Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 688
Am Rand der Sonnensteppe Mit ANIMA in verbotenem Gebiet
von Hans Kneifel
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Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 688
Am Rand der Sonnensteppe Mit ANIMA in verbotenem Gebiet
von Hans Kneifel
Im Jahr 3818 wird Atlan aus seinem Dasein als Orakel von Krandhor herausgerissen. Der Grund für diese Maßnahme der Kosmokraten ist, daß Atlans Dienste an einem anderen Ort des Universums viel dringender benötigt werden als im Reich der Kranen. Neuer Einsatzort des Arkoniden ist die Galaxis Alkordoom, wo eine Entwicklung im Gang ist, die das weitere Bestehen der Mächte der Ordnung in Frage stellt. Bereits die ersten Stunden von Atlans Aufenthalt in Alkordoom zeigen auf, wie gefährlich die Situation ist. Der bestandene Todestest und der Einsatz im Kristallkommando beweisen jedoch Atlans hohes Überlebenspotential. Dennoch gerät der Arkonide in die Gewalt der CrynnBrigadisten – und ihm droht die Auslöschung seiner Persönlichkeit. Seine Rettung verdankt Atlan den Celestern, Nachkommen entführter Terraner. Sie bringen ihn nach New Marion, ihrer neuen Heimat, die dann durch Atlan vor der Vernichtung bewahrt werden kann. Kurz darauf wird der Arkonide selbst wieder in tödliche Konflikte verwickelt, denen er und fünf Überlebende einer Forschungsexpedition nur mit Hilfe ANIMAS entrinnen können. Atlans lebendes Raumschiff bringt den Arkoniden und dessen neue Gefährten in verbotenes Gebiet. Dieses Gebiet liegt AM RAND DER SONNENSTEPPE…
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan – Der Arkonide am Rand der Sonnensteppe. ANIMA – Atlans lebendes Raumschiff. Dhonat, Kaz, Kolport, Duun und Almergund – Die letzten Steppenforscher. Kosnach – Kommandant der MYGULL-144. Poltergeist und Twilter – Zwei vom Volk der Jarader.
1. Mit melodischer Stimme erklärte ANIMA: »Ich muß zurück in den normalen Weltraum. Der Mangel an einschlägigen Geräten und Instrumenten zwingt mich schon wieder dazu. Wir verirren uns sonst hoffnungslos.« »Niemand hetzt uns«, antwortete der Hugerer. »Danke, Dhonat.« Die Steppenforscher und ich wußten, daß wir uns in einer Notlage befanden. Nach dem Start, den ANIMA unter gefährlichen Umständen von Brusquez aus geschafft hatte, manövrierten wir auf dem Flug zum Zentrum Alkordooms nur mit echten Schwierigkeiten. Ich nickte zu Dhonat hinüber, der mit Ordermann, der rechten Hand also, eine schwer deutbare Geste ausführte. »Lasse dir genügend Zeit, ANIMA«, sagte er rauh. »Wir kümmern uns um die Astrogation.« An Bord gab es wenige technische Hilfsmittel, die uns entscheidend geholfen hätten. Für exakte Ortung und stellare Navigation im übergeordneten Bereich eigneten sich die funktionierenden Geräte der KORALLE nur höchst bedingt. Auf den Bildschirmen sah ich immerhin Sternkonstellationen, die uns vertraut waren. »Ich habe es selbst nicht eilig«, tat das Schiff uns Bescheid. So war es. Nichts drängte uns – außer der eigenen Neugierde und dem dringenden Wunsch, ein weiteres Geheimnis dieses seltsamen kosmischen Bereichs aufzudecken. ANIMA und ich handelten im Auftrag der Kosmokraten, aber aus naheliegenden Gründen konnten wir nur in kleinen Schritten vorgehen. Ich kontrollierte die Bildschirme und rechnete den nächsten »Sprung« aus. Neben mir saß der Cheftheoretiker der fünf überlebenden Steppenforscher und half mir. Durch’ ein vielfältiges System von Kommunikationsleitungen verfolgte das Raumschiff unsere Aktivitäten. »Dieser verwaschene Fleck«, sagte Dhonat, »muß die Randzone der Sonnensteppe sein.« »Du weißt das sicher?« fragte ich zweifelnd. »Ich weiß es ziemlich sicher. Jedenfalls soll das Schiff dorthin fliegen. Wir haben uns, wenn wir an diesem Punkt wieder zwischen die Sterne herausbat gen, dem Ziel ein gut Teil genähert.« »Trefflich!« meldete sich ANIMA. »Wenn du mich darüber aufklären würdest, was bargen heißt, wäre ich dir tief verbunden.« Ich mußte grinsen. Dhonat schlug mit Dampfhammer, seiner verkrüppelten linken Hand, in kontrolliertem Ärger auf die Ecke des Pultes. »Bargen. Dialektausdruck von Huger. Bedeutet: zwischen Planeten, Monden und Sternen physisch erscheinen.« »Ich verstehe«,’ flötete ANIMA. »Danke.« Dhonat schüttelte verwirrt den Kopf. Kolport, der zottige Koloß, stimmte ein langgezogenes Gelächter an und grunzte etwas Unverständliches. Meine neuen Freunde, fünf an der Zahl, waren beim besten Willen wirklich nicht als alltäglich zu bezeichnen. Einerseits freute ich mich darüber ebenso wie über meine neue Heimat New Marion, andererseits war das Zusammenleben mit ihnen im Inneren ANIMAS alles andere als problemfrei. Aber die positiven Aspekte überwogen. ANIMA raste mit schätzungsweise halber Lichtgeschwindigkeit durch ein leeres, dunkles Stück Universum. Ihr runder Bug deutete auf das Ziel, beziehungsweise auf den Punkt der Galaxis, an
dem wir die Sonnensteppe vermuteten. Der Bericht des lebenden Raumschiffes über Parillyon und die Ereignisse auf Neu-Kardoll hatte uns gezeigt, daß wir uns in höchst gefährliche Umgebung wagten, wenn wir weiterflogen. Natürlich flogen wir weiter! Und irgendwann würde ich auch den rätselhaften Charakter dieses sehr sympathischen und ebenso merkwürdigen Mannes Colemayn kennenlernen. Je mehr ich über ihn erfuhr, desto seltsamer wurde er für mich. Ich beschloß, mit’ niemandem über ihn zu sprechen. Ich würde nur meine völlige Inkompetenz vor den anderen ausbreiten. Du schweifst ab. Dein Ziel, euer Ziel: die Sonnensteppe! sagte nachdrücklich das Extrahirn. »Richtig!« stimmte ich fatalistischfröhlich zu. Kolport starrte mich mit heraushängender Zunge an, als hätte ich mich in einen Hund verwandelt. »Ha?« fragte er und richtete seinen Blick auf unsere farbigen, von Lichtpunkten, Kurven und Zahlengruppen übersäten Schirme. »Vergiß es«, murmelte ich. »Ein Scherz, nichts weiter.« Die Sonnensteppe. Der Name oder die Bezeichnung bekamen, je mehr wir darüber erfuhren, desto schlimmere und rätselvollere Bedeutung. Der Begriff Steppe stand für kaum vorhandene Vegetation, für Öde und Einsamkeit. Dorthin wollten wir, diese Steppe im übertragenen Sinn war unser erklärtes Ziel. Ich blickte auf einen Kontaktknoten und fragte: »ANIMA?« »Ich höre dich, lieber Atlan.« »Du erkennst, was auf den Schirmen zu sehen ist. Wir haben ein Ziel definiert, mehr oder weniger klar«, sagte ich. »Bringe uns dorthin. Wir sollten uns dann wohl in der Randzone der Sonnensteppe befinden.« »Sofort.« Meine neuen, bizarren Freunde hatten fast alle wichtigen Ausrüstungsgegenstände im Verlauf der erbitterten Kämpfe verloren. Sie besaßen ihre Raumanzüge, eine Menge der persönlichen Habseligkeiten und einige Waffen. Mehr nicht. Mit dem, was sich im Umkreis der KORALLE stapelte, ließ sich kein Planet erobern. Wir waren also, überschlägig ausgedrückt, auf normale optische Beobachtungen und Berechnungen angewiesen. Diffuse Nebel! sagte ich mir, als ich wieder meinen Blick auf die Bildschirme heftete. Wir mußten dort hindurch. »Ich steuere das definierte Ziel an, Atlan«, erklärte das Raumschiff. »Einverstanden. Keine unnötige Eile!« sagte ich. Die beiden insektoiden Wesen Kjok-Duun und Kjok-Almergund hatten sich in eine Kabine zurückgezogen, die ANIMA für sie in einem anderen Teil ihres bemerkenswerten Körpers geschaffen hatte. Was die Transversal-Teleporterinnen dort trieben, interessierte mich im Augenblick nicht. Ich konnte erkennen, daß ANIMA schneller wurde und das dreidimensionale Gefüge des Weltraums verließ. Ich lehnte mich im Sitz zurück, deaktivierte einige Geräte und ließ die Ereignisse der letzten Zeit an mir vorüberziehen. Mittlerweile besaß ich unzählige Informationen über diese Galaxis und die
Strömungen, die sie in ihren erbarmungslosen Griffen hielten. Aber noch längst nicht konnte ich ein klares Bild des gesamten Problems zusammensetzen. Je mehr ich erlebte und erfuhr, desto verwirrender erschien mir das Problem. Aber schließlich waren wir, sechs zusammengewürfelte »Steppenforscher« und ein lebendes Raumschiff, auf dem Weg zur Quelle der Informationen und Erkenntnisse. Das hofft ihr wenigstens, sagte abschließend der Logiksektor. Und mit Sicherheit nähert ihr euch dem Zentrum der Gefahren! Die Beleuchtung schimmerte auf dem hellblau und grün gescheckten Fell Wasterjajns, als er herankam und sich auf den Bug der KORALLE setzte. »Wir stoßen zum Nukleus vor«, stellte er fest. Ich nickte. »Vielleicht werde ich erfahren, was mit meinem Volk geschehen ist?« meinte er und versuchte, auf den Bildschirmen etwas zu erkennen. »Was ist deine Meinung, Atlan?« Ich hob die Schultern und antwortete bedächtig: »Möglich. Niemand kann das vorhersehen. Wir werden gezwungen sein, jeden einzelnen Hinweis genau zu beachten. Schnelle Erfolge verspreche ich mir nicht.« Vor den Luken des Schiffes – im Augenblick hatte ANIMA im KORALLE-Hangar zwei große, runde Sichtflächen hergestellt – waren Sterne und sämtliche anderen stellaren Sehenswürdigkeiten verschwunden. Fahles Grau waberte vor den transparenten Elementen. Langsam schloß das Schiff die Luken, und ich kippte einige andere Schalter im Pult vor mir. »Wir sollten uns ausruhen«, schlug ich vor. »Es sind für jeden von uns genügend Nahrungsmittel vorhanden. Außerdem hat ANIMA uns ein Höchstmaß an Bequemlichkeit versprochen.« »Und ich halte alle meine Versprechungen«, meldete sich das Schiff. Ich ging hinüber in meine Räume und ließ das zweiköpfige Katzenwesen allein im Hangar zurück. * Was bedeutet Sonnensteppe? Das Raumgebiet schloß den geheimnisvollen Nukleus ein, das war mir bekannt. Stets, wenn ich etwas über diese beiden Bestandteile der Galaxis gehört hatte, waren die Bemerkungen überschattet gewesen von unbestimmter Furcht und von vagen Spekulationen. Ganz ohne Zweifel geschah dort etwas Wichtiges, oder die Machthaber hatten gute Gründe, die Völker in Unwissen zu halten. Vermutlich hatten sich auch andere Wesen dorthin auf den Weg gemacht. Nie hatte ich gehört, daß jemand mit neuen Erkenntnissen zurückgekommen sei. Die Rätsel von Alkordoom waren größer geworden. Vielen Spuren war ich nachgegangen, aber keine hatte wirklich zum Kern einer Wahrheit geführt, die ich dazu verwenden konnte, mir ein klares Bild der Verhältnisse zu schaffen. Ein Tabu, das niemand durchbrechen konnte, umgab jenes Gebiet, dem sich ANIMA mit ihren Insassen näherte. Und wer oder was war EVOLO? Daß es die entscheidende Gefahr war, wie mir die Kosmokraten bedeutet hatten, half mir nicht einen winzigen Schritt weiter. Auch der Logiksektor konnte mit keinen Erklärungen dienen, die eine klare Synthese von Gedanken, Informationen und vagen Hinweisen darstellten.
»Unzählige Fragen«, flüsterte ich im Selbstgespräch. Und keine klaren Antworten, Arkonide! bestätigte der Extrasinn. Ich war absolut sicher: Davon, in dieser Galaxis so etwas wie eine positive Ordnung schaffen zu können, war ich weiter entfernt als je zuvor. Ich war nicht sicher, es mit meinen schwachen Kräften und Möglichkeiten jemals schaffen zu können – trotz erster Erfolge.
2. Ich fühlte einen leichten, aber deutlich spürbaren Schmerz in den Schläfen, als ich aufwachte. Ich blieb auf dem breiten, bequemen Lager, verschränkte die Arme hinter dem Nacken und versuchte, mich zu entspannen. Der Zellschwingungsaktivator sandte beruhigende Ströme aus, die ich als Wärme auf und unter der Haut spürte. Ich horchte in mich hinein. Es gab keinen Grund, mich nicht wohl zu fühlen! Der Logiksektor schwieg, als gäbe es ihn nicht. Was war passiert? Auf einem tischplattenartigen Vorsprung neben der Liege stand ein großes Glas. Als ich eingeschlafen war, hatte ANIMA weder die Platte noch den dunklen roten Wein bereitgestellt gehabt. Wieviel Zeit war vergangen? Ich orientierte mich; etwa acht Stunden lang hatte es Ruhe und offensichtlich keinerlei Zwischenfälle auf unserem Flug gegeben. Ich zog mich hoch, griff nach dem Glas und nahm einen langen Schluck. Der Wein schmeckte hervorragend. Als er meine Kehle hinunterrann, spürte ich den ersten deutlichen Impuls. Jetzt wußte ich, warum ich aufgewacht war. Angst! Ich hatte Angst. Ich kannte mich wirklich lange genug, und daher brauchte ich keinerlei Zweifel zu haben. Angst also. Warum? Wovor? Wenn ich zum Zeitpunkt des Starts keinen Grund gehabt hatte, mich zu fürchten, dann gab es jetzt, irgendwo auf der langen Strecke, auch keinen Grund. Ich nahm einen zweiten Schluck und fragte leise: »ANIMA? Der Flug verläuft doch problemlos? Oder etwa nicht?« Schweigen. Ich sah mich um und konnte keinen Kontaktknoten sehen. Sofort erwachten Mißtrauen und leichte Panik – ANIMA, die Schlummernde, war von verblüffender Aufmerksamkeit, wenn ich eine Frage an sie richtete. Jetzt schien sie unaufmerksam geworden zu sein – oder ganz verstummt. Ich sprang auf und fühlte die Angst stärker und dringender. »ANIMA! Was geht hier vor?« rief ich. Statt einer Antwort öffnete sich geräuschlos der Zugang zum Korridor, der meine Räume mit allen anderen und dem Hangar des Beiboots verband. Ich leerte das Glas, aber meine Furcht verging nicht. Da ich nicht einmal ahnen konnte, wovor und warum ich mich fürchtete, wuchs meine Erregung. Mit wenigen Schritten war ich im Korridor und lauschte ins Innere des Schiffes hinein. Es herrschte totenähnliche Stille. Wieder rief ich, gegen mein Gefühl und den Schmerz ankämpfend: »ANIMA! Gib Antwort!« Aus der Richtung eines Kontaktknotens, der zwischen den Leuchtkörpern erschienen war, kam die Stimme des Schiffes, flüsternd und stockend. »Atlan! Es gibt Schwierigkeiten!« »Was ist los?« »Ich habe mich hoffnungslos verirrt!« Ich blieb betroffen stehen. Hoffnungslos verirrt – das bedeutete wirklich, daß das Schiff Schwierigkeiten hatte. Bisher konnte ANIMA mit einem Höchstmaß an Selbständigkeit derlei Schwierigkeiten aus der Welt schaffen und sich blitzschnell neu orientieren. »Wo befinden wir uns? Wie weit bist du vorgedrungen?« wollte ich wissen, während durch den Korridor ein grollendes Geschrei hallte.
»Ich… weiß es nicht.« »Fliege zurück! Bringe dich in Sicherheit«, schrie ich. Jetzt hatte ich meinen Grund für die unerklärlichen Befürchtungen. »Fliege zurück an den Punkt, an dem die Schwierigkeiten anfingen. Schnell!« »… kann nicht!« Ihre Stimme verging in einem langen, kraftlosen Seufzer. Die Schwierigkeiten waren also größer, als ich gedacht hatte. Was konnte ich tun? Wieder glaubte ich die Stimme Kolports zu hören. Der Zottige war offensichtlich noch mehr von Ängsten geschüttelt als ich. Ich holte Atem und rief: »ANIMA! Halte wenigstens an. Oder schlage einen Haken. Wir schaffen es gemeinsam.« Das Schiff antwortete nicht. Ich rannte durch den Korridor und blieb vor der Kabine stehen, in der ich zuletzt den Leibwächter Dhonats gesehen hatte. Das Zellmaterial einer angedeuteten Tür mit gerundeten Ecken, zweieinhalb Meter hoch, veränderte sich. Ich starrte in die geräumige Zelle hinein. Das Schiff hatte die Inneneinrichtung in den letzten Momenten stark verändert. Es gab keine Ecken, keine Vertiefungen oder möbelartige Einbauten mehr. Gehüllt in seine ausgefranste Fellkleidung kauerte der Hominide in einem Winkel und gab dumpfe Laute von sich. Ich schüttelte voller böser Ahnungen den Kopf und schaute auf den breiten Rücken und die dicken Muskelbündel unter den schwarzen Körperhaaren. Bisher hatte Kolport sich unauffällig verhalten und nur versucht, Dhonat zu beschützen. Jetzt war er von derselben Angst, die sich in mir ausbreitete, förmlich zu Boden geschmettert worden. Er kauerte da wie ein zottiges Tier. Seinen bohnenförmigen Kopf hatte er mit seinen Pranken bedeckt, als erwarte er, daß Felstrümmer auf ihn herunterhageln würden. Sein mächtiger Körper zitterte. Unaufhörlich stieß er dumpfe, abgehackte Laute aus. Ich verstand kein Wort. Zwischen dem angstgepeinigten Brummen und Murmeln erscholl immer wieder ein tierisches, langgezogenes Brüllen, derselbe Laut, der mich vor einigen Minuten wohl aufgeweckt hatte. »Kolport!« rief ich in steigender Angst. »Komm zu dir!« Unter dem Klang meiner Stimme zuckte er zusammen wie unter Peitschenhieben. Ich spürte inzwischen nicht nur Angst, sondern würgende Furcht. Es gingen Dinge vor, die sich schon jetzt meiner Kontrolle entzogen hatten. Ich klammerte mich, im Moment völlig unschlüssig und fassungslos, am Rahmen des Eingangs fest. Kämpfe! Stemme dich dagegen! Sonst seid ihr alle verloren! schrie unüberhörbar der Extrasinn. Hätte es einen dunklen Winkel in Kolports Aufenthaltsraum gegeben, würde er sich in die tiefste und schwärzeste Ecke verkrochen haben. Ich konnte nur hoffen, daß er nicht noch mehr Schaden nahm oder sich in rasender Panik auf uns stürzte. Wieder versuchte ich, ANIMA zu einer Reaktion zu bewegen. »ANIMA! Freundin«, rief ich. »Schließe seine Kabine. Er darf nicht ausbrechen, solange er in diesem Zustand ist.« Ich sprang zurück, und tatsächlich schloß sich das Schott aus ANIMA-Zellmaterial wieder. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel mehr: die plötzlichen Angstgefühle waren nicht aus uns selbst heraus entstanden, sondern kamen von außen. Entscheidend für meine Überlegungen war, daß das lebende Raumschiff selbst darunter litt. Zwar hatte ANIMA in diesem Augenblick richtig und zuverlässig reagiert, aber ich spürte keinerlei Veränderung. Sie hatte auch nicht verbal geantwortet. Was konnte ich tun? Dhonat, der Cheftheoretiker, konnte mir vielleicht mit einer Überlegung helfen. Ich rannte die wenigen Schritte zu seiner Kabine. Sie war geöffnet. Der Hugerer lag auf dem
Rücken, quer über seinem Lager. Sein runder Kopf hatte sich von gewohnten gelblichen Weiß in ein erschreckendes Rot gefärbt. Seine Augen waren geschlossen, er atmete ’ pfeifend und hämmerte mit der Klumpenhand auf einen Teil der Einrichtung, der sich federnd verformte und so den wütenden Schlägen die Wucht nahm. Auch Dhonat schien fürchterliche Alpträume zu haben. Der Hugerer wirkte nicht im mindesten mehr wie ein gemütlicher kleiner Terraner! Sein Gesicht war verzerrt. Der Schweiß, der aus seinen Poren sickerte, hatte sogar an manchen Stellen die dunkelblaue Lederkombination durchtränkt. Einen Stiefel hatte er heruntergerissen. Der Steppenforscher schien mein Eintreten gemerkt zu haben, denn er ächzte mit völlig veränderter Stimme: »… endlose Flächen… gräßliche Ödnis… niemand hilft mir.« Ich fragte: »Du hast Wachträume, Dhonat? Öffne die Augen. Ich brauche dich!« Er warf mir tatsächlich einen Blick zu, nahm mich aber nicht wahr. Nach einer Sturzflut unverständlicher Wörter und Sätze knirschte er plötzlich: »Träume! Atlan, sie kommen und gehen. Ich habe furchtbare Erlebnisse. Jetzt – ich kann frei reden. Es geht auf und ab…« »Woher kommen diese… Träume?« stieß ich hervor. »Weiß nicht. Bin völlig erschöpft.« Er richtete sich kraftlos halb auf und sank auf seinem Lager zusammen. In diesem Augenblick meldete sich mit gebrochener Stimme das lebende Raumschiff. »Ich versuche mich zurückzuziehen. Ich bin so gut wie blind. Vielleicht kann ich eine Katastrophe verhindern.« »Schnell, ANIMA. Wir müssen hier herauskommen.« »Es gibt kleine Momente der Klarheit. Dieser geht gleich wieder zu Ende. Ich spüre es…« »Verdammt! Nimm dich zusammen! Zurück!« schrie ich. »Bringe uns hier hinaus!« ANIMA schwieg wieder. Das Schiff, Kolport, ich und Dhonat – ich im Augenblick am geringsten – befanden sich im Einflußbereich von – was war es eigentlich? Panikstrahlung? Auf uns gerichtete Sender? Eine Zone, die Alpträume hervorrief? Ich wußte es nicht und schwankte zwischen einem Versuch, ANIMA zu beeinflussen oder Dhonat zu helfen. Ich entschied mich für den neuen Mitstreiter. Ich setzte mich neben ihn an den Rand der Liege und packte seine Schultern. »Hör genau zu«, sagte ich drängend. »Versuche es wenigstens.« Er blinzelte, keuchte und versuchte, die ruckartigen Bewegungen seines linken Unterarm unter Kontrolle zu bringen. »Ja?« »Das Schiff hat Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Vielleicht haben wir einen unsichtbaren Schutzwall der Sonnensteppe erreicht. Oder jemand versucht uns umzubringen. Ich brauche deine Hilfe.« Genau an diesem Punkt stieß Kolport wieder einen seiner durchdringenden Schreie aus. Mit einiger Sicherheit litten auch die restlichen drei Mitglieder unserer kleinen Gruppe. »Was ist mit dir?« brachte er röchelnd hervor. Seine Wachträume schienen wieder einzusetzen. »Ich kann mich noch wehren«, versicherte er. »Ich weiß nicht, wie lange. Los, komm mit mir zur
