Amore Island – Insel der Lust Holly Jacobs
Tiffany 0959
18/2 2001
gescannt von suzi_kay korrigiert von Katja
1. KAP...
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Amore Island – Insel der Lust Holly Jacobs
Tiffany 0959
18/2 2001
gescannt von suzi_kay korrigiert von Katja
1. KAPITEL Laut fluchend raste Jack Templeton die Stufen zu Carrie Delanys Apartment hinauf. Carrie und ihre verflixte Unkonventionalität! Musste sich dieses kapriziöse Geschöpf ausgerechnet einen Loft im vierten Stock eines Gebäudes mieten, das keinen Fahrstuhl besaß? "Carrie!" Heftig hämmerte Jack an die Wohnungstür. Bei ihrem Anruf hatte Carrie verlauten lassen, dass sie Probleme hätte und dringend seine Hilfe benötige. Oh ja, und dass er sich bitte beeilen solle. Während der ganzen viertelstündigen Hetzjagd durch den Stadtverkehr hatte Jack sich den Kopf zermartert, was für ein Problem es dieses Mal war. "Bin ja schon da!" Die Tür ging auf. Carries Pferdeschwanz hatte sich gelöst. Blonde Haarsträhnen hingen in sämtliche Richtungen. Carrie trug einen schäbigen Morgenmantel, unter dem sein altes Football- Trikot hervorlugte - ein Trikot, das sie sich zu High-School-Zeiten ausgeliehen und einfach behalten hatte. Wann immer Jack sich nach dem T-Shirt erkundigte, bekam er zu hören, es sei schmutzig und dass er es selbstverständlich nach der nächsten Wäsche zurückerhielte. Seitdem waren zehn Jahre vergangen.
"Geht es dir gut?" Jack trat ein. Er warf die Tür ins Schloss, legte seine Jacke auf dem nächstbesten Stuhl ab und nahm auf der Couch Platz. "Du bist ein bisschen grün um die Nase." "Wundert dich das? Diesmal habe ich es gründlich vermasselt!" In Carries Stimme schwang Resignation mit. "Wieso passieren solche Dinge immer mir? Du lieber Himmel, ich bin achtundzwanzig Jahre alt! Ich habe einen gut bezahlten Job. Ich entwerfe dieses Kleid für Jaycee Smith - du weißt schon, für diese Preisverleihung in Tennessee. Eloise war fast noch aufgeregter als ich. Ich wollte dich heute Abend zum Feiern in den Country Club einladen." Carrie sank neben Jack auf die Couch. "Das war allerdings vor diesem jüngsten Fiasko." Es war zum Haareraufen! Leicht entnervt zog Carrie das Gummiband aus ihrer derangierten Frisur. Zarte blonde Strähnen umrahmten die fein geschnittenen Gesichtszüge und fielen ihr bis auf die Schultern. Mit den zerzausten Strähnen wirkte sie ungezähmt sinnlich und zugleich rührend unschuldig. "Jack, warum manövriere ich mich ständig in die unmöglichsten Situationen? Ich meine, ich bin doch auch nicht anders als der Rest der Menschheit. Ich lebe gesund, ich nehme jeden Tag meine Vitaminpillen und jogge sonntags meine fünf Meilen." Bei dieser dreisten Behauptung zog Jack die Augenbrauen hoch. Er hatte Carrie auf mehr als einer dieser "Joggingrunden" begleitet. Carrie klimperte unschuldig mit den Wimpern. "Okay, Einstein. Dann gehe ich eben schnell..." "Und pausierst unterwegs bei jedem Hot-Dog-Stand, Doughnut-Laden und Süßigkeitenverkäufer." Klugerweise ließ Carrie sich auf keine Diskussion ein. "Immerhin bewege ich mich. Außerdem ist das gar nicht der springende Punkt. Ich bin weder dumm noch hilflos. Und trotzdem gerate ich immer in Schwierigkeiten."
"Was ist es diesmal?" Jack war nicht in der Stimmung für weitschweifige Erklärungen. Gelegentlich erlaubte er Carrie, ihm langatmig ihr Leid zu schildern. Dafür fehlte ihm heute die Geduld. "Das hier." Mit großartiger Geste zog Carrie den Morgenrock beiseite und legte schwungvoll die Beine auf den Couchtisch. Statt zart gebräunter Haut sah Jack ... Glibber? "Verdammt, Carrie! Was zur Höl..." Rechtzeitig unterbrach er sich. Carrie runzelte missbilligend die Stirn. Er versuchte es erneut. "Was zum Henker hast du angestellt?" Carrie war ebenso impulsiv wie temperamentvoll. In ihrer Spontaneität handelte sie erst und dachte an die Konsequenzen später. Carries kleine Katastrophen waren oft nervenaufreibend, dafür aber immer äußerst originell. In Carries Augen glitzerten Tränen. "Ich will nächstes Wochenende an den Strand fahren." Offenbar war sie der Ansicht, damit sei alles erklärt. "Und?" Mitgefühl erwachte in Jack. "Und ich will keine haarigen Beine haben. Ich bin blond, Jack! Sollte man da nicht meinen, meine Beinhaare seien so dünn und fein wie die auf meinem Kopf? Aber nein! Ich rasiere sie mir morgens, und zur Dinnerzeit zeigt sich ein Fünf-UhrBartschatten! Wie peinlich!" Hektisch durchwühlte Carrie die Taschen ihres Morgenmantels und schniefte dramatisch. Jack verstand den Hinweis. Zuvorkommend reichte er Carrie ein blütenweißes Taschentuch, woraufhin diese sich undamenhaft laut die Nase schnauzte. "Du hast dir also deine Beine enthaart. Wo liegt das Problem?" Aus den Tiefen seines einst blütenreinen Taschentuchs kam ein unterdrücktes Schluchzen. "Es tut höllisch weh." Sie bekam einen Schluckauf - ein kleiner Nebeneffekt bei ihren theatralischen Auftritten.
"Beim ersten Wachsstreifen war ich noch mutig. Aber jetzt kann ich mich nicht dazu überwinden, auch noch die restlichen Streifen zu entfernen. Den ganzen Nachmittag sitze ich schon hier und versuche es. Jack, ich schaffe es einfach nicht!" "Deswegen hast du mich angerufen? Weil ich das für dich erledigen soll?" Jacks Lippen zuckten verräterisch. "Kein Grund zur Aufregung. Es ist nur halb so schlimm wie damals, als du mir den Klassenring besorgen solltest." Gerne hätte Jack diese ruhmreiche Episode in die Untiefen seines Gedächtnisses verbannt. Seinerzeit hatte Carries Welpe, Muffin, den Ring verspeist. Laut Versicherung des Tierarztes sollte das gute Stück irgendwann auf natürlichem Weg wieder zum Vorschein kommen. Fast eine volle Woche lang durfte Jack Muffins Hinterlassenschaften durchsieben, weil Carrie behauptet hatte, diese Aufgabe sei nichts für zarte Gemüter. Und ihre Eltern, an Carries Eskapaden gewohnt, hatten ihr schlichtweg ihre Hilfe verweigert. "Immerhin hast du ihn schließlich gefunden", sagte Carrie triumphierend. "Du hast den Ring sogar für mich sauber gemacht." Ein schelmisches Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Fast war dieses Lächeln die Episode mit Muffin wert. Aber nur fast. "Wozu eigentlich? Getragen hast du den Ring nie wieder!" "Hättest du das getan?" Aus dramatischen Schluchzern wurde ein fröhliches Lachen. So war das mit Carrie: ihre Stimmungen wechselten schlagartig. Nie wusste Jack, woran er mit ihr war. Jede ihrer Begegnungen war eine Achterbahn der Gefühle. Nur mit Carrie zusammen fühlte Jack sich derart lebendig. "Du denkst also, Flüssigwachs sei erträglicher als Muffins ..." Blindlings tappte Carrie von einem Fettnäpfchen ins nächste, und stets erwartete sie, dass Jack ihr wieder hinaushalf. Bei ihr
kam er sich vor wie die Kreuzung aus Supermann und einem Hofnarr. "Für dich schon. Für mich nicht." Ungerührt platzierte Carrie ihr rechtes Bein auf seinen Schoß. "Vielleicht ist es am einfachsten, wenn wir unsere Unterhaltung fortsetzen und du das Zeug abziehst, wenn ich es am wenigsten erwarte ... Autsch!" Empört hob sie das Bein von Jacks Schoß und begutachtete es. "Das tat weh!" War das etwa seine Schuld? Jack warf den mit Wachs und Haaren bedeckten Papierstreifen auf den Couchtisch. "Du hast gesagt, ich soll den Streifen abreißen, wenn du es am wenigsten erwartest." "Konntest du mich nicht vorwarnen? Ich hasse Überraschungen!" Jack legte sich Carries Bein wieder auf den Schoß. Mit dem Daumen rieb er sacht über die gerötete Haut. "Erinnerst du dich, als du zehn Jahre alt warst und glaubtest, du könntest fliegen?" Stöhnend ließ Carrie sich in die Polster sinken. "Viel hat nicht gefehlt." "Ja, dein Sprung von der Leiter war eine Superidee. Nur die Baumelei vom Basketballkorb wirkte etwas unprofessionell." "Ich wollte nicht hinunterfallen und mir wehtun." "Also hast du nach mir geschrien, damit ich dir zu Hilfe eile." Jack riss einen zweiten Wachsstreifen ab. Carrie schnappte nach Luft. "Aua! Ich hätte dich damals fester treten sollen!" "Danke, es reichte. Dein Karatetritt hat mir die Brille zerschmettert." Wieder riss Jack einen Streifen ab. "Hey! Das war zu schnell! Ich konnte mich ja kaum von dem letzten Schmerz erholen!" "Reg dich ab. Wir sind fast fertig mit diesem Bein." Zart massierte Jack die nun samtweiche Haut. "Und, was gibt's sonst Neues?"
"Seit wir gestern telefoniert haben?" Carrie setzte einen möglichst unbeteiligten Gesichtsausdruck auf. "N ichts Besonderes. Ach ja, ich habe Ted den Laufpass gegeben." Endlich eine gute Nachricht! Jack hatte den Typ nie gemocht. Ted besaß einen verschlagenen Blick und die nervige Angewohnheit, mit Carries Haaren zu spielen. Jack wusste nicht wieso, aber allein die Erwähnung von Teds Namen brachte ihn regelmäßig zur Weißglut. Geflissentlich ignorierte Jack die Tatsache, dass er selbst dem guten Ted keine Träne hinterherweinte, und bemühte sich um ein paar teilnahmsvolle Worte. "Das tut mir Leid. Ihr seid fast ein Jahr lang miteinander gegangen. Was ist passiert?" "Gestern Abend beim Dinner ging mir auf, dass es mit Ted und mir niemals funktionieren würde." Carrie war abgelenkt. Den nächsten Wachsstreifen bemerkte sie überhaupt nicht. "Weswegen?" erkundigte sich Jack. "Wir hatten beide Fettuccini bestellt." Eigentlich sollte Jack inzwischen Carries verworrene Gedankengänge kennen. Er selbst war Anwalt und somit gewohnt, sich durch Berge von Informationen zu wühlen, um irgendwann auf den Kern der Wahrheit zu stoßen. Doch bei Carries seltsamer Logik verlor er regelmäßig den Faden. "Und?" "Und mir wurde klar: wenn ich mit dir essen gewesen wäre, hättest du Shrimps bestellt." Das stimmte. Allerdings erklärte das noch lange nicht die Trennung von Ted. "Das verstehe ich nicht." "Wenn du die Garnelen nimmst, stibitze ich immer ein paar von deinem Teller. So bekomme ich das Beste von beidem meine Fettuccini und deine Shrimps. Genau wie bei unseren Kinoabenden. Ted hat nie Gummibärchen gekauft, deswegen musste ich sie mir selbst holen. Zusammen mit Popcorn und der Lakritze sah ich aus wie ein Vielfraß." In schneller Folge löste Jack zwei weitere Streifen ab.
"Aua!" Empört funkelte Carrie ihn an. "Das macht dir anscheinend Spaß, was?" Jack hob ihr linkes Bein ebenfalls auf seinen Schoß. "Ted wurde also abserviert, weil seine Dinnerbestellung zu wünschen übrig ließ?" Mit hochrotem Gesicht schüttelte Carrie den Kopf. In den Jahren ihrer Freundschaft hatte Jack vieles erlebt. Eine verlegene Carrie gehörte nicht dazu. "Nein, ich habe ihm den Laufpass gegeben, weil mir bei seinem Gutenachtkuss - übrigens einem ziemlich erbärmlichen Kuss - die traurige Wahrheit aufging. Du bist nicht nur der größere Feinschmecker, du küsst auch besser. Nicht, dass ich dich um einen Kuss bitte", fügte Carrie hastig hinzu. "Es ist nur so, dass ich eines Tages einen Mann finden möchte, der so gut küssen kann wie du und der außerdem noch weiß, wie man das richtige Essen bestellt und all das." Mitten im Wachsstreifenentfernen hielt Jack inne. "Los, mach weiter! Diese langsame Wachsfolter ist ja noch unerträglicher... Au!" Schon war es passiert. Carrie schwang das Bein von seinem Schoß und rieb über die neue haarlose Zone. "Verflixt! Wieso müsst ihr Männer keine glatt rasierten Beine haben? Das ist unfair! Vielleicht sollte ich nach Europa auswandern, wo die Frauen auch haarig herumlaufen dürfen!" Jack ignorierte Carries Geschimpfe. Statt deren Auswanderungsplänen interessierte ihn eine andere Sache wesentlich mehr. "Wann hast du mich geküsst?" Sosehr er sich auch den Kopf zermarterte, Jack konnte sich an keinen Kuss erinnern. Carrie hatte ihn getreten, einmal hatte sie ihn in Brand gesteckt, ihn eine geschlagene Unterrichtsstunde im Schließfach eingesperrt, ihn einmal... "Also Jack, ich bin tödlich getroffen! Chemieunterricht in der Oberstufe. Wir gingen zusammen in den Fortgeschrittenenkurs, obwohl ich eine Klasse unter dir war." Jack tappte weiterhin im Dunkeln.
"Ich hatte einige Chemikalien zusammengemixt. Das Ganze flog in die Luft. Bei der Riesenexplosion fiel ich in Ohnmacht. Erst dein Kuss hat mich wieder zum Leben erweckt." Carrie geriet ins Schwärmen. "Das war der wundervollste Kuss, den ich jemals bekommen habe. Damit hast du mich für alle anderen Männer verdorben. Ich war damals ja noch keine begnadete Küsserin. Als du dann auf dem College warst, habe ich mein ganzes Abschlussjahr mit Üben zugebracht und gehofft, wenn du das nächste Mal nach Hause kommst, könnten wir es wieder versuchen." Jack griff sich Carries Bein und riss nacheinander aus Frustration gleich drei Wachsstreifen auf einmal ab. "Hey, das war gemein!" protestierte Carrie. "Das damals war kein Kuss!" stieß Jack zähneknirschend hervor. "Es war Mund-zu-Mund-Beatmung!" So eine Unverschämtheit! Hielt Carrie einen Wiederbelebungsversuch tatsächlich für den besten Kuss, zu dem er imstande war? Und was meinte sie mit "üben"? Erinnerungen an sein erstes Collegejahr stiegen in Jack hoch. Bei jedem Besuch hatten seine Eltern von den netten Jungs geschwärmt, mit denen Carrie ausging. Carrie dagegen hatte keinen dieser angeblich so netten Jungs je erwähnt. Dabei hatte sie die ganze Zeit mit diesen Typen das Küssen geübt! Carrie bemerkte Jacks versteinerte Miene. Sekundenlang schaute sie ihn verdutzt an. Plötzlich musste sie kichern. "Soll das heißen, ich habe mein Abschlussjahr lang pickelige Jungs geküsst, damit ich besser auf deine nächste Mund-zu-MundBeatmung vorbereitet bin?" "Carrie ..." "Ich fand mich schrecklich. Bis Ben Thaker mir sagte, ich sei die Beste gewesen, die er je geküsst hätte. Du erinnerst dich doch an Ben? Der hat jede Menge Mädchen geküsst. Letztendlich kam ich zu dem Schluss, dass ich für dich nur die kleine Göre von nebenan war. So etwas wie eine kleine
Schwester. Außerdem hattest du da schon Patti und anschließend Lynda." Sie dachte kurz nach. "Genau. Danach kam Amy. Im ersten Jahr in der Kanzlei hast du Julie kennen gelernt und später Sandy ..." Carrie brach ab und legte die Hand auf seine. "Entschuldige. Wie auch immer. Irgendwann habe ich aufgegeben." Ihr Lächeln verging kurz, kehrte aber sofort zurück. "Eine gute Entscheidung. Denn du bist der allerbeste Freund, den sich ein Mädchen wünschen kann. Wir gehen zusammen ins Kino, hängen miteinander herum. Du begleitest mich sogar auf meinen sonntäglichen Joggingrunden." "Fressorgien", korrigierte Jack und entfernte den letzten Wachsstreifen. "Junge, das tat weh!" Carrie massierte ihre seidig glatten Beine. "Hoffentlich hält es die nächsten sechs Wochen, wie es auf der Packungsbeschreibung stand, sonst..." Jack blendete ihr Geplapper aus. Er war Carries Teenagerschwarm gewesen? Für ihn war sie stets die kleine Nachbarstochter gewesen. Später wurden aus Nachbarkindern Freunde. Falls Carrie jemals hinter ihm her gewesen war, dann bestimmt nicht besonders entschlossen. Er hatte jedenfa lls nichts davon mitgekriegt. Carrie war seine Freundin. Sie war immer an seiner Seite. Damals wie heute. Manchmal musste sie gerettet werden, manchmal half sie ihm. Auch wenn Jack bezweifelte, dass Carrie ahnte, wie oft sie seine Sorgen vertrieben hatte. Besonders in den letzten Monaten, seit Sandy ... Aus reinem Selbsterhaltungstrieb verbot sich Jack jeden Gedanken an Sandy. Er wollte sich seinem verkorksten Liebesleben nicht stellen. Patti, Lynda, Amy, Julie, Sandy. Die Namensliste bewies, was er schon lange vermutete - er war ein Versager im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht. Fünf Beziehungen seit seiner Collegezeit, und keine davon hatte lange gehalten. Sandy schien endlich die Richtige. Jack wollte sie heiraten und mit ihr eine Familie gründen. Diese Träume
waren mit Sandys Unfall zerbrochen. Kurz danach hatten sich ihre Wege getrennt. "Jack ...", riss Carrie ihn aus seinen Selbstzweifeln. "Ich wollte mir gerade etwas zum Abendessen zubereiten." In ihren Worten schwang eine unausgesprochene Einladung mit. Oder vielleicht war es auch eine Warnung. Jack unterdrückte ein Stöhnen. Carrie und kochen, das passte nicht zusammen. Carrie und Verdauungsstörungen, das passte eher. "Warum führen wir deine wunderbar glatten Beine nicht aus? Ich bestelle auch Shrimps, großes Ehrenwort." Ein Ausdruck purer Erleichterung glitt über ihr Gesicht. Carrie war nicht wilder darauf zu kochen, als er darauf scharf war, eine Probe ihrer armseligen Kochexperimente zu erhalten. "Puh, da bin ich gerade nochmal davongekommen! Danke! Jetzt, wo ich wieder solo bin, stehen mir ohnehin viel zu viele Abende allein am Herd bevor. Ich betrachte es als Anreiz, einen neuen zu finden." "Einen Koch?" "Einen Freund!" Voller Enthusiasmus sprang sie auf. Ihr Morgenrock teilte sich und bot einen großzügigen Blick auf lange, wohlgeformte Beine. Fasziniert musterte Jack die zarten Fesseln, die hübschen Knie, die schlanken Oberschenkel. Eben erst hatte er diese Beine in der Hand gehalten ... Stopp! rief er sich zur Ordnung. Carrie Delany war sein Kumpel! Niemand starrte die Beine eines Kumpels an! Carrie verknotete den Morgenmantel. "Ich mache mich schnell ausgehfein. Schließlich kann ich nicht im Schlabberlook mitkommen." "Ach, sag mal, ist das nicht mein Footballtrikot?" Nachdem sie sich von ihrem Missgeschick erholt hatte, gestattete Jack sich die kleine Neckerei. Der humorvolle Streit um das T-Shirt war
inzwischen ein Ritual. Beide wussten, dass er es nie wieder zurückbekommen würde. Wie aufs Stichwort sah Carrie an sich hinab. Gespielt erstaunt riss sie die Augen auf. "Ach du lieber Himmel! Ja, du hast Recht! Ich würde es dir ja auf der Stelle zurückgeben, aber das Shirt muss dringend in die Wäsche. Nächste Woche bringe ich es dir vorbei." Damit machte sie kehrt und stolzierte zum Umziehen ins Bad. Gebannt hing Jacks Blick an Carries festem Po. Während er ihr nachsah, rieb er sich verstohlen einige Schweißperlen von der Stirn. Ein schlimmer Anfall von Lust, mehr nicht, beruhigte er sich. Eine ganz normale männliche Reaktion. Carrie besaß eine tolle Figur. Sie war höllisch sexy ... Was zum Teufel dachte er da? Carrington Rose Delany war seine beste Freundin. Fast so etwas wie seine Schwester. Sie konnte sich glücklich schätzen, dass sie ihre Kleinmädchenschwärmerei überwunden hatte. Denn er hätte ganz sicher alles vermasselt. Im Vermasseln von Beziehungen war er nämlich Experte. Carrie durchwühlte ihren Kleiderschrank. Dinner mit Jack bedeutete niemals Hamburger und Pommes, also kamen Jeans nicht in Frage. Gut. Carrie machte sich gern fein. Eine Art Berufsrisiko, denn sie arbeitete in einer Nobelboutique. Zum Glück war in der vergangenen Woche das perfekte Kleid für ein Abendessen mit Jack im Laden eingetroffen. Und genau das richtige Outfit für ihr Vorhaben. Wenn man nach der Farbe ging - Eierschale -, sollte es eigentlich jungfräulich wirken. So sah das Kleid auch aus, zumindest auf dem Bügel. Angezogen dagegen ... Lächelnd ließ Carrie das täuschend schlichte Modell über ihren Kopf gleiten und betrachtete sich in dem bodenlangen Spiegel.
Das Kleid im Stil der dreißiger Jahre umgab sie wie eine zweite Haut. Sie fühlte sich extravagant und hocherotisch. Perfekt. Denn heute Abend musste sie überzeugend die Rolle einer Sexbombe spielen, um Jack auszutricksen. Carrie verspürte leichte Gewissensbisse wegen des Täuschungsmanövers. Doch der Zweck heiligte die Mittel. Jack wusste einfach nicht, was gut für ihn war. Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten. Daneben hatte er eindeutig an Gewicht verloren. Und alles wegen Sandy. Er trauerte immer noch seiner gescheiterten Beziehung hinterher. Damit musste endlich Schluss sein! Carrie schob jeden Anflug von Schuldgefühl beiseite und besann sich auf ihren Plan. Alles diente nur Jacks Bestem. Zugegeben, ihr Vorhaben war ein wenig hinterhältig. Dafür gab es eine ganze Reihe mildernder Umstände. Jemand musste endlich frischen Wind in Jacks Leben bringen! In den Tiefen ihres Kleiderschranks fand Carrie hochhackige weiße Pumps und schlüpfte hinein. Sie nahm das Haar zu einem schlichten Chignon zusammen und legte ein dezentes Make-up auf. Jetzt noch schnell Schmuck und ein paar Spritzer Parfüm, und sie war fertig. Alles in nur einer knappen Viertelstunde. Nicht übel! beglückwünschte sie sich, während sie das Zimmer verließ und sich wieder zu ihrem wartenden Freund gesellte. "Fertig!" verkündete sie fröhlich. Jack stieß einen leisen Pfiff aus. Carrie drehte eine Pirouette. "Gefällt es dir? Zum Dinner muss ich besonders gut aussehen. Immerhin bin ich im Moment solo und für alle Angebote offen. Womöglich begegne ich nachher im Country Club dem Mann meiner Träume. Auf jeden Fall möchte ich vorbereitet sein." Eine tiefe Falte erschien über Jacks Nasenwurzel. "Vorbereitet auf was?"
"Auf alles, was kommt. Man weiß nie, was einen erwartet, wenn man das Haus verlässt." Hüftschwingend tänzelte sie zur Tür. "Da stimme ich dir zu. Aber musst du unbedingt so viel nackte Haut zeigen?" Im Garderobenschrank fand Carrie einen langen Seidenschal. "Stell dir bloß vor, falls es mir nicht gelingen sollte, nachher die eine oder andere Verabredung aufzugabeln, muss ich tagelang meine eigenen Kochkünste genießen! Das willst du mir doch nicht zumuten, oder?" Gegen dieses Argument konnte er wenig einwenden. Seufzend verließ er hinter Carrie das Apartment. Sie schloss sorgfältig ab. "Stört dich sonst noch was? Abgesehen von meinem Kleid?" Sie hegte da einen Verdacht. Es gab nur eines, was Jack schon seit Monaten auf der Seele brannte. "Ist es wegen Sandy?" "Nein. Ich bin nur etwas müde." "Natürlich." Hinter einem Lächeln verbarg Carrie ihre Sorgen. Seit der Trennung von Sandy gab es für Jack nur eines: Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit. Nein, das stimmte nicht ganz. Schon seit er vor fünf Jahren seinen Job in der renommierten Anwaltskanzlei Ericson & Roberts angetreten hatte, entwickelte Jack sich zunehmend zum Workaholic. Nach Sandys Auszug jedoch arbeitete er nicht nur ständig, sondern es schien, als gäbe es in seinem Leben nichts anderes als die Arbeit. Jack war zu stur einzusehen, wie dringend er Urlaub brauchte! Viel zu lange hatte Carrie hilflos zugesehen. Was hätte sie auch tun können? Die Flucht in seine Arbeit war Jacks Art, mit der gescheiterten Beziehung fertig zu werden. Jack war ein dreißigjähriger Herzinfarktkandidat. Und sie, Carrie, war das einzige Gegenmittel. Würde er freiwillig Urlaub machen? Niemals. Doch würde er widerstehen können, die Rolle des Helden zu spielen?
Ganz bestimmt nicht! Und Jack würde niemals erfahren, dass es in Wahrheit sie war, die ihn rettete. "Beeilung, mein Großer! Ich verhungere!" Ungeduldig zog Carrie Jack zum Eingang des Bayside Country Clubs. "Hi, Martin", begrüßte sie vergnügt den Ober. "Ah, Mr. Templeton und Carrie. Welch eine Freude." Martin empfing Carrie mit einem formvollendeten Handkuss. "Wir haben leider keine Reservierung, Martin. Das ist ganz allein meine Schuld. Ich wollte für Jack kochen, und das hat den Ärmsten so in Panik versetzt, dass er mich hierher brachte." "Bei uns gibt es immer einen Platz für Sie." Martin geleitete Jack und Carrie durchs Restaurant. An ihrem Lieblingstisch rückte er Carrie einen Stuhl zurecht. "Möchten Sie einen Aperitif vorweg?" "Nein, danke. Essen, Martin. Nur Essen. Das Einzige, was mein gebrochenes Herz heilen kann." "Hat wieder ein Freund dran glauben müssen?" erkundigte sich der Ober bei Jack. "Die Gerüchte besagen, er war kein begnadeter Küsser." Jack erntete einen vernichtenden Blick von seiner Begleiterin. "Gute Küsse sind fast so wichtig wie guter Sex, stimmt's, Martin? Und es kommt noch schlimmer: der Mann hatte keinen blassen Schimmer davon, wie man ein gutes Essen zusammenstellt." "Welch eine Schande! Da wir gerade von einer exzellenten Speiseauswahl sprechen: wie es der Zufall so will, hat Felix eine neue Pasta-Kreation entworfen, die Ihre Sorgen im Nu vertreiben wird." "Ich nehme die Shrimps", warf Jack ein. Martin nickte ihm knapp zu. "Sofort." "Und ich nehme die Fettucini."
Sobald Martin ihnen den Rücken zuwandte, steckte Carrie Jack die Zunge heraus. "Endlich begreift jemand, welch großen Verlust ich erlitten habe." "Carrie, du hast Ted abserviert." Typisch Jack. Selbst eine Trennung ging er logisch an. Dabei kannte das Herz keine Logik. Gefühle ließen sich nicht erzwingen. Und auch nicht einfach abschalten. Eine bittere Lektion, die Carrie schon in der High School lernen musste. Mit seinem Kuss hatte Jack ihr Herz erobert. Plötzlich war er für sie weit mehr als nur ein Nachbarsjunge gewesen. Unglücklicherweise beruhten diese Gefühle nicht auf Gegenseitigkeit. Während Carrie von der großen Liebe geträumt hatte, ging Jack nichtsahnend seinen eigenen Interessen nach. Gleich nach seinem Schulabschluss war er aufs College gegangen, hatte sich in Patti aus der Cheerleader-Truppe verliebt und später in eine endlose Reihe von Nachfolgerinnen. Die Frauen kamen und gingen. Erst die Trennung von Sandy hatte Jack richtig zugesetzt. Dass er niemals über Sandy sprach, war das beste Indiz. Er fraß seinen Schmerz in sich hinein, anstatt die gescheiterte Beziehung aufzuarbeiten. Dabei war Sandy nach Carries Ansicht sowieso nicht die Richtige für ihn gewesen. Doch zu dieser Erkenntnis musste Jack selbst gelangen. Ihr Freund brauchte Zeit und Distanz, keine Vorhaltungen. Genau hier kam Carries Plan ins Spiel. "Die Trennung mag von mir ausgegangen sein. Nichtsdestotrotz ist es ein großer Verlust für mich. Ehrlich gesagt führt Teds Verschwinden sogar zu einem Riesenproblem." "Was für ein Problem?" Geschickt machte Carrie einen Rückzieher. "Vergiss, was ich gesagt habe. Bestimmt hilft mir ein anderer Mann aus. Immerhin hast du behauptet, dieses Kleid sei eine Wucht." "Das habe ich nie gesagt!"
"Du hast es angedeutet. Besser, ich überprüfe selbst, ob mein Kleid die gewünschte Wirkung erzielt. Ich könnte mich in der Bar umschauen, während wir auf unser Dinner warten. In meiner sexy Aufmachung finde ich bestimmt jemanden, der für Ted einspringt." Jack seufzte. Ein sicheres Zeichen seiner Resignation. "Selbstverständlich helfe ich dir, sofern ich es kann." "Ich falle dir so ungern mit solchen kleinen Unannehmlichkeiten zur Last." "Carrie ..." In Jacks Stimme schwang eine deutliche Warnung mit. "Du tust, als sei ich völlig hilflos! Ich bin ein großes Mädchen, Jack. Seit vielen Jahren übrigens. Ich finde schon alleine eine Lösung für mein derzeitiges Dilemma. Genau! Ich gehe nämlich jetzt auf Männerfang!" "Carrie..." Nun kam sie richtig in Fahrt. "Garantiert hätte ich auch das verflixte Wachs allein von meinen Beinen herunterbekommen. In Zukunft werde ich dich mit meinen belanglosen kleinen Problemen nicht mehr belästigen." Jack stieß eine heftige Verwünschung aus. "Carrie! Schieß endlich los!" "Du musst mich nicht gleich anschreien!" Jack entschuldigte sich für seinen scharfen Tonfall. "Ist schon gut." Theatralisch schniefte sie. In typischer Rechtsanwaltsmanier stützte Jack das Kinn auf die gefalteten Fingerspitzen. "Rücke endlich heraus mit der Sprache!" "Erinnerst du dich, als du vorhin vorbeikamst, sagte ich dir, ich würde mir die Beine enthaaren, weil ich dieses Wochenende zum Sonnetanken an den Strand fahre?" Jack nickte. Carrie tupfte sich mit der Serviette ein paar imaginäre Tränen ab. "Siehst du, darum geht's."
"Aber wir haben das Wachs doch von deinen Beinen herunterbekommen", protestierte Jack. "Es geht nicht um das Wachs, sondern um den Strand." "Der Strand?" Allmählich verlor Jack den Überblick. Eire besaß einige der schönsten Strande des Eriesees. Presque Isle, eine Halbinsel mit feinsandigen Stranden und geschützten Buchten, lag nur Minuten vom Stadtzentrum entfernt. Ausnahmsweise hatte Carrie jedoch ein anderes Ziel. Vorsichtig pirschte sie sich an das heikle Thema heran. Denn falls sie einen winzigen Fehler beging und Jack ein Schlupfloch ließ, würde er dies ohne jeden Zweifel nutzen. "Ich brauche ab Samstag unbedingt eine männliche Begleitung. Wüsstest du jemanden?" "Wozu brauchst du einen Mann?" "Weil sie nur Paare an den Strand lassen. " Jack musste lachen. "Honey, wo hast du das denn gehört? Jeder darf auf Presque Isle. Schließlich ist es ein staatlicher Naturschutzpark." "Ich meine doch nicht die Halbinsel! Ich rede von Amore Island. Es liegt vor der Küste von South Carolina. Jodis Reisebüro hatte ein Sonderangebot, und Ted und ich haben gebucht. Jetzt gibt es keinen Ted mehr. Deshalb stecke ich in der Klemme." "Ich fürchte, ich kann dir nicht ganz folgen." Für einen Anwalt war er manchmal ziemlich schwer von Begriff. Bei Verträgen kam er gut zurecht, aber offenbar hatte er bei einer simplen Unterhaltung Schwierigkeiten! Langsam, als spräche sie zu einem Kleinkind, erklärte Carrie: "Das Hotel ist nur für Paare. Ich bin kein Paar. Deswegen lassen sie mich nicht auf die Insel, geschweige denn an den Strand." Jacks Verwirrung wuchs. "Und jetzt soll ich meinen gesamten männlichen Bekanntenkreis nach einem Ersatz für deinen Verflossenen ausloten?"
Carrie schüttelte den Kopf. Einzelne Strähnen lösten sich aus ihrem Haarknoten. Seufzend zog sie auch die restlichen Nadeln heraus, so dass ihr das Haar auf die Schultern fiel. "Nein, du Schlauberger. Ich will dich...!"
2. KAPITEL Jack verschluckte sich an seinem Wasser und musste heftig husten, was ihm böse Blicke von Seiten der anderen Restaurantgäste einbrachte. "Was?!" "Du sollst mich begleiten und so tun, als seien wir ein Paar. Ohne Mann kann ich da nicht hin, und ich dachte, du wärst vielleicht..." Mit heftigen Bewegungen tupfte Jack sein Kinn trocken. "Du dachtest, ich wäre vielleic ht ein Mann?" Das war der Gipfel! Erst hielt sie seinen Wiederbelebungsversuch für einen Kuss, und nun zweifelte sie an seiner Männlichkeit! "Nein, ich dachte, du wärst vielleicht der Mann, der mich begleiten und so tun könnte, als sei er mein Mann, während wir uns auf Teds Kosten unter der tropischen Sonne vergnügen." "Soll das heißen, Ted hat die Tickets bezahlt, und du hast sie behalten?" Dies war der Teil ihres Planes, der in Carrie leichte Schuldgefühle auslöste. Jack zu seinem eigenen Besten auszutricksen, war eine Sache. Ihn anzulügen, war etwas ganz anderes. Vorsichtshalber kreuzte Carrie die Finger unter der Tischplatte. "Nach unserer plötzlichen Trennung stand Ted der Sinn nicht mehr nach Urlaub. Deshalb hat er mir die Tickets überlassen. Wir hatten keinen Streit. Ted und ich sind in aller Freundschaft auseinander gegangen."
