Gesa Schomerus
Die Tochter des Brauers Historischer Roman
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Ein packender Roman voll Liebe, Leidensch...
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Gesa Schomerus
Die Tochter des Brauers Historischer Roman
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Ein packender Roman voll Liebe, Leidenschaft, Blut und ... Bier.
Die breite, staubige Landstraße lag im gleißenden Licht der Spätsommersonne vor ihnen. Gertraud wünschte sich die schattigen Reihen der hohen Pappeln zurück, an denen vorbei sie am frühen Morgen in Richtung der Stadt aufgebrochen waren. Dieselben Gedanken schienen auch ihrem jüngeren Bruder Paul durch den Kopf zu gehen, der blinzelnd neben ihr auf dem Bock des einfachen Karrens saß. Paul bemerkte ihren Blick und grinste sie träge an. Beide hatten dunkelblondes, gelocktes Haar und graublaue Augen. Die Verwandtschaft war nicht zu übersehen. Paul war mit seinen vierzehn Jahren hochgewachsen und kräftig und mit der schweren Arbeit in der Brauerei und Schenke seines Vaters vertraut. Während also seine vier Jahre ältere Schwester das Handeln und Abrechnen übernahm, rollte er die schweren Fässer in die Keller der Wirtshäuser, meist unter dem Gelächter der Küchenmädchen und Mägde, die immer Zeit für einen Schwatz mit dem Jungen fanden. Gertraud erwiderte Pauls Grinsen und griff mit einem Seufzen nach hinten zum Wasserkrug, der zwischen zwei Sparren festgeklemmt war. Sie nahm einen Schluck und bot Paul zu trinken an. Sie war gerne mit ihrem Bruder unterwegs. Beide verstanden sich ohne viel Worte. Ihrem Vater wäre es lieber gewesen, wenn einer der älteren Gesellen die Lieferungen begleitet hätte, aber wie gewöhnlich setzte sich Gertraud mit ihrem Willen durch. Zweimal im Monat fuhren sie so drei Wirtschaften vor der Stadt an. Die meisten der Schenken im Umkreis versorgte die Klosterbrauerei mit dem begehrten flüssigen Brot, aber auch Meister Kerner, Gertrauds Vater, hatte sich in den letzten Jahren einen Namen gemacht. Der Handel war heute rascher als sonst vonstatten gegangen, denn es mehrten sich die Gerüchte um die baldige Rückkehr des Heeres. Vor zwei Monaten war der Landesherr mit einem Teil der Streitmacht aufgebrochen, nachdem wiederholt von Überfällen im -2 -
östlichen Grenzgebiet berichtet worden war. Er hatte den Grenzfluß, die Wote, überquert, um die herumziehenden Banden aufzuspüren und zur Strecke zu bringen. Sollten sich die Gerüchte um ihren Rückmarsch bestätigen, würde jeder Wirt gerne noch ein paar Fässer Bier zusätzlich im Keller haben. Gertraud konnte sich noch gut an die Erzählungen über die Gelage in der Stadt erinnern, die nach der siegreichen Schlacht im vergangenen Winter stattgefunden hatten. Den zurückkehrenden Truppen hatten sich damals schon unterwegs Huren, Spielleute und Sänger, Bärenführer mit ihren tanzenden Tieren, Wahrsager, Diebe und Falschspieler angeschlossen. Drei Tage und Nächte lang war die lärmende Gefolgschaft nicht aus ihrem Rausch erwacht. Krügeweise Bier und Branntwein liefen durch durstige Kehlen und Dutzende Schweine endeten ihr Leben am Spieß über den zahllosen Feuern, die rund um die Burg bei Tag und Nacht brannten. Kriegsbeute war reichlich, und der junge Landesherr versorgte seine Getreuen gut. Am Abend des zweiten Tages erreichten die Ausschweifungen ihren Höhepunkt. Prügeleien und Messerstechereien beim Glücksspiel und in den Schenken, Vergewaltigungen von Frauen jeden Alters, Raub und Diebstähle. Die Plätze und Gassen glichen einem Tollhaus. Die Verletzten brachte man in das Kloster des Heiligen Stephanus, wo sie nach Kräften versorgt wurden. Hier wurden gebrochene Nasen gerichtet, Wunden gesäubert und zerquetschte Finger amputiert. Einen Mann fand man im Graben liegend, im Rausch erfroren in der strengen Januarkälte. Ein anderer erstickte an seinem Erbrochenem. Ein Dritter geriet mit seinem Zechkumpanen heftig in Streit um ein Mädchen. Ein schwerer Tonkrug traf ihn am Kopf. Und bevor man merkte, was passiert war, verschwand sein Gegner unerkannt im Dunst der Schenke. Der Unglückliche lag am Boden, Blut sickerte -3 -
durch sein verfilztes, schwarzes Haar. Der Mönch Albertinus, den man hinzurief, konnte nichts mehr für ihn tun. Er schloß dem Burschen die Augen, die voller Angst und Unglauben ins Leere starrten und empfahl seinem Gott die Seele des Unglücklichen. Hier stand er wieder einmal vor einem Opfer von Roheit und Ignoranz, und eine heiße Wolke der Wut über diesen sinnlosen Tod stieg in ihm auf. Mit einem Mal reckte sich seine drahtige, Gestalt und er schrie:" Ihr Tiere! Seht her! Seht, was ihr getan habt! Was eure Gegner auf dem Schlachtfeld nicht vermochten, ihr tut es euch selber an!" Viele waren, da es offensichtlich hier nichts Spektakuläres mehr zu sehen gab, wieder zu ihren Tischen zurückgekehrt. Nur der Freund des Jungen kniete noch neben dem Toten, und Tränen rannen über seine verschmierten, fettigen Wangen. Erschrocken wich er vor dem tobenden Mann in der dunklen Kutte zurück. Weiter schienen seine heftigen Worte aber nicht zu dringen, denn die anderen Gästen an den Nebentischen lärmten und zechten weiter. Während der Mönch in ohnmächtigem Zorn weiter wetterte, wurde es dann aber plötzlich still im Raum. Eine dunkle Vorahnung ergriff Albertinus mitten im Satz, als er merkte, daß seine heisere Stimme ganz allein die unheilvolle, ängstliche Stille zerschnitt. Aus dem rauchigen Dunkel einer Nische löste sich eine riesenhafte Gestalt und kam mit schweren Schritten langsam näher. Die Menschen duckten sich unwillkürlich auf ihren Schemeln. Keiner wagte, den schwer geharnischten Mann anzublicken. Nur Albertinus starrte ihn an. Sein Atem stockte. Er erkannte den Herrn der Mark, Hardrich von Aven, Ritter des Königs. Albertinus hätte zur Tür hinausstürzen oder sich zu Boden werfen können, aber er rührte sich nicht. Der erste Schlag traf ihn an Schulter und Rücken. Der breite Ochsenziemer hinterließ sein blutiges Siegel im Fleisch des Geistlichen. Albertinus taumelte und hob die Hände vor das Gesicht. Wieder und wieder zuckte die -4 -
Peitsche ihm entgegen, bis ihn ein Schlag am Kopf traf und er das Bewußtsein verlor. Als er später für kurze Zeit fiebernd und mit pochendem Schädel erwachte, lag er neben anderen Kranken im Siechhaus seines Klosters und sah durch einen Schleier von rasenden Schmerzen besorgte Blicke auf sich gerichtet. Bruder Gernod war damit beschäftigt, ihn aus seiner zerfetzten, blutgetränkten Kutte zu befreien, um den geschundenen Leib waschen und verbinden zu können. Erst Tage später war Albertinus in der Lage zu begreifen, was weiter geschehen war. Er erfuhr, daß der Markgraf ihn erschlagen hätte, wenn nicht dessen Gefolgsmann, Wichard von Dühring, sich schützend über den am Boden Liegenden geworfen hätte. Die Familie von Dühring besaß Ländereien nahe des Gutes von Albertinus´ Elternhaus. Beide kannten einander. Der junge Wichard galt als engster Vertrauter des jähzornigen Markgrafen. Nur er konnte es überhaupt wagen, sich dem Ritter in den Weg zu stellen, ohne selber sein Leben zu verlieren. Der Vorfall beherrschte in den nächsten Wochen die Gespräche im ganzen Land. Der Bischof, der die Sache nicht auf sich beruhen lassen konnte, besuchte das Kloster, um sich mit dem Prior in dieser Angelegenheit zu beraten. Nachdem er daraufhin in der Burg erschienen war und den Ritter gutgelaunt nach einer erfolgreichen Jagd vorgefunden hatte, erhielt das Kloster ein neues Dach für die Kapelle.
Während Gertraud so ihren Gedanken nachhing, waren sie in ein Dorf gekommen. Ein kleiner Hund lief bellend neben ihnen her. Paul ließ die beiden stämmigen Pferde im Schatten einer großen Kastanie auf dem Marktplatz halten, und die Geschwister stiegen vom Wagen, tränkten die Tiere am Dorfbrunnen und füllten auch ihren Krug aufs neue. Es dauerte nicht lange, bis sie von einer Schar Neugieriger -5 -
umringt waren. Ein buckliger alter Mann fragte sie nach dem Woher und Wohin und bald war man vertieft in den neuesten Klatsch. Eine Frau erzählte, daß ihr Vetter, der als Leibeigener beim hiesigen Gutsherr in Arbeit sei, berichtet habe, daß sich das Heer bereits auf dem Rückmarsch befände. "Der Neffe vom Herrn Gudow ist nämlich schon vor drei Tagen verletzt von seinem Burschen zurückgebracht worden. Das räuberische Pack ist diesmal bis auf den letzten Mann aufgerieben, hat er gesagt. Keinen hat der Markgraf verschont. Und für die drei unserer Dörfer, die die Teufel überfallen haben, sind zehn der ihren im Osten in Flammen aufgegangen. Man kann ja vom Herrn Ritter halten, was man will, aber vom Kriegführen versteht er was!", schloß sie ihren Bericht. "Nur weil er selbst mit dem Teufel im Bunde ist! Ich hab ihn selber gesehen. Nie nimmt er den Helm vom Kopf, nicht mal in der Messe. Man sagt, daß ihm darunter Hörner wachsen!", warf der Bucklige ein und bekreuzigte sich rasch. Jeder der Umstehenden hatte weitere Gerüchte zu ihrem Landesherrn zum besten zu geben, und so gingen die alten Geschichten hin und her. "Er verwandelt sich bei Vollmond in einen riesigen Wolf und frißt gefangene Jungfrauen!", wußte einer. "Seinen Vormund, Gott hab ihn selig, hat er mit einer Hand erwürgt, um mit siebzehn Jahren vorzeitig sein Erbe anzutreten. Das ist gewiß, so wahr ich hier stehe!", sagte ein dicker Bauer mit Nachdruck. Gertraud hatte dergleichen schon oft in der Schenke ihres Vaters gehört, wann immer die Sprache auf den Ritter kam. Hardrich von Aven war innerhalb weniger Jahre zu einem der mächtigsten Lehensmänner des Königs aufgestiegen. Seine Mark, weit an den östlichen Grenzen des Königreiches gelegen, war seit -6 -
jeher das Bollwerk gegen die Stämme des Slawenreiches und der Kumanen. Erfolgreich hatte er allen Herausforderungen getrotzt und das christliche Königreich verteidigt. Seine Streitmacht war vorbildlich ausgestattet und wurde bevorzugt versorgt. Immer war er selber in der vordersten Reihe der Kämpfenden zu finden. Gut sechs Fuß groß, stets den eisernen Helm auf dem Kopf, über und über blutbesudelt, mähte seine schwere Klinge alles nieder, was sich ihm in den Weg stellte. Die Männer standen zu ihm, und in ihrer Gegenwart getraute sich niemand, Schauergeschichten über ihren Ritter zu erzählen, obwohl sich auch in ihre Verehrung stets die Furcht vor seinen Wutausbrüchen mischte. Endlich konnte Gertraud Paul, der von vier jungen Mädchen umringt war, zur Weiterfahrt bewegen. Zwei Stunden später bogen sie von der Landstraße ab, dieser Weg führte nach weiteren zehn Meilen direkt in ihr Dorf. Paul trieb die beiden schwerfälligen Pferde an. Zu beiden Seiten breiteten sich jetzt dichte Wälder aus, und obwohl diese Strecke seit Jahren als sicher galt, waren sie froh, als Wiesen und Felder das Dickicht ablösten und die Nähe des Dorfes ankündigten. Es dämmerte schon, als der Wagen von der Pappelallee auf den heimatlichen Hof rumpelte. Direkt an der Straße lag rechter Hand die Schenke selber, mit der großen Küche und Speisekammer. Dahinter das Wohngebäude mit Gemüsegarten, die Ställe und Wagenschuppen. Links, noch vor den Gesindekammern, erstreckte sich der Obstgarten mit einer kleinen Weidefläche. Sie waren kaum vor dem Haus zum Halten gekommen, da kam die Jüngste der Familie, die vierjährige Frederike, aus der Tür gelaufen. Kurz hinter ihr erschienen auch Adam und Lukas, die beiden jüngeren Brüder. Paul sprang vom Wagen und fing die Kleine mit beiden Armen auf. -7 -
"Hast du mir was mitgebracht?", fragte sie mit leuchtenden Augen. Paul griff in seinen Beutel und zog ein kleines Paket Zuckerzeug heraus, welches er zwischen den jüngeren Geschwistern verteilte. Inzwischen war auch Henning, der Knecht und Gehilfe des Mälzers herangekommen, hatte Gertraud vom Wagen geholfen und ihr den schweren Korb abgenommen. Sie dankte ihm erleichtert, was genügte, ihm die Röte in die Wangen schießen zu lassen. Die junge Frau hatte wohl bemerkt, wie sehr der schüchterne, dürre Neunzehnjährige sie anhimmelte. Aber mit seinem Silberblick und den schiefen Zähnen traute er sich kaum, ihr offen ins Gesicht zu schauen. Henning begleitete sie in die große Küche der Schenke, stellte den Korb auf den Küchentisch und verschwand wieder nach draußen, um die Pferde auszuschirren und zu versorgen. Gertraud hörte ihn draußen ärgerlich nach dem zweiten Knecht Dietrich rufen, der sich anscheinend wieder irgendwo verkrochen hatte, um sich vor der Arbeit zu drücken. In der Küche herrschte bereits emsiges Treiben, denn die ersten Gäste hatten sich schon eingefunden, und auch die Familie aß um diese Zeit. Sine, die neue Magd, schnitt dicke Scheiben vom frisch gebackenen Brot, und die dicke Grete rührte in einem großen Topf mit Speckbohnen. Sie schnaufte Gertraud einen Gruß entgegen und fragte: "Hast du an das Salz gedacht, Mädchen?" "Ja, ja", antwortete Gertraud, "Ist alles im Korb. Wo ist der Vater?" Grete wies nur mit dem Kopf in Richtung des neuerbauten Brauhauses und sagte: "Hinten. Kannst ihn gleich zum Essen holen" Dann schalt sie die Magd, sich mit dem Brot zu beeilen und den Tisch zu decken. Paul kam mit Rike auf dem Arm und umringt von den beiden Brüdern eben zur Tür herein. Er hatte sich Gesicht und Hände am Brunnen gewaschen und war hungrig. Gertraud lief rasch am Haus und Stall vorbei und betrat das große Brauhaus, das auf der rechten hinteren Seite des Kernerschen Grund -8 -
und Bodens errichtet worden war. Sie sah ihren Vater mit dem Altgesellen Friedrich an der kupfernen Braupfanne stehen. Der zweite Geselle Gunther kam gerade vom Malzlager herein. Er grüßte Gertraud fröhlich, und Meister Josef Kerner blickte auf. Er war ein kräftiger Mann von 49 Jahren, und sein schwarzes Haar war bereits mit feinem Grau durchzogen. Er hatte die kleine Gaststube zu einem bekannten Wirtshaus geführt, und auch die anfangs für den eigenen Bedarf bestimmte kleine Brauerei, war ausgebaut worden. Ein Dutzend Leute gehörten heute zum Haushalt. Neben den beiden Gesellen und den Gehilfen Henning und Dietrich, stand auch der Mälzer Jakob Karow bei Kerner in Lohn und Brot. Grete und Sine kochten und bewirteten die Gäste, und auch die jüngeren Kinder halfen hier, wo sie konnten. Paul ging voll und ganz in der Arbeit an Braupfanne und Gärbottich auf, wenn sich nicht gerade die Möglichkeit bot, mit Gertraud in die Stadt zu fahren. Die Älteste selber hatte von der Mutter schreiben und rechnen gelernt. Sie kümmerte sich um den Handel, die Einkäufe für die Küche und hatte mit Haus und Garten des Hausstands alle Hände voll zu tun. Die Mutter, Ruth Kerner, war nach der Geburt des jüngsten Kindes nicht wieder zu Kräften gekommen und im darauffolgenden Winter an einer Lungenentzündung gestorben. Josef Kerner hatte sich danach in seine Arbeit gestürzt und war froh, daß seine Tochter sich ohne Aufhebens daran machte, die Aufgaben der Mutter zu übernehmen. Einige Monate nach der Beerdigung, nachdem sie die Geschwister ins Bett gebracht und mit Grete die morgige Mahlzeit abgesprochen hatte, saß Gertraud mit einer Näharbeit am Feuer. Es war still im Haus, die letzten Gäste waren gegangen. Da setzte sich der Vater zu ihr und es dauerte eine Weile bis er das Schweigen brach: "Die letzte Zeit war für uns alle eine schwere Prüfung. Du hast dich um die Familie verdient gemacht und dafür möchte ich dir von Herzen danken, Kind. Gibt es etwas, womit ich -9 -
dir eine Freude machen kann?" Gertraud blickte ihn erstaunt an und überlegte eine Weile. Dann sagte sie ernst: "Das einzige, worum ich dich bitte, ist, daß ich mir selber denjenigen wählen darf, den ich zum Mann nehmen will" Das Versprechen, das ihr der Vater daraufhin gab, war etwas, was er seitdem des öfteren bereut hatte. Jetzt aber begrüßte er seine Tochter, fragte nach dem Verlauf der Reise und freute sich, daß beide vor dem Einbruch der Nacht zuhause waren. Gertraud umriß kurz die Erlebnisse des Tages und rief dann jedermann zum Abendessen in die Küche. Abrechnen würde sie mit dem Vater in Ruhe heute abend. Das gemeinsame Essen war im Hause des Brauers immer eine laute und fröhliche Angelegenheit. Alle saßen an einem langen Tisch, und nachdem Josef Kerner, der an der Stirnseite saß, das Tischgebet gesprochen hatte, nahm das allgemeine Erzählen, Lachen und Streiten seinen Lauf. Grete bediente den Braumeister, und dann machte die Schüssel die Runde und Brot und Butter wurden herumgereicht. Gertraud ließ Paul von den Erlebnissen des Tages erzählen. Sie selbst war schweigsam und müde. Nach dem gemeinsamen Essen brachte Gertraud einen Teller Brühe und Brot in die Kammer ihrer Großmutter. Sie und der Großvater hatte einige Meilen entfernt auf einem kleinen Gehöft gelebt, bis der alte Mann gestorben war. Vor gut zwei Jahren hatte Josef Kerner seine Mutter dann zu sich geholt. Die alte Frau half anfangs noch mit in der Küche. Aber je weiter dieses Jahr ins Land ging, umso hinfälliger wurde sie. Vor vier Wochen hatte sie zumindest noch mit ihnen zusammen essen können und mit ihren 71 Jahren auf der Bank im Hof die Sonne genossen. Aber das Atmen fiel ihr jetzt zunehmend schwerer, und ihr Geist war verwirrt. Als Gertraud ins Zimmer kam und sich zu ihr ans Bett setzte, wachte sie auf und fragte mit unüberhörbarem Vorwurf in der -1 0 -
Stimme:" Ruth, hast du die Enten schon gefüttert?" "Ja, die Enten sind gefüttert. Alles ist in bester Ordnung. Nun mußt du auch etwas essen", antwortete sie bestimmt. Sie schob ihrer Großmutter das dicke Kissen in den Rücken, damit sie aufrecht sitzen konnte, krümelte etwas Brot in die Brühe und begann, sie zu füttern. Dabei erzählte sie vom vergangenen Tag, um die bedrückende Stille zu brechen. Doch nach ein paar Löffeln schlief die alte Frau wieder ein. Ihr Atem ging pfeifend. Die Tür öffnete sich und Rike schaute ängstlich herein. Gertraud stellte den Teller neben das Bett und streckte Rike ihre Hand entgegen. "Komm", sagte sie, "Großmutter ist eingeschlafen" Rike kletterte auf ihre Knie und betrachtete stumm das graue Gesicht, den faltigen Hals und die dürren Hände der Alten. Sie schmiegte sich an die große Schwester und fragte: "Legen wir die Großmutter auch in die Erde?" Gertraud überlegte einen Moment und sagte: "Ja, eines Tages wird jeder in die Erde gelegt" Sie wiegte die Schwester noch eine Weile in ihrem Arm, aber die Großmutter war tief eingeschlafen. Sie ließ den Teller stehen und brachte Rike in ihrer gemeinsamen Kammer zu Bett. Später am Abend saß sie mit ihrem Vater in dessen Schreibstube am hinteren Ende der Brauerei und übergab ihm die schwere Börse, die sie versteckt unter ihren Röcken getragen hatte. "Wir werden wohl die nächsten Tage noch ein paar Lieferungen ausfahren. Wenn sich die Rückkehr des Herrn von Aven herumspricht, wird wohl jeder Wirt noch ein paar Fässer zusätzlich einlagern wollen. Das soll uns recht sein", sagte ihr Vater gutgelaunt. Sie schlossen die Börse in der eisenbeschlagenen Eichentruhe ein und kehrten zusammen zur Schenke zurück. Die meisten Gäste dieses Abends waren Nachbarn, die auf einen Schwatz hereinschauten. Paul -1 1 -
stand mit Freunden vor der offenen Tür, und Gertraud vermutete richtig, daß er über die Bekanntschaften des Tages berichtete. Herein kam der Gutsherr der Gegend, der alter Herr von Trettin. "Guten Abend alle miteinander", begrüßte er die Anwesenden. Diese erwiderten den Gruß freundlich, wenn auch nicht übermäßig respektvoll, denn der alte Mann war nicht gerade das, was man einen strengen Herrn nennen konnte. Ohne Frau und kinderlos, verbrachte er kaum einen Abend allein im großen Gutshof. Meist saß der hagere, kleine Mann gedankenversunken an seinem Stammplatz bei Kerners, trank sein Bier und besah sich das Treiben. Auch mit dem Zehnten der Leute nahm er es nicht allzu genau, und keine Kindstaufe und kein Erntefest verlief, ohne daß er ein Schwein oder einige Gänse dazugegeben hätte. Er war weit in der Welt herumgekommen, und der Dachboden seines Hauses war voller Zeugnissen davon. Speere und Schilde der Mohren, kumanische Krummsäbel und ausgestopfte Tiere, Panzer von großen Meeresschildkröten, Truhen voller bunter Stoffe, zartes Geschirr und prunkvolle Pokale, fremdartiges Schuhwerk, reich verzierte Tischchen und Hocker und vieles andere. Und Bücher gab es. Ein ganzer Raum voller Fächer und Regale war angefüllt mit Papieren, seltenen Schriftrollen und dicken Folianten. Der Herr von Trettin hatte Interesse an vielen Dingen, und so gab es Abhandlungen über Astrologie und Rethorik genauso wie über Pflanzen und Tiere, er las religiöse Aufsätze und Liebesgedichte, Heldensagen und Komödien. Als die Mutter noch lebte und sie gerade lesen konnte, hatte sich Gertraud wann immer sie konnte ins Gutshaus geschlichen. Der alte Mann freute sich, seine Schätze mit jemandem teilen zu können, und so saß Gertraud oft Stunden mit ihm über einem Buch und fragte bald nach diesem, bald nach jenem Unbekannten. Er antwortete ihr stets ausführlich, froh über soviel kindliche Neugier und -1 2 -
Beharrlichkeit. Auch übersetzte er ihr griechische und lateinische Schriften und zeigte ihr die verschlungenen Zeichen des Arabischen. Manchmal nahm er sie mit auf den Dachboden und erzählte ihr die Geschichte des einen oder anderen Stückes seiner Sammlung. Ihre Mutter sah die Besuche des Mädchen bei dem Alten alles andere als gern, und auch Vater Kerner war es lieber, wenn das Kind im Hof spielte oder in der Küche half. Aber hartnäckig wie sie war, ließ die Kleine Schelte und Vorwürfe über sich ergehen, um drei Tage später wieder den Weg zum Gut entlangzulaufen. Bald gaben die Eltern es auf, sie vom Schloß fernhalten zu wollen und hofften, daß der alter Mann für seine Mühe nicht eines Tages mehr verlangen würde als ein Lächeln des Mädchens. Seit dem Tod der Mutter waren die Besuche im Gut aber auf einige wenige zurückgegangen, denn Gertrauds Tag war mit Arbeit von früh bis spät ausgefüllt. Der alte Herr, der die Gesellschaft des Mädchens vermißte, hatte es sich damals mehr und mehr zur Gewohnheit gemacht, am Abend die Schenke aufzusuchen, um der Stille des Gutshauses zu entfliehen. Anfangs hatte seine Anwesenheit jedermann etwas verunsichert, immerhin war er der Herr. Er aber lächelte höchstens, wenn im Rausch irgendwo ein falsches Wort fiel und zahlte eine Runde. So war er bald ein gerngesehener Gast. Und manches Mal trug er ein, in feines Tuch gewickeltes, ledergebundenes Buch mit sich, das er Gertraud zusteckte, damit sie es in einer freien Stunde zuhause lesen konnte. Gertraud freute sich, ihn zu sehen und lief, um das Übliche zu bringen: Einen großen irdenen Becher frisches Helles. Und da gerade nichts weiter zu tun war, setzte sie sich eine Weile zu ihm. "Nun, Gertraud, was liegt dir auf der Seele? Ich sehe doch, daß du eine Frage auf dem Herzen hast, Kind", sagte er schmunzelnd. "Ihr lest in meinen Gedanken! Ich werde aufpassen müssen, Euch nicht zuviel lesen zu lassen", sagte sie leicht verlegen und fuhr fort: "Es -1 3 -
ist der Ritter. Der Herr von Aven. Wie ist er so? Nimmt er wirklich in der Kirche nicht den Helm ab? Ist er so ein Schlächter, wie die Leute sagen? Dem Land geht es doch gut, oder nicht? Warum scheint ihn jedermann zu hassen? Ihr müßt ihn doch kennen!" Ihr Gegenüber nahm noch einen Schluck aus dem Becher, lehnte sich seufzend zurück und sagte leise: "Kennen tut wohl niemand ihn. Aber begegnet bin ich ihm schon" Es folgte eine Pause, in der von Trettin seine Gedanken sammelte und dann begann er zu erzählen. "Hardrich war gerade fünf Jahre alt, als er miterleben mußte, wie sein Vater Otto von Aven, seine Mutter Hilda und die Zwillingsschwestern grausam ermordet wurden. Die Verräter glaubten auch ihn tot, aber er überlebte den Anschlag um Haaresbreite. Nur dem Heilkundigen des Klosters verdankt er, daß er heute noch am Leben ist. Die Meuchelmörder entkamen. Sein Onkel wurde als Vormund eingesetzt und sollte das Land bis zu Hardrichs Volljährigkeit regieren. Seit diesen Tagen wurde der Knabe, wenn man ihn überhaupt zu Gesicht bekam, nur noch mit einem eisernen Helm auf dem Kopf gesehen. Karl von Aven, der Onkel, war ein herrschsüchtiger, verschwenderischer Dummkopf! Viele vermuteten hinter vorgehaltener Hand, daß er den Anschlag auf seinen Bruder zu verantworten hatte, aber die Untersuchungen verliefen im Sande und das Verbrechen konnte nie entgültig geklärt werden. Es stand damals schlecht um das Land. Und je älter Hardrich wurde, desto mehr trat sein unbändiges, wildes Wesen hervor, und immer öfter hörte man, daß es zum Streit zwischen ihnen kam. Hardrich lernte früh den Umgang mit dem Schwerte und wuchs zu einem Hünen heran. Als er eben siebzehn war, kam es erneut zu einem heftigen Disput zwischen ihnen, und sein Onkel kam dabei ums Leben! Was sich an jenem Tage aber wirklich zugetragen hat, wissen wohl nur die beiden. -1 4 -
Dem König oblag nun die Entscheidung, was weiter geschehen sollte: Entweder würde Hardrich für dieses Vergehen sein Leben im Verlies enden oder aber der Tod des Onkels würde zu einem Unfall erklärt werden. König Heinrich kam und sprach die halbe Nacht über unter vier Augen mit dem jungen Mann. Anderntags beschloß er wohl, daß man einen Recken wie den jungen von Aven, besser für als wider sich hatte. Jedenfalls sprach der König ihn frei, und Hardrich dankt ihm diese Entscheidung bis heute mit großer Treue und der siegreichen Verteidigung der Ostmark. Er wurde also der jüngste Ritter des Königs, und wieder mußte er sich gegen den Unwillen und Argwohn Anderer durchsetzen, denn man begegnete ihm mit Mißtrauen, wohin er auch kam. Es war anläßlich seiner Erhebung in den Ritterstand im Sommer vor fünf Jahren, daß alle Adeligen, Bischöfe und Fürsten der Ostmark in den weißen Palast geladen wurden, um der feierlichen Zeremonie durch unseren allergnädigsten König beizuwohnen. Ich war auch dabei, denn obwohl mir diese Anlässe sonst verhaßt sind, war ich dieses Mal doch neugierig, wie du dir denken kannst" Zwei Gäste verlangten nach frischem Bier und Gertraud lief, um das Bestellte zu bringen und brachte auch dem alten Gutsherrn einen zweiten Becher mit. Der trank, wischte sich den Schaum aus dem grauen Bart und fuhr fort. "Also, ich war mit meinem Knecht Rupert nach der anstrengenden Reise endlich am weißen Palast angekommen. Von Weinbergen umgeben lag er, herrlich anzuschauen, hoch über dem Flußtal im goldenen Schein der Morgensonne. Es ist ein wunderbarer Landstrich! Wir wurden gut bewirtet und bequem untergebracht. Am nächsten Abend schon sollte die Schwertleihe stattfinden. Am Nachmittag dieses Tages war ich vertieft in ein Gespräch mit einem Gelehrten aus dem Bergischen, den ich Jahre nicht gesehen hatte und -1 5 -
so spazierten wir gemeinsam durch die duftenden Gärten, froh, dem Trubel entronnen zu sein und einen Gleichgesinnten gefunden zu haben. Du mußt wissen, die Gärten des Palastes sind in Terrassen am Berghang angelegt, eine schöner als die nächste. Und je weiter wir kamen, desto stiller wurden wir vor Staunen, und bald schritten wir wortlos nebeneinander her und genossen die prächtige Natur. Die oberste Terrasse ist mit mächtigen alten Bäumen und kunstvollen Wasserspielen gestaltet, die darunter liegende wurde mit blau blühenden Blumen und Büschen bepflanzt, die nächste ganz in Weiß, die dritte in strahlendem Gelb und die Unterste! Die unterste ist übervoll mit den prachtvollsten Rosen in allen nur denkbaren Tönen von Rot! Überall in den Nischen und Gängen stehen marmorne Bänke und laden zum Verweilen ein. Am südlichen Ende des Rosengartens nun steht direkt am steil abfallenden Hang ein schlichtes weißes Holzkreuz mit einem kleinen Altar davor. Von dort hat man einen weiten Blick bis hinüber zur anderen Seite des Tales. Ein wunderschöner Platz der Einkehr und des Friedens." Hier unterbrach der Alte seine Rede, blickte sich um und sah sie plötzlich ernst an. "Was ich dir nun erzähle, ist noch nie über meine Lippen gekommen. Ich weiß, daß du kein geschwätziges Weib bist, aber versprich mir, daß du dies nie jemandem erzählen wirst." Gertraud schluckte, entgegnete dann aber: "Versprochen." "Gut. So höre denn, wie mir der schreckliche Ritter zum ersten Mal begegnete." Von Trettin seufzte und lehnte sich zurück. Sein Blick verlor sich im rauchgeschwärzten Gebälk der Decke, und er fuhr leise fort. "Wir begaben uns schließlich auf den Rückweg, aber mein Begleiter war um einige Jahre älter als ich und schlug vor, auf der gelben Terrasse ein wenig zu rasten. Ich willigte gerne ein, und wir fanden schließlich eine versteckte Bank auf der gelben Terrasse, just oberhalb des Kreuzes. Wir hatten gerade fünf Minuten dort -1 6 -
gesessen, da merkte ich, daß mein Freund, zurückgesunken auf der Bank, selig schlief. Auch mich machte der Frieden und die warmen Sonnenstrahlen schläfrig, aber plötzlich hörte ich schwere Schritte rasch näherkommen. Jemand stieg, ohne uns zu bemerken, zur Rosenterrasse hinab. Für ein paar Augenblicke sah ich ihn, bevor er auf der Terrasse unter uns verschwand. Ungeheuer groß erschien er mir, mit schwerem Harnisch, wie für eine Schlacht angetan, den Helm auf dem Kopf. Das mußte Hardrich von Aven sein! Kein anderer würde zu dieser Zeit, an diesem Ort so erscheinen. Was tun? Sollte ich meinen Begleiter wecken und rasch diesen Platz verlassen? Aus irgendeinem Grund fürchtete ich mich vor meinem zukünftigen Herrn. Er war so wild und dieser Helm, den er niemals ablegte und der den freien Blick in seine Augen versperrte! Wie allen anderen machte mir sein Anblick Angst. Ich konnte mich nicht rühren. In nächsten Augenblick sah ich ihn unter mir ans Kreuz treten. Wenn er sich jetzt umdrehte und aufsah, würde er uns entdecken! Mein Herz raste. Ich betete, der Schläfer neben mir möge nicht anfangen, laut zu schnarchen oder gerade jetzt aufwachen. Hardrich legte langsam sein Schwert ab, fiel vor dem Kreuz auf die Knie und begann, zu Gott zu sprechen. Und obwohl er den Helm nicht abnahm und ich die Worte, die er sprach, nicht verstehen konnte, rührte doch die Inbrunst seiner Stimme mein Herz! Trotz des Schmerzes und der Ablehnung, die er in seinem jungen Leben erfahren mußte, hat er nicht mit Gott gehadert, sondern ist ein tief gläubiger Mann! In diesem Moment schwor ich mir im stillen, ihm immer treu zur Seite zu stehen. Was die Leute auch erzählen mochten, ich würde keinem der Gerüchte mehr Glauben schenken. Ich wußte noch nicht, daß ich schon anderntags Gelegenheit bekommen würde, meinem Schwur nachzukommen, denn ich sollte auch seine andere, seine dunkle Seite kennenlernen!" Hier schwieg der alte Herr und leerte den Becher. Es war spät geworden. Die letzten Gäste zahlten gerade bei Meister Kerner die -1 7 -
Zeche und machten sich lautstark auf den Heimweg. Auch der Gutsherr streckte und erhob sich, fischte ein Geldstück aus der Tasche und gab es Gertraud. "Den Rest der Geschichte heben wir uns für einen anderen Abend auf. Und denk an dein Versprechen. Gute Nacht, mein Kind." Gertraud begleitete ihn zur Tür und verabschiedete sich: "Gute Nacht und vielen Dank!" Dann räumte sie die leeren Becher zusammen und wischte die Tische ab. Ausfegen würden sie morgen früh. Ihr Vater hatte bereits die Tür verschlossen, die Kerzen bis auf zwei gelöscht und die Glut m i Kamin zusammengeschoben, damit kein unglücklicher Funke des Nachts auf die hölzernen Dielen springen konnte. Er gähnte, nahm eine der Kerzen und wünschte seiner Tochter eine gute Nacht. Bevor auch Gertraud mit ihrem Licht in der Hand in ihre Kammer ging, sah sie noch nach der Großmutter, die immer noch fest schlief und schwer atmete. Obwohl es ein anstrengender Tag gewesen war, konnte sie lange nicht zur Ruhe kommen, und in ihre Träume mischten sich die Bilder des Gehörten. Sie sah sich in einem tiefen Wasser treiben, das über und über mit Rosenblättern bestreut war. Am nächsten Morgen wachte sie zerschlagen auf, als ihre kleine Schwester zu ihr ins Bett gekrochen kam. Sie kuschelte sich an sie und schlief sofort wieder ein. Gertraud küßte sie auf die Stirn und hielt sie im Arm. Dabei wurde ihr das Herz seltsam schwer. Wenig später hörte sie Grete in der Küche hantieren und mit Sine zetern, und es war höchste Zeit zum Aufstehen. Sie löste sich aus Rikes Arm, wusch sich leise in der großen Schüssel und kleidete sich rasch an. Gertraud ließ die Kleine weiterschlafen, schloß vorsichtig die Tür hinter sich und klopfte an die Kammertür der Jungen. Paul ließ ein verärgertes "Ja doch!" hören. Dann sah sie in die Kammer der Großmutter, die mit offenem -1 8 -
Mund schwer atmete und auch nicht aufwachte, als Gertraud sie ansprach und den Teller mit der kalten Brühe nahm. Der Vater trat hinter ihr in die Kammer und begrüßte die Tochter. Er bemerkte den fast vollen Teller und sah seine Mutter bekümmert an. "Ich werde es nachher mit etwas Brei versuchen. Sie wacht vormittags immer länger auf, dann wird sie auch etwas essen", sagte Gertraud und versuchte, ihrer Stimme einen zuversichtlichen Klang zu geben. "Hat sie noch etwas gesagt?", wollte er wissen. "Sie fragte, ob ich schon die Enten gefüttert hätte", antwortete Gertraud und verschwieg, daß die Großmutter sie mit ihrer Mutter verwechselt hatte. Noch auf dem Totenbett wurde das gespannte Verhältnis der beiden Frauen offensichtlich. Der Vater nickte nur und sie verließen den Raum. Auf dem Flur hörte man inzwischen die Jungen streiten. Lukas rannte, mit einem Hemd in der Hand, auf die Treppe zu, aber Paul war schneller. Lukas bekam eine Ohrfeige und fing an zu heulen. "Ich hab gesagt, du sollst Adam das Hemd wiedergeben!", wies ihn der Ältere barsch zurecht. Adam nahm das Hemd von Paul in Empfang und streckte Lukas grinsend die Zunge heraus. Dafür erhielt er von Paul einen Klaps auf den Mund, und gleich heulte auch der Kleine. Paul scheuchte die Brüder wütend zurück in ihre Kammer, damit sie sich fertig anzögen. Rike öffnete schlaftrunken die Kammertür der Mädchen und kam im Nachthemd zum Vater gelaufen. Sie rieb sich die Augen. Vater Kerner nahm seine Jüngste auf den Arm und sagte sanft: "Na, mein Mäuschen. Guten Morgen. Jetzt aber rasch anziehen! Bei dem Krach kannst du eh nicht weiterschlafen" Gertraud nahm ihm die Schwester ab und trug sie zurück in die Kammer, um ihr beim Anziehen zu helfen. Eine halbe Stunde später saßen alle beim gemeinsamen Frühstück. Es gab fette warme Milch und Dünnbier, reichlich Brot und Butter, Leberwurst und Speck, Honig und Haferbrei. Dann nahm der warme -1 9 -
Septembertag seinen Lauf. Gertraud versorgte die Großmutter, wusch sie und wechselte die verschmutzen Laken, machte die Betten und fegte die Stuben aus. Es mußte Wäsche gewaschen und aufgehängt werden und auch im Garten wartete viel Arbeit. Henning half ihr beim Jäten und beim Füttern des Viehs, bis er wieder in die Mälzerei gerufen wurde. Die neue Brausaison würde nicht vor den ersten strengen Frösten Ende November beginnen können, aber es gab das ganze Jahr über zu tun. Fässer und Bottiche wurden ausgebessert, Berge von Brennholz vorbereitet und die kupfernen Kessel gepflegt. Guter böhmischer Hopfen und die zweizeilige Sommergerste, der Grundstoff des Braumalzes, wurden eingelagert. Neben der Güte des Wassers und des bitterstoffreichen Brauhopfens war das Malz der wichtigste Bestandteil des Bieres. Schon beim Kauf entschied die jahrelange Erfahrung des Mälzers über Gedeih und Verderb des fertigen Bieres, wie überhaupt die Mälzerei eine Kunst ist, die weniger einer exakten Wissenschaft als eher einer sinnlichen Begabung gleicht. Jakob Karow, Kerners Mälzer, war ein untersetzter, blasser Mann mit hellblauen Augen und einer weichen Stimme. Bereits beim Ausschütten eines Sackes konnte er am Rascheln der Körner erkennen, ob die angebotene Gerste zu feucht oder zu alt war. Das Aussehen und der Geruch waren weitere Merkmale, die er gewissenhaft überprüfte. Hellgelb bis weiß in der Farbe, glänzend und gleichmäßig geformt mußte es sein, frisch und strohig sollte es riechen und angenehm in der Hand liegen, wenn man in den Sack griff. Nur wenn all das zutraf, gab er sich zufrieden und man kam mit dem Bauern ins Geschäft. Meister Kerner gab viel auf Karows Rat und Erfahrung. Auf dem peinlich sauberen, luftigen Dachboden lagerte das Getreide dann, bis es seiner weiteren Bestimmung zugeführt wurde. Es durfte weder zu -2 0 -
feucht, noch zu warm liegen, weshalb Henning und Dietrich regelmäßig mit großen Schaufeln für Umschichtung zu sorgen hatten. Und der ruhige Mälzer konnte fuchsteufelswild werden, wenn er einen der beiden mit schmutzigen Füßen dabei ertappte. Alle paar Wochen nahm Jakob Karow dann eine überschaubare Menge der Gerste und hielt sie etwa drei Tage lang feucht. Die kleinen festen Körner sogen sich dabei mit Wasser voll, weichten und begannen, sich in der genau regulierten Wärme der Malztenne in lebende Wesen zu verwandeln. Eine Urkraft, die den Mälzer immer wieder neu mit Staunen erfüllte. Zeigten sich nach ein paar Tagen die ersten winzigen Wurzelansätze, ließ der Mälzer die Vorgänge nicht mehr aus den Augen, denn die Temperatur mußte ständig kontrolliert und der Haufen gewidert werden. Mit Adleraugen überwachte er die Gehilfen, die ständig in Rufweite waren, um die Öfen in Gang zu halten. Ein Zuviel an Wärme zum falschen Zeitpunkt konnte alles verderben. Weiter schritt die Keimung fort. Schließlich, wenn sich die einzelnen Wurzeln auf der Suche nach einem Halt in der Erde ineinander verschlangen, war es fast soweit. Jetzt war der richtige Zeitpunkt zu bestimmen, um die Keimung wieder zum Stillstand zu bringen, damit nicht unnötig Kraft damit vergeudet wurde, eine Pflanze auszubilden. Es durfte aber auch nicht zu früh eingegriffen werden, denn möglichst alles Mehl im Korn sollte sich in wasserlösliche Süße verwandelt haben. In der trockenen Wärme über den großen Darröfen welkten die eben noch prallen Keimlinge rasch, aber es dauerte viele Stunden, ihnen das ganze Wasser und damit das Leben wieder völlig zu entziehen. Auch hierbei spielte wiederum die richtige Temperatur eine große Rolle, denn für ihr Helles benötigte Meister Kerner ein Malz, das nicht zu heiß abgedarrt worden war. In der Putzerei wurde dann noch der nahrhafte, getrocknetete Keimling vom Darrmalz entfernt und als Viehfutter weiterverwendet. Das fertige, entstaubte und duftende -2 1 -
Braumalz lagerte man trocken ein, denn nur abgelagertes Malz verbraute sich gut. Der Tag verging. Noch vor dem Abendessen heizte Gertraud den Ofen im Waschhaus an, legte sauberes Leinen bereit und füllte die Wasserkessel am Brunnen. In einen kleinen Kessel gab sie ein Säckchen mit Kamillenblüten. Nachdem die Familie gegessen hatte, füllte sie das nun kochend heiße Wasser in die runde hölzerne Wanne und goß kaltes dazu, bis das Bad die richtige Temperatur hatte. Die Luft dampfte. Dann wurden unter Geschrei und Gespritze die jüngsten Geschwister gebadet. Während auf dem Ofen schon wieder frisches Wasser erwärmt wurde, seifte Gertraud Rike und Adam ab und spülte die Locken mit dem abgekühlten Kamillensud, wie ihre Mutter es stets auch mit ihr getan hatte. Sie trocknete die Kleinen ab, bürstete Rikes langes Haar und zog den Geschwistern frische Nachthemden an, bevor sie sie in Bett brachte. Rasch badete auch sie sich dann in dem jetzt kühlen Wasser, zog sich frisch an und bereitete dann alles für den Vater neu vor. Danach würde das Bad Paul und Lukas, der sich seit einiger Zeit nicht mehr von Gertraud baden lassen wollte, zur Verfügung stehen. Außer den Gesellen Gunther und Friedrich, die nach Feierabend zu ihren Familien im Nachbardorf zurückkehrten, nutzten dann auch die anderen Bediensteten das Waschhaus. Wie gewöhnlich war heute, am Sonnabend, die Schenke gut besucht und Gertraud hatte viel zu tun. Sogar ein Spielmann mit seiner Laute war eingekehrt. Für ein paar Groschen und Verköstigung wollte er den Abend für die Leute spielen, bot er Meister Kerner an. Dieser war einverstanden. Der Fremde mochte etwa dreißig Jahre alt sein. Schlank und glatt rasiert, mit ebenmäßigen Zügen und einer galanten Beredsamkeit, war er sicherlich der Schwarm der Weiblichkeit allerorts. Als -2 2 -
Gertraud ihm seine Mahlzeit brachte und auch das Bier nicht vergaß, zwinkerte er ihr aus durchdringenden grünen Augen zu. Nach dem Essen und einem zweiten Becher Bier begann er ein Liebeslied zu spielen, und wieder suchte sein Blick Gertrauds Augenmerk auf sich zu ziehen. "An der beißt du dir die Zähne aus!", spottete einer und Gertraud war froh, daß der Vater ins Waschhaus gegangen war und dies nicht hörte. Der Sohn des Schmiedes, Klemens Graum, den Gertraud sehr zum Bedauern ihres Vaters erst vor kurzem abgewiesen hatte, warf dem Musiker einen solch bösen Blick zu, daß der seine Avancen schließlich auf Sine konzentrierte. Gertraud blickte den grobknochigen, stillen Schmiedegesellen dankbar an und bemerkte wohl die Traurigkeit in dessen Augen. Endlich stimmte der Spielmann ein freches Spottlied an, und es wurde lustig im Raum. Tanz und Gelächter verebbten erst spät in der Nacht. Vater Kerner war schon zu Bett gegangen und hatte Gertraud die Schlüssel anvertraut. Klemens ging nicht eher, als bis Sine den Spielmann, der seine Sache gut gemacht hatte, in eine der Gästekammern über dem Schankraum begleitete. Mütze zwischen den Fingern, stand er in der Tür und blickte Gertraud unsicher an. Endlich sagte er: "Hast du nicht noch einmal in Ruhe über alles nachgedacht? Du weißt, ich könnt es nicht ertragen, einen anderen an deiner Seite zu sehen. So einen Schwätzer vielleicht!" sagte er unglücklich und nickte zur Treppe hinüber, die zu den Gästekammern führte. Von oben hörten sie leises Lautenspiel und Sines Kichern. Gertraud war sich nicht sicher, das Richtige getan zu haben, als sie seinen Antrag ablehnte, denn er galt als fleißiger, warmherziger Mann, sicherlich die beste Partie, die sie hier im Dorf bekommen konnte. Klemens war vier Jahre älter als sie und hatte sich schon als Junge stets für sie geprügelt. Ihr Verstand hatte sie immer gedrängt, seinem Werben nachzugeben, aber im Innersten fürchtete sie den -2 3 -
Tag, an dem er eine Entscheidung von ihr fordern würde. Sie mochte ihn und das schlechte Gewissen quälte sie, denn Klemens hatte geduldig gewartet und während all dieser Zeit zahlreiche andere Bewerber vertrieben, mehr oder weniger handgreiflich. Er hatte fest mit einer Zusage gerechnet und ihr Nein traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Wortlos war er danach geflüchtet und heute abend sah sie ihn seitdem das erste Mal wieder. Als sie nicht sofort etwas erwiderte, fuhr er rasch fort: "In Süderbroock suchen sie einen neuen Schmied. Wenn du nicht hierbleiben willst, vielleicht meiner Mutter wegen, werden wir dahin übersiedeln. Ich habe schon mit dem Herrn von Trettin gesprochen. Er wäre einverstanden" Gertraud erschrak. Er war bereit, sein Erbe, die elterliche Schmiede, seine Freunde und das vertraute Dorf für sie aufzugeben! Sicherlich, seine Mutter hatte Haare auf den Zähnen, und das wußte Klemens auch. Aber Gertraud hatte nicht im Traum daran gedacht, daß er ihretwegen einen solchen Schritt in Betracht zog. Ihr war klar, daß er es ernst meinte, so wie es seine Art war. Bevor sie etwas antworten konnte, legte er seine schwielige Hand auf ihren Mund und fügte hinzu: "Laß dir mit der Antwort Zeit!" Und fort war er. Gertraud sah ihn ins Dunkel davoneilen und blieb allein in der Stille zurück. Nach dem Frühstück am anderen Morgen machten sich alle in ihren besten Kleidern auf den Weg in die Kirche. Sine gähnte fast ununterbrochen und lief puterrot an, als Gertraud sie grinsend fragte, ob sie nicht gut geschlafen hätte. Es war eine halbe Stunde Fußweg. Unterwegs traf man wie jeden Sonntag die Nachbarn und versammelte sich gemeinsam auf dem Kirchhof, bis die Glocken zum Beginn der Messe riefen. Gertraud hatte Rike Bänder in ihre langen Locken geflochten und sich selbst das Haar zu einem lockeren Kranz -2 4 -
aufgesteckt. Sie trug ihr hellgrünes Sonntagskleid und ein Tuch über den Schultern. Die schöne Frau spürte viele Blicke auf sich gerichtet und bemerkte, daß Klemens jeden ihrer Schritte und jedes Wort, das sie mit einem der Burschen wechselte, verfolgte. Nach der Kirche kehrte ein Teil der Gemeinde bei Kerners zum Frühschoppen ein und saß noch etwas beieinander, bevor der Alltag wieder Einzug hielt und man zum Tagwerk zurückkehrte. Auch der alte Herr von Trettin war gekommen. Aber so sehr Gertraud auch darauf brannte, zu erfahren, was er weiter zu erzählen hatte, sie fand keine Zeit. Alle Tische waren voller Gäste und auch draußen standen die jungen Leute zusammen und riefen nach ihr. Lächelnd nahm der Gutsherr seinen Becher von Gertraud in Empfang und flüsterte verschwörerisch: "Na, mein hübsches Kind, willst du nicht heute abend auf´s Gut kommen, damit ich dir weiter erzählen kann? Da kannst auch du ein bißchen zur Ruhe kommen" "Oh, Herr von Trettin, furchtbar gerne komme ich, wenn ich nur irgend Zeit finde!", lautete die Antwort freudig. Je weiter es auf Mittag zuging, umso mehr leerte sich die Wirtschaft, und schließlich konnte sich auch Familie Kerner gemeinsam zum Essen niedersetzen. Den Nachmittag über beeilte sich Gertraud, mit ihren Aufgaben fertig zu werden. Als sie gerade die Kaninchen fütterte, trat Sine mit rotem Kopf an sie heran. "Du, Gertraud", sagte sie endlich verlegen, "Du wirst doch keinem erzählen, daß ich..., daß wir..., äh..." "Nein, nein", lachte Gertraud, "Keine Sorge! Du bist alt genug und mußt ja wissen, was du tust. Aber tu mit dafür auch einen Gefallen, ja?" "Sicher!", antwortete Sine erleichtert. "Ich will heut abend auch auf ein kleines Treffen. Wirst du die Wirtschaft alleine schaffen?", fragte Gertraud. -2 5 -
Sine sah Gertraud mit großen Augen fragend an und nickte dann aber. "Was soll ich dem Meister sagen, falls er fragt?" "Sag ihm, daß ich beim Herrn von Trettin bin. Aber wahrscheinlich wird er heut im Faßkeller zu tun haben und es gar nicht merken", antwortete sie. "Ach, so! Und ich dachte schon...!", feixte Sine. "Was du schon wieder für Gedanken hast!", entgegnete Gertraud mit gespielter Entrüstung. "Außerdem will ich noch wissen, wie´s mit dem Sänger war...", fügte sie leise hinzu. Sine verdrehte nur die Augen vor Entzücken und beide brachen in Gelächter aus. Als es dunkelte und kühler wurde, begannen die Männer damit, den Leiterwagen mit Fässern zu beladen. Das frische Bier war empfindlich gegen zuviel Wärme und deshalb würden sie morgen noch vor Sonnenaufgang aufbrechen, um den Großteil der Strecke in der Kühle des Morgens zurückzulegen. Auch mußten die Fässer leicht feucht gehalten werden, damit sie nicht austrockneten und das Bier drinnen sein Prickeln verlor. Gertraud gab Sine ein Zeichen und schlich sich in einem unbeobachteten Moment hinaus. Ein frischer Wind ging. Sie trug jetzt ein einfaches, ausgeschnittenes Kleid und fröstelte in der Dämmerung. Das Tuch fest um sich gezogen, erreichte sie die breite Buchenallee, die zum Gut führte. Wie lange war es her, daß sie hier entlangging? Sie freute sich auf die Ruhe des großen Hauses und das Gespräch mit dem alten Freund. Gertraud eilte den Weg entlang und lächelte gedankenversunken in sich hinein, als plötzlich Klemens wie aus dem Nichts vor ihr auftauchte und sich ihr in den Weg stellte. Eine Wolke von Branntweindunst schlug ihr entgegen. Gertraud erschrak und wich instinktiv vor ihm zurück. Er faßte ihr linkes Handgelenk, drehte ihr mit einer Bewegung den Arm auf den Rücken und zog sie an sich. Er hielt sie an seine Brust gedrückt und atmete schwer. -2 6 -
"Also doch!", keuchte er, "Zu dem Alten läufst du, wenn er dich ruft, aber mich weist du ab! Und ich Narr warte auf dich! Aber jetzt ist Schluß damit!" Er riß ihr das Tuch vom Kopf und stöhnte, als er die weiße, glatte Haut ihres Nackens im letzten Tageslicht schimmern sah. Gertraud war starr vor Schrecken. Klemens vergrub sein erhitztes Gesicht an ihrem Hals und drückte sie an sich, bis sie kaum noch Luft bekam. "Klemens, das tut weh!", preßte sie schließlich heraus, "Ich bin doch oft zum Gut gewesen. Früher schon. Um Bücher zu lesen. Das weißt du doch! Nichts anderes ist es heute!", sagte sie flehentlich, "Hör doch auf, Klemens! Du bist betrunken...." "Ja, getrunken habe ich mit den Jungs, das stimmt! Die sind alle verheiratet und zeigen ihren Weibern, wo´s lang geht! Da läßt sich keiner auf der Nase herumtanzen. Und wie sie hörten, daß der Alte dich auf´s Gut bestellt hat, haben sie mich ausgelacht! Ob ich´s dir nicht besser besorgen könnte als der alte Waldschrat! Das werden wir ja sehen!", stieß er grob hervor. Mit fahrigen Fingern riß er ungeduldig an ihrem Ausschnitt bis der derbe Stoff riß und ihre Schultern und Brüste freigab. Heller Schmerz durchfuhr sie, als er sie wieder an sich drückte. Dann griff seine Hand ihren Rücken hinunter und begann ihren Rock hochzustreifen. Trotz ihres Entsetzens gelang es Gertraud, ihre Gedanken zu sammeln. Mit der freien Hand, mit der sie sich bislang gegen seine Schulter gestemmt hatte, fuhr sie ihm unter das lose Hemd und liebkoste seinen Rücken. "Ja!", stöhnte sie, "nimm mich endlich und mach mich zu deinem Weib! Ich habe mich so danach gesehnt! Küß mich, Klemens!" Verdutzt hielt er inne und lockerte den harten Griff um ihren Arm. Sie rieb ihre Mitte aufreizend an seinem Schenkel und keuchte: "Ich brenne schon lange für dich, Klemens. Du sollst der Erste sein für mich! Heute Nacht!" Endlich ließ er ihre Hand los, faßte mit -2 7 -
beiden Händen ihr Gesicht und drückte seine Lippen auf ihren Mund. Sie bemühte sich, seinen Kuß zu erwidern und hoffte, daß er ihren Ekel nicht spüren würde. Er wollte sie zu Boden ziehen, aber Gertraud sagte rasch:" Wo ist mein Umhang? Ich will doch nicht auf der nackten Erde liegen! Hier muß er doch sein" Es war inzwischen völlig dunkel geworden. Der Mond war von dicken Wolken verdeckt, und sie tat, als suchte sie im Finsteren den Boden ab. Sie hörte, wie auch Klemens sich bückte und stolpernd den Weg abtastete. Das Tuch, das gleich hinter ihr gelegen hatte, fest im Arm, trat sie einige Schritte zurück, den Blick starr ins Dunkel gerichtet und fragte dabei laut:" Hast du ihn gefunden? Er muß doch da sein!" Dann drehte sie sich um und rannte den Weg zurück, den sie gekommen war. Jetzt schlug ihr das Herz bis zum Hals! Panik überkam sie. Eine zweite Chance würde sie nicht bekommen! Doch das Rauschen der Bäume übertönte noch das leise Geräusch ihrer hastenden Füße und das Keuchen ihres Atems. Sie hatte fast das Ende der Allee erreicht, als sie hinter sich den zornigen Aufschrei des Getäuschten hörte. Weiter rannte sie, bis der Hof der Familie erreicht war. Den Umhang fest über dem zerrissenen Kleid geschlossen, lief sie direkt zum Haus, die Treppe hinauf in ihre Kammer und verriegelte die Tür hinter sich. Rike schlief bereits fest. Am ganzen Leib bebend kam sie nur langsam zu Atem. Sie zog sich im Dunkeln um und verbarg das Kleid. Sie würde es verbrennen. Dann wusch sie ihr erhitztes Gesicht im kalten Wasser der Schüssel, atmete noch einmal tief durch und ging durch die Küche zurück in den Schankraum. Sine stutzte, als sie Gertraud sah, stellte aber keine Fragen, sondern lächelte sie an und nickte nur. Es hatte also niemand ihre Abwesenheit bemerkt. Die Kerzen erhellten die Schenke nur spärlich und keiner der Anwesenden sah ihr den Schrecken an, der -2 8 -
tief in ihren Gliedern steckte. Von Zeit zu Zeit warf sie einen bangen Blick zur Tür. Ob er es wagen würde, ihr bis hierher zu folgen? Aber der Abend verlief ruhig. Und niemand war verwundert, als Gertraud früh schlafen ging. Ihr war, als hätte sie nur einige Minuten im Dunkeln gelegen, als der Vater klopfte und sie rief: "Gertraud, du bist spät dran. Komm, sonst gibt´s kein Frühstück bevor ihr fahrt!" Paul saß schon am Tisch und aß, als sie mit schwerem Kopf in der Küche erschien. Sie beeilte sich mit dem Essen und zehn Minuten später saßen die Geschwister bereits auf dem Wagen und rumpelten vom Hof in die Dunkelheit davon. Gertraud war froh, daß auch Paul zu dieser Stunde noch nicht sonderlich gesprächig war, sondern gähnend die Zügel hielt. Wären nicht die Schmerzen in ihrem Handgelenk gewesen, sie hätte die Ereignisse der letzten Nacht für einen bösen Traum gehalten. Schweigend und mit tränennassem Gesicht saß sie neben ihrem Bruder und fühlte sich einsam und unsagbar elend. Sie wußte, daß sie nicht unschuldig war an Klemens' Ausbruch gestern abend. Zu lange hatte sie ihn hingehalten, genau wissend, welche Hoffnungen er sich machte. Zu bequem war es gewesen, auf diese Weise von allen anderen Verehrern verschont zu bleiben! Immer wieder hatte sie ein klärendes Wort hinausgezögert, wollte ihm nicht wehtun und hatte sich und ihm nun doch mehr wehgetan, als es die Wahrheit je gekonnt hätte! Warum fiel es ihr nur so schwer sich für einen der Männer zu entscheiden und den Weg einzuschlagen, der ihr doch vorgezeichnet war? Die Wahlfreiheit, die ihr der Vater zugestanden hatte und um die sie von so manchem Mädchen im Dorf beneidet wurde, erschien ihr wie ein böser Fluch. Auf was hatte sie all die Jahre bloß gewartet, während alle ihre Freundinnen nach und nach heirateten und Kinder bekamen? Vielleicht würde sie sich mit Klemens aussöhnen können. -2 9 -
Warum nicht als seine Frau nach Süderbrook gehen? Und während am Horizont ein erster schwacher Lichtschein die aufgehende Sonne ankündigte, schwor sie sich, sich in diesem Jahr noch für einen der Freier zu entscheiden.
