Utopia Zukunftsromane Nr. 271
Clark Darlton
Die strahlende Macht Ein neues Element wird entdeckt
Personen: John Bra...
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Utopia Zukunftsromane Nr. 271
Clark Darlton
Die strahlende Macht Ein neues Element wird entdeckt
Personen: John Brack – Prospektor Jet – seine Frau Hunterson – Bracks Gegner bei früheren Abenteuern Brenner – Physiker bei Hunterson Admiral Warner – Raumflotte Colonel Bixby – Raumflotte Captain Harras – Captain Miller – Lieutenant Hartman = Revolutionäre
Der eisbedeckte Planet drehte sich langsam durch die Unendlichkeit des Raumes und folgte seiner vorgeschriebenen Bahn, die ihn innerhalb von 248 Jahren nur einmal um die fast sechs Milliarden Kilometer entfernte Sonne brachte, obwohl er doch annähernd fünf Kilometer in der Sekunde zurücklegte. Es gab kein Leben auf Pluto, dem äußersten Planeten des Sonnensystems. Die Sonne selbst, ein heller Stern unter Tausenden, spendete weder Licht noch Wärme. Die Atmosphäre von Pluto, vor vielen Jahrmilliarden entstanden, als der Planet sich noch von innen heraus erwärmte, war nichts als eine zwei oder drei Dezimeter dicke Eisschicht. Schwarz war der ewig dunkle Himmel, und nichts deutete darauf hin, daß Pluto jemals Leben tragen würde. Und doch lebte Pluto! Die durchsichtige Kuppel lag eingebettet zwischen zwei niedrigen Höhenrücken, eingeschlossen von Schneefeldern gefrorenen Gases. Sie leuchtete wie ein Juwel in der ewigen Nacht. Unter dieser Kuppel lag die Station der irdischen Raumflotte. Ein Observatorium nahm den größten Teil ein. Von hier aus
wurden die Weiten des Kosmos erforscht und die wichtigen Informationen an die Zentrale auf der Erde weitergeleitet, wo man sie auswertete, um immer bessere und ausführlichere Sternenkarten herzustellen. Dicht daneben duckte sich das Verwaltungsgebäude der Flotte mit den Unterkünften. Die Funkstation lag ein wenig abseits. Das eigentliche Landefeld für Raumschiffe befand sich außerhalb der Kuppel, unter der normale Verhältnisse herrschten und das Leben ohne erschwerende Bedingungen ermöglichte. Eine große Schleuse verband das Landefeld mit dem Innern der Kuppel. Einsam lebten hier die Männer der Raumflotte, mit der Erde nur durch Funk und Fernsehen verbunden. Die Ultrawellen überwanden die Lichtgeschwindigkeit genauso wie die Schiffe der Flotte, die bis zu einer Entfernung von zehn Lichtjahren in das All vorgedrungen waren. Und doch blieb das Sonnensystem Zentrum der Macht und Mittelpunkt des bekannten Universums. Langsam nur drang der Mensch in die Weiten des Kosmos vor. Im Augenblick herrschte in der Station Aufregung. Zur Inspektion war Admiral Warner eingetroffen, der Oberkommandierende der gesamten Flotte. Im Grunde genommen ein verträglicher Mensch, besaß Warner den einen Nachteil, pedantisch und unnachgiebig in gewissen Kleinigkeiten zu sein. Das hatte Colonel Bixby bereits zu spüren bekommen. »Sie hätten die Herkunft der rätselhaften Funkzeichen sofort feststellen lassen sollen!« polterte Warner, als er die beunruhigenden Nachrichten erfuhr. »Wie ist es möglich, daß die Funkzeichen nicht entschlüsselt werden konnten? Wozu, glauben Sie, haben wir einen Überwachungsdienst?« Colonel Bixby verbiß seinen Ärger. Es war immer dasselbe mit Vorgesetzten. Man hätte sie am liebsten hochkantig hin-
ausbefördert, und man mußte sie statt dessen noch bitten, möglichst lange zu bleiben. »Wir haben selbstverständlich alles getan, um die Sendequelle ausfindig zu machen«, versicherte er ruhig. »Sie muß jenseits der Plutobahn liegen, also im interstellaren Raum.« »Reden Sie keinen Unsinn!« knurrte Warner mit hochgezogenen Augenbrauen. »Sie wissen genausogut wie ich, daß unser Sonnensystem bei Pluto nicht zu Ende ist. Vereinzelte Asteroiden verirren sich auf ihrer regelmäßigen Bahn bis zu zehn Lichtstunden von der Sonne entfernt, also weit jenseits Pluto. Einmal hielt man sogar einen solchen Brocken für den langgesuchten Transpluto, aber den gibt es nicht. Alle Weltkörper folgen einer Bahn, die sie immer wieder in unser System trägt. Daher handelt es sich nicht um Planeten im eigentlichen Sinne, sondern eben um exzentrisch wandernde Asteroiden – wenn ich so sagen darf.« »Trotzdem fanden wir die Quelle der Funkzeichen nicht«, sagte Bixby, um damit zu dokumentieren, daß diese astronomischen Einzelheiten nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun hatten. »Die Funkzeichen waren verstümmelt und sicherlich verschlüsselt. Wir bekamen keinen Sinn heraus. Soviel aber wissen wir: Es handelt sich auf keinen Fall um Zeichen unserer Schiffe.« »Ein Privatfrachter vielleicht?« »Auch nicht, denn die benutzen einen Code, den wir kennen. Es kann weder ein Expeditionsschiff gewesen sein, noch das Schiff von Prospektoren, deren es ja genügend gibt. Sie alle benutzen eine Wellenlänge und einen Code, der uns bekanntgegeben werden muß. Und wenn es ein solches Schiff war, dann umging es das allgemeingültige Gesetz, nur den vorgeschriebenen Funkverkehr zu führen. Schließlich kann ja nicht jeder machen, was er will.«
»Sie haben es erfaßt!« lobte der Admiral bissig. »Ich will also möglichst bald von Ihnen Bericht erstattet bekommen und wissen, von wo diese mysteriösen Funkzeichen kamen. Es sollte Ihren Leuten doch möglich sein, das herauszufinden. Sie kommandieren den stärksten Stützpunkt des Systems. Ich selbst befinde mich mit dem Hauptquartier zehn Lichtjahre von der Erde entfernt und muß mich darauf verlassen können, daß innerhalb dieses Radius alles in Ordnung ist. Meine Hauptaufgabe ist es, den Raum jenseits der Grenze zu überwachen, damit uns keine Überraschung aus den Tiefen des Raumes droht. Sie haben die gleiche Aufgabe, aber für das System selbst. Sie müssen dafür garantieren können, daß nichts Unbekanntes in das Sonnensystem eindringt.« Der Colonel raffte sich auf. »Ich kann Ihnen versichern, daß die Funkzeichen bestimmt von einem irdischen Schiff stammen.« »Also keine außerirdische Intelligenz? Hm – und woher wollen Sie das so genau wissen?« »Weil in dem unverständlichen Kauderwelsch ein einziges Wort fiel, das uns bekannt ist.« »Welches?« »Das Wort Merkur.« »Merkur? Ausgerechnet Merkur? Was soll das bedeuten?« »Keine Ahnung, Admiral. Jedenfalls beweist es, daß wir es mit Menschen zu tun haben, nicht mit fremden Wesen. Und ich glaube fast, im Grunde genommen ist alles ein Mißverständnis und wird sich harmlos aufklären. Vielleicht ein Fehler am Zerhacker, der den Code erarbeitet. Es tut mir leid, daß ich Ihnen den dummen Vorfall berichtete.« Nun wurde der Admiral richtig böse. »So, das tut Ihnen leid? Ich muß doch sehr bitten, Colonel Bixby! Es ist Ihre Pflicht, den geringsten Vorfall zu melden,
ganz gleich, ob Sie ihm Wichtigkeit beimessen oder nicht. Ich wünsche, daß Ihnen das vollkommen klar ist.« Colonel Bixby nickte. »Selbstverständlich, Admiral.« Für eine Weile hing peinliches Schweigen in dem kleinen Raum. Als hätten sie es noch nie zuvor gesehen, betrachteten beide Männer das Gärtchen vor dem Haus, das künstliche Sonnen bestrahlten. Blumen wuchsen dort auf kleinen Beeten, aber in der Hauptsache versorgten sich die Männer des Außenpostens hier mit Frischgemüse. Die durchsichtige Kuppel schirmte sie von dem tödlichen Vakuum ab, das sie umgab. Hell und voll tödlicher Drohung schimmerten die Sterne vom schwarzen Himmel herab. Drüben auf dem Landefeld standen die silbernen Silhouetten der startbereiten Kreuzer, Zerstörer und Überwachungsschiffe. Etwas abseits die schnittige Jacht, mit der Admiral Warner gekommen war. Auf dem Tisch Bixbys summte das Visifon. Der Colonel drückte auf einen Knopf. »Ja, was gibt es? Ich habe eine wichtige Besprechung.« »Verzeihung!« unterbrach ihn die Stimme des Offiziers vom Dienst, noch ehe sein Gesicht auf dem Bildschirm erschien. »Es handelt sich um eine dringende Meldung.« Bixby warf dem Admiral, der dem Vorgang sehr interessiert zuhörte, einen schnellen Blick zu. »Bitte«, gab er das Zeichen. Der Offizier holte tief Luft. Nun war sein Gesicht zu sehen, und den beiden Männern fiel auf, daß es blaß und gequält aussah. Es mußte etwas Unangenehmes passiert sein. »Die beiden Überwachungsschiffe 04 und 017 sind nicht vom Erkundungsflug zurückgekehrt, obwohl sie bereits vor drei Tagen hätten zurück sein müssen. Welche Maßnahmen befeh-
len Sie, Colonel?« Bixby sah den Admiral an. Dessen gerunzelte Stirn gab jedoch keine Hilfe. »Abwarten. Haben Sie Funkzeichen aufgefangen? Vielleicht ein Defekt am Antrieb…« »Bei beiden Schiffen?« zweifelte der Offizier. »Ich habe die letzte Position feststellen lassen, die aus den Routinesignalen hervorging. Sie liegt 57,45 Lichtminuten von der Base entfernt, Richtung CD 18 Koordinatenkarte.« »Also interstellarer Raum«, murmelte der Colonel. »Übrigens die gleiche Richtung, aus der die unkenntlichen Radiosignale stammen«, setzte er hinzu. dem Admiral zugewendet. Und dann wieder zu dem Offizier vom Dienst: »Versuchen Sie auch weiterhin, auf Empfang zu bleiben. Es kann sein, daß sich die Schiffe wieder melden. Sonst noch etwas?« »Ein Privatschiff hat um Landeerlaubnis gebeten«, nickte der Offizier. Der Admiral beugte sich interessiert vor und sah genau in die am Visifon angebrachte Fernsehlinse, die sein Gesicht zum anderen Bildschirm übermittelte. »Ein Privatschiff? Was hat ein Privatschiff auf der Plutobasis zu suchen?« Colonel Bixby hielt eine Aufklärung für notwendig. »Wir haben das Bestreben, uns auf gutem Fuß mit den privaten Unternehmern zu stellen. Meistens sind es Prospektoren, die sich für die Erzvorkommen auf den Asteroiden interessieren. Jedes Schiff, das jenseits der Plutobahn die außersolaren Asteroiden absucht, hat sich abzumelden. Entweder tun sie das auf der Zentralstation auf der Erde, oder – wenn der Weg sie hier vorbeiführt – direkt hier.« »Aha«, machte der Admiral und lehnte sich zurück, um die Ereignisse mehr aus dem Hintergrund weiterzuverfolgen. Co-
lonel Bixby fühlte eine unerklärliche Erleichterung, obwohl zur Unruhe kein Grund vorhanden gewesen war. Er wandte sich wieder an den Offizier vom Dienst: »Wer ist es?« »Ein gewisser John Brack, Sir.« Bixby verbarg seine Überraschung. »John Brack? Gut, geben Sie die Landeerlaubnis durch. Halten Sie ihn aber so lange fest, bis ich mit ihm gesprochen habe.« »Verstanden, Sir.« Der Bildschirm erlosch. Admiral Warner sah Bixby merkwürdig an. »Kennen Sie diesen John Brack?« fragte er lauernd. Bixby machte ein möglichst unbeteiligtes Gesicht. »Ja, flüchtig. Er ist einer der bekannten Prospektoren und unterhält eine regelrechte Firma. Seine Leute sind auf fast allen größeren Asteroiden und beuten sie in seinem Auftrag aus. Statt aber auf der Erde zu sitzen und die eingehenden Reichtümer zu bewachen, streift Brack selbst im Weltraum umher und sichert sich die besten Brocken. Bin gespannt, was er nun jenseits Pluto will. Ohne Grund hat Brack noch niemals etwas getan.« »Wir werden es bald wissen«, knurrte Warner und verriet damit, daß er Pluto auf keinen Fall verlassen würde, ehe er nicht wußte, was John Brack plante. »Sie haben ja wohl nichts dagegen, wenn ich der Unterredung zwischen Ihnen und Brack beiwohne?« »Nicht das Geringste, Sir«, log Bixby mit erstaunlicher Sicherheit. In Wirklichkeit hatte er aber doch etwas dagegen, denn niemand gingen seine kleinen Nebengeschäftchen mit Brack etwas an, am allerwenigsten den Admiral. Sicher, es war nicht ungesetzlich, wenn er dem Prospektor gelegentliche Tips zukommen ließ und so sein militärisches Gehalt ein wenig aufbesserte, aber es wäre seine Pflicht, derartige Tips seiner vor-
gesetzten Dienststelle zu geben. Aber man hätte ihm dann höchstens auf die Schulter geklopft – und davon kann selbst der größte Idealist auf die Dauer nicht leben. »Kennen Sie ihn näher?« wollte Warner wissen. Er zündete sich umständlich eine Zigarre an und und verpestete die rare Frischluft. »Vielleicht von früher?« Bixby war Nichtraucher und betrachtete das Benehmen des Admirals als persönliche Beleidigung. Natürlich durfte er das nicht zeigen, was ihn um so mehr wurmte. »Ich hatte ein- oder zweimal mit ihm zu tun«, gab er zu und machte ein unbeteiligtes Gesicht. »John Brack ist Millionär. Sie werden sich doch an die Hunterson-Affäre erinnern, Admiral? Ein kleiner, armer Prospektor entdeckte auf einem Streifflug mit einem gecharterten Einmann-Raumschiff einen Asteroiden von einem Kilometer Durchmesser, der aus purem Gold bestand. Nun hat Gold ja heute nicht mehr den Wert wie vor hundert Jahren, aber das Edelmetall ist aus rein industriellen Erwägungen heraus immer noch recht begehrt. Der Mann fand also ein Vermögen. Und was geschah?« Er sah Warner erwartungsvoll an, aber der Admiral zuckte nur die Achseln. »Keine Ahnung? Erzählen Sie.« »Hunterson stürzte sich auf die Sache, organisierte einen ›Unfall‹ und ließ den glücklichen Erfinder hopsgehen. Zum Glück klappte das mit dem Unfall nicht so, wie der Gauner es sich vorgestellt hatte. Der Prospektor konnte sich retten und wurde im Raumanzug treibend von Brack gefunden, dem er die ganze Geschichte erzählte. John Brack war empört über das Verhalten von Hunterson. Um ihm eins auszuwischen, kaufte er dem armen Teufel von Prospektor den goldenen Asteroiden für ein Vermögen ab und jagte die Hunterson-Leute, die bereits mit der Ausbeute begonnen hatten, von der golde-
nen Welt herunter.« Admiral Warner nickte langsam. »Nicht übel, der Bursche. Stimmt aber die Geschichte auch, oder handelt es sich etwa nur um einen Reklametrick des reichen Mannes?« »Ich verbürge mich für die Wahrheit, Admiral, denn ich kannte den Prospektor, der den Asteroiden fand. Er hat sie mir selbst berichtet.« »Dann wird sie ja wohl stimmen«, knurrte Warner und lutschte mißmutig an seiner Zigarre. »Allmählich bin ich gespannt, diesen Brack kennenzulernen. Wann wird er landen?« Bixby streckte die Hand nach dem Visifon aus. »Das können wir leicht erfahren.« * John Brack blinzelte dem hübschen Mädchen vielsagend zu. »Dies ist eigentlich kein Trip für dich, Jet, obwohl es unsere Hochzeitsreise werden sollte«, sagte er und warf dem Bildschirm einen kurzen Blick zu, auf dem Pluto sich zu einem Eisball rundete. »Ich konnte auch vorher nicht wissen, daß es mal wieder Arbeit für mich gibt.« Jet lächelte fein. Sie hatte kurze, blonde Haare, ein freches Stubsnäschen und blaue Augen. Der geschwungene Mund versprach allerhand Zärtlichkeiten, die sie auch sicherlich zu halten vermochte. Lange Jahre war sie mit John verlobt gewesen, eigentlich so lange sie denken konnte. Und nun hatten sie geheiratet. Die einsame Hochzeitsreise in der kleinen »Arrow« sollte sie quer durch das Sonnensystem zu allen Planeten führen, aber sie waren nur bis zum gerade günstig stehenden Mars gelangt, als der mysteri-
öse Funkspruch sie aus ihrer glücklichen Ruhe schreckte. »Ich bin deine Frau«, sagte sie fest. »Und als deine Frau werde ich auch in der Gefahr bei dir sein müssen. Gib dir also keine Mühe, mich auf Pluto abzusetzen, ich werde mich dagegen sträuben. Meinst du, ich wollte meine Flitterwochen zwischen den Offizieren der Station verbringen? Denke an die Versuchungen, denen ich ausgesetzt wäre…« Das allerdings war ein Punkt, an den John nicht gedacht hatte, obwohl er seiner jungen Frau vollauf vertraute. Trotzdem – man sollte nicht zu viel riskieren. Schließlich war Jet an die 20 Jahre jünger als er. »Ich weiß nicht einmal, worum es sich handelt«, gab er zu bedenken. »Vielleicht ist die Sache überhaupt nicht gefährlich, und du machst dir unnötige Sorgen.« »Wenn sich hier jemand Sorgen macht, dann du«, erwiderte sie energisch. »Ich will ja mit dir kommen.« Die ›Arrow‹ war eine kleine Privatjacht ohne besondere Bewaffnung. Der kleine Asteroidenzerstrahler durfte kaum als eine solche gewertet werden. Die für den Notfall vorhandenen Handwaffen reichten nicht aus, sich gegen einen vollwertigen Gegner wehren zu können. Zwei Kabinen und die Zentrale waren alles. Dazu ein Vorratsraum und das Triebwerk mit dem neuartigen Myergenerator, der fast halbe Lichtgeschwindigkeit ermöglichte. Zu den Sternen konnte man also nicht fliegen mit der ›Arrow‹ aber für das Sonnensystem reichte das Luxusschiff aus. John seufzte. »Ich hätte es vor der Hochzeit wissen sollen«, resignierte er, »daß ich dir keinen Wunsch abschlagen kann, und sei er auch noch so verrückt.« Sie lächelte immer noch und sah hinreißend aus, wie sie mit angezogenen Füßen auf dem Sessel hockte. Die Temperatur in-
nerhalb des Schiffes erlaubte ihr das Tragen einfacher Shorts und einer luftigen Sommerbluse, der bequemsten Kleidung für die nicht vermeidbare Küchenarbeit. Die wohlgeformten Beine erregten immer wieder Johns Interesse. Vielleicht waren sogar sie es, die ihm den Entschluß leichter machten. »Also gut, dann fährst du mit«, knurrte er, ärgerlich über sich selbst. »Aber das Eine sage ich dir: wenn es schiefgeht und es erwischt uns, dann komm mir nicht mit Vorwürfen.« »Dazu wird es ohnehin zu spät sein, wenn wir tot sind«, gab Jet ihr Lächeln nicht auf. Es schien, als sei ihr jede Gefahr gleichgültig, aber John kannte sie besser. Jet liebte ihr Leben genauso wie jeder andere Mensch und setzte es nicht leichtsinnig aufs Spiel. »Nun wirst du mir ja wohl auch endlich sagen können, worum es sich handelt. Wie lautete der Funkspruch, den wir auf Mars erhielten, als wir die Pyramiden besichtigten?« John Brack änderte die Einstellung am Bildschirm. Pluto schien ihnen entgegenzueilen und schwoll unheimlich schnell an, bis die Stationskuppel deutlich sichtbar wurde. Die daneben stehenden Raumschiffe wurden zu silbernen Bleistiften. Winzige Punkte bewegten sich – Menschen. »Jetzt kannst du es wissen«, nickte er und zeigte auf die Kuppel. »Dort unten lebt ein Freund von mir, mit dem ich noch ein Wörtchen zu reden habe. Ich benötige seine Zustimmung, um offiziell handeln zu können. Und er wird sie mir geben, denn gewissermaßen lebt er von meinen Profiten. Wenn ich mich nicht irre, liegt das größte Geschäft meines Lebens vor mir. Aber es kann auch eine Pleite werden. Ich weiß es diesmal nicht.« Jet schob die Unterlippe vor und sah reizend dabei aus. »Nun weiß ich immer noch nicht, worum es sich handelt«, schmollte sie, legte die Arme um seinen Nacken und zog sei-
nen Kopf zu sich herab. »Wieder ein goldener Asteroid?« Er küßte sie und schüttelte dann den Kopf. »Kein goldener, Liebling, noch wertvoller! Es gibt wichtigere Dinge als Gold. Was es ist, weiß ich nicht, aber zwei Lichtstunden von Pluto entfernt umläuft ein Asteroid die Sonne – eigentlich ein Planet –, der aus einem Stoff besteht, den es überhaupt nicht gibt.« Sie begriff nicht sofort. »Ein Stoff, der nicht existiert?« fragte sie erstaunt. »Was soll denn das sein? Ist er unsichtbar?« John lachte laut auf. »Davon habe ich nichts gesagt, Jet. Ich sagte nur, es sei ein Stoff, den wir nicht kennen. Also ein unbekanntes Element mit erstaunlichen Eigenschaften. Wahrscheinlich strahlt es und besitzt eine günstige Halbwertzeit. Mehr war aus den Andeutungen meines Mannes nicht zu entnehmen.« »Du hast einen Mann dort draußen?« »In jeder Konkurrenzfirma sitzt einer meiner Vertrauensmänner, dafür bezahle ich sie. Und jenseits Pluto kreuzt seit einem Jahr Hunterson auf der Jagd nach der großen Chance. Ich denke, er hat sie nun.« Jet runzelte die Stirn. »Es ist aber nicht fair, sich in seine Geschäfte zu mischen. Und deswegen willst du unsere Flitterwochen unterbrechen?« John kraulte in ihren Haaren, denn er wußte nur zu genau, daß sie das gern hatte und sich so leichter besänftigen ließ. »Nicht nur deswegen«, sagte er zärtlich. »Es handelt sich weniger um den finanziellen Profit, als um meine Pflicht der Menschheit gegenüber. Warte, bis wir auf Pluto gelandet sind und Colonel Bixby gegenübersitzen. Ich muß ihm alles erklären, und das ist dann ein Aufwaschen. Willst du solange hübsch brav sein?«
Sie sah ein, daß es keinen Zweck hatte, ihn weiter zu drängen. »Gut, ich will mal eine Ausnahme machen und gehorchen. Aber wehe, ich darf dann bei der Unterredung nicht dabei sein…« »Glaubst du denn, ich werde mir die Gelegenheit entgehen lassen, den Colonel ordentlich zu ärgern? Der wird ganz schöne Augen machen. Die Station hier hat lange genug keine Frau mehr gesehen. Und sicherlich nicht eine so junge und hübsche wie dich.« Jet atmete tief ein und schien etwas sagen zu wollen, aber dann überlegte sie es sich doch noch. Sie lächelte überlegen, nickte ihm triumphierend zu und stand auf. »Ich ziehe mich an«, verkündete sie und schlenderte davon. »Wann landen wir?« »In einer halben Stunde verlassen wir das Schiff – hoffentlich schaffst du es bis dahin.« Sie warf den Kopf in den Nacken und verschwand in dem engen Gang, der zum gemeinsamen Schlafraum führte. John hörte sie dort rumoren und grinste vor sich hin. Verdammt – in tausend Jahren würden sich die Frauen nicht ändern. Es bestand keine Veranlassung, das zu glauben. Er bat um Landeerlaubnis, erhielt sie auch und setzte die ›Arrow‹ schließlich sanft auf dem weiten Feld auf. Ein drucksicherer Kabinenwagen kam, ihn abzuholen. Der Fahrer staunte nicht schlecht, als er außer John Brack das junge Mädchen erblickte, das ihm freundlich entgegenlächelte. Sie trug den gleichen Raumanzug wie Brack, aber der große, durchsichtige Helm gestattete jedem Beschauer, das liebliche Gesicht eingehend zu studieren, was der verblüffte Fahrer auch ungeniert tat. Fast hätte er dabei seine Kontrollen vergessen und wäre mit Vollkraft in die Luftschleuse der Kuppel ge-
rast. Völlig verdattert jedoch wurde er erst, als John Brack ihn in der Schleusenkammer bat, seiner Frau beim Ausziehen des Druckanzuges zu helfen. Die Finger und Hände des Mannes zitterten, als er den Plastikstoff vom Körper des Mädchens streifte. Die Kombination stand Jet ausgezeichnet. Sie hatte es allerdings auch nicht versäumt, Rot aufzulegen und sich die Haare neu zu ordnen. Sie sah aus, als käme sie soeben aus dem besten Salon von Paris. Das Personal der Station verharrte in ehrfürchtigem Schweigen, als John Brack mit seiner jungen Frau vorüberging. Man starrte dem Mädchen nach, als sei es eine Erscheinung aus einer anderen Welt, was ja für Pluto auch vollauf stimmte. Geflüsterte Bemerkungen erreichten die scharfen Ohren Johns, dem die Bewunderung für Jet einen unheimlichen Spaß bereitete. Niemals war er in seinem Leben so stolz gewesen. Der Besitz Jets machte ihn glücklicher, als alle Reichtümer des Sonnensystems es jemals vermocht hätten. Colonel Bixby erhob sich, als John eintrat. Er streckte ihm die Hand entgegen. »Freut mich, Sie wieder einmal zu sehen«, sage er und wandte sich dann um. »Darf ich Ihnen Admiral Warner vorstellen? Er befindet sich zufällig gerade zur Inspektion hier…« Er hatte Spätzündung. Erst jetzt fiel ihm auf, daß ja zwei Personen das Zimmer betreten hatten und diese zweite, kleinere Person eine Frau war. Eine Frau? Unsinn, ein junges Mädchen, nicht mehr als achtzehn Jahre alt. Sein Mund öffnete sich, aber der Protest erstickte in seinem Hals. Sprachlos starrte er Jet an, die ihm lächelnd die Hand gab. »Hallo«, sagte sie. »Colonel Bixby, wenn ich mich nicht irre.«