Jack betrachtete sie so eingehend wie Perry Mason, wenn der versuchte, einen verzwickten Fall zu lösen. "Mal sehen, ob ich das alles auf die Reihe bekomme. Du bist monatelang mit Ted ausgegangen, dann, ganz unverhofft, servierst du ihn gestern Abend ab, weil er unseligerweise Fettuccini bestellt hatte und nicht so gut küsst wie ich. Und weil ihr beide euch in aller Freundschaft getrennt habt, finanziert er dir tolle Ferien auf Amore Island, richtig? Da die Hotelanlage nur für Paare bestimmt ist, unterliegst du der irrwitzigen Vorstellung, ich spiele die zweite Hälfte eines nicht existierenden Paares." Carrie löste unter dem Tisch ihre gekreuzten Finger. "Du hast das Haarwachs vergessen. Ich habe mir extra die Beine enthaart, um mich am Strand zu tummeln, und auf die eine oder andere Weise werde ich eine Möglichkeit finden, meine seidig glatte Haut zur Schau zustellen." "Wieso ist der Strand auf Amore Island dafür besser geeignet als die Strande auf Presque Island?" "Jack, auf dieser Insel gibt es Strandpromenaden, Kinos, Nachtclubs ... Es ist ein Spielplatz für Erwachsene. Zudem liegt ein ganzer Ozean zwischen uns und der Wirklichkeit." Jetzt kam der leichte Teil; keine Lügen mehr. "Du bist überarbeitet! Du kannst auf Amore Island richtig ausspannen, während ich an meiner Sonnenbräune arbeite und Pina Coladas trinke." Jack schüttelte den Kopf. Carrie kannte seine Ausreden, bevor das erste Wort fiel. "Honey, ich würde alles für dich tun, aber so kurzfristig bekomme ich keinen Urlaub." Eine verrückte Mischung aus Ärger und Schmerz breitete sich in Carrie aus. Was hatte Sandy ihm angetan! "Jack, wie wir beide ganz genau wissen, hattest du seit Jahren keinen richtigen Urlaub mehr! Ein paar freie Tage stehen dir also zu!" Jack setzte zum Widerspruch an. "Aber Carrie, ich ..."
Carrie schnitt ihm den Satz ab. "Deine Chefs beuten dich aus! Selten Ferien, kaum Freizeit, dafür Vierzehn-Stunden-Tage in der Kanzlei. Eigentlich bist du auf Vertragsrecht spezialisiert. Trotzdem bürdet man dir dauernd Gerichtsverhandlungen auf und lässt dich ellenlange Plädoyers vortragen. Dein Dauerstress als Prozessanwalt und wegen ..." Fast wäre Carrie Sandys Name herausgerutscht. Rechtzeitig brach sie ab. Sie wollte Jack nicht an den Verlust erinnern. "Und wenn man bedenkt, dass du dir seit Ewigkeiten kein Vergnügen mehr gönnst - das sind alles gute Gründe für einen Urlaub auf Amore Island." "Aber Carrie ...", versuchte er es erneut. Lächelnd überging sie seinen Protest. "Kein aber, Jack. Dich legt niemand in Ketten. Sicher gibt es genug Männer, die mich eine Woche lang auf eine Trauminsel begleiten möchten." "Ein Wochenende allerhöchstens! Mehr ist unter keinen Umständen drin!" Martin persönlich servierte ihnen das Dinner. "So, Carrie, jetzt genießen Sie das gute Essen und vergessen Sie den gestrigen Abend." Carrie lüpfte den silbernen Deckel. Ein verlockender Duft stieg ihr in die Nase. "Vielen Dank, Martin." "Eine Woche", schimpfte Jack nach Martins Abgang und attackierte heftig Felix' kulinarische Kreation. "Genau. Eine Woche." Carrie probierte ihre Fettuccini. Himmlisch! Abwartend schaute sie auf Jacks Teller. Automatisch reichte der Carrie einen Shrimp. Carrie knabberte genüsslich an der Garnele. In aller Besche idenheit konnte sie behaupten, dass sie heute eine schauspielerische Glanzleistung vollbrachte. Jack hatte so gut wie verloren. Dabei hielt sie noch einige Trümpfe in der Hand, von denen der Gute gar nichts ahnte. Sie legte die Garnelenschale ab, wischte sich dezent die Hände an der Serviette ab und setzte zum Frontalangriff an. "Eine Woche im Paradies. Nur du und ich, Jack. Doch, wie ich
vorhin schon erwähnte, mangelt es mir nicht an potenziellen Begleitern. Immerhin ist alles bezahlt. Es gibt nichts weiter zu tun, als am Strand zu liegen und an eisgekühlten Drinks zu nippen." Jack, dieser Spielverderber, besaß keinen Funken Phantasie! "Schätzchen, du trinkst keinen Alkohol." Das war das Problem mit Anwälten - sie nahmen alles viel zu genau! Andererseits brachte so einen Paragrafenreiter nichts mehr in Fahrt als eine ordentliche Herausforderung. "Wer weiß, wozu mich so ein tropisches Inselparadies inspiriert. Da du dich mit allen Mitteln dagegen sträubst, meinen Begleiter zu spielen, hilfst du mir jetzt wenigstens bei meiner Entscheidung, wen ich einladen soll?" "Carrie!" Allmählich reichte es Jack. Ihm war schleierhaft, wieso er sich überhaupt auf eine Diskussion mit ihr einließ. Carrie gewann immer. "Martin mag mich. Bestimmt will er ein paar Tage ausspanne n. Glaubst du, es gibt eine Mrs. Martin?" Versonnen wickelte Carrie sich eine blonde Haarsträhne um den Finger. "Nein, das hätte er erwähnt. Immerhin sind wir gut befreundet." Kurz sann sie darüber nach. "Ja, bestimmt kommt er mit. Ich muss ihn sofort fragen." "Das wirst du schön bleiben lassen!" Jacks Selbstbeherrschung verflüchtigte sich zunehmend. "Martin ist leider verhindert." "Was du nicht sagst! Und wieso, wenn ich fragen darf?" "Die Clubmitglieder wären am Boden zerstört, wenn er sie abends nicht in Empfang nimmt." "Okay, wer aus deinem Büro stünde zur Verfügung?" erkundigte Carrie sich munter und widmete sich wieder ihrem Nudelgericht. Felix hatte wahre Wunder vollbracht! Carrie kaute mit geschlossenen Augen, einen verzückten Ausdruck im Gesicht. Sofort wurde Jack abgelenkt.
Ob Carrie alle sinnlichen Freuden mit einer solchen Hingabe anging? Diese Vorstellung löste ein merkwürdiges Ziehen in Jacks Magengegend aus. Sein ganzer Körper spannte sich an, und seine Phantasie gaukelte ihm erbarmungslos die erregendsten Bilder vor. Es musste an Carries Kleid liegen, das nur dazu geschaffen schien, in einem Mann sündige Gedanken zu wecken. Diese Gedanken in die Tat umzusetzen mit Carrie seiner allerbesten Freundin - wäre genau das: eine Sünde. "Du willst wissen, wer aus der Firma zur Verfügung steht?" Temperamentvoll spießte Jack eine Garnele auf. "Niemand. In der Kanzlei sind leider alle ausgebucht." Bei seinem vehementen Tonfall schrak Carrie zusammen. "Besonders hilfreich bist du in dieser Angelegenheit nicht!" "So?" entgegnete Jack einsilbig. "Na, wenn du niemanden kennst, muss ich mir eben selbst einen Mann angeln. Leider verirren sich viel zu selten Männer in unsere Boutique. Da ist der Nachteil an der Arbeit in einer Modeboutique -konstanter Männermange l. Und die wenigen Männer, die doch zu uns kommen, haben eine Partnerin." "Angeln?" Das Wort irritierte Jack gewaltig. Besonders, wenn er sich Carrie in diesem Hauch von Nichts auf Männerfang vorstellte. "Natürlich angeln! Wie sonst glaubst du, habe ich Ted kennen gelernt? Über seine Heiratsannonce!" "Unsinn!" Carrie Delany war zu allem fähig. Aber Kontaktanzeigen von wildfremden Männern zu beantworten ... "Von wegen! Kleinanzeigen sind die moderne Dating-Szene, Jack! Tausende von Männern schalten jede Woche Inserate. Einer von denen wird schon Lust auf einen Kurzurlaub in der Sonne haben. Obwohl es mir zugegebenermaßen ein wenig unangenehm wäre, das Schlafzimmer mit einem Unbekannten zu teilen." Seinem rasch steigenden Blutdruck zuliebe beschränkte Jack sich auf ein unverständliches Brummen.
Derweil widmete sich Carrie wieder ihrer Lieblingsbeschäftigung. Ein weiterer Bissen von Felix' Nudelkreation hatte sie endgültig überzeugt. "Ich bin im siebten Himmel, Jack!" Carrie wedelte lässig mit ihrer Gabel. "Hier in Erie liegt das wahre Schlaraffenland!" "Ja." Reichlich geladen griff Jack nach der Weinflasche und schenkte sich nach. "Du hast meine Fettuccini überhaupt noch nicht probiert." Sie hielt ihm die gefüllte Gabel hin. "Ich sagte Ja. Ich begleite dich nach Amore Island." "O nein, Jack." Carrie schob sich die Pasta selbst in den Mund. "Ich habe meine Meinung geändert. Du bist enorm beschäftigt. Ich hatte vergessen, wie wichtig dir deine Arbeit ist. Mein Job in der Boutique ist nicht annähernd so anspruchsvoll wie dein Dienst zum Schutz der Bürger." "Schatz, du verwechselst mich mit der Polizei", stellte Jack richtig. "Die beschützen uns vielleicht auch ein bisschen. Doch du bist derjenige, der die bösen Jungs hinter Gitter bringt. Ich kann dich unmöglich einfach so entführen und die Stadt einer wichtigen Stütze von Recht und Ordnung berauben." "Carrie, für die bösen Jungs ist die Staatsanwaltschaft zuständig! Das Einzige, was ich beschütze, sind Geschäftsinteressen." Hinter Jacks Schläfen setzte ein unangenehmes Pochen ein, das heftige Kopfschmerzen ankündigte. Die verschaffte Carrie ihm ebenso leicht, wie sie sie lindern konnte. "Im Übrigen würdest du niemanden finden." Jack stürzte einen Schluck Wein hinunter. Carrie reckte ihre hübsche kleine Nase in die Luft. "Nein, danke. Das kann und will ich dir nicht zumuten. Jetzt iss dein Dinner. Dieser letzte Fall hat dir echt schlimm zugesetzt. Du siehst richtig kränklich aus." Sie stibitzte einen seiner Shrimps. "Das täuscht. Ich fühle mich bestens. Und jetzt hör mir gut zu: Dich wird kein anderer Mann begleiten, Carrington Delany."
Nachdem das geklärt war, gestattete Jack sich einen Happen von Carries Fettuccini. "Jack!" "Bitte." Er fuhr schwere Geschütze auf. Carrie genoss ihren Triumph. "Okay", meinte sie fröhlich. Wie, um alles in der Welt, hat sie das wieder geschafft? überlegte Jack. Wie immer hatte diese Meisterstrategin ihn mit Charme und Raffinesse eingewickelt, bis er am Ende praktisch um die Ehre bettelte, ihr helfen zu dürfen. Verdammt wollte er sein, wenn er die Frauen je verstand! Und Carrie ganz besonders! Die meiste Zeit vergaß er, dass sie eine Frau war. Sie war einfach Carrie. Bei Gelegenheiten wie dieser dagegen erinnerte er sich an ihre Weiblichkeit in aller Deutlichkeit. "Bist du sicher, dass du dir so kurzfristig ein paar Tage Urlaub nehmen kannst?" "Anscheinend bleibt mir keine andere Wahl." "Ich bin ein großes Mädchen, Jack. Falls nötig, finde ich schon einen Ersatzmann. Es ist schließlich nicht so, als ob ich ohne dich vollkommen aufgeschmissen wäre." "Ich sagte, ich mach's." "Klar! Du sprühst ja geradezu vor Begeisterung. Jede Wette, dass eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt ebenso viel Vorfreude bei dir auslöst!" konterte Carrie sarkastisch. "Vergiss es einfach, Jack." Ihre Unterlippe begann leicht zu beben, was Jack unwillkürlich nach seinem Taschentuch tasten ließ. "Carrie, der Fall ist geklärt. Ich begleite dich." "Willst du das auch wirklich?" Ihre Augen leuchteten auf. "Das gemeinsame Hotelzimmer stört dich nicht? Wir können uns ja abwechseln. Eine Nacht schlafe ich im Bett und du auf dem Boden, die nächste Nacht tauschen wir. Dass wir ein Liebespaar spielen müssen, ist weniger angenehm, doch das Strandleben wird uns für diese Unannehmlichkeit entschädigen." "Du musst mich nicht mehr überzeugen."
"Schön, damit wäre das geregelt. Du brauchst unbedingt ein paar freie Tage. Das sage ich dir ja schon seit Ewigkeiten. Ach, dieser Inselaufenthalt wird wundervoll! Ich arbeite an meiner Sonnenbräune, und du kannst zur Abwechslung etwas anderes lesen als langweilige Gerichtsakten." "Eigentlich wollte ich einige Unterlagen mitnehmen und liegen gebliebene Fälle aufarbeiten." Carrie drohte ihm spielerisch mit dem Finger. "O nein, mein Lieber. Du vergisst das Büro und den Papierkram, entspannst dich und erinnerst dich daran, wie man das Leben genießt." Jetzt besaß Carrie Jacks ungeteilte Aufmerksamkeit. "Wie darf ich das verstehen?" "Wann hast du zuletzt etwas nur zum Vergnügen getan?" "Wie definierst du Vergnügen?" "Gute Frage. Erinnerst du dich überhaupt noch daran, was das ist? Früher hast du Basketball gespielt..." "Heute fehlt mir dafür die Zeit." Jacks Protest verhallte ungehört. Zu gut kannte Carrie alle Ausflüchte und Entschuldigungen. "Du bist zu Heimspielen ins Footballstadion gegangen, hast nach der Arbeit zum Ausklinken eine Bar besucht..." "Mein Terminkalender ist randvoll..." Carrie ignorierte ihn. "Selbst deine alten Freunde vernachlässigst du! Leg dich an den Strand, und schau den Wolken nach! Mach einen Spaziergang im Regen!" "Durchweicht zu werden halte ich für wenig spaßig. Überall wo ich hin will, fahre ich im Auto hin und bleibe dabei trocken." "Du bist ein hoffnungsloser Fall!" beklagte sich Carrie. "Und du begreifst nicht, welche Anforderungen mein Job an mich stellt." Klienten zählten auf ihn. Jack konnte nicht aus einer Laune heraus alle Termine über den Haufen werfen. "Dann wechsle den Job", schlug Carrie unbekümmert vor. "Was?"
"Wenn dir dein anstrengender Job die Lebensfreude raubt, kündige! Kannst du allen Ernstes behaupten, deine Arbeit bei Ericson & Roberts mache dir Spaß? Stehst du morgens auf und sagst dir: Wow, ich kann es kaum erwarten, heute ins Büro zu kommen?" "So sehr mag keiner seinen Job." Vor vielen Jahren hatte Jack diese Naivität noch besessen. Bis zu viele langweilige Verträge und zeitraubende Besprechungen ihm alle Illusionen genommen hatten. Heute glaubte Jack nicht mehr daran, als Rechtsanwalt tatsächlich diese Welt zum Positiven verändern zu können. Er machte Geld für Ericson & Roberts. Das war alles. Und je mehr Geld er der Kanzlei einbrachte, desto mehr Fälle gab man ihm, damit er noch mehr Geld für die Kanzlei machte. Ein echter Teufelskreis. "Ich schon", gestand Carrie leise. "Kleider verkaufen, dazu gelegentlich den ein oder anderen Entwurf anfertigen - das ist mein Traumberuf, Jack. Verkäuferin zu sein ist vermutlich weit weniger glanzvoll als eine Anwaltskarriere, dafür liebe ich meinen Job." Achselzuckend tat sie das Thema ab. "So viel zu mir. Jetzt zum Wesentlichen: Wie können wir dich eine Woche von der Kanzlei loseisen, ohne dass du gleich das ganze Büro mitnimmst?" Jack sah zu, wie Carrie sich über ihre Fettuccini hermachte, und fühlte sich, als hätte er eine wichtige Schlacht verloren - in einem Feldzug, von dem er überhaupt nichts geahnt hatte. Runde eins war gewonnen. Euphorisch stürmte Carrie durch die Eingangstür von Encore. Sie konnte es kaum abwarten, Eloise von ihrem Erfolg zu berichten. Ausnahmsweise war Carrie froh über fehlende Kundschaft im Laden. So eilte sie direkt zum Hinterzimmer, wo sie ihre Chefin, Eloise Summit, bei der Buchhaltung antraf. "Eloise, ich hab's tatsächlich geschafft!" Carrie ließ sich auf einen Bürosessel fallen. "Morgen fliegen wir. Eine ganze Woche nichts als Sonne satt!"
Die zierliche Brünette sah von ihren Papieren auf. "Eines guten Tages überspannst du den Bogen, und Jack kommt dahinter, wie unverfroren du ihn manipulierst." Die Warnung verpuffte. "Niemals. Jack ist viel zu sehr damit beschäftigt, mich vor mir selbst zu retten. Der kommt nie dahinter, wie gerissen ich in Wirklichkeit bin." "Richtig." Mit einem abgrundtiefen Seufzer schob Eloise den Aktenstapel zurück. "Puh! Kaum überrede ich einen von euch beiden zu einem Kurzurlaub, bricht der andere zusammen. Weswegen bist du so gestresst?" "Ich hasse diesen Papierkrieg!" Ungestüm zog Eloise den Stift hinter ihrem Ohr hervor und warf ihn auf die Unterlagen. "Lass die Buchhaltung liegen. Ich kümmere mich nach meiner Rückkehr darum." Carrie machten die Zahlenkolonnen weit weniger zu schaffen als ihrer Chefin. "Ich bin schon fertig." Eloise nahm ein Blatt Papier vom Stapel und reichte es Carrie. "Du genießt diesen Urlaub besser, denn soeben hat sich dein Arbeitspensum verdoppelt." Entgeistert starrte Carrie auf den Zettel. Ihre Hände zitterten. "Ist das dein Ernst?" Auf dem Papier stand ihr Name. Daneben war eine kleine Rose gezeichnet. Carrington Rose. Ihre eigene Design-Linie. Ein Traum wurde wahr! Im Gespräch mit Jack hatte Carrie die Wahrheit gesagt: sie liebte ihren Job. Jeden Morgen freute sie sich aufs Neue auf ihre Arbeit. Carrie mochte Menschen. Gern beriet sie unsichere Kundinnen in Modefragen, bis diese zufrieden den Laden verließen. Insgeheim allerdings hegte Carrie größere Träume. Ihr eigenes Mode-Label. Jetzt konnte sie dieses Ziel hier bei Encore verwirklichen, ohne dass sie die angenehme Zusammenarbeit mit Eloise dafür aufgeben musste.
Encore war eine Edelboutique mit einer loyalen und beständig wachsenden Kundschaft. Eloise und Carrie verkauften moderne Tages- und erlesene Abendgarderobe, darunter Reproduktionen bekannter Designer, Kostbarkeiten aus vergangenen Modeepochen und gelegentlich die ein oder andere Eigenkreation von Carrie. Und nun bekam sie ihr eigenes Label! Carrie hatte es mit dem College und danach mit einer Reihe von Jobs versucht. Eines Tages war sie auf eine Stellenanzeige von Eloise gestoßen. Die suchte jemanden, der nähen und verkaufen konnte. Carrie beherrschte beides, und unter Eloises Anleitung hatte sie ihre Fähigkeiten verbessert. Aus der geschäftlichen Beziehung war eine Freundschaft geworden. Freudentränen glitzerten in Carries Augen, während sie das Logo genauer betrachtete. Carrington Rose. Der Höhepunkt all dieser Arbeit und einer Menge Träume. "Was, wenn es ein Flop wird?" Die Vorstellung des Scheiterns war der beängstigende Teil jeden Traumes. "Carrie, unsere Kundinnen schwärmen von deinen Entwürfen! Denk nur an Jaycee Smith! Als BasketballProfispielerin kann sie sich die Designer aussuchen. Und sie will eines deiner Abendkleider auf der Preisverleihung in Tennessee tragen." "Mein eigenes Label!" wiederholte Carrie andächtig. Endlich erfasste sie die ganze Tragweite dieser Neuigkeiten. Carrie sprang vom Stuhl auf. "Ich habe es geschafft! Ich bin eine Designerin!" jubelte sie euphorisch. "Dein Label wartet auch noch auf dich, wenn du in einer Woche zurückkommst." Eloise zog Carrie zur Tür. "Jetzt müssen wir zuerst ein paar dringende Einkäufe erledigen." "Weswegen?" Carrie folgte der Freundin aus dem Büro. "Du fliegst mit einem gut aussehenden Mann auf eine romantische Insel. Du brauchst unbedingt ein neues Outfit!"
"Eloise, es ist bloß Jack." Eloise bedachte Carrie mit einem undeutbaren Blick. "Genau. Bloß Jack und du. Allein für eine ganze Woche." "Aber..." "Betrachte es als Gelegenheit, für Encore die Werbetrommel zu rühren." Eloise bepackte die Freundin mit einem Stapel von Sommerkleidern und schob sie in eine Umkleidekabine. "Greif nach den Sternen, Carrie!" Carrie mochte nach den Sternen greifen, im Grunde jedoch wollte sie nichts lieber, als die Füße wieder auf die Erde setzen. "Oh, Jack! Ich hatte vergessen, wie ungern ich fliege!" Inständig sehnte Carrie die Landung herbei. Jack unterdrückte ein Schmunzeln. "Schätzchen, du bist noch nie geflogen." "Damit wäre dies mein erstes und mein letztes Mal." Carrie umklammerte die Armlehnen ihres Sitzes, bis die Fingerknöchel weiß hervortraten. Auch ihr Gesicht war weiß. Dabei hatte sie allen Grund zum Jubeln. Sie hatte gewonnen. Kaum hatte Jack der Reise zugesagt, blieb ihm keine Zeit für einen Rückzieher. Hier saßen sie nun und flogen ihrem Schicksal entgegen. Leider fühlte sich Carrie im Augenblick ganz und gar nicht als Gewinnerin. Jack versuchte seine sonst so unerschütterliche Begleiterin aufzumuntern. "Das sind nur ein paar kleine Turbulenzen, Carrie." "Ich glaube dir nicht! Und Captain Dave glaube ich auch kein Wort! Wir haben bestimmt ein Triebwerk verloren oder eine Tragfläche oder sonst was, das genauso wichtig ist!" "Es sind lediglich Turbulenzen", wiederholte Jack. "Ja, das sagst du und Captain Dave andauernd. Was für ein Name ist das überhaupt? Welcher Mensch heißt schon ,Captain Dave'?"
"Ich bin sicher, unser Flugkapitän ist ein kompetenter Pilot. Sonst würde die Fluggesellschaft ihm die Maschine kaum anvertrauen." Jack rieb Carries verkrampfte Schultern. "Kompetent, pah! Dieser Mann fliegt uns in unser Verderben!" "Beruhige dich, Carrie. Flugzeuge sind eines der sichersten Transportmittel. Davon abgesehen war diese Reise ganz allein deine Idee", argumentierte Jack in seiner zuversichtlichen Art. Im Moment hasste Carrie seinen beständigen Optimismus. "Ja, bitte erinnere mich daran, dass ich dich in den Tod geschickt habe. Jetzt fühle ich mich gleich viel besser!" Typisch Mann! Keine Spur von Mitgefühl hinter diesem harten Äußeren. So ein unsensibler Klotz erkannte niemals, wie viel Mühe sie ihre Überredungskünste gekostet hatten. Zum Glück hatte sie Jack zum Ausspannen bewegen können, ehe er sich mit einem Magengeschwür oder Schlimmerem zu Grunde richtete. Ihn nach Sandys Auszug vor den Trümmern seiner Liebe zu sehen, hatte Carrie in der Seele wehgetan. Er litt Höllenqualen, und sie litt mit ihm. Weil sie ihn liebte. Ein Geheimnis, das sie bis in alle Ewigkeit hüten würde. Jack zog Carrie in die Arme. "Uns passiert schon nichts." "Hm", brachte Carrie heraus. Jack seufzte. In dieser Weltuntergangsstimmung kam man bei Carrie mit logischen Argumenten nicht weiter. Einmal hatte sie sich sogar aus Aberglauben geweigert, an einem Freitag, dem Dreizehnten, ihr Apartment zu verlassen, weil am Vortag eine schwarze Katze ihren Weg gekreuzt hatte. Auf Grund des schlechten Omens hatte sie Jack prompt beschworen, ebenfalls einen Arbeitstag zu schwänzen. Jack hatte sie ausgelacht - und auf dem Weg ins Büro seinen Ferrari zu Schrott gefahren. Jack löste Carries verkrampfte Finger von der Armlehne und verschränkte sie mit seinen. "Alles wird gut, Carrie." Steif nickte sie.
Jetzt half nur noch eines. Jack hielt nach der Stewardess Ausschau. "Könnten wir bitte einen Drink bekommen?" "Du wolltest doch nicht, dass ich Alkohol trinke", erinnerte Carrie ihn. "Heute machst du eine Ausnahme. Sagtest du nicht, Pina Colada sei das Richtige für den Strand? Nun, Wodka ist das perfekte Getränk für ein Flugzeug in Turbulenzen." Als die Drinks serviert wurden, drückte Jack Carrie das Glas in die Hand. "Trink! Den Wodka schmeckst du kaum. Dafür entspannt er dich." Mit einer Grimasse, die mehr aussagte als alle Worte, nippte Carrie vorsichtig. "Trink aus!" Zehn Minuten später bestellten sie eine zweite Runde. Danach eine dritte. Nach einer weiteren halben Stunde hatte Carrie ihr kurzzeitiges Formtief überwunden. Neugierig schaute sie aus dem Fenster auf die Küstenlinie des amerikanischen Festlands. Sie waren tatsächlich auf dem Weg nach Amore Island! Carrie musste kichern. "Was ist so lustig?" Carrie besaß sowieso ein sonniges Gemüt. Dermaßen albern hatte Jack sie allerdings selten erlebt. Irgendwie gefiel ihm ihre Ausgelassenheit. "Sag schon. Was findest du so witzig?" "Dich." Carrie lachte, als sei es der beste Scherz, den sie je gehört hatte. "Wieso bin ich komisch?" Auch wenn Jack keine Ahnung hatte, worum es ging, war eine beschwipste Carrie einer unter Flugangst leidenden Carrie bei weitem vorzuziehen. Mit der Spitze ihres Zeigefingers strich Carrie über Jacks schwarze Augenbrauen. "Du bist ein Mann, Jack Templeton. Schon deshalb bist du komisch. Ihr aufgeblasenen Typen merkt überhaupt nicht, wie gewieft wir Frauen sind. Ich habe dich nämlich ausgetrickst! Alle Register hab' ich gezogen und dich
geschickt hinters Licht geführt." Der Wodka zeigte Wirkung. Carrie bekam einen Schluckauf. "Das mit Teds Tickets war ein wahrer Geniestreich! Ich ganz allein habe dich auf diesen ... hick! ... Trip gelockt." "Irrtum, Schätzchen. Die Idee kam von dir, aber die Entscheidung lag bei mir." Selbstverständlich hatte Jack Carries Strategie von Anfang an durchschaut. Sie wollte niemand anderen als ihn als Reisebegleitung haben. Mit Spannung und Amüsement hatte er Carries Auftritt im Country Club verfolgt. Carrie gefiel die Vorstellung, ihn nach Lust und Laune überrumpeln zu können. Aus Freundschaft beließ Jack sie in diesem Glauben und leistete meist nur halbherzig Widerstand, wenn Carrie ihre Überredungskünste einsetzte. Diesmal allerdings ... Nun, Ferien standen zwar nicht auf seinem Terminkalender, andererseits lag Carrie in ihrem Urteil richtig. Er brauchte einen Tapetenwechsel. Sandy war fort. Er musste sein Leben neu ausrichten. Eigentlich war das lange überfällig. "Von wegen deine Entscheidung! Ich habe dich an der Nase herumgeführt." Ein rosiger Schimmer überzog Carries Wangen. "Ted hat diese Tickets nämlich nicht gekauft!" "Ach, tatsächlich?" Zwar hatte Jack Carries Manipulationsversuch durchschaut, für eine kaltblütige Lügnerin hatte er sie dagegen nicht gehalten. Carrie lächelte schelmisch. "Die Flugtickets gehen auf meine Rechnung. Eloise hat mir einen Bonus für das Abendkleid der Basketballspielerin gezahlt. Jaycee wird mächtig viel Werbung für meine Design-Linie machen." "Wieso hast du geschwindelt?" "Weil du mir nie erlaubt hättest, so viel Geld für dich auszugeben, auch wenn die Reise ein Sonderangebot war, weil du eben so altmodisch bist! Aber du musstest einfach raus aus dem täglichen Trott. Als Eloise mir das Geld gab, nachdem du gerade deinen letzten Fall abgeschlossen hattest, nahm ich das
als Zeichen." Spielerisch versetzte sie ihm einen Nasenstüber. "Ich weiß, du hältst Vorsehung für Humbug, Jack. Schon vergessen, was dir damals am Freitag, dem Dreizehnten, passiert ist? Jedenfalls wirst du garantiert auf gar keinen Fall herausfinden, wie clever du reingelegt worden bist; einfach weil du ein Mann bist und ich eine Frau. Und Frauen sind viel raffinierter." Jack bemerkte Carries heimliche Freude über den gelungenen Streich. Sie hatte das alles ihm zuliebe getan? Pläne geschmiedet, Zeit und Geld investiert, einen Urlaub arrangiert. Ganz zu schweigen von ihrem Auftritt im Country Club. Wann hatte jemals jemand etwas ähnlich Großzügiges für ihn getan? Ganz bestimmt nicht Sandy! Carrie seufzte leise und lehnte ihren Kopf an Jacks Schulter. "Du wirst dich in der nächsten Woche prächtig amüsieren. Dafür sorge ich schon. Du hast völlig vergessen, was Spaß ist! Die böse, böse Sandy hat dir alle jugendliche Unbekümmertheit geraubt." Seit ihren Kindertagen wickelte Carrie ihn um den kleinen Finger. Diese jüngste Enthüllung festigte nur ihren Griff. Und weil Carrie völlig selbstlos und allein aus Sorge zu solch dreisten Methoden gegriffen hatte, würde Jack alles tun, was sie von ihm erwartete. "Was immer du willst, Schatz." Versonnen betrachtete Jack die Silhouette der näher kommenden Insel. Ferien auf Amore Island. Ja, ein paar Tage zum Ausspannen brauchte er ganz dringend. Deswegen würde er in der kommenden Woche Spaß haben ... selbst wenn es ihn umbrachte.
3. KAPITEL Stöhnend erwachte Carrie. Irgendwo massakrierte jemand ein Kätzchen! Warum will jemand so ein niedliches Tier umbringen? dachte Carrie schläfrig. Und wieso in solcher Lautstärke? Vorsichtig öffnete sie ein Auge. Grelles Licht blendete sie. Carrie öffnete das andere Auge. Wo war sie? Das musste sie als Erstes herausfinden. Und als Zweites, wer dieses entsetzliche Gejaule veranstaltete. Die Umgebung erinnerte an ein Hotelzimmer. Ein breites Bett, eine lange Fensterfront und eine Tür, die ins Bad führen musste. Carrie kombinierte die Fakten. Sie war auf Amore Island. Urlaub mit Jack. Was bedeutete, dass der grauenhafte Lärm von ihrem widerwilligen Begleiter stammte. Sollte sie eine wilde Vermutung wagen, würde sie sagen, dass er unter der Dusche sang. Irgendwie jedenfalls. Carrie lauschte. Ein paar Worte klangen zu ihr herüber. Ja, Jack trällerte tatsächlich "Rhinestone Cowboy". Ein Mitleid erregender Versuch. Gleich darauf hob sich ihre Stimmung. Immerhin bewies Jacks Gesang eines - er war entspannt. Der Kanzleistress lag
wenigstens für kurze Zeit hinter ihm. Ihr Plan funktionierte. Sie hatte Jack von seiner Arbeit fortgelotst, und in den kommenden Tagen wollte sie ihm zeigen, wie man das Leben lockerer anging. Sie konnte ihrem Shrimps hassenden, schlecht küssenden Exlover dankbar sein, denn er hatte ihr die nötige Ausrede für diesen Kurzurlaub verschafft. Mühsam rappelte Carrie sich hoch und sank gleich wieder stöhnend in die Kissen. Was hatte Jack mit ihr angestellt? Vage entsann sie sich an ein Flugzeug kurz vor dem Absturz. Jack hatte ihr Wodka eingeflößt. Ab da wurde Carries Erinnerung verschwommen. Bilder von der netten Stewardess schössen ihr durch den Kopf. Gefolgt von Bildern von Jack ... und Sandy? Nein, diesen Teil könnte sie halluziniert haben. Schließlich hatte sie Jack auf diese Insel gelockt, damit er Sandy vergaß, Vielleicht war der Flieger wirklich abgestürzt, und sie war verletzt. Das würde das Hämmern in ihrem Kopf erklären. Eine Gehirnerschütterung. Nein. Das Hämmern stammte von einem ausgewachsenen Kater. Eine schmerzhafte Folge der zahllosen Drinks, zu denen Jack sie ermuntert hatte. In ihrem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander. Vor ihrem geistigen Auge sah Carrie eine Lobby mit einem Wasserfall. Gab es Wasserfälle in Hotellobbys, oder war das ebenfalls ein Trugbild ihres von Alkohol benebelten Gehirns? In wachsender Verzweiflung durchforstete Carrie ihr Gedächtnis. Da war die Fahrt im Taxi. Jack, der sie ins Hotelzimmer trug. Wie er sie auf dem Bett ablegte. Seine Hände auf ihr, als er ihr die Bluse aufknöpfte und ... Moment! Urplötzlich verstärkten sich Carries Kopfschmerzen um das Zehntausendfache.
Was in aller Welt hatte sie getan? Oder besser, was hatte Jack - der Mann, den Sie eigentlich vor sich selbst retten wollte - mit ihr angestellt, während sie im berauschten Zustand dahingedämmert war? Carrie wagte einen vorsichtigen Blick unters Bettlaken. Eisige Kälte kroch in ihr hoch. Du liebe Güte, sie war splitternackt! Stöhnend vergrub sie den Kopf in den Kissen. Sie hatte zugelassen, dass ihr bester Freund ... Nein, von Zulassen konnte keine Rede sein! Und ganz sicher war Jack Templeton keine Sekunde länger ihr bester Freund, falls er für ihren Mangel an Kleidung verantwortlich war. Das ohrenbetäubende Gejaule im Bad endete. Das Objekt ihres Zorns kam hinter einer Tür hervor. "Du bist wach", erkannte Jack beneidenswert scharfsinnig und mit einem entwaffnenden Grinsen. Für Höflichkeitsfloskeln fehlte Carrie an diesem Morgen die Energie. Die sparte sie sich lieber für einen hübschen Wutausbruch auf. "Warum hast du das getan?" verlangte sie zu wissen. "Was meinst du damit? Was genau habe ich denn getan?" Ein drittes Mal lugte Carrie unter das Laken, um sicherzugehen, dass es kein schlechter Traum war. "Wir hatten uns geeinigt, das Zimmer zu teilen. Vom Bett war keine Rede! Wo sind meine Kleider, und was hast du dir nur dabei gedacht, als du ..." Die Vorstellung dessen, was sie getan haben könnten, und die Auswirkung dieses unaussprechlichen Tuns auf ihre Freundschaft ließen Carrie das Blut in den Adern gefrieren. "Als ich was, Carrie?" Carrie errötete. Ihre Verlegenheit fachte ihre Verärgerung an. "Als du meinen hilflosen Zustand ausgenutzt und dich mit mir amüsiert hast?" "Ich habe gar nichts dergleichen getan!" protestierte Jack.
"Hast du doch! Ich erinnere mich genau daran, wie du mich ins Zimmer ge tragen und meine Bluse aufgeknöpft hast..." Carrie hielt inne. Was das nachfolgende Geschehen anging, war ihr Erinnerungsvermögen leider nicht das zuverlässigste. "Aber du entsinnst dich nicht mehr daran, dass du einen Koller bekommen und gefaucht hast: ,Ich kann mich alleine ausziehen!'" Der rosige Hauch auf Carries Wangen vertiefte sich. "Was du im Anschluss sehr anschaulich demonstriert hast." Langsam schüttelte sie den Kopf. "Oder wie unverzüglich ich deiner freundlichen Bitte nachgekommen bin und das Zimmer lange verlassen hatte, ehe du unters Laken geschlüpft bist?" Ein neuerliches Kopfschütteln. "Oder dass ich es mir bei meiner Rückkehr eine halbe Stunde später mit der Bettdecke auf dem harten Fußboden gemütlich gemacht habe?" Grenzenlose Erleichterung überkam Carrie. Er hatte nicht...! Sie hatten nicht...! Dem Himmel sei Dank! Seufzend setzte sie sich auf und schlug die Bettdecke gerade so weit zurück, wie es ihr Anstandsgefühl erlaubte. "Bitte entschuldige, Jack. Ich bin heute anscheinend total daneben. Beim Aufwachen hatte ich das Gefühl, dieses verflixte Flugzeug sei auf meinem Kopf gelandet. Alles war irgendwie surreal. Als Nächstes schaute ich unters Laken, und darunter war nichts außer sehr viel nackter Haut. Da bin ich wohl ausgerastet..." "Dir sei verziehen", meinte Jack leichthin. "Warum gehst du nicht unter die Dusche, schluckst drei Aspirin, und wenn du fertig bist, sollte das Frühstück hier sein." Der Gedanke an Essen verursachte in Carries Magen Turbulenzen, die schlimmer als alles gestern Erlebte waren.
