Reduzierung herbeigeführt wurde. Etwas Ähnliches wird sich aber nicht mehr wiederholen, denn es gibt hier keine Mimikryten mehr. Die beiden, die sich in unserer Hand befanden, sind vor einer halben Stunde gestorben.“ Gernal nickte. „Das habe ich bereits vermutet, Captain. Heute früh habe ich ihre Gegenwart noch deutlich gespürt, aber seit meinem Erwachen aus der Schulung nicht mehr; was ist mit ihnen geschehen?“ John Cork erklärte es ihm und den anderen, und der Meister furchte die Stirn. „Schade, daß wir nicht auch dabeisein konnten. Ich glaube, daß wir den Gedanken der fremden Wesen das hätten entnehmen können, was sie selbst um den Preis ihres Lebens nicht verraten wollten.“ „Haben sich Ihre Gaben denn inzwischen auch gesteigert?“ erkundigte sich Anne Young interessiert. „Könnten Sie jetzt beispielsweise meine Gedanken lesen, wenn
Sie wollten?“ Der Mann aus Garal wiegte den Kopf. „Ja und nein, Miß Young. Das heißt, daß meine Fähigkeiten jetzt stärker sind als vor Beginn des Unterrichts. Ich kann die Gegenwart aller Menschen im Schiff spüren und sie allein durch ihre geistige Aura identifizieren. Ich kann auch bestimmen, ob ihre Gedanken positiver oder negativer Natur sind. Gedanken lesen kann ich aber nach wie vor nicht.“ John Cork war versucht, den Kopf zu schütteln, denn er kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Vor wenigen Tagen hatte er sich gegenüber diesen Menschen noch möglichst einfacher Worte bedienen müssen, um von ihnen verstanden zu werden. Nun benutzte Gernal Ausdrücke, die er früher nie gehört hatte, mit der größten Selbstverständlichkeit. Auch die terranische Umgangssprache kam so leicht über seine Lippen, als hätte er sie von klein auf gesprochen. Regia schob sich nach vorn. Sie war schon immer ein hübsches Mädchen gewesen, auch als sie noch in halben Lumpen herumlief. Jetzt trug sie ein leichtes, buntes Kleid, in dem ihre guten Formen voll zur Geltung kamen, und ihr langes, blondes Haar war gut gepflegt. Sie ist direkt zu einer Schönheit geworden! dachte der Kommandant erstaunt. „Mir ergeht es ähnlich wie dem Meister, wenn auch in einer anderen Art. Wenn ich mich bewußt konzentriere, entstehen in meinem Gehirn Bilder von Menschen, an die ich gerade denke. Ich sehe sie dann deutlich vor mir und kann alles beobachten, was um sie herum vorgeht. Vor wenigen Minuten dachte ich daran, wie es wohl jetzt in der Stadt aussehen mag und in diesem Zusammenhang auch an den Oberpriester Ramto. Im gleichen Moment sah ich ihn – er ist tot, Captain! Seine Leiche liegt im Tempel von Garal vor den Standbildern der ,Götter’ aufgebahrt.“ „Sind Sie ganz sicher?“ fragte John Cork verblüfft. Er hatte schon immer darüber gestaunt, daß gerade diese Welt einen so hohen Prozentsatz von Mutanten hervorgebracht hatte. Etwas anderes waren die Heiler nicht, das war ihm von Anfang an klar gewesen. Normalerweise gab es unter zwanzig Millionen Menschen nur einen, der über parapsychische Gaben verfügte, die zudem meist nur sehr schwach ausgeprägt waren. Hier auf Garal waren es zwanzig von siebenhundert! Einer der jungen Männer im Hintergrund hob die Hand. „Ich kann Regias Angaben bestätigen, Captain. Ich kann Ramto ebenfalls sehen, und ich weiß auch, wie er zu Tode gekommen ist. Er wurde gestern nacht von einem der Tempeldiener umgebracht! Dieser hat Ramto erschlagen und dann alles so arrangiert, daß es wie ein Unfall durch einen herabgestürzten Balken aussah. Der Anstifter dazu war der zweite Oberpriester Wonka, der sich jetzt an Ramtos Stelle gesetzt hat.“ Nun meldeten sich noch einige andere, um weitere Angaben zu machen, und ein heilloses Stimmengewirr entstand. Der Captain mußte schließlich energisch zur Ruhe mahnen. „Hören Sie bitte alle her! Ich hatte ohnehin vor, nach dem Mittagessen einen Trupp in die Stadt zu schicken, der dort nach dem Rechten sehen sollte. Gernal, lassen Sie
sich alles berichten, was uns dabei helfen könnte. Ich wollte Sie ohnehin bitten, mit einigen Ihrer Leute an der Unternehmung teilzunehmen. Sind Sie dazu bereit?“ Über das strenge Gesicht des Meisters flog ein leichtes Lächeln. „Selbstverständlich, Captain“, versicherte er. * „Wie geht es mit dem Bau voran?“ erkundigte sich John Cork während des Mittagessens bei Bob Mall. Der Ingenieur nickte. „Zufriedenstellend, Sir. Allerdings haben wir den halben Vormittag damit zubringen müssen, das Siedlungsgelände mit einem Netz von Ultraschallpojektoren zu umgeben. Die bärenartigen Tiere, die sich seit gestern hier herumtreiben, waren auf andere Weise nicht fernzuhalten. Sie zeigen keinerlei Scheu vor den großen Maschinen und kamen uns ständig in die Quere. Dabei sind sie durchaus nicht bösartig, wie wir zuerst dachten, sondern nur von einer unbezähmbaren Neugier. Es mag absurd klingen, aber sie machen auf mich irgendwie einen fast intelligenten Eindruck.“ Der Kommandant lächelte. „So absurd erscheint mir das gar nicht, Bob. Der jetzt leider tote Harkolter erwähnte während seiner Befragung, daß hier einige Primaten bald wieder Intelligenz erlangen würden. ,Bald’ heißt in diesem Zusammenhang natürlich, daß bis dahin noch einige Jahrtausende vergehen müssen. Diese Bären könnten aber zu diesem Kreis gehören.“ Er hatte die Besatzung vor der Mahlzeit in kurzen Worten über die Vorgänge um die Mimikryten unterrichtet. Die Reaktion war bei den meisten ein befreites Aufatmen gewesen. Sie hatten die Anwesenheit der Plasmawesen immer noch als eine latente Bedrohung empfunden. Nun berichtete er dem Ingenieur auch über die verblüffenden Fortschritte der Heiler. Mall grinste und wies verstohlen auf den übernächsten Tisch. Dort saß Carl Morgan neben Regia, und beide waren so intensiv in eine Unterhaltung vertieft, daß die Umwelt für sie überhaupt nicht mehr zu existieren schien. „Da scheint sich etwas anzuspinnen, Sir. Da wird sich unser Bert Keller aber mächtig ärgern, wenn er vom Mondflug zurückkommt. Er hatte auch schon ein Auge auf die Kleine geworfen…“ John Cork schmunzelte. „Halb so schlimm, Bob. Er wird sich sehr schnell anderweitig trösten, in dieser Hinsicht kenne ich ihn. Im übrigen finde ich es sehr wünschenswert, wenn es zu Verbindungen zwischen unseren Leuten und den Einheimischen kommt. Wir haben ohnehin zuwenig Frauen an Bord, und die Bevölkerung von Garal braucht dringend frisches Blut“ Der Ingenieur nickte und wechselte das Thema. „Liegen die Berechnungen des Computers schon vor?“ fragte er. Der Captain schüttelte den Kopf. „Das dürfte noch eine Weile dauern. Ich habe dem Kyber‐Team in seine Arbeit gepfuscht, indem ich ihm zusätzlich noch die Aussagen des Mimikryten hereingegeben habe. Sie mußten daraufhin das schon laufende Rechenprogramm abbrechen und eine völlig neue Aufgabenstellung vornehmen. Mathieu war nicht
sehr begeistert, weil er nochmals ganz von vorn anfangen mußte, aber anders ging es nun einmal nicht. Ich denke, daß wir die erste Auswertung im Laufe des Nachmittags bekommen werden.“ Nach dem Essen winkte der Kommandant den Ersten Offizier und Gernal zu sich. „Ich habe mich entschlossen, selbst an dem Flug in die Stadt teilzunehmen“, eröffnete er ihnen. „Sie kommen auch mit, Carl, außerdem vier Männer, die Sie selbst wählen können. Haben Sie schon entschieden, wer Sie begleiten soll, Gernal?“ Der Meister zog eine Grimasse. „So gut sich meine Leute auch hier eingelebt haben – an diesem Flug wollten alle teilnehmen! Ich habe es ihnen ausgeredet und drei Männer bestimmt, die Frauen und Kinder in Garal haben. Außerdem sollen noch Regia und Nandu mitkommen. Das Wort Des Wissenden hatte in der Stadt schon immer großes Gewicht.“ „Das sind zusammen zwölf Personen“, überlegte John Cork. „Lassen Sie also drei Gleiter fertigmachen, Carl. Wir brechen in einer halben Stunde auf.“ Er begab sich noch einmal in die Zentrale, um sich über den Stand der beiden Expeditionen zu unterrichten. Bisher hatten aber weder Mbunga noch Rappan etwas von Belang gemeldet, und so suchte er nach einer kurzen Unterhaltung mit dem Funker den Fahrzeughangar auf. Die anderen Teilnehmer hatten sich schon auf die Gleiter verteilt, und Dolf van Sprengel winkte ihm zu. „Hier herein, Sir. Wir können sofort losfliegen.“ In dem Fahrzeug befanden sich außerdem noch Gernal und Regia, die aber seltsam abwesend wirkten. Den Grund dafür erfuhr der Captain, als sie sich einige hundert Meter von der ARLENE entfernt hatten. Plötzlich griff der Meister der Heiler nach John Corks Hand. Seine Linke hielt die des Mädchens. „Schließen Sie die Augen, Captain – Sie werden gleich etwas sehr Interessantes sehen!“ Verwundert kam John Cork seinem Verlangen nach. Im nächsten Augenblick sah er den Vorplatz des Tempels so deutlich vor sich, als würde er an dessen Rand stehen. Ein großer Teil der Stadtbewohner hatte sich dort versammelt. Auf den Stufen des Tempels standen die Priester und schienen zu den Leuten zu sprechen. Dann verblaßte das Bild wieder, und Gernal lachte leise auf. „Dort ist im Augenblick einiges los, Captain! Leider konnten wir Ihnen nur das Bild vermitteln, nicht auch die weiteren Eindrücke, die wir empfangen haben. Die Leute befinden sich im Aufruhr, sie revoltieren gegen die Priester.“ Der Kommandant schüttelte den Kopf. Er stand noch ganz unter dem Eindruck des gerade Erlebten. „Wie haben Sie das gemacht, Gernal?“ erkundigte er sich leise. „Wie konnte ich ebenfalls das sehen, was Sie mit Ihren besonderen Fähigkeiten wahrgenommen haben?“ Der Meister zuckte mit den Schultern. „Jeder Mensch verfügt über latente Paragaben, das weiß ich von meiner Schulung her. Es ist uns auch schon früher gelungen, Leute aus Garal auf diese Weise an unserem Wirken teilnehmen zu lassen. Auf diese Art haben wir auch herausgefunden, wer die Gabe besaß und in unsere Kaste aufgenommen werden konnte.“ Van Sprengel war dieser Unterhaltung verständnislos gefolgt. Nun gab ihm der
