Karlheinz Wöhler Touristifizierung von Räumen
Karlheinz Wöhler
Touristifizierung von Räumen Kulturwissenschaftliche ...
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Karlheinz Wöhler Touristifizierung von Räumen
Karlheinz Wöhler
Touristifizierung von Räumen Kulturwissenschaftliche und soziologische Studien zur Konstruktion von Räumen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. 1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Frank Engelhardt / Cori Mackrodt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17539-3
Inhalt
Vorwort .................................................................................................................9
I Wozu touristisches Reisen ? Pege der Negation Zur Produktion negativer Räume als Reiseauslöser......................................13 Glückliche Räume ............................................................................................13 Positives der Negation ......................................................................................15 Bestimmung des besseren Raumes ..................................................................17 Preis der Negation ............................................................................................18 Woanders zu Hause ...........................................................................................21 Möglichkeit des Anders-Seins .........................................................................21 Verunmöglichung des Anders-Seins ...............................................................24 Und dennoch.....................................................................................................28 Veralltäglichung des Tourismus .......................................................................31 Touristisches Reisen – kulturwissenschaftlich revisited .................................32 Das Andere im Alltag ......................................................................................36 Touristische Signatur des Alltags ....................................................................39 Zukunft ? ...........................................................................................................41
II
Möglichkeiten und Wirklichkeiten
Imagekonstruktion fremder Räume Entstehung und Funktion von Bildern über Reiseziele .................................45 Ökonomie der Zeichen .....................................................................................45 Semiotisierung/Semantisierung von Gütern....................................................48 Vom fremden Raum zum Zeichen ...................................................................51 Raumnutzung als Ware ....................................................................................59
6 Aufhebung von Raum und Zeit Realitätsverlust, Wirklichkeitskonstruktion und Inkorporation von Reisebildern ...............................................................61 Dekontextualisierung .......................................................................................61 Tourismusgüter als Leergüter ..........................................................................63 Reisebilder als Surrogate..................................................................................65 Erkennbares und zu Erkennendes ....................................................................67 Tourismusräume: Virtualisierung des Realen – Realisierung des Virtuellen ..............................................................................69 Raum als reale Verräumlichung des Virtuellen...............................................69 Medientourismus und die mediale Konstruktion von Fremd- und Tourismusräumen .............................................................................................72 Realtourismus: Reproduktion und Performanz medialer Konstruktionen .....77 Zu Hause und weg (?) .......................................................................................80 Virtualisierung von touristischen Räumen .....................................................81 Virtualitätsbegriff ............................................................................................83 Konstruierte Wirklichkeiten ............................................................................86 Liminale Räume ...............................................................................................89 Wiederentdeckung des Raumes .......................................................................92 Vorstellungen und Gefühle Eine phänomenologisch-empirische Studie zur Wahrnehmung von Reise-/Tourismusräumen .........................................95 Images, Informationen und Reiseentscheidungen ...........................................96 Vorstellungsbilder für uns ..............................................................................101 Aufgespannter Bildraum ................................................................................106
III
Einschreibungen
Konstruierte Raumbindungen Kulturangebote zwischen Authentizität und Inszenierung ........................ 115 Kurzer kulturhistorischer Rückblick ............................................................. 115 Tourismusbedingte Raumkonstruktionen ..................................................... 117 Garantierte Erlebnisse ....................................................................................122 Kultur als Zusatznutzen .................................................................................125
7 Touristische Kulturalisierung von Räumen..................................................129 Vergegenwärtigung von Kultur......................................................................129 Kultur als Heilsmaterie und Heilsbringer ......................................................134 Kultur als Performanz ....................................................................................139 Seitenblicke ....................................................................................................145 Topographie des Erlebens Zur Verortung touristischer Erlebniswelten ................................................147 Touristische Topographie ...............................................................................148 Raumsprache ..................................................................................................151 Erlebniswelten oder „Erlebnisweltler“ als das Fremde ?................................155 Konvergenzen – Zur postmodernen Organisation des Tourismuskonsums ..........................157 Touristizität „ohne Raum“ .............................................................................158 Thematisierung...............................................................................................161 Destinationalisierung .....................................................................................163 Eventisierung ..................................................................................................165 Ökonomisierung .............................................................................................167 Zu Hause bleiben ? ..........................................................................................168 Kulturstadt versus Stadtkultur Zur räumlichen Touristizierung des Alltagsfremden ...............................169 Touristische Transformation ..........................................................................170 Dritträume ......................................................................................................173 Ausgeblendete Stadtkultur .............................................................................176 Touristizierung des Alltags ?........................................................................177 Entfernung, Entfernen und Verorten ............................................................179 Relativierung des Raumes..............................................................................179 Touristizierung .............................................................................................180 Touristische Programmierung: Lüneburger Heide ........................................182 Das Verschwinden des Forschungsgegenstandes ? ........................................189 Sustainabilisierung des Tourismus Zur Logik einer postmodernen Wachstumsstrategie ..................................191 Auf dem Weg zum global village ..................................................................191 Entwicklungsdeterminanten von touristischen Räumen ...............................193 Einordnung des nachhaltigen Tourismus .......................................................197
8 Tourismus und Nachhaltigkeit .......................................................................201 Nachhaltigkeit als offenes Konzept ...............................................................202 Ökologische Konstruktion .............................................................................205 Nachhaltige Tourismusprodukte ....................................................................207 Nachhaltige Tourismusprodukte als Luxusgüter ...........................................210 Lob der Technik ............................................................................................. 211
IV
Wiederbelebungen
Fernreisen als postkoloniales Reisen .............................................................215 Auf alten Pfaden .............................................................................................215 Das Andere als Hybridität ..............................................................................216 Das Verborgene in der Kulturerfahrung ........................................................219 Das Inklusive der Naturerfahrung .................................................................222 Differenz als Ressource .................................................................................225 Pilgern und touristisches Reisen ....................................................................227 Phänomen der Postmoderne ...........................................................................227 Homologien ....................................................................................................229 Heutige Pilgerreisende ...................................................................................239 Liminalität ......................................................................................................245
Literaturverzeichnis ........................................................................................251 Textnachweise ...................................................................................................277
Vorwort
„Nur wenn wir Umwege einschlagen, können wir existieren. Gingen alle den kürzesten Weg, würde nur einer ankommen. […] Nur ein Nebenerfolg der Umwegskultur ist die Ausschöpfung der Welt. Es genügt ja nicht, dass sie aus einer Schöpfung hervorgegangen sein könnte; gerade dann enthielte sie mehr als zur bloßen Daseinsfristung notwendig ist. Wenn sie das Überüssige vorhält, entspricht es ihrem Sinne, die Wegformen des Überüssigen einzuschlagen: Umwege durch sie hindurch zu machen.“
Dies schreibt Hans Blumenberg in „Die Sorge geht über den Fluß“ (Frankfurt am Main 1987, S. 137) und gibt damit eine gebührliche Vorlage für dieses Buch. Sich von zu Hause fortzubewegen scheint ein gesellschaftliches Dekret zu sein, sich nicht der alltäglichen „bloßen Daseinsfristung“ hinzugeben, sondern andernorts zumindest über das Dasein nachzudenken und sich zum bewussten Deuten des Selbst- und Weltverständnisses anregen zu lassen und sogar darauf gründende Möglichkeiten der Daseinsgestaltung zu ergreifen. Wenngleich die hier zusammengefassten Beiträge des letzten Jahrzehnts zeitlich auseinander liegen, so stehen sie doch in einem Zusammenhang, der von dieser Setzung ausgeht. Wenn das erste Kapitel fragt „Wozu touristisches Reisen ?“, dann wird hier das Programm der einzelnen Beiträge entfaltet. „Wozu“ weist etymologisch mit dem Wo auf einen Ort und mit dem Zu auf eine Richtung bzw. ein Ziel hin. In Tourismusräumen werden Orte vermutet, an denen sich der Sinn des Lebens erschließt, wäre eine angemessene Antwort auf diese Frage. Man muss lediglich aufbrechen, sich zeitweilig in alltagsabgewandten bzw. -fremden Räumen aufhalten, um dort im Anderen und/ oder Anders-Sein sich selbst zu vergewissern. Reisen ist danach eine Offenbarung des Sein-Könnens. Die Tourismusindustrie bzw. der Tourismus verkündet nicht nur ein Anders-Sein-Können. Der Aufenthalt in touristisch hergerichteten Räumen gilt vielmehr als Medium der Begegnung mit dem Anderen. Ob allerdings der Umweg über den Tourismus gegangen werden muss, um sich selbst zu nden und/oder zu bestätigen, ist angesichts des vielfältigen Anderen und bisweilen der Multilokalität im Lebensalltag fraglich. Umso mehr geht es den Anbietern von Tourismusprodukten darum, die zur zeitweiligen Nutzung bereitgestellten Räume als eine ganz eigene bildhafte und symbolische Welt zu beschreiben. Das zweite Kapitel umfasst Arbeiten, die sich auf Möglichkeiten und Wirklichkeiten nicht im Sinne eines Widerspruchs, sondern auf die Produktion von erfahrbaren Wirklichkeiten entsprechend der in Bildern und Images vermittelten Möglichkeiten beziehen. Dass sich dadurch der wahrgenommene Tourismusraum als grundsätzlich kontingent erweist, bedeutet aller-
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Vorwort
dings weder ein Verschwinden jeglicher Wirklichkeit noch eine Unwirklichkeit des Scheins. Auch der Schein ist wirklich, Tourismus- oder Reiseräume erscheinen erst in der Wahrnehmung. Erscheinen bedeutet das Sichtbarwerden und zum Vorschein kommen. So sehr auch das vom Tourismuskomplex (alle jene, die den Tourismus thematisieren) semantisch Vermittelte in den Blick gerät, so schaffen, korrigieren und revidieren sich doch Touristen ihre eigenen Urlaubs- oder Tourismuswelten, in denen sie sich selbst und anderen gegenüber erscheinen. Die vorgefundene touristische Raumwirklichkeit ist gleichwohl ein Ergebnis eines anhaltenden Prozesses der Entwirklichung. Das dritte Kapitel enthält Beiträge zu touristischen Einschreibungen in Räumen. Nicht dass der Tourismus gegebene Raumwirklichkeiten verkennen würde. Er operiert nun einmal innerhalb seiner rationalen Programmstruktur, nach der nur das in Räumen domestiziert wird, was als Anderes ökonomisiert werden kann. Ansonsten füllt er Räume mit Infrastrukturen auf, die auf Anderes verweisen. Das postmoderne Individuum wird dadurch mit der Aussicht auf Wege gelenkt, Möglichkeiten garantiert zu erleben, die es zu Hause nicht zu Gesicht bekäme und die somit für seine Selbstbildung ungenutzt blieben. Den Abschluss bildet das vierte Kapitel, in dem touristisches Reisen als eine Wiederbelebung von vormaligen mentalen und geographischen Bewegungen thematisiert wird. Das vermeintlich Ursprüngliche und Unverfremdete im Selbst des Individuums und/oder in Kultur- und Naturlandschaften bilden die Vorlagen für Wiederholungen und Rekombinationen von Alteritäten. Um all das zu erleben, was sich mit Alterität verbinden lässt – Anderes, Verschiedenes, Abwechslung, Wechsel und Aufregung –, ist das postmoderne Individuum bereit, alle nur erdenklichen Wege zu gehen bzw. auszuschöpfen. Gleichwohl präsentiert sich der Tourismus als ein Umwegverschonungssystem. Er räumt eine „bloße Daseinsfristung“ aus dem Wege und lobt sich als kürzesten Weg zu Räumen aus, in denen das Objektsein einem Subjektsein weicht. Diese Sehnsucht lässt sich nicht stillen, macht die Menschen unruhig und zu Touristen. Alle Arbeiten sind stilistisch, einige inhaltlich überarbeitet worden, ohne jedoch den Zeithorizont ihrer Entstehung aufzugeben. Bei der Erstellung des Manuskripts zu diesem Buch haben mich Jana Erdmann und Babette Kirchner unterstützt. Ihnen danke ich. Mein besonderer Dank gebührt Anja Saretzki. Sie erledigte die für die Endfassung nötigen Korrekturen und machte dabei mit beeindruckender Urteilsschärfe den vielen Ungereimtheiten den Garaus. Was zu bemängeln und kritisieren ist, dieses habe jedoch ich alleine zu verantworten. Im September 2010 Karlheinz Wöhler
I
Wozu touristisches Reisen ?
Pege der Negation Zur Produktion negativer Räume als Reiseauslöser
Glückliche Räume Die – wenn auch nur temporäre – Abschaffung der raumgegebenen Wirklichkeit und ihre Auösung in die Realität des „glücklichen Raumes“ (Bachelard 1987, S. 25) in der Ferne bzw. andernorts ist, wenn nicht das, so doch aber zumindest ein zentrales Reisemotiv. Sich dort hinzubewegen, heißt fortzugehen von dem gegenwärtigen Jetzt, um ein zukünftiges, besseres Hier (da) zu leben. Sich fortzubewegen und andernorts das absolute Hier zu erleben, scheint der Erlösungsweg der Postmoderne zu sein. Schon längst ist dieses säkularisierte Heilsschema tief in unserer Gesellschaft verwurzelt. Nicht Jesus Christus erlöst uns; die Versöhnung Gottes mit der Welt geschieht durch einen permanenten Ortswechsel. In den von zu Hause abgewandten Orten werden Räume erfahren und konsumiert, die sagen, dass es Gott mit den Menschen doch gut meint bzw. gut meinen kann. Die Freizeit (und damit die Tourismuswelt) ist zugleich Erlösungstat, Verwirklichungsmodus der Menschheitsgeschichte und gesellschaftliche Vermittlungsinstanz. Sie bildet dafür materiell und symbolisch Räume aus. Diese Räume dienen nicht der Herstellung verloren gegangener heiler Welten, sondern sie sind auf eine Zukunftserschließung ausgelegt (vgl. Derrida 1992, S. 36 ff.). Die den gegenwärtigen Alltag ablösende Zeit des „glücklichen Raumes“ wird die Befreiung bzw. einen Neuanfang des Menschen ermöglichen. Der Wendepunkt zu diesem Neuanfang liegt für jeden einzelnen immer wieder in den „Leiträumen“ der Postmoderne – in den sich konvergierenden Konsum-, Freizeit- und Tourismuswelten (vgl. Corrigan 1997; Berger 1998). Weil es nicht mehr nur den einzigen verheißungsvollen Leitraum gibt, das „himmlische Jerusalem“, sondern unendlich viele derartige eschatologische Räume, der postmoderne Mensch also nicht mit Gewissheit weiß, ob nicht ein anderer Raum noch weit mehr so ist, wie er für ihn sein sollte, erliegt er der Parole: „Wo du nicht bist, dort ist das Glück“ (Kie 1997, S. 221 f.). Der heutige kategorische Imperativ lautet demnach: Suche immerfort Orte bzw. Räume auf ! Das Glück scheint nicht an einen bestimmten Ort/Raum gebunden zu sein, sondern es ist ein Glück einer Zeitdauer, das in immer neuen oder anderen Räumen erlebt und gesucht wird (vgl. Löfgren 1992). „Glückliche Zeiten“ verräumlichen sich auf diese Weise, d. h., Räume werden mit höchst zufriedenstellenden Gefühlen und Erlebnissen assoziiert. Diese Relationierung des Raumes führt einerseits zu einer Emotionalisierung des Raumes und K. Wöhler, Touristifizierung von Räumen, DOI 10.1007/ 978-3-531-92761-9_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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I
Wozu touristisches Reisen ?
andererseits zur Ausbildung eines Gefühlsraumes (vgl. Simmel 1995; Schmitz 1969, S. 185 ff.; Greverus 1979, S. 38 ff.; Waldenfels 1997, S. 199 ff.). Emotionen bzw. Gefühle konstituieren den Raum, und dieses bedeutet im Umkehrschluss, dass sich dem Menschen Gefühle wie beispielsweise Glücksgefühle als „räumlich ausgedehnte Atmosphären“ (Schmitz) erschließen. Wenn die Rede von einer „glücklichen Zeit“ ist, dann beginnt sie stets mit einem „Wo“ oder „Dort“ – „dort habe ich mich richtig erholt“ etwa –, und damit wird das Gefühl über den Raum vergegenwärtigt. „Ich reise dort hin, wo etwas los ist“, verweist ebenfalls auf diesen Zusammenhang, wonach es nicht der bloße physikalische Raum, sondern der mit „Stimmungen“ belegte Raum ist, der sich dem Reisenden1 als Ziel offenbart (zur eingehenden phänomenologischen Begründung der Raumkonstitution siehe nach wie vor Merleau-Ponty 1966, S. 169 ff.). Was das Glück des postmodernen Menschen im Einzelnen ausmacht, kann nicht eindeutig bestimmt werden. Nach den vorliegenden Forschungen lässt sich jedoch sagen, dass sich Menschen dann als glücklich begreifen, wenn sie sich in ihren Handlungen frei fühlen (vgl. Bellebaum 1992). Subjektives Freiheitsgefühl als Ausdruck von Glücklichsein ist stets territorial kontextualisiert, also an erlebte/ erfahrene Plätze, Orte und Räume gebunden (vgl. Haller 1994). Gewähren sie Entscheidungs- und Wahlfreiheit sowie Unabhängigkeit, vermitteln sie Lust, Spaß und Entgegenkommen und bieten sie Chancen für Kreativität, Innovation und vor allem für Neuanfänge, deren mögliche Misserfolge nicht negativ sanktioniert werden, dann gelangen diese sozialen Kontexte in den Rang von glücklichen Räumen. Reisen, so lässt sich konstatieren, ist der Aufbruch in Räume, in denen diese Kontexte als vorhanden oder als vorndbar erhofft gesehen werden. In diesen Räumen ist demnach nichts, das dem Menschen in seiner Entfaltung Zwänge auferlegt (in diesem Sinne sind diese Räume „leer“). Es lässt sich aus der Reisegeschichte, die nicht zuletzt auch eine Zivilisationsgeschichte ist, belegen, dass die Entwicklung einer freien Menschheit über Raumbeschreibungen vermittelt wird (vgl. Erler 1977; Brenner 1989; Buch 1991; Derrida 1992; A. Schmidt 1998). Der Reisebericht als Landeskunde oder Raumanalyse ist geschilderte Zivilisationstheorie. Reiseberichte sind auch Psychogramme der jeweiligen Zeit. Die Präferierung und Verherrlichung der Tourismuswelten lassen Rückschlüsse auf den jeweiligen „gemeinen Alltag“ zu. Wie die Welt sein könnte bzw. wie Räume besser und glücklichmachender kontextualisiert werden könnten, wird auf die Außenebene („Dort“) der modellhaften Fremdraumbeschreibung übertragen. Das geschichtsphilosophische „Ende“ der Menschheitsgeschichte wird heute von unterschiedlichen Tourismusräumen übernommen (auch „nachhaltige“ Tourismusräume werden dabei als „letzte“ Steigerungsstufe der Menschheitsgeschichte dargestellt; vgl. Williams/Montanari 1999). 1
Im Folgenden sind mit Reisenden/Touristen selbstverständlich immer weibliche und männliche Formen gemeint.
Pege der Negation
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Was von den Tourismusräumen berichtet bzw. kommuniziert wird, stellt demzufolge eine Heilsprophetie dar: Die den gegenwärtigen Alltag ablösende Zeit offenbart sich im glücklichen bzw. glücklichmachenden Dort-Raum des Tourismus, der zusammen mit anderen verwandten Freizeit- und Konsumwelten eine Projektion des Besseren und Begehrens desselben darstellt. Diese Räume bzw. Welten der Massenkultur sind die Sphären der Glückssuche. Sie bringen das ferne, bessere Andere scheinbare mühelos zum Eigenen (vgl. Maase 1997).
Positives der Negation Lassen sich frühere Reisezyklen als konkrete, wenn auch als idealisierte Orientierungen wie z. B. Orientalismus, Amerikanismus, Japonismus, Indigenismus, Hellenismus, Helvetismus oder „Spanienismus“ kennzeichnen, so lebt in der Postmoderne der Rousseauismus in Gestalt eines geographisch unbestimmten „Travelismus“ wieder auf: Die Alltagswelt ist zu überschreiten bzw. zu verlassen, da sich in ihrer Beschränktheit, Befangenheit und Unfreiheit nicht nur Unglücklichsein produziert, sondern darüber hinaus ist sie dem „objektiven Geist“ der Menschheitsgeschichte, der sich in glücklichen Räumen realisiert, abträglich. Der Verwirklichungsmodus der Menschheitsgeschichte erfolgt heute mit massenhaften Überschreitungen von einer Außensphäre her (vgl. in diesem Zusammenhang Waldenfels 1989, S. 110 ff.): Im alltagsabgewandten Dort zu sein, heißt schon, die Fesseln des Alltags abzustreifen. Die Raumüberwindung bzw. unterwegs zu sein, ist bereits das Ziel (zumal mit dem Aufkommen des Autoverkehrs; vgl. Brilli 1999). Im Reisen bzw. Verreisen als Aufsuchen eines glücklichmachenden Raumes (im Folgenden = Tourismusraum) drückt sich folglich ein negativer Realitätsbezug gegenüber dem Alltagsraum aus. Oder anders ausgedrückt: Weil es eine andere, bessere Welt gibt oder auch nur im diesseitigen Leben in Aussicht gestellt wird, kommt es zur Wahrnehmung und Ausbildung des Alltagsraumes als eigenständige, öde Welt, die qua Ortswechsel aufgehoben bzw. negiert werden kann („besser“ oder „öde“ wären u. a. Leitdifferenzen, auf die hin sich das Tourismussystem herausgebildet hat; vgl. allgemein zur Teilsystembildung Luhmann 1986). Ohne einen Alltagsraum ist ein Tourismusraum ebenso unvorstellbar wie das Fremde ohne das Eigene oder die Fremdwelt ohne die Heimwelt. Die eine Welt konstituiert die andere, und dies bedeutet, dass sie sich trotz ihrer Dialektik gegenseitig benötigen. Hegelianisch gedacht, kommt im Reisen sowohl der Widerspruch zwischen positivem Tourismusraum und negativem Alltagsraum als auch die Einheit dieses territorialen Positiven und Negativen zum Ausdruck (vgl. zum Folgenden allgemein Hegel 1975a, S. 66 ff.; 1975b, S. 48 ff.): Dass sich der Reisende vom Alltagsraum abwendet, belegt, dass in seinem alltäglichen Sein die Negation desselben
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I
Wozu touristisches Reisen ?
enthalten ist und das Nichts (= Positive) auf der Grundlage dieses Seins im Werden ist. Dieser Positivierung des Noch-Nichts(-Raumes in der Ferne) auf der Grundlage der Negation des Jetzt-Seins(-Raumes in der Nähe) liegt der Wille zugrunde, eine fortdauernde Gegenwart dergestalt zu erfahren, wie sie sein sollte und nicht so, wie sie ist. In der permanenten leidenschaftlichen Hinwendung zu Orten bzw. Räumen käme schließlich eine dialektische Bewegung des unendlichen Fortschrittes zum Ausdruck. Reisen als nicht enden wollende bzw. unendliche Bewegung ist demzufolge vorrangig auf Zukunft und Neuartiges ausgerichtet (= das wollende Ich als zukunftsorientiertes Ich, vgl. Arendt 1978, S. 43 ff.): Dem Übergang von einer These (Hier/Alltägliches) folgt die Synthese (Dort-Sein), die dann wieder als eine neue These auftritt (siehe Abbildung). „Wo du nicht bist, dort ist das Glück“ (Kie 1997), bezeichnet gerade diese dialektische Bewegung („Negation der Negation“). Damit wird demonstriert, dass die erste These bzw. der Alltagsraum zwar auf jeder Stufe verändert wiederkehrt, doch diese Veränderung ist nicht das Ende, sondern der Ausgangspunkt für einen erneuten Aufbruch. Weil der Reisende zurückkehrt, bricht er im nächsten Moment wieder auf: Dass es andere, bessere Räume gibt, wird durch die Rückkehr noch bewusster, und dies heißt, mit jeder Heimreise wird die Negation des Alltagsraumes chroniziert. Abbildung
Schema des unendlichen Reisens (in Anlehnung an Arendt 1978, S. 51)
Pege der Negation
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Folgt man diesem Argumentationsstrang, dann liegt in der Negation das Positive. Eine bessere Welt ist nur denkbar, wenn das Bestehende negiert wird. Diese dialektische Negation ist nicht nur funktional, weil fortschrittsorientiert, sondern sie dient sich auch dem Menschen an, weil sie ihm Glück bzw. Positives verheißt. Begreift man die dialektische Negation nicht als Kampf oder pure Heilslehre (so aber Popper 1966), sondern als heuristisches Instrumentarium, dann folgt daraus, dass beispielsweise „glückliche Räume“ dem Erhalt, ja der Pege negierter Räume bedürfen. Auf den Tourismus in Gänze bezogen bedeutet dieses, dass er einen Negationsgewinn verkörpert: Er lebt von der Negation bestehender Alltagsräume. Der Tourismus muss, will er weiterhin existieren, „schlechte“ Verhältnisse im Heimraum pegen.
Bestimmung des besseren Raumes Es ist nun nicht so, dass Tourismusproduzenten als Marxisten auftreten und den Alltagsraum als entfremdend, restriktiv oder öde anprangern („These“) und im Gegenzug den Tourismusraum als glücklichmachende Welt ausloben („Antithese“). Bekanntlich wird lediglich der Tourismus bestimmt bzw. charakterisiert. Der Robinson-Katalog 2000 bestimmt die bereitgehaltenen Räume wie folgt: „Endlich haben Ralph und ich Zeit, mehr zusammen zu machen. Auf den Wellen unserer Laune surfen und mit dem Mountainbike zu den eigenen Grenzen aufbrechen. Lange schlafen, sich wohl fühlen, gemeinsam träumen und uns freuen, wo und wann wir wollen.“
Zweifelsohne wird hier ein Gefühlsraum, ein glücklichmachender Fernraum präsentiert und bestimmt. Diese Raumbestimmung ist zugleich eine Negation des Alltagsraumes, der sich eben nicht mit Freude erschließt, „wo und wann wir wollen“. Dass diese Bestimmung zugleich eine Verneinung des Alltagsraumes ist, wird wie folgt ausgedrückt: ROBINSON Urlaub ist mit nichts zu vergleichen, außer mit dem letzten Urlaub bei ROBINSON.
Positiviert wird demzufolge immer wieder der nächste Aufenthalt in Tourismusräumen, und dies impliziert, den Alltagsraum und die Rückkehr zu ihm als glücklichmachend in Abrede zu stellen. Die Negation der Heimwelt geschieht nicht ausdrücklich, sondern subtil. Wenn beispielsweise das Trentino mit „Harmonie in Trentino“ wirbt und die potenziellen Besucher mit Imaginationen wie „Trentino. Auftanken, wo Italien am schönsten ist“ locken, dann wird mit einem Raumbesuch
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I
Wozu touristisches Reisen ?
in Absicht gestellt, dass nur dadurch die dem Menschen zustehenden Lebensqualitäten gegeben sind. „Gesundbrunnen“, „Gerichte, deren Zutaten direkt aus der Natur in die Küche kommen“, „unberührte Natur“, „bäuerliche Welt“ etc. sind Trentino-Verheißungen bzw. Bestimmungen, die nicht nur diesen Reisezielraum emotionalisieren, sondern ihn auch als erleb- und erfahrbar dadurch machen, dass diese Gelegenheiten/Qualitäten mit konkreten Ereignissen und Menschen in Verbindung gebracht werden. An keiner Stelle wird im Trentino-Prospekt ein Vergleich mit dem Alltagsraum dargestellt. Wie bei Robinson ndet man nur Texte der Raumbestimmung, nach denen der Raumaufenthalt (scheinbar) glückliche Menschen schafft. Ohne weiteres lassen sich derartige Texte überall ausmachen. Treffsicher und hoch selektiv erkennen touristische Raumanbieter, dass sie lediglich ihre „Raumprodukte“ positivieren müssen, um beim potenziellen Besucher anzukommen (vgl. Britton 1991; C. M. Hall 1997). Ob bewusst oder unbewusst, auf diese Weise pegen sie die Negation des Alltagsraumes. Das Bestimmte in Trentino oder in den Robinson-Anlagen produziert negative Heimräume, die schließlich eine Reise zu den besseren Tourismusräumen auslösen. Die Negation einer Alltagsrealität durch die Positivierung eines Reiseziels ist vielfältig und wird von den unterschiedlichen Tourismusakteuren gepegt. Einen Tourismusraum beispielsweise als gesundmachend (Wellness, Kur oder Bergwandern), abenteuerlich oder auch nur als erholsam zu qualizieren – und all dieses womöglich noch wissenschaftlich zu untermauern –, heißt nichts anderes, als dem Herkunftsraum den Stempel aufzudrücken: Hier ist nichts bzw. nicht mehr Derartiges gegeben bzw. herstellbar. Der Tourismus bewirkt dadurch letzten Endes, dass der Alltagsraum für das „gute Leben“ als irrelevant erscheint. Das ständige Nomadisieren des westlichen postmodernen Menschen liegt demzufolge weniger in den Individualisierungsprozessen begründet, es rührt vielmehr daher, dass Orte bzw. Räume derart positiviert werden, dass daraus Negationen des Alltagsraumes und in der Folge dann permanente Ortswechsel erwachsen.
Preis der Negation Wenn der Tourismus mit seiner negativen Dialektik den Menschen in Fremdräume mit dem Effekt drückt, dass Alltagsräume umso unwirtlicher erscheinen bzw. (handlungswirksam) wahrgenommen werden, dann wäre ihm ein gewisser Zynismus nicht abzusprechen. Weil dem Rückkehrer erneut ein Besuch in womöglich noch „schönere“ oder „bessere“ Tourismuswelten angeboten wird (Langzeiturlauben ist auch möglich), kann sich der Tourismus leicht von der Vorhaltung exkulpieren, er unternähme nichts für die Daheimgebliebenen. Die positive Negation der Negation liegt jedoch nicht nur darin, dass sich das Negierte – der Alltagsraum –
Pege der Negation
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in der Positivität des Tourismusraumes aufhebt. Die bestimmte Negation, also das Virulentmachen glücklicher Räume dort, hat überdies eine Afrmation des Negierten zur Folge (vgl. hierzu allgemein Adorno 1998, S. 161 ff.). Der negierte Alltagsraum wird nicht als negativ kritisiert. Er wird hingenommen, steht doch zum einen der nächste Ortswechsel an und/oder zum anderen kommen glückliche Räume ganz in die Nähe des Alltagsraumes (in Form von Freizeit- und Konsumwelten; vgl. Noller 1999). Das Positive wird also eher fetischisiert, als dass es sich zur „Sanktionierung des Seienden hergibt“ (Adorno 1998, S. 162). Den Heimraum lediglich als Stützpunkt für ein fortwährendes Aufbrechen zu den erlösenden Freizeit- und Tourismusräumen zu benutzen, führt nicht nur zu einer Delokalisierung des Menschen, sondern auch zu einer labilen Identitätsbildung auf der Basis von Orten/Räumen, die nicht bzw. kaum noch diskursiv und/oder individuell gestaltbar sind. Die Kulturen dieser Fremdorte sind durch ebenfalls nomadisierende, globale Kapitalströme xiert, standardisiert und homogenisiert worden, so dass Anpassung und quasi gedankenlose Internalisierung die Folge ist. Knüpft man noch die Teilnahme und Teilhabe an der Gesellschaft an „gelungene“ Identitätsbildungen, diese aber über unterschiedliche, wechselnde Ortszugehörigkeiten ablaufen, dann entscheidet sich die Identitätsformierung über den Zugang zu diesen Fremdorten der Freizeit, des Konsums und des Tourismus. Touristische Räume umfassen wie andere Räume Nicht-Orte (vgl. Augé 1994). Neben ihrem provisorischen Charakter und ihrer zeitlich begrenzten Aufenthaltsdauer kennzeichnen sie sich dadurch, dass sie spezische, vertragliche Zugangsbedingungen und Zugangsbeschränkungen besitzen (ökonomische Regelungen). Sieht man davon ab, dass dadurch zumindest (massenhafte!) Exklusivität vermittelt wird, so verschaffen Tourismusräume lediglich eine provisorische Identität, die überdies noch über nanzielle Austauschbeziehungen geregelt und damit kontrolliert wird. Da nun Hotelanlagen, Feriendörfer, Strände, Erlebnislandschaften, Pisten etc. Orte der Gesellschaft sind, das Tourismussystem also ein gesellschaftliches Teilsystem ist, und der Heimraum angesichts dieser positiv bestimmten (Nicht-)Orte für die Identitätsbildung negativiert ist, bleibt die postmoderne Einsicht: Nicht nur das Glück, sondern auch die Identität ist bzw. muss mittels eines Fremdortaufenthaltes käuich erworben werden. Dass der Alltagsraum negiert wird, und das Tourismussystem ein „Negationsgewinner“ ist, ist nachgerade systemimmanent und systemintegrierend.
Woanders zu Hause
Spätestens seit der Diffusion humanistischen Gedankengutes im Hochmittelalter konnte man sich vorstellen, dass das Dasein woanders anders sein könnte, als es gerade ist. Dieses Woanders ist nicht im Jenseits, sondern im Diesseits lokalisiert. Dem Menschen wird zugestanden, sich frei zu entfalten und Möglichkeiten des Anders-sein-Könnens zu ergreifen. Was der Humanismus konzipierte, konkretisierte sich universalistisch mit der Demokratisierung der Gesellschaft im 20. Jahrhundert. Schon immer sind andere Räume als Möglichkeit der Transzendenz konzipiert und auch aufgesucht worden, wird doch jegliches Dasein ontologisch als ein RaumDasein verstanden: Das Hinausgehen bzw. das Sich-Entfernen von angestammten Räumen gilt als die Möglichkeit des Andersseins, des Über-sich-hinaus-gehenKönnens. Reisen, das Sich-Erheben und dabei den Horizont möglicher anderer Lokalisierungen zu erblicken, ist seit je her der Modus woanders anders sein zu können. Findet der spätmoderne Mensch im Status des Touristen woanders sein wirkliches Sein ? Oder begegnet er in der bereisten Ferne einer Existenz, die auch zu Hause erfahren wird ?
Möglichkeit des Anders-Seins Dass sich nichts außerhalb der Welt bendet, seien es Gedanken, Ideen, Ordnungen, Praktiken und Räume, hat sich herumgesprochen. Dass dies so ist, macht die Freiheit des Menschen aus. Den Tourismus oder die Tourismusräume als Gegenwelt zu bezeichnen, ist daher unzutreffend. Dagegen ergibt die Rede vom touristischen Gegenalltag insofern einen Sinn, als er sich als eine Außerordentlichkeit darstellt (Diskussion dazu vgl. McCabe 2005). Vom „normalen“ Alltag oder vom Alltagsleben aus betrachtet, erscheint der touristische Alltag als Außeralltägliches, das mit dem Vertrauten und Gewohnten opponiert. Die Ordnung des Alltagslebens hat noch ein Außen, das dieser Ordnung „wie ein Schatten anhaftet, der wandert, aber nicht verschwindet“ (Waldenfels 2001, S. 65). In dem Maße, wie sich Ordnungen und damit Gesellschaften nicht abkapseln (können), nistet sich das Außerordentliche im Ordentlichen ein und führt letztlich dazu, das Ordentliche vom Außerordentlichen her zu begreifen, zu beurteilen und zu legitimieren. Die Inklusion des Außerordentlichen, also unsere Existenz in der Welt als Möglichkeit anzusehen, beruht auf hoch- bzw. spätmittelalterlichem Denken (vgl. Honnefelder 2008) und entfesselte sich in der Neuzeit als Neugierde, die Wirklichkeit rational erschließen und bewältigen zu wollen sowie dem Einzelnen im Rückgriff auf eine derart erhellte K. Wöhler, Touristifizierung von Räumen, DOI 10.1007/ 978-3-531-92761-9_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Wirklichkeit Möglichkeiten zu seinem Glück eröffnen zu können (vgl. Blumenberg 1996, S. 263 ff.). Die Institutionalisierung der Neugierde und damit die Integration des Außen, des Ausgeschlossenen und Außerordentlichen nicht nur in Form von Wissenschaft, sondern auch z. B. durch Reisen machte es fortan unmöglich, Ordnung, Sinn und nicht zuletzt Subjekt-Sein ohne ein Außen, d. h. ohne ein Anderes der Ordnung und des Sinns sowie der Andersheit des Individuums zu denken und zu begründen, geschweige denn zu konstituieren. Mit anderen Worten: Angesichts des Außerordentlichen bzw. der erforschten, erkannten und erfahrenen Welt- und Selbstmöglichkeiten beginnt der Mensch einerseits, sich als Objekt und Subjekt zu thematisieren. Mit der Möglichkeit, über sich hinausgehen zu können (transzendentale Ermöglichung), muss das moderne Individuum andererseits ertragen, sich in Bezug zum Außerordentlichen, zum Anderen bzw. schlichtweg zum Möglichen beurteilen zu lassen. Und im Gegenzug kann es den Anspruch formulieren, Möglichkeiten wahrnehmen zu können. Beides setzt die Individualisierung des Menschen in Gang und auf die gesellschaftliche Tagesordnung. Von einer einzig gültigen Wirklichkeit auszugehen, die unserem Leben Sinn oder Bedeutung verleiht, ist damit obsolet (vgl. Eagleton 2008). Was zur Regularität des Alltags darüber hinaus noch für den Menschen möglich ist, dies spiegeln ihm ebenso reale wie auch medial vermittelte Räume, nicht nur des Konsums, sondern auch der Begegnungen, des Tätigseins, des Wissens, der Bildung und Heilung etc. und auch der Zerstreuung und des Tourismus, wider. Das Bewusstsein über die Mannigfaltigkeit des Außer-sich-Seins im Möglichen materialisiert sich also im Raum. Mit dieser Verräumlichung geht insofern eine Erfahrung von Mangel einher, als man für diese Raumexternalitäten ansprechbar ist und in diesen Räumen sein wahres Da-Sein entdeckt und/oder wünscht. Der (romantische) Topos, Flucht aus der räumlichen Befangenheit des Alltags und hin zum Sehnsuchtsland, stellt dann ein Begehren eines Seins in anderen, außer-ordentlichen Räumen dar; ein Begehren des Anderen durch einen Mangel und Unvollständigkeit des Seins (vgl. Lacan 1973, S. 63 ff.). In Anbetracht der vielfältigen und unterschiedlichen Begehrensräume, die beständig auf Fehlendes und Unerfülltes sowie bei der Aneignung eines Raumes auf eine weitere mögliche Entfaltung in einem anderen Raum hinweisen, verharrt der Gegenwartsmensch in Uneindeutigkeiten. Folglich kann er sich nicht sinnhaft xieren: Er steht unter einem Fortsetzungs- bzw. Wiederholungszwang, sich anderswo zu verorten. Eine totale Allbeweglichkeit des spätmodernen Menschen zu diagnostizieren, liegt daher auf der Hand – eine Diagnose, die im Grunde besagt, dass ein mangelndes bzw. unvollständiges Sein den Räumen innewohnt (vgl. Wöhler 2008). Die Präsenz in alltagsabgewandten Räumen wie etwa in Tourismusräumen fördert demzufolge Kontingenz: Wo ich jetzt bin, ist das woanders Mögliche abwesend (mithin das „Glück“ für mich; vgl. Kie 1997). Das Begehren des Anderen gelangt demnach weder zu einem Ende, noch ndet es einen spezischen räumlichen Halt.
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Allein Abwesenheit bietet Entfaltungsfreiheit (so Goethe; vgl. Rühle 2009), wodurch sich das Mensch- bzw. Subjekt-Sein nicht in der Sesshaftigkeit, sondern im Nomadenhaften, einer Intermezzo-Sesshaftigkeit, erschließt (so Deleuze/Guattari 2005, S. 522 ff.; dagegen Reichholf 2008). Das Begehren richtet sich schlicht auf ein „Wo-anders-Sein“ aus. Die den Tourismusräumen inhärenten Andersheiten verlieren sich in der Selbstbezogenheit im Anderen, die sich von Raum zu Raum und von Zeit zu Zeit oder im stetigen Fortschreiten bzw. Verlassen und Loslassen konstituiert. Beim bloßen Wo-anders-Sein geht es also nicht um eine Flucht hin zu einem bestimmten Tourismusort, sondern um ein Andernorts-Sein, in dem etwas Anderes, bislang für unmöglich Gehaltenes bzw. Unvertrautes, unerwartet auf einen zukommt und das in einem etwas auslöst – kurz, um Orte irgendwo, in denen irgendwann und irgendwie unvorhersehbare Ereignisse Möglichkeiten des Selbstseins offenbaren. Diese dem Individuum passierenden Ereignisse lassen sich als Außerordentlichkeit kennzeichnen (vgl. Derrida 2003, S. 33 ff.). In diesem Sinne sprengt Außerordentlichkeit den Erwartungshorizont der Alltagsgegenwart und wirkt ihrer vertrauten Ordnung entgegen. Insofern sind Orte des Tourismus Orte des möglichen Unmöglichen. Reisen, d. h., woanders als zu Hause zu sein, konstituiert eine „Kontingenzkultur“, einerseits geprägt von dem Grundgedanken, „dass nicht sein muss, was ist“ und andererseits einer „Pege des Unverständlichen (der Alltagsordnung, Kh. W.), das immer noch ist und zu bleiben scheint, was ebenso wohl längst hätte dahin sein können“ (Blumenberg 1987, S. 57 und 60). Die Vorstellung und mithin die Erfahrung, woanders man selbst sein zu können, lässt also dem Individuum bewusst werden, dass es sich „niemals ganz und gleich haben lässt“ (Blumenberg 1987, S. 217). Zu Hause versetzt es sich in Tourismusräume und in Tourismusräumen sieht es sich in den Grenzen des Zuhause, was sich angesichts des Sein-Könnens im Modus Tourist-Sein relativiert. Wie auch immer sich das spätmoderne Individuum selbst verortet, so oszillieren seine Antworten zwischen dem Außen „Hier“ (z. B. zu Hause) und dem Außen „Dort“ (z. B. Tourismusraum): Zuhause-Sein stellt eine Vertagung des Dort-Seins im Tourismusraum dar und umgekehrt schiebt es mit seinem Dort-Sein im Tourismusraum eine autonome Selbstkonstitution zu Hause hinaus. Insofern konsumiert das Individuum différance (vgl. Derrida 1999, S. 31 ff.). Diese Spannung zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit des Seins offenbart sich beim Reisen – in all seinen Phasen – wenn nicht dramatisch (vgl. Houellebecq 2002), so doch zumindest zugespitzt. Welche raumzeitliche Position das Individuum auch einnimmt, seine „Selbstäußerlichkeit“ im Raum und in der Zeit bleibt ihm gegeben (vgl. Blumenberg 1987, S. 217 ff.). Die damit einhergehende „prinzipielle Unbestimmtheit“ des Menschen determiniert ein Anders-sein-Können, das sich zeitweilig in einem „erlösenden“ Raum oder räumlich in einer „erlösenden“ Zeit ereignisreich realisiert bzw. realisieren mag (Reisen kann als ein derartiger markanter Realisierungsmodus dargestellt werden; vgl. Graburn 1989; zur „Unbestimmtheit“ des Menschen siehe Plessner 1981, S. 188 ff.).
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Verunmöglichung des Anders-Seins Die Spannung zwischen möglichem Sein und wirklichem Sein – gemeinhin auch als Gegensatz zwischen Individuum und Gesellschaft diagnostiziert (vgl. MacCannell 1989, S. 158 ff.; Willems 1999, S. 104 ff.) – durch Reisen bzw. den Tourismus als einer „außerhalb“ der Gesellschaft sich bendenden Seinssphäre aufzulösen, ist illusionär, be ndet sich doch der Mensch stets im Zustand ihm äußerlicher Möglichkeiten: Der immanente Kern des Lebens ist Transzendenz; der Mensch ist dem Wesen nach ekstatisch, wonach selbst des Nachts dem Außen Kredit gegeben wird (vgl. Sloterdijk 2004, S. 28 f.). Dass sich ihm in Tourismusräumen Selbstfundierendes und -erlösendes erschlossen hat, wird immer wieder bezeugt: „Durch meine Reise bin ich ein ganz anderer Mensch geworden; dort ist mir der Sinn des Lebens bewusst geworden“ (vgl. Ette 2001). Das geänderte Selbst- und mithin Weltverständnis resultiert offensichtlich daher, dass etwas mit ihm im Reise- bzw. Tourismusraum passiert ist, das sich seinem alltäglichen Lebensraum entzieht und daher dem Tourismusraum eine Außerordentlichkeit verleiht. Sich im Tourismusraum als ein Anderer gefunden bzw. gar erfunden zu haben, schreibt dem Tourismusraum re-kreative und re-gressive Wirkungen zu – Wirkungen, die den Tourismusraum gegenüber dem Alltagsraum abgrenzen und die sich als Äußerlichkeit im Selbst (Individualität) des Reisenden/Touristen niedergeschlagen haben. Den Tourismusraum als liminalen Raum zu verstehen, lässt die Möglichkeit einer Fusion der touristischen Außenwelt mit der Innenwelt (Selbst) des Touristen offen (vgl. Graburn 1983, S. 13 ff.): Mit dem Verlassen des vertrauten Alltags überschreitet der Mensch eine Grenze und gelangt als Reisender/Tourist in einen Raum ohne die Symbollast und Regularität des Alltagsraumes, so dass sich ihm dieser Raum als unstrukturiert, uneindeutig und ungeordnet eröffnet und er sich infolgedessen in einen Zustand des erneuten, jetzt aber reexiven Zur-Welt-Kommens versetzt sieht – freigesetzt, sich zu verorten bzw. sich zu nden, schlicht ein „sinnbewusster“ oder „anderer“ Mensch zu werden. Der zeitweiligen Aufgabe des gewöhnlichen Ortes im Alltagsraum wird also zum einen eine psychosoziale und kulturelle Entankerung und zum anderen, im Gegenzug, eine solchermaßen Neuverankerung andernorts zugeschrieben. Was ansonsten der uneindeutigen, üchtigen und kontingenten Alltagslebenswelt der globalisierten Spätmoderne vorgehalten wird – „Man weiß gar nicht bei all der Schnelllebigkeit und den unterschiedlichen sowie sich verändernden Systemanforderungen, was man tun soll; der Sinn des Lebens ist mir nicht bewusst“ –, soll nun mit einem Aufenthalt in einem Tourismusraum therapiert werden; einem Raum, dessen Basiserfahrung ebenfalls Uneindeutigkeit, Unstrukturiertheit und letztendlich Kontingenz ist. Durch Reisen ein anderer Mensch zu werden und dabei das Tourismussystem als Entwicklungs- oder gar Geburtshelfer zu inthronisieren, legt eine Wahlverwandtschaft des Reisenden/Touristen mit dem Migranten nahe (vgl. O’Reilly
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2003). Wenngleich Reisen eine Migration auf Zeit ist – die Rückkehr ist bei der Ankunft vorhersehbar bzw. garantiert, womit auch der Prozess des Liminoiden, seine Kreisstruktur, tour-gemäß „geschlossen“ wird –, so kommt darin eine ideologisch gefärbte Vorstellung zum Ausdruck. Wie Migranten aus Einwanderungsländern werden Touristen gedacht als „Menschen ohne Eigenschaften, […] die nach einer […] Überfahrt in einem Neuland ausgeladen werden, zermürbt und für alles dankbar, was irgendwie den Neubeginn verspricht, mehr noch: eine Encountergruppe die nackt in Groß-Philadelphia zur Selbsterfahrung antritt“ (Sloterdijk 2004, S. 289 f.). Ohne Eigenschaften ist das modernisierte Individuum, weil ihm mit dem Wegfall tradierter Leitkriterien soziale, sachliche und zeitliche Haltepunkte für Identitätsentwürfe verlustig gegangen sind; und zermürbt ist es von den disparaten Teilorientierungen und Deutungsmustern, wodurch ihm allein die Last der Entscheidung unter einer Vielzahl von Alternativen zufällt. Die einst angemahnte „Kontingenzkultur“, aus der heraus das Individuum sein Selbst- und Weltverständnis im Namen der Individualität gestalten und wieder revidieren kann, ist gegeben. Nun wird Kontingenz zur Belastung (vgl. Makropoulos 1997), die ausgerechnet mit einer weiteren Offenheit der Handlungsbezüge (Kontingenz) in Tourismusräumen aufgehoben werden soll. Vor diesem Hintergrund kann der Tourismusraum keine Exklusivrechte für die Ermöglichung einer Inversion beanspruchen. Woanders ist wie zu Hause; das Hier und Dort be nden sich in der einen Welt „kofragiler Systeme“ der Ermöglichung, Verunmöglichung, des Widerspruchs, der Inklusion und Exklusion, des Schöpferischen und auch des Einhalts sowie der Findung eines Haltepunktes (der Welt der „Schäume“; vgl. Sloterdijk 2004). Wenn sich Individuen überall mit Kontingenz konfrontiert sehen – im Alltagsraum wie im Tourismusraum ist das Handeln bzw. das Sich-Aufhalten ambivalent –, dann stellt sich die Frage, ob dem Gleichen auch Dasselbe innewohnt. Be nden sich Touristen „an einem Ort, der eigentlich zwei Orte ist, im Anden- und im Alpenvorland liegt“ und der dennoch einen Weg zum Anderen aufscheinen lässt (Ette 2001, S. 552 f.) ? Abgesehen davon, dass nur ein verschwindend geringer Anteil touristischer Reisen in tourismuskulturfreien Fernräumen stattndet, sondern in westernisierten Tourismusräumen – was unterscheidet außer Kulissen etwa west- und nordeuropäische Reiselandschaften von Mittelmeerreisezielen ? (vgl. Hjalager 2007) –, so ist mit der Einheit eines Ortes in seiner territorialen Differenz noch nichts darüber gesagt, welcher Sinn sich wie in Orten des Tourismusraumes offenbart, d. h., was Touristen dort beobachten und welche möglichen Lebensmuster sich ihnen dabei erschließen bzw. ihnen bewusst werden. Die touristische Disposition ist mit dem Entfernen vom Alltagsraum gegeben. Diese Weg-von-Bewegung macht den Menschen distanz-anfällig: Er rückt vom Alltag ab, er lässt ihn hinter sich; er distanziert sich von ihm und hält ihn mit dem touristischen Freizeitleben auf Distanz. Mit dieser Distanzierung geht eine Öff-
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nung zum und für das Außen einher, sodass Tourismusräume auf den Touristen zukommen können. Niemand wird überrascht sein, dass die erreichten Räume bereits von Einwohnern (die dort wohnen/heimisch sind) und anderen Touristen besetzt sind. Wenn man sich dort aufhält, kommt man dann schon allein durch das touristische Sich-dort-Benden dem Benden bzw. den Lebensmustern und -praktiken der Einwohner so nahe, dass man konvertiert und beschließt, dieses derart Erlebte zu Hause zu imitieren ? Theoretisch wie auch durch eine Vielzahl empirischer Untersuchungen ist belegt, dass Touristen nicht die Hinterbühne des gelebten Alltags der „Dortigen“, sondern lediglich die Vorderbühne, das für die Touristen aufgeführte und präsentierte Leben, in Erfahrung bringen (vgl. MacCannell 1989, S. 91 ff.). Diejenigen Touristen, die dieses touristische Spiel durchschauen und sich davon distanzieren, mögen versuchen, zur Hinterbühne vorzudringen, um das Leben dort „vor Ort“ kennen zu lernen bzw. sich ein Bild davon zu machen. Hier müsste die Vorlage gefunden werden, nach der Touristen von sich sagen können: „So ‚macht‘ mein Leben einen Sinn.“ Womit werden touristisch Fremde angesprochen, dass sie ihre Selbst- und Weltsicht mit dem Aufenthalt in einem Tourismusraum begründen ? Will man zum Leben der Einwohner vorstoßen, dann ist eine Immersion in den gelebten Raum – in Orte – erforderlich. Orte des Tourismus sind nicht einfach Ansammlungen von Sehenswürdigkeiten, Freizeitinfrastrukturen und Anhäufungen von Daten. In ihnen sind miteinander interagierende Menschen spezisch involviert und stellen auf diese Weise einen genius loci her – einen bestimmten spirit of place, der das Feld der Kultur deniert (vgl. Crang 1998, S. 108). Selbst wenn globale Bedingungen außer Acht gelassen werden, so repräsentiert eine Ortskultur keinen in sich ruhenden Zustand, sondern eine je momentane Widerspiegelung diskursiver Tatbestände (vgl. Eliasoph/Lichterman 2003). Nicht zuletzt ist es die touristische Kulturbegegnung, vor dessen Hintergrund die örtlichen, alltäglichen Lebensmuster (Ortskultur) in sachlicher, sozialer und zeitlicher Hinsicht in Orten, aber auch Regionen erörtert werden (vgl. zu diesen Dimensionen Luhmann 1985, S. 112 ff.). Danach artikuliert sich eine Ortskultur sachlich in der Kommunikation von Themen oder Gegenständen und zwar nach der Differenz „Dies ist hier so und anderswo so“ in Bezug auf z. B. das Verhalten, Wohnen, Kleiden, Beurteilen und die Ernährung. Diese sachlichen Dimensionen können als prägende Kraft einer Ortskultur gelten. Da bei der diskursiven Thematisierung solcher Gegenstände das Mögliche („anderswo so“) stets anwesend ist, wird das Mögliche immer mit dem Aktuellen („Hier ist es so“) thematisiert. Eine Ortskultur hält daher Richtiges, Erlaubtes und Konventionelles nur gegenwärtig fest, sodass die Möglichkeit, das Anderswo-So als Auch-hier-So ganz oder teilweise zuzulassen bzw. zu integrieren, virulent bleibt. Der Umgang mit dem Unterschied gegenüber dem Anderen ist in Orten, in denen Touristen das augenscheinliche Andere sind, ein nahezu immerwähren-
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des Thema. Es begrenzt sich nicht nur auf die Sachdimension, sondern es weitet sich auch auf die Sozialdimension aus: Stellt die Perspektive der Touristen (alter; Fremde) ebenfalls ein Modell für Einwohner (ego; Eigene) dar ? So sehr Touristen gettoisiert oder in Enklaven platziert sein mögen, so gelangen durch sie dennoch verschiedene Gesichtspunkte (Werte und Normen) und unterschiedliche Erfahrungen – Welt- und Selbstverständnisse – in den Kommunikationszusammenhang der Einwohner. Unvertraute Perspektiven können exkludiert (Dissens), aber auch integriert (Konsens) werden. Kreolisierung oder Thirding beschreiben darüber hinaus eine dritte Möglichkeit, Fremdes insofern vertraut zu machen, als sich Eigenes und Fremdes vermischen, so dass Tourismusorte zu Drittorten mutieren (vgl. Hollinshead 1998a, S. 57 ff.). Letztendlich besitzt eine Ortskultur eine zeitliche Dimension, nach der sich die gemeinsame Ortswelt in Beziehung zur Sach- und Sozialdimension eine Entwicklungsrichtung setzt. Im Doppelhorizont von Vergangenheit und Zukunft ist in den Gegenwarten zu artikulieren, ob Gegenstände/ Themen weiterhin bzw. zukünftig andauern oder ob sie angesichts je momentaner Ereignisse/Situationen unberücksichtigt bleiben und somit nach und nach aus dem eigenen Gedächtnis verschwinden. Was falsch und richtig sowie eigen und fremd ist, wird demzufolge eine Frage des Erinnerns und Vergessens, die nicht in authentisch hergerichteten Häusern und Wohnungen beantwortet werden kann (so aber Wang 2007). Touristen treffen danach in einem Ort oder einer Region auf eine komplexe, sich in Bewegung bendliche kulturelle Ordnung. Die Raumdinge, die z. B. bei Urry in den touristischen Blick geraten und die nach ihm touristische Außerordentlichkeiten wie etwa einzigartige Sehenswürdigkeiten, ethnotypische Raumgestaltungen oder das Leben in ungewohnten und unvertrauten Kontexten konstituieren (vgl. Urry 2002, S. 12 f.), offenbaren ebenso wenig wie touristisches Freizeithandeln den jeweiligen spirit of place. Erst wenn der Zugang dorthin gegeben ist, wo Kultur stattndet und teilhaftig wird, kann bei Touristen eine Art Raumekstase aufkeimen: „Wie man hier lebt, dies ist auch mein Leben; so stelle ich es mir auch vor.“ Ein anderes Leben – ein Leben, wie es sich im Tourismusraum abspielt? Wie spielt es sich denn dort ab ? Orte des Tourismus sind durch diskursive Prozesse gekennzeichnet, die doch nichts anderes zum Ausdruck bringen, als dass auch im touristischen Anderswo Suchbewegungen zur Bestimmung des Lebens und Lebenssinns (des Selbst/ der Identität) stattnden. Reisen ist eine Bewegung, die um die allgegenwärtige Kontingenz kreist. Überall herrscht das Ringen um das Anerkanntsein des eigenen Sagen-Könnens, Tun-Könnens und Erzählen-Könnens im sozialen Raum, in dem man sich platziert bzw. platziert wird (vgl. Ricœur 2006, S. 120 ff.). Dass das Andere oder Fremde „irgendwie“ inkorporiert wird, nachdem es zuvor eine Entfremdung von sich selbst sowie von der Gesellschaft (Zuhause) und eine Selbstreexion ausgelöst hat, ist nicht nur ein phänomenologischer Topos. Diese Sicht hat auch die Wissenschaften ergriffen, die sich mit dem Reisen und
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dem Tourismus beschäftigen (vgl. Steiner/Reisinger 2006). Die Unbestimmtheit des Individuums ist ein Pfand, das als Beweis in die Waagschale geworfen werden kann, läuft sie doch schlussendlich darauf hinaus, dass das Dasein im Seienden vordergründig und damit offen für ein Einlassen auf das Andere ist. Was ist aber, „wenn sich zeigen ließe, dass mit dem Explizitwerden des Impliziten zuweilen etwas völlig Eigensinniges, Fremdes, Andersartiges […] und nie zu Assimilierendes in das Denken […] und in die Ordnung des Wissens eindringt ?“ (Sloterdijk 2004, S. 78 f.). Der touristische Außenraum dient dann weiterhin als das Andere; nicht als das zu Verinnerlichende, sondern zur Begründung und/oder Bestätigung der Differenz zwischen dem Eigenen (Ich/Wir hier) und dem Anderen (Der/Die dort). Wie einst bei der Kolonisation bekräftigt der Aufenthalt in Tourismusräumen Zugehörigkeiten (Identitäten) zu und Abgrenzungen gegenüber Nationen, Kulturen und Lebensstilen (vgl. Andrews 2005; Franklin 2004). Selbst das Freizeitverhalten in Tourismusräumen unterscheidet sich nicht von dem gewohnten zu Hause (vgl. Brey/ Lehto 2007). Touristen sehen, riechen und hören im touristischen Woanders zwar Differenz, doch die Praktiken bleiben im kulturellen Dasein des Zuhauses verhaftet. Dass sich Touristen woanders soziokulturell lokalisieren, wo ihnen das Woanders vorgängig aufgrund von Bildern, Berichten, Dokumentationen, Reiseberichten etc. vertraut ist und mit denen sie ihr Selbst identizieren – sie also das Andere gar nicht suchen, zumal es in der globalisierten Welt ohnehin überall zu Hause ist (vgl. Pritchard/Morgan 2005; White/White 2007) –, bedeutet, dass Reisen keine Flucht vom Alltag, sondern eine Bestätigung und Aufrechterhaltung des Selbst im Alltag ist. Tourismusräume entpuppen sich als Kontinuitätsräume des Sozialen. Touristisches Reisen ist demzufolge eine mobile Sozialität, die heute durch das Handy und Internet (neuerdings mit Twittern) stabilisiert wird (vgl. Mascheroni 2007). Wer kann diese mobile Immobilität kritisieren ? Niemand, es sei denn mit einem kulturalistischen Imperativ, wonach jegliche touristische Raumbewegung mit einer soziokulturellen Mobilität gleichzuschalten sei.
Und dennoch Ist Reisen oder Tourist-Sein denn keine praktische Transzendenz, ein Herauslösen aus den Befangenheiten des Alltags und eine Erlösung von der „entzauberten Welt“ (Max Weber) ? Touristisches Reisen stellt eine weitere Kontingenzerfahrung dar. Im Prozess der Verbindung mit einem Tourismusraum – in der jeweiligen Modalität des Dort-Seins – können sich der Planung, dem Beabsichtigten und Wollen entziehende und den Erwartungshorizont sprengende Ereignisse das Selbst überfallen und befallen – es heimsuchen bzw. ihm zustoßen (vgl. Derrida 2003, S. 37 ff.). Solche Ereignisse sind nicht zu inszenieren, büßen sie doch sonst die Einmaligkeit des Dass ein. „Dass mir das passiert“ lässt sich nicht als intentionaler, aktiver Akt
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in Gang setzen, managen oder beherrschen. „Ein Ereignis muss außerordentlich sein, eine Ausnahme von der Regel. Sobald es Regeln oder Normen und infolgedessen Kriterien gibt, um dieses oder jenes, was geschieht und nicht geschieht, zu bewerten, gibt es kein Ereignis mehr.“ (Derrida 2003, S. 50). Diese ungeregelte Singularität ist das Äquivalent zur zeitlichen Singularität des Ereignisses, das im Augenblick des Präsenten verschwindet – es passiert, geht also vorüber und führt dadurch den Kern der Außerordentlichkeit vor Augen: seine Unverfügbarkeit. Außerordentliche Ereignisse lassen demnach die Zeitlichkeit und nicht die Räumlichkeit menschlichen Seins hervortreten. Entgegen dem tourismuswissenschaftlichen Mainstream ereignet sich das Außerordentliche nicht räumlich, sondern zeitlich – es ist atopisch. Gleichwohl verräumlicht das Gedächtnis das außerordentliche Ereignis: „Dass mir dort dies passiert ist.“ Insofern stellt touristisches Reisen eine erinnerte und sich wiederholende Praxis der Öffnung zum möglich-unmöglichen Anderen dar (vgl. Obrador Pons 2003, S. 58 ff.), das „vielleicht“ als Außerordentlichkeit mir zu-fällt und mich be-trifft. Was auch als Ereignis mir passieren mag, so konstituiert es das Selbst erst, wenn es nicht als ein Anderes der Gesellschaft, sondern als ein „Das-bin-auch-Ich“ für künftige Gegenwarten gelebt wird, es also wiederholt wird, verliert es doch sonst seine existenzielle Bedeutung und bleibt eine tourismusraum-momentane ekstatische Zeitlichkeit. Dass einem etwas passiert ist, gilt es also in den Alltag zu integrieren – nur dort gelingt oder scheitert individuelles Leben.
Veralltäglichung des Tourismus
Gemeinhin wird Reisen als eine außeralltägliche Sphäre verstanden, als eine Welt, die jener des Alltags entgegengesetzt ist. So wie die Lebenswirklichkeit sein sollte, dies wird dem Reisen bzw. dem Touristsein zugeschrieben. Fungiert Reisen als eine derartige zeitliche und räumliche Ausnahmewirklichkeit, dann ist DeRealisierung des Alltagslebens das Funktionsprinzip des Tourismus. Was auch immer während der Reise erlebt wird, so ist sie aber insofern eine Fiktion, als sie den Menschen wieder in den Alltag mit seinen Widrigkeiten, Widersprüchen und Konikten zurückbringt und ihn somit von den erlebten oder für möglich gehaltenen Andersartigkeiten ausnüchtert. Konsequenterweise müssten Reisende die Wirklichkeit ihres Alltags umso widersprüchlicher, koniktreicher und widriger erfahren, speist sich doch Reisen aus der Erfahrung der Möglichkeit von Individuation und Subjektivität, während sich das Alltagsleben im Konkreten, Vorgegebenen und Stetigen verliert. Kurzum, Reisen bzw. das touristische Reisen negativiert den Alltag und erscheint in der Weise als positiv, dass es andernorts (in der Fremde; fremd = weg von zu Hause, vom Alltag) eine Lebenswirklichkeit eröffnet, in der sich der Mensch unverbrüchlich (wieder-)erkennt und erlebt. Der touristische Erlebnisraum gilt als zu gestaltende, generierende Sphäre, wohingegen der Alltagsraum als gemacht anmutet. Dort, andernorts ist der Mensch Subjekt, hier im Alltag ist er Objekt. Wenngleich touristisches Reisen durch dieses „Touren“ Teil der Lebenswelt ist und bleibt, so zeichnet es sich jedoch durch ein bestimmtes, aus dem Alltag herausragendes und über ihn hinausgehendes Zeit-Raum-Muster aus. Dem Reisen kommt dadurch eine zeitliche und räumliche Sakralität zu; es unterbricht den profanen, linear fortschreitenden Alltag und hebt das Alltagsleben andernorts in einer höheren, geheiligten Zeit auf. Die touristische Auszeit bildet zusammen mit der Alltagszeit ein Sinnganzes der Lebenswelt, wird doch immer wieder betont, dass man sich ein Leben ohne Reisen nicht vorstellen kann (vgl. Sonnenberg/Wöhler 2004, S. 36 f.). Reisen gibt dem Lebensalltag einen Sinn, es ist kulturell verankert und gehört zur Alltagskultur; die Reise ist ein alltägliches Ritual. Will man von dieser Sicht des Reisens bzw. des Tourismus nicht abrücken, dann kann eine Veralltäglichung des Tourismus nur bedeuten, dass er seine Abgeschlossenheit gegenüber der alltäglichen Lebenswelt verloren hat und eine der vielfältigen Wirklichkeiten der Lebenswelt ist, jedoch einen in sich „geschlossenen Sinnbereich“ darstellt (wie Schütz 1971 meinen würde). Veralltäglichung des Tourismus hebelt dieses Zeit-Raum-Muster aus; Veralltäglichung entbettet den Tourismus zeitlich und räumlich, er „passiert“ im dahinießenden Alltag: Dass K. Wöhler, Touristifizierung von Räumen, DOI 10.1007/ 978-3-531-92761-9_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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andere Lebensbedingungen möglich sind und dass man selbst ebenfalls anders sein kann, diese dem Tourismus/Reisen anhaftende Kontingenz- und Alteritätserfahrungen werden zunehmend im Alltag gemacht. Um Alterität zu erfahren, ist der (post-/spätmoderne) Gegenwartsmensch nicht mehr auf die exogene touristische Kontingenz angewiesen. Das Bewusstsein, dass man auch anders sein könnte und Handlungs- und Lebensbedingungen nicht stabil sind, ist geradezu das Signum der uiden spätmodernen Gesellschaft (Bauman 2000). Das Leben ist wie eine permanente Reise, in dessen Verlauf immer wieder zu entscheiden ist, wer man ist und wer man sein möchte. Welches Verhältnis man zu sich selbst hat (Selbstverhältnis/Identität) und wie man die Welt deutet (Weltverhältnis) bleibt den Situationen vorbehalten, in denen man sich gerade bendet (Rosa 2002). Eine Veralltäglichung des Tourismus läuft letztlich auf eine Touristizierung des Alltags hinaus: Menschen sind permanent unterwegs, legen mehr oder weniger längere und zeitaufwendige Entfernungen zurück, ohne jedoch den vertrauten Raum zu wechseln. Sie bewegen sich vielmehr in Orten des Alltagsraumes, in denen sie Kontingenzen erfahren und Möglichkeiten, wenn nicht auf ihre Realisierung hin testen, so doch aber zumindest im geistigen Horizont durchspielen. Genau dies ist es, was den Tourismus charakterisiert, der nun zum alltäglichen Lebensmodus wird. Veralltäglichung als ein Reisen im Alltagsraum folgt keiner festgelegten oder zusammenhängenden Route, verleiht jedoch dem Alltag einen Eigenwert, indem er als ein Möglichkeitsraum aufscheint. Oder anders ausgedrückt: Die Touristizierung des Alltags eröffnet einen „Spielraum des Seinkönnens“ (Ahlers 2000, S. 461) im Hier und Jetzt.
Touristisches Reisen – kulturwissenschaftlich revisited Seit dem Aufkommen des massenhaften bürgerlichen Reisens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist bis heute die Kritik nicht verstummt, dass das Reiseziel, die Erfahrung der Fremde, mehr oder weniger ausgeblendet wird (vgl. Urry 2002). Leed, der seine kulturgeschichtliche Analyse des Reisens von der Antike bis zur Moderne mit „Die Erfahrung der Ferne“ (1993), also der räumlichen Fremde, betitelte, konnte indes nachweisen, dass die reisebedingte Erfahrung der Fremde der Konstitution der eigenen Identität diente und dient. Und Bausinger kommt zu einem Zwischenresümee, dass man bei all dieser Kritik „viel zu einseitig auf das Fremde und seine mangelhafte Aneignung und Verarbeitung gestarrt und darüber vergessen hat, dass im Urlaub auch das Eigene verfremdet, damit neu erfahrbar und bis zu einem gewissen Grad auch veränderbar wird“ (Bausinger 1991, S. 350). Trotz dieser Erkenntnis analysiert er fortan die Erscheinungen der „Tourismusindustrie“ nicht unter diesem Gesichtspunkt, sondern reklamiert stattdessen „vernünftige“ und „unschädliche“ Formen des Reisens. Berghoff (2002) sieht bei aller
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zu kritisierenden Kommodizierung des Reisens und damit seiner Verankerung in der Konsumgesellschaft, dass der Tourismus immer schon und immer wieder unterschiedliche Möglichkeitsräume der individuellen und sozialen Verortung bereitstellt. Der Tourismus wird insofern nicht von den sozialen und kulturellen Kontexten separiert, als er als eine Antwort auf die Bedingungen der Moderne angesehen wird. So antwortet der Tourismus z. B. auf Lebensstile mit Marktsegmentierung, Nischenprodukten, größerer Flexibilität, Optionen und individuell zusammenstellbaren Reisepaketen. Solch eine Perspektive unterscheidet sich u. a. von Urry (2002), der unterschwellig die Differenzierung von Hoch- und (niederer) Popkultur beibehält, indem den „Niedrigen“ durch die Teilhabe am Tourismus ein Stück Hochkultur ermöglicht wird (den Massen/Niedrigschichten fordistische und den Höherschichten post-fordistische Tourismusprodukte). Tourismus vom Reisenden bzw. dem Eigenen her zu konzeptionalisieren bedeutet indes nicht, das Fremde des fernen Raumes auszublenden. Das Gegenteil ist der Fall: Reisen ist und bleibt eine Relationierung des Eigenen im Fremden. Eine Relationierung derart, dass das eigene Leben angesichts der Moderne als entfremdet und inauthentisch empfunden und das Leben in der bereisten Fremde für authentisch gehalten wird (vgl. MacCannell 1989), hilft aber nicht weiter, wird doch hiermit nicht nur erneut das Reisen und der Tourismus gesellschaftlich und kulturell exterritorialisiert, sondern Reisen wird überdies noch als abweichendes Verhalten signiert und damit marginalisiert. Das Leben dort in der Fremde als authentisch und hier im alltäglichen Einerlei als inauthentisch zu klassizieren, übersieht zweierlei. Zum einen haben sich, zumal in Zeiten der Globalisierung, fremde Räume weiterentwickelt, wenn nicht in Richtung Westernisierung, so doch aber kulturell hybridisiert (vgl. Hannerz 1996, S. 102 ff.). Zudem initiiert der Tourismus neue kulturelle Formen, so dass der Reisende auf eine Fremde trifft, die mehr oder weniger auf den Alltag zu Hause hinweist (vgl. Meethan 2001, S. 109 f.). Und zum anderen sind Reisen und Reiseräume durchrationalisiert, vorgegeben geregelt und formalisiert. Dies gilt nicht nur für Reiseziele der westlichen Welt, sondern auch für Fernreiseziele in den so genannten unterentwickelten Ländern. Angesichts dessen fällt es schwer, den Alltag hier zu negativieren (als inauthentisch) und das touristische Dort unter der Rubrik „authentisch“ zu positivieren. Trotz all dem ist der Gedanke nicht zu verwerfen, der Reisende, und damit ist der touristisch Reisende gemeint, suche für sich eine andere, seine Wirklichkeit. Der Reisende ist nach Cohen (1988b) ein Existentialist: Im dem Alltag abgewandten Raum sucht er Diversion und Diversität, um zeit- und versuchsweise mit sich zu experimentieren. Der Tourismusraum hält die Option vor, Möglichkeiten eines anderen Lebens zu simulieren. Im Eigenen kann das Fremde entdeckt und mitunter realisiert werden. Das Fremde kann eine Anleihe aus dem fremden Raum sein. Sich-Fremd-Sein kann aber auch daher rühren, dass man sich anders als sonst im Alltag verhält, was ja dadurch möglich wird, dass beim Reisen herkömmliche
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Rollen zeitweilig suspendiert werden und sich so die Möglichkeit eröffnet, sich fremdorts anders zu de nieren und in der Folge sich anders ernden kann. Dass sich Reisende neuen und/oder fremden Erfahrungen aussetzen, dies sieht Bauman (1997, S. 156 ff.) als konstitutiv für den Touristen an. Diese Fremdheitskonfrontation ist nach ihm weder heroisch noch gefährlich, hat doch der Tourist sein sicheres Zuhause, das er bereits bei seiner Abreise im Gepäck hat. Mehr noch: Er kauft sich eine Freiheit, sich auszuprobieren, zu erregen, zu gefallen und zu amüsieren. Insofern erscheint ihm die Welt in der Fremde grenzenlos und nach seinem Gusto gestaltbar zu sein. Man kann sich Eskapaden ohne Konsequenzen leisten; insbesondere ist man frei von in das Zuhause hineinwirkenden Konsequenzen. Das Zuhause ist demnach der sichere (positive) Raum bzw. Ort, den der Reisende hat und von dem aus er sich andernorts quasi spielerisch nden und ernden kann, indem er experimentell verschiedene Rollen einnimmt. Diesen sicheren Ort des Zuhauses sieht Bauman jedoch nur als postuliert an. Der Reisende hat unter den Bedingungen der Postmoderne kein festes, sondern ein uides Zuhause, sodass für ihn der Tourist jemand ist, der fremdorts den Traum von Zugehörigkeit und Aufgehobenheit zu realisieren versucht (Bauman 2000). In der Fremde will er ankommen und als Individuum angenommen werden. Unter Fremden zu sein, ist daher für Bauman ein Lebensmodus auch im Alltag, wo Zugehörigkeiten und Identitätsbildung quasi erreist werden müssen. Bauman sieht also die scharfen Konturen zwischen dem Leben im Alltagsraum und im Tourismus- bzw. Fremdraum verschwinden. Sieht man einmal davon ab, dass prozentual gesehen die meisten Reisen im eigenen Land stattnden, so ist darüber hinaus der nächste (Nachbarstaaten-)Raum und der Fernraum, abgesehen von den Kulissen des Sight- und Liveseeings, nicht fremd. In Anlehnung an Clifford (1997) und Hannerz (1996; vgl. auch Wagner 1999) trifft man jedoch z. B. weder in Deutschland „Deutsches“ noch in Mexiko „Mexikanisches“; hier wie dort begegnet man Hybridem. Aufgrund der immensen Zunahme der Mobilität nicht nur in Form des Tourismus, sondern auch in Gestalt von Arbeitsmigration und des ubiquitären Fernsehens und Internets einerseits und der globalen Penetration der Waren und Ideen (Selbst- und Weltverständnisse) andererseits, ist es unerheblich, wo man sich bendet: Kulturelle Differenz bzw. Transkulturalität ist auch in der unmittelbaren Nachbarschaft und Altbekanntes ist irgendwo auf der Welt vorzunden. Zu dem Altbekannten gehört, um bei diesen Beispielen zu bleiben, dass man bereits in Deutschland „typisch“ mexikanisch essen gegangen und dabei von einer Äthiopierin bedient worden ist; das mexikanische Straßenbild ist wie in Deutschland vom VW geprägt, wobei es eine Pointe der Globalisierung ist, dass auch in Mexiko VW hergestellt wird. Am Reiseziel wird man feststellen, dass die in Deutschland gewohnte, vom gesamten Globus stammende Warenwelt dort ebenso gang und gäbe ist wie der Konsum von bestimmten TV-Filmen. Aus diesen Gleichzeitigkeiten ist indes nicht auf eine Homogenisierung der wirtschaftlichen
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und kulturellen Sphären zu schließen. Bei der Wahrnehmung, Verwendung und Integration der Waren, Menschen und Ideen (z. B. in den TV-Filmen) in den Alltag, also dem Zusammentreffen von inneren und äußeren kulturellen Strömungen, die eine Welt in Bewegung kennzeichnen, entsteht ein „vermischtes Drittes“. So mag ein italienischer Tourist in Deutschland, der auf seine Frage, wo man denn in Deutschland gewöhnlich essen geht, auf die Antwort „beim Italiener“ erwähnen, dass er doch selbst einer sei und er doch bitte Deutschland kennen lernen möchte. Beim Essen mag er bemerken, dass das Aufgetischte doch ein wenig anders schmeckt, vielleicht „deutscher“. Tourismusräume – Deutschland ist für einen italienischen Touristen ein Tourismusraum – haben die Gestalt von „Dritträumen“ angenommen (vgl. Bhabha 2000; Soja 1996). Doch, diese Tourismusräume sind für die einheimischen Bewohner Alltagsräume, in denen das Fremde inkorporiert („der Deutsche“ isst „beim Italiener“) und fortlaufend kulturell bearbeitet wird, sodass keine Rede mehr davon sein kann, Reisende würden in Fremdräumen, den Alltagsräumen der Bewohner, jeweils Typisches oder gar Authentisches entsprechend der Nationen- oder Ethnienkennungen vor nden, das es woanders nicht gibt (vgl. Saretzki 2005, S. 121). Angetroffen werden vielmehr gelebte Räume, die bei aller eigenen Materialität und Realität (etwa im politischen Leben) durch, mithin globale, ökonomische und kulturelle Praktiken geformt worden sind und werden, sodass sich Touristen, selbst beim Verlassen ihrer weltweit gleichen bubbles, wie zu Hause zurechtnden. Zu diesen Formkräften zählt nicht zuletzt auch der Tourismus (vgl. Urry 2002, S. 141 ff.) Welche Räume auch immer bereist werden, so ist das Fremde weder aus der polit-administrativen noch kartierten Raumverfasstheit abzuleiten. Und schon gar nicht kann aus den materiellen und immateriellen touristischen Infrastrukturen geschlossen werden, dass sie einen Fremdheitscharakter besitzen, weisen sie doch eine homogen atopische Vertrautheit auf (vgl. Ritzer 1998, S. 134 ff.). Dennoch hält sich bei Touristen/Reisenden die Deutung, dass es woanders für sie anders sei (vgl. Kie 1997). Wenn diese Deutung nicht auf Raumverfasstheiten zurückgeführt werden kann, dann bleibt nur eine Schlussfolgerung: Der Tourismus eröffnet und hält Räume bereit, in denen Menschen ihren „Seinsmangel“ zu beheben versuchen. Da ihnen ihre Seinsweise als solche nicht gegeben ist, sondern nur ihre Möglichkeit, schaffen sie sich ihre Existenz mittels eines „Entwurfs“ (Sartre 1997, S. 190 f.). Der Mensch ist demzufolge ein seine Faktizität transzendierendes Wesen, das mit Vorstellungen, Imaginationen und Möglichkeiten über sich selbst hinausgeht. Dies geschieht beispielsweise durch Reisen, indem er seinen Alltagstrott zeitweilig verlässt und sich auf eine andere Lebensweise einlässt. Das dabei erlebte Andere ist nicht im Sinne des vermeintlichen Reisemotivs „Land-Leute-KulturNatur-Kennenlernen“ begreif- und bestimmbar, sondern mit dem touristischen Raumwechsel scheint eine vorgegebene Bedingung der Möglichkeit der eigenen Existenz auf, die einfach da ist und schon in der Vergangenheit da gewesen ist.
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Dass man nicht schon zuvor dieses stets präsente Andere für sich gefunden oder ergriffen hat, dies ist der Grund dafür, das fremdorts Andere durch weiteres Reisen zu vergegenwärtigen. Daher ist das „Reise-Andere“ eine Zukunft für mich; ein Imperativ für meine Zukunft, eine „Ich-Zukunft“, die zwangsläug das Andere als Möglichkeit einschließt (vgl. hierzu insbesondere Lévinas 1995, S. 167 ff.). Alterität, die Andersartigkeit des Anderen, als eigene Möglichkeit (Kontingenz) und damit als eigene Verfremdung, dies ist es, was Reisende herbeizuführen versuchen und was sie als Projektionsäche für ein Andersmachen ihres Lebens nehmen. Touristisches Reisen ist ein Laboratorium für das Experimentieren mit Identitäten und Sozialitäten (vgl. Löfgren 1999, S. 268 ff.). Den Raum für Andersmachen und -sein stellt der Tourismus bereit, der in diesem Sinne ein institutionalisiertes „Verfremdungsverfahren“ ist und zugleich eine Antwort auf die Seinsverfassung des Individuums anbietet (vgl. hierzu Waldenfels 2006, S. 56 ff.). Die Möglichkeit des Andersmachens des Lebens im Reisezielraum bzw. -ort ergibt sich mit der Gelegenheit, aus einer Vielfalt von Gestaltungs- und Handlungsalternativen auszuwählen. Ob an Augenblicksbedürfnissen orientiert oder auf die Zeitspanne des Aufenthalts bezogen, so fällt die Wahl auf recht Unterschiedliches – vom vermeintlich banalen Nichtstun und Ausruhen über körperliche Aktivitäten und Betrachten der Raumverfasstheiten bis hin zu Geselligkeiten. Welche Vielfalt auch immer erkannt und wahrgenommen wird, entscheidend ist, dass sie als Differenz erfahren wird: das Andere, der Andere, die Andere. Mag dem Menschen die Ordnung des Alltagsraumes als Schicksal bewusst sein, so ist sein „Reise-Bewusstsein“ von der Wahl bestimmt, aus der Vielfalt des Anderen Eigenes zu bestimmen. Insofern verfremdet er sich bzw. stellt sein vorgängiges „Zuhause-Eigenes“ in Frage und transzendiert sich zugleich, indem er seine Wahl hinsichtlich seiner Vorstellungen und Imaginationen trifft. Dass der Tourismus diese kleinen „immanenten Transzendenzen“ (vgl. hierzu Luckmann 1996, S. 167 ff.) produziert und zugänglich macht, weckt beim postmodernen Menschen den ansonsten brüchig gewordenen Zukunftsglauben.
Das Andere im Alltag Dieser Zukunftsglauben meint nach den bisherigen Ausführungen den Glauben an touristische Räume, in denen Verwirklichungsbedingungen eines autonomen Selbst bereitgehalten werden: Aufrichtig und in innerer Übereinstimmung mit den eigenen Wünschen und Vorstellungen (Authentizität) können Möglichkeiten zur Lebensbestimmung wahrgenommen werden (vgl. Reichertz 2006, S. 178 ff.). Dieses an das Reisen bzw. den Tourismus herangetragene Authentizitätsideal („Selbstbestimmt wirklich sein zu können“) ist nicht nur ein Kriterium für eine gelungene touristische Reise, sondern auch für das Gelingen von Identität (vgl. Taylor 1996,
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S. 64 ff.). Der Glaube, dass Identität durch Reisen gelingen wird, attraktiviert touristisches Reisen und damit auch touristische Räume. Dem Alltagsraum wird diese Qualität abgesprochen, und dies bedeutet, dass in ihm weder Möglichkeiten (Vielfalt des Anderen) noch Ansatzpunkte existieren, personale Identitäten zum Ausdruck zu bringen und sie zu verwirklichen. Dass der Alltag in diesem Sinne entfremdet, liegt nach Habermas (1985) in der gegensätzlichen Entwicklung der Welt der funktional ausdifferenzierten Systeme und der Alltagswelt. Während die Alltagswelt vormals quasi idyllisch in sich verharrte, greifen nun die Systeme der Wirtschaft, Politik, Verwaltung etc. aktiv in die Alltagswelt ein, sodass diese Systemwelten veralltäglicht werden. Oder anders gewendet: Die Alltagswelt wird erst durch die Systemwelten ermöglicht. Bekanntlich bezeichnet Habermas diesen Prozess als „Kolonialisierung der Lebenswelt“, durch den Menschen im Sinne einer Systemintegration instrumentalisiert werden. Die Alltagswelt ist nicht länger ein Refugium der Selbstbestimmung, Aufrichtigkeit des Subjekts und der Sozialität, sondern in der systemdurchtränkten Alltagswelt ist der Mensch Objekt dieser Systeme. Das Andere in der Alltagswelt ist das Systemische, das ihm vorgibt, was er zu tun hat und das letztlich nur noch seine Alltagswirklichkeit bestimmt. Diese Zeitdiagnose gilt für die westliche Welt – reisen wir nicht zum Großteil in westliche Länder ? In dieser Sichtweise stellen die kolonialisierenden Systeme das Andere dar, von denen der Mensch abhängt. Die Rede, man sei nur noch für andere da, bringt das Bewusstsein dieser systemischen Abhängigkeit zum Ausdruck. Diese Rede bzw. dieses Bewusstsein verweist auch auf fundamentale Sozialbeziehungen des Für-andere-Seins. Folgt man Sartre (1997, S. 338 ff.), dann ist die Freiheit der Anderen meine Unfreiheit: Sie bestimmen mein Bewusstsein, mein Handeln und gestalten meinen Raum als ihren Raum, sodass ich mir letztlich als Objekt vorkomme. Wenn die Alltagswelt derart fremdbestimmt und damit der Lebenswelthorizont geschlossen erscheint, dann ist es nicht verwunderlich, Reisen als Flucht aus dem Alltag und als Gegenwelt zur Alltagswelt zu begreifen. Reiseräume werden demzufolge, wie bereits oben erwähnt, als den Alltagsräumen entgegengesetzte und separat organisierte Sphären der sozialen Praxis moderner Gesellschaften erkannt (vgl. Urry 2002, S. 2). Wenn aber, wie dargelegt, Tourismus- oder Reiseräume der Alltagswelt gleich sind und Reisen eine ritualisierte Alltagspraxis darstellt, dann kann Verreisen nur als eine Bewegung im Alltag verstanden werden, mit der gegen ein Fragloses Wie-es-heute-ist-so-wird-es-morgen-sein opponiert wird. Das Infragestellen des Alltags durch den Entwurf, einen ihm vermeintlich entgegengesetzten Tourismusraum aufzusuchen, geschieht im Gegenwartsalltag. Er ist nicht nur durch die Vergangenheit determiniert, sondern er wird auch als durch die Zukunft bestimmt wahrgenommen (vgl. hierzu „Intention“ als „Retention“ und „Pretention“ bei Husserl 1966, S. 367 ff.; Merleau-Ponty 1966, S. 472 ff.). Dieses zukünftige und/oder vergangene Andere im Präsensfeld des Alltags transzendiert den Alltag
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und generiert eine „Gleichzeitigkeit des fremden Erlebnisstromes“ (Schütz 1971, S. 252), also einen Alltag, in dem auch Alterität erfahren und wahrgenommen wird. Der Mensch macht in der Alltagswelt, im Dasein, vielfältige Transzendenzerfahrungen. Anthropologisch gegeben sind die Wirklichkeiten des Traumes, der Visionen und Phantasien, der Ästhetik und Mystik, des Spiels und der Erotik. Sie stellen quasi das „natürliche Andere“ dar, wohingegen man z. B. die Welt der Wissenschaft als das „sekundäre Andere“ bezeichnen kann. Wenngleich Schütz (1971) diese Wirklichkeiten („Sinnprovinzen“) aufgrund des menschlichen Bewusstseins für erfahrbar hält, so wenig ist ihm zuzustimmen, dass sie dichotom – „nit“ – entgegengesetzt sind und zu ihrer Erschließung eine eigene, je spezische cogito notwendig sei. Der Alltagsmensch lebt und erlebt sich vielmehr gleichzeitig und nacheinander in verschiedenen Wirklichkeiten bzw. Sinnprovinzen (zu denen auch das Reisen gehört); sie gehören zum selben Bewusstsein. Die Frage ist allerdings, ob derartige Erfahrungen anderer Wirklichkeiten einen bleibenden, über das einzelne Individuum hinausgehenden Wirklichkeitsanspruch haben und damit im Handeln eine soziale Praxis konstituieren. Dies wird dann der Fall sein, wenn die subjektiven Erfahrungen des Anderen an gesellschaftliche Deutungen anschließen bzw. sie mithin einschließen (vgl. Berger/Luckmann 1969, S. 100). Wirken sich also andere Wirklichkeiten im Handeln aus bzw. steuern sie es ? Dass sich Menschen bewusst anhand von subjektiven Vorentwürfen – gedachten Wirklichkeiten – organisieren, gestalten, hinterfragen und mithin neu er nden, dies lässt sich mit den Kürzeln „reexive Moderne“ (Beck/Bonß 2001) und „uide Moderne“ (Bauman 2000) nur andeuten: Aufgrund der wachsenden, von traditionellen und soziokulturellen Vorgaben entkoppelten Optionen des Handelns (Gross 1994) müssen Individuen selbst Entscheidungen treffen, sich selbst festlegen, zugleich aber auch exibel bleiben und so situationsbedingt das eigene Leben „planen“. Nicht nur institutionelle Makrostrukturen haben sich verüssigt und sind üchtig, sondern auch das Leben der Individuen, die sich innerhalb dieser Flüssigkeiten und Flüchtigkeiten ordnen und orten müssen, und dies bedeutet letztlich, dass sie nicht nur auf gesellschaftlich Anderes (Veränderungen) gefasst sein müssen, sondern sich auch Veränderungen anpassen müssen. Gerade vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund lässt sich Habermas nicht mehr halten, bieten doch die Systeme weder Gewissheiten noch integrieren sie den Menschen dauerhaft. Es ist vielmehr umgekehrt: Die Individuen werden dauernd mit „neuen Materialien“ (Bauman 2000) der Systeme versorgt und gesellschaftlich aufgefordert, ihr Leben und ihren Alltag selbstverantwortlich zu gestalten. Kurzum, der postmoderne Mensch erfährt fortwährend andere Wirklichkeiten als legitime Möglichkeiten seiner Lebensgestaltung und steht somit angesichts der Flüssigkeit extern vorgegebener und bereitgestellter Lebensbewältigungsinstitutionen (von der Schule über die Ehe und den Beruf bis hin zum Recht und zur Politik) vor der Daueraufgabe,
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seine Existenz selbst zu bewältigen und eine Weltsicht aufbauen und/oder hinterfragen zu müssen (vgl. Bauman 1997 und 2000). Der moderne Alltag enthält demzufolge nicht nur einen Spielraum des Seinkönnens (Ahlers 2000); er ist vielmehr auch ein Spielraum des Seinmüssens. Die vorgefundene Alltagswirklichkeit wird nicht länger als x, sondern ebenso als kontingent wie auch als konstruiert erkannt wie das Bewusstsein. Die Macht der Ordnung ist dekonstruiert und fragmentiert und sie drückt sich in einer alltäglichen Sinnwelt aus, momentane Wirklichkeiten mit Möglichkeiten bzw. Alternativen für mich zu relativieren und daraus kognitiv wie auch handelnd Bestimmtheiten zu schaffen – wohlwissend, dass es eine momentane, kontingente „Zeitstelle“ ist. Unversehens, aber schon immer erhofft, wird so der postmoderne Alltag ein Labor für das Leben, wo man sich zeitweilig und kognitiv auf Anderes einzulassen und es wieder in Frage zu stellen hat. Wirklichkeitssinn und Möglichkeitssinn laufen nicht mehr auseinander, sondern bilden eine Einheit. Die Alltagswelt lässt neue Sichtweisen und Lebensformen aufkommen (vgl. Waldenfels 1985, S. 49) und hebt den Menschen in die Position eines Subjekts. Jede im Alltag erfahrbare Wirklichkeit, sei sie noch so sehr kommodiziert und überwacht, besitzt demzufolge das kognitive Potenzial einer befreienden Wirkung und einer transzendentalen Vision. Der Alltag ist ein Ort des Möglichen bzw. der vielfältigen Alterität und er kann den Menschen verwandeln (Lefebvre 1975, S. 334 f.).
