Band 03 - Die Tochter des Pharao Torgo, Prinz von Atlantis von Karl H. Koizar ISBN:
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Band 03 - Die Tochter des Pharao Torgo, Prinz von Atlantis von Karl H. Koizar ISBN:
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"Seht, der König kommt - es ist der König!" Mit diesen Worten empfingen die rauhen Krieger Numrods den Zug, der bleich und zerschunden durch die Pforten des befestigten Bergwerks wankte. Hauptmann Alwa hatte bei dem Kampf mit den Männern Regs starke Verluste erlitten. Der König selbst lag schwer verletzt in dem zertrümmerten Wagen. Auch Alwa blutete aus mehreren Schrammen und Wunden. Numrod stürzte vor seine Behausung, er hatte erhofft, daß er Zuzug an Arbeitskräften bekäme. An Stelle neuer Gefangener kam nun aber der König. Das hatte er nicht erwartet. Ohne es zu wissen hatte er dem König dadurch, daß er Alwa Hilfe geschickt hatte, das Leben gerettet. Aber Numrod ahnte den Grund, um dessentwillen der König aus der Hauptstadt gekommen war. Der Grund hieß wohl Nimbur, stammte aus Ägypten, war einst Vertrauter des Pharao gewesen und nunmehr Gefangener der Atlanter. Und seit ein paar Tagen war Nimbur außerdem noch blind. Er hatte nach so langem Aufenthalt in der Finsternis das grelle Sonnenlicht nicht mehr ertragen. Was sollte Numrod tun, was dem König sagen, wenn dieser Rechenschaft von ihm fordern würde über diesen Gefangenen? Er besaß die Papyrusrolle noch, die ihm der Bote des Königs überbracht hatte. Er, Numrod hatte dem König an Stelle Nimburs einen dummen Galeerensklaven geschickt, der unmöglich imstande gewesen sein konnte, die Fragen die König Amur von Bedeutung waren zu beantworten. All dies ging Numrod, dem Verwalter des Bergwerks durch den Kopf, als die königliche Kavalkade durch das breite, offene Bohlentor seinen Einzug hielt, um schließlich auf dem von greller Sonne beschienenen Platz zwischen den Wachtürmen Aufstellung zu nehmen. Der halb demolierte königliche Wagen fuhr bis vor Numrods Terrasse. Dann hoben Alwas Krieger den Herrscher von Atlantis aus dem deformierten Gestell und trugen ihn sogleich unters Vordach in den schützenden Schatten. "Einen Schemel, steht nicht herum, bringt einen Schemel!" rief Numrod seinen dienstbaren Geistern zu und diese beeilten sich, dem Befehl so rasch als möglich Folge zu leisten. Der König sah übel aus. Er hatte eine blutende Wunde am Hinterhaupt, die offenbar von einem Stein herrührte und war bleich durch den Blutverlust, den er erlitten hatte. Seine Lippen waren trocken und es war klar, daß er Fieber bekommen würde. Seine Augen hatten einen eigentümlichen Glanz, offenbar nahm er seine Umgebung nicht wahr, sondern befand sich in einem Zustand halber Bewußtlosigkeit und bedurfte dringend ärztlicher Hilfe. "Hast du einen Heilkundigen hier im Bergwerk?" herrschte Alwa Numrod an. "Rufe ihn sofort zur Stelle. Es ist ein Überfall an dem König verübt worden." "Ich habe einen Heilkundigen, gewiß", erklärte Numrod, "aber ob seine Kenntnisse für die Behandlung des Königs reichen? Für gewöhnlich kuriert er nur mich und meine Leute." "Einerlei, er wird wohl so viel Kenntnisse besitzen, zu wissen, was hier zu tun ist. Auch befinden sich unter meinen Männern Verwundete und ich selbst hätte einen Verband nötig. Und dann muß sogleich ein Bote nach Atlantis gesandt werden. Man muß trachten, der Übeltäter die es auf das Leben des Königs abgesehen hatten, habhaft zu werden." Numrod gab die nötigen Befehle. Der Heilkundige war sogleich zur Stelle, er hatte gleich gesehen, daß man ihn brauchen würde und sich deshalb in Bereitschaft gehalten. Er ließ den König sogleich ins Haus und auf ein Lager schaffen. Dann verarztete er ihn mit Hilfe eines Sacks voller Kräuter, einer Räucherschale und zahlreichen lautstarken Gebeten an Bel, den Beschirmer allen Lebens auf Atlantis. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Mit Alwa machte er nicht ganz so viel Umstände und mit dessen Kriegern noch weniger. Bei denen ließ er es bei den Kräutern bewenden. Numrod sandte auch auf Alwas Befehl den verlangten Boten nach der Hauptstadt. Als er nach ein paar Tagen wiederkam, brachte er schlimme Nachricht. Der König hatte gerade das Wundfieber zur Not überstanden. Aber der Heilkundige meinte, es sei besser ihn nicht sogleich aufzuregen, sondern ihn erst noch ein paar Tage ruhen zu lassen. Hauptmann Alwa tobte. "Und Prinz Torgo?" fragte er, die Fäuste schüttelnd. "Er ist unterdessen im Königspalast eingeschlossen und von den Rebellen belagert. Ich kann unmöglich mit meiner Truppe hier liegen bleiben und zusehen, was in der Hauptstadt passiert. Ich weiß, daß Wusso mit seinen Leuten zu schwach ist und daß sich Hauptmann Sarga mit den Schiffen auf See befindet." "Aber deine Aufgabe ist es den König zu schützen", widersprach Numrod. "Du kannst keinen von deinen Leuten abziehen. Hier im Bergwerk sind wir alle sicher, wir können es gut verteidigen, aber es ist trotzdem besser, wenn ihr alle vollzählig hier bleibt. Der Prinz ist jung und man sagt, er vollbringe Wunder an Tapferkeit. Er wird sich zu helfen wissen." Man beschloß schließlich, noch einen Tag zuzuwarten und dann dem König die Lage in der Hauptstadt zu melden. Amur sollte selbst entscheiden, was zu tun sei. Er hatte schon unterwegs von der Rebellion erfahren, aber ebenso gesprochen wie Numrod. Auch er setzte alle Hoffnungen auf seinen Sohn, Prinz Torgo und hatte befohlen, die Reise nach dem Bergwerk fortzusetzen. Er wollte Nimbur sehen und sprechen. Nimbur, den geheimnisvollen, gefangenen Ägypter. Den Mann, der unterdessen die Tage in seiner Hütte verbrachte, umgeben von ewiger Finsternis... Freilich, Numrod mutete ihm keine Arbeit mehr zu. Nimbur brauchte nicht mehr in die Tiefen zu steigen, hinab zu den Sklaven, die unter der Knute der Aufseher das Erz schürfen mußten. Man 1ieß ihn in Ruhe. Er saß den ganzen Tag nahezu unbeweglich und schien den Bildern und Stimmen der Erinnerung zu lauschen, die ihm seine Phantasie wiedererweckte. Es waren wohl die Tage der Vergangenheit in den Palästen am Nil, die ihn beschäftigten und eine Rechnung die Nimbur aufgestellt hatte. Eine Rechnung, die ein anderes Resultat ergab als erhofft und erwartet. Es war die Bilanz seines bisherigen Lebens. Ab und zu suchte Numrod ihn auf und versuchte mit ihm ins Gespräch zu kommen. Aber die Antworten, die ihm der Ägypter gab, waren einsilbig und der Bergwerksverwalter glaubte zudem in all seinen Worten den Grundton der Verachtung zu spüren. Er ging dann jedesmal voll kaum verhehlter Wut, aber auch dieser spottete Nimbur. Nein, der Tyrann des Kupferberges vermochte ihm nichts anzuhaben, weder seinem Geist noch seinem Körper, der nun ein Wrack war. Numrod fühlte es deutlich und darum wurde ihm die Nähe des Ägypters immer unheimlicher. Er dachte oft daran, ihn hinab in den Abgrund werfen zu lassen. Aber er wagte es nicht. Er dachte daran, daß der Tote dann eines Nachts neben seinem Lager stehen könne, um von ihm Rechenschaft zu fordern für diese Tat und all die anderen die er begangen hatte. Was von dem, was um ihn vorging Nimbur gewahr wurde und was nicht, wußte niemand. Die Ankunft des Königs und seiner Leute hatte er zumindest hören müssen. Numrod wußte, daß Nimbur eine Gelegenheit herbeigesehnt hatte, um mit dem König in Verbindung zu treten, ein Umstand von dem sich der Ägypter für sein Leben die Wiederherstellung menschenwürdiger Daseinsbedingungen erhoffte. Aber nun, da die Gelegenheit gekommen war, ließ er sie offenbar ungenützt. Oder wußte, ahnte er tatsächlich, daß der König seinetwegen diese beschwerliche Reise unternommen hatte und wartete in Ruhe darauf, daß der König zu ihm kam. Numrod war sich darüber sehr im Zweifel, Nimbur war der undurchschaubarste Mensch, der ihm in seinem Leben begegnet war und obgleich er mit ihm gewisse Pläne gehabt und ihn deshalb entgegen der königlichen Weisung hier behalten hatte, wäre er jetzt fast froh gewesen, wenn ihn Amur von hier wieder in die Residenz gebracht hätte.
(C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Des Königs Fieber wich nach einer knappen Woche. Er sah bleich und abgezehrt aus war aber dann endlich wieder vollständig klaren Sinnes. Während der Zeit seiner Krankheit war der Medizinmann kaum von dem Bett gewichen und auch Numrod und Alwa hatten ihn oft besucht. So waren sie Zeugen seiner Fieberphantasien geworden, in denen der Name Nif-Iritt immer wiederkehrte. Nif-Iritt, jüngste Tochter des Pharao. Braut König Telaus von Griechenland und Gefangene von Atlantis... Um sie kreisen die Gedanken König Amurs, seine Hoffnungen und Wünsche, während er in schweren Fieberträumen lag. Er hoffte für seinen Sohn, den Prinzen und wußte nicht, daß in seinen geheimsten Wünschen und Träumen die schöne Prinzessin ihm selbst gehörte. Er hatte bis heute nicht gewagt, es sich einzugestehen. Die Jahre, die auf seinen Schultern lasteten und sein Haar weiß gemacht hatten, schienen ihm wie eine unübersteigbare Mauer, die sich zwischen ihm und Nif-Iritt erhob und welche die Natur errichtet hatte. An einem Morgen erwachte König Amur zum ersten Mal wieder klaren Geistes. Er blickte um sich und seine Augen nahmen mit einer gewissen Verwunderung die ungewohnte Umgebung wahr. Nein, das waren nicht die vertrauten Gemächer des königlichen Palastes in der Hauptstadt, das war nicht das weiche Ruhelager auf dem er gewohnt war, seine Nächte zuzubringen. Der Raum hier war einfach, schmucklos, um nicht zu sagen primitiv. Dann erst sah der König die Gesichter der beiden Männer, die an seinem Lager standen. Da war einer, den er nicht kannte. Sein Gesicht war verschmitzt, seine Augen hell und scharf. Als er den Blick des Königs forschend auf sich ruhen fühlte, verbreitete sich ein Ausdruck des Stolzes und der Freude über seine Züge und er rief mit krächzender Stimme: "Es ist gelungen, der König erwacht, er ist gesund!" Der andere, dessen bärbeißiges, grobschlächtiges Antlitz nicht weniger Freude verriet, war Hauptmann Alwa und bei seinem Anblick erinnerte sich der König an alles, was geschehen war, bis zu dem Augenblick, da die im Hinterhalt Liegenden die Steinlawine auf die Schlucht hatten hernieder prasseln lassen. "Alwa", rief der König und richtete sich halb auf, um aber sogleich mit schmerzvoll verzogener Miene auf sein Lager zurückzusinken. "Nicht", rief der Heilkünstler sogleich besorgt, "sei vorsichtig, Herr! Es ist noch nicht alles heil. Du bedarfst noch der Ruhe. Ich bin Sigur, der Arzt. Ich habe dich betreut, während du krank und bewußtlos warst. Mache mir nun nicht den Erfolg meiner Mühen zu Schanden." Der König lächelte. "Du wirst eine Belohnung für deine Mühe erhalten, Sigur", sagte er matt. "Ich fühle mich zwar noch schwach, aber - "Wir waren in großer Sorge um dich, Herr", erklärte Alwa treuherzig. "Fürwahr, käme mir noch einer dieser Schurken, die den Überfall auf uns wagten zwischen die Finger, ich würde ihm eigenhändig das Genick umdrehen, einerlei, ob ihm das recht ist oder nicht." "Habt ihr keine Gefangenen gemacht?" erkundigte sich der König. "Leider nein, Herr. Numrod schickte uns Hilfe, es war höchste Zeit, kann ich dir sagen. Wären seine Leute nicht gekommen, so lägen wir jetzt alle mitsammen in der Schlucht und die Geier hätten ihre Mahlzeit, So aber hat sich das Blatt plötzlich gewendet, und die Kerle ergriffen die Flucht. Sie hatten ihre Pferde bereit und verschwanden so schnell wie flüchtende Hasen. Aber sie haben Tote auf dem Kampfplatz zurückgelassen." "Um was für Leute handelt es sich denn?" wollte König Amur wissen. "Um die Wahrheit zu sagen Herr, ich habe mich noch nicht darum gekümmert. Meine erste Sorge galt dir. Wir mußten dich hier herauf schaffen und dann war auch jeder von uns blessiert, wir waren heilfroh, es überstanden zu haben. Aber wenn ich mich zurückerinnere, dann glaube ich, daß es Landstreicher und Bettler waren. Der Kleidung nach sahen sie zumindest so aus." "Landstreicher und Bettler?" fragte Amur verwundert.
(C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Ja Herr. Sie scheinen zu der gleichen nichtswürdigen Kaste zu gehören, welche nun in der Hauptstadt so große Schwierigkeiten macht." Amur horchte auf. "Was willst du damit sagen?" forschte er. "Es haben sich, während du krank lagst, schlimme Dinge getan, Herr", berichtete Alwa. "Das Volk belagert den Königspalast - oder besser gesagt, nur eine bestimmte Schicht des Volkes. Es scheint sich um einen gelenkten, organisierten Aufstand zu handeln." "Das ist das Werk der Priester", sagte Amur düster. "Sie wollen sich dafür rächen, daß der Prinz ihnen ein Opfer entrissen hat. "So sieht es aus, Herr", bestätigte Alwa. Amur überlegte. "Wir müssen in die Stadt zurückkehren, so schnell als möglich" sagte er schließlich. "Wir müssen den Eingeschlossenen Hilfe bringen. Aber ich möchte den Grund nicht vergessen, weshalb ich hierher gekommen bin. Schafft mir Numrod herbei." Alwa ging und nahm den freudestrahlenden Medicus mit. Nach einer Weile erschien Numrod. Er kam mit sehr gemischten Gefühlen. Amurs forschender Blick ruhte durchdringend auf ihm. Numrod schlug, als er diesen Blick auf sich gerichtet fühlte, die Augen nieder und wurde blaß. Aber er beherrschte sich. Etwas in ihm lehnte sich auf gegen eine mögliche Demütigung, die ihm widerfahren konnte. "Ich grüße dich Herr und freue mich, daß du wieder gesund bist", redete er den König an. Amur winkte ihm, näher zu kommen. "Du hast mein Schreiben erhalten", sagte er vorwurfsvoll. "Aber du hast meinen Wunsch schlecht erfüllt. Darf ich wissen, weshalb du so gehandelt hast?" "Ich dachte", Numrod suchte vergeblich nach Worten. "Ich dachte, der Mann den ich dir sandte, entspräche deinem Wunsch, Herr. Er ist gesund und kräftig. Er hat auf der Galeere gedient und kennt alle ihre Gebräuche." "Nicht über die Galeere wünschte ich Auskunft, du Tölpel" fuhr der König wütend auf. "Du kannst unmöglich tatsächlich so dumm sein, wie du tust, Numrod." "O Herr, ich wollte!" "Genug davon", unterbrach der König die Entschuldigungen des Bergwerkssklavenverwalters, "du hast unter den Gefangenen einen Mann, den ich zu sprechen wünsche, er heißt Nimbur." Nun also war es heraus. Numrod hatte es geahnt. Der König wußte von dem Mann. "Ich werde ihn sogleich rufen lassen, Herr", versprach Numrod. "Aber du wirst erschrecken. Dieser Mann ist blind..." "Blind?" staunte Amur. "Davon sagte man mir nichts." "Er erblindete erst hier. Als ich ihn ans Tageslicht kommen ließ, sah er unglücklicherweise in die Sonne." "Schaffe ihn hierher", befahl Amur. Er war schon gespannt auf den Mann. Numrod eilte davon. Er lief über den im Sonnenglast liegenden Platz, um Nimbur selbst aus seiner Hütte zu holen. Er mußte sich bücken, um einzutreten. Nimbur saß auf einer Matte. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und die lichtlosen Augen weit geöffnet. "Ja", sagte er, als Numrod kam. "Jetzt ist der Augenblick. Ich sah dich das Zimmer des sterbenden Mannes verlassen." "Welches sterbenden Mannes?" fragte Numrod schaudernd. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Des Mannes, der hierher kam um mich zu sprechen." Numrod kroch es kalt über den Rücken, als jetzt Nimbur seinen Kopf zu ihm hinwandte und sich die toten Augen des Ägypters in ihn zu bohren schienen. Er fürchtete den bösen Blick und legte die Hand vor die Augen, um sich zu schützen. "Du irrst", sagte er barsch. "Der König wird genesen. Begleite mich, du sollst zu ihm kommen." Nimbur erhob sich. Seine Hände griffen tastend in das Nichts, bis Numrod ihn beim Arm packte und mit sich zog. "Seine Wunden sind es nicht, an denen er sterben wird", sagte Nimbur orakelhaft. Sie betraten das Haus Numrods und dieser schob den Blinden vor sich her in den Raum, in welchem der König ihn erwartete. "Hier ist er, Herr", sagte Numrod. "Bedarfst du noch meiner?" Amur schüttelte den Kopf. "Du kannst gehen", sagte er. "Wahrscheinlich werde ich Nimbur mit mir nehmen. Sage Hauptmann Alwa, er möge alles für unseren Aufbruch vorbereiten." Numrod verschwand, froh so leichten Kaufs davongekommen zu sein. Er suchte sogleich Alwa auf, der mit einer Anzahl seiner Leute damit beschäftigt war, den Wagen des Königs wieder instand zu setzen. "Du mußt dich beeilen, Alwa", sagte er zu ihm, "Es sieht so aus, als wolle der König noch heute reisen." "Mir kann es recht sein", meinte Alwa. "Wir schaffen es. Sieh nur zu, daß wir Proviant und Wasser bekommen." Numrod nickte und verschwand. Unterdessen stand der blinde Ägypter vor dem König. Sie schienen sich beide forschend zu betrachten, wobei dies von Seiten Nimburs nicht mit Hilfe der Augen geschah. Alle seine Sinne waren auf den König gerichtet. Es war als erwarte er unsichtbare, unhörbare Botschaft aus der Gedanken- und Seelenwelt des anderen. "Ich bin Amur, der König", eröffnete dieser das Gespräch. "Ich weiß", antwortete Nimbur. "Ich habe zu spät erfahren, daß sich ein Vertrauter des Pharao unter den Gefangenen befand." "Es war wirklich zu spät, Herr. Alle Dinge im Leben haben ihre Zeit. Läßt man diese ungenützt verstreichen, so kehrt die Gelegenheit niemals wieder." "Wie meinst du das?" fragte Amur forschend. "Ich meine es, wie ich es sage", antwortete Nimbur ruhig. Er stand schweigend vor dem König und schien auf das Echo seiner Worte zu lauschen. Der König war gnädig gestimmt, er wollte mit dem Mann ins Gespräch kommen. "Setze dich", forderte er ihn auf. "Einen Schritt zu deiner Rechten findest du einen Schemel. Nimm ihn und trage ihn drei Schritte gerade aus, dann setz dich." Nimbur gehorchte wie ein Automat. "Du sitzt nun gerade vor mir", sagte Amur. "Ich kann mich nicht erheben, ich bin krank. Man hat mich auf der Reise überfallen." "Du hast viele Feinde", meinte Nimbur, "wie alle Großen. Glanz schafft auch Finsternis. Bleibe im Dunkel, so wirst du nicht geblendet." Der König hielt das für eine Anspielung auf Nimburs eigene Blindheit. "Ich habe vernommen, was dir widerfahren ist", sagte er. "Es tat mir leid. Ich habe gute Heilkundige in Atlantis. Vielleicht ist einer von ihnen imstande, dir noch zu helfen." (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Nimbur schüttelte den Kopf, "Es verlangt mich nicht danach, die Menschen zu sehen", sagte er zu des Königs Überraschung. "Seit ich blind bin, sehe ich mich selbst und das erfüllt mich mit Abscheu. Ich sehe mich deutlicher als je zuvor, König. Ich habe mich nie gekannt, doch nun kenne ich mich. Das Auge des Sehenden bleibt auf der Hülle haften, der Blinde blickt tiefer. Es ist gut, so tief zu blicken." "Deine Worte klingen seltsam, Ägypter", meinte der König. "Sieh mich an, was siehst du an mir?" Mit einer ruckartigen Bewegung streckte Nimbur seine Arme nach dem König aus. "Ich sehe dein graues Haar und dein junges Herz, König. Und ich sehe noch einen, der hinter dir steht..." "Wer ist es?" fragte Amur gespannt. "Der Tod..." Amur erschrak, dann versuchte er zu lachen, aber es klang nicht echt. "Du machst schlechte Scherze, Ägypter", sagte er unwillig. "Auch hinter dir steht der Tod. Wir alle müssen sterben." Nimbur schüttelte den Kopf. "Meine Stunde ist noch nicht gekommen, doch die deine schlägt bald. Und mit ihr schlägt die Stunde deines Reiches... Oh, König, ich sehe Flammen auf den Bergen und ich höre wie das Meer brodelt und kocht, Rauch steigt aus den Fluten, Feuer ist am Himmel, die Erde tut sich auf... Oh, König, fliehe, ehe es zu spät ist!" Der König hatte mit wachsendem Staunen Nimbur zugehört. Als der Ägypter schwieg, lachte Amur auf. Er glaubte nun zu wissen, weshalb Numrod ihm diesen Mann nicht geschickt hatte. Dieser Nimbur war ein Narr. Die ägyptischen Herrscher hielten offenbar solche Leute an ihren Höfen, um sich zu amüsieren. Vielleicht glaubten sie auch wirklich an solche Prophezeiungen. Nach dem, was ihm Nif-Iritt über die Sterndeuter am Hofe des Pharao erzählt hatte, war das anzunehmen. Aber er, König Amur, hatte für derlei nichts übrig. Er war sachlich und nüchtern und glaubte auch das seinem Reiche schuldig zu sein. "Du willst dich interessant machen", sagte er, "oder glaubst du wirklich, was du sagst. Wie kann das Meer dampfen und der Himmel brennen! Solchen Unsinn habe ich noch nie gehört. Wechseln wir das Thema, Nimbur, vielleicht hast du mir auf anderen Gebieten nützlicheres zu sagen." "Was willst du hören?" fragte Nimbur. "Ich wünsche etwas über das Reich des Pharao zu erfahren", sagte Amur gespannt. Nimbur legte den Kopf ein wenig schief und schien nachzudenken. Dann begann er. "Das Reich des Pharao ist ein großes, mächtiges Reich. Von der Mündung des Nil bis an die Grenze des Landes der Schwaren ist ihm alles untertan. Es hat viele Provinzen, welche von Statthaltern regiert werden, Der Pharao hat ein mächtiges Heer mit vielen Streitwagen und Kriegern zu Pferd und zu Fuß. Er hat Städte aus Lehmziegeln und Paläste aus Stein. Wir haben Künstler in unserem Lande, welche sich auf die Bildhauerei, die Malerei und die Musik verstehen. Unsere Götter sind erhaben, Herr. Doch alljährlich, wenn der Nil aus den Ufern tritt, fordern sie viele Opfer." "Wovon lebt ihr?" "Vom Handel und vom Getreide und den Früchten, die bei uns wachsen. Unser Korn ist gut und die Götter lassen es wohl gedeihen." "Habt ihr Münzen wie wir?" "Gewiß Herr, doch wir tauschen auch manchmal, wie es der Handel gerade erfordert. Der Pharao hebt von allem seine Steuern ein, doch dies geschieht in Naturalien. Seine Kammern (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
sind voll, er sorgt vor für die Tage der Dürre, welche manchmal unser Land heimsuchen." "Ihr leidet unter Flut und Dürre", meinte Amur. "Dann ist unser Land glücklicher als eures. Wir kennen dergleichen nicht. Wir haben fruchtbare Ebenen im Land, Wälder, reich an Tieren und Holz und Berge, die uns ihre Schätze preisgeben müssen. Dies alles habt ihr nicht. Der Pharao regiert über ein Meer von Sand." Nimbur schüttelte den Kopf. "Du kennst das Nilland nicht," sagte er, "seine grünen, blühenden Felder, seine schattigen Palmen, das rege Leben in unseren reichen Städten, unsere Feste in den Tempeln. Unsere Bauwerke haben nicht ihresgleichen in der Welt." "Ich möchte dieses Reich gerne kennenlernen", meinte Amur aufrichtig. "Du wirst es nie schauen", sagte Nimbur. "Und das ist gut für dich. Den gefangenen Fürsten, welche der Pharao vor seinen Thron schleppen läßt, geht es übel." "Denkst du, ich würde Ägypten als Gefangener betreten?" fragte Amur lächelnd. "Ich könnte es mir nicht anders denken. Du hast des Pharaos Tochter und seine Würdenträger gefangen, was erwartest du vom Pharao: Daß er dich mit einem Bruderkuß empfängt?" "Das ist wahr", gab Amur zu. "Doch eure Galeere hat ein Gesetz unseres Landes gebrochen. Aber ich kann mir denken, daß es trotzdem zu keinen Feindseligkeiten kommen wird. Der Pharao wird sich hüten, Atlantis den Krieg zu erklären, wenn es andere Möglichkeiten gibt. Er kann seine Tochter wieder haben." "Willst du sie ihm zurück schicken?" "Vielleicht. Was ich gerne möchte, ist ein Bündnis mit dem Pharao wider die Griechen." Amur lächelte schlau. Der Ägypter sah es nicht und dennoch teilte sich dieses Lächeln auch ihm mit. "Ein Bündnis wider die Griechen," meinte er, "und das ausgerechnet jetzt, wo König Telaus vom Pharao die Hand Nif-Iritts erhalten hat?" "Gerade jetzt", nickte Amur. "Noch hat er Nif-Iritt nicht. Ich habe sie. Und ich fürchte, er wird sie auch niemals bekommen." "Nicht wahr, Nif-Iritt ist schön?" fragte Nimbur lauernd. "Ja, das ist sie", bestätigte Amur nachdenklich. "Und du würdest sie nicht gerne ziehen lassen?" "Wenn sie sich in Atlantis wohl fühlen könnte, so dürfte sie bleiben." "Sie ist ein kostbarer Vogel, König, der fremdes Klima schlecht verträgt." "Und doch sandte sie der Pharao nach Griechenland." "Das ist wahr", gab Nimbur zu. "Sie hätte sich auch in Griechenland niemals wohlgefühlt. Ich habe es selbst dem Pharao gesagt. Doch auch er wünschte ein Bündnis - jedoch mit Griechenland, nicht mit Atlantis." "Das schließt nicht aus", entgegnete er, "daß der Pharao nicht eines Tages zu der Einsicht gelangt, daß ihm ein Bündnis mit Atlantis nützlicher sein könnte. Die Griechen sind streitsüchtig und frech. Eines Tages werden sie das Bündnis brechen und ihre Heere nach Ägypten senden." "Die Griechen brechen keine Bündnisse", erwiderte Nimbur mit Nachdruck, "das Wort der Griechen ist ein festes Versprechen. Und ihr Heer ist tapfer, das ist gewiß. Aber es hat sich noch niemals gegen Griechenlands Freunde gewendet." "So willst du mich also nicht unterstützen?" fragte Amur lauernd. "Ich sagte dir, daß mir an einem Bündnis liegt und du weißt, daß ich die Pharaonentochter als Geisel habe. Für dich würde es Freiheit und reichen Lohn bedeuten - und es gibt Dinge, welche auch das Herz eines Blinden erfreuen."