»Hallo«, stieß er schließlich hervor. Er stand herum, als sei er sich selbst im Wege. Der Admiral hingegen bewahrte mehr Fassung. Er begrüßte John allerdings auch zuerst, schritt dann aber auf Jet zu und reichte ihr mit einer liebenswürdigen Verbeugung die Rechte. »Ich freue mich über einen so reizenden Besuch«, sagte er schmalzig. »Sind Sie mit – mit Mr. Brack gekommen?« »Ich bin seine Frau«, zerstörte Jet alle geheimen Wünsche des Admirals mit der Brutalität eines Teenagers. »Wir sind auf der Hochzeitsreise.« »Ähem«, machte Warner und sank in seinen Sessel zurück als habe ihn seine Lebenskraft verlassen. »Soso, Hochzeitsreise. Etwas ungewöhnlich, finden Sie nicht auch?« John Brack setzte sich neben Jet. »Wieso ungewöhnlich? Meinen Sie den Altersunterschied?« Warner überhörte die Anspielung. »Ich meine die Art der Reise«, knurrte er und fing einen strahlenden Blick Jets auf, der auch einen Eisberg zum Schmelzen gebracht hätte. »Ich – ich gratuliere herzlich. Viel Spaß, so allein im Weltraum, was?« »Man wird nicht gestört«, gab John ungeniert zu. »Außerdem hat meine Frau Gelegenheit, ihre Kochkünste unter Beweis zu stellen.« Colonel Bixby hatte immer noch Stielaugen. Er setzte sich als letzter und wußte nicht, wen er ansehen sollte. Sein Blick wanderte zwischen dem Admiral, John Brack und Jet hin und her. Der Admiral rettete die peinliche Situation. »Sie wollen die Erlaubnis einholen, Ihre Hochzeitsreise jenseits Pluto auszudehnen?« vermutete er scharfsinnig. Er gestattete sich ein knappes, militärisches Grinsen. »Wenn es das ist, möchte ich Ihnen dazu die Erlaubnis geben. Ich vermute,
es ist Ihnen innerhalb des Systems nicht einsam genug.« Jet wurde rot, was ihr ausgezeichnet stand. Wahrscheinlich wußte sie das, denn sie gab sich keine Mühe, wieder normal blaß zu werden. Vielleicht hinderte der Braunpuder sie auch daran. John nickte. »Es stimmt, daß wir die Plutobahn überqueren möchten, aber leider aus einem anderen Grund. Ich wüßte nicht, warum ich Ihnen das verschweigen sollte, Herr Admiral. Leider muß ich als Geschäftsmann auch auf Vergnügungsreisen daran denken, keine günstige Gelegenheit vorübergehen zu lassen, ohne sie zu nützen.« »Verstehe, verstehe«, murmelte Warner, obwohl er nicht im geringsten verstand. Bixby riß sich endlich von dem Anblick Jets los. »Darf ich Sie bitten, mir Ihre Gründe mitzuteilen, Brack. Ich muß sie in dem offiziellen Bericht erwähnen.« John schüttelte den Kopf. »Darum wollte ich Sie gerade bitten, Colonel – die wahren Gründe dürfen niemals in der Öffentlichkeit erwähnt werden. Wir müssen einen anderen Vorwand finden.« Das war recht verwirrend und klang geheimnisvoll. Colonel Bixby fand das auch. »Lieber Mr. Brack, Sie werden wohl einsehen, daß ich meine Dienstvorschriften nicht umgehen kann«, sagte er salbungsvoll mit einem kurzen Blick in die Richtung, in der Admiral Warner in seinem Sessel saß und an einer seiner erloschenen Zigarren lutschte. »Ich bitte Sie also, mir Ihre Begründung vorzutragen.« John seufzte. »Also gut. Seit meiner letzten Überquerung der Plutobahn sind elf Monate vergangen. Inzwischen ist Pluto weitergewan-
dert, ebenso die vereinzelten Asteroiden, die eine exzentrische Bahn besitzen. Das Bild hat sich also geändert. Ich möchte mich überzeugen, ob neue Asteroiden aufgetaucht sind, die wir noch nicht kennen. Zufrieden?« Bixby nickte. »Vollauf. Von mir aus kann die Genehmigung erteilt werden. Ich nehme an, Admiral, Sie haben nichts dagegen?« »Absolut nicht«, nickte der Gewaltige. »Aber nun möchte ich doch die wahren Hintergründe auch noch erfahren.« Für eine Sekunde war John verblüfft, dann aber lächelte er freundlich. Man sollte Admiräle eben niemals unterschätzen. »Das können Sie« sagte er, »aber nur unter der einen Bedingung, daß ich die Versicherung von Ihnen erhalte, die ich eben bereits erwähnte: Niemand darf von unserem Gespräch erfahren. Die Sache ist derart heiß, daß man sie für unendlich wichtig oder vollkommen blödsinnig halten muß. Ich rate Ihnen, letzteres nicht zu tun.« »Sie machen mich sehr neugierig«, gab Warner zu und betrachtete Jet träumerisch. Er war eingefleischter Junggeselle, doch schienen seine Prinzipien ins Wanken zu geraten. »Berichten Sie ungeniert, Mr. Brack.« John wußte, daß er keine Gelegenheit mehr erhalten würde, allein mit Bixby zu sprechen – wenigstens vorerst nicht. Auf der anderen Seite würde die offizielle Unterstützung des Admirals der Raumflotte für ihn eine Hilfe bedeuten, deren Wert sich in Zahlen überhaupt nicht ausdrücken ließ. Und ganz zuletzt mußte noch bedacht werden, daß nicht nur geschäftliche Erwägungen in Betracht kamen, sondern vielleicht noch militärische. Denn ganz so einfach war die Situation nicht. »Auf dem Mars hat meine Firma eine Niederlassung«, berichtete er daher und beschloß, nichts zu verschweigen. »Wir
machten dort Station, und ich zeigte Jet – äh, meiner Frau die Anlagen. Dann unternahmen wir einen Ausflug zu den Pyramiden, nicht weit von Marscity entfernt. Kaum hatten wir zwei der guterhaltenen Bauwerke bewundert, als einer meiner Angestellten mit dem Rauper nachkam und eine Botschaft brachte. Botschaft ist übertrieben. In Wirklichkeit handelte es sich um einen scheinbar harmlosen Funkspruch, der privat an mich gerichtet war. Entschlüsselt jedoch besagte der Brief allerhand, denn er stammte von meinem Agenten bei Hunterson.« »Hunterson?« staunte Warner. »Den Namen habe ich nicht in angenehmer Erinnerung.« »Der Mann mit dem goldenen Asteroiden«, half Bixby ihm auf die Spur. »Ich erzählte Ihnen davon.« »Richtig, richtig«, nickte Warner. »Und was stand in diesem Brief?« John zog ein Stück Papier aus der Tasche. »Ich habe den Klartext hier aufgeschrieben – lesen Sie selbst. Ich gebe zu, daß auch der Klartext für den Laien nicht besonders klar scheinen mag, aber mir sagt er allerhand. Jedenfalls denke ich, es wird Sie interessieren.« Warner nahm den Zettel und ließ es zu, daß Bixby ihm über die Schulter sah. Beide lasen den Brief gleichzeitig. »Sehr geehrter Mister Brack! In genau fünf Tagen wird Asteroid P 17 etwa 2 Lichtstunden von Pluto entfernt sein, Plankubik CD 18. Sein Durchmesser beträgt 50 Kilometer, seine Gravitation fast ein Fünfzigstel G. Dichte und Masse ungewöhnlich hoch. Unbekanntes Element von Hunterson entdeckt. Wert unschätzbar. Aber es war schon jemand vor Hunterson hier. Gestern erhielten wir eine Warnung, sofort abzuziehen. Heute früh erfolgte der erste scharfe Schuß. Das Schiff der Angreifer heißt FREIHEIT FÜR MER-
KUR und erinnert stark an einen Zerstörer der Raumflotte. Sie benutzen einen Funkcode, den wir nicht entschlüsseln können. Im Auftrage von Hunterson, dem ich mich zu erkennen gab, bitte ich Sie um Hilfe. Hunterson ist bereit, das Geschäft mit Ihnen zu teilen. Er vermutet, die Fremden seien Piraten. Ende.« Der Admiral ließ das Blatt sinken. »Merkur?« flüsterte er. »Ausgerechnet ›Freiheit für Merkur‹?« John nahm den Zettel und schob ihn in die Tasche. »Ausgerechnet Merkur!« nickte er bekräftigend. »Ob das mit den Strafkolonien zusammenhängt?« Colonel Bixby zog die Stirn in Falten. »Mir dämmern einige Zusammenhänge, Mister Brack, von denen Sie nichts wissen können. Zwei unserer Wachkreuzer sind verschwunden, und jeder Versuch. Verbindung mit ihnen aufzunehmen, scheiterte bisher. Dann empfingen wir einen nicht zu entziffernden Funkspruch, in dem das Wort ›Merkur‹ sehr deutlich vorhanden war. Nun, was meinen Sie dazu?« »Das gleiche wie Sie, Colonel«, sagte John und warf den beiden Männern bedeutsame Blicke zu. »Wir werden wohl zusammenarbeiten müssen, wollen wir beide unser Ziel erreichen. Darf ich also auf Ihre Unterstützung rechnen?« Der Admiral nahm Bixby die Antwort ab. »Können Sie, Mister Brack. Der Fall interessiert mich sehr. Was die ganze Sache allerdings mit Merkur zu tun hat, ist mir schleierhaft. Soviel ich weiß, ist in den Strafkolonien alles in bester Ordnung, und es herrscht völlige Ruhe dort. Die Leute arbeiten und rehabilitieren sich, wie es ihre Pflicht ist. Vor drei Tagen besuchte ich noch Merkur und prüfte die dortige Station der Raumflotte.« Merkur war von jeher ein Planet der Abenteurer gewesen.
Er wendete der Sonne stets die gleiche Seite zu, was zur Folge hatte, daß die eine Hälfte der Welt unter dem tödlichen Glanz der viel zu nahen Sonne lag und somit für Leben jeglicher Art ausfiel. Die Seite aber, die im ewigen Dunkel der Nacht nur den Schimmer ferner Sterne sah, war genau so lebensfeindlich. Reste der ehemaligen Atmosphäre bedeckten als Schneefelder die scharfen Klippen zerrissener Berge. Nur ein knapp hundert Kilometer breiter Streifen ewigen Zwielichtes umgab Merkur. Hier herrschten erträgliche Bedingungen unter den weitgespannten Kuppeln der einzelnen Stationen. Wertvolle Erzvorkommen wurden hier abgetragen. und gut ausgerüstete Expeditionen auf die Tagesseite schöpften flüssige Metalle aus den silbernschimmernden Seen. Ausschließlich bestrafte Verbrecher arbeiteten auf Merkur unter der Aufsicht speziell geschulter Kräfte der irdischen Raumflotte. John seufzte. »Vielleicht werden wir bald wissen, was der Merkur mit jenem mysteriösen Asteroiden zu tun hat. Von P 17 habe ich noch nie in meinem Leben gehört. Soweit ich weiß, kennen wir nur zehn oder elf Asteroiden, die die Plutobahn überschreiten. Es muß sich also um eine Neuentdeckung handeln. Vereinbaren wir eine Wellenlänge, Colonel Bixby, damit wir ständig in Verbindung mit Ihnen bleiben können?« Bixby verbarg sein Erstaunen nicht. »Sie haben doch nicht die Absicht, mit Ihrem Schiff das Unternehmen zu starten? Das ist viel zu gefährlich. Ich habe zwar Verständnis für Ihre Motive, aber meiner Ansicht nach handelt es sich um mehr als nur um Schürfrechte. Ich schlage vor, Sie steigen auf einen Zerstörer von uns um.« John lächelte und schüttelte den Kopf. »Wenn Sie gestatten, möchte ich das ablehnen. Wenn der Hilferuf Huntersons ernstgemeint ist, handelt es sich nicht um
eine Kleinigkeit – da gebe ich Ihnen recht. Aber nicht alle Probleme lassen sich mit Gewalt lösen. Zwei Ihrer gutbewaffneten Schiffe sind bereits verschwunden – gibt Ihnen das nicht zu denken? Der unbekannte Gegner verfügt also über ausreichende Waffen und Kampfmittel. Sie müßten eine ganze Flotte gegen ihn einsetzen und wissen nicht einmal, wo Sie ansetzen sollen. Nein, ich habe einen anderen Vorschlag.« Er schwieg und bemerkte mit stiller Freude die erwartungsvollen Blicke der beiden Offiziere. Jet saß still neben ihm und rührte sich nicht. Schließlich beugte sich Admiral Warner vor. »Reden Sie, Brack. Ich glaube, wir müssen uns Ihren Argumenten anschließen, obwohl ich bisher nicht viel davon hielt, eine militärische Aktion mit Zivilisten durchzuführen.« »Ihre geringe Vorliebe für uns Zivilisten ist bekannt«, nickte John ihm spöttisch zu. »Aber warum sollten Sie Ihren Standpunkt nicht einmal revidieren? Schließlich kann ja nicht die ganze Welt in der Uniform der Raumflotte stecken. Also gut, hier haben Sie meinen Vorschlag: Meine Frau und ich werden unseren Flug fortsetzen, als sei nichts geschehen. Wir haben auf Pluto lediglich die Erlaubnis eingeholt, jenseits der Grenze nach Asteroiden suchen zu dürfen. Man muß uns also für verhältnismäßig harmlos halten und wird entsprechend reagieren. Also wird uns entweder der große Unbekannte angreifen, oder Hunterson wird seine Maske fallen lassen – falls es sich um einen seiner üblichen Tricks handeln sollte, die unliebsame Konkurrenz auszuschalten. Ein Zerstörer der Flotte wird uns in einem bestimmten Abstand folgen und in ständiger Funkverbindung mit uns stehen.« Warner schaute Bixby an. »Was meinen Sie dazu?« Der Colonel sah nicht sehr glücklich aus.
»Nicht übel, der Gedanke. Aber es paßt mir nicht, so die zweite Geige zu spielen. Wenn Brack etwas passiert, trage ich die Verantwortung.« »Für mich und mein Schiff trage ich sie allein«, lehnte John ab. »Ich kann mich verteidigen. Vielleicht stellen Sie mir noch einen Ihrer beweglichen Strahler zur Verfügung, den ich in der Schleuse montieren möchte.« »Gut, sollen Sie haben. Aber wie gesagt: Sie übernehmen auch die Verantwortung für Ihre Gattin.« Jet funkelte den Offizier wütend an. »Ich weiß mich meiner Haut zu wehren«, eröffnete sie ihm mit überraschender Sicherheit. Und wer sie so sah, glaubte es ihr. Admiral Warner lächelte begütigend. »Gut, Madam. Im Notfall ist ja auch unser Zerstörer in der Nähe. Ein einziger Funkspruch genügt…« Und dabei blieb es dann. * Nicht zum ersten Mal überquerte John Brack die Plutobahn. Seltsamerweise sah man das Sonnensystem immer als Scheibe an, auf der sich die Planeten kreisend bewegten. Niemand kam auf den Gedanken, es jemals senkrecht zur Bahn der Planeten zu verlassen, es sei denn, zu interstellaren Flügen, die jedoch der Raumflotte vorbehalten blieben. Es war ein merkwürdiges Gefühl, von dem auch der erfahrenste Raumpilot nicht verschont bleiben konnte. Mit Pluto versank hinter dem Schiff der letzte Vorposten des Menschen, und man war plötzlich ganz allein im Universum. Vor dem Bug des Schiffes lagen nichts als Unendlichkeit und viele Lichtjahre absoluter Leere. Und doch gab es winzige Weltkör-
per, die gleich gesteuerten Satelliten weit hinaus in diese Leere drangen, ihre einsame Bahn zogen und mit steigender Geschwindigkeit zur Sonne zurückkehrten, eine enge Schleife um sie zogen und dann wieder hinausstrebten in die Weiten des Sonnensystems und sogar darüber hinaus. Zwei oder drei der bisher genau vermessenen Wanderasteroiden schafften aufgrund der ungeheueren Geschwindigkeit beim Einfall in das System eine solche Sonnenumkreisung in wenigen Jahren. In der Schlafkabine ordnete Jet Brack die Decken und ging dann zur Kombüse, um eine Mahlzeit zu bereiten. John saß in der Zentrale und korrigierte den Kurs. Er besaß nur die dürftigen Angaben seines Vertrauensmannes und richtete sich danach. Wenn Asteroid P 17 morgen Plankubik CD 18 erreichen würde, mußte er sich heute von Pluto aus gesehen »rechts« davor befinden. Da seine Geschwindigkeit jedoch unbekannt war, ließ sich die Entfernung nur abschätzen. John suchte den Raum vor der ›Arrow‹ mit dem Bildschirmgerät ab, fand aber nichts Verdächtiges. Die allzufernen Sterne veränderten ihre Position nicht und leuchteten ruhig und gleichmäßig. Kein kurzes Aufleuchten verriet einen schnell dahinziehenden Körper, und das Radarecho blieb negativ. Etwa fünf Lichtminuten hinter der ›Arrow‹ zog der Zerstörer seine Bahn. Auf seinem Bildschirm war das kleine Schiff von John Brack als winziger Punkt zu erkennen. Keine Sekunde ließ man es aus den Augen. An Bord befand sich außer dem Kommandanten auch Colonel Bixby, dem Admiral Warner die Erlaubnis gegeben hatte, an der Aktion teilzunehmen, da er selbst noch einige Tage auf Pluto zubringen wollte. John schreckte plötzlich aus seiner Ruhe hoch. Ein feines Summen war im Lautsprecher des ständig empfangsbereiten Funkgerätes – aber das wäre kaum beunruhi-
gend gewesen. Doch eine verzerrte Stimme sprach irgendwo im Hintergrund und bemühte sich, gehört zu werden. Blitzschnell veränderte John die Einstellung – und die Stimme wurde klar und deutlich. Sie kam im Klartext und wiederholte sich ständig. Atemlos lauschte John. »… fordern wir Sie auf, unser Kommando an Bord gehen zu lassen. – Hallo, Schiff ›Arrow‹, Besitzer John Brack. Wir haben Sie geortet und befinden uns direkt über Ihnen. Verändern Sie Ihren Kurs nicht, da wir sonst das Feuer eröffnen. Hier spricht der Zerstörer der Raumflotte 04. Wir möchten Ihre Papiere und Ladung überprüfen. Daher fordern wir Sie auf, unser Kommando…« John schaltete um. »Kommen Sie an Bord, ich erwarte Sie.« Blitzschnell stellte er dann die Wellenlänge von Bixbys Zerstörer ein und unterrichtete den Funker dort mit zwei Sätzen. Er ließ das Gerät auf »Senden« und verstärkte die Aufnahmekapazität des Mikrofons. Jedes Wort, das in der Zentrale der ›Arrow‹ gesprochen wurde, konnte nun von Bixby abgehört werden. Auf dem Weg zur Luftschleuse unterrichtete er Jet. Sie nickte, versorgte sich mit einer handlichen Automatik und setzte ihre Tätigkeit fort. Schnell legte John dann einen leichten Druckanzug an, versiegelte die Luftschleuse und ließ die Pumpen anlaufen. Dann erst öffnete er die Außenluke. Als der schwere Metalldeckel aufschwang. befand sich John praktisch im Weltraum. Nichts mehr trennte ihn von dem ewigen Schweigen der Unendlichkeit und dem Tod des Vakuums – nur der dünne aber haltbare Stoff des Anzuges und der durchsichtige Plastikhelm, auf dem die winzige Antenne des
Funkgerätes schwankte. Von »oben« herab senkte sich der schlanke Torpedokörper eines silbernen Raumschiffes – zweifellos ein Zerstörer der Raumflotte. Die schwarzen Kennziffern 04 stachen deutlich von der hellen Hülle ab. Drohende Geschützmündungen richteten sich gegen die ›Arrow‹ und John wußte nur zu genau, welche Feuerkraft sich hinter ihnen verbarg. In Sekunden konnten sie sein kleines Schiff in ein verbogenes, ausgeglühtes Wrack verwandeln. Mit gleicher Geschwindigkeit rasten sie nun durch den Raum, scheinbar aber bewegungslos nebeneinander liegend. Die Sterne standen ebenfalls still und gaben keinen Anhaltspunkt. Drüben öffnete sich eine Luke und zwei Gestalten erschienen. Sie trugen die Uniform der Offiziere der Raumflotte. Dann stießen sie sich ab und schwebten langsam auf die ›Arrow‹ zu. Mit der Rückstoßpistole wurde die Richtung einmal korrigiert, dann landeten sie sanft auf der Hülle des Prospektorenschiffes. Zwei Minuten später betraten sie die Luftschleuse. »Dürfen wir in die Zentrale?« fragte der Captain mit kalter Höflichkeit. Er zeigte auf seine Helmantenne. »Ohne dieses Ding da kann man sich besser unterhalten.« John hatte nichts dagegen. Er schloß die Luke, ließ Luft einströmen und führte die beiden Offiziere, der jüngere war Leutnant, in den Kontrollraum. Höflich bot er ihnen einen Platz an und hoffte, das leise Summen des Senders fiele nicht weiter auf. Fünfzig Millionen Kilometer hinter der ›Arrow‹ würden jetzt die Leute Bixbys um den Empfänger sitzen, um die einmalige Reportage abzuhören. Sie nahmen die Helme ab und John blickte in zwei sympathische Gesichter. Braungebrannt und frisch, verrieten sie den
ständigen Aufenthalt im Weltraum nahe der Sonne. Sehr lange konnten sie noch nicht hier draußen sein. Nur in den Augen bemerkte John ein unruhiges Leuchten, so, als seien sie sich ihrer Sache nicht völlig sicher. Der Captain ergriff erneut das Wort. »Sie wissen, daß Kontrollen im Raum jenseits Pluto nichts Außergewöhnliches darstellen«, begann er und setzte sich auf Jets Platz. Der andere blieb stehen. »Wir treffen hier nur selten private Schiffe – was sollten sie auch hier?« »Ja, was sollten sie hier?« wunderte sich auch John ein wenig spöttisch. »Aber ich kann Sie beruhigen, meine Herren. Meine Papiere sind in bester Ordnung und von der Plutobasis abgestempelt. Ich erhielt von dort aus die Erlaubnis, zwei Wochen im Sperrgebiet nach Asteroiden zu suchen. Auch eventuelle Schürfrechte sind beantragt und bereits genehmigt. Bitte, wenn Sie sich überzeugen wollen.« Die beiden Offiziere taten das, aber John schien es, als zeigten sie dabei recht wenig Interesse. Es war, als hätten sie kaum etwas anderes erwartet und spielten nun bloß Theater. Und doch, sagte er sich verblüfft, handelte es sich bei den beiden Männern zweifellos um Offiziere der Flotte, daran gab es nichts zu rütteln. John kannte diese Typen nur zu gut, um etwas anderes annehmen zu können. Die ganze Geschichte wurde dadurch aber noch geheimnisvoller. Er beschloß, auf den Busch zu klopfen. »Ich finde die Vorsicht der Raumflotte übertrieben«, sagte er abfällig. »Gehört denn das Niemandsland auch noch der Regierung oder wem gehört es? Zwei Wochen darf ich mich hier aufhalten! Als ob das genügen würde, einen solchen Raum abzusuchen. Und nun halten Sie mich auch noch auf und stehlen mir kostbare Zeit.« »Wer hat Ihnen die Genehmigung erteilt?« fragte der Leut-
nant. »Colonel Bixby – das sollten Sie aber wissen. Ist er nicht Ihr Vorgesetzter?« Der Captain schüttelte den Kopf. »Nur indirekt, denn wir unterstehen der Station auf Titan. Mit Pluto haben wir nichts zu tun.« Endlich eine fette Lüge. Der mit 04 gekennzeichnete Zerstörer gehörte zweifelsohne zu Pluto und war das verschwundene Schiff. Warum aber versah dieser Zerstörer noch seinen Dienst? War vielleicht nur das Funkgerät ausgefallen? »Überhaupt ein unfreundliches Volk dort« meckerte John aufsässig. »Hat lange genug gedauert, bis sie mir die Genehmigung erteilten.« Die beiden Offiziere sahen sich an. »Sie halten anscheinend nicht viel von unserer Flotte?« fragte der Captain mit gespieltem Vorwurf. »Wie kann ich das als freier Prospektor, der nichts als Schwierigkeiten in den Weg gelegt bekommt? Es ist doch so, daß nicht mehr eine demokratische Regierung uns regiert, sondern nur noch die Willkür der Raumflotte. Wollen Sie das abstreiten?« »Hm – ich bin nicht befugt, darüber mit Ihnen zu sprechen«, wich der Captain aus. Ein echter Captain hätte das sicherlich auch getan. Er reichte John die Papiere zurück. »Ich muß Ihnen leider mitteilen, daß Ihre Genehmigung hiermit abgelaufen ist. Vom Hauptquartier wurde soeben ein von Admiral Warner unterzeichneter Befehl bekanntgegeben, der dieses Gebiet völlig für den Privatverkehr sperrt. Wir wurden beauftragt, alle nicht zur Flotte gehörenden Schiffe darauf aufmerksam zu machen, daß der Raum jenseits Pluto bis morgen zu räumen ist. Bei Nichtbefolgen haben wir Schießerlaubnis. Ich hoffe, Sie werden vernünftig sein, Brack.«
Man wollte also ungestört sein und duldete kein anderes Schiff in der Nähe. Der entdeckte Asteroid allein konnte niemals der Grund dieser Maßnahme sein, denn die Bodenschätze gehörten demjenigen, der als erster einen solchen neuen Weltkörper betrat. Niemand konnte dem Besitzer dann das Recht zur Auswertung streitig machen. Langsam schob John das Bündel in eine Lade. Seine Finger zuckten, als er die darin liegende Automatik berührte, aber er beherrschte sich. Noch wußte er zu wenig. »Darf ich als Zivilist und guter Bürger Terras den Grund zu dieser außergewöhnlichen Maßnahme erfahren?« erkundigte er sich kühl. »Ich bin nicht ausschließlich beruflich hier, sondern außerdem auf Hochzeitsreise.« Der Captain und der Leutnant sahen interessiert auf. »Hochzeitsreise? Allein?« wunderten sie sich. John schüttelte den Kopf und öffnete die Tür zum Gang. »Hallo, Jet! Komm doch bitte einmal her. Unsere Gäste möchten dich begrüßen. Bring eine Erfrischung mit.« Die beiden stattlich aussehenden Männer konnten ihre Überraschung beim Anblick der hübschen, jungen Frau nicht verbergen. Sie wurden regelrecht rot und verlegen, was ihnen einige Sympathie von John eintrug. Wer immer sie auch sein mochten, auf keinen Fall gewissenlose Verbrecher. Sie machten eine steife Verbeugung und nahmen den angebotenen Brandy. Ihr ganzes Benehmen wandelte sich und ihr bisher zur Schau getragenes Selbstbewußtsein schmolz dahin wie Schnee in der Frühlingssonne. Und das alles nur, weil Jet hübscher war als die meisten anderen Mädchen. Vielleicht aber auch deshalb, weil die beiden Offiziere schon seit langem keine Frau mehr gesehen hatten. »Wir freuen uns immer über Gäste«, versicherte Jet eifrig und lächelte dem Captain verführerisch zu. »Bleiben Sie län-
ger?« Der Captain vermeinte, eine versteckte Aufforderung aus der Frage lesen zu können, und es lief ihm heiß den Rücken hinab. Aber dann siegte sein Pflichtgefühl – oder das, was er sein Pflichtgefühl nannte. »Leider nein«, versicherte er bedauernd. »Wir müssen Sie gleich wieder verlassen. Unsere Pflicht – Sie verstehen…« »Natürlich verstehe ich«, flüsterte Jet mit einem Bedauern, daß John ganz weich zu werden drohte. Er hoffte, die beiden Offiziere würden vom gleichen Gefühl befallen. »Eine so liebenswürdige Gesellschaft hätte die Eintönigkeit der Reise angenehm unterbrochen.« Nun kochte John vor Wut, aber er grinste freundlich. »Das stimmt«, quetschte er hervor, um seine Rolle richtig zu spielen. »Auch Hochzeitsreisen können langweilig werden.« »Ja, gewiß«, bestätigte der Captain, obwohl er sicherlich keinerlei Erfahrung auf diesem Gebiet besaß. »Dürfen wir uns nun verabschieden? Nicht wahr, Mister Brack, Sie werden den Kurs Ihres Schiffes sofort ändern und diesen Sektor verlassen?« John behielt sie in freundliches Lächeln. »Ich glaube nicht«, sagte er liebenswürdig. »Warum auch? Schließlich habe ich die Genehmigung der Raumflotte. Wenn Sie mir den schriftlichen Gegenbefehl zeigen könnten, wäre das etwas anderes.« Jets Gegenwart beeinflußte die Reaktionsfähigkeit des Captains entscheidend. Er konnte sich nicht schnell genug umstellen und war somit der neuen Situation nicht gewachsen. Außerdem hatte er von Anfang an nicht mit Widerstand gerechnet. Trotzdem sagte er: »Mister Brack, Sie würden nur Schwierigkeiten bekommen, wenn Sie bleiben. Es täte mir leid – Ihrer Gattin wegen.«