Kommandant einen Wink. „Rufen Sie die anderen Wagen an, Dolf. Wir gehen vor der Stadt auf der alten Straße nieder und fahren dann so leise wie möglich an die Rückseite des Tempels heran. Ich möchte mir gern unbemerkt ein Bild davon machen, wie es jetzt um die Intelligenz der Bewohner von Garal bestellt ist.“ Der Techniker folgte seiner Anordnung. Fünf Minuten später bewegten sich die zwölf Personen an dem Tempel vorbei durch Buschwerk, das sie gegen Sicht schützte. Gleich nach dem Aussteigen hatten sie hören können, daß auf dem Vorplatz heftige Wortwechsel im Gange waren. John Cork ließ die anderen halten. Er selbst schob sich zusammen mit dem Meister weiter nach vorn, bis sie die Szene übersehen konnten. Im Augenblick hatte gerade Wonka, der Nachfolger Ramtos, das Wort. Er schien sichtlich nervös, offenbar hatte man ihn in die Verteidigung gedrängt. „Wie könnt ihr an meinen Worten zweifeln?“ rief er schrill. „Haben nicht die Götter selbst ihr Urteil gesprochen? Sie haben Ramto vernichtet, dessen Wirken nur Unheil über die Stadt gebracht hat. Dann haben sie gezeigt, daß sie uns gnädig gesinnt sind. Wir sind keine Zwerge mehr, und dafür müssen wir ihnen dankbar sein. Wollt ihr euch ihr Wohlwollen wieder verscherzen und ihre gerechte Strafe für euren Unglauben herausfordern?“ Ein unwilliges Raunen lief durch die Menge. Einer der Männer, die den Priestern am nächsten standen, lachte höhnisch auf. „Sie haben sich dazu eine Menge Zeit gelassen, deine Götter!“ rief er mit finsterer Miene. „Unser Volk hat immer auf eure Worte gehört und ihnen willig Opfer gebracht, so schwer ihm das auch oft gefallen ist. Warum haben sie uns ihre angebliche Gnade dann nicht schon viel früher zuteil werden lassen?“ Wonka machte eine großspurige Geste. „Wer kennt schon den Willen und die Absichten der Götter? Nicht einmal wir, ihre Priester. Wir konnten nicht mehr tun, als ihnen zu dienen, zu ihnen zu beten und ihnen eure Opfer…“ Ein wütendes Gebrüll aus mehreren Kehlen schnitt seine Worte ab. „Sie haben unsere Opfer nie bekommen!“ stieß einer der Männer verächtlich hervor. „Was hätten sie auch damit anfangen sollen, sie sind ja nur Figuren aus Stein. Ihr wart es, die unsere Opfer genommen haben, um sich ein gutes Leben davon zu machen! Und du wagst es, auch jetzt noch Gaben von uns zu verlangen, wo wir eure Falschheit endlich durchschaut haben? Hört nicht mehr auf diesen Lügner, Leute aus Garal. Er versucht doch nur, uns zu überreden, weil es sonst mit ihm und seinen Genossen vorbei wäre.“ John Cork zog eine Grimasse. „Der Fortfall der Reduzierungsstrahlung hat sich auch hier positiv ausgewirkt“, flüsterte er Gernal zu. „Früher befolgten die Leute willig alle Anordnungen aus dem Tempel. Sie waren froh, daß es jemand gab, der für sie dachte. Jetzt beginnen sie selbständig zu denken, und die früheren Ungereimtheiten fallen ihnen auf.“ Der Meister nickte nur, denn schon hatte ein anderer Mann das Wort ergriffen. „Wir alle wissen, wie Ramto Oberster Priester geworden ist, Wonka; er hat alle umbringen lassen, die ihm im Wege standen – und er selbst ist auf die gleiche Weise gestorben! Nicht die Götter haben ihn gerichtet, sondern der Tempeldiener Nerwo
hat ihn erschlagen. In deinem Auftrag, weil du selbst Oberpriester werden wolltest! Ich weiß es von ihm selbst, ich habe ihn heute morgen so lange verprügelt, bis er die Wahrheit gestanden hat. Er war aber nur ein Werkzeug, der eigentliche Mörder steht hier vor uns. Ergreift ihn, richtet ihn für diese ruchlose Tat!“ Die Lage spitzte sich bedrohlich zu. Mindestens ein Dutzend kräftiger Männer stürmte vor, um dem Aufruf zur Lynchjustiz zu folgen. In diesem Moment entschloß sich der Captain zur Intervention. Mochte der jetzige Oberpriester auch schuldig sein, ein neuer Mord durch die „kochende Volksseele“ war dadurch keinesfalls gerechtfertigt. Er gab seinen Männern aus der ARLENE einen Wink und tauchte an ihrer Spitze mit gezogenem Lähmstrahler aus dem Gebüsch auf. 8. „Damit war die Angelegenheit auch schon bereinigt“, beendete der Kommandant seinen Bericht vor der Besatzung. „Die Leute waren infolge unseres plötzlichen Auftretens so verblüfft, daß sie die Priester laufenließen. Und sie sind gelaufen – so weit, daß niemand weiß, wo sie sich jetzt befinden mögen!“ „Ist das nicht auch eine Art von Todesurteil?“ fragte Dr. Bella mit gerunzelter Stirn. „Wie sollen diese Männer ohne Waffen und Lebensmittel draußen in der Wildnis überleben, aus der noch nie jemand zurückgekehrt ist?“ John Cork hob die Schultern. „Vergessen Sie nicht, daß dies ausschließlich Leute waren, die durch die von diesen Götzendienern geschaffenen ,Gesetze’ ausgestoßen wurden, Doc! Im übrigen steht es ihnen frei, jederzeit in die Stadt zurückzukehren. Dort hat Nandu Der Wissende jetzt den Posten des Oberhaupts von Garal übernommen. Seine Weisheit wird bestimmt einen Weg finden, Wonka für seine Untat büßen zu lassen, ohne daß er dabei sein Leben verliert.“ Dr. Jordan hob die Hand. „Ich schließe daraus, daß es nun auch einen neuen Modus vivendi zwischen uns und den Stadtbewohnern gibt. Wie sieht dieser aus, Captain?“ Der Captain lächelte. „Im Anfang dürfte es ein ausgesprochenes Verlustgeschäft für uns werden, Doc. Durch das Anwachsen ihrer Körpergröße, das sie übrigens überraschend gut verkraftet haben, wurden die Leute vor erhebliche Probleme in bezug auf Kleidung gestellt. Die meisten laufen jetzt halbnackt herum – denken Sie an den ersten Tag unserer Reduzierung! Das kann natürlich nicht so bleiben. Wir werden wohl oder übel alle Einheimischen völlig neu einkleiden müssen.“ Er räusperte sich, trank einen Schluck Kaffee und fuhr dann fort: „Damit allein ist es aber längst noch nicht getan. Sie alle wissen, in welch schlechtem Zustand sich die Häuser in Garal befinden. Es wäre ein Unding, wenn wir uns hier eine schöne neue Siedlung einrichten, sie aber in ihrem Elend sitzen ließen. Sobald also hier Arbeitskräfte frei werden, werde ich sie nach Garal schicken, um auch dort die
Behausungen menschenwürdig und der jetzigen Größe der Bewohner entsprechend herrichten zu lassen. Ich werde einen Planungsstab einrichten, der sich mit allen anfallenden Problemen beschäftigen wird. Bis zum Winter dürfte alles erledigt sein. Weiter beabsichtige ich, nach und nach alle Stadtbewohner durch Hypnoschulung bildungsmäßig auf unseren Standard zu bringen. Die Voraussetzungen sind jetzt ja gegeben. Mit Sicherheit wird sich der Katalog im Laufe der Zeit noch beträchtlich erweitern, aber wir werden auch unseren Nutzen aus diesen Vorleistungen ziehen. Bisher haben die Leute aus Garal die Feldbestellung und Viehzucht mehr schlecht als recht betrieben. Mit ihrer gesteigerten Intelligenz und unseren Hilfsmitteln wird es ihnen möglich sein, wesentlich mehr zu leisten. Doch auch wir werden von ihnen lernen können. Ich habe nicht vor, sie lediglich zu Hilfskräften zu degradieren, die alle schmutzige Arbeit für uns erledigen. Wenn unsere Siedlung steht, wird ein großer Teil der Besatzung praktisch ohne Beschäftigung sein. Das ist aber etwas, das wir uns nicht leisten können. Die Pläne, die für den Zustand einer fortdauernden Reduzierung gedacht waren, werden also in modifizierter Form wieder aufgegriffen werden. Auch wir werden eine eigene Landwirtschaft auf die Beine stellen und sie sogar sehr intensiv betreiben müssen. Nur so wird es uns möglich sein, über den laufenden Bedarf hinaus genügend Lebensmittel anzusammeln, um eines Tages mit der ARLENE den Flug nach Sadir IV antreten zu können!“ Nach einer Pause von wenigen Sekunden klang langanhaltender Beifall auf. Erst jetzt wurde den meisten klar, daß sich der Captain nicht damit abgefunden hatte, auf Garal zu bleiben, sondern erheblich weiter dachte. Als es wieder ruhig geworden war, ergriff er noch einmal das Wort. „Wann es soweit sein wird, steht jetzt allerdings noch in den Sternen. Es ist gut möglich, daß Jahre vergehen werden, bis wir soweit sind. Heute steht uns noch etwas ganz anderes bevor. Wir haben die traurige Pflicht, den Techniker Rolf Seifert der Erde dieses Planeten zu übergeben. Die Bestattung wird am Abend stattfinden, wenn die Beiboote zurückgekehrt sind. Er ist für uns alle gestorben, ich hoffe also auf eine zahlreiche Beteiligung an der Zeremonie.“ Die Versammlung löste sich auf, und John Cork winkte dem Ersten Offizier. „Begleiten Sie mich bitte zum Kyber‐Team, Carl. Es ist jetzt 17 Uhr, also sollte der Computer bereits etwas Brauchbares von sich gegeben haben.“ Als sie den Raum betraten, in dem sich der große Bordrechner befand, empfing sie eine geisterhaft anmutende Stille. Nur die Ausdruckanlage des Computers war noch in Betrieb und spie unter leisem Summen Folien mit den üblichen Symbolen aus. Dr. Mathieu entdeckte die eintretenden Männer und kam ihnen entgegen. Der Kommandant erschrak, als er ihn sah. Das Gesicht des Chefkybernetikers schien um Jahre gealtert und war geisterhaft bleich. Um seine Augen lagen tiefe Schatten, seine Züge waren maskenhaft starr. Eine Vorahnung drohenden Unheils beschlich nicht nur Cork, sondern auch Carl Morgan. „Schlechte Neuigkeiten, Doc?“ fragte der Captain knapp. Paul Mathieu nickte schwer. „Weit schlechtere, als wir alle ahnen konnten, Captain! Die Aussagen des