"Auf das Frühstück verzichte ich dankend. Ich bekomme keinen Bissen hinunter." "Du fühlst dich besser, wenn du etwas im Magen hast. Vertrau mir." Daran hegte Carrie starke Zweifel. Es grenzte schon an ein Wunder, wenn sie sich überhaupt in naher Zukunft wieder besser fühlte! "Dreh dich bitte um, während ich schnell ins Bad renne." "Okay." Jack trat an die Fensterfront und sah hinaus auf den Ozean. "Nicht hinschauen!" Carrie wickelte sich das Laken um und erhob sich umständlich aus dem Bett. Während sie nachdrücklich die Badezimmertür hinter sich schloss, war ihr nicht bewusst, dass Jack ihr Spiegelbild die ganze Zeit in der Glasscheibe beobachtete. Nicht gerade sehr gentlemanlike, wie Jack sich widerwillig eingestand. Trotzdem gab er der Versuchung nach und verfolgte belustigt Carries Rückzug. Jack begriff selbst nicht so recht, was mit ihm los war. Seit gestern geschah etwas mit ihm. Und die Intensität dieser neuen Gefühle jagte ihm höllische Angst ein. Carrie war ein Teil seines Lebens, solange er denken konnte. Schon in frühester Jugend war sie faszinierend, kapriziös und absolut unberechenbar gewesen. Vor allem jedoch war Carrington Rose Delany seine beste Freundin. Bei ihren Eskapaden spielte er gelegentlich für sie den sprichwörtlichen Ritter in schimmernder Rüstung, der sie aus den haarsträubendsten Situationen befreite. Als Frau hatte Jack sie jedoch nie richtig zur Kenntnis genommen; zumindest nicht als eine Frau, die für eine Liebesbeziehung in Frage kam. Das allerdings hatte sich in der vergangenen Nacht schlagartig geändert. Auf dem Weg vom Taxi ins Hotel hatte Carrie sich vertrauensvoll in seine Arme gekuschelt. Und dabei war Jack aufgegangen, dass sie eine Frau war.
In jeder Hinsicht... Eine Stunde später zeigte das Aspirin Wirkung. Während Carrie beim Frühstück herzhaft zulangte, bewunderte sie den zauberhaften Ausblick. Azurblauer Himmel. Wellen schlugen gegen den Strand. Palmen bogen sich in der warmen Brise. Das reinste Paradies. "Heute steht Nichtstun auf dem Programm." "Nichtstun?" hakte Jack entgeistert nach. "Man kann nicht nichts tun, Carrie." "Ich schon." Carrie hatte das Nichtstun zur Kunstform erhoben. Sie besaß keine Ambitionen; sie hatte auch nicht den Drang, Millionärin zu werden. In der Boutique war Carrie ständig auf Trab. Doch sobald sie am Abend das Geschäft verließ, tat sie rein gar nichts und gönnte sich Erholung pur. "Wo genau wollen wir nichts tun?" Jack nahm Carries absurden Vorschlag immer noch nicht ernst. "Am Strand natürlich! Warum sollten wir auf ein tropisches Inselparadies fliegen und uns nur auf unserem Hotelzimmer verkriechen?" "Nun, wenn wir am Strand sind und nichts tun, tun wir de facto doch etwas. Du sonnst dich, und ich lese ..." Sofort fuhr Carrie ungehalten dazwischen. "Du sagst mir besser, dass du dir Unterhaltungslektüre mitgebracht hast, Jack Templeton! Falls du nämlich glaubst, du könntest am Strand Akten studieren, bin ich für meine Taten nicht verantwortlich!" Jack zeigte sich nur mäßig beeindruckt. "Gibst du mir einen kleinen Tipp, was mich erwartet?" Jack neckte sie - genau wie damals in ihrer Schulzeit! Carrie erwiderte sein verschmitztes Lächeln. Der Mann hatte ja keine Ahnung, was sie alles angestellt hatte, um diese Ferien in die Wege zu leiten. Jetzt sollte er die freien Tage auch unbeschwert genießen. "Lass dich überraschen." "Geht ein winzig kleiner Schriftsatz durch?"
"Wenn du gründlich durchgekitzelt werden willst ...", ging Carrie auf das Spiel ein. "Da bin ich ja haarscharf davongekommen. Nur Unterhaltungsromane, genau wie befohlen. " Jack lächelte so unschuldig wie ein Messdiener während der Messe. "Glück gehabt." "Reiner Selbsterhaltungstrieb. Du hattest da dieses mordlustige Funkeln in den Augen, als du deine Befehle gegeben hast." "Ich gebe keine Befehle, ich mache lediglich Vorschläge manchmal eben sehr nachdrückliche", belehrte Carrie ihn. "Was war mit meinen Augen?" "Darin lag dieser Furienblick, der mir einen Tobsuchtsanfall androhte, falls ich Firmenakten auf diese Insel einschmuggele. Sind Bücher erlaubt?" "Kommt drauf an. Was für Bücher?" "Western." Jack zielte mit einem imaginären Revolver in Carries Richtung und tippte sich an einen nicht vorhandenen Stetson. "Von wem?" hakte Carrie sicherheitshalber nach. "John Legg. Einer meiner Lieblingsautoren. In den letzten Jahren habe ich nichts als Verträge und Ähnliches gelesen, also habe ich mir die Bücher besorgt, die ich verpasst habe." "Es gibt vieles, was du verpasst hast, besonders in den vergangenen Monaten." Sie klang wie eine Mutter, die ihr unartiges Kind schalt! Schnell machte Carrie einen Rückzieher. "Auch das werden wir in dieser Woche ändern." Ihr Lächeln milderte die Tatsache, dass sie ihn schon wieder herumkommandierte. Jack ging immer gleich auf die Barrikaden, wenn er sich in die Defensive gedrängt fühlte. "Wir zwei werden uns prächtig amüsieren. Betrachte es als Kurzlehrgang in Sachen Urlaubsvergnügen. Die heutige Lektion heißt: Wie man nichts tut und jede Menge Spaß dabei hat." "Klingt kompliziert."
"Im Gegenteil. Es ist total simpel. Studienunterlagen sind eine Flasche Sonnenöl, ein paar gute Bücher und unsere Handtücher." Ganz der gehorsame Schüler, machte Jack selbst einen Vorschlag. "Wie steht's mit Badezeug? Können wir das nach eigenem Ermessen handhaben?" Viel sagend wackelte er mit den Augenbrauen. "Obwohl Badesachen nicht zwingend vorgeschrieben sind, werden wir sie trotzdem tragen." "Musst du einem Mann jeden Spaß verderben?" "Wie ich hörte, regt eine gewisse Rätselhaftigkeit die Phantasie an. Falls es dir daran mangelt, kannst du ja den Strandschönheiten nachschauen." "Lass mich das kurz zusammenfassen: du wirst mir also beibringen, wie man das Leben genießt, und zu diesem Zweck gehen wir an den Strand und schauen halb nackten Frauen nach? Langsam gefällt mir dieser Kurzurlaub!" "Beäugen ist zulässig, Ansprechen ist strengstens verboten. Schon vergessen, dies ist eine Ferienanlage für Paare! Zu jedem dieser halb nackten Frauenkörper, die du unbedingt anstarren willst, gehört ein für dich sicher weit weniger interessanter Männerkörper." "Spielverderberin!" "Realistin." Das war Carrie nicht immer gewesen. Als sie noch zur Schule ging, hatte sie große Träume gehabt. Unglücklicherweise gingen Träume selten in Erfüllung. Plötzlich musste sie an das kleine Carrington Rose Label denken. Einige Träume wurden doch wahr. Verstohlen musterte sie den dunkelhaarigen Mann an ihrer Seite. Vielleicht hatten auch andere Träume eine Chance, wenn Jack seine Trennung von Sandy überwunden hatte. "Realistin! Du bist der phantasievollste Mensch, den ich kenne! Carrie, du lebst nicht in der realen Welt. Das hast du noch nie getan."
Besser, sie wechselten schleunigst das Thema. Streiten hatte keinen Sinn. Jack hielt sie für absolut hilflos. Nichts und niemand konnte an dieser Meinung rütteln. Was Carrie übrigens gut passte. Wer war sie, dass sie Jack den Spaß verdarb, hin und wieder für sie den Helden zu spielen? Denn genau so war es: Sie gestattete es ihm, an ihren kleinen Eskapaden teilzuhaben. Das würde Jack nie verstehen. Und nach all diesen Jahren war es zu spät für Erklärungsversuche. War sie egoistisch? Wenn Jack sie vor sich selbst rettete, war er zumindest ein Teil ihres Lebens. Carrie hatte Jacks Freundinnen kommen und gehen sehen. Mit Sandy war ihr letzter Hoffnungsfunke erloschen. Sandy hatte Carrie endgültig klargemacht, dass sie als Frau keine ernste Konkurrenz darstellte. Danach hatte Carrie sich endgültig mit ihrer Rolle in Jacks Leben abgefunden. Sie war für Jack nur ein guter Kumpel. Jemand, mit dem er ausging, wenn Sandy als Flugbegleiterin wochenlang um die Welt jettete. Carrie schob die ernsten Gedanken beiseite und packte Jack beim Hemdsärmel. "Der Strand wartet! Willst du den ganzen Tag in diesen vier Wänden verschwenden?" "Ging es nicht genau darum? Den Tag zu verschwenden?" argumentierte Jack auf seine nervtötend logische Art. "Am Strand, Jack! Nicht im Hotelzimmer! Das ist ein himmelgroßer Unterschied!" Carrie seufzte. Da stand ihr anscheinend jede Menge Arbeit bevor! Am Abend inspizierte sich Carrie im Badezimmerspiegel. Nichtstun war gefährlicher, als es aussah! "Carrie, kommst du irgendwann wieder zum Vorschein?" fragte Jack durch die geschlossene Tür. "Nein." Restlos ernüchtert sank Carrie auf den Badewannenrand und betrachtete den Kleiderstapel im offenen Regal. Sie steckte in der Zwickmühle. Sie konnte die Sachen unmöglich anziehen, nackt dagegen konnte sie das Bad auch
nicht verlassen. Es fehlte noch, dass ihre unbekleideten Auftritte zur Gewohnheit wurden! "Wie schlimm ist es?" ertönte erneut Jacks Stimme. "Schlimmer als alles, was ich je erlebt habe!" Carrie schniefte leise und zog ein Papiertaschentuch aus der Box. Beim Berühren der sonnenverbrannten Nasenspitze gab sie auf. "Übertreibst du nicht etwas?" "Von wegen! Es ist eine Katastrophe!" Mit spitzen Fingern hob Carrie ein winziges Etwas aus Seide vom Kleiderstapel. Nein, den BH konnte sie streichen. Bei ihrer spärlichen Oberweite bemerkte das Fehlen sowieso niemand. Gut. Eine Sorge weniger. Hoffentlich ließ sich das Maxi- T-Shirt mit einem Minimum an Schmerzen überstreifen: Ansonsten durfte sie den Rest der Ferien im Badezimmer verbringen. Nach kurzem Nachdenken entschied Carrie, dass Unterwäsche ebenso unbequem war. Sie ließ den Slip neben dem BH liegen und schlüpfte vorsichtig in die Fleece-Shorts. "Hast du die kühlende Lotion benutzt, die man dir im Krankenhaus gegeben hat?" machte sich erneut ihr besorgter Mitbewohner bemerkbar. "Stellenweise." Bedächtig richtete Carrie sich auf. Die Kleidung war zum Glück nicht annähernd so unangenehm wie befürchtet. "Die Rückenpartie hat ein paar uneingecremte Flecken." Das brachte Jack auf gewisse Ideen. "Brauchst du Hilfe?" erkundigte er sich so unbeteiligt wie möglich. Carrie öffnete die Badezimmertür einen Spalt breit. "Wieso ist deine Haut überhaupt nicht gerötet?" beklagte sie sich und schob die Tür ganz auf. "Weil ich wegen meines dunklen Teints selten einen Sonnenbrand bekomme." "Das ist unfair!" Carrie fühlte sich wie ein Häufchen Elend. "Komm schon, gib mir die Lotion."
Carrie reichte ihm das Fläschchen und wandte ihm den Rücken zu. Mit einer Hand zog sie hinten das T-Shirt hoch. "Hey, du trägst ja keinen BH." "Brillante Beobachtungsgabe, Mr. Templeton! Hältst du mich für eine Masochistin? Hast du eine Ahnung, wie mir die Träger in die verbrannte Haut schneiden würden? Shorts und T-Shirt überzustreifen war scho n Strafe genug!" Jack gab etwas Lotion in seine Hand und verteilte sie behutsam auf Carries Rücken. Carrie hätte am liebsten vor Zufriedenheit geschnurrt. Sehnsucht flammte auf und ließ ihre Sinne übersensibel auf die zarte Massage reagieren. Wo immer Jack sie berührte, erfasste sie ein köstliches Prickeln. Mit geschlossenen Augen gab sich Carrie den berauschenden Empfindungen hin. Plötzlich herrschte eine knisternde Spannung im Raum, die Carrie ihren überhitzten Gefühlen zuschrieb. Jack war der Mann ihrer Träume. Eine Gewissheit, die Carrie im Lauf der Jahre bewusst verdrängt hatte. In Momenten wie diesem jedoch fiel ihr das Vergessen schwer. Anfangs war es nur eine Teenagerschwärmerei gewesen. Später wurde es Liebe. Eine einseitige und deshalb sehr aussichtslose Liebe. Weil sie Jack nicht verlieren wollte, hatte Carrie sich notgedrungen auf ihre Freundschaft besonnen. Aber nun, wo Jacks Fingerspitzen in langsamen, kreisenden Streichelbewegungen über ihre Haut wanderten und erregende Schauer auslösten, bekam die Fassade der platonischen Freundschaft einen Riss. "Danke." Carrie ließ das T-Shirt sinken, nahm Jack die Lotion ab und erkundigte sich betont fröhlich: "Wie wäre es mit Kino heute Abend? Nicht nur, dass mir alles wehtut; außerdem ist es ziemlich ermüdend, den ganzen Tag herumzuliegen und nichts zu tun."
Jack winkte ab. "Ebenso gut könnten wir uns hier im Zimmer ein Video ansehen." Carrie streckte ihm die Zunge heraus. "Du hast wirklich vergessen, wie man Spaß hat", erkannte sie ernüchtert. "Stand da irgendwas von Spaß vermeiden in deinem Anwaltsschwur?" Jack lachte. "Nein." "Also dann ..." "Warum macht ein Kinobesuch mehr Spaß, als den Abend hier auf diesem Hotelzimmer zu verbringen, für das der gute alte Ted bezahlt hat?" Jack bedachte sein Gegenüber mit einem forschenden Blick. Wüsste sie es nicht besser, würde Carrie sagen, dass Jack ihr Täuschungsmanöver durchschaut hatte. Das war völlig unmöglich, wie sie sich schnell beruhigte. Trotzdem sollte sie besser die Spuren verwischen. War Angriff nicht die beste Verteidigung? "Ach Jack, ich war eine sehr unaufmerksame Freundin. Mir ist zwar aufgefallen, dass du jeden Funken Humor verloren hast, doch das erschüttert mich jetzt wirklich! Du bist ja steinalt geworden! Ein gemütlicher Fernsehabend! Ist das dein Ernst?" Theatralisch schlug Carrie die Hände vors Gesteht. "Jetzt, wo mir mein Versagen als Freundin schmerzhaft bewusst ist, werden wir dieser bedauerlichen Tatsache sofort Abhilfe schaffen. Bevor wir abreisen, amüsieren wir uns bis zum Umfallen, das garantiere ich dir!" Jack ignorierte den Seitenhieb ebenso wie Carries melodramatischen Auftritt. "Willst du nicht doch lieber hier bleiben?" In seiner Stimme schwang Resignation mit. "Jack, wir gehen ins Kino, nicht zu deiner Exekution. Wenn du ein braver Junge bist, kaufe ich dir sogar ein paar Bonbons zum Knabbern." Schon liefen erregende Szenen vor Carries geistigem Auge ab. Jack, der an ihr knabberte ...
Jack, wie er sie hielt, sie liebkoste ... Jack, der mit aufreizendem Streicheln und wilden Küssen ihr Innerstes in Flammen setzte ... Jack, wie er sie in eine Welt purer Sinnlichkeit entführte ... Eine süße Schwäche überkam Carrie. "Versprochen?" riss Jack Carrie aus ihrer Versunkenheit. Kino! Keine Küsse! ermahnte sich Carrie streng. Sie hatte Jack auf die Insel gebracht, damit er sich entspannte. Und nicht, damit er ihre erotischen Gelüste befriedigte! So schön das auch wäre ... "Ich habe die Karten." Carrie wedelte mit den Kinotickets, während sie sich zu Jack in die Warteschlange vor dem Popcornstand gesellte. "Prima. ,Blutige Mordnacht' soll ein echter Reißer sein." Jacks Vorfreude war offensichtlich. Leider sollte sich das gleich schlagartig ändern. "Ich habe leider schlechte Neuigkeiten", begann sie vorsichtig. "Heute bin ich mit der Filmauswahl an der Reihe." "Irrtum, Schatz. Vor zwei Wochen hast du mich zu dieser Tränendrüsenstory gezwungen." "Fernsehen zählt nicht. Und bei unserem letzten Kinobesuch haben wir uns eine deiner Geschmacksverirrungen angesehen." Die Warteschlange bewegte sich. Carrie und Jack traten ein paar Schritte vor. "Ich erinnere mich nicht einmal mehr daran, wann wir beide zuletzt zusammen im Kino waren", sagte Jack. Selbst schuld! "Ich schon. Und damals war es einer deiner Horrorschocker. Heute durfte ich den Film aussuchen." "Was genau droht mir?" Jack war auf das Schlimmste gefasst "Der Film über die Hochzeit dieser drei Schwestern." "Bitte keine Komödie! Komm schon, Carrie. Ich brauche ein brutales Gemetzel, bei dem mächtig viel Blut fließt." "Falls ich richtig informiert bin, hat eine der Schwestern einen Unfall. Dabei könnte Blut fließen", säuselte Carrie.
"Ich rede nicht von Nasenbluten! Ich rede von halbautomatischen Waffen und Explosionen. Schweiß und Testosteron! Ein Mann will Action im Kino sehen." Carrie winkte ab. "Nächstes Mal darfst du auswählen", schlug sie mit Unschuldsmiene vor. "Dann ertrage ich hirnloses Geballere und muskelbepackte Machos. Heute Abend dagegen lassen wir unsere Seele von Humor und Tragik anrühren." "Echte Kerle weinen nicht", versicherte Jack ihr. Carrie lächelte bloß. Sie kannte die Wahrheit über Jack Templeton. Er war Manns genug für gelegentliche rührselige Momente. Jede Wette, dass am Ende er derjenige war, der heimlich ein paar Tränen verdrückte. Das fand Carrie richtig niedlich. Was sie lieber für sich behielt. Männer waren etwas eigen, was ihre kleinen Schwächen anbelangte. "Kann ich Ihnen helfen?" fragte das Mädchen am Snackstand. Carrie bestellte eine Riesentüte Popcorn mit extra viel Butter, eine Maxi-Cola und ein Paket Lakritze. "Außerdem noch Gummibärchen", sagte Jack wie aufs Stichwort. Verstohlen drückte Carrie seine Hand. "Wofür war das denn?" Carrie dachte an Ted, der genauso wenig Ahnung von den richtigen Süßigkeiten für einen Kinobesuch hatte, wie vom Ordern des richtigen Restaurantessens. "Einfach nur so." Eine Stunde und siebenundvierzig Minuten später verließen Jack und Carrie das Kino. "Gib's zu, das war besser als Mord und Totschlag!" Jack rieb sich eine verräterische Träne aus dem Auge. "Nein", erwiderte er barsch. "Lügner!" Seit der letzten halben Stunde war vom Nachbarsitz ein ersticktes Schluchzen gekommen! "Ich bevorzuge eben Actionfilme."
"Sicher. Es ist bloß so, dass du sentimentale Filme nicht halb so sehr verabscheust, wie du der Welt gern weismachen möchtest." "Treib es nicht zu weit, Carrie!" "O bitte, Jack! Hab Erbarmen! Ich zittere ja schon vor Angst!" reizte Carrie ihn und machte auf dem Absatz kehrt. Schnellen Schrittes überquerte sie die Uferpromenade und eilte die Stufen zum Strand hinunter. "Eine kluge Erkenntnis!" Jack jagte ihr nach. "Mich fängst du nie!" tönte Carrie triumphierend. Ganz kurz blieb sie stehen, kickte ihre Sandaletten von den Füßen und setzte das Rennen fort. Auf ihre Herausforderung folgte keine Antwort, was Carrie ziemlich nervös machte. An einen aufbrausenden Jack war sie gewohnt. Ein schweigsamer Jack - das war gefährlich! Gerade als Carrie einen vorsichtigen Blick über die Schulter wagte, wurde sie hochgehoben und fand sich auf Jacks Annen wieder. "Jack!" kreischte sie. "Wer gefährlich leben will, muss auch den Preis bezahlen." Carrie versuchte, sich freizustrampeln. Ein vergebliches Unterfangen. Jack war zu stark. Kurzerhand warf er sich Carrie über die Schulter. "Hey, du Riesengorilla!" Heftig hämmerte sie auf seinen Rücken. "Lass mich sofort wieder runter!" Ungerührt marschierte Jack weiter. Dieses Lachen hatte Carrie viel zu lange gefehlt. "Was hast du vor?" schimpfte sie in gespielter Empörung. "Ich zahle es dir heim." Sie hatten den Wellensaum erreicht. Ohne zu zögern, schritt Jack in die aufspritzende Brandung. Carrie ahnte Fürchterliches. "Und wie genau willst du das bewerkstelligen?" "Genau so." In hohem Bogen flog Carrie durch die Luft.
"Jack!" Schon landete sie im warmen Wasser, das auf ihrer sonnenverbrannten Haut wie Nadelstiche stach. Prustend kam Carrie wieder an die Oberfläche. "Du Schuft!" Bis zu den Knien stand er im Wasser und lachte über Carries verdutzte Miene. Das nasse Haar hing ihr ins Gesicht, und sie taumelte in der starken Brandung. Dieser King-Kong-Verschnitt amüsiert sich offenbar prächtig! dachte Carrie und überlegte sich, wie sie sich rächen konnte. Sie gab einen überzeugenden Kreischer von sich und ließ sich in die Wellen fallen. Mit ein paar Schwimmzügen tauchte sie unter und umrundete Jack. Als ihr die Luft ausging, kam sie ganz vorsichtig hoch und peilte dabei die Lage. Ihr Plan funktionierte! Jack stand mit dem Rücken zu ihr und suchte sie. Inzwischen reichte ihm das Wasser bis zur Taille. Panik erfasste ihn. "Carrie, wo steckst du?" "Hier!" Sie sprang auf seinen Rücken und schubste ihn in die Wellen. Nach Atem ringend, kamen sie beide wieder hoch. "Du hast mir zehn Jahre meines Lebens geraubt!" Jack packte Carrie um die Taille und drückte drohend ihren Kopf nach unten. "Und jetzt sprich mir nach: Ich werde Jack Templeton nie wieder erschrecken!" "Träum weiter!" Prompt wurde Carrie untergetaucht. "Sag es!" "Nein! Du hast angefangen und mich ins Wasser geworfen!" Erneut besuchte sie die Fische. "Jack!" Carrie kam hoch und rieb sich Lachtränen aus den Augen. "Okay, okay. Es tut mir Leid, dass ich dich zu Tode erschreckt habe." "Besonders reumütig wirkst du nicht", beschwerte er sich. "Bin ich aber. Ehrenwort. Nicht, dass du das verdient hättest", schwächte Carrie gleich wieder ab.
Während Jack über diese halbherzige Entschuldigung nachdachte, verschränkte Carrie das Bein hinter seinem linken Knie. Mit einem Stoß half sie nach und stürzte Jack in die Ruten. "Mich bedrohen! Dir werd ich's zeigen, Freundchen!" Nun war Jack ebenso durchweicht wie sie. Blanke Rachlust lag in seinem Blick. "Du stehst auf dünnem Eis, Lady!" schimpfte er, während er seine klatschnasse Kleidung begutachtete. "Ich stehe nicht, ich renne!" Carrie flüchtete zum Strand, mit Jack im Schlepptau.
4. KAPITEL Carrie und Jack lachten noch, als sie das Hotelzimmer erreichten. Sie waren pitschnass, aber das war der Spaß am Strand wert gewesen. Lange hatte Carrie Jack nicht mehr so unbeschwert erlebt. Nicht nur die unglückselige Beziehung mit Sandy hatte ihn belastet, sondern auch seine Arbeit. Seine Fälle bei Ericson & Roberts waren zunehmend anspruchsvoller geworden. Durch die Alltagshektik war Jacks jungenhafte Unbekümmertheit verloren gegangen. "Du kämpfst mit unfairen Mitteln!" Jack konnte sich gerade noch ein Handtuch aus dem Bad schnappen. Noch ehe er sich die Haare trockenrubbelte, hatte Carrie sich schon an ihm vorbeigedrängelt, warf die Badezimmertür ins Schloss und schob den Riegel vor. "Ich darf als Erste unter die Dusche. Und um deine Frage zu beantworten: Nein, ich kämpfe niemals fair", gab sie kokett zurück und drehte das Wasser an. Der Klang von Carries Lachen lenkte Jacks Blick zur Tür. Kein Zweifel, diesen Urlaub hatte er dringend nötig. Er konnte sich kaum erinnern, wann er sich zuletzt so entspannt gefühlt hatte. Nein, entspannt war nicht das richtige Wort. Lebendig. Und es lag nicht allein an diesem Inselaufenthalt. Erinnerungen stiegen in Jack hoch. Wie er die Lotion auf Carries Haut verteilt hatte. Oder wie sie vorhin einer Göttin gleich den vom Mondlicht beschienenen Wellen ent stiegen war.
Viele Jahre lang war Carrie für ihn nur die gute Freundin gewesen. Mehr und mehr wurde ihm jedoch klar, dass sie eine äußerst begehrenswerte Frau war. Aber sie war nicht seine Frau. Jacks Zusammenleben mit Sandy war ein ständiges Auf und Ab gewesen. Hinzu kamen die jobbedingten Trennungen. Oft hatte er sich gefragt, warum die Liebe so kompliziert sein musste. Wenn Sandys Gefühle echt waren, wieso reiste sie monatelang durch die Welt? Warum fiel ihm jeder Abschied so leicht? Warum blieb ihre Beziehung unverbindlich? Weshalb waren sie nie vor den Traualtar getreten? Durch Sandys erzwungene Ruhepause waren sie zu der gleichen Erkenntnis gelangt: was sie füreinander empfanden, war ein angenehmes, vertrautes Gefühl. Aber es war keine Liebe. In seinem Beruf erging es Jack ähnlich. Nach außen hin erschien alles perfekt. Er arbeitete für eine angesehene Kanzlei, keiner seiner Fälle interessierte Jack jedoch wirklich. Er war Mitglied eines elitären Country Clubs, er bewegte sich in den richtigen Kreisen, er fuhr den richtigen Wagentyp, er kleidete sich korrekt, er besaß die besten Manieren. Kurzum, er war der Prototyp des aufstrebenden Anwalts. Das war die geschäftliche Seite. So weit Jack zurückdenken konnte, hatten ihn Ambitionen angetrieben. In der High School hatte er fürs College gelernt. An der Universität stellte das Jurastudium große Ansprüche. Nach dem glänzenden Abschlussexamen kam die Anstellung in einer prestigeträchtigen Kanzlei. Und danach ging es immer höher auf der Karriereleiter. Nun stand die lang ersehnte Partnerschaft bevor. Ericson, Roberts & Templeton, das klang gut. Gut genug, um dafür sein Privatleben zu opfern? War die gescheiterte Beziehung zu Sandy der Preis für seinen Ehrgeiz?
Und wie stand es um seine beruflichen Ziele? Ursprünglich hatte Jack die Anwaltskarriere aus Idealismus gewählt. Er wollte Ungerechtigkeiten wieder gutmachen und den Unterprivilegierten helfen. Stattdessen setzte er komplizierte Verträge für Unternehmen auf, deren Gewinne in die Milliarden gingen. Carrie und dieser Kurztrip hatten etwas in Jack bewirkt. Seine Sicht der Dinge wandelte sich. Er stand am Scheideweg. Beruflich wie privat. Plötzlich war seine beste Freundin zugleich die Frau, die er begehrte. Wie sollte es jetzt mit ihnen weitergehen? "Karaoke!" Carries Entschluss stand unwiderruflich fest. "Ohne mich!" Irgendwann war Jacks Toleranzschwelle erreicht. Er gab Carries verrückten Launen viel zu oft nach. Genau da lag das Problem. In ihrem grenzenlosen Optimismus ignorierte Carrie geflissentlich, dass es gewisse Grenzen gab. Nun, heute Abend hatten sie eine erreicht. Jack Templeton betrat keine KaraokeBars. Er genehmigte sich dort keinen Drink, und ganz sicher stellte er dort keine Sangeskünste zur Schau. "Es ist ein Trauerspiel mit dir, Jack!" Carrie schnitt eine Grimasse. "Du vergreist allmählich!" Carries beständige Frotzeleien über seinen Altersvorsprung gingen Jack gehörig auf die Nerven. "Schätzchen, darf ich dich daran erinnern, dass ich zwei Jahre vor dir das Licht der Welt erblickt habe?" Widerspruch spornte Carrie nur an. "Man kann zahlenmäßig oder im Geiste alt sein. Du verkalkst mental. Deswegen singen wir jetzt Karaoke." Jack verlor seine hart umkämpfte Gelassenheit. "Carrie!" Jacks Temperamentsausbruch imponierte seiner Zimmergenossin leider nicht im Geringsten. Ungerührt legte
Carrie kleine Silberohrringe an. "Das Umziehen kannst du dir sparen. In solchen Bars geht es selten formell zu." "Carrington Rose Delany!" Streitlustig baute er sich vor Carrie auf. "Hast du mich nicht verstanden?" "Oh, oh. Ich stecke in höllischen Schwierigkeiten, wenn du meinen vollen Namen benutzt." Carrie stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte Jack einen Kuss auf die Wange. "Warum verrätst du mir auf dem Weg zur Karaoke-Bar nicht, was ich jetzt wieder angestellt habe?" Sie schlüpfte in ihre Sandaletten. "Weil du da allein hingehst!" schimpfte Jack. Sie hörte ihm nie zu! Das brachte ihn an Carrie so zur Raserei. Andere Leute standen für ihn auf Abruf bereit. Andere aber nicht Carrie. "Okay", meinte sie unverdrossen. "Was soll's! Bleib hier, und mach dir einen gemütlichen Abend vor dem Fernseher. Du brauchst im Urlaub sicher alle Ruhe, die du bekommen kannst. Weißt du, ein Mann deines fortgeschrittenen Alters kann da nicht vorsichtig genug sein. Denke nur an das rapide ansteigende Herzinfarktrisiko bei Männern in den Dreißigern! Ganz zu schweigen von dem Stress, dem du täglich ausgesetzt bist und der bedauerlichen Tatsache, dass du völlig aus dem Leim gegangen bist..." "Den Teufel bin ich!" knurrte Jack. Wenn sie glaubte, dass sie damit durchkam, täuschte sie sich. Und zwar gewaltig! "Also bei unserem Strandwettrennen konnte ich dich spielend abhängen. Ein Mann in der Blüte seiner Jahre lässt sich von keiner Frau schlagen." Diese dreiste Behauptung traf Jack empfindlich in seiner Ehre als Mann. "Ich habe dich gewinnen lassen!" Carrie zerzauste ihm das Haar. "Geh besser mal früh schlafen. Übrigens kannst du das Bett diese Nacht wieder für dich haben. Ich fand es gestern ganz gemütlich auf dem Boden. Deine alten Knochen werden für den Komfort dankbar sein."
"Meinen verdammten Knochen geht es bestens! Deswegen nehme ich den Fußboden!" Carrie bedachte Jack mit einem dieser nachsichtigen Lächeln, die Jack in schöner Regelmäßigkeit vor lauter Frustration zum Zähneknirsche n brachten. "Was immer du willst, Jack. Leg die Beine hoch, mach es dir im Bett bequem, und schau dir einen Film im Fernsehen an. Auf irgendeinem Kanal läuft bestimmt eine interessante Dokumentation. Bei meiner Rückkehr bin ich auch leise, damit ich dich nicht aufwecke. Falls wir uns morgen früh nicht sehen sollten, findest du mich bei den knackigen Jungs an der Strandbar." Mit diesem gluckenhaften Getue konnte diese aufreizende Frau Jack zur Weißglut treiben! "Lass mich wenigstens vorher meine verdammten Schuhe anziehen." "Jack, warum bist du so verkrampft? Entspanne dich doch endlich! Immerhin befindest du dich auf einem tropischen Inselparadies! Und vergiss die Schuhe! In deiner gegenwärtigen Stimmung wärst du sowieso keine angenehme Gesellschaft. Ich kann mich auch alleine amüsieren. Dies mag zwar ein Paarhotel sein, aber bestimmt sind einige der Kellner oder der Animateure Singles. Karaoke ist sowieso mehr was für die jüngere Generation." Jack sog geräuschvoll die Luft ein. "Ich sagte, ich begleite dich in diese Karaoke-Bar. Sobald ich meine Schuhe anhabe. Und keine Sorge, Carrie, dein Amüsierfaktor wird nur minimal unter meiner Begleitung leiden." Verdammt! Wieder hatte sie gewonnen! Wie immer. Erst lehnte er einen ihrer abstrusen Vorschläge kategorisch ab. Worauf Carrie ihm prompt reumütig beipflichtete. Irgendwie kriegte sie ihn wenig später doch herum. Fragte sich nur, wie. Jede Minute mit Carrie glich einer Achterbahnfahrt der Gefühle. Von null konnte sie ihn in Sekundenschnelle auf
hundertachzig bringen - und ihn ebenso rasch wieder auf den Boden der Tatsachen zurückführen. Carrie machte jeden Moment zum Abenteuer. Mit ihr zusammen war Jack glücklich. Jacks Zufriedenheit hielt genau eine Stunde und drei Bier an. "Ich sagte Nein!" protestierte Jack lautstark. Er nahm Carrie das Bierglas aus der Hand. "Und damit ist jetzt Schluss! Du verträgst nämlich keinen Alkohol!" Carrie zog einen Schmollmund. "Ich hatte Recht. Du vergreist!" Sie bedachte ihren Begleiter mit einem honigsüßen Lächeln. Was verriet, dass Jack wenig Gutes bevorstand. "Na schön, ich wechsle zu Cola, wenn du das auch tust." Gegen diesen Vorschlag hatte Jack berechtigte Einwände, kam jedoch nicht dazu, sie zu äußern. "Sonst", parierte Carrie spitz, "bestelle ich eine neue Runde." "Kann ich nicht wenigstens ein einziges Mal einen Streit gewinnen?" sagte Jack mehr zu sich selbst als zu seiner desinteressierten Begleiterin. "Jack, wir streiten nie, also gibt es auch keinen Gewinner." Sie sprang auf und zerrte Jack zur Bühne. Wenn es keinen Gewinner gab, wie war er dann hier oben gelandet? Carrie positionierte ihren widerwilligen Co-Star in der Bühnenmitte, drückte Jack ein Mikrofon in die Hand und nickte dem Ansager zu. Das Tonband lief an. Die ersten Takte erklangen. Verstohlen hielt Jack nach einem Fluchtweg Ausschau. "Du hast doch nicht allen Ernstes ..." Natürlich hatte sie! "Ich musste einen Song wählen, dessen Text wir beide kennen. Im Übrigen wollte ich dich mit keinem ungeprobten Auftritt blamieren."