KORALLE. Wir sehen nach, was los ist.« Dhonat sank kraftlos zurück, stöhnte und lallte: »Ich kann nicht. Die Träume… laß mich in Ruhe.« Er versank wieder in seinem persönlichen Reich der Träume. Ich verließ den Raum und rannte in den Hangar. Auf die vierte Aufforderung, mir einen Blick nach draußen zu ermöglichen und langsam um die Längsachse zu rotieren, reagierte ANIMA schließlich. Ich wartete ungeduldig, in steigender Unruhe und Angst. Einige Minuten waren vergangen. Ich stand vor dem großen, rechteckigen Panoramabullauge, das sich in quälender Langsamkeit vergrößert hatte. Meine Augen gewöhnten sich in großer Schnelligkeit wieder an den Anblick von Sonnen und dem Sternengewimmel des Hintergrunds. In welchem Teilgebiet der Galaxis wir uns befanden, war nicht festzustellen. Waren wir nahe der Sonnensteppe oder mitten in deren Sternkonstellationen, die an vielen Stellen beeindruckend dicht und eng standen? Ich konnte es nicht herausfinden – ich mußte mich auf AN IM A verlassen! Auf das Raumschiff, das unter Orientierungsschwierigkeiten litt. Sicher konnte ich allerdings darüber sein, daß sich das Schiff bewegte: ANIMA beschleunigte ruckartig, sprang in den übergeordneten Raum, die Sterne verschwanden. Meine Ratlosigkeit wuchs, und ebenso nahmen meine Kopfschmerzen zu. Je mehr ich gegen die Angst kämpfte, desto stechender wurden die Schmerzen. Aber ich verlor meine Fähigkeit nicht, klar zu denken und planmäßig zu handeln. Aber, verdammt, was sollte ich tun? Ich konnte mich bestenfalls um die anderen Mitglieder meines Teams kümmern. Noch während ich überlegte, ob ich zuerst zu Wasterjajn Kaz oder zu den Teleporterinnen laufen sollte, sprang ANIMA kommentarlos wieder zurück in den Weltraum mit anderen Sternbildern und in eine gänzlich veränderte Umgebung. Aber der nächste Schrei Kolports bewies mir, daß wir uns aus der gefährlichen Zone noch nicht entfernt hatten. Wieder wechselte das Bild. Wir waren wieder im Linearraum. ANIMA war abermals – irgendwohin – überlichtschnell unterwegs. Mehr wußte ich nicht. Sollte sie wieder eine normale Phase haben, würde sie sich vielleicht melden. Der Logiksektor erklärte: Wenn ANIMA eine ruhige Phase hat, gilt das auch für euch alle, Atlan. Daran hatte ich nicht gedacht. Es war ein sicheres Zeichen dafür, daß auch ich halb verrückt vor Angst, Sorge und Verwirrtheit war. Wenn wir wirklich von außen beeinflußt wurden, konnte ich weder Sinn noch eine Ursache erkennen. Ich ließ die Schultern sinken. Irgendwie fühlte ich mich wie ein Verlierer. Ich machte mich auf den Weg zu Wasterjajn Kaz. Ich fand ihn, wie zu erwarten war, allein in seiner Kabine. Er saß bewegungslos in einem Sitzelement, das ANIMA genau für ihn geschaffen hatte. Seine beiden Katzenköpfe starrten mit weit geöffneten Augen in unbekannte Fernen. Er sah mich nicht; er sah nichts. Aber der Steppenforscher, der sich als Staatenloser bezeichnete, spürte, daß jemand in seiner Nähe war. »Ich habe Heimweh. Ich sehne mich nach meiner Heimat!« flüsterte er zischend. Ich hatte bisher nur gewußt, daß er nicht wußte, woher er eigentlich wirklich stammte. Weckte dieser Zwischenfall möglicherweise seine verschütteten Erinnerungen? »Du sehnst dich also nach deinem Heimatplaneten«, stellte ich wenig geistreich fest. »Und? Bist du
darüber hinaus vielleicht in der Lage, mir zu helfen?« Kaz beachtete mich nicht. Er fuhr fort, gegen die sanft gerundete Wand zu sprechen. »Meine Heimat! Erdreich voller Schönheit, Land meiner Eltern, Land, in dem ich aufgewachsen bin, unter dem herrlichen Sternenhimmel.« Zwei Kehlen holten gleichzeitig tief und keuchend Luft. Ich schüttelte mich. Aus dem Klang seiner Worte sprachen abgrundtiefes Grauen und ebensolche Traurigkeit. »Schrecklich, dieses Umherfliegen in der Ferne. Die brutalen Unterdrücker, die mich aus meiner Heimatwelt fortschafften! Ich bringe mich um! Es gibt keine Rückkehr! Heimweh, wie ich sie hasse, die anderen. Ich will zurück!« Immerhin saß er still da und schien weder sich noch einen von uns zu gefährden. Ich hastete weiter in den Bezirk, in dem ich die Teleporterinnen wußte. Meine Angst kam und ging in Wellen, und wenn dieses würgende Gefühl nachließ, tobte der Schmerz unter der Schädeldecke verstärkt los. Ich kam nicht weit. Als ich gerade die farblich abgesetzte Zone erreicht hatte, in der die Doppelkabine der beiden Kjokerinnen lag, sprang mich Kolport an. Er betrachtete mich als Hindernis, nicht als Gegner, denn seine Augen blickten leer an mir vorbei. »Raus«, keuchte er. »Luft! Aus dem Schiff. Weg da.« Er war nicht mehr bei Sinnen. Er wollte ANIMA ohne Raumanzug verlassen. Sein Anzug lag oder hing im Hangar, nahe dem Gleiter. Ich wich seinem Angriff aus, er fiel halb über mich und stemmte sich grölend und schwer atmend wieder hoch. Dann torkelte er davon. Ich wandte mich wieder an ANIMA und hoffte, daß sie mich hörte und gehorchte. »Raumschiff! Du mußt den Zottigen festhalten. Lasse eine Kammer entstehen und schließe ihn ein! Schnell. Er will hinaus in den Raum! Du mußt es schaffen!« Das Schiff antwortete nicht. Noch während ich darüber nachdachte, ob ich hinter ihm herrennen und ihn mit dem Paralysator betäuben sollte, schlossen sich rechts und links von ihm die Wände des Korridors. Er wurde förmlich eingeklemmt. Er stolperte schwer und fiel gegen eine neu entstandene Schicht, die vor ihm entstand. Aber diese Veränderungen gingen nicht auf die gewohnt schnelle und elegante Art vor sich. Ich war ein wenig beruhigt, als sich auch hinter der riesigen Gestalt eine dicke Folie aus AN IM AS Zellen schloß und Kolports Schreie erstickte. »Jetzt fehlt nur noch, daß sie aufeinander losgehen«, murmelte ich und lief durch den neu entstandenen Teil des runden Korridors zurück in den Hangar. Ohne das ANIMA ihre Strukturen veränderte und es bewußt zuließ, konnte keiner von uns das Schiff verlassen. Das Schiff bewegte sich in einer Anzahl von ruckartigen Flugmanövern. Ich glaubte, aus den Bewegungen zu erkenne, daß ANIMA eine Art Zickzack flog. Beruhige die Kjokerinnen! riet das Extrahirn. »Leicht gesagt«, fluchte ich und fragte mich, was als nächstes kommen würde. Ich suchte neben der KORALLE einen Strahler, justierte den Abstrahlprojektor und die Stärke des Paralysators und hastete wieder zurück zu der Doppelkabine. Kjok-Duun stand da, zeigte mit einem ihrer Arme auf ihre Schicksalsgefährtin und rasselte mit ihrer hohen, fast zirpenden Stimme Beschuldigungen und Beschimpfungen herunter. Ihre langen Kopffühler zitterten, rollten sich spiralig ein und schnellten wieder nach vorn. In der anderen Kabine, ebenso an die Wand gedrückt, befand sich Almergund und schrie Duun an. »Verräterin«, verstand ich. »Du mußt es sein.«
»Ich bin es nicht, wie du weißt. Du bist die Verräterin.« »Niemand von uns!« »Nein. Jeder kann es sein. Aber es ist unmöglich, daß du es nicht bist. Ich habe untrügliche Beweise. Du machst uns alle verrückt.« Ratlos stand ich da, hob die entsicherte Waffe und ließ sie wieder sinken, hörte die endlosen Beschimpfungen und sah das Licht auf den Chitinpanzern glitzern. Die beiden Insektenwesen, zwei Köpfe kleiner als ich, beachteten mich nicht im geringsten. Sie beschimpften einander, bebend vor Erregung, und in den vergangenen Tagen hatte ich von ihnen nicht annähernd eine solch ausdrucksvolle Menge von Kraftausdrücken gehört. »Hört auf!« rief ich. »Unsere Verwirrung kommt von draußen und nicht aus uns heraus.« Sie drehten für zwei, drei Sekunden ihre ameisenähnlichen, runden Schädel zu mir herum, blickten mich mit ihren funkelnden Facettenaugen an und machten Bewegungen mit ihren grazilen Endgliedern, die nur bedeuten konnten: hau ab, mische dich nicht ein, lasse uns in Ruhe. Wieder fingen sie an, sich gegenseitig des Verrats zu bezichtigen. Das Licht flackerte und erlosch. Aus einem unbekannten Teil des Schiffsinnern ertönten Laute, die ich auch noch nie gehört hatte. Ich konnte sie nicht anders deuten. Sie waren Ausdruck von ANIMAS Verwirrung und erste Zeichen einer beginnenden Katastrophe. Bildete ich es mir ein, oder schwankten Luftqualität und auch die Schwerkraft innerhalb des erstaunlichen Schiffes? Ich schwankte, taumelte hin und her und suchte einen Griff, an dem ich mich festklammern konnte. Nichts. Ich wurde halb in die Luft geschleudert und schlug mit dem Hinterkopf gegen eine harte Wand. Ein blendender Lichtstrahl zuckte an meiner Schulter vorbei und bohrte sich röhrend und knisternd in eine Wand. »Ich bringe dich um, Schatten!« hörte ich gurgelnd die Stimme Dhonats. Dann folgte ein harter, dumpfer Schlag. Ein Schrei heulte durch den gewundenen Korridor. ANIMA schloß und öffnete ununterbrochen Teile ihres Innensystems. Es blieb dunkel. Von Sekunde zu Sekunde wurde die Atemluft schlechter. Ich versuchte, mich zurechtzufinden, stieß aber überall an Wände und Schotte. Vor meinen Augen wirbelten farbige Kreise und Punkte, ich hörte mich keuchend Luft holen. Erschöpft und schwindelig lehnte ich mich gegen eine federnde Wand. »ANIMA! Du bringst uns alle um!« schrie ich mit dem letzten Rest meiner Kraft. Mein Kopfschmerz betäubte mich. Ich rang würgend nach Luft. Langsam glitt ich an der Wand herunter und kippte nach vorn. Als ich bewußtlos wurde, registrierte ich noch einen kurzen, eiskalten Strom frischer Luft. Aber es konnte sich nur um eine Täuschung meiner überforderten Sinne handeln. ANIMA flog ins Verderben.
3. Jemand rüttelte an meinen Schultern und hob mich mit spielerischer Leichtigkeit hoch. Ich kam zu mir, blinzelte im hellen Licht und erschrak gleichzeitig. Was war passiert? Ich sah struppige graue Haare, wulstige Lippen und eine heraushängende Zunge. Kolport schleppte mich schnell durch einen lichtdurchfluteten Korridor und in meine Kabine. Dabei schnaufte er, als trüge er einige Tonnen in den muskulösen Armen. »Das kann nur bedeuten…«, fing ich an. Dann rief ich unterdrückt: »ANIMA? Ist alles in Ordnung?« »Vorübergehend. Ich glaube, ich habe einen Weg gefunden.« »Fliege augenblicklich zurück in den Sektor Ordardor«, sagte ich. »Hast du dich aus der Sonnensteppe freiarbeiten können?« Das Licht leuchtete hell und gleichmäßig. Die umgewälzte Atemluft war von köstlich kühler Frische. Die Farben und Trennlinien ließen erkennen, daß das lebende Raumschiff wieder mit gewohnt eleganter Zuverlässigkeit arbeitete. »Wie lange war ich ohne Bewußtsein?« fragte ich den Stoppelbärtigen. Er wiegte seinen Kopf und erwiderte: »Nicht lange. Minuten in deiner Zeit.« »Ich befinde mich im Außenbezirk der Sonnensteppe. Soeben habe ich den Fluchtkurs eingeschlagen.« »Das heißt, daß wir nur eine vorübergehende normale Phase erleben?« wollte ich wissen. »So ist es, Atlan.« Wir waren einer Katastrophe nur sehr knapp entgangen, soviel war sicher. Ich konnte nur hoffen, daß diese kurze Pause ausreichen würde, um ANIMA flüchten zu lassen. Ich packte das Handgelenk des Zwei-Meter-Kolosses und sagte drängend: »Rufe die anderen vier zusammen. Schnell. Wir treffen uns im Hangar, beim Beiboot.« Mit grollender Stimme antwortete Kolport: »Mache ich. Dhonat weiß bestimmt, was wir tun müssen.« »Hoffentlich«, murmelte ich, sicherte die Waffe und schob sie in den Gürtel. Durch die Innenräume hallte die sanfte ’Stimme meiner seltsamen Freundin. »Atlan! Steppenforscher! Wir sind auf dem direkten Weg nach Ordardor. Ich glaube, ich habe die Zone verlassen, die uns so zugesetzt hat.« »Das hören wir alle gern«, schloß ich und ging in den Hangar. Aus drei unterschiedlichen Gängen kamen die fünf Steppenforscher. Jeder von ihnen war gezeichnet und stand tief unter dem Schock des Vorfalls. Ich hob die Hand, wandte mich zunächst an Dhonat und deutete auf einen Stapel Ausrüstungsgegenstände. »Nimm Platz. Uns allen zittern die Knie, falls wir Knie haben«, sagte ich. »In der Sonnensteppe oder jedenfalls dort, wo sich ANIMA aufgehalten hat, scheint eine verderbliche Strahlung zu herrschen.« »Ich weiß nicht, was eigentlich wirklich vorgefallen ist«, schränkte der Hugerer ein. »Nur, daß mich schauerliche Träume heimsuchten. Und dabei war ich wach, konnte also klar definieren, daß es
Träume waren.« »Das habe ich gemerkt. Ich bekam rasende Kopfschmerzen«, sagte ich und berichtete, was ich wußte. Während ich sprach und immer wieder unterbrochen wurde, jagte das Raumschiff aus der Gefahrenzone hinaus. Die Kjokerinnen schilderten, was sie in den letzten Stunden erlebt hatten, ebenso Wasterjajn Kaz und, mit wenigen Worten, auch Kolport. »Wir haben also ein schlimmes Fehlverhalten an den Tag gelegt«, stellte Wasterjajn fest. »Unverschuldet«, entgegnete ich. »Glücklicherweise war ich am wenigsten davon betroffen. Selbst der Organismus unseres Schiffes, sonst unangreifbar und unzerstörbar, hat darunter gelitten.« »Sind wir noch immer jenseits der Lichtgeschwindigkeit?« fragte Dhonat und deutete mit einer spiralförmigen Geste zur Decke. ANIMA begriff, daß die Frage ihr galt. »Ja. So schnell, wie möglich. Ich fürchte mir vor der Strahlung, die mich in ein Bündel aus Verrücktheit verwandelte«, bekannte das Schiff. »Hier! Erfrischungen für euch.« Neben jedem von uns wuchs eine Säule oder eine Platte aus der Wand, auf der ein Krug, ein Becher oder eine Schale stand, daneben ein Teller mit kleinen Leckerbissen. Für mich war es ein großer Glaspokal mit Wein. Ich bedankte mich und fuhr fort: »Ich bin der Ansicht, daß es sich um eine mental wirksame Strahlung handelte.« »Das kann ich voll bestätigen«, sagte das Raumschiff mit Nachdruck. »Von der niemand sagen kann, wie sie erzeugt wird«, sagte Dhonat. »Uns bleiben nur Spekulationen.« »Meine Verzweiflung war keine Spekulation«, grollte Kolport. Ich erklärte in einem Ton, der keine Zweifel zurücklassen sollte: »Wir alle, auch das Raumschiff, sind nur deswegen gerettet worden, weil ANIMA die entsprechende Richtung flog und in einen toten Winkel der mentalen Strahlung geriet. Ich kenne die Widerstandsfähigkeit des lebenden Schiffes, und ich weiß, daß die Gefahr für uns ein paar Nummern zu groß war.« »Bedeutet der Zwischenfall, daß wir uns nicht in die Sonnensteppe hineinwagen dürfen?« erkundigte sich Kjok-Duun leise. »Das sollten wir jetzt entscheiden«, meinte ich. »Es liegt im Bereich des Möglichen.« »Die Beeinflussungen waren unregelmäßig. Minima wechselten mit Maxima ab«, erläuterte ANIMA. »Ich mußte dies deutlich registrieren.« »Sind wir jetzt in Sicherheit?« fragte Kolport knapp. »Ja. Ich habe abgebremst. Teile der Hülle werden transparent. Wir sind im sicheren Sektor Ordardor.« Die Außenhülle im Bereich des Hangars bildete zuerst einen schmalen, durchsichtigen Schlitz, der sich schnell nach allen Seiten erweiterte und zu einer mehr als acht Quadratmeter großen Sichtscheibe wurde. Wir blickten, unsere Getränke und Nahrungsbrei-Gefäße in den Händen, hinaus auf einige bekannte Gestirnskonstellationen. »Ohne Zweifel«, bemerkte Dhonat zufrieden und schlug mit seiner versteckten Hand auf den Gleiter. Ich zuckte zusammen. »Ruhig!« brummte ich. »Wir haben die Strahlung schließlich überlebt.« Wasterjajn Kaz sagte:
»In der Sonnensteppe wirkt also eine mental angreifende Strahlung. Das dürfen wir als sicher voraussetzen.« »Ja. Einer der Faktoren, auf den das Tabu der Sonnensteppe zurückzuführen ist.« »Ich kann mir vorstellen«, erklärte Kjok-Almergund, »daß es vielen Raumschiffen übel ergangen ist. Sie flogen dorthin und sind seitdem verschollen. Sie kamen niemals an. Oder sie stürzten in eine Sonne.« »Oder etwas anderes geschah mit ihnen«, fügte Dhonat hinzu. »Ich denke, wir können es schaffen.« Ich warf ihm einen prüfenden Blick zu. Was ich in den vergangenen Stunden erlebt hatte, genügte mir. Und dabei war ich noch am wenigsten geschädigt worden. »Ich bin auf deinen Vorschlag gespannt.« »Wir haben die Gefahr klar erkannt, nicht wahr?« fragte Dhonat. Wir alle hörten ihm mehr als aufmerksam zu. Ich nickte. »Eine erkannte Gefahr ist nur noch halb so gefährlich. Wir können uns gegenseitig helfen. Nötigenfalls«, er zeigte auf meinen Paralysator, »wird der eine oder andere vorübergehend gelähmt.« »Reichlich kühn!« grollte Kolport. »Wir können uns innerlich auf die Strahlung einstellen. Sie wird, wohl in unmittelbarer Nähe einer bestimmten Grenze besonders stark werden und nachher ganz unterbleiben.« »Woraus schließt du das?« fragte Wasterjajn zweifelnd. »Ein bißchen verstehe ich auch von der Wissenschaft.« »Was würde dein Verwandter, Facette Kaz, in einem solchen Fall tun?« »Klingt logisch, was Dhonat sagt«, nickte ich. »In der Sonnensteppe würde eine solche Mentalstrahlung jedes Lebewesen absolut verrückt machen. Es wäre kein Leben möglich.« »Richtig.« »Ich habe in meinem Gepäck, auf dem ich sitze, ein Präparat. Ich brauchte es vor Jahren, nicht auf Brusquez. Imustil. Es bewirkt eine Mentalstabilisierung, die immerhin, je nach Konstitution, ein paar Stunden anhält. Ein starkes, aber ungefährliches Medikament.« »Es war wie ein Wind, der über uns hinwegglitt und uns dann umwarf«, erinnerte sich Kjok-Duun. »Mentaler Wind aus der Sonnensteppe!« murmelte ich. »Steppenwind. Ein poetischer Name für ein schauerliches Phänomen.« »Wir müssen uns auf die Strahlung einstellen«, wiederholte Dhonat. »Vielleicht gewöhnen wir uns auch an sie. Jedenfalls bin ich nicht gewillt, schon jetzt aufzugeben.« Der zottige Riese in der Lederfleck-Kleidung mit Fellstücken grunzte: »Ich auch nicht.« Dhonat kramte in seinem persönlichen Gepäck, holte aus der Seitentasche eine aufklappbare Medikamentenpackung hervor und zog drei Tafeln aus Folie heraus, in die zylindrische, schwarzgelbe Kapseln unter durchsichtigem Plastik eingeschweißt waren. Mit einer Schere schnitt er eine Tafel in sechs gleichgroße Teile. Jeder Abschnitt enthielt neun Kapseln. Ich nahm meinen Teil und fragte: »Und wieviel Kapseln bekommt ANIMA?« Sie drehten alle ihre Köpfe und starrten mich betroffen an. Ich mußte grinsen, obwohl es keinen
Grund für Heiterkeit gab. Langsam leerte ich den Weinpokal, stellte ihn ab und fragte: »ANIMA, meine Freundin – es geht um dich.« »Ich habe euch interessiert zugehört.« »Dann weißt du auch, worum es geht.« »Ganz genau. Ich bin vorsichtig optimistisch, was mich selbst betrifft. Ohne durch Imustil geschützt zu sein, glaube ich, daß ich es schaffen werde. Es gibt eine Technik, im entscheidenden Moment durch konzentrierte Passivität der Strahlung und ihrer Wirkung zu entgehen. Aber ich will euch nicht mit Einzelheiten meiner Zellhaushalts-Eigenschaften langweilen.« Ich blieb mißtrauisch und fragte: »Wir müssen sicher sein, ANIMA. Du darfst nicht mutiger sein, als es deine Möglichkeiten zulassen. Wie willst du das Problem lösen?« »Eine Maßnahme wird sein, anzuhalten und nötigenfalls mich zurückzuziehen, wenn die Strahlung stärker wird.« »Das alles glaube ich erst, wenn ich es erlebe«, brummte der Katzenköpfige. »Aber es klingt gut.« Ich stand auf und erklärte: »Ich stelle einen Vorschlag zur Diskussion und Abstimmung. Wir stärken uns, schlafen einige Stunden oder ruhen uns aus, dann nehmen wir Imustil. Dhonat bestimmt die richtige Dosis. Und ich versuche, zusammen mit ANIMA euch zu helfen, wenn es schwierig wird.« »Einverstanden«, sagte als erster der Zottige. Wir entschlossen uns, genau so vorzugehen. Jeder versuchte, den anderen davon zu überzeugen, daß wir den Kampf gegen die lautlose Gefahr gewinnen könnten. Zur größeren Sicherheit veränderte ANIMA wieder einen Teil des Innenbezirks und schuf vier kleine und eine größere Zelle, deren Eingänge sich gegenüber lagen. So konnte jeder seinen Partner kontrollieren, und ich war mit wenigen Schritten bei ihnen. »Wollen wir’s riskieren?« fragte mich Dhonat nach einigen Stunden. »Ich mache mit«, versicherte ich. »ANIMA! Bist du bereit?« »Bereit und voll von Unternehmungsgeist.« »Dann los. Wir gehen genauso vor, wie abgesprochen.« »Ich bin bereits unterwegs.« ANIMA schoß davon. Binnen kurzer Zeit erreichte sie mehrfache Lichtgeschwindigkeit, erhöhte ihr Tempo und jagte dem Ziel entgegen. In meinem Kreislauf zirkulierte das Medikament. Ich spürte eine unbestimmte Heiterkeit, eine Leichtigkeit der Gedanken und der Empfindungen, und meinen neuen Kampfgefährten ging es ebenso. Trotzdem lag der entsicherte Paralysator auf dem Nebensitz. Die Ortungsgeräte der KORALLE zeigten nur kurz die Sternkonzentrationen der Sonnensteppe, dann verschwanden die Sterne. Und wir warteten auf den ersten Hauch des Steppenwinds.