Hustend reichte Wichard den schweren Branntweinkrug an den neben ihm Sitzenden weiter: "Dieses Zeug bringt einen um! Verdammt!" Die Männer lachten. Flackernde Flammen erleuchteten verschwitzte Gesichter und dreckverkrustete Gestalten, die behäbig rund um ein großes Feuer lagerten. Fieberglanz in den Augen, nahm Benno den scharfen Schnaps entgegen. Betroffenes Schweigen entstand in der Runde, als sie sein klägliches Bemühen sahen, den Krug mit der linken Hand allein zum Mund zu führen. Bennos rechter Arm war in blutgetränkte Lappen gehüllt. Ein verzweifelter Bauer hatte ihm mit einem Axthieb den Ellenbogen zerschmettert, um einem der Kämpfenden beizustehen. Beide hatten mit ihrem Leben dafür bezahlt. Benno kämpfte tapfer gegen die Schmerzen in seinem brandigen Fleisch, aber sie wußten alle, daß er nicht lebend nach Hause kommen würde, wenn nicht ein Wunder geschah. Schweigend nahm Wichard ihm den Krug wieder aus der Hand und goß einen Becher voll, den er ihm gab. Benno wollte protestieren, aber das Fieber hatte seine Kräfte aufgezehrt. Wortlos nahm er den Becher. Neben Benno, der sich gerade noch auf den Beinen halten konnte, waren noch zwölf Mann schwer verletzt worden, die etwas abseits in einer baufälligen alten Scheune notdürftig versorgt wurden. Die fünfundzwanzig Toten, die die Gefechte bis hierher gekostet hatten, wurden in Decken gewickelt und auf ihren Pferden mitgeführt, damit man ihnen zu Hause ein christliches Begräbnis zukommen lassen konnte. Ihr Ritter ließ, wenn es irgend möglich war, niemanden in -3 0 -
feindlicher Erde zurück. Einige Leichtverletzte, die im Kampf nichts mehr ausrichten konnten, hatte man bereits vor Tagen auf den Heimweg geschickt, denn die Kämpfe waren so gut wie beendet. Niemand rechnete mehr mit großer Gegenwehr. Wohin sie kamen, flohen die Menschen in Angst. Morgen sollte noch das Dorf, in das sich laut der Späher einige der Anführer der Gesetzlosen geflüchtet hatten, eingenommen werden, und dann würde der Markgraf das Heer zurückführen. Am Nachmittag hatten sie die Siedlung bereits erreicht und einen Belagerungsring gezogen. Diese Nacht brannten ringsherum große Feuer, und Wachen wurden aufgestellt, damit sich keiner der Flüchtigen davonstehlen konnte. Das Warten auf den morgigen Tag und das unvermeidliche Ende würde die Gegner noch zusätzlich zermürben. Das Heer selber würde ausgeruht und den baldigen Rückzug vor Augen, dem letzten Kampf entgegenfiebern. "Ein Schlachtefest!", wie einer der Männer es genannt hatte. Das Einteilen der Wachmänner und der Burschen, die auf die Feuer zu achten hatten, lief wie von selber ab. Jeder wußte, wo sein Platz war, und heute abend waren alle, außer den Verwundeten, in guter Stimmung. Wichard erhob sich und warf noch einen bekümmerten Blick auf Benno, der zusammengekrümmt am Feuer lag und dank des Alkohols trotz der Schmerzen eingeschlafen war. Dann schritt er die Feuer ab, sprach hier und da mit einer der Wachen, kontrollierte die Versorgung der Pferde und blieb schließlich dem Dorf zugewandt im Halbdunkel stehen. Er konnte im Schein der Feuer auf der Gegenseite nur die schwarzen Umrisse der armseligen Häuser und Schuppen erkennen. Die verängstigten Dörfler hatte alle Feuer gelöscht, wahrscheinlich aus Angst vor einem nächtlichen Überfall. Er lauschte in die Nacht und glaubte, eine Frauenstimme jammern zu hören. Die Verzweiflung der einfachen Leute lag fast spürbar in der Luft. Einiger weniger Geächteter wegen, denen man mehr oder -3 1 -
weniger freiwillig Unterschlupf gewährt hatte, würde so mancher der Bauern morgen sein Leben lassen. Ob der Ritter aufgrund des bisherigen Erfolges morgen gnädiger gestimmt sein würde? Dann ging er, um wie jeden Abend seinem Herrn Bericht zu erstatten und Weisungen für den nächsten Tag zu empfangen. Seit einiger Zeit hatte sein Herr ihn auch in einigen Fragen um seine Meinung gebeten, was Wichard mit Stolz und Freude erfüllte. Der einundzwanzigjährige junge Adelige war vom ersten Tag an die rechte Hand seines Herrn gewesen und vermittelte zwischen dem Heer und seinem Feldherrn. Er war sein Sprachrohr und sein Schatten und wäre ohne zu zögern für ihn in den Tod gegangen. Das Lager des Ritters lag etwas abseits des Belagerungsringes. Ein Feuer brannte vor dem einfachen Zelt. Dahinter stand der riesige, braune Wallach des Ritters und schnaubte, als Wichard sich näherte. Wichard holte unwillkürlich noch einmal tief Atem und trat in den Lichtkreis des Feuers. "Herr? Ich bin es. Wichard", sagte er befangen. In dem Moment trat ihm gegenüber der Markgraf aus dem Dunkel ans Feuer. Seine Bewegungen waren müde. Beschattet vom eisernen Helm waren seine Augen kaum zu sehen, aber Wichard konnte inzwischen fast ebensoviel aus seinen Gesten lesen, und er vermutete richtig, daß Hardrich von Aven heute abend einmal mehr von furchtbaren Schmerzen gequält wurde, die seinen Kopf zu sprengen drohten. Leise stöhnend ließ er sich am Feuer nieder und forderte auch Wichard mit einer Handbewegung zum Platznehmen auf. "Nun, Wichard? Was gibt es?", fragte er. "Die Wachen sind eingeteilt, und auch die Feuer werden die ganze Nacht brennen. Im Dorf hält sich alles ruhig. Die Männer haben gut gegessen und ruhen jetzt. Es fiebert alles dem Tage entgegen. Die Aussicht auf baldige Rückkehr beflügelt alle", berichtete Wichard. -3 2 -
"Und wie ist es mit dir? Wirst auch du froh sein, zu den deinen zurückzukehren?", wollte der Markgraf wissen. Verblüfft über diese persönliche Frage, stutzte der junge Mann zuerst und sagte dann mit fester Stimme: "Mein Platz ist an Eurer Seite, Herr. Wenn Ihr befehlt, werde ich Euch mit Freude bis an das Ende meiner Tage weiter folgen. So wie wir alle", beeilte sich Wichard nachzusetzen. "Dir werde ich das gerne glauben, aber die anderen hält nur die Furcht vor mir. So ist es doch!", versetzte der Ritter verächtlich. "Es ist nicht, wie Ihr denkt! Die Männer wissen, was sie an Euch haben, Herr! Viele haben bereits unter Eurem Onkel gedient und wissen, wieviel Blut und Leiden ein unüberlegter Feldzug kostet. Nie habt Ihr sie ohne einen klugen Plan in den Kampf geschickt. Sie sind immer gut versorgt worden und nicht zuletzt seid Ihr es, der immer in der vordersten Reihe kämpft. Zusammen mit dem geringsten Burschen. Sie alle verehren Euch und sind Euch treu ergeben. Mag sein, daß es unter den einfachen Kerlen einige gibt, die den Ammenmärchen Glauben schenken..." Er stockte und verfluchte sich innerlich für seine letzte unbesonnene Bemerkung. Aber schon fiel ihm der Ritter ins Wort: "Ah, und was für Märchen erzählen die Ammen?" Spott lag in seiner Stimme, aber Wichard bemerkte auch einen Hauch Verbitterung darin. "Herr...", unglücklich wand sich Wichard auf seinem Platz, "zwingt mich bitte nicht, diesen Unsinn vor Euch zu wiederholen!" "Laß gut sein", winkte sein Gegenüber ab, "Ich kenne die Geschichten" Eine Weile starrte er gedankenversunken in die Flammen. Dann sah er auf und sagte: "Wir werden den Dörflern morgen eine Frist setzen. Liefert man uns die Hundesöhne binnen einer Stunde aus, -3 3 -
werden wir die Bauern verschonen. Nach Ablauf der Stunde aber werden wir alle niedermachen, die wir im Dorf finden. Sie können wählen. Wir wollen mal sehen, ob ihnen nicht die Angst vor unseren Schwertern Mut macht, die Verbrecher zu überwältigen. Du wirst einen Botschafter bestimmen, der die Nachricht drei Stunden nach Sonnenaufgang überbringt. Dann sollen sich die Männer bereithalten. Ich will keinen Laut hören, während dieser Stunde! Tut sich bis Mittag nichts, werde ich das Zeichen zum Angriff geben" Er sah Wichard an, wie auf eine Antwort wartend. Der aber nickte nur. "Geh jetzt. Wir sehen uns morgen. Gute Nacht, Wichard", entließ ihn der Markgraf. "Eine gute Nacht, Herr", verabschiedete sich der junge von Düring, prüfte dann noch einmal das Rund der Feuer und gab Weisung an die Hauptleute. Schließlich begab auch er sich als einer der letzten auf seinem Lager zur Ruhe und überdachte noch einmal die Wahl des Unterhändlers. Er lächelte im Stillen. Noch vor ein paar Monaten hätte der Markgraf diese Entscheidung selber getroffen. Am nächsten Morgen erwachte er durchnäßt von einem feinen Nieselregen, der irgendwann in der Nacht aufgekommen war. "Kein gutes Vorzeichen", fuhr es ihm unwillkürlich durch den Kopf. Er versuchte diesen Gedanken zu verscheuchen und reckte die steifen Glieder. Im Lager regte sich bereits erste Geschäftigkeit. Wichard schlug sein Wasser an einem Busch ab und schickte den Burschen, Brot und kaltes Bratenfleisch vom Abend zu holen. Kauend und fröstelnd hockten beide an einer der verlöschenden Feuerstellen, die kaum noch Wärme spendeten. Beißender Rauch ließ ihre Augen tränen. Um sie herum wurden Waffen umgeschnallt, Pferde gesattelt und Befehle gebrüllt. Einer der Hauptmänner trat zu ihnen und grüßte knapp. Es war Ulrich Ohnsorg, ein grobschlächtiger, rotgesichtiger Mann, der sehr dem Branntwein -3 4 -
zugetan war. Unberechenbar, wenn er getrunken hatte. Er spuckte mißmutig in die Glut, fluchte und sagte dann leise: "Benno ist nicht wieder aufgewacht heute morgen. Und auch der Junge mit der Bauchwunde ist in der Nacht draufgegangen. Kein gutes Omen. Der alte Wernherr macht sich bereit, die Nachricht zu überbringen. Wollt Ihr kommen?" Wichard folgte ihm zur Westseite des Belagerungsringes. Hier, auf einer kleinen Anhöhe, lagerte Wernherr von Harchow mit seinen Leuten. Der gedrungene, untersetzte Mann stand mit Blick auf die Hütten unter ihm ruhig im Regen. Sein Bursche zog gerade die letzten Schlingen fest, die seinen Brustharnisch über dem fleckigen Wams befestigten. Von Harchow sah die beiden Männer näherkommen und grüßte sie mit fester Stimme. Graues kurzgeschnittenes Haar klebte ihm naß am Kopf und auch von seinem stattlichen Schnurrbart tropfte der Regen. Er war der älteste Hauptmann des Heeres und hatte schon unter dem alten Markgrafen Otto gediehnt. Zwar ließen seine Augen und die Kraft seines Schwertarmes nach, aber seine Männer liebten ihn. Mut, gelassene Besonnenheit und ein Gespür für die Schliche der gegnerischen Feldherren zeichneten ihn aus. So manches Mal hatte er einen Hinterhalt erahnt und so vereiteln können. Nichtsdestotrotz war sein Stern am sinken. Er war müde und vielleicht war dies das letzte Mal, daß er mit dem Heer reiten würde. Wichard hatte ihn auch aus diesem Grund für die bevorstehende Aufgabe ausgesucht. Wenn seine Worte ein weiteres Gemetzel verhindern konnten, wäre dies ein ehrenvoller letzter Höhepunkt seiner kämpferischen Laufbahn. Wie gewöhnlich hatte niemand die Anordnungen des jungen von Dühring in Frage gestellt, so wie es auch niemand gewagt hätte, Hardrich von Aven selber entgegenzutreten. Wichard genoß diese geliehene Macht. Nie wäre es ihm aber in den Sinn gekommen, sie zu seinem eigenen Vorteil auszunutzen. -3 5 -
Die Männer sprachen nicht viel. Man war bereits gestern abend überein gekommen, daß Wernherr, angetan mit einer weißen Armbinde als Zeichen des Unterhändlers, den ausgetretenen Weg ins Dorf nehmen und dort verlangen würde, mit einem Vertreter der Bauern zu sprechen. Er würde die Bedingungen des Markgrafen nennen und versuchen, den einfachen Leuten zuzureden, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Alle waren überrascht gewesen, als sie gehört hatten, daß der Markgraf den Bauern diese Chance einräumte. Nachdem sie das Hauptlager der Geächteten aufgestöbert und in einem zwei Tage währenden Kampf eingenommen hatten und ein Großteil der marodierenden Bande getötet worden war, verfolgten sie den Rest der verzweifelten Kämpfer durch mehrere Dörfer, die dem Erdboden gleich gemacht wurden. Das Heer hinterließ ein Spur der Verwüstung. Häuser wurden geplündert und niedergebrannt und die Vorräte, die nicht mehr mitgenommen werden konnten, vernichtete man. Alle Einwohner, die nicht schnell genug flohen oder sich widersetzten, wurden erschlagen. Die Männer des Markgrafen wüteten wie im Rausch. Wichard hatte einmal versucht, mit dem Ritter über diese Brutalitäten zu sprechen, aber Hardrich war hochgefahren und hatte ihn aufgebracht angeherrscht, er solle sich doch daran erinnern, was die Bauern zu Hause von den Überfällen berichtet hätten. Hier würde nur Gleiches mit Gleichem vergolten. Jeder solle sehen, was mit demjenigen geschehen würde, der ihn herausforderte! "Dein weiches Herz ist eine Last, die du immer mit dir herumschleppen wirst!", hatte er Wichard vorgehalten und ihn dann weggeschickt. Seitdem hatte der braunhaarige, schlanke Mann versucht, dem Beispiel seines Herrn zu folgen und das Mitgefühl in sich zu ersticken. -3 6 -
In einem der Dörfer war er allein in das dämmrige Dunkel einer niedrigen Hütte getreten. In einer Ecke verkrochen stieß er auf ein Mädchen, fast noch ein Kind. Sie war schier wahnsinnig vor Angst. Hinter ihm polterten zwei Kerle in die Tür. Der eine grölte: "Ah, hierher hat sich das Kätzchen verkrochen! Noch einmal entkommst du uns nicht!" "Und hierfür bezahlst du, Hure!", heulte der andere und hielt eine notdürftig verbundene Hand in die Höhe. Wichard fuhr herum und fauchte die beiden an: "Sie gehört mir! Verschwindet!" Von der Heftigkeit seiner Antwort überrascht, wichen die beiden zurück und stolperten fluchend davon. Er blieb allein mit dem Mädchen zurück. Er starrte sie an. Der zerrissene Rock ließ ihn ihre mageren Schenkel sehen, und unter dem dünnen Hemdchen zeichneten sich die Spitzen ihrer winzigen Brüste ab. Ihre Stirn glänzte schweißnaß. Er hörte ihren zittrigen Atem. Und es war, als würde plötzlich eine heiße Woge der Gier über ihm zusammenschlagen und die dünne Schicht der Erziehung und Menschlichkeit hinwegwaschen. Das Blut begann in seinen Ohren und Schläfen zu rauschen und übertönte den Lärm des Getümmels draußen. Sie mußte ihm gehören. Er wollte ihr wehtun, sie zerreißen. Ihm schien, als müsse er auf der Stelle zerspringen, wenn er sie nicht sofort bekam. Er machte einen Schritt auf sie zu. Seine Hand griff nach ihrem braunen Haar. Sie drehte den Kopf und wich noch weiter zurück. Mit einem Ruck hatte er ihr ein großes Büschel Haare ausgerissen. Tränen stiegen ihr in die Augen, ohne daß sie es merkte, und Wichard stand da, ihr Haar in der ausgestreckten Hand. Mit einem Schlag war sein Kopf wieder klar. Bodenloses Entsetzen und Scham überkamen ihn. Er fragte nach ihrem Namen und half ihr, sich zu verbergen, bevor er aus der Tür taumelte und sich übergab. -3 7 -
Der alte Wernherr hatte sein Pferd bestiegen und nickte den Umstehenden noch einmal zuversichtlich zu. Dann ritt er dem Dorf entgegen. Nicht zu eilig, um nicht eine Panik auszulösen, nicht zu langsam, um nicht ängstlich zu wirken. Hinter sich hörte Wichard plötzlich den Markgrafen leise sagen: "Du hast eine gute Wahl getroffen" Er schrak aus seinen Gedanken auf, denn er hatte den Ritter nicht kommen hören. Rings herum hatte sich das Heer bereit gemacht und beobachtete den Reiter, der inzwischen den halben Weg zum Dorf zurückgelegt hatte. Kein Geräusch war zu hören, außer dem Schnauben und Stampfen der Pferde und dem Rasseln der Geschirre. Wie ein Mann standen sie. Wernherr von Harchow erreichte das Gatter, das mit umgestürzten Wagen und Leitern verstärkt worden war. Für einen Moment hielt er inne und beobachtete. Dünner Rauch kräuselte sich aus einer Öffnung in einem der Dächer. Kein Mensch war zu sehen, aber er konnte fühlen, wie die Blicke aller auf ihn gerichtet waren. Er räusperte sich und hob mit lauter Stimme an zu sprechen: "Ich bin Wernherr von Harchow, und ich überbringe euch eine Nachricht von meinem Herrn, Hardrich von Aven, Markgrafen des Königs, der heute gnädig gestimmt ist. Ich bin unbewaffnet und fordere euch auf, einen Sprecher zu mir zu schicken, dem ich die Bedingungen für ein unblutiges Ende dieser Lage nennen will." Er hielt inne. Sein Pferd begann unruhig zu tänzeln. "Ich warte!", setzte er nach. Träge schleppte sich die Zeit dahin. Endlich trat ein Mann aus einer der niedrigen Türen, näherte sich dem Gatter und kletterte auf die hölzerne Barriere. Er trug ein dunkles Gewand und ein Kettenhemd darüber. Es war keiner der Bauern. Im Belagerungsring wurde es unruhig. Sie erkannten einen -3 8 -
der elf Geächteten! Der gegnerische Kämpfer hob die Hände, um zu zeigen, daß auch er unbewaffnet war und sprang vom Gatter herab. Er sagte etwas zu Wernherr, was die Belagerer nicht verstehen konnten und ging auf den Alten zu. Wichard hielt den Atem an. Etwas schrie in ihm "Nein! Laß ihn nicht näherkommen!" Aber der Mann hatte den zu Pferde Sitzenden bereits erreicht. Plötzlich zog er blitzschnell ein Messer aus seinem Stiefel, duckte sich unter das Tier und durchtrennte den Sattelgurt. Dann stach er dem Pferd in die Flanke, so daß es sich laut wiehernd aufbäumte, seinen Reiter abwarf und davonstürmte. Sofort war der Gesetzlose über dem alten Mann und setzte ihm das Messer an die Kehle. Ein Aufschrei ging durch die Reihen von von Harchows Leuten. Entsetzt sahen sie fünf weitere Bewaffnete aus ihrer Deckung hervorkommen, die hinzuliefen, den Gefangenen auf die Beine zerrten und sich um ihn herum aufstellten. Der schwarzgekleidete Mann, offenbar der Anführer des Haufens, übergab das Messer an einen seiner Leute, einem bärtigen Riesen, und lächelte kalt. "So verhandelt es sich doch viel besser, meint Ihr nicht?", rief er dem Ritter entgegen. Es war eine unheimliche Stille eingekehrt, alle Augen richteten sich verstohlen auf den Markgrafen, der wie versteinert auf seinem Pferd saß. Nur Wichard, der ihm am nächsten war, sah, wie er die Hände um die Zügel geballt hatte und vor Zorn keuchte. In Hardrichs Innersten tobte es. Der alten Hauptmannn war ihm lange ein väterlicher Freund gewesen. Von ihm hatte er vor Jahren seine ersten Lektionen im Schwertkampf erhalten, als sein Onkel Karl gerade an die Macht gekommen war. Er war es auch, der dem -3 9 -
Jungen von seinem Vater, seiner Mutter und den Schwestern erzählt und so die Erinnerung an sie wachgehalten hatte, obwohl es bei Strafe verboten war, diese Namen am Hofe auszusprechen. Er wollte den alten Mann nicht opfern, aber es gelang ihm nicht, einen klaren Gedanken zu fassen. Der Zorn überrollte seinen Verstand immer wieder. Wie von ferne und durch dicken Nebel drangen die Worte des Schwarzgekleideten an sein Ohr. Dieser hatte begonnen, seine Bedingungen vorzutragen. Es ging ihm um Proviant und freien Abzug, und als er geendet hatte, breitete sich ein beklemmendes Schweigen aus. Der Ritter schien seinen Gegner gar nicht zu beachten, sondern starrte hinunter auf die Geisel. Ihre Blicke trafen sich. Fast unmerklich nickte der alte Mann. Dann faßte er mit beiden Händen die Hand, die das Messer an seine Kehle hielt und zwang so den Bärtigen, mit voller Kraft gegenzuhalten. Er brüllte: "Für die Ostmark!" und stürzte sich mit seinem ganzen Gewicht in die blanke Klinge. Ein Schwall roten Blutes ergoß sich aus der Wunde, und der alte Mann sank zu Boden. Sekundenlang herrschte fassungsloses Schweigen auf beiden Seiten. Dann riß Hardrich sein Schwert aus der Scheide und stieß es in die Höhe. "Ich will sie lebend! Für die Ostmark!", gellte es durch den Regen. Im Rund der Belagerer wurde der Ruf aufgenommen und bald hallte er wie ein einziger Wutschrei weit über die düsteren Felder hinaus. Der Markgraf gab seinem Pferd die Sporen und stürmte voran. Das Zeichen zum Angriff. Keiner im Dorf würde diesen Tag überleben. Der Kampf tobte blutiger und unbarmherziger als alle anderen zuvor. Ein Teil der Dorfbewohner hatte sich offensichtlich doch noch vor ihrem Eintreffen retten können, denn es waren außer den Geächteten nur etwa fünfzig Dörfler zurückgeblieben, die nun mit dem Mut der Verzweifelung suchten, ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Mit Heugabeln und Äxten bewaffnet, warf sich die -4 0 -
kleine Schar dem Heer entgegen. Wichard, der wie betäubt dem Ritter gefolgt war und als einer der ersten die niedrige Einfriedung überwunden hatte, sah sich plötzlich von vier Männern umzingelt. Sein Schwert hielt dreie auf Distanz, der vierte aber zielte mit einem Spieß auf seinen Hals und verfehlte nur knapp. Scharfer Schmerz durchfuhr seine rechte Schulter und bevor er recht begriff, was geschehen war, verlor er sein Schwert. Hardrich, der keine zwanzig Schritt entfernt kämpfte, sah ihn und riß sein Pferd herum. Das massige Tier stieg und ein schwerer Huf zertrümmerte den Schädel eines Gegners. Der Ritter brüllte einen Befehl und auch Christof von Kressin, Wichards Vetter, stürmte mit seinen Leuten zu Hilfe. Wichard wurde vom Pferd gerissen. Er dachte noch: "Das also ist das Ende", während eine seltsame Ruhe ihn überkam. Die Schwere seiner Rüstung drückte ihn in den aufgeweichen, schlammigen Boden, und er lag da und sah, mehr erstaunt als verängstigt, eine Hand mit einem Messer über sich. Im nächsten Augenblick spritzte ihm warmes Blut ins Gesicht, und der Arm mit der Messerhand flog in hohem Bogen zur Seite. Die Klinge des Ritters hatte ihn oberhalb des Ellenbogens abgetrennt. Die Umstehenden stoben auseinander. Dann war Christof bei ihm, half ihm aufs Pferd und führte ihn im Schutz seiner Männer aus dem Getümmel heraus. Nach kaum einer weiteren Stunde war alles vorüber. Entgegen dem Befehl des Ritters waren die meisten der Bandenmitglieder unter den wütenden Schwerthieben von Wernherrs Männern umgekommen. Nur fünf der Geächteten, unter ihnen der Anführer, hatte man gefangen nehmen können. Die Fünf band man auf Geheiß des Ritters eng nebeneinander an einen Zaun des Schweinepferches. Er selber trat wortlos hinter sie und wog sein wuchtiges Schwert in der Hand. Weit holte er aus und schlug ihnen allen mit einem einzigen, gewaltigen Hieb die Köpfe ab. -4 1 -
Obwohl man heute nicht mehr viel Wegstrecke zurücklegen würde, wollte niemand noch eine Nacht an diesem Ort bleiben. Die Toten blieben in Blut und Dreck liegen, wo sie erschlagen worden waren. Man machte sich nicht einmal die Mühe, die Hütten in Brand zu stecken. Wernherr und zwei weitere Gefallene in den eigenen Reihen wurden in Decken gehüllt und auf einem Leiterwagen der Dörfler mitgenommen. Noch am selben Nachmittag brach das Heer zum Rückmarsch auf. Erst spät am Abend hörte es auf zu regnen und der fast volle Mond trat hinter zerfetzten Wolken hervor. Endlich ließ der Ritter am Rande einer bewaldeten Hügelkuppe Halt machen. Kaum, daß das Nötigste versorgt und aufgeweichtes Brot verteilt worden war, wickelten sich die Männer erschöpft in ihre naßkalten Decken. Obwohl sie wieder einmal siegreich heimkehren würden, war heute abend keinem nach feiern zumute. Diejenigen, die zum Wachdienst eingeteilt waren, standen stumm am Rande des Lagers. Wichards Verletzung war leichter, als man befürchtet hatte und so suchte er wie jeden Abend den Markgrafen auf. Till, der Bursche des Ritters, bemühte sich gerade mit klammen Fingern ein Feuer zu entfachen, was ihm nach einigen Versuchen auch gelang. Er war der Sohn des Stallmeisters und ein gewitzter, sommersprossiger Sechszehnjähriger. Stets steckte neben genügend Zunder irgendwo noch ein Vorrat an trockenem Brennholz in seinem gut verschnürten Packen, was ihm auch heute abend wieder zugute kam. Er hatte frisches Wasser parat, wenn sein Herr durstig war, erahnte, wann er gebraucht würde und stand bereit, noch ehe der Wunsch ganz ausgesprochen war. Jetzt sprang er auf, um die Zeltstangen abzuladen, aber Hardrich knurrte ihn an: "Laß! Es lohnt nicht mehr, die Nacht ist nur noch kurz. Geh schlafen" Till stutzte kurz, verbeugte sich und wünschte schüchtern eine gute -4 2 -
Nacht. Dann legte er rasch noch einige nasse Äste ans Feuer, so daß sie trockneten und später brennen würden und verschwand mit einer Fackel lautlos wie ein Schatten in Richtung der Bäume. Wichard blickte ihm fragend hinterher und der Ritter sagte: "Er wird wohl noch ein paar Schlingen legen." Beide wärmten ihre Hände über dem kleinen Feuer und schwiegen eine Weile. Schließlich blickte Wichard auf und sagte leise: "Wäret Ihr heute nicht gewesen, läge ich jetzt tot bei den anderen. Das werde ich nie vergessen. Ich habe immer nach Kräften versucht, Euch zu dienen, aber von heute an, habe ich zudem noch diese Schuld zu begleichen" "Vielleicht bietet sich die Gelegenheit dazu eher als du ahnst. Viele sähen mich lieber tot als lebendig. Paß du nur gut auf mich auf", spottete der Markgraf düster. Sie besprachen noch ein paar Dinge des Rückmarsches, vermieden aber, die Geschehnisse des heutigen Tages zu berühren. Das alles würde bis zum Morgen Zeit haben. Später lag Hardrich, nur in seinen schweren Mantel gehüllt, trotz einer bleiernen Müdigkeit hellwach am Feuer. Er fror und wie er sich auch hin und her wälzte, unerbittlich rieb der starre Helm kaum verheilte Haut an seinem Kopf wund. An anderen Abenden hatte er ihn im Dunkel seines Zeltes ablegen können, aber in der mondhellen Nacht heute wagte er nicht, sich von dieser Bürde zu befreien. Seine Gedanken drehten sich im Kreise und zuckten durcheinander wie die tanzenden Flammen des Feuers. Immer wieder sah er den alten Wernherr vor sich: Wie er losritt, wie er ihm zunickte, wie er zu Boden sank. Sah wieder seine Hilflosigkeit, fühlte wieder den Zorn. Diese Schuld würde er nun nie mehr zurückzahlen können. Endlich, als er schon geglaubt hatte, es nicht mehr ertragen zu können, erlöste ihn ein tiefer, traumloser Schlaf für diese Nacht von allen Schmerzen. -4 3 -
Hell und strahlend zog der neue Tag herauf. Langsam begann das Lager aus seiner beklemmenden Starre zu erwachen. Rauhes Gelächter war zu hören, und nach einer ausgiebigen Morgenmahlzeit waren die Unversehrten froh, am Leben zu sein und gesund zurückzukehren, und auch die Verletzten schöpften neue Hoffnung. Hardrich stand mit den Hauptleuten auf einer Anhöhe am Waldrand und blickte hinaus ins Land. Es ging ein leichter Wind, und die Luft war nach dem reinigenden Regen so klar, daß man viele Meilen weit jedes Gehöft und jedes Waldstück erkennen konnte. Man kam überein, in Salin, der nächstgelegenen größeren Gemeinde der Ostmark, die Vorräte zu ergänzen und danach würde man sich trennen und jeder Lehensmann mit seinem Gefolge nach Hause zurückzukehren. Dies bedeutete zwar einen Umweg, aber Salin war außerdem Hauptsitz des Lehens von Wernherr von Harchow. Zwei Freunde des Toten wurden vorausgeschickt, um Frau von Harchow die Nachricht vom Tod ihres Gatten zu überbringen und ihr Kommen anzukündigen. Nach einem ereignislosen Marsch stand das Heer am Vormittag des übernächten Tages vor Salin. Hier, auf freiem Feld, in Sichtweite des Städtchens wurde das Hauptlager aufgeschlagen, und der Ritter befahl, den Leichnam des alten Kämpfers herzurichten und in seinem besten Waffenrock aufzubahren. Till hatte den Harnisch des Ritters auf Hochglanz gebracht, die Stiefel geputzt und füllte gerade frisches Wasser in einen Bottich, als der Ritter ins Zelt trat. "Raus jetzt! Und sieh zu, daß mich in der nächsten halben Stunde niemand stört. Sonst kannst du was erleben!", befahl er barsch. "Ja, Herr", erwiderte der Junge rasch und beeilte sich, aus dem -4 4 -
Zelt zu kommen. Er verhängte sorgfältig den Eingang und baute sich dann breitbeinig davor auf. Schwach drangen die Sonnenstrahlen durch das grobe Gewebe des Zeltes und erhellten den kleinen Raum nur spärlich. Hardrich setze sich auf einen Schemel, faßte mit beiden Händen seinen eisernen Helm, hob ihn vorsichtig vom Kopf und legte ihn auf seinem Lager ab. Er betastete die wunden Stellen und streckte befreit Kopf und Nacken. Mit beiden Händen schlug er sich Wasser ins Gesicht und über den zerschundenen Schädel. Mit unsagbarer Wonne genoß er diese Augenblicke der Linderung. Einige Minuten saß er mit geschlossenen Augen da und ließ einen Luftzug über die feuchte Haut streichen. Seit er denken konnte, seit jenem verhängnisvollen Mord an seiner Familie, war er nicht ein einziges Mal ohne Kopfbedeckung unter die Leute gegangen. Zuerst mit einem dicken Verband, später nur noch mit eisernem Helm. Das Stück Knochen, etwa handtellergroß und fünfeckig, das ihm zwei Finger breit oberhalb des Haaransatzes über dem linken Auge fehlte, hinterließ ein deutliches Loch in seiner Schädeldecke, das nur von weißer, durchscheinender Haut bedeckt war. Darunter sah man rote Äderchen pulsieren und graues Gewebe hervorquellen. Der gesamte Oberkopf war durch die andauernde, schwere Kopfbedeckung fast gänzlich kahl und von unzähligen Narben und wund geriebenen Stellen übersät. Am Hinterkopf und Nacken sprossen noch einige schwarze Locken und bildeten einen unheimlichen Kontrast zum kränklichen, bleichen Aussehen seines Schädels. Er vermied es, in den Spiegel zu sehen und seine Umgebung fürchtete die heftigen Wutausbrüche, die all jene trafen, die es versehentlich wagten, ihn in irgendeiner Form an seinen Makel zu erinnern. Albertinus, zu dem er vor vielen Jahren halbtot und blutüberströmt -4 5 -
gebracht worden war, hatte, ohne lange zu überlegen, die Knochensplitter aus der entsetzlichen Wunde entfernt, die Haut darüber sorgfältig vernäht und dann gebetet, der Knabe möge zumindest noch lange genug überleben, um den Hergang der Tat erzählen zu können. Niemals hatte er erwartet, daß der Sohn von Otto von Aven mit diesem Loch im Kopf länger als ein paar Tage leben würde. Aber Hardrich erholte sich. Albertinus behielt ihn bei sich im Kloster, versuchte, ihn über den Tod seiner Eltern und Schwestern zu trösten und verschwieg aller Welt die Schwere und Art der Verletzung. Nach zwei Monaten aber mußte er zumindest dem Jungen sagen, wie es um ihn stand, denn der riß in seiner kindlichen Ungeduld an den Verbänden und verstand nicht, warum ihm verboten war, mit den anderen Kindern im Hof zu spielen. Eines Tage nahm er ihn daher beiseite und schloß sich mit ihm in seinem Zimmer ein. Er hatte einen Spiegel mitgebracht, setzte den Knaben davor und löste die Verbände. Während Hardrich verstört auf sein entstelltes Bild in dem polierten Metall starrte, sprach der Mönch lange und ernst auf ihn ein: "Diese Stelle am Kopf wird immer deine Archillesferse sein, mein Sohn. Schon ein leichter Druck, ein unbedachtes Stolpern, kann deinen Tod bedeuten und das ist nicht die einzige Gefahr, in der du dich befindest. Die Männer, die deine Eltern ermordet haben, sind nicht gefunden worden. Sie werden nicht ruhen, bis sie auch dich beseitigt haben, denn das war sicherlich ihr Ziel. Aber fürchte dich nicht, denn wir beide sind nicht allein. Es gibt eine Reihe guter Leute, die deinem Vater die Treue geschworen haben und sich zum Ziel gesetzt haben, zusammen mit mir auf dich acht zu geben. Vergiß nie, daß du nun der rechtmäßige Herr der Ostmark bist und eine Aufgabe erfüllen mußt, auch wenn es noch einige Jahren dauern wird, bis du dein Erbe antritts. Aber du wirst es antreten, so wahr uns Gott helfe" -4 6 -
Dann hatte er ihm seinen ersten Helm überreicht. "Setzt ihn auf und binde ihn gut zu! Zeige niemandem deine Verletzung! Niemand darf von dieser Schwachstelle wissen. Zu groß ist die Gefahr, daß dir 'zufällig' etwas zustoßen könnte. Das Eisen wird dich schützen und die Wunde verstecken. Leg es nie in der Öffentlichkeit ab! Ich bin der einzige, der dieses Geheimnis mit dir teilt", hatte er ihm eingeschärft. Über die Jahre hatte Hardrich gelernt, mit dieser Bürde zu leben, mißtrauisch gegen jedermann und oft voller Haß auf den Mönch, der ihn nicht hatte sterben lassen, sondern zu diesem Leben eines Aussätzigen verurteilt hatte. Hardrich gab sich einen Ruck und schüttelte die Gedanken ab. Er kleidete sich an und setzte einen leichten Prunkhelm mit goldenem Reif, dem Zeichen seines Standes, auf. Er rief Till, der ihm den glänzenden Harnisch festzurrte und dann den gesattelten Wallach brachte. Wenig später führte der Ritter Wernherrs Leute zurück in ihre Heimatstadt. Hinter seinem Pferd schritten die sechs besten Männer des alten Lehensmannes, die den Leichnam auf einer Bahre trugen. Dahinter folgten die übrigen Kämpfer. Den Schluß bildeten einige Männer auf Wagen, geführt von Wichard, die die Verwundeten fuhren und auf dem Rückweg Proviant mitführen sollten. Ihre Ankunft war nicht unbemerkt geblieben und so kam ihnen auf ihrem Weg zum Haupttor bereits ein buntes Völkchen Händler, Schausteller und Huren entgegen, die im Lager Waren und Dienste jeglicher Art feilbieten würden. Scheu zollten sie dem Ritter und ihrem toten Herrn ihren Respekt und beeilten sich, am Zug der Heimkehrenden vorbeizukommen. Der Tross passierte das Haupttor zur Mittagszeit und bewegte sich -4 7 -
langsam auf die Burg zu. Dutzende von Menschen säumten die Straßen und fielen auf die Knie, als Hardrich hochaufgerichtet an ihnen vorbeiritt. Keiner wagte ihn anzusehen, und die Furcht, die seine Erscheinung verbreitete, lag greifbar in der Luft. Kaum aber war er vorübergeritten, sprangen die Knienden auf und wendeten sich den heimkehrenden Truppen zu. Während hinter ihm der Freund oder Nachbarn lachend begrüßt wurde und man weinend die Toten beklagte, blieb er allein mit seiner Trauer und seinem Schmerz. Der Großteil der Heimkehrer blieb hier bei seinen Familien zurück oder kehrte in den nahen Schenken ein und auch Wichard war mit den Verwundeten auf den Wagen abgebogen. Nur der Markgraf, die Bahrenträger und eine Handvoll engerer Vertrauter setzten ihren Weg fort. So erreichte die kleine Schar die Burg. Das Anwesen der Familie von Harchow war ein schlichter bodenständiger Bau mit niedrigem Wall, welcher an zwei Seiten von hölzernen Toren durchbrochen war. Das große Haupttor lag gen Westen. Hardrich durchritt langsam die weit offenen Torflügel und passierte die Wachen, die den Herrn der Mark respektvoll grüßten. Er kannte diesen Hof gut. Als Kind war er oft wochenlang hier gewesen. Man erwartete sie. Hedwig von Harchows schmale Gestalt stand, gestützt von einer Nonne, am Eingang zur Kapelle. Sie trug über ihrem weißen Gewand ein hellgraues Überkleid mit silberner Stickerei. Fast weißes Haar umrahmte ihr feingeschnittenes, welkes Gesicht. Um sie herum stand ihr Gesinde, Knechte, Mägde, Wachleute und Kammerfrauen und auch der Geistliche des Ortes, ein spindeldürres, ernstes Männlein. Hardrich ließ sein Pferd halten, stieg ab und übergab die Zügel einem Burschen, der gelaufen kam. Dann schritt er neben dem Toten her. Fünf Schritt vor der Witwe des alten Mannes blieb er stehen, zwang -4 8 -
sich aufzusehen und sagte mit fester Stimme: "Hohe Frau, ich komme, um Euch die sterbliche Hülle Eures Gatten, meines Lehensmannes, zu überbringen. Er starb im Kampf für die Ostmark und noch in hundert Jahren wird man von seinem Opfer erzählen und seinen Mut rühmen. Sein Tod wurde blutig gerächt" "Ich danke Euch", antwortete die Witwe gefaßt, "Und auch Euch, die Ihr gekommen seid, um Wernherr den letzten Dienst zu erweisen", begrüßte sie dann auch die Bahrenträger und die anderen Begleiter. Mit einer Geste ließ sie den Toten weiter in die Kapelle tragen. Sie selber löste sich vom Arm der Nonne, in der Hardrich ihre Tochter Regina erkannt hatte und streckte beide Hände Hardrich entgegen. "Kommt, wir wollen Abschied nehmen", sagte sie. Zögernd ergriff der Herr der Mark ihre Hand und führte sie an seinem Arm ins kühle Dämmerlich der Kapelle. Die Männer waren damit beschäftigt, den Leichnam vor dem Altar aufzubahren. Alle Kerzen brannten und Weihrauch überdeckte den schwachen Totengeruch, der bereits vom Körper auszugehen begann. Frau Hedwig sprach mit jedem einzelnen der Männer, dankte ihnen nochmals und bat sie dann, ihrer Tochter ins Haus zu folgen, wo einige Erfrischungen vorbereitet seien. Die Totenmesse würde morgen im engsten Kreise abgehalten werden. "Bitte laßt auch Ihr uns einen Augenblick allein, Vater", sagte sie dann zum Priester gewandt. Der nickte, verbeugte sich kurz, nicht ohne einen mißtrauischen Blick auf den finster blickenden, jungen Ritter zu werfen, der seinen Helm nicht abgenommen hatte und verließ die Kapelle gemessenen Schrittes. Erst als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, trat die alte Frau an die Bahre heran und blickte den Toten lange schweigend an. Sie strich über seine starren Hände, sah die entsetzliche Wunde an seiner Kehle und alle Fassung fiel von ihr ab. Tränen liefen ihr über -4 9 -
die bleichen Wangen, sie schluchzte auf und wankte. Hardrich, der immer noch an ihrer Seite gestanden hatte, fing sie auf und ohne daß er wußte wie ihm geschah, weinte sie bitterlich an seiner Brust. Zutiefst aufgewühlt durch diese ungewohnte Nähe, ihre Tränen und seinen eigenen Schmerz, legte er unbeholfen einen Arm um sie. So zerbrechlich kam sie ihm vor, so durchscheinend, daß er kaum wagte zu atmen. Nach einer Weile versiegten ihre Tränen, und er geleitete sie unsicher zu einer Bankreihe. "Ich werde gehen und Eure Tochter holen... ", begann er mit rauher Stimme und wollte sich zum Gehen wenden. "Nein, bleibt! Setzt Euch und erzählt mir, wie sich alles zugetragen hat", bat sie. "Haben Eure Leute Euch nicht berichtet, was passiert ist?", murmelte der Ritter. "Erzählt Ihr es mir noch einmal, Hardrich", erwiderte sie eindringlich. Er nahm auf der schmalen Kirchenbank Platz, und nach einem kurzen Schweigen berichtete er leise und stockend in allen Einzelheiten von jenem unglückseligen Tag. Er blickte zu Boden und schloß: "Um mein Gesicht zu wahren, ist er gestorben. Ich war so voller Zorn, daß ich keinen Ausweg fand. Ich hätte selber reiten sollen. Um mich hätte keiner eine Tränen vergossen" Frau Hedwig sah ihn bei diesen Worten nachdenklich und ernst an. "Redet nicht so! Ihr wißt nicht, was Ihr da sagt!", sagte sie leise. "Ich werde meinem Gemahl bald in die Ewigkeit folgen und deshalb will ich Euch heute eine Geschichte erzählen. Und zwar die Geschichte einer Verschwörung. Diese Verschwörer wollten nicht den Tod herbeiführen, sondern das Leben schützen. Euer Leben! Nach dem Mord an Eurer Familie waren viele davon überzeugt, daß der Anstifter, wer immer es sein mochte, auch Euch weiter verfolgen -5 0 -
würde. Man vermutete die Täter in den obersten Reihen Eurer Familie und so schloß Wernherr nur enge Freunde und Vertraute in seinen Plan ein. Man machte gemeinsam allen Einfluß bei Hofe geltend und reichte den Knaben, der eines Tages Nachfolger unseres gerechten Herrn werden würde, von einem zum anderen weiter. Nie bliebet Ihr länger als ein paar Wochen an einem Ort. Wenn ich Euch heute so verbittert sehe, ist das vielleicht unser Fehler, denn so wurde es Euch unmöglich zu irgend jemandem Vertrauen zu fassen. Das Mißtrauen wurde Euch zur Natur. Aber wir hatten allen Grund, vorsichtig zu sein! Angeschnittene Sattelgurte, herumschleichendes Gesinde! Erinnert Ihr Euch, wie ich Euch das Zuckerzeug, das Ihr in der Menge von einem Mann geschenkt bekommen hattet, vom Munde wegschlug? Ihr ward sehr böse auf mich deshalb", fuhr sie fort. Der Ritter nickte und für einen Augenblick erhellte ein winziges Lächeln seine Züge. "Wie sich später herausstellte, war der Mann ein ehrenwerter Händler, der nur freundlich hatte sein wollen, aber wer mochte da sicher sein? Alle Süßigkeit, die ich Euch später als Ersatz anbot, habt Ihr abgelehnt. Es hat Wochen gedauert, bis Ihr wieder ein Wort mit mir spracht. Ach, Hardrich, es war eine schwere Zeit für Euch. Ihr ward zu klein, um diese Dinge begreifen zu können. Aber nur unter unserer Aufsicht wart Ihr einigermaßen sicher. Wir alle zogen uns damit den Unwillen Eures Vormundes zu, aber es gehörten angesehen Männer zu uns und so gelang es, Euch bis zu Eurem achten Lebensjahr fast ständig in unserer Obhut zu haben. Danach wurde die Aufgabe, die wir uns gestellt hatten, schwieriger. Aber auch bei Hofe hatte stets jemand von uns ein Auge auf Euch und bis zu dem Tage, an dem Ihr von unserem gnädigen König den Ritterschlag erhieltet, taten wir unser Bestes, Euch zu schützen. Dann habt Ihr das Ruder selber in die Hand genommen und die Geschicke -5 1 -
unseres Landes ins rechte Wasser zurückgesteuert, so wie es Eure Eltern gern gesehen hätten. Ihr seid strenger, als es euer Vater gewesen ist und euer Jähzorn macht Euch zuweilen blind. Aber Wernherr sagte stets: "Die Milde kommt mit der Weisheit des Alters" Er war immer sehr stolz auf Euch. Ihr wart der Sohn, den er sich stets gewünscht hat. Er ist für Euch gestorben, um dieses Werk zuende zu bringen! Und weil er sich einen Tod auf dem Schlachtfeld gewünscht hat. Nie wollte er als zahnloser Alter im Bett sterben" Hardrich starrte sie an. Bruchstückhafte Erinnerungen seiner Kindheit tauchten aus dem Nebel der Vergangenheit auf und fügten sich auf einmal zu einem Ganzen zusammen. Zusammenhänge wurden sichtbar. Er legte den Kopf in den Nacken und stöhnte: "Ihr und Wernherr,... und von Meez. Mein Gott! Wie konnte ich nur so blind sein!" "Ja. Und natürlich Albertinus, den Ihr fast erschlagen hättet", fügte Frau von Harchow vorwurfsvoll hinzu. Hardrich fuhr auf, als hätte sie ihn geohrfeigt. Das Bild vor seinen Augen hatte sich mit einem Schlag verändert. Anstelle der alten Frau saß dort ein boshafter weißer Kobold, der ihn hinterhältig angrinste. Seine Hand griff, ohne daß es ihm bewußt wurde, zum Schwert. Wie von Sinnen herrschte er sie drohend an: "Er hat das Heer beleidigt! Das dulde ich nicht!" Er stand da, mit geballten Fäusten, schloß die Augen und als er sie öffnete, sah er wieder Frau von Harchow vor sich. Sie blickte ihn mehr besorgt als ängstlich an und sprach langsam weiter, nachdem er, immer noch schwer atmend, wieder Platz genommen hatte. "Der alte von Meez ist tot, nun auch Wernherr.... Ich bin alt und auch Albertinus ist nicht mehr der Jüngste, so daß dieses Geheimnis in nicht allzu ferner Zukunft mit uns gestorben wäre. Aber Ihr sollt es wissen, damit Ihr seht, daß Ihr nicht alleine seid!" -5 2 -
Er schrak zusammen, als sie nun seine Hände ergriff und ihn voller Ernst bat: "Öffnet Eure Augen und Euer Herz! Ich bin ganz sicher, eine Menge guter Leute steht auch heute an Eurer Seite, ohne daß es Euch offenkundig ist!" Sie sah ihm fest in die Augen und fuhr dann eindringlich fort, jedes Wort genau abwägend: "Im Gedenken an Wernherr laßt nicht zu, daß das Mißtrauen Euer Herz endgültig versteinert und der Zorn Euch zerstört!" Ihre Sorge war echt und das Alter gab Ihr die Freiheit, so offen zu ihm zu sprechen. Etwas, was seit Jahren niemand gewagt hatte. Aber die Vertrautheit und Wärme Ihrer Rede schnürten Hardrich die Kehle zu. Er entzog ihr seine Hände, stand hastig auf und blieb zum Toten gewandt vor dem Altar stehen. "Es wird Euch auch nach seinem Tod an nichts fehlen, dafür werde ich sorgen. Ihr sollt ein reiches Gut in der Nähe bekommen und einen zuverlässigen Verwalter. Solange ich lebe, werdet Ihr unter meinem Schutz stehen. Ich kann die Schuld nicht tilgen, aber ich will alles für Euch tun, was in meiner Macht steht" Aber Frau von Harchow winkte ab und sagte sanft: "Ihr meint es gut und ich danke Euch für Eure Großzügigkeit, aber ich brauche nichts. Sobald ich alle Angelegenheiten geregelt habe, werde ich mit meiner Tochter gehen. Ich fühle, daß mir nicht mehr allzuviel Zeit auf dieser Welt bleibt, und das Marienstift ist mir verpflichtet. Sie werden mich dort aufnehmen. Wenn Ihr etwas für mich tun wollt, vergebt dieses Lehen an einen gerechten Herrn. Es sind gute Leute" Sie stand auf und fügte leise hinzu: "Und denkt an meine Worte! Besucht mich im Stift. Es würde mich sehr glücklich machen, von Euch zu hören, daß Ihr meine Bitte beherzigt,... mein Sohn" Der große Mann drehte sich zu ihr um. Schatten verbarg seinen erschrockenen Blick vor ihr. Er holte tief Luft, wie um etwas zu -5 3 -
erwidern, beugte dann aber nur stumm den Kopf. "Geht jetzt. Eure Leute warten auf Euch und Ihr seid sicher auch erschöpft. Ich werde noch eine Weile hier bei Wernherr sitzen", sagte sie, trat einen Schritt auf ihn zu und umarmte ihn. "Lebt wohl, Hardrich" "Lebt wohl, hohe Frau", flüsterte er. Am Portal der Kapelle blieb er stehen, drehte sich noch einmal um und sagte: "Eine letzte Frage.... Sagt mir bitte, hatte auch von Trettin Anteil an Euren Plänen?" Frau von Harchow lächelte und erwiderte: "Ihr denkt an den Abend der Schwertleihe, nicht wahr? Nein. Reno von Trettin war nicht eingeweiht. Er war ein unsteter Geist damals. Ständig auf Reisen und auch nicht interessiert an den Intrigen des Hofes. Er ist ein aufrechter Mann, aber ich muß sagen, sein geistesgegenwärtiges Auftreten damals am Königshof hat uns alle überrascht" Als der Ritter nach draußen trat, stach ihm die grelle Nachmittagssonne in die Augen. Ohne sich um die Blicke, die er auf sich gerichtet spürte, zu kümmern, ging er geradewegs zu den Ställen, ließ sein Pferd satteln und sprengte durch das kleine Südtor hinaus. Er vermied den Weg zurück durch die Straßen und galoppierte im weiten Bogen über die Äcker und Wiesen davon. Er gab seinem Pferd die Sporen und ritt immer weiter, ohne ein Ziel, nur immer weiter fort. In einem Waldstück ließ er schließlich den schweißglänzenden Wallach an einem Bach rasten. Er selber ließ sich am Fuße eines alten Baumes zu Boden sinken und lehnte erschöpft an dessen Stamm im Schatten. Eine ganze Weile hatte er wohl so dagesessen und gegrübelt, als er Stimmen näherkommen hörte. Er richtete sich auf und bemerkte, daß in etwa einer viertel Meile Entfernung ein Weg am Waldrand -5 4 -
vorbeiführen mußte. Ein einfaches Fuhrwerk bewegte sich langsam darauf vorwärts. Er kniff die Augen zusammen und glaubte, einen Mann und eine Frau auf dem Bock zu erkennen. Gerade hatte er beschlossen, die beiden vorbeiziehen zu lassen und dann dem Weg bis zum nächsten Gehöft zu folgen, an dem er nach dem Weg zurück nach Salin fragen würde, als die Frau plötzlich erschrocken aufschrie. Der schwere vierrädrige Wagen war vorne links eingesackt und die beiden Fahrenden stürzten zu Boden. Der Mann war sofort wieder auf den Beinen und sprang vor, um die erschreckten Pferde zu beruhigen und aus der verdrehten Deichsel auszuspannen. Jetzt kam auch die Frau wieder auf die Beine. Sie rieb sich den Ellenbogen. Sie warf einen Blick auf die Achse und ging dann ein paar Schritte zurück, um das abgesprungene Wagenrad zu holen. Von Aven hörte sie rufen: "Sieht heil aus das Rad! Vielleicht kriegen wir´s zusammen wieder dran?" Aber der Mann lachte verächtlich: "Hast du eine Ahnung, wie schwer der Wagen ist? Das letzte Mal haben wir es zu dritt gerade geschafft! Verdammt! Und das jetzt! In zwei Stunden wird es dunkel!" Während er weiter schimpfte, band er das Pferd im Schatten an und kehrte dann zum Wagen zurück. Gemeinsam versuchten beide, diesen anzuheben, konnten ihn aber nur eine Handbreit bewegen. Dann standen sie zusammen da und schienen zu überlegen. Der Ritter hatte inzwischen seinem Braunen wieder den Sattel aufgelegt, beobachtete das Geschehen und wartete. Er war verärgert. Dieser Zwischenfall hielt ihn auf. Schließlich beschloß er aufzubrechen. Sollten doch diese beiden ihm den Weg weisen. Seinen Wallach führend, ging er langsam auf den Weg zu. Beim Näherkommen erkannte er, daß es sich um junge Leute handelte. -5 5 -
Der Junge war vielleicht fünfzehn, die Frau keine zwanzig Jahre alt. Unter dem schweren Huf seines Pferdes zerbrach ein trockener Ast. Laut hallte das Knacken durch die Stille. Aus dem Dunkel des Waldes heraus konnte er genau sehen, wie die beiden jungen Leute zusammenschraken. Paul suchte mit den Augen vergeblich den Boden um sich herum nach einem handfesten Stock ab und stellte sich vor seine Schwester. "Bind´ die Pferde los! Mach´ schon! Wer weiß, wer sich hier im Wald herumtreibt!", zischte er seiner Schwester zu. Diese aber blieb ruhig stehen und spottete: "Ach was! Wenn uns jemand überfallen wollte, würde er nicht so einen Lärm machen. Vielleicht kommt uns da jemand zu Hilfe" Und obwohl ihr Herz schneller schlug, schob sie ihren Bruder zur Seite und trat ins Dämmerlicht unter den Baumkronen. Hardrich sah die junge Frau auf sich zukommen, noch bevor sich deren Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten und sie ihn erkennen konnte. Sie trug ein hellbraunes Unterkleid und darüber ein grobes, dunkles Übergewand. Eigentlich zu warm für diese Jahreszeit. Ihre hellen Locken waren recht nachlässig in dicke Flechten geworfen, die sich, vielleicht auch durch den Sturz, immer mehr auflösten. Im Gegenlicht der tiefstehenden Sonne erschien ihr Gesicht so von einem Kranz aus leuchtendem Gold umgeben. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen. Keine zwanzig Schritt von ihm entfernt, hielt sie unvermittelt inne und sah auf. Gertraud bereute ihr unüberlegtes Vorgehen in dem Moment, in dem sie den sonnenüberfluteten Weg verlassen hatte und wie blind im -5 6 -
Wald stand. Das dornenreiche Unterholz zerstach ihr die Beine und die nackten Füße. Am liebsten wäre sie umgekehrt, doch wollte sie sich ihrem Bruder gegenüber nicht diese Blöße geben. Sie biß die Zähne zusammen und tastete sich weiter. Abwechselnd spähte sie auf den unebenen Waldboden vor sich und dann wieder in das Dunkel, das vor ihr lag und sich nur langsam lichtete. Sie hörte dumpfe Schritte auf sich zukommen und das Stampfen und Schnauben eines Pferdes. Ihr Herz raste. Dann fühlte sie weiches, feuchtes Moos unter ihren Fußsohlen, blieb stehen und blickte sich um. Jetzt sah sie ihn. Wie groß er war. Kein Bauer oder Köhler, wie sie gehofft hatte, sondern ein adliger Herr in schwerer Rüstung. Er schaute sie direkt an. Es war niemand aus der Gegend und doch war ihr, als müßte sie ihn kennen. Sie erwiderte seinen Blick und lächelte ihn freimütig an. Wie vom Donner gerührt blieb der Ritter stehen, als ihre Blicke sich kreuzten. Die Geräusche um ihn herum verstummten, und die Zeit selber schien stillzustehen und den Atem anzuhalten. Dafür begann in seinem Innern eine Saite zu schwingen, die er nicht kannte, von welcher er nicht einmal geahnt hatte. Erst zaghaft und tief, wie verstimmt, dann, wie unter dem Strich eines sanften Bogens, immer schneller und schneller, sang diese Saite endlich in einem hellen Ton, bis jeder Winkel seines Geistes erfüllt war von diesem Klingen, das seine Seele wärmte. Er konnte den Blick nicht wenden, sich nicht rühren. Der zurückgebliebene Paul lauschte indessen angestrengt in den Wald hinein, aber nichts war zu hören. Die Stille wurde immer unheimlicher, immer unerträglicher. Schließlich nahm er all seinen Mut zusammen und rief: "Gertraud?"
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Das brach den Bann. Gertraud lachte verlegen auf und sagte: "Verzeiht, Herr! Wie ungehörig von mir, dazustehen und Euch anzustarren! Gott zum Gruß!" Sie verneigte sich und drehte sich dann zum Weg um, um Paul zuzurufen: "Ist ja gut! Ich bin gleich da!" Auch Hardrich erwachte aus seiner Starre, und als sie sich erneut zu ihm umwandte, hatte er sich wieder in der Gewalt. Ärger keimte in ihm auf. Wie konnte er sich derart gehen lassen! Stumm ging er weiter auf den Waldrand zu. Vergeblich bemühte er sich, das Klingen in sich zum Schweigen zu bringen, aber es blieb gegenwärtig. Hell und volltönend. Rasch hatte er mit einigen großen Schritten Gertraud eingeholt, die mit ihren nackten Füßen langsam zurück durch das Gestrüpp stakste. Als sie gerade auf gleicher Höhe waren, trat Gertraud auf etwas Scharfkantiges am Boden, strauchelte und griff instinktiv nach seinem Arm. Er stützte sie und wieder traf sich ihr Blick. Einen Moment lang waren beide erneut gefangen in einem Zauber, der ihnen den Atem nahm. Dann schoß Gertraud flammende Röte ins Gesicht. Sie murmelte einen Dank und wollte sich rasch wieder auf den Weg machen, da fühlte sie sich von großen Händen an der Hüfte gepackt und hochgehoben. Als wäre sie ein kleines Kind, setzte der Ritter sie auf den Rücken des Pferdes. "Herr,... ", erschrocken wollte sie etwas erwidern. Aber schon im nächsten Moment ging der Ritter ohne ein Wort weiter und führte sein Pferd hinter sich her, sodaß ihr nichts anderes blieb, als sich am Sattelzeug festzuhalten. Paul stolperte drei Schritte rückwärts, als er die riesenhafte Gestalt aus dem Dickicht treten sah. Dann sah er seine Schwester, hoch zu Roß, die sich dicht an den Hals des Tieres schmiegte, um den Ästen -5 8 -
auszuweichen. Paul starrte sie an, riß dann aber die Mütze vom Kopf, verbeugte sich tief und stammelte: "Hoher Herr, Gott zum Gruß..." Der grimmig blickende Mann aber hatte sich bereits abgewandt und hob Gertraud wieder zu Boden. Sie lächelte ihn an, immer noch verlegen, und stellte dann sich und ihren Bruder vor. "Mein Name ist Gertraud Kerner, und das ist mein Bruder Paul. Wir sind auf dem Rückweg zur Schenke unseres Vaters dort in Rettow", sagte sie und wies mit der Hand die Straße entlang, "Unser Wagenrad ist abgesprungen, aber es sind nur noch ein paar Meilen..." Bei diesen Worten band der Ritter schweigend die Zügel seines Braunen an einem Ast fest und trat an den Wagen. Dann winkte er den Jungen heran und ließ ihn das Rad halten. Paul blickte ängstlich und verstohlen zu seiner Schwester, die ihm aber zuversichtlich zunickte und mit hinzusprang, um ihm zu helfen. Der Ritter faßte nun die Achse des Wagens und hob ihn in die Höhe, als wäre er ein Spielzeug. Gemeinsam hoben die Geschwister ächzend das schwere Rad zurück auf die Nabe und der Ritter ließ den Wagen langsam wieder zu Boden. Dann bestieg er sein Pferd, das unruhig tänzelte. "So, Gertraud Kerner. Nun erweise mir einen Dienst und sage mir, in welcher Richtung die Gabelung nach Salin liegt!" Seine Stimme klang ihm fremd in den Ohren und drohender, als er gewollt hatte. Aber die junge Frau wirkte nicht ängstlich. Sie neigte leicht ihren Kopf und lächelte wieder, als sie sagte: "Der Weg nach Salin verläuft am unteren Ende dieses Waldes. Ihr müßt etwa vier Meilen dem Weg folgen, den wir gekommen sind. Dann biegt Ihr links ab. Von dort sind es noch ungefähr sieben Meilen, nicht wahr?" Sie sah Paul an, der nur schüchtern nickte und kein Wort herausbrachte. "Ihr werdet noch vor dem Dunkelwerden dort sein. Und auch wir werden dann mit dem Wagen zu Hause eintreffen, dank Eurer Hilfe. Verzeiht meine Kühnheit, aber... wem haben wir zu danken, Herr?", -5 9 -
fuhr sie fröhlich fort. Paul stöhnte auf. Was fiel ihr ein? Ihre Frechheit würde ihnen noch den Kopf kosten! Der Mann aber schien eher nachdenklich als verärgert. Er warf ihr noch einen Blick zu und schüttelte den Kopf: "Besser, du weißt es nicht" Dann trieb er sein unruhiges Tier an und preschte davon. Die Geschwister sahen ihm noch eine Weile nach, bis der aufwirbelnde Staub ihn ihren Augen entzog. Paul seufzte erleichtert auf und schrie dann seine Schwester vorwurfsvoll an: "Bist du eigentlich noch ganz richtig im Kopf? Hast du gesehen, wie er den Wagen angehoben hat? Er hätte dir mit einer Hand das Genick brechen können! Und du schwatzt mit ihm wie mit Henning! Warte, wenn das der Vater hört! Dann bist du das letzte Mal in die Stadt gefahren!" Sie aber lachte ihn aus: "Ach, was du immer hast! Er war doch sehr freundlich! Ich frage mich nur, wer es war. Hast du den Reif um seinen Helm gesehen? Sicher ein Herr von hohem Rang. Und nach Salin will er... Vielleicht weiß der alte Trettin, wer es gewesen sein könnte" Lauthals spekulierend setzten sie ihre Fahrt fort. Langsam beruhigte sich auch Paul und konnte es schließlich kaum erwarten, nach Hause zu kommen. An diesen Abend würde er in der Schenke wieder viel zu erzählen haben. Der Ritter erreichte eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang das Lager vor Salin. Er ließ den Wallach im Schritt gehen und betrachtete das Treiben beim Näherkommen. Musik, Frauenkreischen und Gelächter waren zu hören. Die Wachen erkannten ihn schließlich, und -6 0 -
bald kam Wichard ihm entgegen. Er begrüßte Hardrich freudig: "Herr, gut das Ihr kommt! Wir wollten gerade einen Suchtrupp losschicken" "Ich werde wohl in meinem eigenen Land reiten können, wohin ich will", brummte Hardrich unwirsch. Während sie zusammen zum Zelt des Markgrafen gingen, erstattete Wichard ihm Bericht. Beim Näherkommen sahen sie Till, der mit verliebtem Blick ein Mädchen am Feuer mit kleinen Zauberkunstückchen unterhielt. Das Mädchen, offensichtlich eine junge Dirne, trug ein dünnes, grünes Kleid und hatte ein schmutzigweißes Tuch um die Schultern. Sie lachte und klatschte in die Hände, als die kleine Münze zwischen Tills geschickten Fingern verschwand. Als dieser seinen Herrn gewahr wurde, sprang er erschrocken auf, als hätten sie ihn beim Stehlen ertappt. Doch der Ritter fingerte eine Goldmünze aus seinem Beutel und warf sie ihm zu. "Hier! Jetzt soll sie dir ein paar Kunststückchen zeigen!" Verdutzt fing Till die Münze behende auf und stand einen Moment wie angewachsen da. "Na los, verschwindet!", knurrte Hardrich. "Danke, Herr", rief Till heiser und zog dann die Kleine rasch mit sich fort, die den Ritter mit aufgerissen Augen erschrocken ansah. Hardrich fühlte sich müde und zerschlagen. Gerade wollte er Wichard fortschicken und sich in sein Zelt zurückziehen, als dieser auf eines der Feuer wies und mit glänzenden Augen sagte: "Wir haben einige wunderbare fette Sauen bekommen! Heute gibt es frisches Schwein vom Spieß. Kommt! Bevor sie uns die besten Stücke wegessen!" Erst jetzt merkte der Ritter, wie hungrig er war. Seit der Morgenmahlzeit waren viele Stunden vergangen, ohne daß er an Essen gedacht hätte, und als ihm nun der verführerische Duft in die -6 1 -
Nase stieg, willigte er ein, gemeinsam mit den anderen Hauptleuten zu Abend zu essen. Respektvoll grüßten ihn die Männer, als er in ihre Mitte trat und es entstand für kurze Zeit ein verlegenes Schweigen. Aber sobald das Fleisch angeschnitten wurde und der Branntwein wieder kreiste, verflog die Anspannung. Später saß der Ritter zwischen seinen Gefolgsleuten und obwohl niemand ihn ansprach und er nur schweigend ihren Gesprächen lauschte, sog er die ausgelassene Stimmung in sich auf wie einen kostbaren Wein. Das Schwein war zart und safttriefend, die Schwarte krachend knusprig, und das warme Fett lief ihm bald über Gesicht und Hände. Langsam und ausgiebig genoß er jeden Bissen und nahm auch einen langen Zug des scharfen Alkohols. Als der Hunger gestillt war und nur noch einige Reste am Spieß hingen, war die Nacht über das Lager hereingebrochen. Entgegen seiner Gewohnheit saß der Ritter noch immer bei seinen Männern. Zurückgelehnt beobachtete er das Geschehen um sich. Vier Huren waren aufgetaucht. Zwei dunkelhaarig und üppig, eine fast zahnlose Ältere mit herausforderndem Blick und einem dünnen, roten Zopf und eine zierliche Frau mit müdem Gesicht, deren blonde Locken seine Aufmerksamkeit erregten. "Wie ihre", kam es ihm in den Sinn. Die beiden Dunkelhaarigen, es mochten wohl Schwestern sein, waren bald Arm in Arm mit zwei seiner Leute im Dunkel verschwunden. Die ältere Frau bot ihre Dienste Ulrich Ohnsorg an, der verärgert war, keine der Schwestern bekommen zu haben. Wütend beantwortete er ihr Angebot mit einen Fausthieb ins Gesicht, der sie taumeln ließ. -6 2 -
"Verschwinde, alte Hexe!", brüllte er sie an und schrie dann nach mehr Branntwein. Ein anderer der Männer zog die Geschlagene dann aber zu sich herunter, steckte ihr ein Geldstück zu und begann, sich die Hose zu öffnen. "Na, komm. Zeig mal, wozu die Zahnlücken gut sind. So kannste mir wenigstens nichts abbeißen!", grunzte er. Die Männer grölten vor Lachen, während sich die Frau zwischen seine ausgestreckten Beine hockte und sich tief herunterbeugte. Unter dem Gejohle und den gierigen Blicken der anderen versah sie ihren Dienst. Sie schien ihre Sache gut zu machen. Bald sank der Mann mit einem Stöhnen nach hinten über, und der nächste Freier streckte ihr Geld entgegen. Routiniert bediente sie der Reihe nach all jene, die zu träge oder zu betrunken waren, um sich um eine der Schwestern zu streiten. Die Vierte saß einem der Hauptmänner auf den Knien und ließ ihn sein Gesicht an ihren kleinen Brüsten reiben. Sie selber aber schien mehr an den Fleischresten auf seinem Brett interessiert und stopfte sich in den Mund, was sie erreichen konnte. Eine Weile später kehrten die drallen Schwestern zum Feuer zurück, und der Mann stieß das magere Mädchen von sich, um sich eine von diesen zu sichern. Die Abgewiesene schien das nicht weiter zu kümmern. Mit abwesendem Blick klaubte sie rasch noch mehr Reste zusammen, kauerte wie ein ausgehungertes, gehetztes Tier am Feuer und schlang das fast kalte, fette Fleisch herunter, bis sie nicht mehr konnte. Während auf der anderen Seite des Feuers ein lautstarker Streit entbrannte, musterte Hardrich sie. Vielleicht zwanzig Jahre alt mochte sie sein und trug ein abgewetztes Kleid, das ursprünglich einmal blau gewesen sein mochte, jetzt aber nur noch vor Dreck starrte. Sie hatte ein -6 3 -
ebenmäßiges, recht hübsches Gesicht mit weit auseinanderstehenden Augen, das aber so teilnahmslos war, als leide sie an einer Krankheit des Geistes. Er sah, daß ihr Haar, welches ihm so gefallen hatte, verfilzt und klebrig war. Sicherlich hatten schon viele Männer heute ihre Hände darin vergraben. Dieser Gedanke ernüchterte ihn schlagartig. Wichard war vor einer ganzen Weile mit seinem Vetter zu den Spielleuten gegangen, und so saß der Herr der Mark allein an den glimmenden Resten des Feuers. Da trat die rothaarige Frau an ihn heran und fragte ruhig: "Habt Ihr einen Becher Branntwein für mich übrig?" Ihr Blick war müde, aber nicht verbittert, gelassen und doch ein wenig kokett. Er nickte, lud sie mit einer Geste zum Platznehmen ein und reichte ihr den halbvollen Krug. Sie ließ sich seufzend neben ihm nieder und nahm einen Schluck. "Danke" Sie saßen eine Weile schweigend nebeneinander und starrten in die Glut. "Ihr seid der Herr von diesem Haufen, nicht wahr? Der, der nie seinen Helm abnimmt, richtig?", fragte sie endlich. "Ja" "Und Ihr sitzt hier so ganz allein?" "Ja" Hardrich war belustigt, daß sie so zu ihm sprach, wie es keiner seiner Männer je wagen würde. Er sah sie an. Sie war sicher eine Schönheit gewesen in jüngeren Jahren. Noch immer strahlten ihre grünen Augen Kraft und Lebendigkeit aus, trotz all der Demütigungen und Mühsal, die sie erlebt haben mußte.
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Bislang hatte er, wenn ihn das Verlangen nach einer Frau überkam, dies nur mit mehr oder weniger Gewalt stillen können. Auf den Feldzügen ließ er kaum eine Gelegenheit ungenutzt, sich an den Weibern seiner Gegner zu vergehen, so wie es seine Männer auch taten. Die Gerüchte, die in den Hurenhäusern im Land kursierten, verbreiteten einen solchen Schrecken unter den Frauen, daß sich nur unter Drohungen eine auf einen Handel mit ihm einließ. Und je wütender er die Dienste der Frauen erzwang, umso grausigere Untaten wurden im nachgesagt. "Habt Ihr noch einen Schluck Branntwein?" "Sicher." Sie nahm noch einen Schluck. Ihre Augen blitzten. "Welches ist Euer Zelt?" Er wies in die Richtung. "Das große?" "Ja" "Aha. Ich werde dort auf Euch warten. Vergeßt den Branntwein nicht" Sie stand auf und ging in die gewiesene Richtung, ohne ihn noch einmal anzusehen. Hardrich wunderte sich, daß ihre forsche Art ihn nicht in Wut versetzte, sondern amüsierte. Er grinste in sich hinein, ergriff den Branntweinkrug und folgte ihr langsam. Niemand beachtete ihn. Er bemerkte, wie mit jedem Schritt, mit dem er sich seinem Zelt näherte, seine Erregung wuchs. Die Frau wußte offenbar genau, was sie tat! Es überraschte ihn, aber er ließ sich lächelnd auf dieses Gefühl ein, seltsam überzeugt, daß ihm am heutigen Tag keine Schlechtigkeit widerfahren würde. -6 5 -
Im Zelt war es stockdunkel. Die Anspannung ließ ihn fast zerspringen. Er lauschte und meinte, ihren Atem zu hören. Sie ließ ihn warten. Plötzlich spürte er eine Hand an seiner Schulter. Sie tastete zu seinem Nacken und begann, ihn sanft zu reiben. "Soll ich eine Kerze anzünden?", fragte sie. "Nein. Es ist gut", murmelte er. Immer noch hinter ihm stehend, begann sie, die Riemen seines Brustpanzers zu lösen und ihm das Hemd auszuziehen. Er ließ es mit sich geschehen. Sie schlang die Arme um ihn, liebkoste seine behaarte Brust und presste sich an ihn. Er spürte die Wärme ihrer nackten Haut auf seinem Rücken und hielt den Atem an. Seine Beinkleider glitten zu Boden. Obwohl sie sein Geschlecht nicht einmal berührt hatte, stand sein Glied hochaufgerichtet und hart. Sie umfaßte ihn von hinten, immer noch an ihn gepreßt, und strich fordernd seine massigen Schenkel hinauf, immer höher, bis er meinte, es nicht länger ertragen zu können und sich umdrehen und sie packen wollte. Da krallte sie plötzlich ihre Nägel tief in sein Fleisch. Schmerzhafte Lust durchzuckte ihn und entlud sich heiß und feucht auf den Boden vor ihm. Er stöhnte leise auf und fühlte sich dennoch um etwas betrogen. Doch bevor Unmut in ihm aufsteigen konnte, spürte er, wie ihre kundigen Hände ihn umschmeichelten und im nächsten Moment erwachte sein Verlangen von neuem. Sie war wahrhaftig eine Meisterin ihres Fachs. Diesmal jedoch ließ er sie nicht gewähren, sondern griff nach ihr, zog sie zu seiner Lagerstatt und drückte sie dort auf den Matten und Kissen zu Boden. Warm und einladend und fester, als er erwartet hatte, lag ihr Körper schließlich unter ihm. Sie leitete sein mächtiges Geschlecht mit geschickten Fingern, und er drang hart in sie ein. Dann ließ sie ihn seinen -6 6 -
Rhythmus finden, nahm ihn auf, kam ihm entgegen und stemmte die Hände gegen seine Brust. Er flog einem Höhepunkt entgegen, wie er ihn intensiver selten zuvor erlebt hatte. Mit einem ersticktem Schrei sank er auf ihr zusammen und begrub sie mit seinem ganzen Gewicht unter sich. Nach einer Weile merkte er, daß sie kaum noch Luft bekam und rollte zur Seite, immer noch erhitzt. Er ließ aber ihren Arm nicht los und drückte seinen Mund an ihre Schulter. Er murmelte noch etwas und war dann eingeschlafen. Im Morgengrauen schlüpfte sie in ihr Unterkleid und verschwand zwischen den Bäumen, um Wasser zu lassen, kehrte aber gleich darauf wieder. Als sie die schwere Felldecke zurückschlug, um zurück in die Wärme zu kriechen, wachte Hardrich auf. Es dauerte einen Augenblick, bis die Erinnerung sich einstellte und er sie im Halbdunkel erkannte. Sie war offenbar nicht sicher, ob sie besser hätte gehen sollen und hockte etwas verunsichert vor seinem Lager. "Komm", sagte er schlicht. Er zog sie zu sich und nahm sie, auf der Seite liegend, von hinten. Noch halb im Schlaf, drückte er ihr Becken an sich und bewegte sich ruhig und langsam, wie träumend, bis eine sanfte, wohlige Wärme ihn durchströmte und er wieder einschlief. Als es hell wurde und die Geräusche des Lagers zunahmen, erwachte Hardrich und sah, daß die Frau aufgestanden und gerade dabei war, sich anzuziehen. Als sie fertig war, brachte sie ihm schweigend einen Becher Wasser, den er in einem Zug leerte. "Ich muß jetzt gehen", sagte sie. "Was bekommst du?", fragte er. Sie nannte einen Preis, der sehr hoch war, fast unverschämt. Er gab ihr das Doppelte. -6 7 -
"Danke.... Falls Ihr wieder einmal in der Gegend und in der Stimmung sein solltet, fragt in der Schenke 'Zum Pferdeturm' nach der Roten. Das bin ich. Alles Gute für Euch" Sie wandte sich zum Gehen, drehte sich aber noch einmal zu ihm um und sagte mit einem koketten Lächeln: "Ich würde doch zu gerne wissen, wer die Frau ist, an die Ihr heut Nacht gedacht habt, während Ihr mich hieltet" Dann war sie verschwunden. Hardrich war noch zu schläfrig, um sie für diese letzte Bemerkung zur Rechenschaft zu ziehen, obwohl er sich ärgerte. Er nahm den Helm ab, legte ihn neben sich auf den Boden, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schloß die Augen. Ja, da war es wieder. Ihr Bild. Ihre schlanke Gestalt ins weiche Abendlicht getaucht. Ihr Lächeln. Ihre Hand, die haltsuchend nach seinem Arm greift. Was war es für ein Tag gewesen! Er dachte an Frau Hedwig und an ihre Geschichte. Sie hatten viel riskiert für ihn. Und von Trettin war nicht eingeweiht. Trettin! Sein Lehen lag doch ganz in der Nähe! Gehörte nicht Rettow dazu? Und wieder schweiften seine Gedanken ab. Er hörte sich ihren Namen flüstern und schlief wieder ein. Später fand Wichard den Herrn der Mark gutgelaunt bei der Morgenmahlzeit. Till hatte in Salin frisches Brot und auch Butter besorgt, Obst und Honig stand bereit und zusammen mit etwas kaltem Braten vom Abend war der Tisch reichlich gedeckt. In einem bauchigen Kupfergefäß dampfte ein heißer Kräuteraufguß. Während Till die Reste abräumte und Wichard einen Becher des warmen Getränkes einschenkte, gähnte der Junge selbstvergessen. "War wohl eine lange Nacht, wie?", fragte Wichard mit einem süffisanten Lächeln. -6 8 -
Till wurde rot, murmelte etwas von Geschirr spülen und verschwand sobald er konnte. Zum Ritter gewandt, verneigte sich Wichard dann und grüßte. Der Ritter erwiderte den Gruß und gab Anweisung, seine obersten Lehensleute zu sich rufen zu lassen.
Die Ostmark bestand zu Hardrichs Zeiten aus acht Landesteilen, von denen der größte durch Hardrich selber verwaltet wurde. Sechs waren seit jeher als Lehen an die angesehensten Adelsfamilien des Landes vergeben. Jürgen von der Weile und Rudolf von Walow im Süden, Adelhard von Bevern an der Ostgrenze, Gottlieb von Treptow im Westen, Georg von Meez und Wernherr von Harchow im Norden. Das siebente und letzte direkte Lehen, hatte der junge Markgraf gleich nach der Schwertleihe an Reno von Trettin vergeben. Es war nur ein schmaler Streifen Land, der aus Teilen von Harchows und von Meez´ Lehen hervorging. Es war Hardrich damals ein Bedürfnis gewesen, von Trettin zu ehren und gleichzeitig mit dieser ersten Änderung im Machtgefüge ein Zeichen seines Durchsetzungsvermögens zu setzen. Wenn sich damals jemand über diese Neuerung geärgert hatte, so hatte es doch niemand offen zu sagen gewagt. Und der alte Mann, der zuvor nur ein unbedeutendes kleines Gut im Lehen von Harchows besessen hatte, gebot nun über sämtliche Ländereien um seinen Wohnsitz herum und war mit einem Schlag nur noch direkt dem Markgrafen unterstellt. Nicht, daß ihm daran gelegen gewesen wäre. Die sechs alteingesessenen Fürstenfamilien hatten die Jahre unter -6 9 -
Karl von Aven ein recht unbehelligtes Leben geführt. Dieser liebte die Jagd und andere höfische Belustigungen, kleidete sich nicht weniger aufwendig als der König selber, und seine Genußsucht war bald sprichwörtlich. Jeder noch so geringe Anlaß wurde ausschweifend gefeiert. Kaum ein Tag ging zuende, an dem der stellvertretende Landesherr nicht sturzbetrunken in seine Gemächer getragen werden mußte. Aber solange die Steuern und Abgaben pünktlich eintrafen, kümmerte sich Karl wenig um die Belange des Landes. Besonders Gottlieb von Treptow, ein fast kahlköpfiger, großer Mann von unglaublicher Leibesfülle hatte es stets gut verstanden, sich der Gunst dieses Herrn zu versichern. Selbst ein großer Esser und Trinker veranstaltete er prächtige Feste und Lustbarkeiten auf seinem Landsitz, zu denen der gesamte Adel der Ostmark geladen wurde. Immer neue Vergnügungen wurden erdacht, immer edlere Weine gefunden und nur die ausgesuchtesten Leckereien gereicht. Karl von Aven war entzückt. Dies war genau das Leben, das er zu führen gedachte. Von Treptows Ansehen und das seiner ganzen schwergewichtigen Familie stieg, und es ging das Gerücht, daß der Landesherr zu später, weinseliger Stunde seinem Zechkumpanen zugesagt hätte, eine seiner fetten Töchter mit Hardrich zu vermählen. Sieben Wochen nach der Schwertleihe war diese Zeit des Feierns und Müßiggangs endgültig vorbei und man mußte allgemein feststellen, daß unter Hardrichs Herrschaft ein rauherer Wind wehen würde. Auf einer Versammlung im großen Saal, wo zu Zeiten seines Onkels fast täglich Gelage aller Art stattgefunden hatten, ließ der junge Landesherr seine Lehensleute zusammenkommen. Steif saß er auf dem wuchtigen, mit Schnitzereien verzierten, erhöhten Stuhl. Mit heiserer Stimme und wie immer mit eisernen Helm und schwerem Harnisch angetan, ließ er seine Lehensleute unmißverständlich wissen, -7 0 -
was von nun an von ihnen erwartet wurde. Jeder seiner Lehensmänner hatte neben den Truppen, die im Kriegsfall aus den Reihen der Leibeigenen und Freien ausgehoben wurden, ein ständiges Heer zu unterhalten und auszubilden. Er verlangte, daß die öffentlichen Wege gesichert, Befestigungsanlagen erneuert und Brücken gebaut wurden. Auch hatte er Pläne, das Gerichtswesen zu reformieren und ein einheitliches Recht nach dem königlichem Vorbild einzuführen. Als er geendet hatte und sich eine angespannte Stille ausbreitete, war es Georg von Meez, der als erster vortrat und nickte. Gleich darauf taten es ihm Wernherr von Harchow und auch Reno von Trettin nach. Und so blieb auch den anderen vier nichts anderes übrig, als ihm mehr oder weniger zähneknirschend beizupflichten. Statt edler Stoffe und teurer Weine, wurden jetzt Waffenkundige und Schmiedemeister von weit her geholt, um die Ausrüstungen zu verbessern. Und statt der Folge von Festlichkeiten mit Tanz und Besäufnissen vergingen keine drei Monate, ohne daß der Markgraf seine Gefolgsleute nicht zu einem Turnier oder zu einem Scharmützel im Grenzgebiet rief, um immer wieder deren Schlagkraft auf eine Probe zu stellen. Lediglich den alten von Trettin ließ er unbehelligt, obwohl ihm klar war, daß er sich dadurch keine Freunde machte. Es kam nie zu einer offenen Auseinandersetzung, denn Hardrich achtete streng auf Einhaltung der Gesetze, aber die Spannung, die vom ersten Tage an spürbar war, blieb. Als von Treptow Hardrich später einmal vorsichtig auf die Verlobung mit seiner Tocher angesprochen hatte, war ihm dieser sofort ins Wort gefallen, die Abmachungen seines Onkels gingen ihn nichts an. Und kalt hatte er noch hinzugefügt: "Solange das Weib daherkommt wie zweie, würde die Kirche eine solche Ehe als Vielweiberei verbieten!" Brüllendes Gelächter war die Folge -7 1 -
gewesen, und von Treptow war wütend und mit hochrotem Kopf aus dem Saal gestürmt. Noch monatelang später fand er sich allerorts als Zielscheibe des Spottes wieder, und die Begebenheit wurde im ganzen Land zum geflügelten Wort. Nach den Jahren, in denen er der erklärte Günstling des Landesherrn gewesen war, traf ihn diese Abfuhr tief. Seiner Tochter allerdings fiel, trotz der offenkundigen Kränkung ihrer Familie, ein Stein vom Herzen.
