Karl May
Die Rose von Ernstthal Erzgebirgische Dorfgeschichten
Die Rose von Ernstthal Eine Geschichte aus der Mit...
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Karl May
Die Rose von Ernstthal Erzgebirgische Dorfgeschichten
Die Rose von Ernstthal Eine Geschichte aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Von Karl May
Zwischen den Ausläufern des sächsischen Erzgebirges, da, wo das berühmte Zwickauer und Würschnitzer Kohlenbecken sich bis in die Nähe von Chemnitz zieht, liegen am nördlichen Rande desselben die beiden Schwesterstädte Hohenstein und Ernstthal, welche dem freundlichen Leser ihres Gewerbfleißes wegen gewiß bekannt sein werden. Besonders ist es Ernstthal, dessen Weberei schon vor langen Zeiten sich eines weitgehenden Rufes erfreute und für seine Waaren nicht blos in Deutschland und den angrenzenden Ländern, sondern auch über die See hinüber ein weites Absatzgebiet fand. Aber der Webstuhl vermag der Hand auch des fleißigsten Arbeiters keine Reichthümer zu bieten, und so schmiegt sich das arme Städtchen klein und bescheiden an die Thalsenkung, welche das Auge des Touristen nicht durch landschaftliche Schönheiten zu fesseln vermag und keinen andern Ruhm beansprucht als den, der friedliche Tummelplatz eines rührigen und genügsamen Völkchens zu sein. Bei diesem angestrengten Ringen mit den nackten Sorgen des Lebens mag wohl die Nüchternheit desselben mehr in Anschauung treten; doch weht uns nicht, wie man behauptet hat, der Hauch der Poesie nur aus Romanen und solchen Ereignissen entgegen, welche sich auf dem platten Spiegel des Parquets oder von der Natur bevorzugtem Boden entwickeln, sondern grad in den Pausen des großen Kampfes, welchen wir Arbeit nennen, wenn der Mensch sich den Schweiß von der erhitzten Stirn streicht und Hammer und Spaten bei Seite legt, läßt sich jener beseligende Odem kühler und würziger empfinden, und der dichtende Gott kehrt ein selbst in die ärmlichste Hütte. Mag also der Leser getrost die Gassen Ernstthal's betreten oder an der Hand unserer Erzählung den Fuß nach einer halbverschütteten Höhle oder einem einsamen und primitiven Waldhäuschen lenken; sind auch keine welterschütternden Begebenheiten zu berichten, so wird ihn doch die wohlthuende Erfahrung anmuthen, daß der Hauch des Himmels die Blüthenflocken der Poesie auch in die entlegenen Winkel trage, an welchen die gewaltige Fluth der Geschichte nur fern vorüberrauscht.
1. Die Begegnung im Walde Es war ein goldener, sonniger Julimorgen. Längst schon hatte die Feuchtigkeit des nächtlichen Thaues den Weg zum Aether gefunden; die Wärme des Tages wallte sichtbar um die braunen Stengel der noch blüthenlosen Erica und erquickender Duft fluthete durch die Zweige des stillen, geheimnißvollen Waldes. Die Vögel, ermüdet durch die Morgenabtheilung ihres täglichen Concertprogrammes, saßen sinnend unter dem grünen Plafond, durch dessen Oeffnungen sich das Licht in zauberischen Tönen brach; der Bach murmelte sein ewiges, einschläferndes Schlummerlied, und Meister Specht, der Zimmermann, saß ruhend im Astloche und verdaute die Larven, welche er sich zum Gabelfrühstücke mit listigem Pochen aus den Rindenritzen hervorgelockt hatte. Drüben, zwischen den Wurzeln eines Pulverholzstrauches, reckten vier junge, flaumige Rothkehlchen die gelben Schnäbel in die Höhe und hielten mit der geschäftigen Frau Mama lebhaftes Zwiegespräch über Speise- und Wirthschaftsangelegenheiten, der Papa aber saß auf dem obersten Zweige und gab sein Vaterglück durch die zartesten Aphorismen kund. Mit diesen gefühlvollen »Sangesperlen« harmonirten nun freilich die zweifelhaften Töne nicht, welche diesseits des Baches aus der Vertiefung hervordrangen, welche unter dem Namen der »Eisenhöhle« in der Umgegend Ernstthal's bekannt ist. »Ah ... ah! Das nenne ich schlafen; es muß schon wieder Nacht sein. Ah ... ah! Doch nein; dort fällt ja das Tageslicht auf die Moostapeten meines Boudoirs; es ist also heller Tag. Aber wie komme ich denn eigentlich in diese gastfreundliche Eremitage? Ah ... ah! Ach so, jetzt besinne ich mich: Großes Gewitter gestern; verirrte mich; lief bei stockfinsterer Nacht und strömendem Regen im Walde herum und fand endlich dieses Asyl, in welchem ich mich sofort häuslich niedergelassen und geschlafen habe bis Anno jetzt.« Er erhob sich von dem harten, steinigten Boden, ergriff das
Felleisen, welches ihm als Kopfkissen gedient hatte und trat vor den Eingang der Höhle. »Guten Morgen, Du lieber, schöner, grüner Wald! Schüttelst zwar Dein immer junges, hundertköpfiges Haupt mißbilligend über den faulen, schlaftrunkenen Kumpan, der ich heut bin, bietest mir aber doch Waschgeschirr und Morgentrunk in altgewohnter, fürsorglicher Weise. Hab Dank für diese Aufmerksamkeit, Du alter, treuer Spezial Du!« Er nahm Handtuch und Seife aus einer Seitentasche des Felleisens und trat an das Wasser, um sich zu waschen. Bei dieser Gelegenheit können wir uns den noch jungen Mann etwas näher betrachten. Die Kleidung eines gewöhnlichen Handwerksburschen, welche er trug, hatte durch den Gewitterregen, die Irrfahrt im Walde und das Nachtlager auf den Steinen bedeutend gelitten. Dem nach schien er ein Eisenarbeiter, vielleicht Schlosser oder Schmied zu sein; aber die kleine, feine, weiße Hand, mit welcher er jetzt das schadhaft gewordene Gewand in Ordnung zu bringen suchte, konnte unmöglich sich viel mit Hammer und Zange beschäftigt haben. In seiner Haltung lag etwas soldatisch Strammes und in jeder seiner Bewegungen sprach sich eine Rundung, eine Gewandtheit aus, die man nur bei Leuten zu suchen gewohnt ist, welche den sogenannten bessern Ständen angehören. Der Kopf war nicht eigentlich schön zu nennen; aber die hohe, breite, gedankenreiche Stirn, die von kühngeschwungenen Brauen begrenzten, geistvollen Augen von jener Unbestimmtheit der Färbung, welche meist auf eine ungewöhnliche intellectuelle Begabung schließen läßt, die fein und leicht gebogene Nase, der etwas sarkastische Zug um den vollzähnigen und von einem sorgfältig gepflegten Bärtchen beschatteten Mund, die Energie und Schärfe des ganzen Mienenspieles mußten einen Eindruck bewirken, den der Menschenkenner mit dem Prädikate »bedeutend« bezeichnet hätte. Nach Beendigung der Toilette warf er den Tornister auf den Rücken, wies der Mütze ihre kecke Stellung auf dem gegen die damalige Mode kurzgeschnittenen Haare an, überflog sich mit einem letzten, befriedigten Blicke und wandte sich zum Gehen. »So; das paßt ja Alles ganz prächtig. Etwas Lüderlichkeit gehört mit zum rußigen Handwerke: die Stiefel sind offenherzig; die Hose hat einen Riß; das Hemde dämmert zwischen Weiß und Schwarz,
und der Ellbogen gukt in die Welt. Aber in der Hauptsache ist der Kerl ganz, und ich habe als halbwüchsiger Junge oft genug zum Vergnügen auf das Ambos unsers Schloßschmiedes gepocht, um mir genug Fertigkeit zutrauen zu dürfen, auch jetzt, wo es mir mit der Hämmerei wenigstens auf eine Weile Ernst sein muß. Denn der Gesuchte hält sich jedenfalls in und um Ernstthal auf, und ein einfacher Schmiedegeselle wird bei ihm keinen Verdacht erregen, zumal er mich nicht persönlich kennt. Und haben muß ich ihn um jeden Preis. Vorwärts also!« Noch nicht lang war er am Bache aufwärts gegangen, als er seitwärts eine halblaute Stimme sprechen hörte. In der Absicht, sich nach dem Wege zu erkundigen, nahm er die angegebene Richtung und trat um eine von Haselbüschen gebildete Ecke. Kaum aber hatte er die Biegung hinter sich, so blieb er überrascht stehen. Vor ihm öffnete sich eine kleine, von duftigem Ruchgras und Waldblumen bedeckte Lichtung. In der Mitte derselben stand ein Körbchen, gefüllt mit Erdbeeren, und daneben kniete eine weibliche Gestalt, welche, wie der erste Blick zeigte, in lautem, inbrünstigem Gebete lag. Fast hätte ihn die Discretion zurückgezogen; aber die Betende stand unter einer solchen Fülle von Anmuth und Schönheit, daß er wie eingewurzelt stehen blieb und den Körper weit vorbeugte, um sich keins ihrer Worte entgehen zu lassen. Es war ein Mädchen. Langes, schwarzes, lockiges Haar hing entfesselt über den enthüllten Nacken herab und umrahmte eine reine, weiße Stirn von so idealer Rundung, wie man sie fast nur bei denjenigen Figuren unserer Gemäldegalerieen zu sehen gewohnt ist, welche den Sieg der Idee über die Gewöhnlichkeit körperlicher Formverhältnisse documentiren. Das kleine, feingezeichnete Näschen mit seinen rosig angehauchten Flügeln gab dem klassischen und doch so weichen Profile die edelste Vollendung. Die Lieblichkeit des Mundes, bei dessen leisen Bewegungen sich zwei leicht aufgeworfene Lippen küßten und den Anblick der perlenkleinen, elfenbeinernen Zähne gestatteten, mußte jedem seiner Worte Bedeutung geben, zumal die Stimme in jener klangvollen Tiefe modulirte, welche man am öftersten bei einem an Gemüth und Empfindung reich ausgestatteten Wesen beobachtet. Das tadellos geformte Kinn schloß das schöne Oval eines Gesichtchens, dessen Züge so hold, so ergreifend waren, daß man sich bei ihrem Anblicke
unwiderstehlich gefesselt fühlen mußte, und auf der zarten Wange lag jene Röthe der Erregung, welche stets die Wahrheit der Empfindung bestätigt und hier die seltene Weiße des Teints so vortheilhaft hervorhob. Das Herrlichste aber waren die Augen, Augen von einer so reinen, klaren und dabei doch gesättigten Bläue, daß ihr Spiegel im schärfsten Contraste zu dem dunklen Haare stand und durch diesen Gegensatz die Eindrucksfähigkeit des Gesichtes bis zum erreichbarsten Grade gesteigert wurde. Aber obgleich sich bei dem emporgerichteten Blicke die langen, seidenen Wimpern erhoben hatten, lag doch auf diesen wunderbaren Sternen ein Schleier, der seinen Schatten auch über die Züge warf und denselben einen leidenden, ja fast möchte ich sagen tragischen Anflug gab; es war dem erblindenden Auge der Zutritt des freundlichen, warmen Sonnenlichtes versagt. Und das war's, was sie hier in der Einsamkeit des Waldes auf die Kniee niedergezogen und ihre Lippen zum Gebete eröffnet hatte. Ihre gefalteten Hände lagen schwer auf der Brust, und diese Brust hob und senkte sich unter dem Drange der Gefühle, welche aus einem sichtlich von Angst bewegten Herzen ihren Weg empor zum Himmel nahmen. Dem unberufenen Lauscher entging keins ihrer Worte. Er wagte kaum zu athmen, und erst als sie mit lautem Schluchzen geendet hatte und unter strömenden Thränen das ermattete Köpfchen sinken ließ, befreite sich seine Brust in einem tiefen, vollen Zuge von ihrer Beklemmung, und seine Hand fuhr trocknend über das in der Feuchtigkeit des Mitgefühles schwimmende Auge. »Mein Gott, wer ist dieser Engel? Sind jene Mährchen von Seen und übernatürlichen Wesen wahr, welche zuweilen einem Sterblichen erscheinen, um ihn durch ein für das Menschenherz unfaßbares Glück dem Erdenleben zu entfremden? Oder hat die Natur dies Meisterstück vollendet, um uns von der Armseligkeit unserer pinselhaften oder töpferischen Künstlerwerke zu überzeugen? Und wer so wie diese Heilige beten kann, der hat die Sünde noch nicht kennen gelernt und ist werth, an ein starkes, stolzes und treues Mannesherz gelegt und dort gehalten und getragen zu werden bis zum letzten Schlage des Pulses.« Da raschelte es in den Zweigen, und hart neben ihm drangen, ohne ihn zu bemerken, zwei Männer vorsichtig durch das Gebüsch. Der Eine ging in der Kleidung eines gewöhnlichen Forstläufers; der
Andere aber gehörte jedenfalls einer besseren Stellung an und schien die Aufmerksamkeit des Handwerksburschen in ganz besonderem Maaße zu fesseln, denn derselbe war bei seinem Erscheinen in höchster Ueberraschung einen Schritt zurückgetreten und fixirte ihn aus seinem Verstecke hervor mit scharfem, durchbohrendem Auge. Er trug eng anliegende, weißlederne Hosen, welche in hohen, blankgewichsten Stiefeln staken; der blausammetne Rock mit rothtuchenen Schoß- und Aermelaufschlägen war mit thalergroßen Silberknöpfen verziert; auf der hochaufgethürmten Lockenperücke balancirte ein kleines, mit goldenen Borden besetztes Hütchen; an der linken Seite hing nach der Mode jener Zeit der schmale Stoßdegen, und die Rechte umfaßte ein langes, starkes, mit Elfenbeinknopf gekröntes Meerrohr. Es war eine hohe, breite, muskulöse und starkgliedrige Goliathgestalt, der man gleich beim ersten Blicke eine außergewöhnliche Körperstärke zusprechen mußte; doch war der Ausdruck der groben, zugehackten Gesichtszüge kein Vertrauen erweckender, zumal die kleinen, tiefliegenden Augen nur mit verstecktem Blicke unter den fleischigen, dickfaltigen Lidern hervorzudringen vermochten. »Beim heiligen Hubertus, welcher der Beschützer aller Viehund Mädchenjäger ist«, sprach er mit leiser Stimme, welche wie ein unterdrücktes Grunzen zwischen den breiten, aufgetriebenen Lippen hervordrang, »da ist sie endlich wieder einmal, die Rose von Ernstthal, wie sie hier von aller Welt genannt wird. Und der Kukuk soll mich holen, wenn dieser Name nicht ein passender ist, obgleich die Dornen zu fehlen scheinen; denn gestochen hat mich, so oft ich ihr auch nachgepürscht bin, das kleine Geschöpf doch nie, sondern ist mir stets und immer über die Netze gegangen. Heut aber steht sie mir schußgerecht, und ich werde diesmal so gewiß auf's Blatt treffen, wie man mich den ›Blauweißen‹ nennt.« Mit rohem Lachen stieß er diese Worte hervor und schickte sich an, die letzte Hecke des Gebüsches zu durchbrechen. Da faßte ihn sein Begleiter bittend am Arme. »Laßt das sein, Herr Junker; das ist nichts für Euch, kein Edelwild, sondern nur einer armen Wittwe einziges Kind und dazu fast blind. Das Mädchen geht in den Wald, um durch das Grün desselben ihre Augen zu stärken und Linderung ihrer Noth zu
finden. Häuft nicht noch mehr Unglück auf die armen, braven Leute!« »Papperlappapp! Als wenn es ein Unglück wäre, wenn ein Cavalier ein Mädchen, die nichts als ihr Lärvchen besitzt, mit seiner Zuneigung beehrt! Und nur um des Mitleides willen eine Jagd aufgeben, welche bei so wenig Gefahr so viel Vergnügen verspricht, das würde doch wahrhaftig die horribelste Eselei sein.« »Ganz gefahrlos will ich das Vergnügen nicht nennen. Das arme Kind kommt zwar nie in Gesellschaft oder gar auf den Tanz, aber doch ist sie der Liebling der ganzen Ernstthaler Burschenschaft, und ich meinerseits möchte nicht wagen, ihr ein Leid zu thun.« »Pah, was scheere ich mich um Eure Burschenschaft! – Habe ihnen schon manches Täubchen weggefangen, ohne es zu bezahlen, und manchem fürwitzigen Burschen, ohne daß er gemuxt hätte, den Stock da angemessen. Daß mich die Sippe im Magen hat, weiß ich, aber ich will doch einmal Den sehen, der es wagt, mir die Zähne zu zeigen, wenn ich einmal einer alten Holzdiebin den Korb zertrete oder einer jungen Herzensspitzbübin in die Backen kneipe. Man hat eben als Edelmann so seine Passionen, und giebt es dabei eine kleine Faustaffaire, so nimmt man sie zur Unterhaltung mit in den Kauf. Und heut, da es sich um die Schönste unter Euern Schönen handelt, würde ich keine Störung dulden und wenn der ganze Krethi und Plethi Euers Spulwurmnestes sich gegen mich auf die Beine machte! Wie heißt sie denn eigentlich und wo wohnt sie?« »Weiß nicht«, war die kurze, abweisende Antwort. »Du! Glaubst Du wirklich in diesem Tone mit mir fertig werden zu können? Sei gegen den Gast Deines Herrn etwas manierlicher und bemaßstabe meine Handlungsweise nicht mit plebejischen Ansichten. Du bist zu meinen Diensten commandirt und hast Dich nach meinen Intentionen zu richten!« »Es ist mir bei meiner Instruction kein bestimmter Ton für den Umgang mit Euch vorgeblasen worden, und als Wegweiser bei Euern Wanderungen durch unser Revier habe ich keineswegs die Verpflichtung übernommen, Euern Lüsten als Helfershelfer zu dienen. Ueberhaupt scheinen mir unsre plebejischen Ansichten nobler und ehrenwerther zu sein als Eure vornehmen Passionen. Adieu!« »Karl!« – – Er hob drohend den Stock, aber der alte Holzbegeher war schon
hinter den Büschen verschwunden, und fluchend und wetternd wandte er sich nun dem Mädchen zu. In der Rechten gravitätisch das Rohr, die Linke an den Berloquen der schweren, weit herabhängenden Uhrkette, trat er mit selbstgefälliger, siegesgewisser Miene auf die Lichtung. »Was wälzt sich denn das Jungferchen hier im Grase herum, als hätte sie dies allerdings hübsche und verschwiegene Plätzchen von der hohen Forstverwaltung zu ihrem Privatgebrauche gepachtet?« Sie war gleich bei den ersten Worten erschrocken aufgesprungen und suchte ihm ihre Hand zu entziehen, die er sofort ergriffen hatte. »Ah, Beere gesucht, mein Herzchen? Na, das ist zwar eigentlich nicht erlaubt; denn Alles, was im Walde wächst, gehört dem Landesfürsten, und grad unter dem Vorwande des Beerensuchens wird der meiste Unfug und Frevel getrieben; aber einem so hübschen Kinde gegenüber weiß Unsereiner recht wohl galant und nachsichtig zu sein. Nur hoffe ich, daß Du das auch anerkennst.« Er versuchte seiner Stimme einen zarten Klang zu geben; aber der Erfolg dieser Anstrengung war ein durchaus verunglückter. Zitternd und mit niedergeschlagenen Augen stand sie vor ihm; die Gluth der Scham bedeckte ihr Gesicht von der Stirn bis zum Nacken und die bebenden Lippen vermochten vor Angst keinen Laut auszusprechen. Sie fühlte die Gier, mit welcher sein leidenschaftlicher Blick sie verschlang, und wußte sich doch zu schwach zum Widerstande gegen den starken, riesenkräftigen Mann. »Also komm, mein Täubchen, und fürchte Dich nicht. Heut darfst Du mir nicht entfliehen, wie Du bisher immer gethan hast!« Er zog die Widerstrebende an sich und suchte ihren Mund zu finden. Sie sträubte sich mit allen Kräften gegen die Umarmung des Verhaßten und warf, vor Schreck noch immer wortlos, das verschleierte Auge hülfesuchend im Kreise umher. Da ertönte ein scharfer, gellender Pfiff. Ueberrascht ließ der Zudringliche seine schöne Beute fahren und drehte sich um. Dort am Haselstrauche stand, die Hände leicht auf den Griff des damals bei fahrenden Schülern und wandernden Handwerkern üblichen Ziegenhainers, der Handwerksbursche und verfolgte mit sichtlicher Befriedigung die Bewegungen des Mädchens, welches das Körbchen ergriffen hatte und beflügelten Fußes davon eilte. »Alle Wetter, welch ein freches, unverschämtes Subject. Diesem Menschen muß man Mores lehren!«
Mit zurückgeworfenem Kopfe, steifgespreizten Beinen und imponirender Amtsmiene schritt er auf den Genannten zu, stellte sich breitspurig vor ihm hin und maß die leichte, zierliche Gestalt desselben mit einem Blicke der unverholensten Verachtung. »Wer ist man denn, he, daß man es wagt, einen Forstbeamten auf dessen eigenem Reviere anzupfeifen wie einen Windhund?« Der stille, männliche Ernst auf dem Angesicht des Angeredeten machte einem Lächeln der Belustigung Platz; aber einer Antwort wurde der Frager nicht gewürdigt. »Wie es scheint, kann der Patron besser pfeifen als sprechen; vielleicht löst ihm dieses Instrument da die Zunge. Also, wer bist Du, wo kommst Du her und was hast Du hier zu suchen?« Ein leichtes, verächtliches Zucken des Schnurrbärtchens war die einzige Antwort. Da hob der »Blauweiße« das Rohr höher. »Na, wie wird's? Man wird wohl einen armseligen Klopffechter nach dem Woher und Wohin fragen dürfen, wenn er sich da herumtreibt, wo es weder Weg noch Steg giebt! Also Antwort; ich spaße nicht!« Wieder erfolgte keine Antwort, aber ein kleines, ungeduldiges Fältchen am Augenwinkel ließ vermuthen, daß nicht Theilnahmlosigkeit die Ursache dieses Schweigens sei. »Also nicht? Da paß auf; ich zähle bis drei, und das Uebrige wird sich finden. Wer bist Du? Eins! – zwei! –« Jetzt endlich richtete der Bedrohte den Blick voll und fest auf den Jägersmann, und während dieser Blick den Gegner langsam vom Hütchen bis herunter zur Stiefelspitze übermaß, ward er immer schärfer und stechender. Das Auge öffnete sich weiter und weiter, durchlief, immer dunkler werdend, alle Farbentöne vom hellsten Grau bis zum tiefsten Braun, und heftete zuletzt so flammend und durchbohrend auf dem zornesrothen Angesichte des Blauröckigen, daß dieser der Gewalt des siegesgewissen Blickes nicht zu widerstehen vermochte und Arm und Stock sinken ließ, ohne die »drei« ausgesprochen zu haben. »Ah ...!« – – Es war der erste Laut, den der fremde Wandersmann hören ließ, und während dieses Wort von der tiefsten Baßlage aus alle Töne bis hinauf zur höchsten Stimmung durchlief und dann in raschem, energischen Tonfalle zurückvibrirte, lag in ihm eine ganze Welt von Verachtung, Spott und Geringschätzung. Seine Gestalt schien zu
wachsen; die Schultern traten in die Breite; die Brust ging frei und hoch; der Kopf, dessen Ausdruck in diesem Augenblicke des Affectes das verkörperte Ideal männlichen Stolzes und Selbstbewußtseins repräsentirte, warf sich leicht in den Nacken; die Linke streckte sich gebieterisch fortweisend aus; die Rechte zog in geschicktem Wirbel den Knotenstock um das Haupt, und, den Gegenüber mit dessen eigener Taktik schlagend, erklang es kurz und bestimmt: »Kehrt! – – Marsch! – – Eins! – – Zwei! –« Auge in Auge standen sich die Männer einige Augenblicke lang gegenüber, und es schien fast unentschieden bleiben zu wollen, welcher von Beiden den ersten Schritt nach rückwärts thun werde. Wie aber stets und immer der Geist den Körper dominirt und kein physisch noch so verschwenderisch ausgestatteter Bramarbas dem ächten Muthe auf die Dauer zu widerstehen vermag, so siegte auch hier die geistige Ueberlegenheit des Einen über die körperliche Kräftigung des Andern. Von der niegeahnten Macht eines leuchtenden Menschenauges und der jeden Widerspruch ausschließenden Haltung des Handwerksburschen vollständig verwirrt und verblüfft, trat der Junker erst langsam und zögernd zurück, machte dann bei der ominösen »Zwei« rechtsumkehrt und verschwand unter grimmigen Drohungen erst zaudernden und dann rascheren Schrittes zwischen den Sträuchern. Bis dahin war ihm der drohende Blick des Siegers gefolgt, und als sich die Zweige hinter den blanken Stiefeln, dem blauen Sammetrock und der wallenden Perücke schlossen, ertönte ein kurzes, helles Lachen zwischen den Lippen, die vorhin so beharrlich geschwiegen und dann mit vier Sylben den Enakssohn in die Flucht geschlagen hatten. »Das war er, einst Offizier und jetzt Lump im Cavalierskleide; ich werde ihn fassen und sein König wird ihn richten!« Dann schritt er der Stelle zu, auf welcher die Betende gekniet hatte, bückte sich nieder und löste ein kleines, weißblühendes Blümchen vom Rasen ab. Lange und sinnend betrachtete er die zarte, unscheinbare Pflanze; weich und weicher wurden die Züge, welche vorher so ernst und streng gewesen waren; mild und milder blickte das Auge, und warm und innig klang die eben erst so gebieterische Stimme.
»Augentrost! Sollte das ein Zeichen des Himmels sein für mich und für sie, die des Trostes für ihr schönes, krankes Auge so sehr bedarf? Ist es möglich, daß ich hier im wilden Tann das finde, was ich als Erfüllung meines besten und höchsten Erdenwunsches im Lichte der Candelaber vergebens suchte, ein Herz, an welches ich mein ermüdetes Haupt vertrauensvoll betten darf am Abende eines jeden Tages und am Abende auch des Lebens? Ich fühle, daß diese Stunde über mich entschieden hat und werde ihrem Rufe folgen so bald und so viel es mir die Schwierigkeit meiner Aufgabe gestattet. Aber wer ist sie?« »Wenn Ihr das Mädchen meint, welches hier gesessen hat, so kann ich es Euch schon sagen, weil ich sehe, daß Ihr ein tüchtiger Kerl seid, dem man Auskunft geben kann«, ertönte da eine zwar rauhe, aber nicht unangenehme Stimme neben ihm. Es war der Waldhüter, welcher nicht fortgegangen war, sondern von Weitem den Verlauf des erzählten Vorganges beobachtet hatte. »Wer seid Ihr?« fragte der junge Mann kurz. »Ich heiße der Jägerfranz und bin Forstwart hier.« »Wer ist der Mann, welcher vorhin mit Euch war?« »Das kann ich nicht sagen. Wir nennen ihn den ›Junker‹ oder auch den ›Blauweißen‹, seiner Kleidage wegen nämlich. Er ist vom Hofe den umliegenden Förstern empfohlen und geberdet sich, als sei er in unsern Waldungen auf seinem eigenen Gebiete. Er ist bald hier, bald dort, am meisten aber in Ernstthal, wo er nach hübschen Dirnen äugt. Am liebsten spielt er den Forstherrn, maltraitirt die untern Beamten und tritt den armen Frauen, welche Leseholz suchen, die Körbe entzwei. Deshalb mag ihn auch Niemand leiden, zumal er in dem Verdachte steht, für die Seelenverkäufer zu arbeiten, welche die jungen Leute wegfangen und gegen die Preußen schicken.« »Und Ihr laßt Euch geduldig von ihm turbiren?« »Was will man machen gegen einen Menschen, der unter hohem Schutze steht und dessen Körperstärke es ihm gestattet, ein Dutzend Leute gewöhnlichen Schlages in den Salat zu treten? Er drückt sich, trotzdem er ein Edelmann zu sein scheint, in allen Ecken und Winkeln herum, und wo ein Pärchen steht oder eine Fiedel gestrichen wird, da ist er zu sehen und fährt mit dem Stocke dazwischen, wenn's nicht nach seinem Willen geht.« »Gut, und wer ist das Mädchen von vorhin?«
»Sie ist die Tochter einer Nähterin und wohnt in Ernstthal beim Schmiedemeister Weißpflog auf der Obergasse.« »Das genügt. Hier habt Ihr eine kleine Gratification für Eure Mittheilung. Nicht wahr, Ernstthal liegt hinter jener Anhöhe?« »Ja, Ihr geht noch ein paar Schritte gradaus durch den Busch und dann führt die Straße rechts fort in die Stadt.« »Adieu!« »Adieu; dank schön für das Geschenk!« Der Forstgehülfe blieb stehen und betrachtete erstaunt das Geldstück, welches er erhalten hatte. »Blitz noch einmal, das ist ja Gold, schönes, blankes, gelbes Gold, wie ich es mein Lebtage noch nicht im Beutel gehabt habe! Wer ist denn eigentlich dieser Mann, der trotz seiner zerrissenen Stiefeln vor mir gestanden hat wie ein Graf, dem man nur antworten muß, wenn er fragt? Das muß ich in Obacht nehmen, denn heut zu Tage, wo sie sich da draußen an allen Ecken und Enden auf Tod und Leben herumschlagen, passiren Dinge, die in ruhigen Zeiten nicht gäng und gäbe sind. Aber er mag sein wer er will, ein Hauptkerl ist er, und gefallen hat er mir, wahrhaftig sehr gefallen, wie er den ›Blauweißen‹, an den sich unserer Zehn nicht getrauen, so köstlich abgeblitzt hat!«
2. Vor der Schmiede Es war für Sachsen eine böse Zeit. Minister von Brühl, der Lenker der damaligen sächsischen Politik, hatte Kurfürst August III. vermocht, trotz des Breslauer Friedens mit seiner früheren Feindin Maria Theresia ein Bündniß gegen den Preußenkönig Friedrich II. einzugehen, in welchem er versprach, die Waffen nicht eher niederzulegen, als bis der König Schlesien herausgegeben habe und auf seine »märkische Streusandbüchse« beschränkt sei. Aber wie schon früher, so hatte man auch jetzt sich in dem jungen, thatenlustigen Herrscher geirrt, welcher bei der Nachricht von dieser Allianz mit seinem schlagfertigen Heere sofort in Oesterreich eingefallen war und die Verbündeten zu Paaren trieb. Die Siege bei Hohenfriedberg und Sorr lichteten besonders die Reihen der Sachsen auf die jämmerlichste Weise, denn die Preußen waren erbittert über die Untreue ihrer früheren Verbündeten und warfen schonungslos nieder, was ihnen in den Weg trat. Die so entstandenen Lücken mußten natürlich ausgefüllt werden und so bildeten sich nach der Weise jener Zeit im Lande zerstreute Werbestationen, welche nicht blos den freiwilligen Eintritt in die Armee vermittelten, sondern häufig auch Zwang übten, so daß die jungen, tauglichen Leute von den Tanzsälen, ja sogar bei Nacht und Nebel aus den Betten weggeholt wurden. Gewalt ließ sich gegen Soldaten, welche den kurfürstlichen Rock trugen, nicht anwenden, und so gab es vor ihnen keine andere Rettung als die Flucht. Aber auch diese war schwer, denn diese Menschenjagden wurden stets unvermuthet und meist in der Stille der Nacht ausgeführt, und ein weit ausgebreitetes Spionirsystem zog seine Netze über das ganze Land, so daß der Bedrohte sicher durch die andere Masche in das Garn zurückschlüpfte, wenn er vorher durch die eine aus demselben entkommen war. Heut hatten die »Seelenverkäufer«, wie die Werber im Volksmunde hießen, einigen Schwadronen sächsischer Reiterei, welche in Hohenstein und Ernstthal lagen, neue Mannschaften
zugeführt, und die Offiziere saßen nach geschehener Besichtigung derselben im Gasthofe. Auch der »Blauweiße« war bei ihnen, doch schien in diesem Kreise die Aufmerksamkeit für seine Person eine zweifelhafte zu sein, und wenn er in den Lauf des Gespräches mitredend eingriff, so überflogen ihn die Augen der Andern mit zweideutigem Blicke. Eben hatte er wieder eine seiner Tiraden beendet und warf seine schwere Gestalt mit einem Gesichte in den krachenden Stuhl zurück, in welchem sich deutlich die Erwartung einer bewundernden Anerkennung aussprach. »Ja, das ist wahr«, nahm nach einer längeren Pause der Major das Wort. »Ich kann nicht begreifen, in welcher Weise es Euch gelingen mag, die ruhmbegierigen Muttersöhnchen uns immer in so bedeutender Anzahl zuzuführen. Es setzt das jedenfalls eine höchst intime Bekanntschaft mit den Verhältnissen des Pöbels voraus, bei dem allerdings eine kräftige Faust und ein kerniger Soldatenfluch Wunder zu bewirken vermag. Von diesem Gesichtspunkte aus thut allerdings das sächsische Cabinet klug, Eure so oft vom Könige verlangte Auslieferung zu verweigern, und selbst wenn Eure jetzige Thätigkeit eine weniger erfolgreiche wäre, so schickte man doch nicht gern einen Mann über die Grenze, der sich durch den Verkauf unfreiwillig mitgegangener Pläne und Documente so unendlich verdient gemacht hat. Man ist in Sachsen eben einsichtsvoll und dankbar genug, zu bedenken, daß ein jeder Mensch, sogar ein ehemaliger preußischer Infanteriehauptmann nicht ausgenommen, am Halse seine kitzlichste Stelle hat.« »Herr Major!« »Schon gut, wir kennen uns und sind Beide gewiß recht brauchbare Leute, nur Jeder in seiner Art, und es thut mir wirklich leid, daß unsre Ansicht über den endlichen Verlauf der jetzigen Ereignisse eine so sehr verschiedene ist. Ihr scheint anzunehmen, daß der königliche Flötenspieler mit seinen kriegerischen und diplomatischen Evolutionen bald beim Finale stehen werde und mögt das in Euren Verhältnissen auch recht wünschenswerth finden, doch wird diese Ansicht nicht von mir allein als unbegründet zurückgewiesen. Wie ist's, Krieben?« »Sehr wahr«, antwortete der angesprochene Rittmeister. »Die Politik Sachsens hat wieder einmal einen unverzeihlichen faux pas begangen. Sachsen ist, seine physikalischen Verhältnisse zu den Nachbarstaaten auch einmal nicht in Mitrechnung gebracht, durch
unzählige Beziehungen der verschiedensten Art in Abhängigkeit zu Preußen gestellt, während die Inclination zwischen dem Kaiserstaate und uns mir keine tiefer gehende zu sein scheint. So lange der sächsische Januskopf sein Friedensgesicht nach Süden wendet und dem nördlichen Nachbar feindselige Grimassen schneidet, wird es sowohl an militärischen als auch civilen Ohrfeigen nicht mangeln, und die kriegerischen Bravours der märkischen Expansivkraft müssen schließlich allemal mit kurfürstlichem Avers und Revers bezahlt werden.« » Halte l'a, « entgegnete eifrig der Junker, »mir scheint das Verhalten Friedrichs nichts Anderes und nichts Besseres als eine ebenso offenbare wie strafwürdige Empörung gegen die Majestät des deutschen Reichsoberhauptes zu sein, und ich hoffe nicht, daß Du als mein Verwandter mit Deinen Worten einen Tadel aussprechen willst gegen das, was ich that, weil es mir sowohl die Rücksicht auf mein persönliches Wohl als auch meine Anschauung der Dinge überhaupt gebot.« »Gewiß nicht. Ich sprach über allgemeine Verhältnisse ohne individuelle Ansichten behofmeistern zu wollen, und Deiner Berufung auf unsre familiäre Zusammengehörigkeit werde ich Rechnung zu tragen wissen. Aber Du giebst doch zu, daß wir arg in die Klemme gerathen sind. Mit welcher Emphase sprach man nicht von der Unübertrefflichkeit der ungarischen Reiterei, und wie ist diese Truppe nicht von den strammen Cavalleristen Friedrichs zusammengeritten und in die Pfanne gehauen worden überall, wo sie sich nur zeigte! Mir wird der Kopf noch jahrelang brummen von den Hieben jenes verdammten Husarenrittmeisters, welchen wir fast zwei Stunden jagten, um am Ende doch nur das Pferd zu bekommen, während der Kerl selbst mit seinen Depeschen entwischte.« »Das Pferd im Stiche zu lassen ist doch wahrhaftig keine Ehre für einen Offizier, der noch dazu Husarenrittmeister ist«, tönte die Stimme eines jungen Carnets. »Um das zu verstehen, fehlt es Ihm noch an Erfahrung. Der Betreffende ist nicht in offener Feldschlacht vom Gaule weggelaufen, sondern vom Könige mit geheimen Schriften an den Markgrafen von Schwedt geschickt worden. Es war das kurze Zeit vor dem famosen Ritte des Ziethenschen Regimentes durch unsre ganze Aufstellung, auch ein preußisches Reiterstück, welches uns
schamroth machen sollte. Wir hatten Kunde von der Sache bekommen und lauerten das Männlein ab, aber prosit die Mahlzeit! Den Säbel zwischen den Zähnen und die Pistolen in den Fäusten, stürmte er in den dichtesten Haufen hinein, ritt, schoß und hieb nieder, was im Wege stand, und war uns um einige Hundert Pferdelängen voraus, ehe wir nur daran dachten, ihm nachzupaddeln. Nun aber gab's ein Rennen, wie ich es mir nicht als möglich gedacht habe. In völliger Carrière lud er wieder, aber nicht etwa für uns, denn um uns bekümmerte sich der Halunke unhöflicher Weise gar nicht mehr, sondern für die dummen Burschen, denen es einfiel, ihm Barrière zu stellen. So ging's durch ein halbes Dutzend Ortschaften, welche alberner Weise dort alle so frei und offen daliegen, daß man hinten nur hinein zu gucken braucht, um im nächsten Augenblicke vorn wieder draußen zu sein; über Felder und Wiesen, durch Dick und Dünn; kein Bagagewagen, kein Pulverkarren hielt ihn auf, drüber weg ging's. Der Kerl war wahrhaftig seine tausend Ducaten werth, und der Rappe, den er ritt, das Dreifache. Da endlich schlängelt sich eine Marschcolonne quer über die Richtung und er muß deshalb in scharfem Winkel abbiegen, wir aber schneiden eine Diagonale und kommen ihm auf diese Weise an die Fersen. Zum Malheur geräth er auf sumpfiges Terrain und das Pferd bleibt, den Schlamm bis an den Sattel, stecken. Schon jubelten wir und glaubten ihn fest zu haben, der Filou aber muß von seiner moorreichen Heimath her mit dergleichen elastischem Parquet vertraut sein. Er schnellte sich vom Pferde und gewann mit einigen Sprüngen, wie ich sie einem Menschenkinde gar nicht zugetraut habe, festen Boden. Ich ritt an der Spitze der Verfolgenden und drang, den Säbel in der Faust, in das Gebüsch ein, welches ihn aufgenommen hatte. Da plötzlich packt mich Jemand bei der Gurgel und zu gleicher Zeit höre ich eine Stimme dicht an meinem Ohre. › Ma foi, Herr Kamerad, Ihr müßt mir Euern Fuchs auf einige Zeit überlassen; vier Beine leisten das Doppelte von zweien, und mein Rappe steckt in der Buttermilch!‹« »Der Mensch ist nämlich kluger Weise gar nicht in das Gebüsch eingedrungen, sondern hat sich gleich hinter die vorderste Hecke gesteckt und dann mit dem bekannten Artilleristensprunge hinter mir Platz genommen. Eben will ich mich wenden, um dem kühnen Gaste eine bleierne Antwort zu bieten, da stürzt mein Pferd über
eine hervorstehende Wurzel und wir beiden Reiter schlagen Arm in Arm einen Purzelbaum zur Erde nieder. Im Nu bin ich auf; aber eben so schnell steht auch er vor mir. Degen und Pistolen sind uns entflogen, und wir gerathen deshalb mit den Fäusten an einander. – Von weiteren Details kann ich nicht sprechen, ich weiß nur noch, daß ich an der Erde lag und mit der einen Hand mich aufzurichten suchte, während ich ihn mit der andern bei dem langen, prächtigen Vollbarte gepackt hielt. Freilich gelang es mir nicht emporzukommen, denn der Mann drückte mich mit wahrer Elephantenstärke nieder und raubte mir durch einige Faustschläge, die wie Axthiebe auf meine arme Hirnschale niederschmetterten, die Besinnung.« »Und das erzählst Du?« »Warum nicht? Von einem solchen Gegner besiegt zu sein, ist keine Schande, und wenn ich ihm heut auf neutralem Boden begegnete, so würde ich ihm mit dankbarer Anerkennung die Hand drücken. Bei seiner riesigen Stärke würde es ihm jedenfalls ein Leichtes gewesen sein, mich in's Jenseits zu spediren, und ich habe seine letzten Worte wohl behalten: ›Adieu, Herr Kamerad! Ich wünsche nicht Euern Tod, Ihr sollt nur ein wenig schlafen, mehr nicht. Meinen Hengst lasse ich für Euch zurück; haltet ihn gut, ich werde ihn seiner Zeit gegen Euern Goldfuchs wieder umtauschen!‹« »Und dann?« »Was dann! Als ich wieder zu mir kam, standen die Andern bei mir und der Flüchtling war fort. Sogar seine und meine Waffen hatte er erst noch Zeit gehabt zusammen zu lesen, und der Fuchs ist mir bis heute untreu geblieben. Hol's der Teufel!« »Was für eine Figur hatte der Mann?« »Er schien gar nicht etwa ein Riesenkind zu sein. Einzelheiten habe ich mir freilich bei der rapiden Geschwindigkeit, mit welcher das Alles von Statten ging, nicht merken können, und ich weiß deshalb nur, daß er kürzer war als ich und einen Vollbart trug. Wieder erkennen werde ich ihn wohl schwerlich; aber dem Wappen nach, welches ich an der Schabrake des zurückgelassenen Pferdes bemerkte, muß es Einer aus der Familie von Göbern sein.« »Ach, richtig; dem traue ich's zu!« rief da der Blauweiße. »Der Rittmeister von Göbern ist der Pathe und Liebling des alten Dessauers, hat bei ihm die Epauletten erhalten, ging dann zum
Markgrafen von Schwedt und steht jetzt bei Ziethen. Er ist der beste Reiter und Fechter der Armee, ein feiner Strategiker und besitzt, nebenbei bemerkt, ein wahrhaft fürstliches Vermögen. Persönlich kenne ich ihn nicht, aber erzählen hörte ich viel von ihm. Es gab eine Zeit, in welcher er der Gefeierte der Damenwelt Berlins und Potsdams war, bis man entdeckte, daß er zum Verlieben zu ernst und zum Verheirathen zu vorsichtig sei. Seiner geistigen Gewandtheit und körperlichen Stärke und Unverwüstlichkeit wegen ist er öfters zu den schwierigsten und anstrengendsten Missionen verwendet worden, und es sollte mich wundern, wenn man in Beziehung auf meine Person, da alle Versuche gescheitert sind, – doch das gehört nicht hierher. Uebrigens ist sein Marstall stets reich besetzt und läßt nichts zu wünschen übrig. Hast Du das Pferd bekommen?« »Freilich, und ich könnte mit dem Tausche sehr wohl zufrieden sein, wenn der Hengst nicht einen unverzeihlichen Fehler hätte.« »Welchen?« »Er läßt Niemanden im Sattel.« »Das wäre!« »Gewiß! Du weißt, daß ich kein ganz ungeschickter Reiter bin, und nach mir haben ihn zehn Andere bestiegen, die vielleicht noch fester sitzen als ich: aber abgesetzt sind wir worden. Eine Schande ist's, das gestehen zu müssen, aber was will man machen? Kein Mittel habe ich unversucht gelassen, aber immer ohne Erfolg; er gehorcht weder im Guten noch im Bösen, und wirft mir die zähesten Bereiter vor die Füße. Ich schlüge ihn deshalb gern los, wenn ich ihn in gute Hände bringen könnte.« »Hast Du ihn mit?« »Ja, er steht mit dem Braunen beim Schmiede. Ich bin überhaupt jetzt verteufelt schlecht beritten. Den Hengst darf ich nicht besteigen und lasse ihn mir also nur als theures Andenken an jene vehementen Kopfnüsse nachführen, und der Braune geht lahm; weil er sich nicht beschlagen läßt. Man hat ihm einmal einen Nagel in's Leben getrieben, und seit jener Zeit steht er keinem Schmiede mehr. Mein Fahnenschmied war der Einzige, dem er sich anvertraute, und der ist leider im Spitale gestorben. Da habe ich denn sämmtliche Schmiede, bei denen mich unsere Marschroute vorbeiführte, aufgetrommelt, aber ein Eisen hat mir Keiner auflegen können. Nun hinkt das Thier auf allen Vieren und ich muß die ganze Zeit über auf geborgten
Pferden hängen.« »Zu wem hast Du geschickt?« »Weißpflog heißt der Mann und soll der beste Beschläger weit und breit sein.« »Das ist er auch. Zwar war ich noch nicht bei ihm, aber wenn irgend Einer, so vermag er es.« »Ich glaube kaum, daß ein alter spießbürgerlicher Hufschnitzer mit dem Braunen fertig wird, und bin deshalb gar nicht mitgegangen. Auf Deine Ueberzeugung hin aber wollen wir uns den Mann einmal ansehen. Gehen die Herren mit?« Sämmtliche Offiziere erhoben sich und folgten der Aufforderung des Rittmeisters; doch war bei dem Gang durch die Gassen des Städtchens ihre reservirte Haltung gegenüber dem Junker noch hervortretender als innerhalb der vier Wände des Schenkzimmers. Erst an der Spitze der kleinen Gesellschaft, kam er bei jedem Schritte weiter zurück und schritt endlich allein und unbeachtet hinter den Andern her. Da plötzlich tönte ihnen lautes Schreien und Hülferufen entgegen; im Laufschritt bogen sie um die Ecke, konnten aber vor der Menge der zusammen gelaufenen Soldaten und Bürgersleute die Ursache des Tumultes nicht eher erkennen, als bis sie sich durchgedrängt hatten. Da lag denn der Reitknecht jämmerlich zerschlagen und zertreten am Boden; der Schmied, welchen das Pferd an die Mauer geschleudert hatte, lehnte leise wimmernd am Thürpfosten, und eine ganze Schaar Cavalleristen hing am Braunen, der schäumend mit ihnen auf und nieder ging. Die Andern alle hatten sich vorsichtig zurückgezogen und bildeten einen dichten Kreis um die Scene, außerhalb dessen Einer stand, der den Vorgang mit noch lebhafterer Spannung verfolgte als die Näherstehenden. Es war der Handwerksbursche, welchen wir im vorigen Capitel kennen gelernt haben. Das wüthende Thier und die Bemühungen seiner Bändiger schien er vollständig zu ignoriren; sein Auge haftete nur auf dem Rapphengste, welcher, von einem Soldaten gehalten, ruhig und theilnahmlos bei Seite stand, und flog zuweilen empor zu den oberen Fenstern der Schmiede, wo zwei Frauenköpfe ängstlich durch die Scheiben lugten. Den Bemühungen der Offiziere gelang es endlich, das Thier zu beruhigen; der Reitknecht wurde aufgehoben und fortgetragen, und der Rittmeister wandte sich zum Schmied.
»Nun, Meister, wie steht's? Habt auch Ihr Schaden genommen?« »Ich glaube nicht, eine Quetschung; es sah schlimmer aus, als es ist. Aber einen solchen Teufel von Pferd hab ich auch noch nicht unter den Händen gehabt, und der Bursche hat mich nicht vorher aufmerksam gemacht.« »Na, laßt's gut sein und ärgert Euch nicht, es ist Andern auch schon so gegangen. Hier habt Ihr ein Trink- und Schmerzensgeld.« Weißpflog griff nach der unerwarteten Gabe, zog aber auf halbem Wege die Hand wieder zurück, weil er sich von der andern Seite her angeredet hörte. Er drehte sich um und vor ihm stand, die Mütze ehrerbietig in der Hand, der Handwerksbursche. »Gott zum Gruß und Glück und Segen in's Geschäft, Herr Meister!« »Danke! Was ist Dein Begehr?« »Ich bin ein wandernder Gesell der löblichen Zeug-, Huf- und Waffenschmiede und komme, das Handwerk zu begrüßen. Ich bin weit und viel gereist, um Etwas zu lernen und einst ein tüchtiger Meister zu werden, und da ich gestern erfahren habe, daß Ihr der erste und geschickteste Beschläger in der weiten Umgegend seid, so bin ich gekommen, mich in dieser Fertigkeit zu üben und von Euch Unterweisung zu erbitten.« Trotz des wohlgefälligen Lächelns, welches diese wohlgesetzte Anrede auf die geschwärzten Züge des Schmiedes gelockt hatte, warf dieser doch einen mißtrauischen Blick auf die defecte Kleidung des Gesellen. »Würdest nicht viel lernen können bei mir; hast ja wohl selbst gesehen, wie mich der Braune da maltraitirt hat. Und Deinem Habitus und Deiner Schneiderfigur nach scheinst Du mir eher ein Luftspringer als ein rechtschaffener Hufschmied zu sein.« »Möglich!« Das Wort wurde zwar in ehrerbietigem Tone gesprochen, aber von einer Handbewegung begleitet, in welcher sich das abweisendste Selbstgefühl aussprach. Der Sprecher wandte dem Meister den Rücken und drehte sich zu den Offizieren. »Will der Herr Rittmeister mir den Braunen anvertrauen?« »Bursche, wo denkst Du hin? Der macht Dich todt!« »Möglich!« Jetzt klang das Wort halb spottend, halb wegwerfend, und in demselben Augenblicke lagen auch Felleisen, Rock, Weste und
Mütze am Boden; die Hemdärmel wurden nach innen aufgestreift und ein Schurzfell hervorgezogen. »Der Herr Meister hat wohl Feuer auf dem Heerde?« »Es wird wohl noch brennen.« »Gut. Ich will erst ein Wort mit dem Pferde sprechen, dann gehen wir an's Werk.« »Halt!« rief der Rittmeister, »lege das Schurzleder ab. Wenn es Dich als Schmied erkennt, darfst Du gar nicht hinan!« »Pah, am Ende gar den Bratenrock anziehen und Perücke und seidene Handschuhe dazu! Der Braune ist auf die Dauer nur dadurch zu bemeistern, daß man ihm Respect vor dem Schurzfell einflößt und ihn an den Anblick desselben gewöhnt, sonst wird er heut beschlagen und morgen ist der Rappel wieder da. Platz gemacht, ihr Leute; bindet ihm die Zügel lang an den Sattelknopf und laßt ihn dann frei!« Es geschah, und erwartungsvoll zogen sich Alle zurück. Im ersten Augenblicke schien das Pferd nicht zu wissen, was es mit der überlassenen Freiheit beginnen solle; als der Geselle sich ihm aber näherte, stieg es wiehernd kerzengrad in die Höhe und warf sich herum, das Weite zu suchen. Doch da stand der junge Mann vor ihm, schlug ihm die Linke in die Mähne, den Zeige- und Mittelfinger der Rechten in die dampfenden Nüstern und warf es mit einem Rucke, der einem Simson Ehre gemacht hätte, auf die Hinterbeine nieder. Allerdings war es im nächsten Augenblicke wieder auf, aber ebenso schnell lag es auch wieder am Boden; kein Schäumen und Knirrschen, kein Schlagen und Beißen, kein Wiehern und Stöhnen half gegen den unerbittlichen und gedankenschnellen Fremden, auf dessen Angesichte sich nicht die geringste Spur von Anstrengung und Aufregung zeigte, während das keuchende Pferd im Schweiße badete und die Schaumflocken weit umher warf. Es ermattete mehr und mehr und konnte nicht verhindern, daß der Geselle Platz im Sattel nahm. Da stand es eine Weile bewegungslos, wie um sich zu besinnen, dann aber ging's mit allen Vieren in die Luft und versuchte, durch eine Reihe von Seitensprüngen den kühnen Reiter abzuwerfen. Dieser aber saß mit lächelndem Munde und leuchtendem Auge oben und schien desto größeres Gaudium zu empfinden, je toller es die Bestie unter ihm trieb. Da endlich rief er laut: »Aufgepaßt jetzt, wer etwas lernen will!«
Mit kräftigem Stoße grub er den Daumen der geballten Hand zwischen Hals- und Rückenwirbel des Pferdes ein; dieses stieß einen Schmerzenslaut aus, der mit dem Klange des gewöhnlichen Wieherns nicht die entfernteste Aehnlichkeit hatte, und versuchte, wieder in die Höhe zu steigen. Aber wie eingemauert stak sein Leib zwischen den Schenkeln des Reiters, deren gewaltiger Druck ihm trotz der Anstrengung aller Muskeln und Fibern den Athem und die Bewegung raubte. Es war ein Anblick zum Angstwerden. Hier kämpfte Körperkraft gegen Körperkraft, und die geistige Ueberlegenheit des Menschen war für den Augenblick dispensirt. Die Adern an der Stirn und den Armen des Gesellen traten blau und angeschwollen unter der weißen Haut hervor; blutroth lag die Anstrengung auf seinem Gesichte und groß und schwer fielen die Tropfen des Schweißes ihm über die Wangen herab. Bewegungslos waren die Züge, starr hing das Auge an dem Kopfe des Pferdes, und dem Zerreißen nahe spannten sich die Zügel. Der Odem des Thieres stieg pfeifend aus den Nüstern, die Beißkette knirrschte unter den vor Angst zusammengepreßten Zähnen; die Hufe hoben sich unter den krampfhaft zuckenden Beinen und suchten doch sofort wieder den festen Boden. So hielten Roß und Reiter eine ganze kleine Ewigkeit an derselben Stelle, bis endlich das Thier lautlos zusammenbrach. Ein allgemeines »Ah!« der Erleichterung entfuhr den Umstehenden, deren Puls vor Beängstigung gestockt hatte, und die dünne Stimme des kleinen, vorlauten Cornets tönte: »Junker, an Den kommt Eure berühmte Muskelkraft doch noch nicht!« Und der Rittmeister eilte, mehr besorgt um den Zustand des Gesellen als denjenigen seines Pferdes, herbei und faßte ihn bei den Achseln. »Kerl, wo hast Du das gelernt, und woher nimmst Du diese heidenmäßige Stärke? Du bist ja ein wahrer Satan!« »Möglich!« Sich den Schweiß abtrocknend und dem Meister winkend, verschwand er in der Werkstatt, in welcher bald kräftige Hammerschläge ertönten. Und als er dann zurückkehrte, hatte sich das Pferd wieder emporgerichtet, ließ ihn, bei seinem Anblicke zitternd, ruhig und willenlos gewähren und war in kurzer Zeit beschlagen.
»Hier ist Dein Lohn, Gesell, und das Fünffache bekommst Du als Handgeld, wenn Du die Stelle eines Fahnenschmiedes in meiner Schwadron annimmst.« »Danke, Herr Rittmeister. Meine Frau Mutter hat mir verboten, Soldat zu werden. Das Geld aber gehört nicht mir, sondern dem Meister.« »Deine Mutter hat mit unserem Handel nichts zu schaffen. Mir liegt viel daran, einen Kerl von Deinem Schrot und Korn bei mir zu haben, und wenn Unsereiner etwas wünscht, so giebt es keinen Gegenwillen. Des Kurfürsten Rock wird Dir prächtig stehen und ist übrigens eine Ehre für einen Burschen, der auf Natursohlen läuft!« »Ah!« – – Es war derselbe Laut, den er am Vormittage gegenüber dem Blauweißen ausgesprochen hatte, voll Verachtung, Spott und Geringschätzung. Sein Auge flog hinüber zum Rapphengste, welcher beim Klange seiner Stimme die Ohren spitzte, und haftete dann mit herausforderndem Blicke auf dem drohenden Offizier. »Und was willst Du jetzt machen, wenn ich Dich greifen lasse und mit mir nehme?« »Eure Schwadron, meinetwegen auch Euer ganzes Regiment vernageln, wenn Ihr mich zwingt. Doch so weit wird es nicht kommen, dafür stehe ich!« »Wieso?« »Ihr wollt mich mit Gewalt zur Fahne, und der Gewalt setze ich Gewalt entgegen. Wer mich anrührt, dem geht's wie dem Braunen da. Pasta, abgemacht!« Mit über die Brust gekreuzten Armen stand er da und musterte mit überlegenem Lächeln seine Umgebung. Da trat der Junker, welcher gleich vom ersten Augenblicke an den Gesellen mit neidischem und wuthblitzendem Auge beobachtet hatte, zu den Offizieren und flüsterte ihnen einige Worte zu. Darauf entspann sich eine leise geführte Unterhaltung, von welcher nur die letzte Bemerkung des Rittmeisters hörbar wurde: »Abgemacht, ich verlasse mich auf Dich!« Dann trat der Sprecher mit rascher Wendung auf den Gesellen zu. »Gut, Du sollst Deinen Willen haben und frei bleiben, obgleich ein Reiter wie Du ganz andere Chancen haben könnte. Aber eine Extragratification sollst Du noch haben, wenn Du einmal versuchst,
den Rappen dort zu besteigen. Er wirft Jeden ab, und wenn Du ihn zum Pariren bringst, so wird es Dein Schade nicht sein!« Das in Rede stehende Thier war schon längst unruhig geworden, warf den schönen, ausdrucksvollen Kopf auf und nieder, zerrte am Zügel und schleuderte den Sand mit den ungeduldig scharrenden Hufen empor. Der Geselle warf einen besorgten Blick hinüber und entgegnete achselzuckend: »Danke! Meine Frau Mutter hat mir verboten, Hengste zu besteigen!« Der Offizier lachte ärgerlich und wandte sich zum Junker. »Weißt Du was, Bredenow, ich mag das Pferd nicht länger zwecklos mit mir herumführen; besteigen kann ich es nicht, und der Braune wird ja nun wohl seine Schuldigkeit thun. Willst Du den Rappen in Futter nehmen? Ich stehe Dir natürlich zu Gegendienst bereit.« »Meinetwegen. Ich habe hier feste Station und werde ihn zu halten wissen.« »Topp, nimm ihn.« Die Pferde wurden abgeführt, die Menge verlief sich und die Offiziere folgten nach. »Fast hätte mich das gute, prächtige, treue Thier verrathen!« murmelte leise der Geselle und trat dann zum Meister, welcher unter der Thür stand. »Nun, wie ist's, wollt Ihr mich haben oder nicht?« »Na, wenn Du denkst«, schmunzelte der Angeredete. »Gut. Ich mache nicht viel Worte und habe meine eigne Weise, aber ich denke, wir werden zufrieden mit einander sein!« Noch spät am Abende, als Alles zur Ruhe gegangen war, setzte sich Weißpflog an den Tisch, zog den Lampendocht putzend aus der Dille, richtete die große, rundglasige Klemmbrille auf die Nase, schob erwartungsvoll das Pechkäppchen auf den Hinterkopf und öffnete das Wanderbuch des neuen Gesellen, in welches er noch gar nicht gesehen hatte, weil seine ganze Zeit von der Arbeit und der Sorge für die Einquartierung in Anspruch genommen worden war. »De e de, e em em dem; I en In, ha a ha, Inha; be e be, e er er, ber; Inhaber; dem Inhaber; de i di, i e ie, die; es e se, es es, ses; dieses; dem Inhaber dieses; Be u Bu, es ze ha che Buch; e es es, ches, Buches; dem Inhaber dieses Buches.« – – – Als die mühsame Lectüre beendet war, schob er den
qualmenden Docht wieder zurück, langte die Brille von der Nase herunter in's Futteral und brachte auch das Hausmützchen wieder auf den Pfiff, den es kraft des Gewohnheitsrechtes stets beanspruchen durfte, wenn sein Herr und Gebieter nach seiner eignen Ausdrucksweise über etwas »nachzusimpeliren« hatte. »Also Goldschmidt heißt er, Richard Goldschmidt, und aus Hannover kommt er, und dreißig Jahre alt ist er. Hm! Warum er doch nur bei diesem Alter noch nicht geheirathet und sich eine eigne Wirthschaft gegründet hat? Statt dessen läuft er in der Welt herum und lumpt die Kleider ab! Hm! Ist vielleicht ein Trinker oder hat sonst eine lüderliche Angewohnheit, sonst müßte er ja bei seiner Geschicklichkeit ganz anders dastehen. Na, will 'mal sehen! Er kann sich von meiner Alten die Löcher zuflicken lassen, dann geht's in der Woche und über der Arbeit. Und für den Sonntag da kann er meine alten, gelben Langgänghosen anziehen, die roth- und blaugekästelte Sammetweste und den langen, braunen Schooßrock mit Puffen und Batten, den der selige Schwiegervater sich bei seiner Hochzeit hat machen lassen. Die Sachen werden ihm so ziemlich passen, und ein gutes Wort will ich ihm auch geben und guten Lohn dazu, daß er dableibt und zu Etwas kommt. Er hat so etwas an sich, daß man ihm sofort gut sein muß, und wenn man ihm so recht genau in die Augen guckt, so hält man es gar nicht für möglich, daß er leicht und lüderlich sein kann. Ich glaube, ich werde mir nicht gleich über ihn gescheidt werden, zumal er gar nicht redet und Einen mit seinen großen Augen so vornehm anblitzt, so daß man immer vergißt, was man hat sagen wollen. Ich habe mir ja fast gar nicht getraut, ihn zu fragen, wie er heißt und woher er ist. Aber ein tüchtiger Kerl ist er, und ich habe mein Lebtage noch keinen solchen Gesellen gehabt. Aber das Hemde, das schmutzige – und die Löcher in den Stiefeln – in den Hosen – und in dem Rocke, – die Löcher, – die, – die machen mir Bedenken!«
3. Stillleben Es war dunkel in der Stube, dunkel und still, und nur der einförmige Pendelschlag der Wanduhr ließ sich hören. Heut ruhte die Arbeit, denn es war Sonntag, und die sparsame Mutter hatte noch nicht nach der Lampe gegriffen. Draußen ging die Abendluft leise rauschend durch die Baumkronen und die Sterne warfen ihren ersten milden Strahl durch die geöffneten Fenster. Da klangen aus dem kleinen Gärtchen einzelne abgerissene Saitentöne herauf und mischten sich in das kosende Flüstern der Zweige. Es war Dämmerstunde, jene liebe Zeit, in welcher wir den Schlag unseres Herzens vernehmlicher hören und darum so gern die Einsamkeit, die Stille und das Dunkel suchen. In dieser Stunde saß der neue Geselle täglich nach dem Feierabende unten auf der Bank, und in den Nachbargärten standen die Leute hinter den Zäunen, um seiner schönen, volltönenden Stimme zu lauschen. Aber nicht mehr als nur ein Lied sang er, dann ging er zurück in's Haus und war für den Abend nicht mehr zu sehen. Und wenn dann Auguste hinabging, so lag auf der Bank immer eine Rose, von zartblühendem Augentrost eingefaßt. Die einzelnen Töne vereinten sich nach und nach zu Accorden, und nicht zagend und erst versuchend, sondern gleich laut und voll erklang das Lied: »In Deiner Liebe ruht mein Leiden, Ruht all das Weh vergang'ner Zeit – –« Es war, als müsse der Hauch des Windes dieser kräftigen, männlichen Stimme Ehrerbietung zollen; die flüsternden Blätter schwiegen und hingen bewegungslos hernieder, und selbst der Falter unterbrach seinen Flug und setzte sich mit ausgebreiteten, wiegenden Flügeln an den Fensterrahmen. »In Deiner Liebe ruht mein Hoffen,
In Deiner Liebe ruht mein Herz – –« begann der zweite Vers. Die Mutter bog sich hinaus, um sich dem süßen Genusse ganz hingeben zu können; das Mädchen aber legte das Köpfchen zurück und drückte die Hand gegen die Brust, als wolle sie eine aufsteigende Regung bekämpfen. Da klang der dritte Vers: »In Deiner Liebe ruht mein Leben, Ruht meine ganze Seligkeit. O laß nach Deinem Glück mich streben Und sei mein Eigen allezeit – –« Es war weder ein bekanntes Lied, noch eine bekannte Melodie; der Sänger improvisirte frei, und grad deshalb waren Wort und Ton so eindringlich und ergreifend. »Gustel, ich höre, Du weinst wieder, und das darf doch Deiner kranken Augen wegen nicht sein.« Da schlangen sich zwei Arme um ihren Nacken, und die Stimme des Kindes flüsterte: »Mutter, mir ist so weh, so sehr wehe!« »Sag mir, warum?« »Ach nein, dann würdest auch Du weinen, und das würde mich nur noch trauriger machen.« »Ich werde nicht weinen, Gustel. Ich bin ja im Unglück stark geworden und werde Deinen Kummer durch meine Klagen nicht verdoppeln.« »Aber Du wirst das Leid doch fühlen, und je mehr Du es verbirgst, desto größer wächst es an.« »Willst Du ein Geheimniß vor mir haben, Kind?« »O nein, nein, aber das Geständniß wird mir so schwer.« »Komm, lege Deinen Kopf recht innig und fest hierher und denke daran, daß ich als Mutter ein heiliges Anrecht auf die Gedanken Deines Herzens habe.« Sie umschlang die Mutter fest und fester, und langsam, langsam und zögernd klang es: »Ich kann – kann – kann nichts mehr sehen, – nichts, gar nichts mehr.« »Mein Kind, mein armes, armes, theures Kind!«
Es war ein Schrei, wie ihn nur eine Mutter ausstoßen kann, ein Schrei aus der tiefsten Tiefe einer angsterfüllten, entsetzten Seele, und dann war's ruhig. Die beiden Frauen hielten sich umschlungen; keine sprach ein Wort, jede suchte ihre Gefühle zu bemeistern, und doch schlugen die Busen gegen einander und verriethen den Sturm, welcher die Wogen ihrer Empfindung aufregte. Lange, lange saßen sie so, bis endlich die Mutter zuerst das Wort ergriff. »Seit heute wohl erst?« »Ja. Als ich früh aufstand, war es dunkel um mich, und doch wußte ich Dich bei der Arbeit.« »Und ist's wirklich so, kannst Du gar, gar nichts mehr sehen? Hast Du nicht wenigstens noch einen Schein?« »Nein. Von dem Tage an, wo mich der Junker so sehr erschreckte, ist's so sehr schlimm geworden; die Hitze hat immer zugenommen, und jetzt, da mir das Auge wieder kühl ist, wird mir der letzte Rest von Hoffnung genommen, den ich noch gehegt habe.« »Und das ist der Grund, wegen dessen Dir so weh ist?« »Ja, aber noch etwas.« »Sage auch das, meine Gustel.« »Ich kann nicht.« »Warum nicht.« »Weil ich es selbst nicht weiß.« Wieder erfolgte eine Pause; die erfahrene Mutter konnte unmöglich über die letzte Antwort der Tochter lächeln. Sie wußte ja, daß es in einem reinen, unberührten Mädchenherzen Regungen giebt, welche nicht eher in die Erkenntniß treten, bis sie von Außen her in Tangention versetzt werden. »Aber Du fühlst diesen Grund?« fragte sie endlich. »Ja.« Schon wollte sie weiter forschen, da kam ihr die Tochter entgegen. »Hast Du ihn vorhin singen hören?« Fast erschreckt fuhr die Gefragte zurück. An das hatte sie wohl nicht gedacht, nun aber wußte sie auch, daß die Erblindung ihres Kindes ein doppeltes Unglück für dasselbe sei. Liebkosend zog sie es an sich, und die tiefste Bewegung klang aus jedem ihrer Worte, als sie das einzige Mittel ergriff, das Mädchen vor einem Leide zu bewahren, über welches sich doch nicht sprechen ließ, ohne das
flecken- und ahnungslose Gemüth desselben zu verletzen. »Du weißt vielleicht noch nicht, daß man das eigne Leid über fremdem Weh vergessen kann. Deshalb laß uns einmal zurückblicken in meine Vergangenheit, damit Dein geistiger Blick geschärft werde für das, was das leibliche Auge nicht zu erreichen vermag. Bis jetzt sind Dir nur einige Züge aus dem Bilde meines Jugendlebens bekannt; ich will diese Umrisse vervollständigen und Dir Deine Aufrichtigkeit mit der meinigen vergelten. – Meine Eltern hast Du nicht gekannt, sie sind mir schon früh entrissen worden, und ich habe außer Dir und Deinem Vater nie ein Wesen gekannt, dem ich mich mit mehr als gewöhnlicher Zuneigung angeschlossen hätte. Der Vater war Beamter in Leipzig gewesen, und ich kam nach seinem Tode zu entfernten Verwandten von ihm, die mich aber nur aufnahmen, um an Lohn für Dienstpersonal sparen zu können. Sie hatten immer einige Studenten in Pension, deren Aufwartung mir übertragen wurde. Aus diesem Grunde kam ich oft mit ihnen in Berührung, die aber trotz der bekannten Zudringlichkeit der Meisten dieser Leute eine rein dienstliche blieb, bis ich Deinen Vater kennen lernte. Er hieß Emil Wallner, war der Sohn armer, auch schon verstorbener Eltern und besaß in ihrer kleinen, unbedeutenden Hinterlassenschaft die allerdings kaum zureichenden Mittel, Medicin zu studiren und sich so eine zufriedenstellende Existenz zu gründen. Er war ein stiller, bescheidener, fleißiger und deshalb kenntnißreicher, junger Mann, zu dem ich mich bald mit innigstem Vertrauen hingezogen fühlte, welches sich unter dem Einflusse seiner männlichen Schönheit bald in die herzlichste Liebe verwandelte, die er mir ebenso warm und innig erwiderte. Wir wußten Beide, daß wir das Glück unsrer Zukunft nur von unsrer eigenen Arbeit und Tüchtigkeit zu erwarten hatten, und so strebten wir unter vereinter Anstrengung vorwärts und versagten uns jeden Genuß, der unsre geringen Mittel bedrohen oder gar schmälern konnte. Aber trotz, ja vielleicht grad wegen dieses rastlosen Schaffens war jene Zeit eine schöne, ach eine so sehr schöne, daß die Erinnerung an sie sich wie ein goldenes, verklärendes Abendroth noch heut über all mein Denken, Fühlen und Wollen verbreitet. Leider kam der Augenblick nur zu bald, der uns bittere Trennung brachte, die mir allerdings durch die Hoffnung des Wiedersehens erleichtert wurde. Daß diese Hoffnung eine
vergebliche gewesen ist, weißt Du, aber ich halte sie fest, wie ich meine Liebe treu und warm erhalten habe, und Beide, Hoffnung und Liebe, sie werden nicht eher sterben, als bis ich selbst mit ihnen begraben werde. Emil ging, durch die besten Zeugnisse empfohlen, mit einem reichen und hochstehenden Engländer, von dessen Einflusse er sich die günstigsten Wirkungen in Beziehung auf eine spätere Lebensstellung versprach, auf Reisen. Wir versprachen einander, uns so oft wie möglich zu schreiben, aber außer dem einzigen Briefe, welchen er mir, von der dort unter dem Spiegel hängenden Bleistiftskizze begleitet, von Wien aus schickte, habe ich bis heute keine Nachricht von ihm erhalten. Ach, es waren traurige Tage, jene Tage, an welchen er von mir ging, obgleich mir seine Gegenwart und Hülfe bald so nothwendig werden sollte. Ich habe sie überwunden, aber nur weil ich aufrecht erhalten wurde durch den Gedanken an die Verpflichtung, mein Leben nun Dir, Deiner Erziehung und Deinem Glücke widmen zu müssen. Leipzig, wo jede Straße, jedes Haus, jeder Gegenstand mich an meine Einsamkeit und Verlassenheit erinnerte, war mir verleidet, und ich ging in Begleitung eines hiesigen Geschäftsmannes, welcher während der Messe stets seinen Aufenthalt bei uns nahm, nach Ernstthal, wo es mir bei vereinfachten Bedürfnissen leichter werden mußte, durch die Arbeit meiner Hände das Brod für Dich und mich zu erwerben. Ich habe hier sehr viel, sehr viel Liebe und Freundlichkeit gefunden, und der erste aufregende und aufreibende Schmerz ist einer stillen, leidenschaftslosen Trauer gewichen, welche Deine Liebe mir ja stets gelindert hat. Auch im menschlichen Herzen folgt den Tagen des Sturmes eine Zeit des Friedens, und wenn ein schöner verheißungsvoller Lebensfrühling auch nicht in gänzliche Vergessenheit sinken kann, so ruht doch in einem verzeihenden Gemüthe die beste Gewähr einer trostreichen und dauernden Ruhe.« ––– Sie holte tief Athem und legte die Hand wie beruhigend über das Auge, in welches die Thräne der Erinnerung warm und feucht getreten war. »Meine Mutter, meine liebe, liebe Mutter!« »Ja, mein Kind, Du bist mein größter Reichthum; Du bist das einzige Gut, welches mir geblieben ist, und ohne Dich könnte ich
nicht sein und nicht leben.« Wieder erfolgte eine jener Pausen, welche so beruhigenden und wohlthätigen Einfluß auf eine geistige Aufregung ausüben, und diesmal übernahm Auguste die Unterbrechung. »Ob er wohl gestorben ist?« »Es ist mir unmöglich, an ihn als einen Todten zu denken, und noch heut wie früher und immer sehe ich ihn in voller, frischer Jugendkraft vor mir stehen, wie ich ihn beim ersten Begegnen erblickte. O, ich wollte all die vielen Jahre des Kummers vergessen, wenn ich ihn nur noch ein einziges Mal sehen könnte, um ihm zu sagen, wie lieb, wie so unendlich lieb er mir gewesen ist. Und wenn er noch so arm und elend vor mich hinträte, ich wollte ihn willkommen heißen, für ihn sorgen Tag und Nacht und nie, nie ein Wort des Vorwurfes über meine Lippen kommen lassen!« »Und ich, ich könnte ihn nun nicht sehen!« »Sei ruhig, mein Herz! Die Krankheit Deiner Augen hat mir schwere und bittre Sorge verursacht, und diese Sorge ist heut größer als je zuvor; aber ich habe tausend Mal unter heißen Thränen im Gebete vor Gott gelegen, und er wird Dich, Unschuldige, nicht heimsuchen eines Fehltrittes wegen, an dem Du keinen Antheil hast. Wir haben nur bisher wohl nicht den rechten Arzt gefunden und müssen einmal nach Chemnitz gehen, wo jetzt ein sehr geschickter Augenheilkundiger practiziren soll. Jetzt aber wird der Meister mit dem Abendsegen auf uns warten. Komm, laß es für heute genug sein!« Sie gingen nach unten, und fanden allerdings den Meister schon hinter der alten, umfangreichen Nürnberger Bilderbibel. »Macht, daß Ihr kommt! Meine Alte lauert schon längst auf das heutige Evangelium, wir waren nicht in der Kirche. Auf den Richard brauchen wir leider nicht zu warten, der betet nie, sondern streift lieber mit seinem Jägerfranz, mit dem er dicke Freundschaft geschlossen hat, im Walde herum oder treibt droben in seiner Kammer Allotria. Aus dem wird nichts, und deshalb behalte ich auch meine Langgänghosen, die schön gekästelte Sammetweste und den braunen Schooßrock für mich selbst; er braucht sie auch gar nicht, denn heut früh ist er gleich in einem funkelnagelneuen Anzuge herunter gekommen.« Er rückte die Brille zurecht und verlas das Evangelium. Dann schlug er ein altes, vielgebrauchtes, in Schweinsleder gebundenes
Gebetbuch auf, aus welchem er ein »Abendgebet für den Sonntag« buchstabirte und wollte eben nach dem »Amen« das Buch wieder schließen, als die Thür geräuschlos geöffnet wurde und der Geselle eintrat. Nach einem kurzen »Guten Abend« setzte sich derselbe an den Tisch, nahm dem Meister das Buch aus der Hand, blätterte einige Zeit suchend darin herum und begann dann mit fesselndem Ausdrucke: »Horch, klopfte es nicht an die Pforte? Wer naht, von Himmelsduft umrauscht? Woher des Trostes süße Worte, Auf die mein Herz voll Andacht lauscht? Wer neigt, wenn alle Sterne sanken, Mit mildem Licht und stiller Huld Sich zu dem Staub- und Erdenkranken? Es ist der Engel der Geduld! O, laß den Gram nicht mächtig werden, Du tiefbetrübtes Menschenkind! Wiß, daß die Leiden dieser Erden Des Himmels beste Gaben sind, Und daß, wenn Sorgen Dich umwogen Und Dich umhüllt des Zweifels Nacht, Dort an dem glanzumfloss'nen Bogen Ein treues Vaterauge wacht! O, laß Dir nicht zu Herzen steigen Die langverhalt'ne Thränenfluth! Wiß, daß grad in den schmerzensreichen Geschicken tiefe Weisheit ruht, Und daß, wenn sonst Dir nichts verbliebe, Die Hoffnung doch Dir immer lacht, Da über Dich in ew'ger Liebe Ein treues Vaterauge wacht! O, wolle nie Dich einsam fühlen, Obgleich kein Aug' sie wandeln sah. Die sorgenvolle Stirn zu kühlen Sind Himmelsboten immer da.
Wer stets dem eig'nen Herzen glaubte, Der kennt des Pulses heil'ge Macht. Drum wiß, daß über Deinem Haupte Ein treues Vaterauge wacht! Und öffnet sich Dein Auge wieder Dem hellen, goldnen Sonnenstrahl, Steigt Dir des Lichtes Seraph nieder, Den Du ersehnt viel tausend Mal. O, wolle stets den Glauben hegen, Der Deiner Seele Trost gebracht, Daß über allen Deinen Wegen Ein treues Vaterauge wacht!« Als er geendet hatte, schlug er das Buch wieder zu und verließ mit einem wie vorhin kurzen »Gute Nacht« die Stube. Es war, als sei das Gedicht grad für die Seelenstimmung der Anwesenden geschrieben, und Niemand konnte den tiefen Eindruck, welchen die unerwartete Vorlesung gemacht hatte, verbergen. Der Meister war der Erste, welcher sprach. »Nein aber, kann der Goldschmidt lesen; wer hätte ihm auch das noch zugetraut! Es ist wirklich schade um den Menschen, daß er sich Nächte lang draußen herumtreibt. Aber ich kenne doch das ganze Buch auswendig und habe das Gedicht noch nie gefunden. Ich muß nur einmal das Blatt aufschlagen, auf welchem es steht, es war grad bei dem rothen Einzeichen, welches ich gestern hineingelegt habe.« Er blätterte, aber vergebens. »Ich glaube gar, er hat das Gedicht auch gleich so aus den Kopfe gemacht, wie er die Lieder alle macht, die er draußen im Garten singt, denn ich finde das Dings im ganzen Buche nicht. Es ist wirklich schade, jammerschade um den Kerl!« Er stand auf, und das war bei ihm das Zeichen, daß er zur Ruhe zu gehen wünsche. Deshalb erhoben sich auch die Andern. Draußen vor der Treppe blieb Auguste stehen. »Darf ich noch einen Augenblick in den Garten, Mutter?« »Es ist kühl, Kind, und Du wirst vielleicht auch den Weg nicht sicher finden.« »O doch, und erkälten werde ich mich auch nicht. Es ist ja nur
für einen Augenblick und ich komme gleich nach.« Da ging die Mutter nach oben; sie gönnte ihr so gern die Gelegenheit, draußen in der Stille des Abends innerlich ruhig und klar zu werden. Auguste kannte jeden Zollbreit des Weges und fand also trotz der Nacht ihres Auges die Bank. Tastend fuhr sie mit der Hand über dieselbe hin, aber der erwartete Strauß lag heut nicht da. Nur seinetwegen war sie gekommen und wollte nun enttäuscht wieder zurückgehen, da hörte sie die Hofthüre knarren und den Schritt eines Nahenden. Es war Goldschmidt, sie kannte ja diesen leichten, elastischen und doch so sichern Schritt. Es war ihr, als müsse sie sich verbergen, und unwillkürlich wandte sie sich zur Seite, da aber fühlte sie sich auch schon bei der Hand erfaßt. »Bitte, bitte, Auguste, nicht Angst haben!« Er führte sie zur Bank zurück und nahm neben ihr Platz. Es war ihr so bang, aber diese Bangigkeit war nicht von der Art, wie man sie einem gefürchteten Ereignisse gegenüber empfindet. »Ich möchte gern zwei Fragen aussprechen. Darf ich?« »Ja«, antwortete sie zaghaft. »Wen stellt das scizzirte Portrait vor, welches droben unter dem Spiegel hängt?« »Meinen Vater.« »Es ist wohl nicht gestattet, etwas Näheres über ihn zu wissen?« »Wir wissen selbst seit langer Zeit nichts mehr von ihm. Er hieß Emil Wallner, war in Leipzig Student der Medicin und ging vor achtzehn Jahren mit einem Engländer nach Wien, von wo aus er zum letzten Male geschrieben hat. Das ist das Eine, und nun das Andere. Mama hat von einem Herrn von Bredenow, den man hier unter der Bezeichnung des ›Blauweißen‹ kennt, die Anfertigung feiner Wäsche in Auftrag bekommen, und dieser Herr kommt nun fast täglich, um zu sehen, wie weit die Arbeit vorgeschritten ist. Seine Gegenwart ist uns außerordentlich unwillkommen«, fiel das Mädchen mit dem feinen Instinkte ein, den wir so oft und gern beim andern Geschlechte beobachten. »Mutter hat den Auftrag nur angenommen, weil es jetzt an Beschäftigung mangelt und sie nicht wissen konnte, daß derselbe den Vorwand zu wiederholten Besuchen bilden werde.« »Ich danke.« Er stand auf und ergriff ihre beiden Hände.
»Zürnt mir Auguste wegen meiner Zudringlichkeit?« »Nein.« »Gewiß und wahrhaftig nicht?« »Gewiß und wahrhaftig nicht!« »Gute Nacht, meine liebe Auguste!« »Gute Nacht.« Sie fühlte seine Lippen auf ihrer Hand und vernahm dann seinen sich entfernenden Schritt. Ihr Herz klopfte stürmisch und ungeahnte Empfindungen durchwogten ihr Inneres. Einen Fremden, ja wohl jeden Fremden hätte sie mit diesen Fragen zurückgewiesen, zu diesem Manne aber fühlte sie sich mit offenem, unwiderstehlichem Vertrauen hingerissen, und es war ihr, als könne er durch seine Fragen den Brunnen ihrer Seele bis auf den Grund ausschöpfen. So eindringlich wie bei den Worten »gewiß und wahrhaftig nicht?« und so tief und innig wie bei dem Abschiedsgruße »gute Nacht, meine liebe Auguste!« hatte ihr noch keine Stimme geklungen, und in seiner Art und Weise, in der dritten Person mit ihr zu sprechen, hatte etwas ihr so Wohlthuendes, für sie Rücksichtsvolles gelegen. Er war es gewesen, der sie aus der Umarmung des verhaßten Junkers gerettet hatte, das war ihr aus den Reden des Letzteren klar geworden, und noch dachte sie mit Angst und Entsetzen jenes Augenblickes, wo er vor ihrem Fenster mit dem wüthenden Pferde gerungen hatte. Dieser Mann konnte unmöglich so sein, wie ihn der Meister bezeichnet hatte, und wenn sie auch nicht den Scharfblick psychologischer Reife und Erfahrung besaß, so konnte sie doch auch nicht der überzeugenden Sprache ihres Gefühles widerstehen. Noch lange saß sie sinnend auf ihrem Platze und hielt mit der andern Hand wie schützend die Stelle umschlossen, auf welcher sein Mund geruht hatte. Da erhob sie sich und streifte einen Gegenstand, welcher neben ihr lag. Sie nahm ihn auf; es war der gesuchte Strauß. Hatte er schon vorhin hier gelegen und war nur von ihr unbemerkt geblieben oder war er erst später hergelegt worden? Sie wußte es nicht, aber als sie sich zur Ruhe gelegt, konnte sie den Schlaf nicht finden, und noch als er ihr endlich die Augen schloß, klangen ihr die Worte, wie sie solche bisher nur aus dem Munde der Mutter gehört hatte und die sie um Alles in der Welt nicht ungeschehen gewünscht hätte, noch immer in's Ohr: »Gute Nacht, meine liebe Auguste!«
4. Der Kampf Der Herbst war in's Land gekommen und hatte Feld und Flur in jene wehmüthigen Farben gekleidet, welche uns verkünden, daß die schaffende Natur zur Rüste gehe und die Zeit des Blumenduftes und Vogelsanges sich zum Abschied neige. In diesen Tagen zittern die Saiten des Menschenherzens in einer Stimmung, welche uns so gern zum Nachdenken und zur Einkehr in unser Inneres führt, und deshalb ist der Herbst ebenso die Zeit der Ernte für die Früchte, welche uns im Busen reiften, wie er die Garben sammelt, welche die Sichel des Schnitters von der Erde löste. Und ruht irgend ein Weh in unserer Brust begraben, so steht es zur Zeit des Blätterfalles auf von den Todten und richtet unser Sinnen niederwärts zur Scholle, aus welcher wir emporstiegen, um durch die Mühe und Arbeit des Erdenlebens den Geist für eine höhere Welt zu zeitigen und dann wieder in den Staub zurückzusinken. Solche Gedanken waren es, welche heut schon beim Morgengrauen die Mutter begrüßt und in den Garten begleitet hatten. Es war ihr Geburtstag und zugleich der Tag, an welchem sie vor nun zwanzig Jahren den Geliebten zum ersten Male gesehen hatte. Dieser Tag hatte ihr das Dasein gegeben, hatte dann über ihre Lebensrichtung entschieden und sollte ihr nun auch Klarheit bringen über die Zukunft ihres Kindes. Sie erwartete deshalb in einer späteren Morgenstunde den Botenfuhrmann, mit dessen Geschirr sie in Begleitung Augustens nach Chemnitz zum Augenarzte zu fahren gedachte. Ihre Mittel reichten zwar für eine länger andauernde Kur bei Weitem nicht aus, denn der allgemeine Nothstand hatte als eine Folge des Krieges sich schon seit längerer Zeit auch für sie fühlbar gemacht und ihre Kasse erschöpft, aber der Junker hatte für heut früh die Ablieferung der Wäsche bedingt, da er verreisen müsse, und von der Bezahlung dieser Arbeit konnte sie wenigstens die Kosten der Reise und einer ärztlichen Consultation bestreiten. – Da wurde sie in ihrem Nachdenken unterbrochen. »Mutter, bist Du unten?«
»Ja, hier bin ich.« »Komm doch einmal recht schnell herauf!« Sie folgte dem Rufe, hatte aber oben die Stubenthür kaum geöffnet, so stieß sie einen lauten Schrei der Ueberraschung aus. Grad der Thür gegenüber hing das in Oel gemalte Brustbild des Mannes, an den sie heut schon so viel gedacht hatte. Die Röthe der Gesundheit und Jugend auf den Wangen, das gold-und silberbetreßte Cerevis auf den Locken, schien er lebendig hinter den reich verzierten und von Guirlanden umwundenen Rahmen getreten zu sein, um den Wunsch zu erfüllen, den sie vor nicht langer Zeit mit heißem Verlangen gegen die Tochter ausgesprochen hatte. Mit ausgebreiteten Armen stürzte sie laut schluchzend auf das Bild zu und drückte die krampfhaft zuckenden Lippen wieder und immer wieder auf dasselbe. »Emil, Emil, mein Emil! Ist's wahr, daß diese Leinwand Deine lieben, unvergeßlichen Züge so treu und wahr festzuhalten vermag, wie sie meinem Herzen eingegraben sind? Auguste komm, eile her und sieh Deinen Vater!« »Mutter, ich kann nicht.« »Mein Gott, es ist ja wahr! Aber Du sollst ihn sehen, Du mußt ihn sehen, ich fühle in diesem Augenblicke, daß Gott nicht Gott sein müßte, wenn unsre Gebete unerhört blieben! Aber wer hat uns diese Ueberraschung bereitet, wo kommt das Bild her, und wer hat es gemalt? Du weißt es!« »Nein. Als ich aufgestanden war und die Stube betrat, fühlte ich den Kranz dort auf dem Tische und dachte mir gleich, daß es ein Geburtstagsgeschenk für Dich sein solle. Deshalb rief ich Dich.« »Auch dort noch! Was ist es?« Der Tisch war mit einer weißen Decke überbreitet, auf welcher, von Blumen, Früchten und Confect umgeben, eine kunstreich gearbeitete Silberplatte mit einem Briefe lag. Hastig ergriff sie den Letzteren, warf einen Blick auf die Adresse und fiel dann wie besinnungslos in den Sessel. »Mutter, meine gute Mutter, was ist Dir?« »Nichts, o nichts! Laß mich und gönne mir nur einen Augenblick der Erholung!« Mit den gefalteten Händen den Brief an die hochklopfende Brust drückend, saß sie geschlossenen Auges da und ließ durch das Lächeln des Glückes, welches auf dem sonst so blassen Angesichte
lag, die Seligkeit errathen, von welcher sie überwältigt worden war. Aber die Ungewißheit über den Inhalt des Briefes ließ ihr nicht lange Ruhe, und mit vor Erregung zitternden Händen öffnete sie ihn. »Es ist ein Brief von Deinem Vater; ich erkannte sofort die Handschrift, trotzdem sie sich im Laufe der Jahre viel verändert hat. Hier steht seine Unterschrift und da ist auch die alte, trauliche Anrede, welche er stets gebrauchte: ›Gott grüße Dich, mein Herz! Ich habe viel und schwer an Dir gesündigt und darf deshalb wohl kaum erwarten, daß Du mir ein freundliches Andenken bewahrst. Aber das Verlangen nach Vergebung und Sühne treibt mich zu Dir und dictirt mir den Gruß, welchen ich heut an Deinem Geburtstage Dir als den Vorboten einer baldigen Ankunft übersende. Emil Wallner.‹« »Hörst Du«, rief sie jauchzend, »er kommt, er hat mich nicht vergessen, und wenn er auch nichts von Liebe schreibt, so verbietet ihm doch nur die Ungewißheit über meine Gesinnung dieses Wort. O, nun ist Alles, Alles gut, und ich darf die Vergangenheit hinter mich werfen wie einen schweren Traum, von welchem man erwacht, um sich der schönen Wirklichkeit doppelt zu erfreuen. Doch laß uns jetzt unten fragen, wem wir diese Freude zu danken haben!« Aber trotz aller Dringlichkeit war nichts zu erfahren. Die beiden Schmiede waren im Hausflure beschäftigt gewesen und konnten also mit Gewißheit behaupten, daß Niemand ein- und ausgegangen sei, und von ihnen selbst konnte die Gabe ja unmöglich abstammen. Während man sich unten deshalb in verschiedenen Vermuthungen erging, befand Auguste sich oben allein im Zimmer und wartete auf das Ergebniß der Erkundigung. Zwar gab es eine Ahnung in ihr, aber sie konnte derselben nicht Raum geben, da sie ihr zu unbegründet erschien. Da ging unten die Hausthür und die Treppe knarrte unter schweren, gewichtigen Tritten. Sie hatte in den letzten Wochen diesen Schritt öfterer hören müssen als ihr lieb war, und zog sich, als die Thür geöffnet wurde, in die Ecke des Zimmers zurück.
»Guten Morgen!« »Guten Morgen, Herr Junker!« »Ich komme nach meiner Wäsche zu sehen und finde Dich allein in der Stube. Ist Deine Mutter ausgegangen?« »Nein, sie befindet sich unten und ich werde sie rufen. Eure Wäsche ist fertig.« »Laß das Rufen einstweilen, die Zeit wird mir bei Dir nicht allzu lang werden.« »Aber uns ist sie heut karg zugemessen, wir verreisen.« »Ach so! Wohin?« »Nach Chemnitz zum Augenarzte.« »Das ist klug und nothwendig. Aber gehen könnt Ihr den weiten Weg doch nicht?« »Nein, wir fahren mit dem Boten.« Sie hatte nicht sehen können, wie sein kleines, stechendes Auge schadenfroh unter den buschigen Brauen hervorgeblitzt hatte, als sie ihm arglos Mittheilung von der beabsichtigten Reise machte. Jetzt war er ihr näher getreten und ergriff ihre Hand. »Ich wünsche Dir natürlich den besten Erfolg, aber so lange Euch das Geld zu einer eingehenden ärztlichen Behandlung fehlt, glaube ich nicht an ihn. Wenn Du nur ein klein bischen zutraulicher sein wolltest, würde ich alle diese Ausgaben auf mich nehmen.« »Laßt mich, Herr, ich muß die Mutter rufen!« »Nachher Schatz, wenn wir uns verständigt haben.« Er zog sie gewaltsam an sich und merkte im Eifer nicht, daß die Mutter eingetreten war. »Herr von Bredenow, gelten Eure Besuche Eurer Wäsche oder einem andern Gegenstande?« »Beides, meine liebe Dame«, antwortete er und hielt dabei das Mädchen noch immer fest. »Die Wäsche ist fertig.« »Gut, ich werde sie abholen lassen.« »Dann können wir Euch also Adieu sagen?« »In dieser Angelegenheit werdet Ihr mir wohl die Initiative lassen müssen. Ich habe vom Fräulein hier gehört, daß Ihr nach Chemnitz wollt und stehe eben im Begriff, die kranken Augen einer näheren Besichtigung zu unterwerfen, um auch mein wohlgemeintes Urtheil abgeben zu können.« »Dann bitte ich, diese Besichtigung auf eine gelegenere Zeit zu
verschieben. Der Fuhrmann hält schon unten und wir dürfen uns nicht mit unnützen Dingen beschäftigen.« »Ach so, man weist mir also die Thür?« »Sie ist zu groß, um nicht auch ungewiesen bemerkt zu werden.« »Gut, ich gehe, vorher aber erlaube ich mir einen kleinen Abschied.« Er legte den Arm wieder um das Mädchen, wurde aber von der erzürnten Mutter sofort gefaßt. »Laßt das Kind gehen oder ich rufe sofort Hilfe herbei!« »Ah, jetzt wird es interessant; die Katze schützt das Kätzchen.« Er stieß die Störende von sich und verfolgte das Mädchen, welches sich wieder in die Ecke zurückgezogen und den Tisch als Schutzwehr vorgeschoben hatte. »Meister, Richard, herbei, zu Hilfe!« rief die Mutter. Der Geselle stand allein am Herde, voltigirte sofort mit zwei Sätzen die Treppe hinauf und stand im nächsten Augenblicke zwischen Auguste und dem Junker. Das Weiße seines blitzenden Auges stach furchterweckend aus dem rußgeschwärzten Gesichte hervor und seine Stimme klang kurz und gebieterisch, als er, auf die Thür zeigend, das Commando wiederholte, welches er diesem Manne gegenüber schon einmal ausgesprochen hatte: »Kehrt! – Marsch! – Eins!« – Da trat auch der Meister in die Stube, und der Junker, welcher sich in Gegenwart der Frauen vielleicht muthiger als damals gezeigt hätte, sah sich, zwei Gegnern gegenüber, gezwungen, das Feld zu räumen. »Es sei denn, ich weiche, aber nur um Spectakel zu verhüten. Unser nächstes Zusammentreffen aber wird zwischen uns entscheiden.« Nach Berichtigung seiner Rechnung trat er den schimpflichen Rückzug an und die beiden Frauen bestiegen kurze Zeit später den Leiterwagen, der sie der bang erwarteten Entscheidung entgegenbringen sollte. Der Tag verging, bereits dunkelte der Abend herein und noch waren sie nicht eingetroffen. Weißpflog wurde unruhig und löschte früher als gewöhnlich das Feuer aus. Die beiden Hausgenossen waren ihm so lieb geworden, als gehörten sie zu seiner eigenen
Familie, und ihr Wegbleiben verursachte ihm ernstes Bedenken. Goldschmidt dagegen ließ nicht die geringste Spur von Sorge an sich bemerken. Wortkarg wie immer, erwähnte er der Abwesenden mit keiner Silbe, setzte sich nach beendigter Arbeit ruhig zum Essen nieder und verließ dann phlegmatischen Schrittes die Stube. Aber kaum eine Minute später hörten die Meistersleute ihn das Haus verlassen, und als die wißbegierige Hausfrau ihm durch die halbgeöffnete Thür nachblickte, sah sie ihn den Weg nach der Straße einschlagen, die nach Chemnitz führte. Je weiter er sich von Ernstthal entfernte, desto eiliger wurde sein Lauf. Kurz vor dem nächsten Dorfe begegnete ihm eine verschlossene Kutsche, auf deren Bocke er trotz der Dunkelheit zwei Männer gewahrte, von denen der Eine den Anderen fast um Kopfeslänge überragte. »Das war der Junker! Er kommt auch von Chemnitz und hier ist sicher irgend eine Teufelei los, die jedenfalls in Verbindung mit dem langen Außenbleiben unserer Frauen steht. Ich fahre mit.« Gedacht, gethan. Er nahm Platz auf dem leeren Kofferbrette und beschloß, nicht eher als bis beim Halten des Wagens abzusteigen. Die Frauen waren erst am Nachmittage bei dem Arzte vorgekommen. Dieser hatte die kranken Augen einer sorgfältigen Untersuchung unterworfen und dann den Kopf geschüttelt. Die medicinische Kenntniß hatte damals noch nicht die Höhe der Entwickelung erreicht, auf welcher sie sich jetzt befindet; man stritt sich über die verschiedenen Systeme und war noch nicht zu der Erfahrung gelangt, daß es die beste Kunst des Arztes sei, Hindernisse zu entfernen und die Natur zu unterstützen. Man erging sich in den verschiedenen Philosophemen und nur selten wagte ein begabter Kopf, den Damm der herkömmlichen Heilmethoden zu durchbrechen. Und so erhielt die Blinde nach beendigtem Kopfschütteln eine kühlende Einreibung nebst einer Auflösung von Galizienstein und wurde dann mit einigen Trostesworten entlassen. Im Gasthofe fanden sie den Fuhrmann ihretwegen in großer Verlegenheit. Die heutige Rückfracht war so bedeutend, daß der Waagen hochauf vollgeladen war und an ein bequemes Sitzen nicht gedacht werden konnte. Glücklicher Weise überholte sie bald ein leerer Kutschwagen, dessen Führer sie mit einem mitleidigen Blicke betrachtete und dann nach dem Ziele der Reise fragte.
»Wir fahren nach Ernstthal.« »Ich fahre auch dahin. Wenn Ihr wollt, so könnt Ihr bequemer und schneller nach Hause kommen. Steigt zu mir herüber.« Das freundliche Anerbieten wurde angenommen, und schon saß Auguste in den weichen Kissen, als plötzlich die Pferde scheuten und im schnellsten Laufe mit dem Fuhrwerke davongingen. Es dauerte eine geraume Zeit, ehe das Gespann zu einem langsameren Schritte gebracht werden konnte, und als das Mädchen den Kutscher bat, auf die Mutter zu warten, klang seine Antwort abweisend. »Wir sind ihr nun zu weit voraus, und ich darf nicht halten, weil die Pferde zu feurig sind und ich auch zur bestimmten Zeit eintreffen muß. Willst Du warten, so kannst Du aussteigen.« Freilich schien es ihm mit dem Letzteren nicht Ernst zu sein, denn er machte keine Miene, die Zügel zu pariren, und das Mädchen hatte ja auch keine Ursache, dem Manne zu mißtrauen. Es saß sich hier so warm und weich, und für die Mutter war das Fahren auf den Kisten jedenfalls nun auch weniger beschwerlich geworden. Sie lehnte sich in die Ecke zurück und war bald in einen so festen Schlummer gefallen, daß sie nicht bemerkte, wie es mittlerweile Nacht wurde und der Wagen hielt, um den Junker aufsteigen zu lassen, der die leise Frage ausstieß: »Alles gelungen?« »Alles.« »Gut. Wir biegen später von der Straße ab und fahren nach dem kleinen Waldhäuschen, wo Du sie aussteigen und eintreten lässest noch ehe sie so recht aufmerksam wird. Vorwärts.« Daß kurze Zeit darauf der Geselle sich hinten aufsetzte, wurde nicht wahrgenommen, und so ging die Fahrt von der Chaussee ab in den Wald hinein und endete vor einer Hütte, welche bestimmt war, den Forstleuten während der Nacht oder vor unangenehmem Wetter Schutz zu bieten. Der Kutscher stieg ab und öffnete, während der Blauweiße schnell im Innern verschwand, den Schlag. »Na, da sind wir. Du kannst aussteigen.« Noch halb schlaftrunken, fiel es ihr gar nicht auf, daß der ihr vollständig fremde Mensch sie noch gar nicht nach ihrer Wohnung gefragt habe. Sie folgte der leitenden Hand und wurde erst aufmerksam, als sie unbekannte Gegenstände unter den tastenden Fingern fühlte und ein eigenthümlicher Modergeruch, wie er unbewohnten Räumen eigenthümlich zu sein pflegt, sie umwehte.
»Mein Gott, ich bin ja gar nicht zu Hause!« »Aber doch unter Dach und Fach, und es wird Dir schon in diesem einsamen Waldhause gefallen, wenn ich nur erst das Reißig dort auf dem Herde in Brand gesteckt habe. Dann wird es warm und traulich, und wir können unsere unterbrochene Unterhaltung von heut Morgen in aller Gemüthlichkeit fortsetzen.« Sie schrak bei dem Klange dieser Stimme heftig zusammen und wandte sich hastig zurück, den Ausgang zu suchen. Da aber wurde sie bei der Hand gepackt und hörte zugleich den Riegel in's Schloß fallen. »Halt, so rasch geht das nicht, Liebchen! Jetzt mußt Du schon bei mir aushalten; der Wagen ist fort und diesmal hilft Dir kein Gott und kein Teufel los.« »Der Teufel wohl nicht, aber glaubt Ihr wirklich, daß es keinen höheren Schutz gebe für ein armes, wehrloses Mädchen und daß ich nun verloren sei, weil ich nicht mehr sehen und mich also noch weniger vertheidigen kann als früher?« Das sonst so furchtsame Mädchen, welches damals auf der Waldwiese vor Schreck keines Wortes fähig gewesen war, war in diesem Augenblicke kaum mehr zu erkennen. Der Gedanke, daß sie in ihrer gegenwärtigen Lage Hilfe nicht von außen, sondern nur in sich selbst zu suchen habe, concentrirte all ihre Energie auf den Entschluß, sich bis zum letzten Reste ihrer schwachen Kraft zu vertheidigen. Stolz und aufrecht, die Röthe der Entrüstung auf den Wangen, das starre Auge gespenstisch auf den Gegner gerichtet, stand sie da, vom Scheine der knisternden Flamme beleuchtet und streckte den Arm aus, nach einem Halt zu suchen. Bei dieser Bewegung kam ihr der Griff des Stoßdegens in die Hand, welchen der Junker der Bequemlichkeit wegen abgelegt und in die Ecke gelehnt hatte. Im Augenblicke war die Waffe entblößt und zum Stoße gezückt, und diese Entschlossenheit verfehlte ihren Eindruck selbst auf den harten, rücksichtslosen Mädchenräuber nicht. Er war unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten, doch wich diese Bestürzung bald einem schadenfrohen, höhnischen Lachen, mit welchem er wieder auf sie zutrat. »Alle Wetter, jetzt fange ich wirklich an, mich zu fürchten. Monatelang bin ich um dich herumgelaufen und habe die Gelegenheit erspäht, einmal so recht schön allein und ungestört mit Dir zu sein, und nun es mir endlich so prächtig geglückt ist, soll ich
Dich wieder laufen lassen, weil ich mich entweder vor Gespenstern oder gar vor meiner eigenen Klinge fürchte. Mein wirst Du heute und wenn sich zehn Götter und hundert Schmiedejungens dagegen stellten!« Rasch hatte er ihren Arm unterlaufen und drückte mit seiner gewaltigen Faust ihre Hand, daß sie mit einem lauten Wehruf die Waffe fallen ließ. Noch aber war es ihm nicht gelungen, sie aus der Ecke, in welcher sie sich rückenfrei gestellt hatte, zu entfernen, als die Thüre unter einem mächtigen Stoße erkrachte und sich draußen eine tiefe, volltönende Stimme hören ließ.– »Aufgemacht, oder ich trete die Bude zusammen!« »Das ist Richard«, rief, vor Freude zitternd, das bedrängte Mädchen. »Herein, herein, zu Hilfe!« Wirklich schien das Häuschen aus allen Fugen gehen zu wollen, als auf diesen Ruf die von einem Fußtritte aufgesprengte Thür in den engen Raum hereinstürzte. »Ah, die Herren Junkers laichen im October!« Es lag eine wahrhaft niederschmetternde Verachtung in dem Tone, mit welchem diese Worte ausgesprochen wurden. Die schlanke, elastische Gestalt des »Schmiedejungens« lehnte leicht und graziös an dem halb aus der Mauer gerissenen Thürpfosten; die kleine, von der Arbeit jetzt etwas gehärtete Hand drehte in zierlichen Windungen die Spitzen des schwarzen Bärtchens, und mit spöttischem Aufleuchten schweifte der Blick seines festen, furchtlosen Auges über die hochaufgerichtete, muskulöse Figur des Ertappten hin zu dem Mädchen, welches sich wie dankend mit gefalteten Händen der Richtung zugewendet hatte, in der er stand. Da entfuhr den Lippen des in seiner Erwartung betrogenen Feindes ein Fluch, so gräßlich und lästerlich, daß das Mädchen erbleichte; im nächsten Augenblicke hörte sie die Männer zusammenprallen, dann vernahm sie ein beängstigendes Aechzen, Stöhnen und Schnaufen und dann erfolgte ein Krach, unter welchem der Fußboden erzitterte. »Hund, das soll Dir nicht wieder gelingen!« hörte sie die keuchende Stimme des sich wieder vom Boden aufraffenden Junkers. Das Ringen und Schnaufen begann von Neuem und war von unarticulirten Lauten begleitet, die aus einer wie eingeschraubten Brust hervordrangen; dann flog es wieder an ihr vorbei, erst an die gegenüberliegende Wand und dann zur Erde
nieder, von der Thür her aber klang es ruhig und bedächtig: »Bitte, Auguste, nur immer in der Ecke bleiben!« Der Kampf erneute sich, Säbelhiebe klirrten, dann flog die Waffe gegen das Fenster, ein schwerer, dumpfer Fall ließ sich hören, ihm folgte ein tiefes, ängstliches Nöcheln und endlich ein Schlag wie mit einer Keule gegen einen hohlen aber festen Gegenstand; ein letzter, fürchterlicher Schrei und dann war Alles still. »Richard«, rief sie, die Hände in unendlicher Angst vorstreckend, »Richard!« »Hier bin ich!« klang es neben ihr, und nicht das leiseste Zittern seiner Stimme, nicht das geringste Beben seiner Hand, welche die ihrige gefaßt hielt, verrieth die furchtbare Aufregung und Anstrengung, welche die letzten Augenblicke gebracht hatten. »Wo ist er?« »Er liegt, von einem Faustschlage betäubt und von seiner eigenen Waffe verwundet, hier am Boden.« »Mir ist so angst; wir wollen gehen!« »Jawohl. Noch stehe ich zu allein, um ihn fassen zu dürfen, aber es wird die Stunde kommen, in welcher ich mit ihm abrechne.« Indem er diese Worte mehr zu sich selbst als zu dem Mädchen sprach, nahm er ihren Arm und schritt, ohne den Besiegten eines weiteren Blickes zu würdigen, mit ihr hinaus. Rechts und links streckten die Bäume ihre dunklen Aeste über den Weg und ließen nur selten einen silbernen Sternenstrahl zwischen sich hindurchschlüpfen. Der Wald rauschte seine geheimnisvolle Weise und mißtönender Unkenruf klang vom Teiche herüber. Das Mädchen schmiegte sich inniger an ihren Begleiter und stützte sich fest auf den Arm desselben. Er fühlte das Zittern ihrer Hände, er hörte den beklommenen Hauch ihres Athems, aber er sprach kein Wort. Da plötzlich blieb sie stehen, schlang die Arme um seinen Hals und zog seinen Kopf nieder zu dem ihrigen. »Richard!« Sie wollte weiter sprechen, aber die Thränen erstickten ihre Stimme, und weinend barg sie das Gesicht an seine Brust. »Auguste, Du liebes, süßes Wesen, magst Du bei mir sein und mit mir jetzt und immerdar?« »Wie gern, ach wie gern! Aber es darf nicht sein.«
»Warum nicht?« »Ich bin blind.« »Hast Du nicht den Trost verstanden, den ich Dir am Abende eines jeden Tages mit der Rose geben wollte?« »O ja.« »Dann hege Hoffnung und vertraue Gott und mir. Willst Du?« »Ja.« »So komm, wir müssen eilen, um die Angst der Mutter zu stillen. Ich kann mir denken, wie Alles gekommen ist, und Du sollst erst dann erzählen, wenn wir zu Hause sind.«
5. Die Rekrutenpresse »Und ich wiederhole es, der Richard ist ein Erzstrick, und je länger er da ist, desto ärger treibt er's. In der ersten Zeit lief er wenigstens nur des Nachts draußen herum, jetzt aber geht er mir oft schon am frühen Morgen von der nothwendigsten Arbeit fort, und wenn ich einmal denke, daß wir ihn zu Hause haben, so sitzt er droben in seiner Kammer und kramt in Büchern und Landkarten herum, die doch einem ehrlichen Schmied nicht den kleinsten Quark Nutzen bringen. Und dabei läuft mir seine Bekanntschaft fast das Haus ein. Bald kommt ein zerlumpter Schneider, bald ein liederlicher Schuster, bald Der, bald Jener, der ihn draußen auf der Wanderschaft kennen gelernt hat, und dann wird droben geschnapst und geduckmäusert, daß man kaum einmal Gelegenheit bekommt, nach dem Buche zu fragen. Man will doch auch gern wissen, wer bei Einem ein- und ausgeht. Freilich holt er das Versäumte rasch und gut wieder ein, aber ich mag doch eine solche Unordnung nicht leiden und werde ihn, obgleich es mir herzlich sauer ankommen wird, schließlich fortschicken müssen.« »Nein, Alter, das wirst Du nicht. Er ist in allem Andern so brav und so – so – so – ich weiß nicht gleich wie ich sagen soll, aber es ist mir immer, als müßten wir uns dafür bedanken, daß er mit uns fürlieb nimmt. Er ist Dir ja selbst an's Herz gewachsen, und nur Deine strenge Ordnungsliebe stößt sich an Dinge, die er gewiß unterlassen würde, wenn er nicht Grund zu ihnen hätte.« »Na, ich will nicht mit Dir zanken und gebe auch gern zu, daß ich im Uebrigen einen ganz gewaltigen Respect vor ihm habe, aber bei ihm sieht es grad so aus, als wäre die Arbeit blos zum Vergnügen da; er könnte mir doch wenigstens sagen, was ihn so oft von ihr abhält. Gestern ist er wieder den halben Tag fortgewesen, und heut steht er nun sogar während der Mittagsstunde draußen und hämmert drauf los, als wolle er den Ambos in den Boden hineintreiben. Aber wer kommt da? Ein Schlitten mit einem Fremden. Da wird's wohl etwas auszubessern geben.«
Der Passagier stieg aus, sprach einige kurze Worte zu dem Gesellen und trat dann in die Stube. »Grüß Gott! Kann ich einige Augenblicke hier verweilen? Meine Deichsel ist abgebrochen und ich muß mir ein Band darumlegen lassen.« »Willkommen, Herr, machts Euch bequem! Ich werde gleich mit zugreifen, damit Ihr nicht zu lange aufgehalten werdet.« Weißpflog ging hinaus, und die gesprächige Meisterin befand sich bald in lebhafter Unterhaltung mit dem Fremden, der den Reisepelz abgeworfen hatte und beobachtend am Fenster stand. Den männlich schönen Kopf leicht zurückgeworfen, strich er sich nachdenklich den blonden, wolligen Vollbart und ließ die freundlichen, blauen Augen forschend umherschweifen. In kurzer Zeit hatte die inquirirende Wirthin erfahren, daß er ein Augenarzt sei und nach Dresden reise, um einen dortigen vornehmen Blinden in Behandlung zu nehmen. Erfreut von dieser Entdeckung erzählte sie ihm von Augusten und bat, das Mädchen einmal holen zu dürfen. Lächelnd nickte er mit dem Kopfe, und einige Minuten später trat die Genannte ein. Er hatte sich bei ihrem Eintritte herumgewandt und schien ihr entgegentreten zu wollen. Bei ihrem Anblicke blieb er wie gebannt stehen und achtete nicht auf die präsendirenden Worte der Wirthin. »Anna!« klang es hell und jubelnd. »Anna heißt meine Mutter, ich heiße Auguste.« Er ließ die erhobenen Arme langsam sinken und wandte sich zur Hausfrau. »Nanntet Ihr sie nicht Anna, als Ihr mir vorhin von ihr erzähltet?« »Nein, sie heißt Auguste.« »Dann habe ich mich allerdings verhört.« Aber trotz seines Bestrebens, die Aufregung zu verbergen, lag es wie eine tiefe, kaum zu beherrschende Rührung auf seinen Zügen, und innig und voll strahlte sein Blick auf das Angesicht des schönen Kindes herab. »Tritt einmal näher und laß mich Dein Auge sehen.« Als er das Instrument absetzte, durch welches er die erkrankten Gesichtsorgane besichtigt hatte, ließ er die eine Hand auf ihrem Köpfchen ruhen und zog dasselbe an sich. »Du wohnst in der Oberstube?«
»Ja.« »Hast Du einige dichte Tücher, um die Fenster zu verhüllen?« »Ja.« »Komm, laß uns hinauf gehen. Wo ist Deine Mutter?« »Sie ist für einige Tage auf Arbeit, und ich bin da allein.« Es war eine so liebe, trauliche Stimme, mit welcher er zu ihr sprach, und ihre Seele athmete ihren Klang ein, wie der Genesende mit Entzücken den belebenden Duft der Maien trinkt. Noch lag ihr Haupt an seiner Brust, sie fühlte den stürmischen Schlag seines Herzens und hätte an demselben mit innigem Vertrauen liegen mögen immer und allezeit. Es war ihr, als müsse sie diesem fremden Manne angehört haben seit dem ersten Augenblicke ihres Lebens und als müsse sie sein Eigen bleiben auch bis zur letzten Stunde desselben. Ohne Widerstreben duldete sie das liebkosende Streicheln seiner Hand und ohne Widerstreben folgte sie ihm dann auch nach oben. Als sie aus der Stube traten, richtete Goldschmidt einen fragenden Blick auf den Arzt, welchen derselbe mit leisem, kaum bemerkbarem Nicken beantwortete, und schritt dann dem Meister nach, welcher, das rauchende Eisen in der Zange, nach dem Schlitten ging. In nicht gar langer Zeit war die Reparatur vollendet, und eben als die Pferde wieder vorgespannt wurden, kam auch der Herr des Geschirres wieder die Treppe herabgestiegen und trat zum Meister. »Ich wünsche, daß Euch Euer Werk so gelungen sei, wie mir das meinige gelungen scheint, wenn nicht störende Umstände meine Erwartungen zu nichte machen. Ich habe, ohne erst zu fragen, das Mädchen operirt und bin des Erfolges sicher, wenn die Weisungen befolgt werden, welche ich der Patientin hinterlassen habe. Die Binde bleibt liegen, bis ich wiederkomme, um sie selbst abzunehmen. Hier Eure Bezahlung, Meister, und hier auch ein Trinkgeld für Dich.« Ehe Weißpflog aus der Ueberraschung herauskommen konnte, in welche ihn die Mittheilung des Arztes versetzt hatte, war derselbe mit seinem Schlitten schon außer Hörweite, und als er sein Erstaunen über das jedenfalls etwas eigenmächtige Einschreiten des Doctors dem Gesellen mittheilen wollte, war auch dieser verschwunden. Besorgt und neugierig zugleich stieg er deshalb die Treppe hinan, um mit der Kranken selbst zu sprechen.
Unterdessen stand Goldschmidt in seiner Kammer und entfaltete das Billet, welches ihm als Trinkgeld übergeben worden war. Es enthielt nur wenige von einer fast unleserlichen Hand geschriebene Zeilen, die eine allerdings ungewöhnliche Orthographie zeigten: »An dem Shmietegesehle Goldschmidt. Wir komen, und wem der Deibel nicht vorheer holt, den hohlen Wir. Schafe Er Uns den Kehrl und mann wird weider sehn. Die Läute sind in der bewussten Zeit da und der Docktor miet. Sein ahlter Leopold.« Einige Tage waren vergangen. Draußen pfiff der Wind und häufte den Schnee zu mannshohen Wehen empor. Desto wohler und gemüthlicher saß es sich in der warmen Stube, wo die Bewohner der Schmiede um den Tisch saßen und sich mit der Neuigkeit beschäftigten, welche trotz des Unwetters schon am frühen Morgen von Dresden her ihren Weg nach Ernstthal gefunden hatte. Bei Kesselsdorf war es zu einer Schlacht gekommen, bei welcher auf Seite der Preußen der alte Fürst von Anhalt-Dessau commandirte. Das wunderliche Gebet dieses sonderbaren Haudegens war schon in den schwatzhaften Mund der Fama gekommen, aber man befand sich noch in vollständiger Ungewißheit über die Erfüllung desselben. Da ließen sich stampfende Fußtritte vernehmen, welche den angeballten Schnee vor der Thür abzutreten suchten, und gleich darauf trat der Forstgehülfe Franz ein. »Guten Tag! Ist der Goldschmidt zu Hause?« »Schön Dank! Der ist droben in seiner Kammer; er wird seine Sachen zusammenpacken.« »Seine Sachen? Weshalb?« »Weil er fort will.« »Fort? Wieso?« »Weiß ich's? Es war heut früh wieder so ein Luftikus von Fechtbruder da und der scheint ihm Lust zur frischen Luft gemacht zu haben. Weshalb er aber fort will, das kann ich nicht begreifen; er bekommt es nicht gleich wieder so gut, wie bei mir. Uebrigens hat
er mit Euch bessere Kameradschaft gehalten als mit uns, und so werdet Ihr wohl auch besser unterrichtet sein als wir.« »Von großer Kameradschaft ist keine Rede gewesen. Er hat den Junker beobachtet und ich bin ihm dabei behülflich gewesen, das ist Alles.« »Den Junker? Weshalb denn?« »Hat mir nichts darüber gesagt, aber ich glaube wegen der Auguste, auf die der Blauweiße ja immer ein Auge gehabt hat?« »Wie steht es denn jetzt mit diesem?« »Er ist seit Kurzem wieder auf. Damals hieß es, er sei von Holzdieben überfallen worden; es lag ihm ja dran, den wahren Sachverhalt nicht ruchbar werden zu lassen, und Euer Schweigen ist ihm jedenfalls recht gewesen. Uebrigens munkelt man ganz sonderbare Dinge von ihm.« »Was denn?« »Ihr habt wohl einmal gehört, daß dem Könige von Preußen ein Offizier mit Karten und Plänen durchgegangen ist, die er hier in Sachsen verwerthet hat. Dieser Mann soll der Junker sein. Der König soll sehr auf seine Auslieferung gedrungen haben, aber immer ohne Erfolg, und so könnte es möglich sein, daß – doch, ruft mir rasch den Goldschmidt!« »Weshalb denn nur?« »Das werdet Ihr hernach schon hören. Die Sache hat Eile!« »Na, da bin ich doch neugierig. Richard, he, komm doch 'mal herunter!« »Daß der auch grad heut fort will! Im Winter läuft man doch nicht draußen auf der Wanderschaft herum.« »Das denke ich eben auch, Aber er hat immer seinen Kopf für sich gehabt und läßt sich in keinem Stücke zureden.« Der Gerufene trat ein und erwiderte den Gruß des Forstwarts. »Ihr wollt fort?« »Ja.« »Aber der Blauweiße ist wieder auf den Beinen.« »Ich weiß es.« »Und führt Böses im Schilde.« »Ich weiß es.« »Auch gegen Euch.« »Ich weiß es.« Verdutzt sah ihn der Alte an.
»Das ist nicht möglich! Ich habe erst vor kaum einer Stunde eine Unterredung belauscht, die er mit einem Offizier hatte.« »Das ist der Rittmeister von Krieben, welcher im Juli hier gestanden hat. Wir wollen einmal sehen, ob das, was ich weiß, mit dem übereinstimmt, was Du mir sagen willst. Der alte Dessauer hat nämlich gestern die mit Schnee und Eis bedeckten Anhöhen von Kesselsdorf mit seinen Grenadieren erstürmt und den Feind vollständig geschlagen. Heut wird der König auf dem Schlachtfelde erscheinen und dann Dresden in Besitz nehmen. Noch weiß man nicht, welche Folgen dies haben wird; es kann zum Frieden führen, aber ebenso steht auch der Fall zu erwarten, daß Sachsen Soldaten, viel Soldaten braucht, und deshalb wird man sich so schleunig wie möglich nach brauchbaren Leuten umsehen. Der Rittmeister, welcher heut Morgen von Freiberg her in Chemnitz eingetroffen ist, wird unsere Gegend hier absuchen und bei Ernstthal anfangen, er ist deshalb seiner Schwadron vorausgeeilt, um mit dem Junker, welcher mit den hiesigen Verhältnissen vertraut ist und den Werbestationen des Zwickauer Kreises vorsteht, Rücksprache zu nehmen. Ich werde also nun doch wohl Fahnenschmied werden müssen und packe meine Sachen, damit ich den Herren keinen unnöthigen Aufenthalt verursache. Nach beendigtem Geschäfte wird der Blauweiße, dem es in der Nähe der Preußen ein wenig zu schwül zu sein scheint, nach Oesterreich gehen, zuvor aber erst unsern beiden Frauen einen Besuch abstatten, um sie auf eine allerdings überraschende Weise für seine Gesellschaft zu engagiren.« »Wahrhaftig, so ist es, und ich kam, um Euch auf die Gefahr aufmerksam zu machen, in welcher Ihr schwebt. Man kann nicht wissen, wenn sie kommen, und es wird wohl am besten sein, wenn sich die militärfähigen Burschen verstecken, denn mit Eurer Ergebung in das zu erwartende Schicksal ist es Euch doch wohl nicht Ernst. Aber woher wißt Ihr das Alles?« »Laß das gut sein. Mit dem Verstecken hat es seine guten Wege; es würde zu nichts Gutem führen, und ich bin eher gewillt, anzunehmen, daß dem Herrn Rittmeister gar nicht viel Zeit bleiben wird für die Erreichung seiner lobenswerthen Absichten. Der Oberstcommandirende der Preußen pflegt seine Siege schleunigst zu verfolgen, und es steht daher sehr zu erwarten, daß er dem Feinde die zu einem Verweilen und der Anwerbung neuer Kräfte so nöthige Ruhe nicht lassen werde. Ich habe deshalb einen andern Plan.