4. Shourad, der Pilot, streckte drei seiner vier Arme aus. Innerlich kochte er vor Zorn. Aber er wartete schweigend, bis sein Kazmortel sich auf dem Schultergelenk niedergesetzt hatte. »Kommandant, du hast einen großen Fehler gemacht. Die Beute – sie ist auf Nimmerwiedersehen verschwunden!« sagte er. Seine Worte kamen hart und laut aus der Öffnung des Multiorgans. Die Ränder der Membranhaut flatterten; ein Zeichen der Erregung. Der Warner spürte diese Aufregung und flatterte davon. Das Tierchen, das auf den Namen Shill hörte, setzte sich auf einen Schaltknopf einer höher gelegenen Ortungskonsole. Er bildete einen grellgelben Farbfleck in der kalten, technischen Umgebung. »Das sagst du schon zum zweitenmal, Pilot. Du solltest, ehe du Unsinn schwätzt, länger überlegen.« »Da gibt es nichts zu überlegen. Das Schiff ist weg.« Er schaltete ein Wiedergabegerät ein. Auf einem gewölbten Bildschirm lief die Aufzeichnung noch einmal ab. In allen Phasen zeigte sie, wie das Schiff sich dem Punkt des beabsichtigten Überfalls näherte, wie sich der Kurs immer wieder ruckhaft änderte, wie der Fremdkörper schließlich die Geschwindigkeit verringerte und eine enge Kurve flog. Dann, blieb das Objekt auf den Ortungsschirmen zwischen einem Sonnenfünfeck stehen, führte in offensichtlicher Desorientierung eine Anzahl zögernder Bewegungen durch und drehte schließlich, nach einer erstaunlich langen Zeit, mit zunehmender Geschwindigkeit ab. Unvermittelt verschwand es. »Das Schiff kommt wieder, Pilot!« sagte der Kommandant. Er wußte, daß der Gemeine scharf auf seine Stellung war. Er würde alles tun, um ihm einen Fehler nachzuweisen. »Was wettest du dagegen?« »Nichts. Du hast dich geirrt. Wertvolle Beute ging uns verloren.« Kosnach und Shourad waren allein in der Steuerkabine der MYGULL-144. Ihre gegenseitigen Anschuldigungen wurden über die Bordanlage in fast jeden bewohnten Raum des Piratenschiffs übertragen. Auch Kosnachs Kazmortel, Flegg, flatterte aufgeregt in der geräumigen Kabine umher. »Sie ging verloren, weil du vorpreschen wolltest!« sagte der Kommandant. »Nein. Weil du es verboten hast.« Die beiden Gemeinen waren, wie jeder Insasse des Schiffes, alles andere als zurückhaltend. Jeder wollte die strenge hierarchische Einstufung verlassen und hoffte, daß Umsetzer Jullert ihn bevorzugen würde. Der Patient war sicher, daß im Augenblick den Kommandanten favorisierte. Auch deswegen erfüllte ihn brennenden Ärger. »Das ist schließlich meine Aufgabe. Oder bist du der Kommandant?« »Noch nicht.« Kosnach gab ein krächzendes Geräusch von sich, das nichts anderes als ein Gelächter darstellte. Shourad schloß die Öffnung seines Multiorgans und richtete seine drei Augen wieder auf die Batterie der Ortungsschirme. Sie zeigten das Gewimmel der Sterne in der Sonnensteppe. »Wir können uns später weiterstreiten«, meinte der Kommandant, nachdem er sich beruhigt hatte. »Aber jetzt gebe ich die Befehle. Die MYGULL bleibt weiterhin hier auf der Lauer.« »Meinetwegen.« »Und wenn sich die Lage ändert, wird uns Jullert sagen, was zu tun ist. Ende der Debatte.« Der Pilot brummelte etwas Unverständliches und widmete sich wieder der Kontrolle und
Feineinstellung seiner Geräte. Shill kam schließlich von seinem Platz herbeigeflattert, umkreiste den Oberkörper des Steppenpiraten und setzte sich. »Ist schon gut. Auch du verstehst nicht, was der Kommandant wollte«, erklärte der Pilot seinem Warner. Das Tierchen, kleiner als seine Faust, begriff überhaupt nichts, spürte instinktiv bestenfalls seine geistige Verfassung oder seinen Gemütszustand. Der Warner, Vogelwesen in jeder denkbaren Farbe von Weiß bis Schwarz, stammte vom Planeten Kazmortel. Nur wenigen Planetariern waren die Koordinaten dieser Welt bekannt. Im Sprachgebrauch nannte man die Warner Kazmortel; meist wurden sie bei ihrem Namen gerufen. Sie besaßen einen scharfen Instinkt, der die Planetarier schon früh auf sie aufmerksam gemacht hatte. Die Kazmortel warnten ihren Besitzer durch fast unhörbar hohe, scharf modulierte Töne. Der Pilot sprach so laut, weil er dem Kommandanten nicht das letzte Wort gönnte. Das Ziel eines jeden Steppenpiraten war erklärterweise, ein Planetarier mit allen Vorteilen und Privilegien zu werden. Auf die Antwort des Piloten hörten die anderen Piraten das dumpfe Geräusch, mit dem ein Schott zufiel, und einen obszönen Fluch. Das Raumschiff der Steppenpiraten stand im Ortungsschatten an einem strategisch hervorragenden Punkt. Wenn sich ein Schiff näherte, würde es durch einen gewaltigen Korridor fliegen müssen, der sich zwischen den Sonnenballungen auftat und in Richtung auf den Nukleus führte. Aus dieser Richtung des Kosmos schien dies der einzige Weg zu sein, der ein Anfliegen ermöglichte. »Das wird«, murmelte der Pilot, »noch jede Menge Ärger geben.« Mit den schlanken, dreigliedrigen Fingern seiner vier Hände arbeitete er an Knöpfen, Reglern und Drehelementen. Sorgfältig korrigierte er einige Einstellungen und suchte jede Stelle des lichterfüllten Panoramas engstehender Sterne in allen Färbungen ab. »Es gibt und gab nur dieses eine Objekt«, sagte er. Shill stieß ein fröhliches Trillern aus. Der Pilot wußte mit Bestimmtheit, daß das fremde Schiff zur sicheren Beute geworden wäre, wenn der Kommandant einen schnellen Start aus dem Versteck in der glimmenden kosmischen Staubmaterie angeordnet hätte. Aber uneinsichtig, wie der Jupter Kosnach war, zog er das sichere Warten vor. Shourad war versessen darauf, Beute zu machen, und zwar in einer Weise, die ihm nützte. Er mußte es sein, der den Anstoß gab. Schließlich stand der Sprung aus der untersten Ebene der Hierarchie auf dem Spiel. Aber alles Suchen, all die Anstrengung, ein anderes bewegliches Objekt auf den Schirmen zu finden, nützte nichts. Das Schiff blieb verschwunden. Wäre Kosnach nicht der Kommandant gewesen, hätte sich Shourad mit ihm geprügelt. »Warner«, murmelte Shourad, nachdem er die Rundspruchanlage ausgeschaltet hatte, »wir zwei richten uns jetzt also wieder auf ein langes Warten ein.« Der Kazmortel trillerte heiter und pickte auf der grüngelben Lederkleidung des Piloten herum. * Die Sonnensteppe stellte sich als Kugelschale dar. Ob sie es an allen Stellen auch wirklich war, ob sie dieser willkürlichen Form entsprach, wußten nicht einmal die Steppenpiraten. Ihr Lebensbereich waren die wenigen Stützpunkte und der Außenbereich der Schale.
Auch ob die Dichte der Sonnen, die Anhäufungen von interstellaren Gasen, Filamenten und glühenden Materieströmen, die an dieser Stelle bis auf wenige schlauchartige Korridore ein Durchfliegen erschwerte oder fast unmöglich machte – ob es auf der gegenüberliegenden Seite der Sonnensteppe so aussah, wußte nicht einmal der Pilot Shourad. Die MYGULL-144 war für diese stellare Umgebung das beste Schiff. Alle Piratenschiffe entstammten derselben Modellreihe. Eine Scheibe, mehr als hundertzehn Meter dick, mit einem Durchmesser von fünfhundertvierzig Metern, beherbergte zusammen mit den Räumen des Auslegers und seinem Dorn, der bis zum Zentrum der Scheibe reichte, gegenwärtig etwa zwölfhundert Jupter. Der Raum zwischen dem Dorn-Fesselfeld und dem Scheibenmittelpunkt war leer: dort wurden die erbeuteten Schiffe festgelegt, förmlich eingeklemmt – und dann ausgeplündert und zerschnitten. Und wenn Kosnach noch lange Kommandant blieb, sagte sich Shourad, würde diese Demontageposition noch sehr lange leer bleiben. Ein Signal ertönte. Der Pilot schaltete den Interkom ein. Auf dem Bildschirm baute sich die Gestalt des Umsetzers auf. Jullert war ausgesprochen groß und breit gewachsen. Mindestens hundertfünfundachtzig Zentimeter maß er von den Sohlen bis zum runden, gelben Schädel. Das breite Halsband, das unterhalb des Kopfbereichs den glockenförmigen Körper umschloß, war gelb, wie bei allen Umsetzern. Der Pilot hob grüßend seine rechte Hand, die des oberen Armpaares. »Vermutlich willst du mir erklären«, sagte er, »daß der Kommandant recht hat.« »Nicht Unbedingt.« Shourad war überrascht und zeigte es auch. »Umsetzer«, sagte er halblaut und zwinkerte. »Wie kann Kosnach wissen, daß das Schiff noch einmal das Eindringen versucht? Ich weise darauf hin, daß der Kommandant mit dir nicht verwandt ist…« »Wir sind sehr fern verwandt«, schwächte Jullert ab. »Die Sache sehe ich so: wenn ihr beide euch einig gewesen wärt, hätten wir das Schiff längst.« »Ich bin, wie jedermann weiß, nur der Pilot«, maulte Shourad. »Kann ich Befehle geben?« »Nein. Ich gebe, wenn nötig, Anordnungen. Hast du neue Beobachtungen?« »Absolut nichts. Tot wie Ugharts Ahnen.« Alles an Jullerts kräftigem Körper ließ deutlich erkennen, daß er der höheren Kaste angehörte. Seine vier stämmigen Beine glänzten ebenso wie die breiten Schnüre, mit denen die Sandalen befestigt waren. Zierknöpfe funkelt ten an den Knoten. »Ich werde die Ortungsabteilung anweisen, Doppelwachen an die Geräte zu setzen. Vielleicht ist es so, wie Kosnach vermutet.« »Jeder Kommandant eines jeden Schiffes, der in den Bereich der Strahlung kommt und ihr lebend wieder entronnen ist, wird sich hüten, einen zweiten Versuch zu riskieren!« Das war Shourads wirkliche Überzeugung zu diesem Thema. Schließlich hatte es in den langen Jahren der Beutezüge zahlreiche Beispiele genau dieses Verhaltens gegeben. »Fremde sind beim ersten Einfliegen in die Sonnensteppe immer verwirrt«, sagte Jullert mit Nachdruck. Die eng anliegende Kleidung, die den glockenförmigen Körper umschloß, war aus Leder von allerfeinster Qualität. Breite Ziernähte unterstrichen die Linienführung. Immer, wenn der Pilot Jullert und dessen Auftreten erlebte, wußte er wieder, warum er die Kaste der Gemeinen so bald wie
möglich verlassen wollte. »Richtig. Und dennoch fliegen sie weiter und geraten in unseren Abfangbereich. Denn sie sind mehr oder weniger hilflos«, sagte Shourad. »Du hast recht. Ich weiß es. Ich neige dazu, dir recht zu geben.« Zu den zahlreichen Tabus, die das Leben der Steppenpiraten mitbestimmten, gehörte das Verbot, die Sonnensteppe zu verlassen. Die MYGULL befand sich an einem der vorgelagerten Koordinatenpunkte. Ein weiteres Vordringen in den Weltraum der nahen Umgebung verbot sich; niemand dachte je daran. »Das überrascht mich«, stellte Shourad fest. Im Umgang mit Angehörigen höherer Kasten war es dringend notwendig, sich aller drastischen Äußerungen zu enthalten. Ferner schätzen Umsetzer und Planetarier einen betont sachlichen Dialog. Einen Planetarier hatte Shourad allerdings noch nie wirklich gesehen. Er nahm sich zusammen und versuchte, seinen Zorn nicht zu zeigen. »Wir warten hier, wie üblich, an Ort und Stelle. Kommt dieses Schiff nicht, dann kommt ein anderes. Deine Meinung?« Kosnach brauchte, um Kommandant bleiben zu können, ebenso schnellen Erfolg wie Shourad. Vielleicht entschied sich Jullert für den Besseren, dachte der Pilot. Er war der Bessere. Es lag an ihm, den Umsetzer zu überzeugen. »Wir warten«, bestätigte er. »Schließlich ist die Beute für alle Jupter da.« »Eine Antwort, die deine Klugheit bestätigt«, sagte der Umsetzer und schaltete den Interkom aus. Der Pilot war jetzt weitaus sicherer. Kosnach war also nicht mehr länger in der Gunst des Umsetzers! * Die Steppenpiraten waren gewohnt, lange zu warten. Tief im Innern der MYGULL-144 verarbeiteten sie die riesige Menge jener Teile, die sie zuletzt erbeutet hatten. Ein ganzes Raumschiff war mittlerweile auseinandergenommen und in seine Einzelteile zerlegt worden. Jedes Stück Material konnte verwendet werden. Auch Kosnach wartete mit steigender Ungeduld. Er konnte nicht genau sagen, warum er so sicher war, daß der Fremde zurückkommen würde. Wenn er an die Beute dachte, mußte er sich sagen, daß es sogar ausgesprochen unwahrscheinlich war. Selbst wenn das Schiff es ein zweitesmal versuchte, würde der Kommandant logischerweise einen anderen Weg und ein anderes Ziel suchen. Aber: Logik und Gefühl waren zwei verschiedene Dinge. Der Steppenpirat drückte einen Schalter. Sofort meldete sich Jullert. Er schien auf den Kontakt gewartet haben. »Ich habe eben mit dem Bordobservatorium gesprochen«, eröffnete der Kommandant die Auseinandersetzung. »Haben sie etwa ein bewegliches Objekt auf Kollisionskurs gesehen?« fragte der Umsetzer. Sein Kazmortel kletterte auf dem rechten Arm des unteren Armpaares herum und wandte den winzigen Kopf. Knopfaugen betrachteten den Kommandanten. »Nein. Aber sie lieferten eine interessante Einzelheit.«
»Ich höre?« »Das Schiff, das wir beinahe gefaßt hätten, hinterließ keinerlei energetische Spuren.« »Unglaublich!« antwortete Jullert scharf. »Das will ich meinen. Wenn sie sich nicht irren…« »… dann ist die Beute noch wertvoller, als ich dachte«, unterbrach der Ranghöhere. »Ich werde gleich mit den Spezialisten am Strukturtaster und am Tiefenraumspürer sprechen.« »Das macht dein Verwandter gerade«, bemerkte der Kommandant voller Ärger. Jullerts dunkle Stimme schwoll an und wurde unerwartet scharf. »Ob Shourad mit mir verwandt ist oder nicht, das hat auf meine Entscheidungen keinerlei Einfluß. Umsetzer und Planetarier sind ebensowenig bestechlich wie der Erleuchtete. Oder willst du etwas anderes andeuten?« Kosnach schloß die Membran über seinem Multiorgan. »Nein. Es steht einem Gemeinen nicht zu, so etwas zu denken«, sagte er schließlich. »Was soll ich tun?« »Warten.« Tatsächlich hatten Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Steppenpiraten wenig Bedeutung. Die Piraten, ein einheitliches Volk, dessen Angehörige niemals den Planeten ihrer Herkunft verraten würden, wußten zwar, daß es unterschiedliche Lebensformen gab. Die Insassen der Raumschiffe, die »von draußen« kamen, zeigten es ihnen. Aber sie verstanden nicht, daß offensichtlich viele Sternenvölker sich nur zweigeschlechtlich vermehren konnten. Steppenpiraten pflanzten sich durch Zellteilung fort, wenn ein bestimmtes Reifestadium erreicht war. Zwar wurden die Kinder erzogen und besaßen eine bestimmte Form der Anhänglichkeit, aber diese schwächte sich im Lauf der Jahre bis zur Bedeutungslosigkeit ab. In welcher Form Shourad mit dem Umsetzer verwandt war, ob Karadja, Bi-Karadja oder Radja-Karkar, wußte der Kommandant nicht. Es gab nur Gerüchte an Bord. Es war ihm auch gleichgültig. Aber auf diese Weise konnte er den Umsetzer ein wenig ärgern. »Warten also«, meinte er. »Du meinst, das Schiff kommt nicht wieder?« »Ich bin sehr skeptisch. Vielleicht kommt ein anderes. Es ist noch zu früh, einen anderen Platz anzufliegen und dort auf die Lauer zu gehen.« »Ich habe verstanden.« Die Sichtverbindung wurde getrennt. Noch lange waren die Laderäume der MYGULL nicht gefüllt. Die Gemeinen, deren Pflicht es war, die Umsetzer und Planetarier mit Beute zu versorgen, brauchten keine Befehle. Der Befehl des Juwels ließ ihnen allen freie Hand, und nur der Erfolg zählte. Kommandant Kosnach nestelte an seinem Halsband. Wie bei allen Gemeinen war es grün. Flegg flatterte plötzlich auf, beschrieb über dem Kopfteil des Jupters einige enge Kreise in schnellem Flug und stieß ultrahohe Töne aus. Der Kommandant stand auf. Jetzt befand er sich in seinem privaten Raum unmittelbar neben der Hauptzentrale. Blitzschnell huschte der Blick seiner drei Augen über die Anzeigen und Monitoren. Sie zeigten keine Veränderungen an. Auch die Kommunikations-Schirme, die ihn mit Ortung und Tiefraumspürer verbanden, blieben ohne diese Aufmerksamkeits-Zeichen. »Gut gemacht!« lobte er den Warner. »Komm mit. Das kann nur eines bedeuten.« Der Kazmortel flatterte über seinem Kopf, als das Schott zur Hauptzentrale aufglitt. Auch Shill, der Warner des Piloten, beschrieb aufgeregt Kreise um dessen gelben, haarlosen Kopf.
»Hast du eine Ahnung, was das bedeutet, Shourad?« wollte der Kommandant wissen. Noch zögerte er, den Alarmknopf zu drücken und damit die gesamte Mannschaft in die Zentrale zu rufen. »Ich kann mir nur eines denken«, sagte der Pilot. »Das Schiff.« »Das seltsame Schiff ohne aufspürbaren Maschinen-Partikelstrom, oder was auch immer.« »Also habe ich den falschen Standpunkt vertreten!« murmelte der Pilot. Kosnach konnte es sich jetzt leisten, großzügig zu sein. »Das wird sich zeigen. Es ist erst ein Impuls. Der Warner warnt nur vor Gefahren. Ich sehe nichts.« Sie waren unruhig, weil sie die Gefahren nicht erkennen konnten. Sämtliche Kontrollanzeigen, von denen die Situation innerhalb des eigenen Schiffes dokumentiert wurde, zeigten normale Werte und Zustände an. »Eine Gefahr von außen!« stellte der Kommandant fest. »Fragen wir den Umsetzer.« Es war nicht nötig, denn Jullert meldete sich in diesem Augenblick. Sein Oberkörper sprang auf dem großen Kontrollschirm förmlich in die Zentrale hinein. Sein Kazmortel schwirrte pfeifend und zirpend um ihn herum. Die Augen, im Dreieck angeordnet, funkelten aufgeregt. »Ich sehe«, ließ sich seine Stimme vernehmen, »daß eure Warner auch Alarm geben. Das muß das Schiff sein. Deine Chance, Kosnach. Ich empfehle dir, nicht allzu unvorsichtig vorzugehen.« »Ich bin kein junger Karadja«, sagte Kosnach. »Noch sehen wir nichts.« Sie brauchten sich nicht weiter zu verständigen. Kosnach drückte den Alarmknopf. Binnen weniger Minuten füllte sich der Kontrollraum mit den Fachleuten der Piratenbesatzung. Wenn die Kazmortel warnten, hieß das im Zweifelsfall, daß die erwartete Beute für das Piratenschiff eine unbestimmte Gefahr darstellte. Also keine leichte Beute. Das wußte der Pilot ebensogut wie der Kommandant. Erregung breitete sich aus, als die Jupter das Schiff startfertig machten. Der Gedanke an die nächste Beute, an die Schätze, die sich im Bauch des fremden Schiffes befanden, ließ die Erregung steigen. Mit kurzen Kommandos verständigten sich die Steppenpiraten. Schließlich meldete der Pilot: »Die MYGULL ist startklar. Alles ist bereit.« »Ich auch. Fehlt nur noch der Fremde.« Einige Piraten lachten zurückhaltend. Unaufhörlich wechselten die Vergrößerungen auf den Bildschirmen. Die Tiefenraumspürer zeigten ständig andere Konfigurationen von Sonnen und kosmischer Materie, je mehr sie sich in jenen Teil von »Draußen« vortasteten. Auf den Reliefdarstellungen der Ortungsmonitoren zeichneten sich lediglich unbewegte Punkte ab. Die Zeit verstrich, ereignislos und quälend langsam. Kurz vor dem Augenblick, an dem die Langeweile und die ersten Gedanken an Abbruch der Startbereitschaft sich ausbreiteten, meldete sich die Tiefenraum-Abteilung. »Kontakt.« Zwischen den dunklen Ringen, die helle Sonnen symbolisierten, erschien für Sekundenbruchteile ein blinkendes Pünktchen. In die Stille der Hauptzentrale hinein sagte der Kommandant: »Das ist es! Unsere Beute, Jupter!« Das Echo befand sich fast an genau derselben Stelle wie beim ersten Anflugsversuch. Es zeigte sich nur kurz, aber in unübersehbarer Schärfe, dann verschwand es wieder. Einige Sekunden Pause, und das Echo erschien zum zweitenmal. Gegen die gewaltige, starre Kulisse von Tausenden Sonnen in diesem Sektor, nicht ganz im Zentrum der ovalen Öffnung des schlauchartigen Durchlasses, nahm
sich das Signal winzig aus. Aber für jeden Steppenpiraten war es deutlich genug. »Ausgezeichnet.« »Noch nicht starten. Lasse ihn ganz herankommen. Wir sind zwar noch nicht am Tabu-Limit, aber…« »Verstanden.« Sie schalteten die Bildschirme in die Interkom-Anlage der MYGULL. Die Steppenpiraten in den vielen anderen Räumen des Schiffes sollten ebenfalls die Informationen haben. Wieder wurde das Schiff unsichtbar, genauso wie vor endlosen Stunden. In seinen Flugbewegungen lag aber im Gegensatz zu den ersten Beobachtungen eine herausfordernde Geradlinigkeit. »Kosnach. Sie kommen schnell näher. Wenn ich extrapoliere«, sagte der Pilot knapp, »sind sie in wenigen Minuten dicht vor uns.« »Denke ich auch. Bereite den Start vor und die Manöver zum Einfangen und Festhalten.« »Schon dabei.« »Da ist er wieder, der Fremde.« Alle Augen hingen an den großen Bildschirmen. In einzelnen Sprüngen, dabei stetig schärfer und deutlicher zeichnend, näherte sich das Raumschiff. Shourad fragte nach hinten: »Gibt es schon Einzelheiten über die Größe und andere Parameter?« »Nein. Noch zu weit entfernt.« Auf den Schirmen im normaloptischen Bereich und, weniger großartig, auch durch die Sichtscheiben, breiteten sich nahe und fernere Sonnen aus, und dahinter das Gewimmel der Sternhaufen und Spiralen des Bereichs außerhalb von Alkordoom. Schräg vor der Position des Piratenschiffs zeigte sich die nächstgelegene Öffnung des mehrfach gewundenen Schlauches, der in größerer Entfernung nur noch als Gebiet mit dünnerer Sonnenkonzentration zu erkennen war. Wieder blinkte der Impuls; noch immer war er mit den scharfen Augen der Jupter nicht direkt zu sehen. Die MYGULL nahm langsam Fahrt auf. Der Impuls blieb mehrere Minuten an einer Stelle, verschwand und erschien wieder. Diese Manöver wiederholten sich noch einige Male. Schließlich, als die Vergrößerungen einwandfrei die langgestreckte Spindelform des Schiffes zeigten, erschienen die Ergebnisse der Messungen. »Hervorragend!« rief mit flatternder Membran der Kommandant. »Eine Maßangabe, die nicht besser sein könnte. Manöver einleiten, Shourad.« Noch verbarg sich die MYGULL-144 in dem Gebiet einer Sonnenkorona, die von dem Gestirn wegdriftete und in die Richtung eines Weißen Zwerges führte. Das Schiff bewegte sich innerhalb der düster glimmenden Gaswolke auf den Eindringling zu. »Die Beute paßt genau zwischen die Fesselfeld-Projektoren hinein!« erklärte ein Schalttechniker. »Und der Fremde, er sieht uns nicht.« »Noch nicht«, sagte der Kommandant. Die Warner aller Jupter in der Hauptzentrale schwirrten aufgeregt umher und zirpten und zwitscherten. Niemand dachte an mögliche Gefahren, jeder Pirat freute sich auf die nächsten Vorgänge und, auf einen möglichst schnellen Erfolg. Die Beute schwebte heran, sie bewegte sich in kurzen Sprüngen, und der Pilot schien sicher zu sein. Die Mentalstrahlung, die ihn verwirren sollte, schien nicht zu wirken. Da die Steppenpiraten sie grundsätzlich nicht spürten, maßen sie dieser vagen Beobachtung aber keine sonderlich große Bedeutung zu.
