Manfred Bruhn/Bernd Stauss (Hrsg.) Dienstleistungscontrolling
Manfred Bruhn/Bernd Stauss (Hrsg.)
Dienstleistungscontrolling Forum Dienstleistungsmanagement
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Univ.-Prof. Dr. Manfred Bruhn ist Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing und Unternehmensführung, am Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrum (WWZ) der Universität Basel und Honorarprofessor an der Technischen Universität München. Anschrift: Universität Basel (WWZ), Lehrstuhl für Marketing und Unternehmensführung, Petersgraben 51, CH-4003 Basel Tel: +41 (0) 61 267 32 22 E-Mail:
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Univ.-Prof. Dr. Bernd Stauss ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Dienstleistungsmanagement der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Anschrift: Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl für ABWL und Dienstleistungsmanagement, Auf der Schanz 49, D-85049 Ingolstadt Tel: +49 (0) 841-9 37 18 61 E-Mail:
[email protected] Fax: +49 (0) 841-9 37 19 70 www.dlm-stauss.de 1. Auflage 1992 (unter dem Titel „Planung, Prozesse – Strategien – Maßnahmen“) . . 1. Auflage März 2005 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2005 Lektorat: Barbara Roscher / Jutta Hinrichsen Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Konzeption und Layout des Umschlags: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 3-409-14315-7
Vorwort
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Vorwort In der Diskussion zum Dienstleistungsmanagement haben in den vergangenen Jahren Probleme bei der Erstellung und Vermarktung von Dienstleistungen im Mittelpunkt gestanden. Demgegenüber werden spezifische Managementprobleme bei der Koordination im Führungssystem von Dienstleistungsunternehmen sowie beim Einsatz von Instrumenten zur Informationsversorgung, Planung und Kontrolle weitaus seltener zum Gegenstand der Erörterung gemacht. Erst in jüngster Zeit wird Dienstleistungscontrolling als relevantes Handlungsfeld in der Praxis und als eigenständiges Feld der Forschung wahrgenommen. Die sich abzeichnende verstärkte Beachtung dieser Thematik erscheint auch mehr als gerechtfertigt angesichts der Tatsache, dass der mehrphasige Charakter und die konstitutiven Merkmale von Dienstleistungen auch für das Controlling besondere Herausforderungen beinhalten und eine Übertragung von Konzepten und Instrumenten erschweren bzw. nur mit Hilfe von Modifikationen möglich machen. Die Produktion von Dienstleistungen setzt den Einsatz von Leistungsfähigkeiten aufgrund der bereit gestellten Ressourcen (Potenzial) voraus, die zusammen mit den vom Kunden eingebrachten externen Faktor kombiniert werden (Prozess) und beim Kunden bzw. dessen Objekt eine Nutzen stiftende Wirkung erzielen (Ergebnis). Das gegenüber dem Kunden ausgesprochene Leistungsversprechen, der Erstellungsprozess und das Leistungsergebnis weisen oft einen hohen Grad an Immaterialität (Intangibilität) aus, und der Produktionsprozess erfordert die Beteiligung des Kunden (Integrativität). Daraus resultiert für Dienstleistungskunden und Dienstleistungsanbieter eine Fülle von Konsequenzen, die auch für das Controlling von großer Bedeutung sind. Diese werden in den Beiträgen dieses Sammelbandes differenziert und detailliert beschrieben. Deshalb seien sie an dieser Stelle nur stichwortartig skizziert. Der Phasencharakter von Dienstleistungen impliziert die Notwendigkeit, das Controlling einerseits spezifisch auf den völlig unterschiedlichen Charakter der Einzelphasen (Potenzial, Prozess, Ergebnis) abzustimmen, andererseits aber eine integrierende Sicht zu ermöglichen. Da aufgrund der Kundenbeteiligung Teile der eingesetzten internen Potenziale vom Kunden wahrgenommen werden und sein Qualitätsurteil beeinflussen, muss die Kundenperspektive in das Potenzialcontrolling einbezogen werden. Der Zwang zur permanenten Aufrechterhaltung der Leistungsbereitschaft stellt spezifische Anforderungen an die Kostenrechnung und das Kostenmanagement.
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Vorwort
Analoges ergibt sich aus dem Einsatz des externen Faktors und der variierenden Integrationsgrade, da hieraus eigene Zurechenprobleme resultieren. Die durch Intangibilität und Kundenbeteiligung bedingte mangelnde Lagerfähigkeit von Dienstleistungen hat Konsequenzen für das Kapazitätscontrolling und erfordert – in der Kombination mit einer yield-basierten Preisfindung – eine besondere kapazitätsorientierte Kostenrechnung. Der vom beteiligten Kunden erlebte Erstellungsprozess (Kundenprozess) kann in vielerlei Hinsicht vom unternehmensintern definierten Prozess (Unternehmensprozess) abweichen. Da aber das Erleben des Kunden dessen aktuelles und zukünftiges Verhalten bestimmt, wird es zu einer wesentlichen Aufgabe des Dienstleistungscontrolling, den Kundenprozess zu identifizieren und die Controllingaktivitäten auf ihn auszurichten. Werden Dienstleistungen im Rahmen von Interaktionen zwischen Mitarbeitern und Kunden erstellt, nehmen diese Kundenkontaktmitarbeiter mit ihrem Verhalten entscheidenden Einfluss auf die Qualitätswahrnehmung, die Zufriedenheit und das Loyalitätsverhalten der Kunden. Insofern nimmt das mitarbeiterbezogene Controlling im Dienstleistungsunternehmen eine zentrale Rolle ein. Dabei bedarf es häufig auch eines Überdenkens bzw. einer Modifikation traditioneller Kennziffern und ihrer Verwendung. So ist die Anwendung klassischer Produktivitätskennzahlen häufig problematisch, und es bestehen zwischen mitarbeiterbezogenen Qualitäts- und Produktivitätszielen konfliktäre Beziehungen, die eine simultane Betrachtung erforderlich erscheinen lassen. Gerade auch bei stark interaktiven Prozessen, die aufgrund der hohen Beteiligung von Mitarbeitern und Kunden zu individuellen Leistungsergebnissen führen, stoßen auch herkömmliche standardisierte Formen des Qualitätscontrolling an ihre Grenzen und müssen durch neue, insbesondere kundenorientierte Methoden ergänzt werden. Viele Dienstleistungen werden im Rahmen langfristiger und kontinuierlicher Geschäftsbeziehungen erstellt. Von daher ergibt sich die Dringlichkeit, ein Beziehungsmanagement zu etablieren, das sich am Kundenwert orientiert. Daher geraten die Controllingansätze zur Ermittlung des Kundenwertes und zur darauf aufbauenden Steuerung von Unternehmensprozessen vor allem in Dienstleistungsbranchen in das Zentrum der Beachtung. In den 21 Beiträgen dieses Sammelbandes werden diese und weitere Herausforderungen an das Dienstleistungscontrolling sowie innovative Lösungsansätze vorgestellt. Dabei lassen sich die Beiträge sechs inhaltlichen Teilbereichen zuordnen. Im ersten Teil wird die thematische Basis gelegt. Hier werden die wesentlichen begrifflichen und konzeptionellen Grundlagen des Dienstleistungscontrolling präsentiert, eine kritische Bestandsaufnahme des derzeitigen Diskussionsstandes vorgenommen und Perspektiven zur Weiterentwicklung entworfen. Prozesse als Gegenstand des Dienstleistungscontrolling stehen im Mittelpunkt des zweiten Teils. Zum einen wird verdeutlicht, wie der vom Kunden erlebte Prozess und der
Vorwort
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von ihm dabei wahrgenommene Wert zum Fokus des Controlling gemacht werden kann. Zum anderen werden wesentliche Aspekte einer kundenorientierten Steuerung der Dienstleistungsqualität betrachtet. Dabei geht es primär um den Einsatz prozessbezogener Qualitätsstandards, aber auch um die realistische Abschätzung der ökonomischen Folgewirkungen aufgrund von Qualitätsmängeln im Rahmen des Beschwerdemanagement-Controlling. Die Beiträge des dritten Teils thematisieren die besondere Relevanz der Mitarbeiter für die Produktivität sowie die Qualität der Leistungserstellung und deren Wahrnehmung durch die Kunden. In diesem Zusammenhang gehen sie den Fragen nach, wie die Performance der Mitarbeiter – insbesondere derer, die im Kundenkontakt stehen – modelliert, gemessen und in einem personalorientierten Dienstleistungscontrolling berücksichtigt werden kann. Ausgewählte Controllingsysteme werden im vierten Teil präsentiert und diskutiert. Es wird geprüft, welche Systeme grundsätzlich geeignet sind und wie sie marktorientiert sowie in Abstimmung auf verschiedene Wertschöpfungskonfigurationen ausgestaltet werden können. Darüber hinaus wird erörtert, welche Probleme bei der Implementierung von kennzahlengestützten Steuerungssystemen auftreten und wie diese gelöst werden können. Im fünften Teil wird auf Möglichkeiten eines kundenwertorientierten Controlling eingegangen. Es werden verschiedene Ansätze zur Konzipierung und Messung des Kundenwertes im Hinblick auf ihre Vor- und Nachteile reflektiert und Möglichkeiten ihrer Implementierung erörtert. Zudem wird gezeigt, wie die Kundenwertorientierung im Rahmen des Kapazitäts- und Ertragscontrolling Berücksichtigung finden kann. Die generelle, für alle Dienstleistungsunternehmen relevante Thematik wird im sechsten Teil in branchenspezifischen Beiträgen konkretisiert und vertieft, indem Anwendungen aus den Bereichen der Finanzdienstleistungen und des Tourismus präsentiert werden und aufgezeigt wird, welche besonderen Herausforderungen sich für NonprofitDienstleistungsorganisationen ergeben. Die wissenschaftlichen Beiträge werden ergänzt durch einen Literatur-Service, der eine thematisch geordnete Zusammenstellung wichtiger Veröffentlichungen zum Themengebiet beinhaltet. Für die Betreuung und Koordination des Sammelbandes danken wir Herrn Dr. Matthias Gouthier vom Lehrstuhl für Dienstleistungsmanagement der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und Herrn Dipl.-Wirtsch.-Ing. Gunnar Markert vom Lehrstuhl für Marketing und Unternehmensführung der Universität Basel. Dem Studierenden cand. rer. pol. Kerem Taskin von der Universität Basel danken wir für die Erstellung der druckfertigen Vorlage. Besonderer Dank gilt auch der UBS AG (Zürich), die durch ihre Unterstützung die Publikation dieses Sammelbandes in der vorliegenden Form ermöglicht hat.
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Vorwort
Wir hoffen, dass dieser neue Band in der Reihe „Forum Dienstleistungsmanagement“ nicht nur der Forschung im Bereich „Dienstleistungscontrolling“ neue Impulse gibt und dabei zu einer verstärkten Kooperation zwischen verschiedenen betrieblichen Teildisziplinen anregt, sondern auch stimulierend für einen verstärkten Theorie-Praxis-Dialog wirkt.
Basel und Ingolstadt
Manfred Bruhn Bernd Stauss
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis Vorwort....................................................................................................................V
Teil A: Wissenschaftliche Beiträge
1. Grundlagen des Dienstleistungscontrolling Manfred Bruhn und Bernd Stauss Dienstleistungscontrolling – Einführung in die theoretischen und praktischen Problemstellungen ....................................................................................................3 Martin Reckenfelderbäumer Konzeptionelle Grundlagen des Dienstleistungscontrolling – Kritische Bestandsaufnahme und Perspektiven der Weiterentwicklung zu einem Controlling der Kundenintegration .........................................................................31
2. Prozessorientierung von Dienstleistungen als Ansatz des Controlling Martin Benkenstein und Ariane von Stenglin Prozessorientiertes Qualitätscontrolling von Dienstleistungen...............................55 Sabine Fließ, Britta Lasshof und Gabriele Willems Qualitätsstandards im Dienstleistungsprozess ........................................................71 Bernd Stauss und Wolfgang Seidel Evidenz-Controlling im Beschwerdemanagement – Ein Ansatz zur Abschätzung des „Verärgerungs-Eisbergs“............................................................89 Friederike Wall und Regina Schröder Customer Perceived Value Accounting als zentrale Komponente des Dienstleistungscontrolling ....................................................................................113
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Inhaltsverzeichnis
3. Personalorientiertes Dienstleistungscontrolling Antje Krey und Friedemann W. Nerdinger Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt – Partizipatives Produktivitätsmanagement (PPM) als Instrument des Dienstleistungscontrolling .....................135 Gertrud Schmitz Mitarbeiterperformance als Ansatzpunkt eines Leistungscontrolling im Servicekontakt .................................................................................................157 Michael Lingenfelder, Karsten Schmidt und Jan Wieseke Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt – Modellierung und Messung mittels Mystery Shopping im Tourismus .......................................181 Bernd Bienzeisler und Theodora Löffler Jenseits von Kennzahlen: Interaktionskompetenzen zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität ...........................................................................211
4. Ausgewählte Controllingsysteme im Dienstleistungsbereich Thomas Biermann Probleme der Implementierung kennzahlengestützter Steuerungssysteme im Dienstleistungsunternehmen............................................................................233 Herbert Woratschek, Stefan Roth und Guido Schafmeister Dienstleistungscontrolling unter Berücksichtigung verschiedener Wert-schöpfungskonfigurationen – Eine Analyse am Beispiel der Balanced Scorecard...............................................................................................253 Sven Reinecke und Gerold Geis Kennzahlengestütztes Marketingcontrolling in Dienstleistungsunternehmen ......275
5. Wertorientiertes Dienstleistungscontrolling Jürgen Weber und Marius Lissautzki Kundenwert-Controlling: Dienstleistungsunternehmen kundenorientiert steuern .......................................................................................303
Inhaltsverzeichnis
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Michael Lister Value Controlling in Dienstleistungsunternehmen ...............................................325 Manfred Bruhn, Karsten Hadwich und Dominik Georgi Implementierung des Kundenwertmanagements – Modellierung und Anwendungsbeispiel.............................................................................................351 Marion Büttgen Kundenorientiertes Kostenmanagement bei beteiligungsintensiven Dienstleistungen....................................................................................................369 Klaus Weiermair und Mike Peters Kapazitätsauslastungs- und Ertragscontrolling von touristischen Dienstleistungen durch das Yield Management....................................................395
6. Dienstleistungsspezifisches Controlling in ausgewählten Branchen Annette G. Köhler, Heinrich-Stefan Rolvering und Stephan Germann Zusammenhänge zwischen Vertriebssteuerungsmaßnahmen und Vertriebserfolg – erste empirische Ergebnisse aus dem deutschen Sparkassensektor...................................................................................................415 Claudia Klausegger und Thomas Salzberger Marketingcontrolling im Tourismus - Empirische Analyse zum Status Quo am Beispiel ausgewählter österreichischer Tourismusbranchen...........................431 Manfred Bruhn Dienstleistungscontrolling für Nonprofit-Organisationen ....................................453
Teil B: Serviceteil Ausgewählte Literatur zum Dienstleistungscontrolling........................................487 Ihre Meinung ist uns wichtig ................................................................................503 Stichwortverzeichnis.............................................................................................505
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Teil A: Wissenschaftliche Beiträge 1. Grundlagen des Dienstleistungscontrolling
Manfred Bruhn und Bernd Stauss
Dienstleistungscontrolling – Einführung in die theoretischen und praktischen Problemstellungen
1. Controlling als Subsystem des Dienstleistungsmanagements 1.1 Besonderheiten und Aufgaben des Dienstleistungscontrolling 1.2 Erfolgskette des Dienstleistungsmanagement als Ausgangspunkt des Dienstleistungscontrolling 2. Unternehmensinterne Bezugsobjekte und Problemstellungen 2.1 Interne vorökonomische Indikatoren des Controlling 2.2 Interne ökonomische Indikatoren des Controlling 3. Unternehmensexterne Bezugsobjekte und Problemstellungen 3.1 Externe vorökonomische Indikatoren des Controlling 3.2 Externe ökonomische Indikatoren des Controlling 4. Integrierte Controllingsysteme im Dienstleistungsmanagement 5. Erfolgsfaktoren und Erfolgswirksamkeit des Dienstleistungscontrolling 6. Zusammenfassung Literatur
Prof. Dr. Manfred Bruhn ist Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing und Unternehmensführung am Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrum (WWZ) der Universität Basel und Honorarprofessor an der Technischen Universität München. Prof. Dr. Bernd Stauss ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Dienstlleistungsmanagement an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
Dienstleistungscontrolling – Einführung in die Problemstellungen
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Controlling als Subsystem des Dienstleistungsmanagements
1.1 Besonderheiten und Aufgaben des Dienstleistungscontrolling Die Funktionen des Controlling umfassen – in produzierenden Unternehmen wie in Dienstleistungsunternehmen – die Unterstützung und Koordination kundenbezogener Aktivitäten im Hinblick auf ihre Wirtschaftlichkeit. Angesichts der etablierten Standardwerke zum Controlling stellt sich folglich die Frage, ob bzw. warum für Dienstleistungsunternehmen eine spezielle Betrachtung des Controlling notwendig ist. Ein funktionierendes Controlling verlangt nach explizit formulierten Zielen und einer Messbarkeit von Kennzahlen der Zielerreichung. Es übernimmt dabei zum einen die Aufgabe der Entscheidungsvorbereitung und zum anderen die der Kontrolle der Umsetzung von Entscheidungen. Ein Hauptanliegen des Controlling ist es, dass gewählte Handlungsalternativen plangemäß umgesetzt und Ergebnisse möglichst exakt antizipiert werden. Bei der kontinuierlichen Überwachung der Umsetzung sind Abweichungen der erzielten Ergebnisse von den kalkulierten Planzahlen zu messen und Maßnahmen zur Veränderung des operativen Betriebs zu ergreifen bzw. gegebenenfalls die Planzahlen zu modifizieren. Aufgrund der Besonderheiten von Dienstleistungen gestaltet sich die Steuerungsfunktion des Controlling in Dienstleistungsunternehmen oft schwieriger als in produzierenden Unternehmen. Insbesondere ist dies auf schwer kalkulierbare externe Faktoren zurückzuführen, die bei der Leistungserstellung zu integrieren sind. Im einzelnen führen die drei folgenden konstitutiven Merkmale von Dienstleistungen dazu, dass Controllingaspekte für Dienstleistungsunternehmen einer speziellen Betrachtung bedürfen: (1) Die mangelnde Lagerfähigkeit führt dazu, dass eine permanente Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit notwendig ist. Hieraus ergeben sich Probleme unter anderem hinsichtlich der Kostenzurechnung, da die Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit zu einem hohen Fixkostenanteil führt. Beispielsweise hat dies bei einer schwankenden Nachfrage für die Effizienz des Personaleinsatzes – aufgrund der ebenfalls schwankenden Auslastung bei der Dienstleistungserstellung – nachteilige Folgen. (2) Die Integration des externen Faktors bedingt eine nur eingeschränkte Möglichkeit zur Automatisierung und somit eine hohe Personalintensität bei der Leistungserstellung. Weiterhin spielen soziale Kompetenzen aufgrund der Partizipation des Kunden an der Leistungserstellung eine wichtige Rolle. Folglich ist ein Personalcontrolling, das die Aspekte der Leistungserstellung berücksichtigt, von zentraler Bedeutung. (3) Die Immaterialität des Leistungsergebnisses ist mit einer geringeren Transparenz beim Leistungsvergleich und bei der Leistungsbeurteilung verbunden. Hier sind hin-
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Manfred Bruhn und Bernd Stauss sichtlich des Controlling Kennzahlen zu entwickeln, die eine zielorientierte Steuerung des Qualitätsmanagements ermöglichen.
Die genannten Charakteristika repräsentieren die konstitutiven Merkmale von Dienstleistungen, aus denen sich die Kernpunkte der Problemstellung eines Dienstleistungscontrolling ergeben. Sie beinhalten unterschiedliche Fragestellungen, die sich sowohl auf die Potenzial-, Prozess- als auch Ergebnisdimension von Dienstleistungen beziehen. Insofern könnte auch eine Unterscheidung in Potenzial-, Prozess- und Ergebniscontrolling vorgenommen werden. Martin Reckenfelderbäumer stellt hinsichtlich dieser Betrachtung heraus, dass die branchenspezifisch sehr unterschiedlichen Ausprägungen der Dienstleistungsmerkmale in ein Dienstleistungscontrolling mit einzubeziehen sind. Darüber hinaus untersucht er die grundlegenden Lücken, die in der Controllingliteratur hinsichtlich dieser Merkmale aktuell noch bestehen. Manfred Bruhn führt bezüglich dieser branchenspezifischen Unterschiede in einer umfassenden Betrachtung aus, welche Anpassungen des Dienstleistungscontrolling im so genannten „dritten Sektor“ der Nonprofit-Organisationen erforderlich sind. Um die Sicherstellung der Effektivität und der Effizienz des Dienstleistungsmanagements zu gewährleisten, hat das Dienstleistungscontrolling vor allem die folgenden Funktionen zu erfüllen (Bruhn 1998, S. 71ff.): Informationsversorgungsfunktion, Planungsfunktion, Koordinationsfunktion, Kontrollfunktion. Innerhalb der Informationsversorgungsfunktion kommt dem Controlling die Aufgabe zu, die durch die einzelnen Abteilungen generierten Informationen (z.B. aus Vertrieb, Beschaffung und Rechnungswesen) zu verknüpfen und zu verdichten. Weiterhin sind nicht unternehmensintern vorhandene kundenbezogene Daten (z.B. Bonitätsprüfungen) zu beschaffen und zu entscheidungsrelevanten Informationen aufzubereiten. Der bereits erwähnten Schwierigkeit der Messbarkeit (aufgrund von Immaterialität und Unsicherheit bezüglich der Integration des externen Faktors) insbesondere kundenbezogener Kennzahlen ist dabei durch den Einsatz geeigneter Controllinginstrumente Rechnung zu tragen. Die zentrale Aufgabe des Controlling im Rahmen der Planungsfunktion besteht in der Entscheidungsvorbereitung. Für die strategische und operative Planung sind erfolgsrelevante – d.h. insbesondere finanzielle, personal- und kundenbezogene – Kennzahlen kontinuierlich zu erheben und gegebenenfalls neu zu definieren. Personal- und kundenbezogenen Kennzahlen kommt bei Dienstleistungen im Allgemeinen eine deutlich höhere Bedeutung zu als bei Sachleistungen. Der Einbezug entsprechender Kennzahlen bezieht
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sich auf das Leistungsspektrum, die Leistungsgestaltung, das Qualitätsmanagement, die Personalplanung u.a.m. Die Koordinationsfunktion beinhaltet die Abstimmung von kundenbezogenen Aktivitäten in verschiedenen Bereichen und Hierarchiestufen. So dient die horizontale Koordination der Abstimmung von Maßnahmen zwischen verschiedenen Unternehmensbereichen (z.B. zwischen Leistungsentwicklung und Marketing oder unterschiedlichen Sparten), während in der vertikalen Koordination die Hierarchieebenen (z.B. Management und Kundenkontaktpersonal) aufeinander abzustimmen sind. Die horizontale Abstimmung unter Berücksichtigung der Ablauforganisation ist besonders für jene Dienstleistungen relevant, bei denen der Kunde am Prozess der Leistungserstellung unmittelbar beteiligt ist, da hier ein reibungsloses Ineinandergreifen der einzelnen Prozesse einen großen Einfluss auf die Qualitätswahrnehmung des Kunden hat. Im Rahmen der Kontrollfunktion hat das Controlling Instrumente bereitzustellen, mit denen Abweichungen der Ergebnisse von den vorgegebenen Zielen des Unternehmens erfasst werden können. Diese werden nach der Analyse der Abweichungsursachen im Rahmen der Planung einer eventuellen Neudefinition der Ziele zu Grunde gelegt. Analog der Problematik hinsichtlich der Informationsfunktion besteht die Herausforderung an das Controlling hierbei in der Entwicklung und Ermittlung von Kennzahlen, die eine Zurechenbarkeit von Erfolgswirkungen zu Maßnahmen des Dienstleistungsmanagements ermöglichen. Dies ist bei Dienstleistungen in besonderem Maße relevant, da Nutzenbeiträge von Teilleistungen zu erheben sind, die hinsichtlich ihrer Qualität in Folge ihrer Immaterialität weder vom Unternehmen noch vom Kunden objektiv bewertet werden können.
1.2 Erfolgskette des Dienstleistungsmanagements als Ausgangspunkt des Dienstleistungscontrolling Um die Funktionsfähigkeit und Effizienz des Dienstleistungsmanagements systematisch zu erfassen, bietet es sich an, die so genannte „Erfolgskette des Dienstleistungsmanagements“ zur Strukturierung der Aufgabenbereich zugrunde zu legen. Sie umfasst verschiedene vorökonomische Größen, die ursächlich für den ökonomischen Erfolg eines Unternehmens sind. Diese Erfolgskette, die in ähnlicher Form auch als „Service Profit Chain“ bezeichnet wird, gilt für externe und interne Kunden-Lieferantenbeziehungen gleichermaßen (Sasser/Schlesinger/Heskett 1997). Die Besonderheit der hohen Personalintensität und der Integration des externen Faktors bei Dienstleistungen hat zur Folge, dass in erhöhtem Maße Interdependenzen zwischen den unternehmens- bzw. mitarbeiterbezogenen und den kundenbezogenen Determinanten bestehen. Abbildung 1 verdeutlicht diese Zusammenhänge, die sich anhand der internen und externen Erfolgskette darstellen lassen.
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Externe Erfolgskette Servicequalität
Kundenzufriedenheit
Kundenbindung Ökonomischer Erfolg
Interne Servicequalität
Interne Kundenzufriedenheit
Verbundenheit
Interne Erfolgskette
Abbildung 1: Interne und externe Erfolgskette des Dienstleistungsmanagements (Quelle: Bruhn 2001, S. 178) Die Zusammenhänge zwischen mitarbeiterbezogenen und kundenbezogenen Indikatoren, die sich in den Konstrukten der Servicequalität, der Zufriedenheit und der Verbundenheit bündeln lassen und die schließlich zum ökonomischen Erfolg führen, haben Auswirkungen auf das Aufgabenspektrum des Controlling. Von Bedeutung ist zunächst die interne Kundenzufriedenheit, d.h. die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit Services innerhalb von internen Kunden-Lieferanten-Beziehungen. Controllingobjekt ist hier folglich die interne Kundenorientierung, die mehrere positive Effekte nach sich ziehen kann. Diese umfasst als Ursache der Zufriedenheit eine bessere interne Kommunikation und als Folge der Zufriedenheit unter anderem ein besseres Betriebsklima und eine höhere Leistungsbereitschaft. Neben der höheren Leistungsbereitschaft identifizieren sich zufriedene Mitarbeiter stärker mit ihrem Unternehmen. Dies wiederum führt zu einer intensiveren und damit längeren Verbundenheit mit dem Unternehmen, die bei Dienstleistungen eine herausgehobene Rolle spielt. Insbesondere für personalintensive Dienstleistungen spielen langfristige MitarbeiterKunden-Beziehungen, bedingt durch ihren hohen Interaktionsgrad und wahrgenommene Unsicherheiten im Kaufentscheidungsprozess, grundsätzlich eine größere Rolle als bei Sachleistungen. Daher ist beispielsweise eine geringe Fluktuation des Kundenkontaktpersonals von großer Bedeutung. Entsprechend ist es eine Aufgabe des Controlling, Indikatoren der Mitarbeiterbindung zu erheben und Implikationen zu deren Steuerung abzuleiten. Jedem Glied der internen und der Erfolgskette lassen sich Instrumente des Controlling zuordnen, wie in Abbildung 2 dargestellt. Die Instrumente werden herangezogen, um die Erfolgskette im Sinne von Trackingsystemen kontinuierlich zu beobachten. Dabei steht das Prinzip von Messen Æ Verändern Æ Messen usw. im Vordergrund.
Abbildung 2: Controlling-Erfolgskette für Dienstleistungsunternehmen (Quelle: vgl. Bruhn 2006, S. 738)
ControllingInstrumente
Kundenbezogene Indikatoren
ControllingInstrumente
Unternehmensbezogene Indikatoren
Kundenbarometer
Kundenbindung Weiterempfehlung
Verhaltenswirkungen
Mitarbeiterperformance-Messung
Leistungsbereitschaft/Motivation Mitarbeiterbindung
Externe Controllingaspekte
Mystery Shopping Service Blueprinting Ereignisorientierte Messungen Messung Quantitative Kundenbefragungen Imageuntersuchungen
Leistungswahrnehmung Kundenzufriedenheit Image
Dienstleistungsmanagement
Qualitätsauditing Problemmessungen Fishbone FMEA-Analyse
Leistungs-/Qualitätsfähigkeit Interaktionskompetenz Beschwerdemanagement Qualitätsmanagement
Interne Controllingaspekte
Vorökonomischer Bereich
ABC-Analyse auf Umsatzbasis Relative Umsatzanalyse Kundendeckungsbeitragsanalyse Customer Lifetime Value
Kundenwert
Ökonomischer Erfolg
Prozesskostenrechnung Personalstatistik Portfolioanalyse Wettbewerbsanalyse Wettbewerbsanalysedaten
Produktivität Kostenstruktur Ertragsstruktur Produktivität
Ökonomischer Bereich
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Diese Grundgedanken werden im Folgenden verdeutlicht und dabei die einzelnen Beiträge des Sammelbandes eingeordnet. Die internen sowie externen Bezugsobjekte und die daraus abgeleiteten Problemstellungen des Dienstleistungscontrolling stehen dabei im Vordergrund.
2.
Unternehmensinterne Bezugsobjekte und Problemstellungen
2.1 Interne vorökonomische Indikatoren des Controlling Hinsichtlich der Messobjekte lassen sich bei internen Bezugsobjekten wie bei der klassischen (externen) Erfolgskette vorökonomische und ökonomische Determinanten unterscheiden. Dienstleistungen sind im Allgemeinen durch eine hohe Personalintensität, sowohl im Front-Office- als auch im Back-Office-Bereich, gekennzeichnet. Zum einen haben die Mitarbeiter einen hohen Anteil an der Leistungserstellung. Zum anderen spielt aufgrund der Integration des externen Faktors und der Interaktion mit dem Kunden der Leistungserstellungsprozess eine wichtige Rolle für die kundenseitige Beurteilung der Dienstleistungsqualität. Auf die Leistungsqualität haben wiederum nicht nur direkt kundenbezogene Prozesse, sondern auch vorgelagerte und unterstützende Prozesse Einfluss. Für eine Betrachtung von unternehmensinternen Bezugsobjekten des Controlling und die Ableitung von dienstleistungsspezifischen Problemstellungen sind folglich alle leistungsbezogenen Prozesse relevant. Dabei stehen – als Ausgangspunkt der Erfolgskette – zunächst vorökonomische Aspekte im Vordergrund. Interne vorökonomische Indikatoren des Controlling beinhalten im ersten Glied der Wirkungskette folgende Aspekte: Leistungsfähigkeit des Unternehmens, Interaktionskompetenz der Mitarbeiter (im Kundenkontakt), Indikatoren des Qualitäts- und Beschwerdemanagements. Die Leistungsfähigkeit und die Interaktionskompetenz betreffen dabei zunächst die Potenzialdimension. Das Qualitätsmanagement beinhaltet allerdings auch zusätzlich Aspekte der Prozessdimension von Dienstleistungen. Die Leistungsfähigkeit des Unternehmens wird vor allem durch seine Kernkompetenzen und die Effektivität der genannten leistungsbezogenen Prozesse bestimmt. Hier gilt es aus Sicht des Controlling, Standards für die Abstimmung der Leistungspotenziale zur
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Realisierung des angestrebten Leistungsniveaus zu setzen. Die hohe Personalintensität von Dienstleistungen fokussiert als Betrachtungsobjekt dabei das Fachwissen des Personals. Die Ermittlung der jeweils erforderlichen Kompetenzen mit dem Ziel einer geeigneten Personalauswahl beinhalten zwei Problembereiche für das Controlling. Zum einen sind mitarbeiterbezogene Fähigkeiten schwieriger zu ermitteln als beispielsweise die Leistungsfähigkeit einer Produktionsanlage. Zum anderen hat die Immaterialität von Dienstleistungen zur Folge, dass die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter sich nicht an einem Objekt manifestieren und verifizieren lässt. Daher ist den Methoden zur Ermittlung der Leistungsfähigkeit bei Dienstleistungen besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Deshalb ist hinsichtlich der Leistungsfähigkeit zu beachten, dass möglicherweise externe Anbieter in den Leistungserstellungsprozess zu integrieren sind. Auf die Gesamtheit der selbst oder von Fremdunternehmen zu erstellenden Leistungen bezogen, ergibt sich aus der Nichtlagerfähigkeit und dem daraus resultierenden Uno-Actu-Prinzip – d.h. der Simultaneität von Leistungserstellung und -konsum – die Notwendigkeit, die Zeit in Bezug auf die Leistungsfähigkeit als bedeutsames Bezugsobjekt des Controlling zu betrachten (z.B. die Erreichbarkeit der Mitarbeiter), da die Leistungskapazitäten bei Nachfrageschwankungen möglichst flexibel zu gestalten sind. Im Rahmen der ökonomischen Indikatoren zeigt das Yield Management hierzu Lösungsmöglichkeiten auf. Bei den Interaktionskompetenzen handelt es sich um Kompetenzen, die für kommunikations- und interaktionsintensive Leistungen, also speziell im Dienstleistungsbereich, relevant sind und einem Controllingprozess zu unterziehen sind, da ihre Berücksichtigung für Personalauswahl und -einsatz zwingend erforderlich sind. Bernd Bienzeisler und Theodora Löffler stellen in ihrem Beitrag diesbezüglich ein Konzept mit unterschiedlichen Kategorien von Interaktionskompetenzen auf. Als Kategorien extrahieren sie Empathie, Professionalität, Spontaneität und Authentizität. Gertud Schmitz führt in ihrem Beitrag aus, dass die Bedeutung der einzelnen Kategorien anhand der konkret betrachteten Dienstleistung zu evaluieren und für ein zielführendes Personalmanagement entsprechend zu gewichten sind. Antje Krey und Friedemann Nerdinger entwickeln ein Modell des so genannten „partizipativen Produktivitätsmanagements“, wobei der Begriff der Produktivität hier in erster Linie auf vorökonomische Indikatoren angewendet wird. Das Modell fungiert als handlungssteuerndes Instrument für das Kundenkontaktpersonal. Die relevanten Determinanten der interaktiven Komponenten der Leistung werden im Rahmen der Erstellung des Modells operationalisiert und mit Kennzahlen als Maßstab für die Zielerreichung belegt. Das Controlling des Qualitätsmanagements schließlich beschäftigt sich mit der Leistung selbst, d.h. den Leistungspotenzialen und dem Prozess der Leistungserstellung. Aus interner Sicht ist es zunächst auf die fortlaufende Kontrolle der fachlichen Kompetenzen des Personals und der Qualität weiterer Produktionsfaktoren (z.B. Maschinen, Informationen) bezogen. Speziell für Dienstleistungen existieren Qualitätsaudits, die beispielsweise nach der internationalen Norm ISO 9000:2001 durchgeführt werden können. Neben der genannten Problematik des Controlling der Leistungspotenziale besteht hinsichtlich
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des Qualitätsmanagements bei Dienstleistungen eine zusätzliche Erschwernis, da Qualitätsmängel sich erst während der Leistungserstellung offenbaren. Möglichkeiten rein interner Messmethoden, die diesen Sachverhalt berücksichtigen, sind beispielsweise die Fishbone-Analyse oder die Fehlermöglichkeits- und Einfluss-Analyse (FMEA). Ein unternehmensübergreifendes Instrument des Controlling stellt weiterhin das Benchmarking dar. Beim Qualitätsmanagement sind externe Zulieferer ebenfalls von Bedeutung. Insbesondere, wenn es sich bei den jeweiligen Leistungen ebenfalls um (immaterielle) Dienstleistungen handelt, ist es problematisch, objektive Kennzahlen für die Qualität festzulegen, kontinuierlich zu ermitteln und zu steuern. Darüber hinaus ist wiederum die Zeit – hier die Zeit der Leistungserstellung, z.B. der Bustransport eines Fremdunternehmens von Urlaubern zwischen Hotel und Flughafen – aufgrund des Uno-Actu-Prinzips ein kritischer Faktor, der bei Fremdleistungen nur bedingt beeinflussbar ist. Sabine Fließ, Britta Lasshof und Gabriele Willems erkennen in ihrem Beitrag bei der Leistungserstellung als relevanten Indikator beispielsweise die „Schnelligkeit des Gesamtprozesses“, der von Fremdunternehmen, aber auch vom Kunden beeinflusst wird und sich deshalb einer präzisen Steuerung nach Maßgabe des Controlling entzieht. Je nach Dienstleistungsbranche ergeben sich hier allerdings unterschiedliche Qualitätsanforderungen. Für die Ermittlung und Etablierung jeweils relevanter Qualitätstreiber und Qualitätsstandards zeigen die Autoren einen schrittweisen Entwicklungsprozess auf. Abbildung 3 zeigt die Einordnung von Quellen qualitätsbezogener Informationsbeschaffung. Im zweiten Glied der internen Erfolgskette stehen die psychologischen Wirkungen der Maßnahmen des Dienstleistungsmanagements im Vordergrund. Hier gilt es in erster Linie, die Mitarbeiterzufriedenheit und die Motivation zu messen. Aufgrund des meist intensiven Kontaktes zwischen Mitarbeiter und Kunde bei Dienstleistungen sind diese Indikatoren in besonderem Maße zu beachten. Es ist dabei anzunehmen, dass die Mitarbeiterzufriedenheit in hohem Maße kausal für die Motivation verantwortlich ist (z.B. Borg 2000). Gertrud Schmitz beschreibt in ihrem Beitrag diesbezüglich „Organizational Citizenship Behaviour Intention“ (OCBI) als psychologisches Konstrukt. Es beinhaltet die Bereitschaft zur Orientierung an den Kundenwünschen, die Loyalität gegenüber dem Unternehmen und die Kooperationsbereitschaft innerhalb des Unternehmens. Darüber hinaus unterscheidet sie zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation, die hinsichtlich ihrer Messung unterschiedliche Anforderungen an das Controlling stellen und die ebenfalls unterschiedliche Implikationen für mögliche Anreizsysteme bedeuten. Speziell bei hoher intrinsischer Motivation wird deren Messung selbst als eher negativ wahrgenommen und konterkariert somit möglicherweise die Ziele des Controlling. Hingegen besteht bei der Messung der Mitarbeiterzufriedenheit eine Möglichkeit durch interne Servicebarometer, mittels derer Zufriedenheit oder Unzufriedenheit über Kausalmodelle auf ihre Ursachen zurückführbar sind.
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Grad der Erreichbarkeit Unternehmensintern
Unternehmensextern
Informationsquelle
Qualitätsmanagement/ Marketing
Beispiele: • FMEA • Fishbone • Interne Qualitätsmessung
Beispiele: • Kundenbefragungen • Ereignisorientierte Messung • FRAP
Controlling/ Marketing
Beispiele: • Kostenrechnung • Portfolioanalyse • Personalstatistik
Beispiele: • Imageuntersuchungen • Wettbewerbsanalysen • Marktpotenzialanalysen
Abbildung 3: Quellen im Rahmen der qualitätsbezogenen Informationsbeschaffung (Quelle: in Anlehnung an Bruhn 1997, S. 76) Das dritte Glied der internen Erfolgskette, das vom Controlling zu erfassen ist, bezieht sich auf Verhaltenswirkungen, die insbesondere die Mitarbeiterbindung beinhaltet. Die Bedeutung einer hohen Mitarbeiterbindung aufgrund tendenziell langfristiger Mitarbeiter-Kunden-Beziehungen im Dienstleistungsbereich wurde bereits erwähnt. Je höher der Interaktionsgrad mit einem Mitarbeiter, desto höher ist neben der Intensität der Geschäftsbeziehung auch der Grad persönlicher Durchdringung von Mitarbeiter und Kunde. Die Kenntnisse des Kundenkontaktpersonals über „ihre“ Kunden sind daher zum einen ein Kundenbindungsfaktor, zum anderen ein Wissensfaktor, der für das Unternehmen „Wiederbeschaffungskosten“ verursacht, wenn der Mitarbeiter das Unternehmen verlässt. Im OCBI-Modell von Gertrud Schmitz etwa wird mit der Loyalität ein Indikator der Mitarbeiterbindung gemessen. Weitere Informationsquellen bestehen in einer bereichsbezogenen Analyse der Personalstatistik, bei der besonders das Kundenkontaktpersonal zu betrachten ist. Präzisieren lassen sich die Erkenntnisse mittels einer Analyse der Mitarbeiterfluktuation, in deren Rahmen analog zum Servicebarometer Mitarbeiterbefragungen durchzuführen sind, die Schlüsse über die Ursachen der Fluktuation zulassen.
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2.2 Interne ökonomische Indikatoren der Controlling Das Controlling von internen ökonomischen Indikatoren bezieht sich auf die Effizienz der Dienstleistungsprozesse. Es umfasst Indikatoren, die sich nach drei Kategorien bündeln lassen: Kostenstruktur, Ertragsstruktur, Produktivität. Hier steht das Controlling aus mehreren Gründen vor einer anspruchsvolleren Aufgabe als bei produzierenden Unternehmen. Erstens hat das Personal in Dienstleistungsunternehmen einen hohen Anteil an den Gesamtkosten der Leistungserstellung. Zweitens ist der Wertschöpfungsanteil einzelner Prozesse aufgrund ihrer Immaterialität nur schwer evaluierbar und unterscheidet sich zudem möglicherweise in der individuellen Kundenerwartung. Drittens variieren die Kostenanteile und die absoluten Kosten einzelner Prozesse aufgrund der Integration des externen Faktors stark. Viertens haben wegen der Leistungsbereitschaft und der Immaterialität der Leistung Gemeinkosten einen hohen Anteil an den Gesamtkosten, so dass die Effizienz von Prozessen wiederum schwerer zu messen ist. Es bieten sich dennoch mehrere Instrumente an, um die Indikatoren der Effizienz bei Dienstleistungsunternehmen zu messen. Hinsichtlich der Kostenstruktur sind zwei Instrumente hervorzuheben, die sich für den Dienstleistungsbereich anbieten. Die Prozesskostenrechnung stellt dabei eine Möglichkeit dar, Bereiche, die nicht leistungsbezogen verrechnet werden, besser zu durchdringen und somit eine effizientere Gestaltung der Leistungserstellung zu erreichen. Hierzu werden zunächst die Leistungserstellungs- und -unterstützende Prozesse analysiert und disaggregiert. Daraufhin werden jedem Teilprozess die von ihm verursachten Kosten zugeordnet und in einem weiteren Schritt die Kostentreiber ermittelt. Auf dieser Basis können sowohl die Kosten für einzelne Gesamtleistungen ermittelt als auch beispielsweise eine Deckungsbeitragsrechnung für einzelne Kunden durchgeführt werden (Fischer 2000, S. 88ff). Dies stellt einen Teil der kundenbezogenen (externen) Controllingaspekte dar. Hinsichtlich der Planung kann zudem das so genannte Target Costing eingesetzt werden. Dessen zentraler Ansatzpunkt besteht darin, auf der Basis der Preisbereitschaft der Kunden für bestimmte Leistungen zu bestimmen, welche Kosten einzelne Leistungskomponenten nicht übersteigen dürfen (Horvàth/Seidenschwarz 1992, S. 145; Nagl/Rath 2004, S. 61ff.). Marion Büttgen führt in ihrem Beitrag das Target Costing unter zusätzlicher Berücksichtigung der Integration des externen Faktors auf eine kundenbezogene Ebene. Sie berücksichtigt dabei sowohl die Thematik des hohen Gemein- und Fixkostenanteils als auch die Bewertung des Leistungsergebnisses und geht in besonderem Maße auf die Zurechnungsprobleme beim Input ein, die sich z.B. aus den unterschiedlichen Integrationsgraden des externen Faktors ergeben.
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Ein weitere Aufgabe des Controlling im Rahmen der Kostenrechnung besteht in der Ermittlung der Integrationskosten des externen Faktors. Bei hohen Diskrepanzen zwischen Kunden bzw. Kundengruppen ist zu überlegen, wie auf Basis der Erkenntnisse des Controlling eine Segmentierung nach Kundengruppen mit unterschiedlichen Graden der Kundenintegration anzustreben ist oder ob gegebenenfalls Automatisierungspotenziale realisierbar sind. Hervorzuheben ist, dass die Erkenntnisse über die Prozesskosten und die aus der Notwendigkeit einer permanenten Leistungsfähigkeit entstehenden Fixkostenproblematik dabei ebenfalls zu berücksichtigen sind. Controllingaufgaben bestehen daher vor allem in der Analyse jener Faktoren, aufgrund derer sich eine Kundenbeteiligung positiv oder negativ auf die Kosten der Leistungserstellung auswirken kann. Eine starke Integration kann durch die Übernahme eines hohen Anteils der Leistungserstellung positive Effekte auf die Kosten des Unternehmens haben, im Falle „inkompetenter“ Kunden jedoch auch zu höheren Nacharbeitungskosten und hohem personellen Aufwand führen. Es ist daher durch das Controlling zu ermitteln, welcher Grad der Kundenintegration nicht nur von Kundenseite gewollt ist, sondern auch aus Kostenaspekten sinnvoll ist. Die Auswertungen der leistungs- und bereichsbezogenen Kostenrechnung hat z.B. Überlegungen zur weiteren Planung des Leistungsprogramms zur Folge. So bieten sie etwa Anhaltspunkte zum anzustrebenden Integrationsgrad des externen Faktors und zu gegebenenfalls erforderlichen Automatisierungsmaßnahmen. Problematisch ist bei Dienstleistungsunternehmen allerdings die Zurechnung von Qualitätskosten, die wiederum einen hohen Gemeinkostencharakter aufweist (Bruhn 1997, S. 165). Weiterhin können anhand der Ergebnisse über Leistungsbereiche beispielsweise Cost Center errichtet werden, die auf der Basis des Kundennutzens (z.B. über Conjoint Measurement) beurteilt und wiederum einem Target Costing unterworfen werden (Weber/Schäffer 2000, S. 237ff.). Im Rahmen einer Wettbewerbsanalyse ist möglicherweise zu überlegen, ob eine horizontale oder vertikale Integration hinsichtlich der Wertschöpfungskette geboten sind, um Marktanteile zu halten oder zu erhöhen. Während das Ertragscontrolling unter externen Gesichtspunkten auf die Kundenebene abzielt, bezieht es sich intern – analog zur leistungs- und bereichsbezogenen Kostenrechnung – auf die Leistungsebene. Das heißt, es werden Deckungsbeiträge von Einzelleistungen und Leistungsgruppen betrachtet. Hier ist wiederum anzumerken, dass die Zurechnung von Wertschöpfungsanteilen zu Dienstleistungen, bedingt durch die Immaterialität und den daraus resultierenden Mangel an objektiven Beurteilungsmöglichkeiten, problematisch ist. Aufgrund der Vielzahl heranzuziehender Nutzenkategorien ist es oft schwierig, einen Marktpreis für Dienstleistungen zu ermitteln, wie beispielsweise schon am großen Preisspektrum für Frisördienstleistungen ersichtlich ist. Diese Feststellung gilt insbesondere, wenn eine Leistung im Verbund mehrerer zusammenhängender Einzelleistungen erstellt wird. Zwei unterschiedliche Ansatzpunkte hierfür sind die Berechnung von Nutzenanteilen nach Maßgabe der Kosten der Leistungserstellung und die Berechnung nach Nutzenanteilen aus Kundensicht. Während die Ermittlung von Nutzenwerten aus Kundensicht grundsätzlich sinnvoller erscheint, da sie Schlüsse über
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die Preisbereitschaft der Kunden erlaubt, besteht die Problematik hier zum einen in interindividuellen Differenzen der Nutzenwahrnehmung und zum anderen in der Messbarkeit. Eine übliche Vorgehensweise hierbei ist etwa das Conjoint Measurement, das analog der Vorgehensweise beim Target Costing auf der Basis der Preisbereitschaft für unterschiedliche Leistungsvarianten Nutzenwerte auf einzelne Leistungskomponenten herunterbricht. Eine Verbindung vom Kosten- zum Ertragscontrolling schaffen hier Klaus Weiermair und Mike Peters in ihrem Beitrag mit der Thematik des Yield Managements. Die Nichtlagerfähigkeit, die zu hohen Fixkosten und einer Anfälligkeit für Nachfrageschwankungen nach sich zieht, stellt ein komplexes Problem für die Auslastung der Leistungskapazitäten dar. Das Prinzip des Yield Mangements ist die Ausnutzung der unterschiedlichen Preisbereitschaften durch eine flexible Preisgestaltung, die zu einer Reduzierung der Schwankungsbreite der Nachfrage führt. Wie die Autoren ausführen, ergibt sich aber bei diesem Prinzip des Yield Managements zur Glättung der Nachfrage das Problem wahrgenommener Ungerechtigkeit auf Kundenseite. Diese kann sich ihrerseits in einem gegenüber dem Unternehmen negativen Kommunikations- und Kaufverhalten, und dadurch schließlich ökonomischen Einbußen niederschlagen. Die Autoren zeigen anhand touristischer Dienstleistungen Lösungsmöglichkeiten und Grenzen des Yield Managements auf. Sowohl kosten- als auch ertragsorientierte Kennzahlen lassen sich auf spezifische Leistungen bezogen oder global betrachten. Während die dargestellten spezifischen Kennzahlen einzelner Prozesse und Dienstleistungskomponenten Aussagen über die Effizienz des Leistungserstellungsprozesses zulässt, bieten globale Kennzahlen Möglichkeiten zur Bewertung des Unternehmenserfolges und zum branchenübergreifenden Vergleich. Globale Kennzahlen umfassen hinsichtlich des Kosten- und Ertragscontrolling unter anderem die der Kosten- und Ergebnisrechnung sowie der Portfolioanalyse. Anhand der globalen Kennzahlen können Branchenvergleiche und Benchmarks durchgeführt sowie im Rahmen der Planung strategische Ziele gesetzt werden. Wie Michael Lister in seinem Beitrag ausführt, gelten dabei im Dienstleistungsbereich andere Maßgaben als in Industrie- oder Konsumgüterbranchen. Eine Kontrolle über entsprechende Kennzahlen erfolgt beispielsweise anhand des Vergleichs von Soll- und Ist-Zielen der Eigenkapitalrentabilität bzw. des Return on Investment (ROI). Die Kostenrechnung dient vor allem der Wirtschaftlichkeitskontrolle einzelner Unternehmensbereiche. Als Bestandteil der Informationsfunktion des Controlling ist es z.B. Aufgabe der Portfolioanalyse, kosten- und ergebnisbezogene Auswertungen, aufgeschlüsselt nach Deckungsbeiträgen einzelner Leistungen, zu ermitteln, die mittels der genannten Indikatoren und Instrumente erhoben und gesteuert werden können. Hinsichtlich der Produktivität, die sich rein rechnerisch als das quotiale Verhältnis von Output zu Input der Leistungserstellung ergibt, bestehen – ebenfalls bedingt durch die Dauer des Leistungserstellungsprozesses und die Integration des externen Faktors – zusätzliche Anforderungen an das Controlling. Zum einen kommt den Mitarbeitern im
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Leistungserstellungsprozess wiederum eine wichtige Rolle zu, deren Produktivität nicht wie die einer Produktionsanlage konstant ist. Bernd Bienzeisler und Theodora Löffler erläutern hierzu in ihrem Beitrag anhand verschiedener Indikatoren, dass Kennzahlen, mit denen sich im Sachgüterbereich Produktivität messen lässt, im Dienstleistungsbereich nicht zwingend die gleichen Schlüsse über die Produktivität zulassen. Dies gilt beispielsweise für die Zeit der Leistungserstellung genauso wie für die Kosten der Leistungsbereitschaft, bei denen eine Reduktion von Zeit und Kosten nicht immer mit höherer Produktivität einhergeht. Antje Köhler, Heinrich-Stefan Rolvering und Stephan Germann zeigen in ihrem Beitrag am Beispiel des Vertriebs von Banken, dass die Steuerung (z.B. der variablen Vergütung) über Controllingkennzahlen einen positiven Einfluss auf den Vertriebserfolg hat.
3.
Unternehmensexterne Bezugsobjekte und Problemstellungen
3.1 Externe vorökonomische Indikatoren des Controlling Hinsichtlich der kundenbezogenen Erfolgskette wird hinsichtlich der Wirkungen des Dienstleistungsmanagements in der ersten Stufe zunächst eine Einteilung der Betrachtungsobjekte nach dem Drei-Phasen-Modell von Dienstleistungen vorgenommen, das den Dienstleistungsdimensionen folgt: Potenzialdimension, Prozessdimension, Ergebnisdimension. Als Basis der Betrachtungen ist anzumerken, dass psychologische Determinanten – wie Kundenzufriedenheit oder Image – im Hinblick auf das Controlling weder inhaltlich noch methodisch von der wahrgenommenen Leistungsqualität und dem wahrgenommenen Wert getrennt werden. Auch eine Trennung der beim Kunden ablaufenden kognitiven Prozesse und affektiven Wirkungen erscheinen diesbezüglich nicht sinnvoll. Die zum Einsatz kommenden Controllinginstrumente bieten allerdings in Bezug auf verhaltensbezogenen Wirkungen und die Aussagekraft und die Handlungsrelevanz der Messergebnisse bei den psychologischen Determinanten einige zusätzliche Möglichkeiten. Während Sachleistungen im Allgemeinen einen hohen Anteil an Sucheigenschaften aufweisen, die schon vor der Kaufentscheidung eine Beurteilung erlauben, ist dies bei Dienstleistungen kaum möglich. Die dadurch erforderliche gesonderte Betrachtung der Potenzialdimension hat Auswirkungen auf das Dienstleistungscontrolling.
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Bei den internen vorökonomischen Indikatoren wurde die Leistungsfähigkeit des Unternehmens on Bezug auf die Prozesse der Leistungserstellung betrachtet. Bei den externen vorökonomischen Indikatoren ist nicht nur die tatsächliche Leistungsfähigkeit von Bedeutung, sondern auch die sichtbaren Leistungspotenziale. Diese sind besonders relevant für die Kaufentscheidung, da sie als Sucheigenschaften dem Kunden eine von wenigen Möglichkeiten bieten, sich unmittelbar ein Bild von der Leistung zu machen. Zum einen vergleicht er seine auf Basis von Medien- und persönlicher Kommunikation entstandenen Erwartungen mit der – nach Kenntnisnahme der sichtbaren Leistungspotenziale – antizipierten Leistungsqualität. Zum anderen tragen diese Leistungspotenziale selbst stark zur Erwartungsbildung bei. Folglich ist es eine Aufgabe des Controlling, die Kundenerwartungen und die aufgrund der Leistungspotenziale antizipierte Leistungsqualität zu ermitteln. In einem ersten Schritt sind dazu die für die Leistungswahrnehmung des Kunden bedeutsamen Leistungseigenschaften zu ermitteln und mit den Eigenschaften der eigenen Leistung und der Kommunikation dieser Eigenschaften über die Leistungspotenziale zu vergleichen. In einem zweiten Schritt sind gegebenenfalls Implikationen abzuleiten, um entweder die Leistungspotenziale den Kundenerwartungen entsprechend anzupassen oder um die Erwartungen durch eine Modifikation der sichtbaren Leistungspotenziale zu manipulieren (bei einem Hotel z.B. durch eine schlicht gestaltete Rezeption im Gegensatz zu einer barocken Eingangshalle mit Portier und Hotelpagen). Der Prozessdimension von Dienstleistungen kommt unter anderem durch die Interaktion mit dem Kunden die wahrgenommene Unsicherheit der Leistungsbeurteilung ebenfalls eine hohe Bedeutung zu. Die im Rahmen der Interaktionskompetenz erläuterten Anforderungen an das Kundenkontaktpersonal und diesbezügliche Bezugsobjekte des Controlling kommen hier zum Tragen, da sie einen hohen Anteil an der Beurteilung der tatsächlich wahrgenommenen Leistungsqualität haben. Aufgrund der Bedeutung der Prozessdimension für die kundenseitige Leistungsbeurteilung, der Schwierigkeit des Einsatzes von Controllinginstrumenten und der zahlreichen Gestaltungsoptionen besteht hier ein zentrales Forschungsfeld, das mehrere Autoren dieses Sammelbandes aufgreifen. Martin Benkenstein und Ariane von Stenglin verwenden in ihrer Betrachtung des prozessorientierten Qualitätscontrolling das Service Blueprinting als Ausgangspunkt eines Controllingkonzeptes. Sie verwenden dabei ein weiter ausdifferenziertes Modell der anhand der „line of visibility“ identifizierten Prozesskategorien. Sie werfen dabei ebenfalls die Frage nach den Nutzenwerten und der Qualitätsmessung von Leistungskomponenten auf. Michael Lingenfelder, Karsten Schmidt und Jan Wieseke thematisieren in ihrem Beitrag ebenfalls die Kontaktpunkte zwischen Kunde und Mitarbeiter, fokussieren aber ihre Betrachtung auf die Mitarbeiterperformance im Front-Office-Bereich (der deshalb hier den externen Betrachtungsobjekten zugeordnet wird) und wählen als Messansatz des Controlling die Methode des Mystery Shopping. Dem bereits erwähnten Indikator der Zeitdauer beim Leistungserstellungsprozess kommt bei der kundenseitigen Qualitätswahrnehmung ein noch größeres Gewicht zu (z.B. im
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Wartezeit im Restaurant). Dabei ist zu beachten, dass eine Verkürzung des Prozesses nicht zwingend mit einer höheren Qualitätswahrnehmung einhergeht. Hier sind beispielsweise prozessorientierte Dienstleistungen (z.B. Restaurant, Kino) und ergebnisorientierte Dienstleistungen (z.B. Flug, Autoreparatur) zu unterscheiden. Die relevanten Indikatoren des Dienstleistungsergebnisses lassen sich mit qualitativen und quantitativen Methoden messen. Informationen über qualitative Indikatoren liefern ereignisorientierte Messungen wie z.B. die Critical Incident Technique, die anhand eines Blueprints ablaufende Sequentielle Ereignismethode oder die Switching-Path-Analyse (Stauss 2000; Stauss/Weinlich 1997; Roos 1999). Sie können zum einen Aufschluss darüber geben, wie das Unternehmen und seine Leistungen vom Kunden beurteilt werden, und zum anderen Erkenntnisse liefern, in welche Richtung Märkte und Kundenbedürfnisse sich entwickeln. Somit erlauben sie einen Vergleich von Eigen- und Fremdbild bzw. Soll- und Ist-Positionierung. Bei den quantitative Methoden sind vor allem die merkmalsorientierten Messmethoden, wie z.B. der SERVQUAL-Ansatz oder die Frequenz-Relevanz-Analyse (Frequency Relevance Analysis of Problems, FRAP), zu nennen. Friederike Wall und Regina Schröder entwickeln in ihrem Beitrag für die kundenseitige Beurteilung der Dienstleistung, d.h. prinzipiell sowohl des Prozesses als auch des Ergebnisses, einen so genannten Customer Perceived Value (CPV), der Teilnutzenwerte der Leistung für den Kunden erfasst. Vergleichbar mit der monetären Bewertung von Leistungskomponenten als Voraussetzung für das Target Costing, bietet der CPV unter anderem Einsatzmöglichkeiten für Instrumente zur Steuerung von Mitarbeitern und Anhaltspunkte für die strategische Leistungsplanung. Verhaltenswirkungen der externen Erfolgskette lassen sich in den Determinanten Loyalität und Weiterempfehlungsverhalten konkretisieren, die beide Indikatoren der Kundenbindung darstellen. Die Bedeutung der Loyalität als Indikator der Kundenbindung bei Dienstleistungsunternehmen wurde bereits im Rahmen der tendenziell intensiven und langfristigen Beziehung zwischen Mitarbeiter und Kunde erläutert. Controlling-Instrumente hinsichtlich der Kundenbindung beinhalten unterschiedliche Herangehensweisen. In einem ersten Ansatzpunkt können die Verhaltensindikatoren der Kundenbindung gemeinsam mit den ursächlichen psychologischen Indikatoren erhoben und deren Einfluss gemessen werden. Problematisch ist dabei zu sehen, dass Dienstleistungen zwar aufgrund der verursachten Kosten zu Beginn der Dienstleistungserstellung (z.B. Eröffnung eines Bankkontos) grundsätzlich ein investiver Charakter in Bezug auf die Kundenbeziehung zugesprochen wird. Trotzdem ist ein Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung nicht immer evident. Ein anderer Ansatzpunkt besteht in einer Analyse der Kundenbindung auf Basis konkreter Kennzahlen. Allgemein ist diesbezüglich die Betrachtung der Kundenfluktuation zu nennen, d.h. die Analyse der Kundenbeziehungsdauer und der Abwanderungsgründe. Letztere sind nur mit Kundenbefragungen zu ermitteln. Bei entsprechenden technischen Möglichkeiten können jedoch mittels Data Mining Transaktionshäufigkeiten, die Umsatzentwicklung und weitere Da-
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ten ermittelt und ausgewertet werden und so auf der Basis von Abwanderungen tpyische Profile abwanderungsgefährdeter Kunden erstellt werden, um gegebenenfalls Steuerungsmaßnahmen, konkret Instrumente der Kundenrückgewinnung, einsetzen zu können. Die Kundenbindung kann zusätzlich über Kundenbarometer erhoben werden. Dabei werden die Treiber der Gesamtzufriedenheit aus Kundensicht bewertet und mittels Kausalanalyse gewichtet, so dass relativ schlecht bewertete und überdurchschnittlich gewichtete Faktoren, die bei Verbesserungen folglich zu einer überdurchschnittlichen Steigerung der Kundenzufriedenheit führen, erkannt werden können. Hier kann auch ermittelt werden, welchen Einfluss die sichtbaren Leistungspotenziale, der Leistungserstellungsprozess und das Leistungsergebnis auf das wahrgenommene Dienstleistungsergebnis haben. Schließlich verfügen Weiterempfehlungen bei Dienstleistungen – wiederum aufgrund der hohen Anteile an Erfahrungs- bzw. Vertrauenseigenschaften – über eine hohe Relevanz. Kritisch ist hierbei vor allem die Erhebung des tatsächlichen Weiterempfehlungsverhaltens, da nach der Beurteilung einer in Anspruch genommenen Dienstleistung meist eher die Weiterempfehlungsabsicht als das tatsächliche Weiterempfehlungsverhalten erfasst wird. Darüber hinaus sind verschiedene Einflussfaktoren der Wirksamkeit von Weiterempfehlungen zu berücksichtigen (z.B. Meinungsführerschaft), deren schwierige Erhebung und Bewertung sie als Betrachtungsobjekte des Controlling problematisch erscheinen lässt.
3.2 Externe ökonomische Indikatoren des Controlling Aus der starken Beziehungsorientierung, die bei Dienstleistungen im Vergleich zu Sachgütern vorherrscht, ergibt sich als zentraler externer ökonomischer Indikator für das Dienstleistungscontrolling der Kundenwert. Das Controlling des Kundenwerts beinhaltet die ökonomische Betrachtung von Kundenbeziehungen im Hinblick auf den gegenwärtigen und/oder den zukünftigen Kundenwert. Die Bedeutung langfristiger Beziehungen bei Dienstleistungsunternehmen lässt insbesondere die zukunftsgerichteten Methoden der Kundenwertermittlung in den Vordergrund treten. Die gegenwartsorientierten Ansätze dienen dabei lediglich als Grundgerüst der zukunftsgerichteten Modelle, die weitergehende Überlegungen zu monetären und monetarisierbaren Komponenten zur Kundenwertberechnung erfordern. Zu den gegenwartsorientierten Ansätzen gehört unter anderem die Kundenumsatzanalyse, insbesondere die relative Umsatzanalyse, die nicht nur absolute Umsätze betrachtet, sondern des Umsatzanteil am Gesamtumsatz des Unternehmens, die Kundendurchdringungsrate („Share of Customer“) und die relative Lieferantenposition, d.h. das Verhältnis aus dem eigenen Umsatz mit dem Kunden zum Umsatz des größten Konkurrenten mit diesem Kunden (Cornelsen 2000). Die Kundendeckungsbeitragsanalyse berücksichtigt zusätzlich auch noch die Kosten, die im Laufe der Leistungserstellung – bzw. bei
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mehrperiodischen Betrachtung im Laufe der Kundenbeziehung – entstehen (Köhler 1992). Hier fließen somit auch die Kosten der Integration des externen Faktors mit ein. Für einen Vergleich der Kundenwerte bietet sich darüber hinaus die ABC-Analyse an. In einem zweidimensionalen Diagramm mit der Abszisse „kumulierter Anteil am Kundenbestand“ und der Ordinate „kumulierter Umsatzanteil“ werden die Kundenumsätze in der Rangfolge ihrer Anteile am Gesamtumsatz bis auf 100 Prozent aufsummiert. Hierbei wird häufig eine asymmetrische Verteilung der Umsatzbeiträge (z.B. 20:80-Regel; 20 Prozent der Kunden generieren 80 Prozent des Umsatzes) deutlich. Für eine zukunftsgerichtete Kundenbewertung kann die ABC-Analyse ausgeweitet werden zu einer dynamischen Analyse, die für jeden Kunden aktuelle Umsätze und erwartete zukünftige Umsätze erfasst. Erwartete zukünftige Umsätze können auf der Grundlage von Vergangenheitsdaten über Kunden mit ähnlichem Kaufverhalten und z.B. demografischen Daten abgebildet werden. Sie enthalten Cross- und Up-Selling-Potenziale sowie gegebenenfalls auch vorökonomische Größen, wie z.B. einen Referenzwert, der einer gesonderten Betrachtung bedarf (Cornelsen 1998; Wangenheim 2003). Der Referenzwert oder Weiterempfehlungswert spielt aufgrund der Beurteilungsproblematik von Dienstleistungen eine wichtige Rolle, da potenzielle Kunden Weiterempfehlungen zur Reduktion ihres wahrgenommenen Risikos nutzen. Die Operationalisierung ist hier allerdings mit großen Unsicherheiten hinsichtlich der Wirksamkeit der Weiterempfehlungen behaftet. Einflussfaktoren wie die Meinungsführerschaft, die Anzahl der Weiterempfehlungen und die jeweilige Intensität der Kommunikation sind Faktoren, die kaum erhebbar sind und eine Monetarisierung dieses Indikators der Kundenbindung kaum ermöglichen. Trotz der hohen Relevanz von Weiterempfehlungen ist die Problematik und der Einbezug des Referenzwerts in das Controlling daher noch nicht gelöst. Bei der Vorgehensweise nach dem so genannten Present Customer Lifetime Value (CLV) werden alle erwarteten zukünftigen Ein- und Auszahlungen (sowie gegebenenfalls weitere monetarisierte Nutzenaspekte) nach dem Zeitpunkt ihres Eintreffens abgezinst. Von Interesse ist dieser Ansatz – unabhängig der Realisierbarkeit aufgrund unsicherer Zukunftsdaten – deshalb, weil strategische Entscheidungen auf Basis des Gegenwartswertes der zukünftigen Ein- und Auszahlungen getroffen werden können. In diesem Zusammenhang sind weitere Differenzierungen für zukunftsgerichtete Kundenwertermittlungen möglich. Eine Möglichkeit besteht in der Berechnung des Kundenwerts über Kundenbindungswahrscheinlichkeiten. Die Wahrscheinlichkeiten können z.B. über Markovketten oder Bayes’sche Netzwerke ermittelt werden (z.B. Anderson et al. 2004). Insbesondere bei Dienstleistungen mit hohen laufenden Investitionen in die Kundenbeziehungen, wie z.B. bei regelmäßigen Kundengesprächen einer Vermögensberatung, bieten diese Methoden Unterstützung hinsichtlich der Maximierung des Kundendeckungsbeitrags bzw. des Customer Lifetime Value. Solch eine Steuerung beinhaltet z.B. die Planung von Maßnahmen der Kundenbindung und von Investitionen in Kundenbeziehungen, deren Intensität und Höhe in Abhängigkeit des erwarteten Kundenwerts getätigt werden. Auf diese Weise ist ansatzweise auch eine Steuerung des Kundenwerts,
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die zunächst nur sehr eingeschränkt realisierbar erscheint, möglich. Implikationen der Analyse des Present CLV beinhalten darüber hinaus auch die Möglichkeit zum Ausschluss von Kunden. Jürgen Weber und Marius Lissautzki operationalisieren in ihrem Beitrag ein umfassendes System von Treibern des Kundenwerts und spezifizieren insbesondere die zukunftsgerichteten Indikatoren des Loyalitätwerts, des Kundenentwicklungswerts und des Cross-Selling-Werts. Sie beziehen dabei unter anderem auch den Share of Customer und die Bindungswahrscheinlichkeiten mit in die Berechnungen eines integrativen Modells ein.
4.
Integrierte Controllingsysteme im Dienstleistungsmanagement
Die betrachteten vorökonomischen und ökonomischen Indikatoren, die bei internen und externen Controlling-Aspekten eine Rolle spielen, erfordern spezifische Instrumente der Messung und Steuerung als kundenbezogene und globale ökonomische Kennzahlen. Da die vorökonomischen Indikatoren jedoch in hohem Maße ursächlich für ökonomischen Erfolg sind, ist es zur Ableitung von Maßnahmen für das Dienstleistungsmanagement erforderlich, die vorökonomische und die ökonomische Ebene miteinander zu verknüpfen. Bei Controllingsystemen steht folglich die Ganzheitlichkeit der Betrachtungen im Vordergrund. Diesbezüglich lassen sich folgende Gesichtspunkte für eine Beurteilung heranziehen: Systemauditing, Wirkungskontrolle, System-Wirkungs-Auditing, Erfolgskontrolle. Das Systemauditing überprüft die Verfahrensweisen und Entscheidungsprozesse des Dienstleistungsmanagements. Das heißt, diese werden auf ihre Zweckmäßigkeit hin untersucht. Das Auditing beinhaltet somit beispielsweise die Analyse des Einsatzes von Kundenbindungsmaßnahmen, also deren Angemessenheit in Bezug auf die angestrebten Ziele. Ein weiteres Beispiel stellt das Qualitätsmanagement dar, das auf Basis der DIN ISO-Normen (z.B. die Qualitätsnorm für Dienstleistungen ISO 9001:2000) geprüft wird. Die Wirkungskontrolle bezieht sich auf die Wirksamkeit der eingesetzten Instrumente. So werden Kennzahlen über die Zielgrößen erfasst, anhand derer ein Soll-Ist-Vergleich durchgeführt werden kann. Hierbei handelt es sich um isolierte Einzelbetrachtungen von
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Kennzahlen innerhalb der Erfolgskette, die im Fall von Abweichungen noch keine Aussage über Ursachen zulassen. Das System-Wirkungs-Auditing hingegen erlaubt die Evaluation von Gesamtzusammenhängen zwischen Konstrukten der Erfolgskette. Dies geschieht z.B. anhand von Kausalmodellen, in denen die Beziehungen zwischen ökonomischen Kennzahlen und vorgelagerten Größen dargestellt wird. So ist die Rückführung von Abweichungen ökonomischer Kennzahlen von Planwerten auf Ursachen bei ökonomischen und vorökonomischen Einflussfaktoren möglich. Die Erfolgskontrolle bildet mit der Zurechnung von Erfolgswirkungen zu den Managementbausteinen Qualitäts-, Beschwerde-, Kundenbindungs- und Kundenwertmanagement den Abschluss und wiederum den Ausgangspunkt des Controlling-Regelkreises. Bei der Wirtschaftlichkeitskontrolle als Teil der Erfolgkontrolle wird eine KostenNutzen-Betrachtung der Managementsysteme durchgeführt. Hierzu gehört auch die Wirtschaftlichkeitskontrolle des Controlling bzw. des Controllingsystems selbst. Eine Möglichkeit zur integrierten Bewertung vorökonomischer und ökonomischer Kriterien ist die Balanced Scorecard, bei der verschiedene Kriterien nach standardisierten Maßgaben gewichtet werden. Sie teilt das Unternehmen in eine finanz-, kunden-, prozess- und potenzialorientierte Perspektive auf, in der unterschiedliche Wertreiber eine Rolle spielen. Ziel der Kombination dieser Wertreiber ist eine Balance zwischen externen und internen, vergangenheits- und zukunftsorientierten sowie zwischen leicht und schwer quantifizierbaren Kennzahlen. Durch den Einbezug verschiedener Kennzahlensysteme kann vor allem deren Transparenz verbessert werden. Strategische und operative Ziele werden verknüpft und in konkreten Kennzahlen operationalisiert. Durch die unterschiedlichen Werttreiber wird auch den Besonderheiten von Dienstleistungen Rechnung getragen, insbesondere da Kennzahlen sowohl hinsichtlich der Beziehungsorientierung als auch in Bezug auf die Prozess- und die Potenzialorientierung (z.B. Fachwissen und Kenntnisse über Kunden) von Dienstleistungen berücksichtigt werden(Witt 2003, S. 208ff.). Herbert Woratschek, Stefan Roth und Guido Schafmeister entwerfen in ihrem Beitrag ein Modell verschiedener Wertschöpfungskonfigurationen, anhand dessen sie aufzeigen, dass die Balanced Scorecard unternehmensspezifischer Modifikationen bedarf, um als effektives und effizientes Steuerungssystem eingesetzt zu werden. Jedoch fordern sie, auch diese in Bezug auf ihre Grundstrukturen, d.h. die postulierten Ursache-WirkungsZusammenhänge im Wertschöpfungsprozess, zu überprüfen und gegebenenfalls zu Gunsten einer der im jeweiligen Unternehmen vorliegenden Wertschöpfungslogik zu verwerfen. Diese Überlegungen, die die Heterogenität von Dienstleistungen reflektieren, zeigen, dass Vergleichsmaßstäbe, die mit einem integrierten Controllingsystem geschaffen werden, zwar einen Unternehmens- und Wettbewerbsvergleich mittels Benchmarking erlauben, jedoch nur eine eingeschränkte Sichtweise der Effizienz und Effektivität, z.B. in Bezug auf den tatsächlichen „Best Practice“, wiedergeben. Claudia Klausegger und Thomas Salzberger stellen in ihrem Beitrag dazu unter anderem fest, dass Touris-
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musunternehmen – trotz der oft mangelnden objektiven Beurteilbarkeit und Vergleichbarkeit von Dienstleistungen – Instrumente zum Benchmarking benutzen und Kennzahlen unterschiedlicher Kategorien miteinander verknüpfen, um ihre Leistung zu bewerten. Ähnlich der Balanced Scorecard ist das EFQM-Modell (European Foundation for Quality Management) der „Business Excellence“ aufgebaut. Das Gerüst der zu evaluierenden Kriterien ist hier nach „Befähigern“ und „Ergebnissen“ strukturiert, deren untergeordnete Kriterien insgesamt zu je 50 Prozent die Beurteilung bestimmen. Wie bei der Balanced Scorecard spielen finanz-, kunden-, prozess- und potenzialorientierte Aspekte eine Rolle. Zusätzlich fließen aber auch die Unternehmensführung, Politik und Strategie sowie die gesellschaftliche Verantwortung in die Bewertung ein. Zusätzlich kommt den Mitarbeitern beim EFQM-Modell eine herausgehobene Bedeutung zu, wie aus Abbildung 4 ersichtlich ist.
Mitarbeiterzufriedenheit (9 %)
Mitarbeiterorientierung (9 %)
Führung (10 %)
Politik & Strategie (8 %)
Prozesse (14 %)
Ressourcen (9 %)
Befähiger (50%)
Kundenzufriedenheit (20 %)
Geschäftsergebnisse (15 %)
Gesellschaftliche Verantwortung (6 %) Ergebnisse (50%)
Abbildung 4: Grundelemente des EFQM-Modells (Quelle: EFQM 2002) Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge können auch mit Hilfe von Kosten-NutzenAnalysen ermittelt und dargestellt werden. Auf der Basis der Gegenüberstellung der Kosten und des Nutzens spezifischer Maßnahmen wird eine Wirtschaftlichkeitsbetrach-
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tung durchgeführt. Aufgrund des in Dienstleistungsunternehmen häufig anzutreffenden hohen Anteils von Gemeinkosten ist hierbei nochmals auf die Notwendigkeit einer Prozessanalyse und einer Prozesskostenrechnung hinzuweisen. Die Ermittlung des Nutzens erfolgt anhand der Wirkungskette, die beispielsweise mittels eines Kundenbarometers modelliert und quantifiziert wurde. So können Erfolgswirkungen auf Teilleistungen und Maßnahmen des Dienstleistungsmanagements zurückgeführt werden. Durch die Berücksichtigung der gesamten Erfolgskette von vorökonomischen hin zu ökonomischen Kennzahlen und Ergebnissen ist der Kosten-Nutzen-Analyse grundsätzlich eine hohe Entscheidungsorientierung zu konstatieren. Anzumerken ist hierbei allerdings, dass die Quantifizierung der Nutzenwerte oft mit Schwierigkeiten behaftet ist. Sven Reinecke und Gerold Geis zeigen in ihrem Beitrag in einem weiterem Modell ebenfalls die spezifische Bedeutung von aggregierten Kennzahlen für ein Dienstleistungscontrolling auf und stellen mit einem so genannten „Marketingcockpit“ ein Kennzahlensystem vor, das den Erfolg des Unternehmens anhand unterschiedlicher vorökonomischer und ökonomischer sowie interner und externer Messgrößen visualisiert. Diese sind, anders als die branchenübergreifend vergleichbaren Systeme wie z.B. des EFQMModells, auf das jeweilige Unternehmen angepasst und ermöglichen einen Überblick über alle unternehmensspezifisch relevanten Kennzahlen.
5.
Erfolgsfaktoren und Erfolgswirksamkeit des Dienstleistungscontrolling
Die Immaterialität von Dienstleistungen hat zur Folge, dass ihre Qualität weitgehend subjektiv beurteilbar ist. Ebenso können Maßnahmen nur bedingt auf ihre Effizienz und ihre Wirksamkeit hin evaluiert werden (z.B. Pünktlichkeit von Flügen, Verfügbarkeit des Personals im Kundensupport, Ausstattung einer Bank). Daher stellt sich die Frage, welche Erfolgsfaktoren für das Dienstleistungscontrolling eine Rolle spielen und wie die Erfolgswirksamkeit der Instrumente des Dienstleistungscontrolling garantiert und gemessen werden kann. Diese lassen sich anhand der vier Funktionen des Dienstleistungscontrolling darstellen. An erster Stelle der Erfolgsfaktoren in der Informationsfunktion des Controlling steht die Güte der erhobenen und berechneten Informationen. Besonders die Bewertung der internen, qualitätsbezogenen Informationen und die Bewertung der Relevanz externer Informationen stellen kritische Aspekte dar, die die Planung von Maßnahmen erheblich beeinflussen und bei mangelnder Sorgfalt zu falschen Schlüssen führen können. Speziell die Schlüsse von vorökonomischen auf ökonomische Größen stellen dabei ein Problem dar.
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Hinsichtlich der Planungsfunktion besteht die zentrale Herausforderung darin, die Informationen mit in die Maßnahmenplanung zu integrieren. Wiederum ist aufgrund der Dienstleistungsbesonderheiten zum einen speziell zu beachten, dass Transparenz in der Kennzahlenentwicklung geschaffen wird. Zum anderen ist dafür zu sorgen, dass die Maßnahmen im Hinblick auf die nur beschränkt kalkulierbare Integration des externen Faktors robust ausgelegt sind, d.h. eine ausreichende Flexibilität der Maßnahmen und des Instrumenteneinsatzes innerhalb des ermittelten Kostenrahmens ermöglicht wird. Für die Koordinationsfunktion ist es aufgrund der Bedeutung „weicher“ Faktoren in der Dienstleistungserstellung (Empathie, Freundlichkeit usw.) wichtig, interne Widerstände gegen „harte“ Kennzahlensysteme zu überwinden. Die quantitative Erfassung von Kennzahlen bezüglich weicher Qualitätstreiber kann mit der wahrgenommenen Unternehmenskultur in Serviceunternehmen in Konflikt stehen. Thomas Biermann zeigt in seinem Beitrag hierzu Maßnahmen auf, die zu ergreifen sind, um die Gültigkeit und Relevanz der entsprechenden Kennzahlen transparent zu kommunizieren. Ähnlich wie bei der Informationsfunktion steht auch hinsichtlich der Kontrollfunktion die Messbarkeit und Zurechenbarkeit von Erfolgsgrößen zu den ursächlichen Indikatoren, wie z.B. eine reduzierte Kundenabwanderung aufgrund eines verbesserten Beschwerdemanagements, im Vordergrund. Die Ermittlung der richtigen Kriterien zur Beschreibung von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen und deren effiziente Messung beinhaltet eine komplexe Herausforderung an das Controlling, wie Bernd Stauss und Wolfgang Seidel in ihrem Beitrag detailliert ausführen. Manfred Bruhn, Dominik Georgi und Karsten Hadwich stellen in ihrem Beitrag zum einen die Bedeutung des Kundenwertes heraus. Zum anderen verweisen sie darauf, dass hinsichtlich der Erfolgswirksamkeit bei der Implementierung von Kontrollsystemen die Gestaltung bzw. Anpassung der Organisationsstrukturen, -systemen und -kultur von großer Bedeutung ist (Bruhn/Georgi 2005, S. 413ff.).
6.
Zusammenfassung
Bei der Betrachtung des Dienstleistungscontrolling können allgemeine Controllingansätze zwar grundsätzlich in das Dienstleistungsmanagement übernommen werden. Die Gestaltung einzelner Controllingfunktionen erweist sich jedoch aufgrund der Besonderheiten von Dienstleistungen in einigen Aspekten als problematisch. Die meist hohe Personalintensität sowie Integration des externen Faktors bei Dienstleistungen führt zunächst zu einer Differenzierung in eine interne und externe Erfolgskette als Ausgangspunkt des Controlling. Die Indikatoren der zu betrachtenden Aspekte lassen sich entsprechend der Erfolgskette einem vorökonomischen und ökonomischen Bereich zuordnen.
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Hinsichtlich der vorökonomischen, internen Aspekte ist hinsichtlich der Dienstleistungsbesonderheiten festzustellen, dass aufgrund der Immaterialität des Dienstleistungsergebnisses eine Beurteilung der Leistungsfähigkeit und Qualität interner Prozesse nur subjektiv möglich ist. Dieser Umstand erfordert eine besondere Präzision bezüglich der Auswahl und Erhebung von Kennzahlen, die zur Messung der einzelnen Indikatoren herangezogen werden. Die herausgehobene Bedeutung des Kundenkontaktpersonals bei Dienstleistungen impliziert zudem eine separate Betrachtung der Interaktionskompetenzen. Bei den ökonomischen, internen Betrachtungsobjekten des Controlling steht speziell die Problematik des hohen Gemeinkostenanteils im Vordergrund. So führt die mangelnde Transport- und Lagerfähigkeit von Dienstleistungen zur Notwendigkeit permanenter Leistungsbereitschaft, deren Fixkosten als Gemeinkosten zunächst wenige Ansatzpunkte für Optimierungspotenziale geben. Daher ist die Relevanz der Prozesskostenrechnung und – je nach Heterogenität der Kundenanforderungen – des Target Costing im Dienstleistungsbereich besonders hoch. Auch Kosten der Integration des externen Faktors und daraus resultierende Überlegungen zum optimalen Integrationsgrad sind zu berücksichtigen. Aus der Integration des externen Faktors ergeben sich auch bei den vorökonomischen, externen Controllingaspekten Besonderheiten für das Dienstleistungscontrolling. Resultat der Integration des externen Faktors ist zunächst eine Prozessorientierung bei der kundenseitigen Beurteilung der Leistungsqualität. Die grundsätzliche Notwendigkeit oder Möglichkeit des Kunden zur Teilnahme an der Leistungserstellung hat zur Folge, dass er auch selbst Einfluss auf die Qualität hat. Daher ist zu ermitteln, welcher Integrationsgrad bei welcher Leistung oder Leistungskomponente sinnvoll ist. Schließlich ist hinsichtlich der ökonomischen, externen Controllingaspekte die Betrachtung des Kundenwertes von zentraler Bedeutung. Der Kundenwert hat nicht nur Einfluss auf die Erreichung der globalen ökonomischen Ziele, sondern bietet auch Anhaltspunkte für die Ergreifung segmentspezifischer oder individueller Maßnahmen der Kundenbindung und der Investition in Beziehungsinstrumente wie z.B. das Beschwerdemanagement. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Besonderheiten von Dienstleistungen kein neues Controllingverständnis, aber durchaus die Beachtung einer speziellen Problematik erfordern. Insbesondere für die Verknüpfung von vorökonomischen Größen, z.B. der von Kundenseite wahrgenommenen Qualität, mit ökonomischen Kennzahlen ist der Einsatz spezifischer, auf den Dienstleistungsbereich angepassten, Instrumente notwendig.
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Manfred Bruhn und Bernd Stauss
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Martin Reckenfelderbäumer
Konzeptionelle Grundlagen des Dienstleistungscontrolling – Kritische Bestandsaufnahme und Perspektiven der Weiterentwicklung zu einem Controlling der Kundenintegration
1. Problemstellung und Vorgehensweise 2. Terminologische und inhaltliche Abgrenzungen 2.1 Dienstleistungen 2.2 Controlling 2.3 Dienstleistungscontrolling 3. Die Behandlung des Dienstleistungscontrolling in der wissenschaftlichen Literatur 3.1 Bestandsaufnahme der Controllingliteratur „i.e.S.“ 3.2 Beiträge der Literatur zum Dienstleistungsmanagement und -marketing sowie zum Business-to-Business-Marketing 4. Vom Dienstleistungscontrolling zum Controlling der Kundenintegration – Plädoyer für einen Perspektivenwechsel Literatur
Prof. Dr. Martin Reckenfelderbäumer ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre/Marketing an der WHL – Wissenschaftliche Hochschule Lahr.
Konzeptionelle Grundlagen des Dienstleistungscontrolling
1.
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Problemstellung und Vorgehensweise
Ein kritischer Blick auf die bis in die 1980er Jahre hinein erschienene betriebswirtschaftliche Fachliteratur lässt – von Ausnahmen abgesehen – den Eindruck aufkommen, als sei die Betriebswirtschaftslehre identisch mit einer Industriebetriebslehre, in der Dienstleistungen keine nennenswerte Rolle spielen. Diese Feststellung trifft für nahezu alle betrieblichen Funktionsbereiche zu, so z.B. für die Produktion bzw. die Leistungserstellung und das Marketing (Woratschek 2001, S. 261). Während die Defizite allerdings in vielen Feldern inzwischen behoben sind, lässt sich diese Aussage für das Controlling allenfalls sehr eingeschränkt treffen, was nicht zuletzt durch wissenschaftliche Vertreter des Faches betont wird: „Controller sind aus der Unternehmenspraxis nicht mehr wegzudenken, dennoch tun sie sich im Dienstleistungsbereich oft schwer. Zu unterschiedlich sind – so scheint es – die Anforderungen an ein Controlling im Produktions- und im Dienstleistungsbereich. Umso überraschender ist die Tatsache, dass dem Controlling in Dienstleistungsunternehmen bislang wenig Beachtung in der Literatur zukam“ (Schäffer/Weber 2002, S. 5). Aber auch von Vertretern des Dienstleistungsmarketing werden im Bereich des Dienstleistungscontrolling erhebliche Forschungsdefizite konstatiert (Meffert 2001, S. 945), gleichzeitig aber dessen Relevanz hervorgehoben: „Leistungsfähigeren Ansätzen des Dienstleistungscontrolling kommt in der Zukunft entscheidende Bedeutung zu“ (Meffert/Bruhn 2003, S. 744). Aktuelle Defizite und zukünftige große Bedeutung des Dienstleistungscontrolling stehen entsprechend in einem offensichtlichen Missverhältnis zueinander, so scheint es. Es stellt sich die Frage, wie diese Diskrepanz beseitigt werden kann. Dieser Frage geht der vorliegende Beitrag nach. Er setzt aber noch einen Schritt früher an, denn er untersucht auch, welches Ausmaß die Lücke zwischen konzeptionell bzw. instrumentell Notwendigem und Vorhandenem im Bereich des Dienstleistungscontrolling tatsächlich hat. Es wird in diesem Zusammenhang zu zeigen versucht, dass die Lücke kleiner wird, wenn neben der von Controllingexperten verfassten Fachliteratur verstärkt auch Arbeiten von Vertretern anderer betriebswirtschaftlicher Disziplinen in die Betrachtung einbezogen werden, die Lücke einen anderen Charakter erhält, wenn die Integrativität (Integration externer Faktoren bzw. Kundenintegration; siehe Abschnitt 2.1) nicht als konstitutives Dienstleistungsmerkmal, sondern als grundlegendes betriebswirtschaftliches Phänomen interpretiert wird und die Lücke sich durch grundlegende, d.h. branchenübergreifende konzeptionelle Ansätze insgesamt zielgerichteter schließen lässt als durch branchen- oder gar unternehmensspezifische „Insellösungen“.
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Martin Reckenfelderbäumer
Erschwerend kommt bei allen Überlegungen zum Dienstleistungscontrolling allerdings hinzu, dass sowohl der Begriff „Dienstleistung“ als auch der Terminus „Controlling“ in der Literatur alles andere als eindeutig definiert und verwendet werden. Dies kann umso weniger für einen aus beiden Worten zusammengesetzten Begriff gelten. Daher muss sich das folgende Kapitel 2 zunächst kurz mit einigen Begrifflichkeiten und inhaltlichen Abgrenzungen befassen, um eine geeignete terminologische Basis für die sich dann anschließenden Ausführungen zu schaffen.
2.
Terminologische und inhaltliche Abgrenzungen
2.1 Dienstleistungen Die in der Literatur in den 1990er Jahren in aller Ausführlichkeit diskutierte Frage der Abgrenzbarkeit von Dienst- gegenüber Sachleistungen soll an dieser Stelle nicht noch einmal aufgegriffen werden. Mehr und mehr scheint sich eine eher pragmatische Sichtweise durchzusetzen, die davon ausgeht, dass eine klare Grenze zwischen Dienstleistungen auf der einen und Sachleistungen auf der anderen Seite nicht gezogen werden kann, dass es aber bestimmte Leistungseigenschaften gibt, die typischerweise mit Dienstleistungen verbunden werden (z.B. Kleinaltenkamp 2001, S. 40; Meffert/Bruhn 2003, S. 39; Woratschek 2001, S. 265). Die ursprünglich als „konstitutiv“ für Dienstleistungen herausgestellten Merkmale, nämlich Existenz eines Leistungspotenzials, das über die Fähigkeit und Bereitschaft zur Erbringung einer Leistung verfügt, Integration externer Faktoren in den Leistungserstellungsprozess (auch als Integrativität, Kundenintegration oder Kundenmitwirkung bezeichnet) sowie Immaterialität der Leistungsergebnisse, werden nunmehr als zwar betriebswirtschaftlich bedeutsame Faktoren, aber nicht als abschließend trennscharfe Abgrenzungskriterien interpretiert. Weitere wichtige Merkmale typischer Dienstleistungen sind die Individualität sowie die anbieter- und nachfragerseitige Verhaltensunsicherheit (Woratschek 2001, S. 265; ergänzend Kaas 2001, S. 107). Die genannten Merkmale sind für „typische“ Dienstleistungen stärker ausgeprägt als für „typische“ Sachleistungen. Insgesamt kann aber jede Leistung hinsichtlich der Merkmalsausprägungen auf einem Kontinuum zwischen „hoch“ und „niedrig“ positioniert werden, ohne dass exakt bestimmbar wäre, wo die Dienstleistungen aufhören und die Sachleistungen anfangen (Engelhardt et al. 1993).
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Besonders bedeutsam unter den genannten Leistungsmerkmalen erscheint die Integrativität, denn sie lässt sich letztlich als ursächlich für alle anderen genannten Aspekte identifizieren: Die Tatsache, dass eine Erstellung der Leistung ohne die Bereitschaft des Kunden, seine externen Faktoren in die Prozesse des Anbieters einzubringen, nicht möglich ist, führt beispielsweise auch dazu, dass auf beiden Seiten des Marktes mehr oder weniger große Unsicherheit darüber besteht, wie der Prozess der Leistungserstellung ablaufen und zu welchen konkreten Ergebnissen er führen wird. Daher kann der Integrativität eine Schlüsselrolle im Rahmen der Leistungslehre zugewiesen werden (Kleinaltenkamp 1997), die sie in gleicher Weise für das Dienstleistungsmanagement relevant macht. Wie zu zeigen sein wird, gilt diese Aussage uneingeschränkt auch für das Dienstleistungscontrolling.
2.2 Controlling Auch Begriff und Aufgaben des Controlling werden in der Literatur keinesfalls einheitlich gesehen. Dabei steht im vorliegenden Beitrag die funktionale Sicht des Controlling im Vordergrund, die von der institutionellen zu trennen ist (Weber 2004, Sp. 153). Ohne die begriffliche Diskussion an dieser Stelle aufgreifen zu wollen, kann festgehalten werden, dass Controlling heute häufig als ein Subsystem der Führung gesehen wird, das die Führung durch Koordination der Führungsteilsysteme (Information, Planung, Kontrolle, Organisation und Personalführung) unterstützen soll (z.B. Fischer 2000, S. 12). Diese Sichtweise geht über ältere Definitionen, die Controlling als Informationsversorgung des Managements oder dann später als Verbindung von Informationsversorgung, Planung und Kontrolle interpretiert haben (Weber 2004, Sp. 152f.), deutlich hinaus. In einer letzten Entwicklungsstufe des Begriffs wird inzwischen Controlling auch als Rationalitätssicherung der Führung gesehen (Weber/Schäffer 1999). Damit wird die skizzierte Veränderung des Controllingverständnisses im Zeitverlauf aufgegriffen: „Dieser Definitionsansatz interpretiert die Begriffsentwicklung als Folge von Rationalitätsengpässen und versteht sich so als Integrationskonzept“ (Weber 2004, Sp. 153). Dieser Sichtweise kann gefolgt werden, denn sie zeigt, dass zwischen den verschiedenen Entwicklungsstufen durchaus keine Widersprüche bestehen. Als wesentliche, wenn auch nicht vollständige Aufgaben des Controlling kristallisieren sich dann Informations-, Planungs-, Kontroll- und Koordinationsaufgaben heraus (Weber 2004, Sp. 154ff.), für deren Erfüllung es entsprechender Controllinginstrumente bedarf.
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2.3 Dienstleistungscontrolling Eine Zusammenfassung der Aussagen zum Dienstleistungsbegriff zum einen, zum Controlling zum anderen, führt zu einem Verständnis des Dienstleistungscontrolling, das dieses als „spezifische Funktion der Sicherstellung eines rationalen Dienstleistungsmanagements“ (Schäffer/Weber 2002, S. 6) definiert, wobei diese Funktion dann folgerichtig den wesentlichen Leistungsmerkmalen der Integrativität und – mit betriebswirtschaftlich insgesamt geringerer Bedeutung, aber dennoch hoher Relevanz für das Controlling – Immaterialität sowie der beiderseitigen Verhaltensunsicherheit Rechnung tragen muss. Diese Leistungseigenschaften sind aber wie schon ausgeführt nicht für jede gemeinhin als Dienstleistung eingeordnete Leistung gleichermaßen ausgeprägt: So ist z.B. das Abwickeln eines Überweisungsauftrags durch eine Bank sowohl hinsichtlich des Prozesses als auch hinsichtlich des Leistungsergebnisses von vergleichsweise niedriger Integrativität und Verhaltensunsicherheit geprägt, die Durchführung eines Beratungsprojekts durch einen Consultant hingegen ist das Musterbeispiel einer hochgradig integrativen und unsicheren Leistung. Dies macht deutlich, dass es das Dienstleistungscontrolling an sich offenbar nicht geben kann, sondern dass vielmehr eine Ausrichtung daran erforderlich ist, wie stark die verschiedenen Leistungsmerkmale im Einzelfall ausgeprägt sind. Mit anderen Worten: Ebenso wie es nach dem oben dargestellten Muster mehr oder weniger typische Dienstleistungen gibt, müsste es grundsätzlich ein mehr oder weniger typisches Dienstleistungscontrolling geben, um den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden. Dabei kann eine entsprechende Differenzierung nicht allgemeingültig nach Branchen vorgenommen werden: So zeichnet sich die schon angesprochene Banküberweisung in sehr viel geringerem Maße durch Integrativität und Verhaltensunsicherheit aus als etwa eine individuelle Vermögensberatung. Da beide Leistungen zum Standardsortiment der meisten Kreditinstitute zählen, wird zudem deutlich, dass selbst innerhalb eines einzelnen Unternehmens sehr unterschiedliche Arten von Leistungen auftreten können, die ein differenziertes Controlling erfordern. Um die Relevanz der genannten Leistungseigenschaften für das Controlling zu belegen, sei dies anhand des Kostenmanagements und der Kostenrechnung, die ohne Zweifel ein zentrales Instrument des Controlling darstellt, kurz dokumentiert (Reckenfelderbäumer 1995, S. 40ff.; 1998a, S. 398ff.; dort auch weitere Quellenangaben; siehe auch Lingnau et al.) (Abbildung 1):
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hoher Anteil der Bereitschaftskosten (Gebäude, Personal, Maschinen)
==> Fixkostenproblem ==> Gemeinkostenproblem
schwankende Nachfrage (Ausrichtung am Spitzenbedarf?)
==> Kapazitätsproblem ==> Leerkostenproblem
Integration externer Faktoren
==> Planungsproblem ==> Steuerungsproblem ==> Dokumentationsproblem
Fehlen industrieller Funktional- und Kostenstellenstrukturen
==> Kostenstellenproblem
Heterogenität/ Individualität der erbrachten Leistungen
==> Kostenträgerproblem ==> Quantifizierungsproblem
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Integrativität
Immaterialität
Abbildung 1: Problemfelder der Kostenrechnung und des Kostenmanagements im Dienstleistungsbereich (Quelle: In Anlehnung an Reckenfelderbäumer 1998a, S. 398) Im linken Bereich der Abbildung könnte ergänzend die Verhaltensunsicherheit aufgenommen werden; an den Problemen würde sich dadurch nichts ändern. Folgende Aspekte sind bedeutsam: In Dienstleistungsunternehmen dominieren die Kosten der Leistungsbereitschaft insbesondere für Personal, aber auch für Gebäude und maschinelle sowie EDVtechnische Ausstattung ganz eindeutig. Dadurch fallen in hohem Maße Fixkosten an, die der Höhe nach unabhängig von den erbrachten Leistungen sind. Große Teile dieser Fixkosten haben zudem im Hinblick auf die angebotenen Leistungen Gemeinkostencharakter, da die sie verursachenden Produktionsfaktoren für eine Vielzahl von Leistungen unterschiedlicher Art eingesetzt werden. Das Fix- sowie das Gemeinkostenproblem haben zur Folge, dass große Teile der Kosten den einzelnen Leistungen nicht unmittelbar zugerechnet werden können. Bei vielen Dienstleistungen unterliegt die Nachfrage starken saisonalen (z.B. Tourismus), wochentagsbedingten (z.B. Gastronomie) oder auch tageszeitlichen (z.B. ÖPNV) Schwankungen. Da Dienstleistungen nicht auf Vorrat produziert werden
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Martin Reckenfelderbäumer können, steht der Anbieter vor der Wahl, seine Kapazitäten entweder am potenziellen Spitzenbedarf auszurichten und damit Leerkosten bei Unterauslastung in Kauf nehmen zu müssen, oder aber er orientiert sich z.B. an einem durchschnittlichen Bedarf, riskiert damit aber, dass Kunden eventuell nicht bedient werden können und dann zur Konkurrenz abwandern.
Bedingt durch die Integrativität greifen die Nachfrager häufig unmittelbar in die Prozesse des Anbieters ein, so dass diese nur bedingt vorab planbar und dann auch steuerbar sind (Unsicherheit der Prozessverläufe und Leistungsergebnisse). Dies kann kostensenkende (z.B. durch Selbstbedienung), aber auch kostenerhöhende Folgen haben (z.B. bei Störungen der Abläufe durch ständige Sonderwünsche). Ein Spezialproblem ist die Frage, wie die kostenseitigen Auswirkungen der Kundenintegration in der Kostenrechnung abgebildet und dokumentiert werden können. Regelmäßig fehlt es in Dienstleistungsunternehmen an der typischen industriellen Funktionseinteilung (Fertigung, Beschaffung, Absatz, Verwaltung, F&E etc.). Da die Funktionen sehr viel stärker miteinander verzahnt sind, mangelt es dementsprechend auch an vergleichbaren industriellen Kostenstellenstrukturen. Stattdessen finden im Dienstleistungsbereich nicht selten branchenspezifische Einteilungen Verwendung, die keinen Anspruch auf Übertragbarkeit auf andere Bereiche erheben können. Schließlich wirkt sich auch die mit Integrativität und Immaterialität unmittelbar zusammenhängende Individualität in der Kostenrechnung aus, denn je individueller die einzelnen Leistungen sind, desto schwerer fällt die Definition geeigneter Kostenträger. Oft werden nicht ganze Leistungen, sondern nur bestimmte Teilleistungen bzw. Bausteine in Frage kommen. Die Ausbringungsmenge „eins“ sorgt zudem dafür, dass es an geeigneten Quantifizierungsmöglichkeiten fehlt. Die geschilderten Probleme führen dazu, dass die industrielle Kostenrechnung herkömmlicher Prägung relativ schnell an ihre Grenzen stößt und Verfahren notwendig werden, die sich an den Leistungseigenschaften und ihren jeweiligen Ausprägungen orientieren. Überlegungen, wie sie hier kurz für das Beispiel der Kostenrechnung skizziert wurden, könnten für andere Bereiche des Controlling ebenfalls angestellt werden, worauf an dieser Stelle aus Platzgründen verzichtet werden muss. Vielmehr soll im nächsten Kapitel der Frage nachgegangen werden, ob und gegebenenfalls in welcher Form die Literatur diesen Besonderheiten tatsächlich Rechnung trägt. Dabei liegt der Schwerpunkt der Betrachtung auf dem rechnungswesenbasierten Controlling, das auch in der Controllingliteratur meistens im Vordergrund steht und den größten Raum einnimmt. Auf weitere Aspekte, etwa Analyseinstrumente im Rahmen der strategischen Planung (z.B. Portfoliomethode, Benchmarking) oder auf das Qualitäts- bzw. Kundenzufriedenheitscontrolling (z.B. Verfahren der Qualitätsmessung), kann dagegen aus Platzgründen nicht näher eingegangen werden. Dort sind die Defizite aber auch geringer als im Rechnungswesen, denn insbesondere die Messung von Kundenzufriedenheit und Dienstleistungsqualität
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waren in den 1990er Jahren Schwerpunkte der Dienstleistungsforschung, so dass inzwischen ein reichhaltiges und weit entwickeltes Instrumentarium zur Verfügung steht (siehe stellvertretend Bruhn/Stauss 2000). Die erfolgswirtschaftliche Seite des Qualitätscontrolling dagegen weist allerdings durchaus noch Lücken auf, die nur mit Hilfe des Rechnungswesens zu schließen sein dürften (Meffert 2001, S. 334).
3.
Die Behandlung des Dienstleistungscontrolling in der wissenschaftlichen Literatur
3.1 Bestandsaufnahme der Controllingliteratur „i.e.S.“ Der Terminus der Controllingliteratur „i.e.S.“ bedarf zunächst einer kurzen Präzisierung, denn er ist nicht selbsterklärend. Allerdings fällt es schwer, einen besser passenden Begriff zu finden, um den ohnehin zwangsweise etwas ungenauen Versuch der Zusammenfassung derjenigen Quellen zu unternehmen, die von Controllingfachvertretern an Hochschulen oder auch aus der Praxis verfasst wurden. Die Betrachtung dieser Controllingliteratur „i.e.S.“ (nachfolgend nur noch als „Controllingliteratur“ bezeichnet) wird im nächsten Abschnitt ergänzt um eine Analyse der Literatur, die sich zwar mit Controllingfragen beschäftigt, die aber nicht durch Controllingfachvertreter, sondern durch Experten aus den Bereichen Marketing oder auch Produktionswirtschaft beigesteuert worden ist. Diese Grenzziehung erscheint sinnvoll, um die unterschiedliche Vorgehensweise der beiden Gruppen zu verdeutlichen, zwischen denen später eine Brücke geschlagen werden soll. Zunächst sei also ein Blick auf die Controllingliteratur geworfen. Nachzugehen ist wie schon erwähnt der Frage, inwieweit sich dort eine Auseinandersetzung mit den oben skizzierten Leistungsmerkmalen und deren Konsequenzen für das Controllinginstrumentarium findet. Zunächst ist zu konstatieren, dass Bücher, die „Dienstleistungscontrolling“, „Controlling von Dienstleistungen“ o.Ä. im Titel tragen, ohnehin nur selten zu finden sind (ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier die Werke von Fischer 2000; Langer et al. 2004; Nagl/Rath 2004; Vikas 1988 und Witt 2003 genannt). Immerhin ist in den letzten Jahren eine zunehmende Tendenz erkennbar. Eine gewisse Sonderrolle, auf die noch eingegangen wird, nimmt zudem das Sonderheft 2/2002 der damaligen Zeitschrift „Kostenrechnungspraxis“ (heute: „Controlling & Management) ein, das dem Thema „Dienstleistungscontrolling“ gewidmet war (Weber 2002). Daneben findet sich eine begrenzte Reihe von weiteren Aufsätzen in Zeitschriften und Sammelbänden (u.a. Meyer 1995; Palloks-Kahlen/Kuczynski 2000; Pellens et al. 1998; Weber/Schäffer 1999; Witt 1997; 1998; Zilahi-Szabó 1993). Diese Beispiele könnten ergänzt werden um Quellen, die sich auf einzelne Controllinginstrumente beziehen, wobei die Kostenrechnung sicherlich die
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Martin Reckenfelderbäumer
stärkste, wenn auch keine umfassende Behandlung erfahren hat (z.B. Bertsch 1991). Dabei wurden hier bewusst nur Quellen aufgeführt, die nicht ausschließlich einen spezifischen Branchen- oder gar Unternehmensfokus aufweisen, denn nur von diesen ist grundsätzlich zu erwarten, dass sie sich auf konzeptioneller Ebene mit den Leistungsmerkmalen wie Integrativität, Immaterialität oder Verhaltensunsicherheit auseinander setzen. Das zitierte Sonderheft der Kostenrechnungspraxis kann als ein wichtiger Meilenstein der Controllingliteratur angesehen werden, denn es liefert insbesondere im Einführungsbeitrag (Schäffer/Weber 2002) wichtige und richtungweisende Aussagen zum Dienstleistungscontrolling, die bis heute weitestgehend Bestand haben. So wird zu Recht die in der Literatur dominierende Unterscheidung nach Branchen kritisiert und als „wenig zielführend“ gekennzeichnet (Schäffer/Weber 2002, S. 7). Zwar gibt es hochqualifizierte Arbeiten u.a. zum Bankcontrolling (z.B. Schierenbeck et al. 2001), zum Krankenhauscontrolling (z.B. Hentze 2005) oder auch zum Logistikcontrolling (Weber 1995), aber es fehlt an einer zusammenfassenden konzeptionellen „Klammer“, die als Basis aller branchenspezifischen Betrachtungen dienen könnte. Nur vereinzelt wurden bisher Versuche unternommen, dieses Defizit zu beheben. So unterscheidet etwa Friedl (1998, S. 471f.) in drei Typen von Dienstleistungserstellungsprozessen, für die sich jeweils unterschiedliche Konsequenzen für das (in diesem Falle Leistungs-)Controlling ergeben, die dabei aber unabhängig von bestimmten Branchen sind: Prozesstyp I zeichnet sich durch standardisierte Abläufe mit vorab bekannten Ergebnissen aus (z.B. Bearbeitung von Überweisungsaufträgen in Banken, Sortieren von Briefsendungen). Bei Typ II liegt das Prozessergebnis zwar fest, es können sich aber in Abhängigkeit von den Eigenschaften der externen Faktoren unterschiedliche Prozessverläufe ergeben, die zu diesem Ergebnis führen (z.B. Bearbeitung von Schadensfällen in Versicherungen, Bearbeitung von Kreditanträgen in Banken, Blinddarmoperationen und Schulungen). Typ III schließlich ist vor Prozessbeginn weder hinsichtlich des Prozessverlaufs noch im Hinblick auf das Ergebnis fixiert (z.B. Beratung, ärztliche Diagnose und Rechtsvertretung vor Gericht). Diese Einteilung greifen Schäffer/Weber (2002, S. 7) auf, bündeln aber die Typen I und II zu einem Dienstleistungstyp A, der ursprüngliche Typ III wird als Typ B bezeichnet. Folgendermaßen werden die beiden Typen entsprechend charakterisiert, wobei auf das Ausmaß der „Wissensdefizite des Managements bezüglich Prozess (wegen der Mitwirkung des Kunden) und Ergebnis der Leistungserstellung (wegen der Immaterialität und eingeschränkten Messbarkeit)“ (Schäffer/Weber 2002, S. 6f.) als Unterscheidungskriterium abgestellt wird: Bei Typ A verfügt das Management über geringe Wissensdefizite, so dass die Leistungserstellung weitgehend beherrscht ist. Als Beispiele werden das standardisierte
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Bank- und Versicherungsgeschäft oder auch stark standardisierte Geschäftsmodelle in Handel und Gastronomie genannt. Typ B dagegen ist durch hohe Wissensdefizite des Managements charakterisiert. Die Leistungserstellung weist erhebliche Freiheitsgrade auf und ist durch große Unsicherheit gekennzeichnet. Als Beispiele werden aufgeführt: kreative und schöpferische Dienstleistungen in Investmentbanking und „high finance“, maßgeschneiderte Versicherungsdienstleistungen sowie die Leistungserstellung in einem Spitzenrestaurant. Setzt man das Kriterium der Wissensdefizite des Managements in Beziehung zu den zur Charakterisierung typischer Dienstleistungen herangezogenen Leistungseigenschaften, so wird deutlich, dass Wissensdefizite des Managements auch als Unsicherheit über das Verhalten der Nachfrager (möglicherweise sogar über das eigene Verhalten), verknüpft mit der Notwendigkeit der Integration externer Faktoren, interpretiert werden können (in diesem Sinne auch Schäffer/Weber 2002, S. 8). Vor diesem Hintergrund sind Dienstleistungen vom Typ B „typischere Dienstleistungen“ als Dienstleistungen vom Typ A. Bei allen Abgrenzungsproblemen, die mit einer Zuordnung einzelner Leistungen zu einem der beiden Typen verbunden sein mögen, so ist dieser Ansatz doch ein äußerst viel versprechender Versuch, in der Controllingliteratur den Blick dafür zu schärfen, dass es an der Zeit ist, sich von Branchenbezügen zumindest ein Stück weit zu lösen und stattdessen unterschiedliche Leistungstypen zu analysieren. Dabei kommen Schäffer/Weber (2002, S. 7f.) allerdings zu dem ernüchternden Ergebnis, dass sich die Controllingliteratur bisher nicht nur allzu stark auf bestimmte Branchen fokussiert hat, sondern noch dazu die entsprechenden Arbeiten „allesamt“ dem Typ A zuzuordnen sind, also den weniger „typischen“ Dienstleistungen, bei denen eine Übertragung sachleistungsbezogener Methoden und Instrumente vielfach möglich ist. Diese Instrumente konzentrieren sich in der Regel auf Finanzkennzahlen und prozessbezogene Größen. Dagegen fehlt es an Untersuchungen zum Typ B, bei dem eine zusätzliche Ausrichtung des Controlling auf Kunden, Mitarbeiter und nichtmonetäre Outputgrößen geboten erscheint. Vor diesem Hintergrund erheben die Autoren die Forderung, dass „der Ruf nach einem eigenständigen Dienstleistungs-Controlling zumindest um eine Differenzierung nach hohen und geringen Wissensbeschränkungen ergänzt werden muss“ (Schäffer/Weber 2002, S. 8). Mehr noch: Sie stellen sogar zur Diskussion, ob angesichts dessen die Unterscheidung in Sachund Dienstleistungen überhaupt noch einen Nutzen stiftet. Damit greifen sie eine an anderer Stelle (Engelhardt et al. 1993) ausführlich diskutierte Problematik auf, die an späterer Stelle dieses Beitrags noch eine wichtige Rolle spielen wird. Schäffer/Weber (2002) weisen mit ihren Überlegungen und Forderungen den Weg in die richtige Richtung. Dieser Ansatz wurde allerdings in der Controllingliteratur – zumindest nach dem Kenntnisstand des Verfassers – bis zum Entstehen des vorliegenden Bandes nicht oder allenfalls am Rande aufgegriffen und weiterentwickelt. Selbst die weiteren Beiträge des Sonderheftes der Kostenrechnungspraxis gehen wieder den konventionellen und im Interesse einer konzeptionellen Fundierung des gesamten Dienstleis-
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tungscontrolling wenig Erfolg versprechenden Weg. So enthält der Abschnitt „Dienstleistungs-Controlling in unterschiedlichen Kontexten“ Abhandlungen zu den Themen Bankencontrolling (Wöhle 2002), Controlling in Beratungsunternehmen (Brandt 2002), Controlling in der Luftfahrt (Heising 2002), Speditions-Controlling (Steffens 2002), Controlling in der öffentlichen Verwaltung (Pook/Fischer 2002), Krankenhauscontrolling (Hecht/Schlepper 2002), Controlling als Erfolgsfaktor in der Kirche (Tetzlaff 2002) und Hochschulcontrolling (Kopp 2002), die zwar zum Teil sehr interessant sind, aber eben in eine andere Richtung gehen, als es nach der Lektüre des Einführungsbeitrags des Heftes vielleicht zu erwarten gewesen wäre. Dies ist allerdings sicherlich auch zumindest zu einem Teil durch die Tatsache zu erklären, dass die Autorinnen und Autoren der Beiträge ganz überwiegend aus der Praxis kommen und ihre Beiträge jeweils vor ihrem speziellen Hintergrund entstanden sind. Da sich auch weitere Arbeiten neueren Datums mit dem Titel „Dienstleistungscontrolling“ zum Teil als branchen- und beispielbezogene Sammlung von Beiträgen erweisen (so Langer et al. 2004), andere wiederum die Leistungsspezifika zwar kurz nennen, dann aber – wohl auch auf Grund einer anderen Zielsetzung - bei der Ableitung und Darstellung der Controllinginstrumente kaum explizit berücksichtigen, sondern stattdessen eher eine „Tool-Box“ liefern, die auf unmittelbare Zwecke der Praxis ausgerichtet ist (Nagl/ Rath 2004; Witt 2003), bleibt in der Controllingliteratur für eine konzeptionelle Basis tatsächlich relativ wenig Greifbares übrig, wenngleich man angesichts der doch deutlichen Forderungen von Schäffer/Weber (2002) hier für die nächste Zeit wohl auf weitere konstruktive Beiträge hoffen darf. Eine gewisse Ausnahme bildet hierbei allerdings die Arbeit von Fischer (2000): Ausgehend von den Besonderheiten von Dienstleistungen und Dienstleistungsunternehmen wird dort die Notwendigkeit eines prozessorientierten Controllingansatzes hervorgehoben. Unterschiedliche Controllinginstrumente werden analysiert und hinsichtlich ihrer Eignung für den Dienstleistungsbereich bewertet. Breiten Raum nimmt die Darstellung des Konzepts eines prozessorientierten Erfolgs- und Finanzcontrollingsystems ein, wobei als Beispielunternehmen eine Unternehmensberatung dient – und damit ein Anbieter von Leistungen des Typs B. Diese Arbeit allein kann aber trotz ihrer positiven Ansätze zwangsläufig noch nicht als ausreichend angesehen werden, die konstatierten Defizite in ihrer Gesamtheit zu beheben. Daher erscheint es angemessen, den Blick auf weitere denkbare Lösungswege zu richten.