Touristische Signatur des Alltags Man kann es beklagen und kritisieren, dass die an sich gewünschte Freisetzung des Menschen von vorgegebenen Lebensordnungen oder „Normalitäten“ auf äußeren Bedingungen beruht und damit als Zwang empfunden wird. Unzählbar sind die belletristischen und wissenschaftlichen Texte, die die „erstickende“ Lebenssicherheit á la „So-war-es-und-so-muss-es-wieder-sein“ problematisieren und als Lösung zumindest Flexibilität propagieren. Angesichts der Flüssigkeit jedweder Makround Mikrostrukturen ist heute Flexibilität ein Muss, sind doch Sicherheiten, zumal lokale Sicherheiten, wenn nicht verloren gegangen, so doch in Multilokalitäten übergegangen (vgl. Bauman 2000; Castells 2002). Aus den jeweiligen vielfältigen Möglichkeiten müssen Frau und Mann, Alt und Jung sowie Arm und Reich das ihnen Passende für ihr Selbstverhältnis und für ihre Sozialität aussuchen, ohne dass das Gewählte eine Gewähr auf Dauerhaftigkeit (Sicherheit) gibt bzw. geben kann. Diese Subjektivierung des Lebens läuft auf eine permanente Selbsterschaffung hinaus, die erst durch eine Vielfalt möglich wird. In der Vielfalt wird Differenz wahrgenommen: die Andere, der Andere und das Andere sowie das Fremde als Möglichkeiten der Lebensgestaltung. Über diese postmodern entstandene Vielfalt wird der Andersartigkeit der Weg in die Veralltäglichung geöffnet und sie wird
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schließlich zur selbstverständlichen Alltagswirklichkeit. Diese Alteritäts- oder Kontingenzerfahrungen sind, wie dargelegt, konstitutiv für das touristische Reisen, sodass mit Bauman (1997) geschlussfolgert werden kann, dass der Tourist ein Prototyp der postmodernen Gesellschaft und damit des Alltags ist. Dass der Tourist als postmoderne Figur dem Alltag seinen Stempel aufdrückt, bedeutet jedoch ebenso wenig auf Schritt und Tritt einem ortsfremden Fremden zu begegnen wie überall auf eine touristische Infrastruktur zu stoßen. Dies trifft zwar zu; was dem einen ein Tourismusraum ist, ist dem anderen sein Heimatraum und umgekehrt. Unstrittig sind auch touristische Verhaltensweisen im Alltag. Doch dies stellt keinen Retrotourismus oder gar eine Vergegenwärtigung einer historisierten Tourismusrealität im Alltag dar (in diesem Sinne siehe Gyr 2001, S. 482). Eine solche Touristizierung des Alltags ist ebenso augenscheinlich wie etwa die inszenierten Erlebniswelten (vgl. Schirrmeister 2002), die vielen unterschiedlichen „dritten Plätze“ (Oldenburg 1999) wie z. B. Kneipen, Bistros, Cafés, Coffee-Shops etc., wo wie im Urlaub ohne Stress und frei von Gedanken an die Arbeit und das Zuhause kontemplativ mit anderen zusammen quasi der Globus durch Speisen und Getränke einverleibt wird, sodass etwa von einer allgegenwärtigen Mediterranisierung des Alltags die Rede sein kann (Rolshoven 2005), die an der leichten Bekleidung, dem Essen im Freien und der Architektur abzulesen ist. All diese Erscheinungen sind zusammen mit den postmodern gegebenen Optionen der Lebensgestaltung Ausdruck einer immensen Vielfalt, die das Andere veralltäglicht und den Menschen anhält, sich darin und damit zu verorten. Wie bei der Reise schaut er sich dieses und jenes an, probiert es aus, jongliert damit, kuppelt sich an und kuppelt sich dann, sei es freiwillig oder aufgrund von gesellschaftlichen Veränderungen und/oder sozialen Mechanismen mehr oder weniger unfreiwillig, wieder aus. Da diese Vielfalt des Anderen – genauer: des möglichen Andersseins – weder eine Einheit bildet, noch auf einer gesellschaftlichen Vorgeprägtheit (Wissensvorrat) beruht, mobilisiert sie den Menschen (vgl. Tully/Baier 2006): Um sozial, sei es beruich oder mitmenschlich, anzukommen und dabei angenommen zu werden (Sozialität) und dabei Möglichkeiten seines Selbstverhältnisses (Identität) auszuloten, ist der postmoderne Mensch überall in Orten, aber nirgendwo dauerhaft Teil eines Ortes. Bei jedem Versuch, doch als integrierter Teil erkannt und anerkannt zu werden, muss er sich mehr oder weniger zwanghaft darstellen, d. h. zum Ausdruck bringen, dass das Andere auch sein Eigenes ist. Solche Beheimatungsversuche werden jedoch immer wieder durch die dynamische, von den üssigen Raum-Zeit-Verhältnissen beeinusste Alltagswirklichkeit in Frage gestellt. Wenngleich sich der Alltag als ein Möglichkeitsraum und damit als ein zu entfaltender Gestaltungsraum darstellt, an dem sich der Mensch als „ein anderer denken und verhalten kann“ (Kristeva 1990, S. 18) – gleich wie im Tourismusraum –, so kann der Spielraum des Seinkönnens als eine Orientierungskrise erlebt werden, in der der Alltagsmensch nicht mehr weiß, was er ist und wohin er will, er sich also
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im Alltag als Fremder wahrnimmt und er demzufolge erneut auf die Reise gehen muss, um den Verlust von Bindungen durch Kontakte an unterschiedlichen Orten des Alltags zu kompensieren. Aus dem daraus resultierenden fortwährenden Unterwegssein kann die Fähigkeit erworben werden, mit der wachsenden Kontingenz produktiv umzugehen und sich in dem hochmobilen Alltagsraum zurechtzunden und ihn als Subjekt mit zu gestalten. So gesehen stellt die Implementierung des Anderen im Alltag eine prinzipielle Emanzipationsmöglichkeit dar; einer Emanzipation nicht von den gesellschaftlichen Bindungen – sie sind ja verüssigt –, sondern von den Zwängen der Optionen und der eigenen Kontingenzerfahrung: Der Alltagsraum der Vielfalt des Anderen lockert bzw. entkoppelt die zeitlichen und räumlichen Bindungen und bietet damit die Chance einer neuen Konguration von Vergangenheit und Zukunft. Die Alltagswelt mag in ihrer Vielfältigkeit und Offenheit irritieren und verfremden, doch gerade darin liegt das Potenzial, sein Leben entlang und/oder mit den erfahrenen Andersartigkeiten entweder anders als bisher oder wie bisher zu gestalten.
Zukunft ? Wenn es stimmt, dass einerseits touristisches Reisen Bindungen löst, sodass der postmoderne Mensch dabei sein „wahres“, „wirkliches“ oder „authentisches“ Ich erschaffen kann, und dass andererseits der Alltag genau dieselbe Möglichkeitskonstellation aufweist, dann wird die Interferenz des Eigenen mit dem Anderen im Alltag und beim Reisen immer bewusster. Der postmoderne Mensch erkennt dabei, dass Verlässlichkeit und Erwartbarkeit sowie Herstellung von Identität nur im alltäglichen Handeln und nicht mittels Reiseerlebnissen erfolgen können. Da der Alltag ein Pluralitäts- und Alteritätsgefüge samt unendlich vieler Möglichkeiten darstellt, könnte touristisches Reisen auf diesen Alltag vorbereiten, ist doch die vermeintliche touristische „Gegenwelt“ eine Parallelwelt zum Alltag. Vor diesem Hintergrund läuft eine Veralltäglichung des Tourismus auf ein Ende des Tourismus hinaus.
II Möglichkeiten und Wirklichkeiten
Imagekonstruktion fremder Räume Entstehung und Funktion von Bildern über Reiseziele
Ökonomie der Zeichen Kaufentscheidungen werden längst nicht mehr aus funktionalen oder preislichen Überlegungen heraus getroffen. In der Postmoderne sind Waren und Dienstleistungen verzaubert worden: Wir konsumieren symbolisch, und dies bedeutet für Kaufentscheidungen, dass die Konsumgüter als Bedeutungsträger fungieren, auf immaterielle Signikate verweisen; die Güter selbst – die Signikanten – sind nur noch Bedeutungsträger. Folglich mutieren Kaufentscheidungen und Konsum in der Postmoderne zu einer semiotischen Arbeit, zu einer verstehend-interpretativen Alltagswissenschaft der Entschlüsselung von Konsumlandschaften: Man erwirbt Güter nicht ihrer materiellen Physis wegen, sondern aufgrund ihres Symbolgehalts. Der postmoderne Konsument ist daher ein steter Spurensucher und -leser. Zeit und Raum haben ihre verhaltens- und identitätsbestimmende Kraft eingebüßt, da überall und zu jeder Zeit Beliebiges hergestellt, verkauft und mit Symbolen belegt werden kann. Auf den Tourismus übertragen und als These: Da der besuchte fremde Raum nur als Bedeutungsträger relevant ist, orientieren sich Reisewünsche an Zeichen (Symbolen), die im Raum gesucht werden.
Dass die gegenwärtige Wirtschaft zu einer Ökonomie der Zeichen geworden ist (vgl. Lash/Urry 1994, S. 13 ff.), resultiert aus der Loslösung des postmodernen Menschen von traditionellen Strukturen und des sich daraus ergebenden Bemühens, sich über Konsum sozial zu verorten (vgl. Corrigan 1997, S. 35 ff.; Featherstone 1991). Wenn hergebrachte Normen, Überzeugungen und Deutungsmuster mehr und mehr in Frage gestellt werden, dann führt diese Erosion von Selbstverständlichkeiten auch zur Reexion dergestalt, dass die alles überragende und strukturbestimmende Warenwelt wie ein Text gelesen wird: Beim Konsumenten werden Situationen lebendig bzw. Bilder geweckt, die ihn mit der Ware in soziale Bezüge stellen, die ihm die Bedeutung der Ware vermitteln (etwa: „Damit werde ich akzeptiert“). Konsumieren und diese Ausdeutung der Warenwelt, d. h., der soziale, interpretierende Gebrauch der Waren, erfolgt nicht ungesteuert, sondern wird neben Bildung, Alter und Einkommen von Bildern und Erzählungen, die die modernen Informationsund Kommunikationsstrukturen vermitteln, bestimmt. Bilder und Erzählungen K. Wöhler, Touristifizierung von Räumen, DOI 10.1007/ 978-3-531-92761-9_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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(bzw. Geschichten über eine Ware) sind ästhetisch-hermeneutische Zeichen: Der Mensch der Postmoderne lenkt seinen Blick auf Symbole (vgl. Lash 1996, S. 195 ff.). Als These und auf den Tourismus übertragen: Ein (antizipierter) Aufenthalt im fremden Raum ruft Bilder hervor, die den Reisenden in gewünschte (Beziehung-)Welten stellen.
Welche Vorstellungen, Bedeutungen, Eindrücke und Gefühle ein Konsument mit einer Ware und deren Umwelt – der Einkaufsstätte – verbindet, welches Image ihr also anhaftet oder zugeschrieben wird, entscheidet letztlich, ob sie erworben wird oder nicht. Bedeutungs- und Symbolmanagement – die Fähigkeit, Images und Zeichen herzustellen, umzuarbeiten, zu kommunizieren und zu manipulieren – wird daher zum entscheidenden Element postmodernen Wirtschaftens, sowie der Produktion und Reproduktion des Sozialen (vgl. Miles 1998). Die Folge ist eine Ästhetisierung des Konsums, der eine spielerische Dimension gewinnt, indem er als eine Art Schauspiel wahrgenommen wird. Im Konsumschauspiel als der kulturellen Inszenierung der Gegenwart werden die wichtigsten Werte der Kultur sichtbar und zugänglich. Sichtbar werden sie durch eine mimetische Konstellation (vgl. aus Sicht der Ethnologie: Girard 1992, S. 214 ff.; konsumsoziologisch: Falk 1994, S. 118 ff.): Man begehrt Güter, weil Rivalen sie ebenfalls begehren. Identitätsbildung bedarf also eines Anderen, der sagt, was begehrenswert ist. Im Konsumschauspiel ist der postmoderne Mensch gleichzeitig Zuschauer und Beteiligter. So oder so wird er dabei mit Menschen konfrontiert, die im Besitz der begehrenswerten Güter sind, und versucht, dieses Modell nachzuahmen (vgl. zu diesem Zusammenhang nach wie vor Veblen 1971). Als These tourismusbezogen: Die Organisation und Struktur des Tourismus stellt eine (artizielle) Fortführung der Realität der Konsumgesellschaft dar.
Weil Besitzer begehrenswerter Güter nicht liquidiert, neutralisiert oder isoliert – also: geopfert – werden (sollen), tritt anstelle derartiger Gewaltakte die Transformation der Güter des Rivalen in Repräsentationen, die für den Anderen stehen, der diese Güter besitzt oder von dem angenommen wird, dass er zu ihnen einen Zugang hat, das heißt, sie erwerben kann. Die postmodernen mimetischen Wünsche haben daher Repräsentationen als Bezugspunkte, die vornehmlich von der (ästhetisierten) Wirtschafts- bzw. Konsumwelt erzeugt werden. Die Stimulierung der Nachahmung mittels Güterrepräsentationen ist die Voraussetzung für die Massenproduktion, die Kopien ohne Originale produziert (vgl. Falk 1994). Repräsentationen von Gütern stellen Konstruktionen eigener Marketingversionen der Güter dar. Es sind Ikonen von Gewünschtem: Was gewünscht wird, wird in einem Konzept gezeigt, so dass das Gewünschte unmittelbar wieder erkannt wird (vgl. Solomon 1998, S. 47). Dies
Imagekonstruktion fremder Räume
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gelingt, weil Ähnlichkeiten zwischen Ikone und bezeichnetem Gut, dem Original, bestehen. Abweichungen vom Original sind möglich und werden bewusst – durch Hervorhebung oder Verschleierung bestimmter Eigenschaften – vorgenommen. Anreicherungen, Reduktionen und Manipulationen des Originals sind das Resultat der Orientierung an den Bedürfnissen bzw. Wünschen der Konsumenten, so dass in letzter Konsequenz Wunsch-Images zirkulieren: Das Marketing hat die Güter so transformiert, dass sie als Repräsentanten für Vorstellungen, Einstellungen und Emotionen der Konsumenten stehen. Die Massenmedien produzieren visuelle Images, die originalähnliche Abbildungen von Gütern darstellen und die gleichzeitig mit Zeichen versehen sind, die auf außeralltägliche Wirklichkeiten verweisen. Das Marketing sagt deshalb von sich selbst, dass es nicht den Absatz von Gütern und Dienstleistungen befördere, sondern von Erwartungen und Wünschen. Es positioniert Produkte so, dass sie mit den Wunschbildern der jeweils verschiedenen Zielgruppen möglichst weit übereinstimmen. Auf den Tourismus angewandt und als These: Um den Wünschen/Wunschbildern der potenziellen Raumkonsumenten (Reisende/Touristen) zu entsprechen, werden Räume in Images transformiert.
Abbildung 1
Subjektkonstitution durch den Markt/Konsum
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II Möglichkeiten und Wirklichkeiten
Für den weiteren Fortgang sei das Argumentationsgerüst in Abbildung 1 zusammengefasst (diese und folgende Abbildungen in Anlehnung an Franke 1994). Danach erfolgt die postmoderne Subjektkonstitution durch den Markt bzw. Konsum. Der Mensch ist stets rückverbunden an Güter, die Modelle des (postmodernen) Seins repräsentieren. Der Konsum ist daher ein reexiv-interpretierender Weltzugang, bei dem der Mensch die Bedeutung der Güter für sich selbst mit den Augen der Anderen – der Rivalen – ausmachen muss (vgl. Dux 1994). Die begehrenswerten Güter sind durch Zwischenschaltung des Marktes von Personen separiert, so dass eine Konversion von Nicht-Besitzern zu Besitzern (idealiter) ohne weiteres möglich ist. Konsumwünsche können ohne Liquidation der Rivalen erfüllt werden, zumal die Massenproduktion Güter im Überuss bereithält. Der Markt verkörpert Freiheit – Freiheit bei der Auswahl der Güter und somit Freiheit bei der Selbstbestimmung mittels Güter. Da Güter nicht wegen eines materiellphysischen Grundnutzens erworben werden, sondern wegen der bisweilen sogar davon abweichenden psychosozialen Nutzenstiftungselemente (vgl. Vershofen 1959, S. 89 ff.), ist es für den Markterfolg unerlässlich, diesen Nutzen zu entwickeln und dem Gut anzusinnen. Das Marketing, speziell die Werbung, ersinnt auf der Basis von Kundenwünschen Produktkonzepte, die die Güter in einem Rahmen ikonischer Symbolisierung abbilden – ein Produktimage ist ebenso entstanden wie ein Raumimage.
Semiotisierung/Semantisierung von Gütern Wenn Güter auf Nicht-Gegenständliches verweisen (Intangibilitäten/psychosozialer Nutzen) und sich das Marketing darauf konzentriert, dann ist die postmoderne Konsumwelt von Wechselbeziehungen zwischen einer realen Güterpräsenz und einer marketinglichen Repräsentanz geprägt. Im Marketing wird daher das reale Gut imaginiert: Es wird mit Vorstellungen belegt, die sowohl die Gutsbedeutung als auch das Gutsvermögen für den Konsumenten spezizieren. Bekanntlich gibt die mediale Repräsentanz – Werbespots, Events und so fort – Auskunft über imaginierte Wirklichkeiten und zeigt, was sich faktisch ereignen und in Erfahrung bringen lassen wird, wenn man einen fremden Raum aufsucht. Das Gut ist also in einem Konzept bzw. einer Konstellation abgebildet; es steht in einem gedachten Verweisungsverhältnis. Dieses Verweisungsverhältnis stellt eine neue Realität dar. Reisen, der temporäre Aufenthalt in fremden Räumen, wird aufgrund der Abwesenheit dieses Raumes vor (und auch nach) dem Aufenthalt stets imaginiert. Imagination ist eine Quasi-Materialisierung des Immateriellen, da es sich dabei um eine nachvollziehbare Bedeutungszuschreibung, um eine Herstellung von Realität handelt. Am Beispiel eines Verbrauchsgutes kann dieser Prozess der Produktion
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von (efzienten) Wirklichkeiten ebenso gut demonstriert werden wie die Herausbildung und Funktion des Images. Beim Gutserwerb wird diese Wirklichkeit antizipierend imaginiert. Überprüfbar sind nur solche Eigenschaften des Gutes, die der direkten Beobachtung zugänglich sind: Preis, Form, Farbe oder Materialien sind vorab erkennbare Sucheigenschaften. Imaginierte Eigenschaften lassen sich dagegen nicht unmittelbar feststellen. Ob beispielsweise ein Deo seinen Besitzer attraktiv macht, lässt sich nur überprüfen, wenn man es gebraucht, sprich: Erfahrungen sammelt. Imaginierte Gutseigenschaften stellen daher Erfahrungseigenschaften dar. Da aber Güter meist vor dem Konsum gekauft werden müssen, besteht beim Kauf für den Anbieter ein Glaubwürdigkeitsproblem und beim Käufer ein Unsicherheitsproblem. Diese Unsicherheit erhöht sich noch, wenn dem Deo Eigenschaften zugeschrieben werden, die, wenn überhaupt, nur sehr langfristig überprüfbar sind, zum Beispiel, dass es umweltfreundlich sei und die Haut schone. Solche Vertrauenseigenschaften sind praktisch weder durch Inspektion noch durch Gebrauch überprüfbar. Dass es dennoch zu Kaufabschlüssen kommt, liegt daran, dass der Konsument seine Unsicherheiten durch den Rückgriff auf Signale reduziert. Signale vermitteln ihm indirekte Informationen über die nicht beobachtbaren Gutseigenschaften (Informationssubstitute). Es stellt sich immer wieder heraus, dass dem Produkt und Anbieter zugeschriebene Image als Signal beim Kaufentscheid eine zentrale Rolle zukommt und es als eine höherwertige Information interpretiert wird: Ein Image wirkt wie ein impliziter Vertrag, den der Anbieter einlöst (vgl. Weiber/Adler 1995). Verständlich, dass die Wirtschaft viel für Imageaufbau und -pege aufwendet. Je mehr Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften Güter marktfähig machen, desto stärker rückt die Produktion von Symbolen zu Lasten der materiellen Produktion in den Vordergrund. Den Gütern wird ein nicht-anschaulicher Sinn – wie hautschonend – angeheftet. Prägnant werden diese durch symbolische Formung (vgl. Cassirer 1983, S. 175 ff.). Symbolische Formen bilden nicht ab, sondern sie bilden Wirklichkeit. Das so geformte Deo wird als ein ganzes Eigenschaftsbündel wahrgenommen. Diese Eigenschaften gelten nun nicht nur für das konkrete Gut Deo. Sie funktionieren auch bei anderen Gütern. Sie sind unabhängig vom Objektbezug und verweisen somit auf kulturelle Systeme, die die Welt erschließen (vgl. Peirce 1966). Attraktivität oder Hautschonung wären demnach Werte, die in der Gesellschaft Geltungsanspruch besitzen; diese Eigenschaften erhalten eine erweiterte Bedeutung, beispielsweise beruichen Erfolg und Jugendlichkeit. Die Eigenwelt Deo-Gebrauch besäße dann das Spezikum, jugendlich zu wirken und beruichen Erfolg zu haben. Diese sekundäre Semiotisierung eines Zeichens wird als Konnotation bezeichnet. Das Gefüge sei (verkürzt) in Abbildung 2 skizziert (vgl. vor allem Barthes 1997, S. 376 ff.).
50 Abbildung 2
II
Möglichkeiten und Wirklichkeiten
Semiologische Kettenstruktur (Sinnebenen) am Beispiel Deo als Mythos
Ihre eigenweltliche Bedeutung erhalten die Signikanten erst durch Zuordnung eines Signi kats, das sich durch normative und wertethische – und somit immaterielle – Implikationen des Gutserwerbs auszeichnet. Eine Vermarktung des realen Codes, wonach zum Beispiel ein Deo den Körpergeruch stoppt, macht ein Gut weder markt- noch unterscheidungsfähig. Das Gut ist vielmehr auf mehreren Ebenen zu re-konstruieren: Einerseits bauen die Ebenen aufeinander auf; andererseits mutiert ein Zeichen zum jeweiligen Signi kanten auf der nächst höheren Ebene in Bezug zum jeweiligen Signi kat, und so bilden diese Ebenen je eigene Systeme. Ein Zeichen steht für ein assoziatives Ganzes eines Begriffs oder Bildes; es ist die Verbindung von Signikant und Signikat (Barthes). Das Image eines Gutes wird durch diese Zeichen gebildet. Im Image steckt also ein Mythos – ein Mythos deniert ein Image. Modiziert lässt sich dieses Gefüge für ein bekanntes touristisches Beispiel anhand der Abbildung 3 darstellen.
Imagekonstruktion fremder Räume Abbildung 3
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Raum-Sinnbildungsprozess im Kontext des Tourismus
Auf der untersten Ebene be ndet sich das ikonische Zeichen Strandleben, dessen Signikant visuell wahrgenommen wird, und dessen Signikat mit im Süden beschreibbar ist. Dieses denotative Sinnsystem wird zu einem Signi kant Richtig Urlauben gemacht, diesmal in sprachlicher Form, etwa in einem Katalogtext. Dieses wiederum ließe sich mit dem Signikat Nichtstun und sich bedienen lassen auaden und zusammen mit dem Signikant als Ganzes zu dem komplexen weiteren Signikanten Einmal im Jahr das Gefühl zu haben, man selbst zu sein formen. Anerkennung als Person wäre das passende Signi kat hierzu. Auf der letzten Sinnebene ließe sich wie beim Deo-Beispiel Selbstverwirklichung (nur) in der Fremde ansiedeln. Deutlich wird, dass dem Raum Bedeutungen angesonnen werden, die er als solcher nicht hat. Indem derartige Symbolisierungsvorgänge im Tourismus medial produziert und distribuiert werden, entstehen Raummythen, die als Images gehegt und gepegt werden.
Vom fremden Raum zum Zeichen Im Folgenden wird aufgezeigt, dass der Tourismus als Raumkonsum genau den hier beschriebenen Strukturen und Mechanismen unterliegt. Das touristische Produkt
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II
Möglichkeiten und Wirklichkeiten
verliert seine Raumsubstanz und wird ersetzt durch Zeichen. Verkauft werden Raumimages, die dem fremden Raum auferlegt werden. Das ursprüngliche, materielle Substrat des Reisens ist der ferne, fremde Raum (vgl. Leed 1993). Dieser besteht für sich – eine Eigenschaft, die ihn bis in die Zeit der Eisenbahn hinein bestimmte: Der Raum war nur wahrzunehmen, indem man ihn in seiner topographischen Struktur sinnlich durchquerte und vor Ort betrachtete. Reisen war daher stets ein Erfahrungsgut. Den Raum selbst realiter zu sehen, zu begehen, zu durchqueren und sich in ihm mit allen Sinnen aufzuhalten, waren die entscheidenden Kriterien für Authentizität und Wahrheit. Bis heute bleibt für den Reisenden, trotz Eisenbahn, Auto und Flugzeug – nahezu autonome Systeme, die sich von ihrer Umgebung emanzipieren und sich einen homogenisierten Raum schaffen –, eines von Bestand: Der ferne Raum ist nicht am Ausgangspunkt der Reise inspizierbar. Er ist also vor Reiseantritt materiell nicht da (intangibel); somit verharrt die Reise als Passage und als Aufenthalt in Uneigentlichkeit. Als solche ist sie prinzipiell offen, inhaltsunabhängig und daher beliebig charakterisierbar. Da es dem Menschen eigen ist, das nicht-gegenwärtige Anderswo mit einem der Lebenserfahrung entnommenen (primären) Sinn zu versehen (vgl. hierzu immer noch Boesch 1980, S. 51 ff., S. 190 ff.), ist der zu bereisende Raum ein Erfahrungsund Vertrauensgut. Welche Zuweisungen er erhält, variiert kulturspezisch. Jede Merkmalsbestimmung einer Reise als temporärer und sukzessiver Aufenthalt in einem fremden Raum stützt sich immer auf ein sekundäres Bedeutungssystem. Das Fremde eines Raumes ist nicht ein besonderes Merkmal eines konkreten Raumes, sondern das Ergebnis einer Interpretation, ein Interpretationskonstrukt. Die Uneigentlichkeit des fremden Raumes – aus der Sicht der Reisenden oder reisetechnisch: des Quelllandes – macht ihn offen für semantische Einschreibversuche. So hatte die Grand Tour die Bedeutung eines Erziehungsinstituts (vgl. Brilli 1997, S. 21 ff.). Für die Formierung einer tourismusförderlichen mobilen und mobilisierten Kultur ist zumal die Kutschenreise im 17. und 18. Jahrhundert herauszustellen. Erstens: Im Gefolge der deutschen Klassik und Romantik wurde sie von einer merkantil bedingten Ortsveränderung zu einer Begegnungsstätte an sich. Der Grundnutzen, der eigentliche Gebrauchskontext ist durch die Betonung eines selbstbezüglichen Zwecks ausgeblendet worden. Die Kutschenreise ist nicht Symbol für etwas, sondern verweist auf sich selbst; der durchquerte Raum verlor an Relevanz. Das Reisen mit der Kutsche wurde selbst zu einem Erfahrungsraum. Zweitens: Sowohl dieser sich fortbewegende Raum als auch der Zielraum der Reise wurde – ideengeschichtlich motiviert – zu einem Bildungs- und Individuationsraum aufgewertet. Durch diese Zweckfreisetzung erhält der fremde Raum eine Verwertungsbedeutung. Die Verwertung bzw. Instrumentalisierung erfolgt im Rückgriff auf wert- und kulturorientierte Deutungen, zum Beispiel Bildung. Die Postkutschenreise erweiterte für breitere Bevölkerungsschichten das räumliche Bezugsfeld. Doch erst die Eisenbahn ließ den fremden Raum zu einer
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gesamtgesellschaftlichen Bezugsgröße werden. In dem Maße, wie die Unberechenbarkeit des natürlichen Passageraumes schwand, rückte für immer mehr Menschen der Zielraum als verlässlich erreichbarer, temporärer Aufenthaltsort ins Blickfeld. Was die Eisenbahn mit ihrem selbstbezüglichen Verkehrsraum ermöglichte, ließ sich nun auch für den Aufenthaltsraum bewerkstelligen: Stetigkeit, Dynamisierung und Reproduzierbarkeit sowie Reduktion der Vielfalt der Erscheinungen auf eine Sequenz von Impressionen für einen Massenbesuch (siehe immer noch Schivelbusch 1977). Die Reduktion der Vielfalt der Erscheinungen des fern-fremden Raumes auf Impressionen ist jedoch nicht erst ein Charakteristikum der Moderne, sondern nahm ihren Ausgang in der frühen Neuzeit, die Europäer in die neue Welt trugen. In Ermangelung sprachlicher Verständigung kommunizierten sie mit den dortigen Bewohnern mittels (visueller) Zeichen. Dabei setzten die Weißen eine überlebensnotwendige imaginative Energie frei (vgl. Greenblatt 1994, S. 135 ff.): Sie meinten, dass die Fremden ihre Zeichen verstehen und manipulierten deren Zeichen, indem sie in das mitgebrachte Deutungssystem integriert wurden. Verstanden bzw. verstehbar war somit nur, was den Eindruck erweckte, das von den Europäern Gedachte zu repräsentieren. Die wahrgenommenen Räume und Kulturen sind (Ex-post-)Konstrukte. Was beispielsweise das Nepalesische eigentlich ausmacht, rückt im Gefolge der Touristisierung aus dem Blickfeld; wichtiger wird, was wie vorgestellt wird und welches touristische Potenzial in der Vorstellung steckt: Der Shangri-La-Mythos wird durch Zeichen materialisiert, die westliche HimalajaTouristen auf der Suche nach Weisheit, sozialem Zusammenhalt, Lebenssinn und Wohltätigkeit dann auch tatsächlich vornden. Diese semiotische Kolonialisierung entleert den fremden Raum. Mit den Eindrücken, deren Inhalte stets rückverbunden sind an das heimische Kultursystem, wird er wieder aufgefüllt; dadurch wird der Reisende in der Fremde handlungsfähig. Wie bei Miss Marple, die Kriminalfälle in einer für sie fremden Welt durch Vergleiche und Analogien mit ihrer lokalen Heimwelt löst, werden die Rätsel des fremden Raumes mit und/oder in den Kategorien des eigenen kulturellen Systems gelöst. Über fremde Räume zu berichten, war und ist daher eine Lektion über das Denken im eigenen Raum (vgl. etwa Kessler 1998). Reiseberichte können so von den Daheimgebliebenen verstanden werden; das Unvertraute wird vertraut und prägt sich als relativ xes inneres Bild ein. Lebendig sind diese Bilder, da sie mit bestimmten Räumen assoziiert werden. Bei Reisezielentscheidungen tauchen sie aus der Erinnerung auf und beeinussen die Präferenzen für Länder, Unterkunftsvarianten und so fort (vgl. Dann 1996c). Innere Bilder stellen daher Schlüsselinformationen dar und sind äußerst handlungswirksam. Aus den vorangegangenen Eindrücken, also den Interpretationen des realen fernen Raumes im Rahmen eines temporären Aufenthalts, sind nun für Reisende Selektionskriterien geworden, die den präsentierten fremden Raum re-konstruieren. Ohne ihn er-
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II Möglichkeiten und Wirklichkeiten
fahren zu haben, belegen beispielsweise US-Amerikaner den Raum Europa mit bestimmten Merkmalen (kulturell und architektonisch pittoresk, gastfreundlich usw.; vgl. Bojanic 1991). Diese Empndungen denieren das Europa-Image, das seinerseits bestimmte positive und negative Einstellungen erzeugt. Die Seh- und Erlebniswünsche orientieren sich schließlich an diesem Image, das nicht auf einer für sich existierenden Raum-Realität beruht, sondern auf überlieferten Sehweisen und Erlebnissen. Das Fremde muss unter diesen Bedingungen fremd bleiben. Wie bei der Eisenbahnfahrt, bei der von der vorbeieilenden Landschaft nur ein panoramatischer Eindruck bleibt, verortet sich ein Reiseraum nur noch über seine Anbindung an das ihm zugeschriebene Image: Nicht länger hat zum Beispiel jedes europäische Land seinen eigenen Raum, sondern bekommt ihn zugewiesen; es wird in einem Koordinatensystem funktionalisiert (siehe Abbildung 4). Die Räume haben darin keine substanzielle Eigenart. Ihre Lage verweist vielmehr auf Imagefaktoren und die sie bedingende Infrastruktur. Was die Räume unterscheidet, ist zum einen die Prägnanz ihrer Images (Passung der Faktoren) und zum anderen der gruppenspezische Charakter ihrer Images (unterschiedliche Gruppen-/Zielgruppenbeziehungen). Gefangen im von der Nachfrage denierten und daher nur so verwertbaren Imageraum, ist ein jeweils konkreter Raum niemals der gegebene, sondern der konstruierte Raum (vgl. Sternberg 1997). Abbildung 4
Wahrnehmungsbild sechs europäischer Städte von klassischen Städtetouristen (Entwurf nach Grabler 1997, S. 110)
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So ist es das erklärte Ziel jedes touristisierten Raumanbieters, sich entsprechend der Imagefaktoren zu positionieren, das heißt, sich je spezisch in Richtung der Koordinaten hin zu (re-)konstruieren. Die Deutsche Zentrale für Tourismus steckt den strategischen Rahmen für das Reiseland Deutschland damit ab, dass folgende bestimmende Imagekomponenten eine positive Marktwirkung im Zeitraum 1998–2001 entfalten sollen (Deutsche Zentrale für Tourismus 1997):
Städte (einschließlich Shopping/Sightseeing) Sport/Freizeit/Unterhaltung Kultur/Tradition/Folklore Qualität der Angebotselemente Natur/Landschaft/Umwelt Modernes Deutschland Gesundheit/Wellness
Soll das touristische Deutschlandbild allseits kongruent sein, dann müssen sich Tourismusregionen und -orte entsprechend umrüsten. Dies läuft auf eine Distanzierung vom eigenen substanziellen Raum-Sein hinaus und leistet der Nivellierung – quasi dem Klonen – von Räumen Vorschub (vgl. Dahles 1998, S. 63 ff.). Auf der anderen Seite weisen Touristen den Räumen Bedeutungen zu, die ihnen als solche Image-Re-Konstruktionen präsentieren (z. B. von Reiseveranstaltern) und/ oder die ihnen von neutralen Dritten (z. B. Filme, Berichte, Mund-zu-Mund, Schulbildung) vermittelt wurden. Hier wie dort ist das Raumimage eine Konstruktion von Konstruktionen des Raumes. Die Sehweisen der Touristen, ihre perceptual maps, sind mentale Korrelate zu diesen Konstruktionen. Der konkrete Raum verschwindet. Touristisierte Räume sind entleerte Räume, die durch einen Systemraum der reproduzierbaren Symbole wieder gefüllt werden. Allenfalls dort, wo er selbst wiederum zum Merkmalsträger wird, gerät der konkrete Raum noch in das Blickfeld touristischer Gestaltungs- und Verwertungsinteressen. Ist der Raum als tourismusgeeignet bewertet worden, wird über ihn ein Netz von Infrastrukturen geworfen, das die symbolische Manifestation des Tourismus schlechthin ausmacht: vom Gastgewerbe, den Zufahrten, Parkplätzen, Wanderwegen und Freizeiteinrichtungen über Kurmittelhäuser und Sehenswürdigkeiten bis hin zu den postmodernen Kathedralen des Entertainments und Shoppings. Selbst die Natur wird bedeutungsvoll, zum Beispiel als „echt“ in Szene gesetzt, und das Alltagsleben der Raumbewohner wird folklorisiert oder exotisiert (vgl. Wall 1997; Stremlow 1998; Morris 1995). Nur als Teil einer herstell- und beherrschbaren Struktur dieser touristischen Erscheinungen, als genau xierbarer Punkt in einem imaginären Koordinatensystem ndet der konkrete Raum noch seinen symbolischen Platz: als Städtereiseziel, Wellness-Oase, Kurort, Erlebnislandschaft und Urlaubsland oder auch als orteübergreifendes Event wie „Auf den Spuren der Ritter und Fürsten“ (also als Raumabstraktionen, vgl. Hard 1992). Konstitutiv für die touristische Freizeit ist eine leere, nicht verhaltensxierte, aber auszufüllende Zeit. Von leeren Räumen erzählt die Reisegeschichte: Je mehr
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II
Möglichkeiten und Wirklichkeiten
Räume in das touristische Blickfeld gerieten, desto umfassender entleerten sie sich von konkreten Bedingungen und umso nachhaltiger wurden diese Bedingungen – technisch bedingt – für den Tourismus eingeebnet und funktionalisiert. Als Reiseziel oder Urlaubsland wird der fremde Raum wieder mittels Infrastruktur und Deutungen erschlossen. Indem durch diese Mittel – und die Postmoderne entwickelt immer neuere im Zuge der Disney zierung und McDonaldisierung (vgl. Ritzer 1998) – der konkrete, unberechenbar fremde Raum zugunsten sicherer und wieder erkennbarer Ordnungen aufgelöst wird, werden alle touristisierten Räume homogenisiert. So hat das Reisen seit der frühen Neuzeit zu einer Aufhebung räumlicher Differenzen und zur Bildung von Raumkonzepten geführt, die den jeweiligen Vorstellungen oder kollektiven Mentalitäten entnommen sind. Diese Raumkonzepte stellen Wahrnehmungsraster dar, in denen der Raum als etwas Bestimmtes erscheint. Bali als Paradies, Italien als Land der Amore oder Griechenland als Land der Antike sind solche, schon klassischen Raumkonzepte, in denen einzelne Orte und Regionen ihre touristisch verwertbare Identität sehen – eine Identität, die den externen Vorstellungen nachkommt (für Griechenland vgl. Williams/Papamichael 1995). Aber auch einem Luftkurort oder „Wo-die-Nachtzum-Tage-wird“ liegen Raumkonzepte zugrunde. Im Marketing-Deutsch heißt dies, dass man sich ein Image zulegen müsse, an dem sich Anbieter und Nachfrager orientieren können. Raumkonzepte fungieren daher nicht nur als Wahrnehmungsraster, sondern auch als Orientierungsmuster. Einem Raumimage liegt immer eine bestimmte Raumkonzeption, eine Rauminterpretation zugrunde. Raumkonzepte gleichen den oben erwähnten Produktkonzepten. Durch den Prozess der Entleerung des Raumes können nun beliebige Punkte ideell und materiell um- und aufgerüstet werden. Historisierung, Folklorisierung, Romantisierung, Naturalisierung, Anthropologisierung und Eventisierung bewirken, dass sich ein Tourist auf den Spuren der Ritter, Bergmänner, Dichter, Nepalesen oder schlicht in der Natur wähnt, aber eine Inszenierung eines Raumkonzeptes erlebt (vgl. Urry 1995, S. 187 ff.; siehe auch Baudrillard 1988). Der Raum ist als solcher nicht marktfähig, sondern muss eine Bedeutung erhalten, die er als selbstbezogene Wirklichkeit nicht besitzt. Erst wenn er als Mountainbike-Eldorado, Skiparadies, Badevergnügen, Dort bleibt man nicht alleine, nepalesisch oder geschichtsträchtig dechiffriert wird, gerät er in das Blickfeld des potenziellen Touristen. Nur diese Zeichen machen den Raum attraktiv. Sie reektieren, wie bei anderen Gütern (siehe Abbildung 1), kulturelle Deutungen und stiften eine innere Nähe. Der mit wünschenswerten Objekten und Verhaltensoptionen besetzte Raum bietet dabei die Gelegenheit, einmal etwas auszuprobieren oder zu erleben, ohne dass damit Festlegungen verbunden wären (vgl. Kie 1997; Günther 1997). Mit einer solchen Vorstellung ist der potenzielle Raumbesucher bereits innerlich dort. Diese innere Nähe bei gleichzeitiger offenkundiger Distanz (man ist noch nicht dort) ruft zu Hause einen Informationsbedarf hervor, der mit dem Raumimage befriedigt wird.
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Dieses signalisiert, dass das jeweils Erwartete im fremden Raum mehr oder weniger verlässlich anzutreffen ist. Die Entleerung des Raumes schafft überdies die Voraussetzung für den Massentourismus, abstrakter: für die Bereitstellung von in Wert gesetzten Räumen zum massenhaften Konsum. Touristische Angebote lassen sich gleichförmig, stetig und berechenbar vorhalten. Erworben werden nicht Räume, sondern zeitweilige Raumnutzungsrechte. Da Nutzungsrechte immateriell sind, das heißt erst im Vollzug des Raumkonsums geprüft werden können, ist es aus Glaubwürdigkeits- und Sicherheitserwägungen heraus notwendig, die Raumnutzung zu materialisieren. Dies geschieht durch eine Visualisierung der dem Raum auferlegten Zeichen. Ob nun Strandleben, Natur erleben, Feste feiern mit Insulanern oder schlicht Einwohner – all dies wird ebenso verbildlicht und damit präsent gemacht wie Unterkünfte in den Ortsprospekten. Der konkrete Raum erscheint dabei nicht mehr selbstbezogen, sondern stets in Relation zu bildlichen Zeichen, die durch Text oder Sprache ergänzt werden. Wien etwa repräsentiert sich durch die in Abbildung 3 dargestellten Imagefaktoren – Wien und Kultur oder Shopping in Wien wird ikonisch dargestellt: Ein oder mehrere Bilder stehen für Wien als Ganzes. Vom bildlichen Zeichen wird auf den realen Raum geschlossen. Nur die ikonisch verengten Bilder lassen sich verkaufen; dem Verkauf von bildlichen Images folgt dann ein visueller Raumkonsum, durch den das erworbene visuelle Nutzungsrecht in Anspruch genommen wird (vgl. Lash/Urry 1994, S. 271 und schon „klassisch“ Urry 1990). Durch dieses lassen sich mimetische Raumwünsche massenhaft realisieren. Ohne dass der Konsument ins Gehege mit anderen kommt, die Kreta, Mallorca oder Kuba zur gleichen Zeit besuchen wollen, können Reisen wie andere Massengüter hergestellt und auf Abruf bereitgehalten werden. Wie in der alltäglichen Warenwelt versetzt das visuelle Nutzungsrecht den Touristen in einen Supermarkt. À la carte kann er seinen eigenen Raum zusammenstellen, oder er pickt sich aus einem All-inclusive-Angebot heraus, was ihm gefällt. Wenn ihm der in Katalogen und Broschüren dargebotene und zur visuellen Inanspruchnahme freigegebene Raum nicht als Paradies vorkommt (vgl. Dann 1996b), so doch aber als Markt, zu dem er einen (nahezu) freien Zugang hat. Da sich der Tourist über seinen Raumkonsum seine eigene Institution erschafft – Ballermann, Shopping, Wellness, Schlemmen und so fort – kann er mit diesem Raumkonsum reexiv und temporär anzeigen, wo er sich sozial verortet (vgl. Urry 1995, S. 220 ff.). Reisen als Raumpraxis stiftet demzufolge einen Nutzen, der nicht dem Raum als solchem anhaftet. Selbst bereits konstruierte Räume, wie Stonehenge, werden im Zuge der Identitätsbildung von New Age Travellern uminterpretiert (vgl. Hetherington 1996): Aus der vermarkteten Neukonstruktion wird schließlich für die Touristen Realität, wenn sie im Raum tatsächlich Zeichen vornden, die auf dieses Stonehenge verweisen.
58 Abbildung 5
II
Möglichkeiten und Wirklichkeiten
Prozess der Transformation von vorhandenen Raumwelten in neue Realitäten (in Anlehnung an Flick 1995, S. 50)
Die bisherigen Ausführungen lassen sich wie folgt zusammenfassen (siehe Abbildung 5): Mit dem Reisen kommen nicht nur Abbildungen einer für sich existierenden Raumrealität ins Blickfeld des Touristen. In der ersten Stufe werden Leitwerte und Deutungen der (postmodernen) Gesellschaft im Rahmen eines Raumaufenthaltes moduliert, stilisiert und idealisiert zur Kenntnis gebracht. Diese Idealisierungen einer bereits interpretierten und konstruierten Raumwirklichkeit stellen schon eine Form von Massenmedien dar: Sie führen den potenziellen Raumkonsumenten, den Touristen, Bilder des fremden Raumes vor, die ihre Wahrnehmung und Deutung anleiten. In der zweiten Stufe werden diese Inszenierungen unter der De nitions- und Deutungsmacht von Raumregisseuren – Tourismusindustrie und angestammte Raumbewohner –, die sich aus ökonomischen Gründen an den postmodernen Bedürfnissen der Konsumenten zu orientieren haben, abermals umgearbeitet und neu moduliert. Die Erscheinung des Raumes bildet auf dieser Stufe das Material für massenmediale Re-Inszenierungen. Diese wirken auf die Räume zurück und führen dazu, dass sie sich entsprechend umgestalten. Auf der dritten Stufe schließlich steht die Nutzung des Raumes, d. h. die Welterzeugung aus den medial gefertigten Realitäten durch Touristen. Sie verwenden diesen konstruierten Raum für ihre Lebensstilisierungen. Im nächsten Schritt reagieren Medien darauf und so fort.
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Raumnutzung als Ware Die postmodernen Raumnutzungspraktiken im Rahmen einer gegenwärtigen Hochkonjunktur der Erlebnisinszenierung, Vergnügisierung und Eventisierung stellen Körper-, Erlebnis- und Zusammengehörigkeitsmythen dar, da der Raum durch sie zum Träger von Aussagen wird, die der Idee des Besuches eines für sich gegebenen Raumes fremd sind oder ihr widersprechen. Der Text Raum wird durch zufällige, aber ökonomisch erfolgreiche Nutzungskontexte, wie Planet Harz (im Ostharz), Play Castle (Schlossanimation in Tirol) oder Reisen nach dem Roman Das Parfüm (Südfrankreich) ersetzt. Mit dem Zeichensystem Aufenthalt im fremden Raum sollen Individualität, Geselligkeit, Vitalität, Gesundheit, Bildung, Fitness oder Jugend symbolisiert werden, um bestimmten Lebensstilen eine raumzeitliche Durchgängigkeit zu verleihen. Touristische Raumnutzungsformen gründen nicht mehr auf den genuinen Raumelementen, sondern sie benutzen nur noch ihre Namen. Eine derartige Umwandlung von Sinn in Form kennzeichnet nach Barthes einen Mythos, der sich als sekundäres und tertiäres System auf ein bestehendes Zeichensystem – den fremden Raum – legt. Diese Mythen zirkulieren als Raumbilder, aus denen neue Bildsequenzen konstruiert werden. Das touristische Raummanagement zielt darauf ab, diese (kontrollier- und manipulierbaren) Raumbilder im Gedächtnis der Konsumenten zu verankern. Nach Lash und Urry (1994) folgt der postmoderne Tourismus einer Grammatik der visuellen Gestaltung fremder Räume. Im Gegensatz zu deutschen Sozialwissenschaftlern räumen sie mit anderen englischsprachigen Autoren dem Tourismus eine zentrale Rolle bei der Konstitution der Postmoderne ein. Vor allem die massenmedial erzeugten Raumbilder prägen die Wahrnehmung und das Verständnis nachhaltig und wirken einschneidend auf die touristische Praxis zurück: Touristen wollen das sehen, erleben und erfahren, was sie bereits vorher als reale Erscheinung gesehen haben (z. B. in Broschüren, im Fernsehen oder Internet). Durch die massenmediale Bildvermittlung wird das an sich intangible Gut Raumaufenthalt materialisiert und glaubhaft. Aufgrund dieser Erwartung schreitet die Simulation ursprünglicher Raumnutzung voran: Um ein reines, referenzloses Funktionieren des Raumes zu gewährleisten, also das Räumliche mit seinen Unberechenbarkeiten zu eliminieren, muss der fremde Raum geradezu durch Zeichen substituiert werden, die den Touristen zu beherrsch- und kontrollierbaren Infrastrukturen führen. Ein temporärer Raumaufenthalt wird so zu einem Konsumgut, das als mythische Form ökonomisch ausgenutzt wird. Touristische Design- und Instant-Raumangebote treten an die Stelle ehemals authentisch erlebter Räume. Weil sich Konsumenten am Image, dem Raumdesign, ausrichten, bestimmt auch hier das Design das Sein. Andererseits scheint der Tourismus (die „Tourismusindustrie“) mit der Entleerung, Neuschaffung und Verschönerung des Raumes den „anthropologischen Konstanten“ des postmodernen Urlaubers nachzukommen (vgl. Urbain 1998, S. 234 ff., 318 ff.).
Aufhebung von Raum und Zeit Realitätsverlust, Wirklichkeitskonstruktion und Inkorporation von Reisebildern
Dekontextualisierung Reisen stellt eine Manifestation territorialen Verhaltens dar. Territorialität als Strukturprinzip des Reisens (und somit des Tourismus) rührt nicht nur daher, dass der Raum Ausgangs- und Endpunkt des Reisens ist. Die strukturelle Fundierung des Reisens besteht in der Expansion territorialer Ansprüche. Die auf (fremde) Räume gerichteten Ansprüche des Menschen lassen sich beispielsweise an den Reisemotiven ablesen, dokumentieren sie doch, wie Reisende bzw. Touristen Räume temporär nutzen wollen. Nutzung und Verfügbarkeit von fremden Räumen scheinen in der Postmoderne geradezu die Voraussetzungen von Individualität, Selbstbestimmung und Freiheit zu sein (vgl. Bauman 1996). Wenn der Ausgangsbzw. Heimatraum als alltägliches und der fremde Raum als außeralltägliches Territorium wahrgenommen wird (so etwa Urry 1990), dann fungiert „die Gesellschaft“ zu Hause als Unterbindungs- und Entwertungsveranstaltung von Handlungen, die das Selbst fördern und stärken. Fremde, andere Räume sind „bessere Orte“, weil sie keine derartigen Beschränkungen auferlegen (zu scheinen). Zu Hause und in den verschiedenen Alltagsräumen leistet der postmoderne Mensch auf eine mehr oder weniger kooperative Art und Weise die von ihm abverlangten Tätigkeiten, und er wird so zum normalen Gesellschaftsmitglied. Als Tourist oder Urlauber entzieht er sich den verbindlichen Rollen, indem er Räume frei bzw. autonom nutzt und/ oder sich Freiräume schafft (im Sinne von Goffman 1973, S. 185 ff., „sekundär“ angepasst). Fremde Räume sind „besser“, weil sie nahezu voraussetzungslos und konsequenzlos genutzt werden, oder anders ausgedrückt: Touristen haben keine Raumbindung und fühlen sich daher frei. Wenn diese Diagnose zutrifft, dann werden Räume als ein Korrektiv für restriktive Bindungen des Selbst im Heimatraum deniert und dann richten sich an fremde Räume spezische Erwartungen. Touristische Räume sind insofern soziale Valenzräume, d. h. Räume, in denen vor allem Erwartungen hinsichtlich Selbstbestimmung und Freiheit verankert sind (zu Valenzräumen vgl. Boesch 1971, S. 53 ff.). Freiheit wird nicht zuletzt mit Ungebundenheit assoziiert. Raumungebundene bzw. raumfreie Interaktionen bewirken nicht nur Beliebigkeit, sondern auch soziale Unverbindlichkeiten, die nicht nur das Verhältnis der Touristen untereinander,
K. Wöhler, Touristifizierung von Räumen, DOI 10.1007/ 978-3-531-92761-9_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Möglichkeiten und Wirklichkeiten
sondern auch die Beziehungen zur Gastgeberschaft bestimmen (vgl. hierzu etwa Zarkia 1996, S. 163 ff.). Wenngleich konkrete Raumverfasstheiten, wie z. B. ein „Sonnenstrand“ oder schlicht die „Lebensart“, eine formale Bedingung und ein notwendiger Bezugsrahmen für bestimmte Manifestationen touristischen Verhaltens sind, so ist es doch falsch, diese als Ursache für das touristische Verhalten zu erklären. Es sind vielmehr die den Räumen auferlegten Erwartungen und Sinndeutungen, die das Verhalten bestimmen und kanalisieren (vgl. Simmel 1992, S. 690 ff.). Man kann demzufolge von einer Aufhebung bzw. Emanzipation des touristischen Handelns und Wahrnehmens von den kontextuellen Raumgegebenheiten ausgehen. Touristische Räume sind und werden symbolisch überbaut und umgedeutet und dann im Rahmen von modernen Freizeitmustern umfunktioniert (vgl. Rojek 1995, S. 96 ff.). Der Tourismus produziert eine spezische Räumlichkeit, in der sich mitunter Auseinandersetzungen zwischen einem „überlieferten“ und einem touristisch hergerichteten Raum abspielen (etwa bei der Konversion in eine umweltverträgliche Destination; vgl. z. B. Dewailly 1999). Touristen bewegen sich infolgedessen in konstruierten Raumsystemen. Das Konstruierte hat empirische Grundlagen. Diese Systeme sind organisiert und beispielsweise weitestgehend zoniert, d. h., die touristischen Aktivitäten sind in physische Umgebungen eingebettet. Das touristische Leben in touristizierten Räumen lässt sich auch als ein Durchlaufen von typischen Raumpfaden in konkreten Landschaften nachzeichnen (vgl. Keul/Kühberger 1996). Touristizierte Räume haben zwar für die Koordination von Touristen(-strömen) temporale Organisationen, die zum Großteil fernab touristischer Erwartungen entworfen werden (z. B. Öffnungszeiten, Fahrpläne etc.), doch die zeitliche Verteilung der Aktivitäten der Touristen ist nicht synchron mit dem Rhythmus des gegebenen Sozialraums. Die strukturelle Dauer des Tourismus ergibt sich aus einem Widerspruch: In der Freizeit sollen andere permanent präsent (= arbeitsbereit) sein (vgl. Schrutka-Rechtenstamm 1997, S. 474 ff.). Diese Diachronie, die auf unterschiedlichen Temporalitätsstrukturen beruht, bringt eine Zeit hervor, die nicht mehr eine Substanz (Tag, Nacht, Arbeit etc.) besitzt. Die Zeit wird aufgehoben und ist nur noch als soziale Relation, Interaktion sowie Symbolkonstruktion spürbar. Neben die Kolonialisierung des Raumes tritt also zusätzlich eine Kolonialisierung der Zeit. In dem Maße wie Räume als der Selbstbestimmung dienende Präsenzfelder genutzt und angeeignet werden, bestimmen Touristen die Zeit des bereisten Raums. Die Aktivitäten der Touristen fusionieren nicht mit jeweils gegebenen räumlichen Handlungsrhythmen bzw. -ketten. Der Raum wird vielmehr von Signalen her erlebt, von denen man sich eine Entfaltung des Ichs und insofern auch eine Verortung (bzw. räumliche Einbettung) verspricht. Beliebige Objekte signalisieren, dass sich mit, an und in ihnen etwas erleben lässt – dass sich also ein Ereignis einstellt. Die Zeit wird als „Entfaltungszeit“ in diesem Ereignis erlebt. In-
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dem sich ein Tourist handelnd in Ereignisse einbringt, behauptet er sich gegenüber Anderen bzw. Ordnungen. Frühstücken am späten Nachmittag oder „Ballermann“ ab zehn Uhr morgens sind Beispiele, die zeigen, wie Zeit vom autonomen Ich her geschaffen und erlebt wird. Zugleich ist diese Zeitautonomie ein zentraler Indikator der Entfaltung des Ichs. Sofort, auf der Stelle etwas zu unternehmen, ist geradezu konstitutiv für einen „richtigen Urlaub“. Verlangt wird demnach eine ständige Gegenwart und dies heißt eine Erweiterung des Präsenzfeldes. Der gegebene, also in seiner Verfasstheit vorgefundene Raum wird durch die Zeiten des Tourismus bzw. die Zeiten der Touristen wenn nicht vernichtet, so doch aber durch den touristischen Zeitbezug verdrängt. Für den Fortgang der Überlegungen kann zusammenfassend festgehalten werden, dass der Tourismus nicht nur eine Ablösung von direkten räumlichen Bindungen bewirkt, sondern er entsubstanzialisiert überdies die gegebenen Zeitstrukturen, indem Erlebnisse die Zeit spürbar machen. Diese Entzeitlichung touristizierter Räume geht demnach mit einer von dem Tourismus geschaffenen Zeitstruktur einher, wonach die Zeit als eine Aneignung von (attraktiven) Raumangeboten erscheint, zu denen sich der Tourist in Beziehung setzt. Touristi zierte Räume und Zeiten korrespondieren in einer eigentümlichen Weise mit dem Ergebnis, dass typische Raumzeiten (soziale Wirklichkeiten) hergestellt werden, die sich von den jeweils raumzeitlichen Gegebenheiten unterscheiden. Tourismus stellt also Differenzen und somit Anderes sowie Andere her.
Tourismusgüter als Leergüter Reisen stellt immer eine interpretative Leistung der Menschen dar. Dem territorialen Verhalten im fremden Raum ist strukturell eine Bedeutungszuschreibung dieses Raumes vorgelagert. Dies rührt daher, dass das Tourismus- bzw. Reiseprodukt bei der Buchung, dem Kauf, schlichtweg nicht als tangible Substanz vorliegt. Was auch immer im fremden Raum gesucht und genutzt – also konsumiert – wird, ex ante ist es aufgrund seiner Raumgebundenheit weder transportier- noch lagerbar. Anders als beispielsweise ein T-Shirt kann etwa eine „erlebnisreiche Studienreise“ vor dem Erwerb nicht getestet werden. Es existiert lediglich ein Versprechen, dass sich ex post dieses Ereignis einstellen wird. Tourismusgüter – verstanden als ein Recht auf Raumnutzung für eine bestimmte Dauer – stellen demzufolge Vertrauensoder Glaubensgüter dar. Erst wenn der Raum genutzt wird, wenn der Tourist also seine Erfahrungen macht, kann überprüft werden, ob die fremden Versprechungen und eigenen Vorstellungen zutreffen (vgl. hierzu Wöhler 1998, S. 111 ff.). Tourismusgüter sind daher „Leergüter“. Mit Gewissheit sind bestimmte Rahmen oder Hülsen wie physikalische und nationale Eigenarten wie Sprache „da“ (= kontextuell gegebener Raum). Wie sich aber der Raum zu einem bestimmten
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Zeitpunkt präsentiert, kann nicht bzw. nicht mit Sicherheit gesagt werden. Dieser strukturelle Nachteil touristischer Güter wird durch „Füllungen“ kompensiert, die im Herkunftsraum der Reisenden/Touristen nachweislich veriziert werden können und einen Nutzenwert besitzen. Anhand der Geschichte des Reisens lässt sich leicht belegen, dass ein und derselbe Raum unterschiedlich gefüllt wird, und dies heißt, dass ihm bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden (für die Alpen vgl. etwa Stremlow 1999). Was den fremden Raum auszeichnet, was man dort vornden kann und was als authentisch anzusehen ist – kurz, was man dort erleben kann –, ist nicht Aususs des „Wesens“ des Raumes. Weil dem Reisenden ex ante etwas „Sicheres“ gegeben werden soll, und der Reisende selbst eine bestimmte Garantie verlangt, präsentiert sich der fremde Raum nach bestimmten Bildern, Zeichen und Vorstellungen. Repräsentationen produzieren „Tourismusraumidentitäten“, d. h., den Räumen werden Strukturen auferlegt, die der Tourist dann auch tatsächlich erfahren bzw. erleben kann (vgl. klassisch MacCannell 1989). Welche Repräsentationsstrategien von wem verfolgt werden, ist eine Frage des Besitzes von Deutungs- und Denitionsmacht. Diese Macht liegt zum einen bei einussreichen Raumbewohnern. Weil sie im Standort der touristischen Leistungserbringung leben, besitzen sie die Glaubwürdigkeit, von der aus sie Deutungen durchsetzen können. Imageprospekte, Informationsmaterialien und sonstige Bildprodukte sind die eine Seite der Repräsentation des Raumes. Die lokalen, regionalen und nationalen Einussgruppen können neben dieser Software auch eine Hardware – Infrastruktur – schaffen, die haargenau das widerspiegelt, was ex ante versprochen wird (vgl. beispielsweise Philp/Mercer 1999). Deutungsmacht besitzen zum anderen auch all jene Dritte, die mehr oder weniger den fremden Raum kennen, sprich: Schon einmal dort gewesen sind. Ihre Deutungsmacht – und diese konkretisiert sich in Texten – beruht auf einer Glaubwürdigkeit, die sich von dem Umstand speist, dass ihre Raumaussagen nicht derart interessengeleitet sind wie die der Raumbewohner. Letzteren wird eher bewusstes Verzerren von Realitäten unterstellt. Zu diesen glaubwürdigen Dritten, den „fremden Raumerfahrenen“, zählen auch Reiseveranstalter. Wie im nächsten Abschnitt gezeigt wird, sind sie auf eine spezische Weise äußerst glaubwürdig. Eine nachhaltige Deutungsmacht besitzen die Touristen selbst. Dies ist auf die Eigenart von Tourismusgütern zurückzuführen. Ihr Leergutcharakter bezieht sich nicht nur darauf, dass einem potenziellen Raumnachfrager beim Kauf von Raumnutzungsrechten nur Versprechungen „vorliegen“, sondern auch bei der Einlösung von Nutzungsrechten bekommt er nichts Materielles. Mehr noch, erst durch eigenes Zutun, durch aktives Handeln, erfährt er, ob das Versprochene und Erwartete eintritt. Und dies bedeutet nichts anderes, als dass seine subjektive Handlungs- bzw. Leistungsinanspruchnahmefähigkeit sowie seine Wahrnehmung über das Endprodukt, wie beispielsweise „Erlebnisreiches Allgäu“, entscheiden. Der Tourist ist also nicht nur Konsument, sondern auch Produzent
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von Tourismusgütern. Insofern besitzt er eine herausragende Deutungs- und Denitionsmacht über fremde Räume. Indem er sich in Relation zu Raumobjekten setzt, d. h. prozessual touristische Leistungen erstellt und dabei seine Urlaubszeit schafft/herstellt, konstruiert er nota bene auch Raumwirklichkeiten. Er füllt den Raum durch Eigenleistungen, und genau dieses verleiht ihm die Gewissheit der Handlungsautonomie sowie damit verbunden eine individuelle Dominanz über den Raum. Der fremde Raum ist also ein individueller Gestaltungsraum und in dieser Hinsicht voller anderer „besserer“ Orte. Es liegt ganz beim Touristen, was er aus den Raumangeboten macht und wie er sie wann nutzt. Er ist stets (Mit-)Produzent seines Tourismusproduktes, das er ja nicht vor der Inanspruchnahme kaufen und testen kann, sondern erst kennen lernt und beurteilt, wenn er sich handelnd in den Raum einbringt. Für den Touristen ist daher der anvisierte fremde Raum – rein strukturell betrachtet – ein offener, leerer und durch ihn zu füllender Raum.
Reisebilder als Surrogate Folgt man den bisherigen Ausführungen, dann trachtet der postmoderne Mensch danach, bessere Orte woanders zu nden (vgl. Lange 1999). Besser ist immer ein Raum, der relativ autonom besetzt werden kann. Da erst mit der Raumnutzung seitens des Touristen ein Raum in ein Tourismusprodukt transformiert wird – touristenfreie Räume verharren in ihrer indigenen Verfasstheit –, erfolgt mit der Raumkonsumption zugleich eine Raumkonstruktion. Man kann auch davon sprechen, dass sich ein Tourist in die je spezisch bereitgestellten und hergerichteten Räume integriert. Während der Integration erfährt und erlebt der Tourist, ob das, was ihm beim Erwerb der Raumnutzungsrechte versprochen wurde, auch tatsächlich eintritt. Während beispielsweise ein Auto ohne Eigenleistung des Konsumenten nal erstellt wird, erfolgt die nale Produktion touristischer Güter wie etwa „Erleben Sie das historische München“ oder „Wandern im Chiemgau“ erst durch die Mitwirkung des Touristen am Standort der bereitgehaltenen Raumspezika. Diese notwendige Ich-Leistung gibt dem Touristen Macht: Gestaltungs- und Deutungsmacht, die ihm im Heimatraum nicht mehr bzw. nicht mehr in diesem Umfang gegeben ist. Dass man Herrscher und Beherrscher seines Lebens ist bzw. dass andere und anderes quasi als Produktionsfaktoren zur freien Gestaltung des Lebensalltags voraussetzungslos da sind, stellt den genuinen Stoff dar, aus dem Urlaubsträume gemacht werden. Genau dieses spiegeln Reisebilder wider. Es versteht sich, dass sich derartige Träume nur realisieren lassen, wenn standortgebundene Hindernisse weggeräumt werden. Lokale Raum- und Zeitstrukturen müssen also aufgehoben werden. Oder anders ausgedrückt: Der Tourismus benötigt leere Räume und entstrukturierte Zeiten; er muss integrationsoffene Zeiträume vorhalten. Diese Offenheit ist nun insofern strukturell gegeben, als der Raum
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bei der Buchung und bei Reiseantritt nicht vorhanden ist. Strukturell sind also fremde Räume eo ipso interpretationsoffen, und ein Raum muss, wenn er ein touristischer Handlungsraum werden will, mit Sinn/Deutungen belegt werden. Es ist daher nicht zu kritisieren, dass Räume ständig neu konstruiert und mit neuen Bedeutungen versehen werden. Zugespitzt formuliert: Ein Raum wird nur dann zum touristischen Zielraum, wenn er einen Valenzraum darstellt, wenn sich also mit ihm externe Erwartungen verbinden lassen. Es ist demzufolge ebenso richtig wie auch trivial, wenn analytisch geschlussfolgert wird, dass sich im Reisen/ Tourismus gesellschaftliche Werte widerspiegeln; auch deshalb trivial, weil ja nur lebende, kulturgeprägte Individuen Tourismusgüter und damit Räume produzieren, die dann als „objektive“ Tatsachen in die (Raum-)Wissenschaften eingehen (so z. B. der Pazik; vgl. Hall 1998a). Will man nun einen Raum als Tourismusprodukt verkaufen – d. h. Raumnutzungsrechte absetzen –, dann ist eines evident: Dies kann nur über Sprache und Bilder – allgemeiner: über Zeichen – bewerkstelligt werden. Jeder Reisende muss sich vorstellen können, dort etwas für sich allein zu realisieren. Wenn man genau hinschaut, dann sind alle Infomaterialien voll von entleerten und entzeitlichten Bildern. Und sind einmal Menschen abgebildet, dann sind es zum einen glaubwürdige Referenzindividuen – also Touristen –, die den Raum für sich allein besetzen. Und zum anderen präsentieren die Bilder dem Touristen dienende und/ oder ihm zur Anschauung freigegebene Einheimische (vgl. hierzu beispielsweise eine Reiseführeranalyse von Bhattacharyya 1997). Dies ist die eine Seite der „Verdinglichung“ des Reiseprodukts. Als Surrogat für nicht testbare Produkteigenschaften dienen nicht nur diese offenen Reisebilder, in die man sich als autonomes Subjekt hineinimaginieren kann. Auf der Basis bzw. parallel zu diesen pull-wirksamen Raumattraktionen werden Raumbilder entlang segmentierter Erwartungen transportiert. Die Reiseanbieter kommen damit dem zuvor beschriebenen Umstand entgegen, dass Tourismusräume Valenzräume sind, d. h. also, dass Touristen fremde Räume mit je spezischen Erwartungen belegen. Was sprachlich und bildlich beispielsweise als „Sie erleben eine phantastische Tier-, Natur- und Kulturwelt“ ausgelobt wird, ist nicht eine beliebige Marotte eines Reiseanbieters, sondern beruht auf einer harten Nachfrageanalyse. Ohne hier auf methodische Feinheiten derartiger Analysen einzugehen, sei nur soviel ausgeführt: Bis ins Detail werden potenzielle Touristen in Bezug auf ihre Vorstellungen hin durchleuchtet. Man mag Werbebilder als belustigend empnden; sie kommen bei den Reisenden an, weil diese sich in den Bildern wieder nden. Die Bilder sprechen an, weil die Anbieter die Sprache der Reisenden sprechen. Und diese Übereinstimmung ist nun wieder ein glaubwürdiges Signal dafür, dass das Versprochene auch tatsächlich im fremden Raum vorhanden ist (vgl. in diesem Zusammenhang Waller/Lea 1999; allgemein hierzu Messaris 1997).
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Man muss es nicht mehr sonderlich betonen, dass dadurch Zeit-Räume erneut entleert und mit fremden Eigenarten kontaminiert werden. Denn: Indem Räume nach den erforschten Erwartungen in Wert gesetzt werden, unterliegen sie einer Umdeutung und Umfunktionierung. Der Vorteil der Anbieter liegt auf der Hand: Indem Räume erwartungsgerecht hergerichtet werden, erfolgt die Integration des Touristen in den fremden Raum nicht mehr voraussetzungslos. Man weiß relativ genau, was der Tourist will, weiß man doch, mit welchen Bildern er gefüttert wurde. Diese Bilder wollen die Touristen vornden – die Gastgeber tun nur so, als würde man den „individuellen“ Wünschen just now entsprechen, doch man hat sich schon längst strukturell auf sie eingestellt. Im Marketing spricht man von einer Kundenorientierung. Und es ist garantiert, dass das Versprochene vorliegt. Entgegen mancher Vermutung steht damit auch fest, dass Reiseträume wahr werden. Aus Imaginationen und Images werden Realitäten, die den Raum neu strukturieren. Und es ist nahezu folgerichtig, dass auch noch die indigenen Raumbewohner diese Realitäten als Identitätsstifter annehmen (vgl. etwa Ireland 1998; zur Produktion sozialer Identitäten durch Repräsentationen vgl. Chaney 1993).
Erkennbares und zu Erkennendes Dass der Tourismus in die raumzeitliche Wirklichkeit eingreift und diese durch andere, fremde („sekundäre“) Raum-Zeit-Strukturen verändert, dürfte unumstritten sein. Neu ist nicht die Erkenntnis, dass die touristische Inszenierung der Realität die Realität des gelebten Raumes verschleiert (vgl. beispielhaft Philp/Mercer 1999), würde sich doch sonst der Tourismus als Lieferant von Gegenwelten in Abrede stellen. Die tourismusbedingte Aufhebung von Zeit und Raum muss geradezu zu einer Depolitisierung und Dekontextualisierung von Räumen führen, wenn der Tourismus Orte an Menschen „verkaufen“ will, die sich andernorts entfremdet fühlen und/oder keinen Sinn (mehr) in einer politischen Partizipation sehen (vgl. C. M. Hall 1994, S. 174 ff.). Dass mit der touristischen Konstruktion von Räumen, das heißt ihrer Unterwerfung unter einen dialektischen Prozess von Zerstörung und Rekonstruktion, die touristizierten Räume/Orte auf globale Kapital- und Arbeitsmärkte treffen und sie damit in eine weltweite Konkurrenz bringen (vgl. Hall 1998a), ist nun ein weiterer Stimulus, dass „vor Ort“ – im wahrsten Sinne des Wortes – die Integration in das globale Tourismussystem sichergestellt wird (vgl. Harvey 1995). Wenn sich (nahezu) alle Tourismusräume gleichen bzw. homogenisieren, dann liegt dies daran, dass sich das internationale Kapital durch die Produktion des Raumes am besten reproduzieren kann. Die soziale Konstruktion von Tourismusräumen ist demzufolge als eine politische Ökonomie der Wirklichkeit zu verstehen, bei der es essenziell darum geht, Differenzen zwischen dem vom Touristen angetroffenen Realraum und den Raumbildern aufzuheben.
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Dies gelingt durch eine Inkorporation der Raumbilder in einen touristizierten Raum. Erfahrbar ist demzufolge eine touristisch vermittelte Raum-Realität. Dieser Umstand mag u. a. die Ethnologie bzw. Anthropologie dazu verleiten, danach zu fragen, durch welche Art und Weise der Tourismus Realitäten darstellt, verschleiert und verzerrt, d. h. letztlich offen zu legen, wie eine Kultur in situ unmittelbar erfahrbar ist (vgl. z. B. Harkin 1995). Da es keine Form nicht vermittelter Realitätserfahrung gibt, „Wirklichkeit“ also immer das Ergebnis eines Konstruktionsprozesses ist (vgl. du Gay 1997; dass Ethnologen/Anthropologen selbst nachgefragte touristische Raumkonstrukteure sind, sei angemerkt), kann es erkenntnistheoretisch „nur“ um die Beantwortung der Frage gehen, wie der Tourismus Raum-Realität konstruiert (vgl. Beck/Welz 1997). In diesem Zusammenhang müsste auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die vom Tourismus generierte Raum-Wirklichkeit nicht einfach identisch ist mit den vom Tourismus dargestellten Räumen und den in Umlauf gebrachten Reisebildern. Sich dieser Lücke bzw. Differenz zu nähern, hieße aber auch, dass sich die Ethnologie/Anthropologie den „Raumwissenschaften“ im weitesten Sinne öffnen müsste. Sie könnte so in ihre Analyse auch jene Akteure miteinbeziehen, die fernab vom „kleinen Fallraum“ diese Analyseeinheit determinieren.
Tourismusräume: Virtualisierung des Realen – Realisierung des Virtuellen
Raum als reale Verräumlichung des Virtuellen Raum ist soziomorph. Er existiert unter der Voraussetzung des Gestaltens, Erlebens, Vorstellens, Abstrahierens und Imaginierens. Er ist demnach kein Behälterraum, sondern er wird als ein Leerfeld gedacht, das durch Handlungen, Wahrnehmungen, Vorstellungen, Modelle und Entwürfe eine je spezisch erfahrbare Raumwirklichkeit wird. Wir leben zwar in Räumen, doch ihnen vorgängig sind Prozesse der Raumproduktion, durch die sich Menschen in den Raum einschreiben und ihn inkorporieren, sodass Orte entstehen (vgl. Sahr 2003; Luutz 2007). Dies bedeutet, dass das Denken über den Raum eine externe, auf die Zukunft gerichtete Lokalisierungsoptionalität unterstellt. Wir sehen also, was noch nicht existiert (vgl. Schwarte 2006). Hierzu ein Beispiel: Wissenschaftler beabsichtigen eine Tagung durchzuführen. Bei ihrer Planung machen sie sich ein Bild davon, welches Thema diskutiert wird, wen man einladen und wo sie in der Universität stattnden könnte (= „Tagungsbild“). Raumalternativen werden erörtert; man entscheidet sich, dass die Tagung ihren Ort im Raum 10 der Universität hat, d. h. dort zur Wirklichkeit werden soll. Einige Monate später ndet dort tatsächlich die Tagung statt. Aktualisiert wird demzufolge ein Tagungsbild, eine vorgestellte und somit virtuelle Größe, die im Verhalten der Wissenschaftler (ihren Planungen, Diskursen und Entscheidungen) erkennbar ist und die sich durch Andere (Tagungsteilnehmer) und den Raum bzw. den Tagungsort (Universität) vergegenwärtigt, also in Erscheinung gebracht wird (= Realisierung des Virtuellen). Was als Möglichkeit, das Tagungsbild, gedacht und intendiert wird (= Virtualität), gewinnt seine Gestalt im spezischen Kontext der Handelnden (WissenschaftlerInnen, TagungsteilnehmerInnen) und des Raumes (Universitätsraum). Insofern liegt eine Virtualisierung der Realität vor, wird doch das Gedachte, Intendierte, kurz das Virtuelle von Realitäten der Scientic Community und dem Universitätsraum reguliert. Was reguliert den Universitätsraum ? Seine Wirklichkeit zeichnet sich durch viele Orte aus, in denen geforscht, gelehrt, studiert, geprüft, gearbeitet, selbstverwaltet, gegessen etc. wird. Mit der Tagung weist er nun auch noch einen Ort des Diskurses interner und externer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus. Offensichtlich besitzt der universitäre Raum multiple Wirklichkeiten; ihm sind verschiedene Möglichkeiten eines Ortes immanent. Das Tagungsbild, also K. Wöhler, Touristifizierung von Räumen, DOI 10.1007/ 978-3-531-92761-9_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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das Denken, Entwerfen und Planen der Tagung, repräsentiert zwar noch keinen konkreten Ort im Universitätsraum – man kann noch kein Tagungsfoto mit einer Referentin machen –, bringt aber eine weitere Raummöglichkeit hervor. Das Andere im Raum wird durch Virtualisierung sicht- und dann erlebbar. Die Realität eines Raumes stellt sich demnach, systemtheoretisch gesprochen, durch das Operieren von Wirklichkeiten her, die auf den jeweiligen soziokulturellen Verfasstheiten und der kognitiven Autonomie des Menschen gründen (vgl. Schmidt 2000, S. 13 ff.). Die daraus resultierende Multiplizität des Raumes negiert nicht seine Realität. Sie erschüttert vielmehr seine vermeintliche xe oder gar ontologische Realität: Was gegenwärtig existent ist, kann nicht länger einen hegemonialen Anspruch auf Realität erheben. Räume besitzen Intangibilitäten – Qualitäten, die dem Wesen nach noch nicht aktuell sind (= Virtualität), die jedoch durch den Menschen performativ vergegenwärtigt werden (können) und so eine Existenz erlangen (vgl. Esposito 2002, S. 352 ff.; siehe nach wie vor beispielhaft: Boesch 1980). Räume sind demzufolge ebenso in ihrer augenscheinlichen Evidenz wie auch in ihrer Virtualität da bzw. real. Wirtschaftskraft, Innovationsfähigkeit, Identität und auch Tourismus- bzw. Erholungspotenzial einer Region sind Beispiele von Virtualisierungen tatsächlich existenter Räume. Virtualisierungen inspirieren und gurieren das Handeln und verleihen ihm Orientierung. Resultieren daraus Vorstellungen, Imaginationen, Fiktionen, Muster und Handlungsmodelle und werden diese hiernach verwirklicht, dann entstehen reale Strukturen – Verräumlichungen des Gedachten oder der Bilder, die man sich mit diesen Vorstellungen etc. macht. Damit wird die Realisierung bzw. Aktualisierung des Virtuellen vollzogen. Virtualität bzw. hier das Bild, das man sich von einem Raum macht, ist in diesem Sinne das gedachte Reale. Als Gedachtes repräsentiert sie sich, ist sie real und gleichzeitig inexistent bzw. nicht tatsächlich gegenwärtig – eben virtuell bzw. eine virtuelle Realität, die einen „operativen Raum neuer Art“ (Esposito 1995, S. 188) insofern schafft, als sie beispielsweise eine Region multipel moduliert. Dem gedachten Realen steht das aktuelle Reale gegenüber, das sich auf der Basis des Virtuellen in konkreten Objekten und Strukturen materialisiert (vgl. Shields 2003, S. 26 ff.). Zwischen der virtuellen (gedachten) und tatsächlichen (wirklichen) Realität existiert also ein enges Verhältnis, speist sich doch die tatsächliche Realität aus der virtuellen Realität. Dieses Verhältnis ist jedoch nicht eins zu eins: Virtuelle Realitäten werden im Prozess der Mimesis durch in der Wirklichkeit Lebende reexiv bearbeitet, so dass sich in der gegenwärtigen Realität Variationen und Rekombinationen des Virtuellen ergeben. Sich Reales vorzustellen (Virtualität) und Virtuelles zu aktualisieren (tatsächlich Existentes) bedeutet, sich beispielsweise Orte, Gegenstände, Ereignisse etc. so anzueignen, wie man sie mit den Raumbildern aufnimmt (Mimesis). Bei diesem anähnelnden, auf allen Sinnen beruhenden Prozess wird die Innenwelt (Gedachtes, Vorgestelltes etc.) mit der Außenwelt (real existierender Raum) relatio-
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niert, sodass Unterschiede und mithin Widersprüche gegenüber den Raumbildern erkannt und erfahren werden. Der mimetische Prozess wird dann so wirklichkeitskonstitutiv, dass den Räumen andere Bedeutungen zugeschrieben und sie anders – nicht im vollen Gegensatz zu den Raumbildern, doch aber ihnen nicht gänzlich angepasst – handelnd arrangiert werden (Performativität; statt vieler vgl. Wulf/Zirfas 2005). Dies bedeutet demnach keinesfalls, Raumbildern oder Vorstellungen über einen Raum ihren wirklichkeitskonstruierenden Charakter abzusprechen. Ihnen sind vielmehr raumwirksame Handlungen immanent; sie evozieren soziokulturelle Handlungen und Praxen. Vorstellungen, Imaginationen, Entwürfe, Planungen, Schemata, Bilder etc., zusammenfassend Virtualisierungen, können als verinnerlichte Handlungen aufgefasst werden (vgl. Boesch 1976, S. 183 ff.). Sich Reales vorzustellen (Virtualität) aktiviert zu Handlungen und lässt dabei Realität – hier einen Raum – entstehen. Eine strikte Trennung von Vorstellung, Imagination, Virtualisierung etc. und Realität anzunehmen bzw. auf analytischem Wege „offen zu legen“ hieße demnach, den Menschen als pathologisches Wesen zu begreifen (so Merleau-Ponty 1966, S. 385 ff.). Virtualisierung transformiert die Innenwelt in die Außenwelt und die Außenwelt in die Innenwelt, erzeugt Unterschiede und generiert, wenn nicht Neues, so doch zumindest Veränderungen. Virtualisierungen münden daher nicht in Raumutopien. Ebenso wenig stellen sie eine Flucht aus der Gegenwartswelt dar. Weil wir die Welt nur vermittelt wahrnehmen und erfahren können, entwickeln wir Vorstellungen darüber, wie sie beschaffen ist oder sein soll und danach aktualisieren wir die Welt handelnd (vgl. Faßler 2001, S. 77 ff.; Welsch 1998). Mit anderen Worten: Da der Mensch biologisch unzureichend ausgestattet ist, er also kein eingebautes Verhaltensprogramm zum Überleben besitzt, bleibt er notwendigerweise darauf angewiesen, sich seine Wirklichkeit zu konstruieren bzw. zu virtualisieren: Wirklichkeiten der Möglichkeit nach zu entwerfen und zu gestalten, d. h. Welt (resp. Raum) nach ge- und ausgedachten Mustern zu erkennen und sie anhand dessen nachzubauen (vgl. Schroer 2006, S. 253 ff.). Dass die Entwicklung und Internalisierung von Vorstellungen (Welt- bzw. Raumbildern) unter den jeweiligen soziokulturellen Strukturen einer Gesellschaft vonstatten gehen, versteht sich von selbst. Entsprechend sind gegenwärtige und historisch vorndbare Welten auf ihre Vorstellungsgehalte zurückführ-, analysier- und dekonstruierbar (vgl. Lepsius 1990). Dass der Raum einfach und unvermittelt vor dem Menschen steht und eine eigene Realität außerhalb des Menschen besitzt, diese Raumkonzeption lässt sich nicht vertreten. Zwar ist er im Momentanen empirisch-physisch da, doch was er für den Menschen darstellt, wie dieser auf ihn zugeht und wie er sich ihn aneignet – war um der Raum durch Handeln eine je spezische empirische Wirklichkeitsform annimmt, dies gründet unabweislich auf Vorstellungen – den kognitiven Simulationen – über den Raum (also auf der Secondspace-Perspektive, vgl. Soja 1996, S. 6). Genau dies bezeichnet Virtualisierung des Realen: Räume (Welt) werden
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durch Entwürfe, Imaginationen, Vorstellungen, Visionen etc. und durch Medien, die diese zur Darstellung bringen, vermittelt und erst dadurch beobacht- und erlebbar sowie kritisierbar. Virtualisierung ist daher kein auf die elektronischen Medien beschränkter computervermittelter Prozess, der an die Stelle real-existierender Räume (Welten) virtuelle Konstrukte setzt. Virtualisierung ist vielmehr schlichtweg ein Wesensmodus des Menschen, kann er doch nur durch sie Räume (Welt) erkennen, sich in ihnen bewegen und dadurch seine Lebensformen verändern. In Räumen sind daher per se kulturelle Traditionen, Werte, Lebensstile, Deutungen und Herrschaft eingeschrieben sowie durch topographische Zeichen der Selbstvergewisserung, des Gedächtnisses und der Emotionen angereichert (was die „imaginäre Geographie“ thematisiert; vgl. beispielhaft Termeer 2005). Wenn Räume (Welt) zunächst virtuell kognitiv hergestellt werden, seit geraumer Zeit als cognitive mapping bezeichnet, dann besitzen diese mentalen Landkarten bzw. Bilder die Funktion, den empirisch erfahrenen Raum zu unterscheiden. Erst in dieser erneuten kognitiven Prozessualisierung und den Entscheidungen über Handlungsalternativen wird ein Raum konkret, d. h. als Lokalität existent, erfahrbar und gestaltbar (womit bei Löw das „Spacing“ gemeint ist, während sie Virtualisierung als „Syntheseleistung“ fasst; siehe Löw 2001, S. 158 ff.). Diese Konkretisierung von Raumvorstellungen wird als Realisierung des Virtuellen bezeichnet. Hierbei kommt das Wissen über Räume zum Zuge, das sich in der Form vorangehender virtueller Raumentwürfe herausgebildet hat. Die Realisierung des Virtuellen, die sich operativ durch Kommunikation, Handlung und Entscheidung samt sinnlicher Einverleibungen vollzieht und somit einen performativen, also keinen baren mimetischen Prozess darstellt, erzeugt erneut Raumwissen. Was ein Raum ist, was er wirklich ist, ist demzufolge eine fortwährende Konstruktion durch Menschen in ihrer jeweiligen Situiertheit. Diese Konstruktionen sind nicht beliebig, sondern kultur- bzw. gesellschaftsgeprägt, können doch sonst nicht Raumwahrnehmung, -erkennen, -entwerfen, -aneignen, -gestalten und -wissen als Qualitäten des Menschen in seinen jeweiligen soziokulturellen und historischen Verfasstheiten gedacht und analysiert werden.
Medientourismus und die mediale Konstruktion von Fremd- und Tourismusräumen Was ist ein Tourismusraum ? Ihn durch Beschreibung und Kartierung im Unterschied zu bzw. vor dem Hintergrund anderer Raumdenominationen zu bestimmen, mag ein erster analytischer Ausgangspunkt sein. Doch damit ist keineswegs das erfasst, was im Endeffekt die obige Ausgangsposition vorgibt: Nicht der Raum kommt zu uns, sondern wir kommen zu ihm; wir sind in ihm mit unseren Vorstellungen, Imaginationen und Phantasien, kurz mit unseren Virtualisierungen. Seine
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Gestalt gewinnt er durch uns, da wir ihn gemäß unserer Referenzen formen und behandeln (vgl. Heidegger 2006, S. 110 ff.). Was uns im Raum wie gegenübersteht, verweist daher nicht auf Gegenstände, sondern auf Anderes – auf Informationen, die Möglichkeiten eines Seins im Raum aufzeigen (= Virtualitäten) und demzufolge unsere Wahrnehmung bestimmen. Was ein Tourismusraum ist, verdankt sich also der Wahrnehmung. Da nun Wahrnehmung nur durch ein Medium möglich ist, existiert ein Tourismusraum auch nicht außerhalb der Medien (grundlegend nach wie vor: Heider 2005). In den Medien werden Vorstellungen über Tourismusräume vermittelt und sie ngieren eine Nähe zu ihnen (vgl. Günzel 2007). Medien bereiten die Aktualisierung eines möglichen, noch nicht erreichten Reiseziels vor. Medien sind also als zukünftige Möglichkeit des Handelns präsent. Damit operieren sie mit der Differenz „potenziell/virtuell – aktuell“. Seien es Printmedien, Radio, Filme im Kino, Fernsehen oder das Internet – diese Verbreitungsmedien sind touristisch erst dann aktuell, wenn deren Formen (insb. Text und Bilder) so konguriert werden, dass sie auch in räumlich und zeitlich fernen Situationen verstanden (kommuniziert) werden, d. h., wenn diese Formen eine Aktualität haben, erkennbar und anschlussfähig sind (vgl. hierzu aus systemtheoretischer Sicht Luhmann 1997, Kap. 2; siehe auch Esposito 2007). Medien öffnen sich gegenüber Menschen (und sozialen Systemen) und werden z. B. zu Tourismusmedien nicht dadurch, dass das Mitgeteilte gelesen oder angeschaut wird, sondern wenn die Mitteilung einer Information (beispielsweise „Eifel“) beim Lesen und Anschauen unter dem Gesichtspunkt der Passung „Reise“ (oder auch Urlaub) selektiert, also interpretiert wird. Reise fungiert als eine Art symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium (siehe Luhmann 1997, S. 316 ff.), als ein Wert, und dies bedeutet, Medien haben als Tourismusmedien Erfolg, wenn sie diese Selektion akzeptieren: Man nimmt die Mitteilung „Eifel“ an – man versteht sie –, weil es sich um ein mögliches Reiseziel handelt, das mit der Unterscheidung zwischen Subjekt-Sein und Objekt-Sein (= binäre Codes) prozessualisiert wird. Seit der Moderne liegt die Präferenz beim Subjekt-Sein. Sich-selbst-Sein lokalisiert sich seitdem immer mehr im Fremdraum und institutionalisiert sich im 20. Jahrhundert: Subjekt-Sein bei der Reise, im Urlaub und in der Freizeit ist ein gesellschaftlich geteilter Wert und nobilitiert Reisen zum kulturellen Gut. Ob medial vermittelte Tourismusräume Realitäten vortäuschen oder verzerren und einer Ökonomie der Zeichen unterliegen (vgl. Lash/Urry 1994, S. 271 ff.; MacCannell 1973), diese Fragen stellen sich demnach gar nicht. Was auch immer bezüglich Tourismusräumen in den Medien erzählt, berichtet, gezeigt, exponiert vorgespielt, gesendet und verkörpert wird (= Dispositive), hat nicht den externen Fremdraum, sondern die interne Fremde zur Referenz: „Man reist, um sich zu nden – dann entkommt man sich und seiner Begrenztheit und wird zum Reisenden, zu jemandem, der sich verwandelt und diese Verwandlung
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auf sich nimmt. Oder man reist, um sich zu entkommen – dann ndet man sich, als Reisender, Verwandlungskünstler, Akteur seines Lebens“ (A. Schmidt 1998, S. 27).
