Heinz G. Francis
Die Stunde Null Rex Corda Band Nr. 1 Version 1.0
Die Stunde Null Der dritte Weltkrieg brach im Jahr...
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Heinz G. Francis
Die Stunde Null Rex Corda Band Nr. 1 Version 1.0
Die Stunde Null Der dritte Weltkrieg brach im Jahr 1972 aus. Unter den atomaren Schlägen erzitterte die Erde. Zurück blieb nur ein Trümmerfeld. Zwanzig Jahre danach ist in den Völkern unseres Planeten die Erinnerung an das Chaos der 70er Jahre immer noch wach. Um die atomare Vernichtung für alle Zeiten zu verhindern, versuchen sie, eine Weltregierung zu bilden. Aber die entscheidende Verhandlung scheitert. Enttäuscht verläßt der junge Senator Rex Corda, der Repräsentant der Vereinigten Staaten in der UNO, die Konferenz. Wenige Minuten sind erst vergangen, seit die Hoffnung der Menschheit auf Frieden zerstört wurde, als das Unfaßbare, das Unvorstellbare geschieht. Die Erde wird zum Schlachtfeld eines galaktischen Krieges. Alle politischen Probleme unseres Planeten werden mit einem Male bedeutungslos. Die Erde ist zwischen zwei gigantische Mühlsteine geraten, unter deren Gewalt sie zermalmt werden muß. Der Untergang der menschlichen Rasse steht drohend bevor. In dieser Situation, in der Stunde Null, behält nur einer die Nerven, versucht nur einer zu retten, was zu retten ist: REX CORDA. Lesen Sie hier, was in der Stunde Null geschah.
Die wichtigsten Personen: Rex Corda : John Haick : Bekoval : Ga-Venga : Will Rimson : Nukleon :
Senator der Vereinigten Staaten sein Freund, Atomwissenschaftler ein schiffbrüchiger Laktone ein Sprachgenie aus dem Kosmos ein Freund Rex Cordas der Hund Rimsons, ein Tier erstaunlichen Fähigkeiten
mit
*** »Gescheitert!« sagte Rex Corda. Er lächelte verbittert, als er dem entsetzten Blick des Negers begegnete. Er ließ sich in die weichen Polster des Sonnengleiters fallen. »Ich begreife nicht, Sir! Gescheitert? Das ist doch nicht möglich! Sir, Sie …« Rex Corda schüttelte energisch den Kopf. »Bring mich nach Washington! Es eilt!« befahl er knapp. Er wartete einige Augenblicke, während der Neger das Fahrzeug startete. Sirrend drehten sich die Turbo-Flügel unter den Verdichterzellen in Bug und Heck des langgestreckten Fahrzeugs. Sanft hob es sich ab und glitt mit ständig steigender Fahrt über das glitzernde Rund. Rex Corda sah ausdruckslos auf den gigantischen Trichter hinab, in dem vor zwanzig Jahren die Riesenstadt New York versunken war, als eine Wasserstoffbombe an dieser Stelle explodierte. Langsam wanderten seine Blicke zu dem neuerbauten, steil aufragenden Gebäude der UNO hinüber. Als Symbol der Hoffnung erhob es sich neben dem Trichter. »Sir, bitte, darf ich fragen, warum die Konferenz gescheitert ist?« würgte Hendro Rimmin mit erstickter Stimme. »Ich begreife das nicht! Alle wollten doch eine Regierung!« Wieder lachte der athletische Mann auf den Rücksitzen voller Bitternis und Enttäuschung auf. Seine kristallblauen Augen verdunkelten sich. »Ganz einfach, Hendro! Die Afrikaner wollten nicht! Sie ließen die Konferenz platzen. Sie sagten, sie hätten keine Lust, sich abermals versklaven zu lassen!« »Aber das ist… das ist…«, schnaubte der Neger atemlos. »Das ist doch Unsinn! Niemand wird versklavt werden!«
Jetzt lachte Rex Corda heller. Langsam schien er seine grenzenlose Enttäuschung zu überwinden. »Das ist auch nicht der wahre Grund der Afrikaner, Hendro! Ich vermute, daß sie die Produktion von A-Bomben wieder aufgenommen haben.« »Sir?« Das Gesicht des Negers wurde grau. Er sah über die Schulter zurück. Als er dem Blick aus den blauen Augen seines Chefs begegnete, erschauerte er. Rex Corda lächelte. »Das wäre das Ende, Sir!« stammelte der Fahrer. Er konnte sich diese Diskussion leisten. Hendro Rimmin war nicht nur der Fahrer des Senators, er galt auch als dessen enger Freund. »Das Ende?« Corda seufzte. »Du übertreibst! Es wird eben nur eine Macht auf der Erde geben – die Afrikaner!« Der Neger am Steuer des Luftgleiters schüttelte den Kopf. Er wußte, daß Rex Corda es nicht so meinte, wie er es sagte. Wenn die Afrikanischen Staaten tatsächlich die Macht über die ganze Welt an sich reißen würden, dann käme es zu fürchterlichen Kämpfen im Untergrund. Die Menschheit hatte keine Lehren aus dem Krieg gezogen! Der Krieg war zu schnell vorbei gewesen. Es war gar nicht erst zu einem atomaren Gegenschlag der Vereinigten Staaten von Nordamerika gekommen. Nur fünf Bomben mit relativ geringer Sprengkraft fielen auf den nordamerikanischen Kontinent. Die anderen Raketen hatten die Amerikaner noch über dem Atlantik und über dem Pazifik abfangen können – dann gelang es, die totale Vernichtung der Erde aufzuhalten. Der »Heiße Draht« bewährte sich auch noch in dieser Sekunde. Mit einem Schlage schien den Verantwortlichen voll bewußt zu werden, wie nahe das absolute Ende der Menschheit gewesen war. Die Vernunft setzte sich durch. Danach kam die totale Abrüstung. Der Traum der Menschheit schien sich zu erfüllen. Aber jetzt – zwanzig Jahre nach dem Krieg – war die Erkenntnis von damals wieder in Vergessenheit geraten. Die
Vereinigten Staaten der Republic Africaine drängten sich ehrgeizig in den Vordergrund. Ihre Vertreter verweigerten in letzter Sekunde die Zustimmung zur Bildung einer Weltregierung. Rex Corda vermutete, daß die Afrikaner als erste wieder atomare Waffen besitzen würden. Unweigerlich würden die anderen Staaten dem gefährlichen Beispiel folgen. Das nukleare Schwert der Menschheitsvernichtung erhob sich wieder über der Erde! »Sir!« schrie Hendro Rimmin. Rex Corda schreckte verstört auf. Der Neger zeigte mit bebender Hand auf das Armaturenbrett, auf dem ein faustgroßes, grünes Licht flackerte. »Atomalarm! Sir! Die Afrikaner greifen an!« Rex Corda war für einen Augenblick wie versteinert. Unwillkürlich richtete er seine Blicke zum Himmel. Von dort mußte das Inferno der heranstürmenden Raketen kommen. Dann sah er es! Cordas Hand krallte sich in die Schulter Rimmins. Der Neger zuckte zusammen. Seine schwarzen Finger glitten über die gelbe Transparentleiste. Augenblicklich wurde das Dach durchsichtig. Corda erschauerte. Ungläubig starrte er in den Himmel hinauf. Unzählige silberne Pfeile jagten über den blauen Horizont. Sie stürzten herab. Von Sekunde zu Sekunde wurden die schlanken, metallglitzernden Stäbchen größer. Corda wischte sich über die Augen. Dann sah er Hendro Rimmin an. Für einen Augenblick hoffte er, der Freund sei auf einen scheußlichen Scherz verfallen. Mit einem kleinen Trick war es durchaus möglich, das Dach eines Sonnengleiters als Bildschirm zu präparieren. Doch der Neger war aschgrau unter den zuckenden Brauen. Unzählige Schweißperlen glitzerten auf seinen Wangen. »Das sind keine Atomraketen, Sir! Das sind Raumschiffe!«
keuchte er. »Millionen Raumschiffe!« Im gleichen Augenblick begann der Gleiter zu schwanken. Die aufgewühlten Luftmassen griffen nach dem Fahrzeug. Rex Corda ruckte wieder vor. Jetzt faßte er mit beiden Händen nach den Schultern des Fahrers. »Höchstgeschwindigkeit, Hendro! Ich muß sofort nach Washington!« Der Neger wandte sich um. Er begegnete dem Blick der klaren, blauen Augen Cordas. Ein nervöses Zucken lief über das Gesicht Rimmins. Es schien, als ob er sein eigenes Ich unter dem Blick des Senators opfern müsse. Ein fremder Wille schien nach seinem Geist zu greifen. Seine schwarze Hand tastete nach seiner Kehle. »Es ist kein Trick, Sir«, stammelte er. »Es ist eine Invasion!« »Ich sagte Washington, Hendro!« »Jawohl, Sir«, murmelte der Pilot. Er beugte sich über das Steuerpult des Fahrzeugs und aktivierte sämtliche Sonnenbatterien. Die Turboprops jaulten kurz auf, dann übernahmen die lärmschluckenden Absaugfelder die überschüssigen Energien und führten sie den starken Motoren zu. Der Sonnengleiter beschleunigte scharf. Gleichzeitig zog ihn Henro Rimmin bis auf unmittelbare Bodennähe hinunter. Rex Corda legte den Kopf in den Nacken zurück. Es gab keinen Zweifel mehr! Eine gigantische Flotte von Raumschiffen näherte sich mit unheimlicher Geschwindigkeit der Erde. Es mochten Zehntausende sein. Alle hatten Raketenform, trugen aber sehr unterschiedliche Farben. Ein gigantisches Schauspiel rollte über dem amerikanischen Kontinent ab. In anderer Situation hätte Rex Corda es vielleicht als schön empfunden. Jetzt beherrschte der Eindruck der drohenden Katastrophe sein Bewußtsein. Blitzschnell entschied er sich zu handeln. Cordas Hand glitt zu dem kleinen Videophon. Er wählte die direkte Verbindung mit Washington. Als Vorsitzender des
Verteidigungsrates hatte er das Privileg, immer und unter allen Umständen direkt mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten sprechen zu können. Jetzt machte er Gebrauch davon! In Sekunden mußte entschieden werden, ob das amerikanische Verteidigungspotential aufgeboten werden sollte! Rex Corda war entschlossen, dem Präsidenten Zurückhaltung zu empfehlen. Es hatte keinen Sinn, gegen diese gigantische Flotte aus dem All mit einigen konventionell bestückten Raketenbasen anzukämpfen! So sehr der Senator sich auch bemühte, die Verbindung kam nicht zustande! Der Bildschirm erhellte sich zwar augenblicklich, aber nur unentwirrbare Farbfetzen flatterten über die Glasplastikscheibe. Aus den Lautsprechern tönte lediglich eintöniges, schrilles Rauschen. Rex Corda drehte fieberhaft an der Wählscheibe. Wieder und wieder versuchte er es. Exakt tastete er die möglichen Frequenzen ab. Eingehend überprüfte er das Gerät auf seine Funktionstüchtigkeit. Es war alles in Ordnung, aber er bekam einfach keine Verbindung. Er probierte die allgemeinen Frequenzen aus, auf denen die Nachrichten gesendet wurden. Umsonst. Das Videophon blieb ohne Leben, die Sendungen mußten von superstarken Störungen verzerrt werden. Der Sonnengleiter raste jetzt mit fast siebenhundert Stundenkilometern nach Süden auf Washington zu. Rex Corda klammerte sich an die Polster. Seine blauen Augen starrten unverwandt in den Himmel hinauf. Jetzt war schon fast kein Blau mehr zu erkennen. Ein unübersehbares Heer von Raumschiffen senkte sich herab. Die flammenden Düsen der blitzenden Pfeile überschwemmten das gesamte Himmelsgewölbe und erfüllten es mit blutigem Rot und braungelben Rauchschwaden. Immer wieder peitschten kerzenförmige Glutwellen senkrecht zur Erde herab. Hendro Rimmin, der Fahrer des Sonnengleiters, kämpfte
verbissen um die Flugstabilität des Fahrzeugs. Die scharfen Böen packten gierig nach dem Gleiter. Nur der phantastischen Geschicklichkeit des Piloten war es zu verdanken, daß das Fahrzeug nicht gegen den Boden geschleudert wurde. »Es hat keinen Zweck, Hendro!« rief Rex Corda, als sie schon auf der Höhe von Philadelphia waren. »Wir erreichen Washington nicht mehr!« Der Neger setzte die Fahrt scharf herab. Mit zitternder Hand deutete er auf sieben Raumschiffe, die mit flammenden Heckdüsen zwischen ihnen und Washington herabkamen. Das Land vor ihnen versank in brodelnder Glut und schmutzigem Rauch. Die Raumschiffe landeten. Heiße Feuerzungen bissen sich in die Wälder und entzündeten sie. Doch die Flammen erloschen überraschenderweise sofort wieder. Gewaltige Landestreben mit weit ausladenden Landetellern klappten aus den blitzenden Leibern und patschten dröhnend auf das Land. Hendro Rimmin stöhnte. Jetzt schwebte der Sonnengleiter auf der Stelle. Er schwankte und taumelte hilflos in der orkanartig tobenden Luft. Der Neger schien nur noch instinktiv zu steuern. Er konnte seine Augen nicht von dem unfaßbaren Schauspiel reißen. Wohin er auch sah – überall senkten sich Raumschiffe herab, richteten sich die flammenden Hecks der blitzenden Giganten gegen den Boden. Der Verteidigungsexperte Rex Corda saß ebenso fassungslos auf seinem Sitz wie der Geheimagent, der als sein Leibwächter fungierte. Beide starrten auf das unglaubliche Bild, das sich ihnen bot. Wohin sie auch sahen, überall landeten die metallenen Ungetüme. Raumschiffe! Rex erkannte Schriftzeichen auf den gigantischen Leibern, die er vorher nie gesehen hatte. Eine Invasion fremder Lebewesen auf der Erde! Das Unfaßbare, das Unglaubliche geschah!
In einem Augenblick größter Gefahr für die Erde erschien eine Macht, die mit einem Schlage alle Diskussionen um die Vereinigung aller Staaten der Erde überflüssig machte. Rex Corda verkrampfte die Hände ineinander. Er fühlte, daß kalter Schweiß auf seiner Stirn klebte. Einen Augenblick lang drängte sich ihm die Vorstellung auf, jemand könne es wagen, sich militärisch gegen diese Flotte zu erheben. Er fühlte, wie Schwindel ihn überfiel. Eine lähmende Kraft schien gleichzeitig nach seinem Hirn zu greifen. Dumpfer Schmerz kroch in ihm herauf. Er merkte plötzlich, wie er mit ständig sinkender Beteiligung auf die Raumschiffe sah. Die Umwelt schien ihm zu entgleiten, das Bild in seinen Augen schien kleiner und kleiner zu werden, es schien vor ihm zu flüchten. Mit dem letzten Funken der Vernunft und der Erkenntnis stemmte er sich gegen die unheilvolle Entwicklung. Er entriß sich der Erscheinung, er bäumte sich auf und drängte alles von sich, was nicht seinem eigenen Ich entsprach. Er fühlte, wie sich das Fremde von ihm entfernte. Als es ihm gelang, mit klaren, bewußten Augen zu sehen, bohrte sich der Bug des Sonnengleiters knirschend in den trockenen Boden eines abgeernteten Kornfeldes. Hendro Rimmin, sein Leibwächter, hing bewußtlos über den Steuerelementen. Sein Atem ging röchelnd und fremd, als ob es nicht er selbst sei, der den Sauerstoff in sich hineinsog Rex Corda flog unter dem Aufprall des Landemanövers nach vorn und landete weich in den sich aufblähenden Pneumos der Vordersitze. Ächzend kroch der junge Senator aus dem Fahrzeug. Doch er entfernte sich nicht von ihm. Er klammerte sich mit ganzer Kraft an die Tür, um nicht von dem Orkan hinweggerissen zu werden. Die Kehle schien sich ihm zuzuschnüren; beißende Trockenheit würgte seinen Hals, und schmerzende
Farbenwirbel brachen sich in seinen Augen. Corda sah ein, daß er sich Rimmin so nicht nähern konnte. Sie mußten im Gleiter ausharren, bis sich die aufgewühlte Luft wieder beruhigt hatte. Während er sich in den Gleiter zurückzog, fühlte er wieder den bohrenden Einfluß des Fremden, das ihn lähmen wollte. Aber wieder gelang es seiner klaren Persönlichkeit, es abzuwehren. Aus weiten, ungläubigen Augen sah er auf das Schauspiel, das sich ihm bot. Mehrere hundert Raumschiffe, raketenförmig wie die Treibsätze jener Flugkörper, die die NASA einst gestartet hatte, landeten gleichzeitig. Rex Corda hatte sich oft mit der Möglichkeit einer Invasion aus dem All beschäftigt. Doch nie hatte er eine Vorstellung davon gewinnen können, was wirklich geschehen konnte. Er hatte nie daran gedacht, welch einen Lärm mehrere hundert Raumschiffe dieser Dimensionen zwangsläufig machen mußten. Jetzt fand er sich zusammengekrümmt zwischen den Polstern des luxuriösen Luftfahrzeugs, die Hände auf die schmerzenden Ohren gepreßt, lautlose Worte auf den zuckenden Lippen, sämtliche Muskeln wie im Krampf gespannt. Dennoch war sein Geist im Grunde kühl und klar. Rex Corda hatte keine Angst vor dem, was aus dem Weltraum herunterkam. Es war allein sein Körper, der sich gegen das Chaos stemmte, der einfach überleben wollte. Zwei Persönlichkeiten schienen in ihm zu wohnen. Eine, die allein für den Körper verantwortlich war, und eine andere, die nur den Intellekt benötigte und ihn ausschöpfte. Als die meisten Schiffe in seiner Nähe zur Ruhe gekommen waren, warf sich der junge Senator über die Lehnen der Vordersitze. Er zerrte Hendro Rimmin zur Seite, aktivierte die von der Automatik abgeschalteten Maschinensätze und startete. In den folgenden Minuten bewies er seine außerordentlichen
Fähigkeiten als Pilot eines Sonnengleiters. Die aufgewühlte Natur verlangte jetzt noch weit größere Fähigkeiten am Steuer als vorher. Es gelang Rex Corda, den Gleiter dicht über dem Boden zu halten, wo ihm jede kleine Erhöhung, jede Böschung Schutz gewährte. Mit verbissener Zielstrebigkeit trieb er den Gleiter voran. Zunächst in Richtung Atlantic City, wo er ein Landhaus besaß. Er hoffte, von dort mit dem Präsidenten der USA Verbindung aufnehmen zu können, um mit ihm weitere Schritte abstimmen zu können. Mit Sicherheit war jetzt die atomare Bedrohung durch irdische Mächte beseitigt. Corda hielt sich ständig in einigen Kilometern Entfernung von den gelandeten Raumschiffen, die an weit verstreuten Punkten des Landes herabgekommen waren. Er hatte den Eindruck, daß die Flotte den nordamerikanischen Kontinent mit einem weiten Netz überzogen hatte, aus dem es kein Entschlüpfen mehr gab. Plötzlich wurde er sich der ungeheuren Bedrohung voll bewußt, fühlte aber dennoch keine Angst. Allmählich kam die Luft zur Ruhe. Langsam wurde es wieder leichter, den Gleiter zu steuern. Corda konnte die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges erheblich steigern. Doch alle Versuche, über Videophon Verbindung mit Washington aufzunehmen, scheiterten immer wieder. Hendro Rimmin regte sich nicht. Corda untersuchte ihn flüchtig, soweit dies während des Fluges möglich war. Er konnte keine äußeren Verletzungen erkennen. Hatte das Fremde den Neger überwältigt? * Der feuerrote Raumkoloß stand im Zentrum der sorgfältig gepflegten Parkanlage. Die weit ausladenden Landeteller hatten den Rasen zermalmt. Die Düsenflammen hatten von den
Rosenbeeten nichts übriggelassen. Der Orkan hatte das Landhaus abgedeckt. Rex Corda entdeckte das Dach seines Hauses schließlich zwischen den Bäumen an einem nahen Teich. Corda fand seinen Besitz in völlig verwüstetem Zustand wieder, als er knapp zwanzig Minuten nach der Landung dieses Raumschiffes eintraf. Er setzte den Sonnengleiter ab. Flüchtig sah er nach dem Agenten Rimmin. Der Neger lebte, lag aber in tiefster Bewußtlosigkeit. Wieder dachte Corda an das Fremde, das auch ihn lähmen wollte. Besaß er etwas Besonderes, daß er dem Einfluß widerstand? Lag nur Hendro Rimmin in Bewußtlosigkeit – oder schlief jetzt die gesamte Bevölkerung des nordamerikanischen Kontinents unter dem Druck des Fremden? Unsicher sah Corda zu dem Raumgiganten hinüber, der mitten im Park gelandet war. Er beobachtete, daß die Landeteller des Metallkolosses ganz langsam in den harten Boden einsanken. Dieser Anblick erschien ihm einfach unfaßbar. Doch dann hoben sich seine Augen, folgten dem roten Leib des Raumschiffes bis in die Wolken empor. Unwillkürlich stöhnte der Senator. Wenn das Raumschiff die Wolken erreichte, dann bedeutete das, daß es mindestens viertausend Meter in die Höhe ragte! Jetzt wunderte Rex sich nur, weshalb diese ungeheure Masse nicht einfach im Boden versank. Über welch eine Technik mußten die Fremden verfügen, um eine solche Masse so elegant steuern zu können, wie sie es bei der Landung des Raumers getan hatten. Es gelang Rex Corda nicht annähernd, sich vorzustellen, welche Energiemengen notwendig sein mußten, um diesen Giganten wieder ins All hinaufzuschleudern. In dem schwarzen Aschemeer, das sich unter dem Raumschiff dehnte, bewegten sich einige Metallkörper. Sie
hatten humanoide Form. Rex Corda vermutete, daß es sich um Roboter handelte. Plötzlich wirbelte er auf dem Absatz herum. Eine schlanke Gestalt brach aus dem Gebüsch hinter ihm hervor. Rex Corda zuckte zusammen. Unwillkürlich griff er nach Hendro Rimmin, bei dem er schußbereite Waffen wußte. »Rex!« keuchte die Gestalt. Sie taumelte auf ihn zu. Corda sah helle Augen in einem verschmutzten, rußbedeckten Gesicht. »John!« Er lief auf den Freund zu, packte ihn bei den Schultern und stützte ihn. »John – ich hätte dich fast nicht erkannt!« Er führte den jungen Wissenschaftler zu dem Gleiter und schob ihn auf die Polster der hinteren Sitzbank. Aus der Bar brachte er eine Flasche Soda hervor. John Haick trank hastig, spülte sich den Mund aus und schüttete sich das restliche Wasser ins Gesicht. Damit konnte er die Asche nicht ganz entfernen, er verrieb sie nur noch mehr. John grinste den Senator in seiner jungenhaften Art an. »Das ist die verrückteste Situation, Rex, die ich jemals erlebt habe!« sagte er. Er drehte sich um und wies auf die gelandeten Raumschiffe. »Ich habe keine Angst vor diesen Leuten, obwohl die Art, wie sie gelandet sind, nicht gerade auf Feinfühligkeit hinweist. Ich finde einfach alles verrückt!« Rex Corda hob eine Whiskyflasche aus der Bar und trank einen kleinen Schluck. Das munterte ihn auf. Interessiert beobachtete er, daß John dem Fremden offensichtlich nicht unterlag. »Was ist mit ihm?« fragte John. Er zeigte auf den bewußtlosen Neger. Rex Corda erklärte es ihm und sagte auch, welche Vermutungen er hegte. Er war kaum überrascht, als John Haick mit ernstem Gesicht nickte. »Ich selbst wäre fast auf die Nase geflogen«, berichtete John.
»Aber dann wurde mir klar, daß etwas nicht stimmte. Danach wurde es besser. Jetzt merke ich überhaupt nichts mehr!« Rex Corda nickte. Er drehte sich um und sah zu seinem zerstörten Haus hinüber. Sein Herz verkrampfte sich. John Haick lachte leise. »Findest du das wichtig?« fragte er. »Was bedeutet schon dein Haus angesichts dieser Invasion!« Corda zog den Freund an sich. »Laß uns hinübergehen, bevor die Fremden uns schnappen, John! Mein Bruder muß dort sein!« Zu seinem Entsetzen schüttelte John Haick den Kopf. »Kim ist nicht hier, Rex! Walter Beckett hat heute einen Kurier geschickt und Kim nach Miami holen lassen. Er scheint es gefunden zu haben. Der Kurier sagte auch etwas von Velda!« Rex Corda erbleichte. Wenn sein Bruder und seine Schwester zu Beckett gerufen wurden, dann bedeutete das, daß der alte Wissenschaftler eine ungeheure Entdeckung gemacht hatte. Der Physiker hatte die wissenschaftliche Sensation bereits angekündigt. Aber Beckett lehnte jede schriftliche Fassung des Geheimnisses ab. Um ganz sicher zu gehen, daß sein Wissen so weitergeleitet wurde, wie er es wollte, verteilte er es auf drei Träger – auf Kim, Velda und Rex Corda. Der junge Senator verfügte bereits über einen Teil der Informationen. Walter Beckett hatte sie ihm mitgeteilt, als Rex in Hypnose lag. Rex Corda selbst wußte nicht, welche Teilinformation in seinem Gehirn lag. Es würde ihm und einem anderen auch nicht gelingen, dieses Wissen an die Oberfläche zu bringen, wenn nicht bestimmte andere Vorschriften beachtet wurden. Dazu gehörte, daß die drei Geschwister an einem Ort sein mußten und ihre Informationen gleichzeitig abgeben konnten. Kim und Velda sollten die letzten Informationen erst dann erhalten, wenn sich die kühne Idee des alten Wissenschaftlers
tatsächlich so verwirklichen ließ, wie er gehofft hatte. Walter Beckett hatte sein Ziel erreicht! In einem Augenblick, in dem seine Entdeckung unter der Wucht der Ereignisse untergehen mußte. Rex Corda richtete sich etwas auf, stützte die Hand auf das Dach des Sonnengleiters und spähte zu dem Koloß hinüber, der mitten in dem verkohlten Park stand. Er sah noch mehr Roboter, die ausschwärmten und einen weiten Kreis um das Schiff bildeten. Mehrere drangen gerade jetzt in das Landhaus ein. Hendro Rimmin, der Neger, begann sich zu regen. John Haick kramte in seinen Taschen. Er holte eine Zigarettenschachtel hervor und bot an. Rex Corda steckte sich eine an. Er inhalierte tief. Er hörte den Agenten leise fluchen. Rimmin schien es besonders schwer zu haben, sich in der neuen Umgebung zurecht zu finden. Jetzt beugte der Senator sich über ihn und zog ihm die gedrungene Pistole aus dem Gürtel, um sie sich selbst einzustecken. Aus dem Heck des Schiffes klappte ein hohes Metallband heraus. Es senkte sich bis auf den verkohlten Rasen herab. Eine Luke, gefüllt mit gelbem Licht, öffnete sich. Der Senator entdeckte mehrere schlanke Gestalten. Sie waren jedoch zu weit von ihm entfernt, um Einzelheiten erkennen zu können. Rex seufzte, schlug mit der flachen Hand leicht auf das Dach des Gleiters – und ging auf das Raumschiff zu. Er wollte versuchen, an einer der Landestreben vorbei zu seinem Landhaus zu kommen. Er hoffte, daß die Roboter ihn vorbeiließen. Nichts änderte sich bei dem Raumschiff, während Rex Corda bis auf knapp hundert Meter an den Fuß der Metallzunge herankam, die zum Boden herabführte. John Haick stiefelte murrend hinter ihm drein. »Du bist verrückt, Rex! Du setzt dein Leben aufs Spiel!«
Senator Corda schüttelte stumm den Kopf. Entschlossen ging er auf sein Landhaus zu, näher und näher kam er den stillen Figuren der silbern blitzenden Roboter. Jetzt konnte Corda erkennen, daß die Maschinen doch keine vollendet menschliche Gestalt hatten. Sie besaßen keinen Kopf. Die Extremitäten kamen aus einem zylindrischen Körper, an dessen oberer Kante eine Reihe von Linsen funkelte. Der nächste Roboter stand genau in dem Weg zum Landhaus. In der offenen Luke des Hecks bewegten sich drei Gestalten. Rex Corda blieb stehen. Er beobachtete den Roboter, der jetzt kaum dreißig Schritte von ihm stand. Die Arme der Maschine hingen reglos an den Seiten des Zylinders herab. Rex Corda konnte erkennen, daß der Rumpf an der Vorderseite abgeflacht war. Unter dem Kranz der optischen Linsen öffneten sich mehrere Gitterspalten. Eine graue Schrift zog sich quer über die metallene Brust. »Du solltest jetzt nicht weitergehen, Rex!« mahnte John Haick, der ihm bis jetzt still gefolgt war. »Es ist zu gefährlich! Die Fremden sind wahrscheinlich genauso nervös wie wir!« »Ich bin nicht nervös!« John lachte unsicher. »Aber ich!« Senator Corda schmunzelte. Seine kühlen Augen leuchteten warm auf. »Ich glaube nicht, daß sie uns über den Haufen schießen, John! Das wäre doch sinnlos!« »Was willst du von ihnen? Es führt doch zu nichts, wenn du jetzt hier herumläufst! Glaubst du, sie werden in Tränen ausbrechen, wenn du ihnen klarmachst, welchen Schaden sie hier angerichtet haben?« Rex Corda setzte sich wieder in Bewegung. Er wollte mit den Fremden sprechen. Er mußte alles tun, was in seiner Macht stand, um eine mögliche militärische Auseinandersetzung zu
verhindern. Als er sich bis auf fünf Schritte an den Roboter herangekämpft hatte, Staub und Ruß mißachtend, ruckte der rechte Arm des Roboters hoch. Senator Corda sah etwas Helles zwischen den metallenen Fingern aufleuchten. »Dieser Bezirk ist für Sie gesperrt«, sagte der Roboter in klarem, gut verständlichem Englisch. Rex Corda blieb verblüfft stehen. Seine Augen weiteten sich. Er hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit, in seiner eigenen Sprache angeredet zu werden. John Haick räusperte sich. Der Physiker schien weniger überrascht. »Damit mußten wir rechnen!« »Womit?« fragte Corda nervös. »Mir scheint, deine Ruhe ist verflogen«, grinste der Wissenschaftler. Es schien, daß ihn jetzt wirklich nichts mehr aus der Ruhe bringen konnte. Er machte einen absolut ruhigen und selbstsicheren Eindruck. Seine größte Sorge galt nur dem Senator. »Mach keine Witze, John!« »Na gut, Rex! Du wirst es hinnehmen müssen, daß die Fremden jetzt nichts von dir wissen wollen. Du wirst akzeptieren müssen, daß sie technisch ein wenig mehr können als wir. Auch wir sind schon in der Lage, einem Computer perfekte Kenntnisse einer Sprache zu vermitteln. Sie brauchten nur unsere Radiosendungen abzuhören, um ihre Computer ebenfalls über unsere Sprache zu informieren. Hier ist also nichts geschehen, was dich umwerfen könnte!« Rex Corda winkte unwillig ab. Er wollte jetzt keine langen Erklärungen haben. Er wollte mit dem Fremden sprechen. »Ich muß mit deinen Herren sprechen!« sagte er zu dem Roboter. »Dieser Bezirk ist für Sie gesperrt!« wiederholte die Maschine. Ihre Stimme klang rein und moduliert.