(C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Du hast mich mißverstanden", entgegnete Nimbur. "Wenn du Frieden mit Ägypten willst, so werde ich mich dafür einsetzen. Und Frieden mit Ägypten und Griechenland ist noch besser. Aber Frieden mit Ägypten gegen Griechenland - nein." "Ich kann mir nicht vorstellen, wie es zu einem Freundschaftsbündnis mit König Telaus kommen sollte", meinte Amur. "Unsere Interessen sind zu verschieden, die Möglichkeiten des Zankes zu groß. Und das Meer verbindet uns nicht, es trennt uns." "So muß es aber nicht sein", meinte Nimbur. "Man kann mit König Telaus reden und auch mit dir, wie ich sehe. Beeile dich, in der Zeit, die dir noch bleibt, Gutes zu tun." "Ach ja, deine Prophezeiung", sagte Amur spöttisch. "Nach der hätte es wohl überhaupt keinen Zweck, ein Bündnis zu suchen. Da wäre es zweckmäßiger, wenn sich ganz Atlantis sogleich begraben ließe." "Brauchst du mich, Herr?" fragte er und deutete auf den Blinden. "Nein, Numrod. Nimm diesen Mann wieder mit dir. Und bereite ihn für die Reise nach der Hauptstadt vor - obgleich ich mir nicht allzuviel davon verspreche." "Es wird geschehen, Herr." Und zu Nimbur gewendet, sagte der König: "Du hast gehört, was ich zu Numrod gesagt habe. Ich nehme dich mit mir, obgleich mich die Begegnung mit dir enttäuscht hat. Mache dich fertig für die Reise. Wir werden noch heute aufbrechen, denn ich darf keine Zeit versäumen. Dringende Angelegenheiten rufen mich nach der Hauptstadt." "Es tut mir leid, daß ich dich enttäuscht habe", sagte er. "Vielleicht denkst du eines Tages anders über mich." Er folgte Numrod, der noch sagte: "Hauptmann Alwa bereitet schon alles vor, Herr." "Es ist gut", meinte der König. "Laßt mich ein wenig allein." Die beiden Männer gingen. Der König versuchte aufzustehen. Es ging mit einiger Mühe. Er erprobte seine Kräfte, die Reise die er vorhatte war anstrengend. Sie sollte ihn von den Bergen in die Niederungen hinab, nach der Küste führen. Der König gestand sich ein, daß sein körperlicher Zustand noch keineswegs der Beste sei, aber es half alles nichts, die Reise mußte begonnen werden. Torgos wegen... Und Nif-Iritt? Wie war es mit ihr? Amur entdeckte zu seinem Ärger, daß er mehr an das Wiedersehen mit Nif-Iritt dachte als an die Hilfe, die seinem Sohn zu bringen war. Er begann sich zu schämen und ging mit geballten Fäusten auf und ab. "Meine Gedanken sind schändlich", gestand er sich ein. "Diese Ägypterin hat mich behext. Mit ihrer Galeere sind böse Mächte in mein Land gekommen. Torgo - mein Sohn, das hast du dir nicht um deinen Vater verdient." Und er zwang sich an Torgo zu denken. Aber wie flatternde Vögel kehrten seine Gedanken immer wieder zu Nif-Iritt zurück, der Gefangenen im Pavillon des Königlichen Lustgartens. Auch sie hatte nun wohl manches durchzustehen. Denn nur die Mauern des Gartens trennten sie von der meuternden Menge... Amur verwünschte die Priester, deren Machtgier den Aufstand angezettelt hatte. "Gewinne ich nur einen Beweis gegen euch", knurrte er wütend, "dann sollt ihr die Macht des Königs fühlen. Dann kümmert mich weder Überlieferung noch Tradition, dann wird Schluß gemacht mit eurem betrügerischen Schwindel." Bel... Gott Bel, den sie anbeteten, den sie verehren ließen, was war er? Ein Bildnis aus falschem Gold, so falsch, wie ihre Herzen waren und so hohl wie sie selbst. Um Bel tanzten (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
sie und Bel, was bedeutete er ihnen? Reichtum und Macht. Ganz Atlantis umtanzte Bel. Aber er, der König, tat er etwas anderes? Er wußte um den faulen Zauber und tat trotzdem mit. Wirklich nur zum Schein? War sein Buhlen um die Gunst der Ägypter, sein Streben nach einem Bündnis wider Griechenland nicht auch ein Tanz um Bel? Bel war ein mächtiger Gott. Es gab ihn überall, und würde ihn immer geben, unter vielen Namen - aber was tat das zur Sache? Hauptmann Alwa traf unterdessen die letzten Reisevorbereitungen. Sigur, der Arzt, rang die Hände und tat alle Verantwortung von sich. Es war ihm nicht recht, seinen hohen Patienten so schnell wieder zu verlieren. "So reiset wenigstens nur des Morgens und Abends", verlangte er händeringend, "in den kühlen Stunden, damit das Fieber nicht wiederkehrt." "Wir werden so reisen, wie es der König befiehlt", erklärte der Hauptmann abweisend. Aber es wurde tatsächlich fast Abend, bevor sie aufbrachen. Nimbur befand sich mit im Zug. Man hatte ihn auf ein Pferd gesetzt, welches einer von Alwas Kriegern am Zügel mit sich führte. Die Kutsche war zur Not instand gesetzt worden. Sie hatte ein neues, festes Dach erhalten. Numrod hatte einen Teil seiner Krieger dazu abkommandiert, dem König bis nach der Schlucht das Geleit zu geben. Das war eine kluge Maßnahme, obwohl nicht damit zu rechnen war, daß sich der Überfall an der gleichen Stelle wiederholen würde. Der König selbst rechnete offenbar damit, unangefochten nach Atlantis zu kommen. Er bestieg die Kutsche, ließ Sigur einen Beutel Geld geben und sagte zu Numrod: "Ich danke dir, du wandelst in meiner Huld." Er wählte mit Absicht die gleichen Worte, die er in seinem Brief gebraucht hatte. Über Numrods Gesicht glitt ein Glänzen. Er hatte verstanden, daß ihm der König verziehen hatte. Dann brach man auf. Der König hatte die Tiefen des Bergwerks nicht aufgesucht. Hätte er es getan, er wäre vielleicht weniger huldvoll zu Numrod gewesen. * Die Hauptstadt glich einem Hexenkessel. Auf dem Marktplatz staute sich eine fanatisierte Menge. Die Zugbrücken zum Schloß und in den Tempelbezirk waren hochgezogen. Doch die Priester wußten, daß nicht sie es waren die etwas zu fürchten hatten. Zwei Tage nach dem Überfall war Reg, der König der Bettler und Krüppel, heimlich in die Hauptstadt zurückgekommen. Er war voll Zorn darüber, daß ihm der Anschlag gegen das Leben des Königs mißlungen war. Aber sein Sohn, Prinz Torgo saß in der Falle... Reg hatte sogleich Shidra und Taaf, die beiden obersten Priester aufgesucht, er hatte die unangenehme Aufgabe, ihnen Bericht zu erstatten. Er ging voll schlimmer Ahnungen hinüber in den Tempelbezirk, aber als er den beiden gegenübersaß, wurden diese Befürchtungen noch übertroffen. "Du bist ein Tölpel", schrie ihn Taaf an. "Bei Bel! Wie denkst du dir nun die weitere Entwicklung der Dinge? Der König wird mit seiner Mannschaft in Kürze hier sein und Ordnung schaffen. Wir werden auf diese Weise niemals ans Ziel kommen." "Er wird Torgo nicht mehr lebend vorfinden, antwortete Reg finster. Torgo wird den nächsten Morgen nicht mehr schauen. Meine Männer haben einen geheimen Zugang zum Palast entdeckt. Durch ihn werden sie noch diese Nacht eindringen." "Das ist gut", sagte er. "Und was ist wenn Torgo sich verschanzt?" fragte Taaf mißtrauisch und sichtlich weniger überzeugt als Shidra.
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"Er kann sich nicht verschanzen," widersprach Reg, "Er kommt gar nicht dazu. Er rechnet doch nicht damit, daß wir von diesem Zugang etwas wissen. Wir sind ganz plötzlich im Palast und im Handumdrehen ist es geschehen. Der König wird nur mehr zurecht kommen, um seinen Sohn zu betrauern. Und der König ist - das vergaß ich zu erwähnen, - selbst krank. Bei dem Überfall wurde er schwer verwundet. Er wird fiebern, wenn er die Rückreise hinter sich hat. Das gibt eine gute Gelegenheit, um ihn gänzlich sterben zu lassen, ohne daß es auffällt. "Aber wie willst du Torgos Tod rechtfertigen?" fragte Taaf. "Es wird sich ein Weg finden", meinte Reg. "Schön", sagte Taaf. "Tu, was du willst, aber handle schnell und zuverlässig. Eine zweite Niederlage können wir nicht mehr gebrauchen. Hast du verstanden?" "Ja, Herr", antwortete Reg finster. Er ging grimmigen Herzens. Er war den Priestern zuinnerst nicht gut gesinnt, sondern trachtete selbst nach der Macht. Seine Stellung als Oberster seiner Kaste ließ ihn nach noch Höherem gelüsten. Er sah sich selbst auf Amurs Thron als obersten Regenten von Atlantis und hoffte, durch den entfachten Aufstand diesen Wunschtraum wahr werden zu lassen. Er kehrte in sein Hauptquartier zurück, ein vorstädtisches Wirtshaus, wo er sich mit seinen Unteranführern zu treffen und die Lage zu besprechen pflegte. Unterdessen umlagerte nach wie vor eine johlende Menge den Königspalast. Hauptmann Wusso hatte seine Krieger, welche der Bewachung des Schloßes dienten, an alle gefährdeten Punkte aufgeteilt. Die Männer waren mit Lanzen und Schleudern bewaffnet. Überall waren Häufchen mit schweren Steinen aufgeschichtet. Rings an den Mauern waren auch Tröge mit Öl aufgestellt, welches man entzünden und im Ernstfall über die Mauer gießen konnte, falls die Menge es wagen sollte, sie überklettern zu wollen. Torgo, Jargo und Bethseba befanden sich im Arbeitszimmer des Königs. Von hier aus sah man hinab nach dem Garten, in welchem sich Nif-Iritt mit Sil und Gül-Gül, ihren Sklavinnen aufhielt. Die drei Frauen verließen ihren Pavillon nicht mehr, seit von jenseits der Mauer mit Steinen herübergeworfen worden war. "Bis jetzt machen sie nur Radau, Herr", meinte Jargo. "Aber wer sagt uns, daß es immer so bleiben wird? Nichts als Radau wird schließlich langweilig. Und daß die Leute dessen noch nicht überdrüssig geworden sind beweist uns, daß eine bestimmte Absicht dahinter steckt. Diese Absicht kann nur sein, uns zu irgend einem Zeitpunkt überrumpeln zu wollen." "Das wird ihnen schwerlich gelingen", erwiderte Torgo. "Ich habe Wusso alle gefährlichen Punkte besetzen lassen. So einfach kann man uns nicht überrumpeln, Jargo." "Ob man nicht doch mit den Leuten sprechen sollte?" fragte Bethseba. Jargo lachte spöttisch und Prinz Torgo schüttelte ernst den Kopf. "Ich habe es bereits versucht. Es ist ganz zwecklos. Mit einem Male horchten sie auf. In dem lärmenden Stimmenwirrwarr hatte sich ein bestimmter Takt gebildet. "Torgo - raus, Torgo - raus, Torgo raus!" hörte man. "Sie verlangen mich", meinte Torgo. "Herr, bleibe hier", rief Jargo warnend. "Ich gehe auf den Balkon", sagte der Prinz entschlossen. " Ich will hören, was sie von mir wollen." Er verließ den Arbeitsraum und ging nach derjenigen Seite des Palastes, welche dem Vorplatz und der Freitreppe zugewendet war. Dort betrat er den Balkon und sah sich im nächsten Augenblick einer vielköpfigen Menschenmenge gegenüber, welche grölte, johlte, pfiff und die Fäuste schwang. "Gib Bethseba dem Bel", schrien sie, gib Bethseba dem Bel" (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Torgo wandte ihnen den Rücken und kehrte, von Schmährufen begleitet, in das Innere des Gebäudes zurück. Es ist immer das Gleiche", sagte er. "Sie können es nicht verwinden, daß ich dem Götzen das Blutopfer entrissen habe." Bethseba senkte den Kopf. "Meinetwegen hast du soviel Kummer, Prinz", sagte sie traurig. "Ich schaffe dir viel Ungemach." "Du glaubst doch nicht, daß ich dich neuerlich denn Götzen ausliefern werde, Nein, eher werden wir kämpfen. Wenn ich die Truppe meines Vaters hier hätte, würde ich ganz einfach den Platz räumen lassen. So aber sind wir zu schwach. Sie haben eine ganze Menge Volkes aufgewiegelt." "Ja Herr, kämpfen - das wäre das Richtige", meinte Jargo leuchtenden Auges, "Man müßte erkunden, wie die Stimmung in anderen Teilen der Stadt ist. Du hast viele Anhänger, Herr. Man müßte sie sammeln und hierher zum Palast führen. Mit diesem Gesindel da draußen wollte ich schon aufräumen." "Wie ist es mit den Lebensmitteln?" fragte Torgo den eintretenden Wusso. "Haben wir genügend im Palast um die Dienerschaft, die Krieger und uns noch eine Weile verköstigen zu können?" "Ich habe mir heute Morgen die Vorräte angesehen", antwortete Wusso. Sie reichen höchstens noch für anderthalb Tage. Und die Rebellen lassen keinen hinaus und herein - sie wollen uns aushungern." "Siehst du, Jargo, das ist ihr Plan", sagte Torgo. "Er ist ebenso schlau wie heimtückisch. Aber sie kennen nicht unsere geheime Pforte jenseits des Wassergrabens, auf der anderen Seite drüben." "Sehr gut", rief Jargo Feuer und Flamme für diesen Plan. "Wir werden heute Nacht durch die Pforte heimlich hinüber nach der Stadt gehen, um Nahrungsmittel zu beschaffen." "Ja, wir gehen hinüber", nickte Torgo, "aber um Freunde zu treffen. Wir wählen eine Verkleidung. Wir müssen der Anführer dieses Aufruhrs habhaft werden." "Ich komme mit", meinte Wusso. "Nein, du bleibst hier", widersprach Torgo. "Jargo und ich gehen allein. Es ist ganz gefahrlos, da man uns nicht erkennen wird. Du bleibst im Palast und beaufsichtigst die Wachen." "Wie du befiehlst", sagte Wusso. Als das Dunkel hereinbrach, hatte Jargo bereits herbeigebracht, was vonnöten war. Lange, weite Überhänge gaben Jargo und Torgo das Aussehen Reisender. Die Umhänge hatten Kapuzen, welche man über den Kopf ziehen konnte. So war es gewiß im Dunkel nicht allzu schwierig, unerkannt zu bleiben. Im Palast hatte man mittlerweile Pechfackeln und Öllampen entzündet. "Sorge dich nicht", sagte Torgo zum Abschied zu Bethseba. "Noch vor Mitternacht kehren wir wieder." Torgo und Jargo hatten ihre Waffen, scharfe Dolche und kurze Schwerter, unter dem Umhang versteckt. Sie waren voll Unternehmungslust. Untätig im Palast zu bleiben und den Gang der Dinge abzuwarten, war nicht beider Art. Sie waren vielmehr gewöhnt, der Gefahr ins Auge zu sehen und ihr kämpfend zu begegnen. Im Allgemeinen waren die Bauten der damaligen Zeit nicht unterkellert. Nur die mächtigen Steinpaläste und die Tempel machten hiervon eine Ausnahme. Auch der Palast König Amurs besaß unterirdische Räume, welche mit den Kasematten der Festung und mit der Stadt selbst durch geheime Gänge in Verbindung standen. Einen dieser Wege benutzten Jargo und Torgo. Er führte von den unterirdischen Gewölben aus unter dem Wassergraben hindurch und endete in dichtem, dornigem Gestrüpp. Der Zugang war geschickt verborgen und nur wenigen Eingeweihten bekannt. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
So glaubten Torgo und Jargo zumindest. Reg hatte allerdings Kenntnis von ihm und er dachte ihn in der gleichen Nacht ebenfalls zu benützen. Zu der Stunde, zu welcher der Prinz und sein Begleiter durch den finsteren Stollen drangen, saß Reg allerdings noch mit seinen Kumpanen beim Abendmahl. "Wenn der Mond auf dem Scheitelpunkt seiner Bahn steht", erläuterte er ihnen noch einmal seinen Plan, "dann dringen wir in den Stollen ein. Es muß ganz lautlos vor sich gehen." "Und du bist sicher, daß der Gang hinüber in den Palast führt?" fragte einer. "Wohin soll er sonst führen?" fragte Reg ärgerlich, "Es gibt gar keine andere Möglichkeit. Allerdings weiß ich nicht, wie es drüben weitergeht. Ich kenne den Palast nicht und seine Räume. Sind wir einmal darin angelangt, dann sind wir auf unser gutes Glück angewiesen und auf die Schnelligkeit unserer Dolche." "Vielleicht sollten wir uns eines der Krieger bemächtigen, Reg. Wir brauchen jemand, der uns führt. Wir müssen einen von ihnen zum Sprechen bringen." "Das könnten wir versuchen - aber seht ja zu, daß er nicht schreit. Gibt er Alarm, so sind wir verloren, das wißt ihr." Unterdessen hatten Jargo und Torgo den Geheimgang durchschritten und jenseits des Wassergrabens angelangt. Es herrschte finstere Nacht. Nur in der Umgebung selbst war der zuckende Lichtschein von Fackeln zu erblicken. Er rührte teils von den Wachen, teils von den Rebellen daher, die den Palast belagerten. "Komm heraus", raunte Torgo und schaffte sich selbst mühsam durch das Gestrüpp Bahn, um vollends ins Freie zu gelangen. "So viel Disteln auf einem Fleck habe ich in ganz Atlantis noch nicht gefunden", schimpfte Jargo. Schließlich standen sie dann glücklich auf der nachtdunklen Straße. Man konnte von hier aus das Treiben auf dem Vorplatz des Palastes gut überblicken. "Sie haben ganze Stöße von Holz aufgeschichtet und in Brand gesteckt", meinte Jargo. "Hoffentlich kommen sie nicht auf den Einfall, den Palast selbst in Brand zu setzen." "Das werden wir verhindern", erwiderte Torgo. Sie machten sich beide auf den Weg. Eine schmale Seitengasse führte vom Wasserkanal aus zum Hause des Prano, der einer der Freunde des Prinzen war. Es war ein weitläufiges, aus gestampftem Lehm errichtetes Gebäude, das nach der Straße zu eine fensterlose Mauer zeigte, in welcher sich nichts als eine schmale Pforte befand. Sie eilten durch die dunkle, menschenleere Straße, bis sie Pranos Haus erreicht hatten. Dort schlug der Prinz dreimal mit der flachen Hand auf das Tor, wartete eine kleine Weile und wiederholte dann das Zeichen. Nicht lange und die Pforte wurde geöffnet und das runzelige Antlitz einer alten Frau wurde sichtbar, deren erschrockene Augen auf den Prinzen starrten. "Wahrhaftig, du bist es, Prinz", rief sie heiser. "bist du toll, daß du dich. in diesen Tagen und zu dieser Stunde in die Stadt wagst? Wir haben unser Haus fest verschlossen, denn wir fühlen uns unseres Lebens nicht mehr sicher." "Ist Prano daheim?" fragte Torgo trocken, "Mein Sohn ist da und findet keinen Schlaf. Als ich dein Zeichen hörte, ging ich und öffnete selbst, da wir der Dienerschaft nicht trauen dürfen. Kommt schnell, damit euch niemand sieht... Torgo und Jargo traten durch die Pforte, welche Pranos Mutter hinter ihnen sogleich wieder schloß. Niemand hatte hinter der schmucklosen Mauer einen so prächtigen Garten vermutet, wie ihn die beiden Freunde jetzt durchquerten. Es gab hier schattige Bäume und einen kleinen (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Teich, in dem ein Springbrunnen an heißen Tagen Kühle spendete. Pranos Mutter ging über einen mit Steinplatten belegten Weg voran und betrat das Haus "Prano", rief sie, "Prano - es ist Besuch für dich gekommen." Dann verschwand sie durch eine Türe in einen Nebenraum, nicht ohne Torgo und Jargo freundlich zugenickt zu haben. Prano kam. Er war im gleichen Alter wie Torgo und einer seiner besten Gefährten im Kampfspiel. Gemeinsam hatten sie manches harte Wettrennen zu Pferd und zu Wagen ausgefochten. Als er Torgo sah, kam er ihm entgegen und die beiden jungen Männer begrüßten einander herzlich. Jargo hielt sich dabei etwas im Hintergrund, er war ja schließlich nur Torgos Diener. "Torgo," rief Prano überrascht. "Du hier! Dich bei mir zu sehen, hätte ich in dieser Nacht nicht erwartet." "Es blieb uns keine andere Wahl", antwortete Torgo ernst. "Prano, ich habe mit dir zu reden." "Kommt hier herein", meinte Prano und forderte die beiden Männer auf, in ein Nebengemach zu kommen. "Die Diener schlafen zwar, aber es ist trotzdem besser, wenn euch niemand hört und sieht." Sie folgten Prano in einen kleinen, gut ausgestatteten Raum, wo sie sich auf Kissen niederließen. Prano reichte ihnen eine Schale mit Früchten. "Nehmt und eßt", sagte er. "Ihr werdet durstig sein, diese Nacht ist heiß und ich fürchte, sie wird noch heißer werden." "Wie meinst du das?" fragte Torgo hellhörig. "Hauptmann Alwas Truppen sind im Anmarsch", berichtete Prano. "Ich hörte es von einem Reisenden, der heute Vormittag hier ankam. Der König hat einen Gewaltmarsch unternommen, um den Frieden in seiner Residenzstadt wieder herzustellen. Ich denke, daß er gegen Mitternacht hier ankommt." Torgo und Jargo sahen einander an. "Das ist eine gute Botschaft", er klärte Torgo. "Aber wenn mein Vater nicht gekommen wäre, so hätten wir selbst etwas unternommen. Ich bin nicht willens, der Rebellion länger zuzusehen, auch wenn Wussos Mannschaft schwach ist." "Auch Sargas Schiffe nähern sich der Küste", verkündete Prano. "Die Not hat ein Ende Prinz und das ist höchste Zeit, denn es sind viele schlimme Dinge geschehen in der Stadt. Man hat überfallen, geraubt und geplündert und das alles im Namen eines neuen Königs." "Und wer ist dieser neue König? fragte Torgo. "Reg - der Herr über die Bettler und Elenden." "Reg also", staunte Jargo. "Und wir dachten immer - "Ich bin sicher, daß es nicht Regs Idee gewesen ist", meinte Torgo. "Man hat ihn angestiftet und bezahlt, ich glaube man bezahlt ihn noch. Bist du übrigens sicher, Prano, daß diese Rebellion von Reg ausgeht?" "Ganz sicher. Einer meiner Diener steht mit ihm in Verbindung. Daher auch meine große Vorsicht, Prinz. Reg hat seine Spione überall, er putscht das ganze Volk auf. Wer nicht mit dazu gehört, hält so wie ich, seine Tore besser geschlossen. Und es gibt viele geschlossene Tore in Atlantis. Ein jeder wartet, daß du Torgo etwas unternimmst." "Aus diesem Grund bin ich hier Prano", erklärte der Prinz. "Ist es dir möglich noch in dieser Nacht unsere verläßlichsten Freunde zusammenzurufen? Wir wollen uns mit der Streitmacht meines Vaters verbünden. Vielleicht wird es wirklich eine heiße Nacht, wie du sagst." Prano sprang auf. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Da bin ich dabei", rief er. "Dann eile", sagte Torgo. "Wir warten auf dich. Sage es fünf, sechs Leuten oder zehn. Sie mögen es ihren Freunden weitersagen. Um Mitternacht treffen wir uns alle hier in deinem Haus." "Gut", nickte Prano. Ich eile." Zufrieden begannen Torgo und Jargo von den Früchten zu essen. "Mein Vater im Anmarsch und Sarga mit seinen Leuten gleichfalls", rief der Prinz. "Das war eine gute Nachricht. Und dennoch -- in Anbetracht der Menge die Reg aufgewiegelt hat, ist es vielleicht besser, wenn wir tun was ich vorhabe. Um so rascher werden wir mit Reg und seinem Anhang fertig werden." Der, von dem die Rede war, schlief unterdessen mit seinen Leuten, um sich für die nächtliche Besetzung des Palastes und den Mordanschlag auf den Prinzen zu stärken. Und unterdessen brannten die Wachfeuer der Rebellen vor dem Palast, standen Wussos Krieger mit müden, Gesichtern auf Posten und näherte sich im Eilmarsch Hauptmann Alwa mit seinen Kriegern der Stadt. Und wenn es Tag gewesen wäre, hätte man die Segel der Schiffe gesehen, auf denen Sarga sich dem Hafen von Atlantis, von der vergeblichen Suche nach Nef-Naton, dem Flüchtling heimkehrend, näherte. Prano hastete durch die nächtlichen Straßen, immer darauf bedacht, von keinem der Leute Regs gesehen zu werden. Diese zogen in kleinen oder größeren Gruppen durch die Gassen und lärmten auf den Plätzen. Viele von ihnen waren betrunken. Da und dort klopfte Prano an eine Pforte, wurde eingelassen und entfernte sich nach ein paar Minuten wieder. Und noch vor Ablauf der vereinbarten Frist war er wieder in seinem Hause. "Alles geht gut" meldete er. "Sie sind begeistert, sie kommen. Es werden vielleicht an die hundert werden." "Das ist gut", meinte Torgo. "Hundert kampftüchtige Männer - das gibt zweihundert tapfere Arme, und die sind nicht zu unterschätzen. Habt ihr gute Waffen?" "Alles, was wir nötig haben", versicherte Prano. Und so war es auch. "Kommt mit", sagte Torgo. "Es gibt einen geheimen Weg, der unter dem Wassergraben in den Palast führt. Ich bringe euch jetzt auf diesem Weg in den belagerten Palast. Am Morgen wird mein Vater angreifen. Diesen Moment nutzen wir, um einen überraschenden Ausfall zu machen. So geraten die Rebellen zwischen zwei Fronten und werden vernichtend geschlagen." Die Männer, viele so jung an Jahren wie Prinz Torgo selbst, waren von diesem Plan begeistert. "Dann ist der Spuk zu Ende", rief Prano. "Und es herrscht wieder Ordnung in der Hauptstadt." "Reg aber", sagte Torgo, "wird es, wenn wir ihn fangen, mit dem Tode büßen." "Niemand wird Mitleid mit ihm haben", meinte Jargo. "Kommt jetzt", befahl Torgo. "Wir brechen auf." Wieder bewegte sich ein Trupp bewaffneter Männer durch die nächtliche Gasse -- und sie verschwanden in dem Gestrüpp, in welchem kurz vorher bereits eine andere Gruppe verschwunden war. Reg war hier mit seinen Leuten eingedrungen und hatte sie hinab in die Tiefe geführt. Er ließ dann die anderen vorgehen, und hielt sich ziemlich in der Mitte.