3.2 Beiträge der Literatur zum Dienstleistungsmanagement und -marketing sowie zum Business-to-Business-Marketing Die Tatsache, dass eine strikte Trennung in betriebliche Funktionen im Dienstleistungsbereich häufig nicht möglich ist, mag mit eine Ursache dafür sein, dass sich nicht nur im Bereich des Qualitätscontrolling, sondern auch im Bereich des rechnungswesenbasierten Controlling eine Reihe von Vertretern mit nicht controllingspezifischer wissenschaftli-
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cher Herkunft mit Controllingproblemen beschäftigt haben. Zudem gibt es Arbeiten aus dem oft durch hohe Serviceanteile geprägten Business-to-Business-Marketing, die Erwähnung verdienen. Im vorliegenden Abschnitt werden einige dieser Überlegungen skizziert, ohne dass damit ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird oder eine Wertung verbunden werden soll. Woran es noch fehlt, ist eine konsistente Zusammenführung zu einem geschlossenen Modell. Darin wird möglicherweise eine Herausforderung für zukünftige Forschungsarbeiten liegen. Insbesondere die Notwendigkeit der Integration externer Faktoren sowie im Zusammenhang damit die Auswirkungen der Kundenmitwirkung nämlich haben dazu geführt, dass im Dienstleistungs- und Service-Management immer wieder auf die Notwendigkeit verwiesen wurde, spezifische Controllinginstrumente zu entwickeln, die den prozessualen Besonderheiten integrativer Leistungsentwicklungs-, -erstellungs- und -vermarktungsprozesse gerecht werden sollten. Die einfache Übertragung im industriellen Bereich vielfach bewährter Verfahren wurde schon relativ frühzeitig als nicht zielführend erkannt. Hilfreich bei der Suche nach alternativen Konzepten war dann vor allem das verstärkte Aufkommen der Prozesskostenrechnung zu Beginn der 1990er Jahre (Horváth & Partner GmbH 1998; Männel 1995; Reckenfelderbäumer 1998b). Zwar hat dieses Verfahren seinen Ursprung ebenfalls im industriellen Bereich und soll dort zu einer verursachungsgerechteren Verteilung der Gemeinkosten führen; allerdings hat die Tatsache, dass die betrieblichen Prozesse in den Fokus der Betrachtung rücken, den großen Vorzug, dass das Verfahren damit dem prozessualen Charakter typischer Dienstleistungen in hohem Maße gerecht wird. Insofern erhielt zumindest das Kostencontrolling im Dienstleistungsbereich durch die Prozesskostenrechnung in den 1990er Jahren wertvolle neue Impulse, die sich auch in der Controllingliteratur niedergeschlagen haben, wenngleich wiederum branchen- oder gar unternehmensbezogene Abhandlungen im Vordergrund standen (zum Überblick Reckenfelderbäumer 1998b, S. 150). Allerdings lässt sich darüber hinaus verdeutlichen, dass die Prozesskostenrechnung auch ganz grundsätzlich als mit Blick auf die Leistungsmerkmale Immaterialität, vor allem aber Integrativität geeigneter Kostenrechnungsansatz einzuordnen ist, der den aus diesen Eigenschaften resultierenden Problemfeldern (siehe noch einmal Abbildung 1) gerecht zu werden vermag. Eine nähere Analyse zeigt nämlich, dass die Anwendungsvoraussetzungen des Verfahrens in Dienstleistungsunternehmen sehr häufig erfüllt sind (nähere Erläuterungen bei Reckenfelderbäumer 1995, S. 106ff.): Die Prozesskostenrechnung zielt auf die Verteilung der Gemeinkosten ab. Gemeinkosten aber dominieren gerade im Dienstleistungsbereich regelmäßig, so dass das Verfahren hier breiten Anwendungsnutzen verschafft, andere, traditionelle Ansätze aber in besonderem Maße auf Probleme stoßen. Entgegen mancher gegenteiliger Aussagen findet sich auch in Dienstleistungsunternehmen ein erheblicher Anteil relativ stark standardisierter oder doch zumindest standardisierbarer Prozesse. Dies gilt selbst für Dienstleistungen vom Typ B: Diese sind zwar in ihrer Gesamtheit durchaus sehr individuell und durch die Mitwirkung
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Martin Reckenfelderbäumer des Kunden geprägt. Werden sie jedoch „dekomponiert“ und in einzelne Teilprozesse zerlegt, werden sie durchaus (in gewissen Grenzen) für eine Prozesskostenrechnung zugänglich.
Einige Modifizierungen des Grundmodells der Prozesskostenrechnung schließlich ermöglichen eine noch adäquatere Anwendung: Eine Trennung in autonome, d.h. ohne Mitwirkung des Kunden ablaufende, und integrative, mit dem Kunden gemeinsam erstellte Teilprozesse innerhalb einer Dienstleistung ermöglicht es zu erkennen, an welchen Stellen des Kostengebäudes durch den externen Faktor bedingt potenzielle Unsicherheitsfaktoren hinsichtlich der Plan- und Steuerbarkeit liegen können, aber auch, in welchem Umfang die Kosten der Prozesse durch den Nachfrager mit seiner Mitwirkungsfähigkeit und -bereitschaft beeinflusst werden. Zudem bietet sich eine Differenzierung in Prozesse 1., 2. und 3. Grades an, je nachdem, wie eng oder weit der Bezug des jeweiligen Prozesses zum Kalkulationsobjekt, speziell zur Dienstleistung ist, denn dadurch wird eine stufenweise Zurechnung möglich (zu einem Rechenbeispiel siehe Reckenfelderbäumer 1995, S. 127ff.). Die Prozesskostenrechnung hat sich insofern als Basisinstrument herauskristallisiert, das durch weitere Modifikationen und Ergänzungen den Herausforderungen des Dienstleistungscontrolling in besonderer Weise gerecht werden kann. Eine Kombination der Prozesskostenrechnung mit anderen Verfahren, insbesondere Prozesswertanalyse, Blueprinting, Benchmarking und Portfolio-Technik etwa, liefert eine Weiterentwicklung des Controllinginstrumentariums nicht zuletzt für die Zwecke des Marketing-Controlling (Reckenfelderbäumer 1995, S. 132ff.). Vor dem Hintergrund des Business-to-Business-Bereichs, der z.B. im Anlagen- oder Sondermaschinengeschäft in erheblichem Maße durch Integrativität geprägt ist, wurden weitere Überlegungen angestellt, die vor allem einer stärkeren Berücksichtigung des Kunden und der Integration externer Faktoren im Rahmen der Leistungserstellung gerecht zu werden versuchen und dabei ebenfalls auf die Prozesskostenrechnung als Grundlage zurückgreifen. So findet sich der Ansatz der Business Process Analysis (Schweikart 1997), der sich aus der Customer Integration Analysis, der prozessorientierten Funktionsanalyse sowie der Process Value Analysis zusammensetzt: „Zielt die prozessorientierte Funktionsanalyse vorrangig auf die Identifikation inhaltlicher Mängel/Verbesserungspotenziale von Prozessbündeln ab, konzentriert sich die Prozesswertanalyse auf die Bewertung des Zusammenspiels von Struktur und Leistung einzelner Prozesse. Die Customer Integration Analysis bietet dabei beiden Techniken eine differenzierte Strukturierungshilfe der Prozessabläufe im Untersuchungsbereich“ (Schweikart 1997, S. 191). Als besonders fruchtbar für ein gleichermaßen markt- wie unternehmensbezogenes Controlling integrativ erstellter Leistungen hat sich das Target Costing erwiesen. Es ermöglicht eine sinnvolle Verzahnung von Preis- und Kostenmanagement (Paul 1998). Für die Betrachtung der Kostenseite bietet sich dann eine Kombination von Prozesskostenrechnung und Target Costing an (Paul/Reckenfelderbäumer 2001, S. 642ff.): Während
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das Target Costing den konzeptionellen Rahmen bildet, der die Marktorientierung sicherstellen soll, dient die Prozesskostenrechnung der Kostenspaltung im Hinblick auf die betrieblichen Prozesse, die es kostenseitig zu optimieren gilt. In jüngerer Zeit wird mehr und mehr darauf verwiesen, dass bei der kostenseitigen Analyse von Kundenintegrationsprozessen nicht nur Produktions-, sondern auch in Verbindung mit der Integrativität anfallende Transaktionskosten Berücksichtigung finden müssen, damit die Prozesse adäquat geplant und gesteuert werden können (grundlegend Fließ 2001). Transaktionskosten fallen für die Reduktion und Bewältigung von Unsicherheit bzw. für die dafür erforderlichen Maßnahmen an und sind daher im Bereich der Dienstleistungen aufgrund deren typischer Merkmale von großer Bedeutung. Allerdings stellt die Quantifizierung bzw. Bewertung der Transaktionskosten eine Schwierigkeit dar, die bisher nicht zufrieden stellend bewältigt werden konnte. Auch für dieses Problem liegt inzwischen jedoch ein interessanter Lösungsansatz vor, der gleichfalls eine Weiterentwicklung der Prozesskostenrechnung, nämlich hin zu einer „flexiblen Prozesskostenrechnung“ darstellt (Salman 2004). Er verbindet Elemente konventioneller Kostenrechnungssysteme mit aus der Transaktionskostentheorie entnommenen Elementen und zielt damit auf ein Kostenmanagement auch für solche Kundenintegrationsprozesse ab, die dem oben beschriebenen Typ B der Dienstleistungen entsprechen (Salman 2004, S. 217f.). Dass auch dieses Verfahren noch nicht alle Probleme lösen kann (Salman 2004, S. 228ff.), weist aber auch auf den noch vorhandenen Weiterentwicklungsbedarf hin. Zumindest aber stellt es einen weiteren Schritt in die erforderliche Richtung dar. Doch nicht nur aus Vertretern des Marketing zuzurechnenden Überlegungen, wie sie in diesem Abschnitt bisher beschrieben wurden, stammen Beiträge zum Dienstleistungscontrolling. Auch aus der produktionswirtschaftlichen Richtung gibt es Ansätze, die produktionstheoretische Analysen mit kostentheoretisch fundierten Bewertungsfragen verbinden (Frietzsche 2001) und auf diese Weise ebenfalls dazu beitragen, die konzeptionelle Lücke im Dienstleistungscontrolling zu schließen. Fasst man die Ergebnisse des vorliegenden Kapitels zusammen, so zeigt sich, dass die Schwerpunkte der Controllingliteratur „i.e.S.“ vor allem in branchenspezifischen Betrachtungen gesetzt wurden, wo wichtige und weiterführende Erkenntnisse gewonnen und Instrumente entwickelt wurden. Es fehlt jedoch an einem konzeptionellen Rahmen, in den diese Partialansätze eingebunden werden könnten. Grundlegend für solch einen Rahmen könnten die skizzierten (sowie weitere, da hier – wie gesagt – kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird; siehe z.B. auch Corsten 2003) Ansätze aus den Bereichen Dienstleistungsmarketing und -management sowie Produktionswirtschaft sein, da diese sich der Frage des Controlling integrativer, immaterieller und von Verhaltensunsicherheiten geprägter Leistungen aus leistungstheoretischer Sicht nähern und damit eine wertvolle Ergänzung liefern sollten. Damit, dass man von leistungstheoretischen Grundlagen ausgeht, stellt sich dann aber tatsächlich die schon einmal angedeutete Frage, ob sich eine Unterscheidung von Sachleistungs- und Dienstleistungscontrolling nicht
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Martin Reckenfelderbäumer
möglicherweise erübrigt (Schäffer/Weber 2002, S. 8 i.V.m. S. 12). Darauf wird im folgenden Kapitel eingegangen.
4.
Vom Dienstleistungscontrolling zum Controlling der Kundenintegration – Plädoyer für einen Perspektivenwechsel
Dieser abschliessende Abschnitt sei mit einer These eröffnet, die anschließend argumentativ untermauert werden soll: „Dienstleistungscontrolling“ ist im Grunde ein falscher Terminus für ein zentrales betriebswirtschaftliches Problem, denn letztlich geht es um das Controlling der Kundenintegration bzw. -mitwirkung: Ein spezifisches Dienstleistungscontrolling hat nur so lange eine Existenznotwendigkeit und -berechtigung, wie die elementare und weitreichende Bedeutung der integrativen Leistungserstellung in allen Bereichen der Wirtschaft nicht erkannt und akzeptiert wird – danach erübrigt es sich. Nicht nur rein zufällig, sondern ganz bewusst, findet sich der Begriff der Dienstleistungen in den meisten jüngeren der in Abschnitt 3.2 zitierten Arbeiten nicht oder nur auf pragmatischer Basis verwendet wieder, denn im Kern geht es jeweils um etwas anderes: um das Controlling eben nicht nur autonomer, sondern auch integrativer, der Kundenmitwirkung bedürfender Leistungserstellungsprozesse. Vor diesem Hintergrund kann der folgenden Feststellung nur zugestimmt werden: „Es zeigt sich somit, dass sowohl die Unterscheidung eines Controllings von Sach- und Dienstleistungen als auch die Differenzierung nach Branchen nur eingeschränkten Erklärungswert besitzen“ (Schäffer/ Weber 2002, S. 12). Bereits in Abschnitt 2.1 wurde darauf hingewiesen, dass Dienstund Sachleistungen allenfalls auf pragmatische Weise und aus ebenso pragmatischen Gründen abgegrenzt werden können, nicht jedoch leistungstheoretisch exakt. Von der Immaterialität als betriebswirtschaftlich weniger bedeutsamer Leistungseigenschaft einmal abgesehen, bleibt festzuhalten: Die Integration externer Faktoren in die betrieblichen Prozesse des Anbieters lässt sich in ihrem Ausmaß bzw. in ihrer Intensität als Kontinuum auffassen. Es gibt somit keine am Markt abgesetzten Leistungen, die ohne ein Mindestmaß an Integrativität auskommen. Die entscheidende Frage ist somit nicht, ob, sondern vielmehr wo (an welcher Stelle der Wertschöpfungskette) und wie (mit welcher Intensität und in welchem Ausmaß) externe Faktoren bei der Vermarktung und Erbringung eines bestimmten Leistungsbündels integriert werden müssen. Diese Phänomene lassen sich als Eingriffstiefe („Wo?“) und Eingriffsintensität („Wie?“ bzw. „Wie viel?“) bezeichnen (Engelhardt et al. 1993, S. 414).
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Vor diesem hier noch einmal in aller Kürze geschilderten Hintergrund ist es nachhaltig zu begrüßen, wenn Schäffer/Weber (2002) in dem o.a. Zitat die eingeschränkte Erklärungskraft einer Trennung in Sachleistungs- und Dienstleistungscontrolling herausstellen. Eines nämlich gilt für das Controlling ebenso wie für alle anderen betriebswirtschaftlichen Teilbereiche: Entscheidend ist nicht, ob man ein bestimmtes Produkt „Sachleistung“ oder „Dienstleistung“ nennt – entscheidend sind viel mehr die Eigenschaften, die dieses Produkt in mehr oder weniger starkem Umfang aufweist. Insofern sind Begriffspaare wie „Dienstleistungsmarketing/Sachleistungsmarketing“ oder „Dienstleistungscontrolling/Sachleistungscontrolling“ streng genommen nur als Konventionen gegenüber dem allgemeinen Sprachgebrauch, eventuell auch gegenüber der Verständlichkeit wissenschaftlicher Arbeiten, nicht aber aus leistungstheoretischer Sicht als haltbare und sinnvolle Kategorisierungen zu sehen. Diese Feststellung liegt der eingangs genannten These zu Grunde. Als derartige Leistungseigenschaft ist eben vor allem die Integrativität von Bedeutung, da sie die Rolle des Kunden betont. Gerade Themen, die ursprünglich aus dem Marketingbereich stammen, z.B. Kundenorientierung, Kundenzufriedenheit oder Kundenbindung, inzwischen aber auch andere Themenfelder wie der Kundenwert zeigen deutlich, dass die Bedeutung des Nachfragers in der Betriebswirtschaftslehre sehr viel stärker in den Vordergrund getreten ist als in der Vergangenheit. Der Kunde in seiner Relevanz für den Unternehmenserfolg ist insofern in vielfältiger Form in betriebwirtschaftlichen Fragestellungen zu berücksichtigen. Die obligatorische Mitwirkung des Kunden bei der Erstellung und Vermarktung jedweder Art von Leistungsbündeln führt dann aber auch dazu, dass ein Controlling ohne eine explizite Berücksichtigung der Integrativität zu kurz greifen muss – je stärker ausgeprägt die Integrativität ist, desto größer ist die Gefahr von Fehlsteuerungen, die aus einem „kundenlosen“ Controlling resultieren können. Akzeptiert man aber die „Allgegenwärtigkeit“ der Integrativität, so ist es letztlich nicht erforderlich, ein bestehende Ansätze ergänzendes „Dienstleistungscontrolling für den Dienstleistungstyp B“ zu konzipieren, sondern es geht darum, das Controlling ganz generell stärker an dem Phänomen der Kundenmitwirkung an der Leistungserstellung und -vermarktung auszurichten. Auf in diesem Kontext bereits bestehende Vorarbeiten wurde in Abschnitt 3.2 hingewiesen. Dies ist dann jedoch kein spezifisches oder eigenständiges Dienstleistungscontrolling mehr, denn ein solches wird angesichts dieser generellen Neuausrichtung - wie in der obigen These unterstellt - tatsächlich überflüssig: Einen neuen, vielleicht den entscheidenden Schwerpunkt für das Controlling bildet dann das Controlling der Kundenmitwirkung bzw. -integration. Darin sollte die große Herausforderung für die Zukunft liegen, die im Zusammenspiel von Controlling und anderen betriebswirtschaftlichen Spezialdisziplinen auf der Basis der bestehenden Vorarbeiten weiter in Angriff genommen werden müsste. Es bleibt abzuwarten, ob Hinweise, die in diese Richtung deuten (wie eben z.B. von Schäffer/Weber 2002, S. 12), zukünftig auch in der Controllingliteratur stärker aufgegriffen werden als es in der Vergangenheit der Fall war. Die eingangs zitierte Lücke zwischen dem Notwendigen und dem Vorhandenen an Instrumenten und Konzepten im „Dienstleistungscontrolling“ ließe sich auf diese
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Martin Reckenfelderbäumer
Weise – jedenfalls nach Ansicht des Verfassers – wohl am nachhaltigsten schließen. Möglicherweise enthält der vorliegende Band dazu schon entsprechende Ansätze.
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Martin Reckenfelderbäumer
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2. Prozessorientierung von Dienstleistungen als Ansatz des Controlling
3
Prozessorientiertes Qualitätscontrolling von Dienstleistungen
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Martin Benkenstein und Ariane von Stenglin
Prozessorientiertes Qualitätscontrolling von Dienstleistungen
1. Relevanz der Prozessorientierung im Qualitätscontrolling von Dienstleistungen 2. Service-Blueprinting als Informationsgrundlage eines prozessorientierten Qualitätscontrolling 3. Erfolgswirkung des Qualitätsmanagements 3.1 Nutzenermittlung durch die Messung der Dienstleistungsqualität 3.2 Kostenermittlung durch die Prozesskostenrechnung 3.3 Ermittlung von Kosten-Nutzen-Kennziffern auf der Ebene von Prozessmodulen 4. Zusammenfassung Literatur
Prof. Dr. Martin Benkenstein ist Direktor des Instituts für Marketing und Dienstleistungsforschung der Universität Rostock. Dipl.-Kffr. Ariane von Stenglin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am dortigen Institut.
Prozessorientiertes Qualitätscontrolling von Dienstleistungen
1.
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Relevanz der Prozessorientierung im Qualitätscontrolling von Dienstleistungen
Die Qualität von Dienstleistungen ist im Rahmen der Erfolgsfaktorenforschung als eine wesentliche Determinante des Unternehmensergebnisses identifiziert worden (Buzzell/ Gale 1989, S. 7f., 41, 91ff.). Die Qualitätsorientierung und somit auch das Qualitätsmanagement spielen demnach eine wesentliche Rolle in der Unternehmensplanung eines Dienstleisters. Der durch das Qualitätsmanagement zu sichernde ökonomische Erfolgsbeitrag ist jedoch nur realisierbar, wenn die dem Qualitätsniveau entgegengebrachte Kundenwertschätzung mindestens den Kosten entspricht, die im Zusammenhang mit dem Qualitätsmanagement entstehen (Meffert 1994, S. 103; Buzzell/Gale 1989, S. 7). Eine erforderliche Komponente im Prozess der qualitätssichernden Maßnahmen stellt demzufolge das Qualitätscontrolling dar. Um die Erfolgswirkung des Qualitätsmanagements zu quantifizieren, empfiehlt sich die Ermittlung von Kosten-Nutzen-Kennziffern. Wesentliches Merkmal einer Dienstleistung ist die Integration des Kunden bzw. eines Objektes des Kunden in den Leistungserstellungsprozess (Meyer 1991, S. 199; Corsten 1986, S. 27ff.). Nachfrager von Dienstleistungen kommen demzufolge mit den Leistungspotenzialen, dem Leistungserstellungsprozess und – wie Konsumenten von klassischen Sachgütern auch – mit dem Leistungsergebnis in Berührung. Als Dimensionen der Dienstleistungsqualität werden dementsprechend die Potenzial-, die Prozess- und die Ergebnisdimension unterschieden (Donabedian 1980, S. 79ff.). Da das Qualitätsurteil wesentlich durch den vom Kunden wahrgenommenen Prozess der Dienstleistungserstellung beeinflusst wird (Hentschel 1992, S. 73), ist die Wirtschaftlichkeitskontrolle insbesondere unter Berücksichtigung der Prozessdimension der Dienstleistungsqualität vorzunehmen. Gleichzeitig ist die Kostenstruktur in Dienstleistungsunternehmen im Vergleich zu Sachgüterproduzenten durch einen relativ hohen Gemeinkostenanteil gekennzeichnet. Dem Nachteil der Fixkostenproportionalisierung und der Gemeinkostenschlüsselung der traditionellen Vollkostenrechnungssysteme begegnend, muss das Denken in Prozessen auch in die Kostenrechnung von Dienstleistungsunternehmen Eingang finden, um damit eine verursachungsgerechte Zurechnung der Gemeinkosten zu ermöglichen. Mit dem Ziel der Gegenüberstellung von Qualitätswahrnehmung und Qualitätskosten im Sinne einer Kosten-Nutzen-Analyse kann damit sowohl die Messung der Dienstleistungsqualität als auch die Erfassung der Qualitätskosten konsequent prozessorientiert erfolgen. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die ereignis- und merkmalsbasierten Methoden der Qualitätsmessung auf der Nutzenseite und die Prozesskostenrechnung auf der Kostenseite einer Prozessorientierung im Qualitätscontrolling Rechung tragen. Eine wesentliche Informationsbasis für die Qualitätserfassung, aber auch für die prozessorientierte
58
Martin Benkenstein und Ariane von Stenglin
Kostenrechnung, stellt dabei das Service-Blueprinting dar, das Gegenstand des nächsten Abschnitts sein wird.
2.
Service-Blueprinting als Informationsgrundlage eines prozessorientierten Qualitätscontrollings
Eine Grundlage für das prozessorientierte Qualitätscontrolling bildet die Strukturierung der Dienstleistung aus Nachfragersicht. Hinsichtlich der systematischen Strukturierung und grafischen Abbildung von Dienstleistungsprozessen hat sich in der wissenschaftlichen Diskussion die Methode des Service-Blueprinting durchgesetzt. Durch die explizite Berücksichtigung der Kundenintegration in einem Service-Blueprint findet die Methode in verschiedenen Bereichen des Dienstleistungsmanagements, so zum Beispiel im Service-Engineering oder Qualitätsmanagement, Anwendung. Bei einem Service-Blueprint handelt es sich um ein grafisches Abbild eines Dienstleistungsprozesses und seiner Teilaktivitäten. Das Grundmodell geht auf die Überlegungen von Shostack zu Beginn der 1980er Jahre zurück (Shostack 1982, S. 49ff.; 1984, S. 133ff.). Ziel war es, in dem Ablaufdiagramm Punkte zu visualisieren, an denen es zur Interaktion zwischen dem Kunden und dem Personal des Dienstleisters kommt (Kleinaltenkamp 2000, S. 4f.). Durch eine Trennlinie, die sogenannte „Line of visibility“, wurden Prozessaktivitäten, die der Kunde wahrnimmt und in die er integriert wird, von Prozessaktivitäten, die für ihn im Verborgenen stattfinden, getrennt. Das Grundmodell von Shostack wurde in der Vergangenheit durch die Berücksichtigung zusätzlicher Linien weiterentwickelt. Im Modell von Kingman-Brundage werden die Herstelleraktivitäten zudem durch die „Line of interaction“, die „Line of internal interaction“ und die „Line of implementation“ differenziert (Kingman-Brundage 1989, S. 30ff.; 1993, S. 148ff.). Den umfassendsten Ansatz liefert das Service-Blueprinting von Kleinaltenkamp. Hier werden, wie das Service-Blueprint eines Verkaufsprozesses in Abbildung 1 veranschaulicht, sechs Ebenen der Kundenintegration im Leistungsprozess durch die folgenden Trennlinien unterschieden (Kleinaltenkamp 1997, S. 89ff.; Kleinaltenkamp/Haase 1999, S. 170f.): Line of interaction, die „Kundeninteraktionslinie“, trennt die vom Kunden selbstständig ausgeführten Prozesse von den Anbieteraktivitäten. Line of visibility, die „Sichtbarkeitslinie“, trennt für den Nachfrager sichtbare von den für ihn im Verborgenen stattfindenden Anbieteraktivitäten. Da durch diese Trennlinie nicht nur die sichtbaren, sondern die generell, beispielweise durch Hör-
Prozessorientiertes Qualitätscontrolling von Dienstleistungen
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oder Geruchssinn, wahrnehmbaren Prozesse betrachtet werden, sollte sie konsequenterweise als „Line of perception“ bezeichnet werden (Salman 2004, S. 64). Line of internal interaction, die „interne Interaktionslinie“, trennt Prozesse mit unmittelbarem Zusammenhang zur Kundenintegration von den Support-Aktivitäten, die der Vorbereitung der primären Aktivitäten dienen. Line of order penetration, die „Vorplanungslinie“, trennt kundeninduzierte, dem Leistungserstellungsprozess zuordenbare Maßnahmen von Anstrengungen, die dem Leistungspotenzial gelten. Line of implementation, die „Implementierungslinie“, trennt die Facility-Aktivitäten, die der Bereitstellung von Ressourcen dienen, von den Preparation-Aktivitäten, zu denen alle Maßnahmen der Markterschließung, wie beispielsweise Anstrengungen in Forschung und Entwicklung oder Marktuntersuchungen, gehören. Aus dem Service-Blueprint lassen sich wertvolle Informationen für das Qualitätscontrolling ableiten, indem alle Prozessaktivitäten oberhalb der „Line of perception“ in Qualitätsuntersuchungen berücksichtigt werden und darüber hinaus alle weiteren Prozesse des Blueprints in die Ermittlung der Qualitätskosten einfließen.
Kontaktaufnahme durch Technische Sachbearbeiter
Kontaktaufnahme durch Verkäufer, GF, Indir. Vertrieb
Ermittlung der grundsätzlichen Anforderungen beim Nachfrager (Technik, Konstruktion, Planung, GF, Indir. Vertrieb)
-
Überprüfung (Technik, Konstruktion, Planung)
Video, Zeichnung mit Bemaßung
+
-
Überprüfung (Technik, Konstruktion, Planung)
+
-
Überprüfung (kaufm. Abteilung)
+
Angebotsvergabe Line of interaction
Lastenheft
Pflichtenheft
Angebot
Line of perception
Entscheidung
Prozess
Dokument
Erstellen, Modifizieren eines Rahmenlastenheftes (GF, Verkäufer) Erstellen, Modifizieren eines Pflichtenheftes (GF, Konstruktion)
Erstellen, Modifizieren eines Angebotes (GF, Verkäufer, Konstruktion)
Line of internal interaction
Freigabe des Fertigungsauftrages (Konstruktion, GF) Line of order penetration
Vorbereitung (Marktforschung, Marktkommunikation, Entwicklung der Leistungsmodule, Preislisten, Betreuung der Distributionsorgane, Geschäftsbeziehungsmanagement, Marktsegmentmanagement usw.)
t
Line of implementation
Infrastruktur (Marktfelder, Personalwirtschaft, Finanzwirtschaft, Technologieinnovationen, Anlagen- und Objektwirtschaft, Investitionen, Beteiligungen, Partner, PR usw.)
Abbildung 1: Service-Blueprint eines Verkaufsprozesses (Quelle: in Anlehnung an Weiber/Jacob 2000, S. 583; Kleinaltenkamp 2000, S. 12)
60
3.
Martin Benkenstein und Ariane von Stenglin
Erfolgswirkung des Qualitätsmanagements
3.1 Nutzenermittlung durch die Messung der Dienstleistungsqualität Die Frage, wie die Dienstleistungsqualität gemessen werden kann, ist Gegenstand einer Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten. Hinsichtlich der im Rahmen der Erfolgskontrolle zur Anwendung gelangenden kundenorientierten, subjektiven Qualitätsmessung lassen sich merkmals-, ereignis- und problemorientierte Messmethoden unterscheiden (Bruhn 2000, S. 22ff.; 2004, S. 98ff.). Vor dem Hintergrund, Kosten-Nutzen-Relationen abzuleiten, ist es notwendig, die Qualitätsurteile der Nachfrager metrisch skaliert zu erfassen. Diese Anforderung an das Skalenniveau erfüllen lediglich die merkmalsorientierten Verfahren der kundenorientierten, subjektiven Qualitätsmessung. Hier erfolgt die Ermittlung der Qualitätswahrnehmung mit Hilfe quantitativer Befragungen unter der Annahme, dass sich das Qualitätsurteil des Kunden aus der Aggregation einer Reihe von Einzelbewertungen verschiedener Qualitätsmerkmale ableitet. Zu den merkmalsbasierten Ansätzen zählen die viel diskutierten multiattributiven Methoden, aber auch die dekompositionellen Verfahren wie die Vignette-Methode (Bruhn 2004, S. 119ff.). Bei der Durchführung multiattributiver Messansätze wird dem Nachfrager ein Katalog von Dienstleistungsmerkmalen vorgelegt, die auf einer Ratingskala zu bewerten sind. Ein bedeutendes Beispiel für die multiattributive Qualitätsmessung stellt der SERVQUAL Ansatz von Parasuraman et al. dar. Hier werden für insgesamt 22 Qualitätsmerkmale die Eindrucks- und Erwartungswerte erfasst und zu fünf Qualitätsdimensionen verdichtet. Das Gesamtqualitätsurteil ergibt sich wiederum durch die Ermittlung des Mittelwertes der Dimensionsurteile (Parasuraman et al. 1985, S. 41ff.; 1988, S. 12ff.). Die dekompositionellen Ansätze sind hingegen dadurch gekennzeichnet, dass eine auf Grundlage der globalen Qualitätsurteile gebildete Rangordnung der zu beurteilenden Teilleistungen einer komplexen Dienstleistung Aufschluss über die einzelnen Teilqualitätsmerkmale und deren Gewichtung geben kann (Hentschel 2000, S. 297). Bei der Ableitung der zu untersuchenden Qualitätsmerkmale bzw. -bündel liefern die Critical Incident Technique und die sequenzielle Ereignismethode wertvolle Erkenntnisse. Diese Verfahren sind der ereignisorientierten Qualitätsmessung zuzuordnen, durch die der Prozesscharakter der Dienstleistungserstellung Berücksichtigung findet, indem die Kunden gebeten werden, ihre Erlebnisse hinsichtlich der Dienstleistungsinanspruchnahme zu schildern (Bruhn 2004, S. 127ff.; Meffert/Bruhn 2003, S. 308ff.). Die Critical Incident Technique basiert auf der Erfassung der kritischen Ereignisse während des Dienstleistungserstellungsprozesses, d.h. der Kunde wird gezielt mittels direkter offener Fragen animiert, besonders negative oder auch positive Kontaktsituationen mit dem Dienstleistungsanbieter zu schildern (Stauss/Hentschel 1990, S. 240f.). Im Ergebnis
Prozessorientiertes Qualitätscontrolling von Dienstleistungen
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ist es möglich, sowohl qualitätsfördernde als auch qualitätshemmende Faktoren zu identifizieren sowie Maßnahmen zur Reduktion letztgenannter einzuleiten (Benkenstein/ Güthoff 1998, S. 435). Auch die sequenzielle Ereignismethode basiert auf dem Prinzip des so genannten Story Telling. Die Kunden werden aufgefordert, die Erlebnisse mit dem Dienstleistungsanbieter gedanklich zu rekapitulieren. Anders als bei der Critical Incident Technique liegt dem Kunden allerdings ein Blueprint des Dienstleistungsprozesses als „Gedächtnisstütze“ vor, so dass sämtliche Kundenkontaktsituationen erinnert werden können (Stauss/Hentschel 1990, S. 244ff.). Im Ergebnis der Durchführung ereignisorientierter Qualitätsstudien können jene Prozessaktivitäten und daraus abgeleitete Qualitätsattribute bzw. -bündel in die merkmalsbasierte Befragung integriert werden, die oberhalb der „Line of perception“ in einem Service-Blueprint liegen. So sind beispielsweise in einem Service-Blueprint für eine Reisedienstleistung die Prozessaktivitäten „telefonische Reservierung des Hotelzimmers“ und „Verpflegung an Board des Busses“ für den Kunden wahrnehmbar. Abbildung 2 zeigt exemplarisch für diese Prozesse, welche Qualitätsmerkmale in den Fragebogen einer merkmalsbasierten Qualitätsuntersuchung aufgenommen werden können. Derart ist es möglich, und die Arbeiten zur Qualität komplexer Dienstleistungsbündel belegen dies sehr anschaulich (Güthoff 1995; Benkenstein/Güthoff 1997; Zielke 2004), die merkmalsorientierte Qualitätsmessung prozessorientiert auszurichten und gleichzeitig für die einzelnen Interaktionsaktivitäten des Dienstleisters metrische Qualitätsindices zu ermitteln, die dann durchaus zu einem Gesamtqualitätsurteil verdichtet werden können. Für das prozessorientierte Qualitätscontrolling von Dienstleistungen liegen nunmehr für die einzelnen Prozessaktivitäten, die vom Kunden wahrgenommen werden oder in die er gar integriert ist, ordinalskalierte Qualitätsurteile vor. Diese Ergebnisse bilden den nutzenbasierten Bestandteil des Kennzahlensystems für ein prozessorientiertes Qualitätscontrolling.
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Martin Benkenstein und Ariane von Stenglin
Frage 9:
Wie zufrieden waren Sie mit der telefonischen Reservierung Ihres Hotelzimmers hinsichtlich folgender Punkte? sehr zufrieden
1
2
sehr unzufrieden
3
4
5
Freundlichkeit Reibungslosigkeit Berücksichtigung individueller Wünsche Beratung über Zimmertypen Beratung über Arrangements
... Frage 14:
Wie zufrieden waren Sie mit der Verpflegung an Board des Busses hinsichtlich folgender Punkte? sehr zufrieden
1
2
sehr unzufrieden
3
4
5
Angebotsvielfalt Auswahl der Getränke Qualität der Speisen
Abbildung 2: Beispiel eines Fragebogens zur merkmalsorientierten Qualitätsmessung
3.2 Kostenermittlung durch die Prozesskostenrechnung Nachdem dargestellt wurde, dass der Nutzen des Qualitätsmanagements durch die Qualitätsbeurteilung der Nachfrager operationalisiert werden kann, sollen die Kosten des Qualitätsmanagements durch dessen monetär bewerteten Güterverzehr bestimmt werden (Stauss 1992, S. 112). Die Ermittlung der Kosten des Qualitätsmanagements bedarf eines qualitätsbezogenen Kostenrechnungssystems, das die Besonderheiten von Dienstleistungen und die aus ihnen resultierenden Probleme der Kostenrechnung berücksichtigt. In der Immaterialität von Dienstleistungen liegen die im Verhältnis zu Sachgütern geringen variablen Kosten je Leistungseinheit begründet. Der damit einhergehende hohe Gemeinkostenanteil in Dienstleistungsunternehmen bedingt die bekannten Schwierigkeiten der verursachungsgerechten Schlüsselung dieses Kostenblocks auf einzelne Kostenstellen bzw. Kostenträger (Fischer 2000, S. 3; Witt 2003, S. 16). Aus der Kritik an den herkömmlichen Kostenrechnungssystemen und der wenig verursachungsgerechten Zurechnung der Gemeinkosten erwuchs die Diskussion um die Prozesskostenrechnung. Diese stellt durch die Kostenanalyse entlang der Wertschöpfungskette die betrieblichen Abläufe als Zurechnungsobjekte in den Mittelpunkt der Betrachtung (Braun 1999, S. 1, S. 34), woraus sich die Eignung dieses Kostenrechnungssystems für Dienstleistungsunternehmen im Allgemeinen ergibt (Horváth/Mayer 1995, S. 62).
Prozessorientiertes Qualitätscontrolling von Dienstleistungen
63
Der gedankliche Ursprung der Prozesskostenrechnung geht auf den Aufsatz „The hidden Factory“ der US-amerikanischen Autoren Miller und Vollmann zurück, die hinsichtlich der Kostenstruktur im Unternehmen feststellen: „The real driving force comes from transactions, not physical product“ (Miller/Vollmann 1985, S. 144). Ende der 1980er Jahre stellen Cooper, Johnson und Kaplan das „activity-based costing“ als Kostenrechungssystem vor, das erstmalig im Fertigungsbereich eine Analyse der Prozesse vornahm (Cooper 1990, 1992; Cooper/Kaplan 1995). In Deutschland wurde die Prozesskostenrechnung insbesondere durch Horváth und Mayer vorangetrieben (Horváth/Mayer 1995). Grundlage der Prozesskostenrechnung ist die Prozessanalyse, das heißt, die Betrachtung von Aktivitäten innerhalb einer Kostenstelle und deren Aggregation zu Teilprozessen. Horváth und Mayer definieren Prozesse in diesem Sinne als „eine auf die Erbringung eines Leistungsoutputs gerichtete Kette von Aktivitäten“ (Horváth/Mayer 1995, S. 61). Die identifizierten Prozesse lassen sich in Prozesshierarchien abbilden, wobei eine Einteilung in Hauptprozesse, Teilprozesse und Aktivitäten üblich ist (Horváth/Mayer 1995, S. 61f.). Im Rahmen der Tätigkeitsanalyse können persönliche Befragungen, die Analyse von Zeitaufschreibungen der Mitarbeiter oder beispielsweise Zeitaufnahmen zum Einsatz kommen. Ebenso ist es an dieser Stelle möglich, auf die Ergebnisse des ServiceBlueprinting zurückzugreifen, mit dessen Hilfe der gesamte Dienstleistungserstellungsprozess in Teilprozesse zerlegt wird. Im Anschluss an die Erfassung der Teilprozesse werden diese dahingehend untersucht, ob sich ihre Durchführung zur Leistungsmenge variabel oder unabhängig verhält. Ein leistungsmengenvariabler Prozess wäre der Teilprozess „Planung der Reiseroute“ für einen Reisedienstleister. Leistungsmengenunabhängig wäre in diesem Beispiel hingegen der Prozess „Leitung einer Abteilung“. Für leistungsmengenvariable Prozesse müssen zudem Maßgrößen bestimmt werden, mit deren Hilfe diese Teilprozesse mengenmäßig quantifiziert werden können. Für den Teilprozess „Planung der Reiseroute“ wäre eine derartige Maßgröße (Cost Driver) die Anzahl der nachgefragten Reiserouten. Dabei steigt die Genauigkeit der Kostenverrechnung mit der Zahl der berücksichtigten Cost Driver an (Cooper 1990, S. 274). Die leistungsmengenneutralen Kosten werden in der Regel den leistungsmengenabhängigen Prozessen proportional zu den dort angefallenen Kosten zugerechnet. (Horváth/Mayer 1995, S. 72f.). Anschließend ist es möglich, die Prozesskostensätze, wie an dem Beispiel in Abbildung 3 dargestellt, zu bestimmen. Weiterführend werden die leistungsmengenvariablen Teilprozesskosten den Hauptprozessen zugeordnet, um so Aussagen über die Hauptprozesskosten zu ermöglichen (Horváth/Mayer 1995, S. 74).
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Martin Benkenstein und Ariane von Stenglin
Maßgrößen
Prozesskosten
Teilprozesse Art Planung der
Anzahl der
Reiseroute
Routen
Gepäckabfertigung
Anzahl der Gepäckstücke
Schulung des
Anzahl der
Begleitpersonals
Schulungen
Bestellung Zeitschriften Videos u.ä. Leitung der Abteilung
Anzahl Bestellungen
–
Prozesskostensatz
aktivitäts-
aktivitäts-
induzierte
neutrale
2
400 €
100 €
500 €
200 €
250 €
50
200 €
50 €
250 €
4€
5€
2
500 €
50 €
550 €
250 €
275 €
4
200 €
25 €
225 €
50 €
56,25 €
–
–
1.200 €
–
–
–
Menge
gesamt
aktivitätsinduzierte
gesamt
...
Abbildung 3: Ermittlung der Prozesskostensätze eines Reisedienstleisters (Quelle: in Anlehnung an Bruhn 1998, S. 175) Die derart ermittelten Prozesskosten sind somit unmittelbar den Aktivitäten des Erstellungsprozesses einer Dienstleistung zugeordnet. Entsprechend können sie direkt für die Erfolgsanalyse des Qualitätsmanagements von Dienstleistungen eingesetzt werden. Kritisch ist dabei allerdings zu hinterfragen, ob sämtliche Kosten einer Aktivität zugerechnet werden dürfen. Denkbar ist durchaus, dass für jede Aktivität ein Mindestqualitätsstandard und die mit diesem Standard korrespondierenden Kosten definiert werden. Zuzurechnende Qualitätskosten sind dann nur solche, die über diesen Standard hinausgehen.
3.3 Ermittlung von Kosten-Nutzen-Relationen auf der Ebene von Prozessmodulen Nach der isolierten Ermittlung von Qualitätsurteilen und -kosten sollen diese Ergebnisse in eine integrierte Kosten-Nutzen-Analyse überführt werden. Dies ist jedoch nicht auf dem Niveau einzelner, im Rahmen der Prozessanalyse identifizierter Prozessaktivitäten möglich. So liegen die Qualitätskosten für alle Aktivitäten im Dienstleistungserstellungsprozess vor, die zuvor ermittelten Qualitätsurteile der Nachfrager beziehen sich hingegen auf die von ihm wahrnehmbaren, im Service-Blueprint oberhalb der „Line of
Prozessorientiertes Qualitätscontrolling von Dienstleistungen
65
perception“ liegenden Prozesse. Hieraus resultiert die Notwendigkeit, Einzelaktivitäten im Service-Blueprint zu Prozessmodulen zusammenzufassen, die vom Kunden als für die Dienstleistungsqualität beurteilungsrelevante Bausteine einer Dienstleistung wahrgenommen werden und denen die auf Aktivitätsebene erfassten Prozesskosten zugerechnet werden können. Ein Prozessmodul ist zu verstehen als „eine abgeschlossene logische Einheit, die einen sinnvoll und eindeutig abgegrenzten Teil eines Geschäftsprozesses“ widerspiegelt (Scheer et al. 2003, S. 38). Dabei umfassen Prozessmodule eine deutlich abgegrenzte Anzahl von Aktivitäten im Blueprint und müssen insbesondere dadurch gekennzeichnet sein, dass sie für den Kunden relevante und bewertbare Aktivitäten oberhalb der „Line of visibility“ umfassen. Somit sind Prozessmodule weitgehend identisch mit den in der Dienstleistungsliteratur diskutierten Teilleistungen komplexer Dienstleistungsbündel (Güthoff 1995, S. 78ff.; Benkenstein/Olandt 1999, S. 113ff.; Zielke 2004, S. 15ff., 33ff.). Die einzelnen Prozessmodule sind über Schnittstellen miteinander verbunden und bilden damit – auf einer abstrakteren Strukturierungsebene – den gesamten Blueprint bzw. den gesamten Wertschöpfungsprozess einer Leistung ab (Scheer et al. 2003, S. 38f.). So werden jeweils die Qualitätsurteile der einem Prozessmodul zugehörigen, vom Kunden wahrnehmbaren Aktivitäten und die Qualitätskosten aller relevanten Prozesse dieses Moduls zusammengefasst. Aus der Verdichtung dieser Teilnutzen bzw. Teilkosten nach einem vorgegebenen Aggregationsschema resultiert eine eindimensionale KostenNutzen-Kennziffer für das prozessorientierte Qualitätscontrolling eines Dienstleisters. Anhand des Beispiels des Reisedienstleisters soll diese Vorgehensweise in Abbildung 4 veranschaulicht werden. Ersichtlich ist, dass den beiden exemplarisch gewählten Prozessmodulen „Reisevorbereitung“ und „Anreise mit dem Bus“ eine Vielzahl kostenrelevanter Aktivitäten zugeordnet werden können, denen hingegen nur wenige vom Kunden erfasste und somit für die Qualitätswahrnehmung relevante Prozessaktivitäten gegenüberstehen. Für das Prozessmodul „Reisevorbereitung“ resultiert durch Mittelwertbildung aus den Einzelqualitätsurteilen ein prozessmodulbezogenes Qualitätsurteil von 1,75. Wie aus den Fragestellungen in Abbildung 3 ersichtlich, basieren die erhobenen Qualitätsurteile auf einer zufriedenheitsorientierten 5-stufigen Skala von 1 (sehr zufrieden) bis 5 (sehr unzufrieden). Dass nicht für alle Aktivitäten Qualitätskosten entstehen, ist vor dem Hintergrund der Sicherung eines Mindestqualitätsstandards zu betrachten. Im Beispiel wird dieser Standard beim Personaleinsatz nicht übertroffen und somit entstehen für diese Aktivität keine zurechenbaren Qualitätskosten. Für das erste Prozessmodul ergeben sich durch Summation insgesamt Qualitätskosten in Höhe von 6.350 €. Analog lassen sich für alle anderen Prozessmodule der Dienstleistung ebenso Kosten-Nutzen-Relationen ermitteln.
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Martin Benkenstein und Ariane von Stenglin
Prozessmodul
Reisevorbereitung
Kostenrelevante Aktivitäten
Qualitätswahrnehmungsrelevante Aktivitäten
kosten
-
-
Schulung des Empfangspersonals
-
1.100 €
2,0
-
Konzeption Informationsbroschüren
-
2.000 €
Druck Informationsbroschüren
-
500 €
Konzeption Hompage
-
2.000 €
1,5
750 € -
1,75
6.350 €
-
500 €
2,7
250 €
Bereitstellung Buchungsdaten Reaktion auf Anfrage und Buchung
Qualität der Reaktion auf Anfrage u. Buchung
Qualität des Informationsmaterials
Qualitätsurteil und Qualitätskosten für Prozessmodul "Reisevorbereitung" Planung der Reiseroute Gepäckabfertigung (Entgegennahme, Ausgabe)
dem Bus
Qualitäts-
Personaleinsatz
Pflege der Hompage Bereitstellung von Informationsmaterial
Anreise mit
Qualitätsbeurteilung
Qualität der Gepäckabfertigung (Entgegennahme, Ausgabe)
Transport des Gepäcks
-
-
Schulung des Begleitpersonals
-
550 €
Begrüßung und Betreuung durch den Busfahrer Einkauf Zeitschriften, Videos u.ä. Bereitstellung Zeitschriften, Videos u.ä.
Qualität der Begrüßung und Betreuung durch den Busfahrer
1,2
-
Qualität des Unterhaltungsangebots
3,5
225 € 225 €
-
500 €
-
-
Einkauf und Zubereitung von Speisen und Getränken Transport der Speisen und Getränke in den Bus Bereitstellung der Speisen und Getränke während der Fahrt
Qualität der Speisen und Getränke
Qualitätsurteil und Qualitätskosten für Prozessmodul "Anreise mit dem Bus"
1,4
-
2,2
2.250 €
Abbildung 4: Ermittlung von Kosten-Nutzen-Relationen auf der Grundlage von Prozessmodulen einer Reisedienstleistung Abbildung 4 verdeutlicht, dass ein kennzahlenorientiertes Qualitätscontrolling von Dienstleistungen unter besonderer Berücksichtigung der Prozessdimension durchaus möglich ist. Dadurch können für die einzelnen Dienstleistungsmodule sowohl zeitpunktbezogene Soll-Ist-Analysen als auch Längsschnittanalysen im Zeitablauf durchgeführt werden. Beim Soll-Ist-Vergleich werden die tatsächlich realisierten Kosten-NutzenRelationen mit zuvor definierten kritischen Werten verglichen, die bei wirtschaftlicher Arbeitsweise des Qualitätsmanagements nicht überschritten werden dürften. Die Ergebnisse von Zeitvergleichen im Rahmen von Längsschnittanalysen müssen auch immer dahingehend hinterfragt werden, ob die festgestellten Abweichungen ausschließlich auf Unwirtschaftlichkeiten im Qualitätsmanagement zurückzuführen sind. So können Abweichungen beispielweise auch aus Preisänderungen resultieren. Ebenso ist denkbar, dass sich die Anforderungen der Kunden im Zeitablauf verändern und das geänderte Konsumentenverhalten wiederum Einfluss auf die Qualitätswahrnehmung der Nachfrager hat. Ein Querschnittsvergleich der Qualitätseffizienz verschiedener Prozessmodule ist allerdings nicht möglich, weil zwar die Qualitätsbeurteilung der verschiedenen Prozessmodule durch die Nachfrager indiziert und damit vergleichbar in die Qualitätsbeur-
Prozessorientiertes Qualitätscontrolling von Dienstleistungen
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teilung eingeht, die Prozesskosten, die den einzelnen Aktivitäten innerhalb des Moduls zugeordnet werden, jedoch „nur“ aufaddiert und damit nicht indiziert werden.
4.
Zusammenfassung
Die Qualitätsorientierung spielt in der strategischen Ausrichtung von Dienstleistungsanbietern eine besondere Rolle. Ziel muss es sein, das Leistungsangebot konsequent an den Bedürfnissen der Kunden auszurichten. Gleichzeitig darf nicht vernachlässigt werden, dass die Investitionen in das Qualitätsniveau durch die Kundeneinnahmen gedeckt werden müssen. Demnach ist die Wirtschaftlichkeitskontrolle im Sinne eines Qualitätscontrolling ein wesentlicher Aspekt im Qualitätsmanagement von Dienstleistern. Dass dieses Qualitätscontrolling prozessorientiert auszurichten ist, ergibt sich aus der Integration des externen Faktors in den Dienstleistungserstellungsprozess. Die Ermittlung von Kosten-Nutzen-Kennzahlen im Rahmen des prozessorientierten Qualitätscontrolling geht einher mit der Erfassung der Qualitätswahrnehmung der Kunden auf der einen Seite und der Bestimmung qualitätsbezogener Kosten auf der anderen Seite. Wesentliche Informationsgrundlage für eine prozessorientierte Qualitätsmessung und Kostenerfassung ist das so genannte Service-Blueprinting. Es ermöglicht die Strukturierung des Dienstleistungserstellungsprozesses in Teilprozesse, die nach dem Grad der Kundenintegration differenziert werden. Durch die Erstellung eines ServiceBlueprints lassen sich für den Kunden wahrnehmbare Aktivitäten identifizieren, an denen Dienstleistungsmerkmale abgeleitet werden, die Eingang in kundenorientierte, merkmalsbasierte Qualitätsuntersuchungen finden. Mit dem Ziel, metrische Qualitätsurteile zu erfassen, werden diese prozessorientiert bestimmten Merkmalskataloge den Nachfragern zur Beurteilung vorgelegt. Die Ermittlung der Qualitätskosten für Dienstleistungsunternehmen erfolgt durch den Einsatz der Prozesskostenrechnung, indem für alle Teilprozesse der Dienstleistung Prozesskostensätze ermittelt werden. Die Strukturierung des Leistungserstellungsprozesses im Rahmen der Prozessanalyse kann auch hier wieder durch den Einsatz des ServiceBlueprinting unterstützt werden. Im Ergebnis der Qualitätsmessung und Prozesskostenrechnung liegen für sämtliche Aktivitäten des Dienstleistungserstellungsprozesses Kosten, hingegen lediglich für die vom Kunden wahrnehmbaren Aktivitäten Qualitätsurteile vor. Es ist ersichtlich, dass die Notwendigkeit resultiert, einzelne Prozessaktivitäten des Blueprints zu Prozessmodulen zusammenzufassen, die vom Kunden als qualitätsrelevante Teilleistungen einer Dienstleistung wahrgenommenen werden. In der Kosten-Nutzen-Relation eines Prozessmoduls werden somit die Qualitätskosten und Qualitätsurteile der für den Kunden wahrnehmbaren beurteilungsrelevanten Prozessaktivitäten und darüber hinaus auch Qualitätskosten
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Martin Benkenstein und Ariane von Stenglin
der zusätzlich diesem Prozessmodul zuordenbaren Einzelaktivitäten erfasst. Durch die Aggregation der Messwerte der qualitätswahrnehmungsrelevanten bzw. der kostenrelevanten Prozesse über ein Leistungsmodul ist es im Ergebnis möglich, QualitätsurteilsQualitätskosten-Relationen im Sinne eines prozessorientierten Qualitätscontrolling für Dienstleistungen zu generieren.
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Prozessorientiertes Qualitätscontrolling von Dienstleistungen
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Martin Benkenstein und Ariane von Stenglin
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Qualitätsstandards im Dienstleistungsprozess
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Sabine Fließ, Britta Lasshof und Gabriele Willems
Qualitätsstandards im Dienstleistungsprozess
1. Zielsetzungen und Wirkungen von Qualitätsstandards 2. Die Ableitung von Qualitätsstandards 3. Qualitätsstandards in der Praxis – das Beispiel HOCHTIEF Construction AG 3.1 Die HOCHTIEF Construction AG 3.2 Entwicklung und Systematisierung von prozessbezogenen Qualitätsstandards 4. Schlussfolgerung für die Etablierung von Qualitätsstandards im Dienstleistungsunternehmen Literatur
Prof. Dr. Sabine Fließ ist Inhaberin des Douglas-Stiftungslehrstuhls für Dienstleistungsmanagement an der FernUniversität in Hagen. Dipl.-Ök. Britta Lasshof ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am selben Lehrstuhl. Dipl.-Ing. Gabriele Willems (Master of Business Marketing) ist Leiterin der Abteilung Market Development & Relations der HOCHTIEF Construction AG.
Qualitätsstandards im Dienstleistungsprozess
1.
73
Zielsetzungen und Wirkungen von Qualitätsstandards
„Anrufe müssen spätestens nach dem dritten Klingeln entgegengenommen werden“, „jedes Anliegen ist freundlich zu behandeln, auch wenn wir nicht zuständig sind“ und „in 95 Prozent der Fälle ist der Anrufer beim ersten Mal mit dem richtigen Ansprechpartner zu verbinden“, so könnten die Qualitätsstandards in einer Telefonzentrale lauten. Da Standards dieser Art in der Dienstleistungspraxis immer größere Verbreitung finden, soll in diesem Beitrag die Vorgehensweise zur Ermittlung prozessbezogener Qualitätsstandards bei Dienstleistungen vorgestellt werden. Dienstleistungen stellen Leistungsversprechen dar (Woratschek 1996). Diese sind häufig immateriell im Ergebnis und entstehen erst während der Inanspruchnahme, wobei der Kunde im Dienstleistungsprozess mitwirkt (Engelhardt et al. 1993). Damit kann die Qualität einer Dienstleistung stark schwanken, denn zum einen gewinnt der Kunde durch seine Mitwirkung Einfluss auf das Leistungsergebnis, zum anderen sind insbesondere bei durch Personen erbrachten Dienstleistungen unterschiedliche Ausprägungen von Leistungsfähigkeit und Leistungswille zu beobachten; dies kann von Person zu Person, aber auch von Tag zu Tag schwanken (Meyer 1998, S. 24). Standards können als allgemein verbindliche Vorgaben für Mitarbeiter angesehen werden (Benkenstein 1998). Sie legen Mindestanforderungen fest, wie sich ein Mitarbeiter unter den jeweiligen Bedingungen im Dienstleistungsprozess verhalten soll. Damit sind Qualitätsstandards vor allem für solche Teilprozesse relevant, in denen Personen an der Dienstleistungserstellung mitwirken und Verhaltensspielräume bestehen. Standards können sich auf sämtliche Aspekte, die zur Erstellung der Dienstleistung notwendig sind, beziehen, wie bestimmte Tätigkeiten im Prozess, Zeitaspekte der Leistungserstellung, Verhaltensmerkmale der Mitarbeiter etc. (Collier 1990, S. 245; Zeithaml/Bitner 2000, S. 227f.). Standards sind jedoch nicht mit einer Standardisierung von Abläufen im Unternehmen gleichzusetzen: Während Standards punktuell im Prozess eingesetzt werden, bezieht sich eine Standardisierung auf die vollständige Durchplanung des Prozessablaufs (Corsten 1998, S. 614f.). Indem Standards den Mitarbeitern vorgeben, wie sie sich verhalten sollen, vermindern sie Qualitätsschwankungen im Dienstleistungsprozess, die aus unterschiedlichen Interpretationen, Verhaltensweisen, Routinen usw. der Mitarbeiter entstehen. Damit tragen sie zur Qualitätssicherung bei: Das im Unternehmen vorherrschende Qualitätsdenken wird dokumentiert, der gewünschte Zielerreichungsgrad kann überprüft werden und interpersonelle und intertemporelle Qualitätsvergleiche werden ermöglicht (Barsky 1996, S. 23; Berry et al. 1990, S. 30). Damit können Standards auch zur Qualitätssteuerung im Dienstleistungsprozess eingesetzt werden. Standards entfalten ihre Wirkung aber nicht nur im Rahmen von Qualitätssicherung und -steuerung, sondern sie können auch eine motivierende Wirkung auf die Mitarbeiter ausüben. Die Mitarbeiter erhalten Vorgaben, an denen sie sich orientieren bzw. die sie ein-
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Sabine Fließ, Britta Lasshof und Gabriele Willems
zuhalten haben, so dass hierdurch Sicherheit bei der eigenen Arbeit erreicht wird und Rollenstress und Rollenambiguität (Nerdinger 2001, S. 255ff.) reduziert werden. Damit können Standards die Mitarbeiterzufriedenheit erhöhen und sich schließlich auch auf die Produktivität auswirken (Heskett et al. 1997). Im Vorgesetzten-Mitarbeiter-Verhältnis können durch Standards Führungsaufgaben erleichtert werden, indem beispielsweise die Beurteilung der Mitarbeiter und damit die Steuerung des Prozesses insgesamt erleichtert wird. Werden Qualitätsstandards nach außen kommuniziert, entfalten sie auch eine direkte Wirkung gegenüber den Kunden. So hat McDonalds unter dem Motto „Die McDonald’s 60-Sekunden-Wette“ in einer groß angelegten Werbekampagne kommuniziert, dass jeder Kunde innerhalb von 60 Sekunden seine Bestellung auf dem Tablett hat. Dies wurde mit einer Stoppuhr überwacht, wobei der Mitarbeiter oder der Kunde nach der Bestellung den Startknopf drückte. Dadurch, dass der Kunde die Einhaltung der Vorgabe direkt überprüfen konnte, war es ihm möglich, das Leistungsversprechen der schnellen Bedienung zu beurteilen. Nach außen kommunizierte Qualitätsstandards machen damit die vor dem Kauf von Dienstleistungen häufig nur schwer beurteilbare Qualität, die Erfahrungseigenschaften der Dienstleistung (Adler 1996; Stauss 1991; Woratschek 1996, S. 60), bereits vor Inanspruchnahme der Leistung für den Kunden greifbar und besser einschätzbar. Gleichzeitig kann der Anbieter die Aufmerksamkeit der Kunden gezielt auf eben diese kommunizierten Qualitätsdimensionen lenken und unter Umständen von Dimensionen, bei denen man nicht mit den Wettbewerbern konkurrieren kann, ablenken (Grillenberger 1996, S. 20; Ramaswamy 1996, S. 297). Für den kundigen Nachfrager, der bereits Erfahrung mit ähnlichen Leistungsaufträgen und Projekten gemacht hat, bietet sich überdies die Möglichkeit des Qualitätsvergleichs (Fließ 2004). Um diese Wirkungen erzielen zu können, sind Qualitätsstandards systematisch abzuleiten. Hierzu wird im Folgenden eine allgemeine aus der Literatur generierte Vorgehensweise vorgestellt.
2.
Die Ableitung von Qualitätsstandards
Den Ausgangspunkt der Entwicklung von Qualitätsstandards bilden die Kundenanforderungen und -erwartungen (Zeithaml/Bitner 2000, S. 226), da letztendlich die Kunden subjektiv über die Qualität der Dienstleistung urteilen (erlebte versus erwartete Dienstleistung) (Collier 1990, S. 240; Homburg et al. 1999, S. 85). Die Erwartungen des Kunden werden zum einen durch das kommunizierte Leistungsversprechen des Lieferanten beeinflusst. So muss das Versprechen des Pizzalieferanten „wir liefern innerhalb von 20 Minuten ofenfrisch auf den Tisch“ auf entsprechende Vorgaben für die bei Pizzaher-
Qualitätsstandards im Dienstleistungsprozess
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stellung und -auslieferung beteiligten Mitarbeiter heruntergebrochen werden. Darüber hinaus werden Kundenanforderungen und -erwartungen durch Bedürfnis- und Nutzenvorstellungen des Kunden, das Angebot der Wettbewerber und insbesondere deren Kommunikationspolitik sowie durch die eigenen Erfahrungen der Vergangenheit, aber auch die kommunizierten Erfahrungen anderer Kunden geprägt. Um diese Informationen zu erhalten, kann der Dienstleister insbesondere die folgenden Quellen heranziehen (Engelhardt/Schütz 1991, S. 395; Lehmann 1995, S. 88): Befragungen von aktuellen und potenziellen Kunden, z.B. Befragungen zur Kundenzufriedenheit bei Schlüsselkunden oder beim gesamten Kundenstamm, Auswertung von Kundenbeschwerden und -reklamationen, aber auch Kundenschreiben, z.B. Dankschreiben, Usergroups, Communities oder Informationsforen im Internet, in denen Erfahrungen ausgetauscht werden, Beurteilungen Dritter, z.B. Stiftung Finanztest, Mitarbeiterbefragungen (mit dem Problem möglicher Wahrnehmungsverzerrung) und Wettbewerbsanalysen. Liegen die Kundenanforderungen bzw. -erwartungen vor, sind diese in einem zweiten Schritt anhand der Potenzial-, Prozess- und Ergebnisqualität als Qualitätsdimensionen der Dienstleistung zu konkretisieren (siehe auch Gogoll 2000, S. 373f.). Hierbei können die in der Literatur genannten allgemeinen Qualitätsdimensionen herangezogen werden, wie beispielsweise Zuverlässigkeit, Entgegenkommen, Zuvorkommenheit, Vertrauenswürdigkeit etc. (Parasuraman et al. 1985, S. 47). Dabei entscheidet jedoch jeder Dienstleister anhand seines Wettbewerbsvorteils und seiner Marketingstrategie über die für ihn relevanten Qualitätsdimensionen (Berry et al. 1990, S. 30). So ermittelt die Telefonzentrale beispielsweise, dass die Kunden schnell und zuverlässig bedient werden wollen; damit sind Schnelligkeit und Zuverlässigkeit als Qualitätsdimensionen heranzuziehen. Die Qualitätsdimensionen werden in einzelnen Qualitätsmerkmalen konkretisiert. Die Schnelligkeit kann beispielsweise differenziert werden in die Schnelligkeit, mit der Anrufe entgegengenommen werden, und die Schnelligkeit, mit der diese an den zuständigen Gesprächspartner weitergeleitet werden. Die Qualitätsmerkmale werden gewichtet und anhand der Gewichtung wird das genaue Qualitätsniveau bestimmt. Dieses schlägt sich im Qualitätsstandard nieder. Das niedrigste Niveau sollte bereits die Kundenanforderungen erfüllen. Der Kunde empfindet dann die Qualität dieses Merkmals als angemessen und wird entsprechend zufrieden gestellt (Hiles 1993, S. 3f.). Beispielsweise kann das Serviceangebot eines EDV-Herstellers vorsehen, dass ein Ausfall des Computers innerhalb von drei Stunden, von sechs Stunden oder von 24 Stunden behoben wird (Tacke/Pohl 1998).
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Aus den Qualitätsmerkmalen wird der Standard inhaltlich abgeleitet (inhaltliche Dimension), z.B. bestimmt das Merkmal „Schnelligkeit der Abnahme des Telefonhörers“ die inhaltliche Ausprägung des Standards. Das Qualitätsniveau des Merkmals beeinflusst die Merkmalsausprägung des Standards (Messdimension), z.B. Abnahme des Telefonhörers nach dem dritten Klingeln. Als weitere Möglichkeit können Qualitätsstandards direkt mittels Benchmarking erhoben werden. Vor allem so genannte „World-Class-Unternehmen“ dienen als Vorbild für auf dem Markt herrschende Standards, die entsprechend kopiert bzw. als Vergleichsmaßstab herangezogen werden (Fitzsimmons/Fitzsimmons 1998, S. 434; Ramaswamy 1996, S. 297). Der Ablauf ist in Abbildung 1 noch einmal graphisch dargestellt.
Kundenanforderungen -erwartungen
Wettbewerber
Qualitätsdimensionen
Qualitätsmerkmale
Qualitätsstandards
Abbildung 1: Ableitung von Qualitätsstandards Bei den Standards können folgende Formen unterschieden werden: Interne oder externe Standards: Interne Standards sind die von außen nicht erkennbaren und nur im Innenverhältnis gegenüber den Mitarbeitern kommunizierten Standards. Sie beziehen sich auf Aktivitäten des Backoffice und sind daher für den Kunden nicht sichtbar oder sogar von diesem entkoppelt (Collier 1990, S. 240). Externe Standards sind demgegenüber auf den Kunden gerichtet und von außen – also auch für die Wettbewerber – erkennbar. Sie beziehen sich entsprechend auf „FrontofficeAktivitäten“ (Collier 1990, S. 240; Zeithaml/Bitner 2000, S. 226). Harte oder weiche Standards bzw. quantitative oder qualitative Standards: Harte bzw. quantitative Standards beziehen sich auf Leistungen, Aktivitäten usw., die ge-
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zählt oder gemessen werden können (z.B. Reaktionszeiten auf Kundenanfragen, Geschwindigkeit der Schadensabwicklung bei Versicherungen und Wartezeit am Ticketschalter) (Grillenberger 1996, S. 18; Zeithaml/Bitner 2000, S. 228). Weiche bzw. qualitative Standards beziehen sich demgegenüber auf alle Faktoren, die nicht gezählt oder gemessen werden können. Die Beurteilung des Soll-Wertes hängt somit von der subjektiven Wahrnehmung des Betrachters ab (z.B. die Freundlichkeit der Bahnmitarbeiter) (Grillenberger 1996, S. 18f.; Zeithaml/Bitner 2000, S. 228). Damit Standards ihren vielfältigen Aufgaben gerecht werden (siehe Kapitel 1), müssen sie die folgenden Anforderungen erfüllen (Grillenberger 1996, S. 18; Lehmann 1995, S. 86; Zeithaml et al. 1990, S. 84): Klare und eindeutige Formulierung, z.B. „Abnahme des Telefonhörers nach dem dritten Klingeln“ statt „so schnell wie möglich“, allgemein gültiges Niveau, d.h. diese Regelungen gelten immer und nicht nur zeitweise, Verbindlichkeit, d.h. es handelt sich um Vorgaben für alle Mitarbeiter mit diesen Aufgaben, nicht nur für einige Mitarbeiter, Plausibilität und Umsetzbarkeit, d.h. ohne aufwändige Erläuterung verständlich und mit vertretbaren Kosten zu entwickeln und einzuführen, und Unternehmensspezifität, d.h. auf die besonderen Gegebenheiten und das spezifische Dienstleistungsangebot bezogen. Diese Anforderungen zu erfüllen, dürfte bei harten Standards einfacher sein als bei den weichen Standards, wie Freundlichkeit, Entgegenkommen usw. Die bisher in wissenschaftlichen Veröffentlichungen vorliegenden Erkenntnisse zur Entwicklung von Qualitätsstandards sind eher allgemeiner Natur und beziehen sich auch nicht konkret auf den Dienstleistungsprozess. Daher sollen im Folgenden die anhand eines Projektes mit der HOCHTIEF Construction AG gewonnenen Erkenntnisse dargestellt und systematisiert werden.
3.
Qualitätsstandards in der Praxis – das Beispiel HOCHTIEF Construction AG
3.1 Die HOCHTIEF Construction AG HOCHTIEF Construction Services Europe ist ein Unternehmensbereich der HOCHTIEF Gruppe. Zur HOCHTIEF Aktiengesellschaft gehören ebenfalls die Bereiche: HOCH-
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TIEF Airport, HOCHTIEF Development, HOCHTIEF Construction Services America und HOCHTIEF Construction Services Asia Pacific. Der Unternehmensbereich HOCHTIEF Construction Services Europe bündelt unter der Führung der HOCHTIEF Construction AG das Kerngeschäft Bauen in Europa. Dazu zählen der Hochbau sowie der Tief- und Ingenieurbau. Darüber hinaus realisiert HOCHTIEF Construction weltweit besonders anspruchsvolle Infrastrukturprojekte wie beispielsweise Hochgeschwindigkeitsstrecken und Tunnel. Die Kunden haben stets Zugriff auf die Leistungsfähigkeit der gesamten HOCHTIEF Gruppe von der Projektentwicklung bis hin zum Facility Management. Durch das globale Netzwerk ist HOCHTIEF auf allen wichtigen Märkten der Welt präsent. HOCHTIEF Construction konzentriert sich in Europa auf profitable Produkt-MarktSegmente, zukunftsweisende Vertrags- und Geschäftsmodelle sowie den Ausbau der Innovationsführerschaft. Um den Marktentwicklungen in der Baubranche zu begegnen und sich im Wettbewerb abzuheben, werden neue Produkte entwickelt und diese national und international eingeführt. Die Abteilung Market Development & Relations (MD&R) hat für sich den Leitsatz formuliert: „Wir finden die lukrativen Zukunftsmärkte für die HOCHTIEF Construction AG.“ Unter dieser Prämisse werden hier u.a. Analysen erstellt, auf deren Basis Konzepte und Szenarien für neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle entwickelt werden. Basierend auf den aufbereiteten Informationen wird der entsprechende Handlungsbedarf abgeleitet und formuliert: Zielmärkte, -kunden und -regionen sowie die Zielgrößen für die Geschäftsplanung. Die Ergebnisse der Marktforschung dienen auch als Grundlage für Kommunikationsmaßnahmen und für die Ausrichtung des Marktauftritts. Eine neue Dienstleistung der Abteilung besteht darin, für die Niederlassungen nationale und internationale Markteinführungsstrategien zu entwickeln. Um diesen Prozess zu optimieren, sollen Qualitätsstandards eingeführt werden.
3.2 Entwicklung und Systematisierung von prozessbezogenen Qualitätsstandards Abbildung 1 zeigt den logischen und systematischen Zusammenhang zwischen Kundenanforderungen, Qualitätsdimensionen, Qualitätsmerkmalen und Qualitätsstandards. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf der Ableitung der Standards aus dem Markt (Kunde und Wettbewerb). Darüber hinaus sind sowohl die Qualitätsdimensionen als auch die daraus abgeleiteten Standards mit den Unternehmenszielen, der Marketing- und Wettbewerbsstrategie sowie dem Dienstleistungsprozess, in dem sich diese widerspiegeln, abzugleichen. Im Folgenden wird nun eine prozessorientierte Vorgehensweise vorge-
Qualitätsstandards im Dienstleistungsprozess
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stellt, die die anbieterorientierte Sichtweise mit der marktorientierten Sichtweise integriert. Der Entwicklungsprozess von Qualitätsstandards für einen Dienstleistungsprozess lässt sich in acht aufeinander aufbauende Schritte unterteilen. Die Einhaltung dieser Abfolge unterstützt das Dienstleistungsunternehmen bei der systematischen Gewinnung der Vorgaben. Abbildung 2 stellt die Abfolge der einzuhaltenden Schritte dar.
Kundenanforderungen an die Dienstleistungsqualität
1. Prozess aufnehmen
2. Prozess optimieren
(z.B. mit Blueprint)
3. Zielsetzung definieren
4.
5.
QualitätsQualitätsdimensionen dimensionen festlegen gewichten
6. Standards definieren
7. Standards implementieren
8. Entwicklung verfolgen
Feedback
Abbildung 2: Acht Schritte zur Entwicklung von prozessorientierten Qualitätsstandards Die in Abbildung 1 vorgestellte Logik bildet die Grundlage für die Schritte 2 bis 6. Es ist die Basis für die Festlegung der Qualitätsdimensionen in Phase 4, kann sich aber bereits auf die Prozessoptimierung in Phase 2 (Umsetzung von Wettbewerbsvorteilen und Kundenanforderungen durch die Prozessgestaltung) und die Definition der Zielsetzung in Phase 3 auswirken sowie bei der Festlegung der Qualitätsdimensionen in Phase 5 und der Standarddefinition in Phase 6 eine Rolle spielen. Anhand dieser Vorgehensweise will nun die Abteilung MD&R der HOCHTIEF Construction AG für den Prozess Entwicklung einer Markteinführungsstrategie für ein neues Produkt im Auftrag einer Niederlassung erstmals Qualitätsstandards einführen. Die Grundlage bildet ein Pilotprojekt, in dem erstmals eine Markteinführungsstrategie entwickelt wurde. 1. Prozess aufnehmen Zur Aufnahme des Prozesses wird ein ServiceBlueprint des Prozesses erstellt. Im Bereich des Dienstleistungsmanagements stellt das Blueprinting eine wirksame und gebräuchliche Methode der Visualisierung und Strukturierung von Prozessen dar (siehe zum ServiceBlueprint Fließ 2001, S. 44ff.; Kleinaltenkamp 2000). Auf der horizontalen Ebene werden die Aktivitäten in zeitlicher Chronologie abgebildet. Ferner werden die Aktivitäten durch fünf vertikale Linien nach ihrer Entfernung zum Kunden strukturiert:
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(1) Die Line of Interaction trennt die Kundenaktivitäten von den Anbieteraktivitäten. (2) Die Line of Visibility trennt die für den Kunden sichtbaren Aktivitäten von den für den Kunden unsichtbaren. (3) Durch die Line of Internal Interaction werden die Aktivitäten des Kundenkontaktpersonals von solchen anderer Mitarbeiter, Stellen oder Abteilungen differenziert. (4) Die Line of Order Penetration grenzt die kundeninduzierten von den kundenunabhängigen Aktivitäten ab, welche vom Anbieter autonom ausgeführt werden können. (5) Die Line of Implementation teilt die kundenunabhängigen Tätigkeiten in die Vorbereitungs- und die Beschaffungsaktivitäten auf. In einem kurzen Workshop wird mit den auf der Anbieterseite an dem Prozess Beteiligten der Prozessablauf erhoben. Bei Prozessen mit höherer Kundenbeteiligung sollte die Erhebung auch auf die Kundenseite ausgeweitet werden. Im aufgenommenen Prozessablauf (Ist-Blueprint) werden die folgenden Schwachstellen visualisiert: Mangelnde Kundeneinbindung: Zur Erstellung einer Markteinführungsstrategie des Produktes werden vom Kunden verschiedene Informationen (wie ein internes Leistungsportfolio, technische Anforderungen usw.) benötigt. Diese Informationen müssen erst ermittelt bzw. zusammengestellt werden. Obwohl diese Aufgabenverteilung mit dem Kunden abgesprochen wurde, hat der Kunde die benötigten Daten nicht geliefert. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, die Informationen selbst zu beschaffen, was zu Personalengpässen und einer deutlichen Verlängerung der Gesamtprozessdauer führte. Die erfolgreiche Kundeneinbindung kann daher als ein wesentlicher Erfolgsfaktor im Dienstleistungsprozess angesehen werden. Personalressourcen: Für Projekte dieser Art werden häufig Trainees hinzugezogen. Eine unglückliche Personalplanung erforderte den Traineewechsel innerhalb des Projektes, was zu einer entsprechenden Einarbeitungszeit und damit verbunden ebenfalls zu Verzögerungen führte. 2. Prozess optimieren Auf der Basis des Ist-Blueprints des konkreten Pilotprojekts wird ein Soll-Blueprint entwickelt, das die Grundlage für alle künftigen Prozesse der Entwicklung einer Markteinführungsstrategie für ein neues Produkt im Auftrag einer Niederlassung bilden soll. Dieses ist in Abbildung 3 wiedergegeben. Die Darstellung konzentriert sich auf die kundeninduzierten Aktivitäten und enthält daher nur die oberen drei Linien des ServiceBlueprints. Im Soll-Blueprint wurden gegenüber dem Ist-Ablauf im Pilotprojekt folgende Neuerungen eingeführt: Um den Kunden stärker einzubeziehen, soll ein Kick-off-Workshop durchgeführt werden, an dem sowohl der Kunde als auch die zuständigen Mitarbeiter der
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nge ve Ei tiati i in
Anf ra exte ge rn line of interaction
Vo Ide rs e ta nd
Abteilung teilnehmen. Darüber hinaus wird die Ressourcenplanung als eigene Aktivität explizit mit aufgenommen.
Kick-offWorkshop durchführen
Startgespräch
line of visibility
Präsentation beim Kunden halten
• standardisiert • eventuell Präsentation • Aufforderung Feedback
Feedback
Teamzusammenstellung Projektleiter/ Project Owner
Zwischenergebnis
Ergebnis
Basisarbeit (Analysen, Recherchen, etc…)
Vertiefungsarbeit (Strategien, Empfehlungen, etc…)
Markteinführungsstrategie übergeben
Follow-Up
Feedback mit Änderungswünschen
• Ziele definieren • Standardisierter Ablauf • 2 Personen aus der Abteilung • Arbeitspensum abstecken • Zeitplan erarbeiten • Aufgabenverteilung • Bedarfsanalyse
Projektstandsbericht vorstellen
Vorbereitung des Kick-Off Workshop
line of internal interaction
• Standardisiert • Was hat der Kunde schon? (Einladung) • Was haben wir? (Vorbereitung)
Konzeption, Ressourcenplanung, Delegieren
Überarbeitung
Koordination/Überwachung/Betreuung Mitarbeiter/Praktikanten/Trainees Zeit
Abbildung 3: Idealprozess in Blueprint-Darstellung
3. Zielsetzung definieren Als wesentlicher Erfolgsfaktor für den Ablauf des Dienstleistungsprozesses hat sich die erfolgreiche Einbindung des Kunden in den Prozess herausgestellt. Damit kann als übergeordnete Zielsetzung des Prozesses die Steuerung der Kundeneinbindung angesehen werden. Diese konkretisiert sich als effektive und effiziente Zusammenarbeit zwischen dem Projektteam und dem Kunden. Wird dies gewährleistet, verkürzt sich die Projektdauer und die MD&R kann eine qualitativ bessere Leistung abgeben. Im Rahmen der Prozessoptimierung kann dieses Ziel durch eine Standardisierung der Abläufe unterstützt werden.
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4. Qualitätsdimensionen festlegen Die übergeordnete Zielsetzung der effektiven und effizienten Zusammenarbeit des Kunden kann als auf den Prozess insgesamt bezogene Qualitätsdimension „Kundeneinbindung“ aufgefasst werden. Darüber hinaus lassen sich die im Prozess zu verankernden Qualitätsdimensionen festmachen, die sich direkt aus den Kundenerwartungen ableiten lassen. Für die Kunden von MD&R sind dabei die Dimensionen Schnelligkeit des Gesamtprozesses, Erreichbarkeit der Mitarbeiter und Entgegenkommen hinsichtlich der Kundenwünsche und -bedürfnisse von Relevanz für eine positive Beurteilung der Dienstleistungsqualität. Die gewünschte Schnelligkeit – und indirekt auch die Erreichbarkeit der Mitarbeiter – begünstigt die Verkürzung der Projektdauer. Das Entgegenkommen hinsichtlich der Kundenwünsche und -bedürfnisse wirkt sich auf die Qualität der vorgeschlagenen Markteinführungsstrategie aus und damit auch auf deren Erfolgsträchtigkeit. 5. Qualitätsdimensionen gewichten Über die Gewichtung der Qualitätsdimensionen legt der Dienstleister fest, welche Bereiche im Prozess am ehesten Handlungsbedarf im Sinne eines Setzens von Mindestvoraussetzungen zur Erreichung der Dienstleistungsqualität bedürfen. Aus Sicht von MD&R entspricht die oben angeführte Reihenfolge der Qualitätsdimensionen genau ihrer Gewichtung: An oberster Stelle steht die Kundeneinbindung, der Schnelligkeit, Erreichbarkeit und Entgegenkommen folgen. Diese Gewichtung wäre in einem nächsten Schritt nochmals mit der Kundensicht abzugleichen. 6. Standards definieren Aus den Qualitätsdimensionen werden nun die Qualitätsstandards entwickelt (siehe Abbildung 1). Das Dienstleistungsunternehmen kann an dieser Stelle zusätzlich jeder Qualitätsdimension ein zu erreichendes Niveau zuordnen. Die Qualitätsdimension „Kundeneinbindung“ wird vor allem durch koordinierende Maßnahmen gewährleistet. Dies sind die an der Line of Interaction in Abbildung 3 dargestellten Aktivitäten: Das Startgespräch, um die Kundenvorstellungen zu ermitteln, der Kick-off-Workshop, um den Kunden zur Mitarbeit zu motivieren und die Aufgabenverteilung und den Ablauf festzulegen,
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der Projektstandsbericht, um den Kunden über die Zwischenergebnisse zu informieren, die Präsentation beim Kunden, um die Ergebnisse vorzustellen und die Strategie zu diskutieren, die Markteinführungsstrategie als inhaltliches Leistungsergebnis (die schriftlich formulierte Strategie mit allen notwendigen Unterlagen) sowie das Follow-Up, um die Erfahrungen des Kunden mit dem Prozess und der Strategie einzuholen und zur Prozessverbesserung zu nutzen. Von diesen der Koordination und zum Teil auch der Motivation des Kunden dienenden Aktivitäten werden für vier entscheidende Aktivitäten Standards definiert, da ihnen die größte Bedeutung zukommt: ein Protokollstandard, ein Standard für den Kick-offWorkshop, ein Präsentationsstandard und ein Standard für das Abschlussgespräch mit dem Kunden. Der Protokollstandard, der für alle derartigen Projekte bei der HOCHTIEF Construction AG verwendet werden kann, legt fest, welche Informationen an den Kunden fließen und welche hingegen das Projektteam selbst erhält. Während der Kunde also insbesondere die abgesprochene Aufgabenteilung und zeitliche Verteilung der Aktivitäten im Projekt bekommt, gehen an die Mitglieder des Projektteams ausführliche Informationen im Sinne der Aufteilung der Verantwortlichkeiten innerhalb des Projektteams etc. Der Präsentationsstandard richtet sich auf die formale Gestaltung. Ein einheitliches Präsentationsdesign soll die Außenwirkung und Unverwechselbarkeit von MD&R im übergeordneten Sinne des Gesamtunternehmens stärken. Die Standards für den Kick-offWorkshop und das Abschlussgespräch liegen noch nicht vor, sondern müssen erst noch erarbeitet werden. Da es sich um Standards für die koordinierenden Aktivitäten handelt, sind diese Standards nicht nur für MD&R verbindlich, sondern wirken sich auch auf den Kunden aus. Er wird insbesondere über die formale Einhaltung dieser Aktivitäten zum einen an seine Mitarbeit im Projekt erinnert, zum anderen muss er sich an zeitliche Vorgaben ebenso halten wie das Projektteam. Dadurch sollen die zuvor aufgezeigten Probleme, die aus der unzureichenden Mitwirkung des Kunden resultierten (siehe Kapitel 3.2), behoben werden. Für die weiteren Qualitätsdimensionen des Projektes der Markteinführung eines neuen Produktes erfolgte die Herleitung der Qualitätsstandards bei der HOCHTIEF Construction AG entsprechend. Abbildung 4 gibt eine tabellarische Übersicht über die so definierten Qualitätsstandards. Auf der Basis der in diesem Projekt gewonnenen Erkenntnisse wurde eine über die bisher in der Literatur vorliegende Strukturierung hinausgehende Klassifikation von Standards erarbeitet. Neben den bereits bekannten Kriterien der Ausrichtung (intern/extern) und der Art der Messung (quantitativ/qualitativ) wurden die folgenden Kriterien zur Einteilung von Standards verwendet: der Gegenstand, auf den sich der Standard bezieht (Aktivität, Dokument, Verhalten) und die Inhaltsdimension (formal/inhaltlich). Ergänzt werden könnte an dieser Stelle noch die Messvorschrift, d.h. wie
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festgestellt werden soll, ob 100 Prozent Erreichbarkeit der Mitarbeiter gewährleistet wird.
Qualitätsstandard
Qualitätsdimension
Gegenstand
Inhaltsdimension
Ausrichtung
1
Protokollstandard (Inhalt)
Kundeneinbindung
Dokument
inhaltlich
2 3 4
Kick-off-Workshop Präsentationsstandard (Design) Abschlussgespräch (Follow-Up)
Kundeneinbindung Kundeneinbindung Kundeneinbindung
Aktivität Dokument Aktivität
formal/inhaltlich formal formal/inhaltlich
extern/ intern extern extern extern
qualitativ qualitativ qualitativ
5
Schnelligkeit
Aktivität
formal
extern
quantitativ
6
Schnelligkeit
Aktivität
formal
extern
quantitativ
Schnelligkeit
Aktivität
formal
extern
quantitativ
Kundenanfragen sind innerhalb eines Tages zu beantworten. Zwischenberichte im Projekt sind innerhalb von 5 Tagen zu erstellen. 7 Protokolle sind innerhalb von 5 Tagen zu erstellen. 8 Checklisten/Aufgabenlisten für Besprechungen im Projektteam. 9 100% Erreichbarkeit der Mitarbeiter während der Arbeitszeit: Außerhalb der Arbeitszeit liegen Vertretungsregelungen vor. 10 Für den einzelnen Kunden gibt es einen festen und gleich bleibenden Ansprechpartner im Unternehmen. 11 Im Unternehmen ist ein fester Mitarbeiter für eingehende Fragen von Kunden über das Internet zuständig. 12 100% Kundenorientierung: Kundenwunschtermine und -orte haben Priorität.
Messung qualitativ
Schnelligkeit
Dokument
inhaltlich
intern
Erreichbarkeit
Verhalten
formal
extern
quantitativ/ qualitativ quantitativ
Erreichbarkeit
Verhalten
formal
extern
quantitativ
Erreichbarkeit
Verhalten
formal
extern
quantitativ
Entgegenkommen
Verhalten
inhaltlich
extern
qualitativ
Abbildung 4: Systematisierung der Qualitätsstandards im Beispielprojekt
7. Standards implementieren Damit die Qualitätsstandards ihre Wirkung nach innen und außen entfalten können und zur Qualitätssteigerung beitragen, sind die Vorgaben im Unternehmen zu implementieren. Für den Dienstleister bedeutet dies, dass die festgelegten Standards unbedingt zur Umsetzung an alle am Prozess beteiligten Mitarbeiter im Unternehmen kommuniziert werden. Die Standards müssen darüber hinaus erläutert werden, damit die Mitarbeiter den Nutzen und die Zielsetzung erkennen können, und des Weiteren ist ihre Einhaltung zu überprüfen. Standards bilden die Grundlage dafür, dass Controllingaufgaben im Dienstleistungsprozess wahrgenommen werden können. 8. Entwicklung verfolgen Der abschließende Schritt verlangt, die Entwicklung der Standards zu verfolgen: Da sich die Erwartungen der Kunden an die Dienstleistungsqualität ständig verändern, müssen auch die Standards, die aus diesen Kundenanforderungen abgeleitet werden, stetig weiterentwickelt und an die geänderten Ansprüche angepasst werden. Insofern stellt sich der Entwicklungsprozess von Standards als ein fortwährender Prozess dar: Eine Feedbackkontrolle aus der Verfolgung der Entwicklung stößt den Prozess wieder an, wobei – je
Qualitätsstandards im Dienstleistungsprozess
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nach Entwicklung – in unterschiedlichen Phasen gestartet werden kann. Auch dies ist Bestandteil des Controllings von Dienstleistungsprozessen.
4.
Schlussfolgerung für die Etablierung von Qualitätsstandards im Dienstleistungsunternehmen
Als wesentliche Erkenntnisse lassen sich die folgenden herauskristallisieren: Die Art und Weise, wie es dem Anbieter gelingt, den Kunden erfolgreich in den Prozess einzubinden, kann als eigene Qualitätsdimension „Kundeneinbindung“ aufgefasst werden. Dies stellt eine Neuerung gegenüber den bisherigen Erkenntnissen zur Dienstleistungsqualität dar, in der der Fokus auf den in der Anbietersphäre anzusiedelnden Qualitätsdimensionen liegt, z.B. Tech- und Touchdimension (Grönroos 2001, S. 63ff.), Zuverlässigkeit, Freundlichkeit usw. (Parasuraman et al. 1985, S. 46f.). Die Kundeneinbindung kommt in diesen Dimensionen nur indirekt zum Ausdruck. Eine Ausnahme stellen Meyer und Mattmüller dar, die die Interaktionsqualität explizit berücksichtigen (Meyer/Mattmüller 1987), ohne diese jedoch zu konkretisieren. Vielmehr zeigt sich, dass die Kundeneinbindung eine eigenständige und zentrale Qualitätsdimension darstellt, die durch eigene Standards gesichert werden muss. Darüber hinaus zeigt sich im Beispiel der HOCHTIEF Construction AG, dass die Qualitätsdimensionen des Prozesses nicht nur aus den Qualitätsdimensionen des Leistungsergebnisses, den Kundenanforderungen und -erwartungen und/oder den Wettbewerbsparametern abgeleitet werden können, wie sie in Abbildung 1 vorgestellt wurden. Vielmehr lassen sich aus dem Dienstleistungsprozess eigene Qualitätsdimensionen gewinnen, die den Wettbewerbsvorteil des Unternehmens konkretisieren, umsetzen und nach außen transportieren. Damit sind Qualitätsstandards im Dienstleistungsprozess zum einen vom Markt her (Kunde und Wettbewerb) abzuleiten, zum anderen aktiv für den jeweiligen Dienstleistungsprozess im Hinblick auf die Marketing- und Wettbewerbsstrategie des Unternehmens zu generieren. Dies verdeutlicht für die Praxis die Bedeutung, die Standards bei der Realisierung von Wettbewerbsvorteilen zukommt. Standards so zu setzen, dass nicht nur mit dem Wettbewerb gleichgezogen werden kann, sondern dass überlegene Dienstleistungsqualität geliefert werden kann, zeichnet damit erfolgreiche Dienstleister aus. Für die Definition der Standards im Einzelnen sind vor allem die folgenden Aspekte relevant: Die Zugrundelegung der acht Schritte zur Entwicklung und Etablierung von Qualitätsstandards im Dienstleistungsunternehmen (siehe Abbildung 2) gibt dem Anwender konkrete Hinweise zur systematischen Entwicklung von Qualitätsstandards für den Dienst-
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leistungsprozess. Dabei sind Standards nur dann sinnvoll, wenn der Prozess vorher optimiert wurde. Werden Standards für Aktivitäten, Dokumente etc. definiert, die oberhalb der Line of Visibility liegen, kann der Kunde diese grundsätzlich einsehen. Standards an der Line of Visibility sind demnach derart ausgelegt, dass sie die Erwartungen des Kunden an die Dienstleistungsqualität prägen und – bei entsprechender Erfüllung – zu einer positiven Bewertung beitragen. Im Backoffice finden sich interne Qualitätsvorgaben, die die anbieterinternen Abläufe regeln und bei Bedarf an den Kunden kommuniziert werden können.
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Evidenz-Controlling im Beschwerdemanagement
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Bernd Stauss und Wolfgang Seidel
Evidenz-Controlling im Beschwerdemanagement – Ein Ansatz zur Abschätzung des „Verärgerungs-Eisbergs“
1. Problemstellung 2. Das Phänomen des „Verärgerungs-Eisbergs“ 2.1 Nicht-Artikulation 2.2 Nicht-Registrierung 3. Grundzüge des Evidenz-Controlling 3.1 Definition und Einordnung in das Beschwerdemanagement-Controlling 3.2 Kennzahlen des Evidenz-Controlling 3.2.1 Wahl der relevanten Größen 3.2.2 Die wichtigsten Kennzahlen 3.2.3 Beispielhafte Ermittlung der Kennzahlen des Evidenz-Controlling 4. Praktische Anwendung des Evidenz-Controlling und empirische Überprüfung der wesentlichen Annahmen 4.1 Zur Nicht-Artikulationsrate 4.2 Zur Nicht-Registrierungsrate 4.3 Zur Aufdeckungsrate 5. Management-Konsequenzen 6. Forschungsausblick Literatur
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Bernd Stauss und Wolfgang Seidel
Prof. Dr. Bernd Stauss ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Dienstleistungsmanagement an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Dipl.-Kfm. Wolfgang Seidel ist Inhaber der servmark Unternehmensberatung für ganzheitliches Customer Relationship Management (gCRM) und Servicemarketing mit Sitz in Eching bei München.
Evidenz-Controlling im Beschwerdemanagement
1.
91
Problemstellung
Über die Relevanz des Beschwerdemanagements für Kundenbindung und Qualitätsverbesserungen besteht in Theorie und Praxis seit Jahren Konsens (Hansen/Jeschke/Schöber 1995; Tax/Brown 1998; Stauss/Seidel 2002; Homburg/Fürst 2003). Doch die auf Kundenbindung und Qualitätsverbesserung ausgerichteten Ziele des Beschwerdemanagements können nur dann erreicht werden, wenn verärgerte Kunden ihre Unzufriedenheit auch direkt gegenüber dem Unternehmen artikulieren und nicht eine andere Reaktionsform wählen, beispielsweise unmittelbar abwandern. Wie man jedoch aus verschiedenen Studien weiß, beschwert sich ein beträchtlicher Teil unzufriedener Kunden nicht. Deshalb stellen die im Unternehmen dokumentierten Beschwerden nur die Spitze eines „Verärgerungs-Eisbergs“ dar. Die tatsächliche Größe des unter der Oberfläche befindlichen Teils dieses Eisbergs ist meist unbekannt. Dabei bezieht sich diese Unkenntnis nicht allein auf den Anteil der nicht artikulierten Beschwerden („unvoiced complaints“), sondern auch auf den Teil der Beschwerden, die die Kunden zwar vorgebracht haben, die aber aus verschiedenen Gründen nicht im Unternehmen dokumentiert wurden („hidden complaints“). Diese beiden Arten von Wissensdefiziten sind außerordentlich problematisch, weil sie zu einer Fehleinschätzung von Art, Umfang und wahrgenommener Dringlichkeit der Kundenunzufriedenheit und zu einer Fehlallokation der Ressourcen führen können, die in Korrektur- und Verbesserungsmaßnahmen investiert werden. Um diese ernsten ökonomischen Probleme zu vermeiden, ist es notwendig, ein EvidenzControlling in den Beschwerdemanagement-Controlling-Prozess zu integrieren. Die zentrale Aufgabe dieses Evidenz-Controlling besteht in der Bestimmung des Ausmaßes, in dem das Beschwerdemanagement in der Lage ist, die Kundenunzufriedenheit in Art und Umfang korrekt zu erfassen und dabei auch die meist verborgenen Anteile der nicht artikulierten und versteckten Beschwerden aufzudecken. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, das Konzept des Evidenz-Controlling zu entwickeln, ein Kennzahlensystem vorzuschlagen, dessen Anwendung in konkreten Fällen zu demonstrieren und dabei die Managementrelevanz der Vorgehensweise aufzuzeigen. Zu diesem Zweck wird zunächst das Eisberg-Phänomen genauer beschrieben (Abschnitt 2). Anschließend wird das Konzept des Evidenz-Controlling entwickelt (Abschnitt 3). Dazu gehört, dass die Zielsetzung benannt wird, eine Einordnung in den Kontext des Beschwerdemanagement-Controlling erfolgt, die wesentlichen Kennzahlen identifiziert werden und ausgeführt wird, wie die erforderlichen Informationen gewonnen werden können. Dabei werden Schwächen bisher vorherrschender Vorgehensweisen aufgezeigt und neue Überlegungen zur Operationalisierung des „Eisberg-Phänomens“ angestellt. Auf dieser Basis wird die konkrete Anwendung des Evidenz-Controlling anhand von zwei empirischen Studien aus dem Beschwerdemanagement von Dienstleistungsunternehmen demonstriert und zugleich werden die dem Konzept zugrunde liegenden zentralen theoretischen Annahmen überprüft (Abschnitt 4).
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Die Ergebnisse dieser empirischen Studien bilden dann die Grundlage für Überlegungen, wie das Evidenz-Controlling für die Entwicklung zielorientierter Managementmaßnahmen genutzt werden kann (Abschnitt 5). Diese umfassen zum einen Aktivitäten im Rahmen des direkten Beschwerdemanagementprozesses zur Förderung der Bereitschaft der unzufriedenen Kunden, sich beim Unternehmen zu beschweren (Beschwerdestimulierung) und zur Optimierung der internen Prozesse (Beschwerdebearbeitung). Zum anderen sind auch Konsequenzen in verschiedenen Aufgabenbereichen des indirekten Beschwerdemanagementprozesses zu ziehen (Beschwerdeauswertung, Beschwerdereporting, Beschwerdeinformationsnutzung). Der Beitrag schließt mit einem kurzen Ausblick auf Forschungsimplikationen (Abschnitt 6).
2.
Das Phänomen des „Verärgerungs-Eisbergs“
2.1 Nicht-Artikulation Es ist ein seit vielen Jahren bekanntes Phänomen, dass sich nur ein Teil der unzufriedenen Kunden beschwert (Goodman 1989; Heskett/Sasser/Schlesinger 1997, S. 178ff.). Eine Vielzahl von Determinanten ist dafür verantwortlich, dass sich Kunden trotz Unzufriedenheit nicht an das Unternehmen wenden, sondern unmittelbar abwandern, negative Mund-Kommunikation betreiben oder überhaupt nicht aktiv werden (Day 1984; Bolfing 1989; Blodgett/Granbois 1992; Kowalski 1996; Oliver 1997; Stevens/Gwinner 1998; East 2000; Crie 2003; Huppertz 2003). Für Unternehmen impliziert dies, dass die Zahl der Beschwerden, die eingehen, bearbeitet und ausgewertet werden, den tatsächlichen Umfang der Kundenunzufriedenheit nicht angemessen erfasst, sondern möglicherweise nur die Spitze eines sehr viel größeren „Verärgerungs-Eisbergs“ ausmacht (Heskett/Sasser/ Schlesinger 1997, S. 179) (siehe Abbildung 1). Wie groß der nicht sichtbare Teil des Eisbergs ist, kann allerdings nicht generell beantwortet werden. Nach Erkenntnissen von Goodman/O'Brien/Segal (2000) kann man in den USA branchenübergreifend grob davon ausgehen, dass im Durchschnitt ca. 50% bis 80% der unzufriedenen Kunden darauf verzichten, auf irgendeine Weise ihren Ärger gegenüber dem Unternehmen vorzutragen. In einer ebenfalls branchenübergreifenden Zufriedenheitsstudie für Deutschland (Servicebarometer 2005) zeigt es sich, dass der Anteil der Nicht-Beschwerdeführer in den einzelnen Branchen außerordentlich schwankt: Er reicht von 37,1% (Optiker) bis zu 97% (Wertstoffentsorgung – Duales System) (siehe Abbildung 2).
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Artikulierte Beschwerden
Nicht artikulierte Beschwerden
Abbildung 1: Das Eisberg-Phänomen des Beschwerdemanagements aus der Perspektive nicht artikulierter Beschwerden (Quelle: Stauss/Seidel 2002)
Werkstoffentsorgung 97,0
(Duales System)
Tiefkühldienste
94,7
Fondsgesellschaften
94,2
Flughäfen
91,6
Bau- und Heimwerkermärkte
82,8
Kfz-Versicherungen
79,3
Briefpost
73,4
Banken und Sparkassen Autohäuser (PKW-Werkstatt) Optiker
68,1 47,4 37,1 Enttäuschte Kunden Nicht-Artikulationsquote in der jeweiligen Gruppe in %
Abbildung 2: Anteil von Beschwerdeführern unter den enttäuschten Kunden (Angabe „weniger zufrieden“ bzw. „unzufrieden“) (Quelle: Servicebarometer AG 2005) In dieser Variabilität der Nicht-Artikulationsraten spiegelt sich wider, dass in den verschiedenen Branchen die Einflussgrößen der Beschwerdeneigung unterschiedlich ausgeprägt sind. Auf einzelbetrieblicher Ebene ist zu beachten, dass wahrscheinlich auch einzelne Problemarten in unterschiedlichem Ausmaß zum Gegenstand von Beschwerden gemacht werden. So weiß man beispielsweise aus der Beschwerdeverhaltensforschung, dass weniger relevant wahrgenommene Probleme bzw. Probleme mit hohem subjektiven
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Bewertungsspielraum vergleichsweise wenig in Beschwerden artikuliert werden (Stauss/ Seidel 2002, S. 67). Insofern ist zu erwarten, dass die im Unternehmen dokumentierten Beschwerden nicht nur das Ausmaß der Kundenverärgerung nur unzureichend zum Ausdruck bringen, sondern dass diese auch das Erleben der verärgerten Kunden in Bezug auf Problemarten und -häufigkeiten nicht angemessen erfassen. Bisher haben sich die wissenschaftlichen und praktischen Überlegungen ausschließlich auf die Analyse der Nicht-Artikulationsrate von aktuellen Kunden bezogen. Analoge Analysen des Beschwerdeverhaltens sollten jedoch auch für Kündiger angestellt werden, um Einblicke dahingehend zu erhalten, in welchem Umfang Kündiger dem Unternehmen mit einer Beschwerdeführung die Gelegenheit gegeben haben, Abwanderungen abwenden zu können. Erste empirische Studien legen die Vermutung nahe, dass die NichtArtikulationsrate unter den Kündigern besonders hoch ausfällt und zudem in Abhängigkeit vom Kündigungsgrund variiert (Stauss/Seidel 2005), was die Notwendigkeit einer gezielten und nachdrücklichen Initiierung von Maßnahmen der Beschwerdestimulierung unterstreicht. Sollte es sich umgekehrt aber zeigen, dass sich ein erheblicher Anteil der Kündiger vor dem Abbruch der Geschäftsbeziehung über die zugrunde liegende Kündigungsursache beschwert hat, ist dies als Indiz dafür zu werten, dass vorhandenes Potenzial für die Verbesserung der Beschwerdeannahme-, -bearbeitungs- und -reaktionsprozesse bisher nicht ausgeschöpft worden ist.
2.2 Nicht-Registrierung Keineswegs alle gegenüber dem Unternehmen artikulierten Beschwerden werden für die Verantwortlichen in der Unternehmensleitung oder auch nur der Leitung des Beschwerdemanagements ersichtlich. Denn viele Beschwerden werden nicht unmittelbar gegenüber der Beschwerdeabteilung vorgebracht und werden auch nicht dokumentiert, so dass deren Existenz nicht evident ist. Dies gilt vor allem für Beschwerden, die gegenüber dem Kundenkontaktpersonal geäußert werden. Die annehmenden Mitarbeiter sind oftmals auf Beschwerdesituationen nicht vorbereitet oder befürchten negative Konsequenzen und erfassen daher nur einen Bruchteil der Beschwerden. Studien zeigen, dass auch hier die Schwankungsbreite groß ist. So berichten Goodman/O‘Brien/Segal (2000), dass abhängig von der Branche und dem Ausmaß des Problems nur etwa 10% bis 60% der bei dezentralen Kundenkontaktstellen artikulierten Kundenbeschwerden registriert werden und damit auch dem zentralen Customer Care Bereich bekannt sind. Berücksichtigt man daher neben den nicht artikulierten Beschwerden auch die „verborgenen“ Beschwerden, die zwar gegenüber dezentralen Stellen vorgebracht, aber nicht registriert werden, dann wird deutlich, dass im Beschwerdemanagement tatsächlich nur die Spitze des „Verärgerungs-Eisbergs“ sichtbar wird. Insofern erstaunt es nicht, dass beispielsweise Klein/Sasser (1994, S. 13) in ihrer Untersuchung bei British Airways he-
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rausfanden, dass die registrierten Beschwerdeführer nur 8% der Kunden ausmachten, die aufgrund erlebter Probleme mit dem Unternehmen unzufrieden waren. Abbildung 3 verdeutlicht den Tatbestand, dass der für das Management sichtbare Teil des Eisbergs unter Berücksichtigung der „hidden complaints“ erheblich schrumpft. Zugleich wird deutlich, dass ein größerer Teil des Eisbergs nicht nur durch Maßnahmen der Beschwerdestimulierung sichtbar gemacht werden kann, sondern durch interne Maßnahmen zur Verbesserung der Beschwerdebearbeitung.
Artikulierte und registrierte Beschwerden Gegen über dem Kundenkontaktpersonal oder dezentralen Stellen artikulierte, nicht registrierte Beschwerden
Nicht artikulierte Beschwerden
Abbildung 3: Das Eisberg-Phänomen des Beschwerdemanagements aus der Perspektive aller nicht artikulierten sowie nicht registrierten Beschwerden Die hohe Variationsbreite der „Spitze des Eisbergs“ sowie die Schwankungsbreiten von nicht geäußerten und nicht registrierten Beschwerden machen es für Unternehmen umso dringlicher, sich nicht auf generelle Schätzgrößen über Nicht-Artikulations- oder NichtRegistrierungsraten zu verlassen, sondern eigene Anstrengungen zu unternehmen, um den bisher nicht sichtbaren Teil des „Verärgerungs-Eisbergs“ sichtbar zu machen. Aktivitäten, die Unternehmen ergreifen, um das tatsächliche Ausmaß an nicht-artikulierten und verborgenen Beschwerden zu erfassen, gehören zum zentralen Aufgabenbereich des Evidenz-Controlling.
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3.
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Grundzüge des Evidenz-Controlling
3.1 Definition und Einordnung in das BeschwerdemanagementControlling Beschwerdemanagement stellt einen komplexen Handlungsbereich dar, der im Hinblick auf die unternehmerischen Zielsetzungen planvoll gesteuert werden muss. Deshalb bedarf es eines systematischen Controlling, das die Bereichsleitung in die Lage versetzt, konkrete Ziele zu setzen, ständig den Zielerreichungsgrad zu überprüfen und gegebenenfalls Korrekturmaßnahmen vorzunehmen. Grundsätzlich umfasst ein systematisches Beschwerdemanagement drei unterschiedliche Teilaufgabenbereiche: das Aufgaben-Controlling, das Kosten-Nutzen-Controlling und das Evidenz-Controlling (Stauss/Seidel 2002, S. 283ff.). Im Mittelpunkt des Aufgaben-Controlling steht die Festlegung und Überwachung von Qualitäts- und Produktivitätsstandards für alle Aktivitäten des Beschwerdemanagements. Im Kosten-Nutzen-Controlling werden die durch das Beschwerdemanagement verursachten Kosten systematisch aufbereitet und die Nutzenkomponenten des Beschwerdemanagements operationalisiert und monetär quantifiziert. Auf dieser Basis kann der Gewinn des Beschwerdemanagements sowie der „Return on Complaint Management (RoC)“ berechnet werden (Stauss/Seidel 2002). Basis für diese beiden Controlling-Bereiche ist das Evidenz-Controlling. Dessen zentrale Aufgabe ist die Untersuchung, in welchem Umfang die Kundenunzufriedenheit in Beschwerden zum Ausdruck kommt und in welchem Maße die im Unternehmen registrierten Beschwerden die tatsächlich von Kunden artikulierten Beschwerden widerspiegeln. Insofern hat das Evidenz-Controlling vor allem zwei wesentliche Zielsetzungen: (1) Ermittlung des Umfangs der Nicht-Artikulation von Beschwerden: Die erste Zielsetzung bezieht sich auf das Problem, dass sich keineswegs alle unzufriedenen Kunden beschweren, und richtet sich darauf, den Anteil der Nicht-Beschwerdeführer unter den unzufriedenen Kunden zu ermitteln und damit diesen Teil des „VerärgerungsEisbergs“ transparent zu machen. (2) Ermittlung des Umfangs nicht-registrierter Beschwerden: Die zweite Zielsetzung hat ihren Ausgangspunkt in dem Umstand, dass ein Teil der gegenüber Mitarbeitern des Unternehmens artikulierten Beschwerden nicht weitergeleitet und erfasst wird und somit auch nicht für Beschwerdeauswertung, -reporting und -informationsnutzung zur Verfügung steht. Dementsprechend besteht das zweite Ziel des Evidenz-
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Controlling darin, Umfang und Struktur der verborgenen Beschwerden offen zu legen und so diesen weiteren Teil des „Verärgerungs-Eisbergs“ sichtbar zu machen. Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es aussagefähiger Kennzahlen, mit deren Hilfe konkrete Zielvorgaben definiert und der Zielerreichungsgrad überprüft werden kann. Hieran scheint es in der Praxis vielfach noch zu fehlen. Wenn Beschwerden überhaupt als Steuerungs- und Kontrollgröße im Kontext von Zufriedenheitszielen Berücksichtigung finden – z.B. auf der „Kundenkarte“ der Balanced Scorecard –, verwenden Unternehmen häufig eine einzige, höchst problematische Kennzahl, nämlich die Beschwerderate. Diese Quote ergibt sich als Quotient aus der Gesamtzahl der Beschwerdeführer einerseits und der gesamten Kundenzahl andererseits. In der Regel wird ein kleiner Anteil von Beschwerdeführern an der Gesamtheit der Kunden als Ausdruck von hoher Kundenzufriedenheit interpretiert und daher eine Minimierung der Beschwerderate angestrebt. Diese Vorgehensweise ist allerdings fragwürdig. Da sich keineswegs alle unzufriedenen Kunden beschweren, kann von einer niedrigen Beschwerderate keineswegs auf eine hohe Zufriedenheit geschlossen werden. Zudem ist die Steuerungswirkung problematisch. So können sich Manager veranlasst sehen, unzufriedene Kunden zu entmutigen, indem sie Barrieren aufbauen, auf die Einrichtung und Kommunikation leicht zugänglicher Beschwerdekanäle verzichten oder den materiellen und psychischen Aufwand für Beschwerdeführer erhöhen. In diesem Fall ist es ihnen möglich, die geforderte Senkung der Beschwerderate zu erreichen, während möglicherweise gleichzeitig die Kundenunzufriedenheit steigt und Kundenabwanderungen zunehmen. Ähnlich problematisch ist der Effekt, dass jede unternehmensinterne Unterdrückung von Beschwerden, ihre Nicht-Registrierung oder Nicht-Weiterleitung einen positiven Effekt auf die Beschwerderate hat. Insofern spricht viel dafür, auf die Verwendung der Beschwerderate zu verzichten und sich stattdessen nach aussagefähigeren Kennzahlen umzusehen, die das Ausmaß der unter den Kunden des Unternehmens verbreiteten Unzufriedenheit für das Management evident machen.
3.2 Kennzahlen des Evidenz-Controlling 3.2.1 Wahl der relevanten Größen Bevor auf die spezifischen Kennzahlen des Evidenz-Controlling eingegangen wird, sind Vorbemerkungen zu den verwendeten Größen zu machen. Dabei ist zum einen zu klären, ob die Zahl der Beschwerden oder die Zahl der Beschwerdeführer erfasst werden soll. Zum zweiten ist die Frage zu beantworten, ob als grundlegende Bezugsgröße die Zahl unzufriedener Kunden oder aber die Zahl von Kunden mit Beschwerdeanlass (verärgerte Kunden) heranzuziehen ist.
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Anzahl der Beschwerdeführer oder Anzahl der Beschwerden Das „Eisberg-Phänomen“ kann entweder in Bezug auf die nicht-artikulierten und nichtregistrierten Beschwerden untersucht werden oder im Hinblick auf die unzufriedenen/verärgerten Kunden, die auf eine Beschwerde verzichten (Nicht-Beschwerdeführer), bzw. die Beschwerdeführer, deren Beschwerden im unternehmerischen Bearbeitungsprozess „verloren“ gehen. Für beide Vorgehensweisen sind gute Gründe anzuführen. Zudem kann es sinnvoll sein, je nach Zielsetzung zu differenzieren. Bezüglich der Zielsetzung, die Nicht-Artikulation von Beschwerden transparent zu machen, geht es primär darum, herauszufinden, wie viele unter den unzufriedenen bzw. verärgerten Kunden sich nicht beschweren. Es geht darum, den Kreis der NichtBeschwerdeführer zu bestimmen, ihre Beweggründe zu erfahren und daraus Konsequenzen für die Beschwerdestimulierung zu ziehen. Die Zahl der Nicht-Beschwerdeführer – und nicht die Zahl der eingehenden Beschwerden – ist auch die Basis für weitergehende Überlegungen zu den ökonomischen Konsequenzen, die daraus resultieren, wenn unzufriedene/verärgerte Kunden andere Reaktionen vornehmen, z.B. gleich abwandern und/ oder negative Mundkommunikation betreiben. Insofern spricht unter einer ökonomischen Perspektive viel dafür, die Zahl der (Nicht-) Beschwerdeführer heranzuziehen. Für diese Alternative spricht zudem eine leichtere Datenverfügbarkeit, da das Beschwerdeverhalten der Kunden nicht differenziert erfasst werden muss. Allerdings steht diesen Vorteilen der Nachteil gegenüber, dass multiple Beschwerden eines Kunden keine Berücksichtigung finden. Mit Blick auf die Zielsetzung der Aufdeckung der Nicht-Registrierung von Beschwerden könnte man anders argumentieren, da hier eher die interne Perspektive des Umgangs mit den eingegangenen Beschwerden dominiert. Insofern könnte es sinnvoll sein, die Bezugsgröße zu wechseln, von der Zahl der Beschwerdeführer zur Zahl der Beschwerden. Hiermit wären exaktere Ergebnisse zu erwarten, da jetzt auch multiple Beschwerden eines Kunden erfasst werden. Allerdings wird dieser Vorteil mit einer beträchtlichen Erhöhung des Erfassungsaufwandes und einer komplexeren Kennzahlensystematik erkauft. Insofern müssen die angesprochenen Vor- und Nachteile in jedem konkreten Einzelfall abgewogen werden. In diesem Beitrag wird aus pragmatischen Gründen generell auf die personelle Größe der „Beschwerdeführer“ Bezug genommen. Im Mittelpunkt stehen somit immer die unzufriedenen Kunden, die entweder auf eine Beschwerde verzichten oder deren Beschwerde im innerbetrieblichen Prozess unregistriert bleibt. Ohne damit eine generelle Empfehlung zu verbinden, wird an dieser Stelle in Kauf genommen, dass Mehrfachbeschwerden eines Kunden nicht erfasst werden und somit das reale Aufkommen nichtartikulierter und nicht-registrierter Beschwerden in der Realität noch etwas höher als das ermittelte Aufkommen ausfallen wird.
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Unzufriedene Kunden oder Kunden mit Beschwerdeanlass (Verärgerte Kunden) Eine weitere Frage ist, zu welcher Größe die Zahl der (Nicht-)Beschwerdeführer in Beziehung gesetzt werden soll. Es erscheint zunächst außerordentlich nahe liegend, hier die Zahl der insgesamt unzufriedenen Kunden zu wählen. Sie ist vor allem sehr praktikabel, da der Anteil der unzufriedenen Kunden leicht im Rahmen der üblichen Zufriedenheitsbefragung ermittelt werden kann. Es ist allerdings denkbar, dass diese Vorgehensweise zu einer Unterschätzung der negativen Erfahrungen von Kunden führt. Wird ein Kunde nach seiner Globalzufriedenheit mit einem Unternehmen befragt, wird er versuchen, die gewünschte durchschnittliche Bewertung vorzunehmen, wobei er positive und negative Erfahrungen hinsichtlich ihrer Häufigkeit und Relevanz gewichtet. Angesichts der Tatsache, dass unproblematische Transaktionen in der Regel stark dominieren, werden viele Kunden angeben, zufrieden zu sein, selbst wenn sie vereinzelt Anlass zur Verärgerung hatten (Stauss/Hentschel 1992). Dementsprechend ist anzunehmen, dass es auch unter den zufriedenen Kunden Personen gibt, die zwischenzeitlich verärgert waren, sich aber trotz eines Anlasses nicht beschwert haben. Daher erscheint es sinnvoll, als Bezugsgröße nicht die Zahl der unzufriedenen Kunden zu wählen, sondern die Zahl der Kunden mit Beschwerdeanlass (bzw. synonym verwendet: die Zahl der verärgerten Kunden). Dabei handelt es sich um Kunden, die in einer Befragung angeben, dass sie in der betrachteten Periode einen Anlass zur Beschwerde hatten. Diese Bezugsgröße wird daher im Folgenden zugrunde gelegt. In der folgenden Abbildung 4 werden die Alternativen noch einmal aufgeführt und dabei wird die hier weiter verfolgte Variante hervorgehoben.