Als die Männer endlich zusammengekommen waren, einige hatten noch mit einem schweren Kopf vom gestrigen Abend zu kämpfen, besprach man den Rückmarsch. Von Walow und von der Weile, die den weitesten Weg vor sich hatten, waren bereits abmarschbereit. Auch von Bevern würde sobald wie möglich aufbrechen. Sein Weg führte ihn direkt an der Hauptstadt vorbei, wo man die Ankunft des Herrn von Aven ankündigen wollte. Von Treptow, den ein schlimmer Kater zu plagen schien, plante seinen Aufbruch für morgen in der Frühe. Nun war der junge Georg von Meez an der Reihe zu sprechen. Er hatte erst vor ein paar Monaten das Lehen von seinem Vater übernommen, der plötzlich und unerwartet an einem Schlaganfall gestorben war. Frau Hedwigs Worte gingen Hardrich durch den Kopf. Dieser Junge hatte sicher nichts davon gewußt. Anfangs war er schüchtern und wortkarg gewesen, aber mehr und mehr blitzte ein Ehrgeiz durch seine Worte und Taten, der selbst alte Freunde in Verwunderung setzte. Er räusperte sich und sagte dann: "Mit Verlaub, wem gedenkt Ihr von Harchows Lehen zu übertragen, da es ja keine Erben gibt? Wir sind gerade alle hier versammelt. Ich frage mich, ob nicht..." Wichard, der in Rufweite seines Herrn stand, glaubte seinen Ohren -7 2 -
nicht zu trauen und spürte förmlich, wie auch die anderen Anwesenden den Atem anhielten. Hardrich versteifte sich. "Solange ich Euch nicht frage, behaltet Euren Rat für Euch", sagte er gefährlich leise, "Und seht zu, daß Ihr mit Euren Männern nach Hause kommt, bevor Eure vorlaute Zunge Euch noch den Kopf kostet" Der junge Mann biß die Zähne zusammen, aber die dunkelroten Flecken in seinem Gesicht zeugten von wütendem Schrecken. Stumm deutete er nachlässig eine knappe Verbeugung an und entfernte sich rasch. Wichard seufzte innerlich und bedauerte einmal mehr, daß Hardrich derart unerbittlich und oft unangemessen hart mit seinen Lehensmännern verfuhr. Seit der alte von Meez und nun auch Wernherr tot waren, würde das Verhältnis zwischen dem Markgrafen und seinen Lehensleuten ohnehin schwerer werden. Es gab nicht einen unter ihnen, dem der Ritter in einem seiner Wutanfälle nicht bereits Ähnliches oder Schlimmeres an den Kopf geworfen hätte. Während Gottfried von Treptow bereits zurück in sein Zelt schwankte, verabschiedete sich Jürgen von der Weile. Ihn hatte Hardrich sogar mit dem Schwert bedroht und zum Zweikampf herausgefordert, weil dieser sich über die strenge Turnierordnung lustig gemacht hatte. Glücklicherweiser zerbarst von der Weiles Schwert nach zwei gewaltigen Hieben des Markgrafen, was von Harchow und Wichard Gelegenheit gab dazwischenzuspringen und Schlimmeres zu verhindern. Nach ihm verneigte sich Adelhart von Bevern zum Abschied. Als Bruder des Bischofs und allgemein als gläubiger Mann bekannt, mußte er sich durch den Treueeid fest an den Lehensherrn gebunden fühlen. Denn dieser war vom König selbst, also gottgewollt, -7 3 -
eingesetzt worden. Allerdings sprach sich bald herum, daß Herr Adelhart ein weiches Herz hatte und beim Rechtsprechen in seinem Lehen allzuoft Gnade vor Recht walten ließ, was dem Ritter ein besonderer Dorn im Auge war. Ihm folgte als letzter schließlich Rudolf von Walow. Er war entfernt mit dem Könighaus verwandt, und man vermutete, daß alle Vorkommnisse im Land auf diesem Wege dem König zugestragen wurden. Auch hatte er eine spöttische Art an sich, und seine scharfzüngigen Äußerungen, oft an der Grenze zum Gotteslästerlichen, hatten ihm schon oft den Zorn Hardrichs eingebracht. Obwohl er sich als geschickter Kämpfer ausgezeichnet hatte, der sowohl mit dem Schwert als auch mit Worten umzugehen wußte, mochte Wichard ihn nicht. Auch Hardrich, der kein großer Redner war, fühlte sich im Gespräch mit dem eloquenten von Walow stets unterlegen und belächelt, obwohl sein Gegenüber immer höflich blieb. In seiner Beredsamkeit war der gutaussehende Junggeselle einfach nicht zu packen, was den Ritter ein ums andere Mal aufbrachte. Gerade trat er heran und verneigte sich mit elegantem Schwung. Schon in dieser Geste lag eine Herausforderung, die den Markgrafen ärgerte. In von Walows Augen sah er das Vergnügen, das ihm anscheinend die scharfe Zurechtweisung des jungen Mannes bereitet hatte. “Ja, ja! Der Vorwitz der Jugend! Wenn den alten von Meez nicht bereits der Schlag getroffen hätte, hätten ihn heute die Worte seines eigenen Sohnes mit Sicherheit unter die Erde gebracht! Aber hat nicht die Jugend das Recht, ja die Pflicht, Altes in Zweifel zu ziehen und hinwegzufegen, meint ihr nicht auch, Herr von Aven?”, fragte von Walow seufzend. Doch trotz seines demütigen Tuns sprach Unverfrorenheit und Hohn deutlich aus jedem seiner Blicke. -7 4 -
Hardrich, der die dreiste Anspielung auf seine eigene Machtübernahme wohl verstanden hatte, senkte den Kopf, wie ein gereizter Bulle und biß die Zähne zusammen. Er wußte nur zu genau, daß, sobald er von Walow direkt auf die Beleidigung ansprach und sich auf ein Wortgefecht einließ, sich dieser, wie ein Aal aus seinem Zugriff wand und dieses Spielchen auch noch genoß. Hardrich haßte es zutiefst, auf diese Art herausgefordert zu werden. Und je aufgebrachter er war, umso schwerer fiel es ihm, einen klaren Gedanken zu fassen und mit Worten zu parieren. Desöfteren war er bereits nahe daran gewesen, sich dieses frechen Spötters mit einem Schwerthieb zu entledigen, allein die Verwandtschaft von Walows mit dem König, den Hardrich mehr als alle anderen hochachtete, hatte ihn davon abgehalten. Auch das wußte Rudolf von Walow nur zu gut. Lauernd wartete er auf eine Erwiderung des Markgrafen. Doch dieser lehnte sich in seinem Stuhl zurück, sah ihn verächtlich an und knurrte böse: “Ich wünsche Euch eine angenehme, rasche Heimreise” Mit dem wölfischen, selbstgefälligen Lächeln des Siegers verneigte sich von Walow. Nachdem alle Lehensleute gegangen waren, rief Hardrich Wichard, der sich über die heutige Beherrschtheit seines Herrn wunderte, zu sich. "Wir werden übermorgen früh als letzte von hier aufbrechen. Die Männer sollen sich bereithalten. Ich will noch Donnerstag nacht in der Stadt sein. Und laß die Pferde satteln. Mal sehen was die Wälder hier an Wild hergeben" Von Dührings Augen leuchteten auf, und er nickte freudig. Sein Herr schien den Vorfall von eben bereits vergessen zu haben und -7 5 -
wieder bester Laune sein. Doch als er gerade gehen wollte, setzte Hardrich noch hinzu: "Ach, und... Wichard, ich wünsche heute abend einen Vorschlag, wem das Lehen zu geben ist"
Dem Vater gegenüber hatten die Geschwister den Vorfall mit dem abgesprungenen Wagenrad heruntergespielt, denn beide wollten auf keinen Fall ein Verbot der gemeinsamen Lieferfahrten riskieren. Von Trettin blieb an diesem Abend der Schenke fern, so sehr Gertraud sein Erscheinen auch herbeiwünschte, um ihn nach dem seltsamen Fremden zu fragen und ihr Fernbleiben gestern abend irgendwie zu entschuldigen. Auch Klemens ließ sich nicht blicken. Der Dienstag verging, und auch der Mittwoch verlief zunächst ereignislos, bis am späten Nachmittag ein Bote aus einer der Schenken an der Stadtgrenze geritten kam und Meister Kerner zu sprechen wünschte. "Mein Herr wünscht dringend noch sechs Faß Helles von Euch zu kaufen! Nur schnell muß es gehen! Von Beverns Männer sind gestern abend spät noch in der Stadt eingetroffen. Sie sind zwar heute schon weiter, aber für morgen abend ist der Markgraf mit seinen Leuten aus Salin angekündigt und die Bastarde sind nicht weniger durstig! Wir haben noch zwei Faß in Reserve, aber was ist das schon! Ich bitte Euch, Meister, schickt noch einen Wagen morgen früh. Mein Herr sagt, es soll euer Schaden nicht sein. Er läßt auch mit dem Preis mit sich reden" Gertraud, die in der Nähe gestanden hatte, wurden die Knie weich, als sie hörte, daß das Heer vor Salin lagerte. Eine plötzliche Gewißheit überkam sie und sie warf Paul einen verstohlenen Blick zu. Auch der sah sie erschrocken an. Sie flüsterte ihm zu: "Sag bloß, der Markgraf selber hat uns das -7 6 -
Wagenrad gerichtet! Das gibt´s doch nicht!" Doch Paul erwiderte: "Aber die Rüstung? Und der Helm, den er trug? Seine Größe? Und auch seine ungeheure Stärke? Alle sagen, daß er genau daran zu erkennen ist! Jesus! Das wir nicht gleich darauf gekommen sind!" "Aber getan hätte er sowas nicht! Das sagen auch alle! Vielleicht war es nur einer seiner Leute", versetzte Gertraud. "Aber der goldene Reif! Du hast selber noch gesagt 'Sicher ein wichtiger Herr', hm?", beharrte ihr Bruder aufgeregt. Der Vater unterbrach ihre Überlegungen und schickte Gertraud, dem Boten zu essen und zu trinken zu bringen und rief Paul zu, er solle Henning und Dietrich suchen und in den Faßkeller kommen. Paul verschwand durch die Küche auf den Hof und Gertraud brachte dem Boten einen Becher Bier und einen Teller Brot, Butter und Wurst. Er war etwa im selben Alter wie sie. Die junge Frau setzte sich zu ihm und fragte, was es denn sonst Neues gäbe in der Stadt. Bald war man umringt von weiteren Neugierigen, während der Bursche den letzten Klatsch zum Besten gab. Gönnerhaft erzählte er, was von den Männern von Beverns über den Kriegszug zu erfahren gewesen war. Besonders von Harchows Tod und die gewaltige Metzelei danach gaben reichlich Anlaß zu lautstarken Kommentaren. Beiläufig fragte Gertraud ihn dann, ob er je den Markgrafen selber einmal zu Gesicht bekommen hätte. Der unscheinbare Mann lächelte sie an, sichtlich erfreut über soviel Aufmerksamkeit und sagte dann: "Ihr wißt selber, daß die Schenke, in der ich diene, nicht gerade die vornehmste ist. Außerdem liegt sie außerhalb der Stadtmauern. Von ferne habe ich ihn allerdings schon manches Mal gesehen. Wenn er zur Jagd reitet, nimmt er manchmal diesen Weg aus der Stadt. Meist begleiten ihn Wichard von Dühring -7 7 -
und ein paar andere, manchmal ist er auch allein. Immer prescht er im Galopp durch die Straßen und schaut nicht links und nicht rechts" "Was reitet er für ein Pferd?", fragte sie nach und bemühte sich, ihn ihre Unruhe nicht merken zu lassen. "Ein riesiges braunes Tier. Ein Wallach, glaube ich. Man sagt, er tränkt ihn mit Blut, damit er in der Schlacht nicht scheut. Ein Freund von mir arbeitet in den Stallungen, er hat es mir selber erzählt", kam die muntere Antwort. Dann leerte er den Becher und griff nach seiner Jacke. "Ich muß jetzt wieder los. Mein Herr wartet sicher schon ungeduldig auf eine Antwort. Eingebleut hat er mir, sofort zurückzureiten und mich nicht aufzuhalten. Aber mir wird schon etwas als Ausrede einfallen. Wir sehen uns ja dann morgen!" Er nickte Meister Kerner, der hinter der Theke gerade ein neues Faß angestochen hatte, noch einen Gruß zu und verließ dann eilig die Wirtschaft. Gertraud schlief schlecht in dieser Nacht. Immer wieder schreckte sie aus schweren Träumen auf, an die sie sich aber am Morgen nicht mehr erinnern konnte. Lange vor Sonnenaufgang rumpelte der Wagen am Morgen vom Hof. Gertraud hatte gestern kurz erwogen, den Vater zu bitten, jemand anderen die Lieferung begleiten zu lassen, aber die Altgesellen waren für den Abend bereits zu ihren Familien zurückgekehrt, und so verwarf sie den Gedanken. Der kalte Morgennebel ließ bereits den nahen Herbst erahnen. Fröstelnd und mit klammen Fingern saßen die Geschwister nebeneinander. Nachdem sie eine Weile unterwegs waren, warf Paul Gertraud einen verstohlenen Blick zu und sagte beiläufig: "Klemens war gestern abend bei mir" Gertraud zog überrascht die Brauen in die Höhe. -7 8 -
"So?", murmelte sie und wich seinem Blick aus. "Er fragte, ob du es dir mit Süderbroock überlegt hättest oder ob du ihm böse bist. Ob du was gesagt hättest, wollte er wissen. Ich hab ihm gesagt, er solle doch reingehen und dich selber fragen, aber er wollte nicht. Dann ist er gegangen, aber der Vater hat ihn gehen sehn und dann hat er mich gefragt, was denn Klemens gewollt hat. Und dann wollte Vater wissen, was denn sei mit Süderbroock, und ich mußte mir wieder mal anhören, daß du Flausen im Kopf hast. Und daß der Klemens nicht ewig warten wird, und so! Und jetzt soll ich dir zureden! Ausgerechnet ich! Verdammt, Gertraud! Er scheint doch wirklich kein übler Kerl zu sein!", druckste Paul herum. "Ja, ich weiß", seufzte Gertraud und die Erinnerung an ihr letztes Treffen mit Klemens stand ihr wieder vor Augen. Sie war fast soweit, Paul davon zu erzählen, ließ es dann aber doch. Nachdem sie eine ganze Weile schweigend gefahren waren, sagte sie: "Falls der Vater wieder fragt, sag ihm, daß ich noch in diesem Jahr meine Wahl treffen werde. Und jetzt Schluß damit!" Paul grinste: "Na, endlich! Und ich dachte schon, du endest als alte Jungfer, und wir werden dich nie los!" Sie verpaßte ihm einen Stoß mit dem Ellenbogen und beide lachten erleichtert auf. Da sie heute nur eine Wirtschaft zu beliefern und auch weiter keine Einkäufe zu besorgen hatten, waren sie bereits um die Mittagszeit auf dem Heimweg. Jetzt brannte die Sonne vom wolkenlosen Himmel. Als sie die Stadt hinter sich gelassen hatten, schälte Gertraud sich aus dem dicken, braunen Überkleid. Das schlichte, ärmellose Unterkleid hing ihr locker von den Schultern und erleichtert spürte sie den kühlenden Wind durch den dünnen Stoff streichen. Befreit hob sie die Arme und steckte lächelnd einige widerspenstige Locken in ihrem -7 9 -
Haarkranz fest. Paul, der inzwischen auch schon mit aufgekrempelten Ärmeln dasaß, betrachtete seine Schwester und plötzlich wurde ihm klar, wie sehr sie ihm fehlen würde, wenn sie tatsächlich mit Klemens das Dorf verließ. Sie waren bereits fast an der Gabelung nach Salin angekommen, als ungewöhnliche Laute die beiden Fahrenden in ihrem Gespräch innehalten ließen. Der junge Mann ließ den Wagen halten. Sie horchten. Ein dumpfes Grollen und Stampfen, gemischt mit Klirren und Stimmengewirr vieler Menschen. Paul begriff als erster. Er riß die Augen auf und sah Gertraud an. "Das Heer!", stieß er heiser hervor, "Sie nehmen diesen Weg!" Im nächsten Augenblick schon sahen sie die ersten Reiter, die in etwa einer Meile Entfernung dem Weg aus dem Wald folgen. Einen endlosen Moment lang starrten die Geschwister ohne sich zu rühren auf die nicht enden wollende Reihe von Berittenen, Wagen und Fußleuten, die sich langsam näherte. Liedfetzen und Musik der Sänger und Musikanten, die sich dem Zug angeschlossen hatten, klangen zu ihnen herüber. Paul und Gertraud sprangen vom Wagen. Etwa dreißig Schritt vor ihnen fiel die Böschung sanft zum Feld hin ab, und es gelang ihnen, ihr Gespann mit dem schwerfälligen Wagen dort unbeschadet von der Straße zu führen. Die ersten Mannschaften hatten die Gabelung bereits erreicht und bogen auf die Straße zur Stadt ein, direkt auf sie zu, und noch immer nahm der Zug kein Ende. Während sich Paul fluchend bemühte, die Tiere, die durch die menschliche Unruhe immer nervöser wurden, zu beruhigen, stand Gertraud auf der Böschung. Fahnen und geschmückte Lanzen leuchteten von ferne, und die Freude der Heimkehrer lag in der Luft. Mit flatterndem Herzen ließ sie ihren Blick über die Näherkommenden schweifen, bis ihre Augen eine Gestalt in vorderster Reihe ausgemacht hatten. Dieser Mann überragte die -8 0 -
neben ihm Reitenden um Haupteslänge und sein verzierter Brustpanzer glänzte in der Sonne. Je länger Gertraud dort stand und den prächtigen Zug betrachtete, umso mehr wurde sie von einer unerklärlichen Gewißheit erfaßt. Ihr war, als hätte sie diesen Tag, diese Stunde, diesen Augenblick schon einmal erlebt, diese Furcht und diese Sehnsucht schon einmal gefühlt. Was geschehen sollte, würde geschehen und nichts was sie tat, konnte etwas daran ändern. Ihr fror plötzlich, und sie schlang die Arme um ihre Schultern. Mit einem Mal wurde sie gewahr, daß sie fast nackt nur im dünnen Hemd dastand. Sie huschte hinter den Wagen und begann in aller Eile das Kleid überzuziehen. Einige der Männer hatten dies wohl von Ferne verfolgt und lachten grölend. Hastig zog sie den Stoff zurecht und richtete ihr Haar. Sie sah Paul an und versuchte ein Lächeln, als sie seinen beklommenen Blick bemerkte. Die Spitze des Zuges war inzwischen auf einige hundert Schritt herangekommen und Gertraud trat zu ihrem Bruder. Jetzt konnten sie die Männer genauer sehen und auch Paul erkannte ihren unbekannten Helfer wieder. "Sieh doch! Er reitet an der Spitze... und da! Das Banner! Bär und Lilie auf blauem Grund! Das ist er! Das kann nur der Markgraf sein!", stieß er hervor, "Ob er uns wohl wiedererkennt?" "Er hat uns schon erkannt", erwiderte Gertraud ruhig. Hardrich hatte das behäbige Fuhrwerk sofort bemerkt, und je näher sie kamen, um so gewisser wurde er. Sie war es! Helle Freude durchfuhr ihn wie ein Blitzschlag, um gleich darauf in Verdrossenheit umzuschlagen. Seine Vernunft schalt ihn einen Dummkopf. Unmöglich konnte er anhalten und im Beisein des ganzen Heeres mit -8 1 -
ihr plaudern. Vielleicht noch über den Vorfall mit dem Wagenrad! Gerade hatte er beschlossen, sie einfach nicht zu beachten, als einer der Hauptleute zur Erheiterung der Männer hinter ihm rief: "Ach, Schätzchen, laß doch das Kleid! Wir ziehn´s dir doch gleich wieder aus!" Diese Worte trafen ihn wie der Biß einer giftigen Natter. Ächzend unterdrückte der Herr der Ostmark das Verlangen, sich umzudrehen und dem Mann den Schädel zu spalten. Warum nur kümmerte ihn dieses Bauernkind? Es verwirrte und entsetzte ihn, daß sein Verstand ihn derart im Stich zu lassen drohte. Wichard war nicht entgangen, daß sein Herr die beiden Dörfler beobachtete und daß seine Anspannung wuchs, je näher sie kamen, aber er konnte sich keinen Reim darauf machen. Nun waren sie fast auf gleicher Höhe mit dem Wagen am Straßenrand, und Wichard betrachtete seinerseits die beiden jungen Leute. Der Junge trat unschlüssig von einem Fuß auf den anderen und fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut. Die hübsche Frau aber stand da und blickte unverwandt den Ritter an. Mit einem sanften Lächeln verbeugte sie sich schließlich als Hardrich vorbeiritt, der den Blick starr geradeaus gerichtet hielt. Wichard war verwundert. Sie zeigte gar keine Scheu. Noch mehr erstaunte ihn dann aber der Ritter. Sie waren noch keine zehn Schritt weiter gekommen, da winkte er Wichard mit einem Nicken zu sich und sagte: "Nimm sie mit! Sie soll heute nacht mein Bett wärmen" "Ihr meint die Frau?", entfuhr es Wichard überrascht, "Ich soll sie mit in die Stadt nehmen?" "Dachtest du den Jungen? Sieh zu! Bevor noch ein anderer auf die Idee kommt!", polterte Hardrich verdrossen. Wichard riß sein Pferd herum und ritt zurück. Die nachfolgenden Männer hatten Gertraud bereits allerhand Zoten zugerufen und diese -8 2 -
stand, den Arm um ihren Bruder gelegt, ängstlich hinter dem Wagen. Wichard überlegte fieberhaft, was er zu ihr sagen sollte. Er fürchtete, ihr wehtun zu müssen und hörte im Geiste schon ihr Schreien und Betteln. Frauen zu entführen war seine Sache nicht. Er ließ seine gescheckte Stute neben ihr halten und beugte sich hinunter. "Du mußt mit mir kommen. Der Ritter... wünscht es", sagte er und bemühte sich, seine Stimme hart klingen zu lassen. Zu seinem Erstaunen nickte die Frau nur stumm. Sie umarmte den verstört blickenden Jungen und verabschiedete sich mit den Worten: "Es wird alles gut werden. Und sag auch dem Vater, er soll sich keine Sorgen machen" Dann drehte sie sich zu Wichard um und sagte: "Ich bin bereit" Sie reichte ihm die Hand, stieg mit einem Fuß auf die Nabe eines Wagenrades und ließ sich von dort vor Wichard in den Sattel ziehen. Keiner der Männer, die diese Begebenheit am Rande interessiert beobachteten, sagte ein Wort. In Gegenwart des Ritters war Wichards Tun und Lassen tabu. Der junge von Dühring war erleichtert und lächelte seine ungewohnte Fracht dankbar an. Dann wendete er sein Pferd vorsichtig, um zur Spitze des Zuges aufzuschließen. Er sah, wie die junge Frau zurücksah und die Hand hob, um ihrem Bruder noch einmal zuzuwinken. Dann riß sie ihren Blick los, straffte die Schultern und sah nach vorn. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie Wichards Platz links hinter dem Ritter wieder eingenommen hatten, denn Wichard ritt behutsam, um seinen Passagier nicht allzu sehr durchzuschütteln. Gertraud saß, mit dem Rücken zu den Reitern und Maschierenden quer vor Wichard und spürte die neugierigen Blicke, die auf sie gerichtet waren. Aus den Augenwinkeln heraus betrachtete sie ihren Begleiter. Er mochte etwas größer als sie selber sein und trug ein dunkelrotes -8 3 -
Wams mit aufgekrempelten Ärmeln und einem einfachen Kettenschutz darüber, dunkle Beinkleider und rötlich-braune, kniehohe Stiefel. Sein Gesicht war schmal und hellhäutig und von einem braunen Haarschopf umgeben. Lange, dunkle Wimpern gaben seinen großen grau-günen Augen einen weichen Ausdruck. Sie bemerkte plötzlich, daß auch er sie musterte und ihre Wangen röteten sich. Er grinste und trieb sein Pferd die letzten Schritte zur Eile an, so daß sie sich an ihm festklammern mußte, um nicht herunterzufallen. Der Ritter, so schien es Wichard, hatte sich derweil schon anderen Dingen zugewandt. Einer der mitreitenden Mönche berichtete ihm gerade von den Verletzten. Gertaud war seltsam zwiegespalten. Tief in ihrem Innnern war da noch immer ein Teil von ihr, der völlig ruhig und sicher war, daß alles was geschah, gut und richtig sein würde. Andererseits schnürte ihr die Furcht fast die Kehle zu. Sie war alt genug, um zu wissen, wozu ein Mann von hohem Stande eine einfache Frau von der Straße holen ließ. Und was, wenn die Gerüchte doch der Wahrheit entsprachen? Würde er sich in einen Wolf verwandeln? Was hatte der alte Gutsherr nur gemeint, als er von der "dunklen" Seite des Ritters sprach? Würde er mit ihrem Blut sein Pferd tränken? Aber was hätte sie schon tun können? Diese Gedanken begannen in einem rasenden Kreis durch ihren Kopf zu tanzen und ihr Magen krampfte sich zusammen. Wortlos nahm Wichard seinen Wasserschlauch, öffnete und reichte ihn ihr. Tränen glänzten in ihren Augenwinkeln. Sie ergriff dankbar mit zitternden Fingern den halbvollen Lederbeutel, nahm einen großen Schluck und befeuchtete sich Stirn und Wangen. Dann atmetete sie tief ein und begann, sich besser zu fühlen. Sie wußte, daß sie noch mehrere Stunden bis zur Stadt unterwegs sein würden. Wenn sie nicht den Verstand verlieren wollte, mußte sie -8 4 -
sich ablenken. Schließlich nahm sie allen Mut zusammen und sprach ihren Begleiter an: "Damit Ihr wißt, wen Ihr hier im Arm haltet: Mein Name ist Gertraud Kerner. Mein Vater braut das beste Bier im Land" Wichards Augen blitzten belustigt. "So, so, die Tochter des Brauers seid Ihr. Und wollt Ihr wissen, wer Euch hier im Arm hält?" "Nun, ich vermute, Ihr seid Herr Wichard von Dühring. Des Herrn Ritters rechte Hand und treuer Diener... und Mädchenräuber", erwiderte sie. Wichard lachte: "Kluger Kopf und kecke Zunge! Das ist eine gefährliche Mischung, Frau Gertraud! Und wenn man so halbnackt am Wegesrand steht wie Ihr, darf´s Euch nicht wundern, daß jemand kommt, der diese Blume pflücken will" "Halbnackt!", entgegnete Gertraud mit gespielter Entrüstung, "Dies Kleid ist derart dick und züchtig hoch geschlossen, daß ich bestimmt noch einen Hitzschlag erleiden werde, bevor wir unser Ziel erreichen. Aber erzählt mir doch etwas von Eurem Feldzug, ich bitte Euch! Seid Ihr verwundet? Man sieht ein Stück Verband an Eurem rechten Arm" "Und Augen hat sie! Schärfer als ein Habicht! Frau! Ihr erstaunt mich immer mehr! Aber ich will Euch gerne den Gefallen tun und Euch die Zeit ein bißchen vertreiben", erwiderte er schmunzelnd. Und so ging es hin und her und schließlich plauderten sie leise miteinander, als wären sie vom selben Stand und würden sich von Kindesbeinen an kennen. Langsam legte sich Gertrauds Anspannung, und fast genoß sie das Gespräch mit ihrem schlagfertigen Begleiter. Auch Wichard war entzückt von Gertrauds wachem Geist, ihren sprechenden Augen und dem warmen Herzen, das aus ihren Worten sprach. Er atmete den Duft ihres Haares und versuchte, den -8 5 -
Gedanken an die Ankunft in der Stadt zu verdrängen. Sie hatte derweil immer wieder verstohlen nach vorne zum Ritter geblickt. Der aber ritt weiter, ohne sie auch nur einmal angesehen zu haben. Es dunkelte schon, als sie schließlich die Stadt vor sich liegen sahen. Als dann endlich die ersten Häuser erreicht waren, hatte sich die Ankunft des Heeres bereits herumgesprochen. Viele Menschen säumten die Straßen und bejubelten mit Hochrufen die siegreiche Rückkehr ihres Herrn. Buntes Treiben herrschte auf allen Seiten. Heute würde überall gefeiert werden. Es war nun fast gänzlich dunkel, und Wichard und Gertraud ritten ernst und schweigend im Gefolge des Markgrafen die breite Hauptstraße zur Burg entlang. Fackeln brannten links und rechts des Weges, und überall waren Menschen auf den Beinen. Der Zug wurde nun rasch kürzer. Immer mehr Männer verabschiedeten sich von ihren Kameraden und bogen einzeln oder in Gruppen rechts und links in die Gassen ein. Gertraud war noch nie in ihrem Leben der Burg so nahe gewesen. Die dunklen Mauern ragten hoch vor ihnen auf, und die wenigen erleuchteten Fensteröffnungen glühten wie feurige Augen in die Nacht hinaus. Kalt und abweisend schimmerte das schwache Licht der Feuer und Laternen im Innenhof zu ihnen über die gezackten Zinnen. Angst kroch wieder in ihr hoch. Sie blickte sich zum Ritter um. Im Licht der zuckenden Fackeln schien seine kantige Silhouette noch größer und bedrohlicher. Sie dachte an den zurückgebliebenen Paul und an ihren Vater. Das Bild des gestrigen gemeinsamen Abendessen erschien vor ihrem geistigen Auge. All das war nun so furchtbar weit entfernt! Sie kämpfte mit den Tränen. Verzweifelt suchte sie nach dem Gefühl der Gelassenheit, das sie beim Anblick des herannahenden Heeres empfunden hatte. Etwa sechzig Reiter, einige Wagen und eine Truppe Gaukler -8 6 -
durchquerten endlich das Burgtor. Die gewaltigen, hölzernen Torflügel, die nur von mehreren Wachen gemeinsam bewegt werden konnten, standen weit offen. Mauern von der Dicke einer Mannshöhe umgaben den trutzigen Stammsitz der Familie von Aven. Große Zelte waren im Hof aufgebaut worden, und über mehreren Feuern wurde im Freien gebraten und gekocht. Auf den gedeckten Tischen standen schon Schalen mit Brot, Obst und Gebäck, und in einer Ecke wurde bereits aus großen Fässern Bier gezapft, um für den zu erwartenden Ansturm vorbereitet zu sein. Wichard bemerkte Gertrauds wachsende Verzweifelung. Es war ihm ein Rätsel, daß der Ritter ausgerechnet nach dieser Frau verlangt hatte. Heute nacht würde in der Stadt sicher kein Mangel an käuflichen Frauen bestehen. Warum mußte es gerade dieses Mädchen sein? Es schmerzte ihn, die junge Frau, die ihm in der kurzen Zeit ans Herz gewachsen war, so leiden zu sehn. Er legte seinen Arm um sie, wie um sie festzuhalten, und drückte sanft ihre Schulter. Dann begann er im Plauderton zu erzählen: "Dies ist der sicherste Platz im ganzen Königreich. Seit über vierzig Jahren hat kein Feind mehr die Stadt betreten, geschweige denn einen Fuß hierher in die Burg selber gesetzt. Von Gefangenen einmal abgesehen, natürlich. Da unten im Turm, tief unter der Erde, befinden sich die Verliese. Das dort ist die Schmiede. Daneben Waffenkammer und Kasernen, wo ich mein Zimmer habe, wenn ich in der Stadt bin. Dort rechts liegt die Kapelle, und auf der linken Seite sind die Ställe und Speicher. Seht Ihr den kleinen Mann, der da auf den Ritter zuläuft und sich gerade verbeugt?" Gertraud schluckte ihre Tränen herunter und nickte. "Das ist Burkhard Lose, der Verwalter und Burgkämmerer. Und da kommt der Stallmeister und begrüßt seinen Sohn, den Burschen des Ritters. Wir sind da", fuhr er fort. Ein Junge kam gelaufen, hielt Wichards Pferd und sah Gertraud -8 7 -
abschätzend an. Offensichtlich hielt er sie für eine Dirne, und Gertraud war froh, daß es dunkel war und er ihre Scham nicht sehen konnte. Von Dühring stieg vom Pferd und half dann Gertraud beim Absteigen, bevor der Junge das Pferd zu den Ställen führte. Elend und müde, blickte sie sich scheu um und zog den Umhang, den Wichard ihr um die Schultern gelegt hatte, als es kälter wurde, fester um sich. Während er im Gewühl seinen Herrn auszumachen versuchte, sagte Wichard wie beiläufig: "Vielleicht hat uns der Ritter ganz vergessen, dann bringe ich Euch heute Nacht in einem Gasthof in der Nähe unter und morgen werde ich..." Weiter kam er nicht. Er sah den Herrn der Mark, gefolgt von einer der Wachen, mit großen Schritten auf sich zukommen. Er hatte sie nicht vergessen. Auch Gertraud sah ihn kommen und gewann mit einem Mal ihre Zuversicht wieder. Sie nahm den Umhang von den Schultern und reichte ihn Wichard zurück. Wortlos nahm er ihn. Sie sah ihm in die Augen und sagte: "Herr von Dühring, es war mir eine Freude Eure Bekanntschaft zu machen und habt vielen Dank für Eure Freundlichkeit" Wichard nickte nur und verbeugte sich leicht. Ihre Haltung nötigte ihm Respekt ab. Er nahm sich vor, sie morgen nach Hause zu bringen, wenn der Ritter dem zustimmte. Oder, falls sie nicht mehr nach Hause wollte, nach dem was kommen würde, könnte er ihr eine Anstellung auf dem Gut seiner Eltern verschaffen. Dieser Gedanke beruhigte sein Gewissen ein wenig. Mehr konnte er nicht für sie tun. Der Ritter war herangekommen und gab der Wache mit einem Nicken ein Zeichen. Diese trat auf Gertraud zu und faßte sie hart am Arm. -8 8 -
"Bring sie rauf. Und du stehst mir mit deinem Kopf dafür ein, daß sie auch noch dort ist, wenn ich komme", sagte der Ritter barsch. Dann wandte er sich an Wichard, ohne Gertraud auch nur angesehen zu haben und fuhr fort: "Und nun zu Tisch. Komm. Die Männer warten" Die junge Frau sah ihnen nach, während die Wache sie grob mit sich zog. Der Mann war sichtlich verärgert, daß er nun vor den Gemächern des Ritters ausharren mußte, während sich seine Kameraden im Hof betranken. Er fluchte und stieß Gertraud die breite, steinerne Treppe zum Hauptportal hinauf. Über dem mit schwarzen Balken eingefaßten Portal hing das Landeswappen. Aber sie konnte nur einen kurzen Blick darauf werfen, bevor sie ins Innere stolperte. Eine riesige Halle, so groß, daß Gertrauds Elternhaus darin Platz gehabt hätte, tat sich dahinter auf. Auch hier herrschte emsige Betriebsamkeit. Bedienstete hasteten mit Krügen und Schalen umher. Zwei Köche schleppten schwitzend einen riesigen Kupferkessel mit dampfender Brühe hinaus und Mägde liefen mit wassergefüllten Eimern und weißem Leinenzeug im Arm an ihnen vorbei. Kaum einer kümmerte sich um den Wachmann und die Frau in seinem Gewahrsam. Staunend sah Gertraud sich um. Das alte Gutshaus von Trettins war ihr immer großzügig und prächtig erschienen. Allein die Tatsache, daß es mehrere Zimmer gab, die kaum jemand je betrat, hatte sie immer wieder fasziniert. Hier aber waren es ganze Zimmerfluchten, die wie verlassen wirkten. Die Decken waren so hoch, daß sie sie nicht hätte berühren können, selbst wenn sie auf einen der prächtigen Stühle gestiegen wäre, die hier und dort in den Nischen standen. Bilder und Teppiche hingen an den Wänden und zeigten Szenen von Schlachten und Siegen aus vergangenen Tagen. Doch blieb ihr keine Zeit, sie zu betrachten. Unsanft zerrte ihr Begleiter sie weiter fort, immer weiter die Treppen hinauf und Gänge entlang, bis er schließlich vor einer eisenbeschlagenen Tür hielt. Er -8 9 -
nahm eine Fackel aus einem Wandhalter und öffnete langsam die Tür. Ehrfurchtsvoll zögerte er einen Moment, bevor er, sie mit sich ziehend, hineinging und mehrere Kerzen auf einem Tisch mit der Fackel entzündete. Dann schubste er sie in einen Sessel und grunzte: "So! Hier bleibst du und rührst dich nicht. Wehe, du faßt was an. Und komm ja nicht auf den Gedanken, irgendwas einzustecken. Ich werd dich nachher auf den Kopf stellen und persönlich nachsehen, bevor du von hier fortkommst. Und finde ich auch nur eine Prise Löschsand in deiner lausigen Tasche, besorg ich´s dir gleich auch noch mal" Er sah sie lüsternd an, faßte sie grob zwischen die Beine und lachte dann grölend: "Und wenn ich nichts finde, dann auch! Davon kannst du schon mal träumen, während er sich dich vornimmt. Soll dir die Stunde versüßen, Schätzchen! Lange wird es eh nicht dauern. Er nimmt sich nie viel Zeit für deinesgleichen. Vor Morgengrauen bist du wieder auf der Straße. Und jetzt keinen Ton mehr!" Dann warf er die Tür hinter sich zu. Der Schlüssel wurde im Schloß gedreht, und sie blieb allein zurück. Sie hörte, wie er einen Stuhl heranzog und sich fluchend vor der Tür zurechtsetzte. Eine Weile starrte Getraud starr vor Schreck auf die geschlossene Tür, doch als sie nur noch sein Rülpsen hörte, atmete sie auf. Sie zog die Beine an und umfaßte ihre Knie mit den Armen. Der Kälte des Steinbodens ging ihr durch und durch. Sie bedeckte die nackten Füße mit dem Stoff ihres Kleides und rieb sich die klammen Zehen. Dann sah sie sich um. Der Raum war fast so groß wie die gesamte Schankstube zu Hause und mit nur wenigen Möbeln ausgestattet. Ein Tisch mit Schreibutensilien und einem Kerzenleuchter stand mitten im Zimmer. Dahinter ein Stuhl mit hoher, reich verzierter Lehne und Armstützen in Form von Tierpranken. Zwei Ledersessel standen davor. An der Wand rechts der Tür war ein riesiger Kamin, in dem aber kein Feuer -9 0 -
brannte. Daneben ging eine Tür in einen anderen Raum. Sie drehte sich vorsichtig um. An der Wand gegenüber der Tür lagen zwei Fenster mit kleinen Butzenscheiben. Darunter verlief eine lange Bankreihe. An der Seite links des Eingangs befand sich eine dritte Tür mit einem schweren Schloß. Daneben eine eisenbeschlagene, gewaltige Truhe, und darüber hing ein schlichtes Holzkreuz an der Wand. Das vertraute Symbol beruhigte sie etwas. Sie dachte an das, was von Trettin ihr erzählt hatte. Er war ein gläubiger Mensch. Doch was hieß das schon für sie! Der grobe Mensch vor der Tür hielt sich sicher auch für einen Christen. Sie sah noch einmal ängstlich zur Tür und stand dann vorsichtig auf. Auf Zehenspitzen schlich sie zu einem der Fenster. Sie reckte den Hals. Durch das schlierige Glas war nicht viel sehen, doch erkannte sie den Burghof mit den Feuern und hörte ausgelassene Stimmen heraufhallen. Sie wischte die staubigen Füße an ihrem Rock ab und stieg auf die Bank. Vorsichtig tastete sie nach dem Fensterriegel in der tiefen, dunklen Mauernische und entriegelte behutsam das Fenster. Lautlos öffnete es sich. Sie hielt den Atem an und lauschte auf Geräusche vor der Tür, aber alles blieb ruhig. Dann lehnte sie sich weit vor und sah nach unten. Sie befand sich im obersten Stockwerk der Burg und das Zimmer, in das man sie hier gebracht hatte, lag fast im Eck just oberhalb des runden Turmes, in dem sich die Verliese befinden mußten, wie Wichard gesagt hatte. Sie betrachtete das Geschehen unten, konnte aber weder ihn noch den Ritter entdecken. Sicher saßen sie irgendwo in einem der Zelte und zechten. Der Geruch von Gebratenem stieg ihr in die Nase, und das Wasser lief ihr im Mund zusammen. Seit Stunden hatte sie nichts gegessen. Plötzlich hörte sie Stimmen vor der Tür. Entsetzt schlug sie das Fenster zu und glitt auf die Bank hinunter. Sie zog ein Kissen zu sich und starrte mit schreckgeweiteten Augen zur Tür. Jetzt galt es. Sie betete, es möge, was auch kommen sollte, rasch vorbei gehen. Doch -9 1 -
dann öffnete sich die Tür und statt des Ritters stürzte ein Junge herein. Der Wachmann hatte ihm von hinten einen bösen Stoß versetzt, und er fiel mit dem Packen, den er an die Brust gedrückt hielt, vor dem Sessel zu Boden. "Aber mach zu. Sonst mach ich dir Beine, du Ratte!", brüllte der Mann und schloß die Tür wieder. Gertraud erkannte den Jungen, der unterwegs den Ritter bediehnt hatte und lächelte ihn mitleidig an. Doch der rappelte sich sofort wieder hoch, lächelte klaglos und legte dann sein Paket auf dem Tisch ab. Er rieb sich die Schulter und begann die Schnüre zu lösen. Gertraud sagte: "Du bist der Sohn des Stallmeisters, nicht wahr?" "Ja. Ich heiße Till", sagte er und blickte besorgt auf das Päckchen, "aber wenn dieser hirnlose Klotz vor der Tür die Bücher hier beschädigt hat, reißt mir der Ritter morgen den Kopf ab. Dann war ich mal der Sohn des Stallmeisters" Gertraud lebte auf: "Was liest denn der Ritter so?" "Keine Ahnung. Ich kann nicht lesen. Nur herumschleppen und drauf aufpassen darf ich!", beschwerte er sich. Er hatte drei ledergebundene Folianten ausgewickelt und vorsichtig auf den Tisch gestapelt. Alle sahen unversehrt aus. Schnüre und Lederschutz steckte er zurück in die Tasche, die er über der Schulter trug. "So, das wär´s. Hoffentlich haben mir die anderen noch was übriggelassen vom Schwein. Sagt, hat man Euch schon was zu essen gebracht?", fragte er. "Nein, und ich sterbe vor Hunger! Ich wäre sehr dankbar, wenn ich auch nur ein paar Reste oder etwas Brot hätte", sagte Gertraud und sah ihn bittend an. "Euer Wunsch ist mir Befehl", scherzte Till und verbeugte sich grinsend, "Und für das Ochsengesicht draußen bring ich noch einen -9 2 -
Krug Branntwein mit. Das wird seine Laune bessern, glaubt mir", setzte er flüsternd hinzu, zwinkerte Gertraud zu und huschte aus der Tür. Wenig später war er wieder da. Zusammen mit einer Magd, die einen Becher und einen Teller Braten für die Wache mitbrachte. Till aber trug ein breites Tablett mit Brot, mehreren abgedeckten Gefäßen und einem großen Krug Bier, das er auf den Tisch stellte. "Bitte schön! Laßt es Euch schmecken", sagte er freundlich. Und fort war er wieder, und die Tür schloß sich hinter ihm. Gertraud hatte nicht einmal Zeit gehabt, ihm zu danken. Mit Heißhunger untersuchte Gertraud die Schüsseln und fand gebratenes Schwein und geschmortes Kraut, eine fette heiße Brühe mit Gemüse und Hühnerfleisch und eine Schale Apelkompott. Daneben lag ein großes Stück frisches, fast weißes Brot, das herrlich duftete und ein gutes Stück Butter. Sogar ein Kännchen frischen Rahm zum Kompott hatte er für sie besorgt! "Ein Festmahl... oder eine Henkersmahlzeit", dachte sie bei sich. Sie schüttelte die Gedanken ab, setzte sich auf den Stuhl, sprach ein kurzes Dankgebet und begann zu essen. Was auch geschehen würde, mit vollem Bauch war es sicher leichter zu bewältigen. Sie löffelte die ausgezeichnete Brühe und probierte Brot und Butter dazu. Noch nie hatte sie derart helles Brot gesehen. Es zerging auf der Zunge. Dann führte sie den Bierkrug zum Munde, doch schon der saure Geruch, der davon ausging, ließ sie das Gesicht verziehen. Auch der Geschmack ließ zu wünschen übrig, und sie beließ es bei diesem einen Schluck. Danach machte sie sich über den Braten und das Gemüse her. Alles war vorzüglich abgeschmeckt, und von bester Güte. Zum Schluß goß sie den Rahm über den Kompott, leckte noch einmal den Holzlöffel ab und setzte sich mit der Schüssel auf die Bank. Sie stopfte sich die Kissen in den Rücken und legte die Beine -9 3 -
hoch. Dann begann sie in aller Ruhe die Süßigkeit zu genießen. Wenig später hörte sie die Wache draußen schnarchen. Der Branntwein zeigte offensichtlich Wirkung. Gertraud stellte das Geschirr zurück auf das Tablett betrachtete nachdenklich das zierliche Messerchen, mit dem sie gegessen hatte. Damit konnte sie sicherlich nichts zu ihrer Verteidigung ausrichten, und vielleicht würde Till Ärger bekommen, wenn sich herausstellte, daß er es gewesen war, der es ihr gelassen hatte. Sie ließ es liegen und nahm eines der Bücher zur Hand. Es war in Latein verfasst und sie konnte mit ihren dürftigen Kenntnissen nur den Titel entziffern, bei dem es um Kriegsführung ging. Das zweite Buch schien die Fortsetzung des ersten zu sein. Einband und Schrift ähnelten sich und auch der Titel wiederholte sich. Das dritte Werk, bemerkte sie erfreut, war eine Gedichtsammlung. Gerne hätte sie darin geblättert, aber sie fürchtete, dabei ertappt zu werden und legte die Bücher sorgsam wieder zurück. Dann nahm sie eine der Kerzen vom Kaminsims. Sie entzündete sie am Leuchter und ging zur linken Tür hinüber. Sie faßte die Klinke und drückte sie herunter, aber die Tür war verschlossen und ließ sich nicht bewegen. Fast war sie sicher, daß auch die andere versperrt sein würde, doch diese öffnete sich mit einem leisen Knarren. Erschrocken hielt sie inne und lauschte. Doch das Schnarchen dauerte unvermindert an. Sie betrat das Zimmer und schluckte. Es war das Schlafzimmer. Auf einem kleinen, runden Tisch stand ein Kerzenleuchter. Sie entzündete alle fünf Kerzen daran und sah sich genauer um. Dieses Zimmer mußte das Eckzimmer sein. Auch hier gingen drei Fenster mit einer Bankreihe darunter zum Hof hinaus. Mitten im Zimmer stand ein gewaltiges, quadratisches Bett. Ein Fellüberwurf bedeckte Kissen und Decken und am Boden lagen zwei Teppiche. Sonst war der Raum, wie auch nebenan, schlicht gestaltet und bis auf das Tischchen neben dem Bett und zwei große Schränke mit schönen Schnitzereien -9 4 -
fast leer. An der Rückseite des Kamins im Nebenzimmer befand sich auch hier ein Kamin, und auch hier hing ein Kreuz an der Wand. Sie öffnete ein Fenster und sah hinaus. Unten war es ruhiger geworden. Die Männer hatten sich heiser gebrüllt und gesungen und der Alkohol hatte ein übriges getan. Ein Teil war bereits in den Kasernen verschwunden, und eine Gruppe zog gerade schwankend zum Tor hinaus, wohl um in den umliegenen Kneipen weiterzutrinken. In einem der Zelte brannten die Laternen aber noch, und sie sah eine Magd mit Krügen im Arm hineinlaufen. Gertraud fragte sich, wie spät es sein mochte. Sicher ging es auf Mitternacht zu. Sie schloß das Fenster und warf noch einen Blick in den Raum nebenan. Zu ihrem Erstaunen war es eine Badestube. Ein enormer, hölzerner Bottich stand darin, ein eiserner Ofen, Wasserkessel, Leinenschränke, ein stoffbezogener, schmaler Tisch und ein Schemel mit einer weißen Wasserschale, Bürsten und feingewebten Leinentüchern. Der Boden war mit geflochtenen Hanfmatten belegt, und die Wände glänzten wie poliert im flackerndem Licht ihrer Kerze. Sie berührte den glatten Stein. Ob das Marmor sein konnte? In einer Ecke war hinter einem Vorhang ein Nachtgeschirr zu finden. Auch dieser Raum hatte zwei kleine Fenster und eine zweite, aber verschlossene Tür und Gertraud vermutete aus ihrer Lage, daß sie auf den Flur führen mußte. Gertraud tauchte die Hände in das kühle Wasser der Schale, getraute sich aber nicht, sie mit den bereitliegenden Tüchern zu trocken, sondern nahm statt dessen ihren Rock zur Hilfe. Sie schloß die Tür hinter sich, ging zurück ins Schlafzimmer und setzte sich aufs Bett. Sie war nun über zwanzig Stunden auf den Beinen und trotz aller Aufregung todmüde. Sie beschloß, sich ein wenig auf dem großen Bett auszuruhen. Sie würde ja hören, wenn jemand den Schlüssel im Schloß drehte. Die Kerzen ließ sie brennen und schlug das wunderbar leichte, kuschlige Fell zurück. Auch die Kissen waren mit feinem, weißem Stoff bezogen und trugen wie die Tücher nebenan das eingesticke Wappen der Familie von Aven. Sie -9 5 -
bewunderte die feine Arbeit, zog dann aber das Fell wieder darüber. Mit einem Seufzer legte sie sich dann obenauf und streckte die müden Glieder aus. Währenddessen hatte Hardrich mit den Hauptleuten am Tisch gesessen, wie immer schweigsam und maßvoll beim Essen und Trinken. Aber heute abend war er ungewöhnlich geistesabwesend und blieb auch länger als gewöhnlich bei seinen Männern sitzen. Wichard sah ihn öfter gedankenverloren auf den Krug in seinen Händen schauen. Kurz nach Mitternacht verabschiedeten sich die Männer, und Wichard ging gähnend zu den Kasernen, nicht ohne noch einen verstohlenen Blick zu den schwach erleuchteten Fenstern in der Burg zu werfen. Unschlüssig saß Hardrich noch eine Weile alleine am Tisch, dann stand er auf und ging zur Stadt hinunter. Vor einer der Wirtschaften hielt er kurz inne. Von drinnen war Gelächter und Musik zu hören. Er stieß die Tür auf und ging hinein. Im nächsten Moment war es totenstill. Hardrich wußte nur zu gut, daß das passieren würde und doch versetzte es ihm jedesmal wieder einen Stich. Er warf einen raschen Blick durch den verräucherten Raum, zeigte schließlich auf eine der Dirnen und sagte: "Du! Komm her!" Die Angesprochene wurde blaß, klammerte sich an der Holztreppe fest, auf der sie saß und schüttelte dumpf den Kopf. Doch der Wirt, ein kleiner, fetter Mann mit schmierigen Haaren, zerrte sie herunter, ohrfeigte sie schallend und zog sie mit sich. Er verbeugte sich wieder und wieder und beeilte sich zu versichern: "Verzeiht diese Frechheit, Herr! Natürlich kommt sie mit Euch, Herr! Sie wird Euch jeden Wunsch von den Augen ablesen!" "Du bist zu nachsichtig mit den Weibern!", knurrte Hardrich -9 6 -
erbost, warf ihm dann aber ein Geldstück zu und ergriff den Arm der Frau. "Danke, Herr! Zu gütig, Herr! Ihr habt ganz recht! Sie müssen öfter die Knute zu spüren bekommmen. Nur diese Sprache verstehen sie! Macht, was immer Ihr wollt mit dem undankbaren Luder. Geschieht Ihr nur recht.", und zu der Frau gerichtet, fügte er noch drohend hinzu: "Und das mir keine Klagen kommen! Sonst schlag ich dir die Zähne aus, faules Stück!" Aber Hardrich hatte sich bereits umgedreht und verließ wortlos die Schenke, die Frau vor sich herschiebend. Er schritt durch die dunklen, menschenleeren Straßen,verließ den Weg zur Burg und kam schließlich auf offenes Feld. Schwaches Mondlicht erhellte die Landschaft nur spärlich. Und während sie gingen, kam dem Ritter immer wieder der schreckverzerrte Blick in den Sinn, mit dem sie ihn vorhin angesehen hatte und eine Welle von Zorn wallte in ihm auf. Wie konnte sie es wagen, ihn zurückzuweisen! Vor allen Leuten hatte sie ihn wie einen Aussätzigen, ja wie den Leibhaftigen selber behandelt. Dafür würde sie büßen! Er drückte ihren Arm noch fester, und die Frau wimmerte auf vor Angst und Schmerz. Sie strauchelte, stürzte und wurde wieder hochgerissen. "Du kleine Schlange," zischte der Ritter außer sich, "Laufen willst du auch nicht mehr? So bringen wir´s gleich hier zuende!" Er zog sein Schwert. Die Frau schrie auf und wollte sich zu Boden werfen, aber er hielt sie fest. Er fuhr mit dem blanken Eisen unter ihr loses Kleid, bis die Spitze ihre Kehle berührte und presste die kalte Klinge auf ihren Leib. "Keinen Ton mehr! Sonst schlitze ich dich auf wie ein Schwein. Die Schneide ist so scharf, sie geht dir glatt bis ins Mark", flüsterte er böse und schnitt ihr mit einem Ruck das Hemd von oben bis unten auf. Dann schleuderte er sie zu Boden, steckte das Schwert zurück in die Scheide und legte den Gürtel ab. Die Frau hatte nicht gewagt, -9 7 -
sich zu rühren. Er kniete sich mit gespreizten Beinen über sie und zerrte ungeduldig seine Beinkleider herunter. Sein Schwert hatte die weiße Haut ihres Busens geritzt und er sah ein dunkles Rinnsal ihren Bauch hinunterlaufen, was ihn nur noch wütender machte. Warum mußte sie sich auch so sträuben! Nach wenigen Stößen war alles vorüber. Er fühlte sich erleichtert und doch auch nicht. Die Frau blieb zusammengekrümmt am Boden liegen, während er seinen Gürtel umschnallte, sich erhob und ging. Außer den Wachen am Tor war der Burghof bei seinem Eintreffen menschenleer und nur aus der Küche waren noch Stimmen zu hören. Langsam stieg er die Stufen hinauf. Die Wache vor seinem Zimmer war von einer lästigen Fliege gerade noch rechtzeitig geweckt worden, um nicht schlafend von ihm vorgefunden zu werden. Wortlos verlangte der Ritter mit einer Handbewegung den Schlüssel zurück. "Soll ich hier warten, Herr? Und sie nachher wegbringen?", fragte der Wachmann mit gebeugtem Haupt. "Nein, verschwinde", erwiderte Hardrich unwirsch. Er wartete noch, bis der Mann ihm den Rücken zukehrte und schloß dann die Tür auf. Drinnen brannten noch zwei letzte Kerzen am Leuchter. Er trat ein und verschloß die Tür hinter sich. Im Raum war niemand. Auf dem Tisch stand das Tablett mit dem leeren Geschirr. Er bemerkte das Messer, das neben dem Teller lag und runzelte die Stirn. Die Tür zum Schlafgemach stand weit offen. Er ging hinein. Fast erwartete er, sie in eine Ecke gekauert zu finden. Starr vor Angst und mit weit aufgerissenen Augen. Doch als er eintrat, sah er sie fest schlafend auf seinem Bett liegen. Ihr Mund war leicht geöffnet und sie atmete ruhig und gleichmäßig. Sie lag auf dem Rücken, die Arme neben dem Kopf ausgestreckt. Selber zum Umfallen müde setzte er sich auf die Bank und zog -9 8 -
mühsam die Stiefel aus. Er löste den Schwertgurt, überlegte einen Moment und schob Schwert und Gurt unter das Bett. Dann entledigte er sich des Brustpanzers und saß, den Helm auf dem Kopf, eine Weile unschlüssig da. Alles war so still und friedlich und gerne hätte er den Helm abgesetzt. Er stand auf, hob den Fellüberwurf auf der freien Bettseite an und setzte sich vorsichtig auf die Kissen. Sie rührte sich nicht. Ganz behutsam deckte er sie dann mit dem losen Fell zu. Gertraud griff schlafend danach, rollte sich ganz darin ein und schlief weiter. Der Ritter lächelte, legte sich langsam neben sie, drehte sich zur Seite und betrachtete sie weiter. Er berührte eine ihrer Locken, die auf dem Kissen neben seinem Gesicht lag und war einen Augenblick später auch eingeschlafen. Als Gertraud am anderen Morgen erwachte, war es bereits hell. Blinzelnd sah sie auf hohe weißgetünchte Wände und einen großen Kamin. Es dauerte eine Weile, bis ihr die Geschehnisse des gestrigen Tages wieder einfielen und sie wußte wo sie war. Mit einem Ruck setzte sie sich auf. Sie bemerkte, daß sie in das weiche Fell eingekuschelt gewesen war und sah sich um. Das Bett neben ihr war leer, aber die Kissen waren zerwühlt. Hatte sie sich derart hin und hergewälzt? Dann fiel ihr Blick auf das Paar Stiefel und den Harnisch, der auf der Bank lag und sie erschrak. Er war hiergewesen! War es möglich, daß er ihr im Schlaf etwas angetan hatte? Hastig untersuchte sie ihr Kleid und befühlte ihren Leib. Aber es schmerzte nichts. Alles war wie gestern. Sie stand auf und warf vorsichtig einen Blick ins Nebenzimmer. Dort war alles unverändert. Dann kehrte sie grübelnd ins Schlafzimmer zurück und begann, die Betten aufzuschütteln und in Ordnung zu bringen. Plötzlich stieg ihr ein fremder Geruch in die Nase, und eine dunkle -9 9 -
Ahnung überkam sie. Sie drückte das Kissen vors Gesicht und schloß die Augen. Zuhause konnte sie allein am Geruch der Wäschestücke erkennen, wer diese getragen hatte. Und was sie hier roch, war durchdringend und wild, Schweiß und Rauch, fremd und streng und doch auf eine seltsame Art unwiderstehlich. Mit einem Mal wurde ihr klar, daß er hier, in diesem Bett, neben ihr gelegen hatte! Ihr wurde schwindlig. Sie stieß das Kissen von sich und taumelte auf die Bank hinter sich. Dabei stieß sie den schweren Harnisch um. Scheppernd landete er neben den Stiefeln am Boden. "Na?", tönte es im nächsten Moment aus der Badestube, "Endlich aufgestanden?" Sie zuckte zusammen. Erst jetzt fiel ihr auf, daß die Tür zum Zimmer auf der anderen Seite nur angelehnt war. Sie hörte leise Wasser plätschern. Er war hier! "Na, Gertraud Kerner, hat es dir die Sprache verschlagen? Komm nur herein!", hörte sie seine Stimme herausfordernd von nebenan. Sie ergriff den Knauf, klopfte sachte und schob die Tür schließlich langsam auf. Feuchtwarme Luft schlug ihr entgegen. Vorsichtig reckte sie den Hals und lugte um die Türkante. Er saß zurückgelehnt in dem hölzernen Bottich, bis zu den Schultern im dampfenden Wasser, den Helm auf dem Kopf. "Herr...", erschrocken zog sie sich zurück, "Ihr seid im Bade. Ich kann doch nicht..." "Doch, doch, du kannst! Setz dich dort auf den Tisch. Nun mach schon!", erwiderte er mit befehlsgewohnter Stimme. Die Augen niedergeschlagen, betrat sie den dunstigen Raum und ging zum Tisch hinüber. Sie setzte sich und sah ihn dann scheu an. Schweigen kehrte ein. Er musterte sie weiter, und ihr wurde unbehaglich zumute. Sie sah im Raum umher. Jetzt im Tageslicht sah -1 0 0 -
man die feine Oberfläche und grau geäderte Beschaffenheit der Wände noch besser. "Ist das Marmor, Herr?", entfuhr ihr die Frage. "Ob das Marmor ist?", fragte er verdutzt zurück, "Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind in diesem Lande werfen sich zu Boden, jammern und schreien oder laufen fort, wenn sie mich sehen und du sitzt hier vor mir, und fragst mich, ob das Marmor ist? Sag, Gertraud Kerner, bist du eigentlich noch ganz richtig im Kopf?" Gertraud konnte ein schelmisches Lächeln nicht unterdrücken und sah ihn an. "Genau das hat mich mein Bruder auch gefragt, nachdem Ihr fortgeritten ward, neulich. Aber nein, ich denke, mit meinem Kopf ist schon alles in Ordnung" "Dann bist du also ganz besonders tapfer, was? Vielleicht auch einfach schlecht erzogen,daß du nicht weißt, was sich gehört? Oder du hast am Ende immer noch nicht begriffen, wen du hier vor dir hast?", fragte er lauernd und tauchte bis zum Mund im Wasser unter. "Ich hoffe nicht, daß ich es irgendwann an Höflichkeit und Respekt Euch gegenüber habe mangeln lassen,... Herr von Aven. Doch sind mir die städtischen Gepflogenheiten fremd, daß ist wahr. Nie hätte ich mir träumen lassen, Euch beim Bade Gesellschaft leisten zu dürfen...", antwortete sie herausfordernd. Prustend tauchte Hardrich auf. Wasser schwappte über den Wannenrand. "Bah! Weib! Spotte nicht!", hustete er, "Es sind schon Köpfe gerollt aus weit geringerem Anlaß in diesem Haus!", fuhr er fort, immer noch hustend. Es lag aber kein wirklicher Unmut in seiner Stimme. Gertraud sah ihn verschmitzt an und baumelte mit den Beinen. Gerade wollte sie noch etwas erwidern, als es an der Tür zum -1 0 1 -
Gang klopfte. Eine Stimme mit ungewöhnlichem Klang sagte: "Herr, ich bin es. Hassan" Mit einer Handbewegung scheuchte Hardrich Gertraud zurück ins Nebenzimmer. Sie sprang auf, war mit ein paar Schritten aus der Tür und zog diese hinter sich zu. Sie hörte Hardrich rufen: "Komm rein" Jemand trat ein, und sie vernahm Gesprächsfetzen, gedämpft durch die schwere Tür, hinter der sie stand. Wasser tropfte. Sie überlegte noch einen Moment und sah dann mit klopfendem Herzen durchs Schlüsselloch. Hardrich legte sich gerade bäuchlings, mit einem Tuch um die Hüfte, auf den Tisch. Ein fremdartig aussehender Mann trat heran und goß sich aus einer grünlichen Flasche eine ölige Flüssigkeit in die hohle Hand. Während er dann begann, den Ritter zu massieren, betrachtete Gertraud ihn. Bis auf ein paar weite, weiße Beinkleider und geflochtene Sandalen war er unbekleidet. Die Farbe seiner Haut hatte nicht das Schwarz der Mohren, die Gertraud auf manchen Abbildungen in Büchern gesehen hatte, war aber dunkler als gewöhnlich. Sein Kopf war kahlrasiert und in einem Ohr trug er einen dicken goldenen Ring. Augen und Brauen waren so schwarz wie die Nacht. Schweißperlen begannen auf seiner braunen Haut zu glänzen, je länger er den Körper des Ritters bearbeitete. Fasziniert sah Gertraud, wie er mit geschmeidigen Bewegungen routiniert Muskeln und Gewebe walkte und knetete. Hin und wieder keuchte der Ritter auf unter den kräftigen Händen des Masseurs, der aber unbeirrt fortfuhr und sich nur manchmal mit einem um die Schultern gelegten Tuch den Schweiß von der Stirn wischte. Rhytmisch griffen und klatschten die dunklen Finger den Rücken entlang, dehnten und lockerten Arme und Beine. Besonders eingehend bearbeitete er Hardrichs Nacken und Schultern und rieb am Ende den ölglänzenden Körper mit einem frischen Tuch ab. Hardrich setzte sich auf und -1 0 2 -
streckte wohlig die Arme. Der Mann stand noch vor ihm und rieb auch seine öligen Hände mit dem Tuch ab. Er sagte leise etwas, was Gertraud nicht verstand. Dann hörte sie den Ritter antworten: "Schick in herein" Der Mann verbeugte sich wortlos und verschwand aus Gertrauds Gesichtskreis. Sie hörte die Tür gehen, konnte den Eintretenden aber nicht sehen. Dann sagte eine bekannte Stimme. "Guten Morgen, Herr" "Morgen, Wichard. Was gibt es denn schon wieder Wichtiges, daß ich nicht einmal in Ruhe baden kann?", fragte der Ritter gutgelaunt. "Verzeiht die Störung. Es ist auch nicht so wichtig, aber ich dachte nur, ich wollte,... das heißt, wenn Ihr mich entbehren könnnt, nach Hause zur Familie und dachte.... Nun ich dachte, auf dem Wege könnte ich vielleicht die junge Frau, mit zurücknehmen. Ihr wißt, die die ich gestern mit... ", hörte sie ihn verlegen stammeln. Sie sah, wie alle gute Laune von Hardrich abfiel. Er erstarrte, und seine Stimme war eiskalt, als er ihm ins Wort fiel: "Sie bleibt. Und zwar so lange, bis ich sage, daß sie gehn kann und nicht früher. Du magst nach Hause zurückkehren. Bis eine Woche vor dem Herbstturnier. Sonst noch was?" "Nein Herr, das wäre alles. Dann werde ich mal reiten. Ich.... Bis in vier Wochen also. Auf Wiedersehen", verabschiedete er sich betreten. Gertraud riß sich von der Tür los, lief eilig ins Nebenzimmer, zog die Tür zu und setzte sich auf die Bank unter den Fenstern. Im nächsten Moment hörte sie nebenan die Tür auffliegen und krachend an die Wand schlagen. Sie hörte ihn gedämpft etwas fluchen und dann laut sagen: "Ich werde mich ankleiden. Du wartest da!"