»Wollen Sie ein wehrloses Schiff zusammenschießen, auf dem sich eine Frau befindet?« erkundigte sich John höflich. »Ich hätte nie gedacht, daß die Raumflotte derart skrupellos sein könnte.« »Wir sind es aber«, gewann der Captain an Sicherheit. »Darf ich Sie, Mrs. Brack, bitten, uns zu begleiten. Sonst können wir für Ihre Sicherheit nicht mehr garantieren. Wir haben den Befehl, dieses Schiff zu vernichten, wenn es nicht unverzüglich umkehrt.« Das war deutlich. John hätte nicht erwartet, daß man so schnell die Maske fallen ließ. Er glaubte nun zu wissen, daß diese beiden Offiziere auf keinen Fall zur Raumflotte gehörten oder in ihrem Auftrag handelten. Unter wessen Kommando aber standen sie? Jet sagte kokett: »Leider muß ich das ablehnen, meine Herren. Wenn Sie schon die ›Arrow‹ zerstören wollen, müssen Sie auch damit rechnen, mich nicht mehr zu Gesicht zu bekommen. Im übrigen kann ich mir nicht vorstellen, daß die Raumflotte harmlose Bürger einfach töten darf, ohne daß ein Grund vorliegt.« Der Leutnant griff in die Tasche und brachte einen kleinkalibrigen Revolver zum Vorschein. Er richtete ihn auf John. »Sie können machen, was Sie wollen, Brack. Jedenfalls wissen Sie nun Bescheid. Ihre Frau begleitet uns auf den Zerstörer, damit Sie nicht auf dumme Gedanken kommen. Kehren Sie um und lassen Sie sich hier vorerst nicht mehr sehen. Es tut mir leid, Madam, daß unsere Unterhaltung eine so traurige Wende nehmen mußte.« Das entschlossene Handeln seines Leutnants gab auch dem Captain seine Sicherheit zurück. »Sie sehen«, versicherte er, »es ist uns verdammt ernst. Hoffentlich wissen Sie nun, was Sie zu tun haben.«
»Und ob ich das weiß«. tröstete ihn John mit beißendem Spott. »Ich werde mich beschweren. Darf ich um Ihre Namen bitten?« Der Captain grinste höhnisch. Auch er hielt nun eine Waffe in der Hand. Mit der anderen Hand öffnete er die Tür der Zentrale und winkte Jet zu. »Gehen Sie bitte voran, gnädige Frau. Ich bin Ihnen beim Anlegen des Raumanzuges gern behilflich.« Jet sah John nur flüchtig an und registrierte das kurze Nicken. Sie wußte ganz genau, was Sie zu tun hatte. Fast gleichmütig sah John zu, wie Jet sich umwandte und vor dem Captain die Zentrale verließ. Der Offizier schob die Waffe wieder in seine Tasche zurück, um die Hände frei zu bekommen. Ihm stand seiner Ansicht nach eine angenehme Aufgabe bevor, der er sich mit aller Inbrunst widmen wollte. Der Leutnant sah ihm ebenfalls nach und war auf’s Höchste erstaunt, als John ihm plötzlich mit einer blitzschnellen Bewegung den Revolver entriß. Damit hatte er angesichts der nahen Überlegenheit des Zerstörers nicht gerechnet. »So, und nun reden wir mal vernünftig«, plauderte John, als sei nichts geschehen. »Was ist in Wirklichkeit los? Wer ist der Mann, der die Befehle gibt?« Für eine Sekunde war der Leutnant verwirrt, dann gewann er seine Sicherheit zurück. »Geben Sie mir die Waffe zurück, Brack! Sie sind verrückt geworden, sich den Befehlen der Flotte zu widersetzen. Das kann Sie Ihre Lizenz kosten.« »Das Leben kann es mich kosten, wenn ich nicht mit euch fertig werde«, knurrte John wütend. »Die hübsche Jet ist euch zu schade, um mit mir zur Holle geschickt zu werden, daher das Theater. Von Anfang an war die Vernichtung der ›Arrow‹
beabsichtigt. Ihr wolltet nur mal sehen, was sich hier an Bord tut – und mit Jet seid ihr wohl recht zufrieden.« »Geben Sie mir meine Waffe zurück!« fauchte der unbelehrbare Leutnant. »Sie werden das noch bereuen!« »Dazu habe ich keine Zeit, junger Mann. Ich will jetzt wissen, was hier gespielt wird. Warum stellen Sie sich gegen die Raumflotte? Meuterei?« »Von mir erfahren Sie nichts, mein Lieber«, erwiderte der Leutnant bockig. »Fragen Sie den Captain, er ist mein Vorgesetzter.« John seufzte. »Werde ich wohl müssen – bald ist es soweit.« In diesem Augenblick ertönte ein heftiges Gepolter durch das Schiff, ein schwerer Gegenstand fiel zu Boden – dann war Stille. Jet betrat die Zentrale, in der Hand einen Schraubenschlüssel. »Hoffentlich kommt er wieder zu sich«, befürchtete sie anscheinend das Schlimmste. »In der Aufregung habe ich ziemlich kräftig zugeschlagen. Der Bursche wollte unbedingt, daß ich das Kleid unter dem Raumanzug auszog. So eine Unverschämtheit!« John Brack grinste von einem Ohr zum anderen. »Vielleicht träumt er jetzt davon. Wo liegt er?« »In der Schleuse. Er ist zu schwer, sonst hätte ich ihn mitgebracht.« »Hole ihn, Jet. Ich schalte für eine Minute die künstliche Schwerkraft aus.« Sie brachte ihn, indem sie ihn wie einen Luftballon hinter sich herzog. John schaltete die Gravitationsanlage wieder ein, worauf der Captain wie ein Stein zu Boden fiel und erneut ein polterndes Geräusch verursachte. Jet reichte ihm die Waffe, die
sie dem Mann abgenommen hatte. Er warf einen kurzen Seitenblick zu dem Mikrofon, das ihn unmittelbar mit Colonel Bixby verband. Man wußte dort jedenfalls Bescheid und war über die bisherigen Geschehnisse orientiert. »Nun, Leutnant? Haben Sie es sich überlegt?« »Sie werden sich noch wundern«, gab der hoffnungsvolle Jüngling zurück. »Sie haben keine Ahnung, in welches Wespennest Sie da stechen. Von Ihrem Schiff wird kein Stäubchen übrig bleiben.« »Von Ihnen aber auch nicht«, eröffnete John ihm ungerührt. Daran hatte der Leutnant anscheinend nicht gedacht. Er liebte sein Leben genau so wie jeder andere. Drunten auf dem Boden gab der Captain die ersten Lebenszeichen von sich. Er stöhnte, öffnete zögernd die Augen und richtete sich dann mit einem plötzlichen Ruck auf. Verwundert schaute er genauso wie jeder andere. »Was soll das bedeuten?« wollte er wissen. »Was ist geschehen?« »Sie wollten meiner Frau beim Ausziehen helfen«, erinnerte ihn John. »Und dann wollten Sie die ›Arrow‹ abschießen lassen, womit ich mich nicht einverstanden erklären konnte.« Schwankend erhob sich der Captain und bemerkte mit Unbehagen die schußbereite Pistole in Johns Händen. Sein Gesicht nahm eine rötliche Färbung an. »Das werden Sie bereuen, Brack! Geben Sie mir sofort meine Waffe wieder!« »Zuerst erzählen Sie mir einmal, was hier gespielt wird, Captain. Der Zerstörer 04 wird seit Tagen vermißt und gilt als überfällig. Praktisch gehört er überhaupt nicht mehr zur Raumflotte und steht auch nicht mehr unter ihrem Kommando. Erklären Sie mir, wieso Sie mir den Befehl geben wollen,
sofort umzukehren.« »Woher wollen Sie das alles wissen?« »Ich weiß es, damit basta! Also los, ich warte!« Der Captain sah den Leutnant einen Augenblick fragend an, betrachtete dann mißmutig den drohenden Pistolenlauf und bequemte sich zu einer Antwort. »Also gut, wir handeln selbständig. Was ändert das an der Tatsache, daß wir einen Befehl geben und Sie ihn befolgen müssen?« »Meuterei?« Der Captain nickte. »Wenn Sie es so nennen wollen – ja. Allerdings können Sie nicht verlangen, daß ich Ihnen nun auch noch die Hintergründe darlege. Da müssen Sie schon den Boß fragen.« »Den Boß? Wer ist dieser Boß?« Der Captain zuckte die Schultern. »Auch das müssen Sie ihn fragen, ich weiß es nämlich nicht.« »Sie beugen sich den Befehlen eines Mannes, den Sie nicht kennen? Reichlich unwahrscheinlich, nicht wahr?« Der Captain ging nicht weiter darauf ein. »Nun geben Sie mir die Waffe zurück und lassen mich zu meinem Schiff zurückkehren.« »Nein, dazu bin ich viel zu sehr an der Sache interessiert. Asteroid P 17 muß in vierundzwanzig Stunden Plankubik CD 18 passieren. Das möchte ich mir ansehen.« Die beiden Offiziere waren zusammengezuckt. »Was wissen Sie von Asteroid P 17?« fauchte der Captain. Seine rötliche Gesichtsfarbe war einem fahlen Grau gewichen. Er sah auf einmal sehr ungesund aus. »Sie phantasieren.« »Wird sich herausstellen. – Jet, fessele die beiden Herren sorgfältig und sperre sie in die kleine Lagerkammer. Sie reicht gerade aus. Wenn sie Schwierigkeiten machen, drosseln wir
die Luftzufuhr ein bißchen.« Jet genierte sich nicht, die beiden Männer nach allen Regeln der Kunst derart zu binden, daß sie zwar noch gehen, sich aber sonst so gut wie nicht mehr bewegen konnten. Mit einigen unsanften Stößen forderte sie die beiden Hilflosen dann auf, ihr zu folgen. Drei Minuten später war sie zurück. »Die sind vorerst gut aufgehoben«, meinte sie befriedigt und schmunzelte. »Und was nun?« »Wenn ich das wüßte, wäre mir wohler. Zwar nähern wir uns ständig der gewünschten Position, aber drüben auf dem Zerstörer wird man bald unruhig werden. Da – das Rotlicht! Sie rufen uns per Funk.« John ließ das Sendegerät in Ruhe, das die Verbindung mit Bixby herstellte, und schaltete die Ersatzanlage ein. Minuten später war der Kontakt hergestellt. »Geben Sie mir Captain Miller«, forderte der unbekannte Sprecher sie unhöflich auf. »Aber ein bißchen dalli.« »Miller ist gerade nicht da«, entgegnete John lahm. »Vielleicht versuchen Sie es später noch einmal…« »Dann eben Leutnant Eastman.« »Dem geht es ähnlich, Mister Unbekannt. Aber lassen Sie uns nicht um den heißen Brei herumreden: was wollen Sie von mir? Aus den Angaben Ihrer beiden Gesandten bin ich nicht ganz schlau geworden.« Einige Minuten war Schweigen. Dann: »Was haben Sie mit ihnen gemacht?« »Sie sind wohlauf, wenn auch zur Zeit in sicherer Obhut. Möchten Sie mein Schiff immer noch angreifen? Ich kann dann für das Leben Ihrer Leute nicht garantieren.« »Darauf kommt es nicht an, Brack. Für uns steht mehr auf dem Spiel als das Leben zweier unfähiger Offiziere der lächerlichen Raumflotte. Ergeben Sie sich, oder ich lasse das Feuer
eröffnen.« Johns Hände bewegten sich mit spielerischer Sicherheit. Hebel rasteten ein und Lämpchen an verschiedenen Skalen leuchteten auf. Ein Summen wurde hörbar und verstärkte sich. Es hing im Raum wie eine unsichtbare Drohung. »Ich kann Sie nicht daran hindern, unbedachte Befehle zu geben«, sagte er mit einem spöttischen Unterton. »Leider besitze ich keine entsprechenden Waffen, Ihnen gebührend zu antworten, aber mein neuer Astroschirm genügt vollauf, alle Ihre Anstrengungen zunichte zu machen. Versuchen Sie mal, einen Torpedo abzufeuern. Und abgesehen davon: notfalls ist meine Geschwindigkeit erheblich größer als die Ihre. Sie sehen, Ihre Drohungen schrecken mich nicht. Und nun – gute Nacht.« Er schaltete einfach ab und kümmerte sich um seine Kontrollen. Die ›Arrow‹ begann zu beschleunigen. Langsam fiel der Zerstörer zurück. Ein kleiner, silberner Torpedo verließ eins der Geschützrohre, eilte hinter der ›Arrow‹ her, holte sie ein und detonierte knapp fünfzig Meter hinter dem Schiff. Das genügte, die Leute auf dem Zerstörer davon zu überzeugen, daß John Brack nicht nur bluffte. Nach zwei Stunden gab das Kriegsschiff die Verfolgung auf und wechselte die Flugrichtung. John bemerkte es mit großem Interesse. Anhand einiger Berechnungen stellte er fest, daß der Zerstörer genau der Stelle zustrebte, wo morgen der Asteroid P 17 sein würde. Auch er korrigierte nun seinen Kurs und gab die neuen Koordinaten an Bixby durch, der jedoch nicht antwortete, um seinen Standpunkt keinem Unbefugten zu verraten. Mit ständiger Beschleunigung eilte die ›Arrow‹ dem einsam durch den Raum ziehenden Planetoiden entgegen, dessen Bahn noch vor Tagen unbekannt gewesen war.
* Jet entdeckte die fremde Welt zuerst. Sie hatte Wache, während John einige Stunden ruhte. Der Asteroid drehte sich langsam in den Bildschirm und wurde von Minute zu Minute größer. Schwach nur beleuchtete ihn die ferne Sonne, und ewiges Dämmerlicht herrschte auf seiner Oberfläche. Langsam rotierte er um seine Achse. Er besaß absolut keine Kugelgestalt, obwohl sein Durchmesser mehr als fünfzig Kilometer betrug. Ein gewaltiger Felsbrocken urwüchsiger Materie, nackt und leblos, dem Vakuum des Weltraumes schutzlos preisgegeben. Sie weckte John wie vereinbart. Er sprang auf und eilte in die Zentrale. Viel Zeit blieb ihm nicht, den unbekannten Körper zu studieren, aber trotz aufmerksamer Beobachtung gelang es ihm nicht, eine Spur von Leben festzustellen. Kein schlankes Raumschiff unterbrach die Eintönigkeit der zerrissenen Landschaft, und keine noch winzige Plastikkuppel erregte seine Aufmerksamkeit. Asteroid P 17 schien tot und verlassen. John fand eine schmale Schlucht mit verhältnismäßig glattem Boden. Ohne zu zögern, drosselte er die Geschwindigkeit und ließ die ›Arrow‹ hinabsinken, setzte sie schließlich sanft auf und schaltete den Antrieb aus. Die plötzliche Stille wirkte wie eine Drohung. Sie war unwirklich und ungewohnt. Es dauerte Minuten, ehe sich die beiden daran gewöhnten. »Ich werde allein nach draußen gehen«, entschied John und begann den schweren Raumanzug anzulegen. Jet half ihm dabei, überprüfte die Sauerstoffpatronen und den Lufterzeuger, schloß das Funkgerät an und untersuchte sorgfältig die Rückstoßdüse für die Fortbewegung im freien Raum. Sie würde
gute Dienste auf einer Welt leisten können, auf der man so gut wie gewichtslos war. Die Bewaffnung bestand aus einer weitreichenden Automatik mit überschnellen Geschossen und einer nur begrenzt wirksamen Strahlpistole. »Ich kann P 17 in einer knappen Stunde einmal umrunden«, sagte John und gab Jet einen flüchtigen Kuß auf die Wange. »Da ich mit Umwegen rechnen muß, wird es etwa drei oder vier Stunden dauern, bis ich zurück bin. Ich melde mich alle fünfzehn Minuten über Funk. Bleibt diese Meldung aus, beunruhige dich nicht, mein Schatz. Dann ist eben das Gerät ausgefallen.« »Oder du«, gab sie trocken zurück. »Es hat keinen Sinn, mir etwas vormachen zu wollen, John. Es ist gefährlich dort draußen, auch wenn wir nichts von einem Gegner sehen. Morgen geschieht etwas mit diesem Asteroiden, also kümmert man sich auch um ihn. Und eine Welt von 160 Kilometer Umfang bietet nicht auf ewig Schutz und Sicherheit. Wenn du eine Stunde nichts von dir hören läßt, folge ich dir.« »Das darfst du nicht, Jet!« befahl John und sah richtig böse aus. »Du bleibst in der ›Arrow‹, was immer auch geschieht. Da bist du sicher, wenn du den Astroschirm einschaltest. Niemand kann dir etwas anhaben. Und dann quetsche die beiden Offiziere aus, aber sei vorsichtig dabei. Mache sie mit Luftmangel weich. Wir müssen erfahren, was hier gespielt wird.« Er schloß den Helm, nickte ihr noch einmal zu und stampfte durch den Gang zur Schleuse. Das Schwerkraftfeld des Schiffes war immer noch wirksam. Erst als sich die äußere Luke öffnete, nahmen die natürlichen Außenbedingungen überhand. John fühlte, wie sein Gewicht schwand. Die geringfügige Gravitation des Asteroiden vermochte kaum, ihn zu halten. Ein kräftiger Stoß würde viel-
leicht genügen, ihn für immer seinem Anziehungsbereich entschweben zu lassen. Er machte einen Schritt ins Leere und sank langsam hinab. Die glatte Hülle der ›Arrow‹ glitt an ihm vorbei nach oben, aber ebenfalls derart langsam, daß es Minuten zu dauern schien, bis er endlich den felsigen Boden berührte. Er regulierte die Treibsätze der Rückstoßdüse und schaltete sie ein. Mit einem Satz erhob er sich in die Höhe, dann begann die Kraft des steten Flammenstrahls zu wirken. Wie ein Miniaturraumschiff schoß John davon, durch leichte Veränderungen der Ausstoßrichtung manövriert. Er hielt sich in einer Höhe von zehn oder zwanzig Metern und wich höheren Hindernissen beizeiten aus. So besaß er zwar keine umfassende Übersicht, begab sich aber auch nicht in die Gefahr, direkt entdeckt zu werden – falls es jemand gab, der ihn entdecken konnte. Zumindest Hunterson mußte sich auf diesem Asteroiden befinden, daran bestand kein Zweifel. Es sei denn, man hatte ihn von hier vertrieben. Aber dann mußten doch wenigstens jene noch hier sein, die ihn vertrieben hatten. John wurde aus allem nicht mehr schlau, und die Neugierde bewog ihn, diesen Fall weiter zu verfolgen. Aber nicht nur die Neugierde, sondern auch die Mitteilung seines Vertrauensmannes, daß wertvolle Elemente auf dieser Welt vorhanden seien. Im Augenblick war davon jedoch nicht das Geringste zu bemerken. Die nackte Formation der Oberfläche verriet Meteoritengestein mit dem üblichen Gehalt an Nickel und Eisen, also nichts Besonderes. Hier und da schimmerte es silbern und golden, aber das interessierte John nicht. Längst war die Schlucht hinter ihm verschwunden und auch der steile Merkfelsen, der aus einem Gebirgskamm herausrag-
te und somit ein Orientierungspunkt erster Güte war. Eine weite Ebene lag zwischen steilen Gebirgen eingeschlossen und erstreckte sich bis zum nahen Horizont, wo die Welt in einen Abgrund zu versinken schien. Langsam zogen die Sternkonstellationen über John dahin, senkten sich dem Horizont entgegen. Sie glichen Sternschnuppen in Zeitlupe, die in geordneter Formation über den schwarzen Himmel wanderten, langsam und doch sichtbar. P 17 hatte eine Rotationsdauer von höchstens einer Stunde. Die Einsamkeit hatte John früher bedrückt. Aber heute hatte das Bewußtsein, allein auf einer Welt zu sein, nichts Erschreckendes mehr für ihn. Ganz im Gegenteil. John war sich seiner Größe als Mensch niemals mehr bewußt als in solchen Augenblicken, wo er eine neue Welt entdeckte oder betrat. Allein und fern allem Lebendigen glitt er über das jungfräuliche Land dahin, das seine Gestalt niemals ändern würde, wenn es der Mensch nicht tat. Schimmernde Erzadern traten zutage und lockten mit ihrem Reichtum. Doch diesmal hatte John keine Augen für die natürlichen Schätze des Asteroiden. Zu sehr mußte er auf seine Umgebung achten, um nicht in einen Hinterhalt zu geraten. Mehr als hundert Kilometer legte er so zurück. Nur ab und zu benutzte er den Treibstrahl, seine Richtung zu ändern und neue Fahrt zu erhalten. Die meiste Zeit segelte er gleich einem Satelliten dahin, allmählich von der schwachen Gravitation nach unten gezogen, so daß seine Flugbahn sich nur allmählich bog und zu einer ballistischen Kurve wurde. Hätte sein Geigerzähler nicht eine optische Warnanlage besessen, so wäre ihm wahrscheinlich gar nichts aufgefallen, so aber mußte er das rhythmische Aufblinken des roten Lichtes bemerken. Jedesmal, wenn ein strahlendes Partikelchen auftraf, blinkte die Lampe – und das geschah in fast ununterbro-
chener Reihenfolge. Unter ihm mußte ein starkstrahlender Stoff lagern. Er stoppte seinen Flug ab und rief Jet. »Hallo, Mädchen, wie geht es dir? Langweilig?« »Absolut nicht, ich habe ja Gesellschaft. Die beiden Helden verraten erste Anzeichen des Weichwerdens. Ich habe Ihnen verlockende Aussichten geboten. wenn sie plaudern.« »Versprich ihnen nicht zuviel!« warnte John besorgt. »Sonst verlangen sie noch, daß du Wort hältst.« »Das könnte denen so passen. Was Neues?« »Deswegen rufe ich dich ja. Ich habe einen starkstrahlenden Boden entdeckt und lande. Zu sehen ist nicht viel, lediglich scheint mir das Gestein stark silberhaltig zu sein – der Färbung nach zu urteilen. Werden wir gleich haben. Gut, daß ich den schweren Raumanzug angelegt habe. Mit Hilfe der eingebauten Instrumente werde ich das Element wohl identifizieren können.« »Hoffentlich«, blieb Jet skeptisch »Unterrichte mich, wenn etwas Besonderes geschieht.« »Du auch!« Besorgt dachte John an die eben erwähnten Versprechungen. Es war ihm gar nicht recht, wenn Jet ihre natürliche Schönheit gegen Männer ausspielte. Er landete sanft und stand für einige Augenblicke reglos. Das lautlose Ticken des Geigerzählers war wie rasend, erreichte aber noch nicht die lebensgefährliche Grenze. Ganz davon abgesehen schützte der strahlensichere Anzug vor jeder Verbrennung. John bückte sich und hob einen Gesteinsbrocken auf, der auf der Erde sicher seinen halben Zentner gewogen hätte. Hier war er federleicht. Er schillerte bunt, und goldene Adern durchzogen ihn. Ein Leuchten ging von ihm aus, das von innen zu kommen schien.
Selbst in völliger Dunkelheit blieb dieses Leuchten, wurde sogar noch intensiver. John kniff die Augen zusammen. Die Instrumente sprachen auf kein bekanntes Element hin an. Sie konnten den Brocken nicht identifizieren, bis auf eine geringe Menge Gold, Blei und Eisen. Auch winzige Spuren von reinem Nickel waren vorhanden. Zu 95 Prozent jedoch bestand der Brocken aus einem Element, das auf der Erde nicht bekannt war. Der wertvolle Rohstoff, von dem der Brief gesprochen hatte? Mit der linken Hand suchte er ein Stück aus dem Brocken zu lösen. Zu seiner Überraschung gelang es sogar. Vorsichtig steckte er die Probe in eine Tasche und beschloß, sie im Labor der ›Arrow‹ genau zu analysieren. Als er sich wieder aufrichtete, knackte es in seinem Helmgerät. Jemand schaltete sich auf seiner Welle ein. »John Brack – warten Sie, ehe Sie zur Waffe greifen.« Der direkte Funkverkehr ließ eine Richtungsbestimmung nicht zu. Der Sprecher konnte überall sein, sogar über ihm irgendwo im Weltraum, zehn oder zwanzig Kilometer entfernt. Er richtete sich vollends auf und sah sich um. Aber die felsige Formation bot derart viel Deckung, daß es sinnlos war, einen versteckten Feind zu suchen. John machte keine Bewegung. Die beiden Pistolen ruhten in den Halftern an seinem Gürtel. Die Griffe waren in Sekunden zu erreichen, wenn es sein mußte. »Wer sind Sie?« fragte er und wußte gleichzeitig, daß auch Jet ihn hören konnte. Und mit Jet vernahm Bixby ebenfalls seine Stimme. Weit vor ihm bewegte sich etwas, und eine menschliche Gestalt trat hinaus auf die Ebene. Sie war in dem Dämmerlicht
nur schwer zu erkennen, hob sich aber doch gegen das milchige Grau der sternenübersäten Hintergründe ab. Sie trug einen leichten Raumanzug. In der Hand wuchtete eine Maschinenpistole, deren Lauf jedoch nach unten gerichtet war. Das täuschte John natürlich nicht, denn wie schnell ließ sich die Haltung einer solchen gefährlichen Waffe ändern. »Kennen Sie mich nicht mehr?« fragte die Stimme wieder. »Sicher, damals trafen wir uns unter recht merkwürdigen Umständen, und das Gesetz war gegen mich. Ich bin Hunterson.« Jetzt erkannte John den anderen an der Stimme. Hunterson, der zweifelhafte Geschäftsmann, der alles andere als sein Freund war, und der nun doch um seine Hilfe gebeten hatte. Trotz der damaligen Feindschaft schien er also Brack für den geeigneten Partner zu halten, eine ganz große Sache zu starten. Worum es sich bei dieser Sache allerdings handelte, vermochte John nur zu ahnen. »Gut, Hunterson, lassen wir das Vergangene. Sie haben das Spiel verloren, und wir sprachen nicht über eine Revanche. Sie baten um Hilfe – hier bin ich. Allerdings nicht wegen Ihrer schönen Augen, sondern weil ich hoffe, etwas dabei zu verdienen. Sind wir uns da einig und haben uns verstanden?« »Vollauf, Brack. Wir arbeiten zusammen und teilen den Gewinn. Aber sprechen wir darüber lieber ohne die Raumanzüge, es könnte jemand mithören. Haben Sie nicht mein Schiff vermißt?« »Doch«, gab John zu und wartete, bis Hunterson in elegantem Bogen herangesegelt kam. Er besaß schon einige Übung darin und verriet so, daß er diesen Asteroiden und seine Verhältnisse gut kannte. »Wo steht ihr Kahn?« Hunterson setzte auf und streckte John die Hand entgegen, dabei die Maschinenpistole in die Linke nehmend.