Kannst Du reiten?« »Ja, ich war Cavallerist.« »Wie viel hast Du Gehalt?« »Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel.« »Ich kenne einen vornehmen Herrn, welcher einen zuverlässigen Jäger braucht. Willst Du die Stelle annehmen? Du wirst es gut, sehr gut haben.« »Mit tausend Freuden.« »Packe Deine Sachen. Heut Abend mußt Du zur Abreise fertig sein.« »Das Packen hat bei mir keine Schwierigkeit. Ich bin ein alter Junggeselle, habe Niemanden, der sich um mich bekümmert, und bringe meine sieben Sachen recht gut in ein Felleisen.« »Gut, da kannst Du Dir jetzt das meinige mitnehmen.« »Aber das braucht Ihr doch selbst, und darf ich vielleicht fragen, wer der Herr ist, von welchem Ihr spracht?« »Das wirst Du heut noch erfahren. Komm jetzt mit herauf, Du bekommst noch besondere Instruction.« Und sich an der Thür noch einmal zurückwendend, mahnte er in gebieterischem Tone: »Von unserer Unterredung darf kein Wort aus dem Hause gehen.« Der Nachmittag kam und mit ihm die Kunde von der verlorenen Schlacht. Das Schneegestöber hatte aufgehört. Die Decembersonne milderte die winterliche Kälte, und die aufgeregten Bewohner Ernstthal's standen vor den Thüren und auf den Straßen, um sich die Neuigkeit mitzutheilen. Weißpflog saß mit den beiden älteren Frauen in der Unterstube, der Geselle war in seiner Kammer und Auguste befand sich allein in ihrer Wohnung. Sie war voller Angst und Sorgen. Die letzten Tage hatten ihr viel Nachdenken über ihren eigenen Zustand gebracht und auch die Mutter in nicht geringe Aufregung versetzt. Wer war der fremde Arzt? wo war er hergekommen und wo blieb er so lang? Die Mutter hatte bei ihrer Heimkehr am Abende mit Ueberraschung die Nachricht von dem Geschehenen gehört. Am meisten war ihr das Verhalten des Arztes beim Eintritt Augustens und zwar ganz besonders die Namenverwechslung aufgefallen, aber sie wagte nicht, ihre Vermuthungen auszusprechen. Die zurückgelassenen
Anordnungen wurden auf das Gewissenhafteste befolgt und der Tag mit Ungeduld erwartet, welcher Gewißheit und Aufklärung bringen sollte. Aber nicht Das, sondern etwas Anderes beschäftigte die Gedanken Augustens heut. Seit jenem Heimwege aus dem Waldhause hatte sie noch nicht wieder mit Goldschmidt gesprochen. Sie fühlte, daß sie ihm zu eigen sei für die ganze Lebenszeit, aber sie war ein zu verständiges Mädchen, um nicht einzusehen, daß eine blinde Frau den Ansprüchen nicht genügen könne, welche Handwerk und Geschäft stets und immer an die »Meisterin« machen. Deshalb war sie fest entschlossen gewesen, ihre Liebe zwar im treuen, warmen Herzen zu hegen, aber keinerlei Consequenzen aus derselben zu ziehen. Dieser Entschluß war dann freilich durch die Hoffnung erschüttert worden, welche der Arzt in ihr erweckt hatte, und je mehr sie sich derselben hingab, desto weher that ihr die scheinbare Gleichgültigkeit Goldschmidt's, der nie das Zimmer betrat, welches sie hüten mußte. Seit heut früh wußte sie sogar, daß er fortgehe, und zugleich hatte ihr die Nachricht, daß ihm von Seiten der Werbung Gefahr drohe, Schrecken und Besorgniß verursacht. So wandte sie sich in Zweifeln und Befürchtungen und konnte zu keiner Ruhe kommen. Da klopfte es leise an die Thür, und eine Stimme, bei deren Klange ihr das Blut in die Wangen stieg, fragte: »Darf man eintreten?« »Richard!« »Ja, ich bin es. Ich kannte die trüben Gedanken Deiner Seele und bin gekommen, Dich noch einmal zu bitten: Vertraue Gott und mir!« »Mir ist nicht Angst um mich.« »Sondern nur um mich; ich weiß es. Aber ebenso weiß ich auch, daß diese Angst noch heut von Dir genommen wird, da möchte ich so gern eine Mahnung aussprechen.« »Welche?« »Wenn Deine Gefühle heut von einem recht glücklichen Ereignisse in Anspruch genommen werden, so sei stark, recht stark, damit die Aufregung nicht Dir und uns Allen den Erfolg der ärztlichen Behandlung vereitele. Komm, schließe Deine Augen!« Er nahm ihren Kopf, schob die Binde zurück und berührte leise küssend die geschlossenen Lider. Dann zog er die Binde wieder herab.
»So, und nun sei der Allgütige mit seinem Segen bei Dir in dem Augenblicke, der Dir das Licht des Tages bringen soll! Und Eins noch wisse: An meinem Herzen ist Deine Heimath jetzt und immerdar, mag der heutige Tag Dir nun Erfüllung oder Versagung des heißesten unserer Wünsche bringen.« »Es kommen Reiter die Straße her!« rief in diesem Augenblicke der Meister herauf. »Richard flieh!« »Nein, mein Kind! Diese Leute sind mir ungefährlich. Leb wohl für jetzt.« Er nahm ihre Arme von seiner Schulter herab und entfernte sich. Sie hörte ihn in die Kammer gehen und dann raschen, klirrenden Schrittes die Treppe hinabsteigen und das Haus verlassen. Es war eine Schwadron sächsischer Reiter, welche im Galopp von Chemnitz her in Ernstthal einrückte. Im Nu wurden die Häuser besetzt und die Bewohner keinen Augenblick lang über den Zweck dieses eiligen Besuches in Ungewißheit gelassen. In Zeit von einer halben Stunde waren alle hier in Arbeit stehenden fremden Gesellen auf dem Marktplatze zusammen getrieben und mit der Soldatenmütze bedeckt, was in jener Zeit ein unwiderlegliches Zeichen der Militairangehörigkeit war. »Wort gehalten, Krieben! Hier bin ich und bringe Dir, wie ich heut Morgen versprach, auch den Rapphengst mit, der allerdings unverbesserlich ist. Nimm ihn wieder hin, er ist nicht zu gebrauchen.« Es war der Junker, welcher auf einem jungen, feurigen Trakehner saß und statt des blauweißen Cavalieranzuges Offiziersuniform trug. »Willkommen, Bredenow! Wie steht es mit Deinem Schätzchen und mit unserm Fahnenschmied? Wir haben alles Disponible beisammen und noch sehe ich ihn nicht dabei.« »Werde ihn schon bringen, aber allein konnte ich gegen diesen Kerl doch nicht gut etwas ausrichten. Sind die Wagen besorgt?« »Jawohl, eine wahre Equipage für die beiden Frauen und ein Bagagewagen für das Uebrige. Der Kutscher hat Weisung, in der Nähe des Hauses zu halten und wartet jedenfalls schon längst auf Dich.« »Schön. Ich werde den Burschen jedenfalls bei den Weibern finden, da er so außerordentlich auf die Rolle eines Schutzgeistes
passionirt ist. Aber gieb mir der Sicherheit wegen ein kleines Detachement Deiner Leute mit.« »Dort halten sie, lauter auserlesene Riesen. Mit ihnen wird er es wohl nicht aufnehmen.« Weißpflog war mit dem Rufe, daß Reiter kämen, in die Stube zurückgeeilt und hatte den sich entfernenden Gesellen gar nicht gesehen. Nur einige Minuten nach dem Einreiten der Schwadron drangen einige Reiter auch in sein Haus und fragten nach jungen Leuten. Er führte ihnen die anwesenden Bewohner vor, und da das Gesuchte hier nicht zu finden war, rückten sie unverrichteter Sache wieder ab. Als er ihnen nachblickte, bemerkte er in der Nähe zwei Geschirre, welche unter militärischer Eskorte da hielten. Die Sache konnte ihm nicht auffällig sein, und so trat er wieder in das Wohnzimmer zurück. Da ertönte nahender Hufschlag und eine zweite Abtheilung Reiter hielt vor der Thür. Die Leute saßen ab und traten ein. Mit Schrecken erkannte er in dem Offizier an der Spitze den Junker. »Guten Tag, Meister. Ich komme, mich nach dem Befinden Eures Gesellen zu erkundigen. Ist er wohlauf oder liegt er unter dem Bette?« »Wenn der zu Hause wäre, versteckte er sich gewiß nicht aus Angst vor Euch unter das Bette, darauf verlaßt Euch!« »Ach so, also nicht zu Hause, ausgerissen ist der Kerl? Ich werde nach ihn suchen lassen, und macht Ihr mir Flausen, so ist's Euer eigener Schaden, ist er aber wirklich entwischt, so steht Ihr mir für ihn ein. Vorwärts, Ihr Leute!« »Ich wüßte nicht, daß mir mein Gesell als Euer Gefangener zur Bewachung übergeben worden wäre –« »Maul halten! Bei uns regiert der Stock!« Der Schmied fügte sich in das Unvermeidliche und nahm auf dem Kanapee Platz, während der Hauptmann in der Stube auf und ab spazierte. Nach einer Weile traten die Soldaten mit der Meldung ein, daß jeder Winkel des Hauses durchsucht und der Geselle nicht zu finden sei. »Verflucht! Da entgeht mir ein Gaudium, auf welches ich mich seit langer Zeit gefreut habe. Heda, alter Sünder, merke Dir 'mal den Auftrag, welchen ich Dir an ihn gebe, denn wiederkommen wird der Hase ganz gewiß. Du sagst ihm einen Empfehl von mir, und die
Damen aus der Oberstube hätten mich begleitet; doch würde ich Beiden die Erlaubniß zur Rückkehr nicht versagen, wenn er den Muth hätte, sich beim Rittmeister von Krieben als Fahnenschmied zu melden.« »Herr Hauptmann –« »Maul halten, sage ich, hier wird nicht gemuckst, und nur mein Wort gilt! Holt die Frauenzimmer herunter!« »Aber Auguste wird vor Schreck –« »Wenn Du nur noch einen Mucks thust, lasse ich Dich durchfuchteln!« Der Meister schwieg. Die Soldaten holten die beiden angsterfüllten Frauen herab, denen Bredenow die Mittheilung machte, daß sie die Ehre hätten, ihn auf einer kleinen Urlaubsreise zu begleiten. Auguste schwieg, die Mutter aber brach in ein lautes Wehklagen aus, welches ihr allerdings nichts half. Wie sie standen und gingen mußten sie den herbeigeholten Wagen besteigen, und nachdem Einer der Leute sich als Sauvegarde ihnen gegenüber gesetzt hatte, fuhren sie dem Markte als dem allgemeinen Sammelplatze zu. Der Hauptmann gab noch die Weisung, das Nothwendige an Wäsche und Kleidungsstücken auszusuchen und auf den Bagagewagen zu packen, und ritt dann den Vorangeschickten nach. Krieben zeigte sich erzürnt, als ihm das Verschwinden des Gesellen mitgetheilt wurde; da er sich aber vor den etwa nachfolgenden Preußen nicht so recht sicher wußte, so wollte er mit weiteren Nachforschungen keine Zeit verlieren und ließ zum Sammeln blasen. In kürzester Zeit hielt die Schwadron in Reih und Glied vor ihm; die recrutirten Burschen hatten Platz auf den Reservepferden gefunden und die Wagen bildeten den Schluß der Aufstellung. Noch standen die Offiziere, während ihre Pferde von den Dienern gehalten wurden, beisammen, um vom Rittmeister die Dispositionen zu erhalten, da sauste es die Gasse herein, und mit fliegender Mähne und wehendem Dolman setzte es über den letzten Wagen weg, bog scharf um die Fronte herum und hielt vor den überraschten Herren. »Ein Ziethen, ein Ziethen!« rief's von Mann zu Mann die ganze Reihe hinunter. »Verzeihung, Herr Rittmeister! Ich habe mich hier eines Auftrages meines Königs und Feldherrn zu entledigen und es Euch
dann zu überlassen, mich als Fahnenschmied in Eure Schwadron einzurangiren.« Und sich zu dem Junker wendend, setzte er mit lautschallender Stimme hinzu: »Hauptmann von Bredenow, ich verhafte Euch im Namen Eures Monarchen als Hochverräther und Spion!« Augenblicklich hatten die Offiziere einen Kreis um ihn gebildet, um sich seiner Person zu bemächtigen. Lächelnd blickte er auf sie herab und fuhr mit ebenso lauter Stimme fort! »Ich erkläre diese Stadt in Kriegszustand und alle hier befindlichen Militärs zu meinen Gefangenen.« Er zog ein Pistol aus der Halftertasche und feuerte es ab. In demselben Augenblicke erschallte Pferdegetrappel von allen auf den Markt mündenden Gassen her, und ehe die halb verblüfften, halb erstaunten Sachsen einen Entschluß fassen konnten, waren sie von einer dreifach überlegenen Anzahl Preußen umstellt. Da ertönte aus der Mitte der umstellten Offiziere ein Fluch. Der Trakehner stieg unter einem kräftigen Sporendruck in die Luft, flog durch die Glieder der noch nicht schußfesten Preußen hindurch und trug in rasendem Galopp seinen Reiter die Gasse hinaus. Keiner der strenggeschulten Krieger machte Miene, den Fliehenden ohne besonderen Befehl zu verfolgen, nur der zuerst angekommene Offizier, in welchem wir den ehemaligen Schmiedegesellen erkennen, drängte seinen Fuchs zwischen die Reservepferde der Sachsen und saß mit einem kühnen Sprunge auf dem Rapphengste, welchen der Junker vorhin noch als unbrauchbar bezeichnet hatte. Mit lautem, freudigem Wiehern erhob sich das Thier auf die Hinterbeine, drehte sich im Kreise herum und schoß dann mit seinem Reiter davon. »Herr Kamerad, Euern Degen! Ich übernehme an Stelle des soeben abgerittenen Herrn Oberstwachtmeisters die Verpflichtung, Euch von der Vergeblichkeit jeden Widerstandes zu überzeugen.« »Sehr wohl, Herr Major! Die Chancen des Tages sind gegen uns und wir ergeben uns in der Erwartung, daß man in dieser Handlungsweise nichts finden werde, was unserer Offiziersehre Abbruch thun könnte.« »Bewahre. Laßt Eure Leute absitzen und die Waffen ablegen. Lieutenant Rhaden, Ihr reitet mit einem Dutzend Eurer Leute schleunigst dem Herrn Oberstwachtmeister nach, um seinen
Gefangenen entgegen zu nehmen. Wen haben wir da in der Equipage? Ah, Franz, sind das vielleicht die beiden Damen, von denen uns so viel Gutes erzählt worden ist?« »Zu Befehl, Herr Major!« antwortete der alte Forstwart, der hoch zu Roß bei den Wagen hielt. »Ich fand sie sofort bei unserer Ankunft hier und hörte von ihnen, daß der Junker sie angeblich als Geißeln für den Goldschmidt – wollte sagen für den Herrn Oberstwachtmeister mitgenommen habe.« »Ach so, eine neue Infamie! Meine Damen, Ihr befindet Euch natürlich, wie die anderen Gefangenen alle auch, jetzt wieder im Besitze der vollsten Freiheit. Du, Franz, setzest Dich auf und fährst sie in ihre Wohnung zurück.« Mit einem höflichen Salut nahm er Abschied von den geängstigten Frauen, und, nachdem Kutsche und Sauvegarde den übrigen Kriegsgefangenen zugesellt waren, fuhren die Wagen zur Schmiede zurück. Mit lautem Jubel wurden die Insassen von den Meistersleuten begrüßt. »Gott sei Dank, daß Ihr wieder da seid! Na, steigt nur hinauf in Eure Stube, es erwartet Euch Besuch oben.« »Wer denn?« »Ein Offizier oder so etwas.« Sie gingen hinauf. Die Mutter öffnete die Thür und richtete den Blick auf den Mann, welcher am Fenster stand. Die hohe, stolze Gestalt wurde vortheilhaft durch die Uniform und glänzende Auszeichnung eines Stabsarztes hervorgehoben; die Wellen des langen, blonden Vollbartes schmiegten sich weich an die goldenen Tressen des Waffenrockes, und die Augen, tiefblau und freundlich, begrüßten mit erwartungsvollem Leuchten die Eintretenden. »Emil!« »Anna!« Beide stießen den Ruf zugleich aus, Beide hatten sich trotz der langen Zeit der Trennung sofort erkannt und flogen einander in die Arme. Mit voller Kraft hielten sie sich umschlungen, hingen Lippe an Lippe und vergaßen im Entzücken des Wiedersehens die Tochter, welche, von ihren Gefühlen übermannt, an der Thür lehnte. Lange, lange wartete sie, daß man sich auch ihrer erinnern werde, aber vergebens. Da klang es leise: »Vater!« »Mein Kind, mein liebes, liebes Mädchen! Laß mich, Anna!«
Er stürzte auf Auguste zu und nahm sie in die Arme. Die Mutter folgte und legte die Hände auf das Haupt des Kindes. »Nimm sie hin, Emil! Sie ist das Einzige, was ich besitze und Dir bieten kann, aber es ist das Kostbarste, was Dir mein Mutterherz aufbewahrt hat.« Er entgegnete kein Wort, aber Kuß auf Kuß nahm er von dem schönen, unentweihten Munde, welchen noch nie die Lippe eines Mannes berührt hatte. Der Vater vermochte vor Seligkeit nicht zu sprechen, aber der Arzt machte sich endlich doch geltend. »Bitte, Anna, verhänge das Fenster wieder.« »Vater, nicht wahr, Du bist der Arzt, der kürzlich hier war?« »Ja, mein Kind. Hast Du heut viel Erschrecken gehabt?« »Nein. Goldschmidt bat mich, stark zu sein, und was er bittet, das muß ich gewähren.« »Du hast ihn lieb?« »Ja, unendlich lieb, mein Vater.« »Ich danke Dir. Diese Liebe ist einer meiner höchsten Wünsche. Fühlst Du etwas Fremdes, Störendes, Krankhaftes in Deinem Auge?« »Nein, ich habe das Gefühl des Wohlbefindens darin.« »Dann wollen wir mit Gott die Binde entfernen.« Er nahm sie ab. Noch hielt das Mädchen die Lider geschlossen, dann hob sie dieselben langsam und zagend und richtete den ersten Blick auf die Mutter. »Mutter, ich sehe Dich!« rief sie und freudig setzte sie unter heißer Umarmung hinzu: »noch viel besser und deutlicher als früher.« Dann wandte sie sich zum Vater. »Vater, mein lieber, lieber, schöner Vater!« Wieder hielten sich die Drei umschlungen, und hätte nicht die Stimme des Arztes vor Thränen warnen müssen, so hätte die überwältigende Freude Alle wortlos gemacht. Da ertönte unten im Hausflur eine volle, kräftige Stimme. Auguste fuhr in die Höhe. »Das ist Richard.« »Den sollst Du allein empfangen. Komm, Anna.« Die Eltern traten in die Schlafstube und das Mädchen befand sich allein mit ihrem Glücke. Ja, glücklich war sie jetzt, denn nun, da sie sehen konnte, gab es keine Kluft mehr zwischen ihr und dem
Geliebten, und mit erhobenen Armen eilte sie nach der Thür, als sie seinen elastischen Schritt näher klirren hörte. Aber erschrocken ließ sie die Arme wieder sinken. Vor ihr stand ja nicht der einfache, rußgeschwärzte Schmiedegeselle, sondern ein hoher Offizier in der kleidsamen Tracht der Ziethenhusaren, dessen großes, blitzendes Auge ihr wie ein Himmel voll Sonnen entgegenleuchtete. »Gustel, meine süße, herzige Gustel, Du kannst wieder sehen!« Mit einem Sprunge stand er bei ihr, faßte sie um den schlanken Leib, hob sie hoch in die Höhe, drückte sie wieder an sich und ließ ihr gar keine Zeit, die nach ihm suchenden Arme um seinen Hals zu legen. Nur Worte waren ihr möglich, und diese Worte klangen jubilirend aus einem wonneathmenden Herzen, das fast zu eng und zu klein war für das Entzücken dieses Augenblickes. Endlich legte sich der Sturm der ersten Freude und ruhig standen sie bei einander, Brust an Brust und Mund an Mund. »Richard, Du lieber, böser Mann, wie bist Du so geheimnißvoll und verschwiegen gegen mich gewesen!« »Und willst Du auch jetzt noch Deiner Liebe entsagen und mich fortgehen lassen ohne Glück und ohne Stern?« »O nein, nein, nein! Aber wie kannst Du diese Gedanken wissen?« »Deine reine Seele wurde noch nie von dem Hauche der Lüge und Verstellung getrübt, und da war es mir leicht, jede Regung Deines Herzens zu erkennen, noch ehe Du selbst ihrer bewußt warst. Aber wo ist Vater und wo ist Mutter?« »Hier sind wir!« riefen die beiden jetzt wieder Eintretenden. »Herr Doctor und Kamerad, ich habe die herzliche Freude, Euch hier die Rose von Ernstthal vorzustellen, welche ich unter duftenden Erdbeeren fand und jetzt zur Winterszeit in einen Garten versetzen möchte, damit sie da geschützt vor rauhen Stürmen sei und blühen könne, mir zum Glücke und den Eltern zur Freude. Darf ich einen Strahl des von Euch geöffneten Auges auch für mich in Anspruch nehmen?« »Nimm sie hin, mein Sohn, und verzeihe dem Vater, der seiner Liebe untreu wurde, nur weil er beim Scheiden von der Geliebten nicht ahnte, daß es bald ein Wesen mehr geben werde, welches zu Ansprüchen an ihn berechtigt sei.« »Und Ihr, meine Mutter?« »Ich gebe Euch mein Kind, mehr kann Euch Niemand geben.«
»Hollah!« rief's unter der Thür, »wir Drei, nämlich ich, meine Frau und der Franz wollen wissen, ob die Sachen da unten – – – alle Wetter, das ist ja der Goldschmidt!« »Freilich, Meister, ist er's, der Erzstrick, der Tag und Nacht draußen herumlaufen mußte, weil er noch nothwendigere Dinge zu thun hatte, als zu hämmern und zu feilen.« Mit offenem Munde standen Weißpflog's da und staunten den ehemaligen Zeug-, Huf- und Waffenschmied an. »Aber was ist denn das Richtige? Ein General kann doch nicht Fensterbänder machen, und ein Schmied kann doch keine Armee commandiren!« »Zuweilen doch, und zum General hat es noch gute Weile.« »Na, ich muß es lassen wie es ist, aber wegen dem Erzstrick, da bitte ich um Verzeihung.« »Wird gern vergeben. Dieser Herr da ist der Vater Augustens.« »Ist's möglich? Da hat ja mein Haus bis unter die Hahnebänder voll Geheimnisse gesteckt! Und sehen kann die Auguste auch?« »Und dieses Bild da hat Richard gemalt,« wandte sich Wallner an die Mutter. »Da wir uns beim Militär oft gesehen haben, so hat ihn die Bleistiftskizze auf die richtige Spur geführt. Daß wir uns gefunden haben, danken wir ihm allein.« Die Erklärungen flogen hin und her und des Fragens und Antwortens war kein Ende zu finden, bis sich endlich der frühere Geselle erhob. »Jetzt muß ich mich beurlauben, mich ruft der Dienst. Vater wird Euch unsere Bestimmungen bis zu meiner Rückkehr mittheilen. Wir verlassen heute noch Ernstthal. Ihr geht zu Wagen unter Begleitung Franzens und einer militärischen Eskorte nach Dresden, wo auch ich morgen einzutreffen habe. Von da führt Euch Franz, welcher von heut an als Jäger in meinem Dienst steht, auf mein Stammgut, und wenn die Besetzung Dresdens den erwarteten Frieden herbeiführt, werden wir dort bald vereinigt sein. Für jetzt aber adieu!« Als er auf den Markt kam, standen die Truppen bereits zum Abmarsch bereit. Sein suchender Blick fand unter den Gefangenen bald den schwer gefesselten Junker und ebenso den Rittmeister von Krieben. Auf Letzteren schritt er zu. »Wollen wir nicht, ehe wir uns in Bewegung setzen unser kleines Privatgeschäft in Ordnung bringen, Herr Rittmeister?«
»Privatgeschäft? Wieso?« »Ich meine unsern Tauschhandel.« »Ihr setzt mich in Verlegenheit, Herr Oberstwachtmeister!« »Gut, ich muß Eurem Gedächtniß zu Hülfe kommen. Mein Name ist Göbern.« »Ah, dann seid Ihr ein Verwandter des Rittmeisters von Göbern, welcher – –« »Nicht ein Verwandter, sondern er selbst. Es ist erklärlich, daß Ihr mich nicht wiederkennt, da die Umstände mich zwangen, den Bart, mit welchem Ihr mich kennen lerntet, abzulegen. Auch darf Euch der militärische Grad nicht irre machen; ich rückte in Folge unsers Pferdewechsels zum Major und einiger andern Kleinigkeiten wegen in meine jetzige Stellung empor. Daß mich die Erfüllung des Auftrages, den früheren Hauptmann von Bredenow zu beobachten und schließlich der verdienten Gerechtigkeit zu überliefern, in die Lage bringt, einen so braven Offizier, wie Ihr seid, kennen zu lernen, ist mir gewiß ebenso lieb, wie es Euch der dabei obwaltenden Umstände wegen unerwünscht sein wird. Deshalb stelle ich mich für Euch und die Kameraden zu jedem Dienste, der sich mit meiner Pflicht verträgt, gern bereit und beweise diese Bereitwilligkeit durch die Rückgabe Eures Goldfuchses, welchen Ihr mir damals so freundlich überließt. Er hat, glaube ich, in guter Schule gestanden und deshalb wohl nichts verloren.« »Ich danke. Darf ich mir eine Frage gestatten? Bredenow ist mir verwandt und ich bin also nicht ganz gleichgültig seinem Schicksale gegenüber.« »Ich werde antworten.« »Wie seid Ihr vorhin Meister des Hauptmanns geworden und was wird sein endliches Schicksal sein?« »Sehr einfach. Ich bestieg meinen Rapphengst, auf den ich mich bei solchen Gelegenheiten verlassen kann, und habe ihn mit demselben niedergeritten. Die Entscheidung über seine Handlungsweise steht nicht mir, sondern der Justiz zu. Auf Wiedersehen, Herr Kamerad! – Herr Major!« »Herr Oberstwachtmeister!« »Befehlt den Aufbruch. Ich werde jetzt in meine Wohnung zurückkehren und erst in einiger Zeit nachfolgen. Eurer Umsicht habe ich natürlich keine weiteren Anweisungen zu geben. Adieu!«
»Weißt Du, Richard«, begrüßte ihn die Braut, »daß ich mein Auge bereits im Lesen versucht habe?« »Geht es?« »Ja, ich bin Dir in Deine geheime Correspondenz gerathen. Sage doch, von wem Du diese so außerordentlich schön und richtig geschriebenen Zeilen hast? Wir fanden sie beim Einpacken in Deiner Kammer.« »Erräthst Du es nicht? Dieser ›ahlte Leopold‹ ist mein Pathe und Gönner, der Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, mit welchem ich in dienstlichem Briefverkehr gestanden habe und der sich gestern so außerordentlich brav geschlagen hat. Er kennt meine Intentionen in Beziehung auf Deine Person vollständig und wird in unserer Verbindung keine Mesalliance erblicken, da er selbst sich über dieses Vorurtheil hinwegzusetzen gewußt hat. Du wirst ihn bald sehen.« »Wenn und wo?« »Morgen oder übermorgen in Dresden. Ich werde Dich natürlich vorstellen müssen.« »Da wird mir schrecklich bange sein.« »I bewahre! Der alte Degenknopf ist außerhalb des Dienstes und besonders Bekannten gegenüber ein allerdings origineller aber bei all seiner Grimmfertigkeit doch gutmüthiger Kopf.« »Aber ich werde bei dieser Vorstellung unmöglich die feinen Manieren einer Hofdame zeigen können.« »Wird auch von ihm gar nicht verlangt; er ist kein Freund von Complimenten, und ich werde meine Anrede also so kurz wie möglich fassen, grad das liebt er.« »Wie denn zum Beispiel?« »Ich werde ungefähr sagen: Durchlaucht, gukt einmal her, ich bringe Euch hier › die Rose von Ernstthal! ‹«
Der Dukatenhof Eine Erzählung aus dem Erzgebirge. Von Karl May
1. Der Köpfle-Franz Die steile Bergstraße hinauf schob sich mit langsamen, schildkrötenartigen Bewegungen eine so eigenthümliche Figur, daß ein Unbekannter sie von Weitem wohl kaum für ein menschliches Wesen gehalten hätte. In der Nähe aber erkannte man die seltsame Gestalt als einen Mann, welcher sich mühsam mit den Händen fortschieben mußte, weil ihm beide Beine gänzlich fehlten. Der mit einer alten, vielfach ausgebesserten Jacke bekleidete Körper war durch Riemen in einem aus starkem Holze gefertigten Rollkasten befestigt; den nach vorn tief niedergebeugten Kopf bedeckte ein ungewöhnlich breitkrämpiger Filz, dessen ursprüngliche Form und Farbe wohl schon seit Jahren in Sturm und Regen verloren ging; über dem Rücken hing ein umfangreicher, schmutziger Leinwandsack, jedenfalls bestimmt zur Aufnahme von allerhand Geschenken, denn das ganze Aeußere des Unglücklichen ließ vermuthen, daß er zu denjenigen Beklagenswerthen gehöre, welche mit der Befriedigung ihrer Bedürfnisse lediglich auf die Mildthätigkeit ihrer Nebenmenschen angewiesen sind. Und diese Mildthätigkeit schien sich in dem vorliegenden Falle als fruchtbar erwiesen zu haben: der Sack war trotz seiner Größe wohl gefüllt, und seine Schwere veranlaßte den Träger, öfter auszuruhen, als es trotz der Gebrechlichkeit des Letzteren sonst wohl der Fall gewesen wäre. Nach langer Anstrengung endlich oben auf der Höhe angekommen, hielt er tief athmend still und ließ den Blick hinab in das jenseitige Thal gleiten, in welchem sich eines jener armen Gebirgsdörfer hinzog, deren Bewohner meist nur durch die schwachen Fäden einer wenig lohnenden Industrie mit der Außenwelt in Verbindung stehen. Die Abgeschlossenheit ihrer geographischen Lage äußert einen unleugbaren Einfluß auf alle ihre äußeren und inneren Verhältnisse und erhält den Charakteren eine Naturwüchsigkeit, welche unter der dichter gesäeten Bevölkerung des platten Landes sehr bald verloren geht. Vor ihm, da wo die Straße sich wieder abwärts neigte, stand ein
ziemlich neues, zweistöckiges Gebäude, über dessen Eingangsthür in goldenen Lettern die Inschrift: »Zur Bergschenke« erglänzte. Vor dem Hause hielt eine leichte Kalesche, und aus dem Innern desselben tönte ein mehrstimmiges schallendes Gelächter durch die geöffneten Fenster. Der Ermüdete schien die Stimmen zu kennen; er erhob bei ihrem Klange lauschend den Kopf, und nun waren seine bisher unter der breiten Kopfbedeckung verborgen gewesenen Züge zu erkennen – Züge, wie man sie unter dem alten Hute gar nicht erwartet hätte, so kontrastirend mit seiner übrigen Erscheinung, so intelligent, wäre man fast zu sagen versucht, wenn nicht ein undefinirbares Etwas in dem Gesichte, ein eigenthümlich gebrochenes Licht des großen dunklen Auges dieser Bezeichnung widersprochen hätte. »Aha, der Baron und der Zettelkramer! Ganz gewiß woll'n die 'nunter zum – –« Er drängte den Namen, welchen auszusprechen er schon im Begriffe gestanden hatte, wieder zurück. Der unterbrochene Gedankengang hatte schlummernde Geister in ihm erweckt; sein Auge loderte plötzlich in wildem Feuer, seine Hände erhoben wie drohend die Stemmhölzer, mit deren Hilfe er sich fortgeschoben hatte, und jenes unbestimmbare Etwas zuckte jetzt gehässig über das vorhin so ruhige und unbewegte Angesicht. »Nur zu, nur zu, nur immer zu! Ihr seid zwaa Spitzbub'n, das weiß ich; ihr mordet die Güter, saugt die Bauern aus und bringt ehrliche Leut' mit euren Zetteln um Hab' und Eigenthum; aber ihr arbeitet mir in die Hände, und d'rum hab' ich alleweil' Freud', wenn ich euch zu sehen bekomm'!« Er rollte sich die kurze Strecke bis zur Schenke weiter. Bei dem Fuhrwerke angekommen, hielt er überrascht an. »Was?! Das ist ja dem – – na, dem sein Brauner, der ihm hundertzwanzig Dukat'n baar gekostet hat! Wie kommt der Gaul zum Baron? Da hat es wieder 'mal 'ne Wette gegeb'n oder so 'n kleines Spielchen bei verschloss'ner Thür. Nur zu, nur immer zu, denn so ist's mir g'rad recht! Ihr würgt ihn langsam ab, und ich geb' ihm den Gnad'nstoß. Ich hab' noch Niemandem 'was zu Leid gethan, aber für Den gibt's keine Gnad' und kein Erbarmen, für ihn hab' ich kein Mitleid und kein Herz; er hat mir's selber aus dem Leib geriss'n.« »Köpfle-Franz,« rief es da, und ein wohlgenährtes, schlaues Gesicht erschien am Fenster. »Köpfle-Franz, läßt Du Dich auch
wieder 'mal zu Hause sehen? Wo bist denn in der langen Zeit herumgekroch'n?« »Drunt'n im Niederlande, Bergwirth. Die Sehnsucht nach mir wird hier ob'n net groß gewes'n sein!« »Warum net? Ich weiß Eine, die hat gar viel nach Dir gefragt. Komm 'rein, wenn Du erfahr'n willst, wer's gewes'n ist.« »Laß nur den schlechten Witz, Bergwirth; mich hast Du net zum Narr'n! Aber 'rein kommen thu' ich schon; ich möcht wohl gern 'was trink'n, wenn's net viel kosten thät.« In der Stube saßen zwei Männer, die, obgleich sie sich in ihren inneren Eigenheiten begegnen mochten, in Beziehung auf ihre äußere Gestalt in einem scharfen Gegensatze zu einander standen. Der Eine war klein und außerordentlich hager; seine spitze Physiognomie hatte etwas Raubvogelähnliches, was durch die große, schnabelartig gebildete Nase, auf welcher ein blauglasiger Klemmer ritt, keineswegs gemildert wurde. Der Andere war von hoher, starker und ungeschlachter Statur; sein dicker Kopf mit dem starken, kurzgeschorenen Haare, der niederen, nach hinten gehenden Stirn, den kleinen, tückischen Augen, der breitgedrückten Nase, den wulstig aufgeworfenen Lippen und schlappen Hängebacken war sehr geeignet, zu einem ähnlichen Vergleiche zu führen, denn er erinnerte ganz unwillkürlich an jene Bissigkeit, durch welche sich eine bekannte Art unserer Hausthiere auszuzeichnen pflegt. Auch er trug seine gesunden Sehwerkzeuge hinter Glas und Rahmen, da aber der Zwicker bei ihm nicht gehaftet hätte, so war seine Wahl auf die altbewährte und zuverlässigere Form der Brille gefallen. Beide, der Riese sowohl als auch der Zwerg, waren fein und nach der neuesten Mode gekleidet, doch saßen wenigstens dem Ersteren die Sachen so, daß sich sehr leicht vermuthen ließ, er habe sich erst vor noch nicht gar zu langer Zeit mit diesem Habitus befreundet. »Laß doch den Krüppel draußen, Bergwirth,« meinte er. »Es wird mir immer schlecht, wenn ich so eine Kreatur zu sehen bekomme, und übrigens habe ich das Betteln niemals leiden mögen!« Der Gegenstand dieser lieblosen Aeußerung hörte die Worte gar wohl, denn er befand sich bereits in der Stube, aber ganz entgegengesetzt der gewöhnlichen Reizbarkeit gebrechlicher Leute erwiederte er in demüthigem Tone: »Herr Baron, ich bin net selber Schuld, daß sie mir die Beine
weggeschnitt'n hab'n; aber wenn ich Ihn'n zuwider bin, so will ich geh'n!« »Bleib' nur immer da!« gebot der Zwerg. »Der Herr Baron kennt Dich noch nicht und wird wohl nichts dagegen haben, daß Du ihm einmal Deine Kunst zeigst.« »Was denn für eine Kunst?« frug verächtlich der Riese. »Es wird wohl nicht weit her damit sein!« »Da dürften Sie sich irr'n!« entgegnete der Wirth. »Der Franz ist ein ganz perfekter Maler; er zeichnet an keinem Kopfe länger als fünf Minut'n, und nachher ist man getroff'n g'rad wie man leibt und lebt. D'rum heißt er ja eb'n der Köpfle-Franz.« »Das machst Du mir nicht weiß! Wenn er das fertig brächte, so stände es besser mit ihm.« »Sie glauben's net? So werd' ich's Ihnen beweis'n. Franz, willst Du mich abzeichnen, so wie ich jetzt hier sitz' mit der Tabakspfeif' im Munde? Du sollst 'n gutes Bier bekommen und noch fünf Grosch'n extra d'rauf!« »Warum denn net? Das Bier soll mir recht sein, denn ich hab' grad den richtigen Durst, und das Geld ist alleweil' am nothwendigsten zu brauch'n. Bleib sitz'n; ich werd' gleich fertig sein!« Er schob sich an den nächsten Stuhl, nahm den Sack vom Rücken, öffnete ihn und zog eine sorgfältig eingewickelte Papierrolle hervor. Sie enthielt sein Zeichenmaterial. Der Wirth richtete sich erwartungsvoll in Positur, brachte die neue Meerschaumpfeife in das gehörige Licht, und kaum waren einige Minuten vergangen, so hielt er die fertige Bleistiftskizze in der Hand. »Franz,« rief er befriedigt, »so gut wie heut' hast Du mich noch niemals getroff'n! Hier sind die fünf Grosch'n, und von wegen dem Bier, da sollst Du zwei Seidel hab'n statt nur eins!« »Zeig' her, Bergwirth,« meinte der Kleine. »Wenn er heut' wirklich so eine gute Hand hat, so soll er mich auch abkonterfeien. Wahrhaftig! Besser bringt's der größte Künstler nicht zuweg; guck her, Baron! Franz, willst Du meinen Kopf auch zeichnen?« »Meinetweg'n, wenn's dem Herrn Bankier Recht ist! Hab' g'rad noch zwei Papiere; für Sie eins und für den Herrn Baron eins.« »Gut,« entschied dieser. »Ich sehe, daß Du kein dummer Kerl bist. Sollst mich also auch malen, und wenn ich mit Dir zufrieden
bin, so bekommst Du einen ganzen Thaler!« Er hatte erwartet, daß dieses Gebot den armen Teufel in Staunen versetzen werde; dieser aber nahm mit der gleichgiltigsten Miene den Bleistift wieder zur Hand und führte denselben mit einer Sicherheit über die Blätter, als handle es sich um die allereinfachste Strichübung. Als die Köpfe ihre vollständige Schattirung erhalten hatten, übergab er sie den beiden Männern. »So! Besser bringt's Keiner fertig. Wenn man solche Herr'n zu Papier bringt, muß man sich schon besser Mühe geb'n als bei gewöhnlichen Leut'n.« Die Arbeit war sehr gut gelungen; der Baron schob ihm den versprochenen Thaler zu, und auch der »Bankier« entschloß sich zu einem gleichen Honorar. »Kannst's immer nehmen, Franz,« ermunterte er; »wir sind ja Leute, die es haben! Nich wahr, Bergwirth?« Der Gefragte nickte zustimmend und klopfte dabei mit einem verschmitzten Lächeln an seine eigene Tasche. »Das wollt' ich meinen! Wir hab'n wohl alle Drei net nöthig, mit dem Pfennige zu fuchs'n, denn so lange es in der Welt noch Dumme gibt, braucht kein Gescheidter für's Bischen Münz' zu sorg'n!« »Hast Recht,« lachte der Riese. »Und die Dummen werden ja niemals alle; wenn es mit Einem zu Ende geht, so kommt dafür ein ganzer Güterzug voll Andere wieder an. Heut' wird hier bei Euch ein Gäns'rich gerupft.« »Kann mir's denk'n, wer es ist. Hab' ja auch schon genug Federn von ihm! Aber die schönste Feder, die er gelass'n hat, war doch der Braune drauß'n.« »Ja, ja, Alter; das war ein Meisterstück von uns Dreien. Halte nur Dein Hinterstübchen immer parat und gib unsere Karten nicht an and're Leute. Weißt Du vielleicht, wer alles zum Dukatenhof geladen ist?« »Die ganze Nachbarschaft. Die Kleinen bleiben unt'n in der Stub', und die paar Groß'n kommen 'rauf in's gute Zimmer. Geld gibt's da ob'n mehr als genug. Heut' Abend komme ich auch hin; beim Begräbniß freilich kann ich net mit sein, weil die Wirthin 'nunter ist.« »Da kommst Du natürlich hinauf zu uns! Wir legen eine kleine Bank, und Du – na, Du wirst ja sehen wie es paßt; der Dukatengraf
kann Dir Deinen Stall auch mit bauen helfen.« Der Köpfle-Franz schien wenig oder gar nicht auf diese Reden zu achten. Er hatte sein Geld eingesteckt, sein Bier getrunken und griff eben zum Sacke, um sich zu verabschieden, als sich vom Thale herauf das Geläute von Glocken vernehmen ließ. »Was?« rief der »Baron« Genannte. »Schon so weit? Da haben wir über der Malerei die Leiche ganz vergessen und können uns nur sputen, wenn wir den Zug noch sehen wollen. Vorwärts, College!« Der Kleine setzte den blauen Zwicker fest und erhob sich. »Als ob ein Leichenzug so ganz 'was grausam Sehenswerthes wär'!« meinte Franz gleichgiltig. »Von meinetweg'n mag sterben wer da will, ich laufe Keinem nach. Wer wird denn 'nausgetrag'n?« »Das ist's ja eb'n, was ich Dir sagen wollte,« antwortete der Wirth, welcher sich anschickte, die beiden Gäste an den Wagen zu begleiten. »Ich hab' es nur über den Bildern ganz und gar vergess'n. Die Dukatenbäuerin ist todt; sie hat vor ihrem End' gar viel nach Dir gefragt und fast gar net ersterb'n können, weil Du net da gewes'n bist.« Er verließ das Zimmer und bemerkte in Folge dessen die außerordentliche Wirkung nicht, welche seine Worte auf den Frager hervorbrachten. Dieser starrte mit dem Ausdrucke des höchsten Schreckens im erbleichten Angesichte und weit aufgerissenen Auges nach der Stelle, auf welcher der Berichterstatter gestanden hatte; kein Glied seines Körpers regte sich, keine Miene bewegte sich; er schien bei der Kunde von dem Tode der Dukatenbäuerin selbst zur Leiche geworden zu sein. So stand er eine ganze Weile wie leblos auf einem und demselben Flecke, bis sich endlich die furchtbare Beklemmung mit einem tiefen, röchelnden Athemzuge aus der zusammengepreßten Brust rang. »Die Anna ist todt – – der Anna läut'n sie – – die Anna woll'n sie begrab'n? Nein, nein, die Anna ist net todt, die Anna kann nimmer sterben, die Anna darf net begraben werd'n! Ich leid' es net, daß ihr sie einscharrt, ich leid' es net! Fort, fort – – ich will sie seh'n, ich muß sie festhalt'n, ihr dürft sie mir net nehmen!« Der Schreck war verschwunden, dafür aber eine Angst über ihn gekommen, die alle seine Nerven und Sehnen anspannte und ihm den hellen Schweiß aus den Poren trieb, noch ehe seine Glieder zu irgend einer Anstrengung gelangt waren. Er warf sich den Sack über die Schulter, griff zu den beiden Stemmhölzern und arbeitete sich
mit einer Geschwindigkeit hinaus auf die Straße, um die ein vollständig Gesunder ihn hätte beneiden können; dann ging es, ohne auf die Zurufe des Wirthes zu hören, in fliegender Hast an diesem vorüber und die Straße hinab, auf welcher das Geschirr des Barons in kurzem Trabe bereits dahinrollte. Man konnte von der Höhe den Zug sehr deutlich beobachten, welcher sich von dem unteren Ende des Dorfes nach dem in der Mitte desselben befindlichen Kirchhofe bewegte. Zur Beobachtung der Einzelheiten allerdings hätte man sich in größerer Nähe befinden müssen, und da gab es nicht blos zu sehen, sondern auch zu hören, denn gar manches bedeutsame Wort flog unter den Leuten hin und zurück, welche sich zu beiden Seiten des Weges, den das Trauergeleite einschlagen mußte, aufgestellt hatte. Allem voran wurde nach schöner alter Sitte das mit schwarzem Flor umhangene Kreuz getragen, hinter welchem in einzelnen Paaren die männliche Schuljugend folgte, begleitet von den Lehrern und dem Ortsgeistlichen. Dann kam der reich mit Kränzen und Guirlanden geschmückte und von sechzehn Männern getragene Sarg, dem sich nach den nächsten Verwandten der Verstorbenen eine lange Reihe von Nachbarn, Freunden und sonstigen Bekannten anschloß. Natürlich richtete sich die Aufmerksamkeit der Zuschauer vor allen Dingen auf die Hinterlassenen der Todten. Es waren dies nur zwei Personen, welche neben einander gingen: der Dukatenbauer und seine Tochter. Der Erstere mußte schon durch seine äußere Erscheinung auffallen. Er war ein hoch und kräftig gebauter Mann im Ausgange der fünfziger Jahre; seine ganze Haltung zeigte den selbstbewußten, unlenksamen Charakter, durch den er selbst über den häuslichen Kreis hinaus gefürchtet und – gemieden war; keine Thräne stand in seinem Auge, kein Zug der Trauer war in seinem harten, finsteren Angesichte zu bemerken; an der Schleife seines Hutes glänzten wie immer die sechs blanken Dukaten, wie immer hing ihm statt der Uhrkette die lange Dukatenschnur um den Hals, und wie immer reihten sich an der Weste und dem offen stehenden Rocke an Stelle der Knöpfe Dukaten an Dukaten. Er hieß Graf, wurde allgemein der Dukatengraf genannt und wollte auf diesen Beinamen, welcher sein größter Ruhm und Stolz war, nicht einen Augenblick verzichten, auch nicht für diese Stunde, in welcher jeder Andere den irdischen Flimmer von sich geworfen hätte, um auch an seinem Kleide zu
zeigen, daß er die Macht eines höheren Geschickes anerkennen müsse. Auch das schöne Mädchen an seiner Seite hatte keine Thränen. Aber, das sah man auf den ersten Blick, sie fehlten nur, weil sie bisher zu reichlich geflossen waren. Sie trug das mit den schweren Flechten umwundene Köpfchen tief gesenkt; die sonst so rosigen Wangen waren erbleicht und die gefalteten Hände drückten sich auf die Brust, als müßten sie das schmerzerfüllte Herz vor dem Zerspringen bewahren. Aller Augen wandten sich mit Unwillen vom Vater weg auf sie, und dann gab es keinen Blick, in welchem nicht das innigste Mitleid und die wärmste Theilnahme zu lesen gewesen wäre. Es war das erste Mal, daß eine Leiche ohne Gesang durch das Dorf getragen wurde, aber die Todte hatte es ausdrücklich so gewollt. Ihr Leben war ein stilles gewesen, sie hatte im Stillen gewirkt und gelitten, im Stillen wollte sie nun auch beerdigt sein. Nur draußen am offenen Grabe sollte man ihr einen Vers singen, einen einzigen Vers; den hatte sie sich selbst gewählt und noch in ihrer letzten Stunde beim Pfarrer bestellt. War sie dabei vielleicht von dem Wunsche geleitet worden, im Tode ein mahnendes Wort an das Gewissen ihres Gatten zu richten, da sie im Leben es niemals hätte wagen dürfen? Wenigstens richteten sich die Blicke unwillkürlich auf ihn, als sich der Kreis um den geöffneten Sarg geschlossen hatte und nach der bekannten Melodie die ernste Erinnerung erklang: »O Ewigkeit, du Donnerwort, O Schwert, das durch die Seele bohrt, O Anfang sonder Ende. O Ewigkeit, Zeit ohne Zeit, Vielleicht schon morgen oder heut Fall' ich in deine Hände. Mein ganz erschrock'nes Herz erbebt, Daß mir die Zung' am Gaumen klebt!« Das Kind der Verstorbenen kniete an der Seite des Sarges und hatte in wortlosem Schmerze den Kopf in das Kleid der Mutter gehüllt. Der Dukatenbauer stand aufrecht daneben; sein Auge ruhte nicht auf den Zügen, die er jetzt zum letzten Male sehen durfte,
sondern es begegnete mit zornigem Ausdrucke den auf ihn gerichteten Blicken der Anwesenden. Die Adern seiner Stirne traten dunkler und deutlicher hervor, die Lippen preßten sich kräftiger auf einander, und die Hände hoben sich langsam, wie bereit zur Abwehr der Beleidigung, die er in den Gesang und in die Blicke legte. Als der letzte Ton verklungen war, trat der Geistliche zu Häupten der Verstorbenen und begann seine Rede; aber er nahm nicht, wie sonst üblich, ein Bibelwort zum Thema derselben, sondern es diente ihm der soeben gesungene Vers dazu. Auch das hatte die Todte gewollt, und ihr Wille mußte befolgt werden. Der Pfarrer war im weiten Umkreise als einer der besten Redner bekannt; er hatte schon oftmals harte Seelen auf das Tiefste erschüttert, und man ahnte, daß er sich heute eine ähnliche Aufgabe gestellt habe. Trotz des milden, linden Tones, in welchem der greise Seelsorger sprach, fühlte auch der Dukatengraf diese Absicht; sein Stolz bäumte sich dagegen auf; die Falten, welche sich ihm von Schläfe zu Schläfe zogen, wurden immer tiefer und drohender, und als der Redner bei dem Schwerte anlangte, »das durch die Seele bohrt,« und die Absicht vermuthen ließ, jetzt sich an diejenige Seele zu wenden, welche der Todten im Leben am nächsten hätte stehen sollen, da war es mit seiner Geduld zu Ende. Den abgenommenen Hut sich auf den Kopf setzend, ergriff er die Hand der Tochter: »Komm, Emma; wenn's so laut'n soll, so hab'n wir hier nix mehr zu such'n! Ich dank' für Ihre Red', Herr Pastor; bezahlt hab' ich sie, aber brauch'n thu' ich sie net! Der Dukat'ngraf weiß ganz von selber, was er zu thun und zu lass'n hat, und beim Super'dent werd' ich wohl erfahr'n, was für ein Unterschied zwischen Leichenred' und Strafpredigt ist!« Emma erschrak im höchsten Grade über das Thun ihres Vaters; sie zog ihre Hand aus der seinen und wandte sich zum Sarge zurück. »So bleib', wenn Dir's gefällt; ich habe nix dageg'n!« Die Nahestehenden wichen scheu vor ihm zurück; er schritt mit trotzig zurückgeworfenem Kopfe zwischen ihnen hindurch und verließ den Kirchhof. Draußen kam eben der Wagen des Barons dahergerollt. »Willkommen, Herr Baron! Sie woll'n wohl zu mir?« »Natürlich! Wir müssen Ihnen doch unser Beileid über den Verlust – –« »Schon gut! Halb so viel ist auch genug! Und wenn Sie sich
wundern, mich hier zu seh'n statt d'rin bei den Andern, so soll'n Sie unterwegs den Grund erfahr'n. Darf ich aufsteig'n?« – Sein Verhalten hatte die ganze Versammlung in eine unbeschreibliche Verwirrung gebracht, und nur Einer war es, der seine Fassung bewahrte, der Geistliche. Er suchte zunächst das Mädchen zu beruhigen, welches jetzt laut schluchzend an der Erde lag, dann winkte er dem allgemeinen Ausdrucke der Entrüstung Schweigen und setzte, als die nöthige Stille wieder eingetreten war, die unterbrochene Rede weiter fort. Ein Begräbniß wie das heutige hatte noch niemals stattgefunden, aber es war auch noch niemals eine Predigt gehalten worden wie die gegenwärtige, und als am Schlusse derselben der Segen gesprochen war, da wußte Jeder, daß er diesen Tag im ganzen Leben nie vergessen werde. Der Sarg sollte nun geschlossen werden, und schon griff man zum Deckel, da zog ein lauter, angstvoller Ruf die allgemeine Aufmerksamkeit nach dem Eingang hin. »Halt, halt,« klang es; »Ihr dürft sie net einscharr'n; ich muß die Anna seh'n; sie lebt, sie ist net todt!« Es war der Köpfle-Franz. Trotz aller Eile war es ihm erst jetzt gelungen, die Trauerstätte zu erreichen, und mit Aufbietung seiner letzten Kräfte arbeitete er sich den breiten Kirchhofsgang herauf bis in die nächste Nähe des Sarges. Er hatte den Hut verloren; die langen Haare hingen ihm in wirren Strähnen um den Kopf; auf Stirn und Wangen stand der Schweiß in großen Tropfen; seine Augen glühten wie im Fieber, sein Athem flog und seine Hände bebten, als er die schwarzen Bretter erfaßte, um sich an ihnen aufzurichten. Kein Mensch trat ihm hindernd entgegen; auch der Pfarrer ließ ihn ruhig gewähren. Sie Alle kannten die Geschichte des unglücklichen Mannes; sie Alle wußten, daß Niemand die Verstorbene so sehr im treuen Herzen getragen hatte wie er, daß ihr Tod außer ihrem Kinde Keinem so nahe gehen müsse wie ihm, und so störten sie ihn nicht in seinem Verlangen, die leblose Hülle Derjenigen zu sehen, die er geliebt hatte mit der ganzen Gluth, deren das menschliche Herz nur fähig ist. »Anna, wach auf!« rief er mit zitternder Stimme. »Der Franz ist da, der Grunert-Franz, der mit Dir red'n will! Ich weiß, Du bist net todt, Du wirst mich hör'n!« Sein Auge suchte das erblichene Angesicht der Leiche; es fiel
auf den regungslosen Kopf mit dem vor der Zeit ergrauten Haare, den eingesunkenen Augenhöhlen, den eingefallenen Wangen, den hippokratischen Zügen, und wandte sich dann mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke auf die Umgebung. »Hab ich's net gesagt? Die Anna ist net todt, die Anna kann mir net sterben! Das hier ist dem – – na, Dem seine Frau, das ist die Bäuerin von dem – – na, dem Hof da drauß'n, die kann immer todt sein, die könnt ihr immer begrab'n, denn sie ist seine Frau gewes'n. Aber die Anna, die ist mein, die hab' ich bei mir zu Haus' viel hundert Mal, die laß' ich mir net nehmen!« Er schob sich von dem Sarge zurück und gewahrte nun erst Emma, welche unter herzbrechendem Weinen die erschütternde Scene beobachtet hatte. »Wer bist denn Du? Dich hab' ich noch gar net geseh'n! So wie Du sah die Anna aus, als sie zum erst'n Mal in's Dorf gekommen ist, grad' so wie Du. Aber Du bist sie net, Du bist – – geh' weg,« unterbrach er sich, indem es wie Haß in seinem Auge aufblitzte; »ich könnte Dir gut sein, grad' wie der Anna, aber ich mag von Dir nix wiss'n. Die Anna hatte blaue Aug'n, Du aber, wenn Du auch weinst, ich seh' es doch, Du hast Dukat'naug'n!« Er nahm die unentbehrlichen Hölzer, welche er vorhin von sich geworfen hatte, wieder von der Erde auf, lenkte um und schob sich, ohne die Versammlung weiter zu beachten, wieder von dannen. Sein Weg führte ihn das Dorf hinauf; die Straße war ziemlich menschenleer und die wenigen Personen, welche ihm begegneten, bemerkte er kaum. Nur allein mit seinen Gedanken beschäftigt, lenkte er endlich in einen engen Seitenpfad ein, welcher zu einer Stelle führte, wo abseits von den übrigen Gebäuden ein kleines, einstöckiges und außerordentlich vernachlässigte Häuschen stand. Es war sein Eigenthum und seine Wohnung. Er hielt still, sah sich scheu nach allen Seiten um, und da er Niemanden gewahrte, der seine Worte hören konnte, murmelte er halblaut: »Das ist dem Köpfle-Franz sein Dukat'nhof. Aber der Franz ist gescheidter als der – der – der And're. Wenn die Leut' wüßt'n, daß der arme Krüppel blos dann ein Bettler ist, wenn er 'mal nach Hause kommt, so würd' mein Kachelof'n – –« Er hielt vorsichtig inne, denn er war im Begriff gewesen, sein kostbarstes Geheimniß in den Wind zu plaudern. Nachdem er, um sich zu überzeugen, daß Alles in Ordnung sei, die Runde um das
Häuschen gemacht hatte, zog er einen riesigen Schlüssel aus der Tasche und näherte sich der Thüre. Das Schloß war so hoch, daß er es grad' noch zu erreichen vermochte; er öffnete, schob sich in den engen, dunklen Flur und schloß dann hinter sich wieder sorgfältig zu. Die Hütte hatte zur ebenen Erde drei Räume: den Flur, einen kleinen Stall und die Wohnstube. Er öffnete mit einem zweiten Schlüssel die zu der letzteren führende Thüre und verriegelte auch diese mit einer Bedachtsamkeit, als habe er ungewöhnliche Schätze zu verbergen. Da die Läden zugemacht waren, so herrschte vollständige Dunkelheit um ihn her, bis er ein Feuerzeug hervorsuchte und mit Hilfe desselben ein kleines Lämpchen anzündete, dessen ungewisser Schein wenigstens eine Art von Dämmerung hervorbrachte. In dieser traten eine Unzahl von Köpfen gespenstisch hervor, welche rings an den weißgetünchten Wänden angebracht waren; sie stellten alle ohne Ausnahme in den verschiedensten Ausdrücken und Schattirungen ein und dasselbe Mädchen dar, und wer Emma vorhin auf dem Kirchhofe gesehen hatte, dem mußte die Aehnlichkeit dieser Kohlezeichnungen mit ihr sofort in die Augen fallen. Er hatte den Sack abgelegt, die Stemmhölzer bei Seite geworfen und kroch nun in einer Weise auf den Händen in der Stube herum, die ihm das Ansehen eines hilflosen, vierfüßigen Thieres gab, dem die Hinterbeine gelähmt worden sind. In einer Ecke des ärmlichen Gemaches befand sich ein außerordentlich anspruchsloses Lager, bestehend aus einem Haufen dürren Laubes, über welchen eine alte Decke gebreitet war. Er wühlte einige Zeit in demselben herum und brachte zwei lange, starke Kerzen zum Vorschein, mit denen er sich einem niedrigen Tischchen näherte, dessen Platte aus zwei Theilen bestand, deren oberer zurückgeschlagen werden konnte. Zu beiden Seite desselben war eine Drahtdille angebracht, in welche er die Kerzen befestigte und dann mit Hilfe der Lampe anbrannte. Dann zog er ein weißes Tuch aus dem Tischkasten, breitete es über die Platte und schlug die Klappe zurück. Das Ganze hatte jetzt das Aussehen eines improvisirten Altares, dem auch das Bild nicht fehlte, denn an der inneren Seite der Klappe war ein in Oel gemaltes Porträt angebracht, welches denselben Kopf darstellte, der in so vielen Variationen an die vier Wände gezeichnet war. Er hockte sich vor dem Tische nieder, faltete wie andächtig die
Hände und richtete sein Auge mit warmem, innigem Blicke auf das Gemälde. So saß er lange, lange Zeit, still und in seliges Anschauen versunken. Seine Züge waren jetzt frei von jenem störenden Ausdrucke und sprachen von nichts als von dem Dasein einer tiefen, heiligen Liebe zu dem Wesen, dem er eine Inbrunst widmete, welche man fast mit dem Worte Anbetung bezeichnen konnte. »Da hast' mich wieder, meine Anna!« flüsterte er endlich glücklich. »Bin lange fort gewes'n, net wahr? Aber brauchst keine Sorge zu hab'n, es ist mir gut gegangen, besser noch als and're Male. Hab' wieder in der großen Stadt gemalt, wo die schöne Gallerie ist mit den vielen Bildern und wo sie mich immer anschau'n wie ein Wunderthier, wenn ich die vornehmen Leut' zeichne, die da ausund eingeh'n. Und denk' Dir nur, der König war auch da mit seiner Frau und vielen anderen Herrn und Damen, Fürst'n und Graf'n, Ministern und Generälen; die hab'n mit mir gesproch'n, und ich hab' sie zeichnen müss'n in ihrer Wohnung alle mit 'nander. Das hat 'n Geld gegeb'n, wie ich Dir noch niemals so viel mitgebracht hab'. Laß Dir's zeigen! Kassenbillets, Gold und Silber, aber ich hab' mir's umwechseln lass'n zu lauter Dukat'n.« Er bog sich zu dem Rollkasten nieder, und nun zeigte es sich, daß derselbe einen Doppelboden hatte, zwischen dem sich ein Schubfach befand, welches er hervorzog. Neben mehreren Malerrequisiten und sonstigen Dingen, die man dem unscheinbaren Bettler nicht zugetraut hätte, lagen hier mehrere sorgfältig in Papier gewickelte Rollen, welche er öffnete, um die Goldstücke in dem Scheine der Kerzen glänzen zu lassen. »Siehst Du, wie viel?!« lachte er glücklich. »Sie sag'n hier, ich wär' verrückt, weil Du net meine Frau geword'n bist; aber ich bin gescheidter als sie Alle, und wer der Reichste ist im Dorfe, das wird sich schon auch noch zeig'n! Es hat noch Keiner von ihn'n in der Zeitung gestand'n, mich aber hab'n sie in Dresd'n hineingesetzt. Wart, ich will Dir's 'mal vorles'n!« Er nahm ein zusammengefaltetes Blatt aus dem Fache und schlug es aus einander. »So, hier steht's! Ich hab' Dir's mitgebracht, damit Du auch wiss'n sollst, was sie dort von mir sag'n.« Zwar nicht fließend, denn dazu hatte er die Schule nicht gehabt, aber doch ohne besondere Fehler las er folgende Zeilen ab: »Seit einigen Tagen ist wieder, wie schon einige Male früher,
jener seltsame Besucher unserer Bildergallerie zu bemerken, welcher nicht nur die Augen durch sein körperliches Unglück auf sich zieht, sondern auch durch eine seltene Begabung für das Porträtzeichnen das lebhafteste Interesse aller Derer erweckt, die den mehr als bescheidenen Mann in der ihm stillschweigend eingeräumten Ecke haben hocken sehen. Leider scheint der Unglückliche in Folge trüber Lebenserfahrungen, über welche er ein beharrliches Schweigen bewahrt, geistig gestört zu sein, was ebenso wie sein Alter eine Ausbildung, resp. Ausnutzung seines Talentes zur Unmöglichkeit macht, doch äußert sich diese Störung in einer Andere durchaus unbelästigenden Weise und hat jedenfalls ein Wesentliches zu der Theilnahme beigetragen, welche ihm sogar von hoher und allerhöchster Seite entgegengebracht worden ist. Wie wir vernehmen, hat er trotz seiner mehr als zu geringen Courfähigkeit das Glück gehabt, die Majestäten zeichnen zu dürfen; die meisten der Hofchargen haben sich diesem Akte der Mildthätigkeit angeschlossen, und wenn man aus sicherer Quelle erfährt, daß einer unserer reichsten englischen Sommergäste ihm eine kleine Familienskizze mit fünfzig Thalern honorirt hat, so liegt darin keineswegs eine Beruhigung für uns, sondern vielmehr eine Aufforderung, ihn auch weiteren Kreisen auf's Wärmste zu empfehlen.« »Siehst Du?! Was da steht ist Alles wahr, nur das von wegen dem Geiste net. Ich kann doch nix dafür, daß ich anders red' als diese Leut' und daß sie zu mir niederschaun müss'n, wenn sie mich anseh'n. Der König hat gar gemeint, er wolle für mich sorg'n und deshalb an meine Behörd' schreiben lass'n, ich aber hab' mir das verbet'n, denn wir haben's noch lange net nöthig, uns in's Armenhaus stecken zu lass'n, ich net und Du erst recht net! Wer weiß, ob der König immer so viel Dukat'n hat wie wir!« Die Erwähnung der verhängnißvollen Münzsorte gab seinen Gedanken eine andere Wendung. »Und Der – – Der – na, Du weißt schon, wen ich meine, Der auch net! Mit dem geht's immer mehr bergunter; er spielt und kauft Papiere von dem Zettelkramer, die 'mal nix werth sein werden, und nachher – – nachher wird der Dukat'nhof mein, denn der Baron bekommt ihn net, dafür will ich schon sorg'n! Ich hab' Dich net haben soll'n, weil ich arm gewes'n bin, und Der – – Der war reich. Da hab' ich einen Schwur d'rauf gesetzt, daß der Hof mein wird, und
jetzt, jetzt bin ich ebenso schwer und noch schwerer, wie Der damals war. Und wenn Du das net glaubst, so will ich Dir's beweis'n. Wir woll'n wieder 'mal zähl'n!« Er kroch zu dem alten, unförmlichen Kachelofen, unter welchem ganze Stöße von Zeichnungen lagen, die immer nur den einen Kopf behandelten. Er räumte sie zur Seite, und wer nach kurzer Zeit an dem Laden gehorcht hätte, dem wäre es bei scharfem Gehör vielleicht gelungen, einen Klang zu erlauschen, der mit der Aermlichkeit der halb zerfallenen Hütte nur schwer in Harmonie zu bringen war.
2. Aus vergangener Zeit »Auff dem Hoff ißt gesessen eyn Herr von Stiegelitz, so beynahe achtzig Jahre alt gewessen ißt vnd hat gehabt eyn so überauß rothe Nasen, weyl er den Safft geliebet hat, so auß dem Faß gelauffen kompt. Daherohalben ißt ihme der Beyttel klein geworden vnd besagter Stiegelitz hat sich umbsehn müssen nach eyn Käuffer für das Gut. Da kompt eyn Wachtmeister, so unter dem Wallenstein gedient, Graff geheissen, vnd indeme derselbe Schwedenfeyndt den Hoff kaufft, nimpt er eyn Geldkatzen vom Leib vnd wirft darauß eyn überauß mächtigen Hauffen Dukkaten auff den Tisch, so mann zu Kremnitz im Lande Hungarn schlägt. Solch Gewechs ißt gewessen eyn allermassen köstlich Artzneyen für dem alten Herrn seyn trucken Kehlen, vnd hat selwiger Wachtmeister von diesser Stundt geheissen der Dukkatengraff. Hab ihn auch noch gekannt, indeme er meyn zweitte Leich gewessen ißt, so ich eyn Parentation gegeben hab.« So lautet eine Stelle aus den chronikalischen Aufzeichnungen, welche noch heute auf dem Pfarramte einzusehen sind. Der Wachtmeister ist gestorben, eine ganze Reihe seiner Nachkommen sind ihm gefolgt, aber Name und Vermögen haben sich erhalten und fortgeerbt von Kind auf Kindeskind. Die Dukatengrafen haben stets mit Stolz auf ihre Vorfahren zurück-und auf ihre Nebenmenschen herabgeblickt, sind nie umgänglich gewesen und haben auch niemals für irgend Jemandem Freundschaft und Vertrauen gezeigt. Nur Heinrich Graf, der Letzte von ihnen, machte eine Ausnahme von dieser Regel. Da draußen in dem kleinen, einstöckigen Häuschen wohnte eine arme Taglöhnerswittwe, die zu den Arbeiterinnen des Dukatenhofes zählte und in der freien Jahreszeit sich ihren Unterhalt mühsam mit Spitzenklöppeln verdiente. Sie hatte einen einzigen Sohn, der ein aufgeweckter, munterer Junge war, der Aermste im Dorfe, aber der Erste in der Schule. Gegensätze berühren sich. Heinrich, der Sohn des Reichsten im Orte, aber der Letzte auf der Schulbank war selten
zu Hause zu treffen, sondern kroch mit dem Grunert-Franz unter dem niederen Strohdache des Häuschens herum, wo sie allerhand Romane spannen, oder strich mit ihm durch Feld und Wald, eine Arbeit, zu welcher er die meiste Lust besaß. Der Arme half dem Reichen im Lesen und Schreiben, und dieser brach dafür dem Hungrigen sein Butterbrod. Die Knaben wurden Jünglinge. Sie waren die beiden hübschesten Bursche auch über das Dorf hinaus, und gar manches Mädchen blickte mit sehnsüchtigem Herzen nach ihnen, wenn sie des Sonntags mit einander zum Tanze kamen. Die blanken Dukatenknöpfe standen dem Heinrich zum Entzücken, und wer nun gar die kostbare Uhrkette sah, die er so gern im Scheine der Lichter flimmern ließ, der verzieh es ihm, daß er noch immer wie in den Knabenjahren die meiste Zeit im Walde stak und sich wenig um den Hof bekümmerte. Er brauchte ja nicht nach dem Brode zu arbeiten wie Andere, und die Hirsche, Rehe und Hasen sind für Jedermann gewachsen. Der Franz konnte zwar keine dukatnen Ketten und Knöpfe aufzeigen, ja, er hatte nicht einmal eine Uhr, denn Alles, was er erübrigte, das gab er seiner Mutter, die nun alt geworden war und nichts mehr verdienen konnte, aber er war so nett und bildsauber, fast noch hübscher als der Heinrich, und Keiner verstand es so wie er, ein Mädchen im Kreise zu drehen, daß es schien, als gehe es mit Flügeln oder auf Federn. Und dazu war er so klug und gescheidt, daß selbst der Schulmeister gesagt hatte, er könne ihm nichts mehr lernen, besonders im Zeichnen. Daß er zuweilen des Nachts mit einem Päckchen über die Grenze schlich, das konnte ihm Niemand übel nehmen; der liebe Gott hat nicht befohlen, daß der Tabak auf der einen Ackerfurche mit acht Kreuzern bezahlt werden soll, wenn er auf der andern nur einen Groschen kostet, und wer als armer Handarbeiter für eine alte Mutter zu sorgen hat, der muß dahin gehen, wo man ihn am besten bezahlt – so dachte man wenigstens allgemein. Eine gab es, die ihm ganz besonders zugethan war, die Marie auf dem Dukatenhofe. Sie war eine vater-und mutterlose Waise, aber ein schmuckes und ordentliches Mädchen, an dem man schon seine Freude haben konnte. Wer weiß auch, was geworden wäre, denn der Franz war gar lieb und freundlich mit ihr, so daß es manche heimliche Neiderin gab, doch da trat ein Ereigniß ein, durch welches ihre Hoffnung, und nicht blos die ihrige, zu nichte gemacht
wurde. Es hatte nämlich seit einiger Zeit sowohl der Wilddiebstahl als auch die Schmuggelei in der Gegend so überhand genommen, daß die Regierung sich genöthigt sah, dem gesetzwidrigen Treiben durch scharfe Maßregeln entgegen zu treten. Das Forst- und Grenzerpersonal wurde durch Militär verstärkt, und der dasselbe kommandirende Offizier nahm sein Quartier im Dorfe, da dieses ziemlich in der Mitte der Operationslinie lag. Er war der älteste Lieutenant der Armee, hatte es während der Befreiungskriege vom Soldaten bis zur gegenwärtigen Charge gebracht, konnte auf weiteres Avancement nicht rechnen, und da er partout nicht aus dem Dienste scheiden und um eine Civilanstellung einkommen wollte, so pflegte man ihn zur Lösung von Aufgaben der vorliegenden Art zu verwenden. Und dazu war er allerdings auch grad' der rechte Mann, da sollte sich bald zeigen. Ein Lieutenant ist im Gebirge ein gar vornehmer Herr, und Niemand wagte es, ihn in Logis zu nehmen. Der Dukatengraf aber hatte nicht nur den Muth, sondern auch die Räumlichkeiten dazu, und so zog denn der alte Lieutenant mit Sack und Pack und mit Weib und Kind bei ihm ein. Er mochte sich von den beiden Letzteren nicht trennen. Und das konnte ihm auch gar Niemand übel nehmen, wie alle Jungburschen in Beziehung wenigstens auf die Tochter sofort einsahen. Sie hieß Anna und war in Allem das gerade Gegentheil von ihrem Vater. Er war Soldat durch und durch, kurz angebunden und hielt es nicht für nöthig, sich populär zu machen; man nannte ihn grob und stolz und ging ihm aus dem Wege. Dies geschah natürlich am sorgfältigsten von Denjenigen, die seine amtliche Thätigkeit zu fürchten hatten. Ganz anders aber verhielt man sich zu den beiden Frauen, die mehr als er mit den Leuten in Berührung kamen und sich sichtlich Mühe gaben, den Eindruck zu mildern, welchen die Rauhheit des Lieutenants hervorbrachte. Bald waren sie allgemein beliebt, und Anna, mit der sich kein hiesiges Mädchen messen konnte, hatte im Fluge die Herzen der männlichen Jugend erobert. Bei dem gesunden Sinne der einfachen Menschen wurde sie durch diese Eroberungen nicht belästigt, und nur Einer hält sich für berechtigt genug, ihr seine Zuneigung offen zu zeigen – Heinrich. Sein Vater, der alte Dukatenbauer, hatte, obgleich der Lieutenant augenscheinlich nicht mit großer Habe gesegnet war, nicht das
Mindeste gegen die Neigung seines Sohnes einzuwenden, vielmehr that er sein Möglichstes, dem Stammbaume der Dukatengrafen ein so vornehmes Blatt beifügen zu dürfen. Er ließ seinen Reichthum im hellsten Lichte spielen, machte den Gästen ihren Aufenthalt so angenehm wie möglich und benutzte dann einmal eine Gelegenheit zu einer leise anspielenden Frage. »Hätte nichts dagegen, Graf, wenn Euer Sohn 'was taugte! Ihr seid ein gemachter Mann und ich auch; wir könnten uns zusammenschicken. Aber ich habe den Heinrich auf dem Korne, Ihr werdet schon wissen weshalb, und die Anna scheint ihm auch nicht nachzulaufen. Schlagt Euch also den Gedanken aus dem Kopfe!« So lautete die unverblümte Antwort. Der Bauer nahm seinen Sohn vor, erreichte aber bei dem eigenwilligen Charakter desselben nichts weiter, als daß Heinrich einen Haß auf den Vater des Mädchens warf, den er sich aber nicht anmerken ließ. Er besaß ein leidenschaftliches Naturell und gehörte zu denjenigen Menschen, die durch eine Weigerung nur hartnäckiger werden und dann um jeden Preis zum Ziele zu gelangen suchen. Daß Anna ihn nicht lieb haben könne, hielt er gar nicht für möglich. Er war gewohnt, bewundert zu werden, und sah in ihrer Zurückhaltung nur die natürliche Wirkung des Respektes, welchen sein Reichthum ihr einflößen mußte. Bei nächster Gelegenheit wollte er sich ihre Zusage holen, und dann war der Lieutenant ja gezwungen, nachzugeben. Es war an einem Novemberabende. Noch lag kein Schnee, aber der Winter hatte seine Nähe schon längst durch starke Nachtsröste verkündigt, und wen nach eingebrochener Dunkelheit nicht die Nothwendigkeit hinaus in's Freie trieb, der zog es vor, in der wohlerwärmten Stube zu bleiben. Um diese Zeit galt es für die Beamten und das Militär, ganz besonders wachsam zu sein, da durch den hartgefrorenen Boden das Wildern und Paschen erleichtert wurde und Niemand Gefahr lief, sich durch zurückgelassene Fußspuren zu verrathen. Franz war wie gewöhnlich bei Heinrich auf dem Dukatenhof. Die Bewohner desselben hatten sich alle außer dem Lieutenant in der Wohnstube des Bauers zusammengefunden und kürzten sich die Zeit durch allerlei Unterhaltung. Als es zehn Uhr schlug, erhob er sich, um nach Hause zu gehen. Marie, welche genau wußte, wann er sich zu verabschieden pflegte, war vor einigen Minuten in die
Küche gegangen und trat ihm draußen im Flur entgegen. »Franz!« »Ach so! Dich hab' ich ganz vergess'n. Gute Nacht!« »Franz!« »Was noch?« »Darf ich Dir 'was sag'n?« »Warum denn net? Ich werd' wohl hören, was!« »Du bist jetzt ganz anders 'worden als sonst.« »Anders? Das denkst Du blos! Ich wüßte doch net, inwiefern ich anders sein sollt'. Wie war ich denn früher und wie bin ich jetzt?« »Geh', Franz! Du weißt, daß ich das net sag'n kann. Aber ich wollt', wir wären wieder allein auf dem Dukat'nhof!« »Ist Dir vielleicht der alte Komm'dant net recht?« »Der schon! Aber – –« »Aber – –?« »Ich darf's net sag'n, Franz!« »So sag' es mir ein andermal, wenn Du darfst. Gute Nacht, Marie!« »Gute Nacht!« Sie hielt seine Hand länger fest, als für den einfachen Gruß nöthig war. Früher hatte er sie ihr gelassen und oft noch ein Weilchen mit ihr geplaudert; heut' aber entzog er sie ihr und ging. Es war ihr recht weh zu Muthe; sie mochte nicht wieder in die Stube gehen und stieg hinauf in ihre Kammer. Die Worte des Mädchens hatten ihren Eindruck auf den jungen Mann doch nicht verfehlt. Langsam und gesenkten Hauptes schritt er über den Hof und blieb, am Thore angelangt, stehen, um noch einen Blick über das Gebäude zu werfen. Da oben hinter dem kleinen Dachfenster flammte ein matter Lichtschein auf. Er wußte, von wem er herrührte. Sie wollte allein sein, weil ihr das Herz wehe that. Sie litt nicht allein. Auch er fühlte seit einiger Zeit eine Bitterkeit in seinem Innern, die ihm allen Frohsinn, alle seine sonstige Heiterkeit raubte. Hatte ihn doch die Mutter schon öfters gefragt, was ihm fehle, und er hatte zu dieser Frage geschwiegen, denn die einzige Antwort hätte doch nur die sein dürfen, welche ihm vorhin auch von Marien geworden war: »Das kann ich Dir net sag'n!« Er ging weiter und war dabei so in Gedanken versunken, daß er die leisen Schritte nicht vernahm, welche ihn zu erreichen strebten.
Erst als eine leichte Hand sich auf seine Schulter legte, bemerkte er, daß er nicht allein sei. »Herr Grunert – –!« Er wandte sich um und trat überrascht einen Schritt zurück, als er bei dem Sternenschimmer des unbewölkten Firmamentes Anna erkannte. »Sie sind es?« frug er verwundert. »Ja!« klang es mit ungewisser Stimme. »Ich muß Ihnen etwas sagen; aber kommen Sie von der Straße weg dorthin in den Schatten. Es darf mich Niemand bei Ihnen sehen, und ich glaube, Sie werden beobachtet.« Sie schlüpfte über den Weg hinüber unter einige Bäume, welche an der anderen Seite der Straße standen. Er folgte ihr erwartungsvoll; es war ihm so eigenthümlich wie noch nie, so ängstlich, so beklommen, und doch hätte er vor Freude laut rufen mögen. »Ich werd' beobachtet? Wer soll mich denn beobacht'n, und weshalb?« »Das darf ich Ihnen nicht sagen – –« Es war sonderbar; auch aus ihrem Munde klang diese Antwort. »Sie dürf'n net? Aber vorhin wollt'n Sie mir doch 'was sag'n!« »Eine Bitte ist es, die ich aussprechen möchte. Wollen Sie mir dieselbe erfüllen?« »Gern, o wie gern! Ihnen könnt' ich nix abschlag'n!« »So gehen Sie jetzt schlafen, wenn Sie nach Hause kommen. Gehen Sie nicht weiter!« Er stutzte. »Warum?« »Weil Sie sich sonst in eine große Gefahr begeben.« Das helle Dachfenster war ihm auch von hier sichtbar; aber seine Gedanken waren jetzt ganz andere, als vorhin. Er hätte die gegenwärtige Minute um keinen Preis der Welt verkauft. Die Tochter des Offiziers war ihm heimlich nachgekommen, um ihn zu warnen. Er war ein einfaches, ungebildetes Dorfkind, aber er sagte sich, daß sie sich zu dieser Warnung nur nach einem Kampfe mit ihrem Gewissen habe entschließen können, und dieser Kampf, er hatte wegen ihm stattgefunden, wegen ihm, der es niemals gewagt hätte, aus freien Stücken mit dem schönen Mädchen nur zu sprechen.
»Und ich soll wohl net in Gefahr sein?« frug er leise und mit stockendem Athem. »Nein!« klang es zögernd und ebenso leise. »Warum net?« Sie schwieg; dann bot sie ihm die Hand. »Gute Nacht!« Er ergriff das kleine Händchen und hielt es fest. Er wußte nicht, woher ihm so plötzlich der Muth kam, aber er frug dringender: »Warum net, Anna?« »Weil ich es nicht will. Also Sie bleiben zu Hause?« »Soll ich nur die Wahrheit sag'n?« »Ja!« »Ich darf net zu Hause bleib'n, nun erst recht net, das bin ich den Andern schuldig. Aber Gefahr gibt's jetzt keine mehr für mich, Anna.« »Ist das auch wahr?« »Ja!« versicherte er einfach, aber sie hörte es dem Klange dieser kleinen Silbe an, daß die Warnung ihren Zweck erreicht habe. »Und nun möcht' ich gern auch 'mal bitt'n!« »Sprechen Sie!« »Sein Sie mir net bös weg'n – weg'n – –« Er stockte. In diesem Augenblicke erschien ihm das, was er vorher wirklich für kein Unrecht gehalten hatte, erst im wahren Lichte. »Ich bin Ihnen nicht bös. Aber thun Sie es nie wieder, bitte, bitte! Wollen Sie mir das versprechen?« Er streckte ihr beide Hände entgegen. »Ich versprech's, Anna, ich versprech's zehnmal, hundertmal, tausendmal, aber Sie müss'n auch 'mal Franz zu mir sag'n!« Wieder schwieg sie. Er hielt ihre Hände gefaßt und lauschte auf die Erfüllung seines Wunsches. »Gute Nacht, Franz!« flüsterte sie endlich mit fast ängstlicher Stimme. »Gute – –« Er vollendete den Gruß nicht, denn vor ihnen tauchte in diesem Augenblicke eine dunkle Gestalt auf, die sich längs des Zaunes und unbemerkt in ihre Nähe geschlichen hatte. Es war Heinrich. Er sprach kein Wort; der Grimm raubte ihm das Vermögen dazu. Aber er erhob den Arm, und von der geballten Faust mit aller
Wucht gerade an der Schläfe getroffen, stürzte Franz zusammen. Anna sah es nicht; sie war, sobald sie den Dukatenprinz erblickte, heftig erschrocken davon geeilt. Dieser folgte ihr. Er wußte nicht, was er gethan hatte; die Ueberlegung war ihm vollständig verloren gegangen, so daß er gar nicht an die Möglichkeit dachte, daß der Geschlagene todt sein könne. Ohne die Fliehende erreicht zu haben, gelangte er in sein Zimmer, wo er in sinnloser Wuth auf und nieder rannte. War sein Blut einmal in Aufregung gebracht, so pflegte es sich nicht so schnell wieder zu legen; jedes neue Wort, jeder neue Gedanke brachte die Wogen in neue Wallung. Er öffnete einen Schrank, nahm eine Büchse nebst Schießbedarf aus demselben und schlich sich hinunter auf die Straße. Franz war fort. »Hab' mir's doch gedacht, daß er net zum Tode getroff'n war. Aber das thut nix, sterben muß er dennoch! Er hat mir ja gesagt, daß es heut' ein Unternehmen gibt, und ich weiß den Ort, wo er vorüberkommen muß!« Das Gewehr über die Schulter werfend, eilte er nach dem Walde. Franz war nur betäubt gewesen und bald wieder zu sich gekommen. Er raffte sich empor und ging nach Hause, wo er des Vorkommnisses mit keinem Worte gedachte. Nach kurzer Zeit verließ er das Häuschen vorsichtig wieder und schritt eilenden Laufes wie Heinrich dem Walde zu. Jedenfalls war Anna Zeugin einer dienstlichen Unterredung bei ihrem Vater gewesen, und aus ihrer Warnung ging hervor, daß heut' ein Schlag gegen die Schmuggler geführt werden solle. Obgleich das Militär noch nicht seit Langem in der Gegend war, hatte der Scharfsinn des Lieutenants doch schon die meisten der Personen errathen, welche bei dem verbotenen Grenzhandel eine hervorragende Rolle spielten, und seine Anordnungen mit solcher Umsicht zu treffen gewußt, daß mehrere von ihnen bei der That getroffen und in das Gefängniß geliefert worden waren. Ging dies noch eine Weile so fort, so mußte das einträgliche Geschäft in ein langes und nachtheiliges Stocken gerathen, und die Schleichhändler sahen sich also zu ernsten Maßregeln genöthigt. Man beschloß, die gefährlichen Einzelfahrten aufzugeben und den Transport der hochbesteuerten Güter nur in größeren und wohlbewaffneten Truppen vorzunehmen. Auf diese Weise war die Sicherheit eine
größere, denn man konnte es mit dem Grenzpersonale aufnehmen und es im Nothfalle sogar auf einen wirklichen Kampf ankommen lassen. So war es schon einige Male zu ernsten Zusammenstößen gekommen, bei denen es auf beiden Seiten Verwundete gegeben hatte. Heute sollte ein Hauptcoup vorgenommen werden, und da der Offizier über denselben unterrichtet zu sein schien, so war anzunehmen, daß es in den Reihen der Schmuggler einen Verräther geben müsse. Sie mußten noch rechtzeitig gewarnt werden und daher strebte Franz in heftigem, dabei aber behutsamem Laufe dem Orte zu, welcher als Versammlungspunkt dienen sollte. Dort angelangt, fand er noch Niemand vor. Sich stets nur hart am Boden fortbewegend, rekognoszirte er die Umgebung und überzeugte sich auf diese Weise, daß auch die Gegner noch nicht eingetroffen seien. Unter einem dichten Tannengebüsch Schutz suchend wartete er nun mit ängstlicher Spannung auf das Nahen der Seinigen. Er hatte noch nicht lange so gelegen, als er eilige Schritte vernahm. Die Person, von welcher sie herrührten, konnte wohl kaum zu einer der betheiligten Parteien gehören, sonst wäre von ihr mehr Bedacht darauf genommen worden, ungehört zu bleiben. Sie mußte gerade an dem Verstecke Franzens vorüber und dieser erkannte zu seinem lebhaften Erstaunen Heinrich, der in seiner leidenschaftlichen Erregung nicht daran dachte, jedes Geräusch so viel wie möglich zu vermeiden. Das Gewehr auf seinem Rücken ließ vermuthen, daß er es auf einen Pirschgang abgesehen habe. Franz hatte damit nichts zu thun und hielt es nach dem Geschehenen und in Rücksicht auf den Zweck seines Hierseins auch gar nicht für gerathen, seine Anwesenheit zu erkennen zu geben. Nach einem kurzen Lauschen schritt Heinrich auf eine dunkle Föhrengruppe zu, hinter welcher er verschwand. Nach einigen Minuten gewahrte Franz einen neuen Ankömmling, welcher sich aber so unhörbar herbeigeschlichen hatte, daß der verborgene Lauscher ihn erst bemerkte, als er bereits in der nächsten Nähe seines Versteckes stand. Er trug die gewöhnliche Werktagskleidung der hiesigen Landbewohner: hohe Schaftstiefel, Lederhosen und eine kurze Jacke, doch erkannte Franz trotz dieser Verkleidung den Lieutenant. Dieser stand ihm so nahe, daß er ihn mit der Hand hätte ergreifen können. Natürlich aber unterließ er dieses gefährliche Experiment und wartete leise
athmend und jede Bewegung vermeidend ab, was der alte schlaue Soldat thun werde. Seine Geduld sollte nicht zu lange auf Probe gestellt werden. Der Offizier legte die Hand an den Mund und ließ einen Laut hören, welcher dem Rufe des Uhu's gleichen sollte, von dem Kenner aber augenblicklich als Nachahmung erkannt werden mußte. Es wurde ihm augenblicklich eine Antwort zu Theil, aber nicht eine solche, wie er sie erwartet hatte, sondern eine so fürchterliche, daß das Entsetzen darüber Franz sofort aus seiner liegenden Stellung in die Höhe riß: Ein Schuß krachte drüben aus den Föhren hervor; der Lieutenant griff konvulsivisch mit den Armen in die Luft, wurde von der Gewalt, welche das tödtliche Blei ausübte, um sich selbst gedreht und brach dann zusammen. Die Kugel war ihm gerade in das Herz gedrungen. Wer hatte das gethan? Franz fragte nicht; er wußte es, denn ihm war auf einmal Alles klar. Er warf keinen einzigen Blick hinüber nach der Stelle, wo er den mörderischen Strahl hatte aufblitzen sehen, er kniete neben dem Gefallenen nieder, um zu untersuchen, ob er todt oder nur verwundet sei. Da rauschte es heftig durch das niedere Geäst und eine Anzahl von Männern stürzten herbei, welche, sobald sie die Gruppe erblickten, sich auf Franz warfen und ihn emporrissen. Es waren Soldaten. »Der Lieutenant ist es; der Mensch hat ihn erschossen!« rief Derjenige von ihnen, welcher den Todten zuerst erkannte. »Bindet ihn; schnürt ihn zusammen, daß er sich nicht rühren kann!« rief er im Kreise. Er demonstrirte gegen diese Maßregel und versuchte, ihnen den wahren Sachverhalt darzustellen; sie aber hörten nicht auf seine Vertheidigung und wollten nichts Anderes von ihm wissen, als wo er die Büchse hingeworfen habe. »Ich hab' net geschoss'n, ich hab' kein Gewehr gehabt! Wer's gewes'n ist, das hab' ich net geseh'n, sondern nur den Blitz da drüb'n in den Kiefern!« »Ausrede!« rief der Unteroffizier, welcher das Wort genommen hatte. »Wir werden das Gewehr schon noch finden, und dann wird es sich wohl zeigen, daß es Dir gehört!« Er untersuchte seinen regungslosen Vorgesetzten und entschied dann:
»Er ist todt, auf der Stelle todt gewesen. Wir müssen ihn hier liegen lassen bis zur gerichtlichen Feststellung des Thatbestandes. Ich transportire mit drei Mann den Gefangenen in die Stadt und mache Anzeige, der Sergeant aber mit den Uebrigen bleibt hier, um dafür zu sorgen, daß Alles genau so bleibt, wie wir es gefunden haben. Der Ort wird von Posten umstellt. Die Pascher werden ebenso wie wir den Schuß gehört haben und davon bleiben, aber wir müssen auch alles sonstige Andere zu vermeiden suchen, wodurch irgend eine Spur verwischt werden könnte.« Es wurde dieser Anordnung sofort Folge geleistet. Man schloß einen weiten Postenkreis um den Schauplatz des Mordes, und nachdem der Unteroffizier befohlen hatte, auf Jeden zu schießen, welcher auf dreimaliges Anrufen nicht antworte und sich zurückweisen lasse, ließ er von seinen drei Leuten den Gefesselten in die Mitte nehmen und marschirte, das Gewehr schußfertig in der Hand, mit ihnen ab. Die Kunde, der Grunert-Franz habe den Lieutenant erschossen, weil er von ihm beim Schwärzen ertappt worden sei, verbreitete sich schon am frühen Morgen wie ein Lauffeuer durch die ganze Gegend, und wer es nur möglich machen konnte, der eilte zur Stelle, um Zeuge von dem Aufheben der Leiche zu sein. Der Staatsanwalt war schon vor Tagesgrauen unter Gendarmeriebegleitung angekommen, trotzdem er sich die Zeit genommen hatte, den Gefangenen erst aufzusuchen. Dieser hatte ihm den Vorgang wahrheitstreu berichtet und nur verschwiegen, was in Beziehung auf den Dukatenprinzen zu sagen gewesen wäre. Der gewissenhafte Beamte richtete seine Rekognition nach diesem Berichte ein und mußte allerdings bemerken, daß unter dem tief herabhängenden Tannigt zur Zeit der That Jemand gelegen haben müsse, wie das Geknicktsein mehrerer Zweige und deren noch frische Bruchstellen bewiesen. Auch der Ort, an welchem der Schütze gestanden hatte, wurde gefunden, doch waren die in dem verdorrten Heidelbeergesträuch befindlichen Spuren nicht der Art, daß ein weiterer Anhalt gewonnen werden konnte, ebenso wie der auf dem Moose entdeckte Pfropfen, da er aus Werg bestand, nur dazu diente, die Aussage über die Richtung des Schusses zu bestätigen. Trotz dieser Umstände und des für ihn sprechenden Eindruckes, welchen Franz während der Verhöre auf den Untersuchungsrichter machte, mußte die Anklage aufrecht erhalten werden, da die
Verdachtsmomente zu dringend erschienen und er ganz besonders über den Zweck seines nächtlichen Waldbesuches sich nicht aussprechen wollte. Eine lange Reihe von Monaten umschlossen ihn die Mauern des Gefängnisses, ehe es zur richterlichen Entscheidung kam. Der gewandte Vertheidiger stützte sich zumeist auf einen Umstand, welchem bisher nicht die gehörige Beachtung geschenkt worden war: Man hatte die Kleider des Angeklagten mit Blut bespritzt gefunden; dies konnte nur dadurch möglich sein, daß er im Augenblick des Schusses sich wirklich in der nächsten Nähe des Ermordeten befunden hatte, und da es erwiesen war, daß der Schuß aus ziemlicher Entfernung abgefeuert worden war, so konnte er unmöglich der Mörder sein. Er wurde wegen mangelnder Beweisgründe freigesprochen und durfte seine Haft verlassen. Es war an einem dunklen Abende, als er das heimathliche Dorf wieder betrat und seine Schritte nach dem Häuschen richtete, in welchem, wie er wußte, ein liebendes Herz seiner Rückkehr harrte. Wenn Alle ihn verurtheilten, Zwei thaten es nicht: die Mutter, weil sie an ihr Kind glaubte, und der Heinrich, welcher seine Unschuld kannte. Wem der Schuß eigentlich gegolten hatte, das wußte Franz, aber er brachte den jähzornigen Charakter Heinrichs und die an jenem Abende stattgefundene Ueberraschung in Rechnung, und da er trotz seiner persönlichen Ueberzeugung den Mörder mit juridischer Sicherheit nicht bezeichnen konnte, so hatte er über Heinrichs Anwesenheit im Walde geschwiegen und gab sich noch jetzt der Hoffnung hin, daß trotz des Vorgefallenen, ja gerade wegen desselben, sobald der Dukatenprinz sich dankbar erweisen wollte, die alte Freundschaft sich von Neuem befestigen werde. Er fand die Thüre verschlossen. Sie war für Den, welcher mit der Vorrichtung vertraut war, auch von Außen zu öffnen. Er entfernte mit der untergeschobenen Hand den Riegel und trat ein. »Mutter?« rief er, in der Stube angekommen, wo es vollständig finster war. Er erhielt keine Antwort und griff daher zu Lampe und Feuerzeug. Als der Schein der ersteren den Raum erhellte, gewahrte er eine lang ausgestreckte Gestalt, welche, von einem weißen Tuche überdeckt, auf dem Lager ruhte. Die Leuchte entfiel seiner Hand und mit einem lauten Aufschrei warf er sich über die Todte hin. Da trat Jemand vorsichtig tappend durch den Eingang. »Die Thür steht off'n! Ist Jemand hier?« frug eine männliche
Stimme. »Ja!« antwortete Franz mit unterdrücktem Schluchzen. »So bist Du's selber?« Es war der Ortsvorsteher. »Ich hab' heut' vom Amte die Nachricht erhalt'n, daß Du kommst, und wollt' nur seh'n, ob Du auch schon da bist. Wirst wohl gefunden hab'n, wie's zu Hause steht. Und wenn Du etwa net weißt, wer schuld d'ran ist, so will ich Dir's sag'n: Du hast sie auf Deinem Gewiss'n!« Franz war nicht schwach. Er hatte die lange Kerkerhast muthig ertragen; jetzt aber war es nicht nur finster in der Stube, jetzt wurde es auch finster in ihm. Es war kein stechender, kein brennender, es war ein tauber, stumpfer Schmerz, welcher sich seiner bemächtigt hatte. Ohne zu wissen wozu und wohin, wankte er aus dem Hause und das Dorf hinab. Bei den Bäumen angekommen, in deren Schatten das Verhängniß ihn erfaßt hatte, lehnte er sich müde an einen der Stämme und gedachte des Glückes, welches damals den Pulsschlag seines Herzens verdoppelte. War sie noch hier? Oder hatte sie den Ort verlassen, welcher so traurige Erinnerungen für sie haben mußte? Er schritt dem Dukatenhofe zu, um sich diese Fragen beantworten zu können. Er hatte nichts Böses gethan und Niemand konnte es ihm verwehren, wenn er Zutritt nahm wie früher. Unter dem Thore traf er auf Marie, welche eben im Begriffe stand, den Hof abzuschließen. Es war schon spät. »Marie, Du? Gut'n Abend!« »Franz! Wahrhaftig, es ist der Franz!« rief sie und schon rollten ihr auch die Thränen aus den Augen. »Willkommen wieder daheim! Hab'n sie Dich endlich losgeben müss'n?« »Endlich!« seufzte er tief auf. »Warst Du auch schon zu Haus'?« »Ja!« »Du armer, guter Kerle, wie magst Du da erschrock'n sein!« »Ist hier Alles daheim?« »Alles.« »So laß mich ein!« »Franz, wirst Du mir bös sein?« »Warum?« »Weil ich Dich bitt', lieber wieder fortzugeh'n. Oder wart' ein wenig hier auß'n, bis ich gleich wiederkomm'. Ich werd' Dir Alles erzähl'n!«
»Wart'n? Warum? Sag's gleich!« »Die zwei Dukat'nmänner sind net gut auf Dich –« »So?!« dehnte er. »Weshalb denn?« »Weil – weil – Du weißt es ja!« »Sag's lieber; ich will's hör'n!« »Weil – weil der alte Soldat erschossen word'n ist!« »So!« dehnte er wieder, diesmal aber heiser und tief grollend. »Weiter nix?« »Und weil – er hat nix davon gesagt, sondern ich denk' mir's nur – von weg'n der jungen Bäuerin.« »Der Heinrich hat geheirathet?« »Hast Du noch nix davon gehört?« »Nein! Wer ist die Frau?« »Du kennst sie auch. Die Anna.« »Die Anna?« Das Blut stockte ihm in den Adern und hastig frug er: »Welche Anna?« »Dem Lieut'nant seine.« Er sagte nichts, aber er legte seine beiden Arme um den Thorpfeiler und preßte den Kopf an die kalten Steine desselben. Sie faßte ihn an, denn sie sah, daß er im Begriffe stand, zusammenzubrechen. »Franz, was ist mit Dir! Komm, laß die Säule los, ich werd' Dich schon halt'n!« Er antwortete nicht. Es war ihm, als habe ein Keulenschlag seinen Kopf getroffen; er wollte sprechen, aber er brachte es nur zu einem unartikulirten Laute, der sich mit einem fast thierischen Klange aus der zusammengeschnürten Brust emporrang. »Franz, ich bitt' Dich, red', sag' nur ein Wort! Nachher wird es Dir wieder leicht.« Die eine seiner Hände löste sich vom Pfeiler und legte sich auf ihren Kopf. Sie fühlte die Eiseskälte derselben selbst durch das Haar hindurch. »Marie – – – –!« Sie konnte sich nicht länger halten und schlang inbrünstig die Arme um ihn. »Laß 's doch geh'n, Franz! Ich hab' Dich ja lieb, mehr als mein Leb'n!« »Ich weiß 's! Du bist die Einzige, die net an mir gezweifelt hat, und das werd' ich Dir niemals vergess'n. Sogar die Mutter hat's
geglaubt, was die Leut' geredet hab'n, sonst hätt' ich sie heut net todt gefund'n. – Marie, Du weißt's net, wie mir ist, hier und hier« – er deutete nach der Stirn und dem Herzen – »meine Seele ist weg und meine Gedank'n sind alle; es ist grad', als ob ein Mühlrad mir durch's Leb'n gegangen wär'.« »Das wird wieder anders, Franz, wenn nur 'mal die erst'n Tag' vorüber sind! Aber wo willst Du denn bleib'n? Zu Haus' bei der Leich' kannst Du doch net sein!« »Wo anders? Wer soll den Mörder in die Stube nehm'n?!« »O, wenn ich doch nur net Dienstbot' wär', ich ließ' Dich nimmer fort. Geh' doch 'mal zum Herrn Pfarrer! Der weiß in Allem Rath und wird auch für Dich sorg'n.« »Ich brauch' kein' Pfarrer, brauch' keinen Mensch'n, brauch' von Niemand nix. Ich geh' nach Haus'. Bei der Leich', da ist mein Platz; zur Leich', da gehör' ich hin, denn ich bin auch todt!« Er ging. Das sich ängstigende Mädchen wollte ihn noch zurückhalten, aber er wehrte ihr ab. »Brauchst keine Sorg' zu hab'n, Marie! Es ist mir wüst im Kopf, aber ich weiß schon noch, was ich thu'. Schlaf wohl!« »Gute Nacht, Franz, und laß Dir das Herz doch wieder leichter werd'n!« Sie blickte ihm nach, so weit sie bei der Dunkelheit es konnte, und schloß das Thor nicht eher zu, als bis der Klang seiner Schritte vollständig verschollen war. In das Haus zurückgekehrt, traf sie auf den jungen Bauer, welcher im Begriffe stand, die Wohnung durch den hinteren Ausgang zu verlassen. Er hatte die hohen Stiefel an und trug einen langen, unter einem Tuche verborgenen Gegenstand in der Hand. Sie wußte, daß er zum nächsten Mittag Wildpret geben würde. Franz hatte die Straße nicht weit verfolgt; es trieb ihn unwiderstehlich, das, was er gehört hatte, mit eigenen Augen zu schauen. Er bog um das Gut herum und schlich sich durch den Garten nach dem Hofraume, in welchen die hinteren Fenster der Wohnstube führten. Nur mit seinen trüben Gedanken beschäftigt, gewahrte er nicht, daß eine Gestalt ihm folge, die ihn bei dem Uebersteigen des Zaunes bemerkt hatte. Die Stube war erleuchtet und am Tische saßen zwei mit Näharbeit beschäftigte Frauen. Er trat näher; er mußte sie deutlicher sehen, sie, an die er gedacht hatte zu jeder Stunde seines einsamen Gefängnißlebens. Man rückte drinnen
die Lampe und ein heller Lichtstrahl glitt über ihn dahin. Jetzt erst erkannte sein Verfolger, wen er vor sich habe. »Der Franz!« murmelte er. »Er ist wieder da – sie hab'n ihn frei gegeb'n! Er will die Anna seh'n. Nun weiß er, daß sie meine Frau geword'n ist und wird mich verrath'n! Soll ich ihn jetzt wegputz'n?« Er nahm das Tuch vom Gewehr und legte an; aber nach einigen Augenblicken ließ er die Waffe wieder sinken. »Nein, der Dukat'n-Heinrich ist net so dumm, daß er sich einsteck'n läßt und nachher seinen Kopf hergibt! Ich weiß was Besser's, wie man den Franz zum Schweig'n bringt.« Es war ein teuflischer Gedanke, der ihn erfaßt hatte. Das Terrain war ein von dem Hofe nach dem Garten zu ansteigendes, und in der Nähe des Fensters lagen die abgesägten Stämme zweier Obstbäume, die man ihres Alters wegen vor kurzer Zeit gefällt hatte. Jetzt hatte die eigene Schwere sie noch nicht zu tief in den Boden gedrückt, und es bedurfte also nicht mehr als Manneskraft, einen von ihnen in's Rollen zu bringen. Einmal in Bewegung gesetzt, mußte er bis an die Mauer rollen und den dort stehenden Beobachter treffen. Ahnungslos, welch' eine furchtbare Gefahr ihm drohe, hing dieser mit dem Auge an dem lieblichen, jetzt aber tiefblassen Gesichte der so heiß Geliebten. Was hatte sie bewogen, dem Mörder ihres Vaters ihre Hand zu geben? War es vielleicht die Liebe gewesen? Er konnte keinen anderen Grund finden, er konnte überhaupt gar nicht sinnen und denken, er fühlte nur, daß es finster in ihm werde, finsterer noch, als es vorhin gewesen war. Da vernahm er ein lautes Getöse, unter welchem der Boden erzitterte, hinter sich – rasch drehte er sich um – ein schmetternder Schlag gegen die Mauer ließ das Haus erbeben – ein furchtbarer, markerschütternder Schrei erschallte durch die Nacht – die That war geschehen. Der alte Dukatenbauer fuhr, von dem Lärmen aus dem Schlummer geweckt, von seinem Großvaterstuhle empor; auch die beiden Frauen waren, auf das Heftigste erschrocken, in die Höhe gesprungen; das Gesinde, welches sich vor Kurzem erst zur Ruhe begeben hatte, eilte herbei, und auch Heinrich erschien unter der Thüre. »Was ist denn hier unten los bei euch?« frug er. »Das war doch grad', als ob's ein Erdbeben gegeb'n hätt'!« »Es war net bei uns, es war drauß'n im Hofe,« lautete die
Antwort. »So müss'n wir nachseh'n. Brennt rasch die Latern' an!« Man folgte dem Gebote und eilte dann hinaus, wo sich den Leuten ein entsetzlicher Anblick bot: Zwischen dem zurückgeprallten Klotze und der Wand lag in einer tiefen, rauchenden Blutlache ein menschlicher Körper, dem die Beine bis herauf an den Leib vollständig zermalmt worden waren. »Was ist hier gescheh'n? Wer ist der Mann?« frug der Bauer. Heinrich nahm dem Knechte die Laterne aus der Hand und leuchtete dem Verunglückten in das Gesicht. »Der Franz ist's, der Grunert-Franz!« rief er verwundert. »Was hat der hier gewollt? Ist er denn wieder los vom Amte?« »Den hat das Holz erschlag'n. Er ist ihm zu nah' gewes'n und da hat es ihn mit fortgeriss'n. Spannt rasch ein Pferd vor den Wag'n und fahrt nach dem Doktor. Vielleicht ist er noch net todt!« »Der Franz? Mein Herrgott, ist das wahr?« rief Marie, indem sie die Anderen zurückdrängte. »Ja, er ist's! Franz, Franz, was ist mit Dir gescheh'n! O, wärst Du doch nach Haus gegang'n!« Sie warf sich trotz des fließenden Blutes über ihn hin und wehrte die Arme zurück, welche sie von ihm wegziehen wollten. Auch Anna war mit nach dem Hofe geeilt. Als sie den Namen des Zerschmetterten nennen hörte, riß es ihr die Hände nach dem Herzen. Nur ein leiser Wehelaut entrang sich ihren Lippen, aber es wurde ihr dunkel vor den Augen, die Gestalten der Umstehenden verschwanden in wirbelnden Nebeln, sie wankte und glitt langsam an dem Hause nieder. Heinrich sah sie liegen. Er faßte sie und zog sie empor. »Was ist denn das mit Dir? Hat Dich wieder 'mal der Herzwurm angebiss'n! Dem Franz ist nix als nur sein Recht gescheh'n. Sie hab'n ihn losgelass'n, weil er sich auf's Leugnen gelegt hat, aber wer Mensch'nblut vergießt, dess' Blut wird auch vergoss'n; so steht es in der Bibel, und was die sagt, das ist wahr. Geh' Du hinein, Du bist uns hier nix nütze!« Er führte sie in die Stube, wo sie kraftlos in den Sessel sank. Das Gesicht in die Hände vergraben, legte sie den Kopf auf den Tisch und ließ den Thränen freien Lauf, die sich zwischen den Fingern Bahn brachen und schwer und langsam auf die Diele niedertropften. Ihr blühendes Leben war seit Monaten schon welk geworden, und heut', heut' hatte es den schwersten Stoß erhalten.
3. Ein Gottesgericht Ganz am oberen Ende des Dorfes lag ein kleines Häuschen, einstöckig wie das des Köpfle-Franz, und nur mit Stroh gedeckt; aber es war sauber gehalten, und die Fenster, durch welche das Licht hinaus auf die Straße blitzte, weil die Läden noch nicht geschlossen waren, zeigten kein einziges Fleckchen, welches die Glasscheiben getrübt und verunziert hätte. So blank und reinlich wie diese waren, sah es im ganzen Stübchen aus. Die heute erst frisch gescheuerte Diele war mit grünen Tannenzweigen belegt, Tisch, Bänke und Stühle bis auf's Weiß gerieben, die Kacheln des alterthümlichen Ofens, in welchem ein lustiges Feuer knisterte, glänzten wie Email und das blecherne Kochgeschirr flimmerte wie feines Silber aus der Ecke hervor. Dieser Nettigkeit entsprach auch das Aeußere der Frau, welche am Klöppelkissen saß und mit emsigen, geschickten Fingern die zierlichen Hülsen erklingen ließ. Sie war nicht mehr jung; zahlreiche graue Fäden durchzogen das früher dunkle Haar, aber es lag doch noch wie Jugend auf ihren weichen, regelmäßigen Zügen, und die Wangen zeigten noch immer eine leichte Röthe als den Widerschein der Jahre, die nichts von Falten und Furchen wissen. An der Wand über dem Tische hing das Bild des Heilandes in einfach vergoldetem Rahmen und ihm zu Seiten zwei Köpfe, welche mit Bleistift auf gewöhnliches weißes Schreibpapier gezeichnet waren. Sie stammten von dem Köpfle-Franz und trugen in gothischen Buchstaben die Unterschrift »Karl« und »Maria«. Die Frau war die einstige Magd auf dem Dukatenhofe und hatte zu ihrer Hochzeit ihr Bild und dasjenige ihres Bräutigams von dem Gegenstande ihrer ersten Liebe als Angebinde erhalten. Sie ließ plötzlich die Arbeit ruhen und horchte nach der Thüre. Ein Mann trat ein, der, das Alter abgerechnet, dem Bilde an der Wand auf's Haar ähnlich sah. »Gut'n Abend, Mutterle! Da bin ich schon! Heut' ist Sonnabend und da ist die Arbeit früher alle.«
»Gut'n Abend, Vater! Ich hab' net gedacht, daß Du schon jetzt zu Haus' sein wirst. Die Erdäpfeln sind noch net ganz fertig; aber sie werd'n gleich koch'n!« »Schad't nix! Ich schmauch derweil a wenig meine Pfeif'. Schon gut; ich bring' die Stiefeln schon ganz selber 'runter!« Sie leistete ihm beim Ausziehen Hilfe, legte einiges Holz im Ofen nach und kehrte dann zu ihrer Klöppelei zurück. Er hatte auf der Bank Platz genommen, stopfte sich mit behaglicher Bedächtigkeit die Pfeife und blies dann den Rauch des anspruchslosen Krautes mit einer Miene von sich, welche auf einen ganz außerordentlichen Genuß schließen ließ. »Hast's schon gehört, Marie?« frug er. »Was denn?« »Hm! Ich sehe es schon, Du weißt noch nix, sonst hättest Du's in den fünf Minut'n, die ich hier bin, schon längst vom Herz'n 'runter.« »Ich bin heut' gar net in's Dorf gekommen, sondern blos bis hin zum Wassertrog. Was gibt es denn so grausam Neues?« »'S ist net blos eine, 's sind zwei Post'n, die ich bring', die eine vom Dukat'ngraf und die andere vom Pascherkönig. Denk' Dir nur, Mutter, der Dukatenbauer hat gestern Abend die Emma verspielt!« »Verspielt?! Wie denn? So 'was ist doch gar net möglich!« »Freilich ist's möglich! Er hat wieder 'mal mit dem Baron und dem Zettelkramer drob'n bei dem Bergwirthe gesess'n, und als das Geld alle gewes'n ist, da haben sie erst um die neue Kutsch' und nachher um die letzte Ernte und endlich um die Emma gespielt.« »Das ist doch fast gar net zu glaub'n! Es kann doch Niemand sein eigen Kind verspiel'n!« »Das kommt nur d'rauf an, wie's ausgemacht ist. Der Zettelkramer hat die Kutsch, der Bergwirth die Ernte und der Baron die Emma, die nun seine Frau werd'n muß.« »Mein Gott, das arme Kind kann mich grad' dauern. Von so einem gotteslästerlichen Handel hat man doch noch niemals nix gehört! Ich bin nur begierig, wie lange der Heinrich es noch treib'n wird! Nun hat er doch geprahlt mit seiner Staatskaross'! Und die Ernte, die ganze, mühsame Ernte! Was er gehabt hat, das muß doch nun bald alle sein, und man möchte sich nur wundern, wo er's noch immer hernimmt!« »Ja, man glaubt's aber auch net, was in so 'nem Gute Alles steckt! Man soll Niemanden 'was Böses gönnen, aber wenn's mit
Dem ein Ende nimmt, so hat er's selbst verschuldet und vielleicht auch verdient.« Sie nickte zustimmend und mit ernster werdendem Gesicht. Noch niemals war ein Wörtchen über ihre Lippen gekommen, aber sie wußte, daß an jenem für den Köpfle-Franz verhängnißvollen Abende der junge Bauer nicht mehr im Hause gewesen war, sie hatte ihn mit dem Gewehre fortgehen sehen, und doch war er gleich da gewesen, als das Unglück geschehen war. Damals hatte es eine schwere Zeit für sie gegeben; aber sie wollte jetzt nicht daran denken und frug darum: »Und die andere Neuigkeit?« »Auf dem Pascherkönig seinen Kopf sind dreihundert Thaler Prämie gesetzt word'n. Denk Dir's nur, wenn man sich die verdienen könnt'!« »Den fang'n sie net, sonst hätt'n sie ihn schon längst. Kein Mensch weiß, wer er eigentlich ist, net 'mal seine eig'nen Leut'. Er ist bald da, bald dort, hat niemals net dieselbige Figur, und – –« Sie wurde unterbrochen. Es klopfte laut an das Fenster und eine jugendlich frische Stimme rief: »Gut'n Abend, Vater, gut'n Abend, Mutterle!« »Der Wilhelm, der Wilhelm ist's!« riefen Beide auf das Freudigste überrascht, indem sie von ihren Sitzen aufsprangen und nach der Thüre eilten. Dort trat ihnen der Unerwartete mit herzlichem Gruße entgegen. Er trug eine Soldatenuniform mit Unteroffiziersabzeichnung. Den Quersack, welchen er auf der Schulter gehabt hatte, bei Seite stellend, umarmte und küßte er die Eltern herzlich und meinte dann: »Net wahr, das kommt unverhofft? Ich hatt' euch doch geschrieb'n, daß ich erst zu Weihnacht'n kommen darf!« »Freilich! Hast wohl Urlaub?« »Hm, so halb und halb; aber das darf ich euch nur heimlich sag'n!« Er schob sie auf ihre Sitze zurück, zog sich selbst einen Stuhl herbei, sah sich vorsichtig in der Stube um und berichtete dann mit gedämpfter Stimme: »Ich soll den Schmugglerkönig fang'n!« »Den Schmugglerkönig? Du?« »Ja, ich!« »Das klingt absonderlich! Wie kommst denn Du dazu?«
»Das ist nämlich so gewes'n: Es ist seit Menschengedenk'n hier an der Grenz' noch gar net so zugegang'n wie jetzt; die Schwärzer treib'n ihr Geschäft ja ganz in's Große und so öffentlich, als hätte ihnen kein Mensch 'was dageg'n zu sag'n. D'rum hat der König wieder Militär hergelegt, grad' wie damals vor vielen Jahr'n, wo der Path' den Lieutenant erschossen hab'n soll. Aber das hat nix geholf'n, weil die Packläufer einen Hauptmann hab'n, der gescheidter ist als die Beamt'n und Soldat'n alle mit 'nander. Der bringt ein Abenteuer nach dem andern fertig; in allen Blättern und Schrift'n wird über ihn geles'n, und ich glaub', er liest's auch selber mit! Jetzt haben sie gar einen Preis auf seinen Kopf gesetzt; aber ich hab' gemeint, das hilft auch nix, denn das Militär kennt die Gegend net und mit den Aufsehern ist's fast ebenso. Da muß Einer her, der alle Schlich' und Wege genau weiß und ihnen aufpaßt, ohne daß sie's ahnen. Das hab' ich 'mal gesagt, und der Herr Hauptmann hat's erfahr'n. Dem sein Bruder ist im Ministerium; und so ist's von Einem zum Anderen gegang'n, bis ich plötzlich zum Oberst muß. Der hat mir Urlaub auf unbestimmte Zeit gegeb'n und ein Schreib'n, welches ich hier beim Amte und beim Grenzkommandanten vorzuzeig'n hab'. Nun zieh' ich die Montur aus und geh' spazier'n; kein Mensch wird denk'n, weßhalb ich eigentlich zu Haus' bin, und wenn das Glück gut geht, will ich den König schon erwisch'n. Seht her!« Er öffnete den Quersack und zog zwei Revolver aus demselben hervor. »Die hab' ich mit bekommen, weil ich kein Seit'ngewehr und keine Flint' trag'n darf. Es ist mir auch verbot'n, mich mit einem Grenzer oder Soldat'n seh'n zu lass'n, weil die Schwärzer sonst Verdacht bekommen könnt'n.« Die Mutter sah zwar mit besorgtem, aber auch stolzem Auge auf ihren Sohn. Sie wußte, daß seine Vorgesetzten sehr viel auf ihn hielten, und wenn sie auch erkannte, daß ein Vorhaben wie das seinige ihn in große Gefahren bringen könne, so fühlte sie sich doch gehoben durch die Ehre, welche in dem ihm gewordenen Auftrage für ihn lag. Der Vater aber schüttelte bedenklich den Kopf. »Du bist mir zu Haus' willkommen, Wilhelm, aber stell' Dir die Sach' nur net leichter vor, als sie ist. Wenn es herauskommt, was Du willst, so kann Dir's sehr leicht an den Krag'n gehn. Ich glaub' auf zehn Leut' ist jetzt hier bei uns Einer zu rechnen, der den stillen
Handel treibt, und Du machst Dir auf Lebenszeit die ganze Gegend zum Feind!« »Laß nur geh'n, Vater. Ich werd' die Sach' schon so andreh'n, daß Niemand nix vermuthet. Und an die dreihundert Thaler mußt Du doch auch 'mal denk'n!« »Das schon!« schmunzelte er. »Es wär' ganz hübsch, wenn die hier auf den Tisch zu lieg'n kämen, aber das wird wohl seine gute Weile hab'n. Die Dich herschick'n, sind ganz gewiß sehr kluge Herrn, aber wie's hier zugeht, das wiss'n sie doch so richtig net. Denk' Dir nur, wie's vorige Woch' gewes'n ist! Da droben an der Mauth gibt's mitt'n in der Nacht auf aanmal ein Getrappel; die Wach' kommt 'raus und sieht acht Reiter vor dem Hause halt'n, mit Gewehren in der Hand und die Pferd' mit hohen Pack'n belad'n.« »'was Verzollbares?« fragt der Offizier. »Ja,« antwortet der Vorderste. »Was denn?« »Für fünftausend Thaler feine Waar'; aber krieg'n thut Ihr nix dafür als blos die Ehr', mit dem Pascherkönig geredet zu hab'n!« Und wie er das sagt, da lacht er laut und galopirt mit den Andern davon, daß die Funken flieg'n. Der Offizier hat den Mund aufgeriss'n und sich halb todt geärgert. Und am andern Morgen früh, da fehl'n hier im Dorf acht Pferde, bei dem Dukatengraf'n zwei, beim Richter zwei und die andern bei vier kleinen Bauern. Die hab'n sie heimlich aus den Ställen gezog'n und drüb'n im Kaiserlichen noch gleich am andern Tage verkauft, wie sich herausgestellt hat. »Dein Path', der Köpfle-Franz, hat die Schul' für Dich bezahlt, so daß Du schon 'was gelernt hast, Wilhelm; Du bist kein dummer Kerle, aber den König, den fängst Du mir schon net!« »Wart's ab, Vater! Es ist mir doch auch gar keine Schand', wenn es mir net gelingt. Weißt Du 'was? Ich werd' den Path' um Rath frag'n. Den halt'n die Leut' für dumm und net klug im Kopfe; aber er ist gescheidter als sie Alle mit 'nander.« »Thu's! Man sagt ja, daß er früher auch mit über die Grenz' gegangen sei; vielleicht kann er Dir auf den richtigen Sprung helf'n.« »Ist er denn jetzt daheim?« »Ja,« antwortete die Mutter. »Geseh'n hab' ich ihn zwar noch net, aber ich weiß, daß er da ist. Zum heutigen Tag' bleibt er niemals auß'n, denn da jährt sich's grad', daß sie ihn da drauß'n im Walde bei
dem Lieutenant gefangen hab'n. Was er da zu Haus' vernimmt, das hat noch Niemand geseh'n; ich selber bin einige Mal' an seinem Laden gewes'n, aber er hat kein Licht in der Stub' gehabt. Vielleicht findst Du ihn um Zehn da unt'n beim Dukat'nhof.« »Ich werde nachschau'n. Aber sag', Mutter, warum kauert er denn eigentlich die wenigen Tag', die er im Dorfe ist, grad' stets Punkt zehn Uhr Abends dort unter den alt'n Bäumen?« »Das kann ich auch net sag'n. Der Dukat'ngraf hat's net leiden woll'n und gar 'mal Anzeig' bei dem Richter gemacht; aber er hat nix ausrichten können, weil dem Franz nix Unrechtes nachzuweis'n war.« »Wie geht's denn mit dem Bauer?« »Immer weiter bergunter. Denk' Dir nur, gestern hat er sogar die Emma verspielt!« »Die Emma? Wie meint Ihr das; wie ist das zugegang'n?« »Sie muß den Baron heirath'n; der hat sie gewonnen.« »Der Baron?« Er sprang vom Stuhle auf und blickte die Sprecherin erschrocken an. »Ja, der Baron. Der hat ihm schon manch' schönen Thaler aus der Tasch' gezog'n und nimmt ihm nun auch noch die Tochter weg, damit er 'mal gleich den ganz'n Hof bekommt.« »Nein, der nimmt sie net weg, das weiß ich besser! Er thut nur so, als wollt' er sie hab'n, damit er dem Bauer desto tiefer in den Kasten greif'n kann. Kein Mensch kennt ihn; Niemand weiß, wo er eigentlich herstammt; er verführt die Bauern und schlachtet nachher die Güter aus, und der Zettelkramer, der Agent, der den Leut'n seine schlecht'n Aktien aufbindet und dann in's Fäustchen lacht, der hilft ihm dabei. Und der Bergwirth, der ist der Dritt' im Bunde. Er hat erst nix gehabt, gar nix, und jetzt spielt er den groß'n Mann, natürlich nur mit fremdem Gelde, welches ihm beim Spiel immer nur grad' in die Hände läuft. Ich glaub', er weiß auch mehr als mancher Andere von der Schwärzerei!« »Das sag'n sie Alle im Dorf! Und noch Eins: kein Anderer ist der Schmugglerkönig als der Baron. Das ist ein schlimmer Gesell und man kann es ihm schon zutrau'n.« »Da soll er sich nur in Acht nehm'n vor mir. Und die Emma, die bekommt er net, dafür werd' ich schon sorg'n. Ich will gleich 'mal mit ihr red'n!« Er befand sich in einer Aufregung, für welche den Eltern die
Erklärung mangelte, und noch ehe sie ihn weiter fragen oder am Gehen hindern konnten, hatte er die abgelegte Mütze wieder ergriffen und war verschwunden. Raschen Schrittes durcheilte er das Dorf und beachtete die ihm Begegnenden so wenig, daß er auch das Mädchen nicht bemerkte, welche, mit einem gefüllten Kruge in der Hand, aus dem Gasthofe trat und überrascht stehen blieb, als er an ihr vorüber ging. »Wilhelm, bist Du's?« rief sie ihm nach. Bei dem Klange dieser Stimme hemmte er sofort seinen Lauf. »Emma! Schau, wie gut sich das trifft! Ich wollt' zu Dir.« »Ich dacht' schon, Du kennst mich net und willst gar nix mehr von mir wiss'n, weil Du mich net hast ansehen woll'n. Grüß Gott, Wilhelm!« Sie reichte ihm die freie Hand. Er erfaßte diese, zog das Mädchen an sich und drückte einen innigen Kuß auf ihre Lippen. »Dank schön, Emma! Wie kannst Du nur denk'n, daß ich Dich net mehr kennen mag; Du bist mir doch das Best' und Liebste, was ich hab', und ich freu' mich wie ein Kaiser, daß ich wieder 'mal kann bei Dir sein!« »Hast wohl Urlaub?« »Ja. Ich bin erst seit einer Viertelstund zu Haus'.« »Wie lange?« »Das weiß ich net. Bei uns heißt's, bis auf Ordre. Hast Bier geholt?« »Ja, zum Abendbrod. Sie wart'n schon und ich muß mich sput'n. Geh derweil in den Gart'n; ich werd' net lange aus sein!« »Gut; aber sag mir erst, was das ist mit dem Baron! Die Mutter hat mir's gleich erzählt, und da hab' ich es net aushalt'n können und bin sofort nach dem Dukat'nhof gelauf'n.« »Hör', Wilhelm, diese Sach' ist net gut vom Vater. Ich hab heut' gar viel geweint und ihm schöne Wort' gegeb'n, aber es will nix helf'n. Auf morg'n über acht Tag' soll die Verlobung sein.« »So!« antwortete er hart. »Und Du wirst dann Ja sag'n?« »Sprich net in dieser Weis, Wilhelm! Du weißt, wie lieb ich Dich hab', und es ist gut, daß Du da bist, sonst hätt' ich gar net gewußt, was ich vor Angst und Bange thun soll. Nun aber können wir uns bered'n, und was Du mir sagst, das werd' ich mach'n, denn den Baron, den kann ich net leid'n, und seine Frau mag ich erst recht net werd'n.«
Sie hatten den Hof erreicht. Er zog sie wieder an sich und strich ihr liebkosend über das volle, weiche Haar. »Du bist doch mein Herzensschatz, grad' so wie früher noch, und sollst's auch nimmer bereu'n, daß Du mich lieb hast! Der Leut'betrüger soll mit Dir gar nix zu schaffen hab'n, und ich werd' schon noch 'was find'n, wie ich ihm an den Krag'n komm'. Aber jetzt geh' nur hinein! Ich werd' im Garten wart'n.« Sie trennten sich. Er ging den Zaun entlang, sprang über denselben dann weg und legte sich trotz der schon ziemlich strengen Jahreszeit unter den weitgreifenden Aesten eines dickstämmigen Nußbaumes nieder. Er mochte ungefähr eine Viertelstunde gelegen haben, da hörte er Jemand mit leisen Schritten quer über das Feld kommen und am Zaune stehen bleiben. Was wollte der Mann hier? War es vielleicht der Liebhaber von einer der Mägde? Dann lief er Gefahr, bemerkt zu werden. Schon entschloß er sich, den Ort behutsam zu verlassen, um ein besseres Versteck aufzusuchen, als er auch vom Hofe her Schritte vernahm, die ihn veranlaßten, seine jetzige Stellung nur dahin zu ändern, daß er sich so eng wie möglich an den Stamm schmiegte. Der Nahende war kein Anderer als der Dukatenbauer selbst. Er erkannte ihn sofort an der langen, breiten Gestalt und dem eigenthümlichen Klingen der Uhrkette, welches durch das Aneinanderschlagen der Dukaten verursacht wurde. Graf ging grad' auf die Stelle zu, an welcher Jener sich niedergeduckt hatte. Sie mußte also vorher genau bestimmt worden sein und vielleicht schon öfters zu ähnlichen geheimen Zusammenkünften gedient haben. »Ist wer da?« frug er mit gedämpfter Stimme, aber bei der ringsum herrschenden Stille konnte Wilhelm die Worte recht gut vernehmen. »Ja; ich bin's!« »Nun?« »Es ist Alles in Ordnung. Aber der Händler verlangt das ganze Geld in baarer Münz' und auch die alte Schuld dazu. Es wär' zu viel, diesmal, als daß er es ohne Zahlung riskiren könnt', sagt' er.« »Ich weiß es schon; er soll auch Alles hab'n! Heut' steht mein ganzer Reichthum auf dem Spiel; d'rum seid fein hübsch vorsichtig, bis ich komm'! Hier ist der Zettel. Steck' ihn in das Loch!« Er reichte etwas über den Zaun hinüber und kehrte dann,
während der Andere sich entfernte, nach dem Wohnhause zurück. Dort stieg er die Treppe empor und trat in das Zimmer, welches ausschließlich nur für seinen Gebrauch bestimmt war und zu dem kein Mensch außer ihm jemals Zutritt bekam. Einen Schreibsekretär von einer Arbeit und Form, welche auf hohes Alter schließen ließen, öffnend, setzte er sich vor denselben nieder, zog ein Buch hervor, schlug es auf und begann die auf den Blättern befindlichen Zahlenreihen zu überrechnen. Sein schon sonst so strenges Gesicht verfinsterte sich mehr und mehr, und als er auch die letzte beschriebene Seite geprüft hatte, erhob er sich, ließ die geballte Hand dröhnend auf die Notizensammlung fallen und murmelte ingrimmig zwischen die Zähne: »Alle, alle ist's mit mir! Kein Stein, kein Ziegel von dem Dukat'nhof ist mein. Ich bin kaput, ich bin bankerott; ich muß geh'n und vor dem Amt erklär'n, daß ich nix mehr hab'! Daran ist Niemand schuld als der Baron, der Bergwirth und der Agent, dieser Heimtücker, der, welcher Einen durch seine blaue Nasenquetsch' anstarrt wie die Klapperschlang' den Vogel, so daß man net anders kann, als man muß zu ihm hin!« Der Grimm trieb ihn mit großen Schritten in der Stube hin und her. Plötzlich aber blieb er stehen. »Nein, noch ist net Alles verlor'n, noch gehört der Dukat'nhof mir und meine Knöpf' und Kett'n darf ich behalt'n. Der Baron hat ja die Emma gewonnen! Damit hat er meinen Schad'n gewollt, aber es wird mir nur zu Nutz'n sein, denn er darf doch seinen eig'nen Schwäher nicht vom Hofe jag'n. Und darauf brauch' ich mich nicht 'mal ganz allein zu verlass'n. Ich hab' heut' Alles auf die letzte Kart' gesetzt, und wenn's gelingt, so ist der Gewinn grad so groß, wie aller Verlust bisher. So köstlich und theuer ist noch niemals ein stilles Gut über die Grenz' geschafft word'n wie heut, und es muß geling'n, denn ich hab' es schlau genug angestellt, daß wir net erwischt werd'n. Die Grenzer sind falsch berichtet und werd'n zwei Stunden weit von hier auf uns wart'n, während wir grad' vom Dorf aus über die Berge geh'n. Das Geld dazu hab' ich mit großer Müh' zusammengebracht, aber ich kann es schon d'ranwag'n, denn es kommt doppelt wieder zurück!« Er öffnete ein verborgenes Fach des Sekretärs und zog einige Packete und Beutel hervor. »So, jetzt kann's fortgeh'n. Die Kapuz' hab' ich im Wald, aber
die Gewehr' müss'n wir heut' fortlass'n, weil wir so schon fast über uns're Kraft zu tragen hab'n.« Er schloß das Möbel wieder zu, verlöschte das Licht und stieg hinab. Mit den Jahren überlegter geworden, verließ er das Haus nicht durch die Hofthüre, wie es früher stets geschehen war, sondern er ging durch den Stall in die Scheune und trat durch den hinteren Ausgang derselben in den Garten. Hier blieb er zunächst eine Weile stehen, um sich zu überzeugen, daß Niemand zugegen sei, der ihn bemerken könne. Früher war er nur aus reiner Neigung zuweilen durch den Forst gestrichen, um irgend ein Wild abzulauern; die Verluste im Spiele aber hatten ihn auf den Gedanken gebracht, sie durch einen lohnenden Nebenerwerb auszugleichen, aus dem Wilderer war ein Schmuggler geworden, und zwar ein Schmuggler, der es, ganz seinem Charakter angemessen, nicht auf gewöhnlichem Wege versuchte, sondern kühn und gewaltthätig sich den Gesetzen entgegenstellte und es in kurzer Zeit so weit gebracht hatte, daß der Name, welchen er sich beilegte, ebenso bekannt war, wie seine Person in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt blieb. Durch die nächtlichen Abenteuer war sein Auge für die Finsterniß geschärft worden, und so bemerkte er, daß er nicht allein sei. Jener Klotz, welcher den Köpfle-Franz zum Krüppel gemacht hatte, war damals wieder in seine frühere Lage zurückgebracht worden; der Bauer hatte ihn nie verarbeiten lassen, obgleich der Bedarf dazu stets dagewesen war; es hatte sich etwas in seinem Innern, dessen Namen er nicht kannte, gesträubt, die Säge an das Holz zu legen, und so nahmen die beiden Stämme nach so langen Jahren immer noch dieselbe Stelle ein, welche sie früher innegehabt hatten. Auf ihnen saßen zwei Gestalten, welche sich umschlungen hielten. Er mußte wissen, wer sie seien und schlich sich näher. Es gelang ihm, unbemerkt von ihnen so weit an sie heranzukommen, daß er sie nicht nur erkannte, sondern auch jedes ihrer Worte verstehen konnte. »Nein, Emma, mit Gewalt ist hier nix auszuricht'n, denn Dein Vater ist ein harter Mann, den der Widerstand nur noch strenger machen würde. Im ersten Augenblick hätt' ich gleich Alles niederschlagen mögen, aber als ich hernach hier saß und auf Dich wartete, da hab' ich mir's recht überlegt und bin dabei ruhiger
geworden.« »Und was soll ich denn thun?« »Du mußt Ja sagen! Die Zeit ist zu kurz, als daß wir bis dahin einen anderen Ausweg find'n könnten, und die Verlobung ist noch lange net die Hochzeit. Bis die herankommt, wird der liebe Gott schon helf'n!« »Aber, Wilhelm, ich bring's doch am End' net fertig! Denk' Dir nur, wenn der Baron mich erfaßt und – und – und gar – – –« »Und gar küss'n will, net wahr? Das ist Deine Sach', Emma; mich an Deiner Stelle thät er net küss'n, das weiß ich! –« »Da hab' ich wohl auch noch ein Wort mit zu sag'n!« donnerte es da hinter ihnen. Sie sprangen erschrocken empor und sahen sich um. »Der Vater!« rief Emma entsetzt. »Ja, der Vater ist's, Du ungerath'ne Dirn'! Gleich gehst hinein in die Stub', sonst werd' ich Dir den Weg dazu weis'n!« Hier gab es keine Weigerung. Sie entfernte sich. »Und Du, was thu' ich denn eigentlich mit Dir?! Also ein harter Mann bin ich? Ja, die Emma ist wohl ein wenig weicher als ich, das will ich schon glaub'n, und beim Kopf darfst mich auch net nehmen, sonst könnt' Dir wohl das Küss'n vergeh'n. Mach' daß Du fortkommst von hier, Du unnützer Bub', und such' Dir Deine Liebst' im Armenhaus', aber net auf dem Dukat'nhof. Und das will ich Dir noch sag'n, wenn Du Dich hier nur wieder blick'n läßt, so ist um Deine zwei Knochen gescheh'n. Merk' Dir's. Und nun marsch fort!« »Herr Graf,« entgegnete ruhig der junge Mann, »Sie sind jetzt net in der Stimmung, daß ich Ihnen auf Alles richtig antwort'n könnt', aber erstens kann ich vielleicht beweisen, daß ich kein unnützer Bub' bin, und sodann ist's mir um meine Knoch'n noch niemals bang' gewes'n. Und wenn nun gar der Rock darüber hängt, den ich heut' anhab', so will ich es Keinem rath'n, sich an mir zu vergreif'n! Ich geh'; aber – – –« Er sprach nicht weiter; ein schallender Schlag mit der flachen Hand hatte ihn in das Gesicht getroffen. »So, da hast's, was ich von Deinem bunten Flick'n halt'! Und nun mach schnell, sonst kommt noch mehr!« Wilhelms Hände ballten sich zusammen; er machte Miene, sich auf den Bauer zu stürzen. Aber mit Aufbietung seiner ganzen Selbstbeherrschung trat er um mehrere Schritte zurück.