Der Fremd- bzw. Tourismusraum konstituiert sich demnach in der Vorstellung eines Unterschiedes zwischen Hier (zu Hause) und Dort (Tourismusraum), das sich mit einem anderen Leben verbindet bzw. der Möglichkeit nach verbinden kann, temporär ein Leben als Subjekt und nicht als Objekt wie zu Hause (Hier) zu führen. Der Tourismusraum tut sich als ein vorgestelltes (imaginäres) Versuchsfeld auf, im Anderen/Fremden Mögliches für sich zu entdecken und auszuprobieren. Diese Vorstellung von Alterität und Kontingenz ist demzufolge die kognitive Operation, nach der Menschen einen Tourismusraum imaginieren und aktualisieren. Die Beobachtung der Medien erfolgt aufgrund dieser Selektionen oder Attributionsweisen: Textliche, bildliche und akustische Informationen werden zu Hause (Hier) aufgenommen und bei diesem Handeln schreibt man dem derart wahrgenommenen Fremdraum zu, sich dort der Möglichkeit nach als Subjekt erleben zu können (vgl. hierzu die systemtheoretischen Grundlagen bei Luhmann 1985, S. 57 ff., 123 f., 539 ff.). Diese positive Wertung ist in Tourismusräumen quasi ontologisch verankert. Insofern sind sie symbolische Medien dieser Wertung. Gleich wie der Modus des Subjekt-Seins im Fremdraum imaginiert wird, der Medienkonsum produziert eine virtuelle Erfahrung und damit eine virtuelle Reise, die zu Hause beim Lesen, Zuhören und Zuschauen stattndet. Durch diese Lokalisierung besitzt sie einen Aktualitätsstatus. Die Medien bringen das Dort zum Hier, Fernräume werden zu Nahräumen und gleichzeitig bewegt man sich imaginativ. Per Medienkonsum wird man zum stationären Touristen. Dass das Reisen bzw. der Aufenthalt in einem Fremdraum derart medial vorproduziert wird, sieht sich einer legendären Kritik ausgesetzt. Zugespitzt wird den Massenmedien eine De-Realisierung des Fremdraumes zugeschrieben. Träfe dies zu, dann würde dies bedeuten, dass die Realität (Welt/Räume) vermittlungsfrei erkennbar ist ! Ob nun Urry, Rojek, Baudrillard oder Virilio – sie alle haben mit Gewissheit ihre eigenen Räume nach ihren Vorstellungen gestaltet und somit Virtualität realisiert. Medialisierung folgt der Virtualisierung. Evolutionär betrachtet überlässt es die Gesellschaft den Massenmedien, sie (vermittelt) zu beobachten und zu beschreiben (was einst den Priestern, Weisen, Adel etc. zuel) und dabei teilen sie mit, welche Wirklichkeiten es noch gibt und dass sie der Möglichkeit nach realisierbar sind. So mutieren die Literatur- und Kinogeschichte sowie die postmodernen Medien zu einer virtuell-biographischen Topographie, zeigen sie doch, welche Möglichkeiten der individuellen Verortung bestehen. Dies bedeutet zugleich, dass Medien, wenn sie nicht Triebkraft sind, so doch zumindest Anleitungen für die Reexion von Gegenwarten und von Möglichkeiten in fremden Räumen und/oder Orten geben (vgl. Ette 2001; Strain 2003; Gibson 2006, S. 162 ff.; Campbell 2005). Die hierbei zur Gegenwart gebrachten Realitäten erscheinen nur
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in Räumen des Anderen als möglich. Solange diese Räume angeeignet werden, sind sie im Modus des Als-Ob gegenwärtig. Medien funktionieren genau in diesem Gebrauchskontext, durch den sie ihre spezische Gestalt gewinnen: Man verabredet sich mit der Fremde (so Krusche 1989) und lokalisiert sich in der Vorstellung dort im Fernraum, der zu Hause keine Tangibilität und damit Beobachtbarkeit besitzt. Der medial vergegenwärtigte Fremdraum verliert so seine Leere; er wird durch Vorstellungen bzw. Bilder zum inneren Raum der Wahrnehmung, und folglich besteht die Möglichkeit, in ihn vorab einzutreten (nach wie vor dazu: Bollnow 2000), und dies heißt, ihn relational zu einem temporären Leben als Subjekt zu beleben – dies aber im Als-ob des Dort-Seins. Die in den Medien präsentierten Tourismusräume besitzen zwar eine Autonomie – Erzähltes, Gezeigtes, Exponiertes, Gesendetes und Programmiertes führen ein Eigenleben. Es handelt sich um fertige, abgeschlossene Produktionen, deren Sinn aber von den Lesern, Zuhörern, Zuschauern und Nutzern selbst erschlossen wird. Zeichen der medialisierten Fremdräume werden einerseits durch das wahrnehmende Hören und Sehen zum Gehörten und Gesehenen für mich (vgl. Böhme 2004, 135 f.; Schmitz 1998, S. 28 ff.), und andererseits bleibt es meinen Interpretationen vorbehalten, wie ich diese Fremdräume kongurierend als anwesend erfahre bzw. einverleibe. Dieses wahrnehmende Bewusstsein „liefert die Selektivität, die mich motiviert, hinzuschauen und hinzuhören“ (Baecker 2007, S. 187 f.). Was ein Tourismusraum (Information) darstellt (Mitteilung), nehmen wir zum einen in seiner „Dinghaftigkeit“ wahr und zum anderen schauen wir diese Gegenständlichkeit als Möglichkeit des Subjektseins an (Selektivität). Mit diesem Anschauen verlassen wir unsere raumzeitliche Position und der Raum wird in dieser Möglichkeit vorgestellt (vgl. Böhme 2004, S. 137; siehe auch Luhmann 1997, S. 16 f.), dies bedeutet, dass er ohne dessen Gegenwart als Tourismusraum existiert – „der Prozeß des Möglichen ist also eine Realisierung“ (Deleuze 1991, S. 84). Medien repräsentieren daher nicht an sich Möglichkeitsräume, sondern erst diese touristizierende Anschauung: Im Fremdraum anders möglich zu sein, Subjekt statt Objekt, transformiert das Medienangebot in eine Darstellung von Alterität und Kontingenz im Fremdraum. Mit welchem Kalkül Medien Fremdräume sprachlich, textlich und visuell auch bestimmen mögen, so beschäftigen sie das Bewusstsein nur als gestimmte Räume (vgl. Ströker 1977, S. 22 ff.): Der medialisierte Fremdraum löst sich in einer Welt der Alterität und Kontingenz auf. Selbst wenn uns die Verbreitungsmöglichkeiten fremd bestimmen sollten, so ermöglichen sie doch ein mannigfaltiges Eintauchen in eine derart andere Welt, in der nicht zuletzt das Projekt individualisierte Identitätsbildung seine Fortsetzung ndet: Optionen zu suchen und sie hinsichtlich ihrer Wirksamkeit für die Subjektbildung auszuloten. Dass für Individuen, wenn nicht alles, so doch aber vieles Andere möglich sein könnte – das Fremde sowohl in einem selbst als auch
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in einem Raum (vgl. Waldenfels 2002, S. 186 ff.) –, diese Kontingenzerfahrungen gewährleisten Medien (vgl. Schmidt 2000, S. 193). Zweifelsohne werden Tourismusräume in Medien als dem Alltag entgegensetzte Räume dargestellt, also als Einheit in der Unterscheidung zwischen Subjektsein und Objektsein einerseits und in der raumzeitlichen Differenz zwischen Hiersein und Dortsein andererseits (vgl. Pott 2007, S. 39 ff.; 62 ff.). Die Verbreitungsmedien sind insofern eine Art Schaufenster, als in ihnen eine Wirklichkeit des Dort- und Subjektseins zum Ausdruck, zur Sprache und vor allem in den Blick kommt. Die Erfahrung, dass man noch nicht das ist, was man dort sein könnte (Erleben), führt zu dem Wunsch bzw. zum Begehren, dorthin zu reisen, also in den Fremdraum einzutauchen (Handeln). Hier (zu Hause/im Alltag) wird ein Mangel der Differenz empfunden, ein Mangel als Abwesenheit des Fremdraumes (siehe hierzu Waldenfels 2002, S. 48 ff.; nur 3,2 % können sich ein Leben ohne Reisen vorstellen, siehe: Zins 2000, S. 202 ff.). Touristisches Erleben und Handeln wird im Verlauf der Medienevolution immer mehr von ihren raumzeitlichen Bindungen befreit. Welche Möglichkeiten des Andersseins im Fremdraum existieren, wird in Printmedien, Radio und Fernsehen durch eine symbolische Repräsentation eines Raumes derart bewerkstelligt, als bezögen sich die transportierten Texte und Bilder auf eine außerhalb dieser Medien real-existierende Raumwirklichkeit. Heute sind Fremdräume mit den Medien Computer und Internet sowie anderen digitalen Techniken (Handy) synchron verfüg- und erreichbar, wodurch sich die symbolische Repräsentation auf eine aktive und gegenwärtige Präsentation des Fremdraumes umstellt. Zu Hause ist der Fremdraum real da und damit erlebbar. Der Mangel der Abwesenheit des Fremdraumes wird durch einen Raum zwischen dem Raum des Zuhauses und dem Reiseraum, wenn nicht behoben, so doch aber kompensiert: Mit einem Suchkommando werden aus Datenbänken Informationen generiert, aus denen sich ein individueller bzw. personalisierter Tourismusraum konstruieren lässt – ein anderer Raum als Konstruktion realer Virtualität (vgl. zu dieser Selektion Luhmann 1985, S. 191 ff.; zur Konstruktion realer Virtualität siehe Castells 2001, S. 425 ff.). Der Cursor auf dem Bildschirm ist der Reisende, er agiert als mein Körper und Leib und er führt mich zu Räumen, die nachweislich existieren, in die ich live eintauchen und mit deren Gegenständen und Personen ich interagieren kann. So sehr Suchmaschinen, Gatekeeper und Links – letztlich Algorithmen – selektiv bzw. interessengetränkt sind (nichts, aber auch nichts existiert außerhalb gesellschaftlicher Verfasstheiten !) und damit das Computermedium samt der Wahrnehmung und Willensäußerungen („Klicken“), die in ihrer Umsetzung virtuelle Räume zum Vorschein bringen (= mapping), disziplinieren und kontrollieren: Dem User bzw. dem Besucher der Bildschirmräume offenbart sich Kontingenz, auf deren Basis er sich seinen Tourismusraum modelliert und in dem er sich bisweilen neu er nden kann (vgl. Ellrich 2002, S. 102 ff.; Prideaux 2002, S. 326 ff.; Pan/Fesenmaier 2006).
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Dass beim Eintauchen (Immersion) und der Interaktion die Intensität und Dichte der Objekte und Menschen ausgeblendet sind, der medial hergestellte Raum also störungs- und widrigfrei erscheint, mag als Produktion und Distribution einer Raumillusion kritisiert werden (vgl. Bassett/Wilbert 2001). Die mediale Konstruktion eines Tourismusraumes erfüllt sich eben gerade darin, ihn als offenen, unbestimmten und daher als selbstbezüglichen, kurz: als anderen Raum darzustellen. Die Verbreitungsmedien und insbesondere die Medien Computer und Internet (inklusive Reise-Weblogs), versammeln Texte und Bilder, die das Gleiche im Alltag angesichts des Anderen, der Möglichkeit der Verwandlung des Menschen, desavouieren. Was in Zukunft möglich ist, lässt sich neuerdings in Räumen von Second Life prototypisch durchspielen (vgl. Stöcker 2007; Wilson/Suraya 2004; Miller/ Slater 2000). Hier ist man stellvertretend anwesend (durch einen Avatar), so dass man im Modus eines Als-ob-Reisenden Situationen erzeugen und sich darin selbst ausprobieren kann. Die Computervisualistik erzeugt Bilder realer Räume, die sich durch Einwirkung des Nutzers verändern und so eine andere Realität bekommen (vgl. Schirra 2005, S. 275 ff.). Medien legen Qualitäten bzw. Potenzialitäten des Raumes für das Subjekt offen; Subjektivität verräumlicht sich und nährt den Wunsch, sich in Fremdräumen zu entfalten. Dass sie erreichbar und gegenwärtig sind, beglaubigen Reisende/Touristen vor Ort mittels Telefonieren (Handy), Emailing, SMS, MMS-Postkarten und Foto-Sharing („Geotagging“/Flickr).
Realtourismus: Reproduktion und Performanz medialer Konstruktionen Die Vorstellung, in Fremdräumen seinen personalen und sozialen Ort, wenn nicht zu nden (was Bestätigung einschließt), so doch zumindest eine Ahnung davon zu bekommen, entspringt nicht abstrakten Aktivitäten des Geistes. Diese Vorstellung ist vielmehr eine kulturelle Form, die in den Verbreitungsmedien transportiert und reproduziert wird und in der Reise ihre kulturelle Praxis und damit ihre Legitimation erhält (vgl. Leed 1993). Die Reise, bzw. der Reiseaufenthalt, aktualisiert performativ das durch den Medienkonsum angesammelte virtuelle Potenzial eines Fremdraumes (Wissen) – die Grenze zwischen virtuell und aktuell wird dabei überschritten (vgl. Shields 2006). Dass touristische Medienräume und allemal touristische Datenräume realiter erfahrenen Fremdräumen entsprechen, dass also diese medialen Räume eine tatsächliche Ortshaftigkeit besitzen und sie keine Ersatzobjekte für das fehlende Subjektsein im Alltagsraum (demnach „Raumfetische“) sind, steht außer Frage, wenn von einer räumlichen Konstitution der Kultur und Gesellschaft ausgegangen wird. Danach ist ein erfahrener Tourismusraum ein hergestellter Raum der sozialen Ordnung und Produktion (vgl. Lefebvre 2000): Demzufolge ist die Erfahrung bereits durch die Organisation der Tourismusindustrie vorbestimmt und gerahmt. Reisende folgen deren Regieanweisungen
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oder Skripten; sie sind ZuschauerInnen des Stückes „Tourismus“, das von den Einheimischen aufgeführt wird (Tourismus als frontstage siehe MacCannell 1989, S. 91 ff.; MacCannell bezieht sich auf Goffman 1969). Zuschauen ist für Urry keine Metapher (vgl. Urry 2002, S. 3): Tourismusräume konstituieren sich als Bildhandlungen, die auf die in den Medien konstruierten Vorstellungen zurückzuführen sind. Mit anderen Worten hat der Medienkonsum ein Bild von dem abwesenden Fremdraum erzeugt. In der Vorstellung wird er als Bild präsent; dieses Bild entfaltet seine Wirkung im tourist gaze. Dieser mediatisierte tourist gaze (Urry) ist kein üchtiger Blick (also nicht glance) sondern ein konzentrierter, fokussierender Blick der TouristInnen, die sich den Objekten des in den Medien präsentierten Fremdraumes zuwenden (zur Unterscheidung von gaze und glance siehe Belting 2006b, S. 124 ff.). Touristische Erfahrung wird durch das Leitbild des tourist gaze ersetzt, das sich in der Tat dadurch bestätigt, dass TouristInnen das aufsuchen bzw. in den Blick nehmen, was in ihren Bildern präsent ist. Digitale und analoge Photographien, Narrative, Befragungen und digitales Tracking per GPS testieren, dass der tourist gaze das reproduziert, was in den Medien als real existent präsentiert worden ist (vgl. Chan 2007, S. 219 ff.; Shoval/ Isaacson 2007; Berghoff/Korte/Schneider/Harvie 2002). Sight- und Lifeseeing afzieren, so dass den TouristInnen eine ästhetische Landschaft aufscheint. Touristische „Raumunternehmer“ setzen alles daran, dass das dem Landschaftsbild zugrunde liegende sozio-materielle Arrangement erhalten bleibt oder so in Szene gesetzt wird, dass TouristInnen das sehen und erleben, was ihnen in den Medien begegnet (beispielhaft hierfür: Glesner 2002; Beck/Welz 1997; grundlegend hierzu nach wie vor: Britton 1991). Medientourismus und Realtourismus fallen insofern zusammen, als sich TouristInnen oder Reisende im Rahmen institutionalisierter Muster und medial erzeugter Bilder bewegen und dadurch zu Co-Produzenten von Tourismusräumen werden. Doch sie bestätigen und verizieren damit nur Vorlagen – sie sind letztlich nicht Subjekte, sondern Objekte in einer Mimikry: Sie ahmen das nach, was sie bereits kennen und spielen touristische Rollen nach. Dabei empnden sie durchaus einen bestimmten Selbstwert (zu Mimikry und anderen Spielarten siehe Caillois 1982). Ist die Beobachterperspektive darauf gerichtet, was Reisende sehen und unternehmen, dann sind derartige deterministische, mithin kapitalistisch-kulturkritische Schlussfolgerungen nachvollziehbar – Tourismus als eine verräumlichte Phantasmagorie (vgl. Jansson 2002). Will man die Kulturkritik weiterführen, dann ist danach zu fragen, welche Bedeutung TouristInnen dem Aufenthalt in einem Fremdraum beimessen. Dem tourist gaze ist demnach ein second gaze beiseite zu stellen, der sich als Quintessenz aus der Geschichte des Reisens herausschält: Der Tourismus ist ein fremdräumiges, kulturelles Laboratorium, in dem Menschen alternative Identitäten und Sozialitäten aufführen und narrativieren und dadurch verschiedene Räume von und für sich selbst herstellen (vgl. Löfgren 1999; zu die-
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sem Paradigmenwechsel zum second gaze siehe MacCannell 2001; ansatzweise auch Bærenholdt/Haldrup/Larsen/Urry 2004). Die Bilder, die uns Reisenden zuvor in den Medien gezeigt wurden und/oder sich beim Medienkonsum im wahrsten Sinne des Wortes herausbildeten, nehmen also einen performativen Charakter an. Indem wir dabei den Fremdraum als Objekt ansehen (wodurch sich Kolonialisierung per ermächtigendem Blick erklären lässt; vgl. Greenblatt 1994), können dessen Subjekte und Gegenstände auch unseren touristischen Blick bzw. unser Blickhandeln erwidern, sodass sich eine vielfältige Erfahrung der Andersartigkeit des Fremden einstellt, mit der wir dann interagieren. Wir TouristInnen müssen es eingestehen: Ausgestattet mit touristischen Karten erinnern uns die darin eingezeichneten Abbildungen und verfassten Texte an bereits vorhandene Medienbilder und Vorstellungen, die dann ihre Konkretisierung durch unser Gehen, Wandern, Walken, Sonnenbaden, Skilaufen, Shoppen, Besuchen von Kulturstätten u. a. m. sowie Lesen in Bezug auf diese Karten (lokalisiert werden) erfahren. Tourismusräume sind demnach ebenso konsumierbare wie auch inkorporierbare Orte einer inszenierten, von uns als TouristInnen getragenen Massenkultur. Dieses touristische Handeln ist nachahmend und vollzieht sich in Bezug auf eine bestehende Praxis, die den touristischen Skripts der Zeichen folgt. Unberücksichtigt bleibt, dass TouristInnen dabei ihre eigene touristische Praxis herstellen, die sich im Kontext der konkreten raum-zeitlichen Bedingungen, Gegenstände, Personen, Körperlichkeiten und Wahrnehmungsprozesse – also in konkreten Ereignissen – abspielt und Gestalt gewinnt (so die Perspektive des Performativen; vgl. Wulf/Göhlich/ Zirfas 2001). Reisen, Urlauben oder Tourist-Sein ist demzufolge gleichermaßen mimetisch und performativ: Eine erzeugte Welt innerhalb institutionalisierter Rahmungen so zu zeigen bzw. zur Aufführung zu bringen, dass sie als eine für mich bestimmte erlebt und nicht zuletzt gesehen wird. Dass Tourismusräume in ereignisartigen, inszenatorisch wie ästhetisch dimensionierten Handlungen immer wieder erzeugt werden, TouristInnen also räumliche Verfasstheiten samt ihrer Skripte nicht als objektive Gegebenheiten erfahren, sondern als Möglichkeiten der Selbsterfahrung, des sich selbst Sehens und Verstehens sowie ihrer Verhältnisse zu anderen, deklassiert den jeweils konkreten Raum und öffnet die Tür für eine touristische Atopie (so Edensor 2001, S. 75 ff.). Diese Diagnose verneint indes nicht die performative Konstitution von Tourismusräumen: Sei es ein familiärer Erholungsurlaub, eine Städtereise, ein Aufenthalt in Neuseeland oder ein Last-Minute-Trip irgendwo hin zum Relaxen, so dokumentieren die Narrative und visuellen wie auch auditiven Testate eines: Für TouristInnen existiert ein Tourismusraum nicht durch seine attraktiven Orte, sondern durch Ereignisse, die durch leibliche Kopräsenz der an den Handlungen Beteiligten zustande gekommen sind und dadurch eine Wirklichkeit hervorbringen (vgl. Haldrup/Larsen 2003; Jansson 2007; Perkins/Thorns 2001; Torchin 2002) – dies ist mein und unser Urlaub, mein und unser Tourismusraum. Es ist ein Tourismusraum, der durch innere und äußere
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Bilder, Empndungen, situative Gestaltung, Aufführungen, Wahrnehmungen des Selbst und der Anderen hervorgebracht wird.
Zu Hause und weg (?) Es sind viele Zeitdiagnosen im Umlauf. Sie fokussieren sich vielleicht in der Sorge darin, was gegenwärtig existiert und was noch existieren könnte. Dass das Virtuelle schon das Reale ist (vgl. Baudrillard 1995), mag die Sorgenfalten nicht beseitigen, steht doch eine solche Feststellung unter dem Verdacht, dass wir bereits total Objekt und nicht Subjekt unserer Lebenswelt sind, ohne dass wir es merken. Daraus kann eine Furcht des Gebundenseins an einen Ort, das Zuhause, entspringen (vgl. Bauman 1997). Diese Vorstellung ist kein Signum der Postmoderne, sondern spätestens seit der Neuzeit zu konstatieren. Seitdem sind Utopien – verräumlichte Paradiesvorstellungen – in den gesellschaftlichen Umlauf gebracht worden – in jeder Hinsicht perfekte Orte außerhalb der Gesellschaft und der Zeit (vgl. Burnier 2000). Dass die Welt ein raumzeitliches Ende ndet und sich in einem lebenswerten Ort nalisiert, ist und bleibt unwirklich. Dennoch ist die Sehnsucht nach einem solchen Ort nicht verklungen – sie ist aufgrund der besagten Sorge sogar größer denn je. Tourismusräume halten solche Orte der Möglichkeit nach vor: Im Anderswo lassen sich Erfahrungen des Anderen machen. Indem man sie dort performativ aneignet, kann man sich experimentell auskundschaften. Diese Orte in den „anderen Räumen“ existieren in unserer Welt (vgl. Foucault 2005, S. 9 ff.). Solche heterotopischen Orte sind durch Lossagung vom Zuhause zugänglich. Virtualisierungen und damit die Medien dehnen diese Orte aus; sie sind zu Hause präsent, doch sie erschaffen sich ihre Andersartigkeit erst durch Handlungen.
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Der Tourismus ist ein faszinierendes System. Es kann Erfahrungen vermitteln wie beispielsweise den Anblick von Renaissancegebäuden während einer Reise entlang der Weser oder den Verzehr spanischer Gerichte in einem Restaurant in Arenal/ Mallorca. Die Gastronomisierung gleichzusetzen mit der Sache selbst würde dem Touristen ebenso wenig die spanische Küche nahe bringen wie dem Reisenden die Renaissance, die sich nicht nur in Gebäuden repräsentiert. Dennoch ist der Tourismus eine Möglichkeit, ein Stück Realität zu erfahren. Dass der Mallorcatourist und der sich als Reisender verstehende Renaissancebetrachter in Analogie zu Descartes’ „cogito ergo sum“ dennoch sagt, „Ich habe dies dort gesehen und gegessen, also ist dies auch wirklich so“, verdeutlicht zweierlei. Zum einen existiert außerhalb der inneren Welt des Menschen (was ihm bewusst ist/Bewusstsein) eine externe Welt, die unabdingbar an das Bewusstsein als Instanz ihrer Wahrnehmung und Beurteilung gebunden ist. Dies bedeutet, dass die externe Welt für ihn erst dann existiert, wenn sie ihm bewusst wird. Und zum anderen ist die touristisch, aber auch sonstwie erfahrene und erfahrbare externe Welt nicht deckungsgleich mit der „ganzen“ Realität. Ohne an dieser Stelle einen erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Diskurs über Modi der Wirklichkeitsabbildung führen zu können (vgl. aber hierzu etwa Lenk 1995 und Maturana/Varela 1987), so folgt aus diesen trivialen Beispielen Weitreichendes: Die Verbindung zur Außenwelt ist nicht eine direkte, sondern eine vermittelte. Auch der Tourismus leistet neben anderen Medien diese Vermittlung und Bewusstmachung, die dann durch die subjektive Erfahrung des Touristen gesichert werden. Das touristisch Erfahrene und Erlebte ist für ihn wirklich und real. Dem Tourismus wird seit den Reisen in der Antike (vgl. Giebel 1999) bis in unsere Gegenwart hinein (vgl. Löfgren 1999) zugeschrieben und angesonnen, nicht nur mehr oder weniger bekannte Gegebenheiten wie beispielsweise den Schwarzmeerstrand, den Stephansdom, die Oststeiermark, das Berner Oberland oder die Renaissanceschlösser der Weser in Erfahrung zu bringen. Das Angebot des Tourismus soll vielmehr schon immer prioritär Alteritäts- und Kontingenzerfahrungen beinhalten. Touristische Räume sollen sich charakteristisch vom Alltagsraum unterscheiden; in ihnen soll das Außeralltägliche erlebbar sein. Der Aufenthalt in einem vom Alltag getrennten Raum soll den Zugang zu einem die Alltagswelt übersteigenden möglichen Anderen eröffnen und dadurch offenbaren, dass der vom und im Alltagsleben gefesselte Mensch ganz anders sein könnte, als er/sie tatsächlich ist. Diese Vorstellung bzw. dieses Bild eines Möglichkeitsraumes produziert der Tourismus und somit die Gesellschaft, dessen Bestandteil er ja ist K. Wöhler, Touristifizierung von Räumen, DOI 10.1007/ 978-3-531-92761-9_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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(vgl. Lash/Urry 1994, S. 256 ff.). In der Rezeption dieser Bilder entsteht dann dieser Raum für den (potenziellen) Touristen. Postmodern gesprochen wird den touristischen Räumen die Wiedereinsetzung des Subjekts als des zu sich selbst gekommenen Ichs abverlangt. Im Alltagsraum lebt nur das Man (zu diesem Gegensatz „Ich“ – „Man“ siehe auch Heidegger 2006, S. 12 ff.). Wenn der Alltagsraum als Verhinderung des eigentlichen Lebens erscheint, dann kann in ihm keine andere und bessere Wirklichkeit zustande kommen. Umgekehrtes bleibt den touristischen Räumen vorbehalten, und dies bedeutet, dass in ihnen Akte des Empndens, Wirkens und Wahrnehmens verortet werden, die auf Alterität und Kontingenz verweisen. Der Tourist soll sich also zu einer „besseren“, vom opaken Alltagsraum entledigten Raumwelt hinbewegen. Ist er dort angelangt und eignet er sich diese an, dann wird seine Perspektive bzw. Wahrnehmung eine innerhalb der touristisch dargebotenen Wirklichkeit (ähnlich wie beim Wegfall von Interfaces, durch die man sich in der Bildschirmwelt leiblich erlebt bzw. wahrnimmt; vgl. Cadoz 1998, S. 41 ff.). Wenn es zutrifft – und bislang liegen noch keine gegenteiligen Forschungsergebnisse vor –, dass Touristen bzw. Reisende schon seit je her einen alteritäts- und kontingenzstrukturierten Raum imaginieren, dann ist in ihren Köpfen ein virtueller Raum entstanden. Mit der Aussage, „Dort auf Mallorca brauche ich auf niemanden Rücksicht nehmen, ich kann mich ohne Rücksicht auf andere frei und sorglos bewegen und mich endlich erholen“, wird diesem bestehenden Raum eine Gestalt zugeschrieben, die er realiter nicht bzw. nicht so besitzt. Eine solche imaginierte räumliche und soziale (Urlaubs-)Lebenssituation fällt solange nicht in sich zusammen, wie der Tourismus einen Raum schafft, der die Gestalt einer derartigen Imagination annimmt, und der Tourist bei seiner Raumaneignung (Inanspruchnahme touristischer Angebote) erfährt, dass das Imaginierte Wirklichkeit ist bzw. als erleb- und gestaltbar möglich geworden ist. Der besuchte Raum wird nur auf diese Weise als Ort bzw. Lokalität konkret. Der Tourismus macht also imaginierte Realitäten erfahrbar (vgl. Dewailly 1999, S. 47 ff.). Insofern steht der Tourismus unter einem Virtualisierungszwang: Er muss den Menschen in jenen imaginierten Alteritäts- und Kontingenzzustand versetzen, der sich ästhetisch-expressiv und strukturell von der alltagspraktischen Erfahrung absetzt. Die Virtualisierung von Räumen umschreibt demzufolge einen Tourismus, der Raumrealitäten schafft, die diesen Imaginationen entsprechen und die dann vor Ort für den Touristen zu Erfahrungen werden. Das für möglich Gehaltene, das Vorgestellte und das Geglaubte werden durch Virtualisierung konkret. Notwendigerweise müssen dabei Räume entkörpert und die den Räumen anhaftende Zeitordnung muss ausradiert werden (vgl. Castells 2001, S. 429). Der Tourismus wäre bzw. ist dann eine Wirklichkeit ohne diese Wirklichkeiten, so wie Kaffee ohne Koffein oder Wurst ohne Fett. Ein Skihang ohne einen vom Himmel gefallenen Schnee und dennoch voller skifahrender Touristen – dies ist schon längst
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mittels Skikanonen, die die unmittelbaren Raumzeitbedingungen aufheben, eine gängige Wintertourismusrealität.
Virtualitätsbegriff Der Tourismus hat den Raum zur Zeit verwandelt, die spezisch verräumlicht wird. Der Tourismus erschafft sich Orte, in denen Reisende ihre Vorhaben realisieren können („Reisende“ werden im Folgenden synonym mit Urlauber/Touristen und zwar beiderlei Geschlechts verwendet). Dabei werden die räumlichen Dimensionen wenn nicht abgestreift, so doch aber zumindest als Bühne benutzt, auf der sich Touristen in Szene setzen bzw. auf der ihnen Handlungsspielräume zugewiesen werden, die sie sich zuvor als Möglichkeit gewünscht haben. Was ein Urlauber wann und wie an einem touristischen Ort tut, ist keine bloße Äußerlichkeit. Er folgt einem Skript oder einer Regie, die dem Ort als touristischem Ort innewohnt bzw. genauer, auferlegt worden ist. Touristen, die sich in Orten bewegen, folgen dieser Handlungsanweisung, die den Orten in dem Augenblick eingepanzt wurden, in denen sie zu Tourismusorten transformierten. Sei es die kulturbürgerliche Sommerfrische um 1900/1916 (vgl. Lippmann 2002), der englische Badeurlaub (vgl. Tunstall/Penning-Rowsell 1998), ein Salzburger Stadtbummel (vgl. Keul/Kühberger 1996) oder ein Ökourlaub (vgl. Hughes/ Morrison-Saunders 2002) – von den disneyzierten Ressorts ganz zu schweigen –, so haben sich die Tourismusräume und -orte je spezischen Bildern unterworfen. Sie erschließen sich als Bilder. Beim Anschauen und der Aneignung der Landschaft, des Strandes, der Stadt oder der Natur erwarten die Touristen, dass sich die Gegenstände in ein Bild(-ganzes) einfügen. In den Wahrnehmungs- und Handlungsraum gerät nur das, was als bedeutsam in das Bild einordbar ist. Der Code der touristischen Repräsentation des Raumes beinhaltet demzufolge Exklusion. Dies heißt mit anderen Worten: Die Bedingung, dass der Tourismus eine Möglichkeit ist, Orte auf der touristischen Land- und Handlungskarte in Erscheinung treten zu lassen, ist gekoppelt mit Ausschließung. Was in den Blick des Touristen als handlungsrelevant gerät bzw. was die Rhetorik des Tourismus beispielsweise in Bezug auf „Wohlfühl-“, „Kultur-“ oder „Naturräume“ beinhaltet, ist auf die Zeit in dem Sinne rückverbunden, dass sich hierin die jeweilige mentale Verfassung der Gesellschaft artikuliert (vgl. Wang 2000). Das Verhalten der Touristen ist daher nicht räumlich, sondern zeitlich bedingt. Hält man sich vor Augen, welche touristischen Metamorphosen Räume (von Ländern bis hin zu Orten) durchgemacht haben und beständig durchmachen – gestern „Wanderparadies“ heute „Wohlfühlort“ –, dann verwandeln sie sich unaufhörlich in jeweils zeit- und damit marktgängige, also der jeweiligen Gesellschaft geschuldete Bilder (vgl. Löfgren 1999; Dann 2001). Diese Bilder verharren nicht im Imaginären.
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Das Imaginäre erobert den Raum und greift über in die Gestaltung des Raumes, so dass er beispielsweise einer „Wohlfühllandschaft“ unterworfen wird. Auf www. tiscover.at/guide zur „Tour zum Wohlfühlen Steiermark“ heißt es: Von Schlössern und Thermen. Du musst es dir bildlich vorstellen: Irgendwann, nach zwei, drei Stunden Ritt durch die Hügel der Oststeiermark brauchen Pferd und Reiter Rast. Und gleich tauchst du ein in die Faszination Thermenwelt, lockerst Muskeln und „Sitzeisch“ im wohlig-warmen Wasser ! Bloßes Wunschdenken ? Irrtum – im steirischen Thermenland ist natürlich auch das Reitangebot auf den Segen dieser warmen Quellen abgestimmt: In unmittelbarer Nähe der Thermalbäder Loipersdorf und Blumau kannst du dein Pferd garantiert bei einem Reitstall unterstellen und natürlich auch verpegen lassen. Und umso vergnüglicher wird es dich danach wieder zu den anderen Besonderheiten tragen, die diese Region prägen: Wunderschöne alte Schlösser, hineingebaut in eine zauberhafte Landschaft, wecken Neugier und Entdeckergeist nicht nur beim Kulturfreund. Und wer einmal direkt an der Therme Blumau vorbeigeritten ist, der versteht auch, warum die von Meister Hundertwasser gestaltete Hotel- und Thermalbadanlage als einzigartiges „Gesamtkunstwerk“ weltweit für Aufsehen sorgt.
In dieser Auslobung ist nicht der wirkliche Raum, seine soziokulturelle, ökonomische und mithin natürliche Verfasstheit, Bezugsgröße für den Tourismus. Es ist vielmehr das Bild vom Wohlfühlen, nach dem der Raum hergerichtet wird und nach dem die Touristen ihn handelnd wahrnehmen. Indem von diesen gegebenen Verfasstheiten abgesehen wird, lässt sich dieses Bild auf den Raum übertragen. Der Raum „Tour zum Wohlfühlen“ repräsentiert nicht bzw. nicht mehr wesentliche unmittelbare Raumverfasstheiten, sondern ein Handlungssystem, das es dem Touristen ermöglicht, in eine – wie es im obigen Text lautet – bildlich vorgestellte Welt einzutauchen: Dem Reitertouristen erscheint eine gewünschte bzw. nicht für wahr gehaltene Möglichkeit im Raum, die dann mit dem Anblick des Thermenlandes ins Wirkliche umschlägt. Dieses Wohlfühlbeispiel holt Flusser ein (1993, S. 66). Nach ihm bedeutet virtuell das, „was aus dem Möglichen auftaucht und beinahe ins Wirkliche umschlägt“. Wirkliches und Mögliches nähern sich durch das Virtuelle an. Das touristische Wohlfühlarrangement der Thermenwelt, das das Bild vom Wohlfühlen objektiviert, ist das Virtuelle. Es wird als das Raumgegebene wahrgenommen. Da nun diese Wahrnehmung mittels aller Sinne im wahrsten Sinne des Wortes leibhaftig und somit tatsächlich/wirklich ist, existiert mit diesem touristisch Virtuellen eine Raumrealität – das Virtuelle hat folglich einen Realitätsstatus. Die Wahrnehmung der realen Realität und der realen Virtualität sind demnach gleichzusetzen:
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„Wenn wir von virtuellen Räumen sprechen […], dann meinen wir, daß wenigstens im Bereich des Denkbaren und vielleicht gar schon des Machbaren die Möglichkeit drängt, alternative Welten herzustellen, sie der Konkretizität immer näherzubringen, so daß sie immer virtueller […] werden […] bis wir in einer Pluralität von Welten leben werden, von denen keine konkreter oder weniger konkret als die andere sein wird, von denen es von keiner einen Sinn haben wird zu sagen, sie sei wirklich oder ktiv.“ (Flusser 1993, S. 70)
Diese „Tour zum Wohlfühlen“ zeigt, dass es keine virtuellen Räume (und somit Virtualität) per se gibt. Ein virtueller Raum impliziert einen Bezug zu einem konkreten Objekt, das in diesem Beispiel die Oststeiermark ist. Da die Thermenwelt, also die touristische Infrastruktur, die Oststeiermark wenn nicht gänzlich, so doch aber bestimmte oststeirische Eigenschaften ausklammert, ist eine Virtualisierung von touristischen Räumen immer durch das Fehlen von Attributen des ursprünglich gegebenen Raumes gekennzeichnet. Virtualität speziziert also den konkreten Raum (Oststeiermark) über Eigenschaften (Wohlfühlarrangement), die nicht an sich mit dem Raum, aber doch der Möglichkeit nach vorhanden sind – eben mittels des Tourismus. Dem Touristen begegnet folglich mit der „Tour zum Wohlfühlen“ eine virtuelle Oststeiermark. Dass er sich in der Thermenlandschaft wohlfühlt, d. h. die Oststeiermark auf diese Weise sinnlich erfährt, ist für die virtuelle Realisierung des Raumes Oststeiermark unabdingbar – Virtuelles konkretisiert sich nur durch Erfahrung. Indem die Thermenwelt Wohlfühlen generiert – Virtuelles ruft also Wirkungen hervor –, wird dem Touristen das zuteil, was er sich von einem Raumaufenthalt imaginativ erwartet (Nutzenvorteil des Virtuellen). Zieht man aus all dem die Quintessenz, dann de niert sich ein virtueller Tourismusraum bzw. eine Virtualisierung des Raumes über
die touristische Infrastruktur als konstitutives Merkmal. Sie weist sowohl den ursprünglichen Raum (Oststeiermark) als auch seine virtuelle Realisierung (Thermenwelt) auf. Letztlich ist die touristische Infrastruktur elementares Denitionsobjekt des ursprünglich gegebenen und zu virtualisierenden Raumes; Raumeigenschaften, die gemeinhin mit dem zu virtualisierenden Raum verbunden werden, sind beim virtualisierten Raum nicht mehr vorhanden; Spezikationen (Wohlfühlen), also Medien, die den von Eigenschaften entleerten Raum wieder anreichern, sind für die virtuelle Realisierung unabdingbar und Nutzenvorteile, die sich durch den Wegfall von Raumeigenschaften ergeben.
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Konstruierte Wirklichkeiten Die Virtualisierung von touristischen Räumen verabschiedet die Vorstellung, dass es beim Tourismus um die Repräsentation von Raumwirklichkeiten gehe. Es erfolgt eine Umstellung von Wirklichkeitsrepräsentation auf Wirklichkeitskonstruktion, d. h. vor allem, dass der Tourismus nicht der verfassten Raumwirklichkeit folgt, sondern die Räume der Tourismuswirklichkeit folgen (vgl. Hughes 1992). Infolgedessen ist es nicht so, dass der Raum in seinen soziokulturellen, ökonomischen und ökologischen Gegebenheiten (= „Verfasstheit“) da ist, wie er touristisch beschrieben und vermarktet wird. Es ist vielmehr umgekehrt eine touristische Beschreibung und Marketingstrategie da, für die Räume gesucht und passend gestaltet werden. Die Virtualisierung von Tourismusräumen macht es demzufolge möglich, Trends, Ideen, Bilder, Stile, Marktforschungsergebnisse und viele andere Vorstellungen, kurz, alles unterschiedlich Mögliche zu lokalisieren und dies an einem Ort nebeneinander. Der Tourismus besitzt damit die Fähigkeit der Deterritorialisierung und der Reterritorialisierung (vgl. Spring 2002). Er etabliert Raumwirklichkeiten, die keinesfalls auf durch ihn nicht zu beeinussende Objekte verweisen (Fremd referenz), sondern er ist sich selbst Objekt und bearbeitet den Raum in seinem Sinne (Selbstreferenz), wenn er beispielsweise im Verlauf der Zeit ein- und denselben Raum immer wieder aufs Neue als eine spezische Landschaft erzeugt (vgl. für die Alpen Stremlow 1998). Tourismusräume existieren also nur durch den externen Beitrag des Tourismussystems (im Weiteren gleichgesetzt mit „Tourismus“), d. h., sie existieren nicht an sich, sondern sie werden nur durch die unterschiedlichen Tourismusanbieter und Tourismusnachfrager erzeugt und gewinnen dadurch Konturen. Eine Wohlfühllandschaft, eine umweltverträgliche Trekkingtour, Alpen-Panoramawanderungen und auch selbst der „biedere“ Sonnen-Strand gehören einer einheitlichen Tourismuswelt an, die durch Beobachtungen in ihren Bezügen zu den Gegenständen (Wohlfühlen, naturnahes Erleben, Wandern, Strandleben) und zu sich selbst (etwa Gästezahlen, Umsatz) generiert wird. Diese und alle anderen Tourismusmodi bis hin zum Raumfahrttourismus fertigen, um es mit prominenten Worten zu sagen, „in sich selbst eine Beschreibung von sich selbst an, um den Fortgang der Prozesse, die Reproduktion des Systems zu steuern“ (Luhmann 1985, S. 227). Tourismusräume repräsentieren „nichts“, sondern sie präsentieren die Gegenstände, die lediglich im Tourismussystem eine Existenz besitzen und auf diese Weise eine Wirklichkeit zeitigen (vgl. in diesem Zusammenhang auch das Bühnenmodell von MacCannell 1989). Diese Wirklichkeit wirkt auf andere Systeme ein – gut ablesbar an den Multiplikatoreffekten des Tourismus – und schafft und/oder transformiert dadurch weitere Räume. Für den Touristen ndet das Erleben nicht mehr außen im Fremdraum statt, sondern es vollzieht sich im Binnenbereich des Tourismussystems. Sei es nun
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Golfen und eine Kreuzfahrt auf der einen Seite und Sonnenbaden und Radwandern sowie Skifahren auf der anderen Seite und dazwischen Wellness und der Familienurlaub – die gesamte Bandbreite der Tourismusmodi ist in sich geschlossen. Stellen sich beim Urlauben/Reisen Mängel oder Unzufriedenheit ein, dann wird das Tourismussystem und nicht das Fremdterritorium in Verantwortung genommen. Es ist nur folgerichtig, dass ein ausgefeiltes Rechtsgefüge für das Tourismussystem entwickelt worden ist, wonach gewissermaßen ohne Ansehen eines konkreten Raumes das Tourismusgeschehen normativ beschrieben wird (vgl. Pick 1995). Derartige Selbstbezüglichkeiten beruhen auf einer Eliminierung der territorialen Referenz, so dass sich der Tourismus fortan relativ frei und hochgradig kombinatorisch gestalten, steuern und somit selbst reproduzieren kann. Insofern stellt ein Tourismusraum, in dem sich das Tourismussystem materialisieren kann, ein Simulakrum dar, ist doch nicht mehr ein Territorium dem Tourismus vorgelagert: Der Tourismus ist vielmehr dem Territorium vorgelagert, ja er bringt es hervor (so Baudrillard 1990, S. 1, der statt „Tourismus“ von einer „Karte“ spricht). Die Entwicklung von Tourismusräumen – von Reisezielen, in denen Räume für eine bestimmte Zeit von Fremden genutzt werden – lässt sich daher nicht aus dem jeweiligen verfassten Raumkonzept heraus erklären. Der Schlüssel für die Erklärung der Formierung von Tourismusräumen liegt nicht in den alltagsabgewandten Kultur- und Naturlandschaften, sondern er ndet sich, wie bereits erwähnt, in den (Sinn-)Bildern, die an Räume herangetragen werden (vgl. auch Borghardt 2002; Crouch/Aronsson/Wahlström 2001). Das Tourismussystem macht es möglich, dass diese Bilder erlebt werden, d. h., Räume sind Medien der Verwirklichung des Lebens entsprechend dieser Bilder (zu Räumen als Medien der Lebensverwirklichung vgl. nach wie vor Bollnow 2000; aus systemtheoretischer Sicht vgl. Kuhm 2000). Im Medium des Tourismusraumes gewinnen die ihm vorgelagerten Bilder mit der Konsequenz Gestalt und Form, dass er vom Alltagsraum unterscheidbar wird. Bild und Raum gerinnen dadurch zur Einheit, und dies bedeutet für den Touristen, dass der Tourismusraum Handlungen konstituiert, die seinen Vorstellungen von Alterität und Kontingenz nachkommen (vgl. Edensor 2001): Was man sich gewünscht hat, welche Auffassung man vom schönen Leben realisieren will und wie man den Fremdraum imaginiert, all dies tritt in der Vermittlung des Tourismusraumes in Erscheinung und wird Wirklichkeit. Also: Was der Möglichkeit nach existent ist (= virtuell), wird im (Medium des) Tourismusraum(es) virtuell real. Die virtuelle Realität des Tourismusraumes ist weder illusorisch noch ktional. Die TUI-Unternehmenskommunikation hat der Fachpresse Ende September 2002 einen virtuellen Tourismusraum bzw. -ort vorgestellt: Von der Nord- und Ostsee gleich in die Südsee: Jede Menge Meereslust im hohen Norden Dänemarks. Dazu heißt es:
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Hoch im Norden Dänemarks branden Nord- und Ostsee aufeinander – am Skagerrak. Doch auch die Südsee ist nicht weit. Sie liegt in einer subtropischen Badelandschaft. Wer dort oben Urlaub macht, kann jede Menge Meereslust genießen: die frische Brise am Strand zum Beispiel, die wohlige Wärme im Tropen-Paradies oder gar die faszinierende Unterwasserwelt im größten Aquarium Europas. Es ist nur einen Ausug weit entfernt. „Hirtshals“ heißt diese Badewelt mit den fast unbegrenzten Möglichkeiten. Draußen locken das Meer und ein großer Swimmingpool, drinnen eine Wasserlandschaft mit 37 Meter-Rutsche, Baby- und Spa-Becken.
Diese „Südsee“ ist eine virtuelle Realität, die nicht illusorisch ist, sind doch die wahrgenommenen Gegenstände wie z. B. die „wohlige Wärme im Tropen-Paradies“ real, also erleb- und kontrollierbar. Und sie ist nicht ktional, steht doch dieses „Tropen-Paradies“ nur für diese „Südsee“ am Skagerrak und nicht für andere Wirklichkeiten. Die TUI bietet „Hirtshals“ in einem Katalog an, in dem verwandte virtuelle Räume/Orte aufgelistet sind. Was Rheingold (1992, S. 16) noch als Erwartung formulierte, dass die virtuelle Realität „eine mögliche neue Welt sei, in der die Wirklichkeit eines Tages zur industriell gefertigten oder maßgeschneiderten Ware werden würde“, ist also zwischenzeitlich eingetreten. Das Tourismussystem erzeugt neue, parallele Wirklichkeiten, hier im Beispiel eine virtuelle Südsee, die nicht weniger sein soll als die wirkliche Wirklichkeit (zu dieser Erwartung virtueller Realitäten vgl. Vaihinger 1997, S. 21). Eine derartige Bildwerdung der Wirklichkeit – Imagination des Meeres als Südsee und deren Erzeugung im Raum – ist indes kein touristisches Spezikum. Dass unsere Wirklichkeit nicht gegeben, sondern gemacht ist, wird allgemein koinzidiert (vgl. Goodman 1990). Ebenso verhält es sich mit unserem Erkennen, bei dem es sich nicht um eine Wiedergabe handelt, es wird vielmehr das Konstruierte erkannt bzw. wahrgenommen – etwa „jede Menge Meereslust“. Da sich die Erfassung und Erfahrung der Wirklichkeit nicht unmittelbar und nicht interpretationsunabhängig vollziehen kann, benötigen wir Modelle, Weltsichten, Vorstellungen usw., aber auch intersubjektiv geteilte Bedeutungen, um die Realität als die uns zugängliche Welt zu erkennen und zu beschreiben (vgl. Lenk 1995, S. 88). Die Welt wird demnach anhand dieser Modelle, Imaginationen, Vorstellungen etc. nicht nur als dermaßen möglich gedacht, sondern auch auf diesen Grundlagen bzw. Vorannahmen beobachtet. Aktuell wird sie erst, wenn sie als der Möglichkeit nach erzeugt wird – beispielsweise als „Südsee hoch oben im Norden“. Dieser Prozess – von der gedanklichen Erzeugung einer möglichen Wirklichkeit bis hin zu deren empirischer Realität – beschreibt Virtualisierung. Sie stellt ein zentrales Prinzip menschlichen Lebens dar: „Aus der Fähigkeit, Muster zu erkennen und ihnen Modelle möglichen Handelns und möglicher Umwelt nachzubilden, entstehen Strukturen, die wiederum als aktuelle Umwelten Anstöße für neue Musterbildungen liefern“ (Faßler 2001, S. 79).
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Dass die Wirklichkeit nicht x-beliebig konstruiert werden kann, sondern zum einen intersubjektiv geteilter Muster etc. bedarf und zum anderen in Bezug auf eine gegebene sensomotorische und ästhetische Welt konstruierbar ist, dies sei ausdrücklich erwähnt (vgl. hierzu Welsch/Pries 1991; Wilber 2002, S. 58 ff.). Entsprechend des hier vertretenen moderaten Konstruktivismus gilt der Tourismusraum als eine Form der Zuschreibung bedeutsamer Unterscheidungen (siehe „Alterität“ und „Kontingenz“). Diese Unterschiedszuschreibungen sind rückgekoppelt auf die Sozialwelt und sie werden daher auch von ihr kontrolliert. Dies bedeutet, dass die der Möglichkeit nach existente erzeugte TourismusraumWelt soziokulturell verankert und infolgedessen prinzipiell veränderbar ist. Gerade deshalb ist der Raum „leer“; die Besetzung von Raumstellen (Orten) kann so oder anders erfolgen – heute umweltverträglicher und morgen Wellness-Ort. Insofern sind Räume Vorstellungen und Hypothesen, die sich durch Kommunikation und Handeln lokalisieren (vgl. zu diesem Zusammenhang nach wie vor Boesch 1980, S. 74 ff.). Dies besagt zum einen nicht weniger, als dass der Raum eine virtuelle Konstante menschlichen Verhaltens ist. Und zum anderen sind daher Räume realisierte Vorstellungen, Ideen, Entwürfe, Bilder etc. Kurzum und konstruktivistisch ausgedrückt, Räume und damit auch Tourismusräume werden nicht gefunden, sie werden vielmehr erfunden (vgl. hierzu auch das Konzept des „Spacing“ bei Löw 2001, S. 158 ff.).
Liminale Räume Was der Tourismus als Raumwirklichkeit präsentiert, ist heute in einem unbekannten Ausmaß durch ihn selbst, d. h. durch touristische Infrastrukturen konstituiert (komplexe Leistungsbündel samt den je spezischen Konnotationen). Der Tourismus bestimmt die Raumwirklichkeit nicht erst post festum, indem er sie etwa vermittelt, sondern seine Vorgaben gehen als Bestimmungsgrößen in die Raumwirklichkeit ein. Diese Vorgaben konkretisieren sich insbesondere in den Marketingkonzepten, in denen die Erwartungen und Vorstellungen der Reisenden an den Raum zum Ausdruck kommen. Insofern lässt sich die touristische Raumwirklichkeit als inszenierte Imagination verstehen, die die Spannung des Tourismusraumes von Nicht-Lokalität (Imagination) und gestaltungsgebender Lokalisierung (Inszenierung) wiedergibt. Dadurch, dass das dem Raum Angesonnene (Bilder, Marketingkonzepte etc.) zur Realität gemacht wird, konkretisiert und individualisiert sich der Raum in Orten, also dort, wo touristische Infrastrukturen quasi als Bühnen zum Handeln bereitstehen. Der solchermaßen virtualisierte Tourismusraum nimmt damit eine Zwischenposition ein; er steht zwischen dem verfassten Raum des Reiseziels und dem Heimatraum, aus dem die an den Tourismusraum herangetragenen Vorstellungen etc. herrühren.
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Da sich virtualisierte Tourismusräume aus ihrer vorläugen Unbestimmtheit – im Heimatraum existieren sie lediglich als Entwurf, Konzeption, Vorstellung, Bild, Antizipation etc. – nur durch das Handeln der Touristen bestimmen und existieren, be nden sie sich in einer prekären Situation: Bleiben die Touristen aus, dann fallen sie in sich zusammen, verlieren sie ihre Existenz. Virtuelle Tourismusräume kennzeichnen sich daher nicht durch die Realität ihrer Gegenstände aus – etwa einer Hotelanlage und eines Badestrandes –, sondern durch das, was sie denieren und durch Inanspruchnahme. So mag in einem 1, 2, Fly-Katalog eine auf Mallorca gelegene Hotelanlage aus drei Gebäuden und einer umfassenden Freizeitinfrastruktur mit Billard, Golf, Fahrradvermietung, Aerobic, Animation, Shows, Kinderspielgrogrammen u. a. m. bestehen und als „Fun Club“ de niert sein. Doch dieser virtuelle Raum – eben der „Fun Club“, der als Metapher für eine virtuelle Welt und einen virtuellen Raumes dient, in dessen Kontext Freude, Unbekümmertheit, Sozialität und Freiheit Gegenpole zur menschlichen Existenz bzw. zur Alltagsrealität bilden – ist ohne Handlung und Touristen nicht existent. Bei einer Inanspruchnahme tendiert jedoch diese virtuelle Räumlichkeit dazu, wirklich zu werden. Das Tourismussystem de niert Räume, die lediglich als Abbilder zur Verfügung stehen. Der virtuelle Tourismusraum „Fun Club“ entsteht indes in dem Augenblick, wenn diese Hotelanlage genutzt wird. Aus der Metapher wird dann der wirkliche oder zur Wirklichkeit tendierende virtuelle Raum, werden doch die Nutzer in diesem Augenblick in die Katalogsituation versetzt: Wer diese Hotelanlage bucht und sich dort in das Angebot integriert, be ndet sich augenblicklich in dem „Fun Club“, der für eine angenehme, alltagsferne Umgebung und Wohlbe nden steht (vgl. Alteritäts- und Kontingenzerfahrungen). Diese Fun Club-Traumwelt besteht also nicht im Katalog bzw. in der Werbung per se, sondern sie soll durch den Kauf der Ware bzw. die Buchung dieses Tourismusangebotes evoziert werden (zu diesen Zusammenhängen vgl. Green 2001). Es liegt demnach am Konsumenten bzw. am Urlauber, der im Akt des Konsums/ der Inanspruchnahme der touristischen Dienstleistungen die Metaphorik virtueller Räume zur momentanen Wirklichkeit werden lässt. Die Aufmerksamkeit des Touristen ist von den Attraktionen der Landschaft und seinen Bewohnern (verfasste Raumwirklichkeit) abgezogen. Er ist nicht mehr deren Betrachter (so aber Urry 2002), sondern mehr oder weniger aktiver Mitgestalter der virtuellen Realität. Letztlich stellt er sich nicht mehr als Tourist dar. Er vollzieht vielmehr Handlungen, die durch das Fun Club-Skript zwar gerahmt sind, doch es ist ihm freigestellt, diesen Rahmen so oder so für sich zu aktivieren. Dies bedeutet, dass sich Touristen selbst aufführen, sie sich in diesem Fall durch Handlungen als „Fun Clubber“ konstituieren. Durch diese Performanz werden nicht nur sie, sondern auch die virtuellen Räume real (zu diesem Performativitäts-Konzept siehe Edensor 2000a, 2001; Wang 2000, S. 57 f.).
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Beim Wechsel in den virtuellen Raum koppelt sich der Tourist vom profanen, „tristen“ Alltag ab, und mit dem Übergang in den virtuellen Tourismusraum wird die Welt als kontingent und alterabel wahrgenommen. Man erfährt, dass sie anders beschaffen sein könnte, als sie tatsächlich ist, und man hält sie für so veränderbar, dass man sich in ihr als Subjekt neu konstituieren, „wirklich“ verwirklichen könnte. Virtuelle Räume stellen damit liminale Räume dar, weisen sie doch eine Antistruktur zum Herkunftsraum auf (vgl. Shields 2003, S. 12 ff.). Wenngleich sie sich nicht verorten lassen, so vergegenwärtigen sie sich stets aufs Neue via Inanspruchnahme von atopischen Infrastrukturen. Dieser Präsentismus temporalisiert virtuelle Tourismusräume; was sich hier und jetzt ereignet, bestimmt ihre erlebte Wirklichkeit. Außer der Denition des Raumes steht nichts fest. So lobt sich Deutschland 2001 als virtuelles Reiseziel aus und zwar mit dem „Glanz der Romanik“: „Alles ist möglich: Parlament, Bund, Länder, Tourismusverbände und Wirtschaft haben das Jahr 2001 zum ‚Jahr des Tourismus‘ erklärt. Denn Deutschland als Reiseland hat immer Saison. Ob Baukunst oder Malerei, unser Land gilt als die Quelle der Romanik. Romanische Rundbögen bilden eine herrliche Kulisse für Unterhaltung – also nix wie hin“.
Dass Deutschland vorher und danach anders touristisch ausgelobt worden ist, belegt, dass virtuelle Tourismusräume weder eine Vergangenheit noch eine Zukunft besitzen. Ein virtueller Tourismusraum ist nur von Dauer, sprich wirklich existent, wenn sich das Szenario „Glanz der Romanik“ oder „Fun Club“ als Handlungsraum für die Besucher, sprich die Nutzer, unverzüglich offenbart (dem User quasi auf dem Display erscheint). Ansonsten bleibt die widrige Verfasstheit des Heimat- und Fremdraumes. In erstere wird der Tourist beim Verlassen des Tourismusraumes zurückversetzt, wodurch gleichzeitig die Einheimischen („Bereisten“) auf sich und mithin die Probleme aus dem Tourismus zurückgeworfen werden (vgl. Mitterer 1994; Schönberger 1994). Würden Tourismusräume ein Abbild von je spezischen Raumrealitäten sein (ihren Verfasstheiten), dann besäßen sie keine Anziehungskraft, hieße dies ja, dass der Tourismus Parallelwelten zur Realität anbieten würde. Tourismusräume stellen hingegen wiederkehrende rituelle Muster der Erzeugung und Bearbeitung von Unterscheidungen zur Verfügung (anders sein können als man sein muss; dort und zu Hause; früher und heute; andere; Alternativen etc.). Diese Verräumlichung von Unterscheidungen wird als ein Schwellenzustand oder eine Zwischenphase erfahren, in die Reisende nach ihrer Ablösung von ihrem verfassten, fest strukturierten Heimatraum, von ihren sozialen Rollen eintreten und die sie mit der Integration in einen neuen Handlungsraum, mit der Einnahme neuer sozialer Positionen wieder verlassen (vgl. zu dieser Schwellen- und Umwandlungsphase van Gennep 1986,
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S. 183 f.). Urlauben bzw. Verreisen kann demnach als ein Übergangsritus verstanden werden, der den postmodernen Menschen in diese Zwischenzone versetzt. Hier stirbt er einen symbolischen Tod und steht als ein anderer auf. Diese Phase ist ausgesprochen performativ, geprägt durch Gleichheit, Spontaneität, Entfaltung kreativer, mit sinnlich-körperlichen Erfahrungsmodi verbundener Fähigkeiten und einem großen Spielraum in den sich ausbildenden Gemeinschaften. Im virtuellen Tourismusraum befreien sich quasi die kognitiven, affektiven und kreativen Fähigkeiten des Menschen, mit neuen Lebensformen kann ohne Konsequenzen experimentiert und neue Identitäten können angenommen werden (vgl. Edensor 2001, S. 73 ff., und Shields 2003, S. 13 f., der ausdrücklich das Web mit dem kommodizierten Tourismus gleichsetzt). Dies macht die „Antistruktur“ virtueller Tourismusräume zu anderen Gesellschaftsräumen mit ihren institutionellen und funktionalen Zwängen aus. Dadurch kennzeichnen sie sich im Sinne von Turner (1989, S. 48 ff.) als liminale Räume: Der postmoderne Mensch nimmt freiwillig und wiederkehrend am Verreisen/Urlauben als kulturellem Ereignis teil und er vollzieht damit Brüche, also eine Unterbrechung alltäglicher Prozesse. Im virtuellen Tourismusraum erhält er die Freiheit und Möglichkeit der Hervorbringung neuer Modelle für sich allein und für sich mit anderen zusammen.
Wiederentdeckung des Raumes Argumente, virtuelle Tourismusräume würden eine irreversible Entfremdung von der wirklichen, verfassten Raumwelt bewirken, sind nicht von der Hand zu weisen. Andererseits gehören diese Räume zur realen Welt, und dies bedeutet insbesondere, dass sie sich innerhalb und nicht außerhalb der Erfahrung durch den Touristen benden. So zeigt sich, dass Touristen im virtuellen Tourismusraum Einsichten und Erkenntnisse über den reellen Raum gewinnen können (vgl. Waller/ Lea 1999). Dass die selbstreferenzielle Verschlossenheit virtueller Tourismusräume eine Interaktion und Integration mit dem reellen Raum ausschließt, lässt sich bei allen Konikten zwischen beiden auch nicht bestätigen (vgl. Mordue 2001; Ryan/MacKenzie 2003). Und darüber hinaus können virtuelle Tourismusräume via Erfahrungen der Touristen in die Realität des Alltagsraumes einwirken, ihn, wenn nicht relativieren, so doch aber touristizieren. All diese Zusammenhänge mögen mithin Abwägungs- und Ansichtsfragen sein; nicht zuletzt sollten sie aber Forschungsfragen sein. Insofern man Ansichten empirisch überprüfen will – und man sollte dies –, dann müssten nach den bisherigen Darlegungen vor allem folgende Hypothesen auf den Prüfstand:
Das Tourismussystem (der Tourismus) wählt nicht Räume aus, sondern es gibt ihnen neue Formen und Inhalte, fordert ihre Veränderung oder es zeigt
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anhand von Marktforschungsstudien provokant auf, dass sie sich wenigstens in der Außenkommunikation anders positionieren müssen. So hielten es beispielsweise oberösterreichische Tourismusverantwortliche 2002 für notwendig, die Phyrn-Priel-Region in „Egoland“ umzutaufen, um so „einen Teil der Schublade im Gehirn“ der potenziellen Touristen zu erobern und damit „erkennbar“ bzw. unterscheidbar zu sein. Räume werden nicht in Tourismusangebote transferiert, sondern erst durch Tourismusangebote konstruiert. Überall ist das Tourismussystem darauf aus, Marken und Zeittrends in die Raumwirklichkeit zu implantieren und dadurch neue Raumwirklichkeiten zu erschaffen. Dies geht soweit, dass Düsseldorf FIS-Ski-Langlauf-Ort und damit eine touristische Winterattraktion geworden ist. Räume werden nicht mehr oder weniger passiv touristisch vermittelt, sondern Touristen nutzen diesbezügliche Tourismusangebote (siehe oben) aktiv bzw. performativ für die eigene Sinnkonstruktion. So kann man sich schon seit geraumer Zeit aus einem „Urlaubskasten“ jene Tourismusangebote selbst so zusammenstellen, dass der besuchte Raum den subjektiven Vorstellungen entspricht. Die Wirklichkeit der Tourismusräume ist nicht mehr mit den Kategorien „authentisch“ oder „nicht der Wirklichkeit entsprechend“ empirisch zu fassen. Was erlebt wird, ist authentisch. Wenn beispielsweise Pickering in Nordengland mit „Harry Potter. Folgen Sie den Spuren des großen Zauberlehrlings !“ beworben wird, dann geht es nur noch um die Weckung von Aufmerksamkeit für einen Raum.
Geht man diesen Hypothesen nach, dann rückt die Rolle des Tourismussystems als Konstrukteur von Raumwirklichkeiten in den Vordergrund. Unversehens würde damit eine Tourismusgeographie diese Rolle als Forschungsgegenstand fokussieren, womit sie zugleich (wieder) den Raum als primären Diskursgegenstand „entdecken“ würde.
Vorstellungen und Gefühle Eine phänomenologisch-empirische Studie zur Wahrnehmung von Reise-/Tourismusräumen
Auf der Welt kann und wird nahezu jeder Winkel zu einem Reiseziel erklärt. Schier unzählbar sind daher die touristischen Destinationen. Doch wie wird der potenzielle Tourist auf sie aufmerksam und entscheidet sich dann für eine bestimmte Destination ? Suvantola (2002, S. 113) stellt in einer Studie fest, dass die von der Tourismusindustrie kommunizierten bildlichen Informationen eine zentrale Rolle bei der Aufmerksamkeitslenkung und schließlich bei der Motivation, ein bestimmtes Reiseziel aufzusuchen, spielen. Die meisten Touristen durchschauten zwar die Versprechen der Werbung, doch die dabei vermittelten Images gingen nicht mehr aus ihren Köpfen und produzierten insofern Wirklichkeiten, als sie danach Tourismusräume „testeten“. Im Grunde, so Suvantola, drehe es sich um mächtige Mythen, die in den Werbebotschaften abgebildet und verbreitet werden. Diese Macht der Werbung und der dabei transportierten Images von z. B. touristischen Destinationen äußert sich vor allem darin, dass sie einen xen Orientierungsrahmen schafft, der die Erfahrungen der Touristen lenkt (vgl. allgemein hierzu Messaris 1997). Die von der Tourismusindustrie geschaffenen Mythen und Images stellen daher self-fullling prophecies dar: Die in der Untersuchung interviewten Touristen haben jene Images im Kopf, die die Anbieter kommunizieren; die Touristen verhalten sich entsprechend dieser bildlichen Vorgaben, und dies heißt, dass sie dem besuchten Raum Eigenschaften zuschreiben, die dem dermaßen geschaffenen „fremden Blick“ zugrunde liegen. Es ist selbstredend, dass bei dieser Untersuchung der „Urry-Tourist“ Pate stand (Urry 2002). Die vermittelten Mythen und Images kreisen danach um das Außergewöhnliche und/oder Außeralltägliche, das der Tourist in fremden Orten sucht und im Alltag nicht nden kann. Die Tourismusindustrie kennt diese Disposition des Menschen und preist sich mit Mythen und Images des Außergewöhnlichen/ Außeralltäglichen an, die dann den tourist gaze und somit die touristischen Wahrnehmungen determinieren. Der tourist gaze ist demnach die institutionalisierte Form solcher Arrangements, die sich immer wieder im Handeln der Touristen bestätigen: Genau das, was die Tourismusindustrie als Außergewöhnliches/Außeralltägliches vorgibt, wird auch tatsächlich gezielt aufgesucht und hernach memoriert. Touristen konstatieren Authentizität, haben sie doch das gesehen, was ihnen zuvor als dem Raum „wirklich“ zugehörig kommuniziert wurde und das sie nun vor Ort erfahren, erleben und vor allem sehen: Sichtbarkeit ist die letzte Instanz K. Wöhler, Touristifizierung von Räumen, DOI 10.1007/ 978-3-531-92761-9_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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der Wahrheit. Beim Sehen, so die Kritik, lassen sie sich aber von Illusionen leiten; sie werden gewissermaßen verführt: Touristen verfallen den werblich produzierten Images, die der „wirklichen“ Realität des Raumes nicht entsprechen. Oder anders formuliert: Räume, ihre Objekte der Lebenswelt der Einheimischen bzw. Bevölkerung, sind mit sekundären, zusätzlichen Bedeutungen – hier außergewöhnlich/ außeralltäglich – versehen worden, die unabhängig vom gelebten Raum eine Relevanz erlangen und sich schließlich verselbstständigen (also zum Mythos werden; vgl. Barthes 1957, S. 199 ff.). Dies bedeutet nicht zuletzt, dass der Raum in dieser vor-semantisierten Form erwartet wird. Die Einlösung dieser Erwartungen stellt die Tourismusindustrie inszenierend sicher. MacCannell (2001, S. 30) lehnt den solchermaßen involvierten „Urry-Touristen“ zwar nicht ab. Den tourist gaze á la Urry bezeichnet er als rst gaze, dem ein second gaze folgt und stellt lapidar fest: „The second gaze knows that seeing is not believing“. Selbstverständlich präsentiert sich nach ihm z. B. eine touristische Destination im Sinne des Urry-gaze. Doch was den Touristen das Präsentierte bedeutet, wie sie damit umgehen und was ihnen als Alterität unerwartet gegenübertritt, dies spare der Urry-gaze aus. Urry sieht also vor lauter kapitalistischen Strukturen nicht den Menschen in seiner kulturellen, psychischen und leiblichen Verfasstheit, die plötzlich dem präsentierten Raum eine neue Realität gibt. MacCannell zieht daraus für Images bzw. den gelenkten, bestimmte Vorstellungsbilder vermittelnden touristischen Blick keine Schlussfolgerungen, wenngleich diese nahe liegen: Erst mit Images bekommen wir ein Bild von einer Reisewelt, erschließt sie sich für uns und bekommen wir von ihr eine Vorstellung. „Wir“ bedeutet immer noch, dass wir als Individuen und nicht als bloße Mitglieder von Systemen die Welt erschließen, d. h. sie uns als ein Objekt „für uns“ aneignen. Dieses Argument wird im Folgenden näher entwickelt und abschließend durch eine Studie zur Aneignung der touristischen Destination „Lüneburger Heide“ empirisch aufgeladen.
Images, Informationen und Reiseentscheidungen Auf welcher Grundlage kann man sich beispielsweise für eine Reise nach Brighton oder in die Lüneburger Heide entscheiden, wenn diese Reiseprodukte am point of sale nicht materiell vorhanden sind, um sie hinsichtlich ihrer versprochenen Qualitäten zu testen? Bekanntlich treten uns Dienstleistungen wie etwa touristische Produkte nur als Versprechungen gegenüber. Diese Versprechungen konstituieren ein Bild von der Lüneburger Heide, Mallorca oder vom Südpazik. Erst wenn man dort ist, kann man beurteilen, ob das Versprochene eingehalten wird. Ein Testbesuch vorab kann sich weder ein Anbieter noch ein Kunde leisten, sodass diese beiden Marktseiten darauf angewiesen sind, durch Informationen zu überzeugen (Anbieter) oder sich von Informationen überzeugen zu lassen (Kunde). Stellt man einmal
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die daraus resultierenden beiderseitigen Informationsasymmetrien und damit mögliche Prinzipal-Agent-Probleme beiseite (vgl. Jensen/Meckling 1976), dann zeigt sich immer wieder, dass Images Surrogate für Tests – also für Sucheigenschaften – sind und so genannte Schlüsselinformationen für Reiseentscheidungen darstellen (vgl. Peter/Olson 1996). Images informieren über Räume, Personen, Produkte und Unternehmen (kurz über Gegenstände). Wenn Images reiseentscheidungsrelevant sind, dann kann aber nicht mehr von einer unverstellten Wahrnehmung der Gegenstände vor Ort ausgegangen werden. Dies festzustellen oder gar zu kritisieren, schafft indes zum einen keine Images ab und zum anderen sind sie als soziale Tatsachen zu begreifen. Als solche führen sie zu Vorstellungen und Deutungen, die im gesellschaftlichen Umlauf sind und kulturell geteilt werden. Vor diesem Hintergrund kann man Urry (2002) folgen. Sieht man die alltägliche Lebenswelt als Routineveranstaltung, die ferne Fremde der Reisewelt dagegen als von Außergewöhnlichkeit geprägt an und postuliert man, dass Menschen von Gegenständen mit außergewöhnlichen oder außeralltäglichen Eigenschaften attraktiviert werden (vgl. Franck 1998, S. 159 ff.), dann ist der tourist gaze angefüllt mit Images von sich in Räumen be ndlichen Außeralltäglichkeiten/Außergewöhnlichkeiten. Die Konnotationen der touristischen Werbebotschaften schließen sich Images an – wie beispielsweise des Südpazi ks (vgl. Uzzell 1984, S. 86): Südpazik (Signikant) + Wunderschöne Sonneninseln (Signikat) = Paradies > Paradies (Signikant) + Reisebuchung (Signikat) = Erlebnis eines Paradieses.
Diese Botschaft wird verstanden: „Wir verkaufen keinen Inselaufenthalt, sondern ein Leben im Paradies !“ Ein Reiseprodukt wird hier nicht nur mit einer Schlüsselinformation belegt, sondern mit einem Schlüsselbild in eins gesetzt: Indem das Image auf den Mythos der Südsee als Paradies rekurriert, spricht die Werbung raumzeitunabhängige Sehnsüchte und Erlösungsvorstellungen im Diesseits an und liefert den Touristen einen sinnstiftenden Wert – eine positive Alterität (vgl. Urbain 1989). Insofern können sich Touristen kulturell eingebunden sehen, d. h. in einem Bedeutungssystem verortet betrachten, das realiter existiert, also in der Gesellschaft als Ganzem oder in sozialen Milieus, Lebensstilgruppen und posttraditionalen Gemeinschaften verankert ist (vgl. beispielhaft für Schweizurlauber Schumacher 2002). Images als Vorstellungsbilder sind Institutionen, die Gegenstände spezisch in Erscheinung bringen, diese in eine Ordnung einbeziehen bzw. in ein Bedeutungssystem integrieren und Aufmerksamkeitsregeln de nieren. Images zu folgen, verleiht einen Platz im gesellschaftlichen Bedeutungshaushalt, der sie als Evidenz besiegelt. Diese Image-Evidenz nehmen Fakeye and Crompton (1991, S. 11) auf und unterscheiden zwischen organic and induced Images. Das organische Image beschreibt das gesellschaftlich evidente Image z. B. eines Reiseraumes; es ist in der
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Möglichkeiten und Wirklichkeiten
mental map abgelagert. Für die Menschen nördlich der Alpen besitzt etwa der europäische Süden bzw. das Mittelmeer eine solche Image-Evidenz (vgl. Wöhler 2000). Das Bild dieses Südraumes ist von der Vorstellung eines sonnenverwöhnten Raumes geprägt, der ein unbeschwertes, „natürliches“, sinnliches und in jeder Hinsicht freies Leben ermöglicht – ein anderes Leben, das komplementär zum Leben im kalten, rigiden, regulierten und einengenden Norden erscheint. Dass dieses Image eine longue durée besitzt, sei mit dem Hinweis auf die Mittelmeerreisenden im 18. und 19. Jahrhundert angemerkt (und nicht nur der Italienreisende J. W. Goethe ist das Stichwort; vgl. Wetzel 1991). Befasst man sich mit einem spezischen Reiseraum oder -ort, dann löst dies eine aktive Informationssuche aus, die ein induziertes Image konstituiert. Anzunehmen ist, dass Informationen etwa mit dem Ziel gesucht und ausgewählt, ob – bezogen auf Italien – die Riviera auch Regentage und bestimmte Freiheitsbegrenzungen kennt. Das organische Image des Südens könnte damit eine Modikation erfahren. Wie die Untersuchung von Suvantola (2002) belegt, werden insbesondere Informationen der Tourismusindustrie herangezogen, die induktiv das gesellschaftlich „gehärtete“ Image bestätigen. Um Kunden zu attraktivieren, muss die Tourismusindustrie „in der Gesellschaft“ bleiben – und sie tut es auch, was denn sonst, gehört sie doch zum ökonomischen System der Gesellschaft. Die Tourismusindustrie (als Teil des „Tourismuskomplexes“1) stellt demnach spezische Räume, deren Objekte und Menschen sowie Dienstleistungen in eine Bedeutungswelt, die dem Touristen mehr oder weniger vorgängig geläug ist. Die Tourismusindustrie präsentiert sich nicht als eine Falsikations-, sondern als eine Anschlussveranstaltung dergestalt, dass ihre Hinweise bzw. Informationen schnurstracks in das Vorstellungsbild etwa des Südens eingeordnet werden können: Allemal stehen die werblich ausgelobten Sonnenstrände, ein unbeschwertes Leben und die schon im Mignonlied in J. W. Goethes Bildungs- und Entwicklungsroman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ (1795/96) gelobten Zitronen und Orangen sowie der blaue Himmel ikonisch für den Süden (wie z. B. Italien). Auch hier, bei diesen touristischen Topoi des Südens, sagt der Empfänger dieser Informationen: „Habe verstanden !“. Dieses Verstehen ist konstitutiv für die Kommunikation zwischen Tourismusanbietern und (potenziellen) touristischen Raumnachfragern und stellt Anschlussfähigkeit etwa im Sinn des „induzierten Images“ sicher: Nachfrageseitig werden Informationen im Tourismussystem („Tourismuskomplex“) in Bezug auf erwartetes Anderes oder Außergewöhnliches gesucht – und nicht etwa im Rechts- und Wissenschaftssystem oder gar im religiösen System. Was informativ nicht verstanden wird, wird selegiert, sodass man, 1
Als „Tourismuskomplex“ wird das verochtene, ineinander gefügte Wirken von Raumnutzungsanbietern und -vermittlern sowie von Medien und Reisenden/Touristen selbst einschließlich von „Raumwissenschaftlern“ verstanden.
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systemtheoretisch gewendet, sagen kann, dass in der Kommunikation Informationen nicht übertragen, sondern produziert werden (vgl. Luhmann 1997, S. 81 ff.). In der Kommunikation mit (potenziellen) Touristen müssen demnach Raumanbieter „im System“ bleiben und Informationen produzieren, die von Touristen verstanden werden, läuft doch sonst das gesamte Tourismussystem seinem Ende entgegen. Die Kommunikation von Außeralltäglichkeit im Kontext von Räumen ist die Operation des Tourismussystems, mit der es sich reproduziert. Zugleich hält es sich gegenüber Umwelten anschlussfähig, indem es sie intern zum Thema macht (etwa aufgrund von Marktforschungsergebnissen) und prioritär auf das reagiert, was sich Raumnachfrager wie z. B. Lebensstilgruppen unter Außeralltäglichkeit vorstellen. Entsprechend dieser Vorstellungen variiert das Tourismussystem seine Programmstruktur und vermeidet so auf Dauer kommunikative Misserfolge. Diese Umweltanpassung wird in der Kommunikation von fortwährend gewandelten räumlichen Vorstellungsbildern augenscheinlich, und dies bedeutet, dass sich die Modi der Außeralltäglichkeit ändern. Die den Kommunikationszusammenhang konstituierende Leitdifferenz „außeralltäglich/alltäglich“, die die Sinngrenze gegenüber anderen gesellschaftlichen Teilsystemen deniert, wird jedoch nicht aufgegeben (vgl. Luhmann 1997, S. 562 ff.). Zu schließen, dass Reiseentscheidungen aufgrund beliebig konstruierter Images der Tourismusindustrie getroffen werden, ist demzufolge falsch. Kommunizierte Images sind soziokulturell geerdet. Die Tourismusindustrie greift auf derart eingebettete Vorstellungsbilder zurück; sie baut sie in ihre Programmstruktur ein (vgl. Saretzki 2005, S. 130 ff.). Sie heftet diese Images durchaus beliebigen Räumen und Orten an und produziert so Tourismusräume. Seitdem man die Wirkmächtigkeit von Paradiesvorstellungen erkannt hat (u. a. anhand von Bali als „Paradies“; vgl. Vickers 1994), breitet sich die Paradisierung von jedweden Tourismusräumen geradezu epidemisch aus. Und welcher Tourismusraum verbreitet nicht von sich das Bild eines ökologisch bewussten und dem Regionaltypischen verbundenen Raumes ? Weil niemand etwa gegen „familienfreundlich“ und „aktiv im Urlaub“ sein kann, ist es nahe liegend sich mit solchen Vorstellungsbildern in die touristische Aufmerksamkeitslandschaft einzutragen. Offensichtlich sind diese geerdeten Images ansteckend; sie haben die Fähigkeit, Räume je spezisch zu kontaminieren. Sie provozieren Raumanbieter (Regionen, Orte oder gar Nationen), sich in Anlehnung an die jeweiligen gesellschaftlich virulenten Vorstellungsbilder zu produzieren bzw. inszenieren und sich dementsprechend – mithin stets neu – zu ernden, um so marktgängig zu bleiben. Wenn im ausgehenden 19. Jahrhundert Ufer des Bodensees als „Deutsche Riviera“ angepriesen werden und das Kurstädtchen Überlingen ein „Deutsches Nizza am Bodensee“ sein will (vgl. Trapp 1993, S. 10), dann bezeugen diese Markierungen die penetrierende Macht von Vorstellungsbildern: Mit Nizza und Riviera sollen Vorstellungen des Südens bewusst bzw. in das Gedächtnis gerufen
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und mit dem „Schwäbischen Meer“ verbunden werden. Diese Übertragung von Raumassoziationen zielt auf der konnotativen Ebene darauf ab, dem Raumaufenthalt bestimmte Emotionen und Erlebnisse auslösende Wirkungen zuzuschreiben. Dieser Vorstellungstransfer hat auch eine denotative Seite. Der assoziativ versetzte Raum und Ort musste am „Schwäbischen Meer“ in seiner Beschaffenheit nachvollziehbar sein. Plakate und Ansichtskarten repräsentierten analog zu Beschreibungen in der Presse und Broschüren dieses „Meer“ als Mittelmeer. Tatsächlich ist die Bodenseelandschaft in diesen Riviera- und Nizzabildern infrastrukturell, also materiell, inszeniert worden und gab ihr demzufolge einen mediterranen Look (vgl. Internationaler Arbeitskreis Bodensee-Ausstellungen 1991). Es ist also eine Bühne als Ort des Sichtbarwerdens dieser Bilder geschaffen worden, der auf den Bodensee aufmerksam machte und Gäste aus aller Herrenländer anzog. Nicht nur Menschen reisen, sondern ebenso touren Räume und Kulturen rund um den Globus. Räume und Orte überleben in Bildern, die sich atopisch vergegenständlichen. Insofern bleibt vom Urry-gaze die triviale Erkenntnis, dass Touristen Räume im Medium von Images bzw. Vorstellungsbildern sehen und auswählen, die auf je historische bzw. zeitliche Kontexte bzw. Mentalitäten im Herkunftsraum der Touristen zurückweisen. Dies zu kritisieren hieße, den Touristen ihre Sozialität und Soziabilität abzusprechen. Unstrittig ist, dass jedweder vorstellungsgelenkte touristische Blick selektiv ist. Durch ihn wird im Fremdraum etwas als etwas gesehen: Dieses Als gewinnt mit einem Um-zu eine Struktur und stellt somit einen Vorgriff auf die Wahrnehmung des Raumes dar (vgl. Heidegger 2006, S. 149 f.). Dieses Als wirkt bei Reiseentscheidungen wie ein gatekeeper, da es bestimmte Vorstellungen hervorruft, die im Tourismusraum realisiert werden wollen. Der „Urry-Tourist“ handelt deterministisch. Was im werblich lancierten Vorstellungsbild markiert ist, um dessen Willen sucht er einen Tourismusraum auch auf. Natürlich will niemand Sonnenbaden, wenn sich ein Raum als „anspruchvolles Skiressort“ empehlt und er deshalb als Reiseziel auserkoren wird. Ist es tatsächlich so, dass das, was auf dem Reiseprodukt draufsteht, hernach auch im Erleben und in der Erinnerung des Touristen drin ist? Sind es die angepriesenen Sehenswürdigkeiten Londons, die betagte und jugendlich-pubertäre Busreisende, den literarischen Italien-Rundreisenden im 18. Jahrhundert gleich, der Bildung wegen in den Blick nehmen ? Oder werden mit der Busreise Vorstellungen eines geselligen Zusammenseins und des gegenseitigen Austausches von Plänen, Erinnerungen u. a. verknüpft ? Mit welchen präfabrizierten Vorstellungsbildern auch immer, so steht fest, dass die Reiseentscheidung am point of sale, an dem Räume abwesend sind, ein Bildhandeln ist: Man lokalisiert sich in einem Vorstellungsbild; man sieht sich dort, ist aber aktuell nicht dort.