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Wenig später trat er ein. Er trug schwarze Beinkleider, schlichte braune Schuhe und ein hellbraunes Wams mit einer schwarzen Lederweste darüber. Eine schwere silberne Kette lag ihm um die Schultern, und er hatte das Schwert umgegürtet. Er ging zur Tür, schloß auf und brüllte den Gang entlang: "Wo bleibt das Frühstück?" Zwei Minuten später hasteten ein Diener und eine Magd herein. Sie räumten den Tisch leer und stellten ein abgedecktes Tablett ab. Das Mädchen sah Gertraud mitleidig an, als es die Tür hinter sich zuzog. "Nun setz dich und iß", forderte er sie auf. Sie setzte sich und sah ihn fragend an. "Kümmere dich nicht um mich. Ich esse später unten. Das ist alles für dich. Nun iß", sagte er und ließ sich im Sessel ihr gegenüber nieder. Gertraud faltete die Hände, dankte und hob dann das Tuch vom Tablett. "Oh, wie wunderschön", entfuhr es ihr. Schüsseln und Teller waren nicht aus demselben schlichten Steinzeug wie gestern abend, sondern schneeweiß mit blauer Malerei und dem Wappen am Rande. Sie fuhr mit dem Finger den glatten, schmalen Rand eines Milchkruges entlang, lächelte und begann mit Appetit zu essen. Stumm beobachtete Hardrich sie. Zwischen zwei Bissen fragte sie: "Ist es nun Marmor? An den Wänden, meine ich?". Seufzend schüttelte Hardrich den Kopf: "Du bist unglaublich, Weib!... Ja, es ist Marmor. Und zwar aus der Nähe von Verona, wenn du es ganz genau wissen willst. Mein Onkel hat ihn noch kommen lassen. Er wollte damit den großen Saal auskleiden lassen, aber soweit ist es dann, Gott sei Dank, nicht gekommen. Unten soll -1 0 4 -
alles so bleiben, wie es auch unter meinem Vater war. Ach, übrigens. Wer hat dir gestern abend zu essen geschickt? War es der Mann, der dich hergebracht hat?" "Nein, es war der Junge. Till. Er brachte die Bücher herein und fragte mich, ob ich hungrig sei. Und das war ich. Und dann hat er selber mir etwas heraufgebracht und war danach so schnell verschwunden, daß ich mich nicht einmal bedanken konnte", antwortete sie. "Schmeckt dir eigentlich unser Bier nicht? Der Krug von gestern abend war auch kaum angerührt", fragte er, als er sah, wie sie verstohlen am Bierkrug roch und diesen zurück auf den Tisch stellte. "Nehmt es mir nicht übel, Herr. Aber... es ist so sauer! Ihr solltet mal das Helle kosten, das mein Vater braut. Mmmh, das ist süffig!", sagte sie mit leuchtenden Augen. "Ach ja?", brummte der Ritter mürrisch und lehnte sich zurück. "Wir hatten gerade gestern früh sechs Faß vor der Stadtgrenze abgeliefert, als wir auf dem Rückweg auf Euch trafen. Vielleicht erinnert Ihr Euch an die Schenke. Wir sind auf dem Weg hierher dann wieder daran vorbeigekommen, gestern nacht. Die mit dem gelben Lamm im Schild. Stimmt es eigentlich, daß sich das Kloster einen lebendigen Bären hält? Es heißt ja, daß sie ihr Bier mit echtem Bärengeifer gären lassen?", fragte sie und trank einen Schluck Milch. "Ja, so ist es wohl. Doch sieht das Tier schon ziemlich räudig aus. Wer kann schon wissen, ob nicht statt seiner einer der Brüder in den Sud spuckt", antwortete er gelassen. Gertraud verzog angewidert das Gesicht, mußte dann aber doch lachen. Nach einem kurzen Schweigen fragte der Ritter: "Sag, warum bist du eigentlich noch nicht unter der Haube? Dich will wohl keiner? Zu frech, was?" -1 0 5 -
Gertraud sah ihn verschmitzt an und antwortete: "Nein, nein. Tatsächlich habe ich schon mehrere Bewerber abgewiesen. Ich habe nämlich vom Vater das Versprechen, mir meinen Zukünftigen selber zu wählen. Und bislang steht er noch zu seinem Wort, auch wenn es ihm wohl manchmal schwerfällt, dem Armen. Er fürchtet wohl, daß er mich ewig am Halse haben wird" Der Ritter sah sie weiter ungerührt an und sie erzählte, wie es damals zu diesem Versprechen gekommen war. Der Ritter erhob sich. Gertraud steckte sich noch rasch ein Stück des weißen Brotes in den Mund und sprang auf. "Laß dir Zeit", sagte er und ging zur Tür. "Herr!", rief sie ihm nach. Seine Stimme klang verärgert, als er sich umdrehte und schroff fragte: "Was?" "Wann.... Ich meine,... soll ich hier warten, Herr?", fragte sie schüchtern. Er sah sie ungerührt an und sagte dann tonlos: "Genau das sollst du" Dann verließ er das Zimmer und sie hörte, wie sich seine schweren Schritte auf dem Gang entfernten. Seufzend fiel sie zurück auf den Stuhl und zog die kalten Füsse an. Grübelnd und verzagt saß sie eine Weile so da. Dann stand sie auf und ging ins Bad. Hier war es immer noch feuchtwarm und ein herber, frischer Duft hing im Raum. Sie durchsuchte die Schränke und fand schließlich die Flasche, die der Mann, Hassan hatte er sich genannt, in der Hand gehabt hatte. Weitere Glasflaschen in anderen Farben standen noch daneben, alle mit unbekannten Zeichen beschriftet. Sie nahm die grüne Flasche von ihrem Platz und roch vorsichtig am Korken. Der gleiche Geruch, der die Luft erfüllte, stieg ihr scharf in die Nase. Nacheinander roch sie -1 0 6 -
an den anderen Gefäßen. Sie schloß die Augen und konzentrierte sich, doch konnte sie nichts, was sie roch, benennen. Fremd und eigenartig einige, andere blumig und wieder andere erinnerten entfernt an Fruchtsüße. Einer der Düfte gefiel ihr besonders. Er war schwer und doch nicht süß. Warmes, frisch gedarrtes Malz kam ihr in den Sinn. Sie stellte alles behutsam zurück auf seinen Platz, schloß den Schrank und wusch dann Gesicht und Hände im großen Holzbottich. Sie überlegte kurz und hielt dann auch ihre eiskalten Füße ins lauwarme Wasser. Gerade trocknete sie sich mit einem der benutzten Leinentücher ab, als die Tür zum Flur geöffnet wurde. Ein Mädchen mit einem Eimer und Lappen im Arm kam herein und erschrak genau wie ihr Gegenüber, als sie einander sahen. Schließlich lächelte Gertraud und sagte: "Nur keine Angst. Ich beiße nicht. Mein Name ist Gertraud. Und wer bist du?" Schüchtern und unschlüssig stand die Magd in der Tür und sagte: "Ich heiße Marianne. Ich soll sauber machen. Ich kann aber auch später noch mal wiederkommen" "Nein, nein, komm nur herein. Ich bin froh, wenn ich nicht so alleine bin. Außerdem kann ich dir ja helfen. Sag mal, war die Tür gar nicht verschlossen?", fiel Gertraud ihr ins Wort. "Nein, sie war offen. Ich habe auch gar keine Schlüssel, aber der Herr von Aven hat am Ende des Ganges zwei Wachen postiert. Weit kämt Ihr also nicht", antwortete das Mädchen mitfühlend. "Nein, nein, keine Sorge. Ich werde dir schon nicht weglaufen. Also sag mir, Marianne, was ist zu tun?", fragte Gertraud. Gemeinsam schöpften sie das Wasser aus dem Bottich und gossen es in einen Ausguß in der Ecke, in der auch das Nachtgeschirr stand. Die Abflußöffnung verschlossen sie danach mit einem Stopfen, damit keine unangenehmen Gerüche aufsteigen konnten. Dann schrubbten sie den Bottich sauber, rieben ihn trocken, schlugen die Matten aus -1 0 7 -
und legten sie hinein. Sie wischten den Boden und polierten die Wände. Während der gemeinsamen Arbeit plauderten sie miteinander, und Gertraud erfuhr, daß Marianne siebzehn Jahre alt war und daß ihre ganze Familie in der Burg arbeitete. Ihre Mutter und Schwestern in der Küche, Vater und Brüder in den Gärten und Stallungen. Sie selber hatte einen Schatz bei der Wache und zeigte, nachdem sie ihre anfängliche Scheu überwunden hatte, ein fröhliches, redseliges Wesen. Der Vormittag verflog. Sie öffneten die Fenster, machten die Betten und fegten die Zimmer aus. Als sie fertig waren, raffte Marianne noch die schmutzigen Tücher zusammen und legte frische zurecht. "Ich bin gleich wieder da und bringe noch zwei Eimer frisches Wasser. Der Herr Ritter hält sehr viel auf Reinlichkeit. Soviel Wasser, wie er an einem Tag verbraucht, braucht meine Familie nicht in einer Woche!", sagte Marianne lachend. Sie ging und Gertraud blieb in der offenen Tür stehen und sah den Gang entlang. Wie Marianne gesagt hatte, standen dort zwei Männer von der Wache. Sie erkannte erschrocken den Wachmann wieder, der sie gestern abend so grob behandelt hatte und wich ins Zimmer zurück. Nach einer Weile schleppte Marianne zwei volle Eimer herein. "So, das wär´s. Ich muß gleich wieder runter. Danke für die Hilfe. Vielleicht sehen wir uns später noch. Laß die Türen und Fenster ruhig noch ein wenig offen. So zieht vielleicht doch etwas Wärme von draußen in diese kalten Mauern. Draußen kann es noch so heiß sein, hier drinnen ist es immer grabeskalt", sagte sie. Dann nahm sie das Frühstückstablett auf, lächelte Gertraud noch einmal an und ging. Gertaud erwiderte ihr Lächeln tapfer, kämpfte aber mit den Tränen. Denn als Marianne gegangen war, kam ihr das Alleinsein -1 0 8 -
doppelt so schrecklich vor. Zuhause konnte sie selten einmal für sich sein, auch wenn ihr danach war. Es wurde von früh bis spät zusammen gearbeitet. Beim Essen, ja selbst zur Nacht, immer waren Menschen um sie und wenn es nur Rike war, die ihr am Rockzipfel hing. Sie stieg auf die Bank, legte zwei Kissen in die Mauernische und lehnte sich darauf und sah hinunter. Warmer Wind strich ihr ums Gesicht. Unten wurden gerade die Zelte abgebaut, und sie sah Till mit zwei Pferden am Zügel den Hof überqueren. Sie hörte einen Schmied bei der Arbeit. Rhythmisch schlug Metall auf Metall, und sie mußte an Klemens denken. Jetzt würde er sie wohl nicht mehr wollen. "Keiner wird mich mehr wollen", dachte sie bitter, "Wer weiß, wie lange es dem Ritter noch gefällt, mich hierzubehalten? Wer weiß, ob es ihm nicht in ein paar Minuten in den Sinn kommt, über mich herzufallen und mich vor die Tür zu setzen? Aber wieso hat er das nicht schon längst getan? Was hat er nur vor mit mir?" Und so hing sie ihren Gedanken nach und sah dabei dem Treiben im Hof zu. Auf einmal fühlte sie sich an den Knöcheln gepackt und von den Füßen gerissen. Hart stießen ihre Knie auf der Bank auf. Vor Schmerz und Schreck sprachlos taumelte sie herum und blickte in die gierigen Augen der Wache, die breitbeinig vor ihr stand. Sie roch seinen fauligen Atem. Er wog einen langen Dolch in der Hand und sagte krächzend: "Na, du Hexe? Was hast du mit dem Ritter getrieben, daß er dich gar nicht wieder fortläßt? Hä? Willst mich um meinen Anteil bringen, was?" Gertraud sah, wie er sich an ihrem Entsetzen weidete und nahm allen Mut zusammen. Ihre Stimme war ihr fremd, als sie kalt sagte: -1 0 9 -
"Du belästigst einen Gast des Ritters. Das kommt dich teuer zu stehen" Der Mann stutzte verunsichert und kniff die Augen zusammen. Ein Anflug von Furcht huschte über seine Züge. "Du verdammtes Drecksstück! Du wagst es, mir zu drohen? Komm her! Ich werd dir gleich Manieren beibringen, lausige Hure!", preßte er zwischen schwarzen Zahnstummeln hervor. Sein Schlag traf sie schallend ins Gesicht. Benommen flog Gertraud zur Seite und fiel vor der Bank zu Boden. Sie schmeckte Blut und hob schützend die Arme vor den Kopf. Sofort war er über ihr. Schwer setzte er sich rittlings auf sie und drückte die Messerspitze an ihren Hals. Er rieb sich stöhnend auf ihr und sagte drohend: "Du wirst dich jetzt schön umdrehen und brav stillhalten. Und wehe, du sagst einen Ton. Sonst schneid ich dir die Kehle durch. Dem Ritter erklär´n wir das schon, keine Sorge. 'Ein bedauerlicher Unfall, Herr. Sie wollte fliehen'. Also los. Umdreh´n!" Schmerz, verzweifelte Wut und das furchtbare Gefühl des Ausgeliefertseins trieben Gertraud die Tränen in die Augen. Sie schluchzte und schüttelte den Kopf. Plötzlich wurde der Mann über ihr aschfahl und sein Gesicht verzog sich zu einer angstverzerrten Grimasse. Durch den Schleier ihrer Tränen sah Gertraud eine Gestalt hinter ihrem Peiniger auftauchen. Und es dämmerte ihr langsam, daß das Geräusch, welches sie gehört hatte, das Ziehen eines Schwertes gewesen war. Hardrich packte den Mann bei den Haaren, bog seinen Kopf zurück und hielt ihm die Klinge an die Kehle. "Laß das Messer fallen oder ich ziehe dir die Haut in Streifen vom -1 1 0 -
Leibe", zischte er und seine Stimme bebte vor Zorn. Der Dolch fiel neben Gertrauds Ohr zu Boden. "Los! Hoch mit dir!", befahl er weiter und riß ihn an seinen Haaren in die Höhe. Der Mann kam stolpernd auf die Beine. Hardrich ließ seinen Kopf los, drückte ihm die Schwertspitze in den Rücken und trieb in vor sich her, bis er vor der Truhe stand. "Sieh mich an", herrschte ihn der Ritter an. Angstschlotternd drehte sich die Wache um und hob die Hände. Hardrich setzte ihm die Schwertspitze auf die Brust. "Herr, ich flehe Euch an! Es ist nicht wie Ihr denkt, Herr! Sie hat mich verhext. Die Tür stand offen... und ich... ich wollte nur eben nach dem Rechten schaun, da... da... und plötzlich weiß ich gar nicht mehr, was ich tue. Herr!... Habt Erbarmen, Herr. Ich... es ist nicht meine Schuld. Sie ist eine Hexe!", stammelte er. "Verschon uns wenigstens mit Deinen Lügen, elender Hund", knurrte ihn der Ritter angewidert an und stieß ihm das Schwert bis zum Heft durchs Herz. Mit einem erstickten Laut sackte der Gerichtete in sich zusammen. Hardrich zog seine Klinge heraus, wischte sie am fleckigen Wams des Toten ab und steckte das Schwert zurück in die Scheide. Dann ging er zur Tür. Erst jetzt bemerkte Gertraud, die immer noch verstört am Boden lag, daß mehrere Männer im Gang standen und mit offenem Munde das Geschehen verfolgt hatten. "Ihr wartet hier!", bellte der Ritter sie an und schlug die Tür krachend zu. Dann drehte er sich zu Gertraud um, ging zu ihr und kniete sich neben sie. Immer noch fassungslos starrte sie auf den leblosen Körper. "Ist... ist er tot?", hauchte sie betroffen und sah ihm endlich in die Augen. "Ja", antwortete er schlicht, holte tief Luft und seine Stimme -1 1 1 -
versagte fast, als er heiser sagte: "Niemand wird dir jemals wieder etwas zuleide tun in diesen Mauern. Das verspreche ich dir!" Dann hob er sie auf. Gertraud schlang die Arme um seinen Nacken und fühlte sein Herz heftig schlagen. Er trug sie nach nebenan, legte sie behutsam auf das Bett und stand dann verlegen vor ihr. "Ich werde Albertinus holen lassen. Er soll sich das ansehen", sagte er und wollte gehen. Doch sie faßte seinen Arm und bat: "Laßt mich mit dem Toten nicht allein, ich bitte Euch! Wenn Ihr nicht hier sein könnt, so kann vielleicht Marianne solange bei mir bleiben?" "Wer?", fragte Hardrich und runzelte die Stirn. "Das Mädchen, das saubergemacht hat. Marianne heißt sie wohl", sagte sie. "Gut", antwortete er nickend und verließ das Zimmer. Gertraud hörte, wie er draußen laut Anweisungen gab. Drei Minuten später stand Marianne in der Tür, noch ganz außer Atem. Sie hatte den Toten gesehen und blickte auf Gertrauds aufgesprungene Lippe. "Kaum bin ich weg, gibt´s hier Tote und Verletzte!", rief sie, setzte sich zu Gertraud auf die Bettkante und tätschelte ihre Hand. "Ich habe mich vielleicht erschrocken, als der Herr von Aven in die Küche gestürmt kam und nach mir rief! Ich dachte, oh Gott, jetzt ist es aus mit mir. Und dann hat er mich zu dir geschickt. Um Gottes Willen, was ist denn passiert?" Allein ihre Anwesenheit beruhigte Gertraud bereits ein wenig und sie erzählte. Mit großen Augen hörte Marianne, was geschehen war. Dann lief sie, feuchtete ein sauberes Tuch an und wischte Gertraud behutsam das Blut aus dem Gesicht. Nebenan wurde der Leichnam hinausgetragen. -1 1 2 -
Die Frauen bekreuzigten sich, aber Marianne flüsterte: "Um den ist es nicht schade! Ein widerlicher Kerl! Wenn er irgendwo zu sehen war, bin ich möglichst immer Umwege gegangen. Einmal hatte er mich zu packen gekriegt und mir die Brust fast zerquetscht. Alles was einen Rock trägt, hat er angetatscht. Mach dir bloß keine Gedanken um den! Sogar seine Frau wird froh sein, daß er tot ist, glaub mir. Er hat sie oft noch weit schlimmer zugerichtet als dich. Grün und blau geschlagen hat er sie. Du kannst froh sein, daß der Herr rechtzeitig zur Stelle war! Wenn ich das unten erzähle! Das glaubt mir kein Mensch! Denn was man so hört, ist der Ritter selber auch nicht gerade zimperlich, wenn es um Frauen geht" Sie blickte Gertraud grübelnd an und fuhr fort: "Gestern abend hat er einer Hure in der Stadt eine Brust abgeschnitten, heißt es. Sie hatte sich geweigert mit ihm zu gehen" Gertraud sah sie erschrocken an und erwiderte: "Gestern abend? Was... erzählt man sich denn noch so?" Marianne sah sich vorsichtig um, schloß die Türen, setzte sich bequehm auf dem Bett zurecht, grinste sie breit an und wisperte: "Was genau willst du wissen?" Eine Stunde später klopfte es an der Tür. Marianne sprang auf und öffnete. Vor ihr stand ein großer, hagerer Mann in Mönchskutte, der von einer Wache heraufgeführt worden war. Sie erkannte Albertinus, verbeugte sich und trat zur Seite, um ihn eintreten zu lassen. Albertinus lebte seit seinem zehnten Lebensjahr im Kloster. Er war der Sohn eines angesehenen Gutsherrn, der von vornherein Streit unter den drei Brüdern vermeiden wollte, und so für seinen Jüngsten eine kirchliche Laufbahn bestimmte. Zwar stellte sich bald heraus, daß Albertinus sich nicht für die Kirchenpolitik interessierte und -1 1 3 -
daher nicht eines Tages Bischof oder gar Kardinal werden würde, aber er hatte von den Eltern einen wachen Geist und einen starken Willen geerbt. Und so stürzte er sich nach den ersten schlimmen Monaten voller Heimweh und Schmerz über die jähe Trennung von der Familie in die Wissenschaften. Erst verschlang er wahllos alles, was er in der Klosterbibliothek finden konnte. Aber nach und nach bemerkte er, daß ihn besonders solche Bücher fesselten, die über die Kunst des Heilens berichteten. Der Prior des Klosters, ein ruhiger, strenger Mann unterstützte den aufgeweckten Knaben und schickte ihn am Ende seiner Novizenzeit in die Lehre zu Bruder Winifried. Dieser unterwies ihn in allem, was er selber über die Krankenpflege wußte. Albertinus jätete den Kräutergarten, lernte, welches Kraut wann und wie getrocknet werden mußte, assistierte bei der Herstellung von Aufgüssen und Salben, wechselte Verbände und begleitete seinen Lehrer auf dessen Krankenbesuchen. Gerade diese Krankenbesuche waren es, an die sich Albertinus immer gerne zurückerinnerte. Bruder Winifried war ein fröhlicher, lebenslustiger Mensch, der es mit der Kasteiung des Körpers nicht allzu genau nahm. Er war dick und rund, hatte flinke, hellblaue Augen und ein helles Lachen, das jedermann in seinen Bann zog. Auf den langen Fußmärschen zu den oft entlegenen Höfen, weit von der stillen Strenge der Klostermauern entfernt, plauderten sie über Gott und die Welt. Mit wohligem Gruseln lauschte der junge Mönch Berichten über die Schliche und Versuchungen des Teufels und anschaulichen Schilderungen der Hölle, und er erhielt freimütig Antwort auf alle Fragen, die seine erwachende Männlichkeit und sonstige Geheimnisse des Universums betrafen. Anfangs wußte der Junge gar nicht, wohin er vor Scham seinen Blick richten sollte, wenn die Kranken sich zur Untersuchung entblößten. Doch nach ein paar Monaten blickte er weiße Frauenleiber genauso unbefangen an wie ein gebrochenes Bein oder einen kranken Zahn. Nach den -1 1 4 -
Behandlungen tischten selbst die ärmsten Bauern und Tagelöhner den beiden Mönchen das Beste auf, was der Hof zu bieten hatte. Zwar hatten sie Enthaltsamkeit in allen fleischlichen Lüsten gelobt, aber, so sagte Winifried immer: "Diese Speisen und Getränke sind eine fromme Spende an die Mutter Kirche! Wer bin ich, daß ich das Dankopfer dieser guten Leute zurückweisen könnte!" Und so aßen und tranken beide stets reichlich, denn die Klosterkost war weder üppig noch wohlschmeckend. Der Prior würde sie beide zwar bei der nächsten Lesung über die Todsünde der Völlerei mit einem bösen Blick bedenken, welcher Albertinus jedesmal an Winifrieds Überzeugung zweifeln ließ, aber sobald dann die dampfenden Schüsseln vor ihnen standen und der Magen knurrte, klangen die Ausführungen des väterlichen Freundes wieder allzu einleuchtend. Und wenn beide nach einem solchen Tag rülpsend und leicht schwankend den Heimweg antraten, war Albertinus mit seinem Schicksal mehr als zufrieden. Nach fünf Jahren war es Albertinus, der die Hauptarbeit am Krankenbett verrichtete, während sich Winifried bei einem Krug Bier vom anstrengenden Fußmarsch erholte. Nicht allen ihren Patienten konnten sie helfen, nicht einmal allen die Schmerzen nehmen. Oft genug kamen die Brüder gerade noch rechtzeitig, um einem Sterbenden die Beichte abzunehmen und die Familie zu trösten. Auch der Tod, so merkte Albertinus bald, würde immer zu seinem Handwerk gehören. Besonders schmerzte ihn seine Hilflosigkeit, als Winifried eines Tages nicht zur Frühmesse in der Kirche erschien und er ihn tot in seiner Zelle fand. Sein Herz hatte unvermittelt aufgehört zu schlagen. Albertinus wußte, daß ein solch friedlicher Tod ohne Schmerzen immer Winifrieds Wunsch gewesen war und er gönnte seinem Freund diese Gnade Gottes. Auch die anschließende Beerdigung unter großer Anteilnahme der Bevölkerung war ein Zeichen der Beliebtheit seines Lehrers. Albertinus aber war -1 1 5 -
untröstlich. Schließlich erbot sich der Prior, an einen befreundeten Abt in Oberitalien zu schreiben und ihn zu bitten, dem jungen Mann in seinem Kloster weitere Studien zu ermöglichen. Dies weckte Albertinus aus seiner Lethargie. Ja, er würde weiter lernen! Mehr Wissen war der Schlüssel! Sein Vater, vielleicht aus einem Schuldgefühl heraus, vielleicht seiner Frau wegen, die ihren Jüngsten damals nur ungern hatte gehen lassen, steckte so manche Goldmünze zusätzlich in den Opferstock. Und so gefördert, konnte Albertinus drei Jahre durch Norditalien reisen, um dort Manuskripte von berühmten Ärzten zu kopieren und neue Kräuter und Arzneien kennenzulernen. Als er nach dieser Zeit wieder in seine Heimat zurückkehrte, erschien es ihm anfangs, als müsse die Enge der Stadt und die in den Köpfen der Menschen ihn erdrücken. Er war im Gespräch mit den Gelehrten vieler Richtungen auf Gedankengut gestoßen, das ihn fasziniert und zum Teil auch erschreckt hatte. Diese Erfahrungen lagen jetzt fast fünfzehn Jahre zurück, und immer noch betrachtete man seine weltoffene, tolerante Art mit Argwohn. Auch wenn er sich hütete, seine Anschauungen allzu offen zur Schau zu stellen, schützte ihn doch nur sein Ruf als von Gott begnadeter Heiler vor offener Feindseligkeit. "Warte draußen, mein Kind!", sagte er zu Marianne und drehte sich dann zu Gertraud um, die sich im Bett aufgerichtet hatte. Er besaß ein scharfgeschnittenes, mageres Gesicht mit einer langen, gebogenen Nase und seine Tonsur war so kurz geschnitten, daß er fast kahl aussah. Hände mit langen, schmalen Fingern lagen ruhig auf dem Stab, den er bei sich hatte. Eine schwarze, lederne Tasche hing um seine Schultern. "Ich bin Bruder Albertinus. Der Ritter bat mich, nach dir zu sehen", sagte er schließlich. "Oh, Pater. Es ist sehr freundlich, daß man sich Sorgen macht um -1 1 6 -
mich, aber es ist nichts", versicherte sie und wollte schon aufstehen. Er aber hob die Hand und sagte: "Bleib liegen, Mädchen. Und laß mich deine Lippe ansehen" Er trat zu ihr, faßte leicht ihr Kinn, besah sich die Wunde und bemerkte: "Gesäubert habt ihr es bereits, und die Blutung ist zum Stillstand gekommen. Na, da habe ich wirklich schon Schlimmeres gesehen. Ich gebe dir eine Salbe, die die Haut schneller verheilen läßt und mit ein bißchen Glück wird nicht einmal eine Narbe bleiben. Und jetzt sag mir, wo tut es dir noch weh, Kind. Und keine falsche Scham gegenüber einem alten Mann wie mir. Ich kann dir nur helfen, wenn du mir frei heraus sagst, was der Ritter dir getan hat und..." "Aber er war es doch gar nicht!", entfuhr es Gertraud heftig. Erschrocken hielt sie sich die Hand vor den Mund. Sie schlug die Augen nieder und entschuldigte sich: "Oh, verzeiht mit. Wie ungehörig von mir, Euch zu unterbrechen!" Albertinus hob die Brauen und runzelte dann die Stirn. "Er hat dir nichts getan? Aber er sagte mir, er hätte dich hierherbringen lassen.... Ja, was ist denn dann passiert? Wer bist du überhaupt, Kind?", fragte er verwirrt, musterte sie neugierig und nahm am Fußende des Bettes Platz. Gertraud lächelte ihn verlegen an. Dann erzählte sie, woher sie kam und was sich in den letzten beiden Tagen zugetragen hatte. Sie schloß mit den Worten: "Und dann hat er mich hierhergetragen und ich schwöre bei Gott, das war das einzige Mal, daß er mich angerührt hat, seit ich hier bin. Ihm ist es zu danken, daß ich bis auf den Schrecken und meine aufgeschlagenen Knie wohlauf bin, Pater" Der Mönch hatte ihr aufmerksam zugehört und sein strenger Blick wurde weicher. Leise murmelte er wie zu sich selber: "Kann es wahr sein? Vis amoris ursum superat tandem" Zu Gertraud gewandt, die ihn bei diesen Worten überrascht -1 1 7 -
angesehen hatte, fuhr er dann freundlich fort: "Dann wollen wir also einen Blick auf deine Knie werfen" Gehorsam schlug Gertaud die Decken zurück und entblößte mit hochroten Wangen ihre Beine. Mit geübten Fingern tastete Albertinus ihre Gelenke ab. Die Prellung färbte sich bereits leicht dunkel. Er kramte in seiner Tasche und entnahm ihr schließlich ein Päckchen getrockneter Kräuter. Dann stand er auf, öffnete die Tür und rief nach Marianne. "Hol eine Schale und einen Becher Branntwein, Mädchen", wies er sie an. Als sie das Gewünschte gebracht hatte, zerrieb er die getrockneten Blätter in der Schale und übergoß das Pulver mit dem Branntwein. Während er die Mischung eine ganze Weile mit einem kleinen Holzstäbchen rührte, erklärte er: "Dieser Sud aus Weinraute und Arnika wird die Schwellung abklingen lassen und die Schmerzen lindern" Er tränkte einige Leinenstreifen und band die kühlen, feuchten Bandagen um die schmerzenden Stellen. Dann gab er Gertraud einen kleinen Holztiegel mit den Worten: "Und dies ist eine Salbe aus Schmalz und Ringelblumen für deine Lippe" Zu Marianne, die neugierig dabei gestanden hatte, sagte er dann: "Und du wirst dieser Frau jetzt etwas zu essen und einen großen Becher warmen, süßen Gewürzwein bringen. Das wird den Schrecken und böse Träume vertreiben. Und dann soll sie ruhen. Und du suchst den Ritter und sagst ihm, daß ich ihn zu sprechen wünsche" Marianne nickte, verließ das Zimmer und auch der Heiler verabschiedete sich. Albertinus fing wenig später Marianne auf dem Flur ab und -1 1 8 -
träufelte noch einige Tropfen aus einer kleinen Flasche in den dampfenden Wein. Und nachdem die junge Magd Gertraud das Tablett hineingebracht hatte, führte sie den Heiler in einen der Räume gegenüber den Gemächern des Ritters. Dort erwartete Hardrich ihn ungeduldig, während er mißmutig Arbeiten in den Zimmern überwachte. "Eine ungewöhnliche junge Frau, die ihr da aufgetan habt, mein Sohn", sagte er. "Wie geht es ihr?", überging Hardrich seine Bemerkung. "Eine geschwollene Lippe und eine ordentliche Prellung am Knie, sonst ist ihr nichts geschehen. Nichts Besorgniserregendes" antwortete der Geistliche. "Gut", sagte Hardrich und nickte, "Ich danke Euch, für euer Kommen. Ich werde mich dem Kloster erkenntlich zeigen. Ist sonst noch etwas?" "Ich habe ihr Ruhe für heute verordnet und ihr etwas zum Schlafen gegeben. Sie hat übrigens nur Gutes von Euch gesprochen", entgegnete der Mönch und beobachtete sein Gegenüber eingehend. Er bemerkte, wie Hardrich aufhorchte, dann aber abwinkte und brummte: "Sie hat auch wahrlich keinen Anlaß, sich zu beklagen. Bis auf diesen Zwischenfall! Dieser verfluchte Bastard! Wie konnte er es wagen, meinen Gast anzugehn?" Immer noch ärgerlich trat er gegen einen Eimer, der quer durch den Raum polterte und fluchte. Albertinus unterdrückte ein Lächeln und verabschiedete sich. Währenddessen saß Gertraud im Bett, ein Hühnerbein in der Hand und grübelte kauend über den Sinn der lateinischen Worte, die Albertinus vor sich hingesprochen hatte. Vis amoris. Die Kraft der Liebe. Ursum tandem. Den Bären am Ende? Meinte er den -1 1 9 -
Klosterbären? Und was hatte er damit sagen wollen? Aber was bedeutete ´superat´ noch einmal? Sie leerte den Krug und steckte sich noch ein Stück weißes Brustfleisch in den Mund. Wohlige Wärme durchzog ihre Glieder. Schläfrig lehnte sie sich zurück und fühlte sich heiter und gelöst. Superat, superat. Dann schlief sie ein. Als sie erwachte, graute bereits der neue Tag. Sie mußte fast sechtzehn Stunden geschlafen haben. Draußen regnete es in Strömen. Sie sah sich um, aber sie war allein im Zimmer. Kein Laut war zu hören, außer den schweren Tropfen, die der Wind gegen die Scheiben schlug. Sie sah vorsichtig ins Nebenzimmer, aber auch hier war niemand. Dann ging sie in die Badestube, erleichterte sich, leerte das Nachtgeschirr in das Abflußloch und spülte es gründlich aus, bevor sie zurück in die warmen Decken kroch und noch einmal einschlief. Als es hell war, kam Marianne mit einem schwer beladenen Tablett herein. Fröhlich schwatzend aßen die beiden zusammen, denn es war mehr als genug für zwei aufgetragen worden. Marianne blieb bis mittags, um ihr Gesellschaft zu leisten, brachte ihr noch eine Mahlzeit und wurde dann zurück in die Küche gerufen. Gertraud sah zum Fenster hinaus und langweilte sich. Die Wunde heilte bereits gut ab und auch ihre Knie schmerzten weniger als am Tag vorher. Der Ritter ließ sich den ganzen Tag nicht sehen, obwohl Gertraud meinte, seine Stimme im Gang gehört zu haben. Am nächsten Morgen läuteten die Glocken der Klosterkirche zur Messe. Gertraud fühlte sich einsam. Trübsinnig sah sie aus dem Fenster. Marianne konnte nur nachmittags eine Weile bei ihr sein, und so schleppten sich die Stunden zäh dahin. Derweil hatte sich in Rettow Vater Josef Kerner nach der Mittagszeit auf den Weg zum alten Gutshaus gemacht. Reno von Trettin sah ihn kommen und empfing ihn persönlich mit besorgter -1 2 0 -
Miene an der Tür. Schweigend gingen sie gemeinsam ins Arbeitszimmer, wo sich von Trettin in einem bequemen Sessel am brennenden Kamin setzte und auch Kerner Platz anbot. Eine Magd goß ihnen ein Glas Südwein ein und ging dann hinaus. Beide nahmen einen Schluck. Der Raum war warm und behaglich und Meister Kerner entspannte sich ein wenig. Er war selten hier gewesen in all den Jahren. "Ich kann mir denken, weshalb du zu mir gekommen bist, Josef", begann von Trettin das Gespräch, "Ich habe schon gehört, was geschehen ist" "Ach, es ist ein Unglück und zudem bin ich noch selber schuld daran! Ich hätte ihr niemals so viele Freiheiten lassen dürfen. Oh Gott, mein armes Kind! Wenn ich daran denke, was ihr bei dem Schinder zugestoßen sein könnte! Oh, Herr!" Er schlug die Hände vors Gesicht und verbarg seine Tränen. Von Trettin stand auf und legte ihm die Hand auf die Schulter. "Auch mir bricht es das Herz, Josef! Du weißt, sie ist mir lieb wie mein eigenes Kind", sagte er mitfühlend und seufzte, "Wir werden morgen in der Frühe zusammen zur Stadt fahren und sehen, was wir tun können. Wenn ich mitkomme, wird er uns zumindest empfangen müssen. Laß ein paar Fässer aufladen, manchmal wirkt auch das Wunder. Ich bin morgen bei Sonnenaufgang bei dir" Schweigend drückte Kerner die Hände des alten Mannes und machte sich auf den Heimweg. In seinen besten Kleidern erwartete Kerner ihn anderntags vor der Schenke. Von Trettin band sein Pferd am Wagenende fest und stieg ächzend zum Brauer auf den Bock. Sie sprachen wenig unterwegs. Dick lag der Morgennebel in zerfetzten Schwaden auf den Feldern und wich nur langsam der -1 2 1 -
steigenden Sonne. Sie passierten noch vor Mittag die Stadtmauern und fuhren direkt zur Burg hinauf. Zwei junge Wachemänner standen im Burgtor. Einer der Männer gähnte unverhohlen. Sie musterten die beiden Reisenden gelangweilt. "Mein Name ist Reno von Trettin, Lehensmann des Herrn von Aven. Geh und melde meine Ankunft", sagte der alte Mann vom Bock des Wagens aus und bemühte sich, seine Stimme fest klingen zu lassen. Die Wachen warfen sich einen belustigten Blick zu und der eine sagte: "Der Ritter ist zur Jagd. Kommt erst gegen Abend wieder. Oder vielleicht erst morgen" "Oder übermorgen", fügte der andere Mann hämisch hinzu. Sie lachten. "Dann ist vielleicht Wichard von Dühring zu sprechen", beharrte von Trettin. "Der wird erst zum Turnier zurückerwartet, so etwa in einem Monat. Schaut doch dann noch mal vorbei", schlug der erste spöttisch vor. Von Trettin seufzte. "Hört zu ihr beiden. Holt mir wenigsten den Verwalter ran. Der wird ja wohl da sein! Es soll euer Schade nicht sein", sagte er und wies mit dem Daumen hinter sich auf die Fässer. "Na, wenn das so ist!", lachte der eine und schickte den anderen mit einem Kopfnicken ins Innere der Burg. Nach einer Weile kehrte er mit einem kleingewachsenen Mann zurück. Dieser erkannte den alten Gutsherrn beim Näherkommen, und sein strenges Gesicht erhellte sich. "Reno! Was für ein seltener Gast! Was steht ihr da herum! Laßt sie passieren, ihr Holzköpfe!", wies er die Wachen zurecht. -1 2 2 -
Kerner atmete erleichtert auf und trieb die Tiere an. Sie rollten auf den Hof. Der kleine Verwalter lief neben ihnen her und begleitete sie zu den Ställen. Hier kletterte von Trettin vom Wagen und die Männer begrüßten sich herzlich. Beide kannten sich noch aus den Tagen, als der alte Mann nur ein einfacher Gutsherr gewesen war. Josef Kerner stand, die Mütze in den Händen, unsicher daneben. "Kommt herein! Man wird sich um die Tiere kümmern", sagte er zu Kerner gewandt, "Und dann erzählst Du mir in Ruhe, was Dich herführt" Er führte sie durch einen Nebeneingang in die Burg, durch die Küche hindurch und in einen einfachen Speiseraum. "Nimm Platz. Ich hätte Dich auch standesgemäß im großen Saal bewirten lassen können", sagte er mit Blick auf von Trettin, "Aber da ich weiß, daß Du auf so etwas keinen großen Wert legst, alter Freund.... Hier ist es gemütlicher. Und das Essen ist wärmer. Ich bin gleich wieder bei Dir. Ich muß noch rasch zwei Dinge erledigen. Ach, wenn der Ritter nicht da ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Wenn man nicht alles selber macht!", rief er ihnen noch zu und war schon zur Tür hinaus. Eine Magd brachte zwei Krüge und Teller mit dampfendem Eintopf und stellte Brot und Schmalz auf den Tisch. Verlegen lächelte sie den Braumeister an. "So, hier wären wir erst mal", sagte von Trettin leise, als sie gegangen war, "Vielleicht kann Burkhard uns schon sagen, wo wir deine Tochter finden. Und sonst werden wir eben solange warten, bis der Ritter zurück ist" Eine halbe Stunde später hastete Burkhard Lose zurück in den Raum. Er trug ein schweres Buch unter dem Arm, legte es auf dem -1 2 3 -
Tisch ab und setzte sich zu ihnen. "Puh, so! Jetzt bin ich ganz Ohr. Was treibt Dich alten Einsiedler in die großen Stadt?", fragte er lächelnd. "Nun, Burkhard, wir sind auf der Suche nach einer jungen Frau aus meinem Lehen. Der Tochter dieses redlichen Mannes", er wies auf Kerner, "Der Ritter hat sie bei seiner Rückkehr mit dem Heer wohl hier mit hergebracht und..." "Schlank, helles Haar, braunes Kleid, hübsches Gesicht?", unterbrach Lose ihn und seine Miene verfinsterte sich. "Ja, ja, das ist sie! Oh, Herr! Bitte sagt mir, wo wir sie finden können! Ich flehe Euch an!", bat Josef Kerner inständig. Der kleine Verwalter blickte vom einen zum anderen und sagte dann zögerlich: "Wenn es diesselbe ist, die ich meine. Nun, dann sie ist noch hier in der Burg. Und es sieht, um ehrlich zu sein, nicht so aus, als ob der Ritter daran dächte, sie je wieder fortzulassen" Josef Kerner stöhnte auf bei diesen Worten. "Bitte, können wir sie wenigsten kurz sehen? Nur einen Augenblick?", fragte er leise. "Das entscheide nicht ich, guter Mann", sagte er entschuldigend zu Kerner und blickte von Trettin verständnisheischend an, "Ihr wißt, wie der Ritter ist! Unberechenbar. Er hat bereits einen Mann getötet, wegen dieser Frau! Einfach so" Entsetzt sah Kerner den Verwalter an. Der alte Gutsherr legte dem Braumeister die Hand auf die Schulter. "Nur ruhig, Josef. Wir haben sie gefunden und sie lebt. Damit sind wir schon ein gutes Stückchen weiter. Gib die Hoffnung noch nicht auf", tröstete er ihn. Zum Verwalter gewandt sagte er dann: "Können wir hier warten, bis der Ritter kommt, Burkhard?" "Natürlich könnt Ihr das! Ich werde Euch Zimmer herrichten -1 2 4 -
lassen. Es kann gut sein, daß der Herr erst sehr spät zurück ist. Wenn von Dühring ihn nicht begleitet, streift er oft stundenlang alleine durch die Wälder und vergißt die Zeit. Er hat wahrlich etwas von unserem Wappentier im Blute" Die Ankunft der beiden Besucher hatte sich in Windeseile herumgesprochen und als Marianne davon hörte, ließ sie alles stehen und liegen und rannte die Treppen hinauf. Sie lief an den Wachen vorbei, die sie verdutzt ansahen und stolperte ins Zimmer. "Es ist Besuch da für dich! Zwei Männer! Aber der alte Lose traut sich nicht, sie zu dir zu lassen. Er will die Entscheidung des Ritters abwarten", keuchte sie. "Hast du sie gesehen? Wie sehen sie aus?", fragte Gertraud aufgeregt. Marianne beschrieb sie, so gut sie konnte und Gertraud schlug vor Freude die Hände vors Gesicht. "Vater und von Trettin! Oh, Marianne! Wo ist denn der Ritter?", fragte Gertraud ungeduldig. "Der ist heute morgen schon vor Sonnenaufgang auf die Jagd geritten. Das kann dauern! Aber die beiden wollen warten", antwortete sie. "Du mußt mir einen Gefallen tun und zu ihnen gehen. Sag ihnen, daß es mir gut geht, daß mir nichts geschehen ist und sie sich keine Sorgen machen müssen. Oh, bitte! Lauf für mich! Wer weiß, ob ich sie werde sehen können!", bat sie die Freundin und faßte ihre Hände. "Na gut! Aber du darfst es dem Ritter nicht sagen! Wenn es gegen seinen Willen sein sollte, dreht er mir den Hals um. Das kannst du dir ja vorstellen", meinte sie ernst. Gertraud umarmte Marianne. -1 2 5 -
"Natürlich nicht! Keine Sorge. Ich werde mich ans Fenster stellen. Sag ihnen, sie können mich vom Hof aus sehen. Oh, hoffentlich kommt der Ritter bald!", rief sie. "Du hast ihn noch nicht erlebt, wenn er einen seiner Wutanfälle bekommt. Vielleicht würdest du ihn dann nicht so bald herbeiwünschen. Hier sind alle froh, wenn er nicht da ist", sagte Marianne düster. "Ach, so schlimm ist er nun wirklich nicht!", erwiderte Gertraud und nieste zweimal, "Oh, ich hole mir in diesen kalten Mauern noch den Tod. Nun geh, geh!" scheuchte sie Marianne hinaus. Erwartungsvoll stand sie danach am Fenster und beobachtete den Hof unter sich. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie endlich die zwei bekannten Gestalten unten sah. Marianne war bei ihnen und winkte ihr fröhlich zu. Sie beobachtete mit klopfendem Herzen, wie ihr Vater suchend den Blick hob und sie endlich in der schmalen Fensteröffnung ausmachte. Er winkte ihr mit beiden Armen zu. Wie klein und verloren der Vater wirkte in dieser fremden Umgebung! Noch nie hatte sie ihn so gesehen. Er tat ihr unsagbar leid. Was hatte er durchmachen müssen! Auch von Trettin hob grüßend eine Hand. Gertraud winkte zurück, traute sich aber nicht, etwas zu rufen. Zu viele Menschen waren im Hof zugegen, die neugierig das Geschehen verfolgten. Gerade beugte sich ihr Vater, ohne den Blick von seiner Tochter zu wenden, zu Marianne und sagte etwas zu ihr, als plötzlich Bewegung am Tor entstand. Wachen sprangen auf und nahmen Haltung an, ein Bursche rannte zu den Ställen, Order wurden gerufen. Und im nächsten Moment ritt Hardrich von Aven auf den Burghof. Er führte ein Packpferd mit sich, auf dem ein Reh und einiges Federwild festgezurrt war. Er stutzte, als er die fremden Männer -1 2 6 -
mitten auf dem Hof stehen sah und riß am Zügel. Der Wallach, der wie gewohnt auf den heimatlichen Stall zugesteuert war, wieherte unwillig und bäumte sich auf. Till, der schon herbeigelaufen kam, trat vorsichtig einen Schritt zurück. Mit eiserner Hand brachte Hardrich sein Tier wieder in seine Gewalt und ritt auf die beiden Männer zu. "Was ist hier los?", brüllte er. Er erkannte Marianne und sein Blick schnellte zum Fenster hinauf. Gertraud stand immer noch dort und hob die Hand. In diesem Augenblick trat von Trettin vor den Braumeister und das Mädchen. Er beugte das Knie, senkte sein graues Haupt und sagte: "Herr, hier kommt Euer Lehensmann und bittet um die Gunst einer Unterredung" Dies war jetzt ein offizielles Anliegen und in aller Form geäußert worden. Der alte Mann kniete noch immer und wartete auf eine Antwort, den Blick gesenkt. Hardrich stieg mit versteinertem Blick vom Pferd und schleuderte Till, der bereitstand, die Zügel zu. Er kochte vor Wut, aber von Trettins respektvoll vorgetragene Bitte konnte er nicht übergehen. Er trat vor ihn hin, ließ ihn noch einen winzigen Moment länger warten, als nötig gewesen wäre und sagte dann steif: "Der Lehensherr gewährt die Bitte. Erhebt Euch und folgt mir, Herr von Trettin" Kerner sprang hinzu und half dem alten Herrn auf die Beine. Hardrich funkelte ihn und Marianne zornig an und knurrte dann böse: "Und ihr beide kommt auch mit!" Dann schritt er rasch auf das Portal zu, so daß die drei Mühe hatten, ihm zu folgen. Gertraud hatte nicht verstehen können, was gesprochen wurde, aber sie fing einen bangen Blick von Marianne auf. Innen riß Hardrich die schweren Türen des großen Saales auf, -1 2 7 -
brüllte nach einem Stuhl für den alten Mann und durchquerte den langen Raum mit großen Schritten. Staub tanzte in den goldenen Strahlen der Nachmittagssonne, die schräg durch die hohen Fenster schien. Ein leichter Wind blähte die blauen Vorhänge. Er warf sich auf den Thronsessel. Ein Stuhl wurde gebracht. Hardrich war müde und hungrig und von Trettins Auftauchen verdroß ihn. Was kümmerte den Alten das Mädchen? Denn das sie der Grund seines Erscheinens war, daran zweifelte er nicht mehr. Ohne eine Regung zu zeigen, beobachtete er den alten Herrn, der endlich herangekommen war und sich ächzend setzte. "Ihr wartet an der Tür!", bellte Hardrich Kerner und Marianne an, die daraufhin ängstlich zurückwichen. "Nun, Lehensmann? Was ist Euer Anliegen?", fragte der Ritter spöttisch und von Trettin sah seine Augen kalt unter dem Helmrand leuchten. Von Trettin hatte die ganze Nacht und noch die Fahrt über gegrübelt, wie er seine Bitte vortragen sollte. Doch nun lagen die Dinge anders. Er mußte umdenken, und zwar rasch. Er beschloß, es mit der Wahrheit zu versuchen. "Zuallererst will ich Gott danken, daß er bereits den größten Teil unserer Sorgen zerstreut hat!", sage er und faltete die Hände, "Denn wir hatten uns heute morgen in großer Sorge um die Tochter dieses guten Mannes hierher aufgemacht. Er ist Wirt bei mir im Ort. Ein redlicher, fleißiger Mensch, der ein vortreffliches Bier braut. Wir haben übrigens, mit Verlaub, ein paar Fässer mitgebracht. Und als wir nun heute eintrafen, fanden wir das Kind hier bei Euch und wohlbehalten vor. Gerne hätten wir sie sofort in unsere Arme geschlossen, aber euer Verwalter hieß uns warten. Und so standen wir im Hof, begrüßten sie von ferne und erwarteten Eure Ankunft" Er seufzte und sprach mit gedämpfte Stimme weiter. -1 2 8 -
"Ihr wißt, ich bin ein alter Mann und habe, wie auch Ihr, lange Zeit eine Familie entbehren müssen. Doch diese junge Frau ist mir in vielen Jahren so sehr ans Herz gewachsen, als wäre sie mein eigen Fleisch und Blut. Ich kenne sie von Kindesbeinen an und habe sie sogar eine ganze Weile unterwiesen. Latein und Geographie, Astronomie und viele Dinge mehr. Und wie oft hat sie mir dabei meinen grauen Tag mit ihrem Lachen erhellt. Ihre Mutter verstarb früh, und sie hat für die Geschwister gesorgt all die Jahre. Es ist nicht mehr dasselbe Haus, in das man einkehrt, seit sie nicht mehr da ist. Die Familie ist wie gelähmt. Jedermann vermißt sie. Als mich ihr armer Vater gestern weinend um meine Hilfe bat, da konnte ich gar nicht anders, als ihn hierher zu begleiten. Ich habe ihm gesagt, wir werden sehen, was wir tun können.... Herr von Aven, sagt mir bitte... was können wir tun?" Schweigend hatte der Ritter ihn angehört. Dann sagte er fast sanft, aber für alle Anwesenden hörbar: "Ihr könnt gar nichts tun. Zumindest nichts, um sie mit Euch zu nehmen, wenn Ihr das meint. Sie bleibt hier und Schluß. Aber Ihr sollt sie sehen und mit Ihr sprechen, um Euch von ihrem Wohl zu überzeugen" Er winkte Marianne heran. "Lauf sie holen. Sag den Wachen, daß ich dich geschickt habe", trug er ihr auf. Marianne nickte erleichtert und rannte aus dem Saal. Als sie fort war, wandte sich Hardrich auch Gertrauds Vater zu. "Komm näher", befahl er. Meister Kerner trat zögernd vor ihn hin und fiel auf die Knie. Hardrich betrachtete ihn schweigend eine Weile. "So, Ihr seid also der Braumeister, der so ein ausgezeichnetes Bier zu brauen versteht. Eure Tochter hat sich bei mir schon über das Klosterbier beschwert. Zu sauer, sagt sie", bemerkte er trocken und -1 2 9 -
beobachtete amüsiert den entsetzten Ausdruck auf Kerners Gesicht. "Beschwert? Oh Herr, daß hat sie sicher nicht so gemeint... ", versuchte dieser auszuweichen. "Doch, doch. Ich denke schon, daß sie meint, was sie sagt. Und nun werde ich auch endlich selber kosten können, ob sie die Wahrheit gesprochen hat. Ah, da kommt sie ja. Steh auf, Mann!", sagte er zu Kerner. Gertraud war mit Marianne bis vor die offene Tür gerannt, hielt dann aber inne und schöpfte noch einmal Atem, bevor sie allein weiterlief. Sie fiel ihrem Vater in die Arme. Über seine Schulter hinweg strahlte sie den Ritter an und ihre Lippen formten ein stummes Danke. Von Trettin war diese Geste nicht entgangen, und überrascht sah er den Ritter an, der den Blick nicht von der jungen Frau wenden konnte. Gertraud löste sich vom Vater und begrüßte auch von Trettin. "Wie schön, daß Ihr beide da seid!", sagte sie, "Und Bier habt ihr auch mitgebracht, hat Marianne gesagt?", fuhr sie mit einem Augenzwinkern fort. "Dies geschwätzige Weib! An ihrer losen Zunge aufhängen sollte man sie!", brummte der Ritter. "Seid Ihr nicht böse, Herr", sagte Gertraud beschwichtigend, "Keine noch so dicken Mauern halten Gerüchte auf" Von Trettin und Kerner wechselten besorgt einen nervösen Blick. "Ich lasse Euch eine halbe Stunde. Danach werden wir essen und dann werdet Ihr wieder fahren. Zu zweit. Wie Ihr gekommen seid", sagte der Ritter, drehte sich um und ging. Einen Moment später stellten sich zwei Wachen vor die geöffnete Tür, außerhalb Hörweite. Gertraud setzte sich mit den beiden Männern auf eine Bank gegenüber der Fensterfront. Der Vater ergriff ihre Hand. "Ach Kind! Geht es dir auch wirklich gut?", fragte er verlegen und -1 3 0 -
sah sie verzeifelt an. "Aber ja. Mach´ Dir keine Sorgen. Keiner hat mir irgendetwas zuleide getan. Es ist mir immer noch ein Rätsel, was man mit mir vorhat, aber irgendeinen Sinn wird es wohl haben, daß es mich hierher verschlagen hat. Ich habe eh keine Wahl. Wie geht es denn zu Hause?", wechselte sie das Thema. Die halbe Stunde verging wie im Flug und sie sahen den Ritter zurückkommen. Gertraud flüsterte von Trettin zu: "Sagt mir bitte noch rasch. Was heißt superat?" Verdutzt sah der alte Freund sie an. "Superat? Bezwingt, überwindet. Aber was...", anwortete er. "Oh, nichts! Nichts von Bedeutung", winkte sie lächelnd ab und stand auf. Auch von Trettin und der Braumeister erhoben sich. Der Ritter kam durch das Wechselspiel von gleißendem Sonnenlicht, das durch die Fenster fiel, und tiefdunklem Mauerschatten auf sie zu. Bei jedem Schritt, den er tat, schien er sich zu verändern. Hell und dunkel, weiß und schwarz, mal strahlend, mal düster. Gertraud war, als müsse sie ihm entgegenlaufen, wagte es aber nicht. Sie trat vor und stand nun selbst ins Licht getaucht da. Blinzelnd sah sie in die Sonne, genoß die Wärme auf ihrer Haut und mußte auf einmal furchtbar niesen. Sie hielt die Hände vors Gesicht und schüttelte sich. Ihr Vater legte ihr den Arm um die Schulter, fühlte ihre Stirn und sagte weich: "Armes Kind, was fehlt dir? Mein Gott, Du bist ja krank!" Von Trettin, der sich im Hintergrund gehalten hatte, sah erschrocken, wie der Ritter bei diesen Worten die Hände zu Fäusten ballte und seinen Schritt beschleunigte. Der alte Mann eilte Hardrich -1 3 1 -
entgegen und hob beschwichtigend die Hände. Aber der Jähzorn hatte den Ritter bereits fest in seiner Gewalt und sog unerbittlich jedes Gefühl der Verhältnismäßigkeit in einen dunklen Strudel hinab. Von Trettin hatte ihn schon einmal so erlebt. Er sah das wutverzerrte Gesicht seines Lehensherrn, wich aber nicht zurück. "Hardrich, ich flehe Euch an...", setzte er zu sprechen an, aber der Ritter fegte ihn mit einer Hand aus dem Weg. Schwer stürzte der Alte zu Boden. Dann war er bei Gertraud und ihrem Vater, die erst bei von Trettins Worten aufgeschaut hatten. Er packte Josef Kerner am Arm. "Laß sie los!", fauchte er und riß ihn mit Wucht von seiner Tochter fort. Dann starrte er Gertraud wie irrsinnig an. Sie blieb ruhig und aufgerichtet stehen, sah ihm fest in die Augen und rührte sich nicht. Sie sah Schmerz hinter seinem Zorn und fühlte, wie er mit sich rang, um die Beherrschung wieder zu erlangen. Nur langsam beruhigte er sich. Sie versuchte einen erneuten Niesreiz zu unterdrücken, aber vergeblich. "Was soll das heißen? Mangelt es dir an irgendetwas? Mmh?", fragte er scharf und musterte sie durchdringend. "Nun, wie es scheint, habe ich mir tatsächlich einen Schnupfen geholt. Ich bin wohl die kalten Steinböden nicht gewohnt. Es tut mir leid, wenn das Euren Unwillen hervorgerufen hat", sagte sie offenherzig. Er starrte auf ihre bloßen Füße. "Du hast nicht gesagt, daß dir kalt ist!", warf er ihr vor, und es klang verbittert. Gertraud stellte sich auf die Zehenspitzen, näherte ihren Mund seinem Gesicht und flüsterte: "Ihr habt mich so schon gefragt, ob ich noch ganz richtig im Kopf bin. Wenn ich da noch Schuhe von Euch gefordert hätte, hättet Ihr wahrlich Grund gehabt, mich hinauszuwerfen" -1 3 2 -
Seine Mundwinkel zuckten, und er raunte: "Weib! Du bringst mich noch um den Verstand!" Er rief Marianne heran, die an der Tür gewartet hatte. "Deine Schuhe! Her damit!", befahl er. Marianne lief herbei, streifte die aus abgetragenen, aus Stroh geflochtenen Latschen ab, stellte sie vor Gertraud auf den Boden und verneigte sich. Gertraud bückte sich, um sie anzulegen, aber Hardrich hielt sie am Arm fest. "Nein, sie wird sie dir anziehen", knurrte er und funkelte Marianne böse an, die sich daraufhin sofort niederkniete und die Freundin mit fahrigen Fingern in die einfachen Schuhe schlüpfen ließ. Dann erhob sie sich eilig und stand unschlüssig und mit gesenktem Blick da. Hardrich knurrte: "So. Und jetzt verschwinde und sag Lose, daß ich ihn sprechen will" Meister Kerner war inzwischen zu seinem alten Herrn gekrochen und hatte ihm aufgeholfen. Mit Bangen hatten beide die Szene verfolgt. Jetzt drehte Hardrich sich zu ihnen um und sagte, als sei nichts geschehen: "Und nun zu Tisch. Kommt!" Er ging voraus. Durch eine Nebentür und einige Gänge entlang bis zu einem schlichten Saal mit großen Fenstern. Es war nicht der Speisesaal, der bei offiziellen Anlässen benutzt wurde. Hier aß der Ritter für gewöhnlich, wenn er allein oder nur mit von Dühring in der Burg war. Burkhard Lose wartete bereits. Beflissen verneigte er sich und fragte nach Hardrichs Wünschen. Der Markgraf gab ihm leise einige Anweisungen. Lose musterte Gertraud argwöhnisch und verließ dann den Raum. Gertraud war hinter Hardrich eingetreten und ans Fenster getreten. Unten sah sie ein offenes Gelände mit abgeteilten Bahnen und -1 3 3 -
Tribünen. Daneben lag ein kleiner See und als sie sich vorbeugte, konnte sie rechts die beginnenden Gärten und Felder der Burg erkennen. Zur linken Seite lagen bereits die ersten Häuser der Stadt, und im Hintergrund breiteten sich Weiden, Felder und Waldstücke aus. Sie drehte sich um. Der Ritter saß bereits auf seinem Platz an der Stirnseite und betrachtete sie. Sie lächelte ihn an und fragte: "Ist das da unten der Turnierplatz?" "Ja. Dort findet in ein paar Wochen das Herbstturnier statt", antwortete er und wies ihr mit einer Handbewegung den Platz an seiner Linke zu. Von Trettin setzte sich zu seiner Rechten. Für Meister Kerner war am unteren Ende der Tafel, ein gutes Stück von seiner Tochter entfernt, gedeckt worden. Als alle Platz genommen hatten, wurde aufgetragen. Geflügelkeulen, aufgeschnittenen Schweinebraten, Karottenmus und Erbsen, Bratenfett und Brot, Obst und Pasteten. Eine Magd trug vier Bierkrüge herein. Hoch stand der Schaum auf den Humpen. Der Ritter sagte: "Nun werden wir sehen, ob dein Bier etwas taugt, Mann" Gertraud fing einen besorgten Blick ihres Vaters auf und erklärte: "Eigentlich hätten die Fässer vor dem Anstich noch zwei Tage liegen müssen, damit das Bier sich nach der Fahrt beruhigt und nicht so schäumt. Aber dem Geschmack tut es kaum Abbruch" Sie erhob den schweren Krug, prostete Hardrich zu und wartete, daß er zum ersten Zug ansetzte. Dann trank auch sie einen Schluck. "Mmh. Etwas kälter könnte es noch sein. Nun? Was sagt Ihr?", fragte sie Hardrich erwartungsvoll. Der Ritter verzog keine Miene, wischte sich den Schaum vom Mund und schwieg. Dann nahm er noch einen langen Zug und sagte endlich: "Gut. Es ist wirklich sehr gut" Gertraud strahlte ihn an. Und auch Kerner und von Trettin -1 3 4 -
lächelten. "Und nun langt zu", forderte Hardrich sie auf und häufte sich Fleisch und Brot auf seinen Teller. Er hatte großen Hunger, doch Gertraud mußte sich heute zwingen, ein paar Bissen zu essen. Sie fühlte sich nicht gut und blickte verstohlen zum Vater, der wie verloren am Tischende saß. Es tat ihr weh, ihn so klein und hilflos zu sehen. Er und von Trettin aßen nur wenig, denn sie hatten vorhin in der Küche reichlich bekommen. Nach dem Essen erhob sich der Ritter. "Es ist Zeit", sagte er. Im Hof stand schon ihr Wagen bereit. Kerner umarmte noch einmal seine Älteste und stieg wortlos auf. Er kämpfte mit den Tränen. Dann verabschiedete sich auch von Trettin und reichte seinem Lehensherrn zum Abschied die Hand. "Laßt mich wissen, wenn Ihr Eure Meinung ändert", sagte der alte Mann. Als er danach aufgestiegen war, trieb der Braumeister die Tiere an, und der Wagen setzte sich schwerfällig in Bewegung. Gertraud hob die Hand und winkte ihnen nach, bis sie die Wachen passierten und vom Hof rollten. Niedergeschlagen drehte sie sich um und sah, daß Hardrich sie beobachtete. "Komm", befahl er. Sie folgte ihm zurück, die Treppen hinauf. Im Zimmer warteten neben Burkhard Lose noch drei weitere Männer. Einer in Arbeitskleidung, mit Schürze und Werkzeugtasche. Die anderen beiden in grellbunte, feine Kleider gehüllt. Hardrich runzelte die Stirn. Lose beeilte sich zu sagen: "Ich habe mir erlaubt, auch den Schneider mit seinem Gesellen kommen zu lassen" Hardrich sah an Gertraud hinunter, als sähe er sie zum ersten Mal und nickte. -1 3 5 -
"Gut", knurrte er. Lose verneigte sich und ging. Der Ritter setzte sich auf die Bank und hieß Gertraud auf dem Stuhl Platz zu nehmen. Dann nickte er einem der Männer zu. Dieser trat heran und zog ihr einen der Strohschuhe aus. Er stellte ihren Fuß auf ein Stück Leder und ritzte die Umrisse darauf ein. Dann maß er noch den Umfang ihres Spanns und besah sich auch den anderen Fuß genau. Er fragte den Ritter ohne aufzusehen: "Stiefel oder Schuh?" "Beides", antwortete Hardrich. "Welche Farbe?", frage er weiter. Hardrich zuckte mit den Schultern. "Hellbraun", sagte er dann. Der Schuhmacher nickte, packte zusammen und sagte: "Schuh´ sind morgen fertig. Stiefel in zwei Tagen. Ich pass´ sie selber noch mal an" Dann ging er. Als nächstes war der Schneider an der Reihe. So wortkarg der Schuhmacher gewesen war, als so gesprächig erwiesen sich er und sein Geselle. Sie flatterten um Gertraud herum, nahmen überall Maß und beratschlagten dabei schon laut, wie sie dieses oder jenes zu verarbeiten gedächten. Sie bewunderten den Schwung ihrer Hüften, was ihr die Röte ins Gesicht trieb. Verstohlen blickte sie zu Hardrich, doch der beobachtete sie nur weiter, ohne etwas zu sagen. Etwas im Auftreten der beiden Schneider ließ Gertraud aufmerken, doch konnte sie nicht sagen, was es war. Sie waren höflich, witzig und charmant, doch ihre Rede und ihre Gesten waren seltsam anders. "Nun müssen wir aber noch einige Fragen klären. So einfach wie unser Freund vom Lederfach können wir es uns leider nicht machen", sagte der Schneidermeister und klatschte in die Hände. Er war -1 3 6 -
mittelgroß, mit einem kleinen Bäuchlein und einem exakt geformten Schnurrbart. Sein Geselle war lang und dünn und trug ein dickes Buch bei sich, in das er gewissenhaft die Maße eingetragen hatte, die der andere ihm nannte. Beide schauten sie freundlich an und der Meister fragte: "Nun schöne Frau, was soll es denn sein?" "Sie braucht ein neues Kleid", brummte Hardrich hinter ihm. "Ein Kleid. Nun gut,... aber was für eines? Festkleid, Unterkleid, Nachtgewand, Hauskleid, Reitgewand oder etwas anderes? Etwas nach der neusten Art oder lieber etwas gediegenes? Welcher Schnitt? Für welchen Anlaß? Welcher Stoff und welche Farbe? Schmuck, Pelzbesatz oder Paspeln? Hauben, Tücher, Muffs? Dürfen es auch Haarbänder in passenden Farben sein? Wie wäre es mit einem Mantel?", noch immer sprach er Gertraud an, die ihn verlegen anlächelte. Normalerweise hätte sie diesen Wortwechsel sicher genossen, doch sie fühlte sich schlecht. Ihre Stirn glühte und ihr Kopf schmerzte. Hilfesuchend sah sie zu Hardrich hinüber, der stirnrunzelnd ihren Blick erwiderte und dann den Schneider barsch anwies: "Sie braucht von allem etwas. Ich verlasse mich auf Euch. Und jetzt raus" "Sagt mir wenigstens, welche Farben Ihr bevorzugt? Sonst kann ich wirklich nicht arbeiten...", bat der Schneider flehentlich und rang die Hände, als ginge es um sein Leben. "Blau", kam es wie aus einem Munde von Hardrich und Gertraud. Als die beiden gegangen waren, ließ sich Gertraud zurück auf den Stuhl sinken. Sie hustete, lächelte Hardrich gequält an und sagte: "Ich danke Euch. Ich danke Euch, daß Ihr mich habt holen lassen, um meinen Vater und Herrn von Trettin zu sehen" "Wenn dir solche Besuche auf den Magen schlagen, werde ich das in Zukunft nicht mehr tun. Die beiden haben auch kaum was -1 3 7 -
angerührt. In meiner Gegenwart vergeht Euch allen der Appetit, scheint es", brummte Hardrich ärgerlich. Gertraud erhob sich, ging zu ihm und setzte sich mit auf die Bank. Sie sah in seine dunklen Augen und erklärte: "Euer Verwalter hatte die beiden bereits gut bewirtet, als sie ankamen. Marianne hat es mir erzählt. Ich kann mir bei der reichhaltigen Küche hier im Hause gut vorstellen, daß sie sich wirklich den Bauch verrenken mußten, um überhaupt noch etwas mehr essen zu können. Und was mich betrifft. Ich fühle mich nicht gut. Das ist alles. Mein Kopf tut weh, mein Hals brennt wie Feuer und die Glieder schmerzen. Es tut mir so leid, daß Euch das wie ein Vorwurf vorgekommen sein mag, aber das war es nicht. Ganz sicher nicht" Hardrich wich ihrem Blick aus und stand auf. Er schwieg. Gertraud fuhr fort: "Wißt Ihr, meine Mutter ist an einem Lungenfieber gestorben damals. Deshalb macht sich mein Vater auch immer so große Sorgen, wenn jemand von uns erkältet ist. Versteht Ihr?" "Schon gut, schon gut! Ich verstehe", knurrte Hardrich gereizt und ging zur Tür. "Ich schicke wohl besser nach dem Heiler, sonst kann man mir am Ende doch noch etwas vorwerfen!" "Herr!", begann Gertraud, als er schon fast aus der Tür war. "Was?", fragte er barsch. "Ich danke Euch", sagte sie. "Mmh", erwiderte Hardrich und zog dann leise die Tür hinter sich zu. Albertinus konnte erst spät am Abend kommen, denn er war auf Krankenbesuch außerhalb der Stadt unterwegs gewesen. Besorgt -1 3 8 -
betrat er das Zimmer. Marianne hatte Feuer im Kamin gemacht und saß bei Gertraud. Diese schlief unruhig. Als Albertinus ihre Stirn fühlte, wachte sie auf und sah ihn mit glasigen Augen erschrocken an. Sie war matt und sprach nicht viel. Er untersuchte sie rasch. Dann schickte er Marianne, den Ritter zu holen. Dieser schien gewartet zu haben, denn er trat nur einen Augenblick später ein. "Sie hat Fieber. Ziemlich hoch sogar. Bis zu einem gewissen Maß ist das auch gut. Es bekämpft die Krankheit. Steigt es aber zu hoch, zehrt es zu sehr an ihren Kräften. Ich werde vorsichtshalber bei ihr wachen heute nacht. Morgen wissen wir mehr", erläuterte der Mönch. "Ein Lungenfieber?", wollte Hardrich wissen. Albertinus stutzte erstaunt. "Sie hustet zwar, doch scheint mir die Lunge nicht angegriffen. Sie ist jung und kräftig. Macht Euch nicht allzu große Sorgen", beruhigte er ihn. Hardrich ließ Albertinus noch einige Dinge bringen, die er benötigte und ging dann in die Bibliothek. Er versuchte zu lesen, doch seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Seufzend klappte er das Buch zu und saß noch lange grübelnd vor dem brennenden Kamin, bis die Glut in sich zusammenfiel. Albertinus versorgte derweil die Kranke. Er flößte ihr einen Kräuteraufguß ein, kühlte Stirn und Waden mit feuchten Umschlägen und beobachtete sie. Unruhig wälzte sich Gertraud hin und her. Mal zog sie frierend die Decken um sich und zitterte vor Kälte, mal stieß sie alles von sich und schien vor Hitze zu vergehen. Gegen Morgen fiel das Fieber und Albertinus gähnte zufrieden. Den Tag über schlief Gertraud noch viel, mochte aber nichts essen, außer einer Brühe, die der Heiler verordnet hatte. Marianne saß mit einer Handarbeit den ganzen Tag über bei ihr, nachdem Albertinus -1 3 9 -
vormittags ins Kloster zu seinen anderen Aufgaben zurückgekehrt war. Abends sah er noch einmal kurz nach ihr. Danach suchte er Hardrich auf, der im Zimmer gegenüber auf ihn wartete. "Ich bin sehr zufrieden mit ihren Fortschritten. Das Fieber ist zurückgegangen. Sie sollte mindestens zwei weitere Tage das Bett hüten und sich danach noch eine Weile gut warm halten und schonen. Aber sagt einmal, mein Sohn, was wird denn das hier?", fragte er plötzlich und sah sich erstaunt im Zimmer um. Der Raum war mit hellen Seidenstoffen ausgekleidet, die Fensteröffnungen schienen vergrößert worden zu sein und den Boden bedeckte ein dicker Teppich. Arbeiter waren dabei neue Fenster einzusetzen. Um den Kamin gruppierten sich ein Diwan und drei Sessel mit Kissen und einem niedrigen Tischchen davor. Mehrere Truhen und verzierte Regale standen an den Wänden. Ein Schreibtisch mit Stuhl stand am Fenster. Alle Möbel waren kunstvoll aus hellem, rötlichem Kirschbaumholz gefertigt. Ohne eine Antwort des Ritters abzuwarten, ging der Mönch durch die offene Tür ins Nebenzimmer. Hier war ein großes Bett mit Baldachin aufgebaut worden. Teppiche und Felle bedeckten Wände und Böden. Eine Truhe mit herrlichen Einlegearbeiten und eine niedrige Schrankreihe mit Schüben und Türchen, alles aus hellem Holz, vollendeten die prächtige Einrichtung. Zwei Mägde waren dabei, die Falten des Betthimmels zu richten und Laken aufzuziehen. Weitere Türen gingen von hier aus ab, und der Geistliche blickte sich neugierig um. In einem der Zimmer waren Handwerker damit beschäftigt, mit Marmor die Wände auszukleiden und das andere schien ein Ankleideraum zu sein. Große Schränke und Spiegel, eine Kommode mit einem zierlichen Hocker standen darin. Albertinus verstand plötzlich. -1 4 0 -
Er sah Hardrich an, der ihm wortlos einen herausfordernden Blick zuwarf und auf einen Tadel zu warten schien. Schweigend gingen die Männer zurück auf den Gang. Albertinus fragte leise: "Ihr wollt sie also hier behalten?" "Es wird ihr hier an nichts fehlen", antwortete Hardrich gedehnt. "So wie auch unserem Bären in seinem Käfig nichts fehlt, meint Ihr? Ist es wirklich das, was Ihr wollt, Hardrich?", beharrte der Mönch und hielt Hardrichs wütendem Blick stand. "Ihr fragt mich, was ich will? Das ist ja ganz was Neues?", Hardrich lachte verächtlich auf und fuhr dann unwirsch fort, "Ihr geht jetzt besser, Bruder. Ich bin sicher, andere Kranke bedürfen Eurer Hilfe. Und nichts was Ihr einzuwenden hättet, würde meine Meinung in diesem Falle ändern" Albertinus seufzte, verbeugte sich und sagte im Gehen: "Vergeßt nicht, daß ich auf Eurer Seite bin. Ich kann es nicht gut heißen, was ihr tut. Aber laßt mich wissen, wenn ich etwas für Euch tun kann" Wütend sah der Markgraf ihm nach und dachte: "Was soll das nun wieder heißen? Was zum Teufel erwartet er denn von mir?" Drei Tage später hielt Gertraud endgültig nichts mehr im Bett. Nach dem Frühstück bat sie Marianne inständig, ihr doch ihr Kleid wiederzubringen. Es war in den Fiebernächten naßgeschwitzt, und Marianne hatte es zum Waschen mitgenommen. Die junge Magd lächelte sie jedoch geheimnisvoll an und sagte: "Komm. Es wartet eine Überraschung auf dich" Dann führte sie sie im Unterkleid über den Flur. Sie öffnete eine Tür und ließ Gertraud vorangehen. Staunend betrat sie eine zweite, noch schönere Badestube. Über den glänzenden, marmornen Wänden war die Decke überreich mit Bildern geschmückt. Delphine, wogende Wellen, Fischweiber und der Gott der Meere selber mit -1 4 1 -
einem dreizackigen Zepter blickten auf sie herab. Bürsten und Kämme aus Ebenholz lagen bereit, und ein Mädchen goß gerade einen Eimer Wasser in die große hölzerne Wanne. Sie lächelte Gertraud an und verneigte sich. "Das Bad ist fertig", sagte sie schüchtern. "Na los! Das ist dein Bad!", lachte Marianne und zog Gertraud das Unterkleid über den Kopf. Mit hochrotem Kopf stieg Gertraud in die Wanne. "Ist die Wärme so recht oder darf es noch etwas kaltes Wasser sein?", fragte das Mädchen. "Nein, nein. Es ist... wunderbar", sagte Gertraud und entspannte sich langsam. "Und jetzt werden wir dich zusammen abschrubben", grinste Marianne. Lachend und schwatzend seiften die Mädchen sie ein, spülten ihr Haar, halfen ihr dann aus der Wanne und wickelten sie in ein großes Tuch. Marianne bürstete ihr vorsichtig die langen Haare aus und das Mädchen brachte ein frisches Unterkleid herein. Das Leinen war fein gewebt und wunderbar leicht. Gertraud genoß den sauberen Stoff auf ihrer Haut und fragte dann: "Hast du denn auch mein Kleid waschen können?" Marianne sah verlegen zu Boden und kam endlich mit der Sprache heraus: "Es tut mir so leid, Gertraud. Aber dein Kleid ist verbrannt. Ich hatte es schon fertig gewaschen und getrocknet, als der Herr kam, es von der Leine riß und eigenhändig ins Küchenfeuer warf. Aber sei nicht traurig. Warte, bis du deine neuen Kleider siehst!" Gertraud versetzte es einen Stich, als sie das hörte. Sie ließ sich dann aber von ihr durch das Schlafzimmer ins Ankleidezimmer ziehen. Mit offenem Mund blickte sie sich staunend um und stolperte hinter der Magd her. Marianne ließ sie Platz nehmen und öffnete -1 4 2 -
einen der Schränke. Gertraud gingen die Augen über. Drei prächtige Kleider hingen dort. Eines nachtblau, eines in hellblau und eines in einem schönen Blaugrün. Daneben lagen noch mehrere feine Hemden und Schultertücher. Marianne nahm das Hellblaue heraus und fragte: "Wie wäre es damit? Rasch! Nebenan warten der Schneider und der Schuhmacher. Sie wollen noch einmal sehen, ob nicht noch Änderungen nötig sind" Sie schlüpfte in das Kleid und während sie sich fasziniert im Spiegel betrachtete, zog Marianne ihr bereits die Schuhe an. Der Stoff war in der hochsitzenden Taille in vier breite Falten gelegt, die beim Gehen hell aufbrachen. Auch der Halsausschnitt und die eng anliegenden Ärmel waren in Weiß abgesetzt und verziert. Gertraud konnte all das gar nicht fassen, doch Marianne schob sie bereits weiter ins Nebenzimmer. Dort erhoben sich die drei Männer, die sie vom Maßnehmen her schon kannte. Sie begrüßte sie lächelnd. Der Schuhmacher kniete sich wortlos vor sie und besah sich den Sitz der Schuhe. "Drückt es irgendwo?", fragte er. "Nein, sie passen ganz ausgezeichnet. Um die Wahrheit zu sagen, sind meine Füße gar keine Schuhe gewohnt, aber dieses Leder ist so weich und anschmiegsam, daß ich von nun an gar nicht mehr ohne sie sein möchte. Ihr seid ein wahrer Künstler, Meister", antwortete sie. Der schweigsame Mann wurde bis über beide Ohren rot. Er murmelte etwas von den Stiefeln, die er morgen bringen würde und verabschiedete sich rasch. Danach begutachteten die Schneider ihr Werk. Der Meister sagte abschätzend: "Naja, für die Kürze der Zeit ganz ordentlich geworden. Aber zu einer vollständigen Garderobe fehlt doch noch allerhand. Die Farbe steht Euch aber in der Tat ganz ausgezeichnet. Ihr habt etwas Gewicht verloren, die letzten Tage, richtig? Oder sollte ich mich derart vermessen haben?" -1 4 3 -
"Ich war krank", erklärte sie lächelnd, "Und es ist wirklich sehr viel besser als nur 'ganz ordentlich', Meister. Es ist mit Abstand, das schönste Gewand, das ich je gesehen habe" Der Schneider winkte ab, aber sie sah, daß er sich trotzdem über das Lob freute. Als sie gegangen waren, flüsterte Marianne Gertraud kichernd zu: "Man munkelt, daß die beiden keine Frauen mögen, sondern sich gegenseitig sehr zugetan sind. Seltsam, nicht wahr? Aber sie sind die besten Schneider der ganzen Stadt und jede Frau würde schwören, daß sie etwas mit einem der beiden gehabt hätte, nur um an solch ein Kleid zu kommen. Dies sind übrigens von heute an deine Gemächer, wie du dir wohl schon gedacht haben wirst" Gertraud aber hatte nur mit halbem Ohr zugehört. Sie setzte sich stumm auf den Stuhl und sah sich eingehender um. Im Kamin brannte ein Feuer und überall standen Blumen in Vasen. Die Regale waren zum großen Teil noch leer. Marianne hockte sich zu ihren Füßen auf den Teppich und faßte ihre Hand. "Alle haben Tag und Nacht gearbeitet, damit alles so schnell wie möglich fertig würde. Gefällt es dir denn gar nicht?", fragte sie besorgt. "Doch, doch! Es... es ist wunderschön. Wie in einem Traum. Nur das ich nicht mehr aufwachen werde. Dies scheint so... endgültig zu sein. Und es macht mir Angst", erwiderte Gertraud tonlos. Aber Marianne ließ ihr keine Zeit zum Grübeln. Sie schob sie auf den Sessel am Feuer und bürstete ihr Haar, bis es ganz trocken war. Dann flocht sie einen Stirnkranz und ließ das Haar sonst locker über ihre Schultern fallen. Dabei erzählte sie noch mehr Gerüchte über die Schneider und schloß: "So, fertig. Ich soll dich zu ihm bringen, wenn du soweit bist" -1 4 4 -
"Zu wem?", fragte Gertraud abwesend. "Na, zu wem wohl! Du stellst Fragen! Er wartet gegenüber", sagte Marianne leise und wich ihrem Blick aus. Gertraud schritt noch einmal langsam durch alle Räume und stand schließlich ungläubig vor dem Spiegel und betrachtete sich. Sie drehte sich und streckte die Füße mit den spitzen Schuhen. Marianne, die im Hintergrund stand, sagte: "Wie eine Prinzessin" Dann trat sie mit Marianne auf den Flur. "Wir sehen uns dann später", sagte das Mädchen leise, umarmte Gertraud und lief rasch den Gang hinunter auf die Treppe zu, an der immer noch eine Wache stand. Gertraud ging auf Hardrichs Zimmertür zu und blieb eine kurze Weile davor stehen. Sie beschwor das Bild ihrer ersten Begegnung im Halbdunkel des Waldes herauf. Nie würde sie den allerersten Blick in seine Augen vergessen, der sie, wenn auch nur für einen winzigen Moment, in seine Seele hatte schauen lassen. Dann atmete sie tief durch und klopfte. "Komm herein", rief er. Gertraud trat mit klopfendem Herzen ins Zimmer und schloß leise die Tür hinter sich. "Guten Morgen", sagte sie ernst und blieb dann schweigend an der Tür stehen. Hardrich erhob sich vom Stuhl, auf dem er gesessen hatte und betrachtete sie. "Oh, Gott! Wie schön sie ist", fuhr es ihm durch den Kopf. Er hatte voller Ungeduld auf sie gewartet und sich auf ihr Lächeln gefreut. Insgeheim hatte er gehofft, daß sie ihm strahlend und dankbar entgegenlaufen würde, aber sie stand nur da. Ärgerlich und enttäuscht dachte er: "Was hat sie denn? Versteh einer die Weiber!" -1 4 5 -