»Nein, Dukat'nbauer, ich werd' mich an Ihnen net vergreif'n, denn Sie sind Emma's Vater! Und ein königlicher Unteroffizier, der Ehr' im Leibe hat, weiß schon noch, wie er auf and're Weis' zusammenkommt mit – mit – –« »Nun – mit – mit wem denn, wenn ich frag'n darf, Herr königlicher Feldmarschall?« »Schon gut! Die Ohrfeig' kommt mit auf die Rechnung, die ich Ihnen vielleicht bald zu mach'n hab'. Gute Nacht, Dukat'ngraf!« Er drehte sich um und ging, aber nicht durch den Garten, sondern er nahm seinen Weg durch das offene Haus, das war er sich und seiner Kleidung schuldig. Es kostete ihn nicht wenig Mühe, die in ihm herrschende Aufregung zu bezwingen und seine Gedanken von dem letzten Ereignisse weg auf die vorher belauschte Unterredung zu wenden. Er hatte zu handeln, und alles Persönliche mußte deshalb zunächst in den Hintergrund gewiesen werden. Sein Weg führte ihn nach dem Häuschen des Köpfle-Franz. Dort angekommen, sah er durch eine dünne Spalte des Bodens, daß noch Licht in der Stube sei. Er klopfte an. »Wer ist da drauß'n?« frug es von innen. »Ich bin's, der Wilhelm! Darf ich ein, Path' Franz?« »In meine Stub' darf niemals kein Mensch net – auch Du net; Du weißt's ja!« »Laß mich nur heut' 'mal ein, Path'! Ich hab' Dich 'was zu frag'n.« »Frag' morg'n, wenn Du mich auf der Straß' siehst!« »Es muß heut' noch sein!« »Ist's so nothwendig?« »Ja! Die Mutter hat auch gesagt, ich soll' zu Dir geh'n.« Das schlug durch. Was Niemand bei ihm erreichte, das war der Marie möglich. Er konnte ihr niemals vergessen, was sie nach jenem Abende an ihm gethan hatte. Sie war von dem Dukatenhofe fortgegangen und Monate lang unter Sorge, Angst und Bangigkeit seine Pflegerin gewesen. Und als es seiner starken Konstitution gelungen war, die körperlichen Folgen der furchtbaren Verwundung zu überwinden, da hatte sie nicht mehr von ihm gehen wollen. Aber trotz der Störung, welche sein Geist erlitten hatte, erkannte er doch, daß er ein solches Opfer niemals vergelten könne; er nahm es nicht an und vermochte sie später sogar, ihrem jetzigen Manne, mit dem
sie glücklich lebte, ihre Hand zu reichen. »So wart', ich komm' hinaus. Ich wollte so gleich fort; da kannst Du's drauß'n sag'n!« Das Licht verlosch, und bald befand sich Franz vor dem Hause, dessen Eingang er wieder verschloß. »Nun, was gibt's? Ich denk', Du bist in Garnison!« »Ich bin heut' nach Haus', und will Dir sag'n, weshalb.« Er überzeugte sich erst, daß kein Lauscher in der Nähe sei, und stattete dann seinen Bericht ab, dem er auch das auf dem Dukatenhof Erfahrene beifügte. »Aber, Path', Du darfst Niemandem wiedersag'n, was ich Dir vertraut hab'!« schloß er seine Rede. Franz antwortete nicht. Er schien entweder in tiefes Nachdenken versunken zu sein oder mit einem Entschlusse zu ringen. »Also, dem – dem – na, Dem seine Tochter willst Du zur Frau hab'n?« frug er endlich. »Ja. Wir hab'n uns schon lange lieb, und sie ist so gut, gar net wie ihr Vater, sondern grad' wie ihre Mutter, die Anna.« »Wie ihre Mutter? Wilhelm, die war net gut, die ist net gut geblieb'n, die ist falsch und treulos gewes'n, von der mag ich nix hör'n. Aber die Anna, die hab' ich lieb, die ist brav, und wenn die Emma so ist wie sie, da – da – –« Er hielt inne; es war doch ein Kampf, der sich in seinem Innern vollzog. Wilhelm störte ihn nicht; er kannte seine Weise. »Da – da, ja, da sollst Du sie hab'n!« rang es sich endlich wie ein schwer gewordener Entschluß von den Lippen des Krüppels. »Die Anna wird Freud' drüber hab'n, und die Marie, die soll ihren Sohn glücklich seh'n. Ja, Wilhelm, Du sollst die Emma hab'n! Als Du zur Welt kamst, da hielt'n sie Alle schon den Grunert-Franz für verrückt und lacht'n über ihn, aber Dein Vater und Deine Mutter, die sagten: ›Nun soll er alleweil grad' Path' werd'n bei dem Jungen!‹ Der Pfarr' hat net gewollt, aber sie haben's doch durchgesetzt. Ich mußt' das Glaubensbekenntniß sag'n, und dann bin ich Path' gewes'n. Schau, Wilhelm, das vergeß' ich ihnen net und Dir auch net, und d'rum wird die Emma Deine Frau!« »Da wird aber net so schnell geh'n, Path', und jetzt denk' ich auch nur an die Geschicht' mit dem Schmuggel.« »Es wird schon geh'n, Wilhelm, denn der Köpfle-Franz weiß schon, was er sagt. Aber ja, der Schmuggel! Weißt Du 'was?«
»Nun?« »Der – Der – na, Der ist der Pascherkönig!« »Franz!« »Schrei net so laut! Du hast's schon selber auch gedacht; es ist Dir nur schwer geword'n, dran zu glaub'n. Und den willst Du fang'n?!« »Hör', Path', das ist 'ne schlimme Sach'! Du bist klug, viel klüger als ich und als die Leut' hier denk'n; komm', gib mir gut'n Rath!« Wieder dauerte es lange, ehe eine Antwort erfolgte. Die Liebe zu Wilhelm trat mit Forderungen an Franz heran, welche an seinen bisherigen Plänen mächtig rüttelten. »Recht hast Du schon: der Köpfle-Franz ist gescheidter als sie Alle. Er sieht, was kein Anderer sieht, und weiß auch von dem Grenzhandel mehr als sie denk'n. Wenn ich Dir nun sag'n könnt', wo der Zettel zu find'n ist?« »Das weißt Du?« frug der junge Mann erstaunt und begierig zugleich. »Ich hab's erlauscht, 'mal in der Nacht; es war derselbe Jahrestag wie heut', und Du brauchst net zu wiss'n, wo ich da gewes'n bin. Aber unterwegs da hab' ich ausgeruht, und wie ich so still und ruhig dasitz', da kommt Einer und nachher wieder Einer und kurze Zeit drauf der Dritt'; sie Alle greif'n an den Baum, mach'n Zündholzfeuer, seh'n 'was Weißes an, was sie wieder zurücksteck'n, und geh'n nachher fort. Ich hab' gewartet, bis Keiner mehr gekommen ist und nachher die Sach' genau untersucht.« »Und was ist's denn gewes'n?« »Es ist mir alleweil niemals eingefall'n, Jemandem 'was davon zu verrath'n, aber Du, Du sollst es wiss'n Grad' am Born hinauf muß man nach dem Walde geh'n; da steh'n erst Dornbeer' und Erlen, nachher gibt's lauter Tannen, bis drei große Lärchen kommen, rechts vom Wasser, und die mittelste von ihnen, das ist die richtige. Sie hat zwei Ell'n über der Erd' einen kurz'n, dünnen Aststumpf, der aber net natürlich, sondern nachgemacht ist. Man kann ihn herausdrehn, und dann ist das Papier im Loch zu find'n.« »Warum wird es hineingesteckt?« »Weil der – der, na, der König Niemandem vorher wiss'n läßt, wo in der Nacht das Stelldichein ist; auf diese Weis' kann er net verrathen werd'n. Erst auf dem Zettel ist der Ort und auch die Zeit zu les'n, wo die Packete zu finden sind.«
»Ich dank' schön, Path'; gute Nacht!« Er war fort, ehe Franz nur noch ein Wort sagen konnte. Es hätte allerdings noch gar viel zu besprechen gegeben, aber nun er wußte, wo das Papier zu finden sei, war keine Minute Zeit zu verlieren, eiligen Laufes kehrte er zunächst zu den Eltern zurück. Diese wußten von seinem Verhältnisse zu Emma nichts und hatten sich seine schnelle Entfernung gar nicht erklären können. Jetzt erwarteten sie den Grund zu erfahren, sahen sich aber getäuscht. »Was ist denn los? Was willst denn mit den Dingern?« frug die Mutter, als er sofort nach seinem Eintreten nach dem Quersacke griff und die Revolver herausnahm. »Seht, wie rasch das geht,« antwortete er, nach den Patronen greifend. »Ich bin noch kaum einige Stund'n hier und weiß schon, wer der Pascherkönig ist!« »Wer denn, und woher hast Du's erfahr'n?« »Das kann ich noch net sag'n. Ich muß gleich wieder fort. Heut' gibt's ein Kapitalgeschäft, und ich werd' ihn dabei erwisch'n!« »Thu's net, Wilhelm! Bleib' zu Haus; es ist zu große Gefahr dabei, und Du mußt Dich doch auch erst anmeld'n!« rieth der Vater, welcher mit ängstlicher Scheu dem Laden der ihm fürchterlichen Waffen zusah. »Ich weiß ja noch gar net, wie's gehen wird! Erst muß ich erfahr'n, wo die Pascher zu find'n sind, und wenn ich dann noch Zeit hab', so lauf' ich um Hilfe. Ich will nur gleich das Schreiben einsteck'n, das ich vorzuzeig'n hab'. Legt mir den Schlüssel auf die Thür, wenn ich spät wiederkommen sollt'. Gute Nacht!« Vor dem Hause angekommen, lenkte er von der Straße ab gleich nach dem Walde ein. Es war ihm jeder Schrittbreit so wohl bekannt, daß er trotz der Dunkelheit und des Umstandes, daß er keinen der zahlreichen Feldwege einschlug, sondern quer über Felder und Wiesen lief, den Forst doch grad' bei der Stelle erreichte, wo das Wasser aus den Büschen in's Freie trat. Bisher hatte er wenig darauf geachtet, den Schall seiner Schritte zu dämpfen, nun aber war Vorsicht nöthig, obgleich er sie nur in so weit anwandte, als sie die Schnelligkeit des Vorwärtskommens nicht beeinträchtigte. Es war ihm nämlich ein Gedanke aufgestiegen, der ihn trieb, den Baum so bald wie möglich zu erreichen. Immer dem Bache entlang wand er sich durch die Erlen, schlüpfte dann, nur auf den Tastsinn angewiesen, durch das Tannendunkel und stand
endlich tief athmend vor den Lärchen. Mit beiden Händen den Stamm der mittleren untersuchend, fand er die Worte des Pathen vollkommen bestätigt. Der Aststummel ließ sich wie eine Schraube herausdrehen, und in der hinter ihm befindlichen Vertiefung stak ein Papier. Er faltete es aus einander, setzte ein Streichholz in Brand und las bei dem Scheine desselben die Worte: »11 Uhr – Mordloch.« Nachdem er einige Sekunden angestrengt gelauscht hatte, ob sich auch Niemand nahe, machte er abermals Licht und untersuchte den Zettel und den umliegenden Boden. Trotz der Weichheit des Mooses war in dem letzteren nicht die leiseste Spur eines anderen Fußeindruckes als des seinen zu bemerken, und das Papier zeigte eine Reinheit, Schärfe und Neuheit der Falten, welche es nicht gehabt hätte, wenn es schon durch mehrere Hände gegangen wäre. Seine Hoffnung hatte sich erfüllt: es war jetzt erst neun Uhr; die Pascher pflegten wohl erst später nach der Ordre ihres Anführers zu sehen, und er war also der Erste, welchem sie in die Hände gerathen war. Jetzt zog er sein Notizbuch hervor, nahm den Stift zur Hand und schrieb ungeachtet der Dunkelheit einige Worte auf ein leeres Blatt, welches er abriß, zusammen legte und in das Astloch steckte. Dann drehte er den Stummel wieder ein und begab sich, einen Umweg einschlagend, von der Stelle fort. Noch aber hatte er keine große Strecke zurückgelegt, als er den Schritt wieder anhielt. Er hatte sich noch eines Besseren besonnen. Das Mordloch war diejenige Stelle, an welcher einst der Lieutenant erschossen worden war; sie hatte von diesem Verbrechen ihren Namen erhalten. Aus dem, was Wilhelm bisher erlauscht und von Franz erfahren hatte, ließ sich vermuthen, daß dort die Waaren direkt an den Pascherkönig abgeliefert würden, und es sprachen Gründe dafür, daß dies nicht in Gegenwart Derer geschehen werde, welche bestimmt waren, die Packete weiter zu transportiren. Die berüchtigte Schlauheit des Anführers legte vielmehr den Gedanken nahe, daß er die Träger der einen Strecke nicht mit denen der anderen in Berührung kommen lasse; er hielt sich selbst stets inkognito und hatte seine Maßregeln jedenfalls wohl so getroffen, daß seine Untergebenen nicht nur sich unter einander so wenig wie möglich kennen lernten, sondern auch bei der Uebernahme und Bezahlung der Kontrebande nicht zugegen sein konnten. Und darauf
stützte Wilhelm seinen Plan. Wäre er jetzt zurückgekehrt, um Anzeige zu machen, so war es fraglich, ob die Betreffenden auch anzutreffen seien; mit den zwei Revolvern fühlte er sich dem Pascherkönige gewachsen, und wenn dieser wirklich identisch mit dem Dukatengrafen war, so stellte sich das Bild Emma's schützend vor den Vater, welchen das Herz gern schonend behandelt hätte, obgleich das Gewissen ihn schonungslos verurtheilen mußte. Er kehrte zu den Lärchen zurück und versteckte sich in der Nähe derselben so, daß er die Stelle vollständig zu übersehen vermochte. Je länger es dauerte, ehe er den Ersten nahen hörte, desto sicherer wurde er, daß noch Niemand das Papier gelesen habe. Endlich huschte Jemand herbei; der Schein eines Zündholzes flackerte auf und Wilhelm blickte in ein wohlbekanntes Gesicht. Es war ein Nachbar seines Vaters. In wenig Augenblicken hatte er sich wieder entfernt und zwar in der Richtung, welche auf dem falschen Zettel angegeben war. Die für den Lärchenbesuch bestimmte Zeit schien da zu sein, denn es kam jetzt Einer nach dem Andern und Jeder beobachtete dasselbe Verfahren. Wilhelm kannte sie alle. Der heutige Transport mußte allerdings ein bedeutender sein, denn erst der sechzehnte Mann schien den Schluß zu bilden. Es waren lauter Bewohner der Umgegend, und der heimliche Beobachter mußte im Stillen seinem Vater, welcher ihn vor der Feindschaft dieser Leute gewarnt hatte, Recht geben. Als Niemand mehr kommen wollte, erhob er sich und schlug die Richtung nach dem Mordloche ein. Es war kein weiter Weg, welchen er zurückzulegen hatte; aber das Fortkommen wurde durch den dichten Baumwuchs sehr erschwert und es verging daher eine geraume Zeit, ehe er in die Nähe des Zieles gelangte. Indem er sich jetzt vorsichtigen Fußes zwischen den Stämmen weiter schlich, hörte er zur Seite ein Rascheln der Zweige. Er blieb stehen, ließ den Mann an sich vorüberschlüpfen und folgte ihm dann nach. Fast kam es ihm vor, als sei es derselbe, welcher am Zaune des Dukatenhofes gestanden hatte. Es konnte nur noch eine ganz geringe Strecke bis zum Stelldichein sein, als eigenthümliche Laute ihn veranlaßten, den Schritt wieder zu hemmen. Ein Schrei erscholl, so heiser und kurz, als komme er aus einer fest zugeschnürten und nur für einen Augenblick frei gelassenen Kehle. Dann ließ sich eine hohnlachende menschliche Stimme vernehmen:
»Ja, schrei nur; es soll Dir doch nix helf'n! Heut' ist der Jahrestag, daß Du den Lieutenant erschoss'n hast, und ich bin dafür eingesteckt word'n. Dann bin ich alle Jahr' des Nachts zur selbigen Stund' hergekroch'n und hab' den Geist des Ermordeten gebeten, mir zu helf'n in meiner Rach', und nun hat er Dich hergebracht und in meine Hand gegeb'n grad' an der Stell', wo Du mich weg'n der Anna hast zu Tode bringen woll'n.« Ein tiefes, schweres röchelndes Stöhnen unterbrach ihn. »Gib Dir keine Mühe, loszukommen. Die Beine sind auf dem Dukat'nhof, aber die Hände hab' ich noch, und wen der Köpfle-Franz festnimmt, der wird alleweil nimmer wieder frei. Deine Frau ist todt und Du mußt ihr nach und wenn Du zehnmal der Schmugglerkönig bist; Du bist doch auch noch ein Anderer, Du bist der – der – na, Du weißt schon, wen ich meine, der mir das Herz aus dem Leib' geriss'n hat und mir das Leb'n vergiftet bis auf den heutigen Tag. Paß' auf, jetzt geht's mit Dir zu End'!« Er stand im Begriffe, den unter ihm Liegenden mit einem letzten Drucke zu erwürgen, aber es kam nicht dazu. Eine kräftige Faust packte ihn von hinten und riß ihn von seinem Opfer zurück, und zu gleicher Zeit flammte mit bleichem Lichte ein blanker Messerstahl durch das Dunkel. Der Mann, welcher an Wilhelm vorbeipassirt, war seinem Hauptmanne zu Hilfe geeilt; doch kam die gezückte Waffe nicht zum tödtlichen Stoße, denn auch er wurde ergriffen und von seinem Opfer fortgeschleudert. »Weg mit dem Messer, sonst helf' ich nach!« rief Wilhelm, der die Situation sofort erfaßt hatte. Der Mann gehorchte nicht, warf sich im Gegentheile mit dem Messer jetzt auf ihn. Wilhelm trat rasch zur Seite; der Schuß blitzte auf, und die Hand sank, die Waffe fallen lassend, zerschmettert nieder. Bei dem Pulverstrahle waren die blanken Knöpfe seiner Uniform zu erkennen; der Mann stieß einen unterdrückten Schmerzensruf aus und eilte fliehend von dannen. Als Wilhelm sich umwandte, sah er nur noch den Köpfle-Franz. »Wo ist der Pascherkönig, Path'?« »Fort!« lachte der Gefragte. »Das kannst Du Dir doch denk'n!« »Ich muß ihm nach – – –« »Halt, wart erst!« rieth Franz, ihn beim Arme haltend. »Sieh' 'mal daher!« Unter den Föhren, von wo aus einst der verhängnißvolle Schuß
gefeuert wurde, lag eine ganze Reihe mächtiger und wohlgeschnürter Packete. »Ich hab' mir's gedacht! Aber wie kommst Du hieher und in den Kampf mit dem Pascherkönig?« »Heut' bin ich wie alle Jahr hier, wenn's auch Niemand zu wissen braucht. Da hab' ich Alles geseh'n, die Leut', welche die Bündel bracht'n und dann wieder gingen, den Mann, der das viele Geld bekam, und den – den – na, den Pascherkönig, der nachher auf mich gestoß'n ist und hat mich umbringen woll'n. Aber da ist er an den Unrecht'n gekommen, denn wenn der Andere net gewes'n wär, so hätt' es keine Minute länger mit ihm gedauert. Nun aber ist er ausgeriss'n. Er hat Deine Montur geseh'n und gedacht, das ganze Militär ist da.« »Wart', bei dem Gedank'n woll'n wir ihn gern lass'n!« lachte Wilhelm und brannte in unregelmäßiger Pausenfolge noch einige Schüsse ab. Sodann lud er wieder und reichte einen der Revolver dem Pathen. »Hier, Franz, nimm, daß Du Dich wehr'n kannst, denn Du mußt dableib'n als Wache für die Päcke. Ich aber muß wiss'n, wer der Pascherkönig ist; ich spring' ihm nach.« »Dableib'n, das will ich schon, aber sag' mir nur, wie ich dies kleine Ding alleweil anzupack'n hab'!« Wilhelm erklärte ihm flüchtig die Konstruktion der Schießwaffe und entfernte sich dann. Er wußte, daß er dies wohl wagen dürfe, denn von den Schmugglern war keiner zu erwarten und allen anderen Fährlichkeiten gegenüber hatte der furchtlose Franz gewiß nicht die mindeste Bangigkeit. Wohin er seine Schritte zu lenken habe, das wußte er ganz genau. Der Pascherkönig nahm jedenfalls an, daß er erkannt worden sei, und daß man sofort nach seiner Wohnung eilen werde, um dort auszusuchen und ihn nach Umständen fest zu nehmen, und deshalb war er ganz gewiß bestrebt, sie noch vor seinen Verfolgern zu erreichen. Darum durchschnitt Wilhelm den Wald in gerader Richtung auf den Dukatenhof zu, ging, dort angekommen, nach der hinteren Seite des Gutes und nahm sich vor, den Bauer unter allen Umständen gleich als Schmugglerhauptmann anzureden; nach dem Verhalten desselben wollte er dann in Beziehung auf Emma auch das seinige einrichten. Diese Voraussetzungen zeigten sich als ganz richtig. Durch den würgenden Druck von Franzens Händen fast zur
Besinnungslosigkeit gebracht, hatte der Dukatengraf nicht diejenige Geistesgegenwart gehabt, welche nothwendig war, die Lage der Sache sofort zu begreifen. Er hielt sich wirklich von Militär und Grenzjägern überfallen und sah es als eine ganz besonders glückliche Fügung an, daß er ihnen entkommen war. Erst als er aus dem Walde in das freie Feld gelangte, gönnte er sich einen Augenblick Ruhe, um Athem zu schöpfen. »Verlor'n, Alles verlor'n!« murmelte er, ingrimmig die Fäuste ballend. »Das viele Geld ist hin, die köstlichen Packete sind fort, ich bin zum Bettler geword'n, grad' wie der Grunert-Franz. Und wenn mir nun noch der Klotz über die Beine geht, so schnall' ich mich in den Rollkast'n und fahr' mit ihm im Land herum zum Köpflemal'n. So weit hat's der Dukat'nbauer gebracht, und es ist nur noch tausend Wunder, daß mich keiner von den vielen Schüss'n, die sie mir nachgeschickt hab'n, getroff'n hat. Und das hab' ich Alles dem Bub'n zu verdanken, dem Wilhelm, der mir vom Garten weg nachgeschlich'n ist, um Rache an mir zu nehmen. Er hat den Handel belauscht und nachher die Buntröcke herbeigeholt. Ich hab' ihn gleich an der Stimm' erkannt, und er mag sich nun hüten, daß er mir net 'mal im Wege steht, sonst ist es aus mit ihm! – Auch der Franz, der Krüppel, der elende, hat sich vor lauter Rachsucht hinausgeschleppt. Hätt' ich ihn nur gleich erschlag'n!« Er warf die Hände drohend nach rückwärts und schritt dann dem Dorfe zu. »Ich muß mich sput'n, daß ich nach Haus' komm', sonst sind sie eher da und nehmen mich vom Felde weg! Ich geh' zu Bett', und nachher kann mir Niemand nix anhab'n. Aber durch's Dorf darf ich net, damit ich net gesehen werd'!« Dieser Umweg war die Veranlassung, daß er später als Wilhelm auf dem Hofe ankam. Er sah die Möglichkeit ein, daß die gefürchteten Verfolger schon eingetroffen sein könnten, und gebrauchte daher bei seiner Annäherung die äußerste Vorsicht. Nur in kriechender Stellung legte er den Weg durch den Garten zurück, und bei den beiden Stämmen angekommen, strengte er die ganze Schärfe seines Gesichtes und Gehöres an, um zu erfahren, ob Gefahr für ihn vorhanden sei. »Hab' mir's doch gleich gedacht,« bemerkte er in sich hinein; »dort lehnt Einer am Fensterlad'n, grad' da, wo damals der Franz gestand'n ist. Der hat's klug angefang'n, so daß ich net zur Thür
hinein kann, und die Scheune, die hat der Knecht beim Schlafengeh'n verschlossen.« Nach kurzer Ueberlegung beschloß er, zunächst nachzuforschen, mit wie viel Gegnern er es zu thun habe; das Weitere konnte sich erst nachher ergeben. Sich mit der ganzen Körperlänge immer hart am Boden haltend, kroch er langsam vorwärts, und es dauerte bei dieser mühsamen Fortbewegung sehr lange, bis er die Umgebung abgesucht hatte und nun einen Entschluß fassen konnte. Er kehrte zu den Stämmen zurück. »Es ist der Bub', der Wilhelm, und er ist ganz allein. Die Anderen steck'n sicher draußen und haben den Hof umzingelt. Ich muß hinein, und ich weiß, wie ich's zu Stande bring'. Wart', Spion, Du stehst mir recht, grad' so recht, wie damals der Franz, Dein Path', und diesmal soll's net blos die Beine kosten! Der Franz ist net gescheidt im Kopf, und was der sagt, das gilt nix vor Gericht, und Du, Du sollst den Weg zum Amt schon gar net finden!« Damit ein zweites Unglück verhütet werde, hatte man den Stämmen hölzerne Keile als Unterlagen eingeschoben. Er bewegte sich lautlos bis an die Vorderseite des ersten Klotzes und strengte alle seine Kräfte an, sie zu entfernen. An dem einen Ende gelang ihm dies nur nach langer vergeblicher Mühe, an dem anderen aber war es nun leichter, denn der Stamm hatte jetzt den festen Halt verloren und konnte schon durch einen einigermaßen kräftigen Stoß aus dem Gleichgewichte gebracht werden. Anstatt diesen Stoß von der Gartenseite vorzunehmen, bückte sich Graf zu dem zweiten Keile nieder – ein fürchterlicher Schrei erscholl durch die Nacht – ein dumpfes Rollen ließ den Boden erzittern – ein schmetternder Schlag machte das Haus erbeben, grad' wie in jener entsetzlichen Nacht, nur daß der Schrei heut' vor dem Anpralle erfolgte – dann herrschte auf kurze Zeit eine lautlose Stille über dem verhängnißvollen Orte. – – –
4. Gesühnte Schuld Der Winter war schon längst vergangen; der Frühling hatte seine Blüthenflocken bereits verschneit und es war Sommer geworden. Im Niederlande hatte man die Getreideernte bereits eingeheimst, im Gebirge aber wogte das goldene Aehrenmeer noch über die Felder, und nur hier oder da lag auf der Sonnenseite der Sommerroggen auf der Stoppel, um auf einige Tage gehörig nachzutrocknen. Es war wieder Sonnabend, aber nicht ein so kühler und düsterer, wie der im vorigen November, dessen Andenken noch nach so langer Zeit unter den Bewohnern des Dorfes die Frische seiner Farben nicht verloren hatte. Die Sonne war längst hinter den westlichen Bergen verschwunden, aber es lag noch immer warm und wohlig auf Wald und Feld, auf Flur und Dorf, und die Leute saßen nach vollendetem Abendbrode vor ihren Thüren, um sich den heimlichen Regungen hinzugeben, welche das Scheiden eines freundlichen Tages in jedem empfänglichen Menschenherzen hervorruft. Aus dem Forste trat ein junger Mann, der die hellen, munteren Augen liebevoll über das vor ihm liegende Thal gleiten ließ. »Grüß Gott, du altes gutes Nest da unt'n,« rief er fröhlich. »Da bin ich endlich und werd' nun auch net gleich wieder fortgeh'n!« Es war Wilhelm. Der bekannte Quersack auf seiner Schulter ließ schließen, daß er wie damals aus der Garnison zurückkehre. Gar nicht weit von ihm war trotz der vorgerückten Stunde eine weibliche Gestalt noch im Klee beschäftigt. »Wer ist denn das? Ich glaub' gar, das ist die Emma! Sie holt Futter für morg'n früh. Das ist doch Arbeit für das Gesind' und net für die Tochter! Und warum hat man denn den Wagen net genommen?« Er schritt den Rain entlang und schlich sich vorsichtig bis hart an sie heran. Sie bemerkte sein Kommen nicht. Die Hände über ihre Augen legend, frug er mit verstellter Stimme: »Sag', wer ist's?«
»Wilhelm!« »Errathen!« Er schlang den Arm um sie und zog sie an sich. »Willkommen, Emma! Wie geht's?« Ihre Augen waren geröthet und an den Wimpern glänzte es feucht; sie hatte geweint. »Willkommen, Wilhelm! Du fragst, wie's geht? Hast Du denn noch nix davon gehört?« »Was ist's, von dem ich gehört haben soll? Ich glaub' gar, Du weinst! Ist bei euch wieder 'was Ungutes passirt?« »Es ist nix Neues, und Du weißt's noch net, nur weil Du so weit von hier gewesen bist. Der Dukatenhof ist weg!« »Das ist doch nimmer möglich! Hat Dein Vater verkauft?« »Nein, noch schlimmer! Das Gericht hat ihn genommen; übermorgen ist die Versteigerung.« »Schau, das ist bös! Was sagt Dein Vater dazu?« »Der sagt nix, gar nix. Er sitzt von früh bis Abends droben in seiner Stub', starrt vor sich hin und spricht kein Wort. Und wenn ich auf ihn red', so antwortet er net, sondern nimmt mich nur immer bei der Hand und blickt mich an mit Augen, mit solchen Augen – ach, es ist zum Herzbrechen!« Sie legte ihren Kopf an seine Brust und schluchzte laut. Auch er war tief bewegt, und seine Stimme zitterte, als er nach einer stummen Pause frug: »Kannst Du Dir denken, wer schuld ist an dem Unglück, Emma?« »Wer?« »Ich!« »Du?« Sie blickte unter Thränen erstaunt zu ihm empor. »Ja, ich! Wenn ich den Pascherkönig net hätte fangen wollen, so wär' gar nix von alledem passirt. Aber die Prämie hat mir in die Augen gestochen, und nachher – – nachher hab' ich sie doch net haben mögen!« »Das hat doch nix mit dem Vater zu schaffen!« Er schwieg. Sie ahnte nichts von dem wahren Sachverhalte und fuhr zögernd fort: »Und die Geschichte von dem Lieutenant und dem Köpfle-Franz hast wohl auch noch net gehört?« »Daß der ihn erschossen haben soll? Warum soll ich das noch net gehört haben? Das weiß doch jedes Kind!«
»Nein, es ist anders gewesen! Jetzt ist der Richtige heraus, der's gethan hat.« »Ist's wahr?« klang es rasch und erfreut. »So ist der Pathe endlich gerechtfertigt! Wer ist's gewesen?« »Ach, Wilhelm,« schluchzte sie mit erneuter Heftigkeit, »nein, das kann ich Dir gar net sagen!« »Warum?« »Es ist – so fürchterlich, und ich, ich konnt' es gar net glauben. Ich hab' geweint Tag und Nacht und mich vor den Leuten versteckt, als ob ich's selbst gewesen wär'.« Er ließ erschrocken seinen Arm von ihr gleiten, denn ihm ahnte, was ihr das Sprechen so schwer machte. »Sag's net, Emma, sag's net; ich werd's auch so erfahren!« »Siehst Du,« jammerte sie, als sie sich von ihm losgelassen fühlte, »daß Du nun gleich auch nix mehr von mir wissen magst! Und ich kann doch net dafür!« Sie verbarg ihr Gesicht in die Schürze und wendete sich von ihm ab. »Emma, bleib da. So hab' ich's net gemeint! Es ist ja nur der Schreck gewesen, nix Anders! Komm' her und sei ruhig; Du weißt doch, daß ich Dich lieb hab' und niemals von Dir lassen werd'!« Er nahm sie wieder an sich und zog ihr die Hände vom Gesicht. Erst jetzt bemerkte er, wie blaß und leidend dasselbe geworden war, und mit inniger Theilnahme küßte er ihr die Thränen aus den Augen. »Auch net, wenn – wenn der Vater in – in das Zuchthaus muß?« forschte sie stockend. »Auch dann net; das darfst Du sicher glauben! Aber vielleicht kommt's net so weit. Wissen's denn die Leut' und auch schon die auf dem Gericht'!« »Ja, der Vater hat sich doch selbst angezeigt! O, Wilhelm, diese Zeit werd' ich nimmer vergessen! Das kam Alles Schlag auf Schlag: erst das Unglück mit dem Klotz, nachher die Anzeige wegen dem Mordloch, dann nahm uns der Agent die Ernt', und das Vieh mußte deshalb aus dem Stall; nun ist der ganze Hof verloren, und wer weiß, was Alles noch weiter folgen kann!« »Daß es so schlimm steht, hab' ich mir net gedacht! Ich bin damals gleich wieder fort, und von den Eltern hab' ich keinen Brief erhalten. Aber sei doch ruhig; der liebe Gott wird schon helfen, daß es besser geht, als wir jetzt denken. Komm', nimm den Korb, wir
wollen nach Hause gehen!« Er half ihr die Last aufnehmen, und dann schritten sie langsam dem Dorfe zu. »Ich bin später eingetroffen, als ich eigentlich wollt',« begann er, um ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben; »aber ich war erst drüben im Bad, weil ich den König gern sehen wollt'.« »Ist er da?« »Ja. Die Königin gebraucht die Kur, das hast Du wohl auch schon gehört, und heut' hat er sie besucht, um einige Tage bei ihr zu bleiben. Der Ort war voller Menschen, die von allen Seiten herbeigekommen sind, grad' wie zum Jahrmarkt, und die Herrschaften sind Arm in Arm durch das Volk gegangen und haben im ganzen Gesicht gelacht vor Freud', als die Hüt' und Mütz'n ringsum in die Höhe geflogen sind und Alles ›Vivat hoch!‹ gerufen hat.« Er erzählte weiter und es gelang ihm, sie in eine weniger traurige Stimmung zu versetzen. Bei dem Dukatenhofe angekommen, hemmten sie ihre Schritte. »Wie lange bleibst Du jetzt da?« erkundigte sich Emma. »Für stets.« »Ist's wahr?« rief sie erfreut. »Gehst net wieder fort?« »Wenn Du mich net fortschickst, nein! Meine Zeit ist um und ich mag net weiter dienen. Zwar hat es mir ganz gut gefallen und ich bin auch vorgerückt; darum haben sie mir viel zugesprochen, daß ich bleiben soll, aber die Emma ist mir lieber als die Muskete, und die Eltern brauchen mich auch notwendiger als der König. Ich könnt' wohl' 'mal 'ne gute Versorgung haben, doch das liegt noch weit im Feld', und hier wird sich wohl auch 'was für mich finden. Wenn Du in Noth und Sorgen bist, so mag ich net fort sein, sondern will bei Dir bleiben!« »Dir kann's ja nimmer fehlen! Du bist ein tüchtiger Bauer, das ist besser als Soldat, und dann hast Du ja auch den Antheil von den Packeten, die Du damals den Paschern abgenommen hast. Das ist ein schönes Stückchen Geld, denn der Köpfle-Franz hat seinen Part net annehmen wollen und Dir überlassen, net wahr?« »So ist's. Aber es geht mir auch wie ihm: ich mag's net haben. Zwar ist's kein Sündengeld, aber es brennt mir in die Hand und wird nie Segen bringen. Der, dem's gehört, soll's wieder haben!« »Kennst Du ihn denn?«
»Ich werd' ihn schon erfahren. Und nachher ist – –« »Geh' fort!« unterbrach sie ihn. »Der Vater! Mach schnell,« fügte sie ängstlich hinzu, »sonst sieht er Dich!« Er drehte sich ruhig und ohne ein Zeichen des Schreckens nach dem Eingange um. Dort erschien ein Mann, dem, ganz wie dem Köpfle-Franz, die Beine fehlten, und welcher auch wie dieser den Oberkörper in einen Rollkasten geschnallt hatte. Der schwarze, dichte Bart war lange Zeit nicht verschnitten worden, hing ihm fast bis auf die Brust herab und bildete einen höchst auffallenden Kontrast zu dem schneeweißen Kopfhaare, welches sich lang und glatt über den bleichen, hohläugigen Schädel legte. Es war der Dukatengraf; eine einzige Nacht hatte sein Haar erbleicht, eine einzige Nacht hatte ihn aus der Höhe, in der er sich wähnte, in die Tiefe gerissen. Sein Auge hatte die Gruppe erfaßt. »Bleib' steh'n, Wilhelm, brauchst Dich net zu fürcht'n, denn ich kann Dir nix mehr anhaben!« Er schob sich mit den beiden Hölzern, welche er, gerade wie der Köpfle-Franz, in den Händen hielt, herbei und wandte sich an Emma: »Ich werd jetzt meine erste Ausfuhr machen, net mit der Staatskaross' und net mit dem Braunen, den mir der Baron abgenommen hat, sondern hier auf dem Bußwagen, den ich mir wohl erworben hab'. Laß die Thür offen; ich werd' erst spät wieder zu Haus sein!« Dann legte er das Holz auf die Erde und hielt dem jungen Manne die Rechte entgegen: »Wilhelm, Du hast 'mal zu mir gesagt, daß die Ohrfeig', die ich Dir gegeben hab', mit auf die Rechnung kommen soll. Sie hat net d'rauf gestanden, sie konnt' net d'rauf steh'n, und darum hast hier meine Backe oder meine Hand. Schlag zu, oder, wenn Du mir verzeihen willst, so reich' mir Deine Hand.« Der Angeredete war so erschüttert von dem Anblicke des einst so stolzen und der Demuth des einst so selbstgerechten Mannes, daß er kaum zu reden vermochte. Er gab ihm beide Hände. »Herr Graf, ich hab' Ihnen ja längst verzieh'n; Gott gebe, daß ich es Ihnen beweis'n kann!« »Das kannst Du, Wilhelm. Sei gut gegen die Emma und verlaß sie net, wenn ich fort sein werd'! Sie ist besser als ihr Vater, tausendmal besser, und Ihr werdet glücklich mit 'nander sein. Jetzt
aber muß ich fort. Geht nur immer hinein in die Stub', und Du, Wilhelm, grüß' mir auch Deine Mutter, die Marie; ich bin net werth, daß solch' Gesind' in meinem Haus gewesen ist!« Vier Augen blickten ihm nach, als er sich jetzt mühsam und unbeholfen entfernte, aber die Thränen, welche sie füllten, ließen seine Gestalt in's Undeutliche fließen. Emma schluchzte laut und krampfhaft, und Wilhelm hatte sich an den Zaun gelegt, als müsse er gegen die auf ihn einstürmenden Gefühle eine feste Stütze suchen. Graf schob sich das Dorf hinauf. Auf beiden Seiten der Straße eilte der Ruf von Haus zu Haus: »Der Dukatenbauer kommt; paßt auf! Wo wird er hinfahren?!« Er nickte, still grüßend, nach rechts und links und verfolgte unbekümmert um die ihm in einiger Entfernung nachkommenden Neugierigen seinen Weg bis an das Haus des Köpfle-Franz. Thüre und Läden waren geschlossen. Er klopfte an. »Wer ist drauß'n?« frug der Besitzer des Häuschens von innen. »Mach' auf, Franz; ich bin's, der Heinrich!« »Welcher Heinrich?« »Nun, der – der – der vom Dukat'nhof.« »Bleib' draußen! Bei mir darf Niemand ein, und Du erst gleich gar net!« »Mach' nur immer auf. Ich hab' Dir 'was zu sagen!« »Sag's Andern! Von Dir mag ich gar nix hören!« »Du wirst's schon hören woll'n; es ist 'was von der Anna.« »Von der Anna? Was denn?« »Laß mich nur erst ein, dann werd' ich Dir es sagen.« »Geh' fort! Von Dir mag ich nix wissen, auch über die Anna net.« »Es sind zwei Brief' von ihr, die ich Dir bring'!« »Zwei Brief'? Wer hat sie geschrieben?« »Sie selber. Bitt' schön, laß mich ein!« »So komm'!« Die Thüre wurde geöffnet. Im Flur war es dunkel, aber in der Stube brannten die beiden Kerzen zu Seiten des Tisches und ihr Schein fiel verklärend über das aufgeschlagene Bild der Verstorbenen. Es war ein wichtiger, ein großer, ein entscheidender Augenblick für die beiden Männer, welche sich jetzt in dem ärmlichen Raume gegenüber standen oder vielmehr gegenüber kauerten. Die Augen
des Köpfle-Franz funkelten glühend und voll unsagbaren Hasses auf den Zerstörer seines Lebensglückes, und es zuckte über seine Gestalt, als müsse er sich beherrschen, um nicht über ihn herzufallen. Aber je länger er ihn betrachtete, desto mehr verschwand der drohende Ausdruck seines Gesichtes, die Hände entballten sich und in ruhigerem Tone erklang es: »Komm' näher; hast nix zu fürcht'n!« Graf's Auge fiel auf das Bild. »Darf ich hin?« »Ja; aber net angreifen!« Er schob sich an den Tisch; aber nicht lange hatte sein Blick auf den bekannten schönen Zügen geruht, so wandte er das Angesicht zur Seite und ließ den Kopf zur Erde sinken. Franz näherte sich ihm. »Hast Du sie denn auch lieb gehabt?« »Lieb gehabt?« frug Graf erstaunt. »Nein, net lieb gehabt hab' ich sie, sondern wahnsinnig in sie bin ich gewesen, sonst wäre ich doch net das, was aus mir geworden ist! Aber sie hat mich net leiden mögen all' ihr Lebelang, und da bin ich immer mehr auf die schlechte Seit' gefallen, das Herz ist mir versteint und ich hab' nur Gefallen gefunden an dem, was and're Leut' verdrossen und geärgert hat.« »Sie hat Dich net leiden mög'n?« ertönte es hastig und mit zitternder Stimme. »Nein, niemals, blos weil sie Dich lieb gehabt hat.« »Mich lieb gehabt? Aber sie ist doch Deine Frau geword'n!« »Weil sie gemußt hat. Als ihr Vater todt war, hat ihr die Mutter in den Ohren gelegen, weil der es um die Versorgung zu thun gewes'n ist. Und ich, ich hab' Alles hervorgesucht, um ihren Willen zu brechen. Ich hab' gesagt, daß ich im Mordloch gewesen bin und gesehen hab', daß Du ihren Vater wirklich erschossen hast, und daß ich gegen Dich zeugen und schwören wolle, wenn sie net meine Frau werd'. Das hat geholfen. Um Dich zu retten hat sie endlich ›Ja‹ gesagt.« »Um mich zu retten!« jauchzte Franz. Seine Liebe hatte im Laufe der Jahre eine vollständig ideale Richtung genommen; er dachte nicht an die bodenlose Schlechtigkeit, welche in dem Verhalten Heinrichs gelegen, dachte nicht daran, daß gerade dieser Beweis von Liebe ihn um ihren Besitz gebracht hatte, sondern er fühlte nur die furchtbare Last von sich genommen, welche der
Gedanke, daß ihr Herz dem Dukatengrafen gehöre, auf ihn geworfen hatte. Unter ihrem Drucke hatte er mehr gelitten als unter der äußeren Verstümmelung, sie hatte auch die Kräfte seines Geistes gebrochen und ihn zu dem »Verrückten« gemacht, der von den Unverständigen verspottet und von den Einsichtsvollen bemitleidet wurde. »Ja, nur um Deinetwillen. Sie hat mir das auch nie verschweigen mögen. Wenn Du unter den Bäumen gelegen bist, so hat sie im Garten gestanden und geweint und nach Dir hingeblickt, und wenn Du auf Reisen gewesen bist, so ist sie an Dein Haus gegangen und hat stundenlang vor Deiner Thür' gesessen. Ich hab's net leiden wollen, aber sie ist mir immer wieder entschlüpft, und da ihr euch dabei doch nie getroffen und gesprochen habt, so bin ich endlich auch darüber still geworden.« Franz athmete förmlich jedes dieser Worte von den Lippen des Sprechers; seine Züge wurden hell und immer heller und in tiefen Stößen drang der Athem aus seiner sich erleichternden Brust. »Da ist sie doch immer mein geblieben und gar niemals Deine Frau gewesen!« rief er mit freudestrahlendem Angesichte. »Ja. Ich hab' sie um ihr Glück betrogen und dabei ist mir Alles zum Unheil ausgefallen. Auf Dich wollt' ich schießen und ihren Vater hab' ich getroffen; nachher sollte Dich der Klotz todt machen, aber Du bist – – –« »Der Klotz? Der ist net von selber auf mich gerollt?« »Nein; das muß ich Dir Alles sagen, denn deshalb bin ich ja heut' zu Dir gekommen. Ich hab' ihn fortgerollt, damit er Dich hat treffen soll'n.« »So ist's doch wahr, was ich mir net hab' denken können, weil's gar zu grausig schlecht gewesen ist! O Du doppelter und dreifacher Mörder, Du bist doch ein wahrer Teufel in Menschengestalt und solltest grad' von unten auf gerädert werden!« »Franz, das bin ich ja auch schon! Siehst's net? Und in meinem Alter hat das mehr zu bedeuten als damals, wo Du noch jung gewesen bist. Seit ich die Schul' verlassen hab', ist mir der Glaube an Gott abhanden gekommen, jetzt aber weiß ich, daß es wirklich die Gerechtigkeit gibt, die in der Bibel steht: ›Auge um Auge, Zahn um Zahn‹. Dir hab' ich die Füß' genommen, nun sind mir die meinen auch zermalmt; und dasselbe Holz hat's gethan, was ich auf Dich gestoßen hab'! Der liebe Gott hätt' vielleicht noch Nachsicht gehabt
mit mir, aber weil ich auch den Wilhelm hab' zerschmettern wollen, so – – –« »Auch den Wilhelm? Geh fort, Graf, geh, ich kann's net länger hören! Ich hab' vorhin gesagt, daß Du in meiner Stub' alleweil nix zu fürchten hast, d'rum geh, mach schnell zur Thüre hinaus, daß ich mein Wort net brechen thu'!« »Nein, Franz, laß mich nur da, denn Du mußt Alles wissen! Meinetwegen magst Du auf mich schlagen wie Du willst, ich nehm' es ruhig hin, wenn ich Dir nur beichten darf, was ich an Dir verbrochen hab'! Hast's net gehört, daß ich mich schon beim Gericht selbst angezeigt hab', von wegen dem Lieutenant? Ich braucht's net zu thun, aber Du sollst gerechtfertigt sein. Sie haben mich blos deshalb noch net abgeholt, weil ich bisher krank gewesen bin und net ausreißen kann. Wenn meine Buß' hier zu Ende ist, werd' ich mich gefangen geben. Heut' bin ich bei Dir, morgen geh' ich in die Kirch', übermorgen laß ich mich aus dem Dukat'nhof weisen und Dienstag fahr' ich mit meinem Karren nach dem Zuchthause. Ich will Alles thun und Alles tragen, denn ich hab's verdient, und die Emma wird – –, ach Gott, mein Kind, mein gutes, liebes, unschuldiges Kind – –!« Es wurde still in dem Raume. Der Eine hatte ausgekämpft und beugte sich unter den Konsequenzen seiner Thaten. In dem Innern des Anderen tobte der Kampf noch fort, ja, er war jetzt erst von Neuem ausgebrochen und versetzte die Fluthen seiner Seele in einen Aufruhr, der unmöglich in wenigen Minuten zu bezwingen war. »Und noch Eins muß ich Dir gestehen,« fuhr der Dukatenbauer endlich fort. »Damals, als Du aus meinem Hofe geschafft warst und krank zu Haus' lagst, wo die Marie Dich pflegte, da ist die Anna alle Tag gekommen und hat sie gefragt; wie's mit Dir steht. Nachher hat sie ein Schreiben gemacht an Dich, was die Marie Dir geben sollt', ich aber bin darüber gerathen und hab' ihr's konfiszirt. Hier ist's. Ich bin in tausend Nächten darüber gesessen und hab's mit Grimm und Aerger immer wieder lesen müssen.« Franz griff begierig nach dem Papiere, es war zerknittert und beschmutzt und mußte allerdings viel in Gebrauch gewesen sein. Die Nähe des Lichtes suchend, saugte der ungeübte Leser die Worte langsam von dem Zettel, wiederholte jeden Satz, bis er ihn seiner Seele einverleibt fühlte, und als er zu Ende war, wandte er sich mit zuckenden Lippen zu dem Nebenbuhler:
»Schau, Graf, die Stöß' dort unter'm Ofen, das Alles ist nur ihr Bild, nur immer wieder ihr Kopf. Ich hab' gebettelt und gehungert, um Papier zu haben, hab' Tag und Nacht und Jahre lang gesessen, ehe ich ihn ähnlich brachte, aber ich geb' all die Bilder hin für diesen einen Brief, und den bekommst net wieder, der geht alleweil mit mir in's Grab.« »Du sollst ihn auch behalten, dafür hab' ich ihn hergebracht. Hier ist noch einer; den hat sie geschrieb'n gleich vor dem Tod. In ihrer letzt'n Stund' mußt' ich ihr versprechen, daß ich ihn Dir selber bringen wollt'. Es ist geblieben bis heut'; warum, das kannst Du Dir denk'n.« »Zeig' her!« Er war nur kurz, aber sein Inhalt brachte einen tiefen Eindruck, eine außerordentliche Wirkung auf Franz hervor. Mit geschlossenen Lidern lehnte er an der Wand; die widerstreitenden Empfindungen seines Innern gingen in bald zornigen, bald milderen Zügen über sein matt erleuchtetes Gesicht, Minute um Minute verrann, die Lichter brannten herab, zischend und flackernd verlöschte eines nach dem anderen, es wurde dunkel in der Stube und noch immer regte er sich nicht. Endlich, endlich klang ein langer, schwerer Seufzer durch die Stille. »Heinrich!« »Franz!« »Ich hab' Dir vergeben!« »Franz, ist's möglich, ist's wahr?« »Ja! Die Anna hat's gewollt; in dem Brief', da steht's geschrieb'n, und da will ich's auch thun. Wir sind Freund gewesen von Jugend auf bis an den Tag, wo meine Liebe zu ihr uns getrennt hat, meine Liebe zu ihr soll uns nun in unseren alten Tagen auch wieder zusammenführen. Sie hat Dir vergeben in ihrer Todesstund', ich will auch Alles vergessen und nimmer wieder davon reden so lang ich noch leb'!« »Gib mir Deine Hand d'rauf, Franz!« »Die sollst Du haben, aber net hier, wo meine Flüch' über Dich zum Himmel gestiegen sind, hier ist's net heilig genug dazu; komm mit!« Sie verließen das Haus. Längst schon war es Nacht geworden und tiefe Ruhe lag über dem Dorfe. Schweigend folgte Heinrich seinem Führer, welcher
denselben Weg nahm, den Graf vorhin herauf gekommen war. Die Schänke wurde zugeschlossen, und der letzte Gast, welcher sie verließ, kam ihnen mit langsamen Schritten entgegen. Als er die beiden außergewöhnlichen Gestalten bemerkte, blieb er stehen. »Das ist ja der Köpfle-Franz mit dem Dukatengrafen! Ich bin schon oft bei Dir gewesen, Franz, hab' aber net hinein gekonnt.« Es war der alte Ortsvorsteher. »Ist auch net nöthig. Zu mir braucht Niemand zu kommen; Du auch net.« »Ich wollt' Dir nur sagen von wegen damals, als ich Dich bei Deiner todt'n Mutter traf, daß ich Dir Unrecht gethan hab'.« »Das brauchst Du mir net zu sagen, das hab' ich schon ganz von selber gewußt. Der Franz hat damals ohne Dich fertig werden müssen, er braucht Dich heut' auch net. Mach', daß Du nach Hause kommst!« Die Begegnung mit dem Manne, der dem Trostbedürftigen einst so hart entgegen getreten war, hatte seine jetzige Stimmung wie eine Entweihung berührt. Er entfernte sich, so schnell es seine Gebrechlichkeit gestattete. An der Kirche angekommen, lenkte er nach dem Gottesacker ein, dessen Thüre niemals verschlossen war. Heinreich folgte ihm. Er wußte nun, wohin der Weg gehen sollte; es war derselbe, welchen er auch unternommen hätte, wenn er allein von seinem bisherigen Feinde zurückgekehrt wäre. Das Grab war trotz der Dunkelheit leicht gefunden; der feine Duft der Reseda zeugte davon, daß der Hügel in einer liebevollen Pflege stehe. »Komm her, Heinrich. Ich hab' mich von der Todten gewandt', weil sie die Dukatenbäurin war; das hat sie net verdient, und d'rum werd' ich's wieder gut machen: Bleib' drüben, sie soll mitten zwischen uns sein. So; und nun reich mir Deine Hand herüber und sie mag hören, was ich Dir alleweil' sag: Was Du an uns gethan hast, das ist so gut als hättest Du's niemals gethan. Es wird kein Mensch jemals davon ein Wort aus meinem Munde hören. Wir wollen nun wieder Freunde sein, uns Lieb's und Gut's erzeigen und immerfort so hand'ln, daß sie mit uns zufrieden ist! – Und nun, Heinrich, nun wollen wir beten!« »Franz, wart' noch!« Man hörte es der Stimme an, in welcher Bewegung sich der Sprecher befand. »Wir dürfen net heimlich beten, sondern laut. Ich hab's heut hier thun wollen auch ohne Dich,
und daß Du mit dabei bist, das soll's net anders machen. Als ich krank und zerschlagen im Bett' gelegen bin, da hab' ich das Buch vor mir liegen gehabt und das Lied auswendig gelernt, das sie sich zum Begräbniß bestellt hat. Es soll auch 'mal bei dem meinigen gesungen werden. Und jetzt, jetzt will ich davon bet'n!« Er faltete die Hände. Es war heut ein Tag der Sühne, und eine Sühne sollte es auch sein, die er jetzt an dem Orte brachte, wo sich sein Hochmuth gegen die Stimme des göttlichen Wortes empört hatte. Wolken verhüllten das Firmament; nur hie und da blickte aus dem unendlichen Raume ein Stern vorübergehend zwischen ihre zerrissenen Schleier hindurch; schwarz und gespenstisch ragte die Kirche in die Nacht empor; die Lüfte schwiegen, kein Laut ließ sich hören, kein Lebenszeichen drang über die alten, halb zerfallenen Kirchhofsmauern herein zu den beiden Männern. Da rasselte es plötzlich wie rollendes Eisen im Innern des Thurmes, die Kirchenuhr hatte ausgehoben, ihre vom Roste zerfressene Maschinerie erzitterte, krachte und stöhnte unter der Schwere der Gewichte, und mit tiefen, mahnenden Schlägen ertönte die zwölfte Stunde durch das Thal. Als der letzte Ton verklungen war, begann der Dukatengraf: »O Ewigkeit, du Donnerwort, O Schwert, das durch die Seele bohrt, O Anfang sonder Ende. O Ewigkeit, Zeit ohne Zeit, Vielleicht schon morgen oder heut Fall ich in deine Hände. Mein ganz erschrock'nes Herz erbebt, Daß mir die Zung' am Gaumen klebt!« So wenig sich Franz um die Leute zu bekümmern pflegte, er hatte doch von dem Verhalten Heinrichs an dem Grabe Anna's gehört, und darum wußte er, was das Lied in der jetzigen Stunde bedeuten solle. Der heutige Tag hatte die Versöhnung zu schnell von ihm gefordert, als daß sich nicht ein Rest des alten langgenährten Hasses in irgend einem Winkel seines Herzens hätte verbergen können; aber was davon ja noch übrig geblieben war, das wurde durch die Erschütterung des gegenwärtigen Augenblickes gelöst und wich der tiefen Reue des einst so harten, jetzt aber
schwer getroffenen Sünders. Dieser fuhr nach einer kurzen Pause fort: »Wach auf, o Mensch, vom Sündenschlaf, Ermunt're Dich, verlor'nes Schaf, Zu einem neuen Leben. Wach auf, denn es ist hohe Zeit Und Dich ereilt die Ewigkeit, Dir Deinen Lohn zu geben. Zeig' reuig Deine Sünden an, Daß Dir die Gnade helfen kann!« »Amen!« erscholl es von vier Lippen, und Franz reichte seine Hand zum zweiten Male über das Grab hinüber. »Das Lied hat nur Dir gegolten, Heinrich, aber es hat auch mich getroffen. Du hast Deine Sünden angesagt und darum soll Dir auch die Gnade helfen. Was das sagen soll, das wirst Du bald von mir hören. Jetzt aber bitt' ich, geh', Heinrich! Laß mich allein hier bei der Anna. Was zermalmt gewesen ist in mir, das ist heut' plötzlich heil geworden; aber mein armer Kopf ist's net gewöhnt und muß hier ruh'n, bis er's ertragen kann. Schlaf wohl!« »Gute Nacht! Segne Dir's Gott tausend Mal, was Du heut' an mir gethan hast. Ich vergeß Dir's nimmer!« Er verließ den Kirchhof. Als er den Hof erreichte, fand er das Thor noch offen. Emma hatte auf ihn gewartet, und Wilhelm befand sich bei ihr. Sie hatten Sorge um ihn gehabt und waren ihm nun behilflich, die Treppe hinauf in seine Stube zu kommen. Dort blieb der junge Mann bei ihm zurück. »Ich möcht' Sie gern 'was fragen, Herr Graf,« begann er, als Emma sich entfernt hatte; »und darum bin ich so lang auf dem Hof geblieben. Darf ich?« »Frag' nur immer, Wilhelm! Wenn ich kann, so werd' ich Dir gern Bescheid sagen.« »Sie haben am End' wohl auch davon gehört, daß ich für die Packet', die ich damals im Walde fand, Geld bekommen hab'. Das mag ich net behalten! Ich hab's zwar net gestohlen, aber ich hab's doch mit Gewalt Dem abgenommen, der's für die Waar' gegeben hat. Nun möcht' ich's wohin legen, wo der es finden kann, dem's gehört. Darf ich Ihnen den Ort sagen, damit Sie mir der Zeuge sind,
wenn es vielleicht 'mal nöthig sein sollt'?« »Wilhelm, Du bist ein braver Mensch, das seh' ich jetzt schon wieder. Mit dem Schweigen über die beiden Leute, die Du damals getroffen hast, da sollst Du Deinen Willen haben, aber das Geld, das behalt' in Gottes Namen. Den Du meinst, der nimmt es doch net wieder, und weil Du es hast, grad' erst recht net. Und wenn Du die Emma wirklich lieb hast, so kannst's doch wohl gebrauchen!« »Ist's denn auch wahr, daß ich sie nehmen darf? Sie ist das Kostbarste, was ich nächst den Eltern hab', und wenn sie meine Frau ist, so soll es sicher keinen Anderen geben, der Ihnen ein guter Sohn ist, so wie ich!« »Ja, Du sollst sie haben; hier meine Hand darauf! Ich denk', daß Du ihr nix entgelten läßt von dem, was an dem Vater net recht gewesen ist.« – Seit langen, langen Jahren war es heut' das erste Mal, daß Heinrich sich mit der Genugthuung zur Ruhe legte, welche die Erfüllung einer Pflicht als Segen mit sich bringt. Sein Schlaf war fest und ungestört und als er erwachte, fühlte er sich nicht nur körperlich gestärkt, sondern auch innerlich befestigt, und die Zukunft erschien trotz ihrer schweren Schatten ihm nicht so dunkel wie vorher. Als er das Fenster öffnete, um die frische, würzige Morgenluft hereinstreichen zu lassen, gewahrte er den Köpfle-Franz, welcher das Dorf herab kam und Miene machte, zu passiren ohne herein zu kommen. Er winkte ihm. »Nachher!« rief der auf's Neue gewonnene Freund über den Zaun herüber. »Ich muß zum Bad!« Es war Sonntag, und als die Glocken zur Kirche läuteten, folgte auch Einer, der seit fast einem Menschenalter nicht in seinem Stuhle gesehen war, ihrem Rufe. Die Augen der Anwesenden waren mehr auf ihn gerichtet, als auf den Pfarrer, er aber schien dies nicht zu bemerken, sondern lauschte den Worten des Letzteren, der den seltenen Zuhörer gar wohl bemerkt hatte und, von der Aenderung seines Sinnes überzeugt, gar manchen tröstenden und erhebenden Wink einfließen ließ, von welchem in dem Konzepte seiner Rede nichts zu lesen war. Als er nach Hause kam, fand er zwei Gäste vor, die eben aus dem leeren Stalle traten. Es war der Baron mit dem Agenten. Sie hatten wegen der morgenden Versteigerung einen Rundgang durch den Dukatenhof unternommen und begrüßten ihn in einer ganz
anderen Weise, als es früher geschehen war. Wilhelm hatte ihren Begleiter gemacht. »Guten Morgen, Dukatengraf!« meinte der Baron. »Wo hast Du heut' Deine Kette gelassen? Und an dem Rocke hier sind doch schwarze Knöpfe!« »Die Dukaten hab't ihr, und die schwarzen Knöpfe hab' ich. Wollen seh'n, wer das Seine am längsten behält!« »Oho, bist Du heut' patzig! Aber wahr ist's, die Dukaten haben wir und auch noch mehr dazu. Schau her!« Er zog ein Portefeuille aus der Tasche und entnahm demselben mehrere kleine, sorgfältig eingeschlagene Päckchen. »Das ist der Preis für den Dukatenhof, der morgen unser wird. Du warst kein dummer Kerl, aber gekauft haben wir Dich doch, und wenn das Gut zerschlagen ist, so sind wir hier fertig und versuchen es wo anders mit einem noch Gescheidteren.« »Das könnt ihr thun, wenn ihr den Hof auch wirklich bekommt. Jetzt aber bin ich noch hier und die Straße da draußen ist euer. Macht, daß ihr mit einander hinauskommt!« »Gut, Du sollst Deinen Willen haben, Dukatenmann; aber morgen hörst Du auch den uns'rigen und dann ist's umgekehrt!« Mit stolzen, selbstbewußten Schritten ging er davon. Auch der Agent hatte nach einer Brieftasche gegriffen und sie geöffnet. Ohne ein Wort des Abschiedes konnte er unmöglich den Platz verlassen. Er trat hart an Graf heran, hielt ihm das geöffnete Notizbuch vor die Augen, blinzelte ihn höhnisch durch den blauen Klemmer an und frug: »Sehen Sie diese Ziffern, Herr Graf? Das ist bei Heller und Pfennig, was Sie im Spiel zum Fenster hinaus geworfen haben und von uns natürlich aufgefangen worden ist. O, wir führen sehr genau Buch, und wenn Ihnen an diesen Notizen gelegen ist, so will ich sie Ihnen zur Verfügung stellen. Sie können sich die Zeit damit vertreiben, wenn dieselbe ihnen jetzt nun wegen dem Lieutenant etwas lang gemacht wird! Und was – – –« Er konnte seine Abschiedsrede nicht vollenden, denn Wilhelm hatte ihn bei der letzten Wendung derselben beim Kragen genommen und brachte ihn mit solcher Geschwindigkeit vor das Thor hinaus, daß sogar der Klemmer von dem gewaltsamen Fortschritte ergriffen wurde und trotz des weiten Weges bis vor auf die Nasenspitze rutschte. Ihn wieder an den gehörigen Ort
zurückschiebend, schickte sich der kleine Mann zu einer ernsten Verwahrung gegen ein so summarisches Verfahren an, der Baron aber ergriff ihn am Arme und zog ihn lachend mit sich fort. »So ist Dir's recht geschehen, Kleiner! Du brauchtest mit Deinem Näschen nicht so ewig lang da drin herum zu schnobern! Aber nimm Dir's nicht zu sehr zu Herzen. Heut' mir und morgen Dir!« Auf dem Rückwege vom Thore bemerkte Wilhelm ein mehrfach zusammengeschlagenes Papier, welches an der Erde lag. Es mußte bei dem ungewöhnlich raschen Transporte dem Agenten aus der Brieftasche gefallen sein. Er nahm es auf und schlug es aus einander. Es war ein Blatt aus einer fremden Zeitung, zeigte ein längst vergangenes Datum und enthielt neben gerichtlichen Ankündigungen und einem Börsenkurse nur werthlose Annoncen. Schon wollte er es wegwerfen, als sein Gesicht auf einmal einen ganz anderen, gespannten Ausdruck annahm. »Steht 'was Wichtiges d'rin?« frug Graf. »Was sehr Wichtig's. Das müss'n wir uns 'mal genau anseh'n und überleg'n. Kommen Sie herein!« – Auch den Nachmittagsgottesdienst besuchte Graf. Als er sich der Kirche näherte, bemerkte er vor dem Pfarrhofe eine zweispännige Kutsche; der livrirte Kutscher saß in stolzer Unbeweglichkeit auf dem Bocke, den Peitschenschaft auf dem rechten Knie, und ein ebenso gekleideter Diener stand am Schlage. Obgleich aus der Anwesenheit des Geschirres zu ersehen war, daß der Pfarrer vornehmen Besuch habe, lenkte der Bauer doch an der Kirche vorüber und auf die Wohnung des Geistlichen zu. Dort angekommen, fand er außer dem ihm wohlbekannten Direktor des nahen Bezirksgerichtes eine Dame und einen Herrn vor, deren Aeußeres ein so respekteinflößendes war, daß er sich augenblicklich unter einer Entschuldigung zum Verlassen des Zimmers anschickte; der Pfarrer aber hielt ihn davon zurück. »Bleiben Sie, Graf; Ihr Kommen stört uns nicht!« versicherte er, indem sein Auge theilnahmsvoll die verkrüppelte Gestalt des Ankömmlings überflog. Auch die drei Anderen ließen ihre Blicke mit mitleidigem Interesse auf ihm ruhen. »Was bringen Sie mir?« »Es sind zwei Bitt'n, mit denen ich komm', Herr Pastor; aber weil Sie net allein sind, so weiß ich net, ob ich sie sagen darf.« »Sprechen Sie immer, wenn es nicht etwas nur unter vier Augen
zu Verhandelndes ist!« »Eigentlich wär's wohl so 'was; aber ich hab' Sie net unter vier Augen beleidigt, und so kann ich auch jetzt öffentlich darüber sprechen. Sie wissen wohl noch Alles, wie es dazumal beim Begräbniß meiner Frau gewesen ist! Ich war ein harter, gotteslästerlicher Mensch, der sich aus dem lieben Gott nix machte und keinem Mensch'n 'was zu lieb und gut gehalt'n hat. Ihre Red' wollt' mich im Herzen packen, darum hab' ich sie abgeschüttelt und bin davon gelaufen. Aber Dem da droben bin ich doch net ausgerissen, sondern er hat mich festgehalten und mir den verdienten Lohn gegeben. Da, sehen Sie, Herr Pastor, was aus dem stolzen Dukatenbauer geworden ist, ein armseliger, elender Vogelscheucher, der sich kaum noch über die Straß' schleppen kann und der nun gar noch im Zuchthaus' sterben und verderben wird. Aber eh' ich dahin komm', will ich erst überall Buß' thun, wo ich gesündigt hab', und da komm' ich auch zu Ihnen, um Sie um Vergebung zu bitten für das, was damals geschehen ist!« Es waren einfache Worte, welche er sprach; der Ton seiner Stimme klang ruhig und unerregt, aber gerade dieser stille, leidende Ernst seiner Rede machte einen tieferen Eindruck, als wenn sie unter Weinen und Klagen vorgebracht worden wäre. »Was Sie damals gethan, Graf, das haben Sie nicht gegen mich, sondern gegen Den unternommen, dessen Dasein Sie zu jener Zeit leugneten. Er ist gerecht und straft die Sünde, aber er zürnt nicht ewig. Ich als der Diener an seinem Worte reiche Ihnen hier die Hand zur Versöhnung; seine Gnade ist größer als unsere Missethat; sie gehet niemals zu Ende und wird sich auch Ihrer erbarmen. Ich weiß, was gestern Abend auf dem Kirchhofe geschehen ist. Wer so bereut, der darf Verzeihung finden!« »Ich danke, Herr Pfarrer! Ich will ja gern Alles auf mich nehmen, was ich verschuldet hab', wenn ich nur weiß, daß mir's vergeben ist. Und die andere Bitt', die ist von wegen dem Köpfle-Franz.« Er griff in die Tasche und zog ein Papierpacket hervor, welches er öffnete. Es enthielt die Dukatenkette nebst den Goldstückknöpfen von Rock, Hut und Weste. »Das sind die Zeichen von dem Hochmuthe, dem ich all mein Elend zu verdanken hab'! Nix, gar nix hab' ich bei dem Untergange retten können, als diese flimmrigen Schandflecke, und nun soll grad'
Der sie bekommen, gegen den ich am schlechtesten gewesen bin, der Köpfle-Franz. Aber wissen darf er's net, daß die Gabe von mir kommt, sonst nimmt er sie net an, weil ich's jetzt selber brauch'. Ich bitt' Sie d'rum recht schön, Herr Pfarrer, wenn ich übermorgen fort sein werd' von hier, so verkaufen Sie das Zeug, und was Sie dafür kriegen, das geben Sie ihm. Wenn er denkt, daß es von jemand Anderem kommt, so wird er sich net weigern, es zu nehmen.« »Das wollte ich Ihnen gern besorgen, wenn ich nicht dieselbe Ansicht hätte wie er. Ihre Tochter steht nun so allein und verlassen da, daß sie die Goldstücke wohl ebenso nöthig hat wie der Franz.« »O nein, Herr Pfarrer! Der Wilhelm ist ein gar braver Bursch'; der wird für sie sorgen und sie niemals net im Stiche lassen. Wenn's sonst nix wär', so braucht' ich mir um sie wohl keine Sorg' zu machen!« »Dann geben Sie die Kette her! Ich will sehen, was ich dafür löse und werde Ihnen später über Ihren Auftrag Nachricht zugehen lassen.« »Dann dank' ich Ihnen zum zweiten Mal', Herr Pastor. Mög' der liebe Gott net schlimmer mit mir in's Gericht gehen, als wie Sie es thun. Und wenn ich erst 'mal vom Dorfe weg bin, so seh'n Sie doch zuweil'n mit nach meinem Kinde; ein freundlich Wort wird immerdar zu brauchen sein, und ich weiß, Sie sind bereit dazu!« Er fühlte es weich und warm an seinem Herzen emporsteigen und nahm daher schnell Abschied, um die über ihn kommende Rührung zu verbergen. Die Glocken läuteten zur Kirche; er folgte ihrem Rufe – zum zweiten Male seit langer Zeit und zum letzten Male wohl für das ganze Leben. Und nach beendigtem Gottesdienste besuchte er den Kirchhof, um Abschied zu nehmen von dem Hügel, der ihm bisher so gleichgiltig war und an dessen Seite ihm nun auch die Ruhestätte verweigert werden sollte. Seine letzte Stunde sollte ihm nun hinter eisernen Gittern schlagen, und sein Grab, es lag wohl einmal außer der Reihe derjenigen, zu denen die Liebe ihre treuen Schritte lenken darf. Zum Dukatenhof zurückgekehrt, fand er denselben von einer zahlreichen Menschenmenge belagert. Ohne daß man wußte woher, hatte sich das Gerücht, der König und die Königin seien vom Bade herüber gekommen, erst beim Pfarrer gewesen und dann nach dem Dukatenhof gefahren, wie ein Lauffeuer durch das Dorf verbreitet, und Alles war herbeigeilt, um die hohen Herrschaften zu sehen. Die
Posaune des letzten Gerichtes hätte ihn nicht schrecklicher treffen können, als diese unerwartete Kunde, und er mußte alle seine Kraft und Selbstbeherrschung zusammen nehmen, um sich ihren Eindruck vor den vielen Leuten nicht merken zu lassen. Längst schon war er hinter dem Thore verschwunden, Viertelstunde auf Viertelstunde war vergangen, da endlich wurde die Thüre aufgestoßen und der Köpfle-Franz erschien unter derselben. Die Arme so hoch wie möglich in die Luft werfend, gab er das Zeichen zur Ruhe und rief dann: »Hört 'mal, ihr Leut', wenn ich schrei', so schrei't ihr auch!« Er konnte die Zustimmung des Publikums gar nicht abwarten, denn schon im nächsten Augenblicke traten die Erwarteten aus dem Hause. Der Diener öffnete den Schlag; sie stiegen ein und der Bezirksgerichtsdirektor folgte ihnen. Da richtete Franz sich so hoch wie möglich empor und rief so laut er nur konnte: »Paßt auf, ihr Leut'! Alleweil soll der Herr König leben, vivat hoch!« »Hoch!« brauste es über die anwesende Menge dahin. »Und die Frau Königin grad' erst recht daneb'n, vivat hoch!« Der Ruf wiederholte sich und endete nicht eher, als bis der Wagen den Augen der Nachblickenden vollständig entschwunden war. Köpfle-Franz aber kehrte gar nicht wieder in den Hof zurück, sondern schlich sich so schnell wie möglich am Zaune hin und schlug dann den Weg nach seiner Wohnung ein. Noch niemals hatte er sich mit so freudigem Gesicht das Dorf hinaufgeschoben, und als er bei geschlossenen Läden und angesteckten Lichtern vor dem Bilde der einstigen Geliebten hockte, lag auf seinem Gesichte eine Verklärung, welcher jenes unbeschreibliche Etwas in seinen Zügen vollständig gewichen war. »Nun ist's zu End' mit allem Haß und Streit, mit aller Angst und Sorg', Anna! Aber gekämpft hab'n wir auch, daß es so weit gekommen ist. Der König hat net gleich gewollt, sondern gesagt, da gäb' es vorher erst gar viel auf dem Gericht zu thun, ehe an die Gnad' zu denk'n sei, aber die Emma ist fast todt gewesen vor Herzeleid, der Heinrich hat vollends gar kein Wort zu Weg' gebracht, auch der Wilhelm hat geweint und gebeten, und da sind der Königin die Thränen über die Wang' gestürzt und sie hat ihren Mann bei der Hand gefaßt und ihn so lieb und gut angeschaut, daß ihm das Herz endlich doch übergelauf'n ist. Er hat mit dem
Gerichtsdirektor noch einige Wort' in einer fremden Sprach' gesprochen und dann gesagt: ›Nun gut, er soll net gefangen sein. Wo so viel Reu' und Fürsprach' ist, da kann kein König widersteh'n!‹ Aber nun die Freud', die sollt'st Du seh'n! Der Heinrich hat geschluchzt wie ein Kind, die Emma hat dem König und der Königin immer nur die Händ' geküßt und mit Thränen gesalbt, der Wilhelm und ich, wir sind vor Glück auch ganz stumm gewesen, und die Herrschaften haben selbst net gewußt, wo sie mit ihrer Rührung hin sollen. Anna, das war die schönste Stund' in meinem Leb'n! Und nun werd' ich meine Rache vollenden, aber net die, welche ich erst gewollt hab', sondern eine andere, eine viel, viel schönere und bessere!« Er schob sich zum Ofen und zog die Bilderstöße unter demselben hervor; dann entfernte er das Blech und eine Lage Ziegelsteine und griff in die jetzt sichtbar werdende Vertiefung. »Hier sind sie, die Dukatensäck', alle mit einander! Ich hab' gebettelt und gemalt, gescharrt und gespart wohl an die dreißig Jahr, und wenn es mir 'mal gar zu schwer hat werden wollen, so hab' ich gedacht: es ist für Deine Rache; der Heinrich muß aus dem Dukatenhof und Du ziehst an seiner Stell' hinein! Dann hab' ich wieder von Neuem Kraft gehabt, bin im Land' herum gefahren, hab' gehungert und gedurstet, im Wald oder auf der Wiese geschlafen, und wenn ich heimgekommen bin, so ist der Beutel voll gewesen und ich hab' Dir das Geld vom Heller bis zum Pfennig vorgezählt. Jetzt ist's nun gut, und ich kauf' auch den Hof, aber net für mich, und der Heinrich, der soll net hinausgestoßen werden, sondern er soll der Dukatenbauer sein, wie er's bisher gewesen ist. Ich aber, ich bleib' bei Dir in meinem Häuschen; ich mag net fort, denn der Köpfle-Franz und die Anna, die passen nirgends anders hin!« Nun war in dem ärmlichen Raume wieder jenes verheißungsvolle Klingen zu hören, wie am Abende des Begräbnißtages; die Nachtruhe blieb dem Auge des Bewohners fern, und als es am Morgen an den Laden klopfte, hatten seine hellen Augen keinen Schlaf gesehen. »Wer ist's?« frug er. »Ich bin's, Path', der Wilhelm!« »Hast Du den Karren mit?« »Ja.« »So ist' gut. Ich werd' aufmachen.«
Er öffnete. Wilhelm hielt mit einer Schubkarre draußen. »Du hast mich bestellt, Franz. Was soll ich denn fortschaff'n?« »Komm herein! Wirst's gleich seh'n!« Mitten in der Stube stand ein alterthümlicher Kasten von starkem, halbverrostetem Eisenblech. »Diese Truhe hier schaffst Du mir nach dem Dukatenhof und das Papier auch mit, welches 'draufliegt. Es kommt in die untere Stub'.« »Schön!« Er wollte den Kasten vom Boden heben, bemerkte aber, daß dazu eine ungewöhnliche Kraftanstrengung erforderlich sei. »Das ist schwer, Path'. Was hast Du denn d'rin?« »Allerlei alten Kram, der lange Jahre bei mir unter'm Ofen geleg'n hat. Greif nur fest zu; es wird schon geh'n!« »Und was willst Du mit dem Gerümpel auf dem Hofe?« »Das wirst wohl noch seh'n. Mach' nur alleweil', daß Du fortkommst. Ich komme gleich nach!« Als Franz den Hof erreichte, stiegen eben der Baron und der Agent aus der Kalesche, vor welche der Braune des Dukatengrafen gespannt war. »Kommst grad' recht, Franz!« rief der Erstere. »Kannst nachher gleich den neuen Bauer abzeichnen.« »Hab's schon heut Nacht gethan. Er ist auf dem Papier mit all' seinen Leuten.« Der Baron blickte ihn fragend an, wurde aber nicht weiter von ihm beachtet. Die Räume, welche seit Jahrhunderten nur von den Dukatenbauern und ihren Angehörigen betreten worden waren, standen heut' offen; Fremde gingen in ihnen auf und ab und mäkelten über die Gegenstände, an denen die strenge Geschichte eines durch Selbstsucht und Hochmuth zu Grunde gerichteten Geschlechtes haftete. In der unteren Stube hatten die Herren vom Gericht ihren Sitz aufgeschlagen; im Flure war von dem spekulativen Bergwirthe ein ambulanter Schanktisch errichtet worden; zahlreiche Neugierige strömten herbei, um dem letzten Athemzuge der Dukatenwirthschaft beizuwohnen; es wurde gelobt und getadelt, entschuldigt und verurtheilt, bemitleidet und verspottet, gelacht, gescherzt, getrunken; die Gebote folgten sich erst langsam, dann immer schneller; als aber der Baron seine gewichtige Stimme erhob und mit siegesgewisser Miene gleich die
wahrscheinlich höchste Ziffer notiren ließ, ging ein respektvolles Schweigen über die ganze Versammlung. »Nicht wahr, das zieht?« frug er, sich triumphirend im Kreise umblickend. »Komm her, Kleiner, und mach die Tasche auf! Wir müssen unsere Zahlungsfähigkeit nachweisen.« Der Agent that, wie ihm geheißen war, und bald hatten Beide den Tisch mit dem Inhalte ihrer Briefschaften vollständig bedeckt. »So, das ist ein Pflaster, wie es hier kein Anderer aufzuweisen hat. Wer noch weiter bieten will, der mag's versuchen; aber das Gut wird unser, und der Dukatengraf muß heut' noch hinaus!« »Das wird sich finden!« erscholl es von der Thüre her. »Jetzt ist er noch da und hat auch gar keine Lust, schon fortzugeh'n.« Es war Graf selbst, welcher auf seinem Rollwägelchen sich hereingeschoben hatte. »Oho, Knirps, Du thust doch heut' gewaltig dick, wo es Dir doch etwas dünner zu Muthe sein sollte,« höhnte der von den Getränken etwas berauschte Baron. »Bleib' nur immer oben in Deiner Kammer und zähl' zusammen, was Du den Leuten schuldig bist!« »Das weiß ich ganz genau und werd's bezahlen. Noch bin ich hier Herr im Haus', und wer heut' Abend draußen ist, das wird ja wohl zu sehen sein. Schau her, wenn Du denkst, der Dukatengraf ist all' geworden!« Er näherte sich dem Blechkasten, welchen Wilhelm hier abgesetzt hatte und dem von Niemandem irgend eine Aufmerksamkeit geschenkt worden war, zog den Schlüssel hervor und öffnete. Ein allgemeiner Ruf des Erstaunens entfuhr den Lippen der Umstehenden! Die Truhe war bis an den Rand mit flimmernden Goldstücken gefüllt. »Siehst Du nun, Baron, daß der Graf noch übergenug Dukat'n hat, um Dich sammt Deinem Gesell'n dort aus dem Haus zu werf'n? Herr Assessor, kommen Sie her und zähl'n Sie so viel davon weg, als ich schuldig bin, auch die Kosten mit! Und hernachmals macht ihr Anderen, daß ihr hinauskommt! Die Versteigerung ist zu End' und ich will nun wieder Ruh' im Hause haben!« »Wie kommen Sie auf einmal zu dem Gelde?« frug der Beamte. »Das werden Sie noch heut' erfahren. Jetzt aber bitt' ich, abzuzählen; ich kann net auf den Tisch hinauf!« »Nein, das geht nicht!« rief der Baron. »Ich habe auf den Hof geboten und trete nicht wieder zurück. Ich kann bezahlen; hier liegt
mein Geld. Der Hof muß mein werden; d'rum streiche ich es gleich gar nicht erst wieder ein!« »Das will ich mir auch verbitten!« klang es da hinter ihm und eine feste, schwere Hand legte sich auf seine Schulter. Ein fremder Herr, welcher bisher den schweigsamen Beobachter gemacht hatte, war an ihn herangetreten. »Kennen Sie vielleicht diese beiden Photographieen, meine Herren?« frug er, dem Baron ebenso wie dem Agenten je eine Visitenkarte vorhaltend. »Ich habe die Bekanntschaft dieser Männer schon seit Monaten vergeblich gewünscht und bin ganz glücklich, sie endlich doch noch zu machen. Herr Verwalter und Herr Privatkopist, Sie sind meine Gefangenen!« Wie ein Blitzschlag fielen diese Worte in die Versammlung, welche für einige Augenblicke von der größten Verwirrung ergriffen wurde. Der Baron wollte sich dieselbe zu Nutze machen, warf sich auf den Tisch, strich mit einigen raschen Griffen das Geld zusammen und stürzte dann nach der Thüre. Dort aber nahmen ihn einige bereitstehende Gehilfen des Fremden in Empfang, und nach kurzem, vergeblichem Ringen war sowohl er als auch der Agent durch Handschellen und Schließketten unschädlich gemacht. Der Arrestator wandte sich nun zu dem Gerichtsbeamten. »Herr Assessor, gestatten Sie mir, mich Ihnen zu legitimiren und die im Besitze dieser Männer betroffenen Werthpapiere und Effekten sammt dem draußen stehenden Geschirr in meine Verwahrung zu nehmen. Der Herr Ortsrichter wird mir diese Erlaubniß wohl auch nicht vorenthalten!« Die beiden Angeredeten gaben gleich nach dem ersten Blicke auf die vorgezeigte Legitimation ihre Zustimmung, und es wurde ein Verzeichniß all' der Gegenstände angefertigt, welche die Inculpaten bei sich führten. Der Polizist unterwarf ganz besonders die Notizblätter einer eingehenden Prüfung. Als er sie zusammenschlug, ließ er das scharfe Auge suchend im Kreise herumgehen. »Ist der Mann dort an der Thüre der Bergwirth?« »Ja!« lautete die Antwort. »Er wird den beiden Anderen Gesellschaft leisten. Nehmt ihn fest!« »Was? Mich?« rief der Wirth, sich nach dem Ausgange wendend; schon aber fühlte er sich ergriffen und zurückgehalten.
»Ja, Sie! Eine so genaue Buchführung, wie ich sie hier im Portefeuille des Herrn ›Bankiers‹ finde, hat für gewisse Geschäftsarten ihre großen Schattenseiten. Sie gehen mit uns!« Darauf wandte er sich an Graf. »Ich konnte Ihrer Anzeige erst heute Folge leisten, weil es mir nothwendig schien, mich zuvor über die vorliegenden Verhältnisse im Stillen zu orientiren. Dies ist so eingehend geschehen, wie es mir die Kürze der Zeit gestattete, und ich sehe mich dadurch in die Lage versetzt, Ihnen eine erfreuliche Mittheilung machen zu können: Die Buchführung dieser Herren läßt sowohl die Art und Weise als auch die Höhe Ihrer Verluste sehr deutlich erkennen, und da die Beträge zum großen Theile noch vorhanden sind, so dürfen Sie Hoffnung auf eine wenigstens theilweise Wiedererstattung haben. Das Weitere werden Sie auf gerichtlichem Wege mitgetheilt erhalten. – Für jetzt aber ist meine Aufgabe hier vollendet. Gestatten Sie mir, Herr Assessor, mich zu verabschieden!« In weniger als einigen Minuten rollte die Kalesche des Barons davon; sie war weit schwerer, als einige Stunden vorher, und der Braune trabte so unwillig von dannen, als hege er die Ueberzeugung, daß der Dukatenhof noch immer seine rechtmäßige Heimath sei. Ebenso kurzer Zeit nur bedurfte, um den Hof von den vielen lästigen Gästen zu befreien, deren Anwesenheit nun keinen Zweck mehr haben konnte. Anfangs wollte es Niemand begreifen, daß das Gut im Besitze des Dukatengrafen verbleiben werde, und als im Laufe des Tages der wahre Sachverhalt ruchbar wurde, war es den Leuten noch viel unerklärlicher, woher der Köpfle-Franz dieses ungewöhnliche Vermögen habe, welches ganz sicher einst niemand Anderes erben werde, als Wilhelm und Emma. Noch am Abende feierten diese Beiden ihre Verlobung, bei welcher außer den Eltern Wilhelms auch der Pfarrer zugegen war. Er hatte den ihm übergebenen Dukatenschatz wieder mitgebracht und wollte ihn in die Hände Graf's zurücklegen; dieser aber wehrte ab. »Nein, Herr Pastor, ich nehm' die Dukaten net wieder! Der Franz wird sie wohl auch net haben wollen, aber ich weiß Jemand, der sie recht gut gebrauchen kann. Ich hab' gehört, daß sich der Feldhüter Wolf im vorigen November aus Verseh'n die Hand zerschossen hat, der kann mit seiner zahlreichen Familie das Geld
wohl nothwendig haben. Ich bin erlöst worden aus großer und auch tiefer Noth, mein Herz soll ferner nie wieder so hart sein, wie es früher gewesen ist. Die Dukaten waren für Dich bestimmt, Franz; soll sie der Wolf bekommen?« »Ich hab' alleweil nix dagegen, daß er sie bekommt! Jetzt aber schaut 'mal her, was ich heut' Nacht den jungen Leuten als Angebind' zur Verlobung gezeichnet hab'!« Er rollte das Papier aus einander, welches Wilhelm heute mit dem Blechkasten abgeholt hatte. Es enthielt eine Bleistiftzeichnung, welche die untere Stube des Dukatenhofes darstellte; in der Mitte desselben stand das wohlgetroffene Königspaar, vor welchem die beiden Krüppel in flehender Stellung an der Erde lagen. Hinter ihnen hielt Wilhelm die weinende Emma umfangen und seitwärts von dieser Gruppe verbarg der Gerichtsdirektor seine Bewegung hinter dem vorgehaltenen Taschentuche. Die Züge sämmtlicher Personen waren auf das Sprechendste wiedergegeben und die Stimmung des Augenblickes so treu festgehalten, daß die Beschauer des Bildes sich von dem Anblicke desselben ergriffen fühlten und dem Zeichner ihre unverhohlene Bewunderung aussprachen. »Net wahr,« frug dieser, »es ist gut geworden? Ich hab' noch niemals nix so gern gemalt, wie dieses Blatt, und darum hat's gelingen müssen. Das kommt hier an die Wand zum ewigen Angedenken an die Stund', die uns die schwerste und auch die schönste gewesen ist im ganzen Leben.« »Jawohl, die schwerste,« meinte Graf; »ich hab' das wohl am meisten gefühlt, aber auch die schönste, denn es ist mir unverdiente Gnade zu Theil geworden und euch Allen Heil und Segen.« – – – – ––– Seit diesen Begebenheiten sind noch nicht gar viele der Jahre verflossen, und noch leben sämmtliche Personen, von denen keine sich geweigert hat, dem freundlichen Leser bekannt zu werden. Der alte Dukatenhof hat sich von seinem Verfalle vollständig erholt; er gilt als eines der am besten bewirtschafteten Gitter der ganzen Umgegend. Und wenn der oben angeführte Chronist aus seinem längst eingesunkenen Grabe hinter der Sakristei hervorsteigen und die Feder in die Hand nehmen könnte, um die Geschichte der Familie Graf bis auf die Gegenwart fortzuführen, so würden seine Aufzeichnungen vielleicht mit den Worten schließen: »Auß denen zweyen Klötz aber sind gemacht eyn ganz
absonderlich Zahl von Bretten, vnd hat man darauß gebaut eyn schön und fürtrefflich Lauben, so da steht an selwigem Orte, als wo die Bäum vormalen einst gelegen sind. Solch Lauben ißt dem Köpfle-Frantz seyn Werkstatt worden, indem er des Morgens von seyner Hütten herunterkompt vnd erst des Abends wieder von dannen fährt. So kommen denn die Leut, als da sind Männlein und Weiblein, fürnämlich des Sonntags, in hellen Hauffen herbey, umb sich zu holen eyn Contrefey, so mann alsbald hänkt in die Stuben, allwo das Licht am Beßten trifft. Sitzt auch zuweillen dabey der Dukkatengraff, so da ißt der Letzte seynes Geschlechtes, sambt dem kleynen Enkeleyn, dieweylen die Bäurin in der Küchen schantzt. Vnd weyl so allermassen viele Bilder gehn von deme Hoff hinauß ins weitte Land, derohalben ist er bey Denen, so ihn kennen, nicht mehr Dukkatenhoff, sondern Köpflehoff geheissen.«
Der »Samiel« Eine Erzählung aus dem Erzgebirge von Karl May
1. Der Blößenförster befand sich in einer fürchterlichen Aufregung. Gestern Abend mit der Büchse ausgegangen, war er erst jetzt am Spätnachmittage ohne dieselbe nach Hause gekommen, hatte das bereitstehende Mahl nicht angerührt und ging mit raschen, energischen Schritten, zornig gestikulierend und in kräftigen Ausdrücken seinem Grimme, Luft machend, im Zimmer auf und ab. »Nein, so etwas ist wahrhaftig unerhört, ist noch nimmer dagewesen, ist eigentlich reinweg unmöglich! Hier ist ja kein Mensch, kein Wild und keine Fliege mehr sicher; Alles putzt er weg, der verwünschte Wilderer, der ›Samiel‹, wie sie ihn überall nennen, und ich kann mir die Füße ablaufen, mich Tag und Nacht auf die Lauer legen, – ich erwische ihn doch nicht, ja, ich bekomme ihn gar nicht einmal zu sehen!« Die beiden Frauen, welche in der Fensternische saßen, beobachteten ein sorgfältiges Schweigen; sie wußten, daß jeder Versuch, ihn zu beruhigen, seinen Aerger nur steigern werde. »Und was das Schlimmste ist,« fuhr der Zornige fort, »ganz allein mein Revier wird von ihm heimgesucht; die Nachbarn verschont er ganz und gar, sie stehen an der Grenze, stecken die Hände in die Hosen und lachen mich aus über die Vorwürfe, welche ich fast Tag für Tag zu hören bekomme. Erst gestern war der Oberförster hier und meinte endlich, wenn das nicht anders werde, so müsse ein Mann her, der sich besser auf die Forstpolizei verstehe als ich. Ist das nicht gleich zum Närrischwerden? Schießt mir dieser Kerl noch so einen der seltenen Zwölfender weg, wie heute Nacht, so fahre ich aus der Haut!« Er zog das blauleinene Sacktuch aus der Tasche und wischte sich die glühende Stirne. »Da höre ich heut Nacht, während ich draußen umherspürte, einen Schuß; ich stürme so schnell durch die Büsche, daß mir die Aeste das Gesicht wund schlagen, und sehe auf der freien Stelle am Waldwasser den schönsten Zwölfer liegen. Der Mond scheint hell vom Himmel, damit ich ja Alles deutlich sehen und mich gehörig ärgern soll, aber den, der geschossen hat, den erblicke ich nicht. Plötzlich erhalte ich einen Schlag über den Kopf, daß mir die Sinne vergehen, und als ich wieder aufwache, bin ich an den Baum
gebunden, der Zwölfer liegt noch an seinem Platze, aber meine Büchse ist fort. So eine Schande! Ich hätte mich selbst ohrfeigen können, wenn die Hände dazu frei gewesen wären. Rufen durfte ich nicht, sonst war ich ja blamirt für alle Zeit und Ewigkeit, und so blieb ich den ganzen Tag am Baume, bis es mir vorhin endlich gelang, mich loszureißen. Und als ich nachher in die Tasche greife, steckt ein Zettel darin mit der Quittung für die Büchse und der Bemerkung, daß mein Nachfolger sie zum Angebinde erhalten solle, sobald ich von der Stelle gejagt worden sei. Das muß man erleben, ohne vor Wuth gleich zu zerplatzen! Ich habe stets meine Pflicht gethan, jetzt thue ich fast noch mehr, fast über die Gebühr, und doch muß ich von der Stelle, wenn ich den Samiel nicht erwische, der mir den Wildstand freventlich zu Grunde richtet und wie ein Geist niemals zu treffen und zu greifen ist!« Er riß ein altes, sichtlich wenig in Gebrauch gewesenes Gewehr von der Wand und stieß es mit dem Kolben auf den Boden, daß die Diele krachte. »Meine Büchse ist fort; nun nehme ich diese hier. Sie stammt vom vorigen Förster, dem Vater der Wiesenbäuerin, der auch aus dem Dienst gemußt hat, aber wegen Unterschlagung und derartiger Dinge. Die Bäuerin hat gar oft daraus geschossen, als sie noch ledig war, und sie aus Impertinenz hier hängen lassen, ›damit ich möcht' das Schießen lernen‹, wie sie sagte. Jetzt werde ich laden, und die Kugel, die ich hineinthue, die trifft entweder den ›Samiel‹ oder ich jage sie mir selbst durch den Kopf. Dann ist die Schande zu Ende und der Aerger auch!« Er warf das Gewehr über die Schulter und schickte sich an, wieder fortzugehen. »Du willst doch nicht etwa schon wieder in den Wald hinaus!« suchte ihn die ältere der Frauen mit sanfter Mahnung zurückzuhalten. »Du bist ja soeben erst herein!« »Freilich will ich wieder gehen! Es läßt mir weder Ruhe noch Rast, bis ich ihn fest habe und in das Gefängniß liefern kann. Habe ich nur erst das kleinste Zeichen, nur die geringste Spur von ihm, so wird er mein, und wenn er zehnmal kugelfest ist und tausendmal blauschießt, wie die Leute erzählen! Aber das ist es ja: man bekommt ihn nimmer vor das Auge und auch nichts von ihm jemals in die Hände. Alleweile nun gehe ich; lebt wohl!« »Aber so iß doch erst, oder thu' Dir wenigstens etwas in die
Tasche. Du hast seit gestern nichts genossen; wer soll das aushalten bei den Strapazen im tiefen Forst!« »Nein, laßt mich gehn! Ich werde weder essen noch trinken, bis ich ihn habe, das will ich gleich hoch und theuer verschwören und geloben. Ob mich der Hunger umbringt oder die Angst und Bangigkeit um meine Stelle, das kommt am Ende doch nur auf Eins heraus!« Er ging. Mutter und Tochter blickten ihm besorgt nach, bis er über die Blöße, auf welcher das Forsthaus lag, gegangen und sodann im Schatten der Bäume verschwunden war. Ihr jetzt so unruhiges und schwer gewordenes Leben war früher ein durchaus glückliches gewesen und die Bewohner der Försterei lebten still und mit aller Welt in Frieden. Nur die Wiesenbäurin hatte es nie verschmerzen können, daß ihr Vater einst gezwungen gewesen war, dem jetzigen Förster Raum zu geben, und aus diesem Grunde jede Gelegenheit ergriffen, dem Letzteren ihre feindselige Gesinnung an den Tag zu legen. Aber außer diesem einen Falle besaßen die braven Bewohner des Blößenhauses trotz der schwierigen Lage, in welche ein gewissenhafter Forstbeamter sich den von ihrer Armuth auf die Holzlese angewiesenen Bewohnern des Gebirges gegenüber so oft versetzt sieht, das allgemeine Wohlwollen der ganzen Umwohnerschaft. Auch in ihrem häuslichen Kreise hatten stets Liebe und Eintracht gewaltet, wenn auch der verstohlene Wunsch eines jugendlichen Herzens es zuweilen wagte, sich leise gegen den Willen des strengen Vaters aufzulehnen. Aber das hatte seit länger als nun Jahresfrist eine Aenderung erlitten. Pauline wußte noch ganz genau den Tag, welcher der letzte frohe und glückliche gewesen war. Der Hermann war wieder einmal im Dorfe gewesen; es hatte grad »Jungferntanz« gegeben, wobei nicht die Bursche und Männer, sondern die Mädchen und Frauen zum Tanz aufforderten. Mit Keiner hatte er getanzt, Allen hatte er es abgeschlagen, sogar der Wiesenbäuerin, der reichen, schönen Wittfrau, die, wie man wohl wußte, früher einmal ein Liebesverhältniß mit dem schmucken Burschen gehabt hatte, und darum wagte sie es auch nicht, ihn aufzufordern. Da war er plötzlich hin zu Pauline gekommen und hatte mit so tiefem, freundlichem Auge gefragt: »Warum bist Du doch so einsam hier, Paule? Willst Du denn nicht auch einmal den Tanz versuchen?«
»Mit wem denn? Sie haben fast Alle ihren Mann oder ihren Schatz, ich aber wohne draußen im Wald, bin gar selten hier im Ort und habe Keinen, zu dem ich mich halten kann.« »So nimm mich als Schatz und tanze mit mir! Willst Du, Paule?« Sie hatte nicht geantwortet. Es war die Erinnerung an vergangene Zeiten, in denen sie, das kaum erblühende Mädchen, vor der wilden und schönen Tochter des vorigen Försters hatte zurücktreten müssen, mit aller Bitterkeit in ihr aufgestiegen, aber ihren Arm – den hatte sie ihm doch gereicht. Und nun war es gewesen, als dürfe sie gar nicht zur Ruhe kommen. Bei jeder neuen Tour hatte er vor ihr gestanden und sie, ohne nach der heutigen Ordnung zu fragen, zum Reigen geführt. Auch der Wiesenbäuerin hatte das auffallen müssen. Sie war während einer Pause ganz in der Nähe gewesen und hatte gefragt: »Der Herr Lakai hat wohl in der Fremde verlernt, wie es hier auf dem Jungferntanz Sitte und Regel ist? Das arme Ding da kann ja gar nicht mehr von ihm loskommen!« »Weil das arme Ding dem ›Lakai‹ viel lieber ist als die falsche Schlange, die zu nichts taugt als zum Zertreten!« hatte er geantwortet und ihr dann den Rücken zugekehrt. Darauf waren sie mit einander fortgegangen und er hatte so lieb und gut zu ihr gesprochen und dabei den Arm um sie gehabt, grad als ob es mit dem »Schatz« sein Ernst gewesen sei. Sie mußte noch heut an diesen schönen Heimgang denken, aber auch an das, was darauf folgte. Grad als sie die Blöße erreicht hatten, war ihr Vater von einem späten Gange aus dem Walde zurückgekommen und an der Thür mit ihnen zusammen getroffen. »Was?!« hatte er gerufen; » den bringst Du mir mit? Willst Du ihn wohl sofort von dannen lassen und gleich hineingehen in das Haus, Du unverständiges Kind!« Sie hatte vor Bestürzung nichts erwiedern können und dem Befehle ohne Zögern Gehorsam geleistet. Doch im Flur war sie noch einen Augenblick lang stehen geblieben und hatte die Frage vernommen: »Bitte, Herr Förster, wollt Ihr mir vielleicht sagen, warum Ihr mich in dieser Weise empfangt? Ich habe die Pauline in allen Ehren begleitet und darf mich darum wohl über Eure Rede wundern.« »Ich dächte doch, hier gäb's nichts zu verwundern! Als Dein
Vater noch lebte – ich war damals erst Heger hier – da hielten wir gute Freundschaft und es galt für ausgemacht, daß ihr Beide, Du und die Pauline, ein Paar werden solltet. Sie hat Dich lieb gehabt und ist Dir vielleicht auch heut noch gut, Du aber hast ihr junges, treues Herz verachtet und bist einer Andern nachgelaufen, die Dir besser in die Augen stach. Aber der Försterswildfang hat Dich ausgezahlt und statt Deiner den reichen Wiesenbauer geheirathet, der dann vor Aerger über sein schlimmes Weib gestorben ist. Jetzt nun wäre die Pauline wohl gut genug? Geh fort, wir sind geschiedene Leute; Du bekommst sie nimmer!« »Ich habe noch gar nicht gesagt, daß ich sie will, Förster. Ich brauche mir meine Frau nicht grad hier vom Dorf zu holen, denn es gibt der Mädchen schon auch anderwärts noch genug, und ich bin nicht der Mann, der um ein Weib zu betteln braucht; aber wenn ich sie möchte, so wäre die Jugendverirrung, welche Ihr mir vorwerft, mir doch vielleicht noch zu verzeihen. Ueberlegt Euch das und habt nun gute Nacht!« So hatte der letzte glückliche Tag geendet. Am andern Morgen war Hermann wieder fort und der Vater fand den ersten Bock, den eine fremde Kugel niedergestreckt hatte, draußen im Walde liegen. Von nun an trieb der »Samiel«, dem fast in jeder Nacht irgend ein Wild zum Opfer fiel, sein unheimliches Wesen im Reviere, und das Leid zog ein in das Blößenhaus und auch in Paulinens Herz, größer und mächtiger noch als früher, wo es ein nur kleines und heimliches Plätzchen in dem verschmähten Mädchenherzen gefunden hatte. – »Hast Du die großmächtige Beule gesehen, die der Vater am Kopfe hat?« frug jetzt die Mutter. »Ja. Es muß doch ein fürchterlicher Schlag gewesen sein, den er bekommen hat. Du hättest ihm doch eine Salbe auflegen sollen!« »Da wäre ich schön angekommen! Gar nicht erinnern durfte ich ihn daran, sonst wäre er gewiß gleich wieder in Zorn gerathen. Was ich für Angst ausgestanden habe, als er diese Nacht und auch am Morgen nicht nach Hause kam, das ist gar nicht zu beschreiben, und was soll jetzt erst daraus werden? – Wenn die Beiden zusammengerathen, er und der ›Samiel‹, so geschieht ein Unglück, wie es bei uns noch keines gegeben hat. Wenn man nur wüßte, wer der heimliche Wilderer eigentlich ist! Man könnte dann doch vielleicht etwas thun, um das Unheil abzuwenden.« Die Tochter blickte vor sich nieder. Ein schwerer Tropfen viel
von ihrer Wimper. »Du weinst, Paule! Du weißt, wer es ist?!« »Nein, Mutter, ich weiß es nicht, aber der Vater denkt wer's ist, und darüber könnt ich schier viel weinen.« »Er denkt sich wen? Davon hat er mir noch nichts gesagt. Sprich, wen meint er?« »Gesagt hat er auch mir noch nichts, aber ich höre es aus seinen Reden. Er glaubt nicht, daß der Hermann damals wirklich fortgegangen ist zu dem Grafen, der sein Hauptmann war und bei dem er nun Leibdiener ist, sondern er meint, daß er hier geblieben sei und ihm nun aus Nachsucht das Wild wegputze, um ihn aus der Stelle zu vertreiben. Der Hermann kennt jeden Schritt und Tritt im Walde und ist von den Soldaten her ein ebenso guter Schütz als wie der Vater. Darum soll er der ›Samiel‹ sein.« Sie erhob sich und verließ die Stube, um der Mutter ihre Thränen zu verbergen. Unter dem verblühten Flieder hinter dem Hause stand eine Moosbank; auf ihr saß sie lange, lange Zeit. Sollten alle die Hoffnungen, die sie still im Herzen trug, verwelken und verblühen wie die duftigen Traubendolden, deren ausgefallene Kelche rings den Boden bedeckten? Schon einmal war ein tödtlicher Hauch darüber hinweggegangen. – »Sag, Paule, worein bist Du so sinnvertieft?« Sie schrak aus ihrem Grübeln empor und blickte in dieselben Augen, die sie seit jenem Tage nicht hatte vergessen können, die ihr im Wachen und im Traume immer von Neuem erschienen waren und an die sie auch jetzt wieder gedacht hatte. Sie war zuerst erschrocken, als er sie so plötzlich anredete und gleich darauf neben ihr saß; sie konnte nicht antworten, grad wie damals im Saale; aber wie sie ihm ihre Hand dort dennoch gereicht hatte, so hob es auch jetzt ihre Arme empor, – sie schlangen sich um seinen Hals, und mit unterdrücktem Schluchzen lehnte sich das kleine Köpfchen gegen seine Brust. Er war wieder da nach so langer, schwerer Zeit, und nun wurde gewiß Alles gut, – einen anderen Gedanken hatte sie nicht mehr. Ueberglücklich zog er sie an sich. Er hatte ja in seinem Dienste gelernt, auf das Fühlen und Denken Anderer Acht zu haben, und so erkannte er leicht, daß der unerwartete Empfang eine innere Vorbereitung gefunden haben müsse. »Bist Du mir denn noch gut, Paule?« flüsterte er.
Sie nickte. »Auch noch wie früher, ehe ich zu – zu der Wiesenbäuerin gerieth?« »Ja.« »Und willst Du mir das verzeihen?« »Gern, wenn Du nicht wieder zu ihr gehst!« »Ich schau sie nimmer an!« »Aber sie ist gar schön, fast schöner noch als früher! Und ich – ich darf mich da ja gar nicht zu ihr hinstellen.« Er hob ihr rosiges, gutes Gesichtchen zu sich empor und erwiederte lächelnd: »Du bist lieb und brav, und das ist tausendmal besser als schön! Darum habe ich auch immer nur an Dich gedacht, seit ich Dich zum letzten Male sah, und nun mein Herr gestorben ist und ich aus meiner Stelle frei geworden bin, habe ich herbei gemußt, um Dich zu sehen und auch zu erfahren, ob Du mich vergessen hast oder nicht. Ist Dein Vater daheim?« »Nein; er ist im Walde.« Sie hatte auf die kurzen Augenblicke das Leid der letzten Zeiten vergessen gehabt; jetzt kam ihr dasselbe wieder in den Sinn. »Ach, Hermann, wenn Du wüßtest, wie es bei uns steht! So traurig ist es noch nie gewesen, und wenn es so fortgeht, weine ich mich noch zu Tode!« Sie theilte ihm Alles mit, was auf ihrem Herzen lag. Er hörte ihrem Berichte aufmerksam zu und frug, als sie geendet hatte, mit nachdenklich gedehnter Stimme: »›Samiel‹ – –? Wer hat ihm denn diesen Namen gegeben?« »Ich weiß es nicht. Es kennt ihn ja Niemand, und so hat man den Namen des ›Bösen‹ für ihn ausgesucht, der vielleicht besser paßt als ein anderer.« »Und es hat sich wirklich niemals eine Spur von ihm entdecken lassen?« »Nicht die geringste! Er muß den Wald fast noch besser kennen als der Vater.« »Habt ihr nicht vielleicht auf die Gastwirthe und Wildprethändlern ein Augenmerk gehabt? Wenn er so grausam viel darniederschießt, muß er doch Hehler haben, die ihm seine Waare abnehmen!« »Er verkauft ja seine Beute gar nicht, sondern läßt sie stets liegen, wo er sie getroffen hat. Er geht also nicht des Gewinnes
wegen, sondern nur aus Passion in den Forst, das sieht man ja ganz deutlich, und dazu ist er ein Schütze, vor dem man eigentlich Respekt haben muß, denn auch beim schwersten Schusse sitzt die Kugel immer nur da, wo sie kunstgerecht aufzutreffen hat!« Er sprang empor, seine Augen funkelten. »Paule, jetzt weiß ich es bald, wer's ist, und ich kann mir auch denken, warum er es thut! Es ist die Passion, die ihn hinaustreibt, die Leidenschaft, ja, aber eine ganz andere als ihr meint. Es gibt nur zwei Menschen, die das Revier so genau kennen, wie es für den ›Samiel‹ nothwendig ist, ich und – und – und noch Jemand. Und es gibt nur Drei, die mit der Büchse so umzugehen verstehen wie er, Dein Vater, ich und – und – und wieder dieser Jemand. Er hat es thun können, blos weil ich nicht dagewesen bin, jetzt aber ist es aus mit ihm, jetzt werde ich ihn aufsuchen, und ich muß ihn finden! Habt ihr wirklich gar kein Zeichen, gar nicht irgend einen Gegenstand von ihm, eine Fußspur, einen Pfropfenrest, ein Stückchen Papier oder sonst etwas Geringes, aus dem man weiter schließen kann?« »Nein; er ist gewaltig vorsichtig und hat nie etwas hinterlassen, denn – – aber warte, Hermann, jetzt fällt mir ein: heut in der Nacht hat er doch dem Vater ein Papier in die Tasche gesteckt, wo seine Schrift darauf zu lesen sein muß! Ich weiß zwar nicht, welche Tasche der Vater meint, aber seine Joppe hängt noch in der Stube; sie war von den Dornen zerrissen, und darum hat er die andere angezogen als er ging. Soll ich einmal nachschaun?« »Ja, geh gleich, Paule! Aber laß die Mutter nicht erfahren, daß ich hier bin; sie hat der Sorgen schon so genug!« Sie trat in das Haus. Nach einigen Minuten kam sie zurück und hielt ihm ein zusammengeknittertes Papier entgegen. »Das ist Alles, was zu finden ist; ich habe selber noch nicht darauf gesehen.« Er öffnete es mit sichtbarer Hast, strich die Falten aus und las dann die wenigen Bleistiftzeilen, denen man ansah, daß sie mit unsicherer Hand und beim Mondesscheine geschrieben worden seien. Dann legte er mit triumphirender Miene das Papier wieder zusammen und steckte es zu sich. »Ist es das rechte, Hermann?« frug das Mädchen. »Ja, ich sehe Dir es an!« »Freilich ist es das richtige und ich glaube, der ›Samiel‹ hat sich
damit gefangen. O, er ist ein gar kluger und durchtriebener Bursche! Ich habe ihn mehr kennen gelernt als mir lieb gewesen ist! Aber es ist kein Kopf so schlau und fein, daß er nicht auch einmal eine Unvorsichtigkeit begeht. Das Papier, das nehme ich mit!« Sie blickte halb freudig, halb besorgt zu ihm empor. »Ist es wahr, daß Du ihn fassen kannst?« »Fast ganz gewiß!« »Aber die Gefahr, welche dabei ist! Willst Du das Wagniß allein unternehmen?« »Das ist noch unbestimmt und muß sich erst zeigen. Aber schau mich doch an, Paule! Denkst Du wirklich, daß ich mich vor Jemandem zu fürchten brauche?« Er stellte sich vor sie hin und reckte seine kräftige Gestalt mit zuversichtlichem Lächeln empor. »Oder hast Du jemals vernommen, daß mich irgend Jemand bezwungen und geworfen hat?« Sie schüttelte ebenfalls lächelnd den Kopf. »O nein; Du warst ja stets bekannt als der Schnellste und auch Stärkste hier im Dorfe; aber der ›Samiel‹ ist doch jedenfalls kein gewöhnlicher Gegner. Sag', wer es ist, Hermann?« »Das kann ich nicht, Paule! Bis jetzt vermuthe ich es nur; sobald ich es gewiß weiß, bist Du die Erste, die es erfährt. Jetzt nun gehe ich; aber ich glaube, Du wirst bald wieder von mir hören. Leb wohl!« »Leb wohl, Hermann! Ich danke Dir gar sehr für den Trost, welchen Du mir gegeben hast; aber bitte, nimm Dich ja recht gut in Acht, damit Du nicht zu Schaden kommst. Sag lieber dem Vater, was Du thun willst, der wird Dir ja beistehen müssen!« »Ich will mir es überlegen!« Er schritt eilends über die Waldblöße und schlug dann den Weg ein, welcher von dem Forsthause nach dem Dorfe führte. Allmählig aber wurden seine Schritte langsamer, das Nachdenken minderte ihre Schnelligkeit. Auch in der Ferne schon hatte er von dem ›Samiel‹ gehört, doch war das, was man sich erzählte, mehr ein Märchen als ein wahrheitstreuer Bericht gewesen. Was er jetzt von Pauline vernommen hatte, war dagegen nur zu sehr geeignet, sein lebhaftes Interesse zu erregen. Die Vermutungen, welche die ungewöhnliche Ortskenntniß und Schußsicherheit des Wilderers in ihm erregt hatten, waren durch die Schriftzüge vollständig bestätigt worden. Er kannte diese verzogenen, wirren Buchstabenreihen; sie
waren ein deutliches Charakterbild des Schreibers. Wie oft hatte er ähnliche Zeilen in der Hand gehabt, auf's Papier geworfen in Feld oder Wald; wie oft hatten sie ihn mit Seligkeit erfüllt, wie oft ihn in das tiefste Leid geschleudert; wie oft hatten sie seine festesten Vorsätze wankend gemacht und ihn immer wieder hinausgezogen in den Forst! An einem der letzten Bäume lehnte eine weibliche Gestalt, welche bei seinem Nahen sich vom Stamme löste und auf ihn zutrat. Es war die schöne Wiesenbäuerin, die hier offenbar auf ihn gewartet hatte. »Da bist Du ja endlich wieder! Hast Du meinen Brief erhalten, Hermann?« »Erhalten habe ich ihn, ja, aber aufgemacht und gelesen nicht. Ich wollte die Annahme nicht verweigern, weil er sonst erbrochen worden wäre, und das mochte ich Dir doch nicht anthun. Lieber bringe ich ihn selber zurück. Hier hast Du ihn!« Ihr großes, dunkles Auge flammte zornig auf; mit einer kurzen Bewegung des Kopfes warf sie die reichen rabenschwarzen Locken nach hinten und trat ihm rasch um einen Schritt näher. »Was?! Empfangen hast Du ihn, aber gelesen nicht – den Brief von mir, von der Wiesenbäuerin nicht gelesen? Und warum denn nicht, wenn ich fragen darf? Wohl wegen der Dirne dort, mit der Du schön und zärtlich gethan hast fast eine ganze Stunde lang? Ich habe es gar wohl gesehen; ich stand am Busch und sah Dich zu ihr schleichen!« »Das ist mir recht, denn da hast Du gleich die Antwort gesehen auf das, was hier in Deinem Briefe jedenfalls zu lesen steht. Aber nimm ihn endlich hin, sonst muß ich Dir ihn zuschicken.« »So willst Du wirklich gar nichts von mir wissen?« »Nichts, gar nichts, selbst nicht das Geringste von dem, was man vom Nagel herunterschabt. Ich brauche es Dir gar nicht mehr zu sagen, Du hast es schon hundertmal gehört.« »So gib her!« rief sie mit dem Fuße stampfend. Und das Papier ihm aus der Hand nehmend und in Stücke reißend fuhr sie fort: »Aber dabei merke: so wie ich hier mein Schriftwerk zernichte, so zerreiße ich auch meine Liebe zu Dir, und ebenso werde ich Dich und die Paule vernichten, wenn ich euch wieder so zu sehen bekomme wie vorhin!« »Thue es, wenn Du's vermagst!« antwortete er kalt.