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Vorstellungsbilder für uns Weil mit dem touristischen Blick mitgebrachte Vorstellungsbilder letztendlich dergestalt wirksam werden, dass sie sich im Touristen inkorporieren, also analoge Bewegungen initiieren sowie Gefühle hervorrufen, sieht Urry das Ende des Tourismus – Tourismusräume repräsentieren eine economy of signs; global vagabundierende Zeichen und nicht unmittelbar, unvoreingenommen Wahrgenommenes kennzeichnen das Reisen (vgl. Urry 2002, S. 145 ff.). Ein Bilder- bzw. Imageverbot wird jedoch nicht gefordert. Boniface (2001, S. 159) reklamiert allerdings, dass die Tourismusindustrie ihre „falschen“ Images, sprich gelenkten Aufmerksamkeiten qua Images durch solche ersetzen sollte, die den „dynamischen Touristen“ angemessen seien. Als solcher benötige er keine konstruierten und getesteten Produkte, die ihm im Allgemeinen bekannt seien. Reiseerfahrene, dynamische Touristen wollten dagegen aus einer Vielfalt von Angeboten das ihnen gemäße aussuchen und verlangten insbesondere solche Informationen, die sich an den „humanen“ Imaginationen der Menschen orientieren. Wenn all dies gegeben sei, dann könnten sich die Touristen der Kontrolle und Macht der Reiseindustrie entziehen. Sieht man von dem emphatischen Unterton ab, dann führt, ohne dass Boniface darauf näher eingeht, ihre Unterscheidung zwischen Image und Imagination weiter. Den Images als Vorstellungen, die sich Touristen von Räumen oder Orten machen soll(t)en, stehen Imaginationen gegenüber, die den postmodernen touristischen Blick strukturieren: Räume und Orte sollen in Bildern, die in den individuellen Vorstellungen bzw. der Einbildungskraft existieren, zu den Touristen kommen. Dass abwesende Orte eine vorstellungs- bzw. bildhafte Präsenz haben, wird demnach nicht in Abrede gestellt. Bei den Tourismusorten oder -räumen der Imagination ndet die Imagination keine Räume oder Orte in der geographischen oder sozialgeschichtlichen Welt, „sondern in der ‚individuellen Landschaft‘, durch die die Welt uns anrührt und durch die wir mit ihr in lebendige Kommunikation treten“ (Merleau-Ponty 1966, S. 393). Nicht die objektive Welt, sondern das, was das Ich berührt und was es empndet, füllt und konturiert Räume und Orte mit dem Ergebnis, dass sich mit dieser territorialen Besitznahme das Ich ebenso wie Räume und Orte bilden – uno actu. Dass Tourismusräume beim Anblicken diese Ich-Erfahrungen und Ich-Erlebnisse mitteilen, dass sie also zu Räumen der Imagination geworden sind, hat einen kulturgeschichtlichen Vorlauf. In der Zeit der „Grand Tour“ reisten junge Adelige entlang kanonisierter, durch Veduten (naturgetreuen Ansichten von Städten und Landschaften) veranschaulichter und auf Landkarten festgehaltener Routen, um nicht zuletzt sicher zu gehen, dass nichts aus dem Blick gerät, was normativ gesetzt war (vgl. Märker/ Wagner 1981). Hernach bewegte sich das Bürgertum im 18. Jahrhundert mit diesem vorgeformten, noch durch unzählige Reiseerzählungen, -berichte und -romane sowie Reiseführer untermauerten touristischen Blick in und durch die Fremde –
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vornehmlich in den europäischen Süden. Die in den Veduten kartiert ausgewiesenen Räume und Orte sowie Szenen sind Darstellungen dessen, was gesehen, wo Wissen erworben und an welchen Gegenständen Bestimmtes abgelesen und dabei verarbeitet werden sollte – kurzum, die solchermaßen in Erscheinung gebrachten Räume und Orte verweisen auf Kulturprogramme oder Weltbilder, nach denen beispielsweise Italien (römische Antike) als Ursprungsland und Grundlage alles Gegenwärtigen gilt. Einerseits materialisierten die verbildlichten Reiserouten das Austreten aus Raum und Zeit, indem die katastrophalen Lebensbedingungen der Landbevölkerung Italiens ausgeblendet werden, und andererseits bestätigen sie diese Idee oder dieses Weltbild in Bildern der römischen (sowie griechischen) Antike, die bis in die Gegenwart hinein wirkend und gestaltend gesehen wird. Deutlich wird, dass Reisende die Bilder nicht intrinsisch erschließen. Sie werden vielmehr relativ zu einem Weltbild eingeordnet, das in einem historischen Kontext steht. Es ging in diesem Zeitraum des bürgerlichen Reisens nicht darum, dass „man“ Sehenswürdigkeiten in ihren Gestaltungen realiter in Augenschein nehmen wollte, die zuvor in Reiseführern skizziert und/oder illustriert abgebildet wurden. Räume und Orte – Gegenstände – sollen vielmehr nach der Maßgabe eines bestimmten Weltbildes gesehen und wahrgenommen werden. Orte und Räume werden in den Routen ausgewiesen und einem bestimmten Bild, das sie repräsentiert, zugewiesen, und dies bedeutet, dass beispielsweise Italien eine Wiederverortung im Standort des Weltbildes des deutschen, gar westeuropäischen Bürgertums erfährt. Die Welt als Bild zu begreifen, ist kein spezisches Phänomen dieser Epoche, sondern spätestens seit der Neuzeit eine Überzeugung (vgl. Goodman 1973). Heidegger (1977, S. 94) stellt ebenfalls fest, dass seit der Neuzeit die Welt als Bild erobert wurde, wobei das Weltbild die Welt imaginierend herstellt. Bestätigt wird diese metaphysische Prämisse durch so genannte „Imagery-Theorien“, wonach mentale Repräsentationen explizit in Analogie zu Bildern stehen, und dies bedeutet, dass spezische bildhafte Vorstellungen von der Welt existieren (vgl. Kosslyn 1994). Weltbilder entstehen eher unmerklich in alltäglichen Interaktionen. So zeigen psychologische Forschungen, dass Menschen im Verlauf ihrer bildbezogenen Erfahrungen ein komplexes Bündel von Kompetenzen des Weltverstehens, einschließlich der mit Bildern zusammenhängenden Interpretationsmöglichkeiten, entwickeln (vgl. Messaris 1994). Interpretieren heißt Standpunkte einzunehmen oder aufzuzeigen. Dadurch wird beispielsweise eine Bildszene gerahmt. Um in der Welt eine gewisse Ordnung oder Bestimmtheit zu bekommen, gibt man ihr einen Rahmen (vgl. Heidegger 2000, S. 28), sodass das Weltbild selbst gerahmt ist. Die obigen Italienreisenden haben etwas wie z. B. antike Gebäude (im Bild und danach real) im Anderen gesehen und wahrgenommen – im besagten Weltbild, das dieses Bild rahmt. Dieser Rahmen hat zur Folge, dass das „aktuelle Sehen stets umgeben ist von einem Horizont nicht gesehener, ja überhaupt nicht sichtbarer
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Dinge“ (Merleau-Ponty 1966, S. 254). Im Bild, innerhalb des Bildrahmens bzw. -raumes, endet zwar die Räumlichkeit, gleichwohl deutet es darüber hinaus und verweist auf Orte, auf etwas, das diesem eingerahmten Ort entgegensteht und als Möglichkeit der Lokalisierung existiert. Angesichts dieser Vorstellung bendet sich der Bildbetrachter an einem „Nullpunkt“; der „sich nicht präsentieren, sondern nur repräsentieren (lässt)“ (Waldenfels 2004, S. 218) – in seinen Vorstellungen. Nichts anderes als die Herausbildung von Weltbildern wird hiermit erläutert. Die Frage ist, ob das soziale Handeln ausschließlich mimetisch bleibt, d. h. auf Reisende/Touristen bezogen, ob bei ihren Reisebewegungen Bezug auf andere Reisebewegungen und Weltbilder genommen wird. Dies ist bei den oben beschriebenen In-den-Süden-Reisenden, speziell der Italienreisenden der Fall. Doch in den Jahren und Jahrzehnten vor und nach 1800 kam es zu einem Wechsel. Es ist die so genannte „Sattelzeit“ (Kosellek 1989). Dieser Zeitraum ist gekennzeichnet durch tiefgreifende Veränderungen und Umbrüche, die Grundlage für die moderne Welt sind. Industrialisierung, Beschleunigung des Lebensalltags und nicht zuletzt die Diffusion revolutionären Gedankenguts aus Frankreich mögen als Stichwörter ausreichen, um zu verdeutlichen, dass sich das Bürgertum von Traditionen und Kontinuitäten abgeschnitten sah, bzw. genauer: fühlte. Reisen als ein Erfahrungsraum von historischen Zuständen, die sich auf einer Zeitachse akkumulierten und auf einen Telos hin bewegten, war damit ebenso desavouiert. Man würde doch nur den Untergang und die Entwertung von vielem Erhaltenswerten zu Gesicht bekommen. Dennoch wurde in dieser Epoche sehr viel gereist – zum Ich, zu Räumen und Orten der sinnhaft und sinnlich erfahrbaren Evidenz sowie des „Ganzen“. Die Reise diente zur Ausbalancierung individueller und geschichtlicher Erfahrung. Um die romantisierende Grundhaltung deutscher Reisenden zu belegen, muss man nicht auf Goethes Italienische Reise (1786/1790) zurückgreifen. Dabei machte er eine ästhetische und sinnliche Entwicklung durch. Für Moritz, ein Zeitgenosse Goethes, ist sein Italienaufenthalt keine Bestandsaufnahme von must-sees. Geschichtliche Räume dienen ihm vielmehr dazu, sinnliche Eindrücke vermittelt zu bekommen und zugleich eine Struktur zu erfahren, die ihm einen Sinn verleiht. Er sucht von dem ihm Umgebenden „ein bleibendes Bild […], das Zeit und Entfernung nicht wieder auslöschen kann“ (Moritz 1981, S. 382). In seinen Reisebeschreibungen sieht er angesichts der Gegenstände (Natur und kulturelle Artefakte) seine Seele in „feierliche Stimmungen“ versetzt und sieht alles „voller Bedeutungen“ – Bedeutungen, die sich ihm emotional, also seinem Ich, erschließen. An der Natur, Architektur und Kunst berauschen sich die Studenten Tieck und Wackenroder auf ihrer Pngstreise 1793 durch das Bayreuther Land und Fichtelgebirge (Tieck/Wackenroder 1980). Mittelalterliche Burgen und Ruinen sowie die Erhabenheit einsamer Gebirgslandschaften und auch das Geheimnisvolle des Katholizismus empnden sie als märchenhafte Idylle und als einen besseren Weg zum Glück und Frieden als zu studieren. Enthusiastisches Sehen und Erleben bahnt
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ihnen einen Austritt aus Raum und Zeit und einen Eintritt in die Geschichte dieser Idylle. Im Modus des Fühlens, des Gemüts, des Traumes und mithin der Illusion erschließen sich ihnen Räume und Orte. Landschaften mutieren zu Erinnerungsorten, in denen Geschichten vom Ich eingeschrieben wurden. Diese Reisenden be nden sich demzufolge nicht in Räumen und Orten, sondern sie nden sich in Stimmungen wieder, nach denen Landschaften als „romantisch“, „geheimnisvoll“, „idyllisch“, „erhaben“, „offen“, „beängstigend“, „furchtvoll“, „schön“ etc. gesehen werden bzw. in Erscheinung treten. Man machte sich also innere Bilder von Räumen und Orten – bleibende, unauslöschbare Bilder (Moritz). Nicht Räume und Orte in ihren je gegenwärtigen Verfasstheiten und eingeschlossenen Bedeutungen (Weltbilder) stehen bei solchen Reisen auf der Tagesordnung – man will sich in Stimmungen wieder nden. Sich ein Bild machen bedeutet (etymologisch) vorstellen, wobei „vor“ auf die vordere, sichtbare Seite und „stellen“ auf einen zum Stehen gebrachten Ort verweisen – auf einen Standort. Wenn Heidegger (1977, S. 108) Vorstellen als eine „vor-gehende, meisternde Ver-gegen-ständlichung“ versteht, dann ist damit genau das beschrieben, was Tieck, Goethe und viele andere Reisende zu dieser Zeit auszeichnet: In ihren Vorstellungen bringen sie Räume hervor und zwar Räume für sich, basieren sie doch auf ihren Stimmungen, d. h. mit Merleau-Ponty (1966, S. 96), dass „der Ursprungsort des Gegenstandes im Innersten unserer Erfahrung“ aufzusuchen ist, sodass „für uns etwas an sich zu sein vermag“. Sich nden oder sich verorten, gelingt daher nur mit dem „Sich-Benden“, mit Bendlichkeit, also mit Stimmungen, die ihren Grund in der Zeitlichkeit haben (vgl. Heidegger 2006, S. 340 ff.). Die eigene Zeitlichkeit und jene der gesellschaftlichen Verfasstheiten werden den Reisenden in der „Sattelzeit“ überdeutlich und sorgenvoll bewusst. Sie suchen daher Zuverlässigkeiten und Bleibendes, das sie in der „Kultur-Natur“, der Landschaft und im Innersten nden – einem Innersten, mit dem sie in ihren Reisebeschreibungen Räume und Orte „an sich“ in Räume und Orte „für sich“ transformieren. Der Alltag ist nicht der Erscheinungsraum innerlichen Wirkens; sich von ihm wegbewegen, gilt als Garant, Inneres und gar letztgültige Wahrheiten zu entdecken. Somit zielt diese Idealisierung der Bewegung – und damit des Reisens – paradoxerweise auf Bestandswahrung und/oder Wiedererrichtung des Wahren, Guten, Schönen, Zeitlosen und des Selbst im Modus von Räumen ab, die sich dann in dem Augenblick zu be-stimmten Räumen wandeln, als dort diese Qualitäten des eigentlichen Seins empfunden werden. Räume und die sie konstituierenden Orte (man ist in einem Raum und bendet sich dabei stets an einem Ort) werden auf diese Weise selbst zum Bild oder zum Image. Dass sich bei der medialen Vermittlung solcher Stimmungsbilder im Reisenden/Touristen analoge innere Bilder ausbilden und auf Räume übertragen werden, sie also von Touristen imitierend in Augenschein genommen werden (vgl. Belting 2006a, S. 69), steht im ersten Moment außer Frage. Mimesis ist eine anthro-
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pologische Konstante, die jedoch nicht ausschließt, dass die Welt nur in einer, sich wiederholenden Perspektive gesehen wird (was der Urry-gaze annimmt). Da sich mimetische Prozesse „zwischen dem Einzelnen und der Umwelt […] vollziehen und performativ […] sind“ (Wulf 2001, S. 266), geraten durch die Umweltbezogenheit, mit Merleau-Ponty (1966, S. 92 f.) gesprochen, „verborgene Anblicke und Bürgen ihres beständigen Daseins“ in den Blick. Multiperspektivität oder Kontingenz werden mit dem Resultat bewusst, dass das Individuum, umgeben von „gewissen Welten und Schauspielen […] nunmehr am Ursprung aller […] steht“ (Merleau-Ponty 1966, S. 296) – es bendet sich am „Nullpunkt“. Eine Verankerung in Welten (Räumen) und Schauspielen (Gesellschaft) qua Stimmungen, Empndungen oder durch ein „Hören nach Innen“ ist ein Weg, beiden einen Sinn zu geben – also auch den Tourismusräumen. Dass dabei Räumen ihre Bedeutungen genommen wurden und werden, d. h. ihr Sein nur im Blick bzw. durch geistige Vorstellungen kenntlich ist und sie so ihr reines An-sich-sein in ein Sein-für-uns verwandeln, besagt noch lange nicht, dass eine räumliche Bestimmtheit etwa qua Empndung von einem allem Gesellschaftlichen und Kulturellen losgelösten Inneren verliehen wird. Begreift man Tourismusräume als eine Welt, in der man sich nach eigenen Wünschen zeitweilig ein schönes Leben macht, dann stellt diese Zeitweiligkeit nur ein Moratorium dar. Es entledigt den Menschen weder von der Gesellschaft noch von der „Grundbendlichkeit des Daseins […], dass das Dasein als geworfenes Sein zu seinem Ende existiert“ (Heidegger 2006, S. 251). Diese Grundbendlichkeit ist die Angst: die Gewissheit des Seins zum Tode. Die Angst ist jedem „In-der-Welt-sein“ eigen, also auch allen praktischen Lebensbezügen. Was der Mensch wo und wann auch immer in seinem Dasein unternimmt, es geht existenziell um ihn selbst, wovon diese Angst als lebensdurchlaufende, aber nicht stets einsichtige Bendlichkeit zeugt. Im Aufgehen des Menschen im Alltag – man ist für Andere da und erledigt „unumgängliche der Geschäfte“ – stellt sich das „selbstvergessene Gegenwärtige“ ein (Heidegger 2006, S. 142 ff.), und dieses bedeutet, dass ein Dasein im Unbestimmten oder „Uneigentlichen“ und nicht im Selbstbestimmten oder „Eigentlichen“ existiert. Angesichts dieser existenziellen Be ndlichkeit bzw. Stimmung sollte sich der Mensch um sein „eigenstes Seinkönnen“ sorgen, sein „Worumwillen“ reektieren und sich letzten Endes auf Möglichkeiten des eigensten Seinkönnens hin entwerfen (Heidegger 2006, S. 145). Dass sich der Alltag mit dem Tourismusraum kontrastiert, dem diese Wirkkraft der Selbstbestimmung zugedacht wird, ist eine weit verbreitete Vorstellung. In dieser vorgestellten Repräsentiertheit werden unendlich viele Räume dargestellt. Zugleich geht damit ein Transport des Bildes einer doppelten Welt einher: Hier zu Hause in der Alltagswelt bestimmt das Leiden an der Gesellschaft das Dasein und dort im Tourismusraum ist die Freiheit und Offenheit der eigensten Möglichkeitsentfaltung. Abgesehen davon, dass sich Räume nur in einer Welt entdecken lassen,
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so ist die Welt nicht im Raum, sondern in unseren Vorstellungen vorhanden, nach denen sich der Mensch in Szene setzt (vgl. Heidegger 1977, S. 91; 2006, S. 368 f.). Demzufolge kann ein Tourismusraum in der Tat derart selbstbestimmend inkorporiert werden. Heidegger geht es jedoch um einen durchgehenden, dem Dasein zum Tode gerecht werdenden praktischen Lebensvollzug in der einen Welt und nicht etwa um ein komplementäres oder kompensatorisches Dasein, das das Reisen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts auszeichnet. Sich vom Hier zu entfernen, kann aber als „Entschlossenheit“ gelten, sich woanders bewusst die Frage nach einer „eigentlichen Zukunft“ im Modus der Zeitlichkeit des Lebens zu stellen und angemessene Antworten für die Gegenwärtigkeit in der einen Welt zu nden (vgl. Heidegger 2006, S. 336 ff.).
Aufgespannter Bildraum Einer Befreiung von der Referenz auf die reale Welt redet Heidegger nicht das Wort. Dies kann allenthalben im Traum geschehen. Sich dem Innenleben hinzugeben, dafür gab die Sattelzeit vielfältigen Anlass. Dass über die Erfahrung der Flüchtigkeit im Schoße der beständigen Natur meditiert und dabei ein anderes, schöneres Leben imaginiert wurde, ist durchaus nachvollziehbar. Diese Imagination entsprach Traumthemen, die Reisen und Landschaften zum Gegenstand hatten (vgl. Corbin 1992, S. 482). In solchen Träumen werden Räume in Bildern oder Vorstellungen unkontrolliert zur Aufführung gebracht, die jedoch unter der „Autorität von Erinnerungen und kulturellen Bildern“ stehen (vgl. Belting 2006a, S. 72). Wenn es heißt, dass uns Bilder von Orten des Raumes nicht so erscheinen, wie sie sind, sondern wie wir sie sehen, dann ist dieses „Wir“ selbst im Traum auf Kultur und Gesellschaft rückverbunden – rückverbunden auf eine Welt, die sich als eine Welt für uns präsentiert, verfügbar hält und die auch da ist, um angeschaut zu werden, d. h. um in unserer Wahrnehmung und Vorstellung (re-)präsent zu sein und auf diese Weise für uns zu sein. An dieser Stelle Subjektivität mit dem Verweis auf die oben zitierten Italienreisenden ins Spiel zu bringen, die doch per Gemüt und/oder im „Geiste“ Reiseräume erschlossen und sich danach ein Bild gemacht haben, wäre allerdings verfehlt. So sehr sie auch ihre Reisen als eine Weltucht ansehen mochten, ebenso wenig konnten sie sich davon entledigen, dass sie schon immer in der Welt waren und deren Denken, Sprache und Wahrnehmungen sie infolgedessen hatten. Reise- und damit zusammenhängend Welterfahrungen sind daher keine „Privatangelegenheiten“, wiewohl es jedoch bei den Reisenden oder Touristen liegt, welchen wahrgenommenen Inhalt sie aus Bildern auf sich ziehen und so für sich vorstellend eine Welt erschaffen. Das Etwas, das in Images oder Bildern (z. B. Urlaubslandschaftsbildern) erscheint, ist daher ein Doppeltes: Selbstbezug und Weltbezug.
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In der Auseinandersetzung MacCannells mit dem Urry-gaze, nach dem Touristen quasi in die von der Tourismusindustrie induzierten Images bzw. Bilder „einsteigen“ und das im gazing realisieren, was sie zeigen, proklamiert er einen turn of subjectivity (MacCannell 2001, S. 30 ff.). Dieser turn umfasst die eingangs beschriebene secondness, die bereits bei Cohen (1988a) anklingt, wenn er feststellt, dass sich Touristen im Kontext der displayed objects erschaffen und so für sich authentische Erfahrungen machen (vgl. hierzu auch Wang’s existential authenticity; Wang 2000). Das display ist, dem lateinischen Ursprung nach im Englischen, nicht nur ein zur Schau Gestelltes. Es ist auch ein (dadurch) zur Entfaltung Bringendes, und dies bedeutet, dass das Gestellte, hier ein Tourismusraum, seine Bestimmtheit durch die Wahrnehmung des Touristen erhält. Bleibt das Zur-Entfaltung-Bringen bei diesen Autoren im bloßen performativen Bildhandeln stecken, also dem Hervorbringen bildexterner praktischer Handlungen (vgl. Edensor 2000a), so ist insbesondere in Bezug auf Heidegger zu fragen, ob und inwieweit im Bildraum Situationen erscheinen, die ihn derart aufspannen, dass Kontexte der sozialen Lebenswelt erscheinen, die das „Warum-willen“ des Daseins bzw. die die Bedeutsamkeit des „In-der-WeltSeins“ akzentuieren. Diese Fragestellung ist mit dem Means-End-Approach („Laddering“; Gengler/ Reynolds 2001) zu lösen versucht worden. Als Reise- bzw. Tourismuswelt wurde die Lüneburger Heide in Niedersachsen, ein hoch-touristischer Raum, gewählt. 50 Touristen wurden interviewt (explorative Interviews). Diese Interviews generierten 1.720 Konstrukte eines Vorstellungsbildes bzw. der Wahrnehmung des Urlaubens in der „Lüneburger Heide“.2 Was ist unter Konstrukten zu verstehen und wie werden sie verdichtet, dass sie das „Warum-willen“ des Daseins offen legen ? Ganz knapp zum Vorgehen: 1.
2.
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Den Interviewten sind Heidebilder aus Broschüren und Imageprospekten vorgelegt worden. Ihnen sind alle die dort abgebildeten Objekte und Räume bzw. Orte aus ihren Ausügen und sonstigen Urlaubsaktivitäten bekannt gewesen, d. h. auch, dass sie das gesehen haben, was in den Bildern (re-)präsentiert worden ist. Die Bilder stellten z. B. Heidschnucken, alte Bauern- und Gasthäuser, Heideblüte, typische Heidelandschaft (bestimmte Gräser, ache Landschaft), Wege, Hünengräber, Schäfer, Wanderwege, Kutschfahrten, sonstige Freizeitinfrastrukturen etc. dar. Es wurde eine Attributsliste zur Lüneburger Heide vorgelegt. Die Attribute wurden inhaltsanalytisch aus den Texten zu den Bildern gewonnen. Die Touristen wurden gebeten, Bildern Attribute zuzuordnen und anzugeben, welche Attribute für sie beim Urlauben in der Lüneburger Heide wichtig sind. Danach
Für die Datenerhebung bedanke ich mich bei Frau Dipl.-Kffr. Agnes Kühne.
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folgte die Frage: Warum sind sie wichtig ? Wurde der Grund genannt, dann schloss sich unmittelbar die Frage an: Warum ist es wichtig, dass sie dieses oder jenes damit verbinden und tun ? All diese Aussagen wurden in einer so genannten „Implikationsmatrix“ eingetragen und nach einem bestimmten Verfahren hierarchisch verknüpft: Attribute in Relation zu Konsequenzen und diese in Beziehung zu Werten. Ein Bespiel zum gesamten Vorgehen: Ruhe ist ein Attribut (Marker). Die Frage: „Warum ist Ruhe für sie wichtig ?“ Antwort: „Weil ich mich entspannen kann“. Frage: „Warum ist Entspannen für sie wichtig ?“ Antwort: „Weil ich dabei innere Harmonie nde; sie hilft mir, über mein künftiges Leben nachzudenken“. Frage: „Warum ist für Sie Harmonie wichtig?“ – Keine Antwort, darauf daher die Frage: „Warum ist für sie Nachdenken wichtig ?“ Antwort: „Weil ich vor einer schwierigen beruflichen Entscheidung stehe, und ich mir nicht sicher bin, ob ich den auf mich zukommenden Anforderungen entsprechen kann“. Wenn 15 Attribute wie z. B. Ruhe auf 12 Bilder bezogen werden und dann derartige Ketten durch Fragen und Antworten hergestellt werden, ergeben sich Konstrukte. Dem Laddering-Ansatz entsprechend sind diese Ketten nach dem Muster „Attribut-Konsequenzen-Werte“ in einer Matrix verknüpft worden („Implikationsmatrix“). Es wird also davon ausgegangen, dass die an ein touristisches Produkt herangetragen Vorstellungen Bilder hervorbringen: – Bilder über psychische Verfasstheiten und über Werteverortungen in der Gesellschaft. Die exemplarische Kette mit „Ruhe“ liest sich danach wie folgt: Ich bin in die Lüneburger Heide gereist, die mir eine zeitlang Ruhe bringt (funktionale Konsequenz), bei der ich entspannt über eine schwierige Entscheidungssituation nachdenken kann (psychische Konsequenz), die angesichts der beruichen Anforderungen auf mich zukommt (Geltungsanspruch des gesellschaftlichen Wertes: Leistungsanpassung).
In dieser empirischen Studie sind neun derartige Ketten bzw. Vorstellungsbilder zu Tage gefördert worden. Spätestens auf der Ebene der psychischen Konsequenzen weichen sie völlig von den displays bzw. den zur Schau gestellten Bildern der Tourismusindustrie ab. Die in den induzierten Bildern präsenten Marker wie beispielsweise Ruhe werden zwar aufgesucht und gesucht. Diesen Bildern ist demzufolge ein Aktcharakter zuzuschreiben, realisieren Touristen doch das, was sie zeigen. Insofern bestätigen und authentizieren Touristen bzw. Urlauber den tourist gaze der Lüneburger Heide als „Quelle der Ruhe“. Doch mit der Ruhe wird noch mehr und Tieferes gesehen und bedeutet. Das Ruhebild führt auf ein Ereignis zurück, das aus einer in der sozialen Umwelt (Beruf) verankerten Empndung entsteht: die als schwierig wahrgenommene und mithin als unsicher empfundene Berufssituation. Das realisierte Ruhebild, also das Urlauben in der Lüneburger Heide, übernimmt
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eine Vermittlungsleistung zwischen dem gegenwärtig Wirklichen (jetzige Berufssituation) und dem zukünftig Möglichen (beruiche Anforderungen). Urlaubend Ruhe in der Lüneburger Heide zu nden, ist daher als ein Erfahrungsereignis anzusehen, das bei der Reexion über einen zentralen Lebenszusammenhang eine Empndlichkeit über das „eigenste Seinkönnen“ (Heidegger) bewirkt. Insofern benden sich diese Urlauber an einem Nullpunkt, der nicht im Ruhebild präsentiert ist, wohl aber für sie repräsentiert wird. Solche Transformationen konnten für sechs Segmente identiziert werden. An einem weiteren Beispiel soll diese Umwandlung nochmals verdeutlicht werden. Lag die symbolische Markierung eines Bildes bei „Hier können Sie etwas nur für sich allein tun“, so weckte dieses induzierte Image ein Bedenken darüber, dass man ja schon zu Hause im Alltag vieles, wenn nicht gar nahezu alles nur für sich allein tut. Dadurch stand die Familie bzw. Familienleben als Gemeinschaft im Blickfeld (Wert). Im Gegensatz zu dem „ofziellen“ Marker bzw. Bild „Etwas nur für sich allein tun“, doch aus ihm heraus erwuchs ein „Endlich zusammen mit der Familie vieles zu unternehmen“. Die Zeichenhandlung „Etwas für sich allein tun“ machte demnach emotional (Bedenken) auf eine soziale Situation außerhalb des Bildes aufmerksam und bekam somit einen Inhalt zugewiesen, der sich einem subjektiven Wahrnehmungszusammenhang verdankt. Die Vorstellung erneuter Ereignisse des Etwas-allein-für-sich-Tun im Urlaub lässt ihn als besorgniserregend erscheinen. Im Bildraum dieses Markers spannen sich vor dem Hintergrund dieses Gefühls Kontexte eines gemeinschaftlichen Familienlebens auf, das nun einen Urlaub in der Lüneburger Heide für diese Touristen ausmacht. Man kann auch sagen, dass sie darin den Sinn ihres Urlaubs sehen. Dass sich ein je spezischer Sinn des Urlaubens herausgeschält hat, der weitab von dem intendierten Sehen von Images liegt (den tourist gazes; hier in den Beispielen „Ruhe“ und „Etwas für sich allein tun“), ist ein Beleg der Bildwahrnehmung, als eine „Interpretation im Akt des Sehens“ (Schürmann 2005, S. 199). Zweifelsohne kann z. B. Ruhe ebenso wenig in Bildern gesehen werden wie Besorgnis. Beides wird aus Bildern herausgelesen, und dies bedeutet, dass es der Sprache bedarf, um sich seiner Urlaubssituation bewusst zu werden. Die oben erwähnten Reiseberichte veranschaulichen dies beispielhaft. Die in dieser Studie angewandte Laddering-Methode steht stellvertretend für eine Versprachlichung des Bildsehens. Welchen Sinn ein Bild für Urlauber besitzt, kann anderen nur sprachlich kommuniziert werden. Diese Sinnerschließung und damit Bildwahrnehmung ist nicht nur entsprechend des Ladderings ein sukzessiver sprachlicher Vorgang, sondern kann sich auf den Ansatz des Bildhandelns von Schürmann (2005) stützen (Austins Sprachakttheorie steht Pate; vgl. Austin 1975). In diesem sukzessiven Wahrnehmungsvorgang leiten touristische Marker lediglich zu einer initialen Kontextbildung wie z. B. Ruhe an. Ruhe greift dann vermittelt über Empndung (Unsicherheit) in die Wirklichkeit der Urlauber (Berufs-/Arbeitssituation)
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Möglichkeiten und Wirklichkeiten
mit der Folge ein, dass dieses derart entstandene innere Bild (Vorstellung) eine spezische Urlaubssituation konstituiert – eine Urlaubssituation, die die Alltagswelt des Zuhauses prolongiert und im gewissen Sinn auf die Spitze treibt. Dies trifft ebenfalls für das andere, oben beschriebene Segment zu. Der Tourismusraum Lüneburger Heide wird auf diese Weise zu einem Erkenntnisraum: Sich dort aufzuhalten bedeutet nicht nur, einen Einblick in den eigenen Alltag zu gewinnen, sondern zugleich ndet eine Konfrontation mit der gegenläugen Möglichkeit der eigenen Selbstdenition im Alltag statt. Die Urlauber benden sich demnach in einem Schwellenzustand bzw. Liminalität (vgl. Turner 2000, 95 ff.). Für die einen zieht er einen Rollenwechsel in der Urlaubszeit nach sich (gemeinschaftliches Familienleben) und somit läuft er eher auf eine zeitlich begrenzte Inszenierung mit dem Potenzial hinaus, auch so den Lebensalltag zu gestalten. Bei den anderen (Reexion der beruichen Anforderungen) tritt diese Differenz im Bewerten und Problematisieren einer alltäglichen Realität samt deren Normen und dem Ziehen von Rückschlüssen für sich selbst zu Tage. Reisen oder Urlauben hätte demzufolge eine kathartische Funktion. Der Fremd- bzw. Tourismusraum wäre der Raum der Liminalität, der die Erfahrung von solchen Differenzen ermöglicht. Dass in liminalen Räumen wie z. B. Tourismusräumen für unmöglich Gehaltenes möglich gemacht wird, mag ebenso außer Frage stehen wie die sie auslösenden transzendierenden Akte. Wie dargelegt, ist die Wahrnehmung der Heidebilder als Zeichen der Ruhe und des Etwas-für-sich-allein-Tun ebenfalls ein transzendierender Akt, bilden sie doch für Urlauber andere Kontexte ab. Diese Kontexte (Arbeits-/ Berufssituation und Familienleben) besitzen eine Prägnanz dergestalt, dass sie einen Vollzug von Handlungen darstellen. Ob diese bild-performative Äußerung glückt oder nicht glückt, ist, wenn man der Sprechakttheorie Austins (1975) folgt, ungewiss. Nach ihr äußert sich ein Bild gegenüber den Urlaubern illokutionär: Im Aufscheinen dieser Kontexte ersucht, warnt und fordert es zum Handeln auf. Ob eine Antwort auf diese Warnungen, Aufforderungen u. ä. gegeben wird, ob also performative Äußerungen wirksam werden, hängt nach dieser Studie von den psychologischen Konsequenzen der in Heidebildern erkannten und erfahrenen Realitäten und Ereignissen ab: Man fühlt sich unsicher, ist in Sorge und in einer schwierigen Situation. Diese Bendlichkeiten oder Emotionen sind gleichermaßen Katalysatoren und Analysatoren. Sie konstituieren die Einstellung gegenüber den erfahrenen und/oder künftigen Ereignissen. Ob der Geltungsanspruch der Anpassung an beruiche „Unabdingbarkeiten“ hinterfragt oder ob ein Weiter-so des familiären Zusammenseins in Abrede gestellt, d. h. ob Selbst- und Weltverständnisse vor dem Hintergrund des Möglichkeitsseins relativiert werden, entscheidet sich an den Bendlichkeiten. Wenn nicht als Ort der Umkehr, so doch zumindest des Innehaltens und der Reexion bleibt der touristische Aufenthalt in der Lüneburger Heide in Erinnerung.
Vorstellungen und Gefühle
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Mit diesen Qualitäten ist sie ein Raum für die Urlauber geworden; darin ist sie existent und existenziell. Bilder der Lüneburger Heide beziehen sich auf Objekte und sie verweisen auf außerhalb Liegendes wie beispielsweise Ruhe und Etwasfür-sich-allein-tun. Es ist die Wahrnehmung dieses außerhalb Liegenden, die im Kontext der Ereignisse und Erfahrungen des Alltags Entgegensätzliches wachruft bzw. in das Bewusstsein nach vorne rückt: Statt Ruhe und Entspannung Unsicherheit und Unruhe bei den einen und statt Etwas-für-sich-allein-Tun die Sorge um Gemeinsamkeit bei den anderen Urlaubern. Insofern kommt es zu einem Riss im eigenen Lebensvollzug und zur Ausbildung der zu beantwortenden Frage nach der Bedeutsamkeit des Daseins in der einen Welt. Innehalten und Reexion sind die Wegbereiter für die Gestaltung eines eigentlichen Selbst. Wenn Urlaubs- bzw. Tourismusräume im Gegensatz zu Alltagsräumen diese Potenzialität besitzen sollten, dann lassen sich nur schwerlich Argumente gegen das Reisen nden.
III
Einschreibungen
Konstruierte Raumbindungen Kulturangebote zwischen Authentizität und Inszenierung
Dass heutzutage alles und das ganze Leben Kultur ist, lässt sich schnell verizieren, wenn man Tageszeitungen aufschlägt oder den Fernseher anschaltet: Jede Tätigkeit, jeder Gegenstand wird mit der Nachsilbe „Kultur“ belegt. Eine „Vortragskultur“ mag eine bestimmte anschließende „Diskussionskultur“ auslösen, die wiederum die „Verbandskultur“ eines Tagungsveranstalters beeinusst. Wenn diese Feststellung, dass alles Leben als Kultur erscheint, mit einem höchst wissenschaftlichen Hinweis belegt wird, dann ist dies ein Ausdruck einer „Zitationskultur“ (zum hiermit gekennzeichneten Kulturalismus vgl. Kaschuba 1995, S. 12 ff.). Ohne in Ironie zu verfallen, so bleibt bei diesem weiten Kulturbegriff nur noch übrig, eine solche Kulturalisierung selbst der Analyse zuzuführen und zu fragen, was diese kulturelle Vereinnahmung beispielsweise für den konkreten Raum bedeutet, der doch gemeinhin Träger und Auslöser von Kultur, also von bestimmten sozialen Deutungsschemata und Objektivationen ist. Die Beantwortung dieser Frage ist von höchster touristischer Relevanz. Wenn beispielsweise eine „Bayerische Woche“ dann eine „Bayerische Woche“ ist, wenn an einem x-beliebigen Ort „typisch bayerische“ Objektivationen wie z. B. Weißwurst, Schuhplattlern und Trachtentanz sowie ein uriges Ambiente zusammen mit krachledernen „Stimmungskanonen“ präsentiert und nachgefragt werden, dann ist der konkrete Raum „Bayern“ touristisch obsolet. Auch „Ballermann 6“ geht auf Reisen; er kommt zu uns in die Gruga- und Westfalenhalle – „Ballermann 6“ wird wie die „Bayerische Woche“ fernab vom echten Ballermann für uns in Szene gesetzt. „Ballermann-Kultur“ und „Bayern-Kultur“ benötigen offensichtlich keinen „Stammraum“ mehr. Die modernen „Tempel der Freizeitkultur“ belegen überdies, dass jeder Raum „exportiert“ und an Fremdorten haargenau physisch wie kulturell nachgebildet werden kann. Der raumlose Tourismus ist kein Paradoxon – er ist, so die These, Wirklichkeit. Die Kulturalisierung leistet ihm Vorschub.
Kurzer kulturhistorischer Rückblick „Land und Leute kennen lernen“ führt nach wie vor die Hitliste der Reisemotive an. Man kann darin den Wunsch erkennen, in der Ferne – selbst wenn sie nah ist – Neues und Echtes zu erfahren. Abgekürzt, aber nicht verkürzt, bedeutet dies, dass der Tourismus von der Suche nach Authentizität lebt. Dieser „Suchtrieb“ hat sich K. Wöhler, Touristifizierung von Räumen, DOI 10.1007/ 978-3-531-92761-9_9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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III
Einschreibungen
pikanterweise in dem Augenblick beim westeuropäischen Menschen ausgebildet, als sich die Welt säkularisierte und rationalisierte. Auf der einen Seite galt ihm der (naturwissenschaftlich-technische) Fortschritt alles, andererseits löste das schnelle Verlassen hergebrachter Einsichten, Traditionen und Techniken Fragen nach dem „wahren Selbst“ unterhalb der ständig ießenden äußeren Erscheinungen aus (vgl. hierzu Leed 1993, S. 278 ff.). Diese ambivalente Situation brachte nahezu wie von selbst eine neue Kategorie der Moderne hervor: Das oder die Fremde und entsprechend dazu den Fremden. In die Fremde wurde und wird das hineinprojiziert, was man zu Hause nicht oder nicht mehr ndet: Das „Echte“ und schließlich das „echte Selbst“. Ohne hier mit großen Verweisen zu glänzen, sei in der Kürze anzumerken, dass die Suche nach dem Echten den Motor des Tourismus darstellt. Diese Suche bezeichnet stets eine Differenz, die das „Wahre“, das authentische Erleben oder die „wirkliche Identität“ hervorzubringen vorgibt. Einige Stichwörter mögen genügen, die aus dem Unterschied zwischen Hier und Dort sowie dem Früher und Heute entstehen: Sich-Hingeben, Freiheit, Einfachheit, Zeit-für-sich, Bedient-Werden, Angenommen-Werden, Akzeptiert-Werden, Handeln-ohne-Konsequenzen, Sozialität, Aktivität, Natur etc. Das Fremde – oder genauer: der fremde Raum – wird demzufolge zutiefst für persönliche Zwecke instrumentalisiert, und es ist, nebenbei gesagt, die Kunst der Tourismuswerbung, mit ihren Texten und Bildern genau diese Verankerung von Angebot und personaler Tiefenstruktur herzustellen (zu diesen Tiefenstrukturen vgl. Kie 1997). Dass der fremde Raum als Replik auf moderne und postmoderne Verhältnisse instrumentalisiert wurde, ist mindestens am Beispiel der „Grand Tour“ geläug. Die Fremde, und zur Fremde gehörte auch noch der Weg zu ihr hin, galt als Medium der Persönlichkeitsbildung der (meist jungen) Kavaliere (vgl. Brilli 1997), Die Bildungs-, Bade- und Erholungsreise sind später hinzugekommen. Heute zählen u. a. die Wellness- und Erlebnisreise ebenso dazu wie die Kulturreise. All diese Reisearten haben nichts von ihrem kulturhistorischen Stellenwert eingebüßt, der auf die gesellschaftliche Selbstbeobachtung (Was lässt sich aus der Fremde für uns zu Hause ableiten ?) und auf die psycho-soziale Selbstvergewisserung (Gibt es woanders Lebensmodelle für mich ?) abhebt. Der Kulturtourismus bzw. die einzelnen touristischen Kulturangebote dienen diesen beiden Funktionen in herausgehobener Position. Es lässt sich nun zeigen, dass in dem Maße, wie dem fremden Raum diese Funktionen angesonnen wurden, eine Raumveränderung stattfand. Der besuchte fremde Raum richtete sich auf die Touristen ein, indem Infrastrukturen und das Gesuchte bzw. Erwartete bereitgestellt wurden. Der Verlust des Anreiseerlebnisses, das selbst schon Optionen des Findens des „Echten“ oder „Wahren“ beinhaltete, ist kompensiert worden durch den schnellstens und bequem erreichbaren Ort, an dem nun diese Optionen garantiert bereitgehalten werden. Der reale, empirische Raum
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ist also touristisiert worden. Touristen nden nicht mehr Unerwartetes, präsentieren doch Räume das nach Bildern und Sehnsüchten Konstruierte (vgl. in diesem Zusammenhang A. Schmidt 1998). Fremde Räume haben auf diese Weise ihre Exklusivität verloren. Heute kann man zwischen x-beliebigen Orten wählen, wenn man „etwas für sich“ nden will. Wir haben es mit gezielten Raumkonstruktionen zu tun, die durch Ausschluss von sozialen Lebenswelten etwas für Touristen standardisiert vorhalten (vgl. hierzu allgemein MacCannell 1989). Kulturangebote werden als Hinterbühnen ausgelobt. Diese Angebote stellen indes speziell für den Touristen(-geschmack) hergestellte Gegenwelten dar, in denen Touristen und Einheimische Rollenspiele veranstalten bzw. inszenieren (vgl. Günther 1997).
Tourismusbedingte Raumkonstruktionen Wenn man also davon ausgehen muss, dass gezielte Raumkonstruktionen anstelle von empirisch gegebenen Räumlichkeiten das sind, was dem Touristen angeboten wird, dann verschiebt sich die tourismuswissenschaftliche Perspektive. Im Fokus ist dann nicht mehr die soziokulturelle Lokalität, sondern die Frage, wie und warum sich Prozesse der Touristisierung an einem Ort bzw. Raum festmachen. Die Antwort auf diese Frage hinsichtlich von Kulturangeboten lautet, dass zwar das materielle Substrat des Raumes nicht völlig ausgeklammert wird, wesentlich sind jedoch die ökonomischen und kulturellen Bedeutungsgehalte, die raumungebunden und global virulent den Raum kontextualisieren und attraktivieren. Die Wahrnehmung des Kulturellen ist das Resultat strategisch denierter Vorstellungen von etwas Authentischem. Das heißt, die Suche nach dem „Echten“ bzw. nach der Differenz zum Alltag im Sinne vom Anderen (in mir und/oder bei Fremden) ist nicht ergebnisoffen. Mittels inszenierter Beobachtungseffekte entsteht Kultur als touristisches Angebot. Ein Kulturangebot ist demzufolge nicht ein „ewiges Ding“ des Raumes, sondern es ist wandelbar und vor allem ist es – dies ist für den Tourismusmanager die gute Nachricht – machbar. Kulturangebote sind weder geographisch determiniert noch zeitlich xiert, sondern vielmehr das Ergebnis historischer Prozesse, bei denen bestimmte Akteure als Kultur(angebots)produzenten eine wesentliche Rolle spielen. Was auf die touristische Tagesordnung gesetzt und dem kulturbeissenen touristischen Blick überlassen wird, liegt nun nicht allein an der von Tourismuskritikern bescholtenen Tourismusindustrie. Neben und mit ihr sind es vor allem die politadministrativen Eliten, die sowohl die Art und Weise der Betrachtung der kulturellen Objektivationen wie Bauten, Plätze und Straßen vorgeben als auch bestimmen, wie diese Objektivationen auszusehen haben oder gar, was physisch und immateriell (Bräuche/Lebensweise) als Kultur zu erstellen ist.
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III
Einschreibungen
Die Produktion immaterieller Kulturangebote für den Touristen wird bekanntlich mit der Metapher „Folklore“ charakterisiert, die ihr materielles Substrat im Andenkenwesen gefunden hat. Folklore und Andenken sind längst nicht mehr raumgebunden. Flamencotänzer oder die „Original Tiroler“ sowie – wie bereits erwähnt – „Ballermann 6“ und der Rheinische Karneval nomadisieren durch touristische Zentren und urbane Arenen rund um den Globus. Kultur, also das vermeintliche echte Leben eines bestimmten Raumes, ist zu einem Exportgut geworden, das durch Andenken bzw. Merchandisingwaren verewigt wird. Nach dem Geschmack bzw. den Vorstellungsbildern der Zielgruppen werden Standardprodukte hergestellt und abgesetzt. Dass der „echte, belebte Alltagsraum“ auf Reisen geht, sich das Kulturkapital also vom Raum löst, ist indes keine Erscheinung der Gegenwart. Botanische Gärten und Zoos sind Errungenschaften der Moderne, die uns das Fremde als Fremdkultur ebenso nahe brachten wie ihre kulturellen Objektivationen in Museen, die sich heute via Kopien der Originale zu Themenparks mutiert haben und nun weltweit als „lokales Kulturerbe“ zugänglich sind (vgl. Teo/Yeoh 1997). Ein „lebendes Museum“ und ein Vorläufer von Kultur-Themenparks ist Carl Hagenbecks Tierpark um die Jahrhundertwende gewesen (vgl. Thode-Arora 1997). In so genannten „Völkerschauen“ ist die Ferne mit Menschen, Sitten, Gebräuchen, Fauna und Flora, Arbeitsgeräten, Bauten etc. herbeigeholt worden; ein Modell, das sich nicht gänzlich durchsetzen ließ, das allerdings z. B. in der Schau der Nationen bei Expos seinen modernen Nachfolger gefunden hat. Man muss aber nicht auf Expos warten oder die „wertvollsten Tage im Jahr“ (Urlaub) opfern, um andernorts disneyzierte, mit rafnierten technologischen und organisatorischen Infrastrukturen versehene Völker- und Kulturspektakel raumversetzt „live“ zu erleben (etwa Themenparks, Disneyland). Schon sind beispielsweise Vermögensverwaltungen am Werk, wohnortnah in Zentren italienische Marktplätze mit Einkaufsstraßen, Theatern und Restaurants nachzubilden (laut FAZ vom 07.01.2000). Ein derartiges „Casa Italiana“ in Hamburg oder Berlin präsentiert in der Heimwelt eine Gegen- und Parallelwelt und vermittelt so im Alltag, dass es etwas gibt, das anders und/oder besser ist. Diese eschatologischen Räume, in denen ferne Kulturen implantiert sind, kalmieren nicht erst heute die Massen, sondern sie sind seit der Industrialisierung fester Bestandteil der „weichen Sozialpolitik“, durch die der Alltag erträglicher gestaltet wurde (so etwa durch den Vergnügungsstand „Venedig in Wien“, 1895; vgl. Maderthaner/Musner 1999, S. 129 ff.). Weil die weitläuge Semantik von Kultur auf Vergangenheit verweist, unterliegen Kulturangebote einem Historisierungsdruck. Dieser Druck hat ebenfalls einen materiellen und immateriellen bzw. intangiblen Aspekt. Beide Aspekte zeigen erneut, wie der reale Raum touristisch bedeutungslos wird und nur das räumliche Konstrukt realitätswirksam ist, d. h. als touristische Attraktion erscheint. Griechenlands Orte sind, so haben es einheimische Tourismusmacher festgestellt, nur
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marktfähig, wenn sie dem fremden Vorstellungsbild – weiße Häuser, keine Fensterläden und Fernsehantennen, kleine Handwerksbetriebe, Gassen nur für Fußgänger etc. – entsprechen. Diese Vorstellungsbilder nden sich nun in Bauvorschriften wieder, und dies bedeutet, dass trotz des Wunsches der Einheimischen, ihre eigene Lebenswelt selbst und modern zu gestalten, griechische Orte baulich zu lebendigen Kulturdenkmälern verwandelt werden (vgl. Williams/Papamichael 1995). Selbstverständlich werden diese Konstruktionen als „griechische Kultur“ verkauft. Doch man muss nicht in die Ferne schweifen, wenn etwa mit Rothenburg ob der Tauber (vgl. Kamp 1996) oder Dinkelsbühl (vgl. Erhard 1998) Ähnliches vor der Tür liegt: Mit Blick auf den authentizitätssuchenden Touristen hat die lokale Tourismuslobby bauliche („mittelalterliche“) romantische Traditionsreservate geschaffen, die nicht nur einen auch denkmalschutzgewollten „Baufolklorismus“ darstellen, sondern wie ein Modernitätsverbot für die gegenwärtigen Raumbewohner wirken. Was für Orte bzw. Städte gilt, muss natürlich auch auf ganze Regionen übertragen werden, die vollends unter „Kulturdenkmalschutz“ gestellt werden. Der Naturschutz dient dabei als Vorlage – „wie früher die Natur wirken lassen“ –, und es ist nur ein kleiner Schritt, wenn unter Bezugnahme auf ihn z. B. traditionelle Gewerke- und Gewerbeformen als typisch für Kulturlandschaften reaktiviert und den Besuchern aus nah und fern als regionale Kultur angepriesen werden (vgl. etwa die Rhön, das Eichsfeld und das Altmühltal; für Zypern vgl. Beck/Welz 1997). Es soll nicht bezweifelt werden, dass diese strategischen Raumkonstruktionen vor allem für periphere Räume eine wichtige Entwicklungschance darstellen. Dies ist hier nicht der Punkt. Da jeder Raum historisch aufgeladen werden kann, es aber nicht nur eine Geschichte bzw. historische Sinndeutung selbst bei als eindeutig angesehenen Denkmälern gibt, sondern viele Geschichten und Deutungen existieren (vgl. Tacke 1997), wird der konkrete Raum entweder zur beliebigen kulturalisierten Manövriermasse, oder er wird gar nicht mehr als Träger von kulturellen Entäußerungen benötigt. Ganz offensichtlich haben dies die Themenparkmanager erkannt und verpanzen den kulturellen Überbau gleich seriell irgendwohin, wo wenigstens genügend Parkplätze und Sicherheit sowie billige Arbeitskräfte vorhanden sind. Entscheidend ist nicht mehr der morphologische Raum, sondern es sind die Bedeutungsbündel, die ihm angeheftet werden. So ist es auch gar nicht verwunderlich, wenn nicht nur das Ruhrgebiet baulich so recycelt wird, dass man ihm eine freie ottierende „Industriekultur“ anhängen kann (vgl. Ganser/Taube 1998). Das Prekäre ist nur, dass es auf diese kulturellen Deutungen keinen Patentschutz gibt, so dass beliebige Räume mit „Industriekultur“ aufwarten können (etwa in Wales und Spanien; vgl. Edwards/Llurdés i Coit 1996). Reale, empirische Räume sind dagegen morphologisch stabil – relativ stabil, wie etwa das Verschwinden des Aralsees oder auch das langsame Raumsterben Sylts zeigen. Wie sie allerdings wahrgenommen werden, obliegt einem gezielten, wandelbaren Wahrnehmungsmanagement, das den Raum für kommerzielle Zwecke imaginiert, so dass sich
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III Einschreibungen
z. B. plötzlich ein Harztal mit dem Schild „Klein-Tirol“ öffnet. „Klein-Tirol“ als Vorläufer von „Planet Harz“ (zu postmodernen Raumimages vgl. Gregory 1994) ? Diese Ent-Territorialisierung ist Ausdruck eines unerbittlichen Wettbewerbsdrucks, der sich im Ausloben und/oder Ernden neuer Zusatznutzen entlädt, von denen man sich eine konkurrenzresistente Einmaligkeit erhofft (nämlich den schnell hergesagten USP = unique selling proposition). In Wirklichkeit führt diese Raumimage-Politik, die den Realraum verleugnet, indem sie ihn beispielsweise historisch oder mit fremden, attraktiven Sozialraum-Bildern (siehe „Klein-Tirol“) imaginiert, geradewegs in eine noch härtere Konkurrenz: Eine touristische Selbstetikettierung anhand von Zusatznutzen homogenisiert die Räume, greifen doch die Zusatznutzen auf Vorstellungen und Deutungen zurück, die, wenn auch zielgruppenspezisch, massenhaft geteilt und daher von jeder Destination angepriesen werden müssen. Die Konsequenz dieser Raumverleugnung via Zusatznutzendenition ist die Produktion von nicht-territorial xierten Räumen, die nun medial als Landschaftsbilder zirkulieren und bei potenziellen Touristen (= Raumnachfrager) Raumerwartungen und Vollzugserwartungen auslösen (vgl. in diesem Zusammenhang Appadurai 1996). Dass ein dem physischen Raum angeheftetes lokales, regionales oder nationales Symbol bzw. Etikett keineswegs ein vom jeweiligen Zeitgeist weitgehend entbundenes Bild des Raumes darstellt, lässt sich an vielen Beispielen zeigen. Als ob eine historische Wiedergutmachung angesagt sei, schießen immer noch so genannte „Themenstraßen“ aus dem Boden – genauer: aus dem Raum. Oftmals sind die Bewohner selbst überrascht, wenn ihnen mitgeteilt wird, dass z. B. ein berühmter „Dichterfürst“ oder ein „wertvolles Gewerk“ in ihrem Ort gewesen ist. Die auf den Raum gerichtete soziale Praxis ist in erster Linie durch gegenwärtige soziale Beziehungen geprägt, die nun gar nichts mehr mit Goethe und Schiller oder mit der Kunst des Fachwerkbaus zu tun bzw. im Sinn haben. Mit einem Schlag werden sie nun kulturhistorisch geadelt und steigen in den Rang eines Ortes „an der“ auf. In der Regel nehmen Orte diesen „touristischen Ritterschlag“ gerne an (Fördermittel wirken), und sie stellen sich sukzessive auf diese neue Identität ein, indem z. B. Geschichten ge- und erfunden, Bauten und Plätze angemessen hergerichtet und Andenken vorgehalten werden. Wenn es gut läuft, pilgern Touristen zu diesen Orten, um sich in touristischer Andacht der glorreichen, einfachen oder „echten“ Identität zu vergewissern. Für die (Tourismus-)Statistik hat eine Kulturreise stattgefunden. Dieses Beispiel belegt, dass Räume einer ständigen Umdeutung ausgesetzt sind. Diese Latenz und Ambivalenz führt zur Verüchtigung des Raumes ähnlich wie bei höchst modern-abstrakten Gemälden, bei denen das „Buch zum Bild“ essenzieller ist als das Gemälde selbst. Dass Umdeutungen nicht reibungslos vonstatten gehen bzw. dass Gruppen bestimmte Deutungsmacht beanspruchen, mag anhand der alternativen „Stattreisen“ anstatt „Stadtreisen“ ablesbar sein. Jedem
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Raum kann diese oder jene Bedeutung angesonnen werden, so dass man als Tourist schon darauf xiert ist, auch noch das „andere“ Amsterdam, Hamburg, Barcelona oder Mallorca zu erfahren. Nicht selten wird das räumlich Andere im kulturellen Alltagsleben bestimmter Bewohner gesehen. Um beispielsweise Amsterdam von der touristischen Klonierung zu befreien, die als postmoderner Ausdruck des Städtetourismus anzusehen ist, wird vorgeschlagen, die „organisierte Diversität“ abseits von den „touristischen Ameisenstraßen“ (Keul/Kühberger 1996) zum unverwechselbaren Kulturangebot zu erheben (vgl. Dahles 1998). Diese Ethnisierung des Städtetourismus – es ist klar, was da der touristischen Betrachtung zugeführt werden soll – mag abgelehnt werden, doch schon lange zuvor sind z. B. Kreuzberg oder China Town zu touristischen Ikonen stilisiert worden, die das „wahre“/„ganze“ Gesicht einer Stadt repräsentieren. Und es ist bekannt, dass mit der Anzahl der anfahrenden Reisebusse eine Stadtlandschaft kultiviert wird, die haargenau das vermittelt, was zuvor sozial konstruiert wurde. Als „kulturelle Highlights“ hat dieses moderne Menschen(be)schauen einen festen Platz bei Kultur- und Städtereisen. All dies soll nicht kritisiert werden. Hinzuweisen ist lediglich darauf, dass Räume heute prinzipiell inhaltsunabhängig und daher offen für semantische Einschreibversuche sind. Wie soll sich z. B. Berlin kulturhistorisch deuten ? Soll ein Stadtschloss gebaut werden, um sich von der DDR-Zeit zu exkulpieren ? Nostalgiesierung als kulturelle Reparaturzahlung ? Dürfen bestimmte Gruppen auf den Spuren eines „anderen“, nationalsozialistischen Berlins wandern, das im Internet als Stattreise ausgelobt wird ? Nun, diese und verwandte Fragen stellen sich nicht nur bei uns. König Artus ist sicherlich eine nationale Größe Großbritanniens. Im Dorf und Schloss Tintagel (Cornwall), wo er angeblich gelebt und gewohnt hat, steht man vor dem Problem, diesen hergerichteten Raum so zu belassen, wie er legendengemäß gestaltet und gedeutet wurde oder ob er nach dem Stand der Forschung neu gedeutet wird (vgl. Robb 1998). Und nach dem Brückenbrand in Luzern entbrannte beim Wiederaufbau der weltberühmten Brücke nach dem vorherigen Vorbild die Diskussion darüber, ob denn diese kulturelle historische Objektivation nicht etwas sei, das im Grunde nicht zu der Epoche passe, die gemeinhin als Bezugspunkt gilt. Es scheint mittlerweile festzustehen, dass diese „authentische Brücke“ ein Reex auf den romantischen Alpentourismus ist, der nicht nur die Bergwelt, sondern auch die Alpengemeinden umdeutete und Realitäten schuf, die sich nicht im damals gelebten Raum verorten lassen (vgl. Moos 1994; Stremlow 1998). Es stellte sich heraus bzw. man kann es so deuten, dass Luzern wie ein disneyzierter Freizeitpark konstruiert wurde, der „authentisch“ das Mittelalter darstellt. Disneyland steht für serielle Standardprodukte, die überall hergestellt werden können und nur einen einzigen empirischen Raumbezug haben: Verkehrswege. Und genau daraufhin ist Luzern räumlich ausgelegt.
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III Einschreibungen
Garantierte Erlebnisse Wenn schon der konkrete Raum zumindest für den Touristen abhanden gekommen ist, und das nur rudimentär vorhandene bzw. ausgeprägte Raumwissen des postmodernen Menschen ist das mentale Gegenstück dazu, dann hat doch der physisch wahrgenommene Raum „irgendwo“ einen Hinweis- und unmittelbaren Erfahrungswert: In ihm kann man etwas erleben. Im November 1998 lobt sich beispielsweise Hamburg als „Event-City“ aus, wo sich der Stadttourist freuen kann „auf die weltbesten Musicals, den Hafen mit atemberaubenden Ozeanriesen, unzähligen Shopping-Passagen, aufregendes Nightlife und erholsame Spaziergänge über Tausende von Brücken und durch herrliche Parks“ (Pressemitteilung der Tourismuszentrale Hamburg im November 1998). Hier sind alle wesentlichen Kultur raumzutaten aufgezählt. Der materielle Raum dient als Kulisse für Erlebnisse. Dieser Text, der Mythen schafft („tausend Brücken“ ?), sagt uns aber noch eines: Dass das intangible Gut „Kultur“ tangibilisiert, erfahrbar und greifbar gemacht wird anhand von „Materialien“ und garantierten Erlebnissen. Städte halten nicht mehr Räume vor, sondern ästhetisierte Szenarien: Einkaufen, Spazierengehen und Musicals, die vor bestimmten Stadtlandschaften im Sinne von Stimmungsbildern erlebt werden können. Jeder weiß, dass dies ebenso für York (Meethan 1996) und Frankfurt am Main (Noller 1994) oder für das Ruhrgebiet (Ganser/Taube 1998) zutrifft. Eventisierung ist ein globales Phänomen und Ausdruck der westlichen Erlebnisgesellschaften. Räume sind und werden weiterhin auf Dauer festivalisiert, das Festivalisierte wird als „Kultur“ ausgegeben und ist Gegenstand visueller Konsumptionspraktiken, die wiederum als Positionsgut den sozialen Status des postmodernen Menschen prägen (genauer des Menschen der Mittelschicht; vgl. hierzu Zukin 1991, S. 253 ff.). Besonders Innenstädte werden zum konsumtiven Erlebnisraum umstrukturiert bzw. gentriziert, eine ganze Region wird zur „Erlebnisregion“ und Reiseveranstalter verkaufen „Städte erleben. Musical, Theater, Oper, Shopping, Sightseeing in über 50 Städten“ (TUI Katalog April-Oktober ’98). Selbst dort, wo man es nicht vermutet, bei Studienreisen, bekommen Kunden „Feste“ serviert. Als „Kulturstandorte“ erscheinen fortan nur noch Räume, in denen sich etwas ereignet. Ereignisse bzw. Events können verschiedene Bezüge haben. Neben den oben genannten Szenarien lassen sich Essen, Kochen, Basteln, Weintrinken, Radfahren, Skifahren, Sonnen, mit Einheimischen reden und auch nur das bloße Beobachten zu Ereignissen umwandeln. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, es muss sich nur etwas tun, es muss dem Touristen (und den Einheimischen) wenigstens die Gelegenheit gegeben werden, bei einer Ereignisproduktion zugegen zu sein. Historische Gebäude – na und, die stehen überall herum ! Aber eine historische Ereignisproduktion, wenn man etwa „Auf den Spuren der Ritter und Fürsten“ wandelt (DZT-Prospekt 1998), ja – das ist etwas, was man möchte. Amerika kennt dies schon lange (vgl. Janiskee 1996), und nun kann sich ganz Europa
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vor diesem „McTourism“ nicht mehr verschließen (vgl. Ritzer 1998). Doch auch dieses soll nicht an den Pranger gestellt werden. Es geht hier vielmehr darum, die Konsequenzen für den Raum aufzuzeigen, der angeblich die Basis für jede Art des Tourismus darstellt. Mit der Eventisierung als postmoderner Form der Kulturalisierung hat der empirische Raum vollends abgedankt – und dies geschieht, weil der postmoderne Mensch auf der Suche nach „Echtem“ und „Neuem“ ist. Im Event glaubt er dieses zu nden. Um dieses darzustellen, muss man nicht die allseitig bekannten Entertainment-Center, Freizeitparks, Shopping-Malls u. a. m. anführen (vgl. hierzu Hatzfeld 1997, S. 290 ff.). Hier ein Beispiel aus einer Pressemitteilung eines Fremdenverkehrsverbandes: „Brauhaus, Hotel und mehr“ „‚Die Wiesen-Mühle‘ – ein Stück Fuldaer Geschichte‘ steht auf dem Hausprospekt eines der traditionsreichsten und originellsten Gasthäuser der Domstadt. Dabei ist die gastronomische Nutzung noch vergleichsweise jungen Datums. Erst seit 1990 wird hier eigenes Bier gebraut und zu einer deftigen Küche im urgemütlichen Gastraum ausgeschenkt (im Sommer auch im Freien). Doch wer sich in der Lokalität umsieht, entdeckt romantische Säulen, die noch auf die Erbauungszeit der Mühle hindeuten. Der Gebäudekern reicht bis in das frühe 13. Jahrhundert zurück, erstmals erwähnt wurde die „Wismule“ 1337. Seit dem Mittelalter klapperte hier das Mühlrad, ehe es zu Beginn unseres Jahrhunderts verstummte. Auch an diese Tradition wurde beim Umbau der Gesamtanlage zu einem Hotel und Brauhaus gedacht. Das runderneuerte Mühlrad dreht sich wieder und liefert dem Haus umweltfreundlichen Strom. Mit 6,50 Meter Breite bei einem Durchmesser von knapp sieben Metern gilt es als eines der größten Europas. Bei soviel Liebe zum Detail überrascht es nicht, das Gesamthaus im Besitz der Familie Schade-Hohmann vorbildlich geführt zu nden. Erst kürzlich kam bei der hessischen Hotelklassizierung zum zweiten ein dritter Stern. Alle Zimmer sind gemütlich mit modernstem Komfort (TV, Telefon) eingerichtet. Zum Frühstück wird ein reichhaltiges Büfett aufgefahren. Auch abends erfreut sich bei den Biertrinkern ein Büfett mit warmen Fleischspeisen aus eigener Schlachtung großer Beliebtheit. Natürlich kann man auch á la carte essen. Nach Voranmeldung erläutert der Braumeister die Herstellung der verschiedenen naturtrüben Biersorten bei „Bierseminaren“ mit Verkostung und „Diplom“. Besonders gut schmeckt übrigens der Gerstensaft bei den einmal im Monat durchgeführten Bieranstichen. Die Sortenwahl richtet sich jeweils nach jahreszeitlichen Anlässen. So gibt es unter anderem Fastnachtsbier, Maibock, Erntedankbier (aus Roggen) und Weihnachtsbock. Wer die kulinarische Rundumversorgung der Wiesen-Mühle mit einem intensiven Kennenlernen der Barockstadt Fulda verbinden möchte, für den
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III Einschreibungen schnürt man in dem stadtnahen, dennoch ruhig liegenden Haus günstige WochenendArrangements.“
Nicht dass es zu früheren Zeiten keine Räume gegeben hätte, in denen Konsum und marktliche Handlungen mit Erlebnissen verbunden gewesen wären. Ein Blick in die Bibel und in die Zeit ihres Übersetzers Luther beweist, dass Stadtleben oder Gasthäuser Erlebnisräume gewesen sind. Was das obige Beispiel belegt, ist nicht nur, dass die Eventisierung bis zu den Leistungsträgern durchschlägt (wer nennt sich noch nicht Erlebnishotel und Erlebnisgastronomie ?), sondern es dokumentiert vielmehr auch, dass zwischen wirklichen oder „echten“ und unwirklichen Erlebnissen, zwischen Realität und Wirklichkeitssimulation nicht mehr unterschieden werden kann. Da ist ein mittelalterliches Hotel bzw. Gasthaus mit Mühlrad entstanden, das gar noch Energie umweltfreundlich abgibt – so wie es „früher“ war, nur dass dies perfekt inszeniert ist, wie in Disneyland. Und schließlich wird gegen Bezahlung garantiert, dass mit anderen zusammen etwas geschieht (Brauen, Bierseminar, Bieranstich). Im Vergleich zu herkömmlichen Unterkünften oder Gaststätten, in denen man quasi „kaltgestellt“ wird, werden hier Erlebnisse durch künstliche Erzeugung garantiert. Eine kundenorientierte Gastrokultur ist entstanden, die als ein Stück heimischer, womöglich noch „nachhaltiger“ Kultur vermarktet wird. Erlebnisgarantie ist das Codewort des gegenwärtigen Tourismus. Es gibt keinen Prospekt, in dem dieses zumindest nicht ausgeschlossen wird. Der konkrete Raum kann keine Garantie geben – weder in Bezug auf Sonne, Schnee, Sicherheit, nette Mitmenschen etc. Im Gegenteil, der empirische Raum ist der Unsicherheitsfaktor per se. Eine Erlebniswelt künstlich aufzubauen durch (ständig neue) Events ist schlichtweg der Ausweg. Diese Erlebnisgarantie kommt schließlich dem postmodernen Menschen entgegen, der auf der Suche nach der Erfahrung des „Wahren“ oder „Echten“ garantiert einen Raum zur Verfügung gestellt bekommt, in dem er neugierig Optionen wahrnehmen kann, die ihn vielleicht persönlich weiterbringen. All-inclusive-Räume stellen ebenfalls diese paradiesischen Optionsräume dar, die gar den Touristen davon abhalten, nur einen einzigen Schritt aus diesem Paradies zu tun. Draußen könnte ja der wirkliche Raum mit seinen Unabwägbarkeiten warten … ! Es liegt auf der Hand, dass Erlebniswelten – im Kleinen wie in Hotels oder im Großen wie in Städten und Regionen – nun nichts mehr mit den konkreten räumlichen Bedingungen zu tun haben. Der empirische Raum bildet nicht mehr den Pullfaktor ab, er dient allenfalls als Kulisse wie die Lüneburger Heide für den Center Parc. Attraktiv sind die so benannten Erlebniswelten, die ohne einen konkreten Raumbezug produziert und weltweit exportiert werden (können). Fragt man Schüler, so berichten es Lehrer, was sie denn wo am liebsten in den Ferien getan haben, dann nennen sie nur das Erlebnis; den Ort konnten sie nicht angeben. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass Hamburg nur noch mit der Chiffre „Passagen“
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oder „Cats“, das Ruhrgebiet mit künstlichen Erlebniswelten (siehe „CentrO“) oder die Alpen mit „Skikarussel“ oder mit „Fahrradparadies“ belegt werden, und dies bedeutet, dass Räume nur noch nach diesen Konstruktionen identiziert, eingeordnet und handlungswirksam werden. Es ist nicht nur so, dass dadurch Räume autonom handhabbar werden, sondern indem sie derart beim postmodernen Menschen „ankommen“ bzw. nachgefragt werden, entsteht und verfestigt sich ein neues kulturelles Kapital, das den Raum disneygemäß modelliert. Disney zierte bzw. standardisierte und damit ökonomisierte Räume sind Garanten für Erlebnisse. Als exportierbare bzw. -fähige Konstruktwelten vagabundieren sie über den Globus (vgl. hierzu Zukin 1991, S. 263 ff.).
Kultur als Zusatznutzen Der gegebene Sozial- und Naturraum ist bislang als das öffentlich zugängliche Kapital des Tourismus angesehen worden. Dieser Raum ist bzw. war der Faktor, mit dem sich Tourismusanbieter jedweder Couleur anpreisen/anpriesen. „Sightseeing“ und „Natureseeing“ ist bzw. war der Modus, durch den Kultur und Natur den Touristen nahe gebracht wurden. Dieses öffentliche Gut des Tourismus (vgl. hierzu Wöhler/Saretzki 1999, S. 1 ff.) ist nicht zuletzt durch die Kulturalisierung des Raumes privatisiert worden. Die oben beispielhaft aufgezeigten Prozesse der Enträumlichung des Tourismus, die vornehmlich auf der Kulturalisierung der Gesellschaft beruhen, ökonomisier(t)en, rationalisier(t)en und professionalisier(t)en den touristischen bzw. freizeitlichen Raumkonsum (vgl. auch Hatzfeld 1997, S. 298 ff.). Als von der empirischen Sozialpraxis entleerter Raum ist er nun berechenbar, und damit kann garantiert werden, dass touristische Versprechungen wie z. B. „mittelalterliche Stadt“, „Handwerkskultur“ oder „Erlebnis“ eingelöst werden. Professionelle Inszenierung und Konstruktion von Raumwelten sind die Grundpfeiler für Berechenbarkeit und Garantie. Dieses touristische Raummanagement unterscheidet sich nicht mehr von einem Management ganz alltäglicher Konsumgüter (und entsprechend dazu wird von den Raummanagern Marketing-, Prozessoptimierungs- und Controllingwissen etc. und infolgedessen kein Raumwissen verlangt). Raummanager inszenieren Raum-Kultur, und es steht in Aussicht, dass diese EntTerritorialisierung ihr vorläuges Ende in virtuellen Computerwelten ndet, in denen auf dem Bildschirm simulierte Raumwelten zum Urlauben einladen (was tatsächlich schon möglich ist, wenngleich der virtuelle Gang z. B. durch ein Museum oder eine Urlaubslandschaft auf den Absatz von Räumen abzielt). Realiter bewirkt der Prozess der postmodernen Raumentleerung eine Globalisierung auch von kulturtouristischen Angeboten. Dass das soziale Leben räumlich und zeitlich „entbettet“ wurde und wird, hat Giddens (1995) bereits dargestellt. Der Tourismus ist, wie dargelegt, nach und nach räumlich entbettet worden. Das
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III Einschreibungen
kulturelle Kapital ist im Rahmen dieses Prozesses dem konkreten Raum verlustig gegangen. Kulturelle Objektivationen (aber selbst auch die Landschaft) sind nicht mehr raumgebunden. Sie sind zu raumungebundenen, ottierenden Gütern geworden, die zu jeder Zeit und in jedem Raum erstellt und nachgefragt werden können. Am Beispiel des Tourismus lässt sich demzufolge eine „Kompression von Raum und Zeit“ darstellen (vgl. hierzu Harvey 1990b, S. 284 f.). Touristische Kulturangebote verlieren dadurch ihre Echtheit, gewinnen aber dafür ungeahnte Kopiermöglichkeiten. Städte- und Kulturtourismus geraten vor diesem Hintergrund in den globalen Wettbewerb. Weil wir einen Tourismus ohne Raum haben, kann er den Raum nicht mehr als Wettbewerbsfaktor einsetzen. Was der Tourismus allerdings könnte – und darin mag eine Chance erblickt werden – ist, dass er auf der Basis seines Wissens um die Produktion von raumungebundenen Kulturangeboten weltweit Märkte erschließt, indem beispielsweise ein Lüneburger HeideTourismusort irgendwo auf der Welt „Lüneburger Heide“ mit all ihren kulturellen Objektivationen anbietet. Dies ist die Disneyzierung, die u. a. hierzulande mit dem Center Parc ironischerweise in der Lüneburger Heide Einzug gehalten hat. Die nachfolgende Abbildung mag diese Zusammenhänge verdeutlichen. Abbildung
Entwicklung kultur-touristischer Angebotsfelder
Die Felder 1 und 3 stützen ihre Kulturangebote auf Objektivationen wie beispielsweise Bauten und Bräuche, die an den Raum gebunden sind. Rothenburg oder das Grünkohlessen werden als kulturelle Lokalwelten national und/oder für Incomingtouristen international vermarktet. Die Raumbindung des kulturellen Kapitals
Konstruierte Raumbindungen
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schließt allerdings nicht aus, dass es in Gestalt eines Kulturangebotes inszeniert, umgedeutet und mit bestimmten Zusatznutzenelementen angereichert wird (siehe z. B. Ruhrgebiet oder Luzern). Die Felder 2 und 4 gestalten ihre Kulturangebote mit Hilfe von importiertem Kulturkapital. Empirisch kann das Feld 2 z. B. mit botanischen Gärten, Museen oder mit einer Ethno-Gastronomie besetzt sein. Was aus der Vielfalt des fremden Kulturkapitals ausgewählt wird, hängt zum einen von dessen Verfügbarkeit und andererseits vor allem von der Marktakzeptanz im Quellland der Touristen ab. So dürfte beispielsweise derzeit eine „Irakische Woche“ nur eine beschränkte Marktfähigkeit in den westlichen Ländern besitzen, während etwa eine Ausstellung der Nubier in Deutschland einen ebenso großen Anklang nden dürfte wie ein in Chicago errichtetes „Lüneburger-Heide-Land“. Das Feld 4 bezeichnet die Globalisierung des Kulturkapitals. Zwar sind die Ideen und Unternehmen des Kulturkapitals national verankert, doch sie eignen sich aufgrund ihres Erlebnischarakters für den Globus. In dem Maße, wie die Ent-Territorialisierung fortschreitet, Räume also nicht mehr mit ihrem gegebenen Kulturkapital und stattdessen mit Infrastruktur und Zusatznutzen reüssieren wollen – was ein typischer Zug des Tourismus ist – geraten sie in einen internationalen Wettbewerb. Die Wettbewerbsfähigkeit von Tourismusräumen hängt nun vor allem von nanziellen Ressourcen und nicht mehr von dem Spezi kum „Land und Leute“ ab. Selbst „Sonnenziele“ werden in diesen Wettbewerbsstrudel hineingezogen. Angesichts einer derartigen Standortkonkurrenz kann es zu einer Re-Territorialisierung des (Kultur-)Tourismus kommen, d. h., die raumgebundenen kulturellen Ressourcen werden bewusst in Kulturangebote integriert. Ob diese Angebote national wie international wettbewerbsfähig sind, d. h. sich ganz vom Zeitgeist der Eventisierung befreien können, steht auf einem anderen Blatt und bedarf einer weiteren Analyse.
Touristische Kulturalisierung von Räumen
Jegliche Art von Tourismus hat immer mit etwas zu tun, das aus der Welt des Alltags ausgegrenzt ist. Davon betroffen sind Orte und Räume, Gebäude und Gewässer, Menschen und Tiere, Bäume und Panzen, Wind und Wetter sowie auch Praktiken und Weltdeutungen. Wo auch immer Touristen sind bzw. hingeführt werden, so erscheint das jeweils „Dortige“ als Besonderes, das sich ausgrenzt, aus dem Rahmen des Eigenen fällt und auf diese Weise eine Welt des Alltags schafft, die vor bzw. außerhalb des Dortige verbleibt. Das Paradoxe an dieser Konstitution des Tourismus ist, dass die eigene Welt des Alltags für andere das Dortige wird. Man trifft im Heimatort Touristen, die ihn als Besonderes oder anders als ihr Zuhause wahrnehmen. Was als touristisches Ziel und damit als Manifestation des Besonderen bzw. Anderen gilt, ist demnach uneindeutig und atopisch: Durch Reisen wird alles auf der Erde (und neuerdings auch im Weltall) touristi ziert, d. h. also, erst durch Reisen bzw. den Tourismus wird etwas in Orten und Räumen zum Anderen gemacht. Wenn dieses Andere im Modus des Tourismus existiert, dann ist es auch für den Touristen existent. Es dient ihm als Referenz, für sich Anderes als Möglichkeit wahrzunehmen oder gar zu realisieren. Der Tourismus ist schlichtweg eine räumliche Strategie der Andersheit. Gegen diese relativistische Sicht, dass alles irgendwo touristi ziert, also zum Besonderen oder Anderen gemacht werden kann, steht der Hinweis, dass das „Kulturelle“ nicht dieser Beliebigkeit unterliegt. Hier erscheint das „Besondere“ oder „Andere“, beispielsweise eine mittelalterliche Burganlage in Südtirol oder ein Dorffest in Bali, als einmalige Kulturmanifestation, dem nicht beliebige, sondern feste Bedeutungen und Standorte anhaften. Wie diese Kulturerscheinungen zu lesen sind (vgl. Kultur als Text: Geertz 1991) und in welchen Bezügen sie stehen, gilt als feststehend. Das Kulturelle erschließe sich demzufolge aus seiner Singularität; es ist authentisch. Der Kulturtourismus versteht sich folgerichtig als eine Reiseart, die das Identische oder gar Einzigartige eines Ortes oder Raumes fokussiert (vgl. Dreyer 1996). Dass der Kulturtourismus erst den Gegenstand der Reise, also Kulturelles, herstellt, gilt als ausgeschlossen: Kultur sei fest gefügt existent und werde in dieser Eindeutigkeit dem Touristen zugeführt („Sight-Seeing“ und „Life-Seeing“).
Vergegenwärtigung von Kultur Wenn hier von einem Kulturtourismus gesprochen wird, dann in dem Sinne, dass das touristische System Angebote, Programme und Infrastrukturen bereitstellt, K. Wöhler, Touristifizierung von Räumen, DOI 10.1007/ 978-3-531-92761-9_10, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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III Einschreibungen
mittels derer Kultur dem Touristen nahe gebracht und erfahrbar gemacht wird. Folglich wird Kultur touristisch vermittelt. Selbst die am Ort oder Raum dieser Bereitstellung lebenden Menschen nehmen ihre Kultur vermittelt wahr. Was in ihrer Lebenswelt welche Geltung und Bedeutung besitzt, dies erklären bzw. machen sie verständlich, wenn sie beispielsweise nach dem Sinn (Warum) des feierlichen Almabtriebs ihrer Kühe gefragt werden. Dem Almabtrieb als zuschauender Tourist beizuwohnen, geht noch mit keiner Erschließung der Kultur eines Alpendorfes einher. Man sieht nur, dass dieses Ereignis stattndet. Was denn nun Kultur ist, kann mit dem Kürzel Welterklärung oder Weltdeutung beschrieben werden. Kultur macht die Welt verständlich; sie umfasst „Vorstellungen, expressive Symbole und Werte, mit deren Hilfe die Menschen ihre Welt denieren, ihre Gefühle ausdrücken und ihre Urteile füllen“ (Geertz 1991, S. 99). Vorstellungen manifestieren sich in materiellen und immateriellen Gegenständen (immateriell sind z. B. Handlungen, Praxen, Eigenschaften oder Beziehungen), also in Symbolen, deren Bedeutungen sich in diesen Gegenständen niederschlagen bzw. objektivieren. Eine Burg mag das Mittelalter symbolisieren und Kinderarbeit in der Dritten Welt kann ein Zeichen für Armut sein. Vorstellungen über das Mittelalter sind dann in Burgen und über Armut in Kinderarbeit abgelagert. Was beispielsweise die Kultur Spaniens ausmacht, welches Verhältnis Spanier zur Welt haben, was sie denken und fühlen, erschließt sich demnach über Symbole, die Vorstellungen über Spanien bzw. über „Spanien-Gegenstände“ transportieren (vgl. zum Verhältnis Symbol und Vorstellungen: Langer 1987). Firmiert ein Tourismus als Kulturtourismus, dann hätte er Gegenstände zu präsentieren, die anzeigen bzw. symbolisieren, welche Bedeutungen und Vorstellungen die jeweiligen Orts- oder Raumbewohner damit verbinden. Oder anders formuliert: Er müsste anhand von Gegenständen Touristen in Ordnungen von Werten und Vorstellungen einführen, die für soziale Räume konstitutiv sind. Gegenstände der kulturellen Vergangenheit wie etwa ein mittelalterliches Gebäudeensemble wären demzufolge nach ihrer Vorortung und Integration in die Gegenwart zu befragen. Die hier lediglich knapp dargelegten Zusammenhänge zwischen Symbol, Vorstellung und Gegenstand sind nicht ausschließlich für den Kulturtourismus gültig. Bekanntlich existieren für Vorstellungen typische Gegenstände – für entspannte Erholung etwa der Sonnenstrand, d. h., der Sonnenstrand vermittelt bzw. repräsentiert eine Erholungsvorstellung, die sich in je subjektiven Vorstellungen verwandelt und damit Imaginationen begründet. Der Kulturtourismus hebt sich – so wird gemeinhin argumentiert – insofern davon ab, als die dem Touristen zugeführte Kulturwelt exklusiv sei. Ohne in Abrede zu stellen, dass sich auch über diese Welt subjektive Vorstellungen entwickeln können, so erschließe sie sich doch über eine feststehende, objektive Bedeutungsstruktur. Authentizität, die auf diese Bestimmtheit hinweist und mitunter darauf energisch pocht, wird nicht zuletzt im Kontext
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des Kulturtourismus als Spezi kum gehandelt (vgl. Ringer 1998). Kultur steht ikonisch für echt, authentisch und nicht verrückbar, weil raumzeitlich verankert. Materielle und immaterielle Kulturgegenstände sind nach dieser Sichtweise Objekte an sich, die sich nicht auf andere Kontexte zurückführen lassen. Der Kulturtourismus zeigt daher in seinen unterschiedlichen Formaten – von der Studienreise über eine Sightseeingtour, während eines Pauschalurlaubs bis hin zum Ökotourismus – Gegenstände, die einem bestimmten Ort oder Raum eigen sind. Der Eiffelturm steht in der Sprache des Kulturtourismus für Paris und unendlich viele Kulturgegenstände stehen für ein „Dies-ist-hierfür-typisch“. Orte und Räume gewinnen dadurch einen Objektwert. Sie treten dann nur noch in diesen Kulturgegenständen mit der Folge in Erscheinung, dass sie aus sozialen, politischen, ethnischen u. a. Funktionszusammenhängen herausgelöst werden. Mit der Tilgung dieser Kontexte können nun den Kulturgegenständen gleich bleibende Wesensmerkmale zugeschrieben werden. Dabei achtet der Kulturtourismus darauf, dass diese Merkmale auf Eigenartiges, Andersartigkeit, Besonderes, Einzigartiges u. ä. verweisen – kurz: auf etwas, das keine Kontinuität im Alltag der Touristen hat. Dies ist schwierig und daher überrascht es nicht, dass sich die kulturtouristische Programmpalette nicht nur beständig ausweitet, sondern bisherige Angebote werden relauncht. Dadurch erscheint Kulturelles entweder in bekannten oder neuen Themen-Kontexten. Hierzu zwei Beispiele. Das dänische Fremdenverkehrsamt wirbt für Kulturreisen nach Dänemark mit einer Anzeige: „Einen menschenleeren Strand mit unbesetzten Liegestühlen“ und dazu den Text „Da sehen Sie mal, wie spannend das kulturelle Leben in Dänemark ist. 15.318 Restaurants, 2.362 Kirchen, 845 Museen, 87 Theater, über 1.000 Schlösser – Herrensitze – wer hat da noch Zeit für den Strand ?“. Die Lüneburger Heide Tourismus GmbH hat einen Prospekt „Heideschätze. Kulturtourismus an, auf und über dem Wasser“ herausgebracht. Dass die Heideschätze-Programmpalette Unterschiedliches und Vielfältiges enthält, das man nicht so schnell für eine nur dort anzutreffende Kultur halten würde, liegt auf der Hand. Gleichwohl werden diese „Schätze“ nur in der Heide platziert. Was der Kulturtourismus kommuniziert, belegen diese beiden Beispiele. Er kommuniziert, 1. 2.
3. 4.
dass Kultur an einem bestimmten Ort oder Raum erfahrbar ist, dass es Gegenstände gibt, die vergangene und gegenwärtige Kultur vermitteln (Gegenstände meint im Folgenden sowohl materielle als auch immaterielle Objektivationen wie z. B. Ausdrucksformen, Rituale und Feste, Wissen und Praktiken im Umgang mit Natur, Handwerkstechniken), dass sich Aussagen über Kultur in räumlichen Kategorien fassen lassen, dass die Distanz zur anderen Kultur durch Nähe und Teilnahme aufhebbar ist und
132 5.
III
Einschreibungen
dass schließlich Reisende bzw. Touristen die erfahrene Kultur als Unterscheidung erkennen: Aus der Kultur lässt sich Andersheit oder Differenz erschließen. Diese Unterscheidung – Eigene/Andere – kann man als Code bzw. Leitsystem des Kulturtourismus auffassen (zu Codes vgl. Luhmann 1997, S. 225 ff.).
Der Anspruch des Kulturtourismus bzw. der Anbieter von kulturtouristischen Produkten, Sinn oder Bedeutungen vergangener oder gegenwärtiger Raumgegenstände für Raumfremde zu erschließen, stellt eine didaktische Herausforderung dar. Analog zur staatlichen Erziehung, die einen schulischen Raum erzeugt, in dem Schüler nach bestimmten Kriterien vergegenwärtigt werden (etwa Noten, Hausaufgaben, Mitarbeit), schafft der Kulturtourismus Räume, in denen dem Reisenden Bedeutungen von Gegenständen anhand von Texten und Bildern (Reiseführer, Reiseberichte, Broschüren, Schrifttafeln, moderne Informations- und Kommunikationstechnologien etc.), Reiseleitern und vorprogrammierten Erlebnissen (Programme) nahe gebracht werden. In diesen touristischen bzw. genauer touristizierten Raumsettings ndet demzufolge eine vermittelte Unmittelbarkeit der Wahrnehmung statt. Wie verschieden die Zusammensetzung der Kulturtouristen auch sein mag, so bilden sie durch diese Settings eine Einheit in der Differenz zum Alltagsraum, dem dieser „dortige“ herausgehobene Kulturraum gegenübersteht. Wird die derart tourismusmediale Kultur demonstriert, erzählt und erfahren, dann stellt sich unter dem touristischen Publikum eine temporäre Einheit her. Mit der Erzeugung dieser tourismusmedialen Gegenwart in einem Raum ist dem Reisenden scheinbar die Möglichkeit der Partizipation an einer Fremdkultur gegeben. Die objektive Wirklichkeit – die materiellen und immateriellen Gegenstände – ist da. Sie wird z. B. von Reiseleitern noch eingehender gezeigt und beglaubigt („Studiosus-Reiseleiter zeigen Ihnen das Verborgene hinter dem Öffentlichen“ – so eine Anzeige). Gleichwohl bleibt es den Reisenden überlassen, sich diese Wirklichkeit interpretativ anzueignen. Insofern stellen diese touristizierten Räume offene Interpretationsräume dar. Was zur subjektiven Wirklichkeit des Reisenden wird, beruht aber nicht auf der ersten Ebene der Wirklichkeit: Was in welchem Bedeutungszusammenhang der Einheimischen „da“ ist und für sie Geltung besitzt, ist nicht gegenwärtig. In ihren Wahrnehmungs- und Erfahrungsraum gerät vielmehr die vom Kulturtourismus hergestellte, interpretierte Kulturwirklichkeit von Räumen und Orten. Dass für Touristen Kultur hergestellt wird und dass sich Kultur unmittelbar, auch bei Teilnahme des Touristen, „ereignet“, ist an sich bekannt. Man denke etwa an „Ferien auf dem Bauernhof“. Zusammen mit Urlaubern wird etwas unternommen und/oder bereitgestellt, das aus xen zeitlichen und räumlichen Bezügen herausgenommen und extra für die Touristen als „Bäuerlichkeit“ dargeboten wird. Eine derartige Umwandlung von Kultur per Aufführung in ein enträumlichtes
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und entzeitlichtes „kulturelles Ereignis“ („Event“) vollzieht sich unter situativen, urlaubsalltäglichen Austauschprozessen. Heute wird generell erwartet, dass bestimmte Kulturereignisse per se Bestandteil eines bezahlten Bauernhofurlaubes sind (vgl. Schrutka-Rechtenstamm 1997). Ein Bauernhofurlaub ist also für den Touristen erst dann ein „wirklicher Bauernhofurlaub“, wenn sich dort etwas ereignet, das vermeintlich bzw. der Vorstellung nach zur bäuerlichen Kultur gehört. Der Kulturtourismus hebt mit Vorliebe auf solche Ereignisse ab. Kultur „ereignet“ sich demnach in der Tourismusrealität (vgl. Chambers 1997), die durchaus als „wirklich“ gelten kann, tanzen doch beispielsweise realiter Balinesinnen zu Ehren eines Gottes, kommt schließlich ein „regionaltypisches“ Gericht auf den Tisch eines Rad fahrenden Kulturtouristen oder nehmen etwa Urlauber zusammen mit waschechten Bayern an einem Sägewettbewerb teil. Diese Ereignisse sind jedoch nicht mit den jeweiligen kulturellen Systemen synchronisiert. Die „Realität“ des Kulturellen ist aber, wie diese Beispiele zeigen, erfahrbar, so dass dem besuchten Raum eine strukturbildende Ordnung und Werte wie „achten auf Tradition“ zugeschrieben wird (quasi cultural maps). Solche ordnungs- und sinnstiftenden Formgebungen lassen dann z. B. Alpenregionen als „bäuerlich geprägt“ erscheinen. Für die Kulturraumthemen „bäuerlich“, „antik“, „provenzalisch“, „Heideleben“, „Feste“, „regionaltypische Küche“, „Kiezleben“, das „andere Mallorca“ oder das „einfache Leben der Einheimischen“ werden Gegenstände, wenn nicht gar selbst hergestellt, so doch aber auf Initiative des Kulturtourismus hin inszeniert und in den Erlebnisraum des Touristen gebracht. Wie jeder Tourismus selegiert er dabei Gegenstände, mit denen er dann operiert. Im Erlebnisraum des Kulturtouristen, in dem Kultur gegenwärtig ist bzw. genauer: gemacht wird, hat sich folglich zwischen den Touristen und seine Erfahrung das Kulturtouristische und nicht die Kultur geschoben. Die vom Kulturtourismus gelieferten Informationen und selektierten Gegenstände ermöglichen zwar nur sekundäre Erfahrungen, doch auch diese Erfahrungen bewirken eine Einordnung des Wahrgenommenen als „wirkliche Kulturwirklichkeit“ (vgl. Waller/Lea 1999). Ganz offensichtlich gelingt es dem Kulturtourismus, in den Augen und in den Wissensbeständen der Touristen Kulturen zu re-homogenisieren und zu verabsolutieren: Hier ist die eigene und dort ist die andere, fremde Kultur – dies ist die kulturtouristische (Werbe-)Botschaft, die sich vor Ort auch tatsächlich eins zu eins konkretisiert, entsprechen doch die präsentierten, nach bestimmten Themen bzw. Vorstellungen ausgesuchten und/oder in Szene gesetzten Gegenstände dem kulturellen Fremdbild.