Mimikryten waren zwar nicht besonders aufschlußreich, aber der Comp hat sie in Zusammenhang mit allen anderen Fakten gebracht, wodurch sich ein ganz neues Bild ergab. Schon der vorab angeforderte Kurzbericht war geradezu katastrophal. Jetzt werden gerade die letzten Detailfolien ausgedruckt, aber sie stützen die vorherigen Extrapolationen nur noch weiter.“ „Akute Gefahr für uns?“ erkundigte sich der Erste Offizier. Der Chef des Kyber‐ Teams schüttelte den Kopf. „Durchaus nicht, Carl. Ich möchte sogar sagen, daß wir uns hier auf Garal in einer geradezu extrem günstigen Lage befinden. Dafür droht aber der gesamten Menschheit ein um so grausameres Schicksal!“ „Machen Sie es kurz, Doc“, bat John Cork heiser. „Ich hatte selbst einige Befürchtungen in dieser Hinsicht. Sie erschienen mir jedoch bei eingehender Überlegung als unbegründet, deshalb habe ich sie verdrängt. Welchen Wahrscheinlichkeitskoeffizienten gibt der Rechner für seine Aussagen?“ Dr. Mathieu schluckte unwillkürlich. „Rund sechsundneunzig Prozent, Captain – und das sind mindestens sechzig Prozent zuviel! Sie wollen es kurz, sehen Sie sich also den Vorbericht an. Er enthält bereits alle grundlegenden Aussagen in gedrängter Form.“ Er nahm eine Folie von seinem Arbeitstisch und übergab sie dem Kommandanten. John Cork ließ sich in einem Sessel nieder und begann zu lesen, Morgan sah ihm über die Schulter. ‐ vorläufige auswertung unter berücksichtigung aller neu eingegebenen fakten. die mit dem mond, der jetzt den planeten garal umkreist, in das System gekommenen lebewesen (mimikryten), wurden nach ankunft des ersten irdischen schiffes durch sensoranlagen aus ihrem zustand der suspendierten animation geweckt, nach heimlicher erkundung der neuen gegebenheiten (unauffällige mischung unter die menschen in nachgeahmten körpern) ergriffen sie maßnahmen, die ihnen ein verlassen des Systems ermöglichen sollten. da sie das grundlegende bestreben haben, die gestalt anderer Intelligenzen anzunehmen, wurden alle 20.000 mimikryten daraufhin zu menschen umgeformt, gleichzeitig wurde eine anlage in betrieb genommen, die alle menschen auf garal in einen zustand der körperlichen und geistigen reduzierung versetzte, (einzelheiten dazu auf folgenden detailfolien.) sie selbst besaßen bereits hochwertige transmitteranlagen. die erhaltenen kenntnisse über die Positionen der vor 350 Jahren bereits von menschen besiedelten weiten bestimmten ihr weiteres vorgehen. endauswertung aller fakten in kurzform: die mimikryten haben sich nach abschluß ihrer Vorbereitungen (dauer mangels ausreichender Informationen nicht bestimmbar) über mondtransmitter auf mindestens einen von menschen bewohnten planeten begeben, zweitausend zu menschen umgeformte exemplare wurden in anlagen auf garal zurückgelassen, zweck: erneutes eingreifen für den fall des eintreffens weiterer menschen (wie im fall arlene bereits geschehen). Wahrscheinlichkeit dieser aussage beträgt 95,863 prozent. begründung und weitere zusatzaussagen werden auf noch folgenden detailfolien gegeben, ende. ‐ John Cork lehnte sich wie betäubt in seinem Sessel zurück. Was der Bordrechner hier in dürren Worten von sich gegeben hatte, übertraf seine schlimmsten Befürchtungen!
Erst nach einer langen Pause bedrückten Schweigens ergriff Dr. Mathieu wieder das Wort. „Etwas Erfreuliches gibt es für uns allerdings auch, Captain. Bereits auf der nächsten Folie wird ausgesagt, daß mit einer Rückkehr der Harkolter nach Garal nicht mehr zu rechnen ist. Der Comp gibt dafür ebenfalls eine hohe Wahrscheinlichkeit, obwohl es seiner Ansicht nach in den subplanetaren Anlagen noch einen Transmitter der Fremden geben müßte.“ Der Kommandant fuhr hoch. „Damit dürfte er verdammt recht haben, Doc! Als wir im Labyrinth waren, hatten wir noch nicht die geringste Ahnung, wie ein Transmitter der Mimikryten aussieht. Vielleicht haben wir ihn mitzerstört, vielleicht aber auch nicht. Wir sollten schleunigst nachsehen.“ „Das kann ich übernehmen“, erklärte Carl Morgan. „Boris Wlassow und einige weitere Spezialisten könnten mich begleiten; außerdem van Sprengel, er kennt sich in den Räumen schon aus. Ich glaube allerdings nicht an eine akute Gefahr, Captain. Jetzt sind bereits dreihundertfünfzig Jahre vergangen, ohne daß die Mimikryten wieder hier aufgetaucht sind.“ Paul Mathieu nickte. „In dreieinhalb Jahrhunderten kann viel geschehen. Für jeden Transmitter gibt es eine bestimmte Justierung, und diese kann längst in Vergessenheit geraten sein. Im übrigen erscheint es mir doch etwas zweifelhaft, ob die Harkolter überhaupt ihr Ziel erreicht haben. Wenn 18.000 dieser Wesen auf einer besiedelten Welt aufgetaucht wären, hätte das doch ein ziemliches Aufsehen erregen müssen. Gab es zu dieser Zeit eigentlich bei uns schon Transmitter?“ John Cork nickte. „Doch, es gab sie schon. Der erste Prototyp wurde um 2100 von dem Physiker Reinecker fertiggestellt und in kurzer Zeit serienreif. Sie dürfen auch nicht vergessen, daß die Plasmawesen sozusagen Spezialisten im Unterwandern anderer Rassen sind. Der Gefangene hat ausgesagt, daß sie alle Planeten des Plejadensektors beherrschten – und das bereits vor zweitausend Jahren! Ich will ja nicht unken, aber ich bin auf so ziemlich alles gefaßt.“ Er wandte sich an den Ersten Offizier. „In Ordnung, Carl, trommeln Sie die erforderlichen Männer zusammen. Es ist schon spät, die Bautrupps müssen bald zurückkehren. Setzen Sie sich am besten gleich mit Mall in Verbindung, damit jemand draußen bleibt, der Ihnen den Eingang zur großen Kaverne öffnet. Falls Sie etwas von Belang finden, unterrichten Sie mich sofort über Funk.“ Carl Morgan eilte hinaus. Der Kommandant wartete noch das Ausdrucken einiger Folien ab, die ihm aber keine neuen Erkenntnisse brachten. Er bat Mathieu, ihm eine stichwortartige Zusammenstellung der wichtigsten Daten anzufertigen und verließ dann ebenfalls den Computerraum. Er kam gerade zur Rückkehr der Beiboote vom Mond zurecht. „Wir haben zwei wichtige Feststellungen gemacht“, berichtete Dr. Rappan. „Der innere Trabant ist tatsächlich fremd in diesem System. In den Bodenproben haben wir einige Elemente gefunden, die einer Sonne vom Spektraltyp A zuzuordnen sind, keinesfalls aber einem roten Stern der Klasse M. Das Wichtigste sind aber zweifellos die Überreste technischer Anlagen auf beiden Polen des Mondes. Sie sind zwar
weitgehend zerstört, aber wir haben doch herausgefunden, daß es sich um riesige Strahlenprojektoren gehandelt haben muß.“ Der Captain lächelte resigniert. „Vor ein paar Stunden wäre das noch sensationell gewesen, Doc, aber inzwischen wissen wir schon alles aus erster Hand. Einer der Mimikryten hat bestätigt, daß diese Wesen aus den Plejaden gekommen sind, die Projektoren waren eine Art Feldantrieb für den ganzen Mond. Trotzdem meinen besten Dank für Ihre gute Arbeit.“ Zwei Stunden später kehrte auch der Trupp Carl Morgans aus der Anlage der Mimikryten zurück. „Der Computer hatte wirklich recht, Sir“, meldete der Erste Offizier. „In der Kaverne gab es einen Transmitter, allerdings nur eine kleine Ausführung. Er hat vermutlich nur der Verbindung zu den Anlagen auf dem Mond gedient. Er wird allerdings nie mehr funktionieren, denn viel ist von ihm nicht übriggeblieben. Er befand sich mitten zwischen den Schaltelementen, die während Ihrer ersten Exkursion in das Labyrinth zerstört wurden.“ John Cork atmete auf. „Wenigstens ein Trost, Carl. Jetzt wissen wir definitiv, daß wir hier auf Garal sicher sind, was auch anderswo geschehen sein mag oder noch geschehen wird. Wir können also in Ruhe die beabsichtigten Projekte in Angriff nehmen.“ * Die Arbeiten gingen zügig voran. Als eine Regenperiode eintrat, waren die Häuser der Siedlung und alle übrigen Anlagen bereits fertig. Der Exodus der Besatzung aus der AR‐LENE begann. Fast alle Frauen hatten inzwischen Partner gefunden, so daß John Cork zuvor noch eine Massentrauung von sechzig Paaren vollziehen konnte. Auch er selbst wurde von Carl Morgan mit Anne Young getraut und bezog mit seiner jungen Frau das für ihn vorgesehene Haus. Trotzdem verbrachte er ebenso wie ein Großteil der Spezialisten die meiste Zeit noch im Schiff. Nur dort gab es alles, was ein wirklich rationelles Arbeiten an den verschiedenen noch laufenden Projekten ermöglichte. Doch immer häufiger fanden sich auch Bewohner von Garal in der ARLENE ein. Sie wurden durch Hypnoschulung zu vollwertigen Menschen gemacht. Dafür profitierten diejenigen Besatzungsmitglieder, die als zukünftige Farmer vorgesehen waren, auch von ihrem Wissen. Ihre Kenntnisse wurden auf Hypnobändern gespeichert und weitergegeben. Schon einige Tage später gingen sechzig Männer und zwanzig Frauen nach Garal, um sich dort auch die nötige Praxis im Ackerbau und im Umgang mit Vieh anzueignen. Inzwischen beschäftigten sich die Techniker bereits damit, die nötigen Spezialfahrzeuge zu bauen, die ihnen später ihre Arbeit erleichtern sollten. Doch es gab auch eine Reihe von Spezialisten verschiedener Art, für die sich kein Betätigungsfeld fand. Zu ihnen gehörte auch der Astro‐Geologe Juan Lopez, der eines Morgens John Cork um eine Unterredung bat.