Sie hatte sich umgedreht und ging. Schon einige Schritte von ihm entfernt, blieb sie wie unter einem Entschlusse stehen, wandte sich dann wieder zurück und trat rasch auf ihn zu. Seine beiden Hände erfassend, schaute sie ihm mit glühenden Blicken in das ruhige Auge: »Hermann, laß mich nicht so von Dir gehen, es ist Dein Unglück und auch das meinige! Du kennst mich; Du weißt, daß meine Liebe nicht ist wie Anderer Liebe und daß ich den Wiesenbauer nur aus Eigennutz genommen habe. Du hattest nichts und ich noch weniger; der Vater war aus dem Amt gejagt und die reiche Heirath half uns aus der Noth. Ich will Dir es zuschwören, daß ich mit dem Bauer ärger noch gelebt habe als wie im Zuchthause. Ich konnte nicht von Dir lassen, ich habe es gefühlt in meiner Ehe und Dich deshalb aufgesucht so oft es nur möglich war. Wenn Du mich von Dir stößest, so gehe ich zu Grunde, aber ich nicht allein, das sage ich Dir; Du mußt auch mit!« Die Versicherung ihrer Liebe war keine Lüge, man sah es dem verführerisch schönen Weibe an. Hundert Andere hätten in ihrer Entschlossenheit gewankt, er aber entzog ihr seine Hände. »Thue was Du willst! Ich muß Dich verachten und mich schämen, daß Du einst mein Schatz gewesen bist. Dein Leben ist nichts gewesen als ein Aufruhr gegen das, was anderen Frauen heilig und werth ist, und von diesem Sinne kannst Du nimmer lassen. Vor Deiner Rache habe ich keine Bangigkeit, und darum sage ich Dir ganz offen, daß ich die Pauline heirathen werde. Ich habe mir so viel gespart, daß ich den Haushalt beginnen kann, und ich denke, auf dem ›Lakai‹ seinem Eigenthum wird wohl Glück und Segen ruhen, da er es nicht durch Untreue und Wortbrüchigkeit erworben hat.« »Hermann, ich bitte Dich tausendmal, sag', daß dies nicht Dein Ernst ist!« Sie ergriff seine Hände abermals. »Grad so habe ich auch gesagt damals, als Du mir den Abschied gabst! ›Es kann nicht Dein Ernst sein, Lisbeth – ich bitte Dich tausendmal!‹ Und was gabst Du mir zur Antwort? Du lachtest und sprachst: ›Bitte' so viel Du willst; ich mag Dich nicht mehr sehen!‹ Schau, es kommt für jede Schuld die Strafe, und der liebe Gott ist der gerechteste unter allen Richtern. Er nimmt den Lohn aus der That heraus und vergilt grad immer nur mit dem, womit man fehlt und sündigt. Dasselbe Wort, mit dem Du mich damals fast getödtet
hast, mußt Du jetzt von mir vernehmen, und dieselben Qualen, die ich sodann erduldet habe, die wirst nun auch Du erleiden. Ich will Dir wünschen, daß Du sie so überwindest, wie ich sie überstanden habe!« »Nein, ich erdulde sie nicht und ich überwinde sie nicht!« rief sie voll Leidenschaft, indem sie die Arme stürmisch um ihn schlang. »Du bist mein Leben und mein Seligkeit; meine erste und einzige Liebe hat nur Dir gegolten, Dir allein; ich will Dich haben, ich muß Dich haben, und wenn das nicht sein soll, so gilt mir Alles gleich, ob ich todt bin oder lebendig, ob Du stirbst oder lebst! Hermann, Du weißt, wie bitter die Armuth ist; laß von der Pauline und Du sollst Wiesenbauer werden. Ich will Dir gehorchen; jedes Wort, was ich spreche und Alles, was ich thue, soll Dir beweisen, daß ich nichts sein will, als nur Deine Magd, die glücklich ist, wenn Du mit ihr zufrieden bist und sie einmal freundlich anschaust. Willst Du?« Es gelang ihm nur mit Anwendung von Gewalt, sich aus ihrer Umarmung zu befreien. »Laß los; mich verlangt gar nimmer, Wiesenbauer zu werden. Was Du mir heute versprichst, das hast Du mir früher schon oft versprochen, aber Du kannst es gar nicht halten. Es treibt Dich zum Bösen, auch wenn Du grad das Gute willst, und das Feuer, welches in Dir brennt, kennt weder Ziel noch Schranke; es wird Dich selbst vernichten!« »Ist das Dein fester Wille und Vorsatz, Hermann? Ueberlege es wohl vorher!« »Mein fester! Du dauerst mich, aber ich kann nicht anders.« »So fahre hin. Du elender Wicht! Fahr hin und geh zu Grunde mit Deiner sauberen Liebsten!« Sie stieß ihm die Faust vor die Brust, daß er zurücktaumelte, und verschwand dann zwischen den Bäumen. Er stand eine Weile auf demselben Platze und sprach vor sich hin: »Was wäre das für ein Weib, wenn sie so sein könnte, wie sie zur guten Stunde oft sein will! Wie oft bin ich fast wahnwitzig über sie geworden; nun aber ist es mit ihrer Macht vorbei und die Pflicht gebietet mir, der Schlange das verderbliche Gift zu nehmen, so schwer es mir auch wird!«
2. Der Mond schien heute so hell wie gestern. Der Förster hatte sich ermüdet in die duftende Haide gestreckt und unterwarf in Gedanken die Bewohner der vor ihm liegenden Häuserreihe des Dorfes einer sorgfältigen Musterung. Der ›Samiel‹ konnte unmöglich in einem fremden Orte zu Hause sein. Und doch wollte alles Sinnen und Grübeln zu keinem Resultate führen; es gab eben unter den Nachbarn keinen einzigen, auf den ein begründeter Verdacht geleitet werden konnte. »Es bleibt dabei,« meinte er endlich, sich erhebend, »ich kann forschen und vergleichen so viel ich will: der Hermann ist's! Er hat weder Vater noch Mutter mehr oder sonst ein Anverwandtes, braucht nur für sich zu schaffen und kann also thun und lassen was er will. Bei ihm ist es gleich, ob er irgendwo dient oder sich im Forst herumtreibt, und den kennt er ja fast besser noch als ich. Er und die Lisbeth sind Tag für Tag und oft bis in die tiefe Nacht hinein darin herumgestrichen, als sie noch Kinder waren, und später ist es wohl auch nicht viel anders gewesen. Schießen kann er auch wie Einer, und wenn ich die Rache für meine Abweisung hinzufüge, so bin ich mit mir einig. Aber ich werde ihn ganz sicher noch bekommen, vielleicht gar noch heute! Gestern ist er diesseit vom Dorfe gewesen, heute wird er also wohl nach jenseit hinüber gehen, und ich kann ganz gut vermuthen, bei welchem Wechsel er dort sich niederlegt. Am besten ist's, ich komme eher als er, darum muß ich fort von hier!« Er schritt auf das Dorf zu, um es quer zu durchschneiden. Sein Weg führte ihn hart an dem Wirthshause vorüber, vor welchem innerhalb der Umzäunung an einigen zusammengerückten Tischen die gewohnten abendlichen Stammgäste Platz genommen hatten. Auch er saß zuweilen ein Stündchen in ihrer Reihe und würde sich wohl auch jetzt für eine kurze Zeit zu ihnen gesellt haben, wenn ihn nicht sein heutiger Vorsatz daran verhindert hätte. Schon stand er im Begriffe, unbemerkt vorüber zu gehen, als er ein Wort vernahm, welches ihn zum Stehenbleiben veranlaßte. »Und nun kommt das Funkelnagelneueste, was heute in der Nacht passirt ist. Habt ihr es schon vernommen?«
Es war die Wiesenbäuerin, welche sprach. Sie saß häufig dort mitten unter den Männern und trank ihr Glas Bier. So hatte sie es gehalten, seitdem sie Bäuerin war, und es fiel auch nicht besonders auf, da man dergleichen Ungewöhnlichkeiten bei ihr längst gewohnt war. »Der ›Samiel‹ hat wieder einen Zwölfer geschossen,« fuhr sie fort, »und dabei den Förster an den Baum gebunden. Ich vernahm es von dem Beihüter, der das Thier hat holen müssen.« Die Neuigkeit wurde unter allgemeiner Theilnahme für den Förster aufgenommen. Man bedauerte ihn auf das Lebhafteste und wünschte ihm Glück bei dem Bestreben, den räthselhaften Wilderer endlich festzunehmen. »Ja, ein guter Kerl mag er sein,« meinte die Erzählerin, »das will ich euch gar nicht bestreiten, aber an der Klugheit mangelt es ihm gewaltig. Er hat den ›Samiel‹ bei der Treffschau überrascht, ihn mit dem Kolben niedergeschlagen und ihm sodann die Arme verschnürt. Der aber ist bald wieder bei Besinnung gewesen, und während nun der Förster ausweidet, zerreißt er die Schnur und macht sich über ihn her, so daß er ihn wirklich an den Baum festbringt. Ist das nicht eine Schande für euern Blößenjäger?« »Nein,« antwortete eine Stimme, bei deren Klange der Förster überrascht aufhorchte, »eine Schande für ihn ist es nicht, wohl aber eine Lüge von Dir, Wiesenbäuerin! Er hat den Schuß von fern gehört und ist herbeigeeilt; während er nun vorsichtig durch die Büsche schaut und Niemanden bei dem Zwölfer erblickt, erhält er von hinten den heimtückischen Schlag, der ihn betäubt, und als er später aufwacht, ist er angebunden. So ist es gewesen, und so unehrlich und hinterlistig wie der Schlag war, ist auch Deine Lüge!« »Menge Dich nicht ein, Lakai, sonst muß man denken, Du bist der ›Samiel‹, weil Du Alles so sehr genau zu erzählen vermagst! Es ist so wie ich sagte, und wer es nicht glauben will, der kann es ja bleiben lassen. Dein Schwiegervater ist nun einmal nicht der Mann, der dem ›Samiel‹ gewachsen wäre. Ich kenne den Förster besser als ihr alle mit einander, er war ja der Heger bei meinem Vater, und als er den um das Brod brachte und selber Förster wurde, besaß er nicht einmal ein gescheidtes Gewehr, weshalb ich ihm aus Gnade und Barmherzigkeit meine Büchse zurückgelassen habe, damit er könnt' das Schießen lernen. Er kann es heute noch nicht!« »Kannst Du es vielleicht besser, Wiesenliese?« klang es da über
den Zaun herüber. »Besser als Du doch immer! Ich ging noch in die Schule, da schoß ich die Eichel vom Baume herab, Du aber hast kaum den Stamm getroffen. Komm herein und bring Deine Hollunderflinte mit, wenn Du Dich mit mir messen willst!« »Da bin ich schon!« gab er, herzutretend, zur Antwort. Es trieb ihn theils der Zorn, theils auch die unerwartete Anwesenheit Hermanns herbei; er wurde durch den Umstand, daß dieser den nächtlichen Vorgang so genau zu erzählen wußte, in seiner bereits ausgesprochenen Vermuthung bestärkt und dachte, hier vielleicht irgend einen Anhaltspunkt zu finden. »Doch mit dem Messen ist es heute nichts. Die Büchse ist zwar geladen, aber die Kugel, welche darinnen steckt, bekommt nur der ›Samiel‹!« »Das ist nur eine Ausrede; Du kannst ja wieder laden!« »Nein, ich habe es geschworen und sie bleibt also drinn für ihn. Ich stehe Dir schon noch ein andermal zu Diensten, und da wird es sich ja finden, wer den Stamm und wer die Eichel trifft, Du oder der, von dem Du erst gelernt hast, das Gewehr richtig anzufassen. – Und Du,« wandte er sich an Hermann, »woher weißt Du denn so perfekt, wie es heute Nacht zwischen mir und dem ›Samiel‹ gegangen ist?« »Ich habe es gehört.« »Von wem?« »Das werde ich Euch vielleicht später einmal sagen.« »So ist kein gutes Gewissen dabei. Hast Du gerechte Sache, so sage es gleich!« »Wenn Ihr in dieser Weise kommt, so muß ich schon reden! Die Pauline hat es mir erzählt.« »Die Pauline? So hast Du mit ihr gesprochen! Wo bist Du bei ihr gewesen?« »Am Forsthause heute gegen Abend.« »Das laß mir fernerhin nur bleiben! Du kennst einmal meinen Willen – das Mädchen ist nicht für Dich, und wenn Du zehnmal den Leuten weiß machst, daß Du ein herrschaftlicher Leibdiener bist, Du bekommst sie nicht!« »Und doch bekomme ich sie!« entgegnete Hermann, zornig darüber, daß der Sprecher diese Angelegenheit so öffentlich und vor den Ohren der Wiesenbäuerin zur Verhandlung brachte. »Nicht um die Welt, sage ich!«
»Das mag sein, denn die Welt vermag ja Keiner zu bieten, und ich erst recht nicht.« »Auch sonst um keinen Preis!« »Um keinen?« »Um keinen; er kann so hoch sein wie er will!« »Oho! Auch um den ›Samiel‹ nicht?« Der Förster trat erstaunt zurück. Wollte der junge Mann ihn etwa verhöhnen, oder war die so sorgsam gehegte Vermuthung doch vielleicht ein falsche? »Um den ›Samiel‹?! Wie kommst Du auf diesen?« fragte der Förster. »Weil er der einzige Preis ist, den Ihr gelten laßt. Oder nicht?« »Ja, den ›Samiel‹, den laß ich als Preis gelten, um den kannst Du sie bekommen!« »Gut!« rief Hermann triumphirend, »so werde ich Euer Schwiegersohn, denn ich weiß, Ihr werdet Wort halten, und hier sind ja auch der Zeugen mehr als genug. Wann wollt Ihr ihn haben?« Die Verwunderung des Forstbeamten steigerte sich bis zum höchsten Grade und auch die Anderen saßen mit geöffnetem Munde dabei und konnten sich das selbstbewußte Auftreten Hermanns unmöglich erklären. Seine Frage klang ganz so, als handle es sich nur um die Lieferung irgend eines alltäglichen und ganz gewöhnlichen Gegenstandes. »Ich habe heute gelobt, weder zu essen noch zu trinken bis er in meiner Hand ist. Und die Kugel hier in der Büchse soll entweder ihn treffen oder mich. Mach also schnell!« »So sollt Ihr ihn heute noch bekommen!« »Heute noch?« frug der Förster, und »heute noch?« klang es auch außer einem einzigen Munde von Aller Lippen. »Ja, heute noch! Ich kenne ihn ganz genau, ihn und seinen Schlupfwinkel; ich weiß sogar, wo er sich grad jetzt in diesem Augenblick befindet.« »Wo denn? Sage es schnell!« wurde er stürmisch aufgefordert. »Da bist Du es wohl selber, wie ich schon vorhin gesagt habe?« frug die Wiesenbäuerin höhnisch, aber sie war bei seinem Worte zusammengezuckt und bleich geworden. »Soll ich Dir ihn zeigen?« »Ich sehne mich nicht nach Deiner Komödie. Das Zeigen hilft
Dir nichts, ich glaube ja doch nicht daran. Ein Wildschütz muß mit der Waffe in der Hand und auf der That ergriffen werden!« »Auch das kannst Du haben! Kommt mit mir, Förster, ich gebe Euch mein Wort, schon in der nächsten Stunde steht er vor Eurer ›Hollunderflinte‹, und dann könnt Ihr ihm zeigen, was Ihr gelernt habt. Er muß hinaus, es geht nicht anders!« »So gehe ich mit! Aber ich glaube Dir erst dann, wenn ich ihn gebunden und gefesselt in meiner Stube liegen sehe. Hast Du ein Gewehr?« »Ich brauche keins. Der Lakai faßt den ›Samiel‹ blos mit der Hand! Und wenn Ihr ihn lieber in Eurer Stube als draußen im Walde schnüren wollt, so werde ich auch dieses möglich machen. Ich stimme Euch gern bei; es ist bequemer!« Er leerte sein Glas und schritt davon; der Förster folgte ihm. Die Uebrigen sahen sich mit zweifelhaften Mienen an und schüttelten die Köpfe. Der Wirth nahm zuerst das Wort: »Es wäre doch wirklich ganz absonderlich,« meinte er, »wenn der Hermann die Wahrheit gesagt hätte und sein Versprechen hielte! Ein Lügner und Windbeutel ist er nicht, das wissen wir Alle, und ein muthiger Streich ist ihm auch wohl eher zuzutrauen, als gar manchem Anderen. Ich denke, Ihr bleibt hier, bis die Frist vorbei ist, die er sich selbst gesetzt hat – vielleicht erfahren wir dann, was es draußen gegeben hat!« Der Vorschlag wurde, eine einzige Stimme abgerechnet, von Allen angenommen. »So ist es recht; so machte ich es auch, wenn ich der Wirth hier wäre!« lachte die Wiesenbäuerin. »Ich ließ die Gäste gar nimmer fort; das bringt Zechgeld und auch Vergnügen, denn wenn wir wegen dem Märchen, welches euch der Lakai aufgebunden hat, bis zum Morgen sitzen bleiben, so gibt es in der Frühe ein Gelächter im Dorfe, von dem der Kirchthurm wackelt. Ich bin nicht so dumm wie ihr, und werde schlafen geh'n. Gute Nacht!« »Gute Nacht, Wiesenbäuerin,« antwortete der Wirth; »Ihr wollt dem Hermann nicht zutrauen, daß er sein Versprechen einlöst, wir aber denken besser von ihm, und es muß sich ja bald zeigen, wer Recht behält!« Sie lachte nur höhnisch und schritt hierauf rasch von dannen. – Vielleicht eine halbe Stunde darauf, während die Gäste noch immer im Wirthshause saßen, sich die Zeit durch allerhand
Erzählungen kürzend, kam ein Mann von einem nahegelegenen großen Gehöfte, horchte vorsichtig in die Nacht hinaus und eilte dann mit hastigen Schritten querfeldein der Höhe zu, von welcher der Rand des Forstes dunkel herniederblickte. Den hellen Mondschein vermeidend, suchte er so viel wie möglich den Schatten der zerstreut umherstehenden Büsche zu benutzen; mußte er aber nothgedrungen einmal eine der lichteren Flächen durchlaufen, so war Gestalt und Kleidung deutlich zu erkennen. Von mittlerer, untersetzter Statur, zeigte er einen vollen, kräftigen Gliederbau; ein dichter, schwarzer Bart verdeckte die untere Hälfte des Gesichtes, doch ließ die Gewandtheit, mit welcher er das schwierige Terrain überwand, auf ein noch jugendliches Alter schließen. Er trug eine kurze, bequeme Joppe, hatte die Hosen in die niedrigen Stiefelschäfte gesteckt und den Hut so tief über die Stirn hereingezogen, daß die breite, heruntergeschlagene Krempe noch zu einem andern Schutze als dem gegen die unschädlichen Strahlen des Mondes bestimmt zu sein schien. Als die steile Strecke überwunden war, blieb er athemholend stehen. »Er hat Recht,« murmelte er vor sich hin, » ich muß hinaus; ich habe ja meine Gewänder draußen im Loche und die Gewehre und noch vieles Andere, was mich verrathen muß. Heut ist der schlimmste Tag in meinem Leben; aber mir gilt nun auch Alles gleich: ich schieß' sie Beide nieder! Oder denkt der Hermann etwa, ich habe kein Gewehr außer dem in meinem Verstecke? Wart', gleich werde ich eins holen und dann wehe ihnen!« Ohne auf die dichten Zweige zu achten, drang er in das Dunkel des Waldes ein und hielt nach kurzem Laufe vor einem Baume, dessen Stamm von dichtem Unterholz umgeben war. »Der ist hohl, dies weiß nur ich, und drin steckt dem Förster seine Doppelbüchse, die ich ihm gestern abgenommen habe. Sie ist geladen; das gibt für Jeden einen Schuß. Nun aber wieder fort!« Die sichere Schnelligkeit, mit welcher er sich fortbewegte, war bewundernswerth; er schien trotz des Dunkels jeden Baum, jeden einzelnen Strauch zu kennen. Es dauerte eine lange Zeit, ehe seine Schritte langsamer und vorsichtiger wurden. Er bewegte sich jetzt in dem Bette eines ausgetrockneten Baches, dessen Quell wohl schon seit langer Zeit versiegt war; je weiter er kam, desto größer wurde seine Vorsicht, und fast zitternd erhob er die Hand, um endlich
einen Steinhaufen, welcher den Weg versperrte, zu betasten. »Der Faden ist noch da, den ich darübergespannt habe; sie sind noch nicht dagewesen!« jubelte er innerlich. »Rasch hinein und schnell Alles verbrannt, was mir gefährlich ist!« Mit der bisher beachteten Vorsicht war es vorbei. Rechts und links flogen die Steine zur Seite und es wurde eine Oeffnung frei, in welche er hineinkroch. Bald leuchtete ein greller Lichtschein auf und die angezündete Talgkerze erhellte einen Raum, dessen hintere Wand eine zweite Oeffnung zeigte. Der Mann ließ entsetzt das Licht fallen. »Es ist leer. Sie sind von der anderen Seite hereingekommen und haben Alles mitgenommen! Das konnte ich mir gleich zuvor denken; der Hermann hat ja selbst das Loch gebaut unter der alten eingestürzten Brücke und weiß grad so gut Bescheid wie ich. Nun bin ich verloren, denn nun haben sie die Beweise! Doch nein, noch ist es Zeit, noch ist Rettung möglich! Sie sind ganz sicher mit den Sachen nach dem Forsthause. Ich springe nach; ich muß Alles wieder haben, was hier gewesen ist. Ich entreiße es Ihnen, und sollte ich dabei etwas thun vor dem sich Andere grauen!« Er verließ das Versteck, nahm das zurückgelassene Gewehr wieder auf und eilte nun den Weg zurück, den er gekommen war. In kurzer Zeit lag jetzt das Dorf vor ihm; er ließ es seitwärts liegen und bog nach dem Blößenhause ein. Bei der Stelle angekommen, wo heute Hermann auf die Wiesenbäuerin gestoßen war, verweilte er einen kurzen Augenblick und stieß drohend das Gewehr auf den Boden. »Ja, mir gilt es gleich, ob ich schießen muß oder nicht; es ist nicht schade um ihn. Ich thue es, wenn's nöthig ist!« Am Rande der Blöße legte er sich nieder und kroch vollständig geräuschlos bis an die hintere Seite des Hauses, welche im Schatten lag. Hier blieb er einige Augenblicke ruhig und bewegungslos. »Nun gilt es, zehnfach Achtung geben! Der Hermann will mich in der Stube fangen und kann mir darum wohl gar hier eine Falle bereitet haben. Wir wollen sehen, wer der Schlaueste von uns Beiden ist!« Niemand hatte ihn bemerkt. Er erhob sich an einem der Fenster und legte das Auge an eine Ladenspalte, durch welche ein schmaler Lichtstreifen schimmerte. Hiebei bemerkte er, daß der Laden nicht geschlossen, sondern nur angelehnt war.
»Das sind mir die Rechten; nehmen es mit dem ›Samiel‹ auf und vergessen, die Fenster zu schließen! Ja, da sitzen sie, der Hermann und der Förster, und meine Sachen liegen daneben auf der Erde. Die Unvorsichtigen haben gar ihren Rücken gegen das Fenster gekehrt, so daß sie mich überhaupt nicht bemerken können. Jetzt gilt es! – – Soll ich schießen – –? Ja, ich schieße – ich muß ja, wenn ich nicht in das Zuchthaus will!« Er nahm langsam und noch zögernd das Gewehr empor. »Jetzt stehe ich zwischen Tod und Leben, zwischen Himmel und Hölle! Ist mir's wirklich gleich, was ich thue? Erst wollte ich nur den Förster von der Stelle treiben, des Vaters halber und auch von wegen dem Hermann und der Pauline. Kann ich dafür, daß es weiter geht? Was sagte er denn heut? Ich hätte den Teufel in der Seele, der mich zum Bösen treibt? Nein, Lakai, nicht den Teufel, sondern Dich habe ich in der Seele, Du bist an Allem Schuld, Du allein treibst mich immer tiefer in das Böse hinein und hast es auch jetzt nicht anders gewollt! Fahre hin, Du und der Alte dort – – ich schieß!« Er zog den Laden so weit als nöthig herüber und, ohne in seiner Aufregung die im Zimmer Sitzenden nochmals genauer anzusehen, legte er schnell an. Im selben Augenblicke krachte auch ein Schuß durch die lautlose Nacht, noch einer – – – ein schallendes Gelächter ertönte hinter ihm. »Seit wann schießt der gewaltige ›Samiel‹ denn auf Puppen statt auf Zwölfer? Diese Art von Wild treffe ich mit meiner Hollunderflinte wohl auch!« Der Schütze stand da, das Gewehr noch im Anschlage, und starrte mit weit aufgerissenem Auge den Förster an. Ein Zweiter trat hinzu und zog ihm den tief hereingedrückten Hut vom Kopfe. Hermann war es. »Der ›Samiel‹ trägt ja Locken grad wie die Wiesenbäuerin! Nimm den Bart weg, Lisbeth!« Ein Schrei, so furchtbar und entsetzlich, als stoße ihn ein wildes Thier in der größten Todesnoth aus, entrang sich der Brust des entlarvten Weibes; dann ließ sie die Büchse fallen und brach lautlos zusammen. »Die hat genug!« meinte der Förster. »Greif zu, Hermann, damit wir sie in die Stube bringen!« Beide trugen die Unselige hinein, dann rief der Förster die beiden Frauen herbei, welche eingeweiht gewesen waren und in
einem der oberen Räume mit ängstlicher Spannung auf das Ergebniß der Kriegslist gewartet hatten. »Kommt her, wir haben sie! Der Hermann hat sein Wort gehalten und den Preis gezahlt. Geh hin zu ihm, Pauline, und danke ihm, daß er uns befreit hat von dem Feinde, der unser Unglück wollte!« Trotz des ernsten Augenblickes strahlte ein wonniges Lächeln auf dem Angesichte des Mädchens, als es zum Geliebten trat und ihm nun vor den Augen der Eltern die Hand bot. »Der Dank bleibt mir gewiß,« meinte Hermann. »Nimm Dich jetzt mit der Mutter der Bäuerin an, damit ihr das Bewußtsein wiederkommt!« Noch waren die beiden Frauen mit der Ohnmächtigen beschäftigt, die schon Zeichen des zurückkehrenden Lebens von sich gab, als draußen an die Thür klopfte und auf die Frage des Försters sich die Stimme des Wirthes vernehmen ließ. »Wie ist es gegangen, Blößenförster? Wir haben die Schüsse gehört und uns gleich aufgemacht, um nachzuschauen, wie es steht.« »Kommt herein, wenn Ihr es sehen wollt!« Er ging hinaus, um zu öffnen. Es fehlte keiner der Gäste, und unbeschreiblich war ihre Verwunderung, als sie vernahmen und sahen, wer der gefürchtete Wilddieb gewesen war. Alles drängte sich herbei, um die Bäuerin in Augenschein zu nehmen, und bei der außerordentlichen Bewegung, welche rings im Kreise herrschte, bemerkte Keiner, daß die Gefangene zuweilen einen verstohlenen Blick unter den gesenkten Wimpern hervorwarf, um ihre Umgebung zu durchmustern. Die Besinnung war ihr vollständig zurückgekehrt, sie erkannte, daß Rettung unmöglich sei und keine Macht der Erde ihr mehr helfen könne. Dort an der Wand hing die »Hollunderflinte«, die sie einst dem Förster zurückgelassen hatte. Sie war geladen; die Kugel sollte ihn oder den ›Samiel‹ treffen, wie er geschworen hatte. Noch lange lag sie unter finstern Gedanken regungslos und ließ die Schmähungen der Umstehenden über sich ergehen. Plötzlich aber tönte ein allgemeiner Schrei durch das Zimmer. Sie war emporgesprungen, hatte die im Wege Stehenden, die einen solchen Angriff nicht erwarteten, bei Seite gestoßen, das Gewehr herabgerissen und war durch die noch offen stehenden Thüren
davongesprungen. »Ihr nach, ihr nach!« rief der Förster, indem er zugleich das Beispiel gab und ohne Verzug in die mondeshelle Nacht eilte. Die Andern folgten. Sie kamen eben noch rechtzeitig, um die Fliehende am Rande der Blöße verschwinden zu sehen. Sie hatte den Weg nach dem Dorfe eingeschlagen. Wollte sie nach Hause? Die Antwort sollte den Verfolgenden bald werden. Ein Schuß krachte, Hermann hatte den Förster überholt; als er an die Stelle kam, wo er in der Abenddämmerung mit ihr gerungen hatte, stieß sein eilender Fuß an einen im Wege liegenden Körper. Er hielt den Schritt zurück und bückte sich ahnungsvoll zur Erde. Sie war es! Bald standen die Uebrigen bei ihm. Der Förster untersuchte die Todte; die Kugel war ihr grad in das Herz gedrungen. »Der ›Samiel‹ hat ausgespielt,« meinte er, nicht weniger ergriffen als die Andern. »Gott sei der armen Seele gnädig! Laßt uns ein Vaterunser beten!« Die Männer entblößten ihre Häupter und falteten die Hände. Auch Hermann folgte der Aufforderung des alten rauhen Mannes. Er fühlte sich im tiefsten Herzen gepackt von dem Schicksale, welches die einst von ihm Geliebte ereilt hatte. »Fahr hin und geh' zu Grunde!« hatte sie ihm vorhin in besinnungslosem Grimme zugerufen – das Schicksal hatte es anders gewendet und dieser Fluch war der Abschluß ihres eigenen Lebens geworden.
Der Kaiserbauer Eine erzgebirgische Dorfgeschichte von Karl May
1. Am Eingange des Dorfes lag ein kleines einstöckiges Häuschen, dessen roth angestrichenes Fachwerk munter aus dem frischen Weiß der Wände hervortrat. An einem Fenster des Wohnstübchens saß Meister Peter Fährmann, der »Bonapartenschuster« genannt, und betrachtete nachdenklich das gegenüber liegende Vordergebäude des stattlichen »Kaiserhofes«. »Komm her, Vater; bitt', geh' auch herbei, Mutter; das Essen ist fertig!« weckte ihn eine freundliche Stimme aus seinem Sinnen. Die Eltern folgten der Einladung, stellten sich an ihre gewohnten Plätze und nachdem der Hausvater der schmucken Tochter zugenickt, faltete diese die Hände und betete: »Komm, Herr Jesus, sei unser Gast, Und segne, was Du bescheeret hast. Amen, in Gottes Namen!« »Heute mag es bei Kaisers hoch hergeh'n!« bemerkte die Mutter, als das Klappern der Löffel und Messer etwas nachzulassen begann. »Wenn der Beutel so groß ist und voll, wie bei denen, so kann man sich bei der Brautschau schon sehen lassen. Aber, Bertha, Du willst heute wohl gar nichts essen?« Das Mädchen senkte das Köpfchen tiefer über den fast noch unberührten Teller und schwieg. Der Vater überhob sie einer Antwort: »Die richtige vornehme Frau bekommt der Wilhelm, das muß man sagen. Und fest scheint die Sache auch schon zu sein, denn sie ist ja schon gleich in der Kirche gewesen und hat mit ihrem Seidenstaate dagesessen wie die Prinzeß von ›Schautmichan‹.« Man sah es dem offenen Gesichte des Sprechers an, daß nicht der Neid ihm diese Worte in den Mund gelegt hatte. Der tiefe Mißmuth, welcher ihn überkam, so oft von seinem Nachbar, dem Kaiserbauer, die Rede war, hatte einen ganz anderen Grund, einen Grund, der weit, weit in die Vergangenheit zurückgriff und auf Ereignissen beruhte, über denen der Schleier der Verborgenheit ausgebreitet lag. – Indessen saß drüben in dem Kaiserhofe das Gesinde in der
Knechtestube bereits beim Essen, in dem Staatszimmer war nun auch angerichtet und der Hausherr erhob seine schwere Gestalt aus dem Polster des schwellenden Sopha's, auf welchem er mit der zukünftigen Schwiegertochter gesessen hatte. »Na, da kommt, setzt Euch her und laßt's Euch schmecken! Steinmüller, Du hast mich brav ausgefüttert, als ich bei Dir zum Anspruch war; nun sieh', ob der Kaiserhof auch 'was leisten kann! Aber wo bleibt denn der Wilhelm?« Der Genannte, sein einziger Sohn und Erbe, erschien erst nach längerem Suchen und Rufen und machte Miene, sich neben der Mutter niederzulassen. »Halt, Bursch',« gebot Kaiser; »heut ist Dein Platz ein anderer. Geh' her zum Fräulein Gretchen und thu' nicht, als könntest Du kein Mädel grade anschauen!« Erst auf den besorgten Blick, welchen ihm die Bäuerin zuwarf, gehorchte dieser, aber obgleich seine Nachbarin sich alle mögliche Mühe gab, liebenswürdig zu scheinen, widmete er ihr nur die allernothwendigste Aufmerksamkeit, sah ernst und wortkarg vor sich nieder, und wie ein Teller da drüben im kleinen Häuschen, so wollte auch der seinige nicht leer werden. Trotz der zornigen Winke, welche der Vater ihm verstohlen gab, war er der Erste, welcher sich erhob und das Zimmer verließ. »Hör', Kaiser,« gab der Müller seinem Unmuthe Ausdruck, »der Junge will mir nicht gefallen. Er ist doch ein Bursch', der sich sehen lassen kann; also warum thut er denn so zimperlich mit meiner Gret'? Die Steinmühle wird nicht viel geringer sein als der Kaiserhof, und meine Tochter darf nur die Hände hinaus thun, so hängt gleich an jedem Finger Einer. Das sollte der Wilhelm doch wissen!« »Brauchst Dich nicht so in Eifer hinein zu reden, Steinmüller. Er ist sonst immer bei der Spritz' und hat ganz Alles auf der rechten Stelle, aber mit der Gret' scheint er eben noch ein wenig zaghaft zu sein. Trink' nur immer weiter, ich bin gleich wieder da!« Er stand auf und ging hinaus, um den Sohn zu suchen. Dieser stand hinter der Gartenhecke und beobachtete über die Straße hinweg Bertha, welche jetzt drüben mit dem Strickstrumpfe am geöffneten Fenster saß. Ihr Gesicht schaute wie ein liebliches Gemälde aus dem Rahmen hervor; es hatte, nur in weicheren Linien, denselben fremdartigen Schnitt, welcher die südliche Abstammung
ihres Vaters verrieth. – – Als 1813 die Franzosen unter Vandamme bei Kulm und Nollendorf von den Verbündeten geschlagen waren, hatten viele der Fliehenden ihren Weg über das Gebirge genommen und bei den freundlichen Dörflern wohlwollende Aufnahme und Pflege gefunden. Eines Abends war der Vater des jetzigen Kaiserbauers von einem französischen Sergeanten herausgeklopft und zu einem Wagen geführt worden, in welchem eine kranke Frau mit einem kleinen Knaben gelegen hatte. Auf das Zureden seiner Frau war er bereit gewesen, die Obdachlose aufzunehmen; dann hatte sich der Soldat entfernt und vorher in einem kaum verständlichen Deutsch zu verstehen gegeben, daß er gehen wolle, um seinen Herrn, einen hohen Offizier, zu suchen. Er war jedoch niemals zurückgekehrt. Die Kranke hatte nur noch wenige Tage gelebt und ihr Söhnchen war nach einiger Zeit von Gemeinde wegen an einen armen kinderlosen Flickschuster als den Mindestfordernden versteigert worden. Dieser hatte sich des Verwaisten in väterlicher Liebe angenommen, ihn in seinem Handwerke unterrichtet und ihm dann auch nach seinem Tode das alte Häuschen hinterlassen, an dessen Stelle der herangewachsene Findling, den der Volksmund in Beziehung auf seine Abstammung und die politischen Ereignisse, unter denen er in das Dorf gekommen war, nur den »Bonapartenschuster« nannte, später das jetzige erbaute. Während er sich im Laufe der Zeit ein zwar kleines, aber freundliches und musterhaft bewirthetes Besitzthum zusammengerundet hatte, war es mit Kaisers schneller vorwärts gegangen. Die früher nur mäßige Wohlhabenheit der Familie war in solcher Kürze zu einem offen zur Schau getragenen Reichthum geworden, daß sich die Nachbarn diese Veränderung nicht mit gewöhnlichen Gründen zu erklären vermochten. Hier mußte ein ganz besonderer Umstand obgewaltet haben, und da man keinen anderen kannte, so sprach man erst heimlich und sodann offener davon, daß die Habe jener verstorbenen Französin wohl bedeutender gewesen sei, als Kaiser angegeben hatte. Auf diese Vermuthung hindeutend, nannten die Dorfbewohner, wenn der alte Kaiser es nicht hörte, seine Besitzung auch wohl den »Franzosenhof«. Wilhelm, der junge Kaiserbauer, kannte dieses Gerücht, es war zu alt und zu tief eingewurzelt, als daß es ihm hätte entgehen können, aber niemals hatte er mit solchem Ernste daran gedacht als
jetzt, wo er aus Rücksicht auf das leidige Vermögen zu einem Schritte gezwungen werden sollte, von dem er fühlte, daß er ihm nie Heil und Segen bringen werde. Hatten die Leute die Wahrheit errathen, so war ja der Reichthum des Vaters ein unrechtmäßig erworbener, und wer war der rechtliche Besitzer? Niemand anders als der »Bonapartenschuster«, der Vater der hübschen Bertha, die neben ihm aufgewachsen und seine Schulkameradin gewesen war. Er mußte jetzt immer und immer wieder hinüberblicken zu ihr, und je länger er sie betrachtete, desto fester wurde sein Entschluß, die geplante Verbindung von sich abzuweisen, es koste was es wolle. »Warum stehst Du hier und bleibst nicht drin in der Stube, wo Du hingehörst?« frug die Stimme des Vaters neben ihm. »Was hab' ich in der Stube zu suchen?« »So! Du weißt wohl plötzlich gar nicht mehr, weshalb ich die Gäste eigentlich geladen hab'?« »Das weiß ich schon; aber warum grad auch ich mit dabei sein soll, das will mir nicht einleuchten. Die Margreth braucht mir zu viel Platz; ich bleib' hier im Garten.« »Das klingt ja ganz wunderschön! Der Kaiserbauer ist gar nicht mehr Herr im Hause; sein Bub' macht, was er will, und führt den Trotz spazieren.« »Nein, Vater, das hab' ich niemals nicht versucht und möcht's auch nimmer thun. Nun aber hat Dich der Pfiffikus, der Steinmüller, bethört mit schönen Reden, weil ihm das Wasser an der Kehle steht und er sich nicht mehr anders zu helfen weiß. Er hat schlecht gewirthschaftet, und Du gehst in das Garn, weil er den Vornehmen spielt und das Fräulein Gretchen Dich hübsch am Barte zupft. Du kommst nicht aus dem Hause und hörst nichts von dem, was sich die Leut' von ihm erzählen, er macht Dir ein X für ein U; ich laß mich aber nicht als Flicklappen auf dem Steinmüller seine Mehlsäcke setzen, die er noch nicht bezahlt hat, obgleich sie schon längst zerrissen sind!« »Mach' mir nur keine Faxen vor! Wie's mit dem Müller steht, darüber braucht mich gar Niemand zu belehren; ich hab' mir die Aecker besehen, die Wiesen und Gärten, das Hausgrundstück und auch die Bücher, die er führt; er ist ein reicher Mann, fast reicher noch als ich, und Du nimmst die Margreth. Am Nachmittag geht's zum Tanz und heut über die Woche ist die Verlobung. Mach's anders, wenn Du kannst. Jetzt aber geh' hinein und schick' ihn zu
mir in die Oberstub'!« Er war gewohnt, daß jedes seiner Worte Geltung finde, darum überzeugte er sich auch gar nicht erst, ob dem letzteren Befehle Gehorsam geleistet werde, sondern kehrte stracks in das Haus zurück. Dort begab er sich in das bezeichnete Zimmer und trat zu einer alten, mit zierlichem Schnitzwerke versehenen Wanduhr, welche er öffnete. Sie war jedenfalls ein Erb- und Familienstück und hatte wohl schon oft zu geheimen Zwecken gedient, wie ihr Inneres bewies, welches das eigentliche Uhrwerk und neben demselben ein geheimes Fach enthielt, welches Kaiser öffnete, um einige Kästchen und sorgfältig umwundene Packete hervor zu langen. Kaum hatte er die Vorrichtung wieder geschlossen und die Uhr in ihre vorige Stellung zurückgebracht, so trat der Steinmüller ein. »Schieb' den Riegel vor, Müller, und komm dann her, damit Du Dir die Steine und das Geschmeide anschaust!« Er öffnete die Etuis und löste die Umhüllungen. Mit gierigen Augen und unter bewundernden Ausrufungen betrachtete der Müller den kostbaren und in allen Farben funkelnden Inhalt. »Du bist ja nicht gescheidt, daß Du einen solchen Reichthum bei Dir unnütz im Kasten liegen läßt! Gib her, das muß ich greifen!« Während er jeden einzelnen Schmuckgegenstand wie taxirend in den Händen wog, verzerrte die Habgier seine Züge, und ein anderer Mann als der Kaiserbauer hätte aus seinem unbeherrschten Lächeln sehr leicht auf Gedanken schließen können, die keiner lauteren Quelle entsprangen. »Der Vater hat nicht gewußt, wie er die Sachen los werden sollte, und ich auch nicht. Jetzt ist aber Dein Schwager Juwelenhändler und ich hab' Vertrauen zu Dir gefaßt und Dir die Geschichte erzählt. Wenn mein Bub' Deine Tochter nimmt, so kannst Du mich nicht verrathen, und Dein Schade soll's nimmer sein, wenn Dir die Sache gelingt. Wird er die Steine kaufen?« »Ich denk'! Er sagt, ich soll sie ihm nur bringen, damit er sie sehen und taxiren kann. Aber bald, noch diese Woche, weil's ihm grad' mit der Zahlung paßt.« »Nein, das geht nicht. Erst muß die Heirath fertig sein, eh' ich es wage. Ich hab' Dir die Gegenstände nur gezeigt, um Dich zu überzeugen, daß ich die Wahrheit gesprochen hab'.« »Warum nicht früher? Du wirst doch nicht glauben, daß ich Dich um das Deinige betrüge und dann mein Wort zurücknehme
von wegen unsern Kindern!« »Nein, das glaub' ich schon nicht, denn so 'was bringst Du nicht zu Stande bei mir. Ich geb' die Steine gar nimmer aus der Hand, bis ich das Geld einstecken kann, und Du sollst blos die Unterhandlung führen. Ich setze zu viel auf diese Karte, als daß ich mir nicht Alles ganz genau und reiflich überlegen sollte.« »Ach, so ist das gemeint?« frug der Müller, dem es kaum gelang, seine Enttäuschung nothdürftig zu verbergen. »So heb' sie auf, aber schau auch zu, daß der Wilhelm Dir die Rechnung nicht verdirbt!« »Dafür laß Du mich nur sorgen! Ich bin der Kaiserbauer, und wenn der was will, so ziehen zehn Pferde ihn nicht vom Platz hinweg!«
2. Bertha, die hübsche Tochter des »Bonapartenschusters«, saß noch immer mit ihrer Arbeit am Fenster, als sie plötzlich ausrief: »Vater, der Kaiser geht über die Straße. Ich glaub' gar, er kommt zu uns!« »Denk' nur so was nicht, da müßte ja eher der Himmel einfallen.« »Aber er kommt doch, und der Steinmüller ist auch dabei!« Es war so, wie sie sagte. Die Thüre wurde geöffnet, doch blieben die beiden Männer auf der Schwelle stehen. Kaiser warf einen forschenden Blick hinein und frug dann: »Ich hab' mit Dir zu sprechen. Soll ich hinzutreten, oder kommst Du vielleicht heraus?« »Wer mit mir zu reden hat, der kommt herein zu mir; so ist's hier Sitt' und Gebrauch. Was ist Euer Begehr?« »Sollst's gleich hören!« Dann fügte er, zu seinem Begleiter gewandt, hinzu: »Tritt näher, Müller, und setz' Dich; hier muß man sich selber helfen, wie's scheint!« »Wer's nicht anders begehrt, ja« meinte ruhig der Schuster, welcher sich nicht von seinem Sitze erhoben hatte. »Wer grüßt, bekommt den Stuhl, wer's unterläßt, bleibt stehen. Nun aber sagt, was Ihr wollt!« »Es ist ein Handel, den ich mit Dir machen will: Deine Hütte nämlich paßt mir schon seit lange nicht in die Aussicht; sie stört und ärgert mich, so oft ich bei mir herausschaue, doch ließ ich's gehen, weil ich bisher grad nicht die rechte Ursach' hatte, eine Aenderung zu treffen. Jetzt aber wird der Wilhelm heirathen, und da soll das Häuschen weg und an seine Stelle ein Blumengarten kommen für die junge Frau. Was willst haben für die Hütte und für das Grundstück, auf dem sie liegt?« Der Gefragte gab nicht gleich Antwort. Es war ein schwer zu beschreibender Ausdruck, welcher sich über seine Züge breitete. Endlich meinte er lächelnd: »Du glaubst gar nicht, Kaiserbauer, wie recht und willkommen mir Dein Anliegen ist! Es geht mir grad wie Dir: so oft ich aus dem Fenster sehe, ist mir Dein Hof im Weg; er stört und ärgert mich, Du
weißt gar wohl, warum. Ein Tausch ist hier die beste und schnellste Hilfe. Dann schau ich aus dem Hof und Du aus der Hütte heraus, und es gibt nichts mehr, was uns die Aussicht verdirbt.« »Willst Du mich etwa foppen, Bonapart?« »Hör', Kaiser, laß dies Wort bei Seite! Dein Vater war mein Vormund und Du kannst also wissen, wie der Name ist, den ich von meinem Pflegevater hab'. Man nennt mich Peter Fährmann hier bei mir; wo anders magst Du sagen, was Dir beliebt. Und was das Foppen anbelangt, so irrst Du Dich gar sehr. Ich mein's im Ernst und will Dich auch nicht übervortheilen. Der Tausch bringt Dir Profit: die Hütte ist mehr werth als der Hof; in ihr hat Treu und Ehrlichkeit gewohnt, so lange sie steht, und was das werth ist, kannst Du mir nicht bieten!« »Was soll das bedeuten, he, Du Bonapartenschuster!« rief Kaiser. »Das kannst Dir selber sagen, Du Franzosenkaiser!« lautete die Antwort. »Glaubst Du etwa, daß Du wie ein wirklicher Kaiser hier im Dorf gebieten kannst, welches Haus fort muß und was für eines Du dulden willst? Denkst Du etwa, daß ich Dir für all Dein Geld und Gut den kleinsten Nagel geb' von meinem Haus oder das geringste Kraut aus meinem Garten? Meinst etwa, der Peter Fährmann sei nicht so schwer wie der Inhaber vom Franzosenhof? Geh' hinaus auf den Gottesacker, wenn Dir noch nichts bekannt ist, und laß Dir von der Todten, die dort in der Ecke liegt, die Geschichte erzählen, die Dir von Nöthen ist, damit Du Demuth lernst. Dann wirst Du auch ohne Aerger zum Fenster hinausblicken können und nicht das ›Grüß Euch Gott‹ vergessen, wenn Du zum Nachbar kommst!« Kaiser hatte nicht vermocht, den Sprecher zu unterbrechen. Der Ingrimm färbte sein Gesicht mit dunklem Roth; seine Fäuste ballten sich und mit drohender Miene trat er hart zu Fährmann heran. »Willst Du schweigen, oder soll ich Dir den Mund verstopfen! Du Herr von Habenichts wärst mir der Rechte, mich hier mit der Moral zu füttern. Ich will Dir nun weiter nichts mehr sagen, als daß Deine Hütte doch noch weg muß; was ich will, das will ich, da macht kein Mensch etwas dagegen, und Du erst recht nicht!« Fährmann hatte sich erhoben und stand dem Bauer furchtlos gegenüber. »Komm nicht von Sinnen, Kaiser, und achte auf Deine Rede,
daß Du Dich nicht versprichst! Dies Häuschen bleibt mein, da macht kein König und auch kein – Kaiser 'was dagegen; halt nur den Hof da drüben fest, er steht mir sehr im Weg!« Der Steinmüller hatte sich schon längst bis an die Thüre zurückgezogen; jetzt trat er herbei und ergriff den Arm des Bauers, indem er ihn, der abermals in Schmähungen ausbrechen wollte, mit sich aus der Stube fortzog. – Bertha hatte gleich nach dem Eintritte der beiden Männer die Stube verlassen; sie ahnte, daß die Unterredung keine freundliche sein werde und vermied es daher, derselben beizuwohnen. Die Pforte des kleinen Gärtchens öffnend, trat sie hinaus auf das Feld. Dort stand ein wilder Apfelbaum; er hatte schon oft mit seinen Zweigen und Blättern zu ihren Träumen und Wünschen gerauscht, denn unter seinem schattigen Wipfel war ihr gewohntes Sonntagsplätzchen. Als sie zwischen den wogenden Aehren hervortrat, zog sie fast erschrocken den Fuß zurück. In dem weichen Grase lag Einer, den sie hier noch niemals getroffen und auch heute nicht erwartet hatte, obgleich ihre Gedanken soeben nur bei ihm gewesen waren. »Wilhelm, Du hier?« frug sie erröthend. »Das magst Du wohl nicht gern leiden? Oder ist's so ganz absonderlich, daß Du's nicht allein hier hübsch und kühlich findest?« »Gar nichts von Beidem. Ich dachte mir nur, daß Du nicht hier sein könntest, weil Du zu Hause gebraucht wirst.« »Gebraucht? Von wem?« »Von dem Besuch, der bei euch ist.« »Um den bekümmere ich mich nicht, der Müller ist beim Vater und seine Prinzeß sieht sich mit der Mutter das Linnen an. Da bedarf man meiner nicht.« »Ich hab' gemeint, Du bist grad der, wegen dessen sie bei euch sind!« »Das mag wohl sein. Ich soll die Gret' nehmen, aber ich mag sie nicht!« Er blickte finster vor sich nieder, während ihr Auge forschend auf ihm ruhte. Sie konnte kaum glauben, was er sagte; er war von Kindheit an seinem Vater in Allem fügsam gewesen, das wußte sie, und hatte mit keinem Mädchen jemals eine nähere Bekanntschaft geschlossen; daher hatte sie auch nicht im Geringsten gezögert,
seine Verbindung mit der Müllerstochter als Thatsache hinzunehmen. »Du magst sie nicht? Warum denn? Sie ist ja jung und hübsch und – vornehm genug!« »Das gilt mir gleich! Ich werde überhaupt gar nimmer heirathen.« »Du und nicht heirathen? Den Grund, den möcht' ich doch erfahren!« »Den kannst schon hören! Ich hab' Eine lieb und die ist mir nicht gut; darum bleib' ich ledig!« »Du hast schon Eine lieb?« frug sie mit sinkender Stimme. »Hier im Dorfe?« »Ja, hier im Dorf!« »Aber ich hab' Dich doch noch mit Keiner gesehen, weder auf dem Tanz, noch sonst wo!« »Ja, eben weil sie mich nicht leiden mag. Ich hab' ihr ja noch gar nichts merken lassen.« »Warum denn nicht? Du bist doch sonst kein Hasenfuß und schaffst gerade das am liebsten, was Andern schwierig fällt. Der Wilhelm vom Kaiserhof ist überall willkommen.« »Meinst wirklich überall?« »Ueberall!« nickte sie. »Auch bei Dir?« Sie blickte schnell und erglühend zu ihm empor. Er hatte sich gleich bei ihrem Erscheinen vom Rasen erhoben und hielt jetzt ihre beiden Hände in den seinen. »Wilhelm, treib nicht Spott mit mir! Du bist der Reichste und ich bin die Aermste im Ort!« »Bertha, es ist kein Scherz und Spott, glaub' mir, ich soll später Kaiserbauer werden, aber wenn ich mir die Bäuerin dazu nicht aus diesem Häuschen holen darf, so laß ich lieber den Hof fahren und thu 'was, woran der Vater nimmer denkt. Ich bin ihm gern gehorsam alle Zeit und überall, aber mein Herz gehört nur mir allein und mein Leben auch; ich laß mir das Herz nicht todtschlagen und das Leben vergiften. Das sind die Punkte, wo der Vater keine Gewalt anlegen darf, und wenn er's dennoch thut, so geh' ich fort!« Sie schwieg. Ihre Brust hob und senkte sich unter den auf sie einstürmenden Gefühlen und ihre Hände bebten leise in den seinigen.
»Hast Du mir denn gar nichts zu sagen, Bertha?« »Was soll ich Dir denn sagen?« frug sie. »Sag: ›Wilhelm, ich hab' Dich lieb!‹ zu mir!« Er zog sie an sich, hob das rosige Gesichtchen zu sich empor und blickte sie bittend an. »Ist's wirklich Dein Ernst?« frug sie erglühend. »Ja, Bertha. Bitte, sag die Worte; ich will Dir's lohnen all mein Lebenlang!« »Wilhelm,« flüsterte sie, den Kopf schamhaft an seine Brust legend, »ich hab' Dich lieb, sehr lieb!« »Und wirst mir gut sein, auch wenn ich arm bin und in Knechtesdienst gehe?« »Auch dann und noch mehr!« antwortete sie. »Aber thu's nicht um meinetwillen, denn Du weißt, ›des Vaters Segen baut den Kindern Häuser‹, und ich könnte Dir doch nichts von Alledem wiedererstatten, was Du um mich dahingibst. Wilhelm, folg' dem Vater, oder prüf' Dich doch zuvor, eh' Du den Schritt thust, der gar schwere Folgen hat!« »Das hab' ich schon gethan, schon Wochen lang, Bertha, denn die Geschichte mit der Gret' ist nichts Neues. Der Müller ist ein ruinirter Mann und denkt sich durch die Verheirathung seiner Tochter mit mir wieder aufzuhelfen – ich möchte nur wissen, womit er's dem Vater angethan hat! Der ist ganz in ihn und in seine Putzmamsell vernarrt und läßt sich nimmer rathen. Ich hab' gewiß nichts unterlassen von dem, was ein guter und folgsamer Sohn in meiner Lage thun soll, und auch die Mutter ist ihm fast zu Füßen gefallen; er aber läßt nicht von seinem Sinn. Aber wenn man die Saite gar zu hoch spannt, so muß sie endlich platzen, und ich hab' auch meinen Kopf, wenn's gilt, ihn aufzusetzen für ein Recht, das ich mir trotz meiner Kindespflicht nicht rauben lassen darf. Er mag wohl zusehen, daß er über die Schwiegertochter nicht den Sohn verliert!« »Da wär' auch viel verloren, Du ungerathener Bub!« erklang es zornig hinter ihm. Kaiser war mit dem Müller nicht direkt nach Hause zurückgekehrt, sondern hatte ihn zur Besichtigung von Fährmann's Grundstück denselben Weg geführt, welchen Bertha vorher gegangen war. »Nimm gleich den Arm fort von der Dirne, sonst werd' ich Dich lehren, mir Trotz zu bieten!« Das Mädchen war, auf's Aeußerste erschrocken,
zusammengefahren und wollte sich aus Wilhelms Armen winden; er aber hielt sie fest. »Ich hab' nicht gemeint, Vater, daß es so gar schnell kommen werde,« antwortete er, sich ruhig zu ihm wendend; »aber es ist mir eben recht, daß Du so früh schon siehst, wie es mit uns steht!« »Was? Soll ich am End' noch glauben, daß es kein Spaß ist, sondern Ernst da mit der Schusterpupp'?« »Es ist der Ernst, Vater. Aber die ›Pupp'‹ laß weg; die Bertha hat mehr Sorg' und Arbeit in der kleinen Fingerspitze, als in der ganzen Gret' zu finden ist!« »Dann laß aber sofort gleich los, sonst helf' ich nach!« drohte der ergrimmte Bauer, und als dem Befehle nicht augenblicklich Folge geleistet wurde, griff er zu und versuchte, die Beiden aus einander zu reißen. Bertha schrie laut auf unter dem Drucke seiner rücksichtslosen Hand. »Vater, ich bitte Dich, geh' nicht zu weit! Schlag' auf mich, so viel Du Lust hast, ich werde mich nicht dagegen wehren, denn ich bin Dein Sohn, aber das Mädchen laß in Ruh'!« »Wie –? Du willst mir gar noch drohen, mir, dem Vater?! Gib die Bettelbonapartin los, sag' ich, oder ich schlag' euch Beide zu Boden!« »Nein, das soll nicht geschehen; vor dem kann ich Dich noch behüten, Vater!« Er gab die zitternde Geliebte frei. »Geh' nach Hause, Bertha, und grüß' mir die Eltern; ich werde noch heute mit ihnen sprechen!« »Das sollst Du mir nur wagen!« herrschte Kaiser ihm zu. »Da hab' ich auch ein Wort darein zu reden und Du sollst sehen, was ich dann thu'!« »Ich werd's zu tragen wissen; aber die Gret' zwingst Du mir nicht auf! Leb' wohl, Müller; wir sind mit einander fertig!« Er ging; auch Bertha war schon längst hinter den hohen Getreidehalmen verschwunden. »Hast' so 'was für möglich gehalten, Steinmüller? Ich hab' den Bursch noch niemals so gesehen; aber es wird sich schon zeigen, wessen Kopf der härteste ist!« »Sie sind gleich hart, Kaiserbauer, dies hab' ich ganz zur Genüge bemerkt,« antwortete der Müller kalt. »Du wirst nicht weichen und er wird nicht weichen; so fahrt ihr erst noch 'mal recht zusammen und dann für immer aus einander. Aber das kann weder
Dir noch mir 'was nützen. Ich brauch' mein Kind gar Niemanden an den Hals zu werfen. Komm fort! Ich fahre nach Haus, um mir das wegen der Steine noch zu überlegen. Die Sache hat ihre zwei Seiten, und wenn sie vor's Gericht käm', so wär's um mich geschehen. Am besten ist es immer, man zeigt so 'was gleich selber an, eh' man sich in Gefahr begibt!« »Steinmüller!« rief Kaiser voll Schreck und Besorgniß. »Ja, so ist's!« antwortete dieser mit nachdenklichem Kopfnicken. Der Bauer blickte verlegen vor sich nieder und schritt schweigend an seiner Seite hin. Beim Hofe angekommen blieb er stehen. »Hör', Müller, wenn Du Dich auf die schlechte Seite legen willst, so kannst Du doch nichts ausrichten; mir kann ja nichts bewiesen werden, da Du keine Zeugen hast. Aber so weit soll's auch gar nicht kommen! Ich nehme den Wilhelm jetzt gleich noch 'mal vor und Du wirst sehen, daß er sich fügen muß. Ich bin schon noch der Mann, den Trotzkopf gefügig zu machen!«
3. Wilhelm kehrte von seinem Gange zu Bertha's Eltern soeben in den Kaiserhof zurück, wo seine Mutter schon in lebhafter Besorgniß auf ihn wartete. »Ja, Mutter, ich war drüben,« erwiederte er auf ihre Frage. »Aber weine doch nicht, vielleicht gibt der Vater noch nach! Mag's kommen, wie es will, ich bin Dir doch nicht verloren.« »Und was hat Fährmann gesagt?« »Ich wär' ein braver Bursch' und ihm schon recht und lieb als Schwiegersohn, wenn ich arm wär' und nicht der Sohn vom Kaiserbauer.« »Und was wirst Du nun thun, wenn Du jetzt hinaufkommst zum Vater?« »Das wird sich ganz nach dem richten, was er von mir fordert. Ich will nicht dringlich sein mit der Bertha; die Zeit wird schon das ihrige thun; aber er soll mich auch mit der Gret' nicht treiben!« »So geh'! Er wartet schon lang auf Dich.« Als Wilhelm bei dem Bauer eintrat, befand sich derselbe sichtlich in einer gereizten Stimmung. »Warum kommst Du nicht, sobald ich Dich rufen laß? Oder soll ich etwa gar den Herrn Sohn um Audienz bitten, wenn ich mit ihm zu reden hab'?« »Ich war nicht zu Haus' und hab' erst jetzt erfahren, daß ich zu Dir kommen soll.« »Wo bist Du gewesen?« »Beim alten Fährmann.« »Da bist Du gewesen? Also doch!« rief er, während die Adern an seiner Stirn dunkler hervor traten. »Was hattest Du denn dort zu schaffen?« »Nicht viel. Ich hab' gesagt, daß ich die Bertha will.« »Und was hat der Bonapartenschuster dazu gemeint?« »Er sagte, die Sache hätte noch viel Zeit.« »Da ist er klüger als ich dachte! Die Sache hat nicht allein noch viel Zeit, sondern sie ist überhaupt ganz unmöglich. Du heirathest die Gret'; ich hab's gesagt und dabei bleibt's!« Wilhelm war gewohnt, in dieser Angelegenheit die Meinung des
Vaters in möglichster Entschiedenheit und Kürze mitgetheilt zu erhalten, jetzt aber lag in Blick und Ton desselben eine Herzlosigkeit, die ihn empörte und jede Nachgiebigkeit von seiner Seite vollständig unmöglich machte. »Ist dies Dein letztes Wort, Vater?« »Mein letztes Wort!« »Und ist an dieser Wahl nichts mehr zu ändern?« »Nicht eine Silbe und nicht ein einziger Buchstab'!« »So will ich noch einmal bitten, Vater, das letzte Mal! Dein Herz kann doch nicht ganz zu Stein geworden sein, und wenn –« »Laß das Geschwätz! Du hast gehört was ich will, also wähl': Die Gret' und den Hof oder den Weg aus dem Hause!« »Du willst's, Vater, und des Menschen Wille ist sein Himmelreich, aber oft auch seine Hölle. Mag Dir das Letztere niemals zutreffen! Ich laß den Hof sammt eurer Gret' und geh in die Fremde. Leb' wohl, Vater!« Er sprach es mit bebender Stimme und unter hervorbrechenden Thränen, indem er langsam herzutrat und die Hand zum Abschiede bot. Eine solche Festigkeit hatte Kaiser nicht erwartet; aber statt ihn zur Erkenntniß zu bringen, steigerte sie vielmehr seinen Zorn bis zu einem Grade, der fast Wuth zu nennen war. »So fahr' denn hin, aber bleib' mir ja mit Deiner Hand vom Leibe! Und wenn Du mir jemals wieder den Hof betrittst, so wirst Du hinausgejagt, das merke!« Er riß einen Schrank auf, wühlte in alten Wäsch- und Kleidungsstücken herum, welche den Boden desselben bedeckten, und brachte eine zusammengebundene Rolle hervor. »Damit Du aber nicht ganz und gar leer von dannen schleichst, so will ich Dir das Erbe vom Bonapartenschuster mitgeben. Die Fetzen sind zurückgeblieben, als er versteigert worden ist! Nun aber marsch!« »So leb' denn wohl, Vater, und laß Dich nie gereuen, was Du an mir thust!« sagte Wilhelm tief bewegt, indem er das Packet an sich nahm und damit hinwegschritt. Als die Thüre sich hinter dem Fortgehenden geschlossen hatte, ließ sich Kaiser langsam auf den Stuhl nieder. Es war ganz anders gekommen, als er sich gedacht hatte. Nur allein von der Habsucht war er mit dem Müller zusammengeführt worden; dann hatte die Sorge um die Sicherheit ihm den Gedanken an eine Verbindung zwischen der Tochter desselben und seinem Sohne eingegeben, und
diese Sorge war es auch gewesen, die ihn so schroff und starr gegen Wilhelm auftreten ließ. Der letzte Trumpf, auf den er sich verlassen hatte, war nun erfolglos ausgegeben und es klangen ihm die Worte ›am besten ist's immer, man zeigt so 'was gleich selber an‹ gar ernst und drohend an das Ohr. Lange Zeit saß er so sinnend da, schlimme Befürchtungen stiegen in ihm auf und er fand kein Mittel, sie von sich abzuweisen. Gewiß war schon eine Stunde seit dem Weggehen Wilhelms verflossen – der Kaiserbauer überhörte das Oeffnen der Thüre und fuhr erst bei dem Klange einer bekannten Stimme aus seinem Brüten auf: »Wach auf, Kaiser! Du hörst's wohl gar nicht, daß man klopft und grüßt?« »Was willst Du, Bonapartenschuster, – was hast Du in meinem Hause zu suchen!« »Dich such ich. Aber laß das Schimpfen; ich warne Dich nicht zum dritten Mal! Der Wilhelm ist bei mir; er hat mir von Dir das Gewand gebracht, worein ich gekleidet war, als die Mutter mit mir in's Dorf gekommen ist. Warum hast Du es nicht behalten?« »Was soll ich mit den Lumpen thun? Dir sind sie wohl nöthiger als mir!« »Da hast Du Recht, Kaiserbauer! Diese Lumpen sind mir nöthig gewesen schon lange, lange Zeit, und ich gäb' viel darum, wenn ich sie früher gehabt hätte, denn ich habe in ihnen das gefunden, wornach mein Trachten ging so lang ich lebe. Schau her, ich will Dir's zeigen!« »Pack Dich schnell mit Deinem Kram hinweg!« »Ganz wie Du willst! Ich wollte das Packet auf das Amt tragen, um mein Eigenthum von Dir zu fordern; aber der Wilhelm hat auch die Schrift gelesen, die zwischen dem Futter eingenäht war, und er hat mich um Gnade für Dich gebeten. Ich hab mich überwunden und ihm den Wunsch erfüllt, doch wenn Du selbst es anders willst, so kann ich auch wieder gehn. Behüt Dich Gott, Kaiserbauer!« »Halt, Fährmann! Was meinst Du für ein Schreiben! Zeig' es her!« »Das bekommst Du jetzt nimmer in die Hand, aber sagen kann ich Dir's genau. Meine Mutter hat damals gefühlt, daß sie auf den Tod krank war und Deinem Vater all ihr Hab und Gut übergeben, um es für mich aufzuheben. Ihr Vertrauen ist aber bald wieder geschwunden und da er ihr die Rückgabe verweigert und sie auch
mit Niemanden zusammengelassen hat, so ist sie auf ein Mittel verfallen, mir dennoch das Meinige zu erhalten. So hat sie denn die ganze Sache niedergeschrieben und mit ihrer letzten Kraft das Papier mir in's Gewand genäht, damit es später gefunden werden solle, und darauf ist sie gestorben. Nun hat Dein Vater mir mein Erbe gestohlen und nicht einmal das bischen Brod für mich gehabt, so daß ich versteigert worden bin wie ein Stück nichtsnutziges Gerümpel. Aber der liebe Gott hat's besser mit mir gemeint und mich zu Leuten gebracht, die das Herz an der Stelle gehabt haben, wo bei den Kaiserbauern nur das böse Gewissen lebendig geworden ist. Er hat's gefügt, daß die Schrift von dem Dieb selber ist verwahrt worden, ohne daß der es merken konnte, und daß ich heute grad dahin fassen mußte, wo sie verborgen war. Jetzt wird nun auch seine Drohung wahr: ›Er sucht die Sünden der Väter heim an den Kindern, auf die sie übergehn, bis in das dritte und vierte Glied‹. Dein Vater war der Stehler, Du bist der Hehler geworden, und nun schau zu, was weiter folgt!« Kaisers Züge waren bei dem Beginn dieser Rede schreckensbleich geworden; bald jedoch hatte er sich wieder gefaßt und entgegnete jetzt mit scheinbarer Ruhe: »Das ist ja der schönste Roman, Bonapart, den ich jemals vernommen hab', und nicht wahr, den hast Du Dir blos deshalb erdacht, weil ich Dir heut in die Quere gekommen bin? Solch eine Schrift kann Jeder machen, der Anderen eine Grube bereiten will; die gilt nichts bei mir und nichts vor Gericht. Du machst mir gar nicht bange!« »Irr' Dich nicht, Kaiser! Dein eigener Sohn und noch mehrere andere Zeugen sind dabei gewesen, als ich sie gefunden habe, und somit wird mir das Gericht schon glauben. Das Gewand ist nur in Deiner Hand gewesen, und Du wirst den Beweis gegen Dich selber doch wohl nicht hineingethan haben!« »Zeig her die Schrift!« »Die bekommst Du nicht! Bleib' aber dort stehen, dann will ich Dir beweisen, wo sie gesteckt hat.« Er öffnete das wieder mitgebrachte Kinderkleidchen, zog an einer geschützteren Stelle desselben das Futter von dem Zeuge und brachte aus dem Verstecke ein feines, engbeschriebenes und zusammengefaltetes Blatt hervor. »Da schau'! Und auch das Verzeichniß ist dabei von dem, was
sie Deinem Vater übergeben hat. Von dem Geld habt Ihr wohl den Hof gebaut, und der Schmuck, wer weiß, wohin der gerathen ist. Oder hast Du ihn vielleicht noch, Franzosen-Kaiser?« »Für den Schimpf gibst Du mir den Wisch!« klang es hastig. Mit einem raschen Schritte stand Kaiser vor Fährmann und faßte nach dem Papiere. Der Letztere zog es zurück, wurde aber von den Armen des Bauern so fest umschlungen, daß er sich nicht zu bewegen vermochte. »Her mit dem Zettel, sag' ich; Du kommst mir nicht los, bis er zernichtet ist!« »Und Du bekommst ihn nicht, und sollt' es mein Leben kosten!« stieß Fährmann keuchend aus der zusammengepreßten Brust hervor. Sie rangen mit Anstrengung aller ihrer Kräfte; Kaiser war stärker als sein Gegner und dieser merkte, daß er in's Wanken komme. Er konnte nicht mehr schreien, faßte aber instinktiv nach einem Halt und – fühlte sich im nächsten Augenblicke aus der gefährlichen Umschlingung befreit. Er hatte die Gewichtsschnüre der neben ihm hängenden Uhr ergriffen und diese letztere von der Wand gerissen; Kaiser war von ihr an die Schläfe getroffen worden und besinnungslos zu Boden gesunken. Das alte Erbstück lag zerbrochen neben ihm; der Kasten war aus den Fugen gegangen und ließ das verborgene Fach sammt dem nun bloßgelegten Inhalte sehen. Fährmann gewahrte diesen seltenen Inhalt und hob, von einer plötzlichen Ahnung getrieben und den regungslos auf dem Fußboden liegenden Kaiserbauer darüber vergessend, eines der zierlichen Etuis auf. Es öffnend, entdeckte er eine kostbare goldene Uhr an einer ebenso werthvollen Kette. »Ist's denn möglich? Das ist ja die Kette und Uhr, die auf dem Papier verzeichnet steht! Laß schnell weiter sehen!« Er kniete nieder und öffnete mit zitternden Händen die Hüllen. Sie enthielten die sämmtlichen Schmuckgegenstände, welche die Verstorbene ihrem verlassenen Kinde hatte retten wollen; kein einziger fehlte, denn die Angst vor einer Entdeckung hatte die beiden Kaiserbauern von einem Verkaufe abgehalten. Da ging die Thür auf und der Steinmüller trat ein. Mit einem raschen Blicke hatte er die Situation erfaßt. Er hatte Wilhelm fortgehen sehen und erkannt, daß die geplante Heirath nun nicht zu Stande komme; hier lagen jetzt die verhängnißvollen Schmucksachen zerstreut auf dem Fußboden, kam das Gesinde dazu, so war öffentlich bewiesen, daß der Bauer ein
Dieb und Hehler sei, und das bot ihm für die erlittene Enttäuschung wenigstens eine Rache, die er sich nicht versagen konnte. Seine Stimme drang schallend hinunter in den Wohnraum, aus welchem, die Bäuerin voran, alle darin Befindlichen herbeieilten. Seine Absicht wurde jedoch von Fährmann durchkreuzt. Dieser schlug die Thür zu und trat den Leuten entgegen. »Geht nur zurück! Den Bauer hat eine Schwäche überfallen und nur die Frau darf hinein.« Die ruhige Mahnung genügte, denn der Schuster war Allen als ein unbescholtener und braver Mann bekannt, dem man vertrauen konnte. Sie zogen sich schweigend zurück und der Müller folgte ihnen; es fehlte ihm die nöthige Entschlossenheit, die eingeleitete Rache auch auszuführen. – Drüben im kleinen Häuschen saßen drei Personen und warteten mit ängstlicher Sorge auf die Rückkehr Fährmann's. Schon brach die Dämmerung herein und noch immer kam er nicht. Das breite Thor des Kaiserhofes öffnete sich und ließ den Wagen des Müllers hindurch. Die Brautschau war vorüber und Niemand rief den zwei Scheidenden ein freundliches Abschiedswort nach. Da kam einer der Knechte langsam über die Straße und blickte durch das offene Fenster in die Stube. »Bist Du noch hier Wilhelm?« »Ja. Was soll's?« »Sollst gleich zum Vater kommen und die Bertha mit der Mutter zur Bäuerin. Es muß ganz 'was Absonderlichs geben. Der Müller wollte mit seiner Puppe nicht fort; er schwatzte viel unverständiges Zeug vom Gericht und vom Rubin und Diamant, es konnte kein Mensch daraus klug werden, und da hat ihn der Bauer endlich gar hinausgejagt. Mach schnell! Ich glaube, der Vater hat geweint, der Fährmann auch, und die Mutter sitzt noch jetzt am Herd und wischt sich die Augen.« Das waren gute Zeichen. Mit klopfendem Herzen eilte Wilhelm den beiden Anderen voran und trat nach wenigen Augenblicken in dieselbe Stube, in welcher ihn der Vater vor so kurzer Zeit vom Hofe verwiesen hatte. Dieser saß an der Seite des Schusters auf dem Kanapee und hielt die Kreide in der Hand. Die Tischplatte vor ihm war mit Zahlen beschrieben. »Geh' her, Wilhelm, ich hab Dir 'was zu sagen!« sprach er mit
mattem Lächeln. »Du bist heute widerständig gewesen gegen meinen Willen; ich will dennoch versuchen, ob Dir wirklich mein Befehl nichts gilt. Du hast geglaubt, daß wir reich sind; es ist aber nicht wahr. Mein Vater hatte ein großes Kapital geborgt vom Fährmann und den Hof davon gebaut. Wie das zugegangen ist, das wirst Du später schon noch erfahren. Jetzt nun ist die Summe mit den Zinsen so hoch angewachsen, daß mir kein Stein vom Hof verbliebe, wenn ich sie zurückzahlen sollte. Der Peter ist nicht so arm wie Du denkst; er braucht das Geld jetzt nimmer und will's der Bertha zur Beigabe schenken, wenn sie heirathet. Ich mag aber die Schande nicht erleben, daß ich vom Kaiserhof weg muß, und darum befehle ich Dir jetzt, daß Du die Bertha zur Frau nimmst. Mit der Gret' hast Du Recht gehabt, Wilhelm, mit der ›Schusterpupp'‹ aber will 'mal ich Recht behalten!« »Vater – – –!« »Mach's kurz! Willst Du oder willst Du nicht?« »Ob ich will! Mit tausend Freuden! Sie ist unten bei der Mutter. Darf ich sie herbeiholen?« »Ja geh' und bring' sie.« Schnell wie der Wind war er zur Thür hinaus. »Hier hast Du meine Hand, Kaiserbauer,« meinte Fährmann; »Du hast die Probe bestanden und sollst nun auch mit mir zufrieden sein!« »Was wirst Du denn nun jetzt beginnen? Dein Vater muß ein gewaltig großer Herr gewesen sein; denk' nur an das Wappen auf dem Ring und an der Berloque! Willst Du nicht nachforschen nach der Familie, zu der Du gehörst?« »Nein. Die Mutter hat auf ihrem Todtenbette den Zettel nicht ganz bis zu Ende fertig gebracht und den Namen nicht mehr hinzufügen können; gewiß fühlte sie, daß es zu Ende ging und hat nur noch mit letzter Kraft das Papier in mein Gewand genäht, und auf dem Wappen ist auch nichts zu lesen. Ich bin und bleibe der Schuster Fährmann und passe nicht unter vornehme Leute! Zufriedenheit ist mehr werth als äußerer Schein, und ein Schuster, der seine Pflicht erfüllt, ist auch nichts Schlechteres als ein Graf, der das Seinige versteht. Ich bleibe in meinem Häuschen!« »Und ich? Darf ich auf meinem Hofe bleiben?« frug Kaiser in trübem Scherz. »Peter, Du hast mir die Hölle so heiß gemacht, wie's kein Pfarrer zu Stande gebracht hätte, doch ich habe jetzt
eingesehen, daß ich gar viel an Dir gut zu machen habe, und ich werd's nach Kräften thun!« Als die Anderen herbeikamen, fanden sie die beiden Männer Hand in Hand neben einander sitzen. Ein einziger Nachmittag hatte die Entzweiung eines ganzen Menschenalters ausgeglichen; der Abend war hereingebrochen, und als nun traulicher Lampenschimmer die Stube erhellte, beleuchtete er einen Kreis glücklicher Personen, unter denen es Einen gab, der erst jetzt erkannte, worin der wahre Reichthum bestehe – den alten Kaiserbauer.
Der Teufelsbauer Originalerzählung aus dem Erzgebirge von Karl May
I. »Reißt aus, reißt aus, der Teufelsbauer kommt!« rief es unter einem Trupp von Schuljungen, welche sich mit ihren Spielen auf der Dorfstraße breit gemacht hatten, und kaum war der ängstliche Ruf erschollen, so stob die Schaar lautlos nach allen Richtungen auseinander. »Macht rasch die Thür'n zu und schlagt drei Kreuze; der Einsiedel geht durchs Dorf!« klang es in den Häusern. Die Fenster und Thüreingänge wurden geschlossen, und nur verstohlen lugten die Köpfe der Neugierigen nach dem Manne, dessen bloßes Erscheinen die Abergläubischen unter den Dorfbewohnern in Furcht zu setzen vermochte. Es war eine lange, breitschulterige Gestalt, welche langsam dahergeschritten kam, den Blick finster zur Erde gesenkt und scheinbar gleichgiltig gegen die verletzenden Demonstrationen. Aus dem Fenster eines Hauses, neben dessen Thür auf blechernem Schilde das Wort »Ortsrichter« zu lesen war, schaute ein kleines, hageres und spitzes Gesicht hervor. »Tannenbauer,« tönte es schnarrend zwischen den schmalen, breitgezogenen Lippen hervor, »geh' doch net durchs Dorf, sondern lauf' lieber dahinter weg. Du waaßt schon, warum!« Der Angeredete that, als habe er die Beleidigung nicht vernommen, und setzte ohne Zögern seinen Weg weiter fort. Unter dem Thorwege eines der größeren Güter lehnte ein hagerer, aber sehnig gebauter Mann, dessen kleine, grünlich schimmernde Augen unter den haarlosen und eigenthümlich zwinkernden Lidern hervor neugierig die Straße beobachteten. Als er den Kommenden erblickte, fuhren die eng zusammengezogenen Züge überrascht auseinander, und mit gehässigem Grinsen murmelte er vor sich hin: »Der Teufelsbauer vom Tannenhofe? Was muß denn den heut' zum Sonntage aus seiner Satansklaus' hervorgetrieben hab'n? Wenn der sich sehen läßt, so giebt es sicher aan Unglück im Dorfe. Wart', ich fürcht' mich net vor ihm und werde ihm gleich zeig'n, daß ich noch immer der Alte bin!« Er trat einige Schritte vor, reckte die Beine breitspurig voneinander und schlug die langen Arme herausfordernd über die
Brust zusammen. »Lebst' denn wirklich noch, Haubold Frieder?« fragte er mit absichtlich erhobener Stimme, damit man ihn in der Nachbarschaft hören könne. »Hab' gedacht, daß Du schon längst mit dem Leibhaftigen fortgeflog'n bist! Aber sag' doch 'mal, wie war denn eigentlich damals die Geschicht' mit meinem Bruder? Bist wohl net mit dabei gewes'n?« Haubold zog die Brauen enger zusammen, senkte den Kopf noch tiefer und würdigte auch diesen Zuruf keiner Beantwortung. Als er das scharfe, höhnische Lachen vernahm, welches hinter ihm erscholl, wurden seine trotz des Alters noch immer schön zu nennenden Züge um einen Schatten bleicher, die Lippen legten sich mit herbem Ausdrucke aufeinander, und aus dem großen dunkeln Auge fiel ein Blitz zur Erde, in welchem Verachtung und Bitterkeit mit gleicher Stärke leuchteten. Da klang es halblaut und freundlich aus der Ecke des zu dem Gute gehörigen Gartens: »Gut'n Tag, Herr Haubold!« Verwundert blieb er stehen und hob den gesenkten Kopf empor. Am Zaume stand mit verlegenem Gesichtchen ein junges, kaum zwanzigjähriges Mädchen, welches unter dem forschenden Blicke des ernsten Mannes die Augen niederschlug, als habe es eine Sünde begangen. »Grüß' Gott, mein Kind! Sag', wer bist Du denn, daß Du dem Teufelsbauer net auch den Gruß versagst?« »Ich bin die Kathrin', und mein Vater – mein Vater, das ist – das ist der Wies'nbauer, der jetzt zu Euch geredet hat,« lautete die zögernde Antwort. »Der Wies'nbauer? Du bist seine Tochter und magst mich doch grüß'n?« »Ich grüß' Euch gern!« Ihr Auge hob sich und suchte wie bittend das seine. »Ich hab' gehört, was der Vater sagte, und – und –« »Und wolltest wieder gut mach'n, was er Böses gesproch'n hat?« »Ja; aber bitt', nehmt mir's net übel!« »Wie könnt' ich Dir darüber zornig sein, Kathrin'? Ich hab' Dich noch gar net gekannt, und vielleicht bist Du besser als Dein Vater. Du bist aan unschuldig Blut und kannst ja nix dafür, daß er so große Feindschaft hegt. Hab' Dank für Deine gute Red' und bleib' immer so brav, wie Du jetzt alleweil bist!«
Er reichte ihr die Rechte über den Zaun hinüber und wendete sich dann zum Gehen. Sie blickte ihm nach, so lange sie es vermochte, und athmete dann, während ein zufriedenes Lächeln um den kleinen Mund spielte, tief und erleichtert auf. »Endlich hab' ich's 'mal gewagt! Sie sind alle so schlimm mit ihm, und er ist doch so still und gelass'n dabei. Vielleicht ist gar nix wahr von Dem, was die Leut' von ihm sag'n, und der Gustav – der Gustav ist ganz gewiß auch lieb und gut, obgleich er g'rad' so finster d'reinschaut wie sein Oheim und kaan and'rer Bursch' 'was von ihm wiss'n mag!« Sie zerpflückte sinnend die Blume, welche sie von der Frühkirche her noch am Busen stecken hatte. »Wenn man nur 'mal mit ihm sprech'n könnt'! Aber ich hab' noch niemals net geseh'n, daß er mit irgend wem geredet hätt', und auf dem Tanz, da ist er erst recht nimmer zu erblick'n. Es ist nur gut, daß der Vater gleich in die Stub' gegangen ist und net hat sehen können, daß ich mit dem Tannenbauer Zwiesprach' gehalt'n hab'. Wo der nur hingeh'n wird? Er kommt kaum alle Jahr' 'mal in das Dorf, und dann wird irgend 'was hervorgesucht an dem er schuld sein soll!« Auch Der, nach dem sie sich fragte, konnte seine Gedanken nicht von der unerwarteten Begegnung wenden. Was hatte die Tochter seines Todfeindes veranlaßt, ihn zu grüßen? War es wirklich bloß die Absicht, die Härte ihres Vaters zu mildern? Er hatte sie noch niemals gesehen oder wenigstens ihr bei einer etwaigen Begegnung keine Beachtung geschenkt, und jetzt stellte sie sich ihm auf einmal so freundlich und versöhnend gegenüber. Das müßte wohl einen besonderen Grund haben. Die milde Erscheinung mit dem flehenden Auge hatte ihm, dem Gemiedenen, wohlgethan; er sann und sann im Vorwärtsschreiten und fuhr fast erschrocken auf, als er hinter sich eine rufende Stimme vernahm: »Was ist's denn, Haubold, daß Du vorübergehst? Ich denk', Du willst zu mir!« Er wendete sich zurück und trat auf den Sprecher zu. Dieser hatte schon längst wartend am geöffneten Thore gestanden, dessen altersschwarze Flügel mit drei weißen, riesigen Kreuzen bemalt waren, und hielt ihm jetzt mit sichtbarem Widerstreben die Hand entgegen. »Ach so, ja; ich war in Gedank'n und hab' da gar net bemerkt,
daß ich schon bei Dir bin. Aber behalt' Deine Hand; Du giebst sie mir doch net gern!« Sein Blick fiel auf die zur Abwehr bestimmten frommen Zeichen. »Was sollen denn die Kreuz' bedeut'n?« »Denk' ja net etwa, daß es weg'n Dir ist!« lautete schnell die vorbeugende Antwort. »Es ist mir 'was Heimlich's über meinen Stall gerath'n, und da hab' ich die Kreid' genommen und die heilige Dreifaltigkeit ans Thor geschrieb'n. Ich denk', der Knecht hat Dir's erzählt!« »Schon gut! Ich waaß genau, woran ich mit Euch bin. Ihr seid Aaner so dumm und ungut wie der Andere, sinnt Euch allerlei Fixfaxerei aus über mich und macht Euch einander den Unsinn so lang' weiß, bis Ihr endlich selbst an Eure eig'nen Lüg'n glaubt. Und wenn Ihr dann den Karr'n 'mal tief hineingeschoben habt, so bin ich gut genug, ihn wieder 'rauszuzieh'n. Ihr seid all' nix werth, kaan'n Kreuzer und kaan'n Pfennig! Was ist's denn, daß Du so pressant nach mir geschickt hast?« »Ja, denk' Dir nur, heut' früh komm' ich in den Stall, da liegt die Scheck' am Bod'n und daneben auch die Kalbe, alle beide todt. Ich schick' sogleich zum Thierarzt, und als der 'kommen ist, hat er dagestand'n, das Sacktuch vor die Nas' gehalt'n und weder Rath noch That gewußt. Und der ist doch aan Studirter; er hat zwar kaane gelehrte Schul' besucht wie Du, als Du Student warst, aber er hat heid'nmäßig viel Bücher und alte, gute Schrift'n, und in denen hat er heut' nachgeschlag'n und gefund'n, daß mein Stall verhext ist. Er selber kann dageg'n nix thun, hat er mir sagen lass'n, und da ist der Knecht zu Dir gelauf'n, weil Du Dich auf die schwarze und weiße Magie verstehst wie kaan And'rer net. Schau Dir nun doch 'mal die drei Küh' an, welche noch d'rin stehen; vielleicht kannst Du sie mir rett'n!« »Der Knecht sagt', Du hast das Vieh gestern auf der Weid' gehabt?« »Ja. Sie sind gestern aan ganz'n Tag d'runt'n auf der Moorwies' gewes'n.« »Du bist wohl net recht klug, das arme Thierzeug auf das Moor zu treib'n? Und nun die große Sonnenhitz' dazu; da versteht sich's doch von selber, was d'raus werden muß! Was hast denn mit den zwaa todten Stück'n gethan?«
»Sie lieg'n noch drüb'n im Schauer. Ich werd' ihnen wenigstens die Häut' abziehen lass'n.« »Nach dem, was ich mir denk', hätt'st sie schon längst vergraben soll'n. Ich werd' jetzt in den Stall geh'n. Oder hast vielleicht Angst vor mir?« »Geh' nur immer hinein; es bleibt ja doch nix And'res übrig, und Du wirst mir als Schulkam'rad wohl net noch größer'n Schaden mach'n, als ich so schon hab'!« Haubold zuckte mitleidig die Achsel, öffnete die Thür zum Stalle und trat hinein. Eine dumpfe, üble Luft schlug ihm entgegen, so daß er sich fast wieder umgewendet hätte. Die drei Kühe standen betrübt an ihren Plätzen, drehten heftig die Köpfe und stießen von Zeit zu Zeit einen kurzen, stöhnenden Husten aus. Ihre Augen schwammen in Wasser, der Athem ging schnell und ängstlich, und die eingefallenen Flanken bewegten sich zitternd auf und nieder. »Komm' 'mal her,« gebot Haubold dem Bauer und strich der ihm nächststehenden Kuh mit der Hand die Seite entlang. »Hörst', wie es knistert? Das ist der Milzbrand und kaane Hexerei. Nimm Dich in Acht; die Krankheit steckt auch Mensch'n an! Und nun paß auf, was ich Dir sag'!« Er griff in die Tasche seines Rockes und zog zwei Düten hervor. »Jetzt schickst' sofort zum Richter und meldest, daß der Milzbrand bei Dir ist; das mußt Du, denn es steht so im Gesetz geschrieb'n. Die Scheck' und die Kalbe gräbst' mit Haut und Haar' im Gart'n ein, so tief wie möglich, und thust Kalk darauf. Und die drei Rinder hier schaffst' heraus an die frische Luft, wenn Du sie Dir erhalt'n willst. Ich hab' mir's wohl gedacht, daß es der Milzbrand ist, und Dir darum gleich die richtige Medicin mitgebracht. Hier kann Niemand helf'n, als nur wieder 'mal der Teufelsbauer allein, und Deinem gelehrt'n Thierarzt darfst Du sag'n, daß er aan Pfuscher ist! Schau her, hier sind zwaa Düt'n. Von der erst'n giebst Du alle drei Stund'n aan'n Eßlöffel voll in Wasser und von der andern gleich darauf halb so viel in Honig eingerührt. Aber komm dieser net mit Feuer zu nah'; 's ist Schießpulver dabei!« »Ich werd's so thun, Haubold; aber das von dem Milzbrand', das machst Du mir doch net weiß! Schießpulver hilft bloß geg'n Teufelsspuk, und Du hast Dich also ganz von selber verrath'n. Aber hab' Dank für –« »Schon gut, schon gut! Deinen Dank, den brauch' ich net, und
Deine Gescheitheit, die heil' ich net. Was Du sonst noch zu thun hast, das kannst Du auch ohne mich verricht'n. Leb' wohl!« Ohne auf die weiteren Reden des Anderen zu achten, entfernte er sich mit raschen Schritten und schlug jetzt einen Weg ein, welcher ihn hinter dem Dorfe, die Gärten entlang, nach Hause führen mußte. Seine Gemüthsruhe war von dem seltenen und nur aus reiner Theilnahme unternommenen Ausfluge bedeutend erschüttert worden; er sehnte sich nach Einsamkeit und fand dieselbe hier auf dem stillen Pfade eher, als auf der belebten Dorfstraße, wo jede Erscheinung darauf angelegt zu sein schien, die in ihm wohnende Bitterkeit zu steigern. Die Kirchenglocken riefen zum Nachmittagsgottesdienste. Der Eindruck ihres erhebenden Klanges wollte auch hinab in sein Herz dringen. Er blieb stehen und lauschte. Wie viele Jahre waren wohl verflossen, seit er zum letzten Male das Gotteshaus betreten hatte! Und wer trug die Schuld, daß er die Menschen mied, sogar an dem Orte, an welchem die Feindschaft und der Haß des Erdenlebens niemals Zutritt finden sollten? Er strich mit der Hand über die umwölkte Stirn und schritt weiter. Die Glocken waren verstummt; jetzt erhob wohl die Orgel ihr majestätisches Brausen, und die Gemeinde stimmte eines jener Lieder an, in denen jede Strophe, jeder Vers von Liebe und vom Frieden predigt. Wer doch dieser Liebe begegnen und diesen Frieden finden könnte! »Bist' auch hier wieder, Haubold Frieder?« klang da eine mißtönende Stimme mitten in seine Gedanken hinein. »Hab' gedacht, Du schlägst Dich mit dem Teufel im Kuhstall herum! Aber sag' doch 'mal, wie war denn eigentlich damals die Geschicht' mit meinem Bruder? Bist wohl gar net mit dabei gewes'n?« Haubold fuhr herum und maß den Wiesenbauer, welcher mit der Ausbesserung des hinteren Gartenzaunes beschäftigt war, mit zornsprühenden Blicken. »Was bist' doch für aan schlechter Kerle, Heinemann! Wär' ich wirklich der, für den Ihr mich haltet, so spräch' ich jetzt den Spruch, und Du sollt'st sehen, was d'rauf folgen möcht'!« »So sprich ihn doch! Der Leibhaftige ist ja Dein Gevatter und wird Dir gern zu Dienst'n sein! Aber ich fürcht' mich trotzdem net vor Dir, und Du kannst nur immer Sorge trag'n, daß Du mir net 'mal in meine Hände läufst. Mich wirfst' net vom Fels'nbruch herunter, wie damals meinen Bruder, darauf darfst Du Dich verlass'n!«
Die Adern an der Stirn des Beschuldigten traten dunkel hervor; er legte die Hand an den Zaun und hob den Fuß, wie um hinüber zu springen. »Hast Recht, Haubold Frieder; wir können die Sach' gleich hier ausmach'n! Die Hack' hab' ich schon bei der Hand, und wer ohne meine Erlaubniß in meinen Gart'n kommt, den darf ich niederschlag'n. Wer des Nachts gemordet hat, geg'n den muß man sich auch bei Tage wehr'n!« »Nein, Wies'nbauer,« erwiderte Haubold, indem er sich mit Gewalt zur Ruhe zwang und die Hand vom Zaune nahm. »Du bist mir net gewachs'n trotz Deiner Hack'; dies waaßt Du eben so gut wie ich; aber ich will mich net selbst an Dir räch'n, sondern Dich dem lieb'n Gott überlass'n. Der hat Deinen Bruder getroff'n und wird auch Dich zu finden wiss'n!« Er ging. »Der Teufelsbauer fürchtet sich!« rief es unter höhnischem Lachen hinter ihm. »Lauf' nur zu! Vor Deinem Advocat'n hab' ich kaane Angst, und Du, Du kommst mir schon noch hin, wo ich Dich haben will!« Trotz der sommerlichen Hitze, welche auf der Gegend lag, fühlte der Tannenbauer bei dieser Lästerung einen kalten Schauer über seinen Körper gehen. Er dachte nicht mehr an Glockenklang und Orgelton; in seinem Herzen hatte die weiche Stimmung der alten Bitterkeit wieder Raum gegeben; er verdoppelte seine Schritte, um so schnell wie möglich von der Stelle zu kommen, welche den unversöhnlichsten seiner Feinde trug, und athmete leichter und freier auf, als er endlich das Dorf hinter sich hatte und in den Fuhrweg einbog, welcher nach dem »Teufelshofe« führte. Dieser lag seitwärts im freien Felde. Zu beiden Seiten des Einganges erhoben sich zwei mächtige Tannen, welche die Firste des Daches weit überragten und der Besitzung ihren ursprünglichen Namen gegeben hatten, wie auch die Inschrift bezeugte, die einer der Bauern in den Schlußstein des hochgewölbten Thorweges hatte graben lassen: »Dies Haus, das steht in Gottes Hand Und wird zum ›Tannenhof‹ genannt!« Auf einer der Moosbänke, welche sich um die Füße der Bäume
zogen, saß ein junger Mann, welcher so eifrig mit Lesen beschäftigt war, daß er Haubold erst bemerkte, als dieser schon vor ihm stand. Er schloß das Buch und erhob sich. »Was hast Du hier zu les'n, Gustav?« »'s ist das Gesangbuch, Oheim. Hast wohl auch gehört, daß vorhin die Glock'n geläutet hab'n?« »Warum gehst' denn net lieber in die Kirch'?« »Ich mag net! Der liebe Gott ist alleweil' hier beim Tannenhofe auch, und vielleicht noch gerner, als in dem Haus', wo sie singen und bet'n und doch nix vom rechten Frommsein wiss'n.« Der Bauer legte ihm die Hand auf die Schulter und sah ihm tief in die Augen. »Armer Bub'! Hast auch schon von dem Gifte trinken müss'n, das schlimmer ist, als Schlangensaft? Hör', Gustav, woll'n hier bei uns recht lieb und gut mit'nander sein, dann brauch'n uns die Anderen nix zu kümmern!« Der Blick des Jünglings drang durch die rasch aufsteigende Feuchtigkeit mit dem Ausdrucke der herzlichsten Liebe zu ihm herüber. »Oheim. Du waaßt, wie hoch Dich All' im Hause halt'n; d'rum sollt'st Du Dich net immer so einsam stell'n, sondern mehr bei uns sein, als in Deinem alt'n Thurme, an dem der Heinemann das Teufelsbild gezeichnet hat!« »Der Wies'nbauer ist's gewes'n? Ich hab' mir's wohl gedacht! Woher hast Du es erfahr'n?« »Von der Magd; die hat es heut' daheim gehört. Soll ich das Bild vielleicht mit Lehm überstreich'n?« »Nein, laß es steh'n! Ich hab' vorhin den Streit dem besten Anwalt übergeb'n, und der wird sicher dafür sorg'n, daß g'rad Derjenige, der mir den Schimpf hingemalt hat, ihn selber wieder wegthut.« Er trat in das Haus. Schon im Flure desselben, drehte er sich noch einmal zurück. »Es wird wohl heut' noch aan Gewitter geb'n. Hast' vielleicht noch Garben auf dem Felde?« »Ja. Aber die Wagen sind schon vorgezog'n, und sobald die Kirch' aus ist, hol' ich, was noch drauß'n liegt.« »Gut. Ich konnt' mir's denk'n, daß ich Dir so 'was net erst zu sag'n brauch'!«
Ohne in eine der Stuben zu treten, schritt er durch den Flur und Hof hinaus nach dem Garten. Dieser wurde von einer hohen, massiven Steinmauer eingefaßt und stieß mit seinem hinteren Ende an eine alte, halbverwitterte Thurmruine. Sie war jedenfalls das letzte Ueberbleibsel eines längst zerfallenen, mittelalterlichen Bauwerkes und hatte, so weit man nur zurück zu denken vermochte, stets den sich zur Ruhe setzenden Tannenbauern als Auszüglerwohnung gedient. Es ging von ihr die Sage, daß hier ein Ritter gehaust habe, der seine Seele dem Teufel verschrieben hatte und von diesem auch geholt worden sei. Seit dieser Zeit litt es Niemanden in dem zusammenbröckelnden Gemäuer, und der Ort wurde von Jedermann geflohen, bis der erste Haubold kam, den Hof erbaute und die Ruine mit in den Bereich des Gartens zog. Da er sich vor dem Spuke nich fürchtete, so schrieb man ihm geheime Künste zu, welche sich auch auf seine Nachkommen vererbten. Diese hatten es stets verstanden, sich bei den Bewohnern der Umgegend in Respect zu setzen; sie waren immer kluge Leute gewesen und hatten gar Manches zu Stande gebracht, wozu Anderen der Muth oder die Kenntnisse und das Geschick entgangen war. Wenn Niemand Obst erbaute, auf dem Tannenhofe mußten die Bäume gestützt werden; wenn rund umher die Saatfelder versagten oder die Kartoffeln nicht gerathen wollten, die Tannenbauer hatten in ihren umfangreichen Räumen kaum Platz genug für die Fülle des Erntesegens. In ihren Ställen standen die glattesten Pferde und die drallsten Rinder; kam ein Fruchthändler oder Fleischer in das Dorf, er ging immer zuerst nach dem Tannenhofe; dort floß das Geld freiwillig ein, während selbst die Wohlhabenden im Dorfe leicht über Mangel klagten; wenn irgend wer aus Noth ein Stück Land verkaufen mußte, stets waren die Tannenbauer da, um es zu erwerben; ihr Besitzthum wuchs und verbesserte sich von Jahr zu Jahr, und da man sich nicht entschließen konnte, durch die Anerkennung fremder Vorzüge die eigenen Fehler an das Licht zu stellen, so griff man zu der alten Sage zurück und schrieb den Wohlstand auf dem Tannenhofe jenen Künsten zu, von denen der Aberglaube erzählt, daß sie unter Aufopferung des Seelenheiles zum Reichthume führen. Die Haubolde hatten immer darüber gelächelt; ja, es waren einige unter ihnen gewesen, welche sich das Vergnügen gemacht hatten, die Befangenen durch allerhand Sonderlichkeiten in ihrer
Ansicht zu bestärken. Sie ließen dabei unbedacht, daß sie dadurch sich selbst und den Ihrigen zu Schaden seien, eine Unvorsichtigkeit, unter welcher ganz besonders der jetzige Bauer zu leiden hatte. Er mochte daran denken, als er jetzt durch den Garten ging und dann vor der Ruine stehen blieb, um den Blick langsam über dieselbe gleiten zu lassen. In ihrem Innern sollten seine Vorfahren den Pact mit dem Teufel geschlossen haben; durch die Esse, welche das Mauerwerk um einige Fuß überragte, fuhr in finsteren Nächten der Drache hernieder; dunkle oder feurige Erscheinungen zuckten des Mitternachts durch die Luft, und wenn der Sturm über die unheimliche Stätte strich, so fuhren unter herzbrechendem Aechzen und Stöhnen die eingebannten Geister auf und konnten doch nicht loskommen, weil unten im tiefsten Keller das sechste und siebente Buch Moses an einer Kette festgeschlossen lag. Er lachte unwillkürlich auf und warf, halb trotzig, halb verächtlich, den Kopf zurück. »Und so sind die Tannenbauern zu Teufelsbauern 'worden, vor denen die Bub'n auf der Gass' davonlauf'n und die sogar der Richter aus dem Ort' hinausweist. Man höhnt und spottet ihrer, bis man 'mal ihre Hilf' gebraucht, und malt ihnen am End' gar noch den Satan an die Mauer. Aber wer den Teufel an die Wand malt, zu dem geht er auch; das ist aan altes, wahres Wort, und so will ich ruhig sein und allen Vorwurf trag'n, bis meine Hilf' gekommen ist!« Er mußte sich bücken, um durch die niedrige, enge Pforte zu gelangen, und stieg dann die wenigen Stufen einer schmalen Treppe empor, welche zu einer Thür führte, die in diesem Augenblicke nur angelehnt war. Er wußte ganz genau, daß er sie bei seinem Gehen geschlossen hatte; Niemand, selbst Gustav nicht, wagte, hier Zutritt zu nehmen, und doch befand sich Jemand in der Klause des einsamen Einsiedlers, denn es war eine Stimme zu vernehmen, welche in halblauten, abgerissenen Sätzen mit irgend wem zu sprechen schien. Er erweiterte leise und vorsichtig die Spalte und blickte hinein. Außer dem einen Kreisabschnitt bildenden Treppenraume befanden sich zwei dreieckige Gemächer in dem Thurme, deren rechtem Winkel die von einigen Fensteröffnungen durchbrochene runde Umfassungsmauer gegenüberlag. Die vordere Stube war für einen »Einsiedel« sehr eigenthümlich ausgestattet. Die eine Wandseite wurde von hohen, wohlgefüllten Bücherständen vollständig
eingenommen; die andere war mit den Insignien des Studententhums, Pfeifen, Schläger, Cerevis und hundert Kleinigkeiten behangen; an einem der Fenster stand ein augenscheinlich viel benutzter Schreibtisch, und in der Nähe desselben enthielt ein mit grünem Vorhange versehenes Fachwerk allerlei ärztliche Instrumente und chemische Werkzeuge und Apparate. Hier war Niemand zu sehen; die Stimme kam aus dem nebenan liegenden Raume, dessen Thür weit geöffnet war. Haubold's Züge verfinsterten sich. Wer konnte es wohl unternehmen, das größte Heiligthum, welches der Tannenhof für ihn barg, zu entweihen? Zornig eilte er hinzu und stand im nächsten Augenblicke hinter einer weiblichen Person, welche am Boden kniete und mit Inbrunst ein Bild betrachtete, welches sie mit beiden Händen vor sich hielt. »Nein, Du bist's net gewes'n,« sprach sie, »das waaß ich sicher und gewiß; aber es darf Niemand wiss'n, wie's gekommen ist, und darum mußt Du für mich leid'n, ohne daß ich Dich davon erlös'n kann!« »Was giebt's hier zu erlös'n, und wer hat Dir geheiß'n, in meine Stub' zu gehen?« fragte es hinter ihr. Sie erhob sich erschrocken und wendete ihm ihr blatternarbiges und jetzt vor Verlegenheit hoch erröthendes Gesicht zu. »Nun, kannst' net Antwort geb'n? Was thut das Bild in Deiner Hand? Gleich hängst' es wieder hin an seine Stell' und machst, daß Du hinausgelangst. Aber komm' mir ja niemals net wieder herein, sonst magst' sehen, wo Du bleibst!« Die freundliche Ausstattung des Zimmers ließ wohl kaum die Vermuthung zu, daß es dem Teufelsbauer zur Wohnung diene. An den Fenstern hingen weiße Gardinen, welche allerdings schon seit geraumer Zeit der Wäsche zu entbehren schienen, deren Feinheit aber darauf deutete, daß sie nur von einer ganz besonderen Rücksicht in die Ruine gebracht worden seien; das Sopha und die weichen Polsterstühle waren mit mühsamen Filetarbeiten belegt; das hinter einem Vorhange sich verbergende Bettchen trug einen Ueberzug von theurem französischen Leinen; der offene Waschtisch zeigte eine sorgfältige Auswahl von für einen Bauernhof ungewöhnlichen Damentoilettengegenständen; auf dem Nähtische stand ein niedliches Necessaire, und unter dem Spiegel waren allerlei Nippes und bunte Kleinigkeiten gruppirt, unter denen
jedenfalls eine zarte Frauenhand gewaltet hatte. War es vielleicht die Hand des jungen, schönen Mädchens gewesen, deren blondlockiges Portrait inmitten eines der zwei welken Vergißmeinnichtkränze hing, welche zu beiden Seiten des Spiegels befestigt waren? Vor Bestürzung noch immer wortlos, trat die Gescholtene herzu und gab das Bild, welches sie gehalten hatte, in den zweiten Kranz hinein. Es stellte einen Jüngling in Studententracht vor, und eine Vergleichung mit Haubold ließ erkennen, daß er selbst dazu gesessen habe. »So; nun geh'!« sprach dieser. »Ich kann hier Niemand net gebrauch'n.« Sie sah ihn bittend an. Ihre Augen, in denen ein heller Tropfen schimmerte, glichen jetzt fast denjenigen, mit welchen das Mädchenbild so voll und offen aus dem Rahmen schaute. »Ich sah Euch geh'n,« entschuldigte sie sich endlich mit leise zitternder Stimme, »und dacht', ich könnt' inzwischen hier 'mal nach der Ordnung seh'n!« »Das thu' ich selbst,« antwortete er in milderem Tone. »Net wahr, das hast' gewußt und bist nur aus Neugierd' hergekommen?« Sie schlug beschämt die Lider nieder. »Seid mir net bös', Herr Haubold! Es thut so leid, wenn Ihr mir zornig seid!« »Das hab' ich schon geseh'n, Marie! Bist stets aan gutes Herz gewes'n, und hätt' ich Dich net gehabt damals in den Jahr'n voll Trüb- und Traurigkeit, so wär ich schier ohne Lieb' und Trost zu Grund' gegangen. Aber laß' mir meine Klaus' allein! Du hast im Haus' genug zu thun und sollst Dich net auch noch mit mir besorg'n.« »Ich thät's so gern!« antwortete sie, und bei diesen Worten ging es so hell und warm über ihr Gesicht, daß die Zerstörung, welche die Pocken in demselben angerichtet hatten, sich vollständig vergessen ließ. Dann legte sie die Hand leise in seine dargebotene Rechte und entfernte sich. Er stand unbeweglich, bis ihre Schritte verschollen waren. »Was hatte sie mit meinem Bild zu thun? Und diese Aug'n! Ich hab' die Aehnlichkeit noch niemals net bemerkt. Und hier an derselben Stell' hat die Martha gestand'n, als sie so plötzlich Abschied nahm, und mit derselben Stimm' dieselben Wort' gesagt:
›Seid mir net bös', Herr Haubold!‹ O, Martha, warum bist Du damals fort und hast es auch geglaubt, daß ich der Mörder bin!« Er nahm das Bild des Mädchens von der Wand und betrachtete es mit dem Ausdrucke unaussprechlicher Liebe. »Nur noch aan einzig' Mal möcht' ich Dich seh'n und wiss'n, wie Dir's geht! Aan einzig' Mal nur möcht'st Du zu mir kommen, um zu erfahr'n, wie treue Lieb' ich hab' gehegt und Alles hier in Deiner Stub' gelass'n, g'rad' wie es war, als Du gegangen bist! Aber Du kommst nimmer wieder, und ich – ich hab' vergebens an Deine Lieb' geglaubt!«
II. Die letzten Halme waren zusammengeharkt, und Kathrine steckte den Rechen in die Garben, mit denen der Leiterwagen hoch beladen war. »Nun, was soll's, daß Du Dir's so bequem mach'n willst?« fragte der Wiesenbauer, indem er nach den Zügeln griff. »Darf ich net noch aan wenig außen bleib'n, Vater? Es ist Sonntag heut', und Du brauchst mich jetzt doch net weiter.« »Hab' nix dawider; Ihr Weibsleut' wißt immer am Best'n, wenn der Sonntag ist, an dem Ihr die Händ' in den Schooß leg'n müßt. Aber sei zur recht'n Zeit zu Haus', damit das Vieh net versäumt wird!« Das Fuhrwerk setzte sich in Bewegung, zu beiden Seiten von Knecht und Magd geleitet, welche bereit waren, mit den langen Heugabeln die schwanke Ladung im Gleichgewichte zu erhalten. Sie hatten schon eine ziemliche Strecke zurückgelegt, als sie beim Passiren eines Hohlweges lauten Peitschenknall vor sich vernahmen. Heinemann antwortete in derselben Weise. Der Nahende mußte außerhalb der Senkung warten, da innerhalb derselben ein Ausweichen nicht möglich war. Als der Fahrweg wieder offenes Terrain erreichte, sahen sie Gustav, welcher mit seinem Geschirre und einigem Gesinde an der Seite hielt. »Ah, Du bist's?« fragte Heinemann höhnisch. »Erst sieht man den groß'n und nachher auch den klaanen Beelzebub; das hat nix Gutes zu bedeut'n! Aber zum Verwundern ist es net, daß Euch das Gewiss'n aus dem Hofe treibt, denn Euer Wapp'n ist dort an die Wand geschrieb'n!« Er zeigte bei diesen Worten nach der Ruine, auf deren von hier sichtbaren Rückseite eine große, schwarze, mit Schwanz, Hörnern und Pferdehufen ausgestattete Teufelsgestalt zu bemerken war. Gustav bog sich mit zornig glühendem Gesichte über den Leiterbaum herüber. »Merk's, Wies'nbauer, was ich Dir heut' sag': ›Die Erntezeit ist aane heil'ge Zeit, und wer sie durch Bosheit entweiht, der wird die Strafe find'n. Was man in den Acker thut, das giebt er sorgfältig wieder; Du hast Wind und Asch' gesä't und wirst Sturm und Feuer
ernt'n!‹« »Oho!« lachte Heinemann. »Wie kommst denn Du zu dieser frommen Predigt? Also Feuer werd' ich ernt'n! Was Ihr auf dem Teufelshofe seid, das waaß hier Jedermann; wollt Ihr mir etwa auch noch den Brand ins Haus leg'n? Fahr' zu, Teufelsbub'; ich kann Dich net in meiner Nähe leid'n!« Er hieb mit der Peitsche auf Gustav's Pferde ein; diese bäumten sich erschreckt empor und sprangen zur Seite auf seine eigenen Thiere ein, welche, dadurch scheu gemacht, sich schnaubend in die Stränge legten und mit dem Wagen davonrannten. Sie kamen nicht weit; die hohe Ladung gerieth ins Wanken, verlor das Gleichgewicht und stürzte krachend auf die Seite. »Das ist aan schneller Lohn!« meinte der junge Tannenbauer, indem er sein Gespann beruhigte und dann die unterbrochene Fahrt fortsetzte. »Es mag ihm nur net schlimmer kommen!« Es waren die letzten Getreideschütten, welche er zu holen hatte; die Arbeit des Aufladens war bald gethan, und er übergab das Fuhrwerk dem Knechte. »Fahr' Du das Fuder heim! Es ist net hoch und wird Dir kaane Mühe mach'n. Ich geh' derweil' aan bischen hier den Bach entlang und komm' schon noch zur recht'n Zeit nach Haus'. Es ist ja heut' Sonntag!« Wie sein Oheim heute am Vormittage, so fühlte auch er jetzt infolge der inneren Aufregung das Bedürfniß nach Einsamkeit, und einsamer gab es in der ganzen Gegend keinen Ort als denjenigen, nach welchem er seine Schritte lenkte. In den Höhenzug, welcher das Thal, auf dessen Sohle das Dorf sich streckte, abschloß, schnitt eine enge Schlucht ein, deren hinterer Theil sich erweiterte und einen felsigen Kessel bildete, dem durch den Abbau von Bruchsteinen das ursprüngliche grüne Pflanzenkleid verloren gegangen war. Fast senkrecht stiegen die hohen, nackten Felsenwände empor, hier und da eine scharfe Spitze hervorschiebend; kein Strauch, kein Bäumchen ließ sich blicken, nur selten spitzte ein dünner Grasbüschel aus einer schmalen Ritze hervor, und nur da, wo ungefähr in der halben Höhe der Wand vor Zeiten eine höhlenartige Vertiefung in das Gestein gesprengt worden war, hatte sich am unteren Rande derselben allerlei Dorngestrüpp und herbeigewehtes Laubwerk angesammelt. Hoch oben an der äußersten Kante des Kessels trat eine balconartige
Hervorschiebung aus dem Felsen heraus, welche mit einer hölzernen Barrière versehen war. Diese Stelle wurde an Sonn- und arbeitsfreien Tagen von den Dörflern gern besucht, da sie durch die Schluchtöffnung hindurch einen weiten Ausblick in das Land hinaus eröffnete. Dieser einsame Kessel führte in der Umgegend den Namen »Felsenbruch« und war für nächtliche Verirrte eine gefährliche Stelle, da er, ringsum von Hochwald umgeben, ganz unvorbereitet plötzlich und beinahe lothrecht hinunter in das Thal fiel und Jedem, der im Finstern den Schritt über seinen Rand hinaus leitete, Tod und Verderben bringen mußte. So gern man den dunkeln Forstweg betrat, welcher zu der »Kanzel« führte, wie der Balcon genannt wurde, der Grund des Felsenbruches wurde nur wenig betreten; es knüpfte sich an ihn die Erinnerung an ein grausiges Verbrechen, welches vor Jahren hier verübt worden war und von dem man noch heute mehr und öfterer im Dorfe erzählte, als es bei der seitdem verflossenen Zeit zu vermuthen war. Aus einer kleinen Oeffnung des sonst festgeschlossenen Gesteines floß ein klarer Quell hervor, dessen leise murmelnden Wellen sich erst durch allerlei Bruchgeröll einen vielgekrümmten Weg suchten und dann die Schlucht entlang den Ausgang in das von ihnen befeuchtete Thal fanden. Seinem Ufer entlang schritt jetzt Gustav langsam dahin. Er hatte keine dringende Arbeit vor und konnte sich die Kühlung gönnen, welche ein Gang an dem von Büschen bestandenen Bache nach dem heißen Tage gewährte. Nur mit seinen Gedanken beschäftigt, achtete er weder auf Zeit noch Ort und war darum beinahe verwundert, als er, unwillkürlich aufblickend, die Bemerkung machte, daß er die Schlucht passirt habe und bereits am Eingange zum Bruche stehe. Es gab für ihn allen Grund, diesen Ort zu meiden, und er hatte ihn darum auch seit Jahren nicht betreten; heute aber trieb es ihn vorwärts nach der Stelle, auf welche der Ursprung so mancher bitteren Erfahrung zurückzuführen war. Gerade unter der Kanzel und nur wenige Schritte von der Felsenwand entfernt, stand ein hölzernes Kreuz mit einer Inschrift auf dem Querbalken, deren Leserlichkeit unter dem Einflusse von Regen und Wetter sehr gelitten hatte. Sie lautete: »Hier starb am 10. September 1845 der wohlachtbare David Friedrich Heinemann eines
gewaltsamen Todes. Er war 26 Jahre alt und wurde meuchlings von der Kanzel herabgestoßen von –«. Ueber den boshaften Gedankenstrich hatte eine übelwollende Hand mit Bleistift die zwei Worte »dem Teufelsbauer« gesetzt, und hinter ihnen folgte die Bemerkung: »Zur Erinnerung an den Mörder errichtet von Andreas Heinemann.« An dem Kreuze lehnte eine Mädchengestalt, welche von Gustav erst bemerkt wurde, als er um ein herabgestürztes Felsstück trat, dessen zerborstene Masse sich gerade vor das Erinnerungszeichen gelegt hatte. Er wäre gern zurückgewichen, aber es war zu spät dazu; sie hatte ihn schon bemerkt. »Grüß Gott, Mamsell Heinemann!« klang es kurz und fremd. »Ich hab' net gewußt, daß Jemand hier ist, den ich stör'. Aber brauchst Dich net zu fürcht'n; ich geh' schon wieder!« »Gustav!« hörte er ihre zögernde Stimme, als er sich bereits gewendet hatte. Er kehrte sich ihr wieder zu. »Was ist's? Willst' etwas sag'n?« »Ja!« antwortete sie schüchtern. »Ich möcht' Dich gern 'was bitt'n!« »Hab' nix dawider. Sprich!« »Ach nein; wenn Du so feindselig red'st, so getrau' ich mir es net!« Er überflog sie mit fragendem Blicke. Er war ihr oft begegnet, aber noch nie hatte er bemerkt, was ihm jetzt so deutlich in die Augen fiel: sie war schön, schöner vielleicht als alle Mädchen, welche er kannte. Und wie mild und freundlich lag es auf ihrem offenen, rosigen Gesichtchen! Es ging eine eigenthümliche und ihm bisher fremde Bewegung durch sein Inneres, und in sanfterem Tone sprach er: »Ich bin Dir net feind. Sag' nur immer, was Du begehrst!« »Ich möcht', daß Du net wieder so zu mir sagst, wie vorhin!« »Wie denn anders?« »Hast Du noch net gehört, wie mein Name lautet?« »O ja, Kathrin'; aber hast Du auch gehört, wie der unsere klingt? Dein Vater hat mich vorhin Beelzebub geheiß'n; willst Du etwa mit dem Teufel vertraulich thun?« »Der Vater? Bist ihm auch begegnet?« »Ja.« Sie trat ihm einen Schritt näher und hielt ihm die Hand
entgegen. »Ich hab' nix gemein mit dem, was der Vater treibt; ich net und die Mutter auch net. Komm, vergieb mir das, was er Euch thut, und nenne mich net anders, als wie ich's gewöhnt bin. Willst'?« »Ja, ich will, Kathrin'! Aan gutes Wort find't seine gute Statt, und Dir könnt' ich erst recht nimmer 'was abschlag'n!« Sie entzog ihm die Hand nicht, welche er ergriffen hatte und fest hielt. »Ist's wahr? Aber es ist nur so schwer, Dir aane Bitt' zu sag'n. Dich sieht man nur höchstens 'mal auf dem Felde, doch sonst bist' gar nirgends net zu find'n!« »Möcht'st mich denn auch wo anders seh'n?« fragte er. Er kam sich wie ein Fremder vor, und es war ihm, als sei alles Leid und alles Bittere plötzlich in ihm heil geworden. »Wenn Du's gern thust und es Dir net Schad'n bringt!« »Schad'n? Mir net, aber Dir! Schau, hier steht das Kreuz. Mein Oheim hat den Deinig'n von der Kanzel herabgestürzt, sag'n die Leut', und die Haubolde sind alle mit'nander dem Satan verfallen. Magst' mich dennoch seh'n, Kathrin'?« »Ja, Gustav!« »Und net bloß seh'n, sondern noch 'was Anders!« bat er, indem er sich zu ihr niederbog und den Arm um sie zu legen versuchte. »Was denn?« fragte sie, sich gegen die Umarmung sträubend. »Auch lieb haben!« sagte er, sie an sich ziehend. »Nein; das ist gleich zu viel!« antwortete sie, sich von ihm befreiend, und als er sie immer noch festzuhalten strebte, war sie mit einem »Leb' wohl, Gustav!« hinter dem Felsenstücke verschwunden. Er folgte ihr nicht, sondern blieb zurück. Lange Zeit stand er bewegungslos da, den Blick auf die Stelle geheftet, die ihren Fuß getragen hatte; er wurde sich seines Gedankenganges kaum bewußt, bis er endlich wie aus einem Traume erwachte und dabei Bleistiftworte bemerkte, deren Sinn ihm schneidend durch die so glücklich bewegte Seele fuhr. »Nein, solche Tück' läßt sich fast gar net denk'n! Aber d'rum soll es jetzt auch aus sein mit dem Kreuz'!« Er faßte es an dem Querbalken; ein kurzes Rütteln, dem ein kraftvoller Stoß folgte, und das starke Holz war hart am Boden abgebrochen. Dann hob er es auf und schlug es an den Felsen, daß
die abgeschmetterten Stücke weit umherflogen. »So! Geg'n die Inschrift konnt'n wir nix thun; aber wenn man nun gar noch unseren Namen darauf kritzelt, so durfen wir uns wehr'n. Und wie das Kreuz zu nichte ist, so soll auch der böse Leumund weichen müss'n, – ob im Gut'n oder durch Gewalt, das mag die Zukunft lehr'n. Ich hab' dies armselige Leb'n satt und werd' den Leut'n zeig'n, daß ich mich net zu schämen brauch' und gar wohl auch aan Recht besitz' zu dem, was Andere thun und treib'n!« Er ging. Der Bach murmelte seine melancholische Weise; aus den Zweigen der Tannen und Fichten tönte ein monotones Rauschen in den Grund herab; die Dämmerung begann sich hernieder zu senken, und über den Himmelsstreifen, welchen die Schlucht erkennen ließ, zogen vom Abendrothe broncirte Wolkenschichten. »Es ist doch gut gemeint und wunderbar eingericht't vom lieb'n Gott, daß die Farb', welche für uns das Abendroth bedeutet, für fernere Ort' zur Morg'nröthe wird!« flüsterte er vor sich hin. »Ob es wohl auch wahr ist, daß das Unglück aanes Menschen sich stets allemal für den anderen in Glück umwandelt? Dann könnte man sich wenigstens tröst'n. Aber ich hab' noch net geseh'n, daß der Haß, der uns verfolgt, irgend wem Heil und Seg'n gebracht hat. Es bleibt dabei; ich stemme mich dageg'n und zahle von jetzt an All's mit gleicher Münz' zurück. Die Kathrin' soll seh'n, daß ich mich nimmer fürcht'!« Man hatte mit dem Abendbrode auf ihn gewartet. Trotz seiner Jugend vertrat er in Allem die Stelle des Hauswirthes, welcher Letztere nur in höchst dringlichen Fällen einmal die Ruine verließ, um die Wohn- oder Wirthschaftsräume zu betreten. Marie, welche seit einer langen Reihe von Jahren die Wirthschaft führte, genoß die Achtung, welche man sonst nur der Hausfrau zu zollen gewohnt ist; so schwer es einem Dienstboten ankam, als Ingesinde auf den Teufelshof zu ziehen, – war er einmal da und hatte das allgemeine Vorurtheil überwunden, so sehnte er sich gewiß nicht wieder zu einer anderen Herrschaft, und so hatte sich denn, obgleich von einem eigentlichen Familienleben nicht die Rede sein konnte, zwischen den Bewohnern des Tannenhofes ein Verhältniß herausgebildet, welches in Beziehung auf gegenseitige Anhänglichkeit und Liebe nichts zu wünschen übrig ließ. Besonders war es Marie, deren stilles, geräuschloses und
aufmerksames Walten wohlthuend auf den Kreis der Hausgenossen wirkte. Eine Mutter hätte nicht besser für die Ihren sorgen können, als sie es that; Gustav galt ihr fast mehr als Sohn, und wenn sich gar die Rede auf Haubold lenkte, so glänzten ihre Augen in sichtbarem Feuer, und über ihre zerrissenen Züge breitete sich eine Verklärung, die nur dem tiefsten Innern entstammen konnte. Als nach Tische der junge Tannenbauer aus seiner Stube, in welche er sich begeben hatte, wieder herab kam, blickte sie ihn erstaunt an. Er hatte sich zum Ausgehen angezogen. »Willst' noch fort, Gustav?« fragte sie. »Das ist doch grad' so aan Wunder, als wenn der Oheim jetzt noch vor zu uns kommen wollt'!« »Hast Recht, Marie! Aber es muß auch 'mal aan Wunder geben, damit die Welt zum Glauben kommt.« Sie schien eine Erklärung der sonderbaren Worte zu erwarten; er aber enthielt sich jeder Beifügung und verließ schweigend den Hof. Sein Weg führte ihn durch das Dorf nach dem Gasthause, aus dessen oberen Räumen lustige Tanzmusik durch die geöffneten Fenster herab auf die Straße schallte. Während das junge Volk sich munter im Saale herumschwenkte, saßen die älteren Männer in einem Nebenzimmer und unterhielten sich über die größte Neuigkeit des heutigen Tages. »Aan gescheiter Kerle ist er,« klang es am unteren Ende des Tisches, wo die weniger wohlhabenden Bauern saßen, während oben die reichen Vierspänner ihren Platz behaupteten. »Ich hab' ganz genau Acht gegeb'n; er strich die Küh' nur so über den Leib und hat sich seinen Spruch dabei gedacht, und davon sind sie schon bis zum Abend so besser 'word'n, daß ich glaub', ich werd' sie noch erhalt'n. Das mit den Düt'n ist ja nur zum Schein gewes'n, denn bei dem Streich'n hat es geknistert wie bei aaner Elektrisirmaschin'; das war Teufelswerk und kommt von dem Zauber, dem er überleg'n gewesen ist.« »Ja, den Teufel hat er, das ist gewiß!« versicherte mit schnarrender Stimme der Ortsrichter. »Ich hab' ihm auch die Leviten richtig geles'n und ihm gesagt, daß er vom Dorfe lass'n soll.« »Besser hast's ihm net gesagt, als ich!« behauptete Heinemann. »Aber das mit dem Teufel nehm' ich bloß, um ihn zu ärgern, denn ich glaub' net d'ran, obgleich ich net waaß, wie ich's erklären soll, daß stets aan Unglück geschieht, wenn er aus seiner Klaus'
hervorkommt. Heut' ist er ausgewes'n, und paßt auf, wir werd'n schon morgen wiss'n, was wir davon hab'n. Es sollte geboten werd'n, daß ihn Kaaner zu sich kommen läßt!« »Zu wem soll'n wir denn in der Krankheit geh'n, wenn kaan Arzt und Niemand helf'n kann? Wir können doch net an dem mit leid'n, was Du von ihm denkst!« »Und ist das etwa net wahr? Wer soll's denn sonst gewes'n sein, als er? Als die Schauspieler in das Dorf gekommen sind, hat die Martha bei seinem Vater, der damals noch lebte, in der Ruin' gewohnt, und mein Bruder, der David, hat sie gern gehabt. Der Haubold ist damals als Student auf der Un'versität gewes'n und auf die Ferien nach Haus' gekommen. Da hat sich die Martha in ihn verschamerirt, und mein Bruder hat das Nachseh'n gehabt. Die Beid'n sind nachher hier auf dem Saal, wo die Bühne aufgerichtet war, zusammengerath'n. Haubold ist nach der Vorstellung, wie allemal, mit der Sängerin hinaus auf die Kanzel spazir'n gegangen, mein Bruder ihnen nach, und am anderen Morg'n hat der arme Tropf zerschmettert im Fels'nbruch geleg'n. Die Martha ist verschwund'n, und der Teufelsstudent hat nix von der Sach' wissen woll'n. Aber warum ist es denn sogleich mit seinem Studio zu End' gewes'n? Das böse Gewiss'n hat ihm zum Weiterlernen net Ruh' gelass'n; er ist auf dem Hof geblieb'n und so niedersinnig 'word'n, daß er sich endlich gefürcht't hat, vor die Leut' zu tret'n!« »Wißt Ihr auch schon, wer da ist?« fragte in diesem Augenblicke der Wirth, welcher herbeigetreten war, um die leeren Gläser fortzunehmen. »Wer denn?« »Der Gustav vom Teufelshof.« Diese Nachricht erregte allgemeines Aufsehen. Es konnte sich Keiner erinnern, den jungen Mann jemals im Wirthshause oder gar beim Tanze auf dem Saale gesehen zu haben. Jeder vermuthete einen besonderen Grund, den sein heutiges Erscheinen haben mußte, und die Neugierde Aller war so groß, daß der Tisch bald leer stand, da sich die Gäste hinaus auf den Tanzboden begeben hatten, um den Ankömmling mit eigenen Augen zu sehen. Dieser war erst vor Kurzem eingetreten und hatte an einem der Seitentische Platz genommen. Die bereits daran Sitzenden hatten sich sofort erhoben und waren davon gegangen. Nun saß er allein; Niemand sprach mit ihm, und selbst der Wirth fragte ihn nicht, ob er
etwas trinken wolle. Er schien sich aus diesem Verhalten wenig zu machen, vielmehr lag eine gewisse Befriedigung auf seinen wohlgeformten, regelmäßigen Zügen. Er hatte Katharina gesehen, welche, von einer Schaar junger Burschen umschwärmt, dem Eingange gegenüber saß und bei jeder Tour zum Tanze gefordert wurde. Eine Vergleichung mit den anderen Mädchen brachte ihn zu dem Resultate, daß keine sich mit ihr zu messen vermöge, und es überkam ihn eine wunderbar glückliche Regung, wenn er an die Art und Weise dachte, in welcher sie heute mit ihm gesprochen hatte. So wenig er sich um andere Personen kümmerte, er selbst war doch der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit. Die Alten hatten ihre Neugierde nun befriedigt und waren, da sie für jetzt an seinem Verhalten nichts Besonderes bemerkten, zu ihren Gläsern zurückgekehrt; die Jungen beobachteten ihn verstohlen und flüsterten sich hier und da ihre Bemerkungen zu, und die Mädchen – es gab keinen Burschen, der so hübsch und reputirlich sah, wie er; das sagten sie sich alle, und gar mancher heimliche Blick flog aus verlangendem Auge zu ihm hin, – wenn er nur nicht gerade der Teufelshaubold wäre! Auch Katharina blickte öfters nach ihm herüber, aber nicht verstohlen, sondern offen und freundlich, so wie sie ihm am Nachmittage in das zum ersten Male beseligte Gesicht gesehen hatte. Der Wunsch, welcher heute am Zaune über ihre Lippen gekommen war, hatte schnell und vollständiger noch, als sie geglaubt hätte, seine Erfüllung gefunden. Sie hatte Gustav gesprochen, ja, er war jetzt auf dem Saale erschienen, und aus welchem Grunde, das ahnte sie. Darum that es ihr um so mehr wehe, daß ihm das Vorurtheil so schroff gegenüber trat und er so verlassen an seinem Tische sitzen mußte. Wie gern wäre sie aufgesprungen und zu ihm hingegangen! Aber das durfte sie nicht, und dabei mußte sie all' den vielen Drängern Rede und Antwort stehen und sich gar noch über den Sohn des Richters ärgern, welcher sie in der auffälligsten Weise in Beschlag genommen hatte und gar nicht von ihrer Seite weichen wollte. Sie hatte ihm den nächsten Rheinländer versprechen müssen, und er nahm daraus die Veranlassung, bei ihr zu bleiben, um den Tanz nicht zu versäumen. Was mußte Gustav denken, wenn er sah, daß sie immer inmitten
von Burschen saß, von denen doch nicht loszukommen war! Die Zeit verging, und Niemand bemerkte bei der allgemeinen Fröhlichkeit, daß das Gewitter, welches der Tannenbauer schon für den Nachmittag erwartet hatte, seine drohenden Wolkenmassen zusammenballte und schon einzelne schwere Tropfen herniederfallen ließ. Da erklangen die ersten Tacte einer neuen Tour, und Jeder eilte, sich eine Tänzerin zu suchen. Der Halbkreis, welcher Katharina umschlossen hielt, fuhr auseinander, als drohe ein Unheil. Gustav war herbeigetreten und bot dem überraschten Mädchen die Hand. »Ich bitt', Kathrin', mach' dies'n Tanz mit mir!« Sie erhob sich und legte den Arm in den seinen. »Nein, das geht net!« rief protestirend des Richters Sohn. »Das ist der Rheinländer, den Du mir versproch'n hast. Geh' weg, Teufelshofer, und rühr' mir mein Mädchen net an!« Gustav's Auge überflog den Sprecher von oben bis unten; dann bog er sich leicht zu Katharina nieder. »Hast's ihm versproch'n?« »Ja.« »Mit wem tanz'st' lieber? Sag's grad' und aufrichtig, Kathrin'!« Sie hörte es dem Tone seiner Stimme und sah es dem tiefen, forschenden Blicke seines Auges an, daß sich diese Frage auf mehr als nur den Tanz bezog. Ihr Arm zitterte leise in dem seinigen, aber sie wagte trotz der kritischen Lage die Antwort: »Mit Dir!« »So bist Du von jetzt an meine Tänz'ein, und kaan Mensch hat mehr etwas an Dir zu präsentiren. Geh' fort, Klaaner, und schaff' Raum! Du hast gehört, wie nun die Actien steh'n.« »Das woll'n wir seh'n! Die Kathrin' hat mir zugesagt, und ich tret' net zurück, am allerwenigst'n aber vor Dir!« »Sie hat Dir wieder abgesagt. Hier ist aan Jed's sein eigner Herr und kann thun, ganz was ihm beliebt. Mach' Dich zur Seit', ich könnt' Dir sonst auf die Füß' tret'n!« »Nein, wir leiden's net, daß aaner vom Teufelshof hier tanz'n darf. Gieb das Mädchen her, sonst kommst Du durch die Thür!« Er faßte Gustav bei der Schulter, während noch mehrere herzu traten, um sich an dem Streite zu betheiligen. »Was?! Du greifst mich an? Glaubst' denn, daß ich mich fürcht',
und wenn die ganz'n Kerle nach mir lang'n! Laß' los, sonst spielst Du Luftballon!« Als der Gewarnte der Mahnung nicht Folge leistete, drückte ihm Gustav mit einem raschen Griffe die Arme an den Leib, hob ihn hoch empor und schleuderte ihn über den Knäuel der Umstehenden weg, hinter denen er zu Boden stürzte. Dann nahm er wieder Katharina's losgelassenen Arm und drängte mit drohender Miene vorwärts. »Nun wird getanzt. Schafft Platz, wenn Ihr net auch das Flieg'n lernen wollt!« Es lag in seinem kräftigen Auftreten eine solche Macht, daß die Kampfeslustigen furchtsam zurückwichen. Er schritt zur tanzenden Reihe und wollte eben beginnen, als plötzlich die Musik verstummte. Der Richter stand in der Mitte des Saales und hatte mit erhobener Hand zum Schweigen gewinkt. »Was ist denn hier für aan Teufel los?« fragte er, die kleine Gestalt möglichst emporreckend, mit wichtiger Amtsmiene. Sein Sohn stand neben ihm und rieb sich die maltraitirten Glieder. »Komm' 'mal her, Haubold, grad' hierher vor mich! Ich hab' Dich 'was zu frag'n!« Er zeigte bei diesen Worten mit dem Finger auf den Punkt, bis zu welchem Gustav sich ihm nähern sollte. »Zu frag'n? Willst' etwa aan Mittel wiss'n, noch drei Ell'n höher zu werden? Stell' Dich auf den Tisch, dann bist' grad' groß genug zum Richter!« »Her kommst'!« rief das Ortsoberhaupt, ergrimmt über diese Beleidigung. »Sonst laß ich Dich durch den Büttel hertransportir'n!« »Dann bist' auch aan rechter Kerle, wenn Du den Spitz auf mich hetz'n kannst! Komm' her, wenn Du mit mir zu red'n hast! Brauchst doch deshalb net auf die Eis'nbahn zu steig'n!« Da fühlte er eine Hand an seinem Arme. Es war der Wiesenbauer, welcher sich herbeigedrängt und mit Erstaunen seine Tochter an der Seite des Verhaßten gesehen hatte. »Was ist mir denn das? Hat Dich etwa der Drach' um den Verstand gebracht, daß Du es wagst, das Mäd'l anzurühr'n? Gleich laß los! Man muß ja ganz gewärtig sein, Du machst mir die Kathrin' zur Hex'!« »Das werd' ich jetzt auch thun. Paß auf, Wies'nbauer, wie ich es mach'!«
Er legte beide Arme um das Mädchen, dem unter dieser kräftigen Berührung ein Widerstreben gar nicht möglich war, zog die vor Schreck und Scham Erglühende zu sich empor und küßte sie auf den Mund. »So, nun ist die Hex' fertig und dem Beelzebub verfall'n! Und wenn –« Er konnte nicht weiter sprechen; Heinemann hatte seine Tochter von ihm weggerissen und packte ihn wüthend bei der Brust. »Das werd' ich Dir bezahl'n, Du Teufelsbub', aber mit anderem Geld, als Du gegeb'n hast!« »Bild' Dir nix ein, Heinemann; Du bringst Dein Geld bei mir net an den Mann!« Er schob ihn von sich ab und umspannte seine Hände dann mit solcher Festigkeit, daß dem zornigen Manne fast der Athem versagte. »Du hast uns den Teufel an die Wand gemalt, und nun ist er zu Dir 'kommen; er hat Deine Tochter geküßt und giebt sie net wieder her, Du magst nun mach'n, was Du willst. Geh' hin in Fried'n und trag Dein Schicksal still und mit Geduld; das ist das Best', was ich Dir rath'n kann!« Er gab ihn frei. »Net um die Seligkeit möcht' ich diese Schand' erleb'n, und Du darfst nur dann an sie denk'n, wenn – wenn,« setzte er mit grinsendem Hohne hinzu, »wenn auch ich im Fels'nbruch lieg'. Willst' mich etwa hinunter expedir'n? Dann thu's nur net eher, als bis ich das Feuer geseh'n hab', was Du mir heut' versprachst!« Die Antwort wurde Gustav abgeschnitten. Ein grelles, blendendes Licht zuckte an den Fenstern des Saales vorüber; ihm folgte ein krachender Donnerschlag, unter dem das Haus zu beben schien, und bei der augenblicklich eingetretenen tiefen Stille war das Brausen des Windes zu vernehmen, welcher draußen heulend die Wipfel der Bäume schüttelte. Das Gewitter war da, und gleich sein erster Schlag war ein so furchtbarer, daß der Schreck darüber Aller Gesichter erbleichen machte. »Da hast' das Feuer, Wies'nbauer!« tönte die Stimme Gustav's durch das Schweigen. Es leitete ihn bei diesen Worten keine bestimmte Absicht, und er sprach sie nur unter dem Eindrucke der Situation; aber es lag in Ton und Haltung etwas so unwiderstehlich Ueberzeugendes, daß sofort
der Ruf erscholl: »Es hat eingeschlag'n. Der Wies'nhof brennt!« Der Streit war vergessen, und eine angstvolle Beweglichkeit kam über die Versammlung. Die Thür war zu eng, um die Andrängenden schnell genug hindurch zu lassen, unter deren Vordersten sich Heinemann befand. Er dachte nicht an den Gegner, dachte nicht an seine Tochter; er stürzte die Treppe hinab und hinaus in die vom Sturme durchfegte Nacht. In wenigen Minuten war der Saal geleert; nur zwei Personen befanden sich noch in demselben. Gustav stand noch an derselben Stelle, an welcher er den verhängnißvollen Ruf ausgestoßen hatte. Er hätte nicht vermocht, sich Rechenschaft über denselben zu geben, aber er glaubte selbst so fest an die Wahrheit seiner Worte, als läge der Wiesenhof schon in Schutt und Asche vor ihm. Ein klagender Laut ließ ihn zur Seite blicken. Dort saß mit thränenden Augen und gefalteten Händen Katharina zusammengesunken auf der Bank. Er trat zu ihr hin. »Bist wohl matt vom Schreck', Kathrin'?« »Ist's wahr vom Feuer?« »Ich hab' net geseh'n, ob's brennt und wo.« »Aber Du sagt'st doch, daß es bei uns sei!« »Net ich hab's gesagt; die Ahnung hat aus mir gesproch'n. Komm, geh'; ich will Dich führ'n!« »Ich waaß net, ob ich kann. Ach Gott, was hast Du heut' gethan!« »Ist's bös gewes'n, Kathrin'? Dann will ich die ärgste Straf' erleid'n, die es giebt; Du sollst mich nimmer wieder anschau'n, und ich geh'!« »Nein, bleib', Gustav! Der Vater hat mich verlass'n, und kaan Ander's hat an mich gedacht. Ich kann ohne Deine Hilf' net von hier weg. Komm, ich will mich auf Dich stütz'n!« Er nahm sie in den Arm, um sie fort zu geleiten. Als sie auf die Straße traten, war dieselbe fast tageshell erleuchtet. Kein Regentropfen fiel zur Erde; nur den einen Blitzstrahl hatte das Wetter herabgeschleudert und war dann vom Sturme hinweggetrieben worden. Aber oberhalb des Gasthofes stieg eine rothglühende Lohe
flackernd empor, in welcher brennende Garbenbüschel wirbelten. Das Feuer mußte die kaum eingeheimste Ernte ergriffen haben. »Die Erntezeit ist aane heil'ge Zeit, und wer sie durch Bosheit entweiht, der wird die Strafe find'n!« hatte Gustav heute zu Heinemann gesagt; er hörte noch die letzten Worte desselben: »Dann thu's net eher, als bis ich das Feuer gesehen hab', was Du mir heut' versprachst!« in seinem Ohre klingen, und als er jetzt forschend aufblickte, um zu bestimmen, wo es brenne, ergriff ihn ein heiliges Grauen vor der Sicherheit seiner eigenen unwillkürlichen Prophezeiung. Es war kein Zweifel möglich; der Wiesenhof stand in Flammen!