»Willkommen auf P 17«, sagte er lächelnd. Seine Raubtierzähne blitzten hinter der Sichtscheibe. »Bevor ich das erkläre, möchte ich Ihnen einen Rat geben: halten Sie Ihre Waffen schußbereit, und schießen Sie, wenn ich es tue. Die Gegner kennen kein Erbarmen – wer immer sie auch sein mögen.« Nun war John doch überrascht. »Was? Wollen Sie damit sagen, daß Sie unsere Gegner nicht einmal kennen? Das finde ich erstaunlich.« »Ist es auch«, gab Hunterson zu. »Es hat den Anschein, als sei die Raumflotte selbst gegen uns, aber gewisse Anzeichen deuten darauf hin, daß das niemals der Fall sein kann. Ein Zerstörer der Flotte griff uns an, aber wir gaben ihm einen Denkzettel, den er so schnell nicht vergißt. Eins unserer Beiboote rammte ihn – mit Sprengstoff geladen. Es gab ein hübsches Loch in der Nummer 017.« »Interessant«, knurrte John. »Da hätten wir ja die Vermißten bald zusammen.« »Was meinen Sie?« John erklärte es ihm kurz, dann fragte er: »Wo können wir uns ungestört unterhalten? Mein Schiff liegt 50 Kilometer vor uns.« »Meins ist näher, Brack. Kommen Sie mit.« »Einen Augenblick, ich muß erst meine Frau unterrichten. Sie entsinnen sich doch noch Jets, meiner damaligen Braut?« »Der entzückende Käfer? Und ob! Wären Sie damals nicht so schnell gewesen, säße sie jetzt bestimmt nicht in Ihrem Schiff. War mächtig scharf auf das Girl.« »Das Girl aber nicht auf Sie, mein Lieber«, lachte John auf und wunderte sich nicht, als Jet sich einfach einmischte. »Sie verknöcherter Geizhals!« sagte sie und meinte offensichtlich den restlos verblüfften Hunterson. »Ich hätte Sie nicht geheiratet, und wenn Ihr Gipskopf aus Gold bestünde.«
»Aber Liebling«, kritisierte John vorwurfsvoll und doch voll innerer Freude. »Wie kannst du einen alten Freund so beleidigen. Hunterson ist jetzt unser Freund.« »Wie lange soll ich hier noch allein warten? Die Herren Offiziere benehmen sich äußerst langweilig. Sie wollen Taten sehen, ehe sie etwas verraten.« »Sperr die Brüder ein und kümmere dich nicht um sie.« »Offiziere – und dazu noch Brüder?« verwunderte sich Hunterson begriffsstutzig. »Haben Sie Besuch bekommen?« »Genau wie Sie – von der Raumflotte. Man gab mir den Befehl, sofort umzukehren. Als ich das nicht tat, beschoß man die ›Arrow‹. Natürlich erfolglos, wie Sie sich denken können. Dabei blieben die Unterhändler bei mir zurück. Ohne ihr Einverständnis, versteht sich.« »Damit besitzen Sie wenigstens Gefangene, und vielleicht können wir einiges erfahren. Ich glaube nun doch, ich komme mit Ihnen. Später besuchen wir dann mein Hauptquartier. Einverstanden?« John grinste. »Welchem Umstand verdanke ich diesen Gesinnungswechsel? Den beiden Gefangenen – oder Jet?« Hunterson grinste zurück. »Suchen Sie sich das aus, was Ihnen am besten gefällt. Ich möchte keinen Streit mit Ihnen. Darf ich mich bei Ihnen anhängen?« John seufzte und schaltete den Treibmotor an. Hunterson klammerte sich an ihn wie ein Affe, und bald segelten die beiden Männer durch die Dämmerung des Asteroiden. Von weitem sahen sie aus wie ein vorsintflutliches Ungeheuer. *
Wenn Jet unangenehm berührt war, so ließ sie sich das nicht anmerken Freundlich gab sie Hunterson die Hand und hieß ihn auf der ›Arrow‹ willkommen. Der erfolgreiche Prospektor machte eine steife Verbeugung und zeigte sich leicht verlegen. Von seinem großen Mundwerk blieb nicht viel übrig, und John hatte erneut Grund, sich heimlich zu freuen. Es machte ihm Spaß, wenn Männer von Jets Schönheit beeindruckt wurden. »Wir freuen uns sehr, Mr. Hunterson, daß der alte Ärger begraben sein soll«, sagte sie zuvorkommend und lächelte. »Darf ich Ihnen einen Brandy anbieten? Das ist das einzige, was wir für derartige Zwecke vorrätig haben.« »Gern«, nickte Hunterson. Man hatte den Eindruck, er hätte selbst Schwefelsäure aus der Hand Jets nicht abgelehnt. »Zwar trinke ich keinen Alkohol, aber wenn Sie ihn anbieten…« Sie saßen in der Zentrale. John wollte, daß Bixby auch diese Unterhaltung mit abhörte. Der Zerstörer Bixbys mußte sich nun ebenfalls dem Asteroiden nähern. »Na, dann schießen Sie mal los«, forderte John seinen Gast auf. »Viel hat mein Mann mir nicht mitgeteilt.« »Hätte niemals gedacht, daß Sie einen Spion bei mir bezahlen«, knurrte Hunterson leicht indigniert. »Aber diesmal war es ja unser Glück. Wer weiß, wie ich Sie sonst erreicht hätte. Ich holte vor einem knappen Monat die Erlaubnis ein, die Plutobahn zu überqueren. Ich erhielt sie und versuchte mein Glück. Vor etwa zehn Tagen fand ich dann diesen unbekannten Brocken. Nun, ganz unbekannt wird er zwar nicht sein, denn er hat ja seine regelmäßige Bahn, die ihn alle zwei Jahre zurück in das System führt. Reiner Zufall, daß nie zuvor jemand auf ihm landete, wenigstens keiner, der auch nur die geringste Ahnung von Metallurgie besitzt. Ich jedenfalls landete – und entdeckte das Zeugs.«
»Was ist es eigentlich?« unterbrach John neugierig. »Warten Sie doch ab, ich wollte es Ihnen gerade erklären. Die Geigerzähler tickten wie wahnsinnig, als wir uns dem Asteroiden näherten – Sie müssen wissen, daß ich ein speziell konstruiertes Schiff besitze. Praktisch kann ich vom Weltraum aus feststellen, aus welchen Elementen eine Welt besteht. Nun, so auch hier. Gold war vorhanden, auch Silber, Nickel und Eisen, dazu einige andere unbedeutende Metalle und Elemente. Aber zu mehr als 90 Prozent besteht dieser Haufen Dreck aus einer Sache, der ich noch nie zuvor begegnet bin. Sie ist es auch, die so mächtig strahlt. Ich vermutete Radium, aber das war es nicht. Es war überhaupt nichts, das wir kennen. Fast der ganze Asteroid besteht aus einem Element, das in unserem Sonnensystem nicht vorkommt. Daher meine Vermutung, daß dieser Asteroid nicht aus unserem System stammt, sondern aus den Tiefen des Raumes zuwanderte. Die Sonne fing ihn ein, und nun umkreist er sie, zwar ein bißchen verrückt, aber er kreist. Doch nun kommt erst das Interessante. Der neue Stoff – ich suche noch nach einem passenden Namen – strahlt erheblich, aber seine Strahlung ist für den Menschen unschädlich, wenigstens im Rohzustand. Umgewandelt kann sie tödlich wirken. Und noch etwas: Die Halbwertzeit ist nur fünfzig Jahre, daher ist die Strahlung so intensiv.« »Schade«, bemerkte John. »Da ist der Spaß ja bald zu Ende.« Hunterson triumphierte. »Irrtum, mein lieber Brack, Irrtum! Bereits einen halben Zentimeter unter der Oberfläche läßt sich keine Strahlung mehr feststellen. Dasselbe Element ist dort vollkommen stabil. Mit anderen Worten: Es zerfällt nur dann, wenn es mit dem Vakuum in Berührung kommt. Verschließt man es in einen Bleibehälter, so hört es auf zu strahlen.
Begreifen Sie doch, Brack! Ein Element, das sich nach Belieben steuern läßt! Die ideale Energiequelle! Ich kann Ihnen sagen, mit diesem Element werden wir die Sterne erreichen!« »Es strahlt ja auch nur dann wenn das Licht der Sterne es bescheint«, flüsterte Jet poetisch. »Ein Sternenelement.« »Sternenelement!« brüllte Hunterson begeistert. »Da haben wir endlich den Namen. Es kommt von den Sternen und gibt seine Kraft nur dann her, wenn die Sterne es bescheinen. Danke, Jet, vielen Dank. Sie selbst werden es taufen.« »Ein seltsamer Stoff«, sann John vor sich hin. »Er kommt mir fast unnatürlich vor. Welche Aussichten bietet er?« »Alle!« behauptete Hunterson. »Einfach alle! In völliger Dunkelheit ist es nichts als ein ganz gewöhnliches Metall. Sobald aber Licht an es herankommt, beginnt es zu strahlen und seine Energien abzugeben. Ich glaube annehmen zu dürfen, daß seine Halbwertszeit regulierbar ist. Mit anderen Worten: Je nach der Menge des einfallenden Lichtes verkürzt oder verlängert sie sich, wird mehr oder weniger Energie frei. Das ideale Element, nach dem die Menschheit Jahrtausende suchte.« »Und Sie haben es gefunden, Hunterson. Gratuliere!« In Johns Stimme war kein Neid, nur Bewunderung. Aber Hunterson bewies, daß er besser war als sein Ruf. »Wir haben es gefunden, Brack. Denn früher oder später hätten Sie bestimmt diesen Asteroiden entdeckt. Nun aber werden wir den Fund gemeinsam ausbeuten. Wir werden beide reich und unabhängig werden.« John entsann sich früh genug der Situation. »Und was ist nun mit den anderen? Was ist mit der mysteriösen Raumflotte, die sich in unsere Angelegenheiten mischt? Sie sind davon überzeugt, daß es sich wirklich nicht um die Raumflotte handelt, sondern um Gangster unter ihrem Deckmantel?«
»Ich fürchte«, sagte Hunterson ernst, »es handelt sich um viel mehr.« »Meuterer? Ich bin zu der gleichen Auffassung gelangt.« »Meuterer, ganz richtig. Wir sind auf eine Gruppe von Leuten gestoßen, die keine geringere Absicht verfolgen, als die Macht über das Sonnensystem an sich zu reißen. Da kam ihnen der Asteroid gerade recht. Ob sie nun vor mir hier waren, oder erst später landeten, das spielt in Anbetracht ihrer Ziele keine Rolle mehr. Das Recht ist auf unserer Seite. Und die Raumflotte auch.« John betrachtete sinnend das halbverborgene Mikrofon, sein Bindeglied zu Colonel Bixby und wahrscheinlich auch zu Admiral Warner. Die ganze Raumflotte wußte nun von ihren Vermutungen und würde sich einmischen. Ganz so recht war ihm das nicht, obwohl eine derartige Entdeckung wie das Sternenelement zweifellos unter Regierungsschutz gestellt werden mußte. Entschlossen wandte er sich an Hunterson. »Hätten Sie Bedenken, das Geheimnis schon jetzt der Raumflotte mitzuteilen?« Der Prospektor zuckte die Schultern. »Offen gestanden habe ich sie. Man wird uns um unseren Anteil bringen und diesen Asteroiden beschlagnahmen. Aber so wie die Situation ist: Ich weiß nicht, ob wir allein gegen die straffe Organisation der Aufrührer ankommen, es erscheint mir zweifelhaft. Sie setzt sich zum großen Teil aus Flüchtlingen zusammen, die aus den Kolonien des Merkur entkommen konnten. Meist politische Häftlinge.« John zeigte auf das Mikrofon. »Sie werden mir mein Mißtrauen nicht übelnehmen, Hunterson, aber mir blieb keine andere Wahl. Ich stand von der ersten Sekunde meines Fluges an in direkter Verbindung mit Colonel Bixby von der Flotte. Er hat auch unser Gespräch mit abgehört
und ist nun unterrichtet. Aber ich bin davon überzeugt. daß die Raumflotte unsere Rechte respektieren und uns das Sternenelement regulär abkaufen wird.« Hunterson betrachtete das Mikrofon mit einem schiefen Blick. Dann schüttelte er den Kopf. »Das Summen fiel mir auf, aber wie sollte ich wissen, daß es nicht die Klimaanlage war? Also hat dieser Bixby alles gehört? Ausgerechnet Bixby! Ich kenne ihn nicht, aber ich hörte einiges von ihm. Ein scharfer Bursche.« »Das ist für ihn ein Kompliment. Hallo, Bixby! Sie können sich jetzt melden. Auf unserer Welle besteht wohl kaum eine Abhörgefahr. Was sagen Sie zu der Entwicklung?« Es knackte. Dann kam ein Grunzen und schließlich die Stimme des Colonels. »Allerhand, wenn das mit dem Zeugs stimmt. Ich verstehe zwar nicht allzuviel davon, aber eine ungefähre Vorstellung kann ich mir schon machen. Natürlich sind wir offiziell an der Erwerbung der Rechte interessiert. Als Gegenleistung werden wir Ihnen behilflich sein, mit dieser Gruppe fertig zu werden. Sie glauben also, Hunterson, daß es sich um eine politische Gruppe handelt? Und sie setzt sich aus Sträflingen, beziehungsweise Meuterern der Flotte zusammen? So ganz kapiere ich das nicht.« »Es wird stets Unzufriedene geben, Colonel«, erklärte Hunterson einfach, »die eine Verbesserung ihrer eigenen Verhältnisse mit dem Wohl des Staates identifizieren. Es kann nicht schwer sein, ehrgeizige Offiziere der Raumflotte für umstürzlerische Pläne zu gewinnen. Das sehen Sie doch ein?« »Gut, akzeptiert. Und was nun? Soll ich eine Zerstörerflotte nach P 17 senden? Ist dort das Hauptquartier der Bande?« Hunterson machte eine abwehrende Gebärde, obwohl Bixby das nicht sehen konnte.
»Alles nur das nicht! Man darf keinen Verdacht schöpfen, sonst bekommen Sie die Burschen nie. Ich habe keine Ahnung, wo die Zentrale sitzt, vielleicht sogar auf der Erde, oder auf Merkur oder sonst einem Planeten. Wir haben es hier nur mit einer Untergruppe zu tun, mit der wir allein fertig werden müssen, um keinen Verdacht zu erregen. Wenn Sie in drei Tagen keine Erfolgsmeldung von uns erhalten, kommen Sie uns befreien – oder uns begraben.« »Sollen wir Ihnen wenigstens Waffen bringen?« »Zu spät! Wie weit sind Sie noch von P 17 entfernt?« »In zwei Stunden könnten wir dort sein.« »Gut, dann landen Sie neben der ›Arrow‹. In der Vorratskammer finden Sie zwei Untergebene, die es nicht abwarten können, ihren Vorgesetzten wiederzusehen.« »Die werden mir allerhand erzählen«, freute sich Bixby mit einem drohenden Unterton in der Stimme. »Und was tun Sie indessen?« »Ich bringe Brack und seine Frau in Sicherheit. Die Koordinaten unseres Stützpunktes sind folgende…« Zehn Minuten später standen die beiden Männer und die Frau auf dem Boden des Asteroiden. Hinter ihnen hatte sich die Außenluke der ›Arrow‹ geschlossen. Hunterson wurde in die Mitte genommen, da er nur einen leichten Raumanzug besaß und sich nicht mit Hilfe einer Treibrakete fortbewegen konnte. Jet und John hielten ihn fest, und dann begann der unheimliche Flug über die zerklüftete Oberfläche der kleinen, leblosen Welt, die sich nach einem langen Weg durch die Unendlichkeit des Raumes in das Sonnensystem verirrt hatte. Die Funkgeräte waren ausgeschaltet, um einem unliebsamen Lauscher keine Gelegenheit zu geben, sie zu orten. Schweigend eilten sie dahin, dem für John noch unbekannten Ziel entgegen.
Eine halbe Stunde vorging. Dann gab Hunterson durch Zeichen zu verstehen, daß die Reise beendet sei. John schaltete den Antrieb aus, ebenso Jet. Langsam senkten sie sich hinab und landeten sanft auf einer Ebene, hart am Rande eines steil aufstrebenden Gebirges. Nichts deutete auf die Anwesenheit von Menschen hin. Sie schalteten die Funkgeräte ein, sprachen jedoch noch nicht. Hunterson deutete auf die glatte Felswand. Langsam gingen sie darauf zu und gaben sich Mühe, nicht den Boden unter ihren Füßen zu verlieren. Fast gewichtslos genügte der geringste Druck, sie meterweit fliegen zu lassen. Wenige Schritte vor der glatten Felswand blieb Hunterson stehen. Er wartete auf irgendetwas, das war offensichtlich. Und Sekunden später wußten John und Jet auch, worauf. Die Wand schob sich zu einem Teil zurück und gab einen schmalen Spalt frei, durch den zur Not ein Mann in die dahinterliegende Höhle eindringen konnte. Hunterson ging vor, sie folgten ihm. Geräuschlos schloß sich das merkwürdige Tor hinter ihnen, dann erst flammten Lichter auf. Sie beleuchteten einen weiten Kuppelbau, in dessen Mitte ein schlankes Raumschiff stand. Huntersons Schiff! Gestalten in leichten Druckanzügen eilten hin und her, ohne sich um die Neuankömmlinge zu kümmern. »Mein Hauptquartier«, sagte Hunterson stolz. »Wir können nun sprechen, denn die Felsen halten die Funkwellen ab. Nur die Station hat eine Antenne außerhalb und kann Verbindung mit draußen aufnehmen. Wir fanden diese Höhle rein zufällig und bauten sie aus. Drüben ist eine Schleuse, so daß wir im Berg selbst keine Atemgeräte benötigen. Kommt mit, ihr werdet staunen.«
John wunderte sich ohnehin, wie Hunterson so viele Leute auf dem kleinen Schiff transportiert hatte, bis er später erfuhr, daß drei Flüge dazu notwendig gewesen waren. Sie passierten die Schleuse und legten die Anzüge ab. Mehrere Felsenkammern dienten als Wohn- und Schlafräume. Den größten Platz aber nahm ein ausgezeichnet eingerichtetes Laboratorium ein, wo bereits die ersten Versuche mit dem neuen Element abgeschlossen wurden. »Sie sehen«, erklärte Hunterson eifrig, »wir haben uns häuslich eingerichtet. Eine Festung, die so schnell nicht kapituliert. Darum bin ich auch auf das Eingreifen der Flotte nicht so scharf. Wir wehren uns selbst unserer Haut, wenn es sein muß.« Sie saßen in bequemen Sesseln um einen Tisch herum, auf dem eine Flasche und einige Gläser standen. Die Luft war gut und frisch. Ein Sprechgerät stellte die Verbindung zu den anderen Abteilungen des geheimen Hauptquartiers her. »Ich glaube«, bemerkte Jet lächelnd, »daß die Bande auf diese Festung recht scharf wäre, wenn sie davon wüßte.« Hunterson ließ seine Blicke bewundernd über ihre schlanke Figur gleiten und nickte John anerkennend zu. Dann erst schien er ihre Frage gehört zu haben. »Und ob sie das sind, Jet. Aber sie haben ihre beste Gelegenheit bereits verpaßt. Wenn Brenner Erfolg hatte, werden sie immer zu spät kommen und sich blutige Köpfe holen.« John sah auf. »Wer ist Brenner?« »Mein Physiker. Sie werden ihn gleich kennenlernen. Er ist schon unterwegs, mir von den ersten Versuchsergebnissen zu berichten. Ah – da ist er ja schon.« Die Tür öffnete sich und ein stämmiger, kräftig gebauter Mann trat ein. Er trug einen weißen Mantel über seiner Kom-
bination und hielt in der Hand eine einfache Strahlpistole. Das weiße Haar paßte zwar gut zu seinem intelligenten und gutmütigen Gesicht, nicht aber die Waffe. Er legte sie mitten auf den Tisch und begrüßte erst dann die Anwesenden. »Ja, die Konkurrenz!« freute er sich herzlich und widmete seine besondere Aufmerksamkeit Jet Brack. »Und welche liebenswürdige Konkurrenz. Ich schätze mich glücklich, Sie auf unserer Seite zu wissen. Wären Sie gegen mich, gnädige Frau, ich würde meine Versuche sofort abbrechen.« Hunterson grinste. »Das würden Sie nicht tun, alter Casanova, denn ich bezahle Sie. Brack, nehmen Sie sich vor diesem Burschen da in acht, besonders aber Sie, Jet. Er wird Ihnen den Kopf verdrehen, wenn Sie nicht aufpassen. Keine Frau auf der Welt gäbe es, die ihm widerstehen könne – behauptet er.« Brenner setzte sich. Er lächelte Jet immer noch zu, als er die Pistole wieder aufnahm und sie spielerisch in den Händen drehte. »Das Vergnügen kommt später«, flötete er zärtlich, und man wußte nicht, ob er damit Jet oder die Pistole meinte. »Doch lassen Sie mich berichten. Ich brenne darauf, meine Geheimnisse loszuwerden. – Dieses Zeug, wir haben immer noch keinen Namen dafür gefunden, und ich möchte vorschlagen, es vielleicht Brennarium zu nennen…« »Mit Brennarium wird es nichts«, eröffnete ihm Jet. »Wir haben es bereits Sternenelement getauft.« »Wie häßlich«, rügte Brenner und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Wie rücksichtslos auf meine noch zu erwartenden Verdienste. Na gut, lassen wir es dabei. Dieses Sternenelement also ist einfach großartig und die Erfüllung aller Wunschträume sämtlicher Energietechniker des Universums. Grob gesagt:
Dieser Asteroid genügt meiner Schätzung nach, die Energieversorgung des Sonnensystems einschließlich Flügen zu den nächsten Sternen für die kommenden hundert Jahre vollauf zu decken. Wissen Sie, was das bedeutet?« Er stellte mit Genugtuung fest, daß seine Eröffnung den Anwesenden die Sprache verschlug. Ehe sie sich jedoch von ihrer Überraschung erholen konnten, fuhr er fort: »Um Ihnen nur ein winziges Beispiel von der Verwendungsmöglichkeit des Brennariums – eh – des Sternenelementes zu demonstrieren, schlug ich den althergebrachten Weg ein, es zuerst einmal mit der Verbesserung der herkömmlichen Waffen zu versuchen. Das Ergebnis liegt Ihnen vor.« Er tätschelte zärtlich die Strahlpistole. »Wie bekannt, wirkt eine solche Waffe bis auf eine Entfernung von zwanzig Metern tödlich. Auf fünfzig Meter können Sie einen Menschen lähmen, und damit ist es aus. Liegt der Feind hundert Meter entfernt, schmeißen Sie das Ding ruhig weg und und nehmen eine traditionelle Automatik oder eine Maschinenpistole. Das war bis gestern so. Aber ab heute ist das anders. Ich habe die Speicherbatterie entfernt und durch eine winzige Dunkelkammer ersetzt, in die ich je nach Belieben viel oder wenig Licht einfallen lassen kann. In dieser Kammer steht ein Klumpen Sternenelement. Nur wenige Gramm schwer, nach irdischen Verhältnissen gerechnet. Sie können sich nicht vorstellen, was nun mit dem Pistölchen los ist. Ich habe es eben ausprobiert.« Hunterson beugte sich vor. »Was denn, Brenner? Nun spannen Sie uns doch nicht auf die Folter!« Aber der Physiker kostete seinen Triumph voll aus. »Wünschen Sie eine Vorführung?« erbot er sich. »Mit Worten läßt es sich schlecht schildern. Außerdem besteht meine Besoldung ja in der Hauptsache aus dem Anblick dummer Gesich-
ter, die mir eine unbändige Freude bereiten. Und Sie werden reichlich dumme Gesichter machen. Auch Sie, Hunterson, obwohl die Veränderung zum Normalzustand nur durch feine Nuancen bemerkbar wird.« Zehn Minuten später standen sie draußen vor dem Felsengebirge in der Ebene. Sie hatten die leichteren Raumanzüge angelegt und sich gut zwei oder drei Kilometer vom Eingang zum Hauptquartier entfernt. Die Funksprechgeräte besaßen nur geringe Leistungsfähigkeit, aber sie genügten, um sich zu verständigen. Brenner hielt immer noch die Pistole in der Hand. Er sah sich suchend um. Etwa vier Kilometer entfernt fiel ein länglicher Felsen auf, der wie ein kleiner Turm in der sonst glatten Ebene stand. Sein Fuß lag bereits unter der Krümmungslinie des Horizontes. Er mochte zwei Meter breit und zehn Meter hoch sein. Brenner deutete auf ihn. »Sie sehen dort den Felsen?« vergewisserte er sich im Ton eines Reiseführers. »Es handelt sich nicht um den schiefen Turm von Pisa, obwohl er einige seiner bestechenden Eigenschaften besitzt, sondern bloß um das Zielobjekt meiner neuen Waffe. Achten Sie auf die Spitze.« Hunterson knurrte ungläubig: »Sie wollen doch damit nicht sagen, daß der Energiestrahl über vier Kilometer hinweg wirksam bleibt?« »Und ob er das bleibt. Der Energienachschub ist ja unbegrenzt, die Reichweite somit fast ebenso unbegrenzt. Theoretisch kann ich von hier aus einen tödlichen Strahl bis zur Erde senden. Darum sind die Gauner ja so scharf auf diesen Asteroiden. Was könnten sie damit für einen Unsinn anstellen. Sie würden das Sonnensystem beherrschen.« Er ließ sich nun nicht mehr länger aufhalten, sondern richtete
den spiraligen Lauf der Pistole gegen das weit entfernte Ziel. Dann verließ ein violettgefärbter Strahl den Lauf und verlor sich blitzschnell in der Unendlichkeit. Brenner richtete die Waffe ein – und dann grellte vorn an dem Felsen ein unerträgliches Licht auf. Geblendet schlossen sie die Augen, und als sie sie wieder öffneten, war der Felsen zur Hälfte verschwunden. Er hatte sich ebenfalls in Energie aufgelöst. Brenner ließ den Feuerknopf los. »Haben Sie das gesehen, Hunterson. Was sagen Sie dazu?« »Unglaublich«, stöhnte der Prospektor. »Das ist einfach unglaublich! Restlose atomare Auflösung?« »Das ist es!« nickte Brenner. »Der Strahlenfinger löst jegliche Materie auf. Ich kann also damit auf jede Entfernung hin jede beliebige Materie – auch einen Menschen – zum Mittelpunkt einer Atomexplosion werden lassen. Damit gehören die ABomben zum Schrott. Doch verzeihen Sie mir die Demonstration des neuen Elementes als Waffe. Sie werden sich denken können, welche anderen Verwendungsmöglichkeiten es nun noch gibt, Raumschiffantriebe, Energiewerke, Besiedlung aller Planeten, Kolonisierung der nächsten Sterne beziehungsweise ihrer Planeten und vieles andere…« Sie hatten gewendet und gingen zum Gebirge zurück, als etwas Unvorhergesehenes geschah. Die Reichweite ihrer Sprechgeräte betrug nur knapp einen Kilometer daher war ihre Unterhaltung nicht abzuhören Niemand konnte also von der Ursache der Explosion etwas wissen. Und ganz besonders nicht jene Leute, die sich anmaßten, die Regierung des Sonnensystems zu stürzen. Sie hatten nur die vier einsamen Menschen entdeckt, ohne zu wissen, um wen es sich handelte. Blitzschnell senkte sich der Zerstörer 04 auf die Oberfläche des Asteroiden herab und landete genau zwischen dem Gebirge und den Zurückkehrenden.