»Das ist mir allmählich klar«, seufzte Corda. Er fühlte, wie auch von ihm die Spannung wich. »Trotzdem will ich mit euch sprechen! Mir gehört dieser Bezirk!« »Gehen Sie weg!« Corda biß sich auf die Lippen. Hilflos sah er John Haick an. Der Wissenschaftler zuckte die Achseln. Er lächelte dünn. »Man will nicht mit dir reden, Rex! Akzeptiere das! Laß die anderen doch zu dir kommen! Wäre das nicht der richtigere Weg?« Rex Corda legte den Kopf in den Nacken. Langsam wanderten seine Blicke an der ungeheuren Stahlwand in die Höhe. John Haick sah, daß er sich auf die Lippen biß. Er griff nach dem Arm des Freundes und wies auf die Schleuse. Dort setzten sich jetzt die drei Gestalten in Bewegung. Sie traten auf die heruntergeklappte Metallzunge. Eine Rolltreppe trug sie hinunter auf den verbrannten Boden. Corda atmete schwer. Er war überzeugt davon, daß die Fremden sich jetzt zu ihnen wenden würden. Sie mußten doch bemerkt haben, was geschah. Mit brennenden Augen sah er zu den drei Fremden hinüber. Jetzt erreichten sie den Boden. Ein Roboter kam ihnen entgegen. Er saugte Schmutz und Asche vom Boden auf. Er führte eine flache Scheibe, die wie ein Staubsauger funktionierte, über die Erde. Summend schuf das Gerät einen schmalen, sauberen Pfad für die Männer zum Landhaus hinüber. Die Fremden gingen hintereinander. Voran ging ein hochgewachsener Mann, dessen Haltung Arroganz ausdrückte. Er trug einen leuchtend roten Schal über der nachtblauen Kombination und metallisch blitzende Stiefel. Ein breiter, weißer Gurt spannte sich um seine Hüften. Auf seiner Schulter glühten Edelsteine. Die beiden Männer hinter ihm stachen nicht so ins Auge. Sie waren kleiner, sie bewegten sich nicht so lässig und elegant zugleich, und sie trugen keine
Edelsteine auf den Schultern. Dafür schimmerten an den Außenseiten ihrer Beine goldene und rote Zeichen, die sehr gut militärische Auszeichnungen sein konnten. Die beiden Männer sahen sich atemlos an. Plötzlich wurde ihnen bewußt, daß sie instinktiv mit menschenähnlichen Gestalten gerechnet hatten. Diese drei Wesen sahen auf den ersten Blick genauso aus wie andere auf der Erde geborene Menschen. Hätten aber nicht auch andere Intelligenzen mit ganz anderer Gestalt erscheinen können? Weshalb flüchteten sie nicht einfach? fragte sich John Haick. Wäre es nicht viel natürlicher gewesen, angesichts dieses riesigen Raumschiffes und der Roboter panikerfüllt zu fliehen? Langsam ballte Rex Corda die Fäuste. Die drei Fremden schienen die beiden Männer nicht zu bemerken. Der Fremde mit dem roten Schal sah sich um, aber seine Blicke glitten nur über das verbrannte Land. Corda und Haick sah er keine Sekunde lang an. »Sie ignorieren uns!« sagte John. Er strich sich mit einer müden Geste das weiche Haar aus der Stirn. »Wir sollten gehen!« Corda fuhr auf den Hacken herum. Er ging mit schnellen, stolzen Schritten zu seinem Sonnengleiter zurück. Hendro Rimmin lehnte mit einem zornigen Lächeln auf den dunklen Lippen an dem Cadillac-Gleiter. Er stellte keine Fragen, weil es keine gab. Rimmin stellte nie überflüssige Fragen. Aber er zeigte seinen Zorn über die Demütigung, die der junge Senator, der zu den einflußreichsten Persönlichkeiten der Vereinigten Staaten gehörte, hingenommen hatte. »Zur Protectopolis-Station M 31!« befahl Rex Corda. Er hielt seinem Freund die Tür auf und ließ ihn zuerst einsteigen. Dem Raumschiff warf er jetzt keinen Blick mehr zu. Es schien für ihn nicht mehr zu existieren.
* Protectopolis-Station M 31 bot einem Teil der nordamerikanischen Bevölkerung wirksamen Schutz vor einem möglichen Atomangriff. Protectopolis umfaßte ein weitläufiges Tunnelsystem, in das sich die Bevölkerung flüchten konnte. Das Schutzsystem hatte sich im Bereich New Yorks jedoch überraschend als nicht ausreichend erwiesen, nachdem es innerhalb der Energieversorgung zu unkontrollierten nuklearen Prozessen gekommen war, als eine Wasserstoffbombe mitten in den Straßenschluchten von Manhattan explodierte. Eine zweite Bombe war in der Nähe von Atlantic City gefallen und hatte auch hier den Boden tief aufgerissen. Protectopolis-Station M 31 stellte einen Tunnelabschnitt von insgesamt 37 Kilometern Länge dar. Das weitverzweigte System schloß sich nach allen Seiten hin ab. Nur eine einzige Verbindung gab es nach Westen. Ein Tunnel zog sich tief unter der Oberfläche durch das Gestein. Seine Existenz war jedoch nur wenigen Männern bekannt. Die im Norden und Süden gefallenen Bomben hatten die Erdoberfläche zerschmolzen und bizarr geformte, schillernde Pfropfen vor die Ausgänge gesetzt. In Protectopolis-Station M 31 lagerten nicht nur ausreichende Lebensmittelvorräte; in einem geheimen Nebentunnel verbarg sich das auf Mikrorollen aufgezeichnete Wissen der Menschheit. Eine wahrscheinlich wertvolle Beute auch für ein raumfahrendes Volk. Senator Rex Corda hatte keine Schwierigkeiten, als er sich mit seinem Gleiter dem Haupteingang näherte. Die Posten, die den Eingang bewachten, ließen ihn sofort durch. Sie alarmierten einen Sergeanten, der eilig vor dem Gleiter herlief, um Hendro Rimmin den Weg zu zeigen. Die Offiziere, die für die Anlage verantwortlich waren, hatten einige Änderungen schaffen müssen, um den Andrang der Flüchtlinge bewältigen zu können. Sie hatten einen kleinen
Nebeneingang gegraben, durch den Rex Corda jetzt in die Anlage geschleust wurde. Der Gleiter paßte gerade durch den roh verschlagenen Gang. Rimmin schaltete die Scheinwerfer ein, um besser sehen zu können. Als sie aus dem Schacht tauchten, wuchs die imposante Gestalt General Jake Dingels vor ihnen auf. Der Offizier stand mit gespreizten Beinen in einer kleinen Grotte. Er stützte die Fäuste in die Taille und starrte ihnen wie zum Kampf bereit entgegen. Die braune Stirnglatze glitzerte unter dem dichten Schweiß. Mit harten Schritten trat der General an den Gleiter heran, als Corda ausstieg. »Ich hatte gehofft, daß Sie kommen, Sir! Sie werden dringend aus Washington verlangt! Der Präsident will Sie sprechen!« Senator Corda drückte dem General flüchtig die Hand. Dann eilte er neben ihm durch die Gänge zu dem Raum, von dem aus General Dingel Protectopolis leitete. Rex ließ sich in einen der tiefen Ledersessel sinken »Geben Sie mir einen knappen Überblick, General!« bat er. Er zündete sich eine Zigarette an. In diesem Augenblick betrat Sam McClude den Raum. Der Biologe lächelte erleichtert, als er den Senator sah. Er reichte ihm die Hand. »Ich bin froh, daß du gekommen bist, Rex«, sagte er. »Ich habe mir Sorgen gemacht, nachdem ich nichts von dir hörte. Wie sah es in der UNO aus?« »Die Konferenz ist geplatzt! Wir sind zu keiner Einigung gekommen, weil die Afrikaner Sonderrechte innerhalb der Atomwaffenkontrollen verlangten!« »Das ist keineswegs überraschend«, knurrte der General. Grimmig schlug er die Faust auf die Schreibtischplatte. »Wußten Sie, Sir, daß es über Afrika zu Kämpfen gekommen ist?« »Nein! Erzählen Sie!«
»Es gibt nicht viel zu erzählen, Sir! Die Organisation Africain besaß Atomwaffen!« berichtete der General mit gedämpfter Stimme, in der verhaltener Zorn mitklang. Seine Hände öffneten und schlossen sich ständig. Rex Corda sah den Offizier erblassend an. Seine Lippen zuckten. Der Schock trieb ihm den Schweiß auf die Stirn! Jetzt verstand er plötzlich alles. Jetzt wußte er, warum die Konferenz gescheitert war. Die Organisation Africaine hatte ein ungeheuerliches Spiel gewagt. »Weiter!« forderte er erregt. »Es gibt nicht viel zu berichten. Die Afrikaner schossen die Raketen ab. Es kam zu einigen Explosionen, die offensichtlich keinen Schaden anrichteten. Dann schlugen die Fremden zurück. Kairo existiert nicht mehr. Sie haben es mit einem Schlag vernichtet! Das war die letzte Nachricht, die wir über Funk von drüben erhielten. Seitdem ist nur noch eine beschränkte telefonische Verständigung möglich!« »Es ist unwichtig, was die Afrikaner getan haben«, versetzte Rex Corda leise. »Wahrscheinlich wird es immer solche Zwischenfälle geben. Die Menschheit ist noch nicht reif genug!« Er wischte mit der flachen Hand durch die Luft. »Reden wir nicht mehr darüber. Wie sieht es bei uns aus?« Jake Dingel hob die Achseln. »Bis jetzt geht alles drunter und drüber. Die Fremden beherrschen den Kontinent. Sie haben das gesamte Flugnetz lahmgelegt. Die Ostküste ist ohne Strom. Die militärischen Organisationen sind auseinandergebrochen. Es gibt nur noch sehr kleine Kommandobereiche, die sich miteinander verständigen können. Colorado Springs soll allerdings noch voll intakt sein. Der Präsident hat jeden militärischen Gegenschlag vorläufig verboten.« »Sind die Raumschiffe nur bei uns und in Afrika gelandet?« warf John Haick ein. »Sind das überhaupt Fremde? Kommen
die Raumschiffe nicht etwa aus Asien?« Jake Dingel lächelte verächtlich. »Sir, es wäre keinem Staat der Erde möglich gewesen, eine solche Flotte zu bauen, ohne daß wir etwas gemerkt hätten! Die Flotte kommt aus dem Weltraum. Wir haben sie geortet, kurz bevor sie auf der Erde landete.« Rex Corda beugte sich vor. »Die Fremden sind also wirklich auf der ganzen Erde gelandet? Nicht nur bei uns?« Der General nickte. Er preßte die Lippen grimmig zusammen. »Sie beherrschen die Erde. Kurz bevor der Funkverkehr zusammenbrach, fingen wir Alarmmeldungen aus der ganzen Welt auf. Sie sind überall. Es müssen Hunderttausende sein!« Er machte eine kleine Pause. Senator Corda sah, wie sich seine Hände hart verknoteten. Er begegnete dem Blick des Generals. »Aber es sind nicht alle gelandet, Sir«, fuhr der Offizier fort. »Es ist nur ein kleiner Teil der Flotte auf der Erde gelandet. Und es sind nicht die größten Schiffe gelandet!« »Was wollen Sie damit sagen?« fragte der Senator. Sam McClude räusperte sich tief in der Kehle. »Er will damit sagen, daß über der Erde abermals einige hunderttausend Raumschiffe stehen. Darunter sind so große Schiffe, daß es für sie unmöglich sein dürfte, auf einem Planeten zu landen!« »Aber was bedeutet das alles?« stöhnte Jack Haick. »Ich verstehe nicht, was das soll! Wieso interessiert sich eine solche Flotte für die Erde? Sind wir so wichtig? Was wollen die hier? Ein Bruchteil dieser Flotte hätte doch genügt, um uns zu überwältigen! Warum kommen die Fremden mit so vielen Schiffen! Das gibt doch keinen Sinn!« Jake Dingel hob hilflos die Achseln. »Ich begreife das ebensowenig wie Sie, Sir!«
»Gut – ich weiß jetzt genug. Geben Sie mir bitte die Verbindung mit Washington!« bat Rex Corda. Der General schaltete sein Videophon ein und bellte einen kurzen Befehl ins Mikrophon. Dann lehnte er sich zurück und wartete. Es dauerte einige Minuten, bis die Verbindung kam. Corda erkannte das Gesicht eines Staatssekretärs auf dem von Störungen zerfetzten Bild. Die Stimme des Beamten krächzte und schwankte, obwohl die Verständigung über Draht erfolgte. »Ich kann Sie jetzt nicht mit dem Präsidenten verbinden, Sir«, sagte der Staatssekretär. »Ich soll Ihnen mitteilen, daß der Präsident Sie erwartet. Er bittet Sie, unverzüglich nach Washington zu kommen.« Corda mußte den Beamten zweimal bitten, seine Worte zu wiederholen, bis er ganz sicher war, daß er alles richtig verstanden hatte. * Hendro Rimmin stieß die Tür des Sonnengleiters auf und sah dem Senator entgegen. Rex Corda eilte über den breiten Tunnel heran, geschickt den zahllosen Kisten und Bündeln ausweichend, die den Boden bedeckten. Die mehr als zweihundert Flüchtlinge, die jetzt schon in Protectopolis untergebracht waren, hatten mitgeschleppt, was sie nur tragen konnten. »Nach Washington, Hendro!« Der Neger kratzte sich den Kopf. »Das wird schwer sein, nicht?« Corda nickte ernst. »Die Fremden haben Washington eingekreist. Sie scheinen genau zu wissen, welche Bedeutung diese Stadt für uns hat. Mehr als dreihundert Raumschiffe sind dort gelandet. Wir müssen uns irgendwie durchschlagen.«
»Ich hörte eben von Leutnant Cass, daß die Fremden den Verkehr lahmgelegt haben. Autos und Gleiter mußten ihre Fahrt beenden.« »Wir werden es schaffen«, sagte der Senator zuversichtlich. Er wollte es schaffen, und er mußte es schaffen. Er wußte, daß der Präsident ihn brauchte. Als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses war er so gut über die Verteidigungsmöglichkeiten der Vereinigten Staaten informiert, daß das Verteidigungsministerium auf seine Mitarbeit nicht verzichten konnte. Er sah zu John Haick hinüber, der jetzt langsam zu ihnen kam. Der junge Wissenschaftler mit dem nackenlangen Haar trug zwei Patronengurte und zwei kurzläufige Karabiner. »Ich werde dich begleiten, Rex!« Das junge Gesicht lächelte harmlos. Corda aber wußte, daß er den Freund jetzt nicht so leicht von seinem Entschluß abbringen konnte. John Haick würde ihn begleiten, wenn er ihn nicht gerade in Ketten legte. Der Senator zuckte die Achseln. »Okay, John! Aber wir werden getrennt fliegen. Du wirst mit Cass fliegen!« Er deutete auf den jungen Leutnant, der jetzt zu ihnen stieß. Auch Cass trug ein Gewehr, daß er lässig in der Armbeuge hielt. Er wischte sich sein stumpfbraunes Haar in den Nacken zurück und übergab Rex Corda ein weißes Kuvert. »Ich habe dies soeben erhalten, Sir. Ein Flüchtling brachte es mir. Er kam aus dem Süden. Er hat den Brief von einem Agenten der CIA erhalten. Er sagte, der Agent starb. Deshalb bekam er den Brief!« Corda preßte die Lippen zusammen. Eine böse Ahnung überfiel ihn. Er wagte kaum den Brief zu öffnen. Seine Finger zitterten, als er das Papier hielt. Dann wußte er, daß er sich nicht geirrt hatte, die Ahnung hatte ihn nicht betrogen.
Walter Beckett, der geniale Wissenschaftler, war tot. Er hatte auf dem Sterbebett die Botschaft an den Agenten weitergegeben. Kim und Velda hatten die Botschaft erhalten. Das Wissen ruhte in ihren Hirnen! Beckett war gestorben, als ein Raumschiff in der Nähe seiner Laboratorien landete. Er war ins Freie gelaufen, um die Landung besser beobachten zu können. Ein umstürzender Baum hatte ihn erschlagen. Rex Corda griff nach einem der Gewehre und warf es auf den Rücksitz. Seine Augen blieben trocken. Niemand sah ihm an, was er fühlte. Nur John Haick wußte, was in ihm vorging. »Cass, Sie fliegen in einem Gleiter mit mir«, sagte er, um abzulenken. Er brauchte Rex Corda nicht zu fragen, was in dem Brief stand. Er wußte es auch so, als er die Augen des Freundes sah. Als die vier Männer in den Sitzen der Gleiter saßen, trat ein Posten an sie heran. Er sprach durch das offene Fenster zu Corda hinein. »Sir – die Fremden schießen!« Der Senator fuhr zusammen. Er beugte sich nach vorn. »Auf was schießen sie, Sergeant! Drücken Sie sich deutlicher aus!« Der Posten wischte sich nervös über die Stirn. »Gerade kamen einige Flüchtlinge aus dem Norden. Sie sind durch den Trichter gelaufen, weil sie das für sicherer hielten. Die Fremden haben auf sie geschossen Ein Mann wurde schwer verletzt. Es scheint, daß die Fremden so etwas wie Laser verwenden!« »Laser?« Corda runzelte die Stirn. »Warum schossen die Fremden? Was haben die Flüchtlinge getan? Gibt es einen Grund?« Der Sergeant schüttelte den Kopf. »Die Leute sagen, nein. Sie beobachteten ein kleines
Fahrzeug, das so ähnlich aussah wie unsere Gleiter. Die Fremden riefen sie an. Darauf flüchteten die Leute. Und dann wurde geschossen!« »Wir sollten vielleicht doch noch etwas warten, Sir«, mahnte Hendro Rimmin. Die Augen des jungen Senators flammten auf. Der Neger preßte die Lippen zusammen – und schwieg. Er fühlte sich von dem Blick dieser Augen geschlagen. Die Augen Rex Cordas schienen über eine magische Macht zu verfügen. Sie hatten bisher noch jeden in den Bann geschlagen, der sich diesem Blick stellte. Sie waren ganz blau, und es gab kaum Weiß in ihnen. Die Pupillen waren so groß, daß die Augen wie blaue Steine wirkten. Rex Corda führte diese Sonderheit seiner Augen auf eine Mutation zurück. Der dritte Weltkrieg hatte ihn gezeichnet. Doch diese äußerliche Sonderheit störte ihn nicht. Wichtiger war die geheimnisvolle Kraft, die in einem noch unbekannten Winkel seines Gehirns ruhte. Verwirrt und unsicher geworden, senkte der Agent den Blick. »Starten Sie, Rimmin!« Die Kontrollichter glühten bereits. Jetzt warf der Neger die Motoren an. In Bug und Heck begannen sich die Flügel unter den Drahtgittern zu drehen. Sanft hob sich das Fahrzeug vom Boden. In seiner äußeren Form erinnerte es an die Automobile der sechziger Jahre. Nur fehlten die Räder. Der Sonnengleiter landete auf zwei flachen Kufen an der Unterseite. In der Karosserie drehten sich die geschickt verborgenen Propeller. Die Sonnenbatterien, die die nötige Energie lieferten, spannten sich über die gesamte Oberfläche des Gleiters. Die farbgesättigte, lichtdurchlässige Plastikhaut verbarg die technischen Einzelheiten dem menschlichen Auge. Rimmin steuerte den Gleiter um die nahe Gangbiegung, durchstieß die Lichtschranke und brach in das
undurchdringliche Dunkel, das den Ausgang verhüllte. Lautlos schob sich der Gleiter durch die bizarren Schmelzgebilde, die auch den Ausgang des provisorisch errichteten Ganges umkränzten. Die dünne Mondsichel konnte die Nacht nicht ausreichend erhellen. Hendro Rimmin mußte sich ganz auf sein Geschick und seinen Instinkt verlassen, als er das Fahrzeug jetzt am Rande des Bombentrichters zur Atlantikküste steuerte. Der Senator hielt sein kurzläufiges Gewehr auf den Knien. Er versuchte, die Dunkelheit mit seinen Blicken zu durchdringen. Im schwachen Licht ließ sich jedoch nicht viel erkennen. Im Westen ragte der Gigant empor. Weit oben – etwa in zweitausend Meter Höhe – erkannte Corda einige Lichter, die die Eintönigkeit der Metallhaut unterbrachen. Im Süden ringelte sich die weiße Schaumschlange der Brandung an der Küste entlang. Rex Corda konnte kein einziges Raumschiff in dieser Richtung erkennen. Er beugte sich vor und schaltete das Videophon ein. Das Ergebnis war zunächst das gleiche wie zu Beginn der Invasion. Dann aber änderte es sich schlagartig. Corda, der das Gerät schon wieder ausschalten wollte, erschrak heftig, als er das farbgetreue Abbild eines Roboterkopfes vor sich sah. »Landen Sie sofort«, verlangte eine kalte Stimme. »Ihr Fahrzeug wird in zehn Minuten zerstört werden!« Rex Corda schluckte. Bevor er etwas entgegnen konnte, verschwand das Bild des Roboterkopfes wieder von dem Bildschirm. Stumm sahen sich die beiden Männer an. Leutnant Cass schloß jetzt mit seinem Gleiter auf. Durch das offene Fenster rief er hinüber: »Haben Sie das auch gehört?« Corda lächelte über die Erregung des Offiziers. Er nickte. »Wir müssen landen!« drängte John Haick! »Das können wir uns nicht leisten!« antwortete Corda entschlossen. »Wir können uns gleich hinter der Küste in
Sicherheit bringen! Die schießen uns nicht ab!« Leutnant Cass blickte nervös zu dem Raumkoloß hinüber. Corda sah ihm an, was er dachte. Wer sagte ihnen denn, daß der Anruf von dem Raumschiff kam? Konnte er nicht auch von einem kleinen Beifahrzeug gekommen sein, das irgendwo in ihrer Nähe flog? Wer wußte denn schon etwas über die Absichten der Fremden, die bisher keinen einzigen Versuch unternommen hatten, sich mit irgend jemandem zu verständigen. Die Fremden verhielten sich so, als existierte kein intelligentes Wesen in ihrer Nähe. Sie erteilten zwar Befehle und schossen auch, aber sie verhielten sich nicht so, wie Rex Corda es erwartet hatte. Hendro Rimmin senkte den Sonnengleiter so tief hinab, daß die Schaumkronen bis zu ihnen heraufschäumten Gleichzeitig beschleunigte er stark, um möglichst bald in den Schutz der Steilküste zu kommen, die sich einige Kilometer weiter südlich erhob. »Noch zwei Minuten, Sir!« meldete der Neger, als sie die Küste fast erreicht hatten. Der Senator antwortete nicht. Er wußte, welches Risiko er einging, aber er wußte auch, daß er ohne diesen Gleiter Washington niemals erreichen würde. John Haick und Leutnant Cass hielten sich noch dichter an der Küste. Sie wagten sich nicht über das Wasser hinaus, wo sie niedriger hätten fliegen können. Rex Corda starrte zu dem Riesen hinüber. Er fragte sich nach dem Grund, den die Fremden haben könnten, auf ein kleines Fahrzeug zu schießen. Es kam ihm einfach unsinnig vor, daß die Fremden sich überhaupt um einen Sonnengleiter kümmerten. »Noch eine Minute!« stöhnte Rimmin. Corda wollte etwas sagen, doch die Ereignisse rissen ihm die Worte von den Lippen. Plötzlich brüllte das Raumschiff donnernd auf. Rote und blaue Flammen schossen fauchend aus seinem Heck, und die
Metallhaut schien zu brennen. Rötlichgelbe Funkenschwärme rasten vom Heck her in rasender Eile zum Bug hoch. Dann kamen die eigentlichen Feuerwellen aus dem Heck, die das Schiff emportragen sollten. Obwohl sie sich mit ihrem Sonnengleiter in mehr als fünf Kilometer Entfernung von dem Raumschiff befanden, packte die Druckwelle sie, als taumelten sie mitten durch die brüllenden Heckdüsen. Da Hendro Rimmin den Gleiter unwillkürlich zum Ufer hingelenkt hatte, rissen die aufgewühlten Luftmassen das Fahrzeug vorn hoch und wirbelten es wie ein mürbes Stückchen Holz auf das offene Meer hinaus. Die beiden Männer klammerten sich verzweifelt an die Sicherheitshalterungen. Dem Senator gelang ein letzter Blick zur Küste hin. Er machte den Gleiter John Haicks aus, der hinter der Felsenkante der Steilküste Schutz gefunden hatte. Die gequälte Luft raste über ihn hinweg. Gleichzeitig erkannte Rex unzählige Lichtpunkte, die nach Westen und Süd-Westen über das ganze Land verstreut waren. Überall – soweit er sehen konnte – erhoben sich die Raumkolosse in die Luft. Hunderte Raumschiffe starteten gleichzeitig in dem kleinen Küstenbezirk, den Rex Corda übersehen konnte. Die heißen Glutzungen, die die Schiffe hinauftrugen, überschütteten das Land mit einem unheimlichen blauen Licht. Corda prallte mit dem Kopf gegen die Frontscheibe. Für einige Augenblicke drehte sich alles vor seinen Augen. Schwarze Pfeile bohrten sich schmerzhaft in sein Bewußtsein. Er fühlte eine Hand, die ihn herumriß. Dann stürzte er in bodenlose Tiefe. Als letzten Eindruck empfing er grelle, farbige Streifen, die sich von der Erde in den dunklen Himmel hinaufzogen. *
John Haick verfolgte mit brennenden Augen den über die Wellen wirbelnden Sonnengleiter. Er war versucht, ihm schon jetzt zu folgen. Doch er sagte sich, daß jeder sofortige Versuch vergeblich sein mußte. Niemand konnte Rex Corda jetzt helfen. Er schloß die Augen, als der Gleiter Cordas wuchtig auf die Wellen schlug. Dann aber flammte die Nacht auf. Der Himmel schien zu glühen, und das Licht überflutete das Meer. Es riß den Gleiter aus den Wellen, zeigte, wie ihn die Gewalt der aufgepeitschten Natur hochschleuderte und dann verschlang. John wagte einen knappen Blick nach Westen, aber die Felsenbarriere war hier zu hoch. Er konnte zu wenig erkennen. »Versuchen Sie es, Cass! Wir müssen sie 'rausholen!« »Das schaffen wir jetzt nicht, Sir! Wir gehen mit drauf, wenn wir es jetzt schon versuchen!« Der Wissenschaftler griff nach der Leiste, die das Dach des Gleiters transparent machte. Keuchend starrte er in den Himmel hinauf. Überall starteten Raumschiffe. Sie ließen sich von den flammenden Strahlen ins Dunkel hinaufschleudern. Es mußten Tausende sein. Es sah aus, als ob ein Meer von Sternen neu erstanden sei, als ob ein dichter Schwarm von Meteoriten aufglühend durch die Atmosphäre rase, wie in ungezügelter Flucht vor der Erde. Die Fremden verließen die Erde! »Sie müssen es versuchen, Cass«, rief der Wissenschaftler. »Oder wollen Sie mir das Steuer überlassen?« Leutnant Cass richtete sich ärgerlich auf. Entschlossen hob er das Fahrzeug aus der Deckung. Surrend schoß es aufs Meer hinaus. »Beeilen Sie sich, Cass! In einigen Minuten wird hier die Hölle los sein! Die Hauptdruckwelle hat uns noch nicht erreicht!« Leutnant Cass lächelte. Er warf John einen geringschätzigen Blick zu. »Sie halten mich wohl für einen kompletten Narren, wie?«
grinste er. Es war ein verzerrtes Grinsen, in dem sich Entschlossenheit und Draufgängertum spiegelten. John Haick stieß einen unbestimmten Laut aus. Erregt beugte er sich nach vorn und starrte auf die schwarzen Wellen hinab. Deutlich konnten sie den treibenden Sonnengleiter ausmachen. Das Fahrzeug war unsinkbar. Haick wußte, daß seine Freunde noch in dem Gleiter saßen und daß sie nicht ertrinken konnten. Aber sie konnten zerschmettert werden, wenn der Orkan kam und das Fahrzeug packte. Cass ließ das Fahrzeug bis knapp über die Wellen hinabsinken. John stieß die Tür auf und schnellte sich auf den im Wasser taumelnden Gleiter hinüber. Mit einem kurzen Schlag zertrümmerte er die Frontscheibe. »Rex!« rief er. Keine Antwort. Der Kopf der dunklen Gestalt auf dem Beifahrersitz taumelte in der Dunkelheit. John zwängte sich in das Fahrzeug und riß die stille Gestalt neben dem Fahrer hoch. Er hörte ein leises Stöhnen. Rex Corda bewegte sich. Der Wissenschaftler zerrte Corda durch die zerschlagene Frontscheibe. Er fühlte, wie der Freund nachhalf, wie sich seine Hände in die Kleidung krallten. Vom Land her kam eine scharfe Bö. Eiskalte Wasserschleier stoben über die Wellen und umhüllten die beiden Männer auf dem gefährlich schwankenden Fahrzeug. »Es geht schon!« keuchte der Senator. Er streckte den Arm zu dem Gleiter des Leutnants hinüber. Jetzt drückte Cass sein Fahrzeug tief hinab, und Corda schwang sich hinein. John Haick klammerte sich an den Gleiter und versuchte Hendro Rimmin herauszuholen. Der Agent bewegte sich nicht. John schob sich durch die offene Front in den Gleiter, um den Neger aus seiner Lage zu befreien. Gleichzeitig übernahm Rex Corda die Führung des anderen Gleiters, und Cass schob sich
zur offenen Tür hin, um John zu helfen. Um besser sehen zu können, schaltete der Wissenschaftler das Innenlicht ein. Hendro Rimmins Stirn war verschwunden! John Haick würgte. Er schaltete das Licht hastig wieder aus, kroch aus dem Gleiter, nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß das Fahrzeug nicht mehr flugfähig war, und kehrte zu Cass und Corda zurück. Der Senator hockte mit bleichem Gesicht hinter dem Steuer. Er kämpfte verzweifelt gegen die wilden Windstöße an. »Wir können nichts mehr für Rimmin tun«, keuchte John. »Er prallte mit dem Kopf gegen die Scheibe. Er ist tot!« »Wir müssen zur Küste zurück, Sir!« drängte Cass. Corda hatte schon jetzt größte Mühe, das Fahrzeug zu halten. Die vom Land her jagenden Böen schleuderten es immer wieder bis nahe an die gischtenden Wellen heran. Der Massenstart jagte die Luft orkanartig über den Kontinent. Der Gleiter mit dem toten Hendro Rimmin trieb schnell ins offene Meer hinaus. Rex Corda steuerte den Gleiter zur Küste zurück. Man konnte den verunglückten Agenten nicht mehr bergen. Man mußte ihn aufgeben. Cass atmete erleichtert auf. Er kannte die Flugeigenschaften des Gleiters besser als die anderen. Er wußte, daß die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit erreicht waren. John Haick zeigte erregt in den Himmel hinauf, den sie durch das transparente Dach sehr gut beobachten konnten. »Seht euch das an!« Rex Corda beugte sich unwillkürlich vor, obwohl er dadurch nicht besser sehen konnte. Im All leuchtete ein riesiger roter Stern! Eine Sonne öffnete sich mitten im Dunkel der Nacht über Amerika! Lautlos explodierte das Licht im Nichts. Blitzende, zuckende Leuchtarme schossen vom Mittelpunkt der Sonne weg und bogen sich unter dem Sog der Erde.