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Diejenigen, welche voran gingen, bedienten sich kleiner Handlämpchen, die mit Öl gefüllt waren und an deren spitzen Schnäbeln kleine Flämmchen zuckten, die ein spärliches Licht verbreiteten. Nach schier endlos dünkender Zeit endete der feuchte Quaderngang. Glitschige Treppen führten nach oben und schließlich stand man in einem Korridor. Unterdessen hatte Torgo mit seinen Männern in schnellem Schritt den Stollen durchmessen. Sie hatten gerade sein Ende erreicht, als sie vor sich Lichtschein gewahr wurden. "Halt", raunte Torgo, dem die Sache nicht geheuer vorkam. "Lichtschein in diesem Korridor? Das ist seltsam! Wartet hier. Komm, Jargo." Die beiden schlichen weiter und sahen die Versammlung von Regs Leuten... Reg hatte nicht damit gerechnet, von rückwärts überrascht zu werden. So war er völlig fassungslos, als plötzlich Torgos Kampfruf erklang. Der Prinz und seine Getreuen kamen wie der Sturmwind über Reg und seine Horde. Erschrocken zog Reg sein Schwert, um sich zu verteidigen. Und ringsum klirrte hell der Stahl der aufeinanderschlagenden Schwerter, hörte man das Stöhnen der Verwundeten, das wütende Geschrei der aufeinander eindringenden Männer, Torgo und Jargo kämpften Seite an Seite. Ein Licht nach dem anderen erlosch und es wurde ein erbarmungsloser Kampf im Dunkel, bei dem Freund und Feind einander nicht mehr erkennen konnten. "Den Stollen", rief Torgo, "sperrt den Stollen, laßt niemanden entweichen, Jargo, verständige die Palastwache, schlag dich durch!" "Sogleich, Herr", keuchte Jargo und schleuderte die ihm im Wege stehenden Gegner zur Seite. Allmählich verebbte der Lärm des Kampfes. Sie standen im Dunkel, belauerten einander... Bereit, zuzuschlagen und ahnten doch kaum, wo der Feind stand. Pranos Leute hatten den Zugang zum Stollen hermetisch abgeriegelt. Da konnte keiner durch. Wer es versuchte, war des Todes. Und doch waren Pranos Leute nicht schnell genug gewesen... Kurze Zeit nur dauerte diese unheimliche Stille, dann wurden nähernde Stimmen laut, Fackelschein wurde sichtbar und Wusso mit seinen Palastwachen erschien. Und da ging der Kampf von neuem los, aber er nahm ein schnelles Ende. "Reg", rief Torgo, "wo ist Reg?" Der Rest der Gegner gab sich gefangen. Aber Reg war nicht darunter. Er war noch im letzten Augenblick durch den Stollen entkommen. Abgehetzt und fluchend kletterte er aus dem Dornengestrüpp, stach sich daran blutig und taumelte schließlich, Torgo und den ganzen Palast verwünschend davon. "Das gibt eine gute neue Lieferung für Numrod", stellte indessen Wusso zufrieden fest. "Diesen Leuten wird es gut tun, einmal nützliche Arbeit zu tun, Herr." "Schafft die Gefangenen sogleich in die Kasematten", befahl Torgo. "Und ihr Freunde, kommt mit nach oben. Wir wollen den Tag erwarten, der uns wieder Ruhe und Ordnung im Lande bringt." Als der Morgen graute, hatte der Zug des Königs die Stadtmauer erreicht. Wäre Reg ein guter Stratege gewesen, so hätte er die Wachen an den Wällen beseitigen und die Stadttore besetzen lassen. Aber das war er nicht. So wurden die Tore auf Befehl des Königs geöffnet und die Truppe nahm ihren Einzug und bewegte sich geradewegs nach dem Palast. Die Sonne ging auf und spiegelte sich in den blanken Lanzenspitzen der Krieger. Durch drei parallel laufende Straßenzüge nahmen sie Richtung auf den Königspalast.
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In der Stadt herrschte beängstigende Stille. Selbst die Luft schien still zu stehen, denn kein Hauch war spürbar. Reg ahnte, was nun kommen mußte. Er hätte jetzt etwas darum gegeben, wenn es ihm möglich gewesen wäre, sich in eine Maus zu verwandeln und in einem Erdloch zu verkriechen. Da er dies aber nicht konnte, verschwand er in einer der Schenken und betrank sich sinnlos. Als die Spitzen der Kolonnen auf dem Platz vor dem Palast erschienen, verlöschten die Belagerer gerade die Feuer. Unter wildem, drohendem Geschrei stürmten Alwas Krieger auf das Pack los, das sich da auf dem Platz herumtrieb. Die Menge schrie entsetzt auf, es sah aus als hätten diese Leute daran gedacht, ewig hier kampieren zu können und als wären sie nun auf das Höchste überrascht, daß man ihren Treiben ein Ende machte. Die Leute wichen vor den drohend gezückten Lanzen nach dem Palast zurück und hatten fast schon die Treppe erreicht, als von dort aus Torgos Mannschaft mit wütendem Geschrei auf sie hereinbrach. Alwas Leute waren einen Augenblick verblüfft, aber dann merkten sie, daß sie Unterstützung erhielten, und das feuerte ihren Kampfesmut an. Unterdessen hatten die Leute Regs begonnen, sich zu verteidigen. Aber es war ein nicht organisierter Widerstand einer, wenn auch zahlenmäßig großen, jedoch führerlosen Gruppe. Es war nichts zu hoffen für Regs Leute. Als Sarga mit seinen Schiffen im Hafen vor Anker ging, war der Sieg bereits entschieden und auf dem Marktplatz zeigten sich schüchtern die ersten Händler, um dort in gewohnter Weise ihre Waren feilzubieten, während der Wagen des Königs, von allen Seiten bejubelt, dem Palast zurollte. Dort fielen Vater und Sohn einander in die Arme. Mit niedergeschlagenen Mienen, vielfach verwundet, bewegte sich eine lange Kolonne Gefangener nach den Kasematten. Andere wieder, die sich noch rechtzeitig aus dem. Staub gemacht hatten, verkrümelten sich durch Seitengassen und suchten, sich nach ihren Wohnungen durchzuschlagen. Wusso und Alwa aber schickten bewaffnete Patrouillen durch die Stadt. Noch viele Tage lang gab es auf Grund der Aussagen von Gefangenen immer wieder Verhaftungen. Unter den Aufrührern wurde rigoros aufgeräumt. Die Sitten waren rauh und erbarmungslos in Atlantis. Nur Reg wurde nicht gefunden. Freunde hielten ihn verborgen. So sehr man auch nach ihm fahndete, alles Suchen blieb vergebens. Es war, als hätte ihn der Erdboden verschluckt. Als Torgo seinen Vater begrüßt hatte, merkte er, daß dieser krank war. Die anstrengende, schnelle Reise nach der Hauptstadt hatte, wie es Sigur vorausgesagt hatte, einen Rückfall im Befinden des Königs zur Folge gehabt. "Lege dich sofort hin, Vater", verlangte er deshalb. "Ich sende nach den Heilkundigen. Du bedarfst dringend der Ruhe, wenn du wieder aufkommen willst - und das mußt du, Atlantis bedarf deiner." Amur nickte und begab sich zur Ruhe. Er fühlte selbst, daß dies für ihn dringend nötig war. Die Säulen und Treppen des Palastes schienen vor seinen Augen zu tanzen und nur mühsam erreichte er, auf seine Diener gestützt, sein Ruhegemach. Die Heilkundigen erteilten mit besorgten Mienen Weisungen, was zu tun und zu lassen sei .Sie ließen es nicht an frommen Sprüchen und viel Weihrauch fehlen. Und noch weniger taten dies Shidra und Taaf, die noch am gleichen Tag in heuchlerischer Weise eine Festandacht aus Anlaß des königlichen Sieges nebst Bittprozession für dessen baldige Genesung abhielten. Unterdessen kam Sarga im Schloß an. Er hörte sehr verwundert, was sich während seiner Abwesenheit in der Hauptstadt ereignet hatte. Auf See hatte er von all den Vorkommnissen (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
nichts erfahren. "Und wie geht es dir, Sarga?" forschte Torgo gespannt. "Hast du den ägyptischen Flüchtling gefunden?" "Nein, Prinz", antwortete Sarga in seiner rauhen Art, "und wenn du mitgefahren wärest, es wäre dir nicht besser ergangen als mir. Ich hatte ihn schon gesichtet, da beschützte ihn der Gott des Bösen." "Berichte", befahl Torgo in seiner trockenen Art. "Eine Nebelwand stieg plötzlich auf", berichtete Sarga, "eine Nebelwand, die mich völlig der Sicht beraubte. Fast einen halben Tag lang trieben wir in der milchigen Nebelmasse umher und ich verlor meine eigenen Schiffe aus den Augen. Es war so nebelig, daß ich nicht einmal vom Mast aus den Bug unseres Schiffes erkennen konnte, geschweige denn ein Fischerboot das draußen auf den Wellen schaukelt. Und als der Nebel gegen Mittag verschwunden war, war auch der Kahn weg -und wir haben ihn nicht mehr gesichtet. Ich war schließlich froh, daß ich alle meine Schiffe beisammen hatte, denn etliche von ihnen waren stark vom Kurs abgekommen." "Also war es eine vergebliche Jagd", meinte Torgo achselzuckend. "Das kann man wohl sagen", pflichtete Sarga bei, "wenngleich ich der Meinung bin, daß der Mann in dem Boot dem Tode preisgegeben ist. Das Boot hat keinen nennenswerten Tiefgang, er kann also keine Ladung gehabt haben. Und das wiederum bedeutet, er hat keinen Proviant. Wovon aber will er auf dem Meere leben, wenn er keine Nahrung und kein Trinkwasser hat?" "Ich weiß es nicht", antwortete Torgo. "Vielleicht helfen ihm auch hierbei seine Götter. Anscheinend haben sie ihn bei der Jagd, die ihr auf ihn veranstaltet habt, nach Kräften beschützt." "So sieht es aus", meinte Sarga grimmig und durch seinen Mißerfolg bedrückt. Torgo sah es. "Mache dir nichts draus", meinte er und klopfte ihm gutmütig auf die Schulter. Ich kenne dich, weiß, daß du treu bist und daß du getan hast, was in deinen Kräften stand." "Das habe ich auch, Prinz," versicherte Sarga. "Und es wäre mir wirklich lieber, wenn ich dir diesen Ägypter tot oder lebendig übergeben könnte." "Das Schicksal hat es so gewollt", meinte Torgo sinnend. "Es sieht so aus, als ob höhere Mächte durch die Galeere, die wir aufbrachten, in die Geschicke von Atlantis eingegriffen hätten. Gräme dich nicht. Wir sind dagegen machtlos." Diese Philosophie machte sich auch Sarga zu eigen und das war tatsächlich das Beste, was er im Augenblick tun konnte. Noch am gleichen Tage machte Prinz Torgo eine interessante Bekanntschaft: Nimbur. Man brachte ihn in den Arbeitsraum des Königs, wo der junge Prinz jetzt die Stelle seines Vaters vertrat und ließ dann die beiden Männer allein. Der Ägypter blieb abwartend an der Türe stehen und horchte in den Raum. "Du bist Nimbur," stellte Torgo fest. "Prinzessin Nif-Iritt hat meinem Vater von dir erzählt." "Und du bist Torgo", gab Nimbur zurück. "Ja, so heiße ich." Nimbur trat näher und Torgo sah ihn gespannt an. Er hatte von seinem Vater von der Sehergabe des Ägypters gehört und deshalb erwartete er auch jetzt von ihm einen Blick in die Zukunft zu hören. "Du bist also der junge Regent der sich darauf vorbereitet, die Geschicke des Reiches zu lenken", sagte indessen Nimbur und schwieg dann plötzlich. Vergeblich wartete Torgo, daß er noch etwas sagen würde, Nimbur schien seinerseits zu warten.
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Ich werde dich noch heute zu Nif-Iritt bringen. lassen", meinte Torgo nach einer Weile. "Du wirst sicher begierig sein, ihr wieder zu begegnen." "Ich bin auf nichts begierig", erklärte der Ägypter. "Läßt du mich aber zu ihr bringen, so ist es mir auch recht. Was erwartest du, daß ich ihr sage?" "Ich erwarte nichts, mein Vater erwartet es." "Ich weiß es." "Handle so, wie es dir dein Gewissen befiehlt." Überrascht horchte Nimbur auf. Seine finsteren Züge erhellten sich. "Du sprichst gut", sagte er, "und weise in Anbetracht deiner Jugend. Ja, ich werde so handeln wie du sagst, obgleich ich nicht weiß, ob das im Interesse deines Vaters liegt. Glaube mir, ich habe die Dinge des Augenblicks überwunden. Du wirst mich einmal, in vielen Jahren, verstehen lernen. Es gibt Größeres als den kleinlichen Vorteil, den sich jeder erhofft und mit dem auch dein Vater glaubt, mich kaufen zu können. Ich handle, wie ich muß Torgo und auch du wirst das tun. Einmal vielleicht werden sich unsere Ziele begegnen. Du suchst wie ich, aber du weißt es noch nicht. Ich hingegen weiß es, habe aber noch nicht gefunden, was ich suche. Vielleicht finde ich es niemals." "Das sind rätselhafte Worte", erwiderte Torgo kopfschüttelnd. Nimbur schien diesen Einwurf nicht zu beachten. "Bei den Gefangenen war ein Mädchen", sagte er. "Sie war eine Sklavin Nif-Iritts. Sie nannte sich Bethseba und sollte vor meinem Abmarsch ins Bergwerk euren Götzen geopfert werden. Ich selbst stimmte mit für ihren Tod. Was ist mit ihr, lebt sie noch?" "Sie lebt noch, sie wurde nicht geopfert", erklärte Torgo, von Nimburs Frage erstaunt. "Das ist gut", sagte Nimbur aufatmend. "Sie befindet sich hier im Palast", setzte Torgo hinzu. "Das ist mir angenehm. Wenn du erlaubst, möchte ich sie gerne einmal sprechen." "Ich erlaube es dir", sagte Torgo. Nimbur nickte lächelnd. "Ich habe dich nun gesehen", beendete Torgo das Gespräch "und lasse dich, dem Wunsch meines kranken Vaters gemäß, nach dem Pavillon bringen. Es kann sein, daß ich deiner noch einmal bedarf und es ist damit zu rechnen, daß mein Vater dich sprechen möchte. Deshalb lasse ich dir im Palast einen Raum anweisen. Entfernen darfst du dich ohne mein Wissen nicht, jedoch kannst du stets die gefangene Prinzessin aufsuchen." Nimbur nickte, zum Zeichen, daß er verstanden hatte. Torgo rief die Wache und befahl Nimbur hinab in den Lustgarten zu führen. An seinem Fenster stehend, beobachtete er, wie Nimbur wenig später den Garten betrat und ihn die Wache, nachdem sie ihn bis unmittelbar vor den Pavillon gebracht hatte, allein ließ. Nimbur atmete tief die würzige Luft ein. Er fühlte seine Lungen mit dem balsamischen Duft der seltenen Gewächse, die hier gediehen. Er konnte die Pracht dieses Garten nicht sehen, aber er ahnte sie, die blühenden Sträucher und Bäume, und die Tiere, welche diesen Garten belebten. Gül-Gül war die erste, die Nimbur ansichtig wurde. Sie verließ den Pavillon, um im Garten Blumen für die Prinzessin zu pflücken. Als sie auf die Treppe kam, blieb sie wie angewurzelt stehen. "Nimbur", rief sie, und dann wieder: "Nimbur, du hier?" Sie starrte ihn an, als sähe sie einen Geist. "Ja, ich bin es", antwortete der Ägypter. "Der König und der Prinz schicken mich, die Prinzessin zu besuchen. Gül-Gül hörte seine Worte und lief Hals über Kopf zurück in den Pavillon. "Prinzessin", rief sie, "Nimbur ist hier! Der König und der Prinz senden dir Nimbur!" (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Nif-Iritt hatte sich gerade von Sil ihr Haar ordnen lassen. "Lasse ihn eintreten", sagte sie. Gül-Gül lief zurück und rief Nimbur zu: "Du sollst eintreten, sagt die Prinzessin!" Sie wollte sich wieder umwenden, als sie sah, wie Nimbur tastend die Hand vor sich hinstreckte. "Nimbur", fragte sie erstaunt, "was ist dir?" "Ich bin blind", antwortete Nimbur gleichmütig, "du mußt mir helfen, GülGül... Ich kann ohne deine Hilfe den Weg nicht finden." "Blind?" stammelte Gül-Gül erschrocken. "Wie ist das möglich? Was ist mit dir geschehen?" Und es überkam sie die Erinnerung an ihre eigenen Erlebnisse in den Folternkammern der Atlanten und sie dachte nichts anderes, als daß es 'Nimbur ähnlich wie ihr ergangen sei. "Was haben sie mit dir gemacht?" fragte sie, rasch zu ihm eilend und seine Hand ergreifend. "Nichts", antwortete Nimbur. "Sie taten mir nichts. Die Sonne war es, das große Licht, das große Licht wiederholte er murmelnd. Gül-Gül geleitete Nimbur wortlos hinauf in den Pavillon. Dort hatte Prinzessin Nif-Iritt indessen ihre Toilette beendet. "Er ist blind, Herrin, er ist an der Sonne von Atlantis erblindet", sagte Gül-Gül, während sie Nimbur in den Raum führte. Hatte sie Gül-Güls Schicksal kaum berührt, die Erblindung Nimburs ging der Prinzessin nun doch ein wenig nahe. "Bringt ihm einen Schemel", verlangte sie und ergriff selbst Nimburs Hand. Gül-Gül brachte ihm den Schemel und er setzte sich. Bei ihrer Berührung ging ein Ruck durch seinen Körper. "Oh, Nif-Iritt", rief er. "Was hast du?" fragte Nif-Iritt erstaunt. Die Prinzessin bemerkte mit Verwunderung, daß ein Kampf in ihm vorging. "Höre", sagte er, "die Dunkelheit hat mich sehend gemacht - sehend in vielen Dingen. Ich weiß, daß König Amurs Tage gezählt sind, und daß sein Sohn Torgo dieses Reich niemals regieren wird." "Niemals?" fragte Nif-Iritt erschrocken. "Wieso das? Wird mein Vater kommen und es zerstören?" Nimbur schüttelte den Kopf. "Nicht dein Vater. Ein anderer wird es zerstören, einer, der mächtiger ist als er." "Einen mächtigeren Fürsten als meinen Vater kenne ich nicht", erklärte Nif-Iritt beleidigt. "Und doch gibt es einen", sagte Nimbur, "einen, vor dem sich alle in den Staub werfen müssen, auch der Pharao. Und der wird Atlantis vernichten. Es wird ein grauenhaftes Ende sein. Er wird es vernichten in einer einzigen Nacht." "Und wie soll das geschehen?" fragte Nif- Iritt schaudernd. "Die Mächte der Finsternis haben sich mir offenbart", verkündete Nimbur. "Das Land wird im Meer versinken, wie es einst emporstieg. Alle Tempel und Paläste, alle Häuser und Menschen und alles Vieh werden darin zugrunde gehen. Arm und Reich, Mächtige und Geknechtete werden in den Fluten umkommen. Der Tod wird auf den Wogen reiten, und das Grauen wird durch die Lüfte fliegen ,...und wer in diesen Tagen das Land nicht verlassen hat, wird ein schreckliches Ende finden." "Nimbur - Nimbur", stieß Nif-Iritt bleich hervor, "dies alles hast du geschaut?" "Ja, ich habe es geschaut", bestätigte Nimbur düster. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Und der König - hast du es ihm gesagt?" "Ich habe ihm gesagt, daß auch er sterben wird, und zwar bald", nickte Nimbur. "Aber er hat mich verlacht, und an den Untergang seines Reiches glaubt er ebensowenig. Auch Prinz Torgo würde mir nicht glauben, ihm in seiner Jugendkraft ist das Leben näher als der Tod." "Ja, er ist jung", meinte auch Nif-Iritt, "aber er glaubt nicht, wie wir Ägypter an Mächte, die in uns und um uns sind. Doch ich glaube dir Nimbur, was du sagst, ist ganz entsetzlich. Wir müssen etwas zu unserer Rettung unternehmen. Wie schlimm, daß wir gerade jetzt in dieses fürchterliche Land kommen mußten. Es hat sich alles gegen uns verschworen!" "Es gibt nur ein einziges Mittel, Prinzessin, um dem drohenden Unheil zu entgehen", erklärte Nimbur. "Und das ist?" "Die Insel zu verlassen." "Aber wie können wir dies --- als Gefangene?" "Es gibt vielleicht einen Weg", erklärte Nimbur und senkte seine Stimme zum Flüsterton. "Es gibt einen Weg, der mir gangbar erscheint. Wenn uns die Götter gnädig sind, wenn sie nicht unser Verderben beschlossen haben, dann könnte es gelingen." "Was für einen Weg meinst du, Nimbur?" fragte Nif-Iritt drängend. "Ich tue alles, um mein Leben zu erhalten. Ich bin jung und schön - ich will nicht sterben." Sie begann zu schluchzen und kniete vor ihm nieder. Nimbur legte seine Hand auf ihr Haar. "Prinzessin", sagte er erstaunt, "du kniest vor mir, deinem Diener? Stehe auf, vor Menschen kniet man nicht. Erhebe dich und ich will dir meinen Plan nennen." Nif-Iritt erhob sich. Sie trocknete ihre Tränen und suchte, sich zu beherrschen. "Du weißt", begann Nimbur", daß dich der alte König Amur liebt, Nif-Iritt?" "Er könnte zweimal mein Vater sein, antwortete Nif-Iritt verächtlich. "Und doch möchte ich dir vorschlagen, daß du einwilligst, seine Frau zu werden." "Seine Frau? Niemals!" antwortete Nif-Iritt und stampfte zornig mit ihrem zierlichen Fuß auf die Steinplatten, die in kunstvoll gegliederten Ornamenten den Boden des Pavillons bedeckten. "Niemals - wie könnte ich die Gattin eines Greises werden..." "Du wärest es nur zum Schein", drang Nimbur in sie. "Hast du vergessen, was du vorhin sagtest? Du würdest alles tun, um dein Leben zu retten, sagtest du. Und nun, wo ich etwas von dir verlange, was dich retten kann, rufst du: "Niemals!" Nif-Iritt besänftigte sich. "Du denkst es dir als List?" fragte sie langsam begreifend. Eifrig nickte Nimbur. "Es wird vielleicht gar nicht zu einer richtigen Hochzeit kommen", sagte er. "Und wenn, dann wird sie nach den Regeln der hiesigen Götzendiener erfolgen und in Ägypten ist sie ungültig. Ich glaube nicht, daß dein Vater sie anerkennen würde." Nif-Iritt lächelte. "Nein, das glaube ich auch nicht", nickte sie zustimmend. "Aber Amur darf das natürlich nicht ahnen. Ihn müssen wir in dem Glauben lassen, daß du es mit der Heirat ernst meinst. Wir müssen ihm aber die Bedingung stellen, daß er sofort nach der Hochzeitsfeier ein Schiff rüstet und mit uns nach Ägypten fährt." "Er - mit uns?" fragte Nif-Iritt. "Wo denkst du hin, Nimbur?" "Ich denke an das Bündnis, das er mit Ägypten schließen will. Das ist der Angelhaken, an dem er beißen wird. Jetzt fürchtet er Ägypten. Aber als Schwiegersohn des Pharao wird er sich sicher fühlen. Er wird mit uns reisen - er muß reisen, Nif-Iritt... Du mußt es ihm einreden, du mußt... Je früher, desto besser und wir dürfen nie mehr wiederkommen, hörst du, denn (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
das Schwert des Todes hängt über König Amurs Land." Nif-Iritt schauderte. Die lichtlosen Augen Nimburs starrten sie an und allmählich glaubte auch sie die schrecklichen Bilder zu sehen, welche der Ägypter prophezeit hatte. "Ja", sagte sie nachdenklich, "du hast recht, wir müssen reisen und wir werden reisen. Sage dem König, daß du mit deiner Mission bei mir Erfolg gehabt hast. Es war doch deine Mission, für ihn um meine Hand zu werben - oder?" "Nicht direkt", meinte Nimbur. "Aber um so lieber wird es ihm sein, wenn ich ihm diese überraschende Botschaft ohne Umschweife bringe." Er erhob sich. "Bringe mich zurück in den Garten, Gül-Gül", verlangte er, und zu Nif-Iritt gewendet, beendete er das Gespräch mit den Worten: "Sei gewiß, daß mich der König bald wieder senden wird. Und vergiß nicht, worum es geht und was ich dir gesagt habe!" Gül-Gül begleitete Nimbur hinaus. Die Tochter des Pharao blieb in einer unbeschreiblichen Stimmung zurück. Zuviel war in dieser Viertelstunde auf sie eingestürmt, als daß es nicht ihr Inneres wahrhaft aufgewühlt hätte. "Isis, Osiris, rettet mich!" murmelte sie. Das Fieber hatte, wie es die Heilkundigen vorausgesagt hatten, den alten König mit erneuter Heftigkeit überfallen. Tagelang wälzte er sich auf seinem Lager in schweren Fieberträumen, die ihm das Bild der Königstochter vorgaukelten, aber auch ein anderes: das Bild Nimburs, des entsetzlichen Propheten, der seinen Tod und den Untergang von Atlantis prophezeit hatte. "Poseidon", kam es ein ums andere Mal über des Königs trockene Lippen. "Poseidon, Vater meiner Väter, errette mich vor dem Ende - beschütze mich, Poseidon!" Die Wundärzte saßen bei ihm und suchten ihm das Fieber durch kühlende Tränke, lindernde Säfte und Salben zu nehmen. Auch Prinz Torgo besuchte den Vater so oft er konnte, auf seinem Krankenlager. Hatte der König dann Momente, in denen sein Bewußtsein wiederkehrte, so fragte er Torgo voll Besorgnis nach den Folgen der Rebellion und war zufrieden, zu hören, daß alles in bester Ordnung sei. Beruhigt schlief er dann für gewöhnlich wieder und der Schlaf kräftigte ihn. Der Schlaf tat dem König gut und allmählich überwand die kräftige Natur Amurs auch diesen zweiten schweren Anfall von Fieber und er begann, endgültig zu genesen. Von der Nachricht hierüber waren drei Personen keineswegs so begeistert, wie es sich für treue Untertanen geziemt hätte: Reg, Taaf und der Hohepriester Shidra. Die beiden Ränkeschmiede erfuhren auf ihrer Tempelinsel von der bevorstehenden Genesung des Königs. "Nun ist es wieder nichts", jammerte Shidra, "und wir dachten schon, die Krankheit würde sich unser erbarmen und das Werk zu Ende führen, das wir mit so wenig Glück begonnen haben." "Wir haben Zeit", antwortete Taaf mit tückischem Lächeln, "viel Zeit -und der König nicht mehr. Er ist ein alter, geschwächter Mann. Wir brauchen ein bißchen Geduld, nichts weiter." Regs Aussprüche waren nicht so geduldig, darum aber nicht weniger schändlich. Reg war in die Tiefe der Wälder verschwunden, welche einen Teil der Küstenstreifen von Atlantis bekränzte. Dorthin hatte er sich mit dem geflüchteten Rest der Aufständischen zurückgezogen und nun wartete er auf seine Stunde. Als der König so weit genesen war, daß er ohne Gefahr sein Lager verlassen konnte, führte ihn sein erster Weg in sein Arbeitszimmer zu Torgo. Torgo sah mit großer Freude seinen Vater kommen.