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III
Einschreibungen
Kultur als Heilsmaterie und Heilsbringer Der Kulturtourismus benötigt die Unterscheidung zwischen „Eigenkultur“ der Reisenden/Tou risten und „Fremdkultur“ der „Bereisten“/des Dortigen. Diese Unterscheidung ist die conditio sine qua non des Kulturtourismus. Wenngleich heute Räume durch eine binnenkulturelle Heterogenität gekennzeichnet sind, d. h. eine Kongruenz von Kultur und Raum nicht mehr vorliegt (vgl. Bhabha 1994; Featherstone/Lash 1999), so verbindet der Kulturtourismus nach wie vor Raum und Kultur. Er kann dabei auf die Einheimischen zählen, die ihre „Kultur“ als wirtschaftlichen Entwicklungsgenerator und Identitätsstifter einsetzen. Kultur wird auf diese Weise geheiligt. Doch auch Touristen benötigen kulturtouristische Angebote, durch die Räume eine Bedeutung erlangen und auf diese Weise Räume als Orte erlebbar machen. Wenn bislang von dem Kulturtourismus die Rede ist, so sind damit diesbezügliche Reiseanbieter, also in der Regel raumexterne Akteure, nicht als alleinige Konstrukteure des Kulturellen gemeint. Der Kulturtourismus als institutionalisierte Veranstaltung der Lenkung von Touristen auf bewusst bereitgestellte kulturelle Gegenstände umfasst sowohl Anbieter als auch die „Raumbewohner“ selbst. Man kann schon lange nicht mehr davon ausgehen, dass nur raumfremde Reiseveranstalter Kulturgegenstände aussuchen und damit das Außenbild von Orten und Räumen konstruierend konkretisieren (vgl. Lanfant/Allcock/Bruner 1995). Die vom Markt erzwungene Suche nach einem komparativen Wettbewerbsvorteil bringt überall auf dem Globus Einheimische und Veranstalter zusammen, um nicht zuletzt mittels der Kultur gegenüber relevanten Konkurrenten als überlegen eingestuft zu werden. In dem Maße wie sich Urlaubslandschaften künstlich herstellen und sich so an beliebigen Orten vorhalten lassen, bekommt das einheimische Kulturleben im Allgemeinen und kulturelle Highlights im Besonderen den Status des Unverwechselbaren und Einzigartigen, das bei der touristischen Vermarktung von Orten und Räumen als Alleinstellungsmerkmal herausgehoben wird. Der Kulturtourismus mutiert so zu einer added value industry. Jegliche Gegenstände werden kulturell eingerahmt, sei es durch ein Sufx (z. B. „Bergbauernkultur“) oder durch ein Präx (z. B. „Kulturwanderung“). Kultur soll den touristizierten und damit entzauberten, homogenen Raum wiederverzaubern (vgl. hierzu Ritzer 1999). Das „böse“ touristische Einerlei mitsamt seinem Anhang – dazu gehört nicht zuletzt auch der knauserige Massentourist – soll durch diese Firmung vertrieben und stattdessen die „guten“ Geister in Gestalt von betuchten Reisenden der Mittelschicht und so genannten best agern herbeigerufen werden. Für immer mehr, wenn nicht gar für sämtliche touristischen Destinationen bzw. Reiseziele soll durch diese Kulturalisierung des Raumes ein Wettbewerbsvorteil im globalen Tourismusmarkt gesichert und/oder hergestellt werden. Weil sich alles Vergangene und Gegenwärtige in einem Raum mit Sinn belegen, sprich:
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als Kultur ausgeben lässt, ist Kultur eine bedingungslos zugängliche Ressource und immer währende Quelle des Marktheils. Es müssen lediglich Gegenstände bedeutungsvoll „beschworen“ werden, schon sind sie als verwandelte Kulturangebote heilsbringend und schützen den Tourismusraum vor vielen „bösen“ Dingen (neben dem Massentourismus werden u. a. zu den Bosheiten gezählt: Wettbewerbsschwächen, Umweltzerstörung und auch Kulturzerstörung durch den Massentourismus; zur religionsphänomenologischen Analyse der Heiligung vgl. Franz 1976). Dass der Kulturtourismus Heil und Rettung beschert, ist nicht kostenlos. Die kulturtouristizierten Räume müssen dem Heilsbringer bzw. der Gottheit „Kultur“ und ihren „Priestern“, also den Akteuren des Kulturtourismus, Opfer bringen. Folglich geht vom Kulturtourismus Gewalt aus. Die der Opferung innewohnende Gewaltausübung ist permanent. Besonders schmerzlich ist sie in der Gründungsphase der Kulturalisierung eines Raumes oder Ortes (vgl. zum Zusammenwirken von Opfer, Gewalt und Heiligem Girard 1992). Weil nur das Marktgängige und damit das in den Fremdheitsvorstellungen Passende unter den Raumgegenständen als Kultur ausgesucht und/oder hergestellt wird, müssen sich die Raumbewohner diesen „Kulturgütern“ anpassen. Man opfert beispielsweise seine gegenwärtige kulturelle Verfasstheit und mithin Vielfalt, seine bisherigen Wirtschaftsstrukturen, Entwicklungspotenziale, seinen Wohn- und Lebensraum oder seine Traditionen (vgl. Butler/Hinch 1996; Hauser-Schäublin/Rieländer 2000; Ringer 1998). Mit diesen Opfergaben wird dem Kulturtourismus nur das gegeben, was er braucht, um seine Marktstärke zu erlangen, zu erhalten oder zu erhöhen. Im Namen der konstruierten marktgängigen Kultur- bzw. Fremdheitsvorstellungen werden beispielsweise Aboriginals als eco-angels naturalisiert (vgl. Waitt 1999). Als solche führen sie sich auf der „Vorderbühne“ auf; zu Hause auf der für Touristen nicht zugänglichen „Hinterbühne“ legen sie diese Maske ab und gestalten dort ihr a-touristisches Leben (vgl. MacCannell 1989, S. 92 ff.). Ähnlich ergeht es den oberbayerischen Burschen, die sich als „Naturburschen“ aufführen müssen. Schon längst ist der Mittelmeerraum durch eine marktkonforme Kultur insofern de-mediterranisiert, als im Lichte der Tourismusplaner das (re-)präsentiert wird, was sich der Tourist – als Befragter in Marktforschungsstudien – gemeinhin unter Spanien oder Malta vorstellt (vgl. Selwyn 2000). In der Folge werden angestammte Räume kulturtouristisch gentriziert. Und die so genannten Dritte-Welt-Länder werden durch den Kulturtourismus erneut kolonialisiert (zur „Neo-Kolonialisierung“ vgl. Said 1993). Derartige Opfergaben werden durchaus reektiert: Es wird insbesondere damit gerechnet, dass man sich damit positive wirtschaftliche Effekte und/ oder gar eine Selbstvergewisserung einhandelt (vgl. Shaw/Macleod 2000). Das „kulturelle Kapital“ eines Raumes für seine wirtschaftliche Entwicklung und Stabilisierung gerade mittels des Tourismus einzusetzen, ist eine geläuge, auf dem gesamten Globus verbreitete Strategie. Dem Kulturtourismus und damit der Kultur wird ein besonders heilsbringender Charakter zugeschrieben (vgl.
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III Einschreibungen
Wells 1996). Die kulturelle Konsekration, also die Weihung von wirtschaftliche Effekte hervorbringenden Gegenständen zu Kulturgütern bzw. schlichtweg zu raumgebundener Kultur, erfolgt nach keinem festen Schema. Die Etikettierung von Räumen und Orten mit „Themenstraßen“ oder generell mit den Zeichen „historisch“, „alt“, „traditionell“ und „unverwechselbar“ sind ebenso bekannte kulturelle Firmungen wie ihre Zuordnungen zu bestimmen kunstgeschichtlichen Epochen. Wenn nach dem Ruhrgebiet nun auch Orte saarländischer Bergwerke zu „Kulturlandschaften“ gesegnet werden, dann ist daraus zu schließen, dass ökonomisches Heil durch die Materie Kultur gestiftet wird (vgl. in diesem Kontext allgemein Eliade 1954). Neuerdings entpuppt sich als ein besonderer kulturtouristischer Renner bzw. ökonomisch sehr ergiebiger Heilsbringer der so genannter dark tourism, der Tod, Krieg und menschliche Katastrophen als internationale Memorialkultur attraktiviert (vgl. Lennon/Foley 2000). Weil die Raumbewohner bzw. Einheimischen selbstverständlich wissen, dass die Anderen – die raumfremden Touristen – „kulturechtes“ Leben und Handeln schätzen, geben sie sich nicht nur „kulturell authentisch“, sondern sie kramen auch längst verschollene Lebens- und Arbeitsweisen hervor, die als ethno- und raumspezische Jetztzeit-Kultur wenn nicht ausgegeben, so doch aber als die Gegenwartskultur prägend hingestellt werden. Neuerdings wird gar „biologisches Wirtschaften“ und in diesem Zusammenhang der nachhaltige Tourismus als solcher als kulturgerecht gekennzeichnet. Was auch immer als kulturell abgesegnet gilt – besser und genauer: vom Kulturtourismus als „Kultur“ geadelt und somit herausgehoben wird –, dem wird die Kraft zugeschrieben, durch Übertragung auch andere Bereiche zu heilen. Gemeinhin werden darunter Multiplikatoreneffekte verstanden. Sie zeigen den ökonomischen Penetrationsprozess von Kultur in andere Bereiche auf (zur multiplikatorischen Kapitalisierung von Images bzw. Fremdheitsvorstellungen in Indonesien vgl. Dahles/Bras 1999; eine europäische Fallstudie: Hansen/Christoffersen/Wanhill 1998). Dadurch werden sukzessive immer mehr Raumbewohner von den Wohltaten eines Kulturtourismus überzeugt. Verbindet sich Kulturtourismus gar noch mit einer „umweltgerechten Wirtschaftskultur“, dann sind den Räumen höchste Landes-, EU- oder gar UNESCO-Weihen sicher. Angesichts einer solchen höchsten Segnung, die werbewirksam in alle Welt verkündet wird, gerät alles im Raum zur Kultur. Den UNESCO-Kulturhauptstädten stehen UNESCO-Kulturregionen und -orte zur Seite (Weltkulturerbestätten) und damit satte Revitalisierungsgelder zur Verfügung. Die meisten Regionen und Orte müssen sich allerdings mit einer einfachen kulturellen Ordination begnügen. Ohne von einer höheren Instanz gesalbt zu werden, rmiert man sich in Prospekten, Broschüren, Homepages und sonstigen Informationsmaterialien auch als Kulturanbieter. Jedes alt aussehende Gebäude, jeder irgendwie mit Brauchtum assoziierbare Verein und jede selbst getöpferte Keramik oder jedes selbst gemalte Bild von nebenberuichen Künstlern werden
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durch dieses mediale „Handauegen“ zu der einen Raum oder Ort auszeichnenden Kultur deklariert. Ein „Kulturgütesiegel“ wie z. B. „Mühlenstraße“ oder „Art Cities in Europe“ zu erhalten, stellt eine darüber stehende Kulturweihe dar. Diese Auszeich nungen verfolgen rein ökonomische Ziele und binden den Raum und Orte an Organisationen („Zentralen“), die diese netzartigen Zusammenschlüsse koordinieren und lenken. Dass die Menschen entlang einer „Mühlenstraße“ oder einem „Kulturweg Alpen“ oder gar in den „Art Cities in Europe“ gemeinsame charakteristische Denk- und Wertmuster haben, mit denen sie ihre Lebenswelt und Handeln verstehen – dies macht ja Kultur aus –, davon kann ebenso keine Rede sein wie davon, dass nun derartige kulturelle Raumzuweisungen für die Einheimischen orientierungs- und handlungsprägend sind. Die Beschwörung von Gegenständen als kulturell dient dennoch nicht nur der ökonomischen Heilsstiftung eines Raumes. Räume unterliegen nicht nur einem „bösen“ globalen Standortwettbewerb, sondern die Globalisierung fügt dem Lokalen auch einen Identitätsschaden zu (vgl. Dicken 1998; Amin/Thrift 1997). Der Tourismus gehört in vorderster Front zu den globalen, sich verselbständigenden ows, die sich in ethnoscapes verräumlichen und infolgedessen Orte desavouieren (vgl. Appadurai 1996, S. 34 f.). Wenn beispielsweise stillgelegte Bergwerke, Hochöfen und Eisenhütten in „Industrie-Kulturlandschaften“ und Ess- und Ernährungsgewohnheiten in „Genusslandschaften“ platziert werden, dann dienen diese historischen und gegenwartsimmanenten Verweise nicht nur einer Rückbesinnung und/oder einer Bekräftigung der Identität der jeweiligen Raumbewohner (vgl. Kramer 1997). Der Tourismus integriert vielmehr diese „Landschaften“, die dann im Gewand von (kultur-)touristischen Angeboten dem Markt offeriert werden. So sehr durch diese Beigabe der globale Tourismus lokalisiert werden mag, so ist zu fragen, ob ein derartiger Tourismus für Einwohner identitätsstiftend ist. Einem Raum oder Ort identitätsstiftende Wirkungen abzugewinnen, hängt davon ab, ob und in welchem Umfang sie Beiträge zum Selbst- und Weltverständnis der Einwohner leisten (vgl. Weichhart 1990). Die Kultur in den touristischen Raumangeboten müsste zumindest mit diesen Verständnissen einen kohärenten Zusammenhang bilden. Einen solchen Zusammenhang stellen etwa Broschüren und Reiseführer her, wenn die Rede davon ist, dass „man“ in diesem Ort jenen und „man“ in jener Region diesen Essens-, Ernährungs- oder Feiertraditionen anhängt. Was in diesem Sinne das Raum- oder Ortskulturelle und mithin Identitätsstiftende umfasst bzw. umfassen könnte, kommt schnell unter den touristischen Hammer und erhält den Zuschlag: „Gehört zum Kultur“: Museen, Feste, Festivals, Ausstellungen, Veranstaltungen, Theater, Opern, Musicals, Gebäude und Gebäudeensembles, Handwerk und Gewerke, Produktions-, Wirtschafts- und Lebensweisen sowie Wirtschaftsstätten, Spiele, Kulturlandschaften, künstlerische Produkte jeglicher Art, Ethnien, Events, Szenen und Partys (so nach Dreyer 1996). In dieser Aufzählung ist nahezu alles Kultur, was in Räumen des Tourismus „drin“
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ist und was in ihnen „so“ abläuft. Es fehlt allerdings der Tourismus. Ist er nicht ein Teil des Wirtschaftens; verleiht er nicht Orten und Räumen eine Bedeutung, die sich im Selbstverständnis der Einheimischen niederschlägt ? Und sind nicht Tourismuskulturen etwa an Festspielstätten selbst Gegenstand des touristischen Reisens (Busreiseveranstalter haben Festspielzeiten im Programm, ohne dass Reisende selbst Konzerte u. a. besuchen) ? Überdies ist es mehr als fraglich, ob diese Kulturgegenstände den Einwohnern zuordbar sind. Offensichtlich existieren je spezische Kulturen (etwa soziale Milieus oder soziale Lebensstilgruppen) in unterschiedlichen Erfahrungsräumen mit Ausdrucksformen, die sich gerade in einer bestimmten Aneignung und Herstellung von materiellen und immateriellen Kultur- und damit Bedeutungsgegenständen niederschlagen (vgl. Schulze 1992). Wenn man den Kulturtourismus nicht als eine ethnologische Feldforschung begreift, die mehr oder weniger umfangreich und in allen Verästelungen sowie Prozessen ein Feld wie z. B. einen Ort analysiert, dann bleibt vor diesem Hintergrund nur dieses: Man sieht etwas in Orten und Räumen als „kulturtypisch“, von dem aus sowohl auf ihr „Eigentliches“ als auch auf ihr „Ganzes“ geschlossen wird. Die Teilhabe an diesem Ganzen und Eigentlichen, das von den Einheimischen preisgegeben wurde und sich nun dem Touristen offenbart, lassen Orte und Räume als authentisch und einzigartig erscheinen. Prozessionen gleich bewegen sich die Touristen zu ihnen und bilden mit ihnen dann ein körperlich-sinnliches Ganzes, dem sie sodann huldigen können. Diese Eigentlichkeitserfahrungen verwandeln die Touristen zum kollektiven Subjekt. Offensichtlich hat der (post-)moderne Tourist mit der Kultur Beständiges und Eindeutiges gefunden, das ihm im uiden und rasenden Alltag abhanden gekommen ist. Die Offenbarung bzw. Offenlegung des Eigentlichen ruft einen weiteren Reex auf die Globalisierung hervor. Der Kulturtourismus weckt den Anschein eines touristischen lokalen Big Mac’s, der um des Abhebens vom normalen Massentourismus willens von eben diesem Tourismus umhüllt ist, im Inneren aber mit jeweiliger territorialer Kultur gefüllt ist – im Globalen ist das Lokale; der Kulturtourismus ist ein glokalisiertes Tourismusprodukt (vgl. Robertson 1998). Es verspricht weniger eine Heilung von Globalisierungsschäden. Es handelt sich vielmehr um eine Versöhnung mit dem Globalen, besteht doch nun das Produktinnere oder der Produktkern nicht mehr aus atopisch Homogenem, sondern aus einem dem Raum oder Ort zugeschriebenen Typischen, Einzigartigen oder Eigentlichen. Man könnte auch sagen, dass Kultur den Massentourismus vertreiben soll. Diese exorzistische Wirkkraft erblickt man vor allem in den Ausgaben der Kulturtouristen, die gegenüber den „normalen“ Erholungstouristen pro Tag weit mehr Geld in den Wertschöpfungskreislauf einbringen. Nun, seit geraumer Zeit ist der Tourismus tatsächlich als Kulturgut anerkannt und ihm in Südtirol ein Museum (Touriseum – Landesmuseum für Tourismus im Schloss Trauttmansdorff, Meran) gewidmet worden. Dies ist folgerichtig, geht es
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doch dem Kulturtourismus auch darum, vorhandene Ressourcen und Wissensbestände touristisch zu nutzen. Und zu Südtirol gehört der Tourismus als Wirtschaftsressource; er ist Teil der Alltagspraktiken. Südtirol kann sich demnach sicherlich mit dem Tourismus identizieren. Viele Lebensentwürfe und Selbstverständnisse sind nahezu symbiotisch mit dem Tourismus verbunden. Ob sich allerdings Frankfurter mit der „Szene der 70er Jahre“ identizieren, die im Rahmen stadtkultureller Führungen vermittelt wird, bleibt fraglich. Dennoch lassen sich andere Beispiele für einen Tourismus nden, der auf in den Raum oder Ort eingebettete Angebote zurückgreift. Zu diesen Angeboten haben Einheimische – milieu- oder lebensstiltypisch – eine emotionale und kognitive Nähe und Bindung. Ihr Selbst stimmt mit ihnen überein bzw. in ihnen erkennen sie ihr Selbst wieder (worauf im Lateinischen identizieren/Identität hinweist). Dass der Kulturtourismus – in welchem Modus er auch operiert (etwa als Studienreisen-, Städte- oder Weltkulturerbetourismus) – bisweilen auf eine vehemente Ablehnung Einheimischer stößt, ist vor diesem Hintergrund nur allzu verständlich: Je massiver er um sich greift und je mehr kulturelle Objektivationen er in seine Programme integriert, desto größer ist die Gefahr ihrer Zerstörung und der Bedrohung des Selbst oder der Lebensformen der Einheimischen.
Kultur als Performanz Ein Fazit aus dem Bisherigen ist: Der Mensch empfängt nicht vom Raum bzw. von Raumgegenständen „Kultur“, sondern er ist es selbst, der den Raum kulturell stilisiert und ihn bedeutungsvoll macht (vgl. Boesch 1980). Von diesem bestimmten Kultur-Raum gehen dann Wirkungen aus. Es ist etwas Strukturelles geschaffen worden – Materielles und Immaterielles sind im sozialen Raum existent; erfahrbar existent in Orten. Zudem bringt die zuvor dargestellte ökonomische und identikatorische Kontextualisierung den Tourismus in den Zusammenhang anderer Systeme. Die vom Tourismus vermittelten und mithin erfundenen Kulturgegenstände verfestigen sich dadurch, dass sie von der Wirtschafts-, Identitäts- und auch der Nachhaltigkeitspolitik instrumentalisiert werden und so eine multiplurale Verankerung erfahren. Aufgrund dieser strukturellen Koppelungen legitimiert sich der Kulturtourismus (und der Tourismus an sich). Insofern ist der Kulturtourismus in den Status einer Institution gerückt – einem relativ stabilen Gebilde verfestigter Relationen, die durch akteur- und systemspezische Beiträge gepegt und aufrechterhalten werden (zu diesem Institutionsverständnis vgl. Schülein 1987, S. 145). Indem wechselseitige „Energiezufuhren“ geleistet werden, stabilisieren sich Systeme. Dass der Tourismus in diesen verfestigten Relationen eine systemische Integrationsfunktion besitzt, mag im Namen einer zweckungebundenen Kultur beklagt werden, doch es
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existiert nun einmal nichts in der Gesellschaft, das nicht relationiert ist bzw. nicht in und mit einer Umwelt lebt (vgl. Giddens 1992; Luhmann 1997). Der Tourismus wäre jedoch in seinem Bestand bedroht, würde er nicht von den Touristen mit Sinn und Bedeutungen versehen werden. Diese Relationierung besagt umgekehrt, dass der Tourismus auch für das reisende Individuum einen Beitrag leistet. Faktisch und beobachtbar nährt sich jeder Tourismus aus dem, was ihm Reisende geben: Sie konsumieren ihn. Wie allen Wirtschaftsgütern ergeht es auch den vom Tourismus bereitgestellten Kulturgütern: Güter werden kaum noch wegen ihres sachlichen und funktionalen Nutzens, sondern wegen ihres immateriellen Nutzens gekauft (vgl. Zanger 2001). Es genügt also nicht nur den touristischen Blick auf Kulturgegenstände zu lenken, sondern dem Touristen ist mit der (re-)präsentierten Kultur etwas zu vermitteln, das er mitnehmen kann. Dieses Mitnehmen – was ja Konsum meint – erstreckt sich beispielsweise nicht nur auf den Erwerb von Gütern aus dem Museumsshop, durch die das Unverkäuiche und nur der sinnlichen Erfahrung zugängliche (Kunst-) Werk substituiert und in die Heimwelt geholt wird (vgl. Grasskamp 2000, S. 143 ff.). Der touristische Kulturkonsum meint auch nicht nur ein Betrachten von dargebotenen Kulturraumgegenständen. Um angesichts der touristisch bereitgestellten Kulturgegenstände die an sie gestellten Fragen beantworten zu können – „Was geht hier eigentlich vor ?“ und/oder „Was ging hier eigentlich vor ?“ (dies sind die von Goffman gestellten Fragen zum Verstehen des Alltags; vgl. Goffman 1977) –, bleibt dem Touristen die Möglichkeit, diese Fragen durch performatives Handeln zu erschließen. So wird beispielsweise die touristische Vermittlung der Maori-Kultur Neuseelands von den Maoris selbst als „Performance des Primitiven“ verstanden, bei der Beziehungen zwischen den Maoris und den Touristen aufgebaut werden. Die Touristen werden mehr oder weniger zu Teilnehmern und verharren nicht als Publikum der „Maori-Kultur“ (vgl. Taylor 2001). Teilnahme soll Verstehen bewirken. Im Pressetext der Hessen-Touristik zur ITB 2001 heißt es bei der Vorstellung des Hessenparks als „Das Erlebnismuseum im Taunus“: „Zahlreiche Vorführungen alter Arbeitstechniken – auch zum Mitmachen für Jung und Alt – sowie interessante Dauer- und Wechselausstellungen und eine lebensnahe Präsentation typischer Haus- und Nutztiere, verbunden mit der traditionellen Bestellung der Museumsfelder, lassen Sie nicht nur Ihren Alltag vergessen. Sie erhalten auf eine erlebnisreiche Art einen Einblick in das Leben und Arbeiten unserer Vorfahren und können selbst Vergleiche zur Gegenwart ziehen.“
Diese Beispiele bedeuten nichts weniger als die Konstitution von Kultur durch körperliche Co-Produktion seitens der Touristen. Indem während des touristischen Konsums zusammen mit einheimischen „Kulturträgern“ Kultur hergestellt
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wird, erschließt sich Kultur bzw. das Kulturelle nicht mehr aus der Zuschauerrolle, sondern aus der Mitmachrolle in einer Situation, die Touristen nach der Trennung von zu Hause und der Passage in den Zustand der Liminalität versetzt – in eine Zwischenexistenz, gekennzeichnet durch eine Schwelle, an der das Zuhausesein denitiv endet und das Andere beginnt (vgl. lat. limen = Schwelle; limes = Grenzlinie). Was dargestellt und aufgeführt wird und welche Rückschlüsse er daraus aufgrund welcher Normen und Deutungen ziehen soll, ist ihm nicht geläug und verbleibt im Vieldeutigen und Unstrukturierten. Es handelt sich daher um einen Ausnahmezustand und um Grenzerfahrungen in einer Antistruktur mit einer vom Alltag unabhängigen Denkstruktur (zum Liminalen generell Turner 2000; auf den Tourismus angewandt vgl. Currie 1997 und Hetherington 1998, S. 110 ff.). Insofern führt touristisches Reisen zu Orten der Erfahrung des (mitunter ganz) Anderen und des Un- oder Außergewöhnlichen und eröffnet Spiel- und Freiräume für Experimente und Neues – kurzum: Reisen transzendiert den Alltag. Alltagszeit und Alltagsraum stehen angesichts dieser Transzendenz im Kontrast zu Räumen und Zeiten des Reisens, die dadurch als heilig gelten (worauf im lat. sanctus = ausgegrenzter Ort hinweist). Im Modus des liminalen Zustands gilt es, kulturell geprägte soziale Räume zu erschließen. Diese Erschließung als Raumkonsum im Sinne des Mitnehmens eines immateriellen Nutzens, den Touristen oder Reisende durch performatives Handeln erzielen, zu begreifen, kann nur bedeuten, dass erstens die Schwelle mit einer Offerte des Eintretens oder Willkommens im liminalen Raum verbunden ist (selbst wenn dies mit einem Entgelt verknüpft ist). Und zweitens ist ein Zusammensein und Zusammenwirken von Touristen und Trägern der Kulturgegenstände vonnöten, um Ereignisse und somit Wirklichkeiten zu generieren, die auf etwas darüber hinaus deuten – hier auf den immateriellen Nutzen für Touristen (zum Performativen vgl. Wulf 2001). Durch die zeitliche und räumliche Rahmung des Liminalen ist zwar der Kontext der immateriellen Nutzenstiftung vorgegeben. Die sozialen Arrangements, in denen sich performatives Handeln vollzieht, sind noch zu bestimmen. In der untenstehenden Abbildung sind solche Arrangements anhand von vier Dimensionen dargestellt (in Anlehnung an Holt 1995, S. 3; vgl. auch Wilkens 1998 und Goffman 1977). Das kulturell Dargebotene wird von Touristen einerseits allein um ihrer selbst willen genutzt und andererseits zielt der Kulturkonsums nur auf das Selbst-Sein der Touristen ab – es liegt eine Autotelie vor (vgl. Csikszentmihalyi 1985; 153 f.) Demgegenüber lässt sich der Kulturkonsum auch für bestimmte, externe Zwecke instrumentalisieren, wiewohl sie stets auf den Touristen verweisen. Performatives Handeln mag sich auf den Gegenstand beziehen oder es ist auf andere Personen ausgerichtet. Die dabei entstandenen sozialen Arrangements konstituieren bestimmte Kulturkonsumtypen.
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III Einschreibungen
Abbildung
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Touristischer Kulturkonsum
Die touristische Welt des Erlebens von Kultur ist legendär. Touristen können beispielsweise mittelalterliches Ritterleben, Feste auf Bali, regionaltypische Küche und Ernährung in Vorarlberg, fränkische Winzer bei der Weinlese, Künstler bei der Arbeit in einem Künstlerdorf, Wohnen in den Lübecker Gängen und den Karneval in Köln erleben. Unabhängig davon, ob Vergangenheit oder Präsentes vergegenwärtigt wird, so handelt es sich hier um Transformationen bzw. Konkretisierungen von Texten oder Themen (Ritterleben im Mittelalter, Weinlese etc.) vor zuschauenden Touristen – einer Zurschaustellung von Informationen in einem szenischen Rahmen. In diesen szenischen Arrangements ist es unerheblich, ob Informationen verstanden werden. Das Wie der Gestaltung oder In-Szene-Setzen der Themen führt zu einer Kommunikation mit Gegenständen (vgl. Schmitz 1998): Die Gegenstände werden gefühlsmäßig, emotional wahrgenommen und mithin sinnhaft aufgeladen. Diese interpretativen Auadungsleistungen können Weltanschauungen zum Ausdruck bringen und Kulturgegenstände mit „Fakten“ kontextualisieren, d. h. sie „verständlich“ und insbesondere gegenüber anderen kommunizierbar machen. Die Fakten beziehen sich auf die jeweiligen Orte bzw. Räume, die
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mit sensualistischen und ästhetischen Erfahrungen belegt werden: „Ich hätte Angst, wenn ich an solchen steilen, aber sehr schönen Hängen wie in Franken zur Weinlese müsste“, stünde für ein Erleben eines Aspektes der Kultur der Winzer wie das der regionaltypischen Küche mit: „Ich interessiere mich schon seit geraumer Zeit dafür, jetzt werde ich es auch einmal damit versuchen“. Dass Spaß-Machen auch zu diesen Erfahrungs- und Erlebnisqualitäten zählt, versteht sich von selbst. Solche sekundären inneren Rahmungen machen den jeweiligen Kulturgegenstand subjektiv verständlich; sie wirken nach innen und erschließen sich dadurch. Das Kulturerleben bleibt in dieser Innenhaftung in Erinnerung. „Leben wie Gott in Frankreich“ heißt für viele „Nordländer“ sich z. B. in der Provence und im Roussillon zeitweilig niederzulassen und dort so zu leben wie Einheimische. Dagegen kann ein Niedersachse nach einem Urlaub in Oberbayern fernab des Touristenrummels und unter Einheimischen ein Vorbild für seinen Lebensalltag entdecken. Er nimmt sich nicht wie andere in der Toskana, Provence oder in der spanischen Provinz Murcia, sondern in Oberbayern einen Zweitwohnsitz. So zu sein wie die Einheimischen in ihren Bezügen zu den Dingen und dem beobachteten Leben, ist das Motto dieser Touristen; sie integrieren sich in das Fremde. Die angewendeten Integrationspraktiken heben die Distanz zwischen Touristen und einem Kulturgegenstand insofern auf, als sie symbolisch dessen Teil werden. Sich so zu ernähren, so zu wohnen und sich so zu kleiden und gar ihren Alltag so zu gestalten, sind zwar kulturelle Substitute, erscheinen aber den Touristen als kulturtypisch – als ein Gang und Gäbe der besuchten Kulturwelt, der sie sich derart anpassen und angleichen. Mit dieser Re-Inszenierung demonstrieren sie Zugehörigkeit, also kulturelle Integration. Doch Integration meint auch Ergänzung. Ergänzung lenkt auf mimetische Prozesse des Performativen, die Ähnlichkeit und Differenz herstellen (vgl. Wulf 2001; S. 259 ff.). Bei ihren Kontakten mit Kulturgegenständen kommen Touristen gleichzeitig mit Grenzen in Berührung – ihre Lebenspraxis mit jenen der „Bereisten“, wobei Differenz und Ähnlichkeit erfahren und dies bedeutet, dass Unvollständigkeit wahrgenommen wird. Deren Ergänzung wird angestrebt, so dass sich etwa provenzalische Küche oder bayerische Weißwurst mit hergebrachten Alltagspraktiken paart. Dies mögen zwar Banalitäten eines „So-wie-Seins“ darstellen (Reisen ist vielfach eine Banalität). Doch zusammen mit den großen lebensweltlichen Inklusionen von Selbst- und Weltbildern verweisen sie auf das Potenzial von Kulturgegenständen: Sie bieten Anknüpfungspunkte für ein Handeln, das über das Bekannte hinausgeht und so die Transformation des Touristen in einen neuen Zustand bewirken kann. Wenn Räume und Orte aus der Sicht der Touristen eine bestimmte Kultur haben, die an Attributen wie Ernährungsgewohnheiten oder Einteilung des
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III Einschreibungen Alltagsablaufs festgemacht werden, dann läuft dies auf eine Produktion von Kultur hinaus, an der Touristen selbst mitwirken. Wenn sie jedoch wie in den obigen Beispielen aufgefordert werden, durch praktisches Mitmachen an der Kultur teilzuhaben, dann soll im Handlungsvollzug zusammen mit den „Bereisten“ deren Kultur sichtlich und sinnlich erfahrbar sowie sozial wirksam werden. Im praktischen, gemeinsamen und wechselseitigen Handeln – sei es beim Sirtaki und Heueinholen oder bei der Herstellung eines Gerichtes und dem gemeinsamen Wohnen mit dem Gastgeber – wird demnach Kultur aktualisiert. Was Einheimische oder „Bereiste“ wie und warum tun, repräsentieren ihre Selbst- oder Weltdeutungen und die darauf gründenden sozialen Ordnungen. Aber auch Touristen bringen ihre diesbezüglichen Versionen oder Gewissheiten ein, sodass das Ergebnis dieses Zusammentreffens völlig offen ist. Diese Konstellation kennzeichnet ein Spiel. Als Mitspieler situieren und re-situieren sich beide Seiten in einer Gemeinschaft in einem Ort, in dem sie sich aufführen (vgl. Gebauer/Wulf 1998, S. 204 ff.): Das Dargestellte ist nicht vorgängig im Inneren der Mitspieler vorhanden, sondern wird im Prozess des Öffentlich-Machens hergestellt. Wie sie sich körperlich einbringen, was sie empnden und glauben und welche Ansichten sie austauschen, konstituiert eine je eigene (Ich-)Welt. Es mag nur ein Momentum sein, das hier erfahren wird. Was bleibt – auf beiden Seiten – ist, dass es im Leben des Subjekts eine Welt und Weltdeutung gegeben hat, die für ihn anders ist. Damit hebt sich diese gemeinsame Praxis von jenen afrmativen Sichtweisen ab, die im intimen Eintauchen der Touristen in die authentische Welt der Einheimischen ein pures Übernehmen und Verstehen sowie einen Nachvollzug von Kultur postulieren. Im Spiel werden kulturelle Differenzen produktiv und es hebt kulturell fest gefügte Konzeptionen des Anderen auf, ohne jedoch ein empathisches „Jetztverstehen-wir-uns“ hervorzubringen. Im Spiel sind Touristen mit Einheimischen wechselseitig verstrickt, wobei Grenzen zwischen Eigenem und Anderen oder Fremden aufgehoben sind. Man nähert sich, ohne sich abzuwenden. Performative Äußerungen wie „Mach mit !“ oder „Kann ich mitmachen ?“ erfordern Reaktionen, die durch Handlungen ausgeführt werden. Diese Situationen wie auch andere, in denen Touristen „Bereisten“ begegnen und mit welchen Sinnen auch immer wahrnehmen, können auch klassizierend wirken. In Relation zum Eigenen wird das Andere, wenn nicht gänzlich, so doch partiell inkludiert oder exkludiert. Einem „Ernähren-und-essen-wiewir“ steht einem „Wie-die-essen-so-essen-noch-nicht-einmal-Babies“ gegenüber. Letztere Wirklichkeitswahrnehmung ist eine Abwendung, Abgrenzung oder Distanzierung gegenüber Einheimischen und stellt eine Hierarchisierung kultureller Ausdrucksformen dar. Diese Opposition zwischen Eigenem und Anderen oder zwischen zu Hause und Dort produziert kulturelle Gegenorte,
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an denen sich nicht zuletzt auch Superiorität festmachen lässt. Touristen decodieren also empfangene Informationen als Zeichen des Orts- oder Raumkulturellen im Vergleich zum Eigenen. Dadurch dass der touristische Kulturkonsum in einem liminalen Raum stattndet, ist er in seinem Wirksamwerden prinzipiell offen. Dem Touristen offenbart sich je unterschiedlich Einzigartiges – Einzigartiges nicht nur in seiner zeitlichen, sondern auch in seiner räumlichen Vergegenwärtigung. Zwischen ihm und dem Ort/Raum tritt „Etwas“, das ihn erfüllt und ihm nahe kommt, indem er es konsumierend bzw. performativ ermöglicht. Was auch immer für den Touristen das Eigentliche des Ortes oder Raumes im Erleben und Spiel und beim Integrieren und Klassizieren ausmacht – was er mitnimmt –, so stellt es für ihn deren „Geist“ dar. Damit erhalten Orte oder Räume einen Kultstatus. Wie die obigen Typen des touristischen Kulturkonsums zeigen, nehmen Touristen etwas Eigentliches für sich mit. Diffundiert diese Mitnahme im Alltagsraum bzw. in der Gesellschaft, wird also aus der Möglichkeit eine gelebte Alltagswirklichkeit, dann trägt der Tourismus zur kulturellen Hybridisierung der (Post-)Moderne bei.
Seitenblicke Die Attraktivität von touristischen Kulturangeboten für den heutigen Menschen rührt daher, dass sie ihm eine Möglichkeit geben, sich mit oder gegen sie zu verorten. Man fühlt sich angezogen oder abgestoßen von den mittelalterlichen Gebäudeensembles, dem unbeschwerten einfachen Leben, dem „anderen Spanien“ oder der Exotik Balis und damit stets einem Ort oder Raum, zu denen man sich hinbewegen muss, um das zu erfahren, von dem dann später die Rede und Erinnerung ist. Kulturelles ist aber auch für das Tourismusmarketing eines Raumes oder Ortes attraktiv. Es markiert Orte/Räume und invisibilisiert objektiv Gegebenes. Dies mögen einheimische Tourismusakteure als Entlastung empnden, sollen doch nur die „schönen“ Dinge in den touristischen Erfahrungsraum und in das Destinationsbranding gelangen. Das Andere verliert durch diese touristische Vereinnahmung seine Macht, sich selbst zu bedeuten, zu bejahen oder zu negieren. Nur im performativen Kulturkonsum scheint kulturell Anderes bzw. kulturelle Differenz zu Wort zu kommen. Hierbei erfahren Touristen wie auch Einheimische, dass sich Identität nicht durch einen Faktor festschreiben lässt. Dass das Tourismusmarketing Kulturelles nahezu beliebig bezeichnet und Touristen daraus Unterschiedliches für sich erschließen, dokumentiert allerdings eine prinzipielle Offenheit und Ambivalenz des Kulturellen. Es ist der Tourismus selbst, der dazu beiträgt, dass Kulturelles in Reinform und territorialer Gebundenheit zu einer Fiktion geworden ist. An Touristen nehmen Einheimische kulturelle
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Bedeutungsunterschiede wahr und umgekehrt. Insofern ist die Choreographie touristischer Bewegungen, die gemeinhin in enklavisierten Räumen angesiedelt werden, in Frage zu stellen: So sehr auch Skripts gefolgt werden mag, so bändigen sie nicht den Seitenblick, der Vorgegebenes unterläuft und kulturelle Alternativen offenbart. Dies ist keine idealistische Quintessenz. Schon längst stehen „alternative“ Reiseveranstalter bereit, die hinter den Kulissen oder front stages das „reine“ Andere und die kulturelle Differenz offen legen und den Touristen nahe bringen (wollen). Die Geographie des kulturell Anderen bleibt mit dem Tourismus symbiotisch verbunden.
Topographie des Erlebens Zur Verortung touristischer Erlebniswelten
In der Postmoderne wird das touristische Raumerleben vom Ortsbezug auf Erlebnisbezug umgestellt. Räume und somit Orte sind zwar immer erlebt worden, doch nun wirkt der Raum auf den Touristen bzw. Reisenden nicht mehr von seinen Gegebenheiten her. Ebenso wenig sind die Handlungen des Touristen mit diesen Raumverfasstheiten verbunden. Die räumlichen physischen und soziokulturellen Verfasstheiten (= Gegebenheiten) spielen für die Einteilung und die Wahrnehmung der touristischen Welt keine Rolle mehr. Die touristische Welt ist vielmehr – an lokalisierenden Anhaltspunkten angelehnt – ein Produkt sozialer Konstruktionen und imaginärer Geographien. Der Tourismus ist ein „Geographie-“ bzw. „Raummacher“ ersten Grades: Räume der Orte werden mit bestimmten Vorstellungen, Werten und Gefühlen aufgeladen, in einem dazu passenden Kontext präsentiert und sie schreiben sich dann mit entsprechenden Assoziationen in das touristische Gedächtnis ein (vgl. Kirshenblatt-Gimblett 1998 und Shields 1991). Was ihm dort, im von zu Hause abgewandten Ort, als Erlebnis (an-)geboten wird oder wurde, dies erkennt der Tourist und daran kann er sich erinnern. Wenngleich mit dieser Abdankung des Raumes in seiner Verfasstheit eine Homogenisierung touristischer Angebote wenn nicht erreicht, so doch aber erleichtert oder zumindest eingeleitet wird, so tritt aber keine Orientierungslosigkeit ein. Es werden veränderte Orientierungsmaßstäbe geschaffen, die im Erlebniswissen des Touristen gespeichert sind. Dieses Erlebniswissen speist sich nicht mehr vom geographischen Ort her (= Toposwissen), wonach zwischen dem Erleben und dem touristischen Subjekt der Ort steht. Der Ort wird stattdessen durch Ereignisse ersetzt, die dem Touristen vorgehalten werden und die somit das Erleben atopisch machen, können doch Ereignisse überall oder irgendwo inszeniert werden. Das touristische Erlebniswissen ist ortslos (geworden). Der geographische Ort wie beispielsweise Berlin ist zwar gegeben, doch das Erleben dieses Ortes geht aus einem Ereignis wie z. B. der Love Parade hervor. Gesucht wird nicht mehr ein konkreter Ort, sondern derartige und andere Ereignisse, die irgendwo sein können (Ereignisse können auch sozialer und physischer Natur sein wie etwa „Leben mit Einheimischen“ und „Sonnenstrandspaß“). Das postmoderne touristische Toposwissen beinhaltet (infra-)strukturell hervorgebrachte Ereignisse (wo was geschieht; wo was los ist), die die Garantie für das Erleben sind. Wo sich nichts mehr ereignet bzw. wo nichts mehr los ist, erscheint weder auf der touristischen noch auf der mentalen Landkarte. Weil sich Ereignisse K. Wöhler, Touristifizierung von Räumen, DOI 10.1007/ 978-3-531-92761-9_11, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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translozieren lassen, also irgendwo stattnden können, erfährt der Ort bzw. der Raum einen Bedeutungsverlust. Er wird angesichts der Zeit, in der etwas vor sich geht, zur Bagatelle. Der Tourismus huldigt der Zeit und nicht (mehr) dem Raum. Wenn sich ein Tourist an einem bestimmten Ort aufhält, dann kann folglich nicht mehr rückgeschlossen werden, dass es die gegebene Verfasstheit des Ortes ist, aus der heraus eine Differenz oder etwas Anderes zum Touristen erwächst. Das Andere oder Fremde, das der Tourist im Gegensatz zu seinem Alltag sucht, ist vom Ort entkoppelt. Das Andere/Fremde lässt sich in der Gestalt von Erlebniswelten von einem Ort zum anderen bewegen. Touristische bzw. touristizierte Orte mutieren zu moving objects (Boniface/Fowler 1993, S. 121 ff.; vgl. auch moving targets bei Welz 1998).
Touristische Topographie Die am weitesten verbreitete und weitreichende Präformierung der touristischen Welt ist die Zentrierung nahezu jeden Ortes, der sich um Touristen bemüht. Die Tourismusorte liegen im Zentrum bzw. in der Mitte der Welt oder eines Weltausschnittes. Alle Wege und/oder Streckenführungen der Verkehrsmittel weisen auf dieses Zentrum hin. Was nicht im Zentrum liegt und wer nicht ins Zentrum gelangt, gehört zur Peripherie bzw. ist aus der Peripherie ins Zentrum gekommen. Das Periphere ist nebensächlich und randständig. In der Peripherie bewegt man sich nur herum und kommt zu keinem Fixpunkt. Das Zentrum bildet dagegen den Mittelpunkt als Ausgang und/oder als Ziel von Erlebnissen in einer anderen, bedeutenderen Welt. Einen Tourismusort zum Zentrum zu weihen, ist allerdings keine Gegenwartserscheinung. Diese touristische Ordination reicht in die Antike zurück, ist im Mittelalter mit den Pilgerfahrten allgegenwärtig und wird seit der Neuzeit bei der „Grand Tour“ penetriert (vgl. Leed 1993). Fortan hat sich diese räumliche Strukturvorstellung des Zentrums, in dem sich etwas Wesentliches ereignet, das am und/oder im Reisenden/Touristen wirkt, durchgesetzt. In der Peripherie geht dagegen nichts oder nicht viel Bedeutendes vor, das den Menschen voranbringen kann bzw. könnte. Heute ist das Fortbewegen vom Zuhause ins Zentrum des Lebens gerückt (vgl. Bauman 1997). Der Unterschied zu früheren Zeiten besteht darin, dass die Reiseziele bzw. aufgesuchten Tourismusorte keine Bestandteile einer vertrauten, durch Tradition begründeten Topographie des Reisens sind. Sie sind hingegen beliebige Teile einer touristischen Landkarte, auf der mehr oder weniger Flüchtiges eingearbeitet ist: Die touristische Geographie korrespondiert mit jeweiligen Trends, durch deren touristische Widerspiegelung Orte ins Zentrum rücken bzw. sie sich selbst als im Zentrum be ndlich deklarieren.
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Ein Tourismusort ist daher als ein Tempetopos zu begreifen, als ein schöner Ort in einer widrigen Welt. In einem derartigen Ort sind die Handlungen der Touristen nicht (mehr) mit der Lage und Beschaffenheit (= Verfasstheit) des Ortes verochten. Was auf sie einwirkt und in ihnen Emotionen sowie Reaktionen auslöst, ist ebenfalls nicht (mehr) auf diese Verfasstheiten zurückzuführen. Das hiermit beschriebene Erleben (= Handlungsverechtung ruft Wirkungen und Reaktionen hervor) ist vielmehr atopisch und macht sich an Ereignissen fest, die beispielsweise mit den neuen Wellness-Angeboten, den schon „alten“ Themenparks, den Pistengaudis, einem Pilzsammlerwochenende, dem Shopping oder schlicht mit dem Strandleben in südlichen Gelden verknüpft werden. Ein touristischer Tempetopos beschreibt sich von seiner Wirkung auf den Touristen her, d. h., dem Touristen wird ein festes Strukturgefüge (= Handlungsverechtung) mit daraus resultierenden Wirkungen angeboten. In dem Augenblick, in dem sich der Tourist in das Strukturgefüge integriert, entsteht das Ereignis, das bei ihm eine (Erlebnis-)Reaktion auslöst. Die Reaktion ist bereits mit den Angebotsbezeichnungen wie z. B. „Spaß haben“, „Wohlfühlen“, „Abschalten“ oder aber mit dem altmodischen „Ruhe nden“ vorgegeben und läuft unter der Rubrik Erlebnisse bzw. Erlebniserfahrungen. Was diese Erlebnisse herbeiführt bzw. herbeizuführen vorgibt, ist demnach ein atopisches Strukturgefüge. Das Strukturgefüge, in das sich ein Tourist beispielsweise für das Erlebnis des „Wohlfühlens“ begeben muss, ist ein „Beauty-Wochenende“. Nimmt er es in Anspruch, dann wird er verwöhnt, von Verspannungen und Verkrampfungen erlöst, und vieles andere mehr wird er im Inneren und ganz allein für sich erfahren können. Der Tourist erfährt den Prozess der Herstellung des Wohlfühlens; er erfährt und erlebt sich in der (ießenden) Zeit. Der Ort mit seinen bisweilen sperrigen und überhaupt nicht wohlfühlkompatiblen Verfasstheiten kommt dagegen nicht in den Blick. Er ist nur noch eine postalische und ad ministrative Stelle bzw. beim e-Mailen und Telefonieren gar nicht mehr existent. Die CenterParcisierung der Tourismusorte ist mittlerweile insofern vollkommen, als sie wie Center Parcs (Infra-)Strukturen bereitstellen, die raumunabhängig sicherstellen, dass etwas für, im oder am sowie mit dem Touristen passiert (vgl. in diesem Zusammenhang die McDonaldisierungsthese von Ritzer 2000). Dass durch Strukturen, also bauliche und technische sowie psychopädagogische Mittel, Erlebniswelten fernab von den Raumverfasstheiten entstanden sind und auch weiterhin entstehen, ist zwar hinlänglich analysiert worden (von A wie Arena über M wie Malls bis hin zu Z wie Zoos; vgl. Hennings/Müller 1998). Unberücksichtigt bleibt in diesen Analysen allerdings, dass in dem Maße, wie die Raumgegebenheiten ausgesperrt werden, eine Temporalisierung des Raumes bzw. der Orte stattndet. Einen Ort immer als schön zu empnden oder sich als Tourist wohl fühlen zu wollen, bedeutet notwendigerweise, sich vom unschönen oder unbehaglichen Raum zu trennen. Eine Erlösung von diesem Raum (und dadurch auch von der Gesellschaft mit ihrem Alltäglichen) vollzieht sich dadurch,
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dass anstelle des Raumerlebens das Zeiterleben tritt: Der Tourist nimmt wahr bzw. soll wahrnehmen, dass er von einem vorherigen Empndungs-/Gefühlszustand in einen anderen versetzt worden ist. Er soll erleben, dass sich etwas in/an ihm ereignet hat, das ihn in eine andere, bessere Welt im Diesseits führt. Diese besseren Welten stellen Erlebniswelten dar. Mit diesem Einbau der Zeit in Tourismusangebote (und in jegliche Freizeitangebote) in Form von Ereignissen verbindet sich eine Entwertung des Raumes (vgl. Luhmann 1997, S. 997 ff.). Dies ist nicht nur bei Events offenkundig, sondern trifft – wie oben dargelegt – für Tourismusorte generell zu, positionieren sie sich doch danach, dass sie Ereignisse präsentieren können, die ihre Besucher bewegen: Besucher werden so in Verhältnisse bzw. Arrangements (Strukturen/Handlungsverechtungen) integriert, dass sie über sich sagen (können), diese Arrangements hätten dieses oder jenes bei ihnen ausgelöst (vgl. in diesem Zusammenhang Schulze 1992, S. 427 ff.). An die Stelle des Fremderlebens tritt also das Selbsterleben, und dies bedeutet, dass sich Tourismusorte nicht mit ortsafnen Wörtern, sondern mit ortslosgelösten Formeln wie Kletterspaß, Fit & Fun, Wellness, Genießen, Paradies, Relaxen, Badevergnügen, Geselligkeit, Landleben, Authentizität, Nightlife, Abenteuer, Unterhaltung, Golfen, Umweltfreundlichkeit, Verwöhnen, Ruhe etc. sowie Erlebnissen jeglicher Art kommunikativ ausloben. Es wird folglich nicht primär ein „schöner Ort“, sondern eine „schöne“ und/oder „bessere“ Zeit angepriesen und auch von den Touristen gesucht (wenn auch nicht vom Raumbezug her gedacht; vgl. hierzu Wang 2000, S. 113 ff.). Der touristische Tempetopos ist folglich ein Platz, ein offener und freier Raum, den der Tourist gegen Entgelt nutzen kann. Als Gegenleistung wird ihm eine schöne Erlebniszeit gewährt. Der Tourist fragt folglich keinen bestimmten Ort, sondern derartige Erlebnisse bzw. erlebnisstiftende Arrangements nach (vgl. Wöhler/Saretzki 1996). Robinson-Club, Center Parc, Gran Dorado, Disneyland, Land Fleesensee, Almdorf Seinerzeit, CentrO, Film-, Themen- und Vergnügungsparks sind nur einige Beispiele für die Entwertung des verfassten Raumes und die Aufwertung von Arrangements, die überall und damit irgendwo platziert werden können. Im gleichen Atemzug sind aber auch Paris, Mallorca, Berlin, Dominikanische Republik, Sylt, Stubai Tal, Ruhrgebiet, Bleckede (an der Elbe), ja jeder Tourismusort und jede Tourismusregion zu nennen, stehen sie doch nicht (mehr) für die gegebenen Verfasstheiten, sondern für dem Raum aufgesetzte Arrangements, die mit den oben erwähnten Erlebnisformeln kommuniziert werden. Wenn der Raum bzw. der Ort zu einem Platz mutiert, der auf der Basis von Erlebnissen topographisch beschriftet wird – also vom Inneren der Touristen her –, dann kann dem „tourist gaze“ (Urry 2002) als touristischem Orientierungs- und Ordnungssystem nicht mehr Vorrang zugebilligt werden. Die Erlebnisse und Erfahrungen, die Touristen mit einem Tempetopos verbinden, erstrecken sich auf alle Sinneserfahrungen vom Sehen (gaze) übers Gehör und den Geschmack sowie
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Riechen bis hin zum Tastsinn und auf das Spüren der Körperhaltung, Körperbewegung und körperlichen Anstrengungen (Kinästhetik). Darüber hinaus schließt ein touristischer Tempetopos auch unterbewusste Bedeutungen ein (vgl. hierzu allgemein nach wie vor Tuan 1990; für den Tourismus Kie 1997). Das Toposwissen des Touristen ist daher sinnlich und kinästhetisch und nicht kognitiv in dem Sinne repräsentiert, dass ein Tourismusort mit seinen Verfasstheiten in Verbindung gebracht wird. In dem Maße, wie sich Tourismusorte erlebnisweltlich, also tempetopisch strukturieren, rückt die sinnliche und kinästhetische Wahrnehmung als Modus und damit als Orientierungs- und Ordnungsschema in die Tourismuswelt: „Wo ich etwas erleben kann, dort möchte ich hin“ lautet die Such- und Entscheidungsregel für das Verreisen. Das Andere oder Fremde, das dabei erfahren wird, ist im Touristen selbst loziert und es wird beim Erleben gefunden und/oder freigesetzt.
Raumsprache Zweifelsohne bringt die Ausstattung von Räumen bzw. Orten mit erlebnisstimulierenden Ereignissen eine neue Tourismus- und Freizeitwelt hervor. Der Tourist ist entterritorialisiert und nicht mehr raumgebunden, attraktiviert ihn ja eine atopische Erlebniswelt. Die Tourismus- und Freizeitindustrie kann global agieren, lassen sich doch Erlebniswelten überall errichten. In der Folge homogenisiert sich die Tourismuswelt. Wo sich Touristen ein- und benden, stellen sich transnationale Räume her (ethnoscapes; vgl. Appadurai 1998). Im Gegensatz zu den sperrigen und risikobehafteten konkreten Räumen lassen sich die auf festen Strukturen beruhenden Erlebniswelten weitaus ef zienter und glaubhafter vermarkten. Und wenn Raumverfasstheiten dem touristischen Konsum zugeführt werden, dann spektakularisiert und theatralisiert man sie, d. h., Land und Leute werden unter allerlei aufsehenerregendem Beiwerk zur Aufführung gebracht (vgl. Jarvis 1994). Sei es nun ein nachhaltiger Tourismus, ein Urlaub auf dem Bauernhof, eine Studienreise, das Wattwandern oder sei es auch nur der ganz einfache Pauschalurlaub in der Türkei, bühnengerecht setzt man für den Touristen irgendwo Urlaubslandschaften in Szene oder man sucht sich Raumverfasstheiten, mit deren Hilfe ein feststehendes Erlebnis-Stück aufgeführt werden kann (vgl. MacCannell 1989, S. 100 ff.). Um den kommunizierten Erlebnisformeln vor Ort gerecht zu werden, muss der Raum so verlässlich zu- und hergerichtet werden, dass der Tourist beispielsweise tatsächlich Abenteuer, Unterhaltung, Fun, Einheimische, Naturbelassenheit, Stadtkultur etc. erfahren kann. Was zuvor – von wem und welchem Zeitgeist/Trend folgend auch immer – imaginiert bzw. aus Attraktivitätsgründen erdacht wurde, wird dadurch real, d. h., Erlebnisse lassen sich wirklich räumlich verorten. Erlebnisse sind daher nicht nur aus der Sicht der Touristen authentisch („Ich habe es ja selbst erlebt, dass man dort wirklich gefährlichen Situationen ausgesetzt ist“: Abenteuerurlaub/
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Jeepsafari), sondern das Erlebnis wird territorialisiert und somit einer intersubjektiven Nachprüfbarkeit unterzogen („Wenn du dort hingehst, dann wirst du dies auch erleben“). Unter den Bedingungen dieser erlebnisbezogenen Raumaneignung und Raumerfahrung haben sich allenthalben Raumbilder entwickelt, nach denen sich sowohl die Tourismusorte als auch die Touristen ausrichten. Für den Touristen ist nur das im Raum anziehend, was Möglichkeiten des Erlebens verspricht. Infolgedessen muss der Raum erlebnisbezogen „sprechen“, d. h. solche Informationen vermitteln, die dem Touristen signalisieren, dass er dort etwas erleben kann. Sind derartige Signale bei den so genannten künstlichen Erlebniswelten à la Disneyland offenkundig, so müssen sich die Tourismusorte dahingehend auszeichnen bzw. markieren, also derart über sich sprechen, dass sie von den Touristen als Erlebniswelt wahrgenommen werden. Die Kommunikation erfolgt auf zweierlei Weise. Entweder wird der Ort oder Raum durch eine Erlebnisszenerie charakterisiert: „Paris. Nicht nur für Verliebte“ oder „Kalabrien. Entdecken Sie verborgene Plätze“. Oder aber man kommuniziert Erlebnisversprechen und ordnet ihnen einen Raum zu: „Lebendige Städte und Traumstrände“, das für Mexiko und „Adventure Tour“, das für Australien stehen soll (aus: FTI-Katalog „Erlebnisreisen“, 2001). Weniger illustre Destinationen teilen sich als „Freizeitspaß in Hessen“ und „Raderlebnis über die Sickinger Höhe“ oder als „Romantisches Celle“ mit. So oder so zielt die touristische Kommunikation darauf ab, den Ort bzw. Raum nicht in seinen Gegebenheiten nahe zu bringen. Es erfolgt vielmehr eine mehr oder weniger nachhaltige Ortsvernichtung, indem zum einen der noch so unbeträchtlichen Erlebniswelt irgendwo ein Platz zugewiesen wird und zum anderen assoziiert der Tourist mit dem Verreisen bzw. Urlauben Erlebnisse, die nur noch etwas über ihn und nichts mehr über den Ort aussagen. Dass mit Urlauben bzw. Verreisen Erlebnisse verknüpft werden, liegt indes in der Logik des Tourismus: Das Erlebnis emotionalisiert uns nicht nur und spricht die Sinne an, es hebt sich darüber hinaus vom Alltag ab und es bleibt uns als Nicht-Alltägliches in Erinnerung. Man bewegt sich demnach von der strukturierten Zuhause-Alltagswelt mit der Erwartung weg, um andernorts etwas zu erleben, und dies bedeutet, sich in unstrukturierte Situationen zu begeben, in denen man dann aufgrund seiner sinnlichen und kinästhetischen Wahrnehmung dem Erfahrenen bzw. Erlebten eine Bedeutung verleiht und auf diese Weise den Aufenthaltsort strukturiert (vgl. Currie 1997). Man erschafft sich also seine eigene Welt, eine andere Realität als die der Alltagsexistenz: Durch die Strukturierung der Urlaubswelt kraft Erleben erschafft man sich selbst neu oder anders ausgedrückt, eine Erlebniswelt ist eine Pforte der Postmoderne zu einer besseren, vorbehaltlos gestaltbaren Welt (vgl. in diesem Zusammenhang Eliade 1998, S. 26 ff.). Wenn das postmoderne Individuum andernorts eine zweite Chance der Selbsterschaffung erhält, dann muss der verfasste Raum von ihm entgegenstehenden Hin-
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dernissen geleert werden. Insbesondere müssen solche Hindernisse weggeräumt werden, die die Alltagswelt zu Hause prägen und das Handeln ohne Rücksicht auf Empndungen strukturieren. Dieses Wegräumen geschieht nicht real. Es vollzieht sich durch schlichte Negation und die Herausstellung von solchen Handlungsoptionen, die eine Gegenwelt zum Alltag signalisieren. Allein schon die Nennung, dass sich Erlebnisse z. B. beim Radfahren, Strandleben, Shoppen, Skaten, Wandern, Essen oder gar bei der Kontemplation einstellen, deutet darauf hin, dass dort ein Raum ist, den man für sich ordnen und somit quasi voraussetzungslos erschaffen kann. Neben diesen offensichtlichen Erlebnissignalen existieren noch eine Reihe weiterer Zeichen, die dem Touristen sagen, dass sich dort ein Raum bzw. Ort für Erlebnisse bendet, in dem er dann im Zentrum der „wirklichen Welt“ steht: einer Welt, in der nur seine Empndungen und Sinndeutungen zählen. Erlebnisweltliche Handlungszusammenhänge repräsentieren sich vornehmlich durch Abwesenheit von Arbeit. Die Raumwelt der Erlebnisse ist von dem zentral prägenden Struktur- und Differenzierungsprinzip moderner Gesellschaften insofern befreit, als sie sich gegenüber dem Touristen nicht mit Merkmalen wie beispielsweise Rationalität, Ef zienz und Kontrolle darbietet. Statt mit diesen mit Arbeit assoziierten Kriterien wird der Tourismusraum bzw. -ort als ein Areal charakterisiert, in dem man z. B. Wohlfühlen, Spaß, Freude, Unbekümmertheit etc. erfährt und wo man feiert, sich gehen lässt, den Gefühlen folgen u. a. m. kann. Derart ausgelobte Areale erscheinen als (noch) unbesetzt und folglich subjektiv gestaltbar. Dem Touristen wird mit anderen Worten angezeigt, dass ihm in dieser diesseitigen Welt ein Raum zur Verfügung gestellt wird, in dem er sich nicht aufgrund von Arbeit realisieren muss, sondern er gewinnt seine Identität durch eine bare Selbstbezüglichkeit. Insofern sind Erlebniswelten regressiv, verweisen sie doch auf die zurückliegende Kindheitslebensphase, in der sich der Mensch die Welt nach subjektiven Be ndlichkeiten erschließt. Erwachsene, die das Strandleben genießend erleben, fühlen sich in der Tat in ihre Kindheit zurückversetzt (vgl. Tunstall/Penning-Rowsell 1998). Den Raum bzw. Ort sinnlich, emotional und körperlich zu erschließen, heißt, ihn so zu inkorporieren, dass er nach diesen leiblichen/körperlichen Modi identiziert wird. Aus einer solchen fundamentalen Inkorporation erwächst eine starke Raumidenti kation und Raumbindung. Erlebniswelten stellen daher keine Nicht-Orte dar, denen ein Bindungs- und Identitätsbildungswert abgesprochen wird (so bekanntlich Augé 1994). Die Erlebniswelt als einen nichtfunktionalisierten Raum darzustellen, in dem die Sinne und der Körper als Erlebniseinheit die Aufgabe der Strukturierung übernehmen, bedeutet auch, sie als Experimentierfeld zu installieren. Den Touristen wird demzufolge nicht nur kommuniziert, dass Erlebnisse gesellschaftlich voraussetzungslos sind – Erlebnisse sind z. B. in keine sozioökonomischen Unterschiede und Konikte eingebettet –, sondern sie bleiben auch für den Raum bzw. Ort konsequenzlos: Über welches Erlebnis auch immer informiert wird, so wird allein
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über die Wirkung des Erlebnisses bzw. genauer: des Ereignisses auf den Touristen gesprochen. Erlebnisse entkoppeln die Touristen nicht nur von ihrem sozialverfassten Heimat- bzw. Herkunftsraum, sondern auch von den Verfasstheiten des Raumes oder Ortes, in dem erlebnisstimulierende Ereignisse in Szene gesetzt werden. Die mit Erlebniswelten verkoppelten Signale deuten demnach auf einen in jeder Hinsicht offenen Handlungsraum hin, in dem sich der Tourist über sich selbst erkunden kann, ohne dabei Gefahr zu laufen, dass er dabei für etwaige auftretende negative Folgen sanktioniert wird. Das Gegenteil ist der Fall, ndet doch der Erlebnisweltbesucher bei den anderen Besuchern und den Animateuren Aufmerksamkeit, und dies bedeutet im Ergebnis, dass er ermutigt wird, dieses und jenes für sich auszuprobieren. Erlebniswelten ermöglichen ähnlich wie freie Spiele, eine Vorstellung über sich selbst und über den Anderen zu entwickeln. Aufmerksamkeit und Ermutigung erklären zu keinem geringen Teil die Bindung gegenüber Erlebniswelten, was nicht zuletzt auch die Konsumwelten veranlasst, sich als Erlebniswelten zu etablieren (vgl. Holt 1995; Pine/Gilmore 2000; Bindung heißt u. a. Wiederbesuch, Weiterempfehlung, Cross-Buying). Wenn jemandem Aufmerksamkeit zuteil wird und man zum Ausprobieren ermutigt wird, dann sind damit auch beste Lernvoraussetzungen gegeben. Erlebniswelten können daher als (postmoderne) Lernorte begriffen werden (vgl. Nahrstedt/Brinkmann/Theile/Röcken 2001). Es wird aus diesem Zusammenhang heraus verständlich, Erlebniswelten mit Zeit zu konnotieren: Dem (touristischen) Besucher wird nicht nur Zeit zum Ausprobieren, Erkunden, Erfahren und Beobachten gelassen. Es wird ihm ebenfalls zugestanden, eine Auszeit vom reglementierten Alltag zu nehmen und dabei seine „verlorene“ Zeit nachzuholen. Der Aufenthalt in Erlebniswelten stellt sich folglich nicht als Raumnutzung, sondern als eine souveräne Zeitnutzung dar. Erlebniswelten haben als Referenz zuerst „bessere“ Zeit und dann erst „schöne“ Orte; sie erlösen den postmodernen Menschen nicht nur von Raumfesseln, sie befreien ihn darüber hinaus auch von zeitlichen Fesseln. In den Erlebniswelten erlangt er Zeitsouveränität, d. h., ihm wird der Zeitdruck genommen und Wohlbenden gegeben (vgl. Geißler 1999). Erlebniswelten sind aufgrund ihrer atopischen Erscheinung nicht nur immer und überall da, sondern sie kommunizieren außerdem, dass sie sich den persönlichen Präferenzen und Rhythmen anpassen. „Leben und leben lassen“ könnte die Botschaft sein, um damit zu signalisieren, dass man in Erlebniswelten Zeit erhält, um sich selbst zu erschaffen bzw. sein eigenes Werk zu werden, ohne sich dabei gegenüber anderen verantworten zu müssen (tatsächlich wirbt das künstliche Almdorf „Seinerzeit“/Kärnten mit dieser Aussage). Erschließt sich die Raumwelt der Erlebnisse mit dem Hinweis auf eine wohlbe ndliche und eigennützliche Zeit des Menschen, dann korrespondiert sie mit der Individualisierung in der Gesellschaft (vgl. Beck/Beck-Gernsheim 1994, S. 36): Wenn Gesellschaften nur noch im Experiment ihrer Selbstdeutung, Selbstbeobachtung, Selbstndung
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und Selbsterndung integrierbar sind, dann haben sie in den Erlebniswelten ihr räumliches und zeitliches Pendant.
Erlebniswelten oder „Erlebnisweltler“ als das Fremde ? Touristische Erlebniswelten und deren Besucher nicht außerhalb, sondern innerhalb der eigenen Gesellschaft und gar innerhalb der westlichen Gesellschaft zu verorten, wirft die Frage nach dem ethnologischen Forschungsgegenstand auf. Einer ethnologischen Tourismusforschung ist der Boden entzogen, wenn sie davon ausgeht, dass sich das Fremde in Orten bendet, die dem Gewohnten und Vertrauten räumlich abgewandt sind. Erlebniswelten sind uns vertraut; sie sind in der Nähe und in der Ferne; wir besuchen sie nach dem Feierabend, am Wochenende und auch im Urlaub. Man kann sogar soweit gehen und sagen, dass sich der Alltag insofern touristiziert hat, dass die Menschen der westlichen Welt nicht nur tagtäglich nomadisieren bzw. unterwegs sind, sondern darüber hinaus im Alltag touristisches Verhalten demonstrieren (z. B. Freizügigkeit in der Bekleidung, Gastronomiebesuch, Hedonismus, Unbekümmertheit etc.). Kurzum, der postmoderne Mensch versucht, indem er aus der Vielfalt der Optionen etwas Passendes für sich auswählt, seine Imaginationen derart Wirklichkeit werden zu lassen, dass er sein Zuhause verlässt, um „etwas zu erleben“ (vgl. Schulze 1992). Der Alltag wird zur Erlebniswelt. Damit ist der ethnologische Zugang genannt: Während die „Alltagserlebniswelt“ mehr oder weniger bewusst selbst hergestellt wird, taucht mit den touristischen Erlebniswelten eine schon bestehende reale Möglichkeit auf, sich andernorts an jeweils unterschiedlichen Gegenständen und Ereignissen zu erfahren. In den Erlebniswelten erschafft sich der Mensch selbst, und dies bedeutet insbesondere, dass er zu sich selbst zurückkehrt. Wenn auch schon durch ungezählte Nennungen trivial geworden, so trifft es dennoch zu: Es geht um die Entdeckung des Fremden im Eigenen (vgl. Kristeva 1990). Das Fremde ist nicht der verfasste Raum oder Ort; es ist auch nicht die jeweilige Erlebniswelt. Fremd wird sich der Erlebnisweltbesucher selbst, wenn er spürt und fühlt, dass sich etwas in ihm ereignet. Darauf zielen ja – wie dargelegt – Erlebnisse ab. Zur Sicherstellung dieses Ziels werden die sperrigen Raumrealitäten weggeräumt. In Erlebniswelten kehren Leib und Körper als Wahrnehmungs- und Handlungseinheit zurück, und dies heißt, dass dem postmodernen Menschen andernorts bewusst wird, dass sein Körper das Fundament und der Akteur seines Lebens und Erlebens ist (vgl. hierzu MerleauPonty 1966). Erlebniswelten führen in eine verschüttete und daher fremde innere Welt des Subjekts (leibliche Lebenswelt). Man mag es als einen postmodernen Hohn beklagen, dass ausgerechnet inszenierte und mithin künstliche Erlebniswelten und nicht die reale Raumwelt dieses fundamental Fremde im Menschen hervorkehren. Erkenntnistheoretisch führt
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diese Klage jedoch nicht weiter. Eine ethnologische bzw. kulturanthropologische Tourismusforschung kann sich nicht über die Bedingungen, die den empirischen Gegenstand konstituieren, beschweren. Sie muss sie vielmehr erschließen, analysieren und interpretieren. Man kann aber aus erkenntnistheoretischen Erwägungen heraus kritisieren, dass die tourismuswissenschaftliche Forschung den Körper des Touristen übersehen hat (vgl. Veijola/Jokinen 1994). Statt beispielsweise den Abenteuertourismus als inszenierte Schein-Erlebniswelt zu identizieren, die den Touristen vom wirklichen Anderen (Kultur- und Landschaftsraum) entfremdet, kann er als ein Rahmen begriffen werden, innerhalb dessen sich der Tourist performativ (ent-)äußert und auf diese Weise erfährt, dass er zur Welt hin leiblich verbunden ist (vgl. Cloke/Perkins 1998). Die hierbei erfahrene andere Realität ist nicht das Abenteuer, sondern die des eigenen Körpers, die der Emotionen und die der Bewegungen zum Raum hin. Das Abenteuer konstituiert sich also nicht räumlich, sondern performativ. Dass so sehr, wenn nicht ausschließlich, das Andere oder Fremde in den raumgebundenen Kulturen gesucht und gefunden wurde, ist evident, basiert doch die touristische Interaktion auf der Begegnung mit anderen Kulturen. Angesichts der global installierten Erlebniswelten wird dieses Paradigma jedoch immer mehr zum Mythos. Als Tourist begegnet man Anderen, mehr aber auch nicht. Je nach seinen Präferenzen, soziokulturellen und geschlechtlichen Hintergründen begibt man sich in Erlebniswelten und ist dort auf der Suche nach dem Anderen: Man will bei sich selbst das Andere bzw. Wirkliche nden und von dieser Selbstbezüglichkeit aus die Welt außerhalb schaffen, d. h., sie zu seiner eigenen machen (vgl. Wearing/Wearing 2001). Erlebniswelten sind keine „falschen“ Welten, sondern der Rahmen für diese Suche. Der ethnologischen Tourismusforschung bleibt es aufgetragen, je unterschiedliche Erlebnis-Rahmen bzw. erlebnisstiftende Arrangements zu analysieren und zu fragen, welche körperlichen Bewegungen, Emotionen und Intentionen sie denn bei den Touristen auslösen. Das Fremde oder die andere Realität liegt demnach nicht einfach da bzw. vor. Um es als Forscher in den Griff zu bekommen, ist den Prozessen beizuwohnen, in denen Erlebniswelten Bestandteil der inneren Welt und des Körpers des Touristen werden.
Konvergenzen – Zur postmodernen Organisation des Tourismuskonsums
Wir be nden uns in einem neuen Reisezeitalter. Ist es spätestens seit der Kavalierstour offenkundig und damit evident, dass der fremde Aufenthaltsraum und somit die Fremderfahrung durch soziokulturelle Kriterien des Heimatraumes vorselektiert wurden, also eine unvermittelte Wahrnehmung nicht stattfand (vgl. Grosser 1999), so bedarf es heute nicht einmal mehr des Ortswechsels, um sich im Fremdartigen oder Außeralltäglichen selbst zu vergewissern und/oder selbst zu erfahren. Aufgrund postmoderner Prozesse bilden sich in unterschiedlichen Räumen gemeinsame Merkmale und Strukturen heraus, die Unterschiede zwischen Heimatraum (Alltag) und Fremdraum (alternativer Erfahrungsraum) aufheben bzw. verschwinden lassen. Im Ergebnis liegt das Reiseziel (Destination), wenn nicht um die Ecke, so doch aber im Nahbereich des Alltagsraumes. Dass sich Räume immer mehr ähneln, liegt daran, dass sie inszeniert werden, und dies bedeutet, dass Räume der Orte nach bestimmten ubiquitären Bildern und Leitgedanken (Themen) gestaltet werden. Die gestalteten oder inszenierten Orte geben die Handlungs- und Wahrnehmungsstrukturen der Individuen vor und nicht umgekehrt. Gleichwohl vollzieht sich ihre Gestaltung oder Produktion im Modus der Konzeptionalisierung (vgl. Lefebvre 1991). Eine Inszenierung des Raumes für Freizeit- und Konsumzwecke impliziert u. a., dass sich Urlaubsorte, Ferienregionen und ganze Nationen nicht mehr vom gelebten und substanziell gegebenen Raum (real-life destination) her verstehen und de nieren. Der Tourismus ist eine zentrale, global tätige Abschaffung der raumverfassten sperrigen Wirklichkeit, die sich in der Realität der Inszenierungen auöst. Jedwede touristische Entwicklung hat die Tendenz, sich alles nach und nach untertan zu machen und spezisch zu behandeln, sprich: zu thematisieren. Kultur wird zur Folklore, Landschaften werden zu Wanderwegen, Skipisten, Mountainbikestrecken etc., Einheimische zu Servicepersonal oder „unberührte“ Gebiete zu Ökotourismusangeboten. Das Ruhrgebiet mutiert zur „Erlebnis- und Kulturregion“. Heide-Urlauber werden mit „Liebe Erlebnis-Heide-Urlauber“ angesprochen, die die Lüneburger Heide bei einer Wander-, Rad- oder Kanutour, bei einer Kutschfahrt und vom Pferderücken aus „am besten“ (!) kennen lernen können. Der touristische Konsumraum, gleich wo auf dem Globus, steht demnach für etwas, das zwar real, physisch und materiell mit dem Raum verbunden ist. Doch das jeweilige attraktivierende Raumthema kategorisiert so, als ob der Raum keine anderen Strukturen als die der touristischen Erlebniswelten besitzt. Nur in Extremfällen, K. Wöhler, Touristifizierung von Räumen, DOI 10.1007/ 978-3-531-92761-9_12, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Bombenanschläge und Geiselnahmen von Touristen oder weniger dramatische landesübliche Gegebenheiten wie z. B. Unwetter, die unerwartet und entgegen allen Immer-nur-Sonne-Garantien die schöne Urlaubswelt auösen, rufen in Erinnerung, dass Tourismusorte in je substanziell gegebenen Räumen eingebettet sind. Die Inszenierungsspirale dreht sich unaufhaltsam und erfasst jeglichen Raum. Was im Raum touristisch fehlt, wird als Erlebnisszenerie hergestellt. Es klingt wie ein Paradoxon, dass selbst Freizeitparks, die ja bereits Inszenierungen sind, einer Inszenierung unterliegen. Freizeitparks rüsten nach bzw. auf und nehmen die Gestalt von Resorts an, indem sie sich um Unterkünfte, Marktplätze, Straßen, Versorgungseinrichtungen, kulturelle Einrichtungen etc. erweitern. Verwandeln sich herkömmliche Destinationen wie beispielsweise die Lüneburger Heide oder die Stadt Essen in Freizeit- oder Eventparks, so nehmen nun die Freizeitparks den Charakter von Eventdestinationen an, in denen man einige Tage urlauben kann. Es ist nur folgerichtig, wenn beispielsweise mit dem „Land Fleesensee“ oder den (Urban) Entertainment-Centern gleich alles aus einem (Inszenierungs-)Guss hergestellt bzw. errichtet wird: Um ein oder mehrere Themen herum ndet der Tourist vom Gastgewerbe über den Einzelhandel bis hin zur Apotheke alles, was er für seinen Freizeitkonsum benötigt bzw. benötigen könnte – er ist woanders zu Hause. Dies ist in knappen Zügen die Beschreibung des postmodernen Tourismus. Sie bringt die weit reichende Erkenntnis, dass er den konkreten Raum mit seinen alltäglichen kulturellen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Verfasstheiten einerseits verschwinden und andererseits in einem neuen Gewand auferstehen lässt. Der Raum als solcher, der das vermeintliche „Kapital des Tourismus“ darstellt, verliert jedweden Wert. Nur der touristisch in Wert gesetzte Raum, der jetzt als inszenierter Raum weltweit nomadisiert und bloße Räume ins Wettbewerbsabseits stellt, ist ein handelbares Tourismusprodukt. Warum ist diese Entwicklung eingetreten ? Ist diese Entwicklung Bestandteil allgemeiner Prozesse und Strukturen ?
Touristizität „ohne Raum“ Entschlösse man sich, eine Reisegeschichte bis in die heutige Zeit zu verfassen, dann würde man am Beispiel schon eines Ortes aufzeigen müssen, dass er seit dem ersten Besucher einer „Epidemie der Signikation“ (Treichler 1987) ausgesetzt ist: Orte und Räume (Materie) werden im Verlauf der Zeit mit einer Vielzahl unterschiedlicher Sprachausdrücke und Vorstellungen (inhaltlichen Bildern) belegt. Dies ist evident, können doch Räume nicht als direkter Emittent des Wissens bzw. der Informationen über sich fungieren (vgl. Dann 1996a). Wann und wo auch immer ein Reisender/Tourist einen Raum betrachtet, sich ihn aneignet und ihn kognitiv sowie emotional „verarbeitet“, stets spricht er über ihn (vgl. Schweizer/Katz/ Janzen 2000). Den fremden Raum derart – sprachlich – zu erfassen, ihn also mit
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bedeutungsstiftenden Ausdrücken anzueignen, bedeutet, dass Raum-Wirkliches über Sprache erschlossen wird. Da die Sprache gesellschaftlich konstituiert ist und permanenten Beeinussungen unterliegt, repräsentieren versprachlichte Raumbilder nicht den realen Raum, sondern sie konstruieren ihn als ein semiotisches, Bedeutungen produzierendes Feld. Das „Wirkliche an sich“ des Raumes (= das Raum-Reale) und somit die Erfahrung des Authentischen bleibt dem mehr oder weniger Reisenden verschlossen. Das Raum-Reale ist ihm lediglich symbolisch zugänglich, und dies bedeutet einerseits, dass, mit welchen sprachlichen Symbolen bzw. „Texten“ auch immer das Handeln und Erleben strukturiert wird, das „Wirkliche“ niemals in die touristische „Erlebniskultur“ integriert wird. Und andererseits folgt aus der symbolischen Abbildung der Raumwirklichkeiten, dass sich das Raum-Reale den symbolischen Eingriffen und Formierungen nicht verweigert. Erst – und dies ist für den Fortgang der weiteren Überlegungen zentral – durch Symbolsysteme lässt es sich handhaben (= managen) und kommunizieren. Insofern bilden Symbolsysteme Wirklichkeiten; es entsteht etwas, das vorher nicht da gewesen ist (vgl. Cassirer 1964, 1977a, 1977b). Wie jegliche Räume so sind auch Tourismusräume nicht schon durch einen territorialen Rahmen vorgegeben, sondern sie sind durch unterschiedliche textliche/ sprachliche/bildliche Darstellungsformen, die im Heimatraum gründen, geschaffen worden. Erst wenn einem Raum ein „touristischer Sinn“ zugewiesen und ihm damit eine „symbolische Prägnanz“ (Cassirer) zuerkannt wird, ist er ein wirklicher Tourismusraum, eine touristische Destination (= Touristikation). Touristizierte Orte und Räume sind daher atopisch, also Nicht-Orte in dem Sinne, dass sie zwar materiell sind (von mater = Mutter; dem Erdmutterboden zugehörig); doch sie bilden eben nicht das Raum-Reale ab und können daher überall sein. Vor diesem Hintergrund rückt die dem Touristen zugeschriebene Suche nach dem vermeintlich Authentischen in das Reich der Illusion. Obwohl die touristische Raumwirklichkeit nicht als vorgegebener bzw. verfasster Erfahrungsraum, sondern als eine kulturelle Konstruktion anzusehen ist, die folglich ohne eine Koexistenz im Heimatraum nicht denkbar ist (vgl. Edensor 2000a; Leed 1993), bleibt dennoch das Begehren übrig, das Authentische im anderen (touristischen) Raum zu nden. Geht man davon aus, dass sich der Tourismus von der Touristizität her entfaltet, also von dem individuellen Handeln oder Erleben, welches sich auf die Unterscheidung alltäglich/außeralltäglich bezieht, so folgt ja gerade aus dem Atopischen und Konstruktivistischen des Tourismusraumes, dass jedwedem Raum diese Differenz symbolisch und auch technisch angehängt werden kann. Es sind diese hergerichteten Räume, die authentisch erfahren werden und die den Stoff für Sinnbildung hergeben. Seien es nun Themenparks oder Anlagen für Pauschaltouristen, so stellen diese Tourismusräume für den Menschen fraglose Räume wie alle anderen dar, in denen sie Wirkliches bzw. Authentisches und Anderes erfahren und erleben (vgl. McIntosh/Prentice 1999; Waller/Lea 1999). Es ist demzufolge
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alles authentisch, d. h., eine Diskussion über Authentizität erübrigt sich angesichts der oben beschriebenen symbolischen Konstitution der Welt. Mit Wang (1999) ist daher davon auszugehen, dass eine „existenzielle Authentizität“ gedacht werden muss. Danach ist für den Touristen – und für jedes Individuum – das wirklich wahr, was über Körpererfahrung erlebt und individuell verortet wird. Worauf es demnach ankommt, sind Ereignisse, anhand derer sich Touristen/Reisende genuin und somit (körperlich) authentisch erfahren bzw. die (mit-)erlebt werden können. Auf eben diese Ereignisproduktion ist der postmoderne Tourismus angelegt. Bei dieser Ereignisproduktion ist die bisweilen raue Raumwirklichkeit wenn nicht kontrafaktisch, so doch aber im Weg. Wenn man den Realraum nicht, wie in Burma (Myanmar) geschehen (Philp/Mercer 1999), vom „Atouristischen“ diktatorisch purizieren kann, um für den Touristen attraktive Erfahrungswelten herund bereitzustellen, dann bleibt nur eine Möglichkeit: Der Tourismus löst sich aus dem konkreten Raumzusammenhang heraus und gestaltet sich nach der Codierung „außeralltäglich/alltäglich“ (zur Systembildung aufgrund von Codierung bzw. Leitdifferenz siehe Luhmann 1997, S. 255 ff.). Der Tourismus operiert im Binnenbereich danach (Angebotsgestaltung) und nach außen hin kommuniziert er diese Leitdifferenz symbolisch. Der Tourismus – bzw. genauer: das Tourismussystem – spannt mit dieser Unterscheidung „± außeralltäglich“ seine eigene Welt auf und gewinnt so seine eigene Identität. Mittels des Negationswertes „alltäglich“ werden permanent Binnen- und Außenereignisse geprüft, und dies bedeutet, dass der Tourismus immer für solche Räume/Angebote offen ist, die, wie beispielsweise ein umweltverträglicher Tourismus, in das System der Außeralltäglichkeit passen. Der systemspezische Code „außeralltäglich“ sondiert alle Ereignisse und Umwelten. Was nicht außeralltäglich ist, wird nicht Teil des Tourismus (und somit ist er selbstreferenziell über Fremdreferenz). Dieser Grundzug bzw. diese touristischen Operationen laufen letztendlich auf eine Dekontextualisierung hinaus. Weil sich in der Touristizität des Menschen (immerfort?) das Interesse meldet, nicht im Alltäglichen aufzugehen, kann und konnte sich das Tourismussystem nur dann entfalten, wenn die Raumcodierung diesem Interesse bzw. diesem Wunsch materiell entspricht. Gemeinhin genügt schon die Symbolisierung „fremdartig“, um beim Individuum die Assoziationen „außeralltäglich“ auszulösen. Nach diesem Muster werden viele Räume gestaltet/konstruiert. „Italian Village“ in einer deutschen Stadt mag als Beispiel gelten, das zugleich ein Beleg für eine Dekontextualisierung ist. Als eine Touristizität „ohne Raum“ lässt sich dieses Beispiel charakterisieren. Immanent ist diesem Beispiel noch dieses: In derartigen Räumen sind Strukturen und Prozesse implantiert, die eine Wirklichkeit entstehen lassen, an der der postmoderne Mensch erfährt, dass es (noch) Außeralltägliches in ihm selbst und/oder an einem anderen Ort gibt. Besucht er diesen Ort, dann hält er sich in einem „Atopos“ auf – in einem Ort, der entweder von Alltäglichem gereinigt wurde oder als ein „anderer“, nicht gewöhnlicher Ort erschaffen worden ist. Touristizität
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ist stets atopisch. Der Tourismus ist „gestaged“, gleich ob er als in-situ, in-fake-situ oder out-of-situ konzeptionalisiert ist (vgl. Desmond 1999).
Thematisierung Alle (Lebens-)Räume sind heterogen. Touristische Räume müssen für das Ausleben von Touristizität geeignet sein; sie müssen Tourismushabitate sein. Damit ein Raum extern als touristisch identiziert wird, muss er sich symbolisch und intern (= angebotsbezogen) so formieren, dass er als außeralltäglich wahrgenommen wird. Die Orientierung des Raumes an der Touristizität – marketingpolitisch als „Kundennähe“ apostrophiert – ökonomisiert ihn. Auf der Strecke bleibt das „Lokalkolorit“, es sei denn, dieses wird für den Tourismus spezisch aufbereitet und konserviert (vgl. Dahles 1998; Boyer 1992). Als „außeralltäglich“ erkennbar werden Orte bzw. Räume nicht mehr durch ihre Namen, sondern durch Themen, die auf das Außeralltägliche hinweisen. Themen designen den Raum sowohl für den touristischen als auch für den internen Konsum. Die Räume mutieren zu Themenparks, die eine glückliche, andere Welt präsentieren (vgl. Sorkin 1992). Die Thematisierung des Raumes schließt stets seine Kommodi zierung ein, d. h., er soll als Ware „verkauft“ werden. Dies bedingt eine strikte Anpassung an Konsum- und Lebensstile. Diese Themenräume nehmen das Lokale nur dann in ihre Marketingstrategien auf, wenn es Voraussetzungen für Kuppelprodukte besitzt und wenn damit spezische Marktsegmente bedient werden können. Einige Beispiele für Thematisierungen.
Oberaudorf lobt sich mit „Laptop & Lederhose“ aus, wo Urlauben mit PCKursen, Relaxen und Wellness im Aromagarten, Mountainbiken etc. verbunden wird. „Mit viel Fun“ lockt ein Tal nahe Bormio (Italien), das ein „herrliches Naturparadies auf 1860 m“ besitzt; wo Urlauber langlaufen, „schlitteln“ etc. oder zu einer „einfachen Schneeschuhwanderung“ aufbrechen können. Die Lüneburger Heide und Hamburg bieten dem potenziellen Gast „Erlebnisangebote“ und „Erlebnisbausteine“ an, die allesamt unter je spezischen Themen stehen. Badgastein revitalisiert sich wie schon andere Tourismusorte zuvor mit einem „Entertainment-Center“. Andernorts werden Unterhaltungszentren als ein „Casa Italiana“ oder als orientalisches Kultur- und Erlebniszentrum in den Stadtraum hineingepanzt. Das „Gran Dorado“ im Sauerland verwandelt dieses Mittelgebirge in ein realisiertes Traumland.