Carries Zehenspitzen schlugen den Takt nach. Mit einem provozierenden Augenaufschlag sang sie die ersten Zeilen. Je sicherer sie wurde, desto ungehemmter gab sie sich der Musik hin. Jack war so hingerissen von Carries Anblick, dass er seinen Einsatz verpasste. Unsanft stieß Carrie ihn an. Sie war ganz in ihrem Element. Im Rhythmus der Musik ließ sie die Hüften kreisen. Ihre Haarspange fiel heraus. Das lange Haar streifte Jacks Schulter, während Carrie tanzte und sich die Seele aus dem Leib sang. So viel Begeisterung war einfach ansteckend. Jack vergaß das Publikum. Carries Lächeln und ihre provozierenden Bewegungen raubten ihm den Verstand. Die letzten Akkorde verklangen. Tosender Applaus brandete auf. "Siehst du, du erinnerst dich", Carrie strahlte ihn an. Wie hätte er den Song vergessen können? Carrie und er hatten "I've Got You, Babe" auf dem Schulball gesungen. Zu der Zeit war Carrie mit Matt Barker, einem der Jungs aus seinem Basketballteam, ausgegangen. Jack hatte Matt Prügel angedroht, wenn der nicht die Finger von Carrie ließ. Damals war sie erst sechzehn gewesen. Viel zu jung für irgendwelche Experimente mit Jungen. Jacks damalige Freundin war ... wie war noch ihr Name? "Ich schätze, ich bin nicht annähernd so verkalkt, wie du dachtest", murmelte er auf dem Weg durch die Menge zurück zu ihrem Tisch. "Ansichtssache. Ein Song kann unmöglich diese ganze Trübsal auslöschen." "Das macht dir Spaß, was?" "Was?" Carrie war ein Bild der Unschuld. "Mich zu quälen." "Dich quälen? So eine unfaire Unterstellung! Ich ..."
"Jack und Carrie?" Ihr kleiner Disput wurde von einer attraktiven Brünetten unterbrochen. Carrie sah auf. "Ja?" Die Frau wandte sich triumphierend an ihren Begleiter, einen unauffälligen Mann mit Halbglatze. "Na, was sagte ich dir, Herb? Das sind Carrie und Jack! Ihr erinnert euch doch an mich, oder?" Jack schüttelte den Kopf. "Bedaure ..." Auch Carrie war aufgeschmissen. "Mrs. Richardson", meinte die Frau, als sei damit alles geklärt. Carrie, die sich im Allgemeinen Namen gut merken konnte, durchforstete ihr Gedächtnis. "Chemie an der Seneca High School. Jack, du warst im Abschlussjahr, und Carrie hat mit dir den Fortgeschrittenenkurs besucht, obwohl sie eine Klasse unter dir war." "Mrs. Richardson? Unmöglich. Die war steinalt." Carrie biss sich auf die Unterlippe. Das klang ziemlich uncharmant. "Ich meine, Mrs. Richardson war unsere Lehrerin. Sie sehen viel zu jung aus, als dass Sie uns damals hätten unterrichten können", wiegelte sie ab. Mrs. Richardson fühlte sich sichtlich geschmeichelt. "Nenn mich ruhig Emma. So alt war ich damals übrigens gar nicht. Ich muss ungefähr Mitte zwanzig gewesen sein, als ihr beide in meinem Kurs wart." Carrie rechnete schnell nach. Mrs. Richardson - nie im Leben würde Carrie diese Autoritätsperson mit "Emma" anreden können - lachte. "Womit ich jetzt einundvierzig wäre. Wisst ihr, Kinder, Herb und ich feiern unseren fünfzehnten Hochzeitstag auf Amore Island. Unseren Nachwuchs haben wir bei seiner Mutter gelassen, um hier die fast verloschene Flamme der Leidenschaft wieder zum Lodern zu bringen." "Oh."
Jack, der Feigling, schwieg. Auch Carrie fehlten die Worte. Was sollte sie zu dieser Lehrerin sagen, die kaum älter als viele ihrer Freunde war? "Dürfen wir uns auf einen Drink zu euch setzen?" Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm Mrs. Richardson Platz und zog Herb auf den Stuhl neben sich. "Was für ein wunderbarer Zufall..." Ungerührt plapperte sie los über die bisherigen Geschehnisse ihres Aufenthalts und den Spaß, den sie und der gute Herb hatten, während Carrie zu verdauen versuchte, dass jemand, der sie einst unterrichtet hatte, nicht das Greisenalter ansteuerte. Sollten ehemalige Lehrer nicht uralt sein, weiße Haare haben und inzwischen am Krückstock gehen? "... und was feiert ihr beide mit dieser Reise?" Die Lehrerin hob bedeutungsvoll die Augenbrauen. "Habe ich es dir nicht immer gesagt, Herb? Jack und Carrie sind füreinander bestimmt!" Herb nickte pflichtschuldig. "Das wusste ich bereits, lange bevor ich euch damals im Klassenzimmer erwischt habe." Sie drohte Jack und Carrie spielerisch mit dem Finger. "Eigentlich hätte ich euch für dieses ungebührliche Benehmen während der Schulstunde nachsitzen lassen sollen." Jack blickte verständnislos drein. "Welches ungebührliche Benehmen?" "Euer heißer Kuss! Mitten im Chemieunterricht! Noch dazu vor den Augen eurer Mitschüler! Das war ziemlich ungezogen!" "Wir haben uns nicht geküsst", stellte Jack klar. "Jack, findest du nicht, du bist ein wenig zu alt, um eine Lehrerin anzuschwindeln?" erkundigte sich Carrie mit einem treuherzigen Augenaufschlag. "Wir haben uns nicht geküsst!" beharrte Jack stur. "Na, na, na, Jack!" tadelte Mrs. Richardson ihren ehemaligen Schüler. "Carrie hat das Labor in die Luft gejagt!" Ein winziger Muskel zuckte an Jacks Wange. "Ich habe Mund-zu-MundBeatmung bei ihr gemacht."
Mrs. Richardson zeigte sich mäßig beeindruckt. "Ach, so nennt man das heute?" Sie stieß Herb den Ellbogen in die Seite. "Diese beiden Turteltäubchen lagen im Chemielabor auf dem Boden und küssten sich, als hinge ihr Leben davon ab. Und alle Klassenkameraden sahen zu. Es war so romantisch! Wie sollte ich die beiden dafür bestrafen?!" Jack riss der Geduldsfaden. "Carries Leben hing tatsächlich davon ab! Das halbe Labor ist in die Luft geflogen! Ich befürchtete, sie sei tot." Noch nach fünfzehn Jahren erinnerte sich Jack an seine Panik bei der Vorstellung, Carrie sei etwas Ernsthaftes zugestoßen. Das gleiche Entsetzen hatte er gestern Abend verspürt, nachdem sie in den Fluten untergetaucht war. "Natürlich, Jack. Wenn du es sagst." Jack, Carrie und sogar der schweigsame Herb merkten diesem Kommentar die Ironie an. "Es spielt ja auch keine Rolle. Eines Tages würdet ihr zwei heiraten, daran hegte ich nie einen Zweifel. Und hier seid ihr nun." "Sind wir nicht", stellte Jack klar. Unter dem Tisch versetzte Carrie Jack einen Fußtritt. Wie üblich ignorierte er derartige subtile Hinweise. "Wir sind nicht verheiratet. Wir sind lediglich ..." Auf dem Gesicht seiner früheren Lehrerin spiegelte sich blankes Entsetzen wider. "Was soll das heißen, ihr seid nicht verheiratet? Nach all diesen Jahren lebt ihr immer noch in wilder Ehe?" Mrs. Richardson durchbohrte Jack mit eisigem Blick. "Nein. Ich meine, wir sind nicht..." Hilfe suchend schaute Jack zu Carrie. Carrie war schleierhaft, wieso Jack glaubte, sie würde ihn retten. Sollte er ruhig selbst sehen, wie er sich da herauswand! Den besten Kuss ihres Lebens als Wiederbelebungsversuch abzutun! So eine Frechheit! In Jack brodelte es. "Sag es ihr!"
Schließlich zeigte Carrie Mitleid. "Jack will sagen, wir sind kein Liebespaar, sondern gute Freunde. Sehe n Sie, ursprünglich sollte Ted mich auf die Insel begleiten. Er war mein richtiger Freund." Mrs. Richardson schnappte nach Luft. "Ach, du Ärmste!" Sie beugte sich über den Tisch und tätschelte Carries Hand. "Männer sind ja solche Egoisten! Was hat dieser Ted dir angetan?" "Er hat Fettuccini bestellt! Können Sie sich das vorstellen!" Carrie erwärmte sich immer mehr für das Thema. "Außerdem küsst er viel schlechter als Jack. Obwohl Jack mich seit dem Zwischenfall im Labor nie wieder geküsst hat. Wenn Sie wüssten, wie lange ich dafür geübt habe! Mein ganzes Abschlussjahr habe ich von einer Wiederholung dieses Kusses geträumt. Und was tut er? Nichts tut er!" Um die Mundwinkel der Lehrerin lag ein grimmiger Zug. "Wie ich schon sagte, Liebes. Männer sind Egozentriker!" Herbs und Jacks Miene sprachen Bände. "Es war kein Kuss", stellte Jack richtig, obwohl vermutlich keine der Frauen ihm Gehör schenkte. Mrs. Richardson wirbelte zu Jack herum. "Mein Lieber, ich habe eine Menge Küsse gesehen. Und ich habe noch wesentlich mehr Küsse selbst erlebt. Es war ein Kuss!" dozierte Mrs. Richardson im besten Lehrerinnenton. Das reichte! Jack war ein geduldiger Mann - das hatte der Umgang mit Carrie ihn gelehrt. Aber selbst die Geduld des nachsichtigsten Mannes kannte Grenzen. "Wenn ich es Ihnen doch sage: Das war kein Kuss! Aber das hier ist einer!" Damit zog er die völlig verblüffte Carrie in seine Arme.
5. KAPITEL Kaum presste Jack die Lippen auf Carries Mund und schmeckte ihre berauschende Süße, durchzuckte ihn die Leidenschaft wie ein heißer Blitz. Jahrelang hatte er keine andere Frau als Sandy geküsst. Seit der Trennung verschwendete er keinen Gedanken daran, eine andere Frau zu küssen. Falls ihn allerdings sein Erinnerungsvermögen nicht trog, so war es ganz natürlich, wenn sich beim Küssen Verlangen regte. Nur hatte das, was sich diesmal rührte, sehr wenig mit Sex zu tun. Okay, es hatte eine Menge mit Sex zu tun. Doch dieser Kuss berührte auch sein Herz. Diese Hingabe hatte Jack in der Beziehung mit Sandy gefehlt. Diesen unerwarteten und absolut beunruhigenden Zauber ausgerechnet bei Carrie, seiner besten Freundin, zu finden, war ein Schock für Jack. Mit spielender Leichtigkeit konnte Carrie sein Temperament und seine Beschützerinstinkte wecken. Und nun stellte ein einziger Kuss sein wohlgeordnetes Leben völlig auf den Kopf. Jack spürte, wie Carrie erschauerte. Er vertiefte den Kuss, wurde drängender, fordernder, verlor sich in Carries sinnlichem Zauber. So sehr, dass er wahrscheinlich nie wieder ein freier Mann sein würde. Carrie verging fast vor Sehnsucht nach mehr. Viel mehr.
Leise stöhnte sie auf und schlang die Arme um Jacks Hals. Voller Leidenschaft erwiderte sie das erotische Spiel seiner Zunge und überließ sich ganz diesem Aufruhr der Gefühle, der ihren Verstand völlig ausschaltete. Beide versanken in diesem köstlichen Sinnestaumel und vergaßen alles andere. Ein Räuspern brachte Jack und Carrie aus dem Land der unbegrenzten erotischen Möglichkeiten zurück in die Wirklichkeit. "Bitte entschuldige, Jack. Selbstverständlich war das seinerzeit im Chemielabor Mund-zu-Mund-Beatmung", gestand eine sehr reumütige Mrs. Richardson. Jack wusste nicht, was er sagen, wie er reagieren sollte. Vor allem blieb die Frage, wie es nun zwischen ihm und Carrie weitergehen sollte. Reine Freundschaft war Jack längst nicht mehr genug. Was diese unüberlegte Kussdemonstration soeben allen Anwesenden deutlich bewiesen hatte. Er begehrte Carrie Delany! Seine beste Freundin!
Die im Augenblick sichtlich unter Schock stand ...
"Wow!" Ruckartig löste Carrie sich aus Jacks Armen und
rückte mit ihrem Stuhl so weit wie möglich von ihm ab, bis sie praktisch auf Herbs Schoß saß. "Auch ich schulde dir eine Entschuldigung, Jack. Entweder war das im Chemielabor tatsächlich ein Reanimationsversuch, oder du hast enorm geübt, seit unsere Lippen sich zuletzt berührt haben." Mit flehendem Blick wandte sie sich an ihre frühere Lehrerin. "Könnte ich mir Ihren Mann für einen Tanz ausleihen?" Mrs. Richardson erfüllte Carrie den Wunsch. "Gern. Herb ist ein begnadeter Tänzer." Herb erhob sich pflichtschuldig und geleitete Carrie zu der kleinen Tanzfläche. Stimrunzelnd schaute Mrs. Richardson den beiden nach. "Womöglich habe ich mich ja wegen des Chemieunfalls geirrt,
Jack. Falls du allerdings glaubst, du und Carrie, ihr seid bloß Freunde, dann liegst du gründlich daneben!" Mit gemischten Gefühlen beobachtete Jack, wie Carrie in Herbs Armen auf der Tanzfläche dahinglitt, und pflichtete seiner allwissenden Lehrerin insgeheim bei. Den Rest des Abends übte sich Carrie in Small Talk. Das Gespräch erforderte wenig Konzentration, weil die Lehrerin den Großteil der Unterhaltung allein bestritt. Diese Frau war ein ebenso großer Segen wie der schweigsame Herb. Dem Ende des Abends dagegen sah Carrie mit gemischten Gefühlen entgegen. Es würde ihr die Sache sehr erleichtern, wenn sie wenigstens ihre eigene Reaktion auf Jacks Kuss ergründen könnte. Stattdessen durfte sie zusätzlich Jacks Motive interpretieren! Sie brauchte dringend eine Atempause! Schweren Herzens verabschiedete sic h Carrie wenig später von den Richardsons. Kaum waren sie der Gesellschaft des skurrilen Paars entronnen und harten ihr Hotelzimmer erreicht, flüchtete Carrie ins Bad. "Carrie ...", versuchte Jack sie aufzuhalten. "Bedaure, jetzt nicht. Ich muss ganz dringend für kleine Mädchen." Krachend fiel die Tür hinter ihr ins Schloss. "Irgendwann musst du mich wieder zur Kenntnis nehmen", rief Jack ihr nach. Carrie drehte einfach das Badewasser an. "Sony, wegen des Wasserrauschens verstehe ich leider kein Wort. Wir können ja nachher darüber reden. Warum gehst du nicht schon ins Bett?" Schweigen. Auch gut. Hoffentlich war es ihr gelungen, Jack für den Rest des Abends zu entkommen. Das rettete sie zwar nicht vor dem Morgen, aber darum konnte sie sich später sorgen. Im Moment
sollte sie lieber ihrem Glücksstern für den Aufschub danken wie kurz der auch sein mochte. Sehr kurz. Kaum war die Badewanne gefüllt, erklang erneut Jacks Stimme. "Ich warte auf eine Antwort, Carrington Delany!" "Okay", rief Carrie durch die geschlossene Tür. "Okay?" hakte Jack entgeistert nach. Nichts war okay. Er hatte Carrie geküsst. Und das war kein brüderlicher Begrüßungskuss auf die Wange gewesen. O nein. Der Kuss war rau und wild und ein deutlicher Ausdruck seines Verlangens. Ein Kuss, den er nur zu gern wiederholen würde ... Aber Carrie war sein Kumpel. Niemand küsste dermaßen leidenschaftlich eine platonische Freundin. Trotzdem hatte er es getan. Schlimmer noch - es hatte ihm gefallen! Und was jetzt? Sollte er sich für den Kuss entschuldigen? Oder sollte er den Kuss wiederholen? Wann zuletzt hatte er sich ähnlich verwirrt gefühlt? Carries Rückzug ins Bad zeigte, dass es ihr ebenso erging. "Carrie, du kannst dich nicht ewig vor mir verstecken. Falls du glaubst, ich gebe einfach auf und lege mich schlafen, liegst du schief." Carrie seufzte. Obwohl die Badezimmertür geschlossen war und Jack sie nicht sehen konnte, sank sie tiefer in den Badeschaum. "Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst. Ich nehme lediglich ein Bad." Sie blies eine Hand voll Seifenblasen in die Luft. "Um drei Uhr morgens? Sehr witzig! Komm endlich da heraus, und lass uns die Angelegenheit klären!" "Sobald ich fertig bin." Wütend schlug sie mit dem Fuß aufs Wasser. Wenn sie Glück hatte, versank sie gleich mit dem ablaufenden Badewasser in den Untiefen des Meeres. Das wäre der Begegnung mit Jack bei weitem vorzuziehen.
Sie hatte sich praktisch ihrem besten Freund an den Hals geworfen! Schlimmer konnte es kaum kommen! Jetzt wusste Jack zweifelsfrei, wie es um sie stand. Wie peinlich! Carrie schlug die Hände vors Gesicht. Erst hatte sie ihren besten Freund in dieses Inselparadies gelockt, und jetzt war sie drauf und dran, ihn auch noch zu verführen. Es gab nur eines, das sie tun konnte. Carrie sprang auf, warf sich einen Bademantel über und öffnete die Tür. Jack stand im Patio und starrte in den Nachthimmel. Carrie stählte sich innerlich. "Jack?" Zögernd legte sie die Hand auf seine Schulter. "Ich möchte mich entschuldigen." Jack kehrte ihr weiterhin den Rücken zu. Kein besonders ermutigendes Zeichen. Endlich wandte er sich um. "Gut so. Das im Chemielabor war nämlich kein Kuss." Carrie machte eine entnervte Geste. "Wer redet hier vom Chemielabor? Wegen dieser Fehlinterpretation bin ich nicht gekommen." Jack kam einen Schritt näher. "Worum geht es dann?" Carrie wich zurück. Sie brauchte die Distanz. Für ihre Entschuldigung benötigte sie unbedingt einen klaren Kopf. "Also ich ..." Erneut trat Jack näher. "Hör sofort auf damit!" Statt des beabsichtigten Aufschreis brachte Carrie nur ein Wispern heraus. "Womit soll ich aufhören?" In Jacks Augen erschien ein teuflisches Glitzern, das Carrie nie zuvor gesehen hatte. Dabei hatte sie sich eingebildet, Jack Templeton in- und auswendig zu kennen. Ein fataler Irrtum. Diese unbekannte Seite an Jack machte sie mächtig nervös. Unter seinem eindringlichen Blick erschien Carrie plötzlich der Frotteemantel so dünn wie Seide. Schamlos nutzte Jack ihre Verwirrung aus. Mit der Fingerspitze zeichnete er den Ausschnitt des Bademantels nach.
"Stopp, Jack! Du jagst mich wie ein Tiger auf Beutesuche!" "Ich bin kein ..." Jack grinste. "Hm. Gut erkannt, schöne Lady." "Weshalb machst du das, Jack?" Die Frage brachte ihn aus dem Konzept. Sein Lächeln verschwand. "Carrie, in der Karaoke-Bar ist etwas zwischen uns geschehen ..." Sofort fuhr Carrie dazwischen. "Etwas, das nie hätte passieren dürfen! Wir sind Freunde! Und dieser ..." Carrie brach ab. "Kuss", kam Jack ihr zu Hilfe. Seit Jahren hatte sie Jacks Mund- zu-Mund-Beatmung für einen Kuss gehalten. Trotzdem kostete es Carrie eine enorme Überwindung, das Erlebnis in der Bar so zu bezeichnen. Allein der Gedanke an das Geschehene ließ Carries Herz Purzelbäume schlagen. "Jack, dieser Ausrutscher war unverzeihlich. Ein Riesenfehler ..." "Der Kuss geschah zwar unerwartet, aber ein Fehler war er auf gar keinen Fall!" Jack schlang die Arme um Carries Taille und zog sie unerbittlich näher. "Du bist eine wunderschöne Frau, Carrie. Was heute Nacht geschehen ist, war etwas ganz Besonderes." "Du bedrängst mich schon wieder!" "Irrtum. Ich habe dich eingefangen. Und ich würde gern meinen gesunden Menschenverstand nochmals kurz ausschalten, falls du nichts dagegen einzuwenden hast." "Und falls doch?" Seine Hände wanderten den Gürtel entlang zum Knoten. Provozierend zupfte er daran. Spätestens jetzt sollte sie die Flucht ergreifen. Schreien. Sich gegen seine Verführungskünste zur Wehr setzen. Ein Kuss in der Hitze des Augenblicks war verzeihlich. Eine Wiederholung wäre ein Desaster!
Jack wollte nur seine Enttäuschung wegen Sandy überwind en. Als Trostpflaster war sie sich zu schade. Andererseits ging die Initiative von Jack aus. Womöglich war es ja mehr als ein flüchtiges Begehren. Immerhin wäre es ein Anfang ... Jahrelange geheime Wunschträume drängten plötzlich an die Oberfläche. Carries Gedanken überschlugen sich. Was, wenn Jack nach diesem Kuss mehr in ihr sah als nur eine kleine Schwester? Vielleicht sah er sie eines Tages auch als eine Frau, die er lieben konnte. "Das sollten wir sein lassen, Jack ..." Leider fehlte es Carries Stimme an Überzeugungskraft. Der Knoten gab nach. Jacks Hände bahnten sich den Weg unter den Bademantel. "Was sollten wir nicht tun?" Jack beugte den Kopf und presste die Lippen auf Carries Schulter. Durch den Stoff spürte Carrie Jacks Wärme. Zitternd und hilflos ihren Gefühlen ausgeliefert, schmiegte sie sich in seine Arme. "Es wäre wirklich besser, wenn wir die Sache in der Bar auf sich beruhen lassen würden." Nun überzog er ihren Hals mit kleinen, heißen Küssen und streichelte ihre Haut mit der Zungenspitze. Carrie stöhnte auf. Dadurch ermutigt, begann Jack die empfindsame Stelle hinter ihrem Ohr zu liebkosen. Süße, pulsierende Hitze durchflutete Carrie. "Morgen früh hasst du mich!" Dieser Gedanke brach ihr das Herz. "Niemals, Honey." Seine Hände streichelten sie, ganz behutsam, als sei sie ein verängstigtes Kätzchen. Mit Mühe widerstand Carrie der Versuchung zu schnurren und sich an ihn zu schmiegen. Einer von ihnen musste unbedingt einen klaren Kopf bewahren. "Eine gemeinsame Nacht verändert alles."
Jack legte die Hand unter Carries Kinn und schob ihren Kopf nach hinten, so dass sie ihm in die Augen sehen musste. "Wäre das so schlimm?" Wie kann er so überzeugt klingen? fragte sich Carrie verzweifelt. Jack war es selbst schleierhaft, woher er diese Zuversicht nahm. Alles hatte sich verändert seit jenem Tag, als Carrie ihn gebeten hatte, ihr beim Enthaaren der Beine zu helfen. Von brüderlicher Zuneigung konnte keine Rede mehr sein. Anfangs hatte er sich eingeredet, er könne diese sonderbare erotische Spannung zwischen ihnen ignorieren. Ein fataler Irrtum. Denn seitdem arbeitete seine Phantasie auf Hochtouren. Die Macht, die Carrie plötzlich über seine Sinne ausübte, war beängstigend. Besonders jetzt, wo ihn nur ein dünner Frotteemantel von der Frau trennte, die er auf die elementarste Art erobern wollte, in der ein Mann das nur konnte. Noch nie hatte Jack eine solche verzweifelte Sehnsucht verspürt, ein so drängendes Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Nähe. Schon gar nicht bei Sandy. "Wenn wir diesen Schritt tun, gibt es kein Zurück", flüsterte Carrie. "Vielleicht sollten wir stattdessen nach vorn sehen", entgegnete Jack. Carrie zu halten und sie zu küssen fühlte sich so gut und richtig an. Als wäre er nach Jahren der Suche endlich nach Hause gekommen. "Und wenn wir statt nach vom einen großen Schritt zurück machen? Ich will unsere Freundschaft nicht verlieren." Wollte Jack ihre Beziehung wirklich auf eine neue Ebene heben? Was, wenn es nur die Laune eines Augenblicks war? "Das heißt also nein?" Jack ließ die Hände sinken. Carrie stiegen Tränen in die Augen, so sehr fehlte ihr der Körperkontakt. "Eine andere Antwort kann ich dir unmöglich
geben." Energisch verknotete sie den Gürtel des Bademantels wieder. "Gute Nacht, Carrie." Ohne ein weiteres Wort stürmte Jack ins Zimmer, schnappte sich die Tagesdecke und ein Kissen und machte es sich auf dem Fußboden gemütlich. Noch lange stand Carrie auf dem Balkon und schaute aufs Meer hinaus. An den heutigen Abend würde sie sich den Rest ihres Lebens erinnern. So schwer es ihr auch ge fallen war, sie hatte die richtige Entscheidung getroffen. Sie durfte Jack nicht ausnutzen. Er war so verletzlich. Die Trennung von Sandy setzte ihm auch nach Monaten noch zu. Dass er nie über seine Exfreundin sprach, war der beste Beweis dafür. Statt sich mit dem Scheitern seiner Beziehung auseinander zu setzen, ließ Jack sich treiben. Dass er Sandy nachtrauerte und sich das Unmögliche ersehnte ein völlig illusorischer Glaube an ein Happy End -, tat Carrie unsagbar Leid. Ein Schatten flog über ihr Gesicht. Am besten verbannte sie diesen zauberhaften Abend in ihrer Erinnerung. Morgen früh würde Jack den Kuss bestimmt auf einen von der schwülen tropischen Nacht inspirierten Überschwang der Gefühle schieben. Zumindest konnten sie anschließend ihre Freundscha ft wieder in die gewohnten Bahnen lenken. Jack joggte über den Strand zu Carries Versteck. Egal, wo Carrie sich verkroch, wenn sie verletzt oder verwirrt war, Jack spürte sie immer auf. Meistens gelang es ihm dann, Carries inneren Aufruhr zu lindern. Diesmal war er selbst der Anlass dafür. Carrie saß auf einem Felsen, die Knie an die Brust gezogen, und brütete vor sich hin. Stirnrunzelnd betrachtete sie die dunklen Gewitterwolken, die sich über dem Meer
zusammenballten. Das Wetter passte zu ihrer düsteren Stimmung. Aus den Augenwinkeln bemerkte Carrie eine näher kommende Gestalt. Ihr Herz machte einen Satz. Jack! "Guten Morgen." Er klang beneidenswert munter. "Ist Platz für mich auf deinem Privatfelsen?" O ja, sicher. Wenn sie eng zusammenrückten. So viel Nähe ertrug Carrie im Moment nicht. "Such dir selbst einen Felsen." Ein Anflug von Enttäuschung flog über Jacks Gesicht. "Du bist früh auf." Er setzte sich ein Stück entfernt. Carrie hatte schlecht geschlafen. Anfangs, weil Jack so dicht bei ihr lag. Später wegen ihrer Träume. Wilde, erotische Träume von heißen Liebesspielen. "Sollen wir so tun, als ob die vergangene Nacht nicht stattgefunden hätte?" schlug Jack vor. "Gern", meinte Carrie, ganz die hoffnungsvolle Optimistin. "Da hege ich aber berechtigte Einwände." "Jack, ich möchte nicht darüber reden. Ich entschuldige mich in aller Form für das, was in der Bar geschehen ist. Und jetzt lass uns den gestrigen Abend als zeitweilige geistige Verwirrung abtun." In Carries Blick lag stille Verzweiflung. Derart deprimiert kannte Jack sie überhaupt nicht. War es der Kuss, der Carrie völlig aus dem inneren Gleichgewicht gebracht hatte? Oder steckte mehr dahinter? Carries Geständnis von ihrer unglücklichen Verliebtheit war ein Schock für Jack. War er zu jung und zu unerfahren gewesen, um ihre Schwärmerei zu bemerken? Und dann war da Sandy. Sandy Baker, Flugbegleiterin. Der wahr gewordene Traum eines jeden Mannes. Vier Jahre hatte die Beziehung gedauert. Irgendwann hatte Jack sich eingeredet, es sei wahre Liebe. Erst kurz vor Sandys Auszug aus dem gemeinsamen Apartment vor neun Monaten hatten sich beide eingestanden, dass sie lediglich
Bequemlichkeit zusammenhielt. Durch Sandys Unfall und ihre damit verbundene ständige Anwesenheit hatten sie erkannt, wie wenig Gemeinsamkeiten sie besaßen. Die Trennung war ihnen beiden erstaunlich leicht gefallen. Genau das machte Jack seit neun Monaten zu schaffen. Würde er jemals die große Liebe finden? War er überhaupt in der Lage, eine Frau wirklich zu lieben? War es Liebe, was er für Carrie empfand? Wie immer man es auch definierte - etwas geschah zwischen ihnen, und es erschreckte Carrie zu Tode. Jack wollte sie nicht noch mehr verunsichern. Deshalb sagte er jetzt auch: "Gut. Wenn du das wirklich willst." Carrie nickte nur. Seinem eind ringlichen Blick wich sie geflissentlich aus. Als Jack sie berühren wollte, rückte sie instinktiv ein Stück weg. Bis er Carrie überzeugt hatte, dass sie weitaus mehr sein konnten als nur Freunde und dass dieses Mehr weit besser sein würde als ihre gegenwärtige Freundschaft, bedurfte es offenbar einiger Überzeugungsarbeit. "Mrs. Richardson hat vorhin angerufen. Sie und Herb wollen sich mit uns zum Dinner treffen." "Dinner?" fragte Carrie abwesend. "Ja. Du weißt schon: die Mahlzeit, die nach dem Mittagessen kommt." Carrie nickte. Jack unterdrückte seine Frustration. "Der Tisch ist für sieben Uhr reserviert. Ich hoffe, das geht in Ordnung." Wieder nur ein Nicken. "Hast du vor, alles, was ich sage, kommentarlos abzunicken?" Zur Abwechslung zuckte Carrie die Schultern. "Dir ist doch klar, dass wir irgendwann über diese Geschichte sprechen müssen, oder?" Carrie spielte die Ahnungslose. "Über welche Geschichte?"
Jack seufzte. Hatte er sich allen Ernstes eingebildet, im Lauf der Jahre gelernt zu haben, wie man am besten mit ihr umging? "Schön, Carrie. Der Kuss wird nie wieder erwähnt." "Und auf gar keinen Fall wiederholt!" "Wenn das dein Wunsch ist. Aber bitte hör damit auf, mich zu ignorieren, und sprich wieder mit mir!" Endlich drehte sie sich um. Sie nahm ihn wirklich zur Kenntnis, statt an ihm vorbei oder durch ihn hindurchzusehen. "Okay. Schwebt dir ein bestimmtes Gesprächsthema vor?" "Wie wäre es mit deinen Plänen für den heutigen Tag? Was machen wir bis zum Dinner?" Damit durchbrach er ihre eiserne Zurückhaltung. Das reichte ihm fürs Erste. Später konnte er sich die nächsten Schritte überlegen. Sobald er wusste, wie es mit ihnen weitergehen sollte ... "Der Aquapark klingt toll. Eine Poollandschaft mit Whirlpools und Wasserrutschen." Ein zaghaftes Lächeln umspielte Carries Lippen. Jack hätte alles getan, vom Planschbeckenbesuch bis zum Piranhafüttern, wenn Carrie ihn nur wieder anlächelte. "Dann los! Während wir unser Badezeug im Hotel holen, können wir auch gleich ein Lunchpaket mitnehmen." Carrie wirkte erleichtert. Anscheinend glaubte sie, der gestrige Abend sei abgehakt. Jack lächelte bloß. Er war Rechtsanwalt, was Carrie gelegentlich übersah. Sie wollte über die leidenschaftlichen Küsse schweigen? Kein Problem. Das konnte Jack ihr gern versprechen. Über eine baldige Wiederholung hatten sie sich allerdings nicht geeinigt. Carrie streifte ihr Strandkleid über und schlüpfte in ihre Sandaletten. Ihr Sonnenbrand war zu einem zarten Braunrosa verblasst. Noch hatte sich ihre Haut nicht geschält. Was
hoffentlich auch so blieb. Was war schon anziehend an einer Frau, die ihre Haut ablegte? Nein, diese Überlegung nahm sie zurück. Hoffentlich schälte sich ihre Haut! Fast wünschte sie, sie hätte den Sunblocker heute weggelassen. Hoffentlich pellte sie sich so sehr, dass die Kinder bei ihrem Anblick schreiend das Weite suchten! Wenn sie so grauenhaft aussah, würde Jack mit Sicherheit keine Lust auf neuerliche Küsse verspüren. Andererseits dämpfte so ein unbedeutendes Hautproblem nicht Carries Lust darauf, Jack zu küssen. Gab es überhaupt ein Gegenmittel für erotische Phantasien? Dabei hatte ihr dieser eine Kuss vollends gereicht. Zumindest bis Jack über Sandy hinweg war. Vier Jahre hatten die beiden zusammengelebt, und fast ein Jahr war Jack jetzt solo. Trotzdem litt er noch unt er der Trennung. Das merkte man an den vielen Fällen, die er sich aufbürdete. Und an seiner Erschöpfung. Und natürlich an dem Frauenmangel in seinem Leben. Er brauchte Zeit. Danach gab es bestimmt auch wieder Frauen in seinem Leben. Ob er eines Tages endlich auch bemerkte, dass sie, Carrie, nicht seine kleine Schwester war? Vielleicht gingen dann ihre Träume vom großen Glück in Erfüllung ... "Beeilung, Carrie! Es handelt sich um ein zwangloses Dinner mit einer alten Lehrerin, nicht um eine Hollywoodgala!" "Ich komme sofort." "Ja, das sagtest du vor zwanzig Minuten auch schon." Typisch Mann! "Jetzt bin ich eben zwanzig Minuten näher dran, fertig zu werden." Carrie hörte Jack draußen vor der Badezimmertür etwas Unverständliches murmeln und griff lächelnd zum Eyeliner. Der scherzhafte Umgangston war der Beweis, dass sie den Kuss vergessen hatten und wieder nichts weiter als gute Freunde waren. Und das kommende Dinner war nur ein ganz normales Treffen mit einer früheren Lehrerin.
Nichts ist wieder normal, schimpfte Carrie eine Stunde später. "Und dann flogen wir zu den Cayman Islands ...", erzählte Mrs. Richardson schwärmerisch. Carrie war froh, dass die Lehrerin den Großteil der Unterhaltung bestritt, denn sie selbst war zu sehr damit beschäftigt, sich ihren ehemals besten Freund vom Leib zu halten. Immer wieder legte Jack betont beiläufig den Arm um ihre Schulter, obwohl sie ihn beharrlich abwehrte. Dabei landete seine Hand scheinbar unschuldig auf ihrem Knie. Oder er griff an ihr vorbei nach dem Salz und streifte wie zufällig ihre Brüste. In Anbetracht ihrer wenig beeindruckenden Oberweite war ein "zufälliges" Streifen ein nahezu unmögliches Unterfangen. "Verdammt, hör endlich auf damit!" zischte sie ihm ins Ohr, als Mrs. Richardson sich kurz an ihren schweigsame n Gatten wandte. "Du und dein hitziges Temperament! Was stört dich denn, Carrie?" "Du weißt genau, wie sehr es mich stört, wenn du ..." "Wenn ich was, Darling?" Das tiefe, samtige Timbre seiner Stimme wirkte wie ein Streicheln auf sie. Die eigene Schwäche fachte Carries Zorn an. "Nenn mich nicht Darling!" fauchte sie ein wenig zu laut. "Oh, ich liebe es, wenn mein Herb mich Darling nennt", flötete Mrs. Richardson. Klar. Die Frau muss völlig hin und weg sein, wenn der gute Herb überhaupt einen Ton von sich gibt, dachte Carrie verdrießlich. "Mir missfällt jeder öffentliche Austausch von Zärtlichkeiten", konterte sie betont prüde. Die Quittung kam prompt. "Interessant, meine Liebe. Wie sich die Zeiten ändern! Wenn ich mich recht entsinne, hat dich die Öffentlichkeit seinerzeit wenig gestört!" "Siehst du, Darling", triumphierte Jack. "Es ist eben alles eine Sache der Gewöhnung."