III. Als Heinemann in die Nähe seiner Wohnung kam, drohten ihm die Kniee zusammen zu brechen. Er war nächst dem Tannenbauer als der reichste Mann im Dorfe bekannt und hatte auf den Mammon gepocht, ohne für Unglücksfälle, wie der jetzt ihn treffende einer war, die gewöhnlichen Vorkehrungsmaßregeln zur Sicherung seiner Habe zu treffen. Der Bauer befreundet sich nur langsam mit Einrichtungen, deren Nützlichkeit ihm nicht sofort und schwerwichtig in die Augen fällt, nimmt der Speculation gegenüber gern eine mißtrauisch zuwartende Haltung an und betrachtet selbst das Versicherungswesen mit einer Vorsicht, deren Folgen er nicht selten zu beklagen hat. Der Wiesenhof war nicht versichert, und sein Besitzer dachte in diesem Augenblicke nicht an die Gefahr, in welcher sich Weib und Kind befanden, sondern nur an den schweren Verlust, den das gefräßige Element ihm bereiten mußte. Sowohl die mit Getreide gefüllte Scheune, als auch die Stallung, in deren oberen Räumen ein bedeutender Vorrath duftenden Gebirgsheues untergebracht war, brannte lichterloh; der funkensprühende Schwalch leckte bereits an dem Hauptgebäude, und doch war kein Mensch in dem tageshell erleuchteten Hofe zu sehen. Die Bewohner schienen nur mit ihren nächsten Habseligkeiten beschäftigt und an das arme Vieh nicht zu denken, welches ängstlich nach Rettung brüllte. Heinemann schwankte nach dem Stalle und öffnete die Thür. Mit Hilfe der auch jetzt herbeieilenden Nachbarn gelang es ihm, die Thiere in das Freie zu bringen. Damit war es aber auch vollständig mit seiner Kraft zu Ende, und zusammenbrechend sank er auf einen der Sessel nieder, welche man aus der Wohnstube mit anderen Möbeln herbeigetragen brachte. »Steh' auf, Wies'nbauer,« mahnte ihn eine schnarrende Stimme. »Es ist von Deinem Gesind' gar Niemand net zu seh'n, und es muß doch auch wer da sein, der in dem Gedräng' auf Ordnung sieht!« »Laß mich! Ich mag gar nix mehr wiss'n auf der Welt. Du bist doch der Richter und kannst die Ordnung führ'n!« »Ich hab' net Zeit dazu. Jetzt kommt die Spritz', und bei der muß
ich sein, damit sie die richtige Stell' im Aug' behalt'n!« »So geh'! Mit mir ist's aus; mir ist nun Alles gleich!« Es stürmte vom Thurme. Das waren dieselben Glocken, deren frommes Mahnen er heute von sich gewiesen hatte. Wie ganz anders klang jetzt ihre Stimme! Er hörte sie nicht; er hatte keine Sinne mehr für die Außenwelt; es war ihm, als läge er selbst in Asche. – Asche? Wie hatte die Drohung des jungen Teufelsbauern gelautet? »Du hast Wind und Asch' gesä't und wirst Sturm und Feuer ernten!« Sie hatte sich erfüllt. Die Flamme stieg breit und groß vor ihm zum blutroth gefärbten Himmel auf, und der Sturm drehte sie zusammen, riß sie wieder auseinander und warf einen zündenden Funkenhagel auf das theilweise noch mit Stroh gedeckte Wohnhaus nieder, dessen Rückwand nach dem unvorsichtigen Gebrauche der Gebirgler bis hoch hinauf mit kurzem Reisig und kleingehacktem Brennholze belegt worden war. Die Erinnerung an seine Begegnung mit Gustav gab ihm neue Kraft; er sprang empor und blickte mit verstörtem Gesichte um sich. In einem wirren, fürchterlichen Durcheinander eilten, sich mehr hindernd als helfend, die mit Löschen und Retten beschäftigten Leute hin und her; es fehlte gänzlich an der nothwendigen Leitung; Jeder that, was ihm beliebte, und der kleine Ortsrichter ließ dem Wasserstrahle der Spritze eine solche Leitung geben, daß derselbe kaum irgend einen Nutzen schaffen konnte. »Was ist denn das für aan unselig's Gethu', Ihr Leut'?« donnerte da eine Stimme durch den wüsten Lärm. »Macht aane Reih' mit Euern Wassereimern, von hier bis an den Teich, und schafft die Spritz' rasch in den Gart'n, sonst brennt das Reisig an und Alles ist verlor'n!« Der Richter fuhr herum, erzürnt über das Corrigiren seiner Anordnungen. »Hast' etwa 'was hier zu befehl'n, Teufelsbauer? Mach' Dich schnell aus dem Dorfe fort, sonst wirst' hinausgebracht, Du waaßt wohl schon, warum!« »Bist' wieder da, Haubold Frieder?« erscholl es plötzlich auf der anderen Seite, von welcher Heinemann mit vom Grimme verzerrtem Gesichte herbeigesprungen kam. »Willst wohl seh'n, ob ich mich schon vor Deinem Advocat'n fürcht'? Ich bin noch immer der Wies'nbauer, und Du – waaßt noch immer net, wie's damals war mit meinem Bruder? Kommt her, Ihr Leut', und werft ihn in das Feuer!
Er hat es angezund'n!« »Um Gotteswill'n, was thust', Vater!« warnte ihn Katharina, indem sie sich zwischen die beiden Männer stellte. Auch ihr hatten die Kräfte versagt, so daß sie erst jetzt herbeigekommen war. »Hast' doch die Mutter geseh'n?« »Die Mutter? Nein, ich hab' noch Niemand net geseh'n. Geh' in das Haus; dort wirst' sie treff'n!« Mit einem kurzen Angstschrei eilte sie fort. An der Thür kam ihr ein Trupp Flüchtiger entgegengestürzt, denen ein dunkler, brenzeliger Rauch nachwirbelte. Unter ihnen befand sich auch die Magd, beladen mit einem Pack von Kleidungsstücken. »Kannst net mehr hinein, Kathrin'! Das Feuer hat das Reisig ergriff'n, und in der Stub' steht All's in Brand.« »Wo ist die Mutter?« »Die Mutter? Ich hab' sie jetzt gar net geseh'n. Als das Wetter kam, da ist sie mit der Latern' nach dem Bod'n 'gangen, um die Lad'n zu verschließ'n. Darauf kam sogleich der Blitz, und seitdem waaß ich nix von ihr.« »Mein Gott, die Mutter verbrennt!« schrie entsetzt das Mädchen auf. »Ich muß sie hol'n!« Sie konnte diesen Vorsatz nicht ausführen. Schon beim ersten Schritte wurde sie von dem dicken Rauche, welcher ihr entgegendrang, zurückgeworfen, und wehklagend eilte sie zum Vater zurück. Dieser erschrak aufs Höchste und machte den gleichen Versuch, wie sie, aber mit demselben Erfolge. »Die Wies'nbäuerin steckt im Feuer! Wer will hinein zu ihr?« ging es von Mund zu Mund, aber Niemand fühlte sich berufen, diese Frage durch die That zu beantworten. Die Flammen schlugen schon aus den unteren Räumen, und die Treppe war unmöglich mehr zu erreichen. Da brachen sich Zwei mit einer Leiter Bahn, welche sie zur Giebelseite des Hauses trugen und dort an eines der oberen Fenster lehnten. »Halt' fest, Gustav; ich steig' hinauf!« »Nein, Oheim. Hinauf geh' ich, und Du hilfst mir nachher von auß'n!« Er drängte den Tannenbauer auf die Seite, klomm die Sprossen empor, zertrümmerte mit einigen Schlägen der Faust das Fensterkreuz und stieg dann hinein.
»Die Teufelsbauern thun's!« rief Einer verwundert. »Die können's auch,« lautete die Antwort. »Der Haubold kann den Feuerseg'n sprech'n, der im siebent'n Buch Mosis steht. Er setzt sich auf seinen Rapp'n, reitet dreimal im Galopp rund um das Haus herum, und das Feuer ist auf der Stell' erlosch'n. Er mag's dem Heinemann nur net zum Gefall'n thun. Zwar hab' ich's von ihm noch net geseh'n, aber von seinem Vater, als damals der Pfarrhof brannte.« »Ja, und von ihm haben's die Beiden gelernt, so daß ihnen nun das Feuer nix anhab'n kann. Kaan Anderer hätt's gewagt, in diese Glut zu steig'n; aber paß auf, der Gustav bringt die Bäu'rin ganz heil heraus!« »Nein, das ist nun net mehr möglich! Schau, die Flamm' ist schon ganz nah' am Fenster!« »Und doch! Da kommt er schon; er ist mitt'n durch das Feuer hindurch!« Es war so. Gustav erschien an der Oeffnung, einen dunkeln, schweren Gegenstand tragend. »Komm herauf, Oheim; ich muß sie Dir hinaus geb'n. Aber mach' schnell, sonst faßt mich der Brand!« Der Teufelsbauer stieg empor und nahm die besinnungslose Bäuerin in Empfang. Während er sie nach unten brachte, schwang sich der Jüngling heraus. Noch im letzten Augenblicke hatten die Flammen seine vollständig versengte Kleidung ergriffen; er stürzte sich mehr von der Leiter, als er sie herabklomm, und eilte dann der Richtung zu, nach welcher die Spritze ihren Wasserstrahl versandte. »Löscht mir das Feuer!« rief er dem Richter zu. Dieser, welcher jetzt die Mündung des Schlauches selbst leitete, zögerte, dem Rufe Folge zu leisten. Da legte Haubold die Gerettete zur Erde, sprang herbei, stieß ihn hinweg und ließ einen dichten Tropfenregen auf den Neffen fallen. Dieser war zu Boden gesunken; die Anstrengung und der Schmerz hatten ihm das Bewußtsein geraubt. Katharina kniete mit ihrem Vater bei der Mutter, um welche sich, ebenso wie um Gustav, ein Kreis Neugieriger bildete. »Er ist verbrannt!« bemerkte der vorige Sprecher. »Sie hab'n den Seg'n gar net gesproch'n oder aan'n Fehler dabei gemacht.« »So kommt die Straf' für solches Satanswerk, und wenn er stirbt,
fährt seine Seel' zur Höll'!« »Nehmt Euch in Acht, daß Ihr net selbst hinfahrt statt seiner!« zürnte Haubold, welcher, jetzt mit der Untersuchung des Neffen beschäftigt, die lieblosen Worte vernommen hatte. Er blickte suchend im Kreise herum und gewahrte einen seiner Knechte. »Spring' rasch nach dem Tannenhof und hol' die Trag' sammt noch dem andern Mann. Ihr müßt den Gustav nach Haus' schaff'n!« »Ist's bös, Herr Haubold?« fragte der Angeredete. »Nein, lange net so schlimm, als ich vorerst gedacht hab'. Aber lauf', damit ich net zu lang' zu wart'n brauch'!« »Könnt'n wir net hier Jemand'n find'n und aane Trag' dazu?« »Geh nur! Die Leut' soll'n mit dem Teufelshof gar nix zu schaff'n hab'n; ich will sie net um ihre Seligkeit betrüg'n!« »Ihr dürft nicht gar so bitter sein, Tannenbauer!« klang da eine milde Stimme. »Die Leute haben doch vielleicht nicht ganz allein die Schuld an dem, was Euch kränkt.« Es war der Pfarrer, welcher sich noch nicht gar lange Zeit im Amte befand und hier die ihm willkommene Gelegenheit ergriff, gegen das Vorurtheil und den Haß, von denen er so viel gehört hatte, nach besten Kräften anzukämpfen. »Ihr habt mehr als Eure Schuldigkeit gethan und es sehr wohl verdient, daß Euch Hilfe geleistet wird. Ist die Trage wirklich nothwendig?« »Ja, weil's so weit nach Haus' ist, Herr Pastor, sonst könnt' man sich auch ohne sie behelf'n. Er wird wohl arge Schmerz'n leid'n, wenn er aufwacht.« »So dürft Ihr ihn gar nicht so weit transportiren. Schafft ihn nach meiner Wohnung, die ist ganz in der Nähe! Und wenn sich Niemand findet, der mit zugreifen will, so fass' ich selbst mit an!« »Ich dank' Ihn'n schön, Herr Pastor,« meinte Haubold, innig erfreut über diesen ersten Beweis einer freundlichen Gesinnung, welcher ihm seit langer Zeit entgegengebracht wurde. »Ihr Anerbiet'n nehm' ich um des Neffen will'n gern dankbar an. Aber dann sind wir schon selbst genug, ich und der Knecht. Ich verlangte nur den Anderen noch, weil ich gleich nach der Felsenkanzel wollt', um da 'was Nothwendig's zu hol'n.« »Nach der Fels'nkanzel? Und jetzt, mitten in der Nacht? Was habt Ihr von dort so sehr nöthig?« »Es steht dort aan Kraut, welches geg'n die Brandwund'n hilft und sonst nirgends mehr zu find'n ist. Ich hab's auch net daheim,
weil's nur frisch angewendet werd'n darf.« »So geht! Den jungen Mann könnt Ihr mir bis dahin anvertrauen; ich werde für ihn die beste Sorge tragen. Kommt her, Ihr Männer, und greift mit an, aber fein säuberlich, damit Ihr ihm nicht wehe thut!« Das Beispiel des Pfarrers war von dem besten Erfolge begleitet. Die Verständigeren unter den Umstehenden fühlten die Rücksichtslosigkeit ihres bisherigen Verhaltens und waren jetzt zu der geforderten Hilfeleistung gern bereit. Als man im Begriffe stand, den Verletzten davon zu tragen, trat Katharina herbei. Sie hatte das hochherzige Beginnen der beiden Tannenbauer mit angstvoller Spannung verfolgt und war seit dem Gelingen desselben mit ihrer nun wieder erwachten Mutter beschäftigt gewesen. »Was ist's mit ihm?« fragte sie besorgt. »Ist er todt?« »Nein, meine Tochter,« antwortete der Pfarrer; »er ist nur von Hitze, Rauch und Schmerz ohnmächtig geworden.« »Darf ich ihn seh'n, Herr Pastor? Komm her, Mutter, er hat Dich aus dem Tode fortgeriss'n!« »Bleibt nur zurück!« gebot Heinemann. »Er ist aan Haubold, und Ihr habt mit ihm gar nix zu thun. Oder willst' etwa die Pflaster für ihn streich'n?« »Ja, Vater, das werd' ich auch, wenn's welche für ihn zu streich'n giebt! Es hat's Kaaner gewagt, in das Feuer zu geh'n, kaan Einziger, auch Du net; aber er ist hineingestieg'n, obgleich man ihn auf alle Weis' verfolgt und böse Ding' von ihm ersinnt. Die Mutter wär' elendiglich verbrannt, wenn er net muthiger gewes'n wär', als Ihr, und nun muß er auch seh'n, daß wir ihm den Dank net schuldig bleib'n!« Sie hatte noch niemals in diesem Tone zu ihm gesprochen; sie wußte selbst nicht, woher ihr die Kühnheit dazu kam, zumal es nicht unter vier Augen, sondern vor so vielen Leuten geschah. Liebe, Dankbarkeit und Entrüstung hatten ihr die Worte dictirt, und sie war der Stimme ihres guten Herzens gehorsam gewesen, ohne nach den Folgen zu fragen. Heinemann fand im ersten Augenblicke vor Erstaunen gar keine Worte; dann aber nahm er sie beim Arme und schleuderte sie weit von den Trägern zurück. »Was willst Du? Mir die Moral vorles'n? Ich werd' Dir zeig'n,
wem Du zu dank'n hast! Schafft mir den Kerl vom Hof, sonst werf' ich Euch sammt ihm hinaus! Und Du, Haubold Frieder, troll' Dich auch rasch von hinnen. Ihr habt mir jetzt die Frau erhalt'n, aber wir sind noch nimmer quitt; aan Mord wiegt schwer als die paar Blas'n, die der hier auf die Haut bekommen hat!« »Ich geh' schon, Wies'nbauer,« antwortete Haubold mit finsterer Ruhe; »aber denk' an den Advocat'n, den ich mir angenommen hab'. Er hat Dich schon gepackt und wird Dich net so bald wieder losgeb'n. Und was den Mord betrifft, so merk's: ich geh' grad' jetzt zur Fels'nkanzel. Kannst mir auch nachschleich'n, wie mir damals Dein Bruder nachgeschlich'n ist!« Er wendete sich ab und schritt durch das zertrümmerte Thor davon. Heinemann blickte ihm mit funkelnden Augen nach. Seit dem Begebnisse im Felsenbruche hatte er das Verlangen gehegt, mit dem vermeintlichen Mörder Abrechnung halten zu können, und es war ihm selbstverständlich gewesen, daß dies auf der Kanzel geschehen müsse. Er war mit diesem Gedanken schlafen gegangen und mit ihm erwacht und hatte denselben so tief in sich eingesogen, daß er ein Theil seines Selbst geworden war. Er hatte sich Mühe gegeben, ihn zu verwirklichen, hatte an jedem arbeitsfreien Tage draußen über dem Kessel auf der Lauer gelegen, aber niemals war es ihm gelungen, dem Todfeinde einmal an dieser Stelle zu begegnen. Der Haß ließ ihn niemals bemerken, wie gottlos und verbrecherisch sein Beginnen sei und daß ein Fluch von demselben ausgehe, der seine Wirkung auch auf die äußeren Verhältnisse der Verblendeten erstreckte. Jetzt war der Wiesenhof zu einem rauchenden Schuttund Trümmerhaufen geworden; Heinemann sah die Zerstörung vor sich liegen; die hin und her eilenden Gestalten bewegten sich wie in einem Nebel vor seinem Auge; das Stimmengewirr drang wie aus weiter Ferne an sein Ohr; er sah nur wie im Traume; er hörte nichts, als nur das eine Wort: »Ich geh' grad' jetzt zur Fels'nkanzel; kannst mir nachschleich'n!« Er wischte sich den perlenden Angstschweiß von der Stirn, schritt um die Brandstätten herum nach dem Garten und starrte hinaus in das nächtliche Dunkel, nach der Richtung, in welcher die Schlucht sich öffnete. Sollte er gehen, sollte er bleiben? Der Hof war nicht mehr zu retten; ein einzelner Mensch vermochte auch keine Wunder zu verrichten, und der Teufelsbauer war sicherlich niemals wieder auf der Kanzel zu treffen. Das Gute
kämpfte in ihm mit Mächten, welche so dunkel waren, wie die vor ihm liegende Finsterniß, welche unter den um die Brandstätte zuckenden Richtern sich nur zu verdichten schien. Der Pastor begleitete seinen Patienten nach dem Pfarrhofe, wo demselben in einer der hinteren, ruhigen Stuben ein weiches Lager bereitet wurde. Gustav war schon während des Transportes wieder zum Bewußtsein gekommen; man kühlte seine Wunden einstweilen mit schmerzlindernden Mitteln, wie sie jeder Haushalt bietet, und ließ ihn dann allein. Nach Entfernung der Kleider hatten sich die Verletzungen als nicht sehr bedeutend gezeigt; er war eine starke, robuste Natur und achtete der Schmerzen, welche er empfand, nur wenig; die meiste Schuld an seiner Ohnmacht trugen der erstickende Qualm und die fürchterliche Hitze, durch welche er hatte dringen müssen, und so schienen ihm nur einige Stunden der Ruhe nöthig, um neu erholt das Lager verlassen zu können. Was war das heute doch für ein ereignißreicher Tag gewesen! Er verfolgte den Lauf desselben von Stunde zu Stunde und verweilte dabei am längsten bei der Begegnung mit Katharina im Felsenbruche. Was wird wohl der Wiesenbauer sagen, wenn er sein Kreuz nicht mehr vorfindet? Er horchte erschrocken auf. Grad' aus der Gegend her, an welche er soeben gedacht hatte, war ein lautes, dröhnendes Krachen erschollen, welches noch mehrere Secunden lang rollend in der Luft nachzitterte. Was konnte das gewesen sein? Er hatte erfahren, daß der Oheim nach der Felsenkanzel gegangen sei, um eine heilende Pflanze für ihn zu holen, und fast wollte es ihn wie Besorgniß überkommen, wenn er an die Gefahr dachte, welche ein nächtliches Besteigen des Altanes bot. Er wußte auch, daß die Kanzel nicht mehr zuverlässig sei; Wind und Wetter hatten auf sie eingewirkt, und es war mit der Zeit ein Riß entstanden, welcher früher oder später ihren Einsturz herbeiführen mußte. Aber seine Befürchtungen waren nicht so groß wie die Müdigkeit, welche er fühlte; er schloß die Augen und war in kurzer Zeit eingeschlafen. Als er erwachte, war es schon spät am Morgen; die Pfarrfrau saß an seinem Bette; sie hielt seinen Zustand für bedenklicher, als er war, und fragte ihn nach seinen Schmerzen. Er lächelte. »Verbranntes thut net schön; aber daraus braucht man sich net
viel zu mach'n. Ist der Oheim schon hier gewes'n?« »Nein; aber die Wirthschafterin war hier und hat auch nach ihm gefragt.« »Die Marie? Dann ist er net zu Haus'? Frau Pfarr'rin, ich muß aufsteh'n; es ist etwas passirt!« »Was denn?« »Ich waaß's selbst noch net; aber ich hab' heut' Nacht gehört, daß im Fels'nbruch 'was eingestürzt ist, und der Oheim war drauß'n. Wäre ihm nix gescheh'n, so hätt' er mich schon längst aufgesucht. Ich muß auf!« »Das wird wohl schwerlich gehen!« »Es geht ganz leicht; die Haut ist nur aan wenig eng geword'n, und bei dem Lieg'n kommt auch net viel heraus. Bitt', darf ich geh'n?« »Mir soll es lieb sein, wenn die Wunden nicht gefährlich sind; aber Schmerz bereiten sie genug, das kann ich mir denken. Hier ist ein anderer Anzug, den die Wirthschafterin mitgebracht hat.« Sie entfernte sich, und er begann, sich anzukleiden. Es ging doch nicht so leicht, als er gemeint hatte; aber die Sorge um den Oheim ließ ihn die Schmerzen überwinden, und bald hatte er dankend Abschied genommen und verließ das Haus. Als er an der noch rauchenden Ruine des Wiesenhofes vorüberkam, erblickte er Katharina, welche suchend unter den Gegenständen umherging, die zerstreut und vielfach beschädigt im Garten lagen. »Kathrin'!« Sie blickte auf. Als sie ihn erkannte, kam sie auf ihn zugeeilt. »Gustav, bist' schon wieder gesund?« fragte sie, indem es freudig über ihre kummervollen Züge glitt. »Ich denk', Du bist fast ganz verbrannt!« »Ich net, sondern bloß die Hos'n und die Jack', und die paar Mäler, die ich dabei bekommen hab', die werd'n bald vergehen. Was thut Dein Vater?« »Ach Gott, der ist fort und weg, und wir wiss'n net, wohin. Wir hab'n ihn schon im ganz'n Dorf gesucht, aber er ist nirgends net zu find'n.« Ihre Thränen flossen wieder. Er ergriff ihre Hand. »Laß' gut sein, Kathrin'; er wird schon wiederkommen, und das Unglück hier läßt sich wohl auch noch überseh'n. Hat's der Mutter
'was gethan?« »Sie ist unverletzt, aber schwach und ganz trübselig. Ach, Gustav, wie ist's doch so gar anders word'n, seit wir uns gestern im Bruch' gesehen hab'n!« Die Erwähnung des Felsenkessels erinnerte ihn an den Oheim; er zog trotz der Leute, welche vereinzelt umherstanden, das Mädchen an sich und fragte: »Kathrin', darf ich Dich lieb hab'n? Gestern wolltest' mir's net sag'n; erlaub' mir's heut'!« Sie nickte weinend. »Dann mach' Dir kaane Sorg'; Du wirst noch weiter von mir hör'n! Jetzt aber muß ich fort. Leb' wohl, Kathrin', und grüß' mir auch die Mutter!« »Leb' wohl!« Trotz dieses Wortes hielt sie seine Hand fest und sah schluchzend zu ihm empor. »Gustav, thu' mir heut' 'was zu Lieb'!« »Sag's; ich will's gern thun!« »Bitt' Deinen Oheim, daß er dem Vater Verzeihung giebt! Der liebe Gott wird uns sonst noch mehr heimsuchen, als bisher.« »Ich werd's ihm sagen, und er wird Dir Deine Bitt' erfüll'n, Kathrin', darauf darfst Du Dich verlass'n!« Als er den Tannenhof erreichte, waren die Bewohner desselben ebenso erfreut über sein unerwartetes Erscheinen wie besorgt über das unerklärliche Wegbleiben Haubold's. Er hatte sich seit gestern Abend nicht wieder sehen lassen, und Niemand konnte sagen, wo er zu suchen sei. Marie befand sich in einem hohen Grade von Aufregung, die sie vergeblich zu verbergen suchte. Gustav kannte ihre außerordentliche Anhänglichkeit für den Oheim und verschwieg ihr darum schonend seine Vermuthung. Unter dem Vorwande einer Feldarbeit nahm er die beiden Knechte zu sich und begab sich mit ihnen nach dem Felsenbruche. Dort angekommen, erblickte er einen mächtigen Trümmerhaufen, welcher die Stelle bedeckte, an der das Kreuz gestanden hatte; die Kanzel war herabgestürzt und hatte ein breites Stück des Kesselrandes mit sich herniedergerissen. Sprachlos vor Entsetzen blieb er an der Mündung der Schlucht stehen, dann ermannte er sich und stürmte vorwärts. »Der Oheim ist zerschmettert und verschüttet. Vorwärts, wir müss'n ihn find'n, ihn oder seine Leich'!«
Im Nu stand er bei den Trümmern; mit einem raschen, angstvollen Blicke hatte er die zerborstene Masse überflogen und gefunden, daß die Oberfläche derselben keine Spur von dem Gesuchten sehen lasse; er mußte unter ihr vergraben sein. »Helft mit wegräumen! Ich muß ihn seh'n, ich muß ihn hab'n, und wenn ich den ganz'n Bruch umstürz'n soll!« Mit fast übermenschlicher Anstrengung wühlte er sich in das Gestein; die schweren Stücke flogen wie leichte Nußschalen zur Seite; der Schweiß rann ihm aus allen Poren, und von Schritt zu Schritt vorwärts rief er mit lauter Stimme den Namen des Vermißten. »Horch, Gustav,« rief einer der Knechte, »ich hab' 'was sprech'n hör'n!« Die drei Männer lauschten gespannt auf jedes, auch das geringste Geräusch. Endlich, nach längerem Horchen, vernahmen sie eine schwache menschliche Stimme; aber sie kam nicht aus der Tiefe, sondern von der Höhe herab. »Da drob'n ist wer, an der Fels'nwand. Es muß in der Höhl' sein, dem Schalle nach. Aber dort kann doch kaan Mensch hineinkommen!« Wieder ließ sich der gedämpfte Ruf vernehmen. Es klang, als befände sich Jemand in der dringendsten Gefahr und habe doch nicht die Kraft, laut nach Hilfe zu schreien. »Kommt an der Seit' hinauf! Dort können wir von oben hinabblick'n und am End' seh'n, wer es ist!« Sie eilten durch die Schlucht zurück und stiegen in möglichster Geschwindigkeit an dem Rande des Bruches empor. Oben an der Stelle angekommen, welche der Höhlung gegenüber lag, sahen sie zwei menschliche Gestalten in derselben liegen, deren eine den Oberkörper so weit wie möglich hervorgeschoben hatte, um eine Gelegenheit zur Rettung zu erforschen. »Wer ist da drüb'n?« fragte Gustav mit lauter Stimme. »Ich bin's!« antwortete es matt und kaum vernehmlich. »Wer denn?« »Der Heinemann!« »Und wer ist der Andere?« »Der Teuf – der Tannenbauer!« »Der Oheim ist mit dabei!« jubelte Gustav; schnell aber dämpfte er seine Freude und fragte hinüber: »Warum spricht der
Tannenbauer net?« »Er ist todt!« »Todt?« zitterte es von den Lippen des Jünglings. Dann aber ballte er die Faust und warf sie drohend hinüber. »O, jetzt waaß ich All's! Der Oheim ist nach der Kanzel gegang'n, um das Kraut zu such'n, und der Wies'nbauer hat ihn verfolgt und sich über ihn hergemacht. Da oben hab'n sie mit'nander gekämpft, und von der Last und dem Gestampf' ist die Kanzel vollends losgebroch'n. Dabei hatt'n sie sich fest gepackt und sind net mit hinabgestürzt, sondern seitwärts hinüber nach der Höhl' geschleudert word'n. Das ist das größte Wunder, was es geb'n kann! Aber was soll es helf'n? Den Oheim hat's zerdrückt, und der Mordthäter ist dafür noch am Leb'n. Aber heraus müssen Beid'! Lauft nach dem Dorf' und macht Lärm; man soll so viel Strick' und Leitern mitbring'n, als man fass'n kann; auch aane Schnur ist vielleicht zu gebrauch'n, so lang, als möglich. Lauft; ich bleib' alleweile hier, bis Ihr wiederkommt, und werd' mich umschau'n, wie die Hilf' am best'n geht!« Die Nachricht, welche die Knechte in das Dorf brachten, erregte ein ungeheueres Aufsehen. Wer sich von zu Hause losmachen konnte, der eilte nach dem Felsenbruche, und in kurzer Zeit hatte sich eine zahlreiche Menschenmenge in dem Kessel und an den Seiten desselben versammelt. Jeder hatte irgend ein Werkzeug mitgebracht, von dem er glaubte, es hier gebrauchen zu können, und es wurden die verschiedensten und abenteuerlichsten Ansichten darüber laut, in welcher Weise die Verunglückten aus ihrer jetzigen Lage befreit werden könnten. »Ich hab' mir die Sach' gehörig angeschaut und gefund'n, daß mit Leitern doch net viel auszuricht'n ist,« meinte Gustav, auf einige Männer zeigend, welche beschäftigt waren, einige Exemplare der erwähnten Werkzeuge zusammen zu binden. »Man müßt' sie mit dem Seil' emporzieh'n, und dann treffen sie noch immer net richtig an.« »Was hast' hier zu gebiet'n!« wies ihn der kleine Richter zurück. »Hier sind noch ganz andere Leut', als Du, und die werd'n schon noch sag'n, was zu thun ist!« »Ja, das ist wahr! Und Du verstehst's gewiß am allerbest'n; Du wartest, bis Du groß genug geworden bist, langst dann hinauf in die Höhl' und nimmst den Oheim sammt dem Heinemann herunter. Aan ander' Mal aber wartest', bis ich mit Dir gesproch'n hab', das merk'!«
Er zog sich zurück. Den Oheim mußte er haben, gleichviel, ob derselbe todt oder lebendig war; jede verlorene Minute wurde ihm zur Ewigkeit, aber er sah ein, daß er hier nichts als zuwarten könne. Seine Ansicht erwies sich als die richtige; Leitern waren bei der beträchtlichen Höhe, in welcher die Höhle lag, nicht anwendbar; auch ein von oben herabgelassenes Seil reichte nicht nahe genug an sie heran, da die Felsenwand grad' über ihr um mehrere Fuß hervortrat; diese beiden Umstände versetzten die Versammlung in allgemeine Rathlosigkeit, und mit dem Zeichen des Beileides betrachtete man zwei Frauen, welche den bisherigen Bemühungen mit gespanntem Interesse gefolgt waren. Katharina und ihre Mutter hatten sich eingefunden, und als jetzt keine Hilfe möglich schien, irrten die Augen der Ersteren angstvoll unter den Anwesenden umher, bis sie einige Gestalten entdeckten, welche abseits von den Anderen an dem Felsen lehnten. »Komm, Mutter, dort ist der Gustav! Der waaß vielleicht noch Rath und That!« Sie zog die Angeredete zu der kleinen Gruppe und reichte dem Genannten die Hand. »Ist's wirklich wahr, Gustav, daß es kaan Mittel giebt, den Vater herabzuhol'n?« »Ich waaß noch 'was, Kathrin'! Der Knecht hat schon die Schnur' und auch die Seil', und hier kommt grad' der Bot', den ich nach dem Hammer geschickt hab' und nach dem Spitzeis'n. Paß' auf, jetzt wird's versucht!« Ein Riß, zuweilen senkrecht aufsteigend, zuweilen wagrecht fortlaufend oder eine kurze Bogenlinie beschreibend, zog sich in der Steinwand vom Boden aufwärts und strich ganz nahe an der Oeffnung der Höhle vorüber. Auf ihn hatte Gustav sein Augenmerk gerichtet. Es war, allerdings unter vielen Gefahren, vielleicht möglich, die bald enge, bald sich erweiternde Spalte zum Erklimmen der Felsenmauer zu benutzen. Nachdem er das Nöthige zu sich gesteckt hatte, begann er das schwierige, höchst wagehalsige Unternehmen. Sich nach Art der Schornsteinfeger mit Knie und Ellbogen emporschiebend, gelangte er langsam und stetig höher und höher; Hunderte von Augen verfolgten seine Bewegungen, und je weiter er aufrückte, desto stiller wurde es unter den athemlos spannenden Zuschauern. Jeder
falsche Tritt oder Griff, die leiseste Unvorsichtigkeit oder das geringste Nachlassen seiner Kraft mußte ihn in die Tiefe stürzen; die Spalte war der Verwitterung mehr ausgesetzt, als die geschlossene Felsenmasse, das Gestein bröckelte bei jeder Berührung, und wenn es ihm auch gelang, die Höhle zu erreichen, so war doch vorauszusehen, daß er sie auf demselben Wege nicht wieder verlassen könne. »So 'was kann nur aan Haubold wag'n, der den Teufel hat!« bemerkte der Richter; er vermochte dem kühnen Jünglinge doch seine Anerkennung nicht zu versagen. »Schweigt mit dem Teufel, Richter!« mahnte der Pfarrer, welcher in der Nähe stand. »Das ist nicht Satanswerk, sondern ein Muth und eine Hochherzigkeit gegen den Wiesenbauer, die Euere harten Herzen erweichen und Eueren Aberglauben besiegen sollten!« Der Zurechtgewiesene gab keine Antwort; er fühlte die Wahrheit dieser Worte, obgleich sein Vorurtheil ihr widerstrebte. Ein lauter Jubelruf ließ ihn wieder zur Höhe blicken. Gustav hatte die Höhle erreicht, schwang sich hinein und blieb für eine geraume Zeit für die Umstehenden verschwunden. Sein erster Blick fiel auf den Oheim, welcher wie todt am Boden lag. Ohne an die eigene Ermüdung zu denken, kniete er bei ihm nieder, um ihn zu untersuchen. Das Klopfen des Pulses war leise und langsam, aber deutlich zu vernehmen. »Es ist noch Leb'n in ihm!« rief er freudig. »Der Fall hat ihn betäubt, und wenn im Innern nix zerrissen ist, so kommt er wohl wieder auf! Wie steht's denn nun aber mit Dir, Heinemann? Ist's noch immer wie gestern, als Du sagtest: ›Fahr zu, Teufelsbub', ich mag Dich net in meiner Nähe leid'n!‹ oder ist Dir jetzt vielleicht mein Kommen recht?« Der Gefragte gab keine Antwort; er sah schrecklich angegriffen aus und barg stöhnend das Gesicht unter beide Hände. »Ich werd' Dich mit dem Seil' hinunterlass'n. Steh' auf und zieh' es mit herauf!« »Ich kann net,« wimmerte er. »Mir ist das eine Bein entzwei!« »Da wirst' viel auszustehen hab'n, eh' Du hinabgelangst. Aber nimm die Plag' zu Herz'n, Wies'nbauer, und frag' Dich, wer's auf dem Gewiss'n hat, wenn der Oheim stirbt!« Er zog Hammer und Spitzeisen aus der Tasche und trieb das
Letztere so weit in das Gestein, daß der hervorstehende Theil einen festen und sicheren Anhalt bot; dann langte er eine aufgerollte Leine hervor und warf, während er das eine Ende derselben festhielt, dieselbe über den Rand der Höhlung hinab. Nun bog er sich weit vor und rief dem unten stehenden Knechte zu: »Paß auf; jetzt kommt die Schnur! Mach' das Seil daran und schick' auch Tücher und Deck'n herauf!« Dem Gebote wurde Folge geleistet, und bald sah man den an das Seil befestigten Wiesenbauer in der Höhe erscheinen und sich an der steilen Wand herabgreifen. Als er den Boden erreichte, schloß er die Augen, und einige unarticulirte Laute waren Alles, was die Herbeieilenden aus ihm herausbrachten. Katharina und die Mutter sanken weinend bei ihm nieder. Einige Zeit darauf schwebte ein umfangreicher Pack herab. Es war der in die verlangten Decken geschnürte Tannenbauer. »Er ist todt!« berichtete man sich, als er aus der Umhüllung gewickelt war. »Der Böse hat ihn zerschellt; er ist ganz blau im Gesicht, und die Zung' hängt ihm gar weit heraus! Jetzt kommt auch sein Neff'; schaut zu, ob der net stürzt!« Gustav hatte die Schlinge des Seiles um das Spitzeisen befestigt und turnte sich mit langsamen Griffen zur Erde hernieder. Er hatte das fast Unmögliche geleistet, und je näher er kam, desto deutlicher war zu bemerken, daß ihn die übermäßig angestrengten Kräfte verließen. Noch hatte er den Boden nicht erreicht, da ließen die Hände vom Seile, und er stürzte noch vollends herab. Katharina hatte der gefährlichen Seilfahrt mit angsterfülltem Herzen zugeschaut; sie warf sich mit einem Schrei des Entsetzens über ihn und küßte, ohne auf die Umstehenden zu achten, seine erbleichenden Lippen. »Gustav, ich bitt' Dich um Gotteswill'n, stirb mir net! Schlag' doch die Aug'n auf und schau mich an! Was soll sonst aus uns werd'n?« Eine leise, zuckende Bewegung ging über sein todtenblasses Gesicht. »Kathrin', laß uns Alle nach dem Tannenhof trag'n, und bleib' auch Du da mit der Mutter!« Der Klang ihrer Stimme hatte die fliehende Besinnung für einen Augenblick noch festgehalten; nun aber senkten sich die wieder geöffneten Lider von Neuem. Drei Männer lagen bewußtlos
nebeneinander, und es schwieg die Feindschaft, welche eine so tiefe Kluft zwischen ihnen gerissen hatte. Es war Nacht, und der trübe Schein eines kleinen Lämpchens erhellte das vordere Zimmer der Ruine nur nothdürftig. Heinemann erwachte aus dem ersten ruhigen und tiefen Schlafe, welchen die Schmerzen seines gebrochenen Beines ihm gegönnt hatten. Nur wenige Tage waren vergangen, seit er dem Feinde zum Hohne und Aerger den Teufel an das alte Gemäuer gestrichen hatte, und nun war ihm die Klause des verhaßten »Einsiedels« zum wohlthätigen Asyle geworden. Seit dem Augenblicke, an welchem er unter seinem Thorwege die Worte: »Wenn sich der Teufelsbauer sehen läßt, so giebt es sicher aan Unglück im Dorfe; wart', ich will ihm zeig'n, daß ich noch immer der Alte bin!« zu sich gesprochen, hatte ihm der Advocat des Genannten tief hinab in das haßerfüllte Herz gegriffen und vernichtend Schlag auf Schlag gegen ihn geführt. Die Vergangenheit war mit ihren finsteren Gestalten an sein qualvolles Krankenlager getreten, und jede Stunde, an welche sie ihn erinnerte, hatte eine neue Anklage enthalten, war eine neue Drohung für ihn gewesen. Sollte es keine Sühne, keine Verzeihung geben? Ist im Himmel nicht mehr Freude über einen Sünder, der Buße thut, denn über neunundneunzig Gerechte, welche der Buße nicht bedürfen? Da vernahm er durch die nur angelehnte Thür des Nebengemaches die leisen Worte des Tannenbauers: »Marie, ich kann net schlaf'n und will mir Bücher such'n. Fahr' mich hinein in die Stub', aber recht leis' und heimlich, damit wir den Wies'nbauer net weck'n!« Die Thür wurde geräuschlos geöffnet, und unter derselben erschien Haubold, welcher blaß und leidend in einem Rollstuhle lag. Er war bei dem Falle von der Felsenkanzel äußerlich unverletzt geblieben, und seine starke Constitution hatte die dabei erfolgte innere Erschütterung beinahe überstanden. »Du wachst, Heinemann?« fragte er, als er die offenen Augen desselben auf sich gerichtet sah. »Hast mehr geschlaf'n, als den ganz'n Tag. Wie geht's nun alleweil'?« »Im Bein mag's leidlich sein, aber wo anders ist's net so gut. Laß Deine Bücher, und komm her zu mir; ich hab' mit Dir zu red'n. Oder hast' net Zeit dazu?« »Die Zeit ist da. Ich kann den Schlaf net find'n und mag schon
bei Dir sein, wenn Du's verlangst. Schieb' mich hinzu, Marie, und bleib' dabei, für den Fall, daß mich die Schwäch' überkommt!« Die Wirthschafterin brachte den Stuhl in die unmittelbare Nähe des Bettes. Sie hatte mit Katharina die wechselsweisen Nachtwachen übernommen und widmete dabei den Kranken und besonders ihrem Herrn eine Aufmerksamkeit, welche selbst den kleinsten seiner Wünsche liebevoll zu errathen suchte. »Waaßt' noch, als wir mit'nander in der Schul' gewes'n sind? Wir waren gute Freund'; ich sagte ›Friedemann‹ zu Dir, oder kurzweg ›Frieder,‹ und Du hast mich Andres genannt. Denk' 'mal, wir sitz'n noch beisammen auf der Bank, und reich' mir Deine Hand!« »Die sollst' hab'n, Andres,« antwortete Haubold bereitwillig. »Es war die schönste Zeit in meinem ganzen Leb'n; das Uebrige ist lauter Leid und Zorn gewes'n!« »Aber daran trägst net Du die Schuld, sondern ich allein. Seit der Bruder todt ist, hab' ich Dich beleidigt auf alle Weis', hab' das Dorf geg'n Dich aufgehetzt und Dir Schad'n gethan, wo ich nur immer konnt'. Du waaßt am best'n, wie ich Dich verfolgt hab' und gekränkt zu jeder Zeit und bei jeder Gelegenheit; aber dies waaßt Du net, daß ich viele Jahr' hindurch auf Dich gelauert hab', um meine Rach' zu still'n. Und in der Nacht, wo bei mir Feuer war, bin ich Dir nachgefolgt und habe mich auf Dich geworf'n, um Dir das zu thun, was Du dem Bruder gehan hast. Aber Du warst stärker, als ich, und hast Dich gewehrt, so daß unter uns der Stein zerbroch'n ist.« Er machte eine Pause. Auch Haubold schwieg. Er dachte an die fürchterlichen Augenblicke, in denen er unter dem grimmen Feinde gelegen und alle seine Kräfte aufgeboten hatte, um dem Tode zu entgehen. Noch vernahm er den donnernden Krach, welcher dem Kampfe ein Ende gemacht hatte; an das Weitere konnte er sich nicht erinnern; er war erst in der Ruine wieder erwacht. »Dann kam die Nacht in der Höhl',« fuhr Heinemann fort. »O, diese Nacht werd' ich nimmer vergess'n! Da hat Dein Advocat die Act'n hergenommen und mir die ganze Sünd'nschuld verles'n, und da drin im Gewiss'n hat der Richter gesess'n und mir sein Urtheil gesagt. ›Was bist' doch für aan schlechter Kerle, Heinemann!‹ so hast' an dem Sonntag zu mir gesproch'n; aber ich bin noch viel schlimmer gewes'n, als Du denkst. Daß mir der Hof verbrannt ist, das ist noch die gelinde Straf'; die größte sitzt hier innen; da nagt der
Wurm, der nie stirbt, und da frißt das Feuer, welches nimmer verlischt. Friedemann, giebt's kaane Hilf' gegen diesen Brand? Du hast mir die Frau mit aus der Flamm' gerettet; Du könnt'st auch hier der Helfer sein, wenn Du nur wollt'st!« Haubold's Stimme zitterte, als er fragte: »Wie soll ich helf'n, Andres?« »Vergieb mir all' die Missethat, die mir die Seel' zermalmt wie aan Gebirg, das auf ihr liegt! Ich waaß, es ist schier unmöglich, was ich verlang', aber Du bist bei all' meiner Schlechtigkeit mir nimmer feindselig gewes'n, und Du hast vielleicht auch jetzt Erbarmen.« »Denkst' wirklich, daß ich zu all der früheren Ueberwindung auch das noch fertig bring'? Sollst Dich net täusch'n, Andres! Hier ist die Hand und auch die andre noch. Ich hab' unsre Sach' Gott überlass'n, und der hat Dir das Herz gelenkt. Es soll Alles vergeben und vergessen sein!« »Hab' Dank, Friedemann! Ich waaß noch ganz genau, was ich beim Feuer zu Dir gesagt hab': ›Wir sind noch nimmer quitt; aan Mord wiegt schwerer, als die paar Blas'n, die der Gustav auf die Haut bekommen hat!‹ Jetzt aber ist es anders. Er hat net bloß der Frau, sondern auch mir das Leben erhalt'n und liegt nun selber auf den Tod darnieder, weil er beim Aufsteig'n in der Spalt' die Brandwund'n strapazirt hat. Das hebt den Tod vom Bruder auf. Wir sind jetzt quitt!« Haubold schob die gefaßten Hände des Sprechers mit einer hastigen Bewegung zurück. »So glaubst' auch jetzt noch, daß ich es war, der ihn hinabgestürzt hat?« »Es kann doch gar net anders sein, Friedemann! Aber laß Dich's net verdrieß'n; ich werde nimmer wieder davon sprech'n!« »Aber ich waaß ja wirklich nix davon. Ich bin so unschuldig daran, grad' wie die liebe Sonn' am Himmel! Die Martha hat mich lieb gehabt und ihn net leiden mög'n; er ist mir nachgefolgt auf Schritt und Tritt, um mir 'was anzuthun; ich aber hab' ihn gemied'n und bin an jenem Abende gar net mit zur Kanzel hinaufgestieg'n. Der Vater hat es net gewollt, daß ich die Martha nehmen sollt', und mich damals mit ihr getroff'n. Ich mußt' mit ihm nach Haus', und sie ist dann allein geblieb'n. Da drin in der Stub' hat sie gewohnt, und da drin hat sie am andern Morg'n gestand'n und zu mir gesagt, daß sie gehe und niemals wiederkommen werd'. Ich hab' gebet'n und
gefleht, aber es hat nix geholf'n. Sie ist so verstört gewes'n; ich hab' gedacht, von weg'n dem Vater; aber als ich nachher hört', was mit Deinem Bruder geschehen ist, so hab' ich gleich gewußt, daß zwisch'n ihnen irgend 'was vorgefall'n sein muß.« »Und das soll wahr sein, Friedemann?« »Ja, es ist so, Wort für Wort!« Diese Betheuerung kam nicht aus dem Munde Haubold's. Die beiden Männer blickten erstaunt nach der Ecke, in welche sich Marie zurückgezogen hatte. Sie war die Sprecherin gewesen. »Wie kommst Du zu dieser Red'?« fragte der Tannenbauer. »An Dich war damals noch gar net zu denk'n!« »Und doch war ich dabei und waaß ganz genau, wie's hergegangen ist. Ich hab's bisher net über mich vermocht, aber weil Ihr in dieser Weis' zusammen seid, so will ich sprech'n!« »Was kannst' zu sagen hab'n?« klang es gespannt aus dem Munde Haubold's. »Die Martha hat Dich lieber gehabt noch als ihr Leb'n und konnt' nix dafür, daß sie bloß Schauspielerin und net aane reiche Bauerstochter war. Darum ist ihr so weh geword'n, als Dein Vater die hart'n Worte sprach und Dich von ihrer Seite riß. Sie ist allein hinauf zur Kanzel gestieg'n, hat sich an die Brüstung gelehnt und dabei gedacht, ob es net besser sei, hinabzuspringen in die schwarze Tief'. Da plötzlich ist der rothe David, der Heinemann, bei ihr gestand'n und hat den Arm um sie gelegt. Er ist gar schlimm gewes'n, hab' erst viel gute Wort' gegeb'n, und als das nix geholf'n hat, so ist er wild geword'n und hat gedroht, sie in den Bruch zu stoß'n, wenn sie von Dir net lassen will. Dann hab'n sie mit'nander gerungen, und dabei ist er ausgeglitt'n und hinabgefall'n. Sie hat nix dafür gekonnt, aber es ist ihr grad gewes'n, als ob sie die Mörd'rin sei, und das hat ihr net Ruh' gelass'n und sie aus dem Dorf' und von Dir fortgetrieb'n.« Haubold athmete in schnellen und tiefen Zügen. Sie nannte ihn »Du«, was noch niemals vorgekommen war; sie wußte den Hergang so genau; er dachte an die Aehnlichkeit der Augen, an die ungewöhnliche Aufmerksamkeit, welche sie stets für ihn gezeigt, an die selbstlose und aufopfernde Thätigkeit, die sie seinem Hauswesen so unausgesetzt gewidmet hatte, und stieß die hastige Frage hervor: »Du warst mit dabei? Sprich, wie ist das möglich!« Sie zögerte mit der Antwort.
»So sag', was aus der Martha dann geword'n ist! Du kannst's net mehr verschweig'n. Ich fleh' Dich an, sprich alleweil' die Wahrheit!« »Nun wohl, Du sollst es hör'n, doch mußt Du mir versprech'n, mir net bös und zornig zu werd'n! Es wär' niemals aan Wort davon über meine Lipp'n gekommen, aber heut' war es nothwendig, dem Wies'nbauer zu beweis'n, daß Du net der Mörder bist!« »Ich zürn' Dir net. Erzähl' und säum' net lange!« »Sie ist weit fortgegangen zu aaner Trupp', die net in diese Gegend kommen konnt'. Die Sehnsucht nach Dir hat sie nimmer verlassen woll'n, aber Dein Vater hat sie net leiden mög'n, und auch wenn er nix geg'n sie gehabt hätt', als Mörd'rin konnt' sie doch niemals Tannenbäurin werd'n. Sie hat sich viel nach Dir erkundigt und auch gehört, daß Du net Arzt geword'n, sondern zu Haus' geblieb'n bist, weil Dir nun Alles gleich gegolt'n hat. Da ist ihre Gesellschaft wohin 'kommen, wo die Pocken ausgebroch'n sind; sie hat die Krankheit auch bekommen und darnach so ausgesehen, daß sie gar net mehr zu erkennen war. Das hat sie aber net geschmerzt, sondern ist ihr lieb gewes'n; denn nun ist es möglich 'worden, Dich wieder zu seh'n. Zuerst hat sie sich als Magd verdingt, um die Wirthschaft zu lernen, und dann –« »Dann,« rief der Tannenbauer trotz seines leidenden Zustandes in lautem Jubel, »dann bist Du zu mir gezog'n, hast mich gepflegt und auf den Händ'n getrag'n, hast mich vom Tiefsinn geheilt und mir den Muth zum Leb'n zurückgebracht. Und ich hab' Dich net erkannt, hab' net 'mal d'ran gedacht, in dem Papier, das jetzt wohl noch beim Richter liegt, nach Deinem vollen Nam'n zu schau'n! Martha, komm, geh' her! Das Herz möcht' mir vor großer Freud' zerspring'n; ich hab' ja net vergebens an Deine Lieb' geglaubt, wie ich noch dacht', als ich Dich dort in Deiner Stub' überraschte, und der Teufelsbauer – dem ist nun Alles gleich, was die Leut' von ihm sag'n; er hat die Martha wieder und auch das Glück, das Du mit von ihm nahmst.« Der starke Mann schluchzte vor tiefer Seligkeit. Sie lag in seinen Armen und das thränennasse, blatternarbige Gesicht an seiner Brust, die keinen Schmerz mehr fühlte, und auch der Wiesenbauer fuhr sich mit der Hand über die Augen. Es waren seit langer Zeit die ersten Tropfen, welche seinem vorher so harten Herzen entstiegen; seine zusammengezogenen Züge verschönten sich unter dem Ausdrucke der freudigen Theilnahme, welcher auf ihnen lag, und
mild und dringlich klang seine Bitte: »Friedemann, ich bitt' Dich noch 'mal um Verzeihung! Erst jetzt erkenn' ich, wie bös' ich war und wie gut Du gewes'n bist; was ich sühnen kann, das werd' ich sühnen, und das Uebrige, das streich' aus dem Gedächtnisse fort. Die Leut' soll'n all' erfahren, ob bei Dir der Drach' zu find'n ist und das siebente Buch Mosis, und den Teufel, den ich Dir an die Wand gemalt hab', den werd' ich selbst fortwisch'n, sobald ich wieder auf die Beine kann!« Als nach einiger Zeit die Wirthschafterin die Ruine verließ und das Wohngebäude betrat, stieg sie die Treppe empor und öffnete leise eine Thür. Auch hier gab es ein Krankenzimmer. Gustav ruhte auf dem Lager, und Katharina war eben beschäftigt, ihm die Medicin zu reichen. »Wie bist Du doch so gut, Kathrin'! Gestern hast' in der Klaus' gewacht, und heut' willst' net schlaf'n, sondern bleibst bei mir. Geh' doch nun auch zur Ruh'; ich kann Dir gar net vergelt'n, was Du an mir und dem Oheim thust!« »Sprich nimmer vom Vergelt'n! Wir sind so sehr in Eurer Schuld, daß ich fast Angst darüber bekomm'. Wenn das doch auch der Vater einseh'n möcht'!« Da bog sich ein freundliches Gesicht über die Beiden, und eine beruhigende Stimme versicherte: »Er hat es eingeseh'n und Frieden geschloss'n mit dem Oheim!« »Ist's wahr, Marie?« »Ja. Ich war mit dabei. Sie hab'n sich versöhnt, und Ihr dürft Euch nun ohne Sorg' lieb behalt'n.« »Hat es der Vater so gesagt?« »Ja. Der Oheim war lange Zeit in seiner Stub', und als dieser ihn verlass'n hatte, rief er mich zu sich und sagt': Wenn Du den Gustav und die Kathrin' beisammen siehst und sie Dich etwa nach meiner Meinung frag'n, so erinnere sie an die Wort', die ich im Saal gesproch'n hab': ›Du darfst nur dann an sie denk'n, wenn ich auch im Fels'nbruch lieg'!‹ Der Haß hat mich hineingeschleudert, und die Lieb' hat mich daraus erlöst. Das Wort ist eingetroff'n, und wenn sie sich gern hab'n, so ist aan Theil von meiner Schuld bezahlt!«
Der Herrgottsengel Erzählung von Emma Pollmer
I. Beim Schmuggelbalzer Der Abend begann zu dämmern. Das Mädchen, welches dem auf halber Bergeshöhe liegenden Kirchhofe zuschritt, sputete sich; der Ort, nach dem es seine Schritte lenkte, gehörte zu denen, welche man nicht gern in der Dunkelheit aufzusuchen pflegt. Noch glänzte der Himmel im Lichte des scheidenden Tages; aber das Thal hüllte sich bereits in tiefe Schatten, und die alten rissigen Mauern des Gottesackers blickten beinahe gespenstig aus dem sich schwärzenden Grün der hoch emporsteigenden Halde hernieder. Das breite, rostige Gitterthor knarrte in den Angeln. Der Mann, welcher hervortrat, hatte Hacke und Spaten über die Schulter gelegt und schickte sich eben an, den Eingang wieder zu verschließen, als er die Nahende bemerkte. »Wünsch' guten Abend, Jungfer Selma!« grüßte er. »Kommst heute ja recht spät! Soll ich vielleicht warten und nachher Dich bis ins Dorf geleiten? Die Nacht ist da, und der Fußsteig geht schlimm abschüssig.« »Ich danke, Hans,« beantwortete sie die vertraulich höfliche Rede. »Geh' nur immer heim; der Weg ist mir gewohnt, und ich werd' ihn schon gut finden. Hast wohl Arbeit hier da drin gehabt?« »Ja, ein Grab.« »Ein Grab? Ist denn Jemand gestorben? Da müßt' ich doch auch etwas davon gehört haben!« »Gestorben ist Niemand; aber der Klapperbein kam letzte Mitternacht an mein Fenster und hat mir die Arbeit anbefohlen. Du weißt ja, daß er die Leich' immer schon im Vorher kennt. Ich bin neugierig, für wen ich die Grube bereitet habe. Schlaf' wohl und komm gut nach Haus'!« Er stieg langsam den Berg hinab. Sie trat durch das Thor und schritt zwischen den Gräbern hindurch einem kleinen, niedrigen Häuschen zu, welches sich gebrechlich an die hintere Kirchhofsmauer lehnte. An der Thür desselben vorübergehend, bog sie um die Ecke, räusperte sich und blieb dann horchend stehen. »Wer kommt?« fragte eine tiefe Stimme aus dem wirren
Gesträuch heraus, welches den Winkel bogenförmig umschloß. »Ich bin's!« erwiderte sie. »Ich bring' die Speis' für den Tag.« »Die Selma? Wart', ich komm' sogleich!« Die Zweige wurden raschelnd auseinander gebogen, und eine ungewöhnlich lange und dabei außerordentlich schmächtige Gestalt kam auf das Mädchen zu. »Bist ja heut' beinah' zur todten Nacht erst hier! Hast keine Furcht vor mir und vor den Todten?« »Warum vor Dir? Hast mir ja noch niemals 'was zu Leid gethan! Und vor den Todten fürcht' ich mich schon auch nicht; mein Gang ist ja ein nöthiger. Nur wer aus Uebermuth zum Gottesacker geht, darf denken, daß ein Geist hervorsteigen und ihm begegnen könnt'.« »Es steigt keiner heraus, Selma. Was der Tod einmal genommen hat, das giebt er nimmer wieder frei – ich hab's erfahren!« Die letzten drei Worte erklangen langsam und hohl; sie kamen so schwer zwischen den Lippen hervor, als hänge das Gewicht eines ganzen vertrauerten und verlorenen Lebens an ihnen, und es dauerte längere Zeit, ehe er fortfuhr: »Ich hab' auf Einen gewartet und geharrt viele, viele Jahr'; aber er hat nicht kommen können; der Hügel liegt zu hoch und fest auf ihm. Und Geister – – ja, was ist ein Geist? Wenn wir sterben, so begräbt man uns, und unser Leib verwest; über der Erd' aber bleibt nur unsere That zurück und lebt in ihren Folgen fort, wenn längst kein Staub von uns mehr übrig ist. Kann diese Folg' Gestalt annehmen und nachher als Geist erscheinen? – Gieb mir den Korb!« Er nahm ihn aus ihrer Hand und trat in das Haus. Nach wenigen Augenblicken kehrte er wieder und gab ihn ihr geleert zurück. Sich dann zu ihr niederbeugend, legte er ihr die beiden kalten, dürren Hände auf das Haupt. »Der einzige Geist, der hier wandeln geht, der bin ich, Selma. Ich bin todt schon lange, lange Zeit; ich bekomm' nur Dich und den Leichenhans zu sehen; sonst aber bin ich bereits abgeschieden, obgleich Du mich noch greifen kannst. Die aber, die sie damals begraben haben dort in die Eck', die lebt noch unten im Dorfe, und Mancher hat's erfahren, ganz ohne daß er es weiß. Ich bin in ihr gestorben; sie ist in mir leben geblieben, und die Lieb' ist schuld an Beidem, an meinem Tode und an ihrem Weiterleben. Hast sie auch schon empfunden, die Lieb', Selma?« Sie verstand die wunderbaren Worte nicht, welche wie
unlösbare Räthsel hier an dem Orte erklangen, der das letzte und größte Räthsel des menschlichen Seins mit seinen Hügeln und Kreuzen deckte. Sie bebte unter der Berührung seiner Hände und konnte seine Frage nur mit einem tiefen, seufzenden Athemzuge beantworten. »Hast sie also auch schon kennen gelernt, und sie will Dir ihre freundliche Seit' nicht zeigen? Halt' aus Selma, halt' aus! Du siehst der Bertha, Deiner Tant', so ähnlich wie aus dem Aug' geschnitten; darum hab' ich Dich lieb, und darum sollst Du glücklich sein. Sie nennen mich den Klapperbein, weil ich todt bin für die Welt und weil der Gram mich bis aufs Geripp' verzehrt und abgejammert hat; sie reden von mir wie von Einem, auf den Niemand mehr rechnen darf; aber der Klapperbein hat dennoch Trost und Hilf' für Dich, wenn Du einmal eines mächtigen Beistandes von Nöthen bist. Geh' jetzt, Selma! Ich will Dich bis an die Pfort' begleiten.« Er schritt ihr bis zum Gitterthore voran. Sie folgte ihm mit leisen Schritten, als dürfe sie die Ruhe und Stille des Todes nicht verletzen, dem er nach seiner eigenen Versicherung anheimgefallen war. Eine ganze Reihe von Jahren her hatte sie ihm täglich zur Zeit der Dämmerung das Essen gebracht und dabei noch niemals ein Wort aus seinem Munde vernommen. War etwas zu erwähnen gewesen, so hatte er einen Zettel in den Korb gelegt. Heute war es zum ersten Male, daß er zu ihr sprach; sie kannte seine trübe, öde Vergangenheit; aber seine Rede vermochte sie nicht zu verstehen. Nur Eins fühlte sie: er war ihr freundlich gesinnt, und das gab ihr den Muth zu einer mädchenhaft neugierigen Frage: »Hast heut' ein Grab machen lassen, und doch ist Niemand todt. Sag', wer wird sterben?« »Der Schmuggelbalzer,« antwortete er einfach. Er konnte in der Dunkelheit die Wirkung nicht erkennen, welche diese Auskunft auf das Mädchen hervorbrachte; das Thor verriegelnd, fügte er hinzu: »Sag' dem Vater, die Zeit ist wieder um. Gut' Nacht, Selma!« »Gute Nacht!« erwiderte sie leise und stieg dann langsamen und zögernden Schrittes die Höhe hinab. Die Unterhaltung gab ihr viel zu denken, und die Nachricht, daß der Schmuggelbalzer sterben werde, hatte erschütternd auf sie gewirkt; sein Sohn war ihr Geliebter. Zu Hause angekommen, fand sie die Heimgenossen beim Abendbrode versammelt. Nur der Vater fehlte. Er saß in der
Nebenstube am Schreibpulte, und darum wurde die Unterhaltung nur leise geführt; denn Jeder wußte, daß man den Herrn Ortsrichter bei der Arbeit nicht stören könne, ohne ihn in großen Zorn zu bringen. Und vor diesem Zorne hüteten sich Alle; der Richterbauer war ein gefürchteter Mann. Sie setzte sich mit an den Tisch. »Hast schon mit dem Ludewig gesprochen, Selma?« fragte eine der Mägde. »Nein. Er ist ja fast die ganze Woch' nicht hier gewesen, weil er jetzt in der Gärtnerei gar viel zu schaffen hat.« »Er ist vorgestern droben beim Herrgottle gewesen.« »Beim Herrgottle? Woher weißt Du das, und was hat er dort gewollt?« »Das kann ich nicht sagen. Ich hab' es von dem Meinigen, der ist ihm begegnet, und dann hat am Herrgottskreuzle fast eine ganze Stund' lang die Latern' gebrannt.« Das hochinteressante Thema wäre vielleicht weiter verfolgt worden, wenn sich nicht in diesem Augenblicke nach kurzem Klopfen die Thür geöffnet hätte. Eine alte Frau, welche sich auf zwei Krücken stützte, trat ein. »Ist der Richter daheim?« fragte sie nach dem üblichen Gruße. Da die Thür zum Nebenzimmer nur angelehnt war, so hatte der Genannte die laute Frage vernommen. Er erhob sich rasch von seinem Stuhle und trat näher. Auf seinem Angesichte war die Röthe des Zornes deutlich zu erkennen. »Das ist ja wieder die Botengustel! Habe ich Ihr denn nicht schon dreimal gesagt, daß Sie mir mit Ihrem Gelamentir' vom Halse bleiben soll? Morgen ist der Termin, und wenn Sie die Steuer nicht schafft, so wird Sie ausgepfändet. Davon helfen Ihre schönen Wort' Ihr nimmer los; hätt' Sie Ihre Schnapsdreier gespart, so könnt' Sie Ihrer Pflicht nachkommen. Marsch fort; ich hab' mehr zu thun, als Ihr Geschrei anzuhören!« »Und doch wird der Herr Richterbauer anhören, was ich ihm zu sagen hab'; dafür ist er da, und dafür bekommt er seinen Lohn. Ich will Ihn gar nicht wieder mit Klag' und Bitt' belästigen; ich hab' nun doch zur Genüg' erfahren, daß dies bei Ihm nichts hilft. Und was die Schnapsdreier betrifft, die Er mir zum Vorwurf macht, so mach' doch Er einmal in Sturm und Schnee, in Frost und Wetter den Botenweg über das Gebirg' und sehe Er, ob Er es ohne den Tropfen
fertig bringt, der den alten Leib erwärmt. Freilich, Wein kann ich nicht haben, von dem Seine Nas' so schön zinnobrig geworden ist, auch ohne daß Er sie erfroren hat, wie ich die meinige!« »Was will Sie mir da sagen?« schnaubte der Richter sie an. »Soll ich Sie etwa einstecken lassen?« »Dazu hat Er die Gewalt, aber nicht das Recht. Wer mir den nothwendigen Trunk vorhält, der mich wöchentlich zwei Dreier gekostet hat, dem darf ich auch seinen Wein vorwerfen, der doch viel theurer ist. Aber ich bin nicht gekommen, um mich mit Ihm zu zanken, sondern wegen den rückständigen Communabgaben. Hier ist das Geld!« »Ah,« lachte der Bauer, »sieht Sie, wie prächtig Sie bezahlen kann? Ich kenn' schon meine Leut'. Das Pack hat nimmer eher Geld, als bis ihm das Messer an die Kehl' gesetzt wird. Ich will Sie mit Ihrer Bitt' an die Gemeind' schon heimleuchten!« »Ja, das thut Er gern; das weiß das ganze Dorf! Aber wenn bei Ihm kein Erbarmen zu finden ist, so giebt's noch Hilf' beim lieben Gott. Er hat mir die Steuer geschickt und auch noch mehr dazu.« »Der liebe Gott? Das mach' Sie doch nur mir nicht weiß! Sie hat Ihren Sparpfennig herausgeholt, so ist die Sach'!« »Den Sparpfennig hat die Krankheit schon seit lange aufgezehrt. Ich hab' das Reißen bekommen und meine Verrichtung aufgeben müssen; die Noth ist dann gar bald eingetroffen, und als ich gar zum Krückzeug greifen mußt', hat Er meine Bitt' um Nachsicht abgelehnt, anstatt mich zu unterstützen, wie es doch Seine Pflicht gewesen wär'. Da hab' ich mir einen Brief schreiben lassen, wo Alles d'rin gestanden hat, und ihn gestern Abend hinauf zum Herrgottle getragen; das Licht für seine Latern' hab' ich mir beim Krämer geborgt; in meiner Tasch' war kein armer Heller mehr zu finden. Vorhin nun, vor wenig Augenblicken, klopft es an den Laden; ich raff' mich empor, geh' aus der Stub' und schieb' die Hausthür auf. Da hängt ein Leinwandbeutel an der Klink', aber kein Mensch ist rings zu sehen. Ich frag' und ruf', aber es antwortet Niemand, und so geh' ich wieder in die Stub' zurück und brenn' die Lamp' an, um zu seh'n, was in dem Beutel ist. Was meint Ihr wohl, Ihr Leut', was ich gefunden hab'? Dreißig Thaler sind's gewesen, dreißig harte, blanke Thaler, und dabei hat ein Zettel gelegen, darauf stand geschrieben: ›Der Botengustel vom Herrgott geschickt.‹ Der Herrgottsengel hat mir das Geld gebracht, und so bin ich gleich
herbeigelaufen, um die Steuern zu bezahlen, damit Er mir morgen mein armseliges bischen Hab und Gut nicht wegnimmt. Aber geb' Er wohl Achtung, daß Er sich nicht auch noch einmal an das Herrgottle wenden muß! Es ist nicht aller Tage Abend, und Er ist ja auch erst nur ein armer Todtengräber gewesen und für ein paar Kreuzer auf den Schleichhandel gelaufen, ehe Ihn der Klapperbein zum reichen Richterbauer gemacht hat!« Sie legte das bereits abgezählte Geld auf den Tisch. Der Richter fand vor Grimm über die muthige Rede der Frau keine Worte. Seine Augen sprühten Feuer; seine Hände ballten sich. Er machte Miene, sich auf die Botengustel zu stürzen, besann sich aber noch rechtzeitig, daß ihm aus einem Angriffe auf die gebrechliche Alte wohl wenig Ehre erwachsen werde. Sein Zorn mußte einen anderen Gegenstand haben, sich an ihm abzukühlen. »Wer hat den Brief geschrieben?« fragte er. »Denn Sie ist doch zu dumm, sich so ein Schreiben selber aufzusetzen!« »Ja, so klug und gescheit wie der Herr Richterbauer bin ich freilich nicht; aber der ihn geschrieben hat, bringt's schon auch noch fertig. Des Schmuggelbalzers Ludewig ist's gewesen.« »Der –? So also lohnt er meine Lieb' und Güt', die ich ihm erwiesen hab', dem Lodrian? Da werd' ich bald ein Wort mit ihm reden, das ihm gewaltig in die Ohren klingen soll! Er wird genau erfahren, was es heißt, Euer Herrgottle gegen die Obrigkeit zu hetzen!« Die Botenfrau hatte eine weitere scharfe Entgegnung auf den Lippen; sie konnte dieselbe nicht aussprechen, denn es klopfte rasch und scharf, und auf das grollende »Herein!« des Richters trat ein junger Mann in die Stube, dem eine ungewöhnliche Erregung anzusehen war. Der Hausherr ließ ihm keine Zeit zum Gruße. »Da ist er ja gleich, der Botengustel ihr Geheimschreiber, der so schöne Bettelbrief' an den Herrgottsengel fertig bringt! Kommst grad' zur rechten Zeit, Bursch', um zu hören, was solch' eine Scriblifexerei einbringen kann!« »Laßt mich jetzt geh'n, Herr Richter,« fiel der Angekommene schnell ein. »Der Vater ist am Sterben; es hat ihn über alle Maßen schnell gepackt, und er läßt Euch bitten, doch rasch zu ihm zu kommen. Er hat mit Euch zu sprechen!« Er trat an den Tisch und reichte Selma die Hand. Der Zorn des Richters schien mit einem Male von ihm gewichen; es blitzte hell
und freudig über sein Gesicht; doch nur für einen kurzen Moment. Im nächsten Augenblicke hatte seine Miene den Ausdruck der Teilnahme angenommen. »Sterben will er?« rief er wie bestürzt. »Es wird wieder nur ein kurzer Ueberfall sein, den das Fieber macht. Die Zehrkrankheit hat so diese Mode.« »Nein, es ist jetzt gewiß der richtige Ernst; der Tod steht ihm ganz deutlich im Gesicht. Bitt', Herr Richter, macht rasch, sonst kommt Ihr zu spät!« So hastig, wie er eingetreten war, ging er wieder fort. Die Sterbekunde war wie ein beruhigender Hauch über den Hader gegangen. Der Bauer schrieb in Eile eine Quittung für die Botenfrau, die sich schnell entfernte, und suchte dann angelegentlich in den Fächern seines Schreibepultes herum. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß die Thür zur Wohnstube verschlossen sei, zog er ein unausgefülltes Wechselsformular hervor. Es war kein gutes Auge, mit welchem er das Papier betrachtete, und die Laute, welche er murmelte, klangen scharf und entschlossen zwischen den Lippen hervor. »Endlich, endlich ist es aus mit ihm! Der Gedank', daß er mich verrathen werd', hat mich gequält bei Tag und Nacht und mir wie ein Berg stets auf der Seel' gelegen. Das Tributzahlen hört nun auf; ich hab' es längst schon satt und werd' mir jetzt Alles wiederholen, was er mir abgezwungen hat. Nun werd' ich auch den Ludewig los, den Habenichts, den ich nur aus Sorg' vor seinem Vater gelitten hab'. Aber klug muß ich es anfangen mit dem Wechsel. Er hat schon lange Jahr' im Kasten gelegen und auf den Tag gewartet, der heut' gekommen ist. Der Alte muß ihn vom Ludewig unterzeichnen lassen; sie haben alle Beid' noch keinen Wechsel geseh'n und wissen nicht, wie man ihn schreiben muß. So komm' ich wieder zu dem Meinigen und schaff' zugleich die Liebelei aus dem Haus. Der reiche Richterbauer ist kein Schwiegervater für so einen mausigen Schmuggelbalzersbub', der kaum einen ganzen Rock am Leibe hat und mich noch obendrein mit seiner Herrgottspost blamirt!« Er machte sich zum Ausgehen fertig. Als er durch die Stube ging, war das Abendessen beendet, und das Gesinde hatte sich in Haus und Hof zerstreut. »Bertha!« rief einer der Knechte draußen im Flur, und als die Magd, welche er suchte, nicht antwortete, wiederholte er seinen Ruf.
Im Nu stand der Bauer hinter ihm und schlug ihm mit der Faust auf den Kopf, daß er fast zusammenbrach. »Was hat denn der Sackerment hier zu schrei'n, daß Einem das Ohr zerplatzen möcht'?« fuhr er ihn wüthend an. Seine Züge waren verzerrt, als habe ein fürchterlicher Schreck sie verzogen; sein Auge glühte zwischen Angst und Zorn, und aus dem Gesichte war die Farbe vollständig gewichen. »Sagst Du den Namen nur noch ein einziges Mal, so schlag' ich Dich zu Boden und werf' Dich dann zur Thür hinaus!« Der Knecht schlich sich lautlos von dannen. Er hatte nicht daran gedacht, daß der Richter den Namen Bertha nicht hören konnte, ohne in die äußerste Wuth zu gerathen. Noch eine ganze Weile stand der Bauer mit gezückten Armen auf derselben Stelle; es war, als habe er ein Gespenst gesehen oder den Schlag selbst erhalten, welchen er dem unachtsamen Dienstboten gegeben hatte. Dann verließ er langsamen Schrittes den Hof. Nicht weit vom Richtergute stand inmitten eines gut gepflegten Gärtchens ein kleines Haus. Er stieß die unverschlossene Pforte des Gartens auf. Ludwig, welcher ihn erwartet hatte, empfing ihn hier. »Geht grad' hinein in die Stub', Herr Richter! Der Vater ist allein. Er hat befohlen, daß die Mutter und ich hinausgehen sollen, um Euch nicht zu stören.« Als er den Wohnraum betrat, blieb er fast erschrocken unter dem Eingange stehen. Das Gesicht, welches ihm vom Lager her entgegenblickte, war ihm Zeit seines Lebens bekannt gewesen; jetzt aber schaute es ihn an wie ein vollständig fremdes, und die einst so vertrauten Züge waren wie unter einer starren, unheimlichen Larve verborgen. Die Augen lagen tief in ihren ausgetrockneten Höhlen, die Wangen waren eingefallen, die Schläfe eingesunken; der Tod hatte seine kalte, unerbittliche Hand auf das Haupt des Schmuggelbalzers gelegt und ihm nur noch kurze Frist gegeben; das war dem Leidenden deutlich anzusehen. »Kommst endlich, Schubertfrieder?« tönte eine matte, klanglose und hüstelnde Stimme. Balzer hatte den stolzen Mann niemals anders als bei seinem früheren Namen gerufen. »Setz' Dich ganz her zu mir! Ich hab' mit Dir zu reden, was Niemand weiter zu hören und zu wissen braucht.« Schubert folgte der Weisung. Der Anblick des einst so rüstigen Jugendgefährten ließ ihn verstummen.
»Paß' auf, Frieder, was ich Dir sag'; viel Wort' kann ich nicht machen, denn es kostet mich jedes eine Stund' vom Leben. Ich will Abrechnung halten mit Dir.« »So sprich!« Mehr vermochte der Richter nicht zu sagen. Er fühlte, daß er sich sammeln müsse. »Ich steh' am Ziel'; die Ewigkeit braust mir schon um die Ohren, und ich weiß nicht, wohin mit meiner Schuld und Sündenhaftigkeit. Anklagen hab' ich mich nicht wollen; ich hab' den Muth dazu nicht mehr und darf auch keine Schand' über mein Weib und mein braves, einzig's Kind bringen. Die Reu' hat mich zerfressen wie der Rost das Eisen, und als ich zuletzt nimmer aushalten konnt', hab' ich einen Brief an das Herrgottle geschickt und gefragt, ob ich auch ohne Beicht' selig werden kann, wenn ich eine Sünd' bereu', die nicht mehr aufzubessern ist. Gestern Abend ist die Antwort 'kommen: ›Wenn die Beicht‹ wirklich Niemandem nichts helfen kann, so soll ich ruhig sterben; der liebe Gott werd' mir auch ohne sie vergeben. Was thu' ich nun, Schubertfrieder?« Der Bauer schwieg. Der Kranke fuhr nach einer Pause der Erholung fort: »Du bist mein böser Geist gewesen und hast mich vom guten Weg auf den schlimmen gebracht. Die Folg' war für Dich der Richterhof und für mich die Zehrsucht. Darauf hast gemeint, Du brauchst mich nicht mehr, und bist mir fleißig aus dem Weg gegangen; aber ich hab' Dich festgehalten und kann Dich noch heut' vom Hof und Amt fortbringen. Soll ich's thun, Schubertfrieder?« »Das thust Du nicht; dazu sind wir zu gute Freund' gewesen!« »Laß die Freundschaft nur ja bei Seit'! Zuerst hast Du mich ausgenutzt, und dann bin ich Dir auf dem Beutel gesessen; denn ich hab' Dich nachher gehaßt, gehaßt wie – wie, ich kann's nicht aussagen, wie; ich weiß, Du bringst mich in die Höll', denn für den Ludewig werd' ich schweigen. Für ihn will ich noch einmal, noch auf dem Sterbelager meine Seel' verkaufen. Was giebst' für sie, Schubertfrieder?« »Nichts geb' ich, gar nichts! Du bist der Nimmersatt, der mich schon fast bis in die Armuth hinein ausgezogen hat!« »Red' nicht so traurig's Zeug! Der Richterhof ist vierzigtausend Thaler werth; Du hast ihn vom Klapperbein umsonst bekommen. Was Du mir nach und nach hast zahlen müssen, macht noch nicht
ganz zwölfhundert Thaler. Ich hab' das Häuschen, den Garten und die Wies' damit bezahlt. Das Heimwesen kostet mich aber mehr, weit mehr, hör's wohl, Schubertfrieder, es kostet mich meine Seligkeit!« »Weißt' wirklich so genau, daß ich den Richterhof umsonst bekommen hab'?« »Du selbst hast mir's und auch dem ganzen Dorf gesagt. Wenn Du gelogen hast, ist's Deine eigne Schuld. Der Klapperbein hat Dir das Gut geschenkt, weil er meint, die Bertha sei damals –« »Willst' gleich schweigen, Schmuggelbalzer,« rief Schubert, vom Stuhle aufspringend, als habe ihn eine Natter gebissen, »oder soll ich mit meiner Hand dem Zehrfieber nachhelfen, damit Du rascher das End' erreichst? Sag' mir den Namen nicht wieder, das rath' ich Dir!« »Ja, Du kannst ihn nicht hören; das hab' ich vergessen. Das ist das Gewissen; aber es wird noch gar anders kommen, wenn für Dich einmal die Stund' geschlagen hat, die jetzt für mich da ist! Ich mein', der Klapperbein hat Dir das Gut geschenkt, um das zu sühnen, daß er Deine Schwester in den Schacht gestoßen hat. Du mußt ihm dafür das Essen schicken, so lang' er lebt; das und meine zwölfhundert Thaler, die machen Dich nicht arm.« Er ruhte einige Minuten aus. Das Sprechen griff ihn weit mehr noch an, als er vorher geglaubt hatte. Der Richter unterbrach die Stille nicht; die Klugheit gebot ihm, zu schweigen. Endlich nahm der Leidende das Wort wieder auf: »Der Ludewig hat Deine Selma lieb, und sie ihn auch. Du hast aus Angst vor mir das Aug' darüber zugedrückt; nach meinem Tode wird's ganz anders werden, das weiß ich sehr genau; denn ich kenn' Dich doch noch besser, als alle anderen Leut'. D'rum will ich sichrer geh'n in meiner Sorg' für ihn. Er hat die Gärtnerei gelernt und braucht noch eine Zugab' zu unserm Stückle Grund und Boden. Willst ihm dazu verhelfen, Schubertfrieder?« »Ja. Ich werd' ihm einen Fleck von dem Meinigen geben. Ich borg' es ihm, und er kann es nach und nach abzahlen.« »Schau, was Du heut' doch großmüthig bist! Und hältst mich wirklich für so dumm, daß ich Dir trau'?« »Ich geb' Dir Schwarz auf Weiß!« »Das wäre schon gut; aber kaufen, kaufen kann er sich das Stück von Jedem, und Dein Land liegt nicht an dem unsrigen. Der
Nachbar will verkaufen. Gieb dem Ludewig das Geld dazu, Schubertfrieder!« »Bist Du toll, Balzer, oder willst mich noch in Deiner letzten Stund' vollends ausdrücken?« »Laß das Lamentiren, und hör' den Handel! Doch wenn Du willst, so kann ich auch den Pfarrer zur Beicht' rufen lassen und ihm die Schrift geben, die ich Dir damals abgezwungen hab'.« »Sag', was Du willst!« »Zweitausend Thaler. Es ist das letzte Mal, daß ich etwas verlang'. Gieb das Geld, und Du bekommst die Schrift zurück. Dann bist Du frei und brauchst vor Niemand keine Sorg' zu haben!« Der Fordernde spielte sich selbst dem Richter in die Hände; er ahnte nicht, daß er sich auf dem Punkte befand, an welchem ihn der Letztere haben wollte. »Zweitausend Thaler? Du bist nicht gescheit! Woher soll ich sie nehmen in dieser schlimmen Zeit?« »Ich weiß, daß so viel nicht gleich da liegt; aber Du hast die Cass' von der Commun'!« »Die ist auch leer.« »So gieb mir eine Verschreibung; aber gut muß sie sein, und auf bald muß sie lauten. Wenn ich meine Seel' verkauf', so soll es nur dem Ludewig zu Gut' kommen.« »Es ist zu viel. Tausend will ich schreiben!« »Hör', was ich sag'; es gilt! Ich kann nicht länger dauern; die Red' nimmt mir die Kraft; der Gedank' wird mir ganz schwach, und ich weiß schon kaum mehr, was ich sprech'. Ich hab' keine Zeit mehr übrig. Schreib' zweitausend, oder ich schick' nach dem Pfarrer!« »Nun gut! Hast Papier?« »Nein. Ich weiß, daß Du in Deiner Tasch' stets welches trägst. Aber Tint' und Feder find'st auf dem Ofensimmes.« Schubert nahm das Bezeichnete herab und zog die Brieftasche hervor. Mit Absicht ließ er dem Kranken die leere Seite des Formulars sehen. »Ich hab' auch immer Papier bei mir; das Amt erfordert es so. Heut' aber ist mir's grad' ausgegangen.« »Sei still, Frieder; denn mich vermagst nicht zu betrügen. Dort hast ja welches in der Hand!« »Das kann ich nicht nehmen.«
»Warum?« »Es ist ein Wechselbrief auf Sicht; das wär' mir zu gefährlich!« »Ein Wechselbrief? Von dem hab' ich gehört; der ist mir lieber, als jeder andre Urkundenschein; denn da bekommst Du die Pfändung gleich, wenn Du die Zahlung verweigerst. Was ist auf Sicht?« »Da wird kein Tag geschrieben, sondern ich muß zahlen zu jeder Zeit, sobald der Brief mir vorgezeigt wird.« »Das ist mir noch lieber; so will ich's haben. Mach' das Papier fertig!« »Ich werd' ein andres holen!« »Nein. Schreib', oder ich schick' fort!« »Ich kann nicht, denn Du willst mich nur ins Unglück stürzen. Wenn ich heut' den Schein ausstell', so kommst' schon morgen oder übermorgen, und bis dahin hab' ich das Geld noch nicht beisammen.« »Willst mich schon wieder betrügen? Ich werd' nicht kommen, auf mich darfst Du ihn nicht schreiben; denn ein Todter kann Dir den Brief nicht vorzeigen. Du schreibst ihn auf den Ludewig!« »Dann wird er unsern ganzen Handel erfahren; denn er muß dann auf das Papier setzen, daß er den Wechselbrief als Geld von mir annimmt.« »Er wird nichts erfahren. Schreib' schnell; ich wart' keine Minut' mehr länger!« »Du bist ein wahrer Drach', Balzer. Verrathen darfst mich nicht; lieber will ich mich pfänden lassen, wenn der Ludewig das Geld zu früh von mir fordert! Aber hast auch mein Papier? Ich geb' den Wechsel nicht eher aus der Hand, bis ich's zurück hab'.« »Schau her. Hier ist's!« Der einstige Schmuggler griff unter die Decke und nahm einen zusammengebrochenen Bogen hervor, den er dem Richter zeigte. Dieser nickte befriedigt und langte nach der Feder. Das schon halb gebrochene Auge des Sterbenden verfolgte fast angstvoll die langsamen Bewegungen des Schreibenden. »Mach' schnell, Frieder; das Herz wird mir schon kalt!« »Ich bin fertig. Soll ich den Ludewig rufen?« »Lies mir erst vor!« Schubert that es. »Zeig' her; ich will's auch seh'n!«
»So schau! Hier steh'n zweitausend Thaler, erst in Zahlen und dann auch sogar in Worten, damit Du ganz sicher bist. Und hier ist auch mein Nam' hereingeschrieben; den kann ich nicht wegleugnen, und Niemand vermag ihn herauszukratzen.« »Ja, ich seh' es; der Wechselbrief ist richtig. Ruf' mir den Bursch' herein!« Ludwig hatte sich in der Nähe gehalten; er war schnell bei der Hand. »Tritt näher!« gebot sein todesmatter Vater. »Ich werd' Dir nachher Alles erklären, jetzt bin ich zu schwach dazu; aber ich hab' mir nach und nach ein Geld zurückgelegt und es dem Schubertfrieder zum Aufheben gegeben. Ich dacht' nicht, daß es so bald mit mir zu End' gehen werd', und wollt' Dir eine Zugab' zusammenhalten, wenn Du einmal eine Frau nimmst. Ich hab' bisher keine Quittung verlangt; nun es jedoch so mit mir steht, hat Dir der Frieder einen Wechselbrief geschrieben, damit Du Dir die Ersparung holen kannst, sobald Du ihrer bedarfst. Schreib' Deinen Namen hin; der meinige ist nichts mehr nütze, und Du bist der Erbe!« »Vater,« rief der junge Mann, kämpfend zwischen Schmerz und Freude, »ich wollt' lieber, Du wärst –« »Laß jetzt, laß! Die Sach' muß schnell geh'n; ich muß schlafen und kann das Aug' kaum länger offen halten. Schreib', sonst gilt es nichts!« »Darf ich den Brief erst lesen? Ich hab' noch keinen gesehen.« »Schau her!« meinte der Richter. »Da steht die Summ' zweimal und auch mein Nam' dabei. Aber mach' rasch! Du mußt hinzufügen: ›angenommen‹ und Dich dahinter. Oder,« setzte er schalkhaft lächelnd hinzu, »willst etwa die Schuld nicht von mir annehmen und sie mir lieber schenken?« »Gebt her die Feder! Wo kommt es hin?« »Hier quer unter das große Wort. Nun schreib'!« Er that es und entfernte sich dann auf das Geheiß des Vaters wieder. »So, das ist abgemacht. Hier hast den Wechsel, Balzer, und nun gieb auch das Papier!« »Frieder, ich bin müd', und ich glaub', es ist nicht bloß der Schlaf. Ich hab' viel gegeben für den Brief und noch in der letzten Stund' den Sohn mit einer Lüg' bedient. Du hast viel an mir
verbrochen; aber gieb dem Ludewig das Geld, und ich will Dir Alles verzhei'n. Hier ist die Schrift!« Er wollte unter die Decke langen, hatte aber die Kraft nicht mehr dazu. »Ich kann nicht – nimm sie Dir selbst!« Die schweren Lider fielen ihm über die Augen; der Athem ging röchelnd, und die Stirn bedeckte sich mit großen Schweißtropfen. »Hast sie –? Ja –? So steck' den Wechsel – hier an ihre – – Stell'!« Ein kurzes, krampfhaftes Zittern ging durch seine Glieder, und seine Gestalt streckte sich mit einem gewaltigen Rucke in die Länge. »Ist – er – – dort?« stieß er nur lallend noch hervor. Schubert stand hochaufgerichtet vor ihm. Mit triumphirender Miene schob er die beiden Papiere in seine eigene Tasche. »Nein, Schmuggelbalzer, er ist nicht dort,« antwortete er, den Mund nahe an das Ohr des Sterbenden haltend, »sondern ich hab' ihn eingesteckt. Jetzt kommt die Rach' dafür, daß Du mir damals das Papier abgezwungen hast. Ich hab' Dir das Schweigen bezahlen müssen, und nun ist der Wechselbrief falsch. Hörst's, Balzer, Schmuggelbalzer? Der Wechselbrief ist falsch, und der Ludewig wird ihn lösen müssen. Ich nehm' ihm das Haus, den Garten und die Wies'; hast's verstanden, Balzer?« Es war ein wahrhaft teuflisches Vergnügen, welches seine Züge entstellte. Der Schmuggler hatte die Worte doch vernommen; seine bereits schwindende Seele kehrte noch einmal in den Körper zurück. Die Erkenntniß, daß er noch im Tode betrogen sei, schnellte seinen Körper zum letzten Male in die Höhe. »Schubertfrieder,« – – die Zunge suchte angstvoll nach Worten; die Augen traten stier aus den tiefen Höhlen hervor, und die langen, abgezehrten Arme zuckten drohend empor – »fahr' zur Höll' – stirb ohne Beicht', wie ich – – schaff' den Brief heraus – sonst ruf' ich. Hilf' – Hilf' – – Lud – Lu – – Llll – –« Er sank zurück; der Name des Sohnes starb in einem verhauchenden Aechzen dahin. Der Schmuggelbalzer lag bereit für das Grab, welches der Leichenhans heut' für ihn bereitet hatte. Der Richterbauer war Todtengräber gewesen; er hatte gar mancher Leiche in das erstarrte, hippokratische Angesicht geschaut; er blickte auch jetzt ohne äußere Zeichen von Furcht oder Schreck
auf den vor ihm liegenden Todten, fühlte noch einmal nach den Papieren und schritt dann langsam zur Thür hinaus. Draußen im Gärtchen stand Ludwig mit seiner Mutter. »Ihr seid fertig, Herr Richter?« fragte er. »Dürfen wir jetzt hinein?« Schubert legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ja, Ihr dürft hinein, alle Beid'. Geht nur immer zu! Er hat vor seinem End' noch gar schön für Euch gesorgt, schöner und besser, als Ihr's denkt, und wenn es Euch gar zu prächtig wird, so kannst ja wieder einen Brief hinauf zum Herrgottle tragen und eine Kerz' in die Latern' thun; Du bist ja dem Herrgottsengel sein Briefmacher; er wird Dir auch so beisteh'n wie der Botengustel. Wer Andre vor der Pfändung bewahrt, mag sich hüten, daß er sie nicht gar selbst bekommt. Schau nur, daß Du jetzt bald an Eurer Klink' den Leinwandbeutel findest mit den zweitausend Thalern, die Du mir nun schuldest!«
II. Beim »Herrgottle« Hoch über dem Dorfe tritt eine umfangreiche Taubsteinhalde aus dem Berge hervor. Sie stammt aus einer Zeit, in welcher man hier nach Metallen grub. Als die Lager ausgebeutet waren, verließ man das Werk, verschüttete den Schacht kaum zur Hälfte und ließ das Breterhäuschen, welches sein Mundloch überdeckte, zum Andenken an die vollendete Arbeit stehen. Seit jener Zeit war die Halde gemieden worden fast einige Menschenalter lang. Verlassene Schächte sind nach dem Volksglauben der Tummelplatz von allerhand übernatürlichen Erscheinungen; es war zuweilen ein reges nächtliches Treiben um das Zechenhäuschen zu bemerken, welches man den Gnomen und den Berggeistern zuschrieb, während die Schmuggler und Wildschützen über diese phantastische Annahme sich heimlich lustig machten. Jetzt freilich standen die Dinge anders. Die Zollwächter und Forstbeamten waren dem Spuke gründlich auf die Spur gekommen, und seit Bertha, die einstige Todtengräberstochter, in dem Schachte einen grauenhaften Tod gefunden und ihr Vater darum das Herrgottle auf der Halde errichtet hatte, war diese ein heiliger Ort, an welchem schon mancher Trost- und Hilfsbedürftige auf den Knieen gelegen hatte und vom Herrgottsengel mit Erhörung seines Gebetes beglückt worden war. Die Botengustel hatte dies gestern Abend an sich selbst erfahren. Sie war voll Dankes über die Rettung aus dringender Noth und arbeitete sich mit den Krücken an der Höhe des Berges empor, um heute dem geheimnißvollen Helfer ein kleines Zeichen ihrer Erkenntlichkeit darzubringen. Die Lehne, an welcher sich der Bergpfad emporzog, gehörte zum Richterhofe, und Selma war eben hier beschäftigt, dürre Streu zusammenzuharken. »Grüß' Gott, Jungfer Selma!« grüßte die Alte. »Bist auch hier außen?« »Freilich bin ich da, Gustel. Die Küh' wollen immer trockenen Unterstand; das Stroh ist gar hoch im Werth, und so muß man seh'n,
wie es billiger zu erlangen ist. Bist gut nach Haus' gekommen gestern?« »Ganz schön. Ich wohn' ja bei Schmuggelbalzers, und da ist der Weg nicht weit, fast nur bis über die Straß' herüber. Weißt' schon, daß der Balzer gestorben ist?« »Ich hab's schon gleich heut' in der Früh' vernommen.« »So hat es Dir wohl der Ludewig gesagt?« »Nein. Er ist seit gestern noch nicht wieder bei uns gewesen. Der Tod des Vaters ist ihm sicher aufs Gemüth gefallen!« »Das ist auch gar nicht zu verwundern! Ich hab' die Leich' geseh'n. Sie hat ein gar schreckhaftes Gesicht gemacht, grad' so, als ob zuletzt Der beim Balzer gewesen wär', vor dem man drei Kreuz' zu schlagen hat. Der Ludewig und die Mutter haben ihn gar nicht sterben seh'n; Dein Vater ist allein bei ihm gestanden.« »Hast nichts davon gehört, was sie verhandelt haben?« »Nein. Aber was Gut's kann's nicht gewesen sein; denn neben den Jammer um den Todten hat es noch eine Angst gegeben, die sie gern verbergen wollten; ich aber hab' sie doch bemerkt. Sie sind viel heimlich beisammen gesessen, und dann hat der Ludewig sich angezogen und ist zur Stadt gegangen.« »Ist er wieder zurück?« »Nein. Dein Vater ist – na, Du bist sein Kind, und d'rum will ich schweigen. Aber vielleicht hat er dem Ludewig einen bösen Faden angesponnen; er war gar bös auf ihn, daß er mir den Brief an den Herrgottsengel geschrieben hatte. Du weißt's ja auch; Du warst mit dabei. Jetzt aber will ich den Dank hinaufbringen zum Kreuze; dem Engel wird er nicht viel nützen, doch sicher Anderen, die den Herrgott brauchen.« »Was ist's?« »Da schau her: eine Kerz' und noch eine und auch ein wenig Papier und Tint' für den Engel, wenn er so immer Brief' zu schreiben hat, wie bei mir.« »Wer mag's wohl sein? – ein Mensch, der sicher recht fromm und heilig ist und reich dazu, oder ein wirklicher Engel?« »Wer weiß! Ich zerbrech' mir nicht den Kopf darüber; es hat auch Anderen, die klüger sind als ich, nicht gelingen wollen, ihn zu entdecken. Sie haben sich auf die Lauer gelegt viele Nächt' hindurch, aber umsonst. Und dem Vetterbauersfranz ist's gar noch schlimm ergangen.«
»Wieso?« »Da warst Du noch ein Kind und hast vielleicht gar nichts davon gehört. Er war ein loser Bub' und hat einmal in der Schenk' geschworen, er werd' den Herrgottsengel fangen. Dann hat er gewartet, bis Licht in der Lanterne gewesen ist, und hat den Brief herausgenommen. Da aber ist ein Schlag über ihn gekommen, daß er mehrere Tage lang für todt gelegen hat; das Herrgottle läßt sich nicht verspotten, so steht's auch in der Bibel. Nachher hat einmal Dein Vater den Knecht hinausgeschickt, er soll die Laterne wegnehmen und nach Haus' bringen. Der hat's auch gethan; aber auf dem Heimweg ist ein fürchterlicher Ries' über ihn hergefallen und hat ihn so zerschlagen, daß er beinah' gar nimmer wieder aufgekommen wär'. Von Deinem Vater war es schon ganz und gar nicht recht, das Herrgottle anzugreifen; es ist ja für die Bertha errichtet, die seine eigene Schwester war.« »Hast sie gekannt, Gustel?« »Ob ich sie gekannt hab'? Sie war ja meine Path' und ist mit dem Klapperbein manch' schönen Abend in meiner Stub' gewesen. Sie sollten einander nicht haben, weil er der einzige Sohn des Richters und sie des Todtengräbers Tochter war. Ach, Selma, was war doch die Bertha für ein herzlieber Engel, so schön und so gut! Sie hat von Kirchhofsblumen so herrliche Sträuß' und Kränz' gemacht und in der Stadt verkauft; auch genäht und gearbeitet hat sie für die feinen Leut' und sich ein hübsches Geld verdient. Das hat sie aber nicht für sich behalten können, denn dazu ist sie zu mild und barmherzig gewesen; sie hat es lieber hingegeben bei den Armen und Kranken und ist deshalb von Allen hochgehalten worden, als nur von Zweien nicht: dem damaligen Richterbauer, dem Klapperbein seinem Vater, und von ihrem eigenen Vater.« »Von meinem Großvater?« »Ja, und auch Dein Vater hat sie nicht recht leiden mögen, weil sie so fromm und sanft gewesen ist und er so wild und toll. Er hat die Grenzler stets auf dem Nacken gehabt, aber Keiner konnt' ihm etwas nachweisen. Die Niederlag' der Schmuggler war damals da oben im Zechenhaus, und da hat er auch die Bertha gefunden, als sie sich vor Leid und Unglück hinunter in den Schacht geschmettert hatte. Hat er Dir nichts davon erzählt?« »Nein. Man darf bei ihm gar nicht davon beginnen; er kann den Gedanken daran nicht ertragen.«
»Das glaub' ich schon; sie war ja seine Schwester. Aber er trägt doch auch die Schuld an ihrem Tod mit. Der Richterbauer ist mit dem Todtengräber zusammengerathen und hat ihn über alle Maßen darangenommen; darüber ist dieser aufgebracht worden und hat mit dem Sohne der Tochter so lange zugesetzt, bis sie mit der Drohung davon gelaufen ist, wenn sie daheim keine Ruh' mehr hab', so werd' sie tief unten im Schacht welche finden. Am anderen Morgen hat Dein Vater sie dort gefunden und heraufgezogen. Als Selbstmörderin ist sie in die ungeweihte Eck' hinter dem Gottesackerhaus eingescharrt worden. Der Richterbauer ist gestorben, und sein Anton hat das Gut und auch das Amt geerbt, Beides aber bald Deinem Großvater übergeben und sich nach dem Kirchhof gemacht. Die Bertha ist ihm so lieb gewesen, daß er selbst von ihrer Leich' hat nimmer lassen können. Nun erhält er von euch das Brod und sitzt fast Tag und Nacht auf ihrem Grab, wo er ächzt und stöhnt oder singt und betet und ganz zum Geripp' vermagert und verarmseligt ist. Er ist der Aermst', der Allerärmst' im Dorf; er hat keine Wäsch', kein Geld, keine Kleidung, keine Freud' und Lust und auch kein Leben – er ist todt, obgleich er lebt. Das Kleid, welches er trug als sie die Bertha fanden, das trägt er noch, und die Lieb', die damals in seinem Herzen war, die ist heut' noch drin und wird erst dann aufhören, wenn er ins Grab gelegt wird, das er sich selbst neben der Bertha bereitet hat. So, das ist die Geschicht'! Nun leb' wohl, Jungfer Selma! Ich muß hoch empor, und meine kranken Füß' geh'n nur sehr langsam den Berg hinauf.« Es war wirklich ein sehr anstrengendes Unternehmen von der alten, gebrechlichen Frau, mit Hilfe der Krücken die Haldenspitze zu erreichen. Dort stand an der Stelle, wo man Bertha's Leiche niedergelegt hatte, ein hohes, hölzernes Kreuz mit der aus Holz geschnittenen Gestalt des Heilands daran. Zu Füßen des Erlösers war eine Laterne und unter ihr ein kleines Kästchen befestigt, welches bestimmt war, die an das »Herrgottle« gerichteten Bittschriften aufzunehmen. Es war nur Nachts um Zwölf geöffnet. Wer einen Brief zu bringen hatte, mußte ihn um diese Zeit einlegen und dann das in der Laterne befindliche Licht anbrennen. Es leuchtete dann bis tief ins Thal hinab, den unten noch vorhandenen Leuten zum Zeichen, daß ein Hilfsbedürftiger die »Herrgottspost« benutze, um beim Herrgottsengel Rettung zu suchen, da ihn die Menschen verlassen hatten.
Sie kniete vor dem Kreuze nieder, um lange und inbrünstig zu beten. Die Botengustel war wegen ihrer Redfertigkeit bekannt und zuweilen sogar gefürchtet; aber ein treues, unverfälschtes Gemüth, das hatte sie, und den lieben Gott, den hielt sie hoch in Ehren. Dann erhob sie sich, öffnete die Laterne und legte die beiden Lichter und das Papier hinein; das Tintenfläschchen stellte sie auf den verschlossenen Briefkasten. Es war eine geringe, unscheinbare Opfergabe, welche sie brachte, aber ihr Herz war weit und groß dabei; sie hätte gern viel, viel mehr gegeben, wäre ihr von der Armuth nicht die bereitwillige Hand gebunden worden. Als sie den Berg wieder hernieder stieg, fand sie Selma zum Heimgehen bereit. »Willst auch hinunter? Ja, geh', der Tag neigt sich zur Rüste, und da giebt's noch gar viel zu thun in so einem großen Hauswesen, wie das Deinige ist. Schau da hinüber auf die Straß'! Ist das nicht der Ludewig, welcher aus der Stadt zurückkehrt? Meine alten Augen wollen ihn nicht mehr genau erkennen.« »Ja, er ist's. Er hat uns auch gesehen und winkt mir, hinab zu kommen. Leb' wohl, Gustel; komm' gut nach Haus'!« »Leb' wohl, Jungfer Selma, und lauf' geschwind! Den Liebsten darf man nimmer warten lassen. Bin auch einmal ein flinkes Mädchen gewesen; der meinige, Gott hab' ihn selig, wußt' gar viel davon zu berichten.« Das Mädchen traf mit dem Geliebten zusammen, noch ehe er das Dorf erreicht hatte. »Ist Dein Vater zu Haus'?« fragte er. »Ja. Willst vielleicht zu ihm?« »Ja. Hat er heut' von mir gesprochen?« »Nein. Warum?« »Hast ihn lieb, Selma, wirklich und wahrhaftig lieb, Deinen Vater?« Sie blickte, befremdet über diese Frage, zu ihm empor. Sein Gesicht sah erhitzt aus, und in seinem Auge lag es wie ein mächtiger, nur mühsam zurückgehaltener Grimm. Einen solchen Blick hatte sie bei dem sanften, ruhigen Freunde noch nie gesehen. Sie hatte sich im Gegentheile immer für willenskräftiger und entschlossener gehalten, als ihn. »Was ist mit Dir, was soll diese Frage bedeuten?« »Gieb Antwort, Selma, damit ich weiß, was ich zu Dir zu sagen
hab'! Hast ihn lieb, so gern, wie man den Vater haben muß, so lieb, wie Dir die Mutter war?« Sie senkte das Auge und schwieg. »Sag' es, Selma! Wer ist Dir lieber, er oder ich?« »Du!« antwortete sie leise und zögernd, als begehe sie mit diesem Geständnisse eine schwere Sünde. »Ja, so ist's, ich weiß es! Er ist ein Tyrann im Dorf und ein Tyrann in seinem Haus, auch gegen Dich. Er hat Deine Kindeslieb' ermordet und erschlagen, Du magst es nur nicht gestehen, Dir selbst nicht und Anderen erst recht nicht. Und weißt, was er noch ist, Selma?« »Was?« fragte sie bangend. »Ein Betrüger ist er und ein Fälschling, ein Schuft und Schurk', so lang und groß er gewachsen ist, und ein Mörder und Dieb dazu, der dem Vater das Leben verkürzt und mir den Wechselbrief gestohlen hat, der mich verderben soll. Und so ein Spitzbub' ist Obrigkeit im Ort, weil er das Erb- und Lehngericht besitzt!« »Um Gotteswillen, Ludewig, was ist geschehen, daß Du über ihn so ganz aus Rand und Band gerathen bist?« »Paß auf, was ich Dir sag'! Er wird es leugnen und verdreh'n, aber es ist dennoch und wahrhaftig so, wie ich's erzähl'. Du weißt, ich sag' gar niemals eine Lüg'.« Er berichtete ihr von dem gestrigen Abende in raschen, fliegenden Worten, erwähnte kurz, daß er jetzt bei dem Advocat gewesen sei und nun zum Richterbauer wolle, und eilte dann in weiten, schnellen Schritten von ihr fort. Sie vermochte nicht, ihn zu halten. Der Gedanke an den verhängnißvollen Wechsel nahm ihn so in Anspruch, daß er kaum Zeit zum gewohnten Gruße fand. Auf dem Hofe angekommen, erfuhr er, daß der Richter sich in seiner Schlafstube befinde. Er stieg die Treppe empor, obgleich er wußte, daß der Zutritt zu diesem Zimmer ohne alle Ausnahme Jedermann verboten sei. Ohne anzuklopfen, öffnete er die Thür. Der Bauer saß vor einem kleinen Schränkchen, welches auf dem Tische stand. Es war aus der Wand gezogen; ein kurzer, unwillkürlicher Blick belehrte Ludwig, daß er ganz zufällig ein Geheimniß entdeckt habe. Das mit Holz bekleidete, viereckige Loch in der Mauer war bedeutend tiefer als der Schrank. Es lagen allerhand Papiere darin, die jedenfalls gut aufgehoben waren, wenn das Kästchen eingeschoben wurde.