»Sie haben uns noch immer nicht aufgespürt«, wunderte sich der Pilot und leitete eine Geschwindigkeitsvergrößerung ein. Die MYGULL-144 schwebte langsam auf die Beute zu. Das fremde Schiff, eben noch knapp unterlichtschnell, bremste ab und schlug einen Kurs ein, der es zwischen den einzelnen Sonnen hindurchführen sollte. »Wir fangen an. Höchste Konzentration!« ordnete der Kommandant an. Die schweren Sessel der Jupter kippten die Lehnen nach vorn. Gurte schlossen sich, immer mehr Kontrollpunkte zeigten farbige Lichtfelder und zuckende Zeiger. Das namenlose fremde Schiff glitt in weit auseinandergezogenen Kurven auf einen Punkt zu, den die MYGULL jetzt erreichen mußte. Die Fesselfeld-Projektoren wurden ausgesteuert. Die Annäherung war vom Fremden noch immer nicht bemerkt worden! Er wurde langsamer, wohl um sich neu zu orientieren. Oder er stand jetzt endlich unter dem Einfluß der mentalen Strahlung der Sonnensteppe. Beide Schiffe befanden sich auf Kollisionskurs. Unsichtbar griffen die energiereichen Strahlen in den Raum hinaus, wurden gebündelt und auf einen gemeinsamen Punkt konzentriert. Mit schweigender Zuverlässigkeit arbeiteten mehr als zwei Dutzend Jupter zusammen, um den Fremden zu kapern. Kosnach beobachtete an seinem Kommandantenpult jeden einzelnen Vorgang und mußte sich eingestehen, daß Shourad ein hervorragender Pilot war. Er steuerte die MYGULL in einem schnellen Manöver an den Fremden heran. Im selben Moment schwenkten die Fesselfeldstrahlen herum und packten den Fremden gleichzeitig an beiden Enden seines langgezogenen Körpers. »Hervorragend!« kommentierte Jullert vom Bildschirm herunter. In der Sekunde, als die Strahlprojektoren auf Höchstleistung geschaltet wurden, reagierte der fremde Pilot. Er beschleunigte ruckartig, drehte und raste davon, schräg vor der MYGULL vorbei und durch einen fingerähnlichen Ausläufer der Gaswolke. Die MYGULL folgte mit einem mühelosen Manöver. Eine Strecke von zwei Lichtsekunden lang jagten die Schiffe durch das wirbelnde Gas, dann scherte die MYGULL aus, wurde schneller, überholte den Fremden und setzte gezielt die Strahlen ein. Noch während der Pilot abbremste, sich gleichzeitig der Spindel näherte, die Beute herangezogen und in die richtige Position gebracht wurde, drehte sich die MYGULL halb und schob sich an den Fremden heran. Das Schiff mußte zwischen die beiden Endpunkte der Fesselfeldstrecke gebracht und dort arretiert werden. Unaufhaltsam näherten sich die Körper, die Maschinen arbeiteten und versetzten den Diskuskörper und die Konstruktion des riesigen Bügels in Vibrationen und drehten die Beute in die richtige Position. Farbige Strahlen wurden projiziert und bildeten Markierungslinien. »Wir haben ihn!« »Ausgezeichnet. Verankerung einleiten.« Die Eigengeschwindigkeit beider Körper war jetzt identisch. Die Drehbewegung des Piratenschiffs hörte auf, zusätzliche Fesselfelder schalteten sich an und preßten die Beute genau an die vorbestimmte Stelle. Der Kommandant brauchte nur wenige Befehle zu geben. Die Zusammenstellung der Außenkommandos war längst getroffen worden. Die Jupter in den schweren Raumanzügen, durch energetische Leinen gesichert, standen schon in den Schleusen und bemannten die kleinen Raumfahrzeuge mit all ihrer technischen Ausrüstung, als der Rumpf des
Fremden noch schwankte und seine Bewegungen gestoppt wurden. Von allen Seiten strahlten Scheinwerfer die große, gerundete Masse des Rumpfes an, obwohl die Nähe einiger riesiger Sonnen genügend Helligkeit produzierte. Als die ersten Testkommandos die Beute erreichten und ihre Scheinwerfer die Struktur der Außenhaut erkennen ließen, machte sich eine Welle des Erstaunens bei den Juptern bemerkbar. Das fremde Raumschiff war nicht mehr länger eine langgezogene Spindel. Die Außenhülle zeigte sich keineswegs als glatt und metallisch. Zwischen den Polpunkten der riesigen Batterien von Fesselfeldern hing ein Steinbrocken, ein Asteroid mit zerklüfteter Felshülle, unregelmäßigkantig, dunkel und rauh, mit einem Durchmesser, der etwa fünfundzwanzig Jupter-Längen entsprach. Die Steppenpiraten ließen sich nur kurze Zeit verblüffen, dann setzten sie mechanische Prüfgeräte ein, Energiestrahlen und Explosivkörper. Die Sicherheit, tatsächlich einen unbelebten Gesteinsbrocken von beträchtlichen Ausmaßen gefangen zu haben, setzte sich langsam und enttäuschend durch die Demontageräume, die Quartiere und die verschiedenen Zentralen fort. Der gesamte Vorgang blieb ein einziges Rätsel. Schließlich schaltete sich der Umsetzer in den Sprechfunkverkehr ein und beschwor die Jupter, beim Befehl des Erleuchteten, den Fels aufzubrechen, koste es, was es wolle. Seine barsche Stimme ließ nicht erkennen, daß die Enttäuschung ihn tief getroffen hatte.
5. Langsam entfernten sich die weichen, federnden Kissen, die wie Arme oder riesengroße, schützende Hände aus Boden und Wand herausgewachsen waren. ANIMA bewegte sich nicht mehr. Das Imustil war tatsächlich ein hervorragendes Medikament. Es hatte uns gerettet, denn achtmal kam wieder der persönliche Terror der mentalen Strahlung über uns alle. Jetzt schien die Strahlung sehr schwach geworden zu sein. Ich fühlte mich noch immer kräftig und kaum von Kopfschmerzen oder anderen Erscheinungen der Sonnensteppe erschöpft. »Offensichtlich sind deine Eigenbewegungen zum Stillstand gekommen, ANIMA?« fragte ich und kam auf die Füße. Das Schiff hatte uns etwa eine halbe Stunde lang in seine schützenden Kokons gehüllt. »Richtig. Wir befinden uns in der Gewalt von Fesselfeldern«, lautete die Antwort, die erkennen ließ, daß das lebende Raumschiff wenig beeindruckt und schon gar nicht verängstigt oder verwirrt war. »Strahlung?« »Im Moment so unbedeutend wie nie auf dem bisherigen Flug. Sieh hinaus, Freund Atlan.« »Sofort.« Durch Sichtluken und die wenig leistungsfähigen Anlagen der KORALLE hatten wir, Dhonat und ich, die Vorgänge zum Teil beobachten können. Er und ich sprachen auf das Medikament wohl am besten an; unsere Freunde hatten teilweise stark darunter gelitten, daß Wachträume, Heimweh oder andere Phänomene sie heimgesucht hatten. »Ich habe die Bedeutung dieses mehr als ungewöhnlich gebauten Schiffes noch nicht erkannt«, sagte ANIMA. Immerhin hatte ich die Diskusform und den wuchtigen, kantigen Bügel im roten Licht einer Sonne und später in der düsteren, diffusen Beleuchtung glimmender Gasmassen mehr oder weniger deutlich erkennen können. Die wahre Größe zeigte mir der Bildschirm des Beiboots mit den eingeblendeten Meßlinien und Ziffern. »Dhonat! Hierher!« rief ich und blieb vor einer durchsichtigen Fläche stehen, die eine ungewöhnliche, fast prismatische Form angenommen hatte. Zweimal huschte ein grellweißes Licht außen darüber hinweg. Ich näherte das Gesicht dem Pseudoglas. Zuerst sah ich, hart ausgeleuchtet durch einen ultrastarken Scheinwerfer, einen Teil der ANIMAAußenhülle. Ich mußte lachen. Dhonat schob mich zur Seite und knurrte: »Was ist daran so lustig?« Dann begriff er es auch. »Die Wirklichkeit ist immer ganz anders als die beste Vorstellung«, sagte er. »ANIMA hat sich in einen Felsbrocken verwandelt.« »Nur die Außenhülle scheint Fels zu sein. In Wirklichkeit ist sie härter… und ganz anders«, erklärte ANIMA fröhlich. »Wir sind durch starke Fesselfelder gefangen.« »Gib uns Zeit«, bat ich. »Wir sind auf die zweite Gefahr der Sonnensteppe gestoßen. Ein Abfangschiff oder dergleichen.« Der Steppenforscher schlug mit der Linken gegen das nachgiebige Material des Hangars und sagte dann stockend und mit veränderter Stimme: »Meine Träume! Ich ahnte es immer. Sie mögen in deinen Augen verwirrt und seltsam sein. Aber solche Dinge habe ich in ihnen gesehen und erlebt, Atlan!« »Ich glaube es dir«, antwortete ich.
Er bezog seine Motivation, auch um den Preis von Gefahren, selbst des eigenen Lebens die Sonnensteppe zu erforschen, aus diesen Träumen. Wir hatten lange darüber gesprochen. Jetzt warf ich einen zweiten, langen Blick nach draußen und prägte mir die Einzelheiten dessen, was ich sah, genau ein. Die annähernd glockenförmigen Gestalten in Raumanzügen mit acht oder mehr Ärmeln und Fußteilen waren knapp zwei Meter groß. Sie schwebten um den falschen Asteroiden herum; natürlich konnten wir nur einen schmalen Ausschnitt erkennen. Wir blickten schließlich aus der Tiefe eines Felsspalts heraus. Unter uns lag die gewölbte Oberfläche des Diskus. Ich sah im zuckenden Licht vieler kleiner Scheinwerfer und in den riesigen Lichtbahnen der fest installierten Strahler die Innenfläche des Bügels. Lichtbahnen? Ich blickte genauer hin: wir befanden uns also in einer dichten Gas- oder Staubkonzentration, die Lichtstrahlen diffus werden ließ. Die fremden Raumfahrer hantierten mit irgendwelchen Geräten, mit denen sie am Pseudofels arbeiteten und ihn aufzubrechen versuchten. »Möglicherweise Piraten«, sagte Dhonat. »Hier, Kolport, sieh dir das an!« Kolport und Wasterjajn hatten die Kabinen und die Schutzkissen verlassen und gingen auf ein zweites Fenster zu, das ANIMA erstellte. Der Riese musterte zuerst Dhonat, dann mich, als ob ich seinem Herrn etwas Unangenehmes getan hätte. Er grunzte zufrieden und widmete sich der seltsamen Aussicht. »Sonnensteppe. Piraten. Also Steppenpiraten«, erklärte er in selbstverständlichem Ton. »Eine gute Wortschöpfung«, gab ANIMA zu. »Noch kann ich leicht den Versuchen, einzudringen, widerstehen.« »Sie geben auf, wenn sie merken, daß du unzerstörbar bist«, sagte ich. »Kannst du etwas gegen die Fesselfelder tun?« »Ja. Ich litt unter der Strahlung, als sie mich zum zweitenmal packten. Oder aber sie versuchen erst recht, mein kostbares Innenleben zu erforschen. Widerstand fordert oftmals heraus.« »Auch möglich«, meinte ich. Der Logiksektor meldete sich nach längerer Zeit wider. Ihr seid die vorläufige Beute von Piraten geworden. Das Schiff scheint speziell dazu gebaut worden zu sein, Raumschiffe zu fesseln und auszuschlachten. Über unsere Gegner tappten wir im dunkeln. Immerhin erkannten wir, daß erstens ANIMA vorübergehend gefangen war und von einigen Dutzend großer, annähernd glockenförmiger Wesen mit vier Armen und ebenso vielen Beinen umschwärmt wurde. Das Schiff erklärte: »Ich bin von starken Fesselfeldern gehalten. Sie werden von Projektoren im Zentrum des Diskus und am Ende des Bügelauslegers erzeugt.« »Verstanden. Und du bist noch immer sicher, deren Kraft brechen zu können?« wollte Dhonat wissen. »Mit wenig Mühe.« Ich wandte mich an den Chefdenker der Steppenforscher. Inzwischen drängten sich alle Besatzungsmitglieder vor den Sichtscheiben und blickten nach draußen. Vorsichtig erweiterte ANIMA die zackigen Flächen, und wir erkannten mehr Einzelheiten. »Schlage eine Möglichkeit vor, mit ihnen in Kontakt zu treten«, sagte ich und ahnte seine Antwort. Er fuhr herum und rief zornig: »Mit diesen Piraten? Wozu? Es gibt bessere Methoden, Auskünfte zu bekommen.« »Jede Information, die wir schon hier erhalten«, wandte ich besänftigend ein, »nützt uns später.« »Eigentlich auch wahr«, dröhnte Kolport.
Ich zeigte auf die KORALLE und sagte: »Ich nehme es auf meine Verantwortung. Ich werde versuchen, im Rahmen meiner Möglichkeiten mit ihnen zu sprechen. Ein Versuch kann nichts schaden.« Sender und Empfängereinrichtung der KORALLE waren in das Zellmaterial des Schiffes eingebettet und ragten nach draußen. Ich hatte sie mit langen Kabeln mit den Geräten verbunden. Auf diese Weise war ich von den akustischen Mitteilungen AN IM AS und von den direkten Aussichten durch transparente Flächen unabhängig. Dies galt für Funk ebenso wie für Nahortung und Nahbeobachtungen. Ich aktivierte die Geräte, setzte mich zurecht und versuchte, über die gesamte Breite der Skala einen Funkspruch aufzufangen oder abzusetzen. Ich hätte mir die Arbeit sparen können. Der Logiksektor hatte eine sehr wahrscheinliche Erklärung. Es sind Piraten. Sie wollen nur Beute machen. Zudem verstehen sie vermutlich nichts von dem, das von »draußen« kommt. Ich versuchte es trotzdem mit allen technischen Einrichtungen der KORALLE, die einer denkbaren Verständigung dienen konnten. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, einen Scheinwerfer auszubauen und zum nächsten Sehschlitz zu tragen, um dort Lichtsignale geben zu können. Ab und zu drangen seltsame Geräusche durch die riesigen Massen der Raumschiffszellen. Die Piraten versuchte, durch die Hülle einzubrechen und wandten ihre Geräte und Maschinen an. »Es ist zwecklos.« Ich stand auf, ging wieder zu den Sichtflächen und blickte schweigend und nachdenklich auf die bewegte Szenerie oberhalb des sanft geschwungenen und abgerundeten Diskus, dessen Oberfläche von den Luken, Segmenteinteilungen und zahllosen niedrigen Aufbauten, Sensoren oder Gerätschaften zerklüftet war. Von überall her leuchteten starke Scheinwerfer. »ANIMA?« Ich hatte einen Verdacht, der sich schnell bewahrheiten konnte. »Ich höre.« »Bewegt sich das andere Schiff deiner Meinung nach auf ein bestimmtes Ziel in größerer Geschwindigkeit zu? Ich kann nur erkennen, daß es fliegt.« »Deine Befürchtung besteht zu Recht. Es dringt tiefer in die Sonnensteppe ein.« »Dann wird es wohl an der Zeit, daß du wieder die Initiative übernimmst«, drängte Dhonat das Raumschiff. »Gebt das Signal.« »Noch nicht sofort.« Wir versammelten uns um das Beiboot und diskutierten unsere nächsten Schritte. Das Medikament Dhonats wirkte, zudem schien im Augenblick die Mentalstrahlung einen sehr niedrigen Wert erreicht zu haben. Die Kjok-Twins schlugen übereinstimmend vor, ein Sonnensystem anzufliegen, auf dessen Planeten man landen konnte, und der möglichst auch noch eine atembare Atmosphäre aufweisen sollte. »Zusammen mit unserem Kaperer?« fragte ich. »Sie sind sicher auskunftsfreudiger, wenn wir sie gezwungen haben«, mutmaßte Wasterjajn Kaz. »Hörst du? Sie wollen mit allen Mitteln das Geheimnis des Steinbrockens enthüllen.« Ich nickte schließlich. »ANIMA. Du hast dich offensichtlich erholt. Hast du verstanden, was wir besprochen haben?«
»Weitestgehend. Formuliere eure Wünsche bitte noch einmal.« Das lebende Raumschiff bot, verglichen mit einer herkömmlichen Konstruktion, eine große Menge schierer Vorteile. Obwohl weitaus kleiner und ärmer an Masse als dieses Piratenschiff, schien ANIMA stärker, schneller und behender zu sein. »Fliege einen beliebigen Planeten an. Ich unterstütze dich mit der Nahortungsanlage der KORALLE. Dort setze uns ab, möglichst im Bereich der Sonnenstrahlung, also am Tage. Vielleicht gelingt es dir, das andere Schiff ein wenig zu ramponieren. Ich fürchte ihre Geschütze oder andere Einrichtungen.« »Verstanden und einverstanden. Haltet euch fest, Freunde«, antwortete dieses unbegreifliche Werkzeug der Kosmokraten. Einige Sekunden lang durchliefen starke Vibrationen das Schiff. Dann schienen die beiden aneinander gefesselten Schiffe den Kurs geringfügig zu ändern. Natürlich nützte ANIMA den Eigenimpuls des Kaperers aus, um in kürzerem Zeitraum größere Geschwindigkeit zu gewinnen. Dann erst aktivierte sie ihren Antrieb voll. Das Schiff der Steppenpiraten wurde auf einen neuen Kurs gezwungen, der aber auch ins Innere der Sonnensteppe führte. Mit bloßem Auge war nichts zu erkennen, aber als ich in den Pilotensitz der KORALLE zurückging und meine Geräte kontrollierte, ergaben sich klare Werte. Ich fing an, die Bildschirme der Nahortung zu justieren. Sehr lange konnten wir diese seltsame Fortbewegungsweise nicht durchhalten. Dhonat und Wasterjajn riefen voller makabrer Heiterkeit: »Die Piraten dort draußen – du solltest sie sehen. Sie rasen wie betrunkene Drawns in ihre Schlupflöcher zurück.« Ich wußte nicht, was Drawns waren, aber vermutlich handelte es sich um irgendwelche Käfer. Schließlich gelang es mir, die Empfangsantenne der Ortung so einzustellen, daß ich erkennen konnte, was in Flugrichtung vorging. Im Hintergrund befanden sich Sonnen unterschiedlicher Größe und Charakteristika. Ich versuchte, einen Planeten zu finden, der den Wünschen meiner Freunde entsprach. »Ich merke, ANIMA, daß du im vollen Besitz deiner bemerkenswert großen Kräfte bist«, sagte ich halblaut. »Bravo. Ich wäre verloren, hilflos, verwaist – ohne dich.« »Ich weiß, daß du übertreibst, aber es freut mich, wie du es tust«, antwortete sie ohne eine Spur Ironie. Wir zwangen das fremde Schiff, den von uns gewählten Kurs zu fliegen. ANIMA hatte einen Kontaktknoten entwickelt, der auf einem schlangenartigen Stiel ruhte und auffing, was die Bilder des kleinen Beiboots zeigten.