Eine Gemeinsamkeit dieser Beispiele ist die Verfügbarmachung des Raumes durch Kontexte mit handlungsleitenden Bedeutungen (= Thematisierung). Diese Thema-
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tisierungen stellen eine Dimension der Postmodernisierung des Tourismus dar. Die touristische Reproduktion der genannten Räume erfolgt nicht mehr gemäß dem hergebrachten kontextuellen Charakter der Räume – etwa Berg, Strand, Heide, Kiez, Urbanität –, sie vollzieht sich vielmehr auf der Basis raumfremder Lebensstilbedürfnisse. Den Räumen wird eine thematisch sortierte Struktur auferlegt, die nicht zuletzt eine Verbindung zu globalen Trends herstellt. Das Lokale ist zu einem relationalen Raum geworden; er steht in Beziehung zur postmodernen Touristizität, wonach im Außeralltäglichen, das mit den Thematisierungen symbolisiert wird, Selbstverwirklichung und Selbstvergewisserung gesucht wird. Allein zu diesem Zweck werden die Räume touristisch instrumentalisiert. Die Tourismusplanung wird zur reinen Raumplanung, an der zwar im Rahmen von Public-Private-Partnership einige wenige „Raumbewohner“ partizipieren, die überwiegende Mehrzahl der Einheimischen jedoch ausgeschlossen bleibt. Die postmoderne Touristikation kann daher nicht verleugnen, dass sie eine gewisse Kolonialisierung darstellt. Die symbolische und materiell durchschlagende, d. h. entsprechende Infrastruktur schaffende Thematisierung bedeutet auch eine allumfassende Gentrizierung. Dass die Städte durch die besagten Thematisierungen revitalisiert und saniert werden und dadurch für die touristische sowie einheimische Nachfrage aufgewertet werden, liegt auf der Hand (vgl. Friedrichs/Kecskes 1996). Die touristische Thematisierung leitet darüber hinaus eine rurale Gentri kation ein (vgl. Phillips 1993). Die nach Themen in Wert gesetzten ruralen Räume verändern nicht nur hergebrachte Infrastrukturen und öffnen sich für einkommensstarke Lebensstilgruppen. Der ländliche Raum wird überdies in dem Sinne unter eine kommerzielle Quarantäne gestellt, als sich nahezu alles an diesen Raumaufwertungen ausrichtet. Altes, Bestehendes und Tradiertes wird folglich abgewertet oder muss sich, wenn es nicht aus dem Markt ausscheiden will, diesen Tourismusinnovationen anpassen. Die Thematisierung des Tourismusraumes stellt insofern eine globale Verbindung des lokalen Raumes her, als sich die postmodernen Raumvisionen an einem breiten Publikum ausrichten. Die globale Involvierung des Raumes ergibt sich durch Meinungsumfragen, Marktforschung und vor allem durch so genannte SWOT-Analysen und nicht durch die Beteiligung der Einheimischen (SWOT = Stärken-/Schwächenanalysen im Verhältnis zu Chancen- und Gefahrenanalysen; vgl. Hall/Jenkins 1995). Diese „Swotisierung“ des Raumes läuft in der westlichen Welt nach ein- und demselben Muster ab, und es werden dabei die gleichen Wertund Sinndeutungen der westlichen Bevölkerung einbezogen. Im Ergebnis kommen für die nördliche Hemisphäre des Globus die gleichen Themen bzw. thematischen Angebotspakete heraus. Im Sauerland, an der Nordseeküste oder im Bayrischen Wald kann man zwar sagen, dass man „im Trend“ liegt, doch statt sich zu differenzieren, handelt man sich mit dieser „Swotisierung“ Homogenität ein. Die auf diese Weise hervorgebrachte Raumthematisierung mündet in eine serielle Replikation oder serielle Monotonie touristischer Räume ein (vgl. Harvey 1990a). Diese Raum-
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klonierung ist eine wesentliche Voraussetzung für die Globalisierung des Tourismus. Was man zunächst nur für Club-Destinationen oder Center Parcs annahm, trifft jetzt für den Tourismus generell zu. Den Räumen werden in Struktur gesetzte, global gültige Bedeutungen angesonnen, die nicht aus dem Raum als solchem herrühren. Sie entstammen vielmehr Marketingkonzeptionen, die in der Regel von raumfremden Beratungsunternehmen entwickelt werden, und diese Unternehmen orientieren sich an marktgängigen Feasibility- und Trendgesichtspunkten.
Destinationalisierung Touristische Themenwelten sind eher ein Indiz für die Entgrenzung des Tourismus und nicht einfach eine Disneyzierung in Gestalt einer amerikanischen Importware (vgl. Synnott 1995). Wenn das Weserbergland als „Erlebniswelt Renaissance“ thematisch umstrukturiert und gentriziert wird und man (künftig) im „Renaissance-Erlebniszentrum“ Renaissance als „Ware“ kaufen kann, dann wird überdeutlich, dass mit einem Thema wie Renaissance jeder Raum in Europa belegt werden kann. Die Freizeitparks haben dies schon seit langem vorexerziert, indem ein bestimmtes Thema einem x-beliebigen Raum aufgedrückt wurde (vgl. Beispiele in Steinecke 2000). Freizeitparks abstrahieren vom Realraum par excellence: Sie demonstrieren die industrielle Produktionsweise des Tourismus schlechthin. Sie konnten und können sich nur etablieren, weil ein dauerhaftes Bedürfnis nach Außeralltäglichkeit vorliegt (Touristizität). Es sind vornehmlich Unternehmer (gewesen), die diese Touristizität als permanenten (anthropologischen ?) Wesenszug des Menschen erkannten und den Raum entsprechend materialisierten. Heute ist es die Konkurrenz der Themenräume untereinander, die eine Restrukturierung bzw. Neuausrichtung der Freizeitparks hervorbringt. Der Heide-Park in der Lüneburger Heide, der zur „Heide-Metropole“ umgerüstet wird, mag als Beispiel gelten (vgl. Dogterom 2000). Die Freizeitparks der neuen, „vierten“ Generation zeichnen sich durch „ganzheitliche, thematische Inszenierungen der Ferienanlagen inkl. integriertem Umweltmanagement“ aus (zum Folgenden siehe Dogterom 2000, S. 147 ff.). Ganzheitlich bedeutet, dass um ein oder mehrere Themen herum, die dem Besucher als Erlebnisse nahegebracht werden, Erholung, Gastronomie, Einzelhandel und Beherbergung kombiniert werden. Ist das Thema etwa „Italien“, so sind diese Infrastrukturen auch auf Italienisch gemacht. Es entstehen also Hoteldörfer mit Themeninszenierungen. Freizeitparks werden dadurch nicht nur ausgebaut, sondern sie integrieren Wertschöpfungsstufen in ihre Unternehmung, und dies bedeutet, dass sie in die Angebotstiefe integrieren (zur vertikalen Integration vgl. Bauer 1997, S. 32 ff.). Anstatt wie zuvor auf Leistungen anderer im Umfeld des Parks zurückzugreifen, werden nun mit dieser „holistischen“ Freizeitparkversion diese Leistungen in Eigenfertigung
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hergestellt (= so genannte „Make-“ bzw. „Hierarchie-“ statt „Buy-“ bzw. „Marktlösung“). Diese Eigenfertigung stellt nicht nur eine Innovation dar, die der Markt verlangt. Die Eigenfertigung, also die Integration destinationsgemäßer Leistungen in Freizeitparks, bedingt zunächst eine eigenkontrollierte Sicherung der Qualitätsstandards („aus einem Guss“). Neben der Unabhängigkeit von den Leistungsangeboten im Umfeld können derartige holistische Freizeitparks einzelne Überschussmengen in diesem Umfeld absetzen. Dies bedeutet beispielsweise, dass sie Unterkunftsleistungen auch an jene Touristen absetzen, die nicht im Freizeitpark „holistisch“ urlauben wollen. Man geht etwa in einem Freizeitpark italienisch essen. Im Ergebnis werden Freizeitparks zu Konkurrenten der herkömmlichen Urlaubsorte mit all ihren tradierten Erholungs-, Einkaufs- und Unterkunftsangeboten (= Substitutionskonkurrenz; vgl. Wöhler 1997, S. 289 ff.). Die destinationalisierten Freizeitparks leiten demzufolge eine weitere Loslösung des Tourismus vom Realraum ein. Genau dieses vollzieht sich auch, wenn z. B. um Fußballarenen, Golfanlagen oder Thermen herum Destinationsinfrastrukturen errichtet werden. Der Tourist muss gar nicht mehr in den angrenzenden Realraum eintreten; er hat alles in seinem Ressort. Diese touristische Neuentwicklung ließe sich auch mit „CenterParcisierung“ umschreiben. Um einen (Kompetenz-)Kern herum werden Destinationssubstitute errichtet. Das CentrO in Oberhausen oder die VW-Autostadt Wolfsburg und neuerdings das „Land Fleesensee“ überspringen vorherige Entwicklungsstufen der Freizeitparks und errichten gleich eine holistische Destinationsanlage um einen je spezischen Kern herum. Diese Themendestinationen werden wie herkömmliche Urlaubsorte verwaltet, allerdings regiert hier nicht das Volk über seine Repräsentanten, sondern es sind Geschäftsleitungen und Vorstände, die die Destinationspolitik bestimmen (= corporate model des Destinationsmanagements; vgl. Flagestad/Hope 2001). Die Verdörferung bzw. Destinationalisierung von Themen-, Freizeit- oder Ferienparks restrukturiert Räume auf der Basis ganz banaler, normaler oder alltagsweltlicher Bedürfnisse wie Schlafen, Essen, Einkaufen, Geselligkeit u. a. m. Diese destinationalisierten Parks sind also nicht mehr nur an fremden, außeralltäglichen Zeichen wie beispielsweise fremden Ländern (Heide-Park) erkennbar. Weil man dort auch einkaufen und übernachten kann, erscheinen sie als ganz „normale“ Urlaubsorte, die ihre Grundfesten in leiblich und sozial nachvollziehbaren Bedürfnissen haben. Verdörichte Freizeitparks sind indes atopisch, sie sind Nicht-Orte. Dass es hier zu keiner Ausbildung von sozialen Identitäten käme, wie behauptet wird (neben Augé 1994 siehe auch Zukin 1992), ist nicht kennzeichnend für diese sich vermehrenden Nicht-Orte. Charakteristisch ist vielmehr, dass sich die temporären Ortsbesucher (Touristen) auf Identitätsspiele einlassen können, bisweilen sogar sollen. Es sind je besondere Regelwerke der Nicht-Orte, die den Besucher ein Stück weit von seinem alltäglichen Rollenverhalten befreien. Man lebt ja entsprechend eines Themas. Diese destinationalisierten Freizeitparks stellen geradezu
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eine Institutionalisierung der Andersartigkeit des Alltags dar. Alles ist wie gewohnt da, doch das Gewohnte (Einkaufen, Schlafen, Essen etc.) besitzt nahezu eine transzendentale Qualität: Es erschließt sich als eine (Als-ob-)Gegenwelt, die dem Besucher bald vertraut wird; er ndet sich schnell darin zurecht und kommt zu dem Schluss, dort Modelle für seinen Alltag gefunden zu haben. Strikte durchgängige Service- und Erlebnisorientierung sind zusätzliche Treiber, die das Vertraute in Freizeitparks veraußeralltäglichen. Diese Nicht-Orte sind „keimfrei“, d. h., sie weisen sich nicht durch das Sperrige, die heimlichen Einverständnisse der Sprache, die nicht ausformulierten Regeln der Lebenskunst, die spröde ökologische Umwelt, die sozialen Widersprüche u. a. m. aus. Es ist alles wohl temperiert, standardisiert, garantiert erlebnisreich in Bezug auf ein bestimmtes Thema – kurz: In destinationalisierten Freizeitparks ist alles instantmäßig inszeniert. Weil Nicht-Orte keimfrei sind bzw. gehalten werden, besitzen sie die Kraft, sich vollends auf den Besucher/Kunden zu konzentrieren. Ihm wird eine individualistische Anerkennung geschenkt; er steht (gegen Entgelt freilich) im Mittelpunkt. Diese individualitätsfördernde Kraft der Nicht-Orte ist indes nur denkbar, wenn Räume vom Sperrigen der Realwelt entleert und diese Leerstellen durch angemessene Infrastrukturen gefüllt werden. Da diese realraumbefreienden Infrastrukturen homogen sind und überall implantiert werden (können), also rauminvariant sind, tragen destinationalisierte Freizeitparks ebenso wie thematisierte Destinationen dazu bei, dass die Welt zu einem globalen Dorf schrumpft, im dem man sich ohne Weiteres zurechtndet.
Eventisierung Thematisierung und Destinationalisierung sind als postmoderne Behandlungsformen eines störrischen, eigenwilligen und sperrigen Raumes zu begreifen. Sie produzieren einen Raum, der sich bestens für Erlebnisse bzw. Events funktionalisieren lässt. Events sprengen letztendlich Tradiertes und somit den Realraum. Auf der anderen Seite laden sie ihn wieder auf, so dass der postmoderne Mensch dort seine lebensnotwendige soziale Verortung bewerkstelligen kann (so eine Quintessenz von Schulze 1992). Thematisierung und Destinationalisierung benötigen unabdingbar Events, da nur Events/Erlebnisse den postmodernen Tourismusorten einen Sinn und eine Bedeutung zumessen können. Wenn Realräume entleert werden, dann müssen sie, wollen sie Handlungswirksamkeit erlangen (= Besucher anziehen), mit Sinn aufgeladen werden. Verständlicherweise zeichnen sich daher alle postmodernen Tourismusorte durch Events aus. Und selbst völlig unbekannte Tourismusorte loben ihr Angebot komplett als „erlebnisreich“ aus. Eine kontemplative Betrachtung der Welt ist damit nicht out – nein, selbst sie wird im Robinson Club als Erlebnis stilisiert. Dies ist nur möglich, weil der postmoderne Mensch
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zum homo eventicus mutiert ist, der nach dem Prinzip „Was gefällt mir?“ (Schulze) lebt und sich danach subjektiviert bzw. individualisiert. Eine eventisierte Raumnutzung und -organisation ist durch die Thematisierung des Raumes gegeben. So ist beispielsweise die Stadt Essen in touristische Themen aufgeteilt worden. Thema 9 lautet: „Insekten ! Die heimlichen Herrscher“, die im Grugapark in einer „faszinierenden Erlebnisausstellung“ gezeigt werden. Unendlich viele Beispiele von unterschiedlichsten Destinationen und Freizeitparks könnten noch angeführt werden, um letzten Endes das Wesentliche herauszukehren: Bezeichnendes wie „Insekten !“ will zum einen auf das Außergewöhnliche und zum anderen auf das Einmalige hinweisen – nicht auf die Insekten bezogen, sondern auf den potenziellen Eventkunden. Für ihn ergibt sich mit dem thematisch gefassten Eventkonsum die einmalige Chance, wenn nicht Außergewöhnliches für sich selbst intern zu erfahren, so aber zumindest dieses Einmalige mitzuerleben. Events bergen folglich die Differenz alltäglich/außeralltäglich in sich. Es bedarf lediglich der Teilnahme am Event, um vom Alltag erlöst zu werden. Events transzendieren also den Alltag; sie sind Heilsstifter, und es versteht sich daher wie von selbst, dass sich um bzw. mit Events „Heilsbruderschaften“ bzw. Szenen entwickeln – hier die Bayreuther Wagner-Szene (vgl. Gebhardt/Zingerle 1998) und dort die „Streetball Challenge-Szene“ (vgl. Zanger/Sistenich 1998) und dazwischen liegen die ganz „normalen“ Erlebniswelten des Konsums, der Freizeit und des Tourismus (vgl. Steinecke 2000). Events vermitteln nicht nur ein Gefühl von exklusiver Gemeinschaft, sondern sie konstituieren diese Kommunalität aufgrund von quantitativer Einschränkung und/oder preislich geregelten Zugangs. Außergewöhnlichkeit bildet sich demnach aus dem Faktum „drin“ oder „dabei“ zu sein. Geht man davon aus, dass sich die Eventisierung des Tourismus weiterhin epidemisch ausbreitet, dann bedeutet dies für den touristischen Konsum, dass er sich auf der Erlebnisebene (mithin „Spaßebene“) differenziert. Wo nichts los ist, wird auch für Tourismusanbieter nichts los sein – es herrscht eine, bisweilen schon zu beobachtende „Tourismusbrache“. Eventisierung erstreckt sich nicht darauf, dass etwas dargestellt wird, sondern es kommt auf den Vollzug der (Event-)Handlung an, der Selbstinszenierung auf der Basis des Event-Skripts. In der Welt sein wird dadurch zu einer Performance. Wirklichkeit erscheint als theatrale Wirklichkeit, d. h., ob man „drin“ oder „dabei“ war und ob man sich in Events wieder ndet, hängt davon ab, dass Orte bzw. Räume so hergerichtet sind, dass man zu einer bestimmten Zeit vor den Blicken anderer etwas tut. Der postmoderne Tourismus genügt dieser Anforderung, indem er eine schier endlose Abfolge von Ereignissen inszeniert. In dieser touristischen Erlebniskultur wird die Raumwirklichkeit als Darstellung und Inszenierung erlebt. Was inszeniert wird, kann überall und/oder gleichzeitig überall dargeboten werden (= Atopie und Achronie). Die Wirklichkeitserfahrung homogenisiert sich unter Eventisierungsbedingungen zusehends.
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Ökonomisierung Touristizierte Räume mit den oben charakterisierten Qualitäten sind zweifelsfrei gesellschaftliche Funktionsräume. Sie rücken in den Rang eines lebensnotwendigen Sinnstifters, sie tragen zur Ausbildung eines Wir-Gefühls bei und sie bilden soziale Identitäten aus. Wo ich etwas erlebt habe und nicht mehr wer ich bin, ist mithin die Frage, an der sich Identität ab- und erarbeitet (vgl. Taylor 1996). Was präferiert wird, rückt schon immer in das ökonomische Aufmerksamkeits- und Handlungsfeld. Dies trifft folgerichtig auch für die postmodernen Tourismusräume zu. Der Freizeit- und Tourismusmarkt wird nach wie vor als ein Wachstumsmarkt betrachtet. Die Ökonomie rückt aber allein schon deshalb in das Blickfeld, weil Thematisierung und Destinationalisierung sowie Eventisierung zu hohen oder gar sehr hohen Investitionskosten führen, die nicht mehr von lokalen oder regionalen Akteuren geschultert werden können. Die postmodernen Tourismusräume bzw. -destinationen müssen mit Investitionen bis zu einer halben Milliarde rechnen. Wenn derartige Investitionen getätigt werden, dann müssen diese Räume höchst prioritär entlang von Protabilität und Rentabilität organisiert und gesteuert werden. Die Dekontextualisierung der Räume und ihre Auffüllung und/oder Anreicherung mit standardisierten und homogenisierten „commodities“, die diesen neuen Räumen via Thematisierung, Destinationalisierung und Eventisierung ihren „McStempel“ aufdrücken, baut für potenzielle Investoren Marktunsicherheiten ab (vgl. Hall/Mitchell 2000). Dieser „neue Tourismus“ ist efzient gestalt- und koordinierbar. Die Welt dieses Tourismus ist insofern die Welt eines single place (Robertson 1992, S. 6), da ein Freizeitpark oder ein thematisch umgerüsteter Stadtteil nach ein- und denselben Mustern autonom gesteuert und rekontextualisiert werden kann. Diese Steuerung und einheitlich globale Kontextualisierung (Angebotsgestaltung) kann auch von einem Zentrum aus erfolgen. Die Investitionen in diese touristizierten Räume stammen aus internationalen Aktien-, Immobilien- und Rentenfonds, von Anlegergruppen, Beteiligungsgesellschaften und sonstigem internationalen Kapital dieser Zentren. Für sie ist der postmodernisierte, ent-territorialisierte Tourismusraum dann eine „interessante Investmentanlage“, wenn sichergestellt ist, dass die diesbezüglichen Unternehmen wertorientiert geführt werden, d. h., im Sinne der Anteilseigner (Shareholder) eine hohe bzw. faire Rendite für die Bereitstellung des Kapitals erzielen (vgl. Copeland/Koller/Murrin 1998). Mit dieser Ökonomisierung verlieren der verfasste Raum und insbesondere seine herkömmlichen Akteure an Einuss auf die touristische Entwicklung. Globalisierung der Angebote, die Konzentration der ökonomischen Steuerung bei multinationalen Unternehmen oder Betreibergesellschaften und die Shareholder-Orientierung lassen keine Raumbindung entstehen. Was man bislang beim Dritte-Welt-Tourismus diagnostizierte, trifft jetzt auch für die postmodernisierten Tourismusräume der Ersten Welt zu. Hier wie dort werden die Tourismusräume
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zusehends fremdbestimmt: Es zählen nur funktionale Erfordernisse sowie Renditekalküle. Sperrt sich der Tourismusraum, dann wandern die global players ab und „machen in Biotechnologie“ oder anderen aussichtsreichen Investments. Treten derartige „Krisen“ auf (wie etwa beim Musicalunternehmen „Stella“), dann bleiben meist Billig-Arbeitskräfte zurück, die aus aller Herren Länder stammen und nun erneut versuchen, sich in die ökonomischen Reproduktionsbedingungen des Weltmarktes zu integrieren. Dies gelingt am ehesten im Tourismus- und Freizeitsektor. Welttendenzen und spaces of ow (Appadurai 1996) bestimmen den Raum. Die soziale Organisation des Tourismusraumes erfolgt im „Weltmaßstab“ (so Scherrieb 2000), und dies bedeutet, dass der distinktive Charakter eines Raumes, seine vielseitig dimensionierte Verfasstheit verloren geht. Das global wandernde Finanz- und Humankapital formt einen Tourismusraumtyp, der den Touristen in eine Landschaft stellt, die überall gleich ist. Es scheint so, dass der Körper als einziger unterschiedlicher Raum (vorerst) übrig bleibt. Er kann sich an den inszenierten Events authentisch abarbeiten.
Zu Hause bleiben ? Es ging hier nicht darum, Kritik zu üben. Die Konvergenztendenzen im postmodernen Tourismusraum sind augenfällig. Es zeigt sich, dass durch die dargelegten Prozesse Raum-Zeit-Verdichtungen auftreten und sich neue Räume konstituieren, die eine globale Reichweite besitzen. Diese Räume sind aber immer noch Räume und nicht etwas Asoziales, das sich z. B. nicht zur Identitätsbildung eignen würde. Und schon gar nicht kann behauptet werden, hier fände kein Tourismus in dem Sinne statt, dass das gesuchte Außeralltägliche nicht anzutreffen sei. Das Gegenteil ist der Fall: Gerade diese postmodernen Tourismusräume geben jedem etwas Außeralltägliches, mehr noch: Sie institutionalisieren Touristizität. Und damit ist wahrlich ein neues Reisezeitalter angebrochen: Man braucht nicht mehr zu verreisen. Schon die hiesigen Erlebniswelten, die in der Ferne auch nicht anders sind, versetzen uns in den Stand eines Touristen.
Kulturstadt versus Stadtkultur Zur räumlichen Touristizierung des Alltagsfremden
Städte unterliegen einem ständigen Prozess der Verortung. Verortung bezeichnet eine Positionsbestimmung in Bezug auf Koordinaten, die für Menschen eine Bedeutung besitzen bzw. auf die sie sich beziehen (Bezugssystem). Da diese Bezugssysteme interessensgetränkt und zeitabhängig sind, ist die Verortung einer Stadt niemals geschlossen und abgeschlossen. Was eine Stadt ist und/oder sein soll bzw. will, also worauf sie sich bezieht, wird stets aufs Neue verhandelt. Diesbezügliche Diskurse greifen über das Lokale hinaus und bringen regionale, nationale und globale Bezüge ins Spiel. Dass der Tourismus Städte nachhaltig verortet, ihnen also Koordinaten aus der Sicht des Tourismus auferlegt, steht außer Frage (vgl. Judd/Fainstein 1999). Die Einteilung der touristischen Welt geht schon lange nicht mehr auf physische, kulturelle und politische Gegebenheiten zurück, sondern sie ist vielmehr ein Produkt sozialer Konstruktionen, anhand derer abgelesen werden kann, wie touristische Räume und Orte dem Zeitgeist folgend aufgeladen und mit Vorstellungen belegt werden – also danach verortet werden (Tourismusräume sind demnach Räume imaginärer Geographie; vgl. Shields 1991). Der Tourismus legt dem Raum ein Bezugssystem auf, das nach Bildern, Geschichten, Vorgängen, Gebäuden, Menschen etc. auf ihn so abgestimmt ist, dass er sich vermarkten, sprich verkaufen lässt (= „Kommodikation“ bzw. „Touristikation“ von Räumen). Der Tourismus kartiert den Raum um bzw. neu. So kommen einer touristi zierten Stadt wie beispielsweise Salzburg Verfasstheiten bzw. Gegebenheiten und Repräsentationen (Landeshauptstadt, Bischofssitz, Universitätsstadt) kognitiv abhanden, wenn sie festivalisiert wird. Eine solche Neukartierung liegt auch vor, wenn sich Hamburg touristisch als meeting point of the world auslobt oder wenn sich Städte in Nordrhein-Westfalen für unterschiedliche Themenreisen umrüsten (nach der Industriekultur neuerdings „Medien“). Was für Städte gilt, trifft auch für Regionen und Länder zu, die sich einen zeitgemäßen bzw. genauer: marktgängigen touristischen „Look“ zulegen. Kurz, der Tourismus schafft third spaces, die die bisherigen geographischen Raumvorstellungen, wenn nicht ersetzen, so doch aber erweitern (vgl. Soja 1996): Räume und Orte bekommen „etwas anderes“, das ihre Realitäten und Repräsentationen in einen touristischen und mithin außeralltäglichen Kontext stellt. Und dieser Kontext ist der Gegenstand des kognitiven Kartierens, wonach sich bei Touristen Bilder über und Präferenzen für Räume und Orte ausbilden (zum cognitive mapping vgl. Golledge/Stimson 1997). K. Wöhler, Touristifizierung von Räumen, DOI 10.1007/ 978-3-531-92761-9_13, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Spiegelt das touristisch Ausgelobte und Dargebotene die Realität nicht adäquat wider ? Erkennt der Tourist die Alpen nur noch als Snowboard-Landschaft, Hamburg als meeting point und Salzburg als Festivalstadt ? Geht damit das Wirkliche bzw. Authentische verloren ? Geht man davon aus, dass spätestens mit dem Aufkommen der Schrift (Literalität) Wissen und Wahrheit aus dem Leben verschwinden und der Mensch bei der Welterkenntnis auf Medien angewiesen ist (vgl. S. J. Schmidt 1998), so rangiert der Tourismus neben vielen anderen Medien als ein Medium, das Wirklichkeit und Wahrheit deniert. Authentizität wird also stets medial (und kommunikativ) hergestellt. Im Tourismus nden sich demzufolge das „Leben“ und der „Mensch“ bzw. der „Raum“ ebenso wieder wie die Wirklichkeit des Fremden bzw. Anderen. Genau an dieser Stelle setzt die eigentliche Frage an: Vermittelt der Kulturstädtetourismus das Leben der Menschen einer Stadt ?
Touristische Transformation Reale Städte, die sich dem Tourismus bewusst andienen, werden durch einen touristizierten Raum aufgehoben, ersetzt und transformiert. Die touristizierte Stadt ist ein Raum, der als ein „bloßer Ort des Möglichen gefaßt wird“ (Deleuze 1989, S. 153; die touristizierte Stadt ist in diesem Sinne ein „beliebiger Raum“). Dieser Möglichkeitsraum ist dem geographischen Raum überlagert. Im DERTOURProspekt „Städtereisen“ wird Salzburg wie folgt ausgelobt: „Zu Füßen der mächtigen Hohensalzburg liegt der historische Stadtkern mit Dom, Franziskanerkirche und St. Peter, mit idyllischen Gäßchen, weiten, schon italienisch anmutenden Plätzen mit rauschenden Brunnen, Mozarts Geburtshaus, dem weltberühmten Festspielhaus, Glockenspiel und Mozartdenkmal. Selbstverständlich geht ein Aufenthalt in der Mozartstadt Hand in Hand mit Musik, Kunst und Kultur. Durch Marionettentheater und die Schloßkonzerte erhält die Stadt ständig neue kulturelle Impulse.“
Was für Salzburg zutrifft, ist auch für jegliche Räume und Orte gültig, die sich touristisch positionieren: Mittels gegebener Verfasstheiten, die für den Alltag der Bewohner keine unmittelbare Relevanz haben (außer man arbeitet im Tourismus), wird die Stadt quasi zum Selbstbedienungsladen, aus dem sich der Tourist dieses und jenes aussuchen kann. Die touristizierte Stadt wird dabei zu einem Raum virtueller Verbindungen, d. h. im Falle Salzburgs, dass es beispielsweise für den Touristen möglich ist, die Hohensalzburg, Mozarts Geburtshaus und das Marionettentheater miteinander zu verbinden. Für ihn ist dann diese Verknüpfung Salzburg (gewesen). Der Tourist wählt aus der dargebotenen Palette das aus, was seinem Geschmack entspricht. Der Tourist ist also kein bloßer Nachahmer; er entscheidet
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und wählt aus dem Vorausgehenden (= dem im DERTOUR-Prospekt Dargelegten; dieser Prospekt steht beispielhaft für alle derartigen Semantiken des Tourismus) etwas aus, das so nicht (vor-)gegeben ist: Er bringt für sich selbst Salzburg zur Aufführung; er ist performativ und mimetisch (nachahmend) zugleich. Durch dieses mimetisch-performative Handeln schafft er sich seine Salzburg-Welt und er erwirbt sich dabei ein unumstößliches Wissen über Salzburg (zur Performativität allgemein und deren tourismuswissenschaftlichen Erkenntniswert siehe das Interview Franklins (2001) mit Barbara Kirshenblatt-Gimblett; zu Touristen als performers vgl. Edensor 2000a). Das wirkliche bzw. authentische Salzburg kann ihm niemand strittig machen, hat er es doch eigens gesehen, erlaufen und sonstwie sinnlich wahrgenommen und somit inkorporiert. Analytisch betrachtet hat der Salzburg-Tourist an der touristizierten Stadtwelt, also an dem kulturtouristisch Ausgelobten (= das dem performativen Handeln Vorausgehende) teilgenommen und entsprechend seinen Bedürfnissen und Präferenzen sein eigenes Salzburg erschaffen, indem er aus dem Vorausgehenden bestimmte Erfahrungsmöglichkeiten realisierte (daher ist er auch mimetisch/nachahmend). „Ich habe mir selbst ein Bild von Salzburg gemacht“, ist die Quintessenz seiner Selbstbildung, die jedoch im System der vorausgehenden touristischen (Selbst-)Darstellung entstanden ist. Das selbstgemachte Bild von Salzburg korrespondiert zu den vorgegebenen bzw. vorausgehenden Bildern, die in Prospekten, Reiseführern, Imagebroschüren, TV-Serien u. a. m. für das touristische und auch suburbane Publikum entworfen worden sind. Diese Vorgaben topographieren Städte wie Salzburg nach dem Grad ihrer touristischen Bedeutsamkeit. Was z. B. kulturtouristisch bedeutsam ist, liegt jedoch nicht offen zutage. Es muss vielmehr bestimmt werden. Das Reservoir, aus dem kulturtouristische Produkte und dazugehörige Semantiken erstellt werden können, ist nahezu unerschöpich: Alle tangiblen und intangiblen Objekte eines Raumes sind allgemein touristisch verwendbare und verwertbare Ressourcen. Der Tourismus kann daher zur exiblen Produktion übergehen. Jedwede Stadt (und damit jedweder Raum) lässt sich beliebig unter anderem event-, geschäfts-, tagungs- und eben auch kulturtouristisch bestimmen bzw. semantisieren und topographieren, indem marktsegmentspezisch auf diese Ressourcen zurückgegriffen wird (zu Systemen der exiblen Produktion vgl. allgemein Hollingsworth 2000; für den Tourismus siehe Lash/Urry 1994, S. 269 ff.). So kann sich Salzburg nicht nur kulturtouristisch positionieren, sondern gleichzeitig exibel an unterschiedliche Marktnachfragen („Trends“) anpassen, lassen sich doch aus den Ressourcen unterschiedliche Module erstellen, die für verschiedene Touristiken verbunden werden können (economies of scope/Verbundeffekte oder auch Synergien). Der Markt bzw. die Nachfrage bestimmt demzufolge, wie sich eine Stadt zu präsentieren hat und nicht umgekehrt. Ein Stadtraum wird kulturtouristisch nicht primär dadurch produziert, dass er Tangibilitäten wie z. B. Gebäude
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und/oder Intangibilitäten wie etwa historische Ereignisse wiedergibt (repräsentiert). Statt sich nur an diesen Repräsentationen des Raumes auszurichten, zielt die räumliche Praxis des Kulturstadttourismus darauf ab, Räume der Repräsentation herzustellen: Vorgegebene Räume werden symbolisiert, und dies bedeutet, dass Ressourcen be-zeichnet bzw. mit Bedeutungen belegt werden. Mittels der je spezischen kulturtouristischen Symbolik wie etwa „Mozart in Salzburg“ wird den bezeichneten Räumen und seinen Objekten Gültigkeit und damit Authentizität verliehen (zu unterschiedlichen räumlichen Praktiken vgl. Lefebvre 1991). Durch diese Praxis entsteht ein Raum für Kultur. Räume werden also qua Symbolik gestaltet, konstruiert oder gar erfunden (als Modelle stehen sie für etwas; vgl. hierzu Geertz 1991, S. 52 f.; für den Tourismus siehe Urry 2002, S. 130 ff.). Erst aufgrund von Symbolik erschließt sich ein Stadtraum wie der Salzburgs als kulturtouristische Attraktion, und dies bedeutet, dass der Tourismus Kultur präsentiert („Tourismus“ steht hier für die Akteure des Marketings). Die Semantik des Tourismus folgt dabei – wie auch bei allen Tourismusarten vom Strandtourismus bis hin zum Ökotourismus – der konstitutiven Rahmung des Ver-Reisens: Was präsentiert wird, unterscheidet sich räumlich und/oder temporär vom Alltags-Hier und Alltags-Jetzt des Reisenden bzw. Touristen (vgl. Corrigan 1997, S. 133 ff.). Unterschiede gegenüber zeitlich (damaligem) und räumlich (dortigem) Anderem zu präsentieren, heißt schlichtweg Kultur zu benennen oder über Kultur zu sprechen. Raumzeitlich Anderes auf die touristische Agenda zu setzen und dabei Anderes vorzuführen, lässt den Kulturtourismus zu einer Differenzökonomie ersten Ranges werden. Wenn der Kulturtourismus und damit auch der Kulturstädtetourismus Anderes als „Dortiges“ (räumlich) und/oder „Damaliges“ (zeitlich) präsentiert, dann muss wohl oder übel dieses Andere bzw. diese Anderen für das Publikum erfahrbar gemacht werden. Andere/Anderes, also Kultur, touristisch präsent zu machen, heißt, sie der gegenwärtigen Konsumentenkultur anzupassen (vgl. Nuryanti 1996). Die Präsenz der Kultur wird zu diesem Zweck touristiziert, indem die Symbolik in einen personalen und emotionalen Kontext gestellt wird (vgl. MacIntosh 1999). Diese touristische Kontextualisierung von Kultur geschieht durch verschiedene, den jeweiligen Ressourcen angemessene Strategien. So verschieden diese Strategien auch sein mögen, so verfolgen sie doch allesamt das Ziel, das Andere bzw. Fremde – nochmals: = Kultur – so mit einem Zusatznutzen (added value) anzureichern, dass es dem Touristen vertraut wird und er es erleben kann (vgl. Craik 1998). Dies geschieht vornehmlich durch Einbau des kulturtouristisch Präsentierten in eine Story, durch Mythologisierung, Emphatisierung, Triumphatisierung, Spektakularisierung, Festivalisierung, Fantastisierung, Entertainisierung und Funisierung (fun) des Dargestellten sowie durch Herstellung eines Gegenwartsbezugs von Vergangenem. Man kann diesen Kulturproduktstrategien einen bestimmten Grad an Disneyzierung nicht absprechen. Auf jeden Fall wird dadurch erreicht, dass Kul-
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tur markt- und damit verkaufsfähig wird. Diese Transformation von Kultur in eine Ware beschreibt den Prozess der Kommodikation (Ökonomisierung) von Kultur. Die dermaßen touristizierte und damit kommodizierte Kultur lässt sich verständlicherweise bestens standardisieren. Kulturtouristisch wird z. B. Salzburg nicht jedes Jahr und schon gar nicht für jeden einzelnen Touristen neu aufbereitet. Was wie präsentiert wird, ist vielmehr in Struktur gegossen (Broschüren, Reiseführer/Stadtführung, Infomaterial, Programme etc.) und kommt in gleichbleibender (garantierter) Art und Weise an den Mann bzw. an die Frau (vgl. Hughes 1996). Touristikation, Kommodikation und Standardisierung sind die Bedingungen für einen massenhaften Kulturkonsum, der sich dann schon inkubatiert, wenn dem ersten Kulturtouristen ein zweiter folgt und der Andere erfährt, dass seine Differenz zum Touristen (= Kultur) geldwert ist (vgl. hierzu nach wie vor Enzensberger 1987). Mit Massen (Mengen) lassen sich dann hohe Erträge erwirtschaften, wenn die Stückkosten niedrig sind. Standardisierung hält diese Kosten niedrig. Efzient bzw. kostenmindernd ist Standardisierung, wenn mit ihr auch eine Kontrolle des Produktionsprozesses einhergeht, und dies bedeutet hier, dass sowohl die räumliche Bereitstellung von städtischen Kulturgütern als auch deren Konsum durch eine spezische Raumzuweisung kontrolliert werden (wie bei allen Dienstleistungen fallen auch hier Produktion und Konsum zusammen; vgl. hierzu Wöhler 1998).
Dritträume Was der oben erwähnte DERTOUR-Text über Salzburg bezeichnet und benennt, ndet sich auch in der touristischen Selbstbeschreibung Salzburgs wieder (siehe www.salzburginfo.at). Die hier wie dort aufgeführten Orte signalisieren dem Besucher: Dies ist der Raum der Kultur Salzburgs, den ihr aufsuchen müsst ! Und die Touristen besuchen diesen Raum der Repräsentationen tatsächlich (vgl. Keul/ Kühberger 1996). Kultur als Ressource von Stadträumen zu verwenden, zahlt sich aus, bringt doch diese symbolische Ökonomie Beschäftigung, Erträge und Steuerund Abgabeeinnahmen (zur symbolischen Ökonomie der Stadt vgl. Zukin 1995). Die lokalen Ökonomien basieren zum Großteil auf dem Städtetourismus, und aufgrund dieser Symbiose von kulturtouristischen und ökonomischen Praktiken ist es leicht, den Städtetourismus zu legitimieren und/oder durchzusetzen, zumal er auch noch als strategischer Faktor im nationalen und internationalen Wettbewerb mit anderen Städten angesehen wird (vgl. Law 2002). Dass öffentliche und private Investitionen in diese Räume der Repräsentationen ießen, sei es für den Erhalt der diesbezüglichen Tangibilitäten, sei es zur Ästhetisierung derselben oder sei es für die konsumerlebnisorientierte Anreicherung, versteht sich daher von selbst. In den touristizierten Arealen einer Stadt vermengen sich Kultur und Konsum aufs engste, und es entstehen Räume, die (fast) nur gegen Entgelt angeeignet werden
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III Einschreibungen
können. Die Touristen und suburbanen Besucher bleiben sowohl von den Alltagsräumen der Stadtbewohner als auch von den städtischen sozialen Brennpunkten abgeschirmt, so dass sie sich in einer gesicherten, mithin beschützten und postmodernen Umgebung bewegen – in touristischen Seifenblasen (vgl. Judd 1999). Geht man gemeinhin davon aus, dass sich Städte, zumal die Metropolen, auösen (vgl. Schweitzer 1998), so generiert bzw. suggeriert der Städtetourismus (= dessen Skript- bzw. Textautoren: lokale Politik und Ökonomie sowie Reiseveranstalter) einen Stadtraum, in dem der Besucher Stadt und Urbanität noch wirklich erleben kann. D. h., hier ist noch Städtisches erhalten geblieben und bewusst bewahrt worden, das auch tatsächlich in Augenschein genommen bzw. konsumiert werden kann. So wird der Tourist beispielsweise im TUI-Prospekt „Städte erleben“ mit den Formeln „Bitte einsteigen!“ (Sightseeing/Kultur historisch), „Vorhang auf!“ (Kultur live) oder „Volle Tüten sind toll !“ (Shopping) aufgefordert, Städte in ihren Daseins- und Lebensformen handelnd zu erfahren. Durch diese und ähnliche Türen erhält der Tourist Zugang zu Räumen bzw. Orten von Kultur, die seinen Vorstellungen bzw. Bildern von Stadt entsprechen: zu Straßen, Gebäuden und Arealen, die Geschichte und Veränderungen symbolisieren, zu Treffpunkten von Intellektuellen, Künstlern und sonst wie „wichtigen“ Personen (Lifeseeing), zu Orten, wo „man“ isst, feiert, aniert und einkauft und selbst zu Hotels mit einem „Flair“. Der Tourist kommt durch diese Türen zu den vermeintlichen Hinterbühnen der Stadt; er weiß nach seinem Besuch, was dort „los“ ist, wie „man“ dort lebt, worauf „man“ Wert legt, was und wie „man“ dort denkt etc. (vgl. MacCannell 1989, S. 92 ff.). Doch diese Räume sind touristiziert, mit Texten (Symbolen, Geschichten, Ritualen) so versehen worden, dass sie von den Touristen verstanden und entsprechend ihrer Bilder gedeutet werden können. Das vorgeführte Andere der Hinterbühne ist ihnen also mehr oder weniger vertraut und/oder es entspricht ihren vorgängigen Erwartungen. Des Weiteren erfolgt die Inklusion des Fremden bzw. Touristen in diesen Kulturraum auch deshalb problem- und koniktlos, konstituiert er doch Begegnungs- und Kommunikationssituationen, die nach dem ökonomischen Code strukturiert sind. Jeder Tourist wird nicht primär als Raumfremder, sondern als jemand sortiert, dem ein Raum bzw. Ort gegen Bezahlung zur Verfügung gestellt wird. Und dieser Raum wird zur Steigerung der Zahlungsbereitschaft des Touristen kulturalisiert (vgl. Philo/Kearns 1993; AlSayyad 2001). Diese ökonomische (Transfer-)Beziehung hält den Touristen auf Distanz. Im Gegensatz zur Gastfreundschaft, die den Fremden in das Haus, sprich Hinterbühne, sozial integrierte (vgl. Stichweh 2001, S. 19 ff.), erfolgt heute die Auf- und Annahme des Fremden bzw. Touristen per Servicequalität, die dem zuteil wird, der zumindest als potenziell zahlender Gast oder Kunde ausgemacht wird. Mag der Tourist im ersten Moment die ihm entgegengebrachte Indifferenz aufgehoben sehen und Authentizität empnden, so zielt dagegen die Servicequalität auf eine inszenierte Sozialintegration ab, ist doch der kulturalisierte Begegnungsraum
Kulturstadt versus Stadtkultur
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ein „anderer Raum“ (Foucault 1994; siehe auch „liminale Räume“ bei Turner 1977): In ihm werden für das Publikum Kultur und Freundlichkeit dargeboten; qua Publikumsrolle gehört der Tourist dazu, und dies bedeutet, dass er Bestandteil dieses Raumes ist und auf diese Weise selbst zum Gegenstand des visuellen Konsums wird. Bleiben die Touristen aus, dann steht ein Großteil der kulturellen Darstellungs- und Aufführungsorte vom Souvenirshop bis hin zu Festspielwochen zur Disposition. Die diesen Raum bestimmenden Orte heben sich nicht nur von der Alltagswelt der Touristen ab, sondern sie differieren auch von den alltäglichen Orten der Stadtbewohner. Dass die Orte der Erinnerung, des Kultur- und Kunstbetriebs, der Freizeit und des erlebnisangereicherten Konsums nur für Touristen von Bedeutung sind und überhaupt nicht im Alltagsleben der Stadtbewohner beheimatet sind, trifft indes nicht zu (so aber Wenzel 2001, S. 140 ff.). Sieht man einmal davon ab, dass die Kommunalverwaltungen die Bürger zunehmend als „Kunden“ ansehen, denen statt Leistungen Service und Servicequalität zu liefern seien, so werden gerade diese von der städtischen Politadministration vorgehaltenen Orte sowohl von den Touristen als auch von den Stadtbewohnern sowie den suburbanen Anwohnern als Option zur Selbstdarstellung, zur Selbstentfaltung und zum Ausprobieren von Neuem produktiv und transformativ genutzt (vgl. Bormann 2000). Der touristizierte und dadurch kulturalisierte Stadtraum ist daher keine Differenz zur städtischen Alltagswelt; er ist eine Differenz in der Welt der Menschen. Dieser Raum ist zwar gleichermaßen vom „normalen“ Leben der Stadtbewohner wie auch vom Alltag der Touristen dekontextualisiert. Er stellt einen Drittraum dar (vgl. hierzu neben Soja 1996 auch Bhabha 2000, S. 55 ff.), der zwischen beide tritt und an dem beide Gruppen konsumtiv teilhaben. Er ist geprägt von der Erfahrung des Übergangs vom Alltäglichen zum Außeralltäglichen, von der Arbeit zur Freizeit und zum Konsum, vom Raum der Gewissheiten zu Möglichkeiten oder vom Ernst zum Spiel. Diese ansonsten binären Einteilungen lösen sich in einem derartigen Drittraum nach und nach auf, indem beispielsweise das Außeralltägliche alltäglich wird oder die Freizeit ebenso wie die Arbeit stressig empfunden und Regelungen unterworfen wird. Da man jedoch wieder zum bisherigen Ausgangspunkt zurückkehren kann bzw. gar muss, bleibt dieser Drittraum aber als ein anderer Raum präsent. In dieser Bindungslosigkeit, Latenz und Offenheit liegt seine Potenzialität für Wandel und Veränderung (der Gesellschaft und damit der Menschen). Da sich in diesen Dritträumen, meist als postmoderne Stadtlandschaften apostrophiert, Hoch- und Trivialkultur durchdringen, globale Prozesse am Lokalen reiben und unterschiedliche Symbole konkurrenzieren, sind sie umkämpft und folglich auch ständigen Veränderungen unterworfen.
176
III
Einschreibungen
Ausgeblendete Stadtkultur Versteht man unter Kultur die Art und Weise, „wie sich Subjekte zu den Verhältnissen verhalten, in die sie hineingeboren werden, unter denen sie leiden, in die sie eingreifen, über die sie, im besten Fall, hinausgelangen, indem sie sie umgestalten“ (Lindner 2002, S. 84), dann erfährt ein Städtetourist in den von ihm aufgesuchten kulturalisierten Räumen ebenso nichts darüber – also über die Normen, Werte und Deutungsmuster der in einer Stadt Lebenden wie auch nichts über die darauf bezogenen Auseinandersetzungen. Diese Räume sind für ihn und somit für ökonomische Zwecke funktionalisiert worden. Räume, die nicht hierfür attraktiviert, also ästhetisiert und mit Symbolen belegt wurden, gelten dem Kulturstadtraum als nicht zugehörig und somit als kulturfrei. Sie dienen ihm bestenfalls als Kulisse und/oder als Zufahrtswege. Der Städtetourist kann lediglich wahrnehmen, dass diese kulturalisierten Dritträume auch von Stadtbewohnern besucht werden, wie sie aber in deren Alltagswelt einwirken, bleibt ihm verschlossen. Dass im Alltagsraum Orientierungswerte abgelagert sind bzw. werden, die das Verhalten gegenüber den „Verhältnissen“ prägen, ist viel zu profan, als dass es für präsentabel gehalten wird (zur raumbezogenen Wertbesetzung vgl. Wöhler 2002). Um zu Hause von der Unterschiedlichkeit der Menschen dort und/oder damals erzählen zu können, also von Kultur, müsste der Städtetourist die „Straße der Ameisen“ (Keul/Kühberger 1996) und die Dritträume verlassen. Mit welchen Deutungen das gesellschaftliche Leben belegt und verarbeitet wird und mit welchen Vorstellungen sich Menschen ihr Leben zusammenbauen, lässt sich nicht in Erfahrung bringen, wenn den Stadtführungen gefolgt, der Stadtgeschichte gelauscht oder den Events beigewohnt wird. Zweifelsohne gehört das hierbei Dargebotene zum Kulturellen einer Stadt, doch eine derartige Aneignung der Stadt führt den Kulturtouristen immer nur das je spezische Monumentalisierte einer Stadt vor Augen (vgl. Groys 2000). Als Marker soll sich dieses Herausgehobene im evoked set festsetzen und/oder als feste Größe die Kulturstadt positionieren. Was ießend ist, im Kleinen und Alltäglichen wirkt, ist nicht erhaben genug und zu profan, um als marktfähig zu gelten. Obwohl sich die Kulturtouristen bewusst vom Massentourismus abheben und „tiefe Einsichten“ in „Land und Leute“ gewinnen wollen, landen sie bei jenen Attraktionen, die die touristizierten Dritträume konstituieren (vgl. Prentice/Witt/ Hamer 1998). Falls noch bei aller intensiven Aneignung des Erhabenen Einheimische in das kulturtouristische Blickfeld geraten, dann macht sie der kulturerpichte Tourist als Dienstleister (Servicepersonal) und/oder (Mit-)Konsument aus. Welche Einstellungen, Kompetenzen und Praktiken sie besitzen, um unter den gegebenen Bedingungen zurechtzukommen und wie sie sich in diesem Kontext selbst denieren sowie welche Meinungen sie über sich selbst und die Verhältnisse vertreten – zu den Verhältnissen zählt auch der Städtetourismus –, all dieses ist
Kulturstadt versus Stadtkultur
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weder auf der Agenda der Kulturtouristen noch des organisierten Kulturstadttourismus. Weil die kulturtouristische Tagesordnung ausschließlich mit den Räumen der repräsentativen Stadtkultur ausgefüllt ist, ist die städtische Lebensweise kein abhakbarer Tagesordnungspunkt. Dass die Kultur einer Stadt auch einen Raum mit widersprüchlichen Orten der Lebensgestaltung, der Begegnungen und der Chancen sowie der ökonomischen, sozialen und kulturellen Entfaltung umfasst, wird zwar bisweilen als zu besichtigende Attraktion ausgelobt, doch realiter wird sie in den Dritträumen angesiedelt. Zu besichtigen ist hier jedoch das Zusammenfallen eines lokalen und touristischen Konsums in einem „öffentlichen“ Raum, der aufgrund zunehmender Privatisierung und Inszenierung eine „Scheinurbanität“ widerspiegelt (zur Urbanität vgl. Häußermann/Siebel 1987). Verlässt der Stadttourist die Dritträume der Kulturrepräsentationen – sofern er als Kurzurlauber auf seiner x-ten jährlichen Urlaubsreise dafür überhaupt noch Zeit hat –, dann wird bzw. kann er feststellen, dass die Stadt den Nährboden für unterschiedliche Kulturen in der Stadt bildet. Vielleicht nimmt er wahr, dass gerade die Dritträume kulturelle Verschiebungen dergestalt bewirken, als andernorts Stadtareale abgewertet und/oder für Stadtbewohner kulturelle Bedeutung (zurück-)gewinnen (vgl. Kursbuch Stadt 1999). Erscheint die touristisch dargebotene Kultur wenn nicht einheitlich, so doch aber von wenigen und leicht merkfähigen Strängen geprägt, so führen die drittraumabseitigen Wege zu einer Vielfalt der sozialen Welten einer Stadt. Im Grunde muss der kultursuchende Stadttourist nicht zu einem (Stadt-)Ethnologen mutieren, sondern nur sein zu Hause angeeignetes Wissen abfragen und letztlich sich selbst befragen, um auf diese sozialen Welten zu stoßen: Wo treffen sich diese und jene (etwa Szenen, Diskotheken, Kneipen, Fußballstadien) ? Wo sind die randständigen Milieus anzutreffen ? Wo leben die Migranten ? Wo fühle ich mich fremd bzw. wo passe ich nicht hin ? Wo ist es wie bei mir zu Hause (etwa in Bezug auf Waren einschließlich der Lebensmittel) ? Diese Fragen zu beantworten heißt, diesbezügliche Orte ausndig zu machen und dabei zu entdecken, dass es in der Stadt unterschiedliche Lebensweisen und Lebensstile gibt, die die einzigartige Kultur einer Stadt in ihrer Pluralität ausmachen (vgl. Krüger/Meyer 2001; Niedermüller 1998). Die „Kultur der Dritträume“ gesellt sich zu dieser Kultur einer Stadt hinzu. Auf Entdeckung zu gehen, und nicht wie einst Goethe in Italien das zuvor Bekannte wieder nden zu wollen, bringt dem Touristen diese vielfältige Stadtkultur nahe.
Touristizierung des Alltags ? Durch die Ausblendung der alltäglichen Lebenswelten einer Stadt wird das Alltagsfremde des Drittraumes zur Kulturikone einer Stadt erhoben. Für ihre „touristische Identität“ und Wettbewerbsposition ist dies ebenso funktional wie ökonomisch
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III Einschreibungen
efzient, können doch dadurch Massen einem standardisierten und kontrollierten Raumkonsum zugeführt werden. Das Städtische der Kultur wird allerdings verfehlt, wenn nur diese Dritträume als das Kulturtypische einer Stadt gelten. Bezieht man sich dagegen auf die umfassende Stadtkultur und führt man die unterschiedlichen Lebensweisen dem touristischen Konsum zu, dann werden diese Alltagswelten „zooisiert“: Touristen beschauen wie einst bei Hagenbeck statt Völker städtische Kulturen. Nach allen Erfahrungen – und nicht zuletzt mit Enzensbergers (1987) Theorie des Tourismus – ist eine solche totale Touristizierung nicht auszuschließen. Der Tourismus ist eben prekär, seine strukturellen Widersprüche lassen sich nicht auösen. Sie können nur ausgehalten werden.
Entfernung, Entfernen und Verorten
Relativierung des Raumes Will man den Tourismus entwicklungsgeschichtlich charakterisieren, so lassen sich viele Belege anführen, wonach man ihm eine stetig anwachsende Kraft der „Vernichtung“ des realen Raumes, des Raumes zum und im Reiseziel, bescheinigen kann. Dieser schleichende Vernichtungsprozess ist schon so sehr fortgeschritten, dass den Räumen in ihren Verfasstheiten, ihren soziokulturellen und naturalen Welten, keine touristische Relevanz und Attraktivität mehr zugebilligt wird. Dementsprechend nden sich wohl keine Orte, keine Regionen und keine Länder mehr, die sich in ihrer touristischen Ausrichtung nicht auf ein marketinggestütztes Konzept berufen, auf dessen Basis ein Tourismusraum entworfen und schließlich gestaltet worden ist. Marketing bedeutet, sich an der Konkurrenz und vornehmlich an potenziellen und gegenwärtigen Besuchern/Touristen zu orientieren. Diese Orientierung produziert Raumbilder und Raumangebote, die sich nur noch durch eine Eigenschaft auszeichnen: „Touristisch erwünscht !“ – sowohl seitens der Reisenden/Touristen als auch seitens der (Raum-)Anbieter. Was den Raum an sich ausmacht, hat an Bedeutung verloren und ist entfernt worden, während sich die erwünschten Eigenschaften, also die Raumbilder, in den Räumen des Tourismus manifestieren bzw. materialisieren. Diese Macht der touristischen Raumbilder führt zur touristischen Atopie: Die erwünschten und vorgestellten Raumeigenschaften können für alle möglichen Räume genutzt und irgendwo realisiert werden. Die damit einhergehende Relativierung des Raumes führt letztlich zur Lokalisierung des Tourismus in Räumen, in denen man ihn nicht erwartet und mitunter nicht wünscht (z. B. aus ökologischen Gründen). Der Nutzen bzw. der Gewinn einer derartigen territorialen Abstrahierung liegt auf der Hand. Ein von territorialen („verfassten“) Bezügen weitgehend unabhängiger Tourismus ist generalisier-, standardisier- und wiederholbar und schließlich globalisierbar. So materialisieren sich Tourismusräume beispielsweise als „Erlebnisräume“. Erlebnisse werden auf irgendetwas und damit auf alles bezogen. Diese Räume sind nichts in dem Sinne, dass sie keine Individualität besitzen, also nicht auf etwas verweisen, das es nur dort gibt (vgl. zu dieser Unterscheidung Ritzer 2004). Nicht nur Tourismusräumen haften Nichtigkeiten an; was sich globalisieren lässt wie insbesondere Konzepte und Modelle, sind Nichtigkeiten, die sich auf und für jeglichen Raum instrumentalisieren lassen. Folgt man dieser Perspektive, dann hat sich der Tourismus vom realen Raum nicht nur entfernt, sondern er hat auch Raumindividuelles entfernt. Er benutzt den K. Wöhler, Touristifizierung von Räumen, DOI 10.1007/ 978-3-531-92761-9_14, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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III
Einschreibungen
Raum, um dort etwas zu installieren, das zwar überall erhältlich oder erfahrbar ist, doch dieses Nichts wie beispielsweise Wellness, Nordic Walking oder selbst auch Kulturstadt besitzt die Fähigkeit, es durch den Konsum/die Inanspruchnahme zu etwas werden zu lassen: Der Tourist ist in ein derart raumloses Angebot wie auch immer involviert und verleiht ihm dadurch eine Substanz. So gibt es, um ein anderes Beispiel anzuführen, nicht wenige Touristen, die die andalusische Costa de la Luz wegen der strandnahen Hotels mit ihren materiellen und personalen Infrastrukturen schätzen und sie wiederholt aufsuchen und so aus diesem Wenigen „Urlaub in Andalusien“ machen. Diese Transformation des räumlich Wenigen in ein räumliches Etwas, über das erzählt wird und das als Geschichte im Gedächtnis verbleibt, lässt sich als touristische Verortung beschreiben. Die touristische Verortung benennt zwar einen Raum oder Ort wie beispielsweise Andalusien/Costa de la Luz, doch diese territoriale Bezüglichkeit bezeichnet keine räumliche Differenz. Das strandnahe Hotel, Wellness oder Nordic Walking stellen dagegen Bezüglichkeiten her und in der Beziehung zu ihnen bzw. durch die Teilhabe an ihnen gewinnen diese Räume für Touristen Bedeutung und Substanz. Diese Substanz ist touristisch codiert.
Touristizierung Dass der Tourismus nicht mehr an den verfassten Raum gekoppelt ist, sondern auf sich selbst verweist, lässt sich unter der Steigerung in der Moderne einordnen. Indem Räume touristiziert werden, kommen nicht nur breite Bevölkerungsschichten in den Genuss des Fremdraumkonsums („Massentourismus“). Touristizierung, also die Entfernung von realen Raumverfasstheiten durch den Tourismus, genauer durch dessen materielle und visuelle Infrastrukturen, ist bzw. verspricht viel mehr und vor allem eine Lebenssteigerung: An die Stelle des Alltags tritt der Urlaub als Fest, in dem der moderne Mensch auf Distanz zum Alltagsleben gehen kann und sich dabei, wenn auch nur temporär, in seiner Individualität steigern kann (vgl. Marquard 1994, S. 67 f.). Reale Raumverfasstheiten stehen einer solchen Steigerbarkeit des Menschen im Wege. Statt einer Koppelung an den realen Raum erfolgt eine Bindung des reisenden Menschen an den Tourismus. Der Tourist besucht nicht den Realraum, sondern integriert sich in den Tourismus, der sich in irgendeinem Raum lokalisiert. Der Tourismusraum erhält seine Struktur und seinen Inhalt aus der jeweiligen gesellschaftlichen Verfasstheit, die sich nicht zuletzt in Marketingkonzepten widerspiegelt. Kurzum, der Tourismus und damit die Urlauber/Reisenden/Touristen sind nicht im Raum, sondern in der Zeit (anwesend). Und daraus folgt die im Grunde banale, aber dennoch herauszuhebende Tatsache, dass weder der Tourismus noch der Tourist außergesellschaftlich, sondern in die Gesellschaft inkludiert sind (wie jedes Subsystem; vgl. hierzu Schimank 1996).
Entfernung, Entfernen und Verorten
181
Wenn sich der Tourismus zusehends enträumlicht hat, sich also aus speziellen lokalen Wurzeln und Kontexten löst und geographische Räumlichkeiten nur noch zitiert (vgl. Wöhler/Saretzki 1996), dann kann nicht mehr vorausgesetzt werden, dass Touristen auf einen fremden Kulturraum stoßen. Moderne Tourismusräume erzählen keine Geschichten, mittels derer angereiste Besucher „fremde Länder und Menschen kennen lernen“ können. Nichtsdestoweniger bewegen sich Touristen in einem Raum, den sie als etwas Anderes, Fremdes wahrnehmen. Mittels touristischer Infrastrukturen und/oder einer Implementierung von allseitig rezipierbaren Geschichten in den Raum entsteht ein sensuell und kognitiv wahrnehm- und erlebbarer script space (zum script space siehe Klein 1999). Das Fremde stellt sich zwar allein schon mit der Distanzüberwindung bzw. -zurücklegung her, d. h., mit der Entfernung vom Alltag wird gleichgesetzt, dass andernorts der eigene Alltag entfernt worden ist und daher nicht angetroffen wird (vgl. Franklin 2003, S. 73 ff.). In Form und Funktionalität entsprechen die gescripteten Tourismusräume dieser Annahme einer Fremd- bzw. Andersartigkeit. Doch darüber hinaus – und dies ist wesentlich – werden die funktionalisierten Tourismusräume so semantisch programmiert, dass der Tourist diese so angenommene und erwünschte Andersartigkeit entdecken und interpretieren kann. Der Tourist wird dabei nicht angehalten, das Ganze des Raumes aufzugliedern (Analyse). Das dem Raum auferlegte semantische Programm führt und lenkt vielmehr den Touristen via Information und sinnlicher Wahrnehmungsobjekte zu ganz bestimmten materiellen, naturalen und personalen Teilbereichen, die allesamt je spezisch touristisch kontextualisiert sind und somit dem Raum eine fremde, andersartige Einheit bzw. Ganzheit verleihen (Synthese). Durch diese synthetische Raumaneignung wird der Raum beispielsweise zum Erlebnisraum, zum Sonnenstrand, zum Fahrradparadies, zum Raum des ökologischen Reisens, ja zum Raum der Inkas usf. generalisiert. Diese touristische Synthetisierung spart die alltägliche Verfasstheit des Fremdraumes aus. An ihr orientieren sich der Tourismus und der Tourist nicht. Je nach anvisierter Zielgruppe erzählt der touristisch hergerichtete Raum dagegen eine je spezische Geschichte vom Erleben, Golfen, Kanufahren, Skifahren, Badestrand, gesunder Ernährung etc. In diesen Geschichten (= touristischen Raumprogrammen) nden sich zielgruppenadäquate bzw. lebensstilspezische Bilder, Symbole, Mythen und Erfahrungen wieder. Man kann konstatieren, dass Tourismusräume die in den Touristen verankerten Vorstellungsräume realisieren und somit die Sehnsucht und/ oder das Begehren des modernen Menschen bedienen, andernorts das zu erfahren und zu leben, was der Alltag nicht bzw. nicht mehr hergibt, was er aber generiert: sich Gegenständen, Aktivitäten und Menschen hinzugeben, die man frei wählt und die nicht aufgezwungen sind: Golfen, Kulturhauptstadt-Erleben, Wellness, Schlemmen, Relaxen am Sonnenstrand, Ferien auf dem Bauernhof u. a. m. – all diese Raumbesetzungen und -aneignungen sind jedoch nicht dem Raum inne-
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III Einschreibungen
wohnende Wesenseinheiten und von den Bewohnern gelebte Welten, sondern in den Raum gesetzte Objektivationen, die der Tourist zu Hause imaginiert und sich wünscht. Ohne den Touristen bzw. den Tourismus würden Wellness, „Schätze der Etrusker“ oder schlicht Erholung nicht als Raumeigenheiten benannt, ausgelobt und daraus Identitäten begründet werden. Gleich nach der Saison oder nach dem Jahr der Firmierung als Kulturhauptstadt fallen Tourismusräume zwar nicht in sich zusammen, doch die Gegenstände, Flächen und Menschen, die für den Tourismus hergestellt und ausgewiesen worden sind, nden keinen, zumindest aber nur einen partiellen Anschluss an die gelebten Raumverfasstheiten.
Touristische Programmierung: Lüneburger Heide Die Lüneburger Heide ist mit Sicherheit eine unverwechselbare, weithin bekannte Marke, basierend auf einem idiosynkratischen Produkt: Schäfer mit Heidschnuckenherde, Heidelandschaft (Erika und Wacholder) und Heide-Bauernhäuser. Vor diesem Hintergrund erscheint es als unwahrscheinlich, die Lüneburger Heide neu zu denieren und sie touristisch zu dekontextualisieren. Doch genau dies ist geschehen. Wenn man sich die nachstehende Übersicht anschaut, die das touristische Angebot und dessen Auslobung seit 1971/72 systematisiert (Unterkunftsverzeichnisse, Infobroschüren und Imageprospekte), dann hat sich die Lüneburger Heide spätestens seit 1988 nicht nur von dieser sicherlich romantisierten, aber dennoch raumverwurzelten Vorstellung verabschiedet. Dieser Tourismusraum entledigt sich seitdem Schritt für Schritt von seiner gegebenen, auf den lokalen Bezügen beruhenden Infrastruktur. Sie wird fortan als Kolorit aufgesaugt und als Zitat vornehmlich in „Themenangebote“ eingebaut. Ist bis zu diesem Zeitpunkt das touristisch angepriesen und ausgelobt worden, was raumgebunden, aber auch imagegeprägt („Heideidyll“) da gewesen ist, um so aus diesen Wirklichkeiten Möglichkeiten für die Urlaubsgestaltung zu entwickeln, so bekam die Lüneburger Heide ab diesem Zeitpunkt ein touristisches Programm verpasst. Das sich in der dann bereitgestellten Infrastruktur manifestierende Programm stellt eine Brücke zwischen einer professionalisierten Marketingpolitik und den Lebenszusammenhängen der Touristen her. Die Touristen wollen besonders andernorts die Lebensvorgaben realisieren, die ihnen bereits zu Hause für die alltägliche Lebensgestaltung vermittelt worden sind: Das Leben soll Spaß machen und man soll Wirklichkeitsoptionen ergreifen sowie Herr und nicht Knecht der Lebenswelt werden. Sind bis 1988 mehr oder weniger die gegebenen Raumverfasstheiten bzw. Infrastrukturen mit touristischen Dienstleistungen verbunden worden, um mögliche Heideurlauber anzulocken, so werden nun touristische Dienstleistungen miteinander verbunden, um einprägsame Erlebnisse zu schaffen, die Touristen persönlich an- und einbeziehen. Kurzum, spätestens seit 1992 wird „Erlebnis“ vollends zum
Entfernung, Entfernen und Verorten
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touristischen Produkt gemacht (Schulzes Erlebnisgesellschaft bewahrheitet sich demnach; vgl. Schulze 1992). Hat der Raum „Lüneburger Heide“ an sich – seine materielle/personale Verfasstheit – bis dato seine touristische Nutzung de niert (raumgegebene Freizeitmöglichkeiten), so wird nun der Zeichenwert der touristischen Infrastruktur betont: Geschichte, Natur, Kultur, Gesundheit, Wellness, Gastlichkeit, Shopping, Events etc. konstituieren ein räumliches Simulakrum, das in der Lüneburger Heide wirklich erlebt werden kann. Intangibles, Flüchtiges und mithin Virtuelles sind in einen realen Raum verlegt worden, den sich die Touristen aneignen und erfahren können. Die personale Verortung erfolgt nicht mehr über den Raum, sondern über Erlebnisse, denen Konzepte oder Modelle eines attraktiven, marktgängigen Tourismus zugrunde liegen. Die touristische Landkarte der Lüneburger Heide dokumentiert (Stand 2003) einen nach Themen zergliederten Raum, der eine am Konsum ausgerichtete Landschaft anbietet. Es stehen nicht mehr „Land und Leute“ im Vordergrund, sondern das Theming von Dienstleistungen mit Erlebnischarakter. Es ist ein Raum geschaffen worden, in dem sich der Tourist selbst erlebt, sodass seine Urlaubsgeschichte nicht vom Raum, sondern eben vom Schlemmen, Shoppen, Reiten, Wellness, Flanieren, Erlebnisparks, Radwandern etc. erzählt. Wenngleich er seine Geschichte aus einem selbst gesteuerten Handeln resultierend begreift, so basiert sie auf dem Konsum von Erlebnissen, die er nicht generiert hat. Sie sind vielmehr mit den Themen vorgegeben. Mit den Themensetzungen lässt sich das Tourismusgeschehen planen, vorhersagen und kontrollieren. Wozu braucht der Tourist/Urlauber noch die Lüneburger Heide, wenn sie ein Ensemble von in Szene gesetzten Orten repräsentiert, in denen er sich selbst erlebt ? Diese Frage haben sich die politadministrativen und unternehmerischen Tourismusakteure in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre auch gestellt und Antworten in einer Imagestudie sowie einem Marketingkonzept gefunden. Allerdings ist diese Frage umgekehrt worden: Was braucht die Lüneburger Heide, damit sich der Tourist selbst erleben kann ?, so lautete das Marketingproblem. Die zu lösende Imageaufgabe bestand darin, die Lüneburger Heide unter den vielen Konkurrenzräumen für den Touristen sichtbar zu machen. Die lapidare Antwort: Mit besucherorientierten Angeboten sichtbar zu werden und sich im Wettbewerb zu behaupten, hieß und heißt, sich den frei ottierenden Bildern des „schönen Lebens“ anzupassen. Danach ging und geht es darum, den (post-)modernen Tourismusmenschen in alltagsabgewandte räumliche Atmosphären zu integrieren, in denen er mit all seinen Sinnen „Schönes“ erlebt und dabei erfährt, dass sein Leben und er/sie selbst anders möglich sein können (= Alterität und Kontingenz sind demnach die beiden Reisemotive). Um dies für den Touristen sicherzustellen, sind fortan die Tourismusangebote, wenn nicht gänzlich, so doch aber weitestgehend vom materiellen, räumlich gegebenen Substrat gelöst worden.
„Fern vom Lärm des Alltags“
„Fern vom Lärm des Alltags“
Kein einheitlicher Slogan für die Heide; Lüneburg: „Stadt auf dem tausendjährigen Zauberberg aus Salz“
„Oase der Ruhe“; Visselhövede: „Urlaub vom Himmel“
„Vielfältige Lüneburger Heide“
„Vielfältige Lüneburger Heide“, „Wo jeder Urlaubstag zum Erlebnis wird“
1974/75
1976
1977
1983
1985
Slogan
1971/72
Jahr
Schäfer mit Hund und Herde (Heideidyll)
Heftfarbe Heide-Lila, typische Heidelandschaft/Heideidyll, vielfältige Freizeitmöglichkeiten
Bauernhäuser, Heidschnucken, Heideächen, Schwimmbäder
Bauernhäuser, Heidschnucken, Heideächen, Schwimmbäder
Heideidyll, Aktivität
Schäfer mit Schnuckenherde, Heideidyll, Heideromantik
Marker
Wie oben
Wie oben, zusätzlich Unterhaltung, Kultur (Veranstaltungen) und Kuren
Heideseen + Flüsse für Bootssport u. Angeln, Schwimmbäder
Heideseen + Flüsse für Bootssport u. Angeln, Schwimmbäder
Verschiedenste Sportmöglichkeiten
Moderne Schwimmbäder, Wanderwege
Infrastruktur
Wie oben, zusätzlich mehr Ausdifferenzierung zwischen einzelnen Regionen, die Erholung, Romantik und Erlebnis in den Vordergrund stellen
Heidelandschaft lässt keine Wünsche offen (quasi „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“)
Das Land der Weite und Wälder
Das Land der Weite und Wälder
Ideales Ziel für Urlaub + Wochenende
Ideales Ziel für Urlaub + Wochenende
Symbolik Raumbenennung
Erstmalig klare Unterteilung in Unterverzeichnisse für die einzelnen Ferienregionen, die jeweils eigene Slogans haben; somit noch mehr Betonung der Vielfalt
Vielfalt steht im Vordergrund, jeder Tag wird zum Erlebnis, alles ist möglich, keine Wünsche bleiben offen – bei raumverfassten Freizeitmöglichkeiten
Freizeitmöglichkeiten machen den Urlaub zu einem wirklichen Erlebnis, bei gleichzeitiger Betonung von Ruhe u. Beschaulichkeit
Erstmals Betonung der Tatsache, dass Freizeitmöglichkeiten den Urlaub zu einem wirklichen Erlebnis machen, gleichzeitig Betonung von Ruhe u. Beschaulichkeit
Erstmals „Hobby-ABC“, gleichzeitige Betonung der möglichen Aktivitäten bei größtmöglicher Ruhe
Betonung von Ruhe u. Erholung, Romantik, Urlaub als Gegenbild zum Alltag
Besonderheiten
Systematisierung der Präsentation und Repräsentation der touristischen Lüneburger Heide
(Basierend auf Unterkunftsverzeichnissen, Infobroschüren und Imageprospekten; cand. rer. cult. Sabine Seiffarth danke ich für die Zusammenstellung)
Übersicht
184 III Einschreibungen
„Vielfältige Lüneburger Heide“, „Wo jeder Urlaubstag zum Erlebnis wird“
„Vielfältige Lüneburger Heide“, „Wo jeder Urlaubstag zum Erlebnis wird“
„Die Heide“; auffällige Slogans der Regionen z. B.: Südheide Gifhorn: „Natürlich mit Kultur“, Erlebniskreis Uelzen: „Neues Erleben – Natürlich in der Heide“
Wie oben
Wie oben
1988
1992
1993
1995
Slogan
1986
Jahr
Wie oben
Wie oben
Heftfarbe: weiß mit stilisiertem Heidebusch in magenta, generell abstrakter als vorher, Versuch vom Heideidyll wegzukommen, allgemein auffällig: wesentlich weniger Text, mehr Fotos, Aufbau wie ein Imageprospekt
Heftfarbe: magenta (Hinweis auf Heide), Foto von Familie beim Wandern (Hinweis auf Familienidyll u. Aktivität)
Bild von Familie, auf Innenseiten auch Schäfer mit Herde
Marker
Wieder kleine Veränderung der Reihenfolge: 1. „Information“, 2. „Gastlichkeit – Sich verwöhnen lassen“, dann Reihenfolge wie 1992
Wie oben, lediglich kleine Veränderung der Reihenfolge: „Information u. Wissenswertes“ zuerst, dann wie oben
Darstellung der Sehenswürdigkeiten aller Regionen, aufgeteilt in Themenbereiche: Natur, Geschichte, Kultur, Gesundheit, Erlebnis, Ausüge, Gastlichkeit, Veranstaltungen, Information
Kulturelle Veranstaltungen, Sportmöglichkeiten zu allen Jahreszeiten, Heilbäder, Kurorte, Tagesausugsziele, Gastlichkeit/Restaurants, Feste
Wie oben
Infrastruktur
Wie oben
Wie oben
Themenbezogen, auf Infrastruktur hinweisend
„Faszinierend“
Wie oben
Symbolik Raumbenennung
Im Stellenwert wird „Gastlichkeit – Sich verwöhnen lassen“ dadurch aufgewertet, dass es in der Reihenfolge nach vorne rückt; => möglicher Hinweis auf hedonistische Trends in der Gesellschaft
Wie oben
Sehr starke Betonung des Erlebnisaspekts, auffallend auch: bei den Themenbereichen und in den Slogans der Regionen stehen Natur und Kultur im Vordergrund => Trend zum nachhaltigen Tourismus erkennbar ?
Erstmals explizite Themenseiten im Prospekt, gleichgewichtete Betonung von Kultur/Sehenswürdigkeiten u. sportlicher Aktivität in der Urlaubsregion
Alles wie 1985, aber nun Betonung der Familienfreundlichkeit durch Austausch des Coverfotos (Heideidyll wird zum Familienidyll !)
Besonderheiten
Entfernung, Entfernen und Verorten 185
Heide-Slogan wie oben; die Regionen haben teilw. neue Namen/Slogans erhalten: „Lust auf Urlaub ? Urlaubsregion Südheide Gifhorn. Ein Ziel mit ungeahnten Möglichkeiten“, „An Aller und Weser – Erholungslandschaft zwischen Weser und Heide. Natur und Kultur erleben“
„Zwischen Elbe, Aller und Weser. Lüneburger Heide“
2000
Slogan
1999
Jahr
Neues Layout: Heftfarbe zartrosa mit Heidemotiv, Urlaubsorte, Ausugsziele
Wie oben
Marker
Gliederung in Themenbereiche: „Information“, „Entspannen“, „Appetit auf Urlaub“, „EXPORegion“ (Vorstellung der regionalen EXPO-Projekte), „Erlebnisreicher Freizeitspaß“, „Flanieren + Einkaufen“, „Wasser, Wellness, Beauty“, „Radfahren + Reiten“, „Auf der Lüneburger Heide“ (Vorstellung typischer Spezialitäten), „Golfen“, „Veranstaltungen“, „Kunst + Kultur, Klöster, Kirchen, Mittelalter“, „Mühlen + Museen“, „Naturparks“
Wie oben
Infrastruktur
„Naturerlebnisse überall“, „Sich wohl fühlen“, „Ausspannen“, „Kuren hautnah“, „Herzlich + persönlich“, „Begeisterung auf der ganzen Linie“, „Erleben“
Wie oben
Symbolik Raumbenennung
Infrastruktur und Zeichen miteinander verbunden, extreme Betonung des Spaßfaktors + Tätigkeiten, die das eigene Wohlbenden fördern, wie Flanieren + Einkaufen, Wellness + Beauty. „Genuss“ auf der ganzen Linie scheint wichtigstes Ziel, sportliche Aktivitäten rücken eher in den Hintergrund, „Wellness“ u. „Golf“ werden zum ersten Mal angeführt
„Lust auf Urlaub“ – noch mehr Betonung der hedonistischen Trends ?
Besonderheiten
186 III Einschreibungen
2003
Jahr
„Zwischen Elbe, Aller und Weser. Heide, Elbe, Lüneburger Heide. Gastgeberverzeichnis und Erlebnisangebote“; teilweise neue Slogans für Regionen, z. B.: „Heidekreis Soltau-Fallingbostel: Erlebniswelt Heide. Sind Sie entdeckungsfreudig, erlebnishungrig und Naturliebhaber ?“
Slogan
Natur – Kultur – Landschaft, neu: Markenzeichen „Fahrradfreundlich“, vielfältige Markenzeichen, bezogen auf Themen
Marker Elbe wird vorgestellt; eingeschoben werden thematische Erlebnisangebote verschiedener Unternehmen; „Markenzeichen fahrradfreundlich“; Wandern u. Erlebnisangebote; Reit-Erlebnisangebote; Tier-, Erlebnisparks; „Wasser, Wellness, Wohlbenden“ (Wellness-, Fitness-, Thermal-/ Soleangebote); „Wo Shopping Charme hat“; „Schauen, Schlemmen, Shoppen …“ (Städte); „Nu lat die dat smecken“ (Essen + Trinken); Kultur; Festtagsangebote; Gruppen- u. Erlebnisangebote; Eventtermine
Infrastruktur Wie oben
Symbolik Raumbenennung Alles wird als Erlebnis bezeichnet: Erlebnis mit „allen Sinnen“ wird ausgelobt; Sehenswürdigkeiten; Wellness => fühlen; Essen + Trinken => riechen + schmecken. Das geht auch in die Sprache ein => „Feste: Das Salz in der Suppe“ (Festtagsangebote). Angebote werden vermehrt zu Pauschalen geschnürt u. grundsätzlich als „Erlebnisangebote“ ausgelobt
Besonderheiten
Entfernung, Entfernen und Verorten 187
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III Einschreibungen
Statt das Besondere der Lüneburger Heide zu stärken – jeder reale Raum besitzt Partikulares –, hat man sie mit den Themenangeboten dem Allgemeinen einer Erlebnisgesellschaft geopfert. Wenn Marketing bedeutet, den Nachfrager dort abzuholen, wo er gemäß seinen Einstellungen, Werten und Verhaltensweisen steht, dann ist dies der Marketingperspektive geschuldet, doch der Preis dafür heißt Aufgabe des eigentlichen Raumes, der nun für den Touristen nichts, zumindest kaum noch Fremdes enthält. Die Lüneburger Heide hat sich in den letzten 30 Jahren Schritt für Schritt entzaubert und statt auf das Unbekannte des besonderen Raumes stößt der Tourist auf die besonders medial vermittelten räumlichen Atmosphären eines unbekümmerten und erlebnisreichen Lebens. Die Lüneburger Heide imitiert damit nicht nur andere touristizierte Räume (vgl. Kie 2002), sondern sie kann dadurch gewährleisten, dass nur auf Angebote verwiesen wird, die der Tourist lesen, einordnen und interpretieren kann, d. h., er ndet hier das für sich vor, was er sich aufgrund einer medial geformten Erwartung vom Urlaub bzw. von einem Raumaufenthalt in der Ferne wünscht: Gegenstände und Ereignisse, an denen er sich anders möglich erleben kann. Was nicht in diese Form passt, bleibt außerhalb seiner Wahrnehmung. Infolgedessen ist er vom realen Raum isoliert und ndet sich letztlich im Bekannten des Globalen wieder. Der Tourismus hat die Lüneburger Heide schon seit geraumer Zeit in Besitz genommen. Die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts leiteten eine dramatische Phase ein. Wenn heute festzustellen ist, dass der Raum des Tourismus keine Lüneburger Heide mehr kennt, dann hat der Tourismus eine raumzerstörerische Kraft mit der Konsequenz entwickelt, dass der von Verfasstheiten purizierte Raum nach abstrahierenden Konzepten und Modellen entwickelt, neu erfunden und designt werden konnte. Durch diese Purizierung, die eine touristische Besitznahme darstellt (vgl. in Analogie hierzu Greenblatt 1994), ließen und lassen sich raumungebundene erlebnisorientierte Themenangebote vom ökologischen Radwandern über Wellness und Shopping bis hin zum Schlemmen etablieren. Diese Angebote sind nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich dekontextualisiert, so dass die touristische Lüneburger Heide ihre Saison verlängern und mithin auch wetterunabhängig agieren kann. Insofern steht die Lüneburger Heide für einen raumzeitlich entbetteten Tourismus, der sich nur noch auf sich selbst bezieht und somit atopisiert. Er benötigt nicht mehr die Differenz von Eigen- und Fremdraum. Durch das Entfernen von Räumen und Zeiten bleibt der Tourismus andererseits anschlussfähig zu (fast) allen Räumen. Raumzeitlich bindungslose Tourismusangebote sind nicht nur globalisierbar, sondern sie lassen sich auch modizieren und demzufolge an bestimmte Räume und Zeiten anpassen. Wellness oder Radwandern in der Lüneburger Heide deuten auf solche Modikationen und Anpassungen hin. Diese thematischen Tourismusangebote haben also einen bestimmten Ort. Doch daraus kann nicht geschlussfolgert werden, dass sie gegenüber anderen Orten allergisch reagieren. „Wellness“ oder „Radwandern“ z. B. können ebenso im
Entfernung, Entfernen und Verorten
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schweizerischen Waadtland, in Florida oder in Asturien implantiert werden, ohne dass sie eine Fremdreaktion hervorrufen. Und genau dieses scheint der Tourist zu wollen: Jeder alltagsabgewandte Raum wie insbesondere der Tourismusraum soll nicht von Widrigkeiten und Missfallen, sondern von Atmosphären bestimmt sein, die das gewährleisten, was man sich zu Hause ausgemalt hat.
Das Verschwinden des Forschungsgegenstandes ? Wenn sich der Tourismus bzw. wenn sich die Touristen nur noch selbst begegnen, weil sich die Räume des Tourismus von ihren Verfasstheiten gelöst haben, um sich so ganz auf die Erwartungen der Touristen einstellen zu können, dann reduziert sich der Fremdraumaufenthalt auf Bekanntes (des Globalen). Was der Tourist an Fremdem erfährt, ist nicht mehr an raumfremde Kulturen, an raumandere Menschen und fremde Landschaften gebunden. Das erlebte Andere/Fremde ergibt sich aus raumzeitunabhängigen Erlebnissen, durch die sich der Tourist anders möglich und somit selbst als Fremder erfahren kann. Der Tourismus stellt zu diesem Zweck Erlebnisräume atopisch bereit. Überall dort – irgendwo in irgendwelchen Erlebnisräumen – kann er sich als anders möglich selbstvergewissern. Diese Bereitstellung kann in der Lüneburger Heide sein, die keinen besonderen, sondern einen allgemeinen Erlebnisraum darstellt. Nicht die Lüneburger Heide konstituiert also eine Differenz, an der sich der touristische Mensch abarbeiten kann, sondern es sind dekontextualisierte Erlebnisräume, die Anderes/Fremdes generieren. Kann man sich dieser Sicht anschließen, wonach der Tourist in fremden Räumen gar nicht (mehr) deren kulturellen, sozialen, ökonomischen und naturalen Verfasstheiten begegnet, dann hat die ethnologische Tourismusforschung ein Gegenstandsproblem: Will sie die Beziehung zwischen dem Anderen und dem Eigenen thematisieren und dabei fokussieren, wie der Tourist die Bedeutungen, Werte und Handlungsorientierungen der Menschen im besuchten Raum wahrnimmt und verarbeitet, dann bricht dieser Referenzrahmen weg, wenn der Tourismus raumlosgelöst agiert. Der von den Touristen aufgesuchte konkrete Raum oder Ort ist demzufolge zu vernachlässigen. Was sich der Tourist andernorts als Fremdes wie aneignet, ist nicht aus einem geographischen Raum und den Menschen, die ihn bewohnen, abzuleiten. Um das Touristenverhalten zu verstehen, muss man dagegen Räume des Tourismus als Räume der „Ströme“ (ows) verstehen und damit konzedieren, dass ein Tourismusraum ein Raum der Gesellschaft ist (vgl. Castells 2001, S. 431 ff.). Die am Beispiel der Lüneburger Heide aufgezeigte touristische Verfasstheit spiegelt die Verfasstheit der Gesellschaft wieder. Was sich als Themenangebote der Lüneburger Heide, also im Raum materiell artikuliert, ist Ausdruck ökonomischer, symbolischer und politischer Prozesse, die jegliche Räume von ihren
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III Einschreibungen
hergebrachten kulturellen, historischen und geographischen Verfasstheiten entkörpern und somit überall hinießen (können). Kurzgefasst, es geht nicht darum, Fremdheitserfahrungen raum- und zeitunabhängig zu konzipieren. Das Gegenteil ist der Fall: Sie sind in den Raum und in die Zeit der Gesellschaft zu stellen. Die touristische Lüneburger Heide hat mit ihren erlebnisorientierten Themenangeboten offenbart, dass in ihr die globale Idee des Erlebens, bei dem sich der Mensch als anders möglich erfahren kann, zirkuliert und lokalisiert worden ist. Diese Idee ist (welt-)gesellschaftlich und nicht lokal konstituiert. Eine ethnologische Tourismusforschung müsste daher zweierlei leisten. Zum einen ist zu untersuchen, wie sich mit welchen Konsequenzen für die kulturelle Raumverfasstheit eine solche globale Idee lokal durchgesetzt hat. Und zum anderen wäre zu analysieren, welche Bedeutung diese globale Idee für den touristischen Menschen hat. Da Erlebniswelten allerorten anzutreffen sind, müssen jedoch hierfür nicht unbedingt Tourismusräume herhalten.
Sustainabilisierung des Tourismus Zur Logik einer postmodernen Wachstumsstrategie
Auf dem Weg zum global village Wenn man nicht Studien über das Reisen im Mittelalter heranziehen will (vgl. etwa Ertzdorff/Neukirch 1992) und die Reise von Gilgamesch im Jahre 2500 vor Christus für das Verständnis der Gegenwart für irrelevant erklärt (zu dieser Reise vgl. Leed 1993, S. 42 ff.), dann sollte doch wenigstens mit MacCannell (1989, S. 109 ff.) das deutlich werden, was das Reisen in die Fremde als ein befristeter Aufenthalt in einem fremden Raum beinhaltet: Nicht der Raum wirkt, sondern es sind die dem Raum zugeschriebenen Bedeutungen, die die Raumwahrnehmung und -aneignung strukturieren und auf diese Weise reale Raumerfahrungen konstituieren. Diese konstruierten Raumerfahrungen wirken seit je her identitätsbildend – individuell wie kollektiv (vgl. Hetherington 1998). Nicht ,,Neapel hat mir gezeigt, was lobenswert ist“, sondern es sind die diesem geographischen Raum subjektiv abverlangten Deutungen, die zu derartigen Reiseresümees führen. Da dem Raum je spezische Bedeutungen auferlegt werden können, er also auf der Grundlage von Zugängen, Handlungs- und Infrastrukturen beispielsweise ,,grün sprechen“ kann (greenspeak eines Ökotourismus; vgl. Dann 1996a, S. 238 ff.), wird nicht der konkrete, sondern der vorab interpretierte und gestaltete Raum wirksam. Der Tourismus bzw. die Tourismusindustrie ist eine der weltweit nachhaltigsten Raumde nitionsmächte. Sie transformiert nicht nur die Topographie und räumliche Strukturen in symbolträchtige Landschaften, sondern sie generiert auch Institutionen und Humankapital, die diese Bedeutungswelten legitimieren, garantieren, bestätigen und zelebrieren (vgl. MacCannell 1989, S. 145 ff.; ähnlich für Regionen Paasi 1991, S. 243 ff.). Die touristische Institutionalisierung von Räumen – von der Markierung über Namensgebung bis hin zur sozialen Reproduktion – wird von einem push-wirksamen Dezit im Herkunftsraum der Touristen sowie von einer pull-erzeugenden Differenz im Reisezielraum getragen: Das im Heimatraum nicht, nicht mehr oder noch nicht Gegebene, aber Präferierte (präferieren vom lat. prae = voran und ferre = bringen und in Bewegung setzen), drückt den Menschen in den Fernraum, der das Gewünschte bzw. Andere bereithält und ihn infolgedessen anzieht bzw. vom Heimatraum abzieht. Unter den Bedingungen der Postmoderne, die den Menschen von Traditionen und Lokalitäten entankern und durch spaces of ow wie z. B. in Form von Kapital, Technik, Macht, Bildern oder Symbolen neue Räume K. Wöhler, Touristifizierung von Räumen, DOI 10.1007/ 978-3-531-92761-9_15, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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III
Einschreibungen
herausbilden (vgl. Bauman 1997; Castells 1989, 2001; Giddens 1995; Lash/Urry 1994), ist es für die Tourismusindustrie nur allzu leicht, nahezu beliebige Räume nach den Wünschen, Vorstellungen, Statusneigungen und den postmodernen Bedürfnissen herzurichten und zu vermarkten (vgl. Hughes 1998; Lubbe 1998; MacCannell 1992). Der Tourismus erfüllt geradezu eine postmoderne Mission, wenn er für den Menschen der westlichen Welt Räume sondiert, in denen dieser sich – wenn auch nur temporär – vertauen bzw. verankern kann. Da aber Räumen nur ein touristischer Sinn bzw. eine Bedeutung abgewonnen werden kann, wenn sie anders/unterschiedlich zum Heimatraum sind, ist die Tourismusindustrie gehalten, diese Differenz in Tourismusräumen zu garantieren. Wird von ihr ein Reiseziel als nachhaltig in dem Sinne ausgelobt, dass dort die Bevölkerung im Einklang mit der Natur lebt und wirtschaftet und der Reisende in diese Lebensverhältnisse und -strukturen eingebettet ist, dann formuliert sie ein Rationalitätskriterium, das dem postmodernen Leben abhanden gekommen ist. Um dieses Rationalitätskriterium („ökologisches Reisen und Urlauben“) dauerhaft, systematisch und voraussehbar durchzusetzen, sind in Räumen andere, nicht ökologische soziale Handlungskontexte auszugrenzen. Im touristischen Kontext erfolgt entsprechend dem Rationalitätskriterium eine Homogenisierung der Objekte (etwa des Wohnens, der Ernährung, der touristischen Aktivitäten, der Energiegewinnung, der Entsorgung etc.). Diese Prozesse sind als Rationalisierung zu beschreiben (vgl. Lepsius 1989). Eine ökologische Rationalisierung des Tourismussystems steht ökonomischen Rentabilitätszielen nicht im Wege, werden doch die Kosten an den Touristen weitergegeben. Ihre Zahlungsbereitschaft (auch im Tourismus sind Ökoprodukte hochpreisig) signalisiert den Wirkungsgrad bzw. die Reichweite dieses Rationalitäts- und damit Raumgestaltungskriteriums nach Außen hin. Mit anderen Worten: Eine Nachfrage ist gegeben, und dies bedeutet, dass dieses Rationalisierungskriterium im Lebensbereich Reisen eine Geltung besitzt. Für andere Reisende oder Touristen mag sich mit der Markierung eines Raumes als „familiengerecht“, „Eventrouten per Rad“ oder auch „totales Entspannen“ eine Sphäre auftun, nach der sie einen Raum gestaltet bzw. rationalisiert sehen. Je mehr Objekte in den Handlungskontext eines touristischen Rationalitätskriteriums gelangen bzw. einbezogen werden, desto größer ist sein Verräumlichungsgrad. Im Extremfall werden sämtliche Lebensbereiche direkt oder zumindest indirekt von einem touristischen Rationalitätskriterium bestimmt (etwa Skiregionen). Unzählig sind Orte, die sich gänzlich in Richtung des Tourismus rationalisiert und damit homogenisiert haben, können doch nur Setzung und Einhaltung von bestimmten und für alle geltenden Standards, Regeln und Verfahren sicherstellen, dass Rationalitätskriterien Geltung erlangen. MacCannells touristische front stages stehen für ein Handeln von Einheimischen, das sie aus dem Handlungszusammenhang der back stages von Familie, Freunden und Haushalt, kurz: gemeinschaftlichen Lebenswelten, ausgegrenzt haben (vgl. MacCannell 1989, S. 92 ff.).