Zahl der registrierten Beschwerden/ Beschwerdeführer
Zahl der nicht registrierten Beschwerden/ Beschwerdeführer
Zahl der Beschwerden/Beschwerdeführer
Zahl der nicht artikulierten Beschwerden/ Nicht-Beschwerdeführer Zahl der unzufriedenen/verärgerten Kunden
Abbildung 4: Relevante Größen des Evidenz-Controlling
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3.2.2 Die wichtigsten Kennzahlen Nicht-Artikulationsrate Die erste wichtige Kennzahl ist die Nicht-Artikulationsrate, die das Ausmaß der NichtArtikulation von verärgerten Kunden zum Ausdruck bringt. Diese Kennzahl repräsentiert das Verhältnis der Anzahl von Kunden, die ihre Verärgerung nicht in einer Beschwerde zum Ausdruck brachten, zur Gesamtzahl der verärgerten Kunden:
Nicht-Artikulationsrate =
Zahl der Nicht-Beschwerdeführer unter den verärgerten Kunden Gesamtzahl der verärgerten Kunden
Im Nenner der Nicht-Artikulationsrate steht die Gesamtzahl der Kunden mit Beschwerdeanlass. Zur Ermittlung dieser Größe werden Kunden im Rahmen von Kundenzufriedenheitsbefragungen befragt, ob sie mit einem Problem konfrontiert waren, das (eigentlich) einen Anlass für eine Beschwerde darstellt. Die Anzahl der Kunden, die mit „ja“ antworten, bilden den Wert für den Nenner. Im Zähler ist die Zahl der NichtBeschwerdeführer unter den verärgerten Kunden erfasst. Diese Zahl wird ebenfalls im Rahmen einer Zufriedenheitsbefragung ermittelt. Kunden, die die Frage nach einem Beschwerdeanlass bejahend beantwortet haben, werden gebeten, Auskunft auf die Frage zu geben, ob sie sich auch tatsächlich beschwert haben. Die Summe aller Kunden, die diese Frage verneinen, repräsentiert die Gesamtanzahl der Nicht-Beschwerdeführer unter den verärgerten Kunden. Die so ermittelte Nicht-Artikulationsrate zeigt, in welchem Umfang verärgerte Kunden auf ihre Beschwerde verzichteten. Da die Ziele des Beschwerdemanagements nur erreicht werden können, wenn sich verärgerte Kunden auch tatsächlich mit ihrem Anliegen an das Unternehmen wenden, ist es für Unternehmen mit einem proaktiven Beschwerdemanagement relevant, die Nicht-Artikulationsrate zu minimieren. Nicht-Registrierungsrate Für die in der zweiten Zielsetzung des Evidenz-Controlling geforderte Ermittlung des Umfangs verborgener Beschwerden ist die Nicht-Registrierungsrate relevant. Sie bringt das Verhältnis der Beschwerdeführer, deren Beschwerden im Unternehmen nicht registriert werden, zur Gesamtzahl der Beschwerdeführer zum Ausdruck:
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Zahl der nicht-registrierten Beschwerdeführer Nicht-Registrierungsrate = Gesamtzahl der Beschwerdeführer Diese Kennzahl ist ein Maß dafür, in welchem Prozentsatz die gegenüber irgendeiner Stelle des Unternehmens bzw. gegenüber irgendeinem Kommunikationskanal artikulierten Beschwerden im Unternehmen verloren gehen und daher auch der Leitung des Beschwerdemanagements für Zwecke der Auswertung und Informationsnutzung nicht zur Verfügung stehen. Die Summe aller Kunden, die im Rahmen der Zufriedenheitsbefragung angaben, sich beschwert zu haben, stellt die Gesamtzahl der tatsächlichen Beschwerdeführer dar (Nenner). Ihr wird die Zahl der nicht-registrierten Beschwerdeführer gegenübergestellt (Zähler). Diese Größe ergibt sich als Differenz aus der Zahl der Kunden, die im Rahmen der Kundenbefragung angaben, sich beschwert zu haben, und der Zahl der Beschwerdeführer, die im Rahmen des Beschwerdemanagements registriert wurden. Grundsätzlich läge es nahe, auch in Bezug auf die Nicht-Registrierungsraten eine Minimierungsforderung zu erheben, weil mit der Aufdeckung verborgener Beschwerdefälle die unternehmerische Transparenz über das Beschwerdeaufkommen und das Beschwerdeerleben der Kunden steigt. Doch bezüglich der verborgenen Beschwerden ist es nicht immer ökonomisch vertretbar und durchsetzbar, Mitarbeiter zur vollständigen Erfassung jeder kritischen Äußerung im Kundenkontakt zu bewegen. Dies gilt insbesondere für kleinere Anliegen, die unmittelbar zur Zufriedenheit des Kunden gelöst werden können. Insofern ist eine Minimierung der Nicht-Registrierungsrate nur dann anzustreben, wenn nachgewiesen werden kann, dass der ökonomische Nutzen der vollständigen Erfassung die daraus resultierenden Kosten übersteigt. Ansonsten sind unternehmensindividuelle Mindeststandards festzulegen. Der Wert der ermittelten Nicht-Registrierungsrate liegt dann darin, dass das Unternehmen eine realistische Vorstellung vom tatsächlichen Beschwerdeaufkommen erhält. Auf dieser Basis sind Entscheidungen über die Priorität von Maßnahmen zur Verbesserung der internen Prozesse zu fällen. Aufdeckungsrate Als weitere wichtige Kennzahl ist diejenige zu nennen, die die Spitze des „Verärgerungs-Eisbergs“ verdeutlicht, nämlich den Anteil der im Unternehmen registrierten Zahl der Beschwerdeführer unter den verärgerten Kunden. Dabei handelt es sich um die Aufdeckungsrate, gebildet durch den Quotienten aus der Zahl der registrierten Beschwerdeführer und der Gesamtzahl der verärgerten Kunden.
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Zahl der registrierten Beschwerdeführer Aufdeckungsrate = Gesamtzahl der verärgerten Kunden Die Aufdeckungsrate ist ein Maß für das Vermögen des Beschwerdemanagements, die Verärgerung unter den Kunden des Unternehmens im Rahmen der Beschwerdeauswertung zu erfassen und somit zum Gegenstand des Reporting und der Beschwerdeinformationsnutzung zu machen. Diese Kennzahl dient somit zur Korrektur der im Unternehmen registrierten Beschwerdezahlen.
3.2.3 Beispielhafte Ermittlung der Kennzahlen des Evidenz-Controlling Die Vorgehensweise bei der Ermittlung der Kennzahlen wird in Abbildung 5 anhand eines einfachen Beispiels erläutert: (1) Ermittlung der Kunden mit Beschwerdeanlass: Im Rahmen der Kundenzufriedenheitsbefragung geben 10% aller Kunden an, einen Beschwerdeanlass gehabt zu haben. Bei einem Kundenstamm von 10.000 Kunden beträgt somit die Zahl der Kunden mit Beschwerdeanlass („verärgerte Kunden“): 1.000. (2) Ermittlung der Zahl der Beschwerdeführer: In der Befragung geben 30% der Kunden mit Beschwerdeanlass an, sich beschwert zu haben. Die Zahl der Beschwerdeführer beträgt somit 300. (3) Ermittlung der Zahl der Nicht-Beschwerdeführer: Die Zahl der Nicht-Beschwerdeführer ergibt sich als Differenz zwischen der Zahl der Kunden mit Beschwerdeanlass (1.000) und der Zahl der Beschwerdeführer (300). Die Zahl der Nicht-Beschwerdeführer beträgt somit 700. (4) Ermittlung der Nicht-Artikulationsrate: Setzt man die Zahl der Nicht-Beschwerdeführer (700) zu der Zahl der verärgerten Kunden (1.000) in Beziehung, ergibt sich eine Nicht-Artikulationsrate von 70%. (5) Ermittlung der Zahl der registrierten Beschwerdeführer: Die Beschwerdeauswertung zeigt, dass 100 Beschwerdeführer registriert wurden. (6) Ermittlung der Zahl der nicht-registrierten Beschwerdeführer: Subtrahiert man von der Zahl der Beschwerdeführer (300) die Zahl der registrierten Beschwerdeführer (100), erhält man die Zahl der nicht-registrierten Beschwerdeführer (200). (7) Ermittlung der Nicht-Registrierungsrate: Die Zahl der nicht-registrierten Beschwerdeführer (200) wird zur Zahl der Beschwerdeführer (300) in Relation gesetzt. Daraus resultiert eine Nicht-Registrierungsrate in Höhe von 66,6%.
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(8) Ermittlung der Aufdeckungsrate: Jetzt kann die Zahl der registrierten Beschwerdeführer (100) in Relation zur Zahl der verärgerten Kunden (1.000) in Beziehung gesetzt werden. Damit ergibt sich eine Aufdeckungsrate von 10,0%. Dies bedeutet, dass offensichtlich 90,0% des Verärgerungs-Eisbergs im registrierten Beschwerdeaufkommen nicht transparent wird.
5. 100 registrierte Beschwerdeführer Beschwerdeführer
6. 200nicht registrierte Beschwerdeführer
7. Nicht-Registrierungsrate : 66,7%
2. 300 Beschwerdeführer
Nicht-Beschwerdeführer 3. 700 700Nicht -Beschwerdeführer
8. Aufdeckungsrate : 10,0%
4. Nicht-Artikulationsrate : 70,0%
1. 1.000 verärgerte Kunden
Abbildung 5: Beispielhafte Ermittlung der Kennzahlen des Evidenz-Controlling
4.
Praktische Anwendung des Evidenz-Controlling und empirische Überprüfung der wesentlichen Annahmen
Um die in den vorangegangenen Kapiteln beschriebenen Annahmen und die Praktikabilität der entwickelten Kennzahlen des Evidenz-Controlling zu überprüfen, wurden zwei empirische Studien in den Branchen der Finanz- und Energiedienstleistungen durchgeführt. Im Folgenden werden die prozentualen Ergebnisse aus den Studien präzise wiedergegeben, die absoluten Zahlen werden dagegen verfremdet, um keine Rückschlüsse auf die beteiligten Unternehmen zuzulassen.
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4.1 Zur Nicht-Artikulationsrate In einer Kundenzufriedenheitsstudie der Sachsparte einer Versicherung wurden repräsentativ und rollierend innerhalb von zwölf Monaten mehr als 10.000 Kunden befragt. Ausgehend von den dargestellten Erkenntnissen zahlreicher Studien zum Beschwerdeverhalten, wurde auch für den Fall dieses Versicherungsunternehmens die Annahme zugrunde gelegt, dass der Anteil von Nicht-Beschwerdeführern unter den verärgerten aktuellen Kunden beträchtlich ausfallen wird. Dementsprechend wurde folgende These formuliert: These 1: Der Anteil von Nicht-Beschwerdeführern unter den aktuellen Kunden ist erheblich. Zur Überprüfung dieser These ist die Nicht-Artikulationsrate heranzuziehen. Die informatorischen Grundlagen für die Ermittlung der Nicht-Artikulationsrate wurden mit Hilfe zweier Fragen gelegt: Mittels der Frage „Haben Sie sich innerhalb des letzten Jahres über die Versicherung geärgert?“ wurde die Gesamtheit der verärgerten Kunden bestimmt. Auf der Basis der Antworten auf die Frage „Haben Sie sich aufgrund Ihrer Verärgerung bei der Versicherung beschwert?“ konnte die Zahl der Beschwerdeführer bzw. Nicht-Beschwerdeführer bestimmt werden. Insgesamt gaben 13% aller befragten Kunden an, dass sie sich in dem Zeitraum geärgert hätten; 55% der verärgerten Kunden antworteten, dass sie sich trotz Verärgerung nicht beschwert hätten. Somit beläuft sich die Nicht-Artikulationsrate in diesem Fallbeispiel auf 55%. Dies bedeutet, dass sich mehr als jeder zweite verärgerte Kunde – und damit ein erheblicher Anteil – nicht mit einer Beschwerde an das Versicherungsunternehmen gewandt hat. These 1 wurde somit bestätigt. Mit der Frage über das Vorliegen eines Anlasses zur Verärgerung wurde gleichzeitig erhoben, aus welchem Grund sich die Kunden über das Versicherungsunternehmen geärgert hatten. Im Kontext der Ermittlung der Nicht-Artikulationsrate lag somit eine weitere Thesenformulierung nahe, die die Nicht-Artikulationsrate in Abhängigkeit des zugrunde liegenden Verärgerungsgrundes betrachtet. These 2: Die für die Kundenverärgerung verantwortlichen Probleme führen zu unterschiedlichen Nicht-Artikulationsraten. Die Ergebnisse der Analyse der Nicht-Artikulationsrate in Abhängigkeit der von den Kunden genannten Verärgerungsgründe sind in Abbildung 6 für ausgewählte Verärgerungsgründe dargestellt und bestätigen These 2. Deutlich wird, dass insbesondere Service- und Betreuungsaspekte (Verärgerung über Mitarbeiterverhalten im Außendienst, Betreuungsleistungen, Vertreterwechsel und Bearbeitungsfehler) in nur geringem Um-
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fang zum Gegenstand von Beschwerden gemacht werden. Deshalb bedarf es einer Feinjustierung beschwerdestimulierender Maßnahmen unter Berücksichtigung der Beschwerdebereitschaft von Kunden, die mit solchen Problemen konfrontiert werden.
Verärgerungsgrund
%-Anteil verärgerter Kunden
NichtArtikulationsrate
Verärgerung über … … Mitarbeiter in der Zentrale … Mitarbeiter im Außendienst … Auszahlungshöhe bei der Schadenregulierung … Abwicklung der Schadenregulierung … Abwicklung von Vertragsänderungen … Schreiben von der Versicherung … Preisgestaltung … Betreuungsleistungen im Rahmen des Neuabschlusses … Vertreterwechsel
5,3% 17,1% 10,0% 19,5% 13,7% 17,2% 5,0% 3,3% 2,0%
37,8% 71,3% 38,2% 46,3% 47,1% 36,6% 39,0% 73,3% 76,3%
Abbildung 6: Nicht-Artikulationsraten in Abhängigkeit von Verärgerungsgründen Des Weiteren wurde untersucht, ob das Nicht-Artikulationsverhalten von Kündigern Besonderheiten aufweist. Erste empirische Erkenntnisse rechtfertigen die Annahmen, dass die Nicht-Artikulationsrate von Kündigern höher ausfällt als diejenige von aktuellen Kunden. Daher lautet die dritte These: These 3: Die Nicht-Artikulationsrate von Kündigern ist höher als die der aktuellen Kunden. Zur Überprüfung der These konnte auf Daten aus einer zeitgleich zur Kundenzufriedenheitsbefragung durchgeführten repräsentativen Befragung von 2.000 Kündigern des Versicherungsunternehmens zurückgegriffen werden. Die Antworten auf die Frage „Haben Sie sich vor Ihrer Kündigung einmal bezüglich des Kündigungsgrundes bei der Versicherung beschwert?“ lieferte für die Nicht-Artikulationsrate von Kündigern einen Wert von 86%. Somit beschweren sich in diesem Fallbeispiel unter den Kündigern wesentlich weniger Kunden als unter den aktuellen Kunden und These 3 wird bestätigt.
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4.2 Zur Nicht-Registrierungsrate In welchem Ausmaß ein Unternehmen die Chance verfehlt, die tatsächlich artikulierte Unzufriedenheit in Form von Beschwerden auch transparent zu machen, wurde in einer Studie aus der Branche der Energiedienstleistungen mit der Kernzielgruppe „Geschäftskunden“ untersucht. Die erforderlichen Daten wurden im Rahmen einer repräsentativ angelegten Kundenzufriedenheitsbefragung unter 1.000 Kunden ermittelt. Der Studie lag die Annahme zugrunde, dass auch in diesem Fall ein erheblicher Anteil der artikulierten Beschwerden nicht im unternehmerischen Beschwerdemanagement registriert wird. Diese Annahme kommt in These 4 zum Ausdruck. These 4: Der Anteil der nicht registrierten Beschwerden ist beträchtlich. Zur Überprüfung dieser These wurde die Nicht-Registrierungsrate berechnet. Ausgehend von dem im Rahmen der Kundenzufriedenheitsbefragung ermittelten Anteils der verärgerten Kunden (36%), wurde die absolute Anzahl verärgerter Kunden durch Hochrechnung auf den gesamten Kundenbestand von 150.000 Kunden mit 54.000 berechnet. Von diesen verärgerten Kunden beschwerten sich 86% (46.440 Kunden). Gleichzeitig war aus der Beschwerdeauswertung bekannt, dass im betrachteten Jahr 25.000 Beschwerdeführer registriert wurden. Dies bedeutet, dass 21.440 Beschwerdeführer verborgen blieben. Setzt man diese Zahl (21.440) zur Zahl der Beschwerdeführer (46.440) in Beziehung, ergibt sich eine Nicht-Registrierungsrate von 46,2%. Angesichts der Tatsache, dass nahezu jede zweite Beschwerde nicht erfasst wurde, erfährt These 4 eine beeindruckende Unterstützung.
4.3 Zur Aufdeckungsrate In welchem Ausmaß die registrierten Beschwerden tatsächlich Auskunft über die vorhandene Kundenverärgerung geben, reflektiert die Aufdeckungsrate. Vor dem Hintergrund der Diskussion zum Verärgerungs-Eisbergs wurde die These 5 formuliert: These 5: Die im Beschwerdemanagement registrierten Beschwerden machen nur einen Teil der Kundenverärgerung transparent. Die empirische Überprüfung dieser These erfolgte ebenfalls in der bereits erwähnten Zufriedenheitsstudie unter den Geschäftskunden eines Energiedienstleisters. Die im Rahmen der Beschwerdeanalyse erfasste Anzahl von registrierten Beschwerdeführern (25.000) wurde zur Zahl der im Rahmen der Kundenzufriedenheit ermittelten
Evidenz-Controlling im Beschwerdemanagement
107
Zahl von Kunden mit Beschwerdeanlass (54.000) in Beziehung gesetzt. Daraus resultiert eine Aufdeckungsrate von 46,3%. Dies bedeutet, dass das betroffene Unternehmen über mehr als jeden zweiten verärgerten Kunden keine Kenntnis besitzt, so dass auch die These 5 als bestätigt angesehen werden kann. Dabei ist noch zu beachten, dass die Aufdeckungsrate in diesem Fall im Business-to-Business-Umfeld ermittelt wurde, wo prinzipiell mit höherer Bereitschaft zur Artikulation und Dokumentation von Beschwerden zu rechnen ist.
5.
Management-Konsequenzen
Die Management-Konsequenzen aus dem dargestellten Einsatz eines EvidenzControlling sind erheblich, und zwar für verschiedene Aufgabenbereiche des Beschwerdemanagements: für Beschwerdestimulierung, Beschwerdebearbeitung, Beschwerdeauswertung, Beschwerdereporting, Beschwerdeinformationsnutzung sowie für das Beschwerdemanagement-Controlling. In Bezug auf die Beschwerdestimulierung macht das Evidenz-Controlling das tatsächliche Ausmaß der Nicht-Beschwerdeführung deutlich. Die Nicht-Artikulationsrate zeigt, in welchem Umfang verärgerte Kunden nicht die Gelegenheit zur Beschwerde nutzen, sondern andere Verhaltensformen, die für das Unternehmen problematischer sein können – wie Abwanderung – wählen. Eine hohe Nicht-Artikulationsrate belegt die Dringlichkeit, die unternehmensindividuellen Ursachen des Verzichts auf die Beschwerdeführung genau zu analysieren und insbesondere die unternehmerisch beeinflussbaren Gründe zu identifizieren. Auf dieser Basis können Barrieren abgebaut, leicht zugängliche Kanäle eingerichtet und kommuniziert werden. Zudem ist der Kunde aktiv und glaubhaft darüber zu informieren, dass sein kritisches Feedback erwünscht ist. Zudem kann eine zielgruppen- und problemspezifische Analyse der Nicht-Beschwerdeführung erfolgen. Stellt sich heraus, dass bestimmte relevante Segmente eine besonders hohe Nicht-Artikulationsrate aufweisen bzw. bestimmte Probleme unterdurchschnittlich artikuliert werden, können Stimulierungsmaßnahmen auf die identifizierten Segmente und Probleme zielorientiert ausgerichtet werden. Bezüglich der Beschwerdebearbeitung gibt das Evidenz-Controlling vor allem wesentliche Hinweise für die Optimierung des Bearbeitungsprozesses. Wenn die Nicht-Registrierungsrate hoch ist, wird damit angezeigt, dass ein Großteil der gegenüber dem Unternehmen vorgebrachten Beschwerden nicht im Beschwerdemanagement bekannt ist und somit auch nicht zur Grundlage für Verbesserungsmaßnahmen genutzt werden kann. In diesem Fall geht es darum, in einer sorgfältigen Ist-Analyse die verschiedenen betroffenen Einheiten und Eingangskanäle genau zu überprüfen und dabei Stärken und Schwächen zu identifizieren. Daraufhin sind die jeweiligen Bearbeitungsprozesse zu analysie-
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Bernd Stauss und Wolfgang Seidel
ren und Gründe für die unterbliebene Registrierung zu ermitteln. Auf dieser Basis ist auch festzulegen, welcher Registrierungsgrad unter Kosten- und Effizienzgesichtspunkten anzustreben ist. Im Hinblick darauf sind dann neue Beschwerdebearbeitungsprozesse zu gestalten, die entsprechenden Verantwortlichkeiten neu zu ordnen, Ressourcen anzupassen sowie die erforderlichen Schulungen des Personals vorzunehmen. Für die Beschwerdeauswertung, das Beschwerdereporting und die Beschwerdeinformationsnutzung ist das Evidenz-Controlling insofern relevant, als dass es wesentliche Hinweise für die notwendige Korrektur von Ergebnissen der üblichen Beschwerdeauswertung liefert. Die Aufdeckungsrate zeigt, in welchem Umfang die in der bisherigen Auswertung berücksichtigten Daten repräsentativ für das Kundenerleben sind bzw. einer Korrektur bedürfen. Beträgt die Aufdeckungsrate – wie etwa in dem dargestellten Fallbeispiel – 46,3%, muss das dokumentierte Beschwerdeaufkommen mit einem Faktor von 2,16 multipliziert werden, um auf das tatsächliche Ausmaß verärgerter Kunden schließen zu können. Dieser Faktor kann als „Evidenzfaktor“ bezeichnet werden, weil erst mit seiner Anwendung die tatsächliche Brisanz von Kundenproblemen und Kundenunzufriedenheit im Kundenbestand evident wird. Diese generelle Modifikation ist auch auf differenzierter Ebene vorzunehmen. So ist es angesichts der Erkenntnisse der Beschwerdeverhaltensforschung sehr wahrscheinlich, dass sich die Nicht-Artikulationsraten je nach Art des Problems unterscheiden. Beispielsweise weiß man, dass sich Kunden eher über besonders relevant erachtete und objektiv nachweisbare Probleme als über wenig bedeutsame Aspekte bzw. Probleme mit hohem subjektivem Bewertungsspielraum beschweren (Best 1981, S. 121). In analoger Weise ist anzunehmen, dass bestimmte Arten von Problemen in höherem Maße als andere verborgen bleiben (z.B. Probleme, die üblicherweise im direkten Kundenkontakt artikuliert werden). Insofern bietet es sich an, problembezogen differenzierte Aufdeckungsraten zu ermitteln und entsprechend mit differenzierten Evidenzfaktoren zu ermitteln. Erst mit Hilfe problemspezifischer Evidenzfaktoren wird in der Beschwerdeauswertung eine realitätsgerechte Problemsicht erreicht und es kann dafür Sorge getragen werden, dass die Verbesserungsprozesse entsprechend der vom Kunden tatsächlich wahrgenommenen Prioritäten gesteuert werden. Für das Beschwerdemanagement-Controlling ist festzuhalten, dass dem Evidenz-Controlling ein ebenso großes Augenmerk geschenkt werden muss wie den anderen Controlling-Bereichen, dem Aufgaben- und Kosten-Nutzen-Controlling. Diese Beachtung muss darin zum Ausdruck kommen, dass die entsprechenden Kennzahlen – die Aufdeckungsrate, die Nicht-Artikulationsrate und die Nicht-Registrierungsrate – permanent erfasst und für diese eindeutige Soll-Standards definiert werden. Dabei erscheint es sinnvoll, diese Kennzahlen anstelle der häufig verwendeten Beschwerderate in der Balanced Scorecard aufzunehmen. Zur Steuerung und Fundierung der Maßnahmen ist es – wie bereits ausgeführt – erforderlich, dass die Fragen zum Anlass für eine Beschwerde und zum Beschwerdeverhalten in die routinemäßige Zufriedenheitsbefragung aufgenommen werden. Darüber hinaus ist zu empfehlen, dass Kunden in dieser Befragung auch gebeten werden, Gründe für ihren
Evidenz-Controlling im Beschwerdemanagement
109
Verzicht auf eine Beschwerde zu nennen. Die entsprechenden Antworten geben wichtige Hinweise auf die vom Kunden wahrgenommenen Beschwerdebarrieren. Sie sind ein bedeutsamer Input für die Beschwerdestimulierung, da sie Ansatzpunkte zeigen, wie durch unternehmerische Maßnahmen die Nutzen-Kosten-Relation der Beschwerdeführung aus Kundenperspektive verbessert werden kann. Durch die Einbeziehung einiger weiterer Fragen lassen sich auch Anhaltspunkte für das ökonomische Gefährdungspotenzial nicht artikulierter und verborgener Beschwerdeführung gewinnen. Dazu ist es erforderlich, dass Kunden danach gefragt werden, ob sie aufgrund der Verärgerung abwandern werden. Auf dieser Basis bzw. einer entsprechenden Befragung unter den verlorenen Kunden können Abwanderungsquoten für Kunden, die sich nicht beschwert haben, berechnet werden. Verfügt nun das Unternehmen über Daten in Bezug auf den durchschnittlichen Umsatz oder Deckungsbeitrag eines Kunden, sind Berechnungen über die entsprechenden Gefährdungspotenziale möglich.
6.
Forschungsausblick
Das Evidenz-Controlling im Beschwerdemanagement ist bisher noch kaum zum Gegenstand der Forschung gemacht worden, so dass hier noch Neuland im Schnittstellenbereich von Marketing, Service Management und Controlling besteht. Ein zentrales und noch weiter zu vertiefendes Forschungsfeld betrifft das Verhältnis der Konstrukte „Unzufriedenheit“ und „Verärgerung“ (im Sinne von 'Anlass zur Beschwerde'). Da offensichtlich Kunden trotz eines Anlasses zur Beschwerde in Befragungen angeben, dass sie zufrieden sind, stellt sich die Frage, wie der Prozess genau abläuft, in dem Verärgerungen über die Zeit zu einer dynamischen negativen Veränderung der Zufriedenheit in Richtung Unzufriedenheit führt. Zudem ist zu diskutieren, für welche Managementfragestellungen es sinnvoll ist, sich auf Globalzufriedenheitswerte oder aber auf Verärgerungswerte zu beziehen. Ein weiteres Forschungsproblem besteht in dem Verhältnis der Größen „Beschwerden“ und „Beschwerdeführer“. Hier wären insbesondere Fallstudien wünschenswert, die überprüfen, wie groß der Verzerrungsfaktor ist, wenn man sich – wie in unserem Fall – auf die Beschwerdeführer konzentriert und die Tatsache von Mehrfachbeschwerern außer Acht lässt. Darüber hinaus besteht weiterhin große Unsicherheit hinsichtlich der Verlässlichkeit von Kundenaussagen in Bezug auf ihr Beschwerdeverhalten, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob die Angaben zu den erfolgten Beschwerden zutreffen bzw. ob deren Artikulationen auch von den annehmenden Mitarbeitern als Beschwerden erkannt werden. Insofern sind diesbezügliche empirische Erhebungen sehr wünschenswert.
110
Bernd Stauss und Wolfgang Seidel
Analoges gilt hinsichtlich der unternehmens- und branchenspezifischen Determinanten der zentralen Kennzahlen, der Nicht-Artikulationsrate und der Nicht-Registrierungsrate. Forschungen über Art und Wirkung dieser Determinanten wären nicht nur von theoretischem Interesse, sondern hätten auch für das konkrete Management hohe Bedeutung, da erst diesbezügliche Erkenntnisse eine realistische Bewertung der unternehmensspezifischen Daten und die Suche nach sinnvollen Benchmarking-Größen ermöglichen.
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Evidenz-Controlling im Beschwerdemanagement
111
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Customer Perceived Value Accounting
113
Friederike Wall und Regina Schröder
Customer Perceived Value Accounting als zentrale Komponente des Dienstleistungscontrolling
1. Dienstleistungen als Prozess der Wertschaffung für den Kunden 2. Konzeptionelle Grundlagen zum Customer Value 2.1 Dimensionen des Kundenwerts 2.2 Customer Value Accounting im Dienstleistungscontrolling 3. Empirische Motivation des Customer Perceived Value Accounting 3.1 Fragestellung und Design der empirischen Studie 3.2 Interesse an einem kundenwertorientierten Controlling 3.3 Praktische Anknüpfungspunkte für ein Customer Perceived Value Accounting 4. Beispielhafte Illustration des Grundprinzips des Customer Perceived Value Accounting 5. Beiträge eines Customer Perceived Value Accounting Literatur
Prof. Dr. Friederike Wall ist Inhaberin des Dr. Werner Jackstädt-Stiftungslehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre – Controlling und Informationsmanagement der Universität Witten/Herdecke. Dr. Regina Schröder ist wissenschaftliche Assistentin am Dr. Werner Jackstädt-Stiftungslehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre – Controlling und Informationsmanagement.
Customer Perceived Value Accounting
1.
115
Dienstleistungen als Prozess der Wertschaffung für den Kunden
Dienstleistungen besitzen in zweifacher Hinsicht Prozesscharakter: zum einen als unternehmerischer Erstellungsprozess, zum anderen als kundenseitiger Nutzungsprozess der Leistung (Stauss 1995). Aus dem Merkmal der Integration externer Faktoren ergeben sich in prozessbezogener Hinsicht zwei weitere Besonderheiten der Dienst- gegenüber der Sachleistung: Da Dienstleistungen nicht ohne Integration des Kunden oder bestimmter Kundenobjekte erbracht werden können, kann die Dienstleistung nicht losgelöst, d.h. auch in zeitlicher Hinsicht nicht vollständig separat von der Nutzung der Dienstleistung durch den Kunden erfolgen. Die Integration des Kunden in den Erstellungsprozess bewirkt eine mehr oder weniger intensive Interaktion mit dem Dienstleister. Die Interaktionen können abhängig von der Art der Dienstleistung in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Wesentlich ist, dass sich immer wieder „Kontaktpunkte“ zwischen Kunden und Dienstleister ergeben. „Es handelt sich hier um die Situationen, in denen der Kunde mit einem Aspekt des Dienstleistungsangebots in Kontakt kommt und in denen er einen Eindruck von der Qualität des Leistungsangebots und des Leistungsanbieters gewinnt. Die Gesamtheit dieser Kontaktpunkte im zeitlichen Ablauf einer typischen Dienstleistungsnutzung macht den Kundenprozess bzw. den Kundenpfad aus“ (Stauss 1995, S. 28f.). Die genaue Kenntnis des Kundenprozesses ist von erheblicher Bedeutung, um Ansatzpunkte für ein wirkungsvolles Controlling für Dienstleistungsunternehmen zu erhalten. Angesichts der Besonderheiten von Dienstleistungen ist es allerdings nicht ausreichend, nur die unternehmensinternen Prozesse zu optimieren, Verantwortlichkeiten festzulegen und effizienzorientierte Prozessziele nachzuhalten. Wesentlich erscheint es darüber hinaus, die verschiedenen Phasen des Dienstleistungsprozesses konsequent aus der Kundenperspektive zu bewerten. In Frage steht, welcher Wert mit der Dienstleistung insgesamt und mit einzelnen Teilprozessen für den Kunden geschaffen wird. Damit ist das sog. „Customer Perceived Value Accounting“ als zentrale Komponente des Dienstleistungscontrolling angesprochen. An dieser Stelle setzt der vorliegende Beitrag an. Ziel ist es, die konzeptionellen Grundlagen eines kundenwertorientierten Dienstleistungscontrolling herauszuarbeiten und exemplarisch zu illustrieren. Hierzu geht der nachfolgende Abschnitt zunächst auf die grundlegenden Konzeptionen des Customer Value ein. In Abschnitt 3 wird mit Hilfe einiger empirischer Befunde die Notwendigkeit zu weiteren Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für ein Customer Perceived Value Accounting untermauert. Einige konzeptionelle Überlegungen hierzu mit einer exemplarischen Illustration präsentiert der vierte Abschnitt. Eine kritische Würdigung der möglichen Beiträge, aber auch der An-
116
Friederike Wall und Regina Schröder
wendungsvoraussetzungen eines Customer Perceived Value Accounting schließen diesen Beitrag ab.
2.
Konzeptionelle Grundlagen zum Customer Value
2.1 Dimensionen des Kundenwerts Der Kundenwert oder „Customer Value“ hat einen ambivalenten Charakter: Einmal geht es darum, die Attraktivität eines einzelnen Kunden oder einer Kundengruppe für das Unternehmen zu bestimmen. Das Augenmerk richtet sich dann auf den „Wert des Kunden“ aus Sicht des anbietenden Unternehmens. In zweiter – und neuerer – Hinsicht steht der vom Kunden wahrgenommene Wert der Unternehmensleistung im Vordergrund der Betrachtung. Wert eines Kunden für den Dienstleister Die verstärkte Fokussierung auf Kundenbeziehungen geht zurück auf die Feststellung, dass nicht die Produkte oder Leistungen eines Unternehmens die Umsätze erbringen, sondern vielmehr die Kundenbeziehungen (Diller 1995, Sp. 1369). Das „Customer Relationship Management“ zielt darauf ab, die Profitabilität der Geschäftsbeziehungen zu erhalten oder zu steigern. Die zentrale Steuerungsgröße hierfür ist der Kundenwert – verstanden als der Wert, den ein Kunde oder ein Kundensegment für das Unternehmen besitzt. Die Rede ist auch vom Customer Lifetime Value (CLV). Der Kundenwert aus der Anbieterperspektive ist grundsätzlich als mehrperiodisches Konstrukt zu verstehen und im Marketingcontrolling zu berücksichtigen. Hierfür sind zwei Ursachen auszumachen: (1) Eine profitable Kundenbeziehung besteht idealerweise über einen längeren Zeitraum. (2) Aufbau und Pflege einer Kundenbeziehung erfordern den Einsatz von Ressourcen; die daraus entstehenden Erlöse fließen jedoch vielfach erst mit zeitlicher Verzögerung zu. Vom Kunden wahrgenommener Wert der Dienstleistung Eine jüngere Entwicklung ergänzt den Kundenwert der Anbieterperspektive um den der Kundenperspektive. Darin wird der vom Kunden wahrgenommene Wert der Unternehmensleistung, der so genannte Customer Perceived Value (CPV), als eine wichtige Quelle von Wettbewerbsvorteilen angesehen. Der Kundenwert ist die „vom Kunden wahrgenommene Diskrepanz zwischen dem (mehrdimensionalen) wahrgenommenen
Customer Perceived Value Accounting
117
Nutzen und den (mehrdimensionalen) wahrgenommenen Kosten im Vergleich zur Konkurrenz“ (Matzler 2000, S. 290; Eggert 2001, S. 46; Krafft 1999, S. 516ff.).
Produktnutzen Nutzen durch produktbezogene Dienstleistungen
Nutzensumme
Nutzen durch Mitarbeiter Nettonutzen
Nutzen durch Image Monetärer Aufwand Zeitaufwand
Aufwandssumme
Energieaufwand Psychischer Aufwand
Abbildung 1: Customer Perceived Value als Nettonutzen (Quelle: Kotler/Bliemel, 2001, S. 58) Während die zentrale betriebswirtschaftliche Problemstellung im Hinblick auf den Wert des Kunden für das Unternehmen in der Selektion profitabler Kunden(segmente) besteht, richtet sich das Customer (Perceived) Value Management darauf, den vom Kunden wahrgenommenen Wert zu beeinflussen. Dies kann beispielsweise durch gezieltes Qualitätscontrolling oder durch Einwirken auf die vom Kunden wahrgenommenen Kosten geschehen. Zum Zusammenhang zwischen Anbieter- und Kundenperspektive Zwischen den beiden Konzepten des Kundenwerts, also dem Customer Lifetime Value und dem Customer Perceived Value, lässt sich ein wechselseitiger Zusammenhang annehmen (Eggert 2001, S. 49ff.): Ein hoher Wert des Kunden oder Kundensegments wird der Tendenz nach dazu führen, dass der Anbieter versucht, diesen Kunden einen hohen Nettonutzen zu schaffen. Umgekehrt lässt ein hoher wahrgenommener Wert der Unternehmensleistung erwarten, dass damit – neben anderen Faktoren – eine hohe Kundenzufriedenheit verbunden ist. Vor diesem Hintergrund sind für das Dienstleistungscontrolling zwei interdependente Rechenwerke für den Kundenwert zu unterscheiden.
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Friederike Wall und Regina Schröder
2.2 Customer Value Accounting im Dienstleistungscontrolling Den beiden Perspektiven des Kundenwerts entsprechend, umfasst das Customer Value Accounting die zwei folgenden interdependente Rechenwerke: Customer Lifetime Value Accounting Das Marketing kann auf einen breiten Verfahrensfundus zur Ermittlung des Werts eines Kunden(-segments) zurückgreifen (Cornelsen 2000, S. 91). Traditionell dürften die Überschneidungen zu Kompetenzen und Datengrundlagen des Controlling bei denjenigen Ansätzen am größten sein, die monetäre Bewertungsmodelle nutzen. Wichtige derartige Konzepte sind Kundendeckungsbeitragsrechnungen oder Kundenlebenszyklusrechnungen. Bei letzteren wird – dem mehrperiodischen Charakter einer Kundenbeziehung entsprechend – mit einem investitionsrechnerischen Ansatz der Barwert eines Kunden bzw. Kundensegments („Customer Equity“) für das Unternehmen berechnet (vgl. zu Verfahrensvarianten Burmann 2003, S. 116ff.). Der Kundenbarwert liefert den Ausgangspunkt, um Entscheidungen im Marketing zu fundieren. So kann etwa die Allokation knapper Marketingressourcen im Rahmen des Beziehungsmanagements an dem Kundenbarwert eines Segments ausgerichtet werden (Blattberg/Deighton 1996, S. 136ff.). Für die Fundierung dieser und anderer Marketingentscheidungen kann das Controlling wertvolle methodische Unterstützung leisten. Customer Perceived Value Accounting Während der Anbieterperspektive des Kundenwerts (CLV) mithin eine gewisse Tradition im Controlling attestiert werden kann, stellt der Customer Perceived Value (CPV) für das Controlling zumindest teilweise noch Neuland dar (Schröder/Wall 2004, S. 672ff.). Der Schwerpunkt dieses Beitrags liegt auf dem Customer Perceived Value Accounting. Was der Kunde als Nettonutzen, d.h. als Wert für sich wahrnimmt, ist eine komplexe Fragestellung, deren Beantwortung den Einsatz eines vielschichtigen und interdisziplinären Instrumentariums mit Hilfe, aber auch jenseits von Controllingmethoden erfordert. Als relativ Controlling-verwandt dürfte dabei zunächst die Ermittlung der Aufwandssumme erscheinen, die für den Kunden mit der Leistung verbunden ist. Allerdings mag sich eine konzeptionelle Differenz insofern auftun, als es um die wahrgenommenen Kosten geht, die ja nicht mit tatsächlichen Größen übereinstimmen müssen: „Es ist davon auszugehen, dass selbst die Preise einzelner Produkte nicht als objektiv zu betrachten sind, sondern dass von der subjektiven Preiswahrnehmung des Kunden auszugehen ist“ (Matzler 2000, S. 296). Die Integration des Kunden in den Dienstleistungsprozess verstärkt Relevanz und Problematik der Ermittlung der wahrgenommenen Kosten noch einmal erheblich. Die Brisanz dieses Problemfelds kann man sich leicht anhand von Beratungsleistungen vor Augen führen, die ohne – teils aufwändige – Mitwirkung des Kunden vielfach kaum vorstellbar sind.
Customer Perceived Value Accounting
119
Ein typisches Controllingproblem – auch wenn es bislang kaum als solches adressiert ist – entsteht weiterhin im nächsten Schritt, wenn nämlich ein „Customer Perceived Value Management“ in einem Dienstleistungsunternehmen implementiert werden soll. Nehmen wir an, der Nettonutzen der Dienstleistung für den Kunden wurde ermittelt. Konsequenterweise erhebt sich dann die Frage, welchen Beitrag die einzelnen (Teil-) Leistungsprozesse bzw. Leistungsbereiche zur Schaffung dieses Werts leisten. Im Kontrollzusammenhang ist von Interesse, welcher Teilprozess oder Bereich für Abweichungen von einem angestrebten Nettonutzenniveau verantwortlich ist. Vergleichbar einer Abweichungsanalyse im Kostenbereich ist zu ermitteln, welcher Teilprozess oder Bereich in welchem Umfang für die Abweichung des geschaffenen wahrgenommenen „IstNettonutzens“ gegenüber dem „Plan-Nutzen“ für den Kunden verantwortlich ist. Im Grunde geht es bei einem Customer Perceived Value Accounting dann um ein Durchrechnen der Wertbeiträge für den Kunden über verschiedene Teilprozesse der Dienstleistung vom ersten Prozessschritt bis hin zum Kunden (vgl. dazu ausführlich Wall 2000, S. 29ff.).
3.
Empirische Motivation des Customer Perceived Value Accounting
3.1 Fragestellung und Design der empirischen Studie Die Konzeption eines neuen Instruments für das Controlling setzt zum einen ein dahingehendes Interesse gerade in der Praxis voraus. Zum anderen empfiehlt es sich, ein Verfahren zu entwickeln, das auf bereits implementierten Methoden aufbauen kann oder zumindest an diese anschlussfähig ist. Mit Blick auf unsere Problemstellung ist mithin zunächst der Bedarf nach einem Customer Perceived Value Accounting ebenso wie bereits vorhandene Grundlagen hierfür in Dienstleistungsunternehmen zu hinterfragen. Dazu führte der Dr. Werner Jackstädt-Stiftungslehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, Controlling und Informationsmanagement eine empirische Studie durch. Dienstleistungen werden nicht nur von speziell darauf ausgerichteten Unternehmen erbracht. Vielmehr bieten in zunehmenden Maße Unternehmen des produzierenden Gewerbes neben ihren Produkten auch Dienstleistungen an. Deshalb wurden im Rahmen der empirischen Untersuchung nicht nur 200 originäre Dienstleister, sondern auch 800 Unternehmen des produzierenden Gewerbes befragt (zur Konzeption der Studie vgl. Schröder/Wall 2004, S. 672f.). Trotz einer Nachfassaktion, die vier Monate nach dem Versand der Erhebungsbögen durchgeführt wurde, sandten nur 12 Dienstleister den Fragebogen in auswertbarer Form
120
Friederike Wall und Regina Schröder
zurück. Hinzu kamen ferner 16 Antworten von Unternehmen, die nach eigenem Bekunden sowohl Produkte als auch Dienstleistungen am Markt anbieten. Diese geringen Rücklaufquoten sind bei der Interpretation der Resultate ebenso zu beachten wie Ergebnisverzerrungen durch Nichtantworten. Letztere sind darauf zurückzuführen, dass sich Unternehmen, die ein „Customer Perceived Value Accounting“ als nicht erforderlich ansehen, eher nicht an der Befragung beteiligen.
3.2 Interesse an einem kundenwertorientierten Controlling Für ein kundenwertorientiertes Dienstleistungscontrolling ist in einem ersten Schritt zu klären, inwiefern sich Dienstleister für den von ihnen geschaffenen „Wert für den Kunden“ interessieren. Eng damit verbunden ist zudem die Frage, ob Dienstleister in stärkerem Maße zur Ausrichtung auf den CPV bereit sind als Unternehmen des produzierenden Gewerbes. Kann die letzte Frage bejaht werden, so ließe sich damit nicht nur eine verstärkte Orientierung eines Customer Perceived Value Accounting (CPVA) an den Informationsbedarfen des Dienstleistungssektors begründen. Vielmehr könnte die Konzeption des CPVA vornehmlich an im Dienstleistungssektor bereits vorhandenen Verfahrenselementen anknüpfen. Die Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass sich gerade Dienstleister der Notwendigkeit und Vorteilhaftigkeit eines CPVA bewusst sind: So sehen zwei Drittel der antwortenden Dienstleister eine (externe) Kundenorientierung des Controlling als erforderlich und ein Drittel eine solche Ausrichtung zumindest als wichtig an. Dieser sehr positiven Auffassung schließen sich die Unternehmen, die sowohl Dienst- als auch Sachleistungen hervorbringen, nicht (vollständig) an. Vielmehr verteilen sich ihre Bewertungen eines CPVA nahezu gleichmäßig auf die Kategorien „notwendig“ (31,3 Prozent), „wichtig“ (31,3 Prozent) und „indifferent“ (37,5 Prozent). Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, den Unternehmen dieser zweiten Gruppe den Erkenntnisgewinn zu verdeutlichen, den ein auf den Absatzbereich bzw. den Kunden hin orientiertes Controlling liefern kann. Dafür bietet es sich an, zunächst ein CPVA für „reine“ Dienstleister zu entwickeln und anhand dieses Beispiels die Vorteilhaftigkeit des Verfahrens zu illustrieren. Eine spätere Übertragung des CPVA-Konzepts für Dienstleister auf Unternehmen, die keine ausschließlichen Dienstleister sind, setzt voraus, dass die letzteren mit den „reinen“ Dienstleistern darin übereinstimmen, welcher organisatorischen Einheit die Aufgabe des CPVA zufallen sollte. In den meisten Unternehmen sind neben dem Controlling auch das Marketing, das Qualitätsmanagement u.a. an der Erfassung und Weitergabe von Informationen aus dem Leistungserstellungsprozess beteiligt (Schröder/Wall 2004, S. 675). Allerdings stimmen die befragten „reinen“ Dienstleister und die Unternehmen, die Sach- und Dienstleistungen anbieten, darin überein, dass das Controlling zur Erfassung kundenwertbezogener Informationen bislang allenfalls mittelmäßig geeignet ist.
Customer Perceived Value Accounting
121
Eine tendenziell noch etwas skeptischere Einschätzung wird der Eignung des eigenen Unternehmenscontrolling für die kundenwertbezogene Datenerfassung entgegengebracht (Abbildung 2).
Eignung des eigenen Controlling 0,0 %
0,0 %
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8,3 %
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Sehr gut 0,0 % 0,0 %
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Gut 0,0 %
Weder gut, noch schlecht
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16,7 % 18,8 %
8,3 % 12,5 %
8,3 %
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Schlecht 0,0 % 0,0 %
6,3 % 0,0 %
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0,0 %
0,0 %
0,0 % 0,0 %
Sehr schlecht 6,3 %
0,0 %
Sehr schlecht Schlecht
0,0 %
0,0 %
Weder gut, noch schlecht
Gut
0,0 %
Sehr gut
Eignung des Controlling i. Allg.
Legende: Absolute Antworthäufigkeit von Seiten derjenigen Unternehmen, die Dienstleistungen ebenso wie Produkte anbieten (n = 16)
Absolute Antworthäufigkeit seitens „reiner“ Dienstleister (n = 12)
Abbildung 2: Eignung des Controlling zur Erfassung des Customer Perceived Value Aus diesen Ergebnissen lässt sich dreierlei ableiten: (1) In seiner gegenwärtigen Form erscheint das Controlling noch nicht vollständig geeignet, einen „Customer Perceived Value“ zu erfassen und zu steuern. Insofern bedarf es weiterer Forschungsaktivitäten.
122
Friederike Wall und Regina Schröder
(2) Da das Controlling in die Informationsflüsse, die den Leistungserstellungsprozess umgeben, integriert ist und darin vornehmlich koordinierend tätig ist (Küpper 2001, insbesondere S. 20-29), erscheint es zweckmäßig, dem Controlling die Aufgaben, die mit einem CPVA verbunden sind, zumindest teilweise zu übertragen. (3) Das Konzept für ein CPVA sollte allerdings an alle anderen Funktionsbereiche des Unternehmens, die in den Leistungserstellungsprozess involviert sind, anschlussfähig sein. Das CPVA muss in diesen Bereichen gewonnene Informationen aufnehmen und von diesen für die Steuerung des Dienstleistungsprozesses nutzbar sein. Zusammenfassend lässt sich ein besonderes Interesse im Dienstleistungssektor an einem Customer Perceived Value Accounting feststellen, weshalb dieser Bereich als Beispiel für das zu entwickelnde Verfahren dienen kann. Ausgehend von der Feststellung, dass es sowohl in der Praxis als auch in der Literatur bisher an einem Konzept zum CPVA fehlt, sind zunächst diejenigen Verfahrensansätze und bereits verwendeten Kennzahlen zu erfassen, auf denen das CPVA aufbauen kann.
3.3 Praktische Anknüpfungspunkte für ein Customer Perceived Value Accounting Ein Blick auf die in Dienstleistungsunternehmen bislang eingesetzten Kostenrechnungsverfahren wirkt ernüchternd. So machten zwei der befragten Dienstleister keine Angaben zu ihrem Kostenrechnungssystem. In den übrigen zehn Unternehmen kommen Deckungsbeitragsrechnungen bei allen und Istkostenrechnungen bei zwei Drittel regelmäßig zum Einsatz. Kundenbezogene Deckungsbeitragsrechnungen können immerhin zur Beurteilung des Werts des Kunden (-segments) für den Dienstleister dienen (CLV). Plankostenrechnungen, in denen etwa die Dienstleistungsqualität oder bestimmte Prozessmerkmale als Kosteneinflussgrößen fungieren und so einen Ansatzpunkt für ein CPVA bieten könnten, besitzen offensichtlich keine praktische Relevanz. Zwar setzen die Dienstleister zumeist noch ergänzende Verfahren ein, doch lassen sich die Ergebnisse nicht zu einem einheitlichen Bild zusammenfügen. Daher fällt es schwer, von den erhaltenen Antworten auf einen Ansatzpunkt für das CPVA im Dienstleistungsbereich zu schließen. Einen alternativen Ansatzpunkt für die Verfahrenskonzeption bieten diejenigen Kennzahlen, die die Unternehmen zur Steuerung des Leistungserstellungsprozesses einsetzen. Dazu wurden den Probanden sechs Antwortalternativen vorgegeben, deren Auswahl sich an theoretischen Überlegungen und der Zuordnenbarkeit zum CLV und zum CPV orientierte:
Customer Perceived Value Accounting
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Kosten Der CLV ebenso wie der CPV werden maßgeblich von den mit der Leistungserstellung bzw. ihrem Erwerb verbundenen Kosten geprägt. Der Kundenwert aus Unternehmenssicht ergibt sich aus der periodenweise diskontierten Differenz aus verursachten Ausgaben und diesen gegenüberstehenden Einnahmen (Blattberg/Deighton 1996). Ein Kunde muss indes die Ausgaben, die ihm beim Erwerb der Leistung entstehen (z. B. Preis, Kosten der Anbahnung), gegen den Nutzen abwägen, der seines Erachtens mit der Leistung verbunden ist. Diese Kosten aus Kundensicht muss der Dienstleister wiederum für ein Customer Perceived Value Management mit in Betracht ziehen. Wenngleich es sich bei den Kosten um unterschiedliche Kostenabgrenzungen handelt, sind die verschiedenartigen Kostenkategorien für den Kunden und das leistungserbringende Unternehmen von Bedeutung. Leistungsmenge Die Häufigkeit und die Intensität, mit der ein Austausch zwischen dem Kunden und dem Unternehmen stattfindet, beeinflusst den bei den Akteuren jeweils entstehenden bzw. wahrgenommenen Wert (Krafft 1999, S. 526). Tendenziell ist eine langfristige Beziehung für beide Parteien mit sinkenden Transaktionskosten verbunden. Doch besteht zugleich die Möglichkeit eines Gewöhnungseffekts, der dazu führt, dass die Leistung bei wiederholter Nachfrage mit einem sinkenden Kundennutzen verbunden wird. Prozesszeit Der Kundenwert aus Unternehmenssicht wird maßgeblich durch zeitliche Faktoren bestimmt. Einerseits hängt der Wert einer Kundenbeziehung maßgeblich von deren Dauer ab, und – abhängig vom Vertrag zwischen Kunde und Dienstleister – kann eine lange Prozesszeit auch für einen Dienstleistungsauftrag die Erlöse daraus erhöhen. Zudem eröffnen langfristige Kundenbeziehungen die Möglichkeit des Cross Selling, das die Kundenbindung und letztlich den Wert eines Kunden nachhaltig intensivieren kann (Cornelsen 2000, S. 181f.). Andererseits vermag die Prozesszeit den „Value of the Customer“ über die mit der Leistungserstellung verbundenen Kosten zu beeinflussen. Sofern davon ausgegangen werden kann, dass zeitintensive Erstellungsprozesse ceteris paribus auch höhere Kosten verursachen, so sinkt der Wert eines Kunden mit jeder zusätzlich beanspruchten Zeiteinheit. Doch auch im Hinblick auf den CPV spielt die Prozesszeit eine nicht unerhebliche Rolle. Muss ein Kunde länger auf die nachgefragte Leistung warten, kann ihm dies nachteilig erscheinen und mithin den wahrgenommenen Kundennutzen mindern. Flexibilität Die Frage, ob und in welchem Maße ein Unternehmen in der Lage ist, kundenindividuelle Wünsche bei der Leistungserstellung zu berücksichtigen, bestimmt den von beiden Parteien wahrgenommenen Kundenwert. Während eine sehr kundenindividuelle Dienst-
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Friederike Wall und Regina Schröder
leistung für das Unternehmen mit tendenziell höheren, den Kundenwert mindernden Kosten verknüpft ist, ordnet ein Kunde vermutlich speziell für ihn erbrachten Leistungen eher einen höheren Wert zu. Produkt- oder herstellungsorientierte Qualität In den Leistungserstellungsprozess sind zumeist mehrere Abteilungen eingebunden, die die letztlich erbrachte Dienstleistungsqualität im Sinne eines produktorientierten („product-based“) bzw. herstellungsorientierten („manufacturing-based“) Qualitätsbegriffs (Garvin 1984, S. 25ff.) prägen. Angefangen mit dem Einkauf benötigter materieller Ressourcen bzw. der Gewinnung erforderlicher personeller Kompetenzen (Humankapital) durch die Personalabteilung oder informationeller Grundlagen kann jede Leistungseinheit die Qualität positiv oder negativ beeinflussen und dadurch beispielsweise den erzielbaren Preis und somit den Kundenwert erhöhen oder mindern. Qualität aus Kundensicht Die Qualität, die ein Kunde einer Leistung zuordnet, muss nicht unbedingt mit der produkt- oder herstellungsorientierten Qualität übereinstimmen. So ist es beispielsweise denkbar, dass ein Kunde zwei Leistungen, die objektiv in ihrer Qualität voneinander abweichen, als qualitativ gleichwertig ansieht (et vice versa). Seine Wahrnehmung der Qualität bestimmt, gemeinsam mit seinen Erwartungen, den Wert, den er der Leistung zuordnet (Diese Abhängigkeiten liegen auch dem European Customer Satisfaction Index (ECSI) zugrunde, Bruhn/Stauss 2003, S. 774). Jede der zuvor beschriebenen Kennzahlen kann sowohl als Einflussfaktor auf den CLV wie auch auf den CPV interpretiert werden (Abbildung 3). Doch werden „Kosten“, „Leistungsmenge“ und „Prozesszeit“ von den Unternehmen tendenziell eher als CLVorientierte Kenngrößen wahrgenommen. „Flexibilität“ und „Qualität“ sind aus Unternehmenssicht dagegen für den Kunden eher von Bedeutung und sind daher vor allem als Kennzahlen zur Messung des CPV anzusehen. Im Rahmen der empirischen Befragung galt es zu erfassen, welche der Einflussfaktoren von den Unternehmen verfolgt werden. Dadurch sollte Aufschluss darüber gewonnen werden, welche (rudimentären) instrumentellen Ansätze für ein CPVA in Unternehmen vorhanden sind. Ferner war es das Ziel der Untersuchung, Hinweise darüber zu gewinnen, ob Dienstleister eher entsprechende CPV-bezogene Kennzahlen verwenden als andere Unternehmen. Wie Abbildung 3 zeigt, bestätigt die Studie die ursprünglichen Erwartungen zum Teil. So sind die befragten Unternehmen eher an CLV-orientierten Kennzahlen interessiert, was die zuvor gewonnenen Erkenntnisse unterstreicht. Überraschen mag indes, dass Dienstleister tendenziell noch weniger den Wert aus Sicht des Kunden (CPV) als andere Unternehmen in Kennzahlen nachzuhalten scheinen. Doch lässt sich aufgrund der geringen Antworthäufigkeiten keine generelle Aussage ableiten.
Customer Perceived Value Accounting
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CPV-orientiert
CLV-orientiert
Verfolgung des Leistungserstellungsprozesses mit Kennzahlen zu(r)
Kosten
Ja
Nein
Leistungsmenge
Ja
Nein
Prozesszeit
Ja
Nein
Flexibilität
Ja
Nein
Produkt- oder herstellungsorientierte Qualität
Ja
Nein
Qualität aus Kundensicht
Ja
Nein
Vom Unternehmen erbrachte Leistungen: Dienstleistungen (n = 12) Dienstleistungen und Produkte (n = 16) Produkte (n = 25)
Abbildung 3: Kennzahlen zur Verfolgung des Leistungserstellungsprozesses Insgesamt gilt es festzuhalten, dass das CPVA ein noch relativ offenes Forschungsfeld ist. Wenngleich in den Unternehmen bislang allenfalls rudimentäre Ansätze für ein solches Verfahren zu finden sind, äußern insbesondere Dienstleistungsunternehmen dahingehendes Interesse. Um das Bewusstsein für die Vorteile zu schärfen, die mit einem auf die Schaffung eines CPV ausgerichteten Ansatzes verbunden sind, sollen im Weiteren die Grundlagen eines CPVA exemplarisch aufgezeigt werden.
126
4.
Friederike Wall und Regina Schröder
Beispielhafte Illustration des Grundprinzips des Customer Perceived Value Accounting
Die vom Kunden nachgefragte Leistung wird gemeinhin nicht von einer einzelnen Organisationseinheit erbracht; vielmehr sind zumeist mehrere Stellen an der Leistungserbringung beteiligt. Für das Design einer unternehmensindividuellen Software ergeben sich beispielsweise die folgenden Prozessschritte, die verschiedenen Organisationseinheiten eines Software-Entwicklungshauses bzw. einer unternehmensinternen Entwicklungsabteilung übertragen werden (z.B. Biethahn/Mucksch/Ruf 1997, S. 418ff.): In einem ersten Schritt ist, nachdem der Projektauftrag erteilt wurde, das gestellte Problem zu analysieren. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sind in einem sog. Pflichtenheft zusammenzufassen, um so die Kundenanforderungen festzuhalten. Dieser Anforderungskatalog wird anschließend an die Programmierung weitergegeben, die einen ersten Programmentwurf erstellt. In einem groben Modellentwurf beschreibt die verantwortliche Abteilung die Systemarchitektur sowie wesentliche Elemente des Datenmodells. Anschließend sind die einzelnen Modellkomponenten an den Kundenbedarfen zu spiegeln und unter Berücksichtigung eventueller Modifikationen zu spezifizieren. Aus diesen Arbeitsschritten ergibt sich schließlich ein sog. Feinmodell. Nach der Implementierung dieses Modells gilt es, seine wesentlichen funktionalen Zusammenhänge und Programmabschnitte zu dokumentieren. Das Softwaredesign endet mit der Inbetriebnahme des entwickelten Programms, was unter anderem Schulungen einschließen kann. Die am Markt erhältliche Dienstleistung (hier: die Entwicklung einer kundenindividuellen Software) ist mithin das Ergebnis einer internen Wertschöpfungskette des Dienstleistungsunternehmens, die mit Hilfe eines Supply Chain Controlling zu steuern und auf die Schaffung eines CPV auszurichten ist. Dabei spielt die Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber eine zentrale Rolle. Spezifiziert der Kunde seine Anforderungen an die zu entwickelnde Software nur ungenau, ist die Wahrscheintlichkeit hoch, dass diese nicht seinen Vorstellungen entspricht und somit ein geringer CPV erzielt wird. (Im Gegensatz zu der hier eingenommenen Perspektive konzentrieren sich die Überlegungen zum Supply Chain Controlling bislang vornehmlich auf unternehmensübergreifende Betrachtungen und vernachlässigen vielfach die Integration des Kunden in die Leistungserstellung. Vgl. Kummer 2001; Göpfert/Neher 2002). Jede Organisationseinheit leistet einen Beitrag zur Leistungserstellung, der nicht nur über die Anzahl der abgewickelten Dienstleistungsprozesse (zum Beispiel die Menge an-
Customer Perceived Value Accounting
127
geworbener Kunden und mit diesen erstellter Pflichtenhefte) zu charakterisieren ist. Vielmehr lässt sich, wie die im vorherigen Abschnitt aufgeführten Kennzahlen nahe legen, die erbrachte Leistung zusätzlich über andere Merkmale beschreiben. Insofern kann jede Leistung als ein Merkmalsbündel aufgefasst und dies in vektorieller Schreibweise wie folgt notiert werden:
&k
l
(1) Li
k i1
lik2 limk
Die Leistungsart i (mit i 1,2,..., n i i(k)), die von der k-ten Leistungsstelle des Dienstleisters (mit k 1,2,..., p) erbracht wird, lässt sich folglich mit Hilfe von m Leistungsmerkmalen j (mit j 1,2,..., m j j(i)) beschreiben. Für den hier betrachteten Prozess der Softwareentwicklung bedeutet dies etwa, dass die Programmierung – sehr grob betrachtet – zwei Leistungen für den Kunden erbringt: die Erstellung der Software und die Dokumentation all ihrer Funktionalitäten. Diese Leistungen lassen sich beispielsweise durch die Anzahl benötigter Funktionalitäten, die Schnittstellen zu anderen Programmen oder den Schwierigkeitsgrad der Programmierung kennzeichnen. Die für jede Leistungseinheit formulierten Vektoren bilden die Grundlage für das CPVA. Eine solche Leistungsrechnung kann der Leistungsplanung, aber auch der Abbildung der tatsächlich erbrachten Leistungen dienen. Deshalb ist es zweckmäßig, die Leistungsvektoren entweder als Plan- oder als Istwerte zu markieren:
&
Plan k Li (2) Ist &k Li
Plan k k li1 Planli2 Ist k k li1 Ist li2
Ist k lim
Plan k lim
Wie die Istgrößen zu bestimmen sind, hängt von den zugrunde gelegten Leistungsmerkk
malen lij ab. Technische Qualitätsmerkmale können möglicherweise gemessen werden, für verhaltensbezogene Aspekte sind dagegen eventuell Kundenbefragungen nötig. Bei manchen Leistungsmerkmalen wird es zudem zweckmäßig sein, nicht nur einen für den Betrachtungszeitraum erreichten durchschnittlichen Wert, sondern als ein weiteres Leistungsmerkmal auch die Streuung zu erfassen, da diese gerade im Qualitätsbereich von hoher Aussagekraft ist. Im Bereich des Softwaredesigns könnten beispielsweise neben der durchschnittlichen Fehlerzahl von Programmmodulen die maximal beobachtete sowie die minimal angefallene Fehlermenge von Bedeutung sein. Mit Hilfe der Plan-Leistungsrechnung sollen die Konsequenzen eigener Entscheidungen und Handlungen auf die Leistungen quantitativ erfasst werden; ferner sollen einzelnen Leistungsstellen bestimmte Leistungsziele vorgegeben werden. So mag einer Programmierungsabteilung etwa das Ziel gesetzt werden, die Dokumentationen stets innerhalb eines festen Zeitraums fertig gestellt zu haben. Im Falle einer Plan-Ist-Abweichung, d.h., wenn z. B. die Dokumentation nicht fristgerecht vorliegt, sind im Rahmen der Leis-
128
Friederike Wall und Regina Schröder
tungskontrolle die Ursachen für diese Abweichung zu ergründen. Hierfür müssen die Leistungseinflussfaktoren ihrer Natur nach und im Hinblick auf ihren Einfluss auf die Leistungsmerkmale bekannt sein. Überträgt man das bei der Kostenkontrolle gängige Prinzip, den Kostenstellenleiter nur für diejenigen Kostenanteile verantwortlich zu machen, die er beeinflussen kann, auf die Leistungskontrolle, so ist es erforderlich, die Vorleistungen, die die Leistungsstelle von anderen organisatorischen Einheiten bezieht, gesondert zu erfassen. Es ist unmittelbar augenfällig, dass die Leistungsqualität, die eine Stelle erbringen kann, oftmals von den im Prozess vorgelagerten Leistungen (Wiedereinsatzleistungen) abhängen wird (Betz 1999). Damit lassen sich zwei grundlegende Arten von Leistungseinflussfaktoren unterscheiden, nämlich solche, die aus dem Leistungsgeflecht resultieren, und solche, die sich aus Einflüssen außerhalb des Geflechts ergeben und die als „originäre Einflussfaktoren“ bezeichnet werden sollen. Die modellartige Vorstellung des Leistungsnetzes verdeutlicht Abbildung 4. In dem Bei-
&1
spiel beeinflusst die Leistung L1 – genauer gesagt: eines von deren Leistungsmerkma-
&k *
k*
len – die Ausprägung des Leistungsmerkmals li * j * der Leistung L i * . Die originären Einflussfaktoren werden in der Darstellung mit xr (mit r
Faktormärkte
Leistungsstelle 1
Leistungsstelle k*
...
Leistungsart 1 der Leistungsstelle 1:
L Potentialund Verbrauchsfaktoren
1 1
...
Absatzmarkt
k*
L1 ...
Marktleistung
Leistungsart i* der L.stelle k*:
1
*
L1
lik**1
L2 ... Leistungsart n der L.stelle 1 mit i=i(k=1):
1,2,..., q) notiert.
...
*
L2
Leistungsmerkmal j*:
lik**j*
1
...
Ln x1
...
Abbildung 4: Prinzipdarstellung eines Leistungsnetzes (Quelle: Wall 2000, S. 32)
xq
Originäre Einflussfaktoren
Customer Perceived Value Accounting
129
Ein wesentliches Merkmal von Dienstleistungen ist die Integration des Kunden in den Leistungsprozess, womit maßgeblich die Dienstleistungsqualität beeinflusst werden kann. Für ein CPVA der skizzierten Art muss daher konsequenterweise der Kunde bzw. sein Beitrag im Leistungserstellungsprozess als „originärer Einflussfaktor“ berücksichtigt und auch beurteilt werden. Die Struktur der aus dem Leistungsgeflecht resultierenden Einflüsse ist dahingehend zu differenzieren, dass auch Interdependenzen innerhalb der Leistungsstelle bestehen können. Zum einen ist der Fall zu bedenken, dass die Merkmale einer Leistung sich untereinander beeinflussen. So mögen der Zeitraum, dem es bis zur Fertigstellung der Software bedarf, und deren Qualität (gemessen an der Fehlerhäufigkeit) positiv korreliert sein. Zum anderen ist es denkbar, dass die Leistungsstelle zwei Leistungsarten hervorbringt, dabei aber die erste Leistung für die zweite wieder eingesetzt wird. Es ist unmittelbar offensichtlich, dass ein CPV in dem hier vorgestellten Sinne an eine tiefgehende Kenntnis der funktionalen Zusammenhänge geknüpft ist. Freilich verursacht der Aufbau der erforderlichen Wissens- und Informationsbasis erhebliche Aufwendungen, denen der Nutzen der gewonnenen Erkenntnisse gegenüberzustellen ist.
5.
Beiträge eines Customer Perceived Value Accounting
Ließe sich die „Durchrechnung“ der Beiträge zum Kundennettonutzen in der oben angedeuteten Form realisieren – die erheblichen Informationsprobleme seien für einen Moment vernachlässigt – so kann auf der Basis eines Customer Perceived Value Accounting eine Reihe von typischen Fragen im Controlling konsequent auf den Kundennutzen hin orientiert werden: Ressourcenallokation: Ressourcen können so auf die Teilprozesse oder Bereiche alloziert werden, wie es den geschaffenen Wertbeiträgen für den Kunden entspricht. Performance Measurement: Konzepte, wie die Balanced Scorecard, verwenden üblicherweise Ursache-Wirkungs-Ketten von internen Prozessen über Kundenzufriedenheit und Kundenbindung bis hin zu den obersten monetären Zielsetzungen des Unternehmens. Ein CPVA kann in Kombination mit CLV-Konzepten im Idealfall zentrale Kausalzusammenhänge ausweisen. Leistungsbeurteilung: Die Beurteilung von Unternehmensbereichen oder Abteilungen bis hin zur Entlohnung von Managern und Mitarbeitern kann an dem geschaffenen Wert für den Kunden ausgerichtet werden. Schwachstellenanalysen: Schwachstellen im Leistungsgeflecht lassen sich lokalisieren und hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den Kundennutzen transparent machen. Ohne ein Customer Perceived Value Accounting der beschriebenen Form kann ei-
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Friederike Wall und Regina Schröder
nem Akteur, der in einer frühen Phase des Leistungsprozesses arbeitet, kaum verdeutlicht werden, welche Konsequenzen für den geschaffenen Kundennutzen von ihm zu verantwortende Qualitätsmängel haben. Risikocontrolling: Es lässt sich aufzeigen, wie kritisch Abweichungen bei einzelnen Einsatzfaktoren und Prozessschritten für die vom Kunden wahrgenommene Gesamtleistung sind. Dies kann wichtige Informationen für das Risikomanagement liefern. Empirische Befragungsergebnisse deuten an, dass ein Customer Perceived Value Accounting auch von Dienstleistungsunternehmen zwar für notwendig erachtet wird, der Entwicklungsstand aber noch nicht weit fortgeschritten ist (vgl. Schröder/Wall, 2004, S. 672f.). Dies unterstreicht die Notwendigkeit konzeptioneller Überlegungen und weiterer Forschungsaktivitäten zu diesem zentralen Aspekt des Dienstleistungscontrolling.
Literatur Betz, S. (1999): Funktionales Erfolgscontrolling bei mehrstufiger Fertigung, in: Betriebwirtschftliche Forschung und Praxis, 51. Jg., Nr. 1, S. 35-47. Biethahn, J./Mucksch, H./Ruf, W. (1997): Ganzheitliches Informationsmanagement. Bd. 2: Entwicklungsmanagement, 2. Aufl., München u.a. Blattberg, R.C./Deighton, J. (1996): Manage Marketing by the Customer Equity Test, in: Harvard Business Review, Vol. 74, No. 4, S. 136-144. Burmann, C. (2003): „Customer Equity“ als Steuerungsgröße für die Unternehmensführung, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 73. Jg., Nr. 2, S. 113-138. Cornelsen, J. (2000): Kundenwertanalysen im Beziehungsmarketing, Nürnberg. Diller, H. (1995): Kundenmanagement, in: Tietz, B./Köhler, R./Zentes, J. (Hrsg.): Handwörterbuch des Marketing, 2. Aufl., Stuttgart, S. 1363-1376. Eggert, A. (2001): Die zwei Perspektiven des Kundenwerts: Darstellung und Versuch einer Integration, in: Günter, B./Helm, S. (Hrsg.): Kundenwert, Wiesbaden, S. 39-55. Garvin, D.A. (1984): What Does „Product Quality“ Really Mean?, in: Sloan Management Review, Vol. 25, No 1, S. 25-43. Göpfert, I./Neher, A. (2002): Supply Chain Controlling. Wissenschaftliche Konzeptionen und praktische Umsetzungen, in: logistik management, 4. Jg., Nr. 3, S. 34-44. Kotler, P./Bliemel, F. (2001): Marketing-Management: Analyse, Planung und Verwirklichung, 10. Aufl., Stuttgart. Krafft, M. (1999): Der Kunde im Fokus: Kundennähe, Kundenzufriedenheit, Kundenbindung – und Kundenwert? in: Die Betriebswirtschaft, 59. Jg., Nr. 4, S. 511-530.
Customer Perceived Value Accounting
131
Kummer, S. (2001): Supply Chain Controlling, in: Kostenrechnungspraxis, 45. Jg., Nr. 2, S. 81-87. Küpper, H.-U. (2001): Controlling. Konzeption, Aufgaben und Instrumente, 3. Aufl., Stuttgart. Matzler, K. (2000): Customer Value Management, in: Die Unternehmung, 54. Jg., Nr. 4, S. 289-308. Schröder, R./Wall, F. (2004): Customer Perceived Value Accounting: Konzeption, Beiträge und Entwicklungsstand, in: Controlling, 16. Jg., Nr. 12, S. 669-676. Stauss, B. (1995): Kundenprozeßorientiertes Qualitätsmanagement im Dienstleistungsbereich, in: Schriften zur Unternehmensführung, Band 55, Wiesbaden, S. 25-50. Wall, F. (2000): Leistungsrechnungen in der internen Unternehmensrechnung, Wittener Diskussionspapier Nr. 75 (neue Reihe), Witten.
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3. Personalorientiertes Dienstleistungscontrolling
5
Partizipatives Produktivitätsmanagement
135
Antje Krey und Friedemann W. Nerdinger
Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt – Partizipatives Produktivitätsmanagement (PPM) als Instrument des Dienstleistungscontrolling
1. Problemstellung 2. Die spezifische Situation der Arbeit im Kundenkontakt 3. Controllingschwerpunkte und -bereiche für Dienstleistungen 4. PPM als ein Ansatz zur Messung und Steuerung der Mitarbeiter-Performance 4.1 Grundlagen des PPM 4.2 PPM am Beispiel persönlich-interaktiver Dienstleistungen im Gesundheitsbereich 5. Schlussfolgerungen für das Dienstleistungscontrolling 5.1 PPM als Controllinginstrument 5.2 PPM als Objekt des Controlling 5.3 PPM im Zusammenspiel mit anderen Controllinginstrumenten 6. Fazit Literatur
Prof. Dr. Antje Krey ist Juniorprofessorin für ABWL: Funktionalcontrolling, Universität Rostock. Prof. Dr. Friedemann W. Nerdinger ist Inhaber des Lehrstuhls für ABWL: Wirtschafts- und Organisationspsychologie, Universität Rostock.
Partizipatives Produktivitätsmanagement
1.
137
Problemstellung
Dienstleistungsunternehmen sehen sich einer Vielzahl besonderer Herausforderungen gegenüber. Neben dem Anbieten von Leistungen, die von Kunden tatsächlich nachgefragt werden, sind der Aufbau wirksamer Prozesse und Strukturen sowie die Auswahl und Schulung des Personals wichtige Aspekte für eine erfolgreiche Unternehmensführung. Der besondere Charakter der Dienstleistung bedingt, dass für die Unternehmenssteuerung andere oder modifizierte Methoden und Instrumente zum Einsatz kommen müssen als beispielsweise in Industrieunternehmen. Wichtiges Anliegen der Unternehmenssteuerung in Dienstleistungsunternehmen ist die Messung der Mitarbeiter-Performance. Im vorliegenden Beitrag wird dargelegt, dass die aus der industriellen Produktion stammende Methode des Partizipativen Produktivitätsmanagements (PPM) auch für die Steuerung des Verhaltens im Bereich persönlich-interaktiver Dienstleistungen geeignet ist. Weiterhin wird betrachtet, welche Voraussetzungen im Controllingsystem zu schaffen sind, um PPM erfolgreich umzusetzen und es zu einem integralen Bestandteil des Dienstleistungscontrolling auszugestalten.
2.
Die spezifische Situation der Arbeit im Kundenkontakt
Dienstleistungen lassen sich definieren als „... selbständige, marktfähige Leistungen, die mit der Bereitstellung (z.B. Versicherungsleistungen) und/oder dem Einsatz von Leistungsfähigkeiten (z.B. Friseurleistungen) verbunden sind (Potenzialorientierung). Interne (z.B. Geschäftsräume, Personal, Ausstattung) und externe Faktoren (also solche, die nicht im Einflussbereich des Dienstleisters liegen) werden im Rahmen des Erstellungsprozesses kombiniert (Prozessorientierung). Die Faktorkombination des Dienstleistungsanbieters wird mit dem Ziel eingesetzt, an den externen Faktoren, an Menschen (z.B. Kunden) und deren Objekten (z.B. Auto des Kunden), nutzenstiftende Wirkungen (z.B. Inspektion beim Auto) zu erzielen (Ergebnisorientierung)” (Meffert/Bruhn 2003, S. 30). Dienstleistungen unterscheiden sich durch eine Reihe von Besonderheiten von Produkten. Am häufigsten werden genannt (Kleinaltenkamp 2001): Intangibilität bzw. Immaterialität: Dienstleistungen sind ein abstraktes, materiell nicht greifbares Gut, im Kern bestehen sie aus den Leistungen, die von den Kundenkontaktmitarbeitern einer Dienstleistungsorganisation für einen Kunden erbracht werden.
138
Antje Krey und Friedemann W. Nerdinger
Uno-actu-Prinzip: Produktions- und Konsumtionsprozess fallen räumlich und zeitlich zusammen, der Kunde ist an der Erstellung der Leistung mehr oder weniger beteiligt. Für betriebswirtschaftliche Überlegungen folgt aus diesem Prinzip eine Einschränkung des Leistungsangebots – die Leistungen sind nicht lager- und transportfähig – außerdem sind der Leistungsfähigkeit von Dienstleistern zeitliche (und körperliche) Grenzen gesetzt. Aufgrund dieser Merkmale geraten psychologische Qualitäten in den Prozess der Erstellung und -vermarktung von Dienstleistungen, die sich mit dem gängigen betriebswirtschaftlichen Vorgehen nur schwer beherrschen lassen. Die Ursache dafür liegt in der zentralen Bedeutung, die der Interaktion zwischen den Mitarbeitern des Anbieters und den Kunden im Rahmen der Erstellung der Dienstleistung zukommt. Da die eigentliche Leistung in den Handlungen der Dienstleister besteht und die Erstellung der Leistung immer eine gewisse Beteiligung des Kunden erfordert, kann die Produktion von Dienstleistungen nicht wie im industriellen Bereich standardisiert, kontrolliert und gesteuert werden (Nerdinger 2005). Aufgrund der Art und Intensität der Interaktion lässt sich das Feld des tertiären Sektors gliedern in unterstützend-interaktive, problemorientiert-interaktive und persönlich-interaktive Dienstleistungen (Mills/Margulies 1980; Klaus 1984). Bei unterstützend-interaktiven Dienstleistungen ist das Objekt der Leistung häufig ein Sachgut, das der Kunde einbringt – Beispiele sind Reparaturwerkstätten oder Autowaschstraßen. Der Prozess der Leistungserstellung kann in diesem Fall durch den Einsatz von Maschinen unterstützt werden, die Interaktion zwischen Kunde und Kontaktpersonal des Anbieters ist auf die Auftragsannahme und die Herausgabe des Sachgutes beschränkt. Bei der Produktion problemorientiert-interaktiver Dienstleistungen werden die zur Leistungserstellung notwendigen Informationen entweder indirekt über verschiedene Medien oder im direkten Kontakt vom Kunden vermittelt. Beispiele dafür bilden Anwaltsbüros oder Werbeagenturen. Der Kunde steuert durch seine Vorstellungen und Wünsche die Produktion der Dienstleistung in starkem Maße, daher hat die Interaktion entscheidende Bedeutung für das Ergebnis. Schließlich bildet bei persönlich-interaktiven Dienstleistungen die Person des Kunden das Objekt der Leistungserstellung, Beispiele sind medizinische und psychotherapeutische Behandlungen oder Weiterbildungsveranstaltungen. Die Dienstleistung besteht in der Einwirkung auf den intellektuellen, emotionalen oder physischen Bereich des Kunden, entsprechend ist die Interaktion zwischen Dienstleister und Kunde in diesem Fall die Leistung.
Partizipatives Produktivitätsmanagement
3.
139
Controllingschwerpunkte und -bereiche für Dienstleistungen
Mit der Implementierung eines Controlling wird das Ziel angestrebt, die Unternehmensführung bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu unterstützen, indem das Controlling das Führungssystem koordiniert und eine ergebniszielorientierte Planung, Steuerung und Kontrolle der Unternehmensprozesse sicherstellt (Horváth 2003, S. 127ff.). Zum Führungssystem, dessen Koordination dem Controlling obliegt, zählen nach Küpper die Bereiche Planungssystem, Kontrollsystem, Informationssystem, Personalführungssystem und die Organisation (Küpper 2000, S. 15). Weber/Schäffer vertreten die Auffassung, dass eine Koordination der Teilsysteme Personalführung und Organisation lediglich in zeitlich größeren Abständen nötig ist als die Koordination der Teilsysteme Planung, Kontrolle und Information (Weber/Schäffer 2000, S. 113). Für den Bereich der Dienstleistungen ist im Hinblick auf die Koordinationshäufigkeit des Personalführungssystems dieser Aussage nicht uneingeschränkt zuzustimmen. Die zentrale Bedeutung der Mitarbeitermotivation und -leistungsfähigkeit für den Erfolg von Dienstleistungsunternehmen ist unumstritten (Nagl/Rath 2004, S. 117ff.; Nerdinger 2005), daher ist eine laufende Koordination zumindest des Personalführungssystems durch das Controlling anzustreben. Die Führung bzw. das Management von Dienstleistungsunternehmen kann durch ein gut ausgebautes Controlling wirkungsvoll unterstützt werden. Die Bereiche, die durch das Controlling in besonderem Maße abzudecken sind, müssen sorgfältig ausgewählt werden, damit sich der Fokus der Planungs-, Kontroll- und Steuerungsaktivitäten auf diejenigen Faktoren richtet, die die Strukturen des Dienstleistungsunternehmens widerspiegeln und für den Erfolg wesentlich sind. Dazu zählen neben Entscheidungen über die Art und Qualität der angebotenen Dienstleistungen auch die Prozessorganisation, die Kundenansprache, die Auswahl und Motivation des Personals sowie Fragen der Kosten- und Erlösstrukturen. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren lassen sich folgende wesentliche Controllingbereiche für Dienstleistungsunternehmen ableiten (Graßhoff et al. 2003): Strategisches Controlling, Ergebniscontrolling, Personalcontrolling, Qualitätscontrolling, Kundencontrolling und Prozesscontrolling.
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Ergebniscontrolling
Personalcontrolling Qualitätscontrolling
Kundencontrolling
Niederlassungscontrolling
• Kosten- und Leistungsrechnung • Finanzplanung und -steuerung
Prozesscontrolling
StrategischesControlling Controlling Strategisches
DIENSTLEISTUNGSCONTROLLING
Für Dienstleistungsunternehmen mit mehreren Standorten, z.B. Kliniken im Verbund, sind diese Controllingbereiche durch ein Niederlassungscontrolling zu ergänzen. Die einzelnen Controllingbereiche sind mit entsprechenden Controllinginstrumenten auszugestalten und so mit Leben zu erfüllen (siehe Abbildung 1).
• Personaleinsatzplanung • Mitarbeiterschulung u. -entwicklung • Entlohnungssystem • Qualität der Kundenprozesse • Qualität interner Prozesse • Qualität der Controllingprozesse
• Allgemeines Kundenmanagement • Ermittlung der Kundenzufriedenheit
• Operative Steuerung der Niederlassung • Finanz- und Personalplanung
Abbildung 1: Controllingbereiche in Dienstleistungsunternehmen Als besonders nützlich sind dabei solche Instrumente einzuschätzen, die für mehrere Controllingbereiche gleichzeitig dienlich sind, also beispielsweise durch das Aufzeigen von Möglichkeiten zur Prozessverbesserung zu höherer Kundenzufriedenheit und Mitarbeitermotivation beitragen. Die Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter ist für Dienstleistungsunternehmen ein besonders wichtiger Erfolgfaktor (Nerdinger 2005) und sollte darum in den Mittelpunkt des Dienstleistungscontrolling rücken, da letztlich alle weiteren Bereiche davon tangiert werden. Die Ausgestaltung des Personalcontrolling für Dienstleistung ist jedoch sehr schwierig. Vor allem bei persönlich-interaktiven Dienstleistungen entzieht sich die Arbeit des so genannten Kundenkontaktpersonals einer systematischen Planung, Steuerung und Kontrolle, da sie gewöhnlich „face-to-face“ mit dem Kunden verrichtet wird und damit den Unwägbarkeiten der Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern und Kunden unterliegt. Während eine Performance-Messung für solche Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit einer Sache verrichtet werden (z.B. Reparatur von Maschinen), an der erbrach-
Partizipatives Produktivitätsmanagement
141
ten Leistung für diese Sache anknüpfen kann (z.B. an der Feststellung, dass die Maschine nach der Reparatur wieder funktioniert), gestaltet sich die Performance-Messung für solche Dienstleistungen, die ohne dinglichen Bezug erbracht werden – z.B. Pflegeleistungen im Gesundheitswesen – besonders diffizil. Eine Möglichkeit zur Lösung dieses Problems bietet das Partizipative Produktivitätsmanagement (PPM), das zwar für die Steigerung der Motivation der Mitarbeiter im Produktionsbereich entwickelt wurde, sich mittlerweile aber auch in der Anwendung auf Dienstleistungen bewährt hat.
4.
PPM als ein Ansatz zur Messung und Steuerung der Mitarbeiter-Performance
4.1 Grundlagen des PPM PPM basiert auf der Motivationstheorie von Naylor/Pritchard/Ilgen (1980). Diese Theorie geht von der Annahme aus, dass die Motivation dann am höchsten ist, wenn Menschen eine klare Verbindung zwischen ihrer Anstrengung und einem verhaltensbezogenen Ergebnis der Anstrengung sehen, wenn es eine deutlich wahrgenommene Verbindung zwischen den Ergebnissen und deren Bewertung gibt und wenn eine eindeutige Verbindung zwischen diesen Bewertungen und belohnenden Endergebnissen besteht. Treffen diese Bedingungen zu, sind die Bemühungen einer Person zielgerichteter und die gleiche Anstrengung führt zu höherer Produktivität. Die Motivation wird darüber hinaus aber auch durch Menschen im Umfeld der betroffenen Person beeinflusst, die Leistungen bewerten und Belohnungen kontrollieren. Das ist in der Regel der Vorgesetzte, aber auch Kollegen, das Top Management und nicht zuletzt die Person selbst können solche Wirkungen auslösen. Die genannten Personengruppen sollten in ihrem Verständnis der wesentlichen Merkmale einer Arbeit und ihrer Bewertung möglichst übereinstimmen, dann wird die Person zielgerichteter arbeiten und bei gleicher Anstrengung eine höhere Produktivität entfalten. Auf der Grundlage dieser Überlegungen hat Pritchard (1990) eine Methode entwickelt, um die Produktivität von Organisationseinheiten zu messen und zu verbessern (im Original heißt die Methode „Productivity Measurement and Enhancement System“, abgekürzt ProMES). Im Zentrum steht dabei die Idee, den Mitarbeitern Werkzeuge an die Hand zu geben, damit sie ihre Arbeit besser ausführen können und ihnen gleichzeitig ein motivierendes Gefühl der Teilhaberschaft an den Grundlagen der Steuerung zu vermitteln. Zu diesem Zweck werden sie an der Entwicklung der Instrumente zur Messung ihrer Arbeit beteiligt. Anschließend werden ihre Leistungen gemessen und die Ergebnisse regelmäßig an die Mitarbeiter rückgemeldet. Wie mittlerweile eine Vielzahl von Studien belegt, erhöht dieses Vorgehen die Motivation der Mitarbeiter und steigert in der
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Antje Krey und Friedemann W. Nerdinger
Folge ihre Produktivität (Pritchard et al. 2002). Die Entwicklung eines PPM umfasst folgende sechs Schritte (vgl. dazu ausführlich Pritchard et al. 1993): (1) Bildung eines „Design-Teams“ zur Entwicklung des Mess- und Rückmeldesystems, (2) Bestimmung der Gesamtziele einer Organisationseinheit, (3) Ermittlung von Indikatoren der Zielerreichung, (4) Festlegung von Nutzenfunktionen, mit denen die unterschiedliche Wichtigkeit der verwendeten Indikatoren, erwartete Ergebnismengen und Informationen zur Festlegung der Prioritäten abgebildet werden, (5) Entwicklung eines Rückmelde-Systems für Mitarbeiter der Organisationseinheit und beteiligter Manager, (6) Verteilung der Rückmeldeberichte und Ermittlung von Verbesserungsmöglichkeiten. 1. Bildung des Design-Teams Bei dem Design-Team handelt es sich um eine Gruppe von Personen, die in erster Linie für die Entwicklung des Mess- und Feedback-Systems verantwortlich ist. Das Team setzt sich aus Vertretern der betreffenden Organisationseinheit, der Führungsebene sowie externen Moderatoren zusammen. Letztere müssen mit dem System vertraut sein und den ganzen Prozess steuern. Bei kleinen Organisationseinheiten sollten möglichst alle Betroffenen teilnehmen – bei bis zu acht Personen ist dies gut zu bewältigen – bei größeren müssen dagegen Vertreter entsandt werden. 2. Bestimmung der Ziele Im zweiten Schritt muss dieses Team die Gesamtziele der Organisationseinheit festlegen und abstimmen. In konsensorientierten Gruppendiskussionen soll in dieser Phase möglichst präzise und umfassend bestimmt werden, was die Einheit erreichen soll. Die so festgelegten Ziele sollen alle Organisationsziele vollständig abdecken und sich konsistent dazu verhalten. Der Moderator muss darauf achten, dass wichtige, aber schwer operationalisierbare Ziele nicht übergangen werden, da sonst unvollständige Messsysteme entstehen, die wenig valide sind. 3. Identifizierung von Indikatoren der Zielerreichung Im Anschluss entwickelt das Team quantitative Maße zur Erfassung des Grades der Zielerreichung, die so genannten Indikatoren. Solche Indikatoren müssen alle Ziele vollständig abdecken, sie müssen valide, quantifizierbar, verständlich und bedeutungsvoll für die Mitarbeiter der Organisation sein. Schließlich sollten sie auch kosteneffizient sein (Pritchard/Großmann 1999) und möglichst unter der Kontrolle der Mitarbeiter der Organisationseinheit stehen. Ist letzteres nicht der Fall, so kann das leicht zur Demotivation führen, da die Mitarbeiter das System nicht akzeptieren (Nerdinger 2001).
Partizipatives Produktivitätsmanagement
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4. Festlegung von Nutzenfunktionen Nutzenfunktionen, die auch als Kontingenzen bezeichnet werden, setzen die Schwankungen eines Indikators mit den Schwankungen in der organisationalen Effektivität in Beziehung. Mit dieser Funktion wird herausgestellt, wie groß der Beitrag für die Organisation auf den verschiedenen Ausprägungsgraden des jeweiligen Indikators ist. Damit werden die Erwartungen hinsichtlich eines Indikators definiert: Der Größe, die genau den Erwartungen entspricht – d.h. deren Erfüllung weder Lob noch Tadel auslöst – wird der Wert 0 zugeordnet. Ausprägungen über diesem Wert erhalten einen positiven Effektivitätspunktwert, was bedeutet, dass sie die Erwartungen übertreffen. Ausprägungen unter diesem Wert erhalten entsprechend negative Punktwerte. Je größer bzw. kleiner der Indikatorwert, desto größer bzw. kleiner der Effektivitätspunktwert. Diesem Prozess kommt erhebliche Bedeutung zu, gleichzeitig ist er mit den höchsten Anforderungen an die Beteiligten verknüpft. In einer Reihe von Gruppendiskussionen mit Konsensfindung werden die einzelnen Abschnitte der Funktionen besprochen, man einigt sich auf die verschiedenen Ausprägungen und setzt sie schließlich zu einer Gesamtfunktion zusammen. Das Ergebnis erfüllt im Wesentlichen drei Funktionen (Pritchard/Paquin 1997): Es definiert die erwartete Leistung hinsichtlich eines Indikators, wodurch der Mitarbeiter Sicherheit gewinnt und sein Verhalten besser steuern kann. Es verdeutlicht die Wichtigkeit der Indikatoren – je steiler die Funktionen verlaufen, desto wichtiger ist der dabei abgebildete Indikator. Es kann die Nichtlinearität der Beziehung zwischen Indikator und Effektivität ausdrücken. Die Kontingenzen werden mit dem Management diskutiert und Meinungsunterschiede ausgeräumt. Nach dessen Zustimmung ist das Messsystem abgeschlossen. 5. Entwicklung eines Rückmeldesystems Im fünften Schritt wird ein Rückmeldesystem entwickelt und implementiert. Die Mitarbeiter erhalten Rückmeldung in Form von regelmäßigen schriftlichen Berichten. Zu diesem Zweck müssen zunächst für eine bestimmte Arbeitsperiode – gewöhnlich zwischen ein und vier Wochen lang – die Werte für jeden Indikator erhoben werden. Dann wird der Effektivitätspunktwert pro Indikatorwert mit Hilfe der Kontingenzfunktion berechnet. Im Rückmeldebericht werden die Indikatorwerte für die Periode, der entsprechende Effektivitätspunktwert, ein Gesamtindex für die Produktivität der Organisationseinheit sowie die Veränderung jedes Indikators gegenüber dem vergangenen Monat gezeigt.
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Antje Krey und Friedemann W. Nerdinger
6. Rückmeldung und Verbesserung Feedbackberichte werden am Ende einer Arbeitsperiode so schnell wie möglich erstellt und in einem Treffen der Mitarbeiter mit ihren Vorgesetzten diskutiert. In Bezug auf Verbesserungen werden die Ursachen analysiert und besprochen, wie sich diese Verbesserungen weiter erhalten lassen. Bei Verschlechterungen wird nach Möglichkeiten gesucht, diese zu beheben. Solche Besprechungen sollen nach jeder Messperiode stattfinden. Die einzelnen Schritte des PPM verdeutlichen, dass dieses System für den Produktionsbereich entwickelt wurde. Mittlerweile liegen aber einige Untersuchungen vor, die zeigen, dass sich dieser Ansatz auch in anderen Feldern, wie z.B. der Verwaltung (Werthebach et al. 1988), bei leitenden Führungskräften (Sodenkamp et al. 2002) oder bei komplexen Dienstleistungen im Rahmen der Marktforschung (Roth/Moser 2005), erfolgreich einsetzen lässt. Am Beispiel der Durchführung eines PPM-Projekts im Gesundheitswesen bei persönlich-interaktiven Dienstleistungen lassen sich die Möglichkeiten und Probleme des Einsatzes von PPM als Instrument des Dienstleistungscontrolling veranschaulichen.
4.2 PPM am Beispiel persönlich-interaktiver Dienstleistungen im Gesundheitsbereich Die Erfassung der Qualität der Leistung von Mitarbeitern im Gesundheitsbereich, die persönlich-interaktive Dienstleistungen erbringen, stellt eine Reihe besonderer Probleme. Im Gegensatz zur Fertigung materieller Güter oder zu unterstützend-interaktiven – teilweise auch problemorientiert-interaktiven – Dienstleistungen lassen sich diese nur schwer normieren. Ein wesentliches Merkmal ihrer Qualität ist es, dass sie der individuellen Situation Hilfebedürftiger angepasst sind. Aufgrund des interaktiven Charakters ist es auch sehr schwierig, die Qualität der Leistung nachträglich zu erfassen, da sich für die Erhebung kaum ein sinnvoller Zeitpunkt festlegen lässt. Wann die Wirkung solcher Dienstleistungen eintritt, ist häufig unklar und kann zudem durch eine Vielzahl weiterer Ereignisse, die im Laufe der Zeit eintreten, überdeckt werden. Schließlich ist auch die Kundenzufriedenheit, die häufig als Indikator der Qualität der Leistung herangezogen wird, in diesen Fällen schwierig zu interpretieren, da die Kunden selten beurteilen können, ob die gewählten Maßnahmen angemessen sind. Das zeigt sich in extremer Weise bei psychiatrischen Dienstleistungen, für die in diesem Projekt ein PPM entwickelt wurde (vgl. zum Folgenden Hollmann et al. 2001). PPM wurde auf zwei Stationen einer psychiatrischen Klinik von Design-Teams erarbeitet, denen mehrere Mitarbeiter aus dem Pflegebereich und mindestens je ein Vertreter der anderen auf der Station vorhandenen Berufsgruppen angehörten (Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter, spezielle Therapeuten). Die Entwicklung der Systeme erforderte 28
Partizipatives Produktivitätsmanagement
145
Sitzungen à ca. 60 Minuten (bzw. 18 Sitzungen à ca. 60 Minuten), was deutlich aufwändiger ist als im Produktionsbereich (Pritchard et al. 2002). Zunächst konnten folgende sechs Aufgabenbereiche ermittelt werden, mit denen sich die Arbeit auf einer Station repräsentativ abbilden lässt: (1) Leistungen am Patienten: Behandlung planen und Durchführen, Therapieziele erreichen, (2) Gesamtdokumentation erstellen, (3) Für gute Arbeitsatmosphäre sorgen, (4) Finanzielle Absicherung der Station sicherstellen, (5) Verbundenheit mit anderen Bereichen der Klinik herstellen, (6) Zusammenarbeit mit der Öffentlichkeit: Angehörige bzw. extramurale Einrichtungen und niedergelassene Ärzte. Zu diesen Aufgabenbereichen, die gewissermaßen Rahmenziele der Tätigkeiten bilden, wurden insgesamt 12 Indikatoren entwickelt. Abbildung 2 zeigt die Indikatoren des wichtigsten Zieles „Leistungen am Patienten“.
Spannweite der Indikatoren Aufgabenbereich
Minwert Leistungen am Patienten: Behandlung planen und durchführen
Leistungen am Patienten: Therapieziele erreichen
Gesamt
Qualitätspunkte
Indikatoren Norm- Maxwert wert
Min- Norm- Maxwert wert wert
a) Prozentsatz Patienten an Therapien teilgenommen
50%
65%
80%
-70
0
+65
b) Prozentsatz Patienten mit Verbesserung der Krankheit
30%
45%
60%
-80
0
+70
c) Urteile zur zukünftigen sozialen Situation des Patienten
2.5
4.0
5.5
-65
0
+80
d) Urteile zum selbstverantwortlichen Umgang mit der Krankheit
3.0
4.0
5.5
-90
0
+100
e) Urteile zur Verbesserung der Symptome des Patienten
3.0
4.5
6.0
-100
0
+100
-405
0
+415
Abbildung 2: Indikatoren und Kennwerte des Aufgabenbereichs „Leistungen am Patienten“
146
Antje Krey und Friedemann W. Nerdinger
Der Aufgabenbereich „Leistungen am Patienten“ gliedert sich in zwei Unteraufgaben, „Behandlung planen und durchführen“ und „Therapieziele erreichen“. Der erste Teilbereich wird durch zwei Indikatoren erfasst: (a) wird durch die wöchentliche Auszählung der so genannten Therapiekarten gemessen, auf denen die jeweiligen stationsexternen Therapeuten – z.B. Arbeits- oder Ergotherapeuten – dem Patienten die Teilnahme an einer Therapie bescheinigen. Der zweite Indikator (b) wird aus einer Befragung der Patienten gewonnen, die im Rahmen einer wöchentlichen Kleingruppensitzung nach ihrer Einschätzung der Gesundung befragt werden. Die Einschätzungen der Patienten werden mit den Einschätzungen der zugeordneten zwei bis drei Bezugspflegenden und einem Bezugstherapeuten verglichen, die sich ebenfalls einmal wöchentlich zum Informationsaustausch treffen. Nur wenn Patient, Pflegende und Therapeut eine Verbesserung des Krankheitsbildes feststellen, erfolgt eine positive Zählung im Sinne der Messgröße. Diese beiden Indikatoren bilden Teilschritte auf dem Weg zur Erreichung der Ergebnisziele ab, die als Erreichen der Therapieziele bezüglich der sozialen Situation, des selbstverantwortlichen Umgangs des Patienten mit seiner Krankheit und bezüglich des Rückgangs der Symptome definiert sind. Die Einschätzung der entsprechenden Indikatoren (c) bis (e) erfolgt im Entlassungsgespräch mit dem Patienten, bei dem ein Bezugspfleger und der Bezugstherapeut anwesend sind. Auf einer differenzierten Skala werden hier Zufriedenheitswerte ermittelt, die von 1 (völlig unzufrieden) bis 7 (völlig zufrieden) variieren. Die Messgröße wird dann aus dem Durchschnitt aller Urteile ermittelt, wobei Patienten- und Mitarbeiterurteile jeweils zu gleichen Teilen in den Gesamtwert eingehen. Abbildung 3 verdeutlicht den dadurch ermittelten Verlauf der Nutzenfunktion, der nichtlinear ausfällt. Das weist u.a. darauf hin, dass ab einem bestimmten Punkt auch weitere Anstrengungen die Qualität der Therapie nicht mehr verbessern. 100
80
Qualitätspunkte
75 50 25 0 -25
0 1
2
3
4
5
6
7
-50 -75
-65
-100 Indikatorwerte
Abbildung 3: Nutzenfunktion des Indikators „Urteil zur zukünftigen sozialen Situation des Patienten“
Partizipatives Produktivitätsmanagement
147
Die Indikatoren, die sich auf das Behandlungsergebnis beziehen – (d) und (e) – wurden am höchsten gewichtet, was sich an den hohen positiven (Maximalwert) und negativen (Minimalwert) Qualitätspunkten ablesen lässt (siehe Abbildung 2). Aus der Zuordnung dieser Qualitätspunkte zu den Indikatorwerten ergibt sich die Nutzenfunktion, die für die Teilbereiche (d) und (e) am steilsten ausfällt. Dagegen sind die beiden Indikatoren, mit denen die Planung und Durchführung der Behandlung erfasst werden, weniger wichtig. Sie wurden vor allem aufgenommen, um Informationen über mögliche Ursachen von Problemen in den Ergebnisindikatoren zu erhalten. Den übrigen Aufgabenbereichen wurden in vergleichbarer Weise Indikatoren und Nutzenfunktionen zugeordnet, wobei letztere anzeigen, dass sie ebenfalls nicht so wichtig sind wie die Ergebnisziele. Die Daten werden in 14-tägigen bzw. für einige Indikatoren in monatlichen Intervallen auf speziell entwickelten Formularen gesammelt, über eine Excel-Tabelle ausgewertet und zu Rückmeldeberichten zusammengefasst. Die vorliegenden Ergebnisse über die Rückmeldephase deuten darauf hin, dass sich PPM-Systeme zur Messung der Prozessund der Ergebnisqualität auch bei persönlich-interaktiven Dienstleistungen anwenden lassen. Die Abstimmung der von den Mitarbeitern entwickelten Aufgabenbereiche und Messindikatoren mit den Vorgesetzten zeigte, dass die Systeme in hohem Maße mit den Zielen und Qualitätsmaßstäben der Gesamtklinik korrespondieren, was sich als ein Hinweis auf die Validität des Verfahrens werten lässt. Die Rückmeldung der Daten an die Mitarbeiter hilft diesen bei der Steuerung ihres Arbeitshandelns mit dem Ziel, die Ergebnisse zu optimieren (Hollmann et al. 2001).
5.
Schlussfolgerungen für das Dienstleistungscontrolling
5.1 PPM als Controllinginstrument Unter Controllinginstrumenten werden alle betriebswirtschaftlichen und DV-technischen Instrumente subsumiert, die in ihrer konkreten Ausgestaltung der Wahrnehmung der Controllingaufgaben dienen (Horváth 2003, S. 150; Reichmann 2001, S. 14). Für die Beurteilung des PPM als Controllinginstrument für persönlich-interaktive Dienstleistungen ist demzufolge zu prüfen, ob und welche Controllingaufgaben damit erfüllt bzw. besser bewältigt werden können und wie sich die Kosten-Nutzen-Relationen darstellen. Das PPM-System kann zur Qualifizierung des Planungs-, Kontroll- und Informationssystems von Unternehmen mit persönlich-interaktiven Dienstleistungen beitragen und ist insofern als ein komplexes Koordinationssystem einzustufen. Für die Festlegung von Normal-, Minimal- und Maximalausprägungen für einzelne Teilbereiche der Dienstleistung muss im PPM-Team zunächst Einigkeit darüber erzielt werden, in welcher Qualität die Leistungen zu erbringen sind. Dies fördert das Verständnis
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Antje Krey und Friedemann W. Nerdinger
von Planvorgaben für Leistungsparameter und erleichtert im gesamten Controllingprozess die operative Planung. Diese beginnt bei der Leistungserstellung, darauf aufbauend erfolgen die Planung der Kosten und Ressourcenverbräuche und die Gegenüberstellung mit den zu erwartenden Erlösen. Bei persönlich-interaktiven Dienstleistungen im Gesundheitswesen, wie am Beispiel der Psychiatrie dargestellt, bestehen die Erlöse in Kostenerstattungen der Krankenkassen oder in Fallpauschalen. Werden Planwerte für Leistungsparameter festgelegt, ist eine Kontrolle möglich; auch hier leistet das PPM einen wesentlichen Beitrag, weil die Leistungen erfasst, bewertet und in ihrer Entwicklung dargestellt werden. Dies geschieht vorrangig durch die Feedbackberichte, die den Arbeitsgruppen Rückmeldung zur erbrachten Leistung geben. Auch wenn diese Leistungen nicht als monetäre Größen ausgedrückt werden, sondern qualitativer Natur sind, ist davon auszugehen, dass bei hohen Qualitätswerten auch positive finanzielle Wirkungen für das Unternehmen entstehen. Für den Einsatz des PPM in Produktionsunternehmen konnte dies nachgewiesen werden (Sodenkamp 2002, S. 109ff.). Der nichtlineare Verlauf der Nutzenfunktionen begünstigt darüber hinaus einen wirtschaftlichen Umgang mit Ressourcen, da Qualitätsverbesserungen über den Maximalwert hinaus nicht mit höheren Qualitätspunkten belohnt werden (siehe auch Abbildung 3). Die im PPM-System vorgesehenen Feedbackberichte und deren gemeinsame Besprechung innerhalb der Arbeitsgruppe stellen ein wichtiges Informationssystem dar. Dieses wirkt zum einen auf die Mitglieder der Arbeitsgruppe, die regelmäßig eine Rückmeldung über ihre erbrachten Leistungen erhalten und gemeinsam mit allen Beteiligten über notwendige Änderungen und weitere Verbesserungen diskutieren. Zum anderen entfalten die Feedbackberichte auch für den Controllingprozess des gesamten Unternehmens positive Wirkungen, da zum einen im Zeitablauf Veränderungen sichtbar werden und zum anderen bei unternehmensweitem Einsatz von PPM auch Vergleiche mit anderen Abteilungen oder Niederlassungen möglich werden. Diese Vergleiche können dazu genutzt werden, besonders erfolgreiche Abteilungen oder Niederlassungen zu bitten, anderen Abteilungen behilflich beim Umgang mit bestimmten Prozessen oder dem gesamten PPM zu sein – auf diese Weise wird innerbetriebliches Lernen gefördert und ein Beitrag zur besseren Prozessorganisation geleistet. Das Controlling fungiert hierbei als Mittler zwischen den Abteilungen oder Niederlassungen mit dem Ziel, für das gesamte Unternehmen Qualitäts- und Ergebnisverbesserungen zu erreichen.
5.2 PPM als Objekt des Controlling Die Einführung und der laufende Prozess des PPM sind jedoch mit erheblichen Anstrengungen und dem Verbrauch betrieblicher Ressourcen verbunden. Die Entscheidung für die PPM-Einführung ist insofern auch unter Kosten-Nutzen-Bedingungen abzuwägen. Dies gilt in besonderem Maße für persönlich-interaktive Dienstleistungen. Das PPM als solches wird damit zu einem Controllingobjekt, da seine Einführung und der laufende
Partizipatives Produktivitätsmanagement
149
Betrieb unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten geplant und gesteuert werden müssen. Die Einführung eines PPM erfordert ein umfassendes Projektcontrolling, das die inhaltliche Umsetzung zielgerichtet unterstützt. Als wesentliche Aufgaben des Controlling sind dabei zu nennen (Horsch 2003, S. 206ff.): Unterstützung bei der Formulierung der Projektziele und Festlegung der Projektmeilensteine, Planung der Projektdauer und der Projektkosten, Überwachung der Projektleistungen zu den Meilensteinen, Ermittlung von Soll-Ist-Abweichungen bei Projektdauer, Projektkosten, Projektfortschritt, Erarbeitung von Maßnahmen zur Einhaltung von Projektziel, Projektdauer und Projektkosten. Die Einführung des PPM ist je nach Art des Unternehmens und des Leistungserstellungsprozesses der Arbeitsgruppe ein Prozess, der mehrere Monate in Anspruch nehmen kann (siehe Abschnitt 4.1). Im Beispiel der psychiatrischen Klinik ist es erforderlich, dass Klinikmitarbeiter verschiedener Abteilungen und Statusgruppen im PPM-Projekt und laufenden PPM-Betrieb zusammenarbeiten. Vor allem die Statusunterschiede zwischen Pflegepersonal, Ärzten, Psychologen und Therapeuten brachten anfänglich erhebliche Probleme mit sich (Hollmann et al. 2001). Werden derartige Probleme nicht geklärt, können sie Verzögerungen, höhere Kosten und nicht erreichte Projektziele zur Folge haben. Bei der Einführung des PPM wird teilweise auf externe Berater zurückgegriffen. Neben den Kosten für externe Berater ist zu beachten, dass eine Ablehnung der externen Berater im übrigen Projektteam ebenfalls negative Auswirkungen auf den Projekterfolg hat. Nicht unerwähnt bleiben soll der erhebliche Zeitaufwand für die beteiligten Mitarbeiter bei der Einführung des PPM. Es ist im Unternehmen mit Hilfe des Controlling abzuwägen, wie trotz des Projektes das Tagesgeschäft sicherzustellen ist und welche finanziellen Auswirkungen dies hat. In der Phase der Entwicklung der Feedbackberichte ist das Controlling einzubeziehen, um sicherzustellen, dass im „Echtbetrieb“ die Erstellung der Berichte schnell und effizient erfolgen kann. Sollte, wie im Beispiel der Psychiatrie, eine Excel-Lösung für die Auswertung und Erstellung der Berichte implementiert werden, ist dies als Übergangslösung sicher akzeptabel. Auf mittlere Sicht sollte unter Federführung des Controlling eine Implementierung in die vorhandene Unternehmenssoftware angestrebt werden, um Doppelarbeiten zu vermeiden und zu fördern, dass die Daten des PPM auch für andere betriebliche Zwecke zur Verfügung stehen. Weiterhin ist im Rahmen des PPM Projektes zu überlegen, wie die laufende Erfassung der Indikatorwerte in den normalen betrieblichen Ablauf integriert werden kann. Im Ge-
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gensatz zur industriellen Produktion, bei der wichtige Daten aus dem Produktionssteuerungssystem resultieren und sofort in elektronischer Form vorliegen, wird bei persönlich-interaktiven Dienstleistungen eine manuelle Erfassung der Indikatorwerte z.B. durch Gruppengespräche unumgänglich. Die Indikatorwert-Erfassung ist somit ebenso wie die regelmäßige Feedbackrunde fest in das Tagesgeschäft zu integrieren – Prozessveränderungen scheinen unumgänglich. Dem Controlling obliegt die Aufgabe, die Veränderung der betrieblichen Prozesse quantitativ zu bewerten und verschiedene Alternativen mit dem PPM-Team zu diskutieren. Den Vorteilen des PPM-Systems für die Mitarbeitermotivation, die Qualität der Leistung und die Erfolgsgrößen des Unternehmens sind die Einmalaufwendungen für die Einführung und die laufenden Kosten für das Betreiben des PPM gegenüber zu stellen. Dabei ist sorgfältig zu berücksichtigen, dass sich eine verbesserte Qualität und eine erhöhte Mitarbeiterzufriedenheit erst mit zeitlichen Verzögerungen in besseren Erfolgsgrößen niederschlagen (Sodenkamp 2002, S. 111), die Kosten der Einführung und Umsetzung aber sofort wirksam werden. Insofern sind für eine qualifizierte betriebswirtschaftliche Beurteilung der PPM-Einführung Schätzungen zu Kosten und Nutzen für einen Zeithorizont von mindestens drei Jahren durch das Controlling anzustellen.
5.3 PPM im Zusammenspiel mit anderen Controllinginstrumenten Die Einführung eines PPM sollte demnach unter strategischen Gesichtspunkten erfolgen, dies gilt vor allem für Dienstleistungsunternehmen, weil hier der Time Lag zwischen anfallenden Kosten zum Zeitpunkt der Einführung und sichtbaren betriebswirtschaftlichen Erfolgen noch größer ausfallen wird als in der industriellen Produktion. Es erscheint daher sinnvoll, die PPM Einführung auch in strategischen Controllinginstrumenten zu berücksichtigen. Geeignet dafür ist die Balanced Scorecard. Dieses Instrument wurde auch schon in Unternehmen mit persönlich-interaktiver Dienstleistungen eingeführt, wobei Modifikationen und Anpassungen an die konkreten Belange notwendig sind (Braun von Reinersdorff 2002; Krey 2003). Die Balanced Scorecard (Kaplan/Norton 1997) wurde Anfang der 1990er Jahre von Kaplan/Norton entwickelt und basiert auf der Erkenntnis, dass neben finanzwirtschaftlichen Kennzahlen auch nichtmonetäre Größen für den Zukunftserfolg von Unternehmen maßgebend sind. Um das Unternehmensgeschehen umfassend abzubilden, ergänzt eine Balanced Scorecard die finanziellen Kennzahlen um weitere Dimensionen. So ergeben sich verschiedene Perspektiven, in die sich jene Kennzahlen einordnen lassen, die für die Erreichung strategischer Potenziale und Ziele als bedeutsam eingeschätzt werden. Im Grundmodell der Balanced Scorecard schlagen Kaplan/Norton vier Perspektiven vor (siehe Abbildung 4):
Partizipatives Produktivitätsmanagement
151
Finanzwirtschaftliche Perspektive Kundenperspektive Interne Prozessperspektive Lern- und Entwicklungsperspektive.
Wie sollen wir gegenüber Teilhabern auftreten, um finanziellen Erfolg zu haben? le Zie
Wie sollen wir gegenüber unseren Kunden auftreten, um unsere Vision zu verwirklichen? le Zie
Finanziell
n Ke
en len n hm ah be na nz rga Maß Vo
Kunde
Ke
n en n hle hm be za na nn rga Maß Vo
Vision und Strategie
In welchen Geschäfts Interne Geschäftsprozesse prozessen müssen wir die besten sein, um unsere Kunden n en hle n hm und Teilhaber za be na le nn rga Maß zu befriedigen? Ke Zie Vo
Wie können wir Lernen und Entwickeln Veränderungs und Entwicklungspotentiale n en fördern, um unsere hle ben hm za Vision zu na le nn rga Maß Ke Zie Vo verwirklichen?
Abbildung 4: Modell der Balanced Scorecard (Kaplan/Norton 1997, S. 9) Für jede Perspektive sind Zielgrößen zu definieren, die erreicht werden sollen, z.B. hohe Qualität der Prozesse innerhalb der internen Prozessperspektive. Dieses Ziel wäre bei Unternehmen mit persönlich-interaktiven Dienstleistungen auch innerhalb der Kundenperspektive denkbar, da eine hohe Qualität der internen Prozesse unmittelbarer auf den Kundennutzen wirkt als beispielsweise in der industriellen Produktion. Weiterhin sind Kennzahlen zu bestimmen, wie sich diese Zielgröße messen lässt, konkrete Werte als Zielvorgabe zu definieren und geeignete Maßnahmen aufzunehmen, mit Hilfe derer sich die Zielvorgaben erreichen lassen. Mit dieser Vorgehensweise können strategische Ziele in operative Maßnahmen übersetzt und für jeden nachvollziehbar innerhalb der Organisation kommuniziert werden.
152
Antje Krey und Friedemann W. Nerdinger
Denkbar ist es beispielsweise, dass die Einführung des PPM als eine Maßnahme zur Erreichung des strategischen Ziels „hohe Qualität in den Prozessen“ vorgesehen ist oder auch gleichzeitig beim strategischen Ziel „hohe Mitarbeiterzufriedenheit“. Mit der erfolgreichen Einführung des PPM lassen sich aus den ermittelten Daten Kennzahlen und mögliche Zielausprägungen für bestimmte strategische Ziele der Balanced Scorecard ableiten und in die operative Planung überführen. Das Ziel „hohe Qualität der Prozesse“ ließe sich über die ermittelten Qualitätspunkte messen und mit der Zielvorgabe „durchschnittlich 100 Punkte pro Monat“ definieren. Das Ziel „hohe Mitarbeiterzufriedenheit“ ließe sich über die Kennzahl Regelmäßigkeit der Feedbackrunden messen und diese sollte beispielsweise 90 Prozent betragen. Mit der Verankerung des PPM in andere Controllinginstrumente, wie beispielsweise der Balanced Scorecard, wird verhindert, dass ein isoliertes Nebeneinander verschiedener Methoden und Instrumente den Controllingprozess unübersichtlich gestaltet und so die Effizienz des Controlling und der Dienstleistungserstellung lähmt.
Partizipatives Produktivitätsmanagement PPM
PPM als Controllinginstrument,
PPM als Objekt des
da Aufgaben des
Controlling, da die
effizienteres
strategischen und
Einführung und der
Controlling durch
operativen Controlling
laufende Betrieb
Verankerung des
besser erfüllt werden
geplant und gesteuert
PPM in anderen
können
werden müssen
Besseres und
Controllinginstrumenten
CONTROLLING Abbildung 5: PPM und Controlling Die Beziehungen des PPM-Systems zum Controlling sind, wie dargelegt, vielgestaltig. Abbildung 5 zeigt dies zusammenfassend auf.
Partizipatives Produktivitätsmanagement
6.
153
Fazit
Die Messung der Mitarbeiter-Performance ist für Unternehmen mit persönlichinteraktiven Dienstleistungen besonderes schwierig. Immaterialität und Uno-actu-Prinzip bedingen, dass sich der Erstellungsprozess von Dienstleistungen nur schwer einer systematischen Planung und Steuerung zuführen lässt. Dies gilt auch für die Einschätzung der Mitarbeiter-Performance. Gleichzeitig ist es insbesondere für Dienstleistungsunternehmen von herausragender Bedeutung, mit gezielten Instrumenten die Leistungen der Mitarbeiter zu messen und zu fördern, um so durch eine gut strukturierte Leistungserstellung die Kundenzufriedenheit zu erhöhen und das Unternehmensergebnis positiv zu beeinflussen. Es wurde gezeigt, dass die Methode des PPM auch für persönlich-interaktive Dienstleistungen anwendbar ist und positive Effekte erzielt werden. Dazu zählen: Besseres Prozess- und Qualitätsverständnis und verbesserte abteilungsübergreifende Kommunikation schon während der Einführungsphase, Erarbeitung von Leistungszielen und Indikatorwerten zur Messung der Qualität, Gemeinsame Entwicklung eines Feedbacksystems zur Kommunikation der erreichten Leistung, Gemeinsames Bestreben um Prozessverbesserungen zur Erhöhung des Kundennutzens, Effektiverer Einsatz der vorhandenen Ressourcen, Bessere Mitarbeitermotivation, da Folgen des Handels transparent aufgezeigt und kommuniziert werden. Aus Sicht des Controlling stellt das PPM ein Controllinginstrument dar, mit dessen Hilfe sich bestimmte Aufgaben des Controlling besser erfüllen lassen. Unter Bezugnahme auf die in Abschnitt 3 aufgezeigten Controllingschwerpunkte für Dienstleistungen sind durch ein funktionierendes PPM-System positive Wirkungen auf verschiedene Controllingbereiche zu konstatieren (siehe Abbildung 6).