»Eins der Schiffe ist explodiert!« rief Cass. Er zuckte heftig zusammen, als eine Baumkrone dicht über dem Gleiter hinwegtaumelte. Die Äste wirbelten wie die Arme eines lebenden Wesens unter dem fürchterlichen Druck des Sturms. Bewegungslos starrte Rex Corda in den Himmel hinauf. Das Licht schrumpfte rasch wieder in sich zusammen. Die Kälte des Weltraums erschlug die Glut. Von den anderen Raumschiffen war nichts mehr zu sehen. Die Fremden verschwanden so plötzlich, wie sie gekommen waren. Die Heckflammen waren erloschen. Oder benutzten die Fremden einen anderen Antrieb, sobald sie das Schwerefeld der Erde verlassen hatten, einen Antrieb, dessen Tätigkeit nicht so deutlich zu erkennen war? Mehr als eine Stunde hockten die drei Männer in dem Gleiter unter dem steilen Hang. Sie ließen den Sturm über sich hinwegrasen und warteten ab. Jetzt ließ die Wut des Sturms bereits spürbar nach. Bald würde es so ruhig sein, daß ein Weiterflug möglich wurde. Aber vergeblich versuchte Corda, das Videophon in Betrieb zu nehmen. Das Gerät zeigte Bereitschaft an, stellte aber auch jetzt noch keine Verbindung her. Nach einer weiteren Stunde gab der Senator den Startbefehl. Leutnant Cass übernahm jetzt wieder. Er warf die Motoren an. Leise surrend hob sich der Gleiter vom Boden, glitt über die Felskante und stellte sich dem abflauenden Sturm. »Ich möchte wissen, wie es bei meinem Haus aussieht!« sagte Rex Corda. Der Leutnant nahm diese Worte als Befehl. In weniger als zehn Minuten erreichten sie das Landhaus. Nur noch eine Ruine ragte aus den Baumstümpfen hervor. Dort, wo das Raumschiff der Fremden gestanden hatte, glühte ein dunkelroter Krater. John faßte nach dem Arm des Freundes. Er schüttelte den Kopf. »Laß uns weiterfliegen, Rex!«
»Landen!« befahl Corda entschlossen. Cass biß die Zähne zusammen. Er beugte sich über das Armaturenbrett. Er setzte den Gleiter direkt vor der zerstörten Eingangstür des Hauses auf. Im gleichen Augenblick sprang Rex Corda hinaus. Der Atem stockte ihm unter der Hitze, die ihm entgegenwallte. Das Land glühte noch immer. Corda zog einen starken Handscheinwerfer aus den großen Türtaschen, schaltete ihn ein und betrat das Haus. Er fand niemanden seiner Angestellten mehr. »Nach Washington!« befahl er hart. Seine Stimme knarrte wie trockene Eiche. Cass startete sofort. John Haick stellte keine Frage. Besorgt beobachtete er den jungen Senator, der sichtlich unter den Ereignissen litt. Die Brutalität der Fremden hatte ihm einen Schock versetzt. »Das Haus wurde geplündert!« sagte Corda leise. »Geplündert?« murmelte der Leutnant. Der Sonnengleiter jagte auf die Delaware Bay zu. »Geplündert von … von Menschen, die intelligent genug sind, um Raumschiffe zu bauen? Sir – das kann nicht Ihr Ernst sein!« »Keine Menschen!« sagte John. »Was dann?« John hob die Achseln. »Ich weiß es noch nicht, Cass. Ich kenne den Namen noch nicht!« Rex Corda zündete sich eine Zigarette an. Bitter lachte er auf. »Ich möchte wissen, was sie eigentlich wollten! Niemand landet schließlich mit einer solchen Flotte, um zu plündern. Was können sie schon von uns holen? Sie sind uns weit voraus.« »Deshalb verstehe ich es eben nicht, Rex«, warf John Haick ein. »Ich sehe keinen Sinn hinter dieser Invasion! Mir kommt das alles wie ein Alptraum vor. Vielleicht wache ich gleich auf,
und alles ist nicht wahr?« Er grinste jungenhaft, um sich anschließend behaglich zu recken. »Jedenfalls ist es vorbei. Wir sind wieder mit unseren eigenen Sorgen allein. Beschäftigen wir uns also mit den Afrikanern und deren Atombomben. Ich glaube, daß dieses Problem von jetzt an wichtiger ist!« Rex Corda schnippte seine Zigarette zum Fenster hinaus. Ernst schüttelte er den Kopf. »Das wird alles keine Rolle mehr spielen. Wir werden uns auch mit den Afrikanern einigen – wenn wir überhaupt Zeit dazu haben«, sagte er. »Wir müssen zunächst wissen, warum die Fremden noch nicht einmal einen Tag auf der Erde blieben! Diese Aktion hat einen Sinn gehabt! Verlaß dich drauf! Es ist wichtig für uns, daß wir den Grund ihres plötzlichen Startes erfahren!« John runzelte die Stirn. »Du glaubst also wirklich, daß ihr Start nicht vorhergesehen war? Daß er für sie selbst überraschend kam?« »Ich bin fest davon überzeugt! Man beschäftigt sich nicht mit unwichtigen Dingen – wie etwa mit einem Gleiter – wenn man schon mitten in den Startvorbereitungen steckt! Ich bin der Meinung, daß die Fremden einen Alarmstart gemacht haben!« Leutnant Cass stieß die Luft zischend aus. Er sah über die Schulter zu dem Senator Zurück. »Das kann nicht Ihr Ernst sein, Sir! Vor wem sollten die Fremden geflohen sein?« »Ich fürchte, das werden wir nur zu bald erfahren!« Plötzlich flammte der Himmel abermals auf. Diesmal flutete weißes Licht auf die Erde herab. Durch den milchigen Schleier hindurch, der über dem Himmel lag, sahen sie die weiße Sonne, die in der unmittelbaren Nähe des Mondes stand. Der Mond verlor seine Sichelform. Er wuchs rasend schnell an, als das weiße Licht der gigantischen Explosion seine
schroffen Klippen überschwemmte. Im nächsten Augenblick schrien alle drei Männer erregt auf. Neben der weißen Sonne entstand eine zweite und eine dritte, aus der rote Spiralen herauszuckten. Ein Lichtfinger raste wie ein Kometenschweif quer über den Horizont – und an seinem Ende entstand ein roter Feuerball, der blitzschnell wuchs, bis er größer als die verblassende Scheibe des Mondes wurde. Ein zweiter Blitz zuckte vom Horizont zum Zenit herauf. Und wieder entstand eine Sonne. Diesmal aber erkannten die drei Männer in dem Gleiter ein gigantisches Raumschiff, das in zwei Teile zerbrechend durch die Feuerkugel hindurchtaumelte. »Eine Raumschlacht!« stöhnte John Haick. Rex Corda löste sanft die verkrampfte Hand des Wissenschaftlers von seinem Arm. Er nickte. »Das ist das, was ich vermutete«, bemerkte er leise. »Eben deshalb sind die Fremden gestartet. Sie wurden angegriffen!« Mit kühlen Augen sah Corda in den Himmel hinauf. Leutnant Cass hatte den Gleiter auf einer Hügelkuppe abgesetzt. Er wollte sich das gewaltige Schauspiel nicht entgehen lassen. Und da der Senator nicht protestierte, stieg er aus. Im Raum blitzte es jetzt unaufhörlich auf. Das All schien zu brennen. Gewaltige Lichtbahnen schossen über Tausende von Kilometern hinweg durch die Schwärze. Und immer häufiger wurden die Explosionen. Weit im Osten fiel ein rötlicher Stern in den Ozean. Er ließ einen langen, lodernden Schweif hinter sich. Als er ins Wasser fiel, brach er auseinander, und eine Stichflamme schlug zuckend bis in die Stratosphäre hinauf. Jetzt stiegen auch der Senator und sein Freund, der junge Wissenschaftler, aus. Sie zündeten sich Zigaretten an und beobachteten. Die Nacht erhellte sich immer mehr. Das Land erstreckte
sich im zuckenden Dämmerlicht vor den Männern. Vereinzelte Energieschüsse blitzten durch die Lufthülle der Erde, doch zu hoch, um gefährlich werden zu können. Der rollende Donner klang bis zu den drei beobachtenden Männern herab. Die ionisierte Luft flammte hell auf. »Das könnte uns den Rest geben«, murmelte John. Senator Corda antwortete nicht. Seine Augen flammten. Er behielt ein einzelnes, kleineres Raumschiff im Blick, das sich mit immer wieder aufglühenden Düsenflammen vor dem Absturz zu retten suchte. Die Erde war stärker. Corda erkannte es auf den ersten Blick. Seine Hand legte sich um den Arm John Haicks. Er zeigte auf das stürzende Schiff. »Es wird hier herunterkommen!« John schleuderte seine Zigarette weit von sich. »Das darf nicht sein!« Das Schiff glühte auf. Farbige Flammenfetzen lohten über seinen Mantel. In diesem Licht und im Widerschein der ununterbrochenen Energieschüsse und der Explosionen im All erkannten sie, daß das Schiff wie eine riesige Hantel aussah. »Es wird auf Washington stürzen!« schrie Cass. Er wandte sich zu den beiden anderen Männern um. »Es fällt auf Washington!« schrie er abermals. Er warf die Arme in wilder Panik hoch. »Gehen Sie in Deckung, Cass!« Der Leutnant mißachtete die Warnung des Senators. Wie gelähmt stand er auf dem Hügel und starrte auf das brennende Raumschiff, das dumpf grollend herabkam. Rex Corda schrie ihm nochmals eine Warnung zu. Er wollte sich auf den Leutnant stürzen, um ihn niederzuwerfen, doch da bohrte sich das Raumschiff schon in den Boden. Für einen winzigen Augenblick glaubte Corda in dem schrecklichen Blitz Washington zu erkennen, aber das war nicht möglich. Die Entfernung war noch viel zu groß.
Corda wendete sich blitzschnell ab und preßte die Hände vor die Augen, als er das erste Feuer sah. John Haick wirbelte herum und warf sich gegen den Senator. Er schleuderte ihn zu Boden. Das rettete ihnen das Leben! Cass reagierte zu spät. Er hatte die Augen noch offen, als das Raumschiff in einer unfaßbaren Explosion verging. Er war schon blind, als er die Augen bedecken wollte, um sie zu schützen. Und er war schon tot, als er die Hände halb erhoben hatte. Die Hitzewelle tötete ihn in Sekundenbruchteilen. Der Schrecken aber raste wirkungslos über die beiden Männer hinweg, die verkrümmt auf dem Boden lagen, durch den Gleiter geschützt. Erst als das Gras aufflammte, griff der Tod nach ihnen. Blitzschnell riß Rex Corda die Tür des Gleiters auf. Er zerrte den Feuerlöscher aus der Halterung und schuf sich ein feuerfreies Feld von mehr als zehn Metern Durchmesser. Im nächsten Augenblick schon half ihm John Haick. Der Wissenschaftler nahm den zweiten Feuerlöscher an sich. Gemeinsam gelang es ihnen, einen breiten, feuerfreien Gürtel zu schaffen. Lange, gierige Streifen zogen sich dort übers Land, wo Hügel und Kuppen die Hitze nicht abgeschirmt hatten. * Die Natur antwortete mit einem leichten Regen. Rex Corda und John Haick warfen die entleerten Feuerlöscher fort. Jetzt erst hatten sie Zeit, dorthin zu sehen, wo Washington gewesen war. Der Senator starrte mit heißen Augen auf den rotleuchtenden See. Die Erde glühte in einem matten Rot, so wie Eisen auf der Walzstraße. Die ehemals hügelige Landschaft hatte sich tischeben geglättet. Dunkle, häßliche Rauchschwaden ringelten sich in den nächtlichen Himmel empor, hastig und erregt, als
wollten sie den Anschluß an den gewaltigen Rauchpilz nicht verpassen, der über dem Grab Washingtons stand. Doch damit war es noch nicht vorbei. Sekunden später flammte die Nacht noch heller auf, dort wo New York gewesen war. Der Senator stöhnte auf, obwohl er wußte, daß der gleißende Energiestrahl dort kaum noch Schaden anrichten konnte. Wahrscheinlich fuhr er jetzt quer durch den gigantischen Bombenkrater, den eine von Menschen gebaute Wasserstoffbombe gerissen hatte. »Rex!« Er zuckte zusammen. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er allein war. Er sah sich erregt um. John Haick war verschwunden. Der Himmel lohte. Corda erkannte eine verzerrte Gestalt, die über den Boden der Senke kroch. Er stürzte sich auf sie. »John, zum Teufel, was treibst du?« Ein schmutziges, verzweifeltes Gesicht starrte ihn an. Rex sah, daß Tränen über das Gesicht des Freundes rannen, helle Bahnen der Trauer grabend. »Wer gibt ihnen das Recht?« keuchte John. »Wer?« Corda konnte nicht ahnen, was der Freund meinte. Er lachte schrill. »Wer gab uns das Recht, die Erde zu zerstören, John?« fragte er bitter. »Ob wir es tun oder die anderen, ist das nicht gleich?« John Haick klammerte sich an seinen Arm. Starr sah er nach Süden, während sich sein Leib zuckend wand. Rex drehte sich um und folgte dem Blick. Im Süden wuchs jetzt gerade ein riesiger Pilz, der einen orangefarbenen Kern hatte. »Dort war einmal Miami!« rief der Senator. Und im gleichen Augenblick fiel ihm ein, daß seine Geschwister dort unten waren. Als er John aufhelfen wollte, lag der Wissenschaftler reglos
vor seinen Füßen. »John!« stöhnte er. Er beugte sich über ihn, als weißes Licht auf ihn fiel. Hinter dem Licht erkannte er eine dunkle Gestalt. Vier Männer kamen über die Hügelkuppe. Sie waren sehr groß. Mehr konnte Rex Corda nicht erkennen. Er blinzelte. Instinktiv griff er zum Gürtel, wo seine Pistole saß. Im gleichen Augenblick zuckte es grell vor ihm auf. Er fühlte einen harten Schlag vor der Brust, schnellte sich hoch, ohne es zu wollen, und fühlte sich von seinen eigenen Beinen einige Meter weit getragen. Dann stürzte er. Er fühlte nichts. Seine Beine zuckten, aber es war so, als ob sie ihm nicht gehörten. Er empfand sie als Fremdkörper. Seine Hände zerrten am Gürtel, aber es schienen nicht seine Hände zu sein. Seine Augen sahen den flammenden, lohenden Himmel, aber das löste keine Reaktion bei ihm aus. Er erschlaffte und fühlte, wie das Leben stechend und reißend zu ihm zurückkehrte, wie es in jede einzelne Muskelfaser kroch und sie zurückeroberte. Ein Gesicht beugte sich über ihn. Ein Gesicht mit scharfer, gebogener Nase, abweisenden Augen und einem verächtlichen Mund. Zwischen den straffen Lippen standen rötliche Zähne. Ein herber Geruch stieg ihm in die Nase. Er erschauerte. Obwohl nur die Zähne eine ungewohnte Farbe hatten, strahlte das Gesicht über ihm etwas unsagbar Fremdes aus. Die Augen wollten ihn niederwarfen. Er haßte sie dafür. Harte Fäuste rissen ihn hoch und stießen ihn zu dem von der Hitze zerschundenen Gleiter hinüber. Die Türen standen offen. Die Innenbeleuchtung brannte. Der Senator sah einen großen, schwarz gekleideten Mann, der hinter den Steuerelementen saß. Seine schmalen, schlangengleichen Hände tasteten über die Instrumente.
Jetzt sah der Fremde auf. Er hatte eine stumpfe Nase und fette Wangen. In seinen Augen stand ein arrogantes Blitzen. Unter seiner linken Schulter leuchteten drei Edelsteine wie Sonnen auf Gold. Er stieg aus dem Gleiter und gab einen knappen Wink. Der Senator erhielt einen Stoß. Er stolperte hinter das Steuer. Seine Hand stieß nach dem kurzläufigen Gewehr vor, das im Fußraum lag. Er packte die Waffe. Mit entschlossener Bewegung warf er den Sicherungsbügel herum. Er stemmte die Beine gegen die Stützbleche, riß das Gewehr hoch und stieß die Mündung dem Fetten in den Bauch. Bevor er durchziehen konnte, traf ihn ein brutaler Schlag in den Nacken. Er flog nach vorn. Der Schuß löste sich. Aber die Kugel jaulte sinnlos in den Himmel hinauf. Eine Schlangenhand zuckte heran und wand ihm das Gewehr aus den Händen. Rex Corda stieß einen Schmerzlaut aus, ließ sich nach vorn sinken und prallte mit der Brust gegen das Armaturenbrett. Wie von selbst flogen seine Arme unter das Pult. Seine rechte Hand glitt am Knie vorbei zur Automatiksperre. Dann ließ sich Corda langsam zurücksinken. Er tastete nach seiner Zigarettenschachtel und zog sie mit den Fingerspitzen hervor. Einer der Fremden richtete ein faustgroßes, seltsam geformtes Gerät auf ihn. Es sah aus wie ein metallübergossenes Muschelhorn. Scheinbar gleichmütig zündete der Senator sich eine Zigarette an. Er war überrascht, daß die Fremden ihn nicht daran hinderten, sondern ihm nur interessiert zusahen. Jetzt gestikulierten sie miteinander und stiegen in den Gleiter. Der Fette sagte etwas. Er hatte eine weiche, unangenehme Stimme. Rex Corda grinste. Die Fremden machten einen energischen, aber keineswegs mordlüsternen Eindruck. Sie gaben sich arrogant, aber er spürte
auch die Unsicherheit, die darunter lag. Die Fremden konnten nur aus einem der abgestürzten Raumschiffe stammen. Folglich waren sie Gestrandete, so dachte Rex Corda. Er sah den Fremden an, der neben ihm saß. Es war der Fette mit der stumpfen Nase und dem Sonnenemblem. Auf den Knien ruhte seine Waffe. Sie sah einem Gewehr entfernt ähnlich. Sie hatte zumindest einen langen Kolben und einen »Lauf«, wenngleich es nicht so aussah, als könnten Kugeln mit diesem Gewehr verschossen werden. Neben dem Lauf der Waffe klebten kleine, längliche Höcker. Auf dem metallenen Kolben leuchteten mehrfarbige Zeichen und blaue Farbfelder neben grünen Streifen. Der Fremde gab Corda ein Zeichen. Der Senator grinste breiter. Er schüttelte den Kopf. Dann deutete er behutsam auf die Gestalt John Haicks. Der Freund lag dicht neben dem Gleiter auf dem Boden. John stand offensichtlich noch immer unter dem Einfluß des lähmenden Schockfeldes. Der Dicke gab einen dumpfen Laut von sich. Er wechselte einige hastige Worte mit den anderen im Gleiter. Dann schwiegen sie. Der Fremde hinter Corda stieg aus und zerrte den Senator vom Sitz. Rex beugte sich sofort über John. Gequälte Augen sahen ihn an. »Wie geht's dir, John?« John grinste verzerrt. Seine Lippen versuchten zu antworten, aber sie konnten noch keine Worte formen. Corda kehrte sich zum Gleiter um. Der Fremde mit der scharfen Nase und den kalten Augen mühte sich vergeblich mit dem Fahrzeug ab. Es gelang ihm nicht, es zu starten, weil Rex den Antrieb blockiert hatte. Vorsichtig half Corda dem Freund auf. John konnte noch nicht gehen. Er stützte sich schwer auf den Senator.
Da sprang der Mann, der hinter dem Steuer gesessen hatte, heraus. Mit einem zornigen Laut packte er die beiden Männer bei den Schultern. Ärgerlich zeigte er auf den Gleiter. Rex Corda sah ihn kühl an. Mit einer knappen Geste gab er dem Scharfnasigen zu verstehen, daß er nicht ohne John mitfliegen würde. Der Fremde verstand sofort. Kurz darauf stieß er erst John und dann den Senator in den Gleiter. »Wohin?« fragte Corda. Der Fette mit dem Sonnenemblem hielt jetzt ein kleines Gerät in der Hand, das wie ein elektrischer Belichtungsmesser aussah. Rex Corda sah zwei grüne Lichter blinken und einen roten Pfeil träge pendeln. »Helfen Sie uns!« kam eine dünne Stimme aus dem Gerät. Überrascht sahen die beiden Freunde sich an, während die Spannung im Gesicht des Dicken wuchs. »Welchen Grund sollten wir haben, euch zu helfen, eh?« krächzte John, kaum fähig diese Worte zu formen. »Helfen!« wiederholte die Stimme. Rex Corda warf seine Zigarette weg, schob John eine zwischen die Lippen und zündete sie erst ihm und dann auch sich eine neue an. »Aha«, knurrte er. »Die Herren haben also tatsächlich die Schlacht verloren – jetzt werden sie freundlich. Okay – nehmen wir sie mit!« Er sah durch das Transparentdach nach oben. Die Raumschlacht war noch nicht beendet, doch die größte Kampfeswut schien verraucht. Jetzt brannte das All nicht mehr so hell wie noch vor einer halben Stunde. »Nehmen wir sie mit nach Protectopolis?« fragte John. Rex Corda rieb sich mit der flachen Hand den Schweiß vom Gesicht. Dann deutete er auf Leutnant Cass. Er hatte schon früher gesehen, was aus dem Leutnant geworden war. Er hatte sich bereits mit dem Schlag abgefunden. Es blieb ihm keine Zeit, sich um den Offizier zu kümmern.
Doch jetzt verloren die Fremden die Geduld. Sie wollten den Leutnant nicht auch noch mitnehmen. Der Fette stieß Corda die Waffe hart in die Seite. »Schnell!« sagte der kleine Dolmetscher. Und der Fette zeigte nach Norden. * Senator Corda schaltete die Innenbeleuchtung aus, als sie über die Kuppe des nächsten Hügels glitten. Der Brand war erloschen. Feiner Nieselregen stob gegen die Scheiben. Dunkel lag das Land vor ihnen, wie ein geschlagenes Ungeheuer. Dort, wo Washington gewesen war, wallten dichte Dampfwolken. Der Fette stieß ihm das Gewehr wieder und wieder in die Seite und bedeutete gleichzeitig, sich tief am Boden zu halten. Ab und zu sah er in den Himmel hinauf. Die Wolken verbargen das meiste von dem Geschehen im All. Aber ab und zu blitzte es doch gleißend durch das Grau. Allmählich fühlte der junge Senator Zorn in sich aufsteigen. Es gefiel ihm nicht, wie die Fremden sich benahmen. Er half ihnen nicht, weil er sich ihnen unterlegen fühlte. Es gelang dem Fetten aber auch nicht, ihn einzuschüchtern. Rex Corda wartete darauf, daß die Fremden Entgegenkommen zeigten. In rascher Fahrt glitten sie an der Küste entlang, dicht über den schäumenden Wellenkämmen. Die Fremden sprachen immer erregter miteinander. Sie schienen etwas zu suchen, sie deuteten mit den Händen hinaus und gestikulierten heftig. Rex Cordas Hand schob sich langsam zum Gürtel des Fetten. Dort hing ein kleines Gerät. Corda glaubte, daß es die Waffe war, mit der er und John geschockt worden waren. Er wollte sie haben! Als der Fremde sich abermals nach hinten neigte und hinausdeutete, faßte Corda das Gerät und hob es sanft aus der Halfter, in der es steckte. Es löste sich ganz leicht.
Wie ein Schatten glitt die Hand nach vorn. Er fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Er suchte eine winzige Klappe unter dem Armaturenbrett, durch die er die Waffe schieben wollte, um sie zu verstecken. Er preßte die Lippen heftig aufeinander, als er sie nicht gleich finden konnte! Der Fremde durfte nichts merken! Jetzt wurde er aufmerksam! Rex Corda hielt die Waffe noch immer in der Hand! Der Fette fragte etwas, doch der Senator verstand es nicht, da der mechanische Dolmetscher nicht zwischengeschaltet wurde. Er tat also, als ob die Worte nicht ihm gegolten hätten, während er in fieberhafter Erregung die winzige Luke suchte. Da endlich fand er sie. Er schob die Waffe hinein und schloß die Klappe. Der Fremde packte seinen Arm. Er riß ihn hoch. Gleichzeitig griff er nach dem Steuerpult. Das Innenlicht flammte auf. Rex Corda fuhr herum. Er starrte die Fremden erregt an. Er wußte, daß er Macht besaß, aber er wußte nicht, ob die Macht seiner Augen auch Wesen bezwingen konnte, die nicht von der Erde kamen. Er starrte den Scharfnasigen an – und er fühlte die Wirkung. Er bemerkte die steigende Erregung des anderen. Sie verband sich mit einer Intensivierung des strengen Geruchs. Cordas Hand glitt zum Schalter für die Beleuchtung. Doch der Fremde packte seinen Arm. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Corda fühlte, wie es ihm kalt den Rücken hinunterlief. Plötzlich wußte er, daß es kein Geplänkel, sondern auf jeden Fall eine harte Auseinandersetzung geben würde, wenn die Waffe vermißt wurde. Da schrie einer der anderen auf den Rücksitzen auf. Er stieß einen erregten Wortschwall aus. Die Hand des Stumpfnasigen schoß vor. Das Innenlicht
erlosch. Rex Corda starrte ins Dunkel hinaus – und erkannte die Umrisse eines plumpen Schiffskörpers, der am Strand lag. Ein Raumschiff! »Landen!« Er bremste sofort und landete den Gleiter auf dem Strand, zwanzig Meter vor dem kleinen Raumschiff. Es ragte kaum hundert Meter in den nächtlichen Himmel hinauf. Jetzt kam es darauf an! Der Fremde sprang aus dem Gleiter. Er erteilte den anderen einen kurzen Befehl. Sie blieben beim Gleiter. Ihre Hände stützten sich auf die Hüften. Sie sahen aus wie schußbereite Guerillas. Rex Corda fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach. John rutschte unruhig auf seinem Sitz herum. »Hast du ihm die Waffe weggenommen?« hauchte er Der Senator nickte kaum merklich. »Ich wollte etwas in der Hand haben. Ich wollte nicht das Risiko eingehen, daß sie uns jetzt erledigen, damit wir keinem verraten können, wo sie geblieben sind!« »Glaubst du, daß das jemanden interessieren könnte?« fragte John skeptisch. »Ich bin überzeugt davon!« nickte Rex Corda. Seine Augen schienen aus dem Dunkel herauszuleuchten. »Der Dicke sieht mir ganz danach aus, als hätte er eine Menge zu sagen. Die anderen behandeln ihn mit gehörigem Respekt, ist dir das nicht aufgefallen?« »Können wir nicht einfach starten, Rex?« »Ich glaube, daß das zu riskant wäre!« murmelte der Senator – aber seine Hände lagen auf den Starthebeln. Er konnte den Gleiter augenblicklich abheben. John fluchte leise. Seine Augen suchten den Fetten, der in der Dunkelheit verschwunden war.