„Es behagt mir absolut nicht, untätig herumzusitzen, Captain! Die Erkundung des Planeten ist abgeschlossen, unser ganzes Team dreht jetzt nur noch die Daumen. Ich habe Ihnen schon früher einmal gesagt, daß mich der sogenannte Berg der Götter wegen seiner sonderbaren Form interessiert, die überhaupt nicht in das hiesige Landschaftsbild paßt. Ist es Ihnen recht, wenn ich ihn mit ein paar Männern näher in Augenschein nehme? Ich habe Dr. Mbunga bereits dafür interessiert, er will auch mitmachen.“ Der Kommandant schmunzelte. „Warum so viele Worte, Juan? Selbstverständlich erhalten Sie die Erlaubnis. Ihnen steht alles zur Verfügung, was Sie benötigen.“ Der Wissenschaftler dankte und ging schon am nächsten Tage daran, seine selbstgestellte Aufgabe in Angriff zu nehmen. Welche Lawine er damit auslösen sollte, konnten weder er noch der Captain ahnen… Der Berg der Götter befand sich zwischen den ersten Ausläufern des nahen Gebirgszugs. Er war nicht sonderlich hoch und besaß die Form eines Kegels. Seinen Namen hatte er schon vor langer Zeit von den Nachkommen der ersten Siedler erhalten. Warum er so hieß, wußte jetzt niemand mehr zu sagen. Er galt irgendwie als tabu, keiner der Einheimischen hatte sich je in seine Nähe gewagt. Nandu Der Wissende kannte noch alte Sagen, die sich mit diesem Berg beschäftigten, und hatte zu John Cork davon gesprochen. Dabei war die Rede von irgendwelchen alten Göttern gewesen, die sich angeblich vor langer Zeit auf diesen Berg zurückgezogen haben sollten. Das hatte aber so vage und nebulös geklungen, daß der Captain sich nicht weiter darum gekümmert hatte. Lopez, Mbunga und vier Männer ihres Teams brachen am frühen Morgen auf. Als Fahrzeug benutzten sie einen Lastenschweber, auf dessen Ladefläche das übliche Arbeitsgerät mitgeführt wurde. Sie brauchten nur wenige Minuten, um das Ödland zwischen dem Fluß Gar und dem Berg zu überqueren. Dort gingen sie auf einem freien Platz nieder, luden ihre Geräte aus und begannen mit den üblichen Routinemessungen. Der Berg der Götter war nicht viel höher als zweihundert Meter und etwa bis zur halben Höhe mit sparlichem Pflanzenwuchs bedeckt. Von da an stiegen seine Wände so steil auf, daß sich an ihnen kein Humus und damit auch keine Gewächse mehr halten konnten. Nur große Vögel hatten hoch oben in Nischen ihre Nester gebaut. Von der Annäherung der Menschen aufgeschreckt, kreisten sie nun mit schrillen Schreien um die Bergkuppe. Außerdem sahen die Männer in einiger Entfernung ein kleines Rudel gefährlich wirkender, wolfsartiger Raubtiere zwischen den Büschen des Ödlandes, die sich aber nach einiger Zeit entfernten. Dr. Mbunga blickte nachdenklich nach oben. „Sie haben recht, Juan“, meinte er dann. „Dieser Kegel paßt einfach nicht zwischen die langgestreckten und relativ zerklüfteten Formationen der Umgebung. Ich möchte fast sagen…“ Ein aufgeregter Ausruf eines Mitarbeiters unterbrach ihn. Der Mann starrte verwundert auf seine Instrumente, zu denen auch ein Hohlraumtaster gehörte. „Sehen Sie sich nur einmal diese Echos an, Doc. Entweder spielt der Taster total verrückt – oder der Berg ist hohl!“
Mbunga schüttelte ungläubig den Kopf und begab sich mit Lopez zum Fahrzeug zurück. Gleich darauf umringten alle sechs Männer das Gerät. Es wurde abgeklopft, mehrmals aus‐ und eingeschaltet, aber das verblüffende Ergebnis blieb. Es änderte sich auch nicht, als das Reserveinstrument in Betrieb genommen wurde. Ein Defekt konnte also nicht vorliegen. „Das ist ja toll!“ sagte Juan Lopez, dessen wissenschaftliche Wißbegier nun erst richtig erwacht war. „Verdammt, sollten wir hier tatsächlich eine Erklärung für die seltsamen Reden des alten Nandu finden?“ „Keine voreiligen Schlüsse, Juan“, warnte der Afrikaner. Er wandte sich an die anderen Männer. „Bringen Sie das Gerät wieder auf den Schweber. Wir werden den Berg umfliegen und von allen Seiten Kontrollmessungen vornehmen. Erst dann können wir etwas Endgültiges sagen.“ Eine halbe Stunde später stand es fest: Der Berg der Götter war tatsächlich hohl! Eine Steinwand von nur wenigen Metern Dicke umgab einen Hohlraum, der direkt am Fuß des Berges begann und sich bis dicht unter seine Kuppe erstreckte. Weitere Testes zeigten das Vorhandensein größerer Metallmassen in seinem Innern an, und nun gab es für Dr. Mbunga kein Halten mehr. Während sich die anderen in wilden Spekulationen ergingen, nahm er über das Funkgerät des Schwebers Verbindung mit der neuen Funkstation in der Siedlung auf. John Cork befand sich noch in seinem Haus, als er von Herb Sheer unterrichtet wurde. Er beorderte Carl Morgan und Dr. Rappan zu sich und flog mit ihnen hinaus zum Geo‐Team. Dieses war inzwischen nicht untätig geblieben. Ein wahres Entdeckungsfieber hatte die Männer gepackt und sie laufend neue Messungen vornehmen lassen. Als der Kommandant aus seinem Gleiter sprang, eilte ihm Dr. Mbunga bereits entgegen. „Eine wirklich sensationelle Sache, Sir!“ sprudelte er hervor. „Dieser Berg ist wirklich hohl, und wir haben inzwischen auch einen Eingang in seinen Innenraum ausfindig gemacht. Er liegt an seinem Fuß auf der Gebirgsseite und ist total zugewachsen. Es dürfte aber keine allzugroßen Schwierigkeiten machen, ihn wieder freizulegen.“ Der Captain lächelte unwillkürlich über den Eifer seines früheren Gegenspielers. „Mit etwas Ähnlichem habe ich schon gerechnet, Doc. Ich habe deshalb bereits Bob Mall informiert, der mit einem Spezialfahrzeug nachkommt. Gedulden wir uns also noch eine Weile.“ „Rechnen Sie damit, hier auf weitere Anlagen der Mimikryten zu stoßen, Sir?“ fragte einer der Männer beklommen. John Cork schüttelte den Kopf. „Das auf keinen Fall, Mister Simonsen. Da drinnen dürfte es eher etwas geben, das ich unbewußt schon seit langer Zeit vermißt habe. Nein, fragen Sie nicht weiter – bald schon werden wir es sehen.“ Eine Viertelstunde später war auch der Ingenieur mit einem Räumfahrzeug zur Stelle. Juan Lopez bezeichnete ihm genau die Stelle, an der sich der vermutliche Eingang befand, und gleich darauf wurde mit der Arbeit begonnen. Eine viele Meter dicke Schicht aus Pflanzen, Erde und Geröll mußte weggeräumt werden, bis endlich ein kurzer Tunnel freigelegt war. Er war quadratisch mit einer Kantenlänge von je drei Metern und endete vor einem mit einer dicken Schicht aus korrosionsfestem
Kunststoff überzogenen Tor. Dann sahen die Männer ungläubig auf die in diese Masse eingebrannten Schriftzeichen: ERRICHTET 2127 ‐ZUTRITT NUR FÜR MENSCHEN! stand dort in altenglischer Sprache. „Das stammt von den ersten Siedlern von Garal!“ flüsterte Dr. Mbunga ehrfürchtig. „Doch was soll der Satz ,Zutritt nur für Menschen’ bedeuten? Haben die Erbauer wirklich gemeint, daß sie die Harkolter dadurch abschrecken könnten?“ Der Kommandant zuckte mit den Schultern. „Das wohl kaum, Doc. Vermutlich haben sie irgendwelche Sicherungen eingebaut, die über lange Zeit hinweg funktionieren und jeden vernichten, der bestimmte Voraussetzungen nicht erfüllt. Dann muß es aber auch einen bestimmten Hinweis geben, welcher Art diese Vorrichtungen sind! Wenn die Plasmawesen auch bei einer Verwandlung in Menschen deren Oberflächenwissen mit übernehmen, so bleibt ihnen doch eine Menge von Informationen verschlossen, die ihr Vorbild besaß. Richtig – da ist noch ein kleines Schild mit einer weiteren Inschrift: ,6. August 1945 – was und wo?’…“ Die Männer schwiegen und starrten grübelnd vor sich hin. Was da von ihnen zu wissen verlangt wurde, war wirklich eine harte Nuß, denn dieses Datum lag schließlich schon runde 530 Jahre zurück! Nur jemand, der sich wirklich genau in der Geschichte der Erde auskannte, konnte wissen, was sich gerade an diesem speziellen Tage ereignet haben mochte. „Ich hab’s, Sir!“ platzte Carl Morgan schließlich heraus. „Dieser Tag leitete das Ende des letzten großen Krieges auf Terra ein – an ihm fiel die erste Atombombe auf eine Stadt in Japan…“ Er verstummte erschrocken und wich zurück. Aus einem verborgenen Lautsprecher klang eine kratzige Stimme in Altenglisch auf: „Information wird als ausreichend anerkannt. Abwehranlage hat sich automatisch abgeschaltet – willkommen, Menschen der Erde, in der letzten Zuflucht der Verdammten von Garal!“ Mit einem leisen Schnarren glitt das Tor zur Seite und gab den Weg in den Berg der Götter frei. Dumpfe, abgestandene Luft schlug den Männern entgegen, und sie sahen im schwachen Schein aufblendender Leuchtflächen einen riesigen Körper vor sich. Mit fast ehrfürchtigen Mienen starrten sie auf das Raumschiff, das auf seinen gewaltigen Heckflossen vor ihnen stand. John Cork atmete tief auf. „Mit diesem Schiff sind die ersten Menschen vor dreihundertfünfzig Jahren auf diese Welt gekommen. Versuchen wir, den Weg hinein zu finden – dann werden wir wohl erfahren, was sich wirklich damals hier ereignet hat!“ 9. Eine Stunde später wimmelte es um den Kegelberg herum nur so von Menschen. Der Kommandant hatte alle vermutlich kompetenten Techniker und Wissenschaftler dorthin beordert. Als er dann an ihrer Spitze den Hohlraum betrat, erhielt er den Beweis, daß auch von