Die Überraschten hatten das Schiff nicht kommen sehen. Brenners Hand fuhr sofort zum Gürtel, aber ehe er die neu erprobte Waffe herausziehen konnte, kam John ihm zuvor. »Nicht!« flüsterte er heiser. »Nur kein Wort davon!« Die Pistole verschwand in der Tasche und gelangte durch die Sonderschleusentasche in das Innere des Druckanzuges. Vorsichtig ließ John sie dann in den Stiefelschaft gleiten. Dort würde sie hoffentlich niemand vermuten. Hunterson stand wie erstarrt. »Was haben Sie vor, Brack? Wir könnten die Kerle ausradieren, wenn wir wollen, und Sie…« »Kein Wort, Hunterson! Was würde uns das nützen? Wir müssen ihre Hintermänner kennenlernen und dabei etwas riskieren. Wenn es uns an den Kragen geht, werden wir schon früh genug mit dem Aufräumen beginnen. Und nun Ruhe. Mal sehen, was sie von uns wollen. Ich kenne ja die Brüder bereits.« Die Schleuse des Zerstörers öffnete sich. Eine Gestalt erschien. Sie winkte den beiden Männern und Jet zu. Schwach klang seine Stimme in den kleinen Lautsprechern der Helme. »Kommt ruhig näher, wir tun euch nichts. Eine Unterhaltung schadet niemals, wenn verschiedene Standpunkte aufeinanderprallen. Ich garantiere freies Geleit, wenn wir nicht einig werden.« »Das glaubt der Teufel!« brummte Brenner, der den Verlust seiner neuen Waffe nicht so schnell verwinden konnte. John sagte so laut, daß der Mann auf dem Zerstörer ihn hören konnte: »Wir sprechen gern mit Ihnen. Aber wer garantiert uns, daß Sie Wort halten?« »Ich bin Offizier!« kam es voller Stolz zurück. »Mein Wort gilt.«
»Also gut«, nickte John befriedigt. »Wir werden es riskieren.« Mehrere Gestalten erschienen in der offenen Schleuse, sprangen ab und erreichten leicht schwebend den Boden. Sie näherten sich den scheinbar Hilflosen und verbargen ihre grinsenden Gesichter keineswegs. »Dumme Sache, wenn man so sorglos in der Gegend herumläuft, nicht wahr?« sagte der Sprecher von vorhin wieder. »Hunterson wird sich freuen.« »Ich glaube nicht«, bezweifelte Hunterson diesen Verdacht und wußte nicht recht, wie er sich verhalten sollte. Man würde ihn sowieso erkennen, wenn er den Helm abnahm. »Ich glaube sicher nicht.« Die vier Männer erreichten sie und gaben jedem einen Stoß in den Rücken, der sie gleich die Hälfte der Strecke bis zum Zerstörer zurücklegen ließ. John bezähmte seine Wut und beschloß, den ungehörigen Burschen einen anständigen Denkzettel zu geben, wenn die Zeit dazu gekommen war. In der Schleuse öffneten sie die Helme. Der Offizier, es war ein Captain, stieß einen leisen Pfiff aus, als er in Jet ein Mädchen erkannte. »Donnerwetter – die hat uns gerade noch gefehlt!« stellte er freudig erregt fest. »Da werden unsere Jungs aber einen Spaß haben.« John registrierte auch das und fügte seiner Rechnung ein weiteres Detail zu. Und ob die ›Jungs‹ sich freuen würden! »Ich bin Captain Harras«. stellte sich der Offizier nun vor. »Kommandant der 04, wenn Sie nichts dagegen haben. Wir sahen eine kleine Atomexplosion auf diesem Asteroiden und dachten, es wäre gut mal nachzuschauen…« Er stockte plötzlich und betrachtete Hunterson eingehender. Dann aber ging ein Leuchten über sein Gesicht, und er schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel.
»Nein, so was! Haben wir doch gleich die Hauptfigur erwischt! Hunterson, wenn ich nicht irre. Wer sind die anderen?« John griff in die einseitige Unterhaltung ein. »Ich bin John Brack, und diese Dame hier ist meine Frau. Brenner dort ist ein unbedeutender Physiker der HuntersonGesellschaft.« Brenner schoß ihm einen wütenden Blick zu, dann aber erkannte er die Taktik in Johns gleichgültigen Worten. Natürlich, das sah er ein. Niemand durfte wissen, welch ein Genie er war. »Dann sind Sie der Kerl, den wir schon einmal aufgriffen?« vergewisserte sich Harras. »Sie entkamen uns. Nebenbei: Wie geht es meinen beiden Leuten, die Sie reinlegen konnten? Ich werde sie disziplinarisch bestrafen.« »Dann können Sie beruhigt sein. Den Anfang ihrer Strafe sitzen sie bereits ab«, teilte John ihm mit. »Ich schicke Ihnen die beiden zurück, sobald wir frei sind. Vielleicht erzählen Sie uns nun mal, was eigentlich in diesem Teil unseres hübschen Sonnensystems vor sich geht.« »Ich interessiere mich lediglich für Hunterson«, gab Harras zu. »Er allein besitzt die Schürfrechte an diesem Asteroiden. Und somit kann nur er sie mir überlassen, nicht Sie. He, Derringer, sperren Sie die Gefangenen ein. Die Frau extra.« John hatte nichts gegen ein vorübergehendes Einsperren, aber auf keinen Fall wollte er zulassen, daß man sie trennte. Er trat dem herbeieilenden Derringer hart vor das Schienbein, daß der Mann in die Knie ging und stöhnte. Zwei andere Matrosen zogen sofort ihre Waffen und richteten sie auf John. Aber Harras winkte ab. »Der Dummkopf ist selbst schuld. Soll nächstens besser aufpassen. John Brack ist gefährlich. Untersucht alle nach Waffen und sperrt sie ein. Brack, was haben Sie dagegen, wenn Ihre Frau abgesondert wird? Wir sind ein moralisch einwandfreies
Schiff der Raumflotte.« »Eben deswegen! Ich will keinerlei Grund zu einer Veränderung geben. Jet bleibt bei mir, oder ich weigere mich, mich gefangen zu geben.« Captain Harras erlaubte sich einen mitleidigen Seitenblick, dann grunzte er: »He, Derringer! Reißen Sie sich zusammen. Bringen Sie also die drei Gefangenen in den Karzer. Und bleiben Sie davor stehen, bis Sie neue Befehle erhalten! Kapiert?« John nickte Hunterson heimlich zu, was besagen sollte: Versuchen Sie, soviel als möglich über diese Burschen zu erfahren. Widerstandslos ließen sie sich abführen. Man durchsuchte sie recht nachlässig und schob sie dann in den engen Raum, der weder Fenster noch Luken besaß. Die Luft war erträglich. Brenner hockte sich in die Ecke und stierte lustlos auf den glatten Metallboden. »Das verstehe ich nicht«, knurrte er wütend. »Dabei hätten wir die Möglichkeit gehabt, den ganzen Laden…« »Halten Sie den Mund!« fuhr John ihn scharf an. »Sprechen Sie kein Wort über Dinge, die niemanden etwas angehen! Ich bin überzeugt, man hört alles, was hier vorgeht.« »Mikrophone?« beugte sich Brenner vor. »Das glaube ich nicht. Wozu? Hier werden sonst die Bestraften eingesperrt, und niemanden interessiert es, worüber die sich unterhalten.« »Möglich, aber ich möchte kein Risiko eingehen. Seien Sie also mal ausnahmsweise vernünftig.« Der Physiker schluckte das ›ausnahmsweise‹ und versank in tiefes Nachdenken. Jet schmiegte sich an John und flüsterte: »Ich habe mir die Flitterwochen anders vorgestellt.« John grinste. »Ich auch – aber es ist nicht zu ändern. Keine Sorge, Kindchen, das abschließende Feuerwerk und die Siegerehrung wer-
den dich vollauf entschädigen. So, und nun Ruhe. Warten wir ab, was sie mit uns vorhaben.« Hunterson wurde inzwischen in die Messe geführt und höflich aufgefordert, Platz zu nehmen. Captain Harras ließ sich ihm gegenüber nieder. Sehr offensichtlich ragte aus seiner Tasche der Griff einer herkömmlichen Automatik. Er sah Hunterson an. »Was sollte die Explosion bedeuten, die wir sahen? Haben Sie die Absicht, den Asteroiden zu sprengen?« »Wäre nicht übel«, bedankte sich Hunterson für die Anregung. »Dann wäre ich alle Sorgen los – und Sie auch.« »Reden Sie keinen Unsinn! Sie wissen genausogut wie ich, daß der Besitz des neuartigen Rohstoffes Reichtum und Macht verleiht. Wie mir bekannt wurde, eröffnet er ungeahnte Perspektiven. Oder sollten Sie das noch nicht festgestellt haben?« »Vielleicht«, wich Hunterson aus. »Doch erklären Sie mir erst, was Sie von mir wollen.« »Ihnen den Asteroiden abkaufen.« Das verschlug dem alten Prospektor den Atem. »Abkaufen?« schnaufte er. »Natürlich! Oder dachten Sie, wir wären Räuber?« »Ja, das dachte ich«, gab Hunterson unverblümt zu. »Sind Sie es denn nicht? Sie haben dieses Schiff gestohlen und…« »Wir haben es nicht gestohlen, denn es gehört immer noch der Flotte. Nur sind wir der Ansicht, daß eine Umstellung des Oberkommandos recht nützlich wäre in Hinsicht auf die weitere politische Entwicklung des Imperiums. Meinen Sie nicht auch?« »Drücken Sie sich etwas deutlicher aus«, bat Hunterson interessiert. Harras seufzte. »Also gut, vielleicht werden Sie dann vernünftiger. Die Lage
ist doch so, daß der Menschheit alle Türen offen stehen und wir, zögerte die Regierung nicht so unverständlich lange, die Planeten der nächsten Fixsterne längst kolonisiert hätten. Statt die Antriebe der Sternenschiffe zu vervollkommnen, bewässert man die Wüsten des Mars und gibt Milliarden dafür aus. Wozu haben wir überhaupt eine derart kostspielige Raumflotte? Wozu, frage ich Sie? Gegen wen sollte sie überhaupt kämpfen, wenn nicht gegen die Menschen selbst? Na also, sie ist lediglich ein Polizeiinstrument der Regierung.« »Ich glaubte bisher, sie sei eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, daß wir mit außerirdischen Intelligenzen zusammenstoßen, deren Auffassung von Friede und Krieg anders ist als die unsere.« »Unsinn! Wir sind das einzig Lebendige im All!« Harras sagte es mit solcher Sicherheit, daß man fast annehmen konnte, er wüßte es tatsächlich. Hunterson gab keine Antwort. Und so sprach der Captain schließlich weiter. »Ein Teil der Flotte hat sich also entschlossen, das nutzlose Drohnendasein militärischer Überflüssigkeit aufzugeben, um sich voll und ganz der Forschung widmen zu können.« »Mit anderen Worten«, nickte Hunterson verstehend, »man hat gemeutert und will mit Hilfe der modernen Schiffe der Raumflotte die Fixsterne erobern. Stimmt’s?« »Bißchen kraß ausgedrückt, aber nicht unrichtig. Unser Ziel sind die Sterne. Dazu benötigen wir aber neue Treibstoffe und Antriebe. Wir haben keine Zeit, monatelang durch den Raum zu streifen. Das Problem der Überlichtgeschwindigkeit ist gelöst. Was uns fehlt, ist ein richtiger und ergiebiger Treibstoff, und wir hoffen, diesen nun endlich gefunden zu haben. Dieser Asteroid besteht aus einem neuen, strahlenden Element. Es zu bändigen und unserem Willen zu fügen – nun, es wird gelingen.«
Hunterson atmete beruhigt auf. Anscheinend besaß die Raumflotte nicht so gute Techniker wie er, oder sie hatten noch nicht genügend Zeit gefunden, sich genaueren Untersuchungen zu widmen. »Wer steckt hinter dieser Revolution?« Captain Harras versuchte ein mitleidiges Lächeln. »Nehmen Sie es mir nicht übel, Hunterson, aber für so naiv sollten Sie mich wirklich nicht halten. Vorerst stehen Sie noch auf der Gegenseite. Sollten Sie sich entschließen, bei uns mitzumachen, erfahren Sie früh genug alles Notwendige.« Hunterson beugte sich vor. »Tut mir leid, Captain. Mein Entschluß steht fest. Dieser Asteroid gehört mir, und er wird mir auch weiterhin gehören. Ich werde das vorhandene Element ausbeuten und allen Menschen zur Verfügung stellen, aber auf keinen Fall einer Clique geltungsbedürftiger Gauner. War das klar genug ausgedrückt?« Der plötzliche Sinnesumschwung ließ Harras’ Jährzorn erwachen, und zwar ziemlich plötzlich. Er riß die Waffe aus der Tasche und legte auf Hunterson an. »Sie Dummkopf!« brüllte er wütend. »Sie unsagbar großer Dummkopf! Wissen Sie überhaupt, welche Chance Sie jetzt ausgeschlagen haben? Uns wird die ganze Welt gehören, nicht nur dieser lächerliche Asteroid, den Sie für so wichtig halten. Ich bringe Sie um!« Er wurde jedoch von Hunterson daran gehindert. Der erfahrene Prospektor schätzte die Entfernung gut ab, ehe er mit dem rechten Fuß eine blitzschnelle Bewegung ausführte. Die Stiefelspitze traf das Handgelenk Harras’ mit bewundernswerter Präzision. Die Pistole segelte, sich dabei überschlagend, gegen die Decke der Messe und fiel zum Boden zurück. Dort lag sie und schien die beiden Männer tückisch anzublinzeln.
Harras stieß einen Schmerzensschrei aus, während Hunterson aus dem Sessel schnellte und sich nach der Waffe bückte. Ehe er sie fassen konnte, war Harras über ihm. Es entspann sich ein wüstes Handgemenge, in dessen Verlauf die Pistole mehrmals den Besitzer wechselte. Doch endlich siegte die Erfahrenheit Huntersons. Er sprang zurück und richtete die Waffe auf Harras, der sich langsam erhob. »Was nun?« keuchte er. »Sie haben zwar mich, aber noch längst nicht das Schiff. Sie werden es kaum lebend verlassen können.« »Wenn Sie tot sind, dürfte Ihnen das wohl ziemlich gleichgültig sein«, prophezeite Hunterson gemütlich und setzte sich. »Vorerst unterhalten wir uns weiter – bloß stehen Sie nun am falschen Ende des Pistolenlaufes. Denken Sie daran. Bleiben Sie dort.« Der Captain zitterte vor Wut, aber er gehorchte. »Kein Wort sage ich«, kündigte er an. »Voreilige Versprechungen sind immer dumm«, klärte Hunterson ihn auf. »Also los: Wer steckt hinter der ganzen Sache?« Harras schwieg. Hunterson zielte sorgfältig und setzte dem verblüfften Captain einen Schuß genau vor die Füße. Der Boden ließ das Geschoß als Querschläger abprallen und sich in der Uniform verfangen. Dabei wurde die Haut leicht angeritzt. »Von mathematischer Berechnung verstehe ich allerhand«, gab Hunterson bereitwilligst Auskunft. »Aufschlagwinkel und Flugbahn – einfache Sache. Zweite Probe gefällig?« Harras verzichtete. Er drückte eine Hand gegen den verletzten Schenkel und knurrte böse: »Das werden Sie bereuen. Was wollen Sie wissen?« Schon wollte der Prospektor den Mund öffnen, als ein Ereig-
nis eintrat, das ihn vorerst daran hinderte. Die Tür öffnete sich nämlich, und ein Mann steckte den Kopf herein. »Wurde hier geschossen?« erkundigte er sich höflich. »Ja«, sagte Hunterson und drückte ab. Die Kugel zischte am Kopf des Mannes vorbei und knallte draußen gegen die Verschalung. Der Querschläger surrte den Korridor hinab und klatschte kraftlos irgendwo gegen eine Wand. Der Kopf verschwand und die Tür schloß sich. Hunterson wußte, daß ihm nicht mehr viel Zeit blieb. »Also los, Harras! Wer steckt dahinter?« »Ich weiß es nicht, denn ich bin erst seit einigen Tagen dabei. Man kaperte meinen Zerstörer und überredete mich. Da ich von der Gerechtigkeit des Unternehmens ›Freiheit für Merkur‹ überzeugt bin, war das nicht sonderlich schwer.« Hunterson blinzelte. »Freiheit für den Merkur? Soweit ich unterrichtet bin, befinden sich auf Merkur die Strafkolonie. Die sollen befreit werden?« »Die besten Kräfte einer gesunden Opposition sitzen immer in den Gefängnissen der jeweiligen Regierung«, behauptete Harras mit Überzeugung. »Auf dem Merkur befindet sich die Zukunft einer tapferen, besseren Menschheit.« »Das bezweifle ich, denn schließlich halten sich dort nicht nur politische Sträflinge auf. Verbrecher aller Art fristen auf Merkur ihr Dasein.« »Man wird sie zu unterscheiden wissen«, winkte Harras ab. »Alte Fehler werden niemals wiederholt.« »Im Gegenteil: Die Menschheit macht seit Jahrhunderten immer wieder die gleichen Fehler! Ihnen wird es genauso ergehen. Wenn unsere Gesamtregierung versagt hat, so wird sie früher oder später von allein abdanken müssen. Die Zeiten der politischen Gewalt sind vorbei. Aber Gewalt kann nur mit Ge-
walt begegnet werden – leider. Und so lassen Sie sich eins sagen: Ihre Organisation wird mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden, wenn sie keine Vernunft annimmt. So, und nun geben Sie den Befehl, meine Freunde aus dem Kerker zu holen. Rufen Sie einen Mann herbei.« Harras sah zum Tisch hinüber, auf dem das Sprechgerät stand. Er nickte. Langsam ging er hin und drückte auf einen Knopf. Eine Stimme meldete sich. »Captain?« Harras sah noch einmal zu Hunterson und bemerkte mit einigem Unbehagen die auf ihn gerichtete Waffe. Dann sagte er schnell in das Rillenmikrophon: »Schicken Sie sofort fünf bewaffnete Männer zur Messe. Aber Vorsicht! Hunterson ist bewaffnet. Fangt ihn lebendig oder tot…« Hunterson schoß. Captain Harras wollte noch etwas sagen, aber die Stimme versagte ihm den Dienst. Mit halboffenem Mund kippte er seitlich über den Tisch, blieb eine Weile so liegen. Dann knickten seine Beine endgültig ein, und er polterte bewußtlos zu Boden. Für längere Zeit würde er außer Gefecht sein, schätzte Hunterson. Es ging nicht anders, denn nun würde er alle Hände voll zu tun haben, sein eigenes Leben zu retten. Er schraubte den Tisch los und kippte ihn um. Als er hinter der Stahlplatte lag, fühlte er sich verhältnismäßig sicher. In derselben Sekunde wurde aber auch bereits die Tür um einen Spalt geöffnet. Ein dunkler, bläulicher Lauf schob sich in die Messe und versuchte, ein Ziel zu finden. Hunterson beschloß, seine Zielfertigkeit unter Beweis zu stellen.
Sein Projektil drang genau in diesen drohenden Lauf ein und schmetterte den Kolben der Waffe gegen ihren Besitzer. Ein Schmerzensschrei bewies die Wucht des Stoßes. Hunterson feuerte noch einige Male auf dahinhuschende Schatten, dann sprang er mit einem Satz hinaus auf den Gang. Noch ehe er landete, feuerte er auf einen Matrosen, der eben um eine Gangbiegung verschwand. Ob er ihn getroffen hatte, ließ sich nicht mehr feststellen, denn er hatte anderes zu tun, als sich von dem Erfolg seiner Schießkunst zu überzeugen. Kugeln pfiffen ihm um den Kopf, und dann zischte der erste Strahl einer Energiewaffe dicht an seiner Brust vorbei. Er raste in Richtung der Luftschleuse davon. Um John Brack machte er sich keine Sorgen. Der würde schon heil herauskommen mit der neuen Waffe. Hauptsache war, er kam frei, um die Station zu warnen. Wenn man sie fand und angriff… Er hatte Glück. Lediglich eine Doppelwache vor dem Eingang zur Schleuse störte ihn. Aber die beiden Männer waren derart verblüfft, als Hunterson den Gang entlang gerast kam, daß sie zu lange zögerten. Sie ließen sich entwaffnen, denn es ist nicht jedermanns Sache, in die schwarze Mündung einer Pistole zu gucken. Selbst Berufssoldaten können da schwach werden. Als er die Männer dann wegschickte, gab er ihnen seine Waffe. »Sie ist sowieso leergeschossen«, teilte er ihnen freundlich mit. »Ladet sie bei Gelegenheit nach.« Die beiden Männer standen reglos, bis sich die Schleuse geschlossen hatte. Nun konnte niemand vom Schiff aus den weiteren Verlauf beeinflussen, denn eine Sicherheitsvorkehrung sorgte dafür, daß Luftzufuhr und Öffnen der Außenluke nur von der Druckkammer her möglich waren. Hunterson schraubte in aller Ruhe den leichten Plastikhelm
auf, den er am Haken vorfand, schloß die Luftzufuhr an und setzte dann die Schleusenpumpe in Betrieb. Eine Minute später sprang er mit einem mächtigen Satz hinaus ins Freie, sich dabei kräftig abstoßend. Das allein genügte, ihn fast in Sicherheit zu bringen, denn so schnell vermochte man ihm nicht zu folgen, wollte man die Sicherheit des Schiffes nicht gefährden. Hunterson tat ein übriges. Er nahm die erbeutete Maschinenpistole, richtete den Lauf schräg gegen die näher kommende Oberfläche des Asteroiden und jagte einen Feuerstoß aus dem Lauf. Der Rückstoß trieb ihn davon wie eine Rakete, und er hatte Mühe, noch vor dem steilen Gebirge zu landen, zu dessen Fuß die geheime Station im Berg lag. Er benötigte fast eine halbe Stunde dazu, den Eingang zu finden und das Fehlen der beiden Männer und der Frau zu erklären. Man hörte ihm erregt zu, äußerte Vermutungen und Meinungen und kam zu verschiedenen Ergebnissen. Schließlich sagte Hunterson: »Natürlich werden wir uns um Brack kümmern müssen. Vielleicht scheut er sich, das neue Kampfmittel einzusetzen. Na, wie ich Brenner kenne, wird der schon dafür sorgen…« Er verstummte, denn einer der Funker stürzte in die Halle. »Boß – draußen landet ein Schiff der Raumflotte. Der Kommandant befiehlt, daß wir den Eingang freigeben. Er will uns das Schiff schenken.« »Hä?« machte Hunterson und bekam keine Luft mehr. »Er will – was?« »Er will uns das Schiff schenken, sagt er. Da stimmt doch was nicht. Sicher eine Falle!« »Und ob!« knurrte Hunterson wütend. »Schalten Sie den Bildbeobachter ein. Ich muß wissen, welches Schiff es ist.«
»Schon geschehen. Es handelt sich um den Zerstörer 04 mit dem Kommandanten Brack.« »Hä?« machte Hunterson ein zweites Mal, ehe er begriff. Er stieß einen ellenlangen Fluch aus und schlug sich vor die Stirn. Seine Leute betrachteten ihn mitleidig, als zweifelten sie an seinem Verstand. »Hätte ich mir das nicht sofort denken können?« jammerte er verzweifelt. »Da zerbreche ich mir den Kopf, wer auf die blödsinnige Idee kommt, mir einen Zerstörer zu schenken, und auf den naheliegendsten Gedanken komme ich nicht. Hat doch dieser Bursche inzwischen die ganze Mannschaft des Zerstörers überwältigt! Kein Wunder, daß er mir bisher stets zuvorkam, wenn es sich um einen anständigen Asteroidenclaim handelte. Na, das ist nicht zu fassen.« Er sah erst jetzt das erstaunte Gesicht des Funkers. »Sie Kamel!« brüllte er den Bestürzten an. »Konnten Sie auch wissen! Los, funken Sie zurück. Die Station steht Brack zur Verfügung. Und er soll nicht vergessen, Jet mitzubringen. Und den verdammten Captain Harras.« Stolz schritt er von dannen, als habe er den Zerstörer erobert und nicht John Brack… * »Es war alles sehr einfach«, erklärte John später, als sie in dem gemütlichen Felsenzimmer saßen, das Hunterson sein eigen nannte. »Wir hörten natürlich die Schüsse draußen im Schiffskorridor und dachten uns unseren Teil. Da niemand kam, uns zu befreien, taten wir das schließlich selbst.« »Und wie?« fragte Hunterson gespannt. »Wir zerschmolzen die Stahltür und wären fast vor Hitze dabei erstickt. Zum Glück kamen wir früh genug dahinter, daß
die Zerstörung des Schlosses genügte. Der Wächter Derringer geriet zufällig in die verkehrte Richtung und damit in den Strahl.« »Tot?« entfuhr es Hunterson unwillkürlich. John betrachtete ihn bedauernd und nickte. »Wir stießen kaum auf Widerstand, nachdem wir so die Wirkung der neuen Waffe demonstriert hatten. Zumeist wußten die Leute selbst nicht, auf welcher Seite sie standen und entschieden sich für die der regulären Raumflotte. Harras und noch zwei Eingeweihte wurden eingesperrt. Ja, und so wurde ich Kommandant des Zerstörers 04. Colonel Bixby wird platzen, wenn er von meiner Beförderung erfährt.« Hunterson grinste. »Und ob der platzen wird! Wie geht es Harras?« »Eine Operation wird notwendig sein. Aber in einigen Tagen ist er vernehmungsfähig. Ich will doch wissen, wer hinter dem Komplott steckt. Was sagt die Regierung inzwischen zu Ihren Ansprüchen?« »Die Antwort ist positiv. Ich darf das gefundene Element auswerten, soweit es die finanzielle Seite betrifft. Der Stoff wird von Regierung und Raumflotte angekauft. Brack, finden Sie sich damit ab, daß Sie Millionär geworden sind. Wie gefällt Ihnen das?« John warf Jet einen Blick zu. Die junge Frau lächelte. »Er wird sich schon damit abfinden«, tröstete sie den verdutzten Hunterson. »Er hat sich ja auch mit mir abgefunden.« John schüttelte den Kopf. »Sie hat ein Mundwerk, das selbst mit Hilfe der neuen Pistole nicht zum Schweigen gebracht werden kann«, stellte er fest. Ernster setzte er hinzu: »Jet, du wirst inzwischen Hunterson Gesellschaft leisten, während ich mit Brenner zur ›Arrow‹ gehe, um das Schiff nach hier zu holen. Sicher treiben sich