Es polterte dumpf beim Schiff, und etwas Schweres bewegte sich grollend. Plötzlich stieß weiße Helligkeit in die Nacht und überschüttete den Strand. Rex Corda preßte seinen Rücken gegen die Sitzlehne. Der Fremde mit der stumpfen Nase kam zurück. Seine Füße stampften in den nassen Sand des Strandes. Er packte die Tür des Gleiters, zog sie mit einem Ruck auf, packte Rex Corda und riß ihn heran. Jetzt wußte Rex plötzlich, daß er den Fremden gewaltig unterschätzt hatte. Er war nicht fett! Corda hatte den Fehler gemacht, von irdischen Gesichtspunkten auszugehen. Auf der Erde pflegte ein dicker Mann fett zu sein. Das mußte aber durchaus nicht für einen Mann zutreffen, der von einer anderen Welt kam. Trotz der Dunkelheit konnte der Senator die springenden Muskelbälle unter dem weichen Hemd des Fremden sehen. Er fühlte sich wie ein Spielball in den schlanken Händen. Er versuchte, sich zu wehren – aber vergeblich. Die Muskeln des Fremden schienen aus Stahlbündeln zu bestehen. Sie wichen keinen Millimeter. »Geben Sie bitte die Waffe heraus, die Sie Bekoval entwendet haben!« sagte eine angenehme, tiefe Stimme im Dunkel. Rex horchte auf. Seine Augenbrauen hoben sich überrascht. Er hatte nicht damit gerechnet, in perfektem Englisch angeredet zu werden. »Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen«, antwortete er. Seine Stimme klang gepreßt, weil der Mann, der Bekoval genannt worden war, ihn so hart an den Gleiter drückte. »Ich habe niemandem etwas entwendet. Der Gleiter steht ihnen zur Verfügung. Durchsuchen Sie ihn!« »Ich gebe Ihnen den Rat, die Waffe schnell zurückzugeben.
Wir möchten nicht gern Gewalt ausüben!« Rex Corda lachte leise, etwas verächtlich. Der Ton schien den Mann zu treffen, den er für fett gehalten hatte. Der harte Griff lockerte sich etwas. Corda versuchte, den Sprecher mit der angenehmen Stimme in der Dunkelheit auszumachen. Jetzt trat er in den Lichtstreifen, der aus der Luftschleuse des Raumschiffes fiel. Corda hielt den Atem an. Der Sprecher war klein. Er sah aus wie ein Knabe. Mit zierlichen, weichen Schritten kam er durch den Sand heran. Er blieb vor dem Senator stehen und kreuzte die Arme vor der Brust. Jetzt konnte Corda erkennen, daß das Haar des Kleinen blau schimmerte. Die dunklen Augenbrauen endeten nicht über dem Jochbein, sondern zogen sich in feinem Bogen bis zu den Kinnladen herab. Ein spöttisches Lächeln lag auf den dünnen Lippen des Kleinen. Ein Lächeln, in dem sich Spott mit dem Ausdruck der Überlegenheit und der Selbstsicherheit mischte. »Wir haben nur noch zehn Minuten Zeit! Dann müssen wir starten«, sagte der Kleine. »Bis dahin muß Bekoval seine Waffe haben. Er weiß, daß Sie lügen. Er weiß, daß Sie die Waffe genommen haben. Seine Sinne sagen es ihm.« »Dann soll er sich die Waffe doch holen!« Jetzt lächelte auch Rex Corda. Ihm kam der Anlaß der Auseinandersetzung lächerlich vor. Er zeigte zum Himmel empor. »Dort oben geht ein Raumschiff nach dem anderen im Feuer der Gegner unter«, versetzte er. »Die Verluste müssen ungeheuer sein. Was regt er sich über eine Waffe auf, die verschwunden ist?« Der Dolmetscher legte seine Stirn in ernste Falten. »Wir haben euch nicht lange genug beobachten können. Ich kann Ihnen also kein Beispiel sagen, das Ihnen deutlich macht, was Sie angestellt haben. Für einen Laktonen ist es eine tödliche Beleidigung, wenn er entwaffnet wird. Es ist Bekoval
wirklich ernst! Er hätte Sie vielleicht schon getötet, wenn Sie ihm nicht einen Dienst erwiesen hätten!« Rex Corda wandte sich ab. »Verschwindet von hier«, knurrte er. »Wir haben euch nicht gerufen! Ihr interessiert mich nicht! Eure Sitten sind mir gleich!« Faltete sich in diesem Augenblick nicht so etwas wie ein verständnisvolles Lächeln um die dünnen Lippen des Kleinen? Corda war überzeugt davon, Zustimmung in dem kleinen Gesicht zu entdecken. Da schrillte eine nervöse Stimme durch die Nacht, Eine schlanke Gestalt erhob sich in der Luftschleuse. Sie gestikulierte heftig. Bekoval stürzte wieder vor. Er schleuderte den Kleinen zur Seite. Und eine Faust sauste aus dem Dunkel heran. Rex Corda konnte nicht mehr ausweichen, er konnte den Kopf nur noch ein wenig zurückwerfen. Trotzdem war es ihm, als habe ihn ein Hufschlag getroffen. Er brach vor dem Gleiter zusammen. Bekoval, der Riese, drehte sich schnaubend herum und stampfte zu dem Raumschiff hinüber. Rex sah ihn durch rote Schleier verschwinden. Auch die anderen Fremden folgten ihm. Nur der kleine Dolmetscher blieb. Er bückte sich zu Corda hinab und versuchte, ihn hochzuziehen. Doch es gelang ihm nicht. »Hilf mir!« rief er John Haick zu. Der Wissenschaftler sprang aus dem Gleiter. Er zerrte den Senator hoch und schob ihn in den Gleiter. »Verschwindet schnell!« rief der Kleine. »Verliert keine Sekunde! Wenn wir starten, müßt ihr schon weit weg sein!« Er wollte zum Schiff eilen, doch John hielt ihn fest. »Wer bist du?« Der Kleine mit dem blauen Haar lachte leise. »Ich bin Ga-Venga! Aber vergiß es – du siehst mich doch nie wieder!«
Dann lief auch er zum Schiff hinüber. John zögerte noch einen Augenblick. Dann fiel ihm die Warnung wieder ein. Die Stimme Ga-Vengas war so ernst und eindringlich gewesen, daß John jetzt in aller Eile startete. Als er zwanzig Meter weit geflogen war, knallten die Schotten des kleinen Schiffes zu. Sekunden später brach die Hölle los. Eine glühendheiße Feuerfront röhrte aus den Antriebsdüsen des Raumschiffes. Sie rollte gefräßig auf den Gleiter zu. John Haick jagte das Fahrzeug schräg in den Himmel hinauf. Er beschleunigte mit allen Kräften, die die Batterien frei machen konnten. Trotzdem holte die Hitzewelle ihn noch ein. Mit häßlichem Krachen barsten einige Batterien im Heck. Der Flug verlangsamte sich. Jäh brach die Hoffnung, der Glut zu entkommen, zusammen. Doch dann kam die Druckwelle. Die heiße Luft fegte den Gleiter über die Hügelkuppen weit ins kühle Tal hinein. Hier gelang es dem Wissenschaftler, den Sonnengleiter aufzufangen und zu landen. Er sah zu dem Raumschiff hinauf, das auf glosenden Heckdüsen in den Raum hinauf zog. Es verschwand innerhalb weniger Minuten. * Die Stille war unglaublich schön. Die beiden Männer in dem einsamen Gleiter genossen sie. Rex Corda hatte lange gebraucht, um wieder zu sich zu kommen. Sein Kopf schmerzte immer noch. Er rieb sich das Kinn mit der flachen Hand. »Ich hätte nie geglaubt, daß ein Mann so hart zuschlagen kann, John«, murmelte er. Er bewegte den Kopf nach hinten und zu den Seiten, um die schmerzenden Muskeln zu lockern. »Ich glaube, wir haben die Fremden unterschätzt«, bemerkte
John Haick. Er sah den jungen Senator besorgt an. »Zuerst dachte ich auch, Bekoval wäre einfach fett. Aber er ist ein einziger Muskelball. Er bewegte sich ganz leicht, so, als käme er von einer Welt mit einer weit höheren Schwerkraft!« Corda grinste dünn. »Der Schlagkraft nach kommt er von einer Welt mit mindestens 2,5 g!« John Haick lächelte schief. Er nestelte noch immer am Videophon herum, in der Hoffnung, mit Protectopolis Verbindung zu bekommen. Plötzlich begann das Gerät vernehmlicher zu summen, und tanzende Farbpunkte zeichneten sich ab. Doch die Störungen ließen rasch nach. Dann stand plötzlich ein völlig ruhiges und störungsfreies Bild. Rex Corda erkannte einen Sergeanten, den er in der Tunnelstadt gesehen hatte. Der Sergeant erkannte auch John Haick und den Senator sofort wieder. »Moment, Sir! Ich verbinde Sie sofort mit General Dingel!« rief er. Das Bild verschwand, und nach Sekunden kam schon die Verbindung mit dem General. Jake Dingels Mundwinkel hingen tief herab. Dunkle Ringe der Erschöpfung lagen um seine grauen Augen. »Endlich, Sir«, seufzte er heiser. »Seit Stunden versuche ich, Sie zu erreichen!« Rex Corda wischte sanft mit der Hand durch die Luft. »Übertreiben Sie nicht«, lächelte er. »So lange bin ich noch nicht unterwegs! Wissen Sie, daß Washington nicht mehr existiert?« Der General nickte. »Ich erfuhr es vor einer halben Stunde von einer Streife!« »Ich kehre jetzt zurück«, sagte der Senator. »Was hat sich in der Zwischenzeit ergeben? Wie ist die augenblickliche Situation?« »Die Radarketten Ost und Nord-Ost arbeiten wieder. Über
der Erde steht eine riesige Raumflotte, Sir«, berichtete der General hastig. »Es hat eine Schlacht im Raum gegeben, bei der wahrscheinlich Tausende von Raumschiffen zerstört wurden. Unaufhörlich fallen Trümmerstücke auf die Erde herab!« »Schon gut«, winkte Corda ab. »Mich interessiert im Augenblick, ob schon etwas über die Bewegungsrichtung der Raumflotten zu erkennen ist. Die Laktonen – so nennen sich die Fremden – wurden angegriffen! Läßt sich erkennen, wer das Übergewicht hat? Ziehen sich die Flotten von der Erde zurück?« »Laktonen?« dehnte General Dingel verwundert. »Sir, wie kommen Sie auf diese Bezeichnung?« »Das erkläre ich Ihnen später«, antwortete Corda hastig. »Sagen Sie mir nur, was sich über der Erde im All abspielt! Das ist wichtiger!« Besorgt beobachtete er, daß die Zahl der Störungen größer und größer wurde. Die Stimme des Generals verzerrte sich mehr und mehr. »Sie ziehen sich nicht von der Erde zurück, Sir! Im Gegenteil, es sieht so aus, als ob es immer mehr Raumschiffe würden. Die … Flugkör …« Das Bild zersprang. Die Stimme versank in kreischenden Störgeräuschen. John Haick fluchte unmutig. Rex Corda sah in den wolkenbedeckten Himmel hinauf. Seine Augen weiteten sich. »John!« rief er. Haick folgte dem Blick des Senators. Auch er sah jetzt nach oben. Das Blut wich aus seinen Wangen. Es war nicht vorbei! Die Erde fand keine Ruhe. Durch die dünnen Wolken kamen Tausende neuer Sterne. Sie leuchteten rot und blau. Sie senkten sich herab. In langen,
flachen Bahnen. »Das sind die anderen!« murmelte Corda. Er richtete sich auf und gab John einen hastigen Wink. Sein scharf geschnittenes Gesicht verzog sich in tiefer Sorge. Er durfte jetzt keine Zeit mehr verschwenden. Protectopolis brauchte ihn. »Starte, John! Wir müssen ins Depot zurück! Schnell!« John Haick konnte seine Augen nicht von dem gigantischen Anblick reißen. Der Himmelsbogen schien mit Raumschiffen bedeckt zu sein. Im Widerschein der zahllosen Antriebsdüsen zeichneten sich die Raumschiffe ab. Sie glichen fast alle schlanken Hanteln. Nur wenige Schiffe hatten eine Diskusform. Die Hantelschiffe, unter denen sich wahre Kolosse befanden, senkten sich am schnellsten herab, obwohl sie die aerodynamisch ungünstigere Form hatten. »Beeile dich, John!« Rex Corda stieß seinen Freund, den jungen Wissenschaftler, rauh an. John zuckte zusammen. Mit mechanischen Bewegungen startete er den Sonnengleiter. Obwohl das Fahrzeug wegen der starken Beschädigung jetzt weitaus mehr Aufmerksamkeit erforderte als sonst, konnte John sich doch nicht voll darauf konzentrieren. Seine Gedanken beschäftigten sich unaufhörlich mit dem unerhörten Geschehen, das über die Erde hereinbrach. Seit Jahrtausenden drehte sich die Erde ungestört in der unfaßbar großen Spirale der Galaxis. Nie zuvor berührte ein außerirdisches Wesen den Raum der irdischen Sonne. Der Grund dafür mochte in der Lage der Erde innerhalb der Galaxis liegen. Die Sonne verbarg sich am Rande der Galaxis in einem unbedeutenden, sternenleeren Spiralarm, weitab vom Zentrum. Dort waren die Abstände zwischen den einzelnen Sonnensystemen zum Teil so gering, daß es für eventuell bestehende Intelligenzen nicht übermäßig schwer war,
miteinander in Verbindung zu treten. Johns Gedanken wirbelten heiß durcheinander. Welch einen Grund aber konnte es geben, daß zwei Völker erbitterte Raumschlachten am Rande der Galaxis austrugen? Der Sonnengleiter taumelte plump und schwerfällig über die Küste, die in dunklem, violettem Licht glänzte, in dem Licht, das von den landenden Raumschiffen herabstrahlte. »Laß mich ans Steuer, John! So kommen wir nicht weit!« John Haick fuhr wie aus tiefem Traum auf. Er starrte den jungen Senator verwirrt an. Das weiche, schwarze Haar fiel ihm in die Stirn, aber er strich es nicht wie sonst zur Seite. »Geh schon, John!« Der Naturwissenschaftler nickte. Seine zuckenden Lippen spiegelten den inneren Aufruhr, der in ihm tobte. Der Schock kam erst jetzt, nachdem die Flotte der Laktonen schon weitergezogen – geflüchtet – war. Rex Corda übernahm mit zielbewußter Hand das Steuer. Der klare Geist des jungen Senators, der wegen seiner zuweilen erschreckenden Ehrlichkeit gefürchtet war, ließ eine gefährliche Ablenkung jetzt nicht zu. Rex Corda sah eine Gefahr für sich und seinen Freund. Ihm kam es jetzt nur darauf an, Protectopolis zu erreichen. Gedanken konnte man sich immer noch machen, wenn man in Sicherheit war. Er drückte den Gleiter tief herunter, so daß er dicht über dem Boden dahinsurrte. Im Schutze der Steilküste gewann er so die größte Sicherheit vor dem unausbleiblichen Orkan. Besorgt beobachtete er die Landebahnen der herabkommenden Raumschiffe. * »Hier kommen wir nicht durch, Rex! Sieh die Hantel dort! Sie landet genau zwischen dem Depot und uns!« Corda schaltete die Scheinwerfer aus. Er konnte jetzt ohne
Licht besser sehen, da die strahlenden Düsen der fremden Raumer das Land erhellten. Nach kurzer Orientierung lenkte er den Gleiter auf das Meer hinaus, um dicht über den Wellen einen weiten Bogen zu schlagen. Er hoffte, daß er so das Hantelschiff umgehen könnte, ohne in Gefahr zu geraten. John versank wieder in seinen Gedanken. Er wurde erst aufmerksam, als der Gleiter mit ständig steigender Geschwindigkeit auf die Küste zuschoß! Fragend sah er seinen Freund an. Corda machte einen verstörten Eindruck auf ihn. Seine Hände lösten sich vom Gabelsteuer. Der Sonnengleiter flog weiter. Obwohl der orkanartige Sturm an seinem Kurs zerrte, schwankte der Gleiter nicht. »Was ist los, Rex?« »Steig aus, John!« »Was redest du da? Ich verstehe nicht! Was soll das?« Rex Corda griff über den Freund hinweg zur Seitentür und drückte sie auf. »Die Leute vom Schiff haben den Gleiter übernommen, John! Sie zwingen uns, zur Hantel zu fliegen!« John Haick stöhnte. In ihm erwachte der Wissenschaftler, der sofort nach einer Erklärung für dieses Phänomen suchte. Doch Rex Corda ließ ihm keine Zeit zum Überlegen. Er griff in das kleine Fach unter dem Armaturenbrett, drückte John die Waffe Bekovals in die Hand und stieß die Tür vollends auf. »Bring die Waffe in Sicherheit, John! Schnell!« »Und du …?« »Die Fremden wollen etwas von mir! Also werde ich zu ihnen gehen! Raus jetzt!« John Haick zögerte noch immer, doch nun stemmte sich Corda entschlossen gegen ihn und drückte ihn durch die offene Tür. »Paß auf dich auf!« schrie John, bevor er die Arme
ausbreitete und sich abstieß. Rex drehte sich auf seinem Sitz um und beobachtete, wie der junge Wissenschaftler in die Tiefe fiel. Er sah ihn in das aufgischtende Wasser schlagen. Und plötzlich war er über der Küste. Die Fahrt des Gleiters steigerte sich immer mehr. Er raste auf die riesenhaft anwachsende Hantel zu, deren zwei Kugeln mehrere hundert Meter Durchmesser hatten. Der Sonnengleiter zielte jedoch nicht auf eine der Kugeln, wie Rex Corda zunächst vermutet hatte, sondern auf das mächtige Rohr, das sie verband. Dort erkannte Rex mehrere Öffnungen. Er vermutete, daß es Luftschleusen waren. Er zog die Schultern unbehaglich an den Kopf, als er nach seinen Zigaretten suchte. Der heiße Rauch des verbrennenden Tabaks beruhigte ihn nicht sehr. Rex Corda war bei weitem nicht so ruhig und zuversichtlich, wie er sich John gegenüber gegeben hatte. Er fühlte ein eigentümliches Frösteln zwischen den Schultern. Es mißfiel ihm, daß er passiv bleiben mußte. Er stemmte die Hände gegen das Steuer, als der Gleiter scharf abbremste. Lautlos flog das Fahrzeug in die offene Schleuse ein, um sie so schnell zu durcheilen, daß Rex kaum etwas erkennen konnte. Er bemerkte nur einige flimmernde Fernsehschirme, fremdartige Beschriftungen und eine verwirrende Anzahl von verschiedenfarbigen Knöpfen, Hebeln, Schaltern und Skalen. Vor allem aber fiel ihm auf, daß die Fremden keinen Luftaustausch vornahmen. Sie ließen die ungefilterte Luft der Erde ins Schiff. Das bedeutete, daß sie biologisch mit dem Menschen verwandt waren. Rex Corda beruhigte sich ein wenig. Der Gleiter huschte in eine gigantische Halle. Kreischend scharrten die Plastikkufen über den metallenen Untergrund. Der Gleiter schwankte einige Augenblicke gefährlich, als der unsichtbare Lenker ihn brutal abstoppte.
Rex Cordas Blicke flogen hastig über die unübersehbare Zahl von Fahrzeugen, Kleinund Kleinstraumschiffen, Raketenlafetten, Raketen verschiedenster Bauweise und anderen Maschinen aller Größe, deren Funktion ihm auf den ersten Blick unklar bleiben mußte. Am auffälligsten war das etwas trübe, rötliche Licht, das die Halle bis in den letzten Winkel erfüllte. Es kam von armdicken, senkrecht hängenden Kristallstäben an der gewölbten Decke der Halle. Rex entdeckte bläuliche Funkenschwärme, die unruhig von einem dieser Stäbe zum anderen zogen. Jedesmal, wenn sie einen Stab verließen, verstärkte er seine Lichtausschüttuhg. Zwischen dem blitzenden Gerät am Boden der Halle und auf den Zwischenstegen an den Wänden wimmelte es von Lebewesen aller möglichen Formen. Für einen Augenblick glaubte Corda, in einem Hort gefangen zu sein, in dem die Fremden alle Lebewesen hielten, deren sie habhaft werden konnten. Aber dann erkannte er, daß jedes dieser Wesen irgendeine Beschäftigung hatte, daß keines sich mit sinnlosen Dingen beschäftigte. Er versuchte, sich auf eines der Lebewesen zu konzentrieren, aber es gelang ihm nicht. Im ersten Augenblick starrte er fassungslos auf eine Schar von insektenähnlichen Geschöpfen, die in großer Eile an seinem Gleiter vorbeitippelten. Im nächsten Moment fesselten ihn die achtundzwanzig Augen eines gigantischen Kraken, der in einem transparenten Behälter an ihm vorbeischwebte. Bevor er noch Einzelheiten des unheimlichen Körpers erkennen konnte, lenkte jene Entitäten seine Aufmerksamkeit auf sich, die wie dicke, dichtbehaarte Riesenteppiche über seinen Gleiter hinwegflatterten. Rex Corda zuckte wie unter einem elektrischen Schlag zusammen, als die Tür seines Gleiters aufsprang. Unwillkürlich fuhr er zurück, doch dann beruhigte er sich schnell, wenngleich er seine Fassung nicht ganz zurückgewann.
Das Wesen vor ihm sah wenigstens humanoid aus! Der Mann hatte eine gedrungene, ungemein kräftige Figur. Auf breiten Schultern ruhte ein massiger Kopf mit olivgrüner Haut! Über dem Schädel spannte sich ein natürlicher Helm aus blaugrünen Federn. Der Mann machte eine energische Bewegung. Rex Corda stieg zögernd aus. Er bemühte sich um ruhige, gelassene Bewegungen. Das Gesicht des Fremden faszinierte ihn. Es strahlte ungewöhnliche Kraft und Energie aus, und in den Augen lag der Glanz einer überragenden Intelligenz. Erregend war die tiefrote Farbe der Augenlider, die sich kräftig von dem Olivgrün abhob. In den Mundwinkeln des Fremden hing ein etwas geringschätziges Lächeln. Der Senator räusperte sich. Er hielt dem Blick des Fremden stand, obwohl er glaubte, die Macht dieser Augen bis ins Gehirn hinauf zu spüren. Doch dabei fühlte er, wie sich etwas Fremdes über sein Bewußtsein schob – und das erregte ihn. Er stemmte sich kraftvoll gegen den Einfluß – und schüttelte ihn ab. Ein grimmiger Glanz stieg in seine blauen Augen. Der Fremde stieß einen kurzen, dumpfen Laut aus, fuhr auf den Hacken herum, bellte einen Befehl – und ging davon! Der Metallboden dröhnte unter seinem kraftvollen Schritt. Die Arme baumelten wie leblos an seinen Seiten, aber die zuckenden Muskeln unter der enganliegenden Bluse ließen die gewaltige Kraft dieses Mannes ahnen. Rex Corda wischte sich über die Augen. Er konnte nicht begreifen, weshalb der Fremde ihn jetzt plötzlich allein ließ. Er wollte ihm nachgehen, als ihn etwas von hinten packte und herumriß. Er stöhnte auf und warf die Arme instinktiv empor, um den vermeintlichen Gegner abzuwehren. Vor ihm stand etwas, das aussah wie ein mit Bronze überzogener, kahlköpfiger Mann. Das metallisch glänzende
Gesicht bewegte sich, und einige Laute kamen über die glatten Lippen. Rex verstand sie nicht. Er starrte in die Augen des Bronzenen und suchte vergeblich nach Leben. Er taumelte unter dem Schock, als er erkannte, daß er einem Roboter gegenüberstand. Die Linsen, die in den Augenhöhlen schimmerten, verrieten es ihm. Kalt kroch es ihm über den Nacken herauf. Die Roboter der Laktonen hatten nicht so unheimlich auf ihn gewirkt. Sie sahen nicht so menschlich aus. Dieser Roboter aber hätte auch ein lebendes Wesen sein können. Die Farbe des Blutes – und damit die bestimmende äußere Farbe – war schließlich nur ein Faktor des Sauerstoffträgers im Blut. Menschliches Blut war rot, weil das Hämoglobin diese Farbe hatte. Es mußte nicht so sein. Im Blut des Fremden, der den Roboter gerufen hatte, herrschte ein anderer Farbstoff vor, der einen hohen Grünanteil hatte. Der Roboter wirkte so erschreckend lebendig, weil das Metall so geschmeidig war, daß es sich den Bewegungen des Roboters weich anpaßte. Rex Corda zuckte zusammen, als der Roboter nach seinem Arm griff. Er wollte sich wehren, doch die Kraft der Maschine war zu groß. Der Roboter drehte sich um und zog den Senator wie ein kraftloses Bündel mit sich. Er gab die Gegenwehr rasch auf, da sich mit jeder Abwehrbewegung die kalten Finger des Roboters fester um seine Arme spannten. Die nächsten Minuten glichen einem Alptraum. Der Roboter führte den Gefangenen durch Hallen und Gänge, in Fahrstuhlschächte und über Fließbänder in einen kleinen, schmucklosen Raum. Rex Corda wurde auf dem Wege dorthin mit Robotern verschiedenster Bauart und fremdem, unwirklich scheinendem Leben konfrontiert. Er hörte fremde und unverständliche Laute aus verborgenen Lautsprechern schallen, er vernahm das Hämmern, Dröhnen und Zischen von
fremdartigen Arbeitsgeräten, und er roch die seltsamen Gerüche, die in den Gängen schwebten. Er fühlte sich in die phantastische Traumwelt seiner Kindheit zurückversetzt, obwohl er sich um nüchterne und klare Gedanken bemühte. Er versuchte, alles mit dem kühlen Intellekt zu erfassen – und schaffte es trotz aller Anstrengungen nicht. Der Anblick der grüngesichtigen Fremden verblüffte ihn immer wieder. Er traf sie überall auf seinem Weg durch das Schiff. Er sah sie in verschiedensten Uniformen, aber immer farbenprächtig. Sie schienen eine Vorliebe für schreiende Farben zu haben. Viele der Fremden gingen in Begleitung von anderen Lebewesen. In den wenigen Augenblicken, die Rex Corda durchs Schiff ging, sah er so viele und so verschiedene Arten von Leben, daß er sich später nur noch an wenige erinnern konnte. Er sah affenähnliche Wesen, von denen er nicht sagen konnte, ob sie intelligent waren oder nicht. Er sah sie um die Füße eines der Olivgrünen herumtollen wie verspielte Kinder, und er sah sie wenig später ernsthaft miteinander palavern wie würdige Ratsherren. Er entdeckte amphibische Wesen, die an Saugnäpfen unter der Decke eines Ganges hingen und eifrig an einem Kabelkasten arbeiteten. Er taumelte unter der Wucht der Eindrücke, als er in dem kleinen Raum stand. Ein Olivgrüner mit beeindruckend massiger Gestalt starrte ihn an. Zuerst sah es so aus, als befinde er sich wirklich im gleichen Raum. Aber dann erkannte Rex an kleinen Reflexionen doch, daß er nur einem dreidimensionalen Abbild gegenüberstand. Jetzt entdeckte er auch die kleinen, blauen Punkte in den Tränensäcken des Fremden. Sie schienen auf der Haut zu wandern wie eigenständiges Leben. Eine Handbewegung – scheinbar völlig sinnlos – bewirkte, daß die Wand hinter Corda sich in den Boden senkte. Der Senator hörte es, drehte sich um und trat etwas zurück. Die