Menschen geschaffene Einrichtungen unbeschadet viele Jahrhunderte überstehen konnten. Im Unterteil des alten Schiffes glitt eine Luftschleuse auf, und eine Trittrampe senkte sich dem Boden entgegen. Das Oberteil des Raumers verlor sich im Ungewissen Dämmerlicht, schien aber äußerlich unbeschädigt zu sein. John Cork wankte dem Ersten Offizier, Dr. Rappan und Bob Mall, ihm zu folgen. „Kommen Sie, wir haben nichts zu befürchten. In diesem Schiff kann niemand mehr leben, aber seine Automatik funktioniert noch. Ich bin sicher, daß sie uns die nötigen Informationen geben wird, nachdem sie uns bisher als Zutrittsberechtigte anerkannt hat.“ Sie mußten einen langen Weg zurücklegen, bis sie endlich die Kommandozentrale erreicht hatten. Der Raumer besaß zwar bereits Antigravschächte, doch ihre Stromversorgung war außer Betrieb. Es brannte nur eine Notbeleuchtung, die wohl von langlebigen Zerfallsbatterien versorgt wurde, und in ihrem Schein erklommen die Männer die schmalen Treppengänge. Ziemlich außer Atem kamen sie schließlich oben an und betraten die Zentrale. Bei ihrem Eintritt flammte die volle Beleuchtung auf, und gleichzeitig wurde ein weiteres Tonband angefahren: „Willkommen in der Zentrale der FIREBIRD! Sie hören die Stimme von Captain Ward Ferguson, der das Unglück hatte, dieses Schiff ungewollt bis nach Garal zu bringen. Ob es mir und den wenigen normal gebliebenen Männern wirklich gelungen ist, den Fremdwesen ein Schnippchen zu schlagen, weiß ich nicht, ich kann es nur hoffen. Folgen Sie bitte den laufend angebrachten Leuchtpfeilen bis in die Medostation und bringen Sie nach Möglichkeit auch einen Arzt mit. Falls Sie dort nichts mehr ausrichten können, werden Sie im Bordbuch einen ausführlichen Bericht finden.“ „Einen Arzt?“ fragte Dr. Rappan nachdenklich. „Ob das etwa bedeuten soll…“ Er unterbrach sich, denn der Kommandant hörte ihm gar nicht zu. Er beschäftigte sich bereits mit dem Hauptschaltpult der Zentrale. Hier war zwar alles anders als in der weit moderneren ARLENE, doch es gab Beschriftungen neben den Schaltern, die ihm halfen, sich zurecht zufinden. Plötzlich ertönte weiter unten im Schiff ein deutlich wahrnehmbares Brummen, und gleich darauf erwachten zahlreiche Instrumente zum Leben. Ein kleiner Konverter war angelaufen, und John Cork schaltete die Energieversorgung der Antigravschächte ein. Dann griff er nach dem mitgebrachten Funkgerät und rief nach Dr. Singh. Der Chefarzt trat kaum eine Minute später zusammen mit Anne Cork aus dem zentralen Antigravschacht. Er begann sofort zu fragen, aber der Captain winkte nur kurz ab. Er setzte sich in Bewegung und ging voran, den auf dem Tonband erwähnten Markierungen nach. Sein Gesicht zeigte keine Regung, obwohl er von einer fast unerträglichen Spannung erfüllt war. Die Worte Captain Fergusons ließen eigentlich nur eine bestimmte Deutung zu, aber er wollte keine voreiligen Hoffnungen wecken. Das Schiff war alt, und selbst sein Kommandant hatte mit der Möglichkeit einer Panne gerechnet. Die Medostation befand sich auf demselben Deck. Ihr Eingang öffnete sich sofort nach Betätigung des Kontaktknopfes, auch hier funktionierte die Stromversorgung
wieder. Die sechs Personen bekamen allerdings keine Zeit, sich näher umzusehen, denn schon lief ein neues Tonband an. „Öffnen Sie die zweite Tür rechts. Achten Sie auf die Kontrollanlage, die sich unmittelbar dahinter befindet. Sie ist mit dem Türmechanismus gekoppelt; wenn sie noch funktioniert, werden Sie das an einem Blinkzeichen erkennen. Erschrecken Sie bitte nicht, wenn Sie in den Lebenserhaltungssystemen in diesem Raum drei Zwerge finden. Sollten wir wieder ins Leben zurückgerufen werden können, werden wir Ihnen die Erklärung dafür geben. Wenn nicht, sorgen Sie bitte für eine Überführung unserer Körper zur Erde. Ward Ferguson – Ende.“ Nun war es heraus, und die junge Frau krallte unbewußt ihre Finger in den Arm ihres Mannes. „Das haben sie freiwillig auf sich genommen?“ flüsterte sie tonlos. „Sie hätten draußen auf dem Planeten weiterleben können. Statt dessen haben sie ihre Körper einer Automatik anvertraut ohne zu wissen, ob sie je wieder aus dem Kälteschlaf erwachen würden!“ Sie gingen weiter, und John Cork öffnete mit bebenden Fingern die angegebene Tür. Der Raum dahinter war dunkel, aber eine kleine rote Lampe blinkte in kurzen Intervallen. Die Kontrollautomatik funktionierte also noch. Die Hand des Captains fand den Lichtschalter, und flackernd erhellten sich die Leuchtflächen unter der Decke. Ihr Licht fiel auf drei transparente sargähnliche Behälter, von relativ primitiven Anlagen zur Unterkühlung umgeben. Darin lagen lang ausgestreckt die Körper von drei nackten Männern. „Sie sind tatsächlich Zwerge geblieben“, meinte Dr. Singh fasziniert. „Das ist darauf zurückzuführen, daß ihre Lebensfunktionen auf Null reduziert sind, also auf die inzwischen erfolgte Veränderung nicht ansprechen konnten. Das ist auch gut so! Andernfalls wären die Sensorkontakte von ihren Körpern gerissen worden, und dann hätte sie niemand mehr aufwecken können…“ John Cork und Bob Mall untersuchten bereits die Kühlanlagen, die nach dem zwar längst veralteten, aber einfachen und sehr sicheren Ammoniak‐ Absprptionsverfahren arbeiteten. Bei allen drei Behältern war der Kreislauf noch intakt, die Thermometer zeigten exakt null Grad an. Der Ingenieur nickte befriedigt. „Hier ist mit einfachen Mitteln etwas geschaffen worden, das tatsächlich die Jahrhunderte überdauert hat. Vom rein technischen Standpunkt aus müßten die drei Männer ohne Komplikationen wieder aufzuwecken sein.“ Der Kommandant nickte aufatmend. „Ich verlasse mich ganz auf Ihr Urteil, Bob. Rufen Sie alle Männer zu Hilfe, die Sie benötigen – Sie auch, Doc. Jetzt darf es einfach keine Panne mehr geben!“ * „Höchstens eine halbe Stunde, Captain!“ sagte der Chefarzt kategorisch. „Die Männer sind jetzt zwar wieder ins Leben zurückgekehrt, aber naturgemäß noch sehr schwach. Ein so langer Kälteschlaf muß einfach entsprechende Spuren hinterlassen.“ „Das geht in Ordnung, Doc“, versicherte John Cork. „Ich habe inzwischen natürlich
den Bordbuch‐Recorder der FIREBIRD abgehört und aus ihm schon vieles erfahren. Jetzt will ich ihnen lediglich meine Glückwünsche aussprechen und nach einigen Dingen fragen, die trotzdem noch unklar sind.“ Als er den Krankenraum betrat, waren seit der Auffindung der drei Männer mehr als vierundzwanzig Stunden vergangen. Man hatte bei ihrer Wiedererweckung sehr langsam vorgehen müssen, jeder Übereifer hätte ihr Leben kosten können. Als sich ihre Lebensfunktionen wieder eingestellt hatten, waren sie in noch bewußtlosem Zustand in die Medostation der ARLENE gebracht worden. Nur dort gab es alle erforderlichen Hilfsmittel, die auf den neuesten Erfahrungen auf dem Gebiet der Kryologie basierten. Vorsichtig dosierte Medikamente und Stärkungsmittel hatten den Kreislauf der Schläfer inzwischen voll normalisiert und sie erwachen lassen. Erschüttert sah der Captain auf die Männer, die blaß und abgezehrt in ihren Betten lagen. Er begrüßte sie und stellte sich vor. Dann wandte er sich Captain Ferguson zu, einem schlanken, rothaarigen Mann in seinem Alter. „Sie haben ein großes Wagnis auf sich genommen, Sir, aber es hat sich schließlich doch gelohnt. Verzeihen Sie mir, daß ich schon jetzt komme, um Sie mit Fragen zu belästigen. Mich treibt allein die Sorge um die Menschen hier auf Garal und natürlich draußen in der Milchstraße.“ Ward Ferguson lächelte und nickte schwach. „Da gibt es nichts zu verzeihen, John – ich darf Sie doch so nennen? Schließlich ähnelt Ihr Schicksal dem unseren, und ohne Ihre Hilfe wären wir vielleicht nie mehr ins Leben zurückgekehrt. Fragen Sie nur, ich werde Ihnen alles sagen, was ich weiß und was Ihnen von Nutzen sein kann.“ Als Dr. Singh nach genau einer halben Stunde mahnend in der Tür erschien, hatte sich das Bild für den Captain gerundet. Seine Besorgnis war noch größer geworden, aber er hatte sorgfältig darauf geachtet, sie vor den Rekonvaleszenten zu verbergen. Dafür berief er umgehend eine Konferenz der Teamleiter der ARLENE ein. Sie fand in der verwaisten Schiffszentrale statt. „Ich will es kurz machen, meine Herren. Die FIREBIRD gehörte zu den ersten Schiffen, die Transmitteranlagen auf neue Welten bringen sollten, um die interstellaren Verbindungen auf eine neue Basis zu stellen. Sie besaß noch ein Transitionstriebwerk anstelle der heute verwendeten Überlichtanlagen. Ihr Ziel war das Wegasystem, nur siebenundzwanzig Lichtjahre von der Erde entfernt, doch ein technischer Fehler verschlug sie bis in diese Gegend. Das Haupttriebwerk brannte dabei aus, eine Rückkehr zur Erde war damit unmöglich geworden. Auch die beiden mitgeführten Transmitter konnten diese große Entfernung nicht überbrücken. Es blieb Captain Ferguson also weiter nichts übrig, als sich in diesem Sektor nach einer Welt umzusehen, auf der er mit seinen Leuten leben konnte. Seine Wahl fiel auf Garal. Die Landung hier bereitete Schwierigkeiten, denn auch das Normaltriebwerk war in Mitleidenschaft gezogen worden. Das eigentliche Ziel weiter im Norden des Kontinents wurde nicht erreicht, das Schiff ging nahe der heutigen Stadt nieder. Sie wurde von der Besatzung – es waren einhundertzwanzig Männer und achtzig Frauen – aus den Fertigbauteilen errichtet, die für Wega VI bestimmt gewesen