noch einige Revolutionäre in der Gegend herum.« »Wie groß schätzen Sie die Organisation?« fragte Hunterson. »Keine Ahnung, wir können es nur vermuten. Jedenfalls sind Kreise darin verwickelt, von denen wir es nicht vermuten, möglicherweise sogar Kommandostellen der Raumflotte.« Brenner hatte andere Sorgen. »Warum kann Hunterson nicht mit Ihnen gehen, während ich hier auf Jet achtgebe? Sie benötigt einen starken männlichen Schutz.« Hunterson stemmte die Hände in die Hüften. »Sie lächerlicher Giftzwerg!« empörte er sich. »Das könnte Ihnen so passen. Wenn jemand den Schutz von Jet Brack übernimmt, dann bin ich das!« Brenner nickte John mitleidig zu. »Dann sagen Sie ihr Lebewohl, Brack. Sie kennen das Mädchen nicht mehr wieder, wenn wir zurückkehren.« Nun wurde Hunterson ernstlich böse. »Verschwinden Sie, aber dalli! Ich war in meiner Jugend Babysitter und kann mit Kindern umgehen. Aber mit Halbstarken, wie Sie einer sind, kann ich auch umgehen. Gleich krempele ich mir die Ärmel hoch.« »Lieber nicht!« winkte Brenner entsetzt ab. »Niemand will Ihre dünnen Ärmchen sehen. Kommen Sie, Brack. Verschwinden wir, sonst vermöbelt, er uns noch, bevor wir die ›Arrow‹ holen können.« Jet wäre zwar lieber mitgekommen, aber sie wollte John keine Schwierigkeiten bereiten. Sie sah ein, daß die Aufmerksamkeit der Männer vollauf davon in Anspruch genommen wurde, sich selbst zu schützen. Sie nahmen die schweren Raumanzüge und verließen die Felsenburg durch die Druckkammern. Draußen stand reglos der silbern schimmernde Zerstörer. Einer der Leute Hunter-
sons hatte das Kommando übernommen, aber Bixby war von dem unerwarteten Ereignis noch nicht in Kenntnis gesetzt worden. Das hatte Zeit. Sie stiegen auf und nahmen diesmal die andere Richtung, weil es näher war. Nur fünfzig Kilometer trennten sie von der Schlucht, in der die ›Arrow‹ stand und wartete. Dicht glitten sie über die Oberfläche dahin, ohne das Sprechgerät zu benutzen. Brenner hatte auf Mitnahme der geänderten Strahlpistole bestanden, obwohl John das nicht für notwendig hielt. Ohne jeden Zwischenfall erreichten sie das Schiff. Es stand unverändert und reglos. Der Feind hatte es nicht gefunden. Oder doch? John stutzte plötzlich und machte Brenner ein Zeichen, ihm zu folgen. Sanft fielen die beiden Männer in die Tiefe und landeten hinter einem Felsbrocken, der ihnen Deckung zum Schiff hin bot. John zeigte auf die schimmernde Hülle, und da sah Brenner es auch. Die Außenluke war nicht geschlossen, sondern nur angelehnt. Jemand mußte im Innern des Schiffes sein. Sie schalteten die Funkgeräte ein. »Leise sprechen, das verkürzt die Sendestrecke«, empfahl John. »Sie haben die ›Arrow‹ also gefunden. Möchte bloß wissen, wer. Denn von einem gelandeten Schiff kann ich keine Spur entdecken.« »Es gibt noch mehr schwere Raumanzüge«, erinnerte ihn Brenner an das Nächstliegende. »Wer weiß, wo die Brüder sich verborgen halten. Und was machen wir nun?« »Abwarten – oder reingehen und die ungebetenen Gäste
überraschen. Was ist vorteilhafter?« »Beides. Wir warten eine halbe Stunde. Rührt sich dann nichts, überraschen wir sie.« Die halbe Stunde verging wie im Fluge, obwohl sie doch untätig hinter ihrem Felsen hockten und abwarteten. Dann nickten sie sich zu und erhoben sich. In einem gewaltigen, gestreckten Satz schwebten sie auf die Luke zu und landeten geräuschlos auf der breiten Schwelle zur Schleuse. Sie traten ein und schlossen die Luke. Natürlich war nun jeder im Schiff gewarnt, aber das ließ sich nicht ändern. Die Luft strömte ein und sie schraubten die Helme ab. Auch die Anzüge zogen sie aus, denn da das Schwerkraftfeld eingeschaltet war, behinderten sie nur. Vorsichtig öffneten sie dann die Innenluke und traten auf den schmalen Gang, der zur Zentrale führte, wenigstens sonst. Da das Schiff senkrecht stand, war der Gang nun zu einem senkrechten Tunnel geworden. Das Handgeländer bildete eine Leiter, an der sie emporkletterten, hinauf zur Zentrale. Sie warteten einige Minuten vor der offenen Tür. Kein Laut war zu hören. Sollten sie sich getäuscht haben? Dann traten sie ein. Niemand war zu sehen. Eine Weile standen sie da und lauschten, John die schußfertige Pistole in der Hand. Es war ihre einzige Bewaffnung, aber sie würde notfalls genügen. Da – hinter ihnen ein Geräusch. Sie fuhren herum – aber zu spät. Der Lauf einer schweren Maschinenpistole bohrte sich in Johns Rücken, und eine wohlbekannte Stimme sagte: »Brack, lassen Sie Ihre Waffe fallen – oder es knallt unbarmherzig. Ich kann Sie zu gut leiden, um Sie umzubringen.« John zögerte keine Sekunde, dem Befehl Folge zu leisten. Die
Pistole knallte hart auf den Metallboden. Dann erst wagte er es, sich langsam umzudrehen. Seine Ahnung hatte ihn nicht getrogen. »Sie?« hauchte er restlos erschüttert. Colonel Bixby nickte. »Ja, ich. Sehr überrascht?« * Im selben Raum, in dem man zuvor Captain Miller und Leutnant Eastman gefesselt vorgefunden hatte, hockten nun John Brack und Brenner. Letzterer verlor den vorwurfsvollen Ausdruck im Gesicht überhaupt nicht mehr. John versuchte es zum hundertsten Mal. »Sie tun genauso, als hätte ich die Schuld an dem ganzen Dreck. Wer hätte denn auch damit rechnen können, daß sogar der Kommandant der Plutobasis auf der Seite der Aufrührer steht? Bixby ist eine Art Freund von mir. Wir machten schon eine Menge guter Geschäfte. Und nun – nein, ich kann es einfach nicht begreifen.« »Wenn Sie immer so spät begreifen, haben Sie mehr vom Leben«, behauptete Brenner sarkastisch. »Sie werden sterben und es gar nicht merken, daß Sie schon tot sind. Sie werden lustig weiterleben und…« »Reden Sie kein Blech, Sie superkluger Wissenschaftler. Wenn Sie ein Genie wären, hätten Sie schon längst eine Lösung gefunden. Nun sitzen wir in meinem eigenen Schiff als Gefangene und gondeln irgendwo im Weltraum umher. Wenn ich bloß wüßte, was man mit uns vorhat. Bixby macht den Mund nicht auf.« »Er gibt uns keine Marscherleichterung, solange wir ihm nicht verraten, wo Hunterson steckt. Dessen geheimnisvolles
Verschwinden geht Bixby auf die Nerven, obwohl er doch die Felsenburg kennen sollte. Was mag mit dem Zerstörer geschehen sein, der vor der Station stand?« »Wie soll ich das wissen?« »Stimmt, woher sollen Sie das wissen?« gab Brenner ihm recht. Sie schwiegen verbittert, während nur ein leises Vibrieren verriet, daß die ›Arrow‹ mit hoher Geschwindigkeit durch den Raum eilte. Energietabletten versorgten sie mit dem Nötigsten Man hatte sie ihnen mitgegeben und gesagt, sparsamer Verbrauch sei angebracht. Also würde die Reise mehrere Tage dauern. John machte sich Vorwürfe und eine Menge Sorgen wegen Jet. Sicher, bei Hunterson war sie gut aufgehoben, aber wer konnte wissen, was auf P 17 noch alles geschah? Bixby tauchte nur einmal auf, kurz bevor die ›Arrow‹ gestartet war. Er hatte John rätselhaft angesehen und gesagt: »Mein lieber Brack, ich möchte Ihnen den Rat geben, früh genug umzuschalten. Die alte Regierung fällt, ebenso das Kommando der Raumflotte – wenigstens teilweise. Niemand kann diese Umstellung verhindern, die wir lediglich zu beschleunigen suchen. Die Entwicklung der Raumfahrt geht zu langsam voran, viel zu langsam. Das neue Element des Planetoiden 17 gibt uns die Macht in die Hand, das Sonnensystem umzukrempeln und die Sterne zu erobern, in großem Stil. Nicht mehr einzelne Patrouillenschiffe werden fremde Planeten sehen, sondern gewaltige Siedlerflotten sollen den Raum durchqueren und neue Zivilisationen gründen. In tausend Jahren haben wir die galaktische Union – verlassen Sie sich darauf! Und was wollen Sie, Brack? Sie wollen weiterhin ein erbärmlicher Prospektor bleiben, der sich zwischen Planetentrümmern herumtreibt und mit Abfällen zufrieden ist? Überlegen Sie sich
das gut, ich gebe Ihnen die Zeit dazu. In einigen Wochen sprechen wir uns wieder.« »Was ist mit meinem Schiff? Was ist mit Jet?« »Das Schiff kehrt nach Pluto zurück. Um Ihre Frau machen Sie sich keine Sorgen. Sobald wir Hunterson haben, bringe ich sie in Sicherheit. Ich garantiere für sie.« »Ich möchte Ihnen das raten.« Sie erfuhren nichts über ihr Ziel. Die Tage vergingen, bis endlich das Summen erlosch und die Vibration aufhörte. Die ›Arrow‹ war gelandet. Fremde Männer in der Uniform der Raumflotte kamen, öffneten die Zelle und ließen sie auf den Gang treten. Man gab ihnen leichte Raumanzüge. »Also ein Asteroid oder ein Giftgasplanet. Auf keinen Fall die Erde, der Mars oder die Venus.« Als die Außenluke sich dann öffnete, wußten sie es. Merkur! »Freiheit für Merkur!« murmelte John, aber er sprach so leise, daß niemand ihn hören konnte. Bixby hatte sie in die Strafkolonie des irdischen Imperiums geschickt, wo jeder Fluchtgedanke schon bei seinem Entstehen erstickte. Die weiten, niedrigen Kuppelbauten schlossen jede Strafeinheit von der anderen hermetisch ab. Nur das Wachpersonal besaß Raumanzüge und Waffen. Und doch glomm der erste Hoffnungsfunke in John auf, als er die Leiter hinabstieg und zum ersten Male seit vielen Jahren wieder seinen Fuß auf die Oberfläche des zwiespältigen Planeten setzte. Merkur war die Strafkolonie der regulären Regierung. Warum ließ Bixby ihn hierherbringen? Warum…?
* Hunterson saß Jet gegenüber. Er betrachtete versonnen ihre übereinandergeschlagenen Beine und stellte fest, daß dieser Brack nicht nur etwas von Schatzsuche in rein materiellem Sinne verstand. »Ich weiß auch nicht, warum es so lange dauert«, knurrte er ärgerlich, daß seine Betrachtungen durch die harte Gegenwart unterbrochen wurden. »Sie müßten längst zurück sein.« »Dann schicken Sie einige Leute, die nachsehen. Oder lassen Sie mich gehen.« »Kommt nicht in Frage, mein Engel. Brack bringt mich um, wenn Ihnen etwas zustößt. Ich trage die Verantwortung.« Jet überlegte, wo sie in der großen Halle draußen die Raumanzüge gesehen hatte. »Vielleicht ist ihnen etwas zugestoßen?« Jetzt fiel es ihr ein. Kurz vor der Schleuse lag der winzige Umkleideraum. »Ich werde noch eine Stunde warten, dann schicke ich jemanden«, versprach Hunterson. Er gähnte. »Ich bin müde. Sollte ich einnicken, wecken Sie mich.« Er tat so, als wollte er schlafen. In Wirklichkeit wollte er die folgende halbe Stunde nur überbrücken, ohne viel sprechen zu müssen. Jet erhob sich und machte Anstalten, den Raum zu verlassen. Hunterson hielt sie fest. »Wo wollen Sie hin, Jet? Sie dürfen nicht…« »Was ich vorhabe, darf ich auch!« gab sie empört zurück. »Oh – verzeihen Sie, Jet. Daran hatte ich nicht gedacht. Aber lassen Sie mich nicht zu lange allein mit meinen Sorgen.« Sie ging. Nach zehn Minuten wurde er unruhig. Nach einer Viertelstunde sprang er auf und eilte, das künstliche Schwerkraftfeld
in der Station verfluchend, durch den Gang in die Zentralhalle. Einer der Wärter kreuzte seinen Weg. »Haben Sie Mrs. Brack nicht gesehen?« brüllte er den Verdutzten grundlos an. »Ich suche sie.« Der Mann zeigte zur Ausgangsschleuse. »Da ist sie durch, vor zehn Minuten. Aber das müssen Sie doch selbst wissen, denn Sie gaben ihr ja den Befehl dazu. Gern hat sie es nicht getan, das arme Mädchen. Anscheinend hatte sie Angst vor den Leuten im Zerstörer…« Hunterson heulte vor Wut auf. Diese Weiber! Sie waren listiger als alle Schlangen der Welt zusammen. »Zwei Mann zu mir!« schrie er und raste zur Umkleidekabine, um sich in den Raumanzug zu werfen. »Bewaffnung mitnehmen. Das Girl hat aber auch nur Dummheiten im Kopf.« »Solche Girls liebe ich«, meinte der Mann und wunderte sich, als Hunterson ihm vors Schienbein trat, anscheinend eine Spezialität von ihm. »Machen Sie, daß Sie auf Ihren Posten zurückkommen. Wir sprechen uns später.« Sie traten hinaus in das ewige Dämmerlicht der Asteroidennacht. Langsam zogen die Sterne über den Himmel und versanken am Horizont. Eine halbe Stunde später würden sie wieder auftauchen. Alles war wie zuvor. Nichts hatte sich geändert, bis auf eine Kleinigkeit. Der Zerstörer stand nicht mehr an seinem Platz. Er war verschwunden, genauso verschwunden wie Jet Brack. * Die Unterkunft in der Strafkuppel VII war nicht so übel. Man hatte John und Brenner zusammengelassen und sie ei-
nem Trupp zugeteilt, dessen Beschäftigung darin bestand, die Lagerstraßen sauberzuhalten. So spazierten die beiden Männer während der Dienststunden über die schmalen Wege und Straßen, sammelten Papier und sonstige Abfälle, unterhielten sich mit den übrigen Sträflingen und versuchten, allmählich Licht in die verworrene Situation zu bringen. Ein normaler Mensch blickte da nämlich nicht mehr durch. Durch regelmäßig eingesetzte Verstrebungen gehalten, hing das durchsichtige Dach der Kuppel nur wenige Meter über den Köpfen der Sträflinge. Es war nicht die hohe, gewölbte Kuppel der großen Mondstadt, sondern nur ein ganz primitiver Schutz gegen die Atmosphärelosigkeit des Merkur. Nachrichten drangen so gut wie keine in das Innere dieser Glaskästen, und nur die Wachmannschaften hielten lose Verbindung zu den benachbarten Stationen. John hatte bald herausgefunden, daß nicht ein einziger Insasse des Straflagers Gegner der bestehenden Regierung war. Nicht einer von ihnen war sich eines Vergehens gegen die Staatsgewalt bewußt. Aber sie alle hatten mehr oder minder gegen die steigende Macht der Raumflotte protestiert. Damit sickerte erste Klarheit durch. John begann zu ahnen, daß Hunterson auf Asteroid P 17 nicht gegen eine Bande von Aufrührern kämpfte, sondern gegen einen Staat im Staate, gegen die allmächtige Raumflotte. Die Raumflotte hatte sich gegen die Zentralregierung gestellt und wollte sie stürzen. Das gut getarnte Unternehmen verlor seine Maske. Nur war es so, daß der Großteil der Mannschaften in der Raumflotte von dem Komplott ihrer Führer nichts wußte. Das natürlich erschwerte die Angelegenheit – oder sie wurde dadurch erleichtert. Das kam ganz auf den Standpunkt an. Wachposten Brady staunte, als Sträfling Brack sich bei ihm
melden ließ. Er staunte noch mehr, als Brack verlangte, den Kommandanten des Lagers zu sprechen. John kannte den Mann flüchtig, der sich jedoch nicht an ihn erinnern konnte – oder wollte. »Aber Sergeant Murray, Ihr Gedächtnis läßt wirklich nach. Sie haben die Sache mit Mondcity vergessen? Denken Sie doch mal nach! Sie befehligten eine kleinere Einheit, die beauftragt war, den Saboteur zu suchen, der die Lufterneuerungsanlage außer Betrieb setzte. Ich suchte zufällig draußen nach Uran und fand auch welches. Der von Ihnen Gesuchte arbeitete unter meinen Leuten. Ich half Ihnen, den Kerl zu entlarven. Das haben Sie vergessen?« Allmählich begann Murray, sich zu erinnern. »Das ist aber schon lange her, Brack. Doch ich entsinne mich. Ja, um Himmels willen, wie kommen Sie denn in dieses Lager? Wenn ich richtig zurück denke, handelten Sie doch immer fair. Und dieses Lager ist für politische Feinde eingerichtet. Seit wann betätigen Sie sich politisch – und dazu noch auf der verkehrten Seite?« »Das kommt auf den Standpunkt an«, steuerte John geradewegs auf sein Ziel zu. »Ich habe mich gegen jene Leute gestellt, die unsere Regierung stürzen wollen. Mit anderen Worten: Ich bin regierungstreu. Und dafür sperrte man mich ein. Verstehen Sie nun?« Murray schüttelte den Kopf. »Wie sollte ich? Aber sehen Sie, jeder hier behauptet das. Alle sind für die Regierung, und doch sind sie hier. Jeder wurde zu Unrecht eingesperrt. Finden Sie nicht auch, daß das unglaublich klingt?« John erkannte die Gefahr sofort. »Natürlich klingt es unglaublich. Aber es stimmt, was Ihnen diese Leute erzählen. Das ganze Lager hier besteht aus regie-
rungstreuen Menschen. Nun, begreifen Sie allmählich? Sergeant Murray! Sie bewachen Ihre Gesinnungsgenossen im Auftrage der Feinde der Regierung!« Der einfache Sergeant begriff nicht. »Reden Sie doch keinen Unsinn, Brack. Ich entsinne mich einer alten, flüchtigen Bekanntschaft und höre Sie an, aber versuchen Sie doch nicht, mir einen Bären aufzubinden. Ich stehe hier im Auftrage der Raumflotte, und wer wäre regierungstreuer als die Raumflotte?« In dem Gestell nahe der Tür standen die Maschinenpistolen, fein säuberlich aufgereiht und mit gefüllten Magazinen. In der Tasche am Gürtel des Sergeanten hing die Automatik. »Vielleicht war sie es«, versuchte John es noch einmal im Guten. »Die Führungsschicht wünschte mehr Macht und beschloß, die Regierung zu stürzen, um selbst zu regieren. Es wird nicht mehr lange dauern, und es gibt keine Zivilisten mehr in irgendeiner einflußreichen Stellung.« »Ich weiß nicht, was Sie wollen, Brack, und ich verstehe Sie nicht. Die Raumflotte untersteht der Regierung, und damit kann sie nicht gegen sie sein.« John konnte die erste Maschinenpistole mit einem einzigen Satz erreichen, wenn er schnell genug war. Draußen im Vorraum saß ein Unteroffizier. Dann noch je eine Wache vor dem kleinen Gebäude und an der Luftschleuse mit den wenigen Druckanzügen. »Die Raumflotte meutert«, versuchte John, Zeit zu gewinnen. »Bitte, lassen Sie Sträfling Brenner kommen. Er wird Ihnen bestätigen, was ich sagte.« Er gab ihm die Nummer der Baracke. Brenner fragte nicht viel, er begriff die Situation sofort. Ein kurzes Zwinkern Johns genügte. »Brack hat recht«, bestätigt er. »Selbst der Kommandant der
Basis auf Pluto gehört zu den Meuterern. ›Freiheit für Merkur‹ lautet ihre Parole, das sollte doch wohl genügen. Wenn der Tag des Handelns kommt, werden Sie, Sergeant, genauso hinter Stacheldraht bzw. Glaswänden sitzen wie wir.« Aber Murray war zu feige, die Wahrheit erfassen zu wollen. Er blieb stur und unnachgiebig. »Ich werde, unserer Bekanntschaft zum Trotz, den Vorfall weitermelden müssen«, sagte er bedauernd. »Warten wir ab, welche Antwort wir bekommen.« »Das kann ich Ihnen jetzt schon sagen«, versicherte John. »Aber wozu sollte ich? Sie sind zu dumm, um weiter zu sehen, als Ihre nächste Lebensmittelration reicht…« John machte den lange berechneten Satz und ergriff die Maschinenpistole. Noch während er anlegte, schnappte die Sicherung zurück. »Lassen Sie die Hände vom Gürtel. Murray! Es tut mir leid, daß wir Gegner sind, obwohl wir die gleiche Auffassung vertreten. Einmal werden Sie es einsehen. So, und nun lassen Sie sich hübsch artig von Brenner die Automatik abnehmen – ja, so ist es recht. Leider besitzen wir nicht genügend Raumanzüge, die ganze Kolonie zu befreien, aber es ist schon gut, wenn wir davonkommen. In wenigen Tagen weiß die Regierung Bescheid, was auf Merkur vorgeht. Verlassen Sie sich darauf!« »Sie sind verrückt!« behauptete Murray. »Wie wollen Sie hier wegkommen? Bis zur nächsten Station sind es zwanzig Kilometer. Und dort ist es auch nicht anders als hier.« »Dort kann es anders sein!« sagte John mit eigenartiger Betonung. »Und ich rechne damit, daß es noch einige wirkliche Straflager gibt. Wenn ja, haben wir Glück.« Brenner war inzwischen in den Vorraum gegangen. Der Unteroffizier sah kaum auf, denn er glaubte, der Sträfling würde das Haus verlassen, um zur Baracke zurückzukehren. Um so
erstaunter war er dann, als der kräftige Faustschlag ihn genau an der Stirn traf. Ohne einen Laut sackte er am Tisch zusammen. Der Physiker entledigte ihn seiner Waffe und band ihn mit einigen Lederriemen zusammen. Der Arme würde sich kaum noch rühren können. Gemeinsam erledigten sie auf ähnliche Weise den Posten vor dem Haus, eben jenen Brady. Und dann kam der Soldat dran, der die Luftschleuse bewachte. »Hier darf niemand heran«, sagte er, als John seelenruhig auf ihn zuschritt. Er zog die Waffe und richtete sie auf den Prospektor. »Bleiben Sie stehen, oder ich schieße.« »Das würde ich nicht tun«, riet Brenner aus dem Hintergrund und fuchtelte mit der Maschinenpistole. Der Mann wußte nicht recht, was er machen sollte. John half ihm, den Entschluß leichter zu finden. »Der Sergeant und Brady sind in unserer Gewalt. Ebenso der Unteroffizier. Bleiben nur Sie noch. Also, seien Sie schon vernünftig. Es geschieht Ihnen nichts.« Noch zögerte der Unentschlossene. Da ging John einfach weiter auf ihn zu und nahm ihm die Automatik ab. »Na also, warum nicht gleich so? Sie merken doch selbst, daß wir keine Unmenschen oder Verbrecher sind. Wo sind die Raumanzüge und die Lebensmittelvorräte?« Es dauerte keine Stunde, bis sie ausgerüstet waren, einen längeren Marsch zu unternehmen. Die geringe Schwerkraft des Merkur würde ihnen helfen, die 20 km bis zur nächsten Station gut zu überstehen. Die Funkeinrichtung hatten sie zerstört, so daß Sergeant Murray keine Nachricht durchgeben konnte. Völlig unvorbereitet mußte die Wachbesatzung des anderen Lagers den Ereignissen gegenüberstehen. Unter den Raumanzügen trugen Brenner und John die Uniform des Sergeanten und Unteroffiziers. Die beiden Helden
mußten sich damit abfinden, mit einer Unterhose bekleidet in der kleinen Zelle des Spezialgefängnisses zu hocken. Niemand hatte etwas von dem Vorfall bemerkt. Sie verließen die Luftschleuse und schritten kräftig aus. Wenn sie sich abstießen, konnten sie sogar mehrere Meter weit springen. Fern am Horizont schimmerte ein rötlichgoldener Schein. Die Sonne tauchte hier immer nur wenig unter den Horizont infolge einer geringfügigen Libration des Merkur. Das brachte ein wenig Abkühlung. Aber auch die niedrig stehende Sonne des Tages verströmte nicht zuviel Hitze, um das Leben unerträglich zu machen. Es war, als rolle die Sonne gleich einer riesigen Kugel immer um den Horizont herum und versinke manchmal in einer weichen Stelle der Oberfläche. Die Sterne waren sichtbar und gaben doch kein Licht. Hinter ihnen versank das gläserne Lager im Zwielicht ungewisser Dämmerung. Bizarre Felsen schoben sich dazwischen und nahmen die Sicht. Dann war es verschwunden. »Ob wir es schaffen?« fragte Brenner. Die Sprechgeräte waren sehr schwach und sandten ihre Wellen nur wenige hundert Meter weit. Es bestand keine Gefahr, daß jemand lauschen konnte. »Wir müssen es schaffen!« gab John zurück. »Es kommt darauf an, ob das nächste Lager noch eins der alten, normalen ist oder ob in ihm auch bereits die Feinde der Raumflotte sitzen. Wir werden es schnell herausfinden, obwohl die Wachmannschaft in jedem Fall ahnungslos sein wird.« »Und was haben Sie dann vor?« »So genau weiß ich das nicht, aber ich habe eine vage Idee. Vielleicht kann ich sie durchführen.« Für eine Strafkolonie hätte es niemals einen geeigneteren Planeten geben können als Merkur. Zwar hätte ein Flüchtling sich