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Antje Krey und Friedemann W. Nerdinger
• Mittelfristige Verbesserung des Ergebnisses durch bessere Motivation und höhere Qualität • Kosten der Einführung mit Projektcontrolling nachhalten
Personalcontrolling
Qualitätscontrolling
Kundencontrolling Niederlassungscontrolling
Prozesscontrolling
Ergebniscontrolling
StrategischesControlling Controlling Strategisches
DIENSTLEISTUNGSCONTROLLING
Wirkung des PPM auf das Controlling
• Erhöhung der Motivation durch regelmäßige Erfassung und Rückmeldung • Bessere Kommunikation in interdisziplinären Teams
• Verbesserung und permanente Überwachung der Prozessqualität • Bessere Plan- und Steuerbarkeit der Prozesse
• Erhöhung der Kundenzufriedenheit durch bessere Prozessqualität
• Möglichkeit für innerbetriebliche Vergleiche der PPM-Daten
Abbildung 6: Wirkung des PPM-Systems auf verschiedene Controllingbereiche Die Einführung eines PPM-Systems ist mit erheblichen zeitlichen und finanziellen Ressourcen verbunden. Es ist daher nötig, die PPM-Einführung als strategische Aufgabe für das Unternehmen aufzufassen und durch ein wirkungsvolles Projektcontrolling zu unterstützen. Unter Berücksichtigung der hohen Einführungskosten des PPM-Systems und der laufenden Anforderungen für den weiteren Betrieb ist ein Einsatz vor allem für solche persönlich-interaktiven Dienstleistungen zu befürworten, die komplex sind und deren Erstellung hohe Kosten verursachen. Hier lassen sich aufgrund der zu erwartenden Produktivitäts- und Ergebnisverbesserungen in der Zukunft am ehesten die hohen Projektund laufenden Betriebskosten rechtfertigen.
Partizipatives Produktivitätsmanagement
155
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Mitarbeiterperformance als Ansatzpunkt eines Leistungscontrolling
157
Gertrud Schmitz
Mitarbeiterperformance als Ansatzpunkt eines Leistungscontrolling im Servicekontakt
1. Einleitung 2. Konzeptverständnis des Controlling der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt 3. Planung der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt 3.1 Dimensionen der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt 3.2 Ansatzpunkte zur Planung des Leistungspotenzials 3.3 Ansatzpunkte zur Planung der Tätigkeiten im Leistungserstellungsprozess 3.4 Ansatzpunkte zur Planung des Leistungsergebnisses 3.5 Unternehmensspezifische Planung der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt 4. Messung und Kontrolle der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt 5. Steuerung der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt 6. Fazit Literatur
Prof. Dr. Gertrud Schmitz ist Inhaberin des Lehrstuhls für Dienstleistungsmanagement und Handel im Fachbereich Betriebswirtschaft der Universität Duisburg-Essen.
Mitarbeiterperformance als Ansatzpunkt eines Leistungscontrolling
1.
159
Einleitung
Der Servicekontakt, in dem die Leistungserstellung in Interaktion mit dem Kunden erfolgt, beeinflusst den langfristigen Unternehmenserfolg von Dienstleistungsanbietern entscheidend. Dies wurde in der Literatur häufig und durch Bezeichnungen wie „moment of truth“ betont (z.B. Zeithaml/Bitner 2003, S. 99ff.). Angesichts ihrer Bedeutung stellt die Planung, Kontrolle und Steuerung der Leistungen im Servicekontakt eine Herausforderung für das Dienstleistungsmanagement dar. Zur systematischen Unterstützung und Koordination der diesbezüglichen Führungsaktivitäten in Dienstleistungsunternehmen bedarf es eines auf die Leistungen im Servicekontakt als Erkenntnisobjekt ausgerichteten Controlling, um die effektive und effiziente Erstellung von Dienstleistungen zu gewährleisten, die die langfristige Wettbewerbsfähigkeit von Dienstleistungsanbietern sichert (z.B. Meffert/Bruhn 2003, S. 647ff.). Aufgrund der unvermeidlichen Integration des externen Faktors in den Leistungserstellungsprozess sind Leistungserstellung und Leistungsergebnis nicht autonom durch den Dienstleistungsanbieter gestaltbar. Sie werden entscheidend durch die individuellen Eigenschaften der an der Leistungserstellung beteiligten Personen geprägt. Dies bedingt zumindest graduelle Unterschiede zwischen dem Dienstleistungscontrolling (z.B. Fischer 2000; Witt 2003) und dem Controlling eines industriellen Unternehmens und bewirkt, dass im Dienstleistungscontrolling der Verhaltensbeeinflussung der beteiligten Personen besondere Bedeutung beizumessen ist (Corsten/Gössinger 2004, S. 328). Daher wird gefordert, Verhaltenswirkungen im Controlling von Dienstleistungsanbietern besondere Aufmerksamkeit zu widmen und Erkenntnisse und Instrumente verhaltenswissenschaftlich zu untermauern (Küpper 1998, Sp. 380). Diese Forderung wird im vorliegenden Beitrag hinsichtlich des Controlling der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt aufgegriffen. Die Mitarbeiterperformance gilt als zentraler Ansatzpunkt eines Leistungscontrolling im Servicekontakt (Schäffer/Weber 2002, S. 8), das als weitere Ansatzpunkte aufgrund der Integration des externen Faktors in den Leistungserstellungsprozess auch die Kundenperformance und die einzelnen Teilprozesse mit den jeweils relevanten Produktionsfaktoren umfassen sollte (Gemmel et al. 2003, S. 379ff.). Zentrales Ziel dieses Beitrags ist, den Ansatzpunkt „Mitarbeiterperformance“ systematisch herauszuarbeiten. Dazu sollen Funktionen des Controlling der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt verdeutlicht und theoretische Erkenntnisse und empirische Befunde genutzt werden, um Dimensionen und Einflussgrößen der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt aufzuzeigen. Dabei wird untersucht, inwieweit allgemeine Erkenntnisse zur Planung, Kontrolle und Steuerung einer effektiven und effizienten Mitarbeiterperformance im Servicekontakt erarbeitet werden können und inwieweit die Berücksichtigung unternehmensspezifischer Bedingungen notwendig ist. Ausgehend vom im zweiten Kapitel dargelegten Konzeptverständnis des Controlling der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt steht im dritten Kapitel die Planung der Mit-
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arbeiterperformance im Vordergrund. Im Sinne einer systemgestaltenden Rolle des Controlling (z.B. Homburg/Krohmer 2003, S. 995) wird unter Berücksichtigung des in der Betriebswirtschaftslehre vorherrschenden Leistungsverständnisses und der zahlreichen in der Dienstleistungsliteratur genannten Facetten der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt erarbeitet, auf welche Größen sich die Planung der Mitarbeiterperformance beziehen kann und soll. Da die Leistungsmessung und -kontrolle für jede Art des Controlling bedeutend ist (Dilger 2005, S. 1), thematisiert das vierte Kapitel, wie die Mitarbeiterperformance im Servicekontakt gemessen und damit kontrolliert werden kann. Um die in der Controllingliteratur geforderten Ansatzpunkte zur Steuerung der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt (Kunz 2005, S. 58f.) aufzeigen zu können, geht das fünfte Kapitel der Frage nach, von welchen Anreizen und Einflussfaktoren die Realisierung der geplanten Mitarbeiterperformance im Servicekontakt abhängt.
2.
Konzeptverständnis des Controlling der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt
In der einschlägigen Controllingliteratur besteht Einigkeit, dass keine allgemein anerkannte Controllingkonzeption existiert (Corsten/Gössinger 2004, S. 309). Leistungscontrolling im Servicekontakt wird in diesem Beitrag faktorbezogen als Controlling der im Servicekontakt von den beteiligten Mitarbeitern und Kunden erbrachten Leistungen verstanden. Das Controlling der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt ist als Leistungscontrolling des Kundenkontaktpersonals dem faktorbezogenen Personalcontrolling zuzuordnen (Wunderer/Jaritz 2002, S. 12). Die Präzisierung der Funktionen des Controlling der Mitarbeiterperformance erfolgt auf der Grundlage eines reflexionsorientierten Controllingverständnisses, das dem Personalcontrolling eine Führungs- und eine Führungsunterstützungsfunktion zuweist (Scherm/ Pietsch 2005, S. 45f. mit weiteren Quellenverweisen). Im Sinne einer abweichungsorientierten Reflexion bezieht sich das Controlling der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt auf deren Messung und Kontrolle; im Sinne einer perspektivenorientierten Reflexion werden getroffene Entscheidungen hinterfragt und Gestaltungsalternativen entwickelt (Scherm/Pietsch 2005, S. 46). Das Controlling der Mitarbeiterperformance dient der Rationalitätssicherung des Dienstleistungsmanagements (Schäffer/Weber 2002, S. 6; Weber 2002, S. 65), wobei der Beurteilung der Rationalität Effektivitäts- und Effizienzüberlegungen zu Grunde liegen (Corsten/Gössinger 2004, S. 317). Dieser Beitrag folgt dem im Personalcontrolling typischen Regelkreisdenken (Wunderer/Jaritz 2002, S. 10; 13f.) und versteht das Controlling der Mitarbeiterperformance nicht nur als Kontrolle, sondern auch als Planung und Steuerung der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt.
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Diesem Verständnis des Controlling der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt vergleichbar dient auch das „Performance Measurement“ der Messung und Lenkung der Leistungen unterschiedlicher Unternehmensobjekte (z.B. Organisationseinheiten, Mitarbeiter und Prozesse) (Grüning 2002, S. 3 und S. 21). Unter dem Terminus „Performance Measurement“ werden in der englisch- und zunehmend auch in der deutschsprachigen Controlling- und Management-Accounting-Literatur seit Ende der 1980er Jahre zahlreiche Konzepte und Verfahren subsumiert. Obwohl kein einheitliches Begriffsverständnis besteht (Karlowitsch 2002, S. 87), ist unbestritten, dass Performance Measurement grundsätzlich mehrere Maßgrößen generiert und verwendet, um Effektivität und Effizienz der Leistungen der verschiedenen Objekte eines Unternehmens beurteilen zu können (Gleich 2001, S. 11ff.). Die Maßgrößen sollen einen unmittelbaren Strategiebezug aufweisen und ausgewogen sein, d.h. monetäre und nicht monetäre Kennzahlen sowie objektiv messbare und subjektiv wahrgenommene Größen berücksichtigen (Gladen 2002, S. 8). Ein weiteres Merkmal des Performance Measurement ist die kausale oder zumindest argumentative Verknüpfung der verwendeten Maßgrößen (Grüning 2002, S. 21). Diese Charakteristika sind auch kennzeichnend für die Balanced Scorecard, die in der Literatur zu Performance Measurement-Systemen (z.B. Gleich 2001, S. 45ff.; Grüning 2002, S. 23ff.; Hoffmann 2002, S. 33ff.; Karlowitsch 2002, S. 89ff.) als in Wissenschaft und Praxis weit verbreitetes Konzept des Performance Measurement behandelt wird (Mayer 2004, S. 81). Das zentrale Problem des Performance Measurement besteht in der Generierung geeigneter Maßgrößen, die die Messung und Lenkung der Leistungen ermöglichen (Gleich 2001, S. 31). Die Festlegung geeigneter Maßgrößen erfordert die Konzeptualisierung der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt und betrifft die Planung der Mitarbeiterperformance. Festzulegen ist zunächst, auf welche Dimensionen und Faktoren sich die Planung der Mitarbeiterperformance beziehen kann und soll (Weber 2002, S. 244ff.).
3.
Planung der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt
3.1 Dimensionen der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt Schon die Bezeichnung „Mitarbeiterleistung“ als wörtliche Übersetzung des Terminus „Mitarbeiterperformance“ lässt vermuten, dass zahlreiche unterschiedliche Inhalte integriert werden können, so dass divergierende Begriffsverständnisse vorliegen. Der Begriff „Leistung“ wird nicht nur in der Betriebswirtschaftslehre, sondern auch in anderen Disziplinen wie Physik, Rechtswissenschaft oder Psychologie verwendet und unterschiedlich verstanden (Überblicke z.B. bei Gleich 2001, S. 34ff.; Karlowitsch 2002,
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S. 89ff.). In der Betriebswirtschaftslehre hat sich jedoch eine dreidimensionale Konzeptualisierung der Leistung durchgesetzt, die nach herrschender Auffassung die Komplexität des Leistungsphänomens adäquat abbildet (Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 398): Leistungen umfassen demnach eine Potenzial-, eine Prozess- und eine Ergebnisdimension. Die Potenzialdimension beinhaltet die notwendigen Fähigkeiten und Bereitschaften zur Leistungserstellung. Die Prozessdimension erfasst die Tätigkeiten während des Leistungserstellungsprozesses. Die Ergebnisdimension beinhaltet die Ergebnisse des Leistungserstellungsprozesses. Nach zielorientiertem Leistungsverständnis liegen Leistungen auch in dieser dreidimensionalen Konzeptualisierung immer nur dann vor, wenn Beiträge zur Erreichung unternehmerischer Ziele erbracht werden (Borchert 2004, Sp. 1082f.; Dilger 2005, S. 1). Da dem Kundenkontaktpersonal intensives Forschungsinteresse gilt (z.B. Schmitz 2004, S. 15 mit weiteren Quellenverweisen), liegen zahlreiche Forschungsergebnisse vor, die zur inhaltlichen Konkretisierung der drei Dimensionen der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt genutzt werden können und somit Ansatzpunkte zur Planung der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt liefern.
3.2 Ansatzpunkte zur Planung des Leistungspotenzials Bezüglich der Potenzialdimension der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt stellt sich zunächst die Frage nach dienstleistungsrelevanten Fähigkeiten des Kundenkontaktpersonals, die zur Bewältigung der jeweiligen Aufgaben im Servicekontakt erforderlich sind (zum Kompetenzbegriff z.B. Wunderer/Dick 2002, S. 364). Zur fachlichen Verständigung mit dem Kunden und zur Realisierung der angestrebten objektiven bzw. technischen Dienstleistungsqualität im Servicekontakt sind unbestritten Fach- und Methodenkompetenzen notwendig. Fachkompetenzen beschreiben die aus fachlichen Erfahrungen und Faktenwissen resultierenden Fähigkeiten, die jeweilige berufliche Aufgabe erfolgreich zu meistern (Gillmann 2002, S. 50). Methodenkompetenz meint die Fähigkeit, die zur Lösung einer Arbeitsaufgabe jeweils geeigneten Methoden zu erkennen und anzuwenden (Coenen 2001, S. 353; 359). Eine Konkretisierung der im Servicekontakt im Einzelnen erforderlichen Fach- und Methodenkompetenz ist nur vor dem Hintergrund der angestrebten Kundenvorteile des Dienstleistungsanbieters sinnvoll und muss deshalb unternehmensspezifisch erfolgen (Stevens et al. 2003, S. 196ff.). Neben Fach- und Methodenkompetenz sollte das Kundenkontaktpersonal auch über Sozialkompetenz verfügen (Henning-Thurau/Thurau 1999, S. 298), da es aufgrund der interpersonalen Komponente des Servicekontakts zur Gewährleistung einer hohen wahrgenommenen Dienstleistungsqualität aus Kundensicht auch sozial-emotionale Aufgaben zu bewältigen hat (z.B. Van Dolen et al. 2002, S. 266; Gillmann 2002, S. 62f.). Sozialkompetenz ist jedoch zu einem oft genutzten Schlagwort geworden, das sehr unterschiedlich definiert und daher mit zahlreichen Aspekten und Phänomenen in Verbindung
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gebracht wird, die in sozialen Handlungskontexten relevant sein könnten (Überblicke bei Coenen 2001, S. 354ff.; Henning-Thurau/Thurau 1999, S. 299ff.; Wunderer/Dick 2002, S. 362ff.). Verbale und non-verbale Kommunikationsfähigkeit, Auftreten und Erscheinung, Selbstüberwachung, Selbstmotivation, Expressivität, soziale Sensibilität, Konflikttoleranz oder Empathie sind nur einige der genannten Teilaspekte. Einige dieser Teilaspekte werden auch in Zusammenhang mit dem seit Beginn der 1990er Jahre wiederentdeckten Konzept der emotionalen Intelligenz genannt, die auf Fähigkeiten im Umgang mit sich selbst und anderen Menschen abstellt (Brehm 2001, S. 353f.; Finsterwalder/Tomczak 2001, S. 380ff.). Versteht man Sozialkompetenz als „(...) Fähigkeit und Bereitschaft, mit sich selbst und anderen konstruktiv, kooperativ und situationsgerecht umzugehen“ (Wunderer/Dick 2002, S. 365), so werden die inhaltlichen Überschneidungen zwischen den beiden Konstrukten deutlich. Da kein einheitliches Begriffsverständnis der Sozialkompetenz und der emotionalen Intelligenz existiert, muss bei der Planung der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt eine vor dem Hintergrund der angestrebten Kundenvorteile des Dienstleistungsanbieters zweckmäßige Definition und Konzeptualisierung des Konstrukts erarbeitet bzw. ausgewählt werden. Dabei ist dann zu entscheiden, inwieweit das Konstrukt der hier beispielhaft genannten Definition entsprechend nicht nur auf die Leistungsfähigkeit, sondern auch auf die Leistungsbereitschaft des Kundenkontaktpersonals abstellt. Die Leistungsbereitschaft bringt zum Ausdruck, inwieweit die aus den Kompetenzen gebildete Leistungsfähigkeit des Mitarbeiters als Maximalkapazität in einem Servicekontakt tatsächlich verfügbar ist (Corsten 2001, S. 167). Im Sinne einer Leistungsdisposition kennzeichnet die Leistungsbereitschaft die Absicht des Mitarbeiters, seine Kompetenzen im Servicekontakt einzusetzen und erfasst seine Willensstärke, diese Absicht auch bei möglichen Widerständen zu realisieren (Borchert 2004, Sp. 1083). Zur Charakterisierung der Leistungsbereitschaft im Servicekontakt wird häufig das Konstrukt der „Kundenorientierung“ genutzt, das die Konzentration auf den Kunden, auf seine Anforderungen und auf die stetige Verbesserung seines Kundennutzens beschreibt (z.B. Coenen 2001, S. 348). Die hohe Bedeutung der Kundenorientierung des Kundenkontaktpersonals für den langfristigen Unternehmenserfolg wird in der Außendienst- und Dienstleistungsliteratur zwar immer wieder betont (z.B. Brown et al. 2002, S. 110f.; Donavan et al. 2004, S. 128), dennoch stellen nur wenige Studien die „Kundenorientierung des Kundenkontaktpersonals“ als Konstrukt in den Mittelpunkt der Analyse (Henning-Thurau 2004, S. 460ff. mit entsprechenden Quellenverweisen). Dies hat dazu geführt, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Konstruktverständnisse vorliegt (Schwepker Jr. 2003, S. 152 mit entsprechenden Quellenverweisen). So wird Kundenorientierung unter anderem als Verkaufsstil, als Verhaltensabsicht, als Einflussgröße des Verhaltens, als Verhalten und ausdrücklich auch als Aspekt der Leistung definiert und gemessen. Neben den offenen konstruktbezogenen Fragen (Schwepker Jr. 2003, S. 165f.) ergeben sich auch inhaltlich Abgrenzungsprobleme zum nicht identischen, jedoch sehr ähnlichen Konstrukt der „Serviceorientierung“, das auf die Motivation des Kundenkontaktpersonals zum Dienen ab-
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stellt. Die Serviceorientierung umfasst die Dimensionen „Hilfeleistungsmotivation“ als Motivation zum Helfen bzw. Lösen von Problemen und „Leistungsorientierung“ im Sinne des individuellen Einsatzwillens zur Erbringung einer exzellenten Dienstleistungsqualität (Coenen 2001, S. 348ff.). Kundenorientierung wird darüber hinaus als Dimension des Konstrukts „Organizational Citizenship Behavior Intention (OCBI)“ verstanden (dazu und zum Folgenden Schmitz 2004, S. 19ff.). OCBI ist die selbst bekundete Bereitschaft von Kundenkontaktmitarbeitern, ihr beruflich relevantes Verhalten an der Erzielung von Kundenvorteilen auszurichten. Ausgehend von der Analyse der Schlüsselrolle des Kundenkontaktpersonals bei der Erzielung von Kundenvorteilen wird das Konstrukt „OCBI“ dreidimensional konzeptualisiert: Es umfasst die Kundenorientierung als Bereitschaft, das gesamte berufsbezogene Handeln an der Verbesserung des Grund- und Zusatznutzens des Kunden auszurichten. OCBI beinhaltet weiterhin die Loyalitätsorientierung als Bereitschaft, die Unternehmenspolitik uneingeschränkt zu unterstützen und dem Unternehmen als Mitarbeiter dauerhaft treu zu bleiben sowie als dritte Dimension die Kooperationsorientierung als Bereitschaft zur Erstellung, Entwicklung und Verbesserung von Dienstleistungen mit Kunden, Kollegen und Experten zusammenzuarbeiten. Da die Erzielung von Kundenvorteilen ein elementares Unternehmensziel darstellt, kann OCBI vor dem Hintergrund des dem Leistungsbegriff immanenten Unternehmenszielbezugs zur Konkretisierung der Leistungsbereitschaft des Kundenkontaktpersonals genutzt werden. Zur Konkretisierung der Mitarbeiterperformance in der Dimension der im Leistungserstellungsprozess zu vollziehenden Tätigkeiten des Kundenkontaktpersonals könnte Organizational Citizenship Behavior (OCB) als Mitarbeiterverhalten ebenfalls geeignet sein.
3.3 Ansatzpunkte zur Planung der Tätigkeiten im Leistungserstellungsprozess In der Dienstleistungsliteratur wurde in den letzten Jahren nachgewiesen, dass OCB des Kundenkontaktpersonals im Servicekontakt die von den Kunden wahrgenommene Dienstleistungsqualität positiv beeinflusst (z.B. Bell/Menguc 2002, S. 132ff.; Bienstock et al. 2003, S. 360ff.; Castro et al. 2004, S. 31ff.; Yoon/Suh 2003, S. 599ff.). MetaAnalysen und Literaturübersichten belegen, dass kein einheitliches OCB-Begriffsverständnis existiert (Schmitz 2004, S. 19 mit weiteren Quellenverweisen). Auch in den einleitend genannten Literaturquellen werden unterschiedliche Definitionen und Dimensionen dieses Verhaltens genutzt, um den Zusammenhang zwischen OCB und wahrgenommener Dienstleistungsqualität nachzuweisen. Das OCB scheint daher kein geeigneter allgemeiner Ansatzpunkt zur Planung der Tätigkeiten des Kundenkontaktpersonals im Leistungserstellungsprozess zu sein.
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Die Tätigkeiten des Kundenkontaktpersonals im Leistungserstellungsprozess müssen grundsätzlich die angestrebten Kundenvorteile realisieren und gewährleisten, dass die vom Unternehmen gegebenen Leistungsversprechen nicht nur eingehalten, sondern möglichst noch übertroffen werden. Dies erfordert, dass das Kernproblem des Kunden gelöst wird und ergänzend sozial-emotionale Tätigkeiten einen sozialen Kundennutzen generieren und eine persönlich geprägte (emotionale) Beziehung zum Kunden aufbauen, die zur Verstärkung der Kundenbindung beiträgt (z.B. Van Dolen et al. 2002, S. 266ff.). Die im jeweiligen Leistungserstellungsprozess zur Lösung des Kundenproblems notwendigen funktionalen bzw. technischen Tätigkeiten können wiederum nur unternehmensspezifisch geplant werden. Hinsichtlich der erforderlichen sozial-emotionalen Tätigkeiten wird häufig auf das Konzept der Emotionsarbeit verwiesen (grundlegend Hochschild 1990; Korczynski 2002, S. 139ff.; Steinberg/Figart 1999, S. 8ff.). Emotionsarbeit des Kundenkontaktpersonals gilt als integrativer Bestandteil der Leistungserstellung (z.B. Lovelock/Wirtz 2004, S. 312; Zeithaml/Bitner 2003, S. 322f.) und wird in Servicekontakten als bewusste Generierung und Präsentation eigener Emotionen verstanden, die vorgegebenen Normen und Erwartungen entsprechen (z.B. Leidner 1999, S. 82ff.; Nerdinger 2001, S. 504f.). Aufgrund verschiedener dienstleistungs- und unternehmensspezifischer Arbeitskontexte und in Folge derer verschiedener Normen und Erwartungen unterscheidet sich die im Servicekontakt zu leistende Gefühlsarbeit unter anderem hinsichtlich ihrer Intention und Intensität (Brehm 2001, S. 351). Insofern ist die Konkretisierung der im Einzelnen notwendigen sozial-emotionalen Tätigkeiten und der jeweils zu leistenden Emotionsarbeit zur Generierung und Präsentation der geforderten Gefühle und Gefühlsausdrücke wiederum nur unternehmensspezifisch möglich. Als Dimensionen der Emotionsarbeit werden die Häufigkeit, die erforderliche Aufmerksamkeit, die Vielfältigkeit und der zu überwindende Widerspruch betrachtet (Nerdinger 2001, S. 505f.). Je häufiger Emotionsarbeit zu leisten ist, je mehr Aufmerksamkeit dazu erforderlich ist, je vielfältiger die darzustellenden Gefühle sind und je größer der zu überwindende Widerspruch zwischen dargestellten und erlebten Gefühlen ist, desto psychisch belastender erlebt das Kundenkontaktpersonal vermutlich die Emotionsarbeit und desto höher ist vermutlich ihre Bedeutung für die Ergebnisdimension der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt.
3.4 Ansatzpunkte zur Planung des Leistungsergebnisses Die Mitarbeiterperformance im Servicekontakt ist in der Ergebnisdimension durch einen mehr oder weniger hohen Immaterialitätsgrad gekennzeichnet, was Definition und Messung erheblich erschwert (Dobni et al. 2000, S. 92) und dazu führt, dass die Planung auch in dieser Dimension mehrere Aspekte berücksichtigen sollte (Dobni 2004, S. 305; Gemmel et al. 2003, S. 382f.). Allgemein gültige grundlegende Aspekte sind die kundenseitig wahrgenommene Dienstleistungsqualität, die dadurch bewirkte Kundenzufriedenheit und Kundenbindung (Singh 2000, S. 15ff.) sowie die Produktivität des Kunden-
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kontaktpersonals. Da die Messung und Erfassung der Dienstleistungsqualität zu den zentralen Themengebieten der Dienstleistungsforschung zählt (Meffert/Bruhn 2003, S. 23f.), stehen zahlreiche standardisierte Qualitätsansätze zur Verfügung, die Hinweise auf allgemein denkbare Qualitätsdimensionen und -merkmale der Mitarbeiterperformance liefern (z.B. Kasper et al. 1999, S. 211ff.; Palmer 2001, S. 213ff.). Diese sind jedoch an den angestrebten Kundenvorteilen orientiert unternehmensspezifisch anzupassen und in konkrete Qualitätsstandards umzusetzen (Zeithaml/Bitner 2003, S. 251ff.). Die Planung der vom Kundenkontaktpersonal zu erzielenden wahrgenommenen Dienstleistungsqualität stellt auf die Effektivität der Leistungsergebnisse des Kundenkontaktpersonals ab (Haller 2002, S. 317; Lovelock/Wirtz 2004, S. 423). Die Bewertung der Produktivität als Relation von Output zu Input ist bei Kundenkontaktmitarbeitern schon deshalb schwierig, weil der Operationalisierung des Outputs im Servicekontakt durch leicht quantifizierbare, möglichst monetäre Größen enge Grenzen gesetzt sind (Schäffer/Weber 2002, S. 8). Selbst wenn zwei Friseure pro Stunde jeweils drei Haarschnitte objektiv gleicher Qualität durchgeführt haben, kann ihr Output unter Berücksichtigung der bewirkten Kundenbindung sehr unterschiedlich sein, wenn nur einer der beiden im Leistungserstellungsprozess die erforderliche Emotionsarbeit verrichtet hat (Lovelock/Wirtz 2004, S. 423f.). Darüber hinaus ist die Bewertung der Produktivität auch deshalb schwierig, weil der Output häufig in erheblichem Maße vom Kunden als externem Faktor und seiner Integrationsfähigkeit und –bereitschaft im Leistungserstellungsprozess abhängt und somit unabhängig vom Mitarbeiter variiert (Gemmel et al. 2003, S. 382). Ist ein Kundenkontaktmitarbeiter einer Bank produktiv, wenn er pro Stunde zwei Beratungsgespräche führt oder pro Woche drei Bausparverträge anbahnt? Um diese Frage zu beantworten, bietet sich eine relative Betrachtung an, d.h. ein Vergleich mit Kundenkontaktmitarbeitern einer ähnlichen Bank, die unter vergleichbaren situativen Bedingungen mit ähnlichen Kunden zusammenarbeiten. Die Bewertung der Produktivität von Kundenkontaktmitarbeitern erfolgt daher häufig auf der Grundlage von in Benchmarking-Projekten ermittelten Daten. Sofern dabei – wie in der Regel notwendig – mehrere Input- und Outputvariablen zu berücksichtigen sind, erfordert dies den Einsatz des statistischen Schätzverfahrens „Data Envelopment Analysis“, um den Effizienzvergleich zwischen verschiedenen Kundenkontaktmitarbeitern zu ermöglichen (Boles et al. 1995, S. 31ff.; Gleich 2001, S. 47ff.; Grüning 2002, S. 52ff.).
3.5 Unternehmensspezifische Planung der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt Im Rahmen der vorangegangenen Diskussion sind vielfältige Ansatzpunkte zur Planung der Mitarbeiterperformance aufgezeigt worden. Eine allgemeine Konzeptualisierung der Mitarbeiterperformance ist insoweit möglich, als grundlegende allgemeine Dimensionen und Faktoren der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt erarbeitet werden konnten.
Mitarbeiterperformance als Ansatzpunkt eines Leistungscontrolling
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So sollte die Planung der Mitarbeiterperformance gleichermaßen das Leistungspotenzial der Kundenkontaktmitarbeiter, die von ihnen im Servicekontakt zu vollziehenden Tätigkeiten sowie die von ihnen zu erbringenden Leistungsergebnisse einbeziehen. Auch innerhalb dieser drei Dimensionen konnten tiefer gehend die angesprochenen allgemein gültigen Faktoren extrahiert werden, die bei der Planung der Mitarbeiterperformance grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Die folgende Abbildung zeigt den erarbeiteten allgemeinen Bezugsrahmen zur Planung der Mitarbeiterperformance, der unternehmensspezifisch zu konkretisieren ist.
Mitarbeiterperformance im Servicekontakt Allgemeine Konzeptualisierung Leistungsdimensionen
Leistungsfaktoren Leistungsfähigkeit • Fach- & Methodenkompetenz
Leistungspotenzial
• Sozialkompetenz
Leistungsbereitschaft OCBI Leistungserstellungsprozess
Leistungsergebnisse
Fachliche & technische Tätigkeiten
Unternehmensspezifische Konkretisierung vor dem Hintergrund angestrebter Kundenvorteile: Beschreibung angestrebter Kundenvorteile: ----------------------------------------------------
Zur Realisierung notwendige . . . ... Leistungsfähigkeit: • Erforderliche Fach- & Methodenkompetenz: ------------------------------• Erforderliche Sozialkompetenz: -------------------------------
Operationalisierung (Indikatoren) -------------------------------------------------
----------------------------------------------
Sozial-emotionale Tätigkeiten (Emotionsarbeit) Wahrgenommene Dienstleistungsqualität Produktivität
Abbildung 1: Bezugsrahmen der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt Neben der isolierten Betrachtung der Leistungsdimensionen sind im Rahmen der unternehmensspezifischen Planung der Mitarbeiterperformance auch Interdependenzen zwischen den und innerhalb der Leistungsdimensionen zu berücksichtigen. Die drei Leistungsdimensionen bedingen sich vielfach wechselseitig: So wird der Kunde einen Kundenkontaktmitarbeiter nur dann als sehr einfühlsam wahrnehmen, wenn dieser bestimmte sozial-emotionale Tätigkeiten während der Leistungserstellung erbracht hat, wozu er unter anderem über Sozialkompetenz verfügen muss. Da in der Regel mehrere
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Funktionsbereiche an der Planung der Mitarbeiterperformance beteiligt sind, obliegt es dem Controlling, die Planung der Mitarbeiterperformance in den einzelnen Dimensionen zu koordinieren. Dabei sind auch Zusammenhänge zwischen verschiedenen Aspekten innerhalb der einzelnen Leistungsdimensionen zu berücksichtigen und zu koordinieren. So werden in der Leistungsergebnisdimension Produktivität und wahrgenommene Dienstleistungsqualität im Grundsatz als positiv korreliert betrachtet (Filiatrault et al. 1996, S. 244; Singh 2000, S. 15f.), was jedoch nicht für alle Dienstleistungen gleichermaßen gilt: Man denke etwa an Betreuungs- und Behandlungsleistungen im Gesundheitswesen. Möglicherweise sind einzelne Dimensionen und Faktoren der Mitarbeiterperformance in Abhängigkeit von den angestrebten Kundenvorteilen des Unternehmens besonders erfolgskritisch (Gemmel et al. 2003, S. 386), was bei der Festlegung der anzustrebenden Leistungsstandards für die einzelnen Leistungsdimensionen und Leistungsfaktoren zu beachten wäre. Bei der Festlegung der Leistungsstandards sind zudem motivationstheoretische Erkenntnisse (Küpper 2001, S. 248ff.) und Erkenntnisse der Zielsetzungs- und Selbstregulierungstheorie (Uhl 2000, S. 27ff.) zu berücksichtigen. Diese verhaltenswissenschaftlichen Theorien können in diesem Beitrag jedoch nicht thematisiert werden. Eine weitere Aufgabe des Controlling besteht darin, die Festlegung der anzustrebenden Leistungsstandards durch eine bedarfsgerechte Informationsversorgung zu unterstützen. Im Ergebnis führt der Planungsprozess zu potenziellen Maßgrößen der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt. Die tatsächliche Verwendung potenzieller Maßgrößen setzt jedoch voraus, dass geeignete Indikatoren zu ihrer Operationalisierung und Messung gefunden werden. Erst wenn geklärt ist, ob eine Messung anhand geeigneter Indikatoren möglich und unter Berücksichtigung der damit verbundenen Kosten ökonomisch sinnvoll ist, sollten potenzielle Maßgrößen in ein individuelles Performance MeasurementSystem von Kundenkontaktmitarbeitern aufgenommen werden.
4.
Messung und Kontrolle der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt
Die Mitarbeiterperformance im Servicekontakt ist nicht in allen Dimensionen unmittelbar beobachtbar, messbar und kontrollierbar. Dies gilt z.B. für individuell verankerte Fach-, Methoden- und Sozialkompetenzen in Form impliziten Wissens, das definitionsgemäß nur schwer kommunizierbar und teilbar ist (z.B. Osterloh/Frost 2002, S. 44). Darüber hinaus beinhaltet die Mitarbeiterperformance in allen Leistungsdimensionen Größen, die als theoretische Konstrukte einer direkten Messung nicht zugänglich sind. Dies gilt etwa für die OCBI als potenzieller Maßgröße der Leistungsbereitschaft genauso wie für die kundenseitig wahrgenommene Dienstleistungsqualität als potenzieller Maßgröße des Leistungsergebnisses. Die Messung theoretischer Konstrukte erfolgt über die
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formale Verbindung mit Indikatoren als empirisch messbaren Größen. Irreführende Messergebnisse entstehen, wenn einzelne Indikatoren weitgehend willkürlich aufgegriffen und selbst als Maßgrößen der Mitarbeiterperformance betrachtet werden (Grüning 2002, S. 135). Erforderlich ist vielmehr die begründete Auswahl geeigneter Indikatoren zur reliablen und validen Messung der Konstrukte, die Rückschlüsse auf die tatsächlich dem einzelnen Mitarbeiter individuell zurechenbaren Ausprägungen der Leistungsfaktoren zulassen und vom Mitarbeiter selbst nicht manipuliert werden können (Dilger 2005, S. 4). Die dazu notwendige Skalenentwicklung und -nutzung, die hier nicht behandelt werden kann (z.B. Rossiter 2002, S. 305ff.), erfordert fundierte Kenntnisse der empirischen Sozialforschung und verursacht Kosten. In der Literatur zum Personalcontrolling wird inzwischen eine Gegenüberstellung der Kosten und des in der Regel schwer quantifizierbaren Nutzens der Leistungsmessung gefordert, um die ökonomische Sinnhaftigkeit der Leistungsmessung im Einzelfall kritisch zu überprüfen (Dilger 2005, S. 2ff.). In der Regel ist jedoch von einem positiven Nettonutzen der Leistungsmessung und -kontrolle auszugehen (dazu auch Atkinson 2002, Sp. 1377ff.; Joshi/Randall 2001, S. 1ff. mit weiteren Quellenverweisen). Erfolgt eine Leistungsmessung und -kontrolle, sind grundsätzlich alle unternehmensspezifischen Maßgrößen der Mitarbeiterperformance einzubeziehen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Mitarbeiter nicht kontrollierte und gemessene Leistungsfaktoren zu Gunsten der gemessenen und kontrollierten unbemerkt vernachlässigen (Dilger 2005, S. 4). Warum sollte sich ein Anlageberater um eine hohe wahrgenommene Beratungsqualität aus Kundensicht bemühen, wenn nur die Anzahl der Vertragsabschlüsse je Quartal gemessen und kontrolliert wird? Eine hohe wahrgenommene Beratungsqualität aus Kundensicht kann auch auf intrinsisch motivierte Kundenorientierung eines Anlageberaters zurückzuführen sein. In diesem Fall erfolgt die während der Leistungserstellung durchgeführte Beratungstätigkeit um ihrer selbst Willen, befriedigt als solche und bereitet losgelöst von Belohnungen Freude (z.B. Frey/Osterloh 2002, S. 8). Berücksichtigt man, dass intrinsisch motivierte Handlungen insbesondere ausgeführt werden, um das Bedürfnis nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Zugehörigkeit zu befriedigen (Uhl 2000, S. 152ff. mit weiteren Quellenverweisen), so liegt die Vermutung nahe, dass bestimmte – insbesondere beratende und sozialemotionale Tätigkeiten im Leistungserstellungsprozess – durchaus intrinsisch motiviert sein können. Ob Leistungsaspekte intrinsisch oder extrinsisch motiviert sind, hat Folgen für die Messung dieser Aspekte der Mitarbeiterperformance. In der personalwirtschaftlichen Literatur wird kontrovers diskutiert, ob Messung und (finanzielle) Belohnung intrinsisch motivierte Tätigkeiten negativ beeinflussen und Korrumpierungseffekte intrinsischer Motivation hervorrufen (z.B. Dilger 2005, S. 3; Kunz 2004, S. 143ff.; 2005, S. 58ff. mit weiteren Quellenverweisen). Inzwischen bestehen jedoch deutliche Zweifel an der internen und vor allem externen Validität der sozialpsychologischen Experimente, die Korrumpierungseffekte belegen sollen. So ist nicht abschließend geklärt, inwieweit die in den sozialpsychologischen Experimenten gewon-
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nenen Ergebnisse zu Korrumpierungseffekten (unmodifiziert) auf die Unternehmenspraxis übertragbar sind (dazu insbesondere Kunz 2004; 2005). Von der Messung und Kontrolle intrinsisch motivierter Leistungsaspekte ist somit nicht generell abzuraten. Jedoch sollte nach vorliegenden Erkenntnissen insbesondere dann auf die Messung und Kontrolle intrinsisch motivierter Leistungsaspekte verzichtet werden, wenn die Mitarbeiter diese situativ als mehr oder weniger selbstverständlich betrachten und somit Messung und anknüpfende Anreize als unangemessen empfinden (Kunz 2004, S. 149). Fraglich ist, wie Anreize so gestaltet werden können, dass sie leistungssteigernd wirken und die Mitarbeiterperformance im Servicekontakt steuern können.
5.
Steuerung der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt
Die Analyse der Wirksamkeit von Anreizsystemen ist eine wesentliche Aufgabe des Personalcontrolling (Kunz 2005, S. 58). Im Mittelpunkt der Analyse steht häufig die Wirkung finanzieller performanceabhängiger Anreizsysteme auf Basis agencytheoretischer Gestaltungsprinzipien (Mayer et al. 2005, S. 15ff. mit weiteren Quellenverweisen). Die kritische Betrachtung der erarbeiteten Gestaltungsprinzipien offenbart jedoch, dass einer effizienten Ausgestaltung finanzieller performanceabhängiger Anreizsysteme in komplexen Kontextsituationen enge Grenzen gesetzt sind (Mayer et al. 2005, S. 21ff.). Komplexe Kontextsituationen sind hinsichtlich der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt gegeben, da nicht alle Leistungsaspekte anhand objektiver Indikatoren erfasst und in formalen Verträgen explizit und vollständig fixiert werden können (Schmitz 2004, S. 18f.). Kennzeichnend für objektive Indikatoren ist, dass ihre Quantifizierung personenunabhängig erfolgt (Grüning 2002, S. 142ff.). Die im vorangehenden Abschnitt angesprochene Diskussion über Korrumpierungseffekte verstärkte im Personalcontrolling die Einsicht, dass der Erfolg „harter“, d.h. finanzieller Anreizsysteme durch ergänzende „weiche“ Unterstützungsmaßnahmen gesteigert werden kann und dass deshalb eine wesentliche Herausforderung für das Personalcontrolling darin besteht, „(...) entscheidungsrelevante Informationen über den Wertbeitrag und die Ursache-Wirkungs-Ketten solcher „weicher“ Faktoren zu generieren“ (Kunz 2005, S. 70). Als für das Dienstleistungscontrolling grundsätzlich relevante Ursache-Wirkungs-Kette gilt die so genannte Service Profit Chain (z.B. Gillmann 2002, S. 196ff.; Loveman 1998, S. 18ff.). Das vergleichsweise einfache Modell unterstellt einen positiven Wirkungszusammenhang zwischen der internen Dienstleistungsqualität, der Mitarbeiterzufriedenheit, der Mitarbeiterproduktivität und -loyalität, der vom Kunden wahrgenommenen Dienstleistungsqualität, der Kundenzufriedenheit und der Kundenbindung, die dann im
Mitarbeiterperformance als Ansatzpunkt eines Leistungscontrolling
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letzten „Schritt“ zu Umsatzwachstum und höherer Rentabilität führt (Heskett et al. 1994, S. 166). Die Annahmen des allgemeinen Bezugsrahmens „Service Profit Chain“ zur Wirkung bestimmter organisationaler Merkmale und Prozesse eines Dienstleistungsanbieters auf die Arbeitseinstellung der Mitarbeiter, zu Ursache-Wirkungszusammenhängen zwischen Arbeitseinstellung und Kundenurteilen und zu finanziellen Konsequenzen von Kundenurteilen wurden inzwischen in zahlreichen Studien aufgegriffen (Dean 2004, S. 332ff.). Allerdings variieren die Studien hinsichtlich der verwendeten Konstrukte und führen in der Gesamtschau nicht zu verallgemeinerbaren Ergebnissen. „There is support for the existence of links between some variables, in some contexts, for each of the areas to others“ (Dean 2004, S. 345). Die oben angesprochene Herausforderung, Ursache-WirkungsKetten zu generieren, gilt unverändert für das Controlling der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt (Cook et al. 2002, S. 169f.). Die Erarbeitung von Einflussgrößen der Mitarbeiterperformance und die Ableitung konkreter Ansatzpunkte zur Steuerung der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt sollte nach vorliegenden empirischen Befunden für die einzelnen Dimensionen der Mitarbeiterperformance (Singh 2000, S. 16ff.) und kontextspezifisch erfolgen (Borchert 2004, Sp. 1083). Dies gilt grundsätzlich auch für die Mitarbeiterzufriedenheit als potenzieller Einflussgröße der Mitarbeiterperformance, die in Arbeits- und Organisationspsychologie sowie Marketing (z.B. Dean 2004, S. 335ff.; Malhotra/Mukherjee 2004, S. 165; Stock 2001, S. 31ff. mit Literatur- und Studienübersichten) seit langem erforscht wird, ohne dass abschließend gesicherte Erkenntnisse zu ihrer Wirkung formuliert werden könnten (Judge et al. 2001, S. 376ff. mit einem Literatur- und Studienüberblick). Mittlerweile zeichnet sich jedoch ab, dass die Mitarbeiterzufriedenheit nicht als kausale Voraussetzung der Mitarbeiterperformance betrachtet werden kann, sondern dass Mitarbeiterperformance und Mitarbeiterzufriedenheit einander gegenseitig voraussetzen (Schmitz 2002, S. 105ff. mit weiteren Quellenangaben). Obwohl die Mitarbeiterzufriedenheit nicht nur die Mitarbeiterperformance unmittelbar beeinflusst und obwohl ihre Einflussstärke und -richtung in verschiedenen Dimensionen der Mitarbeiterperformance unterschiedlich sein kann (Dean 2004, S. 340f.; Schmitz 2002, S. 103), gilt sie als notwendiger Bestandteil von Performance Measurement-Systemen in Dienstleistungsunternehmen (Gemmel et al. 2003, S. 380). Die Mitarbeiterzufriedenheit ist als theoretisches Konstrukt ebenfalls einer unmittelbaren Messung nicht zugänglich. Je nach Konzeptualisierung und Messung der Mitarbeiterzufriedenheit ist sie als kognitives Zufriedenheitsurteil eine Gesamtbeurteilung der Arbeitssituation, die aus der Aggregation der Einzelzufriedenheiten mit den jeweils relevanten Merkmalen der Arbeitssituation resultiert (z.B. Schmitz 2004, S. 21). Einige dieser Einzelzufriedenheiten können die Wirkung der von den Mitarbeitern wahrgenommenen internen Dienstleistungsqualität erfassen. Dies gilt für die Zufriedenheit mit der wahrgenommenen Unterstützung durch Teamkollegen, durch Führungskräfte, durch andere Abteilungen und durch effektive Technologien, deren Bedeutung für die Mitar-
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beiterzufriedenheit empirisch belegt ist (Schmitz 2002, S. 212ff.; Sergant/Frenkel 2000, S. 20ff.; Yoon et al. 2001, S. 503ff.; Yoon et al. 2004, S. 396ff.). Welche Einzelzufriedenheiten als Bestandteile der Mitarbeiterzufriedenheit zu berücksichtigen sind und Ansatzpunkte zur Steuerung der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt darstellen, ist unternehmensspezifisch zu ermitteln. Unternehmensspezifisch festzulegen ist auch, welche Gestaltungs- und Entscheidungsfreiräume den Mitarbeitern im Servicekontakt gewährt werden sollen. Fragen der den Kundenkontaktmitarbeitern zu gewährenden Gestaltungs- und Entscheidungsfreiräume werden in der Dienstleistungsliteratur unter der Bezeichnung „Empowerment“ intensiv diskutiert (Bowen/Lawler 1992, S. 32ff.; Hartline et al. 2000, S. 38ff.; Korczynski 2002, S. 121ff.). Die erfolgreiche Implementierung des Empowerment erfordert jedoch nicht nur eine Erweiterung der formalen Gestaltungs- und Entscheidungsbefugnisse der Kundenkontaktmitarbeiter, sondern muss sicherstellen, dass die Kundenkontaktmitarbeiter die notwendigen Informationen, Kompetenzen, Entscheidungsunterstützungssysteme und Anreize erhalten, um die erweiterten Entscheidungsbefugnisse im Sinne der Unternehmensziele ausüben zu können und zu wollen (Bowen/Lawler 1992, S. 35ff.; Van Looy et al. 2003, S. 237ff.; Zeithaml/Bitner 2003, S. 333). Die erfolgreiche Implementierung des Empowerment bewirkt bei Kundenkontaktmitarbeitern ein so genanntes „psychologisches Empowerment“ (Spreitzer 1995, S. 1442ff.), das als wahrgenommene Job-Autonomie bzw. Ausmaß der wahrgenommenen Unabhängigkeit und Freiheit bei der Erfüllung beruflicher Aufgaben verstanden wird (Bell/ Menguc 2002, S. 136). Die durch die Implementierung des Empowerment bewirkte wahrgenommene Job-Autonomie trägt unmittelbar dem Bedürfnis der Kundenkontaktmitarbeiter nach Autonomie, Kompetenz und selbst bestimmtem Handeln Rechnung und wird als Ansatzpunkt zur Verstärkung intrinsischer Motivation gesehen (Van Looy et al. 2003, S. 232ff.). Auch reduziert Empowerment nach rollentheoretischen Erkenntnissen und empirischen Befunden die Gefahr von Rollenambiguität und Rollenkonflikten (Chebat/Kollias 2000, S. 71ff.). Rollenambiguität tritt auf, wenn die Kundenkontaktmitarbeiter die an ihre Position gerichteten Verhaltenserwartungen nicht eindeutig identifizieren können. Rollenkonflikte entstehen aus inkompatiblen Verhaltenserwartungen der Kunden einerseits und des Dienstleistungsunternehmens andererseits oder aus Unvereinbarkeit der Verhaltenserwartungen mit dem eigenen Wertesystem (Schmitz 2002, S. 133ff.). Der negative Einfluss solcher „role stressors“ auf die Mitarbeiterzufriedenheit, auf Tätigkeiten der Kundenkontaktmitarbeiter in den Leistungserstellungsprozessen und auf die von ihnen erzielten Leistungsergebnisse ist nach vorliegenden empirischen Befunden unbestritten (Bettencourt/Brown 2003, S. 396ff.; Schmitz 2002, S. 133ff.; Singh 2000, S. 18ff. mit weiteren Quellenverweisen). Darüber hinaus konnten weitere unmittelbar positive Wirkungen des Empowerment auf die Tätigkeiten des Kundenkontaktpersonals und auf das Leistungsergebnis sowie mittelbar positive Wirkungen über eine Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit empirisch
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nachgewiesen werden (Chebat/Kollias 2000, S. 70ff.; Hartline et al. 2000, S. 38; Van Looy et al. 2003, S. 234; Schmitz 2004, S. 22 mit weiteren Quellenverweisen). Empowerment bietet somit einen potenziellen Ansatzpunkt zur Steuerung der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt, seine positiven Wirkungen werden jedoch als kontextabhängig betrachtet. So empfiehlt sich Empowerment vor allem dann, wenn das Unternehmen sich durch das Angebot individualisierter Dienstleistungen im Wettbewerb differenzieren will, den Auf- und Ausbau dauerhafter Kundenbeziehungen anstrebt, in einem durch Diskontinuitäten geprägten Wettbewerbsumfeld agiert, hochgradig komplexe Dienstleistungen anbietet und wenn Kundenkontaktmitarbeiter wie Führungskräfte über hohe Sozialkompetenz verfügen (Bowen/Lawler 1992, S. 37).
6.
Fazit
Ziel des Beitrags war es, die Mitarbeiterperformance als zentralen Ansatzpunkt des Leistungscontrolling im Servicekontakt systematisch herauszuarbeiten. Die auf die Erzielung von Kundenvorteilen gerichtete Planung der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt muss das Leistungspotenzial, die konkreten Tätigkeiten im Leistungserstellungsprozess und die angestrebten Leistungsergebnisse einbeziehen. Die Planung des Leistungspotenzials beinhaltet die unternehmensspezifische Festlegung der erforderlichen beruflichen Qualifikation der Kundenkontaktmitarbeiter. Dazu sind die zur Erfüllung der fachlichen Aufgaben im Kundenkontakt notwendigen Fach- und Methodenkompetenzen zu benennen und Aussagen zur Bewältigung der sozial-emotionalen Aufgaben im Servicekontakt erforderlichen Sozialkompetenz zu treffen. Neben der unternehmensspezifischen Leistungsfähigkeit ist zur Realisierung von Kundenvorteilen eine als OCBI bezeichnete Leistungsbereitschaft des Kundenkontaktpersonals notwendig. Die Planung der im Einzelnen notwendigen Tätigkeiten im Leistungserstellungsprozess erfolgt unternehmensspezifisch. Sie sollte zwischen fachlich-technischen Tätigkeiten zur Lösung des Kernproblems des Kunden und sozial-emotionalen Tätigkeiten im Sinne der vom Kundenkontaktpersonal zu leistenden Emotionsarbeit differenzieren. Die unternehmensspezifische Planung der anzustrebenden Leistungsergebnisse sollte Aussagen zur erwarteten Produktivität der Kundenkontaktmitarbeiter sowie zur zu erzielenden kundenseitig wahrgenommenen Dienstleistungsqualität enthalten. Die Messung und Kontrolle der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt sollte alle – auch intrinsisch motivierte Aspekte – des komplexen Leistungsphänomens erfassen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass in allen Dimensionen Leistungsaspekte als theoretische Konstrukte zu erfassen sind, deren Messung spezielle Skalen erfordert. Die „willkürliche“ Nutzung einzelner beobachtbarer Indikatoren zur Operationalisierung der Mitarbeiterperformance in einzelnen Dimensionen ermöglicht keine valide Leistungsmessung und -kontrolle.
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Der Steuerung der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt auf der Grundlage agencytheoretisch fundierter finanzieller Anreizsysteme sind enge Grenzen gesetzt. Die Aufdeckung weiterer Ansatzpunkte zur Steuerung der Mitarbeiterperformance setzt Informationen zu Einflussgrößen der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt voraus. Trotz zahlreicher Untersuchungen zu Zusammenhängen zwischen bestimmten organisationalen Merkmalen und Prozessen eines Dienstleistungsanbieters und bestimmten Arbeitseinstellungen des Kundenkontaktpersonals existieren keine allgemein gültigen statistisch gesicherten Ursache-Wirkungs-Ketten. Es zeichnet sich vielmehr ab, dass keine allgemein gültigen Einflussgrößen der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt existieren und Ansatzpunkte zur Steuerung der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt jeweils „nur“ für eine Leistungsdimension und unter Berücksichtigung situativer Faktoren aufgedeckt werden können. Daher sollte das Controlling unter anderem auch die Wirkung der Mitarbeiterzufriedenheit auf die Mitarbeiterperformance in den einzelnen Dimensionen kritisch kontrollieren. Sofern ein Empowerment des Kundenkontaktpersonals bei gegebenen situativen Bedingungen sinnvoll ist, hat das Controlling die bedarfsgerechte Informationsversorgung der dezentralen Entscheidungsträger im Servicekontakt sicherzustellen und durch die dezentrale Entscheidungsfindung bedingte Koordinationsprobleme zu lösen. Schließlich sollte das Controlling die Wirkung von Anreizsystemen analysieren, die auf eine unternehmenszielorientierte Nutzung der erweiterten Entscheidungsspielräume ausgerichtet sind.
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Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt
Michael Lingenfelder, Karsten Schmidt und Jan Wieseke
Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt – Modellierung und Messung mittels Mystery Shopping im Tourismus
1. Relevanz der Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt 2. Theoretische und empirische Fundierung der Wirkungsbeziehung zwischen Dienstleistungsqualität und Kundenzufriedenheit 2.1 C/D-Paradigma als Ansatz zur Erklärung der kausalen Beziehung zwischen Dienstleistungsqualität und Kundenzufriedenheit 2.2 Dynamisierung des C/D-Paradigmas unter Berücksichtigung des Prozesscharakters von Dienstleistungen 2.3 Empirische Befunde bezüglich der prozessualen Wahrnehmung von Dienstleistungsqualität und Kundenzufriedenheit 3. Strukturanalyse und Visualisierung der Prozesskomponenten von touristischen Dienstleistungen eines Reisebüros mit Hilfe des Service Blueprinting 4. Herleitung der Untersuchungshypothesen 5. Vorgehensweise des Mystery Shopping bei der empirischen Analyse der Dienstleistungsqualität einer im Franchisesystem organisierten Reisebürokette 5.1 Mystery Shopping – eine Vorgehensweise zur Bestimmung der Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt 5.2 Reliabilität und Validität mittels Mystery Shopping erhobener Daten 5.3 Design des Beobachtungsbogens 5.4 Vorbereitung und Durchführung der Testkäufe 6. Datenanalyse 6.1 Gütebeurteilung der mittels Mystery Shopping erhobenen Datenbasis
181
182 6.2
Michael Lingenfelder, Karsten Schmidt und Jan Wieseke Intra- und interepisodenspezifische Analyse der Dienstleistungsqualität von Reisebürodienstleistungen
7. Fazit der Untersuchungsergebnisse und Implikationen für das Management von Reisebürounternehmen Literatur
Prof. Dr. Michael Lingenfelder ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing und Handelsbetriebslehre an der PhilippsUniversität Marburg, seit WS 2000/2001 Gastprofessur an der Universität Chonqing (VR China). Dipl.-Kfm. Karsten Schmidt und Dr. Jan Wieseke sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing und Handelsbetriebslehre der Philipps-Universität Marburg.
Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt
1.
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Relevanz der Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt
Vor dem Hintergrund eines dynamischen und sich zunehmend verschärfenden Wettbewerbs im Dienstleistungssektor werden Markt- und Kundenorientierung verstärkt als zentrale Erfolgsfaktoren im Wettbewerb betrachtet (Hermann 1995, S. 237ff.). Demzufolge herrscht sowohl in der Theorie als auch in der Praxis weitgehend Einigkeit darüber, dass die Qualität des Leistungsangebotes und die Kundenzufriedenheit den Erfolg eines Unternehmens nachhaltig beeinflussen (Matzler/Stahl 2000, S. 627). Diese Annahme kann nicht nur durch die zahlreichen Beispiele erfolgreicher Unternehmen, sondern auch anhand umfassender empirischer Studien zur Kausalkette Qualität, Kundenzufriedenheit, Kundenbindung und Unternehmenserfolg als empirisch bestätigt gelten (für einen Überblick Hermann 1995, S. 237ff.; Bruhn/Georgi 1998, S. 98ff.; ein Überblick über Studien, die einen solchen Nachweis im Bereich touristischer Dienstleistungen geben, findet sich bei Augustyn/Ho 1998, S. 71ff.). Die besondere Bedeutung der zuvor benannten Kausalkette wird dadurch unterstrichen, dass der Ertragswert eines Kunden bei ausschließlicher Betrachtung des Erstkaufs nur relativ gering ist, wohingegen sein Customer-Lifetime-Value erst durch langfristige Kundenbindung ausgeschöpft werden kann. Darüber hinaus ist die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Akquisition eines Neukunden durchschnittlich das Fünf- bis Sechsfache der Kosten verursacht, die für Pflege und Erhaltung des bestehenden Kundenstammes aufzubringen sind (Augustyn/Ho 1998, S. 73; Siefke 1998, S. 4). Des Weiteren ist zu bedenken, dass die mit einer hohen Qualität einhergehende Zufriedenheit eine Reduzierung der Preiselastizität beim Kunden, eine Erhöhung des „cross selling“-Potenzials des Anbieters und die verstärkte Neigung zufriedener Kunden, die Vorteile eines Produktes oder einer Dienstleistung anderen Konsumenten mitzuteilen, nach sich zieht (Anderson/Fornell/Lehmann 1994, S. 55ff.). Die eine Zielsetzung dieses Beitrages ist es, ausgehend von dem zuvor dargestellten Problemhintergrund, einen Ansatz zur Erfassung und Erklärung der Dienstleistungsqualität von Reisebürounternehmen zu erarbeiten. Aufgrund der Tatsache, dass sich Mystery Shopping (MRS) in der jüngeren Vergangenheit als leistungsfähiges Instrument zur Analyse von Dienstleistungen herausgestellt hat, erläutern die Autoren die Einsatzmöglichkeiten dieser Methode anhand eines konkreten Fallbeispiels bei der Messung der Serviceperformance von Reisebürodienstleistungen. Angesichts der zunehmenden Verbreitung des Mystery Shopping in Wissenschaft und Praxis ist es umso erstaunlicher, dass im Rahmen der wissenschaftlichen Diskussion dieser Methode die Bewertung der Güte (Reliabilität, Validität und Objektivität) mittels MRS erhobener Daten bislang vernachlässigt wurde (Haas 2003, S. 24). Im Lichte dieser Erkenntnis besitzt das zweite Ziel dieses Beitrages, die Güte (insbesondere die Reliabili-
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Michael Lingenfelder, Karsten Schmidt und Jan Wieseke
tät) mittels MRS erhobener Daten strukturiert zu analysieren, eine ebenso große Bedeutung wie das Erstgenannte. Mit dem Bestreben, die zuvor genannte Zielsetzung zu erreichen und gleichzeitig einem Teil der aufgezeigten Forschungsdefizite zu begegnen, wurden 156 Dienstleistungsqualitätsurteile mittels Mystery Guests aus 78 Beratungsgesprächen in 39 Verkaufsstellen einer im Franchisesystem organisierten Reisebürokette erhoben. Dabei wurde jeder der 78 Testkäufe von zwei Mystery Shoppern gemeinsam durchgeführt. Dieses Vorgehen ermöglichte es im Rahmen der Datenauswertung, die Güte der erhobenen Daten mit Hilfe der Interrater-Reliabilität prüfen zu können und sicherzustellen, dass die sehr umfangreichen Erlebnisinformationen nahezu ausnahmslos erfasst werden, ohne dabei das Erinnerungsvermögen der Silent Shopper zu überfordern. Abschließend sollen auf Basis der empirischen Ergebnisse Schlussfolgerungen abgeleitet werden, die Anhaltspunkte für eine Verbesserung des Qualitätsmanagements von Reisebürounternehmen bereitstellen und wissenschaftliche Forschungslücken offen legen.
2.
Theoretische und empirische Fundierung der Wirkungsbeziehung zwischen Dienstleistungsqualität und Kundenzufriedenheit
Die theoretische und empirische Fundierung der Dienstleistungsqualität wird durch die Existenz unterschiedlicher Ansätze zum Qualitätskonstrukt erschwert. Im Wesentlichen lassen sich eine einstellungs- und eine zufriedenheitsorientierte Variante unterscheiden (Deppisch 1997, S. 126ff.). Das einstellungsorientierte Dienstleistungsqualitätskonstrukt betrachtet das Qualitätsurteil eines Kunden als gelernte, relativ dauerhafte, positive oder negative innere Haltung gegenüber einem Beurteilungsobjekt. Ein Qualitätsurteil entsteht demgemäß durch Lernprozesse, die auf eigenen Erfahrungen mit der Dienstleistung, aber auch auf Kommunikationsmaßnahmen des Dienstleistungsanbieters und auf Mundpropaganda beruhen. Somit ist ein konkretes Konsumerlebnis für die Ermittlung eines Qualitätsurteils nicht zwingend notwendig (Hentschel 1992, S. 115ff.; Hribek 1999, S. 144ff.). Die zufriedenheitsorientierte Variante fußt hingegen auf dem Confirmation/Disconfirmation (C/D-)Paradigma und definiert die wahrgenommene Dienstleistungsqualität als Ergebnis des Vergleichs von erwarteter und tatsächlich erhaltener Leistung. Diese Form der Konzeptionierung des Dienstleistungsqualitätskonstruktes setzt zwingend ein konkretes Konsumerlebnis voraus (Hribek 1999, S. 145f.). Die Tatsache, dass das Ziel dieser Studie darin besteht, die vom Reisebürokunden während des Leistungserstellungsprozesses wahrgenommene Dienstleistungsqualität zu eva-
Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt
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luieren, lässt es sinnvoll erscheinen, eine zufriedenheitsorientierte Auffassung des Dienstleistungsqualitätskonstruktes zu vertreten. Demgemäß ist es die Aufgabe des nachfolgenden Abschnittes, die grundsätzlich rein statische Ausrichtung des C/D-Paradigmas um eine dynamische Komponente zu erweitern, so dass die Möglichkeit eröffnet wird, das Konzept des C/D-Paradigmas als Grundlage für eine prozessuale Analyse der Dienstleistungsqualität zu verwenden.
2.1 C/D-Paradigma als Ansatz zur Erklärung der kausalen Beziehung zwischen Dienstleistungsqualität und Kundenzufriedenheit Das wohl bedeutendste Modell für die Erklärung des Zusammenhangs der beiden Konstrukte stellt das C/D-Paradigma dar. Dieses Modell baut auf der Basis des Anfang der achtziger Jahre von Oliver entwickelten Expectancy-Disconfirmation-Modells auf. Aufgrund seiner bedeutsamen Rolle in der Diskussion und seiner empirischen Bewährung soll das Disconfirmation-Modell die theoretische Grundlage der weiteren Ausführungen bilden (Oliver 1980, S. 460ff.; Siefke 1998, S. 64ff.). Dem C/D-Paradigma folgend besteht der Zusammenhang zwischen Dienstleistungsqualität und Kundenzufriedenheit darin, dass die vom Kunden empfundene Zufriedenheit die Reaktion (affektive Komponente) auf das Ergebnis eines (kognitiven) Soll-IstVergleichs des erlebten Dienstleistungsprozesses darstellt. Das Ergebnis des Soll-IstKalküls ist dabei die vom Kunden individuell empfundene (wahrgenommene) Dienstleistungsqualität, die sich aus einer Gegenüberstellung der vom Kunden tatsächlich erhaltenen Dienstleistung (Ist-Leistung) und den Erwartungen (Soll-Standard) des Kunden an die Beschaffenheit des Dienstleistungsprozesses ergibt (Quartapelle/Larsen 1996, S. 48ff.; Johnston/Heineke 1998, S. 101). Entspricht die vom Kunden tatsächlich erhaltene Dienstleistung seinen Erwartungen, so bezeichnet man dies als Konfirmation (Bestätigung) und einer daraus resultierenden Zufriedenheit des Kunden. Eine etwaige positive Abweichung der Ist-Leistung vom Soll-Standard, die auch als positive Diskonfirmation bezeichnet wird, führt ebenfalls zu einer Zufriedenheit des Dienstleistungskunden, wohingegen eine negative Diskonfirmation die Unzufriedenheit des Kunden nach sich zieht (Lingenfelder et al. 2000, S. 163; Giering 2000, S. 8ff.; KrügerStrohmayer 2000, S. 58). So ist es beispielsweise denkbar, dass ein Reisebürokunde, der eine exklusive Städtereise unternehmen möchte, bestimmte Erwartungen bezüglich der Beschaffenheit der Dienstleistungstransaktion (Soll-Standard) besitzt. Für den Fall, dass die dem Kunden offerierte Dienstleistungstransaktion (Ist-Leistung) seinen Erwartungen entspricht bzw. diese übertrifft, führt dies zu einer durch den Kunden als angemessen bzw. hoch bewerteten Dienstleistungsqualität. Diese als angemessen bzw. hoch bewertete Dienstleistungs-
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Michael Lingenfelder, Karsten Schmidt und Jan Wieseke
qualität ist ihrerseits wiederum ausschlaggebend für die Zufriedenheit des Kunden mit dem Reisebüro bzw. der von diesem offerierten Dienstleistungsqualität.
2.2 Dynamisierung des C/D-Paradigmas unter Berücksichtigung des Prozesscharakters von Dienstleistungen Die theoretische Analyse des Dienstleistungsqualitätskonstruktes erfolgte bisher vornehmlich aus einer statischen Perspektive. Diese Betrachtungsweise ist darauf zurückzuführen, dass die meisten der wissenschaftlichen Beiträge im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Konstrukt der Dienstleistungsqualität eine merkmalsorientierte Wahrnehmung von Qualität unterstellen (Dabholkar 1993, S. 12; Siefke 1998, S. 73). Speziell bei personenbezogenen Dienstleistungen ist zu berücksichtigen, dass nicht nur die Qualität des Dienstleistungsergebnisses, sondern auch die Qualität des Dienstleistungserstellungsprozesses vom Konsumenten wahrgenommen wird (Siefke 1998, S. 13f.). Aus diesem Grund kommt es im Rahmen der folgenden Betrachtung unter Berücksichtigung des Prozesscharakters von Dienstleistungen zu einer Dynamisierung des C/D-Paradigmas und des dort abgebildeten Zusammenhangs zwischen Dienstleistungsqualität und Kundenzufriedenheit. Die ereignisorientierte Sichtweise basiert auf dem Konzept der episodischen Informationsverarbeitung und unterscheidet sich von der merkmalsorientierten Perspektive dadurch, dass sie die aufeinander folgenden Konsumphasen einer Dienstleistung und nicht die einzelnen Dienstleistungsmerkmale als Objekte des Qualitätsgesamturteils betrachtet (Hentschel 1992, S. 158f.). Das besagt allerdings nicht, dass die einzelnen Dienstleistungskriterien merkmalsorientierter Konzepte, wie z.B. die Freundlichkeit oder die Kompetenz der Reisebüromitarbeiter, keine Berücksichtigung im Rahmen ereignisorientierter Ansätze finden, sondern dass diese unabhängig voneinander in den einzelnen Dienstleistungsepisoden angewendet werden (Siefke 1998, S. 74f.). Dieses Vorgehen ereignisorientierter Konzepte ist darauf zurückzuführen, dass „...bei Dienstleistungen mit zeitlicher Ausdehnung des Dienstleister-Kunden-Kontakts […] davon ausgegangen werden [kann], dass sich die Qualitätsmerkmale entlang der Interaktionssequenzen verteilen bzw. [dass] jeder einzelne Kontaktpunkt […] potentiell qualitätsrelevant ist.“ (Hentschel 1992, S. 73). Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, im Rahmen der Analyse der Qualität des Dienstleistungserstellungsprozesses einzelner Verkaufsstellen einer Reisebürokette, den vom Kunden wahrgenommenen gesamten Dienstleistungsnutzungsprozess so lange in Teil- bzw. Subprozesse zu untergliedern, bis eine weitere Differenzierung nicht sinnvoll erscheint. Dieses Vorgehen führt zu einer Hierarchie von Prozessen, deren unterschiedliche Ebenen durch einen verschieden hohen Detaillierungsgrad gekennzeichnet sind (Haist/Fromm 1991, S. 96). Die Prozesszerlegung hat bei der Untersuchung des Dienst-
Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt
187
leistungsnutzungsprozesses zwingend aus der Perspektive des Konsumenten zu erfolgen. Eine theoretische Grundlage, die eine Prozesszerlegung dieser Art legitimiert, stellt das Konzept der episodischen Informationsverarbeitung dar, deren Ansatzpunkt die psychologische Fundierung der Annahme ist, dass Dienstleistungen von einem Konsumenten prozessual wahrgenommen und kognitiv verarbeitet werden (Güthoff 1998, S. 34ff.). Somit geht das Konzept der episodischen Informationsverarbeitung davon aus, dass das Urteil einer Auskunftsperson bezüglich der wahrgenommenen Dienstleistungsqualität nicht aus dem Zusammenwirken zeitunabhängiger und übergreifender Dimensionen entsteht, sondern auf Einzelurteilen basiert, die auf konkrete Dienstleistungsepisoden zurückzuführen sind (Siefke 1998, S. 74f.).
2.3 Empirische Befunde bezüglich der prozessualen Wahrnehmung von Dienstleistungsqualität und Kundenzufriedenheit Während der ursprüngliche Modellansatz des C/D-Paradigmas die wahrgenommene Dienstleistungsqualität und deren Beurteilung mittels der Zufriedenheit als reines Nachkaufphänomen betrachtet, ist im Rahmen einer prozessorientierten Analyse der Dienstleistungsqualität eine Dynamisierung des Modells unerlässlich (Siefke 1998, S. 75f.). Aufgrund der Tatsache, dass das zuvor erläuterte Konzept der episodischen Informationsverarbeitung der Forderung nach Dynamisierung des ursprünglichen Modellansatzes bereits gerecht wird, ist an dieser Stelle die Frage nach dem Einfluss der einzelnen Episoden untereinander und deren Wirkung auf das Qualitätsgesamturteil zu erörtern. In der Literatur besteht ein grundsätzlicher Konsens darüber, dass das Urteil über die Qualität einer einzelnen Dienstleistungsepisode einen Einfluss auf das Qualitätsurteil späterer Dienstleistungsepisoden (sog. Halo-Effekt) ausübt. Ebenso wird prinzipiell davon ausgegangen, dass sich das Qualitätsgesamturteil bezüglich einer Dienstleistung aus der wahrgenommenen Dienstleistungsqualität der einzelnen Konsumphasen zusammensetzt (Stauss/Seidel 1995, S. 192). Demgegenüber wird die spezifische Stärke des Einflusses einzelner Dienstleistungsepisoden jedoch sehr unterschiedlich beurteilt. Diese Tatsache ist Stauss/Seidel zur Folge darauf zurückzuführen, dass „...in der wissenschaftlichen Literatur, die sich mit diesem Problem befasst, […] mehr Fragen gestellt als Antworten gegeben [werden], und die Antworten […] häufig nicht viel mehr als (zum Teil sich widersprechende) Plausibilitätsüberlegungen [sind].“ (Stauss/Seidel 1995, S. 192). So wird beispielsweise die Auffassung vertreten, dass ein Reihenfolge- bzw. Positionseffekt existiert, der besagt, dass die letzte Episode eines Dienstleistungsprozesses den stärksten Einfluss auf das Qualitätsgesamturteil ausübt (für einen Überblick Danaher/ Mattsson 1994, S. 74). Zugleich ist aber auch die Meinung anzutreffen, dass es die erste
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Michael Lingenfelder, Karsten Schmidt und Jan Wieseke
Phase oder aber auch die Kernphase (Woodside et al. 1989, S. 12) einer Dienstleistung sei, die das Qualitätsurteil einer Auskunftsperson nachhaltig beeinflusst (dazu ausführlich Stauss/Seidel 1995, S.190ff.). In Anlehnung an die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Gedächtnisforschung wären hier beispielsweise Primacy- und Recency-Effekte denkbar (Trommsdorff 1993, S. 267), die eine unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Dienstleistungsepisoden bei der Bildung des Qualitätsgesamturteils zur Folge hätten (Siefke 1998, S. 86). Eine Übersicht der zentralen Ergebnisse verschiedener empirischer Untersuchungen zur prozessualen Wahrnehmung der Dienstleistungsqualität liefert Tabelle 1.
3.
Strukturanalyse und Visualisierung der Prozesskomponenten von touristischen Dienstleistungen eines Reisebüros mit Hilfe des Service Blueprinting
Aufgrund der bereits in Abschnitt 2.2. erläuterten Gegebenheit, dass vom Konsumenten nicht nur die Qualität des Dienstleistungsergebnisses (z.B. das Preis-Leistungs-Verhältnis der gebuchten Reise), sondern auch die Qualität des Dienstleistungserstellungsprozesses (z.B. die Begrüßung, die Wartezeit oder die Beratung im Reisebüro) wahrgenommen wird, bedarf es im Rahmen der Beurteilung der Reisebürodienstleistungsqualität zunächst der gesonderten Betrachtung des Prozesscharakters der Dienstleistung. Die Voraussetzung für eine solche prozessorientierte Analyse der Dienstleistungsqualität ist die Bestimmung der vom Konsumenten während der Dienstleistungsnutzung erlebten Episoden. Zu diesem Zweck entwickelte Shostack Mitte der achtziger Jahre die Methode des Service Blueprinting, mit deren Hilfe die Interaktionen zwischen Dienstleistungsanbieter und Konsument sowie die hiermit verbundenen Prozesse in einer konkreten Dienstleistungssituation möglichst vollständig erfasst und graphisch abgebildet werden können (Shostack 1984a, S. 133ff.; 1984b, S. 54ff.; 1987, S. 35ff.).
Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt
Nr.
Autoren
Branche
Woodside/ Frey/Daly (1989)
Gesundheitswesen
Untersuchungsschwerpunkt
Charakteristika der Empirie (Grundgesamtheit, Fallzahl, Methodik)
Prozessorientierte Analyse des Zusammenhangs zw. Dienstleistungsqualität, Kundenzufriedenheit und Verhaltensabsicht
Patienten zweier Krankenhäuser; n=392; Service Blueprinting, TelefonInterview bzw. Schriftliche Befragung, Regressionsanalyse, Kausalanalyse
1
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Empirische Befunde
Kundenzufriedenheit ist ein Moderator zw. Dienstleistungsqualität und Verhaltensabsicht. Die Qualität der Dienstleistungsmerkmale hat einen signifikanten Einfluss auf die Episodenzufriedenheit und diese wiederum hat einen signifikanten Einfluss auf die Gesamtzufriedenheit. Die Kernleistungsepisoden (Behandlung und Pflege) haben den signifikant größten Einfluss auf das Gesamtzufriedenheitsurteil. Es wurden Ausstrahlungseffekte zw. den Qualitätsmerkmalen aber nicht zw. den Episoden entdeckt. (HaloEffekt)
Olandt (1998)
Gesundheitswesen
Prozessorientierte Analyse der Dienstleistungsqualität
2
Siefke (1998)
3
Verkehrsdienstleistung
Prozessorientierte Analyse der Kundenzufriedenheit
Patienten eines Krankenhauses; n=468; Zufriedenheitsorientiertes Qualitätsverständnis, aufbauend auf dem Konzept der episodischen Informationsverarbeitung, mündliche und schriftliche Befragung, explorative Faktorenanalyse
Es konnte nachgewiesen werden, dass die Qualitätswahrnehmung von Klinikpatienten episodenbezogen ist.
Fernreisende der Deutschen Bahn; n=603 (repräsentativ für die Fernreisekunden der Deutschen Bahn); aufbauend auf dem Konzept der episodischen Informationsverarbeitung und dem Script Konzept, Service Blueprinting, standardisierter Fragebogen, Verfahren der Dependenzanalyse
Die Gesamtzufriedenheit setzt sich aus signifikant unterschiedlichen Episodenzufriedenheiten zusammen.
Die Episodenqualität beeinflusst das Qualitätsgesamturteil. Es unterbleibt jedoch eine Untersuchung der Beziehung zw. den einzeln identifizierten Dienstleistungsepisoden.
Die Kernleistungsepisode hat den signifikant stärksten Einfluss auf die Gesamtzufriedenheit. Die Zufriedenheit mit zeitlich vorgelagerten Episoden übt einen positiven Einfluss auf die Zufriedenheit mit darauf folgenden Episoden aus. (Halo-Effekt) Die Kundenzufriedenheit mit einer Episode setzt sich aus signifikant voneinander verschiedenen Kontaktpunktzufriedenheiten zusammen. Weitere Ergebnisse sind dem Beitrag direkt zu entnehmen.
190
Michael Lingenfelder, Karsten Schmidt und Jan Wieseke
Danaher/ Mattsson (1994)
Tourismus
Prozessorientierte Analyse des Zusammenhangs zw. Dienstleistungsqualität und Kundenzufriedenheit
Konferenzteilnehmer in einem Hotel; n=110 (repräsentativer Querschnitt von Konferenzteilnehmern); Faktoren- u. logistische Regressionsanalyse
Die Qualitätsurteile über die einzelnen Dienstleistungsepisoden haben einen signifikanten voneinander verschiedenen Einfluss auf die Gesamtzufriedenheit der Gäste. Die letzte Dienstleistungsepisode hat den signifikant stärksten Einfluss auf das Urteil über die Gesamtzufriedenheit. (Recency-Effekt)
Danaher/ Mattsson (1994)
Tourismus
Prozessorientierte Analyse des Zusammenhangs zw. Dienstleistungsqualität und Kundenzufriedenheit
Hotelgäste der Kategorien: Privat, Geschäftlich, Konferenzteilnehmer u. Gruppenreisende; n=150 (repräsentativer Querschnitt aller Hotelgäste); Faktorenu. logistische Regressionsanalyse
Das Gesamtzufriedenheitsurteil entwickelt sich im Prozessverlauf der Dienstleistung als Reaktion auf die Qualität der einzelnen Dienstleistungsepisoden.
Prozessorientierte Analyse der Dienstleistungsqualität
Gäste eines ****Sterne Hotels; n=160 (repräsentativ für die Besucher des Hotels im Jahresverlauf); Zufriedenheitsorientiertes Qualitätsverständnis, aufbauend auf dem Konzept der episodischen Informationsverarbeitung, mündliche Befragung, konfirmatorische Faktorenanalyse, Regressionsanalyse
Es besteht eine signifikante korrelative Beziehung zw. den einzeln identifizierten Dienstleistungsepisoden. (Halo-Effekt)
Urlaubsreisende im Club Méditerranée; n=60 (repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung); Service Blueprinting, SIT, FRAP und Regressionsanalyse
Konsumenten verfügen über eine episodische Wahrnehmung.
4
5
Güthoff (1995)
Tourismus
6
Stauss/ Weinlich (1997) 7
Tourismus
Prozessorientierte Analyse der Dienstleistungsqualität
Die Qualitätsurteile über die einzelnen Dienstleistungsepisoden haben einen signifikanten voneinander verschiedenen Einfluss auf die Gesamtzufriedenheit der Gäste. Die Kernleistungsepisode hat den signifikant stärksten Einfluss auf die Gesamtzufriedenheit.
Es unterbleibt jedoch eine Untersuchung des Einflusses der einzelnen Teilleistungen bzw. Episoden auf das Qualitätsgesamturteil.
Die Episodenqualität beeinflusst das Qualitätsgesamturteil. Episodenqualität wird von kritischen und gewöhnlichen Ereignissen beeinflusst.
Tabelle 1: Synopse zur prozessualen Wahrnehmung der Dienstleistungsqualität Bei der Erstellung eines Service Blueprints für touristische Dienstleistungen erfolgt zunächst eine Aufgliederung des Dienstleistungsprozesses in einzelne Dienstleistungsepisoden, die ihrerseits weitere Teilprozesse, die auch als Kontaktpunkte bezeichnet werden, enthalten können. Die so ermittelten Phasen des Dienstleistungsprozesses und die damit verbundenen Schnittstellen werden in einem Flow Chart graphisch abgebildet, wobei eine Line of Visibility den für den Konsumenten sichtbaren Teil des Dienstleistungserstellungsprozesses im Diagramm kennzeichnet (Corsten 2001, S. 159). Somit
Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt
191
kommt der Line of Visibility eine besondere Bedeutung zu, da sie den Bereich des Dienstleistungserstellungsprozesses markiert, den der Kunde seinem Urteil über die von ihm wahrgenommene Dienstleistungsqualität zugrunde legt. In den meisten Fällen wird zunächst eine anfängliche Unterscheidung anhand des Rasters Vornutzungsphase, Nutzungsphase und Nachnutzungsphase vorgenommen. Auf diese Weise ist es möglich, entgegen der verkürzten Sichtweise einer Vielzahl von Unternehmen zu handeln, die sich lediglich auf den Kern der Dienstleistungserstellung konzentrieren und die Erfahrungen ignorieren, die ein Konsument in der Vornutzungswie auch der Nachnutzungsphase einer Dienstleistung macht. Daran anschließend muss der Bereich des Dienstleistungsprozesses, dem das eigentliche Forschungsinteresse gilt, aus der Konsumentenperspektive detailliert systematisiert werden (Siefke 1998, S. 18f.). Dienstleistungsepisoden charakterisieren dabei das Resultat einer ersten Aufteilung der Dienstleistungstransaktion in sequentielle Teilprozesse, die eine jeweils abgrenzbare Teilleistung des Dienstleistungsprozesses darstellen, ohne vom Dienstleistungskonsumenten als eine eigenständige Dienstleistung wahrgenommen zu werden. Die weitere Untergliederung einer Dienstleistungsepisode führt zur Bestimmung von Dienstleistungskontaktpunkten, die ein Dienstleistungskonsument im Verlauf einer Dienstleistungsepisode erlebt und somit seinem Dienstleistungsqualitätsurteil bezüglich der einzelnen Dienstleistungsepisoden zugrunde legt (Stauss/Seidel 1995, S.187). In der vorliegenden Untersuchung soll die Qualität einzelner Dienstleistungsepisoden und deren Wirkung auf das Urteil der Auskunftspersonen bezüglich der Qualität des gesamten Dienstleistungserstellungsprozesses einzelner Filialen einer Reisebürokette analysiert werden. Zu diesem Zweck wurde der Dienstleistungserstellungsprozess des Reisebüros, dem Untersuchungszweck entsprechend und in Anlehnung an den Service Blueprint eines Reisebüros von Matzler et al. (2000, S. 163) in die Dienstleistungsepisoden Vornutzungsphase, Nutzungsphase und Nachnutzungsphase sowie die Line of Visibility mit den Kontaktpunkten Begrüßung, Wartezeit, Beratung, Buchung und Verabschiedung eingeteilt. Abbildung 1, die den Service Blueprint des Dienstleistungserstellungsprozesses eines Reisebüros aus Kundenperspektive verkörpert, ist zu entnehmen, dass innerhalb der Vornutzungsphase auf Kontaktpunktebene zwei Prozessabschnitte, die Begrüßung und die Wartezeit, unterschieden werden. Die Nutzungsphase enthält in der gewählten Unterteilung ebenfalls zwei Kontaktpunkte, die Beratung und die Buchung. Zu einer Strukturierung der Nachnutzungsphase wird diese schließlich durch einen Subprozess, die Verabschiedung, gekennzeichnet. Somit basiert das Modell zur Analyse der Dienstleistungsqualität einer Reisebürokette auf der Unterscheidung von drei Episoden und fünf Kontaktpunkten.
192
Michael Lingenfelder, Karsten Schmidt und Jan Wieseke
Exklusive Städtereise nach Paris
Informationsbeschaffung
Buchung im Reisebüro
Anreise
Abreise
Nachnutzungsphase
Nutzungsphase
Vornutzungsphase
Aufenthalt
Episoden
Line of Visibility
...
Buchungsberatung
Kontaktpunkte
Verabschiedung
Einzelmerkmale der Kontaktpunkte
...
Kompetenz
...
Beratung
Wartezeit
Freundlichkeit
Begrüßung
...
...
Abbildung 1: Service Blueprint des Dienstleistungserstellungsprozesses eines Reisebüros (Quelle: in Anlehnung an Matzler et al. 2000, S. 163)
4.
Herleitung der Untersuchungshypothesen
Die Grundlage für die Herleitung des zu prüfenden Hypothesengerüstes der vom Kunden wahrgenommene Dienstleistungsqualität von Reisebüros bilden die in Abschnitt 2.3 diskutierten Primacy- und Recency-Effekte. Neben diesen Wirkungseffekten der Dynamik des Dienstleistungsqualitätsurteils wird im Rahmen der Hypothesenbildung auf die Theorie der episodischen Informationsverarbeitung, sowie auf die in diesem Zusammenhang dargestellten empirischen Forschungsergebnisse anderer Studien zurückgegriffen. Dabei liegt es nahe, auf Basis des mit Hilfe der Methode des Service Blueprinting ermittelten Kundenpfades folgende Hypothese im Rahmen der Analyse der vom Kunden wahrgenommenen Dienstleistungsqualität zu formulieren (darüber hinaus wird Hypothese H1 von den empirischen Ergebnissen der Studien 1, 2, 4, 5, 6 und 7 aus Tabelle 1 gestützt):
Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt
H1a:
193
Die drei Episoden Ŷ Vornutzungsphase Ŷ Nutzungsphase Ŷ Nachnutzungsphase werden vom Dienstleistungskonsumenten als unabhängig voneinander wahrgenommen.
H1b:
Hinsichtlich der Episodenzusammensetzung wird angenommen, dass das Dienstleistungsqualitätsurteil Ŷ der Vornutzungsphase von den Kontaktpunkten Begrüßung und Wartezeit, Ŷ das der Nutzungsphase von den Kontaktpunkten Beratung und Buchung Ŷ und das der Nachnutzungsphase von dem Kontaktpunkt Verabschiedung determiniert wird.
H1c:
Das Gesamturteil über die Qualität des Dienstleistungsprozesses eines Reisebüros wird signifikant durch die Qualitätsurteile der drei Episoden
h h d h h Des Weiteren wird prinzipiell davon ausgegangen, dass der Einfluss der einzelnen Dienstleistungsepisoden auf das Qualitätsgesamturteil unterschiedlich stark ist (Stauss/ Seidel 1995, S.192). Da jedoch die spezifische Stärke des Einflusses einzelner Dienstleistungsepisoden von einer Vielzahl von Autoren sehr unterschiedlich beurteilt wird (vgl. hierzu in Tabelle 1 die Befunde der empirischen Studien 1, 2, 5 und 6, die zu einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Ergebnisse gelangen), sollen an dieser Stelle der Arbeit keine Plausibilitätsüberlegungen bezüglich des Einflusses der einzelnen Episoden auf das Qualitätsgesamturteil angestellt und demzufolge auch keine Hypothesen über den Einfluss einzelner Episoden formuliert werden. Stattdessen sollen die Ergebnisse im Verlauf der Datenauswertung mit Hilfe der in Abschnitt 2.3 erläuterten Primacy- und Recency-Effekten diskutiert werden. Darüber hinaus besteht in der wissenschaftlichen Literatur grundsätzlich Einigkeit darüber, dass das Urteil über die Qualität einer einzelnen Dienstleistungsepisode einen Einfluss auf das Qualitätsurteil späterer Dienstleistungsepisoden ausübt. In Anlehnung an die Erkenntnisse der vorgestellten empirischen Studien 3, 5 und 6 in Tabelle 1, die einen Halo-Effekt nachweisen konnten, soll folgender Hypothese nachgegangen werden:
194
H2:
Michael Lingenfelder, Karsten Schmidt und Jan Wieseke
Das Urteil über die Dienstleistungsqualität einer zeitlich vorgelagerten Episode übt einen positiven Einfluss auf das Qualitätsurteil nachfolgender Episoden aus. Dieser Wirkungszusammenhang konkretisiert sich speziell darin, dass Ŷ die Vornutzungsphase die Nutzungs- und die Nachnutzungsphase, Ŷ sowie die Nutzungsphase die Nachnutzungsphase positiv beeinflusst.
5.
Vorgehensweise des Mystery Shopping bei der empirischen Analyse der Dienstleistungsqualität einer im Franchisesystem organisierten Reisebürokette
Mit dem Ziel, die zuvor hergeleiteten Hypothesen empirisch zu überprüfen, wurde eine Mystery Shopping-Studie durchgeführt. Vor diesem Hintergrund soll zunächst MRS als Instrument zur Messung von Dienstleistungsqualität vorgestellt werden.
5.1 Mystery Shopping – eine Vorgehensweise zur Bestimmung der Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt MRS bildet eine Möglichkeit, die Empfindungen eines (fiktiven) Kunden in Hinblick auf seine Erfahrungen mit einem Dienstleistungsprozess bzw. seine subjektive Wahrnehmung von Dienstleistungsqualität auf möglichst objektiver Ebene durch den Einsatz von Mystery Shoppern zu eruieren (Bruhn 1997, S. 63f.; Matzler/Kittinger-Rosanelli 2000, S. 222). Die Objektivität der mittels MRS erhobenen Daten ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Testkunden, die als Dienstleistungskunden getarnt auftreten, die Qualität des Dienstleistungsprozesses durch die Simulation einer realen, standardisierten Situation evaluieren. Auf diese Weise sollen die subjektiven Empfindungen der Kunden auf einer möglichst objektiven Ebene erfasst werden (Dwek 1996, S. 41). Mystery Shopper sind dabei speziell ausgewählte, auf die Testsituation vorbereitete Beobachter, die dem Service- bzw. Verkaufsmitarbeiter eines Unternehmens als nicht erkennbare, getarnte Kunden in einer von ihnen real simulierten Verkaufssituation gegenübertreten, um anhand eines teilweise strukturierten Erhebungsinstruments die
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195
Dienstleistungsqualität aus der Perspektive eines Kunden zu beurteilen (Matzler/ Kittinger-Rosanelli 2000, S. 222; Haas 2002, S. 279). Die theoretische Grundlage für den Einsatz von MRS im Rahmen der Evaluation der Dienstleistungsqualität findet sich, wie auch die der Beobachtung als wissenschaftliche Methode, in der Kulturanthropologie, der Chicagoer Schule der qualitativen Sozialforschung und im Symbolischen Interaktionismus. Der Einsatz quantitativer Methoden in der Sozialforschung wird dort kritisiert mit dem Verweis darauf, dass die soziale Realität zu komplex sei, um sie lediglich mit quantitativen Methoden, standardisierten Fragebögen usw. vollkommen eruieren zu können (zum Vorteil eines Methodenpluralismus vgl. Edelmann 2004, S. 124). Es wird die Auffassung vertreten, dass die klassischen quantitativen Methoden durch die teilnehmende Beobachtung ergänzt werden müssen, um eine größtmögliche Nähe zum Untersuchungsgegenstand zu erreichen, indem gewissermaßen eine Innenperspektive zu den zu beurteilenden Ereignissen angenommen wird (Wilson 1998, S. 149; Matzler/Kittinger-Rosanelli 2000, S. 225f.). Die verschiedenen Varianten von Beobachtungen können im Allgemeinen anhand von drei Dimensionen klassifiziert werden: teilnehmend – nicht teilnehmend, strukturiert – unstrukturiert, offen – verdeckt (Girtler 1992, S. 45). Das Konzept des MRS, das im Folgenden bei der Analyse der Dienstleistungsqualität von Reisebürodienstleistungen zur Anwendung gebracht wird, ist entsprechend der zuvor genannten Kriterien in die Klasse der teilnehmenden, verdeckten und teilweise strukturierten Beobachtung einzuordnen (Matzler/Kittinger-Rosanelli 2000, S. 226). Das äußerst vielfältige Anwendungsgebiet von Mystery Shopping erstreckt sich von der Beurteilung der wahrgenommenen Dienstleistungsqualität über die Definition, Einführung und Überprüfung von Servicestandards bis hin zum Benchmarking und der Beobachtung von Konkurrenten (Wilson 2001, S. 721ff.). Darüber hinaus kommt Mystery Shopping für die verschiedensten speziellen Zwecke zum Einsatz, wie z.B. für Investitionsentscheidungen in der „London Underground“ (Wilson/Gutmann 1998, S. 285ff.) sowie zur Überwachung der Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen beispielsweise über Rassendiskriminierung bei der Kreditvergabe in zahlreichen Banken in den USA (Leeds 1995, S. 20).
5.2 Reliabilität und Validität mittels Mystery Shopping erhobener Daten Wie bereits anfänglich hervorgehoben wurde, hat die Methode des Mystery Shopping im Zuge der Analyse von Dienstleistungen in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Dies wird insbesondere daran ersichtlich, dass Mystery Shopping beispielsweise im angelsächsischen Raum eine der am häufigsten verwendeten Marktforschungstechniken ist. Bereits in den 1970er Jahren wurde das Konzept des Mystery Shopping
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von ca. 35 Prozent aller größeren Banken in den USA angewandt (Leeds, 1995, S. 17). Wilson beziffert die jährlichen Ausgaben von britischen Dienstleistungsunternehmen für Mystery Shopping mit etwa 40 Millionen Pfund (Wilson, 1998, S. 152). Ungeachtet der Popularität dieses Verfahrens wurde bisweilen die Diskussion bezüglich der Güte mittels MRS erhobener Daten vernachlässigt. Finn und Kayandé kommentieren diese Tatsache in einem Forschungsbericht aus dem Jahr 1999, in dem sie feststellen, „[…] virtually nothing is known about the psychometric quality of the data collected in mystery shopping studies, and how it compares with that of customer survey data” (Finn/Kayandé 1999, S. 195). Die wenigen wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit der Güte des Verfahrens beschäftigen, konzentrieren sich primär auf die Messgenauigkeit (Reliabilität) der Methode des MRS. Besonders überraschend ist in diesem Zusammenhang der Versuch, die Reproduzierbarkeit der erhobenen Daten zu erhöhen, indem die subjektiven Einflüsse der Testkunden minimiert werden. Somit richtet sich das Hauptaugenmerk, derjenigen Autoren, die sich mit der Reliabilität dieser Methode auseinandersetzen, lediglich auf die Beurteilung objektiver Merkmale (wie z.B. das Vorhandensein von Werbemitteln im Schaufenster oder dem Verkaufsraum). Da jedoch nicht die objektiven Eigenschaften, sondern deren Wahrnehmung durch den Kunden entscheidend für das resultierende Konsumentenverhalten sind, führt eine Konzentration auf die objektiven Merkmale bei gleichzeitiger Vernachlässigung der subjektiven Eindrücke der Testkäufer dazu, dass man sich der potentiellen Analyse kundenbezogener Wirkungszusammenhänge beraubt (Haas 2003, S. 24). Demgegenüber wurde die Validitätsprüfung bislang nur für das jeweils eingesetzte Messinstrument (wie beispielsweise ServQual oder ServPerf), nicht aber für das MRSVerfahren durchgeführt. Diese Tatsache ist nicht besonders verwunderlich, da die Reliabilität ein hinreichendes Kriterium für die Validität eines Messverfahrens darstellt. Somit müssen zunächst einmal alle denkbaren Facetten der Reliabilität in den Blickpunkt der Betrachtung gerückt werden, bevor sich die wissenschaftliche Diskussion der Validitätsprüfung dieser Messmethode widmen kann. In einer „generalizability“ Studie weisen Finn und Kayandé nach, das ca. 1.750 Auskunftspersonen interviewt werden müssen, um vergleichbar reliable Ergebnisse (Cronbach´s Alpha § 0.9) zu erhalten, wie diejenigen, die mit Hilfe von ca. 40 trainierten Mystery Shoppern gewonnen werden können. Unter der Annahme, dass eine Kundenbefragung mit Kosten in Höhe von 6 USD je Auskunftsperson und ein Testkauf mit Kosten in Höhe von 60 USD verbunden ist, folgern die Autoren, dass die MRS-Methode, bei einem fünftel der Kosten, vergleichbar reliable Ergebnisse wie eine Kundenbefragung liefert (Finn/Kayandé 1999, S. 202f.). Basierend auf den vorstehenden Befunden der Studie von Finn und Kayandé und der Tatsache, dass die mittels Marketingforschung gewonnenen Ergebnisse die Informationsbasis für eine Vielzahl unternehmerischer Entscheidungen bilden, wird die besondere Bedeutung der Reliabilität von MRS-Daten ersichtlich. Diese Forderung nach Prüfung der Reliabilität wird zusätzlich durch die
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Tatsache unterstrichen, dass infolge der Erkenntnisse von Finn und Kayandé, unternehmerische Entscheidungen auf Basis von teilweise weniger als vier Testkaufurteilen je Einkaufsstätte (lediglich unter Vermutungen bzgl. der Reliabilität, Validität und Objektivität von Testkaufurteilen) getroffen und implementiert werden. Die Reliabilitätsprüfung kann in verschiedene Meilensteine unterteilt werden. Man unterscheidet grundsätzlich die Gruppe der „at a point in time“-Kriterien von derjenigen der „over time”-Kriterien (Sturman/Cheramie/Cashen 2005, S. 269ff.). Wie Abbildung 2 zeigt, können die „at a point in time“-Kriterien weiter untergliedert werden in ein Urteil bzgl. der Intrarater-Reliabilität (z.B. Cronbachs Į etc.) und eines der Interrater-Reliabilität (z.B. Intraclasskorrelations-Koeffizient etc.). Demgegenüber lassen sich die „over time”-Kriterien einerseits in die Prüfung der temporären Konsistenz (z.B. Korrelationskoeffizient zwischen zwei Testkaufurteilen mit einer zeitlichen Differenz größer Null) und andererseits in die Test-Retest Reliabilität (z.B. Korrelationskoeffizient zwischen zwei Testkaufurteilen mit einer zeitlichen Differenz größer Null, bei dem zusätzlich der Zufallsfehler durch die Kontrolle externer Effekte eliminiert wird) unterteilen. Das Besondere an der in Abbildung 2 dargestellten Systematisierung der Meilensteine der Reliabilitätsprüfung ist, dass die Kriterien der Reliabilitätsprüfung von der Intraraterbis hin zur Test-Retest-Reliabilität stetig wachsende Anforderungen an die Zuverlässigkeit eines Messinstruments bzw. einer Messmethode stellen. Demzufolge gilt es, im Rahmen der Reliabilitätsprüfung einer Messmethode zunächst einmal die Reliabilität „at a point in time“ zu überprüfen, bevor man im Rahmen einer „follow up“-Studie die Reliabilität einer Messmethode „over time“ analysiert.
Meilenstein der Reliabilitätsprüfung
„at a point in time“ Kriterien
Intrarater Reliabilität: • Cronbachs D • etc.
Interrater Reliabilität: • Intraclasskorrelationskoeffizient • etc.
„over time“ Kriterien
temporäre Konsistenz: • Korrelationskoeffizient zwischen Meßzeitpunkt t1 und t2 unter Vernachlässigung des Zufallfehlers • etc.
Abbildung 2: Prüfsteine der Reliabilitätsprüfung
Test-Retest Reliabilität: • Korrelationskoeffizient zwischen Meßzeitpunkt t1 und t2 unter Berücksichtigung des Zufallfehlers • etc.
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5.3 Design des Beobachtungsbogens Um dem Ziel einer prozessorientierten Analyse der Dienstleistungsqualität und einer Prüfung der Reliabilität „at a point in time“ zu entsprechen, ist neben einem geeigneten Untersuchungsdesign (vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 5.4 dieses Beitrages) auch die Festlegung zweckdienlicher Indikatoren zur Operationalisierung der Dienstleistungsqualität auf verschiedenen Prozessebenen notwendig. Da es allerdings wegen der großen Vielfalt und der Heterogenität von Dienstleistungen kaum möglich ist, einen generell gültigen und gleichzeitig differenzierten Katalog von Qualitätsindikatoren auf den jeweiligen Prozessebenen aufzustellen, orientiert sich die Auswahl der zu messenden Merkmale an den identifizierten Kontaktpunkten eines Reisebürokunden. Die Auswahl der geeigneten Messkriterien erfolgt zunächst einmal durch die Reduktion aller hypothetisch denkbaren Merkmale auf diejenigen, die aus Konsumentensicht relevant sind. Dabei ist im Rahmen der vorliegenden Studie so vorgegangen worden, dass im Rahmen von 27 explorativen Kundeninterviews die Qualitätsindikatoren auf Kontaktpunktebene aus der Perspektive des Kunden generiert wurden. Des Weiteren orientierte sich die Untersuchungsoperationalisierung an einem Beitrag von Matzler et al., die mittels der sequentiellen Ereignismethode positive und negative Ereignisse für die Kontaktpunkte eines Reisebürokunden zusammengetragen haben (Matzler et al. 2000, S. 162f.). Da sich in der wissenschaftlichen Diskussion zur Bedeutungsgewichtung einzelner Items bisher kein konsensfähiger Ansatz für die Aggregation von Qualitätseinzelmerkmalen durchsetzen konnte, wird im Rahmen der vorliegenden Studie das Qualitätsurteil bezüglich des Kundenkontaktpunktes wie auch das Gesamturteil über die Dienstleistungsqualität zusätzlich durch eine separate, explizite Messung erhoben. Bei der Erhebung der Episodenqualität des Dienstleistungsprozesses ist hingegen auf ein Vorgehen dieser Art verzichtet worden, da eine vollständige Adaption der Ergebnisse von Matzler et al. Aufgrund des sehr umfangreichen Erhebungsdesigns der vorliegenden Arbeit nicht möglich war (Es wurde auf die Kontaktpunkte „Vorab-Information“ und „Zu Hause“ verzichtet. Hingegen wurde die Dienstleistungsepisode „Vornutzungsphase“ in die Kontaktpunkte „Begrüßung“ und „Wartezeit“ differenziert. Dieses Vorgehen war das Ergebnis der in zehn explorativen Interviews mit Mitarbeitern der Reisebürokette gewonnenen Erkenntnis, dass vor allem die Kontaktpunkte „Vorab-Information“ und „Zu Hause“ in den seltensten Fällen im Dienstleistungsprozess enthalten sind). Stattdessen erfolgt die Ermittlung des Qualitätsurteils bezüglich der Dienstleistungsepisoden mittels einer linear-additiven Verknüpfung der Kontaktpunktqualitätsurteile anhand statistischer Auswertungsverfahren. Diese Verfahrensweise entspricht dem Vorgehen kompensatorischer Modelle, die auch in der wissenschaftlichen Praxis die größte Verbreitung erfahren haben (Hentschel 1992, S. 114). Wie den vorstehenden Ausführungen in Abschnitt 2 bereits zu entnehmen ist, handelt es sich in dieser Studie um einen direkten Einkomponenten-Ansatz merkmalsorientierter
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199
Verfahren zur Messung der Dienstleistungsqualität, dem ein zufriedenheitsorientiertes Dienstleistungsqualitätsverständnis zugrunde liegt. Dieses zufriedenheitsorientierte Qualitätsverständnis kommt im Rahmen der Fragebogenkonstruktion darin zum Ausdruck, dass die Dienstleistungsqualität mit Hilfe von Zufriedenheitsskalen gemessen wird. Nach der Durchführung von Pre-Tests und einer hierauf aufbauenden Anpassung des Beobachtungsbogens liegt der Schwerpunkt des Fragebogens auf standardisierten Fraugen, die das Dienstleistungsqualitätsurteil anhand von sechsstufigen Ratingskalen erfassen sollen. Ferner wurden die Testkäufer in offenen Fragen um eine nach den verschiedenen Kontaktpunkten differenzierten Beschreibung von positiv und negativ kritischen Ereignissen gebeten.
5.4 Vorbereitung und Durchführung der Testkäufe Das Forschungsdesign zur Evaluierung der Dienstleistungsqualität einer im Franchisesystem organisierten Reisebürokette sowie der Beurteilung der Reliabilität „at a point in time“ (insbesondere der Interrater-Reliabilität) der mittels Mystery Shopper erhobenen Daten sah vor, Testkunden in Filialen dieser Reisebürokette zu entsenden, die dort Interesse an der Buchung einer exklusiven Wochenend-Städtereise nach Paris simulieren und sich entsprechend beraten lassen sollten. Die Hauptaufgabe bestand darin, trotz des Einsatzes von Silent Shoppern Käufer-Verkäufer-Interaktionen hervorzurufen, die für den Verlauf einer solchen Reisebuchung/-beratung als typisch zu bezeichnen sind. Hierbei wurden vor allem die von Matzler et al. unter Plausibilitätsüberlegungen bezüglich des Objektivitäts-, Reliabilitäts- und Validitätsanspruches an die Methode des MRS hergeleiteten Anforderungen an den erfolgreichen Einsatz von Testkäufern berücksichtigt (Matzler/Kittinger-Rosanelli 2000, S. 226ff.). Mit dem Ziel, die Kundenkontaktsituation anhand eines detaillierten Szenarios möglichst realitätsnah zu konstruieren, wurde ein Leitfaden für die Testkäufer entwickelt, der den Mystery Shopper mit einer Auswahl an typischen Kundenfragen und einem Überblick über den typischen Gesprächsverlauf in einem Reisebüro ausrüsten sollte. Dieser Leitfaden wurde auf Basis der Erkenntnisse aus den explorativen Interviews und mehr als 20 vorab durchgeführter Testkäufe konzipiert. Daran anschließend wurden zehn Testkäufer anhand der Charakteristika von typischen Kunden eines solchen Reisebüros ausgewählt. Diese wurden im Zeitraum von Mitte Juli bis Anfang August 2002 im Verhalten eines normalen Kunden einer exklusiven Städtereise nach Paris und im Umgang mit dem Beobachtungsbogen geschult. Im Rahmen der Schulung wurde anfänglich der Umgang mit dem Beobachtungsbogen trainiert, indem der Versuchsleiter mit Hilfe eines Rollenspiels besonders gutes bzw. schlechtes Verkäuferverhalten demonstrierte und dieses von den Mystery Shoppern mittels des Beobachtungsbogens beurteilen ließ. Nachdem die Testkäufer Sicherheit im Umgang mit dem Beobachtungsbogen erlangt
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hatten, wurden reale Testkäufe anhand des Leitfadens für die Buchung einer exklusiven Städtereise, in einer Vielzahl von Reisebüros in Marburg und der näheren Umgebung durchgeführt (vgl. für ein ähnliches Vorgehen Finn 2001, S. 313; Haas 2002, S. 287). Um im Rahmen der Datenauswertung die Güte der erhobenen Daten mit Hilfe der Interrater-Reliabilität prüfen zu können und um sicherzustellen, dass die sehr umfangreichen Erlebnisinformationen nahezu ausnahmslos erfasst werden, ohne dabei das Erinnerungsvermögen der Testkäufer zu überfordern, wurde jedes Beratungsgespräch von zwei Mystery Shoppern gemeinsam durchgeführt. Außerdem wurde besonderer Wert darauf gelegt, dass die Testkäufer den Beobachtungsbogen in direktem Anschluss an den Testkauf ausfüllen, damit so wenig Informationen wie möglich verloren gehen. Ferner wurden in jedem Reisebüro jeweils zwei Testkäufe etwa zeitgleich durchgeführt. Der Vorteil eines solchen Vorgehens besteht darin, dass auf diese Weise ein möglichst großes Spektrum der Qualität des Dienstleistungsangebotes eines Reisebüros untersucht werden kann, ohne dabei Gefahr zu laufen, durch den mehrmaligen Besuch einer Verkaufsfiliale enttarnt zu werden. Die endgültige Datenerhebung erfolgte im Zeitraum vom 06.-15.08.2002. Es wurden 156 Ergebnisse aus 78 „Test-Beratungsgesprächen“ in 39 Reisebüros deutschlandweit erhoben und für die Datenauswertung verwendet. Bei der Auswahl der Reisebüros handelt es sich um eine Stichprobe, die sich nahezu repräsentativ über das gesamte Bundesgebiet verteilt und sowohl ländliche als auch städtische Gebiete umfasst.
6.
Datenanalyse
Die empirische Untersuchung der Mitarbeiterperformance im Servicekontakt von Reisebürodienstleistungen gliedert sich zunächst in die Gütebeurteilung der mittels MRS erhobenen Daten, worauf anschließend die intraepisodenspezifische und episodenübergreifende (interepisodenspezifische) Analyse der erhobenen Datenbasis folgt. Da die bisherigen theoretischen Ausführungen wie auch die empirischen Befunde anderer Studien zum Konstrukt der Dienstleistungsqualität auf der zentralen Annahme eines signifikanten Zusammenhangs zwischen den Einzelurteilen über die Dienstleistungsepisodenqualität beruhen, ist es notwendig, auf Analysemethoden zurückzugreifen, die eine mögliche Existenz solcher Beziehungszusammenhänge explizit berücksichtigen. Derartige Analysemethoden, zu denen auch das Verfahren der Kausalanalyse zählt, werden in der Literatur als multivariate Verfahren der „zweiten Generation“ bezeichnet (Homburg/Giering 1996, S. 8).
Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt
201
6.1 Gütebeurteilung der mittels Mystery Shopping erhobenen Datenbasis Die Objektivität der Konstrukterfassung ist aufgrund der Erhebung des Datenmaterials mittels MRS dadurch gewährleistet, dass die Testkunden als getarnte Dienstleistungskunden in einer durch sie real simulierten, standardisierten Situation auftreten und die Qualität des Dienstleistungsprozesses anhand objektiver Dienstleistungsqualitätsindikatoren in einer standardisierten Befragung evaluieren (Bruhn 1997, S. 63f.; Siefke 1998, S. 106f.). Des Weiteren ist sicherzustellen, dass sich die Messung der Dienstleistungsqualität von Reisebüros als reliabel und somit reproduzierbar erweist (Nieschlag et al. 1997, S. 722f.). Die Zuverlässigkeitsprüfung der verwendeten Meßmethode erfolgt mit Hilfe der Interrater-Reliabilität. Im Rahmen der Überprüfung der Konkordanz von Testkaufurteilen ist die Frage, welche Art von Beurteilerübereinstimmung erfasst werden soll, von herausragender Bedeutung. Bei der rein korrelativen Betrachtungsweise, die auch als justierter Intraclasskorrelationskoeffizient (ICCjust.) bezeichnet wird, ist die Übereinstimmung (Reliabilität) um so größer, je höher die Wertereihen der Beurteiler interkorrelieren. Sollte neben der Übereinstimmung der Wertereihen jedoch auch der Niveauunterschied im Urteil der Testkäufer von Interesse sein, so kann zum Zweck der Gütebeurteilung der unjustierte Intraclasskorrelationskoeffizient (ICCunjust.) verwendet werden. Da der ICCunjust. im Rahmen der Reliabilitätsprüfung mittels MRS erhobener Daten nicht nur gleiche „Rangreihen“ sondern auch möglichst „gleiche Werte“ verlangt, gilt er als das strengere der beiden Kriterien zur Prüfung der Interrater-Reliabilität und wird daher im vorliegenden Beitrag zur Bestimmung der Konkordanz eingesetzt (Diehl/Staufenbiel 2001, S. 170). Um den Forderungen des ICCunjust. zur Prüfung der Interrater-Reliabilität gerecht zu werden, wurde jeder Testkauf, wie bereits erläutert, von zwei Mystery Shoppern gemeinsam durchgeführt und bewertet. Die Überprüfung der Interrater-Reliabilität anhand des ICCunjust. (dieser ist im Rahmen der Gütebeurteilung mittels Assessment Center gewonnener Daten der am weitesten verbreitete Koeffizient zur Bestimmung der Interrater-Reliabilität; vgl. hierzu Schmitt 1977, S. 171ff.; Lievens 2001, S. 255ff.; insbes. Gatewood et al. 1990, S. 331f.) ergab für die zugrunde liegende Itembatterie Werte des Reliabilitätskoeffizienten zwischen 0.4423 und 0.9364 auf einem Signifikanzniveau von Į 0.05. Obschon in der einschlägigen Literatur keine einhellige Meinung hinsichtlich eines Mindestwertes für eine hinreichende Interrater-Reliabilität besteht, wird gewöhnlich auf den von Marcoulides geforderten Wert von 0.80 Bezug genommen (Marcoulides 1989, S. 115ff.). Bei Studien mit stark explorativem Charakter und einem nur bedingt standardisierbaren Erhebungsdesign gilt auch ein Wert von 0.60 als durchaus akzeptabel (Schmitt 1977, S. 172ff.; Gatewood et al. 1990, S. 331ff.). Vor diesem Hintergrund wurden Items mit einem Intraclass-Korrelationskoeffizienten unterhalb von 0.60 im Rahmen der anschließenden Betrachtungen nicht weiter berücksichtigt.
202
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Da eine gegebene Reliabilität jedoch nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Validität eines Messverfahrens darstellt, muss notwendigerweise eine Überprüfung der inhaltlichen Genauigkeit der Merkmalserfassung vorgenommen werden (Siefke 1998, S. 151f.). An dieser Stelle des Beitrages ist zunächst jedoch festzuhalten, dass aufgrund der Konzeption der Studie die Frage der Validität nur für das eingesetzte Messinstrument, nicht aber für das MRS-Verfahren, ermittelt werden kann. Wie den Ausführungen in Abschnitt 5.3 zu entnehmen ist, wurde den Anforderungen zur Sicherung der Inhaltsvalidität, die das Ausmaß bezeichnet, indem die Variablen eines Messmodells das zu messende Konstrukt inhaltlich und semantisch erfassen, in der vorliegenden Studie Rechnung getragen, wodurch von einer ausreichenden Inhaltsvalidität des eingesetzten Messinstrumentariums auszugehen ist. Die Konstruktvalidität umfasst schließlich die Eignung eines Messverfahrens, ein nicht beobachtbares theoretisches Konstrukt wie die Dienstleistungsqualität von Reisebürodienstleistungen weitgehend zu erfassen bzw. Erklärungsansätze hierfür liefern zu können. Im Rahmen der vorliegenden Studie soll die Konstruktvalidität daher einerseits anhand der Gütekriterien des analysierten Kausalmodells und andererseits durch einen Falsifikationsversuch der theoriegestützten Untersuchungshypothesen überprüft werden.
6.2 Intra- und interepisodenspezifische Analyse der Dienstleistungsqualität von Reisebürodienstleistungen Für die Messung der Mitarbeiter-Performance an den fünf Punkten des Servicekontakts wurde jeweils ein kontaktpunktspezifisches Globalurteil erhoben. Wie das Mittelwertprofil aller Testkäufe in Abbildung 3 zeigt, sind zum Teil Unterschiede mittlerer bis hoher Effektstärke in der Qualitätsausprägung der einzelnen Kontaktpunkte festzustellen. So liegt beispielsweise die Dienstleistungsqualität des Kontaktpunktes Begrüßung auf einem recht hohen Niveau (was nach Auskunft der Mystery Guests auf die in 61,7 Prozent der Testkäufe anzutreffende Begrüßung des Kunden mit Augenkontakt und freundlicher Geste zurückzuführen ist), während die erlebte Dienstleistungsqualität der Kontaktpunkte Beratung und Buchungsbearbeitung schwächer ausgeprägt ist. Als durchaus positiv erwies sich wiederum das Urteil über die Dienstleistungsqualität des Kontaktpunktes Verabschiedung, der dadurch gekennzeichnet war, dass die Mystery Shopper im Anschluss an nahezu alle Testkäufe von dem jeweiligen Mitarbeiter des Reisebüros mit freundlichen Wünschen für den Tag verabschiedet und in einem Reisebüro hierbei sogar zum Ausgang begleitet wurden. Die Bedeutung der Kontaktpunkte im Hinblick auf das Qualitätsurteil über die einzelnen Dienstleistungsepisoden und das Zusammenspiel der Dienstleistungsepisoden untereinander, sowie deren Einfluss auf das Dienstleistungsqualitätsgesamturteil sind in Abbildung 4 dargestellt. Hierbei bleibt festzuhalten, dass die ermittelten Gütekriterien auf eine hinreichende Konstruktvalidität des vorliegenden Modells schließen lassen. Bezüglich
Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt
203
dieser Gütekriterien ist jedoch festzustellen, dass bislang eindeutige kritische Werte zur Beurteilung eines Kausalmodells fehlen. In der Forschungspraxis werden daher üblicherweise Faustregeln zu Rate gezogen.