"Nun, geht es dir wieder besser?", fragte er schließlich steif. "Danke, es geht mir gut", antwortete sie leise und schlug die Augen nieder. Unangenehmes Schweigen breitete sich aus. "Komm her", befahl er endlich barsch. Sie stellte sich vor ihn, den Blick gesenkt. Er faßte ihre Schulter und drehte sie so, daß sie mit dem Rücken zu ihm stand. Sie warf ihm einen ängstlichen, erschrockenen Blick zu, der seinem Herzen einen Stich versetzte. Dann zog er eine doppelreihige Perlenkette aus seiner Tasche und legte sie ihr langsam um den Hals. Er strich ihr mit einer Hand ganz behutsam die Haare aus dem Nacken und mühte sich, mit seinen großen Händen die zierliche Silberschließe zu verriegeln. Plötzlich fuhr sie herum, riß sich die Kette vom Leibe und schleuderte sie zu Boden. Dann begann sie mit den Fäusten gegen seine Brust zu hämmern und schrie ihn an: "Hört auf! Hört sofort auf damit! Für was bezahlt Ihr mich? Ich ertrage dieses Spiel nicht länger! Was wollt Ihr denn von mir? Wenn Ihr mich zu eurer Metze machen wollt, dann tut es doch und verspottet mich nicht länger!" Alle Anspannung der letzten Tage entlud sich nun in diesem Ausbruch. Wie versteinert ließ Hardrich sie toben, bis sich ihre Wut schließlich in Verzweifelung wandelte und sie in Tränen ausbrach. Dann faßte er ihre Hand und zog sie hinter sich her zur Tür, ging über den Flur, öffnete ihre Zimmertür und schubste sie hinein. Er sagte nichts und sah sie auch nicht an, sondern drehte sich einfach um und ließ sie allein. Sie hörte ihn mit raschen Schritten den Gang entlanggehen. Weinend warf sie sich in einen der Sessel am Kamin. Hardrich ging zu den Ställen. Unwirsch schickte er Till und die -1 4 6 -
anderen Knechte hinaus. Dann trat er zu seinem Pferd, legte stöhnend den Kopf an den Hals des Tieres und schloß die Augen. Trotz des Helmes meinte er, die Wärme des großen Pferdes zu spüren. Fast wünschte er sich seinen Zorn herbei, denn was er jetzt fühlte, verwirrte ihn zutiefst. Endlich begann der Wallach unruhig zu schnauben und mit den Hufen zu scharren. "Nur ruhig, alter Freund. Es geht ja los", sagte er sanft und strich ihm über die weichen Nüstern. Dann legte er selbst ihm den schweren Sattel auf, zurrte ihn fest und führte den Wallach ins Freie. Stunden später, es war schon dunkel, trabte er durch das Stadttor von Salin. Er war scharf geritten und sein Pferd schweißnaß. An einer der Schenken machte er halt. Er stieg ab und führte sein Tier zu den Ställen. "Reib ihn ordentlich trocken, hörst du!", wies er den Stalljungen an und steckte ihm eine Münze zu. Der Junge nickte und lächelte ihn an. Man erkannte hi n offensichtlich nicht. Er trug nur einen schlichten Lederrock und bis auf den Helm, sah er wie ein gewöhnlicher Reisender aus. Er betrat die verräucherte Wirtschaft und auch hier schaute kaum jemand auf. In einer Ecke fand er einen ruhigen Platz und ließ sich Bier und eine Mahlzeit bringen. Während er sich hungrig über den deftigen Eintopf hermachte, trat jemand an seinen Tisch. Er blickte auf und sah die Rote vor sich stehen. Sie grinste ihn an und fragte: "Darf ich Euch Gesellschaft leisten?" Kauend nickte er nur. Sie setzte sich ihm gegenüber. Er wischte sich die Lippen und rief dem Wirt zu, er solle Branntwein für sie bringen. Sie lehnte sich gelassen zurück und ließ ihn schweigend zu Ende essen. Als das Geschirr abgeräumt war, nahm sie einen Schluck aus -1 4 7 -
ihrem Becher und warf ihm einen süffisanten Blick zu. Dann beugte sie sich vor, sah ihm tief in die Augen, strich, wie zufällig, mit einem Finger ganz leicht an seinem bloßen Unterarm entlang und raunte: "Sobald hatte ich nicht mit Euch gerechnet" Die zarte Berührung genügte, um Wellen von wohligem Schauer über seinen Körper zu jagen. Der Klang ihrer rauchigen Stimme und der Blick aus ihren katzengleichen Augen ließen sein Begehren hell auflodern. "Welches ist dein Zimmer?" Sie wies nach oben. "Das große... nehme ich an?" Sie nickte. "Dann laß uns gehn", erwiderte er. Sie führte ihn eine schmale Stiege ins obere Stockwerk hinauf. Kaum das sie allein waren, zog er sie an sich. Während er sie ungestüm küßte, wich sie langsam zurück, bis sie mit dem Rücken an der steinernen Wand lehnte. Sie stellte einen Fuß auf die Bettkante und raffte ihren Rock in die Höhe. Der Duft ihrer feuchten Weiblichkeit stieg ihm in die Nase. Er zerrte den Schwertgurt vom Leibe und ließ ihn scheppernd zu Boden fallen. Unbeherrscht riß er an seinen Beinkleidern. Dann griff er mit beiden Hände unter ihre nackten Hinterbacken und hob die Frau in die Höhe, bis er mit einem Stöhnen in sie eindringen konnte. Sie schlang die Arme um seinen Hals und flüsterte ihm zu: "Na los! Nagelt mich an die Wand! Los doch!" Hart drückte er sie an die Wand und stieß wieder und wieder zu, als wollte er ihr Becken zermalmen. Mit einem erstickten Keuchen warf er sich schließlich ein letztes Mal gegen sie und kostete die Woge der Befriedigung bis zum letzten Tropfen aus. Dann ließ er sie langsam herab und wankte zum Bett, wo er erschöpft niedersank. -1 4 8 -
Sie zog ihm die Stiefel aus, befreite ihn von seinem schweren Lederwams und den Kleidern. Dann entkleidetet auch sie sich und legte sich zu ihm. Während er immer noch erhitzt auf dem Rücken lag, die Augen geschlossen, bedeckte sie seine Brust mit Küssen und spielte mit seinem dichten Brusthaar. Auf einmal verschränkte er die Arme hinter seinem Kopf und sah sie an. Sie stützte sich auf ihren Ellenbogen und erwiderte aufmerksam seinen Blick. "Da du dich so vortrefflich auf die Spielchen zwischen Mann und Frau verstehst. Erkläre mir folgendes: Einmal angenommen, ein Mann macht einer Frau, der er gewogen ist, ein Geschenk und sie, statt sich zu freuen, wendet sich plötzlich gegen ihn, tobt, schlägt ihn und schreit ihn an. Was hat das zu bedeuteten?", fragte er. "Nun, da gibt es wohl drei Möglichkeiten", antwortete die Rote langsam und fuhr nachdenklich fort: "Schlägt sie den Mann, einmal angenommen, ins Gesicht, vielleicht sogar im Beisein anderer Leute, dann verachtet sie ihn offensichtlich. Vielleicht war auch das Geschenk zu kläglich. Aber tobt sie, sagen wir, gegen seine Schulter und weint dabei auch noch, dann ist wohl klar, daß sie sich etwas aus ihm macht und auf ein anderes Zeichen gehofft hatte", sagte sie und schlug ihm mit der flachen Hand auf die Schulter. "Und wenn er ihr, nur so zum Beispiel wohlgemerkt, als Zeichen gerade dies Geschenk hätte machen wollen", spann er den Faden weiter. "Das einzige Geschenk, das in diesem Fall geholfen hätte, wäre ein Ring und ein Eheversprechen gewesen, nehme ich an. Ich würde sagen, sie wartet auf ein Wort von ihm. Etwas wie: 'Ich liebe dich unendlich und werde dir immer treu sein. Werde die meine!' Etwas, was sie bis ans Ende ihrer Tage in ihrem Herzen tragen würde. Und -1 4 9 -
es dem Mann bei jeder Gelegenheit unter die Nase reibt, wohlgemerkt. Deshalb sollte der Mann auch sicher sein, daß sie es wert ist", entgegnete sie schmunzelnd. "Und wenn... er sie nun nicht zum Weibe nehmen könnte?", fragte er weiter. "Weil er schon verheiratet oder sie jemand anderem versprochen ist?", fragte sie. "Nein,... eher weil... ", wand er sich. "Vielleicht weil er ein Kind aus reichem Haus und sie der vaterlose Bastard der letzten Wäscherin im Ort ist. Etwas in der Art?", forschte sie weiter. "Etwas in der Art", sagte er und ließ sie nicht aus den Augen. "Ach!", seufzte sie, "Das bringt nur Kummer auf beiden Seiten, glaubt es mir. Er sollte sie sich aus dem Herzen reißen. Schickt ihn zu mir. Ich helf ihm gern darüber weg" Hardrich verzog das Gesicht zu einem gequälten Lächeln und schwieg. "Es gibt noch eine dritte Möglichkeit, sagst du?", fragte er schließlich. Da schwang sie sich mit funkelnden Augen auf ihn. Sie zog seine Handgelenke hinter seinem Nacken hervor und drückte sie in die Kissen, so fest sie konnte. "Nun, es gibt auch Frauen, die schlagen ihre Männer, um ihnen durch den Schmerz eine ganz besondere Lust zu bereiten. Das scheint mir zwar hier nicht der Fall zu sein, aber vielleicht habt Ihr nichts destotrotz Lust, es einmal zu versuchen?", lockte sie und sah ihn herausfordernd an. "Bist du völlig von Sinnen?", brummte er. Und so rangen sie eine Weile miteinander, bis ihr Widerstand sein -1 5 0 -
Verlangen neu entfachte. Und je beharrlicher sie sich sträubte, umso heftiger begehrte er sie. Sie biß und kratzte, bis er schließlich die Geduld zu diesem Spiel verlor und ihr mit aller Macht die Beine auseinanderzwang. Sie unterwarf sich seinem Willen, und er fühlte sich frei und seiner selbst sicher wie seit Tagen nicht mehr. Später, als er eingeschlafen war, löste sie sich sachte aus seinem Arm und ließ ihm das schmale Bett für sich allein. Während sie sich ankleidete, betrachtete sie ihn nachdenklich. Wie ein gefällter Baum lag er da, völlig entspannt im tiefen Schlaf. Sie lächelte in sich hinein. Wie sehr sich doch die Bilder immer wieder glichen hinterher! Dann blies sie die Kerzen aus und zog leise die Tür hinter sich zu. Es war schon heller Vormittag, als er erwachte. Er hatte Durst und sein Kopf schmerzte. Er sah sich nach der Frau um und war verärgert, als er sich allein vorfand. Mißmutig lag er noch eine Weile dösend im Halbschlaf, bis es an der Tür klopfte. "Ja?", knurrte er. Die Rote kam mit einem Krug in der Hand herein, den sie schweigend neben dem Bett abstellte. Dann setzte sie sich lächelnd zu ihm auf die Bettkante. Er streckte die Hand nach ihrem Gesicht aus, faßte übellaunig ihr Kinn und brummte: "Das ich nicht noch einmal allein hier aufwache, Weib!" Ohne etwas zu erwidern, griff sie nach seiner Hand und steckte sich seinen Mittelfinger in den Mund. Sie begann genüßlich an ihm zu saugen und ihn mit der Zunge zu umschmeicheln, sie kaute sanft auf ihm herum und fixierte den jungen Mann dabei mit ihren grünen Augen. Amüsiert beobachtete sie das Spiel seiner Kiefermuskeln, als er die Zähne zusammenbiß und sich bemühte, keinerlei Regung zu zeigen. Aber sie war sich ihrer Sache sicher. Vergeblich kämpfte Hardrich darum, sein Verlangen zu -1 5 1 -
unterdrücken. Es ärgerte ihn, daß sie schon wieder die Initiative ergriff. Aber nach kurzer Zeit mußte er sich geschlagen geben. Er war wütend auf sich und auf sie und sein Schädel dröhnte. Grob zog er sie zu sich heran. Er wußte, daß er ihr wehtat, doch sie sagte keinen Ton. Danach setzte er sich auf und langte nach dem Krug. Es war ein dunkles, rötliches Bier mit einem eigentümlichen Geschmack, aber er war durstig und leerte den Krug in einem Zug. Mit dem Verlangen war auch seine Wut verraucht und er fragte: "Na und? Hattest du noch andere Freier gestern abend?" Sie nahm ihm den leeren Krug ab und sah ihn ruhig an. "Nein. Gestern abend hatte ich noch anderes zu tun. Mir gehört die Wirtschaft. Ich habe zwar noch immer meine Stammkundschaft, aber eigentlich.... Eigentlich bin ich nur noch für die besonderen Wünsche zuständig", antwortete sie. Überrascht schaute er sie an und frage: "Und neulich? Was wolltest du im Lager?" "Nun, ich war neugierig. Neugierig auf Euch. Man erzählt sich ja so einiges. Und wer weiß, ob sich die Gelegenheit noch einmal geboten hätte", kam die Antwort. "Und? Was fandest du vor?", fragte er müde. "Nicht mehr und nicht weniger als ich erwartet hatte. Einen Mann", sagte sie. Er grinste, schwang sich aus dem Bett und langte nach seinen Kleidern. Sie ging zur Tür und fragte: "Was wollt Ihr essen?" "Nichts. Laß nur mein Pferd satteln", antwortete er. Es hatte sich inzwischen herumgesprochen, daß der Markgraf im Hause war, denn als er hinunterkam, herrschte angespanntes Schweigen und niemand wagte, ihm in die Augen zu sehen. -1 5 2 -
Die Rote begleitete ihn noch bis zu den Ställen. Er beglich großzügig seine Schulden und stieg auf. Sie steckte ihm einen Beutel in die Satteltasche und sagte: "Falls Ihr doch noch Hunger bekommt" "Hm", nickte er und ließ dann sein Pferd antraben. "Gute Reise und... vielleicht auf bald", rief sie ihm nach. Er ritt gemächlich aus der Stadt. Vor den Toren arbeiteten die Menschen auf den Feldern. Schnitter nutzten den warmen Tag, um das letzte Korn zu ernten, und Frauen und Kinder banden die Halme zu dicken Garben. Hier und da wurde noch einmal Heu gemäht und gewendet und auch auf den Gemüsefeldern standen die Frauen gebückt bei der Arbeit. Die Bauern waren zufrieden mit der Ernte, Handel und Handwerk blühten und es herrschte Frieden im Land. Grübelnd ritt er die staubige Straße entlang und aß dabei von den duftenden, kleinen Blaubeerkuchen, die sie ihm mitgegeben hatte. Von einem der Felder klangen Kinderstimmen fröhlich zu ihm herüber und er dachte: "Es ist ein gutes Jahr für jedermann. Gott sei Dank. Warum sollte ich dann nicht wenigstens die Frau bekommen, die ich will? Warum ist sie bloß nicht als Tochter vom alten Trettin auf die Welt gekommen? Dann könnte ich sie einfach zur Gemahlin nehmen und gut. Oh, Gott! Ist das denn zuviel verlangt?" Mit einem Mal kam ihm siedend heiß ein Gedanke in den Sinn. Er stopfte sich den Rest des Kuchens in den Mund und gab seinem Pferd die Sporen. Als er endlich im Kloster der Stadt eintraf, waren die Brüder gerade bei der Abendandacht. Er band sein erschöpftes Tier vor der Tränke an und betrat die Kirche. Im tiefdunklen Schatten des Portal blieb er stehen und lehnte sich an die kühle Wand. Er lauschte den Wechselgesängen der Mönche und langsam beruhigte die andächtige -1 5 3 -
Ruhe des Gotteshauses sein brennendes Herz. Nach dem Gottesdienst ging er hinaus und wartete ungeduldigt, bis Albertinus mit den anderen schweigend das Gebäude verließ. Verwundert nickte dieser, als Hardrich an ihn herantrat und fragte, ob er ihn sprechen könne. In der schlichten Stille seiner Zelle, bot er dem Ritter Platz an und füllte zwei Becher mit Wein. Einen reichte er Hardrich und nahm ihm gegenüber Platz. Dann sah er den Markgrafen neugierig an und fragte: "Was kann ich für Euch tun, mein Sohn?" "Es geht noch einmal um die Frau....", begann dieser. Für Gertraud waren die folgenden Tage eine Zeit der bangen Ungewißheit. Der Ritter ließ sich nach ihrem Ausbruch nicht mehr sehen und sie wagte es nicht, ihn von sich aus anzusprechen. Wann immer sie seine Schritte im Gang zu hören glaubte, fürchtete sie, er würde an ihre Tür klopfen und sie zur Rede stellen. Zugleich aber war dies genau das, was sie herbeisehnte. Lustlos stocherte sie im Essen herum und war traurig und schweigsam. Marianne, die ihr nach wie vor oft Gesellschaft leisten durfte, wußte sich bald nicht mehr zu helfen. Als sie eines Tages den Ritter allein im Treppenhaus antraf, warf sie sich ihm zu Füssen. Noch nie vorher hatte sie gewagt, ihn anzusprechen. Ihr Herz raste und ihre Stimme versagte ihr fast den Dienst, als sie flehentlich sagte: "Vergebt mir, Herr..." Hardrich stutzte und frage: "Was gibt es denn?" "Herr, ich wollte fragen,.... Gertraud, ich meine, die junge Frau Kerner, sie ist so trübsinnig. Ich habe schon alles versucht, aber sie ißt kaum noch etwas und wenn ich ihr etwas erzähle, scheint sie mit Gedanken ganz woanders zu sein" Marianne sah erschrocken, wie der Ritter die Stirn runzelte und brach in Schweiß aus. Sie stammelte weiter: "Ich dachte, vielleicht -1 5 4 -
würde sie ein Kätzchen ein wenig aufmuntern. Unsere Katze hatte ihren Herbstwurf sehr früh in diesem Jahr und ich dachte,... nun, ich dachte, ich könnte ihr eines von den Kleinen bringen..." "Das hört sich nach einer guten Idee an. Tu´ das", sagte er nicht unfreundlich. "Ja, Herr", antwortete Marianne erleichtert und beeilte sich, davon zu kommen. Nachdenklich sah der Markgraf ihr nach und stieg dann weiter die Treppe hinauf. Er ging geradewegs auf ihre Tür zu, klopfte und trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten. Gertraud hatte, wie so oft, am Fenster gestanden und den Blick über die Felder und Gärten schweifen lassen. Sie fuhr aus ihren Gedanken auf, als sie das Klopfen hörte und drehte sich um. Eigentlich hatte sie Marianne erwartet und als sie nun den Ritter eintreten sah, erschrak sie zuerst. Doch sie fing sich rasch wieder und kam langsam auf Hardrich zu, der immer noch an der Tür stand. "Es freut mich, Euch zu sehen. Nehmt doch Platz", sagte sie und wies einladend auf die Sessel am Feuer. Schweigend setzten sie sich. Hardrich sah, daß ihre Augen rot und geschwollen waren und sein Herz krampfte sich zusammen. Schließlich sagte er: "Morgen ist Sonntag und ich dachte, du würdest vielleicht gerne die Messe besuchen wollen. Hinterher könnten wir uns die Brauerei und den Bären ansehen,... wenn du willst" Ungläubig starrte sie ihn an und wußte in ihrem Erstaunen erst keine Antwort. "Du hast also keine Lust?", fragte er. "Oh, doch! Herzlich gerne!", rief sie und sprang auf. Auch er erhob sich und sagte: "Ich hole dich morgen früh ab" Er wollte sich zum Gehen wenden, da stürzte sie auf ihn zu und kniete -1 5 5 -
sich ihm in den Weg. "Herr!", bat sie mit gesenktem Blick, "Laßt mich nicht wieder hier allein zurück ohne ein klärendes Wort, ich flehe Euch an! Es tut mir leid, wenn ich Euch verletzt habe, aber diese Ungewißheit ist mehr, als ich ertragen kann" "Steh auf", sagte er. Sie ergriff seine ausgestreckte Hand und er zog sie auf die Füße. Er ging zum Fenster, sah hinaus und sagte leise: "Am Sonntag in vierzehn Tagen findet das Turnier statt. Am Tag davor wirst du deine Entscheidung treffen und gehen, wohin du willst. Darauf hast du mein Wort. Die vierzehn Tage aber will ich kein Weinen mehr hören und kein kummervolles Gesicht mehr sehen. Ist das zuviel verlangt?" Er hörte, wie Gertraud hinter ihm tief durchatmete und dann bestimmt sagte: "Nein, Herr, das ist durchaus nicht zuviel verlangt" Er drehte sich zu ihr um und sie lächelte ihn noch etwas unsicher an. "Schon besser", sagte er streng. "Kommt, leistet mir ein wenig Gesellschaft und erzählt mir etwas. Etwas von... äh, von der Jagd", versuchte sie ihn zum Bleiben zu überreden. "Von der Jagd? Welcher Jagd?", fragte er erstaunt. "Nun, Ihr ward doch neulich auf der Jagd. Ihr hattet ein Reh und ein, zwei Vögel erbeutet, glaube ich", beharrte sie. "Vier! Vier Fasane waren das! Im Moment warten noch einige andere Dinge auf mich, aber wenn ich es mir so überlege.... Das Wild müßte inzwischen abgehangen sein. Wir können nachher zusammen essen. Und wenn du es dann immer noch hören willst, kann ich dir von der Jagd erzählen. Wenn mich nicht alles täuscht, wartet da auch schon jemand anderes auf dich", sagte er und öffnete die Tür. Draußen stand Marianne mit einem Korb im Arm und -1 5 6 -
schaute den Ritter ängstlich an. Hardrich schickte sie hinein und ging. Gegen Abend kam ein Diener und führte Gertraud in den Saal, in dem sie bereits mit ihrem Vater und von Trettin gegessen hatte. Die Fenster waren gegen die abendlich Kühle mit dicken Vorhängen verhängt und im Kamin brannte ein Feuer. Kerzen und Fackeln erhellten den Raum. Es war festlich für zwei Personen gedeckt, und der Ritter erwartete sie. Sie hatte sich umgezogen und lächelte Hardrich schüchtern an, als sie den Raum betrat. Sie trug das dunkle Kleid und hatte ihr Haar mit einem passenden Tuch im Nacken zu einem schlichten Zopf gebunden. Durch die Tage des Fastens war ihr Gesicht noch schmaler geworden. Die strenge Frisur und das hochgeschlossene Kleid verliehen ihrem hellem Gesicht eine madonnenhafte Schönheit. Er starrte sie an, bis sie rot wurde, unsicher an sich herabsah und fragte: "Stimmt etwas nicht?" "Nein, nein. Setz dich, setz dich", brummte der Markgraf verlegen. Ein Diener schenkte ihnen roten Wein ein. Hardrich ergriff den gläsernen Pokal und prostete ihr zu. "Worauf trinken wir?", fragte er lauernd. "Auf daß es uns nie schlechter geht als heute", antwortete sie. Hardrich grinste und sie tranken beide. Der Wein war nicht gewürzt und herb. Sie hatte wenig gegessen den ganzen Tag und spürte, wie ihr der Schluck kühl die Kehle hinunterrann und fast sofort zu Kopf stieg. In ihren Schläfen begann es zu pochen. Suppe wurde gebracht. Es war eine klare Fasanenkraftbrühe. Dazu gab es Brot und Butter. Danach wurde das Hauptgericht aufgetragen. Gespickter Rehrücken, Filetstreifen mit Pfifferlingen, Rehkeule und gebratener Fasan. Sie kostete von allem und aß mit Appetit, wie seit Tagen nicht mehr. Wann immer sie aufschaute, sah -1 5 7 -
sie, daß er sie beobachtete. Endlich brach sie das Schweigen und sagte: "Ich habe noch nie Wild gegessen. Es hat einen eigentümlichen, kräftigen Geschmack. Nun? Wollt Ihr mir nicht erzählen, wie Ihr es erjagt habt?" "Was genau willst du denn hören?", wollte er wissen. "Ich war noch nie auf einer Jagd. Was erzählen sich denn die Männer, wenn sie von der Jagd erzählen?", fragte sie zurück und sah ihn schelmisch an. Sie leckte sich bedächtig die Fingerspitzen ab, was ihn innerlich aufstöhnen ließ. Er fühlte, wie sein Geschlecht sich regte und bemühte sich, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. "Wenn ich es mir recht überlege, erzähle ich sonst gar keinem von der Jagd", brummte er. "Versucht es einmal. Etwa so: 'Ich kam also auf diese kleine Lichtung und das stand das Reh....' " begann sie. Er seufzte ergeben und sagte: "Also. Ich kam auf keine kleine Lichtung, sondern ich lag an einem Wasserlauf auf der Lauer" "Und weiter?", sie forderte ihn mit einer Handbewegung zum Weiterreden auf, griff noch einmal zum Fasan und nahm sich einen knusprigen Flügel von der Schale. Zuerst stockend, doch dann immer flüssiger erzählte er schließlich: "Ich hatte auf der letzten Pirsch dort Rast gemacht und am Ufer viele Spuren gesehen. Das Rehwild schien dort regelmäßig zur Tränke zu kommen...." Als würde er die Szenen noch einmal miterleben, beschrieb er ihr, wie er lange auf einem Hügel auf der Lauer gelegen hatte und fast schon aufbrechen wollte. Doch dann war eine kleine Gruppe aufgetaucht, und er schilderte weiter die Vorbereitungen auf den ersten Schuß mit der Armbrust, der nicht ganz saß und berichtete ihr dann von der Verfolgung des verletzten Tieres durch das Unterholz. Gertraud unterbrach ihn zweimal, um etwas zu fragen und hörte ihm -1 5 8 -
sonst ohne ein Wort zu. Als er endlich endete, war sein Mund trocken, und ein Diener wechselte die fast heruntergebrannten Kerzen aus. Ihm war, als hätte er noch nie in seinem Leben derart lange geredet. Mit fahrigen Fingern griff er verlegen nach seinem Glas und nahm einen großen Schluck. "Ihr habt mich soeben an meiner ersten Jagd teilhaben lassen. Das war sehr aufregend", sagte sie lächelnd und leerte ihr Glas. Sogleich wurde ihr nachgeschenkt. Die Diener räumten den Tisch ab und brachten eine Obstschale und eine Platte mit Gebäck. Sie nahm ihr Glas und lehnte sich entspannt zurück. "Ich kann beim besten Willen nicht einen Bissen mehr essen", stöhnte sie. Sie nippte am Wein und gähnte verstohlen. "Es ist spät", sagte Hardrich und stand auf. Gertraud erhob sich und schwankte leicht. Der Wein war doch stärker gewesen, als sie gedacht hatte. Schweigend gingen sie langsam zusammen die Treppen hinauf. Vor ihrer Zimmertür wünschte Gertraud ihm eine gute Nacht und sagte: "Es war ein schöner Abend. Ich danke Euch. Wir sehen uns dann morgen?" "Ja. Bis morgen", erwiderte er. Hardrich wartete noch, bis sich die Tür hinter ihr schloß und ging dann in sein Zimmer. Unruhig warf er sich noch eine Weile im Bett hin und her, bis er endlich Schlaf finden konnte. Anderntags weckte Marianne Gertraud rechtzeitig, half ihr beim Baden und Anziehen und legte ihr dann den weiten Mantel mit der großen Kapuze um. Sie trug auch die neuen Stiefel und wartete ungeduldig auf das Erscheinen des Ritters. Sie war aufgeregt und freute sich, unter Menschen zu kommen und -1 5 9 -
ihr Zimmer für eine Weile zu verlassen. Endlich klopfte es. Ein Diener brachte sie in die große Eingangshalle, wo der Ritter sie erwartete. Er sprach mit Lose, hatte aber den Blick unverwandt auf die Treppe gerichtet. Sie kam ihm strahlend entgegen, verneigte sich und begrüßte auch den Verwalter, der sich gleich darauf entfernte. Hardrich trug einen prächtig ziselierten Brustharnisch und einen Helm in der gleichen Art. Wams und Beinkleider waren aus schwarzem Tuch, aber schlicht gehalten. Er nickte ihr zu und sagte: "Laß´ uns gehen" Zu ihrem Erstaunen verließen sie die Burg nicht zum Haupttor, sondern betraten die Burgkapelle, die zwischen Kasernen und Hauptgebäude an der Mauer lag. Ehrfürchtig betrachtete sie die wuchtigen Heiligenstatuen im unbeleuchteten Dunkel des Gotteshauses. Als sie ins Mittelschiff traten, bekreuzigten sich beide und gingen dann den Hauptgang entlang auf den Altar zu. Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu, aber er hatte den Helm nicht abgenommen. Rechts und links des Altars bedeckten steinerne Grabplatten den Boden. Gertraud betrachtete beim Näherkommen eine Frauengestalt, die auf einer der Platten in getriebenem, geschwärzten Metall dargestellt war. Diese hielt eine Blume, eine Lilie, in der Hand und hatte ein feines Lächeln auf den Lippen. Gertraud las den Namen Hilda auf der Inschrift. "Ist das Eure Mutter", hauchte sie. "Was? Ach so... Ja", sagte er heiser und blieb so abrupt stehen, daß sie fast in ihn hineingelaufen wäre. Er wies auf den Stein daneben und sagte: "Und hier liegt mein Vater. Und dort meine Schwestern. Adelheid rechts und Elisabeth links" "Das ist das Schwert, das Ihr führt, nicht wahr? Der Knauf mit der Bärentatze?", fragte sie und zeigte auf das Grabmal seines Vaters, auf dessen Platte dieser mit Schild und Schwert abgebildet war. "Ja, es wurde mir bei der Schwertleihe vom König überreicht. -1 6 0 -
Unter anderen Umständen hätte ich es vielleicht in zehn, fünfzehn Jahren aus der Hand meines Vaters erhalten", antwortete er düster. "Könnt Ihr Euch noch an sie erinnern? Ich meine, an Vater und Mutter? Oder an die Schwestern?", fragte sie leise. "Nein, nur wenig. Und was davon Erinnerung und was Erzählung ist, kann ich kaum mehr unterscheiden. Komm. Wir verspäten uns", sagte er knapp. Er ging in einen Nebenraum. Gertraud hastete hinter ihm her. Im Dämmerlicht der kleinen Sakristei entzündete er eine Laterne und schlug dann einen Wandteppich zur Seite. Eine schmale, eiserne Tür kam dahinter zum Vorschein. "Ich gehe vor. Es ist ein wenig dunkel, aber der Gang ist nicht sehr lang", murmelte er und fischte nach einem klirrenden Schlüsselbund in seiner Tasche. Er schloß die Tür auf, zwängte sich durch die enge Öffnung und drehte er sich zu ihr um. Einen kurzen Moment lang verloren sich beide in den Augen des anderen. Dann reichte er ihr seine Hand, die sie ohne Zögern ergriff und schlüpfte hinter ihm durch das Türchen. Ein feuchtkalter Luftzug wehte ihr entgegen. Nachdem er die Tür hinter ihr versperrt hatte, führte er sie vorsichtig eine steinerne Treppe in die Tiefe. Die Stufen mündeten schließlich in einem ebenen Gang mit hoher, gewölbter Decke. Feuchtigkeit glänzte an den rauhen Wänden. Hier ließ der Ritter ihre Hand los und ging schweigend voraus. Gertraud folgte ihm dicht auf. "Wo sind wir hier?", fragte sie und ihre Stimme hallte ungewohnt durch die Dunkelheit. "Unter der Burgmauer. Der Gang führt in Richtung des Klosters nebenan. Und endet direkt in der Kirche. Sehr bequehm bei schlechtem Wetter. Es gehen von hier noch andere Gänge ab, die -1 6 1 -
sich immer weiter verzweigen. Siehst du da die Öffnung?", antwortete er und hielt die Laterne in die Höhe. Sie sah, daß an der linken Seite ein wesentlich niedrigerer Gang hinab ins Dunkle führte. Der kalte Lufthauch schien von dort zu kommen. "Es ist ein richtiges Labyrinth. Man verläuft sich nur zu leicht da unten", warnte er und ging weiter. Plötzlich klang, wie von ferne, gedämpftes Glockengeläut zu ihnen hinunter. Sie gingen noch eine Weile durch die Dunkelheit und passierten zwei weitere Abzweigungen. Endlich kamen Stufen in Sicht, die wieder aufwärts führten. Hardrich schloß eine zwei Tür auf und schlug auch hier einen Wandvorhang zur Seite. Dann stieg er über die Schwelle hinaus und half ihr herauf. Er verschloß die Tür und hängte den Vorhang wieder zurecht. Sie befanden sich in einem kleinen Andachtsraum mit drei hohen Fenstern und vier Bankreihen. Ein zierliches, dreiflügeliges Altarbild stand auf einem weißgedeckten, schlichten Tisch. Laut und mahnend riefen die Glocken zur Messe. Sie verließen den Raum, kamen in ein Treppenhaus und stiegen eine hölzerne Wendeltreppe hinauf. Gertraud hörte Gemurmel und unterdrücktes Husten von vielen Menschen und vermutete, daß sie gleich auf eine Empore hinaustreten würden. Doch die Treppe endete und sie befanden sich auf einer Art Balkon, der aber von allen Seiten mit dünnen Holzwänden verkleidet war. Feine Öffnungen in kunstvollem Blumen- und Kreuzmuster durchbrachen das Holz und gaben den Blick frei auf die Gläubigen unter ihnen, die sie ihrerseits aber nicht sehen konnten. Zwei reich verzierte, bequehme Polsterstühle mit Kniebänken davor standen vor ihnen. Als Hardrich vortrat und Platz nahm, knarrten die alten Dielen unter seinem Gewicht und Gertraud sah, wie die Menge unter ihnen zusammenzuckte, verstummte und verstohlen -1 6 2 -
nach oben sah. Gertraud setzte sich auf den Stuhl zu seiner Linken und tat, als hätte sie dies nicht bemerkt. Hardrich behielt auch hier den Helm auf dem Kopf, und Gertraud begann, den Grund für diese seltsame Loge zu ahnen. Nur ihretwegen konnte er den Helm heute nicht ablegen. Sie ließ ihren Blick durch den Kirchenraum wandern, soweit die Wände des Balkons es zuließen. Im Chorgestühl saßen die Mönche des Klosters und sie erkannte Albertinus unter ihnen. Sie lächelte und sah Hardrich an. Der hatte ihren Blick verfolgt und sagte: "Siehst du den kleinen Mönch mit der Narbe auf der Wange, zwei Plätze neben Albertinus? Das ist Bruder Gambrinus. Er ist für die Brauerei zuständig. Er wird uns nachher herumführen und den Bären vorstellen. Und da kommt der Prior" Die Messe nahm ihren Lauf und beide folgten schweigend der Lithurgie, den Gesängen und Gebeten, bis der Prior die Menschen schließlich mit einem Segen entließ. Gertraud hörte, wie sich unten die Leute erhoben und gingen und wollte auch aufstehen, aber er brummte: "Laß sich das Volk unten etwas verlaufen" Sie warteten noch fünf Minuten und und verließen dann das Treppenhaus durch einen anderen Ausgang. Bevor sie ins Freie traten, hielt er sie zurück und zog ihr die weite Kapuze bis tief ins Gesicht. "Sollen sie ruhig alle etwas zu rätseln haben. Das wird die Gerüchteküche brodeln lassen", sagte er, aber es klang nicht belustigt. Dann nahm er ihre Hand und legte sie auf seinen Arm und führte sie so aus einem Nebenausgang der Kirche. Es hatte aufgehört zu regnen. Sie umrundeten das Gebäude und überquerten gemeinsam den Kirchplatz. Gertraud sah unter dem Rand ihres Mantels hervor, wie die Leute sie verstohlen angafften und mit den Fingern auf sie zeigten. Unwillkürlich faßte sie seinen -1 6 3 -
Arm fester. Einige Näherstehende verneigten sich ehrerbietig vor dem Ritter, sagten aber kein Wort. Am Klostertor ließ man sie ohne Warten ein. Der Mann am Tor begrüßte sie und schickte einen Burschen zu Bruder Gambrinus. Wartend schlenderte Hardrich mit Gertraud, die immer noch an seinem Arm ging, über den Innenhof und den säulengetragenen Wandelgang entlang. Die Sonne kam hervor und ließ tausende von Wassertropfen auf den Büschen und Blumen im Hof aufblitzen. Die junge Frau fragte, ob sie die Kapuze abnehmen könne. Der Ritter nickte. Sie schlug mit beiden Händen den Mantel zurück und ergriff, ganz in Gedanken, wieder seinen Arm. Dann stutzte sie, zog ihre Hand zurück und lachte verlegen: "Verzeiht! Ich wollte Euch nicht lästig fallen" Der Ritter wollte gerade etwas erwidern, als der Mönch mit der vernarbten Wange erschien und sie von weitem schon begrüßte: "Herr, hier bin ich schon. Wie schön Euch zu sehen. Und Ihr habt Besuch mitgebracht, der sich für meine bescheidene Kunst interessiert. Gott zum Gruß" Er verneigte sich und betrachtete Gertraud mit offenkundiger Neugier. Hardrich erwiderte die Begrüßung kurz angebunden und warf dem Mönch einen ärgerlichen Blick zu, was diesen aber nicht zu kümmern schien. Plaudernd führte er sie durch eine Pforte und einen Weg entlang zum Brauhaus, welches, etwas abseits der sonstigen Gebäude lag. Vier große, kupferne Braupfannen standen in der weiten Halle. Alles war einige Nummern größer, als zuhause in Rettow, aber sie erkannte mit geübtem Blick, daß die Ausstattung um einiges älter war. Auch hier hatte die Brausaison noch nicht begonnen, aber der vertraute Geruch, der in der Luft lag, ließ Gertrauds Herz schneller schlagen. Lächelnd und nickend folgte sie den Ausführungen ihres Führers, während der Ritter mißmutig hinterherstapfte. Endlich ließen -1 6 4 -
sie das Herzstück der Brauerei hinter sich, warfen noch einen Blick in den unterirdischen Faßkeller und verließen das Gebäude zum Hinterausgang. Hier stand der Zwinger des Bären und der Brunnen. Bruder Gambrinus erzählte noch etwas zur Güte des Wassers und blieb dann in einiger Entfernung zum Käfig stehen. Gertraud reckte den Hals, sah aber nur ein zusammengerolltes Fellbündel in einer Ecke. Gambrinus pfiff und im Zwinger regte sich das Tier. Gertraud sah eine schwarze Schnauze und kleine Augen verschlagen blinzeln. "Ich werde ihn für Euch etwas munterer machen. Bleibt hier stehen", sagte der Mönch und nahm eine Eisenstange, die an der Wand lehnte. Er spießte eine gelbe Rübe auf die Spitze und hielt sie dem Bären vor die Nase, bis dieser träge aufstand und mit der Tatze danach schlug. Aber Gambrinus entzog ihm das Futter blitzschnell, um es ihm gleich darauf wieder vor den Augen hin und hertanzen zu lassen. Das Spielchen trieb er eine Weile, bis das Tier plötzlich aufsprang, sich hochaufgerichtet gegen die Gitter warf und ein wütendes Gebrüll hören ließ. Er stieß mit der Tatze zwischen den Stäben hindurch und versuchte den Mönch zu packen, der aber in sicherer Entfernung stand. Gertraud war erschrocken einen Schritt zurückgewichen. Gewaltige Kiefer mit riesigen, gelben Zähne bissen zornig in die Gitterstäbe. Dann ließ sich das Tier wieder auf alle viere fallen und begann die wenigen Schritte, die der knappe Raum ihm ließ, hin und her zu laufen. Immer hin und her, hin und her. An vielen Stellen war ihm das Fell bereits ausgegangen und dort, wo seine Schulter die Gitter streiften, war die Haut kahl und wundgerieben. Gambrinus trat zu Gertraud und sagte: "Es ist ein bösartiges Tier. Kommt ihm nicht zu nahe! Einmal hat er mich erwischt. Seht Ihr? Mit nur einem kurzen Prankenhieb hat er mir die ganze Wange aufgerissen. Er haßt mich, weil ich ihm so manches durchgekaute Stück Futter stehlen muß, um an seinen Speichel zu kommen. Und so -1 6 5 -
ein Bär ist anders als ein Hund oder ein Wolf. Man kann an seinen Gesten und an dem Ausdruck seines Gesichts nicht sehen, was gerade in seinem dicken Schädel vor sich geht. Ist er voll Mordlust oder ist er müde, ist er ängstlich oder gutgelaunt? Man kann es einfach nicht erkennen! Und das macht den Umgang mit ihm so gefährlich" Der Mönch warf einen vorsichtigen Blick auf den Ritter, der etwas abseits stand, und raunte ihr leise zu: "Ich kenne nur einen einzigen Menschen, bei dem das ebenso ist" Gertraud wußte nicht, was sie darauf erwidern sollte und so schwieg sie und betrachtete weiter den Bären, der ohne Unterlaß im Käfig hin- und hertrottete. Er tat ihr leid. Nachdem Gambrinus sich verabschiedet hatte, gingen sie zusammen durch die Klostergärten zurück dem Tor zu. Dort trafen sie auf Albertinus, der mit einem jüngeren Mönch über ein Beet gebückt stand. Als dieser aufsah und sie gemeinsam den Weg entlangkommen sah, erhellten sich seine strengen Züge. Er dachte: "Ursus et lilium. Bär und Lilie. Kraft und Reinheit. Wildheit und Wärme. Mut und Anmut. Mars und Venus. Großer Gott, deine Wege sind wunderbar! Oh, laß es wahr werden!" Er sagte etwas zu dem Novizen, der bei ihm stand und dieser entfernte sich in Richtung der Wirtschaftsgebäude. Gertraud freute sich, den Heiler zu sehen und bemerkte, daß sich auch Hardrichs Laune besserte, als sie den alten Mönch begrüßten. Er begleitete sie noch bis zum Tor und nickte Hardrich wohlwollend zu, als dieser mit der jungen Frau am Arm hinausging. Sie nahmen denselben Weg zurück durch den Gang und Hardrich schloß die beiden Türen gewissenhaft hinter ihnen zu, nachdem sie sie passiert hatten. Zurück in der dunklen Burgkapelle, setzte er sich schwer auf die erste Bankreihe vor den Grabmalen und sie setzte sich -1 6 6 -
ein Stück entfernt dazu. Sie schwiegen eine Weile. "Was hat dir der Schwätzer zugeflüstert?", fragte er endlich. "Ich kenne nur einen einzigen Menschen, bei dem das ebenso ist", gab sie die Rede des Mönchs wahrheitsgemäß wieder. Wieder herrschte Schweigen. "Und? Findest du, er hat Recht?", fragte er weiter. Sie überlegte einen Augenblick und antwortete dann: "Nein, ich glaube, daß man schon sehen kann, was Euch bewegt. Obwohl Ihr Euch darum bemüht, es zu verbergen. Das ist auch wahr" Und lächelnd fügte sie hinzu: "Zumindest glaube ich, daß es mir bisher ein paarmal gelungen ist, es zu erraten. Aber wer weiß, vielleicht führt Ihr mich ja an der Nase herum, wie einen Tanzbären!" "Nun, machen wir eine Probe! Was geht mir denn gerade durch den Sinn?", fragte er regungslos und sah ihr in die Augen. "Ihr seid schon wieder hungrig", sagte sie ohne Zögern. "Das ist Hexerei, Weib! Vielleicht hatte der Bastard doch recht mit seiner Anschuldigung und ich habe ihn unschuldig gerichtet! Das ist unglaublich!", rief er aus. Erschrocken faßte sie seinen Arm. "Sagt so etwas nicht! Schon gar nicht hier in der Kirche! Ich bin keine Hexe. Ich bin nur auch hungrig. Ich kann nur hoffen, daß das eben nicht ernst gemeint war", sagte sie verstimmt. Er lachte, ging aber nicht darauf ein, sondern sagte: "Na, dann komm zu Tisch!" Sie aßen zusammen, und danach kehrte Gertraud zurück in ihre Gemächer. Zum Abendessen ließ er sie wieder holen und auch an den folgenden Tagen sahen sie sich täglich, wenn auch immer nur für kurze Zeit. -1 6 7 -
Den einen Tag führte er sie über den Turnierplatz, wo die Vorbereitungen für das große Ereignis bereits liefen. Die Tribünen wurden ausgebessert, Gras gemäht und Absperrungen für die Zuschauer errichtet. Auch die Bibliothek der Burg bekam sie zu sehen, etwas, was ihr besonders gefiel. Der Raum war mit wunderschönen, hohen Regalen aus einem fast schwarzen Holz ausgestattet. Sie ging langsam an den Wänden entlang und ließ die Fingerspitzen über die kostbaren Bände streichen. Einige wenige Titel kannte sie, doch die meisten waren Werke über das Kriegshandwerk, Waffenkunde und Rechtswesen. In einer Ecke aber stand eine Sammlung von Gedichten und Sagen aus dem Altertum. Bittend sah sie ihn an, und er sagte: "Such dir eins aus. Du kannst es mit zu dir hinauf nehmen" So verbrachte sie viel Zeit mit Lesen oder spielte mit dem Kätzchen, das Marianne ihr manchmal brachte. Einmal führte er sie hinunter in die Verliese, tief unter dem runden Turm, wobei sie von dem fremdartig aussehenden Mann begleitet wurden, der den Ritter massiert hatte und den er Hassan nannte. Schweigend gingen sie immer tiefer hinab, dunkle Gänge entlang und düstere Treppen hinunter. Sie passierten mehrere Wachtposten, die dienstfertig immer neue Gittertüren vor ihnen aufsperrten. Gertraud hielt sich dicht hinter Hardrich, während der andere Mann ein paar Schritte nach ihnen folgte. "In dem Trakt dort drüben sitzen die Diebe, Betrüger, Wucherer und Falschspieler, wenn sie den angerichteten Schaden nicht dreifach ersetzen können. Die Zellen sind eigentlich immer gut besucht. Dann haben wir noch Platz für Betrunkene und Schläger da hinten. Mörder und Kinderschänder verbringen meistens nur eine Nacht hier, oft nicht ´mal das, denn der Galgen steht direkt neben dem Gerichtsberg", erzählte der Markgraf. Dann wies er noch einen Gang -1 6 8 -
entlang, aus dem gellende Schreie und irres Gelächter gedämpft zu ihnen herüberhallte. "Das sind die Verrückten", erklärte er. Viele der Zellen standen leer. Gertraud sah durch die offenen Türen in winzige, dunkle Kammern hinab, von deren Decken das Wasser tropfte. Fauliges Stroh bedeckte den Boden. "Im Felde werden keine Gefangenen gemacht, sonst wäre hier sicher mehr los. Dies gilt bis auf eine einzige Ausnahme, die du gleich zu sehen bekommst", sagte Hardrich, als er ihren fragenden Blick bemerkte. Je tiefer sie kamen, umso niedriger wurden die Decken und schmaler die Gänge. Es war Gertraud, als müsse sie unter den Tonnen von Stein und Felsen über sich und an der abgestandenen, uralten Luft ersticken. Endlich bog der Ritter in einen Seitengang ab und kam in eine hell erleuchtete Wachtstube. Die beiden bewaffneten Aufseher sprangen von ihrem Kartenspiel auf und grüßten ehrerbietig, als der Ritter eintrat. In einem angrenzenden, vergitterten Verlies lag ein Mann auf einer Pritsche. Die Zelle war sauber und hell, und es standen neben dem Bett auch Tisch und Stuhl, sowie ein Regal mit einigen Habseligkeiten dort. Im Vergleich zu den elenden Löchern, an denen sie vorbeigekommen waren, erschien Gertraud dies wie eine vornehme Herberge. Neugierig sah sie hinter dem Ritter hervor. Der Gefangene war aufgestanden. Er war kleiner als Gertraud, schlank, fast zierlich, und er mochte etwa in Hardrichs Alter sein. Als der Mann den Ritter erkannte, warf er verächtlich den Kopf zurück und sah ihn überheblich an. Seine glatten, pechschwarzen Haare waren im Nacken zu einem Zopf gebunden, und aus seinen dunklen Augen sprachen Stolz und Haß. -1 6 9 -
"Das ist Yirdrim Yol, der Sohn des kumanischen Paschas, den wir im Januar gefangennehmen konnten", sagte Hardrich und erwiderte den Blick des Prinzen gelassen. Dann wandte er sich an Hassan: "Sag ihm, daß wir heute Botschaft von seinem Vater erhalten haben" Der Angesprochene nickte und übersetzte die Worte des Markgrafen in die melodisch klingende Sprache des Fremden. Dieser umklammerte mit funkelnden Augen die Gitterstäbe, gab aber keinen Laut von sich. "Sag ihm, daß sein Vater zahlen will. Allerdings hat er noch einmal um zwei Monate Aufschub gebeten, um die Summe zu beschaffen. Ich habe ihm einen Monat zugestanden. Mehr nicht. Wenn ich dann das Gold nicht habe, wird er sterben. Länger füttere ich ihn hier nicht durch", ließ er ihn durch Hassan wissen. Der Mann hinter den Gittern lächelte kalt und erwiderte etwas. "Er sagt, Ihr könnt beruhigt sein. Sein Vater wird eher alle seine Untertanen in die Sklaverei verkaufen, als seinen einzigen Sohn hier verrecken zu lassen", übersetzte Hassan. "Nun, wer weiß? Der Pascha windet sich bereits eine ganze Weile um eine verbindliche Antwort herum. Vielleicht hat er inzwischen von seinen dreißig Frauen schon zehn andere Söhne! Das käme ihm wahrlich billiger! Los, sag ihm das", befahl Hardrich höhnisch. Als Prinz Yol seine Worte vernommen hatte, warf er Hardrich einen haßerfüllten Blick zu und presste vor Zorn bebend eine Erwiderung hervor. Als Hassan nicht sofort übersetzte, sondern den Gefangenen nur entsetzt ansah, fuhr Hardrich ihn an: "Was hat er gesagt, verdammt!" Mit niedergeschlagenen Augen antwortete Hassan endlich: "Er sagt, daß ihm schon klar sei, daß Ihr das nicht verstehen könnt. Für Euch würde sicher niemand bereit sein, auch nur ein paar -1 7 0 -
Kupferstücke zu geben" Alle Farbe wich aus Hardrichs Gesicht. Gertraud, die direkt hinter ihm stand, hörte ihn keuchen und ahnte, wie entsetzlich tief diese Bemerkung ihn getroffen haben mußte. Mit einem Mal griff der Ritter durch die Vergitterung nach dem Arm des Prinzen und riß den schmächtigen Körper mit aller Gewalt zu sich. Hart schlug das Gesicht des Gefangenen gegen die eisernen Gitterstäbe. Blut schoß ihm aus Mund und Nase. Im nächsten Moment aber hatte Hardrich ihn schon wieder losgelassen und stürmte wortlos aus dem Raum, die Treppen hinauf und fort. Gertraud blieb mit Hassan und den Wachen erschrocken zurück, während sich der Gefangene stöhnend das Gesicht hielt und auf sein Lager zurücksank. Hassan führte Gertraud schließlich die verwinkelten Gänge wieder hinauf. "Verzeiht meine Neugierde, aber wer seid Ihr, daß Ihr seine und unsere Sprache so gut sprecht?", fragte Gertraud schüchtern, während sie langsam nebeneinander die Stufen erklommen. Der Mann lächelte und sagte: "Mein Name ist Hassan und ich war lange Zeit leibeigener Masseur und Diener des Prinzen. Wir beide wurden Anfang dieses Jahres zusammen gefangen genommen. Mir schenkte der Ritter damals die Freiheit, doch wohin hätte ich gehen sollen? Niemals hätte ich es zu Fuß und ohne Geld bis in meine Heimat geschafft, denn das Land, aus dem ich ursprünglich stamme, liegt noch viel, viel weiter im Südosten. Und der Pascha, obwohl er ja besiegt worden war, hätte einen Weg gefunden, mich töten zu lassen, dafür, daß ich gesund und munter aus dem gegnerischen Lager entkommen wäre, während man seinen Sohn als Geisel gefangen hielt. Und so bot ich meine Dienste dem Ritter von Aven an und dieser brachte mich mit hierher" -1 7 1 -
"Ihr seid also kein Landsmann des Prinzen?", forschte Gertraud weiter. "Nein. Ich stamme aus der Nähe von Damaskus. Nachdem ich vor vielen Jahren dort als Badediener ausgebildet worden war, verkaufte mich mein damaliger Herr noch als Kind an einen reichen Händler. Ich bin durch viele Länder gereist, habe vielen Herren gediehnt und viele Sprachen gelernt. Und nun bin ich hier und spare meinen Lohn, um vielleicht eines Tages doch noch als freier Mann nach Hause zurückkehren zu können" "Ich wünsche Euch von Herzen, daß Ihr nicht ewig darauf warten müßt. Ihr seid sicher sehr einsam hier, ohne Familie, ohne Freunde", sagte Gertraud mitfühlend. "Ach, wißt Ihr, ich bin es nicht anders gewohnt. Und dies ist bei weitem nicht meine schlechteste Dienststelle. Ich massiere den Ritter manchmal, leiste Übersetzerdienste und kann sonst kommen und gehen, wie ich will. Ich habe mein eigenes Zimmer hier in der Burg, kann bei meinem Glauben bleiben und bekomme pünktlich meinen Lohn. Wenn es nur nicht so kalt wäre hierzulande! Aber wie man hier so sagt: Alles Gute ist nie beisammen!", entgegnete er. Im Hof verabschiedete Gertraud sich von ihm. Sie ging die Treppen hinauf und klopfte zaghaft an Hardrichs Zimmertür. Doch sie bekam keine Antwort und wagte nicht, das Zimmer ohne Aufforderung zu betreten. Am nächsten Morgen holte er sie zu einem Spaziergang ab und erwähnte den gestrigen Vorfall mit keiner Silbe. Nach und nach lernte sie so die gesamte Burganlage mit Ställen, Küchen, Gärten und Kellern kennen. Manchmal schlenderten sie auch durch die leeren Flure und Hardrich erzählte ihr die Geschichte zu einer der Abbildungen auf einem Gemälde oder prächtigen Wandteppich, dann wieder ritten sie zusammen aus oder saßen in der Bibliothek. -1 7 2 -
Die Tage vergingen wie im Fluge. Auch am nächsten Sonntag besuchten sie morgens gemeinsam die Messe und saßen wie gewöhnlich abends beim Essen zusammen. "Ach, da fällt mir ein! Eben spiele ich mit dem Kätzchen in meinem Zimmer. Da klettert es den Wandteppich in der Ecke hinauf. Ich kriege es gerade noch zu fassen und will es nehmen, doch seine kleinen Krallen verhaken sich im Stoff und ziehen ihn von der Wand ab. Und wißt Ihr, was ich dahinter finde?", fragte sie aufgeregt. "Natürlich weiß ich das! Das hat ja lange gedauert, bis du endlich darauf gestoßen bist! Aber nur die Ruhe! Ohne dies kommst du doch nicht da hinein", spottete er, zog einen kleinen Schlüssel aus der Tasche und legte ihn betont langsam auf den Tisch. Nach dem Essen, das Gertraud heute endlos lang erschien, sah sie ihn erwartungsvoll an. Sie hatte sich zusammengenommen und keine weiteren Fragen zu dem kleinen Türchen gestellt, das sie hinter dem Wandbehang entdeckt hatte. Hardrich hielt jetzt in einer Hand den Weinpokal und spielte mit der anderen Hand herausfordernd mit dem Schlüssel. Eine Weile belauerten sie sich so gegenseitig, bis Gertraud aufstand und langsam am Tisch entlang auf ihn zuschlenderte. Mit Zeige- und Mittelfiner ihrer linken Hand spazierte sie dabei auf dem Tischtuch entlang. Er legte den Schlüssel auf den Tisch und ließ seine Hand davor liegen. Dann stand sie vor ihm, ihre linke Hand verharrte in Reichweite des Schlüssels und ihre Finger trippelten auf der Stelle. Er sah ihr mit undurchdringlicher Miene in die Augen. "Das wagst du besser nicht!", warnte er. Im nächsten Moment war von der Fensterfront ein leises, schepperndes Geräusch zu hören. Hardrich wandte für eine Sekunde den Blick und sah einen Kirschkern neben seinem abgelegten -1 7 3 -
Harnisch über den Boden kullern. Bevor er noch recht begriff, was sie getan hatte, hörte er schon ihr helles Lachen und sah, wie sie mit dem Schlüssel in der Hand aus dem Raum lief. "Du Satansbraten! Bleib sofort stehen!", rief er ihr nach, doch sie war schon aus dem Raum. Fluchend stellte er sein Glas ab und lief hinter ihr her. "Warte nur! Ich kriege dich schon!", hörte sie ihn hinter sich rufen. Auf halbem Wege im Treppenhaus hielten beide inne, sie eine Treppe höher als er, und sahen sich abschätzend an. Gertrauds Wangen waren gerötet und sie atmete mit offenem Mund. Dann nahm er die Verfolgung wieder auf, und sie liefen keuchend die Treppen hinauf. Sie hatte einen Vorsprung, aber er nahm mehrere Stufen auf einmal und war auf den langen Fluren schneller als sie und so holte er sie noch ein, als sie gerade den Schlüssel ins Schloß steckte. Er stützte rechts und links ihrer Schultern seine großen Hände auf die Wand. So zwischen seinen Armen gefangen, ohne daß er sie berührte, drehte sie sich um, preßte sich an die Wand und sah ihm in die Augen. "Was fällt dir ein?", polterte er. Sie sah ihn mit Unschuldsmiene an und sagte: "Könnten wir vielleicht erst einmal hineingucken? Danach könnt Ihr mir dann ja immer noch böse sein" Er sah sie an, als sei sie nicht ganz bei Trost, und konnte dann aber das Lachen nicht unterdrücken. "Ich komme darauf zurück, verlaß dich drauf!", knurrte er, und sie drehte sich vergnügt um und schloß die Tür auf. "Zusätzlich ist noch dieser Riegel vorgelegt, damit auch wirklich keiner hereinkommen kann, selbst wenn er einen Schlüssel hätte. Du mußt also keine Angst haben, daß plötzlich hier jemand im Raum steht", erklärte er, hob den eisernen Barren an und legte ihn beiseite. -1 7 4 -
Dann faßte Gertraud den Griff und zog die Tür auf. Ein etwa quadratischer, kleiner Raum tat sich dahinter auf. Rechts gingen Stufen hinab in eine undurchdringliche Finsternis, und links führte eine gewundene enge Steintreppe in die Höhe. Von dort schien ein schwacher Lichtschein zu kommen. Gertraud sah unentschlossen den Ritter an, der mit verschränkten Armen hinter ihr stand und sie beobachtete. "Hinunter führt der Weg in die Gänge unter dem Schloß. Da hinunter solltest du nicht alleine gehen. Die Gänge sind zum Teil auch überflutet und die anderen Ausgänge auch mit verschlossenen Türen versperrt, aber hinauf kannst du", sagte er endlich. Er warf einen Blick aus dem Fenster und fügte hinzu: "Eine Kerze brauchen wir noch nicht, es sollte noch hell genug sein" Vorsichtig trat sie ins Innere des Treppenabsatzes. Sie sah sich noch einmal nach Hardrich um, der ihr zunickte und begann dann vorsichtig, die schmalen Stufen, die kaum Platz für einen Fuß boten hinaufzusteigen. Immer höher wand sich die steinerne Stiege. Handgroße Öffnungen gingen alle paar Schritt durch die dicken Mauern ins Freie. Man konnte wenig mehr sehen, als den Abendhimmel aber es fiel genügend Licht herein, um gerade noch die Stufen zu erkennen, und ein leichter Luftzug kühlte ihr erhitztes Gesicht. Sie hörte, wie Hardrich hinter ihr über die winzigen Stufen schimpfte und stieg weiter. Mit einem Mal wurde ihr auch klar, wo sie waren. "Der kleine Eckturm! Natürlich! Man sieht ihn doch von allen Seiten!", rief sie und Hardrich spottete: "Mein Gott! So ein kluges Kind!" Sie lachte und kletterte weiter, bis die Stufen endlich auf einer halbrunden kleinen Plattform endeten, von welcher eine hölzerne Tür hinaus führte. Sie faßte die verschnörkelte Klinke, stieß die Tür auf und ging bis zu der gut hüfthohen Brüstung vor. Der Anblick verschlug ihr die Sprache. Unter ihr breiteten sich die -1 7 5 -
Häuser und Gärten, die Kirche und das Kloster, die Felder und Wiesen aus. Die ganze Stadt lag im flammenden Abendrot zu ihren Füßen. Bewegungslos stand sie eine ganze Weile still da und nahm die überwältigende Aussicht in sich auf. Dann sah sie sich um. Im Licht der untergehenden Sonne stand der junge Landesherr da, ein Bein auf die steinerne Bank gestützt, die rundherum an der Brüstung entlang verlief. Die linke Hand ruhte auf den Knauf seines Schwertes, die rechte lag entspannt auf seinem Knie. Er ließ den Blick ebenfalls über die Dächer der Stadt schweifen und Gertraud meinte auf einmal zu verstehen, wie schwer die Bürde der Amtsgewalt und Verantwortung auf ihm lasten mußte. Und dieses Mal folgte sie ihrem Gefühl, trat zu ihm und hakte sich bei ihm unter. Sie hörte, wie er nach Luft schnappte und fühlte, wie er sich unter ihrer Berührung anspannte. Sie drückte leicht seinen Arm und sagte: "All die Seelen, unter all den Dächern dort unten. Daß sie alle heute Nacht ohne Furcht zu Bett gehen können, verdanken sie Euch" Er seufzte, und sie spürte, wie ein Zittern durch seinen Körper lief. Dann brach es aus ihm heraus: "Wenn du wüßtest! Wenn du wüßtest, wie oft mich die Zweifel überfallen! Immerzu muß ich Entscheidungen treffen! Tausend Entschlüsse fassen! Straßenbau, Sold, Steuern und Frondienste, Lehnsvergabe, Ständeordnung, Abwässer in der Stadt, und, und, und! Ich muß Recht sprechen, Urteile fällen und Streit schlichten! Ausgerechnet ich! Und nie, nie, nie bin ich mir sicher, richtig zu handeln! Und dann die vielen Toten! Weißt du, wieviele Menschen ich im Feld erschlagen habe, wie viele ich zum Tode verurteilt habe, wie viele eigenhändig mit diesem Schwert gerichtet wurden? Alles für eine gerechte Sache natürlich. Pah! Für die Ostmark, für die Kirche, für die Gerechtigkeit! Wenn ich auch nur über einen einzigen dieser Toten nachzugrübeln begänne: Ich würde mich über kurz oder lang hier vom Turm stürzen! -1 7 6 -
Manchmal ist mir, als ruft mich der Abgrund geradezu oder eine Stimme aus dem dunklen Wasser eines tiefen Sees: 'Komm nur, komm! Nur ein winziger Schritt und du bist aller Sorgen ledig'. Manchmal klingt das nur allzu verlockend, glaub mir!" Er schluckte und starrte weiterhin geradeaus über die Brüstung hinweg. Seine Linke umklammerte das Schwert. Sie wiegte sich an seinem rechten Arm sachte hin und her und erwiderte nachdenklich: "Ihr handelt nach bestem Wissen und Gewissen. Das ist alles, was man verlangen kann von einem Menschen. Sei er Tagelöhner, sei er Landesfürst! Seht Euch doch um! Frieden herrscht und Wohlstand! Die Ernte wird gut werden. Gottes Segen liegt auf diesem Land. Es ist der rechte Weg" Er sagte niedergeschlagen: "Und trotzdem hassen mich die Menschen. Hast du gesehen, wie sie mich ansehen? Sie fürchten sich und verabscheuen mich, als sei ich der Teufel in Person. Und vielleicht haben sie sogar recht, wer weiß? Wenn mich diese furchtbare Wut packt, dann bin ich nicht ich selbst. Sie schlägt mich mit Taubheit und Blindheit. Ich habe schon so soviel zerstört, soviele verletzt, getötet..." "Ihr müßt sie bekämpfen, die Wut! Ihr habt den Willen und die Kraft dazu! Es wird Euch gelingen, da bin ich mir ganz sicher", unterbrach sie ihn. Gehetzt sah er sie an. "Da bin ich mir gar nicht so sicher. Ich fürchte mich davor, daß ich eines Tages auch noch das zerstören könnte, was ich am meisten liebe", flüsterte er heiser und senkte den Blick. Plötzlich schlug es vom Kirchturm schräg unter ihnen dröhnend zum Andachtsbeginn, und beide schraken zusammen. Erst jetzt wurden sie gewahr, daß es dunkelte und nur noch ein schwacher -1 7 7 -
Lichtstreifen im Westen zu sehen war. Die Glocken rissen sie aus ihrer Vertrautheit und Hardrich löste sich von ihr. Er räusperte sich und sagte: "Wir sollten zusehen, daß wir hinunter kommen. Sonst müssen wir hier oben übernachten" Gertraud nickte und wollte wieder vorangehen, doch er sagte: "Laß mich vorgehen. Dann erschlage ich dich wenigstens nicht, wenn ich falle. Laß die Tür offenstehen. Dann fällt noch etwas Licht herein. Wir können sie morgen zuziehen" "Ah, da spricht der Feldherr! Ein guter Plan!", schmunzelte sie. Er sah sich noch einmal halb vorwurfsvoll, halb amüsiert nach ihr um und tastete dann mit seinem schweren Stiefel nach der ersten Stufe. Schritt für Schritt verschwand er vor ihr im Dunkel des Aufgangs. Sie folgte ihm. Durch die immer noch ungewohnten Schuhe, konnte sie die Stufen zum Teil nur erahnen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis endlich der Feuerschein des brennenden Kamins in Gertrauds Zimmer zu ihnen heraufleuchtete. Sie hatten die letzte Biegung der Treppe erreicht und Gertraud dachte erleichtert: "Geschafft" Im nächsten Moment verlor sie den Halt. Mit einem Schrei fiel sie vornüber gegen Hardrich. Seine Hände suchten noch nach einem Halt an den rauhen Wänden, aber vergeblich. Kopfüber stürzte er die letzten Stufen hinunter. Schwer schlug er auf, und Gertraud landete auf seinem breiten Rücken. Reglos lag er unter ihr. Sie rappelte sich auf, kniete sich in dem winzigen Raum neben ihn und rüttelte an seiner Schulter. "Herr! Oh Gott! Kommt zu Euch! Was ist mit Euch!", flehte sie, doch er rührte sich nicht. "Ich bin gleich wieder da. Ich hole Licht", rief sie und kroch aus dem Türchen ins Zimmer. Sie verhedderte sich in ihrem Kleid, fiel hin und lief endlich zum Tisch, auf dem ein -1 7 8 -
dreiarmiger Leuchter stand. Dann rannte sie zum Kamin und entzündete mit zittrigen Fingern einen Kienspan. Doch die Dochte wollten und wollten nicht brennen. Sie entzündete zwei, verbrannte sich am glimmenden Rest Span die Finger und lief mit den zwei Lichtern zurück zum Ritter, der immer noch bewegungslos am Boden lag. Fahrig stellte sie den Leuchter auf die Treppe. Der Markgraf lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Sein Kopf hing über der Treppe, die in die Tiefe führte, und seine Füsse lagen noch auf den untersten Stufen der anderen. Mit aller Kraft zog sie an seiner Schulter, um ihn umzudrehen. "Um Gottes Willen, Hardrich! Sag doch was! Tu mir das nicht an", sagte sie außer sich, und die Tränen rannen ihr übers Gesicht. Auf einmal drehte er sich ächzend um und sagte trocken: "Du reißt mir den Arm ab" Erleichtert und gleichzeitig wütend, lachte und schluchzte sie: "Was fällt Euch ein, mir so einen Schrecken einzujagen!" Sie boxte ihn auf den Rücken und er beklagte sich lachend: "Und jetzt schlägt sie mich auch noch!" "Ach, Ihr!", rief sie erbost und griff nach dem Leuchter. Er sah ihre tränennassen Wangen im flackerndem Kerzenschein. Sie wischte sich mit dem Handrücken die Augen und schlüpfte rückwärts aus der Tür. Während sie den Leuchter zurück auf den Tisch stellte und ihr Kleid glattstrich, kroch er auf allen vieren aus dem Treppenhaus, verriegelte und verschloß die Tür hinter sich. Er streckte die Arme und reckte sich. "Fehlt Euch auch wirklich nichts?", fragte sie besorgt, "Es war ein ganz schöner Sturz und ich bin auch noch obenauf gefallen" "Es ist nichts", brummte er, "Erzähl keinem von der Tür, hörst du? Je weniger Leute über die Gänge wissen, umso besser" -1 7 9 -
Sie nickte. Dann baute er sich breitbeinig vor ihr auf, stemmte die Hände in die Seiten und sagte grollend: "Und nun zu dir, Schlüsseldieb!" Langsam kam er auf Gertraud zu, die die Hände hob und zurückweichend sagte: "Oh, nein! Nicht nachdem Ihr mich so erschreckt habt. Wir sind quitt! Allerdings...." "Allerdings was?", fragte er und wippte auf den Zehenspitzen. "Allerdings habt Ihr zugegebenermaßen etwas gut bei mir, weil Ihr mich so weich habt landen lassen auf Eurem Rücken", gab sie lächelnd zu. "Und?", fragte er heiser, "Was bietest du? Was meinst du, könnte ich mir wünschen?" "Einen Kuß", sagte sie leise. "Hexe!", flüsterte er, zog sie zu sich und umfaßte ihr Gesicht mit beiden Händen. "Teuf...", erwiderte sie noch, bevor er ihr den Mund mit seinen Lippen verschloß. Wie Verdurstende am endlich erreichten Wasser, stillten sie gierig ihre Sehnsucht nach dem anderen in einem langen fast verzweifelten Kuß. Endlich riß er sich atemlos von ihr los, hielt noch einen Moment ihr Gesicht fest umklammert, starrte sie an, als wolle er in alle Ewigkeit ihr Bild in sich einbrennen und stürzte wortlos aus dem Zimmer. Gertraud blieb allein zurück. Sie warf sich aufs Bett, wie sie war und sah an die Decke. Noch konnte sie seine Hände auf ihrem Gesicht fühlen und seine Lippen auf den ihren spüren. Nach und nach aber verdrängten düstere Gedanken ihr Hochgefühl. Was sollte nur werden? Warum mußte sie ausgerechnet diesen Mann lieben? Sie würde in einer Woche nach Hause zurückkehren. Und dann? Nichts -1 8 0 -
würde so sein können wie zuvor. Solange der Vater noch lebte, würde sie ihm weiter die Wirtschaft führen. Vielleicht könnte sie auch bleiben, wenn Paul einmal die Brauerei übernahm. Aber eine eigene Familie? Kein Mann würde sie jetzt noch wollen! Oder hierbleiben? Ein Leben hinter geschlossenen Türen, verborgen unter langen Mänteln und Kapuzen? Nur wartend und hoffend, daß sich endlich die Tür öffnet und er Zeit fand für sie? Mit anzusehen, wie er dann eine andere ehelichte, um legitime Nachkommen zu haben, während ihre Kinder verheimlicht und versteckt würden? Stöhnend zog sie ein Kissen heran und hielt es umklammert. Das würde sie nicht ertragen können! Aber konnte sie es ertragen, ihn nie wiederzusehen? Unglücklich wälzte sie sich hin und her, das Kissen an sich gedrückt, bis sie endlich in einen leichten Schlaf fiel. Als Marianne am nächsten Tag ins Zimmer kam und Gertraud in ihren Kleidern im Bett liegen sah, stieß sie einen erschrockenen Schrei aus. Beinahe hätte sie das Tablett zu Boden fallen lassen. Gertraud fuhr auf und sah sie verständnislos an. Marianne stellte das Frühstück auf den Boden und lief zu ihr. "Mein Gott, was hat er dir getan?", rief sie, den Tränen nahe. "Was hast du denn? Nichts hat er mir getan! Ich bin nur so müde gewesen. Ich muß wohl in meinen Kleidern eingeschlafen sein", antwortete Gertraud ungeduldig. "Aber das Blut überall in deinem Gesicht!", beharrte Marianne, "Und auf seinen Laken war auch alles verschmiert. Ich mußte alles frisch beziehen heute morgen" "Was für Blut?", erwiderte Gertraud gereizt. "Komm und sieh selbst, wenn du mir nicht glaubst!", sagte Marianne aufgeregt und zog sie aus dem Bett. Mürrisch stand Gertraud auf und blickte in den Spiegel. -1 8 1 -
"Oh", hauchte sie. Tatsächlich waren am Haaransatz und auf ihren Wangen blutige Fingerabdrücke zu sehen. "Vielleicht Nasenbluten?", sagte Gertraud verlegen und überlegte fieberhaft, was geschehen sein könnte. Er mußte sich die Hände an den Wänden aufgerissen haben bei dem Versuch, ihren Sturz zu verhindern. Sie sah ihr Kleid an. Auch dort, wo er sie an der Schulter gefaßt und an sich gezogen hatte, waren dunkle Flecke. Sie dachte an die abendliche Begegnung zurück und ihre Augen blickten verträumt ins Leere. Marianne sah sie argwöhnisch an und unkte: "Nasenbluten... Hm? Naja, wenn du meinst. Hauptsache, dir geht´s gut" Grübelnd und vor sich hinträumend verbrachte Gertraud den Tag über ein Buch gebeugt. Sie konnte sich nicht auf das Gelesene konzentrieren und wußte am Ende der Seite nicht mehr, von was überhaupt die Rede gewesen war. Sie war lange fertig, bevor man sie endlich abends zum Essen holte. Sie trug ein dunkelgrünes Kleid mit einem passenden Schultertuch, welches die Schneider gestern erst geschickt hatten. Ungeduldig hatte sie gewartet und freudig lief sie jetzt hinter dem Pagen die Stufen hinunter. Die Dienerschaft behandelte sie nach dem Zwischenfall mit der Wache mit ausgesuchter Höflichkeit. Besonders die Frauen brachten ihr eine fast mitleidige Freundlichkeit und Nachsicht entgegen. Wichard, der heute wieder in der Burg eingetroffen war, stutzte, als er mit Hardrich zum Essen kam und sah, daß für drei Personen gedeckt war. Auch das feine Tischtuch und die gläsernen Weinpokale hatte er noch nie hier gesehen. Fragend sah er seinen Herrn an, der seine Verwunderung nicht zu bemerken schien. Hardrich war gutgelaunt. Eine Lieferung neuartiger Armbrüste war -1 8 2 -
pünktlich zum Turnier eingetroffen und würde am Wochenende vorgeführt werden können. Heute hatten er und Wichard sie gemeinsam begutachtet und sich im Umgang mit ihnen geübt. Die Durchschlagkraft war deutlich höher als bei herkömmlichen Waffen, dabei das Gewicht aber wesentlich geringer. Alles in allem war der Ritter sehr zufrieden mit dieser neuen Anschaffung. Er warf sich auf seinen Stuhl, gähnte und nickte Wichard zu, er solle rechts von ihm Platz nehmen. Ihm gegenüber war wie üblich für Gertraud gedeckt worden. Von Dühring setzte sich schweigend. In dem Moment kam Gertraud mit einem strahlenden Lächeln zur Tür herein. Sie hielt inne, als sie Wichard sah. Seine Anwesenheit verunsicherte sie und verlegen schlug sie die Augen nieder. Beinahe schüchtern begrüßte sie Hardrich und wendete sich dann dem braunhaarigeen jungen Mann zu, der bei ihrem Eintreten so hastig aufgesprungen war, daß er beinahe seinen Stuhl umgerissen hätte. "Guten Abend, Herr von Dühring. Es freut mich, Euch wiederzusehen", sagte sie höflich und setzte sich. Hardrich hatte belustigt beobachtet, wie Wichard bei ihrem Anblick die Augen aufgerissen hatte. Noch immer stand dieser da und sah die junge Frau wie vor den Kopf geschlagen an. Er hatte so oft an sie denken müssen während der letzten Tage, aber nicht im Traum daran gedacht, sie hier wiederzusehen. Endlich riß er sich zusammen, stammelte einen Gruß und setzte sich wieder. Während sie aßen, wollte kein rechtes Gespräch aufkommen. Wichard begann noch einmal die neuen Waffen anzusprechen, merkte aber bald, daß Hardrich nur Augen und Ohren für sein Gegenüber zu haben schien. Gertraud wagte nicht, von sich aus ein Gespräch zu beginnen und antwortete auf Hardrichs Fragen einsilbig und scheu. Sie bemerkte, daß seine Fingerspitzen roh und wund aussahen und mehrere Nägel eingerissen und blutunterlaufen waren. Bekümmert sah sie ihn an, doch er winkte ab und brummte unwirsch: -1 8 3 -
"Ich sagte doch, es ist nichts" Nach dem Essen wollte Wichard sich verabschieden, doch Hardrich hielt ihn zurück und entließ dafür Gertraud zurück in ihre Gemächer. Niedergeschlagen lag sie später in ihrem Zimmer. Sie hatte sich so auf den Abend gefreut. Sehnte er sich nicht genauso sehr nach ihr, wie sie sich nach ihm? Sie hatten doch nur noch diese paar Tage! Konnte es sein, daß sie ihn mißverstand? Vielleicht hatte er sie nur mitnehmen lassen, um sie vor seinen Männern zu schützen. Und hier hatte er sie aus reiner Freundlichkeit aufgenommen, beschenkt und versorgt. Hatte ihr, wie ein großer Bruder, alles gezeigt und sie unterhalten. Und geküßt hatte er sie nur, weil sie ihn dazu gedrängt hatte! Konnte es sein, daß sie sich seine Liebe nur einbildete? Scham und Zweifel überfielen sie, und unglücklich weinte sie sich in den Schlaf. Anderntags konnte sie von ihrem Zimmerfenster aus sehen, wie Hardrich den ganzen Vormittag mit Wichard und einigen seiner Hauptmänner auf dem Turnierplatz trainierte. Keiner der Männer konnte ihm im Umgang mit dem Schwert oder zu Pferd mit der Lanze das Wasser reichen. Sie hörte sein unbeschwertes, rauhes Lachen. Dies war unzweifelhaft sein Handwerk und seine Stärke. Gegen Mittag verließen die Männer den Platz und gingen zusammen hinein. Wenig später erschien ein Diener bei Gertraud und führte sie ins Speisezimmer, wo Hardrich sie gut gelaunt erwartete, diesmal allein. Es gab gebratenes Huhn und Kernersches Bier dazu. Sie aßen, und Hardrich erzählte munter von den laufenden Vorbereitungen. "Er ist voller Vorfreude auf das kommende Ereignis", dachte Gertraud traurig, "denkt er denn gar nicht daran, daß ich dann nicht mehr hier sein könnte?" -1 8 4 -
"Heute nachmittag habe ich noch Gericht abzuhalten", brummte der Ritter dann und verdrehte mißmutig die Augen. "Und heute abend bin ich im Kloster zu Gast mit Wichard. Wir sehen uns dann vielleicht morgen", fügte er hinzu, stand auf und übersah ungerührt ihre Niedergeschlagenheit. Nachmittags ließen die Schneider zwei neue Gewänder bringen und Marianne, die den Boten hinaufbegleitet hatte, blieb noch eine Weile bei Gertraud, die teilnahmslos am Fenster saß. "Willst du sie nicht einmal anprobieren? Schau, wie schön der Stoff fällt", ermunterte sie die Freundin. Seufzend ließ Gertraud das glänzende, dunkelrote Gewebe durch ihre Finger gleiten und sagte: "Weshalb läßt er nur noch mehr Gewänder machen? Wo ich doch in ein paar Tagen schon nicht mehr hier sein werde" "Da wäre ich mir gar nicht so sicher, an deiner Stelle. Schau dich doch um! Das alles hat er eigens für dich herrichten lassen. Glaubst du tatsächlich, er wird dich einfach so gehen lassen?", fragte Marianne ungläubig. "Er hat es versprochen", beharrte Gertraud weinerlich. "Na und? Was willst du tun, wenn er sein Versprechen bricht? Was könnte irgendjemand tun? Komm, zieh das Kleid einmal über und sei froh, daß er fort ist für heute. Er ist vorhin mit Wichard zum Gerichtsberg geritten", sagte Marianne bestimmt. Abends suchte Hardrich zusammen mit Wichard Albertinus in der Schreibstube des Siechhauses auf. Aus den Krankensälen war Stöhnen und Klagen zu hören, Pfleger eilten durch die Gänge, und ein aasiger Geruch hing in der Luft. Albertinus stand am Pult, als sie eintraten. Nachdem der Heiler die Männer begrüßt hatte, setzten sie -1 8 5 -
sich an einen der Tische und Hardrich fragte: "Habt Ihr die Schriftstücke vorbereitet?" Wortlos entnahm Albertinus einer dicken Mappe zwei eng beschriebene Pergamente und reichte sie Hardrich. Der las sie gewissenhaft und gab sie mit undurchdringlicher Miene an Wichard weiter. Dieser las, riß die Augen auf, sah abwechsend Albertinus und Hardrich überrascht an und las weiter. Ritter und Mönch warfen sich einen gespannten Blick zu. Wichard wollte die Dokumente zurückgeben, aber Hardrich hob abwehrend die Hand, zeigte dann auf ihn und befahl: "Du wirst diese Verträge überbringen und unterschrieben wieder mit hierherbringen. Du hast alle Vollmachten. Nimm dir ein paar Männer mit. Und komm mir nicht ohne Unterschriften wieder unter die Augen!" Er zog noch einen bereits versiegelten Brief hervor und fügte hinzu: "Und dies wirst du noch zu Frau Hedwig von Harchow ins Marienstift bei Salin bringen und ihre Antwort abwarten. Und zu keinem ein Wort, ist das klar?" Wichard nickte verstört. Er war blaß geworden. "Was in Gottes Namen habt Ihr vor?", brachte er schließlich hervor. Hardrich lehnte sich auf seinem Stuhl vor und sagte: "Das will ich dir sagen..." Am anderen Tag brach der junge von Dühring schon früh auf. Er hatte sich fünfzehn Bewaffnete ausgewählt, die ihn begleiteten. Hardrich hatte schlecht geschlafen und war, als er hörte, wie sich der kleine Trupp im Morgengrauen im Hof sammelte, aus dem Bett gesprungen und hatte nach seinem Helm gegriffen. Er stand mit bloßem Oberkörper am offenem Fenster und sah zu, wie die Männer -1 8 6 -
aus dem Tor ritten. Wichard blickte zufällig auf. Mit versteinertem Gesicht grüßte er. Dann waren sie fort. Hardrich nahm seufzend den Helm wieder ab und legte sich zurück aufs Bett. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Decke. Unterwegs war Wichard ungewöhnlich wortkarg und beantwortete alle Fragen nach dem Ziel ihres Auftrages mit einem finsteren Blick. Er ließ die Leute nur einmal kurz rasten und drängte sonst vorwärts. Am Nachmittag trafen sie so im Kloster ein. Erschöpft lagerten die Männer im Schatten des Klosterhofes, während Wichard sich unverzüglich zu Frau führen ließ. "Herr von Aven schickt Euch? Wenn man euer Gesicht so sieht, scheinen es schlechte Neuigkeiten zu sein", sagte sie und sah ihn erwartungsvoll an. Wichard wurde rot, rang sich ein Lächeln ab und übergab ihr den Brief. "Mir ist der Inhalt des Schreibens nicht bekannt, hohe Frau. Ich bitte Euch, urteilt selber. Herr von Aven erbittet auch Eure sofortige Antwort. Ich werde solange im Hof warten", sagte er höflich, verbeugte sich und ging zu seinen Leuten, die inzwischen von den Nonnen mit Bier und Gebäck versorgt worden waren. Unterdessen brach die alte Frau das dicke, rotglänzende Siegel des Landesherrn auf, entfaltete das Pergament und las.