So diskret wie möglich stieß Carrie ihm den Ellbogen in die Rippen. Jacks Aufstöhnen verschaffte ihr eine enorme Befriedigung. "Oh, das tut mir aber Leid, Darling", erklärte sie übertrieben freundlich. "Du sitzt näher, als ich dachte." Sie bedachte Herb mit einem niedlichen Augenaufschlag. "Sie haben uns noch gar nicht erzählt, was Sie beruflich machen." "Oh, Herb ist Telefonverkäufer", ergriff unverzüglich Mrs. Richardson wieder das Wort. "Er ist Telefonverkäufer. Den ganzen Tag über schwatzt er mit seinen Kunden. Ja, das ist mein Herb. Die reinste Plaudertasche. Zum Glück besitzt er eine so angenehme Stimme, dass ich ihm tagelang zuhören könnte." Jack verschluckte sich an seinem Drink. Carrie nutzte die Gelegenheit für eine kleine Revanche und schlug ihm mit aller Kraft auf den Rücken. "Du solltest vorsichtiger sein", dozierte Mrs. Richardson. "Ich hörte einmal von einer Frau, die ..." Ohne ihren Mann oder ihre beiden Tischgäste zu Wort kommen zu lassen, zog Mrs. Richardson das Gespräch wieder an sich; ein Monolog, der erst unterbrochen wurde, als der Kellner das Essen brachte. Jack probierte seine Shrimps und legte eine Meeresfrucht diskret neben Carries Fettuccini Alfredo. "Mrs. Richardson, habe ich Ihnen je erzählt, wie Shrimps und Fettuccini Carrie und mich zusammengebracht haben?" Die Lehrerin war sofort ganz Ohr. "Carrie ging seinerzeit mit diesem Typen aus, Jed ..." "Ted." Krachend ze rbrach Carrie die Garnele in zwei Teile. "Jed, Ted, wie auch immer." Er wandte sich erneut an seine faszinierte Zuhörerin. "Wissen Sie, Emma, die beiden waren zum Dinner aus, und dieser Typ bestellte die Fettuccini, was Carrie um die geliebten Shrimps brachte." Auf den verständnislosen Blick der anderen beiden Tischgäste hin erzählte er von Teds Fehlgriff, während er Carrie mit einer weiteren Garnele fütterte.
Nur mühsam bezwang Carrie den Drang, diesem Angeber die Garnele ins Gesicht zu schleudern. "Und Ned..." "Ted", verbesserte Carrie erneut. "Ted bestellte also das Gleiche wie Carrie. Keine Spur von Abwechslung. Dabei ging Carrie auf, wie viel mehr sie von einem Mann erwartet. Carrie braucht einen Mann, der das richtige Dinner bestellen kann - einen Mann, der küssen kann. Natürlich dachte sie dabei als Erstes an mich. Schließlich sind wir oft genug zusammen essen gewesen. Außerdem hatte sie mich ja damals im Chemielabor geküsst." "Das war Mund-zu-Mund-Beatmung!" mischte sich Carrie ungehalten ein. "Was auch immer. Sie hat Erfahrung und erkannte, dass ich der Richtige bin." "Oh, Herb, was für eine entzückende Geschichte! Wann immer ich mir in Zukunft Fettuccini oder Meeresfrüchte bestelle, werde ich dieses sentimentale Flattern in meinem Herzen verspüren." Zu Carrie meinte Mrs. Richardson: "Und all die Jahre bist du mit den falschen Männern ausgegangen! Dabei ist es nur unser Jack hier, der dein Lackmuspapier blau färben kann." Selbst Herb stöhnte über den schlechten Scherz. Mrs. Richardson klang plötzlich überhaupt nicht mehr wie eine steife Lehrerin. "Oh, das hat euch gefallen? Wie wäre es damit: All die Jahre war es Jack, der Carries Bunsenbrenner entfacht hat." Carries Anspannung legte sich. Bald lachte sie mit dem Rest der Gruppe. "Wenn bei euch beiden die Hochzeitsglocken läuten, erwarten Herb und ich eine Einladung. Denkt daran, ich bin Chemielehrerin. Ich erkenne eine chemische Reaktion auf Anhieb. Und ihr beide, Jack und Carrie, seid ein hochexplosives Paar."
Inständig ersehnte Carrie das Ende des Abends herbei. Sie wollte nur noch eines: sich im Bad einschließen, bis zum Kinn in Badeschaum versinken und alle Probleme ausblenden. Beim Verlassen des Restaurants zwinkerte selbst der schweigsame Herb Carrie und Jack verschwörerisch zu. Die Richardsons verabschiedeten sich. Herb legte den Arm um seine Frau und führte sie durch das Hotelfoyer. "Nun ...", begann Jack. "Ja, also ..." Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zum Fahrstuhl. "Erinnerst du dich daran, ob sie früher auch schon so ..." Carrie suchte nach dem passenden Wort, "...so unterhaltsam war?" "Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, zählte unser Kuss zu den unterhaltsamsten Momenten des ganzen Chemiekurses." Jack legte seinen Arm um Carries Schultern. "Jack, ich finde, wir sollten mehr Distanz wahren." Der Fahrstuhl hielt. Carrie beschleunigte ihren Schritt. Wenn sie das Hotelzimmer als Erste erreichte, konnte sie sich im Bad einschließen und ihre strapazierten Nerven und die gerötete Haut mit einem ausgedehnten Schaumbad verwöhnen. Problemlos passte sich Jack ihren Schritten an. "Ich will deine Freundschaft niemals verlieren, Carrie." Offenbar gingen Jacks Gedanken in eine ähnliche Richtung. Endlich hatte er den Ernst der Lage erfasst! "Gut, dann sind wir uns ja einig." Carries beginnende Euphorie erlitt einen Dämpfer, als Jacks Griff sich festigte und er sie dichter an sich zog. "Jack", warnte sie, "wir wollten uns auf unsere Freundschaft besinnen." "Keine Sorge, ich hege ausgesprochen freundliche Gefühle für dich." Seine Hand strich federleicht über ihren Unterarm. Die nächsten Minuten waren die reinste Tortur. Mitten im Hotelflur begann Jack, Carries Hals mit den Lippen zu liebkosen. Zum Glück waren gerade keine anderen Gäste da.
Brennendes Verlangen stieg in Carrie auf. "Jack, das dürfen wir nicht tun!" Ungerührt öffnete er die Hotelzimmertür und schob Carrie vor sich her. "Sicher dürfen wir das." Carries Entschlusskraft geriet ins Wanken. "Was ist, wenn ..." Er unterbrach sie. "Was ist, wenn wir herausfinden, wie richtig Mrs. Richardson liegt? Dass zwischen uns eine chemische Reaktion abläuft? Was ist, wenn wir uns ineinander verlieben? Carrie, du hattest vierundzwanzig Stunden Zeit, darüber nachzudenken. Zwischen uns existiert etwas ganz Besonderes, siehst du das denn nicht?" Sie stemmte die Hände gegen seine Brust. Wieso musste er sie so bedrängen? "Und was, wenn uns nur die romantische Atmosphäre hier zusetzt? Was, wenn wir herausfinden, dass alles eine große Illusion war? Jack, dir fehlt Sandy. Du hast eure Beziehung noch längst nicht verarbeitet. Weißt du überhaupt, was du wirklich willst?" Er bewegte sich nicht von der Stelle. "Carrie, wieso fängst du immer wieder von Sandy an? Unsere Trennung ist fast ein Jahr her. Ich bin längst über Sandy hinweg." Seine Stimme klang weich. "Ehrlich gesagt, war es schon lange vor Sandys Auszug zwischen uns aus." Carrie schüttelte den Kopf. "Warum behältst du immer alles für dich, Jack? Du bist viel zu verschlossen. Aber das ändert nichts. Für dich gab es keine andere Frau seit Sandy. Hättest du tatsächlich mit der Vergangenheit abgeschlossen, hättest du längst eine neue Freundin." Diese Unterstellung empörte Jack. "Glaubst du, ich tröste mich mit dir über meine zerbrochene Beziehung hinweg?" Dazu war ihm Carrie zu wertvoll. Das sollte sie eigentlich wissen. Carrie klammerte sich an den letzten Rest von Vernunft. "Jack, die Gefahr besteht, dass wir beide uns am Ende hassen. Damit verliere ich meinen allerbesten Freund."
Jack legte die Hände auf ihre Schultern. Beschwörend sah er ihr in die Augen. "Carrie, du bist die mutigste Frau, die ich kenne. Deine kleinen Missgeschicke passieren dir nur, weil du keine Angst hast, etwas Neues auszuprobieren. Nicht alles funktioniert wie geplant, aber immerhin versuchst du es. Willst du mir allen Ernstes sagen, dass du diesen wachsenden Gefühlen keine Chance gibst?" Tausend verschiedene Gedanken jagten durch Carries Kopf. Mit aller Kraft versuchte sie, dem Ansturm der verwirrenden Gefühle Herr zu werden. Mit einem Mal waren die aufbrandenden Emotionen zu viel für sie. Eine unbändige Sehnsucht nach Jacks Zärtlichkeiten erfasste sie. Sie wollte mit Jack verschmelzen und alle Vernunft in den Wind schlagen; ihre Zweifel vergessen; die zahllosen Gründe, wieso sie lieber warten sollten, ignorieren. Hielt er sie tatsächlich für mutig? Für jemanden, der Risiken einging und Chancen ergriff? Insgeheim hatte Carrie befürchtet, Jack könnte sie für oberflächlich halten. Anscheinend hatte er ein weit besseres Bild von ihr als sie selbst! Trotzdem löste das nicht ihr Dilemma. Sollte sie eine lebenslange Freundschaft für ein unverbindliches erotisches Abenteuer aufs Spiel setzen? "Ich habe Angst", gestand Carrie. "Darling, ich doch auch. Trotz der vielen Männer, mit denen du ausgegangen bist, und ..." "Sandy." Das größte Hindernis blieb unüberwindbar. Zärtlich umfasste Jack ihr Gesicht. "Sandy ist nicht hier. Genauso wenig wie deine Exfreunde. Es gibt nur dich und mich. Wir beide haben die längste und intensivste Beziehung, die ich je hatte." "Weil wir Freunde sind und keine Liebenden", beharrte Carrie.
"Möglicherweise. Oder womöglich besitzen wir etwas enorm Kostbares und Zeitloses. Vielleicht ist es nicht nur Freundschaft. Vielleicht ist es..." "Halt!" Jack sollte nichts sagen, was diese körperliche Anziehung auf eine neue Ebene hob. Falls er die Worte jetzt aussprach, standen sie immer zwischen ihnen. Carrie mobilisierte alle Widerstandskraft und drückte gegen seine Schultern. "Jack, bitte lass mich los!" Er rührte sich nicht vom Fleck. Energisch stieß sie ihn von sich. Jack gab sie frei. Carries Herz klopfte zum Zerspringen. Bestimmt bekam sie einen Herzanfall. Das geschah Jack recht! Wieso musste er sie auch in die Ecke drängen! Sollte er sie ruhig ins Krankenhaus bringen. In der Aufregung würde wenigstens dieser Unsinn von zeitlosen Gefühle n in Vergessenheit geraten. Natürlich bekam sie keinen Herzinfarkt. In ihrer Verzweiflung suchte Carrie Zuflucht im letzten Ausweg - Wut. "Für wen hältst du dich eigentlich? So viele Jahre lang warte ich darauf, dass du mich zur Kenntnis nimmst. All diese Kussübungen mit langweiligen Jungs - nur damit ich dir gefalle! Alles umsonst! Du wolltest ja unbedingt Patti mit ihrem Cheerleader-Appeal und ihre zahllosen Nachfolgerinnen. Jede Hoffnung darauf, dass du mich eines Tages als Frau zur Kenntnis nimmst, ist in deren Schatten verblasst. Nun, nach all den Jahren, in denen wir eine wunderbare Freundschaft aufgebaut haben, willst du plötzlich die Regeln ändern?" "Ja." Sein leidenschaftlicher Kuss besiegelte Carries Schicksal. Ein Funke sprang über. Ein Funke, der ein verzehrendes Feuer entfachte. Jacks Atem ging kurz und stoßweise. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. "Ja oder nein, Carrie? Ich begehre dich
mehr, als ich je eine andere Frau begehrt habe. Aber du sollst es auch wollen. Ich frage dich noch einmal: ja oder nein?"
6. KAPITEL Jack begehrte sie. Er liebte sie nicht. Noch vor wenigen Augenblicken hätte es Carrie zu Tode erschreckt, das Wort "Liebe" von Jack zu hören. Nun jedoch welkte die allerletzte Hoffnung im verborgensten Winkel ihres Herzens dahin. Sie sollte Nein sagen. Sich wenigstens ein bisschen Stolz bewahren. Nur eine Närrin riskierte eine wunderbare Freundschaft für ein paar kurze Augenblicke der Leidenschaft. Doch Carries Sehnsucht war zu groß. Es war, als hätte ein Fieber ihren Körper und ihre Seele erfasst, ein Fieber, von dem sie nur in Jacks Armen gesunden konnte. Jack mochte sie. Ja, vermutlich liebte er sie sogar auf eine brüderliche Art und Weise. Genügte es, wenn er sie körperlich begehrte? Sollte sie die Chance nutzen, ohne Rücksicht auf die Folgen? "Ja", wisperte sie. Mit einem befreiten Aufstöhnen hob Jack Carrie auf seine Arme. "Ich will kein Risiko eingehen, dass du mir wieder entwischst. Ich brauche dich heute Nacht." Fast andächtig legte er sie auf das Bett. Ungeduldig begann er sich auszuziehen. Er zerrte sein Polohemd über den Kopf. Auf der Gürtelschnalle blieb seine Hand liegen. Ungehemmt schweifte Carries Blick über seine muskulösen Schultern und Arme und die breite Brust. Jack strahlte pure
Männlichkeit aus - was dieser allzu attraktive, unverschämte Teufel natürlich auch ganz genau wusste. "Gefällt dir, was du siehst?" fragte er mit einem rauen Lachen, das Carries Pulsschlag gefährlich beschleunigte. Sie nickte. Und wie es ihr gefiel! Carrie setzte sich auf und kickte ihre Sandaletten fort. Als sie ihr Kleid über den Kopf streifen wollte, hielt Jack sie auf. "Lass mich das machen." Stöhnend sank Carrie in die Kissen. "Ich will dich jetzt. Bitte lass mich nicht länger warten." "Honey, mir kommt es vor, als hätte ich ein Leben lang auf diesen Augenblick gewartet. Jetzt will ich unsere gemeinsame Nacht auch genießen." "Jack, können wir uns nicht jetzt beeilen und es beim nächsten Mal langsam angehen lassen?" Carrie verging fast vor Sehnsucht. Sie brauchte Jack so sehr, dass sich die Grenzen zwischen Lust und Schmerz verwischten. Er legte sich neben ihr aufs Bett. Liebevoll zeichnete er mit den Fingerspitzen Carries Gesichtszüge nach. "Habe ich dir je gesagt, wie schön du bist?" Carrie lachte nervös und wich seinem Blick aus. "Du erwähntest einmal, ich sei dünn wie eine Bohnenstange. Und ich solle mir besser eine Glatze rasieren, weil sich bei meinem feinen Haar sowieso keine Frisur hält und ..." "Ich wollte dich doch nur necken. Glaub mir, du bist wunderschön." Behutsam streifte Jack ihr einen Spaghettiträger von den Schultern und hauchte federleichte Küsse auf eine Schulter. "Jack!" keuchte Carrie. Ungerührt wiederholte er dieselbe Prozedur an der anderen Seite. Und immer noch machte Jack keine Anstalten, ihr das Kleid abzustreifen. Ganz im Gegenteil. Quälend sanft küsste er Carrie durch den dünnen Stoff.
Sie reagierte sofort auf die zarte Liebkosung. Es war fast erregender, als wenn er sie einfach nackt ausgezogen hätte. Unwillkürlich entfuhr ihr ein kleiner Laut des Entzückens. Sie schlang die Arme um Jacks Hals und presste sich mit dem ganzen Körper an ihn. Dass sie mit solcher Intensität auf ihn reagierte, erfüllte Jack nicht nur mit männlichem Stolz, sondern auch mit tiefer Zärtlichkeit. Tiefer und tiefer versank Carrie in einem Strudel wunderbarer Gefühle. Schmerzliche Sehnsucht durchströmte sie und schaltete Vernunft und Realität aus. Nur vage erinnerte sich Carrie an die Gründe, weshalb sie anfangs hatte Nein sagen wollen. Jetzt wollte sie nur noch eines: aus vollem Herzen Ja rufen. "Bitte ..." Einladend streckte sie die Arme aus. Jack schüttelte lächelnd den Kopf und setzte die süße Tortur fort. Carrie ertrug das aufreizende Spiel keine Sekunde länger. Mit seiner Neckerei trieb Jack sie bis an die Grenze des Erträglichen. Carrie war fast so weit, um Erlösung zu betteln, als Jack ihr mit einer heftigen Bewegung das Kleid abstreifte. "Jetzt bin ich an der Reihe." Entschlossen sorgte sie dafür, dass er auf dem Rücken lag. Ihre Hände wanderten über seine breite Brus t und die schmalen Hüften. Weiter glitten sie nach unten zu jener Stelle, die am sensibelsten auf zärtliche Berührungen reagierte. Carrie war überglücklich. Zumindest für diese eine Nacht gehörte Jack ihr. Mit den Lippen folgte sie der Spur ihrer Hände, und Jack schnappte nach Luft. Sanft schloss sie die Finger um den sichtbaren Beweis seiner Begierde und streichelte ihn. Jack stöhnte leise. Ein ungeheures Machtgefühl überkam Carrie. Sie hatte das bei ihm bewirkt. Diese Vorstellung war ebenso überwältigend wie befreiend.
Blitzschnell rollte Jack sich auf Carrie und hielt sie unter sich gefangen. Er sagte kein Wort, als er ihre Brüste umfasste und hungrig an den hoch aufgerichteten Knospen saugte. Plötzlich fühlte sich Carrie von ihrem eigenen Verlangen wie in einem Strudel fortgerissen. In wilder Verzückung bog sie sich Jack entgegen. Sie stand am Rand der Ekstase und war drauf und dran, ihre Sehnsucht laut herauszuschreien und Jack um Erfüllung anzuflehen. Stattdessen seufzte sie sehnsüchtig, als sie ihn heiß pulsierend zwischen ihren Schenkeln spürte. Doch er zögerte bewusst den Augenblick des Einswerdens heraus, um jede Sekunde ihres Liebesspiels voll auszukosten. Die Augen geschlossen, wand Carrie sich in seinen Armen. Sie wollte mehr. Viel mehr. "Ich brauche dich", stöhnte Jack. "Komm!" befahl Carrie und führte ihn zu sich. Mit einer geschmeidigen Bewegung drang Jack in sie ein und verfiel in einen harten, schnellen Rhythmus. Voller Ungeduld passte sie sich seinem Tempo an, kam ihm begierig entgegen, um ihn tief in sich aufzunehmen, schwelgte in dem Gefühl, ihn endlich ganz zu spüren. Und dann, als die Spannung unerträglich wurde, klammerte Carrie sich an Jack, und gemeinsam trieben sie dem Höhepunkt entgegen. Auf dem Gipfel der Lust rief Jack laut Carries Namen. Heftig erschauernd barg Carrie den Kopf an Jacks Schulter und genoss das Nachglühen ihrer Leidenschaft. Wenn sie gekonnt hätte, würde sie diesen kostbaren Moment ewig festhalten. Sie war mit Jack vereint und körperlich vollkommen erfüllt. Aber es war weit mehr als das. Sie fühlte sich sicher und geborgen. Die Worte "Ich liebe dich" lagen Carrie auf der Zunge, aber sie schwieg. Jack sollte sich nicht schuldig - oder schlimmer noch - verpflichtet fühlen, ihr etwas vorzumachen.
Daher sagte sie einfach nur: "Danke." "Es war mir ein Vergnügen, Ma'am." Jack küsste sie, rollte sich auf den Rücken und zog Carrie in seine Arme. "Wenn du mir ein wenig Erholung gönnst, können wir es gleich gern noch einmal probieren." "Das wiederum wäre mir ein Vergnügen." Carrie schmiegte sich an Jack. Versonnen lauschte sie dem gleichmäßigen Pochen seines Herzens, spürte seine regelmäßigen Atemzüge und war so glücklich wie nie zuvor. Und doch ahnte sie, dass dieses Glück unmöglich andauern konnte. Entgegen allen Befürchtungen hielt der Zauber bei Carries Erwachen am nächsten Morgen an. Jack brachte ihr Frühstück ans Bett. "Dir stehen zwei Minuten im Bad zu. Das muss reichen." Er hauchte Carrie einen Kuss auf die Lippen. "Sollen wir antesten, ob zwei sehr motivierte Menschen tatsächlich den ganzen Tag im Bett verbringen können?" Carrie rieb sich die Augen. Jack war hier, und er lächelte. Er machte sogar Scherze. Wer war dieser Mann? Und wo hatte er Jack Templeton versteckt? "Ich bin sofort wieder da." Mit einem Satz sprang Carrie aus dem Bett und verschwand im Bad. Von innen lehnte sie sich an die geschlossene Tür. Was hatte sie getan? Und was hatte Jacks Reaktion zu bedeuten? Sie starrte die Frau im Spiegel an und erkannte sich selbst kaum wieder. "Carrie, willst du dich den ganze n Tag da drinnen verkriechen?" rief Jack von nebenan. Wenn sie das nur könnte! Schnell erledigte sie ihre morgendlichen Bedürfnisse und eilte ins Zimmer zurück. "Jack, wir müssen miteinander reden." Er schüttelte den Kopf und zog sie zu sich ins Bett. "Später. Erst probieren wir, was wir alles miteinander anstellen können,
wenn wir den ganzen Tag im Bett bleiben. Für ernsthafte Gespräche ist morgen noch genug Zeit." "Was genau schwebt dir vor?" Als er sie nur lüstern ansah, musste Carrie lächeln. "Ich verstehe. Den ganzen Tag lang?" "Bis zum Dinner mindestens. Okay, von Zeit zu Zeit legen wir eine Pause ein, um uns zu stärken. Nach der vergangenen Nacht zu urteilen, könnten wir allerdings ohne weiteres bis zum Morgen durchmachen." "Jack, wir sollten über die vergangene Nacht reden." "Später", raunte er und biss ihr sanft ins Ohrläppchen. "Ich bin so hungrig." Eine Gnadenfrist. "Was hast du zum Frühstück bestellt?" "Dich." Wie ein kleiner Junge, der sein Weihnachtsgeschenk auspackt, schlug Jack das Laken auf und enthüllte Carrie in ihrer ganzen Schönheit. "Jack, wir können unmöglich ... Unser Kaffee wird kalt." "Der Kaffee und die Bagels können warten. Aber mich bringt das Warten um. Ich brauche dich." Nur drei andere kleine Worte hätten Carries Widerstand schneller überwunden. "Ja." "Gut. Mehr will ich heute von dir nicht hören. ,Ja, Jack! O ja!' tut es zur Abwechslung auch." Verführerisch glitten seine Fingerspitzen über ihre Wirbelsäule. "Träum weiter!" "Ein Mann darf ja wohl hoffen." Jack presste die Lippen auf ihre. Sie gab allen Protest auf. Provozierend langsam glitten Jacks Lippen zu ihrem Hals, und als Carrie ein leises Stöhnen entschlüpfte, setzte er seine sinnliche Reise zu einer ihrer Schultern fort. "Willst du mehr?" murmelte er sehr, sehr siegessicher. "Ja". Carrie merkte, was ihr da entschlüpft war, und kicherte. Statt die Hitze der Begierde zu mindern, fügte das gemeinsame
Lachen ihrem Liebesspiel eine weitere Nuance hinzu. "Erwarte solchen Gehorsam nicht den ganzen Tag von mir." Jacks Augen blitzten auf. "Ist das eine Herausforderung?" Mit seiner rauen Handfläche umfasste er eine ihrer Brüste. Schon spürte Carrie seinen warmen Mund auf der weichen Rundung und seine Zunge, die die aufgerichtete Spitze neckte. Carrie schrie auf. Davon angespornt, reizte er ihre Brust noch stärker und glitt dann küssend und streichelnd tiefer. Von neuem löste er eine wilde erotische Kettenreaktion in Carrie aus, die sie atemlos machte und alle anderen Gefühle und Gedanken in den Hintergrund drängte. Schließlich hielt sie den Schwebezustand zwischen Verlangen und Erfüllung nicht länger aus, bäumte sich auf und schob die Hände in Jacks Haar. "Ja, Jack." "Musst du so ein selbstgefälliges Gesicht machen?" Genüsslich biss Carrie in ihren Hamburger. "'Selbstgefällig' ist eine gehörige Untertreibung." Amüsiert sah Jack zu, wie Carrie jeden einzelnen Bissen vertilgte. Nein, eines Spatzenappetits konnte sich diese Frau gewiss nicht rühmen! Was in ihm eine gewisse Dankbarkeit erzeugte. Denn Carries enormer Appetit beschränkte sich nicht allein aufs Essen. Die vergangene Nacht war eine Offenbarung gewesen. Hier auf dieser zauberhaften Insel hatten sie einander entdeckt. Gegenseitig hatten sie ihre intimsten Geheimnisse erkundet, einander verführt und einander tiefste Befriedigung geschenkt. Und dabei hatte Carrie alle Vorbehalte und Zweifel vergessen. Stück für Stück war es Jack gelungen, den Schutzwall, den Carrie um ihre Gefühle errichtet hatte, niederzureißen. "Welche Beschreibung fändest du zutreffender?" Carrie schlürfte ihren Erdbeershake.
"Lass mich mal überlegen. Ich sitze hier mit meiner splitternackten Lady und esse Lunch auf einem der romantischsten Inselparadiese dieser Welt. Und sobald wir fertig sind, beabsichtige ich auszuprobieren, ob ich meine wilde Bettgefährtin erne ut zum Schreien bringen." "Du kannst unmöglich ...", stammelte Carrie verblüfft. "Ein solches Stehvermögen ist für einen Mann deines Alters physisch unmöglich!" Jack fuhr hoch. "Ein Mann meines Alters?" Carrie nickte heftig. Dabei schob sie sich eine Fritte in den Mund. Es hätte nicht so sinnlich wirken sollen - immerhin war es nur eine Fritte. Dennoch brachte diese simple Geste Jack gehörig auf Touren. Erotische Visionen wirbelten durch seinen Kopf, und in jeder spielte Carrie die Hauptrolle. "Du bist also der Ansicht, ein Mann meines Alters zeige bereits erste Verfallserscheinungen?" Seine eindeutige körperliche Reaktion bewies, wie unpassend Carries Unterstellung war. "Unbedingt! Jack, du wirst nicht jünger. Irgendwo habe ich gelesen, Männer erreichen den Höhepunkt ihrer sexuellen Leistungsfähigkeit im Teenageralter oder in den frühen Zwanzigern. Darüber bist du weit hinaus. Deine glorreichen Jahre liegen lange hinter dir. Und in Anbetracht der Tatsache, dass du als Anwalt einer vorwiegend sitzenden Tätigkeit nachgehst, fürchte ich, du könntest dir dauerhaften Schaden zufügen, wenn du es ein weiteres Mal versuchst." "Wetten, dass ich dir das Gegenteil beweisen kann?" Jack war hin und her gerissen zwischen Entrüstung und Belustigung. Das war seine Carrie. Die Frau, die ihn stets auf Trab hielt. Sie war spontan und unberechenbar. Mal herausfordernd, mal anlehnungsbedürftig. Keine andere Frau war wie sie.
Er musste der größte Dummkopf auf Erden sein, dass er Carries Qualitäten vor dieser Reise übersehen hatte! "Bist du fertig mit deinem Lunch?" fragte er. Sein hintergründiges Lächeln machte Carrie gehörig nervös. Wenn er sie so anlächelte, erinnerte sie das an seinen Beruf. Als Rechtsanwalt war er wie ein Raubtier, das seiner Beute auflauerte, sie stellte und erlegte. Und diesmal war sein bevorzugtes Jagdobjekt kein zwielichtiger Zeuge im Kreuzverhör, sondern sie. "Nein, noch lange nicht. Sind wir in Eile?" "Ts, ts, ts. Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, dass ‚ja' das Motto des heutigen Tages ist?" Jack machte Anstalten, Carrie das Lunchtablett abzunehmen. "Hey! Darf ich zuerst aufessen?" Energisch umklammerte sie Hamburger, Pommes frites und Erdbeershake. "Lass mich die Frage anders formulieren. Glaubst du wirklich, ich hätte den Höhepunkt meiner sexuellen Leistungskraft überschritten?" "Na ja, es heißt, Frauen stehen mit Mitte dreißig in der Blüte ihrer Jahre", wich Carrie aus und steckte sich weitere Fritten in den Mund. "Ich befinde mich im Aufschwung, während du ganz entschieden auf dem absteigenden Ast bist." "Mögen deine Studien besagen, was sie wollen. Wenn diese Männer das Bett mit der entzückenden Carrie Delany geteilt hätten, wäre das Ergebnis mit Sicherheit anders ausgefallen egal, wie alt die Testteilnehmer waren." Carrie nahm sich noch ein paar Pommes frites. Jack nützte die Gelegenheit. Blitzschnell hechtete er über das Bett, stürzte sich auf Carrie und rollte sich auf sie. "Jetzt wollen wir doch mal schauen, ob du dir nicht merken kannst, welches Wort du heute benutzen sollst. Während ich dir beweise, dass Männer meines fortgeschrittenen Alters ebenso viel Durchhaltevermögen besitzen wie frühreife Teenager." "Ja", murmelte Carrie eine halbe Stunde später.
"Euer Ehren, ich lasse den Fall ruhen. Für den Augenblick ..." Carrie war glücklich. Nein, das war ein zu schwaches Wort. Sie war ekstatisch. Überschäumend vor Freude. Schwindelig vor Begeisterung! Sie warf einen Blick in den Spiegel. Ihre Augen waren das sprichwörtliche Fenster zu ihrer Seele. Jeder, der sie heute zu Gesicht bekam, konnte die Wahrheit erkennen. Sie liebte Jackson Jack Templeton. Natürlich würde sie ihm das nicht sagen. Noch nicht. Das würde sie erst, wenn sie ganz sicher sein konnte, dass er die Trennung von Sandy überwunden hatte. Selbst der Gedanke an Sandy konnte Carrie nicht die gute Laune verderben. Nicht nach dem hemmungslosen Sinnenrausch, in dem Jack und sie die vergangenen vierundzwanzig Stunden verbracht hatten. Carrie öffnete die Badezimmertür. "Jack?" Das Hotelzimmer war leer. Vermutlich war er schon vorausgegangen, um ihnen einen Tisch im Restaurant zu reservieren. Das Dinner war ein winziges Zugeständnis an Jack. Irgendwie musste der arme Kerl ja wieder zu Kräften kommen. Sie wollten in einem der Hotelrestaurants essen und anschließend am Strand spazieren gehen. Und später würde Jack sie erneut lieben. Sex mit Jack war Leidenschaft in ihrer alles verzehrenden, elementarsten Form - unbändige Sehnsucht, Harmonie, bedingungslose Hingabe, seliges Vergessen ... Allein die Aussicht auf eine weitere Nacht mit ihm verursachte ein Kribbeln in ihrem Bauch. Ungeduldig stürmte sie aus dem Hotelzimmer und eilte zum Fahrstuhl. Der Lift ließ auf sich warten. Wieso dauerte das heute so lange? Nochmals drückte sie die Taste. Endlich! Carrie stieg ein und fuhr abwärts. Sie konnte es kaum abwarten, Jack zu finden, ganz schnell zu essen, einen Strandspaziergang im
Eiltempo zu machen, um dann wieder auf ihr Zimmer zu gehen und in seinen Armen zu liegen. Der Aufzug stoppte. Carrie drängelte sich durch einen Pulk von Hotelgästen. Voller Vorfreude durchquerte sie die Lobby. Plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen. Eisige Kälte kroch in ihr hoch. Das durfte doch nicht wahr sein! In diesem Augenblick starben alle ihre Träume. Jack saß auf einer Couch. Und direkt neben ihm saß Sandy. Die schmerzliche Erkenntnis traf Carrie wie ein Messerstich. Jack hatte Sandy zurück, seine große Liebe. Die beiden umarmten sich, als hätte die Trennung nie stattgefunden. Innig sahen sie sich in die Augen. Und während sie ihre Unterhaltung fortsetzten, ruhte Jacks Hand auf Sandys Oberschenkel. Heiße Tränen rannen über Carries Gesicht. Wie erstarrt verharrte sie und sah zu. Jack und Sandy. Für Carrie Delany war kein Platz mehr. Sie hielt diesen Anblick keine Sekunde länger aus. Nur fort von hier! Fort von diesem Hotel! Fort von dieser verdammten Insel, deren Name sie zu verhöhnen schien! Die vergangene Nacht war für Jack nur eine flüchtige Romanze gewesen. Eine kurzzeitige Verwirrung der Gefühle. Vielleicht auch eine Ablenkung vom Alltagsstress. Ja, Carrie musste auf der Stelle weg von hier. Ihre Liebe war gestorben. Schluss. Ende. Aus. Vorbei.
7. KAPITEL "Aus welchem Grund bist du früher zurückgekommen? Sag bloß, du hast dich auf Amore Island gelangweilt!" empfing Eloise die Freundin und schob sich eine Stecknadel zwischen die Lippen. "Himmel, wozu gibt es Nadelkissen!" Carrie warf ihre Handtasche auf die Bank in der Zuschneideecke von Encore und ging zu ihrem Schreibtisch. Sie musste unbedingt in die Normalität zurückfinden. Ein Arbeitstag in der Boutique war ein guter Anfang. "Eines Tages wirst du diese spitzen Dinger noch verschlucken." Eloise ließ sich nicht ablenken. "Was ist auf Amore Island passiert?" Carrie wünschte, sie wäre zu Hause geblieben. Eloise war wie ein Polizeihund - wenn sie erst die Witterung aufgenommen hatte, gab sie keine Ruhe. "Ich habe erkannt, wie zuwider mir ein dekadentes Leben ist." Elaine fuhr fort, das pinkfarbene Kleid abzustecken, das sie einer Schneiderpuppe angezogen hatte. "Was hat Jack angestellt?" "Nichts." Carrie sah einen Stapel Post durch. "Wenn du dir die Inquisition ersparen willst, rückst du besser gleich mit der Sprache heraus." Carrie legte die Briefe auf den Schreibtisch und sank neben Eloise auf den Boden. "Ich habe mit ihm geschlafen."
Seelenruhig stach Eloise eine weitere Nadel in den Stoff. "Aha." "Mehr hast du dazu nicht zu sagen? Erst quetschst du mich aus, und dann kommst du mir mit einem profanen Aha!" "Ich habe dich nicht ausgequetscht. Ich habe dich bedroht." "Richtig. Bitte entschudige", gab Carrie sarkastisch zurück. "Kaum gestehe ich, dass ich mit meinem besten Freund geschlafen habe, lautet dein lapidarer Kommentar ,aha'." "Was hast du denn erwartet?" Carrie vergrub den Kopf in den Händen. Sie war so müde. Obwohl sie überzeugt war, das Richtige getan zu haben, erwachten neue Zweifel in ihr. "Du hättest ,du Ärmste' sagen können." "War er so schlecht?" "Er war so gut!" "Schnarcht er?" Ein Lächeln huschte über Carries Gesicht. "Im Rahmen des Erträglichen." "Wo liegt dann das Problem?" "Jack ist mein bester Freund. Er trauert seiner letzten Beziehung nach. Und ..." "Und ...?" Carrie graute davor, es laut auszusprechen. "Sandy war da! Auf der Insel! Mitten in der Lobby haben sie gesessen und konnten kaum die Finger voneinander lassen!" Dieses entsetzliche Bild hatte sich auf ewig in Carries Gedächtnis gebrannt. "Wie hat Jack dir diese traute Zweisamkeit erklärt?" erkundigte sich Eloise stirnrunzelnd. Carrie fühlte sich wie ein Insekt unter dem Mikroskop. "Gar nicht." "Er schläft mit dir und geht anschließend ohne ein Wort zurück zu Sandy?" fragte Eloise entgeistert.