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Danach umfasst der Geltungsbereich touristischer Rationalitätskriterien nur diese Vorderbühnen. Gleichwohl ist unstrittig, dass Vorderbühnen nicht nur in diese Hinterbühnen hineinwirken (etwa über Arbeit und damit Freizeiten, die wiederum Familienzeiten denieren). Da Lebenswelten nicht im luftleeren Raum, sondern in und mit materiellen und sozialen Umwelten existieren, die nicht zuletzt vom Tourismus abhängen und gestaltet werden (Einnahmen aus dem Tourismus und deren Multiplikatoreneffekte), besitzt der Tourismus eine umfassende Wirkungsund Penetrationskraft. Lokale und regionale Tourismusorganisationen, Verbände und Politakteure animieren bisweilen die Bevölkerung, doch auch für die Touristen bzw. den Tourismus da zu sein. Wenn nicht durch rechtliche Normierungen, so sind es auch solche sozialen Normierungen, die zusammen mit den oben genannten Vermischungen und Überschneidungen Räume und Orte planieren und dadurch touristischen Rationalitätskriterien Platz verschaffen. Diese Entleerung verläuft mit einer Auffüllung synchron. Touristizierung umfasst diese beiden Prozesse. Sei es nun das Streben nach Skilaufen, Sonnenbaden, Kultur- oder Naturerleben, all diese Wünsche, durch deren Erfüllung sich der westliche Mensch eine lebensstilbezogene soziopsychische Verankerung erhofft, lassen sich durch Rationalisierung in beliebigen Räumen und jederzeit realisieren. Der Tourismus stellt somit einen markanten global-local nexus her (vgl. Robins 1997, S. 28 ff.), kann doch heute jeder Raum oder Ort wunsch- bzw. nachfragegemäß und marktgerecht inszeniert, d. h. rationalisiert werden. Und da der Tourismus global agiert, gerät jeder von tourismuswirtschaftlichen Rationalitäten erfasste und konstruierte Ort in einen globalen Kontext. Jeder touristizierte Ort sieht sich demzufolge einem Standortwettbewerb (place war) ausgesetzt (vgl. Arantes 1996). Wettbewerbsfähig sind Tourismusorte, die „gelernt haben, ökonomisch zu denken, neue Produkte zu entwickeln, Märkte zu erschließen und kundenorientiert zu handeln“ (Kotler/ Haider/Rein 1993, S. 346). Implementieren Tourismusorte derartige Managementstrategien, dann mögen sie zwar wettbewerbsfähig(er) sein. Gleichzeitig geraten sie aber dadurch erst recht in die Globalisierung: Ihre „Raumprodukte“ sind nicht mehr aufgrund ihres je konkreten Raumbezugs markt- bzw. wettbewerbsfähig, sondern statt des Raumbezugs entscheidet nur noch der reine, einem Rationalitätskriterium zugrunde liegende Produktbezug, der von Kosten (Preisen), Infrastrukturen, Qualitätsstandards und Geschmäckern deniert wird (vgl. Dicken 1998, S. 205 ff.; Jarvis 1994). Jeder Tourismusort mutiert so zu einem global village, selbst wenn er sustainable (nachhaltig) gestaltet oder umgerüstet wird.
Entwicklungsdeterminanten von touristischen Räumen Zweifelsfrei stellen Reiseziele Raumrepräsentationen dar, die, wenn nicht auf eine Abwesenheit, so doch aber auf eine Unsichtbarmachung der jeweiligen gelebten
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III Einschreibungen
Raumverfasstheit gründen und auf das Gegenteil des als dezitär bzw. gar negativ wahrgenommenen Heimatraumes verweisen. Es sind imaginierte Räume, die nicht mit den empirischen Wirklichkeiten übereinstimmen (vgl. Harvey 1990a; Philp/ Mercer 1999). Der aufgesuchte, ferne Raum wird nicht einfach angetroffen oder gar gefunden; man wird vielmehr zu einem für den touristischen Aufenthalt hergerichteten Ort hingeführt. Indem die Prozesse des touristischen Raum-Machens analysiert werden, kristallisieren sich nicht nur die Konstruktionsmechanismen heraus, auf welche Art und Weise andere, fremde Räume gemacht werden. Gleichzeitig wird dabei der Modus offen gelegt, durch den das Eigene, der Heimat-/Nahraum bzw. gar das eigene Selbst gemacht wird (vgl. Fabian 1990, S. 754 ff.; S. Hall 1997). Wenngleich die Entwicklung touristischer Räume vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Prozesse abläuft, so zeigt gerade die historische Reiseforschung, dass – wie oben bereits erwähnt – der Modus des Tourismus-Raummachens stets auf einer wie auch immer gearteten Dezitidentikation des Heimatraumes basiert. Worin Dezite erblickt und festgemacht werden (und gemacht worden sind), hängt vom Entwicklungsstand der Gesellschaft ab. Dass der Fernraum positiv und der Nahraum dezitär erlebt werden, lässt den Tourismus als temporäre Kompensationsbewegung erscheinen. Unter den spät- oder postmodernen Entwicklungslogiken werden die Identitäten der Gegenwart und des Hier (am Heimatort) als delokalisiert oder ortslos charakterisiert (vgl. Bauman 1997; Featherstone 1995, S. 126 ff.): Der postmoderne Mensch ist nicht von einer geheimnisvollen Topophobie befallen, sondern aufgrund der aus der Globalisierung herrührenden Enttraditionalisierung, Deregulierung und Fragmentierung nimmt die Bedeutung des Festhaltens an einem Ortes ab oder wird gar belanglos. Im Gegenzug wird das Leben im mobilen Habitat bzw. in der Mutilokalität zur Gewohnheit. Diese Nomadisierung des Lebens führt einerseits zu Diskontinuitäten sowie nicht-territorialen Identitäten, Loyalitäten und Relationen und andererseits zur Überzeugung, dass das Leben und die Erfahrungen grenzenlos und ießend sind. Räume und Orte werden als Möglichkeitsräume begriffen, in denen neue Identitäten und Gemeinsamkeiten erprobt und/oder aufgebaut werden können. Tourismusräume bringen sich zu diesen Strukturen und Prozessen (ästhetisiert) in Beziehung, und dies bedeutet, dass sie von dem Fließenden und Globalisierten und nicht von den empirischen Sozial-, Kultur- und Naturräumlichkeiten geprägt sind. Diese Entleerung von Räumen ist die Voraussetzung für die ökonomische Übernahme durch global players, die die Raumentwicklung von bestimmten Zentren aus kontrollieren (vgl. Philo/Kearns 1993). Nahezu jede regionale, städtische und standortliche touristische Entwicklungskonzeption wird daran gemessen und legitimiert, inwieweit sie den internationalen Trends entspricht (dies gilt für jedwede Konzeptionen). In diesen Entwicklungs- oder Marketingkonzeptionen schlagen sich globale Ströme von Informationen, Daten und Images nieder, die als
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unerlässlich – weil wettbewerbsfördernd und marktgängig – für die Gestaltung von Räumen angesehen werden. Diese Konzepte stellen mediascapes dar, also Raumtypen, die auf der Basis von Markt- und Sozialforschungsergebnissen, Daten- und Informationsauswertungen und Images entworfen werden (zu den scapes als globale Ströme vgl. Appadurai 1996, S. 27 ff.). Werden diese Konzepte umgesetzt, dann konkretisieren sich im Lokalen imaginierte Welten, die für ein globales Publikum attraktiv sind bzw. attraktiviert werden. Man braucht in diesem Zusammenhang nicht nur an Disneyworld zu denken. Jeder Tourismusort zeigt Spuren von mediascapes – vom Essen angefangen über Freizeitsport bis hin zum Ökotourismus. Indem Räume derart für einen Weltmarkt gestaltet werden, verfestigen ethnoscapes in Form von Touristenströmen die ehedem imaginierten Räume als Raumrealitäten, die dann nach dem Besuch weltweit als Vorstellungsbilder transportiert werden. Tourismusregionen und -orte zeichnen sich demzufolge durch eine Präsenz des Globalen aus. Oder umgekehrt ausgedrückt: Das Lokale ist durch globale Prozesse geschaffen worden. Dies erklärt, warum sich touristizierte Räume visuell und vom Angebot her immer stärker ähneln bzw. homogenisieren. Die Entwicklung des Tourismus lässt sich als eine allmähliche Ausdifferenzierung aus dem je empirischen Raum begreifen. In den touristischen Räumen treten immer mehr Elemente auf, die nicht aus dem Raum und dem Lebensalltag der Bewohner erwachsen sind. Heute präsentieren sie das Globale, d. h., touristische Räume bieten oder verkörpern Güter, Dienstleistungen, Personal und Architekturen, die überall anzutreffen sind. Diese einheitlichen Tourismusräume gewinnen ihren Eigenwert nur noch durch materielle Substrate, die als Kulisse für homogene Angebote fungieren. Doch auch diese Kulissen erscheinen immer mehr Raummanagern als wettbewerbsmindernd. Wer kennt noch das Sauerland? „Radwandern im Sauerland“ muss daher Marken wie etwa „Prima Velo“ weichen. Diese Marken sollen weltweit – auch online – vermarktet werden. In den Tourismusräumen ist bzw. scheint sich der Globus zu enträumlichen und zu verüchtigen. Sie besitzen daher die besten Bedingungen für Inszenierungen neuer Tourismuswelten (vgl. Saarinen 1998). Diese Inszenierungen, wie beispielsweise „Lappland“ in einer nicht-lappländischen Region, imaginieren virtuelle Tourismusangebote, die den Wettbewerb um globale Raumprodukte mitbestimmen: Derartige „authentische“ Tourismusräume gibt es mannigfach (vgl. Lanfant/Allcock/Bruner 1995). Als touristisierte Funktionsräume sind diese Räume von politischen Entscheidungen geprägt, die sich auf das Globale beziehen (selbst „Authentizität“ ist ein globaler Trend). In der Folge verlieren die Räume ihren Eigenbezug, und sie richten sich strukturell am Raumfremden aus (= Institutionalisierung, der je bestimmte Rationalitätskriterien zugrunde liegen). In Abbildung 1 sind diese Prozesse veranschaulicht.
196 Abbildung 1
III Einschreibungen Touristizierung von Räumen
Die Ausdifferenzierung des Tourismusraumes aus der eigenbezüglichen Raumverfasstheit ist mit der Konstitution ,,neuer“ Individuen kompatibel. Durch diese Verselbstständigung des Tourismusraumes können Räume als Konsumgut und als Medium der Lebensstilisierung eingesetzt werden (vgl. Miles 1998, S. 53 ff.). Räume sind gewöhnliche Waren, die produziert und konsumiert sowie infolgedessen für die individuelle Sinnproduktion und Identitätsndung benutzt werden (vgl. Goodwin 1993). Die Verwendungen, Nutznießungen und Aneignungen von Räumen – also der Raumkonsum – sind nicht (mehr) von Merkmalen wie Geschlecht, soziale Herkunft oder Alter abhängig. Allein das zu entrichtende Entgelt entscheidet darüber, welchen Raum man sich leisten kann. Wo, wie und mit wem sich der postmoderne Mensch verankern bzw. psychosozial verorten will, ist nicht mehr territorial bedingt (vgl. Bauman 1996). Ein Leben lang erfährt er, dass ein erworbener Raumaufenthalt Referenzräume öffnet, in denen er handelnd sondieren kann, wie er sich verankern möchte (etwa Musikkurs, Freizeitangebote, Einkaufen, Verreisen und noch der Arbeitsplatz). Zu diesem Zweck ist er stets unterwegs, und dies bedeutet, dass er vom jeweiligen Nah-/Heimatraum freigestellt ist bzw. wird und dass (nur) andernorts Erfahrungen und Experimente der Selbstverwirklichung gemacht werden können. Dadurch werden räumlich gebundene Selbstndungsprozesse wenn nicht gänzlich aufgegeben, so doch aber massiv aufgebrochen.
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Identitäten entwickeln sich daher quasi natürlich außerhalb des Nahraums und fernab von traditionellen Institutionen. Die Träger der Identikationen sind dort (auch ohne physische Raumüberwindung kann der „Dort-Raum“ erreicht werden: Im „Hier-Raum“ am Fernseher sitzend oder per Internet). Es bleibt dem Individuum allein überlassen, durch aktive Eigenleistungen sich seine Referenzräume zu suchen und zu gestalten (vgl. Beck/Beck-Gernsheim 1994, S. 14). Raumzutritte und Raumaustritte bedürfen keiner Begründung. Und der Raumaufenthalt – wo auch immer – ist via Raumzins demokratisiert. Raumkonsum und Individualisierung stehen in einer wechselseitigen Beziehung. Räume stellen Opportunitätsstrukturen dar. Je mehr Räume zugänglich werden und je stärker die Kosten des Raumzugangs und -aufenthaltes sinken, desto mehr Handlungschancen und -alter nativen eröffnen sich dem postmodernen Menschen. Vermehrtes Reisen bzw. häuge Raumaufenthalte in fernen, fremden Regionen können als eine postmoderne (symbolische) Praxis verstanden werden, andernorts zeitweilig andere und/oder neue Identitäten (nahezu folgenlos) zu testen sowie dem Leben einen neuen/anderen Sinn abzugewinnen (vgl. Brown 1992; Hetherington 1998, S. 110 ff.). Touristische Räume sind darauf angelegt, vorgängige Lebensstile abzuwerfen und sich neu in Szene zu setzen. Insofern dieses subjektiv gelingt, erlangen die Räume, die diese Opportunitätsstrukturen vorgeben, sakralen Rang: Hier (Ort) und Jetzt (Zeit) – sei es nun „Ballermann“ oder die Toskana – kann man sich „authentisch“ erleben und nden. Globale, verüssigte Tourismusräume gewinnen erst einen Bedeutungsgehalt, wenn sie dermaßen Hier-Jetzt codiert sind und in diesem Sinne zur Identitätsbildung beitragen.
Einordnung des nachhaltigen Tourismus Dass der Tourismus maßgeblich zur Hierarchisierung anderer, fremder Kulturen und Räume beigetragen hat und beiträgt, stößt auf keine Gegenrede. In Bezug auf die Dritte Welt (und neuerdings auch Zweite Welt) kann er nur schwerlich in Abrede stellen, er betreibe als westliche Veranstaltung kein postkoloniales Geschäft: Ungeachtet der jeweiligen ge- und belebten Lokalität beutet er Fremdes aus, das im Heimatraum bzw. für den Urlauber/Touristen und die Tourismusindustrie einen Gewinn bringt (vgl. Mowforth/Munt 1998, S. 44 ff.). Die Befreiung des Tourismus aus den lokalen Zusammenhängen zu Lasten der Soziokultur, der Ökonomie und der natürlichen Ressourcen ist indes keine geographische Lageerscheinung, sondern sie ist ein tourismustypisches Phänomen (vgl. Butler 1997): Mit dem Ansteigen der Besucherströme konstituiert sich ein „touristischer Raum-Lebenslauf“, der geradewegs in Umweltzerstörung, Verdrängen von ansässigen Berufen und Wirtschaftszweigen sowie in einer Auösung soziokultureller Gliederungen einmündet. Diese Effekte können zusammen, unterschiedlich stark und jeweils
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III Einschreibungen
einzeln auftreten. In der Summe bewirken sie eine Touristi zierung von Orten oder Räumen, d. h., inszenierte Authentizitäten strukturieren den konsumtiven Fernraum und stellen massenhaft durchrationalisierte ästhetisierte Bühnen für individuelle und kollektive Selbstinszenierungen bereit. Touristizierte Räume werden demzufolge entleert – sozial, kulturell, ökonomisch und ökologisch. Gleichzeitig haben sie sich für ein Massenpublikum wieder aufgefüllt als Badeorte, Strandleben, Skigebiete oder Erlebnisstädte. Weil dieses Auffüllen eine technologische, nanzielle, symbolische und marketing politische Angelegenheit ist, werden auch touristische Räume mit gesellschaftlichen Übergangsprozessen konfrontiert und von diesen letzten Endes ebenfalls geprägt (vgl. Lash/Urry 1994, S. 269 ff.; Leborgne/Lipietz 1992): Das fordistische Wachstumsmodell, nach dem vertikal integrierte Unternehmen homogene Produkte für einen vom Preiswettbewerb bestimmten Massenmarkt bereitstellen, ist aufgrund des Rückgangs der Kapitalrentabilität und des Individualisierungsstrebens des postmodernen Menschen in die Krise geraten. In dieser Krise zeichnet sich ein Übergang zum postfordistischen Modell ab, das durch exible Spezialisierung und exible Akkumulation feste Konturen gewinnt. Flexibilität erlaubt eine spezische und rasche Marktanpassung. Die moderne Informationstechnologie unterstützt bzw. ermöglicht erst zum Großteil die Flexibilisierung der Produkterstellung, der Koordination der Unternehmensbeziehungen und des Humankapitaleinsatzes sowie der Kundenbeziehungen. Touristische Produkte – und dies sind Räume – sind demnach so exibel zu halten, dass sie sich dem Markt bzw. den Kundenwünschen anpassen, und dies bedeutet, dass Räume von externen Prozessen und Praktiken geformt werden (vgl. Goodwin 1993, S. 149). Postfordistische Strukturen und Prozesse bringen nun punktendlich jede rationalisierte Lokalität in das touristische Repertoire, werden doch unter den Bedingungen steigender Flexibilisierung selbst die letzten indigenen Regionen vermarktbar (vgl. Butler/Hinch 1996). Ein „Loc-Tourism“ – siehe Abbildung 2 – mit einer hohen Gebundenheit an den empirischen Raum, die gegebene Soziokultur und an die Lokalökonomie steht zwar dem „McTourism“ gegenüber, passt sich aber effektiv in das neue, postfordistische Modell der Flexibilisierung ein, das zusehends Platz greift (vgl. Dicken 1998, S. 165 ff.; der Begriff „McTourism“ geht auf Ritzer 1998 zurück):
Für eine hohe Produktivität sind nicht mehr hohe Outputs (Übernachtungen, Besucher, Umsätze) notwendig. Produktivität kann durch niedrige Outputs im Rahmen einer Vielzahl diversizierter Produkte erreicht werden. Mit raumgebundenen Angeboten können bestimmte Marktsegmente „individuell“ bedient werden.
Sustainabilisierung des Tourismus Abbildung 2
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Dimensionen der Gebundenheit touristischer Produkte
Lokale Bedingungen lassen sich dem hybriden Konsumenten als vom Massentourismus abgehobene „Besonderheit“ und/oder „authentisches Erlebnis“ verkaufen. Raumgebundene touristische Produkte werden auf der Basis vorhandener Ressourcen kostengünstig erstellt (auch Humankapital, das bestenfalls angelernt ist). Raumgebundene Tourismusprodukte stellen entdifferenzierte Angebote dar. Sie vereinen Kultur, Naturerfahrung, Bildung und Freizeitaktivitäten. Die Tourismusindustrie kann protabel global wachsen. Ihr Angebotsprogramm umfasst Produkte „für jeden Geschmack“ und kann so den hybriden und unstetigen, weil immerfort identitätssuchenden Konsumenten „bedienen“.
Ein nachhaltiger Tourismus, der u. a. seine Wurzeln im Agenda 21-Konzept von Rio hat (vgl. Mowforth/Munt 1998, S. 295 ff.), zielt auf die in Abbildung 2 dargestellte dreifache Raumgebundenheit ab. Mit dieser Bindung soll erreicht werden, dass künftige Generationen dieselben Handlungschancen wie die jetzige vornden (vgl. Wahab 1997; Wight 1993). Ökonomie, Ökologie und Soziokultur sollen demzufolge
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III
Einschreibungen
in Einklang gebracht werden, und dies bedeutet, dass der für den touristischen Blick bzw. Konsum freigegebene Raum quasi aus sich heraus und selbstbestimmt für den Tourismus wirkt und dass diese Wirkungen ökonomische benets generieren, ohne dabei die natürlichen Ressourcen zu degradieren. Ein derart gebundener Tourismus würde in der Tat einen funktionalen Wandel von der Konsumtion mctouristischer Massenprodukte (nochmals: Produkt = der nach einem Rationalitätskriterium in Wert gesetzte Raum) zu spezialisierten Tourismusprodukten bedeuten. Stellt man in Rechnung, dass der nachhaltige Tourismus nicht nur in der Dritten Welt, sondern auch in westlichen Ländern implementiert wird (vgl. Mowforth/Munt 1998; Smith/Eadington 1992), dann kann dies nicht mehr als Ausdruck eines weltweiten Siegeszuges ethisch-moralischer Einsichten gewertet werden. Er passt sich vielmehr ganz kühl dem Postmodernismus und dem oben charakterisierten exiblen postfordistischen Produktionsregime an: Sustainabilisierte bzw. nachhaltige belassene Tourismusräume dienen einem kosmopolitischen (Mittelklasse-) Publikum, das den Wert des Raumkonsums von einem bestimmten distinkten Produkt abhängig macht (Positionsgut). Sustainabilisierung des Tourismus bedeutet somit eine Kulturalisierung der Tourismusindustrie, deren small-scale Einheiten („LocTourism“) ein Höchstmaß an Rendite erbringen und deswegen bisweilen aggressiv vermarktet werden (vgl. Dimanche/Smith 1996, S. 68 ff.). Gleichzeitig bieten sie eine Fülle von Sinnzuordnungen und/oder Sinnangeboten. Sie reichen von „einfaches, harmonisches Leben“ bis hin zu „im Einklang mit der Natur leben“. Darüber hinaus liefern nachhaltige Tourismusangebote den Beweis, „dass es doch geht“, dass man ökologisch wirtschaften kann. Ein anderes Lebensmodell könnte zu einem Gesellschaftsmodell mutieren. Insofern ist ein nachhaltiger Tourismus auch als ein Teil der reexiven Moderne zu begreifen. Die Reexionsdimension „Nachhaltigkeit“ wird zwar in das tourismuswirtschaftliche Handeln integriert, doch sie verdrängt nicht das kapitalistische Rationalitätskriterium. Da es für die dreifache Raumgebundenheit, die einen nachhaltigen Tourismus auszeichnet (vgl. Abb. 2), keine verbindlichen Standards, Regeln und Verfahren gibt, wird beliebig und exibel Unterschiedliches unter dem Label der Nachhaltigkeit (von der Abfalltrennung über regionale Küche bis hin zur Zusammenarbeit mit einheimischen Ökonomien) gemäß den Kriterien wirtschaftlicher Efzienz in die touristische Programmstruktur eingebaut. Indem sich der Tourismus derart angebotsseitig von einer ökologischen Schuld frei spricht, kann er mit solchen neuen Kleidern nicht nur weiterleben. Er kann vielmehr, dergestalt ökologisch legitimiert, auch weiterhin unbegrenzt wachsen.
Tourismus und Nachhaltigkeit
Wenn man die vielen De nitionen und Praktiken von Nachhaltigkeit aufführen sollte, entstünde ein Bände umfassendes Werk. Ein konstitutiver Faktor würde indes immer wieder darin enthalten sein: Kontinuität. Sustainability oder durée verweisen im englisch- und französischsprachigen Raum gleichermaßen auf den Kern von Kontinuität, wonach zeitlich und räumlich Zusammenhänge nicht unterbrochen sind. Nachhaltigkeit als ununterbrochene Fortdauer der Weltzusammenhänge schließt dann vieles ein, was – wie insbesondere die Zielsetzungen eines Schutzes der Ökosphäre, einer stabilen wirtschaftlichen Entwicklung und der gerechten Verteilung der Lebenschancen – unstrittig ist. Werden diese drei Ziele zusammen in einem Raum erreicht, ist eine kontinuierliche Entwicklung auf Dauer sichergestellt. Da sie nicht nur gleichrangig sind, sondern auch gleichzeitig erreicht werden sollen, d. h. in dem einen Prinzip ,,Nachhaltigkeit“ vereinbar erscheinen, stellt sich die (Problem-)Frage, wer denn diese Vereinigung bzw. Vermittlung leisten solle. Will man nicht Nachhaltigkeit als eine wünschbare Versöhnung des Menschen mit der Naturwelt begreifen und dadurch die ,,Sehnsucht nach der verlorenen Kontinuität“ erfüllt sehen (vgl. Bataille 1974, S. 23) sowie die Schließung der komplexen Welt auf der Basis eines alleinigen Strukturprinzips als ,,irrwitzige Illusion“ (vgl. Baudrillard 1982, S. 93) diagnostizieren, dann muss das Problem der Nachhaltigkeit ganz eindeutig benannt werden: Die Trennung bzw. Dichotomisierung von Kultur(-Gesellschaft) und Natur soll mit dem Konzept ,,Nachhaltigkeit“ wenn nicht aufgehoben, so doch aber überbrückt werden. Nachhaltigkeit beinhaltet demzufolge beides – Kultur und Natur. Nachhaltigkeit ist ein ,,Quasi-Objekt“, das zwischen Natur und Kultur vermittelt. Vermittelnde ,,Quasi-Objekte“ oder auch ,,Grenzobjekte“ und ,,Zwischenwesen“ wie ,,Biodiversität“, ,,Waldsterben“, ,,Ozonloch“ und eben auch ,,Nachhaltigkeit“ stellen Hybride dar (vgl. Latour 1995). Die Natur-Gesellschaft-Dichotomien werden mit diesen jedoch nicht aufgehoben. Indem die Ziele stabile wirtschaftliche Entwicklung und gerechte Verteilung der Lebenschancen mit dem Ökosphärenschutz korrespondieren (sollen), dienen Hybride wie Nachhaltigkeit idealiter dazu, konigierende Interessen zu befriedigen. Da sich wirtschaftliche Interessen stets vor dem Hintergrund des Ökosphärenschutzes legitimieren müssen, liegt es auf der Hand, dass sie den Nachhaltigkeitsdiskurs strategisch so anlegen, dass sie das als ,,Naturschutz“ de nieren, was sie ökonomisch efzient bewerkstelligen können. Natur bzw. Ökosphäre wird in diesem Diskurs ständig neu deniert und somit abgegrenzt, d. h. dem eigenen Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich K. Wöhler, Touristifizierung von Räumen, DOI 10.1007/ 978-3-531-92761-9_16, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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zugeordnet. Wie der Schutz der Ökosphäre im Gleichklang mit der gerechten Verteilung von Lebenschancen steht, wird sich danach entscheiden, in welchem Maße Menschen sich in die Verantwortungs- und somit Kostenpicht für den Ökosphärenschutz nehmen lassen. Je mehr Naturschutz sozialisiert, d. h. in die gesellschaftliche Zuständigkeit gelegt wird, desto entscheidender hängen die Lebenschancen von Grenzziehungen darüber ab, was ,,natürlich“ ist und welcher soziale Anteil das ,,Natürliche“ bedingt. Nachhaltigkeit als Diskurskonzept ist also ein Kommunikations- und Kooperationsmedium, das all diese strukturellen Spannungen und ungeklärten Verantwortungen sowie Interessen zusammenführt. Nachhaltigkeit integriert die soziale Welt im Namen ,,der Natur“.
Nachhaltigkeit als offenes Konzept Überträgt man diese Überlegungen auf den Tourismus, dann ist zunächst einmal festzuhalten, dass Reisen und somit der Aufenthalt in vom Herkunftsraum entfernten Fremdräumen Natur per se in je spezischer, historisch bedingter Weise konstituierte und konstituiert (vgl. Rodewald 1999). Abbildung 1
„Enteignung“ der Lebenswelt und „Verschwinden“ des Raumes durch Tourismusentwicklung (bisherige Entwicklung)
Tourismus und Nachhaltigkeit Abbildung 2
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Zurückführung der Lebenswelt und des Raumes durch einen nachhaltigen Tourismus (neue/anvisierte Entwicklung)
Nach wie vor werden bei der Entdeckung neuer und der Auslobung bestehender Reisedestinationen (Zielräume und -orte) Grenzen zwischen Natur und Gesellschaft gezogen: Der Tourismus lebt und nährt sich von den Unterscheidungen zwischen dem normalen Alltag (Gesellschaft) und dem authentischen wirklichen, „natürlichen“ Lebensraum. Es gäbe schlechterdings keinen Tourismus, wenn es nicht möglich wäre, den Heimat- vom Fremdraum zu trennen. Im Zuge dieser Trennung bzw. Grenzziehung wird der Fremdraum stets naturalisiert. Nicht nur die Landschaft erscheint als Natur bzw. als natürlich(er), sondern auch der Fremde. Darüber hinaus – und dies ist wesentlich – wird dem Aufenthalt im touristischen Fremdraum die Fähigkeit zugeschrieben, dass er die Besucher naturalisiert, d. h., dass man dadurch etwa gesünder, glücklicher, ausgeglichener, wirklicher usw. – eben natürlicher – wird (vgl. Vukonic 1996). Der ferne bzw. fremde Naturraum, der also auch den Menschen respektive Einheimischen einschließt, wird als Ressource für Wohlbenden und Glück(serlebnisse) instrumentalisiert und ausgebeutet – touristiziert (siehe auch die Abbildungen 1 und 2). Mit der fortschreitenden Touristizierung des Globus (und neuerdings auch des Weltalls) gerät die Natur immer umfassender in den gesellschaftlichen Zugriff. Was dem Touristen als fremd und natürlich geboten wird, weitet sich aus und wird in die soziale Welt des Tourismus einbezogen, die unbemerkt zu einem integralen
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Teil des Alltags und des Nahraums mutiert. In diesem anhaltenden Prozess der Touristizierung verschieben sich ständig die Grenzen zwischen dem, was wie und in welchem Umfang an Natur angeeignet oder nicht angeeignet werden kann. Das Angeeignete wandert in den gesellschaftlichen Bestand – es gehört zum touristischen Angebot. Das Ausgeschlossene gehört zum touristischen Potenzial (vgl. Cater 2000). Die Vergesellschaftung von Natur im Zuge der Touristizierung der Welt bringt demnach immer neue Verschmelzungen von Natur und Gesellschaft hervor. Nicht nur, dass die Touristen davon protieren (siehe Wohlbenden), sondern es erhöht sich auch die Wohlfahrt (Erträge, Einkommen und Arbeitsplätze) derjenigen, die im Herkunftsland der Touristen und im Ankunftsland touristische Angebote bereitstellen (vgl. Loon/Polakow 2001). Alle Akteure im Tourismusgeschehen sind infolgedessen auf Denitionen angewiesen, wonach der Tourismus nicht als ökologieschädlich erscheint. Was anfänglich als sanfter, dann als umwelt- und sozialverträglicher Tourismus thematisiert wurde (vgl. Krippendorf/Zimmer/Glauber 1988) und heute als nachhaltiger (sustainable) Tourismus rmiert, stellt eine Idee dar, die einen vagen Idealtyp eines umwelt- und sozialverträglichen Tourismus umfasst. Nachhaltiger Tourismus ist ein Grenzobjekt, das zwischen den Polen Natur und Gesellschaft (Tourismus) vermittelt, der Kommunikation zwischen den Tourismusakteuren dient und symbolische Kooperation ermöglicht. Weil alle Akteure weiterhin am Tourismusgeschehen teilhaben wollen, liegt es nicht in ihrem Interesse, die Dichotomie Natur und Tourismus zu schließen bzw. im Namen eines Pols aufzuheben. Das Konzept eines nachhaltigen Tourismus eignet sich vielmehr bestens, das prekäre Verhältnis des Tourismus zur Natur für strategische Diskurspolitik zu benutzen. Dabei werden die Grenzen dessen, was der Ökosphäre im Namen der Lebenschancen und der wirtschaftlichen Entwicklung noch zugemutet werden kann, permanent im normativen und materiellen Interesse verschoben. Ein nachhaltiger Tourismus ist daher ein offenes Konzept, das ein Akteursnetzwerk hervorbringt. Zu dessen Akteuren zählt nicht nur die Vielfalt der Tourismusanbieter und deren Faktorlieferanten, sondern auch die Touristen. Wenn Nachhaltigkeit auf der tourismuspolitischen Agenda steht, dann gesellt sich die Natur als einer von vielen möglichen Stakeholdern (Bewohner, Verbände, Politiker, Wissenschaftler, Medien) insofern hinzu, als sie durch ihre Eigenschaften (z. B. verschmutztes Wasser) handelt und folglich dadurch wie die anderen Akteure auf das Netzwerk einwirkt. Es ist mehr als fraglich, ob sich angesichts der damit verbundenen Interessengegensätze die drei nachhaltigen Ziele durchsetzen lassen. Statt ,,Interessenbildung“ wäre wohl eher ,,Normenbildung“ angezeigt, die jedoch in anderen Arenen (Familie, Schule, Nachbarschaft, Alltag) als gerade im Tourismus ansetzen müsste.
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Ökologische Konstruktion Was ein Akteursnetzwerk beispielsweise in einem Fremdenverkehrsort als ein „nachhaltiges Tourismuskonzept“ hervorbringt, ist völlig offen, und dies bedeutet, dass die Natur bzw. Ökosphäre nicht das Resultat vorgibt. Wo auch immer derartige nachhaltige Konzepte für die Tourismuswelt entwickelt und durchgesetzt werden – sie unterscheiden sich hinsichtlich der jeweiligen Akteurs- und Interessenkonstellation (vgl. Ioannides/Apostolopoulos/Sönmez 2001). Die Natur bzw. Ökosphäre ist nur ein Akteur, dessen Merkmale und ,,Aussagen“ (Wirkungen) ebenso der Interpretation unterliegen wie die der anderen Akteure. Jegliche Form eines nachhaltigen Tourismus ist daher eine Vergesellschaftung (= Touristizierung) der Natur. Was naturwüchsig abläuft, ist die Entwicklung eines derartigen Konzepts, d. h., niemand kann vorhersagen, wie und in welchem Umfang dabei die Grenzen zur Natur überschritten oder gar ignoriert werden und welche Hybriden – Nachhaltigkeitskonzepte – konstruiert werden (vgl. zu diesem Vorgehen Aronsson/Sandell 1999, S. 357 ff.). Wie in der Vormoderne produziert man mit einem nachhaltigen Tourismus ein symbolisches ,,Ganzheitliches“ und integriert Ökologie (Natur), Ökonomie (vom Verkehr über das Gastgewerbe bis zum Konsum), Politik, Kultur, Ästhetik, Wissenschaft und Moral in ein ,,Gesamtkonzept“. Wie ehedem verpichten sich alle Akteure zur Nachhaltigkeit bzw. zur Natur (Bekenntnis zur gottgegebenen Mutter Natur). In diesem Sinne sind ,,wir nie modern gewesen“ (Latour 1995, S. 65), d. h., mit Nachhaltigkeit wird die Unterscheidung von Gesellschaft (Tourismus) und Natur uid bzw. hybrid, und es wird die moderne Unterscheidung zwischen diesen beiden Polen aufgegeben, die ja gerade das Signum der Moderne sein will. Wird die Natur mit den Hybriden wie der Nachhaltigkeit vermittelt, wofür nicht zuletzt das hohe Umweltbewusstsein (,,Leben mit der Natur“, ,,Im Einklang mit der Natur handeln“) der Touristen und Tourismusanbieter als ein Indikator anzusehen ist (vgl. Wöhler/Saretzki 1999, S. 17 ff.), so geht mit dieser Vermittlung eine umfassende Reinigungs- und Standardisierungsarbeit einher. Diese Reinigungsarbeit ist eine Selbsttäuschung, glaubt man doch zu guter Letzt, dass hier eine ,,moderne“, bisweilen ,,reexiv moderne“ Arbeit geleistet werde, die klar die Grenzen von Gesellschaft (Tourismus) und Natur offen legt (vgl. Lash/Urry 1994, S. 252 ff.). Es kommt indes eine Ineinssetzung wie beispielsweise ,,qualitatives Wachstum“ oder eine ,,ökologische Ökonomie“ heraus. Diese Reinigungs- und Standardisierungsarbeit lässt sich nach verschiedenen Phasen systematisieren. Was als nachhaltig betrachtet wird, wird von der Umwelt ab- und ausgegrenzt, Unpassendes wird eliminiert, in sich geschlossene Beschreibungen werden erstellt, Akteure werden verpichtet, und die Nachhaltigkeitskonzeption wird stabilisiert. Blickt man auf die Geschichte des Reisens, dann entdeckt man, dass seit geraumer Zeit eine (Neu-)Konstruktion touristischer Ziele stattndet, die schon seit
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den ersten Pilgerfahrten nach einem bekannten Muster abläuft – jetzt unter einem ökologischen Vorzeichen. Das Ergebnis dieser Neuschaffung bzw. Konstruktion ist eine Mythisierung eines Ortes, einer Region, eines Hotels, einer Gaststätte usw. – kurz eines Raumes, der sowohl für die verschiedenen Anbieter von Räumen (Leistungsträger) als auch für Nachfrager (Touristen) eine ökologische, sinnhafte Welt darstellt und somit die eingangs erwähnten Kontinuitätssehnsüchte befriedigt. Damit wird der Raum in einen sakralen Stand gehoben, was erneut dafür spricht, dass die Moderne vormodern geblieben ist. Der Prozess der ökologischen bzw. nachhaltigen Konstruktion touristischer Ziele läuft wie folgt ab: Zunächst steht eine ökologische Purikation an. Was zum Beispiel einen Fremdenverkehrsort ökologisch verunreinigt und nicht „authentisch“ ist, wird eliminiert und durch ökologisch ,,Reines“ ersetzt. Das fängt beispielsweise beim landestypischen Baustil und dem Wandern ohne Gepäck an, setzt sich über die regionaltypische Küche fort und endet bei althergebrachten Festen, touristisch verwertbaren Bräuchen, Handwerksweisen usw., dem autofreien Ort sowie der umweltgerechten Hygiene und Büroausstattung. All dies soll den Ort ökologisch reinigen und sowohl die Einheimischen als auch die Touristen im Namen des Ökosphären- bzw. Naturschutzes vereinen. Mehr noch – im übertragenen Sinne werden auch Menschen ,,vertrieben“, die den Ort ökologisch verunreinigen: Indem das Angebot umweltverträglich bzw. nachhaltig gestaltet wird, was eine vorherige Purikation voraussetzt, spricht man nur derart ökoafne Urlauber an. Danach wird der Fremdenverkehrsort sakralisiert, d. h., er wird als nachhaltig ausgelobt, und dies bedeutet zugleich, sich von anderen, „harten“ Fremdenverkehrsorten abzusetzen. Diese Sakralisierung beinhaltet selbstverständlich, dass sich die örtlichen Angebote und Leistungsträger als umweltverträglich markieren. Sichtbare Zeichen sind hierfür diverse Signale (Gütesiegel), die dem Fremden anzeigen, dass er es hier mit ,,Öko-Produkten“ zu tun hat. Für diese Reinigung und Markierung erhofft man sich einen Marktsegen, sprich einen Wettbewerbsvorteil. Parallel hierzu verläuft die Einrahmung. Sowohl für Anbieter/Leistungsträger als auch für Touristen werden Regeln aufgestellt (z. B. Ökobilanzen, Umwelttipps, Broschüren, Mitarbeiterschulungen), spezische Zugangswege festgelegt (Bahn, Fahrrad, Parkplätze außerhalb des Ortskerns usw.), Preise und Gebühren festgesetzt und schließlich sogar ,,Regel-“ bzw. ,,Raumwächter“ (,,Ökoranger“ u. ä.) angestellt. Man will sichergehen, dass das einmal ökologisch Geweihte nicht erneut verunreinigt wird. Und letztendlich wird der Fremdenverkehrsort vermarktet, in gewissem Sinne „reproduziert“: Indem für jede Vor-, Neben- und Hauptsaison immer wieder Anstrengungen unternommen werden, ,,richtige“ Gäste zu rekrutieren, wird die umweltverträgliche bzw. nachhaltige Reputation weiter verbreitet. Nicht selten ist ein derartiger Fremdenverkehrsort auch bereit, ,,ökologische“ Pilger zu empfangen, die dann nachahmend versuchen, auch ihren Ort nachhaltig um-
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zurüsten. Ein nachhaltig deklarierter Fremdenverkehrsort ist zu einer ,,heiligen Stätte“ geworden: Er ist in sich homogen und kontinuierlich (vgl. Eliade 1998). Interessanterweise kann bei einem erfolgreichen Verlauf dieser ökosozialen Konstruktion die Gemeinschaft der Bereisten bzw. der Bürger eines Ortes gestärkt werden. Da ,,nachhaltig“ oder ,,umweltverträglich“ politisch gewollte Eigenschaften umschreiben, muss ein umweltverträglicher Tourismus diskursiv durchgesetzt werden. Im Rahmen dieses Diskurses (vgl. ,,Runder Tisch“, „Offenes Forum Tourismus“, ,,Arbeitsgruppen“, ,,Ideen-Börse“, ,,Leitbildmanagement“ u. a. m.) entsteht eine neuartige Einheit und ein neues Ortsbewusstsein. Mögen anfangs noch viele skeptisch oder gar miteinander entzweit gewesen sein, auf der symbolischen Ebene „Umweltverträglichkeit“ bzw. „Nachhaltigkeit“ können sich die Bürger (harmonisch) treffen. Diese soziale Reproduktion stärkt den Ort und/oder die Region in vielerlei Hinsicht: (Rück-)Gewinnung einer eigenen Identität, erfolgreicher Widerstand gegen nahe und entfernte Bürokratien sowie gegen Globalisierung, Selbstbezug auf eigene Entwicklungsmöglichkeiten und schließlich Herbeiführung eines qualitativen bzw. nachhaltigen Wachstums (vgl. hierzu kritisch Williams/Montanari 1999).
Nachhaltige Tourismusprodukte Die Konstruktion eines nachhaltigen Fremdenverkehrsortes oder touristischen Produkts sagt nun beileibe nicht, hierbei sei Fiktives, nichts Materielles entstanden. Die Konstruktion (Prozess) bringt Produkte (Wirklichkeiten) hervor (vgl. Hacking 1999, S. 63 ff.); d. h. hier, dass im Rahmen der jeweils akteursspezischen Interessenkonstellationen weltweit tourismusbedingte Umweltschäden in den Blick genommen und Schadensverringerungen durch Nachhaltigkeitskonzepte bewirkt werden. Die soziale Konstruktion einer touristischen Nachhaltigkeit will demgegenüber den Blick auf die Beliebigkeit bzw. Kontingenz (,,es kann auch anders sein“) von Nachhaltigkeitskonzepten und somit auch von ,,Umweltschäden“ lenken. So kommt es einem Zynismus gleich, beispielsweise einem Taxifahrer in einem Entwicklungsland die hohen CO2-Emissionen seines alten Autos vorzuhalten und ihm die Anschaffung eines schadstoffarmen Autos aufzuerlegen. Weil er mit ,,Touristenfahren“ seine Familie ernährt, stellen diese Emissionen ,Überlebens-Emissionen“ dar. Es liegen jedoch ,,Luxus-Emissionen“ vor, wenn ein Urlauber tagtäglich mit einem Jeep mehrmals eine Ferieninsel durchquert. Hier sind etwa verkehrsreduzierende Maßnahmen und ein Fahrverbot angesagt. Gefordert ist also eine differenzierte Vorgehensweise, die das Ziel Gerechtigkeit vor das Ökosphärenschutzziel stellt. Auch die Umsetzung einer nachhaltigen Tourismusentwicklung ist bei weitem nicht überall möglich. In einer massentouristisch genutzten Destination lassen
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sich zwar Energieverbrauch und Abfall reduzieren, doch es dürfte unmöglich sein, weitere Nachhaltigkeitsforderungen zu erfüllen, wie beispielsweise einen hohen regionalen Selbstversorgungsstand nur mit lokalen Produkten herbeizuführen. In Regionen ohne Massentourismus ist dies jedoch genauso realisierbar wie der Aufbau bestimmter Verwertungsnetze, bei denen in einem Verbund Landwirtschaft, Gewerbe, Handel und Tourismusbetriebe zusammenarbeiten und sich ergänzen. Derartige Vernetzungen wirken nicht nur umweltschonend, sondern sie tragen auch zur regionalen Wohlfahrt bei, etwa indem sie Arbeitsplätze schaffen oder erhalten. Von großen Tourismusunternehmen kann dagegen erwartet werden, dass sie den jeweiligen ,,Stand der Technik“ kennen und daher durch Erneuerungsmaßnahmen kontinuierlich den Energieverbrauch und den Abfall reduzieren sowie eine umweltschonende Entsorgung oder Wiederverwendung von Materialien sicherstellen. Ein solcher Anspruch lässt sich dagegen für Entwicklungsländer nicht durchgängig formulieren (vgl. Rao 1999). Wenn es ein Wesenszug einer nachhaltigen Tourismusentwicklung ist, ,,Gerechtigkeit“ gelten zu lassen, dann müssen auch die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen in Rechnung gestellt werden. Im Namen des Umweltschutzes sind nur jene anzuprangern, die trotz vorhandener Fähigkeiten nichts oder zu wenig gegen tourismusbedingte Umweltschäden unternehmen. Leisten hingegen alle auf der Grundlage ihrer spezischen ökonomischen und sozialen Bedingtheiten einen maximalen Umweltschutzbeitrag, dann sind sie nicht im Licht der ,,reinen Umweltverträglichkeitslehre“ mit dem Hinweis zu denunzieren, dass dies nur „Peanuts“ seien. Auch aufgrund dieser Bedingtheiten und der Unvollkommenheit des Menschen müssen wir uns leider mit einer Welt der zweitbesten, eben konstruktivistischen Lösungen begnügen. Bei realistischer Betrachtung gibt es aufgrund dieser Bedingtheiten ein Spektrum verschiedener umweltschonender Maßnahmen, die den Tourismus in die Rolle versetzen, einen Beitrag für eine allgemeine nachhaltige Entwicklung auf der nationalen und internationalen Ebene zu leisten. Verkürzt lassen sich diese Ansätze wie folgt zusammenfassen (vgl. Butler 1999; Wöhler/ Saretzki 1999, S. 84 ff.):
Produktorientierter Umwelttourismus Im Vordergrund steht das Ziel, bestehende Angebote weiterhin marktfähig zu erhalten und mit umweltverträglichen Erneuerungen ein Marktwachstum einzuleiten. Erst an zweiter Stelle steht die Umwelt. Der Anstoß sich umweltverträglich zu engagieren, kommt von unterschiedlichen Interessengruppen (Öffentlichkeit, Mitarbeiter, Bevölkerung, Medien, Gesetzgeber, Touristen) und durch die Wettbewerbssituation. Seien es touristische Leistungsträger wie das Gastgewerbe und Transportunternehmer oder Tourismusdestinationen – sie leiten ein ökonomisches
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Risiko von veränderten Akzeptanzschwellen des Umweltzustands ab. Sind Regionen relativ stark tourismusabhängig oder stellen sie bestimmte Hauptzielgebiete von Reiseveranstaltern dar, so kann die Wahrnehmung von Umweltschäden dazu führen, dass umweltverträgliche Maßnahmen ergriffen werden, die sowohl der Ästhetik und dem Erholungswert der Landschaft zugänglich sind als auch das natürliche Ökosystem entlasten. Die Diskussion über die Tourismusabhängigkeit von Regionen kann überdies dazu führen, dass Möglichkeiten weiterer Wirtschaftsaktivitäten gefunden werden (z. B. Landwirtschaft, Gewerbe). Auf diese Weise entwickeln sich Regionen breiter, was ganz im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung ist. Mallorca ist neben den unzähligen Orten des Massentourismus das Paradebeispiel dafür, wie man sich durch umweltverträgliche Angebote längerfristig marktfähig halten will.
Natur- und kulturraumbezogener Tourismus Im Gegensatz zum produktorientierten Ansatz liegt das primäre Augenmerk bei diesem Ansatz auf der Erhaltung der Ökosysteme sowie der kulturellen Eigenart. Beide stellen hier das „Kapital des Tourismus“ dar. Zugleich ist dieser natürliche Kapitalstock der Faktor, den Regionen als touristische Attraktion vermarkten können. Wasser- und Energieressourcen werden efzient genutzt; die Materialwahl ist auf Abfallvermeidung und Recyclingfähigkeit ausgerichtet. Was die Touristen benötigen, wird mit gegebenen Mitteln sichergestellt. Dieser Tourismus stellt eher eine Entwicklungschance als den Entwicklungsmotor dar.
Naturschutzorientierter Tourismus Um den Reichtum der ursprünglichen Natur, die Artenvielfalt und charakteristische Formationen der Landschaft zu erhalten, werden immer mehr Regionen als Naturschutzgebiete oder auch Naturparks und Biosphärenreservate ausgewiesen. Da in einer intensiv von Touristen genutzten Region der Anteil der geschützten Flächen nicht beliebig steigen kann, liegt es an den Verantwortlichen, derartige Flächen auszuweisen oder aber nur bestimmte „Tourismusmengen“ (über Zufahrten, Parkplätze oder Übernachtungen) zuzulassen. Ziel ist es, den Tourismus nicht in eine unkontrollierte Wachstumsphase eintreten zu lassen.
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,,Reparaturbezogener“ Umwelttourismus Umweltverträglicher Tourismus soll schließlich auch ,,die Dinge wieder in Ordnung bringen“. Es liegen hier zum einen massive, vom Tourismus nicht zu verantwortende Umweltschäden vor (etwa in Russland), oder man sieht zum anderen im Tourismus eine Alternative zu anderen Wirtschaftsaktivitäten. Diese Regionen sind zwar touristisch nicht attraktiv, aber um die Landschaft zu retten, ist ein solcher Tourismus dem weiteren Verlust an natürlichen Ressourcen vorzuziehen. Diese vier Ansätze dokumentieren, dass die ,,nachhaltige Tourismuswirklichkeit“ nur zweitbeste Lösungen kennt, d. h., die jeweiligen Akteurskonstellationen und raumspezischen Bedingungen denieren Nachhaltigkeit. Nichtsdestoweniger sind dies Wege zu einer nachhaltigen Entwicklung. Es gibt keinen Königsweg in Sachen Umwelt- bzw. Ökosphärenschutz. Eine allseits verbindende Umweltethik für den Tourismus zu reklamieren hieße daher, Ungerechtigkeit zu predigen.
Nachhaltige Tourismusprodukte als Luxusgüter Da letztlich der Tourist bzw. Urlauber über die Marktgängigkeit von Produkten entscheidet, müsste er – also die Nachfrage – eigentlich zum ,,Königsmacher“ eines nachhaltigen Tourismus stilisiert werden. Tourismusanbieter argumentieren, dass ihnen das Absatzrisiko für nachhaltige Tourismusprodukte zu hoch sei, weil die Nachfrage ihre Investitionen in Umwelt- bzw. Naturschutzmaßnahmen nicht preislich honoriere. Zwar liege ein hohes Umweltbewusstsein vor, doch der Tourist sei nicht zahlungsbereit. Ein Tourist gehe bei seinen Entscheidungen von Low- und nicht von High-Cost-Bedingungen aus (vgl. Wöhler/Saretzki 1999, S. 21 ff., S. 124 ff.). Selbstverständlich lassen sich umweltverträgliche Angebote, die sich nicht wesentlich im Preis von anderen, vergleichbaren Angeboten unterscheiden, gut verkaufen. Gelingt einem umweltverträglichen Anbieter dieses Kalkulationskunststück, dann kann er durchaus der Konkurrenz trotzen und Wettbewerbsvorteile erzielen. Ansonsten steht er wie ein Fünf-Sterne-Hotel vor der Aufgabe, real existierende Touristen unter den vielen umweltbewussten Reisenden herauszu nden, die bereit sind, für umweltschonende Leistungen mehr zu bezahlen. Und es gibt sie wirklich: Es kristallisiert sich ein derartiges Potenzial heraus, das um die 20 Prozent umfasst. Diese ökologischen Touristen reden nicht nur vom Wasser (sprich: der intakten Umwelt), sie trinken auch tatsächlich keinen Wein: Sie legen mehr Geld für eine umweltverträgliche Leistungsbereitstellung hin. Damit ist ein Anfang gemacht – den Pionieren folgt bekanntlich die Mehrheit. Man muss nur abwarten. Es ist jedoch Skepsis angezeigt und zu fragen, ob dieses Öko-Potenzial wirklich der Umwelt dienen will und nicht nur einen qualitätsvollen Konsum
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schätzt, den sich nicht jedermann leisten kann. Denn dieses zeichnet auch diese Öko-Touristen aus: Sie verbinden ein hohes Einkommen mit Umweltbewusstsein. Ein umweltverträgliches Tourismusprodukt wäre demnach ein teures Positionsgut, das seinem Besitzer Ansehen verleiht. ,,Nachhaltiges“ Reisen wäre dann letztendlich wieder ein Luxusgut, mit dem man sich gegenüber anderen abgrenzen kann. Wer es sich leisten kann, muss fortan nicht länger mit diesen „Neckermännern“ reisen. Das ,demokratische Gut“ Reisen/Urlaub war ihnen ja schon immer zuwider ! Jetzt ist man wieder unter sich – wie zu Zeiten der ,,Grand Tour“. Nun, man sollte es pragmatisch sehen. Selbst wenn umweltverträgliche bzw. nachhaltige Angebote Luxusgüter sein sollten, so kommen sie doch der Umwelt zugute. Und wenn die Erfolgsgeschichte des Wohlfahrtsstaates anhält, dann wachsen immer mehr Nachfrager nach, die sich auch dieses Luxusgut leisten können. Dafür sorgen schon die serielle „Tourismusproduktion“ und die Technik. Wir bekämen dann einen massenhaften umweltverträglichen Tourismus. Doch ist das nicht ein Paradoxon ? Masse und umweltverträglicher bzw. nachhaltiger Tourismus ? Beginnt dann, wenn alles ökologisch saniert ist, nicht wieder alles von vorne ?
Lob der Technik Wenngleich sich jegliche Wirtschafts- und Unternehmenspolitik nicht unabhängig vom Nachfrager entwickeln kann, so sind die Unternehmen dennoch als „nachhaltige Innovatoren“ gefragt. Sie sind, zumal in den westlichen Ländern gehalten, nachhaltige Tourismusleistungen zu produzieren. Was die Wirtschaftspolitik anbelangt, so sollten ihre Lenkungsinstrumente für eine nachhaltige Tourismuspolitik ökonomische Handlungsmöglichkeiten der Marktteilnehmer nicht entwerten (vgl. Wegner 2001). Blickt man hierzulande auf die „Tourismuslandschaft“, so haben sich die unterschiedlichen Tourismusanbieter inzwischen durch technische Innovationen und Anpassungen mehr oder weniger zu umweltverträglichem Verhalten bekannt. Diese Selbstanpassungen sollten nicht durch staatliche Regulierungen bestraft werden, sondern eine staatliche Tourismuspolitik hätte Mittel für Informationen über umweltverträgliche Tourismusprodukte bereitzustellen. Schaut man sich die vielen Beispiele innovativer Lösungen und Modelle für einen umweltverträglichen und somit auch nachhaltigen Tourismus an, so werden dort stets Techniken vorgestellt: formale Methoden und Verfahrensweisen zur Hervorbringung einer umweltverträglichen Leistung. Führt beispielsweise ein Hotel umweltfreundliche Techniken hinsichtlich des Energieverbrauchs ein, dann kann dieser Betrieb durchaus wachsen (mehr Gäste) ohne die Umwelteinwirkungen im Verhältnis zu vorherigen Perioden zu steigern. Ohne Zutun des Urlaubers – er muss lediglich dieses Hotel aufsuchen – ist ein umweltverträgliches Angebot entstanden.
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III
Einschreibungen
Die Nachhaltigkeitsziele sind daher auch im Tourismus vom technischen Fortschritt abhängig. In dem Maße wie Experten intelligente, umweltverträgliche Verfahren und Produkte entwickeln, ist dies zum Vorteil für den Tourismus. Beim genauen Hinsehen ist nahezu alles Technik, was mit dem Markenzeichen „Umweltverträglicher Tourismus“ versehen wird:
Leistungen/Produkte, die bei Inanspruchnahme bestehende Umwelteinwirkungen reduzieren: Verkehrsleitsysteme, öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV), Umwelt-, Versorgungs- und Entsorgungstechnologien, Sonnenenergie, Regelungstechnik, batteriebetriebene Busse usw.; Leistungen mit erhöhter Gebrauchsdauer, mit der Folge, dass die Umwelt geringer belastet wird: weniger Wäschewechsel, „Öko-Kühlschränke“, optimale Bestückung von Geschirrspülmaschinen usw.; Leistungen/Produkte, die wieder verwendbar sind: Müllvermeidung, Mehrwegaschen, Recycelbares usw.; Produkte, die aus erneuerten Produkten bestehen; Güter/Produkte und Leistungen, die möglichst ortsnah erzeugt werden: Lebensmittel, Ausstattungen, Panzen, Häuser, Ferien auf dem Bauernhof, Handwerkskurse; Lenkung des Freizeitverhaltens: Führungen, markierte Wege, Parkraumbewirtschaftung, Informationen; regionale Netzwerke der touristischen Leistungsanbieter: Kooperieren bzw. vernetzen sich die Anbieter, dann führt diese „Unternehmenspolitiktechnik“ u. a. dazu, dass neben den Transaktionskosten auch die Umweltbelastungen etwa derart sinken, dass Urlauber „von der Region leben“ (Produkte, Freizeitaktivitäten usw.).
Diese knappe Auistung demonstriert, dass es etwas Vorgefertigtes gibt, in das sich der Tourist bzw. Urlauber integrieren muss. Indem er sich duscht, sein Frühstück am Büfett selbst zusammenstellt, Güter einkauft oder auf markierten Wegen wandert, verhält er sich umweltverträglich – er hat dabei wenig(er) Energie/ Ressourcen verbraucht und die Flora/Fauna nicht über Gebühr belastet. Dieses Ergebnis stellt sich jedoch nur ein, weil Tourismusanbieter technisch vorgesorgt haben. Es zeigt sich bei diesen Beispielen ganz deutlich, dass es im Tourismus keine vom technischen Fortschritt abgekoppelte Umweltverträglichkeit gibt. Der Tourismus kann nur so umweltfreundlich und nachhaltig sein, wie es die Gesellschaft bzw. Wirtschaft gerade ist.
IV Wiederbelebungen
Fernreisen als postkoloniales Reisen
Auf alten Pfaden Dass Völker aus nicht lebenswerten oder tristen Räumen befreit und durch die Vermittlung Dritter in verheißungsvolle Räume geführt werden, ist insbesondere für die christlich-jüdische Welt – also die westliche, „Erste Welt“ – ein bekannter Umstand. Ohne in Blasphemie zu verfallen, so könnte sich ein Reiseveranstalter derart ausloben: „Lesen Sie meine Angebote und stellen Sie fest, dass ich es allein bin und kein anderer sonst: Ich räume alles Elend weg und mache Sie wieder lebensfroh. Ich kann Ihre Sorgen nehmen und Alltagswunden heilen. Buchen Sie mich – man erwartet Sie in der Karibik.“ Dieses Selbstlob ist eine Übertragung des Gotteslobes aus dem 5. Buch Moses (32,39: „Sehet nun, dass ich’s allein bin und ist kein anderer Gott neben mir ! Ich kann töten und lebendig machen, ich kann schlagen und kann heilen, und ist niemand, der aus meiner Hand errette“). Den von Not und Elend in Ägypten geplagten Israeliten wird die Errettung mit einer Landverheißung in Aussicht gestellt, vorausgesetzt sie verhalten sich nach den Geboten Gottes. Es wird unmissverständlich festgehalten, dass es allein in der Hand Gottes liege, ob sie das Heil im ersehnten Land erfahren. Wird dieses bedingte Gnadengebot angenommen, dann wählt der Mensch das Leben, das diesseitige Jerusalem, ja das Paradies, aus dem er ja aufgrund seines Sündenfalls mit der Konsequenz vertrieben wurde, fortan in Elend zu leben (Elend = Leben in einem fremden, unwirtlichen Land). Mit dieser Analogie soll weniger Reisen mit Religion auf dieselbe Ebene der Sinnanbieter gestellt werden, wenngleich sich unter den Gesichtspunkten der sozialen Wirksamkeit und Dauerhaftigkeit sowie der individuellen Relevanz Reisen durchaus als eine „neue“ Religion begreifen lässt. Es soll vielmehr ein Zugang zu dem Thema gefunden werden, der da heißt, dass die Besetzung und Inbesitznahme von fernen Räumen eine spezische westliche Kulturtradition besitzt. Sie ist von der Vorstellung beseelt, sich trotz Sünden und dem daraus resultierenden mühsamen Alltag in einem diesseitigen Raum einzu nden, der das Gegenteil von Leiden, Gebrechen, Anstrengung und Beschränkungen repräsentiert und der demzufolge das verlorene Paradies in das Leben einsetzt. Paradiesvorstellungen, so lässt sich schlussfolgern, sind mit Raumbesetzungen gekoppelt; das Zukünftige bzw. Erhoffte erscheint räumlich. Dass für die Erreichung dieses Raumes (Passage) Gefahren und Mühen in Kauf genommen wurden und werden, erklärt sich aus der Attraktivität dieses derart glorizierten Fernraumes.
K. Wöhler, Touristifizierung von Räumen, DOI 10.1007/ 978-3-531-92761-9_17, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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IV Wiederbelebungen
Der Rekurs auf die Fünf Bücher Moses (Pentateuch) ist aus einem weiteren Grund erkenntnisleitend. Durch die Einlösung der Landverheißung ist dem Volk Israel von Gott ein Neuanfang geschenkt worden. Dieser Neuanfang und damit fortan das Leben im „gelobten Land“ ist nicht nur an die Einhaltung bestimmter Gebote und Gesetze geknüpft, sondern es wird göttlicherseits auch verlangt, dieses Regelwerk dem gelobten Land aufzuerlegen. Der besetzte bzw. der von Gott ausgelobte Raum wird demzufolge als leer, als terra nullius gedacht. Er wird erst durch die gottgenehmen Einschreibungen und institutionellen Regelungen ins Leben gerufen, erkennbar und schließlich als zum Volk Israels gehörig, als Eigentum, geschaffen. Der verheißene bzw. ausgelobte und nach einer langandauernden Wegstrecke endlich erreichte Raum gewinnt erst durch diese exterritoriale Sphäre eine Dauerhaftigkeit. In diesem biblischen Vorgang lassen sich Züge kolonialen Verhaltens erblicken (vgl. Greenblatt 1994): Was den Raum prägte und seinen Bewohnern als Identitätsbezug galt, ist von Neuankömmlingen, wenn nicht ausgerottet, so doch aber zumindest abgeschabt und überschrieben worden, so dass die vormaligen Spuren und Texte nicht mehr ohne weiteres erkennbar sind (= Palimpsest). Den bisherigen Raumbewohnern bleibt nichts anderes übrig, als sich den neuen Texten und Institutionen anzupassen, aus denen sie ihre „richtige“ bzw. gottgefällige Identität gewinnen. Die Neuankömmlinge sind gewissermaßen die Heilsbringer. Es muss in diesem Zusammenhang nicht breit ausgeführt werden, dass bei der Verbreitung des Christentums, in dessen Verlauf u. a. unterschiedliche Missionsgesellschaften das Fernreisegeschäft seit dem 19. Jahrhundert anheizten, das Modell der terra nullius Pate stand. Dieses Modell fand im verwandten Islam bei seinen FernRaumbesetzungen ebenfalls Anwendung. Mit diesen knappen kulturgeschichtlichen Hinweisen ist die Plattform für die folgenden Überlegungen geschaffen worden. Koloniale Raumbesetzung ist ein Konzept, das die Welt dergestalt relationiert, dass es andere Räume gibt, die sowohl in „himmlische“ Räume verwandelt als auch für die Herstellung „himmlischer“ Zeiten benutzt werden können. Erst durch Vermittlung Dritter (Moses stand zwischen Gott und dem Volk Israel) gelingt es, diese verheißungsvollen Räume zu erreichen und zu besetzen. Postkoloniales Reisen bezeichnet die touristische Besetzung von Fernräumen, die bereits zuvor kolonial überschrieben worden sind und wo das dortige Andere als ein zurückliegender Zustand gilt, der sich für die westliche Welt instrumentalisieren lässt.
Das Andere als Hybridität Sieht man von den so genannten Siedlerkolonien (USA, Kanada, Argentinien, Australien und Neuseeland sowie mit Abstrichen Südafrika) ab, so ist die gesamte
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südliche und südöstliche Hemisphäre mit dem Beginn der Neuzeit auf unterschiedliche Art und Weise und mit unterschiedlicher Intensität durch koloniale Akteure wie z. B. Missions-, Handels- und Wissenschaftsgesellschaften und vor allem durch Verwaltungs- und Sozialisationsapparate geprägt bzw. in dem Sinne überschrieben worden, dass den diesbezüglichen Räumen eine europäische – also christlichabendländische – Struktur auferlegt worden ist. Die heutigen Ziele postkolonialen Reisens liegen in nachkolonialen, unabhängigen Staaten, die zum überwiegenden Teil Territorien umfassen, die auf dem Reißbrett der Kolonialmächte entworfen wurden (vgl. Fieldhouse 1998). Durch ökonomische, administrative und rechtliche Verechtungen zu den ehemaligen Kolonialmächten und/oder durch die zurückgelassenen, zu Struktur gewordenen Einschreibungen (Institutionen) wie z. B. Amtssprache, Erziehungssystem, Versorgungswesen und Religion sowie Straßennamen sind diese nachkolonialen Staaten in ihrem Handeln nicht unabhängig, sondern noch immer „besetzt“ (vgl. Kößler 1994, S. 89 ff.). Sie repräsentieren aufgrund dieser historischen Einbettungen eben post-koloniale Staaten, zwar mit spezischen Symbolen (etwa Flagge) und einer nationalen Mythologie, doch sie spiegeln nicht den Status vor der Kolonisation wider. Diese strukturellen Einbettungen führten nicht nur zur Übernahme der Werte und Attitüden der Kolonialherren durch die nachkolonialen, einheimischen Politadministrationseliten. Die Einbettung des Lebens in das Koloniale prägte die Kultur, sodass darüber hinaus diese Kolonialkultur als Kulturerbe den nächsten Generationen übermittelt wurde (vgl. Memmi 1990). Kultur erscheint in diesem Kontext mehr als deutlich als Raum von Machtstrukturen (vgl. dazu neben S. Hall 1994, Said 1993 und Bhabha 2000 auch Bourdieu 1991). Ist dem so, dann stellt sich die Frage, was es denn beim postkolonialen Reisen überhaupt zu sehen und zu erfahren gibt. Die Bahamas beispielsweise sind aufgrund ihrer kolonialen Geschichte keinesfalls nicht-modern (vgl. Palmer 1994). Aus der Karibik stammende Briten mussten bei ihrer Reise in ihre Herkunftsländer feststellen, dass ihre Ethnien sowohl traditionell als auch modern sind (vgl. Stephenson 2002). Diese Erfahrung korrespondiert mit ihrem Erleben zu Hause in Großbritannien, wo sie ebenfalls weder als vollends britisch noch als gänzlich karibisch wahrgenommen werden. Und sie selbst können sich nicht eindeutig einordnen und verorten, also sagen, womit sie eins sind bzw. welche Identität sie besitzen. Aber dennoch bilanzieren sie, dass das in der verwandten Ferne Erlebte „anders“ ist, etwas, das „dazwischen“ liege, zwischen der Moderne und der (vorgestellten) Tradition ihres jeweiligen homeland. Bei der Beantwortung der Frage, was denn Reisende aus der westlichen Welt in den postkolonialen Ländern sehen und erfahren, muss demzufolge nicht nur von der Vorstellung der Räumlichkeit von Kultur Abstand genommen werden. Zugleich ist es überholt, in den dichotomen Kategorien von Nord/Süd sowie Kolonisatoren und Kolonisierten zu denken und dementsprechende mental maps zu
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entwerfen. Kurzum, postkoloniale Länder und Subjekte (die „Bereisten“) repräsentieren Hybridität. Hybridität meint im Sinne Bhabhas (2000), dass die Lokalisierung von Kulturen nur von einer kulturellen Überlagerung her gedacht und nachvollzogen werden kann. Die Subjekte bzw. Menschen in postkolonialen Ländern tragen Spuren unterschiedlichster Kulturen und Prägungen in sich – also auch solche der Kolonisation, die Ausdruck der westlichen Moderne ist. Was der westliche Reisende bzw. Tourist an „fremder“ Kultur in den Fernreiseländern in Afrika, Asien, Mittel- und Südamerika sowie im pazischen Raum antrifft, bestimmt sich ebenso wenig wie seine eigene Kultur durch feste Grenzen oder einen gleich bleibenden Kern. Diese Reisenden treffen fremde „Fernmenschen“ in einem „Ort in Zwischenräumen“ (Bhabha 2000, S. 2), und dies bedeutet, dass sich deren Identität/Kultur nicht von einem einzigen Faktor her bestimmen lässt. Demnach ist die hybride Kultur nicht nur auf die koloniale Sozialisation zurückführbar. Sie ist vielmehr auch an die modernen globalen Bedingungen der Moderne gebunden, zu denen vor allem und prioritär die Kommunikations- und selbstredend die Tourismusmedien zählen (vgl. Lützeler 1997). Darüber hinaus ist von einem puren Zwang zur Mimesis und zur Anpassung während der Kolonialzeit abzusehen. Die koloniale Zeitspanne bis weit in die Mitte des letzten Jahrhunderts ist stattdessen durch Ambivalenz gekennzeichnet (vgl. Bhabha 2000, S. 40 ff.; Loomba 1998, S. 176 ff.): Durch Simulieren, Täuschen, Vorspielen und Mimikry ist einerseits der koloniale Anpassungsdruck unterlaufen worden und andererseits griffen die Kolonialmächte opportunistisch auf soziokulturelle Strukturen nicht nur zurück, sondern sie förderten damit bewusst deren Bestand. Auf diese Weise reproduzierte sich Althergebrachtes, das sich mit Neuem in die Identität integrierte. All diese Faktoren zusammengenommen führen zu der Erkenntnis, dass das gesuchte bzw. erwartete Andere der postkolonialen Subjekte und Räume nicht im schroffen Gegensatz zum Eigenen steht. Dieses Andere ist eine Mischung von vielfältigen Identitäten, etwas „Unreines“ (Hybrides), das einen „Drittraum“ umschreibt. Es unterliegt gerade im globalen Zeitalter, wenn nicht einem Kampf, so doch aber einem kulturellen Diskurs der Verortung (vgl. Bhabha 1996). Trifft diese Diagnose zu, dann enthält dieses fernräumliche Hybride äußerst attraktive touristische Ressourcen: In den besagten Fernräumen liegt insofern eine „andere Welt“, als in den hybriden Kulturen Spuren der je spezischen vorkolonialen Kultur abgelagert sind. Wie die britischen Touristen feststellten (Stephenson 2002), bewegen sich ihre karibischen Ahnen in vielen Kulturen – in der westlichen modernen ebenso wie in der (vorgestellten) „Karibikkultur“. Anhand dieser „Karibikkultur“ machten sie die kulturelle Differenz, das Andere zur britischen Kultur aus, ohne dabei zu berücksichtigen, dass diese „Karibikkultur“ in sich hybrid ist. Unbewusst treten damit diese Touristen in koloniale Stapfen: Die kulturelle Differenz erschließt sich aus einem westlichen Universalismus.
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Das Verborgene in der Kulturerfahrung Die lebenslange Sozialisation ist eine beständige Interaktion zwischen Subjekt und Umwelt. Die Umwelt bzw. das Andere wird dabei vor dem Hintergrund der Selbstgewissheit und Selbstndung entschlüsselt. Räume des Tourismus konstituieren diesbezügliche Reexionsbedingungen: Angesichts des räumlich Anderen kann das eigene Leben neu gelesen und relativiert werden (vgl. Wöhler 2003, S. 181 ff.). Das wahrgenommene Andere kann dabei auch als Bestätigung des Eigenen fungieren. Die erlebte kulturelle Differenz erscheint dann als etwas, das man selbst hinter sich gelassen hat, und/oder als etwas, das sich im Verlaufe der soziohistorischen Entwicklung im westlichen Herkunftsland zivilisiert, ästhetisiert und sich für die Subjektentwicklung positiv geändert hat (vgl. Elias 1978). Dieses Fortschreiten in der Entwicklung der westlichen Menschheitsgeschichte wird als Modernisierung kanonisiert, die sich in der Referenz zu außereuropäischen Völkern besonders offenbart. Statt zu reisen und vor Ort eine solche Differenz zu analysieren, konnte der Modernisierungstheoretiker par excellence, Max Weber, 1904 anlässlich der Weltausstellung in St. Louis bei der großen Indianer-Völkerschau einen solchen Bezug von Raum und Moderne erblicken (vgl. Weber 1926, S. 292 ff.). Seien es nun wissenschaftliche Abhandlungen oder Reiseberichte und journalistische Texte (vgl. Buch 1991), sie stellten allesamt mit derartigen kontrapunktischen Setzungen – hier die moderne, fortgeschrittene westliche Welt und dort in der Ferne das kulturell Zurückliegende/Nichtentwickelte – eine andere Ferne, eine fremde Kultur her. Es entstand und es entsteht immer noch eine „kulturelle Topographie“ (Said 1994, S. 94), die zwar die Kontingenz im Fernraum darstellt, doch dabei nur die eine Seite seiner Kultur wahrnimmt und folglich die Komplexität der hybriden Kultur unterschlägt. Diese geistige Landnahme führt letztlich dazu, dass räumliche Distanzen als zeitliche, entwicklungsgeschichtliche Distanzen (um-)gedeutet werden (vgl. Stichweh 2000, S. 187 ff.): Nähe und Ferne werden zu „Heute“/„Später“ und „Früher“. Räumliche und zeitliche Distanzen und Differenzen werden dadurch vergleichbar (vgl. Landes 1999). Der Fernreisetourismus bzw. das postkoloniale Reisen als Signum der westlichen Moderne verräumlicht die Zeit insofern, als er die in Blick genommene Fern-Kultur zeitlich zurückversetzt und dabei die ferne Kultur in räumliche Konstellationen setzt. Der postkoloniale Tourismus domestiziert dadurch den Fernraum. Die postkolonialen Staaten der Dritten Welt besitzen eine mit dem Begriff der strukturellen Heterogenität gekennzeichnete Wirtschafts- und Sozialstruktur (vgl. Hein 1998, S. 86 ff.): Auf der einen Seite Arbeit in modernen, hochtechnologischen Branchen und auf der anderen Seite „rückständige“ Bereiche mit den einfachsten Arbeiten und Produktionstechniken. Dieser Dualismus ist nicht nur der Globalisierung in der Folge des Kolonialismus und Imperialismus geschuldet, sondern er ist auch Ausdruck einer postkolonialen nationalen „Staatsklasse“, die
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sich die Gesellschaft aneignet und dabei weite Teile der Bevölkerung, bisweilen vornehmlich Minderheiten, aus der Teilhabe an den modernen Ressourcen ausschließt (vgl. Kößler 1994, S. 173 ff.). Diese Bevölkerungskreise besitzen aber keine Randbedeutung. Sie werden vielmehr touristiziert und/oder sie integrieren sich in den Tourismus. Beides lässt sich bestens als eine „andere Welt“ oder als „fremde Kultur“ vermarkten. Gleich welche Reiseprospekte man herausgreift – von den „Fernreisespezialisten“ wie Marco Polo und der ARGE Lateinamerika bis hin zu den „Massentouristik-Allroundern“ wie die TUI –, die dargestellten und beschriebenen Menschen repräsentieren Zurückliegendes, rurale Gemeinschaften (vgl. Echtner/Prasad 2003, S. 664 f.). Zwar ist auch die Rede von „neuen“ und „alten“ Kulturen, doch werblich ausgelobt wird das „Alte“, die Menschen mit ihren Bräuchen und Traditionen, ihren Freuden und Schmerzen sowie ihrem Denken und Verhalten, an dem Reisende das „Indigene“ ausmachen. Weil sich dieses Indigene bestens verkaufen lässt, setzen nicht nur die westlichen Fernreiseanbieter darauf, sondern es sind auch die einheimischen Eliten, die quasi als Neokolonisatoren diesen Menschen ein Entwicklungsverbot auferlegen. Als tourees müssen sie sich als rurale und servile „Tourismusprodukte“ präsentieren (vgl. Bhattacharyya 1997). Hofften und hoffen diese Indigenen, durch den Tourismus aus dem Käg der Marginalisierung zu entkommen, so wirft sie nicht nur dieses Entwicklungsverbot, sondern auch eine staatlicherseits verordnete „kulturelle Revitalisierung“ zurück und führt sie in neokoloniale Abhängigkeiten (vgl. Silver 1993, de Azeredo Grünewald 2002): Nur im Rahmen und im Namen des Tourismus hält sich diese Zelebrierung kultureller Tradition am Leben. Werden dagegen zentrale kulturerbliche Manifestationen wie beispielsweise Befestigungsanlagen europäischer Kolonialmächte, die diese Anlagen auch für den Sklavenhandel von Ghana aus nutzten, touristisch vermarktet, dann werden diese kulturellen Marker weniger der „einfachen“ Bevölkerung zugeschrieben. Sie dienen vielmehr als Symbole der Nation, die beileibe nicht von allen Ethnien mitgetragen werden (vgl. Essah 2001). Die „andere Welt“ der Fernreiseziele erschließt sich dem Reisenden, wenn einheimische Reiseleiter, auf eigene Rechnung oder als Behördenangestellte, und Reiseveranstalter special places aufsuchen (vgl. Shaw/Shaw 1999). Im Gegensatz zum cordon sanitaire der Hotelanlagen, wo sich der interkulturelle Kontakt auf den Vollzug von unterschiedlichen Dienstleistungen am Touristen erstreckt, sind diese „besonderen Orte“ entweder Kulturdenkmäler oder (Natur-)Gebiete wie beispielsweise pittoreske Landstriche oder Strände. Die Einheimischen erwarten bereits die Touristen/Reisenden, die durchweg als Einnahmequelle für Waren und Dienstleistungen jeglicher Art betrachtet werden. Gleich ob diese Einheimischen im formalen oder informellen Sektor agieren, so bildet sich ein Bild von einem fremden Kulturkreis heraus, in dem gegen bares Geld (in der Regel Dollars) jedwede einheimischen Objektivationen erworben werden können (vgl. Berno 1999).
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Es prägt sich bei den Touristen ein, dass dort in der Ferne eine Händlermentalität vorliegt. Gehandelt werden auch „Liebe“ und „Informationen“. Zu diesem Zwecke werden soziale Netzwerke und die sprichwörtliche Gastfreundschaft eingesetzt, die sich dem Touristen als solches jedoch nicht erschließen (vgl. Dahles/Bras 1999). Wie ehedem die ersten Kolonisatoren allerlei Tand gegen einheimische Waren eintauschten, so vollziehen sich heute die interkulturellen Transaktionskontakte auf diese „moderne“ Art und Weise. (Neo-)Koloniale Verhaltensmuster werden dadurch etabliert und verfestigt, sind doch die in den touristischen Blick geratenen Kulturträger vom Tourismus ökonomisch abhängig. Diese Abhängigkeit kann sich damit entschuldigen, dass der Tourismus die Binnenmarginalisierung dieser tourees abmildert. Die Marginalisierung bestimmter Ethnien und Bevölkerungsschichten sowie die dahinter stehenden Konikte in den Fernreiseländern bleiben den Touristen verborgen (Jamison 1999; Hitchcock 2000). Es mag zur Erfüllung westlicher Sehwünsche beitragen, wenn sich Indigene fortlaufend mit Festen und „traditionellen“ Waren und Dienstleistungen präsentieren. Sie sind weniger Ausdruck der Kultur, also des Alltagslebens, sondern schlichtweg dem Kampf ums Überleben geschuldet. Postkoloniale Politadministrationen können zudem diese Bevölkerungskreise umso leichter unter Kontrolle halten, wenn sie sich im ohnehin gelenkten und observierten Dunstkreis des Tourismus bewegen. Es versteht sich, dass Einheimische in einer solchen Situation Techniken entwickeln, um einiger maßen überleben zu können. Immer lächeln, Servilität, Offenheit, Gastfreundschaft und Vorderbühnen auf bauen sind Strategien, die beim Touristen ankommen und die nicht die Politadministration provozieren. Die Crux dabei ist, dass sich bei diesen friedlichen Formen der kulturellen Selbst- bzw. Mentalitätsdarstellung ein Fremd-Image verfestigt, das die westliche Welt anzieht. Der ehedem „edle Wilde“ erscheint dem westlichen Touristen – marketingpolitisch ausgedrückt – „serviceorientiert“. Stets zu Diensten zu sein und sich mit Geld (nahezu) alles erkaufen zu können, produziert unweigerlich ein Gefühl der Dominanz. Der Fernraum erscheint in diesem Sinne bedingt gestalt- und unterwerfbar. Statt wie einst göttliche Gebote einzuhalten, um im paradiesischen bzw. gelobten Land zu verweilen, so ist heutzutage das Geld das Medium der Landnahme. Der Tourismus mutiert damit zu einem „Freizeitimperialismus“, d. h., westliche Zentren beherrschen durch den Tourismus Peripherien. Mit ihrer (Geld-) Macht, die Aususs ihrer Kultur ist, können sie die Fernraumkulturen domestizieren. Und diese Fremdkulturen betrachten die Touristen bzw. den Tourismus als Heilsbringer, generiert er doch Beschäftigung und Einkommen und verwandelt er doch ihre (Raum-)Welt zum Besseren (vgl. Campbell 1999, S. 543 f.). Die daraus erwachsende Konditionierung trägt zur Verfestigung der Trennungslinien zwischen Kulturen und Vorstellungswelten bei: Da den Bewohnern („Bereisten“) klar wird, dass eine „revitalisierte“ bzw. „rekonstruierte“ Kultur Chancen eröffnet, werden beständig weitere verschüttete Repräsentationsformen
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zum Leben erweckt und damit werden im gleichen Maße westliche Mythen revitalisiert. Indem der Fernreisetourist diese kulturellen Äußerungen zu sehen sowie zu riechen, schmecken und zu hören bekommt, schließt er auf eine unveränderte, unzivilisierte und ungezwungene Kultur (vgl. Echtner/Prasad 2003, S. 678 f.). Der ferne Kulturraum erscheint ihm daher als unstrukturiert und undifferenziert und somit noch offen für Landnahmen – sei es, dass er dort „noch Fortschritt vermisst“ oder sei es, dass er dort „wie in der Vergangenheit“ und „wie im Paradies“ lebt. Da der Tourist zur gleichen Zeit mit seinen westlich arrangierten Hotels oder Urlaubsanlagen einen Vergleichsmaßstab gegenüber dieser dargestellten Fernraumkultur besitzt, die ihm in seinem Urlaubswohlgefühl sehr entgegenkommt, ist es nicht verwunderlich, dass er immer wieder Fernreiseziele ansteuern will (dies lässt sich in der rapide wachsenden Flut der Internet-Reiseberichte bestens nachvollziehen). Dass einheimische Bevölkerungen mit einer solchen „Re-Kulturalisierung“ Ressourcen besorgen, mit welchen auch westliche Elemente in ihren Hinterbühnen bzw. Alltagswelten integriert werden, entzieht sich der touristischen Wahrnehmung (vgl. Hollinshead 1998b, S. 146). Statt der vielen Identitäten bzw. mehrdimensionalen Verortungen (Hybridität) fördert der Tourismus, wenngleich auch mit Unterstützung der Einheimischen, die die „Re-Kulturalisierung“ als Überlebensstrategie einsetzen, nur eine Identität zutage, die der westlichen Welt wenn nicht unterlegen, so doch aber entwicklungsgeschichtlich vorgängig erscheint.