6. Shourad begann sich erst in dem Moment zu fürchten, als er merkte, daß sich der Kurs der MYGULL änderte. »Kosnach«, sagte er zum Kommandanten, der zufällig neben ihm stand, »es gehen merkwürdige Dinge vor.« Etwa drei Viertel aller Warner waren in heller Aufregung und flatterten wild in der Zentrale umher. »Wie? Was sagst du?« »Dieser Steinklotz dort draußen, Kommandant. Gib den Befehl, die Fesselfelder abzuschalten. Er ändert unseren Kurs.« Gleichzeitig versuchte er, die Triebwerke der MYGULL so einzusetzen, daß der fremde Effekt aufgehoben wurde. Der Energieeinsatz kletterte höher und höher, aber die fremde Kraft neutralisierte alle Anstrengungen, wieder auf den alten Kurs zu kommen. Mit ersten Anzeichen von Panik sah der Kommandant zu, wie sich Shourad vergeblich abmühte. »Nein«, sagte Kosnach schließlich. »Wir warten. Ich rufe die Demonteure zurück.« Er ging zu seinem Pult und gab die entsprechenden Befehle. Die Geschwindigkeit des Schiffes wuchs, offensichtlich nicht nach dem Willen der Steppenpiraten. Der Pilot entfesselte sein ganzes Können, hantierte wie ein Rasender mit den Hebeln und Reglern, das Schiff wich aber nicht von seinem ungewollten Kurs ab. »Siehst du die Warner? Hörst du die Kazmortel?« rief Shourad aufgeregt. »Es ist nichts mit deinem Erfolg. Sieh das doch ein.« »Ich denke nicht daran. Ein Raumschiff, das zu einem Steinbrocken wird – etwas Lohnenderes haben wir noch nie eingefangen.« »Der Steinbrocken wird uns umbringen!« schrie der Pilot. »Wir werden ihn mit den Geschützen aufbrechen!« versprach der Kommandant und sah zu, wie die Kommandos sich in rasender Eile in die Bereitstellungsschleusen zurückzogen. Einige Scheinwerfer wurden ausgeschaltet. »Du weigerst dich«, rief Shourad. »Das Geheimnis wird eine tödliche Gefahr sein.« »Ich bin der Kommandant. Ich werde das Objekt befreien, wenn es an der Zeit ist.« »Und Jullert? Was denkt er darüber?« Shourad vergaß seine persönlichen Probleme. Er kämpfte gegen sich selbst und unterdrückte den Impuls, sich auf Kosnach zu stürzen. Ihm war das Innere dieses Fundes völlig gleichgültig. Er ahnte, daß sich dort jene Gefahr verbarg, vor der die Kazmortel wie rasend warnten. Bisher hatte kein Pirat jemals gefragt, ob die Beute gefährlich war oder eine besondere Bedeutung hatte. Mitleidslos waren die Insassen versklavt oder im Kampf getötet, sämtliches Material zerlegt und zum größten Teil an Planetarier und Umsetzer abgegeben worden. »Jullert fürchtet sich ebenso grundlos wie du«, lautete die grimmige Antwort. Shourad hätte zufrieden sein können, denn er wußte mit Gewißheit, daß Jullert und Kosnach im Unrecht waren. Es würde sich bald zeigen. Aber er war Pilot, und das hieß für ihn, daß er für das Schiff verantwortlich war. Zumindest fühlte er sich verantwortlich. Er sah voraus, daß die MYGULL-144 ernsthaft in Bedrängnis kommen konnte. Der Steinbrocken wurde ihm von Minute zu Minute unheimlicher. »Und wer befiehlt in diesem verdammten Schiff?« Die Mannschaft in der Hauptzentrale wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte. Ein solcher Streit
war ungewöhnlich. Er hatte nichts mit Meinungsverschiedenheiten mehr zu tun. Aufgeregtes Murmeln, das Zwitschern und Pfeifen der Warner, schnarrende Laute aus den Pulten, eine Sirene aus einem offenen Schiffskorridor, diese Geräusche vermischten sich zu einer Kulisse, wie es sie noch nie in der MYGULL gegeben hatte. Selbst hartgesottene Jupter packte das Grausen. »Im Zweifelsfall der Erleuchtete«, gab der Kommandant zurück. Der rasend schnelle Flug ging weiter. Die fremdartige Mannschaft im Inneren der Beute bestimmte den Kurs. Der Planetoid schleppte das Piratenschiff durch genau jenen materiearmen Raumkorridor, durch den auch der Weg ins Innere der Sonnensteppe führte. »Noch nie war die Beute unseren Maschinen überlegen!« versuchte es der Pilot noch einmal mit einem zutreffenden Argument. »Noch niemals war sie so interessant.« Das Ringen zwischen den Kräften der beiden Triebwerke ging weiter. Ein weiterer erstaunlicher Punkt war, daß in der undurchdringlichen Schale der Beute keinerlei Hinweis auf Triebwerke oder Maschinen zu finden waren. »Du meinst, es ist die Beute deines Lebens?« schrie der Pilot durch den lauter werdenden Stimmenlärm der Zentrale. Dann betätigte er abermals den Rufknopf, mit dem er Jullert, den Umsetzer, erreichen wollte. Aber der Vorgesetzte meldete sich nicht. Dafür schaltete sich die Ortungsabteilung ein. »Seid ihr alle verrückt in der Zentrale? Wir rasen in unser Unglück!« dröhnte eine Stimme. »Wer hat diesen Irrsinn befohlen?« »Das geht dich an«, schrie der Pilot. »Sag’s ihnen, Kosnach.« Auf den Ortungsschirmen zeichneten sich einige Sonnen ab. Der Pilot kannte diesen Ausschnitt der Sonnensteppe ziemlich genau. Er wußte, daß es dort in erreichbarer Nähe mehrere Planetensysteme gab. Konnte es tatsächlich sein, daß der unheimliche Fremde wußte oder erkannte, wohin er die zwölfhundert Steppenpiraten riß? Jullert kam in die Zentrale hereingerannt. Er trug den schweren Raumanzug; ein Zeichen, daß er selbst die Beute näher untersucht hatte. Seine drei Augen richteten sich auf den Kommandanten. Die Membran über dem Multiorgan war hart gespannt vor Erregung. »Kosnach! Willst du uns umbringen?« »Niemand hat das vor«, verteidigte sich der Kommandant. »Und auch dein Befehl wird nichts daran ändern.« »Du willst nur deine Karriere vorantreiben. Was nützt dir der Status als Planetarier, wenn wir alle tot sind?« »Ich schlage ihn nieder«, murmelte der Pilot und erntete leise Zustimmung von anderen Juptern. Die Farben und Ziffern der Geschwindigkeitsanzeiger standen im höchsten Bereich. »Er ist verrückt!« Nach einigen Minuten stand er auf, blieb vor Kosnachs Sessel stehen und sagte, für jeden deutlich zu hören: »Letzte Warnung, Kosnach. Ich ziehe dich zur Verantwortung, wenn etwas passiert.« »Und es wird etwas passieren!« drohte auch der Umsetzer. »Ich bin so wie du sicher, daß der Fang etwas Besonderes ist. Aber die Gefahr ist zu groß. Ich halte mich aus eurem Streit heraus. Macht, was ihr wollt.« »Feigling!« schnappte der Pilot und rannte zurück an sein Pult. Einige Blicke trafen ihn; seine Kameraden an den Pulten machten eindeutige Gesten. Er hatte also Unterstützung; die anderen
dachten dasselbe. Und unverändert ging der Flug dem noch unbekannten Ziel entgegen. Auf dem Ortungsschirm wuchs eine Sonne. »Das ist der Bezirk Ahadzie!« schrie ein Ortungsfachmann. »Voller Planeten.« Der Pilot konnte von seinem Pult die Fesselfelder nicht deaktivieren. Noch gab es Hoffnung. Wieder versuchte er, den Kurs zu, ändern oder die Herrschaft über die Kraft der Maschinen zurückzugewinnen. Das Durcheinander innerhalb des Piratenschiffs nahm mittlerweile drastische Ausmaße an. »Planeten! Will uns das Ding etwa zur Landung zwingen«, kam es aus der Nahortung. Die Ereignisse überstürzten sich. Jullert – jetzt erkannte es der Pilot mit großer Klarheit – war ein unentschlossener und unselbständiger Jupter. Wie er zur Position als Umsetzer gekommen war, mochte der Erleuchtete wissen. Niemand war in diesen Momenten in der Lage, zu entscheiden, was richtig oder falsch war. Der Ehrgeiz des Kommandanten gefährdete die MYGULL, und ein furchtbares Ende schien unausweichlich. Die Schiffe jagten an der Sonne vorbei, die aus dem Sternenhintergrund hervor sich scheinbar auf die Bildschirme gestürzt hatte. Der Pilot registrierte eine deutliche Verzögerung. Die unsichtbare und nicht anmeßbare Kraft der Beute bremste beide Schiffe mit drastischen Werten ab. Wieder versuchte Shourad einzugreifen. Wieder war es vergeblich. Die Geschwindigkeit verringerte sich weiter. Von links bewegte sich auf dem Bildschirm ein Punkt heran, der zur Scheibe und schließlich zur Halbkugel anwuchs. Der Planet. Noch ehe der Name und die Daten des Planeten feststanden, schwenkte das Gespann der beiden Flugkörper. »Wir landen!« »Jullert wird alles in seine Finger nehmen«, knurrte der Pilot. Die ersten Spuren der Lufthülle wurden gemessen, die Außentemperatur stieg langsam an, und die MYGULL schnitt heulend und kreischend durch die Atmosphäre. Kosnach schwieg und klammerte sich an den Griffen des Kommandantensessels fest. Der Umsetzer stand neben dem Schott und bot ein Bild der Unschlüssigkeit. Niemand schaute ihn an. Jeder Jupter der Zentrale starrte auf die Bildschirme oder hinaus in die rasend schnell vorbeiziehenden Wolken und Teile der Planetenoberfläche. Das Fesselfeld hielt beide Körper aneinandergepreßt. Der Pilot rechnete mit einer harten oder gar vernichtenden Landung. Er hatte längst Landestützen ausgefahren und die Prallfelder auf höchste Leistung geschaltet. Die MYGULL fegte, abermals abgebremst und in einem wild schlingernden Zickzackkurs, durch eine Landschaft zwischen Nacht und Tag und wieder hinaus ins grelle, gelbe Sonnenlicht. Ein Bergmassiv wurde wie mit einem Sprung überwunden, dann tauchten Ebenen und Wasserläufe auf. Das Geschrei, das aus einigen hundert Interkomen drang, war betäubend, denn die Jupter wußten ziemlich genau, was jetzt geschehen würde. Shourad hoffte, daß Shill nicht zu Schaden kommen würde. Das Tierchen hatte sich zitternd in eine der oberen Taschen verkrochen. Das Piratenschiff wurde in einen viel zu engen Kreis gezwungen. Der Planetenboden kam näher. Alles, die rasend schnell wechselnden Bilder auf den vielen Schirmen, die sich überschlagenden Zahlen und Ziffern auf anderen Monitoren, die vielen Stimmen und die Eigengeräusche des
Schiffes, vermischt mit dem Alarm, machten die rauhen Steppenpiraten halb besinnungslos. Die MYGULL landete. In den letzten Sekunden vor dem unvermeidlich scheinenden Aufprall zwischen Waldrändern, Felsen, breiten Flußläufen und sandigen Ebenen ging abermals ein schwerer Ruck durch das Piratenschiff. Dann krachte die Unterseite des riesigen Diskus in den Boden. Landestützen federten mit grauenhaftem Knirschen tief ein und brachen. Die Kanten berührten Felsen, zerfetzten ihn und trugen riesige Beulen und Löcher davon. Durch das gesamte Schiff krachten Schläge. Das Wimmern der Sirenen zerrte an den Nerven. Dann lag die MYGULL-144 ruhig da. Eine gewaltige Wolke aus Staub und Sand erhob sich. Mit resignierenden Bewegungen schaltete der Pilot schweigend eine lange Serie von Kontakten aus. Er konnte nur hoffen, daß die MYGULL irgendwann wieder in der Lage sein würde, zu starten. Er wandte sich um und sagte in das erschrockene Schweigen: »Ich bin sicher, Kosnach, daß der Erhabene oder auch nur der Planetarier viel Freude an deinem Jahrtausendfund haben wird.« Durch den Aufprall war Kosnach – das sahen sie erst jetzt – halb durch die Zentrale geschleudert worden. Er lag wie tot zwischen den Sockeln der Pulte. »Er tut mir leid«, flüsterte der Pilot. »Für ihn wäre es das beste, wenn er tot wäre. Aber er hat sich doch wohl nur ein paar Arme gebrochen.« Shourad stand auf, ging entschlossen halb durch die Zentrale und zu einem anderen Pult. Über die Schultergelenke des Kameraden hinweg langte er nach den Hebeln und deaktivierte die Energieleitungen der Fesselfeld-Projektoren. Auf dem zentralen Schirm sah er, wie der geheimnisvolle Asteroid seitlich über den Diskus hinwegglitt und in einer Entfernung von weniger als tausend Meter landete, nicht ohne einige Dutzend Meter gerollt zu sein. Shourad griff in die Tasche, holte den unversehrten Kazmortel hervor und fing an, hemmungslos zu fluchen. Auch als er dem starren Blick des Umsetzers begegnete, hörte er nicht auf. Er hatte sich entschlossen zu handeln. Ganz gleich, sagte er sich, was daraus wurde. Es war ihm völlig gleichgültig. * Die letzte, hart schaukelnde Bewegung hörte auf. Zögernd und in unregelmäßigen Bewegungsabläufen zog ANIMA die federnden Pseudopodien zurück, mit denen sie uns und das Beiboot geschützt hatte. Teile der Ausrüstung lagen wild durcheinander auf dem Boden der Kabinen und des Hangars. Ich stand auf und schüttelte mich. »Geht es dir gut, ANIMA?« fragte ich. Mit kläglicher Stimme antwortete das Schiff, während ich wieder einen Anfall stechenden Kopfschmerzes niederkämpfte: »Nicht besonders gut. Erschöpft. Dauert lange.« »Erhole dich. Aber wir müssen sehen können, wo wir sind.« »Fenster überall. Luft atembar. Schleuse?« »Nein. Noch nicht.«
Das Schiff schwieg. ANIMA brauchte also eine Zeit unbestimmter Dauer, um sich zu erholen – so wie wir. Kjok-Duun taumelte auf ihren dünnen, chitinglänzenden Beine auf mich zu. Immerhin besaß ANIMA noch so viele Reserven, daß die Innenversorgung funktionierte. Das ameisenartige, grazile Wesen zirpte mit ihren hornigen Mandibel-Lippen: »Ich kann sie nicht mehr ausstehen. Sie beschimpft mich. Hilf mir, Atlan.« Vielleicht nützte es, wenn ich die Kleine ablenkte. Ich winkte und ging ’zu einem der gut getarnten Bullaugen. »Hast du die anderen gesehen? Kurz vor dem Aufprall waren wir alle in den Kabinen.« Ihre eleganten Fühler zitterten. Mit einer krallenartigen, mehrfingrigen Hand hielt sich das Geschöpf an mir fest. »Nein. Nur Almergund. Wo sind wir?« Wir waren auf einem sonnenüberfluteten Stück Land. Etwa einen Kilometer weit entfernt, vor einer Reihe dunkler Felsen, lag das Piratenschiff schräg auf dem Planetenboden. An einer Stelle hatte sich der Diskus mit seinem Rand tief in das steinige Material hineingeschoben und einen Wall aufgeworfen. Ich erkannte mehrere verborgene, zerfetzte Landeeinrichtungen. Kolport stapfte heran und starrte schnaufend nach draußen. »Heller Tag«, sagte er mürrisch. »Sieht nicht gut aus für die Steppenpiraten.« »Wir sind auch nicht viel besser dran«, meinte ich. »Erst einmal genau prüfen, mit wem wir es zu tun haben.« »Immerhin scheinen wir ein gutes Stück tiefer in die Sonnensteppe eingedrungen zu sein«, erklärte Dhonat. Er war leise hinter uns aufgetaucht und las von den Schirmen und Monitoren ’ der KORALLE die ersten Daten des unbekannten Planeten ab. »Ohne Zweifel«, antwortete ich, denn ich hatte den größten Teil des gewaltsamen Formationsflugs auf den Schirmen mitverfolgen können. Einerseits war ich begeistert und, was unser weiteres Überleben betraf, beruhigt: die riesige Kraftleistung des lautlosen Raumschiffs beeindruckte uns. Andererseits hatten wir die Verbindung zu den wenigen Welten, die wir kannten, verloren. Jeder Vorstoß in dieses unbekannte Gebiet der Sonnensteppe war gefährlich, und je weiter wir vordrangen, desto mehr stieg das Risiko. Was diese Piraten betraf, so mußten wir zuerst so lange und genau beobachten, wie es möglich war. »Sie werden natürlich versuchen müssen, ihr Schiff zu reparieren«, sagte Dhonat nach einiger Überlegung. »Einverstanden. Wir können sie ohnehin nicht daran hindern. Wir brauchen einen Insassen.« Es war seit den Erschütterungen der Landung etwa eine Viertelstunde vergangen. Die Steppenpiraten organisierten sich schnell. An der Unterseite des Diskus, unter dem wir ungehindert bis zu den Felsen und der Baumgruppen hindurchsehen konnten, öffnete sich ein riesiges Luk. Schrägflächen schoben sich hervor. Blitzende, schwarzgemusterte Maschinen rollten und schwebten herunter und schleppten Werkzeuge mit sich. »ANIMA? Noch immer erschöpft?« fragte der Zweiköpfige. Ich nickte und bat: »Lasse sie in Ruhe. Wenn sich ANIMA wieder erholt hat, meldet sie sich wieder.« »Vielleicht finde ich hier einen, der mir mehr sagen kann.« »Kennst du diesen Planeten? Wenigstens aus Legenden oder deinen Heimweh-Träumen?« erkundigte sich Dhonat. Er war ebenso von der Idee besessen, alle Rätsel der Sonnensteppe zu lösen, wie jeder von uns. Aber er blieb ebenso vorsichtig und abwägend wie ich. »Nein«, entgegnete Wasterjajn erwartungsgemäß. »Aber man kann nie zu viele Fragen stellen.«
»Ob man Antworten bekommt, weiß niemand«, schloß Almergund, die an einer anderen Stelle hinausgeschaut hatte. »Willst du nicht einen Angriff fliegen?« fragte Wasterjajn und zeigte auf das Beiboot. Ich lachte. »Ein scharf geschleuderter Steinbrocken hätte ungefähr dieselbe Wirkung. Unsinn. Ich kann die KORALLE nur für Aufklärungsflüge benutzen. Oder zur schnellen Flucht.« Dann sagte ich zu meinen Freunden: »Es gibt Gesetzmäßigkeiten, die sicherlich auch hier, oder gerade hier gelten. Die Steppenpiraten sind im Augenblick halbwegs verwirrt und mit anderen Problemen befaßt. Sie fangen an, ihr Schiff zu reparieren. Aber ihre Beute werden sie nicht freiwillig hier liegenlassen.« »Du sprichst aus, was ich denke, Atlan«, bestätigte Dhonat. »Das passiert mir häufig«, grinste ich. »Im Ernst. Ehe sie uns wieder angreifen, vergeht wohl noch einige Zeit. Ob wir einen Steppenpiraten fangen können, ist fraglich.« »Für einen mutigen Vorstoß ist das Schiff dort auch zu groß«, schwächte Wasterjajn ab. Die unübersehbaren Zeichen, daß sich eine kleine Armee von Robotern, etliche gesteuerte Riesengeräte und einige wenige Steppenpiraten bemühten, das Schiff zu reparieren, mehrten sich. Man errichtete dort, wo das Schiff im Boden versunken war, in großen Löchern hydraulische Anlagen und hob den Diskus langsam an. In dem Gestänge der abgeknickten Landestützen arbeiteten Schneide- und Schweißgeräte und eine Schar schwebender Maschinen. Auf diese Weise zerlegen sie die Beuteschiffe, sagte der Extrasinn nachdrücklich. Auf dem Bildschirm der KORALLE, der von einem ausmontierten Linsensatz versorgt wurde, konnte ich in ausdrucksvollster Vergrößerungen noch mehr Einzelheiten sehen. Das Licht der fremden Sonne war hell und erzeugte klare Schatten. An der Stelle, an der die ausladende Struktur des Bügels mit dem Körper des Diskus verschmolz, stand schon seit kurzer Zeit eine Schleuse offen. Die Außentür, etwa zweieinhalb Meter hoch, klaffte weit auf. Vor Sekunden hatte sich eine Gangway hervorgeschoben und lag auf dem unversehrten Grasboden. »Das bedeutet Aufregung. Da passiert etwas«, murmelte ich und stellte die Vergrößerung so scharf wie möglich ein. Wieder verging einige Zeit. Dann kamen fünf Steppenpiraten aus dem Schiff. Sie besaßen vier kurze, stämmige Beine, die in Sandalen mit Kreuzbandbefestigung steckten. Deutlich sah ich, wie der letzte der Reihe von jemandem, der im Innern der Schleuse stand, einen Stoß erhielt. Sie hatten schlanke Körper mit zwei Armpaaren und steckten in einer lederartigen, hell glänzenden Kleidung. Ohne Hals gingen die Köpfe in einen annähernd zylindrischen Körper über. Nur breite Bänder unterhalb eines Organs bildeten eine Art Abschnitt. Ich winkte Dhonat zu mir her und fragte halblaut: »Ich meine, daß man diese Gruppe von Steppenpiraten förmlich aus dem Schiff hinausgeworfen hat. Was ist deine Absicht?« Er verfolgte mit mir zusammen, wie die Fremden über den Steg abwärts stolperten und wankten. Sie stapften einige Dutzend Schritte durch das hohe Gras und blieben unsicher stehen. Mit ihren vier Armen machten sie drohende Bewegungen in die Richtung der offenen Schleusentür. Als Antwort zuckte ein Feuerstahl aus dem Schiff und schlug zwischen den Ausgesetzten und dem Ende der Metallrampe in die Gräser. Sofort entwickelten sich Flammen, die mit schwarzem Rauch brannten. »Tatsächlich. Man hat sie hinausgeworfen.«
»Genauso sieht es aus. Diese Beobachtung eröffnet interessante Ausblicke. Warum hat man sie ausgesetzt?« »Vielleicht haben sie versagt.« ’ »Versagt? Das hängst wohl irgendwie mit uns zusammen«, sagte Dhonat und drehte seinen Kopf. Alle Insassen ANIMAS standen verblüfft und überrascht vor den Ausblicken und erlebten die seltsame Szene mit. »Entweder wollten sie uns freilassen oder völlig kaputtmachen«, brummte der Zottige. »Und die Mehrheit war dagegen. Natürlich kann das nur eine Hypothese sein, oder wir können uns auch irren. Jedenfalls gibt es Ärger innerhalb des Piratenschiffs.« Schweigend beobachteten wir weiter, was sich außerhalb des Schiffes abspielte. Die Ausgesetzten flüchteten zunächst vor dem Feuer, das zwar nicht viel Nahrung fand, aber unübersehbar hell loderte und rauchte. Mit dem Steppenpiraten in der Schleuse – wir konnten nicht in ihr Inneres hineinsehen – schienen die Artgenossen nicht nur wütendes Geschrei auszutauschen, sondern sie gestikulierten immer noch. Der Wind wehte die Rauchsäule schräg in die Höhe. Dann fiel die Schleusentür zu. Die Ausgesetzten waren allein und bildeten eine eng beieinanderstehende Gruppe. Auf dem vergrößernden Schirm konnten wir alle ihre Einzelheiten genau und in Ruhe studieren. Sie waren etwa so groß wie ich oder Kolport. Die Arme und Beine waren muskulös, die Hände hatten je fünf »menschliche« Finger. Erst jetzt sah ich, daß jeder von ihnen einen kleinen Vogel entweder in einer Hand hielt oder auf seiner Kleidung herumspazieren ließ. Jeder Vogel, so klein wie ein Sperling, hatte eine andere, lebhafte Farbe. Wasterjajn kam zu mir, beugte sich in die Kabine hinein und sagte: »Richte die Linsen auf die Roboter. Ich glaube, sie planen etwas gegen uns.« »Sofort.« Über den Schirm glitten die Einzelheiten des großen Schiffskörpers. Unterhalb des Diskus, zwischen dem Wirrwarr der arbeitenden Maschinen, formierten sich sechs Roboter. Sie ähnelten entfernt den Steppenpiraten, aber ihre Arme und Körper schienen mit Waffen und Geräten ausgerüstet zu sein. »Kampfroboter«, sagte ich. »So wirken sie auf mich.« »Im Zweifelsfall stets die schlechtere Möglichkeit. Ich halte sie auch für gefährlich.« »Sie zögern noch.« »Wenn es die Steppenpiraten vor einiger Zeit mit aller Ausrüstung nicht geschafft haben, uns zu schaden«, wandte ich nachdenklich ein, »dann habe ich vor den Maschinen wenig Angst. Trotzdem… höchst unangenehm.« Die Roboter bewegten sich in einer Linie vom Ende der Rampe bis an den Rand des Schattens, den der Diskuskörper warf. Dann blieben sie stehen und richteten einen großen Teil ihrer Projektoren auf ANIMA. Eine schnelle Flucht konnte in diesem Moment alle unsere Probleme lösen. Ich wandte mich in die Richtung des Kontaktknotens und fragte: »ANIMA. Kannst du dich bewegen? Hast du dich schon erholt?« Keine Antwort. Ich zuckte die Schultern. »Es wird kritisch«, sagte ich. »Sie kommen, unsere neuen Freunde.« Die Roboter stapften auf jeweils vier Gliedmaßen langsam auf ANIMA zu. Seltsamerweise wirkten sie auf mich noch nicht gefährlich. Das änderte sich logischerweise spätestens dann, wenn sie nahe genug heran sein würden. In ihren kurzen Bewegungen lag etwas Endgültiges. Und ANIMA vermochte sich noch immer nicht zu rühren.