Kontrollfront eines Gerätes wurde sichtbar, das Rex an einen größeren Computer erinnerte. Die blinkenden Lichter konnten seine Aufmerksamkeit nicht ablenken. Er betrachtete den Fremden abwägend. Er versuchte aus den kaum merklichen Regungen in dem bräunlichgrünen Gesicht einen Gedanken zu lesen. Langsam wich die Anspannung von ihm. Seine Lippen lockerten sich zu einem dünnen Lächeln. Er fürchtete sich nicht vor diesem Fremden. Er hatte viele Wesen gesehen, die fremdartiger aussahen als dieser Mann. Er fragte sich, welchen Weg der Verständigung diese Fremden finden würden. Würden die »Featherheads«, wie er sie wegen ihrer gefiederten Köpfe in Gedanken nannte, auch mechanische Dolmetscher Zwischenschalten? Wieder sagte der Olivgrüne etwas. In der Kontrollwand öffnete sich ein kreisrunder Schlund. Rex Corda fühlte sich hart von dem Roboter gepackt. Bevor er sich wehren konnte, riß der Roboter ihn herum, hob ihn hoch und stieß ihn – mit dem Kopf voran – in den dunklen Schlund. Alles ging viel zu schnell. Plötzlich klickten kalte Schalen gegen seinen Schädel. Die Kontrollwand schloß sich hinter seinen Füßen, Dunkelheit hüllte ihn ein. Spitze Nadeln tasteten nach seinen Armen und Beinen. Eine Druckplatte senkte sich von oben auf ihn herab und zwängte ihn so hart ein, daß er gerade noch atmen konnte. Plötzlich stach etwas heiß in seinen Schädel. Rex Corda fühlte die Nadel in sein Hirn dringen. Er schrie! Gleißende Sonnen explodierten in weißem Licht vor seinen Augen, und kalte Schauer rieselten über seine Haut. Reißender Schmerz breitete sich von seinem Herzen in der Brust aus und stürzte ihn ins absolute Nichts. Während Dunkelheit seinen Geist überfiel, dachte er an seinen Freund John Haick und die Waffe, die er dem Fremden abgenommen
hatte. * John preßte die Waffe an seine Brust. Verbissen kämpfte er mit den Wellen, die ihn auf das offene Meer hinaustreiben wollten. Er wagte nicht, die Waffe in den Gürtel oder in eine Tasche zu stecken, weil er befürchtete, sie dann zu verlieren. So hatte er nur eine Hand frei. Aber das genügte. Es gelang ihm, sich bis an einige Klippen heranzuarbeiten. Als er sich erst einmal festgeklammert hatte, wurde alles leichter. Er zog sich über die Felsen bis an das Ufer heran und rannte dann gebückt bis in den Sichtschatten der Steilküste. Bis jetzt hatte er noch keinen einzigen Blick auf den Gleiter werfen können, der in die Fänge der Fremden geraten war. Jetzt war es zu spät. Rex Corda war verschwunden. John Haick drehte die Waffe in seiner Hand. Sie funkelte im Licht der landenden Raumschiffe. Er war versucht, schon jetzt einen Versuch mit der Waffe zu machen, aber er verzichtete dann doch. Er kannte die Wirkung nicht gut genug. Jeder Versuch wäre zu gefährlich gewesen. John räumte seine Taschen aus und warf alles weg, was durch das Wasser verdorben war. Es hatte keinen Sinn, nasse Zigaretten mitzuschleppen. Dann lief er nach Norden. Er hielt sich immer dicht an die Steilküste, auch wenn der Weg dort beschwerlicher war als direkt am Wasser. So fauchte der ungebrochene Sturm über ihn hinweg und konnte ihm nur wenig anhaben. Nach zwei Stunden erreichte er eine weite Bucht, über der ein flaches, scheibenförmiges Raumschiff schwebte. An der Unterseite öffnete sich eine Schleuse. Helles Licht strahlte bis auf das Wasser herab. John blieb erstaunt stehen. Er schob sich hinter eine
Felsklippe, um sich vor den Fremden zu verstecken. Da stürzte ein schwerer Körper ins Wasser hinab. Das Schiff schwebte etwa zehn Meter über der Wasseroberfläche. Das Wasser schäumte daher hoch auf. Sekunden später fielen drei weitere Körper herab. Und jetzt erkannte John heftige Bewegungen. Das Wasser schlug hoch. Ein massiger Körper schnellte sich weit über die Wellen, tauchte wieder unter und zuckte abermals wie ein Delphin hoch. Trotz der Dunkelheit erkannte John, daß es sich um riesenhafte Kraken handeln mußte, die durch die Wellen ins offene Meer hinaus tobten. Dumpfe Schreie tönten zu ihm herüber. Die Monster schienen sich wohl zu fühlen! Das flache Raumschiff verharrte auf der Stelle. Deshalb wandte John sich landeinwärts. Er fand genügend Möglichkeiten, um im Windschutz der Klippen zu bleiben. Doch um von den Fremden nicht entdeckt zu werden, mußte er sich sehr vorsichtig bewegen. Dadurch verlor er fast drei Stunden Zeit. Die Nacht näherte sich bereits ihrem Ende, als er den Rand des Kraters erreichte. Er kauerte sich hinter einige Felsblöcke und starrte in das Dunkel des Kraters hinab. Er konnte keine Einzelheiten ausmachen. Die Nacht war noch zu dicht. Vorsichtig begann er mit dem Abstieg. Er tastete sich Schritt für Schritt voran. Der Boden war schlüpfrig. Ein durchdringender, fauliger Geruch kam aus der Tiefe herauf. Dort unten wucherte ein Dschungel mutierter Pflanzen. John fühlte sein Herz rasch und schmerzhaft klopfen. Er war unruhig. Immer häufiger blieb er stehen und horchte. Mehrmals glaubte er, ein Schleifen wie von Seide auf Perlon zu hören. Er wünschte, er könnte mehr erkennen. Irgend etwas streifte in seiner Nähe durch die Felsen. Kroch es nicht auf ihn zu? Plötzlich ertönte ein leiser Schrei aus der Tiefe. Er kroch aus dem Dunkel herauf und schien plötzlich ganz aus der Nähe zu
kommen. Oder täuschte er sich? Er wich zur Seite aus. Tastete sich lautlos voran. Er fühlte, daß sich ihm die Nackenhaare sträubten. Die Geräusche vermittelten ihm das Gefühl, daß etwas Großes auf ihn zukam. Er griff nach der Waffe, die er bis jetzt in der Tasche getragen hatte. Er wußte nicht, wie er sie bedienen mußte, doch er fühlte sich sicherer mit ihr. Da flammte direkt vor ihm ein kleiner Scheinwerfer auf. Geblendet schloß er die Augen. Er riß die Waffe hoch. Doch da warf sich etwas von hinten auf ihn und umklammerte ihn. Er stürzte zu Boden. * Rex Corda tauchte aus tiefster Bewußtlosigkeit auf. Sein Hirn schmerzte heftig. Es schien zu atmen. Und mit jeder Ausdehnung schien es den Schädel sprengen zu wollen. Sekundenlang wußte er nicht, wo er war. Erst allmählich begriff er, daß er noch immer in der Maschine lag. Die Dunkelheit war absolut. Um so farbiger klangen die Geräusche, die ihn umschwemmten. Die Maschine lebte! Sie flüsterte und murmelte. Er fühlte, daß etwas in seinem Kopf war. Es strich dicht unter der Stirn durch sein Hirn. Er fühlte, wie es tastete und suchte. Er biß sich auf die Lippen. Unwillkürlich spannte er sich an – doch er konnte nichts dagegen tun. Er machte es nur noch schlimmer. Mit der Anspannung wuchsen die Schmerzen. Es gab ihn nicht frei! Es wühlte sich weiter durch sein Hirn. Zerstörte es? Rex Corda fiel auf, daß es ihm außerordentlich schwerfiel, zu
denken. Seine Gedanken flossen träge und langsam, und sie zerflatterten immer wieder. Es gelang ihm nicht, sich auf etwas Bestimmtes zu konzentrieren. Dabei flossen unter seinem Bewußtsein andere Gedanken, die er nicht klar erfassen konnte. Sie schienen ihm zu entfliehen, sie schienen seinen Körper auf geheimnisvollem Wege zu verlassen! Der Senator stöhnte laut, als dieses Gefühl deutlicher wurde. Wieder spannten sich seine Muskeln in den Fesseln. Er drehte den Kopf, um sich aus den Metallschalen zu befreien. Er konnte ihn nur um Millimeter bewegen. Das genügte! In seinem Kopf zerriß etwas. Blutigrote Wasserfälle rauschten über seine Augen hinweg. Der rasende Schmerz schleuderte Rex sofort wieder in die ausweglose Dunkelheit zurück. Als er wieder zu sich kam, glitt sein Körper durch das helle Fenster hinaus. Rex Corda kniff die Augen geblendet zusammen, als der Roboter ihn in den Sessel setzte. Seine Hände tasteten nach dem schmerzenden Kopf. Am Hinterkopf fühlte er eine feuchte Stelle. Er hielt die Hände vor die Augen und sah, daß seine Fingerspitzen blutig waren. »Wie fühlen Sie sich, Mr. Corda?« Der Senator zuckte zusammen. Er starrte auf den Roboter, über dessen so lebendig wirkende Lippen diese Worte gekommen waren. »Was habt ihr mit mir gemacht?« stöhnte Rex. Der Roboter lächelte sanft. Er legte die Hände vor der Brust zusammen. Rex rückte ein wenig von ihm ab. Er empfand es nicht als wohltuend, metallene Lippen lächeln zu sehen. »Wir haben eine Sondierung vorgenommen, Mr. Corda, um uns die nötigen Kenntnisse anzueignen. Wir müssen uns mit. Ihnen verständigen können«, sagte der Bronzene. Er sprach akzentfrei. »Es bleiben keine nachteiligen Folgen zurück!«
Rex griff sich an den Kopf. Er hatte bohrende Kopfschmerzen. Im Hintergrund pulsierte das Blut. Ihm fiel ein, daß er den Kopf während der Sondierung bewegt hatte. Hatte er sich dabei selbst verletzt? Seine Blicke wanderten zu dem Fremden hinüber. Wieder sah er nur eine Projektion. Der Featherhead saß in einem Kugelsessel, der ihn nach allen Seiten hin abschirmte. Rex erkannte die Verspannungen von Lautsprechern im Inneren der Kugel, und er hörte leise, fremdartige Musik. Sie klang kalt und abstoßend. Der Fremde sah ihn abschätzend an. Das schiefe Grinsen in seinen Mundwinkeln vertiefte sich. Die Federn auf seinem Kopf richteten sich leicht auf. »Wir ahnten nicht, daß Sie der höchste politische Repräsentant Ihres Landes sind, Mr. Corda«, sagte der Featherhead, und der Roboter übersetzte diese Worte ins Englische. Der Olivgrüne verneigte sich. Spöttisch blitzten seine Augen auf. Rex schüttelte verwirrt den Kopf. »Sie irren sich«, versetzte er. »Ich bin nicht der höchste Repräsentant meines Landes!« Der Featherhead stieß den Atem durch die Nase aus. »Eines unserer Raumschiffe ist über Washington abgestürzt, Mr. Corda. Es blieb keiner Ihrer politischen Führer zurück! Nur Sie! Deshalb sind Sie der Wichtigste!« Rex erbleichte. »Woher wissen Sie das?« »Wir befinden uns seit 21 Stunden auf dem Boden Ihres Landes, Sir«, übersetzte der Roboter die Antwort des Olivgrünen. »In dieser Zeit konnten wir ausreichende Informationen sammeln. Ihr Hirn enthielt sehr viel!« »Einundzwanzig Stunden!« Rex Corda hielt den Atem an. Er konnte es nicht glauben,
daß er so lange in der Maschine gelegen hatte. Er sah den Olivgrünen an. Erst jetzt fiel ihm auf, daß der Sessel keine Beine hatte! Er berührte den Boden des Raumes überhaupt nicht! Der Sessel schwebte! »Wir haben diesen Weg der Verständigung gesucht, Mr. Corda, weil wir die Hilfe der Erde brauchen – und weil wir keine Zeit haben!« Rex schluckte. »Hilfe der Erde? Wofür?« »Es wird zu einer Schlacht in diesem Raum kommen«, erklärte der Olivgrüne. Er beugte sich ein wenig vor. »Dazu benötigen wir die Unterstützung. Unsere Flotte muß neu versorgt werden. Wir brauchen Nahrungsmittel, Maschinen, Rohstoffe, spaltbare Materialien in großer Menge – und das Wissen der Menschheit!« Rex richtete sich auf. Vor seinen Augen flimmerte es. Er fühlte eine momentane Schwäche, die von seinem Kopf ausging. Er suchte seine Zigaretten und zündete sich eine an. »Eine Schlacht?« flüsterte er. »Was nennen Sie eine Schlacht? Was war das denn, was sich über der Erde abspielte?« Der Olivgrüne lachte kurz auf. Er warf seinen massigen Kopf in den Nacken, und seine Lippen zuckten. Sekunden darauf zeichnete sich schon wieder das abstoßend gleichbleibende Grinsen auf seinen Lippen ab. »Das war ein lächerliches Geplänkel«, erklärte er. »Ich führe nur den Vortrupp an, der den Schlachtgrund bereiten wird. Mehr nicht! Wollen Sie?« Rex Corda erhob sich. Langsam schüttelte er den Kopf. »Nein«, sagte er. »Wir wollen nicht! Die Erde wird Ihnen nicht helfen! Verschwinden Sie von hier! Niemand hat Sie gerufen! Niemand wünscht, daß Sie eine Schlacht auf dem Felde der Erde austragen! Verschwinden Sie – das ist alles, was ich auf Ihre Worte sagen kann!«
Rex Corda begegnete dem Blick der kalten, verächtlichen Augen. Er sah, wie die Lippen des Olivgrünen sich bewegten. Der Fremde stieß nur zwei kurze, abgehackte Laute aus. Es klang wie ein Fluch. Der Roboter packte Cordas Arm, riß ihn herum und schleppte ihn aus dem Raum. Cordas Proteste halfen nichts. Er ließ den jungen Senator nicht allein gehen. Der Roboter schien überhaupt nichts zu hören. Wieder schleppte er den Senator über Fließbänder, durch Liftschächte, Gänge und Hallen, bis sie sich dem Gleiter näherten. Erstaunt verharrte Rex, als der Roboter ihn an dem Fahrzeug vorbeischleppte. Aber auch jetzt reagierte der Bronzene nicht. Der Roboter zerrte den Senator bis in die offene Schleuse hinein. Rex konnte weit auf den Ozean hinaussehen, der im Licht des weißen Mondes glitzerte. Dicht über dem Horizont stürzte etwas aufglühend zur Erde. Eine Sternschnuppe, ein Wrack? Tobte der Kampf noch immer? »Wir werden alles bekommen, was wir haben wollen, Mr. Corda«, sagte der Roboter plötzlich. Und jetzt lächelte er sogar, »Wir werden es auch ohne Sie bekommen. Wir haben alle Informationen, die wir benötigen, von Ihnen bekommen. Es wird etwas länger dauern ohne Ihre Hilfe, aber das ist nicht entscheidend.« Rex Cordas Blicke wanderten von dem Metallgesicht zur Kante der Schleuse und zurück. Er fragte sich, wie er das Raumschiff verlassen sollte, wenn er den Gleiter nicht zurückbekam. Hinter der Schleuse gähnte ein Abgrund von mehr als einhundertfünfzig Metern Tiefe! »Was geschieht mit mir?« fragte Rex beherrscht. »Wir benötigen Sie nicht mehr!« sagte der Roboter. Er stieß den Senator über die Kante. Rex sah das unbewegte Gesicht über sich. Die kalten Linsen
und den im Lächeln erstarrten Metallmund. Dann überschlug er sich, und das Gesicht verschwand aus seinem Blickfeld. Unter ihm drehten sich die Hügel, die rasend schnell heranschossen. * John Haick schrie auf, als im Lichtkreis der Lampe eine kleine Hand auftauchte, die blitzschnell auf sein Handgelenk hinunterzischte. Heißer Schmerz durchzuckte seinen Arm. Er ließ die Waffe fallen. Sofort wich das Gewicht von seinem Rücken. Etwas bückte sich neben ihm. Dann war Ruhe. Der Scheinwerfer wanderte zur Seite ab, und der Lichtstrahl hüpfte über die bizarren Felsen. Er setzte sich in Bewegung. Er folgte dem Lichtkegel. Ein zufriedenes Knurren bewies ihm, daß er richtig handelte. Zuerst erschrak er, als er erkannte, daß das Licht ihn genau zum Eingang des Depots führte. Dann wurde ihm bewußt, daß die Posten das Licht längst ausgemacht haben mußten. Hinter sich hörte John Haick die leisen Schritte der anderen. Das beruhigte ihn. Er hatte sich getäuscht. Im Dunkel lauerte kein Monster auf ihn. Er hatte es mit Menschen zu tun. Als sie bis auf hundert Meter an den Eingang der Protectopolis-Station herangekommen waren, brannte der Scheinwerfer noch immer. Und jetzt wurde John unruhig. Das bedeutete doch, daß seine Gegner sich sehr sicher fühlten! Hatten sie das Depot inzwischen erobert? Plötzlich fühlte John sich erschöpft und zerschlagen. Er dachte an Senator Corda, der sich jetzt in der Hand der Invasoren befand. Welchen Sinn hatte es gehabt, daß er sich von ihm getrennt hatte? Sie hatten nichts erreicht. Die erbeutete Waffe steckte im
Gürtel eines anderen. Alle Mühe war umsonst. Er biß sich enttäuscht auf die Lippen und stolperte weiter. Sein Haar fiel ihm über die Augen. Er schien es nicht zu bemerken. Da flammte vor ihnen ein Armeescheinwerfer auf. »Bleiben Sie stehen!« dröhnte eine Lautsprecherstimme durch die Nacht. »Mr. Haick, kommen Sie allein zu mir!« John ging weiter. Er stolperte erschöpft an dem Scheinwerfer vorbei. Kräftige Arme fingen ihn auf. »Verdammt, wie kommen Sie an diese Burschen?« keuchte eine tiefe Stimme. John Haick drehte sich um. Jetzt erst sah er seine Gegner im Lichtkegel. Ungläubig weiteten sich seine Augen. * Rex Corda schrie nicht. Er wunderte sich nur darüber, daß es so lange dauerte, bis er begriff, daß er in den Tod stürzte. Der Sturz schien unwirklich, so, als ob es nicht er selbst sei, der in wenigen Sekunden auf die Erde schlagen werde. Sein Hirn lag noch unter dem Schock der Sondierung. Als er voll erfaßte, daß dies das Ende war, fehlten nur noch zehn Meter bis zum Tod. Die Zeit, die ihm noch blieb, war viel zu kurz für eine Reaktion. Rex Corda knallte mit einem dumpfen Schlag, der bis zur Schleuse hinauf dröhnte, in das unsichtbare Prallfeld. Es erfaßte ihn in fünf Meter Höhe mit scharfer Verzögerung. Es war wie ein brutaler Schlag in den Magen. Das Feld bremste seinen Sturz ab. Cordas Hacken knallten hart auf den Boden. Er fiel und überschlug sich, aber es gab keine einzige Schramme. Der Schock war heftiger. Der Senator sprang sofort auf die Beine. Taumelnd lief er durch das unbeschreibliche Gerümpel, das den Boden
bedeckte. In den stinkenden Abfällen, die die Featherheads einfach aus den Abfallschächten geworfen hatten, wimmelte es von Ratten. Rex kämpfte gegen die würgende Übelkeit und den nagenden Schmerz, der in seinem Hinterkopf tobte. Mit grotesken Bewegungen versuchte er, sich aus dem komplizierten Schweremuster zu befreien. Der Einfluß des Prallfeldes, das die gravitatorischen Bedingungen veränderte, ließ ihn ständig stolpern. Seine Füße berührten den Boden nicht. Sie stampften in dem weichen Prallfeld, das bis an seine Knöchel einen Auftrieb verursachte. Bis hinauf zu den Knien herrschte Schwerelosigkeit. Dann nahm die Schwere zu. Aber in Kopfhöhe blieb der Einfluß noch so gering, daß Rex immer wieder Sätze von mehreren Metern Höhe machte. Während das Prallfeld ihn wieder auffing, behinderte es ihn im nächsten Moment schon wieder durch seine verwirrenden Bedingungen. Unwillkürlich stieß Rex gegen Gerümpel und Abfall, das beim leisesten Anstoß in die Luft wirbelte. Bald bemerkte er, daß das Feld nicht einheitlich geringere Gravitation enthielt. In mehr als zwei Metern Höhe schien es Schichten gegenpoliger Schwere zu geben, so daß mal die Anziehungskraft wirkte und dann wieder ein Auftrieb. Glücklicherweise reichte das Feld nicht weit. Rex Corda konnte sich bald daraus befreien. Erschöpft und gequält taumelte er über einen sanften Hang, um sich zwischen einigen Büschen auf den Boden zu werfen. Mühsam nach Atem ringend, starrte er zur Schleuse hinauf. Er entdeckte das metallene Gesicht. Es zog sich sofort zurück, als er seine Blicke nach oben richtete, aber doch nicht schnell genug. Zornig biß Rex die Lippen aufeinander. Konnte sich ein Roboter amüsieren? Sie hatten ihm gezeigt, was sie von ihm hielten. Deutlicher konnten sie wirklich nicht mehr sagen, was ihnen der Mensch
wert war. Ein Werkzeug, das man wegwarf, wenn es keinen Nutzen mehr erbrachte. Er wischte sich den Schweiß aus dem bleichen Gesicht. Ächzend stemmte er sich hoch und beeilte sich dann, aus der Nähe des Raumschiffes zu verschwinden. Er warf keinen Blick zurück zu dem hantelförmigen Schiff. Sein großes Problem war jetzt, wie er ohne Hilfsmittel zur Protectopolis-Station M 31 kommen konnte. * Im Lichtkegel des Scheinwerfers stand eine kleine Gestalt mit einem auffällig großen Kopf. Das zwergenhafte Wesen trug eine enge, schwarze Kombination mit einem leuchtend roten Brustkeil. Ga-Venga lächelte sanft. Er stemmte seine winzigen Fäuste in die Hüften und wippte gelassen auf den Fußballen. John Haick trat langsam vor. Er winkte Ga-Venga zu, als er in den Lichtkegel geriet. Ga-Venga stimmte einen leisen Singsang an, der allein für ihn bestimmt zu sein schien. Er kam zu John. Er sah ihn an, und sein rundes Kindergesicht grinste freundlich. Die winzige Zunge strich flink über die Zähne. GaVenga machte einen zufriedenen Eindruck. »Ich bin nicht allein«, sagte er. Seine Stimme klang angenehm. »Es sind noch drei Laktonen bei mir!« John runzelte die Stirn. »Warum kommen sie nicht her?« »Sie schicken mich vor, um zu sehen, ob ihr mich erschießt oder nicht!« Wieder wischte die Zunge über die Zähne. GaVenga lächelte mokant. Er drehte sich um und stieß mehrere, schrille Schreie aus. John, der sofort erfaßte, was vorging, verständigte die Soldaten. So konnten die drei Laktonen das Depot ungefährdet
betreten. Es waren drei sehr unterschiedliche Gestalten. Voran ging Bekoval, der durch Haltung und Gestik deutlich machte, daß er bedeutend über den anderen stand. Seine Begleiter waren kleiner und schmächtiger als er. Aber auch sie verbreiteten eine Atmosphäre von Autorität. Ihr Schritt, ihre Haltung, ihre Mimik zeugten von Selbstbewußtsein und Stolz, von Kraft und Überlegenheit. John Haick erkannte sofort, daß diese Männer Ga-Venga nicht aus Furcht vorangeschickt hatten. Ihr Vorgehen verriet Vorsicht. Besonders rücksichtsvoll waren sie nicht gewesen. Wer aber konnte jetzt schon etwas über ihre Mentalität sagen? Vielleicht gab es gar keine andere Möglichkeit für sie. »Kommen Sie, Mr. Haick«, sagte eine dunkle Stimme hinter ihm. »Kommen Sie ins Depot!« John drehte sich um. Im diffusen Streulicht erkannte er Major Ramsey, der zum Beraterteam des Senators gehörte. Eine Taschenlampe erhellte den schmalen Pfad. Ga-Venga wechselte einige Worte mit den Laktonen. Sie folgten John und dem Major über die Klippen. »Wie ist die Lage, Major?« erkundigte sich John, nachdem er kurz erklärt hatte, welches Risiko Rex Corda eingegangen war. »Die Fremden lassen uns ziemlich in Ruhe. Langsam scheint sich vieles einzurenken. Es sieht so aus, als sollte sich das Leben wieder normalisieren, wenn Sie verstehen, was unter den gegebenen Umständen damit gemeint ist!« »Kommen noch Flüchtlinge?« »Bis jetzt sind etwas mehr als neunhundert hier!« John erschrak. Die Zahl war schon fast zu hoch. Die Lebensmittelvorräte würden unter diesen Umständen nur für wenige Wochen ausreichen. Wenn die Fremden überrascht über die Anlage waren, so zeigten sie es nicht. Ihre Gesichter blieben ruhig und gleichmütig.
Der Major blieb am Eingang zurück, und John führte die drei Laktonen und Ga-Venga zum General. Die Fremden schienen die Flüchtlinge, die zum Teil auf provisorischen Liegen ruhten, kaum zu bemerken. Nur einmal blieb Bekoval kurz stehen. Das war, als er den Mutanten sah. John Haick erschauerte. Noch nie hatte er eine derart abstoßende Mutation gesehen. Die vorquellenden roten Augen bewegten sich unabhängig voneinander, und der schwarze Rüssel pendelte über dem Kinn hin und her. Als Bekoval weiterging, zuckten seine Lippen. Aber er sagte nichts. Der General erhob sich langsam, als sie eintraten. Seine Augen schienen unter den eisgrauen Brauen einzufrieren. Ga-Venga trat bis an den Schreibtisch heran, den er nur wenig überragte. Er grinste freundlich. »Hallo, alter Junge!« brummte er. »Das würde man doch auf der Erde sagen, wenn man was Nettes sagen will, nicht wahr?« John lachte unterdrückt. Der General lief rot an. »Was wollen Sie hier?« forschte er heiser. »Bevokal wird Ihr Kommando übernehmen, General«, antwortete das zwergenhafte Wesen. Es kreuzte die Arme fest vor der Brust und ging vor dem Schreibtisch auf und ab. »Richte ihm aus, daß es nicht weit bis zum nächsten Schiff der anderen ist, Ga-Venga!« sagte John kalt. Der General sah ihn überrascht an. Er übersah die Zusammenhänge sehr schnell. Mit einem boshaften Lächeln auf den Lippen kam er um den Schreibtisch herum. Er baute sich vor der imposanten Gestalt Bekovals auf. »Sie sind hier nicht willkommen«, knurrte er. »Wenn Sie bleiben wollen, dann fügen Sie sich.« Der Laktone sagte etwas zu dem Kleinen. Ga-Venga lächelte sanft. Er sprang erst auf einen Sessel, dann von dort auf einen kleinen Tisch. Jetzt fühlte er sich den anderen gleichgestellt.