"Jack hatte keine Gelegenheit für Erklärungen, da ich auf der Stelle meinen Koffer gepackt habe und abgereist bin. Für mehr als eine kurze Nachricht blieb keine Zeit, weil ich unbedingt das nächste Flugzeug erwischen wollte. Und vom Flughafen bin ich direkt zur Boutique gefahren. Ich brauchte ..." "Trost? Du wolltest mich sagen hören ,armes Baby'. Richtig?" Carrie nickte. "So etwas in der Art." "Bedaure. Für Närrinnen bringe ich kein Mitleid auf." "Eloise!" "Hör zu, ich möchte dich zur Geschäftspartnerin haben, weil du wirklich etwas auf dem Kasten hast. Du bist talentiert, kreativ und ein echter Gewinn für mein Geschäft. Ich wollte dir diesen Laden hier überlassen und selbst eine Filiale in Pittsburgh aufmachen. Allerdings kommen mir jetzt ernsthafte Zweifel." "Du willst mich zur Partnerin machen?" "Hatte ich das nicht erwähnt?" Eloise lächelte. Stecknadeln lugten aus ihrem Mundwinkel. "Während ich an der CarringtonRose-Design- Linie gearbeitet habe, habe ich auch unseren Partnerschaftsvertrag aufgesetzt. Die Papiere liegen auf deinem Schreibtisch." "Oh." Das verschlug Carrie die Sprache. "Ist das ein Ja?" Carries Wangen glühten. "Ja!" Eloise zog die Nadeln aus dem Mund, steckte sie in ein Nadelkissen und hielt Carrie die Hand hin. "Encore wird die exklusive Verkaufsadresse für deine Modelle. Schlag ein, Partnerin!" Das war die Erfüllung eines Traumes! Eloise wollte sie als Teilhaberin. Außerdem bekam sie ihre eigene Design- Linie. Einige Träume wurden eben doch wahr. Carrie dachte an Jack. Manche Träume gingen niemals in Erfüllung.
Es war schon acht Uhr, als Carrie endlich in ihrem Apartment eintraf. Mehr aus Gewohnheit als aus echtem Interesse hörte sie ihren Anrufbeantworter ab. Die erste von sechzehn neuen Nachrichten stammte von Jack. "Carrie. Wo steckst du? Und was zum Teufel gibt es in einem Kleiderladen für Notfälle?" Nachricht Nummer zwei lautete: "Carrie. Hier nähert sich ein Wirbelsturm. Deshalb darf kein Flugzeug starten. Ich nehme aber den nächsten Flug, den ich erwischen kann. Ruf mich bitte im Hotel an. Die Nummer hast du ja." "Carrie. Was zum Teufel ist passiert? Ruf mich an!" kam als Nächstes. Die übrigen dreizehn Nachrichten waren ähnlich. Mittendrin schaltete Carrie die Anrufwiedergabe ab. Was sollten diese Anrufe? Sie hatte Jack eine Notiz hinterlassen. Zugegeben, eine ziemlich knappe Notiz. Nun, dafür hatte er ja Sandy. Das Klingeln des Telefons unterbrach ihren Gedankengang. Nach dem dritten Läuten schaltete sich der Anrufbeantworter an. "Carrie, ich weiß, dass du da bist! Nimm sofort den Hörer ab! Habe ich dich zu sehr bedrängt? Die Dinge übereilt? Dich erschreckt? Diese neuen Gefühle erschrecken mich doch auch! Wenn du unsere Beziehung lieber langsam angehen willst, dann versuchen wir es. Es tut mir Leid, wirklich ..." Es tat ihm Leid? Das war der Gipfel! Erwartete er allen Ernstes eine Fortsetzung ihrer Affäre? Trotz Sandy? Ein echtes Paradebeispiel männlicher Ignoranz! Carrie nahm den Hörer ab. "Jack, ich bin's. Ich komme gerade aus der Boutique." "Was gab es für einen Notfall?" "Eloise hat mir die Partnerschaft angeboten. Ist das nicht wundervoll?" Carrie legte eine Begeisterung in ihre Stimme, die sie nicht im Entferntesten empfand. "Hätte das nicht bis nach unserem Urlaub warten können?"
"Eloise will einen neuen Laden in Pittsburgh eröffnen und muss sich schnell wegen eines dortigen Objektes entscheiden. Sie reist morgen ab. Ich soll hier so lange die Stellung halten. Danach gibt es wegen der Partnerschaft jede Menge Papierkram zu erledigen. Du als Anwalt weißt ja, wie das ist." "Ich freue mich für dich. Allerdings erklärt das nicht, wieso du Hals über Kopf abgereist bist." "Das Flugzeug wartete, und ich konnte dich nicht finden." "Was ist mit uns, Carrie?" "Wir sind Freunde, Jack. Nichts und niemand kann daran etwas ändern." Die Worte waren kaum ausgesprochen, da erkannte Carrie die große Lüge. Ihre Freundschaft hatte sich unwiderruflich verändert. Würde sie jemals über die wunderbaren Tage auf Amore Island hinwegkommen? "Freunde? Das ist alles?" "Natürlich wird unser Verhältnis ein wenig schwierig werden, nachdem wir ..." "Uns geliebt haben?" In Jacks Stimme schwang Frustration mit. "Sex hatten", stellte Carrie richtig. "Es lag an der romantischen Atmosphäre. Vergessen wir dieses Intermezzo, und stellen wir uns der Realität. Wir sind Freunde, Jack. Nicht mehr und nicht weniger." "Das ist alles? Für dich war es nur eine romantische Verirrung? So einfach tust du unsere Gefühle ab?" Was sollte das Ganze? Er hatte Sandy. Wo steckte sie überhaupt? Bislang hatte dieser Schuft das Treffen in der Hotellobby mit keiner Silbe erwähnt. Wahrscheinlich hatte er ein schlechtes Gewissen. Vielleicht legte er es auf einen Streit an, damit sie, Carrie, sich einen Funken Selbstrespekt bewahren konnte, indem sie mit ihm Schluss machte? "Hör mal, ich kann jetzt nicht länger reden. Ich habe jede Menge zu tun. Ruf mich an, wenn du zurück bist, dann gehen wir mal zusammen aus. Als Freunde."
"Wenn es das ist, was du willst." "Ja." Langsam legte Carrie den Hörer auf. Sie hatte das Gefühl, mit einem Teil ihres Lebens unwiderruflich abgeschlossen zu haben. Am Montag schaute Carrie sich die Geschäftsbücher von Encore an. Ihre Buchhaltung. Ihre Boutique. Der Gedanke sollte sie eigentlich ins Schwärmen versetzen. Selbst das funktionierte nicht. Nichts funktionierte. Das Telefon klingelte. "Hallo, hier ist Encore. Was kann ich für Sie tun?" "Carrie, du bist das ganze Wochenende nicht ans Telefon gegangen. Ist alles in Ordnung?" fragte Jack. Diese Mitleidsmasche konnte er sich getrost schenken! Ein weiterer Grund, weshalb eine Frau sich niemals in ihren besten Freund verlieben sollte: Er kannte sie viel zu gut. Lass dir nichts anmerken, befahl sie sich. "Hier im Laden herrscht ziemlich viel Hektik, bis wir in eine neue Ro utine gefunden haben." "Klar. All diese Notfälle im Kleiderladen", meinte Jack sarkastisch. Carrie wollte sich auf keinen Streit einlassen. "Was kann ich für dich tun? Solltest du dich nicht mit Einsprüchen, einstweiligen Verfügungen oder anderem juristischem Kram befassen?" "Keine Sorge, ich bin in der Kanzlei." Geistesabwesend klopfte Carrie mit dem Stift auf das Hauptrechnungsbuch. Kaum waren die Ferien beendet, war Jack also wieder in der alten Tretmühle. "Carrie, hast du Lust auf ein Dinner mit mir?" "Bedaure, Jack. Ich bin beschäftigt." Nach einer kleinen Pause würde ihre Freundschaft hoffentlich wieder intakt sein. "Womit?" "Was?"
"Womit bist du beschäftigt?" "Ich ... äh ... also ..." "So schwer kann die Frage kaum sein. Was machst du heute Abend, dass du nicht mit mir ausgehen kannst? Enthaarst du dir wieder die Beine?" Carrie schnaubte. Ein widerwilliges Lächeln umspielte ihre Lippen. "Danke, aus Schaden wird man klug. Eine solche Tortur würde ich für nichts und niemanden mehr auf mich nehmen." "Hast du schon eine Verabredung? Gibt es einen anderen Mann?" Das wäre zu schön. Unglücklicherweise hatte sie nach den Nächten mit Jack absolut keine Lust mehr auf andere Männer. "Nein, ich habe kein Date. Es ist wegen der Arbeit." "Eigentlich wollte ich dich das beim Dinner fragen. Carrie, ich brauche eine Begleitung für die Dinnerparty anlässlich von Simpsons Verabschiedung in den Ruhestand." War Sandy wieder unterwegs? In der Vergangenheit war Carrie unzählige Male als Ersatz eingesprungen. "Ich fürchte, das ist keine gute Idee." "Komm schon. Du bist oft genug mit mir zu solchen Feiern gegangen, wenn Sandy nicht in der Stadt war." Carrie wollte Jack nicht völlig aus ihrem Leben ausschließen, sie brauchte nur ein wenig Distanz. Doch konnte sie Jack den kleinen Gefallen verweigern? Dazu war ihr seine Freundschaft zu wertvoll. "Na schön." "Super. Also dann morgen Abend um sieben. Oh, und zieh wieder dieses sexy Kleid an." "Ich dachte, es hätte dir nicht gefallen." "Irrtum, Darling. Es hat mir viel zu sehr gefallen." "In dem Fall sollte ich es besser im Schrank lassen." Ein scharfer Schmerz schoss durch Carries Hand, so fest umklammerte sie plötzlich den Telefonhörer. "Wieso? Wenn wir beide uns wieder auf unsere platonische Freundschaft besinnen, könnte ich dich einigen neuen Kollegen
in der Kanzlei vorstellen. Dieses Kleid jedenfalls betont deine Vorzüge aufs Beste." Jack schwankte, ob er Carrie bei nächster Gelegenheit küssen sollte, bis sie wieder zur Vernunft kam, oder ob er sie erwürgen sollte für das, was sie ihm antat. Selbstverständlich hatte er keine Absicht, Carrie jemandem auf der Party vorzustellen. Schon gar keinen Junggesellen! Was er ihr besser verschwieg. Etwas hatte Carrie in Panik versetzt. Wenn er doch bloß wüsste, was! Es musste einen Weg geben, die Mauer, die sie um sich errichtet hatte, zu durchbrechen. "Du willst mit mir angeben? Mich wie ein Angebot auf zwei Beinen herumstolzieren lassen?" erklang es empört vom anderen Ende der Leitung. Carrie mochte zwar vor ihm davonlaufen - entkommen konnte sie ihm nicht. "Sicher. Wir finden problemlos jemand Besseren als Fred." "Ted!" korrigierte sie. Allmählich kochte sie vor Wut. "Wie auch immer." Jack grinste. Carrie war offensichtlich ziemlich geladen. Vor lauter Entrüstung merkte sie gar nicht, wie ihr geschah. Im Lauf der Jahre hatte Jack sich wieder und wieder von seiner lieben Freundin manipulieren lassen. Erst seit kurzem jedoch fragte er sich, warum Carrie immer ihren Willen bekam. Die Antwort war simpel. Er liebte sie. Aus jedem Disput ging Carrie als Siegerin hervor, weil Jack die Frau, die er liebte, nicht enttäuschen wollte. Deshalb kapitulierte ein gewiefter Anwalt, den normalerweise weder Richter noch Zeugen aus dem Konzept brachten, vor einer kleinen Verkäuferin, die zur Boutiquebesitzerin aufgestiegen war. Nun, die Liebe hatte schon größere Männer zu Fall gebracht als Jack Templeton. Und um dieser Liebe willen würde Jack
sein gesamtes Taktiervermögen als Anwalt einsetzen und den Retter in der Not spielen. "Ich fühle mich wie auf dem Präsentierteller", beschwerte sich Carrie beim Betreten des Konferenzsaals, wo die Party in vollem Gang war. "Mach das Beste draus." Jack zupfte Carries aufreizendes Kleid am Ausschnitt ein wenig höher. Leicht pikiert schlug Carrie auf seine Hand. Sie war durchaus in der Lage, ihre Brüste, falls nötig, allein in den Ausschnitt zurückzuschieben. Jacks Nähe hatte gefährliche Auswirkungen auf ihr seelisches Gleichgewicht. Er brauchte sie nur mit diesem gewissen Blick anzusehen, und plötzlich konnte Carrie nur noch an Sex, Lust und Sinnlichkeit denken. Wie beispielsweise vorhin, als Jack sie in ihrem Apartment abgeholt hatte. Da hatte sie sich tatsächlich ausgemalt, was er wohl tun würde, wenn sie einen erotischen Angriff startete, ihm den Maßanzug vom Leib zerrte und mitten in ihrem Wohnzimmer über ihn herfiel. Wir sind Freunde! ermahnte sie sich streng. Mehr konnten sie niemals sein. "Wie lange müssen wir hier bleiben?" Je schneller diese Tortur endete, desto besser. "Dein Enthusiasmus ist schmeichelhaft! Was ist los, Carrie? Früher bist du gern mit mir ausgegangen." Das war, bevor sie sein Bett geteilt hatte. Die Erinnerungen an diese kurze Affäre stiegen zu den unmöglichsten Zelten in ihr auf. Jack dagegen hatte dieses leidenschaftliche Zwischenspiel anscheinend weit hinter sich gelassen. Ihre ausufernde Phantasie, die ihr zu den unmöglichsten Zeiten Visionen eines nackten Jack bescherte, war nur ein Teil ihres Problems. Es waren die kleinen Dinge. So wie jetzt, als sie das zwingende Bedürfnis verspürte, Jacks Krawatte zurechtzurücken.
Sie hielt sich zurück. Es wäre zu intim. Zwar weniger intim als heißer Sex auf dem Wohnzimmerfußboden. Doch wiederum viel zu intim für die derzeitige Situation. Oh, vor diesem Kurzurlaub hätte Carrie keine Sekunde gezögert, Jacks Outfit zu korrigieren. Dazu waren Freunde schließlich da. Nun jedoch befürchtete sie, dass Jack zu viel in diese Geste hineininterpretierte. Wir sind Freunde, Freunde, Freunde! Langsam klang es wie eine Beschwörung. "Stan!" Jack nickte einem älteren Herrn zu. "Carrie, das ist Stan Simpson, unser Ehrengast." "Herzlichen Glückwunsch." Carrie schüttelte dem angehenden Pensionär die Hand. "Welche Pläne haben Sie für Ihren Ruhestand?" "Meine Frau und ich denken an zweite Flitterwochen. Später will ich meine Golftechnik verbessern und gelegentlich die eine oder andere Juravorlesung am College geben." "Wenn Sie Wilma in ein tropisches Paradies entführen wollen, empfehle ich Ihnen Amore Island. Das liegt vor der Küste von South Carolina", erklärte Jack auf Stans fragenden Blick hin. "Wenn diese romantische Insel bei Ihnen und Wilma bewirkt, was sie bei Carrie und mir ausgelöst hat... Glauben Sie mir, es wird Sie umwerfen!" Wenn Carries Blick töten könnte, hätte Jack auf der Stelle das Zeitliche gesegnet. Stan lachte. "Ja, ich fand stets, Sie beide passen perfekt zueinander. Diesen Gute-Freunde-Unsinn habe ich Ihnen nie abgekauft. Jeder, der Sie beide kennt, weiß, dass Sie füreinander bestimmt sind." Carrie erblasste. "Wir sind kein Liebespaar!" protestierte sie. Was dachte sich Jack nur? Warum sagte er Stan nicht, dass er wieder mit Sandy zusammen war? Er vermittelte dem Mann absichtlich den Eindruck, sie beide seien ein Paar.
"Nein, wir sind kein Liebespaar. Wir sind nur zwei alte Kumpel, nicht wahr?" Jacks Augenzwinkern verriet, dass er diese letzte Bemerkung ebenso wenig ernst nahm, wie Stan es tun sollte. "Oh, ich kenne diese Art von Freundschaft. Zufällig geht es Wilma und mir ähnlich." Beide Männer lachten. "Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden ..." Carrie machte sich zur Bar auf. Männer! Absolut unberechenbare Kreaturen! Erst schlief Jack mit ihr, danach versöhnte er sich wieder mit seiner Exfreundin - wo steckte Sandy überhaupt? -, und plötzlich führte er sich auf, als stünden sie beide kurz vor der Verlobung! Nein, ganz bestimmt waren sie kein Paar. Und wenn Jack so weitermachte, waren sie morgen nicht einmal mehr Freunde! "Ein Glas Wein", bestellte Carrie beim Barkeeper. "Weißwein oder Rotwein?" "Vergessen Sie den Wein! Geben Sie mir einen Scotch!" Sie hatte das Zeug immer schon probieren wollen. Der heutige Abend war die perfekte Gelegenheit für Experimente. Carrie nahm das Glas und stürzte den Whisky in einem Zug hinunter. Die goldbraune Flüssigkeit brannte höllisch in ihrer Kehle. Sofort begann Carrie unkontrollierbar zu husten. "Ma'am?" erkundigte sich der Barkeeper besorgt. Alkoholische Exzesse bedurften einiger Übung. "Alles in Ordnung. Geben Sie mir noch einen!" keuchte Carrie. Das Zeug verätzte zwar ihren Magen, aber mit etwas Glück beruhigte es ihre aufgewühlten Nerven. Von hinten kam eine Hand und nahm ihr den Drink ab. "Das lässt du besser, Darling." Jack leerte das Glas selbst und stellte es auf den Tresen. Dieser verfluchte Mann hatte wirklich keine Manieren. Hätte er sich nicht wenigstens durch ein dezentes Räuspern bemerkbar machen können? "Das war mein Scotch!" protestierte sie.
"Irrtum, Schatz. Ich hatte bereits das Vergnügen, dich betrunken zu erleben, und möchte mir eine Wiederholung gern ersparen. Besonders vor den Augen meiner Kollegen." "Denen du absichtlich ein falsches Bild unserer Freundschaft vermittelst." Jack spielte meisterhaft den Ahnungslosen. "Nur Freunde ... blinzel, blinzel." "Ich hatte etwas im Auge." Carrie ballte die Hand zur Faust. "Gleich hast du etwas in deinem Auge, Jack Templeton! Etwas, das verdächtig nach meiner Faust aussieht! Hör endlich mit dieser Lügerei auf!" "Carrie." Jack lachte, offenbar nicht im Mindesten beeindruckt. Jetzt kam Carrie richtig in Fahrt. "Hör zu, das auf Amore Island war ein Fehler." "War es nicht!" entgegnete er. "Du hast gesagt, es täte dir Leid." Als Carrie diese Worte auf dem Anrufbeantworter gehört hatte, war etwas in ihr gestorben. Sie hätte ihn am liebsten umgebracht. Dieser Mann weckte bei ihr eben die extremsten Gefühle. "Ich glaube, du hast da etwas missverstanden. Ich bedauere keineswegs unsere gemeinsamen Stunden. Ich habe mich entschuldigt, weil dieser plötzliche Wandel in unserem Verhältnis und das Tempo, in dem alles ablief, dir Angst gemacht hat." "Angst? Pah! Ich fürchte mich vor rein gar nic hts!" "Weswegen bist du weggelaufen?" "Jack, was willst du eigentlich von mir?" Sie war schrecklich durcheinander. Jedes Mal, wenn sie die Füße wieder auf dem Boden hatte, zog Jack den Teppich unter ihr weg. "Sei ehrlich zu dir selbst, Carrie. Und zu mir", sagte er ruhig. "Wann habe ich dich je belogen?" Carries Frustration wuchs. Jack war der Lügner. Bislang hatte er sein heimliches Treffen mit Sandy mit keinem Wort erwähnt!
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie der Barkeeper mit Gästen am anderen Ende der Bar tuschelte und verstohlen in ihre Richtung deutete. "Du hast gesagt, du würdest uns eine Chance geben. Ich will diese Chance, verdammt nochmal!" "Jack, du brauchst dringend eine große Dosis Realitätssinn! Wunschträume gehen selten in Erfüllung." Da war Carrie Expertin. Happy Ends gehörten ins Reich der Märchen. Jack spielte mit ihrem Ohrring. "Manche Menschen haben Glück." Carrie versteifte sich. "Wenn du meine Freundschaft willst, sie gehört dir." Jack fuhr Carrie mit den Fingerspitzen über die Wirbelsäule und registrierte erfreut, dass sie erschauerte. Aus einem verrückten Grund redete Carrie sich ein, Freundschaft sei alles, was sie verband. Jack wusste es besser. Es war Liebe. Davon würde er bald auch Carrie überzeugt haben. Er war ein geduldiger Mann. Und als erfolgreicher Anwalt an Siege gewöhnt. Carrie musterte Jack nervös. "Versprichst du mir, mit dieser Blinzelei aufzuhören, damit wir den Rest des Abends gemeinsam genießen können?" "Oh, ich verspreche dir, dass wir den Rest des Abends genießen werden." Das klang für Carries Geschmack viel zu anzüglich. Trotzdem ließ sie das Thema auf sich beruhen. "Schön. Da drüben sind die Cowells. Wollen wir sie begrüßen?" Während Carrie mit einem hörbaren Seufzer der Erleichterung zum anderen Ende des Konferenzsaals ging, folgte Jack ihr mit seinen Blicken. Carrie kannte viele der Gäste von ähnlichen Zusammenkünften, und Fremde verzauberte sie schnell mit ihrem Charme. Er begehrte diese Frau mit einer nie gekannten Leidenschaft. Es lag nicht nur am tollen Sex. Zur Hölle, so etwas wie nur Sex
gab es bei Carrie nicht. Es war ein verzweifeltes Sehnen, das jede Faser seines Herzens erfasste. Falls Carrie tatsächlich glaubte, Freundschaft sei alles, was sie füreinander empfanden, so täuschte sie sich. Und zwar gewaltig! "Findest du nicht auch, Jack?" versuchte Carrie Jack in die Unterhaltung mit Terry Lester einzubeziehen. Jack bedachte sie schon wieder mit diesen feurigen Blicken, die ihre Beine in Gelee verwandelten und den Eisblock um ihr Herz zum Schmelzen brachten. "Wie bitte?" Versonnen spielte er mit Carries blonden Haarsträhnen- und schenkte der Unterhaltung wenig Aufmerksamkeit. Carrie trat ihm unauffällig auf die Zehenspitzen. "Wir sollten uns etwas zu essen holen." Hoffentlich kann er sich besser konzentrieren, wenn er etwas im Magen hat! dachte sie und verabschiedete sich hastig von ihrem Gesprächspartner. "Gute Idee. Ich verhungere." Jack sah aus, als wolle er am liebsten sofort über sie herfallen! "Jemand erwähnte, der Geflügelsalat sei phantastisch." "Du darfst alles probieren, was du möchtest", raunte Jack ihr heiser ins Ohr. Carrie strahlte ihn an. "Danke. In dem Fall nehme ich den Geflügelsalat." Auf dem Weg zum Büfett rief jemand Carries Namen. Verblüfft drehte Carrie sich um. "Oh, Mrs. ..." Das Gesicht wirkte vertraut. Peinlicherweise war Carrie der Name der Frau entfallen. "Mrs. Marsh", half die Frau ihr weiter. "Wir kennen uns von Encore." Carrie versetzte sich in Gedanken einen Tritt. Die ältere Dame war eine ihrer Stammkundinnen! Ein weiterer Beweis,
wie konfus Jack sie machte. "Mrs. Marsh, natürlich. Bitte entschuldigen Sie." Die Frau zupfte am Ärmel eines älteren Herrn. "Das ist mein Mann, Clarence", stellte sie vor. Richter Clarence Marsh. Carrie seufzte. "Euer Ehren." Der ältere Mann, der mehr dem Nikolaus als einem Richter ähnelte, stieß ein fröhliches Lachen aus, das perfekt zu seinem Aussehen passte. "Sparen Sie sich die Förmlichkeiten, meine Liebe. Hier bin ich Clarence. Es sei denn, Sie sind Harnet. Dann bin ich nämlich ,mein Liebster', wenn sie in guter Stimmung ist, und ,Ach, du!' wenn sie sich auf dem Kriegspfad befindet." "Ach, du! Ich bin immer bester Laune!" Ihr Ehemann grinste. "Selbstverständlich, Liebling." Mrs. Marsh wandte sich an Jack. "Sie müssen Carries Lebensgefährte sein, von dem Eloise so geschwärmt hat." "Richtig. Jack Templeton", stellte Jack sich dem älteren Paar vor. Was in aller Welt hatte Eloise der Frau erzählt? "Jack ist nur ein guter Freund, Mrs. Marsh", warf Carrie hastig ein, bevor das Gespräch noch peinlicher wurde. "Eloise hat mir erzählt, was für ein guter Freund Ihr Jack ist. Sie erwähnte auch Ihren gemeinsamen Urlaub. Darf ich Ihnen einen Rat geben, meine Liebe? Ganz von Anwaltsfrau zu Anwaltsfrau? Ich bin seit über vierzig Jahren mit einem Juristen verheiratet und weiß, wie man mit diesem Menschenschlag umgehen muss." Carrie stöhnte innerlich. Hoffentlich sagte die Frau nichts, was Jack auf dumme Gedanken brachte. Seinem seltsamen Benehmen nach zu urteilen, hatte er schon jede Menge eigene Ideen und brauchte keinerle i Inspiration. "Lassen Sie Ihren Mann im Ungewissen. Anwälte haben gern alle Fakten in der Hand, um sie nach Lust und Laune zu manipulieren. Wenn Sie sie aber im Unklaren lassen - ein paar Dinge für sich behalten, zumindest eine kleine Weile -, sind Sie
im Vorteil. Glauben Sie mir, Carrie, Unterlegenheit macht diese Jungs mächtig nervös." Carrie war Expertin im Verschweigen. Ihre Gefühle für Jack musste sie wohl auf ewig für sich behalten. Eine überwältigende Trauer überkam sie bei dieser Vorstellung. "Ich werde Ihren Rat beherzigen, Mrs. Marsh. Wenn Sie uns bitte entschuldigen würden. Wir wollten gerade zum Büfett." Dabei war Carries Appetit längst verflogen. "Nur zu, meine Liebe. Und denken Sie daran: falls Sie einen Friedensrichter brauchen - Clarence steht Ihnen jederzeit zur Verfügung." "Auf der Stelle, mein Junge", pflichtete ein begeisterter Clarence prompt bei. "Wann, sagten Sie, ist der große Tag?" Alle drei antworteten gleichzeitig. "Der Termin ist noch offen", wehrte Jack ab. Carrie klang energischer. "Niemals." "Bald." Mrs. Marsh blinzelte Carrie zu und mischte sich am Arm ihres Mannes wieder unter die anderen Gäste. Nur weg hier! Mit hochrotem Kopf bahnte sich Carrie den Weg zum Büfett. Inständig flehte sie, dass irgendjemand Jack aufhielt. Was hatte Eloise der Frau bloß erzählt? Was immer es war, es hatte den Eindruck erweckt, sie und Jack seien mehr als gute Freunde. Ein vortrefflicher Grund, ihre Chefin - nein, ihre frisch gebackene Partnerin - zu erwürgen!
8. KAPITEL "Ich wüsste gern, was Eloise Mrs. Marsh über uns erzählt hat." Jack amüsierte sich köstlich über das Missverständnis! "Bestimmt hat sie nur verlauten lassen, wie gut wir uns auf Amore Island erholt haben", entgegnete Carrie säuerlich. "Ja, wir hatten eine Menge Spaß, stimmt's?" raunte Jack ihr ins Ohr. "Meine Lieblingserinnerung ist der Tag im Bett. Bedauerlich war, dass wir kaum Zeit hatten, alles auszuprobieren, was uns in den Sinn kam." "Das habe ich vollkommen vergessen." Wenn sie das nur könnte! Wie Jacks Miene verriet, erinnerte auch er sich an jede Einzelheit. Jack manövrierte Carrie geschickt in Richtung Garderobe. Als die Tür hinter ihr zufiel, bemerkte Carrie ihren Fehler. "Diese erotische Episode war ja ganz nett, aber um Sex geht es bei uns nicht." "Ach, tatsächlich?" Ungeachtet der Jacken und Mäntel schob Jack Carrie weiter in den kleinen Raum. "Nein." Es klang entschlossen. Allerdings mehr, um sich selbst zu überzeugen. Der Türriegel schnappte ein. "Worum geht es dann?" "Wir sind Freunde."
Jack nahm Carries Ohrläppchen zwischen die Lippen. "Freunde ..." wiederholte er. Mit dem Rücken drängte er sie gegen die geschlossene Tür. "Gute Freunde", setzte Carrie hinzu und wich ein Stück zurück. Jack hob den Kopf. "Wie gut?" Carrie seufzte erleichtert auf. Zu früh. Denn Jack machte keine Anstalten, sie freizugeben. Im Gegenteil. Er hauchte kleine Küsse auf ihre Schultern, die ein köstliches Prickeln auf ihrer Haut hervorriefen. "Was sagtest du gerade?" "Äh ..." Carries Kopf war wie leer gefegt. "Freunde", half er ihr auf die Sprünge. "Gute Freunde." "Genau. Gute Freunde", bestätigte sie hastig. "Da stimme ich zu." "Schön, dass du so vernünftig bist." Mit der Zungenspitze strich Jack über den Ansatz ihrer Brüste. Carrie erbebte. Brennendes Verlangen erwachte in ihr, und sie bog sich ihm entgegen. "Jack, ich bezweifle, dass gute Freunde so etwas tun sollten." "Nein?" Ungerührt setzte er das aufreizende Spiel fort. Schauer der Wonne durchfluteten Carrie. "Nein." Quälend sanft fuhren seine Hände von der Taille zu ihren Brüsten. Unter dem dünnen Stoff des Kleides richteten sich Carries Brustspitzen auf. "Also ich finde, wenn mehr Freunde so etwas täten, hätten sie wesentlich aufregendere Freundschaften", versicherte Jack ihr. Unter seinen massierenden Daumen wurden Carries Knospen noch härter, und sie stöhnte. "Sex und Freundschaft vertragen sich schlecht." Vergebens bemühte sich Carrie um einen energischen Tonfall.
"Ein interessanter Standpunkt. Probieren wir es aus!" Jack strich am Ausschnitt des Kleides entlang, mehr als bereit, die sinnliche Eroberung fortzusetzen. Mit geschlossenen Augen überließ Carrie sich Jacks Zärtlichkeiten und wünschte, sie könnte diesen Ansturm erregender Empfindungen abwehren. Unglücklicherweise schien ihr verräterischer Körper einen eigenen Willen zu haben. "So kommen wir keinen Schritt weiter, Jack!" Carrie war fast enttäuscht, als er ihrem unausgesprochenen Befehl folgte und sie sekundenlang losließ. "Oh, ich finde, wir kommen langsam, aber stetig voran." Jack umfasste Carries Po und drängte ein Be in zwischen ihre Schenkel. Carrie holte tief Luft. Das reichte Jack als Ermutigung. Zentimeter für Zentimeter bahnte er sich einen Weg unter ihr Kleid. "Wir sollten uns ein wenig abkühlen, Jack." Ihre Stimme schwankte. Falls dieser Wahnsinn nicht schleunigst endete, würde Carrie im nächsten Augenblick in Flammen aufgehen! "Das wäre eine Idee", flüsterte Jack ihr ins Ohr, während seine Hand weiter nach oben glitt. "Ein anderer Ansatz wäre es, die Hitze noch ein wenig zu steigern." "Jack, wir feiern Stan Simpsons Rückzug ins Privatleben!" "Im Augenblick könnte ich mir wenig Aufregenderes vorstellen, als mich mit dir an ein ruhigeres Plätzchen zurückzuziehen." "Das meine ich nicht", beharrte Carrie verzweifelt. "Was meinst du dann, Sweetheart?" Wenn sie das wüsste! Tausend verschiedene Gedanken wirbelten durch ihren Kopf. "Du hast mir gefehlt." Jack zeichnete den Beinausschnitt ihres Slips nach. "Carrie, ich..." Er wurde von einem Klopfen an der Tür unterbrochen.
"Wer ist da?" fauchte Jack, alles andere als erfreut über die Störung. Carrie nutzte die Gelegenheit und versuchte, sich aus Jacks Armen zu befreien. Ein unmögliches Unterfangen. Kurzerhand schlug sie auf seine Finger und zupfte mit der anderen Hand hektisch am Saum ihres Kleides. "Jack, wir blockieren die Garderobe! Wer auch immer vor der Tür steht, ist sicher weit mehr an seinem Mantel als an unserer Garderobenschrankakrobatik interessiert." Von draußen kam ein noch energischeres Klopfen. Wieder drückte Carrie gegen Jacks Hand. "Lass mich sofort los, Jack!" "Ich hänge fest." Zornig funkelte sie ihn an. "Wo?" "Mein Manschettenknopf hat sich in deinem Slip verfangen." Carrie stöhnte. Spitzenslips waren noch ihr Untergang! Alles Zerren war umsonst. Der Slip löste sich nicht von Jacks Hemd. "Zieh das verflixte Ding aus", zischte Jack. Carrie verspürte den beinahe unwiderstehlichen Drang, ihm eine schallende Ohrfeige zu verpassen. Wieder klopfte es an der Tür. Was sollte sie tun? Was konnte sie tun? Carrie blieb keine Wahl. Mit hochroten Wangen zerrte sie den Slip über die Hüften und ihre langen Beine hinunter, während Jack neben ihr in die Hocke ging und mit seinem Arm folgte. Als sie aus dem Slip stieg, lachte er. Carrie sah, womit Jack sich auf Augenhöhe befand. Dieser Schuft! Empört versetzte sie ihm einen leichten Schubs. "Schluss damit!" "Oh, das ist erst der Anfang, Schatz." War das eine Drohung oder ein Versprechen? Jack richtete sich auf und steckte die Hand mit dem verräterischen Anhängsel in seine Hosentasche. Währenddessen richtete Carrie sich halbwegs präsentabel her.
Gerade rechtzeitig, denn der Türknauf drehte sich. "Na endlich!" Blitzschnell huschte Carrie an dem Gast vorbei. "Bitte entschuldigen Sie. Wir haben ..." "Geknutscht", half Jack Carrie weiter. Carrie knuffte ihn. "Wir haben meinen Mantel gesucht, bis uns eingefallen ist, dass ich gar keinen dabeihabe." Der Mann grinste breit und zwinkerte Jack zu. "Honey, wäre ich nicht in Begleitung meiner Freundin hier, würde ich Sie glatt darum bitten, auch mir bei der Mantelsuche behilflich zu sein." Carrie schwieg und schritt hoch erhobenen Hauptes durch den Konferenzsaal zum Ausgang. Dabei kümmerte es sie wenig, ob Jack ihr folgte. Ihretwegen konnte sich Jack Templeton von der nächsten Klippe stürzen! "Carrie, warte auf mich!" Jack eilte ihr nach. "Nein!" Carrie ging schneller. Problemlos holte Jack sie ein. "Weshalb bist du so wütend?" Carrie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Hatte er den Verstand verloren? Er war wieder mit seiner alten Flamme Sandy zusammen, aber mit ihr, Carrie, machte er im Garderobenschrank herum! "Wer ist hier wütend?" "Also wenn du nicht wütend bist, was stört dich dann?" "Das war die peinlichste Situation meines Lebens!" Rote Flecke erschienen auf ihrem Gesicht, das spürte sie. Wenn sie großes Pech hatte, blieben sie für den Rest ihres Lebens dort. "Ach ja? Schmusen ist dir peinlicher als dass du damals in Hauswirtschaftslehre die Küche in Brand gesteckt hast?" Das war das Schlimmste daran, wenn man seit Kindertagen denselben edlen Ritter besaß: Jack kannte leider jedes noch so winzige Missgeschick von ihr. Schlimmer noch, er erinnerte sich an jedes einzelne bis ins allerkleinste Detail! "Wie beruhigend! Es baut mein angeknackstes Selbstbewusstsein enorm auf, wenn du bis in unsere HighSchool- Zeit zurückgehen musst, um einen peinlicheren Moment zu finden."