Hohe Frau, Ihr wißt, daß viele Worte zu machen nicht meine Sache ist. Deshalb -1 8 7 -
in aller Kürze: Ich habe Euren Rat beherzigt. Seid mein Gast dies Wochenende auf dem Herbstturnier. In der Hoffnung, daß Euch diese Zeilen bei guter Gesundheit antreffen mögen, rechne ich fest mit Eurem Kommen und verbleibe mit den besten Grüßen
Unterzeichnet hatte er einfach mit Hardrich. Frau Hedwig lächelte in sich hinein, setzte rasch ein ebenso kurzes Antwortschreiben auf und faltete es zusammen. Sie erhitzte ein Stück Siegellack über der Kerze und ließ einige dicke Tropfen auf das Pergament fallen. Dann hauchte sie ihren Wappenring an und drückte ihn in die breiige Masse, bis diese erhärtete. Wenig später war Wichard mit seinen Begleitern wieder unterwegs. Ihre Antwort und die beiden anderen Schreiben trug er in einer zugebundenen Ledermappe unter seinem Wams, und es schien ihm, als erdrückte ihn die Schwere dieser Last. Es war das erste Mal, daß er einen Auftrag seines Herrn tief in seinem Innersten in Frage stellte. Gereizt und betrübt versuchte er, seine Zweifel abzuschütteln. Er selber, Wichard, hatte den Ritter damals bei der Schwertleihe angefleht, ihm dienen zu dürfen. Er war so voller Bewunderung gewesen für seine Strenge, seine Kraft und seine Gradlinigkeit. Und nun? Was war das für ein Spiel, das er mit den Menschen trieb, die ihm untergeben waren? Mißmutig gab er seinem -1 8 8 -
Schecken die Sporen. Es war schon dunkel, als der Trupp vor dem alten Gutshaus in Rettow eintraf. Wichard ließ auch hier die Männer in der großen Halle warten und ging allein mit von Trettin die Treppe hinauf ins Arbeitszimmer. "Nun, Herr von Dühring, was gibt es Wichtiges, daß der Herr von Aven nicht irgendeinen Boten schickt, sondern seinen ersten Mann?", fragte von Trettin und sah Wichard freundlich an. Wichard war ihm und auch den anderen Lehensleuten des Ritters unterstellt, aber der alte Gutsherr mochte den jungen Mann. Schweigend übergab Wichard ihm die beiden Schriftstücke. Nachdem von Trettin gelesen hatte, sah er Wichard bekümmert an. "Das wird Meister Kerner das Herz brechen", sagte er. "Besser sein Herz, als seinen Hals. Ich kann und werde nicht ohne diese Unterschriften in die Stadt zurückkehren", gab Wichard trocken zurück. "Ich verstehe", antwortete von Trettin gedehnt und fragte dann: "Wißt Ihr... Ich meine, könnt Ihr mir sagen, was unser gnädige Herr vor hat?" Wichard schüttelte wortlos den Kopf. Von Trettin blickte eine Weile stumm ins Feuer und dann auf Wichard, der ihm nicht in die Augen sah, sondern mit finsterem Gesicht die Bücher an den Wänden betrachtete. Endlich seufzte der Alte und sagte leise: "Ich werde Euch die Unterschrift geben, die Ihr verlangt, und ich werde dafür sorgen, daß auch Kerner zustimmt, wenn Ihr mich morgen alleine mit ihm reden laßt und heute Nacht mein Gast seid. Außerdem werde ich mich Euch anschließen und Euch zurück in die Stadt begleiten" -1 8 9 -
Erleichtert stimmte Wichard zu und steckte beide Pergamente sorgfältig wieder ein, nachdem von Trettin das eine unterzeichnet hatte. Nach dem Essen saßen beide noch bei einem Schluck Branntwein am hell lodernden Kamin zusammen. Zuerst sprach man über Belanglosigkeiten. Das Wetter, die Ernte, von Dührings Eltern. Dann schwiegen beide. "Ich will nicht in Euch dringen, aber sagt mir bitte, was habt Ihr für einen Eindruck von der jungen Frau? Als ich neulich auf der Burg war und nach Kerners Tochter forschte... ", begann von Trettin nach einer Weile vorsichtig. "Ihr wart in der Stadt und habt versucht, sie mit hierher zurückzuholen?", unterbrach ihn Wichard erstaunt. "Ja, sicher", sagte der alte Mann und berichtete in allen Einzelheiten von ihrem vergeblichen Bemühen. Er endete: "Und ich hatte nicht den Eindruck, daß sie schlecht behandelt wird oder auch nur ungern dort wäre" Wichard wand sich. Er schlug die Augen nieder und murmelte: "Nun, ich bin erst seit einigen Tagen wieder in der Stadt, aber was ich so hörte.... Sie soll jeden Morgen ohnmächtig und blutüberströmt im Bett liegen. Einige sagen auch, daß er sich mit ihr eine Hexe ins Haus geholt hat, um gemeinsam den Teufel anzubeten. Andere halten sie für einen Engel, eine Märtyrerin, die alle Qualen auf sich nimmt, um des Ritters Zorn zu besänftigen" "Habt Ihr sie selber einmal gesehen?", beharrte von Trettin. "Ja, den ersten Abend, den ich wieder in der Stadt war, haben wir gemeinsam gegessen", sagte er gedankenversunken und fügte dann hinzu, "Mit dem Herrn von Aven natürlich" "Und welchen Eindruck hattet Ihr? Ihr selber?", forschte von -1 9 0 -
Trettin weiter. Wichard leerte bereits seinen dritten Becher Branntwein und starrte in die Flammen. "Sie kam in die Tür und strahlte, wie... wie der helle Tag. Sie sah mich an und erschrak. Dann war sie schüchtern und stumm und gar nicht so, wie sie mir auf unserem Ritt in die Stadt begegnet war. Wißt Ihr, daß ich es war, der sie vom Wegesrand auflas und mit in die Stadt brachte?" Von Trettin nickte bedächtig und Wichard fuhr fort: "Ich hatte nicht damit gerechnet, sie dort wiederzusehen und stand da, wie ein Narr. Und, mein Gott, sie ist so schön... ", entfuhr es ihm und Wasser trat ihm in die Augen. Beschämt griff er nach dem Krug und schenkte sich nach. Von Trettin sah ihn bei diesen Worten gedankenvoll an. Am nächsten Morgen ritten sie in Begleitung von Trettins zur Schenke hinunter. Ein beißender, kalter Wind riß an ihren Mänteln. Im Hof stieg der alte Mann vom Pferd und begrüßte Meister Kerner, der blaß in der Tür stand und sich mit seinem Schürztuch die Hände abrieb. Wichard blickte ihn düster an und blieb mit den anderen Männern draußen zurück. Von Trettin hatte die Ledermappe mit den Schriftstücken unter dem Arm, legte Kerner die Hand auf die Schulter und ging mit ihm ins Haus. Wichard hatte einen schweren Kopf und trat mißmutig von einem Fuß auf den anderen. Es dauerte aber nicht lange, und der alte Herr kehrte allein zurück. Stumm händigte er Wichard die Mappe aus. Dieser warf einen Blick hinein, nickte und sagte: "Ich danke Euch für Eure Unterstützung", und murmelte dann, wie zu sich selbst, "Ich hoffe, wir versündigen uns nicht" Dann brachen sie zusammen auf. Aus Rücksicht auf ihren Begleiter -1 9 1 -
ritten sie gemächlich, obwohl Wichard klar war, daß der Ritter ungehalten über seine Verspätung sein würde. In der Stadt angekommen, brachte Wichard von Trettin, der sichtlich erschöpft vom langen Ritt war, in einem Gasthaus außerhalb der Burg unter und eilte weiter zum Markgrafen. Er fand Hardrich mit der schweren Peitsche in der Hand auf dem Turnierplatz, wo er gerade die inzwischen aufgebauten Zelte begutachtete und die Arbeit der Tischler an den Tribünen beobachtete. Die Arbeiter duckten sich ängstlich, sobald er in ihre Nähe kam und verdoppelten ihr Anstrengungen, obwohl er kein Wort sagte. Wichard spürte die Anspannung des Ritters greifbar in der Luft liegen. Die Leute hatten sicher nichts zu lachen gehabt die letzten Tage. Immer noch ging ein stürmischer Wind, der dicke Wolken am Himmel vor sich herfegte. Als Hardrich den jungen von Dühring kommen sah, ließ er alles stehen und liegen und kam ihm entgegen. "Na endlich! Ich hatte spätestens heute früh mit dir gerechnet, verdammt!", bellte er ihn an und riß ihm die Mappe aus den Händen. Als er die Unterschriften sah, huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Er atmete tief durch und gewann seine Ruhe zurück. Er winkte Wichard, ihm auf die Tribüne zu folgen, wo sich beide auf die Bänke setzten. Dort überflog er rasch die Zeilen, die Frau Hedwig ihm geschrieben hatte und nickte zufrieden. "Und?", forderte der Markgraf Wichard zum Erzählen auf, die Mappe spielerisch zwischen den Fingern drehend. Dieser gab, ohne ihm ins Gesicht zu sehen, in knappen Worten die gestrigen Ereignisse wieder. Als Hardrich hörte, daß von Trettin in der Stadt war, runzelte er erst verärgert die Stirn, lachte dann aber verächtlich: "Vielleicht umso besser. Soll er ihr es doch sagen!" "Wenn ich sonst nichts mehr für Euch tun kann, bitte ich um die Erlaubnis, mich für heute zurückziehen zu dürfen", sagte Wichard -1 9 2 -
förmlich. Verwundert über dessen ungewohnte Teilnahmslosigkeit, entließ Hardrich den grimmig dreinblickenden von Dühring. Mit hängendem Kopf verließ Wichard den Platz und Hardrich sah ihm ein wenig enttäuscht nach. Dann aber faßte er mit fester Hand die Mappe und im Nu waren Wichard, von Trettin und alles, was ihn heute früh noch beschäftigt hatte, vergessen. Er lachte unvermittelt laut auf, sprang übermütig über eine der Absperrungen und eilte mit federndem Schritt in die Burg. Die Arbeiter, die eben noch vor seiner zornigen Ungeduld gezittert hatten, warfen sich fragende Blicke zu. Gertraud stand derweil mit wundem Herzen am Fenster und sah auf ihn herab. Sie hielt das schnurrende Kätzchen in ihrem Arm und kraulte gedankenversunken sein weiches Nackenfell. Hin und hergeworfen von ihren Gefühlen, war sie in einem Moment fest entschlossen hierzubleiben, was auch kommen mochte. Alles zu ertragen, nur um ihm nah zu sein. Einen Herzschlag später aber, verzweifelt über sein Fortsein, schwor sie sich, zu gehen. Nichts würde sie bewegen, dieses Leben auf Abruf weiter zu ertragen. Dann wieder hörte sie seine Schritte vor der Tür, dachte an seinen Kuß, sehnte sich nach seiner Nähe und zweifelte wieder. Nie zuvor hatte sie derart für einen Mann empfunden. Es war nicht vergleichbar mit ihrer geschwisterlichen Zuneigung zu Klemens oder der koketten Neugier mit der sie manche Burschen beim Erntefest beobachtet hatte. Aber hatte Bruder Gambrinus am Ende doch recht? Verkannte sie seine Gefühle für sie? Warum ließ er sie allein? Seit Wichard wieder hier war, hatte er sich mehr und mehr von ihr zurückgezogen. Gestern hatte sie ihn den ganzen Tag nicht gesehen und heute abend auch nur vom Fenster aus. Und wieder kam sie zu dem Schluß, daß sie daran zerbrechen würde, wenn sie bliebe.
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Der Freitag vor dem Turniersonntag brach an. Blauer Himmel und Wolkenberge folgten einander in raschem Wechsel. Aber es war trocken, und die Septembersonne wärmte noch recht kräfitg. Alle Vorbereitungen für das morgige Eintreffen der vielen Gäste liefen jetzt in vollem Gange. Gertraud bekam in ihrem Zimmer von der hektischen Geschäftigkeit freilich wenig mit. Vormittags brachte der Bote des Schneiders noch ein Kleid, welches sie unbesehen in den Schrank hängte. Gegen Mittag hörte sie Hardrichs wuchtige Schritte im Gang, und es klopfte. Er trat ein, wie immer ohne ein Wort von ihr abzuwarten, und als er sie ansah, schien alles mit einem Mal so klar. So einfach. Sie würde bleiben. "Nimm deinen Mantel. Wir wollen ausreiten", sagte er schlicht. Sie drückte ihm das Kätzchen in die Hand, das sie im Arm gehalten hatte und lief lächelnd, den Mantel zu holen. Verdutzt hielt er das kleine Tier in seiner großen Rechten. Das war gar nicht ängstlich und begann, mit der pelzigen Tatze nach einem Knopf an seinem Handgelenk zu langen. Dann gähnte und streckte es sich selbstvergessen nach Katzenart, wobei es die winzigen, spitzen Krallen ausfuhr und in sein Hemd schlug. Mit dem Zeigefinger stupste er das getigerte Tierchen an die Nase und sofort kam wieder Leben in das schläfrige Fellbündel, das sich mit zuckender Schwanzspitze auf seinen Finger stürzte und ein lebhaftes Spiel begann. Gertraud kam aus dem Nebenzimmer und sah Hardrich belustigt mit der Katze spielen. Sie blieb in der Tür stehen, warf sich den Umhang über, bis er aufsah und verlegen den kleinen Tiger auf den Boden setzte. Gertraud lächelte und sagte: "Ist sie nicht niedlich? Ich habe sie Rosa genannt" -1 9 4 -
Brummig sagte er: "Was für ein Unfug, einer Katze einen Namen zu geben! Sie hört ja doch nicht drauf" "Oh, wenn sie will, hört sie schon", entgegnete Gertraud schmunzelnd. Im Hof wartete Till mit zwei gesattelten Pferden auf sie. Neben dem unruhigen Wallach des Markgrafen stand eine hübsche, falbe Stute mit schwarzer Mähne und schwarzem Schweif, ein gutes Stück kleiner und zierlicher als der Braune. Gertraud begrüßte Till und streichelte die weiche Nase der Stute, die sie mit sanften, großen Augen ruhig ansah und die Ohren aufstellte, als Gertraud sie leise ansprach. Der Braune riß ungestüm am Zügel, so daß Till Mühe hatte, ihn mit einem Arm zu halten. Hardrich nahm ihm die Zügel ab und beruhigte das Tier, während der Junge Gertraud die Steigbügel hielt und sie aufstieg. Dann schwang auch der Ritter sich in den Sattel. Gertraud zog sich die Kapuze über, und sie verließen im Schritt die Burg. Bald hinter dem Burgwall bogen sie in Richtung der Felder ab und ließen die Stadtmauern hinter sich. Die Kapuze wehte ihr vom Kopf und sie zog sie nicht wieder zurück, denn hier auf der Landstraße war niemand mehr, der sie anstarrte. Die junge Frau genoß den Wind in ihrem Gesicht und trieb die Stute an, bis sie auf gleicher Höhe mit Hardrich ritt. Sein Wallach legte die Ohren an und gab ein ungehaltenes Schnauben von sich, als er die Stute neben sich bemerkte, die aber unbeirrt weiterlief. "Er mag es gar nicht, wenn er nicht der erste ist", bemerkte Hardrich und hielt die Zügel mit fester Hand kurz. "Ach", gab Gertraud zurück und der Spott in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Hardrich fuhr herum, sah sie scharf an und knurrte warnend: "Treib es nicht zu weit! Du würdest es bereuen! Sei dir nicht so sicher, daß -1 9 5 -
ich dir nicht für eine solche Frechheit einmal den Schädel einschlage!" "Herr, es liegt keine Boshaftigkeit in meiner Rede, glaubt es mir! Es ist ein Spiel! Zu dem Ihr mich, wie es scheint, immer wieder herausfordert", erwiderte sie und lächelte ihn versöhnlich an. Er aber schüttelte den Kopf und murmelte: "Ich hoffe sehr, du täuschst dich da nicht einmal" Dann ließ er sein Pferd in Trab fallen. Schweigend ritten sie noch eine halbe Stunde und bogen schließlich links von der Landstraße ab und folgten diesem Pfad bis in einen lichten Laubwald. An einem Bach führte ihr Weg entlang und unter tiefhängenden Zweigen hindurch. Der Weg war schmal und ging stetig leicht bergan. Gertraud ritt wieder hinter Hardrich und summte leise vor sich hin. Der Wald lichtete sich, und sie kamen auf eine sonnenbeschienene Wiese. Dort stieg Hardrich vom Pferd, schlang die Zügel um einen Ast und hielt dann die Stute, bis Gertraud abgestiegen war. Hier im Windschatten des Waldes war es warm und still und sie spazierten eine Weile umher. Er zeigte ihr eine Stelle, von der aus man die Stadt unter ihnen sehen konnte und freute sich an ihrer Freude darüber. Die frische Luft hatte ihre Wangen gerötet, und als sie ihn mit leuchtenden Augen ansah, traf ihn die Kraft und Wärme, die aus ihrem Blick sprach, fast schmerzhaft mitten ins Herz. Und es fuhr ihm durch den Kopf: "Niemals werde ich sie wieder fortlassen. Niemals!" Sie schlenderten zu den Pferden zurück und Hardrich holte einen verschnürten Packen und einen Weinschlauch samt zwei kleinen Zinnbechern aus seinen Satteltaschen. "Oh, das ist eine hervorragenden Idee", lobte sie lachend, nahm ihren weiten Mantel von den Schultern und breitete ihn in der Sonne aus. Dann kniete sie sich darauf, nahm Hardrich das Paket ab und wickelte es aus, während er sich breitbeinig neben den Mantel auf -1 9 6 -
den Boden setzte und den Schlauch entkorkte. Gertraud fand Brot, Käse, Wurst, Scheiben von kaltem Braten und einige kleine, rote Äpfel. Sie breitete alles auf dem Lederbeutel aus und nahm dann den Becher, den Hardrich ihr reichte. "Auf daß es uns nie schlechter geht als heute", brummte er nachdenklich und sie tranken. Hardrich zerteilte mit seinem Messer grob Käse und Wurst und schnitt auch das Brot in große Stücke auf. In der linken Hand ein Stück Käse oder Fleisch, rechts ein Stück Brot saßen sie in der Sonne, aßen und schwiegen. Doch es lag nichts Bedrückendes in diesem Schweigen. Er schenkte ihr nach, sie reichte ihm eine zusammengerollte Scheibe Braten. Es war eine vertraute Gelassenheit in ihren Gesten, die ohne Worte auskam. Er hatte sich im Gras ausgestreckt und lag auf der Seite auf einen Ellenbogen gestützt. Sie saß mit angewinkelten Knien auf dem Mantel, umfasste mit der Linken ihren Knöchel und stützte sich mit der rechten Hand seitlich ab. Gedankenversunken in der friedvollen Stille des Augenblicks griff sie nach einem der glänzenden, rotbackigen Äpfel und reichte ihn Hardrich. Er streckte seine Hand aus, zog sie dann aber zurück und sah ihr in die Augen. Schmunzelnd sagte er: "Vielleicht sollte ich mich da doch lieber etwas vorsehen, Eva" Sie lief bis über beide Ohren rot an. Doch dann besann sie sich und erwiderte spöttisch: "Ihr glaubt wirklich, Eure Küche hätte Zugang zum Baum der Erkenntnis?" "Gut gekontert, Weib!", lachte er. Sie bewarf ihn mit dem Apfel, er fing ihn auf, zögerte noch einen Moment und biß hinein. Sie tat es ihm nach. Dabei sahen sie sich lächelnd und herausfordernd an. "Du traust mir wohl gar nicht zu, daß ich gleich einfach so über dich herfallen könnte, was?", fragte er kauend und mit undurchdringlichem Blick. -1 9 7 -
"Das ist eine heikle Frage, denn was ich auch antworte, es scheint mir gefährlich. Traue ich es Euch nicht zu, laufe ich Gefahr, Euren männlichen Stolz zu verletzen und Euch geradezu dazu herauszufordern, mich eines Besseren zu belehren. Traue ich es Euch jedoch zu, stelle ich Eure ritterliche Tugend in Abrede, was mir auch nicht gut bekommen könnte. Also... das Sicherste scheint mir zu sein, der Frage auszuweichen und mich auf euer Wort zu berufen, daß mir unter Eurem Schutz nichts geschehen werde", sagte sie listig. Er lachte, rollte sich auf den Rücken, verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und schloß die Augen. Gertraud packte langsam die Sachen wieder zurück in den Lederbeutel und schnürte ihn zu. Plötzlich verdunkelte sich der Himmel, und dicke Tropfen klatschten naß aus dem schwarzen Wolkenberg über ihnen auf sie herunter. Gertraud sprang auf und griff den Beutel. Sie schüttelte den Mantel aus und warf ihn um sich. Auch Hardrich war wieder auf den Beinen, und zusammen suchten sie Schutz vor dem Schauer unter einer alten Buche am Waldrand. Der Regen hatte sie aber so unvermittelt und heftig überrascht, daß sie schon fast völlig durchnäßt waren, als sie das schützende Blätterdach erreichten. Dicht beieinander standen sie eng an den Stamm des großen Baumes gedrängt. Gertraud schlug die nasse Kapuze zurück und zog fröstelnd den klammen Mantel um sich. Die plötzliche Nähe machte beide verlegen und sie waren froh, als der Regen genauso schnell aufhörte, wie er begonnen hatte und sie zu den Pferden ins Freie gehen konnten. Die Wolken brachen auf, und die Sonne kam hervor. Sie stiegen auf und traten den Rückweg an. Kurz bevor sie die Stadt erreicht hatten, fragte Gertraud: "Sehe ich Euch heute noch, Herr?" "Nein", antwortete er, ohne sie anzusehen. "Nun, ich hätte Euch gerne noch gesprochen, bevor ich morgen...", -1 9 8 -
wollte sie fortfahren. "Halt den Mund! Davon will ich nichts hören!", fauchte er sie böse an. Und diesmal klang echter Groll aus seinen Worten und der eiskalte Blick, den er ihr zuwarf, ließ sie erschrocken verstummen. Zurück in ihren Gemächern, half Marianne ihr aus den nassen Kleidern, wickelte sie in eine Decke und brachte ihr eine heiße Brühe. Während sie ihr vor dem brennenden Kamin dann die Haare trocknete und kämmte, erzählte sie munter von all den Gauklern und Händlern, die schon in der Stadt eingetroffen waren. Aber Gertraud war mit ihren Gedanken immer noch bei Hardrich. Sie war entsetzt, wie wenig sie ihn offensichtlich verstand. Was hatte nur diesen Ausbruch verursacht? Marianne bemerkte ihre Verstörtheit, steckte sie kurzerhand ins Bett und brachte ihr einen großen Krug mit heißem Gewürzwein. "Das hat schon einmal geholfen. Jetzt schläfst du erst einmal und morgen sehen wir weiter", sagte sie beschwichtigend. "Morgen!", wiederholte Gertraud verzweifelt und fing an zu weinen. Marianne strich ihr behutsam über das Haar, ließ sie noch einen großen Schluck Wein trinken, umarmte sie noch einmal und schlüpfte aus der Tür. Hardrich erwachte wie immer früh, badete und kleidete sich sorgfältig in seine besten Sachen. Darüber trug einen neuen Harnisch mit geschobenen Schultern und runden Stechachseln, dazu einen passenden Helm mit breitem silbernen Reif. Er ließ das Frühstück ausfallen und schickte als erstes nach Albertinus und von Trettin und ließ dann Marianne zu sich rufen. Danach ging er mit Lose ein letztes Mal die Planungen für Unterkunft und Verpflegung der vielen auswärtigen Gäste durch und suchte schließlich Wichard in seinem -1 9 9 -
Zimmer in der Kaserne auf. Gemeinsam gingen sie ins Arbeitszimmer im ersten Stock und warteten auf das Erscheinen der beiden anderen Männer. Unruhig stand der Markgraf am Fenster und trommelte mit den Fingern auf den hölzernen Rahmen. Er war zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, als daß er Wichards Kummer bemerkt hätte, der wortkarg auf seinem Stuhl saß und vor sich hinstarrte. Als erstes erschien Albertinus; er begrüßte den Markgrafen und gab danach von Dühring die Hand. Keine fünf Minuten später ritt auch von Trettin auf den Hof und wurde unverzüglich zu den Wartenden geführt. Er begrüßte die Anwesenden mit ernster Miene und war sichtlich verwundert über Albertinus´ Hiersein. Dann ließ der Ritter die junge Frau holen. Schweigend standen die Männer zusammen, ein jeder vertieft in seine eigenen Befürchtungen und Hoffnungen. Die Tür öffnete sich und Gertraud betrat den Raum. Sie trug ein reinweißes Kleid, dessen schlichte Form ihre klare Schönheit noch betonte. Der seidene Stoff war über und über mit Perlen bestickt und an Ausschnitt und Ärmeln mit Silberfäden durchwirkt. Ihr offenes Haar fiel in weichen Locken über ihre Schultern. Sie verneigte sich stumm und sah bald den einen, bald den anderen fragend an. Von Trettin fing sich als erster, ging auf sie zu und umarmte sie. Erleichtert und froh ihn zu sehen, lächelte sie ihn verunsichert an. Er nickte ihr zuversichtlich zu und legte ihre Hand auf seinen Arm. Alle Blicke richteten sich nun auf ihn und der alte Mann seufzte und sagte endlich: "Mein liebes Kind! Auf ausdrücklichen Wunsch -2 0 0 -
unseres Herrn von Aven...", und hier hielt er in seiner Rede inne und verneigte sich ein wenig spöttisch in Richtung der Ritters, bevor er fortfuhr, "bist du seit dem Mittwoch der letzten Woche vor Gott und dem Gesetz mein Kind. Mit allen Rechten und Pflichten, die meiner leiblichen Tochter zustehen würden, habe ich dich adoptiert. Josef Kerner, bis zu jenem Tag dein Vater, hat auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin", und wieder hielt er mit Blick auf Hardrich inne, "dazu sein Einverständnis gegeben. Du warst mir immer lieb, als wärest du mein eigen Fleisch und Blut, das weißt du wohl. Doch jetzt, da ich dir nicht nur als väterlicher Freund sondern als Vater verbunden bin, werde ich auch als solcher dir zur Seite stehen. Was auch kommen sollte" So schloß er und warf dem Markgrafen einen scharfen Blick zu. Dieser verzog keine Miene. Gertraud war wie vor den Kopf geschlagen. Sie schwankte und flüsterte tonlos: "Mein Vater?" Von Trettin führte sie besorgt zu einem Stuhl, ließ sie Platz nehmen und stellte sich neben sie, die Hand auf ihrer Schulter. Nun trat Hardrich vor. Albertinus schickte ein stummes Gebet zum Himmel, und Wichard hielt den Atem an. Hardrich räusperte sich. "Herr von Trettin! Ich halte um die Hand Eurer Tochter an", sagte er steif zu seinem alten Lehensmann. Und dann, Wichard traute seinen Ohren nicht, wandte er sich an Gertraud und sprach sie direkt an: "Wollt Ihr mich zu Eurem Ehemann nehmen, Fräulein von Trettin?" Gertraud war so verblüfft, daß es ihr die Sprache verschlug. Sie sah den Ritter mit großen Augen an, brachte aber keinen Ton heraus. "Wir werden darüber in aller Ruhe nachdenken und Euch Bescheid geben", antwortete da an ihrer Statt von Trettin. Dann zog er Gertraud auf die Füße und wollte sich rasch zum Gehen wenden. "Halt!", brüllte der Ritter und sah den Alten wütend an. Er verdarb alles! Das würde er bereuen! Hardrich ballte die Fäuste und spürte, -2 0 1 -
wie der Zorn in ihm zu brodeln begann. Er zwang sich mit all seiner Kraft zur Ruhe, faßte seinen Schwertknauf und preßte drohend heraus: "Sie wird sich hier und jetzt entscheiden! Das ist mein ausdrücklicher Wunsch!" Von Trettin wich dem zornigen Blick seines Herrn nicht aus. Doch bevor er etwas entgegnen konnte, löste sich Gertraud sachte aus seinem Arm, ging auf den Ritter zu und hob besänftigend die Hand. "Bevor ich antworte, hätte ich Euch gerne noch etwas gefragt, Herr von Aven", sagte sie. Sie trat mit ihm ans Fenster, und er beugte sich zu ihr herunter und flüsterte ungehalten: "Wieder eine deiner berüchtigten Fragen, was? Wie 'Ist das Marmor?', hm?" Gertraud spürte deutlich seine Anspannung hinter dem Spott. "Warum habt Ihr mich gestern nachmittag so barsch zurechtgewiesen?", flüsterte sie und auch ihr Herz klopfte zum Zerspringen. "Gestern? Ach das. Na ja..., als du anfingst, vom heutigen Tag zu sprechen. Ich fürchtete einfach, du würdest mir sagen, daß du nach Hause zurückkehren willst und ich weiß nicht, was ich dann getan hätte...", antwortete er leise, ohne sie anzusehen und knurrte dann ungeduldig, "Sonst noch was, Weib?" "Wollt Ihr mir versprechen, niemals die Hand gegen mich zu erheben?", flüsterte sie, sah sein empörtes Gesicht und fügte rasch hinzu: "Ich denke dabei an das, was Ihr mir über Euren Zorn gesagt habt. Ihr müßt niemandem beweisen, daß Ihr stärker seid als ich" Er sah sie ärgerlich und mit hochrotem Kopf an, schluckte und raunte ihr schließlich leise zu: "Ich weiß, ich werde dies bereuen, aber gut! Ich verspreche dir, niemals, auch nicht im Zorn, die Hand gegen dich zu erheben. Reicht das jetzt endlich? Ich könnte es mir sonst auch noch anders überlegen!" Sie lächelte ihn an, legte ihre Hände in seine und sagte laut und -2 0 2 -
deutlich: "Ich werde Hardrich von Aven zu meinem Ehemann nehmen. Es ist mein ausdrücklicher Wunsch!" Und während von Trettin leise auf sie einredete, sie solle sich besinnen, Albertinus ein Dankgebet zu Himmel schickte und Wichard sich wünschte, der Boden möge sich unter ihm auftun und ihn verschlingen, legte Hardrich Gertraud als Zeichen seines Eheversprechens die Perlenkette um den Hals. Und diesmal ließ sie ihn gewähren. Von Trettin, der Gertraud die Entscheidung nicht hatte ausreden können, fragte in der Hoffnung, sie später doch noch zur Vernunft zu bringen: "Wann soll die Vermählung stattfinden" Ungerührt sah Hardrich ihn an, verschränkte die Arme vor der Brust und sagte: "Sofort!" Der alte Mann erbleichte. Er warf Albertinus einen hilfesuchenden Blick zu und stammelte: "Aber das geht doch nicht!" Albertinus trat zu ihm und legte ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter. "Der Zeitpunkt ist mit Bedacht gewählt. Heute abend werden wir dann beim großen Bankett den Edlen die Vermählung bekanntgeben. So werden eine Menge Fragen und Gerede von vorneherein vermieden und alles geht im allgemeinen Trubel der Turnierfestlichkeiten unter. Und in ein paar Wochen wird es bereits andere Dinge geben, über die man sich die Mäuler zerreißt. Glaubt mir, es ist das Beste so. Für alle Beteiligten", versuchte er, ihn zu beruhigen. Von Trettin sah plötzlich müde aus und bemerkte bitter: "Ach, so ist das. Ich hätte mir denken sollen, daß alle Entscheidungen bereits getroffen wurden. Aber ich warne Euch. Ich werde mich bis hin zum -2 0 3 -
König wenden, wenn ich auch nur den leisen Verdacht hegen sollte, daß meiner Tochter hier ein Haar gekrümmt wird. Ach, Mädchen! Was tust Du meinem alten Herzen an! Erst laßt Ihr mich einen Hauch von Vaterfreuden kosten, um mir im nächsten Augenblick mein Kind wieder zu entreißen!", sagte er sanft und strich Gertraud übers Haar. Nur eine viertel Stunde später schritt Reno von Trettin mit Gertraud am Arm den spärlich erleuchteten Mittelgang der Kapelle entlang zum Altar, wo er ihre Hand in die Hardrichs legte, nicht ohne ihn noch einmal warnend anzusehen. Wichard und er waren Zeugen und neben Albertinus, der die Trauung vollzog, die einzigen Gäste in der Kapelle. Es gab keine Blumen, keinen Gesang, keine Gratulanten, keine Tränen. Der Ritter steckte ihr den Ring mit dem Wappen seiner Familie an den Finger und sie bekannten vor Gott noch einmal ihren Willen, sich als Eheleute zu lieben, zu achten und füreinander da zu sein. Albertinus schloß den Bund, schwieg dann und nickte ihnen lächelnd zu, und erst jetzt kam ihr langsam zu Bewußtsein, was geschehen war. Sie war seine Frau. Sie war die Gemahlin des Ritters, des Markgrafen, des mächtigsten Mannes im Lande. Und er, der noch immer fest ihre Hand hielt, zog sie an sich und küßte sie. Den Nachmittag über begrüßten Hardrich und Wichard die ankommenden Turniergäste, während Gertraud mit von Trettin in ihren Gemächern auf den Abend wartete. Man hatte sie zum Mittag mit einem fürstlichen Mahl bewirtet und danach alleingelassen. Ein wenig verlegen saßen sie sich nun am Kamin gegenüber. "Wie hat der Vater es aufgenommen?", fragte Gertraud schließlich beklommen. "Er war so entsetzt, daß es ihm zuerst die Sprache verschlug. Wir -2 0 4 -
wußten ja auch nicht, was der Ritter vorhatte. Wer hätte das ahnen können? Dann kamen ihm die Tränen, und ich war froh, daß Wichard mich alleine mit ihm hatte verhandeln lassen. Aber ich hatte mir schon die Nacht über das Hirn zermartert und war zu dem Schluß gekommen, daß, was auch immer der Ritter im Schilde führen mochte, ich besser auf dich acht geben könnte als er. Und so redete ich ihm zu, und schließlich unterzeichnete er weinend das vorbereitete Pergament. Ich versprach ihm, dich wie mein eigenes Kind zu beschützen. Ach Gertraud, was wird er sagen, wenn ich ihm nun diese Neuigkeiten überbringe?", antwortete er seufzend. Ihr liefen bei diesen Worten die Tränen über die Wangen. "Richtet ihm bitte von mir aus, daß ich diese Entscheidung aus freiem Willen getroffen habe. Es gibt nichts, was er Euch vorwerfen könnte. Und so sehr es mich auch freut, daß man mir Euch als Vater gewählt hat, sagt ihm, daß ich im Herzen immer seine Tochter bleiben werde. Wie hat man es Euch denn angetragen?", wollte sie wissen. Von Trettin erzählte ihr den Hergang der Dinge, verschwieg ihr aber sein Gespräch mit Wichard an jenem Abend. "Und jetzt bist du seine Frau. Gertraud von Aven! Kind, Kind, warum hattest du es nur so eilig? Ich bin fast sicher, wenn du ihn gebeten hättest, hätte er nicht auf eine sofortige Antwort bestanden, und wir hätten alles in Ruhe bedenken könnten", schloß er besorgt. "Es gab nur eine einzige mögliche Antwort auf seine Frage, Herr. Obwohl ich selber noch immer nicht recht glauben kann, was überhaupt geschehen ist", entgegnete Gertraud und schlug die Augen nieder. Ihr Gegenüber sah sie nachdenklich an und sagte: "Du liebst ihn wirklich, nicht wahr?" Gertraud nickte. Der Alte seufzte: "Dann hat mich mein Eindruck bei unserem -2 0 5 -
letzten Besuch doch nicht getrogen. Nun gut! Dann wollen wir jetzt auch alles daran setzen, daß Albertinus´ Plan aufgeht. Du solltest besser gleich damit beginnen, mich 'Vater' zu nennen und mich so vertraut anzureden, als wäre ich es, auch wenn es dir vielleicht widerstreben sollte. Es wird zwar nicht lange verborgen bleiben, daß du an Kindes Statt angenommen und nicht meine leibliche Tochter bist, aber wir wollen so gut es geht den Schein solange wahren wie möglich. Heute abend beim Bankett wird es schon genug Getuschel geben. Du kennst die hohe Gesellschaft noch nicht! Besonders von Treptow, dessen Tochter der Ritter zurückgewiesen hat, wird dich nur allzu genau begutachten", mutmaßte der alte Mann. Gertraud erschrak und von Trettin beeilte sich, hinzuzufügen: "Aber keine Angst! Du stehst den Damen an Geist und Anstand in nichts nach. Und ich bin bei dir und werde dir den Abend über zur Seite stehen. Sie sollen nur kommen. Die Männer dürftest du eh bereits mit einem Blick aus deinen hübschen Augen für dich gewinnen!" Gertraud wurde rot und bemühte sich um ein tapferes Lächeln. Sie warf sich vor ihrem alten Freund auf die Knie und faßte seine Hände. "Ihr seid so gut zu mir gewesen! All die Jahre lang. Daher fällt es mir leicht, Euch wie meinem Vater zu vertrauen und vertraut anzusprechen. Niemals würde ich heute hier sein, wenn Ihr mich nicht gelehrt und geprägt hättest, mit Eurer Weitsicht und Eurem scharfen Verstand. Es wird mir eine große Beruhigung sein, Euch neben mir zu wissen, heute abend. Ich will mich nach Kräften bemühen, Euch heute und in Zukunft eine gute Tochter zu sein. Niemals aber werde ich wieder gutmachen können, was Ihr mir geschenkt hast mit dem Schatz des Wissens und der Neugierde", dankte sie ihm. "Steh auf, Kind. Wenn du wüßtest, wieviel Freude du mir bereitest hast, seit wir uns kennen. Ich habe alles, was ich tat, sehr gern für -2 0 6 -
dich getan. Und, so leid es mir für Josef Kerner auch tut, muß ich doch gestehen, daß ich ein ganz klein bißchen stolz und glücklich bin, daß ich es sein kann, der diese Rolle spielen darf in deinem Leben", entgegnete er lächelnd. Sie plauderten noch eine Weile über Neuigkeiten aus dem heimatlichen Dorf und Gertraud erfuhr, daß Klemens Graum bereits vor zwei Wochen eine Sechzehnjährige aus einem benachbartem Dorf zur Frau genommen hatte. Dann aber kam ihr noch eine Frage in den Sinn, die sie schon seit langem auf dem Herzen hatte. "Erinnerst Ihr Euch an das letzte Mal, als wir zusammen in der Schenke saßen und ich nach dem Ritter fragte? Ihr habt mir damals erzählt, wie er Euch das erste Mal bei der Schwertleihe begegnet war. Doch ein Teil der Geschichte steht noch aus, wenn ich mich recht entsinne", begann sie vorsichtig. "Daran habe ich bereits so manches Mal zurückgedacht, das kann ich dir sagen! Doch weiß ich nicht so recht, ob ich gut daran täte, dich heute zu aller Aufregung auch noch damit zu belasten. Denn ich fürchte, der Rest der Geschichte ist nicht allzu amüsant. Besonders für seine jungvermählte Frau", wich ihr Gegenüber aus. "Ich bitte Euch trotzdem, es mir zu erzählen, liebster Vater", sagte sie schmeichend und sah ihn mit einem solch bittenden Blick an, daß von Trettin lachen mußte. "Wer könnte dir je einen Wunsch abschlagen? Also gut! Und vielleicht wird dir die Geschichte ja Warnung und Lehre zugleich sein, nicht denselben dummen Fehler zu begehen, wie die andere junge Dame damals", sagte er. Gertraud hob bei diesen Worten neugierig die Brauen und setzte sich erwartungsvoll in ihrem Sessel zurecht. "Wo war ich damals stehengeblieben? Ach ja. Der Nachmittag vor -2 0 7 -
dem Tag der Schwertleihe. Mein Freund und ich hatten Hardrich bei seinem Gebet im Rosengarten beobachtet, und ich hatte mir geschworen, ihn zu unterstützen, wo ich nur konnte und keinem der Gerüchte über ihn mehr Glauben zu schenken. Nun ja... Hardrich verließ also nach einer Weile den Altar unter uns und stieg die Treppen hinauf, immer mehrere Stufen auf einmal nehmend. Ich hatte mich zum Schein auch schlafend gestellt und blinzelte unter meinen halbgeschlossenen Lidern zum Weg hinüber. Er aber sah weder rechts noch links und entdeckte uns auf unserer versteckten Bank nicht. Gott sei Dank! Ich wartete noch eine gute halbe Stunde und weckte dann meinen Begleiter, der von alledem nichts mitbekommen hatte, und langsam kehrten wir zusammen zur Burg zurück. Wir erfrischten uns noch ein wenig am sprudelnden Wasser der Springbrunnen und bald war es Zeit, daß ein jeder in seine Gemächer zurückkehrte und sich für den festlichen Anlaß am Abend umzog. Neben der großen Gruppe Edler aus der Ostmark, zu denen auch ich gehörte, waren noch dutzende Adelige und Ritter mit ihren Frauen aus anderen Landesteilen angereist, um den jungen von Aven mit eigenen Augen zu sehen. Sein Ruf war ihm wieder einmal vorausgeeilt. Heute abend werden wir hier auf der Burg in großer Runde speisen und sicher vortrefflich bewirtet werden, aber das Mahl damals am Königshof übertraf alles, was ich bis dahin an Feierlichkeiten erlebt hatte. An schier endlosen Tischen, die sternförmig vom Tisch des Königs ausgingen, saßen wir in langen Reihen zusammen. Mir gegenüber hatte die Familie von Dühring Platz genommen. Und zwar mit dem damals sechzehnjährigen Knaben, der heute der erste Mann im Gefolge unseres Markgrafen ist. An dem runden Tisch in der Mitte des Saales saßen die zwölf Ritter des Königs, unter ihnen Hardrich, der König selber und die Königin. -2 0 8 -
Er trug als einziger in der ganzen, großen Gesellschaft den Helm auf dem Kopf. Und ich muß gestehen, selbst wir, die wir ihn nur so kannten, sahen ihn nun plötzlich mit den Augen der anderen Gäste und schämten uns unseres Lehensherrn! Der ganze Saal starrte in an. Nur der König und seine Gemahlin gingen mit einer Gelassenheit darüber hinweg, um die ich heilfroh war. Ich saß so, daß ich der Königin ins Gesicht sehen konnte, die sich hin und wieder mit einer Frage oder Bemerkung an ihn wandte, um ihn ein wenig aus seiner wortkargen Einsamkeit inmitten all dieser Leute zu reißen. Und obwohl er offensichtlich nur recht einsilbig antwortete, wie es auch schon damals seine Art war, konnte ich von meinem Platz aus sehen, daß die Königin ihn anlächelte und ihm zunickte, wie um aller Welt zu zeigen, daß ihm der Platz zustand, der ihm morgen gegeben werden würde. Ich hoffe sehr, du wirst Gelegenheit bekommen, diese Frau einmal kennenzulernen. Sie stammt aus einem vornehmen Geschlecht aus portugiesischen Landen. Eine sehr verständige, herzliche Frau. Klein von Wuchs und mit rundlichen Formen, aber mit leidenschaftlichen, dunklen Augen, schwarzem Haar und wachem Verstand. Der König ist ihr sehr zugetan, wie es heißt, und auch Hardrich wird ihr dieses Entgegenkommen so schnell nicht vergessen. Solange ich ihn kenne, hat er immer mit Hochachtung vom Königshaus gesprochen. Und er hat auch allen Grund dankbar zu sein. Ach Gertraud, hast du nichts zu trinken für deinen alten Vater? Meine Kehle ist schon ganz trocken vom Erzählen", fragte von Trettin und sah sie mit gespieltem Vorwurf im Blick an. Gertraud sprang erschrocken auf und wußte erst gar nicht, was sie tun sollte. "Denkt Ihr, ich könnte einfach etwas zu trinken für Euch kommen lassen?", fragte sie schüchtern. -2 0 9 -
Er nickte und sagte: "Sicher! Versuch es einmal!" Gertraud öffnete die Tür. Sie sah, daß neben der Wache ein Page an der Treppe stand, der, als die Tür aufging, Haltung annahm und sie scheu anblickte. "Ich hätte gerne Bier für meinen Vater und mich, bitte", rief sie mit unsicherer Stimme. Mit großer Erleichterung sah sie dann, daß der Junge sich verbeugte und ohne Widerwort die Treppen hinunterstürtze. Sie kehrte ins Zimmer zurück und bemerkte von Trettins Lächeln. "Siehst du? Es ist ganz einfach und man gewöhnt sich sehr rasch daran, Wünsche als Anweisungen zu äußern. Auch ohne zu bitten", sagte dieser. Sie warteten, bis der Page die Krüge gebracht hatte. Es war Bier aus der heimatlichen Brauerei, und beide nahmen einen großen Schluck. Von Trettin wischte sich den Schaum aus dem Bart und fuhr dann fort. "Der Abend verlief sonst ereignislos, aber man spürte bei vielen der Anwesenden wachsendes Unbehagen darüber, daß der König diesen wilden, jungen Mann, der des Mordes an seinem Onkel angeklagt gewesen war, zum Ritter schlagen würde. Ihn, der, wie es vielen wohl schien, mit kindlichem Starrsinn den Helm selbst bei Tisch und im Angesicht des Königs aufbehielt! Ich nehme an, daß der König weiß, was es mit dem Helm auf sich hat und es ihm aus gutem Grunde nachgesehen hat. Aber unter den Rittern am Tisch machte sich bald Unmut breit, das spürte man deutlich. Ich fing mehr als einmal einen besorgten Blick von Wernherr von Harchow auf. Und als Hardrich bald nach dem Essen den König bat, sich zurückziehen zu dürfen, erhob auch ich mich und wie auf ein Zeichen hin, folgten bald alle Gefolgsleute der Ostmark und wir verließen geschlossen den Saal. Im Gehen hörte ich noch, wie Wernherr von Harchow hinter mir zu einem der anderen sagte: "Wir -2 1 0 -
haben solange auf den morgigen Tag gewartet! Ich hoffe sehr, daß jetzt nicht noch kurz vor dem Ziel ein unbedachtes Wort von ihm oder von einem von uns, alles zunichte macht, wofür wir all die Jahre gekämpft haben. Gebe Gott, daß er sich morgen aus allen Händeln heraushält!" Und es schien wirklich, als hätte Hardrich, vielleicht auf Drängen des Königs, diesen Ratschlag beherzigt, denn er ließ sich den ganzen nächsten Tag nicht sehen. Auch wir hatten Mühe, uns nicht von den Sticheleien und bissigen Bemerkungen reizen zu lassen, mit denen die Männer des Hofes uns bedachten. Wir blieben in Gruppen unter uns und stets war jemand der Älteren zur Stelle, wenn sich gerade jemand zu einem bösen Widerwort hinreißen lassen wollte. Besonders Wichard litt unter der gereizten Stimmung. Es gab mehrere andere Burschen in seinem Alter, die ihn Hardrichs wegen verspotteten, und mehr als einmal mußte sein Vater ihn von einer Rauferei abhalten. Die Zeit schleppte sich dahin, doch endlich, endlich riefen die Fanfaren zur Schwertleihe in den Thronsaal! Alles drängte hinein und suchte einen möglichst guten Platz zu bekommen. Bald war nur noch der Mittelgang frei. Langsam verstummte die Menge. Wieder ertönten die Bläser und die Spannung erreichte ihren Höhepunkt! Hardrich kam herein, eskortiert von den elf ersten Rittern des Königs. Diese schritten im Halbkreis dicht hinter ihm her. Als sie gerade auf meiner Höhe, fast in der Mitte des Saales angekommen waren, bemerkte ich, wie derjenige, der direkt hinter Hardrich ging, ihm leise etwas zuflüsterte. Ich konnte die Worte nicht verstehen, aber es muß wohl irgendeine grobe Beleidigung gewesen sein, denn Hardrichs Gang stockte, sein Gesicht lief hochrot an und jeder Muskel in seinem Körper schien zum Zerreißen angespannt zu sein! Aber er ging weiter! Ich bin sicher, wenn er sich damals nicht beherrscht hätte, sondern -2 1 1 -
sich umgedreht und zugeschlagen hätte, wie er es ohne Zweifel liebend gerne getan hätte, hätte ihm auch die Fürsprache des Königs nicht helfen können und alles hätte ein böses Ende genommen. Ich habe schon so manches Mal darüber gegrübelt, ob nicht der König selber dieses als letzte Probe für ihn erdacht hatte. Aber wer weiß? Hardrich schritt also unbeirrt weiter und kniete vor dem Thron unseres Königs nieder. Auch hier behielt er wie selbstverständlich den Helm auf dem Kopf. Er empfing den Ritterschlag, und der König überreichte ihm als Zeichen seines neuen Standes das väterliche Schwert, die Klinge unseres gerechten König Ottos. Er war nun unser Lehensherr, der Markgraf der Ostmark und jüngster Ritter des Königs. Der König umarmte ihn danach herzlich und ließ dann die Türen zum Festplatz hin öffnen. Hier waren unter freiem Himmel herrliche Büfetts, Tische und Bänke, Tanzflächen und Bühnen aufgebaut worden. Und alles strömte hinaus und wir waren froh, daß es vorüber war und hofften, daß die unheilvolle Stimmung der letzten Tage mit der Feier verfliegen würde. Ausgelassen aßen und tranken wir, mit Hardrich in unserer Mitte, der wie immer schweigsam und unnahbar das Geschehen um sich herum betrachtete. Doch unsere Freude währte nur kurz. Das Unglück näherte sich bereits und zwar in Gestalt einer Hofdame aus dem Kreis der Frauen um die Königstochter. Kichernd und schnatternd, wie eine Schar Gänse standen sie zuerst in seiner Nähe herum und warfen ihm neugierige Blicke zu. Dann schwirrten sie plötzlich heran, herausgeputzt und mit Schmuck und vielerlei Zierrat beladen, wie ein Schwarm schillernd bunter Vögel. Und so zwitscherten und redeten sie alle durcheinander, gratulierten erst artig und schwatzten dann allerhand dummes Zeug. Du kannst dir vielleicht seine Verwirrung vorstellen. Er, dem so gar nicht der Sinn steht nach höfischer Plauderei! Er war dennoch bemüht, zumindest höflich zu bleiben. Er -2 1 2 -
sagte 'Ja' und 'Nein' und 'So scheint es', doch die Weiberschar kannte keine Gnade. Eines der Mädchen, noch ein paar Jahre jünger als du, war ganz besonders vermessen und faßte ihn schließlich am Arm und wollte ihn zum Tanzboden ziehen. Hardrich war des Geplänkels langsam überdrüssig und entzog ihr seinen Arm. Er knurrte sie an: "Ich tanze nicht!", woraufhin einige der Mädchen, unter ihnen die Prinzessin, sich erschrocken zurückzogen, aber die kleine Hexe, die sofort wieder an seinem Arm hing, lachte nur. Ich stand ganz in der Nähe und mir schwante nichts Gutes, als ich sie seine unmißverständliche Warnung ignorieren hörte. Sie zerrte weiter an ihm und bat und bettelte mit Unschuldsmiene, er möge doch mit ihr tanzen. Schließlich schmiegte sich die schamlose Person eng an ihn und flüsterte ihm etwas ins Ohr, während ihre Hand gleichzeitig nach der Schnalle seine Helmverschlußes langte. Sei es nun, daß er selber merkte, was sie eigentlich im Schilde führte, sei es, daß er den erschrockenen Blick von einem von uns gewahr wurde, jedenfalls packte er auf einmal wutentbrannt ihr Handgelenk und schleuderte sie, wie angewidert, zu Boden. Vor Schmerz und Entsetzen stieß sie einen spitzen Schrei aus und landete zu meinen Füßen. Ihre Hand stand in einem unnatürlichem Winkel vom Körper ab. Als wäre ihr Knochen ein Stück Schilfrohr, hatte er ihr mit einer Hand den Arm gebrochen" Von Trettin unterbrach seine Erzählung, lehnte sich erschöpft im Sessel zurück und nahm seinen Krug zur Hand. "Sie hat tatsächlich versucht, vor allen Leuten seinen Helm abzunehmen?", fragte Gertraud ungläubig. "Ja, stell dir vor! Später sprach sich herum, daß die törichten Weibsbilder untereinander gewettet hatten, wer wohl den unheimlichen jungen Mann dazu bringen könnte, sich einmal ohne Helm zu zeigen", antwortete von Trettin und fuhr fort: "Jedenfalls brach die ganze aufgestaute Abneigung gegen unseren Rittter nun mit -2 1 3 -
einem Schlag über ihn herein. Das Mädchen war zwar, Gott sei Dank, nicht die Tochter eines hochgestellten Adeligen oder gar die Prinzessin selber, sondern nur die Schwester eines jungen Hauptmanns am Hofe, nichtsdestotrotz gab der Vorfall den umherstehenden Männern eine willkommene Gelegenheit, sich mit dem unbeliebten Fremden anzulegen. Einer der anderen elf Ritter,der ganz in der Nähe gestanden hatte, machte sich sogleich zum Wortführer. Es war Kuno von Kempervennen, dem weite Teile des Südwestens als Lehen unterstehen. Er beschimpfte Hardrich und nannte ihn einen Feigling, daß er sich mit Frauen schlagen müsse und ähnliches mehr. Hier und da wurden Schwerter gezogen. Und mir zu Füßen wimmerte noch immer die junge Frau! Hardrich stand wie angewurzelt da. Er rührte sich nicht, erwiderte nichts, stand wie ein Stein. Und vielleicht war es besser so. Im Kreis unserer Leute dagegen begann sich Unmut zu regen, und ich hörte, wie auch hier einige Klingen ihren Scheiden entrissen wurden. Ein Junge drängte durch die Reihen nach vorne. Wichard! Er hatte sein Kurzschwert gezückt und stellte sich breitbeinig und mit grimmigem Blick links neben Hardrich, der verwundert die Brauen hob und auf ihn herabsah. Und ich grübelte verzweifelt nach einer Lösung, zu der ich mich durch meinen gestrigen Schwur verpflichtet fühlte!" Gertraud hatte mit großen Augen seinen Worten gelauscht. "Und? Was tatet Ihr?", fragte sie gespannt. "Nun, was hättest du getan?", fragte von Trettin schmunzelnd. "Ich weiß es nicht. Was hätte ich schon ausrichten können? Oh bitte! Spannt mich nicht auf die Folter. Laßt mich wissen, was weiter geschah!", bat sie. "Tja, um mein Vorgehen zu verstehen, mußt du wissen, daß Kuno von Kempervennen wohl der häßlichste Mensch unter der Sonne ist. -2 1 4 -
Obwohl gerade fünf Jahre älter als Hardrich, ist sein Haar schon schütter. Zudem hat er eine spitze, überlange Nase, gar schiefe, gelbe Zähne und seine abstehenden Ohren sind so riesig, daß eine ganze Familie im Sommer darunter Schatten findet. Rote Flecken bedecken sein Gesicht, die Augen stehen dicht beieinander und stets trägt er ein etwas dümmliches Lächeln auf den Lippen. Dabei ist er von recht stattlichem Wuchs und untadeligem Betragen, aber trotz seiner adeligen Herkunft und einem freundlichem Wesen, war es ihm aufgrund seines abstoßenden Äußeren bis zu jenem Tage nicht vergönnt, eine Frau als seine Gattin heimzuholen. Dreimal hatte er bereits vergeblich um eine Frau geworben, und stets hatten die Damen unter irgendeinem Vorwand seinen Antrag abgelehnt. Ich hatte bei einigen Gelegenheiten in den Tagen am Hof mitangesehen, wie sich die holde Weiblichkeit stets rasch und kichernd zurückzog, wenn er sich näherte. Auch trägt er einen Eber im Wappen. Dieser kann sich zwar im Kampfe als recht gefährlich und nicht zu unterschätzender Gegner erweisen, aber genau genommen ist es eben doch nur ein Schwein. Der Arme kann einem wirklich leid tun! Kein Wunder, daß es bei all dem Spott, den er im Leben ertragen mußte, mit seiner Selbstachtung nicht weit her ist. Was ich also tat, war folgendes: Ich sprang zwischen die Fronten und begann laut zu schimpfen und mit den Armen zu fuchteln. Was den beiden einfiele, herumzustehen, während die zarte Frau verletzt am Boden läge! Was seien sie beide für Grobiane, nicht zuerst an die holde Dame zu denken, sondern sich in Angesicht ihrer Schmerzen die Köpfe einschlagen zu wollen! Alles starrte mich verblüfft an, während ich bei meinem Theaterspiel Blut und Wasser schwitzte! Und weiter gegen ihre Gefühllosigkeit wetternd, faßte ich alsdann den Ritter Kuno am Ärmel und zerrte ihn zu der am Boden Hockenden. Ich forderte ihn auf, seine ritterliche Pflicht zu tun und sie auf seinem starken Arm zu einem Heiler zu tragen. Das ließ sich von Kempervennen dann auch nicht zweimal sagen, sondern steckte sein Schwert zurück und hob -2 1 5 -
die verstörte Frau ganz behutsam vom Boden auf. Vor Schreck und Schmerz ganz genommen schmiegte sich diese an ihn, was von Kempervennen mit einem Schlag, Hardrich und alles um ihn herum vergessen ließ. Mit hochrotem Kopf und einem seligen Lächeln im Gesicht trug er die Verletzte hinaus, ohne auch nur einen Blick von dem blutjungen, hübschen Ding zu wenden. Damit war, Gott sei Dank, der aufkommenden Empörung gegen unseren Markgrafen die Spitze abgeschlagen! Und obwohl einige der Umstehenden immer noch wütende Blicke auf Hardrich und mich warfen, sah ich doch auch den einen oder anderen verstohlen grinsen. Die Schaulustigen zerstreuten sich und langsam kehrte wieder Ruhe ein. Später am Abend kam der König mit seiner Gemahlin zu uns herüber. Sie gesellte sich zu Hardrich und beklagte mit lauter Stimme die Dreistigkeit des Mädchens und den unglücklichen Vorfall. Der König dagegen nahm mich zu meinem Erstaunen beiseite und sagte: "Ihr seid ein Fuchs, von Trettin! Heute abend habt Ihr Eurem Herrn einen großen Dienst erwiesen und zudem ein Anliegen verteidigt, welches mir sehr am Herzen liegt. Ich war Hardrichs Vater immer in Freundschaft verbunden und fühle mich in seinem Andenken auch seinem Sohn verpflichtet. Mit seiner Erhebung in den Ritterstand habe ich für ihn getan, was ich konnte. Und wenn ich sehe, was er für Freunde in den eigenen Reihen hat, bin ich getrost, daß alles sich doch noch zum Guten wenden wird" Dann schlug er mir auf die Schulter und ging. Anderntags fand noch ein großes Turnier statt. Und der junge von Aven, dem zu Hause bei allen Waffenspielen kaum einer die Stirn zu bieten wagte, mußte kräftig Prügel einstecken. Hier wich keiner aus Furcht zurück. Im Gegenteil! Alle waren nur darauf aus, ihm noch einen mit auf den Weg zu geben. Er schlug sich dennoch tapfer und biß die Zähne zusammen. Zerschunden kehrte er hierher zurück, doch hat er sich seitdem bei anderen Turnieren und vor allem auf -2 1 6 -
dem Schlachtfeld die Achtung seiner Mitstreiter verdient. Besonders vertraut ist er übrigens mit von Kempervennen. Es scheint, als ob die körperlichen Makel der beiden sie auf irgendeine Art verbinden. Ich will nicht von einer echten Freundschaft sprechen, aber wenn der König seine Lehensleute zu sich ruft, sind beide oft zusammen anzutreffen" "Und danach hat er Euch zum Dank das Lehen überantwortet?", fragte Gertraud. "Nun, er ließ mir mitteilen, daß ich in Zukunft für das und das zuständig sei. Ein Wort des Dankes aber habe ich von ihm nie zu hören bekommen. Aber das soll mich nicht weiter kümmern", antwortete der alte Mann. "Und das Mädchen? Wißt Ihr, was aus Ihr wurde?", wollte Gertraud wissen und nahm ihren Krug zur Hand. Ihr Gegenüber trank auch einen Schluck und erwiderte belustigt: "Nun ja. Der gute Kuno kehrte den ganzen Abend nicht zu den Feierlichkeiten zurück. Er hat, so heißt es, wie ein Luchs über die Arbeit des Heilkundigen gewacht und an ihrem Krankenlager gesessen. Hardrich ließ der Familie des Mädchens ein großzügiges Schmerzensgeld zukommen, was als Mitgift gerade gelegen kam. Denn kaum war der Knochenbruch verheilt, hielt von Kempervennen um ihre Hand an. Und wenn er auch diesmal eine Absage hätte einstecken müssen, wäre er wohl nicht wieder froh geworden. Er hatte sich Hals über Kopf auf das heftigste in die Kleine verliebt. Und auch sie entdeckte wohl, daß sich hinter seinem Aussehen ein gutes Herz verbarg und drei Monate später wurde die Ehe geschlossen" Gertraud lachte und sagte: "So eine schöne Geschichte!" Über das Erzählen hatten beide kaum bemerkt, wie die Zeit verflogen war. Es dunkelte schon und Gertraud entzündete die -2 1 7 -