Dienstleistungsqualität Dienstleistungsepisode
Kontaktpunkt
Vornutzungsphase
Begrüssung
Beratung
Buchung
Nachnutzungsphase
sehr unzufrieden 1
Wartezeit
Nutzugsphase
Standardabweichung
Verabschiedung
Dienstleistungsqualitätsgesamturteil
sehr zufrieden 2
3
4
5
6
1.362
1.317
1.253
1.239
1.011
1.272
Abbildung 3: Dienstleistungsqualitätsprofil der Servicekontaktpunkte Nach den in Abbildung 4 aufgeführten Gütekriterien kann von der in Hypothese H1b angenommenen Zusammensetzung der Dienstleistungsepisoden aus den entsprechenden Kontaktpunkten und der Existenz der in Hypothese H1a prognostizierten Struktur des Dienstleistungsqualitätsgesamturteils ausgegangen werden. Die Parameterschätzwerte für die Teilstrukturen des Modellbereichs über die angenommene Zusammensetzung der Dienstleistungsepisoden aus den entsprechenden Kontaktpunkten können ebenfalls als zufriedenstellend beurteilt werden. Diese Beurteilung ist darauf zurückzuführen, dass die Messindikatoren durchgehend reliable Werte aufweisen (Faktorladungen > 0.4) und damit akzeptable Operationalisierungen des Qualitätsurteils über die einzelnen Dienstleistungsepisoden darstellen. Insgesamt sind damit die Hypothese H1 a und b als bestätigt anzusehen. Da alle drei Phasen einen signifikanten Einfluss auf das Dienstleistungsqualitätsgesamturteil ausüben und insgesamt 23 Prozent der Varianz dieses Konstruktes aufgeklärt werden, kann Hypothese 1c als bestätigt angesehen werden. Im Rahmen der weiteren Betrachtungen verlassen wir nun die Ebene der intraepisodischen Analyse der Dienstleistungsqualität und wenden uns der interepisodischen Untersuchung der Struktur und Dynamik des Dienstleistungsqualitätsgesamturteils zu.
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0.00
Begrüssung
0.91* 0.48*
Vornutzungsphase
:0.977
AGFI
:0.903
RMR
:0.032
¾ Identifizierbarkeit gegeben Signifikante Schätzwerte mit einem D d 0.05 sind mit einem Stern, solche mit einem D d 0.1 sind mit zwei Sternen gekennzeichnet (T-Test).
Wartezeit 0.48*
GFI
0.12**
0.59* 0.35
0.77
Beratung 0.97*
Buchung
0.93*
Nutzungsphase
0.24*
Dienstleistungsqualität
0.77*
0.42
Verabschiedung
1.00
Dienstleistungsqualität
0.06** Tecaler Effekt
Nachnutzungsphase
1.00
von
Vornutzungsphase
Nutzungsphase
Nachnutzungsphase
auf Nutzungsphase
0.5942
Nachnutzungsphase
0.62
0.2412
Dienstleistungsqualitätsgesamturteil
0.609
0.781
2totaler
0.0612
Effekt = direkter Effekt
Abbildung 4: Kausalmodell zur Struktur und Dynamik der Mitabeiter-Performance im Servicekontakt Zur Überprüfung der in Hypothese H2 aufgestellten Vermutung eines positiven Einflusses des Dienstleistungsqualitätsurteils einer zeitlich vorgelagerten Episode auf die Beurteilung der Dienstleistungsqualität nachfolgender Episoden sollen die ermittelten Pfadkoeffizienten (vgl. Abbildung 3) einer genaueren Analyse unterzogen werden (vgl. hierzu Nieschlag et al. 1997, S. 787). Hier ist zunächst einmal festzustellen, dass von allen Dienstleistungsepisoden ein signifikanter direkter positiver Einfluss auf zeitlich nachgelagerte Episoden ausgeht. Somit ist Hypothese H2 als bestätigt anzusehen. Besonders auffällig ist hierbei, dass der Erklärungsbeitrag, den die Vornutzungsphase für das Qualitätsurteil nachfolgender Dienstleistungsepisoden leistet, im Vergleich zur Nutzungsphase als relativ hoch einzustufen ist. Dieses Ergebnis stellt den Nachweis für die Existenz eines Halo-Effekts und die Dynamik des Qualitätsurteils über Reisebürodienstleistungen auf der Episodenebene dar. Den eindeutig stärksten direkten Einfluss auf das Dienstleistungsqualitätsgesamturteil übt die Nutzungsphase aus. Gleichwohl üben aber auch die der Nutzungsphase vor- und nachgelagerten Episoden einen signifikanten, wenn auch kleineren, Einfluss auf das Dienstleistungsqualitätsgesamturteil aus. Aufgrund des stark ausgeprägten Halo-Effekts, den die Vornutzungsphase ausstrahlt, wird deutlich, dass sich ein Reisebürounternehmen keinesfalls auf die Optimierung des
Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt
205
eigentlichen Kerns der Reisebürodienstleistung beschränken darf, sondern auch diejenigen Erfahrungen berücksichtigen muss, die dem Reisebürokunden im Vorfeld und im Anschluss an den eigentlichen Leistungserstellungsprozess zuteil werden. Wie die Diskussion um den Halo-Effekt bereits angedeutet hat, sind neben den zuvor erläuterten direkten Einflüssen auch die totalen Effekte der einzelnen Episoden einer Reisebürodienstleistung von Interesse. Die totalen Effekte der einzelnen Dienstleistungsepisoden ergeben sich aus den direkten Effekten und den indirekten Effekten, die sich über die nachfolgenden Episoden auf die weiteren Phasen und damit auch auf das Dienstleistungsqualitätsgesamturteil übertragen (Backhaus et al. 2000, S. 457ff.). Wie Abbildung 4 zu entnehmen ist, erfährt die Vornutzungsphase bei einer die indirekten Effekte integrierenden Betrachtung einen merklichen Bedeutungszuwachs. Obgleich die Nutzungsphase weiterhin als die dominierende Episode einer Reisebürodienstleistung anzusehen ist, wird auf diese Weise abermals die Notwendigkeit der Berücksichtigung insbesondere der Dienstleistungsepisode deutlich, die dem Kern der Reisebürodienstleistung zeitlich vorgelagert ist.
7.
Fazit der Untersuchungsergebnisse und Implikationen für das Management von Reisebürounternehmen
Ausgangspunkt dieser Arbeit war es, einen Beitrag zur allgemeinen prozessorientierten Analyse der Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt sowie speziell im Bereich von touristischen Reisebürodienstleistungen zu erstellen. Sowohl in der wissenschaftlichen Literatur als auch in der Unternehmenspraxis wird die vom Kunden wahrgenommene Dienstleistungsqualität wie auch die damit einhergehende Zufriedenheit des Konsumenten hauptsächlich als ein reines Nachkaufphänomen behandelt. Wie sich jedoch gezeigt hat, greift diese Sichtweise insbesondere im Dienstleistungsbereich zu kurz, da der Kunde einen Teil des Leistungserstellungsprozesses darstellt und aufgrund dessen die zeitlich aufeinander folgenden Teilerlebnisse des Dienstleistungsprozesses zur Beurteilung der Dienstleistungsqualität heranzieht. Vor diesem Hintergrund stand die Fragestellung, wie aus einer prozessbezogenen Perspektive die Dienstleistungsqualität von touristischen Reisebürodienstleistungen zu operationalisieren ist und welche Bestimmungsfaktoren die kundenseitige Wahrnehmung der beanspruchten Dienstleistung beeinflussen, im Blickpunkt der Betrachtungen dieser Arbeit. Um der dargestellten Zielsetzung gerecht zu werden, wurde in einem ersten Schritt die theoretische Grundlage für die Operationalisierung des Dienstleistungsqualitätskonstruktes erarbeitet. Hierbei stellte sich das C/D-Paradigma, dass die vom Konsumenten wahrgenommene Dienstleistungsqualität als das Ergebnis des kogni-
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tiven Soll-Ist-Kalküls zwischen erwarteter und tatsächlich erlebter Qualität einer Leistung betrachtet, als die Theorie mit dem größten Erklärungspotenzial heraus. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass mit dem Konzept der episodischen Informationsverarbeitung eine theoretisch fundierte Grundlage für eine prozessorientierte Operationalisierung des Dienstleistungsqualitätsurteils zur Verfügung steht. Aufgrund der Tatsache, dass eine prozessorientierte Analyse der Dienstleistungsqualität neben der theoretischen Operationalisierung des Konstruktes auch die Zugänglichkeit auf der empirischen Ebene sicherstellen muss, besteht eine zentrale Voraussetzung in der Ermittlung des vom Konsumenten wahrgenommenen Dienstleistungsprozesses. Die Erläuterung des zu diesem Zweck in der wissenschaftlichen Literatur entwickelten Instrumentes zeigt, dass das Konzept des Service Blueprinting in besonderer Weise zur Strukturierung und Visualisierung des Kundenpfades geeignet ist. Die abschließende Analyse der mit Hilfe von Testkäufern erhobenen Daten bestätigte die zuvor theoretisch hergeleitete Zusammensetzung der Dienstleistungsepisoden, die besagt, dass die Kontaktpunkte Begrüßung und Wartezeit die Vornutzungsphase, die Kontaktpunkte Beratung und Buchung die Nutzungsphase und der Kontaktpunkt Verabschiedung die Nachnutzungsphase bilden. Bei der sich anschließenden interphasenspezifischen Analyse offenbarte sich die große Bedeutung der Nutzungsphase für die Bildung des Dienstleistungsqualitätsurteils über die erbrachte Leistung des Reisebüros, durch die die zentrale Bedeutung der Kerndienstleistung für das episodenübergreifende Dienstleistungsqualitätsurteil klar zum Ausdruck kommt. Da jedoch die weiteren Dienstleistungsepisoden und insbesondere die Vornutzungsphase ebenfalls einen deutlich erkennbaren Einfluss auf das Dienstleistungsqualitätsgesamturteil ausüben, wird die Notwendigkeit eines umfassenden Verständnisses einer Reisebürodienstleistung deutlich. Hinsichtlich der Dynamik des Dienstleistungsqualitätsgesamturteils auf der Episodenebene stellte sich ein positiver Einfluss des Dienstleistungsqualitätsurteils über eine vorgelagerte Episode auf das Qualitätsurteil einer zeitlich nachfolgenden Dienstleistungsepisode heraus. Aus den vorstehenden Erläuterungen zu den empirischen Ergebnissen dieser Arbeit, ergeben sich folgende Implikationen für das Qualitätsmanagement von Reisebürounternehmen: Insgesamt verdeutlichen die Untersuchungsergebnisse, dass der gesamte Leistungserstellungsprozess eines Reisebürounternehmens in die Betrachtung des Qualitätsmanagements mit einzubeziehen ist. Das bedeutet, dass im Sinne einer auf den Kundenprozess ausgerichteten Gesamtbetrachtung, ebenso die der eigentlichen Kerndienstleistung vor- und nachgelagerten Augenblicke der Wahrheit berücksichtigt werden müssen, da auch sie das Dienstleistungsqualitätsgesamturteil eines Reisebürokunden in entscheidender Weise beeinflussen.
Mitarbeiter-Performance im Servicekontakt
207
Vor dem Hintergrund der nachgewiesenen Dynamik des Dienstleistungsqualitätsgesamturteils kommt einer Kommunikation der in dieser Untersuchung und in vergleichbaren Studien ermittelten Ergebnisse unter den Mitarbeitern eines Reisebürounternehmens besondere Bedeutung zu. Hierbei gilt es im Besonderen, den Reisebüromitarbeitern zu verdeutlichen, dass ein negatives Erlebnis in einer beliebigen Phase des Dienstleistungsprozesses auch die Wahrnehmung darauf folgender Teilprozesse und damit das Dienstleistungsqualitätsgesamturteil in entsprechender Weise prägen kann. Über die inhaltlichen Ergebnisse dieser Arbeit hinweg versuchten die Autoren, ein methodisches Vorgehen für die Durchführung einer Testkaufstudie aufzuzeigen, das die Überprüfung der Güte mittels MRS gewonnener Daten ermöglicht. Dabei stellte sich heraus, dass nicht nur die Prüfung der Validität von MRS-Daten, sondern auch die Überprüfung der Reliabilität anhand der dargestellten „over time“-Kriterien eine Forschungslücke darstellen, die es zukünftig zu schließen gilt.
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Interaktionskompetenz zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität
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Bernd Bienzeisler und Theodora Löffler
Jenseits von Kennzahlen: Interaktionskompetenzen zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität
1. Zusammenfassung 2. Kundenbeziehungen im Wandel 3. Theoretische Anknüpfungspunkte zur Dienstleistungsproduktivität 4. Interaktionskompetenzen – ein Rahmenkonzept 5. Implikationen für das Dienstleistungsmanagement Literatur
Dipl.-Soz.-Wiss. Bernd Bienzeisler ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, Stuttgart. Dipl.-Kffr. Theodora Löffler hat am Douglas-Stiftungslehrstuhl für Dienstleistungsmanagement der Fernuniversität in Hagen ihre Diplomarbeit zum Thema Dienstleistungsproduktivität geschrieben.
Interaktionskompetenz zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität
1.
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Zusammenfassung
Tiefgreifende Veränderungen im Beziehungsgefüge zwischen Kunden und Dienstleistungsanbietern stellen Mitarbeiter im direkten Kundenkontakt vor neue Herausforderungen. Sie müssen sich vermehrt im Spannungsfeld zwischen produktivitätsorientierten Unternehmenserwartungen und qualitätsorientierten Kundenerwartungen behaupten. Die Interaktion zwischen Kunde und Anbieter spielt dabei als Gestaltungs- und Entscheidungsvariable im Wirkungszusammenhang der Dienstleistungsproduktivität eine entscheidende Rolle. Dienstleistungsforschung und Personalmanagement sind gefordert, Konzepte zu entwickeln, die die Mitarbeiter zu einer erfolgreichen Interaktion befähigen und die zugleich die Besonderheiten der Dienstleistungsproduktivität berücksichtigen. Ein Baustein dazu wird in der Entwicklung von dienstleistungsspezifischen Interaktionskompetenzen gesehen. Auf Basis interaktionstheoretischer Überlegungen wird ein entsprechendes Rahmenkonzept vorgestellt. Daraus ergeben sich Implikationen für das Management von Dienstleistungstätigkeiten im Kundenkontakt.
2.
Kundenbeziehungen im Wandel
Im Dienstleistungsbereich ist eine Vielzahl dynamischer Transformationsprozesse zu beobachten, welche die Anbieter von Dienstleistungen zwingen, sich intensiver mit Fragen der Produktivität auseinander zu setzen. So führen Ansätze der Privatisierung und Deregulierung von Dienstleistungen dazu, dass ehemals öffentlich kontrollierte Branchen aus dem Korsett staatlich reglementierter Angebotsverknappungen herausgenommen und in den freien Wettbewerb überführt werden, so z.B. in der Energie- oder Telekommunikationswirtschaft. Weitere Bereiche, etwa das Gesundheits- und Bildungswesen, sind auf dem Sprung, sich zu zentralen Dienstleistungsmärkten der Zukunft zu entwickeln. Anbieter und Kunden sind aufgefordert, zum Teil über Jahrzehnte gewachsene monopolistische Dienstleistungskulturen abzustreifen und ihre Austauschprozesse entlang von Kosten-/Leistungs-Dimensionen zu organisieren. Verstärkt werden diese Effekte durch eine zunehmende Internationalisierung der Dienstleistungswirtschaft, was gerade für ein Hochlohnland wie Deutschland einen intensiveren Wettbewerb und einen erhöhten Kostendruck bedeutet. Schließlich sind neue bzw. erweiterte Formen der Dienstleistungsrationalisierung zu beobachten, welche die Dienstleistungswirtschaft unter einen Anpassungsdruck setzt, wie er bislang nur aus dem Sachgüterbereich bekannt ist (Karmarkar 2004). Vor allem durch den Einsatz von Informations- und Telekommunikationstechnologien (IuK) bzw. durch die Substitution und Anreicherung von Service-Leistungen mit technisch gestützten Selbstbedienungskonzepten ergeben sich weitreichende Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung.
214
Bernd Bienzeisler und Theodora Löffler
Derartige Entwicklungen werden zumeist auf der Ebene ihrer volkswirtschaftlichen Konsequenzen diskutiert. Sie wirken aber auch unmittelbar auf der Ebene der Beziehungsstrukturen zwischen Kunde und Dienstleister und verändern dort nachhaltig die Interaktionsmuster. Dies geht – auf beiden Seiten – mit einem veränderten Rollenverständnis, aber auch mit neuen Anforderungen einher: (1) Dort, wo sich Dienstleistungsmärkte von Verkäufer- zu Käufermärkten entwickeln, kommen unter dem Leitbild einer vollständigen „Kundenorientierung“ wechselseitige Anspruchsspiralen in Gang, die sich teilweise nur schwer kontrollieren lassen. Denn auf Anbieter- und Abnehmerseite wächst das Selbstverständnis, der zahlende Dienstleistungsabnehmer habe – analog zur Warenwirtschaft – Anspruch auf eine prompte und qualitativ einwandfreie Leistungserbringung. Während jedoch im Sachgüterbereich die Qualität des Produktes anhand von objektivierbaren Kriterien wie Verarbeitung, Haltbarkeit etc. überprüft werden kann, ist die Wahrnehmung des Leistungsergebnisses bei Dienstleistungen stärker von subjektiven Faktoren abhängig. Auch die Tatsache, dass bei Dienstleistungen die zu erbringende Leistung zum Zeitpunkt des Kaufs noch nicht existiert, vergrößert die Gefahr, dass die vom Kunden wahrgenommene Leistung nicht mit der erwarteten übereinstimmt (Schade/Schott 1993; Woratschek 1996; Zeithaml et al. 1988). Dies führt häufig zu enttäuschten Anspruchserwartungen, die zwischen Dienstleister und Kunde interaktiv bearbeitet werden müssen. (2) Der Wandel von Verkäufer- zu Käufermärkten geht mit erhöhtem Wettbewerbsdruck, mit größerer Marktunsicherheit und sinkenden Kundenbindungsbereitschaften einher. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass Kundenbeziehungen kurzfristiger und anonymer ausfallen. Dieser Trend wird durch unternehmerische Reorganisationsprozesse verstärkt, die Versetzungen, Entlassungen und den Austausch von Personal nach sich ziehen. Zudem werden viele Dienstleistungstätigkeiten im Kundenkontakt als flexible Teilzeittätigkeiten organisiert, die den Charakter von Übergangsarbeit annehmen. Schließlich wird die Anonymisierung der Beziehungen zwischen Kunden und Dienstleistern durch eine höhere räumliche Mobilität der Kunden und eine wachsende zeitliche Flexibilität bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen vorangetrieben. Auch die Anreicherung vieler Dienste mit computergestützten Self-Services wirkt dem Aufbau persönlicher, längerfristiger Geschäftsbeziehungen entgegen. (3) Mit der flächendeckenden Diffusion technisch gestützter Selbstbedienungskonzepte (Automaten, Internet etc.), aber auch mit einer zunehmenden Komplexität von Service-Produkten und Leistungspaketen findet in vielen Bereichen eine schleichende Kompetenzverschiebung zwischen Anbieter und Abnehmer der Leistung statt. Denn die Nutzung von Self-Services und die Komplexität der Leistungsangebote erfordern nicht nur Fertigkeiten im Umgang mit Technik, sondern verlangen auch, dass Kunden sich mit dem Prozess der Leistungserstellung intensiver auseinander setzen. Das dabei gewonnene Wissen verändert die Macht- und Autoritätsverhältnisse zwischen
Interaktionskompetenzen zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität
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Anbietern und Kunden. So ist es keine Seltenheit, dass Kunden besser über die Details einer Dienstleistung informiert sind als die Beschäftigten auf der Anbieterseite, was für die Interaktionspartner zu ungewohnten Rollenverteilungen führen kann („Wer berät wen?“). Auf der anderen Seite gibt es eine wachsende Anzahl von Kunden, die mit der Komplexität der Leistung überfordert sind. Auch wissen Kunden oft nicht, wann und wie sie sich in den Leistungserstellungsprozess einbringen können (Fließ 2001). Infolgedessen wächst die Diskrepanz zwischen „fähigen“ und „unfähigen“ Kunden. Die Beispiele verweisen darauf, dass die Beziehungsgefüge zwischen Kunden und Dienstleistern fragiler und unberechenbarer werden. Zugleich steigt der Druck auf die Anbieter, Kosten zu senken und die Produktivität zu erhöhen. Produktivitätssteigerung und Rationalisierung sind deshalb immer stärker auch im Dienstleistungsbereich das Gebot der Stunde. Allerdings kann – anders als in der Sachgutproduktion – die Produktivität einer Dienstleistung nicht beliebig weit durch Standardisierung und Automatisierung erhöht werden, ohne dass die vom Kunden wahrgenommene Qualität der Leistung negativ beeinflusst wird. Denn ab einem bestimmten Punkt übersteigt der vom Kunden subjektiv verspürte Qualitätsmangel den Mehrwert, der im Zuge einer gesteigerten Anbieterproduktivität in Form von Preisvorteilen oder Flexibilitäten an ihn weitergegeben wird. Wer seine Bankgeschäfte „online“ tätigt, bei Problemen jedoch keinen kompetenten Ansprechpartner vorfindet, wird mit der Service-Qualität trotz eines flexiblen und preisgünstigen Service-Angebotes unzufrieden sein. Die Tatsache, dass die Produktivität der Arbeitsprozesse und die Qualität des Leistungsergebnisses nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können, verweist auf eine spezifische „Produktivitätslogik“ von Dienstleistungen, welche sich nicht in allen, aber in wesentlichen Punkten von einem klassischen Produktivitätsverständnis unterscheidet.
3.
Theoretische Anknüpfungspunkte zur Dienstleistungsproduktivität
Die konstitutiven Merkmale von Dienstleistungen, wie Immaterialität, Uno-actu-Prinzip und Integrativität, erschweren zweifellos die Erfassung und Bestimmung der Dienstleistungsproduktivität. Jedoch wäre es zu kurz gegriffen zu behaupten, Dienstleistungen entziehen sich grundsätzlich einer Messung und Bewertung der Produktivität; eine Produktivitätsschwäche oder gar eine „Rationalisierungsresistenz“ kann nicht bei allen Dienstleistungen attestiert werden. Genauso wenig existiert aber eine allgemein verbindliche Strategie im Sinne eines „One Best Way“ zur Produktivitätssteigerung im Dienstleistungsbereich. Vielmehr erfordern unterschiedliche Typen von Services unterschiedliche Strategien zur Steigerung ihrer Produktivität. Drucker (1993) unterscheidet drei elementare Typen von Dienstleistungen in Bezug auf die Dienstleistungsproduktivität:
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Bernd Bienzeisler und Theodora Löffler
Typ 1: Wissensintensive Tätigkeiten, deren Produktivität überwiegend durch die vom Kunden wahrgenommene Qualität des Leistungserstellungsprozesses und des Leistungsergebnisses bestimmt wird (Mediziner, Forscher, Rechtsanwälte, Ingenieure etc.); Typ 2: Tätigkeiten, bei denen die Produktivität sowohl von der Qualität der Leistung wie auch von quantitativen Faktoren – im Sinne von Economies of Scale – abhängig ist (Verkaufstätigkeiten, Pflegeleistungen, Schaltertätigkeiten etc.); Typ 3: Tätigkeiten, bei denen die Produktivität primär von der Effizienz des Leistungspotenzials und des Leistungserstellungsprozesses, also quantitativen Größen abhängig ist (einfache administrative Tätigkeiten, Reinigungsleistungen etc.). Wir konzentrieren uns im Folgenden auf den Typ 2, also Service-Tätigkeiten, bei denen die Produktivität sowohl von der vom Kunden wahrgenommenen Qualität der Leistung wie auch von der Effizienz der Arbeitsprozesse, d.h. quantitativen Einflüssen, abhängig ist. Dies trifft insbesondere auf bilaterale personenbezogene Dienstleistungen zu, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sowohl auf der Kunden- als auch auf der Anbieterseite Personen im Vordergrund stehen. Die daraus resultierende hohe Interaktionsdichte führt dazu, dass der Kunde in relativ großem Ausmaß in die Prozesse des Anbieters eingreift. Die Tatsache, dass der Anbieter seine Prozesse sehr viel weniger autonom disponieren kann, spielt für die Produktivität eine entscheidende Rolle. Probleme der Produktivitätsbestimmung und der Produktivitätssteigerung sind folglich gerade in diesem Segment auszumachen (Corsten 1994; Fließ/Kleinaltenkamp 2004). Im Allgemeinen wird unter Produktivität die Ergiebigkeit der betrieblichen Faktorkombination verstanden (Gutenberg 1975). Dabei wird die Produktivität als Verhältniszahl angegeben, bei der zwei zahlenmäßig erfasste Größen gegenübergestellt werden. Produktivität kann in diesem Sinne verstanden werden als die quotiale Verknüpfung des mengenmäßigen Outputs und Inputs der Leistungserstellung. Bei Dienstleistungen jedoch lassen sich Input und Output schwer bestimmen, denn die Gesamtproduktivität einer Dienstleistung resultiert erst aus dem komplexen Zusammenspiel von Anbieter und Kunde (Gummesson 1998; Grönroos/Ojasalo 2004; McLaughlin/Coffey 1999; Parasuraman 2002; Van Looy et al. 1998). Die Dienstleistungsproduktivität hängt also vom Zusammenwirken von Komponenten ab, die sich dem alleinigen Einflussbereich des Dienstleistungsanbieters entziehen: Dazu zählen zunächst die autonomen Dispositionen des Kunden und des Anbieters, die jeweils eigenständig erbracht werden. Darüber hinaus kommen im Dienstleistungsbereich die integrativen Dispositionen hinzu, die Anbieter und Kunde in der Interaktion gemeinsam erbringen. Dies hat zur Konsequenz, dass der Kunde den Leistungserstellungsprozess und das Leistungsergebnis entscheidend prägt und maßgeblichen Einfluss auf die Produktivität der Dienstleistung erlangt (Engelhardt et al. 1993; Fließ 2001). Im Dienstleistungsbereich finden sich deshalb Phänomene, die mit einem klassischen Produktivitäts- und Rationalisierungsverständnis schwer zu vereinbaren sind (Johnston/Jones 2003):
Interaktionskompetenzen zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität
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„Flaschenhalseffekte“ im Sinne von Produktionsengpässen können sowohl die Anbieterproduktivität steigern wie auch die Service-Qualität erhöhen. So ist aus dem Fast-Food-Bereich bekannt, dass Kunden eine gewisse Verweildauer in Warteschlangen als angenehm empfinden, weil sie so in Ruhe ihre Bestellungen auswählen können. Eine größere Varianz des Angebotes muss nicht zwingend Skaleneffekte minimieren und die Produktivität des Anbieters reduzieren. Ein Beispiel dafür sind unterschiedliche Zugangswege, die Kunden für die Erledigung finanzieller Transaktionen in Anspruch nehmen (Multi-Channel-Banking). Hier trägt gerade die Varianz des Angebotes zu einer Produktivitätssteigerung auf Anbieter- und Abnehmerseite (Flexibilität, Preisvorteile) bei. Standardisierungen und Automatisierungen können zwar die Anbieterproduktivität erhöhen, können sich aber gleichzeitig negativ auf die Service-Qualität und die Kundenzufriedenheit auswirken, denn Standardisierungen bedeuten stets den Verzicht auf eine individuelle Problembehandlung (Lovelock 1993). Unerreichbare Call Center, unterqualifizierte Service-Mitarbeiter oder kaum bedienbare Automaten sind hier häufig anzutreffende Negativbeispiele. Geringe Spezialisierung und breite Qualifizierung können sowohl die Anbieterproduktivität erhöhen als auch für den Kunden mit einer verbesserten Service-Qualität einhergehen. Gerade bei unregelmäßiger Nachfrage der Dienstleistung (Leerzeiten) ist es sinnvoll, das Aufgabenspektrum und die Qualifikation der Beschäftigten so zu erweitern, dass andere wertschöpfende Tätigkeiten ausgeübt werden können. Zeithaml/Bitner (2003, S. 20ff.) unterscheiden vier konstitutive Merkmale von Dienstleistungen, die Hinweise auf eine besondere „Produktivitätslogik“ interaktiver ServiceTätigkeiten geben: (1) Dienstleistungen sind schwer greifbar. Die Immaterialität ruft eine mangelnde Wahrnehmbarkeit und eine Unsicherheit auf Seiten des Anbieters und des Kunden bezüglich der Leistungsbeurteilung hervor. Wertschöpfungs- und Produktivitätskennzahlen können den Einfluss des Kunden auf den Leistungserstellungsprozess und das Leistungsergebnis nur bedingt wiedergeben (Corsten 1994; Engelhardt et al. 1993; Woratschek 1996). (2) Weil Dienstleistungen individuell wahrgenommen werden, handelt es sich um heterogene Leistungen. Viele Dienstleistungen sind in ihrem Ablauf einmalig und können schwer standardisiert werden. Unplanbare Einflussgrößen (Kundenverhalten, äußere Umstände etc.) können den Prozess der Leistungserstellung beeinflussen oder stören, aber nur schwer im Vorfeld kalkuliert werden. (3) Der Kunde ist in den Prozess der Leistungserstellung eingebunden. Die Bereitschaft des Kunden, sich aktiv am Prozess der Leistungserstellung zu beteiligen, hat mithin einen erheblichen Einfluss auf die Produktivität der Leistung.
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Bernd Bienzeisler und Theodora Löffler
(4) Im Gegensatz zur Sachgutproduktion lassen sich Dienstleistungen nicht lagern. Das Zusammenfallen von Produktion und Konsum führt dazu, dass Dienstleistungen nicht „auf Halde“ produziert werden können. Das hat zur Konsequenz, dass die Effizienz der Prozesse in Abhängigkeit von der aktuellen Nachfrage betrachtet werden muss. Inwieweit diese idealtypisch formulierten Merkmale für alle Dienstleistungen Gültigkeit beanspruchen können, ist freilich umstritten (Edvardsson et al. 2005a; Lovelock 2004). Unstrittig ist aber, dass zentrale Wertschöpfungspotenziale bei einer kundenintegrativen Leistungserstellung darin bestehen, dass das Dienstleistungserlebnis (Service Experience), also die individuelle Wahrnehmung des Leistungserstellungsprozesses für den Kunden, möglichst positiv gestaltet wird. Unsicherheiten, die durch die Integration des Kunden entstehen können, sollten bei der Gestaltung und Steuerung der Dienstleistung frühzeitig berücksichtigt werden (Edvardsson et al. 2005b; Küpers 1998; Stuart/Tax 2004). Allerdings sind der Antizipation derartiger Unwägbarkeiten Grenzen gesetzt, denn die Einigung der Transaktionspartner erfolgt bei Service-Leistungen nicht auf der Grundlage eines klar definierbaren Produktes, sondern muss entlang eines Leistungserstellungsprozesses ausgehandelt werden (Kleinaltenkamp/Marra 1995). In diesem Zusammenhang wird der persönlichen Interaktion zwischen den Transaktionspartnern eine entscheidende Bedeutung für die Service-Performance zugeschrieben (Chase/Sriram 2001; Helm 2001; Prahalad/Ramaswamy 2003). Die Interaktionsverläufe zwischen Dienstleister und Kunde geraten jedoch massiv unter Druck, wenn Erwartungen seitens der Kunden und des Unternehmens an die Kundenkontaktmitarbeiter zu stark differieren und nicht aufeinander abgestimmt werden (Kleinaltenkamp 1999; Nerdinger 1994). Das ist z.B. der Fall, wenn einerseits eine hohe Dienstleistungsqualität als Leistungsversprechen vom Unternehmen kommuniziert wird, andererseits jedoch zur Beurteilung der Leistung Kennzahlen und Bewertungsmaßstäbe herangezogen werden, welche ausschließlich auf eine Steigerung der Anbieterproduktivität, nicht aber auf eine Steigerung der Dienstleistungsqualität ausgerichtet sind (Bienzeisler/Tünte 2003). Die sich daraus ergebenden Konsequenzen sind bekannt: Pflegekräfte, die kaum Zeit haben, den individuellen Bedürfnissen ihrer Patienten nachzukommen; Call Center-Beschäftigte, die angewiesen sind, innerhalb kürzester Zeit Gespräche zu beenden; Filialmitarbeiter, die nur noch verkaufen, statt beraten etc. Solche Situationen bergen das Risiko hoher Unzufriedenheit – auf Seiten der Kunden wie auch auf Seiten der Beschäftigten. Die damit verbundenen Steuerungs- und Koordinationsprobleme verweisen darauf, dass Dienstleistungsunternehmen in ihrem Zielsystem zwei Perspektiven gleichzeitig berücksichtigen müssen: Einerseits die Anbieterperspektive, die unter dem Abwägen der Kosten und Erlöse die Effizienz und Produktivität der Leistung fokussiert, andererseits die Kundenperspektive, bei der die Qualität in Abhängigkeit zum kundenindividuellen Kosten-Nutzen-Verhältnis im Vordergrund steht. Beide Perspektiven sind nicht immer konfliktfrei in Einklang zu bringen. Die Verknüpfung der beiden Erfolgsfaktoren Produkti-
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Kosten
Nutzen
Qualität
Produktivität
Erl öse
Optimum
Preis
Kundenzufriedenheit
Kundenperspektive
Kundenbedürfnis Wettbewerbsleistungen
Input
Output
Technische Mittel Mitarbeiter
Anbieterperspektive
Kundennachfrage
vität und Qualität geht dann mit Schwierigkeiten bezüglich der Gestaltung und Steuerung der Dienstleistung einher, die letztlich in der Interaktion zwischen Kundenkontaktmitarbeiter und Kunden bewältigt werden müssen. Um dauerhaft am Markt erfolgreiche Dienstleistungen anbieten zu können, gilt es mithin, die beiden Sichtweisen im Spannungsfeld von Produktivität und Qualität aufeinander abzustimmen und im gemeinsamen Optimum zu vereinen (Abbildung 1).
Abbildung 1: Das Dienstleistungsoptimum im Spannungsfeld von Produktivität und Qualität (Quelle: In Anlehnung an Engelhardt 1996, S. 79 und Hinrichs 1994, S. 31) Bislang jedoch erfolgt die Zusammenführung der Kunden- und Anbieterperspektive häufig unter einseitigen Betrachtungsweisen. Entweder wird die unternehmensinterne Perspektive betont, indem organisatorische und administrative Prozesse auf Produktivitätssteigerungen hin untersucht wurden. Oder es steht die individuelle, kundenorientierte Arbeitseinstellung der Beschäftigten und somit die Kundenperspektive im Fokus. Auf die komplexen Wirkungszusammenhänge zwischen Produktivität und Qualität wird zwar
220
Bernd Bienzeisler und Theodora Löffler
des Öfteren hingewiesen, jedoch besteht weiterer Forschungsbedarf für konkrete Gestaltungs- und Steuerungsmaßnahmen, die das Verhältnis von Produktivität und Qualität des Leistungserstellungsprozesses optimieren. Dabei gilt es im Besonderen, die qualifikatorischen Voraussetzungen herauszuarbeiten, welche die Kundenkontaktmitarbeiter zu einer erfolgreichen Interaktion mit dem Kunden befähigen, um den interaktiven „Kern“ kundenintegrativer Dienstleistungen nicht nur effizient, sondern auch qualitativ hochwertig gestalten zu können. Die zentrale Fragestellung lautet: Wie lassen sich Arbeitsprozesse unter betriebswirtschaftlichen Effizienzgesichtspunkten optimieren und rationalisieren und wie kann zugleich eine bessere Servicequalität, aber auch eine bessere Arbeitsqualität erreicht werden? Wir sehen in der systematischen Steigerung der Interaktionskompetenz von Beschäftigten im Kundenkontakt einen (!) Baustein in der Beantwortung dieser Frage. Denn durch hohe Interaktionskompetenz auf der Anbieterseite lassen sich auf kommunikativem Wege subjektiv verspürte Qualitätsdefizite ausgleichen, die entstehen, wenn Erwartungshorizonte von Kunden und Dienstleistungsunternehmen im Zuge hohen Kostendrucks, flexibilisierter Beziehungsgefüge und einer weitreichenden Standardisierung von Arbeitsprozessen auseinander fallen. Interaktionskompetenz eröffnet gleichsam Spielräume, um die Produktivität des Anbieters zu erhöhen, ohne die Gesamtproduktivität, die sich aus Anbieterproduktivität plus Dienstleistungsqualität ergibt, negativ zu beeinflussen. Ähnlich wie für den Bereich wissensintensiver Dienste gilt also auch für kontaktintensive, personenbezogene Dienstleistungen, dass diese langfristig nur dann wirtschaftlich zu erbringen sind, wenn die Beschäftigten in die Lage versetzt werden, durch individuelle Kompetenzen situativ auftretende Unsicherheiten und Risiken erfolgreich zu bearbeiten. Allerdings ist das öffentliche Bewusstsein noch darauf zu lenken, dass es sich bei diesen Tätigkeiten um höchst anspruchsvolle Tätigkeiten handelt. Das zeigt sich nicht zuletzt an der relativ geringen Wertschätzung, die vielen personenbezogenen Dienstleistungsarbeiten entgegen gebracht wird (Ganz et al. 2005).
4.
Interaktionskompetenzen – ein Rahmenkonzept
Ein Grund für die geringe Wertschätzung dürfte darin liegen, dass viele personenbezogene Dienstleistungen in der öffentlichen Wahrnehmung als „einfache“ Arbeiten angesehen werden, die mit einem überschaubaren Maß an Qualifikation auskommen und gleichsam von „Jedermann“ bzw. „Jederfrau“ erbracht werden können. Die Komplexität dieser Tätigkeiten zeigt sich erst, wenn man genauer untersucht, wie Beschäftigte im Kundenkontakt die verschiedenen Erwartungshaltungen, die an sie herangetragen werden, erkennen, kontrollieren und managen müssen.
Interaktionskompetenzen zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität
221
Voswinkel (2005) hat in diesem Zusammenhang sieben Einzelelemente der Interaktionsarbeit im Kundenkontakt herausgearbeitet. Dabei zeigt sich, dass Dienstleistungsarbeit im Kundenkontakt mit einer Vielzahl unterschiedlicher, zum Teil widersprüchlicher und nicht selten gleichzeitig auftretender Anforderungen einhergeht, bei denen die Beschäftigten gefordert sind, ein regelrechtes „Erwartungsmanagement“ zu betreiben, um Unternehmenserwartungen und Kundenerwartungen gezielt aufeinander abzustimmen bzw. um Kundenerwartungen und Kundenemotionen gezielt zu steuern (Abbildung 2). Voswinkel beschreibt diese Elemente als unterschiedliche Arbeitstypen, die sich wie folgt skizzieren lassen: (1) Normalisierungsarbeit: Bei der Normalisierungsarbeit steht die Gewährleistung des normalen effizienten Ablaufs im Vordergrund, wie er im Sinne des Dienstleistungskonzeptes vorgesehen ist. Normalisierungsarbeit ist erforderlich, wenn der normale Arbeitsablauf durch nicht vorhersehbare Einflussgrößen gestört wird, z.B. durch organisatorische Defizite (fehlende Ware etc.), unangepasstes Handeln der Kunden (Sonderwünsche etc.) oder inkompetentes Handeln der Kunden (mangelnde sprachliche Kompetenzen etc.). (2) Kontrollarbeit: Bei der Kontrollarbeit geht es darum, den Kunden zu beobachten, zu überwachen und zu kontrollieren, beispielsweise zur Vermeidung von Ladendiebstählen. Kontrollarbeit zielt darauf ab, Gefahren zu erkennen, bevor sie offenbar werden. (3) Transferarbeit: Als Transferarbeit wird die Vermittlung zwischen Kundenwunsch und einer Ware, einer Information oder einer anderen Leistung bezeichnet. Zur Transferarbeit zählt z.B. das Bereitstellen von Speisen und Getränken, das Kassieren oder Abwiegen von Ware. Erfolgreiche Transferarbeit setzt voraus, die Kunden so zu steuern, dass diese ihre Wünsche und Vorstellungen klar artikulieren können, um daraus eine eindeutige Transfer-Order ableiten zu können. (4) Beratungsarbeit: Bei der Beratungsarbeit werden dem Kunden Informationen über Produkte und Leistungen gegeben, die dem Zweck der Kaufentscheidung dienen. Hierbei ist abzuwägen, ob der Kunde in seiner Kaufentscheidung unterstützt werden will, oder ob er Bedarf nach unvoreingenommener objektiver Beratung hat. (5) Verkaufsarbeit: Bei der Verkaufsarbeit steht nicht die Beratung, sondern der Vertrieb der Ware im Vordergrund. Beratungs- und Verkaufsarbeit sind trotz mancher Überschneidungen zu unterscheiden. Bei Letzterer zählt nicht der Informationsaustausch, sondern der erfolgreiche Abschluss einer Transaktion. (6) Animationsarbeit: Diese zielt darauf ab, im interaktiven Austausch mit dem Kunden eine positive Atmosphäre hervorzurufen und die Stimmung zu heben. Animationsarbeit findet z.B. statt, wenn die Interaktion mit lebensweltlichen Elementen angereichert wird (Plausch mit dem Kunden).
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Bernd Bienzeisler und Theodora Löffler
(7) Hilfearbeit: Von Hilfearbeit wird gesprochen, wenn die Beschäftigten den Kunden helfen, ein Problem zu lösen, welches sie nicht alleine bewältigen können, z.B. das Ausfüllen von Formularen oder das Tragen von Ware zur Kasse etc. Wesentliches Kennzeichen von Hilfearbeit ist, dass die Beschäftigten abwägen müssen, wie weit die Hilfe gehen kann.
Elemente der Kundeninteraktionsarbeit
Aufgaben der Beschäftigten
Erwartungen an Kunden
Normalisierungsarbeit
Störungen beseitigen
Einfügung in Dienstleistungsablauf
Kontrollarbeit
korrektes Kundenverhalten gewährleisten
Korrektes, transparentes Verhalten
Transferarbeit
Ware bereitstellen
Klare Formulierung der Kundenwünsche
Beratungsarbeit
Entscheidungshilfen liefern
Offenheit für Ratschläge und Entscheidungshilfen
Verkaufsarbeit
positive Beeinflussung der Kaufentscheidung
Kaufbereitschaft
Animationsarbeit
Steigerung des Wohlbefindens des Kunden
Begeisterungsfähigkeit
Hilfearbeit
Problemlösungen als Extra-Service
Bewusstsein für Grenzen der Beanspruchung
Abbildung 2: Elemente der Kundeninteraktionsarbeit (Quelle: Voswinkel 2005, S. 163) Die verschiedenen Elemente der Kundeninteraktionsarbeit machen deutlich, dass eine erfolgreiche Interaktion zwischen Kunde und Anbieter bestimmte Kompetenzen des Servicepersonals erfordert, um die oftmals höchst unterschiedlichen Anforderungen und Erwartungen der Kunden und des Dienstleistungsunternehmens aufeinander abzustimmen bzw. um Kundenerwartungen im Prozess der Leistungserstellung zu steuern. Damit stellt sich die Frage, wie sich die Kompetenzen, die für ein erfolgreiches Interaktionsmanagement im Kundenkontakt nötig sind, theoretisch verorten und analytisch erfassen lassen. Interaktionen bestehen aus einer reziproken Bezugnahme von mindestens zwei Interaktionspartnern aufeinander. Dies impliziert, dass Interaktionskompetenzen dadurch gekennzeichnet sein müssen, dass sie gestaltend und steuernd auf die kommunikativen Austauschprozesse der beteiligten Akteure einwirken. Zur Bestimmung solcher Kompetenzen ist die gewöhnlich vorgenommene Unterscheidung zwischen fachlichen und überfachlichen Kompetenzen (Sozialkompetenzen) nicht trennscharf genug, da diese
Interaktionskompetenzen zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität
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nicht im dynamischen Prozess der Dienstleistungsinteraktion reflektiert werden. Zudem sind überfachliche Kompetenzen selten näher bestimmt und aufgeschlüsselt. Ein prozessorientierter Ansatz zur Ableitung von Interaktionskompetenzen findet sich in den interaktionstheoretischen Überlegungen Goffmans (1971). Goffman (1971, S. 128ff.) unterscheidet vier basale Arten der „Entfremdung in der Interaktion“, die auf Fehlverhalten bzw. fehlgeleitetes Engagement eines oder mehrerer Gesprächsteilnehmer im Konversationsprozess verweisen: (1) Ablenkung von außen (External preoccupation) Bei der Ablenkung von außen bringt ein Interaktionspartner nicht die geforderte Aufmerksamkeit auf, sondern konzentriert sich auf Dinge, die außerhalb des aktuellen Gesprächsthemas liegen und in keinem Zusammenhang mit den Gesprächsteilnehmern stehen. Die extreme Form ist eine Ablenkung, die als willkürlich empfunden wird und bei der der Regelverletzer den Eindruck erweckt, die Aufmerksamkeit zwar der Konversation widmen zu können, dies aber offenkundig bewusst nicht tut. (2) Ich-Befangenheit (Self-consciousness) Ich-Befangenheit liegt vor, wenn jemand sein Engagement für die Interaktion vernachlässigt und stattdessen die Aufmerksamkeit mehr als gebührlich auf sich selber richtet. Der Gesprächsteilnehmer zollt hier seiner eigenen Person zuviel Aufmerksamkeit, selbst wenn er zu diesem Zeitpunk wieder für die Interaktion zur Verfügung stehen müsste. Die ausgeprägteste Form der Ich-Befangenheit sind Situationen, die von beiden Interaktionspartnern als peinlich empfunden werden, weil einer der Interaktionspartner verlegen ist und die Interaktion ins Stocken gerät. (3) Interaktions-Befangenheit (Interaction-consciousness) Interaktions-Befangenheit tritt auf, wenn ein Gesprächsteilnehmer sich nicht spontan in der Konversation engagiert, sondern die Aufmerksamkeit zu stark auf den Prozess bzw. den Verlauf der Interaktion selbst lenkt. Eine häufige Ursache von InteraktionsBefangenheit hängt mit dem übertriebenen Verantwortungsgefühl zusammen, das jemand für den „guten Verlauf“ einer Konversation übernimmt. InteraktionsBefangenheit taucht aber auch auf, wenn die Themen für die Fortführung eines Gespräches ausgehen und peinliche Stille eintritt (z.B. beim Smalltalk). (4) Fremd-Befangenheit (Other-consicousness) Von Fremd-Befangenheit wird gesprochen, wenn einer der Gesprächspartner zu stark kontrolliert, wie der Gegenüber ihn als Person einschätzt. Die ausgeprägtesten Merkmale lassen sich mit „Affektiertheit“ und „Unaufrichtigkeit“ beschreiben. Zur Fremd-Befangenheit zählt auch, wenn sich ein Partner über die Maße in den Interaktionsverlauf einbringt, wodurch die anderen gezwungen werden, ihr Engagement zurückzunehmen. Für den Bereich kontaktintensiver, kundenintegrativer Dienstleistungs-Settings leiten wir aus Goffmans Überlegungen vier grundlegende dienstleistungsspezifische Interaktionskompetenzen ab (Abbildung 3). Diese im Folgenden skizzierten Kompetenzen unterstüt-
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zen Beschäftigte im Kundenkontakt, heterogene Erwartungshaltungen, Widersprüchlichkeiten und Dilemmata zu bewältigen. Sie leisten somit einen Beitrag zu einer gesteigerten Interaktionsqualität, was sich positiv auf die vom Kunden wahrgenommene ServiceQualität auswirken kann. Damit eröffnen sich Spielräume, um die Arbeits- und Leistungsprozesse unter Effizienzgesichtspunkten zu optimieren, ohne dass die Qualität der Dienstleistung davon unmittelbar negativ betroffen sein muss. (1) Ablenkung von außen = Empathie Empathie, verstanden als die Fähigkeit, das gesamte Gefüge einer Service-Interaktion konsequent aus Kundenperspektive zu betrachten. Im Dienstleistungskontext bedeutet Empathie, ein Gespür dafür zu entwickeln, welche Erwartungshaltungen der Kunde im Hinblick an das jeweilige Setting einer Dienstleistung (z.B. persönliche Situation des Kunden, Gestaltung des physischen Umfeldes, Kundenhistorie etc.) heranträgt. Empathie ermöglicht es dem Dienstleister, den Interaktionsverlauf situativ auf den Kunden bzw. das kundenindividuelle Interesse abzustimmen. (2) Ich-Befangenheit = Professionalität Professionalität verstanden als Fähigkeit, durch den gezielten Einsatz von Fachwissen im Interaktionsprozess Gestaltungs- und Handlungsspielräume zu eröffnen. Über die Vermittlung von Professionalität gewinnen Beschäftigte zeitliche Spielräume, die es erlauben, dem Kunden als Interaktionspartner zur Verfügung zu stehen. Wer zu stark auf sachliche und fachliche Aspekte der Dienstleistungserbringung konzentriert ist, oder wer gar Zweifel an seiner Problemlösungskompetenz aufkommen lässt, blockiert den Interaktionsverlauf. Professionalität im hier gemeinten Sinne ist die Kunst, Fachwissen im Interaktionsverlauf für eigene Zwecke zu inszenieren. (3) Interaktionsbefangenheit = Spontaneität Spontaneität verstanden als die Fähigkeit, trotz vorstrukturierter Interaktionsverläufe (z.B. durch Skriptorientierung, standardisierte Arbeitsprozesse) und hohem Leistungsdruck (z.B. in Form von Zielvorgaben) die Interaktion für beide (!) Seiten offen zu gestalten. Spontaneität als Interaktionskompetenz meint, im Interaktionsverlauf von Vorgaben, Routinen und dem Arbeitsergebnis (z.B. Geschäftsabschluss) abstrahieren zu können, so dass der Kunde das Gefühl bekommt, Kontrolle über den Interaktionsverlauf zu behalten. So steigt z.B. die vom Kunden wahrgenommene ServiceQualität, wenn er bis kurz vor Abschluss eines Geschäfts das Gefühl hat, sich aus dem Vertragsabschluss zurückziehen zu können. (4) Fremd-Befangenheit = Authentizität Authentizität verstanden als die Fähigkeit, Ehrlichkeit, Respekt und Aufrichtigkeit in der Konversation zu vermitteln. Generell ist zu beobachten, dass in einer zunehmend virtuellen Welt das Bedürfnis nach Authentizität steigt. Das gilt auch für die Dienstleistungsinteraktion. Wer lediglich durch aufgesetzte Freundlichkeit einen guten Eindruck erwecken will, wirkt längst nicht authentisch. Authentizität setzt vielmehr voraus, dass Beschäftigte in der Lage sind, ihr persönliches Engagement für die Interaktion so darzustellen, dass der Kunde den Eindruck gewinnt, der Dienstleister hegt
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ein persönliches Interesse für die Aufrechterhaltung der Interaktion. Weil Authentizität nur im wechselseitigen Dialog vermittelt werden kann, geht es nicht nur um die Darstellung, sondern auch um die Einforderung von Anerkennung und Respekt.
Art der Entfremdung
Merkmale der Entfremdung nach Goffman
Merkmale in interaktiven Dienstleistungs-Settings
Interaktionskompetenz
Ablenkung von außen willkürlich empfundene Unkonzentriertheit und Ablenkung
fehlende Fähigkeit, das situative Setting einer Dienstleistung aus Kundenperspektive zu betrachten
Empathie
Ich-Befangenheit
Vernachlässigung der Interaktion, Konzentration auf die eigene Person, Verlegenheit
zu starke Konzentration auf sachliche Aspekte; fehlende Fähigkeit, Fach- und Sachkompetenz darzustellen
Professionalität
InteraktionsBefangenheit
zu starker Fokus auf den erfolgreichen Verlauf der Interaktion
fehlende Fähigkeit, die Interaktion von Routinen, Skripten und dem angestrebten Ergebnis der Interaktion zu entkoppeln
Spontaneität
Fremd-Befangenheit
zu starker Fokus auf die Wirkung beim Gegenüber
fehlende Fähigkeit, EhrlichAuthentizität keit und Aufrichtigkeit im Interaktionsverlauf zu vermitteln
Abbildung 3: Rahmenkonzept zur Ableitung dienstleistungsspezifischer Interaktionskompetenzen
5.
Implikationen für das Dienstleistungsmanagement
Eine nachhaltige Erhöhung der Dienstleistungsproduktivität wird in vielen Dienstleistungs-Settings, insbesondere im Bereich bilateraler personenbezogener Dienstleistungen nur dann zu erzielen sein, wenn nicht nur die Effizienz, sondern zugleich die vom Kunden wahrgenommene Qualität der Leistung gesteigert oder zumindest auf gleichem Niveau gehalten wird. Die Entwicklung bzw. Steigerung dienstleistungsspezifischer Interaktionskompetenzen von Beschäftigten im Kundenkontakt kann dabei als wichtiger Baustein gesehen werden, denn die interaktive Komponente der Dienstleistungserbringung beinhaltet vielfältige Möglichkeiten, selbst dann noch ein positives ServiceErlebnis zu gewährleisten, wenn im Zuge von Anonymisierung, Standardisierung und Automatisierung die Beziehungsstrukturen zwischen Dienstleister und Kunde fragiler
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und unberechenbarer werden. Dienstleistungsspezifische Interaktionskompetenzen eröffnen Kundenkontaktmitarbeitern die Möglichkeit, auf die Widersprüchlichkeiten und Dilemmata, die im Spannungsfeld von unternehmensorientierter Effizienz und kundenorientierter Dienstleistungsqualität entstehen können, kompetent reagieren zu können. Der Ansatz von Interaktionskompetenzen geht folglich über das, was gemeinhin als „Kundenorientierung“ bezeichnet wird, hinaus. Interaktionskompetenz zielt vielmehr darauf ab, Mitarbeiter zu befähigen, die Interaktion zwischen Kunde und Dienstleister situativ (!) zu gestalten, ein effektives Erwartungsmanagement im Kundenkontakt betreiben zu können und somit auch unter schwierigen Rahmenbedingungen eine erfolgreiche Kundenintegration zu gewährleisten. Die Betonung der Bedeutung von Interaktionskompetenzen unterstützt zudem die Dienstleistungsorganisation in ihrem Selbstverständnis, dass eine erfolgreiche Kundenintegration keine Bringschuld des Nachfragers, sondern eine Holschuld des Anbieters darstellt (Kleinaltenkamp 1999). Eine Herausforderung dürfte darin liegen, Instrumente und Methoden zu schaffen, welche es erlauben, dienstleistungsspezifische Interaktionskompetenzen systematisch zu entwickeln. Dazu sind ausschließliche Schulungsmaßnahmen fernab des Kundenkontaktes nur bedingt geeignet. Zielführender wäre ein „Monitoring“ dienstleistungsspezifischer Interaktionskompetenzen unter möglichst realen Bedingungen. In theaterwissenschaftlich orientierten Konzepten zur Dienstleistungsforschung (Grove et al. 2000; Harris et al. 2003; Stuart/Tax 2004) finden sich Ansätze, welche die Interaktion als zentrales Element zur Steigerung der Service-Performance betrachten. Theaterorientierte Rollenspiele werden dabei verstanden als eine Methode, mit der Dienstleistungsinteraktionen auf Basis persönlicher Erfahrungen von Kunden und Beschäftigten rekonstruiert, simuliert und trainiert werden können. Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Überlegungen erscheint es viel versprechend, die Interaktionskompetenzen „Empathie“, „Professionalität“, „Spontaneität“ und „Authentizität“ in Form von derartigen Rollenspielen zu trainieren. Dazu müsste zunächst eine weitere Operationalisierung der Kategorien vorgenommen werden. Anschließend könnte auf Basis der „Critical Incident Technique“ die Ermittlung erfolgskritischer Mitarbeiter- und Kundeneindrücke innerhalb der jeweiligen Kompetenz-Dimension erfolgen. Auf Basis dieser Erkenntnisse ließen sich idealtypische Interaktionssequenzen rekonstruieren, die in der Form von Skripten dokumentiert und von den Beschäftigten selbst „nachgespielt“ werden. Der Vorteil eines solchen Vorgehens dürfte darin bestehen, dass die Beschäftigten selber zum Lehrer und Verbreiter ihrer Erfolgsmethoden werden, was gerade im Dienstleistungsbereich die höchsten Lernerfolge verspricht (Drucker 1993). Darüber hinaus ist zu erwarten, dass ein Simulieren und Trainieren von Interaktionskompetenzen die Zusammenhänge zwischen fachlicher Qualifikation, Persönlichkeitsmerkmalen und der Gestaltung von Arbeitsprozessen und Organisationsstrukturen aufzeigt. Dem Management wird dadurch die Möglichkeit eröffnet, weiterführende Aspekte zur Gestaltung und
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Steuerung der Dienstleistungserbringung zu erhalten, um dem Optimum im Spannungsfeld von Produktivität und Qualität ein Stück näher zu kommen.
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4. Ausgewählte Controllingsysteme im Dienstleistungsbereich
7
Probleme der Implementierung kennzahlengestützter Steuerungssysteme
Thomas Biermann
Probleme der Implementierung kennzahlengestützter Steuerungssysteme im Dienstleistungsunternehmen
1. Einführung und Zielsetzung 1.1 Messen – und vergessen? 1.2 Potemkin’sche Dörfer im Service Controlling 1.3 Vorgehensweise 2. Bedeutungszuwachs der Kennzahlensteuerung 2.1 Kennzahlen in Industrie und Dienstleistung 2.2 Aktuelle Tendenzen 3. Widerstände gegen Kennzahlensysteme 3.1 Furcht vor Veränderungen 3.2 Rechtsprobleme bei Veränderungen 3.3 Kulturelle Barrieren 4. Widerstände verstehen und überwinden 4.1 Gut: Transparenz in der Kennzahlenimplementierung 4.2 Besser: Transparenz in der Kennzahlenentwicklung 4.3 Die Rolle des „Shopfloor-Managements“ 4.4 Abbildung von Zielkonflikten 5. Fehlervermeidung in der Kennzahlenimplementierung 5.1 Definitionen festschreiben 5.2 Verständnis erleichtern 5.3 Aktionsorientierte Kennzahlen bevorzugen 5.4 Zweitbeste Lösungen zulassen 5.5 Lernbereitschaft zeigen
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6. Fazit Literatur
Prof. Dr. Thomas Biermann leitet das Wildau Institute of Technology an der Technischen Fachhochschule Wildau (Brandenburg) und das Service Management Institut in Berlin.
Probleme der Implementierung kennzahlengestützter Steuerungssysteme
1.
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Einführung und Zielsetzung
1.1 Messen – und vergessen? Fast alle größeren Dienstleistungsunternehmen haben sich im Laufe der letzten Jahre um die Entwicklung ausgefeilter Kennzahlensysteme zur Messung ihrer Leistungsfähigkeit bemüht. Während in der Vergangenheit überwiegend nur finanzwirtschaftliche Werte quantitativ erfasst wurden, hat sich ab Mitte der 1990er Jahre der Stellenwert nichtmonetärer Messgrößen deutlich erhöht. Es stellen sich jedoch die folgenden Fragen: Werden diese Daten tatsächlich zur Entscheidungsunterstützung genutzt? Werden sie von den Mitarbeitern verstanden und akzeptiert? Fließen die Auswertungsergebnisse in die Organisation der Alltagsabläufe ein? In der Literatur wird gern von der Gestaltung von Controlling-Leitständen oder Controlling-Cockpits für die unternehmerischen Piloten gesprochen (Hoffmann 2000) – wer denkt aber an die Sorgen und Nöte des betrieblichen Bodenpersonals?
1.2 Potemkin’sche Dörfer im Service Controlling Auf Fachkongressen präsentieren Praxisreferenten aus namhaften Unternehmen regelmäßig ihre komplexen Kennzahlensysteme. Der Verfasser hatte mehrfach Gelegenheit, im Rahmen von Beratungsprojekten oder während der Betreuung von Diplom- bzw. Masterarbeiten tiefere Einblicke in einige dieser Unternehmen zu gewinnen. Hinter der spiegelnden Fassade offenbarte sich nicht selten eine vollkommen andere Wirklichkeit: Das Top-Management fasste Beschlüsse ohne Berücksichtigung der vorhandenen Kennzahlenauswertungen, weil man deren Aussagen misstraute. Die Belegschaft fühlte sich von den Messansätzen bedroht und konzentrierte sich darauf, die Datenerfassung geschickt zu manipulieren oder unerfreuliche Ergebnisse kreativ weg zu interpretieren. Das Controlling (oder auch das Qualitätsmanagement) kämpfte argumentativ gegen diese Akzeptanzwiderstände an – mit bewundernswertem Eifer, jedoch eher bescheidenem Erfolg.
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1.3 Vorgehensweise In diesem Beitrag wird diskutiert, warum die beschriebenen Probleme auftreten und warum das Phänomen der Widerstände gegen Messsysteme gerade im Dienstleistungssektor so häufig auftritt. Im Anschluss hieran werden Empfehlungen zur Überwindung, vor allem aber zur vorbeugenden Vermeidung verbreiteter Einführungsbarrieren gegeben – ein großes „Do“ und mehrere kleinere „Do not’s“ sind das Ergebnis. Dabei stehen die klassischen Wirtschaftsunternehmen des tertiären Sektors im Vordergrund. Das Gesagte gilt jedoch für öffentliche Dienstleistungsunternehmen und für Servicebereiche der produzierenden Industrie gleichermaßen. Die eingestreuten Fallbeispiele sind real, jedoch aus Gründen des Vertraulichkeitsschutzes so verfremdet, dass kein Rückschluss auf die betroffenen Organisationen möglich ist.
2.
Bedeutungszuwachs der Kennzahlensteuerung
2.1 Kennzahlen in Industrie und Dienstleistung Ein ganzheitlich angelegtes Kennzahlensystem liefert zahlenmäßige Indikatoren für die Qualität und Produktivität der Leistungserstellung im Sinne eines Performance Measurements. Dieses dient der Entscheidungsunterstützung auf strategischer wie operativer Ebene, was in Zukunft getan und was gelassen werden soll. Das in deutschen Unternehmen populärste Controlling-Werkzeug ist heute ohne Zweifel die Balanced Scorecard (Weber/Schäffer 2000). Daneben spielt das aus dem Qualitätsmanagement stammende EFQM/EQA-Modell eine nicht unbedeutende Nebenrolle (Horváth und Partner 2000). In der produzierenden Industrie hat das Messen aller relevanten Parameter – gerade im Produktionsbereich – seit Frederick Taylor (1856-1915) eine hundertjährige Tradition. Auch das Marketing arbeitet überwiegend zahlenorientiert. Bei der Gestaltung und Erstellung von Dienstleistungen hingegen stellt die Quantifizierung von Prozessgrößen vielfach eine Neuerung dar (Biermann 1997).
2.2 Aktuelle Tendenzen Der Bedeutungszuwachs der Kennzahlensysteme im Service geht seit etwa dem Jahre 2000 auf mehrere miteinander verknüpfte Trendentwicklungen zurück:
Probleme der Implementierung kennzahlengestützter Steuerungssysteme
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Verschärfter Wettbewerb und zunehmender Margendruck zwingen zur konsequenten Ausschöpfung aller Einsparpotenziale. Eine Reduktion bzw. Eliminierung von Services mit schlechter Aufwands-/Wertschätzungsrelation bzw. ohne nachhaltiges Ertragspotenzial erscheint notwendig, um einen „Service-Overkill“ (Serviceleistungen, die der Kunde nicht honoriert) zu vermeiden. Nicht-monetäre Kennzahlen gelten als sensible Frühwarnindikatoren für Probleme, welche behoben werden können, bevor negative Spätfolgen mit entsprechenden Konsequenzen für die finanzwirtschaftlichen Zahlen auftreten. Erhöhte Kundenanforderungen nach dokumentierter Qualität (etwa mittels Zertifizierung nach ISO 9000ff.) sowie zunehmend verbraucherorientierte Gesetzgebung und Rechtssprechung (Gewährleistung, Produkthaftung) zwingen in etlichen Wirtschaftszweigen zu systematischer Leistungsmessung zur Beweissicherung in Konfliktfällen. Das Outsourcing von bislang selbst erstellten Teilleistungen an externe Anbieter erfordert die Definition konkreter Messgrößen in der Phase der Vertragsverhandlungen und ein Monitoring dieser Größen zur Prüfung der Vertragseinhaltung. Die Schaffung von Anreizsystemen für Mitarbeiter mittels Einführung leistungsorientierter Entlohnungssysteme wirft die Frage nach der „gerechten“ Quantifizierung der Gut- und Schlechtleistung von Individuen oder Teams auf (Biermann 2003). Moderne Informationstechnologien erlauben die kontinuierliche Messung und Bewertung wichtiger Parameter entlang der Wertschöpfungskette. Sie schaffen kostengünstig eine Datenbasis, auf die sich Kennzahlensysteme aufsetzen lassen. Deshalb ist es heute nicht nur wünschenswert, Dienstleistungsprozesse mit Kennzahlen zu steuern, sondern es ist auch wesentlich leichter möglich als früher (Horváth und Partner 2000). Fallbeispiel A Eine große Fluggesellschaft beabsichtigte, durch geringere Bodenzeiten am Flughafen eine höhere Produktivität ihrer Flugzeuge und Besatzungen und damit Kostenvorteile zu realisieren – vornehmlich als Gegenmaßnahme zum preisgünstigen Angebot der BilligAirlines. Eine wesentliche Rolle spielten dabei extern zugekaufte Dienstleistungen wie Gepäckbeladung, Treppen und Brücken, Reinigung und Tanken. Um einen Anreiz für zeitgenaue Leistungserbringung (und Vorzugsbehandlung bei Kapazitätsengpässen) zu schaffen, wurden die Dienstleister an den Hauptflughäfen Zug um Zug mit Service Level Agreements zu pünktlicher und schneller Servicelieferung verpflichtet, indem die Vergütung an die Erfüllung minutengenauer Standardvorgaben an den Eckpunkten der Prozesse gekoppelt wurde.
238
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Bei den direkt am Flugzeug erbrachten Services erfolgt die Messung der erforderlichen Daten mittlerweile automatisch durch elektronische Registrierung in der flugzeugeigenen Datenverarbeitung – die Pünktlichkeit des Betankens beispielsweise wird durch laufende Erfassung des Öffnens und Schließens der Tankklappe dokumentiert.
3.
Widerstände gegen Kennzahlensysteme
3.1 Furcht vor Veränderungen Mitarbeiter sind nicht mehr bereit, sich fraglos von oben angeordneten Messsystemen zu unterwerfen. Sie verlangen und erwarten Aufklärung und Mitwirkungsrechte. Damit erlangen sie aber – ob gewollt oder nicht – zugleich eine Position, die eine wirksame Blockade des ganzen Systems ermöglicht (Horváth und Partner 2000). Eine erste Barriere bei der Einführung neuer Kennzahlen im Betrieb erwächst aus der Furcht vor Veränderungen. Das Personal weiß natürlich, dass die Einführung neuer Messgrößen eine Vorstufe für Eingriffe in die Organisation darstellt. Folglich stellen sie sich die berechtigte Frage, wozu das Management den Ist-Zustand messen will, wenn nicht ein neuer Soll-Zustand gegenüber gestellt werden soll?. Nun stehen Mitarbeiter Veränderungen in den Strukturen, Prozessen oder Personen prinzipiell skeptisch gegenüber, weil sie vorab schwer beurteilen können, ob daraus für ihre persönliche Situation am Arbeitsplatz eine Verbesserung oder eine Verschlechterung erwächst. Je angenehmer der gegenwärtig erreichte Zustand empfunden wird, umso größer scheint die Gefahr einer Verschlechterung (Doppler/Lauterburg 1995). Versetzen wir uns in die Lage eines Mitarbeiters, der sich in seiner aktuellen Arbeitssituation wohl fühlt und Veränderungen daher lieber blockieren würde. Wäre es klug, der Installation neuer Messinstrumente tatenlos zuzusehen? Sobald Messdaten vorliegen, werden Vergleiche zu anderen Betrieben möglich und die Wirkungsrichtung neuer Maßnahmen des Managements ist plötzlich nachzuvollziehen. Schlimmstenfalls könnte der Arbeitgeber auf die Idee kommen, den Mitarbeiter mit höheren Zielvorgaben zu quälen (Horváth und Partner 2000). Ist die Faktenlage klar, wird Widerstand zwecklos. Wesentlich aussichtsreicher ist es demnach im Sinne einer Blockadepolitik, bereits den ersten Schritt zu Veränderungsprozessen, also die Installation von Messverfahren, zu torpedieren (Biermann 2004). Fallbeispiel B Eine auf Wohnwagen, Boote und Yachten spezialisierte Sachversicherung wollte den Prozess der Policenausstellung beschleunigen. Es kam nämlich häufig dann zu Kunden-
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beschwerden, wenn der Kunde Monate nach Vertragsabschluss sein Dokument noch immer nicht in den Händen hielt. Die Mitarbeiter der Versicherung waren der Ansicht, dass der Kunde ja mit Annahme des Vertrages rechtswirksam versichert sei – die Ausfertigung der Urkunde auf Schmuckpapier könne deshalb kaum besonders eilbedürftig sein. Der Vorstand ließ die Bearbeitungszeit in Stichproben messen, jedoch waren die Ergebnisse nicht verwertbar – die Zeiten schwankten zwischen zwei und zweiunddreißig Wochen. Nach Rücksprache mit den hauseigenen Experten entschloss man sich, zukünftig in die Messung nur „normale“ Vorgänge einzubeziehen. Entsprechend wurden Tatbestände für „Sonderfälle“ definiert, die außen vor bleiben sollten (z.B. Auslandswohnsitz, Unklarheiten im Wertgutachten, Eigentümer und Versicherungsnehmer nicht identisch usw.). In der folgenden Routinemessung stellte sich heraus, dass 88 Prozent der Versicherungsverträge „Sonderfälle“ betrafen, nur 12 Prozent galten der Definition nach als „normal“. Immerhin war bei diesen Normalfällen die durchschnittliche Bearbeitungszeit mit drei Wochen besser als der Branchendurchschnitt, so dass zur Erleichterung der Belegschaft eine Durchleuchtung der Prozesse unterbleiben konnte. Die Einführung von Messsystemen in Bereichen, wo bisher keine exakten Daten vorlagen, führt in der Belegschaft zur Befürchtung, es ginge der Chefetage vorrangig um eine Rationalisierung mit drastischem Arbeitskräfteabbau als Endziel. Um derartigen Befürchtungen vorzubeugen, wird seitens der Geschäftsleitung zu Beginn der Erhebungen regelmäßig betont, dass an Einsparungen durch Arbeitskräfteabbau oder Auslagerungen nicht gedacht sei (Doppler/Lauterburg 1995). Fraglich ist jedoch, ob mitarbeiterseitig solchen Beteuerungen auch Glauben geschenkt wird. Die Mitarbeiter stellen sich die Frage, wozu das Management Effizienzvorteile denn aufdecken will, wenn nicht, um sie zu nutzen. Im kollektiven Gedächtnis großer Organisationen schlummert meist die Erinnerung an mindestens eine Episode in der Vergangenheit, wo eine vergleichbare Zusage gemacht und später gebrochen wurde.
3.2 Rechtsprobleme bei Veränderungen Widerstände können mit offenem Visier oder eher unter der Hand aufgebaut werden. Offener Widerstand wird – speziell in Deutschland – durch die starke Stellung der Mitarbeitervertretungen erleichtert, weil die Ordnung des Betriebes berührt und damit Mitbestimmungsrechte angesprochen sind (Olfert 2003). Bei jeder Vorrichtung und jedem Verfahren, das eine individuelle Leistungsmessung erlaubt (und somit als Grundlage für Vergütungsbemessungen herangezogen werden kann), ist deshalb mit Blockaden seitens der Betriebsräte zu rechnen.
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Thomas Biermann
In der Industrieproduktion sind Leistungsmessungen meist dennoch durchsetzbar, weil es aus der Tradition der Stückakkordlöhne her immer ein gewisses Eigeninteresse der Arbeiter an einer Leistungserfassung gibt und weil dort eine (mitbestimmungsrechtlich unkritische) Messung der Maschinenlaufzeiten und Materialverbräuche bereits ausreichende Daten liefert. Im Dienstleistungssektor hingegen dominiert der Produktionsfaktor Arbeit so stark, dass nur an ihm eine Messung der Leistungsfähigkeit ansetzen kann – mit den oben genannten Konsequenzen.
3.3 Kulturelle Barrieren Widerstände gegen eine Kennzahlensteuerung unter der Hand gibt es aus unterschiedlichen Gründen in allen Organisationen. Eine Eigenart des Servicesektors verschärft die Problematik: die dienstleistungsorientierte Unternehmenskultur (Biermann 2003). Im Service werden andere Heldengeschichten geschrieben als in der Produktion – der beste Mitarbeiter definiert sich nicht über die Zahl der verarbeiteten Tonnen. Ein Dienstleister ist häufig kein Zahlenmensch – womöglich hat er gerade aus diesem Grund einen Dienstleistungsberuf gewählt. Dem idealtypischen Servicemitarbeiter ist das Ingenieurdenken nach dem „ZDF-Prinzip“ (Zahlen, Daten, Fakten), wie es im Industriesektor vorherrscht, eher fremd. Seine Prioritäten liegen in der Erfüllung der Kundenwünsche, einer umfassenden Beratung und Freundlichkeit auch in schwierigen Situationen – er lebt in einer Welt von Qualitätsdimensionen, die sich einer quantitativen Bewertung erst einmal entziehen. Folgerichtig reagieren Servicemitarbeiter besonders sperrig, wenn der Controller sie in ein rigides Kennzahlenregime einzuzwängen sucht. Bei industrienahen Dienstleistungen, wo im Alltagskontakt viele Berührungspunkte zur zahlenfixierten Welt der Industrieproduktion bestehen, sind diese Widerstände noch am ehesten zu überwinden, etwa in der Logistik oder bei einem Wirtschaftsprüfer (Pepels 2003). Bei industriefernen Services – etwa im Gesundheitswesen oder im Bildungssektor – hingegen wird die Sinnhaftigkeit einer Steuerung mittels Kennzahlen vehement angezweifelt: „Wie soll ich guten Service liefern, wenn hinter mir ein Mann mit einer Stoppuhr steht?“ Die Mitarbeiter fürchten, dass eine Verengung des Blickwinkels allein auf messbare Größen die wirklich relevanten Dimensionen der Leistungserstellung ausblendet und falsche Signale in die Chefetage sendet. Den Mensch als Mensch und nicht als Nummer zu behandeln, ist schließlich ein Merkmal guter Dienstleistungskultur. Damit wird aber unausweichlich auch ein Hindernis bei der numerischen Bewertung von Serviceprozessen geschaffen.
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Fallbeispiel C In einem Krankenhaus hatte die Verwaltungsleitung eine statistische Auswertung der vom Pflegepersonal pro Woche vorgenommenen Standardtätigkeiten (z.B. verabreichte Spritzen) angewiesen, um die einzelnen Schichten und Stationen in ihrer Effizienz besser vergleichen zu können. Kurz nach Einführung der Maßnahme gewöhnten sich die Krankenschwestern an, bei den Patienten nur noch sehr kurz aufzutauchen und nach hastiger Ausführung der Notwendigkeiten wieder zu verschwinden. Immerhin entschuldigten sie sich dafür: Leider ließ ihnen das neue Managementsystem keine Zeit mehr zu einer ordentlichen Betreuung. Auch die Besucher trafen die Pflegekräfte nur noch im Zustand äußerster Eile an. Die Effizienz – soweit in den Kennzahlen ausgewiesen – stieg trotz der sichtbaren Hetze nur unwesentlich, weil das Personal die eingesparten Minuten unbeobachtet auf den Gängen oder im Pausenraum vertrödelte. Dafür häuften sich die Beschwerden von Patienten und Angehörigen über das überlastete Personal und die unerträgliche Pflegesituation, so dass das Messverfahren und die zu Grunde gelegten Standards mehrfach modifiziert und schließlich ad acta gelegt wurden. In einer Produktionshalle haben die besonders leistungsfähigen und -willigen Beschäftigten von funktionierender Leistungsmessung der Mengen und Qualitäten eigentlich nur Gutes zu erwarten. Im Service sind hingegen oft die engagiertesten und anerkanntesten Kräfte besonders kritisch gegenüber Messsystemen, weil sie eine Vernachlässigung der „weichen Faktoren“ befürchten, die ja ihre persönliche Stärke ausmachen. Wo die Leistungsträger gleichzeitig die Meinungsführer sind, also gerade in gesunden Unternehmenskulturen, wird ein Kennzahlensystem demnach besonders schwer zu implementieren sein (Biermann 2003).
4.
Widerstände verstehen und überwinden
4.1 Gut: Transparenz in der Kennzahlenimplementierung Die mangelnde Akzeptanz der Bewertungen der Leistung von Individuen oder Teams im Unternehmen beruht in der Mehrzahl der Fälle darauf, dass die Mechanik der Ermittlung und Auswertung für die Betroffenen im Nachgang schwer durchschaubar ist. Sie vermuten deshalb Manipulationsgefahr durch andere (z.B. konkurrierende Kollegen, emotional aufgeladene Problemkunden und missgünstige Testkäufer) und dementsprechend ungerechte Strafandrohungen der Unternehmensleitung gegen sie selbst. Die offene Kommunikation nach der Entscheidung zur Kennzahlensystematik hilft sicherlich weiter, reicht zur Lösung des Kernproblems allein jedoch nicht aus. Es ist auf
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jeden Fall zielführend, bei der Vorstellung der zum Einsatz gebrachten Messgrößen aufzuzeigen, welche weiteren denkbaren Kennzahlen verworfen wurden und warum. Wenn das vorgeschlagene Konzept zwar womöglich nicht in jeder Hinsicht ideal, aber erträglicher (verständlicher, fehlerfreier, manipulationssicherer, gerechter usw.) ausfällt als die übrigen denkbaren Alternativen, ist schon viel erreicht. Gegner des neuen Systems müssen sich nun nicht nur gegen das ausgewählte Modell aussprechen, was relativ leicht ist; sie müssen Stellung beziehen zu Gunsten eines der verworfenen Alternativmodelle, was argumentativ weit schwieriger durchzuhalten ist.
4.2 Besser: Transparenz in der Kennzahlenentwicklung Der wirkliche Schlüssel zum Erfolg in der Implementierung liegt – wie so oft – auf der Zeitachse weiter vorn, nämlich in der Entwicklungsphase. Eine intensive Mitwirkung und vor allem Mitentscheidung der Belegschaft bereits in der ersten Debatte darüber, was man überhaupt wie messen kann, liefert eine realistische Chance, dass später alle mit den gefundenen Messgrößen leben können und wollen. Sobald das Management versucht, allein oder mit Beraterunterstützung am sprichwörtlichen grünen Tisch ein Kennzahlensystem zu erfinden, ist der Misserfolg vorprogrammiert. Die beste Informationsquelle über Ansatzpunkte für Messung und Steuerung sind die Servicemitarbeiter selbst: Sie haben die genausten Vorstellungen über Gut- und Schlechtleistung. Sie können konkret definieren, an welchen Stellschrauben eine Mehrleistung auch zu Mehrerfolg führt. Sie wissen zuerst, welche Größen möglicherweise manipulationsgefährdet sind. Die Führung hat die Mitarbeiter demzufolge direkt zu fragen: „An welchen Messwerten können Sie und wir erkennen, dass Sie einen guten Job machen?“ Leistungsorientierte Servicekräfte sollten, zumindest nach entsprechender Unterstützung, zu einer qualifizierten Antwort in der Lage sein. Auf Basis der so gewonnenen Vorschläge ist mit aus Controlling-Sicht sinnvollen und vor allem im späteren Betriebsalltag akzeptierten Kennzahlen zur Messung der Leistungsgüte zu rechnen. Es ist stets interessant, die Reaktion von Mitarbeitern zu beobachten, wenn sie zum ersten Mal mit einer derartigen Frage konfrontiert werden: Einige haben sofort präzise Antworten parat, was darauf hindeutet, dass sie sich mit dem Problem bereits länger beschäftigt haben und froh sind, dass es endlich einmal auf ihre Meinung ankommt. Hier empfiehlt es sich, die Vorschläge zu prüfen und – gegebenenfalls nach kleineren Modifikationen – zu übernehmen.
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Andere haben zwar vage Vorstellungen, wie man auf zielführende Indikatoren kommen könnte, sind aber nicht spontan in der Lage, diese in operativ umsetzbaren Messgrößen auszudrücken. Hier sollten Manager bzw. Controller mehrere Alternativen zur Abbildung dieser Vorstellungen in messbarer Form entwickeln und die Mitarbeiter in einer zweiten Runde bitten, diese zu bewerten, um im Konsens eine akzeptierte Kennzahl zu erarbeiten. Eine dritte Gruppe von Mitarbeitern wird mit der Frage wenig anfangen können und sich über Ausweichtaktiken („Darüber habe ich noch nie nachgedacht…“) oder klares Verweigern („Das müssten Sie als Chef doch wissen…“) aus der Affäre ziehen. Wenn die Unternehmensleitung ernsthaft an einer ganzheitlichen Steuerung interessiert ist, müssen diese Personen durch Überzeugungs- und Schulungsarbeit zur Mitwirkung motiviert werden (Biermann 2004). Ein empfehlenswerter Weg zur Zielerreichung ist die Entwicklung von Kennzahlen in gemeinsamen Workshops unter Einbeziehung eines möglichst breit gemischten Querschnitts aus den relevanten Belegschaftsgruppen (Doppler/Lauterburg 1995). Dabei sollten die Teilnehmer nicht nur nach Funktionsgruppen gemischt sein, sondern auch die drei skizzierten Typen der kreativ-aktiven, der gutwillig-ratlosen und der subtil-retardierenden Mitarbeiter aufeinander treffen. Selbst bei bester Absicht und Vorbereitung durch das Management werden Individuen übrig bleiben, die nicht willens oder fähig sind, diesen neuen Anforderungen gerecht zu werden. Hier sind Sanktionen unvermeidbar: Ein Mitarbeiter, der trotz mehrfacher Unterstützung durch Überzeugung und Schulung nicht weiß, woran sein Chef seine Gutoder Schlechtleistung konkret festmachen kann, ist ein Mitarbeiter, von dem man sich trennen sollte.
4.3 Die Rolle des „Shopfloor-Managements“ Die „Messobjekte“ sind also bei der Entwicklung des Service Controlling-Instrumentariums selbst die wirkungsvollsten Messgrößen-Entwickler. Insbesondere die untere Leitungsmannschaft auf „Shopfloor-Level“, also die Ebene der Meister, Vorarbeiter, Teamleiter oder Supervisoren, lässt sich gut in die Kennzahlenentwicklung einbinden. Die Scharnierfunktion dieser Personen zwischen dem Management einerseits und der rein ausführenden Arbeitsebene andererseits gewährleistet aus ihrer Praxiserfahrung heraus Verständnis für Steuerungsnotwendigkeiten und -voraussetzungen. Sie haben ein fundiertes Gefühl bewahrt für das, was später in der Gesamtbelegschaft auf Dauer als gerechte Lösung empfunden und angenommen wird. Sie werden überdies als glaubwürdigere Multiplikatoren angesehen als die höherrangigen Manager, denen der betriebstypische „Stallgeruch“ fehlt.
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Fallbeispiel D Ein Reparaturbetrieb für Flugzeugturbinen plante die Einführung eines Leistungsmesssystems als Grundlage für ein Modell zur leistungsorientierten Vergütung. Zentraler Punkt war die Variabilisierung der Personalkosten, da das Geschäft zyklisch extrem schwankte. Die Fixkosten der Vorhaltung qualifizierten Personals mussten zur Überlebenssicherung dringend zurückgefahren werden. Da Diskussionen auf Geschäftsleitungsebene keine befriedigenden Ergebnisse hinsichtlich eines zielführenden und gleichzeitig als gerecht eingeschätzten Kennzahlenkataloges geliefert hatten, fanden auf Empfehlung eines Beraters moderierte Workshops mit den Gruppenleitern statt. Diese sollten Vorschläge für Steuerungskennzahlen einbringen, an denen sie ihre Managementleistung gemessen wissen wollten (Gruppenleiter sind Vorgesetzte einer Schicht, die alle für die Wartungsereignisse an jeweils einem Triebwerk erforderlichen Mechaniker umfasst und auf Dauer zusammenbleibt, aber variierend in Früh- und Spätschicht eingesetzt wird; insgesamt gab es neun derartige Gruppen mit je acht bis zwölf Personen; in der Hauptgeschäftszeit arbeiteten bis zu vier parallel im Betrieb). Zur Überraschung der Geschäftsleitung entstanden in diesen Workshops etliche innovative Vorschläge zur Erhebung und Auswertung von Kenngrößen. Außerdem offenbarten die Gruppenleiter in der Diskussion, mit welchen Tricks sie in der Vergangenheit gearbeitet hatten, um vor „denen da oben“ gut dazustehen, ohne die Sympathie ihrer Mannschaft zu verlieren. Hier einige Diskussionsbeiträge zur Illustration: „Messen wir doch mal den Krankheitsstand pro Gruppe; hoher Krankheitsstand ist ein klares Signal für ein Führungsproblem des Leiters.“ „Wir sollten das Überstundenvolumen aller Mechaniker prozentual zu den geleisteten Normalstunden festhalten. Gruppenleiter mit niedrigem Überstundenvolumen in ihrer Truppe verdienen eigentlich einen Bonus, weil sie es schaffen, mit der Normalarbeitszeit auszukommen. Mancher macht sich ein leichtes Leben, weil er seine Mechaniker im Betrieb hält, wenn nichts zu tun ist und dann in Spitzenzeiten Überstunden kloppt. Das findet einer natürlich toll, wenn er gerade ein Eigenheim zu finanzieren hat – aber wirtschaftlich kann das kaum richtig sein.“ „Wir müssen nicht nur die Durchlaufzeit für eine Triebwerksinspektion, sondern auch die Zurückweisungsrate der Triebwerke am Prüfstand gruppenbezogen messen. Wenn die Leute mit der Arbeit am Triebwerk nicht rechtzeitig fertig werden, deklariert das sonst der Gruppenleiter trotzdem als fertig und schickt es in die Prüfung. Da fällt es logischerweise durch, aber die Nacharbeit zählt als neuer Job und versaut ihm nicht die Statistik.“
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Die Kommentare des Managements sind gleichfalls erhellend: „Dass der Krankheitsstand als guter Indikator für Führungsqualität gilt, war uns aus der Literatur bekannt, wir hätten uns aber nie getraut, das den Gruppenleitern vorzuschlagen!“ „Wir haben unterbewusst immer geglaubt, wer hohe Überstundenberge in seiner Gruppe vor sich herschiebt, sei als Leiter besonders motivationsstark. Jetzt wird uns klar, dass wahre Führungsstärke darin liegt, Leute in der Flaute heim zu schicken, so dass man Stundenreserven in der Spitze hat. Verzicht auf überflüssige Überstundenzuschläge allein bringt uns sechsstellige Beträge an Einsparungen.“ „Wir haben tatsächlich in der Vergangenheit Gruppenleiter bestraft, wenn ein Job nicht on time fertig war. Fertigstellung hieß Anlieferung zum Prüflauf, Rejektion und folgende Nacharbeit wurde als Schicksalsschlag interpretiert und nicht der zuliefernden Gruppe zugerechnet. Dass da eine Versuchung zum Schummeln eingebaut ist, haben wir verdrängt. Halbfertige Triebwerke im Prüflauf können uns wegen der Umrüstkosten bei dem Hin und Her ruinieren – und der Prüfstand ist der schlimmste Engpassfaktor im Betrieb, weil er wegen Lärmschutzbestimmungen nur wenige Stunden am Tag laufen darf.“
4.4 Abbildung von Zielkonflikten Ein Kernproblem bei der Akzeptanz neuer Kennzahlen liegt darin, dass damit konfrontierte Mitarbeiter die Anforderungen zuerst einmal eindimensional verstehen. Bei Beschränkung der Betrachtung auf nur eine Zielgröße wird man sich auf die Erfüllung dieser Anforderung konzentrieren und andere Aspekte ausblenden. Dienstleistungen sind indes mehrdimensional, wobei die Erfüllung einer Forderung einer anderen gegebenenfalls gerade entgegensteht (Biermann 2003). Beispielsweise fordert der Vorstand einer Bank von seinen Sachbearbeitern in den Filialen zügige Kreditbearbeitung, gleichzeitig dennoch sorgfältige Bonitätsprüfung plus natürlich freundlich-sachkundige Beratung. Nur wenn das Kennzahlensystem alle Dimensionen abbildet, ist eine ausgewogene Zielerreichung gewährleistet. Auf der Unternehmensebene wird mit der Balanced Scorecard dieser Mehrdimensionalität durch die Finanz-, Kunden-, Prozess- und Entwicklungsperspektive Rechnung getragen. Das Herunterbrechen auf Bereichs-Scorecards und schließlich individuelle Scorecards für die einzelne Servicekraft ist dementsprechend ein durchaus vernünftiger Ansatz (Horváth und Partner 2000). Allerdings ist es für Mitarbeiter schwer nachzuvollziehen, warum sich in ihrer persönlichen Leistungsbemessung bzw. der ihres Teams ein komplexes Modell für die Gesamtsteuerung des Unternehmens mit genau vier Perspektiven spiegeln soll. Erfolg versprechender ist eine Argumentation aus den widersprüchlichen Anforderungen am eigenen Arbeitsplatz heraus.
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Fallbeispiel E Eine Landesregierung beabsichtigte eine Modernisierung der Steuerung der Landesbehörden nach Wirtschafts- und Qualitätsgesichtspunkten. Dabei wurde auch mit der Balanced Scorecard experimentiert. In einigen Bereichen kamen mit deren Einsatz recht gute Ergebnisse heraus, in anderen schien die Anwendung unmöglich, beispielsweise im Strafvollzug. „Kundenorientierung im Gefängnis“ hatte nach Ansicht der Ministerialbeamten allenfalls humoristisches Potenzial. Da ließ ein Gefängnisdirektor einen seiner Vollzugsbeamten, der zufällig nebenberuflich ein wirtschaftswirtschaftliches Fernstudium absolvierte, im Rahmen seiner Abschlussarbeit ein Kennzahlensystem für die Anstalt konzipieren. Basierend auf Interviews mit Kollegen und Insassen (hier wurden überwiegend leichte bis mittelschwere Straftaten verbüßt, keine Serienmörder) entstand ein Modell, das die Zielkonflikte im Gefängnisbetrieb transparent machte. Der Strafvollzug dient bekanntlich nicht allein der zeitweisen Bewahrung der Öffentlichkeit vor frei herumlaufenden Kriminellen, er soll vielmehr den Strafcharakter des Freiheitsentzuges zur Abschreckung nach innen und außen herausstellen, gleichzeitig aber die Resozialisierung der Insassen fördern. Eine nahe liegende Kennzahl mit Blick auf die beiden ersten Ziele war demnach die Entweichungsquote: entkommene Gefangene pro Jahr im Verhältnis zur Gesamtbelegung. Totale Abschottung von der Außenwelt verringert die Ausbruchsgefahr und senkt die Quote, trägt aber nicht zur Resozialisierung bei. Insassen müssen für eine spätere Eingliederung ins Zivilleben durch Urlaubsgewährung wieder an die Freiheit gewöhnt werden – allerdings mit der Gefahr, dass etliche nicht zurückkehren, womit die Entweichungsquote steigt. Um eine Entscheidungsunterstützung für die Direktion bei der Bearbeitung von Anträgen auf Hafturlaub zu liefern, war ein erstrebenswert hoher Wert der Urlaubsberechtigungen mit einer gerade noch akzeptablen Entweichungsquote (bzw. Verspätungsquote für Urlaubsrückkehrer) in Balance zu halten. Der Lösungsansatz bestand in einer einfachen Kennzahlenarithmetik zur Urlaubspolitik: Maximiere den Prozentsatz x % der Hafturlauber an der Gesamtgefängnisbevölkerung, wobei die Quote der Rückkehrverspätungen oder -ausbleiber einen Höchstwert y % (gemessen an den Urlaubsberechtigten) nicht überschreiten darf. Damit war für die Entscheidungsträger ein Anreiz gegeben, die Urlauber sorgfältig hinsichtlich der Rückkehrwahrscheinlichkeit auszuwählen, aber dennoch ein gewisses Risiko einzugehen, um auch schwierigeren Fällen (zumindest einmal) eine Chance zu gewähren. Diese erste Anwendung bewies die Realisierbarkeit eines Kennzahlenmodells, das die bislang nur diffus wahrgenommenen Zielkonflikte in einer für die Vollzugsbeamten
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transparenten und fairen Weise abbildete. Auf dieser Basis konnten in der Folge viele ähnliche Problemstellungen bewältigt werden. Ein weiteres Beispiel: Arbeitssituationen innerhalb der Mauern (Kantine, Wäscherei, Bücherei etc.) schaffen Kontakt zu anderen Gefangenen und bringen deshalb ein Potenzial für Körperverletzungen oder Diebstahlsdelikte mit sich. Das unterbleibt logischerweise, wenn alle unter Verschluss in der Zelle bleiben – was wiederum die Resozialisierung behindert. Also lautet die Zielvorgabe, dass möglichst viele Gefängnisinsassen (x % = in Arbeit befindliche gemessen an der Gesamtheit) einer Beschäftigung im Haus nachgehen sollen, gleichzeitig aber die Quote der Delikte im Gefängnis selbst nicht über einen gewissen Prozentsatz (y % = interne Straftaten pro Gefangenem pro Jahr) hinaus ansteigen darf.
5.
Fehlervermeidung in der Kennzahlenimplementierung
5.1 Definitionen festschreiben Zeitraubende Probleme bei der Steuerungsarbeit auf Basis eines neuen Kennzahlensystems beruhen fast ausschließlich auf handwerklichen Fehlern in der Konzeption des Systems selbst oder in der Kommunikation an der Schnittstelle zwischen Entwicklungsund Umsetzungsphase. Die Verwirrungen aus ungenügend klar definierten Messgrößen sind leicht nachvollziehbar. Lehrbücher des Controllings betonen die Notwendigkeit eindeutig fixierter Festlegungen von Bezeichnungen, Formeln und Datenquellen, vorzugsweise mit einem normierten „Kennzahlenstammblatt“ (Ziegenbein 2002). Dies wird in der Praxis jedoch häufig nicht entsprechend umgesetzt: Der Autor kennt Transportunternehmen mit sechs konkurrierenden Break Even-Definitionen und Finanzdienstleister mit acht inkompatiblen Verfahren zur Bemessung der Personalproduktivität. Mit derartig missverständlichen Definitionen sind Probleme vorprogrammiert.
5.2 Verständnis erleichtern Mitarbeiter fühlen sich überfordert, wenn sie im Zuge der Kennzahleninterpretation mit Begriffen und Darstellungsformen konfrontiert werden, die ihnen im Alltag nie begegnen. Einfache Visualisierungen in Graphikform sind bei der Kommunikation deshalb sinnvoller als große Tabellen. Komplexe mathematische Formeln sind auf jeden Fall kontraproduktiv.
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Wer sich hauptberuflich intensiv mit Kennzahlen auseinander setzt, unterschätzt die Schwierigkeiten, die operativ tätige Kollegen an dieser Stelle haben. Der Mathematikunterricht aus Schulzeiten ist lange her, und Mathematik war – gerade für spätere Dienstleister – selten das Lieblingsfach. Die Differenzierung zwischen Zielgröße und Nebenbedingung (siehe x und y im Gefängnisbeispiel) ist von zentraler Bedeutung für die Prioritätensetzung in der Steuerung, aber keinesfalls Bestandteil der innerbetrieblichen Allgemeinbildung. Die Fähigkeit zum Umgang mit statistischen Grundbegriffen und Wahrscheinlichkeiten ist ebenfalls kaum zu erwarten. Wer will, dass Mitarbeiter mit Kennzahlensystemen leben und arbeiten, muss die Mitarbeiter bei der Einführung dort abholen, wo sie stehen. Leider offenbart niemand diesbezügliche Schwächen von sich aus, selbst wenn er sich ihrer bewusst ist. Das führt zu peinlichen Situationen, wenn erst in der Debatte um konkrete Maßnahmen aus der Kennzahlenanalyse deutlich wird, dass Basisfähigkeiten im Umgang mit Zahlen verloren gegangen sind. Der Autor hat gestandene Hauptabteilungsleiter aus Weltunternehmen angetroffen, die bereits bei der Platzierung von Zähler und Nenner in einfachen Bruchrechnungen in erhebliche Konfusion gerieten. Die Balance zwischen notwendiger Nachhilfe und Gesichtswahrung für den Betroffenen erfordert dann großes Fingerspitzengefühl. Wer Kennzahlensysteme für die Praxis einrichten will, ist gut beraten, erst einmal das notwendige Basiswissen zu schaffen bzw. zu reanimieren. Zumindest ist ein einheitliches Begriffsverständnis zu sichern. Zu Beginn eines Workshops ist diese Vorarbeit bei pragmatischer Herangehensweise relativ schnell zu bewerkstelligen. Zwei Stunden Aufwand dafür sind eine fruchtbringende Investition für den Implementierungserfolg.
5.3 Aktionsorientierte Kennzahlen bevorzugen Als aktionsorientierte Kennzahlen bezeichnen wir solche, bei denen die Auswirkung einer Maßnahme des Managements oder des Mitarbeiters rasch in einem positiven oder negativen Ausschlag erkennbar wird (Biermann 2003). Fallbeispiel F Eine Fluggesellschaft wollte die Verspätungsrate in ihrem Europa-Flugnetz verringern (verspätete Flüge geteilt durch Zahl aller Flüge). Allerdings waren die Ursachen für Verspätungen vielfältig (Wetter, Fluglotsen, Flughafenengpässe, Technikschäden etc.). Es stellten sich die folgenden Fragen: Wo sollte man ansetzen? Und wo waren Verspätungsgründe, auf die man überhaupt Einfluss ausüben konnte? Genaue Beleuchtung der Ursachen zeigte eine Häufung der Unregelmäßigkeiten durch „late arrivals“: Sobald ein Flugzeug verspätet hereinkommt, ist auch der Folgeflug verspätet. Deshalb zogen vor allem Verzögerungen am Vormittag (ein Kurzstreckenflugzeug
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absolviert im Schnitt acht bis zwölf Flüge pro Tag) lange Ketten von Folgeverspätungen nach sich. Man erkannte, dass die Verbesserung der Gesamtsituation vor allem eine Unterbrechung solcher Ketten erforderte. Als neue Messgröße für die Güte der Kurzfriststeuerung wurde deshalb die Folgeverspätungsrate definiert: Man dokumentierte die (betrieblich beherrschbaren) late arrivalVerspätungen im Verhältnis zu den (exogen verursachten) Originärverspätungen. Ziel war es jetzt, diese Rate zu senken, beispielsweise durch Zeitpuffer im Flugzeugumlauf in der Mittagszeit oder mit Reserveflugzeugen. Obwohl sich die Situation auf Flughäfen und Luftstraßen nicht veränderte, die Zahl der Originärverspätungen also gleich blieb, konnte in der Folge die Pünktlichkeit im Gesamtsystem durch bessere Feinsteuerung der Reservekapazitäten deutlich erhöht werden. In diesem Zusammenhang sind Kennzahlen mit numerisch niedrigen Basiswerten besonders aussagekräftig und motivierend. Der Ruf nach Halbierung der Verspätungsrate von 2 Prozent auf 1 Prozent als Ziel reißt die Mannschaft wahrscheinlich eher mit als die (inhaltlich gleichwertige) Forderung nach Erhöhung der Pünktlichkeitsquote von 98 Prozent auf 99 Prozent.
5.4 Zweitbeste Lösungen zulassen In der Debatte um faire und gleichzeitig praktikable Kennzahlensysteme werden schnell unerreichbar hohe Anforderungen an ein solches System formuliert – bezeichnenderweise gerade von denen, die einer kennzahlenorientierten Steuerung von Beginn an skeptisch gegenüberstehen. 100 Prozent Messgenauigkeit und Gerechtigkeit gegenüber allem und jedem findet sich aber in keinem menschlichen Lebensbereich, weswegen man auch im Service Controlling die Messlatte in erreichbarer Höhe positionieren sollte. Oft ist eine Vollerhebung aus operationalen Gründen oder auch aus Kostenerwägungen unzweckmäßig. Das bedeutet jedoch nicht die völlige Unmöglichkeit der Messung: Warum sollte man nicht vernünftig dimensionierte Stichproben heranziehen? An vielen Stellen wird es im Servicesektor keine objektiven Messgrößen geben, etwa bei der Freundlichkeit des Personals oder dem Wohlgeschmack der Speisen im Hotel. Wo objektive Messung nicht möglich ist, muss man sich mit subjektiver Messung zufrieden geben. Mit Kundenbefragungen in ausreichender Zahl und Streuung (über verschiedene Tages- und Jahreszeiten) lässt sich eine tragfähige Datenbasis schaffen, womit aus der Vielzahl der subjektiven Meinungen wieder eine gewisse Objektivität erwächst.
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5.5 Lernbereitschaft zeigen Auch Experten im Service Controlling sollten die Souveränität besitzen, ihre eigenständigen Erfindungen für treffsichere Kenngrößen zurückzustellen, wenn jemand eine bessere Idee auf den Tisch legt. Das ist nicht nur guter kollegialer Stil – aus dieser Bereitschaft lässt sich auch eine wirksame Waffe gegen Blockaden schmieden. Wer sich immer gegen die Einführung von Messgrößen im Service sperren möchte, wird in jedem Vorschlag von Management, Controller oder externem Berater ein Haar in der Suppe finden. Dieser Widerstand ist aber durch das Angebot der Lernbereitschaft vergleichsweise leicht zu kontern: Wenn der Blockierer überlegene eigene Vorschläge vorbringt, können diese gern übernommen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt hat – mangels besserer Alternativen – der ursprüngliche Ansatz seine Gültigkeit.
6.
Fazit
Nichts ist nicht messbar – nur ist bei der Dienstleistungsqualität manches Messverfahren aufwändiger und fehleranfälliger als in der Fabrikhalle des Produktionsbetriebes. Deshalb wehren sich Servicemitarbeiter besonders heftig gegen von oben übergestülpte Kenngrößen, denen sie nur geringe Aussagekraft zutrauen. Solchen Widerständen kann bereits in der Konzeptionsphase – aber eigentlich auch nur dort – effizient vorgebeugt werden. Wo ein exzellent ausgedachtes Kennzahlensystem in der Umsetzung scheitert, war es wahrscheinlich letzten Endes doch nicht so exzellent ausgedacht.
Literatur Biermann, T. (1997): Dienstleister müssen besser werden, in: Harvard Business Manager 19. Jg., Nr. 2, S. 85-94. Biermann, T. (2003): Kompakt-Training Dienstleistungsmanagement, Ludwigshafen. Biermann, T. (2004): Organisatorischer Wandel – der Weg zur lernenden Organisation, in: Bankakademie (Hrsg.): Kompendium Management in Banking & Finance, 3. Aufl., Frankfurt am Main, S. 627-697. Doppler, K./Lauterburg, C. (1995): Change Management, 4. Aufl., Frankfurt am Main/New York.
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Hoffmann, O. (2000): Performance Measurement – Systeme und Implementierungsansätze, 2. Aufl., Bern u.a. Horváth und Partner (Hrsg.) (2000): Balanced Scorecard umsetzen, Stuttgart. Olfert, K. (2003): Kompakt-Training Personalwirtschaft, 3. Aufl., Ludwigshafen. Pepels, W. (Hrsg.) (2003): Betriebswirtschaft der Dienstleistungen, Berlin. Weber, J./Schäffer, U. (2000): Balanced Scorecard & Controlling, 3. Aufl., Wiesbaden. Ziegenbein, K. (2002): Controlling, 7. Aufl., Ludwigshafen.
Dienstleistungcontrolling verschiedener Wertschöpfungskonfigurationen
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Herbert Woratschek, Stefan Roth und Guido Schafmeister
Dienstleistungscontrolling unter Berücksichtigung verschiedener Wertschöpfungskonfigurationen – Eine Analyse am Beispiel der Balanced Scorecard
1. Einleitung 2. Balanced Scorecard 2.1 Modellaufbau 2.2 Kritik 3. Wertschöpfungskonfigurationen 3.1 Wertkette 3.2 Wertshop 3.3 Wertnetz 4. Kennzahlencontrolling für Dienstleistungen 5. Fazit Literatur
Prof. Dr. Herbert Woratschek ist Inhaber des Lehrstuhls für Dienstleistungsmanagement an der Universität Bayreuth. PD Dr. Stefan Roth ist Wissenschaftlicher Assistent und Dipl.-Kfm. Guido Schafmeister ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am dortigen Lehrstuhl.
Dienstleistungcontrolling verschiedener Wertschöpfungskonfigurationen
1.
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Einleitung
Im Controlling wird das Ziel verfolgt, die unternehmerischen Entscheidungs- und Steuerungsprozesse abzubilden und zu unterstützen. Zu diesem Zweck werden zielgerichtet Informationen zusammengetragen und zu Kennzahlen verdichtet. Diese Kennzahlen sollen in konzentrierter Form über unternehmerische Sachverhalte informieren und auf Abweichungen von den Soll-Vorgaben aufmerksam machen. Da Kennzahlen Informationen verdichten, haben sich in der Praxis Kennzahlensysteme herausgebildet, um die Nachteile isolierter Kennzahlen zu überwinden (Woratschek 2004). Ein solches Kennzahlensystem ist beispielsweise die Balanced Scorecard (Kaplan/Norton 1997; Horváth/ Geiser 2000; Pfaff et al. 2000; Wall 2000; Weber 2000; Weber/Schäffer 2000; Werner 2000). Damit diese Informationen die tatsächliche Situation in dem Unternehmen adäquat widerspiegeln, müssen Kennzahlensysteme implementiert werden, in denen die Wertschöpfung eines Unternehmens abgebildet wird. Das setzt voraus, dass die UrsacheWirkungszusammenhänge, die nachhaltige Auswirkungen auf die Wertschöpfung des Unternehmens entfalten, adäquat identifiziert und strukturiert werden (Pfaff et al. 2000). Darauf aufbauend müssen entsprechende Kennzahlen generiert werden, mit denen die relevanten Ursache-Wirkungszusammenhänge verlässlich beschrieben werden können. Diese Ursache-Wirkungszusammenhänge stellen deshalb einen kritischen Erfolgsfaktor des Controlling dar. Sofern die modellierten Zusammenhänge die in der Realität stattfindenden Prozesse der unternehmerischen Wertschöpfung zutreffend beschreiben, bilden sie eine geeignete Grundlage für ein zuverlässiges Controlling. Stimmen die UrsacheWirkungszusammenhänge aber nicht mit der Realität überein, verleiten die auf ihnen basierenden Kennzahlensysteme zu Fehlentscheidungen und Fehlsteuerungen. In Theorie und Praxis ist zu beobachten, dass bei der Wertschöpfung von Dienstleistungsunternehmen regelmäßig andere Ursache-Wirkungszusammenhänge vorliegen als in Industrieunternehmen. Diese unterschiedlichen Zusammenhänge finden ihren Niederschlag in alternativen Wertschöpfungskonfigurationen (Stabell/Fjeldstad 1998; Woratschek et al. 2002; Krüger 2004; Schafmeister 2004). Jede Form der unternehmerischen Wertschöpfung lässt sich mit den drei noch zu diskutierenden Wertschöpfungskonfigurationen Wertkette, Wertshop und Wertnetz erfassen. Damit rückt aber auch die Frage in den Mittelpunkt, ob bestehende Kennzahlensysteme bei der Abbildung der UrsacheWirkungszusammenhänge die dem betrachteten Unternehmen zugrunde liegenden Wertschöpfungskonfiguration hinreichend berücksichtigen. Mit diesem Beitrag sollen die theoretischen Grundlagen für ein wertschöpfungsorientiertes Controlling gelegt werden. In der weiteren Analyse wird deshalb herausgearbeitet, dass Unternehmen mit unterschiedlicher Wertschöpfung auch auf verschiedene Kennzahlensysteme zurückgreifen sollten. Dazu wird zunächst die Balanced Scorecard als Ausgangspunkt der aktuellen Forschung zum Controlling dargestellt und kritisiert. Daran schließt sich die Erörterung der Wertschöpfungskonfigurationen Wertkette, Wertshop
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Herbert Woratschek, Stefan Roth und Guido Schafmeister
und Wertnetz an. Auf dieser Basis können anschließend die Implikationen für das Controlling herausgestellt werden.
2.
Balanced Scorecard
2.1 Modellaufbau Die Balanced Scorecard ist ein Kennzahlensystem, das in der unternehmerischen Praxis weite Verbreitung gefunden hat (Kaplan/Norton 1992; 1993; 1996; 1997; 2001a; 2001b). Die Balanced Scorecard enthält finanzwirtschaftliche und nicht-finanzwirtschaftliche Kennzahlen, die weiter in vor- und nachlaufende Indikatoren unterteilt werden (Kaplan/Norton 1997). Die Balanced Scorecard soll dem Management schnell einen Überblick über die verschiedenen Bereiche geben. Dazu sind die einzelnen Kennzahlen in der Balanced Scorecard in vier unterschiedlichen Perspektiven angeordnet. In der ursprünglichen Form der Balanced Scorecard sind das die finanzielle Perspektive, die Kundenperspektive, die interne Prozessperspektive sowie die Lern- und Entwicklungsperspektive (Kaplan/Norton 1997). In der Kundenperspektive werden Kennzahlen wie Kundenzufriedenheitsindizes oder Wiederkaufraten angeführt. Prozessdurchlaufzeiten und Lieferzeiten können als Indikatoren der Perspektive interner Geschäftsprozesse dienen, während die Anzahl von Patenten als Indikator für die Lern- und Entwicklungsperspektive herangezogen werden kann. Finanzwirtschaftliche Kennzahlen wie beispielsweise der Return on Investment (ROI) finden sich dagegen in der finanzwirtschaftlichen Perspektive. Allerdings stehen die vier Perspektiven der Balanced Scorecard nicht isoliert nebeneinander, sondern sind miteinander verknüpft. Dazu wird der Balanced Scorecard ein Hypothesensystem zugrunde gelegt, das die Verknüpfung der einzelnen Perspektiven in Form von Ursache-Wirkungszusammenhängen beschreibt. Solche Ursache-Wirkungszusammenhänge sind in Abbildung 1 wiedergegeben. So stellt die Perspektive Lernen und Entwicklung auf Potenzialfaktoren ab und hat den Input eines Unternehmens zum Gegenstand. Bei Dienstleistungsbetrieben bezieht sich dieser Aspekt häufig auf das Lernen der Mitarbeiter und deren Entwicklung. Aus diesem Grund sind Informationen über das Fachwissen der Mitarbeiter von besonderer Bedeutung. Die interne Prozessperspektive beschreibt dagegen den eigentlichen Prozess der Leistungserstellung. Der unterstellte Ursache-Wirkungszusammenhang zwischen diesen beiden Perspektiven verläuft dergestalt, dass besser qualifizierte Mitarbeiter in der Lage sein sollten, die Prozessdurchlaufzeiten zu reduzieren oder die Prozessqualität zu erhöhen. Auf diese Weise würde die Mitarbeiterqualifikation hypothetisch zu einer verbesserten Leistungserstellung beitragen, die sich in einer pünktlichen Lieferung äußern könnte. In der Kundenperspektive wird dann das Ergebnis des Leistungserstellungsprozesses behandelt. Die hypo-
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thetische Verknüpfung mit den vorgenannten Perspektiven Lernen und Entwicklung sowie den internen Prozessen besteht hier beispielsweise darin, dass der Kunde eine pünktliche Lieferung auch tatsächlich wertschätzt. Schlussendlich soll sich die Wertschätzung der Kunden im finanziellen Ergebnis (ROCE: Return on Capital Employed) widerspiegeln, weil bei steigender Kundenzufriedenheit auch mit einer erhöhten Kundentreue gerechnet wird (Kaplan/Norton 1997).
ROCE
Finanziell
Kundentreue Kunde
Pünktliche Lieferung
Interne Geschäftsprozesse Lernen und Entwicklung
Prozessqualit Prozessqualität
Prozessdurchlaufzeit
Fachwissen der Mitarbeiter
Abbildung 1: Ursache-Wirkungszusammenhänge der Balanced Scorecard (Quelle: In Anlehnung an Kaplan/Norton 1997, S. 29)
2.2 Kritik Die Qualität des Kennzahlensystems Balanced Scorecard hängt nachhaltig von den unterstellten Ursache-Wirkungszusammenhängen ab, die zur Beschreibung der Wertschöpfung eines Unternehmens herangezogen werden. Die darauf aufbauenden Kennzahlen sollten sich auf die zentralen Teile dieser Ursache-Wirkungszusammenhänge beziehen, um so die unternehmerische Wertschöpfung in qualitativer und quantitativer Hinsicht vollständig zu erfassen (Woratschek 2004). Gerade bei diesen Zusammenhängen liegt aber häufig die Problematik dieser Vorgehensweise, da eine fundierte empirische Überprüfung der unterstellten Ursache-Wirkungszusammenhänge oft nicht möglich ist (Pfaff et al. 2000; Wall 2001). Damit ist nicht gesichert, dass die oben beispielhaft genannte Kundenzufriedenheit tatsächlich zu einem erhöhten Return on Capital Employed (ROCE) führt. Werden die postulierten Zusammenhänge empirisch überprüft, so offenbaren sie teilweise kontra-intuitive Zusammenhänge. So muss eine höhere Kundenzu-
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Herbert Woratschek, Stefan Roth und Guido Schafmeister
friedenheit nicht automatisch auch zu höheren Erlösen führen (Nørreklit 2000; Woratschek/Horbel 2003). Die Zusammenhänge der Service-Profit Chain müssen nicht immer zutreffen (Heskett et al. 1994; Kamakura et al. 2002), weil sich die Richtung der modellierten Kausalitäten nicht zwangsläufig eindeutig definieren lässt. Vielmehr können zwischen den betrachteten Größen auch gegenläufige Beziehungen bestehen (Wall 2001). Das ist z.B. bei einem Telefonnetzwerk der Fall. Grundsätzlich steigt die Attraktivität eines Netzwerkes mit jedem neuen Telefonanschluss, weil eine weitere Person am Netzwerk teilnimmt (Katz/Shapiro 1985). Allerdings erhöht jeder weitere Teilnehmer auch die Kosten des Netzwerkes, weil im Beispiel der Telefongesellschaft ein weiterer Telefonanschluss verlegt oder eine erhöhte Kapazität bereitgestellt werden muss, damit die Netzwerkteilnehmer überhaupt eine freie Leitung bekommen und am Netzwerk teilnehmen können. Möhlenbruch/Wurm (2002) zeigen ferner branchenspezifische Besonderheiten bei Ursache-Wirkungsbeziehungen am Beispiel des Handels auf. Für diese Branche ist der Einkauf von zentraler Bedeutung. Darüber hinaus müssen Flexibilisierungspotenziale berücksichtigt werden, wenn es um die Möglichkeit des Lieferantenwechsels geht. Schließlich berücksichtigen die in der Balanced Scorecard vorgeschlagenen UrsacheWirkungszusammenhänge keine Verbundeffekte, die aber gerade in der Sortimentspolitik des Handels von großer Bedeutung sind (Möhlenbruch/Wurm 2002). So verwundert es nicht, dass mit Hilfe der Balanced Scorecard auch falsche Strategien umgesetzt werden können (Horváth/Gaiser 2000). Dieser Effekt kann somit durch unzutreffende Hypothesen über die Ursache-Wirkungszusammenhänge bedingt sein. Prinzipiell liegt der Balanced Scorecard die Idee einer Wertschöpfungslogik zugrunde, die auf der Wertkette von Porter (1985) beruht (Weber/Schäffer 2000). Dann stellt sich aber auch die Frage, ob Dienstleistungen ebenfalls der Logik einer Wertkette folgen. Sofern das gerade nicht der Fall ist, könnte darin vielleicht der Grund dafür gesehen werden, dass insbesondere im Dienstleistungsbereich der Einsatz der Balanced Scorecard wenig zufrieden stellend verläuft. Dann müssten aber die Dienstleistungen nach ihren unterschiedlichen Wertschöpfungslogiken differenziert werden. „Nur wer über Gewohnheiten zu unterscheiden verfügt, kann auch differenzierte Erfahrungen haben“ (Hampe/Lotter 2000, S. 16). Deshalb besteht u.E. geradezu eine Notwendigkeit, die Wertschöpfungslogiken in Dienstleistungsunternehmen stärker zu differenzieren, um in der Folge die bisherige Balanced Scorecard und alternative Kennzahlensysteme zu modifizieren sowie nach unterschiedlichen Typen zu unterscheiden. Besonders deutlich wird das am Beispiel von Kooperationen. Die Balanced Scorecard hält keine Möglichkeit bereit, Aktivitäten in Kooperationen, Allianzen und Netzwerken zu erfassen (Elberenz 2000; Bornheim/Stüllenberg 2002). Ursache-Wirkungszusammenhänge für diese Organisationsformen fehlen, obwohl sie bei Dienstleistungsbetrieben besonders häufig vorkommen. Ähnliches gilt auch für die Bedeutung von Mitarbeitern. Wenn die Mitarbeiter von zentraler strategischer Relevanz sind, dann kommt diese Bedeutung in den Zusammenhängen der klassischen Balanced Scorecard zumindest nicht hinreichend zum Ausdruck (Fink/Grundler 1998; Berens et al. 2000). Auch diese Situation ist bei Dienstleistungs-
Dienstleistungscontrolling verschiedener Wertschöpfungskonfigurationen
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betrieben eher die Regel als die Ausnahme. Beispielsweise ist der Erfolg einer Unternehmensberatung eng verbunden mit der Qualifikation der Mitarbeiter. Der Ausblick auf die branchenbezogenen Besonderheiten am Beispiel des Handels hat bereits gezeigt, dass die Ursache-Wirkungszusammenhänge individuell für jede zu analysierende Organisationseinheit formuliert werden müssen (Niedermeyer et al. 2002). Aber gerade diese Anforderung scheint eine unüberwindbare Hürde zu sein, weil die analytische Lösung der Frage nach der Identifikation von Ursache-Wirkungszusammenhängen regelmäßig nicht gelingt (Ahn/Dickmeis 2000). Es ist daher festzuhalten, dass die Formulierung der relevanten Zusammenhänge ein großes, wenn nicht das größte Problem bei der Implementierung der Balanced Scorecard darstellt. Wenn die Identifikation von Ursache-Wirkungszusammenhängen in der Wertschöpfung aber als schwierig eingestuft werden muss, so leidet unter diesen Schwierigkeiten auch die Güte der eingesetzten Kennzahlensysteme. Zwar gibt es Modifikationen der Balanced Scorecard in Theorie und Praxis (Reichmann/Form 2000), dennoch wird bislang die grundlegende Wertschöpfungslogik der Balanced Scorecard nicht in Frage gestellt. Die Balanced Scorecard kann keinen zuverlässigen Überblick über das Geschehen in einem Unternehmen geben, wenn die der Wertschöpfung zugrunde liegenden Ursache-Wirkungszusammenhänge nicht richtig identifiziert werden können. Aus wissenschaftlicher Sicht schließt sich daher die Frage an, ob idealtypische Ursache-Wirkungszusammenhänge identifiziert werden können, die als Standardtypen für die Wertschöpfung verschiedener Organisationen angesehen werden können. Eine Typologie allgemeiner, idealtypischer Wertschöpfungsmodelle würde die Situation dahingehend verbessern, dass die Anwender der Balanced Scorecard Anhaltspunkte erhalten, nach welchem Muster die Wertschöpfung ihrer Organisationseinheit verlaufen könnte. Damit sollte es wesentlich einfacher möglich sein, die relevanten Ursache-Wirkungszusammenhänge zu identifizieren und darauf aufbauend geeignete Kennzahlen abzuleiten.