Kolport keuchte und polterte los: »Waffe her. Ich gehe hinaus und zerstrahle sie.« »Das Schiff läßt dich nicht hinaus«, sagte Dhonat scharf. »Und gegen die Roboter hast du keine Chance. Abwarten, Freunde!« Der Zottige war augenblicklich ruhig. Mit etwa fünfzig Schritten hatten die Maschinen, die inzwischen nebeneinander tappten, ein Drittel der Strecke zwischen dem Piratenschiff und uns zurückgelegt. Plötzlich blieben sie stehen. Alle drehten ihre Körper gleichzeitig nach links. Wasterjajn schrie auf. »Sie werden angegriffen. Atlan, links von ihnen – Planetarier!« Ich bewegte die Linsen und erkannte, als ich die Vergrößerung abgeschaltet hatte, eine heranstürmende Horde von mehr als fünfzig Wesen. Sie bewegten sich schnell und gewandt und waren katzenähnlich. Wasterjajns Erregung wuchs, je mehr er sah. »Meine Leute! Die Gestalten aus den Heimwehvisionen«, schrie er. »Mit einem Kopf. Ich muß sie sprechen, Atlan.« Die Planetarier waren mit Strahlwaffen ausgerüstet und eröffneten das Feuer auf die Roboter, sobald sie in die Nähe gekommen waren und freies Schußfeld hatten. Sie sahen wirklich wie aufrechtgehende Katzen aus, also wie Wasterjajn. Flink warfen sie sich zu Boden, feuerten, sprangen hin und her und entgingen den Energieschüssen der Maschinen. Bis zu diesem Punkt der Auseinandersetzung hatten die Steppenpiraten noch nichts von dem Überfall gemerkt. Die Planetarier nutzten jede Deckung. Sie waren bis auf breite Ledergurte oder Fellstreifen, an denen andere Waffen steckten, ohne Kleidung. Schmutz und Grasreste zeichneten ihre Fell, das wie bei Kaz hellgrün und hellblau gescheckt war. Sie handhabten die Waffen außerordentlich geschickt, obwohl sie auf uns wie primitive Eingeborene wirkten. Ein Roboter rannte an ANIMA vorbei, in die Sandebene hinaus, während Flammen aus seinen Gelenken züngelten und er einen fetten Rauchstreifen hinter sich herschleppte. In einer grellen Glut wölke detonierte ein zweiter Robot. Für uns waren alle Vorgänge von gespenstischer Lautlosigkeit. Wasterjajn klebte an der transparenten Fläche und betrachtete den Angriff keuchend und mit fauchenden, unverständlichen Lauten. »Du Narr«, rief Dhonat. »Das sind nicht deine Leute! Sie haben einen Kopf. Du hast zwei davon. Benütze wenigstens einen zum Nachdenken.« »Sie kämpfen wie die Rasenden«, murmelte ich. Die Katzenwesen handelten blitzschnell. Sie bildeten einen unregelmäßigen Halbkreis, sprangen hinter riesige Steine, feuerten im Springen und Rennen und trafen erstaunlich gut. Der dritte Roboter kippte um und wurde von einer Reihe Detonationen in Stücke gerissen. Die Steppenpiraten schienen gelähmt zu sein. Jedenfalls rührte sich im Bereich des Schiffes nichts; nur die Maschinen reparierten ungehindert weiter und hatten die Kante des Diskus inzwischen angehoben. Die Ereignisse wurden immer undurchsichtiger. Ein Feuerhagel schlug auf die Roboter ein. Die Maschinen schossen zurück, aber der Erfolg war gering. Wenigstens sahen wir keinen einzigen Toten auf seiten der angreifenden Katzenwesen. Je mehr ich sie beobachtete, desto ähnlicher wurden sie Wasterjajn und umgekehrt. Aber keiner war zweiköpfig. Sie umzingelten die restlichen Roboter und zerstörten sie voller Wut. Ich sah weit aufgerissene Augen, zitternde Ohren und weit entblößte Reißzähne. Sie schwenkten ihre Waffen und schienen ein gewaltiges Siegesgeschrei anzustimmen, denn die Gruppe der Ausgestoßenen, mehr als siebenhundert Schritte weit entfernt,
war mit allen Zeichen des Schreckens stehengeblieben. Dann rannten sie in dieselbe Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Hohe Grasbüschel bewegten sich, Staub wallte auf. Mit riesigen Sätzen sprangen die Katzenwesen über die Felsen. Nach wenigen Sekunden sahen wir nur noch ihre Ohren und Köpfe. Hinter einer Barriere aus Felsen, Gestrüpp und einzelnen Bäumen hielten sie an. Zumindest ein Teil der Kampfgruppe kletterte in die Bäume, blieb auf Ästen und in Astgabeln sitzen und starrte großäugig hinüber zum Raumschiff. ANIMA äußerlich ein zerklüfteter Steinbrocken, interessierte sie nicht im geringsten. Ich schüttelte den Kopf und ging zu den Steppenforschern zurück. »Ich kann deine Erregung verstehen, Wasterjajn«, versuchte ich ihn zu beruhigen. »Aber die starke Ähnlichkeit ist irreführend. Dein Volk lebt auf einem anderen Planeten, nicht hier.« »Das sagst du«, gab er dumpf zurück. »Vielleicht hast du recht.« Unverändert blickte er hinaus. Ich sah plötzlich, wie sich seine Katzenaugen weiteten, wie sich vier Ohren erfegt aufrichteten, und wie er mir fast die Haut zerkratzte, weil er wie wild mit den Krallen herumfuchtelte. Er schrie leise auf. »Dort drüben, Dhonat! Es ist doch mein Volk. Bei den Ausgestoßenen.« Mit einem Satz war ich am Fenster. Die Ausgestoßenen versuchten, sich ins Schiff zu retten. Sie rannten um ihr Leben und hatten die Rampen zum Ziel, die von den Arbeitsrobotern benutzt wurden. Die Steppenpiraten liefen zwischen den glühenden und rauchenden Trümmern der Roboter hindurch und wurden von mehr als dreißig Planetariern verfolgt. Von Katzenwesen mit zwei Köpfen! Es war nicht mehr deutlich zu unterscheiden: entweder wischte die Spannung, die uns alle ergriffen hatte, unsere Schmerzen und die geistigen Anfälle weg. Jedenfalls verhielt sich jeder normal. Flüchtig dachte ich daran, daß sich nun auch ANIMA erholen würde, wenigstens hoffte ich es dringend. Während wir verblüfft durch die Luken hinaussahen, erkannten wir, daß wir uns nicht irrten. Mehr als dreißig Planetarier griffen die fünf Ausgesetzten an. Jene Wesen mit den auffallenden Kragenringen und den farbigen Vögeln, die um ihre Kopfenden herumschwirrten, waren waffenlos. Ihnen blieb nichts anderes als die Flucht. Dabei entwickelten sie im Gegensatz zu den ersten Beobachtungen beträchtliche Geschwindigkeit. »Hier hast du deine Leute, Wasterjajn«, sagte Dhonat. »Entschuldige. Ich habe mich geirrt.« »Ja, die Zweiköpfigen… endlich werde ich wissen, was mit meinem Volk geschah!« keuchte Kaz. Er kam zu mir in den Gleiter und starrte die Vergrößerungen an. Die Ausgestoßenen hatten den Schatten erreicht, den der Diskus warf. Als die zweiköpfigen Katzenwesen nach rechts schwenkten und ihre Waffen abfeuerten, schienen sie plötzlichen Lärm zu hören. Einige blieben stehen und zeigten dorthin, wo die einköpfigen Planetarier verschwunden waren. Zwei von ihnen schossen sofort. Aus den Projektormündungen der langläufigen Waffen zuckten grellgrüne Strahlen hinüber zu den Steinbrocken und in die Stämme der Bäume. Die Verfolger der Steppenpiraten zögerten, wurden langsamer, kehrten um, als ein Zweiköpfiger ihnen etwas zuschrie und winkte. »Ich muß zu ihnen!« schrie Wasterjajn. Die zwei Transversal-Teleporter hielten ihn zurück. Er gebärdete sich wie ein Rasender und lief zwischen der KORALLE und der Außenwand ANIMAS die wenigen Meter hin und her. Ich beobachtete in steigender Unruhe und Verwunderung, daß die Planetarier gegeneinander kämpften. Die Ausgesetzten waren offensichtlich vergessen oder völlig unwichtig geworden.
Von ihrem Versteck her näherten sich die einköpfigen Planetarier. Sie waren wilder und rücksichtsloser als ihre zweiköpfigen Artgenossen. Ich konnte deutlich sehen, daß die Felle der Zweiköpfigen seidig gepflegt und sauber waren. Die Farben leuchteten lebhafter, und sie trugen Lederbänder in einer solchen Breite, daß sie als Kleidung anzusehen waren. Farbige und metallblitzende Ornamente in den Schultergurten schienen Rangabzeichen oder Clanszeichen zu sein. »Ich muß schlichten! Sie bringen sich gegenseitig um!« tobte Wasterjajn und sprang wieder an die Luken. Zwischen den Resten der zerstörten Roboter, hinter Steinen und selbst hinter der Wandung von ANIMA gingen die Zweiköpfigen in Deckung. Sie handhabten ihre schweren, ungefüg aussehenden Strahlwaffen weitaus sicherer und überlegter als die Einköpfigen. Zuerst legten sie zwischen sich und die anderen Planetenbewohner eine Gasse aus Feuer, Rauch und hochwirbelndem Ruß. Durch die Luken in der Flammenwand schossen sie gezielt und mit tödlicher Wirkung. Beide Gruppen versuchten, in den Rücken des Gegners zu gelangen. Die Glutstrahlen der Waffen zuckten hin und her. Von den Schreien und dem Lärm hörten wir nichts, aber wir konnten uns das Inferno dort draußen vorstellen. Knapp einhundert von zwei unterschiedlich gearteten, offensichtlich miteinander genetisch verwandten Wesen versuchten sich gegenseitig umzubringen. Ich winkte hinüber zu Kolport und Dhonat. »Ich werde versuchen, einzugreifen. Du bleibst hier, Wasterjajn. Ich habe Angst, daß du dich aus verständlichen Gründen zu Unbesonnenheiten hinreißen läßt. Was denkst du, Dhonat?« Er machte eine zustimmende Geste. Noch immer befand sich der Kontaktknoten nahe dem Gleitereinstieg. Ohne die Antwort abzuwarten, sagte ich drängend: »ANIMA! Wir müssen eingreifen. Es geht um Wasterjajn und Informationen über die Steppenpiraten.« Fast unhörbar antwortete das Raumschiff: »Ich bin noch nicht soweit. Aber ich öffne die Schleuse. Viel Glück für euch.« Immerhin war ANIMA bereits wieder in der Lage zusammenhängende Antworten zu geben. Der mächtige Organismus, ebenso wie wir unter der Mentalstrahlung leidend, brauchte Zeit zum »Aufladen«. Ich vermutete, daß ANIMA auch hier an der Planetenoberfläche auf das höhere Energieniveau von Überraumstrukturen angewiesen war. Kolport schwang sich auf den Sitz des Kopiloten. »Was willst du tun?« »Einen Zweiköpfigen und einen Steppenpiraten lähmen und in unser Schiff bringen.« »Dann nimm Almergund.« »Eine gute Idee«, stimmte ich zu. »Wasterjajn und Dhonat. Nehmt die Waffen und gebt uns notfalls Feuerschutz. Komm zu uns, Kjok-Almergund.« Zugleich mit den inneren Bewegungen, mit denen sie Sprechstellen zurückzog und die Sichtflächen in der Außenhaut vergrößerte, schuf das Schiff auch breite, waagrechte Schlitze. Die Kameraden hoben Waffen auf und schoben die Läufe durch die Schlitze. Rauch, Lärm und Gestank drangen ins Innere. Ich startete die Triebwerke der KORALLE und ließ Almergund einsteigen. »Türen zu!« Die KORALLE stieg einige Handbreit hoch. Wasterjajn machte Anstalten, sich auf die Ladefläche
zu schwingen, aber Dhonat hielt ihn zurück. Die Planetarier hatten die kleinen Veränderungen des etwa fünfundvierzig Meter hohen Felsbrockens noch nicht gesehen, denn sie schossen weiter aufeinander. Langsam wechselten sie ihre Deckung, denn zwischen der ANIMA und dem anderen Schiff brannten Gras und Büsche an allen Stellen. Ich rief zum offenen Fenster hinaus: »Öffne die Schleuse.« Ich hörte die Antwort nicht. Als sich zwischen Dhonat und Kaz die Fläche der Wand zu bewegen begann, packte ich die Hebel der Steuerung und sagte warnend: »Es wird alles sehr schnell gehen müssen. Denkt daran, daß dort draußen die Steppenpiraten auf uns lauern.« »Geht klar, Atlan«, sagte der Koloß und zeigte nach vorn. Die Öffnung war groß genug. Ich bewegte die Hebel, und die KORALLE machte einen Satz nach vorn und stieg schräg durch Rauch und Rußflocken aufwärts. Ich versuchte mich so schnell wie möglich zu orientieren. Warnend flüsterte der Logiksektor: Auch die Teleporter können ausfallen. Gib acht! Das Beiboot beschrieb um ANIMA einen weiten Kreis. Ich erhaschte Blicke auf das fremde Schiff und das brennende Schlachtfeld unter uns. Dort lag ein einköpfiger Planetarier mit furchtbaren Brandwunden. Er rührte sich nicht mehr. Die kämpfenden Gruppen schienen uns nicht zu sehen. Der Gleiter zog einen zweiten Kreis, der etwas enger und niedriger war. Der Kampf der katzenähnlichen Wesen halte sich verlagert, war aber nicht weniger rücksichtslos geworden. Ich zeigte nach unten. Almergund hob den dünnen Arm mit dem kantigen Funkgerät. »Noch nicht. Warte noch.« Der Steppenpirat mit dem gelben Halsband lag neben den Teilen einer ausgebauten und verbogenen Konstruktion. Seine vier Artgenossen standen neben ihm und beratschlagten, was sie tun konnten. Der Pirat war geschockt, oder er hatte sich etwas gebrochen, denn ich konnte keinerlei Verletzungen feststellen. »Du erschreckst sie«, sagte ich zu Kolport. »Keine überflüssige Gewalt.« »Klar.« »Und du bringst ihn ins Schiff, Blitzschnell!« »Verstanden«, zirpte die Teleporterin. Ich bremste die KORALLE ab und stieß wie ein Raubvogel schräg von oben auf die Steppenpiraten zu. Die Waffe in Kolports Pranken donnerte los und warf einen Hagel von Glutstrahlen nach unten. Sie schlugen zwischen dem hilflosen Piraten mit dem gelben Band und seinen Kameraden ein. Sie sprangen schreiend zur Seite. Zwei von ihnen stolperten und schlugen zu Boden. Ich ließ den Gleiter auf dem Kiel bis zu dem Bewußtlosen über das Gras schrammen und hielt an. Kjok-Almergund sprang hinaus und faßte nach dem Steppenpiraten. Verständnislos starrten die vier anderen Piraten uns mit ihren großen Augen an, die im Dreieck über einem Membranorgan angeordnet waren. Kjok-Almergund verschwand mit ihrem Opfer. »Weiter.« Ich ließ die KORALLE hochschweben, beschleunigte und ging in eine Kurve. Ich befand mich inzwischen unterhalb des riesigen Diskus, an dem unverändert gearbeitet wurde. Mit steigender Geschwindigkeit raste die KORALLE ins Sonnenlicht hinaus und auf einen Punkt rechts des
Pseudoasteroiden zu. Dort war der Kampf zwischen beiden Planetariergruppen zuerst ausgebrochen. Im Gras und zwischen den großen Flächen aus rauchender Asche lagen einköpfige und zweiköpfige Tote. Ich sah, nachdem wir dreimal langsam über diese Stellen in geringer Höhe hinweggeflogen waren, einen lebenden Zweiköpfigen. Er war verwundet; sein Fell war schmutzig und versengt. Langsam kroch er aus einer Aschefläche hinaus und auf den Schatten zwischen zwei Felsnadeln zu. Ich stieß Kolport mit der Schulter an und sagte drängend: »Hebe ihn vorsichtig auf. Lege ihn auf die Ladefläche. Ich fliege dann sofort zurück.« »Gut. Mache ich.« In einer Aschewolke hielt der Gleiter an. Kolport sprang hinaus, watete durch das aufwirbelnde, graue Zeug und hob den zweiköpfigen Planetarier auf. Der Fremde wehrte sich nicht einmal, als ihn der riesige Kolport auf seinen Armen zum Gleiter zurückschleppte, ihn vorsichtig niederlegte und sich neben ihn kauerte. Als ich sah, daß er sich an einem Griff festhielt, riß ich die KORALLE nach vorn und jagte auf das lebende Raumschiff zu. Seit dem Augenblick, als wir ANIMA verlassen hatte, fürchtete ich mich vor der Reaktion der Steppenpiraten. Wenn sie merkten, welchen »Inhalt« der rätselhafte Steinbrocken hatte, würden sie etwas unternehmen. Zuerst kamen die Roboter, die nichts ausrichteten. Dann würden sie zu gröberen Mitteln greifen. Die Schiffsbesatzung handelte, als sich der Gleiter dicht vor ANIMA befand. Mit gewaltigem Dröhnen schlug rechts und links des Felsbrockens zwei Energiesäulen in den Boden und ließen die KORALLE wild schwanken. Aber auch ANIMA handelte schnell. Der Spalt vergrößerte sich, eine annähernd runde Öffnung glitt auseinander, und ich steuerte das Beiboot vorsichtig ins Innere. Der nächste Schuß traf ANIMA voll. Das Schiff wurde erschüttert, aber andere Folgen merkte ich nicht. Das Beiboot sank auf den federnden Boden. Ich sprang hinaus; Wasterjajn und die anderen kümmerten sich um den Steppenpiraten und versuchten, ihm zu helfen. »Du weißt, was ihm helfen kann. Kümmere dich um den Zweiköpfigen.« »Ich bin schon dabei«, stotterte Wasterjajn und beugte sich über ihn. Die Taschen Dhonats, in denen sich Medikamente und die medizinische Ausrüstung befanden, lagen geöffnet herum. Wieder erschütterte ein Treffer das Raumschiff. Während ich überlegte, was wir tun konnten, erschütterte der nächste Einschlag das lebende Raumschiff. ANIMA sagte mit überraschend klarer Sprache: »Die Steppenpiraten schießen auf alles, was sich bewegt. Ich bin, vielleicht unabsichtlich, dreimal getroffen worden. Keinerlei Schäden. Ich bin in der Lage zu starten.« »Halte dich bereit«, rief ich und versuchte, in dem Inferno aus Energiestrahlen, hochgewirbeltem Staub und lodernden Gasen zu sehen, was um uns herum vorging. Die Steppenpiraten feuerten auf die Katzenwesen, die sich zu retten versuchten. Mindestens zwei Projektoren hoch über uns im Bereich des vorspringenden Bügels schossen in die Ebene hinunter. Wie weit die Reparaturarbeiten fortgeschritten waren, konnten wir nicht mehr erkennen. Rauchwolken und ein dichter Vorhang aus wirbelndem Staub versperrten die Sicht. Vor mir befand sich noch ein schmaler Spalt. Ich hörte also den Lärm der Projektorgeschütze. Die Steppenforscher kümmerten sich um die zwei so gegensätzlich aussehenden Fremden. Ich mischte mich nicht ein; meine Fähigkeiten wurden hier nicht gebraucht. Aber durch das röhrende Donnern der Geschütze und der Detonationen hindurch konnte ich ein tiefes Brummen
wahrnehmen. Ein völlig neues, unbekanntes Geräusch, sagte ich mir. Gleichzeitig begann der Boden zu vibrieren. Die Steppenpiraten starten ihr Schiff! rief mit deutlicher Erleichterung der Extrasinn. Ich sah nichts, sondern konnte nur hören. Die Geschütze feuerten langsamer, und schließlich schwiegen sie. Das Brummen nahm zu, das Geräusch wechselte in höhere Frequenzen über. Nach einigen Sekunden riß der Sog des schnell startenden Schiffes die brennenden Gase, den Staub und Sand und alles andere, das in der Luft umherwirbelte, in die Höhe. Das Schiff der Steppenpiraten verschwand mit einem Aufblitzen, das durch die Staubmassen drang. Die folgende Stille war geradezu lähmend. Langsam ging ich zu meinen Freunden zurück. Der zweiköpfige Planetarier lag ruhig da, atmete tief und war mit Salben und Binden versorgt worden. Über seinen Augen lag ein feuchtes Tuch, das nach Medikamenten roch, und Dhonat bedeutete mir, den Fremden in Ruhe zu lassen. Wasterjajn wartete ungeduldig auf den Augenblick, an dem der Angehörige seines Volkes wieder zu sich kommen würde. Das Raumschiff meldete sich mit melodiöser Stimme. Also hatte sich ANIMA gut erholt. »Atlan! Ihr anderen! Das Schiff der Steppenpiraten ist gestartet und fliegt offensichtlich weiter in die Sonnensteppe hinein. Mehr habe ich nicht erkennen können.« »Dann bleiben wir noch eine Weile hier«, schlug ich vor. »Dhonat – was konntet ihr tun? Lebt der Steppenpirat?« »Und die Katzenwesen, die überlebt haben, rannten in alle Richtungen davon. Ich versuche, ein Lager von ihnen zu entdecken oder eine Siedlung«, fuhr das Raumschiff fort. »Er lebt. Er heißt Kosnach«, sagte Dhonat und führte mich zu dem Steppenpiraten. Ein Bein und zwei Unterarme waren geschient und verbunden. Er lehnte gegen die Wandfläche; ANIMA hatte ihm einen angepaßten Sitz hergestellt. »Kosnach, der Steppenpirat«, sagte ich und versuchte, um die drei Augen und die zitternde, halb geöffnete Membran so etwas wie einen Ausdruck zu erkennen. »Dein Schiff ist soeben gestartet.« »Ohne mich«, sagte er mühsam. »Ich ahnte, daß unsere Beute voller Geheimnisse ist. Ihr habt mich gerettet. Und Shourad, der Pilot, warf uns aus der MYGULL.« »Ich habe eine Menge Fragen«, sagte ich. Offensichtlich verbarg die Membran nicht nur den Mund, sondern auch die Hörorgane. Sie öffnete und schloß sich wie ein dünner Ringmuskel. »Du wirst verstehen, daß wir euch Steppenpiraten nicht gerade lieben. Ihr habt gedacht, wir sind eine fette Beute.« »Richtig. Wir Jupter leben von der Beute. Wir kennen nichts anderes. Unsere Befehle kommen vom Erleuchteten, dessen fünftausendstes Jahr wir feiern.« Wir hatten eine Handvoll erster Informationen, den Schiffsnamen und die Gattungsbezeichnung der Piraten. Die Steppenforscher stellten andere Fragen. Kosnach, der seine Berufe mit Raumfahrer, Kommandant, Koordinator und Verantwortlicher für Teilbereiche der MYGULL-144 angab, beantwortete sie ohne viel Zögern, erklärte auch die Funktion des buntschillernden Vogels, der aus seiner Tasche herausgeflogen war. Unsere Getränke und einige Nahrungswürfel schmeckten ihm. Sein Metabolismus vertrug ihre Zusammensetzung. Ich fragte nach den Stützpunkten der Piratenschiffe. Er verweigerte die Auskunft und erklärte, daß jeder Jupter eher sterben als diesen Verrat begehen würde.