Kerzen im Raum. Musik klang zu ihnen herauf. Sie warf einen Blick aus dem Fenster und sah, daß dort die Knappen der hohen Herren bereits die Zelte rund um den Turnierplatz für den morgigen Tag einrichteten. Rüstungen und Waffen, Schemel und Tischchen, klirrende Geschirre und derlei Dinge mehr wurden ausgepackt, geordnet und ein letztes Mal überprüft und poliert. Die Stimmung unter den Burschen und dem mitgereisten Gesinde war ausgelassen. Sie würden sich später im Hof vergnügen, sobald ihre Herrschaft im Saal mit dem Fest begonnen hatte und ihrer nicht mehr bedurfte. Von Trettin erhob sich und ging, um sich für den Abend umzuziehen. Gertraud blieb allein zurück und ihre Nervosität wuchs. Unschlüssig stand da und fingerte an dem schweren, silbernen Ring an ihrer Hand. Bisher hatte sie keine Gelegenheit gehabt, ihn eingehender zu betrachten. Alles war so plötzlich über sie hereingebrochen. Sie zog das kostbare Schmuckstück vom Finger und hielt ihn näher an das Kerzenlicht. Der eingefaßte, blaue Stein trug das fein herausgearbeitete Wappen der Familie von Aven, Bär und Lilie. Das winzige, spiegelverkehrte Abbild war eine meisterliche Arbeit. Sie überlegte gerade, was es wohl für ein Stein sein konnte, als es klopfte und Hardrich ins Zimmer trat. Er sah sie mit dem Ring am Licht stehen und trat zu ihr. "Na? Prüfst du, ob er echt ist? Glaubst du, ich würde dir irgendeinen Tand schenken?", fragte er nicht ohne Vorwurf in der Stimme. "An seiner Echtheit hege ich keinerlei Zweifel. Ich finde nur erst jetzt einen Augenblick Zeit, ihn überhaupt einmal anzusehen! Er ist wunderschön! Eine so feine Arbeit habe ich noch nie gesehen! Wie nennt man denn den schönen blauen Stein?", fragte sie lächelnd. Er griff nach dem Kleinod und hielt ihn noch dichter ans Licht. "Leuchtendes Blau mit feinen goldenen Adern, siehst du? Das ist -2 1 8 -
ein Lasurstein", antwortete er, nahm dann ihre Hand und steckte den Ring langsam zurück an ihren Finger. Dabei sah er sie unverwandt an. Und als sie ihre Augen hob und seinen Blick erwiderte, waren alle Sorgen vergessen, alle Zweifel hinweggefegt und alle Anspannung von ihren Schultern abgefallen. "Mein Gemahl", hauchte sie und schmiegte sich an das glänzende Metall seines Brustpanzers. Schweigend umfing er sie mit seinen Armen und drückte sein Gesicht in ihr Haar. "Ich kann immer noch nicht glauben, daß du für mich getan hast, was du tatest, mein Herz! Du hast mich erhöht, mir große Ehre erwiesen! In meinen kühnsten Träumen hätte ich das nicht zu hoffen gewagt. Und glaub mir, sie waren schon ziemlich kühn meine Träume!", flüsterte sie. Er stieß den Atem aus und zog sie noch fester an sich, sagte aber nichts. Plötzlich faßte er mit seiner riesigen Rechten in ihr Haar, ballte die Hand zur Faust und sah sie mit wild funkelnden Augen an. Sie erschrak über seine Heftigkeit, bemühte sich jedoch, seinen Blick ruhig zu erwidern. Sie hob ihr Gesicht zu ihm auf und bot ihm ihren halboffenen Mund zum Kuß. Er ließ ihr Haar los und legte seine Hand an ihr Gesicht, strich mit dem Daumen über ihre Lippen. Sie schloß die Augen und spürte den wohligen Schauer, den die Berührung seiner rauhen Haut ihr über den Körper schickte. Sie küßten sich. Da flog mit einem Mal die Tür auf und Marianne stürzte herein. "Weißt du, was man sich erzählt...", rief sie aufgeregt, warf die Tür hinter sich ins Schloß und stand schon mitten im Zimmer, als sie den Markgrafen gewahr wurde. Zu spät, um zurück auf den Flur zu fliehen. Entsetzt starrte sie in das wutverzerrte Gesicht des Ritters. Hardrich ließ Gertraud, die mit dem Rücken zur Tür gestanden hatte -2 1 9 -
und benommen von seinem Kuß zu spät erfaßte, was geschah, abrupt los. Mit einem Schritt war Hardrich bei der Magd, faßte sie grob am Nacken und schüttelte ihren schmächtigen Körper wie einen jungen Hund. "Nun, was erzählt man sich denn? Ha?", brüllte er sie an, "Ich hoffe, es ist es wert, dafür das Genick gebrochen zu bekommen! Was fällt dir ein, unaufgefordert einzutreten!" Mariannes Beine versagten ihr den Dienst, und sie sackte mit Tränen in den Augen in die Knie. Verächtlich ließ der Ritter sie los, holte aus und verpaßte ihr eine solch derbe Ohrfeige, daß sie zur Seite flog. Dann drehte er sich zu Gertraud um und knurrte diese an: "Um deinetwillen werde ich es heute hierbei belassen. Aber wenn ich sie noch einmal bei einer solchen Verfehlung erwische, dann Gnade ihr Gott! In einer Stunde lasse ich dich holen" Dann stapfte er aus der Tür. Gertraud kniete sich neben die Freundin und legte ihr die Hand auf die Schulter. "Ach, Marianne! Wie konntest du einfach so hereinplatzen? Du hast doch sonst immer geklopft und auf ein Wort von mir gewartet. Er hätte jederzeit hier sein können!", sagte sie besorgt. Marianne schluchzte: "Ich war so aufgeregt, ich hatte es ganz vergessen. Und ich dachte, ich hätte den Herrn gerade noch unten bei den Gästen gesehen. In der Küche erzählen sie, der Markgraf würde sich heute verheiraten! Das wollte ich dir doch sofort sagen!" Sie hielt sich die schmerzende Wange, die vom Schlag rot glühte und stand unsicher auf. Die ausgestandene Angst steckte ihr noch in den Gliedern, und Gertraud führte sie zu einem der Sessel. "Alle rätseln, wen er nun wählen wird", fuhr die junge Magd fort und verstummte, als sie Gertraud verstohlen grinsen sah. -2 2 0 -
"Ich weiß es", sagte diese munter. Währenddessen hatten sich die ersten Gäste im Saal eingefunden. Man stand in Grüppchen zusammen, unterhielt sich, und jeder der hinzustieß, wurde neugierig nach dem Neusten um die Heirat des Markgrafen befragt. Von Trettin stand bei Frau von Harchow, die heute mittag eingetroffen war. Lächelnd nickte sie Wichard zu, der mit abwesendem Blick am Rande der Gesellschaft stand. Er hatte die Nacht nicht geschlafen und sah bleich und zerschlagen aus. "Was hat denn der junge von Dühring? Er ist ja gar nicht wiederzuerkennen. Ist er am Ende gar unglücklich verliebt?", fragte die alte Dame schmunzelnd. "Wer weiß?", erwiderte von Trettin und bemühte sich sogleich, das Thema zu wechseln. Gleich nach seinem Eintreffen war er unauffällig die Tische abgeschritten und hatte die Sitzordnung in Erfahrung gebracht. Er hatte noch immer Hardrichs wutentbrannten Blick nicht vergessen und befürchtete, daß der Markgraf ihn, entgegen aller Gepflogenheiten, an die unterste Ecke der Tafel verbannten lassen würde. An der Stirnseite des Raumes, etwas erhöht auf einer Plattform, stand ein einzelner, breiter Tisch, welcher für vier Personen gedeckt war. Hier saß der Landesherr selber und neben ihm befand sich der Platz ohne Namen, der, neben den Gerüchten, zu so vielen Spekulationen Anlaß gegeben hatte. Von Trettin hatte beruhigt festgestellt, daß links neben diesem sein Namensschild stand. Rechts von Hardrich hatte man Frau Hedwig von Harchow plazieren lassen. In etwa drei Schritt Abstand begannen dann zwei lange Tischreihen, die bis zum anderen Ende des Raumes verliefen. -2 2 1 -
Dazwischen war Platz genug für die vielen Bediensteten, die während des Essens aufwarten würden. An den endlosen Tischen saßen nun alle übrigen Gäste, deren Wichtigkeit, Lehensgröße oder Adel man an ihrer jeweiligen Nähe zum Tisch des Gastgebers ablesen konnte. Von Trettin am nächsten und damit am Beginn der linken, langen Tafel, würde später Jürgen von der Weile Platz nehmen. Er war dieses Jahr ohne Familie angereist, denn seine Frau lag im Kindbett und seine Söhne waren noch klein. Ihm gegenüber am rechten Tisch würden zuerst Gottlieb von Treptow mit seiner schwergewichtigen Familie sitzen. Dahinter folgten rechts und links von Bevern mit seiner Frau, seinen Töchtern und einem Gast aus dem Norden. Daneben Beverns Bruder der Bischof, der Prior des Klosters, Albertinus und Georg von Meez. Danach folgten noch eine Reihe adeliger Hauptleute mit ihren Damen, unter ihnen Christof von Kressin, von Dühring, Ulrich Ohnsorg und viele andere. Auch alles, was in der Stadt Rang und Namen hatte, war vertreten. Diener mit gefüllten Pokalen gingen umher, und so manch einer war schon vor Beginn des Essens in einer recht heiteren Stimmung. Man plauderte, scherzte und wartete. Wartete, daß sich die Flügeltüren des Haupteinganges öffnen und der Gastgeber erscheinen würde. Rudolf von Walow, umringt von einigen Herren und, wie stets, doppelt so vielen Damen, amüsierte sich bereits aufs Beste. Charmant und überaus geistreich und witzig, gewann er rasch die Sympathien der Anwesenden und war sich auch seiner Wirkung auf die Weiblichkeit durchaus bewußt. Er sah blendend aus, schlank und drahtig, mit einem schwarzen Kinnbart und markanten Zügen, immer makellos gekleidet. Und ein Blick aus seinen samtigen, braunen Augen genügte, um so manches Herz zum Schmelzen zu bringen. Er war der begehrteste Junggeselle im ganzen Land; er hatte es aber durchaus nicht eilig, sich für eine der Damen zu entscheiden. Gerade warf er den Kopf in den Nacken und lachte aus vollem -2 2 2 -
Hals. Dann fixierte er die Dame, deren Äußerung die Umstehenden so erheitert hatte, mit blitzenden Augen und sagte mit gespieltem Vorwurf: "Ins Kloster? Ihr würdet eher der Welt entsagen, als die ungeheure Ehre zu erfahren, die Gattin unseres über alles geliebten Herrn und Meisters zu werden? Das kann nicht Euer Ernst sein! Wo er doch so ein galanter Kavalier und tugendhafter Mann ist!" Alles lachte. Wichard hatte das Gespräch mit angehört und warf von Walow einen finsteren Blick zu, was diesen nur noch mehr anstachelte. Er wandte sich wieder der Dame zu und fügte lauthals noch hinzu: "Bedenkt nur, wenn alles an ihm so groß ist, wie es scheint! Welch ungeheure Wonnen würden Euch entgehen?" Die Dame errötete heftig, ihre Freundinnen hielten kichernd die Hand vor den Mund, während die Männer sich lauthals lachend auf die Schenkel schlugen. Von Dühring wandte sich ab und ging. Er war nicht in der Position, von Walow zur Rede zur stellen, und er war auch nicht sicher, ob er es heute überhaupt wollte. Marianne hatte Gertraud noch einmal die Haare gebürstet und dann mit kostbaren Kämmen einen weißen Schleier am Hinterkopf festgesteckt, dazu trug sie dasselbe Kleid wie am Morgen. Ganz so, wie der Ritter es befohlen hatte. Gertrauds Anspannung übertrug sich auf Marianne, so daß beide zusammenzuckten, als es endlich klopfte und der Diener erschien, um Gertraud hinunter zum Saal zu begleiten. Hardrich erwartete sie vor der geschlossenen, großen Saaltür. Wieder war er wie betäubt von ihrer Anmut und Schönheit. Er hielt ihr einladend den Arm hin, und sie verbeugte sich ganz leicht, lächelte und legte ihre Hand auf seine. Hardrich gab dem Verwalter ein Zeichen. Dieser verschwand durch eine andere Tür, gefolgt von -2 2 3 -
einem Fanfarenbläser. Gertraud flüsterte: "Ich habe solche Angst!" "Wovor?", fragte Hardrich erstaunt, "Keiner da drinnen wird dir etwas anderes als vorzügliche Hochachtung entgegenbringen!" "Und wenn ich nun etwas Falsches sage", fuhr sie fort. "Du wirst gar nichts sagen! Lose wird uns gleich drinnnen ankündigen. Wir gehen hinein. Ich führe dich zu deinem Platz. Du setzt dich. Wir essen. Wir stehen auf. Wir gehen zusammen hinaus. Ganz einfach. Ich wäre auch lieber endlich allein mit dir, aber bevor du heute Nacht ganz und gar mir gehören wirst, müssen wir noch da durch", fiel er ihr ins Wort und wies zum Saaleingang hinüber. Gertraud schluckte. Von drinnen ertönte in diesem Moment die Fanfare und das Gemurmel verebbte. Mit lauter Stimme hörten sie den Verwalter dann verkünden: "Edle Damen, werte Herren! Hochverehrte Gäste! Unser allergnädigster Herr von Aven, Ritter des Königs und Markgraf der Ostmark heißt die anwesenden Edelleute in seinem Hause willkommen. Bevor ihr nun, wie in jedem Jahr, mit dieser Zusammenkunft und gemeinsamen Feier den Bund der Lehenstreue erneuern sollt, läßt Euch der Markgraf durch meinen Mund folgendes verkünden", hier machte der Redner eine bedeutungsschwere Pause und blickte in die Runde. Es war totenstill. Alle Augen waren auf ihn gerichtet, was der unscheinbare Mann sichtlich genoß. Er warf sich in die Brust und fuhr fort: "Es hat dem Herrn der Ostmark gefallen, heute früh den Bund der Ehe zu schließen" Ein Raunen ging durch den Raum, sodaß der Verwalter sich -2 2 4 -
gezwungen sah, seine Ankündigung erneut zu unterbrechen. "Und wer ist es? Wer ist die Glückliche?", rief endlich Rudolf von Walow fröhlich. "Es ist die Tochter eines anwesenden Adeligen. Ihr Name ist Gertraud von Trettin", schloß der Redner und gab in Richtung der Tür ein Zeichen. Ungläubiges Getuschel und neugierige Blicke trafen von Trettin. Zwei Pagen sprangen vor, öffneten die beiden Türflügel und verneigten sich. Gertraud schlug das Herz bis zum Hals. Hardrich wandte sich ihr zu, hob mit einem Finger ihr Kinn an. "Bleib so", sagte er und führte sie in den Saal hinein. Alles starrte ihnen entgegen. Es kostete Gertraud gewaltige Selbstbeherrschung, den Blick nicht wieder zu Boden sinken zu lassen, sondern hocherhobenen Hauptes langsam neben Hardrich den Mittelgang entlangzuschreiten. Während er ungerührt stur geradeaus blickte, zwang sie sich zu einem winzigen Lächeln. Scheu bemühte sie sich, allen Menschen, an denen sie vorbeiging, in die Augen zu sehen. Sie erkannte Wichard und nickte ihm leicht zu, was dieser mit einer tiefen Verbeugung beantwortete. Ehrerbietig verneigten sich auch die anderen Gäste, sobald das Paar auf gleicher Höhe war. Endlich war der herrschaftliche Tisch erreicht. Gertraud sah auf und bemerkte den freundlichen Blick der alten Dame, die dort stand. Freimütig erwiderte die junge Frau ihr Lächeln und war froh, dann auch von Trettins vertrautes Gesicht vor sich zu haben, als Hardrich mit ihr den Tisch umrundete und sie zu ihrem Platz führte. Dort standen beide nebeneinander und sahen auf die langen Reihen der Gäste hinunter. Hardrich löste sich von ihrem Arm und gab den Dienern ein -2 2 5 -
Zeichen. Diese sprangen hinzu und füllten die Zinnbecher auf den Tischen. Dann griff der Markgraf zu seinen glänzenden Pokal und wollte zum Trinkspruch ansetzen, als auf einmal von Walows spöttische Stimme quer durch den Saal klang: "Herr von Aven, verzeiht meine Kühnheit, doch spreche ich wohl allen Anwesenden aus dem Herzen, wenn ich zunächst im Namen aller unsere allerbesten Wünsche zur Vermählung ausspreche und mich, im nächstem Atemzug, mit einer höflichen Bitte an Euch wende. Herr von Trettin hat offensichtlich all die Jahre gut verstanden, uns seine holde Tochter vorzuenthalten, welche diesem Hause schon heute eine Zierde ist. Ihre Anmut und Schönheit läßt die Damen gleichermaßen vor Entzücken seufzen, wie sie die Herren betört. Und um auch einmal den Klang ihrer lieblichen Stimme zu vernehmen, bitte ich die Markgräfin, den Becher zu erheben und zu uns zu sprechen!". Und mit diesen Worten ergriff von Walow seinen Pokal und sah Gertraud herausfordernd an. Alles hielt den Atem an und blickte verstohlen zum Ritter. Dieser hatte zähneknirschend seinen Lehensmann angehört. Er war mehr als ungehalten, daß er sich durch dessen galante Höflichkeiten gleichsam gezwungen sah, auf seine Bitte einzugehen. Mit einer knappen Geste erteilte er Gertraud das Wort. Diese nahm den schweren Pokal auf, verneigte sich anmutig vor Hardrich und hörte sich selbst mit fester Stimme sagen: "So sei es denn, daß ich das Wort ergreife, vor unserem Landesherrn, dem dieses so viel mehr geziemt als mir. Da es aber mit seiner Billigung geschieht, wird man es mir wohl nachsehen" Sie sah dabei von Walow kühl an und einige Anwesende, die die kleine Spitze gegen ihren Vorredner herausgehört hatten, grinsten verstohlen. "Zuallererst habt Dank, auch im Namen meines Gemahls, für Eure guten Wünsche zu unserer Eheschließung. Doch gebe Gott, daß man -2 2 6 -
im nächsten Jahr zu dieser Stunde nicht schnöde Äußerlichkeiten loben wird, die die Natur vergibt oder auch nicht, ganz wie es ihr beliebt. Statt dessen erfleh' ich Gottes Beistand, so daß durch meine Worte und Taten in den kommenden Wochen und Monaten Demut, Bescheidenheit und Tugend sprechen werden. Dies würde meinem Gatten zur Ehre und mir zur Zierde sehr viel mehr gereichen als eine hübsche Nase. So laßt uns denn die Gläser erheben! Ich trinke auf Ursus et lilium, Bär und Lilie! Auf die Ostmark!" "Auf die Ostmark!", tönte es im Raum und hier und da sah man jemanden anerkennend nicken. Der Prior bemerkte leise zu Albertinus, der sich am Wein verschluckt hatte und hüstelte: "Eine sehr artige Ansprache! Und dabei nicht ohne Biß gegen unseren Freund von Walow! Geschieht ihm ganz recht, dem liederlichen Spötter! Wie es scheint hat er, zumindest für heute, seine Meisterin gefunden" Nachdem man getrunken hatte, setzten sich Hardrich und Gertraud, woraufhin auch die übrigen Gäste Platz nahmen. Auf einen Wink von ihm wurde aufgetragen. Gertraud warf Hardrich einen vorsichtigen Seitenblick zu, doch dieser verzog keine Miene. Sie aßen zunächst schweigend, bis bald darauf Gespräche und Gelächter wieder laut wurden und das Fest seinen Gang nahm. Endlich beugte sich Hardrich zu Gertraud hinüber und äffte leise ihre Worte nach: "Demut, Bescheidenheit und Tugend! Ich werde dich beizeiten daran erinnern!" Sie lächelte ihn erleichtert an, bemerkte dann, daß Frau von Harchow sie beobachtete und fragte leise: "Wer ist denn die Dame an deiner Rechten?" Der junge Markgraf lehnte sich zurück, räusperte sich verlegen und stellte Gertraud vor: "Hohe Frau, dies ist Gertraud von Trettin, das Mädchen, das ich mir zur Gemahlin gewählt habe. Gertraud, diese Dame ist die Witwe einer meiner besten Männer, Wernherr von Harchow, der auf dem letzten Feldzug für mich sein Leben ließ. -2 2 7 -
Sie sitzt heute hier an meiner Seite, wo vielleicht meine Mutter gesessen hätte und im ehrenden Andenken an meinen treuen Hauptmann" Frau von Harchow dankte Hardrich für diese ehrenvolle Geste und betrachtete Gertraud wohlwollend. Schmunzelnd sagte sie: "Mir scheint, Ihr habt eine gute Wahl getroffen, Hardrich. In einem Punkt muß ich jedoch dem armen Rudolf zustimmen, obwohl ihm Euer kleine Dämpfer sicher gut bekommt. Es ist wirklich schade, daß der gute Reno Euch vor uns versteckt gehalten hat. Wir hätten sicher so manches amüsante Wortgefecht erleben können!" "Ihr seid zu gütig, hohe Frau. Doch hoffe ich sehr, den Herrn nicht allzusehr verärgert zu haben", antwortete Gertraud nachdenklich. Wein, Bier und Branntwein flossen in Strömen und immer noch mehr köstliche Speisen wurden hereingetragen. Gaukler, Sänger und Tänzer erfreuten die Gäste mit ihrem Können, etwas, was unter Hardrichs Herrschaft hier im Saal noch nie stattgefunden hatte. Das Fest war prächtiger als alle anderen vorher und jedermann war in ausgelassener Stimmung. Auch Wichard war wie aufgedreht. Er redete ohne Unterlaß, lachte zu laut und ließ sich wieder und wieder den Becher füllen. Sein Vetter wunderte sich anfangs, war dann aber froh, daß Wichard offensichtlich die Schwermut der letzten Tage abgeschüttelt hatte und drang nicht weiter in ihn. Wann immer Gertraud die Augen hob, sah sie, daß man sie neugierig betrachtete, aber sofort ihrem Blick auswich. Nur als sie zufällig Rudolf von Walow ansah, fixierte dieser sie abschätzend, ohne sich abzuwenden. Sie hielt seinem Blick stand, war aber froh, daß von Trettin sie in diesem Moment ansprach und sie sich ihm zuwenden konnte. Danach vermied sie es, noch einmal in diese Richtung zu sehen. -2 2 8 -
Von Trettin nannte ihr die Namen der Anwesenden und erzählte die eine oder andere Anekdote, zu denen auch Frau von Harchow einiges hinzufügte und Gertraud begann, sich Titel und Verwandtschaften einzuprägen. Hin und wieder wandte sie sich lächelnd mit einer Frage an Hardrich, der ihr knapp antwortete und ansonsten schweigend ihrem Gespräch lauschte. Das Mahl war gerade beendet und Schalen mit Naschwerk und süßem Kuchen wurden gebracht, als Hardrich seine große Hand auf die ihre legte und sagte: "Wir gehen" Gertraud nickte und verabschiedete sich in aller Eile von ihrem Vater und der alten Dame. Dann stand sie zusammen mit Hardrich auf. Alles erhob sich und verstummte. "Ich werde mich für heute abend zurückziehen, doch soll das Fest andauern, bis auch der Letzte unter Euch genug getrunken und gegessen hat", sagte er laut. "Es lebe das junge Paar!", klang plötzlich von Walows Stimme vergnügt durch den Raum, und ein Chor der Glückwünsche und Hochrufe schloß sich ihm an, als beide den Saal durch den Mittelgang verließen. Umjubelt schritten sie so nebeneinander her. Dankbar und verlegen strahlte Gertraud die Umstehenden an, und sogar Hardrich hatte die Spur eines Lächeln auf den Lippen. Sie gingen an Wichard vorbei. Er schwankte. "So bleibt doch, Herr! Ihr könnt es wohl gar nicht erwarten, sie in die Kissen zu zerren, wie?", lallte er mit einem Mal lauthals. Hardrich zuckte zusammen und blieb stehen. Er drehte sich zu ihm um, zog sein Schwert und hielt es ihm an die Kehle. "Was war das?", fragte der Ritter leise drohend. Alles erstarrte voller Entsetzen. Da trat Gertraud an Hardrichs Seite und sagte vorwurfsvoll zu -2 2 9 -
Wichard gewandt: "Nur kein Neid! Wenn ich Euch so sehe, ist es mit Eurem Stehvermögen heute abend nicht mehr weit her" Und bei diesen Worten, faßte sie Hardrichs Hand, die das Schwert hielt und führte sie von Wichards Kehle weg und so, daß die Klinge gegen den silberverzierten Lederwams stieß. Und der junge Hauptmann, der sich vor Trunkenheit und Schreck gerade eben noch auf den Beinen hatte halten können, stolperte rückwärts und fiel polternd über seinen Stuhl zu Boden. Die Leute lachten schallend, und die Anspannung entlud sich in allgemeiner Heiterkeit. Hardrich steckte sein Schwert wieder ein und fuhr ihn noch einmal an: "Wir sprechen uns morgen noch!" Dann verließen der Ritter und seine Frau den Saal, begleitet vom Jubel und Beifall der Menge. Die Saaltür schloß sich hinter ihnen und Gertraud seufzte befreit. Hardrich schwieg und stapfte mit mürrischem Gesicht die Treppen hinauf. Mühsam versuchte Gertraud mit ihm Schritt zu halten, faßte schließlich mit beiden Händen seine Rechte und ließ sich von ihm mitziehen. Auf einem Treppenabsatz zog er sie mit Schwung zu sich, drückte sie an die Wand und zischte ihr gereizt zu: "Na, was ist? Hast du unten im Saal alle deine Kraft mit deinen Mätzchen vergeudet? Kommst nicht einmal mehr alleine die Treppen hinauf? Oder willst du nicht, hm?" "Ich liebe dich, Hardrich. Und wir haben den Rest unseres Lebens Zeit für einander, mein Herz!", flüsterte sie und zog seine Hand an ihre Wange. Sein grimmiger Blick wurde weicher. Er hob sie auf und trug sie vor sich her die Stufen hinauf. Vor seinen Gemächern angekommen drückte Gertraud, immer noch in seinen Armen liegend, die Klinke nieder und er trat mit dem -2 3 0 -
Fuß gegen das Holz, so daß die schwere Tür aufflog. Er ging hinein und lehnte sich rückwärts dagegen, bis sie hinter ihnen wieder ins Schloß fiel. Auf dem Kamin brannte ein einzelnes, flackerndes Nachtlicht an einer dicken Kerze. Sie waren allein. Er trug sie weiter ins Schlafgemach. Hier brannte ein knisterndes Feuer im Kamin. Behutsam ließ er sie zu Boden, schlang seine Arme um sie und stöhnte: "Endlich" Sie fühlte seinen warmen Atem an ihrer Schläfe, sah zu ihm auf, strich, soweit es der Helm zuließ, über sein Gesicht und zog ihn zu einem Kuß zu sich herunter. Schließlich trat er schweigend einige Schritte zurück und sah sie unverwandt an. Im Licht der tanzenden Flammen zog er sich dann die schweren Stiefel aus, befreite sich von Harnisch und Schwert, knöpfte sein Wams auf, zog es aus und warf es zu Boden. Er reckte befreit die langen Arme, streckte Schultern und Nacken, ließ seine Muskeln spielen. Dichtes, krauses Haar bedeckte Brust und Rücken. Seine Haut war übersät mit kleinen und großen Narben, Lehrgeld von vielen Schlachten und Turnieren. Schließlich ließ er seine Beinkleider zu Boden gleiten. Gertraud erschrak. Außer ihren kleinen Brüdern hatte sie kaum jemals einen nackten Mann gesehen. Einmal hatte sie, ganz in Gedanken, einen der Gesellen im Waschhaus überrascht. Und auch aus den Erzählungen ihrer verheirateten Freundinnen, bei langen Spinnabenden im Winter, hatte sie einiges gehört. Wie oft hatten sie vor Lachen Tränen in den Augen gehabt und kaum weiterarbeiten können. Sie hatte geglaubt zu wissen, was auf sie zukam, zumindest in groben Zügen. Doch was ihr hier entgegenwuchs, war anders, war bedrohlich. "Über Wichards mangelndes Stehvermögen machst du dich lustig -2 3 1 -
und jetzt macht dir meines Angst, was?", spottete er und legte sich aufs Bett, halb auf die Seite gestützt. Schweigend betrachtete er sie, die dastand und sich nicht rührte. "Zieh dich aus", sagte er leise. Gertraud wollte etwas einwenden, doch er gebot ihr mit einer schroffen Handbewegung zu schweigen. "Ist dir eigentlich klar, wie oft ich vor Verlangen nach dir schier zersprungen bin, wie oft ich Gelegenheit und Lust gehabt hätte, dich einfach so zu nehmen, dir meinen Willen aufzuzwingen? Niemand hätte mir einen Vorwurf gemacht, keiner auch nur die Stirn gerunzelt. Ich will dich auch jetzt nicht mit Gewalt nehmen, aber, bei Gott, ich werde es heute, wenn du nicht sofort tust, was ich sage! Zieh dich aus", bat er heiser. Sie schluckte. Dann griff sie langsam in ihr Haar, zog die Kämme heraus und nahm den Schleier ab. Sie schlug die Augen nieder, löste die Bänder ihres Kleides und zog es über den Kopf. Sie zögerte einen winzigen Moment, streifte die Träger ihres Unterkleides über ihre schmalen Schultern und ließ es zu Boden fallen. Sie fühlte die Wärme des Feuers hinter sich auf ihrer nackten Haut und fröstelte trotzdem. "Komm", sagte er und streckte seine Hand nach ihr aus. Sie legte sich unsicher neben ihn. Ihr Atem ging flach und hastig. "Du bist so wunderschön", raunte er und strich mit seiner Rechten leicht über die Silhouette ihres Körpers. Den Hals entlang, die Schulter, die Tiefe ihrer Achsel, die zarte Wölbung ihrer Brüste, ihre zitternde Taille, die Hüfte. Auf ihrem Schenkel ließ er seine Hand liegen, griff ihre warme Haut. Sie sog hörbar den Atem ein, lag vollkommen still und schloß die Augen. Er beugte sich über sie und küßte ihre Kehle, biß sanft hinein, öffnete den Mund und ließ seine Zunge spielen, während gleichzeitig seine Hand zwischen ihre Beine -2 3 2 -
drängte. Keuchend preßte sie ihre Schenkel zusammen. Sie hätte nicht benennen können, was sie fühlte, denn es war etwas zwischen Angst und Entzücken, zwischen Schmerz und Sehnsucht, zwischen Verlegenheit und Verruchtheit. Sie wünschte, er würde fortfahren und fürchtete gleichzeitig nichts so sehr wie dies. Schließlich drängte er ihre bebenden Knie auseinander und legte sich dazwischen. Er griff nach ihrer Hand, die zur Faust geballt neben ihr lag und zog sie an seine Brust, ließ sie seinen Herzschlag fühlen. Zögerlich öffnete sie die verkrampften Finger. Langsam führte er sie seinen Leib hinunter. Ihre Fingerkuppen tasteten drahtiges, schwarzes Haar. Als sie sein Geschlecht streiften, riß sie die Augen auf und sah ihn erschrocken an. Sie wollte ihm ihre Hand entziehen, aber er hielt sie fest und raunte ihr beruhigend zu: "Nur keine Angst" Zaghaft und mit klopfendem Herzen berührte sie den festen Schaft und war überrascht von der Zartheit seiner Haut. Heiß und wie von einem seltsamen Eigenlegen erfüllt, fühlte sie ihn schließlich in ihrer Hand. Seine große Rechte schloß sich um ihre Hand herum. Er keuchte, und einen Moment später spürte sie ein Erschauern durch sein Innerstes laufen. Sie wußte nicht, wie ihr geschah, bis er im nächsten Augenblick etwas Warmes, Flüssiges auf ihrem Bauch und zwischen ihren Brüsten verrieb und ihr ein betäubender Geruch in die Nase stieg. Er küßte sie. Sie hatte nicht gewagt, sein Glied loszulassen und spürte es jetzt ganz allmählich in ihrer Hand ermatten. Ihre Neugierde erwachte. Sie setzte sich ein wenig auf und betrachtete die herabsinkende Lanze, die langsam ihre Angriffslust zu verlieren schien. Sie bemerkte seinen amüsierten Blick und wurde rot bis über beide Ohren. "Sieh ihn dir ruhig genau an. Er steht gleich wieder zu Diensten, wenn du ihm weiter soviel Aufmerksamkeit schenkst", sagte er -2 3 3 -
grinsend. Durch sein Lächelnd ermutigt, erkundete sie dieses Neuland weiter. Fuhr mit dem Finger hinunter zu den haarigen Hoden, zupfte ganz zart an der schlaffen Spitze, strich wieder über den weiche Haut. Er legte den Kopf in den Nacken und bebte. "Du lernst schnell, Frau von Aven", ächzte er, und schon begann sich in ihrer Hand der müde Krieger wieder zu regen. Beunruhig sah sie, wie er sich aufrichtete, straffte und auf sie zu zielen schien. Er wuchs und reckte sich, bis er mächtiger schien als vorher. Sie ließ ihn los und sank zurück in die Kissen. Er lag jetzt über ihr, auf die Ellenbogen gestützt. Tränen traten ihr in die Augen. Sie drehte das Gesicht zur Seite. "Schhhh, mein Herz!", flüsterte er ihr ins Ohr "Es wird nicht passen!", schluchzte sie verzweifelt und wollte die Beine schließen, sich ihm entziehen. Sie stemmte die Hände gegen seine Schultern. Er packte ihre schmalen Handgelenke mit einer Hand, hielt sie mit seinem Gewicht allein in die Kissen gedrückt und drängte mit der anderen Hand ihre Beine noch ein Stück weiter auseinander. Er rieb die glatte Spitze seiner Männlichkeit in der feuchten Wärme und benetzte sie mit dem Saft ihres Schoßes. "Ich werde es passend machen. Ein für allemal", gab er zurück und stieß zu. Sie schrie auf. Er hielt sie fest und lag still, bis sie sich etwas beruhigt hatte. Dann begann er, sich langsam auf ihr zu bewegen. Sein Ziel vor Augen, schien er nun durch sie hindurch zu sehen. Endlich hielt er inne. Sein Körper spannte sich und er zerdrückte -2 3 4 -
fast ihre Handgelenke. Dann stieß einen Laut der Erleichterung aus. Er ließ sie los, lag aber immer noch auf ihr und atmete schwer. Dann rollte er zur Seite und zog sie zu sich, bis ihr tränennaßes Gesicht auf seiner Schulter ruhte. Er legte den Arm um sie, wiegte sie sachte hin und her und drückte seine Lippen auf ihre Stirn. "Ich werde dir nie wieder wehtun", flüsterte er. Nachdem sie eine Weile so geruht hatten, stand er auf, beugte sich über sie und sagte sanft: "Leg die Arme um mich" Sie tat, was er verlangte, ohne zu fragen, und er faßte mit einer Hand unter sie und hob sie aus dem Bett. Stirnrunzelnd sah er, wieviel Blut sie verloren hatte. Mit der freien Hand zog er das obere der beiden Laken ab, legte Gertraud behutsam wieder aufs Bett zurück und deckte sie zu. Er selber ging mit dem Stoff zur Tür, öffnete und warf das Tuch auf den Gang. "Bring es runter!", befahl er durch den Türspalt und kehrte ins Schlafgemach zurück. Der Page gab das Betttuch am Saaleingang ab und rannte wieder die Treppen hinauf. Zwei andere Diener spannten das Tuch als Zeichen der vollzogenen Ehe im Saal auf einen vorbereiteten Rahmen. Ein riesiger, hellroter Blutfleck bedeckte das schneeweiße Leinen. Die Gäste hielten zunächst verlegen in ihrem Lärmen inne. Die Frauen warfen sich untereinander mitleidige Blicke zu, während die Herren wohl zum hundertsten Mal auf das Brautpaar anstießen. Von Trettin war blaß geworden. Er hatte sich zu Frau von Harchow gesetzt und sagte entsetzt: "Mein Gott, soviel Blut! Er sollte die Ehe vollziehen und sie nicht schlachten!" Die alte Dame lächelte ihn nachsichtig an und versuchte ihn zu beruhigen: "Ich kann verstehen, daß dies Euer Vaterherz in Aufregung versetzt, aber bedenkt, Hardrich ist nicht gerade ein -2 3 5 -
schmächtiger Mann und wenn sie etwas zierlicher gebaut ist... Nun ja, was soll ich sagen. Nahezu jede der verheirateten Frauen um Euch herum hat solches oder ähnliches erlebt, ganz gleich, wie rücksichtsvoll die Herrn auch waren" Wichard war, nachdem Gertraud Hardrichs Zorn abgewandt und ihn dafür dem Spott der Anwesenden überantwortet hatte, auf seinen Stuhl zurückgekrochen und hatte weiter getrunken. Sein Vetter hatte ihn zum Gehen überreden wollen, aber er war nicht dazu zu bewegen gewesen, das Fest zu verlassen. Doch als er jetzt das blutige Laken sah, stand er taumelnd auf und stolperte wortlos aus dem Saal. Gertraud erwachte vor Hardrich, als irgendwo im Hof eine Tür krachend in Schloß fiel. Sie öffnete die Augen. Er lag von ihr abgewandt, halb auf dem Bauch, das Kissen im Arm. Es dämmerte gerade. Sie lag noch eine Weile still, bis ihre volle Blase sie aus dem warmen Bett trieb. Nackt und fröstelnd huschte sie auf Zehenspitzen ins Nebenzimmer. Ihr Wasser brannte in der offenen Wunde zwischen ihren Beinen. Nachdem sie sich erleichtert hatte, feuchtete sie ein sauberes Tuch an und tupfte sich vorsichtig das angetrocknete Blut von den Schenkeln. Plötzlich hörte sie, wie Hardrich nebenan hochfuhr. Sie hörte das Bett knarren und ihn nach ihr rufen. Seine Stimme klang so erschrocken, fast verzweifelt, daß sie, das blutige, nasse Tuch in der Hand, zurück ins Schlafgemach stürzte. Ohne ein Wort zog er sie an sich, hielt sie mit seinen starken Armen fest umschlungen, bis sie kaum noch Luft bekam. "Oh, Gott! Wenn alles nur ein Traum gewesen wäre und ich heute tatsächlich allein hier aufgewacht wäre! Oh, Gott! Ich könnte es nicht mehr ertragen", flüsterte er und brummte dann vorwurfsvoll: "Du bist ja ganz ausgekühlt! Komm!" -2 3 6 -
Sie kroch an seiner Seite zurück unter die Decken und schmiegte sich an ihn. Ihre kalten Füße an seinen Waden reibend, murmelte sie: "Ich wollte nur nicht ins Bett machen, sonst hätten mich keine zehn Pferde aus den warmen Kissen geholt. Es ist auch noch zu früh zum Aufstehen. Ah, ist mir kalt!" Und während sie sich noch dichter an ihn drängte und ihre eiskalten Hände unter seine Achseln schob, bemerkte sie den abwesenden Blick, mit dem er sie ansah. Sie erschrak und rückte unwillkürlich ein Stückchen von ihm ab. Er erriet ihre Gedanken, und verärgert knurrte er: "Keine Sorge! Ich hätte zwar nicht übel Lust, dir dein Pelzchen gleich jetzt noch einmal aufzuschütteln, aber zuviel des Guten stillt nicht nur das Verlangen, sondern leider auch die Streitbarkeit. Und ich will die Spiele heute gewinnen! Ich werde deine Farben tragen, und mein Sieg soll dich zur Turnierkönigin machen. Und außerdem habe ich mit Walow noch ein Hühnchen zu rupfen. Und mit Wichard auch! Verdammt, was war bloß in ihn gefahren gestern?" "Ach, er war betrunken", sagte sie und gähnte. Sie legte ihren Kopf zurück auf seine Schulter. Ihre Stirn stieß an die Kante seines Helmes, und nachdenklich betrachtete sie die abgewetzte Schnalle des Verschlußes unter seinem Kinn. "Hardrich?", begann sie. "Hmm?", brummte er schläfrig. "Es steht noch etwas aus, um diese Ehe in Gänze zu vollziehen", sagte sie. "Reichte dir das noch nicht? Geblutet hast du jedenfalls zur Genüge", antwortete er verdutzt. Doch sie schüttelte den Kopf und entgegnete ernst: "Das meine ich nicht" Er sah sie verwundert an. -2 3 7 -
Sie erwiderte seinen Blick und sagte ruhig: "Ich möchte, daß du den Helm absetzt" Er erstarrte. "Nein", fauchte er, "Nein, nein, nein! Du weißt nicht, was du da verlangst!" Er wandte den Kopf ab. Rot schwollen die Adern an seiner Kehle an. "Nein. Ich weiß es wirklich nicht. Was kann es schon sein? Eine entstellende Narbe? Ein unheilvolles Mal? Eine häßliche Wucherung? Eine unnatürliche Verwachsung? Was es auch sein mag, nichts, was du unter deinem Helm verbergen könntest, würde mein Herz erschrecken, nichts könnte meine Liebe ersticken", fuhr sie unbeirrt fort. Er fuhr herum und sah sie wutentbrannt an. Seine Stimme troff vor lauernder Kälte, als er sagte: "Du glaubst also, daß ich aus Eitelkeit irgendeinen Makel darunter verstecke? Ha! Ich kann dir versichern, daß das nicht der Fall ist! Aber was wäre, wenn ich nun dort ein drittes Auge mit dem bösen Blick hätte und du bei seinem Anblick in Stein verwandelt würdest? Vielleicht habe ich deshalb keine Spiegel in meinen Gemächern, damit ich nicht selber aus Versehen hineinblicke und versteinert würde. Oder es sind die Ansätze von Hörnern darunter, die immer nachwachsen und die ich alle paar Tage mit dem Beile stutzen muß, damit mir der Helm noch paßt. Oder aber es ist das Zeichen des gefallenen Engels selber darunter! Drei schwarze Sechsen ins Fleisch eingebrannt! Du weißt, es gibt Leute, die darauf jeden heiligen Eid schwören würden. Bist du wirklich sicher, daß du auch das würdest sehen wollen, tapfere kleine Gertraud?" "Wenn ich auch nur einem dieser üblen Gerüchte Glauben geschenkt hätte, wäre ich nicht hier", erwiderte sie und hielt weiter seinem zornigen Blick stand. -2 3 8 -
Er setzte sich im Bett auf, ließ das Kinn auf die Brust sinken. Schließlich seufzte er und sagte: "Neben mir selber gibt es bislang nur zwei Menschen auf der Welt, die wissen, wie es unter dem Eisen auf meinem Schädel aussieht: Albertinus und der König. Und das auch nur, weil er mir keine andere Wahl ließ. Nachdem mein Onkel damals nicht mehr am Leben war, kam der König zu uns an den Hof, schickte alle Leute hinaus, schloß die Türen und sagte: "Mein Vertrauen, gegen dein Vertrauen. Ich werde dir glauben, was du mir über den Hergang der Tat erzählt hast, wenn du hier vor mir niederkniest, den Helm abnimmst und mir beim Grabe deines Vaters schwörst, daß du die Wahrheit sprichst. Weigerst du dich, kann und werde ich dir niemals vertrauen. Und niemals wird ein Mann mein Lehen erhalten, dem ich nicht voll und ganz vertrauen kann. Wähle, Hardrich!" Und ich, ich kniete nieder, nahm den Helm ab und schwor beim Grabe meines Vaters, daß sich alles genauso zugetragen hatte, wie ich gesagt hatte" Traurig sah er Gertraud an und fragte: "Warum willst du es sehen? Reicht es nicht, wenn ich dir schwöre, daß ich den Helm tragen muß?" "Reicht es dir, niemals den Kopf an meinen Busen betten zu können, niemals meine Wärme zu spüren? Willst du in der Kirche weiterhin vor Gott nicht das Haupt entblößen, weil ich danebensitze? Willst du niemals frei und unbefangen in diesem Bett, im Bade, in diesen Räumen sein können? Ich bitte dich, vertraue mir, wie du deinem König vertraust hast, Hardrich. Ich bin deine Frau", sagte sie eindringlich. Er schwieg. "Also gut. So sieh selber, was Albertinus mir angetan hat", entgegnete er endlich. -2 3 9 -
Mit diesen Worten sah er sie noch einmal unglücklich an, schloß dann die Augen und öffnete die Schnalle. Mit beiden Händen faßte er das starre Metall und hob es langsam von seinem Kopf. Mit klopfendem Herzen richtete Gertraud sich auf, die Decke an sich gepresst, und beobachtete ihn. Mit offenem Mund starrte sie auf seinen zerschundenen Schädel, während Hardrich mit geschlossenen Lidern ihre Erwiderung erwartete. Endlich fing sie sich. "Es... es ist eine Art Verletzung. Es sieht aus, als ob ein Stück des Knochens fehlen würde. Aber wie ist das möglich?", sagte sie wie zu sich selber. Er riss die Augen auf. Mißtrauisch forschte er nach einem Anzeichen von Entsetzen oder Ekel in ihrem Blick, aber was er sah, war Anteilnahme und Zuneigung. Er ließ die Schultern sinken. Sie legte sich zurück in die Kissen und streckte ihre Hand nach ihm aus. "Komm", sagte sie. Und vorsichtig legte er den Kopf auf ihre Schulter, seine Wange an der zarten Haut ihrer Brust und rieb seine Schläfe an ihrer Kehle. Sie schlang die Arme um ihn. "Wie konnte das geschehen?", wiederholte sie ihre Frage leise. Langsam und stockend begann er zu erzählen: "Es begann an dem Morgen, als Adelheid und Elisabeth morgens in aller Frühe in mein Zimmer gelaufen kamen. Sie weinten. Sie krochen zu mir ins Bett und erzählten, daß sie wieder einen "besonderen Traum" gehabt hätten, wie sie es nannten. Sie waren Zwillinge, meine Schwestern, und... na ja, manchmal kam es vor, daß sie morgens aufwachten und feststellten, daß sie im Traum dasselbe gesehen hatten. Einmal hatten sie beide im Traum den Tod unserer Amme gesehen. Als diese dann morgens nicht in der Burg erschienen war und unsere Mutter uns mit -2 4 0 -
Ausflüchten trösten wollte, sagte Elisabeth ernst: "Sie ist tot, nicht wahr?" Meine Mutter wurde ärgerlich und fragte: "Wer hat euch das gesagt?" Die beiden erzählten ihr, was ihnen im Traum erschienen war, und meine Mutter wurde blaß. Sie schalt die Mädchen wegen dieses Unfugs. Die Amme sei nicht tot, sondern zu ihrer kranken Schwester gerufen worden. Wir aber wußten, daß die Frau gar keine Schwester hatte, und bald war klar, daß Adelheid und Elisabeth die Wirklichkeit gesehen hatten. Die Gute war in ihrem Bett einem Herzschlag erlegen. Aber seit diesem Erlebnis erzählten meine Schwestern es nur noch mir, wenn sie einen "besonderen Traum" hatten. Oft waren es nur einzelne Bilder, krauses Zeug, aber manchmal,... manchmal sahen sie Dinge, die sich genauso ereignet hatten oder bald darauf eintraten. Sie waren sehr stille, sanfte Mädchen, irgendwie gar nicht von dieser Welt und immer unzertrennlich. Sie konnten stundenlang zusammensitzen und sich mit den Tönen einer Laute erfreuen. Immer wieder dieselben Dreiklänge, immer wieder dieselben Tonfolgen, dieselben Noten... Ich verstand sie nicht, aber ich liebte sie und heute glaube ich, daß beide über eine ganz besondere, gottgegebene Gabe verfügten" Hier verstummte er, schien seinen Gedanken nachzuhängen. Auch sie schwieg und wartete, daß er fortfuhr. "Diesen Morgen also kamen sie völlig aufgelöst zu mir. Ich war noch ganz verschlafen. Sie zogen die Decke über unsere Köpfe und so im Halbdunkel geborgen, beruhigten sie sich etwas. Ich flüsterte: "Was ist denn?" Elisabeth sagte schluchzend: "Du wirst fortgehen, und wir werden dich niemals wiedersehen!" "Und wohin werde ich gehen?", fragte ich erschrocken. Adelheid antwortete: "Das wissen wir nicht. Wir haben nur gesehen, wie wir mit Vater und Mutter alle zusammen in ein helles -2 4 1 -
Licht gehen. Es ist alles so still und friedlich und wir halten uns an den Händen. Doch plötzlich fällt ein Schatten auf dich. Das Licht scheint nicht mehr auf dich. Du reißt dich von meiner Hand los, drehst dich um und gehst ins Dunkel zurück. Ich will dich rufen, aber der Vater sagt: "Nein. Er gehört nicht hierher. Es ist entschieden!" Und dann bist du verschwunden" Eine Gänsehaut kroch mir über den Rücken und ich fragte: "Bist du sicher?" Sie nickten beide und weinten wieder. "Aber ich werde ganz bestimmt nicht fortgehen! Ich werde immer hier bei euch bleiben. Das verspreche ich!", sagte ich ernst. Und nachdem ich es ihnen hundertmal versprochen und mit tausend Schwüren beschworen hatte, schliefen wir Arm in Arm schließlich alle wieder ein. Im Laufe des Tages ereignete sich nichts Außergewöhnliches und die Erinnerung an ihre düstere Prophezeiung verblaßte. Bis der Abend kam. Nichts sollte mehr so sein wie am Tag vorher. Ich würde sie alle fortgehen sehen und ihnen nicht folgen können! Genau wie sie gesagt hatten! Von klein auf, durften wir Kinder nach dem Abendessen immer noch eine Stunde mit den Eltern in der Bibliothek verbringen, bevor uns die Kinderfrauen zu Bett brachten. Ich weiß noch, wie sehr wir uns immer darauf freuten, denn tagsüber hatte mein Vater selten einmal Zeit für uns. Manchmal las er uns etwas vor. Meistens aber hörte er uns dreien einfach nur zu. Für mich waren die Tage so lang! Und nie schien die Zeit zu reichen, ihm alles zu erzählen, was man erlebt hatte. Er hielt uns alle drei auf den Knien und wir wetteiferten um seine Aufmerksamkeit. So war es auch an jenem Abend. Es war ein Herbsttag gewesen, wie heute, und nach meinem Unterricht war ich durch die Gärten gestreift und hatte Kastanien gesucht. Das erzählte ich ihm. Und wie immer hörte mir mein Vater lächelnd und aufmerksam zu. Er fragte mich, ob ich fände, daß es in diesem Jahr mehr Kastanien gäbe als im letzten. Denn anhand der Menge könnte -2 4 2 -
man vorhersagen, ob es einen strengen Winter geben würde. Ich weiß noch, wie ich über diese Worte nachdachte, als ich plötzlich meine Mutter erstickt aufschreien hörte.... Ich sehe zu ihr herüber, während mein Vater uns zu Boden gleiten läßt, aufspringt und zum Schwert greifen will. Meine Mutter sinkt in ihrem Stuhl zusammen. Der Pfeil einer Armbrust ragt ihr aus der Kehle, ein zweiter steckt tief in ihrer Brust. Auch meinen Vater trifft ein Pfeil in den Hals, so daß er nicht rufen kann. Ein zweiter, der auf sein Herz gezielt war, verfehlt ihn. Doch sofort sind die zwei Männer bei ihm und stoßen ihm ihre Schwerter in den Leib. Meine Schwestern und ich sind gelähmt vor Ensetzen. Ich starre die Vermummten an. Der eine kommt auf mich zu. Er verpaßt mir einen Tritt in den Leib, der mich quer durchs Zimmer schleudert. Sie packen Adelheid und Elisabeth, die anfangen wollen zu weinen. Sie drücken ihnen die Luft ab. Ich sehe die Todesangst in den Blicken meiner Schwestern. Der eine Mann zerrt an Elisabeths Kleid und sagt: "Soviel Zeit ist doch wohl noch, was?" Ich springe auf. Mein Bauch tut mir so weh, mir ist übel, alles dreht sich um mich. Ich stürze von hinten an ihn heran und beiße ihm ins Bein, genau oberhalb des Knies. Ich verbeiße mich in seinem Fleisch so fest ich kann. Ich schmecke Blut, und er kann nur mit Mühe einen Schrei unterdrücken. Er hält Elisabeths Hals mit der linken Hand gepackt und das Schwert noch in der anderen. Er holt aus und schlägt mir den Knauf seines Schwertes mit Wucht auf den Kopf. Dann ist alles dunkel. Das nächste, an das ich mich erinnern kann, ist, wie ich erwache und Albertinus´ Gesicht vor mir sehe. Er fragt mich etwas, aber ich verstehe ihn gar nicht. Seine Worte dringen einfach nicht zu mir durch. Und diese höllischen Schmerzen in meinem Kopf! Erst sehr viel später erfuhr ich, was mit mir geschehen war. Albertinus hatte die -2 4 3 -
zersplitterten Knochenstücke aus meinem Kopf entfernt, die Wunde vernäht und gehofft, daß das bißchen Leben, was noch in mir war, reichen würde, etwas über die Mörder in Erfahrung zu bringen. Niemals, so sagte er mir später einmal, hätte er im Traum daran gedacht, daß ich mit diesem Loch in meinem Kopf weiterleben würde. Aber es war, wie mein Vater in den Träumen meiner Schwestern gesagt hatte: Es war entschieden worden. Ich sollte leben. Wie oft habe ich mir gewünscht, er möge mir diese Last von den Schultern nehmen und mich zu ihnen in das helle Licht nachholen! Ich stellte mir oft vor, wie sie dort alle standen und mich mit offenen Armen erwarteten. Vater und Mutter, Adelheid und Elisabeth. Und wäre ich nicht sicher gewesen, daß ein Selbstmord mich nur noch viel weiter und auf ewig von ihnen entfernt hätte, ich würde schon als Kind damals einen Weg gefunden haben, meinem Leben ein Ende zu setzen" Er stütze sich auf seine Ellenbogen und sah auf, als er Gertraud leise schluchzen hörte. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen. "Es tut mir so leid!", flüsterte sie. "Ich will nicht, daß du weinst!", unterbrach er sie mit Nachdruck, "Jede deiner Tränen trifft mich wie hundert Nadelstiche. Ich leide es nicht, dich unglücklich zu sehen!" "Du hast soviel durchgemacht! Es rührt mein Herz...", wollte sie erklären. "Nein! Schweig! Damals hätte ich dich für dein Mitleid geliebt, aber heute will ich nur dein Lachen, deinen frohen Mut! Niemals wieder will ich einen geliebten Menschen leiden sehen! Und niemals werde ich noch einmal wehrlos mitansehen, wie man mir das einzige nimmt, an dem mein Herz hängt! Solltest du mich je verlassen, mich betrügen, auch nur einen anderen Mann anlächeln, wird zuerst er sterben und dann du! Ich hoffe, das ist dir klar!", fuhr er sie heftig an. -2 4 4 -
Er sah ihr aufgebracht in die Augen. Sie starrten sich eine Weile an. Keiner senkte den Blick, bis Gertrauds Mundwinkel sich langsam zu einem Lächeln verzogen. "Ja", flüsterte sie und küßte ihn. Seufzend legte er sich wieder in ihre Umarmung. "Was passierte weiter?", fragte sie. "Weiter?", brummte er, "Nun, als ich mein gut behütetes Krankenlager endlich verlassen durfte, war meine Familie bereits unter der Erde. Man hatte zwei kumanische Armbrüste neben den Opfern gefunden, und das spurlose Erscheinen und Verschwinden der Täter ließ sich scheinbar nur durch die schwarze Magie der Ungläubigen erklären, auch wenn der eine unsere Sprache gesprochen und der andere ihn offensichtlich auch verstanden hatte. Keiner wollte mir wohl so recht glauben und die Nachforschungen führten zu nichts. Albertinus verpaßte mir meinen ersten Helm und schärfte mir ein, ihn unter gar keinen Umständen vom Kopf zu nehmen. Er und eine Handvoll enger Vertrauter meines Vaters fürchteten einen weiteren Anschlag auf mein Leben. Damals war mir das alles gleichgültig, doch vor ein paar Wochen habe ich erfahren, welch großen Dienst sie mir damit erwiesen haben. Ständig wurde ich von der Obhut des einen in die eines anderen weitergereicht. Mein Essen wurde vorgekostet, mein Spielzeug kontrolliert, mein Schlaf überwacht. Ich war über alle Maßen einsam, wenn auch niemals alleine. Alle mahnten mich zur Vorsicht und so mißtraute ich bald allem und jedem. Nur im Kampf fühlte ich mich wohl. Die Waffe in der Hand befreite mich von allen Zweifeln, vom Schmerz und von der Trauer. Das ist auch heute noch so. Ich schlage zu und bin frei" "Tut die Stelle am Kopf denn weh, ich meine, bereitet das fehlende Stück Knochen dir Schmerzen?", wollte Gertraud weiter wissen. "Die Wunde selber ist rasch verheilt", antwortete er und faßte sich -2 4 5 -
an den Kopf. "Aber manchmal tut mir der ganze Schädel weh, daß ich daran verrückt werden könnte. Oft sind die Schmerzen so rasend, daß mein Blick sich trübt und ich kein Essen bei mir behalten kann. Ich weiß nicht, was den Schmerz auslöst. Manchmal überfällt er mich zusammen mit meiner Wut, aber längst nicht immer und manchmal bricht er einfach ohne ersichtlichen Grund über mich herein. Und Albertinus kennt kein Mittel dagegen. Er hat schon viel versucht, aber nichts hilft" "Vielleicht ist es das ständige Gewicht des Eisens. Weißt du was? Hier in der Burg könnte man den Helm vielleicht durch eine lederne Kappe ersetzen. Vielleicht könnte man an der verletzlichen Stelle noch ein dünnes Stück Metall einarbeiten. Das wäre für den Hausgebrauch sicher genug, aber nicht so schwer. Das Leder schmiegt sich auch besser an den Kopf an. Außerdem solltest du mich vielleicht die paar letzten Haare abrasieren lassen, damit sie nicht noch zusätzlich an der Haut reiben und...", überlegte sie laut. Er legte ihr seine schwere Hand auf den Mund. "Vielleicht, vielleicht, vielleicht! Vielleicht können wir auch noch ein bißchen schlafen, bevor du hier alles auf den Kopf stellst, Weib!", brummte er unwirsch. "Vielleicht hast du recht", sagte sie lächelnd und schlang die Arme um ihn. Zwei Stunden später erwachten sie, immer noch Arm in Arm, als nebenan das Bad gerichtet wurde. Gertraud schlüpfte in ihr Kleid, Hardrich setzte sich den Helm auf. Sie küßten sich noch einmal und er sagte: "Ich habe noch etwas zu erledigen und hole dich dann ab" Sie nickte und schlüpfte über den Gang in ihre Gemächer, wo zwei Mädchen bereits Badewasser für sie erwärmten und Marianne schon -2 4 6 -
auf sie wartete. Die Freundin lief ihr entgegen und umarmte sie. "Ach Gertraud! Ich habe das Laken gesehen! Mein Gott! Soviel Blut!", sagte sie mitleidig. Gertraud winkte ab und sagte: "Es ist nichts geschehen, was nicht auch geschehen wird, wenn du einmal deinen Joachim heiratest, glaub mir!" Marianne wurde rot und kicherte verlegen. Dann half sie ihr beim Baden und Anziehen und erzählte dabei, daß man in der Stadt und auch unter dem fremden Gesinde, das die Gäste begleitete, über nichts anderes als die Markgräfin sprach. "Und dann hast du noch von Dührings Kopf gerettet! Das stelle man sich vor! Dem Ritter ins Wort zu fallen! Mein Gott!", sagte sie ehrfürchtig. Sie kämmte ihr das Haar streng nach hinten und steckte es mit Ebenholzkämmen an den Seiten fest. Dann legte sie ihr noch ein dünnes Schleiertuch um. In dem Moment klopfte es einmal an der Tür und Hardrich kam herein. Marianne verbeugte sich und er schickte sie mit einer Handbewegung hinaus. Gertraud erhob sich und trat zu ihm. Er sah sie zufrieden an und nickte. Zusammen gingen sie durch den verborgenen Gang in die Kirche. Das Gotteshaus war zum Bersten voll. Alle Bänke, die Emporen, alle Gänge und Nischen, ja selbst noch in den offenen Türen saßen und standen die Gläubigen. Hardrich setzte den Helm ab und sah stirnrunzelnd auf die Menge unter sich. Als sie nach der Messe aus dem Seitenportal traten, erschraken sie beide. Gertraud umklammerte seinem Arm, und Hardrich griff fast unbewußt zum Schwertgriff. Der Platz vor der Kirche war mit Menschen übersät, die ihnen neugierig entgegenstarrten. Wichard erwartete sie. Er hatte die Neugier der Leute -2 4 7 -
vorausgesehen und stand, elend und übernächtigt, mit sechs Mann von der Burgwache bereit, sie zu eskortieren. Der Ritter warf ihm einen finsteren Blick zu, schickte ihn dann aber mit einem Wink an Gertrauds freie Seite, während die Wachen einen Halbkreis hinter ihnen bildeten. So abgeschirmt gingen sie in Richtung des Turniergeländes. Zäh teilte sich die Menge vor ihnen. Männer, Frauen und Kinder reckten die Hälse, drängten nach vorne. Jeder wollte einen Blick auf die junge Herrin der Ostmark werfen. Ein ohrenbetäubender Jubel brach aus. Blütenblätter wurden vor ihr auf den Weg gestreut, Hände streckten sich ihr entgegen, überall sah sie in neugierige Gesichter, Glück- und Segenswünsche strömten von allen Seiten auf sie ein. Gertraud war überwältig von der Begeisterung, die ihr hier entgegenschlug, wenn auch die drängelnde Menschenmasse sie ängstigte. Plötzlich erkannte sie Rudolf von Walow in der Menge. Er beugte sich gerade zu einem kleinen Mädchen hinab und übergab ihm etwas. Dann blickte er Gertraud an, verneigte sich und war im nächsten Moment zwischen den Leuten verschwunden. Gertraud beobachtete, wie die Kleine zwischen den Menschen hindurchschlüpfte und mit einem großen Strauß weißer Lilien auf sie zukam. Sie lächelte Gertraud unsicher an, knickste und sagte mit piepsiger Stimme: "Gottes Segen für Euch, Herrin!" Dann streckte sie ihr die Blumen hin. Gertraud sah Hardrich fragend an, doch dieser hatte offensichtlich nicht bemerkt, von wem der Strauß geschickt worden war, denn er nickte ihr aufmunternd zu. Die Markgräfin nahm den Strauß, dankte dem Kind lächelnd, und sie setzten unter Beifall und Hochrufen ihren Weg fort. Gertraud fing einen besorgten Blick von Wichard auf. Dieser hatte sehr wohl verfolgt, woher die Blumen gekommen waren.