»Was soll's? Was willst? Wie kannst in diese Stub' herbeikommen?« fragte, sich erhebend, der Bauer. »Hab' keine Zeit, zu warten, bis Ihr hinunter kommt, Richterbauer. Ich wollt' mich nur erkundigen von wegen dem Wechselbrief, den Ihr gestern aus Verseh'n mitgenommen habt, anstatt ihn bei uns hinzulegen!« »Versehen? Meinen Wechselbrief hinlegen? Du bist wohl gar nicht recht bei Trost, daß Du meinst, ich soll Euch das Papier zurücklassen! Da wär' doch ganz mein schönes Geld verloren, welches ich aus lauter Güt' und Freundschaftlichkeit Deinem Vater vorgeschossen hab'!« »So!« Der junge Mann rang nach dem fehlenden Athem, ehe er weiter sprechen konnte. »Wer ist also der Schuldner, wer hat die zweitausend Thaler zu zahlen, Richterbauer, Ihr oder ich?« »Du, natürlich Du! Oder glaubst Du etwa gar, daß ich auf meinen Sechzigtausendthalerhof hab' Geld leihen müssen vom Schmuggelbalzer? Verrückt genug wärst vielleicht doch dazu!« »Ja, zum Verrücktwerden ist's, Schubertfrieder, geradezu zum Verrücktwerden, diese infame Schlechtigkeit von Euch! Boshafter kann kein Räuber und kein Mörder sein, als Ihr, und diese Wechselgeschicht' ist ein richtiger Todtengräberstreich, der Einen unter die Erd' zu bringen vermag! Erst habt Ihr den Vater in Sünd' und Schuld geführt, das weiß das ganze Dorf, und nun wollt Ihr auch den Sohn verderben. Habt Ihr kein Gewissen?« Der Richter trat auf ihn zu und senkte den scharfen, drohenden Blick fest in sein loderndes Auge. »Hör', Bursch', nimm Dich ein wenig mehr zusammen, sonst könnt' es Dir leicht an den Kragen geh'n! Dein Vater war mein Schulkamerad und auch sonst und später ein guter Freund von mir, d'rum mag Dir auch Dein Wort einmal zu Gut' gehalten sein, aber nur dies eine Mal, merk's genau! Er hat gern in ein Häusle kommen wollen und mir so lang' gute Wort' gegeben, bis ich bereit war, ihm das Geld dazu zu geben. Ich hab's aus Lieb' und auch ganz ohne Zins gethan. Gestern nun hat er den Tod gefühlt und ist so ehrlich gewesen, nach mir zu schicken, weil ich über die Schuld bisher nichts in der Hand gehalten hab'. Auf seinen Befehl ist die Urkund' von Dir unterzeichnet worden; Du erbst das Haus und auch die Pflicht, mich zu bezahlen. So ist's. Er hat noch vor der Unterschrift den Wechselbrief gelesen und Du auch, das kannst nicht leugnen,
und wenn Du nicht gesehen hast, was Du unterschreibst, so kann mich nur die Botengustel und der Herrgottsengel dauern, daß sie so einen unkundigen und leichten Passagier in ihren Dienst genommen haben. Jetzt geh', und komm' mir nimmer wieder in das Haus! Den Wechsel wirst schon bald zu seh'n bekommen!« »Also ist's wirklich so gemeint, Schubertfrieder? Und Ihr denkt, mich richtig damit abzuspeisen?« Er sprach langsam und ruhig, aber diese Ruhe war eine solche, wie sie dem Sturme voranzugehen pflegt. »Ich bin heut' in der Stadt beim Advocat gewesen und hab' ihm die Sach' ganz genau erzählt. Er hat mir einen Wechselbrief gebracht, auf den ich schreiben mußt', was ich gestern Euch geschrieben hab', und darauf gemeint, wenn es so sei, wie ich erzähl', so sei der reiche Richterbauer ein ganz gefährlicher und raffinirter Spitzbub', vor dem sogar der Schinderhans sich verkriechen müßt', aber machen könn' ich nichts gegen ihn; den Wechsel müßt' ich zahlen, selbst wenn ich eine Anzeig' machen wollt'; ich hab' ja keine Zeugen. Aber verklagen werd' ich Euch dennoch – oder – ich bring' lieber gleich jetzt die Sach' zu End'. Der Wechsel wird wohl hier zu finden sein; gebt ihn heraus!« Mit einem raschen, entschlossenen Schritte stand er vor dem Bauer. Dieser wich keinen Zoll breit zurück. Der Grimm, welcher bei den Worten Ludwig's in sein Gesicht gestiegen war, wich einem ruhigen, verächtlichen Lächeln. »Willst mich etwa erschlagen und nachher das Papier fortnehmen? Der Raubmord ist zu Vielem gut, sogar zum Zuchthaus und zum Galgen! Schlag' zu, Schmuggelbalzersbub'; es ist kein Zeug' vorhanden! Nachher heirathest die Selma und wirst Richterbauer. Schlag' zu!« »Die Selma?« fragte der junge Mann, zurücktretend. »Frieder, daß Ihr diesen Namen nennt, das ist ein Glück für Euch und auch für mich!« Er holte tief Athem, als sei eine große Gefahr an ihm vorüber gegangen. »Nein, vergreifen werd' ich mich nicht an Euch, dazu ist mir meine ehrliche Hand zu gut, sondern es bleibt bei Dem, was ich vorher gewollt hab': Ich werd' Euch verklagen.« »Warum bist Du nicht gleich in der Stadt geblieben und aufs Gericht gegangen? Hast Dich wohl vor dem Haus gefürchtet?« »Aufs Gericht? Nein, dahin geh' ich nicht, sondern an einen besseren Ort, wo ein Gesetz gilt, das keine Hinterthür besitzt. Ich verklag' Euch beim Herrgottsengel. Gleich jetzt werd' ich den Brief
aufschreiben und ihn heut' Abend in den Kasten thun. Paßt auf, Schubertfrieder! Um zwölf wird die Latern' herniederleuchten, und morgen schon ist Euer Urtheil fertig!« »Beim Herrgottle?« Er lachte höhnisch auf. »Denkst wirklich, daß der richtige Herrgott im Himmel den Kasten an das Kreuz genagelt hat? Wer weiß, was für ein armseliger Strolch Euch Alle an der Nas' herumführt! Vor dem ist mir nicht angst!« »Ihm wohl auch nicht vor Euch! Er mag sein, wer er will, aber er hat schon über zwanzig Jahr' einem Jeden geholfen, der seinen Beistand werth gewesen ist; er wird Euch kennen und mich nicht verlassen!« »So!« Er griff hinter sich und nahm ein Papier zur Hand. »Dann will ich Dir gleich einmal zeigen, was ich von dem großen Helfer denk'. Hier ist der Wechselbrief; wenn ich ihn vorzeig', mußt Du ihn bezahlen. Gilt's jetzt, oder soll ich nachher in Deine Wohnung kommen?« »So lang' ich das Haus noch hab', ist's Euch verboten, Schubertfrieder. Ich hab' die Selma lieb und möcht' gern Rücksicht auf sie nehmen; aber ich weiß, daß Ihr sie mir nimmer gutwillig gebt, und so wollen wir gleich unsern Strauß beginnen. Sie wird mein, wenn ich ihn gewinn'!« »Das macht mir keine Sorg'! Also hier ist der Brief; schau ihn an; ich will mein Geld. Hast welches?« »Nein, ich kann nicht zahlen!« Die beiden erst so erregten Männer waren jetzt scheinbar ruhig geworden; ihre Worte erklangen fast im geschäftlichen Tone. »Nicht? So geb' ich Dir Zeit bis übermorgen früh.« »Ich hab' auch dann kein Geld!« »So laß ich Dich pfänden. Ich hab' noch heut' ein Geschäft in der Stadt und werd' dabei den Wechselbrief gleich dem Notar übergeben. Soll ich vielleicht befehlen, daß Dir immer eine Stub' im Armenhaus geöffnet werd'?« »Wartet noch ein wenig!« Seine Stimme konnte doch ein zorniges Beben nicht verbergen. »Wir wollen erst sehen, wer mächtiger ist, Euer Notar oder mein Herrgottsengel.« »Das kannst versuchen! Aber mach' den Brief recht schön und setz' ein Hochgeboren voran, denn Dein Advocat kommt aus den Wolken herab. Bist nun fertig?« »Ja, ich kann geh'n, denn was ich Euch noch über den Tod des
Vaters fragen könnt', das werdet Ihr mir doch nicht beantworten.« »So geh', und komm' mir ja nicht wieder. Und läßt Du Dich ein einzig's Mal bei meinem Mädchen blicken, so wirst sehen, was geschieht! Marsch fort, Herrgottesschreiber!« »Leb' wohl, Todtengräberfrieder; komm' gut zum Notar und erstick' nicht unterwegs an Deiner Schlechtigkeit!« Er ging. Sein Inneres war übermäßig aufgeregt, und der Zorn verdunkelte ihm die Augen, so daß er Selma, welche an der Hausthür ängstlich seiner harrte, fast gar nicht bemerkte. »Halt, wirf mich nicht über den Haufen!« meinte sie. »Bist wohl gar droben in der Oberstub' gewesen?« »Ja. Ich geh' heut' um Mitternacht zum Herrgottle. Komm' hinauf in die Zech', Selma; ich soll nicht mehr mit Dir sprechen!« erwiderte er und eilte, ohne ihr weiter Rede zu stehen, davon. Da erscholl auch schon aus dem Hoffenster die Stimme des Richters, welcher dem Knechte zurief: »Spann' die Braunen schnell an das Rollwägle; ich muß noch nach der Stadt!« Nach einiger Zeit kam er herunter und trat zu Selma in die Küche, wo sie das Abendbrod bereitete. »Sag' nachher dem Klapperbein,« gebot er, »er braucht' mich nicht an die Zeit zu erinnern; ich hätt' den Tag auch ohne ihn gewußt! Und für Dich hab' ich auch etwas: Mit dem Schmuggelludewig ist's von jetzt an aus, daß Du's nur weißt. Treff' ich Euch irgendwo beisammen, so ist Dein Brod gebacken. Richt' Dich danach; Du weißt, ich sag' nichts zweimal, sondern es fällt dann Blitz und Donner ganz auf einen Schlag!« Sie wendete sich ihm zu, um einen Einspruch zu erheben; er aber achtete nicht auf diese Bewegung, sondern schritt nach dem Hofe, wo er in dem schon bereit stehenden Wagen Platz nahm. Die Pferde zogen an, das Geschirr fuhr zum Thore hinaus und rollte auf dem Wege zur Stadt dahin. Noch niemals war Selma mit so schwerem Herzen nach dem Kirchhofe und von da zurück gegangen. Ludwig hatte die Wahrheit gesagt; sie konnte den Vater nicht lieb haben; sie fürchtete ihn nur. Er war so stolz auf den Richterhof und ließ es ihr entgelten, daß sie ein Mädchen war, auf das er Besitz und Amt zugleich nicht vererben könne. War der schreckliche Betrug, den er an Ludwig verübt haben sollte, wirklich eine Thatsache, oder lag vielleicht doch auf Seite des
Letzteren eine Täuschung vor? Sie fühlte sich unglücklich darüber, daß sie die erste Hälfte dieser Frage nicht mit der ganzen Entrüstung eines kindlichen Vertrauens zurückzuweisen vermochte, und war fest entschlossen, trotz des väterlichen Verbotes um Mitternacht im Zechenhause zu sein, um die kurze Erzählung des Geliebten ausführlicher zu vernehmen. Die Stadt lag nicht weit vom Dorfe, und der Richter kehrte bald wieder zurück. Als die Stunde gekommen war, in welcher er nach dem Wirthshause zu gehen pflegte, nahm er gute Nacht und verließ den Hof. Nachdem er sich vorsichtig umgeschaut hatte, ob er bemerkt werde oder nicht, ging er um den Letzteren herum und schlug den Fußpfad nach dem Gottesacker ein. Das Gitterthor war verschlossen. Er sprang über eine schadhafte Stelle der Mauer und schritt auf das Häuschen zu, welches seine Geburtsstätte und für seinen Hochmuth ein Gegenstand der ärgerlichsten Erinnerung war. Aus dem Winkel hinter dem Hause klang das Summen eines Sterbeliedes; es verstummte beim Nahen seiner Schritte. »Ist wer da?« fragte es zwischen den Büschen hervor. »Ja. Komm' heraus, Anton.« »Was willst? Sag' Deinen Namen!« »Ich bin's, der Frieder!« »Schon recht. Wart', ich komm' gleich!« Das Gesträuch theilte sich, und die lange, schmale Gestalt des Klapperbein wurde trotz des abendlichen Dunkels sichtbar. »Bringst das Geld?« »Ja. Hast mich gestern doch durch die Selma gemahnt, so daß ich vorhin in die Stadt gefahren bin, um das Fehlende zu borgen. Soll ich Dir es vorzählen?« »Nein; gieb her und wart'! Ich bring' die Quittung heraus.« Ein leises, metallisches Klingen ließ sich vernehmen; dann trat der Klapperbein in das Haus. Durch die kleinen Fenster leuchtete einen Augenblick lang der trübe Schein einer Oellampe; sodann wurden die Läden verschlossen. Als der einsame Bewohner des Kirchhofes wieder zum Vorscheine kam, hielt er dem Richter ein Papier entgegen. »Hier hast die Quittung. Leb' wohl bis übers Jahr!« »Kannst wohl gar nimmer ›schön Dank‹ sagen für die schwere Leistung, die Du so ruhig entgegen nimmst, als wär's ein Katzenpfennig?«
»Hab's nicht nöthig! Gut' Nacht!« »Es wird mir bei der jetzigen schlechten Zeit fast zu schwer, dem Land die tausend Thaler jährlich abzuringen. Kannst nicht ein Weniges davon heruntergehen?« »Tausend Thaler. So steht's geschrieben, und so bleibt's! Schlaf' wohl!« »Dann bring' ich es das nächste Mal wohl gar nicht zusammen.« »So nehm' ich den Hof wieder zurück; er trägt mir dann das Doppelte ein. Gut' Nacht!« Er trat in das Haus, wendete sich aber unter der Thür noch einmal zurück: »Schubertfrieder, sei mild und gerecht im Amt, sonst kann ich's nicht länger verantworten, daß ich Dir den Richterhof gegeben hab'. Ich hoff', daß ich übers Jahr nicht wieder so zu sagen brauch'!« Er schlug die Thür hinter sich zu und schnitt damit dem Bauer die Entgegnung ab. Dieser trat einen Schritt vorwärts, als wolle er ihm folgen, um die scharfen Worte zurückzugeben, drehte sich aber mit einer raschen Bewegung herum und verließ mit absichtlich lauten Schritten den Kirchhof auf dieselbe Weise, wie er ihn betreten hatte. Draußen blieb er halten. »So, jetzt denkt er, ich bin fort; aber ich kehr' heimlich zurück und belausche ihn! Ich muß wissen, wo er das Geld aufbewahrt! Tausend Thaler Zins so lange Jahr' hindurch, das ist eine Summe, die hier im Dorf kein Einziger beisammen hat! Das Essen bekommt er von mir noch extra, – weiter braucht er fast nichts – und ist also ein steinreicher Mann, trotz seiner lächerlichen Armethei. Ich hätt' ihn nach dem Gesetz gleich damals verklagen sollen; jetzt kann ich's nimmer thun. Er weiß das auch so gut wie ich und fängt darum an, widerwärtig zu thun. Vielleicht nimmt er mir gar einmal den Hof, der erst nach seinem Tod ganz richtig mein sein soll, und dann – ja dann ist's keine Sünd', wenn ich mir meinen Pachtzins wieder hol'!« Er ging leise eine kurze Strecke an der Mauer hin, stieg an einer anderen Stelle über sie hinweg und schlich sich wieder zum Todtengräberhause zurück. Den Hauptgang her erklangen Schritte. Der Klapperbein war es, welcher sie verursachte. »Schau den Fuchs, wie klug und vorsichtig er ist!« murmelte Schubert. »Er traut mir wahrhaftig nicht und ist mir nachgegangen, ob ich den Gottesacker auch wirklich verlassen hab'. Wart', Du sollst
schon bald inne werden, daß der Richterbauer auch kein Dummkopf ist, und Deinen Thalerplatz, den werd' ich sicher noch heut' entdecken!« Er trat an den Fensterladen, um zu sehen, ob er nicht durch eine Spalte in die Stube zu blicken vermöge. Der Klapperbein hatte sich an den Tisch gesetzt, das Geld bei Seite geschoben und blätterte in alten Kalendern herum. »Da kann ich warten und harren, bis es ihm gefällt, den Zins wegzulegen! Aber ich geh' nicht eher fort, als bis ich weiß, wohin er ihn thut. Ich hab' ja Zeit; zu Haus' denken sie, ich bin in der Schänk', und dort meinen sie, daß ich heut' gar nicht fortgegangen bin.« Er wurde auf eine harte Geduldsprobe gestellt; eine Viertelstunde verging nach der andern, und die Mitternacht war schon nahe, als er endlich von dem Laden zurücktrat. »Jetzt ist er aufgestanden und hat das Geld gefaßt. Die Blendlaterne ist angezunden; er kommt damit an die Hausthür!« Er hatte sich nicht getäuscht. Der Klapperbein trat, die Laterne verhüllend, aus dem Hause, horchte einige Secunden lang in die stille, lautlose Nacht hinaus und verschwand dann in der Ecke, welche seinen gewöhnlichen Aufenthalt bildete. Der Richter zögerte noch kurze Zeit, dann huschte er an das Gebüsch, bog die Zweige so geräuschlos wie möglich auseinander und lugte vorsichtig hindurch. Der dreieckige Raum lag so vollständig im Dunkeln, daß nicht das Geringste zu erkennen war; aber tief unten aus der Erde drang ein spärlicher Lichtschein herauf, – er kam aus dem Grabe, welches der Klapperbein neben dem Hügel der Geliebten für sich bereitet hatte. Der Lauscher schob sich näher und blickte über den Rand in die Tiefe hinab. Eine Leiter führte hinunter. Die Grube correspondirte an ihrem Grunde mit dem Grabe Bertha's, deren Sarg bei dem Schimmer der Laterne deutlich zu erkennen war. Unter seinem Boden mußte sich eine Vertiefung befinden, denn der Klapperbein zog eben den Arm daraus hervor; er hatte das Geld hineingelegt. »Nun hast Du wieder tausend Thaler zu bewachen! Zu Dir wagt sich kein Dieb, und das Geld ist ja nicht mein, sondern Dein. Ich bin todt, und Du lebst! Ich hab' mich zu Tod' gesündigt, und Du mußt Gutes thun, damit meine arme Seel' zu Gnaden angenommen wird!« klang es dumpf empor. Der Richter hatte genug gesehen und zog sich eilig zurück. Sein
Lauf zwischen den Gräbern hindurch war fast eine Flucht zu nennen, und als er außerhalb des Kirchhofes stand, athmete er in einem so tiefen, keuchenden Zuge auf, als sei er der ihm aus dem Grabe entgegengähnenden Verdammniß entgangen. »Das war er, der Sarg, in dem sie – sie – sie liegt, in den der Vater damals ihr – ihr – ihre zerschmetterte Leich' hineingebettet hat. Ich konnt' nicht dabei sein; ich konnt's nicht erseh'n! Nun steckt er das Geld zu ihr, damit sie es bewachen soll, der verrückte Richterbauers-Anton, und wenn ich's haben will, muß ich hinabsteigen und es ihr rauben. Die Höll' ist nicht schwerer und schlimmer, als das!« Er schritt vorwärts. Je weiter er sich vom Kirchhofe entfernte, desto mehr legte sich seine Aufregung. »Und ich thu's doch! Ich hol' es mir, und wenn sie gleich selbst leibhaftig und lebendig dabeisitzt und es mir verwehren will. Wer todt ist, der ist todt! Sie kann ja nimmer aus dem Sarg hervor und sich vor mich hinstellen, um mir vorzuhalten, daß – daß – halt, da brennt auf einmal die Laterne droben beim Herrgottle! Die hat der Ludewig angesteckt und seine Anklag' in den Kasten gethan. Soll ich hinauf?« Er blieb sinnend stehen und blickte zur Halde empor, von wo das Licht am Herrgottskreuzle klar und mild herniederleuchtete. »Wer mag der Herrgottsengel sein? Vielleicht hätt' er doch Lust, dem Ludewig zu helfen; denn der Bub' hat's Allen angethan, und Jeder ist ihm gut. Wenn ich den Brief herausnehm' aus dem Kasten, so ist der Sach' am besten vorgebeugt. Ich steig' hinauf; ich brauch' mich doch bewahre vor dem Zechenhäusle nicht zu fürchten, wo damals – –« er stockte und fügte dann hinzu: »Es ist gar nicht nöthig, hineinzutreten; ich nehm' den Brief und geh' wieder fort. Der Ludewig ist längst schon wieder in das Dorf hinab.« Er klimmte an der Seite des Berges bis zu dem Strauchwerke empor, aus welchem die Haldenplatte hervortrat. Die kleine Fläche wurde von dem Lichte am Herrgottle vollständig erleuchtet, und es war nicht die geringste Spur von der Anwesenheit eines Menschen zu erkennen. Sich niederduckend, damit er von dem Thale aus nicht etwa gesehen werde, glitt er bis an das Kreuz, öffnete das Kästchen und zog den Brief hervor, welcher in demselben lag. In gebeugter Stellung wieder zurückeilend, hatte er die Sträucher fast erreicht, als behende eine Gestalt aus dem Zechenhause herbeisprang und sich
ihm in den Weg stellte. »Willst wohl den Herrgottsengel spielen, Schubertfrieder? Warum vergissest da, die Laterne auszublasen? Das ist ja das Zeichen, daß der Engel den Brief empfangen hat!« Erschrocken, fast wie vom Schlage gerührt, streckte der Angeredete die abwehrenden Hände von sich. Bald aber hatte er den Sprechenden erkannt. »Der Ludewig!« rief er. »Fast hätte ich geglaubt, es sei der Engel Gabriel oder gar der Erzengel Michael selber! Statt dessen aber ist's nur der Erzsmuggelbalzersbub'. Was willst von mir?« »Gieb die Anklag' heraus; sie gehört in den Kasten!« »Warum nicht? Ich hab' keine Furcht vor ihr; aber da ich sie einmal ergriffen hab', so werd' ich sie zuvor erst lesen. Vielleicht kann ich von dem Herrgottle seinem Briefschreiber etwas lernen.« »Der Herr Richterbauer hat nichts mehr zu lernen; er kann Alles, sogar den Wechselbetrug und den Briefraub. Also nun willst auch noch den Herrgott bestehlen, Schubertfrieder? Ich will Dich nicht darüber zur Red' stellen, denn bei mir liegt eine Leich' zu Haus', die Dich im Himmel schon verklagen wird; aber den Brief giebst heraus, sofort und auf der Stell', wenn Du nicht willst, daß ich mir ihn von Dir nehm'!« »Du – von mir? Versuch's einmal, den Richterbauer anzugreifen! Das Schreiben lautet von mir, und so muß ich wissen, was Du darin geschrieben hast. Geh' fort, sonst zeig' ich Dir den Weg!« »Den Brief heraus, Schubertfrieder, sonst zeig' ich Dir, wem er gehört!« Er langte nach dem Papiere. Der Richter schlug ihn auf den Arm, daß dieser niedersank. Im nächsten Augenblicke hatten sie sich gefaßt. Da rief es zitternd und bittend aus der Nähe: »Laß ihn los, Ludewig; laß ihn los; es ist der Vater!« »Wer ist das?« brauste der Richter auf. »Das ist ja die Selma!« Er nahm die Hände vom Gegner zurück und ließ vor Ueberraschung den Brief fallen. »Weißt, was ich Dir heut' gesagt hab'? Blitz und Donner kommen auf einen Schlag! Paß auf, Herrgottsengel, wie der Richterbauer sich Gehorsam zu schaffen weiß!« Er ergriff das Mädchen und riß sie zu Boden. In diesem Augenblicke huschte ein Schatten gedankenschnell über die Fläche. Der Brief wurde aufgegriffen; die Lampe verlöschte im Nu, und
eine tiefe, dröhnende Stimme antwortete: »Paß auf, Richterbauer, wie der Herrgottsengel seine Bittsteller schützt!« Eine hohe, im Dunkel der Nacht riesengroß erscheinende Gestalt fuhr vor ihm wie aus der Erde empor; ein schwerer, schmetternder Schlag streckte ihn zu Boden nieder, und dieselbe Stimme erklang: »Der Herrgottsengel hat Euern Brief empfangen! Schlaft ruhig, Ihr Kinder. Gute Nacht!«
III. Beim Klapperbein Heute sollte der Schmuggelbalzer begraben werden. Der Leichenhans hatte Bahre und Sargtuch vor das Haus getragen und kehrte von da nach dem Kirchhofe zurück, um bei der Beerdigung behilflich zu sein und nach derselben die offene Grube zu verschütten. Er traf seinen Herrn und Meister, welcher nachsah, ob Alles sich im gehörigen Stande befinde. Still, wie immer, legte er die Seile und Unterlagen zurecht; der Klapperbein duldete keine überflüssige Unterhaltung, und es war daher für den schweigsamen Gehilfen ein Ereignis, als er die Frage hörte: »Ist der Richterbauer noch nicht aufgewacht?« »Erst seit einer Stund' ist er wieder lebendig. Ich traf die Magd, welche es mir gesagt hat.« »Was muß doch nur mit ihm geschehen sein?« »Das wißt Ihr noch nicht? Er hat es selbst im Schlaf ausgeredet, als der Gregorius, oder wie der Wundarzt heißt, bei ihm gewesen ist. Denkt Euch nur, er hat einen Brief vom Herrgottle wegstehlen wollen, und da hat ihn der Herrgottsengel so arg beim Schopf genommen, daß er fast zwei volle Tag' lang ohne Besinnung gewesen ist.« »Wem hat der Brief gehört?« »Das weiß Niemand; vielleicht gar dem Balzerludewig, denn er hat noch in der selbigen Nacht vom Herrgottsengel zweitausend Thaler geborgt bekommen, – denkt Euch nur! Es passiren jetzt ganz außerordentliche Sachen, die man gar nicht glauben könnt', wenn die Nachricht nicht grad' von der Botengustel käm', die doch bei Balzer's wohnt. Der Richter hat nämlich dem Ludewig einen gottlosen Wechsel gemacht mit dem er ihn aus dem Häusle jagen will. Der Ludewig ist aber gleich zum Herrgottle hinaufgestiegen, und der hat ihm das Geld mit einem Zettel gebracht, darauf stand geschrieben, er solle keine Angst haben und zur dringenden Noth das Geld einstweilen bezahlen, er werd's ganz sicher zurück erhalten und solle es dann wieder zum Herrgottle tragen. Was meint Ihr
dazu?« »Weiß der Richter schon davon?« »Das kann ich nicht sagen. Er ist vor einer Stund' aufgewacht und hat sogleich die Selma zu sich gerufen, mit der es einen ganz schrecklichen Auftritt gegeben hat. Mehr konnt' ich nicht erfahren.« Der Klapperbein nickte kurz und entfernte sich. Nachdem er kurze Zeit in seiner Wohnung zugebracht hatte, verließ er den Kirchhof und stieg zum Dorfe hernieder. Eben begannen die Glocken zu läuten, zum Zeichen, daß die Träger den Sarg aufgenommen hatten, um ihn auf der Straße, welche in mancherlei Windungen zur Höhe stieg, nach dem Gottesacker zu bringen. Außer dem Richter und seinen Hausgenossen wohnten sämmtliche Nachbarn der Beerdigung bei, daher erreichte der geheimnißvolle Mann sein einstiges Heimgut, ohne von Vielen bemerkt zu werden. Die ihn aber sahen, die verwunderten sich seines Kommens, denn seit er zwischen den Gräbern lebte, hatte ihn Niemand wieder im Dorfe gesehen. Der Knecht, welcher unter dem Hofthore stand, machte Miene, scheu vor ihm zurück zu weichen, doch hielt ihn die Frage: »Wo ist der Bauer?« auf der Stelle fest. »Droben in der Oberstub'!« »Und die Tochter?« »Sie ist bei ihm. Er hält sie gefangen.« »Warum?« »Sie hat den Balzer zur Ruh'stätt' begleiten wollen.« »So soll sie gleich wieder frei sein!« Er stieg die Treppe empor und trat ohne vorheriges Klopfen in das Zimmer. Der Richter lag im Bette; Selma saß, zum Begräbnisse angekleidet, in der Ecke; ihr Gesicht zeigte, daß sie geweint habe. »Grüß' Gott, Richterbauer! Bist ja krank, wie ich hör'?« »Es ist schon fast vorüber,« klang die stockende Antwort. Der Sprecher hätte alles Andere eher erwartet, als den Klapperbein bei sich zu sehen. »Heut' ist wohl der jüngste Tag, daß Du ins Dorf herabkommst?« Statt einer Antwort wendete sich der seltene Besuch zu dem Mädchen. »Grüß' auch Dich, Selma! Was thust im Leichenkleid hier in der Stub'?« »Ich darf nicht mit!«
»Wer sagt's?« »Der Vater hat's verboten!« »So bekommst die Erlaubniß dafür von mir. Geh' gleich und schnell! Wenn Du nicht die Straß', sondern den Steig nimmst, so bist noch zur rechten Zeit beim Grab.« Der Richter erhob sich in eine sitzende Stellung. »Was fällt Dir ein? Willst mir wohl gar das Commando über die Dirn' wegnehmen? Sie bleibt hier!« »Sie geht!« entschied der Klapperbein. »Der Ludewig ist ihr Schatz, und der Balzer hat es nicht an Dir verdient, daß Du ihm die letzte Lieb' verweigerst. Geh', Selma, geh'. Ich befehl' es Dir und werd' dafür sorgen, daß Du um die Folg' nicht bang' zu sein brauchst!« »Sie bleibt!« rief Schubert noch einmal, aber zu spät. Das Mädchen war schon zur Thür hinaus. »Laß sie fort, Frieder; es ist Deine Pflicht!« »Meine Pflicht? Du sprichst wohl irr? Ich spring' auf und ruf' sie zurück!« »Bleib' liegen. Ich hab' es ihr befohlen, und damit ist's genug! Was spielst für einen Trumpf gegen den Ludewig? Weißt's gewiß, daß Du die Kart' gewinnen wirst?« »Die Sach' geht Dich nichts an! Kommst etwa ihretwegen zu mir?« »Auch mit! Der Leichenhans hat mir vorhin davon erzählt. Was ist's mit dem Wechselbrief?« »Nichts ist's. Ich hab' dem Balzer ohne Unterschrift geliehen und darauf noch vor seinem Tod den Brief von ihm erhalten. Soll ich das Geld etwa einbüßen?« »So! Erst beklagst Dich, daß der Pachtzins nicht zu erschwingen sei, und jetzt gestehst, daß Du Tausende verborgst. Welchen Reim werd' ich mir wohl drauf machen?« »Keinen! Die Angelegenheit ist mein; Dich geht sie gar nichts an.« »Denkst wirklich? Ich bin der andern Meinung! Das Gut ist Erbund Lehngericht, und meine Voreltern haben seit Menschengedenken darauf gesessen und Recht und Gerechtigkeit geübt zur Ehre des ganzen Geschlechts und zur Zufriedenheit aller Nachbarn im Ort. Als ich Dir den verschwiegenen Pacht übergab, bin ich der Meinung gewesen, daß Du das Amt so treu und gut
verwalten werdest, wie sie es thaten. Dann, und wenn Du Dein Gelöbniß von wegen der Bertha halten werdest, soll –« »Schweig'!« rief Schubert, indem er, wie von einer unsichtbaren Hand gepackt, vom Lager emporfuhr. »Ich mag den Namen nicht hören. Er ist mir zuwider, er fährt mir durch die Seel' wie Gift und Opperment!« »Hast sie also auch noch nicht überwunden, die fürchterliche Geschicht'? Also, wenn du gut verwaltest und das gelobte Schweigen hältst, sollte der Hof nach meinem Tod Dein Eigenthum werden. Geschwiegen hast bisher, aber das Andere ist nicht eingetroffen. Du bist ein harter, stolzer Mann geworden, dem die Noth seiner Mitbrüder und das Wohl der Gemeind' gar wenig am Herzen liegt. Meine guten Wort' hast in den Wind geschlagen, und meine Drohung achtest nicht. Von Tag zu Tag fast hört man Neues, was Du gethan, aber lobenswerth ist's nimmer. Die Felder verstehst zu bewirthschaften, das ist wahr, aber für das Amt bist nimmermehr zufrieden gestaltet. Soll ich Dir's nehmen?« »Schau doch, Anton, wie vortrefflich der Kirchhof zum Studiren ist! Ich glaub' nicht, daß der Hofprediger eine so kluge und schöne Red' zusammenbringt, wie die Deinige ist; doch wenn ich den Text hören will, so geh' ich in die Kirch' und hab' Dich dazu nicht von Nöthen. Glaub' nur nicht, daß ich mich gegen Dich vertheidigen werd', da müßte schon ein Anderer kommen, sondern ich sag' Dir nur so viel, daß Du mir weder das Gut, noch das Amt zu nehmen vermagst. Das Schreiben, welches Du mir damals gegeben hast, ist mir die beste Sicherheit.« »Darüber soll auch noch gesprochen werden. Jetzt hab' ich erst ein Geschäft mit Dir zu machen.« »Ein Geschäft? Welches?« »Ich will nicht fragen, ob Du dem Balzer die zweitausend Thaler wirklich geborgt hast, aber das möcht' ich gern wissen, wer jetzt den Wechselbrief hat. Liegt er beim Advocat?« »Nein. Der Notar war nicht zu treffen; ich hab' den Brief also wieder mit nach Haus' genommen. Dann – dann kam die Schwäch', an der ich niederlieg', so daß ich nicht wieder in die Stadt gekommen bin.« »Den Grund zu Deiner Schwäch' kennt Jedermann im Dorf. Der Herrgottsengel hat mit seinem Schlag die Gefährlichkeit des Briefes zernichtet; nun gilt derselbige nur noch als einfache
Schuldverschreibung, und Du selbst hast Dich um die Freud' gebracht, den Ludewig auspfänden zu können. Ich will Dir die Schuld abkaufen!« »Ich verkauf' sie nicht. Wer weiß, wenn Du sie zahlst; vielleicht soll ich's vom Pacht abzieh'n.« »Ich zahl' sie gleich.« »Auch dann verkauf' ich sie nicht. Es ist wahr, ich hab' die Wechselzeit verschlafen, aber die Schuld bleibt doch, und ich brauch' sie gegen den Schmuggelbalzersbub', mit dem ich ein Hühnchen zu rupfen hab' von wegen seiner Herrgottspost und daß er verrathen hat, warum ich krank und lägrig bin.« »Er hat nichts verrathen, sondern Du selbst hast's im Fieber dem Chirurgus erzählt, und so ist's im Dorf herumgekommen. Der Ludewig ist ein Bursch, gegen den Keiner das Geringste zu sagen vermag; Du hast ihn bei der Selma gelitten; nun aber soll's auf einmal alle sein, und Du willst ihm sogar noch gefährlich werden? Das ist ein grundloser und böser Streich, den ich nimmer leiden werd'. Verkaufst Du mir die Schuld oder nicht?« »Nein. Ich behalt' sie selber!« »Gut, so nehm' ich meinen Richterhof zurück!« »Das wirst schon bleiben lassen« lachte Schubert. »Warum?« »Von wegen der Unterschrift, die Du mir damals gegeben hast.« »Die ist mir nicht mehr fürchterlich. Ich hab' die Bertha hinunter in –« »Hältst den Mund oder nicht?« rief der Richter und stand mit einem Sprunge vor ihm. Die Arme bogen sich zusammen, und zwischen den emporgehobenen und geballten Fäusten stierte ein vor Wuth und Angst verzerrtes Gesicht dem Sprecher entgegen. »Ich hab' Dir verboten, den Namen zu sprechen. Sagst Du ihn wieder, so fliegst zur Thür hinaus, so lang und groß Du bist!« »Bist ja heut' ein rechter Hercules, Frieder! Aber leg' Dich nur wieder zur Ruh'; ich werd' den Namen verschweigen; er muß mir noch weher thun, als Dir, denn ich bin es gewesen, der sie hinunter gestürzt hat in den Schacht, und Du hast's bloß verschwiegen. Aber darum bist ja eben der Mitschuldige und mußt ruhig sein, sonst wirst auch mit bestraft. Dazu kommt noch, daß ich es nicht mit Absicht verbrochen hab' und daß so viele Jahr' darüber hingegangen sind. Deine Anzeig' hätt' also vielleicht gar nicht die Kraft, die Du ihr
immer zugeschrieben hast. Ich hab' sie sehr gefürchtet, jetzt aber ist mir nicht mehr bange vor ihr, denn die Straf' kann unmöglich so groß sein, wie die Qual, die mir der innere Vorwurf stets bereitet hat. Da, schau mich an! Was war ich für ein starker, kraftgewaltiger Bursch, und jetzt – jetzt bin ich ein Geripp', jetzt seh' ich wie der leibhaftige Tod, jetzt nennt man mich den – Klapperbein. So hat die Kummerkrankheit an mir genagt, so hat sie ein Stück nach dem anderen von meinem Leib und von meiner Seel' herabgerissen, bis bloß noch die Kirchhofsscheuch' verblieben ist!« »Da bist nur selber schuld! Der Vorwurf ist eine dumme Angewohnheit, durch die nur Alles schlimmer, aber nichts besser werden kann, und ein kluger Mann weiß sich vor ihr ganz schön zu hüten. Nur ein Narr wird sich selbst für das bestrafen, was er gethan hat. Geh', Anton, Du bist ein solcher Narr! Du hast Dich von den Menschen verbannt und das Gut von Dir gegeben. Glaubst wirklich, daß Du wieder zu ihnen darfst, oder daß Du den Hof wiederbekommst?« »Ich glaub's und werd' es Dir beweisen. Du hast Deine Versprechung nicht gehalten, d'rum nehm' ich Dir den Pacht. Mach' Dich bereit; zum Montag zieht ein neuer Bauer ein!« »Ein neuer Bauer? Wer soll's denn sein? Doch nicht Du selber?« »Nein! Ich hab' meinen Platz auf dem Gottesacker; den werd' ich nicht vertauschen. Der Ludewig ist's.« »Der Ludewig? Hat Dich der innere Vorwurf gar endlich noch verrückt gemacht? Der Schmuggelludewig soll Richterbauer werden? Geh' doch ins Narrenhaus, aber zu mir gehörst nun nicht mehr länger!« »Der Nam', den Du ihm giebst, zielt nicht auf ihn, sondern nur auf seinen Vater, und der hat ihn nur Dir zu verdanken gehabt. Du hast mit vollem Rechte der Schmuggelfrieder geheißen und bist dennoch Richterbauer geworden; warum soll's dem wackeren Burschen nicht auch und noch leichter gelingen?« »Er mag's versuchen! Und gar zum Montag schon! Woher willst denn eigentlich das Recht nehmen, mich ohne Kündigung hinaus zu jagen?« »So steht's geschrieben in der Verzeichnung, die Du mir für meine Schrift gegeben hast.« »Das ist nicht wahr; das ist die größte Lüg', die Du Dir ersinnen kannst!«
Sein Auge glitt bei diesem Ausrufe mit lauerndem Ausdrucke über das entschlossene Gesicht des Anderen. »Das ist keine Lüg', sondern die Wahrheit! Wenn Du vergessen hast, was damals geschrieben worden ist, so will ich Dir das Papier zeigen. Ich hab's mitgebracht, weil ich mir schon denken konnt', daß Du den Einwand machen werdest.« »Zeig' her! Ich glaub's nicht eher, als bis ich's mit eigenen Augen seh'.« »Hier hast's. Lies nur genau, so wirst's bald finden!« Er zog einen sorgfältig eingeschlagenen Bogen aus der Tasche, befreite ihn langsam von seiner Umhüllung und gab ihn mit siegesgewissem Lächeln hin. Mit einer hastigen Bewegung ergriff ihn Schubert, warf einen Blick darauf und stieß dann ein höhnisches, schadenfrohes Lachen aus. »Lesen? Nein, lesen werd' ich den Contract nicht; ich seh' schon, daß er's ist, und weiß auch ganz genau, was ich geschrieben und unterzeichnet hab'. Aber etwa Anderes werd' ich mit ihm thun. Da schau her!« Er riß den Bogen in kleine Stücke und verbarg dieselben unter die Decke seines Lagers. »O Du Wunder von Klugheit und Listigkeit, konntest Dir denn nicht denken, warum ich das Papier hab' sehen wollen?« sagte Schubert mit boshaften Lächeln. »So lang' Du's in den Händen hattest, war der Hof Dein, und ich mußte ihn hergeben an jedem Augenblicke, wenn Du ihn zurück begehrtest. Drum hab' ich gesonnen Tag und Nacht, wie ich's wiederbekommen könnt'; aber all mein Denken ist vergebens gewesen. Nun hast mir's so zuvorkommend selbst gebracht, hast mich zum richtigen Richterbauer gemacht, dem Niemand mehr den Hof zu nehmen vermag, und darum sollst zum Montag auch die Einzugsred' halten dürfen, wenn der Schmuggelbalzersludewig den Willkommen hält!« Der Klapperbein hatte nicht die geringste Miene gemacht, die Vernichtung des Papieres zu verhindern. Er lächelte jetzt noch ebenso siegesgewiß wie zuvor, als er antwortete: »O Du Wunder von Bosheit und Niederträchtigkeit, konntest Dir denn nicht denken, warum ich Dir das Papier so gern gegeben hab'? Es war die letzte Prüfung, die ich mit Dir vorgenommen hab'; Du hast sie nicht bestanden und sollst darum wieder der Schmuggelfrieder sein. Womit willst Du denn beweisen, daß das
Gut Dein Eigen ist und daß ich Dir's geschenkt hab'?« »Ich hab's ja Allen auf Dein Geheiß so sagen müssen und das ganze Dorf weiß es von Anbeginn nicht anders. Womit willst's beweisen, daß es nicht so ist?« »Ich hab's vom Vater ererbt, das weiß Jedermann, und aus meinem Mund hat noch nie ein Mensch vernommen, daß ich Dir's zum Geschenk gegeben hab'.« »Ich werd's beschwören! Und außerdem hab' ich die Unterschrift, daß Du der Mörder bist. Versuch's doch, mich zu vertreiben!« »Das werd' ich nicht nur versuchen, sondern gewiß und wirklich thun! Hörst, wie die große Glock' neunmal anschlägt? Das ist das Zeichen vom heiligen Vaterunser. Jetzt wird der Balzer in die Erd' gesenkt; und der Pfarrer betet über seiner Leich'. Ich weiß nicht, was Du in seiner letzten Stund' mit ihm vorgenommen hast, aber sein Verführer und Mörder bist gewesen, und er wird Dich in der Ewigkeit verklagen. Ich hingegen hab's nicht nöthig, bis auch dahin zu warten, sondern werd' schon gleich jetzt das Gericht mit Dir beginnen. Deine Verschreibung hast mir zerrissen; gieb nun auch die meinige heraus!« »Geh' fort, und laß Dich nicht länger auslachen!« »Gieb sie heraus!« »Du bekommst sie nicht!« »So nehm' ich sie mir selber!« »Weißt so genau, wo sie liegt?« lachte er. »Sehr genau!« »So hat Dir's wohl davon geträumt? Oder bist vielleicht gar hinauf zum Herrgottle gegangen und hast gefragt?« »Schubertfrieder, Dein Hohn trifft grad' die richtige Stell'! Ja, vom Herrgottle hab' ich's erfahren, und dem hat's der Ludewig in seinem Brief erzählt. Er hat gesehen, wo der Wechsel lag, und dort wird wohl auch das Andere zu finden sein. Die Schlechtigkeit ist sich nur immer selbst zum Schaden. Paß auf, wohin ich greifen werd'!« Er trat an die Wand und streckte die Hand nach dem Schränkchen aus. Im Augenblicke stand der Richter an seiner Seite. »Wag's, Spitzbub', Dich an meinem Eigenthum zu vergreifen!« »Ich darf's thun, denn Du hast mir das meinige vernichtet!« »Nimm die Hand vom Kasten fort, sonst schlag' ich Dich nieder
und laß Dich nachher einschließen. Was Du versuchst, ist nicht nur Diebstahl, sondern gar der gewaltsame Raub!« »Die Schrift ist nicht mehr Dein Eigenthum, sondern das meinige; drum nehm' ich sie. Geh' fort, sonst bekommst den Herrgottsengelhieb zum zweiten Mal!« »Meinst, daß Du ihn zusammenbringst?« fragte er, nach ihm fassend. »Merk's selbst!« lautete die Antwort, und mit ihr zugleich fiel die Faust des Sprechers auf den Kopf Schubert's nieder. Der Getroffene sank lautlos zur Erde. Vermochte der Klapperbein noch jetzt eine solche Hand zu führen, so mußte er in seinen besseren Jahren ein wahrer Riese gewesen sein. Unbekümmert um den am Boden Liegenden zog er den Schrank aus der Wand und untersuchte die Vertiefung. Sie enthielt jetzt nur drei ineinander gesteckte Papiere. Das erste war der Wechsel; er legte ihn an den Ort zurück. Das zweite war das Gesuchte; es enthielt das Bekenntniß, daß er Bertha Schubert, die Todtengräberstochter, in den Schacht gestürzt habe; er steckte es zu sich. Nun warf er einen Blick auf das dritte; es war dasjenige, welches der Schmuggelbalzer dem Richter zurückgegeben hatte. Kaum hatte sein Auge die ersten Zeilen entziffert, so trat er mit einem Ausrufe des höchsten Erstaunens zu dem am Fenster stehenden Tische, wo er die vergilbten Schriftzüge besser zu erkennen vermochte. »Herr mein Heiland, was ist das? Steht das wirklich hier geschrieben, oder ist's nur ein Traum, den ich hab'?« Mit sichtlicher Gier verschlang er förmlich ein Wort nach dem andern; seine Augen öffneten sich weit und weiter; seine hohlen, bleichgrauen Wangen färbten sich roth und immer röther; sein Athem ging fliegend; seine buchstabirenden Lippen bebten; sein Angesicht strahlte hell und heller, als enthalte jede einzelne Silbe ein Himmelreich für ihn, und als er das Ende erreicht hatte, preßte er das alte, vielbeschmutzte Papier mit sprachloser Inbrunst an die Brust; seine lallende Zunge suchte vergebens nach einem verständlichen Laute, und es ging eine Aufregung durch seinen über den Tisch sinkenden Körper, die sich endlich in einem erschütternden, convulsivischen Weinen Luft machte. So lag er lange, lange Zeit. Da regte es sich leise hinter ihm; er bemerkte es nicht. Der Schlag war doch nicht so kräftig gewesen wie derjenige des Herrgottsengels droben auf der Halde: der Richter
kam wieder zu sich. Er öffnete die Augen, blickte verwundert und nachsinnend um sich und sah den weinenden Mann über die Platte des Tisches gebeugt. Dieser Anblick brachte ihm das Bewußtsein der gegenwärtigen Lage zurück. Er erhob sich vorsichtig und trat leise hinter den Schluchzenden. Einen Blick auf das Papier werfend, hatte er es im nächsten Augenblicke ergriffen und machte Miene, es zu zerreißen wie das vorhergehende. Er kam nicht dazu. Der Beraubte drehte sich blitzschnell ihm zu und ergriff seine Hände mit solchem Drucke, daß er die Schrift mit einem Schmerzensrufe fallen ließ; sofort hatte der Klapperbein sie aufgehoben und in die Tasche verborgen. »Halt, Schubertfrieder, solch' einen Schatz laß ich mir nimmer rauben! Also darum kannst den Namen Bertha nicht erhören, weil Du ihr – –« »Bist still jetzt auf der Stell', oder ich – –« »Thu' nicht so grausam mächtig, Schwestermörder; der Stachel ist Dir genommen! Du bist der Geier, dem seine Krall' verschnitten ist, und wirst jetzt Rechenschaft ablegen, hörst, jetzt sogleich!« »Rechenschaft? Dir etwa?« grollte es halb wüthend, halb furchtsam aus dem Munde Schubert's hervor. »Ja, mir! Oder meinst etwa, daß ich Dich nicht bezwingen kann? Denselben Spieß, den Du bisher gegen mich gerichtet hast, kehr' ich um gegen Dich, und wehe Dir, wenn Du Dich nicht freiwillig unterwirfst! Ich nehm' die fürchterliche That, die bisher auf meiner Seel' gelastet hat, von ihr herunter und werf' sie auf die Deinige. Schmuggelfrieder, Du hast die Bertha –« »Halt' ein, und laß den Namen fort, sonst sollst mich kennen lernen!« »Da kommst zu spät; ich kenn' Dich schon genug und bin nicht mehr bang' vor Dir. Du hast die Bertha, hörst wohl, die Bertha, die Bertha« – er faßte ihn mit mächtigem Griffe bei den Schultern, hielt ihn fest, daß er sich fast nicht zu rühren vermochte, und rief ihm das Wort langsam und mit schwerer Betonung in das Gesicht – »Du mußt's hören, und wenn die Angst Dir die Augen aus dem Kopf hinaus treibt, die Bertha hast ermordet, die Deine eigne Schwester war! Hier in meiner Brusttasch' steht's geschrieben, ausführlich und genau, und Du hast es dem Schmuggelbalzer unterzeichnen müssen, grad' so, wie Du's von mir erzwungen hast. Bist etwa feig genug, es zu leugnen?«
»Laß los, Anton, und bring' das Wort nicht wieder, so bin ich vielleicht zum Reden bereit!« »Zu reden brauchst nicht viel; ich hab' genug gelesen. Du bist ein Schaudermensch, daß man Dich flieh'n und meiden möcht' wie Teufelsspuk. Du hast mich belogen und betrogen, hast mich in Ketten und Banden geschlagen, hast mir mein Herz vergiftet und die Sonn' meines Lebens ausgelöscht. Deine Schuld hast auf mich gelegt und damit Schacher und Wucher getrieben bis auf den heutigen Tag; aber Dein schändlich' Thun hat um Rach' empor geschrieen zum Himmel, und der Herrgott hat darein geschaut und Dich nun endlich unter sein Scheermesser genommen. Grad' da, als Du am sichersten warst und dem einzigen Zeugen noch im Tod betrügen wolltest, da hast Dich selbst betrogen und der Straf' grad' in die Hand gearbeitet. Nun ist die Lüg' entdeckt, die Ketten sind zerrissen, mein Herz wird wieder heil, und die Tag', die ich noch zu leben hab', sie dürfen hell und freundlich sein. Es giebt einen Richter, der im Verborgenen waltet und aller menschlichen Berechnung lacht; ihm bist verfallen, und bis er sein Urtheil spricht, hat er Dich einstweilen in meine Hand gegeben. Was meinst, daß ich mit Dir thu'?« Der Gefragte schwieg; er blickte starr und unentschlossen vor sich nieder. Es entstand eine Pause, und dann klang es merklich milder: »Schubertfrieder, Du hast den Richterbauers-Anton zum Klapperbein gemacht; benutz' die Freud', die er in diesem Augenblick empfindet, sonst find'st Du kein Erbarmen! Warum hast Du die That begangen?« »Ich hab' sie nicht begangen, denn ich hab' sie nicht gewollt, sondern der Stoß, welcher die – der Stoß galt einem Anderen,« lautete die zögernde Entschuldigung. Der harte, gewissenlose Mann hatte mit seinem verstörten Angesichte jetzt Aehnlichkeit mit einem wilden Thiere, welches sich mit ohnmächtigen Grimme gegen einen überlegenen Gegner sträubt. Er suchte in seinem Innern nach einer Waffe; sein Sinnen schien vergebens zu sein. »Einem Anderen? Ah, jetzt wird's vollends licht in mir; dieser Andere war ich! Ist's so richtig?« Es dauerte eine Weile, ehe die Antwort kam. Ein eigenthümlich lauernder Zug glitt über das Gesicht Schubert's. Er hatte die Waffe doch noch gefunden.
»Wär's ein Wunder, Anton? Denk' nach, was Du mir stets zu Schad' gewesen bist!« »Ein Wunder – nein, bei Dir ist's keins! Die Zech' gehört zum Richterhof, und da wir uns nicht nehmen sollten, so hatten wir da oben unser Stelldichein. Drum mußt' ich Euch und Eure Niederlag' aus dem Schacht vertreiben, damit wir nicht verrathen würden. Das hat mir die Pascher zum Feind gemacht, und sie sind gar einmal über mich hergefallen, so daß ich nur mit großer Noth davongekommen bin. Den Einen hab' ich dabei mit dem Messer niedergestochen; ich konnt' nicht anders. Du lagst damals krank darnieder, und ich wußt' noch nicht, daß Du zu ihnen gehörtest, sonst hätt' ich Euch vielleicht doch noch gelitten.« »Ich war der Anführer und lag nur zum Schein. Es galt ein großes Geschäft, und ich wollt' den Verdacht von mir fortlenken. Nachher aber wurde aus dem Schein die Wirklichkeit, denn der, den Du gestochen hast, bin ich gewesen.« »Du? So ist der Stoß, der mir gegolten hat, aus Rach' und Vergeltung geschehen?« »Vielleicht mit. Es kam noch ein Anderes dazu. Wir wollten aus der Zech' fortziehen und unsere Vorräth' wegschaffen. Das Bret war von dem Loch fort auf die Seit' gelegt; die Männer befanden sich unten, und ich und der Balzer hielten die Strickleitern. Da kamst Du mit – mit – – mit dem Mädchen.« »Ist's so gewesen? Ich hatt' sie hinauf bestellt, um sie zu bitten, heimlich mit mir nach Amerika zu gehen, weil wir uns hier nicht haben konnten. Sie aber war zu brav und hat nicht eingewilliget. All' mein Zureden war vergeblich. Da ist mir um ihren Besitz gar bang' geworden, und ich hab' ihr gedroht, sie in den Schacht zu stoßen, wenn sie nicht mitgeht. Gott ist mein Zeug', ich hätt's nimmermehr gethan! Ich hab' sie bloß zur Zusag' bewegen wollen und nicht geahnt, daß das Mundloch offen sei; es war ganz finster in dem Zechenhäusle. Ich rang zum Schein mit ihr und trieb sie näher an das Loch, in das sie doch nicht fallen konnt'.« »Ich hab' gemeint, Du thust's im Ernst, bin still herangeschlichen und hab' nach Dir gestoßen.« »Schubertfrieder, es ist genug. Denken muß ich an diese schreckliche Stund' zu aller Zeit, an jedem Augenblick, aber von ihr reden, das kann ich nicht weiter! Ich trieb ein frevles Spiel, und Du – Du hast ihren Tod nicht gewollt, bist aber doch der Mörder, der
meinige und der ihrige. Ich möcht' es Dir nicht anrechnen; aber was Du dann weiter an mir verbrochen hast, das ist unerhört, das kann ich Dir nicht vergeben, das ist der langsame und tausendfache Mord an Leib und Seel'! Ich hab' mich Dir und Du hast Dich dem Balzer verschreiben müssen, und dann bist zwischen uns Beiden gestanden und hast uns betrogen um Güter, die höher sind als Leib und Leben oder Hab' und Gut. Mir vermagst nichts wieder zu erstatten, aber die Sünd' an ihm, die versuch' an seinem Sohn zu sühnen. Gieb ihm den Wechselbrief zurück! Ich weiß nun sicher, daß er falsch ist.« »Wenn Du mir den Hof lässest!« »Das kann ich nicht! Ich hab' Dir schon gesagt, warum. Aber Du bist der Bruder von – sei still, ich sag' den Namen nicht! – von ihr, und darum will ich lind mit Dir verfahren. Du giebst ihm die Selma, und von mir erhält er grad' so wie Du den Hof in Pacht. Nach meinem Tod ist er dann sein Eigenthum. Ich hab' keinen Erben und kann ohne Vorwurf so handeln. Willst?« »Was sagen die Leut' dazu?« »Es erfährt Keiner die eigentliche Sach'!« »Anton, es kommt mir zu schnell; ich muß erst überlegen. Gieb mir die Zeit dazu!« »Die sollst haben, obgleich es nicht nothwendig ist. Heut' über eine Woch' bin ich des Abends wieder hier bei Dir. Besinn' Dich gut; es hängt gar viel an einem Faden!« »So gieb die Unterschrift heraus; sie soll vernichtet sein!« »Die brauch' ich zur Sicherheit, und den Wechsel auch. Zeig' ihn her!« »Er liegt bis dahin gut!« »Bei mir noch besser! Gehst auf den Vorschlag ein, so wird die Schrift zerrissen, aber keine Minut' eher, als zur Hochzeit und wenn der Hof dem Ludewig übergeben ist. Thust nicht mit, so geht sie ans Gericht; dann wirst wohl seh'n, was weiter kommt. Also heraus mit dem Wechselbrief!« Der Richter trat grollend an die Mauervertiefung und nahm das Document heraus. »Hier hast ihn! Du bist der Stein, an dem die Bitt' zerschellt.« »Blick' in Dein eignes Herz! Es ist von noch viel härterem Gefüg' als das meinige. Schau, da geh'n die Trauerleut' vom Kirchhof zurück. Denk' d'ran, wie bald sie auch Dich hinausgeleiten können, und trag's der Selma nicht nach, daß sie mitgewesen ist!«
»Ich will jetzt nichts mehr sagen. Der Kopf brennt mir wie glühend Eisen, und den Hieb, Anton, den kann ich Dir nur schwer vergessen. Wenn ich mich leg' und nimmermehr ersteh', so bist Du schuld daran!« »Hast ihn verdient, Frieder, und wirst nicht daran sterben. Hast ja schon mehr als das mit Leichtigkeit auf Dich genommen!« Er ging. Schubert trat zum Fenster und blickte ihm finster nach, bis er ihn droben hinter dem Gitter verschwinden sah. »Welch' eine Stund'!« seufzte er tief auf. »Ich hab' das Gesetzbuch und weiß, daß ich mit dem Hof nichts gegen ihn vermag, und er läßt sich durch keine Red' verschüchtern. Wenn ich nur wüßt', warum er den Pacht verschwiegen hat und warum er für arm gelten will! Vielleicht ist er gar der Herrgottsengel. Er weiß Alles, was der Ludewig geschrieben hat, und der Hieb, es ist ganz derselbige, welcher vor Zeiten den Vetterbauersfranz, nachher den Knecht und endlich auch mich beim Kreuzle niedergestreckt hat. So einen Schlag kann nur der Anton thun, das weiß ich ganz genau von jungen Jahren her.« Er öffnete die Thür und rief die Tochter herbei. Sie gehorchte mit Bangigkeit, weil sie die Folgen ihres Ungehorsams fürchtete. »Schickst heut' dem Klapperbein das Essen, oder gehst selbst hinauf?« »Warum sollt' ich es ihm schicken? Er mag einen anderen Boten nicht leiden!« »Ich dacht', weil Du vielleicht im Sterbehaus von Nöthen bist.« Sie blickte überrascht zu ihm empor. »Darf ich denn hinüber?« »Ich hab' nichts dagegen. Sag' dem Klapperbein, er soll um Zwölf heut' bei mir sein, ich hätt' ihm Wichtiges mitzutheilen!« Sie entfernte sich, froh, das grade Gegentheil ihrer Befürchtungen erfahren zu haben, und mußte unwillkürlich an die Worte des alten, geheimnißvollen Freundes denken: »Der Klapperbein hat Trost und Hilf' für Dich, wenn Du einmal eines mächtigen Beistandes von Nöthen bist.« Hätte sie jetzt das Gesicht ihres Vaters gesehen, so wäre ihre Freude wohl eine minder große gewesen. »Da hab' ich Glück und Seligkeit bereitet,« lachte er in sich hinein, »und damit den schlauen Zug begonnen! Die Kirchhofsscheuch' legt meine Schrift und den Wechsel sicher
nirgends wo anders hin, als in die Leichensparbüchs', die ich erlauscht hab'. Ich schieb' den Riegel vor und steig' zum Fenster hinab; meine Botschaft bringt ihn vom Gottesacker fort, und während er an der verschlossenen Thür denkt, ich lieg' im tiefen Schlaf, räum' ich den ganzen Schatz hinweg. So bekomm' ich die Schrift, den Wechselbrief und meinen ganzen Pacht zurück, und dann, Klapperbein, dann werd' ich anders mit Dir sprechen, als heut', wo mir die Klugheit rieth, klein nachzugeben. Der Richterbauer ist nicht so leicht zu überwinden; er braucht kein Kreuzle und keinen Herrgottsengel und weiß sich selbst den allerbesten Rath! Und wer weiß, was gar noch geschieht, wenn der Todtenhäusler das leere Nest bemerkt! Der Schreck ist ein mächtiger Gesell und hat schon Manchen niedergeworfen, der stark und rüstig war. Das wär' der beste Schluß für unser Stück und der schönste Lohn für seine Mahnung, ich soll' d'ran denken, daß sie auch mich bald einscharren werden!« Mit erleichtertem Herzen bereitete Selma das Abendbrod und stieg dann ihren täglichen Weg zum Kirchhofe empor. Der Leichenhans war noch beschäftigt, das Grab Balzer's auszufüllen. »Grüß Gott, Jungfer Selma! Bringst das Deputat für den Herrn?« »Ja. Ist er daheim?« »Wo sollt' er sein? Er kommt ja gar nie fort, und es ist das größte Mirakel, daß er heut' einmal ausgewesen ist. Was mag ihn doch nur weggeführt haben?« »Er war beim Vater.« »Bei dem Deinigen? Da muß es etwas ganz Absonderliches gegeben haben, denn als er zurückkam, hab' ich ihn kaum wieder erkannt. Er hat ein Gesicht gemacht, wie ein jung' Bursch' von zwanzig Jahren, der von der Liebsten kommt, ist bei mir eine ganze lange Zeit im Gespräch gestanden, und dann hab' ich ihn gar ein lustig Stücklein trällern hören, was grad' unerhört zu nennen ist. Geh' zum Winkel; er ist darin!« Als sie die Büsche erreichte, vernahm sie ein lautes, jubilirendes Reden. Sie konnte die einzelnen Worte nicht unterscheiden, da die Töne aus der Tiefe kamen. Der Klapperbein erzählte seiner Todten von dem Glücke, sich nicht länger als ihren Mörder anklagen zu müssen. Er vernahm den Ruf des Mädchens erst nach einer Wiederholung desselben und kam dann hervor. »Bist's, Selma?« fragte er. »Hast Zank erhalten für den
Begräbnißgang?« »Nein. Der Vater hat sogar gesagt, ich soll am Abend zu Balzer's geh' n.« »Das hör' ich gern. Gieb her den Korb!« »Weißt auch etwas von der Wechselgeschicht'?« erkundigte er sich, als er wieder aus dem Hause trat. »Ich weiß Alles.« »Wie wird es enden?« »Ich kann es nicht sagen; aber der Ludewig hat vom Herrgottsengel das Geld erhalten, das er zur Noth bezahlen soll.« »Er wird's nicht brauchen, sag' ihm das; ich weiß es ganz genau. Und Eins will ich Dich fragen: Was giebst mir, wenn er der Richterbauer wird und Du die Bäuerin?« »Das – das ist – – unmöglich!« wollte sie ausrufen, aber der Klapperbein war lachend schon hinter der Hausthür verschwunden. Seine Frage nahm ihre Gedanken so in Anspruch, daß sie den Auftrag des Vaters auszurichten vergaß und sich beeilte, recht bald zu dem Geliebten zu kommen. Sie fand ihn und seine Mutter in Gesellschaft der Botengustel, welche herbeigestiegen war, um den Leidtragenden ihre Theilnahme zu beweisen. Im Laufe des Gespräches berichtete sie von der unerwarteten Nachgiebigkeit ihres Vaters und den seltsamen Worten des Todtenhäuslers. »Ich glaub' selber auch, daß ich das Geld nicht brauch',« meinte Ludwig. »Der Wechselbrief hat seine Kraft verloren, und für den Nothfall ist's doch nur gewesen. Es brennt mir in den Händen, und d'rum werd' ich mich heut' beim Kreuzle bedanken und zugleich anfragen, was mit der Summe nun werden soll. Ein solches Geld darf ich doch nicht so leichtsinnig in den Briefkasten thun; es könnte ja gar der Unrichtige darüber kommen. Gehst mit hinauf, Selma?« »Ja, doch muß ich zuvor sehen, was der Vater macht.« »So geh'; unterdessen werd' ich den Brief beginnen!« Sie fand die Thür zu dem Zimmer des Richters von innen verriegelt, auch brannte kein Licht. Jedenfalls schlief er also, und so konnte sie den Gang unternehmen. Als sie, das warme Tuch zum Ausgehen um den Kopf geschlungen, wieder bei Balzer's eintrat, betheuerte die Botengustel: »Bist doch die Bertha, wie sie leibt und lebt! Grad' so, mit übergeschlagenem Tuch, kam sie des Abends zu mir, um den
Richterbauers-Anton zu treffen. Du hast ihre Gestalt und auch dasselbe Gesicht, und wenn ich Dich so steh'n seh', denk' ich nicht anders, als: es muß die Bertha sein!« Mit verschämtem Lächeln nahm sie das Compliment hin; sie wußte, die Tante war ein schönes Mädchen gewesen, das schönste für lange Zeit im ganzen Dorfe. Unter traulich ernstem Gespräche stiegen die beiden jungen Leute den Berg empor und erreichten die Halde eben, als es Zwölf schlug. Diese Stundenzahl erinnerte Selma an den vergessenen Auftrag. Sie erschrak. »Zwölf ist's? Ich soll den Klapperbein für diese Zeit zum Vater bitten und hab' nicht daran gedacht! Was thu' ich, Ludewig?« »Für jetzt um Mitternacht? Das däucht mir fremd! Aber die Botschaft muß ausgerichtet werden. Wir geh'n jetzt gleich hinab!« Der Briefkasten am Kreuz war schon aufgeschlossen. Ludwig legte seinen Brief hinein und steckte die Laterne in Brand. Dann eilten sie zum Kirchhofe hinab. Sie fanden das Gitterthor nur angelehnt, doch hielten sie sich nicht mit Betrachtungen darüber auf. Die Scheu, mit welcher man einen solchen Ort zu solcher Stunde betritt, ließ sie unwillkürlich leiser auftreten. »Schau durch den Laden, Ludewig, ob noch Licht ist in der Stub'!« »Es ist keins darin.« »So schläft er schon. Die Kammer ist hinten an der Mauer. Wir müssen um die Eck' herum und an das Fenster klopfen!« Das schon sonst nicht furchtsame und durch die Gegenwart des Geliebten noch mehr ermuthigte Mädchen trat ihm voran zu den Büschen. Sie schlüpften hindurch. Nur einige Schritte vor ihnen drang ein heller Lichtschein aus der Erde empor, und es war doch wohl ein kleines Erschrecken, mit welchem sich Selma an Ludewig schmiegte. »Er ist in seinem Grab, das er sich neben der Bertha gemacht hat,« flüsterte dieser. »Ich werd' einmal hinabschauen!« Er trat leise an den Rand der Grube, um hinunter zu blicken, wich aber sofort und fast erschrocken wieder zurück. »Weißt, wer's ist, Selma?« »Doch der Klapperbein!« »Nein. Dein Vater ist's!« »Mein Vater? Das ist nicht möglich! Was sollt' der hier im Grab
zu suchen haben? Du hast Dich versehen!« »Nein. Paß auf, er kommt herauf.« Der helle Schein verschwand; das Licht war ausgelöscht worden. Aber das Firmament stand voller Sterne, und der Mond blickte voll und groß vom Himmel nieder; man konnte jede einzelne der Blumen erkennen, welche das Grab der im Schacht Zerschmetterten schmückten. Es war ein tiefes, angestrengtes Stöhnen zu vernehmen; ein schwerer Kasten wurde aus der Grube gehoben, der dann eine breite, kräftige Gestalt entstieg. Es war der Richter. Er hatte trotz der Schrecken, welche grad' dieses Grab für ihn haben mußte, die Ausführung seines finsteren Planes unternommen; aber es war ihm doch beinahe über seine Kräfte gegangen. Wie von bösen Geistern gehetzt, blickte er mit stieren Augen und verzerrten Zügen um sich; sein Athem keuchte schnell und ängstlich aus der fliegenden Brust heraus, und die Beine schienen ihm unter dem zitternden Körper brechen zu wollen. Er bückte sich nieder, um den Kasten aufzunehmen; da rauschte es durch die Zweige, und die lange Gestalt des Klapperbein richtete sich vor ihm in die Höhe. »Willkommen, Spitzbubenfrieder! Soll ich Dir helfen?« Fast wäre der Angeredete vor Schreck rücklings in die offene Grube gestürzt; er raffte sich jedoch zusammen und trat zwischen seinen Raub und den Erschienenen. »Ich bedarf hier keiner Hilf'. Geh' aus dem Weg, Kirchhofsscheuch'!« »Das werd' ich gern und willig thun, denn Dein Weg führt stracks ins Verderben. Ich bin nicht schuld an der Begegnung. Hätt'st das Gitter wieder zugeschlagen, wie Du es gefunden hast, so wär' ich nimmer auf den Gedanken gerathen, daß Einer mich um Mitternacht besucht. Komm' mit herein ins Haus, da soll sich Alles finden!« »Es wird sich hier schon finden.« Er griff zum Boden nieder, raffte ein Beil, welches er sich jedenfalls als Werkzeug mitgebracht hatte, auf und schwang es nach dem Kopfe des Gegners. »Fahr' hinunter in die Grub'!« Der Klapperbein ergriff seinen erhobenen Arm und versuchte, ihm die Waffe zu entreißen. »Willst so? Gut, sollst Deinen Willen haben. Da unten liegt die Schwester, die Du ermordet hast; der Mörder gehört zu seinem
Opfer. Die Bertha ruft, geh' hin zu ihr!« Die bewaffnete Rechte des Richters festhaltend, holte er zum niederstreckenden Schlage aus, strauchelte dabei über den Kasten, dem er sich beim Ringen genähert hatte, und stürzte unter der Gewalt seines eigenen Diebes zur Erde nieder. Im Nu kniete Schubert über ihm. »Meinst wirklich, daß ich mich vor der Todten fürcht'? Ich lach' über sie, und wenn sie jetzt sogleich leibhaftig erscheint, um Dir zu helfen. Leb' wohl, Anton, mit Dir ist's aus!« Er erhob das Beil zum tödtlichen Streiche. Da stürzte Selma vor. Das verhüllende Tuch war ihr auf die Schultern herab geglitten; der Mond warf sein Licht auf ihre klaren Züge. »Halt' ein, halt' ein, steh' auf von ihm!« rief sie in höchster Angst. Er blickte empor. »Bertha – Ber – –!« Es zog ihn halb empor; es riß ihm die Arme weit auseinander; sein Haar sträubte sich, seine Augen quollen mit erschrecklichem Ausdrucke unter den Lidern hervor. – »Bertha – Ber – Ber – –« Erst hatte er den verhängnißvollen Namen laut hinausgeschrieen; er konnte ihn nicht wiederholen; die Laute erstarben ihm zwischen den Lippen; die ersteifende Zunge vermochte kaum noch zu lallen; er taumelte hin und her, schlug hinten über und stürzte mit lautem Gepolter in die gähnende Grube hinab. Der Klapperbein hatte sich erhoben und starrte das Mädchen an. »Die Bertha –? Nein, Selma, Du bist's? Du hast mich vom Tod errettet! Wie kommst zu dieser Zeit herbei? Und der Ludewig auch?« »Der Vater hat befohlen, ich soll Dich um Zwölf zu ihm bestellen; ich hab's vergessen und mich erst kurz vorhin darauf besonnen. Schau nach, Anton,« flehte sie angstvoll, »er ist hinunter ins Grab; schau nach, was mit ihm ist!« »Um Zwölf sollt' ich zu ihm kommen? Schau doch, wie klug der Frieder ist! Komm, Selma, komm; geh' hinein in die Stub'. Hier kannst nicht länger sein. Ich werd' Dir das Licht anbrennen, damit Du wartest, bis wir hier fertig sind. Halt' Wach' hier bei der Grub', bis ich wiederkomm', Ludewig!« Sie widerstrebte lange, ehe es ihm halb durch Bitten, halb mit
Gewalt gelang, sie fortzubringen. Der Jüngling blieb in einer unbeschreiblichen Stimmung zurück. Durch Auge und Ohr überzeugte er sich, daß der Körper des Richters vollständig regungslos auf dem Grunde der Grube lag. Dann prüfte er das Gewicht des Kastens; dieser war sehr schwer, und ein verrätherisches Klingen ließ auf die Kostbarkeit seines Inhaltes schließen. War er wirklich mit Geld gefüllt, wem gehörte es, und wie kam er hinab in das Grab? Sein Auge glitt suchend über den Boden und traf auf einen hellen Gegenstand, welcher, wie er vorhin bemerkt hatte, dem Klapperbein im Ringen entfallen war. Er hob ihn auf und vermochte nicht, einen Ausruf der Verwunderung zu unterdrücken. Es war sein Brief an den Herrgottsengel, den er vor kaum einer Viertelstunde in den Briefkasten am Kreuzle gesteckt hatte. Rasch blickte er zur Halde auf. Die Laterne war verlöscht, zum Zeichen, daß der Brief an seine Adresse gelangt sei. Da hörte er nahende Schritte und verbarg das Schreiben in seine Tasche. »Da bin ich wieder! Ist 'was vorgekommen?« »Nein.« »So laß uns hinableuchten!« Er enthüllte die Blendlaterne und ließ ihren Schein in die Tiefe fallen. »Er ist mit dem Kopfe aufgeschlagen und in die Ohnmacht gesunken. Die Leiter hat er selbst dort aus der Eck' herbeigeholt. Komm, steig' mit hinab; er muß herauf!« Es war keine leichte Aufgabe, den schweren Mann empor zu schaffen. Sein Körper wog wie Blei, und seine Glieder waren steif und unbiegsam wie Eisen. Erst als er auf der Erde lag, war es möglich, ihn zu untersuchen. »Das ist nicht Ohnmacht, Ludewig, das ist der Tod, der sichere, starre Tod! Er hat die Selma für die gehalten, die da unten liegt, und ist darüber vor Schreck zu Stein geworden. Der Schreck ist ein gar mächtiger Gesell und hat schon Manchen niedergeworfen, der stark und rüstig war!« »Herr, mein Gott, ist's möglich? Ich kann's gar nimmer fassen!« »Es ist so; glaub' es mir! Der Schlag hat ihn getroffen und sein Blut zu Eis erstarrt. Da sieh' den Kopf, das Aug' und den ausgestreckten Arm. So hat er da gestanden und die Selma angeblickt. O, Ludewig, der Herrgott ist gar fürchterlich in seinem Zorn, und seine Gerechtigkeit macht, daß wir uns die Straf' stets
selbst bereiten. Du kannst mich nicht genau versteh'n, aber Du sollst Alles erfahren. Die Leich' muß nach Haus' getragen werden. Laß uns nur gleich berathen, was wir am Besten thun! Komm' herein!« »Zur Selma? Darf sie es denn wissen?« »Es geht nicht anders; doch müssen wir vorsichtig sein. Die Leich' bleibt einstweilen hier, aber den Kasten, den faß mit an; er muß mit in die Stub' hinein.« »Das glaub' ich auch. Es ist dem Herrgottsengel seine Geldschatull'; die dürfen wir nicht wohlfeil stehen lassen!« »Dem Herrgottsengel seine? Was meinst damit?« Der Gefragte zog den Brief hervor. »Warum hast mein Schreiben verloren, das ich auf Deine Post gegeben hab'? Richterbauers-Anton, hier liegt Einer, den das Gericht Gottes niedergestreckt hat auch mit für Das, was er uns Böses gethan. Doch der Herrgott straft nicht allein, sondern er weiß auch zu belohnen, und was dort droben am Kreuzle für gute That geschehen ist, das wird keinem Andern als nur Dir vergolten werden. Hab' ich Recht?« »Die Post am Herrgottle ist nicht um des Lohnes willen angebracht worden. Doch komm' herein. Du und die Selma, Ihr sollt erfahren, was Niemand wissen darf!« Sie gingen in das Haus zu dem in schwerer Besorgniß ihrer harrenden Mädchen. Draußen schien der Mond und blinkten die Sterne so hell wie zuvor herab in die kleine Ecke, in welcher der Richter den wohlverdienten und von ihm selbst vorbereiteten Lohn gefunden hatte. Auch das größte Glück oder Leid der Erde vermag nicht, die Bahnen des Himmels zu stören. So wandelt auch die Vorsehung in unerreichbarer Höhe und läßt sich durch keinen Spott und durch kein Sträuben ein Jota abdingen von den Gesetzen, nach denen der Sterbliche unter die unnachsichtliche Gerichtsbarkeit seiner eigenen That gestellt ist.
Des Kindes Ruf Eine Geschichte aus dem Erzgebirge von Karl May
I. Die Nachmittagsschule war aus, und die kleinen sechs- bis siebenjährigen A-B-C-Schützen rutschten fröhlich von ihren Bänken, um die unliebsame Gefangenschaft mit der goldenen Freiheit zu vertauschen. Der Lehrer hatte sich an die Thür postirt, um sich die schüchternen Händchen zum Abschiede darreichen zu lassen. »Fährmann's Paul, Deine Hand mag ich nicht!« wies er einen strammen, schwarzäugigen Lockenkopf zurück, welcher ihm mit offenem Lächeln die Finger der ausgespreizten Rechten entgegenstreckte. Der Kleine zog die Hand zurück und sah ihn fragend an. »Hast Du Dich gewaschen?« »Nein.« »Heut' nicht?« »Nein.« »Gestern auch nicht?« »Nein.« »Wann denn?« »Gar nicht.« »Und gekämmt auch nicht?« »Nein.« Er schüttelte dabei langsam den Kopf und machte eine Miene, welche deutlich besagte, daß er sich gar nicht recht erklären könne, warum irgend Jemand gewaschen und gekämmt sein müsse. »Sieh' einmal Deine Finger an, Paul; die kleben ja vor Schmutz; an Deine Füße ist der Schlamm gebacken, und in den Haaren hängt das Heu und Stroh. Schläfst Du denn auch so?« »Ja.« »Im Bette?« »Nein.« »Wo denn?« »Im Kuhstalle und – und auf dem Heuboden.« »Was?! Der Fährmann's Paul schläft im Kuhstalle?« Der gute Mann konnte nicht begreifen, warum der reichste Junge im Dorfe kein anderes und besseres Lager habe. »Und schau, wie Deine Hosen zerrissen sind, und die Jacke auch! So darfst Du mir nicht
wiederkommen, sonst bist Du ja der echte Struwelpeter! Sag's Deiner Mutter, sie soll Dich reinlicher in die Schule schicken!« Die rothen Wangen des Getadelten färbten sich jetzt noch tiefer, und seine hellen Augen wurden feucht. Mit gesenktem Kopfe schlich er sich auf die Straße, wo die Anderen sich mit theilnehmender Miene um ihn schaarten. Nur Einer schien sich über den Verweis zu freuen. »Der Fährmann's Paul ist der Struwelpeter,« rief er; »er darf nimmer so in die Schule!« Im nächsten Augenblicke hatte der Beleidigte seine Schiefertafel auf die Erde gelegt, packte den Spötter, warf ihn zu Boden und gab ihm ein paar Ohrfeigen, daß es schallte. »Da hast den Lohn, Du Galgendieb!« meinte er dann ruhig, indem er seine Habseligkeiten wieder an sich nahm. »Du bist ein Schimpfmaul und darfst nimmer mit uns spielen!« Der kleine Goliath erhielt weder Abwehr, noch Gegenrede, und das hatte seine Gründe. Der Fährmann's Paul war gar hoch angesehen bei Seinesgleichen; er fürchtete sich vor keiner Gans und vor keinem Hunde; er riß sogar vor keinem Pferde aus, und was das Beste war, er konnte so unbeschreiblich schön spielen und sann sich immer neue Dinge aus, an die selbst der Herr Lehrer gar nie gedacht hätte. Darum war er der Hauptmann von der Löffelgarde, und es gab kein größeres Unglück, als wenn er Einem das Mitthun verbot. Heute ging es gar nicht so lustig, wie sonst, auf dem Nachhausewege her. Der Paul war ganz tiefsinnig und gab fast gar keine Antwort auf die Reden, die ihm angeboten wurden. Erst am Thore seiner elterlichen Wohnung schien er sich auf das Versäumte zu besinnen. »Geht heim und holt Euch Euer Vesperbrod,« befahl er. »Nachher kommt Ihr nach dem Sandloche und bringt die Gewehre mit; wir machen Räubers!« Langsam, als sei der Weg ein schwerer für ihn, ging er nach der Stube. Das Gesinde saß beim Nachmittagskaffee; am Fenster arbeitete eine Nähterin emsig an einem buntseidenen Rocke, und in Mitten des Zimmes standen zwei riesige Backtröge auf vier Stühlen. Die Bäuerin hatte übermorgen Hochzeit; d'rum gab es jetzt zu backen und so viel zu schanzen und zu schaffen, daß man den Schweiß, der ihr auf der Stirn stand, recht wohl begreiflich finden mußte.
Sie war ein schönes Weib. Die dichten, pechschwarzen Flechten hatten sich gelockert und hingen ihr lang über den Nacken hinab; das Gesicht war voll und frisch, wie das eines jungen Mädchens; die dunkeln Augen blitzten mit lebhaftem Feuer unter den beredten Wimpern hervor; die kirschrothen Lippen ließen beim Sprechen zwei Reihen kleiner, glänzend weißer Zähne erblicken, und wie sie, hoch aufgeschürzt und mit emporgestreiften Aermeln, so vor dem Teige stand und gewandt und kräftig mit den schweren Gefäßen spielte, hätte selbst der schmuckeste Jungbursche nicht so leicht das Auge von ihr wenden können. »Mutter, ich habe Hunger!« bat schüchtern der Kleine. »Hab' keine Zeit für Dich, Du Strolch!« antwortete sie in einem Tone, als habe ein fremdes Bettelkind sie angesprochen. »Wart' bis zum Abende und geh' jetzt gleich hinaus; hier findest keinen Raum!« Der Knabe warf einen langen Blick auf die großen Schüsseln voll Rosinen, Butter und sonstigen Backerfordernissen, welche so appetitlich vor ihm standen, und sah dann sehnsüchtig nach dem Tische hinüber. »Komm her, Paul,« meinte leise eine der Mägde; »hier hast ein Stückle Brod!« Er nahm die trockene Schnitte mit dankbarem Lächeln in Empfang und schickte sich an, die Stube zu verlassen, kehrte aber noch einmal zögernd um. »Mutter, der Herr Lehrer sagt, ich muß gewaschen werden und gekämmt. Auch das Kleid ist zerrissen. Ich darf so nicht wiederkommen!« »Was sagt der Lehrer?« fragte sie, zornig aufblickend. »Willst gleich hinaus und Dich von ihm selber balsamiren lassen! Mir fehlt grad' noch, daß ich mich mit dem Schmutzvolk abzugeben hab'!« »Ich bin der Struwelpeter geschimpft worden auf der Gasse!« wagte er hinzuzufügen. »Das bist auch richtig, Du widerwärtiger Fink! Geh' fort; ich schäme mich, wenn ich Dich nur seh'!« Er blickte verlegen vor sich nieder und schlich sich dann nach dem Ofen, hinter welchem der Kamm zu finden war. »Was willst da hinten? Willst wohl noch auch den Kamm verschimpfiren und zerbrechen? Mach' Dich nur schnell hinweg, sonst sorg' ich für flinke Beine!«
Mit drohend erhobener Hand trat sie auf ihn zu. Er floh bis an die Thür, wo er im Gefühle des Unrechtes, welches ihm geschah, die muthige Bemerkung machte: »So geh' ich zur Großmutter. Die Lindenbäurin wird mich waschen!« Er kam nicht zur Thür hinaus. Sie war rasch auf ihn zu getreten und schlug ihm die vom Teige beklebte Hand in das Gesicht, daß er kopfüber zu Boden stürzte. »Was willst thun? Zum Lindenhof willst geh'n, zur alten Fährmann'sher', und Dich von der schönen Minna streicheln lassen? Hier hast Eins; das ist genug für Dich! Nun leck' den Teig ab; weiter bekommst doch nichts zur Hochzeit! Und wenn ich hör', daß Du wirklich dort gewesen bist, so nehm' ich Dich noch anders vor!« Sie öffnete die Thür und stieß ihn hinaus, daß er an die gegenüberliegende Wand taumelte und auf die harte Steinplatte niederstürzte. Er raffte sich lautlos wieder empor und hinkte nach dem Stalle, in dessen hinterster Ecke sich ein Lager von Strohgewirr befand, unter welches er seine Schulrequisiten verbarg. Nachdem er sein Stückchen Brod mit sichtlichem Appetite verzehrt hatte, zog er aus dem Stroh einen hölzernen Säbel, welchen er umgürtete, und eine Flinte hervor, schwang sie mit selbstbewußter, trotziger Miene auf die Schulter und marschirte dem Orte zu, nach welchem er die Spielkameraden bestellt hatte. Sie waren schon in voller Thätigkeit und hatten sich in Räuber und Soldaten getheilt, welche Ersteren von den Letzteren gefangen genommen werden mußten. Die Verbrecher waren bisher im Nachtheile gewesen, so daß sich die Mehrzahl von ihnen schon in Gefangenschaft befand. Als sie den Kommenden erblickten, jubelten sie ihm freudig entgegen. »Jetzt ist der Hauptmann da,« rief Einer; »der bringt die große Flint' und wird uns frei machen! Schieß', Paul; dann reißen wir aus!« »Bleibt nur immer ruhig steh'n, bis ich sie All' zu Tode getroffen hab'; ausgerissen aber wird nicht vor dem Soldatenvolk. Das wär' die größte Schand' für uns. Wer ist der oberste Corporal?« »Ich!« antwortete der Betreffende mit wichtigem Gesichte. »So kommst Du grad' zuerst daran. Paß auf; wenn ich losdrück', so mußt Du hinfallen und liegen bleiben, bis wir gewonnen haben!« Hier gab es keine Widerrede. Das war schon hundert Male so gewesen, und der Fährmann's Paul litt keinen Ungehorsam. Er schoß
die Soldaten alle todt und ließ sie erst wieder lebendig werden, als ein neues Spiel begann. »Ich thu' auch mit!« meinte da ein neu Herbeigetretener. Es war Derjenige, welcher nach der Schule eine so schnelle Bestrafung gefunden hatte. »Nein, Du bleibst davon!« wies ihn Paul zurück. »Mit Dir ist's aus für immer. Wer schimpft, der taugt zu keinem Soldaten und zu einem Räuber vollends gar nicht. Ich mag Dich auch gar nicht frei machen, wenn sie Dich eingesteckt haben!« »Da wärst Du auch der Richtige!« klang die geringschätzige Antwort. »Du kannst ja nicht einmal Deinen Vater frei machen! Er ist auch ein Räuber. Er hat die Truhe ausgeleert und sitzt nun im Zuchthaus. Schieß' ihn doch heraus, wenn Du's vermagst, Fährmann's Paul!« Er hatte kaum ausgesprochen, so fuhr ihm die Flinte des kleinen Anführers an den Kopf. »Da hast noch Eins, Du böser Bub', der Du bist! Mein Vater ist der Best' im ganzen Dorf; er ist viel besser noch, als Deiner. Er hat das Geld nicht genommen; er ist unschuldig eingesteckt; die Großmutter sagt's und die Minna auch. Und wenn ich will, da bring' ich ihn schon frei. Ich will Dir's gleich einmal zeigen!« Er rief die Knaben alle herbei. »Hört, wir spielen jetzt das Zuchthaus! Das ist noch nicht dagewesen und wird Euch gern gefallen. Ich bin einmal mit der Großmutter dort gewesen und hab' Alles gesehen, wie es ist. Dort ist das Haus, hier kommt die Mauer, und da geht es hinein in den Graben, wo das Kraut und der Salat gewachsen ist. Da haben wir den Vater d'rin gesehen, als wir vorüber gegangen sind. Sie schnitten Pflanzen heraus, und die Soldaten haben mit dem Gewehre dabei gestanden, damit Keiner davonspringen konnt'. Nun sollt Ihr seh'n, wie's geht! Macht Euch auseinander. So! Ihr seid die Soldaten, und Ihr müßt die Gefangenen machen; Du bist der Vater, und nun kann die Sach' beginnen. Ich werd' gleich laden und Alles niederschießen. Und wenn ich keine Kugel mehr hab', so schlag' ich mit dem Kolben d'rein, wie's der Vater gemacht hat, als er im Krieg gewesen ist. Der wartet auch gar nicht, bis ich gesiegt hab'; er ist stärker als alle Soldaten und macht sich los, sobald er mich nur sieht. So mußt Du's auch thun! Nun geht; der Anfang kann beginnen!«
Mit offenem Munde hatten sie der Erklärung des schönen, neuen Spieles gelauscht, und Jeder eilte jetzt auf seinen Posten. Die Flinte, welche der Paul von seinem Vater zum Geburtstage erhalten hatte, stand bei Allen in großem Respect. Man konnte wirklich mit ihr schießen, und so war ihr bei allen Unterhaltungen die erste Rolle zugetheilt. Die Befreiung des armen Gefangenen gefiel den Knaben so gut, daß sie immer von Neuem wiederholt wurde, bis die Zeit der Heimkehr herangekommen war. Da stellten sie sich in Reih' und Glied und marschirten nach dem Dorfe zurück. Vor einem Gute stand eine alte, mächtige Linde. Unter ihr saßen zwei Frauen und schauten lächelnd auf den gravitätischen Zug. »Ob der Paul nicht immer der Oberst' ist!« meinte die Jüngere, indem sie ihr gutes, blaues Auge auf die Aeltere richtete, die einen grünen Schirm über dem oberen Theile des Gesichtes trug und sich vorsichtig von den Strahlen der untergehenden Sonne gewendet hatte. »Ich kann ihn auf so weit nicht genau erkennen. Ruf' ihn doch herbei, Minna!« »Das ist gar nicht nöthig; er kommt schon ganz von selbst!« Wirklich verabschiedete der Knabe die Genossen und stolzirte dann mit wichtiger Miene herbei. »Großmutter, da bin ich! Ich hab' den Vater frei gemacht.« »Wenn Du das könntest,« seufzte die Angeredete, »so wärst Du größer, als der Advocat, der uns nichts genützt hat, und als die Männer, die ihn festhalten!« »Ich kann's, Großmutter. Ich hab's im Sandloch probirt und geh' bald nach der Stadt, um ihn heim zu bringen! Deshalb bekomm' ich auch ein Butterbrod, nicht wahr, Lindenbäurin?« »Hast wohl Hunger?« fragte die Genannte. »Großen; so groß wie noch nimmer!« »Was hast denn heut' gegessen?« »Heut' früh nichts, zu Mittag nichts und nach der Schul' ein Stückle Brod von der Magd. Die Mutter giebt mir nichts als Schläg' und Prügel. Sie kann mich nicht erseh'n, hat sie zum Reitercurt gesagt, weil ich grad' ausschau wie der Vater. Ich stand dabei und hab's vernommen. Nun mag ich sie auch nicht mehr leiden und geh' doch zu Dir, Minna, obgleich ich Straf' dafür bekomm'. Du bist mir lieber, als sie!« Sie zog ihn liebkosend an sich.
»Du armer, armer Schelm! Du bist im reichen Fährmannshof das Aschenbrödel, das sich verkriechen muß und doch nicht fortgegeben wird. Aber ich thu' doch noch, was ich mir vorgenommen hab': ich geh' zum Richter, damit er Dich von der Rabenmutter wegnimmt und zu mir giebt. Uebermorgen bekommst gar den Stiefvater; wer weiß, wie Dir's von ihm ergeht!« »Ich mag keinen Stiefvater! Ich leid' es nicht; ich werd' ihn mit der Flint' fortjagen!« »Das mußt schon leiden, Paul; dagegen giebt's nun keine Hilf'. Aber ich laß Dich nicht daheim; ich hol' Dich her zu mir. Willst?« »Ja; ich mag die Mutter nicht und auch den Reitercurt nicht, welcher sie beim Kopf faßt, wie der Vater. Er schaut mich so zornig an und schickt mich aus der Stub' und fort vom Tisch. D'rum bin ich ausgezogen und in den Stall gewichen. Gieb mir Brod, Minna, sonst muß ich weinen!« »Komm herein, Kind; Du sollst vollauf haben, was Du begehrst!« »Und waschen und kämmen mußt mich auch, sonst darf ich morgen nicht in die Schul'! Die Mutter wirft mich zur Thür hinaus, wenn ich sie darum bitt'.« Die Großmutter erhob sich und trat in das Haus. Sie wollte die Thränen verbergen, welche ihr in den schmerzenden Augen standen. Die beiden Anderen folgten ihr nach. Als der Knabe nach einiger Zeit wieder auf die Straße trat, hatte sich sein Aeußeres vortheilhaft verändert. Die Liebe, welcher er im Lindenhofe begegnete, glänzte in dem Sonnenscheine wieder, der auf seinem frohen, jetzt so sauberen Antlitze lag, und erwartungsvoll blickte er in die Fenster des Schulhauses, ob vielleicht an einem derselben der Lehrer stehe und die Besserung bemerke, die mit dem Struwelpeter vorgegangen war. Zu Hause angekommen, trug er die Flinte in den Stall und nahm die Schiefertafel zur Hand. Draußen im Garten gab es hinter dem Hollunderbaume ein schönes Plätzchen, wo ihn beim Schreiben und Malen, was er so gern that, Niemand störte, und es war noch hell genug, um das Zuchthaus zu zeichnen mit den Soldaten und dem Vater, den er frei machen wollte. Dann konnte er auch wieder in der Kammer schlafen und mit den Anderen am Tische mit essen, brauchte keinen Hunger zu leiden, der so weh that, und bekam auch ganz gewiß keine Schläge mehr.
Er ging hinaus, kroch in sein Versteck, wo er oft schon halbe Tage lang gesessen hatte, ohne daß er bemerkt worden war, und arbeitete emsig an dem Bilde, welches es geben mußte, wenn er in den Graben stieg, um zum Vater zu kommen. Er war so vertieft in seinen kindlichen Plan, daß er die Zwei, welche nach ihm in den Garten getreten waren, nicht eher bemerkte, als bis er ihre Stimmen hörte. Es war die Mutter mit dem Bräutigam. Sie hatte sich Zeit genommen, um einige Augenblicke mit ihm allein zu sein. »Ich hab' von früh bis jetzt nach Dir ausgeschaut, ob Du kommen werdest,« meinte sie mit Vorwurf. »Wo bist denn nur herumgelaufen?« »Ich war beim Bruder, der im Zuchthaus auf Commando steht. Ich muß ihn doch zur Hochzeit laden. Er hatte frei am Vormittage und ließ mich gar nicht fort. Wir sind spaziren gewesen und auch um die Gefangenschaft 'rumgegangen. Weißt, wen ich da gesehen hab'?« »Kann mir's schon denken!« antwortete sie kalt und wegwerfend. »Er darf noch immer im Freien arbeiten und hat gar jämmerlich ausgeschaut. Wer gut gehorsam ist oder krank wird, der bekommt gar oft vom Director die Erlaubniß, mit an die frische Luft zu geh'n. Er hat lange in der Arzneistub' gelegen, sagt mein Bruder, und ist so herabgekommen, daß er das Dorf wohl gar nicht wieder zu sehen bekommt.« »Das wär' das Best' für ihn und uns. Ich müßt' mich ja zu Tod schämen, wenn er wiederkäm'. Er war ein armer Schlucker, der nichts besaß, als was er auf dem Leib hatte; durch mich ist er reich geworden und so angesehen, daß er sogar mit in die große Actiengesellschaft kam und das Geld verwalten durfte. Das ist ihm in den Kopf gestiegen und hat ihn stolz und schlecht gemacht. Er hat mich nicht mehr auf den Tanz gelassen, weil es sich für eine ordentliche Frau nicht schickt, mit Jedem auf dem Saale herumzuschwenken, sagte er, und als ich ihn deshalb nicht mehr leiden konnt' und Dir gut geworden bin, da ist's vollends ganz aus gewesen. Nun hat er das Buch falsch gemacht und die Gesellschaft bestohlen und sitzt im Zuchthaus. Es ist ihm ganz recht; er mag nur immer sterben!« Bei diesen harten Worten ließ sich ein unterdrücktes Schluchzen
hinter dem Hollunder vernehmen. Es that dem Knaben weh, daß der Vater sterben sollte; er konnte seinen Schmerz nicht zurückhalten. Die Bauerin blickte durch die Zweige, faßte ihn bei den Haaren und zog ihn hervor. »Was hast hier zu lauschen, Du heimtückischer Bub'! Willst wohl grad' so ein Wicht werden, wie Dein schöner Vater, der auch nichts lieber gethan hat, als mir nachzuschleichen und auf Schritt und Tritt mich auszuhorchen? Komm heraus und zeig', was Du thust!« Sie riß ihm die Schiefertafel aus der Hand und betrachtete die seltsamen Hieroglyphen, welche er gezeichnet hatte. »Was soll denn das vorstellen? Solch' dummes Zeug bekommt Ihr wohl in der Schul' gelehrt?« »Das ist das Bild von dem Vater, wie ich ihn holen werd'!« »Ach so,« lachte sie, »Du willst ihn herausbringen! Wie soll denn das gescheh'n, Du Dummhut, der Du bist?« »Das ist nicht dumm!« vertheidigte er sich muthig. »Er darf nicht sterben; er muß heraus, und ich geh' und helfe ihm mit meiner Flint'! Ich hab's vorhin im Sandloch schon probirt; es geht ganz gut!« »Im Sandloch hast Dich herumgewälzt, so wirst wohl wieder ausseh'n wie ein –.« Sie unterbrach sich; denn erst jetzt bemerkte sie, wie sauber er vor ihr stand. »Du bist gewaschen und apart gemacht! Wer hat das gethan?« »Die Großmutter hat's gethan und die Lindenbäurin. Ich hab' sie d'rum gebeten, weil's der Herr Lehrer will, und auch mit dort gegessen.« »So, also bist doch noch bei der schönen Minna gewesen! Hab' ich Dir's nicht verboten, Du widerwilliger Schlingel Du? – Curt, nimm ihn einmal vor; Du wirst der Vater und kannst gleich heut' beginnen!« Der Bräutigam nickte zustimmend und langte nach dem Knaben. Die Husarenuniform, welche er trug, gab ihm ein gar stattliches Aussehen, und wer ihn nur nach seinem Aeußeren beurtheilte, brauchte sich nicht zu wundern, daß er der schönen Fährmannbäuerin lieber war, als ihr erster Mann, von dem sie sich hatte scheiden lassen, weil das Gericht eine mehrjährige Freiheitsentziehung über ihn verhängt hatte. Paul wich um einige Schritte zurück.
»Mutter, schlag' Du mich lieber! Der Kurt ist nicht mein Vater; ich mag ihn nicht leiden!« »Ach so, mein Junge, Du bist mir nicht gut?« meinte der Verschmähte. »Mir geht es mit Dir auch nicht anders; das hast wohl schon gemerkt, und ich will es Dir noch obendrein beweisen!« Er faßte ihn, legte ihn über das Knie und machte von der ihm zugesprochenen väterlichen Gewalt einen so kräftigen Gebrauch, daß ihm die Bäuerin Einhalt that. »Kurt, hör' auf; es ist genug für jetzt! Nun geh', Du Schlingel, und laß Dich heut' nicht wieder seh'n, sonst nehm' ich Dich noch selber vor!« Der Knabe hatte keinen Laut von sich gegeben. So wehe ihm die Schläge thaten, er wollte den Verhaßten keine Thräne sehen lassen und ging nach seinem Zufluchtsorte im Stalle. Als die Leute beim Abendbrode saßen, so daß er ungesehen fortkommen konnte, nahm er seine Flinte und schlich sich über den Hof und hinaus auf die Gasse. Es war mittlerweile dunkel geworden; er konnte unbeobachtet seinen Weg verfolgen, trabte das Dorf hinab und schlug den wohlbekannten Weg nach der Stadt ein, wo er früher öfters mit dem Vater gewesen war. Daheim war die Liebe für ihn erstorben; er wollte den holen, in dessen Herzen sie sicher mit ungeschwächter Stärke fortlebte, und seine kindliche Phantasie wußte nichts von einer Unmöglichkeit, seinen Plan auch auszuführen. So wanderte er vorwärts, ruhte zuweilen aus und dachte mit seliger Freude an den Augenblick, der ihm den Vater wiedergeben werde. Sein Muth blieb trotz des weiten Weges sich immer gleich, bis er die einige Stunden von dem Dorfe entfernte Stadt erreichte. Es war sehr spät, und nur hier und da schimmerte ihm ein einsames Licht entgegen. Er kannte die Gegend, in der das Schloß lag, welches jetzt als Landesstrafanstalt eingerichtet war; die Großmutter hatte es ihm gezeigt und war mit ihm um den Graben herumgegangen, der einst zur Befestigung des Platzes angelegt, jetzt aber mit allerlei Küchenpflanzen bebaut worden war. Hier hatte er den Vater gesehen, hier mußte er ihn auch wieder finden, so glaubte er und bog, als er die dunkle Masse des Schlosses sich seitwärts erheben sah, von der Straße ab. Als er den Graben erreicht hatte, blieb er horchend stehen. Das unheimliche Gebäude da drüben machte doch einen beengenden
Eindruck auf ihn. Langsame abgemessene Schritte ließen sich hören; sie rührten von den Außenposten her, welche zur Nachtzeit rings um das Schloß gelegt waren, um alle Communication zwischen hüben und drüben zu verhüten und dem etwaigen Ausbruche eines der Gefangenen mit der scharfgeladenen Waffe zu begegnen. Wer lief da unten? War es der Vater oder ein Anderer? Er durfte nicht rufen, sondern mußte den Mann erst sehen. Leise schlich er sich an dem Rande des Grabens vorwärts, bis er an eine Stelle kam, wo die Mauer, welche senkrecht hinunter ging, sich zu einer Böschung verflachte, die den Graben für die zuweilen nothwendigen Fuhrwerke zugänglich machte. Hier schlich er sich hinab. Das Gefühl, welches jetzt über ihn kam, machte seine Schritte vollständig unhörbar, und er kam eine ziemliche Strecke in dem Graben weiter, ehe er bemerkt wurde. Da stieß er an einen Stein. »Wer da!« rief eine laute, barsche Stimme. Er fürchtete sich und suchte auszuweichen. Jetzt sah der Posten trotz der Dunkelheit die Gestalt, welche sich in einiger Entfernung von ihm bewegte. »Halt, steh'!« gebot er. Der Angerufene begann nun grad' vor Angst zu laufen. »Halt, steh', oder ich schieße!« ertönte es. Das Gewehr klirrte. Der Knabe suchte, von Furcht getrieben, den Ort, an welchem er herabgekommen war; da krachte der Schuß. »Vater!« ertönte es laut durch die Nacht; dann brach der Getroffene zusammen.
II. Es war am Sonnabend früh. Die Anstaltsglocke gab das Zeichen, daß die Gefangenen sich vom Lager zu erheben hatten. Die Aufseher waren aus ihren in der Stadt gelegenen Privatwohnungen eingetroffen und traten in ihre Visitationen, welche während der Nacht von den Posten bewacht worden waren. »Ist etwas vorgefallen?« fragte einer von ihnen den Soldaten, welcher ihn an der Thür zur Ablösung erwartete. »Es war große Unruhe unter den Leuten, weil in der Nacht ein Schuß gefallen ist,« lautete die Antwort. »Nummer Hundertneunzig steht im Meldebuche; er ist in seiner Zelle auf und ab gegangen, obgleich ihm wiederholt geboten worden ist, sich niederzulegen.« »War er krank?« »Nein, sonst hätte er sich auf der Krankenstation gemeldet. – Wer macht die Anzeige? Sie, Herr Aufseher?« »Nein, sie ist Sache Ihres diensthabenden Unterofficiers, der sie weiter giebt, bis sie um acht Uhr an die Direction kommt. Ich habe den Betreffenden nur zurück zu halten, damit er zur Verfügung steht, wenn er zum Verhöre verlangt wird. Er ist Außenarbeiter.« Der Sprechende verabschiedete den Posten und ging dann die Zellenreihe hinab, bis er an eine Thür gelangte, über welcher ein Blechschild mit der Nummer Hundertneunzig hing. Er zog den Schlüssel hervor und öffnete. Als der Gefangene seinen Vorgesetzten erblickte, erhob er sich von dem Schemel, auf welchem er saß. Die häßliche Anstaltsmontur hatte nicht vermocht, seine vortheilhafte Gestalt zu verbergen; aber seine Wangen waren bleich und eingefallen, seine Schläfe eingesunken, und die Augen blickten trübe und verschleiert aus ihren Höhlen hervor. »Hundertneunzig, Du bist angezeigt!« »Ich? Warum, Herr Aufseher?« »Weil Du während der Nacht nicht Ruhe gehalten hast! Was machst Du denn für Dummheiten? Du hast Dich doch bisher immer gut geführt!« »Herr Aufseher, es wurde draußen im Graben geschossen, grad' unter meinem Fenster, und –«
»Das geht doch Dich nichts an! Du hast Dich Abends nieder zu legen und ruhig bis früh liegen zu bleiben, außer wenn Du Dich unwohl fühlst. Du darfst heute nicht mit zur Arbeit; denn punkt Neun mußt Du zum Herrn Direktor, um Deine Strafe zu bekommen!« »Aber ich habe doch keinen Lärm verursacht! Es war mir unmöglich, zu schlafen; denn gleich nach dem Schusse hörte ich eine –« »Schon gut; ich habe jetzt keine Zeit, auch geht mich die Sache gar nichts an! ›Wer nicht hört, der muß fühlen!‹ – das ist eine alte Regel und hier in der Anstalt noch mehr Gesetz, als draußen!« Er verschloß die Thür und entfernte sich. Der Sträfling sank auf seinen Schemel zurück, bog sich auf die Kniee hernieder und verbarg das Gesicht in die beiden Hände. Am Himmel stand die helle, goldene Morgensonne; er konnte sie nicht sehen; ihr Licht fiel nur matt durch das hoch angebrachte, schmale und vergitterte Fenster in den engen, traurigen Raum. Wer hat das Recht, dem Menschen ihren Strahl, ohne den er nicht leben kann, zu entziehen? Wer hat die fürchterliche Strafe erfunden, die ihn den Seinen entreißt einer That wegen, an der sie keinen Antheil haben? Wer wagt es, zu behaupten, daß der richterliche Schiedsspruch, welcher in die tiefsten Tiefen eines menschlichen Seins hinunterlangt, untrüglich sei? – Wie oft hatten diese Gedanken in seinem Hirne gewühlt, seinen Kerker zur unausstehlichen Hölle gemacht und jeder einzelnen der jammervoll hinschleichenden Stunden die Länge einer Ewigkeit gegeben! Er nahm die magere Morgensuppe in Empfang, ohne sie anzurühren, hörte nicht das entsetzliche Klirren der Riegel und Schlösser, diese fürchterliche Musik der »dunkeln Häuser«, und saß vollständig bewegungslos, bis ihn die Stimme des öffnenden Aufsehers aus seinem dumpfen Brüten weckte. »Hundertneunzig, hier ist die Bürste! Schmier' die Schuhe und putz' Deine Jacke; es geht zum Herrn Director!« Nachdem diese einfache Toilette vollendet war, wurde er in das Vorzimmer des Hochgebietenden transportirt, wo eine Menge Schicksalsgenossen von allen Visitationen versammelt waren, um ein jeder für irgend eine größere oder geringere Sünde gegen die Hausordnung die Strafe dictirt zu erhalten. Sie wurden nach der Nummerfolge in Reih' und Glied gestellt und in derselben Ordnung
expedirt. Als er aufgerufen und eingetreten war, fand er den Dirigenten in Unheil verkündender Stimmung. Das Verhalten seines Vordermannes trug die Schuld an ihr. »Du bist Nummer Hundertneunzig?« »Leider, Herr Director.« »Leider! Was soll das heißen?« »Das soll die Klag' bedeuten, daß ich mich in diesem Haus befind' und meinen ehrlichen Namen so ganz verloren hab', daß ich nur noch eine Ziffer bin!« »Daran ist Niemand schuld, als Du allein! Wer seine Freiheit mißbraucht und seine Menschenwürde mit Füßen tritt, der wird eingesperrt und gilt als Strafvollzugsobject, das man zur besseren Uebersicht mit einer Zahl bezeichne. Hast Du das verstanden?« »Ich bin nicht gelehrt genug, das zu begreifen, Herr Director; mein Kopf reicht nur so weit aus, zu wissen, daß ich unschuldig bin an Dem, was man mir thut. Ich habe –« »Nichts hast Du, gar nichts, als zu schweigen! Ich möchte nur einmal wissen, wie viel Unschuldige ich hier im Hause habe! Hältst Du denn Deine Vorgesetzten wirklich für so albern, einer solchen Versicherung Glauben zu schenken? Wer sein Vergehen bekennt und bereut, erweckt Vertrauen und kann noch einmal ein ehrlicher Mensch werden. Wer aber fortgesetzt leugnet, bleibt verloren und verdient die strengste Behandlung. Sie soll Dir werden! Du bist angezeigt, dem Posten ungehorsam gewesen zu sein. Warum hast Du nicht geschlafen?« »Es fiel ein Schuß –« »Der Dich aufgeweckt hat, und weil es Euch immer zu wohl ist, bist Du trotzt des mehrmaligen Verbotes die ganze Nacht spaziren gegangen. Ich werde Dir acht Tage Kostentziehung notiren!« »Ich werd' diese Strafe ruhig tragen, wie ich auch das Andere auf mich genommen hab'. Aber verdient ist sie nicht!« »Was?!« brauste der Director auf. »Willst Du etwa behaupten, daß ich Dich ungerecht behandle? Dann werde ich aus der Acht eine Vierzehn machen!« »So hab' ich's nicht gemeint! Ich denk' nur, wenn der Herr Direktor wüßt', warum ich nicht hab' ruhen können, so hätt' ich die Kostentziehung nicht bekommen, eben grad', weil ich ihn für gerecht und billig halt'! Als der Schuß gefallen ist, hat eine Kinderstimme gejammert und laut ›Vater!‹ gerufen. Das ist grad'
wie der Ton von meinem Paul gewesen; es hat mich aufgeschreckt und in der Zell' herumgetrieben, als ob er todtgeschossen wär'. Ich weiß, er ist's nicht gewesen; denn wie sollt' er von daheim her in den Graben kommen? Aber ich hab' mir nicht helfen können und die Stimm' vor dem Ohr gehabt bis jetzt zu diesem Augenblick.« »Paul heißt Dein Sohn?« Er nahm erst jetzt das vorliegende Actenheft zur Hand, um nach dem Namen der Nummer Hundertneunzig zu sehen. »Du heißt Fährmann und bist aus Oberdorf? So! Bestraft bist Du wohl noch nicht wegen eines Vergehens gegen die Hausordnung?« »Nein, Herr Director. Ich will mir meine Lag' nicht selber schwerer machen!« »Daran thust Du klug!« Seine Stimme hatte einen milderen, fast theilnehmenden Klang angenommen. »Und ebenso klug würde es sein, Dich nicht von einer Täuschung übermannen zu lassen. Ich will die Kostentziehung für diesmal wieder streichen; sieh' aber zu, daß Du nicht wieder angezeigt wirst, und geh' jetzt an Deine Arbeit!« Er wurde abgeführt und durch eine Nebenpforte in den Graben gebracht, wo mehrere Genossen mit Arbeit an den Küchenpflanzen beschäftigt waren. Sie wurden von einem Militairpiquet bewacht, da die Zahl der Aufseher nicht zur Beaufsichtigung so kleiner Abtheilungen ausreichte. Er trat mit ein und nahm die Hacke zur Hand. Aber bei allem Fleiße vermochte er nicht den Ruf loszuwerden, der ihm in die Ohren gellte, als sei der Schuß jetzt eben erst geschehen. Er befand sich wie im Fieber und hätte am liebsten fliehen und nach Hause gehen mögen, um sich zu überzeugen, daß seinem Kinde nichts geschehen sei. Da wurde das Hauptthor geöffnet, und ein leichter Federwagen fuhr aus demselben hervor. Oben am Graben gingen Leute vorüber, die beim Anblicke des Wagens stehen blieben. Man konnte deutlich jedes Wort vernehmen, welches gesprochen wurde. »Jetzt bringen sie das arme Kind,« meinte Einer. »Es muß den Vater drin in der Anstalt haben!« »Konnte denn der Posten nicht merken, daß es nur ein Knabe war?« »Es ist finster gewesen; da kann man nicht genau unterscheiden. Er hat natürlich keinen geringen Schreck gehabt, kann aber nichts
dafür, da er schießen mußte. Die Kunde von dem Unglücke war schon am frühen Morgen in der ganzen Stadt herum.« Fährmann horchte auf. Also hatte er sich doch nicht getäuscht: ein Knabe war's gewesen! Doch wem gehörte er? Der Wagen schlug die Richtung nach der Straße ein, die nach Oberdorf führte. Es war Niemand zu sehen als der Kutscher und ein Aufseher, welcher auf dem Hintersitze Platz genommen hatte. Vor ihm lag ein Bett, und an der Seitenwand ragte der Lauf eines Gewehres empor. War es Wirklichkeit, oder täuschte ihn bloß seine aufgeregte Phantasie? Er glaubte, keine militairische Waffe, sondern die Flinte zu erkennen, welche er seinem Knaben geschenkt hatte. Es wurde ihm wirbelig vor den Augen, und er mußte das Piquet bitten, sich einen Augenblick niedersetzen zu dürfen. Wie gern hätte er eine Frage ausgesprochen; doch es war bei Strafe verboten, über andere als Dienst-und Arbeitsangelegenheiten mit dem Soldaten zu reden. Diesem war der Gefangene nur ein Verbrecher, der die Strenge des Gesetzes zu empfinden hat; er fühlte sich daher nicht zur Theilnahme aufgelegt und forderte ihn baldigst auf, wieder an seine Arbeit zu gehen. Als die Glocke das Zeichen zur Mittagsmahlzeit gab, wurde die Pforte geöffnet, und das Piquet lieferte die ihm Anvertrauten im Innern der Anstalt ab. »Was hast Du für Strafe erhalten?« begrüßte der Aufseher seinen Gefangenen. Er erhielt die dienstliche Benachrichtigung gewöhnlich erst am Nachmittage zugeschickt. »Keine.« »Wirklich keine? Da hast Du von einem Glücke zu reden!« »Ich sollte Kostentziehung bekommen; aber der Herr Director hat sie wieder gestrichen, weil ich bisher noch keine Straf' erhalten hab' und weil – Herr Aufseher, wer ist heut' Nacht geschossen worden?« »Da fragst Du mich zu viel; ich kann Dir keine Antwort geben.« »Nicht? Aber wenn ich Sie nun recht sehr dringlich bitt'?« »Auch dann nicht!« »Dürfen Sie bloß mir nicht antworten?« »Nicht Dir allein, sondern jedem Gefangenen. Der Sicherheitsdienst ist ein verschwiegener, das mußt Du auch wissen, und darum wundere ich mich, daß Du überhaupt fragst.« »So sagen Sie mir wenigstens, ob mich der Schuß wohl auch
betroffen hat!« »Dich? Wie kann er das? Er ist doch nicht auf Dich gerichtet worden. Geh' jetzt in Deine Zelle und iß, das wird Dir nöthig sein; Du siehst ganz armselig aus!« »Essen? Ich kann nicht; ich hab' an eine andere Sach' zu denken!« Als sich die Thür hinter ihm geschlossen hatte, zog er den Strohsack herbei und warf sich auf das Lager, ohne den Napf, in welchem sich sein Mahl befand, nur anzusehen. Er war müde, so müde und zerschlagen, wie er sich in seinem ganzen Leben noch nicht gefühlt hatte, und doch zuckten seine Glieder unter einer Aufregung, die ihn wieder emporriß und in dem engen Raume umhertrieb. »Herr Gott im Himmel, laß mich's doch erfahren, wer's gewesen ist! Todt ist er geschossen, denn wenn er verwundet wär', so könnten sie ihn nicht forttransportiren. Es war seine Stimm' und auch ganz genau die Kinderflint, die ich ihm damals gegeben hab'. Wer weiß wie's ihm daheim ergeht, und da ist er weggegangen, um mich aufzufinden; er hat mich ja im Graben gesehen, als er an jenem Tag mit der Mutter vorüberging. Wenn er's gewesen ist, so weiß ich wahrhaftig nicht, was ich thu'. Hier halt' ich's dann nimmer aus; ich muß ihn sehen, ehe sie ihn begraben, und nehme die Flucht, wo mich keine Mauer hält, kein Gitter, kein Graben und kein Piquet.« Als er in den Hof kam, wo sich die Genossen versammelten, um wieder an den Ort ihrer Beschäftigung geführt zu werden, erkundigte er sich bei ihnen, ob sie vielleicht etwas Genaues über das nächtliche Vorkommniß erfahren hätten. Die Frage mußte heimlich ausgesprochen werden; sie erhielt keine befriedigende Antwort, denn die Direction hatte sich befleißigt, die Kunde von dem Sachverhalte nicht unter die Detinirten dringen zu lassen. Der Mann, welchem als Piquet die Beaufsichtigung der Arbeiter für den Nachmittag anvertraut war, nahm sie von dem Aufseher in Empfang, ließ sie zu Paaren antreten, öffnete die Pforte und commandirte: »Marsch, vorwärts!« Er selbst ging mit geladenem Gewehre hinter ihnen her und gebot, als sie zur Stelle waren, ein gebieterisches »Halt!« Er hatte sie vorgezählt erhalten, mußte sie zu gleicher Zahl wieder abliefern und beobachtete darum die Bewegung eines jeden
Einzelnen mit aufmerksamem Blicke. Am öftersten ruhte sein Auge auf Nummer Hundertneunzig, wobei seine Miene einen Ausdruck deutlicher Verachtung und Gehässigkeit zeigte. Dem gewöhnlichen Manne mangelt die Bildung, welche sich zu der humanen Anschauung erhebt, daß das Vergehen die äußere Folge einer inneren, moralischen Krankheit sei, an welcher der Verbrecher selbst zuweilen die geringere Schuld trägt, die ihn aber auch im schlimmsten Falle nicht aus der Reihe der menschlichen Wesen scheidet und eher Mitleid als Verachtung erwecken sollte. Der Gefangene hatte, als er ihn vorhin erblickte, das Auge bestürzt zu Boden geschlagen, und seine bleichen Wangen waren unter dem Gefühle der Scham bis an die Schläfe roth geworden. Er vermied es geflissentlich, ihn anzusehen, und hielt den Kopf so tief wie möglich zur Erde gebeugt. Sein geschwächter Zustand erlaubte ihm nicht, mit den Anderen gleichen Schritt zu halten. Der Soldat mußte ihm den guten Willen, das Gleiche zu leisten, anmerken, freute sich aber der Gelegenheit, seine Autorität geltend machen zu können. »Ist das eine Faulheit bei dem Fährmann!« raisonnirte er. »Mach' vorwärts und bleib' nicht so weit zurück, sonst schreib' ich Dich ins Anzeigebuch!« Der Getadelte antwortete nicht, gab sich aber Mühe, einem zweiten Verweise zu entgehen. Es gelang ihm nicht. »Nun, soll ich Dich eintragen oder willst Du nun endlich einmal arbeiten?« Jetzt hob der Angeredete den Kopf und sah den Sprecher mit einem Blicke an, in welchem Vorwurf und Bitte zugleich lag. »Ich bin krank gewesen, Hilbertfranz, und hab' noch nicht die Kräfte wieder!« »Was, Du nennst mich beim Namen? Ist Dir's nicht gesagt worden, daß Du mich nur ›Piquet‹ zu rufen hast? Das muß bestraft werden!« Bei dieser Drohung wurde die Gestalt des Anderen um einige Zoll höher, und sein mattes Auge begann zu leuchten. »Ich mach's grad' so wie Du! Du hast mich beim Namen gerufen und darfst nur die Nummer sagen. Zeig' mich doch an, wenn Du denkst, daß Du Recht behältst, aber zum Fürchten bringst mich wohl nicht sogleich!«
»Das wird immer besser! Wer so unverschämt ist, das Piquet ›Du‹ zu nennen, der wird arretirt. Ich werde das Signal geben, daß Du abgeholt wirst und in die Straflöcher kommst!« »Mach' Dich nicht groß, Hilbertfranz! Wenn Du den Rock weg thust, den wir respectiren müssen, weil er vom König ist, so bleibt nichts übrig, als ein Schustergesell', der als der größte Lüdrian von Oberdorf bekannt ist. Und den soll ich ›Sie‹ nennen, wie's in der Hausordnung steht? Da mag der Herr Director uns doch einen Mann herstellen, den man ehren kann!« »Gut, Du willst's nicht anders haben!« Ohne den zu Beaufsichtigenden den Rücken zuzukehren, näherte er sich der Pforte, hinter welcher einer seiner Kameraden postirt war. »Posten an der Pforte!« »Hier!« »Zwei Mann mit Unterofficier zur Arretur heraus!« Während das Verlangen von Posten zu Posten weitergegeben wurde, um auf diese Weise in die Wachtstube zu gelangen, trat der Soldat wieder näher. »Nun arbeite fort, bis sie kommen, sonst wird die Strafe doppelt!« »Fällt mir jetzt gar nicht ein! Ich bin Corporal gewesen und kenn' den Dienst so gut und noch besser, als so ein Schusterbub', der noch in die Schul' gegangen ist, als ich längst die goldne Litz' am Kragen trug. Wirst wohl ganz nach Deinem Bruder, dem schönen Reiterkurt, gerathen!« Das lange und widerstandslose Dulden hatte einen Grimm in ihm aufgehäuft, der jetzt zum vollen Ausbruche kam. Er sollte arretirt werden, und nun war es ihm gleich, ob die Strafe um Einiges größer wurde oder nicht. Die Anderen freuten sich über seinen Muth, wagten aber nicht, ihre Theilnahme zu erkennen zu geben, sondern arbeiteten emsig weiter. Auch der Soldat hatte seinen Gleichmuth verloren. »Schimpf' immer auf ihn, Du Cassenfälscher Du; er hat Dir doch die Frau hinweg genommen. Morgen ist Hochzeit, und ich bin auch geladen! Willst nicht mit hinaus?« Fährmann trat einen Schritt zurück. Er hatte die Frau, die ihm schon nach kurzer Ehe untreu wurde, längst aufgegeben; er mußte sie hassen und war ihrem Verlangen nach Scheidung mit keinem
Worte entgegengetreten. Und doch machte die Nachricht, die darauf berechnet war, ihn tief zu kränken, einen nicht geringen Eindruck auf ihn. Er dachte an sein Kind, welches von so einem zweiten Vater sicherlich nichts Gutes zu erwarten hatte. »Den Reiterkurt nimmt sie? Da greift sie selber nach der besten Straf', die sie verdient! Doch aber mein Paul, mein armer, lieber Junge, wie wird's dem nun ergehen!« »Brauchst um ihn keine Angst zu haben, denn ihm kann Keiner mehr 'was thun. Er ist heut' Nacht im Graben hier erschossen worden!« Es war eine niederträchtige Lüge, welche der Mann hier aussprach. Er hatte Pflicht und Instruction vollständig vergessen und nur dem Privathasse Raum gegeben. Seine Absicht, den Gefangenen aufs Tiefste zu verletzen, brachte eine Wirkung hervor, die ihm selbst zum größten Schaden gereichte. »Erschossen! Also doch?« rang es sich stockend zwischen den bebenden Lippen hervor. »O, Du mein lieber Gott, was hab' ich denn verbrochen, daß Du mich immer härter schlägst?« Da ertönten aus dem Innern des Gefängnißhofes laute, tactmäßige Schritte über die Mauer herüber; der zur Arretur gerufene Unterofficier nahte mit seinen Leuten. Der Schreck wich aus Fährmann's Gesicht; das Geräusch des klirrenden Schlüssels schien ihn elektrisch zu durchzucken; er war mit einem Schlage ein vollständig Anderer. »Grüß' mir das Strafloch, Schusterbursch', wenn Du an meiner Stell' hineinkommst!« klang es mit plötzlicher Entschlossenheit. Ein rascher Griff, und er hatte dem Soldaten das Gewehr aus der Hand gerissen; im nächsten Augenblicke war er schon weit entfernt und sprang mit weiten Sätzen bereits die Böschung hinan, als die drei Leute durch die geöffnete Pforte traten. »Ein Mann auf der Flucht!« rief ihnen das entwaffnete Piquet entgegen und zeigte mit der Hand nach dem Fliehenden. Der Unterofficier überblickte schnell die Situation. »Halt, – Gewehr an, – gebt Feuer!« commandirte er. Er zog die eigene Waffe in die Höhe. Drei Schüsse krachten; keiner traf. »Posten an der Pforte!« »Hier!« »Ein Gefangener entflohen, – Mannschaft zur Verfolgung. Drei
Mann zur Arretur des Piquets!« Schon hatten seine beiden Begleiter ihm die hinderlichen Gewehre übergeben, um der flüchtigen Nummer Hundertneunzig nach zu springen; wenige Augenblicke später quoll aus der Pforte die sämmtliche reserve Wachtmannschaft, durcheilte auf einen gegebenen Wink den queren Graben, kletterte, ohne den Umweg nach der Böschung zu machen, an der Mauer empor und schlug im schnellsten Laufe die Richtung nach Oberdorf ein, in welcher, schon weit entfernt, die Gestalt Fährmann's noch zu erkennen war. Nun krachte auch der übliche Böllerschuß, um die Bewohner der Umgegend auf das Geschehene aufmerksam zu machen, und zu gleicher Zeit langten die drei Arrestaten an. Einer von ihnen wurde zur Ablösung des Piquetmannes verwendet; die anderen Beiden nahmen den Letzteren zwischen sich und verschwanden, von dem Unterofficier gefolgt, hinter der Pforte. Das Kind hatte den Vater befreien wollen und trotz des nächtlichen Schusses seinen Zweck erreicht; der Ersehnte hatte seine Banden gesprengt und war dem jammernden Rufe gefolgt.