"Oder letztes Jahr, als dein Bikiniträger beim Sprung vom Zehnmeterbrett riss." In Jacks Stimme schwang unterdrücktes Lachen mit. Hochmütig warf Carrie den Kopf zurück. "Was war daran peinlich? Für lüsterne Voyeure habe ich zu wenig zu bieten." "Unsinn, Carrie! Du besitzt perfekte Proportionen. Und wie kann dir dein unfreiwilliger Striptease weniger peinlich sein als ein amouröses Abenteuer mit deinem besten Freund?" "Zugegeben, die Garderobenschrankepisode war eindeutig abenteuerlich, und bis vor wenigen Minuten warst du sogar mein Freund. Erstaunlich, wie schnell sich die Dinge doch ändern können", stellte Carrie fest. "Sag das nicht", fuhr Jack sie an. Tränen stiegen ihr in die Augen. "Wieso nicht? Den ganzen Abend spielst du deinen Kollegen den liebeskranken Romeo vor. Dabei weißt du so gut wie ich, dass zwischen uns niemals mehr als Freundschaft sein kann." "Sag mir, warum, Carrie." Da fragte er noch! "Wegen Sandy." Allmählich verlor Jack seine hart umkämpfte Gelassenhe it. "Carrie, das mit Sandy und mir ist vorbei! Wir haben bis zum Umfallen darüber gesprochen. Schickst du mich deshalb in die Hölle? Aus Eifersucht? Weil du glaubst, ich weine Sandy nach? Diese Geschichte ist beendet! Wie oft muss ich dir das denn sagen?" Ihr war schleierhaft, weshalb Jack log. Womöglich belog er ja weniger sie, sondern viel mehr sich selbst. "Du hast dich für unsere gemeinsame Nacht entschuldigt!" erinnerte sie ihn. "Weil du eine Entschuldigung hören wolltest", brauste Jack auf. "Die einzige Sache auf dieser verdammten Insel, die ich inständig bedaure, ist, dass ich dich überhaupt aus meinem Bett gelassen habe."
"Pah! Du konntest es doch kaum abwarten, mich loszuwerden!" Carrie schniefte und drängte die aufsteigenden Tränen zurück. Auf keinen Fall durfte Jack merken, wie leicht er sie verletzen konnte. "Zur Hölle, Carrie! Auf jede erdenkliche Weise habe ich dir gezeigt, wie glücklich du mich machst und wie gern ich unsere Beziehung in neue Bahnen lenken möchte." Entnervt fuhr Jack sich mit allen zehn Fingern durchs Haar. Eine vollkommen uncharakteristische Geste für ihn, der sonst immer Herr der Lage war. Und besonders fatal, angesichts des weißen Spitzenslips, der von seinem Handgelenk baumelte. Alle Gespräche verstummten im Konferenzsaal. Dutzende Augen waren auf Carrie und Jack gerichtet. "Jack!" zischte sie. "Keine Diskussionen, Carrie! Sandy und ich, das ist Vergangenheit. Du und ich dagegen, wir stehen erst am Anfang. Wir verstehen uns phantastisch im Bett. Unsere Freundschaft entwickelt sich weiter. Zum Vorteil." Jack verschränkte die Arme vor der Brust. Das verräterische Indiz war nun für jedermann gut sichtbar. "Jack!" Carries Stimme klang schrill. Das glühende Rot auf ihren Wangen überzog inzwischen Carries gesamten Körper. Jemand aus der Menge löste die spannungsgeladene Atmosphäre. "Jack, da hängt etwas an Ihrem Arm ..." Jack folgte dem Hinweis und schaute nach unten. Schleunigst ließ er die Hand mit dem verräterischen Indiz wieder in der Hosentasche verschwinden. Carrie kannte sich aus mit Peinlichkeiten. Doch dieser Moment übertraf alles! Zum Glück erspähte sie Richter Marsh und dessen Frau, die gerade die Garderobe verließen und zum Ausgang strebten. "Entschuldige mich bitte kurz." Ohne Jack einen weiteren Blick zu gönnen, eilte sie zu dem älteren Paar. "Clarence, wie ich sehe, wollen Sie gehen. Wäre es sehr unhöflich, Sie zu
bitten, mich auf Ihrem Heimweg 'bei meinem Apartment abzusetzen?" "Es wäre uns ein Vergnügen, meine Liebe", sagte der Richter. Inzwischen hatte Jack seine flüchtende Freundin eingeholt. Er hielt Carrie am Arm fest. "Hey, du fährst mit mir nach Hause! Und bei dieser Gelegenheit klären wir unser leidiges Missverständnis ein für alle Mal!" Mit einem Ruck befreite sie sich aus seinem Griff. "Das Missverständnis liegt ganz auf deiner Seite, Jack. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest. Ich fahre mit dem Richter und Mrs. Marsh." "Da wäre weiterhin diese Kleinigkeit, die wir dringend klären sollten", warnte Jack sie. "Behalte sie für dich." Carrie folgte dem älteren Paar, verzweifelt darauf bedacht, von Jack wegzukommen. "Carrie, ich will wissen, was in deinem wirren Kopf vor sich geht!" rief Jack ihr nach. "Haben Sie das gehört?" beschwerte sich Carrie bei Mrs. Marsh. "Unser bedeutsamer Staranwalt hält mich für dumm! Das muss an seinem aufgeblasenen Ego liegen. In Wahrheit bin ich weitaus gewiefter als er! Wissen Sie, Mrs. Marsh, seit Kindertagen darf Jack für mich den Helden spielen - weil Mr. Ich- muss-die-Welt-retten das Gefühl liebt, gebraucht zu werden. Dabei braucht er in Wahrheit bloß einen Tritt in seinen Allerwertesten!" Mrs. Marsh lächelte wissend. "Männer brauchen eine Kombination aus Zuckerbrot und Peitsche, meine Liebe." "Jedenfalls kann er sich sein hilfloses Schäfchen jetzt woanders suchen! Die Rolle langweilt mich zu Tode." Geflissentlich ignorierte Carrie ihren ehemals besten Freund, der ihnen zum Ausgang folgte. "Ja, irgendwann hat jede Scharade ein Ende", entgegnete die Ehefrau des Richters mitfühlend. "Carrie, ich meine es ernst", kam es von Jack.
"Rufen Sie das Mädchen morgen früh an", empfahl der Richter und öffnete Carrie die Wagentür. "Spar dir die Mühe." Carrie nahm auf dem Rücksitz Platz. "Falls du Gesellschaft brauchst, ruf Sandy an. Nachdem sie dir auf die Insel gefolgt ist, freut sie sich bestimmt, von dir zu hören." Sie knallte die Autotür zu, betätigte die Türsicherung, gab Richter Marsh ihre Adresse und sank in den weichen Ledersitz. Wie angewurzelt blieb Jack im Hauseingang stehen. Gut so! Dieser letzte Seitenhieb hatte gesessen! Carries Triumphgefühl verblasste allerdings schnell wieder. Sie hatte soeben ihren besten Freund verloren ... Im Rückspiegel konnte Carrie Jack noch eine Weile sehen, ehe seine Silhouette in der Ferne verblasste. Ein viel sagendes Bild. Trauer überschwemmte Carrie. Diesmal hatte sie es wirklich geschafft. Jetzt hatte sie Jack endgültig vergrault. Als Liebhaber wie auch als Freund. Eine einzelne Träne rann über ihre Wange. Hätte sie ihr Herz doch besser unter Verschluss gehalten! Stattdessen stand sie nun vor den Trümmern ihrer Beziehung. Sie schniefte leise und sehnte sich nach Jacks nie enden wollendem Vorrat von Taschentüchern. Nein, das nahm sie zurück. Sie war über Jack Templeton hinweg ... diesen Slips stehlenden Schmalspur-Casanova! Ihr Held war von dem Podest heruntergefallen, auf das sie ihn so viele Jahre gestellt hatte. Auch Jack Templeton war nur ein normaler Sterblicher. Und sie war eine unabhängige, intelligente Frau, die diesen kleinen Anfall von Lust mühelos überwinden konnte. Unerwünschte Hormonschübe gehören ab sofort der Vergangenheit an, ermahnte Carrie sich streng. Es hatte sie zehn Jahre gekostet, aber jetzt war sie endgültig über Jack Templeton hinweg.
Das Leben ging weiter. Gleißende Sonnenstrahlen fielen durch das Schaufenster von Encore. Konnte der Himmel denn kein Mitleid zeigen und Regenwolken nach Erie schicken, wenn Carrie Trübsal blies? Es war Tag eins nach Jack. Carrie trank einen Schluck Kaffee und versuchte, den sonnigen Vormittag zu genießen. Kleine Korrektur: Sie versuchte es nicht nur. O nein, sie genoss diesen Tag! Sie genoss jede einzelne Minute dieses wunderschönen Tages. Jede einzelne Minute vom Rest ihres Lebens. Wer brauchte schon Jack Templeton, diesen Dessous-Dieb! Sie jedenfalls war gründlich von ihrer Liebe kuriert! Die Türglocke bimmelte. Angeödet von dem schönen Wetter und dem nervtötenden Gebimmel, aber am meisten von sich selbst und ihrer missmutigen Stimmung, stählte sich Carrie mit einem letzten Schluck Kaffee, ehe sie ihr bestes Verkäuferinnenlächeln aufsetzte und den Verkaufsraum der Boutique betrat. "Kann ich Ihnen behilflich sein?" Eine grauhaarige Dame erwartete sie. "Carrie, ich möchte Jaycees Kleid abholen. Es ist doch fertig, oder?" Carries Laune besserte sich. Mrs. Smith war eine ihrer Lieblingskundinnen. "Selbstverständlich, Mrs. Smith. Möchten Sie es sehen?" "Gern!" Trotz Carries Versicherung war die Frau besorgt. "Ich wünschte nur, meine Tochter wäre hier!" "Kommt Jaycee nicht für die letzte Anprobe?" Eine steile Falte erschien auf Mrs. Smith' Stirn. "Jaycee hat leider wichtige Termine. Was, wenn das Kleid nicht passt? Das bekommen wir nie rechtzeitig behoben!" Carrie tätschelte der älteren Dame die Hand. "Wir haben Jaycees Maße, Mrs. Smith. Solange die stimmen, sitzt alles wie angegossen."
Carrie trat zu einer Kleiderstange. Nach kurzem Suchen fand sie das Kleid aus türkisfarbener Seide. Es war eines ihrer besten Modelle. Himmel, was war sie aufgeregt gewesen, als sie das Label mit der winzigen Rose angenäht hatte! "Also ich weiß nicht recht ..." Mrs. Smith strich über den schimmernden Stoff. "Das Kleid wurde ganz exakt nach Jaycees Maßen angefertigt. Sie müssen sich keine Sorgen machen." Während die beiden Frauen die Abendrobe ausgiebig bewunderten, bimmelte die Türglocke erneut. Carries Lächeln gefror bei der Begrüßung. "Kann ich dir helfen?" "Ja. Du könntest mir dieses Paket erklären." Jack warf ein braunes Bündel auf den Tresen neben Jaycee Smith' Abendkleid. "Und wenn du fertig bist, erkläre ich dir, weshalb Sandy auf der Insel war." Würdevoll richtete sich Carrie zu ihrer vollen Größe auf. "Das Päckchen erklärt sich eigentlich von selbst. Du fragst schon seit Ewigkeiten nach deinem heiß geliebten Footballtrikot. Endlich habe ich das Shirt gewaschen, und jetzt hast du das verflixte Ding zurück. Willst du sonst noch was?" "Konntest du es nicht selbst vorbeibringen?" "In Anbetracht der Umstände hielt ich das für keine gute Idee. Im Übrigen bin ich sehr beschäftigt. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigst, ich muss eine Kundin bedienen." Carrie wandte Jack den Rücken zu und konzentrierte sich auf Mrs. Smith. "Ich warte", meinte Jack im selben Augenblick wie Mrs. Smith. Carries Selbstbeherrschung wurde auf eine harte Probe gestellt. Anscheinend war Jack für feinfühlige Hinweise wenig zugänglich. Demonstrativ ignorierte sie ihn. "Das ist nett, aber unnötig, Mrs. Smith. Hier bei Encore steht unsere werte Kundschaft an erster Stelle. Persönliche
Angelegenheiten können warten. Falls Jack mich sprechen möchte, stehe ich ihm nach Feierabend telefonisch zur Verfügung." Sie wollte weder seine windigen Ausreden hören, noch wollte sie irgendwelche Erklärungen abgeben. "Da Mrs. Smith mir freundlicherweise ein wenig Zeit einräumt, erledige ich das lieber gleich an Ort und Stelle", warf Jack ein. "Nur zu, junger Mann." Mrs. Smith stutzte und nahm ihn genauer in Augenschein. "Sie sind ziemlich groß, Mr. ..." "Templeton. Bitte nennen Sie mich Jack", erwiderte Jack charmant. "Und ich bin ein Meter achtzig groß." Mrs. Smith tippte sich an die Nasenspitze. Langsam ging sie um Jack he rum. "Das passt ja ganz hervorragend! Jack, würden Sie mir einen kleinen Gefallen tun, während Sie Ihre Unterhaltung mit Miss Delany fortsetzen?" Im Gegensatz zu Jack merkte Carrie, worauf die Frau abzielte. "Mrs. Smith, Jack ist in Eile. Er ist Anwalt und steckt sicher mitten in einem verzwickten Fall." Jack durchbohrte Carrie mit eisigem Blick. "Meine Fälle können warten." Um seine Mundwinkel lag ein grimmiger Zug. "Können wir danach miteinander reden?" Carrie nickte stumm. Er schenkte der älteren Kundin ein strahlendes Lächeln. "Mrs. Smith, es ist mir eine Ehre, einer Dame behilflich zu sein. Darin besitze ich jahrzehntelange Übung." Carries Rache folgte prompt. "Also, wenn du darauf bestehst..." Sie schenkte Jack ein honigsüßes Lächeln. Auch Mrs. Smith strahlte. "Oh, ich bin ja so erleichtert! Wissen Sie, meine Tochter ist verhindert, und ich mache mir Sorgen wegen der Anprobe ..." "Wie bitte?" Jack wurde blass. Carrie genoss seine Bestürzung. "Schön, dass du diese kleine Unannehmlichkeit auf dich nimmst. Ich kann dich beruhigen. Es wird nicht allzu viel von deiner Zeit beanspruchen."
Mit deutlichem Misstrauen folgte er den beiden Frauen. "Vermutlich hätte ich nachfragen sollen, um welche Art von Gefallen es sich handelt." "Ja, vermutlich hättest du das besser." Carrie mochte Jack zwar früher in die eine oder andere verfängliche Situation gelockt haben, nun aber war er ganz allein für seine prekäre Lage verantwortlich. Carrie war bereit, ihn am Galgen baumeln zu lassen! Sie würde sogar Tickets für die erste Reihe kaufen. "Mrs. Smith, wobei genau soll ich Ihnen denn behilflich sein?" Allmählich dämmerte Jack, worauf er sich eingelassen hatte. "Hatte ich das nicht erwähnt? Jack, Sie haben ungefähr dieselbe Statur wie meine Jaycee. Natürlich sind Sie etwas muskulöser. Wissen Sie, Jaycee spielt in der BasketballOberliga", erläuterte Mrs. Smith stolz. "Am Wochenende bekommt sie einen Preis von der Universität von Tennessee verliehen. Dort hat sie studiert und ihren Abschluss gemacht. Eigentlich sollte sie vor der Preisverleihung das Kleid nochmals anprobieren, falls Änderungen erforderlich sind. Deswegen wüsste ich es sehr zu schätzen, wenn Sie einspringen würden." "Gern. Soll ich Ihre Tochter irgendwo abholen? Hat sie Probleme mit ihrem Wagen?" Carrie hörte die Hoffnung in seiner Stimme - die Sekunden später einer grenzenlosen Ernüchterung Platz machte. "Nein, Jack. Jaycee hat heute ein Spiel in New York." "Wer soll dann ..." Die Erkenntnis traf Jack wie ein Fausthieb. "Oh. Nein, Ma'am, so sehr ich es bedaure ..." Carrie lachte nur und führte Jack zur Umkleidekabine. Winzige Schweißperlen erschienen auf Jacks Stirn, während er ihr folgte. "Carrie, bitte ...!" Da konnte er lange bitten! Sie verspürte uncharakteristische Rachegelüste. "Ertrage es wie ein Mann, Jack! In Schottland trägt deinesgleichen ständig Kleider."
"Kilts. Und außerdem sind wir nicht in Schottland." Argwöhnisch musterte er das türkisfarbene seidige Etwas auf Mrs. Smith' Armen. Carrie tätschelte seine Schultern und schob ihn ungerührt in die Umkleidekabine. "Echte Kerle jammern nicht! Wenn du während der Geschäftszeiten privat mit mir sprechen willst, musst du eben auch etwas fürs Geschäft tun. Großzügigerweise übersehen wir deine haarigen Beine. Du konntest ja nicht ahnen, dass du heute deine Beine zeigst. Für künftige Gelegenheiten solltest du dir allerdings merken, dass behaarte Beine bei großer Abendrobe meistens ein Stirnrunzeln hervorrufen." "Ts, ts, ts. Sie sollten den armen Jungen nicht auch noch necken", schalt Mrs. Smith. "Wirklich, Jack, ic h weiß Ihre Mühe zu schätzen." Grimmig schnappte Jack sich das Kleid und verschwand hinter dem Vorhang. "Die Socken kannst du anbehalten", schickte Carrie ihm schadenfroh hinterher. "Der Fußboden ist kalt." "Liebes, seien Sie nett zu ihm", wisperte Mrs. Smith, doch ihre Augen funkelten vor Vergnügen. "Möchtest du jetzt mit mir reden, Jack?" erkundigte sich Carrie. "Warte, bis ich draußen bin." Minuten vergingen. "Ich habe Probleme mit dem Rückenteil." Carrie besann sich auf ihre Aufgabe als Schneiderin. "Falls du ansonsten anständig bekleidet bist, helfe ich dir beim Anziehen." Jack steckte den Kopf durch den Vorhangspalt. "Nur zu." Er schob ein paar unterdrückte Flüche hinterher. Carrie wandte sich an ihre Kundin. "Setzen Sie sich so lange, Mrs. Smith. In einer Minute sind wir bei Ihnen." Carrie betrat die Kabine und wollte am liebsten auf der Stelle kehrt machen.
Blitzschnell packte Jack sie am Handgelenk. Carrie wirbelte herum. "Das nennst du anständig angezogen?" fauchte sie und musste sich schwer beherrschen, um bei so viel Dreistigkeit nicht handgreiflich zu werden. Das Kleid hing am Garderobenhaken. Und Jack trug nur Boxershorts und ein aufreizendes Grinsen.
9. KAPITEL "Ich habe nie behauptet, ich sei anständig angezogen. Sondern ich sagte: ,Nur zu'", argumentierte Jack in bester Anwaltsmanier. "Und jetzt will ich endlich wissen, was dieses Paket sollte." "Kurz vor unserem Urlaub hast du nach deinem Footballtrikot gefragt." Vergeblich versuchte Carrie, sich aus seinem festen Griff zu befreien. "Das tue ich schon seit Jahren in regelmäßigen Abständen. Jedes Mal kommst du mir mit derselben Ausrede. Wir wissen beide, dass ich aus reiner Gewohnheit gefragt habe. Warum hast du mir ausgerechnet jetzt dieses verdammte Shirt geschickt?" "Es war an der Zeit", sagte Carrie ruhig. "Warum?" hakte Jack nach. "Wegen Sandy. Ihr beide seid offenbar wieder zusammen. Und ich ..." Buße sollte ja gut für die Seele sein, doch Carrie verspürte kein Bedürfnis nach weiterer Selbstentblößung. Weshalb auch? Es war zu spät. Sandy war zurück. Wenn sie, Carrie, von der Bildfläche verschwand, hatten Jack und Sandy eine gute Chance, ihre Beziehung diesmal auf eine dauerhafte Ebene zu stellen. "Carrie, Sandy ist schon sehr lange kein Teil meines Lebens mehr. Was du auf Amore Island gesehen haben musst..." Jacks fadenscheinige Ausreden interessierten Carrie wenig. "Mrs. Smith wartet."
Sie half ihm, das Kleid überzustreifen, und rückte die Träger auf dem Rücken zurecht. "Es steht dir gut", neckte sie ihn, doch ihr munterer Ton klang ziemlich aufgesetzt. "Wir werden unsere Unterhaltung fortsetzen." Jack folgte ihr aus der Kabine. "Oh, sieht er nicht entzückend aus?" schwärmte Mrs. Smith. Prüfend betrachtete sie die Abendrobe von allen Seiten. "Carrie, dort ist der Saum schief." "Das behebe ich in einer Sekunde." Carrie trat hinter den Tresen, holte das Nadelkissen, schaute prüfend zum Kleid und wählte die passende Nähgarnfarbe. "Hier unten." Mrs. Smith deutete auf den kleinen Bogen im Saum. Dankbar für die Ablenkung, bat Carrie: "Jack, könntest du dich bitte auf den Stuhl stellen?" Jack tat ihr den Gefallen. Carrie umrundete ihn und ging auf seine linke Seite. "Ich trenne die Naht auf und nähe den Saum dort neu." Jack nutzte den Augenblick. "Carrie, was ich vorhin sagen wollte ... Wegen Sandy ..." "Wie bitte?" Warum musste er so auf diesem Thema beharren? Weshalb war er überhaupt hier? Und wieso bedrängte er sie so? Noch dazu vor einer Kundin? Eigentlich hatte Carrie Jacks Besuch gestern erwartet. Ausnahmsweise war sie allein zu ihrer sonntäglichen Joggingrunde aufgebrochen. Sie hatte sogar auf ihre Fast-FoodStopps verzichtet. Ihr Herz war einfach nicht bei der Sache gewesen. "Du hast mich sehr gut verstanden." Jack drehte sich leicht, als Carrie ihm einen kleinen Schubs versetzte. "Du sagtest, Sandy sei zurück. Das will ich erklären." "Wer ist Sandy?" wollte Mrs. Smith wissen.
"Sandy ist die Frau, die Jack liebt." Carrie steckte den Saum ab. "Vorige Woche habe ich Jack zu einem Kurzurlaub überredet. Seit Monaten trauert er seiner gescheiterten Beziehung nach und vergräbt sich in seine Arbeit. Ich wollte ihn aus der täglichen Routine locken. Anfangs hat das auch funktioniert. Wir beide hatten viel Spaß, und er hat seine Sorgen vergessen. Während unseres Aufenthalts auf Amore Island haben Jack und ich ... Oh, das ist unwichtig." Carrie zögerte. "Wissen Sie, Mrs. Smith, Sandy ist die Liebe seines Lebens. Das wird Jack einsehen, sobald seine Wut verfliegt. Und die kommt von den Schuldgefühlen wegen unserer gemeinsamen Nacht." "Besonders reumütig sieht er nicht aus", bemerkte Mrs. Smith. "Das täuscht. Er will Sandy. Aber er möchte mich nicht verletzen. Sobald Jack erkennt, was wirklich zählt, werden wir wie früher wieder Freunde sein." Ihre Stimme versagte. Nein, keine Tränen! Sie weinte scho n tagelang, und was hatte es ihr gebracht? "Was wäre das?" erkundigte sich Mrs. Smith neugierig. "Was wäre was?" Carrie war anscheinend tief in ihre trübseligen Gedanken versunken. "Was zählt?" wiederholte die Kundin. "Ja, was?" wollte auch Jack wissen. Carrie atmete tief durch. Die Nadel durchstach die Seide. Es war Zeit für die Wahrheit. "Sandy und Jack sind wichtig. Ich habe mir eingeredet, dieser Urlaub sollte ihn Sandy vergessen lassen. In Wahrheit habe ich ihn aus purem Egoismus dazu überredet." "Inwiefern?" fragten Jack und Mrs. Smith wie aus einem Mund.. Vielleicht befreite ihr Geständnis Jack von seinen quälenden Schuldgefühlen. "Ich habe Jack zu diesem Inselurlaub genötigt, weil ich eine leidenschaftliche Affäre wollte", sprudelte Carrie hervor.
Fassungslos starrte Jack die Freundin an. Mrs. Smith zog die Brauen hoch. "Sie wollten was?" Carrie befeuchtete die trockenen Lippen mit der Zunge. "Ich habe Jack auf Amore Island gelockt, weil ich ihn seit der High School haben will. Nicht nur als Freund, obwohl ich unsere Freundschaft enorm schätze. Ich wollte Sex. Dabei dachte ich, ich sei lange über meine dumme Teenagerschwärmerei hinweg. Immerhin bin ich seit damals mit vielen Männern ausgegangen. Einige sahen sogar wesentlich besser aus als Jack ..." Mrs. Smith taxierte Jack von oben bis unten. "Tatsächlich? Schwer zu glauben!" "Aber wahr. Tucker zum Beispiel war Dressman. Sein Waschbrettbauch stellt selbst die meisten anderen Models in den Schatten." "Was passierte mit diesem Tucker?" erkundigte sich Mrs. Smith, während Jack mit einem gänzlich unerwarteten Anflug von Eifersucht kämpfte. "Tucker war nett und attraktiv und gut gebaut und intelligent... Leider besaß er keinen Funken Humor. Eines Tages borgte ich mir seinen Sportwagen aus, und plötzlich war da eine winzige Delle in der Tür dieses schnellen Flitzers. Tucker war Vernunftgründen völlig unzugänglich. Jack dagegen hört mir immer zu. Jack hätte genau erkannt, wessen Schuld es ist, wenn ein Ast beim Türöffnen den Wagen streift. Wer pflanzt schon einen Baum so dicht an eine Auffahrt?" Mrs. Smith nickte beifällig, was Carrie neuen Auftrieb verlieh. "Daneben gab es eine ganze Reihe anderer Männer. Keiner von ihnen war wie Jack. Ted, mein letzter Freund, war fast perfekt." "Aber?" wollte Mrs. Smith wissen. "Er hat Fettuccini im Country Club bestellt. Außerdem küsst er lange nicht so gut wie Jack. Zumindest habe ich das lange geglaubt. Bis Jack mich überzeugte, dass er mich nie richtig
geküsst hat. Was ich für einen Kuss hielt, war Mund-zu-MundBeatmung. Was bei genauerem Nachdenken bedeutet, dass all meine Verflossenen katastrophale Küsser waren ..." Carrie stieß einen Seufzer aus. "Was hat das alles mit Sandy und meinem Footballtrikot zu tun?" fragte Jack. Verblüfft sah Carrie auf. Sie hatte fast vergessen, wer Jaycee Smith' Kleid anprobierte. "Jack." Sie sollte ihm alle ihre Sünden beichten, damit sie es endlich hinter sich hatte. "Ich habe dein Trikot diese vielen Jahre behalten und fast jede Nacht darin geschlafen, weil..." "Weil...", forderte Jack sie mit leiser, eindringlicher Stimme heraus. "Weil ich dich ... Unwichtig. Nimm Sandy zurück. Davon abgesehen wäre es am besten, wenn wir beide uns eine Weile nicht sehen. Du bist wütend, weil sie dich verlassen hat, und du fühlst dich verpflichtet, mich weiterhin zu treffen, weil wir ... na, du weißt schon." Jack glaubte genau zu wissen, welches Wort ihr fast entschlüpft war. Carrie liebte ihn! Erleichterung erfasste ihn. "Carrie, Sandy und ich, wir ..." "Bitte Jack. Geh einfach!" Carrie stürzte aus dem Raum. "Laufen Sie ihr nach, mein Junge!" Mrs. Smith legte Jack die Hand auf die Schulter. "Die Ärmste hat nämlich keine Ahnung, wie sehr Sie sie lieben." "Carrie ist verwirrt. Dem werde ich gleich abhelfen." Jack sprang vom Stuhl und folgte Carrie, leicht behindert durch das eng sitzende Kleid. Carrie befand sich in ihrem Büro, wo sie aus dem Fenster auf den Parkplatz starrte. Tränen verschleierten ihren Blick. "Geh, Jack", forderte sie leise, ohne sich umzudrehen. "Zuerst muss ich dir etwas sagen." "Zwischen uns ist alles gesagt. Du hast Sandy. Unsere Freundschaft steht eurem Glück nur im Weg. Ich hätte nie
zulassen dürfen, dass meine törichte Leidenschaft zu solchen Verwicklungen führt. Nachdem wir ..." "... nachdem wir uns geliebt haben?" Jack sehnte sich danach, Carrie in seine Arme zu ziehen. Doch zuerst sollte Carrie sich ihr Leid von der Seele reden. "Genau. Nachdem wir uns geliebt hatten, wurde mir klar, aus welchem Grund ich dich in Wahrheit nach Amore Island gelockt habe. Du warst überarbeitet und verletzlich. Diese Schwäche habe ich ausgenutzt. Ich habe dich verführt." Sie ließ die Schultern hängen. "Carrie, Sweetheart, das ist völliger Unsinn. Die Tage mit dir haben mir die Augen für ein paar grundlegende Dinge geöffnet." Ein Schniefen war ihre einzige Antwort. Jack suchte nach einem Taschentuch und bemerkte sein unmögliches Outfit. Türkisfarbene Seide! Dass er Carrie Delany eine Liebeserklärung in einem noch nicht mal ganz umgesäumten Abendkleid machen würde, erschien sonderbarerweise passend. "Carrie, ich hielt mich immer für einigermaßen intelligent. Dabei hat es all diese Jahre gedauert, bis ich erkannt habe ..." Er zögerte. Die Worte waren so bedeutungsvoll. "Nun weiß ich endlich, was ich an dir habe." "Eine überkandidelte Nervensäge?" Carrie schniefte. "Eine kratzbürstige, unberechenbare, gigantische Landplage? Einen hysterischen Quälgeist?" Jack legte die Arme um sie und zog sie an seine Brust. Carrie mochte der irrigen Ansicht sein, er sei der Klügere von ihnen. Jack kannte die Wahrheit. Carrie war das tapferste, intelligenteste, liebenswerteste Geschöpf auf dieser Welt. "Du bist keine Nervensäge, Carrie. Sondern die Liebe meines Lebens. Wenn ich an die verlorenen Jahre denke! All die verschwendete Zeit!" "Du liebst mich nicht, Jack." Carrie schüttelte den Kopf. Ihr Haar kitzelte seine Nase. "Bitte erspare mir dein Mitleid. Du liebst Sandy."
Jetzt half nur absolute Ehrlichkeit. "Honey, Sandy ist verlobt. Mit einem anderen Mann", betonte Jack. "Carrie, nach dem Unfall haben Sandy und ich gezwungenermaßen viel Zeit miteinander verbracht. Nicht das übliche Hallo und Auf Wiedersehen zwischen zwei Flügen. Die Erkenntnis kam schnell. Statt Liebe verband uns Gewohnheit. Ich hätte gleich nach der Trennung mit dir darüber sprechen sollen, doch wie gesteht man seiner besten Freundin, dass man mehrere Jahre seines Lebens verschenkt hat? Und du, Carrington Rose Delany! Musstest du unsere Lovestory unnötig verkomplizieren? Hättest du mich schon in der High School um einen Kuss gebeten, statt mit all den anderen Jungs herumzumachen, hätte ich die Wahrheit viel früher erkannt." Das weckte Carries Empörung. "Du schiebst mir die Schuld zu? Du bist aufs College gegangen! Und anschließend gab es eine endlose Reihe von Frauen in deinem Leben!" "Carrie, sehr lange Zeit warst du nur das Mädchen von nebenan für mich. So etwas wie meine kleine Schwester. Wir waren Freunde. Verstehe mich bitte nicht falsch. Unsere Freundschaft ist unendlich kostbar. Aber jetzt sag mir bitte ehrlich, ob sich das wie das Mitleid eines Freundes anfühlt." Ungeachtet seines Outfits zog Jack Carrie in die Arme. All die Anspannung, all seine Unsicherheit und Frustration brach sich Bahn in einem stürmischen Kuss. Wie eine Flamme loderte die Leidenschaft in Carrie auf. Allein Jacks Nähe und sein maskuliner Duft ließen sie schwach werden vor Zärtlichkeit und Verlangen. Mit einem Seufzer gab sie sich den Empfindungen hin und öffnete bereitwillig die Lippen. Ein heißer Schauer überlief sie, und sie glaubte dahinzuschmelzen vor Lust. Unendlich zärtlich beendete Jack den Kuss und strich sacht über Carries Lippen. "Besser?" "Wow!" Mehr brachte Carrie nicht heraus. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, geschweige denn reden.
"Ich will dich, Carrie. Nicht aus Mitleid, sondern ganz allein wegen der aufregenden Gefühle, die du in mir erzeugst." Tief in Carrie erwachte ein nie gekanntes Glücksgefühl. Ein schwerer Stein fiel von ihrem Herzen. Unzählige Jahre hatte sie ihre Gefühle verborgen und mit dem Geheimnis ihrer Liebe leben müssen. Jetzt konnte sie endlich die Wahrheit gestehen. Es klopfte diskret an der Tür. "Mrs. Smith!" sagten Jack und Carrie gleichzeitig. "Ist alles in Ordnung?" rief die ältere Frau. "Endlich ist alles in bester Ordnung, Mrs. Smith." "In einer Minute sind wir wieder bei Ihnen", fügte Jack hinzu. Das brachte Carrie in die Wirklichkeit zurück. Ihre Kundin wartete auf Jaycees Kleid! "Jack, wir müssen uns um Mrs. Smith kümmern. Sobald sie fort ist, können wir unsere Unterhaltung fortsetzen." "Nur damit du weißt, was nachher auf dich zukommt..." Damit zog er sie wieder in seine Arme. Carrie blieb unnachgiebig. Energisch drängte sie ihn zurück. "Später, Jack." Sie fuhr erschrocken zusammen. "Ach du liebes Bisschen! Ich habe doch keine Tränen oder Make-up auf dem Kleid hinterlassen, oder?" Bestürzt suchte sie nach Spuren. "Dem Himmel sei Dank!" Sie hockte sich neben ihn auf den Boden. "Jetzt steh eine Minute still, und lass mich den Saum befestigen." Widerstrebend erfüllte Jack ihr die Bitte. "Beeile dich. Denn danach wirst du dir für den Rest des Ta ges freinehmen." "Unmöglich! Ich bin verantwortlich für Encore ..." "Eloise würde dich eigenhändig hinausbefördern." Carrie blieb unerbittlich. Ihr Job war ihr ebenso wichtig wie Jack seine Anwaltskarriere. "Eloise ist in Pittsburgh. Ich muss hier die Stellung halten." "Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ungeheuer starrsinnig bist?"
In Carries Stimme schwang unterdrücktes Lachen mit. "Irgendjemand hat es flüchtig erwähnt." Sie zerschnitt den Faden und überprüfte den Saum. "Perfekt." "Bedeutet das, ich darf endlich aus dieser Zwangsjacke heraus?" Jack wirkte enorm erleichtert bei dieser Aussicht. Carrie sah ihn verschmitzt an. "Ja. Obwohl ich zugeben muss, dass du sehr sexy in diesem Kleid aussiehst, Mr. Templeton. Türkis ist definitiv deine Farbe!" "Hast du eine Ahnung, wie sehr dieses Posieren meiner Karriere schaden könnte? Ich sehe bereits in großen Lettern die Schlagzeile: ,Beine von gefeiertem Rechtsanwalt nötigen mehr Bewunderung ab als seine Schlussplädoyers!'" Carrie lachte immer noch, als sie die Bürotür öffnete. "Nun, was denken Sie, Mrs. Smith?" "Hoffentlich bringt das Kleid meiner Jaycee ebenso viel Glück wie Ihnen beiden!" Die Kundin zog Carrie ins Vertrauen. "Wissen Sie, ich habe mir da diesen netten jungen Mann für meine Tochter ausgeguckt ..." Ihr Gesicht nahm einen verträumten Ausdruck an. "Warten wir's ab. Sie haben bestimmt wichtigere Dinge zu besprechen." Carrie schob Jack in Richtung Umkleidekabine. "Jack versteht, dass jede private Unterhaltung bis nach Geschäftsschluss warten muss. Ich habe ihn zwar in so manche Abenteuer gelockt, allerdings nie während einer Gerichtsverhandlung." Hinter dem Vorhang meldete sich Jack zu Wort: "Wieso beenden wir unsere Unterhaltung nicht später im Country Club?" "Fein. Mir fehlen Felix' Kochkünste." Bei dem Gedanken an kulinarische Köstlichkeiten knurrte Carrie der Magen - trotz des leichten Unbehagens, das sie wegen der drohenden Aussprache verspürte. Jack liebte Sandy nicht? Sie war mit jemand anderem verlobt?