Jetzt überragte er sie sogar etwas. »Der Laktone lehnt ab, General«, erklärte er. »Er sagt, Sie hätten nicht die geringste Ahnung von Ihrer wirklichen Lage!« Jake Dingel errötete abermals. Eine dicke Ader flammte bis auf seine Glatze hinauf. »Erklären Sie mir zuerst, weshalb Sie so gut über uns Bescheid wissen. Und wie ist es möglich, daß Sie unsere Sprache so gut beherrschen?« warf John schnell ein. Er wollte einen Zusammenprall vermeiden. Ga-Venga lächelte sanft. »Ich gehörte zu dem Vortrupp, der Ihren Planeten seit mehr als vier Wochen Ihrer Zeitrechnung beobachtet. Da die Kynother als Sprachgenies gelten, werden Sie begreifen, daß das mehr als genug Zeit war, um einige Ihrer Sprachen kennenzulernen!« General Dingel trat an den Schreibtisch. Er drückte einen Knopf, um Oberst Polley zu rufen. »Schluß jetzt!« donnerte er. »Erklären Sie ihm noch einmal, daß er hier keine Bedingungen zu stellen hat. Sonst kann er die Anlage sofort wieder verlassen!« Die Augen des Laktonen glänzten wie taustumpfes Eis, als Ga-Venga übersetzt hatte. »Wir vier könnten dieses ganze Depot ausheben«, ließ er durch den Kleinen sagen. »Es würde noch nicht einmal besonders viel Mühe machen. Damit dürfte klar sein, wer hier das Kommando hat!« John Haick sah an Bevokal vorbei. Er schien die harten Augen nicht zu sehen. Seine Augen richteten sich auf Ga-Venga, den Kynother. Der Zwerg strich sich schmunzelnd über das blaue Haar, das seinen Kopf bedeckte. Seine Lippen bewegten sich in einem lautlosen Singsang. Ga-Venga schien jedoch die Blicke Johns nicht zu bemerken. John fragte sich, in welcher Lage sich die Fremden wirklich
befanden. Es mußte einen sehr gewichtigen Grund dafür geben, daß sie abermals auf der Erde gelandet waren. Waren sie abgeschossen worden? * Rex Corda hatte sich vollkommen gefangen. Jetzt war er wieder der kühle, sachlich denkende Mann, der ohne störende Gefühle sein Ziel verfolgt. Er strebte am Rande der Bundesstraße 9 nach Norden. Er hoffte, bald auf ein Fahrzeug zu stoßen, mit dem er schneller vorankam. Aber alles schien sich gegen ihn verschworen zu haben. Auf drei verlassenen Farmen hatte er Autos und Gleiter gefunden. Für keines der Autos fand er Benzin. Die Gleiter hatten keine Batterien. Es sah so aus, als ob die Familien mit allen Energiereserven in einigen wenigen Fahrzeugen geflohen waren. Die Nacht lag still und grau über dem Land. Von Osten her kam das stete Rauschen des Atlantiks. Der Himmel spannte sich sternenklar über ihm. Immer wieder sah er hinauf. Und jedesmal sah er die flammende Spur eines Raumschiffes. Jetzt schienen ständig Schiffe zu landen und zu starten. Das überraschte ihn. Er hatte nicht damit gerechnet, daß die Featherheads pendeln würden. Welchen Grund gab es für sie? Es gab immer neue und immer mehr Fragen, die er nicht beantworten konnte. Nur eines war ihm jetzt ganz klar. Die Featherheads wollten sich von der Erde versorgen lassen. Rex fand diese Erklärung durchaus logisch. Er konnte sich vorstellen, daß der Verbrauch der Flotte für irdische Maßstäbe unvorstellbar groß war. Bei den riesigen Entfernungen, die die Fremden zurücklegen mußten, konnten sie nicht alles, was sie
brauchten, mitschleppen. Das Versorgungsproblem war nur noch dadurch zu lösen, daß man von fremden Welten lebte. Je länger Rex es sich überlegte, desto wahrscheinlicher schien es ihm, daß die Flotten fast ihren gesamten Bedarf mit Lieferungen von den Welten deckten, die sie bei ihren Kriegszügen berührten. Er blieb stehen und sah in den Himmel hinauf. Die Bewegung schmerzte. Wieder zogen die nagenden Schmerzen vom Nacken her in seinen Kopf hinein. Der Senator stöhnte unterdrückt. Er massierte sich den Nacken. Da tauchten im Süden schwache Lichter aus der Nacht. Sie rasten über die Bundesstraße. Rex Corda eilte zur Straße. Plötzlich wallte Hoffnung in ihm auf. Das Auto mußte ihn mitnehmen. Schnell kamen die Lichter näher. Rex stieß mit dem Fuß gegen einen Ast. Das brachte ihn auf einen Gedanken. Er hob den Ast auf. Er war sehr trocken und ließ sich leicht entzünden. Hell flammte das Holz auf. Es wurde höchste Zeit. Das Auto kam sehr schnell näher. Der Fahrer fuhr wie der Teufel. Mit abgeblendeten Lichtern war dieses Tempo lebensgefährlich! Rex sprang auf die Straße. Er schwenkte den brennenden Ast. Das Fahrzeug wurde nicht langsamer. Wütend röhrte das Horn! Die Scheinwerfer blitzten hell auf. Rex biß die Zähne zusammen. Er wollte nicht aufgeben. Wieder und wieder schwenkte er den Ast. Doch der Fremde machte keine Anstalten zu bremsen! Er jagte auf ihn zu, ständig die Hupe betätigend. Rex Corda sprang von der Straße. Er fluchte, konnte den unbekannten Fahrer aber trotz allem verstehen. Er wußte nicht, ob er selbst unter den gegebenen Umständen gehalten hätte. Er versuchte es ein letztes Mal. Er warf den brennenden Ast mitten auf die Straße. Das Hupen verstummte. Doch der Wagen beschleunigte. Die Funken sprühten hoch auf, als die Reifen über das Holz
hinwegzischten. Enttäuscht sah Rex Corda dem Wagen nach, der rasch verschwand. Plötzlich bellte eine Maschinenpistole auf. Die trockenen Schüsse knallten durch die Nacht. Glas splitterte. Die Reifen kreischten auf dem Beton. Rex sah die Rücklichter schwanken. Der Wagen schleuderte. Plötzlich wurde es ganz still. Der Wagen rollte quer über die Straße und rutschte langsam über den Rand hinaus. Harte Schritte kamen über die Straße heran. Rex Corda zog sich vorsichtig hinter die Bäume an der Straßenseite zurück. Im Dunkel der Nacht erkannte er eine untersetzte Gestalt, die eine MP in der Armbeuge trug. »Hallo, Mister?« rief der Bewaffnete. Rex biß sich auf die Lippen – und schwieg. Sein Herz schlug schmerzhaft. Langsam zog er sich weiter von der Straße zurück. Er war unbewaffnet. Er hatte keine Chance gegen diesen Mann. Er schlich sich parallel zur Straße nach Norden. Bald hörte er die leisen Stimmen mehrerer Männer. Der Bewaffnete, der nach ihm gesucht hatte, kam über die Straße zurück. »Er ist weg!« rief er leise. Ein Fluch antwortete ihm. Rex Corda stieß lautlos bis zur Straße vor. Die Männer hatten den Wagen wieder auf die Straße geschoben. Am Rande der Straße lag ein dunkles Bündel. Die Männer sprangen in den Wagen. Der Motor heulte auf. Rasch verschwanden die Lichter im Norden. Rex atmete auf. Er wartete noch einen Augenblick, dann ging er zu dem stillen Bündel an der Straße. Er zog sein Feuerzeug aus der Tasche und knipste es an. Er leuchtete dem Toten ins Gesicht. Die Kugeln hatten seinen Brustkorb zerfetzt. Das Gesicht war unverletzt. Es trug noch jetzt die Zeichen der Überraschung. Der Mund stand leicht offen und zeigte rötliche
Zähne. Der Laktone strömte einen fremden, herben Geruch aus, der ihn sofort kenntlich machte. Er trug die Kleidung eines Nordamerikaners – einen weichen Pullover mit dem eingestickten Zeichen der Racing Boys of Miami. An der Hose und in den Schuhen fand Rex den Abdruck amerikanischer Marken. Im Gürtel steckte eine flache Pistole aus dunkelblauem Metall. Sie sah aus wie ein irdisches Fabrikat, war es aber nicht. Sie hatte einen bequemen, handlichen Griff, eine Munitionskammer, einen Abzugsbügel und einen Lauf, aber sie bestand aus einem Metall, das es auf der Erde bis jetzt nicht gab. Der Senator steckte die Waffe ein. In der rechten Hosentasche des Laktonen fand er eine flache Schachtel, die zwölf Patronen aus einem rötlichen Metall enthielt. Er nahm auch sie an sich und suchte weiter. Aber der Tote hatte sonst nichts bei sich. Rex zog den Laktonen von der Straße und bettete ihn ins Gras. Mehr konnte er nicht für ihn tun. Als er auf die Straße zurückgehen wollte, stieß er mit dem Fuß gegen einen schweren Gegenstand. Er bückte sich und beleuchtete das Ding mit seinem Feuerzeug. Eine schwarze Tasche lag im Gras. Sie sah aus wie eine Diplomatentasche. Er öffnete sie. Und jetzt sah er, daß sie einem Etui mehr glich als einer Tasche. In den zahlreichen Laschen steckten schmale Zylinder und die verschiedenen Einzelteile eines Gerätes, dessen vollständiges Aussehen Rex sich nicht vorstellen konnte. Erregt nahm er die Tasche an sich. Er schloß sie. Seine Blicke suchten das Dunkel zu durchdringen, das über der Straße lag. Als Vorsitzender des Verteidigungsrates hatte er gute Verbindungen zum Geheimdienst gehabt. Er hatte die
verschiedensten Ausrüstungen der Agenten gesehen. Daher konnte er sich sehr gut vorstellen, daß er die Ausrüstung eines Agenten in der Hand hielt. Er sah auf den Toten hinab. Ganz knapp nur war das gleiche Schicksal an ihm vorbeigegangen. Der laktonische Agent hatte noch nicht einmal seinen ersten Einsatz in Angriff nehmen können. Er scheiterte schon an einer Handvoll Banditen. * Rex Corda kauerte sich hinter die Büsche am Rande der Straße und lauschte atemlos. Das niedrige Haus schmiegte sich still an den Hang. Hinter einem Fenster brannte Licht. Ein Schatten wanderte hinkend über die halbgeschlossene Jalousie. In dem Haus lebte William Rimson, ein sehr enger Freund des Senators. Rimson zählte zu den bedeutendsten Physikern der westlichen Welt. Rex Corda hoffte, daß er bei dem Freund einen Gleiter bekommen konnte, mit dem er schneller nach Norden kam. Leise winselnd kroch ein Schatten auf ihn zu. »Nukleon?« hauchte er. Das Tier sprang ihn an. Rex schlang unwillkürlich seine Arme um das Tier. Eine weiche Zunge fuhr ihm über das Gesicht. »Was ist passiert, Nukleon? Warum bist du im Freien?« Das intelligente Tier winselte. Es preßte sich auf den Boden und klopfte mit dem Schweif auf die Erde. Der Schäferhund konnte sich jedoch nicht verständlich machen. Er schien viel zu erregt. Beunruhigter noch als zuvor erhob sich Rex Corda. Seine Hand tastete nach der Waffe des getöteten Laktonen. Sie stak in seinem Gürtel. Das Metall strahlte eine beruhigende Kühle
aus. Nukleon drängte sich an seine Beine und folgte ihm. Rex blieb schon nach den ersten Schritten wieder stehen. Er taumelte leicht. Heißer Schmerz zuckte durch seinen Kopf. Ihm war, als lebe etwas anderes in ihm, das erwachte und sich frei machen wollte. Etwas, das nicht in seinen Kopf gehörte, schien sich mit scharfen Krallen durch das Hirn zu wühlen. Es dauerte mehrere Sekunden, dann hörte es schlagartig auf. Die dunklen Schleier vor seinen Augen verschwanden wieder. Plötzlich erhellte sich die Nacht mit einem roten Licht. Rex sah in den Himmel hinauf – und erschrak. Ein riesiger Feuerball rollte auf ihn herab. Er kam mit rasender Geschwindigkeit heran, und ein unheimliches Grollen eilte ihm voraus. Der Senator warf sich instinktiv zu Boden. Nukleon erfaßte seine Angst und preßte sich fest an ihn. Rex hörte hinter sich am Bungalow die Fensterscheiben klirren. Sengende Hitze griff nach ihm. Seine Ohren dröhnten. Er riß den Mund auf, um sich von dem Druck des Schalls zu entlasten. Dann raste das verbrennende Raumschiff über ihn hinweg. Es verschwand hinter den Hügeln. Es dauerte noch mehrere Minuten, bis Rex Corda die Explosion hörte. Trotz der sehr flachen Sturzkurve mußte das Schiff den Ozean noch erreicht haben. Das deutete darauf hin, daß es mit ungeheurer Geschwindigkeit in die Atmosphäre der Erde gefallen war, sonst hätte die Erde den Winkel stärker beeinflussen können! Der Senator erhob sich langsam. Er wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Wieder einmal erlebte er das spontane Erwachen seiner in ihm ruhenden Sonderkräfte, die ihn häufig – und meist überraschend – Einblick in die Gefühlssphäre anderer Menschen nehmen ließ. Er tastete nach der Emotionalsphäre des Hauses. Die Gefühle des Wissenschaftlers sollten ihm verraten, was in dem Haus
vorging. Rex richtete sich unwillkürlich auf. Der Kontakt war bedeutend besser als jemals zuvor. Ungewöhnlich klar empfing er die Furcht und das Entsetzen des Freundes. Er lief sofort los. Mit weiten, lautlosen Sprüngen raste er quer durch den weitläufigen Garten. Er schnellte sich an der Wand entlang zur Tür hin und horchte dort kurz. Aus dem Inneren des Hauses klang leise Musik. Er hörte das klassisch strenge Spiel einer Bachschen Fuge. Das beruhigte ihn wieder. Gleichzeitig wurde er unsicher, und er beobachtete das Ergebnis seiner mentalen Erforschung mit größerer Skepsis. Wenn William Rimson Tonbänder spielte, konnte es nicht so schlecht um ihn stehen! Er stieß die Tür auf und betrat den Vorraum. Nukleon blieb ihm auf den Fersen. Der telepathisch begabte Hund winselte lauter. Rex bemerkte den eigentümlichen Geruch sofort. Es roch nach Tod und Vernichtung! Der Hund jaulte. »Ruhig, Nukleon!« murmelte der Senator. Er durchquerte den Vorraum und drückte die Tür zum Salon auf. Jaulend sprang ihm der Schäferhund ins Genick. Der Schuß aus der 45er dröhnte wie ein Kanonenschlag! Rex Corda fühlte einen heißen Schlag am Kopf. Sternenwirbel platzten vor seinen Augen, vermischten sich mit dem gelben Licht der Salonlampen. Dann schlug er dem Boden entgegen. * »Dann muß ich Ihnen wohl erklären, was wirklich vorgeht«, erklärte Bekoval, der Laktone, durch den Mund des kleinen Kynothers. Jake Dingel schnaufte. Er stieß die zusammengepreßten
Lippen bis an die Nasenspitze hoch und bohrte sich mit dem kleinen Finger im Ohr. »Schwätzen Sie, mein Freund! Wir sind ganz Ohr!« empfahl er. Niemand bemerkte, wie scharf er Ga-Venga beobachtete, nicht einmal der Kynother selbst. »Wir legen keinen besonderen Wert darauf, Sie zu besiegen«, versetzte Bekoval. Er sprach langsam, so daß GaVenga fließend übersetzen konnte. »Es wäre ein Kinderspiel für uns. Und völlig unnötig. Uns kommt es darauf an, den Orathonen das Leben schwer zu machen. Das können wir nur, wenn wir wirksam zusammenarbeiten.« Er sah sich geringschätzig im Raum um. Seine Gedanken schienen sich auf seiner Stirn zu spiegeln. General Dingel räusperte sich. »Sie führen einen Krieg mit den -äh – Orathonen. So sagten Sie doch?« Dingel sah den Untersetzten fragend an. Bekoval nickte ernst. »Sie sind dabei, diesen Krieg zu verlieren«, behauptete Dingel. »Sie werden sehr schnell zurückschlagen. Ich fürchte fast, Sie haben kaum noch Chancen. Ihre Position ist also wirklich schwach, um nicht zu sagen erbärmlich!« Hier unterbrach ihn der Laktone. Er sprang auf und stampfte zum Schreibtisch des Generals hinüber. Der Boden dröhnte unter seinen Füßen. »Es ist möglich, daß wir den Krieg verlieren, aber es ist unwahrscheinlich!« Jetzt sprach er so schnell, daß Ga-Venga kaum mitkommen konnte. »Der Krieg dauert schon einige Jahrtausende! Er ist älter als Ihre Geschichte, General! Er hat einen Umfang angenommen, der über Ihr Vorstellungsvermögen geht!« »Das wäre die Frage!« lächelte Dingel. »Zu Lakton gehören mehr als 3000 Sonnensysteme mit mehr
als 7000 Welten. Sie können sich nicht vorstellen, wie groß das wirtschaftliche und militärische Potential eines solchen Reiches ist. Versuchen Sie es nicht, Sie können es nicht. Ein Affe wird nie begreifen, wie eine Großstadt funktioniert!« Der General sprang auf. »Pardon!« sagte Ga-Venga. »Ich übersetze nur.« »Erzählen Sie weiter!« bat John Haick. Er strich sich ruhig das Haar aus der Stirn. Er zündete sich eine Zigarette an und inhalierte tief. Nur seine bebenden Finger verrieten, daß er allmählich begriff, wie unbedeutend die Erde im Rahmen eines Krieges zwischen solchen Giganten wirklich war. »Der Krieg wird erst enden, wenn entweder die Gefiederten oder wir aus der Galaxis verschwunden sind«, fuhr der Laktone fort. Er ging jetzt wieder zu seinem Sessel und setzte sich. »Bilden Sie sich deshalb nicht ein, daß einer von uns auf eine so lächerliche Kleinigkeit wie etwa die Erde Rücksicht nehmen wird. Die Erde wird zur Partei – oder sie verschwindet!« John Haick sah, daß kleine Schweißtropfen auf den weißen Nasenflügeln des Generals saßen. »Was erwarten Sie von der Erde?« fragte Dingel. »Wir verlangen nicht viel! Wären wir hier auf der Erde geblieben, dann hätte die Erde nicht mehr liefern müssen, als sie zu geben imstande ist. Die Gefiederten werden die Erde zur Wüste machen. Sie nehmen alles! Sie sind kalt und brutal. Für sie gibt es keine Rücksicht. Nur ihre eigene Existenz gilt. Alles andere ist ihnen egal!« »Warum sollen wir die Flotten versorgen?« warf John ein. »Das Versorgungsproblem ist anders nicht zu bewältigen. Die Entfernungen innerhalb der Galaxis sind zu groß.« »Und was kommt jetzt?« erkundigte sich der General. »Jetzt kommt Ihr Überlebenskampf, mein Freund«, versetzte Bekoval. »Jetzt kommt der Aufstand Ihres Planeten gegen die Gefiederten. Aber machen Sie sich keine Hoffnungen. Die Erde wird dabei untergehen. Wenn die Orathonen weiterziehen,
bleibt nichts mehr auf dieser Welt zurück, was von Wert ist. Die Erde wird so kahl sein wie Ihr Kopf!« Jake Dingel faßte sich verblüfft, nach dem Kopf. John Haick grinste breit. Ga-Venga kicherte leise vor sich hin. Ihm schien die Verhandlung ungeheuren Spaß zu machen. »Über Glatzköpfen gibt es kein Wirbelrauschen«, sagte der kleine Kynother. »Und auf der Erde wird es kein Leben mehr geben!« »Ungemein witzig!« schnarrte der General. Der Laktone erhob sich jetzt wieder. Er klatschte beide Hände dröhnend vor dem Bauch zusammen. Dann hielt er sie mit den offenen Handflächen nach oben. »Entscheidet euch!« sagte er. Jake Dingel senkte das bleiche Gesicht in die offenen Hände. Mit den Fingerspitzen massierte er sich die Stirn. Es dauerte lange, bis er wieder aufsah. Jetzt erst kam Oberst Polley. Er konnte nichts tun. Schweigend hörte er den Rest der Verhandlung. »Wenn wir das Angebot annehmen, Laktone, dann bedeutet das die Teilnahme an dem Krieg gegen die Orathonen!« »Die Gefiederten sind auch Ihre Gegner! Nicht nur unsere! Nur – ihr werdet untergehen, wir nicht!« John Haick stand auf. Sein sonst stets freundliches Gesicht wirkte jetzt verschlossen. Als er sprach, klang seine Stimme fest und entschlossen. »Wir müssen auf Rex Corda warten.« * Rex Corda fühlte die aufgeregten Hände an seinem Kopf. Wasser rieselte über seinen Nacken. Es gelang ihm, die Augen zu öffnen. »Rex!« stöhnte der Alte. »Rex! Ich hätte dich fast erschossen! Wenn Nukleon dich nicht umgerissen hätte, hätte
ich dich erschossen!« Ein krampfhaftes Lächeln flatterte über die Lippen des jungen Senators. Seine Augen schlossen sich. Er kämpfte gegen den Schmerz und die Müdigkeit. Der alte Physiker schüttete ihm einige Tropfen eines hochprozentigen Getränks über die Lippen. Es brannte wie Feuer in seiner Kehle – aber es machte ihn wach. Er schlug die Augen wieder auf und griff nach der Flasche, um einen kräftigen Schluck zu nehmen. Er schüttelte sich. Dann fühlte er die Wirkung bis in die äußersten Nervenfasern. »Das war ein ganz hübscher Schlag, Will«, stöhnte er. Er griff nach seinem Kopf. Der Alte hatte ihm bereits einen Verband angelegt. »Ein Streifschuß, Rex! Du hast Glück gehabt!« Der Hund wühlte seine feuchte Schnauze in seine Finger. Rex lächelte. Er erhob sich. Mit jedem Atemzug ging es ihm besser, wenngleich sein Kopf schmerzte. »Warum hast du auf mich geschossen?« »Es war ein Versehen!« Rex lachte leise. »Das hatte ich angenommen, Alter!« William Rimson stieß die Tür zum Salon auf. Rex Cordas' Augen weiteten sich. Auf dem Boden lag etwas, das wie eine Kreuzung aus Oktopus und Geier aussah. Der trockenhäutige Krake hatte die Arme eingerollt. Aus dem Zentrum wuchs ein Geierkopf. Er lag jetzt auf einem der Arme. Der Hinterkopf fehlte. Weißliches Blut benetzte die kirschrote Haut. Das Tier – oder war es ein intelligentes Wesen – maß jetzt etwa zwei Meter im Durchmesser; bei ausgerollten Armen mochten es an die vier Meter sein. »Es kam plötzlich herein, packte mich und schleuderte mich in eine Ecke. Dann begann es das Zimmer zu durchwühlen. Ich weiß nicht, was es suchte. Ich konnte meine Pistole aus dem
Schrank nehmen. Kurz bevor ich schoß, bemerkte es, was geschah. Es wollte sich auf mich stürzen. Ich war schneller!« Rex Corda stützte sich an den Türrahmen. »Du dachtest, das nächste Monster käme, als ich die Tür öffnen wollte?« Will Rimson nickte. »Was führt dich zu mir, mein Sohn?« Rex Corda grinste erleichtert. Der Alte schien seinen Schock überwunden zu haben. »Ich muß nach Protectopolis! So schnell wie möglich. Und ich würde es begrüßen, wenn du mich begleitest!« »Warum?« Rex erklärte es ihm. »Und warum soll ich mit?« »Du bist hier nicht mehr sicher genug, Will! Bald wird irgend jemand oder irgend etwas kommen, das dieses Monster vermißt! Niemand weiß, was dann geschieht. Vielleicht ist dies nur so eine Art Haustier! Verdammt, wir wissen doch nichts über die Fremden! Vielleicht ist dies aber auch mehr – und dann wird's gefährlich! Will, du kannst unmöglich hier bleiben! Wir brauchen deine Hilfe!« Er lächelte. »Wir können wirklich nicht auf dich verzichten, Will! Wir müssen alle Kräfte konzentrieren, wenn wir jemals mit der Invasion fertig werden wollen!« Will Rimson nickte. Er eilte zur Garderobe, setzte sich einen Hut auf und legte sich einen Schal um. »Ich bin fertig! Wir können gehen!« Rex Corda schmunzelte. Sanft machte er den zerstreuten Gelehrten darauf aufmerksam, daß er noch kein Jackett trug. Kommentarlos warf sich Rimson das Kleidungsstück über die dürren Schultern.
* Der Regen prasselte wütend gegen die Scheiben des Sportwagens und stob hinter den Rädern zu hohen Wolken auf. Rex Corda hatte Mühe, in dem Unwetter etwas zu erkennen. Er mußte erheblich mit dem Tempo heruntergehen, um den Wagen noch zu beherrschen. Obwohl es schon fast Mittag war, lag noch immer tiefe Dämmerung über dem Land. Der Senator hatte die Bundesstraße 9 verlassen und versuchte die Tunnelstadt über die S 37, eine kleinere Nebenstraße, zu erreichen. Hier fühlte er sich sicherer. Professor Rimson fingerte an der Waffe herum, die Rex dem ermordeten Agenten abgenommen hatte. Die Waffe nahm den Wissenschaftler in ihren Bann. Sie ließ ihn alles andere vergessen. »Weißt du schon, wie sie funktionieren könnte?« erkundigte sich Rex, dem Alten einen flüchtigen Blick zuwerfend. »Natürlich weiß ich das!« knurrte Rimson aufgebracht. »Das ist wirklich einfach! Kindisch einfach!« »Na, fein!« schmunzelte Corda. »Ich möchte nur wissen, wie die Wirkung der Munition ist!« »Wir können jetzt keine Experimente machen, Will!« Der Alte hob die Schultern und seufzte enttäuscht. Rex streckte ihm die Hand hin, und zögernd legte der Gelehrte die Waffe hinein. Corda steckte sie in seinen Gürtel. »Vorsichtig!« rief Rimson im gleichen Augenblick. Der Senator sah sofort wieder nach vorn. Er trat hart auf die Bremsen. Der Wagen rutschte etwas, fing sich aber gleich wieder. Bisher waren sie durch dichtes Waldgebiet gefahren. Jetzt stießen sie auf offenes Feld vor. Direkt neben der S 37 stand ein kleines Raumschiff. Will Rimson zeigte weiter nach rechts. »Dort sind noch zwei Schiffe, Rex! Sie sind sogar noch
größer! Da – sieh dir das an!« Ein weißglühender Lichtbogen schoß aus der Seite eines der Raumschiffe. Der Raumer hatte eine plumpe Eiform. Er erhob sich bis in eine Höhe von etwa zweihundert Metern. Der Lichtbogen ergoß sich aus halber Höhe auf den Boden herab. Er bohrte sich in den regennassen Boden. Die beiden Männer in dem Sportwagen hörten eine dumpfe Explosion und sahen, wie die Erde sich wallartig aufwarf. Eine zischende Dampfwolke stieg auf und verbarg, was geschah. »Verstehst du das, Will?« Der Alte knurrte etwas. Es klang zornig und mürrisch. Rex Corda kannte diese Art, sich zu äußern, bereits. Will Rimson pflegte solche Laute von sich zu geben, wenn er sich etwas nicht erklären konnte. Das pflegte ihn immer unzufrieden zu machen. »Das sieht fast so aus wie ein Laserstrahl«, murrte er. »Aber das stimmt natürlich nicht. Laser wäre nicht so gebogen!« »Wir können hier nicht stehenbleiben, Will!« Der Senator legte einen Gang ein und wendete. Er hatte eine kleine Abzweigung bemerkt. Er hoffte, die Raumer auf einer anderen Seitenstraße umgehen zu können. Nach wenigen Minuten erreichten sie die kleine Straße. Sie führte ohne besondere Kennzeichnung von der S 37 ab in den Wald hinein. Zu Anfang sah sie sehr gut aus, aber dann verlor sie sich nach kaum zweihundert Metern in einem morastigen Feldweg. Rex Corda sah immer wieder zur Uhr. Die Zeit verstrich unwahrscheinlich schnell. Der Feldweg bog allmählich nach Norden, genau wie der Senator gehofft hatte. Er brachte sie Protectopolis M 31 näher. Das allein war wichtig. Nach einer halben Stunde vermutete Corda, daß sie es geschafft hatten. Plötzlich entdeckten sie einen diskusförmigen Raumer, der direkt neben dem Feldweg auf einer kleinen Lichtung lag.
Schlagartig setzte in diesem Augenblick der Regen aus. Deshalb hatten sie plötzlich auch gute Sicht. Der Tag brach leuchtend durch die aufreißenden Wolken. Rex Corda brachte den Wagen zum Stehen, bevor William Rimson noch recht begriffen hatte, wie sehr sich die Situation gewandelt hatte. Der Diskus war sehr flach. Er erhob sich an seiner höchsten Stelle kaum sieben Meter; Sein größter Durchmesser betrug etwa fünfundzwanzig Meter. Die in der Sonne glitzernden Regentropfen liefen über die schwarze Metallhaut herunter. An der Schmalseite öffneten sich zahlreiche Luken, die sehr unterschiedliche Formen hatten. Es mochten Fenster und Objektive sein, vielleicht auch die Mündungen und Abstrahlfelder von Energiekanonen. Ein zwei Meter breites und hohes Stück Wandung hatte sich nach oben gefaltet. Es schirmte die Gestalt dachartig ab, die in dem Schott stand. Es war ein Featherhead. Seine Haut wirkte grüner als die der ersten Gefiederten, die Rex Corda gesehen hatte. In der Armbeuge des Fremden lag etwas, das wie ein kurzläufiges Gewehr aussah. Er winkte mit diesem Gerät. Eine Bewegung, eindeutig genug, um die beiden Männer zu veranlassen, sofort aus dem Wagen zu steigen. Jetzt löste sich eine bronzene Gestalt aus dem Schatten der Bäume. Rex erkannte einen jener Roboter, die über ein bewegliches Metallgesicht verfügten. Auch der Roboter trug eine Waffe im Arm. Er kam auf die beiden Männer zu. Als er bei ihnen war, sprengte ein kaltes Lächeln den metallischen Ernst auf seinem Gesicht. Doch das bedeutete nicht, daß er rücksichtsvoll mit den beiden Flüchtlingen umzugehen gedachte. Er stieß dem alten Gelehrten die Mündung der Waffe so hart in den Bauch, daß Rimson stöhnte. Er tastete den Alten mit der freien Hand ab. In diesem Augenblick kam der Orathone heran. Er sagte etwas zu dem Roboter. Dieser trat von Rimson zurück und
streckte die Hand nach dem Senator aus. Blitzschnell glitt sie über die rechte Seite Cordas. Im nächsten Moment schon mußte er die Waffe entdecken. Rex dachte daran, daß es eine Waffe der Laktonen war. Heiß strömte ihm das Blut zum Herzen. Ein Schuß zerriß die Stille. Der bullige Featherhead griff sich an die Brust. Er taumelte, drehte sich halb um seine Achse. Seine Arme fuhren haltsuchend durch die Luft, Die Federn, die seinen Schädel bedeckten, flatterten. Ein zweiter Schuß peitschte über die Lichtung. Ein dunkler Fleck zeichnete sich auf der Stirn des Fremden ab. Wie vom Schlag gefällt, brach der Orathone zusammen. Jetzt erst fiel auch seine Waffe zu Boden. Rex Corda fühlte sich von einem fürchterlichen Stoß zur Seite geschleudert. Wie ein Blitz huschte der so menschlich wirkende Roboter, über ihn hinweg. Er packte die Waffe des Toten, während der dritte Schuß krachte. Die Kugel riß dem Roboter den Kopf in den Nacken und zeichnete eine häßliche Bleispur über seine Stirn, aber warf ihn nicht um. Jetzt raste der Roboter auf den Schützen zu, während Rex noch um sein Gleichgewicht kämpfte, der Professor aufschreiend in den Schlamm fiel und Nukleon mit wütenden Knurrlauten aus dem Wagen sprang. Der Roboter schnellte sich mit phantastischer Geschmeidigkeit über die Lichtung. Er duckte sich, wich katzengewandt zur Seite, sprang wie ein Panther vor, wich aus und griff an. Er schoß nicht, er schien die Absicht zu haben, seinen Gegner lebendig zu fassen. Rex Corda erkannte die Uniform der Luftwaffe unter den Bäumen auf der anderen Seite der Lichtung. Immer wieder blitzte es in der Hand des Soldaten auf. Unaufhörlich krachten die Schüsse aus der auf Einzelschuß gestellten Maschinenpistole. Jetzt schaltete der Flieger die Waffe um. Die
donnernde Garbe brach sich am Metallpanzer des Roboters. Sie warf ihn zurück. Der Roboter rutschte auf dem regennassen Boden aus. Er fiel. Dann aber ruckte seine Waffe hoch. Ein giftgrüner Lichtstrahl zischte zu dem Schützen hinüber. Der Senator schrie auf. Er riß seine Waffe aus dem Gürtel. Aber es war schon zu spät. Der Soldat war verschwunden! Er versank in einem grünlichen Blitz. Will Rimson stürzte sich auf das Auto, um die Tasche des laktonischen Agenten an sich zu bringen. Rex sah, daß die Waffe des Roboters herumschwenkte. Er wußte, daß die Maschine jetzt auf ihn schießen würde. Nukleon würde zu spät kommen. Der Hund hatte noch nicht einmal ein Drittel seines Weges zurückgelegt. Rex zog den Bügel der Waffe durch. Er fühlte einen kurzen, weichen Rückschlag – und dann öffnete sich der glühende, brüllende Schlund der Hölle. Dort, wo der Roboter lag, schlug das Geschoß aus der erbeuteten Waffe ein. Im nächsten Augenblick schon rollte ein kochender Feuerball über die Lichtung. Die rüttelnde Gewalt packte Rex und schleuderte ihn bis unter die Bäume. Der Senator wischte sich den Schmutz aus den Augen und stemmte sich hoch. Vorsichtig bewegte er Arm und Schulter. Es tat weh, aber es schien nichts gebrochen zu sein. Der Diskus stand nicht mehr gerade. Er lag mit einer Seite in einem Krater. Ein mächtiges Loch klaffte in dem kleinen Raumschiff. Aus einem Riß an der Oberseite schlugen Flammen und Rauch. Von dem Roboter war nichts mehr zu sehen. Dem Senator fiel ein, daß er nicht allein gewesen war. Jetzt klärte sich sein Kopf endgültig. Die Schmerzen versanken. Er eilte zu dem Sportwagen hin, der bis unter die Bäume gerutscht
war. »Will!« Da erkannte er den Freund durch die schlammbedeckten Scheiben des Wagens hindurch. Rimson lag in den gepolsterten Sitzen des Wagens. Seine Stirn blutete. Rex riß die Tür auf. Will Rimson klappte die Augen auf und grinste. »Verdammt! Mit solcher Wirkung habe ich nun auch nicht gerechnet, Junge!« keuchte er krächzend. Rex lachte erleichtert. Er fühlte sich von einer Last befreit. »Komm – ich helf dir!« »Aber vorsichtig, mein Sohn! Meine Knochen sind nicht mehr ganz so stabil wie deine! Mein rechter Arm ist hin!« Diese Worte verschlugen dem Senator die Sprache. Er war viel von dem Gelehrten gewohnt, aber diese Härte übertraf alles, was er bisher mit ihm erlebt hatte. Behutsam zog Rex den kraftlosen Arm des Wissenschaftlers unter dessen Rücken hervor. Mit einem Griff holte er den Verbandskasten unter dem Fahrersitz heraus, um den Arm zu schienen. »Wir müssen hier weg!« flüsterte Rimson durch die verbissenen Zähne. »Nach diesem Krach werden bald unsere Freunde auftauchen!« »Schon gut!« lächelte Rex. In seinen schwarzen Augen leuchtete es warm auf. Eilig beendete er seine Arbeit, befestigte den Verband und richtete den Alten vorsichtig auf. »Ich will hoffen, daß deine alte Karre überhaupt noch läuft, Will«, sagte er. »Warum hast du dir auch keinen Gleiter gekauft! Damit wäre alles einfacher gewesen!« »Du hast keine Ahnung von der erbärmlichen finanziellen Situation der Wissenschaftler, mein Sohn!« »Du bist ein unverbesserlicher Geizkragen, Alter! Das ist es!« Wenn William Rimson antwortete, so gingen seine Worte in dem Geräusch des aufheulenden Motors unter. Rex Corda
kämpfte sich mühsam auf den Feldweg hinauf. Es ging alles viel besser, als der Senator angenommen hatte. Nach wenigen Kilometern verbesserten sich die Straßenverhältnisse wesentlich. Auf dem festeren Boden kamen sie schneller voran. Schon sehr bald zeigte sich, wie wichtig es gewesen war, so schnell wie möglich von dem Ort ihres Kampfes mit dem Orathonen zu verschwinden. Rex war noch keine fünf Minuten gefahren, als hinter ihnen eine dumpfe Explosion ertönte und eine Stichflamme mehrere hundert Meter hoch aus dem Wald schoß. Für wenige Augenblicke wurde es so hell, daß sie die Augen zusammenkneifen mußten, um nicht geblendet zu werden. Eine schwarze Wolke breitete sich hinter ihnen über dem Gehölz aus. Die explodierenden Antriebsmaschinen des diskusförmigen Raumschiffes entzündeten den Wald. Rex Corda hielt an, um sich umzusehen. Er stieg aus und zündete sich eine Zigarette an. Hier erhob sich die Straße ein wenig, so daß er gute Sicht hatte. Der Wald brannte, doch da der Wind aus ihrer Fahrtrichtung – also aus Norden – kam, würde die Feuerwand sie nicht erreichen. Doch dafür nahte eine viel größere Gefahr! Von Westen her zog ein Diskus heran. Es war der gleiche Typ wie der Diskus, den Rex zerstört hatte. Er flog sehr niedrig über den Bäumen. Aus der Flugrichtung konnte der Senator schließen, daß der Diskus zum Brandherd fliegen würde. Er wollte schon wieder in den Wagen steigen, als er den Hund sah, der hechelnd den Waldweg heraufsprang. »Nukleon!« rief er schuldbewußt. Das Tier sprang jaulend an ihm hoch. Rex Corda sah den alten Gelehrten betroffen an. »Mach dir keine Vorwürfe, Rex! Ich habe ihn in der Aufregung ebenso vergessen wie du! Steig ein! Schnell! Wir müssen weiter!« Rex scheuchte den Hund in den Wagen und raste weiter. Im
Rückspiegel konnte er das kleine Raumschiff sehen, das weit hinter ihnen über den Bäumen schwebte. Jetzt senkte es sich herab. Mehr konnte Rex nicht erkennen. Der schmale Waldweg führte eine langgestreckte Mulde hinab. Die Baumkronen schlossen sich über dem Weg. »Wie weit noch, Junge?« »Ich schätze, es sind noch zwanzig Kilometer, Will!« »Das können wir schaffen!« Rex warf seine Zigarette aus dem Fenster und zündete sich eine andere an. Im Rückspiegel beobachtete er den Wald. Nukleon winselte. Er schnellte hoch und starrte durchs Rückfenster. Das intelligente Tier schnaufte, dann kauerte es sich auf dem Rücksitz zusammen und knurrte böse. Rex Corda sah den Schatten, der flatternd über den Waldweg glitt und sich ihnen sehr schnell näherte! Er erschrak, weil er zunächst nicht erkennen konnte, was ihnen da folgte. Der unheimliche Jäger hatte kaum Platz zwischen den Bäumen. Seine Pelzschwingen dehnten sich über die gesamte Breite des Weges. Eines jener fremdartigen Wesen, die wie fliegende Riesenteppiche aussahen, stürzte flatternd heran! Im Spiegel machte Rex deutlich den breiten Kopf mit den gelben Augen aus. Weit klaffte das rote Maul mit den glitzernden Zähnen. Dicht hinter dem Kopf hockte etwas Rot-Blaues im Nacken des Teppichs. Rex konnte noch nicht erkennen, was es war. Rimson sah seinen jungen Freund überrascht an, weil der Wagen zu schleudern begann. Als er bemerkte, wie das Blut aus dem jungen Gesicht wich und wie sich die Konturen verschärften, drehte er sich um. Entsetzt hielt er den Atem an Er wollte nicht glauben, was er sah. Es mußte ein Traum sein! Dieses plumpe Ding konnte sich unmöglich wie ein Vogel auf flatternden Flügeln fortbewegen!