auch auf der eisigen Nachtseite aufhalten können, die Tagseite jedoch ließ nur kurze Besuche zu. Somit wurden die Fluchtmöglichkeiten auf die Hälfte reduziert. Die Zwielichtzone wäre, besäße sie eine Atmosphäre, eine bewohnbare Welt gewesen. Aber es hätte dann ein Druckunterschied zwischen Tag- und Nachtseite bestanden, der ewige Stürme zur Folge gehabt hätte. Die Felsen warfen ewig lange Schatten, die das rote Tageslicht jäh unterbrachen und scharf begrenzten. Rissige Spalten unterbrachen die sonst fast ebene Fläche und erschwerten das Vorankommen. Aber immer wieder gelang es den beiden Männern, schmale Stellen zu finden, über die ein Sprung ohne großes Risiko gewagt werden konnte. Trotzdem wurden die 20 km zu einer Anstrengung, die ihre letzten Kraftreserven kostete. Endlich standen sie auf einem flach ansteigenden Hügel und erblickten das Lager vor sich. Der Sauerstoffvorrat ging allmählich zur Neige. »Geschafft!« murmelte Brenner. »Wenigstens die Strecke.« »Richtig«, gab John leise zurück. »Nun kommt es ganz darauf an, welche Kategorie wir antreffen.« »Alle sind wohl von den Rebellen noch nicht ›umgewandelt‹ worden«, vermutete der Physiker. »Was haben Sie nun vor?« »Wir sollten nicht so viel reden«, entgegnete John. »Man kann nie wissen, ob man uns nicht doch hört. Also nur das Wichtigste sprechen.« Obwohl Brenner vor Neugierde fast platzte, sah er die Notwendigkeit der Vorsicht ein. Schweigend setzten sie sich also wieder in Bewegung, dem Lager schnell näher kommend. Man hatte sie längst gesehen und öffnete die Schleuse für sie. Fußgänger mochten nicht gerade zu den alltäglichen Erscheinungen hier gehören, besonders keine in der Uniform des
Wachpersonals. Der Lagerkommandant, Sergeant Norden, wartete geduldig, bis die beiden Männer die Raumanzüge abgelegt und sich in die Station begeben hatten. Er empfing sie in der Wachstube mit einem undefinierbaren Lächeln. »Sie wollten sich wohl Bewegung verschaffen, Sergeant?« erkundigte er sich höflich und sah John fragend an. »Warum benutzten Sie keinen Rauper, wenn Sie uns besuchen wollten?« »Keiner vorhanden«, knurrte John müde. Er fühlte sich erschöpft und nicht zu Heldentaten aufgelegt. »Bei uns ist einiges geschehen. Wie ist die Stimmung Ihrer Gefangenen?« Norden sah äußerst erstaunt aus. »Die Stimmung der Gefangenen? Lieber Himmel, wie soll die schon sein? Haben Sie schon mal frohlockende Sträflinge gesehen?« »Gesehen nicht, aber es gibt sie«, eröffnete ihm John. »Eine andere Frage: Wie ist es mit dem Austausch? Erhalten Sie oft Nachschub und geben dafür Leute aus Ihrem Lager ab?« »Laufend«, nickte Norden. »Aber – darf ich fragen, was dieses Verhör bedeuten soll?« »Sie dürfen. Was würden Sie zum Beispiel sagen, Sergeant, wenn ich Ihnen mitteilen würde, daß in jenem Lager, von dem ich jetzt komme, kein einziger richtiger Sträfling mehr sitzt, sondern nur solche Leute, die unserer Regierung treu ergeben sind?« Norden zog eine Augenbraue gefährlich in die Höhe. Man hatte den Eindruck, sie könne jeden Augenblick wieder herabfallen. »Ich würde sagen, daß Sie verrückt sind.« »Und doch ist es so!« sagte John sicher. »Im Verlauf des regelmäßigen Austausches holte man die Gegner der Regierung aus dem Lager und ersetzte sie durch jene Männer, die beim
Kampf gegen die Opposition aufgefallen waren. Die Wachmannschaft bemerkte nichts davon.« »Das begreife ich nicht«, schüttelte Norden den Kopf. »In meinen Lager sitzen nur Gegner der Regierung und einige Kriminelle. Es ist alles in Ordnung. Sie werden sich selbst davon überzeugen können, wenn morgen die Kontrolldelegation der Raumflotte eintrifft. Der können Sie auch gleich von Ihrem Verdacht Mitteilung machen.« »Wer kommt morgen?« stieß John hervor. »Eine Delegation der Flotte?« »Ganz recht. Doch berichten Sie endlich! Warum kommen Sie zu Fuß zu uns? Ist etwas geschehen?« »Haben Sie Funkverbindung zu den anderen Lagern?« »Natürlich. Allerdings scheint die Sonne wieder einmal zu rebellieren, denn einige Sender müssen ausgefallen sein. Wir erhalten einfach keine Verbindung.« John begriff. An einigen Stellen war also auch bereits das Wachpersonal ausgeschaltet worden. Man mußte sich seiner Sache wirklich sehr sicher sein. »Es liegt nicht an der Sonne, sondern an den Sträflingen«, klärte John ihn auf. »Aus der Strafkolonie Merkur wurde unbemerkt ein Stützpunkt jenes Teils der Raumflotte, der sich gegen die Regierung stellt. Jeden Tag kann auch in Ihrem Lager die Revolte ausbrechen. Dann wird die Raumflotte kommen und Ihre Sträflinge einladen und Ihnen dafür andere bringen. Vielleicht werden sogar der Präsident und seine Minister dabeisein.« Sergeant Norden ließ seine Augenbraue über die Stirn wandern. »Sie sind verrückt«, bezweifelte er keine Sekunde. »Sie müssen verrückt sein! Sind Sie überhaupt Sergeant Murray vom Lager 317?«
Ehe John antworten konnte, geschah etwas Außergewöhnliches. Draußen ertönten rauhe Rufe, dann krachten einige Schüsse. Jemand schrie. Brenner schritt zum Eingang und riß die Tür auf. Mindestens dreißig oder vierzig Männer hatten sich zusammengerottet und den Posten im Lager überwältigt. Sie besaßen nun eine Maschinenpistole und schoben sich wie eine Woge gegen das Wachhaus. Sie wußten, daß sein Keller die Kontrollzentrale der Lufterneuerung barg. Solange diese nicht in ihrem Besitz war, lag ihr Leben in der Hand der Wachposten. Norden griff zu seiner Waffe. »Ich würde das nicht tun«, empfahl John ruhig. »Es ist völlig sinnlos. Man würde Sie überrennen und töten. Glauben Sie mir. Ich weiß nun genau, was überall auf Merkur geschehen ist. Immer am Tag, bevor die Delegation der Raumflotte eintraf.« »Was wollen Sie damit sagen?« keuchte Norden und ließ den Sicherungsflügel der Waffe einschnappen. »Glauben Sie, ich lasse mich von diesen Banditen umbringen?« John wußte, daß es ebenso zwecklos war, den Sergeanten zur Vernunft zu bringen, wie die Rebellen auf die Dauer zurückzuschlagen. Nur ein Trick konnte sie alle retten. Ein gewagter Trick, der sie aber auch alle das Leben kosten konnte. Er trat neben Norden und nahm ihm die Maschinenpistole ab, ehe dieser begriff, was geschah. Die Waffe in der Hand, schritt er zur Tür und sah in die erwartungsvollen Gesichter der Männer, die draußen auf dem Vorplatz standen. In nichts unterschieden diese Sträflinge sich von jenen im Lager 317, höchstens stand in ihren Augen nicht die dumpfe Verzweiflung der Betrogenen. Diese Männer hier wußten, daß sie
einen überstarken Bundesgenossen besaßen, der sie befreien würde. Aber wußten sie denn auch, welch schändlichem Plan sie dienten? John mußte einer der ihren werden, um Antwort auf alle seine Fragen zu erhalten. Er hob den linken Arm und rief den Männern laut zu: »Könnt ihr nicht bis morgen warten, Freunde? Wozu die unnötigen Opfer?« Ein kräftiger Bursche schüttelte drohend die Faust. »Was soll das bedeuten – bis morgen warten? Morgen kann es zu spät sein.« »So, meint ihr das? Ihr habt sehr wenig Vertrauen zu den Leuten, die euch die Freiheit bringen wollen.« Der Bursche wurde unsicher. Er sah sich nach seinen Genossen um, als erwarte er von Ihnen Unterstützung. Da schob sich ein anderer vor und stellte sich neben ihn. Er hielt eine Maschinenpistole in den Händen. »Was wissen Sie davon?« rief er John zu. »Der Stichtag war heute, nicht morgen.« John überlegte blitzschnell. »Ihr irrt euch im Datum«, behauptete er daran. »Aber gut, die Ereignisse lassen sich nicht rückgängig machen. Besetzt die Wachstation und sperrt die Posten ein. Aber ihr Leben darf auf keinen Fall gefährdet werden. Ich übernehme ab sofort das Kommando über das Lager.« Der Mann betrachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen. »Wer sind Sie?« wollte er wissen. Sein Mißtrauen war nicht so leicht zu beseitigen. »Ein Freund«, wich John der Antwort aus. »Es sollte euch genügen, daß ich im Auftrag jener Leute handle, die ›Freiheit für Merkur‹ fordern.«
Über das Gesicht des anderen huschte ein Lächeln. »Freiheit für Merkur!« nickte er erfreut. »Das ist die Parole. Also seid ihr auf unserer Seite. Gut, wir erwarten eure Befehle.« Es tat John leid, den braven Sergeanten Norden einsperren zu müssen, aber er konnte diesem ja nicht gut erklären, was für ein gefährliches Spiel er wagte. Eine unbedachte Bemerkung hätte alles zerstören können. Brenner überwachte die Unterbringung der fünf Wachposten und sorgte dafür, daß im Lager alles beim Alten blieb. Das bisherige Leben ging unverändert weiter. Dann, als Ruhe einkehrte, begab er sich zu John in die Wachstube des eingelochten Sergeanten Norden. Vorsichtig stellte er die Maschinenpistole in den Ständer. »Mir zittern die Knie«, gab er zu und ließ sich müde auf den Stuhl fallen. »Wenn die Brüder dahinterkommen, reißen sie uns in Stücke. Wie haben Sie die nur überzeugen können, daß wir auf ihrer Seite sind?« »Ich kannte ihre Erkennungsparole«, entgegnete John, mindestens ebenso erschöpft. »Das Schlimmste steht uns erst morgen bevor, wenn die ›Befreier‹ eintreffen und die neuen Gefangenen bringen. Ich möchte Funkverbindung mit der Erde aufnehmen, aber der Sender ist zu schwach. Ich bekomme damit nur die Sammelstation auf Merkur, die weiter verbindet. Und ich setze meine Unterhose gegen Ihren Kopf, daß dort ebenfalls bereits die ›Umstellung‹ erfolgt ist.« »Behalten Sie ruhig Ihre Unterhose, ich behalte meinen Kopf«, lehnte Brenner den unfairen Tausch ab. »Ich gebe Ihnen recht. Es hat keinen Sinn, etwas zu unternehmen. Manchmal meine ich sogar, wir haben den Kampf bereits verloren.« »Vielleicht bedeutet diese Niederlage sogar den Sieg«, sagte John sinnend. »Wer weiß, ob diese Raumflotte nicht einen ge-
rechten Kampf führt. Warten wir es ab.« »Sind Sie wahnsinnig geworden? Man hat Sie wohl auch schon verseucht? Wollen Sie das Sternenelement kampflos aufgeben?« »Niemand wollte es uns bisher stehlen«, erinnerte ihn John. »Man machte lediglich Kaufgebote. Doch legen wir uns zur Ruhe. Ich glaube, morgen benötigen wir alle Kräfte, den rechten Weg zu finden.« Er wußte nicht, wie recht er damit hatte. * Der Kreuzer der Raumflotte landete unweit des Lagers. Es hatte keinen Funkverkehr gegeben und somit auch keine Anmeldung. Schweigend war das Schiff gekommen und ebenso schweigend war es gelandet. Kurze Zeit darauf näherten sich der Lagerschleuse sechs oder sieben Männer in leichten Druckanzügen. Sie trugen alle Pistolen im Gürtel. John saß abwartend in der Wachstube, während Brenner die Aufgabe übernommen hatte, die Delegation einzulassen. Er hockte hinter seinem Tisch, auf den Knien unsichtbar die Maschinenpistole. Als Colonel Bixby eintrat, verschlug es ihm für Sekunden die Sprache. Bixby starrte John an, als sähe er ein Gespenst. Trotz der Uniform des Sergeanten hatte er ihn sofort erkannt. »Sie?« stieß er ungläubig hervor, während die anderen Männer, Offiziere der Flotte, hinter ihm den Raum betraten. »Was machen Sie denn hier?« Und wieder reagierte John blitzschnell. »Freiheit für Merkur – das ist es doch wohl, was Sie wollen, oder nicht?« fragte er ruhig. »Nun, dann sollten Sie zufrieden
sein. Die hiesige Wachmannschaft ist ausgeschaltet und wurde gefangengenommen. Die ehemaligen Sträflinge warten ruhig auf ihre Befreiung. Da staunen Sie, Bixby, nicht wahr?« »Allerdings!« stieß Bixby hervor. »Wie kommen Sie zu der Uniform?« »Ich zog sie Sergeant Murray in Lager 317 aus – gegen dessen Willen allerdings.« »Und schlossen sich hier den – Rebellen an?« »Genau!« Er runzelte die Stirn. »Und – wie erklären Sie Ihren plötzlichen Sinnesumschwung?« »Vielleicht ist es nur Egoismus«, gab John vorsichtig zu. »Vielleicht sehe ich, daß die Seite der Rebellen stärker ist als die Seite der Regierung. Ich helfe also dem wahrscheinlichen Sieger. Glauben Sie, ich wollte den Rest meines Lebens in einem Gefangenenlager verbringen?« »Sehr klug«, gab Bixby zu. »Die Kur war also nicht vergebens.« John fühlte das kalte Eisen der Pistole auf den Knien. Sie kam ihm plötzlich überflüssig vor, aber ganz war sie es noch nicht. Eine Frage blieb offen. Nein, zwei. »Wie geht es Hunterson? Ist Jet bei ihm?« Bixby zuckte die Achseln und schüttelte dann den Kopf. »Hunterson sitzt noch in seinem Versteck und spielt den Beleidigten. Jet kletterte aus Versehen in das falsche Schiff und befindet sich auf Pluto in Sicherheit. Sie können gewiß sein, daß es ihr gutgeht.« John fühlte Erleichterung. Er wußte, daß er sich auf Bixbys Aussage verlassen konnte. »Und die ›Arrow‹?« »Muß jeden Augenblick hier eintreffen. Jedenfalls erhielt ihr
augenblicklicher Kommandant den Befehl, dem Kreuzer zu folgen. Ich möchte nämlich von hier aus sofort nach Pluto zurückkehren, während der Kreuzer noch eine andere Aufgabe zu erledigen hat.« »Was ist mit Admiral Warner?« Bixby zauberte Bedauern auf sein Gesicht. »Leider ist er nicht mehr Admiral«, gab er Auskunft. »Er konnte sich nicht zu unseren Idealen bekennen und gab das Kommando ab. Er kehrte zur Erde zurück und bot der Regierung seine Dienste an.« »Und – wer ist nun der Kommandeur der Raumflotte?« »Sie werden es nicht glauben, Brack – ich bin es.« John war vor Überraschung eine Weile sprachlos. Dann legte er mit einer blitzschnellen Bewegung die bereitgehaltene Maschinenpistole vor sich auf den Tisch. »Na, dann gratuliere ich. Ich hoffe doch, daß Sie mich auf der ›Arrow‹ mit zur Plutobasis nehmen. Ich möchte die unterbrochene Hochzeitsreise möglichst bald fortsetzen.« Bixby war zusammengezuckt, als er plötzlich die Waffe in Johns Händen sah; dann aber atmete er erleichtert auf. »Natürlich können Sie mitkommen, Brack. Jeder ist in unseren Reihen willkommen, soweit er es ehrlich meint. Im Übrigen kann ich Ihnen verraten, daß die Regierung bereits um Verhandlungen ersucht hat. Damit erkennt sie unsere Bestrebungen an.« In dieser Sekunde wußte John, daß aus seinem Spiel Ernst geworden war. Er hatte sich ja nur zum Schein auf die Seite der Revolution schlagen wollen, um Merkur verlassen zu können, aber nun wäre es einem Selbstmord gleichgekommen, die Farben wieder wechseln zu wollen. Es schien wahrhaftig so, als behielte die meuternde Raumflotte die Oberhand. »Morgen werden die ersten Transporter eintreffen, die befrei-
ten Gefangenen abzuholen«, sagte Bixby. »Auch die von uns hier Sichergestellten, darunter die Leute in Lager 317, kehren zur Erde als freie Menschen zurück. Auf Merkur bleiben nur die sorgfältig herausgesuchten Verbrecher, ob sie von der Regierung oder von uns abgeurteilt wurden. Merkur wird eine Strafkolonie und nicht, wie bisher, ein Verwahrungsort für politisch Unbequeme.« Immer mehr sah John ein, daß die Raumflotte den vernünftigen Kurs verfolgte. Die Regierung des Sonnensystems hatte Fehler begangen, und sie büßte nun dafür. Sie würde harte Bedingungen zu erfüllen haben, wollte sie weiterbestehen.« »Wann wird die ›Arrow‹ starten können?« fragte er, große Ungeduld in der Stimme. »Brenner nehmen wir doch mit?« »Den Physiker von Hunterson? Natürlich, denn wir werden ihn brauchen.« Darüber würde man noch sprechen müssen, dachte John unsicher. So ohne weiteres würde Hunterson seinen Anspruch auf Asteroid P 17 nicht aufgeben. Und er, John Brack, ebenfalls nicht. Die ›Arrow‹ landete, und die zwei Piloten siedelten auf den Kreuzer über. John war allein in der Lage, das Schiff zu steuern. Colonel Bixby, Brenner und er verließen das Lager und begaben sich an Bord. Mit wenigen Handgriffen startete John, setzte die ›Arrow‹ auf Kurs und ließ die Automatik einrasten. Bixby erwartete ihn im Wohnraum. Brenner hatte natürlich in den Vorräten herumgeschnüffelt und eine Flasche mit Brandy gefunden. Sie stand auf dem Tisch. »Noch eine Frage«, sagte John, als er sich setzte. »Als Sie mich damals gefangennahmen, hatte ich eine Pistole bei mir. Wo haben Sie sie gelassen?« Bixby verbarg seine Verwunderung nicht. »Pistole? War es nicht eine Strahlenwaffe?«
»Sehr richtig. Wo ist sie?« Bixby überlegte. »Tja – ich habe sie aufgehoben. Wenn ich mich recht entsinne, legte ich sie in Ihren Waffenschrank in der Zentrale. Warum fragen Sie? Sie sind doch reich genug, sich Ersatz zu beschaffen, wenn ein Stück der Sammlung fehlen sollte.« »Darauf kommt es nicht an«, entgegnete John erleichtert. »Ich möchte nur verhindern, daß sich jemand unglücklich macht. Brenner, Sie erkennen die Waffe wieder, wenn Sie sie sehen?« »Ich glaube schon«, nickte der Physiker. »Schließlich war es ja nicht einfach, sie umzubauen.« »Kommen Sie mit.« Bixby zeigte auf eine Strahlpistole, die nicht am Haken hing, sondern vorn im Schrank lag. »Ich glaube, das ist sie«, vermutete er. Brenner nahm die Waffe heraus und betrachtete sie aufmerksam. Dann nickte er. »Sie ist es«, bestätigte er. »Das ist die Waffe, mit der ich den Versuch demonstrierte.« John nahm sie und steckte sie in die Tasche. Dann klopfte er Bixby auf die Schulter. »Ich kann jetzt einen Brandy vertragen – kehren wir in die Messe zurück. Und ich nehme an, Bixby, auch Sie werden einen nötig haben, wenn Sie erfahren, was es mit dieser Pistole auf sich hat.« * Es war Huntersons zweitem Physiker gelungen, ein weiteres Exemplar der normalen Strahlpistole mit Hilfe des Sternenelementes umzuwandeln.
Einmal in ihrem Besitz, entschloß sich Hunterson zur Offensive. Er war davon überzeugt, daß niemand ihm nun widerstehen würde. Und ewig konnte er auch nicht in seiner Höhle sitzen und warten, bis man alle seine Freunde gefangengenommen hatte. Brack und Brenner blieben verschwunden, ebenso Jet. Besonders Jets Flucht wurmte den Prospektor. Er machte sich ehrliche Sorgen um sie und fürchtete ihretwegen die Rückkehr Bracks. Deshalb beschloß er, auf eigene Faust zu handeln und Erkundigungen einzuziehen. Mit der neuen Waffe fühlte er sich sicher genug. Das kleine Beiboot seines großen Spezialschiffes schien ihm gerade recht für das Unternehmen. Es war nicht länger als fünf Meter und bot zwei Personen knappen Platz. Aber Hunterson beschloß, niemanden mitzunehmen, um Platz für die befreite Jet zu haben – wenn es ihm gelang, sie zu finden. Das Beiboot besaß keine Luftschleuse. Wollte man es im Raum oder auf einem atmosphärelosen Planeten verlassen, mußte man den Verlust der gesamten Atemluft in Kauf nehmen und sie später wieder ersetzen. Die mitgeführten Vorräte reichten für einen mehrmaligen Wechsel aus. Zur Sicherheit ließ Hunterson den leichten Raumanzug an. Drei Männer brachten das Boot aus der Höhle, nachdem die künstliche Schwerkraft ausgeschaltet worden war. Hunterson hinterließ genaue Anweisungen für seine Leute und kletterte durch die enge Luke in das Innere. Wenn er wollte, konnte er auch in der geöffneten Luke sitzen bleiben und das Boot mit Hilfe einer zweiten Kontrollschaltung manövrieren. Die Pistole bildete seine einzige Bewaffnung. Er winkte seinen Leuten zu und schaltete den Antrieb ein. Langsam stieß er schräg hinein in den dunklen Asteroiden-
himmel und ließ P 17 zurück. In größerer Entfernung umrundete er ihn einmal und überzeugte sich davon, daß inzwischen kein weiteres Schiff gelandet war. Sein schlechtes Gewissen John gegenüber verlangte, daß er Jet befreite, bevor er sich um die vermißte ›Arrow‹ kümmerte. Bereits am ersten Tag hatte er zwei Mann losgeschickt, nach der ›Arrow‹ zu sehen. Sie kehrten zurück und berichteten, das Schiff Bracks sei ebenfalls verschwunden. Nun überzeugte Hunterson sich selbst davon. Die Schlucht, in der es gestanden hatte, war leer. Keine Spur von der ›Arrow‹ oder irgendeinem anderen Schiff. Fast schien es, als habe alle Welt das Interesse an Asteroid P 17 verloren, der mit steigender Geschwindigkeit in das Sonnensystem einfiel, nachdem er die Plutobahn bereits gekreuzt hatte. Hunterson mußte also das Heck der Sonne zuwenden, wollte er Pluto erreichen. Der Asteroid würde inzwischen seine Reise fortsetzen und das wertvolle Sternenelement näher an die Erde heranbringen, kostenlos und franko. Er hatte noch keine Lust, die Luke zu schließen und in das Innere des Beibootes zu kriechen. Hunger verspürte er auch keinen, so blieb er also sitzen und bewunderte die einsame Pracht des Weltalls, die ihn frei umgab. Selbst der vollkommenste Bildschirm konnte diesen Anblick nicht ersetzen. Vor ihm blitzte es für Sekunden auf. Es war, als habe ein Schiff im freien Fall mit Hilfe von Steuerraketen den Kurs geändert. Aufmerksam suchte er den Raum vor sich ab, konnte aber mit unbewaffnetem Auge nichts entdecken. Hatte das fremde Schiff die Korrektur beendet? Oder wandte es ihm den Bug zu? Die Höchstgeschwindigkeit des Beibootes war nur gering im Vergleich zu den schnellen Zerstörern und Kreuzern der Raumflotte, aber auch im Vergleich zu den normalen Frach-
tern der Handelsgesellschaften. Jeder alte Kahn würde es einholen können, wenn er Wert darauf legte. Also blieb Hunterson auf Kurs und wartete geduldig ab, was geschehen würde. Die Strahlpistole steckte griffbereit in der Tasche des Druckanzuges. Sie übertraf eine normale Riesenkanone um ein Vielfaches an Kampfkraft. Hunterson fürchtete sich nicht, erwartete die weiteren Geschehnisse aber mit nagender Neugierde. Er fühlte sich im Recht und als Verteidiger seines Eigentums. Dazu gezwungen, würde er entschlossen sein, die neue Waffe einzusetzen. Er wußte noch nicht, wie schnell er dazu Gelegenheit haben sollte. Die ferne Sonne besaß nicht viel Leuchtkraft, aber immerhin waren ihre Strahlen noch intensiv genug, eine winzige Reflexion hervorzurufen, als das fremde Schiff plötzlich eine Schwenkung machte und breit vor Huntersons Beiboot lag. Der Prospektor drosselte die eigene Geschwindigkeit herab. In seinen Kopfhörern war ein eigentümliches Summen, dann knackte es mehrmals. Endlich räusperte sich jemand und fragte: »Können Sie mich hören?« Das klang absolut nicht nach Raumflotte, stellte Hunterson fest. Eher ein Zivilist, vermutete er. Immerhin eine recht merkwürdige Begrüßung. »Ja. Wer sind Sie?« »Das wollten wir Sie auch fragen. Ist diese Wanze etwa Ihr Schiff?« Huntersons Ehrgefühl und Stolz wurde durch »Wanze« arg verletzt. Immerhin besaß nicht jeder Prospektor ein tüchtiges Beiboot wie er. Was bildete dieser Frachter sich überhaupt ein, so mit ihm zu reden? »Passen Sie auf, daß die Wanze Sie nicht sticht!« warnte er wütend. »Machen Sie, daß Sie weiter kommen!« »Nun aber Schluß!« fauchte der Mann am anderen Ende der
drahtlosen Verbindung. »Sie sind reichlich frech. Wer sind Sie?« »Wer sind Sie?« wiederholte Hunterson seine Frage. »Das werden Sie noch früh genug zu spüren bekommen – warten Sie nur ab, Sie Zwerg!« Inzwischen hatten sich die beiden Schiffe einander genähert. Hunterson erkannte die Formen sehr deutlich, wenn auch mehr als Silhouette, die alle Sterne im Hintergrund auslöschte. Die Hülle war dunkel gefärbt, ein glatter Verstoß gegen die bestehenden Gesetze. Der Kollisionsgefahr wegen mußten alle Schiffe eine silberne Reflexionsschicht auftragen lassen. Er drosselte den Antrieb weiter, bis sich die beiden Schiffe reglos gegenüberlagen. Eine Flucht versuchte Hunterson aus zwei Gründen nicht. Erstens würde man ihn einholen können, und zweitens war er viel zu neugierig. »Den Zwerg werden Sie noch bereuen!« fauchte er hitzig in sein Mikrophon und – hantierte an seiner Strahlpistole herum. Vielleicht wäre es gut, dem frechen Burschen ein wenig das Heck zu verschmoren. Dann würde der Respekt von selbst kommen. Aber noch zögerte er. Alles konnte ein Mißverständnis sein. Doch das glaubte er nicht mehr lange. Drüben blitzte es auf, dann schoß ein schlanker, silberner Torpedo auf das Beiboot zu. Zum Glück war es so klein, daß ein Treffer des nicht ferngesteuerten Geschoßes ein purer Zufall gewesen wäre. Aber vielleicht bluffte der andere und setzte die Fernsteuerung erst letzter Sekunde ein? Hunterson wagte es nicht, die Entscheidung den anderen zu überlassen. Er zog die Pistole hervor und hantierte an der Einstellung. Dann zielte er sorgfältig und drückte auf den Feuerknopf.