"Wessen Kochkünste hast du stattdessen in letzter Zeit genossen?" wollte Jack wissen. "Meine eigenen." Beide stöhnten laut auf. "Sind die so schlimm?" erkundigte sich Mrs. Smith. "Schlimmer!" Jack kam aus der Umkleidekabine und reichte Mrs. Smith das Kleid. "Ich sehe dich dann heute Abend." Wenig charmant komplimentierte Carrie ihn zur Tür. "Was für ein toller Mann!" murmelte Mrs. Smith. "Das können Sie laut sagen." Insgeheim versetzte sich Carrie einen Tritt. Sie hatte eine ihrer besten Kundinnen sträflich vernachlässigt. Eine Entschuldigung war überfällig. "Mrs. Smith, ich bedaure, dass Sie Zeugin dieses ..." Wie sollte sie das Geschehene bezeichnen? "Tatsächlich war Jacks Auftritt einer der romantischsten Augenblicke, die ich seit langem erlebt habe", Mrs. Smith wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. "Was dieser Mann sich für Mühe mit seiner Liebeserklärung gegeben hat!" Carrie sah zur Ladentür. "Ja, das fand ich auch." Sie straffte sich. Schluss mit der Tagträumerei! "Romantisch hin oder her, so möchte ich mein Geschäft auf keinen Fall führen, Mrs. Smith." o "Liebes, wenn Sie jeden Tag eine solche Vorstellung geben, rennen die Leute Ihnen den Laden ein." Sie schüttelte den Kopf. "Wenn ich nur für meine Jaycee auch so einen Prachtkerl wie Ihren Jack finden könnte! Unglücklicherweise zeigt sich meine Tochter wenig kooperativ. Ich habe da einen passenden Heiratskandidaten im Sinn, und da Ihr Jack anscheinend vergeben ist, sollte ich an meinem ursprünglichen Plan festhalten." Forschend schaute sie Carrie an. "Er ist doch vergeben, oder?" "Vielleicht." Carrie war es plötzlich viel leichter ums Herz als vor einer Woche. "Hier bei Encore bemühen wir uns zwar,
unseren Kundinnen alle Wünsche zu erfüllen", scherzte sie, "Jack Templeton ist leider nicht in unserem Angebot Inbegriffen." Mrs. Smith gab einen dramatischen Seufzer von sich. Eindringlich musterte sie ihr Gegenüber. "Carrie, was werden Sie heute Abend anziehen?" "Oh, das wird keine große Sache. Bloß ein Abendessen im Country Club." "Sie untertreiben! Dieser Abend verlangt ein ganz besonderes Kleid. Ganz besonders für ein Mädchen, das in einer Nobelboutique arbeitet." "Sie meinen ...?" "Jawohl, ich meine ...!" Mrs. Smith trat zu einem Kleiderständer. Sie suchte eine Weile und zog schließlich ein schlichtes blaues Kleid heraus. Nur dass dieses Kleid nicht einfach nur blau war. Der blau-schwarze Farbton, so dunkel wie die Farbe des Himmels eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang, weckte Erinnerungen an schwüle Nächte und geflüsterte Geheimnisse, Sünde und Erfüllung. Schon auf dem Bügel schrie es praktisch "Sex". "Ich kann unmöglich ..." Vor lauter Aufregung verspürte Carrie Schmetterlinge in ihrem Bauch. "Sie können", versicherte ihre sehr energische Kundin. "Es ist viel zu Aufsehen erregend." Trotz allen Protestes berührte Carrie das Kleid, das ihre Phantasie seit dem Moment der Anlieferung erregt hatte. "Eine schöne Frau kann niemals zu viel Aufsehen erregen." "Dieses Kleid ist bei weitem zu elegant. Ich würde komisch darin aussehen." "Ganz im Gegenteil! Sie werden unwiderstehlich darin sein. Der gute Jack wird keinen Bissen herunterbringen." "Felix wäre tödlich beleidigt. Als Koch nimmt er mangelnde Würdigung seiner kulinarischen Bemühungen sehr persönlich." Sie bemerkte ihren Fehler. "Chefkoch. Hätte Felix meinen
Versprecher gehört, würde er einen ganzen Monat lang mein Essen anbrennen lassen. Und dabei mag er mich." "Wenn Felix Sie zu Gesicht bekommt, lässt er Ihr Essen allein deswegen anbrennen, weil er genauso aus der Fassung gerät wie jeder andere Mann im Restaurant auch." "Mrs. Smith, bitte ..." Carries Protest wurde schwächer. Die ältere Frau spielte den Advokaten des Teufels. "Sie wollen es doch auch." "Wollen ja. Aber ich sollte nicht." "Eloise würde Ihnen dringend zu diesem Kleid raten. Da sie nicht hier ist, muss ich ihre Rolle einnehmen. Probieren Sie das Kleid an, Carrie." "Mrs. Smith, als Verkäuferin sollte ich meine Kundinnen beraten und nicht umgekehrt." "Und der Kunde ist König. Tun Sie mir den Gefallen, Carrie!" "Mrs. Smith, haben Sie je eine Karriere im Einzelhandel in Betracht gezo gen?" "Tatsächlich suche ich einen Teilzeitjob. Seit Jaycee auf eigenen Füßen steht und ihr Vater in Pension ist, fällt mir zu Hause gelegentlich die Decke auf den Kopf." Carrie kam eine Idee. "Eloise eröffnet eine Filiale in Pittsburgh. Deswegen brauchen wir hier dringend einen Ersatz." Mrs. Smith hielt ihr das Kleid hin. "Betrachten wir das als meinen Einstand! Probieren Sie das Kleid an, Carrie!" "Kommandieren Sie auch Jaycee so herum?" beschwerte sich Carrie und eilte in die Umkleidekabine. Mrs. Smith ertrug es mit Humor. "Wenn Jaycee wieder in der Stadt ist, gehen wir alle zusammen essen. Dabei können Sie mit meiner Tochter Horrorgeschichten austauschen. Und jetzt steigen Sie aus dieser Hose und streifen das Kleid über, Carrie!" "Sie wären ein echter Gewinn für diesen Laden", murmelte Carrie.
"Ich war dreißig Jahre Lehrerin. Über einen Mangel an Durchsetzungsvermögen kann ich mich nicht beklagen. Wer da zaudert, hat gleich verloren. Ganz sicher werde ich auch mit der ein oder anderen unschlüssigen Kundin fertig." Carrie ließ das Kleid über ihren Kopf gleiten. Schon vor dem ersten Blick in den Spiegel stand ihr Entschluss fest. Sie musste dieses Kleid unbedingt haben! Als sie den Vorhang aufzog, stieß Mrs. Smith einen leisen Pfiff aus. "Du liebe Güte, Carrie! Den armen Kerl trifft der Schlag!"
10. KAPITEL Gelangweilt konsultierte Martin seine Reservierungsliste. "Guten Abend, Ma'am. Haben Sie einen Tisch bestellt?" "Martin, ich bin's, Carrie Delany." Sein Blick hing an Carries Ausschnitt. "Carrie?" Angesichts Martins verdutzter Miene musste Carrie kichern. "Ja, ich bin es wirklich. Ich treffe mich mit Jack. Ist er schon da?" "Carrie?" Im Zeitlupentempo wanderte Martins Blick von Carries überaus freizügigem Dekolletee zu ihrem Gesicht. Verlegen zupfte Carrie am Ausschnitt. Mit Hilfe eines guten Push-up-BHs hatte sie jetzt auch die für das Kleid optimale Oberweite. "Glauben Sie, es wird Jack gefallen?" erkundigte sich Carrie leicht besorgt. Der Empfangschef räusperte sich. "Ich denke, das Kleid gefällt ihm wesentlich besser, wenn er Sie erst mal den Blicken der Öffentlichkeit entzogen und nach Hause gebracht hat. Wenn Sie mir nun bitte folgen würden, Miss Delany." Martin ging Carrie voran durch die beeindruckende Lobby des Country Clubs zum Speisesaal. "Mr. Templeton erwartet Sie bereits." "Jack und ich haben eine ganz wichtige Verabredung", zog Carrie ihren alten Freund ins Vertrauen. "Ja, endlich kommen Sie zwei zusammen." Der sonst so würdevolle Empfangschef gestattete sich ein verschwörerisches
Augenzwinkern. "Carrie, das gesamte Personal möchte schon seit Jahren etwas Verstand in Sie beide hineinprügeln, damit Sie und Jack endlich die Wahrheit erkennen." "Was soll das heißen?" "Carrie, Sie beide verbindet doch so viel mehr als Freundschaft. Ihnen winkt das große Glück." Das war eine erstaunliche Bemerkung für Martin, der ansonsten die Diskretion in Person war. Als hätte er bereits zu viel gesagt, wandte er sich um und öffnete mit schwungvoller Geste die Tür zum Restaurant. "So viel darf ich Ihnen verraten: Jack hat etwas ganz Außergewöhnliches geplant." Carrie und Martin durchquerten den Hauptspeisesaal. Carrie konnte Jack nirgendwo entdecken. Ihr üblicher Tisch war von anderen Gästen besetzt. "Wo steckt er denn?" "Jack wollte ein spezielles Arrange ment." Vor Aufregung klopfte Carrie das Herz bis zum Hals, und in der Magengegend verspürte sie ein Kribbeln, während sie Martin zum Terrassenausgang des Restaurants folgte. Sie war das reinste Nervenbündel. Immer wieder sagte Carrie sich: Das ist nur Jack. Es wird ein ganz normales Dinner zu zweit. Kein Grund für Lampenfieber. Abendessen mit Jack, das ist fast Routine. Es half nichts. "Wohin gehen wir, Martin?" "Lassen Sie sich überraschen." Martin trat durch die offenen Terrassentüren und deutete auf eine n abseits platzierten Tisch. Ganz allein stand er auf einer Klippe, die den See überragte. "Dort drüben wartet Jack." Auf dem Weg über den schmalen Pfad nahm Carrie die bezaubernde Umgebung in sich auf. Silbriges Mondlicht glitzerte auf dem Wasser und tauc hte die Szenerie in ein nahezu unwirkliches Licht. Leise schlugen die Wellen ans Ufer und bildeten eine einzigartige Hintergrundmusik.
Am Rand der Klippe stand Jack. Seine imposante Silhouette zeichnete sich gegen den Horizont ab. Er hatte Carrie den Rücken zugekehrt und schaute hinaus auf die vertäuten Boote. "Jack?" Sie wartete, bis er sich zu ihr umdrehte. "Carrington." Jack benutzte ihren vollen Namen wie eine Liebkosung. "Ich habe auf dich gewartet." Carries Nervosität verflog. Sie hatte ihr ganzes Leben auf diesen Moment gewartet. "Ich bin schon seit langem hier." "Wieso war ich so blind?" Formvollendet rückte er Carrie einen Stuhl zurecht. "Jetzt endlich sehe ich dich wirklich." Er füllte zwei langstielige Kristallkelche mit Champagner. "Auf uns." Zögernd stieß Carrie mit ihm an und sah zu, wie er einen Schluck nahm. Jack hielt inne. "Du trinkst ja gar nicht." "Besser nicht." Etwas verlegen drehte Carrie den Sektkelch zwischen den Fingern. "Wir beide wissen, was Alkohol und Nervenflattern mit mir anstellen." "Komm schon, Carrie." Sie nippte vorsichtig. "Du hast dir enorm viel Mühe gegeben." Jack hatte etwas Vollkommenes geschaffen. Das perfekte Ambiente. Auf jedes Detail hatte er geachtet. Der Tisch, stilvoll gedeckt für ein intimes Dinner zu zweit. Dut zende von Kerzen erhellten die Nacht. Verführerisch schimmerte das Mondlicht. Untermalt wurde ihre Unterhaltung vom melodischen Rauschen des Sees. Es war Romantik pur. So zauberhaft die Atmosphäre auch war, Carrie konnte die Umgebung nicht gebührend würdigen, denn der Mann, der lächelnd vor ihr stand, beschäftigte sie viel mehr. Das Jackett des eleganten dunklen Anzugs betonte seine breiten Schultern und ließ ihn noch größer, noch
beeindruckender erscheinen. Der Schein der Rammen tanzte über sein schwarzes Haar. Mit der vom Wind zerzausten Frisur und den glänzenden dunklen Augen erschien er direkt einer ihrer aufregendsten Phantasien entsprungen zu sein. War dies wirklich ihr Jack Templeton, der diesen ungeheuren Sex-Appeal ausstrahlte? Der herb-würzige Duft seines After Shaves stieg Carrie mehr zu Kopf, als prickelnder Champagner es je gekonnt hätte. Eine Flut von Empfindungen brach über sie hinein. Da waren diese beunruhigenden sinnlichen Vibrationen zwischen ihnen. Die eigene Unsicherheit. Zweifel wegen Sandy. Und eine ganz vage Hoffnung. Vorsichtig tastete sie sich vor. "Womit habe ich diesen ganzen Aufwand verdient?" Jack nahm seiner Freundin gegenüber Platz. "Weil du ein Teil meines Lebens bist, Carrie. Übrigens gebührt das Lob nicht allein mir. Ich besaß Martins großzügige Unterstützung." "Das war sehr nett von ihm." Das Gespräch geriet ins Stocken. Jack hob den Silberdeckel von der Servierplatte. "Austern?" Carries Magen revoltierte. "Ich verzichte dankend", lehnte sie ab. Jack wirkte enttäuscht. "Versuch wenigstens eine. Hier." Er hob eine große Auster vom Stapel. "Die sieht gut aus." "Jack, ich habe noch nie Austern gegessen. Und ich würde das auch jetzt gern vermeiden. Sie sind grau. Ich esse Grünzeug, wenn nötig auch Sachen in Orange und Gelb - aber nichts Graues. Außerdem sind Austern glibberig." Jack hielt ihr eine Muschel an die Lippen. "Mund auf und runter damit, Carrie!" Energisch schüttelte Carrie den Kopf. "Nein, danke." Jack aß die Auster selbst. "Alles halb so schlimm."
"Wenn du keine Zeit zum Schmecken hast, wieso isst du sie überhaupt?" Die verflixte Logik der Frauen! "Du könntest wenigstens probieren, bevor du ablehnst." Carrie weigerte sich beharrlich. "Ich halte mich lieber an den Champagner." "Du machst es mir wirklich nicht einfach", murmelte Jack leicht verärgert. "Wann habe ich dein Leben je einfach gemacht?" Jacks Stirnrunzeln verschwand, und er stimmte in Carries Lachen ein. "Ein Punkt für dich." "Gibt es nur Austern und Champagner zum Dinner?" Nachdem sich Carries Aufregung etwas ge legt hatte, verspürte sie Appetit. Sicherheitshalber sollte sie etwas essen, wenn sie Champagner trank! Vorausgesetzt, es war nicht grau. Jack konnte sie beruhigen. "Das ist die Vorspeise. Martin bringt gleich unser Dinner." "Gut." Ein unbehagliches Schweigen entstand. Carrie schaute auf den See hinaus. Die Lichter der Boote spiegelten sich auf der nachtschwarzen Wasseroberfläche. Der Wind frischte auf und ließ die Kerzen flackern. "Das war eine wunderschöne Idee, Jack." "Nicht so schön wie du." "Oh." Er hatte ihr nie Komplimente gemacht. Natürlich sehnte sich jede Frau danach, vom Mann ihres Herzens umworben zu werden. Leider waren Freundschaft und Bewunderung zweierlei. "Carrie?" Carrie schreckte hoch. Etwas in seiner Stimme weckte ihre Besorgnis. "Ja?" "Hör zu, ich kann es auch gleich hier und jetzt hinter mich bringen."
Er klang wie ein Mann auf dem Weg zu seiner Hinrichtung. Plötzlich dämmerte es Carrie, weswegen sie hier war. Nach dem Essen wollte Jack sie abservieren. Das Dinner sollte ihr die Trennung versüßen! Obwohl es wie ein Schlag ins Gesicht war und Carries Herz in tausend Stücke zersprang, reagierte sie bemerkenswert gelassen. "Mach dir keine Sorgen, Jack. Ich verstehe schon. Du hast darüber nachgedacht. Ich ahnte, sobald du die Sache in Ruhe und mit einigem Abstand überdenkst, siehst du ein, dass eine Beziehung zwischen uns zum Scheitern verurteilt ist." Sie würde die Trennung überstehen, auch wenn sie jetzt noch nicht wusste, wie. "Willst du den Rest unseres Lebens so schwierig gestalten?" Temperamentvoll sprang Jack auf. Neben Carrie sank er auf die Knie. "Hier." Er nahm eine Auster von der Platte. "Mach sie auf!" Carrie war schleierhaft, was sie von Jacks Gebaren halten sollte. "Bitte, Jack. Ich will keine Auster!" "Du willst!" Was war bloß in ihn gefahren? Verlor er den Verstand? War der Urlaub zu spät gekommen? Hatte der Streit in der Kanzlei Jack jetzt völlig durchdrehen lassen? "Wenn das so weitergeht, hast du mich vor meinem vierzigsten Geburtstag in den Wahnsinn getrieben!" Leise fluchend öffnete Jack die Auster, sah hinein, warf sie hinter sich und nahm sich die nächste. "Jack?" Allmählich machte sich Carrie ernsthafte Sorgen um den Geisteszustand ihres besten Freundes. "Wieso tust du das?" Er öffnete eine dritte Auster. "Als wir damals in eurer Siedlung ins Nachbarhaus einzogen und du anfingst, mich in deine verrückten Eskapaden einzubeziehen, dachte ich, was für eine entsetzliche Nervensäge!"
Sofort ging Carrie in die Defensive. "Diese Fiaskos sind mir nie absichtlich passiert, Jack ..." Jack bedeckte Carries Lippen mit seiner Hand und brachte sie zum Schweigen. Seine Hand roch überwältigend nach Fisch. Die Geste zeigte Wirkung. Für keinen Preis der Welt konnte Carrie den penetranten Austerngeruch dicht unter ihrer Nase ertragen. Inzwischen fuhr Jack mit der sonderbaren Prozedur fort. Noch eine Auster landete auf der Erde. Jack nahm die nächste in Angriff. "Während der Jahre hast du dich verändert." Carrie lachte bitter. "Sicher. Eine Wahnsinnsentwicklung! Statt dir Tritte einzufangen, während ich vom Basketballkorb baumele, lasse ich dich jetzt die Haare von meinen Beinen reißen." Wieder warf er eine Auster weg und griff nach einer anderen. "Ja, das war echt eine Zumutung." Er grinste. "Seidenweiche Beine zu streicheln kommt auf der Liste meiner Lieblingsaktivitäten gleich nach dem Einreihen deines sonnenverbrannten Rückens mit Lotion. Carrie, als wir noch zur Schule gingen, fand ich dich anfangs furchtbar nervig. Das gab sich nach einer Weile. Danach warst du ein Teil meines Lebens." "Irgendwie jedenfalls." "Unterbrich mich nicht. Ich habe den ganzen Tag an meiner Ansprache gearbeitet." Statt seine Rede fortzusetzen, griff Jack nach der nächsten Auster. Was bezweckt er damit? überlegte Carrie, während sie Zeugin wurde, wie eine geöffnete Auster nach der anderen auf dem Boden landete. "Wie auch immer, du warst nicht länger die nervtötende Nachbarsgöre, du warst ein Teil von mir. So wie ein Sandkorn, das versehentlich in eine Austernschale gelangt. Erst ist es unangenehm. Nach einer Weile gewö hnt sich die Auster an den Störenfried. Und eines Tages sieht sie sich das Sandkorn richtig
an und staunt, weil es sich in etwas Wunderschönes verwandelt hat." "Soll das heißen, ich bin so kratzig wie ein Sandkorn?" Carries Stimme war nur ein Hauch. "Nein, Schatz. Das soll heißen, du bist eine der schönsten Frauen, die ich kenne. Du bist die Perle, die die Auster eines Tages sieht. Die Perle, die sich im wahrsten Sinne des Wortes viele Jahre lang vor meinen Augen befand." Carries Lippen fanden seine, allem Fischgeruch zum Trotz. "Hm. Das ist viel besser als die Jungs, mit denen ich das Küssen geübt habe." Sie lehnte sich zurück und suchte Jacks Blick. "Ich bin eine Perle?" Jack nahm die letzte Auster von dem einst so beeindruckenden Stapel. "Carrington Rose Delany! Du ruinierst meinen Heiratsantrag!" Die Austernschale sprang auf. Ein Goldring mit einer großen einzelnen Perle kam zum Vorschein. "Willst du mich heiraten, Carrie?" Carrie starrte den Ring an. "Ich werde dich wahnsinnig machen", flüsterte sie. Das konnte Jack nicht abschrecken. "Nach all den Jahren bin ich deine Verrücktheiten gewöhnt." Mit jeder Faser ihres Herzens sehnte sich Carrie danach, den Ring an ihren Finger zu stecken. Doch zuerst musste sie ein Geständnis loswerden. "Ich habe dich absichtlich ins Bett gelockt, Jack." "Das kannst du behaupten, so oft du willst. Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich in deinem Bett sein wollte." "Bist du sicher?" "Carrie - das klingt jetzt vielleicht entsetzlich schmalzig: du bist meine Perle. Kapriziös und manchmal schwer zu bändigen, aber wunderschön und unendlich kostbar." "Daran hast du den ganzen Tag gearbeitet?" Eine grenzenlose Erleichterung überkam Carrie. "Das ist so schmeichelhaft!"
"Nicht so schmeichelhaft wie dein Geständnis, dass du meinetwegen mit all diesen Jungs das Küssen geübt hast. Dir ist doch bewusst, dass deine Übungstage ab sofort vorbei sind, oder?" Jack nahm den Ring und ergriff Carries Hand. "Sag Ja, Carrie." "Ja." Es war, als hätte dieses eine Wort die Tür zu ihrem Herzen wieder geöffnet, in dem sie ihre Gefühle viel zu lange unter Verschluss gehalten hatte. Mit einem Mal waren alle Angst und Unsicherheit verschwunden. Carrie war bereit, sich auf das Abenteuer "Liebe" einzulassen. "O ja!" Ihr war ganz schwindelig vor Glück. Jack schob den Ring an ihren Finger und küsste sie. "Falls meine Meinung zählt, dann brauchst du keine Übung mehr!" Zart nahm er Carries Unterlippe zwischen die Zähne, und als sie aufstöhnte, kostete er die betörende Süße ihres Mundes. Der Kuss war ein verheißungsvolles Versprechen. "Du auch nicht! Bist du dir wirklich sicher, Jack?" "Carrie, erinnerst du dich an den Abend, als ich das Wachs von deinen Beinen entfernt habe?" "Vage." Ein spitzbübisches Lächeln umspielte ihre Lippen. Jack liebte sie! Er wollte sie heiraten! Vor Freude hätte sie die ganze Welt umarmen können. "An diesem Abend fiel auch der Schleier vor meinen Augen. Ich habe dich angesehen, und zum ersten Mal habe ich dich richtig gesehen, Darling." "Was hast du gesehen?" "Urplötzlich warst du für mich nicht länger die gute alte Carrie, meine beste Freundin. Sondern Carrington Delany, eine hinreißend schöne Frau." "Du findest mich hinreißend?" "Du bist atemberaubend schön. Aber da war noch mehr. Ich sah eine Frau, die ich begehrte. Eine Frau, die ic h liebte. Die
Erkenntnis brachte unzählige Probleme. Wie sollte ich dir meine Liebe gestehen, ohne unsere Freundschaft zu zerstören?" "Soll das heißen, ich habe meine Beine hierfür enthaart?" fragte Carrie vergnügt. "Das bedeutet also, wenn sich meine Eitelkeit vor Jahren gemeldet hätte, hätten wir weit weniger Zeit verschwendet? Puh, Jack. Nur ein zarter Wink, und diese Enthaarungsaktion hätte schon zu High-School- Zeiten angestanden." Bei dieser Vorstellung musste Carrie erneut kichern. Jack, der immer noch neben Carries Stuhl hockte, zog ruckartig an ihrer Hand. Gemeinsam fielen sie ins Gras. Die Spannung brach sich in einem befreienden Lachen. Sogleich gefolgt von einem leidenschaftlichen Kuss. Viel zu schnell holte die Realität sie ein. "Ähm." Martin hielt ein Tablett in der Hand und sah amüsiert auf seine unkonventionellen Gäste hinunter. "Essen?" erkundigte sich Carrie. "Essen? Sie bezeichnen Felix' kulinarische Kreationen profan als Essen? Also, Carrie, falls Felix diese Beleidigung jemals zu Ohren kommen sollte, müssen Sie mindestens einen Monat lang woanders speisen." "Entschuldigung. Ich meinte selbstverständlich Ambrosia", verbesserte sich Carrie schnell und versuchte aufzustehen, ohne wegen des engen Kleides zu viel nackte Haut zu enthüllen. "Ich nehme an, Sie haben alles geklärt?" Martin stellte eine Weinflasche auf den Tisch. Carrie streckte die Hand aus und wedelte mit den Fingern. Pflichtschuldig bewunderte Martin den goldenen Ring. "Bedeutet er das, wonach er aussieht?" "Wonach sieht er denn aus?" Carrie strahlte vor Glück. "Dass Sie beiden Narren endlich erkannt haben, dass Sie sich lieben?"
Jack stellte sich hinter Carrie und schlang die Arme um ihre Taille. "Es ist zwar in allerletzter Minute, Martin, aber könnten wir den Club für einen Hochzeitsempfang reservieren? In einem Monat?" Blitzschnell kalkulierte Carrie einige Zahlen. "Jack, niemand kann in vier Wochen eine Hochzeit arrangieren! Bei deinem Job gibt es zahllose einflussreiche Leute, die wir einladen müssen. Es muss also etwas ganz Besonderes werden." "Das wird es! Allerdings für uns. Nicht für irgendwelche hohen Tiere. Die stellen übrigens kein großes Problem mehr dar. Es hat nämlich einen kleinen Umschwung in meiner Karriere gegeben. Aber darüber sprechen wir später." Jack wandte sich an den Empfangschef. "Nun, Martin, wie sieht es aus?" "Lassen Sie mich kurz die Reservierungen überprüfen. Ich bin gleich wieder da." "Es besteht kein Grund zur Eile. Morgen ist früh genug", versicherte Jack. Martin trug blitzschnell das Dinner auf, presste das Tablett vor seine Brust und machte auf dem Absatz kehrt. "Es dauert nur eine Minute." Carrie hielt den Freund auf. "Martin, was Jack Ihnen auf seine höfliche Art mitzuteilen versucht, ist Folgendes: verschwinden Sie, damit wir beide unsere Unterhaltung fortsetzen können." Jack schmiegte die Wange in Carries Haar. "Höflich! Sparen wir uns die Formalitäten! Scheren Sie sich zur Hölle, Martin. Ich muss meine Lady umwerben." "Hey, hat die Lady beim Umwerben und der Hochzeit denn kein Wort mitzureden?" erkundigte sich Carrie schelmisch. "Das Einzige, was du heute Abend sagen darfst, ist Ja!" In gespielter Demut beschied Carrie dem Empfangschef: "Bedaure, Martin. Als gehorsame Braut muss ich allem, was mein zukünftiger Göttergatte sagt, zustimmen." "Den Tag möchte ich erleben!" bemerkte Jack trocken.
"Ja, da kannst du lange warten", parierte Carrie heiter. Jack nahm es mit Humor. "Sehen Sie, was ich mir angetan habe?" Schmunzelnd verließ Martin die beiden. "Endlich allein!" "Gibt es einen Grund, weshalb du mit mir allein sein willst?" "Ich habe da so meine Pläne", bestätigte Jack. "Hm, das gefällt mir." Schwindel erregende Möglichkeiten taten sich plötzlich auf. "Unser Verlobungsdinner, Carrie. Und danach müssen wir reden." "Das wiederum gefällt mir weniger." Wann immer Jack diesen nüchternen Anwaltstonfall anschlug, sahen die Dinge nicht mehr ganz so rosig aus. Leicht widerstrebend ließ Carrie sich zurück an den Tisch führen. Jack rückte ihr den Stuhl zurecht und wartete, bis Carrie Platz genommen hatte. Carrie hob den Silberdeckel von ihrem Teller. "O nein!" Sie prustete vor Lachen. "Lass mich raten - auf deinem Teller sind Shrimps." Zur Feier des Tages hatte Jack für sie Fettuccini bestellt. "Der Anlass erschien mir passend. Stell dir vor: falls der gute alte Ned gewusst hätte, wie der Mann an deiner Seite sein Dinner ordern sollte, säße ich jetzt nicht hier." "Ted", korrigierte Carrie. "Und du hättest mich nur fragen müssen." "Ich frage dich jetzt. Was denkst du über einen Anwalt, der nicht länger angehender Partner in einer großen Kanzlei ist?" Carrie hielt mit der Gabel mitten auf dem Weg zwischen dem Teller und ihrem Mund inne. "Was ist passiert?" "Erinnerst du dich an deine Frage, ob ich in meinem Job glücklich bin?" Sie nickte.
"Und wie du sagtest, du freust dich jeden Tag aufs Neue auf deine Arbeit in der Boutique." Was hatte sie angerichtet? Rechtsanwalt war Jacks Traumberuf! "Jack, wegen mir brauchst du deinen Job in der Kanzlei nicht zu kündigen. Immerhin kenne ich dich lange genug. Du bist ein Workaholic. Deine unmöglichen Arbeitszeiten sind kein Schock für mich." Noch ein Missverständnis, das endlich ausgeräumt werden musste. Jack ergriff Carries Hand. "Darling, während du glaubtest, ich leide unter der Trennung von Sandy, habe ich mit meiner eigenen Existenz gehadert. Ich habe mein Leben analysiert und mich gefragt, was ich von der Zukunft erwarte. Dann wolltest du wissen, ob ich meine Arbeit bei Ericson & Roberts wirklich liebe. Mit einem Schlag wurde mir alles klar. Ich war so unglücklich und gestresst, weil ich meinen Job in dieser Kanzlei abgrundtief hasste." Das kam für Carrie alles ziemlich überraschend. "Bist du sicher?" Jack verschränkte seine Finger mit ihren und strich zärtlich über den Perlenring. "Absolut." "Und was hast du jetzt vor?" "Ich eröffne meine eigene Kanzlei. Dort kann ich Fälle übernehmen, die mich tatsächlich interessieren. Fälle, die in mir diesen Elan wecken, der meiner Arbeit viel zu lange gefehlt hat." "Jack, das sind großartige Neuigkeiten!" Die alte Begeisterung leuchtete wieder in seinen Augen. Carrie spürte, wie gründlich Jack über seine Entscheidung nachgedacht hatte. Und was ganz besonders wichtig war: zu diesem Entschluss war er selbst gekommen. Niemand hatte ihn dazu gedrängt. "Rate mal, wo sich mein neues Büro befindet?" Jack hatte eine weitere Überraschung parat. "Direkt neben Encore. Siehst
du, ich kenne die Chefin der Boutique und dachte, ihr würden Lunchpausen mit ihrem Ehemann gefallen." Kokett ging Carrie auf den Scherz ein. "Oh, die Dame hat einen Ehemann? Die Glückliche!" "Glücklicher Mann!" Jack spießte eine Garnele auf und hielt sie Carrie über den Tisch hin. "Wie denkst du über einen Mann, dessen Jahreseinkommen gerade um einiges gesunken ist?" Carrie nahm die Meeresfrucht zwischen die Finger und pflückte das zarte Fleisch aus der Schale. "Solange er glücklich ist, bin ich es auch. Weißt du, Jack, würde ich mich nicht um Felix' zartes Gemüt sorgen, hätte ich folgenden Vorschlag: lassen wir das Essen sausen und fahren auf schnellstem Weg nach Hause!" Ganz bedächtig setzte Jack sein Champagnerglas ab. "Was genau würdest du da mit mir anfangen?" Carrie nahm eine einzelne Fertuccini-Nudel und sog sie zwischen die Lippen. "Ach, mir wird schon etwas einfallen." "Carrie?" "Ja?" Sie wiederholte die verführerische Geste mit einer zweiten Nudel. "Wie schnell kannst du essen?" Zwanzig Minuten später befanden sie sich in Carries Apartment. "Habe ich schon erwähnt, dass du dieses Kleid besser nie wieder außer Haus trägst?" "Du magst das Kleid nicht?" Selbst in ihren eigenen Ohren klang Carries Stimme seltsam zittrig. Liebevoll strich Jack über Carries Arme bis hinunter zu den Handgelenken, wo er Carries Finger mit seinen verschränkte. "Oh, mir gefällt das Kleid ausnehmend gut." Trotz seiner Versicherung schob er mit dem Kinn die schmalen Träger beiseite. "Wieso dann die Einwände?"
Das Kleid glitt an Carries Körper hinab, bis es sich um ihre hochhackigen Pumps bauschte. Jetzt stand Carrie nackt vor ihm. "Du trägst kein Unterhöschen unter diesem Hauch von Nichts?" Schweißperlen erschienen auf Jacks Stirn. Mit bebenden Fingern nestelte Carrie an Jacks Hemdknöpfen. "Ich hegte große Hoffnungen für die kommende Nacht." "Neue Regel: du verlässt das Haus niemals wieder ohne Slip und BH!" "Es hat seine Vorteile." Sie schob ihm das Hemd über die Schultern und streichelte Jacks muskulöse Brust. Dann folgte sie der dünnen Linie schwarzer Härchen und zupfte an Jacks Hosenbund. "Du beispielsweise hast zu viel an!" Jack stieß einen unterdrückten Fluch aus. "Höre ich da etwa Beschwerden, Mr. Templeton?" Sie startete einen neuen Verführungsangriff. Ein heftiger Ruck, und Jacks Hemd fiel zu Boden. Carrie strich über den Reißverschluss seiner Hose. "Ich liebe dich." Jack zog Carrie aufs Bett. "Ich liebe es, wenn du das sagst", raunte Carrie. "Dann sollte ich dir das wohl sehr häufig sagen." Mit einem fordernden Kuss brachte Jack Carrie zum Schweigen. Gleichzeitig begannen seine Hände eine sinnliche Erkundung und setzten Carrie in Flammen. Tief gruben sich ihre Fingernägel in seine Schultern. "Jack ..." Carrie war mit diesem Mann seit so langer Zeit befreundet. Sie hatte mit ihm geschlafen. Doch diese Intimität war neu. Nun wollte sie sich jede Einzelheit seines Körpers einprägen, jeden Zentimeter seiner Haut streicheln, nachspüren, was Jack vor Lust stöhnen und vor Ungeduld erbeben ließ. Während Zeit und Raum alle Bedeutung verloren, erforschten Carrie und Jack die Geheimnisse des anderen. Bis das
Spielerische ein Ende hatte und von drängendem Verlangen ersetzt wurde. "Jack!" Carrie schrie unterdrückt auf. "Ich brauche dich, Jack." Er drang in sie ein. "Sag die Worte, Carrie!" Er verfiel in einen drängenden, fordernden Rhythmus. "Ich liebe dich! Ich liebe dich!" Von der gleichen Ungeduld gepackt, bog Carrie sich ihm entgegen. Eine schier unerträgliche Spannung baute sich in ihr auf. Sie klammerte sich an Jack und keuchte vor Lust. Ihr Höhepunkt war wie eine Explosion. Carrie schrie auf, während die Ekstase sie davontrug. Erst nach einer Weile wurden sie sich wieder ihrer Umgebung bewusst. "Ich liebe dich." Unendlich behutsam streichelte Jack Carries Bein. "Bist du nicht froh, dass du dir die Beine enthaart hast?" "Du meinst, ich habe mir die Beine hierfür enthaart?" Plötzlich kam Carrie ein Gedanke. "Bedeutet das, ich bekomme jetzt das Football-Trikot zurück?" "Honey, es bedeutet, du bekommst, was immer du willst." In diesem Augenblick besaß Carrington Rose Delany alles, was sie sich erträumt hatte. "Ich liebe dich, Jack Templeton." "Ich liebe dich auch", murmelte Jack, schon im Halbschlaf. Carrie seufzte befriedigt. Wunschlos glücklich barg sie das Gesicht an seiner Brust und lauschte dem gleichmäßigen Pochen seines Herzens.
- ENDE