waren. Außerdem waren auch Nutztiere und Saatgut für künftige Siedler an Bord, so daß für die Gestrandeten eine gute Lebensgrundlage bestand. Das alles geschah im Jahre 2125, und mehr als ein Jahr lang ging alles gut. Die unfreiwilligen Siedler lebten sich ein, legten Felder an und sorgten dafür, daß ihr Vieh sich vermehrte. Damals waren die entsprechenden Kenntnisse noch weiter verbreitet als heute. Doch im zweiten Jahr begann das Verhängnis. Automatdetektoren hatten die Ankunft des Schiffes registriert, und eine Anzahl von Mimikryten wurde aus dem Schlaf geweckt. Sie verließen ihr Versteck unter dem Großen Grasfleck und gingen daran, die Menschen auszukundschaften. Vermutlich nahmen sie zuerst die Gestalt von Tieren an. Später beseitigten sie einige Männer und Frauen und nahmen unerkannt deren Stelle ein. Ihre Fähigkeit, zugleich auch einen Teil des Wissens der Personen aufzunehmen, die sie kopierten, war ihnen dabei eine große Hilfe. Captain Ferguson und seine Leute blieben bis zuletzt ahnungslos. Selbst sein Stellvertreter war eine Kopie – er war monatelang täglich mit ihm zusammen, ohne daß er auch nur den geringsten Verdacht geschöpft hätte! So fiel es den Harkoltern nicht schwer, alles herauszufinden, was sie wissen wollten. Das Schiff war für sie nutzlos, aber in bezug auf Transmitter kannten sie sich aus. Sie beschafften sich die Justierungsdaten der bereits mit Empfangsanlagen versehenen Kolonialplaneten, und alles Weitere war für sie ein Kinderspiel. Sie bauten schließlich die Reduzierungsstrahler, und als die Menschen in Garal eines Morgens erwachten, waren sie zu Zwergen geworden, denen der größte Teil ihrer Geisteskräfte abhanden gekommen war. Die Parallele dazu haben wir ja selbst erlebt. Allerdings blieben auch damals dreißig Menschen von der geistigen Reduzierung verschont, darunter der Kommandant, ein Arzt und einige Techniken. Als sie ihre erste Verwirrung überwunden hatten, stellten sie fest, daß sich immer noch einzelne normal große Männer in der Stadt befanden. Das waren die harkoltischen Doppelgänger, die nun ihre Maske fallenließen. Sie machten sich geradezu ein Vergnügen daraus, Ferguson über ihre weiteren Pläne zu unterrichten, denn von den größtenteils verdummten Siedlern konnte ihnen keine Gefahr drohen. Ich versprach vorhin, es kurz zu machen, also will ich alle nicht unbedingt nötigen Details weglassen. Es steht jedenfalls fest, daß nach und nach 18.000 Mimikryten durch die Mondtransmitter nach Sidonia im Kapellasystem gingen, zweiundfünfzig Lichtjahre von der Erde entfernt! Die anderen hier auf Garal blieben sozusagen als Wächter zurück. Soweit die dürren Tatsachen.“ John Cork lehnte sich zurück und zündete sich eine Zigarette an. Die anderen saßen schweigend da, sie mußten das Gehörte erst einmal verarbeiten. Schließlich meldete sich Dr. Jordan und fragte: „Sie meinen also, es wäre den Mimikryten damals gelungen, die Menschen auf Sidonia auszuschalten und den Planeten in ihren Besitz zu bringen? Wie verträgt sich das aber mit der Tatsache, daß heute im Kapellasystem immer noch Menschen leben, eine ganze Milliarde sogar?“ Dr. Dombrowski lachte bitter auf. „Sagten Sie eben Menschen…? Es sind Harkolter in menschlicher Gestalt, darauf halte ich jede Wette! Und das dürfte nicht nur auf Sidonia so sein, sondern bereits auf einer ganzen Reihe anderer Planeten. Vergessen Sie nicht, daß die Plasmaten über
dreihundert Jahre Zeit hatten, die Menschheit zu unterwandern. Durch das interstellare Transmitternetz konnten sie in Nullzeit auf jede beliebige Welt gelangen, um dort nach bewährtem Muster weiterzumachen!“ Dr. Rappan nickte, sein Gesicht unter dem ergrauten Haar war bleich. „Ich fürchte auch, daß es so ist, meine Herren. Vielleicht nicht ganz so schlimm, wie Dr. Dombrowski meint, aber immer noch schlimm genug. Die vielen Milliarden Menschen auf jetzt bereits zweihundertachtzig vollbesiedelten Welten vollkommen durch ihre Ableger zu ersetzen, wäre wohl auch für sie zuviel gewesen. Es sollte mich aber gar nicht wundern, wenn heute die Harkolter überall in den Regierungen und Schlüsselstellungen sitzen und auf diese Weise die Terra‐Union beherrschen!“ Das war eine bedrückende Vision, aber vieles sprach dafür, daß es sich tatsächlich so verhielt. Auch der Kommandant teilte diese Auffassung, aber er bemühte sich, die anderen aus der Depression zu reißen, die sie zu beherrschen drohte. „Zunächst möchte ich Ihnen noch mitteilen, wie die FIREBIRD in den Berg der Götter gekommen ist. Die Mimikryten hatten Captain Ferguson mitgeteilt, daß die geistige Resistenz gegenüber der Reduzierungsstrahlung nicht erblich sei. Schon die Kinder der dreißig Normalgebliebenen würden sich in bezug auf Intelligenz nicht mehr vom Gros der Zwerge von Garal unterscheiden. Wenn also später einmal andere Menschen hier ankamen, mußten sie vor einem unlösbaren Rätsel stehen. Dieses Wissen bedrückte Ferguson immer mehr. Die Harkolter verschwanden wieder, er hatte jedoch keine Zeit, sich darum zu kümmern, wo sich ihre Nachhut aufhalten mochte. Zusammen mit den anderen Normalen brachte er das Leben in der Stadt wieder in Gang, so gut es eben ging. Dann aber faßte er einen Plan. Er sagte sich, daß eventuell später ankommende Menschen unbedingt stutzig werden mußten, wenn sie zwar die Stadt fanden, nicht aber sein Schiff. Deshalb brachte er die FIREBIRD an ihren jetzigen Standort und errichtete mit seiner kleinen Schar von Helfern in jahrelanger mühevoller Arbeit den Kegelberg über ihr. Das war ein gutes Versteck, aber doch nicht zu gut. Wenn jemand intensiv danach suchte, mußte er es auch finden! Wären wir in der ersten Zeit nicht sosehr mit den bekannten Problemen beschäftigt gewesen, wäre uns das zweifellos schon erheblich früher gelungen. Später ging der Captain noch weiter. Unter Anleitung des Bordarztes bauten die Techniker die Unterkühlungssysteme sowie die Abwehranlagen am Eingang zum Berg. Dann, gingen Ferguson, der Arzt Dr. Honold und der Ingenieur Filipov freiwillig in die Kühlbehälter. Die anderen kehrten in die Stadt zurück und sorgten dafür, daß den Reduzierten das Leben erleichtert wurde. Nach ihrem Tode gerieten die Schläfer in Vergessenheit. Nur noch eine Sage blieb übrig, die sie zu Göttern erhob, die in den Berg gegangen wären. Nein, warten Sie noch“, wehrte er ab, als sich daraufhin die ersten Männer erhoben. „Da ist noch etwas, an das bis jetzt hoch keiner von uns gedacht hat. In der FIREBIRD gibt es noch immer die beiden alten Transmitter! Gegenüber den heutigen Anlagen sind sie geradezu lächerlich primitiv, aber sie enthalten etwas, das uns sehr fehlt: gut erhaltene Schwingkristalle, mit denen wir unseren Transmitter wieder betriebsklar machen können!“
* „Meinen Sie, daß Ihr Plan aufgehen wird, John?“ erkundigte sich Ward Ferguson. Die beiden Männer standen in der Luftschleuse der ARLENE und sahen zur Siedlung hinüber. Dort war gerade das erste Vieh eingetroffen, wurde aus dem Lastenschweber getrieben und in ein abgezäuntes Stück des Großen Grasflecks gebracht. Seit der Auffindung der FIREBIRD war ein Monat vergangen. Die drei Männer aus den Kühlbehältern hatten sich gut erholt und inzwischen die Größe normaler Menschen wiedererlangt. Hypnokurse hatten ihnen alles nötige Wissen vermittelt, so daß sie sich in nichts mehr von den anderen unterschieden. John Cork nickte. „Ich bin davon überzeugt, Ward. Die technischen Voraussetzungen sind geschaffen, die übrigen Vorbereitungen fast abgeschlossen. Wenn auch die Heiler soweit sind, kann das Unternehmen starten.“ „Was sagt die Opposition?“ fragte Ferguson lächelnd. Cork zuckte mit den Schultern. „Sie ist erheblich zusammengeschmolzen, ganz wie ich es erwartet hatte. Die meisten haben inzwischen eingesehen, daß es einem Selbstmord gleichkäme, die Kristalle in den Hyperantrieb der ARLENE einzusetzen und mit ihr zur Erde zu fliegen. Die Harkolter würden uns zwar landen lassen, aber dann wären wir schon so gut wie tot!“ Ward Fergusons Gesicht verdüsterte sich. „Dieses Schicksal hätte Ihnen mit Sicherheit bevorgestanden. Ich habe die Mimikryten gut genug kennengelernt – ihnen ist so etwas wie Humanität vollkommen fremd! Ehrlich gesagt, Ihr Vorhaben gefällt mir auch nicht, John. Warum wollen Sie etwas riskieren, wenn es gar nicht nötig ist? Wir können nirgends sicherer sein als hier auf Garal.“ John Cork schüttelte den Kopf. „Das hieße den Kopf in den Sand stecken, Ward. Ich muß einfach Gewißheit haben, wie es draußen auf den anderen Planeten aussieht. Erst dann kann ich entweder aufatmen oder aber Pläne für die Zukunft machen, die eines fernen Tages ihre Früchte tragen sollen.“ „Das hast du gut gesagt“, klang hinter den Männern die Stimme von Anne Cork auf. Die Ärztin kam heran und schmiegte sich in den Arm ihres Mannes. „Ich will dir sagen, daß das Training der Heiler abgeschlossen ist. Gernal, Kerpan und Bosko sind jetzt imstande, auch ohne körperlichen Kontakt so etwas wie einen geistigen Block zu bilden, der sie die Gedanken anderer klar erkennen läßt. Regia wollte unbedingt auch dabei sein, aber der Meister hat es ihr ausgeredet.“ „Das hätte Carl Morgan auch gar nicht gern gesehen“, meinte der Kommandant. Jetzt, wo die Zeit des Wartens vorüber war, erwachte seine Tatkraft wieder. „Gut, ich werde sofort das Einsatzkommando zusammenrufen. Auf Sadir IV muß jetzt gerade der Abend angebrochen sein, also können wir in etwa vier Stunden aufbrechen.“ Zwei Stunden später starteten zwei Gleiter zum Berg der Götter. Außer den drei Heilern befanden sich noch John Cork, Dolf van Sprengel und Boris Wlassow an Bord. Diese sechs Männer wollten es wagen, per Transmitter auf den Planeten der Sonne Sadir zu gehen, der seltsamerweise keinen Eigennamen trug wie sonst alle von Menschen bewohnten Welten.