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Auf ihrem ganzen Weg um die Burg herum waren sie von hunderten von Neugierigen umringt, bis endlich das Turniergelände erreicht war und das mitgelaufene Volk hinter einer weiträumigen Absperrung zurückbleiben mußte. Gertraud war erleichtert. Hardrich führte sie zu ihrem erhöhtem, abgeteilten Ehrenplatz auf der mittleren Tribüne. Sie setzte sich und legte die Blumen beiseite. Noch waren die meisten Plätze leer, denn die Edlen befanden sie noch auf dem Rückweg von der Kirche hierher. Diener liefen mit Kuchen, feinen Süßigkeiten und Erfrischungen umher. Hardrich griff sich ein Stück Gebäck und sagte zu Gertraud gewandt: "Ich werde schon mal die Rüstung anlegen. Ich bin sofort zurück" "Und du bleibst hier bei ihr!", wies er Wichard barsch an. Dann ging er in Richtung seines Rüstzeltes davon, in dem Till mit zwei weiteren Burschen Pferd und Waffenzeug bereithielt. Der Mittag war sonnig, und hier im Windschatten der Tribünen wurde Gertraud warm in ihrem dunklen, hochgeschlossenen Kleid. Sie ließ sich einen Becher mit verdünntem, kühlem Wein reichen und schob ihre langen Ärmel hoch. Wichard, der hinter ihr stand und weder aß noch trank, stöhnte auf, als er die dunklen Stellen an ihren Unterarmen bemerkte, dort, wo Hardrich sie festgehalten hatte. "Oh mein Gott, was hat er Euch angetan! Nie hätte ich Euch hierherbringen dürfen! Ich hätte Euch gleich den ersten Abend wegbringen sollen. Ihr hättet auf dem Gut meiner Eltern bleiben können und...", brach es aus ihm heraus. "Seid Ihr noch ganz bei Trost?", fuhr sie ihn bestürzt an, "Ist das Eure Art Treue und Respekt gegenüber Eurem Herrn zu zeigen? Ihr lauft mit Leidensmiene herum, zeigt Euch störrisch und überlaunig, betrinkt Euch und beleidigt ihn! Und dann hintergeht Ihr ihn auch noch, indem Ihr solche Reden hinter seinem Rücken führt! Ich habe Euch gestern abend arg verspottet, wenn auch nur zu Eurem eigenen Besten wie ich glaube, und deshalb will ich Euch für dieses Mal Eure -2 4 9 -
ungeheuerlichen Worte nachsehen. Aber, bei Gott, Wichard, was treibt Euch zu solchem Gebaren? Geht in Euch, ich bitte Euch!" Wichard hatte die Luft angehalten und ihr völlig verblüfft zugehört. "Nach allem, was er Euch an Leid und Schmerzen zugefügt hat! Ich flehe Euch an, vertraut mir! Ein Wort von Euch und ich werde Euch von hier fortbringen. Weit fort von hier, wo wir...", stammelte er verzweifelt bittend. Sie sah ihn scharf an. Er verstummte. "Genug! Hört mir gut zu und merkt Euch meine Worte, denn ich werde dies nur einmal sagen. Hardrich von Aven hat mir mehr Ehre angetan, als irgendein Mann je einer Frau! Er hätte jederzeit sein Vergnügen mit mir haben und mich danach auf die Straßen werfen können, aber er hat es nicht getan. Bis auf einen einzigen Kuß, hat er mich nicht einmal angefaßt, bis ich seine Frau geworden war. Ich war die Tochter eines Gastwirtes und Brauers. Jetzt bin ich an seiner Seite die Markgräfin dieses Landes. Und all dies wäre bereits Grund genug, ihm mein Leben lang in Dankbarkeit verbunden zu sein. Aber zu alledem, und auch das werde ich nur einmal sagen, liebe ich diesen Mann mehr als mein Leben", sagte sie eindringlich. "Ihr... liebt ihn?", fragte der junge Hauptmann tonlos. "Ja. Öffnet Eure Augen, Wichard! Ihr habt eine glückliche Frau vor Euch", erwiderte sie lächelnd. Er starrte sie an und wurde blaß. Schließlich fiel er vor ihr auf die Knie und senkte den Kopf. "Oh, Herrin, verzeiht mir! Vergebt mir meine Vermessenheit! Ich dachte.... Mein Gott, wie konnte ich nur so blind sein! Wie konnte ich nur so anmaßend sein, gar nicht in Erwägung zu ziehen, daß auch er liebt und geliebt wird. Seit Jahren bemühe ich mich um sein Vertrauen und jetzt, da ich es errungen zu haben glaube, verrate ich ihn. Ich, ich, ausgerechnet ich! Nichts sind all die Schwüre wert, die -2 5 0 -
ich ihm gab! Beim erstbesten Mal, das meine Treue auf der Probe steht, versage ich erbärmlich. Niemals werde ich das wieder gutmachen können!", stöhnte er außer sich. "Natürlich könnt Ihr das, Wichard! Ersetzt mir den Bruder, den ich zurücklassen mußte und versprecht mir, mit mir zusammen meinem Mann auch weiterhin zur Seite zu stehen, denn er wird nach wie vor Eure Hilfe brauchen, das wißt Ihr", sagte sie. "Beim Kreuze Christi! Frau von Aven, ich schwöre Euch, ihm... und Euch mit all meiner Kraft zu dienen!", antwortete er mit Nachdruck. Langsam füllten sich die Ränge rechts und links neben ihnen. Wichard erhob sich verlegen und stellte sich mit entschlossenem Blick wieder neben sie. Von Trettin kam heran, grüßte und lehnte sich an die Balustrade, die die Ehrenloge vom übrigen Publikum abteilte. "Nun, Kind, wie geht es dir?", fragte er besorgt. "Besser könnte es mir gar nicht gehen", kam die Antwort. Der Alte lächelte und winkte dann einen Diener heran. Er setzte durstig einen Becher Bier an die Lippen, verzog das Gesicht und sagte: "Bah, was ist das? Wollt ihr mich vergiften?" Gertraud lachte: "Mir scheint, das gute Kernersche ist zur Neige gegangen. Das ist wohl das Bärenbräu des Klosters. Vielleicht solltest du es halten wie ich und Wein trinken" Hardrich kehrte zurück. Von Kopf bis Fuß in silberglänzender Rüstung, das Visier aufgestellt. Trotz des enormen Gewichtes des Metalls waren seine Bewegungen weder steif noch ungelenk. Erfüllt von gespannter Vorfreude auf das Turnier nahm er neben Gertraud Platz. Er sah sie zärtlich an, und Wichard dachte zum wiederholten Male bei sich: "Wie konnte ich nur so blind sein!" -2 5 1 -
Von Trettins Blick fiel auf die Blumen und erstaunt fragte er: "Wer hat denn um diese Jahreszeit noch einen so schönen Strauß Lilien für dich aufgetan?" Gertraud hob die Brauen und antwortete: "Nun, ich denke fast, daß unser Freund von Walow dafür verantwortlich zeichnet. Jedenfalls sah ich ihn, kurz bevor man mir die Blumen überreichte, in der Menge verschwinden. Sicher bin ich mir aber nicht. Vielleicht war es nur ein Zufall" "Genauso zufällig, wie ich ihm nachher alle Knochen brechen werde, verdammt! Wenn ich das gewußt hätte! Warum hast du sie angenommen?", fragte Hardrich verärgert. "Ich habe erst noch überlegt, aber dann erschien es mir nicht richtig, all die Leute um uns herum zu erstaunen und das Geschenk samt den Segenswünschen zurückzuweisen. Außerdem habe ich mich vielleicht auch versehen, und er hat gar nichts damit zu tun. Damit hätte ich jemanden sehr vor den Kopf gestoßen", erwiderte sie sanft. Hardrich fluchte noch eine Weile leise vor sich hin, beruhigte sich dann aber. Als alle Zuschauer saßen und auch die Kämpfer in ihren Zelten bereit zu sein schienen, stand Hardrich auf. Er zog seinen eisernen Handschuh aus, faßte ihre Hand, küßte sie und sagte: "Du wirst heute diesen Platz als Turnierkönigin verlassen!" Dann ging er zu seinem Zelt. "Du hättest ihm nicht sagen sollen, daß die Blumen von von Walow kamen. Das gibt nur böses Blut", raunte von Trettin ihr zu, so daß außer ihr nur Wichard es hören konnte. "Ich hoffe, daß ich mich irre, aber ich fürchte fast, daß...", begann sie. -2 5 2 -
"Daß von Walow es ihm selber verraten wird. Und das könnte sich als die weitaus gefährlichere Spielart herausstellen. Eine, wie ich meine, richtige Vermutung", vollendete Wichard ihren Satz. Von Trettin sah überrascht von ihm zurück zu Gertraud. "Wie ich sehe, übersiehst du die Zusammenhänge bereits schneller als ich", sagte er schmunzelnd und begab sich dann zu seinem Platz. "Irgendetwas führt dieser Schönling im Schilde....", murmelte sie noch zu Wichard gewandt, bevor die Fanfaren zum Turnierbeginn bliesen und die Gespräche um sie herum verstummten. Auf dem Platz verlas der Herold gerade laut die Liste der sechszehn Teilnehmer. Der jeweils Genannte ritt langsam bis an eine Linie vor und verneigte sich vor dem Publikum. "Erklärt mir bitte, wie die Kämpfer erwählt werden, Wichard", bat Gertraud leise. Dieser räusperte sich und beugte sich zu ihr herunter. "Also. Traditionell kämpfen der Landesherr und seine sieben ersten Lehensmänner, wobei jeder von ihnen einen Mann aus seinem Gefolge erwählt, der ebenfalls teilnehmen darf. Es ist eine große Ehre, mit auf diesen Platz reiten zu dürfen. Auf Wunsch der alten Dame wird von Harchows Lehen heute ein letztes Mal durch den ersten Mann ihres verstorbenen Gatten vertreten, samt dessen Sohn. Es sind dies Bernhard und Simon von Echtern. Sie wurden gleich nach dem Markgrafen aufgerufen und stehen dort am linken Ende der Reihe. Sie tragen Axt und Bogen im Wappen. Und die Plätze, die Reno von Trettin, Eurem Vater, zuständen, werden reihum von den anderen sechs Edlen vergeben, da er selber keinen Anspruch darauf erhebt", begann er. "Was ist mit Euch?", wollte sie wissen. "Nun ja.... Was soll ich sagen? Seit ich Eurem Gatten diene, hat er jedes Jahr mich an seiner Seite mitstreiten lassen. Aber heute früh wurde mir durch einen Boten mitgeteilt, daß dieses Mal mein Vetter, -2 5 3 -
Christof von Kressin, an meiner Statt teilnehmen werde. Seht Ihr? Der, der gerade vorreitet. Es kam für ihn völlig überraschend. Er hatte nicht einmal mehr Zeit, seine Rüstung ordentlich polieren zu lassen. Mich überraschte es weniger, wie Ihr Euch vielleicht denken könnt! Allein es tröstet mich ein wenig, daß der Ritter nicht irgendjemanden wählte, sondern einen Verwandten und guten Freund von mir. Das läßt mich hoffen, daß mein Herr mir den gestrigen Frevel vielleicht wird vergeben können. Außerdem ist es Christof zu gönnen, er ist ein guter Mann", antwortete er beschämt und errötete. Gertraud warf ihm noch einen tadelnden Blick zu, wandte sich dann wieder dem Geschehen zu und fragte: "Was passiert weiter?" "Nun, Frau von Aven, wählen die Herren, die Damen deren Farben sie tragen werden, und der Gewinner macht dadurch seine Favoritin zur Turnierkönigin. Haltet Euren Schal bereit", erklärte er lächelnd. Die Zuschauer erhoben sich und beobachteten, wie die Reihe der Reiter herankam. Viele Damen hatten wie zufällig ihre Schultertücher in der Hand. Etliche hoffnungsvoll glänzende Augen richteten sich auf die Männer, die mit hochgestelltem Visier auf die Zuschauer zuritten. Sie ritten hintereinander, so wie sie vorher an der Linie gestanden hatten. Hardrich, der als erster aufgerufen worden war und in der Mitte der Männer gestanden hatte, ritt jetzt an achter Stelle. Zwei Plätze vor ihm ließ Rudolf von Walow sein Pferd im Schritt gehen. Gertraud vermied es, ihn anzusehen und stand mit dem dunkelblauen, dünnen Schultertuch an der Brüstung der Tribüne. Die ersten Recken hatten sie nun bereits passiert und wählten gerade ihre Damen. Unter Gelächter und guten Wünschen übergaben diese ihre Farben. Rechts von ihr beugte sich der junge Simon von Echtern, der auf Wunsch Hedwig von Harchows teilnahm, zu einem hübschen Mädchen hinunter und ließ sich ein hellgelbes Tuch um den Arm knoten. Er schien ungefähr sechzehn Jahre alt zu sein und dies -2 5 4 -
was das allererste Mal, daß er auf einem solch wichtigen Turnier reiten würde. Sein Vater, Bernhard von Echtern, der noch vor ihm ritt und die Farben seiner Ehefrau trug, betrachtete ihn voller Stolz und Freude, genau wie seine Mutter. Gertraud sah überdeutlich die Aufregung im Gesicht des jungen Mannes und den verliebten Blick, mit dem er seine etwa gleichaltrige Favoritin anblickte. Und während Gertraud noch lächelnd die Szene zu ihrer Rechten verfolgte, war ihr plötzlich, als würde sie beobachtet. Mit einer unguten Vorahnung im Herzen wandte sie den Blick. Von Walow kam direkt auf sie zu! Sie erschrak und hörte Wichard hinter sich flüstern: "Das wird er doch nicht wagen!" Doch im nächsten Moment hatte von Walow ihr bereits das Tuch aus den Händen gerissen. Er hielt es wie eine Trophäe in die Höhe, führte es dann an die Lippen und der glühende Blick, den er ihr aus seinen dunklen Augen zuwarf, ging ihr durch Mark und Bein. Im gleichem Atemzug hörte sie Hardrich vor Wut aufbrüllen. Alle Augen richteten sich auf den Markgrafen und seinen Herausforderer. Der Ritter trieb sein Pferd heran, während von Walow, ein Stück entfernt von der Tribüne, in Seelenruhe das Tuch um seinen Oberarm band. Hardrichs Züge waren von rasender Wut verzerrt. Und doch war ihm, als ob er sich in einem seiner Alpträume befände. Träume, in denen seine Beine ihm den Dienst versagten, er weder laufen noch sich erheben konnte, in denen er in einem unsichtbaren Morast gefangen war, der alle Bewegungen lähmte. Die Zuschauer, die Zelte, die Tribünen, selbst von Walow, alles um ihn herum versank in einem verschwommenen Grau, alle Geräusche wurden von einem Dröhnen in seinem Schädel übertönt und dann setzte der Schmerz ein. Er stöhnte auf, griff sich an den Kopf und riß unwillkürlich am Zügel. Sein Pferd schnaubte erschreckt und bockte. Allein das gewaltige Gewicht der Rüstung und des Roßharnisches behinderten den Wallach derart in seiner Beweglichkeit, daß Hardrich sich gerade -2 5 5 -
noch halten konnte. Doch es fehlte nicht viel und der Ritter wäre vor allen Leuten zu Boden gestürzt. Ungläubig starrte das Volk seinen obersten Herrn an und ein erstauntes Murmeln lief durch die Reihen. Gertraud blieb fast das Herz stehen. "Wichard, was ist mit ihm?", fragte sie von Dühring entsetzt, während Hardrich wie betäubt im Sattel hing. "Es sieht ganz so aus, als hätte ihn der Schmerz in seiner Gewalt. Der Schmerz in seinem Kopf, Herrin. Ich habe ihn im Felde bei keiner seiner Verletzungen auch nur mit der Wimper zucken sehen, aber wenn ihn diese Qualen überfallen, leidet er furchtbar. Verflucht sei von Walows Frechheit, die daran sicher nicht unschuldig ist!", sagte er zornig, aber sein Gesicht ließ in erster Linie Sorge um seinen Herrn erkennen. Dieser hatte inzwischen seinen Wallach halbwegs wieder in der Gewalt. Unruhig tänzelte das Tier vor von Walows Apfelschimmel. Die beiden Konkurrenten starrten sich an, doch Hardrich schien noch immer nicht er selbst zu sein. Von Walow, der zwar durch Hardrichs ungewohnte Schwäche erst verunsichert gestutzt hatte, sah ihn nun aber ungerührt an. Auch er hielt sein Tier kurz, so daß es scheute und zurückweichen wollte. "Sie soll Turnierkönigin werden", preßte der Ritter schließlich hervor. "Genau das wird sie auch werden. Und zwar durch die Kraft meines Armes", erwiderte sein Gegenüber mit vollem Ernst und der Affront, der aus diesen Worten und seinem Blick sprach, war so unzweideutig, daß jeder der Anwesenden den Atem anhielt. "Das werden wir ja sehen", war das einzige, was Hardrich erwidern konnte, bevor er sein Pferd herumriß und auf sein Zelt zuritt. Dort fiel er mehr, als daß er abstieg, in die Arme der wartenden Burschen. -2 5 6 -
Beklommen folgten ihm bald auch die anderen Kämpfer. "Geht zu ihm, Wichard! Er kann so nicht reiten", sagte Gertraud mit Bestimmtheit. "Das wißt Ihr und das weiß ich, aber er wird nichts davon wissen wollen. Erst recht nicht nach dieser Herausforderung, soviel ist sicher", erwiderte Wichard bestürzt. "Ich bitte Euch trotzdem! Geht! Vielleicht bietet sich hier eine Gelegenheit, Eure Schuld zu begleichen", beschwor sie ihn. Fragend und ungläubig sah Wichard sie an. "Geht, sage ich! Bittet meinen Vater hierher zu mir. Er kann Euch solange an meiner Seite vertreten", fuhr sie fort und fügte dann leise hinzu, "Und Ihr... bedenkt, niemand kann sehen, wen eine solche Rüstung verbirgt...." Der junge Gefolgsmann fand seinen Herrn im Zeltinnern auf dem teppichbedeckten Boden liegend, die Hände vor das Gesicht gepreßt. Wichard kniete sich neben ihn. Hardrich öffnete die Augen nur einen Spalt weit und schloß sie sofort wieder, als ob sogar das Tageslicht sein Leiden noch verschlimmerte. "Du?... noch mehr Spott, hm?", ächzte er bitter. Wichards Herz krampfte sich bei diesen Worten zusammen. "Nein, Herr. Gott ist mein Zeuge, daß ich mir nichts mehr wünsche, als meine gestrigen Worte ungeschehen zu machen. Und wenn ich schon das nicht vermag, so will ich doch heute für Euch eintreten, wie es meine Pflicht ist", antwortete Wichard entschieden. Und mit diesen Worten begann er, die Schnallen und Schnüre zu lösen, die den Panzer des Ritters hielten. Hardrich, der nahezu besinnungslos war, konnte nicht anders, als es mit sich geschehen zu lassen, doch als er sah, daß Wichard sich -2 5 7 -
danach daran machte, die markgräfliche Rüstung selber anzulegen, bäumte er sich auf. Seine Augen traten fast aus den Höhlen, und er fluchte: "Nein! Verdammt, nein..." Er wollte Wichard packen und halten. Aber als er sich aufsetzte, überrollte ihn erneut eine Welle des Schmerzes. Er sank zurück und krallte seine Finger in den Boden. Wichard rüstete sich in aller Eile weiter und kniete dann neben ihm nieder. Er faßte seinen Herrn an den Schultern und sagte: "Herr, euer Kampf ist immer auch mein Kampf! Ich werde Euch mit all meiner Kraft vertreten, und nur Eure Dame wird es ahnen, da es ihr Vorschlag war" "Sie?", ächzte der Ritter. "Ja. Und nun bitte ich Euch, mir freiwillig Euren Helm zu geben, damit ich Euch nicht dazu zwingen muß. Ich lege Euch den anderen hier hin und werde mich umdrehen. Es eilt! Sie verlesen schon die Gegner. Wir bekommen es mit von Treptow zu tun, wenn ich richtig gehört habe und der unsrige wird wie jedes Jahr der erste Kampf sein", erwiderte Wichard drängend. Als er sich wieder umwandte, hatte Hardrich den Helm gewechselt und sah ihn gequält an. Wichard war froh, daß er so stillschweigend seine Zustimmung gegeben hatte. Er setzte rasch den Helm auf, schloß das Visier und schlug sich mit der behandschuhten Hand klirrend auf die eiserne Brust. "Nun, was meint Ihr?", fragte er und man hörte deutlich, daß er bei diesen Worten unter dem Eisen grinste. Hardrich schloß nur stöhnend die Augen, wandte sich ab und murmelte: "Gott steh uns bei" Währenddessen war von Trettin zu Gertraud auf die Tribüne gestiegen und hatte neben ihr Platz genommen. Besorgt erkundigte er -2 5 8 -
sich nach Hardrich. "Wichard war der Meinung, ein Schmerzanfall im Kopf wäre die Ursache für seine Schwäche. Er ist zu ihm gegangen, um zu sehen, wie es steht und ob er helfen kann. Daher müßt ihr mir nun erklären, was weiter geschieht", antwortete sie. "Jetzt werden die Gegner ausgelost. In der Schale dort befinden sich sechzehn hölzerne Röhrchen, mit einem Pergament darin auf dem je ein Name steht. Unter der Aufsicht der Turnierrichter und eines Geistlichen werden dann die Paarungen gezogen und verkündet", erläuterte er. Mit diesen Worten zog er eine kleine Schiefertafel aus seinem Wams und notierte mit einem Stückchen Kreide die Kämpfer die der Herold ausrief. Als Hardrichs Gegner ermittelt wurde, wandte sich Gertraud fragend an den alten Mann neben ihr: "Ist das gut oder schlecht?" "Tja, von Treptow ist an sich ein harter Brocken. Er kann einstecken und ist, trotz seines dicken Wanstes, recht geschickt und alles andere als furchtsam. Aber er hat gestern abend wie ein Loch getrunken und gegessen und war einer der letzten, die die Tafel verließen. Wenn Hardrich im Vollbesitz seiner Kräfte wäre, würde ich sagen: Sieben zu drei für ihn, aber wenn es ihm noch immer so schlecht gehen sollte, daß er sich kaum zu Pferde halten kann? Wer weiß? Vielleicht fünf zu fünf, vielleicht schlechter. Eines steht jedenfalls fest. Der gute Gottlieb wird den Markgrafen nicht schonen. Das beste wäre, Hardrich würde auf eine Teilnahme verzichten, aber ich denke nicht, daß Wichard ihn dazu überreden kann", erwiderte er nachdenklich. "Wir werden sehen. Noch ist er nicht wieder herausgekommen", murmelte sie und sah angestrengt in Richtung der bannergeschmückten Zelte. -2 5 9 -
Wichard schlug die Zeltbahn zurück, die über den Eingang gehängt worden war und stapfte wankend hinaus. Als erstes fuhr er die Burschen an: "Ihr bleibt vom Zelt weg!" Die Beinschienen schlackerten ihm um die Waden, der viel zu breite Brustpanzer drückte ihm fast unerträglich unter den Achseln, und er konnte nur mit Mühe aufrecht gehen. Das Gewicht des übergroßen Panzers war um einiges höher, als er es von seiner eigenen Rüstung her gewohnt war. Er schleppte sich zu der hölzernen Treppe, die die Kämpfer nutzten, um auf ihr nicht minder gerüstetes Roß zu steigen und er war unendlich froh, als er endlich im Sattel saß. "Zumindest paßt der Helm. Wenn ich nun auch nichts sehen könnte, würde ich wahrscheinlich nicht mehr ausrichten als der Ritter selber", dachte er. Till, der mit ihm auf das Holzpodest gestiegen war, zog verdutzt die Stirn in Falten. Ihm fiel auf, wie schlecht der Harnisch saß, den er doch gerade vorhin dem Ritter so gewissenhaft festgezurrt hatte. Wichard beobachtete ihn und konnte fast sehen, wie es in dessen Hirn zu arbeiten begann. Plötzlich hob der Junge ganz langsam und mißtrauisch den Blick. Ein unerhörter Gedanke drängte sich ihm auf. Er schien durch das Eisen hindurchsehen zu wollen, sah zum Zelt zurück, betrachtete noch einmal die Schnüre, lief hochrot an und sagte dann eifrig: "Ich werde zur Sicherheit noch einmal alles festzurren, Herr, wenn Ihr nichts dagegen habt" "Na los, Junge", antwortete Wichard leise. Eilig und mit einem wissenden Grinsen auf den Lippen zog und zerrte Till noch einmal alle Befestigungen nach, so gut er konnte. Auch er konnte das starre Eisen nicht zurechtbiegen, aber zumindest lief Wichard jetzt nicht mehr Gefahr, mitten auf dem Platz einen Fußling zu verlieren. Till setzte ihm noch die Füße richtig in den Steigbügeln fest, reichte ihm dann die stumpfe Lanze und legte sie ihm auf der Stützleiste am -2 6 0 -
Brustharnisch ein. Dabei flüsterte er ihm zu: "Was man von Treptows Knappen so hört, hat ihr Herr wohl einen furchtbaren Kater. Er hat sich die ganze Nacht in der Nähe der Aborte um die Ohren geschlagen. Außerdem ist sein Pferd durch das zusätzliche Gewicht des Reiters, längst nicht so schnell im Antritt. Ihr werdet also erst nach der Hälfte der Bahn auf ihn treffen und sehr viel mehr Wucht haben. Wenn Ihr gut trefft, wird er dem nichts entgegensetzen können!" Der junge von Dühring nickte ihm zu und war zutiefst dankbar für diese Unterstützung. Dann wurde er auch schon zum Kampf gerufen. Till setzte sich auf die Treppe, sah ihm hinterher und murmelte: "Viel Glück" Auf der Tribüne sagte von Trettin gerade zu Gertraud: "Hast du gesehen, wie er schwankte, als er aus dem Zelt kam? Er scheint immer noch nicht wieder auf der Höhe zu sein. Wo bleibt denn Wichard? Er verpaßt noch den Kampf seines Herrn" Gertraud erwiderte nichts, sondern starrte gebannt auf den Platz und versuchte zu erkennen, ob Wichard ihrer Aufforderung gefolgt war und in der Rüstung steckte oder ob dieser jetzt mit eingeschlagenem Schädel im Zelt lag, zur Strafe für solch einen ungeheuerlichen Vorschlag. Doch sie vermochte es nicht zu sagen. Erschöpft lehnte sie sich zurück und faltete die Hände vor dem Mund. Die Reiter hatten Aufstellung genommen. Etwa hüfthohe Zäune teilten die einzelnen Bahnen ab. Es war Sitte, den Gegner mit aufgestelltem Visier und senkrecht erhobener Lanze zu grüßen. Wichard hielt es nicht für klug, der Tradition zuwiderzuhandeln und vertraute darauf, daß die Entfernung von etwa neunzig Schritt -2 6 1 -
genügen würde, auch mit offenem Visier nicht erkannt zu werden und daß jeder sehen würde, was er zu sehen erwartete. Er hielt also mit der linken Hand das Visier in die Höhe und faßte mit der Rechten die Lanze. Da verrutschte der eiserne Handschuh. Entsetzt suchte er nachzufassen, doch die schwere hölzerne Waffe glitt ihm aus den Fingern und fiel polternd zu Boden. Er fühlte geradezu die hämischen Blicke der Männer und hörte das spöttische Wispern der Frauen auf den Rängen. Genausogut hätte er mitten auf dem Platz die Beinkleider herunter lassen können! Er spürte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg, und fluchend verwünschte er sein Ungeschick. Dann war wie der Blitz Till bei ihm. Er nahm die Lanze vom Boden auf und reichte sie ihm an. Wichard, immer noch zutiefst beschämt über seinen Fehler, vergaß, das Visier zu schließen, so daß Till, der sich so in seiner Vermutung bestätigt sah, ihn noch verschwörerisch zunickte und raunte: "Vergeßt nicht das Visier, Herr" Aufseufzend schloß Wichard den Helm, und bemühte sich das Geschehene beiseite zu schieben und sich doch noch auf den Kampf zu konzentrieren. Ein Fanfarenstoß erklang. Beide Kämpfer ritten an. Doch nur widerwillig beugte sich Hardrichs Schlachtroß dem Willen seines fremden Reiters. Wichard mühte sich verzweifelt, kam aber noch langsamer als von Treptow von der Startlinie los und vergab somit einen wichtigen Vorteil. Während er dann unendlich langsam, wie es ihm schien, an Geschwindigkeit gewann, überkam ihn plötzlich eine grimmige Entschlossenheit. Er dachte an Hardrich, der zusammengekrümmt dort im Zelt lag und umklammerte mit fester Hand die Waffe. Das Bild seines hilflosen Herrn vor Augen, sah er mit einem Mal klar. Er vergaß die -2 6 2 -
drückende Rüstung, die Schmach der verlorenen Waffe, alle Zuschauer um sich herum, ja selbst seine eigenen Zweifel. Völlig ruhig zielte er auf von Treptows rechte Schulter. Dieser hatte den Kopf des Gegners anvisiert und war sich seiner Sache schon sicher. Im allerletzten Moment erst wich Wichard aus, zog seine Waffe zur Seite und verpaßte seinem Gegner einen gewaltigen Stoß genau auf das Brustbein. Wie eine reife Frucht vom Baum, fiel von Treptow vom Pferd. Unter dem Jubel und Beifall der Menge wendete Wichard am Ende der Bahn den Wallach und ritt zurück zu seinem Zelt, während die Knappen des Unterlegenen herbeieilten und den Gestürzten aus der verbeulten Rüstung schälten. Gertraud auf ihrem Platz atmete erleichtert auf, und von Trettin drückte beruhigend ihren Arm: "Na, wer sagt es denn. Das war eine gute Vorstellung. Keine Sorge, er hat sich wieder gefangen. Aber das mit der verlorenen Lanze, mein Gott, das wird ihm noch eine Weile anhängen" Derweil hatten schon die nächsten Gegner ihre Plätze eingenommen und die allgemeine Aufmerksamkeit der Zuschauer richtete sich auf diese. Till nahm Wichard die Waffe ab und hielt das Pferd, damit er sicher absteigen konnte. Dann übergab er den Wallach an die beiden anderen Burschen. Als Wichard ins Zelt wanken wollte, hielt Till ihn zurück und übergab ihm einen kleinen wassergefüllten Bottich und ein Tuch. "Manchmal lindert es ein wenig. Macht das Tuch recht naß und legt es ihm auf die Augen. Ihr habt Euch hervorragend geschlagen, Herr", sagte er anerkennend. "Danke", erwiderte der Mann in der Rüstung. Im Zelt fand er Hardrich reglos auf dem Rücken liegen, einen Arm -2 6 3 -
quer über das Gesicht gelegt. Wichard erschrak und sank neben ihm zu Boden. Er warf den Helm und die Handschuhe von sich und faßte Hardrichs Arm. Seine Finger bewegten sich. Froh über dieses Lebenszeichen, tauchte Wichard rasch das Tuch ins Wasser, wrang es nur wenig aus und zog behutsam Hardrichs Arm zur Seite. Dann legte er ihm das nasse Tuch über die Augen, wie Till gesagt hatte. Mit einem erstickten Laut der Erleichterung schien der Markgraf wie aus einer tiefen Betäubung zu erwachen. "Till?", fragte er, ohne sich weiter zu rühren. "Nein, Herr, ich bin es. Wichard. Die erste Runde liegt hinter uns. Ich habe von Treptow überwinden können. Ich werde wieder hinausgehen und sehen, wie sich die anderen schlagen. So wie Ihr es immer tut", sagte der junge Gefolgsmann sanft. Er griff nach Hardrichs Schwert, besann sich dann aber eines anderen, legte es neben seinen Herrn auf den Boden und drückte dessen Hand auf das kalte Metall des Knaufes. "Möge das Schwert Eurer Väter Euch Heilung und Kraft geben. Ich kehre nachher noch einmal zurück, wenn ich weiß, gegen wen ich ihm Schwertkampf antreten muß", sagte er und erhob sich. Dann legte er Handschutz und Helm wieder an, nahm das stumpfe Turnierschwert an sich und ging nach draußen. Dort stellte er sich, nicht weit vom Zelteingang, breitbeinig auf, stach das fast brusthohe Schwert vor sich in den Boden und stützte sich darauf. Zwei Männer nahmen gerade zum dritten Kampf des Tages Aufstellung. Wichard erkannte Ulrich Ohnsorg und Simon von Echtern. "Ohnsorg, der Kriecher! Was Jürgen von der Weile nur an ihm findet, daß er ihn ständig um sich duldet! Es wäre dem Jungen sehr zu wünschen, daß er ihn überwindet! Aber seine Chancen stehen nicht gut. Er hat sich zwar auf dem letzten Feldzug nicht dumm angestellt, -2 6 4 -
aber da ging es auch gegen Vogelfreie und Bauern und nicht gegen einen Fuchs wie diesen", dachte Wichard bei sich. Bevor das Signal erklang, wandte sich der junge von Echtern zum Zelt des Markgrafen um und als er sah, daß sein Landesherr ihn zu beobachten schien, richtete er sich auf und nahm dann Haltung an. "Er ist, wie ich damals war! Er kämpft, um den Markgrafen zu ehren!", wurde Wichard plötzlich klar, und er wünschte ihm von ganzem Herzen Glück. Die Kämpfer ritten an. Ohnsorg, wie immer dicht an den Hals des Pferdes gedrückt. Simon hochaufgerichtet, wie es sich ziemte. Von Echtern trug einen leichten Harnisch, der Arme und Beine nur durch dickes Leder schützte und daher leicht und beweglich blieb. Er war schnell und überwand seine Furcht. Seine Lanze traf Ohnsorg an der rechten Schulter, während dieser ihn verfehlte. Doch der Stoß war nicht heftig genug, Ohnsorg hielt sich gerade noch im Sattel, wenn er auch seine Lanze loslassen mußte. Es würde also einen zweiten Durchgang geben. Wieder sah Simon von Echtern zu dem Mann in der markgräflichen Rüstung hinüber, und Wichard, der mit ihm fieberte, nickte ihm leicht zu. Den zweiten Durchgang überstand Ohnsorg nicht. Der Jubel des Publikums zeigte, wie sehr auch die Zuschauer mit dem jungen Mann gehofft hatten und Wichard war froh, daß das geschlossene Visier sein breites Grinsen verbarg. Es folgten noch vier andere Kämpfe, bevor im letzten schließlich auch Rudolf von Walow antreten mußte. Das Los hatte ihm einen Edlen aus dem Gefolge von Treptows als Gegner erwählt. Ein bulliger Mann, der das erste Mal auf diesem Platz ritt und den kaum jemand einschätzen konnte. "Fahr zur Hölle", ging es Wichard durch den Kopf, als er von Walow anreiten sah. Doch einige Augenblicke später war klar, daß -2 6 5 -
von Walow, ebenso wie er selber, weiter im Rennen war. Sein Gegner hatte sich ängstlich geduckt und so traf ihn der auf die Brust gezielte Stoß an den Kopf. Er fiel wie ein Stein. Rudolf von Walow ritt auf dem Rückweg zu seinem Zelt noch einen Bogen und kam an Wichard vorbei. Höhnisch verbeugte er sich und besaß dann noch die Frechheit, zur Tribüne hinüberzuwinken. "Du Teufelskerl!", dachte Wichard und war froh, daß Hardrich dies nicht sah, "Wieso tust du das? Was versprichst du dir davon? Dein heutiges Benehmen kostet dich das letzte bißchen Zuneigung, das der Ritter für dich empfand!" Nach dem Lanzenreiten folgte eine Pause. Sänger unterhielten das Publikum. Dann wurden die Gegner für den folgenden Durchgang im Kampf mit dem Schwert ausgelost. Es waren jetzt noch acht Teilnehmer: Neben Wichard, in der Rüstung des Herrn der Mark, von Walow und dem jungen Simon von Echtern, waren dies von Meez, Adelrich zur Kamm, Sören de Allinge, Bernhard von Echtern und Christof von Kressin. Auch auf den Rängen verfolgte man gespannt die Auslosung der Gegner. Von Trettin zog auf seiner Tafel Linien zwischen den verbliebenen Recken des ersten Durchgangs. "Also, Adelrich zur Kamm gegen Bernhard von Echtern, Georg von Meez gegen Christof von Kressin und Sören de Allinge gegen Rudolf von Walow. Dann bleibt für Hardrich nur noch Simon von Echtern. Schade für den Jungen! Er hat sich wahrlich gut gehalten mit der Lanze, aber es ist keine Schande, gegen den Ritter des Königs zu verlieren! Und dies wird sicher nicht sein letztes Turnier bleiben", ging der alte Herr seine Aufzeichnungen durch.
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Während zur Kamm und von Echtern auf den runden Sandplatz traten und der Kampf begann, schlüpfte Wichard noch einmal ins Zelt zurück. Hardrich lag noch immer am Boden, sah aber auf, als Wichard eintrat. Sein Blick war glasig und unendlich erschöpft. Wichard umriß in kurzen Worten den Stand des Turniers. Hardrich erwiderte zunächst nichts. Erst als Wichard sich zum Gehen wandte, murmelte er: "Schone ihn nicht, den Jungen, hörst du? Greif ihn sofort an, so wie ich es tun würde. Seine Familie wird das Lehen von Harchows erhalten. Er soll gleich wissen, wo es lang geht" "Ja, Herr", versprach Wichard und freute sich, daß sein Herr mit dieser Wahl seinem Vorschlag gefolgt war. Er schloß sein Visier und stellte sich mit dem Schwert wieder vor das Zelt. Till gesellte sich dazu. "Wie geht´s ihm?", flüsterte er. "Das Schlimmste scheint überstanden, aber er kann sich noch immer nicht auf den Beinen halten! Ich kann mich nicht daran erinnern, daß es ihm jemals so schlecht gegangen ist", entgegnete Wichard besorgt. "Doch, Herr. Das schon, aber noch nie zu einem solch ungünstigen Zeitpunkt!", antwortete Till leise. Auf dem Platz überwand gerade Bernhard von Echtern seinen Gegner. Es war ein sehenswerter Kampf zweier fast gleichstarker Recken gewesen, und die größere Ausdauer von Echterns hatte schließlich den verdienten Sieg davongetragen. Er reichte dem gestürzten Gegner seine Hand, um ihm aufzuhelfen und verneigte sich vor dem applaudierendem Publikum. Eine feine Geste. Er würde einen guten Lehensmann abgeben. Als nächstes war die Reihe an Wichards Vetter. Er traf auf Georg von Meez. Dieser hatte sich wochenlang auf den heutigen Tag vorbereitet, und Christof, der erst heute morgen von seiner Teilnahme -2 6 7 -
erfahren hatte, schlug sich zwar eine Weile ganz beachtlich, mußte sich schließlich aber seinem hitzigen Gegenpart geschlagen geben. Georg von Meez verließ ohne Gruß den Platz und ließ Christof am Boden liegen. Statt dessen warf er dem Mann in der Rüstung des Markgrafen einen herausfordenden Blick zu. Grimmig dachte Wichard: "Na warte, Bürschchen! Du bekommst auch noch deine Lektion!". Gleichzeitig aber wunderte er sich über diese heftige Reaktion seiner selbst. Er schien tatsächlich mit der Rüstung auch einen Teil des Wesens seines Herrn übernommen zu haben. Er machte sich zum Kampfplatz auf. Simon von Echern wartete bereits mit offenem Visier, und Wichard, der diesmal den Helm geschlossen hielt, erkannte die beklommene Verehrung in seinen Augen. "Genau wie ich damals", kam es ihm wieder in den Sinn, "Und deshalb werde ich auch genau das tun, was der Ritter befiehlt und ihn nicht schonen. So wie er auch mich nicht geschont hat, damals. Man sieht an von Meez, was dabei herauskommt, wenn die Söhne der Edlen verzogen werden. Wer die jungen Hunde nicht kurz hält, bekommt es später mit tollen Wölfen zu tun" Und mit diesem Vorsatz ging er in den Kampfkreis und begann, sofort auf den Jungen loszugehen. Dieser verteidigte sich nach Kräften, geriet aber sehr rasch in arge Bedrängnis. Mit einem gezielten Hieb auf den vorgehaltenen Schild brach Wichard ihm das Schlüsselbein und schlug ihm dann die Waffe aus der anderen Hand. Trotz des eisernen Handschutzes würde er auch seine Schwerthand sicher eine Weile nicht gebrauchen können. Der Junge war auf die Knie gestürzt und hielt sich die Schulter. Wichard ging zu ihm und zog ihn auf die Füße. Dann nickte er ihm noch einmal zu, drehte sich um und ging, wobei er bemüht war, sich seine Schmerzen an der rechten Hüfte nicht anmerken zu lassen. Ein beherzter Schlag des -2 6 8 -
Jungen war von seinem Schilde abgeglitten und hatte ihn mit Wucht am Körper getroffen. Rudolf von Walow war an der Reihe. Sören de Allinge, sein Gegner, war zu Gast auf dem Anwesen von Beverns. Ein Hüne mit rotblondem Bartschopf und ebensolchen Haaren, der von einer Insel im Nordmeer stammte. Er hatte einen Troß Händler seiner Heimat begleitet und die Gelegenheit genutzt, seinen Freund von Bevern eine Besuch abzustatten. Dieser ehrte ihn nun mit der Einladung zu diesem Turnier. Von Bevern selber war gleich in der ersten Runde ausgeschieden. Wie üblich. Ihm lag nichts an Waffenspielen. Um so mehr freute es ihn, daß sein Freund sich so gut schlug und offensichtlich großen Spaß hatte. Die Zuschauer hatten auf eine Begegnung Hardrichs mit ihm gehofft, aber diese Paarung versprach, nicht weniger spannend zu werden. Sören de Allinge stand mit einem breiten Lachen im Rund und erwartete von Walow. Er winkte ihn mit einer Hand heran, und das Publikum lachte. Von Walow tat, als beeile er sich und machte ein paar hastige Schritte. Wieder lachten die Zuschauer. Der Mann wußte zu gefallen, doch schien ihm alles nur ein Spiel. Kopfschüttelnd beobachtete Wichard ihn. Es war ein Kampf ganz nach dem Geschmack des Publikums. Fintenreich und mit wechselnden Vorteilen. Einmal schien der Nordländer die Oberhand zu gewinnen, dann wieder glänzte sein Gegner mit einer geschickten Parade. Dabei bedachten sie sich gegenseitig nicht nur mit Schlägen, sondern auch noch mit eifrigen Spötteleien. De Allinge´ holprige Aussprache und Wortwahl und die ironischen Lobpreisungen von Walows begeisterten die Zuschauer. Der Nordländer, der die Farben von Beverns ältester Tochter trug, fand zwischendurch immer noch einmal Zeit, dieser zuzuwinken. Die hohe Gesellschaft auf den Rängen, Knappen und Ritter vor ihren -2 6 9 -
Zelten und auch das Volk hinter den Absperrungen, alles lachte und applaudierte. Schließlich, beiden Kämpfern merkte man inzwischen ihre Erschöpfung an, gelang es Rudolf von Walow mit einer geschickten Drehung einem Hieb auszuweichen und gleichzeitig sein Schwert vorschnellen zu lassen. Seine stumpfe Klinge an de Allinge´ Hals entschied den Kampf zu seinen Gunsten. Lachend warf der rotblonde Recke das Schwert von sich, nahm den Helm ab und verneigte sich vor dem Gewinner. Dann schüttelten sich beide freundschaftlich die Hand und Sören de Allinge begab sich unter dem anerkennenden Jubel der Zuschauer zurück zu den Rängen, um bei der Familie von Beverns Platz zu nehmen und den weiteren Verlauf des Turniers zu verfolgen. Gertraud hatte gehofft, daß der liebenswerte de Allinge ihren aufdringlichen Verehrer aus dem Rennen werfen würde und spendete ihm jetzt, trotz seiner Niederlage, heftig Applaus, als er an ihrer Loge vorbeiging. Artig verneigte dieser sich. Von Trettin beugte sich zu Gertraud hinüber und sagte: "Jetzt folgt noch ein Durchgang im Lanzenreiten und danach der Höhepunkt des Tages: Der Schwertkampf der beiden letzten Teilnehmer" Während nun die verbliebenen vier Kämpfer durch Losentscheid aufgeteilt wurden, stapfte Wichard in der Rüstung des Markgrafen noch einmal ins Zelt zurück. Hardrich hatte sich aufgestützt und rieb seine Stirn. "So. De Allinge ist raus, ebenso der kleine Simon, zur Kamm und zu meinem Bedauern auch mein Vetter. Bleiben von Meez, Bernhard von Echtern, von Walow und wir", sagte Wichard. Hardrich nickte. Dann sah er seinen Gefolgsmann durchdringend an. "Ich will nicht die Gelegenheit verpassen, den Bastard selber über -2 7 0 -
meine Klinge springen zu lassen. Her mit der Rüstung!", wies er von Dühring an. Dieser reagierte nicht. "Los! Worauf wartest du?", ächzte er böse, aber die Schwäche in seiner Stimme war nicht zu überhören. Wichard verschränkte die Arme vor der Brust und sagte: "Nein. Ihr seid noch nicht soweit. Wer auch immer gegen Euch antritt, Herr, könnte Euch töten. Und deshalb sage ich Euch folgendes: Wenn Ihr in der Lage seid, mir Euren Harnisch abzuringen, werde ich ihn Euch überlassen, sonst nicht" Unter wüsten Beschimpfungen kam Hardrich, wie ein Betrunkener wankend, auf die Füße. Wichard wartete ungerührt, ohne die Arme sinken zu lassen. Als der Ritter sich auf ihn stürzte, trat er nur einen Schritt zur Seite und ließ ihn ins Leere laufen. An einem Tisch an der Zeltwand sank Hardrich auf die Knie und hielt sich stöhnend den Kopf. Zornig fluchend blieb er dort am Boden liegen und sah Wichard nicht an, als dieser mitleidig sagte: "Seht Ihr? Sogar von Bevern würde Euch so bezwingen. Aber hört! Sie verlesen die Gegner! Georg von Meez... gegen...? Von Walow! Dann wird Bernhard von Echtern gegen uns reiten, Herr. Nach dem Sohn jetzt auch der Vater! Herr, ich weiß, ich bin in meinem eigenen Namen selbst nicht allzu oft über die zweite Runde hinausgekommen, aber ich werde mein Bestes tun und das ist im Augenblick besser, als wenn Ihr reiten würdet. Und unser Freund von Walow wird gegen den jungen Heißsporn auch gut zu tun bekommen" Hardrich erwiderte zunächt nichts, verbarg sein Gesicht in seinem Arm und keuchte endlich nur: "Raus" Wichard schluckte, schloß das Visier und verließ das Zelt. Die Rüstung schien bei jedem Schritt, den er tat, schwerer zu werden. Wie ein Mühlstein lag sie ihm auf den Schultern. Er stützte -2 7 1 -
sich vor dem Zelt wieder auf das Schwert, wie Hardrich es zu tun pflegte und beobachtete den ersten Kampf der dritten Runde. Der Schlagabtausch, der nun folgte, hatte nichts von der Leichtigkeit des vorherigen Schwertkampfes zwischen de Allinge und von Walow. Die Verbissenheit auf der Seite von Meez´ und höchste Konzentration auf Seiten von Walows gaben diesem Aufeinandertreffen eine unerbittliche Härte. Kein Laut war zu hören auf dem Platz, als beide auf das Signal hin die Lanzen senkten und ihren Tieren die Sporen gaben. Beide Lanzen trafen ihr Ziel. Krachend schlug Holz auf Metall. Doch beide hielten sich zu Pferde, obwohl von Meez sich im Sattel vor Schmerzen krümmte. Er faßte sich an die Brust und schien hart getroffen worden zu sein. Wichard vermutete, daß er zumindest einige Rippen gebrochen hatte. Doch Georg von Meez nahm wieder Aufstellung und zeigte damit an, daß er sich noch nicht geschlagen geben wollte. Von Walow war am linken Oberarm getroffen, was ihn aber nicht sonderlich behinderte. Till, der sich wieder neben Wichard eingefunden hatte, kommentierte leise: "Wenn von Walow nochmal dieselbe Stelle treffen kann, steht er im Finale, der Hund!" "Und genau das wird er versuchen. Und von Meez weiß das auch. Er hätte den Kampf abbrechen sollen. Es kann ihm das Leben kosten, nicht nur ein paar gequetschte Rippen! Aber sein verdammter Ehrgeiz macht ihn blind", erwiderte Wichard. Auf dem Platz ritten indes die beiden Kontrahenten wieder an. Wieder trafen beide mit hoher Geschwindigkeit und vollem Risiko in der Mitte der Bahn aufeinander. Mit einem angstvollen, kläglichen Wiehern brach von Walows Pferd unter ihm zusammen. Von Meez´ -2 7 2 -
Waffe war dem kräftigen Apfelschimmel, der nur einen Roßharnisch um Kopf und Leib trug, durch den Hals gefahren. Von Walows Lanze aber stak in der Brust des Gegners. Durch das bereits eingedrückte Eisen des Brustpanzers war sie ihm in die Lunge gedrungen. Rudolf von Walow, der sich geschickt abgerollt hatte, war schon wieder auf den Füßen, bereit und willens, den Kampf gegebenenfalls zu Fuß weiter zu führen. Er zog sein Schwert. Alles wartete. Georg von Meez, mit der auf dem Boden schleifenden Lanze in der Brust, hing im Sattel, offensichtlich immer noch nicht gewillt, sich geschlagen zu geben. Er hatte die Zügel fallen lassen, und sein verängstigtes Pferd schritt hin und her, ohne irgendeine Weisung seines Herrn. Doch die Knappen getrauten sich nicht, ihren Herrn vom Pferd zu holen und damit diesen Kampf zu beenden. Alles starrte gebannt auf den Verwundeten, der sich immer noch krampfhaft zu Pferde hielt. Wichard dachte: "Warum greift denn niemand ein? Es ist doch offensichtlich, daß er nicht weiterkämpfen kann" Und langsam dämmerte es ihm, daß nur auf das Wort des Markgrafen hin das Gefecht vorzeitig beendet werden würde. Auf sein Wort hin. Er hob den Arm und winkte die Burschen von Meez´ heran. Auf seinen Befehl hin stürzten diese zu ihrem Herrn, hielten das Roß und ließen den schwer verwundeten Mann zu Boden. Die Lanze löste sich endlich aus der Wunde und von Meez wurde vom Platz getragen. Betretenes Schweigen herrschte auf den Rängen, während von Walow langsam als Sieger vom Platz ging und sein verendetes Tier von zwei Ochsen aus der Bahn geschleppt wurde. Von Echtern bestieg bereits sein Pferd, und Wichard beeilte sich, -2 7 3 -
es ihm gleichzutun und ließ sich von Till die Lanze geben. "Gott sei mit Euch!", flüsterte dieser ihm zu. Wichard dankte ihm und ritt zur Aufstellung. Er klappte zum Gruß wieder kurz das Visier hoch und flehte zum Himmel, daß er diesmal seine Lanze nicht verlieren würde. Das Signal ertönte. Beide ritten kraftvoll an. Diesmal hatte Wichard keine Schwierigkeiten, Hardrichs Pferd anzutreiben. Im Gegenteil. Es stürmte voran, als könne es kaum erwarten, auf den Gegner zu treffen. Fast war Wichard versucht, sein Ungestüm zu bremsen. Er spürte, wie sein linker Fuß sich aus dem Steigbügel zu lösen drohte, der Harnisch lastete auf ihm wie ein Fluch, und er versuchte verbissen, die Lanze zumindest ruhig zu halten, so daß es wenigstens den Anschein hatte, als zielte er. Wichard sah von Echtern in vorbildlicher Haltung heranpreschen und dachte: "Aus. Aus und vorbei. Das stehe ich niemals" Doch die Lanze, die auf Wichards Brustbein gezielt war und der er auch nicht ausweichen konnte, da er im linken Steigbügel keinen Halt mehr fand, schwenkte im letzten Augenblick zur Seite und verfehlte ihn. Seine eigene Waffe dagegen, die mehr oder weniger ziellos hin und her tanzte, streifte von Echterns Schulter. Rückwärts fiel dieser vom Pferd und rollte sich geschickt ab. Wichard wendete ungläubig am Ende der Bahn. Er hatte ihn kaum berührt. Sein Gegner war auch schon wieder auf den Füßen, öffnete den Helm und verneigte sich vor seinem herankommenden Herrn. Er lächelte ihn an und Wichard wurde klar, daß er sich absichtlich hatte fallen lassen, um dem Mann in der Rüstung des Markgrafen den letzten Kampf zu überlassen. Wichard kehrte zum Zelt zurück und kam gerade noch heil von seinem Roß herunter. Ohne den Halt im Bügel hätte er fast das Gleichgewicht verloren. Beschämt und noch ganz in Gedanken betrat er das Zelt und riß sich den Helm vom Kopf. Erstaunt blickte er sich um, als er Hardrich nirgends entdecken -2 7 4 -
konnte. Im nächsten Augenblick fühlte er sich von hinten gepackt, und eine Hand riß sein Kinn zur Seite. "Her mit der Rüstung, sonst breche ich dir das Genick!", knurrte der Ritter ihm ins Ohr. "Ja, Herr. Gerne", ächzte Wichard erleichtert. Und während auf dem Platz ein Sänger noch einmal das Publikum unterhielt, legte Wichard rasch den schweren Panzer ab. Er besah die Verletzung an seiner Hüfte, die blutunterlaufen war und Hardrich fragte: "Simons Schlag?" "Ja. Er ist gut, der Junge", antwortete Wichard und fügte hinzu: "Ich hatte übrigens den Eindruck, daß sein Vater uns den Sieg eben geschenkt hat. Ich habe ihn mit der Lanze kaum gestreift" "Ich hab´s gesehen. Es war offensichtlich", brummte Hardrich ärgerlich und wies mit dem Kopf auf einen kleinen Spalt in einer der Zeltbahnen. "Und da ist noch etwas, was Ihr wissen solltet, Herr...", begann Wichard. "Na?", fragte Hardrich, der sich eilig rüstete. "Vor dem ersten Kampf heute. Gegen von Treptow. Nun ja... Eure Rüstung ist mir ein gut Stück zu groß und der Handschuh verrutschte. Und beim Gruß, da ist mir die Lanze aus der Hand gefallen", beichtete er verlegen. Hardrich, der auf einem Schemel saß und das Fußzeug festschnürte, stieß einen Seufzer aus, funkelte Wichard zornig an und knurrte: "Vortrefflich! Ärger hätte ich mich wahrlich selber nicht blamieren können! Sonst noch was?" "Nein, ich denke nicht", sagte Wichard nachdenklich, während er seinen eigenen Lederharnisch anlegte. "Das reicht auch!", brummte der Ritter und machte ihm ein -2 7 5 -
Zeichen, sich umzudrehen. Dann wechselte er den Helm und stand auf. Sein Kopf schmerzte noch immer wie rasend, aber sein Blick war wieder klar. Wichard sah ihn fragend an. Hardrich reckte sich und legte den Kopf schief. "Es muß gehen", murmelte er. Wichard reichte ihm das Turnierschwert, doch der Ritter schüttelte den Kopf und hob seine eigene scharfgeschliffene Waffe in die Höhe. "Keine halben Sachen mehr. Diesmal werde ich ihm das Fell abziehen", brummte er. "Bleib noch eine Weile hier. Wenn der Kampf begonnen hat, gehst du zurück zur Tribüne. Ach, und Wichard,... ich danke dir", sagte er, bevor er mit geschlossenem Visier das Zelt verließ, ohne eine Antwort seines Gefolgsmannes abzuwarten. Dieser sank kraftlos auf einen Schemel nieder und ließ den Kopf hängen. Auf dem Platz zeigte gerade noch ein Trupp Artisten sein Können und Hardrich stellte sich, wie vorher Wichard, neben das Zelt und sah zu von Walow hinüber, der ebenfalls ruhig vor seinem Lager stand und das Spektakel betrachtete. Verdutzt bemerkte Hardrich, daß Till plötzlich neben ihm auftauchte und sich lässig auf die Treppe lehnte. Auch er sah zu von Walow hinüber und sagte: "Der Bastard! Der Teufel soll ihn holen! Gebe Gott Euch genug Kraft, ihm die Hoffart auszutreiben" Hardrich traute seinen Ohren nicht. Er war so erstaunt, daß ihm erst langsam klar wurde, daß Till anscheinend annahm, Wichard vor sich zu haben. Seine erste Reaktion war Ärger darüber, daß der Junge überhaupt von dem Tausch wußte. Innerlich verfluchte er sich dafür, seine Zustimmung zu diesem Unterfangen gegeben zu haben. Doch dann sah er zur Tribüne hinüber. -2 7 6 -
Leise sagte er zu Till gewandt: "Und? Glaubst du, daß ich ihn schlagen kann?" "Naja, wenn ich ehrlich bin, Herr.... Es wird schwer werden. Der Hundesohn ist ganz versessen auf den Sieg. Und er ist verdammt schnell. Vielleicht, wenn Ihr ihn am Schildarm treffen könntet, dort wo von Meez´ Lanze ihn vorhin getroffen hat. Wenn nur der Ritter wohlauf wäre! Der würde ihn schon das Fürchten lehren, verdammt!", erwiderte Till hitzig und ballte die Fäuste. Amüsiert über diese offenen Worte, mußte Hardrich unter seinem Helm schmunzeln. "Zieh die Schulterriemen noch einmal nach", befahl er. "Ja, Herr" Der Junge sprang sofort heran und machte sich an der Rüstung zu schaffen. Lachend plauderte er: "Sieht aus, als seid Ihr in den Harnisch hineingewachsen. Er scheint mit einem Mal wie angegossen zu pass... " Er verstummte. Das Lachen erstarb ihm auf den Lippen. Langsam drehte sich Hardrich um und stellte das Visier auf. Mit ungerührtem Blick starrte er den entsetzten Jungen an, der vor Schreck wie versteinert vor ihm stand. "Na, was ist? Hast du geträumt, Bursche?", fragte der Ritter schließlich und vermochte sich ein leichtes Grinsen nicht zu verbeißen. "Herr.... Ja, Herr!", beeilte sich Till mit hochrotem Kopf zu versichern. Und als er den Markgrafen weiter ohne Groll sah, wagte er ein scheues Lächeln und bat: "Gebt ihm von mir noch einen mit!" Hardrich nickte und schlug ihm krachend auf die Schulter.
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Die Artisten beendeten ihre Vorstellung, verbeugten sich und verließen den Platz. Gespannte Ruhe kehrte ein. Nur der Wind war zu hören, der dünne Wolkenfetzen über den tiefblauen Himmel hetzte. Hardrich trat einen Schritt vor, wandte sich seinem Widersacher zu und stieß sein Schwert, das Schwert seiner Väter in die Luft. Ein erschrockenes Raunen lief durch die Menge. Gertraud war blaß geworden. Sie umklammmerte die Lehnen ihres Sessels und fragte von Trettin: "Was hat das zu bedeuten?" "Mit dieser Geste", antwortete von Trettin gedehnt, "fordert er von Walow zu einem Kampf auf Leben und Tod heraus. Er muß nicht annehmen, aber ich vermute, er ist närrisch genug, es zu tun" Alles wartete gebannt, wie der Herausgeforderte reagieren würde. Dieser zögerte einen kurzen Moment, reichte dann das Turnierschwert, das er bereits in der Hand gehalten hatte, seinem Knappen. Der Bedienstete lief und brachte die verzierte Klinge, die von Walow in der Schlacht zu führen pflegte. Dieser stieß auch sein Schwert gen Himmel und nahm so die Herausforderung an. Die beiden Männer machten sich zum Kampfplatz auf, während Gertraud sich erhob und an die Brüstung der Tribüne vorging. Hardrich dröhnte noch immer der Kopf. Sein Hemd klebte ihm schweißnaß am Rücken und der scharfe Wind fuhr ihm beißend unter den Harnisch. Er fror bis auf die Knochen. Wenn er Arme und Beine anspannte, spürte er, wie seine ausgekühlten Muskeln zu verkrampfen drohten. Schmerz und Schweißausbrüche hatten ihn erschöpft und seinem Zorn die Spitze abgeschlagen. Er schüttelte seine Arme, bemüht, seine starren Muskeln etwas zu lockern, atmete tief durch und trat von Walow gegenüber in den Kreis. -2 7 8 -
Es war bekanntermaßen Hardrichs Kampfstil, sofort auf den Gegner loszugehen. Dies erwartend stand von Walow geduckt bereit, den ersten Schlag zu parieren. Doch Hardrich machte keine Anstalten anzugreifen. Ruhig stand er da. Endlich war es von Walow, der den ersten Schlag führte und den Kampf begann. In vergangenen Waffenspielen war Hardrichs kopfloser Zorn manches Mal ein nützlicher Verbündeter von von Walow gewesen. Ein hämisches Grinsen an der richtige Stelle, ein spöttisches Wort im richtigen Moment, und schon sah der Ritter rot. Zwar nahm damit auch die Wucht seiner Schläge zu, doch wurden sie im gleichem Maße unpräzise und in seine Deckung schlichen sich Fehler ein. Von Walow war der einzige, der, wenn ihn der Ehrgeiz einmal packte, es wagte, den Ritter auf diese Art anzustacheln. Denn es war gefährlich, und nicht immer ging die Rechnung auf. Zweimal waren beide bei ähnlichen Gelegenheiten bereits aufeinander getroffen und je einmal hatten beide den Sieg davongetragen. Unstet und leichtlebig wie er war, hatte von Walow aber oft genug gar nicht erst den Willen besessen, über die erste Runde hinauszukommen. Dann ließ er sich vom erstbesten Gegner schlagen und vergnügte sich den Tag über irgendwo im Heu oder in fremden Betten, statt sich seinem Stand und Können entsprechend mit den anderen zu messen und wie diese ehrenvoll, aber grün und blau mit zerschundenen Knochen vom Platz getragen zu werden. Auf den Rängen und hinter den Absperrungen verfolgten die Menschen gebannt das Geschehen. Keiner achtete auf den jungen von Dühring, der in diesem Augenblick aus dem Zelt schlüpfte und unbemerkt zur Tribüne humpelte. Er warf Gertraud einen unsicheren Blick zu. Diese lächelte müde und verkrampft, und wandte sich gleich wieder dem Kampfgeschehen zu. -2 7 9 -
Hardrichs Schläge kamen leidenschaftslos, fast schwerfällig. Nüchtern konterte er die Angriffe seines Lehensmannes, ohne jedoch selber mit gewohnter Härte auf seinen Gegner einzudringen und nahm so dem Gefecht jegliche Hitze. Von Walow, irritiert durch Hardrichs ungewohntes Gebaren, hieb fahrig und verbissen auf seinen Kontrahenten ein und überlegte dabei fieberhaft, wie er vorgehen sollte, denn längst war dieses kein Spiel mehr. Er führte einen senkrechten Hieb auf Hardrichs Kopf und trat gleichzeitig vor. Der Ritter wehrte den Streich mit quer gehaltener Klinge ab. Auch er machte einen Schritt auf seinen Gegner zu. Die Schneiden mit aller Kraft gegeneinandergepreßt, standen sie jetzt so nahe beieinander, daß sie sich durch die schmalen Sehschlitze der Helme in die Augen schauen konnten. Beide keuchten vor Anstrengung. "Haben meiner Favoritin die Lilien gefallen, die ich ihr geschickt habe?", zischte von Walow endlich. "Oh, sicherlich. Nur euer Kopf auf meiner Schwertspitze wird ihr noch mehr Freude bereiten", versetzte Hardrich ruhig und ohne mit der Wimper zu zucken. Die Grabeskälte dieser Erwiderung ließ von Walow erschauern. Der Ritter stieß ihn von sich. Von Walow stolperte rückwärts, doch der Markgraf setzte nicht nach, sondern wartete verächtlich, bis er sich wieder fing. "Er spielt mit mir, wie die Katze mit der Maus!", dachte er entsetzt und führte verzweifelt seine Schläge, die wie an einer Mauer an Hardrich abzuprallen schienen. "Paßt auf, daß Ihr nicht wieder Eure Waffe verliert!", versuchte es von Walow noch einmal. "Spart Euren Atem für eine letzte Beichte", kam die ungerührte -2 8 0 -
Antwort. Von Walow focht weiter wie ein Besessener, ohne den geringsten Vorteil herausarbeiten zu können. Kalter Schweiß lief ihm den Rücken herunter. Endlich, fast am Ende seiner Kräfte, trat er einen Schritt zurück und ließ die Waffe sinken. Er atmete schwer. Die tiefstehende Nachmittagssonne beschien dunkle, aufgetürmte Wolkenberge am Horizont und tauchte den Platz in ein unwirkliches, gespenstisches Licht. "Das geht mit dem Teufel zu", murmelte ein Leibeigener, der in der Menge hinter der Absperrung stand. Die Umstehenden stimmten ihm nickend zu. Der Ritter richtete sich auf. Wie der Racheengel selber stand er da. Mit einem Mal schleuderte er seinen Schild beiseite, faßte sein schweres Schwert mit beiden Händen und sagte grimmig: "So" Dann griff er an. Und mit jedem seiner gewaltigen Schläge schleuderte er von Walow seine Verachtung entgegen: "Ehre! Anstand! Pflichtgefühl! Zuverlässigkeit! Alles leere Worte für Euch! Aber heute habt Ihr es zu weit getrieben! Ich habe genug von Eurem liederlichen Gespött! Genug von Eurem ungebührlichem Leichtsinn! Genug von Eurem nichtswürdigen Betragen! Ihr verdient es nicht, den Titel zu führen, den Ihr tragt! Und heute werdet Ihr dafür bezahlen, bei Gott!" Von Walow taumelte unter den entsetzlichen Hieben, wie betäubt vor Furcht. Der nächste kraftvolle Schlag riß ihm seine Waffe aus der Hand. Er stolperte, verlor auch noch seinen Schild und fiel rückwärts zu Boden. Ein Aufschrei ging durch die Reihen der Zuschauer. Der Ritter stand über ihm, öffnete sein Visier und sah abfällig auf ihn herab. -2 8 1 -
"Öffnet das Visier und benehmt Euch wenigstens dies letzte Mal, wie es sich für Euch ziehmt und windet Euch nicht zur Seite wie ein Hund", befahl er böse. Mit zittriger Hand tat der am Boden Liegende seinen Helm auf. Die blanke Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben. Hardrich zielte mit der Spitze seiner Waffe auf von Walows Herz, sah noch einmal auf zur Tribüne, suchte Gertrauds Blick, umfaßte dann fest den Knauf mit beiden Händen und rammte die Klinge nieder. Durch die angespannte Stille des Turnierplatzes drang der Schmerzensschrei des Besiegten. Er faßte sich an die Schulter. Die Zuschauer reckten die Hälse, um zu sehen, was geschehen war. Hardrich hatte die Schneide durch Rüstung und den linken Oberarm hindurch in den Boden getrieben und so Gertrauds Tuch losgeschnitten. Er bückte sich zu seinem Lehensmann hinunter. "Dies, mein Lieber, war meine allerletzte Warnung. Noch so eine Frechheit, und es wird mir eine besondere Freude sein, Euch zu töten. Ist das klar?", fragte er leise drohend. Von Walow nickte gequält. Hardrich griff nach dem Tuch, zog es aus der Wunde, stand auf und winkte die Knappen seines Lehensmannes heran. Dann drehte er sich noch einmal zu diesem um und sagte: "Mein Schwert werdet Ihr mir morgen zurückbringen!" "Ja, Herr", ächzte der Unterlegene und ließ den Kopf erleichtert auf den Boden zurücksinken. Und während die Bediensteten den Verwundeten mit dem Schwert im Arm aufhoben und vom Platz führten, erwachte das Publikum aus seiner Erstarrung und brach in lauten Jubel aus. Hardrich begab sich zurück zum Zelt. Till sah ihm begeistert entgegen, stieß die Faust in die Luft und stimmte in den anhaltenden -2 8 2 -
Applaus ein. Der Ritter reichte ihm das blutverschmierte Tuch und wies ihn an, es ihm am Arm zu befestigen. Till wischte so gut es ging das Blut an seinem Hemdsärmel ab und knotete den zerschnittenen Schal an einer Schulteröse der Rüstung fest. Auf einem Podium an der Stirnseite des Platzes saßen die sieben berufenen Turnierrichter, die bereits die Auslosungen der Kämpfer durchgeführt hatten und über die Einhaltung der Regeln wachten. Die Herren hatten sich erhoben und erwarteten den Turniersieger. Die Knappen hatten Hardrichs Pferd den eisernen Roßharnisch abgenommen, es abgerieben, Schweif und Mähne gebürstet und das prächtigste Sattelzeug aufgelegt. Till brachte das so geschmückte Tier und der Ritter stieg unter Beifallsdonner und Hochrufen in den Sattel. Der Sohn des Stallmeisters strahlte noch immer über das ganze Gesicht, und Hardrich zog verwundert die Brauen zusammen. Es war ihm, als sähe er den Jungen zum ersten Mal. Er ritt zu den Richtern hinüber und empfing die purpurne Schärpe des Siegers, und ohne Widerwort überreichten ihm die Richter auch das gleichfarbige Ehrenzeichen für seine Dame. Er wendete sein Pferd und ritt auf die Tribüne zu. Gertraud blickte dem Mann in der glänzenden Rüstung entgegen und war so erfüllt von Liebe, Stolz und Freude, daß ihr Innerstes zu bersten drohte. Sie schlug die Hände vor die Brust, doch ihr jubelndes Herz wollte sich nicht beruhigen. Der Sieger kam heran. Er beugte sich zu seiner Frau hinunter, legte ihr die für sie bestimmte zweite rote Schärpe um die Schulter. Dann richtete er sich auf, betrachtete sie, versank einen Augenblick in fast ungläubigem Staunen und winkte schließlich Wichard heran. -2 8 3 -
Der Ritter reichte Gertraud seine Rechte. Sie setzte ihren Fuß in Wichards dargebotene Hände und Hardrich hob sie vor sich in den Sattel. Er zog sie mit seinem eisenbewehrtem Arm eng an sich. Mit einem glücklichen Lächeln sah die junge Frau auf Wichard herab und meinte, für einen winzigen Augenblick tiefe Traurigkeit und unsäglichen Schmerz in seinem Blick zu spüren. Im nächsten Moment aber erwiderte er ihr Lächeln jungenhaft, und ihr Eindruck verflog. Wichard riß die Arme in die Höhe und schrie: "Es lebe der Sieger und seine Königin!" Noch einmal brandeten Jubel und Beifall auf und der Ritter trieb sein Pferd im Trab an den Tribünen vorüber und durch die Menschenmenge zurück in den Burghof. Die Zuschauer verliefen sich langsam. Auf dem freien Feld um das Turniergelände herum lockten Stände und Belustigungen aller Art, und der verlockende Duft von über offenem Feuer Gebratenen lag in der Luft. Wichard blieb allein zurück. Nachdenklich sah von Trettin ihn aus einiger Entfernung mit hängenden Schultern und ganz in Gedanken versunken an der Brüstung der Tribüne stehen. Er ließ sich zwei Becher Wein geben und ging zu ihm hinüber. Beim Näherkommen sah er, daß der junge Mann seine Finger über das Holz gleiten ließ, an dem Gertrauds Hände vorhin Halt gesucht hatten. Von Trettin räusperte sich hörbar. Wichard schrak zusammen. "Was sitzt Ihr hier allein und blast Trübsinn? Laßt uns auf den glücklichen Ausgang des Turniers trinken! Er hat sich gut geschlagen, unser Herr von Aven", sagte von Trettin im Plauderton und reichte Wichard den Becher. Dieser zögerte einen Moment, seufzte dann und nahm ihm den Becher ab. "Ich trinke auf den Sieger... und seine Dame!", erwiderte -2 8 4 -
er nachdrücklich und stürzte den Wein hinunter. "Er hat es verdient. Er...", begann von Trettin vorsichtig. "Natürlich! Er verdient alles Glück der Welt und ich weiß, was ich ihm schuldig bin, keine Sorge, Herr", unterbrach Wichard ihn ungehalten und fuhr dann versöhnlicher fort, "Kommt! Ich sterbe vor Hunger und erst recht vor Durst. Laßt uns zu den Feuern gehen! Ach übrigens, Herr von Trettin, sagt mir doch bitte, habt Ihr nicht irgendwo noch eine solche Tochter versteckt?" Der Alte lachte hell auf, und gemeinsam begaben sie sich zu den Feiernden. Währenddessen wankte Hardrich völlig erschöpft die Treppen hinauf. Er trug noch immer den schweren Turnierpanzer. Hardrich hielt auf sein Zimmer zu, aber Gertraud zog ihn auf die andere Flurseite. "Laß uns in mein Zimmer gehen. Vielleicht kann man von dieser Seite das Feuerwerk nachher sehen?", bat sie. "Wer hat dir das verraten? Dieses Weibsstück wieder, was?", knurrte er, folgte ihr aber willig in die Tür. Stück für Stück entledigte er sich mit Gertrauds Hilfe der eisernen Rüstung. Hier einen Handschuh, da den Helm, dort die Beinschienen, er ließ alles gerade da fallen, wo er ging oder stand und warf sich endlich mit einem Seufzer auf Gertrauds Bett. Sie setzte sich dazu, und er bettete seinen Kopf mit einem erleichterten Stöhnen auf ihrem Schoß. Sie schlug die Decke um ihn, legte ihre kühlen Hände auf seine Schläfen und wollte noch etwas fragen, aber er war schon eingeschlafen. Als er erwachte, war es bereits dunkel. Er lag noch immer halb auf Gertrauds Leib und fühlte ihre Wärme und ihren Pulsschlag. Sie saß ans Kopfende des Bettes gelehnt und summte im Dunkeln leise eine Melodie vor sich hin. Seine Augen gewöhnten sich langsam an das -2 8 5 -
wenige Licht, das vom glimmenden Rest Feuer im Kamin schien. Er drehte sich auf den Rücken und betrachtete eine Weile still ihre Silhouette. Von draußen klangen gedämpft Stimmen und Musik zu ihnen herein. Er zog sie zu sich herunter und küßte sie. "Wie geht es dir, mein Herz?", fragte Gertraud endlich leise. "Gut", sagte er und streckte sich wohlig. "Und du hast Wichard zu mir geschickt, damit er mich auf dem Platz vertritt?", wollte er dann wissen und seine Stimme klang alles andere als amüsiert. "Ja", kam die Antwort, "Ich hatte solche Angst um dich! Und für Wichard wäre es eine Möglichkeit gewesen, seinen Fehler von gestern abend wieder gutzumachen" "Was heißt hier 'wäre', Frau?", erwiderte Hardrich streng. "Soll das bedeuten, er hat es wirklich getan? Er hat für dich gestritten?", fragte sie so überrascht, daß der Ritter lachen mußte. "Was? Du hast tatsächlich geglaubt, daß ich das war? Daß ich mich derart trottelig anstellen würde? Meine Lanze fallen lasse? Mir einen Sieg schenken lasse? Oh, Gertraud, das bricht mir das Herz!", sagte er mit gespielter Entrüstung. "Naja, ich nahm an, daß diese Schwäche darauf zurückzuführen sei, daß es dir nicht gut ging. Wie alle anderen sicherlich auch geglaubt haben. Außerdem hatte ich vorher noch nie das Vergnügen, dich in einem Turnier kämpfen zu sehen, sonst wäre mir sicherlich der gewaltige Unterschied zu deinem gewöhnlichen Gebaren sofort ins Auge gefallen, mein Held", antwortete sie mit feinem Spott. "Spätestens auf dem Osterturnier am Königshof wirst du Gelegenheit zu einem Vergleich bekommen. Und wehe, es fällt dir nichts auf!", entgegnete er gutgelaunt. -2 8 6 -
Er biß sie sanft in den Bauch und, sie balgten sich wie zwei Kinder in den Kissen bis Hardrich innehielt und fragte: "Was ist? Möchtest du noch einmal hinunter, um das Feuerwerk zu sehen?" "Oh, ja! Sehr gerne!", erwiderte Gertraud freudig. Wenig später verließen beide die Burg. Der Wind blähte ihre weiten Umhänge, und im Schein der leuchtenden Flammen glänzte das Rot der Schärpen darunter. Wohin sie kamen, verneigten sich die Menschen ehrerbietig. Hardrich entzündete eine Fackel und Hand in Hand stiegen sie langsam auf eine kleine Anhöhe am Rande des Geländes. Alle Blicke folgten dem jungen Paar. Der Ritter schwenkte die Fackel über seinem Kopf und warf diese dann in hohem Bogen in den Teich hinter sich. Auf den Zinnen der Burg sah man das Zeichen. Jemand bewegte eine Laterne hin und her. Hardrich stellte sich hinter Gertraud, umfing mit seinen starken Armen ihre Schultern und zog sie an sich. "Gleich geht es los", raunte er ihr ins Ohr. Kurz darauf schienen die Burgzinnen in einem überirdischen Licht zu erstrahlen. Rote, grüne und goldene Fontänen sprangen in die Höhe und ergossen sich wie flammende Wasserfälle über die Mauern zu ihnen herunter. Unzählige, mannshohe, silberfeurige Räder begannen sich am Fuße der Burg wie rasend zu drehen und beleuchteten fast taghell den Wall vor ihnen. Glitzernde Pfeile schossen, verkehrten Sternschnuppen gleich, mit glühendem Schweif gen Himmel und zerbarsten funkensprühend zwischen den Sternen. Zischend flogen immer neue Geschosse in den Nachthimmel über ihnen, um dort krachend aufzuspringen und in glitzernden Bildern zur Erde zurückzusinken. Kugeln, Blumen, Regenbogen. Die Luft war erfüllt von Sirren und Pfeifen, von Rauch und Schwefeldunst und von überwältigten Rufen der Zuschauer. -2 8 7 -
Gertraud brachte kein Wort heraus. Sie lehnte sich an ihren Mann, ergriff seine Hand und legte sie auf ihr Herz, das heftig schlug. Er vergrub sein Gesicht an ihrem Hals und flüsterte: "Schau! Das ist für dich, meine Lilie!" Mit einem gewaltigen Donnerschlag stiegen drei letzte Feuerpfeile gleichzeitig in die Höhe. Blau, rotbraun und weiß erschienen Bär und Lilie vor blauem Funkenregen am schwarzen Firmament, sanken herab und verwehten langsam im Dunkel der Nacht.
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