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"Vater", rief er, "du bist wieder gesund. Ich freue mich für dich, daß du der Krankheit Herr geworden bist. Waren schwere Tage für uns alle, wir waren sehr in Sorge um dich." "Aber ich bin wieder da", sagte Amur zufrieden, "meinen Freunden zur Freude und meinen Feinden zum Ärger. Ja, ich bin da und sie sollen es alle merken, die mich schon tot geglaubt haben. So schnell stirbt König Amur nicht." Er trat ans Fenster und seine Blicke suchten Nif-Iritt unten im Garten. Die ägyptische Königstochter erfreute sich mit ihren beiden Sklavinnen an einem kindlichen Spiel, das ihr großen Spaß zu bereiten schien. Man hörte das Lachen der drei Frauen. Seufzend wandte sich der König von dem reizenden Bild verspielter Jugend ab. Sein Blick suchte Torgo, glitt über dessen junge, kräftige Gestalt. Er war während der letzten Tage, während er Muße gehabt hatte, über alles in Ruhe nachzudenken, mit sich ins Reine gekommen. Sein Entschluß stand fest. Er wollte Torgo mit Nif-Iritt verheiraten. Er setzte sich in seinen gewohnten Stuhl und sah nochmals Torgo an. Sein Gesicht trug einen ernsten Ausdruck, den Torgo kannte. Er pflegte ihn stets im Gesicht seines Vaters zu lesen, wenn dieser eine wichtige Entscheidung zu treffen beabsichtigte. "Torgo", begann Amur, "hast du schon einmal daran gedacht, dir eine Frau zu nehmen?" "Eine Frau?" fragte Torgo überrascht. Er hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit einer solchen Frage. König Amur lächelte nachsichtig. "Ja, eine Frau", wiederholte er. "Auch ich hatte eine und alle Könige vor mir. Das Reich braucht stets neue Prinzen und die Königinnen sind es, welche sie zur Welt bringen. Also braucht jeder König auch eine Königin, damit unser Geschlecht erhalten und stark bleibt. Torgo schüttelte unwillig den Kopf. "Nein, Vater", antwortete er, "Ich habe noch nicht daran gedacht, mich zu verheiraten." "Dann wird es langsam Zeit", meinte Amur. "Du bist ein junger, erwachsener Mann. Du mußt daran denken." "Ich glaube, daß es hierzu noch Zeit ist, Vater." "Nein, das glaube ich nicht", entgegnete Amur eigensinnig. "Aber weshalb denn auf einmal so plötzlich?" fragte Torgo erstaunt den Kopf schüttelnd. "Weil es Zeit ist, günstige Zeit, mein Sohn", war die Antwort. "Oder hat etwa dein Herz schon gesprochen? Hast du dich in ein Mädchen verliebt? Sprich offen, Torgo. Wie ist das mit Heidenmädchen, welches du aus Shidras Klauen errettetest?" "Bethseba?" fragte Torgo zögernd. "Ja, diese meine ich." Torgos Miene wurde nachdenklich. Amur glaubte genug zu wissen. "Schlage sie dir aus dem Kopf", meinte er hart. "Eine Sklavin ist nichts für einen Königssohn. Zu einem solchen gehört eine Prinzessin." Nun ging Torgo ein Licht auf. "Vater", rief er, "du denkst doch nicht etwa, daß ich Nif-Iritt heirate!" "Und warum nicht?" fragte der König erstaunt. "Sieh sie dir doch an? Hat sie nicht alles, was eine Frau besitzen muß, um einen Mann glücklich zu machen?" "Nein", antwortete Torgo trocken. "Sie hat kein Herz, Vater." "Herz, was heißt Herz", brummte König Amur. "Was sind das für Redensarten! Wer fragt bei solcher Gelegenheit nach Herz! Sie ist eine Tochter des Pharao, zählt das gar nichts?" Hierauf wußte Torgo freilich nichts zu antworten. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Denke nicht nur an dich, sondern auch an dein künftiges Reich", fuhr der Alte fort. "Denke an die Menschen, die dir ihr Glück, ihren Wohlstand und ihre Sicherheit anvertrauen. Für sie alle bist du verantwortlich." "Gewiß, gewiß, Vater", antwortete Torgo ungeduldig. Es klang aber doch auch ein wenig kleinlaut. Sein Vater war ein guter König, das wußte er, er nahm sein Amt genau und er selbst bezweifelte es, ob er es jemals seinem Vater gleichtun konnte. "Nun lasse den Kopf nicht hängen", meinte Amur, seinen Sohn wohlgefällig betrachtend. "Ich werde mit Nif-Iritt reden. Vorher werde ich euch beiden Gelegenheit geben, euch näher kennen zu lernen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie nein sagen wird. Schließlich ist sie unsere Gefangene und du bist nicht nur der Prinz von Atlantis, sondern auch ein sehr stattlicher junger Mann. "Du willst sie doch nicht etwa zwingen?" fuhr Torgo auf. "Vater, niemals würde ich - - "Was machst du schon wieder für große Worte", unterbrach ihn der König. "Auch Nif-Iritt hat die Interessen ihres Vaters zu vertreten, genau wie du, das ist das Los aller Königskinder auf dieser Welt. Sie weiß es genau, besser vielleicht als du. Und es kommt nur darauf an, daß ich ihr klar mache, wie sie die Interessen ihres Vaters und ihre eigenen am Besten vertritt." "Und König Telaus?" Amur lachte. "Der?" fragte er spöttisch. "Den wird sie niemals zu Gesicht bekommen, dafür werde ich sorgen. Und bis jetzt sieht sie auch gar nicht so aus, als ob sie den griechischen König, ihren Bräutigam, sehr vermissen würde." "Das gefällt mir nicht, Vater", sagte Torgo unstimmig, "Ich war stets hart gegen mich, das muß jeder sein, der regieren will. Und ich verlange von dir nicht mehr, als ich stets von mir selbst verlangte." "Geh nur", antwortete Amur, ein wenig müde von dem Gespräch. "Ich bin ja nun wieder da." Und der Prinz ging mit seinem Freunde und Diener. Der König blieb allein zurück in dem Hause, in dem er, beladen mit der Bürde des Reiches so viele Stunden seines Lebens verbracht hatte. "Torgo", murmelte er, "du bist noch ein Kind. Ein großes Kind, das noch lange nicht erwachsen ist. Vielleicht hast du recht, Torgo, und deine Zeit ist noch nicht gekommen für eine Ehe. Aber was hilft es - die Interessen von Atlantis erfordern dieses Bündnis und wie kann ich es besser erlangen, als durch eine Heirat? Und ich selbst? Mich nähme Niff-Iritt nie zum Mann. Sie ist jung. Und Jugend will zur Jugend. Oh, ich erinnere mich wohl an ihre Worte. Du bist ein Greis, sagte sie. Und ich bin es ja auch - leider. Frauen können Greise achten, aber nicht lieben. Torgo, du und das Reich, ihr habt mich manches Opfer gekostet und ich bin bereit, euch beiden ein neues zu bringen, von dem ihr nichts ahnt und von dem auch keiner erfahren darf. Ich will das Geheimnis in meinem Herzen verschließen. Es ist besser so." Er erhob sich, bewegte das Schwungmetall und rief damit den Diener. "Ich möchte den blinden Ägypter sprechen", sagte er. Der Diener ging, um Nimbur vor den König zu bringen. Der König war wieder ans Fenster getreten und starrte hinunter auf Nif-Iritt. In seinem Herzen verspürte er den Schmerz des Entsagens. Ja, er liebte dieses Mädchen, Nif-Iritts unbeherrschte, unreife, kindliche Art, ihren Hochmut, ihren grausamen Stolz. Dies alles liebte er, er wußte nicht, warum. Und sie sollte nach seinem Willen das Weib seines Sohnes werden... "Nimbur ist da", meldete die Stimme des Dieners. Fast unhörbar war der Ägypter eingetreten. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
König Amur wandte sich um. "Du hast mich rufen lassen?" fragte Nimbur. Er stand in demütiger Haltung am Eingang. Etwas an dieser Haltung fiel dem König auf, und es mißfiel ihm zugleich. Es war wohl die zur Schau getragene Unterwürfigkeit, welche Amur an Nimbur ungewohnt war, und die deshalb auffiel. "Tritt näher", forderte er ihn auf. "Du kennst den Brauch, du weißt wo der Schemel steht. Nimm ihn dir und setze dich. Ich habe mit dir zu reden." Nimbur gehorchte. "Auch ich habe dir verschiedenes zu berichten", antwortete Nimbur als er saß. Amur horchte auf. "Zu berichten? Was meinst du?" "Du lagst lange krank", sagte Nimbur, "und die Prinzessin fragte oft nach dir." "Was, nach mir?" "Nach dir und deiner Gesundheit." Eine Welle Blutes ergoß sich über Amurs Antlitz. Er biß sich auf die Lippen. "Was kann die Prinzessin meine Gesundheit interessieren", meinte er mit gespielter Gleichgültigkeit. "Sie interessiert sich aber dafür", antwortete Nimbur. "Du kannst es ihr nicht verwehren. Schließlich ist sie dein Gast." Amur beschloß, das Gespräch in die Hand zu nehmen. "Ich habe mich vor einigen Tagen mit dir über die Möglichkeit eines Bündnisses mit Ägypten unterhalten", begann er. "Ja", ging Nimbur sofort darauf ein. "Ich erinnere mich. Und ich habe lange über deinen Plan nachgedacht, König. Je länger ich mich mit ihm beschäftigte, um so besser gefiel er mir." "Wahrhaftig?" fragte Amur erstaunt. "Gewiß, es ist so." "Ist dir etwa auch eine Möglichkeit eingefallen?" fragte König Amur mehr spöttisch als neugierig. "Natürlich", antwortete Nimbur, als ob es sich um die einfachste Sache der Welt handle. Nun staunte Amur wirklich. "Was, du weißt eine Möglichkeit?" "Gewiß." "Und die wäre?" "Die beste Voraussetzung für ein Bündnis die ich kenne, ist eine Heirat." Natürlich, es war klar, Nimbur hatte sich offenbar ernsthaft mit seinem Vorschlag beschäftigt und er war als kluger Mann und gewiefter Politiker zu dem gleichen Ergebnis gelangt wie er selbst, dachte sich König Amur. Gewiß dachte auch er an die Möglichkeit einer Ehe zwischen Nif-Iritt und Prinz Torgo. "Du denkst", sagte er deshalb, "du denkst an - - -" "An dich", vervollständigte Nimbur und seine starren, glanzlosen Augen schienen durch den König hindurchzublicken. "An, mich? Wen könnte ich heiraten?" fragte Amur kopfschüttelnd, doch tief innerlich verspürte er eine heiße Welle seinen Körper durchrinnen. "Wen du heiraten könntest?" fragte Nimbur lächelnd. "Nun, Nif-Iritt selbstverständlich." Zwischen den beiden Männern trat eine Pause ein. Der König fand nicht sogleich eine Antwort. Dieser Mann hatte seine geheimsten Wünsche ausgesprochen. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Gab es - gab es vielleicht doch eine Hoffnung, daß sie wahr wurden? Nimbur war scheinbar in sich selbst zusammen gesunken. Aber wer ihn genau kannte, hätte seine Körperhaltung eher mit der eines lauernden, sprungbereiten Raubtieres verglichen. Und er lauerte tatsächlich - auf des Königs Antwort, die ihm anzeigen würde, ob seine Kombinationen richtig gewesen waren, ob König Amur auf die Leimrute ging, die er ihm gelegt hatte. "Ich, ich soll Nif-Iritt heiraten?" fragte Amur zögernd. "Was erscheint dir daran so verwunderlich?" "Denke doch an mein Alter", sagte Amur. Oh", meinte Nimbur, "das tut nichts zur Sache. Du bist kräftig, du hast es eben jetzt gesehen. Ein anderer hätte diese Krankheit nicht so bald überwunden." "Ich dachte aber an meinen Sohn Torgo." Hellhörig horchte Nimbur auf. Torgo gewiß - das war auch eine Möglichkeit. Blitzschnell wog Nimbur alles ab, was dafür und was dagegen sprach. Und es sprach mehr dagegen. Vielleicht würde Nif-Iritt Torgo wirklich lieben, aber er sie kaum, sie waren zu verschieden. Es würde auf jeden Fall eine ernsthafte Ehe werden, eine, die man König Telaus niemals als Scheinehe darlegen konnte. Und Nimbur dachte an das dem Griechen gegebene Eheversprechen. "Nein", sagte er deshalb, "sie redet doch immer nur von dir. Weshalb soll sie den Prinzen heiraten, wenn sie sich für dich interessiert?" Das war ein Argument. "Und überhaupt", gab Nimbur seinen Haupttrumpf preis, "denke an die welche sich auf den Tod freuten, du kannst ihnen kein besseres Geschenk machen, als dich zu verheiraten." "Ja", sagte der König, durch diesen Gedanken angeregt. "Das ist wahr, sie sahen mich schon im Grabe und sollen nun meine zweite Hochzeit erleben..." Unwillkürlich hatte er damit verraten, daß seine geheimsten Gedanken wirklich um Nif-Iritt kreisten. Nimbur merkte es und lächelte verhalten. Auch der König mußte lächeln. Offenbar meinte es der Blinde wirklich mit ihm gut. Nun, dann würde auch er ihm wohlwollen, es würde Nimburs Schaden nicht sein. War er einst Vertrauter des Pharao gewesen, so konnte er morgen auch der seine sein. "Wenn du denkst", sagte daher Amur, daß mir Nif-Iritt wirklich ihr Interesse zuwendet und wenn du fernerhin denkst, daß dieses Interesse ein anderes ist, als es gemeinhin ein junges Mädchen einem alternden Mann entgegenbringt, so will ich die Pharaonentochter heute noch aufsuchen." "Du tust gut daran, Herr", antwortete Nimbur. * Prinz Torgo und sein Diener Jargo ritten durch den Wald. Torgo hatte auf seinen Schultern die beiden Jagdfalken sitzen, welche dem Prinzen gehörten. Sie trugen Häubchen auf den Köpfen. Das grüne Dunkel des Waldes umfing sie. Es herrschte Stille hier, die friedliche Stille der Einsamkeit. Ab und zu drang durch das dichte Blätterdach das Sonnenlicht in Bündeln hernieder und zauberte einen Teppich von Licht und Schatten auf den Waldboden, der bedeckt war mit blühendem Moos. Die Hufe der Pferde griffen fast unhörbar aus auf dieser Decke. Bunte Schwämme wuchsen auf alten, vom Sturmwind gefällten Baumstämmen und blühendes Dornengerank verlegte den Reitern hin und wieder den Weg.
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Torgo liebte den Wald. Er ritt gern hierher auf die Jagd, zusammen mit Jargo und manchmal im Herbst auch in größeren Jagdgesellschaften. Mit Prano zum Beispiel und seinen Freunden. Doch diesmal achteten sie wenig auf ihre Umgebung. Sie waren vertieft in ein ernstes Gespräch, mit dem Prinz Torgo begonnen hatte. "Ich kann mir nicht vorstellen, mit der ägyptischen Prinzessin verheiratet zu sein", antwortete er. "Die Prinzessin ist so ganz anders als ich. Wir haben keine Berührungspunkte zueinander. Wie könnte ich mit einer solchen Frau leben?" "Ja, es ist nicht leicht, aber weißt du, ob dein Vater deine Mutter aus Liebe geheiratet hat?" "Offenbar doch, denn er spricht stets in Worten großer Achtung von ihr." "Achtung und Liebe ist zweierlei, Herr", gab Jargo zu bedenken. "Man kann Achtung für manchen Menschen empfinden, Liebe aber nur für wenige. "Vielleicht hat er mit den Jahren gelernt, sie zu lieben. Aber bei Nif-Iritt würde mir dies nie gelingen. Ja, ich gebe zu sie ist schön, von einer schillernden Schönheit, welche imstande ist, mich für den Augenblick ihren Charakter vergessen zu lassen. Aber spricht sie nur ein Wort, so offenbart sie sich mir schon wieder aufs Neue. Nein, Jargo. Es gab eine Zeit, da hätte ich Nif-Iritt vielleicht lieben können und diese Zeit ist noch gar nicht lange her. Aber inzwischen habe ich vieles gesehen und gelernt und weiß jetzt, wie der Charakter einer Frau sein muß, vor der ich Achtung haben kann." "Du hast es von Behtseba gelernt", sagte er schließlich. "Dieses Mädchen hat dir die Augen geöffnet." "Und liebst du sie?" Der Prinz nickte wortlos. Torgo schwieg. Erst nach einer Weile ergriff er wieder das Wort. "Auch mein Vater hat heute an mich diese Frage gerichtet. Ich vermochte nicht, sie zu beantworten. Ich hatte sie mir selbst noch gar nicht vorgelegt. Aber ich habe seither mein Gewissen geprüft und dir kann ich nun sagen, ich glaube, daß das was ich für Bethseba empfinde, Liebe ist." "Du bist dir dessen nicht sicher?" fragte Jargo kopfschüttelnd. Torgo lächelte. "Ich kann mir nicht denken, was es sonst wäre. Bethsebas Nähe gibt mir Frieden. Sie erweckt die guten Seiten meines Inneren. Ich sehne mich oft danach, sie sprechen zu hören und ihr meine Gedanken mitzuteilen." "Aber dies ist nicht Liebe", sprach Jargo verwundert. "Liebe schafft nicht Ruhe, sondern Unruhe Herr und gerade diese ist es, welche die Würze der Liebe ausmacht. Frage alle, die es wissen: das beseligende Gleichgewicht, von dem du sprichst, kann dir die Liebe in deinem Alter nicht geben. Das braucht noch Jahre Herr, Jahre die vieles abschleifen und verändern. Jahre, welche an dir und deinem Partner formen und arbeiten. Wenn du von Liebe Abgeklärtheit erwartest, so betrachte sie wie den Wein, was zu erst kommt, ist Gärung. Erst die Zeit macht klar und edel." "Du magst recht haben", meinte Torgo nachdenklich. "Und du schaffst mir zugleich neue Beschwer. Ich glaubte nun, in Bezug auf Bethseba klar zu sehen, du aber machst mir verständlich, daß ich mich offenbar getäuscht habe." "Überlasse auch dies der Zeit, Herr", riet Jargo dem Prinzen. "Die Zeit wird alles weisen." "Was bleibt mir anderes übrig als zu warten?" sagte Torgo in komischem Unwillen. "Und auf das Wild zu achten!" rief Jargo. "Herr, sieh dort auf der Lichtung! Sie waren auf eine große Waldlichtung gelangt, auf der sich ein Hasenfamilie tummelte. "Laß die Falken fliegen", lachte Torgo in plötzlich erwachter Jagdlust. Jargo nahm den Vögeln die Häubchen ab und ließ sie frei.