Seine einzige Sprache war das Alkordische. Ich bohrte weiter: Von welchen Welten kamen die Steppenpiraten? Der Erleuchtete gab seine Befehle an die Planetarier. Das Wort des Erleuchteten war das einer verehrungswürdigen Gottheit, deren Name aber auch in Flüchen verwendet wurde. Die Gottheit hatte verboten, jemals den Namen eines Planeten der Jupter zu nennen. Auch in diesem Fall galt das absolute Tabu. Ich verstand. Auf diese Weise würde sich Kosnach nicht verraten. Ich befragte ihn nach weiteren Tabus. Sie kannten zwar große Teile der Sonnensteppe, die dichten Wolken und die unzähligen Barrieren, aber sie durften diese Außenzone nicht verlassen. Die Suche nach Beute »draußen« war ein weiteres Verbot. »Das Raumschiff ist also voller Gemeiner?« fragte Kjok-Duun. »Sie schaffen alles heran, was die Umsetzer und unsere Herren, die Planetarier für ihr Leben brauchen.« Wir versuchten, aus Kosnach soviel an Informationen herauszuholen, wie es uns möglich war. Er beantwortete die meisten Fragen nicht aus Angst, sondern aus einer Position der Selbstsicherheit und des Selbstvertrauens heraus. Seine Überzeugung war klar, fast starrköpfig. So, wie er nichts anderes kannte als das Verhältnis Piraten zu Beute, rechnete er damit, daß er binnen kurzer Zeit befreit werden würde. Die Vorgänge, die zu seiner Aussetzung geführt hatten, schilderte er uns ohne Zögern. Und die gesamte Zeit über saß der Warner, der Kazmortel, auf der Schulter unseres Gefangenen, blickte uns an und gab hin und wieder ein Zirpen oder Zwitschern von sich – ein Zeichen, daß er für seinen Herrn keine Gefahren spürte. »Was macht dich so sicher, daß man dich bald befreit?« wollte ich schließlich wissen. »Shourad, der Pilot, ist weit über seine Befugnisse hinausgegangen. Man wird ihn zur Rechenschaft ziehen.« »Die MYGULL kehrt also hierher zurück?« rief Dhonat verblüfft. »Sobald Jullert weiß, was vorgefallen ist. Er wird den Planetarier Ughart befragen. Dann wird mich Ughart aus eurer Gewalt befreien lassen.« Wir hatten ihm keine Informationen gegeben. Abgesehen von dem, was er im Innern ANIMAS sehen konnte, wußte er nichts. Natürlich konnten wir kaum verhindern, daß er sich Gedanken machte und Schlüsse zog. Einige davon würden richtig, andere wieder falsch sein. Er hob die Hand, die nicht geschient war, und sagte: »Ihr seid großzügig zu euren Gefangenen. Ich merke, wie meine Kräfte abnehmen. Laßt mir Zeit.« »Deine potentielle Beute ist auch in diesem Punkt von großer Gutmütigkeit«, erklärte ich. Wir widmeten uns nun dem zweiköpfigen Planetarier, der sich in der letzten Stunde stöhnend bewegt hatte. Kolport sammelte alle Waffen und jeden Gegenstand, der als Waffe dienen konnte, ein. Er verstaute sie im Gleiter und in unseren Kabinen. Auch der Planetarier sprach Alkordisch. »Poltergeist hat Durst. Trinken bitte!« verstanden wir. Wasterjajn kümmerte sich um ihn. Ich ging in meine Kabine und sagte zu ANIMA, daß sie versuchen sollte, aus allen Beobachtungen und den Antworten unserer Gefangenen die für sie nötigen Schlüsse zu ziehen. Ihre Antwort, halb geflüstert, lautete:
»Ich habe alles gehört. Ich warte darauf, daß die MYGULL wiederkommt und mich angreift.« »Hoffentlich in einer Phase, in der die Mentalstrahlung nicht wirkt«, sagte ich. Wir waren einen guten Schritt vorwärtsgekommen. Ob es uns gelingen würde, die Erfahrungen anzuwenden, stand dahin.
7. Sechs Wesen, irgendwo in der Außenzone der Sonnensteppe, versuchten, bis zum sogenannten Nukleus vorzudringen. Allein dieses Vorhaben schien reiner Wahnsinn zu sein, sagte ich mir. Trotz winziger Erfolge und viel glücklichen Umstände mußte ich bei jedem Nachdenken über diese Mission äußerste Skepsis walten lassen. Noch seid ihr nicht entdeckt worden, belehrte mich der Extrasinn. Bisher bietet ihr den Machthabern noch keine wirkliche Angriffsfläche. Ihr seid noch viel zu unwichtig. Nütze diesen Umstand aus! Ich tat zuerst etwas für unsere persönliche Sicherheit. Auf meinen Wunsch bildete ANIMA einen weiteren Teil ihres Körpers um und konstruierte eine Art Zelle für Kosnach, den Steppenpirat. Sein Sitz kippte in fließender Bewegung in die Horizontale und wurde weicher und bequemer. Dann wuchsen um ihn herum Wände in die Höhe. Luftschlitze, eine Verringerung der Lichtstärke und die Ruhe der Abgeschlossenheit trennten ihn von uns und ließen ihn einschlafen. Und jetzt würden wir wahrscheinlich erfahren, auf welchem Planeten wir mehr oder weniger zufällig gelandet waren. »Jarad heißt der Planet«, sagte Wasterjajn aufgeregt. Er hatte heute seinen großen Tag. »Poltergeist, dieser da, hat einmal einen ganz anderen Namen gehabt.« Ich kam aus meiner Kabine und trat zu den Steppenforschern. Sie umstanden das Krankenlager des Jaraders und hofften, wie ich auch, mehr zu erfahren. Der Zweiköpfige schien sich nicht zu fürchten, weil Wasterjajn Kaz von seiner Art war und sich rührend um ihn kümmerte. Mit gierigem Schmatzen trank er aus einem Becher roten Wein aus den unergründlichen Vorräten des lebenden Raumschiffs. Der Fremde, der noch immer stechenden Brandgeruch verströmte, genoß ihn wie eine Stärkung. Ich hingegen spürte in allen Gliedern eine bleierne Müdigkeit. »Poltergeist ist nicht gerade ein gewöhnlicher Name«, sagte ich und bat ANIMA um einen Becher desselben Weines. »Aber ihr beiden, Wasterjajn, seid wirklich aus einem Volk.« »Also ist das hier mein Heimatplanet!« sagte Kaz ein wenig starrköpfig. Es konnte so sein – oder auch ganz anders. Ich bekam meinen Wein und deutete auf Poltergeist. »Frage ihn, wie sein erster Name war.« »Er hat’s vergessen!« erwiderte Wasterjajn. »Ehrlich. Ich glaube ihm.« Dhonat und ich tauschten einen langen, bezeichnenden Blick. Die beiden zweiköpfigen Jarader führten ihre Unterhaltung weiter. Weder der Wortschatz Poltergeists noch seine Ausdrucksfähigkeit waren groß. War er wirklich ein primitiver Wilder? »Und die anderen? Die mit nur einem Kopf?« »Sind Feinde. Kämpfen, wenn wir treffen.« »Woher habt ihr die Strahlwaffen?« fragte Wasterjajn, der noch immer glaubte, das Gestammel würde mit den Verletzungen zusammenhängen. Aber Polstergeist sprach klar und deutlich. »Weiß nicht. Immer welche da. Im Lager.« »Warum kämpft ihr gegeneinander?« »Weiß nicht. Wir wissen: wenn einköpfige Jarader sehen, dann schießen. Wir Hunger, Feuer. Guter Braten.« »Wo lebt ihr?«
»Überall. Gehen umher, jagen und schlafen nach Essen. Wir alles haben.« Diesmal fanden wir weniger Informationen als Rätsel. Poltergeist antwortete freiwillig und so gut er es konnte. Aber sehr viel erfuhren wir trotzdem nicht. »Die mit einem Kopf, sind sie keine Verwandten von dir und mir?« fragte Wasterjajn. Ich leerte den Becher, und da sich im Innern ANIMAS wieder Ruhe und normales Leben ausbreiteten, kamen meine Kopfschmerzen wieder. Aber auch die Steppenforscher wurden unruhig und zeigten deutlich, daß wieder eine neue Welle der Mentalstrahlung heranflutete. Warum spürten, wie wir erfahren hatten, die Jupter nichts davon? Ein zusätzliches Rätsel. »Keine Jarader. Wilde. Dumme mit Feuerwaffen«, lautete die Antwort. Der Jarader Wasterjajn wandte sein verstörtes Gesicht mir zu und fauchte: »Ich habe mein Volk gefunden. Und was erfahre ich? Es ist irgend etwas Furchtbares mit ihnen passiert.« Ich nickte; so etwa sah ich es auch. »Sie wurden zu Tieren, zu primitiven Jägern und Mördern. Es ist ein großes Rätsel. Atlan, hilf mir!« »Sage mir«, entgegnete ich, »wie diese Hilfe aussehen soll, und ich tue, was ich kann.« In einer rührenden Gebärde hob er seine Arme. Die Krallen fuhren aus den Fingerballen und blitzten in ANIMAS Licht. »Ich weiß es nicht. Aber… Poltergeist! Antworte: ihr lebt schon immer auf diesem Planeten?« »Planeten? Ich nicht verstehn.« »Die Welt dort draußen. Ebene, Felsen und Wald. Deine Heimat. Seid ihr schon immer dort, du und deine Leute?« »Weiß nicht. Alte sagen, ja. Kennen nichts anderes. Ja. Immer da. Auch Jarader mit Einkopf.« »Du hast es vergessen. Wie deinen Namen.« »Ich Namen vergessen. Wir alles vergessen.« Wir schwiegen bestürzt. Zwar wußten wir nicht viel, aber jeder von uns hatte das Gefühl, daß die Jarader die Zeugen einer furchtbaren Katastrophe waren und zugleich deren Überlebende. Abermals ein kaum lösbares Geheimnis. Daß die Jarader heute primitive Wilde waren, stand außer Zweifel. Früher gehörten sie zu einem Volk, das, ebenso intelligent und klug wie Wasterjajn Kaz war. Zwischen beiden bestand eine rätselvolle Verbindung. Poltergeist würde uns nicht sagen können, wie diese Verbindung aussah. Aber nun murmelte er, völlig erschöpft, ein paar seltsame Worte. »Twilter weiß mehr. Was er weiß – ich hab’s vergessen. Frage ihn. Er kennt Märchen.« »Wo finde ich Twilter?« keuchte Wasterjajn. Kjok-Duun drehte ihren Kopf hin und her und rannte dann in ihre Kabine. Dhonat drückte Imustil-Kapseln aus der Folie und verteilte sie an uns. »Draußen. Nacht. Sechs Bäume.« Mit dem letzten Schluck Wein spülte ich das starke Präparat hinunter. »Wo sind die sechs Bäume?« Mit einer Bewegung, die seine Schwäche und Erschöpfung erkennen ließ, hob Poltergeist den Arm und deutete irgendwo hin. »Draußen«, flüsterte er. »Nacht und Feuer.« Dann wurde er bewußtlos. Und uns packte die nächste Welle der Mentalstrahlung. Wenn jetzt die Steppenpiraten wieder landeten, waren wir absolut hilflos.
Ich schleppte mich in meine Kabine, warf mich aufs Lager und hoffte, daß dieser Irrsinn möglichst schnell vorbeigehen würde. Die Schmerzen machten mich fast besinnungslos. * Zwei Stunden und länger dauerte der Alptraum. Seit wir Dhonats Medikament zum erstenmal eingenommen hatten, war dies der stärkste Anfall. Ich war unfähig, irgend etwas anderes zu tun als stöhnend zu leiden. Der Schmerz marterte meinen Kopf und machte mich fast blind, während mir das salzige Sekret aus den Augenwinkeln rann. Sogar Denken war unmöglich. Der Zellaktivator begann, sich in eine Hitzequelle zu verwandeln. Aus der Tiefe des Schiffsinnern kamen die langgezogenen, brüllenden Schreie des riesigen, hilflosen Kolport. Hoffentlich war er ebenso »eingesperrt« wie wir alle und blieb es auch. Wasterjajn wimmerte schrill, und ab und zu schlug das grelle Zirpen der Kjok-Twins an meine geschundenen Ohren. Und ANIMA? Zweifellos litt das lebende Raumschiff ebenso wie wir. Aber es konnte seinen Schmerz nicht herausschreien. Wir lagen auf dem Planeten der Jarader und warteten in vollkommener Hilflosigkeit auf die Rückkehr des Piratenschiffs. Irgendwann in dieser qualvollen Zeit glaubte ich einen dröhnenden Schuß zu hören – oder ein ähnliches Geräusch. Aber nach dem Knall geschah nichts weiter. Schließlich ließen die Wellen der Schmerzen und die Verirrung des Verstandes nach. Die Erschöpfung war groß; ich schlief schlagartig ein, als habe man mich betäubt. Ungewisse Zeit später weckte mich jemand auf, der an meiner Schulter rüttelte und mich an der Hand hochzuziehen versuchte. Ich riß die Augen auf und kam zu mir. »Atlan, komm schnell. Es ist etwas Schreckliches passiert. Poltergeist…« Keuchend und mit kaltem Schweiß bedeckt, kam ich auf die Beine. Ich schüttelte mich; mein Kopf klärte sich etwas. Der. Gesichtsausdruck des zweiköpfigen Katzenwesens war niedergeschlagen und wütend zugleich. »Was ist mit ihm?« brummte ich und hustete. »Tot. Wer war es?« Er zog mich aus meiner Kabine hinaus. Verwirrt sah ich, daß ANIMA unter dem Druck der Mentalstrahlung die Fähigkeit verloren hatte, die Veränderungen ihrer inneren Materie festzuhalten. Das Licht war trübe, denn es sickerte nur durch transparente Teile der Hülle hinein, die an »unmöglichen« Stellen und in völlig sinnlosen Formen erschienen waren. Ich begriff: es war die Sonne, die tief im Abend stand. Ihr Licht erfüllte den großen, in seiner Aufgelöstheit phantastisch anmutenden Innenraum mit düsterem, staubigem Rot. »Ich war es nicht«, antwortete ich und blickte meine Hände an. Ich trug keine Waffe. Unsere Ausrüstung lag auf dem welligen Boden einer riesigen Blase unordentlich herum. In der Mitte stand schräg die KORALLE. ANIMA schwieg. »Wer war es dann?« An die große Blase im Zentrum schlossen sich, völlig ohne Sinn, Gänge und Korridore an. In einem dieser Nebenräume lag Poltergeist. Ein Strahlerschuß hatte ihn genau in die Brust getroffen und
getötet. »Ich weiß es nicht«, jammerte Kaz. »Und durch ihn wollte ich alles über meine Leute erfahren. Tot! Wer kann so etwas tun? Warum? Er hat niemandem etwas getan.« Ich bückte mich und zog unter dem zusammengekrümmten Körper seinen Unterarm hervor. Seine Krallenhand umkrampfte einen kleinen Blaster, der gewisse Ähnlichkeit mit den Waffen hatte, die von den Planetariern benützt worden war. »Ein Kampf hat stattgefunden«, murmelte ich und sah mich in dem unbeschreiblichen Durcheinander um. Kjok-Duun und Kjok-Almergund lagen in einem dunklen Winkel, nebeneinander und aneinander geschmiegt. Sie schienen ebenfalls vor Erschöpfung eingeschlafen zu sein. Erschüttert standen wir vor dem Toten. »Weißt du«, sagte Wasterjajn leise, »ich bin sicher, daß ich mein Volk wiedergefunden habe. Mit ihnen muß etwas Schreckliches passiert sein. Sie sind zu wilden Tieren gemacht worden, zu Wesen, die am Rand der Intelligenz dahindämmern und nichts anderes mehr kennen als Jagen und Töten.« Dhonat kam zwischen einem Haufen Ausrüstungsgegenständen hoch, stützte sich schwer und mit zitternden Fingern auf die KORALLE und fragte: »Habt ihr geschossen? Ich dachte, etwas gehört zu haben.« Ein Zwitschern lenkte uns ab. Der Kazmortel flatterte um den oberen Körperteil Kosnachs und setzte sich dann auf einen Träger der Lederkleidung. »Ich glaube«, sagte der Jupter und hob einen Arm, »ich war es.« Auch in seiner Hand lag ein Strahler. Die Ladekontrollanzeige leuchtete grell. »Er hat mich angegriffen. Da.« Auch er schien erschöpft zu sein, wenn auch aus anderen Gründen als wir. Mit dem Lauf der Waffe deutete er auf ein Dutzend schwarzer Einschlagkrater rund um seinen Körper. »Plötzlich sprang er auf«, sagte der Steppenpirat. »Er fand eine Waffe und sah sich um. Er schrie. Niemand bewegte sich, nur ich.« Er machte eine Pause. »Dann schoß er. Ich konnte ausweichen. Dort, auf dem Sitz, habe ich die Waffe gefunden.« Vor einiger Zeit war der Gefangene noch in einer »Zelle« ANIMAS scheinbar sicher untergebracht gewesen. Ich nahm ihm die Waffe ab, sicherte sie und schob sie hinter den Gürtel. »ANIMA!« Meine Stimme war laut und schreckte Kolport auf. Das Raumschiff ließ sich Zeit mit der Reaktion. Schließlich meinte ANIMA leise: »Ich bin wieder bei mir. Bedauerlich, was geschehen ist.« »Mehr als das. Du bist jetzt handlungsfähig?« »Ja. Ich stelle die Ordnung wieder her, die vor dem Anfall herrschte.« »Das solltest du tun. Wir sind alle ziemlich fertig«, sagte ich. Lautlos fing das Raumschiff an, die Wände wieder herzustellen, den Boden zu begradigen, die Gefängniszelle für den Jupter aufzubauen und jene Einteilung vorzunehmen, an die wir uns aus einem Dutzend Gründen gewöhnt hatten. Frische Luft wehte herein, und das Licht aus den sanft gerundeten Deckenelementen nahm wieder den gewohnten Farbton an. »Versuche jetzt, den Weltraum abzusuchen,«
»Atlan«, bat ANIMA. »Ich merke nichts von unserem Gegner. Er ist auf keinen Fall in unserer Nähe.« »Ich versuche es. Sehr viel mehr kann ich mit den Geräten auch nicht herausfinden.« Dhonat und Kolport beratschlagten mit Wasterjajn. Dann baten sie ANIMA das Schiff zu öffnen. Sie schleppten schweigend zu dritt den Toten hinaus und häuften einige Dutzend Schritte neben ANIMA einen Hügel aus rußgeschwärzten Steinen über Poltergeist. Die Nahortung der KORALLE zeigte mir erwartungsgemäß einen leeren Weltraum; leer von Objekten, die sich bewegten. Inzwischen war die Sonne zu einem riesigen, purpurnen Ball geworden, der eine Handbreit über dem Horizont schwebte. Ringsherum herrschte eine beängstigende Stille. Es stank nach Asche und kaltem Rauch. Vor der Öffnung blieben die Steppenforscher stehen und starrten den Steinhaufen an. »Ich muß weiter versuchen«, sagte Wasterjajn, »etwas zu erfahren. Ich will die Zweikopf-Wesen treffen.« »Blöde Idee«, knurrte der Zottige und riß unschlüssig grinsend an seinen Barthaaren. »Wo? Du, ganz allein? Jarader suchen? Unsinn.« »Du weißt nicht, was das heißt, ohne Geschichte und Erinnerungen zu sein«, wies ihn Dhonat zurecht. »Trotzdem. Verdammt gefährlich«, beharrte Kolport. Wasterjajns beide Köpfe zeigten, daß ihn keine andere Frage mehr beschäftigte als der Versuch, hier endlich etwas über seine Herkunft zu erfahren. »Man wird sehen. Vielleicht kommen sie nochmal hierher«, schloß Kaz und ging zurück ins Raumschiff. Wir alle waren durstig, hungrig und müde. Vielleicht hatten wir die Nacht noch für uns und wurden nicht von den Steppenpiraten angegriffen. ANIMA ließ eine Reihe kleiner Öffnungen bestehen, durch die frische Luft zog, und durch die wir in alle Richtungen hinausblicken konnten. Der Tod von Poltergeist, den Kosnach in Notwehr erschossen hatte, ließ das gemeinsame Essen zu einer ruhigen, nachdenklichen Angelegenheit werden. Ich übernahm freiwillig die erste Wache, und Wasterjajn wollte mich nach drei Stunden ablösen. ANIMA versorgte mich mit einem Becher voll Wein, und ich setzte mich schließlich auf den Rand einer Öffnung, die einige Meter über dem Boden lag und mir einen ungehinderten Blick nach Südwest erlaubte. Vielleicht sah ich ein Feuer der Zweikopf-Jarader.