Nach langem Überlegen hatte man sich entschlossen, das Unternehmen von der FIREBIRD aus zu starten. Falls es mißlang und im Gegenzug Mimkryten nach Garal gelangten, konnten sie nicht weit kommen. In diesem Fall würden besondere Detektoren, nach Gernais Angaben eingestellt, sofort die Abwehranlagen in Tätigkeit treten lassen, die auch jetzt noch einwandfrei funktionierten. Notfalls konnte sogar der ganze Berg der Götter in die Luft gesprengt werden. Die Männer betraten das Schiff und schwebten durch den Hauptschacht zum Magazinraum, in dem der Transmitter installiert war. Sie trugen neutrale, der derzeitigen Mode auf Sadir IV entsprechende Anzüge, die eigens für dieses Unternehmen angefertigt worden waren. Ihre losen Jacken verbargen die Waffen, die sie griffbereit trugen, und andere spezielle Hilfsmittel. Eine Gruppe von Technikern erwartete sie bereits. „Alles in bester Ordnung, Sir“, meldete Bob Mall dem Captain. „Der Konverter ist frisch aufgefüllt, seine Energie reicht für hundert Transmitterreisen. Auch die Sonderschaltung ist angebracht, es kann also kaum etwas schiefgehen.“ Trotzdem überzeugte sich Wlassow selbst von seinen Angaben, denn hier kam es auf höchste Präzision an. Es war alles andere als einfach, Transmitter ohne einen regulären Transportvorgang sozusagen anzuzapfen. Falls es dabei zu einer Überschneidung mit einer anderen Station kam, konnten sich die Männer in ihre Atome auflösen, ohne wieder materialisieren zu können. Deshalb hatte man auch die Zeit so gewählt, daß auf Sadir IV gerade Mitternacht war. Um diese Stunde gab es in den meisten Transmitterzentralen kaum Betrieb. Schließlich war auch der Transmitterspezialist zufrieden. „Wir werden die Frequenz benutzen, die normalerweise für die Station von Algib III vorgesehen ist“, erklärte er. „Wir haben sie erst vor einem Jahr installiert, und die paar tausend Leute dort werden sie relativ selten benutzen. Achtung, ich nehme jetzt einen Probedurchgang vor.“ Er schaltete mit geschickten Fingern, und zwischen den beiden Torsäulen baute sich leise zischend das Transportfeld auf. Von den Schwingkristallen ausgehend, zuckten zwei bläulich schimmernde Energiesäulen auf und vereinigten sich zu einem Bogen von etwa zwei Meter Durchmesser. Wlassow sah auf die Anzeigen und nickte befriedigt. „Kontakt!“ meldete er knapp und warf ein Taschentuch in das Transmitterfeld. Es verschwand augenblicklich, und schon nahm er die Umkehrschaltung vor. Im nächsten Moment erschien das Tuch wieder, und fast gleichzeitig brach auch der Torbogen zusammen. Boris Wlassows breites Gesicht verzog sich zu einem zufriedenen Grinsen. „Hat bestens geklappt, Sir! Ich bin davon überzeugt, daß kein Mensch auf Sadir IV gemerkt hat, daß wir eben illegal einen doppelten Transport bewerkstelligt haben.“ John Cork lächelte schief. „Mensch oder Harkolter – das ist hier die Frage… Das waren aber nur ein paar Sekunden – bei uns wird es wesentlich länger dauern!“ Der Spezialist winkte ab. „Das dürfte ziemlich gleich sein, Sir. Um diese Zeit sitzt dort nur ein Techniker vor den Kontrollen, und mehr als zwei Augen hat auch der nicht, wenn es ein Pseudo‐Mensch ist. Wollen wir wetten?“
„Wette angenommen“, sagte Dolf van Sprengel „Vielleicht hat er auch noch eins am Hinterkopf, um die Anlagen besser beobachten zu können. Den Mimikryten traue ich alles zu.“ Zwischen den beiden Männern entwickelte sich ein scherzhaftes Wortgeplänkel, und der Kommandant ließ sie gewähren. Auf diese Weise verging nicht nur die Wartezeit schneller, sondern auch die Stimmung wurde aufgelockert. Er selbst zündete sich eine Zigarette an und rauchte langsam vor sich hin. Die Glimmstengel wurden in der ARLENE hergestellt und waren frei von schädlichen Stoffen, obwohl sie wie echter Tabak schmeckten. Auch Bob Mall und seine Männer beteiligten sich an der ablenkenden Unterhaltung. Nur die Heiler saßen ruhig da, und es hatte den Anschein, als ob sie intensiv mit dem Training ihrer Paragaben beschäftigt wären. Vermutlich war das auch wirklich der Fall, aber natürlich fragte sie niemand danach. Dann war es endlich soweit. John Cork erhob sich und gab den anderen einen Wink. Mall zog sich mit seinen Technikern in einen Nebenraum zurück, um dort Wache zu halten. Dann schaltete der Transmitterspezialist, und die sechs Männer traten in rascher Folge paarweise in das Transmitterfeld. * Übergangslos kamen sie in der Gegenstation heraus. Sie befanden sich nun in der Kabine eines Personentransmitters. Sie war nach vorn hin offen und gab den Blick in eine weite Halle frei, an deren Wänden zahlreiche gleichartige Kabinen standen. Mit einem raschen Blick stellte der Captain fest, daß im Augenblick keine der Anlagen in Betrieb war. Sein Hauptaugenmerk galt jedoch dem hufeisenförmig angelegten Schaltpult mitten im Raum. Dort saß ein Mann in Technikerkombination. Er wandte ihnen den Rücken zu, hatte den Kopf auf die Arme gelegt und schlief. „Schöne Dienstauffassung!“ flüsterte van Sprengel, während Wlassow das Transportfeld abschaltete, die Anlage aber in Betriebsbereitschaft ließ. Geräuschlos bewegten sich die Männer auf das Schaltpult zu, und plötzlich packte Gernal John Cork am Arm. „Es ist ein Mimikryt!“ raunte er ihm zu. „Obwohl er schläft, kann ich die fremdartige geistige Aura deutlich spüren. Sonst scheint sich niemand in dem Gebäude aufzuhalten.“ Der Kommandant nickte und gab den anderen das verabredete Zeichen. Also doch! dachte er, während er in seine Jacke griff und einen kleinen Nadler schußbereit machte. Im gleichen Moment hob der Mann den Kopf und öffnete die Augen. Er brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, aber dann war er hellwach. „Kontrollkommission!“ sagte John Cork scharf, der nun schon bis auf drei Meter an ihn herangekommen war. „Schlafen im Dienst – das wird Konsequenzen nach sich ziehen. Sie sind einer von uns?“ „Natürlich“, stotterte der Plasmat mit denselben Zeichen von Schuldbewußtsein wie ein echter Mensch. Doch plötzlich weiteten sich seine Augen, und er fuhr zusammen.