Der violette Strahl hob sich vom milchigen Schwarz des Weltraumes ab. Einerseits blieb er fast unsichtbar, wenn man nicht genau seine Position kannte, auf der anderen Seite flimmerte er violett und ließ die dahinterstehenden Sterne wie in einer aufsteigenden Hitzewelle tanzen, wenn man genau wußte, wo man hinzusehen hatte. Der anstürmende Torpedo lief genau in den Strahl hinein. Das grelle Aufblitzen ließ Hunterson die Augen schließen. Als er sie öffnete, verflüchtigte sich gerade die radioaktiv strahlende Wolke gleichmäßig nach allen Seiten. Von dem Torpedo war nichts mehr zu sehen. Gelassen wartete Hunterson auf das zweite Geschoß. Aber es kam nicht. Dafür war im Lautsprecher wieder das Knacken, und dann die heisere Stimme des Mannes von vorhin zu hören. »Was war das? Haben Sie in dem Kahn eine Energieschirmanlage?« »Raten Sie mal!« empfahl Hunterson und schaltete den Antrieb wieder ein. Langsam zog das Beiboot weiter. »Bleiben Sie, wo Sie sind!« befahl der andere. »Wir haben noch andere Mittel, Sie zur Vernunft zu bringen.« Allmählich wurde Hunterson das Spiel langweilig. Er hatte wahrhaftig wichtigere Dinge zu erledigen, als sich mit einem Verrückten herumzuschlagen. »Ich habe keine Zeit«, teilte er dem Fremden mit. »Wenn Sie etwas von mir wollen, teilen Sie mir erst einmal mit, wer Sie sind. Kapiert?« »Ich bin Red Eagle.« Hunterson fühlte, wie der Schreck eiskalt seinen Rücken herabrann. Red Eagle – der gefürchtete Raumpirat, der den Prospektoren ihre Beute abnahm und sie dann mit einem Luftvorrat für wenige Stunden auf dem nächsten Asteroiden aussetz-
te. Meist kam jede Hilfe dann zu spät, denn die armen Kerle erstickten, ehe ein Schiff der Raumflotte zu Hilfe eilen konnte. Der Pirat besaß sogar die Frechheit, die nächsten Basen stets von seinem Überfall zu unterrichten. Hunterson holte tief Luft. »Das ändert natürlich die Situation grundlegend«, sagte er zweideutig. »Ich hatte Sie immer kennenlernen wollen. Mein Name ist Hunterson.« Fast für eine Minute herrschte verblüfftes Schweigen, während das Beiboot sich allmählich dem Heck des dunklen Schiffes näherte, um daran vorbei Pluto entgegenzustreben. Dann entgegnete Red Eagle: »Hunterson! Ausgerechnet Hunterson! Sie habe ich bisher niemals erwischen können – und nun sitzen Sie in so einer Nußschale. Wo haben Sie Ihre letzte Ausbeute?« »In meiner Tasche«, erwiderte Hunterson, dabei nicht weit von der Wahrheit entfernt, was der Pirat natürlich nicht wissen konnte. »Ich werde Ihnen eine Kostprobe übermitteln.« »Kommen Sie zu mir an Bord, Hunterson, ich habe Ihnen ein Geschäft vorzuschlagen.« Eine kleine Pause. »Sie sind ja auch kein unbeschriebenes Blatt mehr.« Diese Anspielung auf den einzigen schwarzen Fleck an Huntersons sonst weißer Weste ließ den Krug endgültig überlaufen. »Sie irren!« fauchte Hunterson und beschleunigte. »Sie irren sich sehr. Ich will keinen wehrlosen Gegner abschießen aber ich warne Sie: Wenn wir uns noch einmal begegnen, nehme ich keine Rücksicht darauf, daß Ihr Mundwerk größer ist als Ihr Mut. Und versuchen Sie nur nicht, mir jetzt zu folgen.« Hunterson hätte den Feind aller ehrlichen Raumfahrer ohne weiteres unschädlich machen können, aber obwohl Red Eagle
bereits von allen Gerichten des Sonnensystems zum Tode verurteilt worden war, konnte Hunterson ihn nicht beschießen, ohne ihm eine Chance zu geben. Red Eagle nahm sie nicht wahr; so erfüllte sich sein Schicksal an einer Nußschale. Denn mehr war das Beiboot nicht im Vergleich zu seinem schwer bewaffneten Piratenkreuzer. »Jetzt habe ich aber genug!« schrie der Verbrecher unbeherrscht. »Machen Sie sich auf einiges gefaßt!« »Sie auch!« empfahl Hunterson und schoß hinaus in den Raum, Pluto entgegen. Hinter sich sah er das schwarze Schiff wenden und Fahrt aufnehmen. Es kam ständig näher und würde ihn bald eingeholt haben. Das Beiboot hatte seine Höchstgeschwindigkeit erreicht. Sie genügte bei weitem nicht, dem schnellen Piratenschiff zu entkommen. Hunterson drehte sich in seinem Sitz um und sah dem sich heranschiebenden Schiff entgegen. In der Hand hielt er die winzige Strahlpistole. Sie ersetzte sämtliche bekannten Geschütze und Waffen – und bald würde sie zur Universalausrüstung der irdischen Raumfahrer gehören. War das vielleicht ein Fortschritt? Hunterson wußte es nicht, und er würde es auch nicht entscheiden können. Vielleicht, später einmal, wenn die Schiffe der irdischen Kolonisten auf einen gefährlichen Gegner in den Tiefen des Raumes stoßen würden, dann könnte diese Waffe die Menschheit vor dem Untergang retten und ihr den Weg zu den Sternen ebnen. Aber nur vielleicht. Denn nicht immer entscheiden die besseren Waffen über den Fortschritt. Der erste Torpedo verließ das schwarze Schiff und eilte hinter Hunterson her. Er erledigte ihn mit einem einzigen Schuß. Ebenso den zweiten und dritten. Dann gab der Pirat es auf. Ohne einen weiteren Schuß abzufeuern, näherte er sich dem Beiboot und nahm sogar noch Ge-
schwindigkeit auf. Die Absicht war klar: Red Eagle wollte Hunterson rammen. Die Wucht des Zusammenpralls mußte das kleine Schiff rettungslos zertrümmern und Hunterson hilflos in seinem Raumanzug, der nur für wenige Stunden Luftvorrat besaß, in die Ewigkeit hineintreiben lassen. Hunterson wartete grimmig, bis das schwarze Piratenschiff nur noch einige Kilometer entfernt war. Dann legte er die Pistole an, den Lauf durch den Lukenrand gestützt. Vorsichtig drückte er den roten Knopf ein und lenkte den kaum sichtbaren Strahl auf den Gegner. Er traf die Bugkanzel. Der grelle Flammenblitz blendete Hunterson für einen Augenblick, und er nahm den Daumen vom Feuerknopf. Als er wieder sehen konnte, hatte der Piratenkreuzer keinen Bug mehr. Die Zentrale hatte sich in ihre atomaren Bestandteile aufgelöst. Einige starre, aufgedunsene Gestalten trieben seitwärts in den Raum. Red Eagle mochte bei ihnen sein. Doch das steuerlose Schiff behielt seine Geschwindigkeit bei. Zwar hätte Hunterson nun ausweichen können, aber er tat es nicht. Entweder er begann eine Aufgabe und führte sie auch konsequent zu Ende, oder er lehnte sie von Anfang einfach ab. Er zielte erneut und schloß die Augen, als der Strahl sein Ziel fand. Aber er nahm diesmal den Daumen nicht vom Feuerknopf. Durch die geschlossenen Augenlider hindurch nahm er den Feuerschein der künstlichen Sonne wahr, die plötzlich im Raum stand. Nur für Sekunden tobte die freiwerdende Energie sich aus, dann war nichts von der Materie geblieben. Zögernd nur ließ Hunterson den Feuerknopf los und öffnete die Augen. Er erschauerte, als er die Wolke sah, die von innen heraus leuchtete und ihren Schein nur allmählich abschwäch-
te. Red Eagle, der gefürchtete Pirat, existierte nicht mehr. Hunterson wandte den Blick ab und betrachtete mit scheuer Ehrfurcht die Waffe in seiner Hand. Eine winzige, unscheinbare Pistole, und doch ein Vernichtungsinstrument, wie es die Erde nicht kannte. Von den Sternen war jenes Element gekommen, das diese Waffe speiste. Die Sterne hatten mit dem Asteroiden eins ihrer Geheimnisse preisgegeben. Wie viele Geheimnisse mochten noch warten – seit Jahrmilliarden? Und wie lange noch…? Hunterson schob die Pistole in die Tasche zurück und drehte den Sitz. Nun blickte er wieder in die Flugrichtung. Vorn stand, nun heller geworden, der weiß strahlende Pluto, sein Ziel. Dort hielt die Raumflotte Jet gefangen. Pah, die Raumflotte! Hunterson lachte drohend auf. Wenn es sein mußte, würde er gegen die gesamte Raumflotte antreten und sie zur Hölle schicken. Und er würde es tun, wenn man Jet auch nur ein Haar gekrümmt haben sollte. Keine Sekunde würde er zögern, die Basis auf Pluto zu zerstören und den eisigen Planeten in eine Gluthölle freiwerdender Atome zu verwandeln. Er bat weder um Landeerlaubnis, noch beantwortete er die Funkzeichen der Station. Unbeirrt und sicher landete er sein Beiboot, kletterte aus dem Sitz und sprang leichtfüßig auf den eisigen, weißen Boden des sonnenfernsten Planeten. Verborgen in seiner weiten Tasche ruhte die Pistole. Langsam schritt er auf die Station zu, vorbei an schlanken Zerstörern und plumpen Kreuzern. Dazwischen standen die kleineren Aufklärer und einige schwere Frachter. Netter Betrieb für eine Außenstation, dachte der Prospektor bissig. Es würde nicht leicht werden, Jet loszueisen. Für einige Sekunden blieben seine Augen auf den Erken-
nungsziffern des nächststehenden Zerstörers hängen. – Aha, also auch 04 war zurückgekehrt. Was mochte aus seinem Mann geworden sein? Und wie kam es, daß die Besatzung erneut umgeschwenkt war? Nun er würde es bald wissen – vielleicht. Die Schleuse öffnete sich und ließ ihn ein. Die Vorschrift verlangte das Ablegen des Raumanzuges für jeden, der die Station betrat. Hunterson kümmerte sich nicht um das Gebot, sondern schritt weiter, durch die Sperre hindurch. Ein Sergeant hielt ihn an. »Sie sind Zivilist? Warum liegt keine Anmeldung vor?« »Vielleicht hat der Funker geschlafen«, vermutete Hunterson. »Ihr Name?« »Hunterson.« »Was wollen Sie?« »Werde ich Colonel Bixby selbst sagen.« »Colonel Bixby ist nicht auf Pluto, nur sein Stellvertreter, Captain Miller.« »Dann will ich Miller sprechen. Wo finde ich ihn?« »Zuerst legen Sie Ihren Anzug ab.« »Den Teufel werde ich tun. Glauben Sie, ich wollte plötzlich ohne Luft dastehen, wenn die Glaskuppel einfällt?« Der Sergeant lächelte nachsichtig. Diese naiven Zivilisten wußten natürlich nicht, daß der durchsichtige Baustoff widerstandsfähiger als Stahl war. Dann aber wurde sein Gesicht wieder ernst. »Tut mir leid, aber meine Vorschriften besagen…« »Wissen Sie, was mich Ihre Vorschriften können?« erkundigte sich Hunterson höflich. »Sie können mich ungeschoren lassen«, unterbrach er dann die literarische Sucharbeit des Ser-
geanten, der dem Prospektor mit offenem Mund nachsah. Denn Hunterson schritt einfach davon, hinaus in den blühenden Garten der Station, als wolle er einen gemütlichen Spaziergang unternehmen. Miller schien wenig erfreut, Hunterson wiederzusehen. »Sie wurden mir von dem Sergeanten gemeldet«, empfing er ihn vorwurfsvoll. »Warum ziehen Sie den Druckanzug nicht aus?« »Ich käme mir nackt und hilflos vor«, gestand Hunterson freundlich. Miller verzog das Gesicht. Anscheinend gefiel ihm die Vorstellung eines nackten Hunterson ganz und gar nicht. »Tut mir leid, daß wir damals in der ›Arrow‹ keine Gelegenheit hatten, uns ausführlicher zu unterhalten. Die Zeit war ein bißchen knapp.« »Lassen Sie Ihren Spott«, warnte Captain Miller. »Ich bin froh, daß Colonel Bixby mich befreite.« »Gehört der mit zu eurer Bande?« erkundigte sich Hunterson ruhig. Der Besitz der neuen Waffe gab ihm Sicherheit. Mit ihr wäre er bestimmt auch in die Hölle eingedrungen, um des Teufels Großmutter zu stehlen. »Bevor ich zum eigentlichen Zweck meines Hierseins komme, möchte ich Ihnen noch mitteilen, daß inzwischen das Todesurteil an dem Piraten Red Eagle vollstreckt wurde.« »Was?« staunte Miller und beugte sich vor. »Wie meinen Sie das?« »Ich habe sein Schiff vernichtet«, faßte Hunterson das erstaunliche Erlebnis zu einem Resultat zusammen. »Kurz bevor ich hier landete. Es kreist als leuchtende Wolke für einige Zeit um die Sonne.« »Ich verstehe nicht«, schüttelte Miller den Kopf. »Womit haben Sie ihn vernichtet? Red Eagles Schiff hat es mit unseren schwersten Kreuzern aufgenommen, und wie mir gesagt wur-
de, kamen Sie in einem Beiboot.« »Hiermit habe ich sein Schiff vernichtet«, sagte Hunterson und zog die Pistole aus der Tasche. »Ein Schuß…« Captain Miller betrachtete die scheinbare Waffe mit ungläubigen Blicken. »Sie phantasieren, Hunterson. Das neue Element hat Ihren Verstand beeinflußt, und nun…« »Stimmt! Das neue Element dient dieser Strahlpistole als Energiequelle – aber sagen Sie es nur nicht weiter. So, und nun besorgen Sie mir Jet Brack, oder Sie sollen mal sehen, was mit Ihnen passiert. Wenn Sie darauf bestehen, kann ich Ihnen zur Probe ja mal ein Loch in die Kuppel brennen.« Miller schien Hunterson nicht mehr ernst zu nehmen. »Was wollen Sie von Jet Brack? Colonel Bixby hat mir die Verantwortung für sie übertragen. Sie ist gesund und munter.« »Davon will ich mich ja überzeugen. Nun, wird’s bald?« Hunterson spielte mit der Pistole und ignorierte die Waffe am Gürtel des Captains völlig. Er trat zum Fernster und richtete den Lauf nach oben. Miller war neben ihn getreten. »Na los, schießen Sie schon! Ich bin gespannt, was passieren wird.« Hunterson zuckte die Achseln und drückte eine halbe Sekunde lang auf den Feuerknopf. Dann, als er das kurze Aufblitzen im schwarzen Himmel registriert hatte, schob er die Waffe in die Tasche zurück. Langsam wandte er sich an Miller, der das Aufblitzen zwar ebenfalls gesehen hatte, ohne es jedoch richtig zu deuten. »Sie können das Loch bei Gelegenheit reparieren lassen«, riet er zuvorkommend. »In zwei oder drei Stunden wird die Atemluft in der Station etwas dünner werden. Da, sehen Sie nach draußen — ein leichter Wind kommt auf. Stellen Sie sich das nun vor: Wind unter einer Käseglocke!«
Miller zeigte erste Verwirrung. »Sie wollen damit wirklich sagen, daß Sie…? Ich kann es nicht glauben. Haben Sie deshalb den Raumanzug anbehalten?« »Natürlich. In drei Stunden werde ich ihn benötigen, wenn ich nicht ersticken will. So, und nun her mit dem Mädchen!« »Sie können sie sprechen, gut. Aber nur fünf Minuten. Und dann machen Sie, daß Sie hier verschwinden, ehe ich Sie festnehmen lasse.« Jet trat verlegen auf Hunterson zu, als ein Posten sie ins Zimmer führte. »Tut mir leid, Mister Hunterson, daß ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereite, aber ich sorgte mich so um John. Wo steckt er?« »Keine Ahnung. Wie geht es Ihnen? Haben Sie Schwierigkeiten gehabt?« »Alles in Ordnung. Die Behandlung war korrekt.« »Ihr Glück!« teilte Hunterson Captain Miller mit. »Da will ich Ihr Loch in der Kuppel nicht weiter vergrößern, sondern so verschwinden. Kommen Sie, Jet. Einen Raumanzug gibt’s an der Schleuse.« Miller protestierte. »Halt, was denken Sie sich? Wer hat Ihnen denn gesagt, daß Jet Brack mit Ihnen gehen darf? Wir müssen erst einmal die Rückkehr des Colonels abwarten.« »Was wollen Sie von dem Colonel? Wegen Erlaubnis fragen? Ich habe die Erlaubnis von John Brack, und die ist in diesem Fall ausschlaggebend, da Jet seine Frau ist, und nicht die Frau von Colonel Bixby. Kommen Sie, Jet!« Der Posten sah Captain Miller fragend an. Der nickte. Hunterson sah sich plötzlich daran gehindert, den Raum zu verlassen, denn er starrte genau in die schwarze Mündung ei-
ner ganz gewöhnlichen Automatik. Der Posten hielt sie ihm vor die Nase. Nun war Hunterson absolut nicht lebensmüde. Er wußte ganz genau, daß er trotz seiner wunderbaren Strahlpistole so verwundbar blieb wie jeder andere Mensch auch. Außerdem durfte er Jet nicht in Gefahr bringen. Er wartete. »Geben Sie mir Ihre Pistole!« forderte Captain Miller ihn auf »Aber sehr vorsichtig, sonst brennt Ihnen mein Mann eine Kugel auf den Pelz.« Hunterson blinzelte Jet zu und nickte. Langsam drehte er sich um und sah Miller genau ins Gesicht. Hinter ihm stand der Posten mit schußbereiter Waffe. Nicht gerade eine gemütliche Situation. Vorsichtig griff er in die Tasche und zog seine Wunderwaffe. Er hielt sie mit Daumen und Zeigefinger am Kolben. »Fallen lassen!« kommandierte Miller. Und genau in dieser Sekunde summte das Visifon. Miller ließ sich ablenken und verließ sich auf seinen Posten. Der aber hatte wiederum nicht mit Jet gerechnet. Ein harter Faustschlag traf sein Handgelenk, und die Automatik polterte zu Boden. Hunterson fuhr blitzschnell herum und gab dem Mann einen zweiten Stoß, der ihn gegen die Tür taumeln ließ, die sich auch prompt öffnete und den Weg auf den Gang frei gab. Ein dritter Stoß beförderte den Posten nach draußen. Gelassen schloß Hunterson die Tür. »Endlich – wieder allein«, freute er sich. »Danke, Jet.« Miller sah die gefährliche Waffe wieder in Huntersons Händen und konnte vor Aufregung nicht sprechen. Hinzu kam, daß auf dem Bildschirm das gefürchtete Gesicht von Admiral Warner erschien. Das verstand der Captain überhaupt nicht mehr. Seiner Ansicht nach mußte Admiral Warner irgendwo auf Merkur in ei-
nem Lager sitzen. Hatte sich denn alles gegen ihn verschworen? »Captain Miller, Pluto-Basis?« fragte der Admiral. Anscheinend empfing er noch kein Bild. »Melden Sie sich!« »Captain Miller, Pluto«, bestätigte Miller verwirrt. »Herr Admiral?« »Die Erdregierung hat mich zu ihrem Sprecher gewählt, um die Verhandlungen mit der Raumflotte zu führen. Wo ist Colonel Bixby, der mein Amt übernommen hat?« »Ich dachte«, stotterte Miller, »ich dachte, Sie seien…« »Haben Sie falsch gedacht, Captain. Man mußte mich freilassen, wollte man verhandeln. Und verhandeln ist besser als jeder gewonnene Krieg. Veranlassen Sie, daß ich Landeerlaubnis erhalte. In fünf Minuten. Unterrichten Sie Colonel Bixby.« Ehe Miller den Admiral davon unterrichten konnte, daß Bixby auf Merkur eine wichtige Aufgabe erledigte, erlosch der Bildschirm. »Dumme Sache«, bemerkte Hunterson ironisch. »Sie sitzen zwischen drei Stühlen. Ich werde mich inzwischen verdrücken, denn mit Diplomaten lasse ich mich nur ungern ein. Vergessen Sie nicht, das Loch in der Kuppel flicken zu lassen, sonst fällt dem Admiral das Atmen schwer.« Er nahm Jets Arm und führte sie galant aus dem Zimmer. Die Pistole behielt er vorsorglich in der Hand. Ohne Zwischenfall erreichte er die Schleuse, wo der Sergeant ihm wortlos einen Raumanzug für Jet reichte. Fünf Minuten später schoß das Beiboot hinaus in den Raum und nahm Kurs auf Asteroid P 17, der sich inzwischen weiter der Neptunbahn genähert hatte. *
Als die ›Arrow‹ neben der Kuppel auf Pluto aufsetzte, sahen Bixby und John, daß einige Männer in Raumanzügen Reparaturarbeiten durchführten. Sie befestigten Plastikplatten und dichteten eine defekte Stelle ab. Das zweite, was ihnen auffiel, war ein Schiff mit dem Wappen der Erdregierung. Friedlich und harmlos stand es inmitten der Kreuzer und Zerstörer. »Hier scheint sich einiges abgespielt zu haben«, vermutete Bixby beunruhigt. »Die Regierung wollte doch einen Bevollmächtigten entsenden. Hoffentlich hat man ihn nicht schlecht behandelt.« Brenner widmete sich mehr den Männern an der Kuppel. Dann wandte er sich an John. »Das könnte ein Loch sein, wie ich es mit der neuen Waffe brennen würde. Kreisrund und schön zerschmolzen. Merkwürdig!« Sie betraten die Station und schritten durch die Gärten auf das Hauptgebäude zu. Die Luft war ein wenig dünn, aber frisch und kühl. Irgendwas in der Klimaanlage schien nicht zu funktionieren. Aber dann blieben sie plötzlich stehen. Captain Miller und Admiral Warner kamen ihnen entgegen, in angeregtem Gespräch vertieft. Der Admiral fuchtelte mit beiden Armen, als wolle er Miller sehr deutlich etwas erklären. Dann sahen sie auf und entdeckten die Verblüfften. Colonel Bixby klappte den Mund wieder zu. »Wie kommen denn Sie hierher?« wunderte er sich. Er vergaß ganz, daß er es mit seinem alten Vorgesetzten zu tun hatte. »Bixby!« rief Warner erfreut und eilte auf ihn zu. »Da sind Sie ja endlich. Darf ich Ihnen zur Beförderung gratulieren? Die Regierung hat Sie anerkannt.« »Und Sie kehren nach hier zurück?« kam Bixby nicht über
das Grundproblem hinweg. »Sie waren doch auf Merkur.« »Die Regierung beauftragte mich, mit Ihnen zu verhandeln und beorderte mich zur Erde. War recht abenteuerlich, aber ich trage Ihnen nichts nach. Ich gebe zu, etwas zu konservativ gewesen zu sein, Bixby, aber das sollten Sie mir auch nicht nachtragen. Ich glaube, wir werden einen gemeinsamen Nenner finden.« John und Brenner hatten sich einen Blick zugeworfen. Der Konflikt zwischen Regierung und Raumflotte schien in einem fruchtbaren Kompromiß zu enden. Ab und zu sind Revolutionen sogar erfrischend, dachte John. »Bixby, wo ist Jet?« mischte er sich ein. Bixby wandte sich an Captain Miller. »Bringen Sie Jet Brack. Sie ist frei.« Der Captain machte ein schmerzverzogenes Gesicht. »Wie recht Sie haben, Colonel – sie ist frei. Jet Brack wurde vor wenigen Stunden von Hunterson befreit.« »Was?« stieß John erregt hervor und griff nach dem Rockaufschlag Millers. Was sagen Sie? Hunterson hat meine Frau befreit?« »Ja, er kam mit so einer komischen Pistole, schoß mir ein Loch in die Kuppel und drohte, die ganze Station zu vernichten. Was blieb mir denn anderes übrig, als mich seinem Willen zu fügen. Er ist ja auch Ihr Freund.« »Dieser alte Gauner!« stellte John fest. »Möchte bloß wissen, wie er an eine umgebaute Strahlpistole kommt.« »Sander wird sie ihm gebaut haben«, erklärte Brenner eifrig. »Mein Assistent. Er war dabei, als ich die erste umwandelte.« »Außerdem hat Hunterson so ganz nebenbei den Piraten Red Eagle und sein Schiff vernichtet«, wußte Miller weiter zu berichten. »Er behauptet, es mit dieser gleichen Pistole getan zu haben.« »Schon möglich«, gab John gleichmütig zu. »Mit so einem
Ding läßt sich die ganze Station mit sämtlichen Kreuzern in ihre atomaren Bestandteile auflösen. Sie handelten klug, als Sie ihm Jet gaben.« Der Admiral beugte sich zu Bixby. »Darüber werden wir auch noch sprechen müssen, Colonel. Was geschieht mit dem Asteroiden P 17?« »Wir werden das nicht allein entscheiden können, Admiral. Der Asteroid gehört Hunterson und Brack. Die Gesetze lassen sich nicht umgehen. Aber ich glaube, auch da finden wir einen Weg. Die Raumflotte wird gemeinsam mit der Regierung eine wissenschaftliche Abteilung einrichten, die Brenner leiten soll. Ihr wird die Auswertung des Sternenelementes übertragen. An erster Stelle stehen die Versuche mit Raumschiffantrieben.« John hatte es plötzlich sehr eilig. »Ich muß zu Hunterson, meine Herren. Wann beginnen die Verhandlungen?« »Sie erhalten Bescheid«, tröstete ihn der Admiral. »Sobald wir uns mit dem Oberkommando der Raumflotte geeinigt haben, unterrichten wir Sie. Nicht wahr, Colonel Bixby, damit sind Sie doch einverstanden?« Als Brenner und John davonschritten, zur Schleuse zurück, sahen ihnen die drei Männer lange nach. Endlich seufzte Colonel Bixby: »Wenn man es richtig betrachtet, haben diese beiden den Streit zwischen Regierung und Raumflotte entschieden. Wer weiß, was noch alles geschehen wäre, hätte Hunterson nicht das Sternenelement entdeckt und dieser Brenner nicht dessen erstaunliche Eigenschaften. Ja, und John Brack…« Admiral Warner, nun schlichter Zivilist – ausgerechnet er, der Zivilisten gar nicht leiden konnte –, lächelte wissend. »Ja, dieser John Brack! Hätte er nicht gerade seine Hochzeitsreise gemacht mit dieser ausnehmend hübschen jungen Frau –
ich weiß nicht, wie alles ausgegangen wäre.« »Der Zufall«, stellte Captain Miller weise fest, »ist so oft die Grundlage welterschütternder Entschlüsse. Und doch muß ich gestehen: Mir wäre manches leichter gefallen ohne die hübsche Jet Brack.« Seine Stimme klang traurig. * Sie eilten mit der ›Arrow‹ hinter P 17 her und holten den Asteroiden bald ein. Unverändert einsam fiel er der fernen Sonne entgegen und brachte das Sternenelement näher zur Erde. John landete dicht neben der Felswand. Sie kletterten aus der Luke und ließen sich herabfallen auf den toten Boden, der ihnen den Schlüssel zu den Sternen formen würde. Noch ehe sie ihn erreichen konnten, schob sich die Felswand zurück, und eine schlanke, kleine Gestalt eilte ihnen entgegen. »John!« rief Jet glücklich. »Wie gut, laß du endlich wieder da bist!« Sie trafen sich mitten im Fluge und sanken engumschlungen langsam zur Oberfläche des Asteroiden herab. Jeder konnte natürlich hören, was sie sagten. Und sie hörten alles, was die anderen sagten. Geheimnisse gab es nicht, wenn man Raumanzüge trug und Helmsender. »Wie zwei Tauben«, stellte Hunterson fest, der ergriffen unten neben dem Eingang stand. »Sei froh, daß du meinen ersten Zorn hier draußen besänftigst, Jet«, drohte John ernsthaft. »Ich hatte vor, dir einen gewissen Körperteil zu versohlen. Während ich im Gefängnis verschmachte, amüsiert sich meine Frau mit den Offizieren der
Raumflotte. Nicht zu fassen!« Zehn Minuten später saßen sie in Huntersons gemütlichem Felsenzimmer. »Und nun?« fragte Hunterson, als er alles wußte. »Was wird nun geschehen?« »Das ist doch sehr einfach, alter Knabe. Ich werde meine Hochzeitsreise fortsetzen. Oder glaubst du, darauf würde ich verzichten?« Hunterson sah Jet an, als er den Kopf schüttelte. »Nein, das glaube ich wirklich nicht.« »Na also! Du wirst abwarten, bis die Regierung oder Raumflotte sich meldet. Dann unterrichte mich. Du kannst mir glauben, wir haben sie alle in der Hand. Das Sternenelement gibt uns die Macht, ihnen unseren Willen aufzuzwingen, und wir wollen ja nur die friedliche Eroberung des Universums Vielleicht wird schon bald das erste Siedlerschiff unser Sonnensystem verlassen. Alpha Centauri umkreisen Planeten, die unseren Lebensbedingungen entsprechen.« »Ich werde dafür sorgen«, versprach Brenner. Es war viel später und den Uhren nach bereits Nacht, als Hunterson noch etwas einfiel. Er saß allein mit Brenner im Zimmer und bemerkte mißvergnügt, daß der Physiker die Brandyflasche langsam, aber sicher leerte. John und Jet waren bereits schlafen gegangen. »Ich hätte John noch fragen sollen, was mit der Belohnung für die Vernichtung von Red Eagle werden soll. Eigentlich war es meine Absicht, Jet dafür ein Geschenk zu machen.« »Frag ihn doch, ob er etwas dagegen hat.« »Das werde ich auch!« Hunterson sprang auf und eilte zur Tür. »Und zwar sofort!« »Erstens wäre es unhöflich, ein junges Paar wegen so einer Kleinigkeit zu stören«, wies Brenner ihn zurecht und nahm die
Flasche erneut zur Hand, »und zweitens wirst du vergebens an der Tür zu ihrem Zimmer klopfen.« Hunterson war stehengeblieben. »Wieso denn das?« »Weil John Brack klüger ist als du, mein Lieber. Viel klüger. Er muß so etwas geahnt haben. Die beiden schlafen nämlich in der ›Arrow‹.« Hunterson ließ den Türgriff los. »Dieser Auskneifer!« schimpfte er. Er setzte sich und griff nach der Flasche, obwohl er doch niemals Alkohol trank. »Dieser Gauner! Ich möchte es einmal erleben, daß er mir nicht zuvorkommt!« Und vor den entsetzten Augen des durstigen Physikers leerte er rücksichtslos die noch viertelvolle Flasche. ENDE
Verbotene Welten
Der Tod kam zur Party Kenneth Bulmer Wynne Statham, ein reicher junger Mann, fliegt mit seiner Frau einen »Schwarzen Planeten« an. Zwar weiß er, daß es streng verboten ist, aber ihn reizt das Abenteuer, denn in der erforschten Galaxis gibt es nicht mehr viel Nervenkitzel. Statham ist zu Tode erschrocken, als auf ihn geschossen wird. Das verstößt gegen alle kosmischen Gesetze. Sein Freund, Richard Kirby, lacht ihn aus, als Statham von seinem Mißgeschick erzählt. Noch weiß Kirby nicht, daß ihn die Suche nach einem Mörder ebenfalls zu einem »Schwarzen Planeten« führen wird.