8. Die Augen, die ihn beobachteten, wären hart und scharf. Der Planetarier, der ihn von dem riesigen Bildschirm herunter ansah, schien nicht von fröhlicher, entgegenkommender Laune zu sein. »Ist das alles, Jullert?« »Ja, Ughart. Ich habe berichtet, was geschehen ist. Und ich war um Objektivität bemüht.« Jullert hatte durchgesetzt, daß Shourad die MYGULL-144 startete und vom Planeten wegbrachte. Sie hatten entschieden, daß der Planetarier die Entscheidung treffen sollte. Es war leicht, sich mit Ughart in Verbindung zu setzen. Wahrheitsgetreu hatte Jullert, von schlechten Gefühlen geplagt, die Ereignisse berichtet, hatte sie kommentiert und die entsprechenden Bilder und Aufzeichnungen abgespielt. »Ich kann das Verhalten des Piloten nicht akzeptieren. Auch du hast dich falsch verhalten, Umsetzer Jullert. Kosnach muß so schnell wie möglich aus der Gewalt der Fremden befreit werden. Brecht dieses sonderbare Nicht-Raumschiff auf.« »Es ist uns beim ersten Versuch nicht gelungen«, widersprach der Umsetzer. »Und ich bezweifle, daß die Möglichkeiten der MYGULL ausreichen, es jetzt aufzubrechen.« »Wenn sich die Fremden nicht fangen lassen«, entschied der Planetarier kalt, »dann sind sie zu töten. Wir können sie nicht in dieser Zone dulden.« »Vielleicht bringen wir es fertig. Und was soll mit dem unzerstörbaren Objekt geschehen?« »Fangt es ein. Schleppt es ab. Es soll ein Geschenk für das Juwel sein.« Jullert ahnte, daß die Mannschaft der MYGULL, was immer sie versuchte, vor unlösbaren Problemen stehen würde. Trotzdem: der Befehl des Planetariers würde ausgeführt werden. »Ein Geschenk fürs Juwel. Ein schönes Geschenk«, erwiderte er ohne Begeisterung. »Was ist, wenn wir es nicht schaffen?« »Fordert bei mir Hilfe an. Ich schicke euch andere Raumschiffe.« Die Steppenpiraten fürchteten nichts und niemanden. Aber sie konnten natürlich keine Naturgesetze auf den Kopf stellen und einen Gegner, der mächtiger war als sie und ihr Schiff, besiegen. Die Versicherung des Planetariers, daß er andere Schiffe schicken würde, wenn nötig, änderte viel an den Chancen. »Du kannst sicher sein«, versprach Jullert und war froh, daß er dieses Gespräch überstanden hatte, »daß wir alles tun, um zum Erfolg zu kommen. Hast du andere Befehle?« »Nichts Wichtiges. Fangt ein paar Zweikopf-Katzenplanetarier. Ich brauche diese Spezimen für meinen Zoo.« Jullert führte die Geste der Ergebenheit durch und zögerte mit der nächsten Frage. Der Planetarier merkte dies und schnarrte: »Noch etwas?« »Ja. Ein Problem der Zuständigkeit. Wessen Befehlen ist auf der MYGULL ab jetzt zu gehorchen?« »Du hast die Verantwortung. Also hast du auch das Kommando.« Wohlweislich hatte Jullert dieses Gespräch, so wenig angenehm es auch für ihn war, aufzeichnen lassen. Jeder an Bord würde binnen kurzer Zeit wissen, wer die Befehle gab. »Alles klar«, sagte Jullert. »In kurzer Zeit melde ich mich wieder.« »Mit einer klaren und eindeutigen Vollzugsmeldung. Euch winken großzügige Belohnungen.« Der Planetarier hob eine Hand. Jemand trennte die Bildfunkverbindung. Jullert wußte jetzt, was er
zu tun hatte. Zuerst eine Zielangabe. Der Planet Jarad wurde angesteuert. Die MYGULL raste, schneller und schneller, auf diese Welt zu. Trotz aller Versicherungen wußte der Umsetzer genau, daß ihm’ ein harter, schwerer Kampf bevorstand. Ihm und mehr als eintausendzweihundert tüchtigen, beutegierigen Steppenpiraten. * Wasterjajn Kaz vergaß im Lauf der ersten Nachtstunden seine angebliche Verwandtschaft und eine Menge anderer Probleme. Unverändert kreisten seine Gedanken um sein Volk und seine eigene Herkunft. Gedanken, Wünsche und Überlegungen verdichteten sich, und nach unzähligen geistigen Schritten stand Wasterjajns Plan fest. Die Dunkelheit, die Nacht des Planeten, der angeblich Jarad hieß, würde ihm helfen. Lautlos begann er, sich auszurüsten, ohne Atlan zu stören. Der Weißhaarige saß in der offenen Luke, baumelte mit den Beinen und hielt Wache. Der doppelköpfige Pilot wußte, daß er kein Kämpfer war. Was er vorhatte, war für ihn gefährlich. Aber er konnte nicht mehr zurück; er hatte sich in seine Idee festgebissen. Seit seiner frühesten Kindheit besaß er keinerlei Kontakt zu einem anderen Angehörigen seines Volkes. Poltergeist war der erste Jarader, den er gesehen hatte. Ehe Wasterjajn durch einen einmalig günstigen Zufall an Dhonat geraten war, hatte er sich durchschlagen müssen, wobei sein Allroundtalent ihm half, die vielen Stationen zu überleben. Er würde nicht mehr länger Staatenloser sein! Wasterjajn legte sich zurecht, was er brauchte, dann steckte er die Waffe und einen Handscheinwerfer an seinen Gürtel und näherte sich dem Arkoniden. »Geh schlafen«, sagte er. »Ich habe die zweite Wache. Wie ich sehe, gibt es nichts als Finsternis.« »Nicht einmal ein Feuer. Nur Schwärze und Sterne«, antwortete Atlan leise. »Ich habe nachgedacht. Wenn wir bei Tageslicht Zeit haben, können wir vielleicht einen anderen aus Poltergeists Volk suchen.« »Ich ahne, daß uns die Steppenpiraten keine Zeit dafür lassen werden«, schränkte der Zweiköpfige skeptisch ein. Atlan kletterte aus der Öffnung, schlug Wasterjajn aufmunternd auf die Schulter und ging langsam zurück in seine Kabine. ANIMA hatte die Stärke des Lichts in Deckenteilen stark gedrosselt. Wasterjajn blieb in der Öffnung stehen und ließ seinen Blick über die dunkle Natur gleiten. Das Sternenlicht schuf nur schwache Helligkeiten. Aber seine Katzenaugen sahen in der Finsternis besser als die des Arkoniden. Nach etwa einer Viertelstunde entdeckte er, winzig klein und an der Horizontlinie, einen Lichtschein. Nach weiteren zehn Minuten war er sicher, daß es sich um ein Feuer handelte; immer wieder bewegte sich etwas davor und unterbrach den Lichtschein. Halblaut murmelte Wasterjajn: »Du kennst mein Problem, ANIMA.« Sofort antwortete das Schiff. »Ich kenne es.« Wasterjajn gab zuerst die genaue Richtung an, dann bat er: »Du siehst dort das Lagerfeuer. Ich will zu ihnen. Ich gehe kein Risiko ein. Mache eine Treppe nach unten, ich bitte dich.«
Es gelang ihm, seine fiebrige Erregung zu unterdrücken. Seine Stimme klang ruhig – noch. Gedanken, die er niemals gehabt hatte, von deren Existenz er bis heute nichts geahnt hatte, erfüllten ihn. »Ich setze voraus, daß du weißt, welches Risiko du eingehst«, warnte das Schiff. Aber schon schob sich geräuschlos unterhalb der Öffnung eine Zunge hervor und wuchs dem Boden entgegen. »Ich weiß es. Ich werde bald zurück sein«, versprach Wasterjajn und holte seine Ausrüstung. Sie war klein und wog nicht viel. Vorsichtig verstaute er sie in den Fächern und Schlaufen des Gürtels. »Ich kann dir nicht helfen, Kaz«, wisperte das Schiff aus dem nächsten Kontaktknoten. »Denk daran!« »Ich bin nicht Atlan. Er ist der wagemutige Kämpfer. Ich stelle nur Fragen.« »Gut. Ich wache an deiner Stelle.« Wasterjajn Kaz verließ unbemerkt und leise den Hangarraum und durch die etwa mannshohe Öffnung das Schiff. Nach einigen zögernden Schritten am Rand einer verbrannten Fläche wurde er schneller. Er blickte zurück, seine Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit. ANIMA war ein riesiger, annähernd kugeliger Brocken aus Schwärze, der die Sterne verdeckte. Wasterjajn orientierte sich neu, entdeckte wieder den winzigen Widerschein des Feuers und lief darauf zu. Er wählte ein Tempo, das ihn nicht überforderte, aber einigermaßen schnell vorwärts brachte. Zuerst bewegte er sich durch die verbrannte Kraterlandschaft, entlang an aufgeworfenen Erdwällen und durch aufwirbelnde Asche, dann in eine Steppe hinein, die von halb mannshohem Gras bestanden war. Bei jedem Schritt ertönte ein geheimnisvolles Knistern und Rascheln. Während er lief, hatte er Zeit, nachzudenken’. Immer wieder beschrieben seine Überlegungen dieselben Muster. Er kontrollierte sich selbst und fragte sich, was sich denn änderte, wenn er über seine Herkunft die Wahrheit erfuhr. Diese – einzige – Frage konnte er sich nicht beantworten. Je länger er auf das flackernde, gelbrote Flammenziel zulief, desto schärfer sah er den Weg. Er wich geschickt den Hindernissen aus und sah mit Zufriedenheit, daß das Feuer immer deutlicher und heller wurde. Die Savannenlandschaft ging in ein sandgefülltes Flußbett über. Kaz watete durch kniehohes Wasser, kühlte seine Arme und das Fell seiner beiden Köpfe und rannte weiter, einer Spur folgend, von der er hoffte, daß sie von der Horde der Zweiköpfigen hinterlassen worden war. Das Feuer leuchtete zwischen den Stämmen des kleinen Waldes. Eine Kette auffallend niedriger Hügel schloß sich an, und nach einer weiteren halben Stunde sah Wasterjajn sein Ziel. Das Feuer war ein wenig niedergebrannt. Es beleuchtete eine Höhle, die in einem Haufen kantiger, aufeinander getürmter Felsbrocken entstanden war. Die Felsen waren von riesigen Bäumen umstanden, über die Steine wucherten Ranken und Schlinggewächse. Jenseits des Feuers, an den Felsen gelehnt, kauerte ein Planetarier. Sein Körperfell und die Haare seiner beiden Schädel waren grau, stellenweise weiß. Wasterjajn. Kaz stemmte sich auf einen Felsen hoch, schaltete wieder seinen Scheinwerfer an und rief: »Ich bin ein Freund. Ich will mit dir sprechen.« Der Alte Jarader stieß ein undefinierbares Kichern aus und rief mit krächzender Stimme zurück: »Du sprichst ja schon. Sprich weiter.« Wasterjajn nannte seinen Namen und kletterte über eine natürliche Treppe zu dem anderen Jarader hoch. »Ich, Twilter, bin sicherlich mit dir verwandt«, krächzte der Alte. »Wir sind alle eine große, mächtige Rotte.«
Wasterjajn zuckte zusammen. War er ausgerechnet an einen Verrückten geraten? Er kam mit ausgebreiteten Armen und nach vorn gekehrten Handflächen auf Twilter zu. Der Scheinwerfer, den er dann wieder aufhob, beleuchtete die beiden Köpfe Twilters. Der Planetarier war wirklich uralt. Wasterjajn setzte sich ihm gegenüber und fragte: »Wer bist du, abgesehen von der Verwandtschaft?« »Wie du, einer aus der früheren Form von uns.« »Du kennst die Vergangenheit?« »Ich kenne alles… nicht alles. Teile.« Großonkel? Kenner der Vergangenheit? Fast verzweifelt sagte sich Wasterjajn, daß jede Information wichtig war. Er fragte drängend: »Ich bin also ein Jarader der früheren Form?« »Du siehst aus wie ich. Wie meine Leute. Es gibt Jarader mit einem Kopf.« »Ich habe sie gesehen. Sie kämpfen gegen euch.« Wieder kicherte Twilter. »Vor langer Zeit waren wir Freunde. Einköpfe und Zweiköpfe. Zusammen auf anderer Welt.« »Beide Teile unseres Volkes? Sie waren zusammen auf einem anderen Planeten? Ist das die Wahrheit?« »Ich sage nicht viel. Was ich sage, ist die Wahrheit.« »Wie hieß der andere Planet?« wollte Wasterjajn wissen. Jetzt begriff er tatsächlich, daß sich für ihn nach jedem Wort des Alten etwas änderte. »Wir haben seinen Namen mitgenommen. Auch Jarad.« »Jarad also. Warum seid ihr… sind wir hier auf dem zweiten Jarad-Planeten?« Twilter schien froh zu sein, daß er sich mit jemandem unterhalten konnte. Das wenige, das er wirklich wußte, sprudelte förmlich aus ihm heraus. Beide Köpfe sprachen abwechselnd und im gleichen, abgehackten Tonfall. Kein zweiter Jarader zeigte sich. Die Gegend schien ausgestorben zu sein, denn Watsterjajn konnte nur die Laute der Tiere hören und das Knarren der Äste. Jedes weitere Wort Twilters war für ihn von persönlicher Bedeutung. »Dann: furchtbare Dinge.« Mehr und mehr verwirrt stotterte Kaz. »Ich verstehe nicht. Was für ›Dinge‹?« »Katastrophe. Alle wurden anders. Uns allen wurde etwas genommen.« Zwei Arme hoben sich und deuteten auf die Schädeldecken der Köpfe. »Wer raubte einen Teil eures Bewußtseins?« »Fremde. Niemals vorher gekannt.« Twilter war alt, und er mochte zurückgefallen sein in das Stadium eines Primitiven. Dies mußte die Folge jener Katastrophe sein, in der jedem Wesen ein Teil seines Egos gestohlen worden war, wie Wasterjajn nach vielen Fragen erfuhr. Er schaffte es, aus dem Greis durch gezielte Einkesselung die richtigen Antworten herauszulocken. Irgendein Teil des geschädigten Hirns produzierte Erinnerungen, die unter einer dicken Schicht bis jetzt verborgen gewesen waren. »Potential«, murmelte Twilter plötzlich, in sich zusammengesunken. »Etwas mit Psi sagten die Fremden.«
»Psi-Potential«, wiederholte der Jarader. Jetzt durfte er sich als Jarader bezeichnen. Er stammte also aus jener Frühzeit und von jenem ersten Jarad-Planeten ab. »Und was geschah dann?« war die Frage, die er immer wieder stellte. »Wir wurden zu Jägern. Alles, was nicht zwei Köpfe hat, wird gejagt und getötet.« Also waren Verrohung und Verdummung die Folge der geraubten Potentiale. Bei sich selbst vermochten Wasterjajn trotz tiefen, prüfenden Nachdenkens derlei nicht festzustellen. Nach dem ersten, eisigen Schrecken hatte er sich diese Frage gestellt. Seine Erleichterung war grenzenlos. »Man brachte uns weg. Hierher.« »Also eine Massendeportation«, stellte Wasterjajn fest. Das Schuldgefühl, das er wegen seines unabgesprochenen Vorstoßes hierher gehabt hatte, existierte nicht mehr. »Viele, alle hierher gebracht und freigelassen. Ja.« »Und? Ihr habt keine Häuser, keine Zivilisation?« »Wir jagen und sammeln Früchte und Nüsse.« Also hatte man die Jarader auch aller ihrer zivilisatorischen Errungenschaften beraubt. Hier, ausgesetzt und im Kampf um Jagdgründe und ums Überleben, verrohten sie und spalteten sich in zwei verschiedene Gruppen. Der Unterschied war leicht zu treffen: Zweikopf und Einkopf. »Kennst du einen, der geheilt worden ist?« fragte Wasterjajn. An seinem Volk war ein Verbrechen von unnennbarer Grausamkeit begangen worden. Auch Twilter gehörte zu den Geschädigten, aber aus schwer zu findenden Gründen verhielt er sich gegenüber seinem nächtlichen Gast nicht wie ein gieriger Jäger. Höchstwahrscheinlich war er dazu zu alt und zu schwach. Wasterjajn entdeckte in einer Felsennische ausgehöhlte Schädeldecken und Näpfe aus großen Nüssen. »Keine Heilung. Niemand kann heilen.« »Und wohin brachten sie das Geraubte?« versuchte Kaz zu erfahren. Nun war auch ein anderer Bestandteil seiner Träume gegenstandslos geworden, nämlich die Verwandtschaft mit Gentile Kaz oder die angebliche Position als positives Ebenbild der Facette. Vergessen, fort und völlig unwichtig geworden. »Weiß nicht. Keiner weiß.« Zwischen ihnen breitete sich Schweigen aus. Sie starrten sich aus großen Augen an. Kaz meinte, in den Falten und Wülsten um Twilters Augen und in den tiefen Narben eine bestimmte Art von tiefer Resignation zu erkennen. Aber vielleicht war es auch nur das Zeichen letzter Erschöpfung. »Macht«, brachte Twilter aus der Tiefe seiner zerrissenen Erinnerungen hervor. »Alkordooms Macht. Sie haben das getan. Alles.« Er schloß die Augen und machte eine fahrige Bewegung. »Müde«, brummte er. Obwohl kein entsprechendes Wort gewechselt worden war, wußte Wasterjajn, daß er keine Antworten mehr erwarten durfte. Er stand auf und fragte sich, ob er auf irgendeine Art das Leben seines verwirrten Großonkels erleichtern konnte. Ihm fiel nichts ein. »Danke«, sagte er leise und tastete sich langsam über die Steine hinunter in die Gewächse. Sie waren feucht vom Nachttau. Ein großer Vogel flatterte mit schwerem Flügelschlag über ihn hinweg. Der Handscheinwerfer blitzte auf und schickte einen grellen, breit gefächerten Lichtbalken auf die Spuren seiner eigenen Füße. »Zurück in das Schiff«, murmelte er und begann zu laufen. »Das muß Atlan erfahren. Und die anderen.«
Immer wieder erkundete er die Strecke mit kurzen Lichtstrahlen. Er behielt sein Tempo bei, bis er vor sich die Kugelform ANIMAS erkannte. Die Gangway aus Zellmaterial hatte sich zurückgezogen. Als Wasterjajn den Scheinwerfer auf die Öffnung richtete, erkannte er Dhonat, der darin lehnte und ihn aus kleinen Augen kalt anstarrte. Ehe Dhonat etwas sagen konnte, rief Kaz: »Das Geheimnis der Planetarier ist keines mehr, Dhonat. Ich habe mit einem Überlebenden der größten Katastrophe gesprochen, die je eine Welt betroffen hat. Diese Verbrecher!« »Halte deinen Vortrag hier oben«, antwortete Dhonat. »Hilf ihm herein, ANIMA.« Der schmale Steg federte unter seinen Schritten, als er hinaufkletterte. Einige Minuten später hatten sich alle Steppenforscher um ihn versammelt. Atlan kam gähnend aus der Kabine und setzte sich auf die Ladefläche der KORALLE. Sie hörten schweigend zu, was er ihnen berichtete. Nachdem er, von der Anstrengung des Laufens weniger erschöpft als von den niederschmetternden Einsichten, geendet hatte, meinte der Arkonide: »Die Macht von Alkordoom das Juwel also, läßt ganze Völker der Psi-Komponente oder des Potentials berauben und versetzt sie auf andere Welten. Du hast recht, Wasterjajn – es ist ein weiteres Verbrechen in einer Kette, die wir schon kennen.« »Und dabei kennen wir nur einen kleinen Ausschnitt aller Scheußlichkeiten«, murmelte Dhonat. Sein Leibwächter nickte. »Eine Menge Informationen«, zirpte Kjok-Duun. »Armer Wasterjajn.« »Ich bin offensichtlich einer der wenigen normalen Überlebenden aus dem Doppelvolk der Jarader. Vielleicht der letzte, der einzige.« »Durchaus möglich«, brummte Kolport mit rauher Stimme. Nach einer Weile, in der sie versuchten, alle Konsequenzen aus dieser Menge bedeutungsvoller Informationen zu verarbeiten und deren Bedeutung zu erkennen, meldete sich das lebende Raumschiff. »Ich habe alles gehört und verstanden. Ich unterbreche euch ungern, aber es ist nötig, Atlan.« »Alarm?« fragte der Arkonide und sprang auf. »Vier Schiffe nähern sich. Ich kann sie mehr spüren als sehen. Benutze die Geräte der KORALLE.« »Sofort. Über die Jupter und Kosnach«, rief Atlan den anderen zu und schwang sich in den Pilotensessel der KORALLE, »können wir mehr erfahren. Mehr über das grausame Geschehen, dessen Zeugen wir schon außerhalb der. Sonnensteppe waren.« Klickend bewegten sich die Schalter, die Bildschirme sprangen an und zeigten die Linien, Bilder und Punkte, die Strukturechos und die Impulse. In unterlichtschnellem Flug näherten sich, hintereinander fliegend, vier Punkte. Deutlich zeichneten sich Disken und Bügelkonstruktionen ab. »Vier Schiffe der Steppenpiraten, ANIMA«, rief Atlan. »Kannst du starten und uns wegbringen? Dieser Übermacht bist du wahrscheinlich nicht gewachsen.« »Ich habe noch nicht wieder alle Energien eingesogen«, sagte das Raumschiff. »Aber ich werde starten.« Im gleichen Moment flackerten die Leuchtfelder des Funkgeräts auf. Die Frequenzanzeige wurde ausgeschrieben. Atlan rief verwundert seinen Freunden einen erklärenden Satz zu. Dann hatte er auf Empfang/Sendung geschaltet und tastete die Frequenz ein. Die Steppenpiraten riefen freiwillig die Insassen des fremden Raumschiffs! Das hing mit dem Gefangenen zusammen. »Hier spricht Jullert, Umsetzer und Vertrauter der Planetarier. Der Erleuchtete befiehlt euch, den
Gefangenen sofort herauszugeben. Ihr werdet von meinen Schiffen, denen andere folgen, bis ans Ende des Universums gehetzt und vernichtet.« Atlan hatte die Lautsprecher auf Maximalstärke geschaltet. Die Drohung hallte durch die Hangarschleuse. ANIMA meldete sich wieder mit nachdrücklicher Stimme. »Ich kann starten, aber noch lange nicht alle meine Möglichkeiten einsetzen. Du tust besser, was sie verlangen, Atlan.« Es gab nicht viel zu überlegen. Der Arkonide rief: »Öffne die Zelle, ANIMA. Stelle sicher, daß Kosnach schnell hinausgehen kann.« Gleichzeitig senkten sich drei Wände von Kosnachs Zelle. Der dreiäugige Steppenpirat blinzelte im hellen Licht und stand langsam auf. In der Hülle öffnete sich der Durchgang, eine breite Rampe bildete sich lautlos. Immer wieder dröhnte die Stimme des Umsetzers aus den Lautsprechern des Beibootes. Atlan winkte Kosnach und zeigte auf die Öffnung. Noch immer herrschte tiefe Nacht. Keiner konnte den Gesichtsausdruck des Fremden deuten. Die Membran öffnete und schloß sich. Er ging, so gut er konnte, am Beiboot vorbei und hinaus in die Dunkelheit. Als Kosnach den verwüsteten Boden betrat, zog ANIMA ihr Pseudopodium zurück, schloß sich und versuchte, sich aus der Vertiefung im Erdreich zu heben. Atlan drehte die Lautstärke zurück und blieb abwartend neben dem Gleiter stehen. »Du schaffst es?« fragte er. ANIMA schwieg, schwebte höher und ging in eine flache Aufstiegskurve über. Ein Murmeln ging durch die Hohlräume. »Sie werden sich auf mich stürzen. Ich muß viel schneller sein.« Das lebende Raumschiff veränderte seine Gestalt, wurde schneller und heulte durch die Lufthülle von Jarad II. Einer der Punkte auf der Nahortung löste sich aus dem Verband und jagte dem Planetenboden entgegen, um Kosnach aufzunehmen. Die drei Echos wurden schneller und verfolgten ANIMA. Sie flog so schnell sie es in ihrem Zustand vermochte. Dann zuckten die ersten Strahlschüsse durch den Weltraum und verfehlten die Beute. In rasendem Flug und wilden Kurven entkam ANIMA. Atlan und die Steppenforscher mußten fliehen. Aber noch lebten sie. Und sie waren um viele Erfahrungen reicher. Jeder fürchtete sich vor dem nächsten Anfall der Mentalstrahlung. Er würde nicht lange auf sich warten lassen. ENDE
Obwohl ANIMA, Atlans lebendes Raumschiff, alle gebotene Vorsicht walten läßt, als es in der Sonnensteppe kreuzt, kommt es bald wieder zu einer folgenschweren Bewegung, die den Arkoniden und seine neuen Freunde zum Planeten Horror B führt. Dort wird ein makabres Geheimnis gelüftet – Das Geheimnis der Llodals… DAS GEHEIMNIS DER LLODALS – so heißt auch der Titel des nächsten Atlan-Bandes, als dessen Autor Arndt Ellmer zeichnet.