„Sie sind Menschen!“ rief er panikerfüllt aus und griff unter das Pult, aber der Captain kam ihm zuvor. Mit leisem Zischen entlud sich seine Waffe, und eine kleine Kapsel drang in die rechte Wange des Fremden. Dort platzte sie und gab ein konzentriertes Medikament frei, das augenblicklich zu wirken begann. Der Mimikryt sank in seinen Sitz zurück, die Hand mit der Strahlwaffe fiel schlaff herab. Die Waffe polterte auf den Boden, aber der Pseudo‐Mensch merkte nichts mehr davon. Mit vollkommen abwesendem Blick sah er auf die sechs Männer, und nun begann John Cork zu fragen. Die Antworten kamen im monotonen Tonfall des Willenlosen, aber ohne jedes Zögern. Fünf Minuten später wußten die sechs Männer alles, und ihre Gesichter waren bleich geworden. Alle von Menschen bewohnten Welten des Spiralarms befanden sich fest in der Hand der Harkolter! Sidonia im Kapellasystem war ihre Hauptwelt und wurde ausschließlich von ihnen bewohnt. Von dort aus hatten sie sich unaufhaltsam weiter verbreitet, ohne je einen nennenswerten Rückschlag zu erleben. Ihre zweite Bastion war die Erde, der Mittelpunkt der terranischen Sphäre. Dort gab es keinen wichtigen Menschen mehr, der nicht durch einen Mimikryten ersetzt worden war. Nicht viel anders sah es auf den übrigen Planeten aus. Die Plasmawesen saßen in sämtlichen Schlüsselstellungen und kontrollierten praktisch alles. In erster Linie natürlich die Transmitterverbindungen, die sie selbst bis zur Perfektion verbessert hatten, denn sie ermöglichten ihnen ein müheloses Vordringen. Schon mit den ersten Siedlern kamen auch sie auf jede neu erschlossene Welt. Wie viele Menschen sie im Verlauf dieser Entwicklung ermordet und durch Kopien ersetzt haben mochten, ließ sich auch nicht annähernd abschätzen. „Und für diese Scheusale haben auch wir gearbeitet!“ sagte Boris Wlassow tonlos. „Mit jedem Transmitter, den ich aufgebaut habe, habe ich ihnen geholfen… Das ist zuviel!“ Er griff nach seiner Strahlwaffe, aber Dolf van Sprengel war schneller. Er hielt seine Hand mit eisernem Griff fest, und John Cork nickte ihm zu. „Wir müssen uns beherrschen, wenn es auch schwerfällt. Der Tod dieses ,Mannes’ würde viel Aufsehen erregen, und eben das können wir uns nicht leisten. Unsere Mission hier ist beendet, wir können uns auf den Rückweg machen.“ Er griff in die Tasche und holte eine Injektionspistole hervor. Geräuschlos entleerte sich der Inhalt einer kleinen Phiole in den Hals des Mimikryten, der schon Sekunden später wieder einschlief. Nach seinem Erwachen würde er sich an nichts mehr erinnern können, das hatten Singh und Dombrowski dem Captain versichert. Amnesin war eine Droge, die auch auf ein Plasmawesen wirken mußte, das menschliche Gestalt besaß. Der Captain sorgte dafür, daß alles wieder so war, wie sie es bei ihrem Eintreffen vorgefunden hatten. Der Strahler des Harkolters kam wieder an seinen Platz, die kleine Wunde auf seiner Wange hatte sich längst geschlossen. Auch der mißtrauischste Beobachter konnte nun nicht mehr feststellen, daß jemand heimlich auf Sadir IV gewesen war. Das galt auch für den Transmitter, den die Männer benutzt hatten. Ganz ließen sich die Spuren nicht verwischen, denn es hatte einen Energieverbrauch gegeben, der
bestimmt von den automatischen Überwachungsanlagen registriert worden war. Doch es kam, wenn auch relativ selten, immer einmal vor, daß unkontrolliert durchschlagende Hyperenergien die Geräte beeinflußten. Wlassow wußte nicht nur das, sondern auch, wie er durch eine geschickte Manipulation ein solches Ereignis vortäuschen konnte. Er hatte sich wieder gefangen, seine Finger arbeiteten sicher und geschickt. Dann schaltete er die Anlage wieder ein, und die sechs Männer traten den Rückweg an. Als sie wohlbehalten wieder im Berg der Götter ankamen, atmeten sie auf. Die Mimikryten hatten Garal inzwischen vergessen, das wußten sie nun aus absolut sicherer Quelle. Doch wie sollte es nun weitergehen…? * Diese Frage beschäftigte John Cork wochenlang. Als er dann glaubte, die richtige Lösung gefunden zu haben, berief er eine Vollversammlung der Besatzung und der Heiler ein. Auch Ferguson und seine Gefährten aus der FIREBIRD waren zugegen, ebenso Nandu Der Wissende als Vertreter der alten Stadt. Schmerz stand in seinen Zügen, als er sagte: „Die Menschheit draußen auf den anderen Welten wird von den Mimikryten beherrscht, ohne es zu ahnen. Sie ist hilflos, noch viel hilfloser, als wir es im Zustand der doppelten Reduzierung waren. Nur wir allein hier auf Garal sind noch frei – ironischerweise gerade auf dem Planeten, von dem aus die Harkolter vor dreihundertfünfzig Jahren die Unterjochung begonnen haben! Doch wir sind insgesamt nur tausend Menschen, eine lächerlich geringe Minderheit. Wir allein wissen, was sich ereignet hat, aber wir können dieses Wissen nicht an die Menschheit weitergeben. Wir besitzen ein Schiff und Transmitter, aber ihre Benutzung verbietet sich von selbst. Einmal ist es gutgegangen, aber es wäre vermessen, auch in Zukunft auf solche Glücksfälle zu zählen. Wir werden uns wohl oder übel damit abfinden müssen, für den Rest unseres Lebens hier auf Garal zu bleiben.“ Ward Ferguson nickte. „Das wäre wirklich das Vernünftigste, John. Die drei Heiler haben bestätigt, daß die Mimikryten in ihrem Machtrausch sogar ihre Gefährten hier vergessen haben. Ein besseres Versteck für uns kann es kaum geben.“ „Das können wir nicht tun!“ protestierte Dr. Dombrowski in heller Empörung. „Sollen wir uns hier verstecken und in Sicherheit wiegen, während anderswo viele Milliarden Menschen durch die Harkolter versklavt werden? Wir sollten zu ihnen gehen und sie aufklären, damit sie sich gegen die Unterdrücker erheben!“ Einige zustimmende Rufe wurden laut, doch die Gesichter der meisten Anwesenden blieben pessimistisch. Nun hob Nandu Der Wissende die Hand. „Unbesonnenheit führt leicht ins Verderben“, erklärte er ruhig. „Was wäre mit einem solchen Versuch gewonnen? Nichts – denn die Menschen auf den anderen Welten wüßten gar nicht, wen sie eigentlich bekämpfen sollten! Die Fremden leben jetzt schon seit Jahrhunderten unter ihnen und haben sich restlos angepaßt Sie wissen genau, was sie tun müssen, um nicht erkannt zu werden. Wahrscheinlich würde man uns nicht einmal glauben, Doc.“
„Das ist sogar zu befürchten“, stimmte ihm Captain Cork zu. „Wenn Sie nichts von Mimikryten wüßten, würden Sie vermutlich nur milde lächeln, wenn jemand käme und behauptete, ihr Nachbar oder Vorgesetzter wäre nur die Kopie eines Menschen! Selbst wir könnten nur warnen, aber keinem sagen, wie er einen Harkolter von einem echten Mann unterscheiden soll. Das können nur die Heiler mit ihren Paragaben, aber es gibt nur eine Handvoll von ihnen. Nein, wir müssen weiter denken!“ Er hob seine Stimme. „Wir werden also genau das tun, was uns die Vernunft gebietet: hier auf Garal bleiben. Das heißt aber nicht, daß wir untätig sein sollen. Wir werden etwas tun, aber nicht leichtfertig und überhastet, sondern nach einem klaren, langfristigen Konzept. Die Grundlage dafür können wir schaffen, indem wir zunächst einmal die kleinen Probleme des täglichen Lebens meistern. Die Bewohner der alten Stadt werden uns dabei helfen. Schon jetzt hat sich ihr Niveau durch die Hypnoschulungen dem unseren angeglichen, erste Verbindungen zwischen Männern und Frauen beider Seiten bahnen sich an. Und auch das ist ein Faktor, der nicht zu unterschätzen ist! Die Rate positiver geistiger Mutationen hier auf Garal ist auffallend hoch. Dr. Singh meint, daß das irgendwie auf die Reduzierungsstrahlung zurückzuführen ist. Auch wir waren ihr ausgesetzt, wenn auch nicht sehr lange. Wahrscheinlich aber doch lange genug, um gleichfalls in dieser Hinsicht beeinflußt worden zu sein. Wir können also damit rechnen, daß es in spätestens zwei Generationen hier schon eine große Anzahl von Mutanten geben wird. Heute sind es nur zwanzig, aber dann werden es schon Hunderte sein!“ Er machte eine Pause und trank einen Schluck Kaffee, wobei er zufrieden registrierte, daß seine Worte die Männer und Frauen stark beeindruckten. Dann fuhr er fort: „Wir werden dafür sorgen, daß nichts von unserem Wissen verlorengeht, sondern sorgsam weitergegeben wird. Wir werden es sogar noch ergänzen, indem wir in bestimmten Abständen Männer durch unsere Transmitter auf andere Welten schicken, die dort Mimikryten aushorchen, wie wir es bereits getan haben. So kann hier unbemerkt eine freie, zu einem Großteil parapsychisch begabte Menschheit heranwachsen. Und einmal – vielleicht erst in hundert oder mehr Jahren – kann sie dann von Garal aus aufbrechen, um gegen die Macht der Harkolter anzugehen.“ Er erhielt starken Beifall, aber sofort meldete auch Dr. Jordan seine Bedenken an. „Der Teufel schläft bekanntlich nie, wie das alte Sprichwort sagt, Captain. Sadir IV ist nur siebzig Lichtjahre entfernt, also kann eines Tages eines unserer Schwesternschiffe auch hier auftauchen! Sie werden uns und die ARLENE mit Sicherheit finden – was soll dann geschehen?“ John Cork lächelte, aber es war ein hartes Lächeln. „Auch dem werden wir zu begegnen wissen, Doc. Schon in den nächsten Tagen wird sich ein Kommando von Technikern in das Labyrinth unter uns begeben. Das Gerät, das die Reduzierungsstrahlen aussandte, ist nur beschädigt, aber nicht ganz zerstört! Die Technik der Harkolter ist uns fremd, aber mit Hilfe unseres Computers werden wir auch dieses Aggregat enträtseln können. Sollten wirklich andere Menschen hier eintreffen, werden wir sie vorübergehend der Strahlung aussetzen, um sie dann auf
unsere Seite ziehen zu können. Ihr personelles und technisches Potential wird uns oder unseren Nachkommen eine willkommene Verstärkung sein.“ Dr. Rappan hob die Hand, aber der Kommandant kam ihm zuvor. „Ich weiß, was Sie jetzt sagen wollen, Doc! Sie denken daran, daß diese Besucher die ARLENE entdecken würden, die jetzt bestimmt schon als überfällig gemeldet ist. Das wird aber nicht geschehen. Wir werden dem Beispiel Captain Fergusons folgen, das Schiff ebenfalls von hier wegbringen und einen zweiten ,Berg der Götter’ errichten! Auf ähnliche Weise werden wir auch die Industrieanlagen tarnen, die uns Waffen für ein späteres Vorgehen gegen die Harkolter liefern sollen. Die Bodenschätze des ganzen Planeten stehen uns zur Verfügung, und wir haben Beiboote und Männer, die sie suchen und heranschaffen können. Eine Raumsonde, die weitab von Garal kreisen wird, wird als Warner dienen, sobald wirklich ein Raumschiff hierher kommt. Das wären die wichtigsten Probleme, die wir in nächster Zeit zu meistern haben. Zweifellos wird es noch mehr davon geben, aber irgendwie werden wir sie bewältigen. Wir, oder vielleicht auch erst unsere Nachkommen – welche Rolle spielt das schon? Auf jeden Fall wird eines Tages von Garal aus der Kampf gegen die Mimikryten beginnen, davon bin ich überzeugt!“ John Cork lehnte sich zurück, von begeistertem Beifall umbrandet, der nun spontan aufkam. Er suchte die Augen seiner jungen Frau, und auch aus ihnen sprach Vertrauen und Zuversicht. Er hatte zu den Zwergen von Garal gehört und war durch das Labyrinth des Schreckens gegangen, bis er zum Berg der Götter gekommen war. Nun hatte er den Menschen dieses Planeten den Weg in die Zukunft gewiesen. Es waren nur knapp tausend – aber sie würden die Keimzelle für die Befreiung der Menschheit sein! ENDE