3.
Wertschöpfungskonfigurationen
Für das Controlling eines Unternehmens ist es von entscheidender Bedeutung, dass die der Wertschöpfung zugrunde liegenden Ursache-Wirkungszusammenhänge identifiziert werden können. Wertschöpfungskonfigurationen beschreiben unterschiedliche wertschöpfende Aktivitäten und die zwischen diesen Aktivitäten bestehenden Zusammenhänge. Daher werden nachfolgend drei alternative Wertschöpfungskonfigurationen vorgestellt. Die Wertkette wurde von Porter (1985) in die wissenschaftliche Diskussion und die praktische Anwendung eingeführt. Stabell/Fjeldstad (1998) zeigen in einer erweiterten Analyse, dass die Wertkette als universelles Instrument einer Typologie von Wertschöpfungskonfigurationen nicht ausreicht und führen den Wertshop und das Wertnetz ein. Alle drei Wertschöpfungskonfigurationen folgen jeweils einer eigenen Logik, um
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Herbert Woratschek, Stefan Roth und Guido Schafmeister
Wertschöpfungsquellen zu identifizieren und auszuschöpfen. Die Wertkette konzentriert sich dabei auf die Erfüllung einer Transformationsfunktion. Der Wertshop stellt eine Problemlösungsfunktion in den Vordergrund und das Wertnetz konzentriert sich auf eine Intermediationsfunktion.
3.1 Wertkette Die Wertkette kann als das in der Praxis am weitesten verbreitete Modell zur Beschreibung und Analyse der unternehmerischen Wertschöpfung bezeichnet werden. Die ursprüngliche Form der Wertkette geht auf Porter (1985) zurück. Die Wertkette beschreibt eine sequenzielle Wertschöpfungslogik der primären Aktivitäten, die direkt auf die Wertschöpfung einwirken. Die Inputfaktoren müssen zunächst zur Produktionsstätte transportiert werden, bevor sie in einer Reihe von aufeinander folgenden Aktivitäten in Produkte oder Dienstleistungen transformiert werden. An die Erstellung der fertigen Absatzleistung schließen sich dann Aktivitäten des Verkaufs an die Kunden und des Versands der Ware an. Für die Wertkettenanalyse wird dieser Leistungsprozess in diskrete, voneinander abgrenzbare Aktivitäten unterteilt. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass die einzelnen Aktivitäten durch ihre Existenz, Struktur und Verbindungen zur Wertschöpfung einer Organisation beitragen. Mit dieser Wertschöpfungslogik entspricht die Wertkette einer long-linked technology. Gemäß dieser Technologie kann eine Aktivität B immer erst dann beginnen, wenn eine vorgelagerte Aktivität A erfolgreich beendet wurde. Der so beschriebene Erstellungsprozess kann mehrfach durchlaufen werden, ändert sich in seiner grundlegenden Struktur aber nicht mehr, nachdem der Produktionsprozess einmal angestoßen wurde. Die Wiederholung der entsprechenden Aktivitäten bietet dabei die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln und Lerneffekte zu realisieren, sei es durch besser und schneller arbeitende Mitarbeiter oder verbesserte Produktionsabläufe (Thompson 1967, S. 15). Für die Darstellung der Wertkette hat sich ein Pfeilschema durchgesetzt, das zwischen primären und unterstützenden Aktivitäten unterscheidet. Die Differenz zwischen dem insgesamt geschaffenen Wert, der durch den Umsatzprozess bestätigt wird, und den anfallenden Kosten, die mit den Aktivitäten der Leistungserstellung verbunden sind, wird in der Gewinnspanne abgebildet. Dieses allgemeine Schema ist in Abbildung 2 dargestellt.
Dienstleistungscontrolling verschiedener Wertschöpfungskonfigurationen
261
Unternehmensinfrastruktur Unterstützende Unterst Aktivit Aktivitäten
G
Personalmanagement
e w
Technologieentwicklung
i n
Beschaffung
n s
p a
Primäre Prim Aktivit Aktivitäten
Eingangs logistik
Operationen
Ausgangslogistik
Marketing/ Vertrieb
Kunden dienst
n n e
Abbildung 2: Wertkette (Quelle: In Anlehnung an Porter 1985) Die primären Aktivitäten sind direkt an der Leistungserstellung für den Kunden beteiligt. Die unterstützenden Aktivitäten stehen im Rahmen des Leistungserstellungsprozesses den primären Aktivitäten hilfestellend zur Seite und sind nur indirekt an der Wertschöpfung beteiligt. Die primären Aktivitäten setzen sich zusammen aus der Eingangslogistik, den Operationen, der Ausgangslogistik, Marketing/Vertrieb und dem Kundendienst. Dabei soll die Anordnung der primären Aktivitäten deutlich machen, dass es sich um einen sequenziellen Leistungserstellungsprozess handelt. Erst wenn die notwendigen Inputfaktoren über die Eingangslogistik verfügbar gemacht sind, kann der Leistungserstellungsprozess in Form der Operationen beginnen. Davon abweichende Beobachtungen in der Praxis sind möglich, da beispielsweise neue Rohstoffe in die Produktionsstätte gebracht werden, während andere Produkte oder Dienstleistungen unter Verwendung einer früheren Rohstofflieferung noch hergestellt werden. Mit der Erstellung oder Weiterverarbeitung einer einzelnen Absatzleistung kann aber immer erst dann begonnen werden, wenn die vorherigen Aktivitäten abgeschlossen sind. Die Produktion der Absatzleistungen kann immer erst dann beginnen, wenn die Rohstoffe für die Erstellung dieser Absatzleistungen angeliefert wurden. Die primäre Aktivität Operationen bündelt dabei all die Aktivitäten, die notwendig sind, um aus den Inputfaktoren das gewünschte Produkt oder die gewünschte Dienstleistung zu erstellen. In der Aktivität Operationen findet folglich die Transformation der Inputfaktoren zu Outputfaktoren im engeren Sinne statt. Erst wenn das Endprodukt fertig ist, kann es im Rahmen der Ausgangslogistik eingelagert oder versandt werden. Daran schließen sich die Aktivitäten des Marketing und des Vertriebs an. Die Aktivitäten des Kundendienstes und des Services fokussieren schließlich auf die notwendige Nachsorge, wenn das Endprodukt bereits an den Kunden ausgeliefert ist. Die unterstützenden Aktivitäten laufen parallel zu diesem Leistungserstellungsprozess ab. Die unterstützenden Aktivitäten werden gewöhnlich in die Unternehmensinfrastruk-
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tur, das Personalmanagement, die Technologieentwicklung und die Beschaffung differenziert. Sofern die gesamte Wertschöpfung der Organisation die Kosten für die Leistungserstellung übersteigt, stellt sich eine positive Gewinnspanne ein. Für die primären und unterstützenden Aktivitäten der Wertkette ist charakteristisch, dass sie je nach Organisation eine unterschiedliche Bedeutung haben. So kann bei einer Organisation der Schwerpunkt auf der Ausgangslogistik liegen, während bei einer anderen Organisation Marketing/Vertrieb oder die Eingangslogistik bedeutender für die Wertschöpfung sein können (Porter 1985). Im Rahmen einer Wertschöpfungsanalyse werden nun die einzelnen Aktivitäten auf ihre Kosten- und Werttreiber untersucht. Damit sollen einzelne Größen identifiziert werden, die ursächlich für das Entstehen von Kosten oder Werten verantwortlich sind. Auf Basis dieser Informationen werden dann gewöhnlich Strategieempfehlungen abgeleitet, mit denen eine vergrößerte Gewinnspanne realisiert werden soll. Die üblichen Strategieempfehlungen sind dabei die Kostenführerschaft oder die Differenzierung, jeweils bezogen auf den Branchendurchschnitt (Porter 1985). Mit Hilfe der Wertschöpfungsanalyse können die Strategien präzisiert werden. So kann eine Organisation sich beispielsweise über eine herausragende Ausgangslogistik von den Wettbewerbern differenzieren. Für das Controlling sollte an der Wertschöpfungsanalyse und der Identifikation der Kosten- und Werttreiber angeknüpft werden. Kostentreiber sind vor allem die Faktoren, von denen die Kosten des Wertschöpfungsprozesses abhängen. Werttreiber sind diejenigen Faktoren, von denen die Wertschätzung der Kunden beeinflusst wird. Kennzahlen können nun zum einen die Kosten- und Werttreiber erfassen. Zum anderen sollten Kennzahlen aber auch die charakteristische Verknüpfung der Kosten- und Werttreiber aufgreifen, um auch die Wirkungsrichtung des zugrunde liegenden Wirkungszusammenhangs zu erfassen. Allerdings hat sich trotz zahlreicher Modifikationen der Wertkette gezeigt (Fantapié Altobelli/Bouncken 1998; Walters/Jones 2001; Eustace 2003), dass die Wertkette nicht alle denkbaren Arten von Wertschöpfungslogiken beschreiben kann (Stabell/Fjeldstad 1998; Woratschek et al. 2002). In den folgenden Abschnitten werden daher der Wertshop als Aktivitätenkonfiguration eines problemlösenden Unternehmens sowie das Wertnetz als Aktivitätenkonfiguration eines intermediären Unternehmens vorgestellt.
3.2 Wertshop Der Wertshop ist eine Aktivitätenkonfiguration, bei der die Erfüllung einer Problemlösungsfunktion im Vordergrund steht. Die Aufgabe vieler Dienstleistungsunternehmen besteht darin, ein bestehendes Problem zu identifizieren und es einer geeigneten Lösung zuzuführen. Zu dieser Unternehmensgattung gehören Organisationen wie Unternehmensberatungen und Marktforschungsinstitute, die Probleme für ihre Kunden lösen. Der Problemlösungsprozess kann zyklisch und unstetig durchlaufen werden. Dabei beginnt der Prozess mit einer für den Wertshop charakteristischen Aktivität, die als Problemdefi-
Dienstleistungscontrolling verschiedener Wertschöpfungskonfigurationen
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nition bezeichnet wird. Allerdings geht die Problemdefinition oft mit der Akquisition einher. Gelingt es dem Problemlöser, das Problem des Kunden adäquat abzugrenzen, so ist der Auftrag für die Problemlösung häufig eine logische Konsequenz. Generell gilt bei einem Erstkontakt zwischen Dienstleistungsanbieter und Nachfrager, dass die Reputation ausschlaggebend für eine erfolgreiche Akquisition ist. Die nachfrageseitigen Unsicherheiten über das erwartete Verhalten des Anbieters nach Vertragsabschluss werden durch die Reputation kompensiert, so dass ein Vertragsabschluss eher zustande kommt. An die Problemdefinition schließen sich dann weitere primäre Aktivitäten an, die direkt mit der individuellen Problemlösung in Verbindung stehen. Dabei werden die einzelnen Aktivitäten häufig für jeden Auftrag neu konfiguriert. Ressourcen werden problemadäquat zugewiesen. An dieser Stelle zeigt sich bereits ein deutlicher Unterschied zur Wertkette, bei der die Aktivitäten immer wieder auf die gleiche Art und Weise durchgeführt werden (Stabell/Fjeldstad 1998, S. 420). Darüber hinaus zeichnet den Wertshop aus, dass einzelne Aktivitäten aber auch der gesamte Wertschöpfungsprozess so oft wiederholt werden können, bis ein zufrieden stellendes Ergebnis vorliegt. So kann beispielsweise auch die Problemdefinition zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wiederholt werden, wenn sich zeigt, dass das Problem nicht hinreichend abgegrenzt war (Stabell/Fjeldstad 1998, S. 422). Für Wertshops ist entscheidend, dass sie über die notwendige Expertise verfügen, um die Probleme des Kunden zu lösen. Dazu reicht es unter Umständen nicht aus, einen einzelnen möglichen Weg zur Problemlösung zu kennen, da der Kunde womöglich gerade diesen Weg nicht einschlagen will. Wertshops müssen sich dementsprechend flexibel auf die individuellen Bedürfnisse der Kunden einstellen. In Anlehnung an die Typologie von Technologien kann der Wertshop damit als intensive technology bezeichnet werden (Thompson 1967, S. 17). Diese Bezeichnung soll verdeutlichen, dass eine Vielzahl von Techniken und Technologien zum Einsatz kommen kann, um ein Problem zu lösen. Diese Möglichkeiten sind aber keineswegs auf technische Prozesse i.e.S. beschränkt. Auch die Entwicklung eines neuen Analyse- und Planungsinstruments durch eine Unternehmensberatung oder die Einführung neuer Befragungstechniken durch ein Marktforschungsinstitut können als Technologien im hier unterstellten Sinne interpretiert werden. Letztlich sind die Wünsche und Vorlieben des Kunden dafür entscheidend, welche der zur Verfügung stehenden Instrumente tatsächlich zum Einsatz kommen und welche Wege im Verlauf der Problemlösung beschritten werden. Das bedeutet aber auch, dass der Kunde bei der Problemlösung an zentraler Stelle mit in den Leistungserstellungsprozess einbezogen werden muss (Thompson 1967, S. 17f.). Stabell/Fjeldstad (1998) haben zur Darstellung des Wertshops ein Diagramm eingeführt, das wie die Wertkette zunächst zwischen primären und unterstützenden Aktivitäten unterscheidet. Abbildung 3 zeigt den Wertshop in der modifizierten Form von Schafmeister (2004). Die Gewinnspanne ist in dieser Variante nicht explizit abgebildet, ergibt sich aber analog zur Wertkette ebenfalls aus der Differenz zwischen dem erzielten Umsatz und den Kosten der Leistungserstellung.
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Herbert Woratschek, Stefan Roth und Guido Schafmeister
Reputation
a alu Ev
Pr ob lem fin du ng
Akquisition
Beschaffung
sng en su tiv Lö rna te al
Au sf üh ru ng
TechnologieTechnologie entwicklung
UnterUnter nehmensinfrastruktur
n tio
PersonalPersonal management
Entscheidung Reputation
Abbildung 3: Wertshop (Quelle: In Anlehnung an Schafmeister 2004) Die primären Aktivitäten des Wertshops sind direkt an der Problemlösung für den Kunden beteiligt. Die unterstützenden Aktivitäten sollen dabei hilfestellend zur Seite stehen und entsprechen denen der Wertkette. Zu den primären Aktivitäten gehören die Akquisition und die Problemfindung, die Ausarbeitung und Präsentation von Lösungsalternativen, die Entscheidung für eine Lösungsalternative, die Ausführung sowie die Kontrolle und Evaluation der Problemlösung. Dabei sind die verschiedenen Aktivitäten unabhängig davon abgebildet, wer sie tatsächlich durchführt. So kann beispielsweise eine Situation eintreten, in der dem Kunden einige Lösungsalternativen vorgeschlagen werden, der Kunde für die Ausführung einer Lösungsalternative aber selbst zuständig ist. Das ist etwa dann der Fall, wenn ein Arzt einem Patienten vorschlägt, ein Medikament einzunehmen, um seine Erkältung zu heilen. Der Patient ist dann für die Ausführung, also die Einnahme der Präparate, selbst zuständig. Der Arzt wäre für die Ausführung zuständig, wenn es sich beispielsweise um einen entzündeten Blinddarm handelt, der operativ entfernt werden muss. Die Analyse der Kosten- und Werttreiber eines Wertshops stellt besondere Anforderungen. Auf der Kostenseite ist zu konstatieren, dass die Kosten in Wertshops nachhaltig durch die Bereitstellung der Problemlösungskompetenz entstehen. Somit fallen beim Wertshop fast ausschließlich Fixkosten an. Beispielsweise erhöhen sich die Kosten der Leistungserstellung kaum, wenn der Kunde noch eine weitere, alternative Problemlösung anfragt. Die Kosten werden vielmehr dadurch getrieben, dass Experten vorhanden
Dienstleistungscontrolling verschiedener Wertschöpfungskonfigurationen
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sind, die sich mit den Problemen der Kunden beschäftigen. Bei Wertshops sollte daher eine Konzentration auf die Werttreiber erfolgen. Schafft ein vorhandener Wertshop höhere Werte, so schlagen sich diese in höheren Umsätzen nieder, die zusätzlich zur Deckung der Bereitstellungskosten herangezogen werden können. Die Analyse eines Wertshops stellt jedoch auch hinsichtlich der Werttreiber hohe Anforderungen, weil eine Ermittlung der Wertschöpfung einzelner Aktivitäten selten zweifelsfrei möglich ist. Welchen Wert stiften die Problemdefinition oder die eigentliche Entscheidung? Diese und ähnliche Fragen bleiben teilweise offen. Allerdings könnte eine Beurteilung der Wertschöpfung einer Aktivität an ihrer Bedeutung für die nachfolgenden Aktivitäten ansetzen (Stabell/Fjeldstad 1998, S. 426). Grundsätzlich suchen die Kunden eines Wertshops nach einer zuverlässigen Problemlösung. Die Angebote verschiedener Wertshops können sie letztlich aber nicht mit Sicherheit beurteilen. Es besteht Verhaltensunsicherheit über die Leistungsfähigkeit und den Leistungswillen der Anbieter (Spremann 1990). Früherer Erfolg kann ein glaubhaftes Signal für die Leistungsfähigkeit des Problemlösers sein (Roth 2001). Neben dem früheren Erfolg können die Verknüpfungen der einzelnen Aktivitäten und das Lernvermögen als Werttreiber identifiziert werden. Bei der Verknüpfung der einzelnen Aktivitäten steht die Zusammenarbeit unterschiedlicher Experten oder Expertenteams im Mittelpunkt. Dabei sind zwei Arten von Verknüpfungen zu unterscheiden. Zum einen müssen die Experten eines Problemlösungsteams miteinander in Verbindung stehen, um jederzeit über den Stand des Projekts informiert zu sein und sich gegenseitig Hilfestellungen für die Problemlösung zu geben. Zum anderen müssen auch die Experten verschiedener Problemlösungsteams miteinander verbunden sein. Diese Verbindung sollte zu einem Informationsaustausch führen und so die Problemlösung für jeden einzelnen Kunden verbessern. Das Lernvermögen der Experten kann als Werttreiber identifiziert werden, weil adäquates Wissen für jede Problemlösung zur Verfügung stehen muss. Die Experten müssen auch in der Lage sein, neues Fachwissen aufzubauen, um ein Problem zu lösen. Lernen heißt in diesem Fall auch, aus vergangenen Problemlösungen zu lernen (Stabell/Fjeldstad 1998, S. 426f.).
3.3 Wertnetz Wertnetze ermöglichen anderen Marktteilnehmern miteinander in Kontakt zu treten. Im Mittelpunkt steht dabei die Übernahme einer Intermediationsfunktion. Die Betreiber von Wertnetzen eröffnen mit der Ausführung der Intermediationsfunktion den anderen Marktteilnehmern die Möglichkeit, ein Netzwerk zu bilden, in dessen Gestaltung der Netzwerkbetreiber in unterschiedlichem Ausmaß eingreifen kann. Für den reibungslosen Ablauf geben die Netzwerkbetreiber gewöhnlich bestimmte Regeln vor. Zentral für den Erfolg des Netzwerkes sind Netzwerk-Externalitäten wie die Anzahl und die Zusammensetzung der Netzwerkteilnehmer (Katz/Shapiro 1985). Allerdings sind Netzwerke nicht auf physische Netzwerke (z.B. Telefon- oder Computer-Netzwerke) beschränkt. Die
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Kontakte können vielmehr auch informell zwischen den Netzwerkteilnehmern bestehen (z.B. Kundenclubs oder Internetforen). Die Wertschöpfung in einem Wertnetz erfolgt durch die Verbindung von Netzwerkteilnehmern. Dazu werden durch die Übernahme einer Intermediationsfunktion Kontakte zwischen den Netzwerkteilnehmern ermöglicht und organisiert. Die Kontakte können sich auf den einfachen Austausch von Informationen (Kontaktanbahnung), den Abschluss von Kontrakten (Vertragsvermittlung) und die Ausübung der Distribution (Vertriebsübernahme) beziehen (Woratschek et al. 2002). Jedoch schätzen die Kunden nicht nur die tatsächlich aufgebauten Kontakte, sondern bereits die Möglichkeit, überhaupt mit anderen Netzwerkteilnehmern in Kontakt treten zu können. Netzwerkbetreiber unterscheiden ihre Kunden häufig nicht in Anbieter und Nachfrager, auch wenn die Kunden selbst in einem solchen Verhältnis zueinander stehen. Eine Bank sieht beispielsweise einen Sparer genauso als Kunden an wie einen Kreditnehmer. Entscheidend für die Wertschöpfung sind die Anzahl und die Zusammensetzung der Netzwerkteilnehmer. Die Anzahl ist von Bedeutung, da der eigentliche Wert eines Netzwerkes in den Kontakten an sich liegt. Je mehr Kunden an einem Netzwerk teilnehmen, desto attraktiver ist es für Neukunden, ebenfalls an dem Netzwerk teilzunehmen. Neben der Anzahl der Kunden kommt aber auch der Zusammensetzung der Gruppe der Netzwerkteilnehmer eine große Bedeutung zu, weil der Wert eines Netzes zunehmen kann, wenn das Netzwerk über die ‚richtigen’ Kunden verfügt. Auch die Beschränkung des Netzwerkzugangs durch den Betreiber kann somit eine wertschöpfende Aktivität darstellen. Das Beispiel einer Telefongesellschaft macht ferner deutlich, dass die Aktivitäten des Netzwerkbetreibers in hohem Maße simultan ausgeführt werden müssen und es zu Überschneidungen bei einzelnen Aktivitäten kommen kann. Eine Möglichkeit, der hohen Nachfrage nach Netzwerkverbindungen gleichzeitig gerecht werden zu können, ist deshalb in der Standardisierung der Einzelkontakte zu sehen (Stabell/Fjeldstad 1998, S. 427-429). Das Wertnetz beruht auf einer mediating technology (Thompson 1967, S. 16). Die Komplexität bei Organisationen, die entsprechend der Vermittlungs- und Intermediationstechnologie Wert schöpfen, liegt in den hohen Standardisierungsanforderungen, um den über Zeit und Raum verstreuten potenziellen Netzwerkteilnehmern die Kontaktaufnahme zu ermöglichen. Für die Darstellung eines Wertnetzes hat sich das in Abbildung 4 wiedergegebene Schema durchgesetzt, in dem erneut primäre und unterstützende Aktivitäten unterschieden werden.
Dienstleistungscontrolling verschiedener Wertschöpfungskonfigurationen
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Unternehmensinfrastruktur Unterstützende Aktivitäten
Personalmanagement Technologieentwicklung Beschaffung Netzwerkpromotion Netzwerkservices
Primäre Aktivitäten
Netzwerkinfrastruktur Gewinnspanne
Abbildung 4: Wertnetz (Quelle: In Anlehnung an Woratschek et al. 2002) Die am Leistungserstellungsprozess direkt beteiligten primären Aktivitäten sind die Netzwerkpromotion, die Netzwerkservices und die Netzwerkinfrastruktur. Die Netzwerkpromotion beinhaltet Maßnahmen wie Anwerbung und Auswahl neuer Kunden sowie das Vertragsmanagement. Die Netzwerkservices beziehen sich auf die tatsächlich angebotenen Netzwerkdienste, also beispielsweise die Einrichtung, Pflege und Beendigung von Kontakten zwischen den Netzwerkteilnehmern. Dazu gehört auch die Abrechnung für die erbrachten Netzwerkleistungen. Die Netzwerkinfrastruktur befasst sich mit dem Aufbau und dem Betrieb des Netzwerkes. Die Bedeutung der einzelnen Aktivitäten für die Wertschöpfung ist von Netzwerk zu Netzwerk unterschiedlich. Eine Bank stellt beispielsweise Kontakte zwischen Kapitalgebern und Kreditnehmern her. In diesem Fall kommt im Rahmen der Netzwerkpromotion der Auswahl eines potenziellen Kreditnehmers eine besonders hohe Bedeutung zu, um Risiken zu reduzieren. Zudem werden bei der Netzwerkpromotion die von der Wertkette bekannten Marketing- und Vertriebsaktivitäten mit weiteren Funktionen (z.B. Bonitätsprüfung und Kreditlimitüberwachung) angereichert. Die unterstützenden Aktivitäten laufen analog zur Wertkette und zum Wertshop parallel und hilfestellend mit. Beim Wertnetz muss jedoch die besondere Bedeutung der Technologieentwicklung beachtet werden. Netzwerke sollten jederzeit über eine aktuelle Netzwerkinfrastruktur und aktuelle Kompatibilitätsstandards verfügen. Dabei ist auch im Wertnetz die Technologie nicht alleine im rein technischen Sinne zu verstehen. Gleiches gilt für die angebotenen Netzwerkservices. Die Entwicklung der Netzwerkinfrastruktur und der Netzwerkservices wird damit zum Gegenstand der Technologieentwicklung und
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Herbert Woratschek, Stefan Roth und Guido Schafmeister
weist dieser unterstützenden Aktivität eine große Bedeutung für den Erfolg des Netzwerkes zu. Bei der Analyse der Kosten- und Werttreiber zeigt sich, dass zahlreiche Aktivitäten erhebliche Auswirkungen auf die Kosten- und die Erlösebene entfalten. Da bereits der Netzwerkzugang eine Wertschätzung durch den Kunden erfährt, zählt die Aufnahme neuer Kunden zu den Werttreibern. Allerdings kann die Aufnahme neuer Kunden je nach Netzwerk auch hohe Kosten verursachen, beispielsweise wenn eine umfassende Bonitätsprüfung des Kunden notwendig ist. Ähnlich verhält es sich mit der tatsächlichen Nutzung der Netzwerkservices und der damit verbundenen Kapazitätsauslastung. Eine hohe Kapazitätsauslastung ist auf der Kostenseite positiv zu beurteilen, kann für die Wertschöpfung aber dann zum Nachteil werden, wenn Netzwerkteilnehmer keinen Netzwerkzugang erhalten, weil die Kapazitäten überlastet sind. Unterschiedliche Wirkungen entfalten auch die Anzahl und die Zusammensetzung der Kunden. Grundsätzlich treten in Netzwerken positive Netzwerk-Externalitäten auf (Katz/Shapiro 1985). Je mehr Teilnehmer im betrachteten Netzwerk Kontakte miteinander aufnehmen können, desto höher ist der Wert. Ein großer Teilnehmerkreis verlangt aber auch nach zahlreichen Zugangspunkten, womit die Kosten des Netzwerkes tendenziell ansteigen. Die Entscheidung über die gewinnoptimale Konfiguration des Netzwerkes und seiner Teilnehmer muss dementsprechend im Einzelfall getroffen werden. Ferner stellt sich für die strategische Positionierung eines Netzwerkes die Frage nach dem Grad der horizontalen und vertikalen Ausbreitung. Die horizontale Ausbreitung ist durch die verschiedenen Kundensegmente charakterisiert, denen der Netzwerkbetreiber die Kontaktaufnahme ermöglichen möchte. Die vertikale Ausbreitung fokussiert dagegen auf den Kontrollumfang des Netzwerkbetreibers. Dieser Umfang bemisst sich einerseits nach dem Ausmaß, in dem die eigene Netzwerkleistung auch auf der Leistung anderer Netzwerke basiert, die von außen bezogen werden und sich somit der direkten Kontrolle des Netzwerkbetreibers entziehen. Andererseits stellt die vertikale Ausrichtung auch auf das Ausmaß ab, in dem die eigene Netzwerkleistung Grundlage für die Leistungen anderer Netzwerke ist, die nach außen abgegeben und vom Netzwerkbetreiber gesteuert werden können (Stabell/Fjeldstad 1998).
4.
Kennzahlencontrolling für Dienstleistungen
Die vorgestellten Wertschöpfungskonfigurationen stellen idealtypisch die Wertschöpfung in verschiedenen Organisationen dar. Dazu werden in den Modellen Wertschöpfungsaktivitäten benannt und die Verknüpfung dieser Aktivitäten wird thematisiert. Am Ende stehen idealtypische Ursache-Wirkungszusammenhänge für Organisationen, die überwiegend transformierende (Wertkette), problemlösende (Wertshop) oder intermediäre (Wertnetz) Funktionen ausführen. Die Bedeutung dieser Modelle für das Dienstleis-
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tungsmanagement wird besonders deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Wertschöpfungslogik vieler Dienstleistungsbetriebe dem Wertshop oder dem Wertnetz folgt. Diese Wertschöpfungskonfigurationen sind deshalb als Analyse- und Planungsinstrumente für die strategische Planung von Dienstleistungsunternehmen häufig besser geeignet als das klassische Instrument der Wertkette, die sich im Hinblick auf die verfolgte Wertschöpfungslogik sehr viel stärker an Industrieunternehmen orientiert. Das Dienstleistungscontrolling kann von dieser Typologie verschiedener Wertschöpfungskonfigurationen profitieren. Das Spektrum der vorgestellten Modelle, die auf unterschiedliche Wertschöpfungslogiken abstellen, bildet eine wesentlich breitere Basis für die Identifizierung und empirisch-theoretische Herleitung von Ursache-Wirkungszusammenhängen als das relativ starre Muster der Wertkette. In den vorstehenden Abschnitten konnte gezeigt werden, dass eine einfache Anpassung der Wertkette für die strategische Analyse und Planung für Dienstleistungsunternehmen nicht ausreicht und durch alternative Wertschöpfungskonfigurationen ergänzt werden muss. Aus dem Spektrum der verschiedenen Wertschöpfungskonfigurationen sollte jeweils die grundlegende Struktur als Analyse- und Planungsinstrument herausgegriffen werden, die der verfolgten Wertschöpfungslogik des betrachteten Unternehmens am besten entspricht. Dabei darf natürlich nicht übersehen werden, dass auch Wertshop und Wertnetz noch einigen Gestaltungsspielraum bieten, der analog zur Wertkette auszufüllen ist. Der entscheidende Beitrag der präsentierten Typologie besteht jedoch darin, dass aus den verschiedenen Wertschöpfungskonfigurationen unterschiedliche Kennzahlensysteme hergeleitet werden können. Es wurde bereits herausgestellt, dass die Identifikation und Abbildung der relevanten Ursache-Wirkungszusammenhänge und die Ableitung dazu passender Kennzahlen die zentralen Probleme im Dienstleistungscontrolling sind. Auf Basis der Wertschöpfungskonfigurationen kann es nun gelingen, grundlegende Ursache-Wirkungszusammenhänge herauszuarbeiten, an denen sich die Analyse ihrer individuellen Ausprägungen orientieren kann. Nachdem diese Zusammenhänge für das betrachtete Unternehmen identifiziert sind, können geeignete Kennzahlen zur Steuerung abgeleitet werden. Dazu bietet sich ein idealtypisches Vorgehen in drei Schritten an: (1) In einem ersten Schritt sollte die einer organisatorischen Einheit zugrunde liegende Wertschöpfungslogik identifiziert werden. Dabei ist darauf zu achten, dass die organisatorischen Einheiten in der Regel eine dominierende Wertschöpfungslogik aufweisen. In aller Regel kommen dabei das Gesamtunternehmen oder einzelne strategische Geschäftseinheiten als Analysegegenstand in Betracht. In Abhängigkeit des gewählten Abstraktionsniveaus ist in diesem Zusammenhang auch die dominante Wertschöpfungslogik zu beurteilen. Beispielsweise ist es nicht ausgeschlossen, dass das Gesamtunternehmen die Erfüllung einer Transformationsfunktion anstrebt, so dass die Wertkette auf diesem Abstraktionsniveau als geeignetes Analyse- und Planungsinstrument eingesetzt werden kann. Davon unbenommen bleibt die Möglichkeit, dass einzelne Sparten oder Abteilungen einer anderen Wertschöpfungslogik
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Herbert Woratschek, Stefan Roth und Guido Schafmeister
folgen. Das hat entsprechend zur Konsequenz, dass die Balanced Scorecards auf den unterschiedlichen Hierarchiestufen in einer Organisation einer unterschiedlichen Logik folgen und sich demzufolge strukturell unterscheiden. So weist die Geschäftseinheit Inhouse-Consulting, die als eigenständige Sparte eines Industrieunternehmens organisiert ist, typischerweise die Wertschöpfungslogik des Wertshops auf, da sie als problemlösende Einheit tätig ist. Ähnliches gilt auch für eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung, die zwar als funktionale Einheit in der Regel keine eigene Ergebnisverantwortung trägt, aber isoliert betrachtet ebenfalls als problemlösende Abteilung interpretiert werden kann. (2) In einem zweiten Schritt müssen die Ursache-Wirkungszusammenhänge des Gesamtunternehmens oder der einzelnen strategischen Geschäftseinheiten herausgearbeitet werden. Dieser Schritt ist die Grundlage für die Entwicklung aussagekräftiger Kennzahlen. Den Ausgangspunkt dieser Analyse bildet analog zur Wertkette auch beim Wertshop und beim Wertnetz die theoretisch-empirische Herleitung der entsprechenden Zusammenhänge. Einige theoretische Überlegungen zu diesen Zusammenhängen konnten in den vorstehenden Abschnitten bereits angestellt werden. Die eingehende empirische Überprüfung dieser Ursache-Wirkungszusammenhänge für Wertshops und Wertnetze steht indessen noch aus. Sie ist aber notwendige Voraussetzung für die Analyse grundlegender Strukturen der Wertschöpfung in den genannten Wertschöpfungskonfigurationen. Gleiches gilt für die Kosten- und Werttreiber, die für die verschiedenen Aktivitäten zu identifizieren sind. Dabei gilt es, auf Basis der theoretischen Kenntnisse über die Wertschöpfungslogiken die im Unternehmen vorliegenden Kosten- und Werttreiber zu erfassen. Diese Analyse bildet die Basis, um vor dem Hintergrund der spezifischen Gegebenheiten des betrachteten Unternehmens im konkreten Anwendungsfall die relevanten Zusammenhänge abzubilden und diese zum Ausgangspunkt der Formulierung eines effektiven Kennzahlensystems zu machen. (3) Im dritten Schritt der Analyse sind auf Basis der als relevant identifizierten UrsacheWirkungszusammenhänge und der vorliegenden Kosten- und Werttreiber geeignete Kennzahlen abzuleiten. Dazu ist es notwendig, aus der verfolgten Wertschöpfungslogik als einem fundamentalen Oberziel des Unternehmens die Anforderungen und strategischen Ziele abzuleiten, vor deren Hintergrund die relevanten Wertschöpfungsaktivitäten und deren Verknüpfung zu analysieren sind. Damit wird eine Informationsbasis geschaffen, die es erlaubt, einen spezifischen Katalog von Kennzahlenanforderungen herzuleiten. Letztlich sollte jedes Ziel durch eine Kennzahl repräsentiert werden. Um diese Vorgabe zu erreichen, sollte einerseits eine Orientierung am theoretischen Wissen über die Wertschöpfungslogiken erfolgen, andererseits aber auch den individuellen Besonderheiten, insbesondere den Kosten- und Werttreibern des betrachteten Unternehmens, Rechnung getragen werden. Nicht übersehen werden darf dabei, dass auch die Ermittlung von Kennzahlen auf Basis alternativer Wertschöpfungskonfigurationen an gewisse Grenzen stoßen kann. Analog zur Wertkette können auch im Wertshop und im Wertnetz undirektionale und zyklische Ursache-
Dienstleistungscontrolling verschiedener Wertschöpfungskonfigurationen
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Wirkungszusammenhänge nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, so dass die Bestimmung der konkreten Kennzahlen ein ähnlich anspruchsvolles Unterfangen darstellt wie auf Basis der Wertkette (Wall 2001, S. 72).
5.
Fazit
Das Controlling von Dienstleistungsunternehmen ist nach wie vor mit Problemen behaftet. Die Besonderheiten der Wertschöpfung von Dienstleistungsunternehmen spiegeln sich nicht in den eingesetzten Controllinginstrumenten wider. Die bisher verwendeten Controllingansätze, wie die dargestellte Balanced Scorecard, berücksichtigen häufig nicht die spezifische Wertschöpfungslogik von Dienstleistungsunternehmen, die oftmals von der Wertschöpfungslogik von Industrieunternehmen abweicht. Die Wertschöpfungskonfigurationen Wertkette, Wertshop und Wertnetz repräsentieren drei verschiedene Unternehmensfunktionen, die jeweils eine eigenständige Wertschöpfungslogik bedingen. Diese Analyse- und Planungsinstrumente sollten deshalb in Abhängigkeit der verfolgten Wertschöpfungslogik des betrachteten Unternehmens eingesetzt werden. Zwar sollte auch die Wertkette als Schablone und nicht als Zwangsjacke betrachtet werden, die auf alle Wertschöpfungskonfigurationen angewendet werden kann, die vorstehende Analyse zeigt jedoch, dass die grundlegende Struktur der Wertkette für viele Dienstleistungsunternehmen zu kurz greift. Gleiches gilt deshalb auch für die auf dieser Wertschöpfungsstruktur basierenden Kennzahlensysteme, also insbesondere auch für die Balanced Scorecard. Auch diese sollte nur ein allgemeines Muster zur Verfügung stellen, dessen Inhalte unternehmensspezifisch anzupassen sind (Weber/Schäffer 2000, S. 12f.). Dennoch kann kein effektives Kennzahlensystem erwartet werden, wenn die zugrunde liegenden Ursache-Wirkungszusammenhänge anderen Wertschöpfungslogiken und damit abweichenden Mustern folgen als sie die Wertkette suggeriert. In diesem Beitrag wurde deshalb ein Vorgehen in drei Schritten vorgeschlagen, um Kennzahlensysteme für Dienstleistungsunternehmen zu entwickeln. Dazu sollte im ersten Schritt die dominante Wertschöpfungslogik des Unternehmens identifiziert werden. Im zweiten Schritt sind anschließend die grundsätzlichen Ursache-Wirkungszusammenhänge und die individuelle Konfiguration der Kosten- und Werttreiber zu bestimmen. Der dritte Schritt ist dann der Ableitung von geeigneten Kennzahlen gewidmet. Dieses Programm stellt hohe Anforderungen an Theorie und Praxis. Im vorliegenden Beitrag wurden einige grundlegende theoretische Überlegungen zu Ursache-Wirkungszusammenhängen in Wertshops und in Wertnetzen angestellt. Deren Validierung bleibt beim gegenwärtigen Stand der Forschung jedoch ein empirisches Problem. Gleiches gilt konsequenterweise auch für die Herleitung der darauf aufbauenden Kennzahlen. Letztlich gilt deshalb auch in dieser erweiterten Perspektive der theoretisch-empirischen Vorge-
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Herbert Woratschek, Stefan Roth und Guido Schafmeister
hensweise, dass das Erfahrungswissen von Managern genutzt und mit den theoretischen Erkenntnissen der Betriebswirtschaftslehre verknüpft werden muss (Wall 2001, S. 73).
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Kennzahlengestütztes Marketingcontrolling in Dienstleistungsunternehmen
275
Sven Reinecke und Gerold Geis
Kennzahlengestütztes Marketingcontrolling in Dienstleistungsunternehmen
1. Bedeutung und Spezifika des Marketingcontrolling bei Dienstleistungsunternehmen 2. Gütekriterien betriebswirtschaftlicher Kennzahlensysteme 3. Konzeption eines Marketingkennzahlensystems für Dienstleistungsunternehmen 3.1 Finanzwirtschaftliche Ergebniskennzahlen als erste Ebene des Kennzahlensystems 3.2 Aufgabenbezogene Kennzahlenmodule als zweite Ebene des Kennzahlensystems 3.3 Bewertung von Marktpotenzialen als dritte Ebene des Kennzahlensystems 3.4 Verwendung von Cockpits als Reportinginstrument 4. Fallbeispiel: Aufgabenorientiertes Marketingcockpit eines Versicherungsunternehmens 5. Grenzen eines kennzahlengestützten Marketingcontrolling Literatur
Dr. Sven Reinecke ist Professor am Institut für Marketing und Handel an der Universität St. Gallen, Schweiz. Dr. Gerold Geis ist Geschäftsführer der MPM Market Performance Management St. Gallen AG, Schweiz.
Kennzahlengestütztes Marketingcontrolling in Dienstleistungsunternehmen
1.
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Bedeutung und Spezifika des Marketingcontrolling bei Dienstleistungsunternehmen
In der deutschsprachigen Marketingwissenschaft erlebt das Thema Marketingcontrolling nach intensiven Forschungstätigkeiten zu Beginn der 1980er Jahre einen neuen Höhepunkt (Link et al. 2000; Reinecke et al. 2001; Daum 2001; Ehrmann 2004; Reinecke 2004). Seitdem das amerikanische Marketing Science Institute das Thema „Marketing Metrics“ mehrfach hintereinander zum Thema mit der höchsten Forschungsrelevanz erhoben hat, ist auch in der internationalen Marketingwissenschaft eine deutlich verstärkte Auseinandersetzung mit diesem Thema zu spüren (Ambler 2003; Lenskold 2003; Moorman/Lehmann 2004; Shaw/Merrick 2005; Srivastava/Reibstein 2005). Für die betriebswirtschaftliche Praxis nimmt die Bedeutung des Themas aus mehreren Gründen zu (Reinecke 2004, S. 1ff.): Führungskräfte im Marketing müssen zunehmend die Effektivität und Effizienz von Marketingmaßnahmen nachweisen; gleichzeitig ist die Zufriedenheit des TopManagements mit dem derzeitigen Stand des Marketingcontrolling sehr gering (zu empirischen Ergebnissen siehe Reinecke/Rosset 2005 und Reinecke/Herzog 2005). Neue Management- und Controllingkonzepte, insbesondere die wertorientierte Unternehmensführung und Scorecard-Ansätze, führen zu einem wachsendem Druck, marketingrelevante Tatbestände mittels Kennzahlen zu operationalisieren und somit mess- und führbar zu machen. In der Praxis ist Marketing häufig durch Koordinations- und Umsetzungsdefizite gekennzeichnet. Einerseits mangelt es an einer Durchgängigkeit der Marketingplanung von der Strategie bis zur Realisierung, andererseits ist das operative Marketing aufgrund einer Zersplitterung der Marketinginstrumente ungenügend auf verbindliche Ziele integriert. Neue informationstechnologische Möglichkeiten eröffnen für Marketingplanung und -kontrolle neue Dimensionen (Stichworte: Data Mining, Verkaufsinformationssysteme, Customer-Relationship-Management-Systeme). Eine aktuelle Untersuchung zum Stand des Marketingcontrolling in der Schweiz (Reinecke/Rosset 2005) zeigt kaum signifikante Unterschiede im Einsatz strategischer oder operativer Marketingcontrolling-Instrumente zwischen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen. Allerdings ist das Marketingcontrolling in letzter Zeit durch zentrale Trends geprägt (Reinecke 2004, S. 48, basierend auf Gleich 2001, S. 11; Müller-Stewens 1998, S. 37), die sich im Dienstleistungssektor verstärkt offenbaren: Steuerungsziel: Die buchhalterische Registrierung von Abweichungen (ex-postKontrolle) nimmt im Marketingcontrolling relativ an Bedeutung ab zugunsten einer eher managementorientierten Ausrichtung auf Verbesserung im Sinne eines Regel-
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Sven Reinecke und Gerold Geis
kreises. Gerade im Dienstleistungsbereich ist diese Prozessorientierung des Controlling aufgrund der inhärenten potentiellen Qualitätsschwankungen von besonderer Bedeutung (siehe ausführlich Bruhn 2004). Dienstleistungscontrolling kann als permanente Sicherstellung von Effektivität und Effizienz des Dienstleistungsleistungsmanagements verstanden werden. Ausrichtung & Format: Verstand man unter Marketingcontrolling in den 1980er Jahren primär das monetär innengerichtete Marketingaccounting, so bezieht das Marketingcontrolling inzwischen stärker externe Ausrichtungen auf den Markt und nichtmonetäre Größen ein. Die Nicht-Materialität von Dienstleistungen macht nichtmonetäre Zusammenhänge noch wichtiger (Stichworte: Messung und Tracking von Kundeneinstellungen, -zufriedenheit und Markenstärke). Dies bedeutet allerdings nicht, dass das Marketingaccounting an Bedeutung verliert: Gerade im Dienstleistungsbereich kommt der Prozesskostenrechnung bzw. dem Activity Based Costing aufgrund des hohen Gemeinkostenblocks eine sehr hohe Relevanz zu. Zeit: Das Marketingcontrolling hat sich zunehmend von einer kennzahlengestützten Frühwarnung über die Früherkennung von (Markt-)Potenzialen hin zu einer rationalitätsunterstützenden, handlungsbezogenen Frühaufklärung entwickelt. Verfahren: Standen früher primär statische Deckungsbeitragsrechnungen im Mittelpunkt des Marketingcontrolling, so kommen inzwischen zahlreiche dynamische Verfahren zum Einsatz, beispielsweise zur Ermittlung zukunftsbezogener finanzieller Kunden- und Markenwerte. Da der immaterielle Anteil am Unternehmenswert bei Dienstleistungsunternehmen besonders hoch ist, wirkt sich hier die steigende Bedeutung der Operationalisierung des „Intellectual Capitals“ besonders aus. Dies schlägt sich beispielsweise in einem starken Bestreben zur finanzwirtschaftlichen Operationalisierung von Kunden- und Markenwerten nieder. Dimension: Aufgrund der damals dominierenden Zuschlagskalkulation im Rahmen der Preisgestaltung konnte sich das Marketingaccounting früher der Einfachheit halber auf die Zielgröße Umsatz fokussieren. Ein modernes marktorientiertes Dienstleistungscontrolling muss nicht nur aufgrund der Tatsache, dass gerade bei Dienstleistungen Umsatz und Deckungsbeitrag immer seltener miteinander einhergehen, ein umfassenderes Zielsystem berücksichtigen und daher ziel- und ereignisorientierter angelegt sein. Marketingcontrolling ist somit aktueller denn je. Dabei handelt es sich um ein klassisches Schnittstellenthema zweier betriebswirtschaftlicher Forschungsteilgebiete. Marketing und Controlling stehen in einem ambivalenten Verhältnis zueinander. Einerseits werden sie als Zwillingsschwestern charakterisiert, weil beides übergreifende Konzepte sind, die nicht das Privileg einzelner Experten sein sollten (Deyhle 1988, S. 15). Andererseits kommt ein natürlicher Ziel- und Interessenkonflikt zum Ausdruck, wenn Marketing als „Führung vom Markt her“ und Controlling als „Führung vom Ergebnis her“ gesehen wird.
Kennzahlengestütztes Marketingcontrolling in Dienstleistungsunternehmen
2.
279
Gütekriterien betriebswirtschaftlicher Kennzahlensysteme
„Betriebswirtschaftliche Kennzahlen [...] sind Zahlen, die in konzentrierter Form über einen zahlenmäßig erfaßbaren betriebswirtschaftlichen Tatbestand informieren.“ (Staehle 1967, S. 62) Wesensimmanentes Merkmal von Kennzahlen ist somit die Verdichtung quantifizierter Informationen (Wolf 1977, S. 11; Gritzmann 1991, S. 30f.). Dadurch reduzieren sie die Gefahr technischer und semantischer Kommunikationsstörungen auf dem Weg vom Sender zum Empfänger der Information auf ein Minimum (Staehle 1973, S. 223). Kennzahlen kommt somit im Rahmen des Marketingcontrolling eine hohe Bedeutung zu. Grundsätzlich erlangen sie allerdings nur durch Vergleiche Aussagekraft (Siegwart 1998, S. 13 ff.): Dies sind entweder innerbetriebliche Zeitvergleiche, Soll-Ist-Vergleiche oder Objektvergleiche, bei denen verschiedene Geschäftsbereiche oder Unternehmen zum gleichen Zeitpunkt oder Zeitraum bezüglich der gleichen Kennzahlen untersucht werden (Küting 1983, S. 239). Marketingkennzahlensysteme werden nachfolgend als zweckorientierte Gliederung von Kenngrößen einer marktorientierten Unternehmensführung verstanden. Es handelt sich um eine logische und/oder rechnerische Verknüpfung mehrerer Kennzahlen, die zueinander in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen und sich gegenseitig ergänzen. Ähnlich wie Einzelkennzahlen erfüllen solche Kennzahlensysteme primär Informationsaufgaben; dabei lassen sich drei Funktionen unterscheiden (Geiss 1986, S. 104ff.; Caduff 1981, S. 45ff.): Analysefunktion (Beispiel: Kennzahlensystem zur Ermittlung der Markenstärke), Lenkungs- beziehungsweise Steuerungsfunktion (gewisse Kennzahlen werden als Normvorgaben verwendet, zum Beispiel Return on Investment, Marktanteil oder Kundenzufriedenheit) und Dokumentationsfunktion (Speichern von Plan- und Istgrößen). Welche Anforderungen sind an betriebswirtschaftliche Kennzahlensysteme zu stellen (siehe hierzu auch Diller 1976; Caduff 1981; Geiss 1986; Siegwart 1998)? Ein Kennzahlensystem ist dann nützlich (d.h. zweckgerecht), wenn es dem jeweiligen Problem angemessen, konsistent, flexibel, benutzer- und organisationsgerecht sowie wirtschaftlich ist (vgl. Abbildung 1). Ein Kennzahlensystem ist problemangemessen, wenn die verwendeten Kennzahlen zeitlich und sachlich dem verfolgten Ziel entsprechen (Geiss 1986, S. 11). Hierbei ist insbesondere zu unterscheiden, ob es sich um ein analysierendes oder ein steuerndes Kennzahlensystem handeln soll. Problemangemessenheit bedeutet ferner, dass die Daten jeweils auf dem richtigen Informationsgrad zur Verfügung stehen. Je nach Fragestellung werden unterschiedliche Forderungen bezüglich Vollständigkeit, Wahrheit, Aktualität, Genauigkeit und Objektivität der Informationen und Kennzahlen gestellt. So benötigt man zur Steuerung der Liquidität beispielsweise andere Informationen (und insbesondere auf einem anderen Aggregationsgrad) als zur Absatzplanung. Zur Problemangemessenheit zählt letztlich auch die Frage der Robustheit: Wie schwierig ist es, von dem
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Sven Reinecke und Gerold Geis
Kennzahlensystem abwegige, vielleicht sogar manipulierte Ergebnisse zu erhalten (Caduff 1981, S. 30)? Ein nützliches Kennzahlensystem ist... problemgerecht
konsistent
flexibel
benutzer- und organisationsgerecht
wirtschaftlich
Kennzahlen entsprechen zeitlich und sachlich dem verfolgten Ziel als Diagnose- oder Steuerungsinstrument
Richtiger Informationsgrad (Aggregationsgrad, Aktualität, Periodizität)
Angemessene Informationsqualität (Validität und Reliabilität)
Robustheit (Schutz vor Manipulation und unerwünschten Suboptima)
Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, Frühwarnung
Widerspruchsfreiheit
Ausgewogenheit
Eindeutige Operationalisierung der Messung
Dynamisierbarkeit des Systems, Anpassbarkeit an Veränderungen (Möglichkeit, Kennzahlen zu ergänzen und zu eliminieren)
Integrationsmöglichkeit externer Daten
Modularität
Kompatibilität mit Organisationskultur
Wahrgenommene Nützlichkeit des Systems für die Benutzer beziehungsweise Stakeholder (subjektiver Sinngehalt, Betroffenheit, Reaktionsmöglichkeiten, Informationsgehalt)
Glaubwürdigkeit des Systems (Realitätsbezug, Vollständigkeit, Spezifität, Konsistenz/Validität)
Standardisierung
Einbindung in Führungs- und Controllingprozesse
Kompaktheit, Transparenz
Aufwand der Datenerhebung und -verarbeitung
Automatisierung, Grad der Unterstützung mit Hilfe von Informationstechnologien
Abbildung 1: Anforderungen an Kennzahlensysteme (Quelle: Reinecke 2004, S. 77) Mit Konsistenz ist gemeint, dass ein Kennzahlensystem möglichst dem „Prinzip der Widerspruchsfreiheit“ (Küting 1983, S. 240) gerecht werden sollte. Dadurch wird eine Analyse von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen erleichtert.
Kennzahlengestütztes Marketingcontrolling in Dienstleistungsunternehmen
281
Der erforderliche Grad an Flexibilität hängt von der Problemstellung ab. Kennzahlensysteme in der Buchhaltung sollten in der Regel nicht flexibel sein, während strategische Performance Measurement-Systeme immer wieder der jeweiligen Situation anzupassen sind. Ferner erhöht ein modularer Aufbau nach dem Baukastenprinzip die Flexibilität (Schwaninger 1994, S. 300). Die Forderung nach Benutzer- und Organisationsadäquanz ist entscheidend. Ein Kennzahlensystem erfüllt Informationsaufgaben. Aus anwendungsorientierter Sicht stellt sich damit die Frage, ob und wann eine Person eine Informationsquelle wie ein Kennzahlensystem tatsächlich verwendet. Dies hängt einerseits von der wahrgenommenen (!) Nützlichkeit, andererseits von der Glaubwürdigkeit der Informationen ab: Die wahrgenommene Nützlichkeit von Informationen ist umso höher, je höher der subjektive Sinngehalt, der Innovationsgehalt und die Zielrelevanz (d.h. Betroffenheit) für den Anwender sowie je stärker der Grad der Beeinflussbarkeit durch den Anwender (Shrivastava 1987). Die Glaubwürdigkeit von Informationen hängt von folgenden Eigenschaften des Informationsangebots ab: dem Realitätsbezug, dem Umfang und dem Grad an Vollständigkeit und Genauigkeit, dem Grad der Spezifität, mit der ein Problem behandelt wird, der Konsistenz sowie der Validität aus theoretischer und methodischer Hinsicht (John/Martin 1984). Je spezifischer ein Kennzahlensystem auf die Anforderungen der Benutzer eingehen kann, desto höher wird sein Nutzen eingeschätzt und desto intensiver wird das System eingesetzt (Day 1976, S. 47). Hieraus ergibt sich bei Kennzahlensystemen allerdings ein Zielkonflikt zwischen Benutzer- und Stellenspezifität einerseits und Standardisierung andererseits. Eine Standardisierung von Kennzahlensystemen hat viele Vorteile, weil sie Einheitlichkeit, Nachvollziehbarkeit und Vergleichbarkeit von Informationen über die Zeit fördert. Eine Möglichkeit, diesen Zielkonflikt zu lösen, besteht darin, zwischen einem standardisierten, personen- und benutzerunabhängigen Teil und einem individuellen, maßgeschneiderten Teilsystem zu unterscheiden (Gritzmann 1991, S. 39ff.). Ein Kennzahlensystem sollte auch möglichst kompakt und transparent sein. Soweit möglich, sollte jedem planungs- und kontrollrelevanten Sachverhalt nur eine Kennzahl zugeordnet werden (Palloks-Kahlen 2001, S. 523). Eine Maximalanzahl an „erlaubten“ Kenngrößen eines Systems lässt sich allerdings nicht nennen; unter Berufung auf psychologische Studien von Miller (1956) wird allerdings darauf verwiesen, dass möglichst nicht mehr als sieben (plus/minus zwei) Schlüsselkenngrößen gewählt werden sollten, weil dies der maximalen Verarbeitungskapazität von Managern entspreche. Wie alle betriebswirtschaftlichen Instrumente, so unterstehen auch Kennzahlensysteme dem Gebot der Wirtschaftlichkeit. Leider lässt sich jedoch im Voraus kaum exakt quantifizieren, welchen ökonomischen Wert eine bessere Entscheidungsfindung haben wird.
282
3.
Sven Reinecke und Gerold Geis
Konzeption eines Marketingkennzahlensystems für Dienstleistungsunternehmen
Die nachfolgenden Ausführungen beschreiben eine idealtypische Grundstruktur (vgl. Abbildung 2), auf deren Basis für ein Dienstleistungsunternehmen beziehungsweise einen Geschäftsbereich ein situationsgerechtes, integriertes Marketingkennzahlensystem entworfen werden kann (für einen Überblick über weitere Kennzahlensysteme siehe Reinecke 2004).
Formalökonomische Ergebniskennzahlen Gewinn, Wachstum, Sicherheit
Dynamische Wertgrößen
Kernaufgabenprofil und Marktpositionierung
Potenziale
Kundenakquisition
Kundenbindung
Kundenpotenziale
Leistungsinnovation
Leistungspflege
Leistungspotenziale
Marktpotentiale
Finanzwirtschaftliche Ergebnisse
Kernaufgaben (Umgang mit Marktpotentialen)
Marktpotenziale
Abbildung 2: Idealtypische Struktur eines aufgabenorientierten Kennzahlensystems (Quelle: Reinecke 2004, S. 384) Die erste Ebene des Gesamtkennzahlensystems umfasst die zentralen finanzwirtschaftlichen Ergebniskennzahlen. Diese messen, inwiefern die festgelegten Gewinn-, Wachstums- und Sicherheitsziele eines Unternehmens beziehungsweise Geschäftsbereichs erreicht wurden; dabei erscheint eine Verbindung zu finanzwirtschaftlichen Werttreiberkonzepten erstrebenswert, um sowohl Dynamik als auch eine bestmögliche Koppelung mit den gesamtunternehmerischen Zielen sicherzustellen. Die formalökonomischen Ergebniskennzahlen werden im Rahmen des so genannten Kernaufgabenprofils konkretisiert: Dabei wird definiert und gemessen, in welchen Aufgabenbereichen (Kundenakquisition und -bindung, Leistungsinnovation und -pflege) profitables Wachstum anzustreben ist beziehungsweise erzielt wurde (siehe Tomaczak/Reinecke 1999). Da finanzielle Kenngrößen allein weder inhaltliche Marketingresultate wiedergeben, noch Strategien operationalisieren können, wird auf der zweiten Stufe der Umgang mit
Kennzahlengestütztes Marketingcontrolling in Dienstleistungsunternehmen
283
Kunden- und Leistungspotenzialen operationalisiert. Dabei sind insbesondere die Schlüsselkennzahlen der Marktpositionierung als qualitative Ziel- und Ergebnisgrößen von Bedeutung. Diese aufgabenbezogene Ebene definiert und konkretisiert die Marketingstrategie; die Gliederung orientiert sich am grundsätzlichen Planungs- und Steuerungs- beziehungsweise Ursache-Wirkungs-Prozess. Die dritte Ebene im Kennzahlensystem bewertet die für das Marketing zentralen Marktpotenziale. Der Umgang mit Marktpotenzialen (2. Ebene) schlägt sich nicht nur in den finanzwirtschaftlichen Ergebnissen (1. Ebene) nieder, sondern wirkt sich auch auf die Potenziale selbst (3. Ebene) aus. Diese Auswirkungen von Veränderungen des Markenund Kundenwerts sind zu berücksichtigen, um die langfristige Marketingeffektivität sicherzustellen (Ambler 2003, S. 7; Maul 2000, S. 530).
3.1 Finanzwirtschaftliche Ergebniskennzahlen als erste Ebene des Kennzahlensystems Die nachfolgenden Ausführungen richten sich an erwerbswirtschaftliche Unternehmen, so dass eine (vereinfachte) Ausrichtung auf den dynamisierten Unternehmensgewinn als angemessen und gerechtfertigt gelten kann. Dabei wird zwischen den formalökonomischen Ergebniskennzahlen und dem so genannten Kernaufgabenprofil unterschieden. Die formalökonomischen Ergebniskennzahlen erfüllen als Schlüsselkennzahlen die Funktion einer Komplexitätsreduktion. Ferner übernehmen sie die Koppelungsfunktion zwischen dem Marketingkennzahlensystem und dem unternehmensweiten Controlling. Die Wahl der Schlüsselkennzahlen wird durch die Ausrichtung des Finanz- und Rechnungswesens des jeweiligen Unternehmens beeinflusst. Klassische finanzwirtschaftliche Kennzahlensysteme fokussieren häufig auf Kapitalrentabilitätsgrößen, beispielsweise auf die Eigenkapitalrentabilität oder den Return on Investment wie beim „DuPont-System of Financial Control“. Der Einsatz solcher Systeme ist möglich, wenn eigenständige Geschäftsbereiche wie beispielsweise Vertriebsniederlassungen betrachtet werden; bei einer funktionalen Sichtweise auf Marketing und Verkauf sind solche Größen allerdings weitgehend ungeeignet, weil sich marketingspezifische Kapital- und Vermögensgrößen kaum nach den Gesichtspunkten der Zurechenbarkeit und somit Kontrollierbarkeit ermitteln und auch nur bedingt zu Marketingergebnisgrößen in Beziehung setzen lassen (Kiener 1980, S. 168; Köhler 1993, S. 288). Als Ausweg bieten sich – für das Accounting relativ anspruchsvolle (Kiener 1980, S. 169f.; Palloks 1991, S. 247ff.) – Spitzenkennzahlen wie die Umsatzrentabilität des Marketingbereichs (Verhältnis von Marketingdeckungsbeitrag zu Umsatz) oder auch der Marketingergebnisbeitrag (Marketingdeckungsbeitrag abzüglich der fixen Marketingkosten) an. Bewährt hat sich in der Marketingwissenschaft (Diller 2001, S. 6) die Unterscheidung der Zielkategorien Gewinn beziehungsweise Profitabilität, Wachstum und Sicherheit be-
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Sven Reinecke und Gerold Geis
ziehungsweise Risikominimierung. Diese Ziele sind zum Teil komplementär, zum Teil aber auch konfliktär. Somit sind Zielpriorisierungen und -gewichtungen erforderlich. So verfolgen beispielsweise Aktiengesellschaften andere Zielsysteme als Personengesellschaften; dies wirkt sich deutlich auf die verwendeten Marketingkennzahlen aus. Wachstum gilt für börsennotierte Kapitelgesellschaften häufig als Leitmotiv der Unternehmensentwicklung, während Personengesellschaften die Risikominimierung stärker gewichten. Im Bereich Marketing und Verkauf fokussieren Unternehmen häufig stärker auf Wachstumsgrößen wie Umsatz oder Absatz als auf gewinn- und rentabilitätsorientierte Kennzahlen (Reinecke 2004, S. 136). Die Operationalisierung der drei Zielbereiche Profitabilität, Wachstum und Risikominimierung ist über klassische finanzwirtschaftliche Kennzahlen möglich und soll hier nicht vertieft werden (siehe hierzu Kiener 1980; Reichmann/Palloks 1997; Palloks-Kahlen 2001). Der Deckungsbeitrag erfüllt in diesem Zusammenhang – neben dem Cashflow – eine zentrale Schnittstellenfunktion. Die Kennzahlen der drei Zielkategorien werden nicht zuletzt aufgrund ihres statischen Charakters häufig kritisiert (Reichmann 1997, S. 358). In der Theorie hat sich der Cashflow als Gradmesser sowohl für die Beurteilung der Finanz- als auch der Ertragslage durchgesetzt (Horváth 2003, S. 456). Der diskontierte Cashflow integriert alle drei Zielkategorien sowie den Faktor Zeit: Er ist fokussiert auf einen abdiskontierten Überschuss (Gewinn), berücksichtigt dabei aber das Wachstum als Werttreiber. Das Ziel der Risikominimierung beziehungsweise Sicherheit spiegelt sich insbesondere in dem gewählten Zinssatz sowie den Wahrscheinlichkeiten der zugrundeliegenden Basisannahmen wider. Es erscheint somit sinnvoll, im Marketing den aus dem operativen Geschäft erwirtschafteten Cashflow stärker als Zielgröße zu gewichten. Derzeit nimmt diese Größe noch eine eher untergeordnete Stellung im Marketingbereich ein. So zählen in Europa nur 38 Prozent der Führungskräfte aus den Bereichen Marketing und Verkauf den Cashflow zu den drei unternehmerischen Spitzenkennzahlen; in den USA sogar lediglich 17 Prozent (siehe Reinecke 2004, S. 144). Aufgrund der zahlreichen mathematischen Möglichkeiten der Zerlegung und Verknüpfung finanzwirtschaftlicher Kennzahlen lassen sich fast unendlich viele Kenngrößen ableiten. Ein fokussiertes Kennzahlensystem kann die Wirtschaftlichkeitsanalysen des Rechnungswesens daher niemals ersetzen, sondern lediglich ergänzen. Unter Produktivität versteht man die technische Wirtschaftlichkeit, d.h. das Verhältnis von mengenmäßigem Ertrag zu mengenmäßigem Aufwand (Wöhe 2000, S. 48.). Eine solche Mengenrechnung ist die einzig „wahre Form“ der Produktivitätsmessung (Daum 2001, S. 8f.). Solche technischen Produktivitätskennzahlen werden im Marketingbereich jedoch kritisiert: Ohne eine Bewertung der eingesetzten Produktionsfaktoren in Geldeinheiten – also ohne ein Gleichnamigmachen – ist keine Aussage über die Beachtung des Rationalprinzips möglich (Wöhe 2000, S. 48). Somit wird Produktivität häufig umfassender als Output-Input-Relation definiert, wobei sowohl die Output- als auch die Inputgrößen finanziell oder nichtfinanziell sein können.
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Die Verwendung von Produktivitätskennzahlen ist allerdings mit einem Grundproblem behaftet, der bei Dienstleistungsunternehmen besonders relevant ist: Hinter jeder Produktivitätskennzahl steckt die Vermutung eines Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs. Bildet man beispielsweise die Kenngröße „Umsatz pro Kundenbetreuer“, so steckt dahinter die (naheliegende) Annahme, dass der Umsatz durch die Anzahl Kundenbetreuer beeinflusst wird. Auch wenn der Zusammenhang in diesem Fall nachvollziehbar ist, so verleiten solche Kennzahlen häufig zu unzulässigen Vergleichen: Beispielsweise lässt sich die Produktivitätsgröße „Umsatz je Kundenbetreuer“ zwischen zwei Regionen nur dann vergleichen, wenn auch die Potenziale der Gebiete vergleichbar sind (Krafft 2001, S. 510). Besonders kritisch sind Produktivitätskennzahlen zu beurteilen, wenn nichtfinanzielle Outputgrößen mit finanziellen Inputgrößen in Beziehung gesetzt werden, beispielsweise das Verhältnis Kundenzufriedenheit zu Kosten. Eine solche Kenngröße verleitet zur Annahme eines einfachen linearen Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und Kosten. Selbst eine Beschränkung auf rein wertmäßige Produktivitäts- und damit Wirtschaftlichkeitskennzahlen, wie beispielsweise das Verhältnis „Ertrag zu Aufwand“, ist nicht unproblematisch; so sinkt gemäß dieser Kennzahl beispielsweise die Wirtschaftlichkeit, wenn sich der Ertrag aufgrund externer Preiseinflüsse reduziert (Gutenberg 1958, S. 28). Daher erscheint es sinnvoll, beim Einsatz von Produktivitätskennzahlen neben rein finanzwirtschaftlichen allenfalls gemischte Produktivitätskennzahlen mit nichtfinanziellem Input und finanziellem Output einzubeziehen, bei denen Ursache-WirkungsBeziehungen inhaltlich begründet und nicht nur vermutet werden können. Selbst dann ist bei der Interpretation zu berücksichtigen, dass solche Kennzahlen nicht mehr als eine „Anregungsfunktion“ übernehmen können (Reichmann 1997, S. 380). Das Kernaufgabenprofil dient als „Scharnier“ zwischen den formalökonomischen Größen einerseits und den noch ausführlich zu behandelnden psychographischen Kenngrößen des Kaufverhaltens andererseits: Letztere sind wichtiger Dreh- und Angelpunkt für das Marketing. Eine solche Verknüpfung erfolgt über eine aus Marketingsicht zentrale Größe: die realisierten Käufe (als Ergebnis des komplexen Kaufverhaltens) beziehungsweise die Verkäufe (als Treiber von Wachstum und Gewinn). Das angestrebte Kernaufgabenprofil eines Unternehmens gibt an, welche der vier Kernaufgaben (Kundenakquisition, -bindung, Leistungsinnovation und -pflege) im Zentrum der Marketingplanung stehen sollten. Es kann zum Beispiel mit Hilfe einer Umsatz- und einer Deckungsbeitragsanalyse geplant und kontrolliert werden, um neben wachstumsauch gewinnorientierte Größen zu berücksichtigen; ergänzend sind auch dynamische Wertberechnungen möglich. Das Beispiel in Abbildung 3 zeigt das typische Kernaufgabenprofil eines so genannten Potenzialausschöpfers, bei dem sowohl der Großteil des Umsatzes als auch ein noch größerer Teil des erwirtschafteten Deckungsbeitrags auf den Umsatz bestehender Marktleistungen (Leistungspflege) bei bisherigen Kunden (Kundenbindung) entfallen.
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Aktuelle Kunden
Neue Kunden
Bestehende Leistungen
Neue Leistungen
700 400
150 100
850 500
Kundenbindung
100 30
50 10
150 40
Kundenakquisition
800 430
200 110
1 000 540
Leistungspflege
Leistungsinnovation
Ziel bzw. Ergebnis: Umsatz Deckungsbeitrag
Abbildung 3: Analyse des Kernaufgabenprofils (Quelle: Reinecke 2004, S. 253)
Das Kernaufgabenprofil kann durch ergänzende Kenngrößen präzisiert werden: So sind auf der Leistungsebene beispielsweise Absatz- beziehungsweise Mengenverhältnisgrößen (Absatz neuer Marktleistungen im Verhältnis zum Absatz „alter“ Marktleistungen), auf der Kundenebene Verhältnisgrößen wie die Relation von Neu- zu Stammkunden möglich.
3.2 Aufgabenbezogene Kennzahlenmodule als zweite Ebene des Kennzahlensystems Die aufgabenbezogenen Kennzahlenmodule drücken den Umgang eines Unternehmens oder Geschäftsbereichs mit Kunden- und Leistungspotenzialen aus. Dabei lassen sich zwei qualitative Kennzahlenbereiche unterscheiden: Erstens müssen Kennzahlen für den grundsätzlichen Umgang mit Kunden- und Leistungspotenzialen definiert werden. Diese qualitativen Kennzahlen operationalisieren somit die inhaltliche Marketingstrategie und drücken insbesondere die (angestrebte) Marktpositionierung aus.
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Zweitens sind spezifische Kenngrößen je Kernaufgabe sinnvoll. Diese versuchen die Frage zu beantworten, warum ein Unternehmen bezüglich der jeweiligen Kernaufgabe besonders erfolgreich ist beziehungsweise welche Maßnahmen geeignet sein könnten, damit die Kernaufgabe erfolgreich bewältigt werden kann. Dazu ist es zweckmäßig, je Kernaufgabe sowohl den Input als auch den Prozess und die angestrebten Ergebnisse zu operationalisieren. Ohne ein strategisches Fundament sind wertorientierte Kenngrößen bedeutungslos. Die formalökonomischen Kenngrößen müssen daher durch marketingbezogene Schlüsselkennzahlen ergänzt werden. Gemeinsam kennzeichnen diese Marketingziele die dem Marketingbereich gesetzten Imperative beziehungsweise jene anzustrebenden Vorzugszustände (Meffert 2000, S. 76), die durch das operative Marketing erreicht werden sollen. Diese nichtmonetären Marketingschlüsselkennzahlen (vgl. Abbildung 4) stehen in sehr enger Beziehung zur Positionierung eines Unternehmens beziehungsweise Geschäftsbereichs. Im Gegensatz zu den formalökonomischen Zielen sind bei den psychographischen Marketingkennzahlen formalmathematische Analysen nicht sinnvoll, weil sich die dahinterstehende Komplexität des Kaufverhaltens nicht „berechnen“ lässt (Köhler 1981, S. 280; Meffert 2000, S. 76; Becker 2001, S. 64). Bei der Operationalisierung der Positionierungsgrößen nach Inhalt, Ausmaß und Zeit ist der Bezug zum relevanten Markt wichtig (Meffert 2000, S. 79). Kennzahl Marktanteile
Preisstellung
Marktdurchdringung
Operationalisierung
Mengenmäßig
Anteil des eigenen Absatzes an der Gesamtabsatzmenge aller Anbieter im relevanten Markt
Wertmäßig
Anteil des eigenen Umsatzes am Gesamtumsatz aller Anbieter im relevanten Markt
Feldanteil
Anteil der Zahl der eigenen Kunden an der Gesamtzahl der Bedarfsträger (beziehungsweise der angestrebten Kunden)
Erzielter relativer Preis bzw. Preispremium
Verhältnis des wertmäßigen zum mengenmäßigen Marktanteils
Preisbandeinhaltung (mengenmäßig)
Anteil des innerhalb des angestrebten Preisbands erzielten Absatzes am eigenen Absatz
Preisbandeinhaltung (wertmäßig)
Anteil des innerhalb des angestrebten Preisbands erzielten Umsatzes am eigenen Umsatz
Offertabdeckung des relevanten Markts
Anteil der eigenen Offerten an der Gesamtzahl der im relevanten Markt gestellten Offerten
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Bekanntheit
Imageposition
Kundenzufriedenheit
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Top of Mind
Anteil der Zielkunden, die die eigene Marke spontan als erste Marke nennen
Ungestützter Bekanntheitsgrad (Recall)
Anteil der Zielkunden, die die eigene Marke spontan nennen
Gestützter Bekanntheitsgrad (Recognition)
Anteil der Zielkunden, die die eigene Marke wiedererkennen
(Marken-)Sympathie
Prozentualer Anteil der Kunden im relevanten Markt, die das eigene Unternehmen bzw. die eigene Marke als sympathisch einstufen
(Marken-)Status
Verhältnis von Bekanntheit, (Marken-)Sympathie und (Marken-)Verwendung
(Marken-)Image
Art und Ausprägung der (Qualitäts-)Eigenschaften und Kompetenzen, die mit dem Unternehmen, der Marke oder den Leistungen verbunden werden
Kundenzufriedenheitsindex
Anteil der Kunden, die mit dem Unternehmen bzw. der Marke oder Leistung (sehr) zufrieden sind
Relative Kundenzufriedenheit
Eigener Kundenzufriedenheitsindex in Relation zum Kundenzufriedenheitsindex des Hauptkonkurrenten
Abbildung 4: Zentrale Schlüsselkennzahlen der Marktpositionierung für Dienstleistungsunternehmen (Quelle: in Anlehnung an Reinecke 2004, S. 258, aufbauend auf Becker 2001, S. 65ff.) Marktpositionierungsziele werden insbesondere durch die strategische Grundausrichtung des Unternehmens beeinflusst (Kuß/Tomczak 2004, S. 117f.). Ein allgemeingültiger Katalog ist nicht möglich. Neben den Schlüsselkennzahlen der Marktpositionierung können Kennzahlen für die vier Kernaufgaben Kundenakquisition und -bindung, Leistungsinnovation und -pflege definiert werden (zur Auswahl siehe Reinecke 2004, S. 255). Die aufgabenbezogenen Kenngrößen operationalisieren die Marketing- und Positionierungsstrategie; letztere wird durch Kennzahlenauswahl, -priorisierung und -definition konkretisiert. Ein Marketingkennzahlensystem ist unternehmens- und somit situations- und strategiespezifisch. So haben beispielsweise nicht alle Kernaufgaben für jedes Unternehmen die gleiche Bedeutung; vielmehr hängt es von der Marktsituation und von den eigenen Kompetenzen ab, ob sich ein Unternehmen beispielsweise eher auf die Kundenakquisition oder auf die Kundenbindung fokussieren will. Daher ist es nicht sinnvoll, für die vier Kernaufgaben
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allgemeingültige „generische Kennzahlenmodule“ vorzuschlagen. Ausdrücklich warnt Klingebiel (2000, S. 304ff.) vor einer solchen „One size fits all“-Mentalität, die sich beispielsweise in der Balanced Scorecard-Diskussion abzeichnet; vielmehr muss ein solches System auf die jeweilige Situation maßgeschneidert sein. Wichtig ist, dass zum kennzahlengestützten Controlling jeder Kernaufgabe ein UrsacheWirkungs-Modell mit Input-, Prozess- und Ergebnisgrößen definiert wird. Bei der Kundenakquisition sind beispielsweise die Anzahl der Kundenberater eine Input-, die Kontaktintensität sowie die Geschwindigkeit der Offertstellung Prozess- und die resultierenden Einstellungs- und Kaufverhaltensreaktionen (Weiterempfehlungsbereitschaft, Anzahl Neukunden) Ergebnisgrößen (siehe Reinecke 2004, S. 261). Abbildung 5 zeigt eine mögliche aufgabenorientierte Kennzahlenselektion für ein Dienstleistungsunternehmen, das das anspruchsvolle Kernaufgabenprofil eines „Mehrkämpfers“ verfolgt und somit alle Kernaufgaben stark gewichtet. Die ausgewählten Kennzahlen versuchen, die dargestellten grundsätzlichen Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge und sowohl Effektivitäts- als auch Effizienzaspekte zu berücksichtigen. Die Kennzahlen sind jeweils klar zu operationalisieren. Kundenakquisition
Kundenbindung
Anzahl Neukunden
Relative Kundenzufriedenheit
Durchschnittlicher Umsatz bei Erstauftrag
Weiterempfehlungsbereitschaft
Offerterfolgsquote
Share of Wallet
Qualifikation Kundenberater
Kundenmigrationsquote
Leistungsinnovation
Leistungspflege
Anzahl neu eingeführter Marktleistungen
Ungestützter Bekanntheitsgrad
Time to Market
(Marken-)Imageindex
Innovationserfolgsrate
Mitarbeiterproduktivität
Kundenakzeptanz der Innovationen
Prozessfehlerquote
Abbildung 5: Aufgabenorientierte Kennzahlen am Beispiel eines „Mehrkämpfers“ (Quelle: in Anlehnung an Reinecke 2004, S. 332)
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3.3 Bewertung von Marktpotenzialen als dritte Ebene des Kennzahlensystems Sollen alle Maßnahmen darauf ausgerichtet werden, Marktpotenziale (d.h. Kunden- und Leistungspotenziale) zu erschließen oder auszuschöpfen, müssen folgerichtig diese Potenziale bewertet werden, um dadurch die langfristige Effektivität aller Marketingmaßnahmen zu messen. So ist beispielsweise die Berechnung eines aggregierten Kundenwerts im Sinne eines Customer Equity prinzipiell möglich, aufgrund der Vielzahl an Einflussfaktoren jedoch aufwändig und unsicher. Es empfiehlt sich daher, diesen als langfristige strategische Größe und insbesondere in Fällen wie der Akquisition oder dem Verkauf eines Geschäftsbereichs zu erheben. Für das operative Management empfehlen sich dagegen beispielsweise Kundenflussrechnungen als Saldogrößen zur Bewertung von Kundenakquisitions- und -bindungsmaßnahmen; ferner sind zielgruppenspezifische Kundenwertberechnungen für die Steuerung von Kundenselektion und -bearbeitung sinnvoll (Reinecke 2004, S. 341ff.). Für den Markenwert sei an dieser Stelle auf andere Publikationen verwiesen (Tomczak et al. 2004).
3.4 Verwendung von Cockpits als Reportinginstrument Ein Marketingkennzahlensystem ist wie jedes Kennzahlensystem durch gewisse Unschärfen und Kompromisse geprägt. Entscheidend für die Nützlichkeit ist insbesondere, ob es gelingt, das Kennzahlensystem umfassend in den Führungszyklus zu integrieren. Hierzu gehören insbesondere Fragen der Verwendung des Kennzahlensystems als regelmäßiges Reporting- und Kontrollinstrument sowie einer etwaigen Verknüpfung mit der Motivations- und Anreizgestaltung (ausführlich Reinecke 2004, S. 415ff.). Ein Mangel an Berichten und „Reports“ besteht aus der Sicht von Führungskräften nicht (McKinnon/Bruns 1992, S. 127). Dennoch bleiben viele wichtige Ergebnisse unberücksichtigt, weil sie unzweckmäßig aufbereitet sind: Berichte entstehen häufig absenderund nicht empfängerorientiert. Aus einer umfassenden Analyse von Berichten (McKinnon/Bruns 1992, S. 133ff.) lassen sich zentrale Aufgaben des Berichtswesens ableiten: eine geeignete Auswahl und Verdichtung sowie eine adäquate Präsentation der Informationen (Horváth 2003, S. 616). Die zeitliche Verdichtung von Informationen hängt von den zu messenden Konstrukten ab. Treibergrößen sollten grundsätzlich häufiger, trägere Ergebnisgrößen seltener berichtet werden (Hronec 1996, S. 161). Eine Größe wie die Kundenzufriedenheit wird selten häufiger als quartalsweise oder halbjährlich ausgewiesen. Interaktive Steuerungskennzahlen sollten in der Regel in kürzeren Abständen berichtet werden. Bleiben sie über einen längeren Zeitraum unverändert, so ist ihr Informationswert zu hinterfragen.
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Sind sie dagegen sehr volatil, so ist zu überprüfen, ob es sich tatsächlich um geeignete, verlässliche Indikatoren handelt. Zahlreiche Studien belegen, dass die Darstellung von Informationen die Nutzung beeinflusst: Eine Visualisierung in Form so genannter „Cockpitdarstellungen“ mit Hilfe farbiger Grafiken kann die Informationsverarbeitung wirkungsvoll unterstützen. (1) Aufzeigen von Entwicklungen: Geeignete Cockpitdarstellungen weisen in der Regel eine Zeitachse auf und ermöglichen dadurch Trendanalysen. (2) Visualisierung von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen: Durch die gleichzeitige Abbildung von Treibern und Ergebnissen erleichtern sie das intuitive Erkennen vermuteter Mittel-Zweck-Beziehungen im Zeitablauf (Köhler 1981, S. 280). Fokus, Übersichtlichkeit und Trenderkennung sind wesentliche Chancen von Cockpitdarstellungen, die bei einer einseitigen, schematischen und lückenhaften Anwendung aber auch zu Gefahren werden können (Brunner et al. 1999, S. 25). Kennzahlensysteme sollten daher grundsätzlich in doppelter Hinsicht kommentiert werden: Erstens gilt bereits bei der Aufbereitung der Grundsatz: „Keine Zahl ohne Kommentar“ (Horváth 2003, S. 615). Zweitens sollten Kennzahlensysteme Grundlage für Besprechungen sein und somit bei der Nutzung kommentiert werden. Je stärker das System auf Steuerungsaspekte ausgerichtet ist, desto wichtiger ist dessen Integration in den Führungsprozess. Die Informationstechnologie kann den Nutzen von Kennzahlensystemen auf zwei Arten beeinflussen (Simons 1995, S. 186ff.): Zum einen erhöht sie die Kodifikation der Informationen und präzisiert und konkretisiert damit deren Inhalte. Zum anderen kann sie die Diffusion von Informationen innerhalb einer Organisation verbessern. Informationen können schneller, sicherer und breiter distribuiert werden als beim klassischen Papierfluss. Ein nützliches Marketingkennzahlensystem ist allerdings nicht primär eine Frage der Informationstechnologie. Aus diesem Grund kann es von Vorteil sein, die erste Softwarelösung relativ einfach zu halten (beispielsweise Programmierung auf Excel).
4.
Fallbeispiel: Aufgabenorientiertes Marketingcockpit eines Versicherungsunternehmens
Die folgenden Ausführungen verdeutlichen die grundsätzliche Konzeption und den Nutzen eines derartigen Instruments am Beispiel der Steuerung des Kundensegements „Jugendliche“ eines Versicherungsunternehmens.
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Abbildung 6: Aufgabenorientiertes Marketingcockpit für das Segment „Jugendliche“ eines Versicherungsunternehmens Auf der obersten Ebene des Cockpits werden zu diesem Zweck die übergeordneten Marketingziele und das Kernaufgabenprofil des Segments dargestellt (vgl. Abbildung 6). Hierdurch gelingt es dem Management, sowohl ein Urteil über den Gesamterfolg des Marketing zu fällen als auch gesetzte Schwerpunkte zu erkennen und Stärken sowie Schwächen bei der Erfüllung der Kernaufgaben zu identifizieren. Die Messung des Marketingerfolgs erfolgt mit Hilfe ökonomischer Größen wie Prämienvolumen (Ertrag) und Deckungsbeitrag sowie dem relativen mengenmäßigen Marktanteil, der den eigenen Marktanteil in Bezug zum Marktanteil des stärksten Konkurrenzunternehmens setzt. Zusätzlich werden ebenfalls nichtmonetäre Größen wie gestützte und ungestützte Bekanntheit sowie ein Imageindex integriert. Ein Soll-IstVergleich für jede der genannten Zielgrößen verdeutlicht potentielle Abweichungen von gesetzten Planwerten. Die Berücksichtigung der Dimension Zeit weist auf Trends oder Trendbrüche hin. Das Kernaufgabenprofil zeigt, ob – beziehungsweise wie sehr – ein Unternehmen seine Anstrengungen auf einzelne Kernaufgaben fokussiert und wie erfolgreich es dabei vorgeht. Gemessen wird es im gewählten Beispiel mit Hilfe des Deckungsbeitrages, der mit neuen beziehungsweise bestehenden Kunden und Marktleistungen realisiert wird. Nur selten sind Unternehmen in der Lage, sämtliche Aufgaben mit dem gleichen Nachdruck
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zu verfolgen. Statt dessen werden – abhängig vom Produkt oder Lebenszyklus – meist einige Kernaufgaben stärker gewichtet als andere. So spielt im vorliegenden Fall eines Versicherungsunternehmens die Leistungsinnovation eine eher untergeordnete Rolle. Wie lässt sich das dargestellte Cockpit im konkreten Fall interpretieren? Hierzu empfiehlt sich eine zweistufige Vorgehensweise. 1. Schritt: Beurteilung des Gesamterfolges Die übergeordneten Marketingziele des Geschäftbereichs erlauben eine Einschätzung des Gesamterfolges. So kann das Segment Jugendliche im gewählten Fall sowohl eine positive Umsatz- und Deckungsbeitragsentwicklung vorweisen als auch eine steigende Bekanntheit der zugehörigen Produkte. In den letzten beiden Perioden mussten allerdings rückläufige Marktanteile, sinkende Imagewerte und eine unzureichende Marktpenetration verbucht werden. Doch wo liegen die Ursachen? 2. Schritt: Suche der Ursachen Eine Analyse des Kernaufgabenprofils zeigt, dass ein starker Fokus auf der Kundenakquisition und -bindung sowie der Leistungspflege liegt. Der Leistungsinnovation wird lediglich eine untergeordnete Priorität zugestanden. Entspricht dies tatsächlich der strategischen Intention oder sind Anpassungen erforderlich? Darüber hinaus zeigen sich Schwächen bei der Kundenakquisition. Dort werden vereinbarte Sollvorgaben nicht erreicht. Eine tiefergehende Analyse ist somit erforderlich. Ein Anklicken der entsprechenden Grafik führt zu einem Cockpit (vgl. Abbildung 7), das speziell für die Kundenakquisition konzipiert wurde. Als Oberziel dient der mit Neukunden realisierte Deckungsbeitrag aus dem Kernaufgabenprofil. Gleichzeitig werden mit den Kennzahlen Offertenerfolgsquote, Anzahl Neukunden und Marktpenetration ergänzende Unterziele berücksichtigt. Die Einflussgrößen betreffen die Bereiche Kundenattraktivität (Kundenstruktur, durchschnittliches Prämienvolumen pro Erstabschluß), eingesetzte Marketingmaßnahmen (Kanalmix, Qualität des Außendiensts) und Perspektiven für künftige Neukundenakquisition (Bekanntheit im Segment, Weiterempfehlungsbereitschaft bestehender Kunden). Im Versicherungsgeschäft hat es sich gezeigt, dass beispielsweise die Weiterempfehlungsbereitschaft der Eltern der größte Einflussfaktor für Neuabschlüsse im Segment Jugendliche ist.
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Sven Reinecke und Gerold Geis
Abbildung 7: Cockpit der Kundenakquisition eines Versicherungsunternehmens Die gleichzeitige Berücksichtigung von Zielen und Einflussgrößen zeigt Ursachen für eine bestimmte Entwicklung auf und weist auf Ansatzpunkte für konkrete Marketingmaßnahmen hin. Im vorliegenden Fall sind Gründe für die nicht erreichten Deckungsbeiträge in der gesunkenen Anzahl und Attraktivität der Neukunden sowie in der abnehmenden Weiterempfehlungsbereitschaft bestehender Kunden zu sehen. Ausgehend von diesen Erkenntnissen gilt es nun, entweder eine vertiefende Ursachenforschung zu betreiben oder Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Ansatzpunkte könnten sein: Erhöhung der Kundenzufriedenheit bestehender Kunden mit positiven Auswirkungen auf die Mund-zu-Mund-Propaganda und die Kundenakquisition, Erhöhung der Attraktivität der Neukunden durch eine sorgfältigere Selektion und Ansprache attraktiverer Kundengruppen. Analoge Cockpits lassen sich für die anderen Kernaufgaben erstellen, so dass je nach Problemlage eine zielgerechte vertiefende Analyse erfolgen kann. Fazit: Das aufgabenorientierte Marketingcockpit ermöglicht die simultane Beurteilung von Marketingerfolg und Erfüllung der Marketingkernaufgaben. Zusätzlich liefert es Ansatzpunkte für konkrete Handlungsmaßnahmen, indem es Gründe für das Nichterreichen der gesetzten Ziele bei den Kernaufgaben aufzeigt und auf bestehende Gefahren hinweist. Insofern bietet es eine wertvolle Unterstützung, um Entscheidungen auf einer rationalen, messbaren Grundlage zu fällen sowie die damit verbundenen Konsequenzen aufzuzeigen (zu weiteren Fallbeispielen siehe Reinecke/Geis 2004).
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Entscheidend für den erfolgreichen Einsatz von Cockpits ist, dass Zielvorgaben, Geltungsbereich und Anwendergruppe des jeweiligen Cockpits eindeutig definiert sind. Zusätzlich sind die zentralen Zielgrößen und Einflussfaktoren herauszuarbeiten und eindeutig zu operationalisieren. Hierfür sollte ein Top-Down-Ansatz mit einer Bottom-upLösung verbunden werden, um sowohl eine Integration in die Unternehmensstrategie als auch eine Akzeptanz bei den Anwendern zu gewährleisten.
5.
Grenzen eines kennzahlengestützten Marketingcontrolling
Berühmte Aussagen wie jene von Drucker (1974) „what you measure is what you get” unterstreichen die Bedeutung von Kennzahlen im Rahmen der Betriebswirtschaftslehre. Siegwart (1998, S. 127) bezeichnet eine Planung ohne Kennzahlen sogar als „stumpfes Instrument“. Somit sollte auch die Marketingplanung auf Kennzahlen zurückgreifen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Einsatz von Kennzahlensystemen maßgeblichen inhaltlichen Einschränkungen unterworfen und sehr anspruchsvoll ist; er stößt in der Realität auch aufgrund formaler Fehler und Unzulänglichkeiten an seine Grenzen. Kennzahlensysteme sind lediglich ein Baustein eines umfassenden Controllingsystems; sie ergänzen, aber ersetzen keinesfalls Instrumente wie Absatzsegmentrechnungen oder Investitionsrechnungen. Gerade in den Bereichen Marketing und Dienstleistungsmanagement gibt es zahlreiche Bereiche, die mit Kennzahlen nur unzureichend abgedeckt werden können: Weder Stärken-Schwächen- noch Gap-Analysen lassen sich vollumfänglich mit Kennzahlen ausdrücken. Auch ein Bericht eines Kundenbetreuers, der sich gerade mit einem Großkunden getroffen hat, enthält unter Umständen häufig wichtige Informationen, die in einem Kennzahlenbericht untergehen (McKinnon/Bruns 1992, S. 204). Ein Dialog kann durch Kennzahlen somit lediglich unterstützt, nicht aber ersetzt werden. Somit hat der Albert Einstein (zitiert nach Schomann 2001, S. 1) zugesprochene Satz durchaus auch für das Marketing Bedeutung: „Sometimes what counts can’t be counted, and what can be counted doesn’t count.“ Jedem Kennzahlensystem sind aufgrund von Kompromissen bezüglich Aktualität, Geltungsbereich, Operationalität und Wirtschaftlichkeit inhaltliche Schranken gesetzt. Eine weitere natürliche Grenze von Kennzahlensystemen besteht darin, dass sie eine ungerichtete strategische Überwachung beziehungsweise eine Frühaufklärung nicht oder lediglich unzureichend gewährleisten können (Krystek/Müller-Stewens 1993, S. 59, 81). Ein integriertes Kennzahlensystem ersetzt nicht das Management: Kennzahlensysteme treffen keine Entscheidungen und interpretieren sich auch nicht selbständig. Ob Ziele in zufriedenstellendem Ausmaß erreicht wurden, ist keine Frage der Kennzahlen, sondern
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eine Frage der Kennzahleninterpretation; eine solche Interpretation kann ein Kennzahlensystem jedoch nicht vorwegnehmen (Gritzmann 1991, S. 42). Neben diesen inhaltlichen Einschränkungen bezüglich der Reichweite von Kennzahlensystemen ist auf typische Gefahren und Fehler bei der Arbeit mit Kennzahlen hinzuweisen. Hinsichtlich der formalen Fehler lassen sich Konstruktionsmängel (z.B. mathematisch inkorrekte Indexbildung), Fehler bei Datenerhebung und -verarbeitung (Staehle 1967, S. 71f.; Wolf 1977, S. 57f.) sowie Anwendungs- und Interpretationsmängel unterscheiden (Staehle 1973, S. 228; Wolf 1977, S. 55ff.). Anwendungsmängel zeigen sich oft an dysfunktionalen Effekten (Simons 1995, S. 81ff.) und sind gerade bei Dienstleistungsunternehmen häufig anzutreffen: Beispielsweise werden im Rahmen der Planung „Spielräume“ in die Kennzahlen eingesetzt, so dass Ziele auf jeden Fall erreicht werden können. Oder Kennzahlenabweichungen werden „geglättet“, d.h., Berichte werden bezüglich Zeitpunkt und -raum angepasst, ohne dass sich die Beobachtung verändert. Gelegentlich werden auch Berichte manipuliert, indem Ereignisse (beispielsweise Kundenbeschwerden) nicht mitgeteilt oder „einseitig beeinflusst“ werden (beispielsweise einseitiges Melden positiver, nicht aber negativer Kundenreaktionen). Die Gefahr von Manipulationen steigt, wenn Kenngrößen mit Anreizsystemen gekoppelt werden. Beispielsweise führte bei einer Bank die Einführung der Kennzahl „Prozentsatz von Kundenanfragen, die innerhalb von 59 Sekunden erledigt werden konnten“ dazu, dass nicht die Leistung verbessert wurde, sondern dass Kunden nach 59 Sekunden nicht mehr bedient wurden, wenn man ihr Problem nicht lösen konnte (Neely 1998, S. 31). Interpretationsfehler (Staehle 1973, S. 228; Siegwart 1998, S. 149) sind eine weitere Form von Anwendungsmängeln. Kennzahlen bestechen durch quantitative Exaktheit und verleiten daher zu Überreaktionen: Sie führen zu einer „Paralyse durch Analyse“ oder dazu, dass man Kennzahlen als getreue Abbildung der Wahrheit sieht – ohne jegliche kritische Distanz. Dabei wird vernachlässigt, dass Kennzahlen definitionsgemäß einen relevanten Sachverhalt verengen (Weber 1993, S. 205) und niemals vollständig wiedergeben. Kennzahlensysteme schwächen zwar das Problem der isolierten Anwendung einzelner Kennzahlen bereits ab (Wolf 1977, S. 55f.; Siegwart 1998, S. 147), bleiben aber immer interpretationsbedürftig. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Kennzahlensysteme kein Selbstzweck sind. Kennzahlen liefern wertvolle Informationsquellen für Entscheidungen, können und sollen Entscheidungen aber nicht ersetzen.
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300
Sven Reinecke und Gerold Geis
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5. Wertorientiertes Dienstleistungscontrolling
9
Kundenwert-Controlling: Dienstleistungsunternehmen kundenorientiert steuern
303
Jürgen Weber und Marius Lissautzki
Kundenwert-Controlling: Dienstleistungsunternehmen kundenorientiert steuern
1. Bedeutungszuwachs des kundenorientierten Controlling in Dienstleistungsunternehmen 2. Unternehmenssteuerung mit Kundenwerten 2.1 Aufgaben in der kundenwertorientierten Unternehmenssteuerung 2.2 Definition der Kennzahl Kundenwert 2.3 Aufbau eines kundenorientierten Werttreibersystems 2.4 Operationalisierung der Kundenumsatztreiber 2.4.1 Überblick 2.4.2 Kundenloyalitätswert 2.4.3 Kundenentwicklungswert 2.4.4 Cross-Selling-Wert 2.4.5 Nutzen der vorgestellten Operationalisierung für die Praxis 2.5 Identifikation und Quantifizierung von Verbundeffekten 3. Fazit Literatur
Professor Dr. Jürgen Weber ist Inhaber des Lehrstuhls für Controlling und Telekommunikation an der WHU – Otto-Beisheim-Hochschule – in Vallendar. Dipl.-Kfm. Marius Lissautzki ist Berater bei Bain & Company und derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Controlling und Telekommunikation an der WHU.
Kundenwert-Controlling: Dienstleistungsunternehmen kundenorientiert steuern
1.
305
Bedeutungszuwachs des kundenorientierten Controlling in Dienstleistungsunternehmen
Die Frage, wie Kundenbeziehungen aus Unternehmenssicht bestmöglich zu gestalten sind, stellt sich nicht nur in einer Vielzahl aktueller theoretischer Arbeiten, sondern auch verstärkt in der Unternehmenspraxis. Gerade in Dienstleistungsunternehmen gewinnt Kundenmanagement gegenüber dem klassischen Produkt- und Leistungsmanagement kontinuierlich an Relevanz. Kaplan und Norton sind der Meinung: „Today, managing the customer relationship has become the single most important dimension of enterprise strategy” (Kaplan/Norton 2004, S. 134). In der Anfangsphase verließ sich die Mehrheit jedoch auf allzu einfache, wohlklingende Formeln: Kundenzufriedenheit führe zu Kundenbindung, und diese sei wiederum Garant für den Unternehmenserfolg. Doch die Realität sah anders aus. Beispielsweise nahm das Barometer der Kundenzufriedenheit in den USA in den letzten Jahren stetig ab; gleichzeitig erklommen aber die Unternehmensgewinne wieder Rekordhöhen. Dass Kundenloyalität keineswegs immer und überall alleinige Bedingung für den Unternehmenserfolg ist, wurde auch von Reinartz und Kumar anhand empirischer Analysen bestätigt (Reinartz/Kumar 2002, S. 91). Diese Erkenntnisse führten jedoch keineswegs zu einer Abkehr vom Kundenbeziehungsmanagement. Vielmehr wurde erkannt: Die Wertbeiträge der Kunden sind vielschichtiger, als es in den bisher einfachen Ursache-Wirkungs-Ketten dargestellt worden war. Kunden untereinander können sowohl in ihren Bedürfnissen als auch hinsichtlich ihrer Wertbeiträge signifikant variieren. Denn Kunden zeichnen sich häufig nicht nur durch sehr unterschiedliche Leistungsnutzungsmuster und -intensitäten aus. Sie kaufen auch zu unterschiedlichen Preisen und beanspruchen die verschiedenen Vertriebs- und Betreuungskanäle in ungleicher Art und Weise. Hinzu kommt, dass aufgrund der einmaligen Aufwendungen bei der Kundengewinnung die rein statische Sicht traditioneller Deckungsbeitragsrechnungen nicht zielführend ist. Akquisitionskosten sind wie Investitionen anzusehen. Anstrengungen in die Kundengewinnung lohnen sich nur dann, wenn die Geschäftsbeziehung über mehrere Folgeperioden auch ausreichend profitabel ist (vgl. Reichheld 1997, S. 11 ff.). Diese Aspekte werden in ausschließlich produktorientierten Entscheidungskalkülen gar nicht beachtet oder mittels Durchschnittsverrechnungen „vernebelt“. Die eigentlichen Verursacher der Erfolgsbeiträge, die Kunden, bleiben unberücksichtigt. Dagegen ist es anhand der Kennzahl Kundenwert möglich, die unterschiedlichen Kundenpotenziale abzubilden. Der Kundenwert gibt somit Aufschluss darüber, an welcher Stelle es sich lohnt, in Kundenbeziehungen zu investieren (Reinartz et al. 2005, S. 63).
306
2.
Jürgen Weber und Marius Lissautzki
Unternehmenssteuerung mit Kundenwerten
2.1 Aufgaben in der kundenwertorientierten Unternehmenssteuerung Wesentliche Aufgabe des Kundenwert-Controlling ist es, eine Informationsgrundlage für kundengerichtete Strategien zu schaffen, um herauszufinden, welche Maßnahmen (Marketingmix) zu welchem Zeitpunkt (Timing) bei welchen Kunden (Zielgruppensegmentierung) positiven Einfluss auf den Unternehmenswert haben. Bei Betrachtung der Schritte des in Abbildung 1 dargestellten kundenwertorientierten Steuerungsprozesses zeigt sich schnell, dass eine unreflektierte Übertragung vorhandener Controlling-Instrumente den spezifischen Anforderungen der einzelnen Aufgabengebiete nicht gerecht wird. Trotzdem macht es in vielen Gebieten durchaus Sinn, auf bekannte Methoden aufzubauen und diese entsprechend anzupassen.
Definition der Zielgröße
Kundenwert-Analysen Kundenwertbestimmung
Werttreiberanalysen
Kundensegmentierung
Information ex post
Strategische Kundenwertplanung Festlegung der Analysen zur Langfristige Kundenwertziele Zielgruppenauswahl Kundenwertplanung Operative Kundenwertplanung (je Kundensegment) Akquisitionsgeschäft (Neukunden-/ Bestandsgeschäft hinsichtlich... Kundenrückgewinnung) im Hinblick auf... Kundenbindung oder -elimination
Kundenentwicklung (Umsatz)
Kundenkostenreduktion
Kundenrisikoverringerung
möglichst effektive Kundenakquisitionen (Akquisitionsquoten)
Willensbildung
möglichst effiziente Kundenakquisitionen (Akquisitionskosten)
Willensdurchsetzung Zielsystem/ -operationalisierung
Ergebnisverantwortung/ Organisation
Incentives/ Anreizsystem
Kundenwert-Kontrolle Abweichungsanalysen
Stichprobenanalysen
Früherkennungsinstrumente
Abbildung 1: Kundenwertorientierter Führungs- und Steuerungsprozess (Quelle: Weber/Lissautzki 2004, S. 30) Im oben gezeigten Steuerungsprozess bildet die Ausrichtung an der zentralen Zielgröße „Kundenwert“ den gedanklichen roten Faden. Ausgangspunkt der Willensbildung und hier im Besonderen der Planung, ist eine hinreichende Informationsbasis über Kundenwerte und Gründe für deren Differenzen bzw. Gemeinsamkeiten. Hierfür muss das Cont-
Kundenwert-Controlling: Dienstleistungsunternehmen kundenorientiert steuern
307
rolling zum einen die Hauptzielgröße klar definieren. Zum anderen muss es die Treiber, also die Stellhebel des Kundenwertes, identifizieren und operationalisieren. Sinnvoll ist es, die darauf aufbauende Planung nach zeitlichen und kundensegmentbezogenen Auswirkungen zu unterscheiden. In der strategischen Kundenwertplanung ist der Planungshorizont langfristig und die Entscheidungstatbestände sind segmentübergreifend. „Herzstück“ auf strategischer Ebene ist die Zielgruppenbestimmung und die Rangfolgenbildung. Hierfür gilt es, im Voraus die entsprechenden Kundenwertziele zu definieren. Dabei geht es nicht nur um die Festlegung rein quantitativer Zielgrößen, wie z.B. der Entwicklung der durchschnittlichen Kundenwerte je Segment, sondern auch um einen ausgewogenen Mix unterschiedlicher Kundengruppen. Beispielsweise kann es elementar wichtig sein, einen entsprechenden Ausgleich zwischen jetzigen Gewinnbringern und Potenzialkunden zu schaffen. Demgegenüber werden in der operativen Planung Entscheidungen isoliert für jedes Kundensegment, im Business-to-Business-Bereich häufig auf Einzelkundenbasis, gefällt. Der Planungshorizont ist in diesem Fall kurz- bis mittelfristig, typischerweise ein Geschäftsjahr. Bei der operativen Kundenwertplanung ist eine Grobunterteilung der Planungsbereiche nach Bestandskunden- und Akquisitionsgeschäft nützlich. Im Bestandsgeschäft geht es um konkrete Maßnahmen zur Erhöhung der Kundenumsätze und -bindung sowie zur Senkung der Kundenkosten und -risiken. Ziel ist es also, das kurz- und mittelfristige Kundenwertpotenzial möglichst vollständig auszuschöpfen. Im Akquisitionsgeschäft stehen hingegen die pro Kunde einmalig auftretenden Erfolgsgrößen im Vordergrund. Wesentliche Anknüpfungspunkte sind hier die Optimierung von Akquisitionskosten und das Management der Kundenakquisitionsrisiken. Ohne eine stringente und konsistente Verankerung der getroffenen Entscheidungen in der Organisation verliert die beste Planung jedoch erheblich an Realisationswahrscheinlichkeit und damit an Wert. Wie in Abbildung 1 dargestellt, sind deshalb bei der Willensdurchsetzung drei Elemente zu berücksichtigen: Operationalisierung der Ziele innerhalb eines logisch zusammenhängenden Zielsystems, Eindeutige Zuordnung der Ergebnisverantwortung in der Organisation, Zielsetzungsgerechte Anreizgestaltung. Um die kundenwertorientierten Leistungsziele für Bereiche, Abteilungen und einzelne Mitarbeiter definieren zu können, bedarf es eines in sich schlüssigen Zielsystems. Hierfür müssen aus den Zielwerten der Kundenwertplanung entsprechende Größen definiert werden. Bestenfalls sind die Zielgrößen so weit operationalisiert, dass sie im nächsten Schritt eindeutig einem(r) Bereich/Abteilung/Person zugeordnet werden können. Nur so können klare Verantwortlichkeiten geschaffen werden, um diese mit einem entsprechenden Anreizsystem zu verknüpfen. Bei der Zuordnung der Verantwortlichkeiten wird auch deutlich, dass die im Kundenwert enthaltene umfassende Sichtweise eine Vielzahl
308
Jürgen Weber und Marius Lissautzki
von Unternehmensfunktionen betrifft. Daher reicht es nicht aus, das auf dem Kundenwert basierende Zielsystem nur auf den Marketing- und Vertriebsbereich zu begrenzen. Vielmehr müssen hier genauso die klassischen „internen“ Funktionen, wie beispielsweise Produktion und Entwicklung, integriert werden. Auf die Umsetzung der geplanten Maßnahmen folgt die Kundenwert-Kontrolle. Sie dient insbesondere drei Zwecken. Zum einen kann sie ein möglichst zeitnahes Umlenken von unbefriedigend verlaufenden Maßnahmen in die eigentlich angesteuerte Richtung ermöglichen. Außerdem stellt ihre Existenz einen wesentlichen Garanten für die erfolgreiche Willensdurchsetzung ex ante dar (Weber/Schäffer 2002, S. 13). Erst das Wissen um die Existenz eines Kontrollsystems macht die aufgebauten Anreizmechanismen für die Verantwortungsträger nachvollziehbar. Und zuletzt leisten die aus der Kontrolle gewonnenen Erkenntnisse häufig einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau eines vertieften Geschäftsverständnisses. Das wiederum verspricht eine Verbesserung der zukünftigen Planungsqualität (Lernfunktion der Kontrolle). Nach Erläuterung der einzelnen Prozessschritte wird offensichtlich: Kundenwertanalysen sind die Grundlage aller weiteren Schritte im Steuerungsprozess. Hierzu gehören insbesondere die klare Definition der Kennzahl Kundenwert und der Aufbau eines Werttreibersystems. Diese beiden Aspekte werden in den folgenden Abschnitten im Mittelpunkt stehen.
2.2
Definition der Kennzahl Kundenwert
Beim Aufbau eines einheitlichen Verständnisses vom Kundenwert helfen die unterschiedlichen Perspektiven: die Sicht der Nachfrager und die Sicht der Anbieter. Der Kundenwert aus Sicht der Anbieter stellt die zentrale Kennzahl dar. Er drückt den heutigen Wert der künftigen, kundenbezogenen Ein- und Auszahlungen aus, den Barwert der Kundenbeziehung (Kumar/Reinartz 2006, S. 312). Aus wertorientierter Sicht stellt hier der Kundennutzen (Kundenwert aus Sicht der Nachfrager) nur eine elementar notwendige, nicht jedoch hinreichende Bedingung für den Unternehmenserfolg dar. Denn das Schaffen von Leistungs-, Marken- und RelationshipNutzen dient „nur“ dem möglichst optimalen Abschöpfen kundenspezifischer Zahlungsbereitschaften (Rust et al. 2004, S. 112). Resultate der Zahlungsbereitschaften sind die Kundenumsätze. Diesen stehen jedoch noch zu berücksichtigende kundenspezifische Kosten und Risiken gegenüber (Berger/Nasr 1998, S. 18). Nach diesem Verständnis macht die Aufrechterhaltung oder das Eingehen einer Geschäftsbeziehung aus Unternehmenssicht nur dann Sinn, wenn der Barwert des Kunden – auch Customer-LifetimeValue genannt – positiv ist.
Kundenwert-Controlling: Dienstleistungsunternehmen kundenorientiert steuern
Relationshipnutzen
Wert für den Kunden (Nettonutzen)
6
Kundenrisiken
Markennutzen
z.B. - Churn - Zahlungsausfall
4
Service-/ Leistungsnutzen
309
Kundenumsätze im verbleibenden Lebenszyklus
Kundenauszahlungen z.B. - Akquise - Leistung - Kundenbindung
2
KW
0
Customer Value (Bruttonutzen für den Kunden)
Topline (diskontiert)
-
Bottomline (diskontiert)
=
Kundenwert für das Unternehmen
Abbildung 2: Kundennutzen und Kundenwert für das Unternehmen (Quelle: Weber/Lissautzki 2004, S. 11)
2.3 Aufbau eines kundenorientierten Werttreibersystems Ist der Kundenwert definiert, beginnt eine der wesentlichsten Aufgaben im KundenwertControlling: die Bildung eines logisch-konsistenten Werttreibersystems. Denn nur wer die einzelnen Werttreiber kennt, kann Maßnahmen differenzieren und Instrumente gezielt einsetzen (Rudolf-Sipötz 2001, S.4). Hinter den drei klassischen Dimensionen des Kundenwertes (Einzahlungen, Auszahlungen, Risiken) steht eine Vielzahl quantifizierbarer Größen, die so genannten Kundenwerttreiber. Diese werden von unterschiedlichen Bestimmungsfaktoren beeinflusst, wie zum Beispiel dem Grad der Kundenzufriedenheit (vgl. Abbildung 3). Je näher die Determinanten des Kundenwertes am Anfang der Kausalkette stehen, desto größere Schwierigkeiten entstehen bei der Bestimmung der Zusammenhänge zwischen den einzelnen Faktoren. Wie oben schon angedeutet, tritt diese Problematik also im Besonderen auf der Ebene der Bestimmungsfaktoren auf. In welcher Weise die Kundenzufriedenheit auf den Kundenwert wirkt, wird beispielsweise zumeist nicht konkret, sondern nur der Tendenz nach zu bestimmen sein. Demgegenüber ist der Aufbau eines logisch-konsistenten Berechnungssystems auf der Ebene der Werttreiber durchaus möglich. Auf dieser Ebene ist normalerweise auch die Stärke der Kausalzusammenhänge untereinander und in Richtung der Kundenwertdimensionen quantifizierbar.
310
Jürgen Weber und Marius Lissautzki
Kundenwert
Kundenwertdimensionen
Kundenwerttreiber i.e.S.
Bestimmungsfaktoren
Customer-Lifetime-Value (Barwert der Kundenbeziehung) Einzahlungen, Auszahlungen, Risiken z.B. Bestandswahrscheinlichkeit, Share-of-Wallet, Cross-Selling z.B. Kundenzufriedenheit, Lebenszyklusstand
Abbildung 3: Werttreiberhierarchie zur Bestimmung des Kundenwertes (Quelle: Weber/Lissautzki 2004, S. 19) Wie hoch der Wertbeitrag der zukünftigen Kundenumsätze ist, hängt insbesondere von der Bestandswahrscheinlichkeit ab. Sie nimmt eine Sonderstellung innerhalb aller Werttreiber ein (Gupta et al. 2004, S. 7). Da die Bestandswahrscheinlichkeit die Intensität der Kundenbindung ausdrückt, beeinflusst sie gleichzeitig die Kundenumsätze, -kosten und -risiken. Liegt sie in der Folgeperiode bei beispielsweise 90 Prozent, so entspricht der Erwartungswert des Kundendeckungsbeitrags (= 450 EUR) dem Produkt aus dem Deckungsbeitrag bei einer weiterhin bestehenden Geschäftsbeziehung (500 EUR) und dem Grad der Kundenbindung, also in diesem Fall 90 Prozent. Neben der Bestandswahrscheinlichkeit hängen die Kundenumsätze von vier weiteren Werttreibern ab: dem Kundenbasiswert, -loyalitätswert, -entwicklungswert und CrossSelling-Wert. Diese werden in Abschnitt 2.4 im Detail erläutert. Natürlich bringen Kunden nicht nur Umsätze ein. Sie beanspruchen auch die Unternehmensressourcen in sehr unterschiedlichem Umfang. Auf Auszahlungsseite hat sich die Systematisierung nach den Kostenkomponenten in Anlehnung an die Wertschöpfungskette des Unternehmens als sinnvoll erwiesen. Direkt mit dem Kunden verbunden sind die Vertriebs- und Servicekosten. Je nach Kanal lassen sich diese Kosten wiederum nach dem Verursacher (z.B. aktive Ansprache des Unternehmens versus Reaktion auf Kundenanfrage wegen Qualitätsproblemen) und nach der Ursache (z.B. Anschreiben wegen mangelnder Zahlungsmoral im Gegensatz zu einem Anruf im Rahmen einer Produktrückrufaktion) differenzieren. Im Bereich der Marketing- und Servicekosten gibt es einen hohen Anteil von Einmalaufwendungen. Diese
Kundenwert-Controlling: Dienstleistungsunternehmen kundenorientiert steuern
311
müssen entsprechend erfasst werden, um Fehlinterpretationen über die langfristige Profitabilität einzelner Kundenbeziehungen zu vermeiden. Weitere Kernbestandteile der Kundenkosten fallen in Entwicklung, Einkauf, Produktion und Logistik an. Gerade in diesen traditionell produktorientierten Bereichen zeigt sich eine steigende Individualisierung der Leistungen. Unterschiedliche Lagerkosten aufgrund kundenspezifischer Lieferzeitenregelungen, variierende Wartungskosten und auf Kundenwunsch hergestellte Produktvarianten sind nur einige Beispiele. Aus diesem Grund wird eine kundenbasierte Kostenrechnung auch dort immer sinnvoller. Bislang sind Kundenrisiken gar nicht oder nur in Teilaspekten – wie beispielsweise bei der Berechnung von Churn-Risiken – in der Kundenwertforschung berücksichtigt worden. Dies verwundert, weil gerade durch eine Systematisierung der Kundenrisiken die Operationalisierung des bisher eher wenig fassbaren Risikomanagements gelingen könnte. Kundenrisiken treten in dreierlei Form auf. Zunächst ist hier das Verlustpotenzial durch die vom Kunden initiierte Abwanderung, auch Churn-Risiko genannt, zu nennen. Des Weiteren besteht die Gefahr, dass ein Kunde zahlungsunfähig wird, die Geschäftsbeziehung also aufgrund der Liquiditätssituation des Kunden beendet oder ausgesetzt werden muss (Bonitätsrisiko). Dieses Risiko kann insbesondere dann relevant werden, wenn hohe kundenspezifische Vorleistungen, wie beispielsweise in der Automobilindustrie üblich, erbracht werden. Etwas anderer Natur als die beiden zuerst genannten Risiken ist das so genannte Kundenplanungsrisiko. Wie verlässlich die kundenspezifischen Prognosen hinsichtlich ihres Kauf- und Nutzungsverhaltens sind, variiert in vielen Branchen stark in Abhängigkeit von den Kunden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine höhere Planungssicherheit häufig mit einem effizienteren Ressourceneinsatz einhergeht (Ryals 2003, S. 167). Umgekehrt ausgedrückt führt die kundenbedingte, kurzfristig notwendige Anpassung von Kapazitäten und Ressourcen zu einem tendenziell überproportionalen Aufwand mit entsprechend negativem Einfluss auf den Kundenwert. Wie sich die dimensionsspezifischen Werttreiber zusammensetzen und operationalisieren lassen, wird im Folgenden exemplarisch anhand der Kundenumsatzseite gezeigt.