Und doch war es so! Dieser unheimliche »Teppich« flog wie ein Riesenrochen – aber er war zu massig, um allein mit diesen Mitteln fliegen zu können. Es mußte noch eine andere Kraft im Spiel sein. Der Senator beugte sich unwillkürlich über das Steuer. Er trat das Gaspedal voll durch. Der Wagen schoß nach vorn, doch gleichzeitig stürzte sich das rochenähnliche Wesen über das Auto. Es wurde dunkel um die beiden Männer, als sich der Jäger wie eine Glocke über sie senkte. Der Senator trat scharf auf die Bremse, überlegte es sich jedoch im selben Augenblick wieder und beschleunigte. Schwerfällig zog der Wagen an. Rex riß das Steuer nach links. Er schrie dem Gelehrten eine Warnung zu. Sekunden später kam der Aufprall. Es gab einen dumpfen, häßlichen Knall, als sie gegen einen Baum fuhren – aber sie kamen nicht frei! Die nachgiebige Masse auf dem Wagen milderte den Aufprall so weit, daß die beiden Männer und der Hund unverletzt blieben. Keuchend erstickte der Motor. Rex ließ die Schultern hängen. Er wischte sich über die schweißnasse Stirn. Dann schaltete er die Innnenbeleuchtung an. Wortlos sah er den Wissenschaftler an. Aber Will Rimson schien den Blick nicht zu bemerken. Der Alte starrte wie betäubt auf die Frontscheibe. »Sieh dir das an, Senator!« Rex versteifte sich unwillkürlich. Durch die Scheiben erkannte er nichts mehr. Milchige Streifen durchzogen das Glas und machten es immer undurchsichtiger. »Säure!« hauchte Rimson. »Damit machen sie uns fertig!« Rex Corda griff verbissen nach der Waffe des Laktonen. Doch Rimson hielt seinen Arm fest. »Das hat keinen Sinn, Rex! Damit bringst du uns selbst um.« »Schon gut, Will. Es war nur ein flüchtiger Gedanke. Ich
wollte das Fenster herunterdrehen und durch das Ding hindurchschießen. Ich dachte, die Ladung würde außerhalb hochgehen!« »Selbst wenn es so wäre, wäre das für uns zu gefährlich!« Rex stöhnte. »Die Säure zerfrißt das Glas! Wir müssen etwas unternehmen!« Seine Stimme war drängend und erregt. Der Gelehrte nestelte nervös an der Tasche des laktonischen Agenten. Seine Finger tasteten über die kleinen Geräte, die in den Schlaufen steckten. Sie blieben bei einem Ausrüstungsstück, das wie eine Miniaturpistole aussah. Die Rückscheibe zerbröckelte knirschend. Beißender Gestank quoll in den Raum. Nukleon, der Schäferhund des Gelehrten, bellte leise. Rex wandte sich um. Er sah zähflüssige Säure über die Rücklehne der hinteren Sitze ziehen. Die Polster lösten sich ungemein schnell auf. »Nimm dies!« flüsterte Rimson. Er hielt Rex das kleine Gerät hin. Zögernd nahm der Senator die Pistole. »Ich weiß nicht genau, was das ist, Rex, aber es könnte eine Injektionspistole sein. Ein Agent könnte in eine ähnliche Lage kommen wie wir. Dies Ding könnte ihn retten!« Rex nahm das Gerät in die andere Hand. Er wischte sich mit dem Arm über die Stirn. Er merkte, daß seine Hände zitterten. Dieses Gerät konnte auch etwas anderes sein. Es mußte keine Injektionspistole sein. Wenn er auf den Hebel drückte, der wie ein Auslöser aussah, dann konnte es auch eine Explosion geben. Es knisterte vernehmlich, als die Scheibe neben ihm unter der Säure zusammenbrach. Nukleon kroch über die Sitzlehnen nach vorn. Entschlossen stieß Rex die Mündung des Gerätes in die zuckenden Fleischmassen und zog den Hebel durch! Unwillkürlich hielt er den Atem an.
Heiß fauchend schoß die Ladung aus der Depotkammer. Sie spritzte in den Leib des »Teppichs«. Augenblicklich wurde es still. Die befürchtete Explosion blieb aus. Die zuckenden, faltigen Häute beruhigten sich. Während die Säure im Heck des Wagens noch immer über die Sitze quoll, kam der heimtückische Angriff an der Schußstelle zum Stillstand. Langsam verfärbte sich die grauschwarze Haut. Sie nahm einen abstoßend grünlichen Farbton an. Rex Corda schob die Injektionspistole abermals in die Hautfalten. Jetzt war er sicher, daß er ein gefährliches Medikament damit verschießen konnte. Er drückte das Gerät tief in das harte Fleisch, wobei er sorgfältig darauf achtete, daß er nicht mit der Säure in Berührung kam, und zog den Auslöser wieder und wieder durch. Er zerschlug die Scheibe neben Will Rimson und feuerte auch hier in das Fleisch hinein. Endlose Minuten vergingen. In dieser Zeit verfärbte sich das auf dem Wagen lastende Jagdtier. Die Haut veränderte sich überall dort, wo Rex sie mit dem Präparat beschossen hatte. Doch dann schien sie sich überraschend zu erholen. Allmählich wurde sie wieder schwarz. Plötzlich aber zerfiel die Haut. Statt der Säure trat jetzt eine dunkle, rötliche Flüssigkeit aus. Gleichzeitig hörten die beiden Männer im Wagen einen wilden Schrei! Die Fleischmassen gerieten in heftige Bewegung. Der Wagen taumelte und schwankte. Die beiden Männer mußten sich festhalten, um nicht aus den aufspringenden Türen geschleudert zu werden. Wütende Schläge von urweltlicher Gewalt zertrümmerten das Wagendach. Dann erhob sich der Ätzer brüllend und schnaubend vom Wagen und raste zwischen die Bäume. Der Teppich kugelte sich immer wieder zusammen und schnellte sich danach wieder blitzartig auseinander. Die stahlharten Muskeln des
Riesenleibes zerschmetterten die Äste und rissen die Bäume aus der Erde. Rex trennte sich von dem grauenhaften Anblick und versuchte, den Motor zu starten. Erfolglos. Der Motor rührte sich nicht. Entschlossen packte Corda Nukleon und schleuderte ihn durch die offene Tür hinaus, über den dampfenden Säuresee hinweg, in dem der Wagen stand. »Raus, Will!« rief er. * In der Protectopolis-Station M 31 heulten die Alarmsirenen! John Haick fuhr aus den Kissen hoch. Er war sofort voll da. Er war einer jener Menschen, die nach dem Aufwachen immer sofort wach sind. Er brauchte keine Anlaufzeit. Er warf sich seine Kombination über und stürmte aus dem Raum, den General Jake Dingel ihm zugewiesen hatte. In dem Seitentunnel hallte die Sirene schaurig. John sah mehrere Soldaten durch den angrenzenden Haupttunnel rennen. Mit wenigen Sätzen raste der junge Wissenschaftler zum Haupttunnel hinüber. Die Sirene verstummte. Das aufgeregte Hämmern der Soldatenstiefel auf dem harten Betonboden der Tunnel versiegte. Protectopolis M 31 schien den Atem anzuhalten. John rannte durch den leeren Tunnel. Zwischen den Kisten und Vorratsbehältern, die zu beiden Seiten an den Wänden aufgestapelt waren, erkannte er bleiche, verstörte Gesichter. Die Flüchtlinge, die hier provisorisch untergebracht worden waren, verhielten sich jedoch still. Die beiden Posten vor der Tür zu General Dingels Arbeitsraum rissen die Tür auf, als sie John kommen sahen. Haick lief in das Büro. General Dingel stand mitten im Raum und erteilte mit
knappen Gesten seine Anweisungen. Er sah übernächtigt aus. Dunkle Ringe umschlossen seine harten Augen. In der hinteren Ecke standen die drei Laktonen und GaVenga, der Kynother, zusammen und flüsterten erregt miteinander. Bekoval warf dem General abschätzende Blicke zu. John Haick eilte zu dem zwergenhaften Kynother hinüber. Ga-Venga strich sich grinsend über sein blaues Haar, als er den Wissenschaftler sah. Seine Augen blitzten grau auf, um jedoch sogleich wieder dunkel zu werden. »Die Gefiederten kommen!« sagte der Kleine, während ein draufgängerisches Leuchten über sein Kindergesicht schoß. »Die Orathonen?« Ga-Venga nickte. General Dingel kam zu ihnen. »Kommen Sie auch noch einmal aus den Federn, junger Mann?« dröhnte er. John sah ihn an. Das Gesicht des Offiziers straffte sich. »Ich habe einen Auftrag für Sie, Haick!« »Und der wäre, Dingel?« Der General preßte die Lippen ärgerlich zusammen, überging die Respektlosigkeit dann jedoch schnell. »Die Laktonen und der Kleine hier dürfen den Orathonen natürlich nicht in die Hände fallen, Dr. Haick«, knurrte er. »Das ist mir klar, General!« warf John ein. »Ich staune nur, daß hier so viel Zeit verplempert wird!« »Die Gefiederten werden erst in zehn Minuten hier sein!« »Welchen Auftrag, General?« erinnerte John. »Begleiten Sie Bekoval und seine Leute nach Colorado Springs. Wir haben Verbindung mit den Leuten dort. Die Gefiederten haben die Anlage schon durchwühlt, sie dann aber uns überlassen. Dort können wir die Laktonen unterbringen!« »Wie kommen wir hin?« »Sie müssen es mit einem Gleiter versuchen!«
Die Laktonen verließen den Raum. Auch Ga-Venga folgte ihnen. »Wir geben ihnen andere Kleider«, erklärte der General. »In dieser Aufmachung kommen sie nicht weit!« Ein Posten kam herein. »Die Orathonen sind am Eingang, Sir!« meldete er. Jake Dingel sah auf seine Uhr. »Bleiben höchstens noch drei bis vier Minuten! Es wird knapp!« Ga-Venga kam zurück. Er trug einen schreiend roten Pullover und eine zu große, graue Hose. Sein blaues Haar verbarg er unter einem weißen Käppi. Jetzt sahen seine Augen blau aus und ziemlich bekümmert. Ga-Venga fühlte sich nicht wohl in diesen Sachen. General Dingel trieb John und den Kynother aus dem Raum. Im Tunnel wartete ein grauer Sonnengleiter auf sie. John erkannte Oberst Robin Polley am Steuer. Der rothaarige Offizier paffte erregt an einer dicken Havanna. »Wie lange wollt ihr noch warten, zum Teufel!« brüllte er. »Ich habe keine Lust, mich euretwegen abknallen zu lassen!« John stieg in den Gleiter. Gemächlich kam Ga-Venga hinterher. »Keine Sorge«, versetzte der Kynother. »Dir geht's auf gar keinen Fall an den Kragen. Die Gefiederten werden nur die drei Laktonen erschießen, wenn sie sie sehen. Uns lassen sie in Ruhe!« Jetzt stampfte Bekoval heran. Er warf sich in den Gleiter, daß die Pneumosessel in den Halterungen krachten. Auf den Knien hielt er eine kurzläufige Waffe. Nervös hämmerte er mit den Fingern auf den Kolben. Die beiden anderen Laktonen stiegen etwas vorsichtiger ein. Oberst Polley startete sofort. John warf General Dingel einen kurzen Blick zu. Der General nickte. Er war blaß, und seine Lippen zitterten ein wenig.
Der Gleiter raste mit scharfer Beschleunigung durch den Tunnel. Hinter sich hörte John einige Schüsse. Er konnte sich nicht umdrehen, um nach hinten zu sehen. Die Laktonen saßen so eng neben ihm, daß sie ihn mit ihren massigen Leibern an den Platz fesselten. * Zunächst schien es so, als hätten sie es geschafft. Rex Corda hielt sich, den Wissenschaftler und den telepathisch begabten Hund ständig im Sichtschutz der Bäume. Sie kamen schnell voran. Das unheimliche Gebrüll des sterbenden Giganten verscholl bald hinter ihnen. Senator Corda drückte die Agententasche an sich. »Ich bin gespannt, was dieser Musterkoffer noch alles enthält«, sagte er mit einem grimmigen Lächeln. »Der Mann hätte gute Chancen gehabt, am Leben zu bleiben, wenn er nicht an die Strolche geraten wäre, die es nur auf seinen Wagen abgesehen hatten. Die Leute scheinen Erfahrung mit den Featherheads zu haben. Sie wissen, was man gegen sie aufbieten muß!« Er wich einem Gebüsch aus und half Rimson über einen schmalen Graben. Rimson drückte seinen Arm an den Leib. Seine Verletzung setzte ihm hart zu. Fast lautlos zog der Diskus über sie hinweg. Die Sonne brach durch, und so warf das Raumfahrzeug der Orathonen plötzlich einen Schatten auf die fliehenden Männer. Gleichzeitig bellte Nukleon leise. Er blieb stehen und sah knurrend und bellend nach oben. Seine geheimnisvollen Sondersinne erfaßten die Gedanken der Gefiederten. Rex Corda sah fast zu spät nach oben. Der Diskus war kaum noch zu sehen. Zu schnell glitt er über sie hinweg. »Glaubst du, daß sie uns schon gefunden haben?« fragte Will
Rimson. Rex zeigte auf Nukleon. Der Wissenschaftler stöhnte. Rex fühlte die in Rimson aufwallende Angst. Der Gelehrte hatte schon zuviel mitgemacht. Er wollte jetzt den Fremden nicht mehr in die Hände fallen. Das Ziel – Protectopolis – war zu nah. »Komm!« rief Rex. Er faßte nach dem Arm Rimsons und zog ihn mit. Wieder huschte der Diskus über sie hinweg. Wieder glitten sie durch den Schatten. Nukleon tobte. Sekunden später rauschte es durch die Bäume herab. Rex wirbelte auf der Stelle herum. Seine Hand zuckte zu der laktonischen Waffe, die ihre gigantische Zerstörungskraft bereits bewiesen hatte. * Sigam Agelon, der Orathone, erkannte den Mann sofort wieder, dessen Bild über den Holographen übermittelt wurde. Das dreidimensionale Bild war absolut scharf und farbecht. Verblüfft strich sich der Gefiederte über den Kopf. Der Mann, den er verhört hatte, zeigte die Tendenz, aus dem Plan auszuweichen. Ein unerhörtes Verhalten, das Sigam Agelon bisher noch bei keinem Primitiven beobachten konnte. Sigam Agelon schloß aus, daß der semibiotische Conductor versagte. Das war unmöglich. Es konnte nur an der Persönlichkeit des Mannes liegen. »Wie ist das möglich?« fragte er. Der Roboter, der die Nachricht durch den Holographen geschickt hatte, erschien jetzt selbst in dem Bildblock. »Ich kann es nicht erklären. Sig 3383 übermittelte mir, daß der Terraner waffenlos aus MAR entlassen wurde. Wenn er jetzt über eine laktonische Agentenausrüstung verfügt, dann kann er sie nur dadurch erworben haben, daß er einen
laktonischen Agenten getötet hat!« Sigam Agelon lachte abfällig. »Und wie erklärst du, daß der Terraner mit dieser Ausrüstung umgehen kann?« »Es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß er laktonische Unterstützung bekommen hat!« »Und weshalb hat dann der Conductor nicht angesprochen?« »Er hat versagt!« »Das glaube ich nicht!« schnaubte der Gefiederte. »Dies ist ein besonderer Fall! Ich will den Terraner haben. Er soll noch einmal in die Maschine!« »Das überlebt er nicht!« Der Orathone verzog ärgerlich die Lippen. Er liebte solche Bemerkungen von Seiten der Roboter nicht. Manchmal zeigte es sich eben doch, daß man einem Roboter nicht zuviel Persönlichkeit geben sollte. »Es ist mir gleich«, sagte er. »Bringt ihn mir!« »Was geschieht mit dem anderen, der bei ihm ist?« »Das ist mir gleich. Laßt ihn laufen oder nicht. Ich will ihn nicht sehen!« * Ein bronzen glänzender Roboter fiel durch die Baumkronen herab. Er prallte jedoch nicht hart auf den Waldboden, sondern landete weich. Seine Knie federten sanft durch. In den Armen hielt er einen Kasten. »Kommen Sie, Mr. Corda. Wir müssen Sie noch einmal sprechen«, sagte er. Er sprach ein einwandfreies Englisch. Rex konnte eine gewisse Bewunderung nicht unterdrücken. Die Gefiederten hatten die gewonnenen Informationen ungemein schnell verbreitet. Langsam hob er die Waffe des Laktonen. »Verschwinde!«
Das metallene Gesicht lächelte. Will Rimson stöhnte erregt. Für ihn war der Anblick neu und aufregend. Nukleon preßte sich an den Boden. Sein Atem dampfte. Er gehorchte dem gedanklichen Befehl Cordas. Er blieb. Rex biß die Zähne zusammen. Er schoß. Will Rimson ließ sich auf die Knie sinken. Rex hob den freien Arm vor die Augen. Im gleichen Augenblick explodierte das Geschoß. Die Druckwelle riß den Senator diesmal nicht von den Beinen, weil er darauf gefaßt war, aber sie trieb ihn zwei Meter zurück. Erschreckt starrte er auf den Roboter, der unbeschädigt aus der Explosionswolke hervortrat. Seine Füße berührten den Boden jedoch nicht. Er schwebte über den Explosionstrichter hinweg. Erst jetzt sah Rex Corda, daß der Roboter unter einer farblosen Glocke ging, die Rauch und Feuer abhielt. Wieder zuckte die Waffe hoch. Doch jetzt riß der Roboter den Kasten auf. Eine rotgelbe Wolke stieg surrend auf, kreiste um den Roboter und formierte sich um seinen Kopf. Ein dichter Insektenschwarm. Rex erbleichte. Er ahnte, was jetzt kommen würde. Wenn der Roboter eine so ungewöhnliche Waffe einsetzte, dann verfolgte er einen ganz besonderen Zweck damit. Abermals zog er durch. Aber diesmal zielte er dicht vor die Füße des Roboters, dorthin, wo die Schutzglocke den Boden berührte. Die donnernde Explosion riß die Erde auf – und schleuderte den Roboter mehrere Meter zurück. Rex Corda wirbelte herum und floh. Erleichtert registrierte er, daß Will Rimson und der Hund ihm schon längst vorausgelaufen waren. Rex lief, so schnell er konnte. Schon nach zwei Minuten holte er den Alten ein. Rimson keuchte asthmatisch. Der Senator sah zurück – weit hinter ihnen stand die einsame Gestalt des Roboters zwischen den Bäumen. Der Roboter
bewegte sich nicht. Er hatte es auch nicht nötig. Denn der Insektenschwarm schwirrte schneller, viel schneller heran, als die beiden Männer laufen konnten. Rex Corda hörte es, und er glaubte, schon jetzt die scharfen Bisse auf der Haut zu spüren. Die Nackenhaare sträubten sich ihm. Er wußte nicht, wie er sich gegen diese heimtückische Waffe wehren sollte! Gab es überhaupt eine Abwehr gegen einen solchen Angriff? * Das sommersprossige Gesicht Oberst Polleys zuckte. »Verflucht, das geht zu weit! Sie sollten sich nicht mit den Gefiederten schießen, nur um diesen Schwergewichtlern die Flucht zu ermöglichen!« knurrte er. Sie rasten auf das Ende des Tunnels zu. John Haick hockte bleich auf seinem Platz. Er fragte sich, wohin diese Flucht führen sollte. Angeblich gab es doch keinen zweiten Notausgang aus dem Tunnelsystem. Oder hatte General Dingel einen weiteren Ausgang geschaffen? Der rothaarige Oberst bremste den Sonnengleiter etwas ab. John sah, daß er einen kleinen Hebel neben dem Gabelsteuer herumlegte. Lautlos versank die graue Betonwand im Boden. Ein dunkler Tunnel öffnete sich vor ihnen. Polley beschleunigte wieder. Im nächsten Augenblick rasten sie in die Dunkelheit. Die Wand hob sich wieder. Die Scheinwerfer flammten auf. John Haick stöhnte vor Überraschung. Der Gleiter raste quer durch eine langgestreckte Halle, dicht über endlose Kistenstapel hinweg, die die Halle bis in die letzte Ecke prall füllten. »Was ist das?« keuchte er.
Oberst Polley drehte ihm das Gesicht zu. Die zahlreichen Sommersprossen sprangen zur Seite und machten einem breiten Grinsen Platz. »Alles, was das Herz begehrt! Lebensmittel, Waffen, Baumaschinen … alles!« »Das verstehe ich nicht!« sagte John Haick. Er schüttelte den Kopf. »General Dingel behauptete doch, angesichts der unerwartet hohen Zahl von Flüchtlingen würden unsere Bestände knapp!« »Sollte er vor denen zugeben, daß wir genug zu futtern haben, eh?« Der Oberst wies mit dem Kopf auf die Laktonen und Ga-Venga. »So gut kannten wir sie ja noch nicht!« Ga-Venga stieß ein meckerndes Lachen aus. Er musterte Bekoval mit einem vorwitzigen Blick, der dem Laktonen einen zornigen Laut entlockte. Oberst Polley wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Führung des Gleiters zu. Wieder legte er einen kleinen Hebel um. John erkannte im Licht der Scheinwerfer ein breites Betontor, das gemächlich zur Seite rollte. Der Gleiter schoß hindurch, als sich ihm gerade Raum genug bot. Oberst Polley flog durch einen schmalen, niedrigen Tunnel. Die Decken und die Wände zeigten nackten, kalten Beton. Auf dem Boden des Tunnels lagerten Tausende von Batterien und Kanistern. John kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Er war der festen Überzeugung gewesen, daß die Station wirklich nicht größer war, als offiziell bekannt war. Der Tunnel führte schräg in die Tiefe. »Wir fliegen nach Westen, nicht wahr?« Der Oberst nickte. »Und wo kommen wir heraus?« »Abwarten«, antwortete Polley trocken. Bald gab es keine Batterien mehr. John sah nur noch schlichte Plastikkisten, deren Äußeres nichts über ihren Inhalt aussagten. Auch Polley schien nicht zu wissen, was in den
Kisten lag. Er vermutete jedoch, daß es Bücher und Mikrorollen waren. Nach zehn Minuten Flug stießen sie auf eine doppelte Schleuse, deren Tore Polley mit der Hand bedienen mußte. Er stieg aus, öffnete die Schleuse und ging voran, während John Haick über die Sitzlehne nach vorn griff und den Gleiter vorsichtig steuerte. Bei dieser Gelegenheit schaltete er das Videophon ein, aber das Netz schien noch immer gestört zu sein. Es kam weder ein Bild noch ein verständlicher Ton. Hinter den Schleusen begann ein noch niedrigerer Tunnel. Er war kaum zwei Meter hoch. Er bot gerade Platz genug für den Sonnengleiter der Flüchtlinge. Der Tunnel enthielt nichts. Der Boden war offensichtlich nicht ausbetoniert. John Haick sah nur bräunliche Erde. Jetzt flog der Oberst, so schnell wie er konnte. Er jagte den Gleiter mit einer Geschwindigkeit durch den engen Tunnel, daß die drei Laktonen immer stiller wurden. Schließlich stimmte Ga-Venga einen melancholischen Gesang an. John musterte ihn verstohlen. Er hatte nicht den Eindruck, daß der Kynother sich lustig machen wollte, er schien sich aber auch nicht zu fürchten. Seine Augen zeigten einen stumpfen, abwesenden Glanz. Eine halbe Stunde verging. Der Oberst bremste allmählich ab. Und dann tauchte abermals ein Betonschott aus dem Dunkel. John erkannte im Licht der Scheinwerfer eine rote Schrift, doch Polley setzte den Gleiter so weit vom Schott entfernt auf den Tunnelboden, daß John nicht erkennen konnte, was an den Schotts stand. Als Polley ausstieg, stemmte John sich ebenfalls hoch, stieß die Tür auf und sprang aus dem Gleiter. Er taumelte ein wenig, weil ihm die Beine eingeschlafen waren. Polley sah ihm unwillig entgegen. »War das notwendig, Sir?« knurrte er.