III. Im Fährmannshofe, der von morgen an das Hilbertgut genannt werden sollte, ging es schon während der Dämmerung gar lustig her. Er war ja heute Polterabend, an welchem sich die Nachbarn und Bekannten das Vergnügen zu machen pflegen, all' ihren Vorrath an altem, unbrauchbarem Topfgeschirr an der Thür des Hochzeitshauses zu zerbrechen. Die Knechte hielten sich zur lustigen Abwehr bereit und trieben dabei mit den Mägden und dem sonstigen Besuche allerlei neckische Kurzweil. In der guten Stube aber saß das Brautpaar und hielt ein ernstes Zwiegespräch. Die Bäuerin hatte jetzt Zeit dazu; die meiste Arbeit war gethan, und was noch übrig blieb, das konnte sie dem Gesinde überlassen. Sie befand sich in einer nicht sehr rosigen Laune, und das hatte seinen triftigen Grund! Die Abneigung, welche sie gegen ihren ersten Mann empfand, war auch auf dessen Kind übergegangen, ein Fall, der, so unnatürlich er erscheint, leider kein vereinzelter genannt werden kann, und hatte eine Vernachlässigung des armen Knaben zur Folge, die von jedem achtbaren Dorfbewohner mit dem größten Mißfallen bemerkt und auch besprochen wurde. Niemand aber hatte sich zur Einmischung berufen gefühlt, und selbst die brave Lindenbäuerin, welche wegen einer heimlichen Zuneigung für Fährmann unverheirathet geblieben war, hatte sich nur unter der Hand des Knaben angenommen und die Ausführung ihres Entschlusses, ihn durch das Vormundschaftsgericht sich zusprechen zu lassen, aus weiblicher Verzagtheit von einer Zeit zur anderen hinausgeschoben. Der heutige Tag aber hatte dieser Unentschlossenheit ein schnelles Ende bereitet. Die Abwesenheit Paul's war, da er unter keiner besonderen Aufsicht stand und sich Niemand groß um ihn zu bekümmern pflegte, nicht eher bemerkt worden, als bis der Wagen, der ihn von seiner Befreiungsfahrt zurückbrachte, vor dem Thore hielt. Die Kugel hatte ihn nur leicht am Kopfe gestreift, so daß für sein Leben nicht das Geringste zu befürchten war; aber der begleitende Aufseher hatte sich seines Auftrages, der nachlässigen Mutter streng zu begegnen, so gut entledigt, daß ihr die selige Hochzeitsstimmung
vollständig verloren gegangen war. Die Kunde von dem Abenteuer des unternehmenden Kindes hatte sich schnell im Dorfe verbreitet, und vor noch nicht langer Zeit war die Lindenbäuerin in Begleitung des Richters gekommen, um es provisorisch zu sich zu nehmen, da zur eigentlichen Entscheidung erst noch weiter berichtet werden mußte. Das war ein harter Schlag für die Frau vom Fährmannshofe gewesen. Ihr Mutterherz allerdings fühlte sich nicht im Geringsten verletzt, aber ihr Stolz war gedemüthigt und ihre vermeintliche Ehre gekränkt, – darum saß sie jetzt kalt und zornig an der Seite des liebeglühenden Bräutigams und wollte sich über den ihr widerfahrenen Schimpf nicht trösten lassen. »Wer ist denn schuld, daß er fortgelaufen ist? Nicht ich, sondern Du!« warf sie ihm vor. »Du hast ihn geschlagen, daß mir himmelangst geworden ist! So ein Kind ist doch kein Pferd, mit dem Ihr Reiter umspringen könnt, wie's Euch beliebt!« »Du hast mir ja befohlen, daß ich ihn hauen soll, und ich hab' noch nie vernommen, daß die Schläg' mit der Goldwag' abgemessen werden müssen! Und bin ich etwa nicht gleich fertig gewesen, als Du mir Einhalt thatest? Laß doch den Buben sein! Es ist ganz schön, daß wir ihn losgeworden sind.« »Das mein' ich auch, wenn's nur auf eine andere Art geschehen wär', und grad' zum Poltertag! Nun hab' ich das Gered' im Dorf und möcht' mich vor gar Niemand blicken lassen.« »Das macht mir keine Sorg'. Wir bleiben dennoch, wer wir sind! Hast Dich nicht gescheut, vom Mann hinwegzukommen, so brauchst Dich auch nun jetzt bei seinem Buben nicht zu ärgern!« Er hätte wohl seinen Versuch, sie zu besänftigen, weiter fortgesetzt, aber im Hofe ertönte Pferdegetrappel, und gleich darauf kam die Magd und meldete bestürzt: »Bäurin, Ihr sollt schnell herunterkommen; es ist ein – Gendarm da!« »Ein Gendarm?« »Ja, und noch dazu ein reitender!« »Was mag der wollen? Ist's auch richtig, daß er den Fährmannshof sucht?« »Ja.« »So sag', ich komm' gleich! Gehst doch mit, Kurt?« »Ich? Was soll denn ich dabei? Er hat doch nach Dir und nicht
nach mir gefragt!« »Aber ich fürcht' mich allein! Du wirst der Bauer und mußt mit!« Nur mit Widerstreben folgte er ihr. Er trug, obgleich er um den Abschied eingekommen war und denselben alle Stunden erwartete, die dralle Uniform mit großer Ostentation zur Schau. Auch fehlte es ihm nicht an persönlichem Muthe, das hatte er auf manchem Tanzsaale bewiesen; jetzt aber sah er nichts weniger als nach großen Heldenthaten aus und blieb beinahe verlegen an der Thür stehen, als sie unten eingetreten waren. Der Sicherheitsbeamte erwartete sie mitten in der Stube. Die Anwesenden saßen kleinlaut auf ihren Plätzen und harrten ängstlich der Dinge, die da kommen würden. »Sie sind die Frau vom Hause hier?« war seine erste Frage. »Ja.« »Ihr Mann ist abwesend?« »Mein Mann? Ich bin geschieden!« »Ach so! Wer ist der Herr in Uniform?« »Das – das ist mein Bräutigam.« »Ich gratulire!« Er sah sich in der Stube um und bemerkte die festlichen Vorbereitungen. »So haben Sie wohl gar Hochzeit?« »Morgen.« »Das dürfte allerdings die Sache ändern! Wann haben Sie Ihren ersten Mann zum letzten Male gesehen?« »Als er – fortgeführt wurde!« »Seitdem nicht wieder?« »Nein.« »Auch heut' nicht?« »Nein,« antwortete sie erstaunt. »Sie haben einen Knaben?« »Ja.« »Wo befindet er sich?« »Auf dem Lindenhofe.« »Warum?« »Weil ihn die Bäurin als Kind annehmen will.« Er nickte leise, als erkenne er die Wahrheit eines Gedankens, der ihm gekommen war. »Ihr Mann ist heut' aus der Gefangenschaft entsprungen; es ist sehr leicht möglich, daß er Sie aufsuchen will, und ich werde daher Ihr Gut besetzen lassen. Wer sich gegenwärtig in demselben
befindet, darf es nicht eher wieder verlassen, als bis ich die ausdrückliche Erlaubniß dazu ertheile. Sie haben wohl für mein Pferd einen Platz im Stalle? Lassen Sie es vom Knechte besorgen!« Ohne sich um den gewaltigen Eindruck, welchen seine Worte machten, zu bekümmern, schritt er nach der Thür. Sein Blick fiel schärfer in das Gesicht des Husaren; er blieb vor ihm stehen. »Mir ist, als hätten wir uns schon einmal gesprochen?« »Ja, Herr Obergendarm.« »Wo und wann ist das gewesen?« »Vor einem Jahre in der Stadt. Ich hab' – die Anzeige – über den – Fährmannbauer gemacht!« Der Beamte schien sich zu besinnen. »Richtig! Ich war damals noch Brigadier. Wurden Sie nicht in derselben Angelegenheit auch als Zeuge vernommen? Es handelte sich, glaube ich, um Cassenscheine, deren Nummer eingetragen war?« »Ja,« antwortete er immer verlegener. »Der Fall war interessant, ist mir aber nicht mehr so genau gegenwärtig. Wie waren Sie denn eigentlich in den Besitz des Geldes gekommen?« Diese Frage, ganz unverfänglich ausgesprochen, trieb in das Gesicht des Husaren eine dunkle Blutwoge, um es dann desto blässer erscheinen zu lassen. Der Gendarm mußte diesen Eindruck, welchen seine Worte machten, bemerken. »Wie – soll ich denn dazugekommen sein? Er hat mir's – geborgt!« »Ja, ja, jetzt fällt es mir ein! Und jetzt sind Sie der Bräutigam seiner Frau? So, so; ich gratulire nochmals!« Er übergab draußen sein Pferd dem Knechte und verließ dann den Hof. Die ebenso ungewöhnliche, wie scheinbar unbegründete Verlegenheit des Soldaten war seinem geübten Blicke aufgefallen; doch konnte er den Gedanken, welche sich sofort zu einem Bilde compliciren wollten, nicht Raum geben, – er war anderweit zu sehr in Anspruch genommen. Auf der Straße warteten mehrere Untergebene auf ihn; er instruirte sie und ließ sich dann von einem ihm begegnenden Dorfbewohner nach dem Lindenhofe führen. Er traf die Bäuerin nicht zu Hause. Sie war noch spät zum Nachbardorfe gegangen, wo eine Bekannte von ihr eine heilsame Wundsalbe besaß, die gar trefflich war für alle Verletzungen und
äußere Schäden. Von dieser wollte sie holen und Paul auflegen, damit sie ihm den Schmerz lindere. Obgleich sie sich gesputet hatte, brach doch bereits die Nacht herein, als sie den Rückweg antrat. Ein großer Theil desselben führte durch den Wald; doch fürchtete sie sich nicht, da sie ein gutes Mittel wußte, die Angst zu vertreiben: sie sang nach dem Tacte ihrer Schritte halblaut vor sich hin, – das fesselt die Phantasie und läßt sie auf nächtliche Täuschungen weniger achten. Ihre Stimme war als eine der besten im Orte bekannt, und sie hatte mit dem Vater Paul's in früherer Zeit gar manche schöne Kirchenarie vom Chore herab gesungen. Jetzt fiel ihr sein Lieblingslied ein; sie summte es und dachte dabei, wie schön es sein würde, wenn die alten Tage wiederkehren könnten, in denen er die Frau noch nicht lieb hatte, die ihn nur wegen seiner blanken Knöpfe nahm und dann, als er den Militairrock auszog, nicht mehr leiden konnte. Plötzlich blieb sie stehen. Es war ihr, als hätte Jemand ihren Namen ausgesprochen, gerade so, wie Der, an den sie dachte, der sich oft hinter den Zaun oder in den Busch gesteckt und sie mit heller Stimme gerufen hatte, um sie zu überraschen. »Minna!« Jetzt hörte sie das Wort deutlich. Es befand sich also wirklich Jemand hinter den Sträuchern, und es wurde ihr plötzlich so bange, daß sie fliehen wollte. »Bleib' steh'n, Minna, und sag', bist's, oder bist's nicht!« »Guter Heiland, das klingt ja grad' wie – ja, ich bin's! Wer ist denn da?« »Erschrick nicht, Minna, der Eduard ist's!« antwortete es, indem der Sprecher näher trat. »Bleib' steh'n, – ich glaub' es nicht, – es ist nicht möglich!« »Und doch ist's möglich, – hör' mich nur an! Ich bin aus der Gefangenschaft entsprungen! Wißt Ihr's noch nicht im Dorf?« Sie faltete vor Schreck ihre Hände ineinander und antwortete mit vorsichtig gedämpfter Stimme: »Kein Sterbenswort hab' ich gewußt. Ach Gott, Eduard, was hast da gethan!« »Ich hab' nicht anders gekonnt! Sie haben mir den Paul erschossen, und da bin ich fort, um ihn noch einmal zu seh'n.« »Erschossen? Das ist ja gar nicht wahr! Die Kugel hat ihm nur die Haut berührt und ein paar Haare mitgenommen.«
»Ist's wahr, Minna? Ist's gewiß auch wahr, was Du mir sagst?« fragte er mit vor Freude lauter Stimme. »Freilich ist's wahr; ich werd' doch Dir keine Lüg' sagen! Schau hier die Salb'; die würd' ich doch nicht für ihn holen, wenn er zu Tod' getroffen wär'!« »Für ihn bist fort gewesen, Minna, – für mein Kind? Sag', wo ist er zu finden? Ich muß ihn seh'n!« »Bei mir im Lindenhof. Die Mutter sitzt bei ihm und sorgt für seine Pfleg', bis ich zurückgekehrt bin.« »Was meinst für eine Mutter? Du hast ja keine mehr!« »Die Deinige. Deine Frau hat sie aus dem Haus gejagt, drum wohnt sie nun bei mir.« Er ergriff ihre Hände und drückte sie an seine Brust. »Du gute, liebe Seel', wie soll ich Dir es danken! Und den Paul hast auch zu Dir genommen?« »Seit heut' nur erst; aber ich geb' ihn nimmer wieder her, bist Du selber ihn verlangst.« »So weiß ich ihn in guten Händen! Lindenbäurin, ich hab' Dich gar zu gern gehabt, aber ich wollt' mich nicht an Dich getrauen, weil ich zu arm gewesen bin. Da ist die Andere gekommen und hat sich mit Fleiß mir an den Hals geworfen; sie ist schön, und ich hab' geglaubt, daß ich sie lieben kann. O, wärst doch Du an ihrer Stell' gewesen!« »So hast sie nicht mehr lieb, Eduard?« »Schon längst nicht mehr; sie ist auch schuld, daß ich im Zuchthaus bin; denn ohne ihr hätt' ich dem Reiterkurt nicht das Geld geborgt, worauf man meine Schuld begründet. Minna, Du bist so gut, so seelensgut, – thu' mir nun auch die Lieb' und glaub', daß ich unschuldig bin!« »Ich glaub's!« antwortete sie einfach. »Aber wie ist's nur zugegangen, daß Du verurtheilt bist?« »Das weiß ich auch nicht! Ich hab' dem Kurt fünfzig Thaler geliehen von meinem eigenen Geld, und einige Tage darauf ist der Brigadier gekommen mit dem Director von der Gesellschaft, um die Cass' zu untersuchen. Da haben achthundert Thaler gefehlt, die im Buch zu wenig eingetragen sind, und das Geld, welches der Kurt bekommen hat, ist grad' von dem gewesen, welches fehlt. Wie das zugegangen ist, das kann ich nicht begreifen! Ich darf mich auch gar nicht hineindenken, sonst geht mir der Verstand verloren! Ach,
Minna, ich wollt', ich wär' gleich todt!« »Sprich nicht so, Eduard. Der liebe Gott wird's schon noch an den Tag ziehen! Aber sag', was jetzt nun werden soll?« »Jetzt will ich ins Dorf zum Paul, und dann kehr' ich freiwillig ins Zuchthaus zurück!« Er nahm sie bei der Hand und zog sie vorwärts. Sie hatten sich so viel zu fragen und zu sagen, daß sie wenig oder gar nicht an die gegenwärtige Gefahr dachten und den Schritt erst anhielten, als sie den Rand des Waldes erreichten. »Hier muß geschieden sein, Minna. Das Dorf ist ganz gewiß mit Soldaten und Polizei umstellt. Am besten ist der Fährmannshof besetzt und auch der Deinige, weil sie meinen, daß mich der Paul hinziehen werd'. Ich würd' mich freiwillig gleich gefangen geben, wenn ich wüßt', daß sie mich ihn erst sehen lassen. Aber das thun sie nicht, und so werd' ich mich in den Lindenhof schleichen.« »Eduard, thu's lieber nicht. Sie werden Dich erschießen!« »Mich treffen sie nicht! Und wenn auch; um den Zuchthausfährmann wird kein Aug' mehr roth!« »Glaub's nicht, glaub's nicht. Du thust sonst eine Sünd'! Deine Mutter hat so um Dich geweint, daß sie bald nichts mehr sehen kann, und ich – ich – ich –« »Nun, Du? Sag's, Minna!« »Ich könnt' mich gar nie trösten!« »Ist's wahr?« »Ja. Trag' Deine Straf', Eduard, wenn Du auch unschuldig bist! Und nachher kommst Du zu mir. Wenn Alle Dich verlassen, – in meinem Haus bist stets willkommen!« Er legte den Arm um sie und zog sie an sich. Es wurde kein Wort gesprochen; der Augenblick war zu selig und zu heilig für die gewöhnliche Rede. Endlich schob er langsam ihr Köpfchen von sich ab. »Geh' jetzt, Minna, geh'; ich komm' bald nach.« »Sie schießen!« erwiderte sie angstvoll. »Nein, denn sie werden mich gar nicht seh'n. Ich kenn' den Hof und weiß die Schlich', die ich zu brauchen hab'. Wo liegt der Paul?« »In der Stub' bei meiner Kammer. Du wirst's am Licht erkennen.« »So mach' den Vorhang herab, sobald im Haus der Weg frei ist. Das Uebrige ist meine Sach'. Nun geh'!«
Sie ließ ihn mit schwerem Herzen allein; aber sie mußte ihm gehorchen. Er wartete, bis er ihre Schritte nicht mehr hörte, und näherte sich dann mit der angestrengtesten Vorsicht dem Dorfe. Die Wege waren besetzt, das merkte er schon nach kurzer Zeit; er wendete sich daher querfeldein und erreichte auch wirklich unbemerkt den zum Lindenhofe gehörigen Garten. Jenseits des Zaunes stand ein kleines Häuschen; die Eltern des Reiterkurt hatten es vor ungefähr Jahresfrist gekauft, ohne daß man so recht gewußt hätte, woher ihnen das Geld gekommen war. Sie befanden sich heute mit auf dem Fährmannshofe, und darum war kein Licht zu bemerken, obgleich die nach hinten gehenden kleinen Fenster keine Läden hatten. Der Flüchtling mußte diesseits des Zaunes an ihm vorüber. Er legte sich zur Erde und kroch langsam vorwärts. Da vernahm er von der Straße her eilige, aber leise Schritte; ein Schlüssel wurde in die Hausthür gesteckt, und nach kaum einer Minute war die enge Wohnstube von einer Lampe nothdürftig erhellt, so daß man sie vom Garten aus genügend überblicken konnte. Der Reiterkurt war eingetreten. Er hatte, um sich unkenntlich zu machen, die Uniform mit Civilkleidern vertauscht und schien große Eile zu haben. Ohne das unverhüllte Fenster zu beachten, trat er zu der alten Wanduhr, hob eines ihrer riesigen Gewichte aus und kehrte mit demselben zum Tische zurück. Es bestand aus einem hohlen Blechcylinder und war mit Blei-und Eisenstücken angefüllt. Er schüttete es vor der Lampe aus; ein kleines Päckchen, welches sich ganz unten befunden hatte, kam zum Vorscheine; er wand den Faden ab und wickelte es auf. Der Zaun war von dem Häuschen kaum vier Fuß entfernt; der Zwischenraum wurde nur zur Anhäufung des für den Winter eingesammelten Brennholzes benutzt. Fährmann mußte wissen, welche Heimlichkeit den Bräutigam seiner ehemaligen Frau so allein und eilig aus dem Hochzeitshause fortgetrieben hatte, und stand schon im Begriffe, sich über den Zaun hinüber zu beugen, obgleich er sich dadurch dem verrätherischen Lichtscheine preisgeben mußte, als er überrascht wieder zurückwich. Er hatte gesehen, daß sich hinter dem Reiterkurt die Thür bewegte. Sie wurde langsam aufgezogen, und in der Oeffnung erschien eine glänzende Uniform. Der Obergendarm war's. Vom Lindenhofe zurückkehrend, hatte
er einige Minuten recognoscirend in der Nähe gestanden und den Mann bemerkt, der so behend und vorsichtig hinter dem Dorfe heraufgekommen war. Verdacht schöpfend, folgte er ihm, trat in das jetzt offene Haus und stand nun hart hinter ihm, mit neugierigem Blicke jeder seiner Bewegungen folgend. Das Packet war geöffnet; es enthielt eine Anzahl Cassenscheine und einen Schlüssel mit alterthümlich geformtem Handtheile. Bei diesem Anblicke traten die Gedanken von vorhin wieder vor die Seele des Beamten, und mit einem raschen Griffe hielt er die Gegenstände in seiner Hand. »Der Herr Bräutigam hat es ja mit recht sonderbaren Uhrgewichten zu thun! Wie kommen Sie in diese Kleidung und hierher, da ich doch befohlen habe, daß Niemand Ihren Hof verlassen soll?« Fährmann hörte diese Worte und hatte ebenso deutlich den Schlüssel erkannt. Seine gefahrvolle Lage war vergessen; er schwang sich über den Zaun, eilte um die Ecke des Hauses und trat ein. Er kam gerade zur rechten Zeit. Der Husar hatte sich auf den Gendarm geworfen und diesen, dem der Degen im Wege war und dessen Sporen sich in der alten Stubendecke verwickelten, zur Erde gerissen. Er kniete auf ihm, hielt ihn mit der Linken bei der Kehle gefaßt und langte mit der Rechten nach dem nahestehenden Ofen, an welchem ein Beil lehnte. Das war so schnell gegangen, daß keiner von Beiden einen Laut von sich gegeben hatte. Auch der Flüchtling sprach kein Wort; er hätte in diesem Augenblicke die Stärke eines Simson entwickeln können, faßte den Verführer seines Weibes beim Nacken, riß ihn hintenüber und hielt ihn fest, bis der Beamte sich erhoben hatte. Als dieser die Anstaltskleidung erkannte, schien er einen Moment lang vollständig verblüfft, begriff die Scene dann aber desto schneller, zog eine Schnur aus der Tasche und fesselte mit Hilfe seines Retters den übermannten Gegner. Dann schob er rasch den Riegel vor die Thür und fragte: »Sie sind Nummer Hundertneunzig, oder vielmehr der Oekonom Fährmann von hier?« »Ja.« »Sie sind mein Gefangener!« »Ich hab' nichts mehr dagegen, weil ich bald ganz frei sein werd'; denn jetzt kann ich beweisen, daß ich unschuldig verurtheilt
bin!« »Wieso?« »Das ist mein Geldschrankschlüssel, der hier in der Stub' liegt; ich dacht', ich hätt' ihn verloren, aber nun seh' ich, daß der Reiterkurt ihn mir gestohlen hat und das Papiergeld dazu. Darf ich die Nummern seh'n?« Der Beamte nahm die ihm während des Kampfes entfallenen Cassenscheine von der Diele auf, warf einen eigenthümlich forschenden Blick auf ihn und las dann die Nummern vor. »Sie sind's! Sie folgen nach der Reihe und sind mir bei der Verhandlung vorgelesen worden. Nun weiß ich Alles, wie's gegangen ist! Der Kurt ist in meinen Schrank gegangen, hat im Buch meine Ziffern umgewandelt und die Summ', die ich ihm geliehen hab', in dem gestohlenen Geld vorgezeigt. So hat er mich aufs Zuchthaus und von der Frau gebracht und wär' beinah' noch der reichste Bauer im Dorf geworden! Sag's, Spitzbub', ist es so? Hier kann kein Leugnen retten!« Der Gefragte antwortete nicht; er war von dem plötzlichen Wechsel seines Schicksales vollständig betäubt. Der Gendarm öffnete das Fenster und stieß einen lauten schrillen Pfiff aus, dann fragte er: »Sie sind entsprungen, um Ihr Kind zu sehen?« »Nur allein deswegen!« »Ich habe nicht über Sie zu entscheiden und muß Sie nach dem Kleide behandeln, welches Sie tragen. Aber Sie haben mir einen großen Dienst geleistet, den ich Ihnen nicht vergessen werde. Ich bringe Sie nach der Anstalt zurück, gebe Ihnen aber die Erlaubniß, bei Ihrem Knaben sein zu können, bis ich hier meine Pflicht gethan habe. – Ja, meine Herren,« wendete er sich zu den eintretenden Untergebenen, »zwei Fliegen mit einem Schlage. Die eine halten wir fest, die andere aber werden wir in Kurzem vielleicht wieder freigeben müssen!« Nachdem er ihnen eine flüsternde Erklärung gegeben hatte, wendete er sich wieder zu Fährmann. »Gehen Sie jetzt mit diesem Herrn! Ich bin überzeugt daß wir Sie nicht zu fesseln brauchen. Sie können mit den Bewohnern des Lindenhofes ungenirt verkehren, doch wird Ihr Begleiter nicht von Ihrer Seite weichen!« Als die Beiden bei der Lindenbäuerin eintraten, erschrak sie auf
das Heftigste; doch gab ihr das Verhalten Fährmann's bald die volle Ruhe wieder. »Minna, hör', der Reiterkurt ist's gewesen, der mein Geld gestohlen hat! Ich hab' ihn jetzt mit gefangen genommen und werd' in kurzer Zeit frei sein! Grüß Gott, Mutter!« Er drückte sie Beide an sein froh bewegtes Herz und eilte dann zu seinem Knaben. Dieser saß wach im Bette und hatte seine große Flinte vor sich liegen. »Vater,« rief er jubelnd, als er ihn erblickte, und streckte ihm die beiden Aermchen entgegen, »Vater, mein lieber Vater, bist wieder da?« »Ja, da bin ich und geh' nur einmal noch ein ganz klein wenig fort!« »Hast's wohl gehört, daß ich Dich gerufen hab'?« »Freilich hab' ich's vernommen! Thut Dir Dein Kopf sehr weh'?« »Nein, jetzt nicht mehr. Die Minna hat mir Salb' aufgelegt. Sie ist so gut, viel besser als die Mutter. Sie soll meine Mutter sein; sie hat mich schon gefragt, ob ich sie will!« Die glücklichen Leute hatten vollständig Zeit, sich auszusprechen; denn es vergingen mehrere Stunden, ehe der Obergendarm erschien. Er betrachtete die Gruppe mit teilnehmendem Blicke. »Fährmann,« meinte er, »jetzt bin ich überzeugt, daß Sie unschuldig sind. Der Husar hat Alles eingestanden. Er hat Sie auf das Zuchthaus bringen wollen, damit Ihre Frau einen Scheidegrund habe. Er hat ohne Ihr Wissen auf dem Hofe Zutritt gehabt, den Schlüssel weggenommen, später die achthundert Thaler gestohlen und während Ihrer Abwesenheit im Buche aus einer Fünf eine Drei, und aus einer Sieben eine Eins gemacht, so daß die Acht herausgekommen ist. Ich war mit ihm im Fährmannshofe und auch beim jetzigen Cassirer. Das Buch ist noch vorhanden; er hat die Radirung als sein Werk anerkannt und befindet sich schon nach dem Gefängnisse unterwegs. Auch Sie werden jetzt aufbrechen; doch will ich dafür sorgen, daß es nicht auf lange ist!« – Die Anstaltsglocke gab das Zeichen, daß die Gefangenen sich zu erheben hatten, als in früher Morgenstunde der Flüchtling wieder eingeliefert wurde. Und wer heute nach Oberdorf kommt und den reichen Lindenbauer fragt, der kann erfahren, daß er schon am
Abende wieder daheim gewesen ist bei seinem Knaben, dem er die Freiheit zu verdanken hat.
Der Waldkönig Eine Erzählung aus dem Erzgebirge von Karl May
I. Der Goliath Auf der hoch im Gebirge gelegenen Endstation war der aus der Kreishauptstadt kommende Zug signalisirt. Die in saubere Hausknechtskleidung gehüllten Gasthofshyänen, welche auch dieser Erdenwinkel aufzuweisen hatte, schritten, erwartungsvoll auf ihre Beute lauernd und einander mit mißgünstigen Blicken musternd, auf dem Perron auf und ab, während einige biedere Gebirgsbewohner, welche zur Begrüßung irgend eines Angehörigen zugegen waren, sich in halb scheuer Bescheidenheit unter den Eingang zurückgezogen hatten. Der einfache Sohn der Berge kann sich nur schwer an jenes sichere, zuweilen auch anspruchsvolle Auftreten gewöhnen, welches man selbst am kleinsten Halteorte zu bemerken pflegt. Ihre Aufmerksamkeit war getheilt zwischen dem Treiben auf dem Perron und einem leichten Wagen, welcher vor dem Bahnhofe hielt. Ein derber, bausbäckiger Knecht stand vorn bei den muthigen Braunen, denen das geduldige Harren schwer zu werden schien, und am offenen Schlage lehnte eine Gestalt, welche die Aufmerksamkeit eines Vorübergehenden auf sich ziehen mußte. Sie war von wahrhaft riesigen Proportionen, die eine außergewöhnliche Körperstärke bekundeten. Der Mann ragte, wie einst Saul, um eines Kopfes Länge über alles Volk empor; seine breiten Schultern, nur von einer kurzen Tuchjacke bekleidet, der starke Nacken, welcher unverhüllt aus dem zurückgeschlagenen Hemdenkragen hervorsah, die hochgewölbte Brust, die gewaltigen Arme, welche die ganze Aermelweite ausfüllten, die kräftigen Schenkel, von einer engen Lederhose umschlossen, die sich in die weit heraufgezogenen Aufschlagestiefel verlor, sie bildeten eine beredte Warnung, mit dem Besitzer dieser Vorzüge nicht in eine feindselige Körperberührung zu kommen. Doch wurde diese Warnung bedeutend abgeschwächt durch einen Umstand, welcher zu der Furcht das Mitleid gesellen mußte: Der Mann war blind. Zwei große, glanzlose Augen blickten starr unter den buschigen Brauen hervor; die ursprünglich weiße Hornhaut zeigte eine dunkle, körnige
Färbung, und auch über die übrigen Gesichtstheile zog sich ein tüpfeliges Blauschwarz, welches ihm ein beinahe schreckliches Aussehen verlieh. Einer der Bahnbeamten war unter den Eingang getreten. »Wer ist der Herkules dort?« frug er die Dastehenden. »Kennt Ihr ihn net?« lautete die Antwort. »Aber gehört habt ihr von ihm! Es ist der Goliath aus Finsterwalde.« »Der Goliath?« »Ja, der Bachbauer, den sie den Goliath heiß'n, weil ihn kaan Mensch zu überwind'n vermag. Der Waldkönig hat ihm das Aug'nlicht hinweggeschoss'n.« Der Frager warf einen theilnehmenden Blick auf den Riesen und eilte dann davon. Das schrille Heulen der herbeieilenden Lokomotive belehrte ihn, daß der erwartete Zug nahe. Als derselbe zum Halten gebracht war, fand jeder der Harrenden seinen Gegenstand. Der Bachbauer blieb am Wagen gelehnt, aber trotz der Verunstaltung seiner Züge konnte man in ihnen die Ungeduld erkennen, mit welcher er auf die ihn umwogende Geschäftigkeit horchte. »Kommt er noch net, Baldrian?« frug er den Knecht. »Hab noch Nix von ihm gesehn. Ich kenn' ihn doch auch gar net!« »Wirst ihn schon gleich kennen: Krauskopf, rothe Backen, Sammetrock und lackirte Stulp'nstiefel, ein roth und weiß' Verbindungsband mit goldner Klunker auf der West' und die grüne Student'nmütz hoch droben im Pfiff.« »Ja, dort steht nun einer, der ist so lang und breit wie Ihr. Krauskopf und Stulp'nstiefel, das ist richtig, aber Rock, Mütz', Band und Klunker, das will net pass'n. Jetzt kommt er grad auf uns herbei!« Der junge Mann, welchen Baldrian meinte, war aus einem Coupé zweiter Klasse gestiegen und hatte sich suchend auf dem Perron umgesehen. Als er dort kein bekanntes Gesicht erblickte, schritt er dem Ausgange zu und gewahrte das Geschirr, bei welchem die Beiden standen. Einen Moment lang verschärfte sich sein Blick, dann flog es wie ein heftiger Schreck über sein hübsches, jetzt tief erbleichendes Gesicht. In der nächsten Sekunde stand er vor dem Goliath. »Vater!«
»Frieder!« Sie lagen sich in den Armen. Aus der Innigkeit der Umarmung konnte man auf die herzliche Liebe schließen, welche die Beiden verband. »Endlich, endlich bist Du wieder da, Frieder!« seufzte der Bauer auf. »Ich lass' Dich nun auch gar nimmer wieder fort. Net wahr, Du bleibst, Du böser Wandervog'l?« »Ja, Vater! Und wenn ich Dich und die Mutter auch nicht gar so lieb hätte, ich müßte doch die Stelle des Bruders ausfüllen, der – – –« »Laß' gut sein jetzt, Frieder; das ist Zeit bis nachher später!« Das Gesicht des Sprechers legte sich in düstre Falten. »Net wahr, 'hast nie gedacht, mich so zu find'n wie heut?« »Nie! Ich kann Dir gar nicht sagen, wie es mir das Herz zerreißt, das zu sehen, was zu lesen mir schon so entsetzlich war. Gebe Gott, daß noch Hülfe für Deine lieben Augen möglich ist.« »Nix ist mehr möglich, gar nix! Ich bin bei allen Doktor'n und Professor'n gewes'n und hab um Hülf gefleht wie ein Nestling, der zur Erd' gefallen ist, aber umsonst. Komm, steig' ein. Ich erzähl' Dir die Geschicht unterwegs!« »Laß mich erst den Koffer besorgen!« Nachdem dieser von dem Knecht geholt und auf den Bock befestigt worden war, stiegen Vater und Sohn ein; die Braunen zogen an, und der Wagen rollte der nahen Landstraße zu, welche höher hinauf in das Gebirge führte. Schweigend saßen sie neben einander. Der Bauer rang mit den finstern Regungen seines Innern, mit denen er seit seiner Erblindung so viel und so vergeblich gekämpft hatte und die sich jetzt von Neuem mit doppelter Gewalt in ihm aufbäumten, da er sich verurtheilt sah, auf den so lange entbehrten Anblick des geliebten Sohnes für immer verzichten zu müssen. Und Frieder, wie der Gebirgler sich den Namen Friedrich gern zurechtlegt, konnte kein Auge von der Zerstörung wenden, welche dem Gesichte des Vaters den einst so freundlichen und intelligenten Ausdruck geraubt hatte. Es wallte in ihm von Gefühlen, welche ihm heiß und feucht in das Auge traten und ihm die Hände ballten, als müsse er den unheilvollen Urheber solcher Leiden zwischen ihnen zermalmen. Der Betreffende wäre in einer solchen Lage nichts weniger als zu beneiden gewesen, denn Frieder besaß, wie der Knecht vorhin ganz
richtig bemerkt hatte, die Natur des Vaters und war diesem an jugendlicher Gewandtheit jedenfalls noch überlegen. Zwischen den Bergen rechnet man mehr mit den physischen Kräften als auf dem städtereicheren Lande, wo das geistige Vermögen den bevorzugten Faktor bildet. »So hast' also den Brief erhalt'n?« frug endlich der Bauer, als der Wagen schon längst die Stadt verlassen hatte und beinahe geräuschlos zwischen den bewaldeten Höhen dahinfuhr. »Ja, ein fürchterlicher Brief!« »Er war kurz aber schlimm. Ich konnt ihn net aufsetz'n, weil das Aug'nlicht net mehr vorhand'n war, und so hat ihn die Mutter auf's Papier gesetzt, die mit der Feder niemals viel zu Weg' gebracht hat.« »Aber warum habt Ihr mir denn nicht vorher gemeldet, daß der Bruder gestorben ist?« »Gestorb'n? Ja, gestorb'n ist er, aber wie und woran! Ich hab Dir es net kund gethan, weil ich Dir das Leid auf welche Zeit ersparen wollt' und weil ich ganz andre Ding' im Kopfe trug, als Feder und Papier. Aber jetzt sollst All's erfahr'n jetzt mußt' All's wiß'n, denn jetzt bist daheim und der Mund kann sag'n, was die Tin't net zu erzähl'n versteht.« Sein ausdrucksloses Auge starrte leer in die Weite; seine Lippen zitterten unter der Qual des Erlebten und doch noch nicht Ueberstandenen, und seine Hände drückten sich auf die hochgehende Brust, als wolle er den darin wüthenden Schmerz gewaltsam niederdrücken. Dann fuhr er fort: »Vom Waldkönig hast gehört?« »Nein. Ich war volle fünf Jahre von der Heimath abwesend, habe die weite Welt durchstreift und diese ganze Zeit von zu Hause Nichts vernommen als die letzte Botschaft, welche mich veranlaßte, schleunigst heimzukehren.« »So muß ich die Geschicht ganz von vorn anfangen! Du weißt von Kind her, daß vor vielen Jahr'n der Grenzmeister 'mal sein Wes'n hier in den Berg'n trieb. Er hatt' alle Wilderer und Schmuggler unter sich, die ihn net verrieth'n, weil sie selber nicht wußt'n, wer er eigentlich war, und weil sie die Straf' fürchteten, die er Jedem gab, den er für seinen Feind hielt. Wie Viel' von ihm erschoss'n, erstoch'n oder aufgehängt word'n sind, das ist eigentlich gar niemals herausgekommen; es hat bei ihm weder Gnad' noch Barmherzigkeit gegeb'n und kam 'mal unschuldig einer in seine
Händ', so ist ihm das Aug' geblendet word'n, damit er net im Stand' sei, den Ort und die Personen wieder zu kennen. Nachher ist er aber doch entdeckt word'n und hat ein schmählich End' genommen. Weißt' noch die Geschicht'?« »Ja. Der Schmuggel ist eine von jenen Sünden, die vom Volke durch allerhand Trugschlüsse und Spitzfindigkeiten beschönigt werden, so daß man die Pascher mit dem Heldennimbus umgiebt und vorzieht, ihnen allen möglichen Vorschub zu leisten, statt sie der wohlverdienten Strafe zu überliefern.« »Hast Recht, Frieder, und wenn es auf mich ankäm', so müßt'n sie All' am Stricke hangen. Aber thu' mir doch den Gefall'n und sprich net so vornehm wie bisher, sondern red die Sprach', die wir daheim sprech'n, sonst kommst mir fremd vor und ich weiß net, ob Du auch wirklich der Frieder bist! – Also grad wie damals mit dem Grenzmeister ist's auch jetzt mit dem Waldkönig, nur daß dieser noch viel schlimmer ist als jener. Was jetzt in einer Woch' über die Grenz' geschafft wird, das ist sonst in vielen Jahr'n net hinüber und herüberkommen, und das Wild ist beinahe ganz ausgestorb'n, weil der Waldkönig es hinwegputzt, grad wie der Bauer die Flieg'n. Ganz große Schmuggelzüg' gehn hin und her, die Leut' sind bewaffnet bis an die Zähn'; der Grenzer, der es wagt, mit ihnen anzubind'n, ist verlor'n, und wer ihnen unglücklicher Weis' begegnet, wird unschädlich gemacht, wie und womit, das sieh'st Du an mir.« »Schrecklich! Und die Obrigkeit, Vater?« »Die Obrigkeit? Die ist ganz gut und giebt sich alle Müh', aber vergebens. Hat sie mir das Aug' beschützt? Kann sie mir das Licht zurückgeb'n in der Finsterheit, die mich umgibt, wie das weite Meer den Mann, der am Strohhalm hängt? Wo soll man den König suchen und wie kann man ihn greifen und pack'n? Niemand weiß, wer er ist und wo er wohnt, er ist nirgends und doch überall, und seine Leut' sind ihm unterthan und gehorsam auf's Wort und auf den Wink. Die Förster und die Grenzer hab'n sich zusammengethan und ihm Urfehd' geschwor'n; er lacht sie all' mit 'nander aus. Niemand hat solche List und Stärk' wie er; er ist der Fuchs und der Tiger zugleich; das ist der Grund, warum ihn Keiner fängt.« »Sollt' es wirklich Niemand geb'n, der ihm die Faust auf den Nacken legt, Vater?« frug Frieder mit einem beinahe selbstbewußten Lächeln. »Keinen! Die Bachbauern sind seit Menschengedenk'n ein stark
Geschlecht gewes'n, und auch ich hab' mir auf meine Kraft viel zu gut gewußt. Der Feldbauer ist der Einz'ge, der mir fast gewachsen war, und doch sind wir Beid' unterlegen, Dein Bruder Franz und ich. Freilich weiß ich net, auf welche Weis' sie über ihn gekommen sind, und bei mir sind es gar viel gewes'n, sonst hätt' meine Faust sich schon Raum verschafft.« »Wie ist's gekommen, Vater?« »Das war so: Der Franz hat stets gut Freundschaft gehalt'n mit dem Förster, und sie sind Beid' sehr oft mit 'nander auf die Pürsch gegangen. Eines Nachts nun kommen sie net wieder heim, und am andern Morgen findet man sie an einen Baum gebund'n, der Eine hüb'n, der Andre drüb'n, und Jeder todt, die Kugel in der Brust. Die Erd' und das Gestrüpp sind rings umher zerstampft und zertreten, als hätt' ein gewalt'ger Kampf stattgefund'n, und in der Tasch steckt bei ihnen ein Zettel, darauf steht geschrieb'n: ›Zur Strafe vom Waldkönig.‹ Als sie mir nachher den Franz herbeibracht'n, ist mir's gewes'n, als ob mich einer mit der Keul' erschlüg; ich hab' alle Sinn' verlor'n, mich eingeschloss'n und nix gewußt von dem, was um mich vorgegangen ist. Erst nach dem Begräbniß hat mich die Mutter wieder hervorgebracht, und ich bin hinausgegangen auf den Friedhof zu meinem Sohn, der tief unter der Erd' gelegen hat, wo ihn mein Aug' net erreichen konnt'. Da hab ich das Gelübd' gethan, net zu ruhn und net zu rast'n, bis der Waldkönig unter mir liegt wie der Tiger unter dem Elephant, der ihn mit einem einz'gen Tritt vernichtet und zermalmt.« Die letzten Worte waren pfeifend zwischen den knirschenden Zähnen hervorgestoßen, und über das Gesicht des Erzählers zuckte ein Grimm, der alle seine Glieder erbeben machte. Frieder hatte seine beiden Hände ergriffen. »Vater,« rang es sich aus seiner hochgehenden Brust hervor, »grad so denk' und fühl' auch ich in diesem Aug'nblick, und was Dir net gelungen ist, das werd' ich um so sich'rer erreich'n; das schwör' ich Dir. Hier hast Du meine Hand darauf!« »Du – –? Geh, Bub'! Was denkst' von Dir und ihm? Du bist der kleine Student, der mir net an die Schulter reicht und dem das Studium das Mark aus Leib und Seel' genommen hat. Ich hab' es nimmer gern gehabt, Dich als hochgelehrt zu sehen, aber Du hast gute Wort' gegeben und die Mutter auch, und so ist Euch Euer Will' geschehen. Jetzt nun bin ich blind, der Franz ist todt und das
Geschlecht der Bachbauerries'n stirbt aus. Ich war der Stärkst' von All'n, drum nennt man mich den Goliath; wie aber wird man Dich heiß'n, Knirps?« Trotz der nichts weniger als lustigen Stimmung des Augenblickes zuckte ein heiteres Lächeln um das Bärtchen, welches die Lippen Frieders beschattete. »Fünf Jahr', hast's gehört, Vater, fünf volle Jahr' war ich net daheim! Denkst net, daß ich in dieser Zeit ein wenig gewachs'n bin?« »Ein wenig, ja. Aber der ächte Bachbauer wirst nie sein; der Bücherwurm hat Dir die Kraft verzehrt und die Courasch' dazu.« »So werd' ich wieder stark zu Haus'; denn nun der Franz todt ist, nehm ich die Arbeit über mich. Der Bachhof steht mir höher als die Gelehrsamkeit, es ist ja meine Heimath, und die hält man hoch.« »Frieder,« rief der Bauer, »so hör' ichs gern, und Niemand wird sich mehr darüber freu'n, als wie die Mutter! Du sollst das Aug' werd'n, mit dem ich schau und wirst auch die Hand sein, mit der ich schaff' und arbeit'. Hab Dank für dieses Wort!« Ein kräftiger Händedruck, der jeden Andern zu einem Laut des Schmerzes veranlaßt hätte, besiegelte diesen Bund; dann fuhr der Vater fort: »Es ist nachher für mich eine gar regsame Zeit gewes'n. Bei Tag hab' ich im Hof und auf dem Feld geschafft, und bei Nacht bin ich hinaus in den Wald gegangen, den Haß im Herz'n und die Büchs' auf der Schulter. Ich hab' gehorcht und gelauscht vom Abend bis zum Morg'n und nix gesehn und nix erfahr'n, als daß die Nachbarn all' die Rach' gekannt hab'n, die in mir kochte Tag und Nacht. Nur einer hat kein Mitleid mit mir gehabt, sondern über mich gelacht und gespottet, der Feldbauer, der mein Rival gewes'n ist von Jugend auf. Er trägt es mir noch heut' nach, daß die Mutter mich genommen hat und net ihn, und wo er es nur kann, da fügt er mir Verdruß und Kränkschaft bei. Die erste Frau hat er ins Grab geärgert, und die Zweit', die er als Wittwe bekommen hat, wird wohl das gleiche Loos erleiden müss'n. Mich dauert nur das arme Kind, die Martha, die er so stief behandelt, weil er der Stiefvater ist, und dennoch ist sie das schönst' und gutest' Madel weit und breit. Sie ist trotz der Feindschaft ihres Vaters 'kommen und hat der Mutter bei der Pfleg' geholf'n, als ich unter Schmerz und Qual darniederlag. Das werd' ich ihr nimmer vergess'n, so lang ich lebend bin, denn ihr Wort und Trost war grad so mild und lind wie die Hand, mit der sie mir das
Aug' verbund'n hat. Und ich hab' ihn gebraucht, den Zuspruch und den Trost, denn es war, als hätt' die Höll' in mir gebrodelt und gekocht, viel schlimmer noch als damals, als ich das Gelübd' am Grabe that.« Er holte tief Athem. Die Erinnerung stürmte auf ihn ein, und es dauerte lange, ehe er wieder ruhiger zu erzählen vermochte. »Es war in einer Mondnacht, beinah' so hell wie der Tag, als ich drunten auf der Halde saß, wo sie vor langer Zeit den alt'n Stollen zugeschüttet hab'n. Da knackt es im Gebüsch, und als ich aufschau, steht einer vor mir, breit und stark wie der Herkules, bewaffnet bis an die Zähn' und mit einer Larv' vor dem Gesicht.« »Der Waldkönig!« ruf' ich und spring empor, um die Büchs' anzuleg'n. Der aber sagt kein Wort, sondern schnellt zurück, legt den Finger an den Mund und pfeift. Ich will grad losdrück'n, doch in demselben Aug'nblick werd' ich von hint'n und von der Seit' gefaßt und zu Boden geriss'n. Sie sind über mir wie die Wölf' um das einz'ge Roß; ich schlag um mich, so viel ich kann, schüttle sie ab und spring empor, werd' wieder niedergeworf'n, und so geht der Kampf wohl zehn Minuten fort, bis ich endlich ermüdet bin und gefesselt werde. Es sind wohl an die zwanzig Mann, jeder mit der Mask' vor dem Gesicht. Ein Tuch wird mir um die Aug'n gelegt, und ein Knebel mit Gewalt in den Mund gesteckt, dann geht es fort, wohin, das weiß ich net. Halb getrag'n, halb gestoß'n und geschob'n werd' ich über eine halbe Stund weiter gezerrt, bis es wie Strauch und Dornzeug raschelt und ich eine Trepp' hinuntersteig'n muß. Dort ist's feucht und kalt; ich werd' zu Boden gelegt; und dann beginnt mit leiser Stimm' die Verhandlung über mich. Ich hör' nix als das letzte Wort davon: »Es ist genug, daß der Franz die Kugel bekam. Der Tod ist net so schlimm als wie das Andre und gibt auch keine größere Sicherheit. Er soll den Waldkönig net fangen, dafür wird gesorgt!« »Die Stimm' kommt mir bekannt vor, obgleich sie unter der Larv' erklingt und auch ganz nach Verstellung lautet, aber noch heut' kann ich mir net sag'n, wo ich sie schon 'mal vernommen hab'. Ich hör' ein Geräusch, als werd' ein Gewehr gelad'n, und dann nimmt man mir die Bind' vom Aug' hinweg. Ich blick' auf, aber da blitzt und kracht es grad vor meinem Gesicht los und ich brech' zusammen wie vom Blitz erschlag'n. Der Lauf war nur mit Pulver gelad'n; schau her, ich hab' ein gut Theil davon noch heut im Aug'
und im Gesicht! Das Weit're kannst Dir denk'n! Der Schmerz, den ich hab', wird verlacht und verhöhnt; man faßt mich an, schleppt mich empor und schafft mich in das Dorf, wo ich endlich mit Gewalt die Fesseln herunter bring' und dann auch den Knebel fortnehm'. Der Wächter kommt herbei und führt mich nach Haus'. – Das ist die Geschicht', Frieder; das Andre will ich net erzähl'n. Aber wenn ich schlaf'n geh und wenn ich erwach', so ist mein einzig Gebet, daß der liebe Gott die Gnad' und Barmherzigkeit haben mög', den Waldkönig mir in die Hand zu führ'n. Das Gewehr taugt nix mehr in meiner Hand, aber diese Hand, Frieder, diese Hand, wenn sie ihn erst ergriff'n hat, sie läßt net wieder los, er mag sich wind'n wie eine Schlang' und krümmen wie ein Wurm, sie hält ihn fest und malmt ihn zusammen wie Papier, das man zerknillt und dann zur Erde wirft! Das ist mein Gebet, mein höchster Wunsch. Der Waldkönig ist mein Gedanke am Tag' und mein Traum bei Nacht; jeder Biss'n, den ich genieß', und jeder Schluck, den ich trink', schmeckt nach ihm, jeder Laut, den ich vernehm', mahnt mich an ihn, ich hab' weder Ruh noch Rast und vermag net zu sterb'n, eh' ich weiß, daß er den Lohn bekommen hat!« Trotzdem der Wagen in raschem Trabe auf der Straße dahinrollte, hatte er sich in demselben erhoben. Er streckte die muskulösen Arme aus, als könne er den Todfeind jetzt mit ihnen erfassen; die Faust öffnete und ballte sich abwechselnd, ein sprechendes Bild der Zermalmung, von welcher er gesprochen hatte; seine Zähne mahlten hörbar aneinander; ihr Elfenbein blickte drohend zwischen den grimmig sich spaltenden Lippen hervor, und die Augen strebten starr aus ihren Höhlen, als wolle die leidenschaftlich angeregte Kraft des unverletzten Sehnerven den geblendeten Augapfel durchdringen, um auszublicken nach dem geheimnißvollen Dämon, der so viel Unglück verschuldet, so unversöhnlichem Hasse das Dasein und – vielleicht auch die Berechtigung gegeben hatte. Frieder war in die Ecke zurückgesunken. Seine Glieder wurden nicht wie diejenigen des Vaters bewegt von der gewaltigen Gährung, welche auch in seinem Innern herrschte. Aber in seinen Augen glühte es wie ein eingeschlossener Brand, welcher nur der geringsten Oeffnung bedarf, um vernichtend emporzulohen, und seine Lippen preßten sich zusammen unter dem Bestreben, diese Flamme zurückzuhalten und hinabzuringen in die Tiefe, wo er die
glühenden Wasser kochen fühlte, wie in einem Vulkane, über dessen Krater eine purpurne Aureole schwebt zum Zeichen, daß das Verderben in ihm wohne. Dem Knechte war kein einziges Wort der Unterhaltung entgangen. Dem guten Menschen stand das Wasser in den Augen. Er wußte, was sein Herr gelitten hatte und heut noch litt; das griff ihm in das treue Herz hinein, und wie sehr er sich räusperte, wie oft er sich auch mit dem Aermel über das Gesicht fuhr, die Tropfen erneuten sich immer wieder, so daß er endlich, zwischen Aerger und Beschämung kämpfend, auf die Braunen einhieb, daß sie förmlich auf der Straße dahinflogen. An einer Stelle, wo ein Vizinalweg von der Seite her in die Chaussee mündete, drehte er sich um. »Grad aus oder links?« »Fahr links ab. Wir kommen näher!« antwortete der Bauer, obgleich er den Weg nicht zu sehen vermochte. Er wußte, daß er gemeint sei und war ihn früher selbst stets gefahren, um einen guten Bruchtheil Zeit abzuschneiden. So ging es weiter. Der Wald lichtete sich zur offenen Haide, zwischen welcher das Geleis schmal und holperig dahinführte, und schon senkte sich der Weg bergab zum Dorfe, als Baldrian sich nochmals nach rückwärts wandte. »Dort kommt Einer geritt'n. Es muß der Feldbauer sein!« Er war gewohnt, dem Blinden jede Begegnung zu melden, damit dieser die Begrüßung nicht verfehle. Der Reiter, welchen er meinte, kam ihnen in scharfem Trabe entgegen. Es war eine breite, nicht zu hohe aber massive Gestalt, an welcher der nicht mehr zu junge Schimmel gerade genug zu tragen hatte. Grad vor ihnen parirte er mitten auf dem Wege das Pferd, so daß auch Baldrian zum Halten gezwungen war. »Holla, wer ist denn das? Das ist ja der Goliath mit dem Student'n, der in die weite Welt 'gangen ist, weil ihn zu Haus' Niemand gern leid'n mag! Fahrt seitwärts ab, damit anständ'ge Leut' vorüber können!« »Ihr könnt uns eher ausweich'n als wir Euch, Feldbauer,« meinte der Knecht. »Reitet ab!« »Ich Euch, Grünschnabel? Fällt mir gar net ein! Marsch auf die Seit', sonst helf ich nach!« Als Baldrian keine Miene machte, dem Gebote zu folgen, bekam der Schimmel die Sporen, der Reiter hielt im nächsten Augenblicke
neben dem Wagen und zog dem Knechte mit der Peitsche einen kräftigen Hieb über das Gesicht herüber. »So, Hallunk', da hast' was Du brauchst, um ein ander Mal zu wiss'n, wer Meister ist, Du oder ich!« »Was ist das, Feldbauer?« frug da der Blinde. »Du wagst es, mein Gesind' zu schlag'n! Könnt' ich noch sehn, so wollt' ich Dich schon heimleucht'n!« »Du mir heimleucht'n? Denkst' vielleicht, ich fürcht' mich vor Dir? Da, hast' den Hieb grad auch so wie der Knecht!« Er holte aus zum Schlage, kam aber nicht dazu. Mit einem gedankenschnellen Sprunge war Frieder aus dem Wagen und griff dem Schimmel in die Nüstern, daß er vorn emporstieg und zwar so kerzengrad, daß der Reiter zu Boden fiel. Sofort kniete der junge Mann auf diesem, entriß ihm die Peitsche und bearbeitete ihn mit derselben scheinbar so mühelos, als habe er einen Schulknaben unter sich liegen. »Frieder, Frieder, was machst'?« rief der Blinde angstvoll, welcher nicht anders glaubte, als daß die so hörbaren Schläge dem Sohne gälten. »Ich lehr' ihn Achtung vor den Bachbauern, Vater. Hab' keine Sorge um mich!« Der Feldbauer strengte seine ganze Kraft an, sich emporzubäumen und den Gegner abzuwerfen; es gelang ihm nicht. Die thatendurstige Erbitterung, welche die Erzählung des Vaters in dem Herzen Frieders hervorgerufen hatte, war durch die diesem gewordene Beleidigung zum Ausbruche getrieben worden. Der Jüngling hielt die Arme des Feindes unter den Knieen fest, drückte ihm mit der Linken die Kehle wie zwischen einem Schraubstocke zusammen und ließ mit den unaufhörlich niedersausenden Peitschenhieben nicht eher nach, als bis er fühlte, daß die Widerstandskraft des Feldbauern vollständig erlahmt sei. »So, da hast genug und bist gezeichnet für lange Zeit! Ich will Dich lehr'n, den Knecht zu schlag'n und den Vater zu schimpfir'n. Die Peitsch' nehm' ich mit zum Zeich'n, daß der Student, den Niemand leid'n mag, weit über den Feldbauer kommt, der der Liebling ist vom ganz'n Dorf. Willst' sie wieder hab'n, so kannst' sie vom Bachhof hol'n, nachher sollst' sie bekommen, aber anders net!« Er gab dem Schimmel einen Schlag, daß dieser laut wiehernd das Weite suchte, und sprang, ohne den Ueberwundenen eines
weiteren Blickes zu würdigen, schnell in den Wagen, der seinen Weg unverzüglich fortsetzte. »Frieder!« stieß der Blinde voller Erstaunen hervor. »Wunderst Dich wohl, Vater? Der Feldbauer mag Dir beinah' gewachs'n sein, wie Du vorhin gemeint hast, mir aber net! Willst' mich nun noch den ›Knirps‹ heiß'n?« »Nun sicher net! Ich hab' Dich vor mir geschaut immer nur grad so, wie Du vor fünf Jahr'n gewes'n bist, und es ist wahr, Du bist gewachs'n, Frieder. Aber einen Feind hast' Dir erworben, der Dir die Zücht'gung niemals vergeben wird!« »Ich fürcht' ihn net und nehm's mit Zweien auf von seinem Schlag!« Als der Wagen in den Bachhof, welcher der erste und größte des Dorfes war, einfuhr, stand die Bäuerin schon zum Empfange bereit. »Komm her, Anna, und nimm den Sohn wohl auf,« meinte der Blinde. »Er hat die grüne Mütz und die Klunker abgelegt und will für immer bei uns bleib'n. Ich sag' Dir, daß er ein Bachbauer werd'n wird, wie's noch keinen gegeb'n hat, denn der Mensch ist ein Ries', noch dreimal größer als der Goliath!« – –
II. Die erste Spur Es war am nächsten Sonntag. Der Gottesdienst ging zu Ende, und die Kirchgänger traten auf den Kirchhof heraus, um den gewohnten Umgang durch die Gräber zu halten und dabei die Neuigkeiten der vergangenen Woche zu besprechen. Die Stadt hat ihre Kränzchen und Brunnenversammlungen, das Dorf seine Spinnstuben und Gottesackermeetings, auf welchen Mann und Weib, Alt und Jung Gelegenheit findet, sich auszusprechen über Alles, was das Herz bedrückt oder die Neugierde befriedigt. Zweierlei beschäftigte heute die Zungen ganz besonders: die Rückkehr des Bachfrieder und der seltene Umstand, daß der Feldbauer nicht in der Kirche gewesen war. Daß Beides im engen Zusammenhange stand, wußte man bereits, nur hielt man eine eingehende Erörterung für nothwendig, aus welchem Grunde sich ein zahlreicher Kreis von Zuhörern um Baldrian versammelte, welcher an der Kirchmauer lehnte und mit wunderbaren Gestikulationen sein Erlebniß erzählte. »Ja, es war nur drei Minut'n vorher, da hat ihn mein Bauer einen Knirps genannt und er ist ganz still dazu gewes'n, und jetzt auf einmal kommt er über den Feldbauer wie Simson über die Pharisäer, oder wie die Leut' und das Dorf zur damalig'n Zeit geheiß'n hat. Das war grad wie wenn die Bulldogg' über die Maus geräth, da giebt's weder Widerstand noch Rettung, sie wird einfach zu Tod' gebiss'n und dann aufgefress'n.« »Hat sich denn der Feldhof net gewehrt?« »Gewehrt? Wo denkt Ihr denn hin? Gewollt hat er's vielleicht, aber er ist ja gar net dazu gekommen, denn der Frieder ist so unverhofft und schnell über ihn hergefall'n und hat auf ihm geleg'n wie der Ambos auf der Mück', daß er nur ein wenig mit den Beinen wackeln konnt', weiter nix.« In seinem Eifer gab der gute Baldrian der Sache etwas mehr Farbe, als unumgänglich nöthig war. »Ihr hättet nur das Gesicht seh'n soll'n, auf dem die Peitsch'
gearbeitet hat, wie das Graupelwetter auf dem Dach. Da ist Hieb auf Hieb und Schlag auf Schlag 'kommen, und die Schwiel', die ich hier über die Nas' herüber hab, hat mehr als hundert Prozent getrag'n. Der Feldbauer hat nachher auch gar net daran gedacht, sich nochmals an uns zu vergreif'n, sondern ist langsam aufgekrabbelt und dem Schimmel nachgehinkt, als wir davonfuhr'n.« »Also darum kommt er net in die Kirch', weil ihm das Gesicht gezeichnet ist. Ihm ist ganz recht gescheh'n, und nun wird er wohl net mehr so prahlig thun mit seiner Körperstärk', da er den Meister gefund'n hat.« »Er mag sich nur auch ferner fein hübsch in Acht nehmen vor dem Frieder; den hab' ich in den paar Tag'n ganz genugsam kennen gelernt! Er ist so gut und fromm wie ein Lamm, aber wenn man ihn bei der Gall' angreift, so mag man nur immer schnell die Flucht ergreif'n. Ihr solltet nur 'mal seh'n, wie lieb und lind er ist! Die Mutter hat er stets beim Kopf, und den Vater trägt er auf den Händ'n. Dazu greift er wacker an, wo's nur immer Arbeit giebt, und nämlich wie, das ist die Sach'! Im Hof, da lag ein Klotz, der Bretter geben sollt'; drei Männer konnt'n ihn kaum erschlepp'n; er aber hat ihn aufgenommen und vor's Thor geschafft, als ob's ein Schaufelstiel sei oder so 'was Aehnlich's. Den Stier nimmt er bei den Hörnern und drückt ihn zu Bod'n, daß er sich net zu rühren vermag. Und bei dieser Gütigkeit und Stärk' ist er gelehrt und geschickt, daß man sich nur wundern muß. Er hat nach Maschinen geschrieb'n und nach andern Dingen, von denen Unsereiner net 'mal den Namen kennt, und dem Bauer einen Plan über den Feldbau vorgelegt, nach dem das Land grad um die Hälft' mehr bringen muß als früher.« »Ja, klug ist er und geschickt dazu, sonst hätt' er ja gar net die Un'versität überstanden. Das Dorf hat noch niemals einen Student'n gehabt, und wir müss'n also stolz auf den Frieder sein, der bewies'n hat, daß es bei uns auch Leut' giebt, die net auf den Kopf gefall'n sind. Wie er heut die Orgel gespielt hat, so 'was Schön's ist hier noch gar nimmer gehört word'n; der Kantor ist das reine Nix geg'n ihn. Seht, dort kommen sie Beid' vom Chor herab!« Frieder wurde von allen seinen Bekannten, denen er bisher noch nicht begegnet war, mit Enthusiasmus begrüßt; er hielt sich aber nicht lang bei ihnen auf, sondern schritt dem stillen Winkel zu, wo sich die gelösten Grabstätten der Bachbauern befanden. Der Platz war von tief herabzweigenden Trauerweiden beschattet, unter denen
eine Steinbank stand, deren Sitz mit weichem Moos bekleidet war. Als er die Zweige auseinanderschlug, fiel sein Blick auf ein Mädchen, welches hier gesessen hatte und sich jetzt in halber Verlegenheit erhob. Er hatte sie schon in der Kirche bemerkt und sich von ihrer Erscheinung seltsam ergriffen gefühlt. Ihre hohe, volle Gestalt war nicht mit dem hier in der Gegend üblichen, sondern mit dem jenseits der Grenze getragenen Festtagsgewande bekleidet. Der kurze, roth und schwarz gestreifte Rock ließ einen kleinen und doch kräftig gebauten Fuß frei; um die enge Taille spannte sich eine seidene Schürze, deren zierlicher Schnitt es verrieth, daß sie nicht für den gewöhnlichen Gebrauch gefertigt sei; unter dem dunklen Jäckchen blickte das sammetne Mieder hervor, dessen Ausschnitt verrätherisch das feingefältete, blüthenweiße Hemde frei gab, welches sich in feiner Krause um den schönen Hals legte und eine wundervolle Büste leicht verhüllte. Von dem unbedeckten Kopfe hingen die mit einer einfachen Feldskabiose geschmückten, reichen Haare in zwei langen, dicken Zöpfen bis weit über die Hüften herab, und die feinen Händchen, welche jetzt das Gesangbuch umschlossen, schienen sich noch nie mit gröberer Hausarbeit beschäftigt zu haben. Wer ihr in das Gesicht blickte, hatte keine Zeit, sich bei der Betrachtung der einzelnen Theile desselben aufzuhalten, sondern fühlte sich sofort gefangen von dem Ausdrucke der Sanftmuth und Herzensgüte, welcher über ihm ausgebreitet lag. »Grüß Gott,« antwortete sie auf seinen Gruß und schlug die langen, verlegenen Wimpern langsam empor, die sich aber sofort wieder über das große, tiefblaue Auge senkten. »Sei net bös über die Störung, die ich Dir bereitet hab'!« bat er. »Ich hab' net gewußt, daß Wer hier ist. Soll ich gehn?« »Nein, bleib nur; denn ich bin's ja, die weich'n muß!« Sie schlug ihr Auge mit einem wie um Verzeihung bittenden Blicke wieder halb empor, und es war ihm, als müsse er die feinen Lider vollends heben, um dieses wunderbare Auge ganz und voll zu erblicken. »Warum mußt' denn weich'n? Bitt', sag' es mir!« »Weil dieser Ort net mir gehört, sondern Dir.« »So kennst' mich wohl?« »Ich sah Dich gestern nach der Stadt reit'n, als ich auf dem Feld'
war, und die Magd sagt' Deinen Namen.« »So darf ich wohl auch wiss'n, wie der Dein'ge lautet?« »Martha.« »Martha?« wiederholte er, selbst nicht wissend, ob freudig oder schmerzlich überrascht. »So bist' wohl gar die Martha vom Feldhof?« »Ja.« Das eine Wörtchen kam nur langsam und in einem Tone über ihre zögernden Lippen, als müsse sie um Gnade flehen, daß sie die Tochter des Feldbauern sei. Er aber trat näher und ergriff ihre Hand. »So bin ich Dir unendlich viel Dank schuldig für die große Lieb und Barmherzigkeit, die Du dem Vater und der Mutter erzeigt hast, Martha. Der liebe Gott mag's lohnen, wir können's net! Warum bist' dieser Tag' net zu uns hereingekommen?« Sie schwieg. »Darf ich's net wiss'n?« »Ich kann's net sag'n!« »Und eine Ausred' magst' auch net mach'n, denn das wär' eine Lüg', und dazu bist zu brav und stolz, net wahr? Aber lass' gut sein, Martha; ich weiß doch, was Du net sag'n willst! Der Vater hat Dir's verbot'n. Ist's so oder anders?« Sie nickte nur mit dem Kopfe, blickte aber jetzt voll und groß zu ihm empor mit einem Blicke, in welchem er eine hinter der Verlegenheit verborgene Anklage zu lesen meinte. »Hätt' ich gewußt, was ich heut' nun weiß,« entschuldigte er sich daher unwillkürlich, »so wär' der Angriff des Feldbauern net in der Weis' abgewehrt word'n, wie es geschehen ist. Aber, sag, hat er Dir net schon auch vorher verbot'n, nach dem Bachhof zu geh'n?« »Ja.« »Schaust', Martha, was ich mein'? Und dennoch bist herüber'gangen! Warum bleibst' alleweil' jetzt davon? Die Mutter hat immer groß' Sehnen nach Dir, und Du kannst ihr große Freud' bereit'n, wenn Du bald 'mal vorsprech' nmagst. Darf ich ihr sag'n, daß Du kommen willst?« »Ich weiß' noch net!« »So weiß ich jetzt, warum! Als ich net daheim war, hast' den Bachhof besucht, nun ich aber nach Haus' 'kommen bin, bleibst hinweg. Ich allein bin Schuld; Du magst mich net leid'n. Leb' wohl, Martha; das thut mir weh!«
Er ließ die Hand fahren und wandte sich zum Gehen. »Frieder!« Er drehte sich wieder zu ihr herum. »So hab' ich's net gemeint! Deine Eltern sind mir net gram, daß mein Vater solche Feindschaft hegt, denn ich kann ja nix dafür; von Dir aber hab ich net gewußt, ob auch Du so denkst wie sie; darum wollt' ich erst sehen, ob ich auch darf vor Dir.« Er legte seine Hand auf die ihrige und entgegnete in beinahe leisem Tone: »Das ist nur die halbe Offenheit! Ich bat Dich, zu kommen, und dennoch gabst' zur Antwort: ›Ich weiß noch net!‹ Fürcht'st Dich vor mir, Martha?« Jetzt zuckte ein rasches Lächeln um ihren Mund, zwischen dessen Lippen die kleinen Zähne hervorblitzten, und ihr Blick traf den seinen mit voller Aufrichtigkeit. »Ja, beinah' ganz sehr.« »Warum?« »Du bist der Mächtigst' weit und breit und dazu hast' so viel Gelehrsamkeit studirt. Soll man sich da net vor Dir fürcht'n?« »Wenn das nix Anders bringt als Furcht und Scheu, so wollt' ich, daß ich net so mächtig wär' und ungeschickt dazu. Soll das so sein, Martha?« »O nein, Frieder! Bleib, wie Du bist!« »Aber dann wirst' Dich auch ferner fürcht'n?« »Ich werd' mir die Angst abgewöhnen. Ich hab' mir den Mann, der den Vater geschlag'n hat, ganz anders vorgestellt, recht wüst, rauh und hart, net so sanft und freundlich, wie Du bist. Sag den Eltern, daß ich kommen werd'!« »Hab' Dank! Nun geh ich gern, denn ich weiß, daß ich Dich wiederseh'.« »Nein, laß mich gehn und bleib! Du kamst zum Bruder, der hier unten liegt; das ist ein fromm' und heilig Recht, das ich Dir net verkürz'n darf!« Sie reichte ihm die Hand und ging. Er bog die Zweige, welche sich hinter ihr geschlossen hatten, wieder auseinander und blickte ihr heimlich nach. An der Ecke der Kirche wandte sie sich einmal um, willenlos und ohne Absicht, wie man von einem innern Impuls getrieben wird, der sich gegen jede Aufsicht sträubt. Er bemerkte es und sah mit einem stillen, innigen Lächeln vor sich nieder.
»Das ist also die Martha, von der die Eltern so viel Lieb's und Gut's erzähl'n! Ich hab' das All's gern geglaubt, doch nun ich sie geseh'n und gesproch'n hab', weiß ich, daß sie noch mehr und noch viel besser ist. So weit ich auch gewes'n bin, eine solche Schönheit mit solcher Herzenseig'nschaft gepaart, hab' ich net gesehn, und hier auf dem abgeschied'n Dorf hätt' ich's gar nimmermehr gesucht!« Noch immer stand er und schaute nach der Ecke, hinter welcher sie verschwunden war. »Und welch' einen Vater hat dies englische Gemüth! Wär ich ihr vorher begegnet, so hätt' er keine solche Lehr' erhalt'n, die gleich auf ein- für allemal berechnet war. Freilich etwas zu stark bin ich dabei gekommen, das mag sein, aber der Grimm über den Waldkönig war da, und den Vater, der so viel erduldet hat, laß ich net verhöhnen und net schlag'n. Wer das beginnt, darf net auf Nachsicht rechnen. Ja, sie hat Recht, ich bin sanft und freundlich, aber es gibt einen Punkt in mir, den man net anstoß'n darf, das ist die Lieb' zu Vater und Mutter und all den andern Meinen. Daher ist dem Waldkönig die größte Rach' geschwor'n, denn er hat den Punkt am Stärk'sten angefaßt. Ich weiß, daß ich ihn find', ich weiß, daß ich ihn ergreif', die Ahnung sagt es mir. Der Vater hat es falsch gemacht, denn er hat alle Welt wiss'n lass'n, daß er nach ihm jagt. Von mir aber soll's Niemand erfahr'n, was ich thu, selbst die Eltern net, denn sie würd'n große Sorg' und Angst um mich empfind'n, daß es mir so geht wie dem Franz, der nun hier unter dem Hügel liegt. Aber er ist net todt, er ist net gestorb'n, sondern er lebt noch; er ist wieder erwacht in mir und wird den Mordblender zur Vergeltung bringen!« Er brach einen kleinen Zweig von dem Lebensbaum, der auf dem Grabe stand, und steckte ihn an den Hut. »Das ist die Kokard', der ich dien'; sie kommt net eher von ihrem Platz herunter, als bis meine Aufgab' erfüllt ist!« Er verließ den Kirchhof und ging nach Hause, wo das Mittagsmahl schon seiner wartete. Nach demselben verließ er den Hof wieder, um sich in den Wald zu begeben. Er brauchte einige Spannhölzer für die Wagen und hatte vom Förster den Auftrag erhalten, sich die passenden Eichen- oder Buchenstämmchen auszusuchen und zu bezeichnen. Im Freien angekommen, schlug er unwillkürlich einen Umweg ein, um den Feldhof zu vermeiden, welcher eine Strecke vor dem Dorfe lag. Droben auf der Höhe, wo das Buschwerk begann, kamen
ihm Schritte entgegen. Der Nahende war kein Andrer als der Feldbauer. Als er Frieder erkannte, blieb er mitten auf dem Pfade stehen. Sein Gesicht trug noch die vollständigen Spuren der Züchtigung, die er von dem Jüngling erhalten hatte. Sie entstellten ihn mehr als bis zur Häßlichkeit, so daß sein Wegbleiben von der Kirche gar nicht zu verwundern war. Es mußte eine sehr dringliche Angelegenheit sein, die ihn in den Wald geführt hatte. »Weich aus, Bub',« kommandirte er; »heut geht's anders als vorher!« »Ja, heut weich' ich aus, aber net weil Ihr's gebietet, sondern aus ganz andrem Grund.« »Den Grund, den kennt man schon! Leut' unvermuthet überfall'n, das kann Jeder, aber wenn er off'n angeredet wird, da geht nur ein Lump und Feigling auf die Seit'.« Frieder trat ruhig auf ihn zu, legte ihm die Hand schwer auf die Schulter und sah ihm mit blitzenden Augen in das blauroth angeschwollene Gesicht. Es lag dabei Etwas in ihm, was der Bauer nicht zu definiren vermochte, ihn aber abhielt, den allerdings auch nur vielleicht beabsichtigten Kampf zu beginnen. »Feldbauer, Ihr habt wohl kein Verständniß für noch andre und viel bess're Gründ', weg'n denen man einer Rauferei ausweicht. Und was den Lump und Feigling betrifft, so kann nur ein solcher es unternehmen, einem Blinden, der sich net zu wehr'n vermag, die Peitsch' anzubieten. Das muß ich Euch sag'n, und nun gehabt Euch wohl!« Der Bauer schob die Tabakspfeife, welche er bisher im Mund behalten hatte, schnell in die Tasche und faßte ihn am Arme. »Ihr habt noch mehr verdient als die Peitsch', Ihr alle Beid'. Nimm Dich nur in Acht, daß Du dem Waldkönig net auch in die Hand geräthst, sonst wirst mich gar nimmer lang mehr sehn. Hier hast' den Trumpf drauf!« Er schlug mit der Faust nach dem Gesicht Frieders, dieser aber parirte den Hieb und faßte dann die beiden Arme des Gegners mit einer Gewalt, daß dieser einen Laut des Schmerzes ausstieß. »Feldbauer, ich hab Euch schon gezeichnet, und Ihr wißt ganz genau, daß ich mich net vor Euch fürcht'. Darum werd' ich Euch aus dem Weg gehn, so gut ich kann, denn der Klügst' gibt nach. Erhebt Ihr aber den Arm nur noch ein einzig Mal geg'n mich, so schlag' ich hin, wo sich's gehört, und dann seid Ihr kaput!«
Er ließ ihn los, um seinen Weg fortzusetzen. Die Ruhe des Waldes gab seiner Stimmung schon nach kurzer Zeit das verlorene Gleichgewicht wieder, und der Groll wich den freundlichen Regungen, welche die Begegnung mit Martha in ihm zurückgelassen hatte. Den Blick nachdenklich zur Erde gesenkt, gewahrte er plötzlich eine Ringelnatter, welche sich quer über denselben schlängelte. Er folgte ihr zwischen die Büsche, um sie zu ergreifen, doch machte das hohe Haidekraut ihm dies so schwierig, daß sie ihm zwischen einigen Steinen entkam, welche einen jener Witterstöcke bilden, die man häufig in auf felsigem Boden stehenden Wäldern findet. Er hob den ziemlich schweren Granit in die Höhe und gewahrte – nicht die Natter, sondern einen Zettel, welcher auf dem plattgedrückten Boden lag. Auch ohne ihn aufzunehmen, konnte er deutlich die mit Bleistift geschriebenen Worte lesen: »Beim alten Stollen um 12.« Was war das? Er untersuchte den seltsamen Fund. Das Papier war weiß und sauber, als käme es erst aus dem Laden, und da der Boden hier ziemlich feucht war, so konnte es nur seit erst kurzer Zeit hier liegen. Er brachte den Zettel an seinen Ort zurück, gab dem Steine genau die frühere Lage und warf dann einen forschenden Blick auf die Umgebung. Nur einige Schritte von ihm entfernt hatte der Stößer eine Taube zerrissen, die Federn lagen auf dem Boden zerstreut und einige von ihnen in der unmittelbaren Nähe des Steines. Diese Letzteren waren im Gebrauch gewesen, wie sich gleich beim ersten Blicke zeigte: es hatte Jemand die Tabakspfeife mit ihnen gereinigt, wie sich aus dem Geruche erkennen ließ. »Der Feldbauer!« stieg es in Frieder auf, und sofort folgte eine andere Ahnung, die ihm das Blut in die Schläfen trieb, so daß er es dort vernehmbar pulsiren fühlte. »Nimm Dich nur in Acht, daß Du dem Waldkönig net auch in die Hand geräthst, sonst wirst mich gar nimmer lang mehr sehn,« klang es ihm auf einmal wieder in das Ohr und – – – Er hatte keine Zeit, den Gedanken auszudenken; ein leises Rascheln ließ sich aus der Richtung des Pfades her vernehmen, und er hatte kaum Zeit, sich unter einem jungen Tannenwuchs zu verbergen, so trat ein Mann zwischen den Büschen hervor, hob den Stein ein wenig, warf einen Blick auf den Zettel und verschwand dann so schnell, wie er gekommen war.
»Es ist so, wie ich dacht',« flüsterte Frieder in höchster Erregung. »Der König hat den Bestellort hier. Ich bleib da und wart', wer kommt!« Er versteckte sich so unter dem dichten Tannicht, daß er nicht bemerkt werden, aber selbst den Stein und seine Umgebung genau überblicken konnte. Er brauchte nicht lange zu warten, denn schon nach Kurzem wiederholte sich dieselbe Scene, und nach Verlauf von einigen Stunden hatte er neunzehn Personen gezählt, welche den Stein entfernt und den Zettel gelesen hatten. Die Meisten waren ihm fremd; aus seinem Dorfe befanden sich nur Einige darunter, und diese Wenigen waren sämmtlich als mißtrauenerregende Charaktere bekannt. Zwischen dem Erscheinen der Einzelnen lagen fast regelmäßig zehn Minuten, und nicht ein einziges Mal geschah es, daß Zwei zugleich erschienen, auch kamen und gingen sie nicht aus und nach derselben Richtung, sondern diese Richtung wurde immer rundum nach den Himmelsgegenden eingehalten. Die Leute waren allem Anscheine nach höchst pünktlich und wohl disziplinirt, und der ganze Modus schien darauf berechnet zu sein, ein Zusammentreffen streng zwischen ihnen zu vermeiden, damit nicht Einer den Andern erkenne. Aus Besorgniß, sich zu verrathen, verließ Frieder sein Versteck nicht eher, als bis die Dämmerung hereingebrochen war. Dann schlich er sich mit unhörbaren Bewegungen fort und erreichte unter Anwendung der größten Vorsicht das offene Feld. Zu Hause angekommen theilte er den Eltern nicht das Mindeste von der Entdeckung mit, zu welcher ihn die unschuldige Ringelnatter geführt hatte. Er suchte so gleichgiltig wie möglich zu erscheinen und ging nach dem Abendessen, um jede Gelegenheit zu einem verräterischen Worte zu vermeiden, in die Schenke, aus welcher er erst nach einigen Stunden heimkehrte. Eben wollte er die Pforte öffnen, als diese von innen aufgezogen wurde. »Gut' Nacht, Bachbäu'rin!« hörte er grüßen. »Gut' Nacht, Marthe. Laß Dich ja bald wieder blick'n!« Das Mädchen trat auf die Straße und blieb hier stehen, trotzdem die Pforte sich hinter ihr geschlossen hatte. Sie wandte ihr Gesicht das Dorf hinauf, grad wie Jemand, der zwar Niemand erwartet, aber durch einen geheimnißvollen Rapport immer in der Richtung des Gegenstandes seiner Gedanken gehalten wird.
»Martha!« erklang es da neben ihr; »erwart'st Wen hier auf der Straß'?« »Frieder! Wie hast' mich doch erschreckt!« »Warst' bei den Eltern drin?« »Ja. Nun siehst', daß ich bereits angefangen hab', die Furcht vor Dir zu überwind'n!« »Wird's auch vollständig gelingen?« »Das kommt nicht blos auf mich, sondern noch vielmehr auf Dich an.« »Wie so?« »Das kannst' Dir wohl net denk'n?« »Vielleicht! hör', Martha, ich werd' immer so zu Dir sein, daß die Furcht völlig verschwindet. Darf ich?« »Ja.« »Und kommst' bald wieder her?« »Sobald ich Zeit dazu find'.« »Das machst' sehr recht. Nun gut' Nacht, Martha!« »Gut' Nacht? Hast wohl sehr eilig?« »Nein; aber ich mag Dich net gern stör'n.« »Mich stör'n? Worin?« »Hast' net vorhin den Schatz erwartet?« »Frieder!« »Oder bist' allein im Dorf?« »Ja, ganz allein, heut und all'zeit. Ich hab' Niemand gesucht und also auch Niemand gefund'n, zu dem ich gehn und mit ihm plaudern möcht, als nur Deine Eltern Frieder. Willst' das glauben?« »Dir glaub ich All's, und wenn es noch so unglaublich klingt! Darf ich mitgeh'n bis hinaus zum Feldhof?« »Ja.« »So komm!« Sie schritten neben einander und ohne sich zu berühren oder ein Wort zu sprechen, dem Hofe zu. Es war Beiden genug, daß sie bei einander waren. Er konnte nicht ablassen, wieder und immer wieder in ihr schönes Angesicht zu blicken, welches im Mondlicht so zart und feenhaft aus der leichten Hülle blickte, die sie um den Kopf geschlungen hatte. Und sie konnte, wenngleich verstohlen, kein Auge verwenden von der mannhaften Gestalt, welche sich mit so rüstigen und zugleich eleganten Bewegungen an ihrer Seite hielt. Es war ihr, als könne sie so mit ihm gehen fort und immerfort, von
einem Ort, von einem Erdtheile zum andern, weit über die Erde hinaus bis in den Himmel hinein, der mit ihm doppelte Seligkeit bieten müsse. Unweit des Feldhofes blieben sie unter dem Schatten der Erlen, welche die Ufer des Baches bestanden, stehen. »Hat Dein Vater net gefragt, wohin du gehst, Martha?« »Nein. Er geht des Abends stets punkt Acht zur Ruh und schläft dann so fest und gern, daß er auch in der dringendsten Sach' net geweckt werd'n darf. Drum weiß er net, ob ich bleib' oder geh'.« »Aber die Mutter darf's wiss'n?« »Ja, und sie hat ihre Freud' daran, wenn ich sag', ich geh zu Euch. Sie hat die Dein'ge nur wenig getroff'n, aber sie hält gar große Stück' auf sie und kann gar net begreif'n, warum der Vater so groß'n Haß auf Euch geworf'n hat.« »Das kannst' erfahr'n: Er hat meine Mutter net bekommen und kann darum sie und den Vater net leid'n. Ich bin ihm heut im Wald begegnet, und er hat mich verschimpft und mit mir raufen woll'n.« »Hast' mitgethan, Frieder?« frug sie mit ängstlicher Schnelle. »Nein. Ich hab' an Dich gedacht, den Schlag abgewehrt und bin dann fortgeeilt.« »Frieder, willst' mir 'was versprech'n?« »Ja, wenn sich's mit meiner Ehr' verträgt.« »Bitt', geh ihm aus dem Weg; thu mir's zu lieb!« »Ich werd's thun; das hab' ich um Deinetwill'n ihm heut schon gesagt. Ich kann mir denk'n, daß Ihr gar Viel zu erduld'n habt, und will Euch net noch größern Gram bereit'n.« »Ach ja, Frieder, wenn Du wüßtest, wie der Vater ist! So hart, so finster, so ganz ohne Herz und Gemüth! Ich sag' nur wenig, und das Wen'ge sogar würd' ich verschweig'n, wenn's mein rechter Vater wär. Ich war noch jung, kaum aus der Schul', als er kam und die Mutter zur Frau begehrt'. Ich konnt ihn net ersehn und meinen todt'n Vater net vergess'n; darum hab ich geweint und gefleht, aber es hat nix geholf'n, denn der Oheim hat die Mutter gezwungen, ja zu sag'n.« »Gezwung'n? hat er das Recht und die Macht dazu?« »Das Recht wohl net, aber die Macht. Er ist ein großer Kaufmann drüb'n über der Grenz', und der Feldbauer ist oft kommen und hat große Rechnung mit ihm gehabt und viel Geld von ihm empfangen. Wir hab'n seit dem Tode des Vaters bei ihm gewohnt
und ich bin grad' wie das Kind gewes'n, bis mich der Bauer fragt', ob ich nun auch 'mal seine Tochter sein möcht'. Ich hab' mich gesträubt und die Mutter auch, der Oheim aber hat gemeint, er geh' zu Grund', wenn sie's net thu'. Der Bauer hat ihn in der Hand gehabt, weshalb, das weiß ich heut noch net, und um den Oheim zu errett'n, ist sie endlich mitgegangen. Jetzt nun hat sie nix als Gram und Thränen, und ich bin so angst, daß sie's net verwind'n kann. Frieder, ich hab in meinem ganzen Leb'n noch niemals Wem ein Leid gethan, aber den Vater, den Feldbauer, den – den – den hass' ich; ja ich hass' ihn, denn er kommt mir net anders vor als wie der böse Geist, dem die Mutter und ich verschrieb'n sind, damit er uns statt Glück und Fried'n nur Gram und Qual bereit'!« Sie gab sich ihren so lang zurückgehaltenen Gefühlen hin und merkte kaum, daß sie offener sprach, als es vorher ihre Absicht gewesen war. Ihre Worte hatten für Frieder einen geradezu kostbaren Werth, auch abgesehen von dem rückhaltslosen Vertrauen zu ihm, welches sie so deutlich bekundeten. Er ließ sie aussprechen, dann versuchte er den besten Trost, den er einem Charakter wie dem ihrigen zu geben vermochte. »Weißt', Martha, daß auch die bösest' Sach' eine gute Seit' besitzt?« »So wird gesagt, Frieder, aber bitt', such' mir die gute Seit'!« »Die seh' ich ganz genau; sie steht vor mir.« Sie blickte ihn fragend an. »Wie so?« »Du bist's ja selber! Schau, wenn ein großes Leid ins Herz herniedersteigt, so bleibts net leer und hohl, sondern es wächst in der Seel' ein Kristall nach dem andern und leuchtet hinauf und hinaus. Es sprieß'n tausend Blumen auf, die net verwelk'n und vergeh'n; aus jede Thrän' wird eine Perl, und jeder Pulsschlag wirft einen Diamant hervor. Der Pflug der Leid'n thut dem Acker weh, aber die Ernt' ist unsagbar reich und köstlich. Sie wächst und reift verborg'n und tritt zu Tag', wenn die Lieb' beginnt, den Strahl auf sie zu werf'n. Wer solch ein Herz besitz'n darf, der gibt's net hin für Millionen, denn jeder Blick, den es durch's Auge wirft, jedes Wort, das es durch die Lippen spricht, und jede That, die es mit der Hand beginnt, ist fromm und rein wie der Gedank', der in ihm wohnt. Da ist net eine Spur von Falschheit, Trug und Täuschung, da gibt es nix von Tand und Flitterwerk, das nur die Leerheit deckt und zur
Verachtung führt, sondern All's ist echt und wahr und lauter. Gib mir dies Herz oder all'n Reichthum, alle Macht und Ehr' der Welt, ich nehm' es fest und laß mirs nimmer rauben. Auch bei Dir ist das Leid früh eingekehrt, und Du hast bisher nur die schlimme Seit' erkannt; ich aber sah die reiche Ernt' schon kommen und preis' unendlich glücklich den, dess' Aug' den Sonnenstrahl Dir spend'n darf!« »Frieder!« Sie sprach nur dies eine Wort, aber der Athemzug, der es durch ihre Lippen trug, kam aus der tiefsten Tiefe ihres Innern und klang so voll und lang, als wolle er ihm ihre ganze Seele entgegenhauchen. Sie legte ihr tief gesenktes Köpfchen an den nahen Erlenstamm. Er sah es nicht, er hörte es nicht, nur sein Herz sagte ihm, daß sie weine. Das war jene stille, innerliche Weise, in der sie auch den häuslichen Kummer so lange Zeit hindurch getragen hatte. Er ließ sie gewähren, bis sie das Köpfchen hob und ihm langsam die Hand entgegenstreckte. »Leb wohl, Frieder. Ich darf net wieder zu Euch kommen!« »Warum net?« »Ich bin so klein, so gar nix werth; die Perl' und der Demant ist mir versagt!« »Denkst' wirklich?« »Ja, wahrhaftig!« Da zog es ihm mit Macht die Hände empor, die er segnend auf ihr Haupt legte. »O, bleib so klein und gering, dann bist' so groß und herrlich! Aber wiederkommen mußt', sonst weiß ich net, was ich beginn'. Willst', Martha?« Der Ton dieser Bitte klang so unwiderstehlich und ihr eigenes Herz mahnte so dringlich; sie nickte zustimmend. »Wenn Du gebiet'st, so muß ich folg'n, Frieder. Gut' Nacht!« »Gut' Nacht!« – Als er nach Hause kam, empfing ihn die Mutter mit sanftem Vorwurf. »Warum kommst' so spät, Frieder? Die Marthe war da; 'konnt'st auch 'mal mit ihr sprech'n!« »Laß gut sein, Mutter; sie wird Euch schon wieder besuch'n. Dann bleib ich zu Haus'.« Sie gingen schlafen. Frieder wartete, bis es im Hause ruhig war,
dann nahm er aus dem Sekretär ein Etui, in welchem ein Revolver lag. Er lud ihn vorsichtig und steckte ihn dann zu sich. »Die Büchs' paßt net zu solchem Gang, das lehrt die Geschicht' mit dem Vater. Ich nehm' hier diese Waff'; sie ist leicht zu führ'n und wird mich net verlass'n, wenn ich sie brauchen muß. O Martha, was bist' doch für ein armes, armes Kind! Ich glaub', wenn der Zweig von meinem Hut herunter ist, so hast' den Vater verlor'n. Aber sie soll nimmer erfahr'n, daß sie ihn selber verrath'n hat. Wie kommt der Feldbauer zu der Rechnung mit dem Kaufmann drüb'n und zu dem vielen Geld? Wie ist derselbe in seine Händ, gerath'n, daß er ihm sogar die Schwäg'rin und die Nicht' verkauf'n muß? Warum geht der Bauer stets punkt Acht schlafen und ist dann selbst im Nothfall net zu sprech'n? Feldbauer, ich geh Dir aus dem Weg, aber den Waldkönig, den darf und muß ich such'n; hab Acht, daß ich net Dich dabei ertapp'! Wärst' besser mit der Frau und mit dem Kind, so könnt'st vielleicht noch Gnad erhalt'n trotz dem blinden Vater; so aber hast' die Nachsicht ganz verscherzt und magst uns erlös'n von der Rach' und die Deinen von dem Unheil das Du über sie gebracht hast!« Er verließ leise den Hof und schritt dem Walde in der Richtung des alten Stollen zu. Im freien Felde benutzte er jeden Strauch und jede andere Gelegenheit zur Deckung, um nicht gesehen zu werden, und im Forste spannte er seine Sinne auf das Höchste an, jede Begegnung zu vermeiden. Beim leisesten Geräusch trat er hinter einen Stamm, bis er die Ueberzeugung hegte, daß er ohne Sorge weiter gehen könne. So kam er nur langsam vorwärts, und es war bereits Mitternacht, als er die Taubgesteinshalde erreichte, auf deren Plateau der Stollen gemündet hatte. Diese Mündung war verbaut und verschüttet worden und so dicht von Gebüsch und Dornzeug umwachsen, daß ohne Säge oder Axt unmöglich zu ihr zu gelangen war. »Hier sind sie net. Sie brauch'n ein Versteck; das ist der Stoll'n, und weil sie hier net hineingelangen können, so muß der Eingang weiter ob'n sein!« Er folgte der Richtung des unterirdischen Ganges und kam an eine Stelle, wo die Decke desselben eingebrochen war. Die dadurch entstandene trichterförmige Vertiefung war ihm von früher sehr wohl bekannt, und er wußte ganz genau, daß das nachgestürzte Land keine in den Stollen führende Oeffnung frei gelassen hatte. Doch
war keine Stelle so wie diese zum Versteck geeignet, und die menschliche Hand konnte ja nachgeholfen haben, um dasselbe so sicher wie möglich zu machen. Um den Rand des Trichters zog sich ein üppiges Hasel- und Pulverholzgesträuch, in welches er sich verbarg. Es war die höchste Zeit gewesen, denn kaum hatte er sich am Boden in eine bequeme Lage gebracht, so raschelte es ihm gegenüber und eine Gestalt trat aus dem Dickicht, deren Gesicht mit einer dunkeln Maske verhüllt war. Nachdem sie die Umgebung aufmerksam gemustert hatte, stieg sie die steile Böschung hinab und verschwand in dem unten herrschenden Dunkel, welches der seitwärts über den Bäumen stehende Mond nicht zu erhellen vermochte. Ihr folgte bald eine zweite, eine dritte, und es konnte noch nicht ein Uhr geschlagen haben, so hatte er wieder Neunzehn gezählt wie am Nachmittage. Jetzt herrschte eine Weile tiefe Stille ringsumher; dann begann es sich unten wieder zu regen; Einer nach dem Andern stiegen die Männer aus dem Dunkel empor, der Erste als Führer und Lauscher ohne Last, die Andern aber alle mit schweren Paketen beladen, den Knotenstock in der Faust, das Messer an der Seite und die Büchse nach vorn über den Nacken gehängt. Nur einen Augenblick lang blitzte hinter dem Letzten ein Lichtstrahl auf, welcher aus dem Stollen kam, dann war es wieder finster. Als die Schritte der Schmuggler verschollen waren, erhob sich Frieder. Er hatte für heut genug gesehen und mußte für jetzt von allem Weiteren absehen, da die Untersuchung des Trichters nur am Tage vorgenommen werden konnte. »Waldkönig, Deine Herrschaft neigt sich zum End'. Dein größter Find ist hinter Dir her, und Du entgehst ihm net, denn der Zweig am Hut bringt ihm Glück und Schutz!« Dieselbe Vorsicht wie vorher anwendend, kehrte er in das Dorf und zum Bachhof zurück. – – –
III. Der Buschwebel Eine volle Woche war vergangen; sie hatte Abwechslung in das Dorf gebracht. Die Kunde von der Ermordung Franzens und der Blendung seines Vaters war bis zu der obersten Behörde gedrungen, welche einsah, daß mit den bisher verfügbaren Kräften dem Treiben der Verbrecher nur schwerlich Einhalt gethan werden könne. Man beschloß daher, energischere Maßregeln zu ergreifen und schickte ein Kommando Soldaten in die Berge, um im Anschluß an das Forst-und Grenzpersonal dem Waldkönig, auf dessen Ergreifung, todt oder lebendig, ein namhafter Preis gesetzt wurde, das Handwerk zu legen. Frieder hatte sich gleich am andern Morgen wieder in den Forst begeben, um den Trichter einer möglichst genauen Untersuchung zu unterwerfen, war aber nicht auf die geringste Spur eines verborgenen Einganges gekommen. Von da ging er zum Förster, um ihm die gestern ausgesuchten Spannhölzer zu bezahlen. »Weißt' auch, daß wir Besuch bekommen?« frug dieser, als das Geschäft abgeschlossen war. »Was für einen?« »Einen gar willkomm'nen für unsre Madels, Militär.« »Ah! Wozu?« »Weg'n dem Waldkönig. Ich hab' schon gestern die amtliche Benachrichtigung erhalt'n und war vorhin beim Vorstand, der's auch schon weiß und so eb'n die Quartierlist' angefertigt hat. Zu uns nach Finsterwalde kommen zwanzig Mann unter einem Feldwebel, der zum Feldbauer gelegt wird.« »Zum Feldbauer? Warum zu dem?« »Weil er da drauß'n möglichst unbeachtet wohnt und ihn net Jedermann belauern kann. Er selber hat darum gebet'n und kann also net ganz unbekannt hier sein.« »Man wird wohl nur solche Leut' herschick'n, die in der Näh' zu Haus' sind; das ist bei ihrer Aufgab' ein großer Vortheil, den man net versäumen darf.«
»Es wird doch net der Buschwebel sein! Der Brief war unterschrieb'n, daß man den Namen gar net les'n konnt'.« »Wer ist das, der Buschwebel?« »Das ist der zweit' Sohn vom Buschbauer in Steinertsgrün. Er ist der wildest' Bub' gewes'n im ganz'n Gebirg und hatt' sich mit seinem Vater so vollständig zerschlag'n, daß er vor Aerger freiwillig zum Militär ging. Dazu hat er ganz gut gepaßt, immer lustig und fidel, leicht im Sinn aber gewandt im Dienst und dazu ein hübscher Bursch', dem Jeder gut sein muß, der die Wildheit net kennt, die still verborg'n in ihm wohnt. Im letzt'n Krieg ist er drauf und dran gegangen wie der böse Feind, und hat es auf diese Weis' bis zum Feldwebel gebracht.« »Darum wohl nennt man ihn hier, den Nam' und Grad zusammenfassend, den Buschwebel?« »Ja, darum! Bei seinen Vorgesetzt'n ist er hochbeliebt, weil sie wiss'n, daß er gradwegs in die Höll' hinuntergeht, wenn sie ihn schick'n, und darum hat man grad ihn und keinen Andern zum Grenzdienst auserles'n. Mir ist dies gar net sehr genehm, denn ich weiß vorher, daß ich net mit ihm verkomm', und doch gebietet's der Dienst, daß wir gar oft mit ihm verkehr'n.« »So kennst' ihn schon persönlich?« »So ziemlich. Er steht in der Kreisstadt und kam nach Steinertsgrün auf Urlaub. Sein Vater ist jetzt stolz auf ihn und hat sich völlig mit ihm ausgesöhnt. Dort hat er 'mal die Martha vom Feldhof gesehn, die da Gevatter war, und ist ihretweg'n herüber 'kommen auf ein paar Tag'. Da ist's gar sauber hergegangen in der Schenk; das Madel hat ihn net angesehn, und weil er da nun abziehn mußt', wird er jetzt die Gelegenheit ergreif'n, den Versuch nochmals zu mach'n.« »Das wird ihm der Feldbauer schon verleid'n!« »Wer weiß! Der Buschhof in Steinertsgrün, der 'mal nur unter Zwei'n getheilt wird, ist seine sechzigtausend Thaler werth unter Brüdern, und sodann kann man ja net in die Verhältniss' blick'n, die bei solcher Sach' den Vorschub leist'n. Mich geht's nix an; die Hauptsach' ist, daß wir den Waldkönig los werd'n, und dazu sind nun alle Zügel angespannt. Auch das Waff'nverbot ist da. Wer mit Messer oder sonst'gem Gewehr in Wald und Flur betroff'n wird, kommt sofort zur Arretur, und greift er zur Waff', wird er augenblicklich niedergeschoss'n.«
»Wie nun, wenn ich durch den Wald geh und das Pistol bei mir trag' zur Vertheidigung, falls ich angegriff'n werd'?« »So mußt' den Waff'npaß lös'n. Doch willst' das net, so bin ich ja da! Dein Bruder ist, als ich noch Substitut hier war, fast täglich mit uns ins Revier gegangen. Kannst's auch so halt'n, und bist allein 'mal drauß'n, so verantwort ich das Gewehr.« »Ich nehm' das an, Förster, denn ohne Waff' geh ich net in den Wald von weg'n dem Haß, den der Waldkönig auf uns geworf'n hat.« Zu Hause fand er die Mutter schon beschäftigt, sich auf die unterdessen angesagte Einquartierung vorzubereiten. Der Bachhof bekam zwei Mann, die am andern Tag eintrafen und eine Stube zugetheilt erhielten: der Feldwebel, der wirklich der Sohn des Buschbauers war, kam auf den Feldhof, und die Uebrigen wurden je nach dem Vermögen der Einwohnerschaft über das Dorf vertheilt. Von jetzt ab machte sich eine rege Geschäftigkeit im Orte bemerkbar. Der Buschwebel rasselte mit seinem Schlepper auf und ab, drehte den Bart und brüstete sich wie ein General; seine Untergebenen folgten diesem Beispiele, und die Bauern ergaben sich mit Vergnügen unter den militärischen Pantoffel, denn sie hofften von ihm Befreiung von dem Unwesen der Pascher und Wilderer, und genossen dabei das ihnen so seltene Vergnügen, mit Uniformen verkehren zu können. Dabei muß allerdings gesagt werden, daß das Kommando in dienstlicher Beziehung seine volle Schuldigkeit that. Der Tag war in regelmäßige Wachen getheilt, und es gab keinen Augenblick, in welchem die Grenze nicht unter der aufmerksamsten Aufsicht stand. Dieses hatte wenigstens den negativen Erfolg, daß der Waldkönig seine Manipulationen einstellte, vielleicht zu dem Zwecke, die Gegner erst gehörig kennen zu lernen und sie dabei einzuschläfern. So war der Sonntag wieder gekommen, und es gab nach dem Gottesdienste auf dem Kirchhof doppelt so viel Gesprächsstoff als gewöhnlich. Frieder war heut keine neue Erscheinung mehr, und er konnte nach dem Grabe des Bruders gehen, ohne die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Was er halb gewünscht und halb geahnt hatte, das traf ein: Martha saß auf der Bank, grad wie vor acht Tagen. Er hatte sie seit dem Sonntagsabend nicht wieder gesehen und empfand über die Begegnung eine Freude, die sie deutlich in seinen Zügen lesen konnte.
»Martha, 'bist auch hier? Grüß Gott!« »Grüß Gott, Frieder! Ich dacht' net, daß Du auch heut' zum Grabe kämst.« Frieder lächelte glücklich bei dieser vom weiblichen Zartgefühle diktirten Entschuldigung und bot ihr die Hand. »Also gehst' blos dahin, wo Du meinst, daß ich net bin! Drum bist' auch diese ganze Woch' net zu uns herein'kommen.« »Ich war net ein einzig' Mal im Dorf. Ich konnt' net fort weg'n der Einquartirung, die uns gar sehr zu schaff'n macht. Der Vater ist ganz ausgewechselt. Er geht erst spät schlaf'n und sitzt mit dem Feldwebel so fest beim Wein oder Bier, daß ich net fort kann.« »Also geht er net mehr um Acht zur Ruh?« »Seit der Buschwebel da ist, nein. Heut' aber hat er's gleich früh gesagt, daß er wieder 'mal gehörig ausschlaf'n will. Der Webel ist net da am Abend, denn es gibt einen Fang.« »Wie so?« »Einer der Soldat'n hat in der Früh' auf dem Heimweg ein Billet gefund'n, das in der Nacht ein Pascher verloren hat; darauf steht geschrieb'n, daß heut punkt Neun eine große Meng' von Gütern bei der Schießhütt' über die Grenz' geschafft werd'n soll. Da will er nun seine ganz'n Leut dort aufstell'n und hat davon auch schon dem Offizier Nachricht geschickt, der in Steinertsgrün im Quartier liegt.« »So denkt er wohl, den Waldkönig dort zu fangen?« »Er ist ganz sicher drauf.« »Ach so! Dann ist der Buschwebel ein gar kluger Bursch, wenn er Den schon nach so kurzer Zeit ertappt, nachdem hier Jahr' lang trotz aller Müh' vergebens gefahndet word'n ist. Aber paß auf, er kommt mit leeren Händen zurück!« »Woher weißt' das?« »Ich denk s mir,« antwortete er ausweichend. »Ich wollt' aber doch, er bekäm' ihn gleich heut'!« »Warum?« »Dann käm' er wieder fort!« »Das wünschest' wohl?« »Von ganzem Herz'n. Er ist so – so eig'n mit mir, verfolgt mich Schritt um Schritt und weiß doch, daß ich dies net gern hab.« »Woher soll er das wiss'n?« »Ich hab's ihm selbst gesagt. Er war schon einmal hier in Finsterwalde und hat es ganz gleich so gethan, bis ich mir's verbat
und ihm ausgewich'n bin.« »Was sagt der Vater dazu?« »Er gibt ihm Vorschub bei der Zudringlichkeit, und ich bekomm viel böse Wort', weil ich sie mir net gefallen lass'. Er fängt schon an, Gewalt zu brauch'n, denn er hat mir befohl'n, heut Nachmittag zum Tanz zu gehn. Der Webel hat ihn darum ersucht.« »Und was wirst' thun?« »Ich weiß net. Ich mag net hin, und dennoch muß ich wohl, wenn er darauf besteht. Ich dacht', ich wollt' Dich treff'n und Deinen Rath begehr'n.« Sie merkte nicht, daß sie sich jetzt widersprach. Also war sie doch zum Grab gekommen, weil sie Frieder hier zu finden hoffte. »Warum den mein'gen, Martha?« »Weil er der best' ist, den ich find',« antwortete sie einfach. »So geh nur immer hin. Es wird Dir nix gescheh'n!« »Aber wenn er mich zum Tanz auffordert?« »Willst' wirklich net mit ihm tanz'n?« »Um keinen Preis!« »So sagst' ihm, Du seist schon versagt.« »An wen?« »An mich, Martha.« »So wirst' auch dort sein?« »Dir zu Lieb'. Oder willst' Dich lieber an einen Andern versag'n?« »Nimmermehr! Ich hab' noch nie getanzt, und Du bist der Einz'ge, mit dem ich es versuch'! Nun aber muß ich fort, der Vater will das Mahl beizeit'n hab'n.« Sie ging. Er blieb gedankenvoll stehen. »Wie schlau er seine Sach' beginnt! Er macht den Buschwebel zutraulich und schiebt ihm sogar die schöne Tochter zu, um sein Vertrau'n zu erhalt'n und All's zu erfahr'n, was er vornimmt. Jetzt bleibt er auch vom Schlaf' weg, weil der Waldkönig gefeiert hat, und da dies doch net zu lang dauern darf, so hat er heut wieder einen Schlag beschloss'n. Der Zettel ist mit Fleiß in den Weg gelegt, um die Verfolger auf eine falsche Spur zu bringen, und während sie nach der Schießhütt' gehn, wird das Gut ganz wo anders über die Grenz' geschafft. – – Soll ich sie warnen? Nein, ich bin net ihr Spion und geh' meinen eig'nen Weg. – –« »Das Mittagsmahl hat er so in der Früh bestellt, um heut eher als
ein ander' Mal zum Stein hinauf zu kommen. Die ganze Woch' hat nix darunter geleg'n, doch heut find ich ganz sicher ein Papier und hab' auch die best' Gelegenheit, zu sehn, ob er's auch wirklich ist, der es darunter legt.« Auch er ging jetzt, schützte daheim einen unaufschiebbaren Gang vor, bat, ihm das Mittagsmahl aufzuheben und begab sich auf einem noch weitern Umweg als vor acht Tagen in den Wald. Bei dem Steine angekommen, hob er ihn empor; es lag kein Zettel da, und nun verbarg er sich erwartungsvoll in seinem früheren Versteck. Seine Vermuthung bestätigte sich gar bald. Der Feldbauer kam, suchte erst vorsichtig, doch ohne den Lauscher zu bemerken, die Umgebung ab und legte dann ein Papier unter den Stein, worauf er sich schleunigst entfernte. Schnell war Frieder beim Granit, hob ihn empor und las: »Beim alten Stollen um 9.« Was nun geschah, konnte er sich denken; er verließ behutsam den Ort und ging nach Hause. Später besuchte er die Nachmittagskirche, um den Kantor an der Orgel abzulösen und begab sich dann, als nach beendigtem Gottesdienste die jungen Leute zu Tanze gingen, in die Schenke. Als er dort eintrat, war die Stube von den Soldaten und Ortsbewohnern so gefüllt, daß kaum noch ein leerer Platz zu finden war. Der Bewohner des Gebirges kann der Natur ihre jährlichen Spenden nur unter doppeltem Schweiße und saurer Mühe abringen, und winkt ihm einmal das Vergnügen, so säumt er nicht, sondern giebt sich ihm ohne Zögern und Verweilen hin. »Sind die Musikant'n bald da?« frug der Buschwebel, welcher am großen Tische präsidirte, den Wirth. »Wie lang soll man hier wart'n, bis es losgeht? Wenn die Glock' erklingt, geht's in die Kirch', und wenn der Tanz net sofort beginnt, werd' ich Euch läut'n!« »Sie sind sogleich hinauf, und Madels sitz'n auch schon genug dabei,« lautete die Antwort. »So trinkt aus und kommt in den Saal!« Frieder konnte sich denken, daß Martha nicht gleich beim Beginn zugegen sein werde; er plazirte sich so, daß er ihr Kommen bemerken mußte, und wartete. Als er sie endlich erblickte, war's nicht allein, sondern die Mutter befand sich bei ihr. Einige Minuten später erhob er sich und ging hinauf. Sie saßen an einem kleinen Seitentische ganz allein, und eben jetzt brachte der Webel einen Stuhl herbei, um an ihrer Seite Platz zu nehmen.
Noch eine Seite des Tischchens war frei. Frieder schritt sofort hinzu, grüßte höflich und frug: »Ist's erlaubt, mit Platz zu nehmen?« »Nix ist erlaubt,« erwiderte der Webel. »Schaff' Dich auf die Seit', es ist noch Raum genug im Saal!« Frieder maß ihn mit gleichmüthigem Auge vom Kopfe bis zu den Füßen herab. »Mir scheint, Sie befinden sich nicht allein hier am Tische, Herr Feldwebel, und die beiden Damen haben jedenfalls das gleiche Recht, über meine Frage zu entscheiden. Die Brüderschaft aber bringen Sie bei Ihresgleichen in Anwendung; bei mir kommt sie an die unrechte Adresse!« Er wiederholte seine Bitte den Frauen, und da diese zustimmend nickten, so winkte er dem Kellner, welcher eilig einen Stuhl herbeibrachte. »Sind Sie schon für den nächsten Tanz versagt, Fräulein?« frug er Martha. »Nein.« »Darf ich es wagen, darum zu bitten?« »Gern!« »Und dann die Uebrigen?« »Auch diese!« »Dank! Ich werde Sie nicht ermüden, sondern von Ihrer Erlaubniß nur dann Gebrauch machen, wenn ich bemerke, daß Sie es wünschen.« »Das geht net, das kann net gelitt'n werd'n!« fiel hier der Webel eifrig ein. Er kannte Frieder nicht, obgleich er von ihm gehört hatte, und war, da dieser sich in der Kleidung durch Nichts auszeichnete, der Meinung, einen gewöhnlichen Bauernburschen vor sich zu haben. »Kein Madel hat das Recht, sich für den ganz'n Tag an einen Einz'gen zu versag'n. Du hast den erst'n Tanz, und den zweit'n hol ich mir!« »Ich bitte nochmals, das Du hinwegzulassen, Herr Feldwebel! Sie hören, daß ich Ihnen Ihre Ehre gebe, verweigern Sie aber, hier an dieser Stelle anständig zu sein, so werde ich dafür sorgen, daß eine nothwendige Aenderung eintritt!« »Was, Kerl, Du willst mich von hier wegjag'n und hast Dich doch selber nur herzugedrängt? Soll noch vor dem Tanz das Geschlag' losgehn, so ist's am Best'n, es beginnt sogleich! Weich'
fort, sonst schlag ich Dir das Seidel an den Kopf!« Er hatte sich erhoben und griff nach dem Bierglase. Die beiden Frauen sprangen erschrocken auf, Frieder aber blieb ruhig sitzen und lächelte vornehm. »Es fällt mir nicht ein, mich an des Königs Rock zu vergreifen; werde ich aber zur Abwehr gezwungen, so kommt die Verantwortung nur auf Sie.« Und sich zu Martha und ihrer Mutter wendend, bat er: »Bleiben Sie nur immer sitzen; es geschieht Ihnen nicht das Geringste! Ich verstehe es schon, mit solchen Herren umzuspringen, die nicht zu wissen scheinen, was sie ihrer Kleidung schuldig sind.« »Was? Umspringen willst mit mir, mit dem Buschwebel, an den sich Keiner wagt? Da, hast' den Topf ins Gesicht!« Er erhob das Glas zum Schlage. Im Nu aber hatte ihn Frieder beim Gürtel erfaßt, hob ihn hoch empor – ein lauter, vielstimmiger Schrei erscholl durch den ganzen Saal – der Webel flog in einem weiten Bogen zum Fenster hinaus, dessen Flügel offen standen. Der größte Theil der anwesenden Soldaten eilte aus dem Saale und zur Treppe hinab, um nach ihrem Vorgesetzten zu sehen; die Uebrigen jedoch machten Miene, die Niederlage desselben zu rächen. Sie drangen auf Frieder ein. Dieser trat ihnen furchtlos entgegen. »Wer noch durch's Fenster will, der komm' herbei!« Seine Augen blitzten, und seine Arme streckten sich drohend ihnen entgegen, von denen Keiner ihm bis an das Kinn reichte. Sie stockten; die klugen Musikanten fielen mit einem lustigen Walzer ein, und wirklich verfehlten die Töne auch hier ihre Wirkung nicht: die Angreifenden zogen sich zurück und wurden durch die antretenden und bald sich drehenden Paare zerstreut. Einige Augenblicke später befand sich kein Soldat mehr im Saale; sie standen alle unten beim Feldwebel, welcher Kriegsrath mit ihnen hielt. Er war in die Zweige eines grad unter dem Fenster stehenden Baumes gestürzt und zwar arg zerrissen und zerkratzt, innerlich aber nicht beschädigt worden. »So 'was darf nur der Bachfrieder thun,« meinte er, die Spuren des Sturzes so viel wie möglich beseitigend. »Hätt' ich gewußt, daß er es ist, so wär' ich vorsicht'ger gewes'n und hätt' mich net so unvermuthet packen lass'n. Jetzt muß ich nach Haus', um die andre Uniform anzuthun, denn diese hier muß zum Schneider; nachher aber komm' ich wieder, und dann wird sich's find'n, was wir thun.
Geht hinauf und wartet, bis ich zurückkehr'!« Frieder saß ruhig bei den Frauen und unterhielt sich gut mit ihnen. Die Feldbäuerin war zwar eine hohe, früher wohl kräftige Gestalt, jetzt aber hatte das Leid sie geschwächt und gebeugt und den bleichen, einst jedenfalls schönen Zügen seine tiefen Spuren eingegraben. Sie besaß eine über ihren jetzigen Stand weit hinausgehende Bildung, deren segensvolle Wirkung er ja an der Tochter deutlich erkannt hatte, und war erfreut, einmal ein Gespräch führen zu können, welches bei dem einfachen Leben des Dorfes ihr einen seltenen Genuß bereitete. Er bemerkte, daß die Soldaten zurückkehrten, sah auch die Blicke, welche sie ihm zuwarfen und ahnte, daß der kaum beendete Streit eine Fortsetzung finden werde, doch ließ er die Frauen nichts davon merken. Eben wurde ein sanfter Dreher angefangen. »Willst' den tanz'n, Martha?« frug er, jetzt wieder in das trauliche Du und den heimischen Dialekt zurückfallend, welches Beides er in Gegenwart des Buschwebels aufgegeben hatte. »Wenn Dir's recht ist, tanz' ich gar net, Frieder! Ich hab' keinen Wohlgefall'n hier dran und mag auch keinen Zank verschuld'n.« »Das ist mir grad lieb, Martha. Ich tanz' auch net an solchem Ort und darf Dir's also noch viel wen'ger zutrau'n. Ich hab' vollauf Genüg' an unsrer Red', die mich anmuthet, als ob ich zu Haus' sei bei der Mutter.« Die Bäuerin wollte dieses herzlich gemeinte Kompliment beantworten, doch erstarb ihr schon das erste Wort zwischen den Lippen. Vorn an der Thür war der restaurirte Feldwebel erschienen und hinter ihm der Feldbauer. Der Letztere hatte von dem Ersteren Alles erfahren, und nur die Wuth über das Gehörte konnte ihn bei dem Aussehen seines Gesichtes herbeigetrieben haben. Er warf einen schnellen Blick im Saal umher, ließ dann einen Tisch in die Ecke stellen, vier Stühle dazu und trat dann zu den Seinen. »Steht auf und kommt herüber. Ich werd' Euch lehr'n, mit Lump'n zu verkehr'n!« Die Frauen blickten erschrocken auf Frieder. Dieser nickte ihnen unbefangen lächelnd zu. »Ich muß verzicht'n auf die Gesellschaft, aber auf das Andre net, Martha. Brauchst' Schutz, so bin ich da!« »Der Schutz bin ich, Du Laff'; Du bist unnütz dazu; kein
Mensch wird Dich gebrauch'n,« fuhr ihn der Bauer an, indem er den Arm der Tochter ergriff und diese über den Saal mehr stieß als führte. »Hier, Buschwebel, hast' die Tänz'rin, und wir woll'n Den sehn, der 'was dageg'n hat!« »So tanz' ich gleich jetzt auf der Stell'. Vorwärts, Madel, und aufgepaßt, Kam'rad'n! Wer stört, der fliegt hinaus!« erwiderte dieser, indem er Martha aus der Hand des Stiefvaters nahm und sie an die Spitze der Kolonne stellte, die zum Tanze bereit stand. Ein halblautes Murren erhob sich unter den anwesenden Burschen, theils über die Behandlung des schönen Mädchen und theils darüber, daß der Webel sich nicht an den ihm zugehörigen hinteren Platz, sondern voran stellte. Martha warf einen bittenden Blick auf Frieder, der sich schnell erhoben hatte. Sie wollte lieber mit dem Verhaßten tanzen, als den Jüngling einer Gefahr aussetzen. Aber schon stand dieser in der Mitte des Saals und winkte der Musik Schweigen. Dann schritt er auf den Webel zu. »Die Tänz'rin ist mein; ich hab sie engagirt. Bitt', Martha, Deine Hand!« Der Feldwebel hielt das Mädchen fest und zog sie einige Schritte zurück. »Herbei, Soldat'n, es geht los!« Frieder trat zurück und wandte sich an die Dorfburschen. »Wer hat Herz und hält zu mir? Herbei, wer 'was auf seine Tanz'rin giebt und sie sich net verschimpfiren lassen will!« Im Nu waren die Jacken herunter und sämmtliche jungen Leute standen bei ihm. »Kellner, die Thür weit auf!« gebot Frieder und trat auf seinen Gegner zu. »Jetzt gilt's die Wahl, Herr Feldwebel. Sie hab'n den Krieg erklärt und er mag losgehn: Entweder bekomm' ich meine Tänz'rin oder« – er erhob mit deutlicher Bewegung den Arm – »erst durch das Fenster, jetzt durch die Thür!« Die Soldaten sahen die nervigen Arme der Bauernburschen und die weit überlegene Zahl derselben, sie zogen sich langsam von dem Feldwebel zurück. Dieser bemerkte die Flucht, er erkannte, daß seine Partei trotz der Stärke des Feldbauers und auch seiner eigenen Unerschrockenheit den Kürzeren ziehen werde, und ließ die Hand von Martha. »Schön, so gehts auch ohne Kampf,« meinte Frieder. »Wer
blanke Knöpf' am Rock hat und in fünf Minut'n noch im Saal ist, wird exgeschafft. Ich will Euch zeig'n, was es heißt, sich unsern Madels aufzuzwingen und dazu zum Kampf zu blas'n! Vorwärts, angetret'n zum Tanz!« Die Musik fiel ein; er tanzte mit Martha vor, die Anderen folgten, und die Soldaten schlichen Einer nach dem Andern aus dem Saal. Nur der Buschwebel blieb beim Feldbauer stehen. Als die gegebene Frist verlaufen war, trat Frieder zu ihm. »Links schwenkt, marsch!« Er faßte ihn beim Kragen. Da trat der Bauer an ihn heran. »Den läßt gehn', sonst hast's mit mir zu thun!« »Ich hab gesagt, daß ich Dir aus dem Weg geh', Feldbauer; doch komm' mir net in den meinen. Der Webel geht hinaus, und damit basta!« »Er bleibt hier! Und mein Madel gibst' her; es hat Keiner ein Recht auf sie, als dem ich es geb'!« »Was hast' für ein Recht zu vergeben? Bist' etwa der Vater oder der Vormund?« »Der Vater bin ich und befehl', daß sie kommt!« »Der Stiefvater bist', der Henker und Pein'ger. Aber das sag' ich Dir, Feldbauer, wenn die Martha über Dich klagt, daß Du ihr den Streit entgelt'n läss'st, so laß ich sie Dir von der Obervormundschaft fortnehmen! Sie soll hier bei der Mutter sitz'n, doch nur so lang es mir gefällt, net Dir! Jetzt nochmals vorwärts!« Der Feldwebel legte die Hand an den Degen und machte Miene, ihn zu ziehen, sofort aber flog er unter die bereit stehenden Bursche hinein, diese schoben ihn weiter, Einer dem Andern zu, und er kam durch die Thür und zur Treppe hinab, ehe er nur den geringsten Widerstand zu leisten vermochte. Innerlich beschämt, doch ohne dies sich zuzugestehen, verließ er die Schenke, wo er zweimal nach einander die schmachvollste Niederlage erlitten hatte, und begab sich nach seinem Quartiere. Als er am Bachhof vorüberging, schüttelte er drohend die Faust gegen denselben. »Das werd' ich dem Frieder gedenk'n! Er und der Waldkönig, sie sind mir verfall'n, der Ein' weg'n der Lieb' und der Andre weg'n der Ehr'!« Rache brütend faß er in der ihm eingeräumten Stube des Feldhofes, bis der Bauer mit Martha und ihrer Mutter nach Hause kam. Dieser hatte sich auf dem Saale außerordentlich ruhig
verhalten und kein Wort mit den Frauen gewechselt, sich auch auf dem Heimwege vollständig schweigsam gezeigt. Die Drohung Frieders, sich an die Obervormundschaft zu wenden, hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Ueberhaupt war es nicht die unvergleichliche Körperstärke des jungen Mannes allein, sondern in demselben Grade auch die geistige Ueberlegenheit desselben, was ihm imponirte, wenn er dies auch weder sich selbst noch einem Andern gegenüber Wort haben mochte. »Nun, 'hast Dein Wort schön gehalt'n!« meinte er, als der Feldwebel zu ihm in die Wohnstube trat. Die Beiden hatten nicht lange gezaudert, Brüderschaft zu schließen. »Erst thust' als willst' ihn fress'n, und dann weichst' zurück und läss'st dich gar spedir'n. Ihr Soldat'n sind gar tapfere Leut' – aber blos mit der Zung', net mit der Faust!« »Sei still! Wo ist denn Dein Beistand geblieb'n, den Du mir versproch'n hast? Als es zum Austrag kommen sollt', bist dagestand'n, als ob Dir die Ernt verhagelt sei. Dir schadet's nix, wenn Dein Gesicht ein paar Schwiel'n und Striemen weiter erhält, bei mir aber ist des anders. Was soll der Lieut'nant sag'n, wenn ich gezeichnet oder vielleicht gar zum Dienst untauglich gemacht werd'?« »So steck' die Händ' in die Hos'ntasch', und ich will Dich in den Glasschrank setz'n; da bist' gut aufbewahrt! Aber nimm den Rath von mir, daß Du die Sach' zur Anzeig' bringst. Man hat sich an des Königs Rock vergriff'n, und da ist große Straf' darauf gesetzt!« »Du redest wie ein Buch – aber was für eins! Die Martha hat sich versagt, und ich hab' sie auf Deine Aufmunterung net hergegeb'n, sondern vielmehr meine Leut' zum Kampf geruf'n. Ich allein bekomm' die Schuld und muß nur noch froh sein, wenn ich net selber angezeigt werd'. Und wer ist Schuld daran? Das Madel und Du! Sie ist in ihn vernarrt, das hab' ich gleich geseh'n, und Du hast den groß'n Mund aber die kleine Faust. So sind wir abgezog'n wie der Fuchs, der den Schwanz im Eis'n läßt!« »In ihn vernarrt? Bist' recht gescheidt! Meine Tochter vernarrt in den Bachfrieder, dem ich das Gesicht und noch viel mehr verdank? Das wär' mir die Lotterie, in der er die große Niet' bekommt und Andres obendrein! Das weiß er auch, und das machst' nur Dir weiß, aber net mir!« »Schon gut! Wirf sie ihm an den Hals und den Feldhof dazu.