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Hoch auf schossen sie gegen den Himmel, um sich sodann in steilen Gleitflug hinab auf ihre Beute zu stürzen. * Die Prinzessin saß dem König im Pavillon gegenüber. Sie hatte sich heute von Sil ganz besonders sorgfältig schminken lassen. Ihr Antlitz glich einer Maske, kein Muskel bewegte sich darin. So hörte sie den König an, der ihr gegenüber saß. Als der König nach einer Stunde ging, hatten sie von allem gesprochen, nur nicht von dem was ihn bewegte. Und das wäre auch gegen die Sitte gewesen. Nimbur war dazu erkoren, die Werbung des Herrschers vorzutragen. Er hätte dies vor dem Pharao tun müssen und darauf berief sich Nimbur auch. "Die Sitte erfordert Herr", sagte er, "daß du Nif-Iritt und mich zunächst an den ägyptischen Hof zurückbringst. Du wirst von einem Boten des Pharao Antwort erhalten und diese Botschaft wird eine günstige sein." Aber so dumm war Amur nicht, daß er auf diesen Vorschlag eingegangen wäre. War es die Furcht eines alternden Mannes, sein Liebstes aus den Augen zu lassen, oder war es sein stets wachsames Mißtrauen, daß ihn zu einer ablehnenden Haltung bewog. Was immer es auch war, Nimbur drang mit diesem Plan, welcher darauf abzielte, die Prinzessin und ihn so schnell als möglich außer Landes zu bringen, nicht durch. "Nein, nein", widersprach der König stets, wenn Nimbur mit dem Vorschlag wiederkam, "nein, so geht es nicht. Ich wünsche, daß die Heirat hier in Atlantis stattfindet und zwar sogleich. Wir haben keine Zeit, Boten zu wechseln. Sobald Nif-Iritt meine Frau ist, werden wir dem Pharao Nachricht senden und lädt er uns dann ein, so werde ich mit Nif-Iritt zu einem Staatsbesuch nach Ägypten aufbrechen." Nimbur sah ein, daß gegen den Willen des Königs nichts auszurichten war und er änderte seine Taktik, um sie den Bedingungen Amurs anzupassen. Er war viel zu klug, um einzusehen, daß der König eine ganze Reihe von Gründen für dieses Verhalten hatte. Einer der Hauptgründe waren wohl Griechenland und Ägypten. Nif-Iritts Ankunft in Griechenland war längst überfällig. Es war klar, daß König Telaus entweder ein Unglück vermutete oder aber Verdacht schöpfte. Und gegen wen konnte sich dieser Verdacht richten? Einer von Nif-Iritts Leuten, Nef-Naton, hatte das Kunststück zuwege gebracht, von der Insel zu flüchten. Gelangte er heil nach Griechenland, dann war es offenbar, daß die Atlanter die Schuld an dem Verschwinden der Königstochter trugen. Dies mußte unweigerlich den Ausbruch eines Krieges zur Folge haben. Atlantis war zwar gerüstet, aber wenn nun auch noch der Pharao ein Heer schickte, dann mußte für Atlantis eine heikle Situation entstehen. König Amur hoffte, neben der Befriedigung seiner privaten Wünsche den Ereignissen zuvorkommen zu können. Er wollte das Heft in der Hand behalten und zweifellos hätte eine Heirat mit Nif-Iritt das Blatt zu seinen Gunsten gewendet, weil dadurch eine völlig neue Situation entstanden wäre. Nimbur ahnte und wußte das alles. Bei seinen Besprechungen mit der Königstochter machte er kein Hehl aus seinen Ansichten. "Aber", sagte er, "es ist immer noch besser, darauf einzugehen, als auf der Insel eines entsetzlichen Todes zu sterben, so wie ich ihn in meinen Ahnungen geschaut habe. Sage "Ja", Nif-Iritt. Du rettest dadurch dein Leben und das deiner Freunde." "Aber wenn die Griechen und Ägypter vorher kommen, um uns zu befreien?" fragte Nif-Iritt. "Hätten wir da nicht gegen die Interessen des Pharao gehandelt?" "Auch gegen die Interessen von König Telaus, Herrin. Aber wir haben keine Wahl. Die Zeit drängt. Ich fühle, daß die Frist, die uns gesetzt ist, kaum reichen wird, alle unsere Pläne zu vollenden." Nif-Iritt überlegte in gedrückter Stimmung. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Dann melde dem König", sagte sie schließlich seufzend, "daß ich seinen Antrag annehme. Ich willige ein, seine Frau zu werden vorausgesetzt, daß er sofort nach der Hochzeit ein Schiff rüsten läßt und uns nach Ägypten bringt." Nimbur erhob sich. "Ich werde es tun, Herrin", erklärte er und begab sich mit dieser Botschaft zum König. Als Prinz Torgo mit Jargo gegen Abend von der Jagd heimkehrte, erwartete ihn eine überraschende Nachricht: nicht er, sondern sein Vater werde Nif-Iritt heiraten. "Dann wird sie ja meine - meine Stiefmutter!" rief Torgo, nicht sehr erbaut von dieser Vorstellung. "Das ist Schicksal", sagte Jargo mitleidig. "Komm Herr, wir wollen uns auf den Schreck gehörig stärken." Sie ließen ihre Jagdbeute zum Koch schaffen und begannen, Jargos Vorschlag wahr zu machen. * Auf einer einsamen Höhe im Norden der Hauptstadt erhob sich ein düsteres Gebäude, das jeder für unbewohnt hielt, der die Landstraße benutzte, welche am Fuße des Bergrückens vorbeiführte. Das Haus machte einen ruinenhaften, verfallenen Eindruck und niemals ließ sich jemand in seiner Umgebung blicken. Abergläubische Atlanter aber wußten zu berichten, daß sich dort oben nachts mitunter seltsamer Lichtschein zeige und daß merkwürdige Laute zu hören wären, welche mitunter wie das Grollen eines unterirdischen Donners klänge. Nur wenige Leute wußten, daß dieses Haus tatsächlich bewohnt war und wer es bewohnte. In dem einsamen Bauwerk hauste Rostan. Rostan war ein seltsamer Mann. Er hatte gewiß das sechzigste Lebensjahr bereits überschritten. Sein Haar war weiß und sein Gewand ungepflegt, so ungepflegt wie sein Bart, den er der Sitte der Atlanter zum Trotz wild wuchern ließ. Niemand hätte zu sagen vermocht, wovon Rostan eigentlich lebte. Und dennoch erzählte man sich von ihm, daß er es an Reichtum gewiß mit dem König aufnähme, ja mehr noch, da er in der Lage sei, sich selbst so viel Gold zu machen, wie er wollte. An jenem Abend näherten sich zwei einsame Reiter auf der Landstraße dem unheimlichen Bergrücken. Sie verließen die Straße, als ein wenig betretener Pfad von ihr abzweigte, der in steilen Windungen nachdem verfallenen Bauwerk führte. Die Reiter saßen auf Maultieren. Das eine vermochte das Gewicht seines Reiters kaum zu ertragen. Trotzdem die beiden Männer die Bekleidung einfacher Bewohner des Landes trugen, hätte ein feiner Beobachter an ihnen erkennen können, daß sie einem anderen Stand angehörten. "Ich bin gespannt, was der Alte zu unserem Besuch sagen wird Taaf", sagte der Dicke. "Wir werden es hören Shidra", meinte sein Begleiter. "Jedenfalls scheint mir Rostan der letzte Ausweg in unserer Situation zu sein." Tatsächlich waren es der Hohepriester Shidra und sein Amtsbruder Taaf in einer sie beinahe unkenntlich machenden Vermummung. Sie trieben ihre Maultiere über den steinigen Weg nach oben und langten nach fast einer Stunde anstrengenden und halsbrecherischen Rittes vor dem Hause an. Das Haus lag still und scheinbar verlassen im rötlichen Schein der Abendsonne, welche den ganzen Bergrücken mit ihren Strahlen übergoß. Den beiden Besuchern bot sich ein herrlicher Blick auf die ihnen zu Füßen liegende Hauptstadt, den Hafen und darüber hinaus auf das Meer, in welchem der blutrote Sonnenball eben versank. "Welch friedliches Bild", konnte sich Shidra nicht enthalten zu bemerken. "Aber unser Besuch dient keineswegs friedlichen Zwecken", erinnerte Taaf. "Ich hoffe, der seltsame Kauz öffnet uns. Ich möchte nicht vergeblich den weiten Weg hierher unternommen haben." (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Er klopfte energisch an die verschlossene Bohlentür. "Rostan!" rief er dabei, "he, aufmachen, Freunde sind da!" Irgendwo krächzte ein Vogel. Der Wind pfiff um das einsame Haus und die Sonne begann am fernen Horizont zu versinken. Unwillkürlich hüllte sich Shidra noch fester in seinen Mantel. "Wenn er uns nicht aufmacht" brummte er, "dann können wir womöglich die ganze Nacht hier oben im Freien zubringen oder den gefährlichen Weg nach der Stadt zurückreiten, an dem sich überall das Gesindel Regs umhertreibt." "Er wird uns öffnen", beruhigte ihn Taaf. "Wenn er es tut, dann nur zu dieser Stunde. Ich kenne ihn. Diese Zeit bedeutet für ihn den Morgen. Tagsüber schläft er. Er erwacht nur zur Zeit der Dämmerung und bei Nacht steigt er hinab in die Tiefe des Berges, um dort zu arbeiten und das Gold zu erzeugen, mit dem er seine geheimen Schatzkammern füllt." "Ich werde jedenfalls froh sein, wenn ich wieder daheim im Tempelbezirk bin", erklärte Shidra aufrichtig. "Die Nähe dieses Menschen ist mir jedes mal ungemütlich. Er macht mich tatsächlich noch glauben, daß es Dämonen und böse Mächte gibt." "Aufmachen Rostan!" rief Taaf nochmals und tatsächlich wurden nach einer kleinen Weile im Inneren des Haus schlurfende Schritte laut. Knarrend öffnete sich die Tür und ein kleines Männchen erschien, das den beiden Besuchern kaum bis an die Brust reichte. Es war wohl ebenso alt wie Rostan und gehörte gewissermaßen zum Inventar seines Hauses. "Nebussor", sagte Taaf erfreut, "ist dein Herr zu Hause? Wir sind es, Shidra und Taaf. Sage Rostan, wir begehren ihn zu sprechen." "Mein Herr weiß es, das ist gewiß", antwortete Nebussor, "so wahr meine Wiege im fernen Persien stand. Tretet ein, er hat euch bereits gesehen." "Wieso hat er uns gesehen?" fragte Shidra verwundert. "Wir haben ihn nirgendwo erblickt?" "Das ist auch nicht nötig," lächelte Nebussor verschmitzt. "Meines Herren Augen sind überall, das ist gewiß, so wahr meine Wiege in Persien stand. Kommt mit mir. Ich bringe euch zu ihm." "Das kleine Männlein, in einen Mantel gehüllt, der ihm viel zu groß war und daher nicht paßte, schlurfte den Priestern des Heiligtums voran, nachdem es hinter den Eintretenden das Tor wieder sorgfältig geschlossen hatte. Unwillkürlich sahen sich Taaf und Shidra um. Seit ihrem letzten Hiersein und das war vor etwa zehn Jahren gewesen, hatte sich nichts verändert. Damals hatten die goldenen Säulen des Tempels dringend einer Erneuerung bedurft und Rostan hatte diesen Auftrag vortrefflich und preiswert erledigt. Er hatte einige Ziegen und Kühe dafür verlangt und Wein, sowie eine gewisse Menge Kupfers, das alles hatte er erhalten. Da er die Bezahlung im Voraus verlangt hatte, war die Meinung entstanden, er habe aus Kupfer, Ziegen, Kühen und Wein Gold gemacht. Nur Taaf wußte, daß er lediglich das Kupfer dafür verwendet hatte. Wenn je ein Mensch dem anderen in Atlantis treu und ergeben war, dann gewiß Jargo dem Prinzen. Aber Nebussor, der kleine Perser, stand Jargo in dieser Tugend keineswegs nach. Der kleine Mann war mit einem aufgebrachten Kauffahrerschiff an Land gekommen und hätte das Schicksal aller Gefangenen erleiden sollen. Er wäre im Kupferbergwerk verschwunden, wenn sich nicht Rostan, der schon seit langem mit Metall verschiedene Experimente betrieb, seiner angenommen hätte. So hatte ihm der König, der gleichfalls Rostans Dienste zu schätzen wußte, den kleinen Sklaven geschenkt und Nebussor hatte an Rostans Seite ein verhältnismäßig angenehmes, seinen eigenen Neigungen entsprechendes Leben gehabt. Denn die gemeinsame Freude an der Erforschung der Natur war es gewesen, die den Atlanter und den Perser, der freilich mitunter seine Heimat sehr vermißte - zusammengeführt hatte. Rostan erwartete die beiden Ankömmlinge in einem größeren, kreisrunden Raum, der ringsum bis an die Decke mit Papyrusrollen und Schrifttafeln angefüllt war und eine Treppe hinab in die Tiefe führte. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Seid mir willkommen", begrüßte er sie, ohne ihnen Sitze anzubieten, "ich habe nicht viel Zeit, denn ich befinde mich gerade inmitten einer wichtigen Arbeit. Sagt mir, was ich für euch tun kann." "Wir brauchen Gold Rostan", antwortete Taaf rundheraus, "viel Gold und diesmal in Körner und Staub." "Was für eine Betrügerei habt ihr diesmal vor?" fragte Rostan verächtlich. "Ich habe euch geholfen, die Säulen eures Tempels und euren Götzen mit glänzendem Metall zu versehen, aber ich habe keinen Zweifel darüber gelassen, daß es nicht Gold ist. Was ihr den Leuten erzählt habt, weiß ich nicht, mir ist es letzten Endes auch gleichgültig. Wenn sie so dumm sind an euren Götzen zu glauben, dann mögen sie meinetwegen auch die Säulen für Gold halten." "Niemand hat Schaden dabei erlitten Rostan", versicherte Shidra mit süßlichem Tonfall. "Gewiß und deshalb half ich euch auch. Aber was ihr nun vorhabt, sieht danach aus, als wolltet ihr das Metall an Goldes statt dazu verwenden, um Bezahlungen vorzunehmen." "Natürlich", antwortete Taaf, "das wollen wir. Wir brauchen viel davon, denn es stehen große Festlichkeiten vor der Tür. Der König will heiraten." "Prinz Torgo?" fragte Rostan. "Nein der König, König Amur meine ich." "Was der Alte?" fragte Rostan erstaunt. "Auch uns schien diese Nachricht erst unbegreiflich," nickte Shidra finsteren Gesichtes. "Du kannst es uns wahrhaftig glauben. Er heiratet eine ägyptische Prinzessin, die um mindestens vierzig Jahre jünger ist als er. Er ist ein Narr, um es unter uns zu sagen. Wenn Torgo das Mädchen geheiratet hätte, dann fände ich es natürlich und begreiflich. Aber Torgo mag sie nicht, denn sie ist eine Ungläubige." "Ich wußte gar nicht, daß Torgo so fromm ist", höhnte Rostan. Taaf schluckte den Spott hinunter, während Shidra grün anlief. "Wir brauchen deine Hilfe" sagte Taaf nochmals. "Die Festlichkeiten kosten viel und der Tempel ist arm. Die Spenden der Gläubigen fließen nicht mehr so reichlich wie früher." "Offenbar fließen sie noch reichlich genug, um euch beide gut zu ernähren", sagte Rostan, auf Shidras Leibesfülle deutend. "Und damit ihr es wißt, für Betrug gebe ich mich nicht her. Wenn ihr den Leuten das Metall als Gold andreht, so werden sie außerdem über kurz oder lang dahinter kommen, denn es setzt eine merkwürdig grüne Färbung an, wenn es eine Weile liegt. Echtes Gold hingegen verfärbt sich niemals." "Wer hat dir gesagt, daß wir es als Gold anbieten wollen?" fragte Taaf schnell. "Das haben wir gar nicht vor. Wir wollen es als das anbieten, was es ist - als das Gold, das du gemacht hast. Die Leute reißen sich darum, das kannst du mir glauben. Ein jeder will davon haben, es ist schließlich etwas Wunderbares, eine Gnade Bels, daß ein Mensch so etwas machen kann." "Mit Bel hat das gar nichts zu tun", wehrte Rostan ab, "dazu braucht man Hirn und euer Götze hat keines. Doch wenn ihr mir versprecht, es nicht als Gold aus zu geben, dann will ich euch welches machen, freilich nicht in Körner und Staub. Ich kann es euch nur in kleine Barren gießen und außerdem brauche ich dazu eine ganze Menge Kupfer." "Das sollst du haben, soviel du willst", versprachen Shidra und Taaf eifrig. "Und was wünscht du selbst dafür?" Taaf beobachtete Rostan scharf. Er fürchtete dessen Forderung, aber er wußte, daß er sie diesmal erfüllen mußte. Mit Rostan konnte man nicht verfahren wie mit anderen Leuten. Rostan schien nachzudenken. "Ich werde euch eine Liste der Dinge aufschreiben, die ich für meine Arbeit benötige", sagte er. "Und außerdem möchte ich noch ein paar Hühner und Schweine haben."
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"Das sollst du alles erhalten", sagte Taaf erleichtert. "Sende uns mit Nebussor deine Liste. Es wird alles beschafft, was du haben willst, nur mache uns recht, recht viel von deinem künstlichen Gold. Wir wollen dem König ein Hochzeitsfest bereiten, an das Atlantis noch lange denken soll." Rostan nickte den beiden zu. "Ihr müßt heim reiten", sagte er. "Hier im Hause kann ich euch heute Nacht nicht brauchen, denn ich fürchte, meine Experimente würden euch erschrecken." "Gut, wir reiten", sagte Shidra, "da du uns gehen heißt. Aber die Hauptsache ist doch, daß wir deine Zusage haben." "Die habt ihr. Nebbussor, bringe die beiden Männer hinaus." "Das war aber ein kurzer Besuch, das ist gewiß, so wahr meine Wiege im fernen Persien stand" versicherte Nebussor ernsthaft und führte Taaf und Shidra wieder ins Freie. Es war schon fast dunkel geworden. "Wenn ich jetzt an den Heimritt denke, wird mir gar nicht wohl", erklärte der dicke Hohepriester und kroch seufzend auf das Maultier. "Komm, wir wollen keine Zeit verlieren" meinte Taaf und trieb das seine an. Gemeinsam ritten sie wieder bergabwärts. Rostan hatte in seiner Bibliothek die Rückkunft Nebussors abgewartet. "Was hältst du davon?" fragte er den Kleinen. "Sie planen nichts Gutes, das ist gewiß", meinte das Männchen überlegend. "Und sie wollen dein falsches Gold zur Finanzierung ihrer dunklen Geschäfte benutzen." "Ja, so denke ich mir das auch", brummte Rostan und strich seinen wirren Bart. "Man müßte ihnen einen Strich durch die Rechnung machen." "Dazu müßte man aber erst wissen, was sie wirklich vorhaben", gab Nebussor zu bedenken. "Stimmt" sagte Rostan. "Weißt du was? Ich schicke dich morgen mit der Liste in den Tempel. Du gehst aber nicht gleich hin sondern versuchst erst in der Stadt herauszubekommen, was an der Geschichte mit der Hochzeit des Königs wahr ist."" "Das mache ich" erklärte Nebussor, "so wahr meine Wiege im fernen Persien stand." * Unterdessen ritten Taaf und Shidra wieder stadtwärts. Die Straße, welche sie von Rostans geheimnisvoller Behausung kommend benutzten, führte geradewegs durch ein Wäldchen, welches Shidra zu dieser Stunde nicht recht geheuer erschien. "Wollen wir es nicht lieber umreiten?" fragte er Taaf ängstlich. ,,Ich befinde mich nicht gerne des Nachts im Wald und meinem Maultier ist zudem nicht zu trauen. Es bockt bei jedem zehnten Schritt und hat schon die längste Zeit große Lust mich abzuwerfen." "Das kann ich dem Maultier nicht verdenken" erklärte Taaf grinsend. "Ich an seiner Stelle würde es ebenso machen Shidra, dein priesterliches Ansehen leidet unter deiner Leibesfülle. Man spottet bereits über dich. Du mußt ein wenig Mäßigkeit üben und dich beherrschen." "Mäßigkeit", brummte Shidra unwillig. "Bist du etwa mäßig? Du vergönnst niemandem etwas und willst alles für dich haben. Nun mißgönnst du mir sogar schon meine Mahlzeiten." Das macht der Geiz der dir innewohnt. "Meinetwegen iß bis du platzt", antwortete Taaf ärgerlich. "Ich wollte dir nur das Verhalten des Maultieres erklären. Und was den Wald angeht, so reiten wir geradewegs durch. Wir wollen nicht durch das Umreiten desselben fast eine halbe Stunde verlieren. Ich in froh, wenn ich auf mein Lager komme." Shidra, von Natur aus feige, widersprach seinem Gefährten nicht, obgleich er der Ranghöhere war. Er stieß nur ab und zu laute Seufzer und Töne des Jammers aus, mit denen er sich selbst Mut machen wollte, während Taaf still neben ihm dahinritt. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Aber gerade Shidras Jammerlaute waren es, welche einen Mann aufmerksam machten, der halb im Gebüsch verborgen, auf dem Moose schlief. Er erwachte, als er die beiden Reiter kommen hörte und richtete sich halb auf, um sie zu beobachten. Es war dunkel, aber so viel sah er, daß es sich um Reiter handelte, die sich hier in den nächtlichen Wald gewagt hatten. Blitzschnell verschwand er von seinem Platz und schlug sich durch das Gebüsch, bis er eine kleine Lichtung erreicht hatte, auf welcher noch etwa zehn Männer ruhten, deren Aussehen ebenso wie das seine keineswegs sehr vertrauenerweckend war. "He" zischte er, "wacht auf, zwei Männer durchqueren den Wald. Sie scheinen nicht arm zu sein. Wir können sie kurz vor der Wegkreuzung abfangen." Die anderen waren schnell auf den Beinen. Parallel zu den beiden müden Reitern schlich sich die Gruppe durchs Unterholz, Taaf und Shidra nach Kurzem bereits überholend. Als sie die Wegkreuzung erreicht hatten, legten sich die Wegelagerer zu beiden Seiten der Straße auf die Lauer. "Gottlob, nun ist der Wald gleich zu Ende und dann ist es nicht mehr weit bis zur Stadtmauer", sagte Shidra eben als die Wegelagerer aus dem Dunkel hervorbrachen. "Hilfe, helft mir, oh ihr Gläubigen, helft!" schrie Shidra, als man ihn von seinem Tier herabzerrte und ihm, da er sich wehrte, eine gehörige Tracht Prügel verabreichte. Auch Taaf nützte seine Gegenwehr nicht viel. Er sah das gleich und ließ sich schließlich widerstandslos fesseln, während Shidra sich unter Stöhnen und Brummen vom Boden erhob. "Mir das", keifte er, "mir, dem Hohepriester von Atlantis! Man wird euch köpfen, hängen und vierteilen! Man wird euch -- oh, ich weiß gar nicht, was man mit euch alles tun wird, sicher ist jedenfalls, ihr werdet es büßen!" Doch keiner von den Räubern schien Lust auf eine erbauliche Abendpredigt zu haben. Man stieß die beiden Gefesselten vorwärts in das Innere des Waldes hinein, bis zu der Lichtung, auf der die Räuber vor dem Überfall geruht und geschlafen hatten. Zwei von ihnen hatten sich der Maultiere angenommen, deren Satteltaschen auf der Lichtung sogleich genau untersucht wurden. Man fand etwas Gold und Proviant. Zusammen mit den Tieren und den Umhängen, welche man den Gefangenen wegnahm, bildete das die ganze Beute. "Immerhin, es hat sich gelohnt", versicherte der Anführer der Bande, "und wenn der Herr heute Nacht kommt, wird er mit uns zufrieden sein." "Glaubst du wirklich, daß der eine von ihnen der Hohepriester von Atlantis ist?" fragte ihn einer. "Unsinn", schüttelte der Gefragte den Kopf. "Der Hohepriester schläft um diese Stunde auf weichen Kissen und reitet gewiß nicht durch den nächtlichen Wald. Außerdem, sieh dir das Gewand der beiden an. Sehen so Priester aus?" "Nein", mußte der Mann zugeben. "Na, also. Da siehst du es, sie lügen. Der Herr wird schon aus ihnen herausbekommen, wer sie sind und vielleicht ist dann auch noch ein hohes Lösegeld unser." "Das wäre fein. Wofür hältst du sie?" "Für Kaufleute, welche in Geschäften nach der Stadt unterwegs waren. Sicher haben sie Angehörige, welche sie auslösen werden, wenn wir Lösegeld von ihnen verlangen." "Heda, ihr Strolche, Räuber und Diebe", schimpfte Shidra, "laßt mich los! Ich verlange, sofort freigelassen zu werden. Ich bin der Hohepriester von Atlantis!" "Das kannst du meiner Urgroßmutter erzählen", erklärte der Anführer und gab Shidra einen Stoß, daß sich dieser auf sein Hinterteil setzte. In diesem Augenblick rauschte es in den Büschen auf. Ein Mann trat aus dem Dunkel - es war Reg.