John sah an ihm vorbei. Er las, was auf dem grauen Beton stand. * Er hatte einen entscheidenden Fehler gemacht! Er hätte mit dem Schuß auf den Roboter warten sollen, bis der Roboter den Insektenschwarm aus der Schutzblase entlassen hatte. Jetzt war es zu spät. Die Insekten kreisten sirrend über ihren Köpfen. »Ich kann nicht mehr!« keuchte Will Rimson. Der alte Gelehrte blieb keuchend stehen. Aus weiten Augen sah er zu den Insekten hinauf. Die Flügel bewegten sich so schnell, daß er nur die Form der zierlichen Körper erkennen konnte. Sie glichen keinen irdischen Insekten. Sie sahen aus wie winzige, geflügelte Schlangen. Nukleon, der ihnen vorausgeeilt war, kehrte jetzt zurück. Ein eigentümlich wütendes Jaulen kam aus seiner Kehle. Er sah zu dem Bronze-Roboter zurück. Die intelligente Maschine kam langsam heran, ein maliziöses Lächeln auf den metallenen Lippen. »Paß auf, Will!« flüsterte Rex Corda. Der Alte ließ sich keuchend auf die Knie sinken. Erschöpft schüttelte er den Kopf. Er konnte nicht mehr. Rex Corda zog blitzschnell. Er schoß auf den Roboter. Das verächtliche Lächeln blieb. Das Geschoß detonierte am Schutzschirm, doch dieser neutralisierte die Schlagwucht nur teilweise. Wieder schoß Corda. Der Explosionsdruck fegte den Roboter aus Cordas Gesichtskreis. Cordas Blick wanderte zu den Insekten hinauf, die, unbeeindruckt von den Druckwellen, noch immer um ihre Köpfe kreisten. Nukleon leckte sich die Schnauze. Ein leises, drohendes
Knurren saß ihm in der Kehle. Verwirrt und überrascht sah Rex den Hund Rimsons an. Nukleon starrte schläfrig zu dem Schwarm hinauf, als ob er beträchtliche Mühe habe, sich gerade eben wach zu halten. »Komm, Will!« Er faßte nach dem Arm des Wissenschaftlers. Rimson erhob sich schwerfällig. Er folgte dem Senator, als dieser von dem Hund wegging. Zehn Meter weiter – unter einem Ahornbaum – blieben sie für einen kurzen Augenblick stehen. Noch immer schwirrten die Insekten über Nukleon. Aber – waren es nicht weniger geworden? Es gab eine geheimnisvolle Verbindung zwischen dem Hirn des Hundes und den Insekten. Sie schien tödlich für die Insekten zu sein! Deutlich sah Rex, wie einige Insekten ins Gras fielen. Er drehte sich um und ging. »Wo ist der Bronzene geblieben, Rex?« Der Senator zuckte die Achseln. »Ich hoffe, er bleibt erst einmal dort, wo er jetzt ist. Will! Wir haben nichts mehr gegen ihn einzusetzen!« Er stützte den Wissenschaftler, um ihm den Marsch durch das feuchte Gras zu erleichtern. Irgendwo nördlich von ihnen lag Protectopolis. Rex konnte jetzt nicht mehr sagen, wie weit es noch war. Nukleon schlüpfte hechelnd zwischen ihnen durch. Er leckte sich die Schnauze und warf Rex einen zufriedenen Blick zu. Es begann wieder zu regnen, und gleichzeitig senkte sich graue Dämmerung über den Wald. Nukleon wendete sich nach rechts. Dort hob sich der Boden steil an. Blaue Tannen drängten sich zwischen die Laubbäume. Auch von dort kam ein Roboter. Nukleon beachtete ihn nicht. »Ihm nach!« Rex zog Rimson mit, obwohl der Wissenschaftler sich
sträubte. »Das ist doch sinnlos!« Rimson riß sich los. Er blieb stehen. Entschlossen schüttelte er den Kopf. »Wohin willst du denn jetzt noch? Die Falle ist zu!« Nukleon bellte wütend. * »VOR DEM ÖFFNEN VIDEOBEOBACHTUNG EINSCHALTEN!« las John Haick. »Was soll das heißen?« fragte er. Robin Polley antwortete nicht. Er öffnete einen roten Kasten neben dem Schott. Er warf einige Hebel herum. Die rote Schrift auf dem Beton verschwand und machte einem farbigen Videobild Platz. Das Bild zeigte das Innere einer sehr weitläufigen Höhle, in der es von Flüchtlingen wimmelte. »Was geht da vor?« Oberst Polley runzelte die Augenbrauen. »Haben Sie den Gefiederten nicht gesehen? Dort hinten in der rechten Ecke stand er!« »Nein!« Polley zeigte auf die Stelle, an der der Fremde gestanden hatte. »Einige verlassen die Höhle!« Polley nickte nur. Er überlegte angestrengt. Bekoval sprang ungeduldig aus dem Gleiter. Dröhnenden Schrittes trat er zu den beiden Männern. »Was ist los? Weshalb geht es nicht weiter?« brüllte er, und Ga-Venga, der ihm still gefolgt war, übersetzte mit leiser, sanfter Stimme. Der Oberst zeigte auf das Bild. »Auf der anderen Seite dieses Schotts laufen einige Ihrer Freunde herum, Laktone. Wie gefällt Ihnen das?« Ga-Venga übersetzte auch das. Bekoval preßte die Lippen drohend zusammen. Seine Fäuste schlossen sich. Der Kynother
gluckste amüsiert. »Was machen wir?« forschte Bekoval mit rollender Stimme. Er entblößte seine rötlichen Zähne. Seine Augen blitzten kampflustig. »Sind Sie von allen Geistern verlassen?« John Haick schüttelte den Kopf. »Sie wollen doch wohl nicht diesen Tunnel verlassen, solange dort Orathonen sind und diese verfluchten Roboter?« »Was reden Sie von Robotern, Haick?« versetzt der Laktone verächtlich. Ga-Venga bemühte sich, auch den Tonfall richtig zu treffen. »Sie haben keine Ahnung von diesen Maschinen!« Er griff nach rechts hinüber. Die Hebel sprangen um. »Öffnen Sie!« * Senator Corda und der Wissenschaftler Will Rimson standen zwischen niedrigen Büschen. Von allen Seiten näherten sich blitzende Roboter. Jetzt machte Rex Corda auch einige der gefiederten Fremden aus. Nukleon sprang den Hang hinunter. Er knurrte drohend. Plötzlich tauchte er vor den beiden Männern auf. Seine wild schnappenden Reißzähne schlugen dicht neben der Hand Cordas zusammen. Der Senator fuhr erschreckt zurück. Unwillkürlich lockerte er den Griff um die schmale Tasche des laktonischen Agenten. Der Schäferhund raste mit langen Sätzen durch die Büsche davon, die kostbare Tasche in den Fängen. Will Rimson lachte leise. Es war ein bitteres, enttäuschtes Lachen. »Nukleon hat es deutlich gesagt, nicht wahr, Senator?« sagte er mit harter Stimme. »Er ist intelligenter als wir! Es ist aus! Es hat auch keinen Zweck mehr, daß wir mit Waffen herumfuchteln, die wir nicht kennen!«
Rex wollte etwas sagen. Doch in diesem Augenblick bohrte sich fürchterlicher Schmerz in seinen Kopf. Er stöhnte. Seine Hände fuhren zu den Schläfen. Gleichzeitig griff das Unsichtbare nach ihm. Es wirbelte ihn auf der Stelle herum und warf ihn auf die Knie. Seine Arme knallten in die Seiten. Die Beine klappten zusammen, die Knie zuckten bis unter das Kinn hoch. Der Senator nahm alles nur wie durch einen Schleier wahr. In seinem Kopf tobte die Hölle. Der rasende Schmerz stieß ihn fast in die Bewußtlosigkeit. Es interessierte Rex überhaupt nicht mehr, daß die Roboter ihn gefaßt hatten. Er wehrte sich nur verzweifelt gegen den Schmerz, der durch sein Gehirn kroch, der ihm den Schädel sprengen wollte. Er hatte den einzigen Wunsch, seine Hände an den Kopf pressen zu können, um zu verhindern, daß der Schmerz ihn zerriß. * Die Leute bei den Gleitern schrien auf, als sie den bulligen Laktonen bemerkten, der selbstbewußt und voller Kampfeswut durch die Höhle marschierte. Bekoval zog seine Handwaffe aus der Halfter an der Hüfte und justierte sie mit beiden Händen. Auf seinen Lippen lag ein grimmiges Lächeln. John Haick folgte dem Laktonen zögernd, nachdem er zum Gleiter zurückgekehrt war und sich eine Pistole geholt hatte. Oberst Polley seufzte. Er stakte mit einem verbissenen Grinsen zum Gleiter, warf sich hinein und steuerte ihn durch das Schott. Er warf den beiden Laktonen auf dem Rücksitz keinen Blick zu, obwohl sie mit stoischen Gesichtern ihre Waffen für den Kampf präparierten. John Haick hörte den Gleiter. Er blieb stehen und stieg auf den Vordersitz. Ga-Venga schlüpfte geschmeidig neben ihn. Der Kynother rieb sich die Hände, während der melancholische Gesang über seine Lippen quoll.
»Das wird ein Kampf werden!« kicherte er. »Es geht dir genauso an den Kragen wie uns!« schnappte Polley wütend. »Mir nicht!« antwortete Ga-Venga mit Überzeugung. »Kynother sind überall beliebt. Wo sie auch sind!« »So?« zischte der rothaarige Offizier gereizt. »Sind sie das? Mir jedenfalls sind Sie herzlich unsympathisch!« »Das liegt daran, daß Sie mir grenzenlos unterlegen sind, sowohl was technisches Wissen als auch Charakterstärke und Persönlichkeit angeht!« behauptete Ga-Venga vergnügt. Oberst Polley schlug seine rauhe Faust krachend auf das Armaturenbrett. Eine flammende Ader wuchs auf seiner Stirn. »Dir dreh' ich noch einmal den Hals um, Kleiner! Das gebe ich dir schriftlich!« ächzte er. »Leere Drohung, mehr nicht!« lächelte der Kynother. Jetzt drückte Oberst Polley den Gleiter tiefer, weil sie unmittelbar vor dem Ausgang schwebten. John stieß die Tür auf. Er begegnete kühl den flammenden Augen Bekovals. »Steigen Sie ein!« Der Laktone blieb stehen. Er drehte John den Kopf zu. »Wenn ich eine Agentenausrüstung hätte, Haick, dann könnten wir alles zerschlagen, was sich uns in den Weg stellt!« Da schnellte ein Hund aus dem Schlund hervor, der an die Außenwelt führte. »Nukleon!« schrie John. Bekoval riß die Waffe hoch. John Haick warf sich, auf ihn. »Nicht schießen, Narr!« schrie er. Ga-Venga kam nicht mehr mit. Er schrie etwas, das niemand mehr verstand. Auch Bekoval, der Laktone, nicht. Der Stahlarm des Fremden zuckte hoch. Er wirbelte John wie ein Bündel Lumpen über den Gleiter hinweg. Der junge Wissenschaftler landete unsanft auf dem Dach eines anderen Sonnengleiters, während Bekoval dem Hund einen Fußtritt versetzen wollte. Doch Nukleon wich knurrend aus.
Dabei öffnete sich die Tasche. Sie klappte auf. Ein kurzer Ruck mit dem Hundekopf – und die Tasche rutschte dem Laktonen direkt vor die Füße. Im nächsten Augenblick sackte der Riese stöhnend auf die Knie. Seine schlanken Hände stießen gierig in die Schlaufen. Ein Dutzend Instrumente glitt in seine Hände. Er brüllte etwas. Ga-Venga übersetzte nicht. Der kleine Kynother lehnte kopfschüttelnd am Gleiter und strich sich nachdenklich über das blaue Haar. Er schien die Laktonen plötzlich nicht mehr zu begreifen. Im Handumdrehen entnahmen sie alles, was sie darin fanden. Und dann rasten sie in den dunklen Schlund hinein, in dem die Orathonen vor wenigen Minuten verschwunden waren. Da wußte John Bescheid. Er sprang in den Gleiter. Oberst Polley riß Ga-Venga mit einem harten Griff zu sich auf den Sitz. Er ließ die Motoren bewußt im Leerlauf aufheulen, um die Leute in der Höhle aufzureizen. Dann beschleunigte er. Das Scheinwerferlicht zerriß das Dunkel in dem schmalen Stollen, der schräg nach oben führte. Auf der schrundigen Schräge erkannte John die massigen Gestalten der Laktonen. Unglaublich geschickt schnellten die Fremden sich nach oben – auf den Lichtfleck zu, der rasend schnell anwuchs. Bekoval brach – mit den Armen rudernd – durch das Gestrüpp über dem Eingang. Beide Arme fuhren hoch. Die Waffen in seinen Fäusten feuerten donnernd. Die Projektile zischten röhrend wie Thermoraks durch die regensprühende Luft. Da prellte der Gleiter vor. John beugte sich aus dem Fenster. Mit einem Blick übersah er die Situation – und erschrak. Auf dem Waldboden krümmten sich sechs oder sieben bronzefarbene Roboter, wobei sie sich unter krachenden Explosionen in ihren Gliedern auflösten. Blauweiße
Stichflammen schossen aus ihren Köpfen und ihren metallenen Leibern. Die beiden Laktonen in Bekovals Begleitung feuerten ununterbrochen auf die Roboter und die Gefiederten. Der Gleiter kam viel zu spät, um noch in den Kampf eingreifen zu können. Bekoval, der massige Laktone, kauerte auf dem Waldboden und fingerte fieberhaft an einem kleinen Gerät, das auf einem Dreifuß stand. Es sah aus wie eine verchromte Rakete. Jetzt fauchte ein winziges Projektil daraus hervor. Aus den Augenwinkeln heraus erkannte John den Diskus, der über die Baumwipfel hinausschoß. Ein blauvioletter Funkenregen kreiselte gierig um seine Kanten – bis plötzlich ein schwarzes, gähnendes Loch in der Wandung aufriß, das sich mit orangefarbenem, brüllendem Feuer füllte. Der Diskus bäumte sich auf, er schwankte – und zischte schräg in den Himmel hinauf. Unter den Bäumen lagen einige Gefiederte. John wandte sich schaudernd ab, als er sie entdeckte. Er drehte sich um zu den Männern, die aus der Höhle stürmten. John stieg aus dem Gleiter und ging mit schleppenden Schritten zu der verkrümmten Gestalt hinüber, die im nassen Gras lag. Weite Augen starrten an ihm vorbei ins Leere. Sie glänzten wie blaue Kristalle, doch schien kein Leben mehr in ihnen zu sein. Obwohl die Augen sich unnatürlich weiteten, war kein Weiß in ihnen. »Rex!« flüsterte John mit bebenden Lippen. Die Augen sahen an ihm vorbei. John Haicks Hand glitt über den Puls Rex Cordas. Doch jetzt griff eine schlanke Hand über seine Schulter hinweg. Sie packte den Senator. Sie riß ihn hoch. John sah ein Instrument in den Händen des massigen Laktonen. Bekoval strich damit über die Stirn Cordas.
Aus dem erwachenden Gesicht sprang ein Schrei voller Schmerz und Grauen. Rex Cordas Fäuste wirbelten durch die Luft, klatschten dumpf in das Gesicht des Laktonen. Bekoval taumelte unter den Schlägen. Betroffen stieß er den aus dem Schock erwachenden Senator von sich. Rex Corda kugelte schreiend durch das Gras. Seine Hände preßten sich wie wild an seinen Hinterkopf. Und dann schien der Kopf tatsächlich zu bersten. John Haick sah das Blut, das die dunkelblonden Haare färbte. Rex Corda streckte sich erschlaffend aus, während sich sein Kopf immer stärker verfärbte. »Sie haben ihn getötet!« schrie John. Er warf sich gegen den Laktonen. Doch Bekoval machte nicht mehr als eine Geste. Sie wischte den jungen Wissenschaftler hinweg. Kein Mensch wäre der Kraft gewachsen gewesen, die in diesem gigantischen Körper wohnte. Langsam ging Bekoval auf Rex zu. Er beugte sich über ihn, um dann jedoch entsetzt zurückzufahren! Sein Gesicht schien zu zerfallen. Er sprang zu John und hob ihn auf. »Es tut mir leid!« keuchte der Laktone. Ga-Venga, der direkt neben ihm stand, brauchte nicht zu übersetzen. Jetzt sprach Bekoval Englisch! John Haicks Gedanken wirbelten wild durcheinander. Er begriff nicht mehr, was vorging. Wie betäubt wankte er zu der reglosen Gestalt Rex Cordas. Aus dem Hinterkopf quoll etwas Schwarzes hervor. Es hatte Stacheln wie ein Seeigel, aber es war beweglicher. Dabei kam es mehr und mehr aus dem Kopf des Senators heraus. John Haick drehte sich um. Er sah nach Bekoval und den anderen Laktonen. Sie standen bleich neben dem Gleiter. Ihre Gesichter waren starr. Betroffenheit und Entsetzen krochen in tiefen Falten über ihre Züge. Hinter ihnen trat Will Rimson aus den Büschen. Der
Wissenschaftler preßte seinen Arm an den Leib. Auch er war bleich. Auch er sah verstört aus. »Töte es, Nukleon!« krächzte er. Ein braunschwarzer Blitz zuckte über die Lichtung. Ein knurrendes Bündel wälzte sich über den Senator. John Haick sah, wie das stachelige Etwas zwischen den zupackenden Zähnen Nukleons zerbrach. Im gleichen Augenblick fuhr Rex Corda mit einem Schrei aus dem Gras auf. Er starrte hilflos um sich, ohne zu begreifen. Da rannte Bekoval zu ihm hinüber. Er riß ihn hoch, preßte ihn an sich und nahm ihn zum Gleiter hinüber. »Wir müssen weg!« schrie er, jetzt wieder in seinem unverständlichen Idiom, aber Ga-Venga, der Kynother, sprang sofort ein. »Die Gefiederten müssen gleich hier sein! Sie werden uns hetzen! Weg von hier!« John Haick erwachte wie aus einem Traum. Er wirbelte herum, zerrte Will Rimson mit sich zum Gleiter, pfiff Nukleon. Da peitschten zwei, drei belfernde Schüsse über den Gleiter hinweg. John Haick sah auf. Ein breitschultriger Mann stand vor ihm. Er hielt ihm einen rauchenden Colt unters Kinn. »He, Mister, und was ist mit uns? Wir können für euch herhalten, was?« »Keine Angst«, versetzte Ga-Venga, der sich über die Schulter John Haicks schob. »Die Gefiederten werden euch nichts tun. Sie werden euch verhören, aber sie wissen, wessen Sache dies war! Ihr braucht euch wirklich keine Sorgen zu machen!« »Verdammt!« fluchte der Mann. »Hätte ich euch doch nicht geholfen!« »Das haben Sie ohnehin nicht, mein Freund«, antwortete John »Wir haben es auch so geschafft!« Er zögerte einen
Augenblick, bevor er sagte: »Die Gefiederten dürfen nur nicht wissen, woher wir gekommen sind. Sagt ihnen nichts von dem Tunnel! Es kann euch überhaupt nichts passieren!« Er knallte die Tür des Gleiters zu. Oberst Polley riß das Fahrzeug hoch. Einen Atemzug lang glaubte John, die Flüchtlinge würden ihren Zorn dadurch auslassen, daß sie ihnen ein paar Kugeln nachfeuerten. Aber nichts dergleichen geschah. Dann glitt der Sonnengleiter sanft über die Baumgipfel dahin. Der Regen fiel dichter. Die Sicht wurde immer schlechter. Oberst Polley konnte keine dreihundert Meter weit sehen. »Holen Sie raus, was Sie können«, befahl Bekoval. »Wir haben keine Sekunde zu verlieren!« Polley warf Ga-Venga, der übersetzte, einen verweisenden Blick zu. Er wußte ebenso gut wie Bekoval, daß sie keine Zeit zu verlieren hatten. * Rex Corda sah lächelnd in die Augen Will Rimsons. »Hallo, Alter! Du siehst müde aus!« Der Wissenschaftler hob die Augenbrauen. »Du solltest bescheidener sein, Senator!« Rex Corda grinste. »Ich habe keine Kopfschmerzen mehr!« »Das Ding ist ja auch raus!« Rex seufzte. Er hob seinen Kopf von den Beinen des alten Wissenschaftlers. Vorsichtig tastete er nach dem Hinterkopf. Er fühlte dicke Verbände. Erstaunt hob er die Augenbrauen. »Das … Ding?« Bekoval beugte sich über ihn. Er hatte diese Augen schon einmal gesehen, als er sich gegen die Bewußtseinsschwäche stemmte. Der Anblick erregte seinen Zorn.
»Sie haben Glück gehabt, Mr. Corda«, übersetzte Ga-Venga die Worte des Laktonen. »Die Gefiederten haben Ihnen ein semibiotisches Gerät eingesetzt, mit dem sie mich töten wollten!« Der Zorn verrauchte. Rex Corda entspannte sich. Er wollte sich aufrichten, aber die Hand des Laktonen drückte ihn zurück. »Ich verstehe noch immer nicht!« Bekoval lächelte. Jetzt war es ein weiches, angenehmes Lächeln. Ohne Spott und gutmütige Herablassung. »Das Ding, das in Ihrem Kopf saß, bestand zur Hälfte aus organischer, halb selbständig denkender Materie, zur anderen Hälfte war es ein elektronisches Gerät, das mit einer Bombe kombiniert war.« Der Senator nickte langsam. Soweit hatte er begriffen. »Und – weiter?« »Dies Gerät hätte zwei Dinge tun können. Es hätte einfach explodieren können. Das hätte es bei voller Funktionsfähigkeit auch getan, wenn es Ihnen nicht gelungen wäre, näher als zehn Schritte an mich heranzukommen.« Jetzt richtete Rex Corda sich doch auf. Er sah außer Bekoval noch zwei andere Laktonen, John Haick, Ga-Venga, den er sogleich wiedererkannte, Oberst Polley, Will Rimson und Nukleon im Gleiter. »Oder?« forschte er. »Es hätte Einfluß auf Sie genommen. Das ist eine bevorzugte Methode der Gefiederten. Sie hätten einen hemmungslosen Haß auf mich in Ihnen erzeugt, der Sie veranlaßt hätte, mich zu ermorden. Dieses Ding sollte Sie zum Sklaven der Gefiederten machen.« Rex Corda lachte leise. »Ich wurde aber nicht der Sklave!« Bekovals Kopf ruckte vor. Kaum zehn Zentimeter trennten ihre Augen jetzt noch. Furchtlos begegnete Corda dem kalten
Blick des laktonischen Kommandanten. »Warum nicht?« fragte Bekoval. »Ich weiß es nicht.« Bekoval lachte zornig. »Doch!« brüllte er. »Sie wissen es! Und Sie werden es mir sagen! Weil ich es will!« »Wie sieht es aus, Polley?« fragte Rex, sich zu dem Offizier wendend, der den Gleiter steuerte. Doch jetzt packte Bekoval ihn und rüttelte ihn. »Ich will wissen, warum das Ding versagte!« keuchte er wild. Jetzt verstärkte sich der Geruch des Laktonen. »Ich will wissen, warum das Ding aus Ihrem Kopf floh!« »Laß nur, Will«, sagte Corda zu dem Wissenschaftler, der ihn noch stützen wollte. »Ich fühle mich ganz wohl, da dieser Koloß sich um mich sorgt!« Er wies spöttisch auf den Laktonen. Dabei bemerkte er die gehetzten Blicke der beiden anderen Laktonen. Mit einem Schlage war ihm ihre Situation klar. Ihm fiel alles wieder ein, was geschehen war. Damit wußte er auch, daß sie mit einer Verfolgung rechnen mußten. »Antworten Sie!« brüllte Bekoval. »John, hast du eine Zigarette?« »Weichen Sie nicht aus!« schrie Bekoval, am Ende seiner Fassung. Er packte Rex wieder und rüttelte ihn heftig durch. »Antworten Sie auf meine Frage!« »Sie sind mir alles andere als sympathisch, Dicker«, versetzte Rex Corda kalt. »Am liebsten würde ich Ihnen den Schlag heimzahlen, den Sie mir verpaßt haben, als wir Sie mitnehmen sollten.« Bekoval winkte ärgerlich ab. Er beugte sich tief über das bleiche, erschöpfte Gesicht des Senators. »Was ist bei Ihnen anders als bei den anderen Rassen der Milchstraße! Antworten Sie mir auf diese Frage!« »Sie sind ein Narr, Bekoval, um nicht zu sagen, ein Dummkopf! Wie kann ich die Antwort wissen, wenn ich nicht
weiß, wie die anderen Völker der Milch-Straße reagieren? Was weiß ich schon? Nichts! Wie soll ich da antworten?« Bekoval biß sich auf die Lippen. Er sah hastig zu Oberst Robin Polley hinüber, der die Instrumente kontrollierte. »Keine Verfolger auszumachen! Wir haben es geschafft!« meldete der Oberst. Rex Corda musterte das kraftvolle Gesicht des Laktonen. Die Unruhe und die Hetze gruben ihre Spuren gnadenlos in das Gesicht ein. Der Senator wünschte, er könnte Bekoval die Antwort geben. Aber er wußte sie selbst nicht. Welche Kraft ließ das heimtückische Gerät versagen? Was befähigte Nukleon, sich über alle Schranken hinwegzusetzen, die den anderen Völkern der Galaxis offensichtlich gesetzt waren? Er hatte sich doch über sie hinweggesetzt? Ja – das hatte er getan. Er war es gewesen, der die Insekten vertrieb oder gar tötete. Das mußte ein Schock für die Gefiederten gewesen sein. »Es ist sehr viel passiert, was ich mir noch nicht erklären kann«, sagte Rex sehr ruhig. »Aber es wird nicht mehr lange dauern, bis ich mir alle Fragen beantworten kann!« Jetzt verzerrte sich das massige Gesicht Bekovals. Zorn sprühte in den Augen des Laktonen. »Nichts werden Sie wissen, Corda!« knurrte er. »Sie sind dieser Situation nicht gewachsen. Ich habe meinen Fuß auf mehr als eine Welt gesetzt, und nie fand ich jemanden, der uns annähernd gewachsen wäre. Auch Sie können …« »Halten Sie den Mund!« fuhr Corda auf, als Ga-Venga bis dahin in seiner Übersetzung gekommen war. »Ihr Gewäsch interessiert mich nicht! Passen Sie sich an, oder ich werfe Sie auf der Stelle hinaus! Dann können Sie sehen, was aus Ihnen wird! Mich soll's nicht interessieren!« Bekovals Fäuste schossen grimmig vor. Sie krallten sich in das Hemd des Senators.
Doch jetzt legte John Haick ihm die Hand sanft auf den Arm. »Es ist sinnlos, wenn wir uns streiten! Sie, Bekoval, kommen ohne unsere Hilfe nicht aus. Wir kommen ohne Ihre Unterstützung nicht voran. Wir müssen zusammenarbeiten. Wir schaden uns nur selbst, wenn wir gegeneinander arbeiten!« Rex Corda tastete mit den Fingerspitzen den Verband ab. »Warum kommen wir nicht ohne ihn aus, John?« »Weil wir buchstäblich nichts haben, womit wir die Grünen schlagen können. Weil wir nichts über sie wissen! Weil die Gefiederten uns wahrscheinlich um Jahrtausende voraus sind. Im Augenblick scheinen wir etwas in der Hand zu haben, womit wir ihnen Schwierigkeiten machen können. Aber die Gefiederten sind zu erfahren. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie uns ausgeschaltet haben. Wir haben offensichtlich mehr aufzubieten als andere Völker, die sich gegen die Gefiederten erhoben. Aber wir wissen nicht, was. Wir dürfen den Orathonen keine Gelegenheit geben, es vor uns herauszufinden. Deshalb brauchen wir die Hilfe dieses Großmauls hier!« John Haick grinste den Laktonen augenzwinkernd an. Bekoval entblößte seine rötlichen Zähne und ächzte tief in der Kehle. Kein Zweifel – es war eine freundschaftliche Geste. * Sigam Agelon wischte seine Hand mit einer energischen Geste durch die Luft. Die farbigen Punkte in seinen Augenlidern leuchteten hell. »Wir sind die FAMILIE«, sagte er mit harter Stimme. Er blickte starr in das Aufnahmesystem, das sein dreidimensionales Bild aufnahm und weiterleitete. »Wir tragen die gesamte Verantwortung. Wir haben feststellen müssen, daß wir erstmals bei einem lächerlich kleinen Komplex auf
wirkliche Schwierigkeiten gestoßen sind.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause. Er wußte, daß ihm jetzt alle Orathonen auf der Erde und im solaren System zuhörten. Er wußte auch, daß viele seine Neigung, neue Welten grundsätzlich in Augenschein zu nehmen, geringschätzig belächelten. Er wußte, daß er andere empörte, weil er als Oberbefehlshaber sich mit zum Teil geringen Dingen beschäftigte. Deshalb genoß er jetzt die Pause und die darauf folgenden Worte, mit denen er das Glaubensgebilde ihrer technischen Überlegenheit zerschlagen mußte. »Wir haben festgestellt, daß das Paralysatorfeld bei einigen Bewohnern dieser Welt völlig wirkungslos blieb. Es gelang einem der Eingeborenen, uns zu entkommen, obwohl er sich nachweislich im Ortungsnetz befand. Der Primitive machte das Netz unwirksam.« Wieder machte Sigam Agelon eine Pause. Er wußte, welche Erregung er unter den Kommandanten der Flotte ausgelöst haben mußte. Er genoß es. »Deshalb werden wir jedoch unsere Vorbereitungen nicht abbrechen oder unterbrechen. Ein Spezialkommando wird die Fragen lösen, die uns die Primitiven dieser Welt gestellt haben!« Sigam Agelon, Kommandeur der Invasionsflotte der Orathonen, schaltete ab. Mit einem grimmigen Lächeln auf den grünlichen Lippen schwenkte er seinen frei schwebenden Sessel herum und sah auf die Super-Holographenschirme, die eine ganze Seite des großen Raumes einnahmen. Sie gaben ein dreidimensionales Bild der Landschaft wieder. Sigam Agelon glaubte nicht daran, daß sich die Rätsel so schnell lösen ließen. Er rechnete damit, daß es harte Arbeit gab. Auf jeden Fall wollte er diesen überraschenden Mann, der sich von dem semibiotischen Conductor befreien konnte, ein paar Tage gewähren lassen, um ihn genau zu studieren.
Danach würde er zuschlagen. Er würde die Probleme, die sich ihm boten, beseitigen. Das war die Gelegenheit für ihn, sich zu bewähren. Gelang es ihm, den Widerstand dieser Welt zu brechen, dann war der Krieg gegen die verhaßten Laktonen praktisch gewonnen. Das würde auch die FAMILIE anerkennen müssen!
ENDE
IN DER NÄCHSTEN WOCHE NOTRUF VON TERRA Wenn kein Wunder geschieht, ist die Erde verloren. Rex Corda steht vor einer fast unlösbaren Aufgabe. Unser Planet allein ist ohnmächtig gegen den Gegner, der die Erde beherrscht. Findet Rex Corda einen Ausweg? Kann er die gefürchteten, brutalen Orathonen vertreiben? Gelingt es ihm, die Laktonen als Bundesgenossen in das solare System zurückzurufen? Diese brennenden Fragen beantwortet M. Wegener im nächsten Rex-Corda-Roman, der schon in einer Woche bei Ihrem Zeitschriftenhändler und im Bahnhofsbuchhandel für 80 Pf zu erhalten ist.