2.4 Operationalisierung der Kundenumsatztreiber 2.4.1 Überblick In Forschung und Praxis existierte bisher kein zusammenhängendes System, das die Kundenumsatztreiber sowohl eindeutig definiert als auch klar voneinander abgrenzt. Vielmehr wurden nur „Insellösungen“, wie beispielsweise Definitionen für „Cross Selling“, erarbeitet. Eine kundenorientierte, überlappungsfreie Umsatzplanung kann jedoch nur gelingen, wenn die Werttreiber im Zusammenhang operationalisiert werden. Insbe-
312
Jürgen Weber und Marius Lissautzki
sondere bei der mathematischen Formulierung zeigt sich, wie eng die einzelnen Faktoren in Beziehung zueinander stehen. Umso wichtiger ist deren eindeutige Abgrenzung. Wie schon oben angedeutet hängt der Wertbeitrag der zukünftigen Kundenumsätze von der Bestandswahrscheinlichkeit und vier weiteren Werttreibern ab (vgl. Abbildung 4).
6
1
2
3
4
Kundenumsatzwert (KUW)
Umsatzwert in der Basisperiode (BW)
Loyalitätswert (LW)
Entwicklungswert (EW)
CrossSelling-Wert (CSW)
=
+
+
+
Bestandswahrscheinlichkeit
Abbildung 4: Werttreiber des Kundenumsatzes (schematische Darstellung) Ausgangspunkt und erster Werttreiber ist der Umsatzwert in der Basisperiode (BW). Es handelt sich hierbei um eine Fortschreibung derjenigen Umsätze, die das Unternehmen momentan mit dem Kunden erwirtschaftet. Inwieweit das heutige Kundenpotenzial schon ausgeschöpft wird und ob die zukünftigen Umsätze von diesem Wert abweichen können, hängt jedoch von drei weiteren Werttreibern, dem Loyalitäts-, Entwicklungsund Cross-Selling-Wert, ab. In welcher Weise die einzelnen Faktoren – sachlicher und zeitlicher Natur – mathematisch zusammenhängen, zeigt die nachstehende Formel.
Umsatzwertbeitrag im „Stammgeschäft“
z
KUW
§
n
§ EZ B PS ;t
¦ ¨¨ ¦ ¨¨ 1 i © ©
t
0
PS 1 t 1
6
§ § n EZ CS PCS ;t ¦ ¨¨ ¨¨ ¦ 1 i t PCS 1 © © t s PCS x
EZ ( L) PS ;t
1 i
t
s PCS
n
¦
t s PCS 1
· EZ ( E ) PS ;t · ¸¸ bPS ;t ¸ t ¸ 1 i ¹ ¹ · EZ ( L) PCS ;t EZ ( E ) PCS ;t · ¸ bPCS ;t ¸ ¸ ¸ 1 i t ¹ ¹
Cross-Selling-Wert (Netto)
Cross-Selling-Wert (Brutto) / Umsatzwertbeitrag Neukunden
Kundenwert-Controlling: Dienstleistungsunternehmen kundenorientiert steuern
313
mit: t
Periode (z.B. Jahre, Monate)
n
Planungszeitraum
sPCS
Periode, in der Cross-Selling für die spezifische Produktgruppe gelingt
i
Abzinsungsfaktor/Kalkulationszinsfuß
KUW
Kundenwertbeitrag der Einzahlungen (= Kundenumsatzwert)
PS
Produktgruppe als Bestandteil des heutigen Nachfragebündels eines Kunden (Stammgeschäft)
PCS
Produktgruppe als Bestandteil zukünftiger Nachfragebündel eines Kunden (Cross-Selling-Produkte)
EZP;t
Erwartungswert Einzahlungen je Periode und Produktgruppe
EZ(B)P;t
Basisumsatz je Periode und Produktgruppe (bisheriger Umsatz)
EZ(CS)P;t
Cross-Selling-Umsatz je Produktgruppe, der in derjenigen Periode erwirtschaftet wurde, als Cross Selling gelang
EZ(L)P;t
Loyalitätsbezogene Einzahlungen je Periode und Produktgruppe
EZ(E)P;t
Der Kundenentwicklung zurechenbare Einzahlungen je Periode und Produktgruppe
bP;t
Produktspezifische Bestandswahrscheinlichkeit je Periode (Kundenbindungsgrad je Produktgruppe)
Hierbei beinhaltet das „Stammgeschäft“ alle Produktgruppen, die der Kunde zum Zeitpunkt der Kundenwertbestimmung schon von dem Anbieter bezieht. Innerhalb einer Produktgruppe können sich Einzahlungen aufgrund veränderter Loyalitäten (LW) oder Kundenentwicklungen (EW) ändern. Beide geben Auskunft über die wahrscheinlichen Veränderungen innerhalb des bestehenden kundenspezifischen Nachfragebündels. Aussagen über produktgruppenübergreifende Wertbeiträge macht hingegen der CrossSelling-Wert (CSW).
2.4.2 Kundenloyalitätswert Unter dem Grad der Kundenloyalität versteht man den Anteil am gesamten Einkaufsvolumen eines Kunden hinsichtlich einer Produktgruppe in einer bestimmten Periode. Während die Kundenbindung die Wahrscheinlichkeit ausdrückt, dass ein Kunde sich für einen Anbieter entscheidet (ja/nein), spiegelt also die Kundenloyalität wider, wie hoch
314
Jürgen Weber und Marius Lissautzki
der wahrscheinliche Verkaufsanteil eines spezifischen Anbieters an der gesamten produktgruppenspezifischen Nachfragemenge des Kunden ist (Null bis 100 Prozent). Zur Veranschaulichung der Begriffsunterschiede soll ein Beispiel aus der Telekommunikationsindustrie dienen. Ein Telekommunikationsausrüster erhofft sich, auch im nächsten Jahr einen Folgeauftrag zur Lieferung der Endgeräte an den Service-Provider zu bekommen. Die Wahrscheinlichkeit, einer der drei ausgewählten Lieferanten zu sein, wird mit 90 Prozent (Grad der Kundenbindung) eingeschätzt. Zwei Wettbewerber sind feste Lieferanten und teilen sich traditionell 80 Prozent des gesamten Nachfragevolumens (2 Mrd. EUR p. a.). Somit liegt die erwartete Kundenloyalität für den Zulieferer bei 20 Prozent. Der Erwartungswert des Umsatzes ist dann das Produkt aus dem Grad der Kundenbindung, der Stärke der Kundenloyalität und dem Nachfragevolumen (= 360 Mio. EUR). Statische Kennzahlen zur Quantifizierung der Kundenloyalitäten hinsichtlich einer Produktgruppe sind der „Share-of-wallet“ und die für diese Zwecke neu eingeführte Kennzahl „Share-of-demand“. Ersterer drückt den wertmäßigen Anteil eines Anbieters an den Gesamtausgaben eines Kunden in einer Produktgruppe aus (Quotient aus Eigenumsatz und Gesamtausgaben eines Kunden). Wenn beispielsweise 30 Prozent der Verbindungsumsätze eines T-Com-Kunden so genannten Call-by-Call-Anbietern (z.B. Wettbewerber wie „01015Telecom“) zuzurechnen sind, liegt der kundenspezifische Share-of-wallet der T-Com im Produktsegment „Verbindungen Festnetz“ bei 70 Prozent. Anhand des Shareof-wallet lässt sich somit das momentane Umsatzsteigerungspotenzial durch Erhöhung der Produktloyalität aufzeigen. Demgegenüber gibt der Share-of-demand den mengenmäßigen Anteil eines Anbieters an der gesamten Nachfrage eines Kunden wieder (Quotient aus Absatzvolumen und gesamter Nachfragemenge eines Kunden). Die hiermit verbundene explizite Betrachtung des Nachfragevolumens kann in einzelnen Fällen wertvolle Informationen zur genaueren Prognose der Umsatzpotenziale liefern. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Preisniveaus würde im oben angeführtem Beispiel eines T-Com-Kunden der berechnete Shareof-demand möglicherweise signifikant vom Share-of-wallet abweichen. Bezogen auf das Nutzungsverhalten verhält sich der Kunde somit weitaus illoyaler, als der wertmäßige Anteil suggeriert. Obwohl beide Kennzahlen – wie oben gezeigt – wichtige Informationen über die gegenwärtige Kundenloyalität liefern, ist es nicht möglich, anhand einer der beiden Kennzahlen den zukünftigen loyalitätsbezogenen Umsatzwertbeitrag zu ermitteln und darzustellen. Dies liegt darin begründet, dass bei beiden Kennzahlen sowohl Zähler als auch Nenner trotz gleich bleibender Kundenloyalität variieren können. Deswegen kann der Loyalitätsbeitrag nur als eigene absolute Größe berechnet und ausgedrückt werden. Denjenigen Umsatzwertbeitrag, der auf Änderungen der Kundenloyalität beruht (LW), zeigt die nun folgende Formel:
Kundenwert-Controlling: Dienstleistungsunternehmen kundenorientiert steuern
z
2
n
EZ ( L) P ;t
¦¦ 1 i
LW
t
P 1t 1
mit EZ ( L) P;t
0
z
n
§ EZ ( L) P ;t 1
¦¦ ¨¨ 1 i ©
t
P 1t 1
'xL P ;t pP ;t 1 'xL P ;t 'pP ;t (1 i )t (1 i )t
315
· ¸¸ ¹
0
wobei: LW
Loyalitätswert
P
Produktgruppe
EZ(L)P;t
Loyalitätsbezogene Einzahlungen je Periode und Produktgruppe
'x(L)P;t
Aufgrund veränderter Loyalität Variation der Absatzmenge des Kunden ggü. der Vorperiode
'pP;t
Veränderung des Verkaufspreises je Produkteinheit und Produktgruppe ggü. der Vorperiode
Nach der Gleichung wirken sich Änderungen der Loyalität primär auf das Absatzvolumen des Anbieters aus. Da dieses jedoch mit den periodenspezifischen Preisen multipliziert wird, sind auch preispolitische Variationen im Loyalitätswert enthalten.
2.4.3 Kundenentwicklungswert Neben der verbesserten Loyalität gibt es noch die Kundenentwicklung als zweiten Hebel zur Veränderung der Kundenumsätze. Aktive Kundenentwicklung zielt auf die Erhöhung der Gesamtausgaben eines Kunden innerhalb einer Produktgruppe ab. Dies kann durch Absatzmengensteigerungen, Preiserhöhungen oder den Verkauf höherwertiger Produktvarianten gelingen. Unter den Kundenentwicklungswert (EW) werden somit alle zukünftigen Umsatzeffekte subsumiert, die durch Up- oder Down-Selling erwartet werden. Während eine verbesserte Ausschöpfung des Share-of-wallet primär auf die Erhöhung des Zählers (Eigenumsatz) zielt, steht bei der Kundenentwicklung die gleichzeitige Veränderung der Gesamtausgaben eines Kunden in einer Produktgruppe im Mittelpunkt. Doch diese Definition reicht für eine klare Abgrenzung der beiden Werttreiber, Loyalitäts- und Entwicklungswert, nicht aus. Denn bisher noch nicht eindeutig eingeordnet sind möglicherweise auftretende Mix-Effekte. Hierunter sind diejenigen Umsatzeffekte zu verstehen, bei denen die Kundengesamtausgaben erhöht bzw. verringert werden, während die Umsatzanteile der Wettbewerber nicht verändert werden oder genau entgegengesetzt verringert bzw. erhöht werden. Folglich können Effekte dieser Art in zweierlei Weise auftreten (vgl. Abbildung 5).
316
Jürgen Weber und Marius Lissautzki
Wenn es zu einer Umsatzveränderung kommt, gleichzeitig die Umsätze der Wettbewerber aber „unberührt“ bleiben (keine Umsatzverdrängung), werden Mix-Effekte dem Entwicklungswert zugeschrieben. In diesem Fall handelt es sich um parallele PreisMengen-Variationen, bei denen die Mengenänderungen nicht auf gleichzeitigen Absatzmengenveränderungen bei Wettbewerbern basieren. Demgegenüber werden diejenigen Mix-Effekte, bei denen die Mengenveränderungen mit entgegengesetzten Mengeneffekten bei der Konkurrenz verbunden sind, dem Loyalitätswert zugerechnet. Zu begründen ist diese Zuordnung mit der Tatsache, dass der eigentliche inhaltliche Anstoß in dem zweiten Fall auf einer Veränderung der Kundenloyalität beruht.
Share-of-demand (Sod)
100%
SoD t
'Loyalität t
'Mix t 'EW(Mix) t
'EW(Menge) t SoD t-1
EZ t-1
'EW(Preis) t
0% 0
p t-1
pt
Verkaufspreis (p)
Abbildung 5: Exemplarische Darstellung der Auswirkungen von Loyalitäts- und Entwicklungswert auf den Kundenumsatzwertbeitrag je Periode (Gesamtfläche entspricht dem Kundenumsatz in der Periode t in einer bestimmten Produktgruppe) Drei Hebel können sowohl positiven als auch negativen Einfluss auf den Entwicklungswert haben. Der erste liegt in der Veränderung des Absatzvolumens je Periode, das wiederum von der Kaufhäufigkeit und Kaufmenge je Einkauf abhängt. Zum Zweiten haben veränderte Produktpreise direkten Effekt auf den Entwicklungswert. Als Beispiel mit
Kundenwert-Controlling: Dienstleistungsunternehmen kundenorientiert steuern
317
negativen Effekten auf den Entwicklungswert sei hier an die in den letzten Jahren sinkenden Verbindungspreise für Telefonate im Festnetz gedacht. Zum dritten hat der Vertrieb höherwertiger bzw. einfacherer Produktvarianten Einfluss auf den Entwicklungswert. Hier handelt es sich also um Preiseffekte, die aufgrund der inhaltlichen Veränderung der nachgefragten Leistung innerhalb einer Produktgruppe zustande gekommen sind. Die folgende Formel integriert die drei Effekte zur Bestimmung des Kundenentwicklungswertes (EW):
z
n
EZ ( E ) P ;t
¦¦ 1 i
EW
t
P 1t 1
3 z
n
§ EZ ( E ) P ;t 1
¦¦ ¨¨ 1 i ©
t
P 1t 1
mit EZ ( E ) P;t
0
'xE P ;t pP ;t 1 xP;t 1 'pP;t 'xE P ;t 'pP ;t · ¸¸ (1 i )t (1 i )t (1 i )t ¹
0
wobei: EW
Kundenentwicklungswert
P
Produktgruppe
EZ(E)P;t
Kundenentwicklunsgbezogene Einzahlungen je Periode und Produktgruppe
xP;t
Anbieterspezifische Absatzmenge beim Kunden je Produktgruppe und Periode
'x(E)P;t
Auf Kundenentwicklung basierende Variation der Absatzmenge je Produktgruppe ggü. der Vorperiode
pP;t
Preis je Produkteinheit und Produktgruppe des spezifischen Anbieters je Periode
Als Beispiel für die aktive Ausschöpfung von Entwicklungspotenzialen dient die jüngste Kampagne von Vodafone. Durch die Einführung spezieller Volumenpakete für das Wochenende gelang Vodafone eine Kundenumsatzsteigerung. Und das zu Verbindungszeiten, in denen die Mobilfunknetzkapazitäten sowieso nicht ausgelastet waren.
318
Jürgen Weber und Marius Lissautzki
2.4.4 Cross-Selling-Wert Inwieweit der Verkauf weiterer, bisher nicht an den Kunden vertriebener Dienstleistungen möglich ist, drückt der dritte Umsatzwerttreiber, der Cross-Selling-Wert, aus (Rudolf-Sipötz 2001, S. 101; Homburg/Schäfer 2003, S. 170). Cross-Selling kann auf drei unterschiedlichen Ursachen beruhen (vgl. Abbildung 6). Zum einen gibt es das loyalitätsbezogene Cross Selling (1a,b). In diesem Fall bezieht der Kunde die Leistungen bisher schon bei Wettbewerbern. Demgegenüber muss der Kunde beim bedürfnisweckenden Cross Selling (2a,b) erst vom Servicenutzen an sich überzeugt werden. Eng mit dem Zweiten verknüpft, aber weniger auf Überzeugungsarbeit angewiesen ist die dritte Variante, das lebenszyklusbezogene Cross-Selling (3a,b). In diesem Fall entsteht die Möglichkeit des Cross-Selling hauptsächlich aufgrund veränderter Lebenssituationen eines Kunden.
2b
3b
2a
Nachfrage
Bisher nicht nachgefragt
3a
1b
Nachfrage bei Wettbewerber(n) gedeckt
is Pro t d uk ne t u
1a
Aktuell vorhanden
Latent vorhanden
Später vorhanden
Bedarf
Abbildung 6: Unterscheidungsmerkmale beim Cross-Selling Auch beim Cross-Selling-Wert (CSW) kommt es zu Abgrenzungsschwierigkeiten mit den zwei schon definierten Umsatzwerttreibern. In diesem Zusammenhang werden nun zwei alternative Formeln zur Bestimmung des Cross-Selling-Wertes vorgestellt. Nur die erste Formel, die den Netto-Cross-Selling-Wert ausweist, ist frei von Überschneidungen zu anderen Werttreibern. Denn der Netto-Cross-Selling-Wert beschränkt sich auf die
Kundenwert-Controlling: Dienstleistungsunternehmen kundenorientiert steuern
319
Umsatzeffekte der Periode, in der das Cross Selling erfolgreich stattgefunden hat. Die Frage ist hierbei jedoch, ob dem Cross Selling nicht auch die hierauf basierenden zukünftigen Umsatzänderungen innerhalb dieser Produktgruppe zugeordnet werden sollten. Wie auch im Stammgeschäft können jene entweder auf Loyalitäts- oder Kundenentwicklungseffekten basieren.
x
CSWNetto
n
¦ ¦
PCS 1 t s PCS x
n
¦ ¦
EZ CS PCS ;t
s PCS
1 i t EZ LB PCS ;t
s PCS
EZ BW PCS ;t
x
CSWBrutto
§
n
¦ ¨¨ ¦ ©
EZ LZ PCS ;t
s PCS
1 i
PCS 1 t s PCS
4
s PCS
t
PCS 1 t s PCS
EZ CS PCS ;t
1 i
t
s PCS
EZ ( L) PCS ;t EZ ( E ) PCS ;t · ¸ ¸ 1 i t s PCS 1 ¹ n
t
¦
mit: CSWNetto
Netto-Cross-Selling-Wert
CSWBrutto
Brutto-Cross-Selling-Wert
PCS
Produktgruppe als Bestandteil zukünftiger Nachfragebündel eines Kunden (Cross-Selling-Produkte)
EZPCS;t
Erwartungswert Einzahlungen je Periode und Produktgruppe
EZ(LB)PCS;t
Loyalitätsbezogenes Cross-Selling je Periode und Produktgruppe
EZ(BW)PCS;t
Bedürfnisweckendes Cross-Selling je Periode und Produktgruppe
EZ(LZ)PCS;t
Lebenszyklusbezogenes Cross-Selling je Periode und Produktgruppe
EZ(L)PCS;t
Loyalitätsbezogene Einzahlungen je Periode und Produktgruppe
EZ(E)PCS;t
Der Kundenentwicklung zurechenbare Einzahlungen je Periode und Produktgruppe
In der zweiten Formel werden sie im Brutto-Cross-Selling-Wert mit einbezogen. Ob der Brutto- dem Nettowert vorzuziehen ist oder umgekehrt, ist nicht eindeutig zu beantworten. Es erscheint vielmehr sinnvoll, beide Werte zu erheben und je nach Bedarf zu interpretieren.
320
Jürgen Weber und Marius Lissautzki
2.4.5 Nutzen der vorgestellten Operationalisierung für die Praxis Die Frage nach dem konkreten Nutzen der Operationalisierung der Werttreiber auf Umsatzseite lässt sich dahingehend konkretisieren, ob die mit dieser kundenorientierten Umsatzprognose einhergehende Komplexität gerechtfertigt ist. Denn nicht nur das Berechnungskonzept an sich ist kompliziert. Ebenso ist die Anwendung statistischer Verfahren zur Prognose der Werttreiberausprägungen sowohl inhaltlich anspruchsvoll als auch zeit- und ressourcenaufwendig. Nur im Einzelfall lässt sich entscheiden, ob diese Nachteile durch die Vielzahl der nun folgenden Nutzenkomponenten aufgewogen werden. Zum einen verspricht die oben vorgestellte Operationalisierung eine treffsicherere Umsatzplanung. Denn anstatt auf Pauschalannahmen bezüglich Preis- und Mengenwachstum zurückgreifen zu müssen, kann der Umsatz auf Basis der einzelnen Treiber des Markterfolgs systematisch prognostiziert werden. Die hierfür zugrundegelegten Annahmen sind um ein Vielfaches einfacher nachzuvollziehen und hinsichtlich ihrer Plausibilität besser zu überprüfen als Pauschalannahmen über Mengen und Preise. Mit diesem eher „technischen“ Vorteil geht noch ein weiterer Nutzen für die Unternehmensführung einher. Aufgrund der Prognose der einzelnen Umsatzwerttreiber ist eine direkte Verknüpfung mit handfesten Einzelmaßnahmen möglich. Ist beispielsweise bekannt, dass in einem bestimmten Kundensegment der größte Hebel zur Steigerung der kommenden Periodenumsätze im Cross Selling eines spezifischen Produktes liegen wird, können die Marketinganstrengungen entsprechend ausgerichtet werden. Für Unternehmensleitung, Marketing und Vertrieb werden Umsatzprognosen „lebendig“. In der gegenwärtigen Praxis stellt die die fehlende Verknüpfung von Zielen mit der Ausgestaltung der Vertriebs- und Distributionspolitik noch immer eines der größten Defizite bei der Steuerung der marktgerichteten Aktivitäten dar (Noack 2005, S. 18). Und nicht zuletzt kann diese systematische Planungsmethodik auch im Nachhinein von erheblichem Nutzen sein. Durch den Vergleich auf Ebene der Werttreiber ist es möglich, eindeutige Aussagen darüber zu treffen, warum es zu Abweichungen zwischen den real erwirtschafteten Umsätzen und den prognostizierten Umsätzen gekommen ist. Hieraus lassen sich wiederum wichtige Erkenntnisse über die Erfolgsfaktoren bei Kundeninteraktionen gewinnen. Die Analysen können beispielsweise Aufschluss darüber geben, welche Maßnahmen am erfolgreichsten bei Cross-Selling-Aktivitäten waren und welche Handlungen besonders geeignet sind, um die Kundenloyalität zu steigern.
2.5 Identifikation und Quantifizierung von Verbundeffekten Weitgehend noch „Neuland“ stellen Verbundeffekte im Kundenmanagement dar. Doch gerade bei strategischen Fragestellungen, wie beispielsweise der Zielgruppenfestlegung
Kundenwert-Controlling: Dienstleistungsunternehmen kundenorientiert steuern
321
oder der Bewertung eines Unternehmenszusammenschlusses, reicht der Blick auf die einzelnen Kundenbeziehungen häufig nicht aus (Weber/Lissautzki 2004, S. 24). Verbundwirkungen existieren dann, wenn der Wert einer Kundenbeziehung auch von der Existenz oder Nicht-Existenz anderer Kunden abhängig ist. Auch wenn die Höhe der durchschnittlichen Einzelkundenwerte ein Kundensegment insgesamt nicht attraktiv erscheinen lässt, kann es wegen der Verbundeffekte durchaus sinnvoll sein, dennoch mit diesen Kunden Geschäftsbeziehungen einzugehen. Effekte dieser Art können auf allen drei Kundenwertdimensionen auftreten und maßgeblichen Einfluss auf den langfristigen Unternehmenserfolg haben. Auf der Umsatzseite gehören hierzu beispielsweise Netzwerkeffekte. Erweitert sich der Kundenstamm, steigt der Produktnutzen für die Nachfrager. Beispielsweise spielen Netzwerkeffekte für Anbieter innovativer Telekommunikationslösungen (VoIP) eine bedeutende strategische Rolle. Einen weiteren Umsatzverbundeffekt stellen Kundenreferenzen dar. Unter Referenzen werden Einflüsse von Ist-Kunden auf potentielle Kunden verstanden (Cornelsen 2000, S. 186). Hierzu können sowohl Empfehlungen (positive Referenzen) als auch Berichte über schlechte Erfahrungen (negative Referenzen) gehören. Auch auf der Kostenseite gibt es unterschiedliche Verbundwirkungen. Typische Effekte dieser Art sind Economies of Scale, Erfahrungs- und Lernerfolge. Treiber dieser Effekte sind immer seltener die Produkte als vielmehr sowohl die Kundenanzahl/-lebensdauer als auch die Charakteristik des Kundenstamms. Und zuletzt wird auch das Risiko aller Kundenbeziehungen von der Zusammensetzung des Kundenportfolios beeinflusst (Dhar/Glazer 2003, S. 86). Sowohl die breitere Streuung der Kundenbasis als auch eine geschicktere Zusammensetzung von Kundengruppen, die sich in ihren Risikostrukturen gegenseitig ausgleichen, kann sich auf das Gesamtrisiko vorteilhaft auswirken (Ryals 2003, S. 180).
3.
Fazit
Angesichts der Vielzahl von Werttreibern besteht die Gefahr, das eigentliche Ziel, die Wertsteigerung der Kundenbeziehungen, aus den Augen zu verlieren. Denn im Kern geht es nicht darum, alle Werttreiber so umfassend und genau wie möglich zu planen. Vielmehr ist es wichtig, sich auf die für das eigene Geschäftsmodell wesentlichen zu beschränken und auf diese aktiv Einfluss zu nehmen. Doch hierfür ist ein tiefgehendes Verständnis über die Ausmaße der Werttreiber und ihr Zusammenspiel notwendig. Deswegen ist die Auswahl der relevanten Werttreiber in der Praxis keineswegs trivial. Hinzu kommen mehrere Fallstricke bei der Umsetzung. Beispielsweise erweisen sich unbedachte Investitionen in hochkomplexe CRM-Systeme meist nicht nur als wenig hilfreich, sondern geradezu als kontraproduktiv.
322
Jürgen Weber und Marius Lissautzki
Das Controlling kann in diesem Feld zu einem wichtigen Informationslieferanten, einem Bindeglied zwischen den Funktionen und einem hilfreichen „Sparrings-Partner“ durch das Hinterfragen der Rationalität aller Entscheidungen werden. Hierfür muss es sich teilweise umorientieren und sich inhaltlich neuen Fragen öffnen. Dieser Aufwand sollte jedoch als lohnendes Investment verstanden werden. Denn mit diesen Herausforderungen gehen bedeutende Chancen einher. Diejenigen, die den Fokus von einer zu einseitigen Produktorientierung stärker auf Kunden und deren Zukunftspotenziale richten, haben die Möglichkeit, durch intelligente Leistungspolitik und zielgerichtete Differenzierung im Marketingmix wertvolle Kunden zu binden und gezielt Einfluss auf bisher weniger profitable Kundenbeziehungen zu nehmen. So kann aus einem Informations- und Wissensvorteil auch ein langfristiger Wettbewerbsvorteil werden.
Literatur Cornelsen, J. (2000): Kundenwertanalysen im Beziehungsmarketing: Theoretische Grundlagen und Ergebnisse einer empirischen Studie im Automobilbereich, Nürnberg. Berger, P.P./Nasr, N.I. (1998): Customer Lifetime Value: Marketing Models and Applications, in: Journal of Interactive Marketing, Vol. 12, No. 1, S. 17-31. Dhar, R./Glazer, R. (2003): Hedging customers, in: Harvard Business Review, Vol. 81, No. 5, S. 86-94. Homburg, C./Schäfer, H. (2003): Die Erschließung von Kundenwertpotenzialen durch Cross-Selling, in: Günter, B./Helm, S. (Hrsg.): Kundenwert: Grundlagen – Innovative Konzepte – Praktische Umsetzungen, 2. Aufl., Wiesbaden, S. 163-187. Kaplan, R.S./Norton, D.P. (2003): Customer Management, in: Balanced Scorecard Report, Vol. 5, No. 3, S. 134-166. Kumar, V./Reinartz, W. (2006): Customer Relationship Management – A Databased Approach, Hoboken. Noack, H. C. (2005): Marketing muß meßbar sein, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Nr. 134, S. 18. Reichheld, F.F. (1997): Der Loyalitäts-Effekt – Die verborgene Kraft hinter Wachstum, Gewinnen und Unternehmenswert, Frankfurt. Reinartz, W./Kumar, V. (2002): The mismanagement of customer loyalty, in: Harvard Business Review, Vol. 80, No. 7, S. 86–94.
Kundenwert-Controlling: Dienstleistungsunternehmen kundenorientiert steuern
323
Reinartz, W./Thomas, J.S./Kumar, V. (2005): Balancing Acquisition and Retention Resources to Maximize Customer Profitability, in: Journal of Marketing, Vol. 69, No. 1, S. 63-79. Rudolf-Sipötz, E. (2001): Kundenwert: Konzeption – Determinanten – Management, St. Gallen. Rust, R.T./Lemon, K.N./Zeithaml, V.A. (2004): Return on Marketing: Using Customer Equity to Focus Marketing Strategy, in: Journal of Marketing, Vol. 68, No. 1, S. 109127. Ryals, L. (2003): Making customers pay – measuring and managing customer risk and returns, in: Journal of Strategic Marketing, Vol. 11, No. 3, S. 165-177. Schäffer, U./Weber, J. (2002): Erfolg durch Kontrolle, Band 26 der Reihe Advanced Controlling, Weinheim. Weber, J./Lissautzki, M. (2004): Kundenwert-Controlling, Reihe Advanced Controlling, Band 41, Weinheim.
Value Controlling in Dienstleistungsunternehmen
325
Michael Lister
Value Controlling in Dienstleistungsunternehmen
1. Einleitung 2. Dimensionen des Value Controlling 3. Analyse der Eigenkapitalrentabilität in Dienstleistungsunternehmen 3.1 Analyse der Soll-Eigenkapitalrentabilität 3.1.1 Finanzstruktureller Ansatz zur Bestimmung der Solleigenkapitalrentabilität 3.1.2 Kapitalmarktorientierter Ansatz zur Bestimmung der Solleigenkapitalrentabilität 3.1.3 Best-Practice-Standards 3.2 Analyse der Ist-Eigenkapitalrentabilität 3.3 Prozess der Abstimmung von Soll- und Ist-Eigenkapitalrentabilität 4. Risikoanalyse im Dienstleistungsunternehmen 4.1 Risikokalküle 4.2 Risikoanalyse am Beispiel des Operating Leverage 4.3 Risikoanalyse am Beispiel des Financial Leverage 5. Fazit Literatur
Prof. Dr. Michael Lister ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Finanzen, Banken und Controlling an der WHL Wissenschaftlichen Hochschule Lahr.
Value Controlling in Dienstleistungsunternehmen
1.
327
Einleitung
Das Wertmanagement hat sich mittlerweile als Paradigma einer modernen Unternehmensphilosophie durchgesetzt. In Theorie und Praxis werden die Treiber des Unternehmenswertes analysiert, um den Unternehmen neue Steuerungsimpulse zu liefern. Gleichzeitig weist das unternehmerische Geschehen einen ständig steigenden Komplexitätsgrad auf. Den Managern von Unternehmen wird deshalb mit dem Value Controlling ein Instrument zur Seite gestellt, das es ermöglicht, die geschäftspolitischen Aktivitäten im Rahmen des Wertmanagements effizient zu steuern. Grundsätzlich gilt dies für die Unternehmen aller Branchen. Somit sind auch Dienstleistungsunternehmen dem Wertmanagement zu unterwerfen. Selbstverständlich muss dabei den Besonderheiten dieser Branche Rechnung getragen werden. Mit der Konzeption des Value Controlling wurde ein Bündel von Maßnahmen, Instrumenten und Modellen geschnürt (Schierenbeck/Lister 2003). Die Anwendung dieses Konzepts auf Dienstleistungsunternehmen soll unter anderem am Beispiel empirischer Daten im Folgenden untersucht werden. Es wird analysiert, ob und wie die verschiedenen Komponenten des Value Controlling für Dienstleistungsunternehmen anwendbar sind. Dazu wäre eigentlich zuerst das grundsätzliche und in einigen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen vielfach diskutierte Problem zu lösen, wie Dienstleistungsunternehmen definiert und abgegrenzt werden können (vgl. bspw. Engelhardt et al. 1993). Mangels einer solchen allgemeingültigen und allseits anerkannten Abgrenzung wird dieses Problem hier nicht weiter erörtert. Und trotz aller strittigen Diskussionen werden die folgenden Auseinandersetzungen grundsätzlich auf den Handel als Beispiel für Dienstleistungsunternehmen fokussiert (Meffert/Bruhn 2003).
2.
Dimensionen des Value Controlling
Das Value Controlling soll im Sinne des Wertorientierten Managements dazu beitragen, den Marktwert einer Unternehmung zu sichern oder zu erhöhen. Auf dieses oberste Ziel ist das gesamte Führungssystem auszurichten. Alle Controlling-Elemente der Planung und Kontrolle, der Information und der Koordination sind so zu gestalten, dass die obersten Marktwertziele erreicht werden. Im Rahmen fundamentalanalytischer Betrachtungen lassen sich dazu die zentralen Determinanten des Marktwertes sehr einfach mithilfe des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) darstellen (Schierenbeck/Lister 2003, S. 111ff.). Das KGV erklärt das Verhältnis
328
Michael Lister
von Aktienkurs zum Gewinn der Unternehmung (pro Aktie). Grundsätzlich gilt, dass das KGV von den Zukunftserwartungen der Marktteilnehmer bezüglich Gewinnwachstum und Gewinnvolatilität sowie von den allgemeinen Rahmenbedingungen an den Geld- und Kapitalmärkten bestimmt wird. Bei gegebenen Gewinnerwartungen (die sich in den Konsensschätzungen der Analysten widerspiegeln) und gegebenen Marktbedingungen wird das KGV also maßgeblich geprägt von dem Risiko, dem sich die Investoren bei ihrer Kapitalanlage ausgesetzt sehen. Wegen der vielfältigen sonstigen Einflussgrößen kann das KGV allerdings grundsätzlich keinen theoretischen Erklärungsbeitrag für die Höhe des Risikos bzw. der Risikoprämie liefern, die mit bestimmten Investitionen verbunden sind. Gleichwohl liefert es zumindest einen logischen und leicht nachvollziehbaren Einblick in die Zusammenhänge des Value Controlling. Das KGV entspricht dem Verhältnis des Marktwertes des Eigenkapitals zum Gewinn der Unternehmung:
KGV mit:
EK MW JÜ
JÜ = Jahresüberschuss; KGV = Kurs-Gewinn-Verhältnis; EKMW = Marktwert des Eigenkapitals
Der reziproke Wert des KGV spiegelt somit die Renditeforderungen der Kapitalgeber wider. Bei einem KGV von 20 hieße dies, dass die Kapitalgeber vor dem Hintergrund ihrer Risikoeinschätzung Renditen von 5 Prozent (=1/20) fordern. Für drei Unternehmen, die vermeintlich der Dienstleistungsbranche zugerechnet werden können und die börsennotiert sind, konnten die in Abbildung 1 angegebenen Werte für das KGV ermittelt werden. Bereinigter Jahresüberschuss in Mio. EUR
Marktwert des Eigenkapitals (Börsenkapitalisierung) in Mio. EUR
KGV
Celesio AG
277
4.184
15
TUI AG
188
2.751
15
Metro AG
449
12.421
28
Abbildung 1: Kurs-Gewinn-Verhältnis ausgewählter Dienstleistungsunternehmen (Quelle: manager magazin 2004; eigene Berechnungen)
Value Controlling in Dienstleistungsunternehmen
329
Kombiniert man diese Formel mit der Eigenkapitalrentabilität zu Buchwert EKRBW, so lässt sich der Zusammenhang zwischen Eigenkapitalrentabilität, Risiko und Marktwerten aufzeigen:
KGV u EKRBW
mit:
EK MW EK BW
MBV
EKBW = Buchwert des Eigenkapitals; EKRBW = Eigenkapitalrentabilität zu Buchwerten ; KGV = Kurs-Gewinn-Verhältnis; MBV = Markt-BuchwertVerhältnis; EKMW = Marktwert des Eigenkapitals
Mit Hilfe dieser Gleichung lässt sich immerhin ein innerer Zusammenhang für die Wirkungsrichtung von Veränderung dieser drei Faktoren darstellen. So gilt für den genannten Aktienwert :
KGV x EKR = MBV Für die in Abbildung 1 exemplarisch betrachteten Unternehmen wird das Markt-Buchwert-Verhältnis in Abbildung 2 berechnet.
KGV
Eigenkapitalrentabilität in %
MBV
Celesio AG
15
17,4
2,6
TUI AG
15
7,6
1,1
Metro AG
28
10,8
3,0
Abbildung 2: Markt-Buchwert-Verhältnis ausgewählter Dienstleistungsunternehmen (Quelle: manager magazin 2004; eigene Berechnungen) Das MBV drückt aus, wie stark der Marktwert des Eigenkapitals dessen Buchwert übersteigt. Es ist insoweit eng mit dem Wertorientierten Management verknüpft. Allerdings handelt es sich nur um eine abgeleitete Zielgröße, weil sich der Marktwert des Eigenkapitals auch bei konstantem MBV verbessern kann, wenn der Buchwert des Eigenkapitals (vor allem durch Gewinnthesaurierungen) zunimmt. Vor diesem Hintergrund können somit theoretisch drei Zielpfade für das Value Controlling abgeleitet werden: Zielpfad 1: Die Bemühungen zur Erhöhung des MBV konzentrieren sich auf eine Erhöhung der EKR und betrachten das KGV als Konstante.
330
Michael Lister
Zielpfad 2: Hier werden bei gegebener EKR Maßnahmen zu ergreifen sein, die auf eine Verbesserung des KGV ausgerichtet sind. Zielpfad 3: Wegen der multiplikativen Verknüpfung von EKR und KGV wird eine Strategie der gemeinsamen Verbesserung von EKR und KGV für die Erhöhung des MBV am ehesten zum Ziel führen. Das Value Controlling, das sich also auf die Steuerung der beiden Dimensionen EKR und KGV auszurichten hat, wird folgerichtig in ein Rentabilitätscontrolling und in ein Risikocontrolling aufgespalten.
+
Stellschrauben
EK BW
Rentabilitätscontrolling
- Verbesserte Gewinnmargen - Dynamischeres Gewinn- und Eigenkapitalwachstum
+ x
MBV
EKR
BW
x
EK MW
- Konsequentes Rentabilitätsmanagement - Forciertes Ertragsorientiertes Wachstum
+
KGV
+
Risikocontrolling
- Erhöhte Stabilität der Gewinnentwicklung - Geringeres Risiko von (negativen) Gewinnschwankungen
- Effizientes Risikomanagement - Glaubwürdige Kapitalmarktkommunikation
Abbildung 3: Stellschrauben im Value Controlling Abbildung 3 demonstriert diese Zusammenhänge. Aus der Multiplikation der Eigenkapitalrentabilität zu Buchwerten mit dem KGV resultiert das Markt-Buchwert-Verhältnis. Wird das Markt-Buchwert-Verhältnis mit dem Buchwert des Eigenkapitals multipliziert, so ergibt sich daraus der Marktwert des Eigenkapitals. Dieser rechnerische Zusammenhang wird in Abbildung 4 am Beispiel der Metro AG exemplarisch dargestellt:
Value Controlling in Dienstleistungsunternehmen
331
EK BW 4.154
x EKRBW 10,8% MBV 3,0
x
EK MW 12.421
KGV 28
Abbildung 4: Rentabilitätsschema der Metro AG (Quelle: manager magazin 2004, eigene Berechnungen) Eine Steigerung der Eigenkapitalrentabilität zu Buchwerten bzw. damit zumindest indirekt einhergehend des Buchwertes des Eigenkapitals kann durch verbesserte Gewinnmargen oder dynamischeres Gewinn- und Eigenkapitalwachstum herbeigeführt werden. Dazu ist im Rahmen des Rentabilitätscontrolling ein konsequentes Rentabilitäts-management oder ein forciertes ertragsorientiertes Wachstum anzustreben. Zur Erhöhung des Kurs-Gewinn-Verhältnisses tragen vor allem eine erhöhte Stabilität der Gewinnentwicklung und ein geringeres Risiko von Gewinnschwankungen bei. Beide Elemente sind im Rahmen des Risikocontrolling durch ein effizientes Risikomanagement und eine glaubwürdige Kapitalmarktkommunikation steuerbar. Darüber hinaus kann das Kurs-GewinnVerhältnis aber auch durch die Elemente des Rentabilitätscontrolling positiv beeinflusst werden. Risiko und Rentabilität sind danach als die entscheidenden Stellschrauben des Wertmanagements zu betrachten. Das Value Controlling ist deshalb auf die Steuerung dieser Stellschrauben auszurichten. Vor diesem Hintergrund sollen Besonderheiten des Rentabilitätscontrolling bzgl. des Abgleichs von Soll- und Ist-Eigenkapitalrentabilität für Dienstleister erörtert werden. Anschließend wird auf Besonderheiten des Risikocontrolling in Dienstleistungsunternehmen eingegangen. Der Einfachheit halber wird an dieser Stelle auf eine Trennung der Wirtschaftssubjekte nach Dienstleistungen und Sachleistungen (Engelhardt et al. 1993) und somit auch auf eine stringente Abgrenzung verzichtet. Stattdessen wird auf die Branchensystematisierung des Statistischen Bundesamtes zurückgegriffen. Das Statistische Bundesamt teilt die Volkswirtschaft in drei Sektoren und 16 Wirtschaftsbereiche ein. Die Separation in drei Sektoren hat sich sowohl national, als auch international durchgesetzt (Meffert/Bruhn 2003). Die Drei-Sektoren-Theorie unterscheidet die Urproduktion (primärer Sektor), die sowohl die Land- und Forstwirtschaft, als auch die Viehzucht und Fischerei einbezieht, die industrielle Produktion (sekundärer Sektor) und den Dienstleistungssektor (tertiärer Sektor).
332
Michael Lister
Im Fokus steht an dieser Stelle der Handel. Dazu werden empirischen Jahresabschlussdaten der Jahre 1971 bis 2000 untersucht. Für die Daten von 1971 bis 1995 werden nur westdeutsche Unternehmen, für die Daten von 1996 bis 2000 hingegen west- und ostdeutsche Unternehmen betrachtet.
3.
Analyse der Eigenkapitalrentabilität in Dienstleistungsunternehmen
Zur Umsetzung von Shareholder-Value-Strategien wird in einer periodenerfolgsorientierten Betrachtung auf das EVA-Konzept (Stewart 1991) zugrückgegriffen. Auf die komplexere Analyse barwertiger Zusammenhänge, welche z.B. über DCF-Verfahren (vgl. hierzu Schierenbeck/Lister 2003; Drukarczyk 2001) diskutiert werden könnten, wird an dieser Stelle verzichtet. Im EVA-Konzept wird Shareholder Value immer dann generiert, wenn die erwirtschaftete Ist- die geforderte Soll-Eigenkapitalrentabilität übersteigt. Zuerst muss deshalb die Frage geklärt werden, wie Soll- und Ist-Eigenkapitalrentabilität überhaupt gemessen bzw. gesteuert werden können.
3.1 Analyse der Soll-Eigenkapitalrentabilität Zur Bestimmung der Soll-Eigenkapitalrentabilität existieren mit dem finanzstrukturellen Ansatz, dem kapitalmarktorientierten Ansatz und Best-Practice-Standards drei aufeinander abzustimmende Varianten. Im finanzstrukturellen Ansatz wird diejenige MindestEigenkapitalrentabilität bestimmt, die erforderlich ist, um das finanzielle Gleichgewicht des Unternehmens sicherzustellen. Der kapitalmarktorientierte Ansatz berechnet über die Verfahren der Kapitalkostenberechnung die vom Markt determinierte Soll-Eigenkapitalrentabilität. Der kapitalmarktorientierte Ansatz wird am Beispiel des CAPM vorgestellt. Der dritte Ansatz (Best-Practice-Standards) orientiert sich an der Technik des Benchmarking. Im Folgenden wird für alle drei Ansätze versucht, einen direkten Bezug zur Dienstleistungsbranche herzustellen.
Value Controlling in Dienstleistungsunternehmen
333
3.1.1 Finanzstruktureller Ansatz zur Bestimmung der Soll-Eigenkapitalrentabilität Kernelemente des finanziellen Gleichgewichts sind das finanzstrukturelle Gleichgewicht und die strukturelle Gleichgewichtsrentabilität. Das finanzstrukturelle Gleichgewicht ist eng mit der Einhaltung von Kapitalstrukturnormen verknüpft. Hierzu zählen beispielsweise anerkannte Finanzierungsregeln bzw. -standards. Dieses Element wird seit der Diskussion um Basel II auch für Dienstleistungsunternehmen immer wichtiger. Eine gute Ratingeinstufung führt zu günstigeren Kreditkonditionen. Um ein besseres Rating zu erlangen, müssen bestimmte, im Ratingverfahren bewertete Kennziffern in die richtige Richtung gesteuert werden. Finanzstrukturelle Kennziffern bilden häufig den Schwerpunkt der Bonitätsanalysen. Dienstleistungsunternehmen müssen deshalb mit den Kreditinstituten klären, welche Werte bestimmte Finanzkennzahlen annehmen müssen, und diese Werte zu Zielgrößen im Planungsprozess erheben. Demgegenüber stellt die strukturelle Gleichgewichtsrentabilität ein integratives Konzept zur Verknüpfung Finanzstrukturgleichgewicht und Rentabilitätsbedarf dar. Hier soll sichergestellt werden, dass die Eigenkapitalgeber stets eine angemessene Rendite auf ihr eingesetztes Kapital erreichen, indem Gewinne in der geforderten Höhe erwirtschaftet werden. Zur Quantifizierung der strukturellen Gleichgewichtsrentabilität sind zunächst die Determinanten des strukturellen Gewinnbedarfs zu analysieren. Aus dem Zusammenwirken der Determinanten Umsatzwachstum, Kapitalumschlag und Kapitalstrukturnormen resultiert der Eigenkapitalbedarf. Umsatzwachstum erfordert grundsätzlich die Aufstockung des Anlage- und Umlaufvermögens. Diese muss durch Eigen- oder Fremdkapital finanziert werden. Wenn der bisherige Verschuldungsgrad zur Einhaltung der z.B. von Kreditinstituten vergebenen Normen konstant bleiben soll, muss das Eigenkapital in Höhe der Umsatzwachstumsrate aufgestockt werden. Aus dem Eigenkapitalbedarf, dem externen Eigenkapitalzuführungspotenzial, den Ausschüttungsstandards und der Steuerbelastung ergibt sich der strukturelle Gewinnbedarf.
334
Michael Lister
Dabei kann ein Teil des Eigenkapitalbedarfs durch Zuführung externer Mittel gedeckt werden. Der Restbetrag muss jedoch durch die Thesaurierung von Gewinnen dargestellt werden. Zudem werden die Eigentümer eine Dividende verlangen, die ebenfalls erwirtschaftet werden muss. Da der Gewinn nach Steuern dem Thesaurierungsbedarf und der Dividendenausschüttung entsprechen soll, muss der Gewinn vor Steuern hoch genug sein, um nach der Steuerzahlung dem gewünschten Betrag zu entsprechen. Diese Zusammenhänge sollen anhand eines Vergleichs zwischen Handel und dem Durchschnitt aller Unternehmen diskutiert werden. Dazu wurden zuerst die in Abbildung 5 aufgelisteten Werte als Ausgangsgrößen ermittelt. Handel
alle Unternehmen
Differenz
Umsatzwachstum
5,47 %
5,61 %
-0,13 %
Kapitalumschlag
2,69
1,70
0,99
Verschuldungsgrad
6,86
4,18
2,68
25,49 %
36,36
-10,87 %
Gewinnsteuersatz
Abbildung 5: Mittlere Verhältniszahlen 1971 bis 2000 Mit Hilfe dieser Determinanten ist es möglich, den mittleren Eigenkapitalbedarf für die Jahre 1971 bis 2000 für den Handel zu berechnen (vgl. Abbildung 6). Zur besseren Vergleichbarkeit wird die Kapitalausstattung aller Handelsunternehmen auf 100 GE normiert. Es wird unterstellt, dass keine externe Kapitalerhöhung möglich ist. Außerdem wird von einer einheitlichen Dividende von 3 Prozent auf das Eigenkapital ausgegangen. Berücksichtigt man den mittleren Verschuldungsgrad von Handelsunternehmen in Höhe von 6,86 in den Jahren 1971 bis 2000, so führt dies zu einer Eigenkapital- bzw. Fremdkapitalausstattung von 12,72 GE bzw. 87,28 GE. Bei einem mittleren Kapitalumschlag von 2,69 und einem mittleren Umsatzwachstum von 5,47 Prozent in dem Betrachtungszeitraum hat dies ein Bilanzsummenwachstum von 5,47 GE auf absolut 105,47 GE zur Folge. Dies bedeutet gleichzeitig ein mittleres Eigenkapitalwachstum von ebenfalls 5,47 Prozent, was einem mittleren Eigenkapitalbedarf von 0,70 GE (= 12,72 x 5,47 Prozent) entspricht. Dieser Eigenkapitalbedarf kann entweder über externe Eigenkapitalzuführung oder über Gewinnthesaurierung gedeckt werden. Sieht man von der Möglichkeit ab, externes Eigenkapital zu beschaffen, hat dies zur Folge, dass der Eigenkapitalbedarf in vollem Umfang durch Thesaurierungsbeträge gedeckt werden muss. Unterstellt man weiterhin einen Dividendenbetrag von 3 Prozent auf das Eigenkapital, so muss von der Unternehmung ein Dividendenbetrag von 0,38 GE erwirtschaftet werden. Schließlich ist noch zu beachten, dass sowohl Thesaurierungsbetrag als auch Dividendenbetrag Nachsteuergrößen darstellen. Dies bedeutet, dass die Unternehmung auch die hierauf anfallenden Steuern in Höhe von 0,37 GE bei einem mittleren Gewinnsteuersatz des Handels von 25,5 Prozent verdienen muss. Die Summe aus Gewinnthesaurierungsbetrag, Divi-
Value Controlling in Dienstleistungsunternehmen
335
dendenbedarf und hierauf anfallenden Steuern beträgt schließlich 1,45 GE (0,70 GE + 0,38 GE + 0,37 GE). Dies entspricht dem von der Unternehmung in den Geschäftsprozessen zu verdienenden Reingewinnbedarf. Führt man die gleiche Kalkulation für den Durchschnitt aller ausgewerteten deutschen Unternehmen in den Jahren 1971 bis 2000 durch, so ergibt sich ein Reingewinnbedarf von 2,61 GE. Diese Werte entsprechen einer mittleren Soll-Eigenkapitalrentabilität von 11,39 Prozent für den Handel und einer mittleren Soll-Eigenkapitalrentabilität aller Unternehmen in Höhe von 13,52 Prozent.
Handel
alle Unternehmen
Umsatzwachstum
5,47 %
5,61 %
Kapitalumschlag
2,69
1,70
105,47 /105,61
+10 % 5,61 % / 5,47 % 0,37 / 0,95 . A
Bilanz
P StTB/ StTB StDB / StDB
12,72 / 19,30 EK
0,38 / 0,58
87,28 / 80,7 FK
100
100
Verschuldungsgrad
5,47 / 5,61 5,61 % / 5,47 % BSWachstum
*
12,72 % / 19,30 % EK- Quote
=
= 6,86 / 4,18
0,70 / 1,08 EK- Bedarf
-
Annahme: 0 = Externe Kapitalerhöhung
0,70 / 1,08
. 1,45 / 2,61
DB DB (Annahme (20 % 3% auf AK auf EK) 5,8 Mio )
.
GTB
0,70 / 1,08
+
0,38 / 0,58
+
0,37 / 0,95
=
1,45 / 2,61
Abbildung 6: Beispiel zur Berechnung des Gleichgewichtsergebnisses für den Handel/ alle Unternehmen (Quelle: Bundesbank 2000, eigene Berechnungen) mit: EK= Eigenkapital; FK = Fremdkapital; GTB = Gewinnthesaurierungsbedarf; DB = Dividendenbedarf; StTB/StDB = Steuern auf Thesaurierungs- und Dividendenbedarf
336
3.1.2
Michael Lister
Kapitalmarktorientierter Ansatz zur Bestimmung der Soll-Eigenkapitalrentabilität
Mit dem CAPM (Capital Asset Pricing Model) können kapitalmarktorientierte Eigenkapitalkosten bestimmt werden. Diese müssen anschließend zur Soll-Eigenkapitalrentabilität transformiert werden. Die kapitalmarktorientierten Eigenkapitalkosten ergeben sich aus dem Verzinsungsanspruch risikofreier Anlagen, z.B. Bundesanleihen, zuzüglich einer unternehmensindividuellen Risikoprämie. Die Höhe der Risikoprämie ergibt sich aus der Multiplikation der Marktrisikoprämie mit dem so genannten Beta-Faktor. Die Marktrisikoprämie entspricht der Differenz zwischen der durchschnittlichen, am Markt beobachtbaren Marktrendite und der risikofreien Verzinsung. Dabei ist diese Marktrendite mit einer bestimmten Renditeschwankung verbunden. Der Beta-Faktor gibt an, um das Wievielfache die Kursrendite einer einzelnen Unternehmung im Verhältnis zur Kursrendite des Marktes schwankt. Für nicht börsennotierte Aktiengesellschaften besteht das Problem, dass sich Beta-Faktoren ohne Aktienkurse nicht quantifizieren lassen. Hier kann man sich behelfen, indem branchenspezifische Durchschnitt-Betas ermittelt und verwendet werden. In einer jährlich durchgeführten Untersuchung wird von Schmidt (2004) der Stoxx 600 als Referenzmarkt dem CAPM zugrunde gelegt. Der Stoxx 600 enthält die 600 größten europäischen Börsenunternehmen nach Marktkapitalisierung und Free Float. Der Free Float entspricht dem Anteil der frei handelbaren Aktien eines Unternehmens. Schmidt unterteilte den Stoxx 600 in 21 Branchen für die 500 größten Unternehmen (Schmidt 2001). Eine mögliche Abgrenzung alternativer Dienstleistungsbranchen zeigt Abbildung 7. Die linke Spalte zeigt die Branchen der Dienstleister, die rechte Spalte die übrigen Branchen. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass im Dienstleistungsbereich die Eigenkapitalkosten geringfügig niedriger ausfallen als im Vergleich zum Durchschnitt der betrachteten Unternehmen. D.h., die Investoren des Dienstleistungsbereichs erhielten von 1999 bis 2001 im Durchschnitt eine niedrigere Kapitalverzinsung als die Unternehmen des Stoxx 600. Betrachtet man, wie schon unter Abschnitt 3.1.1, wiederum den Handel, so erhält man Kapitalkosten in Höhe von lediglich 8,27 Prozent. Für diese Berechnungen gilt, dass Eigenkapitalkosten sich letztlich auf den Marktwert des Eigenkapitals beziehen. Die Eigenkapitalrenditen hingegen werden im Allgemeinen auf den Buchwert des Eigenkapitals bezogen. Insofern ist es erforderlich, die Eigenkapitalkosten in Soll-Eigenkapitalrenditen umzuwandeln. Unter Vernachlässigung von Kurssteigerungspotenzialen lässt sich diese Umdimensionierung mit dem MarktwertBuchwert-Verhältnis vornehmen. (Schierenbeck 2003). Dann entsprechen die Eigenkapitalkosten dem zu erwirtschaftenden Jahresüberschuss.
Value Controlling in Dienstleistungsunternehmen
Potentielle Dienstleister
Durchschnittliche EKKS [%]
337
Sonstige Branchen
Durchschnittliche EKKS [%]
Banken
10,29
Automobile
10,32
Finanzdienstleister
10,28
Bau
8,83
Gesundheitswesen
6,47
Chemie
9,76
Handel
8,27
Energie
8,25
Industriedienstleister
9,76
Grundstoffe
9,61
Konsumdienstleister
9,22
Industriegüter
9,62
Medien
10,38
Konsumgüter
9,22
Telekommunikation
11,74
Mischkonzerne
9,89
Unterhaltung
9,00
Nahrung
7,86
Versicherung
9,40
Technologie
12,92
Versorger
7,97
Durchschnittliche EKKS
Durchschnitt / Summe
9,34
aller Unternehmen (in-
9,45
klusive Dienstleister)
Abbildung 7: Kapitalkosten nach CAPM (EKKS = Eigenkapitalkosten) (Quelle: manager magazin 2001, eigene Berechnungen)
EKKSsxMBV
mit:
EKKS EKMW x EKMW EKBW
EKKS EKBW
Soll EKR
EKKSs = Eigenkapitalkostensatz; EKKS = Eigenkapitalkosten; EK = Eigenkapital; MBV = Markt-Buchwert-Verhältnis; MW = Marktwert; EKR = Eigenkapitalrentabilität
Unterstellt man beispielsweise für den Handel ein Markt-Buchwert-Verhältnis von 2, so ergibt sich aus den Eigenkapitalkosten von 8,27 Prozent eine Soll-Eigenkapitalrentabilität in Höhe von 16,54 Prozent ( = 8,27 Prozent x 2).
3.1.3 Best-Practice-Standards Als dritte Alternative zur Fixierung der Soll-Eigenkapitalrentabilität kann der BestPractice-Ansatz herangezogen werden. Der Best-Practice-Ansatz folgt den Prinzipien des Benchmarking. Als Instrument der Wettbewerbsanalyse beinhaltet das Benchmarking den permanenten Vergleich mit anderen, in der Regel branchengleichen Unternehmen. Ziel ist es, strukturelle Unterschiede und Verbesserungen zu erkennen, um Lü-
338
Michael Lister
cken zum jeweiligen Marktführer zu schließen. Vor diesem Hintergrund werden im Rahmen des Best-Practice-Ansatzes Unternehmen mit herausragenden Eigenkapitalrentabilitäten gesucht (Schierenbeck/Lister, 2003). Im Rahmen der bereits unter Abschnitt 3.1.2 erwähnten empirischen Untersuchung (Schmidt 2001) wurden auch die auf den Buchwert des Eigenkapitals bezogenen IstEigenkapitalrentabilitäten untersucht. Die branchenspezifischen durchschnittlichen Spitzenwerte für 1999 bis 2001 der Dienstleistungsunternehmen des Stoxx 600 werden in Abbildung 8 dargestellt. Es zeigt sich, dass die mit dem Best-Practice-Ansatz berechneten Soll-Eigenkapitalrentabilitäten die Werte aus den Abschnitten 3.1.1 und 3.1.2 in jeder Dienstleistungsbranche übersteigen. Für 1999 bis 2001 ergibt sich mit der Unternehmung Matalan für den Handel eine durchschnittliche Benchmark für die Soll-Eigenkapitalrentabilität im Handel von 72,8 Prozent. Branche
Unternehmen
Eigenkapitalrendite [%]
Juius Bär (CH)
31,1
Finanzdienstleister
Provident Financial (GB)
44,5
Gesundheitswesen
GlaxoSmithKline (GB)
47,9
Matalan (GB)
72,8
Industriedienstleister
Altran Technologies (F)
43,9
Konsumdienstleister
Bass (GB)
22,9
Reuters (GB)
51,8
Panafon Hellenic Telecom (GR)
58,5
Unterhaltung
Phillips (NL)
53,6
Versicherung
Sampo (FIN)
35,4
Versorger
Centrica (GB)
31,2
Banken
Handel
Medien Telekommunikation
Abbildung 8: Brachenspezifische Spitzenwerte für das Jahr 2004 der Dienstleistungsunternehmen (Quelle: manager magazin 2001) Die Soll-Eigenkapitalrentabilität des Best-Practice-Ansatzes ist als Maximalgröße zu verstehen. Der Wert von 72,8 Prozent für Matalan kann bei der Soll-Eigenkapitalrentabilität für Handelsunternehmen einen Wert darstellen, den es anzustreben gilt, der aber nicht zwingend erreicht werden muss. Im Mittelpunkt der Wertorientierung steht hingegen der kapitalmarktorientierte Rentabilitätsbedarf. Insofern gilt es für den Handel (unter Vernachlässigung von Kurssteigerungspotenzialen), eine durchschnittliche Soll-Eigen-
Value Controlling in Dienstleistungsunternehmen
339
kapitalrentabilität von (unterstellten) 16,54 Prozent anzustreben. Der finanzstrukturelle Gewinnbedarf ist darüber hinaus als Mindestbedingung für die Existenz des Unternehmens zu verstehen. Dieser beträgt für den Handel im Durchschnitt lediglich 11,39 Prozent.
3.2 Analyse der Ist-Eigenkapitalrentabilität Die geplante Soll-Eigenkapitalrentabilität muss durch die geschäftspolitischen Aktivitäten des Unternehmens erzielt werden. Aus Sicht des Value Controlling ist dazu ein Führungsinformationssystem aufzubauen, das die Steuerung der Ist-Eigenkapitalrentabilität in entsprechender Weise unterstützt. Erst wenn die Ist-Eigenkapitalrentabilität die Soll-Eigenkapitalrentabilität mindestens erreicht oder besser noch übersteigt, sind die unternehmerischen Zielsetzungen erfüllt (Schierenbeck/Lister 2003). Zur Analyse der Ist-Rentabilität ist in der GuV-orientierten Betrachtungsweise die Konzeption eines integrierten ROI-Kennzahlensystems empfehlenswert. In Abbildung 9 wird stellvertretend für die Dienstleistungsbranche am Beispiel des Handels die Verknüpfung von Kennzahlen bzgl. Umsatzrentabilität, Kapitalumschlag, Fremdkapitalzins und der Kapitalstruktur für das Jahr 2000 in Deutschland vorgenommen. Die Eigenkapitalrentabilität fällt beim Handel mit 33,02 Prozent deutlich besser aus als für den Bundesdurchschnitt aller Unternehmen mit 20,41 Prozent. Mit dem ROI-Schema wird der Grund für diese Entwicklung transparent. Die Ursachen sind vielschichtig. Die Werte für die Zinsbelastung des Umsatzes unterscheiden sich mit 1,32 Prozent für den Handel und 1,47 Prozent für alle nur unwesentlich. Demgegenüber fällt die Netto-Umsatzrentabilität im Handel mit 1,73 Prozent deutlich niedriger aus als diejenige aller deutschen Unternehmen mit 3,25 Prozent. Im Zusammenwirken beider Kennziffern ergibt sich für alle Unternehmen eine Brutto-Umsatzrentabilität von 4,72 Prozent, wohingegen der Handel nur einen Wert von 3,05 Prozent erreicht. Allerdings wirkt sich der im Handel deutlich höhere Kapitalumschlag mit einem Wert von 2,48 (gegenüber 1,57 für den Durchschnitt) überaus positiv auf die Kennziffer ROABrutto aus. Hier liegt der Handel mit 7,56 Prozent vor dem Durchschnitt aller Unternehmen mit 7,43 Prozent. Im Vergleich zum Durchschnitt aller Unternehmen verfügt der Handel mit einer Fremdkapitalquote von 90 Prozent (gegenüber 83 Prozent) und einem damit einhergehenden Verschuldungsgrad von 9,1 (gegenüber 4,78) über deutlich mehr Fremdkapital. Das schlägt sich auch (angesichts des damit einhergehenden höheren Bonitätsrisikos) in einem höheren Fremdkapitalzins von 3,63 Prozent (gegenüber 2,80 Prozent) nieder. Insgesamt ergibt sich daraus mit 3,27 Prozent eine deutlich schlechtere Zinsbelastung des Gesamtkapitals (gegenüber 2,31 Prozent).
340
Michael Lister
URNetto
Kennzahl alle Unternehmen Handel ROABrutto ROANetto
7,43% 7,56%
5,12% 4,30%
EKR v. St. EKR n. St. 20,41% 33,02%
29,59% 43,40%
3,25% 1,73%
4,72% 3,05%
+
*
ZB/U
KU
1,47% 1,32%
1,57 2,48
FKZ
: ZB/K 2,31% 3,27%
* 1 - Steuerquote 68,95% 76,09%
URBrutto
2,80% 3,63%
* FKQ
EKQ 17,29% 9,90%
82,71% 90,10%
: V 4,78 9,10
Abbildung 9: ROI- Schema für das Jahr 2000 (Quelle: Bundesbank 2000, eigene Berechnungen) mit: EKR = Eigenkapitalrentabilität; FKQ = Fremdkapitalquote; FKZ = Fremdkapitalzins; KU = Kapitalumschlag; UR = Umsatzrentabilität; ROA = Return on Assets; V = Verschuldungsgrad; ZB/K = Zinsbelastung in Relation zum Kapital; ZB/U = Zinsbelastung in Relation zum Umsatz) ROABrutto und Zinsbelastung des Gesamtkapitals führen zu einer Angleichung hinsichtlich der ROANetto. Diese beträgt 4,30 Prozent für den Handel und 5,12 Prozent für alle Unternehmen. Da jedoch der Handel mit einer Eigenkapitalquote von lediglich 10 Prozent (gegenüber 17 Prozent) auskommt, konnte hier eine Eigenkapitalrentabilität vor Steuern von 43,40 Prozent erwirtschaftet und damit der Bundesdurchschnitt von 29,59 Prozent deutlich übertroffen werden. Gleiches gilt für die Eigenkapitalrentabilität nach Steuern, die bei einem Steuersatz von 31,05 Prozent bzw. 23,91 Prozent für alle Unternehmen bzw. den Handel 20,41 Prozent bzw. 33,02 Prozent beträgt.
Value Controlling in Dienstleistungsunternehmen
3.3
341
Prozess der Abstimmung von Soll- und Ist-Eigenkapitalrentbilität
Das Konzept des Economic Value Added (EVA) beinhaltet die Periodisierung des Wertmanagements (Stewart 1991). Nach der Grundidee des Shareholder-Value-Konzepts muss der Unternehmenswert erhöht oder zumindest stabilisiert werden. Das EVAKonzept löst sich von dieser Marktwertorientierung. Stattdessen reduziert es die Aussage des Shareholder-Value-Managements auf eine einfache Grundregel: Shareholder Value wird generiert, wenn das Jahresergebnis größer ist als die Eigenkapitalkosten. Umgekehrt wird Shareholder Value vernichtet, wenn die Eigenkapitalkosten das Jahresergebnis übersteigen (Young et al. 2001). Für den Abstimmungsprozess von Ist- und Soll-Eigenkapitalrentabilität hinsichtlich des EVA-Konzepts ist zu beachten, dass die Eigenkapitalkosten im ursprünglichen Konzept ausschließlich kapitalmarkttheoretisch abgeleitet werden. Der finanzstrukturelle Ansatz und die Best-Practice-Standards zur Fixierung der Soll-Eigenkapitalrentabilität werden vollständig vernachlässigt. Wenn das Jahresergebnis auf das (bilanzielle) Eigenkapital bezogen wird, erhält man die Ist-Eigenkapitalrentabilität. Um diese mit den Eigenkapitalkosten vergleichen zu können, müssen letztere auf das bilanzielle Eigenkapital bezogen sein. Diese Transformation ist – wie schon im Abschnitt 3.1.2 gezeigt – mit Hilfe des Markt-Buchwert-Verhältnis möglich, wenn man Kurssteigerungspotenziale außer Acht lässt. Für den Handel wiederum würde dies bedeuten, dass bei einem unterstellten Markt-Buchwert-Verhältnis von 2 die Soll-Eigenkapitalrentabilität von 16,54 Prozent einer Ist-Eigenkapitalrentabilität von 33,02 Prozent gegenübersteht. Demnach würde im Jahr 2000 im Handel Unternehmenswert erzeugt. Im Total-Investor-Performance-Konzept (Schierenbeck/Lister 2003) werden Kurssteigerungspotenziale ins Kalkül integriert. Die Total Investor Performance stellt die auf den Marktwert des Eigenkapitals bezogene Rendite dar (Schierenbeck/Lister 2003). Die Total-Investor-Performance entspricht der durchschnittlichen Wertentwicklung einer Aktie einschließlich der Dividenden (Schmidt 2004). Abbildung 10 zeigt die Gegenüberstellung der durchschnittlichen, tatsächlich erwirtschafteten Total-(Ist-)Investor-Performance und der durchschnittlichen Eigenkapitalkosten der Dienstleistungsbranchen des Stoxx 600 für 1999 bis 2001. Hiernach hat der Handel lediglich in geringerem Umfang Unternehmenswert geschaffen.
342
Michael Lister
Durchschnittliche EKKS [%]
Total Investor Performance [%]
Banken
10,29
11,98
Finanzdienstleister
10,28
20,41
Gesundheitswesen
6,47
43,58
Handel
8,27
8,50
Industriedienstleister
9,76
11,16
Konsumdienstleister
9,22
2,87
Medien
10,38
5,66
Telekommunikation
11,74
-14,71
Unterhaltung
9,00
3,06
Versicherung
9,40
15,56
Versorger
7,97
7,30
Potentielle Dienstleister
Abbildung 10: Durchschnittliche Total-Investor-Performance und durchschnittliche Eigenkapitalkosten der Dienstleistungsbranchen des Stoxx 600 für 1999 bis 2001 (Quelle: manager magazin 2001, eigene Berechnungen)
4.
Risikoanalyse im Dienstleistungsunternehmen
4.1 Risikokalküle Die Konzeption eines integrierten Wertemanagements erfordert nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Management der Rentabilität. Vielmehr bilden die Elemente einer wertorientierten Risikopolitik zentrale Bausteine der Gesamtkonzeption, wobei dies generell für alle Unternehmen, also auch für Dienstleistungsunternehmen, gilt. Im Mittelpunkt der wertorientierten Risikopolitik stehen die Grundsätze des Risikotragfähigkeitsund des Risiko-Chancen-Kalküls. Unternehmen werden grundsätzlich nicht verhindern können, dass Risiken teilweise oder vollständig schlagend werden. Deshalb muss im Sinne des Risikotragfähigkeitskalküls (Schierenbeck 2001) sichergestellt werden, dass sich die einzelne Unternehmung mögliche Verluste bis zu einem gewissen Grad überhaupt leisten kann. Vor diesem Hintergrund können zwei zentrale Grundsätze des Risikotragfähigkeitskalküls formuliert werden (Schierenbeck 2001):
Value Controlling in Dienstleistungsunternehmen
343
Das bei Anwendung des Vorsichtprinzips kalkulierte und sich nach der Anwendung alternativer Risikobewältigungsstrategien ergebende Risikopotenzial darf das bestimmten Risikobelastungsszenarien zugewiesene Risikotragfähigkeitspotenzial grundsätzlich nicht übersteigen. Auftretende Verluste oder Liquiditätsuntersuchungen durch schlagend gewordene Risikopotenziale sind durch die Fixierung eines abgestimmten Systems von Risikolimiten konsequent zu begrenzen. Mit dem Risiko-Chancen-Kalkül (Schierenbeck 2001) soll sichergestellt werden, dass nur solche Risiken übernommen werden, die sich aus Unternehmenssicht lohnen. Im Konzept der Wertorientierung bedeutet dies, dass die sich aus der Risikoübernahme ergebenden Eigenkapitalkosten in den risikobehafteten Geschäftsbereichen mindestens verdient, besser noch durch Ergebnisse in entsprechender Höhe übertroffen werden. Danach gilt (Schierenbeck 2001): Nettoergebnis bzw. Reingewinn t risikoadjustierte Eigenkapitalkosten bzw. Nettoergebnis bzw. Reingewinn – risikoadjustierte Eigenkapitalkosten t 0 Zur Operationalisierung dieser Kalküle müssen Risiken sämtlicher Geschäftsbereiche gemessen werden. Entsprechende Verfahren wurden bereits entwickelt (Lister 2005). Auf die Übertragung auf Dienstleistungsunternehmen wird an dieser Stelle mangels verfügbaren Datenmaterials verzichtet. Statt dessen werden mit dem Operating Leverage und dem Financial Leverage zwei Hebeleffekte in den Fokus der Risikoanalyse gestellt. Diese Hebeleffekte werden beispielhaft für Dienstleistungsunternehmen analysiert. Zudem wird versucht, aus dieser Analyse Handlungsempfehlungen für Dienstleister abzuleiten.
4.2 Risikoanalyse am Beispiel des Operating Leverage Als Operating Leverage bzw. Fixkosten-Leverage wird das Verhältnis der gesamten variablen Kosten zu den Fixkosten bezeichnet (Heidorn 1985). Die Höhe der gesamten variablen Kosten ist abhängig von der Ausbringungsmenge M und den variablen Stückkosten. Mit variierender Ausbringungsmenge schwankt auch der Operating Leverage, sofern die Mengenänderungen nicht durch Preisänderungen der variablen Stückkosten kompensiert werden. Die DBU-Quote (Schierenbeck 2003) gibt an, um wie viel sich der Gewinn im Falle von Umsatzschwankungen verändert. Die DBU-Quote kann deshalb auch als Grenzumsatzrendite interpretiert werden. Unterstellt man konstante Preise, ergibt sich folgender Zusammenhang:
344
Michael Lister
DBU
mit:
M u p M u kv Mup
1
p kv p
kv p
DBU = Deckungsbeitrag des Umsatz; M = Absatzmenge (Quelle: Lister 2005)
Danach ist die DBU-Quote bei gegebenem Stückpreis umso höher, je niedriger die variablen Stückkosten sind. Gleichzeitig ist bei gegebenem Kostenvolumen K und gegebener Absatzmenge M der Fixkostenanteil und damit auch die Fixkostenbelastung des Umsatzes umso höher, je niedriger die variablen Stückkosten sind. Dies bedeutet, dass ein Unternehmen mit wachsenden Absatzzahlen, dem es bei konstantem Kostenvolumen gelingt, mit niedrigerem Operating Leverage zu wirtschaften, relativ mehr Gewinn aus dem Wachstumspotenzial generiert, als ein Unternehmen mit höherem Operating Leverage. Umgekehrt führen dementsprechend Absatzeinbußen für ein solches Unternehmen zu höheren Verlusten. Ein solches Unternehmen ist somit einem höheren Risiko ausgesetzt. Diese Zusammenhänge sollen anhand der Volatilität der Wachstumsrate im Handel in Höhe von 4,0 Prozent für die Jahre 1971 bis 2000 (vgl. Abbildung 11) gezeigt werden.
20,00%
15,00%
10,00%
5,00%
0,00% 1972
1974
1976
1978
1980
1982
1984
1986
1988
1990
1992
1994
-5,00%
-10,00% Handel
alle Unternehmenl
Abbildung 11: Entwicklung des Umsatzwachstums für Deutschland in den Jahren 1971 bis 2000 (Quelle: Bundesbank 2000, eigene Darstellung)
1996
1998
2000
Value Controlling in Dienstleistungsunternehmen
345
Für zwei verschiedene Fälle werden hierzu folgende Annahmen getroffen: Absatzmenge
1000 Stück
Kf (Fall 1/Fall 2)
80.000 GE/20.000 GE
kv (Fall 1/Fall 2)
20 GE/80 GE
p
120 GE
Zur Verknüpfung mit dem Risiko wird unterstellt, dass die Absatzmenge um r 4,0 Prozent schwankt. Alle übrigen Parameter werden aus Vereinfachungsgründen konstant gehalten. Zur Berechnung des Risikos wird die Schwankung des Gewinns gemessen. Der Gewinn schwankt somit (um Absatzmengenschwankung x Absatzmenge x Deckungsbeitrag) für den Fall 1 um 4.000 GE (0,04 x 1000 x 100) und für den Fall 2 um 1.600 GE (0,04 x 1000 x 40). M= 960
1000
1040
¨M(-4,5 %)=-45
¨M=0
¨M (+4,5 %)=+45
kv Fall 1
20
DBU
83,3%
FKU
69,4%
66,7%
64,1%
UR
13,9%
16,7%
19,2%
kv Fall 2
80
DBU
33,3%
FKU
17,4%
16,7%
16,0%
UR
16,0%
16,7%
17,3%
Abbildung 12: Beispiel zur Veränderung des Fixkostenanteils (Quelle: Lister 2005) mit: M = Absatzmenge; kv = variable Kosten; DBU = Deckungsbeitrag des Umsatz; FKU=Fixkosten des Umsatz; UR = Umsatzrentabilität; Kf = Fixkosten; p = Preis Leider lassen sich aus den verfügbaren Datenquellen keine konkreten Aussagen über die Höhe des Operating Leverage für Dienstleister generieren. Zudem ist anzunehmen, dass die Heterogenität der Dienstleistungsunternehmen zu erheblichen Unterschieden führen wird. Deshalb werden im Folgenden lediglich richtungsweisende Aussagen getroffen. So
346
Michael Lister
ist eine hohe DBU-Quote im Falle wachsender Absatzmengen wünschenswert. Betrachtet man das Wachstumspotenzial im Dienstleistungsbereich, so zeigt die Luftfahrtbranche mit 23,3 Prozent bzw. 13,1 Prozent Umsatzwachstum in den Jahren 2003 bzw. 2004 das größte Potenzial in der Dienstleistungsbranche auf (vgl. Statistisches Bundesamt 2005). Ein hoher Operating Leverage wäre zur Ausnutzung von Chancen diesbezüglich wünschenswert. Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass bei Umsatz- bzw. Absatzeinbußen für Unternehmen mit niedrigem Operating Leverage die Gewinneinbrüche relativ stärker ausfallen, als bei solchen mit hohem Operating Leverage. Im Dienstleistungsbereich haben deutsche Unternehmen der Datenverarbeitung und Datenbanken im Jahr 2004 den größten Rückgang in der Dienstleistungsbranche in Höhe von 2,1 Prozent erfahren. Ein niedrigerer Operating Leverage würde dem zu Folge zu niedrigeren Umsatzrentabilitätseinbußen führen.
4.3 Risikoanalyse am Beispiel des Financial Leverage Kapitalstrukturrisiken bestehen in der Gefahr nachteiliger Veränderungen der Kapitalstruktur. Die Veränderungen können zu einer Erhöhung des mit dem Unternehmen verbundenen Risikos führen, so dass die Eigenkapitalkosten steigen. Gemäß Leverage-Effekt gilt folgender Zusammenhang:
EKR GKR ( GKR FKZ ) uV
mit:
EKR = Eigenkapitalrendite; GKR = Gesamtkapitalrendite; FKZ = Fremdkapitalzins; V = Verschuldung
Betrachtet man die Kapitalstrukturrisiken des Handels, so stellt man fest, dass der Verschuldungsgrad stetig gestiegen ist. Dadurch ist es dem Handel trotz fallender Gesamtkapitalrentabilität in den letzten 30 Jahren gelungen, die Eigenkapitalrentabilität auf relativ konstantem Niveau von durchschnittlich 35,27 Prozent bei einer Volatilität von 4,31 Prozent zu halten. Der Leverage-Effekt erklärt, dass mit steigender Fremdfinanzierung die Eigenkapitalrentabilität zunimmt (abnimmt), wenn die Gesamtkapitalrentabilität größer (kleiner) als der Fremdkapitalzins ist. Abbildung 13 soll zeigen, welche Risikoeffekte durch die Entwicklung des Verschuldungsgrades von ca. drei am Anfang der 1970er Jahre bis ca. neun zu Beginn des neuen Jahrtausends für den Handel aufgetreten sind. Der mittlere Fremdkapitalzins beträgt ca. 5 Prozent und die mittlere Gesamtkapitalrentabilität beträgt ca. acht Prozent in dem Betrachtungszeitraum. Betrachtet werden nun die Folgen eines
Value Controlling in Dienstleistungsunternehmen
347
Rückgangs (Zuwachs) der Gesamtkapitalrentabilität um 5 Prozent bei einem Verschuldungsgrad von drei bzw. von neun. V = 3;FKZ = 5%
V = 9; FKZ = 5%
Unteres Extrem
Mittelwert
Oberes Extrem
Unteres Extrem
Mittelwert
Oberes Extrem
GKR
+3%
+8%
+13%
+3%
+8%
+13%
EKR
-3%
+17%
+37%
-15%
+35%
+85%
Schwankung
Abbildung 13: Streuung der Eigenkapitalrentabilität in Abhängigkeit vom Verschuldungsgrad (Quelle: in Anlehnung an Schierenbeck 2000) mit: V = Verschuldungsgrad; FKZ = Fremdkapitalzins; GKR = Gesamtkapitalrendite; EKR = Eigenkapitalrendite
5.
Fazit
Generell werden sich die Steuerungskonzeptionen für Dienstleistungsunternehmen von allgemeinen Steuerungskonzeptionen nicht wesentlich unterscheiden. Zur Verknüpfung mit den Ideen des Wertmanagements ist es erforderlich, Soll- und Ist-Eigenkapitalrentabilitäten aufeinander abzustimmen. Die Soll-Eigenkapitalrentabilität lässt sich kapitalmarktorientiert bestimmen, aus dem finanzstrukturellen Gewinnbedarf ableiten oder im Rahmen von Best-Practice-Standards definieren. Die Analyse der Ist-Eigenkapitalrentabilität mit Hilfe des ROI-Schemas verdeutlicht, dass die Eigenkapitalrentabilität im Handel als Beispiel für Dienstleistungsunternehmen aufgrund abweichender Werte für einzelne Treiber über dem Bundesdurchschnitt aller Unternehmen liegt. Demzufolge dürfte es zumindest 2000 dem Durchschnitt aller Handelsunternehmen im Sinne des EVA-Konzeptes gelungen sein, in geringem Umfang Unternehmenswerte zu generieren. Wertmanagement erfordert aber auch die Auseinandersetzung mit dem Risiko. Im Rahmen des Risikotragfähigkeitskalküls müssen Risiken gemessen und durch Eigenmittel gedeckt werden. Im Sinne des Risiko-Chancen-Kalküls ist sicherzustellen, dass aus der Risikoübernahme Erträge in entsprechender Höhe generiert werden. Im Rahmen der Risikoanalyse zeigt sich, dass die Erhöhung von Kosten- und Finanzhebel größere Chancen, aber auch größere Risiken mit sich bringen wird. Allerdings hätten Handelsunternehmen als beispielhafte Dienstleister in den vergangenen Jahren von den Entwicklungen tendenziell profitieren können.
348
Michael Lister
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(Zugriff:
Implementierung des Kundenwertmanagements
351
Manfred Bruhn, Karsten Hadwich und Dominik Georgi
Implementierung des Kundenwertmanagements – Modellierung und Anwendungsbeispiel
1. Implementierungsproblematik des Kundenwertmanagements 2. Entwicklung eines Implementierungsmodells des Kundenwertmanagements 2.1 Planungsprozess des Kundenwertmanagements als Bezugrahmen 2.2 Spezifizierung eines Implementierungsmodells auf Basis von Expertengesprächen 2.3 Überprüfung des Implementierungsmodells im Rahmen einer Unternehmensbefragung 3. Anwendung des Implementierungsmodells am Beispiel eines Versicherungsunternehmens 3.1 Prüfung des Entwicklungsstandes des Kundenwertmanagements 3.2 Ableitung von Veränderungsmaßnahmen für das Kundenwertmanagement 4. Zusammenfassung und Ausblick Literatur
Prof. Dr. Manfred Bruhn ist Ordinarius für Betriebswirtschaftlehre, insbesondere Marketing und Unternehmensführung am Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrum (WWZ) der Universität Basel. Dr. Karsten Hadwich und Dr. Dominik Georgi sind Habilitanden am dortigen Lehrstuhl.
Implementierung des Kundenwertmanagements
1.
353
Implementierungsproblematik des Kundenwertmanagements
Im letzten Jahrzehnt haben verschiedene unternehmensinterne und -externe Entwicklungen zu einer hohen Relevanz des Kundenwertmanagements geführt. Unter Kundenwertmanagement wird die Analyse, Planung, Steuerung und Kontrolle sämtlicher Aktivitäten verstanden, die mit dem Ziel einer Steigerung des Kundenwertes eingesetzt werden. Kundenwert ist in diesem Zusammenhang definiert als der Wert, der von den Kundenbeziehungen eines Unternehmens generiert wird (Blattberg/Deighton 1996; Dwyer 1997; Hoekstra/Huizingh 1999). Die Marketingaktivitäten vieler Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren deutlich gewandelt. Stand früher noch die Akquisition neuer Kunden an erster Stelle von marketingpolitischen Überlegungen, so rückt seit längerer Zeit die Kundenbindung in deren Zentrum (Grönroos 1994; Diller 1995; Bruhn 2003; Bruhn/Georgi 2005). Der Auslöser dieser Entwicklung ist die Erkenntnis, dass sich durch eine systematische Pflege der Kundenbeziehungen der unternehmerische Erfolg – in Form von höheren Wiederkaufraten, Weiterempfehlungen, Cross Selling oder einer geringeren Preissensibilität – steigern lässt. Die diesbezüglich viel zitierte Studie von Reichheld und Sasser (1990) kommt zu dem Ergebnis, dass sich in einigen Branchen z.B. mit einer Steigerung der Kundenbindung um fünf Prozent eine Verdoppelung des Unternehmensgewinns erzielen lässt. Eine zunehmende Beziehungsdauer geht demzufolge mit einer höheren Profitabilität einher. Aufbauend auf diesen Überlegungen wird postuliert, dass ein an ökonomischen Zielen ausgerichtetes Kundenmanagement eine monetäre Bewertung von Beziehungsinvestitionen des Anbieters voraussetzt. Das Ziel des Kundenwertmanagements ist der differenzierte Einsatz von Marketingaktivitäten, d.h., dass beispielsweise Beziehungen ausschließlich zu besonders profitablen Kunden stabilisiert und ausgebaut werden (Eggert 2003, S. 45). Der Wert eines Kunden für den Anbieter stellt damit eine zentrale Steuerungsgröße dar. Die Ziele eines Kundenwertmanagements zeigt exemplarisch Schaubild 1. Demzufolge sind die Aktivitäten des Kundenwertmanagements (z.B. Kundenbindungsmaßnahmen) in der Art zu gestalten, dass deren Wirkungen zu einer Steigerung des anbieterseitigen Kundenwerts führen.
Kundenwertmanagement
Kundenzufriedenheit
Kundenbindung
Schaubild 1: Erfolgskette des Kundenwertmanagements
Kundenwert
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Manfred Bruhn, Karsten Hadwich und Dominik Georgi
Der Großteil der entsprechenden Literatur ist analytischer und teilweise operativer Art, vor allem werden zahlreiche unterschiedliche Modelle zur Bestimmung des Customer Lifetime Value (CLV) diskutiert. Jedoch ist die Praktikabilität dieser Modelle bezüglich der Messbarkeit der Kundenwertelemente sowie der systematische, Nutzung der Ergebnisse durch das Kundenwertmanagement nur in Ansätzen aufgezeigt. Diese Feststellung geht einher mit Kommentaren aus der Unternehmenspraxis in der Hinsicht, dass die Modelle und Ansätze aus der Marketingwissenschaft an den Bedürfnissen der Unternehmen vorbei entwickelt werden – obgleich Messung und Management des Kundenwertes durchaus als wichtige Themen angesehen werden. Ein Grund hierfür ist darin zu sehen, dass kaum Arbeiten existieren, die ein strategisches und implementierungsorientiertes Konzept des Kundenwertmanagements präsentieren (z.B. Blattberg/Getz/Thomas 2001; Payne/Holt/Frow 2001; Rust/Lemon/Zeithaml 2000). Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel dieses Beitrags, ein Implementierungsmodell des Kundenwertmanagements zu entwickeln. Hierzu wird auf Basis des klassischen Managementprozesses ein Bezugsrahmen des Kundenwertmanagements entworfen, der als Grundlage für eine qualitative Studie mit ausgewählten Unternehmen dient. Die qualitative Studie dient der Entwicklung eines Implementierungsmodells des Kundenwertmanagements, das auf Basis einer quantitativen Unternehmensbefragung nochmals überprüft wird. Schließlich wird die Anwendung des Implementierungsmodells an einem konkreten Unternehmensbeispiel aufgezeigt.
2.
Entwicklung eines Implementierungsmodells des Kundenwertmanagements
2.1 Planungsprozess des Kundenwertmanagements als Bezugsrahmen Auf Basis des traditionellen Managementansatzes lässt sich ein idealtypischer Prozess des Kundenwertmanagements definieren, der für jede Branche und jedes Unternehmen entsprechend anzupassen ist. Dieser Prozess umfasst fünf Phasen (Schaubild 2): (1) Kundenwertanalyse: In der Analysephase werden der Kundenwert selbst und weitere Aspekte untersucht, die mit diesem in Zusammenhang stehen. Basierend auf diesen Analysen werden Ziele auf der Gesamtkundenebene festgelegt (z.B. Steigerung des Gesamtkundenwertes um X Prozent). (2) Kundenwertsegmentierung: Die Ergebnisse der Kundenwertanalysen werden zur Kundensegmentierung genutzt. Dabei werden Daten eingesetzt, die direkt bei den aktuellen Kunden erhoben werden (z.B. über Transaktionsdatenbanken), und seg-
Implementierung des Kundenwertmanagements
355
mentspezifische Zielsetzungen festgelegt (z.B. Ertragssteigerung in einem bestimmten Segment, Kostenreduzierung in einem anderen Segment). (3) Kundenwertstrategien: Basierend auf der Kundensegmentierung oder direkt auf der Kundenanalyse werden kundenwertorientierte Strategien entwickelt mit dem Ziel, individuelle, segmentbezogene Kundenwerte oder den Gesamtkundenwert zu verbessern. Beispielsweise werden für unterschiedliche Segmente Strategien im Sinne von Kundenportfoliostrategien festgelegt. (4) Kundenwertmaßnahmen: In Abhängigkeit von den gewählten Strategien entwickeln Unternehmen konkrete Maßnahmen, die den Kundenwert als Selektionskriterium verwenden und das Ziel haben, durch einen spezifischen Instrumenteeinsatz den Kundenwert zu erhöhen. (5) Kundenwertcontrolling: Schließlich werden sowohl das Kundenportfolio selbst als auch die Strategien und Maßnahmen dahingehend kontrolliert, ob die gesetzten Ziele erreicht wurden. Dieser Prozess – und vor allem die Reihenfolge der Phasen – ist schematisch und kann nicht als deterministischer Weg zur Durchführung und Umsetzung eines Kundenwertmanagements gesehen werden. In der Praxis bestehen unterschiedliche Herangehensweisen und verschiedene unternehmensspezifische Faktoren bestimmen den Ansatz des Kundenwertmanagements, der für ein bestimmtes Unternehmen geeignet ist. Diese Faktoren sind den Kategorien Unternehmensstruktur, -systeme und -kultur zuzuordnen.
Struktur
Kundenwertanalyse
Systeme
Kundenwertsegmentierung
Kundenwertstrategien
Kultur
Kundenwertmaßnahmen
Kundenwertcontrolling
Schaubild 2: Prozess des Kundenwertmanagements Der aufgezeigte Kundenwertmanagementprozess diente als Bezugsrahmen für eine qualitative Studie, die eine Spezifizierung der Überlegungen zum Kundenwertmanagement zum Ziel hatte.
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2.2 Spezifizierung eines Implementierungsmodells auf Basis von Expertengesprächen Aufgrund der relativen Neuartigkeit der Fragestellung und der bisher geringen Zahl von theoretischen und empirischen Arbeiten zur Implementierung des Kundenwertmanagements wurde zunächst eine qualitative Studie durchgeführt, um das grundsätzliche Verständnis des Phänomens zu verbessern (Bruhn/Georgi 2004). Im Rahmen der qualitativen Studie wurden 15 Tiefeninterviews mit Managern geführt, die im Bereich Kundenwertmanagement tätig sind, um die relevanten Dimensionen des Kundenwertmanagements sowie deren Implementierungstreiber zu identifizieren. Die Probanden waren Dienstleistungsmanager von deutschen und schweizerischen Unternehmen aus sechs Branchen: Flugverkehrsbranche, Bankbranche, Versandhandel, Telekommunikation, Tourismus und Energieversorgung. Die Interviews wurden im September und Oktober 2003 durchgeführt und lehnten sich in ihrer Struktur an den dargestellten Prozess des Kundenwertmanagements an. Die Interviewdauer betrug zwischen 45 und 90 Minuten. Die Fragestellungen waren vor dem Hintergrund des Untersuchungsziels sehr offen gestellt, so dass die Gespräche nicht in eine vorab definierte Richtung gelenkt wurden, sondern die Probanden vor ihrem jeweiligen spezifischen Hintergrund von ihren Erfahrungen berichten konnten. Zusätzlich stellten die meisten Interviewpartner zusätzliche Informationen in Form von unternehmensinternen Dokumenten bereit. Als Ergebnis der qualitativen Studie zeigte sich, dass die fünf Phasen des Kundenwertmanagements zunächst geeignet sind, um die kundenwertspezifischen Maßnahmen der untersuchten Unternehmen grundsätzlich zu erfassen. Darüber hinaus ist jedoch auch festzustellen, dass einige der phasenspezifischen Aktivitäten nicht so unabhängig sind, wie es in dem Planungsprozess idealtypisch unterstellt wird. Dies trifft beispielsweise auf Aktivitäten der Controlling- und Analysephase zu, die oft sehr stark zusammenhängen. Des Weiteren stellte sich heraus, dass die Phasen des Kundenwertmanagements in unterschiedlicher Intensität eingesetzt und umgesetzt werden. Beispielsweise ist oft zu beobachten, dass Unternehmen sich sehr intensiv mit der Kundenwertanalyse auseinandersetzen und deren Erkenntnisse im Rahmen des operativen Marketingmix verwenden. Gleichzeitig wird jedoch weitestgehend auf die Erarbeitung von kundenwertspezifischen Strategien verzichtet. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse wurde eine Konkretisierung des als Bezugsrahmen definierten Planungsprozesses des Kundenwertmanagements in zweierlei Hinsicht vorgenommen. Zum einen wurde die Zahl der Phasen von fünf auf drei Phasen reduziert, um der Abhängigkeit der Aktivitäten im Fünf-Phasen-Modell zu begegnen. Zum anderen wurde die konzeptionelle Betrachtung des Kundenwertmanagements als Planungsprozess, der sich aus einer Reihe von aufeinander folgenden Phasen zusammensetzt, durch eine eher modellorientierten Sichtweise ersetzt, indem die Phasen als Dimensionen des Kundenwertmanagements aufgefasst werden.
Implementierung des Kundenwertmanagements
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Implementierungstreiber des CVM
Dimensionen des CVM
Unternehmensstruktur
Analytisches CVM
Unternehmenssysteme
Strategisches CVM
Unternehmenskultur
Operatives CVM
Schaubild 3: Implementierungsmodell des Kundenwertmanagements Ergebnis der auf Basis der qualitativen Studie vorgenommenen Konkretisierung des Bezugsrahmens ist das in Schaubild 3 dargestellte Implementierungsmodell des Kundenwertmanagements, das die folgenden Größen umfasst: (1) Dimensionen des Kundenwertmanagements Als Dimensionen des Kundenwertmanagements werden das analytische, strategische und operative Kundenwertmanagement unterschieden: Das analytische Kundenwertmanagement betrifft die Messung und Analyse des Kundenwertes sowie die kundenwertbasierte Segmentierung. Dabei ist in der Unternehmenspraxis insbesondere die Analyse der Kundenprofitabilität („Past Value“) zu beobachten; allerdings vor allem in Bezug auf eine Analyse des Kundenumsatzes. Nur wenige Unternehmen untersuchen die Produktkosten, während die Betreuungskosten gar nicht betrachtet werden. Die Ergebnisse der Kundenwertanalyse werden von vielen Unternehmen zur kundenwertbasierten Segmentierung genutzt, indem der Kundenwert zur Einteilung der Kundenbasis in einzelne Kundensegmente herangezogen wird. Die am weitesten verbreitete Methode ist in der kundengruppenorientierten, eindimensionalen Segmentierung zu sehen, während die einzelkundenorientierte, mehrdimensionale Segmentierung von den befragten Unternehmen so gut wie nicht angewendet wird.
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Das strategische Kundenwertmanagement umfasst die Definition und Steuerung von kundenwertorientierten Zielen und Strategien. Bezüglich der Nutzung des Kundenwertes zur Ableitung von Kundenwertstrategien lassen sich zwei grundsätzlich unterschiedliche Ansätze beobachten. Ein minimaler Teil an Unternehmen hat seine Geschäftsplanung am Kundenwert ausgerichtet, indem auf Basis des Kundenwertes, z.B. für einzelne Kundenwertsegmente, spezifische Zielvorgaben und strategische Stoßrichtungen festgelegt werden. Häufiger nehmen Unternehmen eine Ressourcenallokation auf Basis des Kundenwertes vor. Wenn beispielsweise durch einen anderen Bereich die Budgets festgelegt wurden, erfolgt auf einer untergeordneten Ebene die Verteilung eines Budgets auf die Kundenwertsegmente. Eine strategische Ausrichtung des Kundenwertmanagements ist bei den untersuchten Unternehmen nicht weit verbreitet. Schließlich gehören zum operativen Kundenwertmanagement alle konkreten kundenwertbasierten Maßnahmen. Ein Schwerpunkt der Kundenwertmaßnahmen liegt dabei in der Kommunikationspolitik. Beispielsweise wird der Kundenwert beim Routing im Call Center, der Differenzierung von Cross-Selling-Maßnahmen, der Differenzierung der Beschwerdereaktion sowie der Steuerung von Kontaktmaßnahmen eingesetzt. Im Rahmen der Leistungspolitik erfolgt teilweise eine Entwicklung von Leistungsbündeln in Abhängigkeit von der Beziehungsphase als Kundenwertkomponente sowie eine Kundenbevorzugung auf Basis des Kundenwertes. Bei der Preispolitik sind Rabattsysteme in Abhängigkeit des Kundenwertes sowie ein nach dem Kundenwert differenziertes Mahnwesen anzutreffen. Im Rahmen der Vertriebspolitik schließlich wird der Kundenwert zur Differenzierung der Vertriebskanäle sowie zur Differenzierung der Qualifikation der Vertriebsmitarbeiter genutzt. Es sei insbesondere nochmals darauf hingewiesen, dass Aktivitäten der ursprünglich definierten Controllingphase nun teilweise im analytischen, strategischen und operativen Kundenwertmanagement eingeordnet sind. (2) Implementierungstreiber des Kundenwertmanagements Neben den Dimensionen des Kundenwertmanagements, die die mit der Analyse und Steuerung des Kundenwertes verbundenen Aktivitäten beschreiben, wurden im Rahmen der qualitativen Studie auch so genannte Implementierungstreiber des Kundenwertmanagements, d.h. jene unternehmensinternen Voraussetzungen identifiziert, die die konkrete Umsetzung der genannten Aktivitäten determinieren. Es zeigte sich in den Interviews, dass insbesondere struktur-, system- und kulturbezogene Implementierungstreiber zu unterscheiden sind: Im Hinblick auf die Unternehmensstruktur ist die Festlegung der Verantwortung für das Kundenwertmanagement eine wichtige Umsetzungsdeterminante. Die Verantwortung für die Konzeptionierung liegt meist in einer Zentralfunktion, während sich die Umsetzungsverantwortung in der Regel nach der Kundenverantwortung richtet. Ein weiteres zentrales Umsetzungsproblem wird durch die unternehmensinternen
Implementierung des Kundenwertmanagements
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Schnittstellen bestimmt. Im Rahmen der qualitativen Studie wurde festgestellt, dass die Schnittstellenproblematik am geringsten ausfällt, wenn die für die Umsetzung des Kundenwertmanagements verantwortlichen Abteilungen (z.B. Controlling, Sales, Produktmanagement) bereits bei der Konzeption des Kundenwertmanagements eingebunden werden. Darüber hinaus scheint die Kompatibilität von Kundenwert- und Strategieverantwortung entscheidend für den Umsetzungserfolg des Kundenwertmanagements zu sein. Im Bereich der Unternehmenssysteme sind zunächst Datensysteme von Relevanz, da diese eine Ermittlung und Analyse des Kundenwertes grundsätzlich ermöglichen. Wesentliche Probleme zeigen sich hier in der Unternehmenspraxis bei der Zusammenführung von Daten aus verschiedenen Quellen. Neben den Datensystemen sind vor allem auch Steuerungssysteme notwendig, um beispielsweise Kundenkontaktmitarbeitern die notwendigen Kundenwertinformation bereitzustellen. Hierzu sind auch Anreizsysteme zu zählen. Schließlich wird das Kundenwertmanagement durch die Unternehmenskultur beeinflusst. Das Commitment des Topmanagements stellt beispielsweise eine wesentliche Voraussetzung dafür dar, dass Mitarbeitende zur Umsetzung der Kundenwertorientierung beitragen. In der Unternehmenspraxis wird eine mangelnde Kundenwertorientierung im Vertrieb als eine der wichtigsten kulturspezifischen Barrieren der Umsetzung des Kundenwertmanagements gesehen. Das im Rahmen der qualitativen Studie spezifizierte Implementierungsmodell des Kundenwertmanagements ist in einer weiteren Phase durch eine quantitative Untersuchung zu validieren.
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Manfred Bruhn, Karsten Hadwich und Dominik Georgi
2.3 Überprüfung des Implementierungsmodells im Rahmen einer Unternehmensbefragung Ziel der quantitativen Studie war die Entwicklung von Skalen zur Messung der Dimensionen und Implementierungstreiber des Kundenwertmanagements. Hierzu wurden die im Rahmen der qualitativen Interviews von Seiten der Probanden genannten Aspekte als potenzielle Messindikatoren den Dimensionen und Implementierungstreibern des Kundenwertmanagements zugeordnet (Bruhn/Georgi/Hadwich 2006). Die so ermittelten Indikatoren zur Messung der sechs Modellgrößen bildeten die Basis für die Entwicklung eines Fragebogens mit geschlossenen Fragen, der im Rahmen einer schriftlichen Befragung an Manager mit Kundenwertverantwortung in Unternehmen verschiedener Branchen versendet wurde. Der Fragebogen wurde an 327 Manager versendet. Der Rücklauf betrug 45 (auswertbare) Fragebögen. Diese bildeten die Datenbasis für die Entwicklung von Messskalen für die genannten Konstrukte. Dabei wurden für jedes Konstrukt exploratorische und konfirmatorische Faktorenanalysen durchgeführt. Hinsichtlich der Dimensionen des Kundenwertmanagements wurden für das analytische Kundenwertmanagement eine Zwei-Faktor-Struktur, für das strategische Kundenwertmanagement eine Ein-Faktor-Struktur und für das operative Kundenwertmanagement eine Zwei-Faktor-Struktur ermittelt (Schaubild 4): Das analytische Kundenwertmanagement beinhaltet die Kundenwertanalyse auf Einzelkundenebene, d.h. die Ermittlung von Gewinnen, Kosten und Profitabilität auf Einzelkundenebene, sowie die kundenwertbasierte Kundensegmentierung, d.h. die Bildung, Beschreibung und Beurteilung von Kundensegmenten anhand des Kundenwertes. Die Dimension des strategischen Kundenwertmanagements umfasst beispielsweise die Definition von Kundenwertzielen für Kundensegmente und die Entwicklung von Strategien zur Steigerung des Kundenwertes. Schließlich wurden für das operative Kundenwertmanagement zwei Faktoren identifiziert. Ein Faktor reflektiert den Einsatz des Kundenwertes im Rahmen der beziehungsspezifischen Maßnahmen der Kundenakquisition, -bindung und -rückgewinnung. Der zweite Faktor gibt die kundenwertbasierte operative Planung von Maßnahmen des klassischen Marketingmix (5 Ps: Product, Price, Promotion, Place, Personnel) wieder.
Implementierung des Kundenwertmanagements
G1
Bildung von Kundenwertsegmenten
G2
Beschreibung von Segmenten hinsichtlich des Kundenwertes
G3
Beurteilung von Segmenten anhand des Kundenwertes
G4
Ermittlung von Gewninnen auf Einzelkundenebene
G5
Ermittlung von Kosten auf Einzelkundenebene
G6
Ermittlung der Profitabilität auf Einzelkundenebene
G1
Definition von Kundenwertzielen für Kundensegmente
G2
Entwicklung von Strategien zur Steigerung des Kundenwertes
O12
G3
Ressourcenallokation auf Basis des Kundenwertes
O13
G4
Analyse der Wirkung von Entscheidungen auf Kundenwert
G1
Kundenakquisition auf Basis des Kundenwertes
G2
Kundenbindung auf Basis des Kundenwertes
G3
Cross Selling auf Basis des Kundenwertes
G4
Kundenrückgewinnung auf Basis des Kundenwertes
G5
Kundenwertbasierte Kommunikationsmaßnahmen
G6
Kundenwert zur Profitabilitätskontrolle v. Marketingaktivitäten
G7
Kundenwertbasierte Differenzierung v. Marketingaktivitäten
G8
Spezifische Maßnahmen für Kundenwertsegmente
G9
Kundenwertorientierte Anreizsysteme im Vertrieb
361
O11 O13
Kundenwertsegmentierung
O21 O22 O23
Einzelkundenanalyse
Strategisches Kundenwertmanagement
O14
Strategisches Kundenwertmanagement
O11
Analytisches Kundenwertmanagement
O12
O11 O12 O13
KW-orientierte Lebenzyklusmaßnahmen
O21 O22 O23
Kundenwertorientienter Marketingmix
O24 O25
Schaubild 4: Faktorstruktur der Dimensionen des Kundenwertmanagements
Operatives Kundenwertmanagement
O14
362
Manfred Bruhn, Karsten Hadwich und Dominik Georgi
Schaubild 5 zeigt die Ergebnisse der konfirmatorischen Faktorenanalysen der Dimensionen des Kundenwertmanagement. Bei allen Faktoren liegt Cronbach’s D über dem Mindestmaß von 0,7. Die Varianzerklärung übersteigt stets die mindestens erforderlichen 60 Prozent. Auch die Fitindizes werden bei alle Faktoren erfüllt.
Implementierungstreiber des KWM
Dimensionen des Kundenwertmanagements
Konstrukt
Faktor
Analytisches KWM
Kundenwertsegmentierung Einzelkundenanalyse
Strategisches KWM
Stregisches KWM
Operatives KWM
Strukturen Systeme
Kultur
Kundenwertorientierte Lebenszyklusmaßnahmen Kundenwertorientierter Marketingmix Kundenwertorganisation Kundenwertsysteme Kundenwertkompetenz Kundenwertcommitment
Itemzahl
D
Varianzerklärung
FR
AVE
3
0.859
78.1%
0.845
0.648
3
0.784
70.2%
0.809
0.599
4
0.840
63.2%
0.807
0.513
4
0.899
77.1%
0.898
0.687
F2/df
GFI
AGFI
1.281
0.934
0.827
1.592
0.972
0.859
1.090
0.881
0.709
5
0.840
61.9%
0.840
0.513
3
0.749
67.1%
–*
–*
–*
–*
–*
4
0.785
61.1%
0.788
0.485
2.792
0.952
0.760
3
0.763
67.3%
0.737
0.504 1.595
0.946
0.798
2
0.732
79.0%
0.734
0.581
* Konfirmatorische Faktorenanalysen sind mit weniger als 4 Items nicht möglich. D = Cronbach’s D; AVE = Average Variance Extracted Estimate; AGFI = Adjusted Goodness-of-FitIndex; GFI = Goodness-of-Fit-Index; FR = Faktorreliabilität
Schaubild 5: Ergebnisse der konfirmatorischen Faktoranalysen Hinsichtlich der Implementierungstreiber des Kundenwertmanagements wurden für die Kundenwertorganisation und die Kundenwertsysteme jeweils eine Ein-Faktor-Struktur und für die Kundenwertkultur eine Zwei-Faktor-Struktur identifiziert. Die Gütemaße werden bei allen Faktoren gut erfüllt. Als Indikatoren der Kundenwertorganisation ergeben sich die Klarheit der Regelung der Verantwortung für den Kundenwert und das Kundenwertmanagement im Unternehmen, die Repräsentanz des Kundenwertmanagements in Form der Mitarbeiterzahl sowie der institutionalisierten Formen eines abteilungsübergreifenden Kundenwertmanagements (z.B. abteilungsübergreifende Kundenwert-Teams). Messindikatoren der Kundenwertsysteme sind die Qualität der Datenquellen und das Vorhandensein von kundenwertbasierten Kundeninformationssystemen,
Implementierung des Kundenwertmanagements
363
Anreizsystemen sowie Vertriebsystemen. Die Kundenwertkultur lässt sich anhand von zwei Faktoren messen: Die Kundenwertkompetenz, die sich z.B. in kundenwertorientierten Maßnahmen der internen Kommunikation und Mitarbeiterschulung äußert, und das Kundenwertcommitment, das durch das Commitment des Topmanagements und des Vertriebs wiedergeben wird. Zusammenfassend wurde im Rahmen der qualitativen und quantitativen Studie ein Modell des Kundenwertmanagements entwickelt, das mit den Dimensionen des Kundenwertmanagement die Erfolgsgrößen und den Implementierungstreibern die unternehmensinternen Erfolgsvoraussetzungen misst. Das Modell bietet mit seinen Messskalen eine geeignete Basis, um eine unternehmensspezifische Überprüfung des Entwicklungsstandes des Kundenwertmanagements vorzunehmen und gezielt Maßnahmen zu dessen Verbesserung abzuleiten. Im Folgenden soll dies an einem Fallbeispiel aufgezeigt werden.
3.
Anwendung des Implementierungsmodells am Beispiel eines Versicherungsunternehmens
3.1 Prüfung des Entwicklungsstandes des Kundenwertmanagements Auf Basis der im Abschnitt 2 identifizierten Messskalen wurde bei einer Krankenversicherung eine Stärken-Schwächen-Analyse des aktuellen Kundenwertmanagements durchgeführt. Die Messindikatoren dienten dabei als Gesprächstruktur für drei Expertengespräche, in denen eine Bestandsaufnahme und Bewertung des diesbezüglichen Entwicklungstandes erfolgt. Das aggregierte Ergebnis der Auswertung dieser Expertengespräche in Bezug auf die Dimensionen des Kundenwertmanagements zeigt Schaubild 6. Demnach wird der aktuelle Stand des analytischen Kundenwertmanagements als befriedigend bis gut bewertet. Die Messung des Kundenwertes basiert auf einem wohl fundierten Konzept, mit dem monatlich der zukünftig erwartete, kundenindividuelle Kundendeckungsbeitrag ermittelt wird. Auch eine kundenwertorientierte Segmentierung wird durchgeführt, jedoch nicht unternehmensweit eingesetzt. Hinsichtlich des strategischen Kundenwertmanagements sind große Defizite identifiziert worden. Zwar werden kundenwertorientierte Ziele definiert und für die einzelnen Kundenwertsegmente spezifiziert, jedoch fehlen daraus abgeleitete Kundenwertstrategien. Darüber hinaus hat das Kundenwertmanagement in dem Unternehmen keinerlei Einfluss auf eine kundenwertbasierte Budgetzuteilung.
364
Manfred Bruhn, Karsten Hadwich und Dominik Georgi
Auch im operativen Kundenwertmanagement wurden im Rahmen der Evaluation Schwachstellen erkennbar. Der Kundenwert fließt als Entscheidungsgrundlage bereits bei einigen Aktivitäten mit ein. Hier werden jedoch immer noch deutlich größere Einsatzpotenziale gesehen.
1
Analytisches Kundenwertmanagement Strategisches Kundenwertmanagement Operatives Kundenwertmanagement
2
3
4
5
6
7
8
9
10
• Kundenwert (Einzel, Familie, Kollektiv) • Kundenwertsegmentierung
• Nur Ziele, keine Strategie
• • • •
Produktanpassungen Rückgewinnungslisten Vertriebssteuerung Wenige Maßnahmen
Schaubild 6: Ergebnis der Überprüfung des Entwicklungsstandes des Kundenwertmanagements Die Analyse der Implementierungstreiber des Kundenwertmanagements zeigt, dass eine Anpassung der Strukturen, Systeme und Kultur nur in sehr geringem Maße erfolgt ist. Während bei den kundenwertbezogenen Systemen eher wenige Schwachstellen vorhanden sind, liegen wesentliche Defizite im strukturellen und kulturellen Bereich vor. So wurden notwendige organisatorische Veränderungen nicht umgesetzt. Ein bereichsübergreifendes und konsequentes Kundenwertmanagement ist deshalb nicht möglich. Als besonders gravierend wird bezeichnet, dass eine kundenwertbezogene Kultur bisher kaum ausgeprägt ist. Dies betrifft die Akzeptanz der Kundenwertsegmente bei den Mitarbeitern sowie des Kundenwerts im Topmanagement. Insgesamt zeigte sich im Rahmen der Bestandsaufnahme und Bewertung des Entwicklungstandes am Beispiel der Krankenversicherung, dass das Implementierungsmodell des Kundenwertmanagements eine systematische und differenzierte Analyse des aktuellen Kundenwertmanagements eines Unternehmens ermöglicht. Dabei lässt sich das Messkonzept zum einen als Leitfaden für qualitative Expertengespräche im Unternehmen als auch zur quantitativen Beurteilung der Dimensionen und Implementierungstreiber des Kundenwertmanagements einsetzen. Im Folgenden wird aufgezeigt, welche Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung des Kundenwertmanagements sich bei dem vorliegenden Fall ergaben.
Implementierung des Kundenwertmanagements
365
3.2 Abgeleitete Veränderungsmaßnahmen für das Kundenwertmanagement Auf Basis der Bestandsaufnahme zum Entwicklungsstand des Kundenwertmanagement ließen sich zahlreiche Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung des Kundenwertmanagements in dem betreffenden Unternehmen ableiten. Dabei ergaben sich wesentliche Anstöße durch die Experteninterviews selbst. Darüber hinaus wurde all jenen Aspekten besondere Aufmerksamkeit gewidmet, die im Rahmen der Evaluation sehr schlecht abschnitten. Als zentrale Ansatzpunkte zur Verbesserung des Kundenwertmanagements wurden die folgenden Maßnahmen identifiziert: Steigerung der Verpflichtung des Topmanagements gegenüber dem Kundenwertmanagement: Die Akzeptanz des Kundewertmanagements auf der Geschäftsführungsebene und das aktive Einfordern der Umsetzung des Kundenwertmanagements bei Mitarbeitern durch das Topmanagement werden als zentrale Treiber einer erfolgreichen Implementierung gesehen. Entwicklung von kundenwertorientierten Strategien: Zur systematischeren Umsetzung der Kundenwertziele wird die Forderung nach der Erarbeitung von Kundenwertstrategien gefordert. Dies wird im Wesentlichen als eine Aufgabe der Geschäftsführung gesehen. Dabei sind insbesondere auch Normstrategien zu erarbeiten, die für die Mitarbeitenden als Basisleitplanken der Kundenbearbeitung dienen. Optimierung der Kundenwertberechnung: Trotz der relativ guten Bewertung des analytischen Kundenwertmanagements wurden auch Verbesserungspotenziale im Hinblick auf die Ermittlung des Kundenwertes gesehen und folglich konkrete Vorschläge gemacht. Diese fokussieren insbesondere auf eine bessere Erfassung von Potenzialgrößen. Identifikation von operativen Instrumenten zur Steigerung des Kundenwertes: Die Bestandsaufnahme hat gezeigt, dass die instrumentellen Möglichkeiten des Kundenwertmanagements nicht annähernd ausgeschöpft wurden. Bei der Prüfung möglicher Instrumente zeigen sich die größten Potenziale in der Entwicklung spezifischer Produktpaletten für die Neukundenakquisition, in der besseren Nutzung der aktiven Kontaktsteuerung zur weiteren Potenzialausschöpfung. Strukturelle Anpassungsmaßnahmen im Rahmen des Kundenwertmanagements: Diesbezüglich wird eine stärkere Koordination der abteilungsübergreifenden Kundenwertmanagementprozesse gefordert. Hierzu wird ein übergreifendes Fachgremium vorgeschlagen, das eine Abstimmung und Priorisierung der Aktivitäten im Kundenwertmanagement vornimmt. Die Ansatzpunkte, die hier aus Gründen der Vertraulichkeit der Studie nur oberflächlich dargestellt werden konnten, zeigen beispielhaft auf, in welcher Weise sich die Studienergebnisse zur Verbesserung des Kundenwertmanagements nutzen lassen.