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"Herr", sagte der Anführer der Gruppe, "wir haben diese beiden nächtlichen Vögel gefangen. Beschließe, was mit ihnen zu geschehen hat." Ein Grinsen ging über Regs schmutziges Gesicht, als er die beiden Gefangenen erkannte. "Oh", sagte er, "Shidra und Taaf, meine lieben, zuvorkommenden Freunde!" Taaf hörte sofort, daß sich der nackte Hohn hinter diesen Worten verbarg und er schwieg daher. Aber Shidra sprang wieder auf, hob seine gefesselten Hände und stolperte entgegen. Welch ein Glück, daß du es bist, der diese Horde zu befehlen hat", rief er. "Sie haben uns gefangen genommen, uns, von denen du selbst soeben gesagt hast, daß wir deine aufrichtigen Freunde sind! Veranlasse sofort, daß man uns freigibt!" "Gleich, gleich", sagte Reg. "Aber erst wollen wir uns setzen und gemütlich miteinander plaudern." "Plaudern, hier?" fragte Shidra fassungslos. "Komm zu uns in den Tempel, wenn du uns sprechen willst." "Hier ist aber mein Tempel", erwiderte Reg höhnisch "und im Grunde genommen ist es der gleiche Götze, den wir anbeten, du und ich. Hüte deine Zunge. Dicker, dies hier ist mein Reich und nicht das deine. Hier befehle ich!" Shidra setzte sich tatsächlich, aufs höchste erstaunt über den Ton, in welchem Reg mit ihm zu reden wagte. "Was willst du von uns?" fragte Taaf. "Setze auch du dich", forderte Reg ihn auf. "Es trifft sich gut, daß wir uns hier begegnen. Ich hätte euch morgen ohnehin aufgesucht, aber ich glaube, daß sich unsere Verhandlungen an diesem Ort günstiger abwickeln lassen." Taaf bezweifelte das, zumindest den Umstand, daß das Ergebnis der Besprechung für ihn und Shidra günstig sein werde, aber das hatte ja wohl Reg nicht gemeint. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich neben Shidra zu setzen. "Du könntest uns wenigstens die Fesseln aufknüpfen lassen", sprach er unwillig. Du behandelst uns tatsächlich schändlich." "Und wie hast du uns behandelt?" fragte Reg zurück. "Du hast meine Hilfe und die Hilfe meiner Leute gegen den König in Anspruch genommen. Und als der Plan dann schief ging, habt ihr beide ruhig zugesehen, wie man meine Leute verhaftete und ins Bergwerk schickte. Ihr habt zugesehen, wie ich flüchten mußte und ihr habt keinem meiner Männer Asyl geboten, sondern sie schändlich den Kriegern des Königs ausgeliefert. Ja, ihr habt eurer Heimtücke die Krone aufgesetzt, indem ihr eine Dankandacht für die Errettung des Königs abgehalten habt als ob ihr nicht selbst die gewesen wäret, welche ihm am lebhaftesten den Tod gewünscht haben." "Höre", antwortete Taaf, "du sprichst, wie es dir dein kleiner Verstand eingibt. Der König hatte die Macht. Wir müssen immer auf Seiten dessen sein, der die Macht hat, oder zumindest so tun. Hätten wir etwa öffentlich deine Partei ergreifen sollen? Gewiß, man respektiert uns, aber auch das hat seine Grenzen. Ich habe dir im Voraus gesagt, daß wir von dir abrücken werden, falls der Plan mißlingt. Und es ist nicht unsere Schuld, daß es so gekommen ist. Du hast viele Fehler begangen, zu viele Fehler Reg. Und deshalb haben wir auch mit dir gebrochen. Wir können uns auf keine neuen Unternehmungen mit dir einlassen. Wir werden andere Wege suchen müssen, um zu unserem Ziel zu gelangen. Und jetzt halte ich es für richtig, daß du uns unsere Sachen wiedergibst und uns ziehen läßt. Mehr haben wir, denke ich, einander nicht zu sagen." Er erhob sich, als sei er es, von dem die Dauer des Gespräches abhängig. Die Umstehenden hatten seinen Worten mit offenem Munde zugehört und tatsächlich war die Macht seiner Persönlichkeit so groß, daß Reg unwillkürlich den Dolch zog und ihm die Handfesseln aufschnitt. Er bereute es sogleich. "Setz dich wieder", befahl er. "Du hast gesprochen, aber ich bin noch nicht zu Ende. Ich habe dir noch vieles zu sagen, auch den Grund, weshalb ich euch morgen aufsuchen wollte. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Wir sparen Zeit, wenn wir alles gleich jetzt besprechen." Er winkte einem seiner Leute, auch Shidra zu befreien und setzte sich dann selbst diesem gegenüber, so daß auch Taaf nichts anderes übrig blieb, als neuerlich Platz zu nehmen. "Ich kenne eure Pläne", sagte Reg und seine Stimme klang um eine Schattierung freundlicher "und ich bin bereit, sie unter gewissen Bedingungen neuerlich zu unterstützen." "Und die wären?" fragte Taaf kühl und sachlich. "Laß mich zunächst einmal berichten, was ich vorhabe", antwortete Reg, "und dann sage selbst, ob der Preis, den ich dir nennen werde, zu hoch ist." "Du machst mich neugierig", erklärte Shidra. "Ich glaube, diesmal werde ich euch nicht enttäuschen", versicherte Reg zuversichtlich. "So sprich", forderte ihn Taaf auf, "erzähle, was du vorhast, wir hören!" * Den halben Tag verbrachte der König jetzt im Pavillon bei seiner Braut, die sich genötigt sah, zu diesem Spiel gute Miene zu machen. Nif-Iritt empfand die Nähe des Königs als lästig und nur durch Nimburs Zureden hielt sie sich soweit im Zaum, daß der König ihre wahren Empfindungen nicht merkte. Prinz Torgo hingegen vermied es, mit Nif-Iritt zusammenzukommen. Auch Bethseba sah er in diesen Tagen selten. Die Worte seines Dieners Jargo, die dieser auf der Jagd unlängst an ihn richtete, hatten ihm sehr zu denken gegeben. Bethseba, was bedeutete sie ihm wirklich? Der Prinz versuchte, sich hierüber Klarheit zu verschaffen. Es gelang ihm aber nicht. Er versuchte, durch häufige Ausritte und Fahrten auf dem Meer sein inneres Gleichgewicht wiederzuerlangen das auch durch die bevorstehende Hochzeit seines Vaters mit der Tochter des Pharao gestört war. Nif-Iritt als Stiefmutter konnte er sich noch weniger vorstellen wie Nif-Iritt als Ehefrau. Am Tage nach dem Besuch der beiden Priester ritt Nebussor auf seinem hochbeinigen Esel hinab in die Stadt. Das kleine Kerlchen balancierte auf dem dünnbeinigen, mit eckigen Bewegungen dahinstolpernden alten Grautier durch den Wald, in welchem in der vergangenen Nacht Taaf und der Hohepriester überfallen worden waren und erreichte in den späten Vormittagsstunden das Stadttor. Eingedenk seines Auftrages, zu erforschen, was an der Hochzeitsgeschichte wahres dran sei, begann Nebussor sogleich Erkundigungen einzuziehen. "He du", fragte er einen Feigenverkäufer, "wie gelange ich hier zum königlichen Palast?" "Geradeaus und über den Marktplatz, dann links über die Zugbrücke", antwortete der Mann. "Was willst du Zwerg im Palast? Wenn dich die Wachen auf deinem jämmerlichen Esel erblicken, fallen sie tot um vor lachen." "Und wenn sie dann dich sehen, werden sie vor Schreck wieder lebendig. Das ist gewiß, so wahr meine Wiege in Persien stand" parierte der kleine Mann. "Was ich im Palast will geht dich gar nichts an. Vielleicht habe ich nur Lust, mich nach dem Befinden des Königs zu erkundigen." "Dem König geht es so gut, daß er sich sogar verheiraten will", lautete die Antwort. "Dann will ich ihm dazu Glück wünschen", erklärte Nebussor lachend. Er machte sich aus dem Staube. Ähnlich wie mit dem Feigenhändler erging es ihm an verschiedenen Stellen. Er erfuhr überall, daß der König sich tatsächlich mit Nif-Iritt, der Tochter des Pharao, zu verheiraten gedenke. Als es darüber keinen Zweifel mehr gab, daß die Priester also die Wahrheit gesprochen hatten, machte sich der kleine Perser auf den Weg in den Tempelbezirk. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Taaf und Shidra erwarteten ihn bereits. "Hier bin ich", sagte Nebussor. "Und ich bringe die Liste, welche mein Herr aufgesetzt hat." Er zog eine lange, eng beschriebene Papyrusrolle hervor und breitete sie vor Taaf und Shidra aus. Die beiden studierten die Liste. Taafs Miene nahm allmählich den Ausdruck höchster Verwunderung an. "Wozu braucht dein Herr all diese Sachen", fragte er. "Das weiß ich nicht", antwortete Nebussor kurz. "Er meinte es würde notwendig sein, daß die meisten dieser Dinge erst angefertigt werden. So zum Beispiel Räder, welche Zähne haben." "So etwas gab es noch nie in Atlantis", staunte Taaf. "Was plant dein Herr? Wozu kann man solche Räder gebrauchen? Und wer soll sie machen?" "Das ist deine Sache. Rostan hat dir genau aufgeschrieben, wie er es haben will, auch alle Maße. Du mußt nur alles so verfertigen lassen, wie es hier steht. Je früher alles in Rostans Besitz ist, um so schneller bekommst du das künstliche Gold." "Höre zu Nebussor", meinte Taaf, nachdem er die Bestellliste aufmerksam durchgesehen hatte, "es sind Umstände eingetreten, von denen wir gestern bei unserem Besuche noch nichts ahnten. Sie machen es vielleicht erforderlich, daß wir das Gold noch früher benötigen, als wir ursprünglich glaubten." "So gibt es einen einfachen Weg, um es rascher zu erlangen", antwortete Nebussor schlau. "Du mußt nur dazu sehen, daß mein Herr auch alle die verlangten Sachen noch früher hat, einschließlich der Hühner und der Schweine." Er nickte den beiden freundlich zu und schwang sich draußen wieder auf seinen Esel, um sich auf den Heimweg zu machen. Taaf und Shidra blieben allein zurück. "Was hältst du davon?" fragte Shidra. "Was sind das für sonderbare Wünsche die Rostan da äußert?" "Es sind Bestandteile irgend eines Apparats", brummte Taaf. "Ich habe keine Ahnung was das werden soll, vielleicht ist es ein Gerät, das ihm beim Goldmachen dienlich sein kann, vielleicht wird es auch etwas anderes. Du weißt, dieser Rostan steckt stets voller Pläne und voll wunderlicher Ideen. Und da er ein kluger Kopf ist, sind die Dinge sicher nützlich. Das beste ist ihn gewähren zu lassen." "Aber diese Dinge werden einiges kosten", bemerkte Shidra. Taaf machte eine wegwerfende Handbewegung. "Sie kosten uns nichts, denn Rostan selbst wird sie bezahlen. Ich habe von Haus aus etwas mehr von dem Gold verlangt, als wir meiner Meinung nach für unsere Zwecke brauchen. Mit diesem Mehr bezahlen wir die Bestellungen für Rostan. So schlau ist er wieder nicht, daß er auf den Gedanken käme, sich die Dinge um einen Bruchteil dessen was er uns liefern muß, selbst anzuschaffen." "Ja, du bist der Schlaueste von uns allen", sagte Shidra wohlwollend und darum glaube ich auch, daß wir diesmal tatsächlich Erfolg haben werden." "Noch dazu ohne Reg", bemerkte Taaf nicht ohne Stolz. "Dieser Einfaltspinsel glaubte, uns seinen Willen aufzwingen zu können. Da irrt er sich aber!" "Aber vorläufig müssen wir ihn in dem Glauben lassen, daß wir seinen Plan gutheißen und unterstützen", erklärte Shidra. "Vorläufig, ja", sagte Taaf beipflichtend. "Er wird aber bald genug merken, woher der Wind weht, dann allerdings wird es für ihn zu spät sein. Der Mann weiß zu viel über unsere Pläne. Er muß verschwinden. Sein Tod ist beschlossen." Reg war, als er Taaf und Shidra die Freiheit wiedergegeben hatte, noch eine Weile im Kreise seiner Männer sitzen geblieben.
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"Ihr wißt nun, wer diese beiden sind", sagte er. "Belästigt sie nicht wieder, wir brauchen sie, zumindest vorläufig noch. Später wird sich das wahrscheinlich ändern. Ich reite jetzt zurück in die Burg. Sprengt das Gerücht von dem Tiger aus. Und sobald der Prinz auf die Jagd reitet, laßt es mich wissen." Die Männer versprachen es. Noch in der gleichen Nacht brach Reg auf. Er ritt, begleitet von zwei Männern und erreichte sein Ziel erst drei Tage später. Es lag tief im Sumpfland am Fuße eines Gebirges, des gleichen zu dem auch Numrods Kupferbergwerk gehörte, inmitten einer Urwaldwildnis von trügerischer Schönheit. Hierher hatte sich Reg mit dem Rest der Aufständischen zurückgezogen. Das Erdreich war hier weich und oft plätscherte das Wasser unmittelbar unter den Halmen, die es verbargen. Für den Fremden, Orts Unkundigen barg dieses Land den Tod. Hier hatten die Männer der Bettlerbande auf einer von unbegehbarem Morast umgebenen Insel ein Schilfhüttendorf errichtet und diesen Ort nannte Reg seine "Burg". Und sein Plan war, Prinz Torgo auf der Jagd nach einem erfundenen Tiger in den Sumpf zu locken. Reg war sicher, daß der Prinz dieses Abenteuer nicht überstehen werde. Er tat es aus eigenem Antrieb, aus Rache für die erlittene Niederlage, aber er hatte dabei auch seinen Vorteil im Auge und hatte von Taaf und Shidra dafür Geld verlangt. Aber Taaf und Shidra verfolgten andere Pläne. Sie hatten zu Regs Vorhaben zwar ja gesagt, denn es konnte immerhin gelingen und dann waren sie den Prinzen auf einfache Weise los. Aber sie planten anderes und dazu brauchten sie Gold, viel falsches Gold. Sie wollten den alten König und Prinz Torgo auf dem Wege zum Tempel, kurz vor der Hochzeitszeremonie, von gedungenen Männern ermorden lassen... * "Ist das nicht Jargo, des Prinzen Diener? Er ist es, das ist gewiß, so wahr meine Wiege im fernen Persien stand!" "Und das ist Nebussor, mein Freund! Was führt dich in die Stadt?" "Geschäfte, Jargo, Geschäfte. Shidra und Taaf waren gestern bei meinem Herrn. Sie haben Gold bei ihm bestellt, eine ganze Menge." "Das ist doch nicht wahr, daß dein Herr Gold machen kann. Oder?" Nebussor grinste. Sie standen beide nahe dem Stadttor vor einer Schenke, vor der sie sich zufällig getroffen hatten. "Spendierst du mir Wein, so will ich es dir auf Ehre und Gewissen verraten", erklärte Nebussor ernsthaft. Im übrigen ist es ein G1ück, daß ich dich treffe. Ich muß verschiedenes von dem wissen, was am Hofe vorgeht." "Komm mit in die Schenke", lud Jargo den kleinen Perser ein. "Dein Volk ist im Allgemeinen stark und groß gewachsen, mir wird es immer ein Rätsel bleiben, wieso du so winzig geblieben bist." Laß deinen Spott, Jargo, er steht dir nicht an. Die Hauptsache ist, daß mein Verstand nicht so klein geblieben ist wie der vieler Atlanter." Jargo steckte den gutmütig gemeinten Seitenhieb lächelnd ein, half Nebussor sein Grautier an einen vor dem Wirtshaus in die Erde getriebenen Pfahl anzubinden und dann setzten sie sich in den Schatten eines Vordaches. Der Wirt brachte einen Krug kühlen Weines. "Du fragst wohl wegen der Hochzeit?" begann Jargo. "Da hat man dir recht berichtet. König Amur heiratet. Das Fest findet in zwei Wochen statt. Es werden schon jetzt große Vorbereitungen getroffen." "Gerade dieser Vorbereitungen wegen waren gestern Shidra und Taaf bei meinem Herrn. Sie brauchen eine Menge falschen Goldes, denn sie wollen eine große Prozession auf die (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Beine bringen." "Wozu brauchen sie dafür falsches Gold?" fragte Jargo verwundert. "Die Teilnehmer an den Prozessionen werden doch nicht bezahlt? Sie kommen freiwillig. Nur die Musikanten und die Priester verlangen Entgelt. Aber für sie muß der König aus seiner eigenen Schatulle eine Spende bereitstellen." "Davon verstehe ich nichts", meinte Nebussor. "Tatsache ist jedenfalls, daß sie kleine Goldbarren brauchen. Ursprünglich wollten sie Beutel mit Goldstaub haben, aber die will mein Herr nicht erzeugen." "Ja, kann er denn wirklich Gold machen? Du hast versprochen, es mir zu verraten!" "Ich halte mein Versprechen. Es ist selbstverständlich kein wirkliches Gold, aber es sieht genau so aus. Mein Herr verfertigt es aus einer Mischung von Kupfer und einem silberhellen Metall, daß er in der Tiefe des Berges gewinnt, auf welchem unser Haus steht." "Das ist mir etwas ganz Neues", bekannte Jargo. "Man müßte direkt den Prinzen und dem König davon erzählen." "Ich war schon oft dabei, als Rostan die beiden Metalle bis zur Flüssigkeit erhitzte und dann gemeinsam in den Tiegel goß, in denen sie sich zischend in rotleuchtender Glut vereinigten." "Und es ist kein wirkliches Gold, sagst du?" "Nein, es ist etwas anderes. Im Laufe der Zeit setzt es eine Art grünen Schimmel an, auch auf den Säulen des Tempels kannst du es schon merken." "Schade. Läßt sich das nicht vermeiden?" "Ich weiß es nicht. Du müßtest meinen Herrn fragen. Sicherlich weiß er kein Mittel dagegen, denn sonst hätte er es bereits in Anwendung gebracht. Er sagt nur, daß die Mischung ein ganz neues Metall ergäbe, das in der Natur nicht vorkommt." "Und dein Herr beschäftigt sich in einem fort mit diesem Metall?" "Oh nein, er hat eine Menge Pläne. Jetzt zum Beispiel müssen ihm die Priester Material zum Bau eines ganz neuartigen Apparates beschaffen, dessen Zweck mir selbst noch nicht klar ist. Aber ich glaube, er will das Licht der Sonne einfangen." "Oh", erschrak Jargo, "dann wird es ja überall dunkel sein, wenn dein Herr das Licht einfängt." "So meine ich es nicht", wehrte Nebussor lächelnd ab. "Mein Herr sagt, wer dieses Gerät besitzt, kann jeden Feind auf große Entfernung hin vernichten." "Das wird Torgo gewiß interessieren.", versicherte Jargo aufhorchend. "Davon muß ich ihm berichten." "Du kannst ja mit dem Prinzen gelegentlich meinen Herrn besuchen", lud Nebussor ein. "Kommt einmal und seht euch meines Herrn Werkstatt an. Für den Prinzen hegt er große Sympathien, ich bin sicher, daß er sich über euren Besuch nur freuen wird." Ein Weilchen später war Nebussor auf seinem Esel längst wieder zu seinem Herrn unterwegs und Jargo fand sich bei Torgo ein, dem er von der Begegnung mit dem kleinen Perser berichtete. "Das ist ja sehr interessant", fand Torgo. "Der Vorschlag deines Freundes verdient angenommen zu werden. Ich denke, wir reiten wirklich einmal abends auf den kahlen Berg und sehen uns das seltsame Haus Rostans an und was für Geheimnisse es birgt. Im übrigen muß ich meinem Vater berichten, daß die Priester so viel künstliches Gold haben wollen, denn das will mir gar nicht gefallen. Da steckt gewiß eine neue böse Absicht dahinter." Der König hatte aber nur Sinn für Nif-Iritt und die bevorstehende Hochzeit. Längst war Nif-Iritt aus dem Pavillon in ein Gemach des Palastes übersiedelt und der König ließ für sie kostbare Gewänder für die Hochzeit anfertigen. "Gold?" horchte er auf. "Es ist möglich, Gold zu erzeugen? Und Rostan kann das? Ich glaube, ich erinnere mich an ihn... Diesen Mann muß ich mir kommen lassen. Ich brauche viel Gold, die Hochzeit wird eine Menge Geld verschlingen und ich will dem Pharao ein Geschenk darbringen, daß ihm die Augen aufgehen sollen. Er soll sehen, daß ihm ein (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Bündnis mit Atlantis reichen Segen bringen wird. Bringe mir Rostan, Torgo, er soll auch für mich Gold machen, oder besser, nur für mich. Die Priester haben ohnehin genug davon." Torgo ging ärgerlich, denn es störte ihn, daß seines Vaters Gedanken unausgesetzt mit Nif-Iritt und der bevorstehenden Hochzeit beschäftigt waren, einer Hochzeit, der er noch immer nichts abzugewinnen vermochte. Im Garten traf er Bethseba. Sie saß auf einer der steinernen Bänke und fütterte die Pfauen, welche sich ihr zutraulich genähert hatten und ihr die Körner aus der Hand pickten, die sie ihnen reichte. Er begrüßte sie freundlich. "Prinz", antwortete sie, "deine Miene ist sorgenvoll. Was bedrückt dich?" "Viele Dinge, Bethseba. Da ist einmal Nif-Iritt." "Mißgönnst du sie deinem Vater?" fragte Bethseba lächelnd. "Mißgönnen? Wie kommst du darauf? Ich fürchte nur, daß sie ihn lächerlich macht. Ich weiß, daß sie ihm Zuneigung vorheuchelt und daß sie es nicht ehrlich meint. Doch mein Vater ist mit Blindheit geschlagen." "Nicht ganz so, wie du denkst. Er will nicht nur Nif-Iritt. Er will Frieden mit dem Pharao und eine Hilfe gegen Griechenland." Dem Prinzen kamen die Worte in den Sinn, welche sein Vater mit ihm über diesen Punkt vor einigen Tagen gewechselt hatte. "Ja, wahrscheinlich hast du recht", sagte er. "Aber er zahlt dafür einen hohen Preis, einen zu hohen, will mir scheinen. Ich glaube, daß es andere Wege geben muß, um zu diesem Ziel zu gelangen." "Möglich Prinz, doch dein Vater sieht nur den einen." "Und er ist dabei blind für den Abgrund, der sich vor ihm auftut. Ich meine, daß der Aufstand ihm hätte zeigen müssen, wie mächtig die Kräfte sind, die gegen ihn am Werke sind. Ich glaube, daß sie Neues planen." "Shidra und Taaf?" fragte Bethseba ernst. "Es gibt einen Mann in Atlantis, der die Kunst beherrscht Gold zu machen", erzählte er. "Ihn haben sie aufgesucht. Sie brauchen Mengen davon. Wozu als zu dem Zweck, um einen neuen Aufstand zu finanzieren oder gar um Mörder zu dingen?" "Hast du es deinem Vater gesagt?" ,Ja, nun will auch er von dem Gold aber er möchte es für Nif-Iritt und den Pharao, um beiden seine Macht und seinen Reichtum vor Augen zu führen." "Bel", sagte Bethseba leise. "Was sagtest du?" "Ich sage: Bel. Es ist immer wieder Bel. Seine Macht hat ganz Atlantis erfaßt, auch deinen Vater, ja vielleicht wird sie eines Tages auch dich packen." Torgo lachte. "Ich benötige kein künstliches Gold", sagte er verächtlich. "Nicht nur Gold, echtes oder falsches", sagte Bethseba, "ist ein Zeichen von Bels Regentschaft, nicht nur die Gier nach Reichtum und nach Macht. Bel begegnet uns in vielerlei Gestalt. Oft erkennen wir ihn gar nicht. Wir müssen wachsam sein." "Ich glaube nicht an ihn", lachte Torgo. "Daran tust du unrecht. Es gibt ihn", antwortete Bethseba in warnendem Ton. "Aber er ist kein Gott, sondern ein Dämon. Jawohl, einem Dämon habt ihr euren Tempel errichtet." Torgo rückte ein wenig von ihr ab. "Du sprichst harte Worte Mädchen", sagte er enttäuscht. "Ich habe Bels Tempel nicht erbaut und ich werde ihm niemals einen bauen. Doch gibt es in dem Lande aus welchem du (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
kommst, nicht ähnliches?" "Freilich gibt es das", gab Bethseba zu "und ich wüßte kein Land, wo es anders wäre. Solch ein Land müßte jeder für sich selbst in seinem eigenen Herzen errichten, aber die wenigsten haben die Kraft dazu. Ein Dämon war es ja auch der die Ägypter dazu trieb, die Kinder der Juden zu ermorden." "Erzähle mir davon", verlangte Torgo. "Das ist traurig, doch bald erzählt", begann Bethseba. "Als sich der Reichtum der Stämme Israels mehrte, wurden die Ägypter zornig und voll Neid. Der Pharao diktierte uns hohe Steuern, er nahm uns Häuser, Land und Vieh und machte aus uns ein Volk der Sklaven. Doch auch dem hielten wir stand. Da gab er eines Tages Befehl, daß jeder neugeborene Judenknabe sofort zu töten sei. Er befahl den Hebammen es zu tun, doch diese kamen dem Befehl nicht nach. Sie suchten Ausflüchte und fanden sie auch. Sie behaupteten schließlich, die Jüdinnen benötigen Hebammen nicht, sie gebären so schnell, daß die Hebammen zu spät kämen, wenn sie gerufen würden. Da ließ der Pharao Patrouillen seiner Krieger durch die Dörfer und Städte ziehen, um jedes neugeborene Knäblein unseres Volkes zu töten. Und wer eine Neugeburt nicht meldete, hatte mit hohen Strafen zu rechnen." "Das sind schreckliche Leiden deines Volkes", meinte Torgo. "Der Herr hat sie uns auferlegt", meinte Bethseba. "Eines Tages wurde in einer verwandten Familie ein Knäblein geboren. Welche Mutter bringt es schon übers Herz, ihr Kind zu töten oder seine Geburt zu melden, damit sie kämen, es umzubringen? Meine Verwandten kamen auf den Einfall, das Kind in der Nähe des königlichen Palastes auszusetzen. Die Schwester des Vaters und ich, wir nahmen einen Korb aus Schilf, füllten ihn mit Blättern und ließen das Kind vom Wasser des Stromes davon treiben, bis es in die Nähe der Stelle kam, an welcher Nif-Iritts ältere Schwester badete, sie ist ohne Mann und kinderlos. Während ich den Korb zu Wasser ließ, hatte sich meine Freundin bereits in der Nähe der Badestelle versteckt. Wir warteten und beteten, daß der Herr ein Wunder tun möge. Und siehe, das Kind wurde von der Strömung dahin getragen und von den Dienerinnen der hohen Frau bemerkt. Sie brachten den Korb und das Kind darin schrie, Nif-Iritts Schwester fand das Kind wunderhübsch, sie hätte es gerne behalten, aber es war keine Amme bei Hof. Damit hatten wir gerechnet, meine Freundin verließ ihr Versteck und tat, als käme sie zufällig an dem Ort des Bades vorbei. Sie tat als sie die Szene sah, die sich dort abspielte, gleichfalls sehr erstaunt und gerührt und meinte, sie wüßte eine junge Jüdin, welche die Stelle der Amme an dem Kind vertreten könne. Und Nif-Iritts Schwester bat, ihr diese Frau zu schicken, da sie das Kind behalten wolle, liefen meine Freundin und ich, um die Mutter vom Gelingen des Plans zu verständigen. Sie meldete sich bei Hof und wurde so die Amme ihres eigenen Kindes und niemand ahnt etwas davon. Glaube mir, es kostet sie Tag für Tag Mühe genug, sich nicht zu verraten." "Aber man weiß doch, daß der Knabe ein Jude ist", meinte Torgo. "Natürlich weiß man es. Aber ich glaube, er wird es nie erfahren. Denn Nif-Iritts Schwester erzieht ihn wie ihren eigenen Sohn." "Das ist ein merkwürdiges Schicksal", erklärte Torgo. "Und du denkst, daß er seine Abstammung nie merken wird?" "Vielleicht, vielleicht auch nicht, Torgo. Wie kann ich es wissen! Vielleicht spürt er eines Tages die Stimme seines Volkes in seinem Blut, vielleicht erbarmt er sich der Leiden der Geknechteten. Vielleicht verleugnet er uns. Die Zukunft wird es lehren." Torgo erhob sich von der steinernen Bank. "Ich muß mich rüsten, mit Jargo nach dem Hause Rostans zu reiten", sagte er. "Ich danke dir für deine Erzählung. Ich werde über deine Worte nachdenken." Er verabschiedete sich von Bethseba und kehrte in den Palast zurück, wo ihn Jargo bereits erwartete. "Es wird spät, Herr", mahnte Jargo. "Sei nicht ungeduldig", wehrte Torgo ab. "Wir erreichen den kahlen Berg noch zur rechten Zeit, wenn wir unsere Pferde tüchtig ausgreifen lassen." Wenig später saßen sie im Sattel und verließen durch eines der Tore die Stadt. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Im Westen, über dem Meer braute sich ein Gewitter. "Es sieht nach Blitz und Donner aus", meinte Jargo, nach Westen deutend. "Nach Süden zu ist die See offen. Aber von Westen her zieht es gefährlich herauf." "So beeilen wir uns, daß wir rascher zu Rostan kommen", meinte Torgo. Sie ließen ihren Pferden die Schenkel fühlen. Als die ersten Tropfen fielen, erreichten sie den Wald, "Bleiben wir hier unter den Bäumen", schlug Jargo vor. "Hier haben wir etwas Schutz vor dem Wolkenbruch, der nun gleich hereinbrechen wird." Torgo war es recht. Ein gewaltiges Gewitter entlud sich über der Insel. Blitz folgte auf Blitz und Donner auf Donner. Eine wahre Sturzflut von Wasser brach aus den geöffneten Schleusen des Himmels auf das dürstende Land herab, das nach der trockenen Hitze der letzten Tage der Feuchtigkeit sehr bedurfte. Der Regen trommelte auf das dichte Blätterdach, welches sich schützend über die beiden Männer breitete. Sie hatten ihre Pferde an Baumstämme gebunden und sich selbst mit dem Rücken an das Holz gelehnt. So saßen sie, halbwegs im Trockenen, und warteten. "Herr", bemerkte plötzlich Jargo, "ich glaube, da kommt jemand." Ein zerlumpter alter Mann kam des Weges. Er war offenbar unterwegs nach der Hauptstadt und der Regen schien ihn wenig zu stören. "He, Alter", rief Jargo ihn an. "Was hast du es so eilig? Bleib unter den Bäumen, sonst wirst du naß!" "Besser naß, als vom Tiger gefressen zu werden", brummte der Alte zurück. "Was denn für ein Tiger?" gab Jargo erstaunt zurück. "Ich komme aus dem Sumpfland" antwortete der Alte stehenbleibend. "Dort ist ein Tiger aufgetaucht. Er kommt bis an die Dörfer heran und hat es scharf auf das Vieh. Die Mütter können ihre kleinen Kinder nicht mehr des Abends spielen lassen." "Davon höre ich durch dich zum ersten Mal", mengte sich Torgo ins Gespräch. "Es ist auch erst seit kurzem so", antwortete der Mann. "Hoffentlich finden sich ein paar mutige Männer, die dem Tier zu Leibe rücken, bevor es größeren Schaden anrichtet." Der Alte nickte den beiden grüßend zu und trollte sich. Er war bald im Walde, zwischen den Bäumen, verschwunden. "Das wäre eine Aufgabe für uns, meinst du nicht auch, Herr?" fragte Jargo, schelmisch blinzelnd. Torgo nickte. "Vielleicht können wir noch vor der Hochzeit einen Abstecher ins Sumpfland machen", meinte er. "Eine Tigerjagd habe ich noch nie erlebt. Das wäre einmal ein ganz neues Abenteuer." Der Regen ließ nach. "Nun wollen wir uns wieder auf den Weg machen", befahl Torgo. "Wir müssen reiten, wir haben durch das Gewitter viel Zeit verloren. Es wird bald dunkel und wir müssen noch den Bergpfad hinauf." Der Regen war nur mehr Schwach spürbar als sie den Wald verließen, aber der Himmel war bedeckt und es wurde infolgedessen früher dunkel, als es sonst der Fall gewesen wäre. Ab und zu zuckte ein fernes Wetterleuchten auf, überzog den Himmel sekundenlang mit flammender Lohe und dumpf dahinrollender Donner folgte, unter dem die Erde zu erbeben schien. "Das wird eine unheimliche Nacht", sagte Jargo.