Das Inklusive der Naturerfahrung Unstrittig ist, dass die Tourismusindustrie mit jedem neuen bzw. neuartigen Produkt (weiterhin) wachsen kann. Ein solches Wachstumsprodukt stellt zweifelsfrei der Öko- oder Naturtourismus dar (vgl. Ryan/Hughes/Chirgwin 2000, S. 160). Integraler Bestandteil des Ökotourismus ist die Bewahrung von ökologischen, aber auch sozioökonomischen und soziokulturellen Zuständen. Insofern ist die zuvor beschriebene touristische Kulturalisierung des Fernraumes auch Teil des Ökotourismus, zielt sie doch auf eine kulturelle Bewahrung, die dann kommodiziert und dadurch in Abhängigkeit zum Tourismus gerät. Wenngleich es westliche, internationale Organisationen gut meinen mögen, mit der Implementierung eines Ökotourismus Dritte-Welt-Regionen zu entwickeln, so kann nicht geleugnet werden, dass diese neue Tourismusform insofern einen „ökologischen Imperialismus“ darstellt, als er vollends vom Westen abhängt: Der Naturtourismus – zum Beispiel – auf den Solomon Islands trägt sich ausschließlich durch westliche Nachfrager (vgl. Hall 1998b, S. 132 ff.). Der Ökotourismus ist also ein zutiefst westliches, postmodernes Phänomen, in dem sich zum einen die Angst vor einer nicht mehr beherrschbaren und zerstörten Natur ausdrückt und zum anderen spiegelt es eine Spektakularisierung der „unberührten“ Natur und eine auf ästhetisches Vergnügen
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setzende Konsumkultur wider (vgl. Bandy 1996). Der Ökotourismus steht damit im Dienste der westlichen Welt; er beutet – neokolonial – die Fernraumnatur aus. Der Ökotourismus vollzieht sich als naturbezogene Reise in attraktive naturnahe Landschaften und sogar in Schutzgebiete, sofern diese „verantwortungsbewusst“ angeeignet werden (vgl. Müller 1996, S. 50 f.). Der Ökotourismus soll der einheimischen Bevölkerung als Einnahmequelle und nicht als Stimulanz für soziokulturelle Veränderungen dienen und verständlicherweise sollen negative Umweltauswirkungen „minimiert“ werden. Dem mit dieser Konzeption ausgerufenen touristischen Ökoaneur stehen unzählige und unterschiedlichste naturnahe Landschaftsspektakel zur Anschauung offen (vgl. Müller 1996, S. 51): „Tropischer Regenwald, Flußlandschaften und Bergregionen sind nur Beispiele, die von Naturtouristen – vom wissenschaftlich orientierten Reisenden und dem ‚klassischen‘ Naturtouristen bis hin zum Sporttaucher, Jäger oder Abenteuerurlauber – aufgesucht werden.“ Neben dem Ökoaneur gesellen sich demnach noch „Ökohumboldtianer“ und Ökofreizeitaktive, die allesamt dem Fernraum eine neue symbolische Realität bzw. Ordnung auferlegen. Fernräume nden sich wieder als Landschaften des Trekkings und Wanderns, der Wildwasserkajak-, Kanu- und Paddelerlebnisse sowie der Naturkunde, Zoologie, Botanik, Geologie, Ornithologie und natürlich der Fotograe (vgl. etwa die sich selbstredend dem Nachhaltigkeitsprinzip verschriebenen Naturreiseanbieter „Naturreisen Weltweit“ und „Nord-Süd Erlebnisreisen“). Diese dem Fernraum auferlegte Ordnung konstituiert und legitimiert sich von der ökotouristischen Verwendbarkeit her, die neben dem Sehen nun besonders den Körper und den Geist der Touristen betont. Mit dieser personenbezogenen Ausrichtung des Ökotourismus wird der Raum zu einem individuell zu erobernden Territorium: Dort ist die unstrukturierte Natur und hier stehe ich, der mit seinen Sinnen, seiner Kraft und seinem Verstand diese Natur durchschauen und domestizieren kann (vgl. Markwell 2001, S. 54). Eine derartige ökotouristische Raumerschließung, zumal unterstützt von Technikapparaturen, bedeutet nicht nur den Triumph der modernen Menschen über die Natur, sondern sie rehabilitiert den Raum als Äußeres, das man inkorporieren kann. Gleich wie bei den Pilgerreisen, wo der Vorgang der sukzessiven Raumaneignung auch inkorporiert wird, ist die Naturreise durch performative Akte der Bewegung, des Benennens und der Beschreibung geprägt. Wird in westlichen Ländern ökotouristisch gereist, dann verbleibt eine derartige Raumerschließung im westlichen Kultursystem und ist demzufolge selbstreferenziell (vgl. Falk 1994). Sind dagegen postkoloniale Länder ökotouristische Reiseziele – und dies überwiegt bei weitem –, dann erscheinen die dortigen Naturlandschaften als Transgressionsräume und Projektionsächen: Indem sie offen für körperliche Aneignungen präsentiert werden, geht der Ökotourismus nicht nur von einem leeren Raum aus, sondern es wird damit impliziert, dass ihm bestimmte Strukturen inhärent sind: „Trekkingparadies Marokko“ oder „Tierbeobachtung im malayischen Urwald“ sind Wahrneh-
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mungskategorien, die den Räumen „eigentliche“ oder wesentliche Verfasstheiten unterstellen. Oder anders ausgedrückt: Eine scheinbar natürliche Raumverfasstheit und -ordnung (Berge, Flüsse, Tiere, Panzen etc.) wird postmodern aufgeladen (Trekking, Beobachten) und für westliche Nachfrager marktfähig umdeniert, d. h. zu einem äußerst hochpreisigen Positionsgut für Mittelschichten stilisiert. Der Ökotourismus steht damit in der Reihe neokolonialer Geopolitiken, die Räume nach Interessen, Machteinuss etc. und nun auch nach touristischen Ressourcen kartieren (vgl. Lossau 2000). Die Ressource des Ökotourismus ist die „Natur“. Weil die Natur in der Ersten Welt zwar nicht abhanden gekommen, so doch aber aus deren Sicht in ihrer „Reinform“ verschwunden ist, wird sie in der Dritten Welt tourismuspolitisch in Besitz genommen (vermehrt auch in der Zweiten Welt wie z. B. in Staaten des ehemaligen Ostblocks). Der Ökotourismus als Neokolonialismus ist damit auch Teil des Globalisierungsprozesses, in dem sich „Landschaften“ wie beispielsweise ottierende ideoscapes herausbilden (vgl. Appadurai 1996, S. 36). So wird auch das politikund ideologiegeladene Sinn- und Deutungsbild „Nachhaltigkeit“ und damit „Bewahrung der Natur“ global distribuiert und auf jegliche Territorien bezogen. Der Ökotourismus als eine Inkarnation dieser Bilder entterritorialisiert Landschaften insofern, als er im Zusammenspiel mit diesem ideoscape eine imaginierte Naturwelt erschafft, die dann durch die besagten körperbezogenen Aktivitäten real wird. Auf der touristischen Landkarte symbolisieren z. B. Marokko oder Nepal „Trekking“, d. h., beide Fernraumländer sind zwar zu globalen ökotouristischen Zielen geworden (Trekking ist das atopische globale Produkt), doch zugleich sind sie re-territorialisiert bzw. re-embedded worden, scheidet doch all das aus, was diese Gebirgslandschaften noch ausmachen; Nepal ist eben Trekking. Mit der ökotouristischen Landnahme nden sich also Fernräume in einer anderen, westlichen Welt wieder. Deren Ordnung wird nicht zuletzt deshalb akzeptiert, weil sie angesichts innerer und äußerer Unsicherheiten benets verspricht (vgl. Campbell 1999). Diese Inklusion in eine globale Ordnung und somit auch Zuordnung bedeutet zugleich, dass ökotouristische Fernreiseziele unter globale Gouvernanzregime geraten (vgl. Rao 1999). Transnationale Organisationen und Verbände (hier organisieren sich auch ökotouristische Reiseveranstalter), internationale Netzwerke, NGOs etc. setzen fernab von nationalstaatlichen Normen Regeln fest, wie denn ein Ökotourismus zu gestalten sei. So werden erneut Räume exterritorial produziert und kontrolliert und in neokoloniale Abhängigkeiten gebracht. Mögliche Kritik der einheimischen Bevölkerung, dass der Ökotourismus eine Entwicklungsbeschränkung bedeute, wird angesichts der global geschützten und legitimierten ökotouristischen (Geschäfts-) Idee, also der „Bewahrung der Natur“, als illegitim abgewiesen (vgl. Rao 1999). Zweifelsohne reintegriert der Ökotourismus die Natur – das vormalige „Kapital“ des Tourismus – in das Reisen. Dass damit eine Verantwortlichkeit der Produzenten (Reiseveranstalter) und Konsumenten (Reisende) einhergeht, lässt
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sich nicht eindeutig bestimmen. Der Ökotourismus muss folglich den Nachweis erbringen, dass er auch tatsächlich nachhaltig ist, also das realisiert, womit er sich begründet und legitimiert – „Bewahrung der Natur durch verantwortungsvolles Reisen“ (vgl. Lawton/Weaver 2001, S. 39 f.). Mit dieser Begründung wird die Natur vergesellschaftet, d. h., der Erhalt/die Bewahrung der Naturlandschaften wird vom Ökotourismus, einem sozialen Phänomen/einer sozialen Organisation, abhängig gemacht. Die Grenze zwischen Natur und Gesellschaft wird damit aufgehoben. Die Natur ist nicht mehr das Andere der Gesellschaft, sondern ein sozialer Bereich des Verfügbaren, des Bearbeitens und somit eine Frage der Steuerung. Auch wenn partizipative Entwicklungsmodelle angemahnt werden – von autonomer Selbstorganisation ganz zu schweigen –, so stellt sich beim Ökotourismus heraus, dass er dem Steuerungsmedium Macht unterliegt (vgl. van der Duim/Philipsen 2002). Diese Macht gründet sich auf Zweck- und Konditionalprogramme: Um sich die fernräumliche Naturwelt ökotouristisch anzueignen, werden seitens der ökotouristischen Manager (dies sind nicht nur Reiseveranstalter, sondern auch transnationale Organisationen) Prämissen für Entscheidungen gesetzt. Unter diesen Bedingungen siegt stets die Viabilität, also die Übertragung der Naturraumnutzung gegen Zahlung (sprich Einkommen, Beschäftigung und Investitionen). Und damit gerät der periphere Naturraum unweigerlich in Vermarktungskonzepte der westlichen Welt. Was Naturbewahrung ist, entscheidet sich über Marktgängigkeit. Wie Kolonialisierung verweist auch die Vermarktung des Ökotourismus auf die Produktion von Räumen entlang vorgestellter Verfasstheiten und Mentalitäten eines Raumes, der in den westlichen Ländern liegt.
Differenz als Ressource Fernreisen wollen und sollen das Andere in der Welt näher bringen. Dieses Andere wird in der Kultur und Natur des Fernraumes vermutet und auch realiter gefunden. Hat eine derart konzipierte Fernreise postkoloniale Länder zum Ziel, dann wird dieses Andere spezisch verräumlicht. Die Unterschiede zur westlichen Kultur und Natur werden durch diese Fernreisen beleuchtet, erforscht und performativ hergestellt. Das fernräumliche Andere verliert dadurch seine Macht zu deuten, zu negieren, seine Identität einzubringen und seinen eigenen Diskurs zu etablieren. Sei es die Kultur oder die Natur im postkolonialen Fernraum – beide werden durch Fernreisen zeitlich zurückversetzt und erscheinen dadurch vormodern. Mit dieser Setzung von Differenz geht zugleich eine wenn auch unterschwellige, aber dennoch wirksame Behauptung von Unterlegenheit und Überlegenheit einher. Da die westliche Welt diese Differenz als Ressource für seine postmoderne Konsumkultur benötigt bzw. instrumentalisiert, mutiert die Fernreise zu einem postkolonialen Unternehmen. Die westliche Modernität, die sich in der Fernreise ausdrückt, sickert
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in Fernräume ein und macht diese von der westlichen Welt abhängig. Fernreisen stärken den westlichen Universalismus und seinen Totalitätsanspruch. Fernreisen sind nicht zuletzt auch auf Verstehen der kulturellen und naturalen Differenzen ausgelegt. Gerade mit diesem Verstehen und Diskursen diesbezüglicher Differenzen werden Wertigkeitsunterschiede offenkundig und reproduziert. Es kommt eben nicht zur Hinterfragung der Funktionen des Ferntourismus als ein postmodernes Phänomen und zu einer Debatte über Kontexte, in denen die Fernräume als postkoloniale Länder heute stehen. Dass die Vielfalt des Anderen mit dem Eigenen verwoben ist, dass also das Andere in Vielheit zu denken ist (siehe Hybridität), würde der Fernreise den Reiz nehmen, pocht sie doch auf das vom westlichen Heimatraum ganz Andere.
Pilgern und touristisches Reisen
Phänomen der Postmoderne Wenn heute wie im Mittelalter bis in die Neuzeit hinein Millionen Pilger unterwegs sind, dann sollte man an diesem Phänomen nicht die Frage nach der Religiosität oder gar Christlichkeit erörtern. Daraus abzuleiten, dass die irdischen Verhältnisse als unzureichend erkannt werden und dass daher das ganz Andere, das Vollkommene, das Außer-Ordentliche, ja eine jenseitige Erlösung gesucht wird, trifft nicht den Kern, ist doch das Pilgern in westlichen Ländern auch eine säkulare Erscheinung. Pilgern ist auch in früheren Epochen nicht einzig auf ein solches Struktur- und Mentalitätsprinzip zurückzuführen. Unbestritten ist, dass die Idee des Pilgerns seit dem 7./8. Jahrhundert Menschen im Abendland jahrhundertelang in Bewegung setzte (vgl. Birch 1998) und sich im Pilgern die Gesellschaft widerspiegelte, und dies bedeutete nicht zuletzt, dass die Pilgermotive „so bunt wie die der Pilgerscharen“ waren (vgl. Ohler 2005). Insofern ist Pilgern niemals frei von „Sekundärwirkungen“ gewesen, seien sie nun erhofft oder tatsächlich eingetreten. Beispielsweise war der Jakobsweg nicht allein ein Unterwegssein mit dem Ziel, in Santiago de Compostela eine religiöse „Erstwirkung“ zu erfahren (vgl. Herbers 2005). Welche Wünsche man sich auch vorstellen kann, sie sind alle an diesem heiligen Ort mit der Hoffnung auf Erfüllung vorgetragen worden. Dass andere, die Kirche und das Feudalsystem einerseits und die Gewerbetreibenden und die Handwerker andererseits, mit dem Jakobsweg machtpolitische, missionarische, identikatorische und kommerzielle Motive bzw. Interessen verfolgten, ist ebenso sattsam bekannt wie der Umstand, dass er für eine Professionalisierung des Reisens, also des Aufbrechens, Unterwegsseins und Ankommens sowie des Aufenthalts und der Rückkehr steht. Die mittelalterlichen Pilger sind so gesehen auch Touristen gewesen. Vor diesem Hintergrund lässt sich schon immer von einer Säkularisierung des Pilgerns sprechen. Insofern man Pilgern der Sphäre des christlichen Glaubens zuordnet, kann angesichts dieses Allzu-Menschlichen zumindest konstatiert werden, dass die Kirche als Pilgerveranstalter „ein Entgegenkommen gegenüber der menschlichen Natur, das dem Mysterium der Menschwerdung entspricht, […] zeigt“ (Stenger 1989, S. 24) und demzufolge niemanden aufgrund seiner sozialen und kulturellen Prägung vom Pilgern exkludierte. Mittelalterliches Pilgern ist ein Ausdruck seiner Zeit und steht in einer Ahnenreihe des Reisens. Dem Pilgern und den Kreuzfahrten folgte die Bildungsreise, dann die Gelehrtenund Entdeckungsreise und schließlich die touristische Reise.
K. Wöhler, Touristifizierung von Räumen, DOI 10.1007/ 978-3-531-92761-9_18, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Wenn sich Pilgern in früheren Zeiten als Ausdruck der Verfasstheiten der spezischen Gesellschaftsformation verstehen lässt, dann muss dies auch für die heutige Zeit gelten, es sei denn, man stellt soziale Phänomene außerhalb der Gesellschaft. Dass sich heute Pilgern und Tourismus im Typen des „Pilgertouristen“ bzw. „Pilgerweglers“ vereinen, müsste dann auf die soziale Welt zurückführbar sein. Zunächst scheint es keinen größeren Kontrast als denjenigen zwischen Pilgern und Tourismus zu geben. Hier das nahezu kontemplative, ruhige und beschwerliche Unterwegssein zu Fuß mit einer Ankunft an einem heiligen und damit eindeutigen Ort und dort der hedonistische, vergnügliche und die Gier nach Erleben befriedigende Tourismus, der sich in homogenen, ohne Mühen erreichbaren Orten abspielt. Dass beide zusammenpassen und zusammen gelebt werden, mag als ein weiterer Beweis für die postmoderne Entgrenzung, Uneindeutigkeit und für das Niederreißen von Barrieren sozialer Sphären gelten (Bauman 2000). Alles ist und wird möglich gemacht, vermischt und verüssigt sich, es wird de-konstruiert. So lassen sich beispielsweise Arbeits-, Obligations- und Freizeit nicht mehr voneinander trennen. Es werden etwa am Arbeitsplatz „Freizeit-Points“ installiert, und mit der Telearbeit ndet die Arbeit Einzug in das Zuhause und in die Freizeit. Auch die Eindeutigkeit des Kirchenraumes ist einer Vielzahl von säkularen, „entwidmeten“, „intensiven“ oder „multifunktionalen“ Nutzungen gewichen, so dass man sich bisweilen im Mittelalter wähnt, in dem sich ebenfalls das pralle soziale Leben im Kirchenraum abspielte – entgegen dem Vorbild seiner Reinigung und damit der Herstellung seiner Eindeutigkeit durch Jesus Christus. Doch der Sohn Gottes ist ja erst mit der Neuzeit, d. h. mit der „Entdeckung“ des Neuen Testaments, zu der Leitgur des Christentums geworden. Und seitdem ist mit der Losung „Gehet hinaus und macht euch die Erde untertan“ die soziale Welt rationalisiert und nach Sphären abgegrenzt worden. Mit den gesellschaftlichen Uneindeutigkeiten seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind wir wieder im Mittelalter angekommen. Sind wir gar nie modern gewesen, wenn an die Stelle der Differenzierung (Abgrenzung) EntDifferenzierung (Entgrenzung), also das Zusammenfallen unterschiedlicher Lebensbereiche, tritt ? Trifft diese Diagnose zu – und eine Vielzahl empirischer Studien bestätigt sie (vgl. Beck/Lau 2004) –, dann kann zugleich ein Ende der Dichotomien und der daraus resultierenden Hierarchien abgleitet werden. Zugleich rückt mit dem Ende der Eindeutigkeiten und der großen Erzählungen das subjektive Erleben und Sinngeben in den Vordergrund. Was institutionell vorgesehen oder gar angeordnet wird, bedeutet noch lange nicht, dass es 1 : 1 vom Menschen wahr- und angenommen wird. Sind also die heutigen touristischen „Pilgerwegler“ postmoderne Typen ? Besitzt der Tourismus eine Religions- und das Pilgern eine Tourismuspräsenz? Beide Fragen postmodernistisch mit Ja zu beantworten, erklärt noch nicht diese Phänomene.
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Da historische Phänomene nur aus ihrem Entstehungszusammenhang heraus zu verstehen sind, erübrigt es sich im Grunde, die Art des Reisens im Mittelalter – peregrinari – auf die Jetztzeit zu übertragen. Man kann Pilgern mittelalterlich inszenieren und so tun, als ob man im Mittelalter reist (neben dem Pilgern und der damit verwandten Kreuzfahrt zählen noch die Bäder- und Handelsreise sowie die Reisen des Klerus und der Feudalen zu ihren „Filialorten“ zu den mittelalterlichen „touristischen“ Mobilitäten). Doch eine solches Reenactment ist eine komplette, höchst arti zielle Inszenierung und rückt damit in die Nähe der vielen künstlichen, disney zierten bzw. mcdonaldisierten „Als-Ob-Reisewelten“, die garantiert, efzient und rationalisiert das erlebbar machen, was sie versprechen (vgl. Ritzer 2000). Heute pilgert man nicht mehr unter den Bedingungen des Mittelalters. Neben vielen anderen bieten Reiseveranstalter wie beispielsweise das „Bayerische Pilgerbüro“, „Biblische Reisen“, „Auf und Davon Reisen“ oder „Rhöner Touristik Service“ Pilgerpauschalreisen an (siehe entsprechende www-Adressen). Hier ist alles vorgeplant und sichergestellt; zum Abschluss wird mitunter eine CD oder Bildermappe mit den schönsten Eindrücken der Pilgerreise für jeden Teilnehmer überreicht. Busreiseveranstalter setzen „Pilgertouristen“ irgendwo am Jakobsweg aus und lassen sie wenige Kilometer „pilgern“. Die Evangelische Kirche in Deutschland bietet gar ein Online-Bibel-Spiel an, bei dem Jugendliche den „ganz anderen“ Jakobsweg erfahren können. Als Preis wird eine Reise auf dem Jakobsweg in Spanien ausgelobt. Jegliches Revival dieser mittelalterlichen religiösen Praxis ist eine Neuschöpfung (vgl. Lowenthal 2006, S. 84 ff.). Mit Sicherheit reisen jene, die diese Angebote wahrnehmen, auch anders, d. h., sie haben andere Reiseformate wie beispielsweise eine Erholungs-, Städte- oder auch unzählige Vergnügungsreisen absolviert. Das postmoderne individuelle „Reise-Portfolio“ umfasst Vielfältiges und Unterschiedliches – auch eine Pilgerreise und neuerdings sogar eine „Himmelsreise“ in Form des „Weltraumtourismus“.
Homologien Gleichwohl wird die Pilgerreise nicht als touristische Reise angesehen – sie sei eben zu unterschiedlich, differenziere sich wesentlich von anderen Reiseformen (zur Diskussion hierzu vgl. Klein 2005). Dass sich Pilgern von per ager, „was über den eigenen Acker hinausgeht“ ableitet, scheint in Zeiten der postmodernen Beschleunigung geradezu eine Gegenlosung zu sein, wird doch damit Bodenständigkeit, Langsamkeit und Zeit für Besinnung ebenso assoziiert wie das von Bindungen losgelöste und daher Abstand gewinnende Unterwegssein (bindungslos unterwegs sein wie ein peregrinus = fremder Mönch). Pilgern wird als Leitformel des „bewussten“ und „wirklichen“ Lebens ausgegeben (so die Titelgeschichte im „Stern“, 15/2007). Die christlichen Kirchen sehen darin eine ureigene Mimesis:
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In der Nachfolge von Jesus Christus erfahre der heutige Mensch beim Pilgern das anstrengende und unwirtliche Unterwegssein, das ihn, wenn nicht in das Himmelreich führt, so doch zumindest in die Nähe Gottes bringt, der auf ihn wartet. Das Unterwegssein bzw. genauer der Pilgerweg (via peregrinalis) wird damit zum zentralen Element und Sinnbild christlichen Lebens (vgl. Díaz y Díaz 1999, S. 54 f.). Der Weg – und infolgedessen der Status eines ständigen Pilgerns – als zentrale Metapher der Erreichung der göttlichen Sphäre ist nicht nur eine heilsgeschichtliche Deutung des Christentums, sondern alle monotheistischen Religionen sind in diesem Sinne wegfundiert (vgl. Figl 2003, dort Teil I, 2. Kap.; Timothy/Olsen 2006, Teil II): In der Jetztzeit sind alljährlich Milliarden Menschen unterwegs, um an heiligen Orten eine verdichtete göttliche Präsenz zu erfahren und dort in der Begegnung mit dem „Göttlichen“ Reinigung, innere Kraft, tiefere und mithin endgültige Einsichten in das irdische Dasein verliehen zu bekommen. Gegenwartsphänomenologisch und anthropologisch betrachtet ist demnach das Wallfahren bzw. das Unterwegssein hin zu Orten mit religiöser Bedeutung keine vormoderne, sondern eine Tatsache der Menschheit sui generis (Wallfahrt = lat. peregrinatio religiosa; Wallfahrt = Wandern/Umherziehen wird im 16. Jahrhundert zum Synonym für Pilgern). Auf der anderen Seite ist es ebenso eine Tatsache der Jetztzeit, dass jährlich Milliarden verreisen. Der homo viator (Reisende, Wanderer; via = Weg) ist daher der ernsthafteste Anwärter für einen Signumgeber der westlichen Gesellschaften (vgl. Bauman 1997). In den mit der Neuzeit vermehrt aufkommenden „Apodemiken“ (Methodenschriften zur Reisekunst) führte man den Beweis, dass sich die peregrinari vom zweck- und nutzlosen Umherschweifen in der Fremde (= vagari) dadurch unterschieden, dass sie in erster Linie (humanistischen) Bildungszwecken und dann, wenn überhaupt, auch religiösen Zwecken dienten (vgl. Stagl 1989, S. 153 ff.; Umherschweifende = Vaganten, Vagabunden). Die Apodemiken sind nicht nur ein Ausdruck der Loslösung aus der kirchlichen Gebundenheit des Mittelalters, sondern sie demonstrieren zugleich, dass neben der Pilgerreise eine andere Reiselust aufkam und es einen Bedarf an – modern gesprochen – Reiseführern, Reisehandbüchern und Reise-Know-how gab. An die Stelle der Pilgerreise trat zusehends die organisierte Bildungsreise (insbes. in Form der „Grand Tour“). Bis ins 19. Jahrhundert hinein ist der homo viator ein Bildungsreisender und vermehrt auch eine Bildungsreisende gewesen. Die bis in unsere Tage anhaltende Kritik an der massentouristischen Reise rührt nicht zuletzt daher, dass sie angesichts des „richtigen“ und „sinnvollen“ Reisens der „Gebildeten“ nur ein bares und anomisches Umherschweifen sei. Sieht man einmal von einer solchen elitären Kritik ab, so spiegeln die mit Reisen verbundenen handlungs- und bedeutungsleitenden Begriffe bzw. Wörter einen sozialen Wandel wider. Hierin drückt sich nicht zuletzt der Geist der Moderne aus, in der der Mensch vormalige Grenzen übertritt und damit eine bis dato nicht gekannte geistige, soziale und geographische Mobilität in Gang setzt.
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Da prämoderne, traditionale Gesellschaften residenziell sind, ist, abgesehen von der Pilgerreise und der Kreuzfahrt als „gottgegebenes“ bzw. „gottbefohlenes“ Unterwegssein einerseits und dem sozial begründeten Entfernen vom Wohnsitz wie das der Krieger, Händler und der kirchlichen wie feudalen Herren andererseits, weder der Fremde noch das Aufbrechen in die Fremde positiv konnotiert worden. Peregrinus ist zunächst der Fremde außerhalb des Be-sitzes und des Be- und Ge-wohnten. Der Fremde (lat. hospes) ist daher nicht der Gast, sondern eine Bedrohung für diese Im-Mobilien. Als Gast wird er in dem Moment angesehen, als das Fremde als Quelle der Erfahrungen, der Gewinnung von Wissen und damit der Verbesserung des irdischen Daseins angesehen wurde, also mit der Neuzeit. Hospes wird nun positiviert zu „Gast“. Verständlicherweise legten deshalb sowohl der Reisende als auch die Gemeinschaft auf seine Rückkehr aus der Fremde den größten Wert. So sind die Apodemiken und die itineri (Art und Weise des Reisens) entstanden, die all das beschrieben, auf was man bei der Reisevorbereitung, -durchführung, -ankunft und -rückkehr zu achten und was man wo aufzusuchen und zu registrieren hatte (vgl. Stagl 1989). Diese Positivierung des Reisens bzw. der Fremde hat auch in unserem, d. h. im indogermanischen Sprachraum mit seinen Lehnbeziehungen zum Lateinischen, Romanischen und Griechischen, seinen Niederschlag gefunden. Zunächst ndet sich hier ebenfalls eine negative Bestimmung. „Fremd“ heißt weg sein von zu Hause (vgl. auch das engl. from). Reisen besitzt die Bedeutung von gewappnet/ gerüstet sein beim Aufbruch (vgl. to rise = aufbrechen), und die Reisigen sind die kriegerischen, bedrohlichen Landsknechte, die sich über Grenzen hinweg stetig in Bewegung setzten. Travel ist travail, also Arbeit gewesen, die von „Ferien“, den Festen bzw. Festivitäten oder Feiertagen für Gott, die Heiligen sowie für die kirchlichen und feudalen Herren, unterbrochen wurde. Im englischen holiday für Ferien kommt dieser Zusammenhang zum Ausdruck (holy = heilig; rührt von whole, das Ganze, eben Gott, her). Und schließlich tour, womit im Griechischen Qual und ein Aufreiben gemeint ist. Im westlichen Europa meint Touren eine Rundbewegung: Man war mühevoll unterwegs und kam doch nur zum Ausgangspunkt zurück. Virillos „rasender Stillstand“ ist vor diesem Hintergrund kein exklusives Phänomen der Postmoderne (Virilio 1998). Bis in die Neuzeit wird Reisen bzw. Unterwegssein als ein Unglück und Elend empfunden (Elend = in der Fremde lebend, leidvolles Dasein). Kurzum, das sich Fortbewegen und Aufbrechen in die Fremde bringt keinen Gewinn oder bleibenden Wert, ist doch der Mensch an sich ein Fremdling und Gast auf Erden; er wird unabdingbar von Gott, dem Unhinterfragbaren, gelenkt bzw. bestimmt. Es gibt für ihn nur einen Weg und zwar den hin zu Gott, der an seinen Gnadenorten erfahrbar ist (also auch durch Pilgern). Erst mit dem 17. Jahrhundert setzte sich „Tour“ als Reise im oben genannten Kontext als positivierte Reise durch. Der Reisende wird seitdem auch als Tourist bezeichnet, als jemand, der heimatabgewandte Räu-
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me aufsucht. Bis in die Gegenwart hält sich eine elitäre, an die Differenzierung zwischen Hochkultur und Popularkultur angelehnte Unterscheidung: Hier ist der selbstbestimmte Reisende (traveller) als ein Bildungs- und Kulturreisender und dort der manipulierte (Massen-)Tourist als jemand, der unreektiert, lediglich zum Vergnügen und mit einem Dominanzgehabe fremde Räume besetzt – auch Kirchenräume, die dem Touristen nur durch eine eingehende Unterweisung in seiner Bedeutung nahe zu bringen sind (vgl. Volp 1996). Einen solchen Paternalismus kennt auch der mittelalterliche Pilgerreisende; er steht unter der Obhut der Kirche, die ihm Pilgerregeln vorgibt. Gegenüber der früheren Pilgerreise hebt sich die (post-)moderne touristische Reise allein durch ein Merkmal ab: Sie reduziert sich aufgrund der technisierten Raumüberwindung auf eine Ankommensfahrt. Unterwegssein wie die einstigen Pilger ist kein Thema mehr, und dies bedeutet, man weiß, dass man mit Sicherheit ankommt, ist doch der Raum zwischen Abreise und Ankunft irrelevant geworden. Auch heutige Pilger und andere „Fußläuge“ (Wehab 1997) sind nicht mehr von der Sorge erfüllt, nicht am Ziel oder an Teilzielen ihres Wanderns anzukommen. Insofern lässt sich das heutige Unterwegssein, wenn nicht vernachlässigen, so doch als eine von vielen Arten der Aktivitäten in der touristischen Freizeit kennzeichnen. Touristisches Reisen ist Freizeit und Erholungszeit, ein alljährlich wiederkehrender ritualisierter Bestandteil in der biographischen Lebenszeit, in dem man sich re-kreieren, d. h. im lateinischen Sinne sich wieder erschaffen will. Wie einst das vormoderne Pilgern die Legitimation einschloss, sich vom Heimatort entfernen zu dürfen – die „Erlaubnis“ gab Gottvater bzw. Jesus Christus und in seiner Stellvertretung die Kirche –, so gewährt heute der „Vater“ Staat Urlaub und damit die Erlaubnis, sich vom Arbeitsplatz und Wohnort zu entfernen und beispielsweise zu verreisen. Diese etymologische Bedeutung von „Urlaub“ kommt im englischen vacation als Freizeit, Ferien und Urlaub ebenso zum Ausdruck wie bei dem lateinischen vacatio (= Freisein und Befreitsein). Pilgern, Reisen, Touren und Urlauben verweisen allesamt auf Aufbrechen, Entfernen und Verlassen. Wer heute pilgert, der realisiert dies in seiner Freizeit und/oder im Urlaub und er ist daher ein „Freizeitpilger“ oder ein „Pilgertourist“. Sowohl beim Pilgern als auch beim touristischen Reisen ndet sich der Topos des Aufbruchs, des Verlassens und somit des Lösens der Bindungen. Gleich ob man heute pilgert oder touristisch reist, man kehrt wieder zurück, nachdem man ein bestimmtes fernes bzw. wohnortabgewandtes Ziel erreicht hat. Der Tourist ist jahrein und jahraus an vielen Orten gewesen, ohne jedoch deren Teil zu werden. Und wenn er zu Hause angekommen ist, ndet er sich in Uneindeutigkeiten wieder (vgl. Bauman 1997, S. 136 ff.): Da er aufgrund der postmodernen Bedingungen der Flüchtigkeit und des Sich-nicht-festlegen-Könnens in der „kontinuierlichen Gegenwart“ keine Investitionen in eine sichere Zukunft tätigen kann, plant er sein Leben wie eine Reise mit vielen Ortsaufenthalten. Er bindet sich nicht und lebt
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nur im Hier und Jetzt. Individualisierung und Subjektivierung der Lebenswelten haben demnach den Menschen schon zu Hause zum Touristen gemacht. Er ist frei, auf sich selbst gestellt und muss sich permanent selbst erschaffen, ohne dabei auf feste Strukturen zurückgreifen zu können (vgl. Kron 2002). Das Leben hat sich temporalisiert, und dies bedeutet, dass sich der postmoderne Mensch fortwährend in der Fremde bewegt und Beheimatungsversuche unternimmt. Er ist – mit anderen Worten – mobil und ständig unterwegs, ohne jedoch an einem sicheren, identitätsstiftenden Ort anzukommen. Diesen sicheren, xen Ort hatte der Pilger. Seine Lebensreise ist auf ein außeralltägliches, unbedingtes Lebensziel hin ausgerichtet gewesen und für dieses Ziel ist er von zu Hause aufgebrochen: An einem fernen Gnadenort will er die Welt und sein Dasein erschließen. Die Postmoderne kennt keine solche „große Transzendenz“, sondern „mittlere“ und „kleine“ Transzendenzen, d. h., dass das „Nicht-Erfahrbare“ erfahrbar ist bzw. erfahrbar gemacht wird (vgl. Luckmann 1996, S. 167). Unter diesen Bedingungen wäre die postmoderne Welt für einen traditionellen Pilger ungastlich, ist sie doch eine Lebenswelt des permanenten Wechsels und der vielfältigen Möglichkeiten, also eine Welt der vielen „kleinen“ und „mittleren“ Transzendenzen wie sie sich beispielsweise im Konsum und beim Reisen auftun. Die postmoderne Welt ist also eine Welt der Kontingenzerfahrung; was ist und wer man ist, dies kann immer auch anders sein (vgl. Luhmann 1985, S. 148 ff.). Die postmoderne Welt erschließt sich demzufolge nicht aus einem xen (Vorstellungs-)Gerüst außerhalb des weltimmanenten Zusammenhangs. Was möglich sein kann, lässt sich im Diesseits erfahren. Es besteht kaum Zweifel, dass sich traditionelles Pilgern der geistesgeschichtlichen Idee nach in der Offenbarung Gottes an einem nicht-profanen Ort nalisiert. Dass Heil und Sorgenlosigkeit allein im Jenseits Wirklichkeit werden, ist jedoch gerade mit der christlichen Institutionalisierung von Gnadenorten, den heiligen Zielorten des Pilgerns, relativiert worden. Hier erfährt der Pilger „ganz nah“ bzw. „authentisch“ die Botschaft vom Gott des Lebens und der Liebe und infolgedessen erwächst daraus die Hoffnung der Erlösung für alle Menschen zu Lebzeiten. Warum sollte es den Pilgern anders ergehen als dem Volk Israels, das nach einem langen Unterwegssein das verheißene, gelobte Land erreichte? Es kann daher nicht verwundern, wenn sich mittelalterliche Pilger schon gleich mit dem Aufkommen der Pilgerwege mit einem „immateriellen Reisegepäck“ beluden (vgl. Ohler 2001, S. 294 ff.; 2005; Zweidler 2003, S. 25 ff.): Vorstellungen bzw. Wünsche, dass man von Leiden und Gebrechen geheilt und von Sünden befreit wird, dass man fortan sein Leben in der Heimat gottgefällig führt etc. Indem sowohl die römische als auch dann die orthodoxe Kirche an ihren heiligen Stätten diesen Vorstellungen symbolisch nachkamen und zudem mit den Inszenierungen von „heiligen Jahren“ und sonstigen „heiligen Zeiten“ ein genereller Ablass bei einem Besuch der heiligen Orte versprochen wurde, hat sich mit dem Pilgern geradezu unweigerlich eine Selbst-Säkularisierung etabliert: Es liegt allein im Vermögen und Wollen des
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Menschen schon zu Lebzeiten Erlösung zu erfahren – er muss Aufbrechen und sich andernorts in seiner ganzen menschlichen Fülle offen legen, dann kann er sein Leben und mithin seine Welt verwandeln. Doch man musste gar nicht selbst pilgern, um Seelen- und Weltheil zu erlangen. Stellvertreter-Pilgern billigte die Kirche. Ihr pekuniäres Interesse – sie hatte Prunk und Kriege zu investieren – stand im Vordergrund und gab der Säkularisierung zusätzliche Nahrung. Nach und nach rückte daher der Klerus in den Status eines Pilger(reise)veranstalters. Gleichwohl diente und dient Pilgern, die temporäre Auszeit vom Alltag, auf der individuellen Ebene der Selbst- bzw. Wieder-Erschaffung. Zumindest aber ist mit dem heimatabgewandten Unterwegssein und/oder mit dem Aufenthalt an heiligen Orten die Hoffung verbunden, Räume können eine Re-Kreation bewirken (analog zur Wiedererschaffung des auserwählten Volkes Israel im gelobten Land). Fremde Räume erhalten dadurch eine positive Bedeutung, wird ihnen doch die Möglichkeit des Anderen, des Anders-Seins, des Wirklich-Seins und BesserSeins zugeschrieben. Sie und nicht die gewohnten und den Menschen wiederholenden Räume werden zum Selbsterkennungsterritorium und Hoffnungsträger der Menschheit: „Ich kann mich nicht erkennen; ich kann mir selbst nicht gegenübertreten, wenn ich nur in Räumen und Atmosphären lebe, die durch mich selbst geprägt sind, die mir allzu sehr gleichen und mich wiederholen. […] Der fremde Raum ruft: Halt ! Unterbrich dich ! Befreie dich von deinen Wiederholungen ! Er bietet mir eine Andersheit, die mich heilt, gerade weil sie mich nicht wiederholt, sondern mich von mir wegführt“ (Steffensky 2003, S. 87). Diese Positivierung fremder Räume als Medium der wahrhaften Selbsterkenntnis und -erschaffung ist nicht nur das Momentum, kirchliche Räume als fremde, andere Räume zu gestalten und/oder sie andernorts zu lozieren. Diese Positivierung führte vielmehr seit der Neuzeit zur Besitznahme ferner, fremder Räume und zur Aneignung neuer, fremder Wissensräume. Neben einer geistigen ist hierfür eine geographische Mobilität, also das Überschreiten von Grenzen, unerlässlich. Die Welt, die Natur und sich selbst lassen sich folglich nur erkennen, wenn man sich in die Fremde begibt, von der man sich erhofft, dass sich dort Anderes und Weiterführendes bendet und dem Leben mitunter einen anderen Sinn verleiht. Die Distanzierung von einer profanen, sich wiederholenden Alltagswelt und das Aufsuchen der Fremde sollen also den Menschen von sich selbst befreien. Voraussetzung hierfür ist eine Befremdung. Im fremden Raum mögen manche Gott, seinen radikalen Ruf „Halt ! Unterbrich dich !“ vernehmen und sie so in ihrer Biographie erschüttern (vgl. Luther 1992, S. 37 ff.) und andere nehmen einen derartigen Ruf von anderweitig her wahr – etwa von der touristischen Werbung. Vor diesem Hintergrund ist es irreführend, Motive von heutigen Pilgerreisenden so zu deuten, als würden Motive etwas darüber aussagen, ob und wie ein fremder Raum wie beispielsweise der Jakobsweg und das Pilgerziel in Santiago de Compostela wirkt. Wenn in Befragungen 9 % der „Jakobswegler“ angeben, sie
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hätten ein „kulturelles“, 53 % ein „religiös-kulturelles“ und 38 % ein „religiöses“ Pilgermotiv (vgl. Klein 2005, S. 68), dann sagt dies mehr über ihre eigene Selbstdeutung und -bespiegelung als darüber aus, ob sie etwa den göttlichen Halteruf vernommen haben und/oder Gott sich ihnen zugewendet und er sie angesichts ihres sich wiederholenden Lebens (Alltag) befremdet hat. Mit der Befremdung sei das Religiöse gemeint. Ob dies ein allseitig geteilter Begriff des Religiösen sei, ist ebenso strittig wie die Frage, was denn die Befragten mit „religiös“ meinten. Was „Jakobswegler“ mit ihrem Pilgern verbinden und was sie dabei wahrnehmen, lässt sich ohnehin nicht quantitativ, wohl eher qualitativ erfassen, wozu auch Selbstberichte zählen. In der Lüneburger „Landeszeitung“ vom 24./25. Februar 2007 gaben zwei „Jakobswegler“ zu Protokoll: „Ich hatte mir anfangs nicht so viel davon versprochen, doch ein positiver Effekt war da. Ich wollte mir in erster Linie Klarheit darüber verschaffen, wie die Zukunft aussehen soll. Jetzt weiß ich: Ich werde selbstständig arbeiten und mich weiterhin politisch auf der Kreisebene engagieren“; und: „Besonders beim Wandern wird man auf das Wesentliche beschränkt und man bekommt ein Gefühl dafür, was wirklich wichtig ist.“
Beim Pilgern ist also etwas sichtbar geworden, das eine Einheit der Wirklichkeit im Diesseits stiftet. Ist es a-religiös, wenn das Religiöse im Inneren und nicht im Äußeren zur Geltung kommt ? Ist man beim Pilgern dann religiös, wenn einem bewusst wird, dass die Gegenwartsordnung unvollkommen, aber die Ordnung im zukünftigen Jenseits vollkommen ist ? Steht die kirchliche Ordnung über der weltlichen Ordnung, die den beiden „Jakobsweglern“ im neuen Lichte aufscheint ? Bekanntlich sind solche Fragen im Mittelalter von Scholaren und Theologen kontrovers diskutiert worden, bis sie dann mit der Reformation eruptiv „das Volk“ erreichten und eine Erosion des Pilgerns einleiteten. Was religiös ist und welche Semantiken angemessen sind, dies mögen theologisch-religiöse Diskurse thematisieren (vgl. Hölscher 2006). Ausgehend von der Individualisierung und Privatisierung des Glaubens, wonach man sich nicht als religiös bekennen muss, gleichwohl aber im Innersten an eine Einheit der Wirklichkeit, des „Wirklichen“, glaubt und festhält (vgl. Luther 1992), kann lediglich, aber weiterführend konstatiert werden: Dort in der Fremde des Pilgerweges offenbart sich für den Menschen eine, genauer: seine Lebens- und Weltordnung, nach der er sich verortet, begreift und nach der er sich mitunter neu erschafft bzw. erschaffen will, wenn er wieder in den profanen Alltagsraum heimkehrt. Im fremden Raum mag diese Selbstverortung vor Gott geschehen. Festzuhalten ist zumindest allgemein, dass das Fremde dort Spielräume der Selbsterkundung und -vergewisserung bietet und dass, wie religionswissenschaftlich argumentiert wird, der Mensch in der Fremde seine Andersheit erfährt, die ihm in sich wiederholenden Alltagsräumen
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vorenthalten bleibt (vgl. Steffensky 2003, S. 86 f.). Letztlich an dieser Stelle konvergiert die touristische Reise mit der Pilgerreise. MacCannell (1973) begreift den Tourismus als moderne Form der essenziellen religiösen Suche nach Authentizität. Während das moderne Individuum den Alltag als inauthentisch wahrnimmt, so geht es davon aus, dass authentische Erfahrungen nur dann zu machen sind, wenn es sich von den Bindungen des Alltags löst und andernorts selbstbestimmt zu leben beginnt. Und Turner/Ash (1975) sehen in der touristischen Reise eine Distanzierung von der alltäglichen Lebenswelt und damit eine Suspendierung ihrer Normen und Werte, so dass sich die Möglichkeit ergibt, über das eigene Leben nachzudenken (Selbstbezug/Sinnsuche) und die Welt aus einer anderen Perspektive zu betrachten (Weltbezug). Sehen dies auch die Touristen so ? Es kann nicht überraschen, wenn in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts die Demokratisierung des Reisens (quasi jedermann reist und erhebt darauf einen legitimen Anspruch) als ein massenhaftes Unterhaltungsprogramm bezeichnet worden ist. Danach ist der Tourist schlichtweg ein Massentourist, der sich passiv den Angeboten und ihren Zeichen hingibt, er also nichts als Afrmatives inkorporiert und dabei gar nicht wahrnimmt, dass er „unwirklicher“, wohl aber ökonomisch wirklicher wird (vgl. Wöhler 2006). Der Massentourist wird dabei mit dem Bildungsreisenden kontrastiert, ähnlich wie einst der „fromme“ gegenüber dem „profanen“ Pilger (vgl. Ohler 2001, S. 284 f.; Paravicini 1993, S. 99 ff.; Zweidler 2003, S. 25 ff.). Frühe Widersprüche (vgl. Feifer 1985) und insbesondere neuere empirische Forschungen (vgl. etwa Wickens 2002) belegen indes das, was doch im Grunde evident ist: Was auch immer bei einer touristischen Reise anbieterseitig angeboten wird, so belegt der Tourist die Fremde dennoch mit seinen eigenen Bedeutungen, misst ihnen also seinen und nicht den vermeintlich vorgegebenen Sinn bei – so wie die Pilger des Mittelalters, die sich von den dargebotenen Gegenständen Heil, Buße, Gesundheit, Schuldenfreiheit und sogar eine Befreiung von ihrer Frau versprachen. Früher wie heute konstruieren demzufolge reisende Menschen Bedeutungen von Räumen, Gegenständen und Narrativen, und dies heißt, dass sie sich in diesen Bedeutungen der Möglichkeit nach als authentisch, wirklich und eigentlich erfahren bzw. erkennen (vgl. zu dieser Diskussion Wang 2000). Es steht außer Frage, dass sowohl die Kirche als auch die Tourismusindustrie auf „Sinnesschönheiten“ setzen, d. h. Hoffungslandschaften sinnlich zu präsentieren und damit ihre je spezischen Sinn- und Deutungsgehalte einer ästhetischen, emotionalen und körperlich-leiblichen Fundierung zuzuführen (für die christlichen Religionen vgl. Gräb 2003; für den Tourismus siehe Lash/Urry 1994, S. 252 ff.). Doch gerade diese fundamentale wie fundierende Strategie eröffnet je subjektive Les- und Erfahrungsarten und schafft damit Voraussetzungen für ein performatives Reisen: Touristen können ihren je eigenen Raum mit differenten Qualitäten herstellen (vgl. Edensor 2001).
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Was nun Touristen, also wir alle selbst, „wirklich“ und en detail in der bereisten Fremde erfahren, ist nach wie vor offen (vgl. McCabe 2005). Eines ist allerdings unstrittig: Touristisches Reisen negativiert den Alltagsraum und positiviert den Reise-Fremdraum. Dies entspricht der vom mittelalterlichen Klerus lancierten christlich-katholischen Idee, wonach die Alltagswelt sündig sei bzw. mache und eine Heilsnähe insbesondere beim Pilgern gegeben sei. Seit der Antike wird mit dem Fremdraum eine Welt der Andersartigkeit und der Möglichkeiten imaginiert, die es so im angestammten Heimatraum nicht gibt (vgl. Leed 1993). Nur wenn man aufbricht und sich dort hin begibt, kann man das die Alltagswelt übersteigende mögliche Andere (Alterität) erfahren und dabei handelnd erleben, dass man ganz anders wirklich sein kann (Kontingenz). Der Alltagsraum erscheint angesichts dieser Alterität und Kontingenz als Verhinderung des eigenen Lebens. In touristischen Räumen wird das Subjekt wieder eingesetzt, ist man nicht länger Objekt, sondern Herr seiner selbst, und das Leben ist dort lebenswert. Und es zeigt sich, dass sich Touristen dort in der Fremde tatsächlich ihre eigene, andere Welt erschaffen und sich dabei selbstvergewissern (vgl. Kie 2002). Um das wahre, gottgefällige Leben nicht zu verwirken, brach im Mittelalter ein Run ins Klosterleben aus – hier konnte einen das sündige Leben nicht heimsuchen. Zweitwohnsitze stehen durchaus in dieser monastischen Tradition. Da die Vorstellung des positiven Fremdraumes und somit die Positivierung des Reisens ein Produkt der Reexion im Alltagsraum sind, kann dem Alltagsraum nicht die Qualität des bloßen Dahinlebens zugeschrieben werden. Der Alltagsraum besitzt im Gegenteil die Potenzialität des Hinterfragens der Verhältnisse; er ist uid, ambivalent, relational, heterogen und labil. Daraus erwachsen Selbstzweifel und/oder Imaginationen einer Alterität und Kontingenz (Gardiner 2000). Darüber hinaus gehen die Menschen der Postmoderne ohnehin davon aus, dass sie mobil sein müssen und nicht mehr wie ihre Eltern oder Großeltern lebenslang an einem Ort sesshaft sein werden, und dies bedeutet, dass sie anderen, fremden Orten die Möglichkeit der (temporären) Beheimatung einräumen (vgl. Urry 2000). Der Soziotyp der Postmoderne ist ein Reisender und Wanderer. Beständig sieht er sich dort, wo er noch nicht ist, der Möglichkeit nach aber sein kann bzw. gar sein muss. Mit anderen Worten: Räume erschließen sich ihm als Transitorte. Antizipativ ist er an anderen Orten wie beispielsweise jenen der Arbeit, des Wohnens und der sozialen Beziehungen – Orte, die insbesondere aufgrund prekärer Arbeitsverhältnisse als mögliche Wirklichkeit aufscheinen. Orte enthalten also Unbestimmtes, Flüchtiges und Widersprüchliches und unterliegen daher einer permanenten Suspension. Dabei erfährt das postmoderne Subjekt ein Objekt-Sein in den Systemen und „Verhältnissen“, die es permanent zur Disposition stellen. Im Lichte ganz anderer Orte und Räume, in denen er Subjekt sein kann, wird das Leben umso attraktiver empfunden. Orte der Tourismusräume stellen solche ganz anderen Ort dar, wenngleich sie sich in den Räumen der Gesellschaft benden (Heterotopien
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gleich; vgl. Foucault 2006, S. 320 ff.). Es ist der widrige Lebensalltag, der diese Andersheit hervorbringt, die in allen Kulturen räumlich bzw. örtlich imaginiert und auch gelebt wird. Dass touristisches Reisen von der Vorstellung eines Fremdraumes geprägt ist, in dem sich Andersartigkeit und Möglichkeiten des Andersseins und damit die Chance des Authentisch-Seins, d. h. also der aufrichtigen Neu- bzw. Wiedererschaffung auftun, kann als eine „neue Religiosität“ interpretiert werden. Dem (Ideal-)Bild des traditionellen, religiösen Pilgers folgend sieht der postmoderne Reisende in der Fremde einen ihn ergreifenden und erfüllenden Ort, der ihm Erlösung vom Alltag und seinen wirklichen, eigentlichen Lebensweg aufzeigt. Die Säkularisierung hat demnach nicht einen Niedergang der Religion, sondern eine Verlagerung der Religion bewirkt (vgl. Knoblauch 1991, S. 18). Dass die säkularen funktionalen Systeme wie z. B. Wirtschaft, Sport, Medien und nicht zuletzt der Tourismus mit religiösen Gehalten und Deutungen argumentieren und sich damit attraktivieren („Urlaubsparadiese“, „Strandleben – Ihr Himmel auf Erden“ u. a.), sich also Religion verstreut und sich im Alltag verborgen festgesetzt hat (zu dieser Dispersionstheorie des Religiösen siehe Ebertz 1999; Höhn 2007, S. 33 ff.), stellt keine Re-Sakralisierung der Welt bzw. der Sozialsysteme dar. Diese werblichen Ansprachen sind vielmehr schlichtweg moderne Operationsmechanismen zur Erreichbarkeit der Seelen der Menschen – wer möchte keinem Paradies angehören, wer möchte nicht wissen, wo sein Ort, seine Heimat ist und wer möchte nicht den für ihn richtigen Lebensweg beschreiten ? Dass der postmoderne Mensch diesen immanenten Transzendenzen, den diesseitigen Erlösungs- und Heilsversprechungen der jeweiligen Systemangebote folgt – mal jenen und mal diesen und sodann allen zusammen –, dies ist auch ein Indiz für postmoderne Uneinheitlichkeiten und Vermischungen. Wie im Supermarkt kann jeder seine Glaubenswaren aussuchen und seine ureigene Glaubensmischung herstellen. Die Dispersion des Religiösen erweist sich eher als eine religiöse Promiskuität, der auch das touristische Reisen angehört. Selbst wenn immer wieder der Tourismus und damit das touristische Reisen als Beispiel für Formate postmoderner disperser Religiosität genannt werden (vgl. Höhn 2007), so ist das touristische Reisen weder ein Kind der Moderne noch der Postmoderne. Mit der touristischen Reise ndet die Pilgerreise ihre Fortsetzung; Reisen hat – wie dargelegt – tiefe religiöse Wurzeln. Die gesamte Bibel lässt sich als topologische Heilige Schrift des Aufbrechens und damit des Nicht-anerkennenKönnens oder Nicht-anerkennen-Wollens des Gegebenen sowie des Wanderns in der Hoffnung der Ankunft an einem Ort verstehen, an dem das eigentliche Sein seine Erfüllung erfährt. Vom 1. Buch Moses bis hin zur Johannes-Offenbarung – alles Wander- und Wegeerzählungen. Und die Evangelien sind Itinerarien bzw. Reiseberichte. Dass Kranke und Gebrechliche durch Jesus geheilt und er ihnen ebenso wie Sündern und Unreinen sagte: „Stehet auf, wandelt“, ist im entpaganisierten mittelalterlichen Europa verständlicherweise eine Hoffnung gewesen. Sich
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dieses Heil an Orten Jesus und seiner Jünger angedeihen zu lassen – an erster Stelle in Jerusalem, dann in Rom und Santiago die Compostela –, konstituiert eine Christozentrik. Befreiung von nahezu allem ist die Botschaft dieser Orte, die sich vom profanen, leidvollen Alltag abheben. Dieser Geist dieser Befreiung und des Sich-nicht-Abndens mit dem Gegebenen und des Glaubens, dass ein anderes Sein als das jetzige möglich ist, macht die mittelalterliche Pilgerreise zum Äquivalent der touristischen Reise und umgekehrt. Die touristische Reise ist eine sakralisierte Pilgerreise. Jegliche (touristische) Reise konstituiert demnach ein Pilgern – einen Aufbruch zu sakralen Räumen und/ oder Orten der Alterität und Kontingenz. Unsere Lebenszeit verläuft „bestimmt“ diskontinuierlich (vgl. Graburn 1989, S. 24 ff.): Dem Leben im Profanen (Arbeit und Obligationen) folgt ein Aufbruch zu Orten des Sakralen (des Tourismus und der Freizeit); nach dem Verweilen dort folgt die Rückkehr in das Profane, das dann nach einer bestimmten Zeit wieder mit dem Aufbruch zu Orten des Sakralen unterbrochen wird etc. Eben genau dieses Unterbrechen des Alltags ist das Religiöse jeglichen Reisens: sich von Neuem in Gedanken durchgehen, sich sammeln und sich binden (vgl. lat. relegere, religare, ligare; im Gegensatz zu negligere = vernachlässigen; sich nicht festlegen). Woran binden ? Nicht an das, was man ist, sondern an das, was in der Fremde als Möglichkeit aufscheint, dies will man ausloten. In der Erwartung des möglichen Anderen für mich unterbreche ich mich und breche in die Fremde auf, wobei mir der Aufenthalt dort zeigt bzw. zeigen kann, dass ich mich weiterhin an meinen hergebrachten oder an neuen Bindungen orientiere. Deswegen pilgert und reist man – dies ist ebenso eschatologisch und religiös wie auch ein Signum der individualistischen Postmoderne.
Heutige Pilgerreisende Sowohl nach dem traditionellen Modell des Pilgerns als auch nach der Idee postmodernen touristischen Reisens geht es um die Beantwortung dieser Frage: Wer war ich bisher und was kann bzw. könnte ich sein ? Zu beantworten ist also die essenzielle Frage, wie man authentisch sein kann, d. h. sich nicht selbst fremd sein will, kurz: um Aufrichtigkeit. Die dazu notwendige (Selbst-)Distanzierung verunmöglicht der Lebensalltag, wohingegen die von ihm losgelöste Fremde eine kritische Selbstreexion herausfordert. Insofern haben Pilgern und touristisches Reisen die Individualisierung vorangetrieben und den Boden für eine Kritik an der „entzauberten“ rationalen Welt (vor-)bereitet. Unterwegssein und der Aufenthalt in der Fremde bieten beste Voraussetzungen für eine Selbstreexion, gleich ob man sich als Pilger oder touristisch Reisender versteht. Wenn man vor diesem Hintergrund keine klare Unterscheidung zwischen Pilger und Tourist treffen mag,
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so kann doch wenigstens konstatiert werden, dass „ein Tourist halb Pilger […] und der Pilger halb Tourist ist“ (Turner/Turner 1978, S. 20, Übersetzung Kh. W.). Aus der Sicht christlicher Institutionen sind touristisch Reisende reine Urlauber und Freizeitmenschen; sie sehen Pilger als religiöse, fromme Reisende, deren Unterwegssein auf einen Ort abzielt, an dem sie Gott bzw. dessen Offenbarung erfahren (vgl. Ries 1999, S. 20 ff.; zur Raumsymbolik des Göttlichen siehe auch Gräb 2003, S. 96 ff.). Diese Orte sind daher ebenso heilig wie der Raum der Routen zu diesen Orten. Pilger reisen aus dieser Sicht stets zu einem Zentrum oder einer Mitte der Welt, während Touristen weg vom Zentrum in die Peripherie zu Freizeitzwecken reisen (vgl. Cohen 1992; zur Mitte-/Zentrumssymbolik heiliger Orte siehe nach wie vor Eliade 1998, S. 36 ff.). Dem Pilger wird aufgrund seiner religiösen Disposition nachgesagt, dass er sich bescheiden, anspruchslos und gegenüber der Gastkultur einfühlsam verhält. Demgegenüber sei der Tourist aus seiner freizeitlichen Vergnügungsmentalität heraus hedonistisch und fordernd und suche Orte auf, in denen er sich bedienen lasse und auf Erfüllung seiner Wünsche poche (vgl. Gupta 1999). Sieht man einmal davon ab, dass sich selbst Pilger im Mittelalter in diesem Sinne wie Touristen verhielten (vgl. Ohler 2005; Paravicini 1993, S. 100 ff.; Zweidler 2003, S. 25 ff.), so beanspruchen heutige Pilger, fromm oder nicht, die komplette touristische Infrastruktur (Klein 2005, S. 76 ff.). Es ist überdies nicht davon auszugehen, dass der Pilger sein Leben lang beständig die Fremde als religiöser, frommer Pilger aufsucht. Er wird seine Pilgerschaft unterbrechen, sich beim touristischen Reisen und in der Freizeit erholen und periodisch religiös pilgern. Oder anders formuliert: Touristisch Reisende werden bzw. können auch hin und wieder religiös pilgern und vice versa. Gemäß der eingangs getroffenen trivialen, aber nicht überüssigen Feststellung, dass Reisen bzw. der Tourismus nicht außerhalb der Gesellschaft stattndet, ist an dieser Stelle nach der religiösen Gesinnung und sozialen Zugehörigkeit der Pilger zu differenzieren. So konnten beispielsweise US-amerikanische protestantische Pilger ins Heilige Land nach Evangelisten, Fundamentalisten und „Living Stones“ unterschieden werden (vgl. Sizer 1999). Die Evangelisten priorisierten Bildungsreisen zu biblischen Stätten, während die Fundamentalisten ebenfalls solche Reisen unternahmen, doch darüber hinaus auf eschatologische Kontexte einen großen Wert legten. Die „Living Stones“ konzentrierten sich dagegen auf Begegnungen mit einheimischen Christen. Fleischer (2000) fand heraus, dass Katholiken ihre Pilgerreisen vornehmlich mit einem Interesse an biblischen und religiöskulturhistorischen Orten verbinden, wohingegen Protestanten sich mehr für das Land der Bibel als Ganzes interessieren. Die Pilgerreise der Katholiken ist streng organisiert und folgt den Vorgaben ihrer Institutionen, während die Pilgerreise der Protestanten exibel ist und durchaus rein touristische Ziele beinhaltet. Dass der je spezische religiöse Glaube bzw. Hintergrund mit diesen Verhaltensweisen zusammenhängt, ist nicht untersucht worden, doch dafür lassen sich durchaus
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Argumente nden. Auf jeden Fall lässt sich in Abwandlung des mittelalterlichen kanonischen Satzes, wonach nicht der Ort die Menschen, sondern die Menschen den Ort heiligen, feststellen, dass die unterschiedlich mitgebrachten religiösen Mentalitäten Räume je spezisch anordnen und markieren, so dass sich folglich unterschiedliche Wahrnehmungen und Erfahrungen einstellen. Dem Heiligen Land sind demnach weder homogene Erfahrungen noch homogene Erinnerungen inhärent. Die religiösen Diskurse hinterlassen ihre Spuren auch bei der Aneignung von heiligen Räumen/Orten. Was Menschen bei der Aneignung von Welten mit ihren Gegenständen, Menschen und Räumen bewegt, dies – also ihre Motive – ist weder naturgegeben, noch fällt es ihnen als Unbedingtes bzw. Unverfügbares vom Himmel zu. Träfe Letzteres zu, dann gäbe es einen einzigen universalen Gott und eine alleinige universale Glaubensgemeinschaft. Dass Glaubensgemeinschaften sich im Namen eines Gottes universell durchsetzen wollen und andere nicht, zeugt nicht zuletzt von der Kulturbedingtheit von Werten, Vorstellungen und den daraus abgeleiteten Motiven. Spätestens mit Erikson (1997; vgl. auch Matsumoto/Juang 2004) ist es allgemein akzeptiert, dass sich unsere Beweggründe (Motive zum Handeln) mit unseren Selbstkonzepten bzw. Selbstverständnissen erklären lassen. Beide entwickeln sich in der jeweiligen soziokulturellen Einbettung im Lebensverlauf. Die Motive von Pilgerreisenden aufgrund ihrer Selbstkonzepte – also wie man sich versteht und sieht – sind von Lankford/Dieser/Walker (2005) untersucht worden. Das Durchschnittsalter betrug 44 Jahre, die Geschlechterverteilung war nahezu gleich. 75 % verstanden sich als Pilgerreisende und 25 % als kulturhistorisch interessierte Reisende. Die Motive der Pilgerreisenden unterschieden sich nach vier Faktoren, die sich wie folgt zusammensetzen: (1) Gruppenharmonie: Respekt gegenüber anderen, Erfahrung von Frieden und Einvernehmen mit Anderen, den Anderen Verstehen, Zugehörigkeit zu Anderen; (2) Entwicklung: Anderen beistehen, Gewinnung eines ganzheitlichen Lebenssinns, Verbesserung der künftigen Lebenssituation, Anteilnahme Anderer an Einsichten, mehr über sich selbst lernen, Anspruchslosigkeit lernen; (3) Spiritualität: Interesse an Religion, Pege spiritueller Werte und Orientierungen, Reexion/Klarheit verschaffen über persönliche Ziele; (4) soziale Sicherheit: Suche der Nähe zu umsichtigen und respektierten Personen, Aufgehobensein in Gruppen mit solchen Personen, anständiges Handeln. Nach diesen Ergebnissen ist die Motivlage vielfältig. Sie hebt sich von den einfachen Kategorisierungen in „religiös“, „religiös/kulturell“ und „kulturell“ ab (vgl. Klein 2005). Entscheidend ist der wissenschaftstheoretische Zugang, wonach die Beweggründe, sich auf eine Pilgerreise zu begeben, nicht vom Alltagsleben abgekoppelt sind: Die Pilgerreisenden nehmen sich auf die Pilgerfahrt mit, und dies bedeutet, dass sie nicht auf einmal und/oder zeitweilig „religiös“, „spirituell“ und/oder „kulturell“ motiviert sind. Ihre Pilgerreise ist vielmehr in ihrem Selbstverständnis eingebettet, das sie auch in der Pilgerreise zu realisieren (versuchen).
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Der Drang nach dieser Realisierung, also dieses Motiv bzw. dieser Movens, ist es, der Menschen antreibt, auch eine Pilgerreise, die Betonung liegt auf „auch“, zu unternehmen. Man kann auch „nur“ touristisch reisen; das Selbstverständnis wird sich dann nicht plötzlich ändern. Wohl aber kann der eine oder andere Aspekt besonders fokussiert werden, ohne allerdings das Gesamtgefüge zu verändern. So besuchten die kulturhistorisch interessierten Reisenden Pilgerorte aus Gründen der Wissenserweiterung. Religiös motivierte Pilgerreisende lassen sich zwar auch als spirituelle Pilger bezeichnen, doch im Gesamtgefüge der Motivlage fällt Spiritualität aus der Rolle. Die spirituellen Pilger besitzen vielmehr ein Selbstverständnis, wonach man sich eher unabhängig von anderen Mitmenschen deniert bzw. de nieren will, während die anderen Motivmuster ein Selbstverständnis betonen, das im Kontext und in Übereinstimmung mit Mitmenschen realisiert wird. Interessanter weise hat eine andere Untersuchung gezeigt (vgl. Walker/Deng/Dieser 2001), dass das Freizeitmotiv – zur Freizeit zählt auch das touristische Reisen – eher auf einem die Autonomie betonenden Selbstverständnis beruht. Fasst man dieses und das vorherige Kapitel zusammen, so ist diese Schlussfolgerung evident: „Den“ Pilgerreisenden gibt es nicht. An den Orten der Pilgerwege benden sich Reisende mit unterschiedlichen Motivlagen, d. h., die Beweggründe dort in der Fremde zu sein, sind zwar verschieden, doch sie laufen letztendlich darin zusammen, dass in der Fremde Andersheit, wenn nicht als Möglichkeit, so doch aber als Gegenstand der Reexion erscheint. Der touristisch Reisende unterscheidet sich davon in keiner Weise. Vor dem Hintergrund bisheriger Erörterungen lässt sich die in der Abbildung dargestellte Typologie entwickeln: (1) Reiner Tourist: Er sucht in der Fremde keine Pilgerorte auf, gleichwohl unterscheidet er zwischen profanen und sakralen Räumen/Orten. Die Zeit des Reisens ist für ihn eine „heilige“ Zeit. Reisen beruht insofern auf einem „Rückkehrmodell“, als man sich in der Fremde, wenn nicht nochmals erschaffen, so doch aber zumindest selbst vergewissern will – gleich wie ein Kind oder Jugendlicher erneut Gelegenheiten ohne weitreichende Konsequenzen austestend. Dieses kann man nicht mehr im Lebensalltag, so dass sich der Fremdraum als „heilig“ auftut. In Anzeigen, Ortsprospekten u. ä. wird daher jede touristische Destination in den Mittelpunkt gestellt, wohingegen andere Orte lediglich als Zufahrtsorte aus der Peripherie kartiert werden. (2) Pilgrimierter Tourist: Quasi zufällig, etwa während eines Ausugs, besucht ein Tourist einen Pilgerort und wird von seiner Erhabenheit derart ergriffen, dass ihm/ihr eine mögliche Andersheit bewusst bzw. noch bewusster wird. Studien- und Kulturreisende, die auch Pilgerorte im Programm haben, zählen par excellence zu diesem Typ (vgl. statt vieler das Gebeco-ReiseveranstalterProgramm „Länder Erleben 2007“).
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(3) Pilgernder Tourist: Er und/oder sie begibt sich entweder auf die Wanderschaft (Pilgerweg) oder steuert direkt einen Pilgerort an. Das „Pilgerprogramm“ ist ein Fixum der Reise, gleichzeitig ist aber auch ein touristisches Programm ebenfalls x (Ausüge, Gastronomiebesuche, Shoppen, sorgloses Entspannen im Hotel u. a.). Diese hybriden Reisenden verkörpern den „halben“ Pilger und den „halben“ Touristen in vitu; sie stellen den säkularisierten Pilger dar. (4) Pilgerreisender: Alleiniges Ziel ist das pilgernde Unterwegssein und das Erreichen eines Pilgerortes. Er nimmt aber sich ergebende, nicht vorgesehene touristische Gelegenheiten wahr (etwa Ausüge abseits der Pilgerroute und des Pilgerortes; siehe die vielen Beispiele bereits im Mittelalter: Herbers/ Ohler/Schimmelpfennig/Schneider/Thorau 2005). Pilgerreisende sind „reine“ Pilger (siehe 5), ohne allerdings auf Schritt und Tritt einem traditionellen Pilgertum stur und strikt nachahmend anzuhängen. (5) Reiner Pilger: Möglichst dem Vorbild eines traditionellen Pilgers folgend (bzw. dem vermittelten Idealbild nach) ist er/sie unterwegs, um nur ein Ziel zu erreichen – den sakralen Pilgerort, der sich vom profanen Leben abgrenzt. „Rein“ ist der Pilger, weil er sich dort weniger von Schuld reinigen, sondern weil er dort und auch schon unterwegs mit sich ins Reine kommen will, d. h. sich befragen und zurücknehmen sowie von Neuem in der Welt beginnen will (= religiös). Dabei kann es zu einer Bindung an Gott oder zu einer Bekräftigung der Gottesbindung kommen. Andererseits kann aber auch der Hauch (spiritus) von Harmonie und Einssein sowie des unterschiedslosen Aufgehens im Ganzen erfahren werden (Spiritualität). Reine Pilger wollen zwar keinen Ablass, doch sie trachten mehr oder weniger danach, das in der Fremde zu hinterlassen, was sie belastet. Sie hoffen, auf einen Nenner gebracht, dass das Wirken eines Heils für ihr Leben mit der Pilgerfahrt seinen Anfang nimmt.
Abbildung
Pilgertypologie
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Die Klammer dieser Typologie bilden das „Reine“ des Tourist-Seins und des PilgerSeins. Zwischen ihnen, also auf diesem Kontinuum, siedeln sich die anderen Typen an. Siedeln soll ausdrücken, dass sie nicht punktgenau bestimm- bzw. abgrenzbar, gleichwohl aber als Pilgertyp bestimmbar sind. Was diese „Zwischentypen“ motivational auszeichnet, geben die beiden „Poltypen“ vor: Sowohl der Reine Tourist als auch der Reine Pilger werden davon angetrieben, in der Fremde mitunter ungeahnte Möglichkeiten für die Gestaltung des eigenen Lebens zu erfahren und sie in Einklang mit ihren Selbstkonzepten bzw. -verständnissen zu bringen. Denn (nahezu) jeder Reisende kehrt wieder in seinen Alltag zurück und wird dort mehr oder weniger versuchen, das Erfahrene in der Fremde im Kontext seines Alltags und seines Selbst- und Weltverständnisses zu überdenken. Diagnostiziert man eine Individualisierung und Pluralisierung der Gesellschaft mit der Konsequenz, dass man beständig auf der Suche nach Möglichkeiten der Verortung bzw. Beheimatung ist bzw. sein muss, dann ist der postmoderne Mensch auch zu Hause ein Pilger und/oder Tourist (vgl. Bauman 1997). Ein solches Unterwegssein in Permanenz lässt sich ohne weiteres von den christlichen Religionen besetzen. Im Gegensatz zum sich wiederholenden Alltag gewinnt jeder Reisende mit dem Unterwegssein einen Alltagsabstand, durch den sich erst die Möglichkeit der Andersheit herstellt. Reisen und Pilgern entfremden daher den Menschen und gleichzeitig öffnen sie das Fremde in ihm selbst, indem er das Fremde als mögliche Andersheit wahrnimmt und erfährt. Aus theologischer bzw. religionswissenschaftlicher Sicht dringt eine religiös verfasste Andersheit dann in den Menschen ein, wenn sie eindeutig ist und eine präzise Differenz zur Welt aufzeigt (vgl. Luther 1992, S. 24 ff.). Sakrale Räume bzw. Orte besitzen gegenüber dem mehrsinnigen und uiden Alltag eine derartige Eindeutigkeit. Der Kirche als sakralem Raum wird daher die Funktion des Heilens zugeschrieben (vgl. Steffensky 2003, S. 87) – hier erfährt man Rettung, Vollkommenheit, Erlösung und feste Bindung, so die etymologische Bedeutung von „heilen“. Je komplexer und funktional differenzierter die Lebenswelt ist, desto größer wird das Streben nach einer heilenden Eindeutigkeit (Motiv). Dies könnte demzufolge die Hypothese sein, wonach immer mehr Menschen weltweit pilgern, d. h. sakrale Räume und/oder Orte aufsuchen. Die Welt bzw. der Lebensraum wird also nicht als homogen wahrgenommen. Die Alltagswelt ist chaotisch, andernorts tut sich eine andere, eindeutige (kosmische) Welt in der Welt auf (vgl. Eliade 1998, S. 23 ff.): Beim Unterwegssein und/oder in den sakralen Orten beginnt man, die Welt anders zu sehen und bekommt einen anderen Sinn für die Welt (vgl. einen „Fußwallfahrer“ und „Berggeher“ in Wehap 1997, Anhang S. XXIV ff.). Das Jenseits der Welt ist für den Christen eine andere (Sinn-)Welt, wobei die göttliche Offenbarung durch den Heiland, den Retter Jesus Christus, zeigt, dass Gott in der Gegenwart wirkt (vgl. Schreiber 2003). Religiöses Pilgern zielt darauf ab (Motiv), einen Sinn für eine solche andere, gottwirkmäch-
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tige Welt zu bekommen oder eine Bestätigung dafür zu erhalten und zwar für die Welt hier im Jetzt. Einen Sinn für eine andere Welt bekommen ebenfalls touristisch Reisende. Ihr Aufenthalt im Fremdraum konstituiert Andersheit, die erst eine Unterscheidung zwischen der Welt hier im Alltag und dort im Reiseraum ermöglicht (vgl. Harkin 1995, S. 651; siehe hierzu das Konzept des „Anderen“ bei Deleuze 1997, S. 281 ff.). Immer wieder ist die Rede von einer touristischen Gegenwelt. Mit „Abstand gegenüber dem Alltag gewinnen“ oder „Den Alltag zu Hause lassen“ loben Reiseveranstalter und Reisezielorte ihre Angebote aus, von denen sie nur allzu gut wissen, dass sie die Motivlage des Menschen treffen (vgl. Suvantola 2002, S. 97 ff.). Diese Motivlage in einem Motiv der Weltucht zu verdichten, ist jedoch nicht weiterführend, kann doch kein Lebender der Welt entiehen. Hält man sich das nach wie vor dominierende Reisemotivbündel vor Augen – sich erholen, ausspannen, mal Zeit für sich haben, anderes sehen und erleben –, dann steckt dahinter keine Weltucht, sondern der Wunsch nach einem anderen Sein in der alltagsabgewandten Welt, die für den Touristen in dieser Andersheit aufscheint. Wenngleich sich die Erfahrungen des Anderen je nach den Lebensphasen und Lebensstilen der Reisenden gestalten, so resultiert doch daraus eines gemeinsam: Man gewinnt eine Vorstellung von einer anderen Welt und mithin eines anderen Seins in der Alltagswelt (vgl. Suvantola 2002, S. 237 ff.). In welche Richtung das Leben verlaufen könnte, dass es also so, wie es ist, auch anders sein könnte (Kontingenzerfahrung), dies ist die Provokation und der Stachel des Reisens. Dass es einem endlich oder wieder einmal in der Reisefremde gut gegangen und dass man dort gar glücklich gewesen ist (vgl. Kie 1997), stellt die heilende Kraft des Reisens unter Beweis. Insofern lässt sich das touristische Reisen mit dem Motiv der Suche nach Heilung belegen.
Liminalität Dass Andersheit als Möglichkeit tatsächlich eintreten kann, liegt an der Suspendierung der Alltagswelt mit ihren Regeln und Verpichtungen. Ob man nun touristisch reist oder pilgert, man bendet sich außerhalb der räumlichen und zeitlichen Verfasstheit des Alltags. Liminalität drückt diese Situiertheit zwischen zwei getrennten Perioden sozialer Eingebundenheit aus – vor der Abreise aus der alltäglichen Lebenswelt und nach der Rückkehr in eben dieselbe. Jegliches Reisen lässt sich daher analog zu van Gennep (1986; vgl. auch Leed 1993) als Passagenritus verstehen. Im Zentrum des Reise-Übergangsritus steht die Liminalität (vgl. Turner 1973; Turner/Turner 1978). Der Übergang von der profanen Alltagswelt zur Reisewelt der sakralen, heilenden Räume und Orte vollzieht sich innerhalb dieses Musters:
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(1) Trennung in räumlicher und sozialer Hinsicht. Man bricht von einem vertrauten Raum/Ort auf, trennt sich von seinen gewöhnlichen sozialen Bindungen und bewegt sich auf einen mehr oder weniger unvertrauten Raum/Ort zu. Wie schon zu Zeiten der mittelalterlichen Pilgerreise ist dies kein Aufbruch ins Ungewisse. Damals wie heute sind ebenso die Routen und Infrastrukturen wie auch die Reise- bzw. Pilgerziele insofern vertraut, als neben mündlichen Überlieferungen Reise-/Pilgerführer, schriftliche und heute Internetinformationen zur Verfügung stehen und somit ein bestimmtes Maß an Sicherheit verleihen (vgl. Herbers 2005, S. 76 ff.; Ohler 2001, S. 282 ff.; Ries 1999; Zins 2000, S. 173 ff.). Nicht nur der Prozess der Reiseentscheidung, sondern auch die sonstigen Vorbereitungen und die Verabschiedung bzw. Lösung von den soziokulturell Nahestehenden verlaufen nach jeweils bestimmten Zeremonien bzw. Ritualen – wie ehedem bei den mittelalterlichen Pilgern. (2) Liminalität: Durch diese Trennung überquert man die Grenze (lat. limen) seines gewöhnlichen Alltags und man ndet sich in einer „Anti-Struktur“ wieder. Man hält sich in einem Territorium außerhalb der räumlichen und zeitlichen Verfasstheit des Zuhauses auf. Man ist davon befreit. Die Befreiung wird bereits bei der Trennung vorgeführt. Was dem mittelalterlichen Pilger die Entledigung seiner Kleider bis auf ein spärliches Büßergewand war (durchaus gab es auch splitternackte Pilger), ist den heutigen Reisenden ihr mithin auch spärlicher „Freizeitlook“. So oder so werden und wurden während der Reise oder des Pilgerns sowie an Zielorten derart Befreite sofort in ihren jeweiligen Mission erkannt. (3) Reintegration/Rückkehr: Man kehrt in Alltagsstrukturen zurück. Dass das Fremdräumliche auch tatsächlich erlebt worden ist, wird wie ehedem bei den mittelalterlichen Pilgern durch allerlei Mitbringsel unter Beweis gestellt und/ oder rituell vorgeführt (Ohler 2001, S. 188 ff.; 2005, S. 24 f.; Zweidler 2003, S. 51 ff.). Dort in der Fremde gewesen zu sein, führt zu einem Gewinn an Ansehen und mithin zu einem geänderten Verhalten bzw. Sein (Statuserhöhung, Prestige; siehe Beispiele für das Mittelalter im Sammelband Herbers/Ohler/ Schimmelpfennig/Schneider/Thorau 2005; für die touristisch Reisenden der Gegenwart siehe Suvantola 2002, S. 250 ff.). Inwieweit im Mittelalter und heutzutage im Liminalen Erlebtes in den Alltag integriert wurde und wird, ndet sich in Reiseberichten und Selbstzeugnissen. Seien es Pilgerreisen im Mittelalter oder in der Gegenwart, stets wird von Vergemeinschaftungserfahrungen der Pilger berichtet (vgl. Digance 2006, S. 39 ff.; Herbers/Ohler/Schimmelpfennig/Schneider/Thorau 2005; Klein 2005, S. 74 f.). Touristisch Reisende führen Rollenspielexperimente durch, nehmen einen Identitätswechsel vor, gehen bisweilen neue Bekanntschaften ein und führen sich – weil zu Hause keine Zeit oder Umstände hinderlich sind – als „richtige“ Familie oder
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Liebespaar auf (vgl. Kie 2002, S. 63 ff.). All dies sind Erscheinungen bzw. Verhaltensweisen, die die Anti-Struktur der Liminalität ermöglicht, wenn nicht gar determiniert. Turner (1973, S. 192) spricht von einer communitas, die diese gemeinsam erfahrene Phase der Liminalität hervorruft: Man fühlt sich unter Gleichgesinnten, teilt gemeinsame Erfahrungen, gleich ob untereinander fremd, sozial höherstehend oder kulturell unterschiedlich. Wie bei rituellen Aufführungen wird man in dieser liminalen Phase verwandelt (Turner/Turner 1978, S. 231, ersetzen „liminal“ durch „liminoid“, das im Gegensatz zu prämodernen Gesellschaften für moderne funktional differenzierte Gesellschaften gilt und den Gegensatz zwischen verpichtend und freiwillig hervorheben soll). Die Anti-Struktur des Liminalen ist eine offene Struktur; das Andere bzw. die Andersheit kann jederzeit möglich bzw. erfahrbar sein. Es ist ein Zustand zwischen dem Nicht-Mehr (des Zuhauses) und dem Noch-Nicht (des Möglichen, Erhofften, Erwarteten). Diese Gemeinsamkeit eint und stiftet communitas. Bendet man sich beim Pilgern oder bei einer touristischen Reise in homogenen Gruppen (Jugendlichen, Alten, Lebensstilgruppen, kirchlichen Gemeinschaften), dann ist das Gemeinschaftsgefühl nicht nur gegeben, sondern es wird noch gesteigert oder gefestigt (vgl. Sizer 1999). Daraus zu schlussfolgern, communitas würde durch Räume und/ oder Orte bewirkt, ist indes eine Rei kation. Nicht Räume oder Orte heiligen den Menschen, sondern, wie bereits erwähnt, Menschen heiligen sie, und dies bedeutet, dass sich erst durch Wahrnehmungen, Vorstellungen und Handlungen Wirkungen, seien sie empirisch nachweisbar oder geglaubt, einstellen. Tourismusräume und Pilgerräume (Pilgerrouten bzw. -wege und Pilgerorte) sind liminale Räume. Aufgrund ihrer Anti-Struktur kann Andersheit realisiert werden. Communitas ist eine solche Andersheit. Eine derartige Andersheit manifestiert sich atmosphärisch in räumlichen Anordnungen und Gestaltungen von Gebäuden, Gegenständen, Landschaften und Menschen. Dadurch wird das Wesen eines sakralen, heilenden Raumes erkennbar (also auch eines sakralen Tourismusraumes, siehe hierzu Tresidder 1999; eine solche Manifestation nennt Eliade 1998, S. 23, „Hierophanie“ = Zeichen des Heiligen). Dass solche sakralen Räume inszeniert und/oder erfunden werden, ist nicht eine postmoderne Erscheinung, sondern bereits im Mittelalter von der römisch-katholischen Kirche aus ökonomischen und glaubensnormativen Gründen praktiziert worden (vgl. Herbers 2005; Shackley 2006). Gleich wer und wann nun eine Bühne für die Ermöglichung von Andersheit bereitstellt, so dienen diese Inszenierungen der jeweils spezischen Authentikation der performativen Repräsentationen. So wählen beispielsweise Tourismusorganisationen in spanischen Orten auf dem Jakobsweg hochsignikante Gebäude, Plätze, Gassen und Umgebungen aus, um die Wahrnehmungen der Pilger und Kulturtouristen bewusst zu steuern (vgl. Gonzalez/Medina 2003). Pilgerräume und -orte repräsentieren also nicht nur Bestimmtes, es wird vielmehr zur Aufführung gebracht, so dass Raumfremde eine unmittelbare, authentische
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Präsentation emp nden. Eine solche Authenti kation liegt auch schon bei den bekannten mittelalterlichen Pilgerreisen vor (vgl. Herbers/Ohler/Schimmelpfennig/ Schneider/Thorau 2005). Aufführungen von Andersheit lassen sich nicht nur mit einer Disneyzierung von Destinationen belegen, sondern sie sind anzutreffen (vgl. Kirshenblatt-Gimblett 1998). In der Konsequenz bedeutet dies: Andersheit und damit auch das Sakrale existiert im Gegensatz zu Otto (1997, S. 137 ff.) nicht bereits als objektives Phänomen. Es wird vielmehr durch Handlungen in ästhetischen, Atmosphären erzeugenden Zeichensystemen zur Aufführung gebracht und somit als Wirklichkeit er- und anerkannt (so auch Eliade 1998, S. 13 ff.). Dass touristische und Pilgerräume durch die Platzierungen von Gegenständen und Menschen sowie durch Handlungen seitens der Veranstalter zur Aufführung gebracht werden (performative Strategien), macht liminale Räume verständlich und strukturiert sie. Dieses Geographie-Machen besagt andererseits, dass liminale Räume offen sind und in ihnen Einschreibungen vorgenommen werden können. Es können also auch Pilgerwege und -orte erfunden werden. Und weil dies geschah (vgl. Herbers/Ohler/Schimmelpfennig/Schneider/Thorau 2005; Zweidler 2003) und geschieht, sind sakrale Räume ebenso umstritten wie Tourismusräume (vgl. Warren 1999): Heute Wanderparadies, morgen Fahrradlandschaft und Erlebnislandschaft und übermorgen Pilgerweg und Pilgerort. Stets wird ein und derselbe Raum für Reisende je spezisch zur Aufführung gebracht. Doch Reisende, Pilger oder Touristen, sind nicht nur Zuschauer. In dem Augenblick, in dem sie wandern, biken, pilgern oder sich am Strand sonnen, sind sie auch aktive Teilnehmer an diesen Aufführungen. Neben den performativen Repräsentationen der unterschiedlichen Aufführungsmanager, die den liminalen Raum stagen oder themen, ihn also infrastrukturell und symbolisch herrichten und ihn im Moment der Anwesenheit der Reisenden entsprechend zur Aufführung bringen, existieren auch performative Handlungen der Reisenden, der Touristen und Pilger. Was performen bzw. bringen sie zur Aufführung ? Wenn sich Touristen und Pilger einen hergerichteten Fremdraum aneignen, dann sind sie über ihn durch Reiseführer und -berichte, Diskurse, Hinweise aus verschiedenen Quellen, Images etc. informiert worden. Sie besitzen so einen Führer bzw. eine mental map für ihre performativen Handlungen – gewissermaßen ein performatives Programm (z. B. für das touristische Indien siehe Bhattacharyya 1997 oder Edensor 1998, S. 128 ff.; so auch mittelalterliche Pilgerprogramme, siehe Thorau 2005, S. 33 ff.). Verhalten sie sich in Übereinstimmung mit solchen Skripten, dann reproduzieren sie den hergerichteten, inszenierten Raum und knüpfen eine stille, mithin unbewusste Allianz mit den Aufführungsmanagern (vgl. Adler 1989). Dabei werden den Fremdräumen jeweilige gesellschaftliche Blickregime und imaginierte Geographien auferlegt, so dass Reisende zu Ko-Konstrukteuren von Räumen mutieren (vgl. Urry 2002; bezüglich des Reisens in Entwicklungsländern siehe Reuter/Neudorfer/Antweiler 2006; generell hierzu siehe Said 1994). Beobachtet man die Verhaltensweisen der
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touristisch Reisenden oder der Pilger, dann stellt sich heraus, dass sie allesamt Akteure bzw. Schauspieler in einem dramaturgischen Raumstück sind, wobei es empirisch belegt ist, dass ihre Performances nach Lebensstilen, Lebensphasen und Selbstkonzepten variieren und sie somit einen je spezischen touristischen Habitus performen (vgl. Edensor 2000b; so auch Pilger, siehe Fleischer 2000; Sizer 1999). Werden bei derartigen normativen Performances liminale Räume in strukturierten, kommodizierten Räumen (re-)produziert, so ist zum einen noch nicht ausgemacht, ob der Einzelne vorgefertigt designte touristische Räume auch als solche wahrnimmt und empndet. Und zum anderen suchen Reisende Grenzerfahrungen, also Räume, die aufgrund ihrer Unvertrautheit und Unvorhersagbarkeit mentale, kulturelle und physische Herausforderungen darstellen (vgl. Rojek 2000, S. 151 ff.). Pilgerreisende berichten, dass es dieses Mal „ganz anders“ gewesen sei, wobei sie nicht zuletzt ihre praktizierte und empfangene communitas betonen (vgl. Klein 2005, S. 74 f.). Darüber hinaus sind Reisende keine Tölpel, die nicht wissen, dass für sie nahezu alles artiziell aufgeführt wird (vgl. Feifer 1985). Reisende besitzen demzufolge ein reexives Bewusstsein, ein Bewusstsein, dass sie auch im Herkunfts- bzw. Heimatraum befähigt, Rollendistanz zu praktizieren und dort Andersheit zu realisieren versuchen (vgl. Lefebvre 1975, S. 334 f.). Reisende benden sich eben nicht außerhalb ihrer angestammten Gesellschaft; sie nehmen sie auf ihrer Reise mit. Selbst bei der Nachahmung (Mimesis) eines Pilgerns weichen sie von normierten Skripten ab und dokumentieren in ihrem Verhalten, dass sie eigenwillig und bisweilen ironisch sowie zynisch ihre zugedachte Rolle performen (vgl. Edensor 1998). Um in liminalen Räumen mit ihrer Anti-Struktur Orientierung und Sicherheit zu erlangen, laufen demnach die Handlungen nicht per se auf eine bloße Anpassung und Angleichung an jene der anderen Anwesenden, also auf Mimikry (Callois 1982, S. 97), hinaus. Touristen und mittelalterliche Pilger sind zwar Teil der jeweiligen temporären Reisekultur wie etwa der „Jakobswegler“ oder der „Badesträndler“ und erzeugen durch ihr mimetisches Verhalten Ähnlichkeit, so dass sie in Korrespondenz mit ihren „Gleichgesinnten“ leben. Beim Wandern, Sonnenbaden, Mountainbiken, während einer Studien- oder Pilgerreise etc. sowie vormals beim Pilgern entstehen je spezische performative Gemeinschaften, d. h., durch körperliche Bewegungen werden gegenseitige Verbindungen und somit eine miteinander geteilte Welt konstituiert bzw. zur Aufführung gebracht. Diesen synchronen performativ-mimetischen Prozessen steht die Diachronie des Einzelnen in seiner biographischen und kulturellen Situation gegenüber. Mimetische Prozesse sind daher nicht nur rein reproduktiv. Indem sich der Einzelne in Beziehung z. B. zu seiner „Pilgerwelt“ oder „Urlaubswelt“ – und damit auch zur Welt des jeweiligen gesellschaftlichen Zeitraumes – setzt, entsteht bei aller Anähnelung auch Eigenes bzw. davon Unterschiedliches, d. h., es führt sich der Einzelne in der Gemeinschaft auch selbst auf (vgl. Wulf 2001, S. 257 ff.). So sind etwa weder die mittelalterlichen „Pilger-
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IV
Wiederbelebungen
wegler“ eine homogene Masse (vgl. Herbers/Ohler/Schimmelpfennig/Schneider/ Thorau 2005), noch stimmen die „Badesträndler“ in ihrem Verhalten überein (vgl. Kie 2002). In der Konsequenz bedeutet dies, dass die Möglichkeit der eigenen Andersheit selbst bei mimetischen Prozessen in liminalen Räumen besteht oder gar gesucht wird. Wie sich Touristen und Pilger verhalten, lässt sich aus der Liminalität nicht deterministisch ableiten. Und schon gar nicht lässt sich aus dem im Tourismus- und Pilgerort Bekundeten und/oder Ausprobierten automatisch rückschließen, dass es zu Hause im Alltag des Menschen inkorporiert wurde oder wird. Allerdings ist es augenfällig und dokumentiert, wie Reisen, die Erfahrung der Ferne bzw. Fremde, einen sozialen und kulturellen Wandel mit bewirkten und bewirken. Und solch ein Wandel ist immer ein von Menschen gemachter Wandel – von Menschen, die Anderes erfahren und für sich erkannt haben.
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Textnachweise
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K. Wöhler, Touristifizierung von Räumen, DOI 10.1007/ 978-3-531-92761, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Textnachweise
Topographie des Erlebens. Zur Verortung touristischer Erlebniswelten. In: Wöhler, Karlheinz (Hrsg.): Erlebniswelten: Herstellung und Nutzung touristischer Welten. LIT: Münster 2005, S. 17–28. Konvergenzen – Zur postmodernen Organisation des Tourismuskonsums ist eine im Titel veränderte Fassung von „Konvergenz von Destinationen und Freizeitparks – Zur postmodernen Organisation des Tourismuskonsums“. In: Kreilkamp, Edgar/Pechlaner, Harald/ Steinecke, Albrecht (Hrsg.): Gemachter oder gelebter Tourismus? Destinationsmanagement und Tourismuspolitik. Linde: Wien 2001, S. 101–116. Kulturstadt versus Stadtkultur: Zur räumlichen Touristizierung des Alltagsfremden. In: Bachleitner, Reinhard/Kagelmann, H. Jürgen (Hrsg.): Kultur/Städte/Tourismus. Prol: München/Wien 2003, S. 21–34. Entfernung, Entfernen und Verorten. In: Spode, Hasso/Ziehe, Irene (Hrsg.): Gebuchte Gefühle. Voyage – Jahrbuch für Reise- & Tourismusforschung 2005. Pro l: München/ Wien 2005, S. 121–134. Sustainabilisierung des Tourismus. Zur Logik einer postmodernen Wachstumsstrategie, gekürzte Fassung, In: Bachleitner, Reinhard/Schimany, Peter (Hrsg.): Grenzenlose Gesellschaft – grenzenloser Tourismus ? Prol: München/Wien 1999, S. 38–54. Tourismus und Nachhaltigkeit. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 47 (2001), S. 40–46. Fernreisen als postkoloniales Reisen. In: Luger, Kurt/Baumgartner, Christian/Wöhler, Karlheinz (Hrsg.): Ferntourismus wohin ? Der globale Tourismus erobert den Horizont. StudienVerlag: Innsbruck et al. 2004, S. 57–72. Pilgern und touristisches Reisen ist eine gekürzte Fassung von „Pilgern und Pilgerwege. Tourismus- und kulturwissenschaftliche Dimensionen“. In: Laube, Martin (Hrsg.): Pilgerweg Loccum – Volkenroda zwischen Kirche, Kultur und Tourismus. Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Leitbild. Evangelische Akademie Loccum: Rehburg-Loccum 2007, S. 25–70.