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4.
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Zusammenfassung und Ausblick
Die vorgestellten Ergebnisse der qualitativen und quantitativen Studie zum Kundenwertmanagement lassen Schlussfolgerungen für die Marketingforschung und die Unternehmenspraxis zu. Für die Marketingwissenschaft konnte aufgezeigt werden, dass eine stärkere Auseinandersetzung mit implementierungsorientierten Konzepten eines Kundenwertmanagements notwendig ist. Dabei können die aufgezeigten Praxisprobleme als Anhaltspunkte für zukünftigen Forschungsbedarf dienen. Insgesamt sind nicht nur Methoden zur Kundenwertermittlung, sondern auch strategische und operative Konzepte stärker an den Anforderungen einer praktischen Umsetzung zu orientieren. Hierzu gehören z.B. die Fragestellung der Kundenwertsegmentierung bei bereits bestehenden Kundensegmenten oder die Entwicklung von kundenwertorientierten Kontrollsystemen. Neben analytischmethodischen und strategisch-konzeptionellen sind insbesondere organisationsbezogene Fragestellungen stärker zu gewichten. Dahingehend scheint z.B. eine Diskussion der Ausgestaltung der kundenwertorientierten Unternehmensstrukturen, -systeme und -kultur unter Berücksichtigung situativer Rahmenbedingungen von hoher Relevanz. Für die Unternehmenspraxis zeigt das dargestellte Implementierungsmodell einen Ansatz zur systematischen Überprüfung des Stands des Kundenwertmanagements auf, der vor allem die Identifikation von Implementierungsdefiziten ermöglicht. Zu den zentralen Determinanten einer erfolgreichen Umsetzung des Kundenwertmanagements zählen neben der Schaffung einer geeigneten Datengrundlage die Kundenwertsegmentierung sowie die strategische Verankerung des Kundenwertmanagements. Auch der operative Einsatz von Kundenwertmaßnahmen im Rahmen der Kundenakquisition ist stark ausbaufähig. Die vorgestellte Studie liefert Ansatzpunkte für eine systematische Auseinandersetzung mit dem Kundenwertmanagement. Aufgrund der hohen Bedeutung des Kundenwertes in vielen Branchen auf der einen Seite und den zahlreichen Implementierungsproblemen auf der anderen Seite wird damit die Grundlage für eine intensivere Auseinandersetzung nicht nur mit der Gestaltung, sondern vor allem mit der Implementierung des Kundenwertmanagements geliefert.
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Manfred Bruhn, Karsten Hadwich und Dominik Georgi
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Kundenorientiertes Kostenmanagement bei beteiligungsintensiven Dienstleistungen 369
Marion Büttgen
Kundenorientiertes Kostenmanagement bei beteiligungsintensiven Dienstleistungen
1. Einleitung 2. Kennzeichnung beteiligungsintensiver Dienstleistungen 3. Kostenwirkungen der Kundenbeteiligung 3.1 Anbieterseitige Kostenwirkungen 3.2 Nachfragerseitige Kostenwirkungen 3.3 Prozessbezogene Betrachtung der Kostenwirkungen 4. Einsatz des Target Costing zur kundengerechten Kosten- und Leistungsgestaltung 4.1 Grundlegende Vorgehensweise im Rahmen des Target Costing 4.2 Anpassungsbedarf und Gestaltungsempfehlungen für das Target Costing bei beteiligungsintensiven Dienstleistungen 4.2.1 Besonderheiten der Zielkostenermittlung 4.2.2 Besonderheiten der Standardkostenbestimmung 4.2.3 Ansätze zur Zielkostenerreichung 5. Fazit Literatur
Dr. Marion Büttgen ist Habilitandin am Seminar für Marketing und Marktforschung der Universität zu Köln.
Kundenorientiertes Kostenmanagement bei beteiligungsintensiven Dienstleistungen 371
1.
Einleitung
Lange Zeit wurden die Besonderheiten von Dienstleistungen bei der Gestaltung von Kostenrechnungssystemen vernachlässigt. Erst seit Anfang des letzten Jahrzehnts findet im wissenschaftlichen Bereich eine verstärkte Auseinandersetzung mit dieser Problematik statt. Inzwischen hat man erkannt, dass traditionelle, industriell geprägte Kostenrechnungssysteme in diesem Anwendungskontext wenig geeignet sind (Männel/Estorff 1987; Reckenfelderbäumer 1995; Niemand 1996; Paul 1998; Fischer 2000). Sie werden den dort vorliegenden Besonderheiten der Beteiligung externer Faktoren, der Immaterialität sowie der häufigen Individualität der erstellten Leistungen nur sehr unzureichend gerecht und stellen keine fundierte Entscheidungshilfe für ein marktorientiertes Dienstleistungsmanagement dar. Trotz dieser Erkenntnis sind traditionelle Kostenrechnungssysteme wie die klassische Vollkostenrechnung (mit 46,55 %) und die Deckungsbeitragsrechnung (mit 36,83 %) in der Dienstleistungspraxis derzeit noch immer am weitesten verbreitet, wie eine aktuelle Studie deutscher Großunternehmen (CDAX-gelistete Aktiengesellschaften) belegt (Gerling et al. 2004). Zwar ist bei der ergänzenden Frage, welches Kostenrechnungssystem nach Meinung der Befragten am besten auf die Problematik in ihrem jeweiligen Unternehmen anzuwenden sei, eine gewisse Tendenz zu neueren Entwicklungen wie der Prozesskostenrechnung und dem Target Costing zu verzeichnen, doch ist auch bei den favorisierten Systemen noch eine deutliche Dominanz etablierter Ansätze, insbesondere der Deckungsbeitragsrechnung (mit über 45 %), zu erkennen. Dies steht in deutlichem Kontrast zur herrschenden Meinung in der Wissenschaft, die neuere Ansätze wie das Target Costing in Verbindung mit der Prozesskostenrechnung für Dienstleistungsunternehmen als geeigneter ansieht und diese gerade für das strategische Kostenmanagement zur Anwendung empfiehlt (Reckenfelderbäumer 1995 und 1998; Paul/Reckenfelderbäumer 1998; Fischer 2000; Coenenberg et al. 2002). Diese Systeme werden einerseits dem immateriellen, prozessualen Charakter der Leistungserstellung besser gerecht (im Falle der Prozesskostenrechnung) und bewirken andererseits auch eine stärkere Marktorientierung der Kostenkalkulation und -steuerung (im Falle des Target Costing). Das prägende Kennzeichen jeder Dienstleistung, die Beteiligung externer Faktoren an der Leistungserstellung, und die damit verbundenen kostenrelevanten Wirkungen finden jedoch auch in diesen Ansätzen zunächst keine angemessene Berücksichtigung. Lediglich einzelne Arbeiten (z.B. Reckenfelderbäumer 1995 und 1998) enthalten grundlegende Vorschläge zur Integration der kundenseitigen Einflüsse, wobei sich diese meist auf die Kennzeichnung von kundenbeeinflussten Prozessen beschränken und damit lediglich eine qualitative Information für das Kostenmanagement liefern. Eine differenzierte Analyse des Kundeneinflusses auf die Kostenentstehung im Dienstleistungsbereich sowie dessen Berücksichtigung in einem strategisch angelegten Kostenmanagement sind daher das Anliegen dieses Beitrages. Wegen der besonderen Relevanz der Kundenbeteiligung wird der Fokus dabei auf interaktions- bzw. integrationsintensive Dienstleistungen gelegt, die oftmals allerdings nicht auf weitgehend homoge-
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Marion Büttgen
nen, repetitiven Prozessen basieren, wie gemeinhin im Rahmen der Kostenrechung gefordert. Es soll untersucht werden, ob und wie die Planung, Steuerung und Kontrolle des strategischen Erfolgsfaktors Kosten auch unter solchen Bedingungen möglich sind und zur kundengerechten Leistungsgestaltung beitragen können. Hierfür wird zunächst eine Kennzeichnung und Abgrenzung beteiligungsintensiver Dienstleistungen vorgenommen, um im Anschluss aufzuzeigen, wie bei solchen Leistungen der Kunde die Leistungserstellungskosten beeinflussen kann. Dabei wird die Kostenbetrachtung nicht auf die Anbieterseite beschränkt, sondern bezieht im Sinne eines ganzheitlichen, kundenorientierten Kostenmanagements auch die auf der Kundenseite entstehenden Beteiligungskosten ein, denn diese können sich nicht nur auf die Preisbereitschaft des Kunden auswirken, sondern mitunter auch in einem substitutionalen Zusammenhang zu den Anbieterkosten stehen. Nach der Analyse der Kostenentstehung und -beeinflussung werden Gestaltungsempfehlungen für eine dienstleistungsspezifische Kostenkalkulation gegeben, die den Anforderungen einer ausgeprägten Kundenbeteiligung so weit wie möglich gerecht wird. Hierfür empfiehlt sich der Einsatz des Target Costing unter Rückgriff auf die Prozesskostenrechnung. Nach einer allgemeinen Darstellung der Grundprinzipien und Vorgehensweise des Target Costing werden schließlich Möglichkeiten zur Anpassung an die Besonderheiten einer beteiligungsintensiven Dienstleistungserstellung diskutiert.
2.
Kennzeichnung beteiligungsintensiver Dienstleistungen
In der Literatur zur Kundenbeteiligung und zu den daraus resultierenden Konsequenzen für den Anbieter existieren verschiedene Ansätze zur Systematisierung von Dienstleistungen nach dem Beteiligungsausmaß der Kunden. Die einfachste Form der Unterscheidung stellt die Aufteilung in eine aktive und passive Beteiligung des Kunden dar (Langeard 1981; Fuchs 1968). Ist der Kunde lediglich physisch präsent oder nimmt er eine für ihn erstellte Leistung nur entgegen, ohne selber an deren Erstellung mitzuwirken, so ist das Beteiligungsausmaß gering einzustufen. Nimmt der Kunde jedoch aktiv teil, indem er sich physisch und/oder intellektuell einbringt, Teilaufgaben übernimmt und die Leistung mitgestaltet, so weist er ein hohes Beteiligungsmaß auf. Eine bloße Dichotomisierung wird dem breiten Spektrum möglicher Integrationsausprägungen jedoch nicht gerecht, so dass einige Klassifizierungsansätze eine mehrstufige Unterteilung vornehmen. So unterscheidet Meyer z.B. drei Grade der Kundenbeteiligung (stark, mittel, schwach), ohne jedoch nähere Hinweise zur Operationalisierung des zugrunde gelegten Kriteriums der Integrationsintensität zu geben (Meyer 2001). Bitner et al. differenzieren ebenfalls drei verschiedene Ausprägungen der Kundenpartizipation (low, medium, high), wobei diese auch nur durch verbale Beschreibungen konkretisiert werden (Bitner et al. 1997).
Kundenorientiertes Kostenmanagement bei beteiligungsintensiven Dienstleistungen 373 Corsten hingegen nimmt durch den Einsatz von Isoleistungslinien, die den Aktivitätsgrad des Nachfragers zu dem des Anbieters in Verbindung setzen, eine Verstetigung des Integrationsausmaßes auf Basis eines eindeutig quantifizierten Kriteriums vor (Corsten 1997 und 2000). Er geht von einer nichtlinearen, partiell substitutionalen Beziehung zwischen Nachfrager- und Anbieteraktivitäten aus. Der Aktivitätsgrad des Nachfragers bestimmt sich dabei als Quotient aus den vom Nachfrager zu erbringenden Aktivitäten und den Gesamtaktivitäten der Leistungserstellung. Zwar ist dieser Aktivitätsgrad empirisch nur schwer messbar (Fließ 2001), doch wird durch die Darstellung in grundsätzlicher Form die Variabilität der Kundenbeteiligung und deren Konsequenzen für das Leistungsausmaß des Anbieters verdeutlicht. Diese Aufteilung des Leistungsausmaßes weist einen direkten Bezug zur Kostenentstehung auf Anbieter- und Kundenseite auf und trägt zur problemorientierten Kennzeichnung beteiligungsintensiver Dienstleistungen bei. Zudem zieht der Ansatz Leistungsaktivitäten (d.h. Prozesse) zur Systematisierung heran und weist damit unter Erfassungsgesichtspunkten eine direkte Verbindung zur Prozesskostenrechnung auf. Allerdings wird vereinfachend davon ausgegangen, dass die Leistungsaktivitäten jeweils nur von einer der beteiligten Parteien ausgeführt werden. In der Dienstleistungspraxis liegt jedoch häufig der Fall vor, dass Aktivitäten gemeinsam ausgeführt werden (müssen) und somit eine beiderseitige Beteiligung erforderlich ist (z.B. bei medizinischen Therapien oder in Beratungsgesprächen). Auch liefert der Ansatz über die grundsätzliche Aktivitätenaufteilung hinaus keine Anhaltspunkte bezüglich des Kundeneinflusses auf die konkrete Prozessausführung durch den Anbieter, welcher bei einer differenzierten Kostenanalyse einzubeziehen ist. In dieser Hinsicht erscheint der Ansatz von Engelhardt et al. viel versprechender, der auf die Erfassung der Kundenbeteiligung aus Anbietersicht gerichtet ist (Engelhardt et al. 1993; Engelhardt/Freiling 1995a). Es werden dabei verschiedene Kriterien herangezogen, um das Ausmaß der „Eingriffe des Nachfragers in die Dispositionssphäre des Anbieters“ (Engelhard/Freiling 1995b, S. 40) zu spezifizieren. Die Eingriffstiefe und Eingriffsintensität kennzeichnen die Beeinflussung der Wertschöpfungsprozesse des Anbieters. Während die Eingriffstiefe die Wertschöpfungsstufe(n) des Unternehmens angibt, auf denen eine Integration externer Faktoren erfolgt (z.B. F&E, Beschaffung, Produktion und Absatz) (Engelhardt et al. 1993), gibt die Eingriffsintensität Auskunft über die Anzahl der integrativen Prozesse sowie Art und Umfang der Einflussnahme des Nachfragers auf die Leistungserstellung (Engelhard/Freiling 1995b; Schnäbele 1997). Damit trägt das Kriterium der Eingriffstiefe zur grundlegenden Lokalisierung von Unternehmensbereichen (oder Kostenstellen) bei, deren Leistungsaktivitäten unter dem Einfluss des Kunden ausgeführt werden. Hierdurch lassen sich Dienstleistungen, die lediglich in einzelnen kundennahen Unternehmensbereichen wie dem Vertrieb oder der eigentlichen Leistungserstellung durch den Kunden beeinflusst werden, von solchen unterscheiden, bei denen der Kunde weiter in den Wertschöpfungsprozess eingreift. Die Eingriffsintensität gibt zusätzlich Auskunft darüber, wie viele Prozesse in den betroffenen Bereichen durch den Kunden beeinflusst werden und wie stark diese Einflussnahme ist, wobei die Autoren keine konkreten Hinweise zur Quantifizierung der Einflussstärke
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geben. Mögliche Indikatoren können hier die Variabilität der Prozessausführung, der Prozessdauer und der verwendeten Inputfaktoren bei unterschiedlichen Kunden sein. Als weitere Kriterien werden in dem Ansatz die Eingriffsdauer, -häufigkeit und -zeitpunkte verwendet. Die Eingriffsdauer gibt an, über welchen Zeitraum sich die Eingriffe des Nachfragers erstrecken, die Eingriffshäufigkeit, wie oft solche Eingriffe im Rahmen der Leistungserstellung erfolgen, und die Eingriffszeitpunkte konkretisieren die zeitliche Verteilung der Eingriffe (Engelhard/Freiling 1995a und 1995b). Diese Kriterien beziehen sich auf den Leistungsaustausch insgesamt und stellen eher statistische Rahmendaten für die allgemeine Erfassung des Beteiligungsausmaßes dar. Für differenzierte Integrationsanalysen, die auf Anbieterseite vorgenommen werden und der Bestimmung des Kundeneinflusses auf die Leistungsaktivitäten und damit die Kosten des Anbieters dienen können, sind sämtliche Kriterien geeignet, wenn auch diese z.T. aufwändig zu erfassen sind. Aus den dargestellten Ansätzen lassen sich zusammenfassend folgende Aspekte zur Identifikation und Kennzeichnung beteiligungsintensiver Dienstleistungen heranziehen: Ein wesentlicher Teil der zur Leistungserstellung erforderlichen Aktivitäten wird von dem Kunden selbst oder zumindest unter dessen aktiver Beteiligung ausgeführt. Der Einfluss des Kunden erstreckt sich auf einen Großteil der Wertschöpfungskette des Unternehmens. Die konkrete Ausführung der kundenbeeinflussten Prozesse unterscheidet sich in Art, Dauer und/oder eingesetzten Inputfaktoren zwischen verschiedenen Kunden. Die Beteiligung des Kunden findet zu mehreren Zeitpunkten über einen längeren Zeitraum im Verlauf der Leistungserstellung statt. Diese Kriterien sind allerdings nicht als strenge Ausschlusskriterien zu verstehen, d.h. eine Dienstleistung kann auch dann als beteiligungsintensiv eingeordnet werden, wenn sie nicht jedes einzelne dieser Merkmale aufweist. Insgesamt gilt aber: Je vollständiger die Kriterien bei einer Dienstleistung erfüllt sind, desto höher ist ihre Beteiligungsintensität. Nicht in allen Fällen aber ist das Ausmaß der Kundenbeteiligung durch die Art der Leistung eindeutig vorgegeben. Viele Leistungsangebote weisen nämlich alternative Optionen für Kundenaktivitäten auf. So können z.B. bestimmte Bankleistungen entweder durch einen Mitarbeiter oder durch den Kunden selbst via Internet ausgeführt werden. Ebenso können manche Informations- und Abwicklungsaufgaben wahlweise durch Mitarbeiter oder Kunden wahrgenommen werden. Da dies aber unterschiedliche Kosten auf beiden Seiten verursacht und ein kundenorientiertes Kostenmanagement gerade solche Unterschiede erfassen und berücksichtigen sollte, werden diese Fälle in die Betrachtung einbezogen, sofern zumindest die Alternative mit dem höchsten Maß an Kundenbeteiligung den aufgeführten Kriterien weitgehend genügt. Im Folgenden wird nun in differenzierter Form aufgezeigt, wie die Kosten der Leistungserstellung bei solch beteiligungsintensiven Dienstleistungen durch den Kunden be-
Kundenorientiertes Kostenmanagement bei beteiligungsintensiven Dienstleistungen 375 einflusst werden können, wovon Art und Ausmaß des Einflusses abhängen und wie sich je nach Beitragskonstellation die Gesamtkosten auf beide Seiten verteilen.
3.
Kostenwirkungen der Kundenbeteiligung
3.1 Anbieterseitige Kostenwirkungen Über die Tatsache, dass der Dienstleistungskunde durch seine Beteiligung die Kostenentstehung im Rahmen des Leistungsaustausches beeinflusst, besteht inzwischen weitgehende Einigkeit. Kontrovers diskutiert wird jedoch darüber, welcher Art der Einfluss ist und welche Faktoren dafür verantwortlich sind, ob die Kostenwirkungen auf Anbieterseite positiv oder negativ sind. In der ersten Frage haben sich bereits frühzeitig zwei Lager mit unterschiedlichen Auffassungen gebildet. Auf der einen Seite geht man davon aus, dass der Kunde sich eher störend auf die Leistungserstellung auswirkt und dass eine hohe Kontaktintensität die Möglichkeiten zum Einsatz effizienter Leistungserstellungsverfahren reduziert. Dadurch steigen die Inputkosten und die Produktivität verringert sich (Chase 1981; Chase et al. 1984). Mit zunehmender Automatisierung der Leistungserstellung wie auch der Kundenkontakte verliert diese Argumentation jedoch ihre Gültigkeit. Nicht der Kundenkontakt bzw. die Kundenbeteiligung an sich ist dann für einen etwaigen negativen Kosteneinfluss verantwortlich, sondern vielmehr die Art und Weise, wie der Kunde sich einbringt. Unkooperative oder inkompetente Kunden können die Kosten des Anbieters in mehrfacher Weise erhöhen. Die Interaktionen gestalten sich in diesen Fällen meist aufwändiger und zeitintensiver und die Mitarbeiter müssen z.T. Leistungsaktivitäten übernehmen, die üblicherweise vom Kunden erbracht werden. Zudem wird durch ein solches Verhalten auch die Wahrscheinlichkeit von Fehlern oder Abstimmungsproblemen erhöht, welche unökonomische Nachbesserungen und Zusatzarbeiten zur Folge haben (Reckenfelderbäumer 1995; Engelhardt 1996; Gummesson 1998). Auf der anderen Seite wird von verschiedenen Autoren die Auffassung vertreten, dass die Produktivität durch eine stärkere Beteiligung des Kunden an der Leistungserstellung gesteigert werden kann (Gartner/Riessman 1974; Fitzsimmons 1985; Bowen 1986; Bowen/Jones 1986). Durch einen erhöhten Kundeninput kann der anbieterseitige Arbeitsaufwand – und damit v.a. die Personalkosten - gesenkt werden, so dass sich das InputOutput-Verhältnis für den Anbieter verbessert. Dies gilt insbesondere für den Fall der Kundenselbstbedienung, da sie meist einen geringeren Personalbedarf hat und zudem oft eine schnellere Abwicklung ermöglicht (Mills et al. 1983; Arbeitskreis „Planung in Banken“ der Schmalenbach-Gesellschaft 1992). Kiosk-Systeme am Point of Sale oder an stark frequentierten Orten übernehmen Informationsfunktionen (Silberer/Hannecke
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1999; Harms 2002), in Flughäfen und Hotels wird das Check-in bzw. Check-out bereits teilweise über Selbstbedienungsterminals abgewickelt (Slack/Rowley 2002), in Handelsbetrieben wird der Einsatz von Selbst-Scanning-Systemen erprobt (Meuter et al. 2000; Dabholkar et al. 2003), Fast-Food-Restaurants setzen teilweise automatisierte Bestellsysteme ein (Dabholkar 1996) und Autovermietungen wickeln die Abholung und Rückgabe von Fahrzeugen über Automaten ab. Differenzierte Kostenanalysen im Bankenbereich haben gezeigt, dass neben den Personaleinsparungsmöglichkeiten im direkten Kundenkontakt auch Rationalisierungen in den nachgelagerten Bereichen, z.B. in der Datenerfassung und -verarbeitung, sowie Kostenreduktionen im Raum- und Einrichtungsbedarf erzielt werden können (Chorafas 1989). Diese Ergebnisse betreffen jedoch eher allgemeine Kostenwirkungen einer Erhöhung der Kundenbeteiligung und beziehen sich weniger auf das kostenrechnerische Problem einer adäquaten Berücksichtigung variierender Kundeneinflüsse. Dieses Problem liegt im Ausmaß und in der Qualität der Kundenbeteiligung begründet, welche von Kunde zu Kunde unterschiedlich ausfallen kann und im Einzelfall ex ante meist ungewiss und nur bedingt prognostizierbar ist. Das Ausmaß der Kundenbeteiligung hängt einerseits von der grundsätzlichen Leistungsgestaltung und den darin enthaltenen Optionen zur Kundenbeteiligung ab, andererseits aber auch – ebenso wie die Qualität der Kundenbeteiligung – von bestimmten Kundenmerkmalen wie dem leistungsbezogenen Wissen, den Fähigkeiten und der Motivation des Kunden, die dessen Neigung zur Mitwirkung bestimmen. Canziani fasst diese Faktoren unter Berücksichtigung der dienstleistungsbezogenen Anforderungen unter dem Begriff der Kundenkompetenz zusammen (Canziani 1997; Gouthier 2003). Ist der Kunde zuverlässig und gewissenhaft in der Bereitstellung notwendiger Informationen und der Einhaltung von Terminen sowie anderer Vereinbarungen, hat er ein fundiertes Wissen über die gewünschte – und machbare – Leistung, ist er mit den Inhalten und Abläufen der Leistungserstellung vertraut und führt seine Leistungsbeiträge eigenständig, ohne aufwändige Betreuung aus, so kann er dadurch die Prozessabläufe beschleunigen, den erforderlichen Ressourceneinsatz und damit die Kosten auf Anbieterseite senken. Ebenso kann sich ein problematisches Kundenverhalten, verursacht durch mangelnde Fähigkeiten, Wissen oder Motivation, in der bereits beschriebenen Form kostensteigernd auswirken. Als zentrale Bestimmungsfaktoren der anbieterseitigen Kostenwirkungen lassen sich somit die grundsätzliche Leistungsgestaltung und das dabei vorgesehene Beteiligungsausmaß sowie die vorhandene leistungsspezifische Kundenkompetenz festhalten. Art und Ausmaß ihres Einflusses werden in Abbildung 1 veranschaulicht.
Kundenorientiertes Kostenmanagement bei beteiligungsintensiven Dienstleistungen 377
Leistungsbezogene Kundenkompetenz
Anbieterseitige Leistungsgestaltung
wenige
Optionen zur Kundenbeteiligung
gering
Ausmaß der Kundenbeteiligung
Wissen
viele
Fähigkeiten Motivation
hoch
hoch
gering Ausmaß der Kostenwirkungen
Problemvermeidende Leistungserstellung
Kontraproduktiver Kundeneinsatz
positiv
Kosteneffiziente Leistungserstellung
hoch Richtung der Kostenwirkungen
Mangelnder Kundeneinsatz
hoch
negativ
gering
Qualität der Kundenbeteiligung
gering
Anbieterseitige Kostenwirkungen der Kundenbeteiligung
Abbildung 1: Anbieterseitige Kostenwirkungen der Kundenbeteiligung
3.2 Nachfragerseitige Kostenwirkungen Während die Kostenwirkungen der Kundenbeteiligung auf Anbieterseite verschiedentlich in der wissenschaftlichen Literatur thematisiert werden, ist die Kundenseite in dieser Hinsicht fast vollkommen vernachlässigt worden. Dies mag darin begründet liegen, dass die Leistungsbeiträge des Kunden nach wie vor meist als selbstverständlich und frei verfügbar angesehen werden: „...the customer is treated as a free utility and not as a production factor“ (Gummesson 1998, S. 9). In unternehmerischen Kosten- und Preiskalkulationen finden sie im Allgemeinen keine Berücksichtigung. In der Literatur wird dieser Aspekt lediglich im B-to-B-Bereich vereinzelt aufgegriffen (Paul 1998; Fließ 2001). Hier stellen die Kosten der Integration auf Nachfragerseite quantifizierbare monetäre Größen dar, die bei ganzheitlicher Betrachtung in die Beschaffungsentscheidung einbezogen werden sollten. Sie betreffen z.B. Personal- und Sachkosten von Mitarbeitern und Objekten, die in die Leistungserstellung des Anbieters temporär eingebunden sind und daher in dem Nachfragerunternehmen nicht einsetzbar sind. Darüber hinaus müssen gegebenenfalls Ersatzfaktoren für diesen Zeitraum beschafft werden und es können Reise- oder Transportkosten für die Mitarbeiter oder Objekte entstehen, wenn sie (z.B. Schulungsteilnehmer oder zu reparierende Geräte) sich während der Leistungserstellung bei dem Anbieterunternehmen aufhalten müssen (Paul 1998).
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Im konsumtiven Bereich lässt sich der Beteiligungsaufwand des Nachfragers schwieriger in konkreten objektiven Kostengrößen ausdrücken, denn die Bemessung der eigenen Leistungsbeiträge funktioniert nicht nach den gleichen ökonomischen Prinzipien wie im unternehmerischen Kontext. Dennoch kann er auch hier für die Kaufentscheidung von Bedeutung sein, da er ein Element des wahrgenommenen Preis-Leistungs-Verhältnisses ist und sich demnach auf die Zahlungsbereitschaft auswirken kann. Die diesbezüglich relevanten Aufwandsgrößen sind einerseits jedoch nicht ausschließlich monetärer Art wie im Fall des organisationalen Nachfragers. Zum anderen sind sie auch stärker von der subjektiven Wahrnehmung des Konsumenten abhängig. Nicht immer entsteht durch die Übernahme von Aufgaben oder das Aufbringen von Zeit für die Leistungserstellung ein Kostenempfinden beim Kunden. Ein besonderes Engagement kann von diesem auch zur Unsicherheitsreduktion bzw. zur Befriedigung von Kontroll- oder Machtbedürfnissen an den Tag gelegt werden. Bei bestimmten Leistungen (z.B. Aktivurlauben, Vergnügungsparks oder bestimmten Freizeitkursen) stiftet die aktive Beteiligung an der Leistungserstellung sogar einen unmittelbaren Nutzen. Insofern bedarf es bei konsumtiven Dienstleistungen einer differenzierteren und stärker subjektiv geprägten Kosten- bzw. Aufwandsbetrachtung der Kundenbeteiligung. Für den speziellen Anwendungskontext des Einzelhandels haben Keh/Teo (2001) eine nachfragerseitige Kostensystematik entworfen, die jedoch nicht den Zweck einer Berücksichtigung dieser Kosten durch den Anbieter erfüllen soll, sondern vielmehr einer Untersuchung der Kostenwirkungen auf das Kundenverhalten und die Zufriedenheit dient. Hierbei wird ein weit gefasstes Kostenverständnis zugrunde gelegt, welches neben monetären Kosten der Beteiligung wie z.B. Transport- und Lagerkosten auch nicht monetäre und sogar nicht ökonomische Kostengrößen wie z.B. psychische Kosten und Anpassungskosten bei Nichtverfügbarkeit der gewünschten Produkte einbezieht. Von dem speziellen Handelskontext abstrahierend, lassen sich generell folgende Kosten- bzw. Aufwandsarten der Kundenbeteiligung unterscheiden: Monetärer Beteiligungsaufwand: Hierzu zählen alle Kosten, die abgesehen von dem eigentlichen Kaufpreis auf Seiten des Kunden für die Teilnahme an der Dienstleistungserstellung anfallen (z.B. Transferkosten für die Fahrt zum Dienstleister, Kosten der Informationsbeschaffung oder Kosten für Utensilien, die speziell für die Leistungserstellung angeschafft werden müssen, wie z.B. Sportschuhe und -bekleidung für ein Fitnesstraining). Ökonomische, aber nicht unmittelbar monetäre Beteiligungskosten: Dies sind in erster Linie Opportunitätskosten der aufgewendeten Zeit, die nicht für alternative nutzenstiftende, produktive oder einkommensbeschaffende Zwecke genutzt werden kann. Nichtökonomische Beteiligungskosten: Hierzu zählt jeder physische oder psychische Aufwand des Kunden im Rahmen der Leistungserstellung, den dieser als belastend oder nutzenreduzierend empfindet (z.B. Kraftaufwand beim Transport von Gepäckstücken auf Reisen, empfundene Unsicherheit bei der Nutzung von Selbstbedie-
Kundenorientiertes Kostenmanagement bei beteiligungsintensiven Dienstleistungen 379 nungsgeräten, emotionale Belastung durch unangenehm empfundene Interaktionen mit Mitarbeitern des Anbieters). Sämtliche der aufgeführten Kostenarten sind für das wahrgenommene Preis-NutzenVerhältnis des Nachfragers von Bedeutung, da sie entweder die erforderlichen Ausgaben für die Dienstleistung erhöhen oder aber den resultierenden Nutzen verringern. Das jeweilige Ausmaß dieser Kostenarten liegt einerseits in der konkreten Leistungsgestaltung und den damit verbundenen Anforderungen an die Leistungsbeiträge der Kunden begründet. Ursachen für ein unterschiedliches Kostenausmaß von Kunde zu Kunde oder gar bei einem Kunden im Zeitablauf können andererseits auch in der vorhandenen materiellen Ausstattung, der frei verfügbaren Zeit, dem Kenntnisstand sowie den körperlichen und intellektuellen Voraussetzungen des Kunden liegen (Abbildung 2). Diese Gesichtspunkte sind durch den Anbieter natürlich schwer abzuschätzen; entscheidend für ein kundenorientiertes Kostenmanagement aber ist das Bewusstsein für ihre Bedeutung und das daraus resultierende Bestreben, ihre Konsequenzen für die Preisbereitschaften und die Bereitschaft zur Erfüllung von Teilaufgaben durch die Kunden im Rahmen einer ganzheitlichen Kostenkalkulation und Leistungsgestaltung zu berücksichtigen.
gering
Anbieterseitige Leistungsgestaltung
Ressourcenausstattung des Kunden
materielle Anforderungen an den Kunden
materielle Ausstattung
zeitliche Anforderungen an den Kunden
Verfügbare Zeit
Wissensanforderungen an den Kunden
Kenntnisstand
körperliche Anforderungen an den Kunden
körperliche Fähigkeiten
intellektuelle Anforderungen an den Kunden
hoch
gering
intellektuelle Fähigkeiten
monetäre Beteiligungskosten ökonomische Beteiligungskosten nichtökonomische Beteiligungskosten hoch
gering
Beteiligungskosten des Kunden
Abbildung 2: Kundenseitige Kostenwirkungen der Beteiligung
hoch
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3.3 Prozessbezogene Betrachtung der Kostenwirkungen Wie gezeigt wurde, hat die Beteiligung des Kunden an der Dienstleistungserstellung auf beiden Seiten kostenbezogene Wirkungen. Diese sind jedoch nicht unabhängig voneinander. Das Ausmaß der Kostenentstehung und -beeinflussung hängt schwerpunktmäßig von der Aufteilung der Leistungsaktivitäten auf die Transaktionspartner ab. Nach Corsten sind die Leistungsaktivitäten des Anbieters und des Nachfragers partiell substitutional, d.h. die Aufteilung ist nicht per se durch die Art der Leistung vorgegeben (Corsten 1997 und 2000). Es besteht ein gewisser Gestaltungsspielraum, der je nach komparativem Kostenvorteil der Beteiligten in die eine oder andere Richtung ausgeschöpft werden kann, um die Leistung insgesamt kostenoptimal zu gestalten. Darüber hinaus existieren aber auch Aktivitäten, die nicht durch die jeweils andere Seite übernommen werden können sowie solche, die stets gemeinsam von beiden Parteien auszuführen sind. Für eine ganzheitliche Kostenanalyse empfiehlt sich daher die Differenzierung zwischen vier verschiedenen Prozessarten, welche sich nicht gleichermaßen der Planung, kalkulatorischen Erfassung und aktiven Steuerung durch den Anbieter erschließen: Obligatorische Anbieteraktivitäten: Dies sind Prozesse, die ausschließlich durch den Anbieter ausgeführt werden können, da er über die erforderliche Kompetenz und Ausstattung verfügt oder sie in indirekten Leistungsbereichen der allgemeinen Verwaltung oder dem Management des Unternehmens dienen. Hierzu zählen z.B. die Ausarbeitung des Unterrichtsstoffes in einer Bildungsinstitution, Wartungs- und Reinigungsarbeiten an einem Flugzeug oder die Auswertung von Laborergebnissen durch einen Arzt. Diese Aktivitäten finden ohne direkte Kundenbeteiligung statt, üblicherweise im Back-Office-Bereich des Anbieters. Der Kostenanfall unterliegt dabei höchstens mittelbar dem Einfluss des Kunden und eine Externalisierung der Aktivitäten zur Kostensenkung ist i.d.R. nicht möglich. Das Hauptproblem bei der kostenrechnerischen Erfassung liegt im teilweise nur sehr indirekten Bezug der Aktivitäten zu konkreten marktbezogenen Kalkulationsobjekten (insbesondere bei allgemeinen Verwaltungsaufgaben), so dass eine verursachungsgerechte Kostenzurechnung erschwert wird. Obligatorische Kundenaktivitäten: Hierbei handelt es sich um Leistungen, die der Kunde erbringen muss, damit das gewünschte Dienstleistungsresultat erreicht werden kann (z.B. die Zusammenstellung von Dokumenten für einen Steuerberater, das Ausfüllen von Formularen für die Dienstleistungsabwicklung oder das Befolgen ärztlicher Anweisungen im Rahmen einer medizinischen Therapie). Die Ausführung dieser Aktivitäten wirkt sich vorrangig auf die Kosten des Nachfragers aus, beschränkt sich jedoch nicht auf diese. Zwar werden die Leistungen überwiegend in weitgehend autonomer Form im persönlichen Umfeld des Nachfragers erbracht, doch kann die Art der Ausführung auch Konsequenzen für den Anbieter haben. Da das Leistungsergebnis von der sach- und mitunter auch zeitgerechten Aufgabenerfüllung durch den
Kundenorientiertes Kostenmanagement bei beteiligungsintensiven Dienstleistungen 381 Kunden abhängt, können diesbezügliche Defizite einen Extraaufwand für den Anbieter in Form von Problemdiagnosen, Nachbesserungen oder Leistungsanpassungen zur Folge haben. Um dieses Kostenrisiko zu reduzieren, können Präventivaktivitäten wie z.B. spezielle Kundenschulungen durchgeführt werden, welche jedoch wiederum Kosten für den Anbieter hervorrufen. Interaktive/integrative Aktivitäten: Hierzu zählen alle Leistungsprozesse, die vom Anbieter und Nachfrager gemeinsam ausgeführt werden und damit wechselseitig kostenbeeinflussend sind. Der Kunde kann durch sein Verhalten ebenso die Anbieterkosten beeinflussen wie der Anbieter bzw. seine Mitarbeiter die (wahrgenommenen) Beteiligungskosten des Kunden (z.B. durch die Art und Dauer von Beratungsgesprächen, durch die Standortwahl von Serviceeinrichtungen oder die Anforderungen an den Kunden bei der Prozessausführung). Die Erfassung dieser wechselseitigen Kostenbeeinflussung stellt eine besondere Herausforderung für das Kostenmanagement dar. Optionale Anbieter-/Kundenaktivitäten: Hierbei handelt es sich um sämtliche Leistungsaktivitäten, die prinzipiell sowohl vom Anbieter als auch vom Kunden übernommen werden können (z.B. Überweisungen vornehmen via Online-Banking oder durch Bankmitarbeiter, (Selbst-)Bedienung im Restaurant, Reinigung der Wohnung nach Reparaturleistungen, bestimmte Versorgungsaktivitäten im Krankenhaus). Je nach Zuordnung der Aktivitäten ergeben sich unterschiedliche Kostenkonsequenzen für Anbieter und Nachfrager. Diese Zuordnung kann zum einen im Rahmen grundsätzlicher Gestaltungsentscheidungen für alle Kunden gleichermaßen vorgenommen werden. Dann entsprechen die Kostenkonsequenzen den bereits beschriebenen Fällen, je nachdem von wem die Aktivität ausgeführt wird. Es ist aber auch denkbar und in der Realität durchaus üblich, dass für den Kunden Wahloptionen bezüglich seines Engagements bestehen, so dass sich die Kosten des Anbieters in Abhängigkeit der vom Kunden übernommenen Teilaktivitäten deutlich unterscheiden können. Oftmals spiegelt sich dies jedoch in der Kostenrechnung und Preisgestaltung des Unternehmens nicht wieder. Die Aufgabe eines kundenorientierten Kostenmanagements besteht somit darin, die aufgezeigten Prozesse in ihrer Kostenverursachung und -beeinflussung möglichst vollständig zu erfassen, um daraus Empfehlungen für eine kostenoptimale Leistungsgestaltung innerhalb des gesamten Produktionssystems Anbieter-Kunde zu erreichen (siehe hierzu Abbildung 3). In welchem Rahmen dies durch eine Verbindung von Target Costing und Prozesskostenrechnung möglich ist, wird im Folgenden dargestellt.
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Leistungserstellungssystem Wechselseitige Wirkung
Integrative Aktivitäten Obligatorische Anbieteraktivitäten Optionale Anbieter-/KundenAktivitäten
Anbieterkosten
Alternative Wirkung
Obligatorische Kundenaktivitäten
Kundenkosten
Abbildung 3: Leistungserstellungssystem beteiligungsintensiver Dienstleistungen
4.
Einsatz des Target Costing zur kundengerechten Kosten- und Leistungsgestaltung
4.1 Grundlegende Vorgehensweise im Rahmen des Target Costing Im Gegensatz zu den klassischen, an internen Gegebenheiten ausgerichteten Kostenrechnungssystemen stellen beim Target Costing die Markterfordernisse, d.h. vor allem die Zahlungsbereitschaften der Nachfrager für ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung, aber auch die Preis- bzw. Kostenstrukturen der Konkurrenzanbieter die Kalkulationsgrundlage dar (Market-into-Company-Ansatz) (Seidenschwarz 1993; Horváth et al. 1993; Buggert/Wielpütz 1995; Müller 1998). Ausgehend von diesen Informationen werden der Zielpreis und durch Substraktion des angestrebten Produktgewinns auch die Zielkosten (Allowable Costs) für ein Produkt festgelegt, welches sich idealtypisch in einem möglichst frühen Entwicklungsstadium befindet, da eine Beeinflussung der Kostenverursachung in frühen Phasen der Produktentwicklung noch vergleichsweise gut möglich ist (Seidenschwarz 1993; Paul/Reckenfelderbäumer 1998). Grundsätzlich kann das Verfahren aber auch zur nachträglichen Kostenoptimierung bereits vorhandener Produkte oder Dienstleistungen eingesetzt werden (Reckenfelderbäumer 1998).
Kundenorientiertes Kostenmanagement bei beteiligungsintensiven Dienstleistungen 383 Den Zielkosten gegenüberzustellen sind sodann die Standardkosten des Produktes (Drifting Costs), d.h. diejenigen Kosten, die unter Beibehaltung der derzeitig eingesetzten Technologien, Potenziale und Prozesse bei der Leistungserstellung entstehen würden (Horváth et al. 1993; Niemand 1996; Coenenberg et al. 2002). Liegen diese Standardkosten über den Zielkosten, was zumeist der Fall ist, ergibt sich hieraus ein Kostensenkungserfordernis, welches jedoch erst durch eine weitergehende Zielkostenanalyse (Kostenspaltung) näher zu spezifizieren ist. Als Grundlage der Zielkostenspaltung können die verschiedenen Produktfunktionen (bzw. -merkmale), Produktkomponenten (bzw. -teile) oder speziell im Dienstleistungsbereich auch die Leistungserstellungsprozesse dienen, die in unterschiedlichem Maße zur Nutzenstiftung bei den Kunden beitragen (Peemöller 1993; Seidenschwarz 1993; Reckenfelderbäumer 1995). Welche Bezugsbasis für die Aufteilung der Kosten herangezogen wird, sollte sich v.a. danach richten, woran die Nachfrager ihre Nutzenentstehung festmachen. Während Produktkomponenten für bereits vorhandene Produkte oder solche mit geringem Innovationsgrad durchaus geeignet sind, empfiehlt sich bei echten Innovationen eher eine funktionenbezogene Betrachtung (Sibbel/Hartmann 2005a). In der Literatur wird in dem Zusammenhang auch zwischen Hard Functions (objektiv erfassbare, physikalisch-technische Produktmerkmale) und Soft Functions (Annehmlichkeits- bzw. Gebrauchsnutzen aus Kundensicht) unterschieden (Horváth/Seidenschwarz 1992; Deisenhofer 1993; Reckenfelderbäumer 1998). Werden, wie von Reckenfelderbäumer (1998) empfohlen, Leistungsprozesse als Bezugsbasis herangezogen, so wird der Zusammenhang zur Prozesskostenrechnung unmittelbar deutlich, da sie die prozessbezogenen Kosteninformationen liefert, die für das Target Costing benötigt werden. Durch Kundenbefragungen gilt es zu analysieren, welchen Anteil die jeweiligen Leistungsaspekte am Gesamtnutzen des Leistungsbündels ausmachen. Als Verfahren bietet sich hierbei das Conjoint Measurement an, das den Nutzen bestimmter Merkmale oder Komponenten nicht direkt erfragt, sondern stattdessen unterschiedliche Konstellationen von Merkmalsausprägungen in ihrer Gesamtheit zur Bewertung stellt und daraus die jeweiligen Nutzenbeiträge der einzelnen Merkmale oder Komponenten (Teilnutzenwerte) statistisch schätzt (Seidenschwarz 1993; Kucher/Simon 1997; Niemand 1996). Gemäß dieser Teilnutzenverteilung werden auch die Zielkosten auf die Leistungskomponenten (bzw. Leistungsfunktionen) verteilt, da nach dem Grundprinzip des Target Costing jede Komponente genau in dem Maße Kosten verursachen sollte, wie sie zur Erzeugung von Kundennutzen beiträgt (Niemand 1992; Reckenfelderbäumer 1998). Im nächsten Schritt werden dann die durch die Teilleistungen tatsächlich bzw. voraussichtlich verursachten Kosten bestimmt, um mittels einer Gegenüberstellung der Zielund Standardkostenverteilung Abweichungen gegenüber den vom Markt erlaubten Kosten festzustellen. Auf diese Weise kann nicht nur ermittelt werden, ob die durch das Produkt verursachten Kosten absolut gesehen zu hoch sind, sondern auch, ob die für die Teilleistungen anfallenden Kosten in angemessenem Verhältnis zum jeweiligen Nutzenbeitrag stehen. Hierfür kann ein Zielkostenkontrolldiagramm (Value Control Chart) verwendet werden, das jedem ermittelten Teilnutzenwert den entsprechenden Kostenanteil
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für die Komponente gegenüberstellt. Durch den Vergleich von Kosten- und Nutzenanteilen wird überprüft, bei welchen Teilleistungen Anpassungsbedarf hinsichtlich Kosten und Qualität besteht (Sibbel/Hartmann 2005a). Als Konsequenz aus den Erkenntnissen des Target Costing sind schließlich adäquate Anpassungsmaßnahmen vorzunehmen, die der Optimierung der Kosten-Nutzen-Relation dienen und gegebenenfalls weitere, auf eine Gesamtkostensenkung ausgerichtete organisatorische Maßnahmen umfassen (Horváth/Seidenschwarz 1992; Horváth et al. 1993; Reckenfelderbäumer 1995). Befindet sich das konkrete Produkt oder die Dienstleistung noch im Entwicklungsstadium, können solche Maßnahmen schon bei der Konstruktion bzw. dem Leistungsdesign und den grundsätzlich eingesetzten Technologien und Ressourcen ansetzen. Bei bereits etablierten Leistungsangeboten besteht zumindest die Möglichkeit einer Effizienzuntersuchung der konkreten Prozessabläufe und des jeweiligen Potenzialeinsatzes. Als unterstützende Instrumente können hierbei v.a. Prozesswertanalysen sowie bestimmte Kontrollaktivitäten im Rahmen des Qualitätsmanagements herangezogen werden. Erstere überprüfen sämtliche Unternehmensaktivitäten (im Kontext des konkreten Leistungsangebotes) auf ihren Beitrag zur Wertschöpfung, auf ihre Notwendigkeit und ihre Kostenverursachung (Horváth et al. 1993; Paul/Reckenfelderbäumer 1998; Büttgen 2001). Letztere unterstützen insbesondere die Identifikation kostenerhöhender Fehlerquellen (Reckenfelderbäumer 1995). Wie in der allgemeinen Darstellung des Target Costing deutlich wird, stellt dieser Ansatz ein geeignetes Instrument zur marktorientierten Kostenermittlung und -steuerung dar, welches auch in der Unternehmenspraxis zunehmende Verbreitung findet (zu konkreten Anwendungsbeispielen aus der Praxis und branchenspezifischen Gestaltungsempfehlungen siehe z.B. Deisenhofer 1993; Jakob 1993; Cibis/Niemand 1993; Cooper 1994; Müller 1998; Arnaout 2001; Usadel 2002). Für den in diesem Beitrag betrachteten Anwendungsbereich beteiligungsintensiver Dienstleistungen ergibt sich jedoch eine Reihe von Besonderheiten und speziellen Anforderungen, auf die in den folgenden Abschnitten näher eingegangen wird.
4.2 Anpassungsbedarf und Gestaltungsempfehlungen für das Target Costing bei beteiligungsintensiven Dienstleistungen Gegenüber dem industriellen Bereich, aus dem das Target Costing ursprünglich stammt, unterscheidet sich die Erstellung von Dienstleistungen, insbesondere die von beteiligungsintensiven Dienstleistungen, in einigen grundlegenden Aspekten. Diese Unterschiede, zu denen neben der bereits intensiv diskutierten Mitwirkung des Kunden auch die besondere Kostenstruktur mit einem hohen Anteil an Gemein- und Fixkosten sowie die Quantifizierungsprobleme des Produktionsoutputs und die Zurechnungsprobleme des Inputs gehören (Reckenfelderbäumer 1998), haben direkte Auswirkungen auf die Anwendung des Target Costing. Zur Analyse dieser Auswirkungen wird auf die im voran-
Kundenorientiertes Kostenmanagement bei beteiligungsintensiven Dienstleistungen 385 gegangenen Abschnitt aufgezeigten Ablaufschritte zurückgegriffen, wobei der Fokus gemäß dem Anliegen dieses Beitrags auf die Konsequenzen der Kundenbeteiligung gelegt wird.
4.2.1 Besonderheiten der Zielkostenermittlung Das zentrale Anliegen des Target Costing besteht darin, die Kosten der Dienstleistungserstellung an den Zahlungsbereitschaften der Nachfrager auszurichten. Bei beteiligungsintensiven Dienstleistungen stellt sich jedoch das Problem, dass die Leistung aufgrund quantitativ und qualitativ variierender Kundeneinflüsse kaum einheitlich definierbar ist und somit auch keine allgemeingültige Basis für die Erfassung der Preisbereitschaften vorliegt. Es können sich sowohl Unterschiede in den Leistungsbestandteilen als auch in der Leistungsqualität ergeben (Sibbel/Hartmann 2005a). Erstere hängen insbesondere davon ab, welche Teilleistungen vom Kunden selbst übernommen werden oder an welchen er zumindest mitwirkt; Letztere unterliegen meist nicht nur inter- und intrapersonellen Schwankungen auf Seiten der Mitarbeiter, sondern auch auf der Kundenseite. Der Kunde ist gerade bei neuartigen Leistungsangeboten oftmals nur unzureichend in der Lage, die Qualität seines eigenen Inputs und damit auch den Nutzen der resultierenden Leistung zu beurteilen. Preisbereitschaften für ein solch schwer konkretisierbares Leistungsangebot sind daher in ganzheitlicher und einheitlicher Form kaum zu erheben. Zudem erschwert die Immaterialität der Leistung eine eindeutige Zuordnung von einzelnen Leistungsbestandteilen zu allgemeinen nutzenstiftenden Funktionen. Oftmals spielen im Dienstleistungsbereich gerade weiche Funktionen wie die im Rahmen des SERVQUALAnsatzes ermittelte Reagibilität oder das Einfühlungsvermögen eine besondere Rolle für die Nutzenstiftung beim Kunden (Parasuraman et al. 1985). Für solche weichen, unspezifischen Faktoren lässt sich aber kaum klären, durch welche Leistungskomponenten bzw. -prozesse sie im Einzelnen hervorgerufen werden bzw. mit welchem Anteil die Leistungskomponenten an der Realisierung dieser Qualitätsmerkmale beteiligt sind. Daher erweist sich eine Zielkostenermittlung, die auf solchen Leistungsfunktionen basiert, als kaum sachlich begründet realisierbar. Es bedarf somit einer anderen Bezugsbasis für die Zielkostenspaltung. Eine Lösung besteht zumindest für bereits vorhandene Dienstleistungen oder solche mit geringem Innovationsgrad, die kein besonders abstraktes Vorstellungsvermögen des Kunden erfordern, in der Erfassung der Preisbereitschaften über Teilleistungen oder Leistungsaktivitäten, die in variabler Zusammensetzung die Gesamtleistung bilden (Baukastensystem). Hierbei werden die Präferenzen für verschiedene Leistungskonstellationen im Hinblick auf Anbieter- und Nachfragerbeiträge und damit verbundene Preise zur Beurteilung gestellt. So kann z.B. ermittelt werden, wie hoch der Nutzenbeitrag einer Übernahme optionaler Anbieter-/Kundenaktivitäten durch den Anbieter ist, bzw. ab welcher Preisschwelle der Kunde die entsprechenden Aktivitäten selber übernehmen würde. Ist der Anbieter in der Lage, die entsprechende Teilleistung bzw. Leistungsaktivität ge-
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mäß den Zahlungsbereitschaften der Kunden auszuführen, so kann sie als Bestandteil in sein Leistungsbündel aufgenommen werden. Ist dies trotz eventueller Anpassungsmaßnahmen nicht der Fall, so empfiehlt sich eine Externalisierung an die Kunden, da hier offensichtlich ein komparativer Kostenvorteil auf Kundenseite vorliegt bzw. der Aktivität kein kostengerechter Nutzenbeitrag beigemessen wird. Die obligatorischen Nachfragerbeiträge sind nur bedingt in die Zielkostenermittlung aufzunehmen, da sie sich der direkten Beeinflussung durch den Anbieter weitgehend entziehen und damit nicht Zielkosten im klassischen Sinne sind. Dennoch kann es sinnvoll sein, die (wahrgenommenen) Kosten auf Kundenseite (z.B. in Form des subjektiven Zeit- und logistischen Aufwandes) ebenfalls zu erfassen, da sie von Entscheidungen der grundsätzlichen Leistungsgestaltung durchaus betroffen sein können (z.B. Standortentscheidungen oder konkrete Leistungsanforderungen an den Kunden) und ihre Senkung auch einen strategischen Wettbewerbsvorteil bedeuten kann. Auch können sie einen Beitrag zur Erklärung der erfassten Preisbereitschaften leisten.
4.2.2 Besonderheiten der Standardkostenbestimmung Für die obligatorischen Anbieteraktivitäten wie auch für die integrativen Prozesse gelten grundsätzlich die gleichen Regeln wie in der allgemeinen Vorgehensbeschreibung dargestellt: Die Standardkosten der einzelnen Leistungsaktivitäten müssen den für sie ermittelten Zielkosten möglichst weitgehend entsprechen. Die Besonderheit besteht hier jedoch in der Bestimmung der insgesamt zurechenbaren Kosten, welche - idealtypisch im Rahmen der Prozesskostenrechnung erfasst - einen unterschiedlich starken Bezug zu den nutzenstiftenden Leistungsbestandteilen haben. Reckenfelderbäumer (1995; 1998) unterscheidet in dem Zusammenhang drei Arten von Prozessen: Prozesse 1. Grades sind direkter Bestandteil des Absatzobjektes. Aus der in Abschnitt 3.3 vorgenommenen Aufteilung von Leistungsaktivitäten zählen hierzu sämtliche integrativen und durch den Anbieter ausgeführten optionalen Prozesse, da diese direkt mit der empfangenen Leistung verbunden sind und unmittelbar zur Nutzenstiftung und/oder Kostenverursachung bzw. -vermeidung auf Kundenseite beitragen. Von den obligatorischen Anbieteraktivitäten sind lediglich solche dieser Kategorie zuzurechnen, die explizit zum Zweck einer konkreten Leistungserstellung erbracht werden (z.B. Gewebeuntersuchungen in einem Krankenhaus oder Klausurenkorrektur in einer Bildungsinstitution). Prozesse 2. Grades sind unterstützende Aktivitäten mit lediglich mittelbarem Bezug zur eigentlichen Dienstleistung. Hierzu zählen diejenigen obligatorischen Anbieteraktivitäten, die in ihren Wirkungen durch den Kunden wahrnehmbar sind, aber nicht unmittelbar für ihn erbracht werden (z.B. Reinigung medizinischer Geräte oder Ausarbeitung eines Lehrprogramms).
Kundenorientiertes Kostenmanagement bei beteiligungsintensiven Dienstleistungen 387 Prozesse 3. Grades schließlich weisen kaum einen Bezug zum Absatzobjekt auf und dienen eher der Funktionsfähigkeit des Unternehmens als Ganzes. Sie gehören ebenfalls zu den obligatorischen Anbieteraktivitäten, jedoch sind ihre Wirkungen für den Kunden nicht erkennbar (z.B. Tätigkeiten im Rechnungswesen). Eine verursachungsgerechte Zuordnung der Kosten ist lediglich bei den ersten beiden Kategorien möglich. Während die Kosten der Prozesse 1. Grades bei prozessbezogener Kostenerfassung überwiegend vollständig und ohne Schlüsselungserfordernis einer konkreten Dienstleistung und damit auch einem bestimmten Kunden zurechenbar sind, bedarf es bei den Prozessen 2. Grades einer Verteilung der für mehrere Absatzobjekte oder Kunden entstandenen Prozesskosten entsprechend der jeweiligen Prozessinanspruchnahme. Ist diese nicht in wirtschaftlicher Form ermittelbar (z.B. bei der Reinigung eines Vergnügungsparks), so empfiehlt sich eine gleichmäßige Verteilung auf alle Kalkulationsobjekte. Die Kosten der Prozesse 3. Grades sollten bei einer kundenbezogenen Kostenkalkulation hingegen unberücksichtigt bleiben, da der aus ihnen resultierende Nutzen für den Nachfrager nicht beurteilbar ist. Die besondere Problematik beteiligungsintensiver Dienstleistungen liegt zudem darin, dass die Prozesse 1. Grades, die den stärksten Bezug zur kundenseitigen Nutzenstiftung aufweisen, überwiegend integrativer Art sind, d.h. den Einflüssen des Kunden in besonderem Maße unterliegen und damit nicht einheitlich kalkulierbar sind. Selbst die autonomen, unmittelbar leistungserstellenden Anbieterprozesse weisen oft eine gewisse Nachfragerabhängigkeit auf, da sie üblicherweise mit den vom Kunden wie auch den kollektiv ausgeführten Aktivitäten koordiniert werden müssen. Ein Vergleich von teilleistungs- bzw. prozessbezogenen Zielkosten und tatsächlichen oder zu erwartenden Standardkosten erweist sich durch diese Variabilität und mangelnde Prognostizierbarkeit als schwierig. Eine ex post-Zurechnung von Prozesskosten zu einzelnen Kunden oder auch einzelnen erbrachten Dienstleistungen ist bei differenzierter Erfassung der Prozessinanspruchnahme durch die jeweiligen Kalkulationsobjekte zwar durchaus möglich, doch erfordert die Anwendung des Target Costing eine vorausschauende Kostenkalkulation und -planung. Hierfür müsste die Einflussnahme des Kunden prognostizierbar und die diesbezüglichen Kostenwirkungen quantifizierbar sein. Ein relativ grober Lösungsansatz besteht in der Ermittlung von Kostenbandbreiten oder Durchschnittskostenwerten für diejenigen Leistungsprozesse, die dem Kundeneinfluss unterliegen. In Abhängigkeit der Eingriffsintensität des Prozesses, die in der Variabilität des Prozessverlaufes, der Prozessdauer und der erforderlichen Inputfaktoren zum Ausdruck kommt, können auch die zu erwartenden Prozesskosten variieren, so dass zunächst zu überprüfen wäre, ob die ermittelten Zielkosten innerhalb dieses Spektrums liegen bzw. ob sie dem diesbezüglichen Durchschnittswert entsprechen. In einer differenzierteren Analyse, die jedoch zusätzliche Verteilungsinformationen über Ausmaß und Qualität der Kundenbeteiligung (z.B. aus Vergangenheitsdaten) erfordert, können mitunter auch Wahrscheinlichkeiten für die erwarteten Prozesskostenausmaße geschätzt werden, so dass ein gewichteter Mittelwert als
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Vergleichsbasis gebildet werden kann. Beide Ansätze tragen jedoch letztlich nur dazu bei, die Realisierbarkeit eines bestimmten Preises bzw. bestimmter Zielkosten für eine Dienstleistung insgesamt, d.h. über sämtliche Kunden hinweg, zu überprüfen. Eine kundengerechte Kostenkalkulation bedeutet idealtypisch aber, die unterschiedlichen Kosteneinflüsse in der Kostenrechnung abzubilden und daraus eine differenzierte, verursachungsgerechte Leistungs- und Preisgestaltung abzuleiten. Dies erfordert für Teilbereiche der Leistungserstellung jedoch eine kundenindividuelle Durchführung des Target Costing, welche höchstens in solchen Fällen wirtschaftlich sein kann, wo mit einzelnen Leistungsaufträgen hohe Umsatzvolumina erwirtschaftet werden (z.B. bei Architektenleistungen). Ansonsten muss man sich entweder mit der Aussagekraft der vorab dargestellten Ansätze begnügen oder aber für eine bestimmte Leistung alternative Prozessverläufe oder -ausprägungen ex ante definieren, für die jeweils differenzierte Ziel- und Standardkosten ermittelt werden. Hilfreich ist hier die im Rahmen der Prozesskostenrechnung übliche Prozesshierarchie, die basierend auf einer Tätigkeitsanalyse Einzelaktivitäten nach ihrer sachlichen Zusammengehörigkeit sukzessive zu Teil- und Hauptprozessen zusammenfasst (Horváth/Mayer 1989; Niemand 1996). In einem modularen Prozessverständnis lassen sich die Einzelaktivitäten dann zu variablen Prozessen verdichten und als Grundlage für eine differenzierte Kostenkalkulation heranziehen. Die Möglichkeit zur Berücksichtigung des Kundeneinflusses hängt somit schwerpunktmäßig davon ab, wie weit die Leistungserstellung in kleinste Einheiten zerlegt wird, die in sich zwar weitgehend homogen sind, in ihrer Kombination mit anderen Einheiten aber äußerst heterogen ausgeführt werden können.
4.2.3 Ansätze zur Zielkostenerreichung Aus den Ergebnissen der Kostenkalkulation ergibt sich in der Regel ein Anpassungsbedarf, welcher mit geeigneten Maßnahmen zur Kostenbeeinflussung behoben werden sollte. Auch hier bedarf es einer besonderen Berücksichtigung des Kundeneinflusses, da einerseits bestimmte Kostengrößen nur bedingt durch den Anbieter steuerbar sind und andererseits prozessbezogene Maßnahmen zur Kostensenkung einen gegensätzlichen Effekt auf die kundenseitigen Beteiligungskosten und damit auch auf die Preisbereitschaften haben können. Bei der Suche nach Kostensenkungspotenzialen kann die bereits erwähnte Prozesswertanalyse herangezogen werden, die sämtliche Leistungsaktivitäten daraufhin überprüft, welchen Nutzen bzw. welche Werterhöhung sie für den Kunden bewirken. Maßnahmen zur Kostensenkung sollten vorrangig dort ansetzen, wo keine aus Kundensicht wahrnehmbare Wertschöpfung stattfindet. Dies ist v.a. bei den Prozessen 3. Grades der Fall (Sibbel/Hartmann 2005b). Hier besteht auch kein Risiko einer Erhöhung der Beteiligungskosten des Kunden durch Rationalisierungsmaßnahmen des Anbieters. Gerade bei beteiligungsintensiven Dienstleistungen kann auch eine Externalisierungspotenzialanalyse zur Identifikation von Kostensenkungsmöglichkeiten beitragen. Diese setzt bei den
Kundenorientiertes Kostenmanagement bei beteiligungsintensiven Dienstleistungen 389 optionalen Anbieteraktivitäten an und untersucht die Kosten-Nutzen-Wirkungen auf beiden Seiten bei einer alternativen Ausführung durch den Kunden. Je nach komparativem Kostenvorteil und nachfragerseitiger Nutzenstiftung, die im Rahmen der Zielkostenanalyse bereits erhoben wurden, kann sich eine Verlagerung auf den Kunden anbieten. Um die Kostenwirkungen dabei vollständig zu erfassen, müssten an sich auch die Transaktionskostenwirkungen einbezogen werden, die aus einem eventuell zusätzlichen Abstimmungsbedarf resultieren. Im Allgemeinen sind diese aber schwer zu quantifizieren, so dass ihre Einbeziehung den Wirtschaftlichkeitsanforderungen meist nicht genügen wird. Im Fall der integrativen Leistungsaktivitäten ist eine direkte anbieterseitige Einflussnahme auf die Kosten mitunter nicht möglich, da der prozessbezogene Kostenanfall zumindest partiell durch den Kunden verursacht ist. Hier können aber gegebenenfalls indirekte Steuerungsinstrumente wirksam werden, die auf die Integrationsqualität des Kunden (z.B. Schulungs- oder Informationsmaßnahmen) oder eine Reduktion seines Einflusses durch stärkere Standardisierung der Leistungsaktivitäten ausgerichtet sind. Auch diesbezüglich gilt es aber, den wahrgenommenen Beteiligungsaufwand des Kunden wie auch den Nutzenbeitrag der Prozessindividualität nicht zu vernachlässigen.
5.
Fazit
Während das Streben nach Kundenorientierung in qualitätsbezogenen Ansätzen und Methoden schon seit langer Zeit fest verankert ist, befindet sich das Kostenmanagement diesbezüglich noch immer in einer frühen Entwicklungsphase. In der Managementpraxis werden nach wie vor traditionelle, industriell geprägte Kostenrechnungsansätze eingesetzt, obwohl man inzwischen erkannt hat, dass diese den Besonderheiten der Dienstleistungserstellung kaum gerecht werden können. Das Hauptproblem bei beteiligungsintensiven Dienstleistungen besteht darin, den Einfluss des Kunden auf die Kostenentstehung des Anbieters adäquat zu berücksichtigen. Zudem kann bei Dienstleistungen, deren Inanspruchnahme auch für den Kunden Aufwand bedeutet, dieser nicht außer Acht gelassen werden, wenn man bestrebt ist, ein kundenorientiertes Kostenmanagement zu etablieren. Hier liefert das Target Costing unter Rückgriff auf Informationen der Prozesskostenrechnung eine geeignete Basis, um die Kosten- und Leistungsgestaltung des Unternehmens an den Bedürfnissen und Anforderungen des Kunden auszurichten. Seine Gestaltung bedarf jedoch einer Anpassung an die besonderen Gegebenheiten beteiligungsintensiver Dienstleistungen, denen durch die Berücksichtigung des Kunden als nicht frei verfügbarer Produktionsfaktor und wichtige Kosteneinflussgröße Rechnung getragen wird.
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Kapazitätsauslastungs- und Ertragscontrolling durch das Yied Management
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Klaus Weiermair und Mike Peters
Kapazitätsauslastungs- und Ertragscontrolling von touristischen Dienstleistungen durch das Yield Management
1. Einführung 2. Controlling und Kapazitätsprobleme in Dienstleistungsunternehmen 3. Anforderungen an das Yield Management 4. Komponenten von Yield Management Systemen 5. Yield Management im Tourismus: Limitationen und Notwendigkeiten Literatur
Prof. Dr. Klaus Weiermair ist Leiter des Zentrums für Tourismus- und Dienstleistungswirtschaft an der Universität Innsbruck. Dr. Mike Peters ist Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Unternehmensführung, Tourismus- und Dienstleistungswirtschaft an der Universität Innsbruck.
Kapazitätsauslastungs- und Ertragscontrolling durch das Yied Management
1.
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Einführung
Die Mehrzahl der noch wenigen Beiträge zum Yield Management bezieht sich auf dessen Anwendung in der Luftverkehrsbranche (Belobaba 1987; 1992; Botimer/ Belobaba 1999) oder auf die Hotellerie (Britan/Mondschein 1995; Weatherford 1995; Baker/ Collier 1999; Capiez/Kaya 2002). Das Ziel dieses Beitrages ist es aufzuzeigen, welche Möglichkeiten und Grenzen das Yield Management für Dienstleister entlang der touristischen Wertkette aufweist. Besonderes Augenmerk soll dabei auf die, dem touristischen Dienstleistungsunternehmen im deutschsprachigen Raum typische Betriebsgrößenproblematik gelegt werden. Der Beitrag untersucht zunächst das Kernproblem der Kapazitäts- und Ertragssteuerung in kapazitätsbegrenzten Dienstleistungsunternehmen. Dabei wird das Yield Management als eine von mehreren Möglichkeiten der Steuerung von Kapazitätsauslastung (und Ertragsmaximierung) dargestellt (Weiermair/Mathies 2003). Im darauf folgenden Teil werden die marktlichen Voraussetzungen für das Yield Management in Bezug auf unterschiedliche Preiselastizitäten und die Separierbarkeit und Kontrollierbarkeit der Märkte für unterschiedliche Dienstleistungen diskutiert (Kimes 2000). Der vierte Teil beschäftigt sich mit der betriebsinternen Kontrolle und dem Lenkungssystem des Yield Managements und den dabei notwendigen Informationsverarbeitungssystemen (Weiermair/ Mathies 2003). Am Ende des Beitrags erfolgt eine kritische Würdigung der Chancen und Grenzen des Yield Managements bei touristischen Dienstleistungen mit besonderem Augenmerk auf die Klein- und Mittelbetriebsproblematik.
2.
Controlling und Kapazitätsprobleme in Dienstleistungsunternehmen
Controlling ist ein Subsystem der Führung, welches sowohl Planung und Kontrolle als auch Informationsversorgung systembildend, systemkoppelnd und ergebniszielorientiert koordiniert, um somit die Abstimmung des Gesamtsystems zu unterstützen. Der Ausgangspunkt des Controlling ist das Rechnungswesen, welches die Grundlage für die Planungs- und Steuerungsaufgaben des Controllers ist (Holleis 1993, S. 15). Controlling geht somit weit über eine Überwachungsfunktion hinaus und kann mit dem Instrument des Yield Managements insbesondere im Bereich der Unternehmensplanung und -steuerung wertvolle Dienste leisten. Es zeigt sich, dass besonders die Kombination von intelligenter Preispolitik mit Customer Relationship Management wichtige Kostensenkungs- aber auch Differenzierungsquellen für Dienstleistungsunternehmen erschließen kann (Hendler/Hendler 2004).
398
Klaus Weiermair und Mike Peters
Dienstleistungen im Allgemeinen, aber im Besonderen die Anbieter von bestimmten kapitalintensiven touristischen Dienstleistungen, wie Flug- und Bahntransport, Beherbergung und Themenparks, leiden auf Grund von Nachfrageschwankungen kontinuierlich unter Kapazitätsauslastungsproblemen und den damit verbundenen Ertrags- und Gewinneinbußen (Lovelock 1992). Hohe Kapitalkosten und die oft damit verbundenen Skaleneffekte in Bezug auf den Verlauf der Stückkosten gehören auch zu den wichtigsten Voraussetzungen für das Yield Management (Fitzsimmons/Fitzsimmons 2004). Die Nichtlagerfähigkeit der Dienstleistung sowie Informationen über das Preis- und Produktionsverhalten von unterschiedlichen Kunden- bzw. Touristensegmenten im Zeitverlauf sind weitere Voraussetzungen für das Yield Management. Folgt man der obigen Definition des Controlling, dann erweisen sich das Yield Management und seine unterschiedlichen Ausprägungsformen eindeutig als Controllingaufgaben. Unter Yield Management versteht man ein Instrument zur Allokation nichtlagerfähiger Leistung mit dem Ziel der Profitmaximierung (Pullmann/Norre 1998; Kimes 2000, S. 4). Der Begriff des Yield Managements kann durchaus als bloße Maximierung des Durchschnittsertrages missverstanden werden. Daher werden in der Literatur auch Begriffe wie „Perishable Asset Revenue Management“ (Weatherford/Bodily 1992) oder „Profit Management“ bzw. „Revenue Management“ (Kimes et al. 1999; Kimes/McGuire 2001) verwendet (Wendt 1998, S. 4). Unter Yield Management versteht man nach Kimes (1989) eine Methode, mit deren Hilfe man die richtige Angebotseinheit dem passenden Konsumenten zur passenden Zeit zum passenden Preis verkaufen kann. Ziel des Yield Managements ist es somit, Kapazitäten möglichst profitabel auszunutzen. Im Dienstleistungssektor finden sich aufgrund der Leistungsbesonderheiten spezifische Kapazitätsproblematiken. Dienstleistungen sind schließlich heterogen, nichtlagerfähig und/oder nicht speicherfähig und unterliegen besonderen Schwankungen in der Qualität. Die Tatsache, dass Dienstleistungen zudem kaum vor dem Konsum durch den Käufer zu prüfen sind, führt außerdem dazu, dass Konsumentenunsicherheiten, aber auch verschiedenste Erwartungen an die Preisstruktur auftreten. Die Besonderheiten der Dienstleistungsproduktion bzw. der Vermarktung von Dienstleistungen, die natürlicherweise auch im Tourismussektor gelten, sind (Corsten 1985; Maleri 1991; Lehmann 1993; Peters/ Weiermair 2002; Fitzsimmons/Fitzsimmons 2004): Immaterialität kombiniert mit Qualitätsunsicherheiten der Konsumenten, Simultanität der Produktion und Konsumption von Dienstleistungen, Nichtlagerfähigkeit/Nichtspeicherbarkeit, Hohe Risiken bzw. Kosten durch Fluktuation in der Kapazitätsnachfrage, Sensitivität der Dienstleistungsproduktion bzgl. der Erhöhung der Arbeitskosten und Schwierigkeiten in der korrekten Vorhersage von Kundenwünschen und -präferenzen. Yield Management funktioniert aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. Diese Gegebenheiten treffen auch auf eine Reihe von Dienstleistungsbranchen zu, wobei die
Kapazitätsauslastungs- und Ertragscontrolling durch das Yield Management
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idealtypische Branche des „Yielding“ die Flugverkehrsbranche ist. Dies zeigt auch die Entwicklungsgeschichte des Kapazitätsmanagementtools: Im Zuge der Deregulierung der Luftverkehrsbranche in den USA waren die Marktführer der Branche plötzlich mit Low Cost-Carrierern konfrontiert. Yield Management-Systeme wurden erfunden, um das Segment der High Yields zu schützen und gleichzeitig den Low Cost-Anbietern die Stirn zu bieten. Erst in den 80er Jahren aber wurden professionelle Yield ManagementSysteme (z.B. SABRE, DFI) entwickelt und durch Marriot und Hyatt als erstes in der Hotelbranche eingeführt. 1990 setzte Hertz ein Yield Management-System in der Autovermietungsbranche ein. Heute finden sich ähnliche Systeme entlang der gesamten touristischen Dienstleistungskette (Sterzenbach/Conrady 2003). Neben der Flugverkehrsbranche findet Yield Management auch verstärkt Anwendung in anderen Transportbereichen wie z.B. der Bahn (z.B. Amtrak, USA) oder bei Fähren und Kreuzfahrtschiffen. Fitzsimmons/Fitzsimmons (2004) bzw. Sterzenbach/Conrady (2003, S. 338) nennen neben der Nichtlagerfähigkeit folgende Bedingungen, unter denen Yield Management funktionieren kann: Identische Güter: Die angebotenen Güter müssen aus Kundensicht identisch sein. Hotelzimmer, Mietwagen eines Fahrzeugtyps oder aber auch ein Flugsitz sind im Vergleich homogen. Starre Kapazitätsobergrenzen: Einer bestimmten Nachfrage kann bei einer Vollauslastung nur zu einem späteren oder früheren Zeitpunkt nachgekommen werden. So ist ein Hotelzimmer mit bestimmten Merkmalen (z.B. Blick aufs Meer, Ausstattungsbesonderheiten) nur zu einem bestimmten Zeitpunkt frei. Hotelketten oder Hotelallianzen innerhalb einer Region können hier allerdings Kapazitätsspielräume schaffen. Die Nachfrage schwankt im Zeitablauf: Dies ist der Fall in saisonabhängigen Destinationen. Der Verkaufszeitpunkt liegt vor dem Zeitpunkt der Nutzung: Reservierungssysteme können das zeitliche Auseinanderfallen von Kaufentscheidung bzw. Buchung und Konsumtion überbrücken. Die Frage für den Kapazitätsmanager lautet hier: Soll die Buchung zu einem ermäßigten Preis bestätigt werden oder soll die Kapazität gelagert werden mit der Hoffnung, ein anderes Kundensegment mit höherer Zahlungsbereitschaft auszukundschaften (Burgess 1996; Fuchs 2000). Die Grenzkosten sind gering: Die anfallenden Kosten einer zusätzlich verkauften Angebotseinheit sollten auf der einen Seite geringfügig sein. Auf der anderen Seite sind die hohen Kosten im Falle einer Kapazitätserweiterung auf notwendige hohe Investitionsvolumen zurückzuführen. Die Fixkosten sind somit sehr hoch. Marktsegmentierung: Will man Yield Management einsetzen, dann muss die Identifikation von unterschiedlichen Segmenten, die bereit sind, unterschiedliche Preise zu zahlen, möglich sein. Unterschiedliche Preiselastizitäten sind somit notwendige Voraussetzungen der Branche, in der Yield Management zum Einsatz kommen sollte.
400
3.
Klaus Weiermair und Mike Peters
Anforderungen an das Yield Management
Die Wahrnehmung fairer Preise oder gutem „Value for Money“ kann entweder beeinflusst werden, indem die Qualität des Produktes erhöht oder der Preis (bzw. die Wahrnehmung des Preises) gesenkt wird (so führt z.B. die Einbindung von Informationstechnologien in den Buchungsprozess zu einer Wahrnehmung der Preissenkung bzw. der Senkung von Transaktionskosten). Die Preiswahrnehmung von Konsumenten kann zudem einen stärkeren Effekt auf den Wert haben als die Qualität des Produktes oder einer Dienstleistung (Varki/Colgate 2001). Yield Management segmentiert Konsumenten somit über den Preis oder über das Produkt oder die Dienstleistung selbst. Abbildung 1 zeigt diesen Zusammenhang.
Wert =
Q KQ
Qualität der Dienstleistungen und Produkte
Kosten der Qualitätsbeschaffung
Abbildung 1: Der Wert einer Leistung Gelingt es also, einen höheren Kundenwert zu schaffen, dann ermöglicht dies dem Unternehmer einen angemessenen höheren Preis zu verlangen (Capiez/Kaya 2002). Natürlich ist somit das Instrument anfällig für Konsumentenenttäuschungen, denn kommunizieren Konsumenten untereinander und nehmen diese die Segmentierung als ungerecht und keineswegs kundenorientiert, sondern gewinnmaximierend wahr, dann ist der Einsatz des Yield Managements gescheitert. Es zeigt sich also, welche weit reichenden Konsequenzen Yield Management für das gesamte Management eines Produkt- oder Dienstleistungsportfolios hat. Kuncher und Hillekte (1993) zeigen mit ihren Preisentscheidungsmodellierungen diese Auswirkungen auf (Abbildung 2).
Kapazitätsauslastungs- und Ertragscontrolling durch das Yield Management
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Preis Determinanten
Markt
Relativer wahrgenommener Wert und Zahlungsbereitschaft
Unternehmen
Grenzkosten Gewinnoptimaler Preis
Umsatzvolumen
Bruttogewinn
Gewinn Optimierung
Marktreaktion
Abbildung 2: Rahmenbedingungen der Preisentscheidung (Quelle: Kuncher/Hillekte 1993) Der relativ wahrgenommene Wert der Leistung und die Zahlungsbereitschaft des Konsumenten haben direkte Auswirkungen auf die Erlöse. Auf der Marktseite wird diese Nachfrage z.B. durch Werbeausgaben, Einkommensveränderungen, Preisänderungen von Substitut- und Komplementärprodukten oder Trendveränderungen beeinflusst. Typische Veränderungen auf der Unternehmens- oder Angebotsseite, die schlussendlich den optimalen Preis beeinflussen, sind Innovationen in Technologien, Saisonschwankungen, Veränderungen der Kostenstruktur der Produktion und Produktionsfaktoren oder veränderte staatliche Regulierungen oder Förderungspolitiken (Edgar 1997). Die Anforderungen an den Yield Manager sind somit vielfältig. Die wesentlichen Anforderungen, die weit über die üblichen Kapazitätsmanagementinitiativen hinausgehen, sind (Donaghy et al. 1995; Fuchs 2000): Da man sich weg von starren Preisregelungen hin zu einer konsumenteninduzierten Preispolitik bewegt, wird der Yield Manager zum gewissenhaften Kenner des Marktes und der verschiedenen Marktsegmente. Die enge Zusammenarbeit mit der Marktforschung (bei internen oder externen Quellen) ist somit die Grundvoraus-
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Klaus Weiermair und Mike Peters
setzung für das Gelingen einer Yield-Strategie. Dies spricht, zumindest ab einer gewissen Betriebsgröße, für die Einrichtung einer Stelle, die sich ausschließlich mit den Belangen des Yield Managements, nämlich der Marktforschung bzw. des Marketing, des Verkaufs und des Buchungsmanagements und schließlich der Führung beschäftigt (Desiraju/Shugan 1999). Diese Anforderungen stimmen mit denen eines echten Controllers überein (Burgess 1996). Wie oben erwähnt, ist die systematische Datensammlung über Marktveränderungen die echte Herausforderung, denn es genügt nicht mehr, Kundensegmentierungen z.B. lediglich nach der Urlaubsform (z.B. Konferenzreisender vs. Urlaubsreisender) zu differenzieren. Echte Chancen für Preisdifferenzierungen ergeben sich nur aus der Erfassung von Kundendaten wie Ausgabebereitschaft, Buchungs-, Informationsoder Urlaubsentscheidungsverhalten, Aufenthaltsdauer und sonstigen Urlaubsmustern (so spielt z.B. im Bereich der Hotellerie die Art der An- und Abreise, Zufriedenheitslevel und Nutzung spezifischer Teilangebote eine Rolle). Eine weitere Anforderung betrifft die Zusammenstellung des optimalen Kundenmix. Für den Kunden stellen andere Kundensegmente einen wesentlichen Teil des Dienstleistungserstellungssystems dar (Normann 1996). Der Kundenmix beeinflusst somit die Qualitätsbeurteilung des individuellen Konsumenten. Im Bereich der Hotellerie oder des Transports können Zufriedenheitsforschungen Auskunft über die Optimalität der Komposition verschiedener Kundensegmente geben. Preispolitische Entscheidungen, die im Kleinunternehmen nicht selten anhand der beobachtbaren Konkurrenz gefällt werden, spielen nun bei Einführung des Yield Managements eine wesentlich wichtigere Rolle. Daher muss eine starke Sensibilität des Yield Managers verhindern, dass es zu Akzeptanzproblemen bei den Kunden kommen kann. Im Dienstleistungsunternehmen fallen somit erneut hohe Anforderungen und Flexibilität dem Kundenkontaktpersonal zu, das über die Preisempfindlichkeit der Kunden informiert sein muss. Dies führt somit zu wichtigen Implikationen für das Mitarbeitermanagement und die Führung im Unternehmen. Viele Mitarbeiter können kein Verständnis für die Kultur und Zielsetzungen des Yield Managements aufbringen und empfinden selbst den Ansatz als ungerecht. Akzeptanzbarrieren werden dann noch zusätzlich besonders bei älteren Mitarbeitern durch den vermehrten Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien verschärft (Fuchs 2000). Technologie ist somit die wesentlich letzte Herausforderung für den Yield Manager. Die Einführung effektiver Yield Management-Technologie ist ebenso komplex wie die effiziente Nutzung des Systems im Unternehmen. Schließlich werden nahezu alle funktionalen Unternehmensbereiche betroffen; selbst vermeintlich typische BackOffice-Mitarbeiter müssen nun auf Kundenorientierung und preispolitisches Verständnis geprüft werden. Der Großteil der existierenden Literatur zum Yield Management bezieht sich auf die Musterbranche des Instrumentes, auf die Flugbranche. Eine interessante Frage bleibt
Kapazitätsauslastungs- und Ertragscontrolling durch das Yield Management
403
somit, inwieweit Yield Management in anderen touristischen Subbranchen Verwendung findet und finden könnte. Weiermair/Mathies (2002) zeigen auf, welche Besonderheiten die Subbranchen Transport, Beherbergung, Restaurant und Destinationseinheiten in Bezug auf den Einsatz des Yield Managements aufweisen (Abbildung 3).
Subbranche Yield ManagementAnwendungen
Transport
Beherbergung
Restaurant
Destinationen
Hauptsächlich bei
Teilweise bei Groß-
Wenig Nutzung.
Nur Nutzung des YM
Massentransport wie
hotels in Großdesti-
wenn die Destination
Flugverkehr,
nationen wie z.B.
als Corporation
Bahnen, Fähren.
Las Vegas oder bei
geführt wird (z.B. wie
Teilweise bei Seil-
globalen Hotelket-
in Whistler
/Bergbahnen, Auto-
ten.
Mountain, British
vermietungen.
Wenig Nutzung bei
Columbia, CA).
der eher klein- und mittelstrukturierten Individualhotellerie.
Angebotsseite
Standardisierte
Schwach standardi-
Schwach standardi-
Komplexe Bündel
Kapazitätseinheiten.
sierte Kapazitäts-
sierte Kapazitäts-
verschiedenster
Homogene Anbieter.
einheiten. Hetero-
einheiten. Hetero-
Produkte und
genes Angebot.
genes Angebot.
Dienstleistungen, die von verschiedenen Anbietern offeriert werden.
Nachfrageseite
Variable Nachfrage
Mehrere Nächti-
Variable Aufent-
Variable Produkt-
mit zwei haupt-
gungen.
haltsdauer.
und Dienstleis-
sächlichen Konsu-
Eine Vielzahl von
Eine Vielzahl von
tungskombinationen.
mentensegmenten.
Konsumentenseg-
Kundensegmenten.
Eine Vielzahl von
menten.
Analytische Techniken
Kundensegmenten.
Preisdiskriminierung.
Preisdiskriminierung.
Preisdiskriminierung.
Preisdiskriminierung.
Stochastische Vor-
Stochastische Vor-
Stochastische Vor-
Stochastische Vor-
hersagemodelle.
hersagemodelle.
hersagemodelle.
hersagemodelle.
Client Data
Client Data
Client Data
Client Data
Analysen.
Analysen.
Analysen.
Analysen. Conjoint Analysen.
Probleme
Route sharing und
Konsumenten sind
Preisdiskriminie-
Koordination der
somit revenue sha-
weniger bereit,
rungen werden nicht
Anbieter und deren
ring der alliierenden
Preisdiskriminie-
akzeptiert.
Kapazitäten. Inter-
Fluggesellschaften.
rungen zu dulden.
Geringes Vorbu-
relationen der
Möglichkeit der
chungsvolumen.
Dienstleistungen.
Produktsub-
Geringe Erfahrung
stitution.
bei der Umsetzung.
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Aussichten
Klaus Weiermair und Mike Peters
Rapide
Limitiert für größere
Stärkere Nutzung
Stärkere Nutzung
Diffusionsrate.
Hotelketten und
von größeren oder
bei unternehmerisch
Individualhotels, die
Kettenrestaurants
geführten Destinati-
strategische
die bereits
onstypen.
Allianzen
Reservierungs-
oder andere Formen
systeme nutzen.
der Integration eingehen.
Komplexität Abbildung 3: Yield Management in touristischen Subbranchen (Quelle: Weiermair/Mathies 2002, S. 158f.) Die Beherbergungsbranche weist klare Ähnlichkeiten mit der Flugbranche auf und scheint daher für den Einsatz des Yield Managements gut geeignet. Bspw. nutzen sowohl Flug- als auch Hotelbranche vermehrt und äußerst erfolgreich das Internet, um Vorbuchungen zu optimieren (La/Kandampully 2002). Die Entscheidung über den Einsatz des Yield Managements hängt im Wesentlichen von den Kriterien Standort, Größe, finanziellen Ressourcen und Eigentumsverhältnissen des jeweiligen Hotels oder der jeweiligen Hotelkette ab (Jarvis et al. 1998). Weitere Ähnlichkeiten der beiden Branchen Luftverkehr und Beherbergung liegen auf der Hand: So ist es z.B. in beiden Branchen das Ziel, Umsatz pro Angebotseinheit zu maximieren. Zudem ist die Überbuchung ein typisches Instrument in beiden Branchen, um die anfallenden Kosten einer Buchungsstornierung zu minimieren. Ein typischer Unterschied ist z.B. die Anforderung des Managements mehrerer Übernachtungen eines Gasts im Hotelsektor. Ankunft und Abreise sowie die Dauer des Aufenthalts determinieren die Preisfestsetzung. Die Belegungsquoten der darauf folgenden Tage t+n werden schließlich mit der Buchung am Tag t beeinflusst. So kann es durchaus sein, dass es günstiger ist, einen Konsumenten abzulehnen, der einen geringen Preis für einen 5 Tage-Aufenthalt akzeptiert, auch wenn das Zimmer am nächsten Tag leer steht. Dies ist der Fall, wenn die Belegung für die nächsten vier Tage schon als sehr hoch eingestuft werden kann (Britan/Mondschein 1995). Die Hotelindustrie muss sich zudem detaillierte Marktsegmentierungen erarbeiten, da Hotelgäste verschiedenste Preissensibilitäten und Zahlungsbereitschaften aufweisen. Diese hängen z.B. von der Art des Urlaubstransports, der Begleitung oder der Dauer des Aufenthalts ab. Die Preissensibilität der Kunden ist zudem verstärkt, da deren Möglichkeit, das Produkt bzw. die Dienstleistung zu substituieren, deutlich höher ist, als dies beim Flugtransport der Fall ist. Ein weiterer Unterschied betrifft die Nachfrageschwankung beider Branchen: Beherbergungsunternehmen unterliegen meist Saisonen und den damit verbundenen Nachfrageschwankungen, die durch Urlaubsreglements in den Sendeländern oder durch klimatische Tatsachen beeinflusst werden. In der Luftverkehrsbranche hängen jedoch Nachfrageschwankungen stärker von den unterschiedlichen
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Wochentagen und jeweiligen Flugzeiten ab (Weiermair/Mathies 2002). Schließlich haben Hotels im Gegensatz zur Flugbranche eine bessere Möglichkeit, ihre Leistungen entsprechend den anvisierten Kundensegmenten zu differenzieren. Die Erlebnisorientierung der vergangenen Jahre ist ein typisches Beispiel für die Schaffung zusätzlicher Kundenwerte (Pine/Gilmore 2000; Grötsch 2001). Als Beispiel für ein Yield Management-System in der Hotellerie sei HIRO (Holiday Inn Reservation Optimization) genannt, welches, vergleichbar mit SABRE, historisches und aktuelles Buchungsverhalten zur Analyse der Zimmeranfragen bei jedem einzelnen Holiday Inn verwendet. Die Yield Management-Optimierung inkludiert saisonale Belegungsschwankungen, lokale Events, Wochenzyklen und aktuelle Trends, um einen typischen Barriere-Preis zu entwickeln (dies ist der niedrigste Preis, zu dem das Zimmer im jeweiligen Hotel gebucht werden sollte) (Leibmann 1995; Fitzsimmons/Fitzsimmons 2004, S. 263). In der Gastronomie müssen verderbliche Lebensmittel eingesetzt werden. Doch eine „Weiterverwendung von Restbeständen der Tageskarte gilt zumindest im Hochpreissegment als äußerst imageschädigend, eine Nachbeschaffung von ausgegangenen Zutaten ist meist unmöglich“ (Wendt 1998, S. 3). Doch Restaurants haben auch andere Quellen zur Nutzung von Yield Management-Praktiken und nutzen Yield Management zur Optimierung von Erlösen in Bezug auf die Anpassung an Saisonalitäten und Nachfrageschwankungen (Kasavana 1991). Die Gastronomiebranche unterscheidet sich in Bezug auf das Kapazitätsmanagement signifikant von den anderen oben diskutieren Branchen: Die Dauer des Konsums ist hier keineswegs stabil bzw. fixiert, sondern hängt von individuellen Konsumentencharakteristika und situativen Variablen ab. Die Vorhersagen der Konsumationszeiten im Restaurant sind recht schwer zu treffen und zudem nicht leicht zu kontrollieren. Eine der größten Barrieren ist die Einstellung des Restaurantbesitzers oder -managers selbst, denn diese sind selten bereit, Preisdiskriminierungen bei den Kunden durchzusetzen. Restaurantchefs interpretieren preispolitische Instrumente, wie z.B. Coupons, die zwei Produkte/Dienstleistungen zum Preis von einem anbieten, verschiedene Bepreisungen aufgrund der Tageszeit bzw. bei Mittagund Abendessen als fair. Variables Bepreisen von Wochentagsangeboten vs. Wochenendangeboten wird bereits als tendenziell unfair angesehen. Zu diesen Ergebnissen kommen Kimes/Wirtz (2002), die zudem aufzeigen, dass z.B. unterschiedliche Bepreisung nach Tischstandorten oder Räumen als sehr unfair gegenüber den Gästen interpretiert wird. Die wahrgenommene Unfairness ist besonders in der Restaurantbranche, insbesondere bei homogener Betriebsgestaltung und Design, eine starke Barriere zur Anwendung des Yield Managements. Tourismusdestinationen sind schließlich die komplexesten Dienstleistungsnetzwerke, die verschiedene Leistungen von mehreren Anbietern offerieren. Verschiedene Eigentumsstrukturen widersprechen auf der einen Seite zwar einer effizienten Yield Management-Umsetzung, auf der anderen Seite jedoch können die Vielfältigkeit und Produktoder Dienstleistungsvariationen in einer Destination gute Voraussetzungen für die Implementierung unterschiedlicher Preissegmentierungen bieten. Neben den üblichen Techniken wie z.B. der Kundendatenanalyse oder stochastischer Vorhersagemodellierungen wird hier auch die Conjoint-Analyse empfohlen, da Informationen benötigt wer-
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Klaus Weiermair und Mike Peters
den über die kompetitiven Attribute in einer Destination, über Konsumentenpräferenzen bzgl. der Angebote in der Destination, über das Timing derselben und über das Verhalten der Unternehmer und des Managements in Bezug auf die Koordination der Ressourcen. Bisher existieren nur wenige Arbeiten, die sich mit der Anwendung des Yield Managements in Destinationen beschäftigen: Mulvey/Dzidonu (1999) diskutieren z.B. die Nutzung eines computergestützten Informationssystems, um die Komplexität der Produkt- und Leistungsvielfalt überschaubar und nutzbar zu machen.
4.
Komponenten von Yield Management-Systemen
Für alle Branchen gilt es, notwendige Elemente eines Yield Management-Systems bereitzustellen. Datenakquisition und Datenverarbeitung, ein effizientes Berichtssystem, eine Benutzeroberfläche und die Modellierung der Resultate sind wesentliche Basiselemente, die in mehr oder minder professioneller oder institutionalisierter Weise in verschiedenen Tourismusbranchen und Unternehmensgrößen zu finden sein müssen. Abbildung 4 zeigt diese Elemente, die im Folgenden kurz diskutiert werden.
DatenAkquisition
Datendepot
Modellierung
Berichtswesen
Benutzeroberfläche
Analyse
Abbildung 4: Komponenten des generischen Yield Management Informationssystems (Quelle: Mulvey/Dzidonu 1999, S. 126) Die Datenakquisition ist dafür verantwortlich, insbesondere die nötigen Informationen für eine effektive Kundensegmentierung zu beschaffen. Diese Daten fließen direkt in
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das Datendepot, welches die Hauptquelle für die Berechnung des jeweiligen Yield ist. Die Modellierung basiert im Allgemeinen auf Erfahrungen der vergangenen Monate oder sogar Jahre in Bezug auf Reservierungs-/Buchungs- oder Stornierungsverhalten der Gäste. Einige Unternehmen bevorzugen die Internalisierung der Datenakquisition, besonders wenn die mangelnden Größenwirtschaftlichkeiten keine Make, sondern eine Buy Entscheidung forcieren. Ein Berichtssystem ist notwendig, um die Yield-Entscheidung zu unterstützen: Hier werden Interpretationen (oft in Zusammenhang mit einer relationalen Datenbank) aus den Daten gewonnen, die dann an das Yield Management-Modell weitergeleitet werden. Die Modellierung ist der Rahmen zur Konzeption der Kernparameter, die die Yield Management-Entscheidung unterstützen. So werden in der Regel Buchungs- und Reservierungssysteme, no-shows (d.h. Kunden buchen, erscheinen aber nicht) und Stornierungen modelliert und liefern somit genug Hintergrund für stochastische Vorhersagen, wie z.B. für die Berechnung von Überbuchungsraten. Eine Benutzeroberfläche ist Voraussetzung für den Dialog des Yield Managers mit dem System. Eine solche systematische informationstechnologisch gestützte Struktur kann dann Hilfe für eine Reihe von Entscheidungen sein. In einer Destination handelt es sich z.B. neben der Entscheidung der Bepreisung von Dienstleistungen auch um die Datengrundlagen für das Mitarbeitermanagement, Materialeinkäufe, Transport-Frequenzen oder die Terminierung von Events, ökologische Schutzmaßnahmen, etc. (Mulvey/Dzidonu 1997; 1999). Das oben skizzierte Yield Management-Informationssystem dient dazu, die Durchsetzung der Kernelemente des Yield Managements zu garantieren. Basierend auf Sterzenbach/Conrady (2003, S. 345ff.) können im Wesentlichen neben den genannten Elementen Marktsegmentierung und Preisdifferenzierung, die folgenden Yield Management-Kernelemente im Transport ausgemacht werden: Nachfragelenkung im Zeitablauf: Im Transportbereich scheint die hochwertige Nachfrage durch kurzfristig planende Geschäftsreisende eher kurzfristig zustande zukommen, die eher minderwertige Nachfrage durch Urlaubsreisende jedoch relativ langfristig. Diese Situation, die vor allem auch bei Stadthotels zu beobachten ist, führt zu der Anforderung, Kapazitäten für minderwertige Nachfrage rechtzeitig zu beschränken, um sodann ausreichend Platz für die später am Markt erscheinende Nachfrage zu behalten. Überbuchungen: Schon in den sechziger Jahren kristallisierte sich die Überbuchung als eine typische Yield Management-Funktion heraus. Der Grund hierfür sind kurzfristige Stornierungen oder no-shows. Besonders wichtig sind hierbei Erfahrungswerte der Vergangenheit und perfekt trainiertes Kundenkontaktpersonal. Die Bildung und Einzelsteuerung von Buchungsklassen: Im Flugverkehr sind die typischen Compartments First Class, Business Class und Economy Class bekannt. Verschiedenen Buchungsklassen werden somit verschiedene Preise zugewiesen und diese werden dann einzeln gesteuert. Hierzu muss die Nachfrage prognostiziert und die Wahrscheinlichkeit für den Verkauf eines jeden Platzes in jeder Buchungsklasse ermittelt werden. Man multipliziert die Wahrscheinlichkeitswerte mit dem durchschnittlichen Netzerlös jeder Klasse und erhält einen Erwartungswert des Erlöses für jeden einzelnen Sitzplatz im Flugzeug. Nun dimensioniert man die Buchungsklassen
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Klaus Weiermair und Mike Peters
so, dass alle Erwartungswerte gleich sind. Grundsätzlich ist diese Vorgehensweise im Falle der Beherbergungsindustrie sinnvoll (Suiten vs. Standardzimmer), findet aber kaum Anwendung in der Gastronomie. Nesting und die verkehrsstrombezogene Buchungsklassensteuerung: Höchstwertige Buchungsklassen haben Zugriff auf die volle Kapazität des gesamten Flugzeuges (so wird die Buchung nicht abgewiesen, da schließlich noch minderwertige Plätze zur Verfügung stehen) und minderwertige Buchungsklassen haben keinen Zugriff auf höherwertige Buchungsklassen. Diese Buchungsklassenschachtelung nennt man Nesting und ist wie die verkehrsstrombezogene Buchungsklassensteuerung eine typische Funktion der Luftverkehrsbranche. Letztere versucht in Abhängigkeit von den Verkehrsströmen, dem Abflugort und der Destination, Netzerlöse zu optimieren (siehe hierzu Sterzenbach/Conrady 2003, S. 357). Verkaufsursprungsbezogene Buchungsklassensteuerung: Hier spielt der Point of Sale die wesentliche Rolle bei der Preisdiskriminierung des Kunden. Auch hier ist eine Anwendung bei anderen touristischen Dienstleistungen zumindest im Ansatz denkbar.
5.
Yield Management im Tourismus: Limitationen und Notwendigkeiten
Tourismusunternehmer stehen somit einer Reihe von Herausforderungen und Ungewissheiten in Bezug auf das optimale Management ihrer Kapazitäten gegenüber: Ein Großteil der Tourismusbranchen scheint sich mit suboptimalen Betriebsgrößen nicht für die Implementierung einer Yield Management-Strategie zu empfehlen. Im Wesentlichen zeigen aber die Literaturrecherche und aktuelle Markttendenzen, dass Kooperationen oder (Kapazitätsoptimierungs-)Allianzen auch für Kleinunternehmen der Schlüssel zur Ertragsoptimierung sind. Ein anderes Problem, das die Managementanforderungen um ein Vielfaches erschweren, ist aber die systematische Erfassung oder Interpretation von Kundensegmenten und deren Verhalten. Betriebsgrößennachteile und somit mangelndes Kapital für die Marktforschung und das Marketing forcieren Kleinunternehmen zu kostengünstigen Eigeninitiativen, wenn Kooperationen abgelehnt werden (z.B. in Bezug auf Beschwerdemanagement, Kundendatensammlungen etc.). Zwar empfehlen sich kleinere Unternehmen mit ihrer Kenntnis über bereits gewonnene Kunden, aber neue Märkte erschließen sich nur durch konzertierte kooperative Aktionen. Die oben erwähnte Zusammenstellung eines optimalen Kundenmix gestaltet sich besonders im Tourismus als große Herausforderung. So hat z.B. die Hotelbranche in vergangenen Jahrzehnten dazu gelernt und Tourismusverbände und Landeswer-
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bungen sind aktiv in den Sendeländern tätig; dennoch fehlen nicht selten die Voraussetzungen im jeweiligen Betrieb, um verschiedene Kundensegmente zu bedienen. Sowohl architektonische Voraussetzungen als auch logistische Anforderungen der Kunden können kaum ohne größere Investitionen geschaffen werden. Die technologischen Voraussetzungen sind auch nicht ohne weiteres gegeben: Informations- und Kommunikationstechnologien im Tourismus werden zwar im Bereich der Reservierung über Computerreservierungssysteme genutzt, doch ein interner Gebrauch der Möglichkeiten im Sinne des eBusiness ist nach wie vor im kleinstrukturierten Gastgewerbe selten (Buhalis 2003). Anpassungsnotwendigkeiten, aber auch Schwierigkeiten für ganze Destinationen ergeben sich zudem aus der Tatsache, dass Billigfluglinien neue Destinationen anfliegen und damit einen beträchtlichen Preisdruck auf die Destination ausüben. Andererseits werden Events, insbesondere Megaevents, heute ebenfalls mittels Yield Management verkauft, was ebenso den Druck für Preisdiskriminierungen in der touristischen Destination verstärkt. Die Tatsachen, dass es im Tourismus tendenziell immer mehr Lastminute-Angebote gibt, die letztlich durch den Einsatz von Yield Management ermöglicht werden, als auch der Umstand, dass Kunden heute immer mehr Yield Management-Preise als gerecht bzw. gerechtfertigt einstufen (Capiez/Kaya 2002), scheinen zunächst auf weitere Ausbau- und Anwendungsmöglichkeiten von Yield Management-Systemen hinzudeuten. Da Raum und Zeit des Angebotes nach oben hin fixiert sind, gibt es ähnlich wie bei Schlussverkäufen nur begrenzte Preisdifferenzierungsmöglichkeiten. Ebenso sollte man sich die Frage stellen, ob eine stetige Zunahme von Yield Management-Methoden am Markt derart stark die Preisspirale ausdehnt, dass es über Verdrängungswettbewerb (cut-throat competition) letztlich wieder zu einer stärkeren Regulierung der Märkte kommen könnte.
Literatur Baker, T./Collier, D. (1999): A Comparative Revenue Analyses of Hotel Yield Management Heuristics, in: Decision Science, Vol. 30, No. 1, S. 239-263. Belobaba, P. (1987): Air Travel Demand and Airline Seat Inventory Management, Flight Transportation Laboratory, MIT, Cambridge, MA. Belobaba, P. (1992): Optimal vs. Heuristic Methods for Nested Seat Allocation, in: AGIFORS (Hrsg.): Proceedings of AGIFORS Reservations and Yield Management Study Group, Brüssel, S. 28-53.
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Klaus Weiermair und Mike Peters
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6. Dienstleistungsspezifisches Controlling in ausgew hlten Branchen
11
Zusammenh nge zwischen Vertriebssteuerungsma nahmen und Vertriebserfolg
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Annette G. K hler, Heinrich-Stefan Rolvering und Stephan Germann
Zusammenh nge zwischen Vertriebssteuerungsma nahmen und Vertriebserfolg erste empirische Ergebnisse aus dem deutschen Sparkassensektor
1. Motivation und Zielsetzung des Beitrags 2. Bedeutung der Vertriebssteuerung im Bankensektor 3. Methode 4. Ergebnisse und Schlussfolgerungen 4.1 Analyse der Basiselemente von Vertriebssteuerungssystemen 4.2 Analyse der differenzierenden Elemente von Vertriebssteuerungssystemen 5. Zusammenfassung und Ausblick Literatur
Prof. Dr. Annette G. K hler ist Inhaberin des Lehrstuhls f r Rechnungswesen, Wirtschaftspr fung und Controlling an der Handelshochschule Leipzig. Dr. Heinrich-Stefan Rolvering und Dr. Stephan Germann sind Unternehmensberater bei RGE Rolvering, Germann & Effing Unternehmensberatung, Reutlingen.
Zusammenh nge zwischen Vertriebssteuerungsma nahmen und Vertriebserfolg
1.
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Motivation und Zielsetzung des Beitrags
Insbesondere in Branchen, die durch ein hohes Ma an Kundenorientierung gekennzeichnet sind, stellt die Vertriebssteuerung als integraler Bestandteil des Controllingsystems eine der Voraussetzungen f r eine zielorientierte Unternehmenssteuerung dar. Angesichts der zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbarten Neuordnung der Sparkassensonderzahlung, die eine leistungs- und erfolgsabh ngige Aussch ttung des 14. Gehalts vorsieht, gewinnt die Weiterentwicklung von Vertriebssteuerungssystemen in Sparkassen besonders an Bedeutung. Gleichzeitig liegt f r Deutschland bislang kein empirischer Befund f r die Verbreitung von Vertriebssteuerungsma nahmen und deren Bedeutung f r den Erfolg von Sparkassen vor. Ziel der vorliegenden Studie ist es, eine systematisierende Beschreibung in Deutschland implementierter Vertriebssteuerungssysteme auf Sparkassenebene zu leisten und Zusammenh nge zwischen einzelnen Vertriebssteuerungsma nahmen und dem Vertriebserfolg gemessen am Provisions berschuss in Prozent der durchschnittlichen Bilanzsumme aufzuzeigen. Die Ergebnisse liefern einen ersten Einblick in die derzeitige Praxis des Einsatzes von F hrungsinstrumenten in einem ausgew hlten Bereich des Finanzdienstleistungssektors und erlauben Schl sse auf die Bedeutung der Vertriebssteuerung f r den Unternehmenserfolg und die Ausgestaltung von Handlungsempfehlungen. Der Ergebnisdarstellung wird ein kurzer Abriss der einschl gigen Literatur vorangestellt, die sich dem vorliegenden Themenkomplex zuwendet, sowie eine Beschreibung der angewandten Methoden.
2.
Bedeutung der Vertriebssteuerung im Bankensektor
Vertriebssteuerung kann als F hrungsinstrument, das sich mit der Planung, Steuerung und Kontrolle der Vertriebst tigkeit eines Unternehmens besch ftigt, betrachtet werden (Dihlmann 1991, S. 157). Voraussetzung f r eine effektive Wahrnehmung dieser Steuerungsfunktion ist die Vorgabe von Zielen. Zur Ableitung strategischer Unternehmensziele ist ein systematischer Zielfindungsprozess unter Ber cksichtigung des Unternehmensleitbildes notwendig (Genser 2004, S. 90). Dementsprechend k nnen Unternehmensziele sowohl konomischer Natur (z.B. Renditegr en oder Marktanteile) als auch prim r nicht- konomischer Natur (z.B. Unternehmensimage oder Arbeitnehmer- und Kundenzufriedenheit) sein (Rinker 1997, S. 101). Sind die Unternehmensziele festgelegt, bedarf es im n chsten Schritt einer Strategiebestimmung zur Erreichung dieser Ziele. Die strategischen Vorgaben bilden nunmehr die Basis f r die Ableitung operativer Ziele. Diese schlie en s mtliche Stufen der Wertsch pfungsketten einschlie lich des Vertriebs ein.
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Annette G. K hler, Heinrich-Stefan Rolvering und Stephan Germann
Im Rahmen der Vertriebsplanung kommt der Operationalisierung von strategischen Zielvorgaben eine entscheidende Bedeutung zu. In Abh ngigkeit von der Art der strategischen Zielkriterien sind ad quate operative Zielfelder und -gr en zu bestimmen. Dabei k nnen durchaus f r einzelne Zielfelder wie einzelne Produkte, Produktgruppen oder Kundensegmente verschiedene Zielgr en festgesetzt werden. Dies ist insbesondere deshalb relevant, da auch im Rahmen einer wertorientierten Steuerung Volumen- oder St ckziele f r bestimmte Zielfelder Anwendung finden k nnen, um die Operationalisierbarkeit und damit Kommunizierbarkeit des Steuerungsprozesses in betroffenen Vertriebseinheiten zu erh hen. Gleichzeitig ist im Rahmen der Vertriebsplanung zu pr fen, ob Ergebnisziele in bestimmte Aktivit tenziele (z.B. durchgef hrte Verkaufsgespr che, durchgef hrte Finanzchecks, Kundenbesuche) transformiert werden k nnen. Hierbei ist allerdings auch zu pr fen, welcher Differenzierungsrad unter Ber cksichtigung von Kosten-Nutzen-Aspekten angemessen und durchsetzbar ist. In einem weiteren Schritt ist zu entscheiden, f r welche Organisationsstufen (z.B. Gesch ftsgebiet, Marktbereich, Filiale, Team, Mitarbeiter) welche Zielfelder definiert werden sollen und wie die Aufteilung globaler Zielvorgaben auf nachgelagerte Organisationsstufen erfolgen soll. Im Hinblick auf die Bestimmung der Bezugsgr e f r eine solche Verteilung ist zwischen volumen-, ertrags-, kosten- und potenzialorientierten Methoden zu unterscheiden. Die volumenorientierte Verteilung bezieht sich auf ausgew hlte Volumengr en (z.B. Anzahl der betreuten Kunden, Anzahl der Konten, H he des Aktiv- bzw. Passivvolumens) einzelner Vertriebseinheiten in Relation zu anderen Vertriebseinheiten, wohingegen die ertragsorientierte Verteilung an der relativen Ertragskraft der jeweiligen Vertriebseinheit ansetzt. Im Rahmen kostenorientierter Verteilungsschl ssel dienen im Regelfall Personalkosten bzw. Personal- und Sachkosten als Bezugsgr e. Das potenzialorientierte Vorgehen ist im Gegensatz zum ertragsorientierten Vorgehen eher zukunftsgerichtet und bedient sich deshalb der Erl spotenziale der Vertriebseinheiten als Basisgr en (Djukanov et al. 2004, S. 11ff.). F r die Vertriebsplanung im Rahmen der Vertriebssteuerung wird das sog. Gegenstromverfahren empfohlen. Dieses Verfahren zeichnet sich durch den Ausgleich der Interessen der zentralen Unternehmensleitung einerseits und der dezentralen Vertriebseinheiten andererseits aus. In einem ersten Schritt wird zun chst das Zielniveau von der Unternehmensleitung vorgegeben und auf die Vertriebseinheiten heruntergebrochen (Top-down approach). In einem zweiten Schritt werden diese vorl ufigen Zielvorgaben durch die dezentralen Vertriebseinheiten auf ihre Erreichbarkeit und Durchsetzbarkeit hin gepr ft und anschlie end eigene Zielvorstellungen entwickelt (Bottom-up approach). Die aus der Gegen berstellung der Ergebnisse der Top-down- und Bottom-up-Planung ersichtlichen Diskrepanzen sind idealerweise im Dialog auszur umen. Damit entstehen aus Zielvorgaben letztlich gemeinsam entwickelte Zielvereinbarungen, die von den einzelnen Organisationseinheiten unabh ngig von ihrer Hierarchieebene unterst tzt werden und
Zusammenh nge zwischen Vertriebssteuerungsma nahmen und Vertriebserfolg
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folglich motivationsf rdernd wirken k nnen (Duttenh fer et al. 2004, S. 175f.; Homburg et al. 2001, S. 114ff.; Schierenbeck 2001, S. 293ff.; Wimmer et al. 2004, S. 89ff.). Nach der Zielvereinbarung ist in der Umsetzungsphase eine systematische Kontrolle der Zielerreichung sicherzustellen, d.h., Fehlentwicklungen sind aufzuzeigen. Vor der Einleitung von Gegenma nahmen sind die Ursachen der Abweichungen zu analysieren. Als Abweichungsursachen kommen sowohl unternehmensexterne Einfl sse wie beispielsweise Ma nahmen von Wettbewerbern oder Verbundpartnern als auch unternehmensinterne Faktoren wie z.B. Planungsdefizite oder Kapazit tsengp sse in Betracht. Neben der Einleitung von Gegenma nahmen sind jedoch grunds tzlich auch Anpassungen der Vorgaben zu beachten. Als Ma nahmen zur F rderung der Zielerreichung sind beispielsweise Verhaltensbeeinflussungen der betroffenen Vertriebsmitarbeiter (z.B. durch Personalentwicklungsma nahmen, Vertriebsf hrungsgespr che, Ver ffentlichungen von Rankings) und/oder die Anpassung der Rahmenbedingungen im Vertrieb (z.B. durch Kapazit tsaufstockungen) in Erw gung zu ziehen (Homburg et al. 2001, S. 117f.). Zur rechtzeitigen Aufdeckung von Fehlentwicklungen und zur zeitnahen Reaktion ist schlie lich ein regelm iges Reporting einzurichten.
3.
Methode
Vor dem Hintergrund der genannten Entwicklungen wurde im Februar 2005 bei 100 der 440 Sparkassen eine anonymisierte schriftliche Befragung ber implementierte Vertriebssteuerungsma nahmen und Erfolgskennzahlen durchgef hrt. 66 Frageb gen konnten in die Auswertung einbezogen werden. Damit liegt ein f r Deutschland einmaliger Datensatz vor, der sich nicht nur durch einen au erordentlich hohen R cklauf, sondern auch durch eine beachtliche Abdeckung der Grundgesamtheit aller Sparkassen in Deutschland auszeichnet. Die Daten wurden anhand deskriptiv-statistischer Verfahren ausgewertet. Statistisch signifikante Zusammenh nge wurden anhand bivariater Korrelationsanalysen, multivariater Regressionsanalysen und 2-Stichproben-T-Tests identifiziert. Potenziellen latenten Variablen, die die Ergebnisse m glicherweise dominieren k nnten, wie Gr e der Sparkasse oder Gesch ftsfeldorientierung (Privat- vs. Firmenkundengesch ft) wurde durch die Bildung geeigneter Teilstichproben explizit Rechnung getragen. Die Studie erhebt keinen Anspruch auf Repr sentativit t. Gleichwohl liegen keinerlei Hinweise auf eine systematische Verzerrung der Ergebnisse durch selektive R ckl ufe oder Falschangaben vor. Die vorliegenden Informationen geben vielmehr hinreichend Aufschluss ber die Verbreitung und Bedeutung ausgew hlter Vertriebssteuerungsma nahmen. Hierzu z hlen u.a. Zielvereinbarungen auf Mitarbeiterebene, Rankings, F hrungsgespr che und Sanktionen nach Zielverfehlungen.
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4.
Annette G. K hler, Heinrich-Stefan Rolvering und Stephan Germann
Ergebnisse und Schlussfolgerungen
Neben einer Beschreibung der unterschiedlichen Vertriebssteuerungssysteme in den Sparkassen ist die Schaffung einer Informationsbasis f r die Ableitung von Handlungsempfehlungen zur ergebnisorientierten Optimierung der Vertriebssteuerung Ziel der Untersuchung. Hierzu sind der Zusammenhang zwischen Vertriebssteuerungssystem und Vertriebserfolg zu untersuchen, indem die Auspr gungen der Vertriebssteuerungssysteme dem Vertriebserfolg der einzelnen Sparkassen gegen ber gestellt werden. Die Analyse zeigt, dass die Vertriebssteuerungssysteme von Sparkassen hinsichtlich zweier Kategorien von Elementen zu unterscheiden sind: Basiselemente, die notwendige Voraussetzungen f r den Vertriebserfolg darstellen, sowie differenzierende Elemente, die berdurchschnittlich erfolgreiche Sparkassen vom Durchschnitt unterscheiden. Bei den Basiselementen der Vertriebssteuerung handelt es sich um grunds tzliche Ma nahmen wie die Formulierung von Zielvorgaben oder die Durchf hrung regelm iger F hrungsgespr che; als differenzierende Elemente lassen sich unterscheiden: das Herunterbrechen von Zielen auf die Mitarbeiterebene, die Verwendung von Rankings, mit denen die unterschiedlichen Vertriebserfolge der Mitarbeiter und Organisationseinheiten transparent gemacht werden, sowie ein klar definiertes und stringentes Konsequenzenmanagement in Abh ngigkeit vom Zielerreichungsgrad (vgl. Abbildung 1). LEIP ZIG GRA DU ATE S CH OO L O F MA N AGE MENT