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"Unheimlich?" Torgo lachte. "Du fürchtest dich doch nicht etwa, Jargo? Du kannst umkehren, wenn du nicht mit mir kommen willst." "Was denkst du, Herr?" fragte Jargo, der sich bei seiner Ehre gepackt fühlte. "Was soll mein Freund Nebussor von mir denken, wenn er etwa hört, daß ich vor ein bißchen Blitz und Donner ausgerückt bin?" Die beiden erreichten den kahlen Berg, dessen dunkle Silhouette gespenstisch gegen den wolkenverhangenen Himmel stieg. "In der Tat, unheimlich", fand nun selbst Torgo. Sie trieben ihre Tiere den Bergpfad hinauf und erreichten, als die Nacht bereits völlig hereingebrochen war, das einsame Haus Rostans. Jargo pochte. Keine Antwort... Wieder pochte der Diener, man hörte seinen Schlägen die Ungeduld an. Niemand öffnete. "Vielleicht ist niemand zu Hause", meinte Torgo verärgert. "Am Ende haben wir den weiten Weg vergebens gemacht." "Unsinn, Herr", entgegnete Jargo. "Rostan verläßt sein Haus niemals, ich weiß es. Ich fürchte nur, daß wir zu spät kommen und daß sie bereits hinab in die Erde gestiegen sind. Dann klopfen wir nämlich vergebens, sie hören es nicht." Plötzlich vernahmen sie einen dumpfen, rollenden Laut, der nicht vom Himmel, sondern aus der Erde selbst zu kommen schien. "Sie wecken die Dämonen der Tiefe", flüsterte Jargo abergläubisch. "Rostan zwingt sie, ihm dienstbar zu sein." Torgo schüttelte ärgerlich den Kopf. "Es muß doch einen Weg geben, in das Haus zu gelangen", meinte er. "Laß uns einmal herumgehen. Vielleicht finden wir irgendwo ein offenes Fenster durch das wir einsteigen können." Sie banden die Pferde fest und schickten sich an, um das Haus herumzugehen. Es hatte wohl Fensteröffnungen, aber diese waren von innen durch Holzläden fest verschlossen. Fast die gesamte Front nach allen vier Seiten glich einer glatten Mauer, von der die Tünche bereits an vielen Stellen abgebröckelt war. Die Fenster selbst waren so klein, daß sich ein Mann von der Größe Torgos oder Jargos nicht hätte durch sie hindurchzwängen können. Das hätte höchstens der kleine Nebussor vermocht. "Und wie ist es mit dem Dach?" fragte Torgo, nach oben sehend. "Das Dach liegt im Dunkel", antwortete Jargo. Er lief ein paar Schritte zurück, um einen besseren Überblick zu gewinnen und war eben dabei nach oben zu blicken, als wieder jener unheimlich grollende Donner unter ihm hinwegrollte. Mit einem mächtigen Satz sprang er zur Seite. "An diesem Ort gefällt es mir gar nicht Herr", bekannte er. Torgo ließ sich durch das unheimliche Grollen nicht abschrecken. Er lief selbst nochmals um das Haus und fand auf der Rückseite einen Baum, den man erklettern konnte und dessen Äste weit über das Dach reichten. "Steig hier hinauf", rief er Jargo zu. "Ich weiß aber nicht, ob das Rostan recht ist", meinte dieser zweifelnd. "Er wird uns nicht gleich fressen", antwortete Torgo. "Wir haben geklopft und er hat nicht geantwortet. Also müssen wir uns einen anderen Weg suchen, um in sein Haus zu gelangen. Schließlich kommen wir in guter Absicht und wollen ihn nicht etwa bestehlen."
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Die beiden jungen Männer erstiegen den Baum und rutschten auf einem der Äste so weit nach vorn, bis sie sich auf das morsche, glatte Lehmdach hinablassen konnten. Sie taten dies mit einem kurzen Sprung, aber leider waren die alten Lehmziegel gerade an dieser Stelle so brüchig, daß sie den zweimaligen Aufprall nicht standhielten. So sahen sich denn Torgo und Jargo gleich darauf früher im Inneren des Hauses, als sie selbst geahnt und beabsichtigt hatten. Hustend und schimpfend erhob sich Jargo aus einer Wolke von Lehmstaub. Er sah aus, als wäre er in eine Mehltonne gefallen. Lachend machte sich auch Torgo daran, sich zu reinigen. "Nun haben wir auch noch Rostans Dach kaputt gemacht, "klagte Jargo. "Mein Freund Nebussor wird davon nicht gerade sehr erbaut sein, fürchte ich." "Wir werden Rostan den Schaden ersetzen", erklärte Torgo. "Nun wollen wir aber sehen, wie wir hinab in die unterirdischen Räume gelangen." Sie befanden sich in einem der ebenerdigen Gemächer. Torgo tastete umher, ohne sich zurecht zu finden. Plötzlich griff er in ein kaltes Gesicht... Kein Zweifel, das war das Antlitz eines Menschen, der hier aufrecht auf einem Schemel saß, starr und unbeweglich. "Jargo", entfuhr es dem Prinzen erschrocken, "Jargo, hier ist jemand!" "Nein, Herr, hier ist niemand", behauptete Jargo. "Ich suche gerade einen Ausgang aus diesem Raum. Warte, ich will es mit Schreien versuchen: Nebussor, Nebussor!" Er rief laut den Namen seines kleinen persischen Freundes, aber keine Antwort erfolgte. In diesem Augenblick ertönte ein leises Klicken. Torgo ließ einen Ruf des Entsetzens hören und sprang zurück, noch in der Bewegung spürte er, wie ihn etwas streifte. Im nächsten Augenblick war Jargo neben ihm. Torgo hatte sich gefaßt und sein Schwert ergriffen. "Wer bist du?" brüllte er. "Gib Antwort!" Da knarrte plötzlich eine Tür und Fackelschein fiel auf die beiden Männer. "Nebussor", rief Jargo erleichtert. "Der bin ich, das ist gewiß, so wahr meine Wiege in Persien stand", kam es zurück. "Wer drang hier ein, wer macht hier solchen Lärm?" "Wer soll es schon sein", antwortete Jargo, "wir sind es, der Prinz und ich, dein Freund Jargo!" "Jawohl", bestätigte Torgo, "erkennst du deinen Freund nicht? Es ist so!" Nebussor hielt seine Fackel hoch und erkannte nun endlich die beiden jungen Männer. Und zugleich erschrak er. "Die Götter haben euch beschützt", rief er. "Um ein Haar wäre einer von euch des Todes gewesen." Er leuchtete knapp neben Torgo in die Tiefe des Raumes. Das Licht der Fackel fiel auf einen Stuhl, auf welchem eine goldglänzende Puppe saß. Sie hielt die Arme über die Brust gekreuzt. Als Nebussor die Puppe jetzt an einer bestimmten Stelle berührte, schnellten die Arme zurück, und man sah, daß sie an der Seite, welche dem Leib der Figur zugekehrt waren, bestückt waren mit einer Unzahl von spitz geschliffenen Messern. "Das ist unser Wächter", erklärte Nebussor nicht ohne Stolz. "Rostan hat ihn geschaffen." "Und ich wäre beinahe das Opfer dieses Wächters geworden", meinte Torgo. "Wir klopften und riefen, aber niemand zeigte sich. Schließlich nahmen wir unseren Weg durch das Dach." "Durch das Dach?" staunte Nebussor. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Ganz recht", bestätigte Jargo und deutete nach oben. Nebussor hielt die Fackel hoch und leuchtete nach oben. Als er das Loch in der Decke sah, brach er in ein herzhaftes Lachen aus. "Ihr habt einen merkwürdigen Eingang gewählt, das ist gewiß", rief er lachend. "Mir würde es nicht einfallen auf diese Weise ein Haus zu betreten, so wahr meine Wiege in Persien stand." "Wir werden dafür Sorge tragen, daß es wieder ausgebessert wird", brummte Torgo. "Mache dir deswegen keine Sorgen, Herr", meinte Nebussor. "Meinen Herrn wird es trotzdem freuen, daß ihr kamt. Es ist eine Ehre für unser Haus samt seinem durchlöcherten Dach." Noch immer mit den Lachen kämpfend, leuchtete er den beiden Freunden voran. Sie verließen den Raum und gelangten nun endlich in jenen, in den die Eingangstüre mündete, "Wir haben Pferde draußen", erinnerte sich Jargo, "die wir versorgen müssen." Es fand sich, daß etwas abseits des Hauses eine Art Stallgebäude errichtet war, welches das lebende Inventar Rostans enthielt. Er betrieb eine kleine Viehwirtschaft, welche ihn und Nebussor gut ernährte. Die beiden Pferde wurden dort untergebracht. "Und nun kommt hinab in die Tiefe", forderte Nebussor sie auf. "Ihr seid gewiß schon neugierig." * Taaf und Shidra stiegen von ihren Tieren. "Er ist noch nicht hier", stellte Shidra fest, indem er sich umblickte und seine Blicke über den nächtlichen, dunklen Marktplatz schweifen ließ. "Doch, er kommt gerade", flüsterte Taaf. "Sei still, niemand darf uns hören." Ein Mann kam des Weges, eng an die Mauern der Häuser gedrückt. Er sah die beiden, stutzte, gab dann mit der Hand ein Zeichen. Taaf und Shidra wiederholten es. Es sah aus, als wollten sie mit einem unsichtbaren Messer zustoßen. "Ihr seid pünktlich", sagte der Unbekannte nähertretend. "Dieser Platz hier scheint mir nicht sicher genug. Wir könnten gesehen werden." "Du bist vorsichtig", flüsterte Taaf anerkennend. "Doch sei unbesorgt. Um diese Stunde zeigt sich hier niemand. Außerdem bleiben wir hier nicht stehen. Das Haus vor dem wir halten, wird uns sogleich seine Pforte öffnen. Hier wohnen Leute, denen wir trauen dürfen." Er klopfte mit einem Ring seiner rechten Hand mehrmals leicht gegen ein Haustor. Kurze Zeit später öffnete es sich und drei Männer huschten hinein. Es war ein Haus, ähnlich dem Pranos. Ein junger Mann hatte ihnen geöffnet. "Hier geht es in die Kammer, Shidra" sagte er ehrerbietig, "Betrachte sie als dein eigen, niemand wird euch stören." Er entzündete eine Fackel und ging voran. Hinter einem säulengetragenen Vordach tat sich ein schmaler Eingang auf, durch den man in ein kleines Gemach gelangte, welches als Ort für die geheime Besprechung ausersehen war. Der junge Mann, der offensichtlich zum Hause gehörte, steckte die Fackel in einen Mauerring, so daß der Raum erhellt wurde, und ging, nachdem ihn Shidra mit einem gnädigen Winken gedankt hatte. Es zeigte sich, daß Wein, Früchte und Kissen vorhanden waren. Man ließ sich nieder und griff zu. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Du also bist Hyra", meinte Taaf, den Mann betrachtend, "ich habe dich mir eigentlich ganz anders vorgestellt." "Wie denn?" fragte Hyra lächelnd. "Kleiner, gewandter.""Oh, darauf kommt es nicht an," meinte Hyra. "Ein guter Bogenschütze braucht eine ruhige Hand und ein sicheres Auge. Ich habe beides und weiß meinen Bogen zu gebrauchen." "Ich hoffe, deine Hand zittert auch nicht, wenn ich dir verraten werde, auf wen du zielen sollst", flüsterte Taaf dumpf. "Nenne mir den Namen", verlangte Hyra trocken. Eine kleine Pause entstand. Die beiden Männer schienen sich erst gegenseitig auf ihre Vertrauenswürdigkeit hin prüfen zu wollen. Die Prüfung schien für Hyra günstig ausgefallen zu sein, denn Taaf sagte flüsternd: "Es ist Amur, der König... " Keine einzige Bewegung, kein Laut verriet Hyras Überraschung, "Und wann soll es sein?" fragte er nur. "Am Tag der Hochzeit", antwortete Taaf kalt. "Gut. Und wo?" "Das überlassen wir dir. Der Hochzeitszug nimmt seinen Weg vom Palast aus über die königliche Brücke hinüber in den Tempelbezirk. Der König will nicht durch die Stadt ziehen, obgleich wir versucht haben, ihm das einzureden. Er wählt den schnellsten Weg in den Tempel und wieder zurück." "Das macht nichts", antwortete Hyra gleichgültig, "Ich treffe ihn auch, wenn er diese Strecke wählt." "Aber wie willst du es machen? Etwa vom Dach des Tempels aus?" "Ich bin kein Narr, der sich vor die Menge wirft, um sich zerreißen zu lassen. Ich weiß noch nicht, wo ich es machen werde und ihr werdet es auch mir überlassen. Ich wähle den Ort und die Zeit der Tat selbst. Ich werde mir die ganze Strecke genau ansehen und danach meine Wahl treffen." Hyras Art gefiel Taaf. "Einverstanden", sagte er. .,Aber weil es der König ist", sagte Hyra geschäftsmäßig, "verlange ich nicht fünfzig, sondern zweihundert Beutel Gold. Ihr begreift, die Gefahr, das Risiko sind größer." "Der König ist ein Mensch wie jeder andere", versuchte Shidra zu handeln. "Du sollst die zweihundert Beutel haben", erklärte jedoch Taaf. "Hundert vor und hundert nach der Tat." "Einverstanden." "Und wenn es dir möglich ist," setzte Taaf hinzu, "so erledige auch gleich den Prinzen. Es ist zu deinem eigenen Besten. Er wird versuchen, seinen Vater zu rächen." Hyra grinste. "Hundert Beutel mehr", verlangte er, "und gleichfalls die Hälfte im Voraus." Shidra seufzte. "Einverstanden", sagte jedoch Taaf geschäftsmäßig. "Ich hoffe, du verdienst dir das Gold." "Verlaß dich darauf, ich werde es verdienen", erklärte Hyra sicher und die Bezahlung erfolgt, wie mit den Unterhändlern vereinbart." "In Ordnung."
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Hyra nahm noch schnell einen Schluck Wein und verschwand. Die beiden Verschwörer blieben noch eine Weile sitzen. "Es ist ein hoher Preis", meinte Shidra mißbilligend. "Aber es ist kein echtes Gold", wandte Taaf ein. "Auch das Gold Rostans ist nicht gerade billig. Die Beschaffung der Dinge, die er dafür verlangt, verursacht nicht geringe Schwierigkeiten." "Zugegeben. Aber wenn wir die Sache damit endgültig aus der Welt schaffen, ist der Preis nicht zu hoch. Auf Reg ist kein Verlaß, du weißt es. Hyra ist der beste Mann, den wir finden konnten. Er ist teuer, gewiß, denn er kennt seinen Wert. Gerade das flößt mir Vertrauen ein." "Soll einem einzelnen Mann gelingen, was der ganzen Menge Volkes nicht gelang?" fragte Shidra zweifelnd. "Das ist möglich", antwortete Taaf zuversichtlich. "Gerade, weil er ein einzelner ist. Und nun wollen auch wir aufbrechen. Wir wollen die Gastfreundschaft dieses Hauses nicht über Gebühr in Anspruch nehmen." Und auch die beiden Priester verschwanden im Dunkel der Nacht. * Torgo und Jargo kamen nicht aus dem Staunen heraus. Sie befanden sich in einer geräumigen, unterirdischen Halle, in welcher ein seltsames Instrument aufgestellt war, welches durch verschiedene Mechanismen nach allen Seiten hin bewegt werden konnte. "Es ist ein Hohlspiegel aus Silber", erklärte Rostan. "Er sammelt in seinem tiefsten Punkt die Hitze aller Sonnenstrahlen, die er einfängt und wirft sie gesammelt an einen bestimmten Punkt. Ich habe den Spiegel unter Tag gebaut und bis jetzt noch nicht erproben können. Aber ich bin sicher, wenn etwa die Flotte der Atlanter auf ihren Schiffen über solche Spiegel verfügte, würde sie jede Seeschlacht gewinnen, denn mit ihrer Hilfe wäre es möglich, die Segel der feindlichen Schiffe und damit diese selbst, in Brand zu setzen." "Welch ein phantastischer Einfall", staunte Jargo. Doch Torgo leuchtete das ein. "Doch", sagte er. "Die Sonne brennt heiß und ihre gesammelte Hitze muß so etwas vermögen. Aber wie weit reichen die Strahlen deiner Spiegel?" "Ich weiß es noch nicht", antwortete Rostan. "Ich habe versucht, es zu berechnen. Aber es käme auf praktische Experimente an." "Man wird dir Gelegenheit geben, zu experimentieren", versicherte Torgo. "Das wäre vonnöten", meinte Rostan. "Mein Herr wird es seinem Vater, dem König melden", versprach Jargo. "So etwas interessiert den König gewiß." "Ich kann mir denken, daß es ihn interessieren wird", lächelte Rostan. "Ebenso wie mein Wächter, der euch oben begegnete." "Und wie kann man diese Spiegel transportieren?" fragte Torgo weiter. "Es ist nicht schwierig, man kann sie in Teile zerlegen und überall aufstellen. Die Spiegel selbst sind hart und zerbrechen nicht. Man kann die Spiegel natürlich auch an Land aufstellen. An der Küste zum Beispiel, oder auf Bergen. Sie sind überall anwendbar." "Und woher kam das dumpfe Rollen, das wir unter der Erde hörten?" fragte Jargo interessiert. "Die Spiegel laufen auf Rädern und die Räder wiederum in Rillen, welche in die Steinplatten, mit denen der Boden bedeckt ist, eingehauen sind", antwortete Rostan, "Zwei Männer können ohne Mühe so einen Spiegel nach vor oder zurückschieben." "Wenn mein Vater davon hört, daß es solche kriegerische Mittel gibt", rief Torgo, "wird er vielleicht ein Bündnis mit Ägypten gar nicht mehr nötig haben." (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
* König Amur hörte Prinz Torgos Bericht von seinem Besuch bei dem Erfinder Rostan mit ernster Miene an. "Was du mir da mitteilst, ist von großer Wichtigkeit mein Sohn", erklärte er als der Prinz geendet hatte. "Das dachte ich mir Vater und deshalb habe ich dich auch sogleich aufgesucht, um dich davon in Kenntnis zu setzen." "- - - es ändert aber nichts an meinen Plänen, betreffs der Hochzeit mit Nif-Iritt", fuhr der Herrscher fort. Torgo war enttäuscht, aber er versuchte das zu verbergen. "Immerhin", meinte der König, "eröffnet es für einen möglichen Krieg mit Griechenland oder eventuell sogar mit Ägypten neue Perspektiven." "Was gedenkst du für Anordnungen zu treffen?" "Der Erfinder soll nach der Hochzeit sogleich zu mir kommen. Wir lassen vorerst die Spiegel erproben. Taugen sie etwas, halten sie was sich Rostan von ihnen verspricht, dann werden wir einige unserer Schiffe mit ihnen ausrüsten lassen, vor allem auch jenes, mit welchem ich mit meiner jungen Frau nach Ägypten zu reisen gedenke." "Und auch die Küsten könnten wir mit solchen Spiegeln befestigen lassen, Vater." "Gewiß, das könnten wir. An Arbeitskräften würde es Rostan nicht fehlen, wir könnten aus Numrods Bergwerk die Leute dafür verwenden." "Also werde ich Rostan Bescheid sagen lassen, daß er sich bereit halten soll, nach der Hochzeit vor dir zu erscheinen." "Gut, Sohn." "Und dann noch etwas, Vater. In den Sümpfen am Fuße der Berge soll ein Tiger aufgetaucht sein, welcher die umgrenzenden Dörfer bedroht." "So werde ich Jäger hinsenden, daß sie ihn töten." "Ich möchte selbst Jagd auf ihn machen, Vater." König Amur runzelte die Stirn. "Deine Abenteuerlust wird dich noch einmal in ernste Gefahr bringen Sohn", meinte er. "Aber wenn du durchaus willst, dann reite. Doch sei zu meiner Hochzeit wieder zurück. Es ist mein Wille, daß du bei meiner Vermählung zugegen bist." "Ich werde da sein Vater", antwortete Torgo. König Amur entließ den Prinzen. "Du kannst deinen Freund Nebussor verständigen", meinte er, "daß Rostan nach der Hochzeit zu meinem Vater kommen soll. Und was uns beide betrifft, so reiten wir noch heute nach den Sümpfen. Mache dich fertig. Ich will mich nur noch von Bethseba verabschieden." Jargo lief davon, um die Anordnungen seines Herrn auszuführen, während Torgo hinab in den Garten ging, wo er Bethseba zu finden hoffte. Unterwegs traf er Nif-Iritt, die königliche Braut, mit ihren Dienerinnen Sil und Gül-Gül. Ihr Blick streifte ihn voll Hochmut und leisem Spott. Seinen heimlichen Ärger verbeißend, ging Torgo weiter. Bethseba traf er tatsächlich im Garten, sie lag am Teich und betrachtete nachdenklich die Seerosen. "Ich reite in das Sumpfland, Bethseba", sagte er, sich von dem Mädchen verabschiedend. .,Ich will dort einen Tiger jagen." "Sei vorsichtig, Prinz", bat Bethseba besorgt. "Du scheinst nachdenklich zu sein?" fragte Torgo.
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"Ich mache mir Gedanken um meine Zukunft", antwortete das Mädchen. "Das ist natürlich. Ich lebe hier im Palast, du hast mir die Freiheit geschenkt. Aber soll ich ewig dem König zur Last fallen? Ich suche nach einer Beschäftigung, durch die ich mich nützlich erweisen kann." "Beschäftigung?" fragte Torgo verwundert. "Bist du nicht lange genug Dienerin gewesen? Aber wenn es dir in Atlantis nicht gefällt, so hast du vielleicht bald Gelegenheit, nach Ägypten zurückzukehren. Der König wird ein Schiff rüsten und mit Nif-Iritt nach Ägypten segeln, sobald sie seine Frau geworden ist." "Vielleicht sehne ich mich wirklich nach meinen Freunden und Verwandten", antwortete Bethseba nachdenklich, "obgleich es ein hartes Leben ist, in welches ich zurückkehren würde." "Wir sprechen darüber, sobald ich von der Jagd zurück bin", erklärte er. Torgo wandte sich um zu gehen. "Torgo!" Wie angewurzelt stand er still. Bethseba hatte es gerufen, sie war aufgesprungen. "Was ist dir," fragte Torgo verwundert, sich noch einmal nach ihr umwendend. "Nichts" sagte sie, die erhobenen Arme sinken lassend, "ich bin ein unwissendes Mädchen. Mein Herz ist voll Zweifel und Sorge. Ich hatte einen Augenblick lang das Gefühl, als ob du einer großen Gefahr entgegengingest." "Das weiß ich auch", antwortete Toro verwundert. "Aber die Gefahr ist nicht größer als damals in der Arena, als ich um unser aller Leben gegen die Löwen kämpfte." "Wir wollen hoffen, daß es so ist" meinte Bethseba. "Ich werde für dich beten." Er lächelte mild. Der Abschied von ihr fiel ihm schwer. Aber er wandte sich um und ging. Bethseba sah ihm nach, bis er im Innern des Palastes verschwunden war. Jargo hatte inzwischen bereits einen Boten zu Nebussor gesandt. Die Pferde und Waffen wurden zum Jagdritt bereit gemacht. "Das wird ein Abenteuer Prinz, bei dem mein Herz lacht", sagte er erfreut. "Eine Jagd auf einen Tiger! Ich habe mir schon immer gewünscht, auf eine solche Bestie zu treffen." * "Reiten wir", rief Torgo und schwang sich in den Sattel. Das Sumpfland... Die Gipfel der Berge grüßten weit darüber hin, hoch, unnahbar in ihrer majestätischen Klarheit. Drunten im Sumpfland aber herrschte fieberheiße Luft unter dem dichten Blätterdach und dem Morast entstieg eine fiebergesättigte Atmosphäre. Zwei einsame Reiter waren in dieses Land der Blüten, Schmetterlinge und giftigen Miasmen eingedrungen. Im dichten Gerank der Lianen und Schlingpflanzen turnten kleine Äffchen, erschrocken flüchtend und aus sicherer Höhe schimpfend, sobald sie der beiden Reiter ansichtig wurden. Schlangen ringelten sich von den Ästen oder verkrochen sich im dichten Gebüsch. Vögel zwitscherten zu tausenden im dichten Laubdach der Bäume und zeigten, sie umschwirrend, ihr buntes Gefieder. "Was für eine herrliche Landschaft", rief Jargo begeistert. "Ich wußte gar nicht, daß es dergleichen auf unserer Insel gibt." "Das Sumpfland wird selten besucht", antwortete Torgo. "Und das hat seinen Grund. Der Aufenthalt hier ist gefährlich." "Wir hätten uns einen Führer aus der Ortschaft mitnehmen sollen, die wir berührten", meinte Jargo. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Das hätte keinen Zweck gehabt. Der Mann wüßte von dem Tiger nichts. Wahrscheinlich treibt das Tier auf der anderen Seite des Sumpfes, am Fuß der Berge sein Unwesen." "So wäre es vielleicht zweckmäßig gewesen, den Sumpf zu umreiten" tadelte Jargo. "Das hätten wir unter anderen Umständen auch getan. Aber du weißt, daß es der ausdrückliche Wunsch meines Vaters war, am Tage seiner Hochzeit möge ich wieder in Atlantis sein. Hätten wir diesen bedeutenden Umweg gemacht, so wäre dies unmöglich, andererseits hatte ich nicht die Absicht den weiten Weg hierher nur gemacht zu haben, um hier unverrichteter Dinge wieder umzukehren." "Du hast recht Herr", gab Jargo zu "und es ist auch wegen der Leute, die durch den Tiger einer so großen Gefahr ausgesetzt sind. Es ist höchste Zeit, daß Jäger kommen und sie von diesem Schrecken befreien." Die beiden setzten nun schweigsam ihren Weg fort. Immer schwieriger wurde das Gelände passierbar. Der Boden wurde weich. "Der Weg wird allmählich beschwerlich", stellte Jargo fest. "Er wird wohl noch beschwerlicher werden, je tiefer wir ins Innere des Dschungels kommen", meinte Torgo. "Aber mit einigem Geschick werden wir die größten Sumpfhindernisse umgehen können." Sie erlegten einen Vogel und brieten ihn zu Mittag. Während der heißesten Stunden des Tages rasteten sie und fanden Kühlung an frischen Früchten. Dann brachen sie auf. Gegen Abend fanden sie im feuchten Erdreich die Abdrücke zahlreicher menschlicher Füße. "Hier ist man offenbar bereits auf der Jagd nach dem Tiger", vermutete Torgo. "Es sieht so aus", pflichtete Jargo bei. "Beeilen wir uns, damit wir Anschluß an die Truppe finden." Sie trieben ihre Pferde zu einer schnelleren Gangart an und folgten der Fährte, die sich mit aller Deutlichkeit durch den Urwald zog und noch ziemlich frisch war. Es dunkelte eben, als sie vor sich Stimmen im Walde hörten. "Das sind sie", rief Torgo, "nun rasch, sie wollen wohl gerade lagern. Wir haben sie gleich eingeholt." Wenige Minuten später sahen sie vor sich einen im Abendlicht glitzernden See liegen, an dessen Ufern reges Leben herrschte. Man war eben dabei, mit Flößen nach einer Insel überzusetzen, die sich inmitten des Sees erhob. Schwärme von Mücken stiegen auf und belästigten Pferde und Reiter. Gepeinigt wieherten die Tiere Torgos und Jargos und dadurch wurden die Leute am Ufer auf die beiden aufmerksam. "Fremde kommen", rief einer, "seht euch vor!" "Ich glaube sogar, es sind die, welche wir erwarten!" zischte ein anderer und laut rief er: "Ihr beiden, was sucht ihr?" "Den Tiger", rief Jargo zurück. "Habt ihr ihn etwa drüben auf der Insel gesichtet?" "Ja", rief der Mann antwortend. "Kommt hierher auf unser Floß, nehmt eure Pferde mit, sie können neben den Flößen schwimmen. Wir bringen euch hinüber, wenn ihr an der Jagd teilnehmen wollt." "Sie sind es", zischte dann der Mann befriedigend den andern zu, "Sie kamen rascher, als Reg dachte. Aber das macht nichts, sie werden auch so unser." Auch Torgo und Jargo empfanden Befriedigung. "Schnell, wir wollen sie nicht aufhalten, es wird rasch dunkel", rief Torgo. "Das gibt eine Tigerjagd bei Fackelschein, das wird uns besonderen Spaß machen!" Sie trieben ihre Tiere hinab ans Ufer. Die Männer, welche dort standen, erwarteten sie scheinbar neugierig. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Doch kaum waren Torgo und Jargo abgesessen und hatten das Floß betreten, als die ganze Herde über die völlig Überraschten herfiel und sie zu Boden zwang. "Was ist los? Seid ihr toll, was wollt ihr?" rief Jargo, sich nach Leibeskräften wehrend. "Es ist eine Falle", keuchte Torgo, "man hat uns hierher gelockt, um uns zu töten." Mit der Macht der Verzweiflung versuchten sie ihrer Angreifer Herr zu werden. Sie kämpften ebenso gewandt wie verbissen. Die Männer Regs mußten manches blaue Auge einstecken aber schließlich siegte ihre Übermacht. Torgo und Jargo wurden gefesselt und auf das Floß gelegt. "Eigentlich sollten wir sie gleich töten", meinte der Sprecher der Bande, "aber wir wollen doch noch Regs Kommen abwarten. Er muß bald da sein, es wird nicht lange dauern." "Verräter", zischte Torgo, "die ihr es wagt, euren künftigen König ermorden zu wollen!" "Hüte deine Zunge Prinz", bekam er zur Antwort, "sonst werfen wir dich sogleich den Krokodilen dieses Sumpfes zum Fraße vor. Wir bringen dich jetzt auf die Insel." Daß es tatsächlich in dem Gewässer Krokodile gab, erkannten Torgo und Jargo zu ihrem Entsetzen erst jetzt. Demzufolge wurden die Pferde auch nicht in das Wasser getrieben, um neben diesem zu schwimmen, wie man den beiden Gefangenen hatte glauben machen wollen, damit ihnen die Falle um so harmloser erscheine, sondern man führte sie mit auf das Floß, welches Regs Leute mit langen Stangen vom Ufer abstießen. "Der Tiger heißt also Reg", brummte Torgo, seine wahre Lage immer deutlicher erkennend "und der König erwartet uns zu seiner Hochzeit und ahnt nichts von der Gefahr, in welcher wir uns befinden." "Hätte ich nur meine Hände frei", flüsterte Jargo, "wäre ich nur nicht gefesselt!" "Auch das hülfe uns im Augenblick wenig", gab Torgo zurück. "Das Floß ist voller Feinde und der See wimmelt von gefährlichen Bestien. Ich bin froh, wenn wir heil auf die Insel hinüber gelangen und nicht schon vorher ihre Beute werden." Die Bettler stimmten einen eigentümlichen Singsang an, in dessen trägem Rhythmus sie ihre Stangen bewegten. Langsam glitt das Boot auf die wild überwucherte, im letzten Sonnenlicht vor ihnen liegende Sumpfinsel zu. * "Also Torgo weiß davon, daß die Priester meine Hilfe in Anspruch genommen haben und der König auch?" fragte Rostan, sich ein letztes Mal vergewissernd. "Das ist gewiß, Herr", versicherte Nebussor eifrig. "Und diese Hochzeit findet tatsächlich statt?" "So wahr meine Wiege im fernen Persien stand." "So haben wir unsere Pflicht getan", murmelte Rostan nachdenklich. "Offenbar geht doch alles mit rechten Dingen zu und die Priester benötigen das Metall wirklich zu dem Zweck, den sie uns angegeben haben." "Es sieht danach aus Herr", bestätigte Nebussor und krempelte die Ärmel seines überlangen Mantels auf, um seine Rede besser mit Gesten unterstreichen zu können. "Und es wäre vielleicht gar nicht gut, wenn wir ihnen Hindernisse in den Weg legten. Am Ende gibt es dann Schwierigkeiten mit der hochzeitlichen Prunkentfaltung und wir ziehen uns womöglich noch die Ungnade des Königs zu. "Das könnten wir jetzt am wenigsten gebrauchen", brummte Rostan. "Nach dem was mir Torgo sagen ließ, interessiert sich der König sehr für meine Pläne und will mir großzügig Möglichkeiten eröffnen, sie in die Tat umzusetzen. Denke bloß Nebussor, wenn wir endlich in der Lage wären, im Großen zu arbeiten und nicht mit primitiven Mitteln in unserer unterirdischen Werkstatt! Wir könnten meinem Vaterland zu noch nie dagewesener Macht verhelfen!" (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Was nützt das Herr", meinte Nebussor. "Ein Land ist so gut wie das andere. Atlantis ist nicht besser und nicht schlechter. Alle Menschen sind einander gleich. Gibst du den Atlantern kriegerische Macht, werden sie damit nichts anderes anzufangen wissen als andere Völker zu unterdrücken." Rostan schüttelte den Kopf. "Du sprichst so, weil du kein Atlanter bist und das Land nicht so liebst wie ich" antwortete er. "Aber ich kenne den Weg den ich gehen muß. Das Volk der Atlanter ist ein Volk reich an Gaben. Es mehrt sich. Eines Tages wird ihm die Insel zu klein sein. Ich denke weit voraus, Nebussor und die Zukunft liegt vor mir wie ein offenes Buch." "Daß du dich nur nicht irrst, Herr", widersprach Nebussor. "Es kommt immer anders als man denkt und Hochmut kommt vor dem Fall." "Wie meinst du das?" fragte Rostan unwillig. "Auf dem Festland gibt es eine Stadt, sie heißt Babylon. Dort wollte man einen Turm errichten, der bis in den Himmel reicht." "Und?" "Er wurde nie vollendet." "Dann hatten diese Leute schlechte Baumeister", erwiderte Rostan. "Aber der Gedanke ist kühn, vielleicht werden wir eines Tages einen solchen Turm hier auf Atlantis errichten." Der kleine Nebussor schüttelte seufzend den Kopf. Sein Herr wollte ihm heute gar nicht gefallen. "Schluß jetzt mit dem Gespräch", erklärte jedoch Rostan mit einer wegwerfenden Handbewegung. "Haben wir genug von dem weißen Metall? Wir wollen gleich mit der Bereitung künstlichen Goldes beginnen, damit die königliche Hochzeitsfeier die nötige finanzielle Untermauerung findet." Mit leichtem Schmunzeln stieg er, gefolgt von dem kleinen Nebussor in sein unterirdisches Laboratorium hinab. * In den nächsten Tagen hätten aufmerksame Beobachter des öfteren einen Mann erblicken können, der scheinbar absichtslos den Weg abschritt, welcher der königliche Hochzeitszug nunmehr mit Bestimmtheit nehmen würde. Der Mann war Hyra. Er beobachtete unauffällig genau alle natürlichen Gegebenheiten, welche sich ihm hier zu der Ausübung seines meuchlerischen Vorhabens boten und kam schließlich zu der Überzeugung, daß die Tat am besten aus dem dichten Laubdach einer Platane heraus erfolgen konnte. Er erkundigte sich bei Taaf und Shidra nach den näheren Einzelheiten des Hochzeitszuges und erfuhr, daß der König in einem offenen Wagen vom Palast nach dem Tempel fahren werde und daß ihm die Prinzessin in einem zweiten folgen würde. Dahinter, so war es geplant, sollten Prinz Torgo und die hohen Würdenträger des Reiches in ihren Wagen einherfahren. Am Fuße der Tempelstufen würde die Geistlichkeit den König und dessen Braut in prunkvollem Ornat erwarten. "Sitze ich gut verborgen auf einem Ast innerhalb der Plantanenkrone", überlegte Hyra, "so kann ich in aller Ruhe mit dem Pfeil auf ihn zielen. Niemand wird wissen, woher der Pfeil kam, wenn ich mich nachher ganz ruhig verhalte und abwarte bis sich das Volk verlaufen hat." Er wählte nun einen der Bäume aus und als der Tempelbezirk des Abends für die Bevölkerung geschlossen wurde, begann er mit kleinen Vorbereitungsarbeiten für sein schändliches Werk. Er erkletterte ungesehen den Baum und suchte und fand einen geeigneten Ast und befestigte dort Schnüre und Taue so geschickt, daß sie eine Art Hängematte bildeten, in welcher er beruhigt liegen und zielen konnte, ohne sich irgendwo festhalten zu müssen. Dadurch konnte er alle Aufmerksamkeit auf den Schuß nach dem König konzentrieren. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Diese Vorbereitungsarbeiten nahmen einen ganzen Abend in Anspruch. Er verbrachte die Nacht heimlich im Tempel, von Taaf und Shidra mit allem versorgt, wessen er für sein leibliches Wohl bedurfte. Aber trotz ihrer neugierigen Fragen verriet er ihnen nicht den Ort, an dem er das Attentat ausführen wollte. Dies geschehe, so versicherte er, zu seiner eigenen Sicherheit und sei für das Gelingen des Planes unbedingt notwendig. Am anderen Morgen ging Hyra. Er sollte noch am gleichen Tage die Anzahlung auf seinen Lohn erhalten. Und wirklich erschien im Laufe des Tages Nebussor samt seinem Esel, der aber diesmal anstelle des kleinen Persers andere Lasten trug. Es war das verlangte Metall, in kleinen Barren, welche dem Esel schwer zu schaffen machten. "Hier habt ihr, was ihr begehrt", sagte Nebussor erleichtert, daß er den Transport hinter sich hatte. "Ich hoffe, ihr habt alles bereit, was für meinen Herrn bestimmt ist und die Liste, damit ich es gleich nachkontrollieren kann. Ansonsten bin ich imstande und nehme das falsche Gold wieder mit, so wahr meine Wiege im fernen Persien stand." "Nein, nein, laß nur alles hier!" rief Shidra entsetzt, "wir haben gleichfalls alles bereits für dich vorbereitet, einschließlich der Hühner und Schweine. Ich frage dich jedoch, wie du diese Tiere transportieren willst!" "Das lasse meine Sorge sein", antwortete Nebussor und der Tauschhandel begann. Shidra und Taaf erhielten das falsche Gold. Nebussor rückte hingegen nach einer Stunde mit einem Karren an, den er sich in der Stadt geliehen hatte und den er mit allem belud was seinem Herrn gehörte, einschließlich der Hühner. Drei kleine Schweine jedoch, die gleichfalls zu seinem Gepäck gehörten, band er an Leinen gleich Hunden und nachdem der Handel abgeschlossen war, zog er mit seiner gackernden, grunzenden und plärrenden Gesellschaft zufrieden seines Weges. * Je näher der Tag der Hochzeit kam, um so unruhiger wurde Nif-Iritt. Sie verbrachte manche Stunde des Tages in der Gesellschaft von Nimbur, in der sie Pläne für die Reise nach Ägypten schmiedete. Aber auch der König war unruhig. Seine Unruhe wuchs mit jedem Tage, der verging, ohne daß Torgo und Jargo von ihrer Tigerjagd zurückkehrten. Diese Unruhe teilte sich Bethseba mit. Sie lief ziellos durch die Räume und Gänge des Palastes. Jedoch brachte es der Trubel des immer näher rückenden Hochzeitstermins mit sich, daß andere Sorgen in den Vordergrund traten. Der König tröstete sich mit der Möglichkeit, daß der Prinz durch ihm nicht bekannte Umstände aufgehalten sei und wandte der Hochzeit wieder seine volle Aufmerksamkeit zu. Und dann war es so weit... Der große Tag war gekommen und ganz Atlantis auf den Beinen. Schon seit den frühen Morgenstunden war der Tempelbezirk mit Neugierigen überfüllt, welche in langer Kolonne die Straße säumten, welche der Hochzeitszug nehmen sollte. Die Krieger Alwas und Wussos hatten alle Hände voll zu tun, um die Ordnung aufrecht zu erhalten und zudem marschierte eine Kolonne bis an die Zähne bewaffneter Männer mit blinkenden Schildern, Lanzen und Schwertern im festlichen Zuge mit. Der Tempel war hochzeitlich geschmückt. Obwohl die beiden Hohepriester erhofften, daß es nicht mehr zu der Zeremonie kommen würde, hatten sie doch alles so vorbereitet, wie es Brauch war. Die Prinzessin hatte die Stunden seit dem frühen Morgen damit zugebracht, sich bräutlich zu schmücken. Viele Dienerinnen waren am Werk, um ihr Gewand in die rechten Falten zu legen, ihr den Brautschmuck anzulegen und die bräutliche Krone aufs Haupt zu drücken, wie es in Atlantis zu einer Fürstenhochzeit gehörte. Auch der König trug ein besonders kostbares Gewand. Torgo war noch immer nicht gekommen. Das erfüllte sein Herz mit Sorge und Trauer. Aber heute war andererseits ein (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Tag, der ihn an das Ziel seiner Wünsche bringen und ihm den Anbeginn eines späten Glückes bringen sollte, wie er meinte. Als dann die Stunde des Zuges zum Tempel gekommen war, versammelten sich um ihn im Thronsaal alle Würdenträger des Reiches. Auch Nif-Iritt erschien und man wünschte dem Paare Glück und eine lange und schöne Zukunft. Ein Herold stieß in ein Horn und der Zug formierte sich. Unten warteten die Wagen. Eine vielköpfige Menschenmenge brach in laute Jubelrufe aus, als sie den König und die Tochter des Pharao erblickte. Der König dankte mit kurzen, bewegten Worten seinem Volk, dann bestieg er seinen Prunkwagen und die Rosse zogen an. Hinter ihm bestieg die Braut ihre Karosse, hernach kamen die übrigen hohen Personen. Nur der für Torgo bestimmte Wagen blieb unbenützt zurück. Der Prinz fehlte. Unwillkürlich runzelte der König seine Brauen. Ein böser Verdacht schlich sich in sein Herz. Sollte es möglich sein, daß Prinz Torgo der Hochzeit absichtlich fernblieb? König Amur wußte, daß der Prinz seine Heirat mißbilligte. Er hatte sich deutlich genug dagegen ausgesprochen. Aber nein, an diesem Ehrentage seines Vaters konnte Torgo doch nicht bösen Willens sein. Das wäre regelrechte Auflehnung gewesen und an eine solche wollte Amur nicht glauben. Mit einem kaum verhaltenen Seufzer setzte sich der König im Wagen zurecht, als dieser anrückte und die ganze lange Kolonne sich langsam und feierlich, von den geschmückten Kriegern flankiert, in Bewegung setzte. Es überkam König Amur wie ein Rausch. Er fühlte sich auf dem Höhepunkt seiner Macht. Ungeahnte Perspektiven eröffneten sich ihm durch das Bündnis, das er erwartete. Und das Volk jubelte und schrie, das gleiche Volk, das vor Tagen noch an seinem Thron gerüttelt hatte. Das gleiche Volk? Nein, es waren Bösewichte gewesen, bezahlte Subjekte. Und Taaf und Shidra konnten nun die wahre Meinung des Volkes, so wie es wirklich zu seinem König stand, mit eigenen Augen erleben. Wie mußte den beiden zumute sein. König Amur lächelte grimmig. Er gab ihnen heute seine Antwort auf alles, was sie ihm angetan haben. Die Wagen überquerten die Brücke zum Tempelbezirk, flankiert von einer riesigen, jubelnden Menschenmenge. Sie waren alle gekommen, um die Hochzeit des Königs mitzufeiern und mitzuerleben. Der König dachte an den Abend, wo auf dem Platz vor dem Palast im Schein der Feuer Ochsen gebraten werden sollten, die er für die Menge hatte schlachten lassen. Ein jeder Atlanter war heute des Königs Gast. "König Amur, es lebe König Amur!" riefen sie, winkten mit den Armen, schwenkten Tücher, hoben kleine Kinder empor, junge Atlanter, die auch ihren König sehen sollten. Und verborgen im Laubdach der Platane wartete der Mörder mit Bogen und Pfeil. Wartete.... Er hörte, wie das Brausen der Menge anschwoll, wie die Rufe sich fortpflanzten, so wie die Wagen ihren Weg nahmen, auf ihn zu... Ahnungslos winkte der König gnädig nach allen Seiten. Und Hyra wartete,... Und da kamen die ersten Krieger in Sicht, auf stolzen, kaum zu bändigenden Rossen ritten sie einher, bogen in die Straße ein, die geradewegs zum Tempel führte. Hinter ihnen fuhr des Königs Gefährt... . (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Hyra spannte seinen Bogen, zielte ruhig. Und als der König kurz vor der Platane war, schnellte sein Pfeil von der Sehne. Mit einem röchelnden Aufschrei sprang Amur hoch, warf seine Arme in die Luft und sank auf den Kissen zusammen. Man wußte gar nicht gleich, was los war. Die Wagen gerieten ins Stocken, die Menge schrie. Pferde wurden scheu und der sterbende König vergoß sein Blut in seinem Prunkgefährt. Hauptmann Alwa war der erste, der sich faßte. Er gab Befehl, die Straße zu räumen und mit Lanzen und Schwertern trieben die Krieger die Menge auseinander, über die Zugbrücke und in die Stadt zurück. Nif-Iritt hatte in ihrem Wagen wild zu schreien begonnen. Nimbur, der bei ihr saß, bedeckte ihr Haupt mit seinem Mantel. Das Bild war zu schrecklich, sie sollte es nicht mit ansehen müssen. "Los, sucht alles ab, faßt den Mörder!" schrie Alwa. "Einen Heilkundigen, schnell, einen Heilkundigen!" ertönte eine andere Stimme. "Bringt den König zurück ins Schloß!" "Nein, nach dem Tempel! Der Weg dahin ist kürzer!" "Schnell helft, der König stirbt... ! Shidra und Taaf standen in der großen Halle des Tempels, bereit zum Empfang derer, dessen Ehebund sie hätten segnen sollen. Sie sahen einander an, als sie das Geschrei von draußen hörten. Nickten einander befriedigt zu .... "Es ist so weit", sagte Taaf leise und triumphierend. ,Ja," kam es mit einem hörbaren Aufatmen von Shidras Lippen, "er hat es geschafft." Und sie fühlten sich als Sieger, kosteten das Bewußtsein ihres Triumphes und ihrer Macht, selbst über das Leben eines Königs aus. Unterdessen wurde draußen vor dem Tempel rasender Hufschlag laut. Der königliche Wagen jagte daher, von schäumenden Pferden gezogen und mit ihm kamen Alwas wilde Reiter und besetzten den Platz vor dem Tempel. Taaf und Shidra schritten hinab einen Sterbenden willkommen zu heißen. Zwischen den goldenen Säulen hindurch trug man den bleichen König. Brachte ihn vor den Altar, legte ihn zu Füßen Bels. Starr und stumm glotzte der riesige Götze auf ihn hinab. König Amur sah sein ausdruckloses Gesicht, als er die Augen aufschlug. Und er sah noch zwei Gesichter, die sich über ihn beugten, die Gesichter von Shidra und Taaf. Da ballte er die Fäuste, nahm alle seine Kraft zusammen und hob sein weißes Haupt, richtete sich halb auf, und schrie, daß es von den Wänden des Tempels widerhallte: "Mörder ,...Mörder! Oh, ich erkenne euch. Ihr habt nach meinem Leben getrachtet und habt es mir genommen. Ich sterbe. Ich weiß, daß dies die letzte Stunde meines Lebens ist. Aber bevor ich hinüber gehe, will ich euch verfluchen, euch und mein Reich! Ja, es ist wahr, ich wußte, wie hohl euer Götze ist und ich habe mein ganzes Leben lang gedient, aus Feigheit, aus Bequemlichkeit, aus Selbstsucht und vielen anderen Gründen. Das büße ich nun. Und ihr wolltet auch Torgo in euren Bann zwingen. Ihr habt seine Seele gefangen gehalten in einem rosenbekränzten Käfig, aber er hat sie befreit. Er hat mit euren drei Löwen gekämpft, die da heißen Hochmütigkeit, Gleichgültigkeit und Ichsucht, doch er gewann den Kampf. Und ich sage euch, er wird noch viele Kämpfe zu bestehen haben, aber er wird siegen, mein Sohn!
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Über ihn habt ihr keine Macht. Doch dieses Reich soll untergehen, weil es das nicht besser verdient. Und ihr sollt mit ihm vernichtet werden. Es soll kein Heil mehr geben für euch und keine Rettung. Tod und Verderben soll sein um euch, wohin ihr euch auch wenden werdet! Und mein Fluch wird sich an euch erfüllen, eher als ihr denkt... Der König sank in sich zusammen. Bleich standen die beiden Verschwörer neben seiner Leiche. Und einsam und verloren stand ein Mann unter den gewaltigen Säulen. Nutzlos, denn niemand bedurfte mehr seiner, es war der Heilkundige, den man so schnell es ging geholt hatte und dennoch nicht schnell genug, denn er kam bereits zu spät. Überall im Lande verbreitete sich die Kunde von König Amurs Tod... . Die Stadt und der Palast legten Trauerkleider an. Eine fieberhafte Suche begann nach dem Mann, welcher den tödlichen Pfeil auf den König abgeschossen hatte. Doch niemand kannte ihn, keiner hatte ihn gesehen und er war nirgendwo zu finden. Prinz Torgo aber kehrte noch immer nicht in den Palast zurück. An der Bahre des toten König stand Nif-Iritt, die ägyptische Königstochter und Nimbur der blinde Sehende, stand dicht hinter ihr. Niff-Iritts Augen waren tränenlos. Sie starrte auf den Leichnam, als sähe sie noch immer die schreckliche Szene vor sich, die sich auf dem Wege zum Tempel abgespielt hatte. "Nicht einmal sein Sohn ist hier, um ihn zu begraben", sagte sie leise. Nimbur nickte. "Der erste Teil meiner Weissagung hat sich erfüllt", sagte er mit düsterer Stimme. "Und in seinen letzten Minuten hat auch König Amur einsehen müssen, daß ich recht hatte. Auch er wußte es am Ende, es werden schreckliche Tage kommen über Atlantis." "Was wird nun aus uns werden?" fragte Nif-Iritt sorgenvoll. "Der Pfeilschuß traf nicht nur den König, er traf auch unseren Plan. Alle unsere Hoffnungen sind zunichte gemacht." "Im Augenblick können wir nichts tun als warten", antwortete Nimbur leise. "Man weiß nicht, was dem jungen Prinzen zugestoßen ist. Vielleicht ist auch er das Opfer eines Anschlages geworden, vielleicht lebt er gar nicht mehr. Dann wird alles davon abhängen, wer die Macht auf der Insel übernimmt." "Und wenn er lebt?" fragte Nif-Iritt leise. "Dann wird er kommen und seinen Vater rächen", erklärte Nimbur. "Er wird diejenigen bestrafen, die an dieser ruchlosen Tat schuldig sind. Und er wird über unser Schicksal entscheiden." Langsam brannten die Lichter rings um die Bahre nieder. Ein Duft von welkenden Blumen erfüllte den Raum. Draußen sank die Sonne, Man konnte ihren goldenen Lichtschein durch die Spalten der Vorhänge erblicken, mit denen die Fenster des Trauerzimmers verhangen waren, hier schon jetzt den Tag in Nacht verwandelnd. Drüben im Tempelbezirk war alles still. Die rauschenden Feste waren abgesagt. Und vor dem Königspalast patrouillierten mit finsterer Miene Wussos rauhe Krieger. "Komm, Nif-Iritt", forderte Nimbur die Prinzessin auf. Des Pharaos Tochter warf einen letzte Blick auf den toten König und nickte ihrem Verhauten zu. "Ja", sagte sie leise, "komm Nimbur, gehen wir." Und der Hall ihrer Schritte verklang auf den steinernen Ornamenten.
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ENDE
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