Der Buschwebel findet schon Eine, die zu seinen dreißigtausend Thalern paßt. Aber ich will, mich mit Dir gar net streit'n, ich hab' andre Ding' vor, denn wenn ich den König fang, so bekomm' ich die Prämie und steig' ganz sicher zum Lieutenant empor!« »Dann bin ich der Erst', der Dir gratulirt,« meinte der Bauer mit zweideutigem Lachen. »Und dann wird auch die Martha anders sein. ›Herr Lieut'nant‹ klingt doch noch ganz anders als ›Buschwebel.‹ Mach nur schnell. Vielleicht ergreifst' ihn heut' an der Schießhütt', wenn Dir's glückt!« »Es wird schon glück'n. Ich hab' meine zwanzig Mann, und der Offizier kommt mit zwanzig, das macht Vierzig, die Grenzer und Jäger gar net gerechnet. Er muß unser werd'n! Jetzt geh' ich fort zum Rendezvous; ich hab' net viel Zeit zu verlier'n.« »Zum Rangtewuh? Was ist das für ein Kerl?« »Feldbauer, Du bist ein Esel! Rendezvous ist französisch und heißt der Ort, wo man sich versammelt. Aber das kannst' ja net wiss'n, weil Ihr Bauern überhaupt die Klugheit net löffelweis' verschlungen habt!« Er ging. Der Bauer sah ihm durch das Fenster nach. »Feldbauer, Du bist ein Esel! So ist's gemeint? Ob er den Waldkönig wohl auch für einen Esel hält? Ich mein', der wird's ihm zeig'n, wer die Klugheit mit Löffeln verschlingt, er oder der Prahlwebel, der Alles fangen will und sich doch vom Saal fortwerf'n läßt!« Er verzehrte sein Abendbrod und gab dann vor, schlafen zu gehen. Frieder hatte nach ihm den Saal verlassen und war, um nicht bemerkt und abgehalten zu werden, vom Garten aus in den Bachhof getreten und hatte auch ungesehen sein Zimmer erreicht. Dieses war ganz wie das Studirzimmer eines Gelehrten eingerichtet, und auch die Möbels boten eine Bequemlichkeit, wie sie sonst auf dem Dorfe nicht gebräuchlich ist. Er zog sich um und steckte außer dem Revolver noch eine Maske zu sich, die er aus dunklem Stoffe sich heimlich angefertigt hatte. »Die Larv' brauch ich heut, damit mein Gesicht net hell von der Umgebung absticht, und auch für den Fall, daß ich Jemand' begegne. Der Waldkönig darf net erfahr'n, daß ich nach ihm geh', sonst läßt er mich bewach'n und der Anstand wird mir doppelt schwer gemacht.«
Es gelang ihm, den Hof wieder unbemerkt zu verlassen, und eine halbe Stunde später war er vor dem Trichter angelangt. Der Abend hatte sein Dunkel bereits über den Wald gelegt, doch spendete die Sichel des abnehmenden Mondes so viel Helle, daß man einige Schritte weit zu sehen vermochte. Er verbarg sich heut nicht am Rande des Einsturzes, sondern glitt die Senkung hinab bis an die Stelle, wo er das Licht hatte aufblitzen sehen. Dort gab es ein dichtes Himbeerstrauch- und Farrengewirr, in welches er sich verkroch. Die vorgebundene Maske machte es unmöglich, sein helles Gesicht zu erkennen, und so fühlte er sich trotz der Verwegenheit seines Unternehmens vollständig sicher. Die Pascher mußten hart neben ihm den Eingang suchen, und da er tief am Boden lag, so war anzunehmen, daß sich jede ihrer Bewegungen deutlich gegen den helleren Himmel abzeichnen werde. Der Erste kam und stieg hernieder. Nachdem seine Hand einen grad oberhalb Frieders Kopf liegenden Punkt berührt hatte, bückte er sich nieder; ein leises Rollen ließ sich hören, dann verschwand er, auf den Knieen kriechend, im Innern des Stollens. Frieder rührte sich nicht. Auch der Zweite, der Dritte und Vierte kam – dasselbe Berühren der angegebenen Stelle und dasselbe langsame Verschwinden. So ging es beinahe eine Stunde fort, vom Fünften bis zum Neunzehnten, und selbst als dieser in das Versteck gedrungen war, veränderte der Lauscher seine Lage nicht, denn das geringste Geräusch konnte seine Anwesenheit verrathen. Beinahe die gleiche Zeit wie vor acht Tagen mußte er warten, ehe die dunklen Männer der Erde wieder entstiegen. Hinter dem Letzten leuchtete auch heute der helle Schein für einen Augenblick und ließ die Linien des Viereckes, welches der Eingang bildete, mit großer Bestimmtheit erkennen; dann schloß sich derselbe, die Schritte verklangen, und es herrschte tiefe Stille ringsumher. Er wartete noch einige Zeit und stand dann schon im Begriff sich zu erheben, als das Rollen nochmals erklang. Augenblicklich senkte er sich in seine vorige Lage zurück und hielt das Auge auf den sich wieder öffnenden Eingang gerichtet. Ein Mann kroch hervor und stellte sich neben ihm auf. Er trug, wie Frieder deutlich sah, langes, dunkles Haupthaar, welches bis auf die Schultern niederhing, und einen eben solchen Vollbart, den die vorgebundene Maske nicht zu verhüllen vermochte. In seinem Gürtel blitzte neben
einigen Pistolenläufen eine offene Messerklinge, und mit der rechten Faust hielt er den oberen Lauf einer kurzen Stutzbüchse umschlossen. Das war jedenfalls kein Anderer als der Waldkönig. Sollte Frieder ihn fassen? Sollte er ihn niederschießen? Ein Griff nach dem Revolver genügte dazu. Doch nein, sein ganzes Geheimniß mußte unverhüllt daliegen, ehe er ihn greifen wollte, und zwar mit der ganzen verbrecherischen Genossenschaft. »Es ist gut dunkel, das paßt, um mir den Spießer zu hol'n. Sie sind All' bei der Schießhütt' und ich kann sicher geh'n!« murmelte der Vermummte, indem er sich anschickte, die Senkung zu ersteigen. Als er fort war, richtete sich Frieder auf. »Ja, es ist der Feldbauer! Hätt' ich net seine Stimm' gehört, die er hier net verstellt', weil er gemeint hat, allein zu sein, so hätt' ich ihn gar nimmer erkannt, so gut war er verkleidet. Er geht wildern und kommt nach mehr Stund'n erst zurück, das ist gewiß. Jetzt bin ich ungestört und werd' net wart'n bis früh, sondern den Stoll'n sofort untersuch'n. Er hat das Licht brennen lass'n; es schien hinter ihm her; sonst dürft ich's net wag'n.« Er untersuchte nun den Verschluß mehr mit der Hand als mit dem Auge. Er bestand aus einem Steine, der jedenfalls auf Rollen ging, und war auf seiner Außenseite mit Moos bekleidet und über diesem von einer großblättrigen Pflanze bedeckt, welche es unmöglich machte, seine von der Umgebung gelösten Umrisse zu erkennen. Frieder versuchte, ihn nach Innen zu bewegen; es gelang ihm nicht trotz Anwendung aller seiner Kräfte. Daher erhob er sich wieder und prüfte die Stelle, nach welcher Alle, auch zuletzt der König selbst, so auffällig gelangt hatten. Es war eine aus der Erde stehende Wurzel, aber kalt und unbiegsam, jedenfalls, wie eine nähere Untersuchung ergab, aus Eisen künstlich nachgebildet und mit Naturfarbe überstrichen, so daß sie bei einer zufälligen Betrachtung nicht auffällig erschien. Frieder versuchte sie zu bewegen; es gelang. Sie war in Gestalt eines Drehlings geformt, welcher sich durch eine Verbindungsstange in das Innere fortsetzte und dort voraussichtlich in einer Vorrichtung endete, welche das Schließen und Oeffnen bewerkstelligte. Jedenfalls bestand diese nur aus einer korrespondirenden Stange oder Schiene aus Eisen, welche sich, je
nachdem man die Wurzel drehte, vor den Stein legte oder sich von demselben zurückzog. Dies bekam Frieder erst nach vielem Probiren weg, dann stellte er die Wurzel, rollte den Stein nach Innen und kroch durch die jetzt entstandene Oeffnung, den Revolver in der Hand, in den Stollen. Eine wohlgefüllte Thonlampe brannte am Boden, doch war, so weit ihr Schein reichte, kein lebendes Wesen zu bemerken. Der furchtlose junge Mann brachte den Stein wieder in seine vorige Stellung und bemerkte auch die vermuthete Eisenstange, welche er vorschob, um den Verschluß zu bewerkstelligen. Dann nahm er die Lampe vom Boden auf und untersuchte den Stollen zunächst in der Richtung nach seiner verschütteten Mündung zu. Er fand nichts Bemerkenswerthes und ging wieder zurück. Am Eingange jetzt vorüberschreitend, gelangte er bald an eine eingehauene Nische, in welcher mehrere Stufen aufwärts führten; doch war die früher jedenfalls über ihnen vorhandene Oeffnung vor kurzer Zeit, wie sich an dem Gemäuer erkennen ließ, wieder zugebaut worden. »Das sind die Stuf'n, welche der Vater hinabgestieg'n ist damals, und feucht und kalt ist's auch, das stimmt. Hier ist die That gescheh'n, und hier wird auch meine Nach' über sie kommen wie der Blitz, den man net vorher ahnt und geg'n den es kein Entrinnen giebt!« Nicht weit davon entfernt gab es eine starke, eichene Thür. Sie war geöffnet, doch hing in dem Haspen ein großes, eisernes Vorlegeschloß. Der Raum hinter ihr war niedrig und eng, und das auf dem Boden liegende faulige Stroh ließ ebenso wie der in der Ecke stehende halb zerbrochene Wasserkrug vermuthen, daß diese Höhlung als Gefängniß verwendet werde. Frieder ging weiter und kam an eine Stelle, wo der Stollen künstlich erweitert worden war. Rohe Steinbänke standen ringsum; viele Nägel staken in den Wänden, und von der Decke hing eine Oellampe, deren Cylinder noch Wärme zeigte. Dies war allem Anscheine nach der Versammlungsort der Bande. Von hier aus führte der Stollen eine lange Strecke immer in gerader Richtung unter der Erde fort, bis plötzlich eine querüber laufende Mauer ein unübersteigliches Halt gebot. Frieder untersuchte Zoll für Zoll derselben, ebenso den Boden, die Decke und die Seitenwände, fand aber nicht das Mindeste, was auf einen versteckten Durchgang schließen ließ. Er klopfte; der Ton klang
hohl. Der Gang setzte sich also jenseits fort, doch war es allerdings möglich, daß er von den Schmugglern nicht benutzt werde. »Aber wie ist der Waldkönig in den Stoll'n gekommen? Beim Stein da vorn net, sonst hätt' ich ihn ja bemerkt. Es muß noch einen Zugang geb'n, den er nur für sich benutzt. Heut ist's zu spät, weiter zu forsch'n; ich werd' die nächst'n Tag' dazu benutzen. Jetzt muß ich fort, sonst wag' ich doch zu viel!« Er ging zurück, setzte die Lampe auf derselben Stelle nieder, von welcher er sie aufgenommen hatte, schob die Eisenstange zurück, zog den Stein von der Oeffnung und stieg in das Freie. Nachdem er vermittelst der Wurzelkurbel den Eingang wieder verschlossen hatte, trat er den Nachhauseweg an. Er wußte sich vollständig sicher. Der König wilderte jedenfalls nicht in der Richtung des Dorfes; die Schmuggler waren nach der Grenze gegangen, und so hielt er es nicht für nothwendig, seine Schritte unhörbar zu machen. Eben war er in die Nähe des Forsthauses gelangt, als er ein scharfes »Halt, steh, oder wir schieß'n!« vernahm, und zugleich sah er von vorn und der Seite mehrere Gewehrläufe auf sich gerichtet. »Gut' Freund! Was soll's?« antwortete er, stehen bleibend. »Wer bist'?« »Der Frieder vom Bachhof.« »Ah,« vernahm er die Stimme des Feldwebels, »sind Sie es, Herr Goliath junior? Darf ich bitt'n, die Mask' abzuleg'n!« Frieder erschrak. Er dachte erst jetzt daran, daß er sie noch nicht vom Gesicht genommen hatte. Er band sie los. Der Feldwebel trat, während seine Leute die Gewehre noch immer im Anschlage hielten, auf ihn zu und sah ihm in das Gesicht. »Ja, er ist's. Hab'n Sie Waff'n bei sich?« »Ja, einen Revolver.« »Gelad'n?« »Vollständig.« »So so! Da hätt'n wir ja einen von den Kerls, vielleicht gar den Herrn Urian, den Waldkönig selber. Her mit der Waff' und der Larv'.« Frieder wußte, daß der Feldwebel in seinem Rechte handle und übergab Beides. »Gut. Jetzt bist' mein Gefang'ner! Also darum ließ sich keine Flieg' bei der Schießhütt' sehn um Neun, weil der Zettel falsch war
und uns verleit'n sollt'. Unterdess'n ist hier ein Putsch gescheh'n, und es ist nur gut, daß ich auf Patrouille ging, sonst wär' der Vogel glücklich heimgekommen. 'Wirst Niemand mehr durch's Fenster werf'n und net mehr oft mit der Martha tanz'n, mein Bursch'. Vorwärts marsch!« »Oho, so weit sind wir wohl net! Warum ich die Larv' anthu, das ist meine Sach', und den Revolver darf ich trag'n.« »Wer hat's erlaubt?« »Der Förster.« »Das wird sich find'n. Marsch vorwärts! sag' ich, sonst brauch' ich Gewalt!« »Papperlapapp, die Gewalt kennt man schon! Wie weit sie reich'n darf, das weiß ich auch. Dort ist noch Licht im Forsthaus, und der Förster wird daheim sein. Jetzt geh' ich gerad'n Weg's zu ihm und Ihr dürft mitkommen. Wer mich aber anrührt, den schlag' ich zu Pulver. Ihr kennt mich, und damit Punktum!« Er ging auf das Forsthaus zu, und der Webel folgte ihm mit den Seinen auf dem Fuße. Er getraute sich doch nicht, sich an dem »Goliath junior« zu vergreifen. Der Förster war eben erst von der Schießhütte nach Hause gekommen und blickte allerdings verwundert auf, als er seinen Freund unter solcher Begleitung bei sich eintreten sah. »Frieder, Du? Wie kommst' zu dieser Stund' zu mir?« »Er ist unser Gefang'ner,« schnitt der Feldwebel die Antwort ab. »Er gehört zu der Bande des Waldkönigs.« »Der Frieder? Sind Sie bei Sinnen, Herr Feldwebel?« »Sogar sehr! Wir hab'n ihn auf der That ertappt.« »Auf welcher That? Wie kann der Frieder zum Waldkönig gehör'n, der seinen Bruder erschoss'n und seinen Vater geblendet hat!« »Das geht mich nix an! Er hatt' eine Larv' im Gesicht und den gelad'nen Revolver bei sich, als wir ihn fand'n.« »Und hat Ihnen Beides ohne Geg'nwehr übergeben?« »Die Wehr hätt' ihm nix geholf'n!« »Das muß ich sehr bezweifeln, wie ich ihn kenn'. Den Revolver hab' ich ihm erlaubt; er ist freiwillig mein Gehülf' im Forstwes'n und darf in den Wald wenn und wie er will, bewaffnet oder net, ganz wie es ihm gefällt. Ich werds verantwort'n.« »Da kann ich nix dageg'n sag'n. Aber die Larv'?«
»Das ist seine Sach'.« »Oder auch net. Der König geht mit der Larv' und seine Leut' all' mit 'nander auch. Wer sich im Wald maskirt, wird arretirt.« »Wo steht's geschrieb'n?« »Das versteht sich von selber! Er soll mich net umsonst heut aus dem Fenster und aus der Thür geworfen hab'n. Er bleibt Arrestant und wird aufs Gericht transportirt!« »Also net weg'n der Mask', sondern aus Rachsucht. Zeig'n Sie 'mal den Revolver und die Larv'!« Der Buschwebel reichte ihm Beides hin. Er nahm die Gegenstände und gab sie dem Freunde, welcher der Verhandlung lächelnd zugehört hatte, zurück. »Hier hast' die Sach'n, Frieder. Geh' nach Haus'. Und wer 'was dageg'n hat, der mag auch mich vor Gericht verlangen!« »Halt,« gebot der Webel; »her mit dem Corpus delicti! Es gehört mir und der Gefang'ne dazu!« Da legte ihm Frieder die Hand auf die Schulter. »Feldwebel, jetzt will auch ich 'mal sprech'n! Sie hab'n gehört, was der Förster sagt. Er bürgt für mich, und das ist mehr als genug, denn er und ich, wir sind jederzeit zu find'n. Ich werd' vielleicht doch noch Wen durch's Fenster werf'n und mit der Martha tanz'n, wenn mir's paßt. Jetzt aber geh ich nach Haus', und wer nur die Mien' verzieht, mich d'ran zu hindern, der wird sogleich seh'n, was passirt. Ich lass' mich weder zur Schießhütt' noch ins Bockshorn jag'n. Merkts, und nun gut' Nacht!« Er ging, und Keiner getraute sich, ihm den Weg zu vertreten. – – –
IV. In der Falle Der Buschwebel hatte doch die Anzeige gemacht und eingesandt, und die Folge davon war, daß Frieder vom Amte einen Bestellzettel erhalten hatte und heut in die Stadt geritten und im Verhör gewesen war. Dieses schien einen für ihn befriedigenden Verlauf genommen zu haben, wie die Miene zeigte, mit welcher er das Pferd bestieg, um wieder heimzukehren. Ein gut Theil über die Hälfte des Wegs war zurückgelegt, und er gelangte an ein einsames Wirthshaus, welches mitten im Walde an der Straße lag. Ein hochbeladener Heuwagen hielt vor der Thür, und er erkannte das Gespann als Eigenthum des Feldbauern. Er konnte annehmen, daß derselbe Leute genug habe, um dergleichen Fuhren nicht selbst unternehmen zu müssen; jedenfalls führte ein Knecht das Geschirr, und es war dann kein Grund vorhanden, auf den frischen Trunk zu verzichten, welchen er hier zu sich nehmen wollte. Er stieg daher ab, befestigte die Zügel an das Staket und trat in die Stube. Er hatte sich getäuscht. Außer einigen Holzhackern, welche im Winkel ihr mageres Brod verzehrten, befanden sich der Feldbauer und einige Soldaten in dem Zimmer. Sie waren auf einem Patrouillengang durch den Forst hier eingekehrt und wurden von dem sonst nicht sehr freigebigen Bauer auf das Beste traktirt. Frieder setzte sich an einen separaten Tisch, ließ sich sein Bier geben und wandte sich von den Anwesenden dem Fenster zu. »Trinkt immer, trinkt,« meinte der Feldbauer mit einem giftigen Blicke auf den Neuangekommenen. »Ehrliche Leut', die ohne Larv' sich sehen lass'n, dürf'n in das Wirthshaus gehn; Andre aber sollt' man durch die Polizei fortweis'n!« »Was ist's denn mit der Larv'?« frug der Wirth. »Nix weiter, als daß man die kleinen Spitzbub'n hängt, die groß'n aber lauf'n läßt. Der Buschwebel hat Einen gefangen, der die Mask' und den Revolver getrag'n hat. Er gehört ganz sicher zum Waldkönig, hat sich aber gut herausgelog'n und wagt's auch noch,
bei Männern zu sitz'n, die keine Mörder und Blender sind!« »Wer ist's denn?« »Ja, da fragst' mich zu viel. Schau Dich darnach um!« »Ach so! Warst' in der Stadt?« forschte der Wirth ablenkend. »Ja. Das Heu ist mir heuer verregnet, so daß ich mit meiner Ernt net reich'; da es nun jetzt billig ist, will ich mir einen Vorrath hol'n.« Frieder trank sein Bier, bezahlte und ging. Die Niederträchtigkeit seines Feindes war so ungeheuerlich, daß er sie kaum zu fassen vermochte. Als er an dem Wagen vorüberlenkte, durchzuckte ihn ein Gedanke. »Ist dem Feldbauer wirklich das Heu vernäßt, so daß er sich welches kauf'n muß? Seine Wies'n trag'n ja grad so gut wie die unsern, und der Bachhof hat doppelt so viel Futter als er verbrauch'n kann! Und warum fährt er selber? Da steckt 'was dahinter, und er traktirt die Soldat'n net umsonst, so viel ist gewiß. Ich muß ihn auf der Zech belausch'n, wenn er das Heu ablädt!« Er nahm den Braunen scharf in die Zügel und sah bald das Dorf vor sich liegen. Vor demselben und zwischen der Straße und dem Feldhof erblickte er Martha, welche am Ufer des Baches Wäsche netzte. Er konnte sich diese Gelegenheit, einige Worte mit ihr zu wechseln, unmöglich entgehen lassen und lenkte zu ihr hin. »Gut' Arbeit, Martha! 'Hast große Wäsch'?« »Ja, da giebt's zu thun, Frieder. Aber welch ein Glück, daß der Vater net zu Haus' ist!« »Weshalb?« »Es ist uns am Montag gar bös ergangen, Frieder, und so schlimm wie da ist er noch gar nie gewes'n.« »Weg'n dem Tanz?« »O nein. Von dem hat er kein Wort gesagt. Aber von weg'n Dem, daß Du dann im Wald gewes'n bist mit dem Revolver und verlarvt.« »Das weißt' auch schon?« »Der Buschwebel hat's ihm gleich in der Früh' erzählt, und dann brach das Gewitter los. Frieder, das war schauderhaft! Der Vater hat gesagt, ich sei in Dich – – –« »Du sei'st – – was denn, Martha?« »Ich kann's net sag'n! Dann hat er mich beim Haar ergriff'n und ebenso die Mutter, die mir mit Flehn zu Hülf' kommen wollt'. Nachher – – –«
»Halt, Martha, erzähl' net weiter, sonst reit' ich wieder zurück und zertret' ihn zu Staub und Brei, wo ich ihn find'! Ich weiß jetzt All's; das Maß läuft immer voller, und ist der letzt' Tropf'n hinein, so kommt die Fluth, in der er untergeht!« »Frieder, ich bitt' gar schön, thu's net! Du bist ihm über, das wiss'n All', aber es kann nix d'raus werd'n als Kummer, Sorg' und Unheil!« »Bedauerst' ihn vielleicht?« »Er ist ja doch der Vater! Die Mutter wär' schon längst von ihm, wenn net die Schand' dabei zu fürcht'n wär'. Sie hat ihn niemals lieb gehabt und wohl auch nimmer acht'n können, und ich, ich zittre, wenn ich ihn nur seh. Aber der Zorn bringt schlimme Frucht, Frieder.« »Wer sie sä't, der wird sie ernt'n, Martha; das ist ein göttlich' Gesetz, daran Niemand das Geringst' zu ändern vermag. Ich bin ihn auch heut, erst vorhin wieder geflohn, als er mit mir beginnen wollt', doch wo er mir das Herz antastet, da soll er net auf Nachsicht rechnen. Lieber laß' ich mir den Hof wegbrennen als Den beleid'gen, den meine Lieb' umfangen hält! Was hast gedacht bei meinem Gang zum Wald?« »Der Vater sagt, Du seist der Waldkönig; ich aber hab' gleich das Richt'ge vernommen: Du hilfst dem Förster. Net wahr?« »Der hat es mir bezeugt. Jetzt komm' ich vom Gericht und hab' den Freipaß für den Wald bei Tag und Nacht.« »Und wirst auch hinausgehn.« »Warum sollt' ich net?« »Frieder, thu's net! Es ist jetzt gar viel Gefahr im Wald, und selbst der Tapferst' kann net sag'n, ob er gut daraus hervorgeht. Es giebt ja Leut', um deretwill'n Du Dich schonen mußt!« »'Hast Recht, Martha! Aber es giebt auch einen Engel, der mich beschützt bei jedem Weg, den ich thu.« »Welcher ist das?« »Du selbst!« »Ich? Wo denkst' hin! Meinst wohl, weil ich bei der Wäsch bin, wo man weiß und sauber geht!« »Dann wärst' ja blos der Wäsch'engel! Aber sag, warum legst' sie hier auf die Wies' und net in den Gart'n, wo es bequemer ist?« »Wir hab'n dort kein Wasser. Der eine Brunnen wird reparirt, und der andre, den der Vater ganz nur allein gegrab'n hat, giebt
keinen Tropf'n, weil er in den Stoll'n gestoß'n ist, der unter dem Hof fortgeht. Wir dürf'n davon gar net red'n, sonst wird der Vater bös; er sagt, die Leut' lach'n ihn aus, wenn sie hör'n, daß er Wasser gesucht hat da, wo keins zu find'n ist.« »Wie alt ist dieser Brunnen?« »So alt, als ich auf dem Feldhof bin. Er grub ihn gleich in der erst'n Zeit und nur bei Nacht.« »So weiß die Gemeind' gar nix davon?« »Nein, weil's zu viel' Umständ' macht. Nur die Mutter hat's gewußt und ich. Die Mündung ist in der Hinterkammer neb'n der Scheun', wozu er nie den Schlüssel herausgiebt. D'rum also muß ich auf die Wies'.« »Und das ist gut, Martha, sonst hätt' ich Dich jetzt net gesehn!« »'Wirst mich auch heut am Abend sehn, wenn ich es möglich mach'n kann. Er geht wieder um Acht zur Ruh.« »Ja komm', Martha! 'Wirst große Freud' anricht'n. Und sollt' ich net sofort daheim sein, so komm' ich sicher, noch eh Du wieder gehst. Leb' wohl!« »Leb' wohl, Frieder!« Sie blickte ihm nach, wie er dem Braunen die Sporen gab und in eleganter Sicherheit auf demselben über die breiten Gräben setzte. Wie war er doch so ganz anders als die Männer, welche sie bisher kennen gelernt hatte, besonders aber als der Vater! Sie durfte ihm gar nicht erzählen, wie dieser sie und die Mutter am Montag mißhandelt hatte. Es war noch viel ärger gewesen als sie angedeutet hatte, und wenn sie auch den eigentlichen Grund nicht kannte, der den Feldbauer über den nächtlichen Gang Frieders in solche Wuth versetzt hatte, sie wußte doch, daß diese Zornesergüsse wiederkehren würden, da es nicht in ihrer Absicht lag, dem wilden Manne das jung emporsprossende Glück ihres Innern zu opfern. Frieder kam nach Hause. Er mußte darüber lächeln, daß seit seinem Hiersein ihn der Waldkönig fast mehr in Anspruch nahm als das Bachgut. Er war abermals gezwungen, den Feldbauer zu belauschen und zwar ohne Verzug, und konnte daher den Eltern nur kurze Auskunft ertheilen. »Nun, wie war's auf dem Amt'?« frug der Vater. »Ganz wie ich's gedacht hab'. Sie wollt'n Alles wiss'n', ich hab' ihnen aber blos gesagt, daß ich mich weg'n dem König vermaskir'. Dann mußt' ich von Euch erzähl'n und bekam darauf die Erlaubniß,
zu thun, was ich für gut halt'.« »Ja, warum sagst' doch net, was Dir arrivirt ist im Wald? Wenigstens uns kannst's doch erzähl'n. Wir sind gar sehr erschrock'n, als wir hört'n, daß Du es machst wie der Franz; 'wirst uns wohl auch so ein Herzeleid bringen wie er. Was soll d'raus werd'n?« »Nix Anders als daß ich den König fang', Vater; d'rauf kannst' Dich verlass'n!« »Ja, grad so wie der Franz und ich! Dann wirst eines Tag's am Baum gefund'n oder Du kommst eines Morgens heim ohne Aug' und Licht.« »Vater, sorg' Dich net! Ich bin groß und alt genug, um zu wiss'n, ob ich sicher geh –« »Ich war's auch!« »Und grad jetzt nun weiß ich ganz genau, daß er mir nix schaden kann. Er ist schon fest in meiner Hand.« »Fest – in Deiner Hand –?« Der Blinde sprang auf, und auch die Mutter trat hinzu. Sie hatte das Wort noch nicht ergriffen, weil der Vater ja auch ihre Gedanken aussprach. »Ist's wahr, Frieder, sag' schnell, ist's wirklich wahr?« »So wahr als ich vor Euch steh!« »So red', wer ist's? Schaff' ihn mir zur Stell', rasch, jetzt gleich, damit mein täglich Gebet Erhörung find' und ich ihn unter mir zerdrück', wie der Funk' zerstiebt unter dem Hammer, der Eis'n zermalmt. Sag' ihn, bring' ihn; ich will ihn hab'n, ich muß ihn hab'n, sofort und ohn' Verzug!« Ein einziger Augenblick hatte den alten Mann in eine Aufregung versetzt, die ihn alles Andre vergessen ließ. Frieder versuchte, ihn zu besänftigen: »Du sollst ihn hab'n, Vater, aber jetzt noch net. Es ist noch net die recht' Zeit dazu!« »Die recht' Zeit ist stets, ist immer, ist sofort! Oder weißt noch net, wer's ist?« »Ich weiß es; aber eh' ich den Namen nenn', muß der Beweis vollständig sein und ohne Lück'. Drum hab' noch eine kleine Zeit Geduld! Du bist der Erst', der ihn von mir empfängt, das will ich Dir versprech'n!« Er ging. Hinter dem Dorfe, da, wo der Wald sich von der Höhe hernieder
zu neigen begann, hatte man einst nach Erz gegraben. Der Ertrag war in der ersten Zeit lohnend gewesen, nach und nach aber so gesunken, daß man den Bau aufgegeben hatte. Noch heut trat die Taubgesteinshalde weit aus dem Berge hervor, um deren Rand sich eine rohe, hölzerne Umzäunung zog zum Zeichen, daß der Zugang für den Unberufenen verboten sei. Der Platz gehörte jetzt zum Areal des Feldhofes, und der jetzige Bauer hatte an Stelle des kleinen, verwitterten Häuschens, welches das Mundloch des noch immer offenen Schachtes bedeckte, eine Scheune errichtet, angeblich um sich bei der Heu- und Grummeternte am Berge die Mühe des Heimbringens zu ersparen. Der Ort wurde noch heut »die Zeche« genannt, und Niemand kam hinauf, um den Argwohn des gefürchteten Feldbauern nicht zu erregen. Frieder richtete es ein, daß er von der Forstseite aus die Halde erreichte und an die hintere Wand der Scheune gelangte, wo man ihn vom Thale aus nicht bemerken konnte. Die Thür war verschlossen, das wußte er; doch kostete es ihm keine große Anstrengung, mit dem Messer einen Laden zu öffnen. Er stieg durch diesen in das Innere und verschloß ihn dann wieder. In einer Ecke der Scheune stieg der Schacht in die Tiefe; seine Mündung war mit Brettern belegt. Der übrige Raum war zur Hälfte mit Heu bis unter das Dach angefüllt. Er stieg hinauf und wühlte sich so zwischen die duftigen Bündel hinein, daß er vor Entdeckung sicher sein und doch Alles überblicken konnte. Der Feldbauer hatte bald nach Friedern die Schenke verlassen; die Räder seines Wagens knarrten, er öffnete die beiden Flügel des Thores und schob das ungelenkte Fuhrwerk rücklings in die Scheune. Die Pferde blieben unter dem Eingange halten, der eine so geringe Breite besaß, daß Niemand an ihnen vorüber Zutritt nehmen konnte. Nachdem er die Läden einer raschen Besichtigung unterworfen hatte, legte er Jacke und Mütze ab, entfernte die Bretter von dem Mundloche und zog unter dem Heu eine umfangreiche Seilrolle und einen Gegenstand hervor, dessen Zweck Frieder völlig unbekannt war. Er sollte nicht lange über denselben im Unklaren bleiben. Nachdem einige Bündel Heu vom Wagen genommen waren, zeigte sich, daß sie nur bestimmt gewesen waren, die eigentliche Ladung dem Auge zu entziehen. Diese bestand in Paketen, kleinen Fässern und Kisten, welche der Bauer mit einer Schnelligkeit ablud,
die man seinem massiven Körperbau gar nicht zugetraut hätte. Dann zog er den räthselhaften Gegenstand herbei, welcher aus vier oben in einem Gelenk vereinigten, unten aber sich ankerartig auseinanderbiegenden Eisenstäben bestand, befestigte ihn an das Seil, belud ihn mit einem Theile seiner Fracht und ließ ihn dann in den Schacht hinab. Frieder mußte im Stillen die Klugheit seines Gegners anerkennen, welcher eine Vorrichtung erfunden hatte, die das Abladen überflüssig und jede anderweite Hülfe entbehrlich machte. Denn war die Ladung unten angekommen, so stießen die Ankerarme auf den Boden, legten sich auseinander und warfen ihre Last von selber ab; wurde die Vorrichtung dann wieder emporgezogen, so nahm sie ihre vorherige Gestalt an. Auf diese Weise waren die Güter bald in dem Schachte verschwunden; der Feldbauer versteckte die beiden Gegenstände unter das Heu, bedeckte das Mundloch wieder, warf das noch vorhandene Futter vom Wagen und fuhr davon, nachdem er das Thor verschlossen hatte. »Jetzt nun kenn' ich das ganz' Geschäft!« athmete Frieder tief auf. »Hier hält er die Einfuhr', ohne daß ein Mensch ein Wort davon erfährt oder mit einer Silb' daran denkt; am Stoll'n ist die Ausfuhr' durch die Pascher, die gar net wiss'n, woher die Päck' und Kist'n kommen, und dazwisch'n ist der Brunnen, durch den er den Aufund Abstieg nimmt, wenn man im Feldhof denkt, er schläft. Dort muß er auch die Niederlag' hab'n, und in der Mauer, die ich betrachtet hab', ist ein Loch, durch das er geht, obgleich ich's net zu find'n vermocht'. Aber ich werd's noch entdeck'n und zwar heut. Er geht wieder um Acht zum Schlaf, wie Martha sagt', und wenn ich auch net beim Stein gewes'n bin, so weiß ich also dennoch, daß seine Leut' bestellt sind; er hat den Zettel dazu wohl gleich in der Früh besorgt, und jetzt, jetzt steigt er durch den Brunnen, um die Güter parat zu mach'n.« Er öffnete den Laden und sprang hinaus. Offen lassen durfte er ihn auf keinen Fall, und nur nach langer Mühe gelang ihm der Verschluß. An der Berglehne traf er ganz unerwartet mit dem Buschwebel zusammen, welcher von weiter oben aus dem Walde kam und so eilig zu haben schien, daß er beinahe von ihm umgerannt worden wäre. »Was läufst' hier im Weg herum!« polterte er mit
hochgeröthetem Gesicht, welches sich höhnisch verzog. »'Bist ja mehr im Wald als zu Haus'; aber ich werd' Dir gar bald das Spazier'ngehn verleid'n!« Frieder sah ihn groß an. War der Mann verrückt, daß er nach den Erfahrungen der letzten Zeit noch in diesem Tone sprechen konnte? »Feldwebel, mach'n Sie kalte Umschläg'; die Hundstag' sind vor der Thür!« »Ja, die Tag', wo man die Hund' an die Kett' legt und ihnen den Beißkorb giebt. 'Wirst auch einen bekommen für Dein Herumstreich'n. Und das gar bald; ich sorg' dafür!« Er eilte weiter, geraden Weges auf den Feldhof zu. Vom Flur desselben aus erblickte er den Bauer, welcher eben den Schlüssel an die Brunnenstube steckte. »Halt, Bauer, komm her!« »Was soll's?« »Eine Neuigkeit, eine wichtige. Komm herauf in meine Stub', denn hier ist net der Ort dazu!« Er schritt voran. Der Bauer folgte ihm halb erwartungsvoll, halb mißmuthig. Er war von ihm in der dringendsten Beschäftigung gestört worden. »Nun, Buschwebel, was giebts, daß ich hierher geschleppt werd'?« »Ich hab' ihn; ich hab ihn fest!« antwortete der Gefragte, mit einer Miene im Zimmer hin- und herstolzirend, als habe er eine Schlacht gewonnen. »Wen denn?« »Ihn und seine ganze Sippschaft!« »So sag doch' wen!« »Den Waldkönig!« »Bist wohl net bei Trost?« frug der Bauer, die Spannung seiner Züge so viel wie möglich beherrschend. »Sogar sehr, ganz ungeheuer bin ich bei Trost! Hab ich Dir's net gesagt, Feldbauer, daß ich ihn fangen werd'? O, man weiß schon, warum man grad mich herbeigeschickt hat! Und kaum bin ich hier, so ist er auch schon in die Fall' gerath'n. Der Lieutenant ist mir sicher, und mit der Marthe – hm, hübsch ist sie, und bekommen thut sie auch Etwas mit; aber ein Offizier muß auch Ambition halt'n. Wenn sie einen Andern will, so bekomm' ich Zehn dafür!« »Aber so red' doch kein solch dummes Zeug, Webel, sondern
sprich von der Leber weg! Du hast den Waldkönig? Wo denn?« »Beim alten Stoll'n!« Der Bauer schrak beinahe sichtbar zusammen. »Beim alten Stoll'n! Hast' ihn wohl schon dort?« »Ja, wenigstens so gut, als hätt' ich ihn schon! Dir kann ich's erzähl'n, denn Du bist der Letzt', der ihn warnt. Aber halt' den Mund, das sag' ich Dir! Also, ich geh heut in den Wald. Ich hatt' Etwas viel gespeist und die große Hitze, so daß ich müd zu werd'n begann und es für's Best' hielt, mich ein wenig in das Moos zu leg'n. Das war dort auf der Höh', wo die Stein' auf der kleinen Lichtung lieg'n. Da kriech' ich unter die Zweig', streck' mich aus und schlaf' auch richtig ein. Ich weiß net, wie lang ich so geleg'n bin, da wach' ich auf einmal auf: es raschelt in dem Laub. Rasch blick ich durch die Zweig', und was seh' ich? Rath einmal!« »Nun!« »Ein Mann steht bei dem Gestein, hebt einen Block in die Höh', blickt darunter, läßt ihn wieder fall'n und geht dann fort!« »Was ist's weiter!« meinte der Zuhörer so gleichgültig wie möglich. »Was es weiter ist, das wirst' gleich hör'n! Ich bin noch net fertig, mir die Sach' zurecht zu leg'n, da kommt noch Einer, der dasselbe thut, nach zehn Minuten wieder Einer, und so geht es fort, bis ich endlich mich vor Neugierd' net mehr zu halt'n vermag. Ich nehm' also die Zwischenzeit gut wahr, spring hin, seh nach, und was hab ich gefund'n, he?« »Nur heraus damit; ich bin doch net allwissend!« »Unter dem Stein liegt ein Zettel, und darauf steht: Beim alten Stollen, um 10. Was sagst' dazu?« »Das ist ja ganz absonderlich!« »Absonderlich blos? Nein, noch viel mehr! Der Waldkönig giebt am Stein seine Bestellung auf; seine Leut' kommen heut' an den alt'n Stoll'n; ich hol' unsere ganze Mannschaft zusammen und fang' sie all' mit 'nander. Weißt', was das ist?« »Glück, ungeheures Glück, und noch dazu im Schlaf, grad' wie's im Buch steht! Aber, Buschwebel, nimm's auch in Acht, daß Dir's net wieder davonläuft!« »Mir net, drauf kannst getrost Gift nehmen!« »Hast' den Zettel mitgenommen?« »Fällt mir gar ein! Hält'st mich wohl für auf die Nas' gefall'n?«
»Nun, als Beweis!« »Das Papier nützt mir nix, die Pascher brauch ich, die will ich hab'n! Aber wenn ich ihnen den Zettel hinwegnehm', so wittern sie Verrath und kommen net.« »Das mag wahr sein! Aber 'hast sie doch erkannt?« »Keinen! Die in der Näh' wohnen, sind vielleicht schon dagewesen, noch eh' ich recht erwacht bin; doch das schadet nix. Ich weiß, wo sie zu finden sind, und werd' sie all' mit 'nander bekommen.« »Aber net auf die Weis', wie Du vorhin sagt'st!« »Warum?« »Am alt'n Stoll'n, heißt's, aber wo? An einem Punkt von ihm oder an der Mündung?« »Hm, ja, das weiß ich net!« »Siehst'! Nun nimmst die ganz'n Soldat'n mit, stellst sie auf und grad wo die Schmuggler das Rangtewuh hab'n, wie Du sagst, da hast' sie net beisammen. Und denkst' etwa, der Waldkönig ist so dumm und merkt net, daß Ihr da seid? Er hat seine Spion' in jedem Haus, und wenn Keiner 'was sieht, das Gelauf von Euch wird doch bemerkt. Seine Leut' kommen natürlich net anmarschirt wie eine Kompagnie Soldat'n, sondern sie schleichen sich Einer hübsch nach dem Andern herbei, da kannst' wart'n, bis Du sie bekommst!« »Das klingt ganz richtig! Aber was soll ich thun?« »Buschwebel, Du mußt das ganz von selber wiss'n! Der Feldbauer ist ein Esel, das hast' ja gesagt, net wahr? Wie kann er Dir da sag'n, was zu thun ist?« »Hartkopf, der Du bist! Das war ja gar net so schlimm gemeint, Du hast mehr vom Waldkönig gehört als ich, und kennst also seine Schlich' auch besser. Sag', was würdst' thun an meiner Stell'?« »Plaudern gar net; zu keinem Mensch'n.« »Auch zum Lieut'nant net?« »Erst recht net! Oder willst', daß er Dir den Preis wegnimmt? Du mußt ihm ja gehorch'n, auch wenn er die Sach' so anstellt, daß nur er die Ehr' davon hat.« »Mein Seel', Du hast Recht, Feldbauer! Ich muß die Sach' erst ganz allein auf mich nehmen, und wenn ich den Ort genau kenn', sie so einricht'n, daß ich den Offizier net brauch', nämlich so, daß der Fang so schnell kommt, daß ich keine Zeit hab', ihm vorher Meldung zu mach'n.«
»Jetzt wirst' gescheidt, Buschwebel! Niemand darf das Geringst' davon wiss'n, sondern Du schleichst allein hinaus, leis' und heimlich, daß Dich keine Katz' bemerkt, bis an den Stoll'n. Ich denk' mir schon den Ort, wo's ist.« »Sag', wo?« »Grad an der Mündung, wo auch der Bachbauer damals gesteckt hat, steht eine Birk', und gleich daneb'n geht ein Loch in die Erd'. Es ist von Gesträuch bewachs'n, so daß man es gar net sieht, aber Du wirst's schon werk'n, wenn sie hineinkriech'n.« »Weißt's genau?« »Ganz und gar. Das Loch kenn' ich schon lang, hab aber net gedacht, daß ein Versteck dahinter ist, in dem die Pascher sind.« »Soll'n sie's etwa mit der Glock' in die Welt hineinläut'n, wo sie steck'n? Aber es ist gut, daß ich erst mit Dir gesproch'n hab. Nun ich einmal weiß, wo sie zu find'n sind, können sie mir nimmer entgehen. Ich werd' es schon so anfangen, daß ich den Lieut'nant net brauch'. Am Meist'n freu ich mich auf den Bachfrieder, denn der ist dabei, das weiß ich ganz genau.« »Wirklich? Woher?« »Weil er auch da drob'n war und jedenfalls auch mit unter den Stein geblickt hat, nämlich als ich noch schlief. Ich hab' ihn dann eingeholt, und er ist ganz verlegen dagestand'n, als er mich erblickt hat. Was will er im Forst? Er ist Bauer und gehört auf den Acker oder in den Stall.« »Ich an Deiner Stell' macht' kurz'n Prozeß mit ihm. Sobald er mir 'mal begegnet', bekäm' er die Kugel, und keine Katz' miaut' nach ihm. Ob er der König ist oder net, dabei ist er doch, und dann ist's ja gleich, ob er ein wenig früher oder später vorgenommen wird.« »Verdient hätt' er's; aber die Kugel ist net genug für ihn. Er muß ins Zuchthaus, das ist noch zehnmal schlimmer als der Tod. Nachher kann er darüber nachdenk'n, wer der Stärkst' ist, er oder ich. Aber, weißt', Feldbauer, Du kennst das Loch; geh mit hinaus zum Stoll'n!« »Was fällt Dir ein! Mich geht die Sach ja gar nix an. Ich bin net herbeikommandirt, um den Waldkönig zu fangen, und werd' mich hüt'n, mir die Hand an ihm zu verbrennen. ›Was Deines Amt's net ist, da laß' den Vorwitz,‹ sagt das Sprichwort, und Du hast ja selbst gemeint, ich hätt' den groß'n Mund aber die kleine Faust. Was kann ich Dir da nütz'n?«
»Mach' keine Flaus'n! Was in der Hitz' gesagt wird, kann vergessen werd'n. Und Dein Schad' würd's auch net sein, wenn Du mir beistehst auf den heut'gen Abend.« »Mein Vortheil auch net. Fürcht'st Dich vielleicht allein im Wald?« »Ich? Der Buschwebel? Bist' bei Sinnen?« »Ja, mehr als Du selber. Ich wett', Du kommst net allein hinaus zum Stoll'n. Der Muth ist eine eig'ne Sach'; er weicht gern aus dem Herz'n und setzt sich auf die Zung'.« »So mag's bei Dir sein, aber bei mir net. Ich geh, und morg'n wirst' sogleich erfahr'n, was ich ausgerichtet hab'.« »Ich bin begierig d'rauf. Geh nur beizeit'n und lauf' net wieder fort, wenn's anfängt, Dich zu gruseln!« Er verließ die Stube und ging nach dem Hofe, wo er den Brunnenraum öffnete und dann von Innen wieder sorgfältig verschloß. »Welch' ein Glück, daß er net zu schweig'n versteht! Hätt' er im Still'n die Anzeig' gemacht, so wär' ich in eine saub're Tint' gerath'n. Muth hat er, das ist wahr; aber die Klugheit fehlt ihm dabei. Jetzt droht mir von ihm mehr Gefahr als vom Bachfrieder. Er kennt den Stein und das Geheimniß, und ich muß ihn zur Verschwiegenheit bringen. Das Blend'n hilft hier nix; entweder stirbt er, oder – ja, oder er muß mit zur Gesellschaft tret'n; das ist die einz'ge Wahl, die ich ihm lass'. Zu hart ist's net für ihn, denn was hat er gesagt von der Marthe? Er bekommt zehn And're an ihrer Stell'! Gut, er wird noch alle Finger nach ihr leck'n und sie dennoch net erhalt'n. Sie war nur die Lockspeis' und soll mir noch weit höher hinaus. Heut' halt' ich Abrechnung mit ihm von weg'n dem Esel, den er mir ins Gesicht geworf'n hat. Er soll ihm wohl bekommen!« Die Haspel, außer welcher nicht der kleinste Gegenstand in der Brunnenstube zu bemerken war, trug zwei Eimer, welche so an dem Seile befestigt waren, daß je einer von ihnen niederfuhr, wenn der andre in die Höhe ging. Der Feldbauer bestieg den oberen und ließ sich langsam hinab, indem er das den unteren tragende Seilende durch die Hände gleiten ließ. – Der Feldwebel war in seiner ungewöhnlichen Aufregung zurückgeblieben. Er hatte keine Ahnung davon, daß er ein Spielball in der Hand Dessen sei, den er fangen wollte. Der Rath des Feldbauers schien ihm der beste, und er befolgte ihn um so genauer,
als ihm sehr viel daran lag, seinen Muth zu beweisen. Er konnte das Hereinbrechen des Abends kaum erwarten und machte sich, sobald es zu dunkeln begann, auf den Weg. Die Vorsicht, welche er anzuwenden hatte, ließ ihn nur langsam vorwärts kommen; doch erreichte er die verschüttete Mündung des Stollens noch vor dem neunten Glockenschlage. Er fand auch bald die Birke; es war die einzige, welche an dieser Stelle stand, und er bückte sich nieder, um nach dem angegebenen Loche zu forschen. In diesem Augenblicke aber erhielt er einen Schlag auf den Kopf, der ihn sofort vollends zu Boden streckte; eine Schlinge legte sich um seinen Hals; Hände und Füße wurden zusammengebunden – er hatte das Bewußtsein verloren. Als er erwachte, war es vollständig dunkel um ihn her, und es vergingen einige Minuten, ehe er sich auf das Geschehene besinnen könnte. Mit der Erinnerung kam ein fürchterlicher Grimm über ihn; er zerrte mit aller ihm zu Gebote stehenden Gewalt an den Fesseln, und als er diese Anstrengung fruchtlos fand, begann er laut zu rufen. Seine Stimme mußte gehört worden sein, denn es dauerte nicht lange, so vernahm er das Rasseln eines Schlosses, eine Thür wurde geöffnet, und heller Lichtschein fiel auf das faulende Stroh, welches sein Lager bildete. Er befand sich in der Gefängnißhöhlung, welche Frieder jüngst bemerkt hatte. Draußen standen zwei tief verhüllte Männer; der Eine von ihnen trug eine Laterne; der Andre trat näher und löste den Strick, welcher die Füße des Gefangenen zusammenhielt. »Vorwärts!« gebot er mit einem derben Tritte seiner schwerledernen Stiefel, indem er ihn zugleich beim Kragen packte und in die Höhe zog. Dann stieß er ihn in den Gang und schob ihn vor sich her bis in die Erweiterung des Stollens, wo die Hängelampe unter einem dämpfenden Schirme hervor ein zweifelhaftes Licht verbreitete und eine bedeutende Anzahl finsterer Gestalten, wohlbewaffnet und mit der Maske versehen, rund auf den Bänken Platz genommen hatte. Einer von ihnen erhob sich. »Feldwebel, weißt', wo Du bist?« Seine Stimme klang dumpf unter der Maske hervor, so daß wohl jede Silbe zu vernehmen, an ein Wiedererkennen aber nicht zu denken war. »Ja. Im Stoll'n bin ich, in der Räuberhöhl', hinterrücks überfall'n und hereingeschafft. Aber das soll Euch net gut bekommen; ich
werd' Euch all' zusammen an den Galg'n bringen oder ans Schaffot!« Ein durch die Larven gedämpftes allgemeines Gelächter war die Antwort. »Spar' das Droh'n und Aufschneid'n!« meinte der vorige Sprecher. »Du bist net in der recht'n Lag' dazu. Du stehst vor Gericht und sollst das Urtheil hab'n für die Müh', die Du Dir mit uns gibst.« »Vor Gericht? Ich kenn' kein Gericht, das in solcher Weis' abgehalt'n wird, ich protestir' dageg'n, ich erkenn's net an; ich will meine Freiheit hab'n!« »Ob Du protestirst oder net, das ist uns ganz gleich, und wenn das Urtheil ausgeführt ist, mußt's schon anerkennen.« »Das thu' ich net! Ihr habt kein Recht, mich zu fangen; Euch selber gehört der Strick und die Kugel; Ihr seid Diebe, Mörder, Räuber.« – »Halt! Schau Dich um, Buschwebel. Dort steht der Waldkönig. Siehst' das Pistol in seiner Hand? Sobald Du noch ein einzig' Wort sagst, das ihm net gefällt, bist' eine Leich'. Dann schimpf, so viel Du willst!« Der Sprecher deutete nach dem Hintergrunde des Stollens. Dort stand hoch aufgerichtet die breite Gestalt des Pascheroberhauptes. Die langen Haare rollten bis auf den Nacken herab, der dunkle Bart quoll unter der Larve hervor, im Gürtel blitzten die Waffen, und die ausgestreckte Rechte hielt sich zum Losdrücken bereit. Den Feldwebel überlief ein kalter Schauer. Sein ganzes heißblütiges Naturell sträubte sich gegen den Zwang, und doch mußte er einsehen, daß hier die einzige Rettung nur in der Ergebung zu suchen sei. »So beginnt das Poss'nspiel, aber macht's so kurz wie möglich!« »Hab' keine Sorg'! Wir sind net an allzu große Läng' gewöhnt! Also, Du hast geschwor'n, den Waldkönig zu fangen, um Lieut'nant zu werd'n und den Preis zu erhalt'n, der auf seinen Kopf gesetzt ist. Weil das aber ein ganz vergeblich Beginnen ist, so woll'n wir Mitleid mit Dir hab'n und Dir behilflich sein. Die Treß', nach der Du Dich sehnst, sollst' gleich bald erhalt'n und auch den Preis, aber net in Silber und Gold, sondern in Hanf und Eis'n: Sieh' her! hier ist der Strick und dort der Nagel. Da wirst abgethan, und morg'n in der Früh' hängst' im Wald, und in der Tasch' steckt der Zettel mit der
Schrift: ›Zur Strafe, vom Waldkönig!‹ grad wie beim Bachfranz und beim Förster.« »Das ist Todtschlag, das ist Mord, den ich gar net verschuldet hab'!« »Sei still! Weshalb bist' nach Finsterwalde versetzt? Warum liegst' im Wald den ganz'n Tag, und wozu bist' heut' an den Stoll'n gekommen? Du hast unsern Bestellort belauscht und mußt sterb'n. Der Tod macht alles stumm; dann sind wir sicher.« Er wandte sich zu den Paschern. »Wer von Euch für den Tod stimmt, der mag aufsteh'n!« Alle ohne Ausnahme erhoben sich. »Siehst', Feldwebel, wie's um Dich steht? Bet' ein Vaterunser oder ein Ave Maria, ganz wie Du willst, denn in zwei Minut'n hängst' an der Wand!« Die Männer hatten sich nicht wieder gesetzt, sie umringten ihn drohend. Er fühlte zum ersten Male in seinem Leben die Angst vor dem Tode über sich kommen. »Gibt's keine Rettung, keine Hülf' weiter?« frug er bebend. »Keine!« »Ich werd' schweig'n, ich werd' Euch net verrath'n!« »Das versprichst' wohl, aber zu halt'n, das vermagst' net!« »Ich schwör's Euch zu. Fordert den schlimmst'n Eid; ich werd' ihn willig leist'n!« »Dein Eid nützt uns nix. Nur das Grab ist still und plaudert net. Komm' her!« Er legte ihm die Schlinge wieder um die Beine. Ein Widerstand war unmöglich. Der Buschwebel hatte dem Tode mehrmals kalt in das Auge geschaut; das war auf dem Schlachtfelde gewesen, wo man mit ruhmglänzender Stirn und bewaffneter Faust gegen ihn anstürmt. Hier aber war das anders. Hier sollte er ohne Kampf und Ehre vom hinterlistigen Meuchelmorde überfallen werden; seine ganze Natur bäumte sich dagegen auf, und kein Mittel schien ihm zu kostbar oder zu – verwerflich, um sich zu retten. Er versuchte noch einmal die Festigkeit der Fesseln, seine Muskeln schwollen unter ihnen beinahe um das Doppelte, aber sie rissen nicht. Man schleppte ihn zur Mauer; er fühlte die verhängnißvolle Schlinge um den Hals, und sein Blick fiel auf den Waldkönig, der zwar jetzt den Arm zurückgezogen hatte, sonst aber noch in der vorigen Haltung im Hintergrunde stand.
»Hilf mir – rett' mich!« rief er. »Warum bist' der König, wenn Du net begnad'gen darfst!« »Das darf ich schon, wenn ich will!« klang es zurück. »Aber wer mich fangen will, für den gibt's keine Gnad'!« »Ich will Dich net fangen, ich werd' mich um Dich net bekümmern; ich will so thun, als ob Du gar net vorhand'n seist!« »Das gilt nix! Wenn Du los sein willst, so mußt' einen bessern Preis bezahl'n!« »Welch'n?« »Dich selber.« »Wie meinst' dies?« »Tritt ein in die Gesellschaft!« »Als Pascher? Nimmermehr!« »Net als Pascher, sondern als Schutz. Du trittst in meinen Dienst und schaffst mir Kund' von meinen Feind'n.« »Also Spion!« »Nimm's, wie Du willst!« »Das thu' ich net!« »Gut, hängt ihn auf!« »Gnade! Gebt mir Bedenkzeit!« Der König schien nachzudenken. »Sollst sie hab'n,« entschied er dann; »aber morg'n um diese Zeit hängst' entweder oder bist unser Kam'rad. Fort mit ihm!« Er wurde wieder in sein Gefängniß geführt. Man gab ihm die Hände und Füße frei, befestigte ihn aber mittelst einer Kette an die Mauer. Den Inhalt seiner Taschen hatte man ihm schon vorher genommen. Nachdem für Wasser und Brod gesorgt worden war, schloß sich die Thür hinter ihm. Er blieb zurück, und zwar mit ganz andern Gefühlen als diejenigen waren, mit denen er seinen heutigen Gang angetreten hatte. –
V. Herzenskampf Noch ehe es völlig dunkel war, hatte sich Frieder wieder hinauf zur Zeche begeben. Er trug ein ziemlich umfangreiches Paket bei sich, welches mehrere vollständig neue und sehr lange Leinen enthielt. Sie waren schwach, um nicht viel Raum wegzunehmen, aber er hatte sie erprobt und wußte, daß sie ihn halten würden. Nach reiflicher Ueberlegung war er zu der Ansicht gekommen, daß er, um das Geheimniß des Waldkönigs vollständig aufzudecken, auf der Zeche einfahren müsse. In die Brunnenstube des Feldhofes zu gelangen, war ihm unmöglich, und das Eindringen durch den Einsturztrichter konnte kaum zu einem weiteren Resultate führen. Zwar begab er sich jedenfalls in eine Gefahr, die um so größer war, als er sie noch nicht kannte und sie von mehreren Seiten auf ihn lauerte; aber das Glück war ihm bisher so hold gewesen, daß er auch jetzt sein Vertrauen festhielt. Mit einer kleinen Handsäge, die er mitgenommen hatte, schnitt er sich einige harte Stämmchen im Busche und lehnte sie unter den Laden der Zechenscheune. Nachdem er diesen geöffnet hatte und eingestiegen war, zog er sie in das Innere, legte sie quer über einander und verband sie an ihrem Berührungspunkte mit einem festen Stricke. Dann zog er einen Haken mit einer Rolle daran hervor, den er daran befestigte, und befand sich nun im Besitze einer Vorrichtung, die ihm mittelst der Leinen die Einfahrt ermöglichen mußte. Das Seil, dessen sich heut der Feldbauer zur Bergung seines Paschgutes bedient hatte, reichte nur einmal hinab und war für Frieder also unbrauchbar; doch hatte sich dieser die ungefähre Länge desselben gemerkt, um sie als Maßstab für seine Leinen zu nehmen. Diese waren an ihren Enden so verbunden, daß die Verbindungsstellen ohne Stocken über die Rolle des Globen lausen konnten, die Anwendung einer Vorsicht, welche nicht verabsäumt werden durfte. Er verschloß den Laden wieder, entfernte die Bretter von dem
Mundloche, legte die Stämme darüber und schob die Leine über die Rolle. Dann zog er eine kleine Blendlaterne hervor, zündete sie an und befestigte sie über der Brust. »Glück auf!« murmelte er, sich selbst ermunternd, und trat in die Schlinge, welche er sich für den Fuß zurechtgelegt hatte. Nicht blos die Finsterniß, nein, auch der Tod war es, der unter ihm lauerte. Die gähnende Tiefe grinste ihm entgegen wie der Schlund eines ungeheuren Geschützes, welches in jedem Moment ihm ein sicheres Verderben entgegenspeien konnte. Der kleinste Zufall konnte Unheil bringen, doch der muthige Jüngling schüttelte alle ängstlichen Gedanken von sich ab, griff ruhig Fuß um Fuß der Leine ab und fühlte, als er deren Ende noch nicht erreicht hatte, den festen Boden unter sich. Er sah sich um. Nicht weit von ihm führte ein zweites Mundloch abermals zur Tiefe; es war unbedeckt; und zu seiner Rechten ging der Stollen in horizontaler Richtung in die Erde hinein. Er folgte ihm. Die Schienen, auf denen man die Hunde bewegt hatte, waren noch ziemlich wohl erhalten, ja, es hatte den Anschein, als seien sie auch jetzt noch benutzt. Diese Beobachtung bestätigte sich, als er bei der Stelle anlangte, welche seiner Muthmaßung nach unter dem Feldhof liegen mußte: ein Hund stand hier, noch mit einigen Fässern und Bündeln beladen, und unfern davon lag ein leerer Wassereimer am Boden, an ein Seil befestigt, welches in die Höhe ging. Er leuchtete empor. Die Decke zeigte ein zirkelrundes Loch, dessen Höhe der Schein der Laterne nicht zu erreichen vermochte. Das war der Brunnen, den der Feldbauer ganz allein gegraben hatte. Frieder ging weiter. Er hatte eine geraume Strecke zurückzulegen, ehe er die Quermauer erreichen konnte, jenseits welcher er seine Nachforschungen gehalten hatte, das wußte er. Darum beschleunigte er seine Schritte so viel wie möglich, und gelangte endlich an eine Stelle, wo der Stollen zu einem Raume erweitert worden war, der, wie gleich der erste Blick belehrte, zur Waarenniederlage benutzt wurde. Hier lag alle mögliche Art von Schmuggelgut vom Boden bis zur Decke aufgespeichert, auch Waffen hingen an den Wänden, wohl für den Fall der Aushilfe, und an der einen Seite war ein Schränkchen angebracht, dessen Thür offen stand. Frieder leuchtete hinein. Neben Gold und allerlei Werthsachen lagen einige Bücher; sie enthielten eine zwar von unkundiger Hand
geführte aber sehr genaue Buchführung über das geheimnißvolle Speditionsgeschäft des Waldkönigs. Die Namen aller Interessenten waren genannt; die Bücher mußten ihnen verderblich werden, wenn sie in die Hand der Behörde gelangten – der Feldbauer war doch nicht so schlau, wie er es selbst von sich dachte. Der Stollen führte weiter, doch nur wenige Ellen, dann stand Frieder an der Mauer, welche sein heutiges Ziel bildete. Er war auf eine schwierige und vielleicht gar resultatlose Untersuchung derselben vorbereitet gewesen, sah sich aber, allerdings nur zu seiner Freude, getäuscht, denn sobald der Schein der Laterne auf sie fiel, gewahrte er die Konstruktion, von welcher er an ihrer andern Seite keine Spur gefunden hatte. Es war eine Drehwand, zwischen vier Rahmenbalken aufgeführt, welche so bearbeitet und angestrichen waren, daß sie an der Mündungsseite des Ganges ganz genau an die Wände desselben anschlossen und auch in Beziehung ihrer Farbe nicht von ihrer Umgebung abstachen. Ein hölzerner Riegel je hüben und drüben bewerkstelligte den Verschluß. Frieder schob den einen zurück und konnte nun mit einem verhältnißmäßig leichtem Drucke die Mauer bewegen. Der Waldkönig hatte das Alles jedenfalls nur eigenhändig hergestellt. Welche Anstrengung und Ausdauer hatte es ihm wohl gekostet, dem alten Stollen seine jetzige Einrichtung zu geben! Jetzt hätte Frieder durch den Trichter das Freie am leichtesten und Sichersten erreichen können, aber er mußte wieder zurück, um seine Anwesenheit nicht zu verrathen. Die Scheidemauer war nur von dieser Seite zu öffnen und zu verschließen, und die im Schachte niederhängende Leine konnte nur allzu leicht zum Verräther werden. Er kehrte also um und beeilte sich so viel wie möglich, die Ausfahrt zu erreichen. Er wußte nicht, zu welcher Stunde die Schmuggler heut bestellt waren, und konnte darum einer Begegnung mit dem Waldkönige recht gut gewärtig sein. Nur einem Manne von seiner riesenhaften Stärke war es möglich, sich in dem Schachte emporzuziehen, und als er später nach sorgfältiger Entfernung aller Spuren die Scheune verließ, athmete er auf wie nach einer Anstrengung, die auch die kleinste seiner Fasern in Anspruch genommen hatte. Bei den Eltern fand er Martha, die ihm beinahe verlegen die Hand reichte. Es war ja das erste Mal, daß sie mit ihm in Gegenwart
der Seinen zusammentraf. »Wo bist' schon wieder gewes'n, Frieder?« forschte der Vater. »Ich hab' mich gefreut, daß Du aus der Fremd' gekommen bist, und geglaubt, Dich immer bei mir zu hab'n; jetzt aber ist's ganz anders. Du bist fast gar nie daheim, sondern gehst Deine Weg', und wir bleib'n zurück und mög'n sehn, wie wir mit unsrer Sorg' fortkommen!« »Laß' gut sein, Vater! Das Herumstreich'n hat ein End'. Meine Aufgab' ist gelöst, und Ihr sollt mich nun von jetzt an wieder ganz bei Euch hab'n.« »Ist's wahr? Deine Aufgab' ist erfüllt, und Du gehst net wieder in den Wald?« »Ja. Nur ein einzig Mal noch muß ich hinaus, um die Schling' zusammenzuzieh'n, die ich bisher gelegt hab'. Dann ists genug.« »Hast' ihn schon d'rin, Frieder? Kann er auch net wieder heraus?« »Nein; er steckt fest, so fest, daß ein Entrinnen unmöglich ist, und für mich ist net die geringst' Gefahr mehr vorhand'n.« »Darf ich's auch glaub'n? Wir sind vor Sorg' und Angst beinah' vergangen, seit wir wiss'n, daß Du des Nachts hinausgehst, um den Waldkönig zu fangen.« Martha hatte bisher dem Gespräch zugehört, ohne zu wiss'n, auf wen es sich bezog. Bei dem letztgenannten Namen aber fuhr sie erschrocken auf. »Den Waldkönig willst' fangen, Frieder?« frug sie erblassend. »Ja.« »O, thu das net, Frieder! Er ist fürchterlich und wird sich grausam rächen.« »Recht hast' mit dem fürchterlich, Martha, doch seine Rach' fürcht' ich net. Der Stachel dazu ist ihm genommen.« »Wenn auch! Weißt', was in der Bibel steht? ›Die Rache ist mein; ich will vergelt'n, spricht der Herr!‹ Ueberlaß ihn dem lieb'n Gott, den kann er net bethör'n und überwind'n!« Da trat der alte Bachbauer zu ihr und tastete seine Hand auf ihre Schulter. »Marthe, Du sprichst, wie ein Weib reden muß, dem ein weich und zart' Gemüth gegeb'n ist, in das der Haß und die Feindschaft noch nimmer hinabgestieg'n sind. Aber blick um Dich her auf das Elend, das der König angerichtet hat, geh hinaus auf den Kirchhof,
wo der Franz in der kalt'n Erd' gebettet liegt, schau her auf mein Angesicht, und Du wirst anders denk'n. Weg'n meiner hat sich noch nie ein Wurm gekrümmt, mein Herz ist mild und sanft; aber es hat eine Stell', die ist wie Erz und Stein; die hat der Waldkönig angegriff'n, und nun bleibt sie hart und starr, bis ich mit ihm quitt geworden bin. Der Frieder ist der Einzig', den ich hab', und seit ich weiß, daß er den Feind beschleicht, hab ich den Seelenkrampf, denn jeder Aug'nblick konnt' mir die Kund' bringen von seinem Untergang. Aber nun er so weit vorgeschritt'n ist, darf er nimmer wieder zurück; ich verbiet es ihm, und er will's auch selber net. Wir hab'n ein Recht auf den Waldkönig, und das soll uns Niemand nehmen!« »Gebt's dennoch auf, Bachbauer, gieb's auf, Frieder! Denn solch' ein Recht kommt net von Gott!« bat sie mit unverkennbarer Angst in Stimme und Miene. »Und dennoch kommt's von ihm! Du hast vorhin den Spruch gesagt, Martha, aber seine Bedeutung kennst' gar nimmer. Die Rach' kommt von Gott; er wird vergelt'n; aber er steigt net vom Himmel herab, um mit der Faust dreinzuschlag'n, sondern er gebietet es uns, die Straf zu vollstreck'n. Ich hab seine Stimm' gehört seit langer Zeit, aber ihr net Gehorsam leist'n können. Soll ich ihr jetzt widerstreb'n, wo ich die Macht hab', Vergeltung auszuüb'n? Nein! Frieder, wirf mir den Waldkönig in diese beide Händ', und ich will Dich segnen all mein Lebelang; keine Macht, kein Reichthum und keine Bitt' soll ihn befrei'n, und wie er kein Erbarmen gehabt hat mit uns, so soll auch ihm sein Recht werd'n, voll und unverkürzt, wie er's verdient!« »Ist er wirklich in Deine Hand gegeb'n, Frieder?« frug das Mädchen. »Ja; er kann mir net den geringst'n Widerstand leist'n, wenn ich ihn fass'n will.« »Und kennst' auch seinen Namen?« »Auch den.« »Wer ists, Frieder? O sag's, ich bitt' gar sehr!« »Das kann ich heut noch net, doch morg'n vielleicht sollsts erfahr'n.« »Aber gesehn hast' ihn! Wie sieht er aus?« »Stark und breit, im Gürtel Messer und Pistol', das Gesicht voller Bart und die Larv' obendrauf; er ist gar furchtbar
anzuschaun.« »Was hat er für Haar?« »Es ist dunkel und geht bis auf die Achsel hernieder.« Sie stieß einen Schrei aus, schlug die Hände vor das Gesicht und sank auf ihrem Sessel zusammen. Die Bäuerin eilte erschrocken herbei, und auch Frieder erfaßte bestürzt ihre Hände, um sie von dem Gesichte zu entfernen. »Um Gotteswill'n, was gibts, was hast, Marthe?« Sie ließ die Arme sinken und legte den Kopf schwer auf die Lehne des Stuhles. Ihr Busen ging hoch, ihre Lippen zuckten, und aus den halb geschlossenen Wimpern rollten zwei große, schwere Tropfen über die todesbleichen Wangen herab. »Frieder!« klang es müde zwischen den Lippen hervor. »Martha, sei stark; mach' Dein Herz frei, und sag', was Dir fehlt. Du wirst gern Trost und Hülf' von uns erhalt'n!« »Ich hab keinen Vater mehr!« »Wie meinst' das? Was weißt von ihm?« »Alles, Alles weiß ich! O, meine liebe, gute Mutter, das wirst' nimmer überwind'n, das kannst net verschmerz'n, daran wirst' untergehn und sterb'n, Du und auch ich!« Der Gedanke an die Mutter gab dem erstarrenden Pulse neues Leben; sie brach in ein herzerschütterndes Schluchzen aus. Die Bäuerin ließ sich an ihrer Seite nieder und zog das konvulsivisch bebende Köpfchen liebevoll an sich. »Wein' net, Marthe, sondern erzähl' uns Dein Leid. Du sollst nie und nimmer von uns verlassen sein!« »O nein, ich kann's net erzähl'n! Ihr würdet mich hass'n und mich von Euch jag'n, und das, ja, das wär mir noch schlimmer als das Andre!« »Dich hass'n und Dich fortjag'n, Marthe? Was denkst von uns! Frag den Mann und frag den Frieder, ob die an so 'was denk'n!« »Hier nimm die Hand,« meinte mit gütiger Stimme der Bauer; »ich reich sie Dir hin als Stütz' und Hülf' in jeder Noth. Nur mußt' sie sag'n, damit ich weiß, wie ich Dir beispringen kann!« »Und hier ist auch meine Hand, Martha,« fügte Frieder hinzu. »Ich hab' sie noch nie den Unwürd'gen gereicht, und Du kannst Dich in aller Noth auf sie verlass'n. Drum sag', warum hast' keinen Vater mehr?« »Du weißt's ja auch!«
»Ich weiß net, ob Du das Richt'ge meinst.« »Es ist das Richt'ge, Frieder, und – ja, ich will's sag'n; es muß doch einmal heraus, und je eher, desto besser ist's! Wißt Ihr, Bachbauer, wer der Waldkönig ist?« »Nein, der Frieder hat mir's bisher net sag'n woll'n.« »Er hat's verschwieg'n blos um meinetwill'n. Mein Vater ist's!« »Dein – Vater ist's? Der Feldbauer!« Der Blinde ließ ihre Hand, die er in der seinen hielt, fallen und trat einige Schritte zurück. Ueber sein entstelltes Angesicht zuckte es wie eine plötzliche Erkenntniß; seine Augen schienen aus ihren Höhlen treten zu wollen, seine Zähne bissen sich fest auf einander; sein Fuß erhob sich, und seine Ellbogen warfen sich empor, als wolle er sich auf Den stürzen, von dessen Geheimniß so plötzlich der Schleier gerissen war. »Ja, mein Vater, der Feldbauer! Net wahr, nun bin ich Euch verhaßt und verachtet und muß geh'n?« »Der – der – der also!« knirschte es zwischen den Lippen des Gefragten hervor. »Ich hab' mirs so oft gedacht und konnt' mir den Waldkönig gar net anders denk'n als in seiner Gestalt. Also hat er mir den Sohn gemordet, er hat mir das Aug' geraubt, er ist der Satan gewes'n für das ganz' Gebirg und hat Verderb'n gebracht über so viel ehrliche Leut', die sich net von ihm verlocken ließ'n! Frieder, ist's wahr? Ist's kein Andrer?« »Er ist's, Vater!« »So sei er verflucht, taus'ndmal, millionenmal! Die Erd' kann ihn net länger trag'n, und der Himmel mag ihn nimmer hab'n; hinunter in die Höll' mit ihm! Frieder, komm', reich' mir die Hand! Ich muß hinaus zum Feldhof, hinaus zu ihm, ich muß ihn zermalmen, zerdrück'n, fort, fort, ich halt's hier nimmer aus!« Er streckte die Hand aus nach dem Sohne; sie wurde von einer anderen, kleineren erfaßt. »Bachbauer!« Die Arme Martha's umklammerten ihn, als könne sie dadurch das drohende Unheil von ihrem Heim abwenden. »Was soll's? Will'st ihn vielleicht errett'n? Hab ich net vorhin gesagt, daß keine Macht, kein Reichthum und keine Bitt' ihm helf'n soll? Er ist mein erster und mein letzter Gedank' bei Tag und Nacht; er hat mir mehr geraubt als Ihr wißt und versteht: meine Seel', mein Gemüth, meine Ruh', meinen Fried'n, mein Glück, meinen Hof,
meine Welt mit Allem, was darinnen ist, und auch Euch selber. Es ist finster um mich und in mir; ich kann nix seh'n mit dem Aug' des Leibes und kann nix seh'n mit dem Aug' des Geistes. Was ich gekannt, ich hab's vergess'n und verlor'n, und kein einzig Bild ist mir von Euch geblieb'n. Sagt, giebt's größern Raub auf der Erd'? Giebt's eine Straf', die groß genug ist dafür?« Da trat die Bäurin zu ihm und nahm ihn bei der Hand. Sie kannte die Macht, die ihre Stimme über ihn hatte. »Komm, Vater, setz' Dich nieder! Der erst' Gedank' ist net immer der best'. Laß den Frieder erzähl'n und die Martha, dann woll'n wir seh'n, was Du thust!« »Ja, erzähl', Frieder; heraus damit; ich brenn' vor Begierd', zu wiss'n, wie Du hinter seine Schlich' gekommen bist!« »Das werd' ich thun; doch muß ich erst erfahr'n, wie Martha ihn erkannt hat. Magst's sag'n, Martha?« »Es muß ja sein! Der Vater sagt' heut, daß er gleich nach dem Nachttisch schlaf'n geh', und ich nahm mir daher vor, Euch zu besuch'n. Ich wollt' durch den Gart'n, weil da mein Gang vom Gesind' net bemerkt werd'n kann. Ich ging daher ganz leis' über den Hof und an der Brunnenstub' vorüber. Es war Licht darin. Ich blickte hinein, und wen sah ich? Den Vater. Er glaubt' uns all' noch drin beim Ess'n und hielt sich darum sicher vor Verrath. Er hatt' die hohen Stiefel an und einen Gürtel um den Leib, in dem es von Waff'n blitzte. Grad als ich an das Fenster trat, nahm er eine lange Perrück' auf den Kopf und hing einen Bart um das Kinn. Dann band er die Larv' vor das Gesicht und stieg in den Brunnen. Das ist's, was ich bemerkt hab; es war genug für mich. Ich bin dabeigestand'n, als hätt' mich der Blitz geschlag'n; die Bein' sind mir gewes'n wie Blei, das Herz wie Stein und der Kopf wie Eisen, und als ich dann gegangen bin, so hab' ich gewankt wie ein Trunkener, dem die Glieder net gehorchen mög'n.« »Du armes Wurm,« meinte mitleidsvoll die brave Bäurin; »drum warst' so bleich und müd', als Du herbeikamst!« »Der Mensch ist net den kleinen Finger seines Kindes werth!« stimmte der Blinde bei, dessen Blut schon in weniger hohen Wogen ging. »So hat er sein Versteck im Brunnen?« »Im Stoll'n, in den der Brunnen geht, Vater,« berichtigte Frieder. »Weißt, der Stoll'n beginnt unt'n an der Zech', führt unter dem Feldhof vorbei und mündet im Wald. Der Feldbauer bringt die Güter
aus der Stadt, läßt sie in den Schacht hinab und fährt sie auf dem Hund bis unter den Wald, wo die Niederlag' ist. Die Pascher sind neunzehn Mann; sie steig'n da, wo der Gang net weit von der Mündung eingestürzt ist, hinab, empfangen die Waar' und trag'n sie über die Grenz. Sie kennen blos den untern Theil des Stollens, und dort sind auch die Stuf'n, die Du hinabgestiegen bist.« »Warst' denn darin?« »Ja; da die Martha den Waldkönig kennt, kann ich nun All's erzähl'n!« Er begann seinen Bericht, den er in größter Ausführlichkeit erstattete. Mehr als einmal ergriff die Mutter oder auch Martha seine Hand, wenn seine Erzählung eine Gefahr berührte, in welcher er sich befunden hatte. Das Mädchen vergaß den Vater und ihr eigenes Unglück und dachte nur an das fürchterliche Wagniß, welches dem unerschrockenen Jüngling mehr als die Freiheit und Leben hätte kosten können. Die Bäuerin hatte ganz die gleichen Empfindungen, und der Bauer saß da, scheinbar kalt und ruhig, während er doch jedes Wort des Erzählers verschlang und ein über das andre Mal tief aufathmete vor Erwartung des Kommenden oder vor Stolz, einen Sohn zu besitzen, welche der alten Tradition des Bachhofes solche Ehre machte. Als dieser geendet hatte, herrschte eine ganze Weile tiefes Schweigen in der Stube. Der Vater war der Erste, welcher es brach. »'Hast Recht gehabt, Frieder! Die Schling' ist gelegt; er kann uns net entgehn. Nur noch einmal mußt' hinaus und ich geh' mit, es ist keine Gefahr dabei, und bei dem Fang muß ich zugeg'n sein. Kann ich auch nix sehn, so kann ichs doch hör'n, wie er sich krümmt und windet, und dann will ich vor ihn hintret'n und ihm den letzt'n Stoß versetz'n, der ihn gefangen gibt. Gleich morg'n früh machst' die Anzeig' beim Feldwebel; der mag's dem Offizier bericht'n, und dann kann der Tanz beginnen.« »Gnade!« flehte Martha. »Habt Erbarmen mit mir und der Mutter. Wenn Ihr ihn fangt, wird sie die Schand' net überleb'n! Ich will Euch dankbar sein so lang ich leb'; ich will zu Euch ziehn und Eure Magd werd'n, die Geringst' in Eurem Dienst, will Euch Alles am Aug' absehn und Euch auf den Händen trag'n so gut ich kann und vermag!« »Gnade? Hat er Gnad' mit mir gehabt oder Erbarmen? Die geg'n ihn wär ein Verbrech'n, das uns an seiner Schuld theilnehmen ließ.
Was geht Dich und die Mutter der Waldkönig an! Dem Feldbauer will ich um Deinetwill'n und Ihretweg'n all' den Haß vergeb'n, den er auf mich geworf'n hat; aber der Waldkönig ist Euch fremd, und seine Sünd' steigt hoch zum Himmel empor, sie schreit um Vergeltung wie das Blut Abels, und kann nimmer gesühnt und vergeben werden. Das ganze Dorf weiß, wie Ihr mit dem Feldbauer steht. Von seinem Thun wird net der geringst' Vorwurf auf Euch kommen, und alle Thor' und Thür'n sind Euch geöffnet, wo Ihr anklopft. Wollt Ihr noch länger hinsiech'n und hinkriech'n unter dem Unglück, das er Euch bereitet? Werft es ab, das ist Eure Pflicht und Schuldigkeit, und ihr werdet mirs noch Dank wiss'n, daß ich ihn zertreten hab!« Er erhob sich und ging in die Nebenstube. Der Goliath kannte sich und wußte ganz genau, daß er längeren Bitten unmöglich widerstehen konnte. Martha weinte. Sie hatte viel gelitten, heut aber war der bitterste Tag ihres Lebens. »Sei still,« tröstete die Mutter; »bis morg'n ist noch lang' Zeit, und ich kenn' den Mann, der gar bärbeißig thut und vor der Bitt' den Reißaus nimmt, weil er sie net versag'n kann. Der Frieder wird schon helf'n!« »Soll ich, Martha?« »O, thu's, Frieder, thu's! Auf Dich muß ich die einzige Hoffnung setz'n, die mir noch möglich ist. Wirst' sie erhör'n?« »Dir thu ich All's zu lieb, was ich vermag. Ich werd' mit dem Vater sprech'n, und vielleicht läßt sich ein Ausweg find'n, der das Land vom Waldkönig befreit, auch ohn' daß der Feldbauer dabei zur Sprach' kommen muß.« »Mach's möglich, Frieder, und ich will Dir's dank'n so lang ich leb' und Athem hab'!« Sie schickte sich an, den Heimweg anzutreten. »Darf ich mitgeh'n, Martha?« »Ja.« Als sie die Stube verlassen hatten, trat der Bauer wieder herein. »Warum gingst' fort, Vater?« »Weil mir's die Marth' angethan hat und ich ihr nix abschlag'n kann. Sie hat so einen Schick und so eine Stimm', daß man thun muß, was sie bittet. Ich glaub' gar, sie könnt' mich herum bringen, den Waldkönig lauf'n zu lass'n!«
»Und das magst' wohl net?« »Auf keinen Fall!« »Dann strafst' net ihn allein, sondern auch die Seinen, und zwar viel schlimmer noch als ihn. Er geht ins Zuchthaus, da thut ihm Niemand 'was zu Leid; sie aber müss'n jede Stund' von der Schand' hör'n, die auf ihnen lastet.« »Das woll'n wir abwart'n, Frau! Ich nehm' sie in den Schutz, und wer sie nur mit dem kleinst'n Laut, mit dem stillst'n Blick beleidigt, der hat's mit mir zu thun. Sie Beid' sind Goldes werth, und ich bin neugierig, ob der Frieder net das Aug' aufthut. Ein Madel wie die Marth' giebt's nimmer wieder!« Die Beiden, von denen hier die Rede war, gingen schweigend dem Feldhofe zu. An der Stelle, wo sie schon einmal gestanden hatten, hielt Martha die Schritte an. »Gut' Nacht, Frieder!« »Warum so schnell, Martha?« »Hast net gehört, was Dein Vater sagt'?« »Er sei verflucht, taus'ndmal, millionenmal! Das ruht nun auch auf mir. Das Mörderkind darf net bei rechtschaff'nen Leut'n stehn. Geh fort von mir, Frieder, und auch ich will gehn, so weit meine Füß' mich trag'n!« »Zürn' dem Vater net! Er ist gar arg verletzt; aber sein Zorn dauert net ewig, und der Fluch kam nur aus zorn'gem Herz'n. Die Mutter versteht's gar gut, ihn langsam weich zu stimmen, und ich wett', sie ist schon jetzt dabei. Ein Mörderkind bist' net, das darfst' mir glauben! Der Feldbauer ist Dir fremder als der fremdest' Mensch, und Du hast net den geringst'n Theil an ihm!« »Er ist der Mann meiner Mutter, das mußt' bedenk'n, Frieder. Und wenn das Gericht kommt und ihn fortnimmt, so stirbt sie, und ich, ich sterb mit ihr.« Ihre Worte klangen nach jenem stillen, einwärts gekehrten Weinen, welches tieferen Eindruck macht als laut hinausgeschluchzter Schmerz. »Das wär' das Fürchterlichst', das mir begegnen könnt'! Dein Leb'n ist mir werther als das mein'ge und für Dein Glück wollt' ich gern das Schwerst' erleid'n!« Er hatte ihre Hände gefaßt, und sie hörte an dem leisen Beben seiner Stimme, daß seine Worte keine Unwahrheit enthielten. »Sprich nimmer so. Ich darf Dir doch net werth sein, Frieder!«
»Wer kann's verbiet'n, wenn Du's sein willst? Kein König und kein Kaiser!« »Du selber!« »Ich? Wär' jeder Stein im Gebirg' eine That, die auf dem Gewiss'n des Waldkönigs liegt, und jeder Baum im Wald das Zeich'n eines Verbrechens, das er begangen hat, so käm' mir dennoch kein solch' Verbot in den Sinn. Und wenn alle Welt auf Dich zeigt' und Niemand nix von Dir wiss'n möcht' um seinetwill'n, ich würd' Dich ehr'n mehr als mich selber und Dich vertheid'gen geg'n jede Silb', die wider Dich erklingt.« »Ist's möglich, Frieder?« hauchte sie. »Willst's glaub'n?« »O, wenn ich dürft'!« »Du darfst!« Er legte ihr die Hände auf das volle, weiche Haar und zog ihr Köpfchen herzinnig an die Brust. »Martha, ich hab Dich lieb, so lieb, wie ich Dir's nimmermehr net sag'n kann. Als ich Dich sah, hab ich von Anbeginn gewußt, daß meine Seel' zu Dir gehört all'zeit und immerdar; Du bist das Köstlichst', was ich kenn, das Herrlichst', was ich mir erwünsch', und all' mein Lebenlang möcht ich nix thun, als nur Dir zeig'n, wie heilig und wie theuer Du mir bist. Bitt', sag es, willst' mein Eig'n sein, Martha?« Die Worte erklangen in jenem unwiderstehlichen Tone, dessen die menschliche Stimme nur einmal im Leben fähig ist. Martha hatte kein Wort der Erwiderung, aber sie konnte nicht anders, sie mußte ihre Arme um seinen Hals legen und ihren Kopf fest, fest an die starke Brust lehnen, in der so reiche Liebe wohnte. Er bog sich herab und blickte ihr in das große, klare Auge. »Net so still, Martha. Sag' nur ein Wort, ein einziges Wort! Bist mir gut?« »Ja.« Er vernahm das Wörtchen kaum, aber es erfüllte ihn mit unendlicher Seligkeit. »So sollst' hier an meinem Herz'n sein so lang es klopft und schlägt, und den Strahl empfind'n, der das Leid in Freud' und Seligkeit verkehrt!« Sie standen noch lange still und wortlos bei einander, Hand in Hand und Blick in Blick getaucht, und als sie endlich schieden, schien es, als ob sie sich kaum von einander zu trennen vermöchten. »Schlaf wohl, Martha, und glaub, es wird All's noch gut!«
»Schlaf wohl, Frieder, ich vertrau' auf Dich und Gott, der helf'n wird!« Der Jüngling fand seine Eltern noch wach. Sie wußten, daß sie nur spät die Ruhe finden würden und hatten auf ihn gewartet. »'Bist gar lang, Frieder,« meinte die Mutter. »Die Martha wollt' Dich wohl gleich ganz behalt'n?« »Ja, Mutter, sie mich und ich sie. Wir geb'n einander nimmer wieder her.« »Was sagst', Bub'?« frug der Vater. »Ist's wahr?« »Ja. Die Martha wird meine Frau trotz Feldbauer und Waldkönig. Ist's Euch recht?« »Von ganz'm Herz'n!« riefen Beide, indem sie seine Hand ergriffen, und der Bauer fügte hinzu: »Eine größ're Freud' konnt'st uns gar nie bereit'n! Und der Feldbauer – – ja, was wird denn nun mit dem? Darf ich den eig'nen Schwäher ins Gefängniß liefern?« »Vater, was er uns gethan, das kann vergeben werd'n; aber wir sind net die Einz'gen, und wenn er frei geht, droht noch viel Gefahr. Mich dünkt's fast ein Verbrech'n, wenn wir ihn laufen lass'n, und doch kann ich der Martha kein solch' Herzeleid anthun und ihrer Mutter auch. Ich geh' hinaus zu ihm und red' ihm ins Gewiss'n. Will er sich bekehr'n, so ist's gut, will er aber net, so ist's die Schuldigkeit, die Landplag' auszurott'n.« »Das klingt mir aus der Seel', Frieder! Ich will ertrag'n, was net mehr zu ändern ist, und ihm seine Schuld net anrechnen, und wenn er besser wird, so kann Dich Niemand zwingen, den Schwiegervater anzuzeig'n. Geht er aber net in sich, so bist's Gott schuldig und der ganz'n Welt, ihn unschädlich zu mach'n. Aber net Du sollst zu ihm, sondern ich selber geh. Geb' ich die Rach' auf, nach der ich mich gesehnt, so lang als ich im Finstern wandle, so will ich's wenigstens sein, der ihm das Entweder – Oder nach dem Feldhof bringt.« »Du, Vater? Das geht ja net!« meinte Frieder, und auch die Bäurin erhob lauten Widerspruch; er aber schnitt ihre Einreden dadurch ab, daß er sich erhob. »Gut, gut, ich weiß All's, was Ihr sag'n wollt, aber ich weich' net ab von meiner Forderung. Ich bin noch immer der Goliath, wißt Ihr's, und hab keinen Grund, mich vor dem Waldkönig zu fürcht'n, wenn er off'n vor mir steht. Ich geh hinaus; dabei bleibts, und nun gut' Nacht!« – – –
VI. Im Schachte Am andern Morgen lief eine Nachricht durch das Dorf, welche selbst die Unbetheiligten in nicht geringe Aufregung versetzte. Der Buschwebel wurde vermißt. Der Lieutenant war schon am frühen Morgen in dienstlicher Angelegenheit in Finsterwalde gewesen und nach dem Feldhof gegangen, um seinen Untergebenen aufzusuchen. Dort hatte er in Erfahrung gebracht, daß dieser gestern gegen Abend in den Wald gegangen und bis jetzt noch nicht wieder zurückgekehrt sei. Eine Befragung der Soldaten hatte ergeben, daß er während der Nacht keinen der ausgestellten Posten inspizirt habe, und es ließ sich also vermuthen, daß ihm schon am frühen Abend ein Unglück zugestoßen sei. Aus diesem Grunde wurden alle verfügbaren Personen in den Wald beordert, um denselben nach dem Vermißten abzusuchen, und gegen Mittag schon brachte Einer von ihnen die Dienstmütze des Webels. Sie hatte an der verschütteten Mündung des Stollens gelegen und trug die deutlichen Spuren eines kraftvollen Hiebes, der auf den Kopf ihres Trägers geführt worden war. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr; der Feldwebel war in die Hände des Waldkönigs gerathen und entweder bereits todt oder wurde an irgend einem verborgenen Orte in Gefangenschaft gehalten. Der Offizier zog darum auch die in der Umgegend stehende Mannschaft herbei, um Nichts unversucht zu lassen, der Person oder Leiche des Verlorenen wieder habhaft zu werden; das sämmtliche Forst- und Grenzpersonal wurde in Allarm versetzt und selbst eine Menge Civilisten requirirt, um ja nicht aus Mangel an Kräften eine Spur unentdeckt zu lassen. Die Nachbarn standen vor dem Dorfe auf der Gemeindewiese und theilten sich ihre Vermuthungen mit, als ein neues Ereigniß ihre Aufmerksamkeit erregte. Die Pforte des Bachhofes öffnete sich und der Bauer trat heraus. Er trug die Sonntagsjacke und wurde von dem Jungknechte geführt, welcher den Weg nach dem Feldhofe einschlug.
»Der Bachbauer geht nach dem Feldhof. Der jüngst' Tag ist vor der Thür; schlagt drei Kreuz' und werft die Händ' über dem Kopf zusammen!« meinte Einer. »Wart's erst ab, ob er auch wirklich hinein geht; er kann ja auch vorüber woll'n!« antwortete ein Anderer. »Siehst's denn net, daß er grad nach dem Thor einbiegt! Jetzt tritt er hinein. Was mag er beim Feldbauer woll'n.« »Das wirst' schon noch erfahr'n, denn wenn die Beid'n zusammenkommen, so schalt's im ganz'n Dorf zurück! –« »Ist Wer im Hof?« frug Frieders Vater, als er das Thor hinter sich hatte, seinen Führer. »Ja, ein paar Knecht' und Mägd', die uns ganz verwundert anschaun. Und dort kommt grad auch die Tochter unter die Thür.« »Gieb ihr den Wink und führ' mich hin!« Martha erbleichte vor Schreck, als sie ihn erblickte, doch wartete sie, bis er vor ihr stand. »Grüß Gott, Martha! Ist der Bauer daheim?« »Ja, er hält den Mittagsschlaf.« »So weck' ihn und führ' mich einstweil'n in die Stub'! Bleibst hier im Hof,« wandte er sich dann an den Knecht, »bis ich Dein nachher wieder bedarf!« Sie nahm ihn bei der Hand und leitete ihn in die Stube, wo sich auch die Bäurin befand, die ebenso erschrak, wie vorher die Tochter. »Ihr wollt zum Bauer?« frug sie erstaunt nach gewechseltem Gruße. »Ja, zu ihm. Ein gar selt'ner Besuch, net wahr?« »So selten, daß ich beinah' Angst bekomm'.« »Vor mir oder vor ihm?« »Vor Euch net, Bachbauer. Wer brav und recht handelt, braucht sich net vor Euch zu fürcht'n.« »Das will ich meinen! Und grad darum werft Eure Angst hinaus, denn Niemand hat so wenig Grund dazu wie Ihr. Ich komm' in einer Sach', die gar gut und löblich ist, und wenn's so geht, wie ich denk, so bring' ich Fried' und Freundlichkeit.« Martha war unterdessen gegangen, um den Vater zu wecken. Sie kehrte zurück, um sein Erscheinen anzukündigen, und hatte noch nicht ausgesprochen, so stand er bereits hinter ihr. »Oho, wer ist denn das? Der Goliath, der net lernen will,
rechtschaff'nen Leut'n aus dem Weg zu gehn. Jetzt kommt er gar noch auf den Feldhof und verpestirt mir die frische Luft. Mach Dich von hinnen, sonst gebrauch' ich mein Hausrecht und setz Dich hinaus!« »Das wirst' net thun. Ich bin heut' eine heil'ge Person, die selbst der ärgst' Feind net anzutast'n wagt.« »So! Bist etwa als heil'ge Blindkuh in den Kalender gesetzt word'n?« »Den Spott vergeb ich Dir. Du denkst, Du hast ihn billig, aber glaub' mir, er ist eine gar theure Waar'! Ich komm' mit Dir zu red'n, mit Dir ganz allein. Hast' keine Stub' für Dich?« »Für mich? Der ganz' Hof ist ja mein, also brauchst' um die Stub' net bang zu sein. Doch darfst' net denk'n, daß ich mir von Dir die Vorschrift geben lass'. Deine Heiligkeit ist net weit her, das weiß ich ganz genau, und was Du mir zu sag'n hast, kann jeder Andre hör'n.« »Es ist nur für Dich allein, und Dein eig'nes Interess' erheischt, daß es Niemand hör'.« »Mach' keine Fabelei! Entweder sprichst oder gehst, das ist mein Bescheid. Ich wüßt' net, was Du dem Feldbauer für Heimlichkeit zu sag'n hätt'st. Bleibt da!« gebot er den Frauen, welche Miene machten, sich zurückzuziehen. »Nun heraus damit und so kurz wie möglich! Was bist' für eine heil'ge Personnag' geword'n?« »Ich bin als Freiersmann auf den Feldhof gesandt – – –« »Als Freiersmann? Ein blinder Brautwerber; das müßt einen schönen Eh'stand geb'n. Willst etwa die Düngermagd für Deinen Student'n hab'n? Nimm sie hin und schau, daß ich Dich nun los werd'!« »Halb hast' recht gerath'n: Der Frieder ist's, der mich schickt, doch net um die Magd, obgleich das keine Schand' sein würd, wenn sie brav ist und ihre Sach' versteht.« »So wüßt' ich weiter net, wen Du begehrst. Ich brenn' vor Neugierd'; sag' rasch, wem solch' ein Glück bescheert werd'n soll!« Er setzte sich mit einer Miene auf den Stuhl, als erwarte er eine vergnügte Unterhaltung. Martha war bleich geworden, und die Bäuerin zitterte beinahe vor Sorge um das Kommende. Der Bachbauer war der Einzige, der seinen Gleichmuth bewahrte. »Feldbauer, es ist Feindschaft zwisch'n uns gewes'n seit langer,
langer Zeit; Du weißt wohl, warum. Ich hab sie net begonnen und brauch' sie also auch net zu end'n, doch die Unversöhnlichkeit bringt nix als Unheil, und darum bin ich 'kommen, um Dir die Hand zum Frieden darzureich'n.« »So, also das willst'? Meinst', ich bin ein Bettelbub', dem man den Pfennig hinwirft, der nix gilt? Ich brauch' Deine Hand net und Deinen Fried'n net; ich hab Hand genug, und den Fried'n schaff' ich mir schon selber, zum Beispiel wenn Du ihn mir jetzt störst. Der, den Du bringst, ist Bachgutfried'n, der paßt net auf den Feldhof. Und bezahl'n soll ich ihn doch auch, net wahr? Was willst dafür?« »Den – den Buschwebel!« Der Spott seines Gegners hatte die mühsam festgehaltene Ruhe des Bachbauers erschüttert. Seine Antwort enthielt den ersten Pfeil, den er versendete. »Den Buschwebel? Bist' verrückt?« »Nein. Ruf den Lieutenant her, so will ich ihm sag'n, wo der Webel steckt und wer ihn herausgeb'n kann! Merk' Dir Eins, Feldbauer: ich komm, um in Ruh' mit Dir zu red'n; zeigst Du Vernunft, so bleib ich das Kind, mit dem sich gut sprech'n läßt, bist' aber widerhaarig, so bin ich der Goliath, der Keinen fürchtet, obgleich er blind ist, selbst den Waldkönig net, der den Bachgutfried'n net gebrauch'n kann!« Der Feldbauer war erbleicht, doch faßte er sich schnell und stand vom Stuhle auf. »Bachbauer,« donnerte er, »wahr' Deine Zung', sonst schlag' ich den Goliath nieder, so lang und groß er ist!« »Das thust' net, Feldbauer, denn auf die Faust kannst' Dich net verlass'n; das hast' ja wohl gemerkt. Steck lieber die Perrück' auf und den Bart, bind' die Larv' vor und schieß mir das Pulver in die Aug'n, das bringst' besser zu Weg', grad so gut, hörst', grad so gut wie der Waldkönig da unt'n im Stoll'n!« Auch er hatte sich erhoben; der Haß hatte wieder die Oberhand über ihn gewonnen; er blitzte aus jedem seiner Züge, er grollte aus seinem Tone, er streckte und reckte sich in jeder seiner Muskeln. Der Feldbauer hatte Miene gemacht, sich auf ihn zu stürzen, sank aber unter der Wucht der gegen ihn geschleuderten Anklage in den Stuhl zurück. Der Bachbauer hörte diesen krachen. »So ist's recht! Setz Dich nieder und hör' mich ruhig an; dann magst' thun, was Dir beliebt!« Auch er nahm wieder Platz. »Du
kennst den Frieder. Er ist ein Bursch', dem's Keiner in keinem Stück gleichthut. Das ist die Summ' von ihm; im Einzeln brauch ich weiter nix zu sag'n. Er hat die Martha lieb, und – – –« »Die Martha?« brauste der Andre auf, doch beherrschte er sich wieder. »Sprich weiter, Bachbauer, dann kommt auch die Summ' von mir!« »Also er hat die Martha lieb und sie ihn auch. Sie ist ein Madel, fünfzig Feldhöf' werth, so daß ich geg'n seine Wahl net das Mindest' einzuwend'n hab. Du bist nun zwar weder der Vater noch der Vormund und hast net über sie zu bestimmen, aber weil ich Versöhnung will, komm ich dennoch zu Dir, um Dir die Sach' vorzutrag'n. Gieb Dein Wort dazu, und es soll All's vernichtet sein, was zwisch'n uns so wild und wirr emporgewachs'n ist!« »Bist' fertig?« »Ja.« »So kommt jetzt mein Bescheid; der lautet: Fort, hinaus!« »Ich mein' – – –« »Nix hast' zu meinen! Hinaus!« »Bleib ruhig, Feld – – –« »Hinaus! Gehst' oder net!« Er war aufgefahren und auf den Bachbauer zugetreten. Jetzt faßte er ihn am Arme. »Vater!« rief Martha voll Angst und eilte herbei. Auch die Mutter wagte sich in die Nähe und hob flehend ihre Hände empor. »Habt kein Sorg' um mich!« mahnte jetzt in finstrer Ruhe der Blinde. »Bleibt still an Eurem Platz!« »Ja, macht Euch fort, sonst fliegt auch Ihr hinaus! Also vorwärts, Gesell', sonst mach' ich Dir Bein'!« »Wagst' wirklich, den Goliath anzutast'n? Hinweg mit der Hand!« Als diesem Gebote nicht sofort Folge geleistet wurde, streckte er die Arme aus. Im Nu wurde der Gegner ergriffen, empor gehoben und mit solcher Wucht zu Boden geschmettert, daß er die Besinnung verlor. Die Frauen stießen einen Schreckensruf aus und warfen sich bei ihm nieder. Der Blinde stand stolz und hochaufgerichtet da und lächelte. »Er hat genug, net wahr?« »Mein Gott, Bachbauer, er ist todt!«
»Nein, todt ist er net; ich kenn' meinen Griff. Sollt' er todt sein, so hätt' ich Etwas weiter ausgelangt. Doch sagt, Feldbäu'rin, ist Euch der Frieder recht?« »Er ist mir der Liebst' von Allen, die ich kenn'!« »So seid getrost; es wird Euch nix geschehn! Und sollt' Etwas kommen, wobei Ihr Hülf' von Nöth'n habt, so schickt hinaus zu uns; sie wird Euch gern gebracht!« Er schritt an dem Besinnungslosen vorüber dem Ausgange zu. Das noch zitternde Mädchen faßte seine Hand und geleitete ihn in den Hof, wo ihn der Knecht empfing. »Vergiß net, Martha, daß Dir der Bachhof off'n steht. Leb wohl!« Er ging. Wie gern hätte sie an seiner Seite den Feldhof verlassen und gleich in diesem Augenblicke den verheißenen Schutz in Anspruch genommen; aber sie mußte an der Seite der Mutter ausharren, die ihrer schwachen Hülfe und ihres Trostes bedurfte. Als sie wieder in die Stube trat, begann sich der Bauer zu regen. Er blickte einige Zeit wie abwesend um sich her, dann kam ihm das verlorene Bewußtsein wieder. Mit einem Sprunge war er auf die Füße. »Wo ist er, der Hallunk', der mich in meinem Haus geschlag'n hat? Ihr habt ihn fort gelass'n, Ihr habt ihm geholf'n, Ihr – – –« Er streckte schon die Arme aus, sich an der Frau und Tochter zu vergreifen, da zog ein Gedanke sie ihm wieder zurück. »Hierher, Martha, hierher kommst' und stehst Red' und Antwort auf das, was ich Dich frag!« Sie folgte der Weisung und nahm allen ihren Muth zusammen. »Du steckst mit dem Bachfrieder unter einer Deck' und hast mit ihm charmirt?« Sie schlug die Augen zu Boden. »Gut; ich seh' schon, wie's steht. Bist wohl gar bei ihm im Bachhof gewes'n?« »Ja.« »Und hast gewußt, daß der Alt' heut kommen werd'?« »Nein.« »Ihr habt vom Waldkönig gesproch'n?« »Ja.« »Was weißt' von ihm?« Sollte sie verrathen, daß der Geliebte Alles wisse? Nein; es
konnte sein Untergang sein. »Ich hab' ihn geseh'n.« »Du? Wo?« »In der Brunnenstub'.« Sie sah ihm fest in die Augen. Er konnte seinen Schreck nicht verbergen und fuhr einen Schritt zurück. »Wer ist's?« »Du selber!« Da, wo die Mutter stand, erscholl ein Seufzer. Das Entsetzen hatte ihr sogar den Schrei versagt. Sie lag an der Erde. »O mein Gott, die Mutter stirbt!« Sie wollte hin zu ihr. Er hielt sie fest. »Laß sie lieg'n! Sie ist zäh' wie die Katz' und macht die Aug'n ganz von selber auf. Nun weiß ich auch, warum der Bachbauer von der Perrück' und der Larv' geredet hat. Du hast ihm All's erzählt?« »Ja.« »Also steht's so! Du hast Dich an den Lump, den Frieder gehängt und Deinen eigenen Vater an ihn verrath'n. Ich sollt Dich bei den Haar'n ergreif'n und – – aber nein, ich werd's net thun; Du und Deine Mutter, Ihr seid den Griff net werth. Geh hin zu ihr, und wenn sie erwacht, so kommst' mit ihr hinauf in meine Stub'!« Er ging voran. Droben angekommen wanderte er mit langen erregten Schritten im Zimmer auf und ab. »Waldkönig, Dein Reich geht zu End', so schnell und plötzlich, wie Du's nimmer geglaubt hast! Noch ist's Zeit; noch wiss'n sie net All's, und ich werd' die Maßregeln so ergreif'n, daß ich All's noch rett', was ich erworb'n hab. Vom Stoll'n hat er gesproch'n, aber er kennt ihn net. Will er Anzeig' mach'n, so mag er's thun; ich bin zu End, noch eh' sie kommen. Und wie nun, wenn ich ihn hinhalt', bis ich fertig bin? Ja, das ist das Best'. Die Weiber müss'n hinab! da können sie net plaudern, und ich fahr' zum Schwäher, der mir den Hof abkauft. Er hat ihn längst begehrt und kann ihn gleich bezahl'n, wenn ich mit ihm Abrechnung halt'. Morg'n bring ich ihn mit; wir versammeln die Leut', wozu ich den Zettel gleich nachher leg', er übernimmt das ganz' Geschäft und mag dann thun, was er will. Dann geh ich in die Welt und lach der klugen Leut', die all' Finger nach mir streck'n und doch nix greif'n als die Luft.« Er begann sich umzuziehen. »Der Webel mag steck'n, bis ich zurückkehr; vielleicht darf er
gar nimmer wieder heraus. Und der Bachfrieder, ja, mit dem hab' ich noch eine Furch zu ackern, bei der ihm Hör'n und Seh'n vergehen soll. Was geht ihn der Waldkönig an? Was hat er nach ihm zu spionir'n? Ist er Soldat oder Jäger oder Grenzer? Er hat ein unberufen Amt übernommen, und ich werd ihm dafür die Löhnung zahl'n bis zum letzt'n Heller. Ich weich' net eher aus dem Ort, bis er dasselb' Gesicht hat wie der Goliath; das bin ich mir und dem Nachfolger schuldig!« Jetzt brachte Martha die Mutter geführt. Beide blieben unter der Thür stehen und sprachen kein Wort. »Wir verreis'n. Macht Euch fertig und nehmt Speis' mit für einen Tag oder zwei. In einer Viertelstund' wird angespannt.« »Wohin, Vater?« frug Martha. »Das geht Euch nix an; das ist meine Sach'!« »Auf zwei Tag? Und wir all' Drei? Willst den Hof so verwaist zurücklass'n?« »Halt' den Mund und thu, was ich befehl',« herrschte er sie an, »'hast die Supp' eingebrockt und kannst sie nun auch auslöffeln!« Sie gingen. »Was hat er vor, Mutter?« »Ich weiß net, aber nix Gut's, das ist sicher. Mir ist's auch gleich, mit mir ists all', er mag thun was er will!« »So darfst' net sprech'n, Mutter! Weg'n ihm darf'st Dich net vergrämen und verjammern; er ist's net werth. Sei stark, thu' mir's zu Lieb'! Weißt net, was der Bachbauer gesagt hat? Der Vater mag verreis'n, wohin er will; ich pack' meine Sach' und geh zum Bachhof. Kommst' mit?« »Nein. Das gäb' einen Skandal, wie er net größer gedacht werden kann. Harr' aus bei mir, Marthe; vielleicht hilft Gott, daß All's noch gut wird!« »So will ich bei Dir bleiben; aber das thu' ich: ich schicke zum Frieder und laß' ihm sag'n, daß der Vater uns wegzwingt und net sagt, wohin. Darf ich?« »Ja, thu es; doch laß' nix davon merk'n!« Martha ertheilte ihren Auftrag einem Tagelöhner, der nicht so leicht wie das Hausgesinde vermißt werden konnte. Der alte Mann konnte sich trotz ihrer Mahnung nicht sofort von seiner Arbeit trennen und machte sich dann nur langsam auf den Weg. Er traf Frieder im Hofe des Bachgutes beschäftigt.
»Recht, daß ich Dich gleich find'. Die Marth' läßt Dir schnell sag'n, daß der Bauer sie mit der Mutter auf den Wag'n packt und fortschaff'n will.« »Wohin?« »Das hat er net gesagt. Sie müss'n Speis' für zwei Tag' mitnehmen.« »Und wenn gehts fort?« »Sogleich. Das Geschirr stand schon bereit, als ich ging.« »Jetzt sogleich, wo es bereits dunkelt?« Er eilte hinaus auf die Straße und schritt eine Strecke auf ihr hin, bis er den Feldhof erblicken konnte. Aus dem geöffneten Thore desselben rollte in diesem Augenblicke der Wagen mit dem Bauer vorn auf dem Bocke und den Frauen auf dem Innensitz. Der Erstere hatte sein Augenmerk auf die muthigen Pferde gerichtet, welche ihm zu schaffen machten, und hielt das Gesicht von dem Dorfe abgewandt. Frieder benutzte dies, trat hinter dem Straßenbaume, der ihn verbarg, hervor und winkte. Sein Zeichen wurde von Martha, welche ihr Taschentuch erhob, beantwortet. Er eilte zurück und gebot dem Knechte, schleunigst zu satteln, dann ging er zu den Eltern. »Soeb'n schleppt der Feldbauer die Martha mit ihrer Mutter fort. Sie wiss'n net, wohin und hab'n zu mir gesandt. Ich muß sehn, was er mit ihnen thut, und reit' ihm nach!« Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte er auf sein Zimmer, warf sich in andere Kleider und lenkte schon nach wenigen Augenblicken zum Thore hinaus. Die Geliebte sollte ihm entrissen werden; er mußte ihr folgen und gab dem Braunen die Sporen. Im Galopp flog dieser die Straße dahin; der Wald war in kaum einer Minute erreicht, und hier, wo die Chaussee in schnurgerader Richtung allmählig bergan stieg, sah er trotz der hereinbrechenden Dunkelheit das Geschirr des Feldbauers in ziemlicher Ferne vor sich. »Er fährt nach der Grenz'. Vielleicht schafft er sie zum Kaufmann hinüber, mit dem er das Geschäft macht. Ich reit' nun langsam, denn er darf mich net bemerk'n.« Er ließ das Pferd im Schritt gehen und erst als die Verfolgten jenseits der Höhe verschwunden waren, nahm er die Zügel zum scharfen Trab empor. Auf dem Höhenpunkte angekommen, wo rechts und links ein paar schlecht befahrene Holzwege in den Forst abzweigten und die Straße sich wieder abwärts senkte, vermochte
er, so weit sein Auge die Dämmerung durchdringen konnte den Wagen nicht mehr zu erkennen. »Er hat's eilig und ist scharf gefahr'n. Vorwärts; ich darf ihn net aus dem Aug' verlier'n!« Eine Viertelstunde verging; das nächste Dorf lag vor ihm, und noch hatte er die Erstrebten nicht erreicht. Bei der Chausseegeldereinnahme hielt er an. »Ist hier ein Wag'n vorüber, Fuchs und Schimmel angespannt?« »Nein.« »Ganz gewiß?« »Ganz sicher. Ich bin seit einer Stund' net vom Fenster weggekommen.« Er zog den Braunen herum und jagte zurück. »Er hat eine Schelmerei vor und ist in einen von den beiden Waldweg'n eingelenkt!« Als er die Höhe wieder erreichte, stieg er ab, um die Wege zu untersuchen. Es war nun mittlerweile dunkel geworden; das Licht des Zündholzes reichte zu seinem Zwecke nicht aus; er trat zu einer knorrigen Kiefer, welche niedrig und verwachsen am Waldesrande stand, und fand glücklicher Weise an den Knospenstellen mehrerer Zweige einige von Insektenstichen erzeugte Harzkapseln. Rasch war einer derselben in Brand gesetzt, und bei dem breitlodernden Lichte sah er deutlich die schmalen Spuren der Wagenräder, welche rechts von der Straße in den Forst hineinführten und von den älteren, tiefer und breitergehenden Geleisen der hier verkehrten Holzfuhrwerke zweifellos zu unterscheiden waren. »Was hat er hier gewollt? Der Weg geht auf der Höh' bis hin zur Zech', und kein andrer zweigt sich von ihm ab. Ich muß ihm folg'n, aber das Pferd wird mich verrath'n. Hier anbind'n und zurücklass'n darf ich's net. Ich reit' im Carrière nach Haus', geb's ab und spring den Berg hinauf zur Zech', das ist das Best', was ich zu thun vermag!« Er stieg wieder auf, um diesen Vorsatz auszuführen. Da war es ihm, als vernehme er den unbewachten Knall einer vorsichtig geführten Peitsche. »Was ist das? Kommt er vielleicht zurück?« Ein dumpfer Ton ließ sich hören, als ob ein Wagenrad an eine aus dem Wege hervorstehende Wurzel stoße. Schnell war er wieder von dem Thiere herunter, zog es zwischen die nächsten Bäume
verhüllte ihm mit dem Taschentuche die Nüstern und versuchte, es durch Streicheln zur möglichsten Ruhe zu bewegen. Es gelang; der Braune gab keinen Laut von sich, als der Wagen hart an ihm und seinem Herrn vorüberging und dann in die Straße einlenkte. »Das war er. Ich hab' ihn ganz genau erkannt; er fährt nach der Grenz'. Aber wo sind die Frau'n? Sie war'n net darin. Er hat ihnen ein Leid angethan, das ist sicher! Und statt ihnen zu Hülf' zu kommen, hab' ich beinah' eine Stund' versäumt mit Umweg und Forschung nach der Spur. Es muß 'was ganz Absonderlich's sein, sonst hätt' er net das Wagniß unternommen, heut, wo der Wald von Soldat'n wimmelt, gar mit dem Fuhrwerk der Gefahr zu trotz'n.« Noch im Zweifel mit sich selbst, vernahm er jetzt ein lautes Rascheln, welches sich der Straße näherte. Einige Soldaten sprangen, als hätte er sie durch die soeben gemachte Erwähnung gerufen, über den Graben und traten, als sie ihn erblickten, mißtrauisch auf ihn zu. »Wer da?« »Gut' Freund! Kennt ihr mich denn net.« Der Anrufende war einer von den Beiden, welche auf dem Bachhofe im Quartier lagen. »Der junge Herr mit dem Pferd! Ist 'was am Zeug geriss'n?« »Nein. Ich will noch zum Förster und mag mit dem Gaul doch net in den Wald; der Hafer sticht ihn heut, und er könnt' mir Dummheit mach'n. Ihr geht doch net nach dem Dorf?« »Wir sind grad d'rüber. Soll ich das Pferd mitnehmen?« »Ja. Sagt dem Vater, daß ich bald nachkomm'! Ist der Feldwebel gefund'n?« »Nein. Den braucht Ihr net wieder durch's Fenster zu spedir'n!« Sie gingen mit dem Braunen ab. Er konnte ihnen das Pferd getrost anvertrauen; seine Stärke hatte ihn in Respekt gesetzt, und die gute Pflege des Bachhofes war nach der unliebsamen Tanzaffaire das beste Mittel zur allmähligen Aussöhnung gewesen. Er betrat den Holzweg, welchem er folgte, ohne etwas Auffallendes zu bemerken. Auf der Zechenhalde angelangt, stieg er auf die gewöhnliche Weise in die Scheune; er konnte sich des Gedankens nicht erwehren, daß dieser Ort mit dem Verschwinden der zwei Frauen in Verbindung stehe. Als er einen von den mitgenommenen Harzäpfeln in Brand gesteckt hatte, gewahrte er eine kleine Blendlaterne, welche an
einem Nagel hing. »Er ist hier gewes'n und hat die Latern' zurückgelass'n, weil er sie net braucht. Mir ist's grad' recht, denn ohn' sie könnt' ich nix beginnen!« Er brannte sie an und untersuchte nun das Innere der Scheune. Auf den ersten Blick schien Alles in dem gewöhnlichen Stande zu sein, doch bald fiel ihm ein Seilende auf, welches unter dem Heu hervorblickte. Er entfernte die Bündel und gewahrte nun, was ihm bei seinen bisherigen Besuchen dieses Ortes entgangen war: ein vollständiges Haspelwerk befand sich unter dem Heu und dabei ein Fahrstuhl, Beides vielleicht vor kaum einer halben Stunde in Gebrauch gewesen. Er sah sich um nach einer Spur von der Geliebten, einem Bande, einer Schleife, wie der Romanschreiber es so gern seinen Helden finden läßt; es war Nichts zu bemerken. Nun schaffte er die Haspel über das Mundloch, hing den Fahrstuhl ein, stieg auf und ließ sich hinab. Es ging schneller und sicherer als mit der primitiven und immerhin unzuverlässigen Vorrichtung, deren er sich das letzte Mal bedient hatte. Unten angekommen, stand er schon im Begriff, in den Stollen einzubiegen, als er einen Laut vernahm, der sich aus der Tiefe des zweiten Schachtes hervorzuringen schien. Er kniete sich an der Oeffnung, welche er heut ebenso unbedeckt fand wie letzthin, nieder und rief hinab: »Ist Wer da unt'n!« Eine Antwort erfolgte, deren Laute er nicht zu unterscheiden vermochte. »Martha!« Er legte das Ohr auf den Boden, und jetzt war es ihm, als ob er seinen Namen rufen höre. Nun leuchtete er hinab und entdeckte zwei eiserne Haken, aber die Fahrt, welche an ihnen befestigt gewesen war, fehlte. Wenn die Frauen wirklich unten waren, wie hatte der Feldbauer sie hinabgebracht? Er schritt ein Stück in den Stollen hinein, um irgend einen Anhalt zu finden, und hatte sich nicht getäuscht. Die vermißte Fahrleiter lag am Boden. Sie war entfernt worden, um den Gefangenen, die günstigen Falls nur einen Theil des Schachtes zu ersteigen vermochten, die Flucht abzuschneiden. Er hing sie ein, erprobte sorgfältig ihre Festigkeit und stieg dann hinab. Die Fahrt stieß an eine zweite, diese an eine dritte, und so kam er langsam aber ohne Aufenthalt immer weiter
hinab, bis er ganz vernehmlich hörte: »Frieder, bist's oder ein Andrer?« »Martha, ich bin's!« Ein Jubelruf erschallte, und als er den Boden unter sich fühlte, schlangen sich zwei Arme um ihn, und zwei warme Lippen küßten ihn immer und immer wieder ohne Unterlaß. »Ich hab Deinen Wink gesehn und darum gewußt, daß Du kommen werd'st!« Dann verließen sie ihre bis auf das Aeußerste angespannten Kräfte; sie sank auf den feuchten, moderigen Boden nieder neben der regungslosen Mutter, welche von sich und dem, was bei ihr geschah, nicht das Mindeste zu wissen schien. Er untersuchte sie. Sie lebte, aber ihr Puls ging kaum bemerkbar, und alle an sie gerichteten Worte hallten erfolglos an ihr Ohr. »Martha, wie seid Ihr herabgekommen?« Sie konnte unter dem jetzt ausbrechenden Schluchzen nicht antworten. »Wein' net, Martha, sondern sei stark um der Mutter will'n, sonst weiß ich net, was ich mit Euch beginnen soll!« Sie faßte sich mit Gewalt. »Er sagt', wir wollt'n verreis'n, und gebot, Speis' mitzunehmen für zwei Tag', hier liegt sie neb'n der Mutter in dem Tuch'. Dann sind wir gefahr'n, bis es dunkel war und wir vor der Zech' hielt'n. Da hat er die Scheun' geöffnet und uns hineingestoß'n. Was nun gefolgt ist, kann ich net erzähl'n. Wir wollt'n net hinab, bis er das Messer zog und uns die Wahl ließ zwisch'n Gehorsam oder Tod. Von da an hat die Mutter keinen Laut gethan und ist wie todt gewes'n bis jetzt. Ich hab' dann in dem furchtbar'n Loch herniedersteigen müss'n, und die Mutter hat er sich auf den Rück'n gebund'n und herabgetrag'n. Dann ist er wieder hinauf und hat gesagt, daß er morg'n wiederkommen werd'. Ich hab' erst bei der Mutter geleg'n und geweint, daß mir der Athem verging; dann mußt' ich an Dich denk'n, Frieder, und ich hab' die Händ' gerungen und gebetet, daß der liebe Gott Deine Schritt' herbeilenk'n mög', damit Du uns findest und befrei'st.« »Er hat sie gelenkt, Martha, und nun laß' ich Dich net wieder von mir fort, damit Du net wieder in die Hand des Wütherich geräth'st, der kein Gefühl und kein Erbarmen kennt. Er hat Angst gehabt, daß Du plaudern mög'st, und Euch deshalb gefangen genommen. Aber das soll die letzt' Kart' sein, die er spielt; sobald er
zurückkehrt, ist's mit ihm aus, und wenn der liebe Gott vom Himmel käm', um Gnad' von mir zu erflehn. Ich hab' ihm Verzeihung geben woll'n; er aber hat sie verschmäht, den Vater verhöhnt und Dich mißhandelt und gar mit dem Messer bedroht. Das ist der Punkt in mir, mit dem net zu spaß'n ist. Er hat mit der Sünd' gespielt, und sie mag ihn verschlingen!« Er leuchtete in dem Raume umher. »Wie nun, wenn hier die böse Luft vorhand'n wär'? Dann lägst' todt mit der Mutter hier, und ich – Martha, ich riß' ihm jedes Glied stückweis' vom Leib herunter! Komm herauf; ich kann Dich keine Minut' länger hier unt'n sehn!« Die Fahrt war noch fast neu. Der Waldkönig hatte sie jedenfalls nicht längst erst angefertigt, und man konnte sich ihr unbesorgt anvertrauen. Die Furcht vor dem Messer des Vaters hatte Martha die Kraft gegeben, den gefährlichen Weg zurückzulegen; jetzt stärkte sie das Vertrauen auf die Nähe des Geliebten. Von ihm unterstützt, gelangte sie hinauf in den Stollen. Er ließ sie hier auf kurze Zeit allein und kehrte zur Mutter zurück. Was der Feldbauer vermocht hatte, mußte auch ihm gelingen; er brachte die Besinnungslose wohlbehalten empor. Sie schlug für einen kurzen Augenblick die Lider empor; ihr Blick fiel auf zwei geliebte Gesichter, ein müdes Lächeln ging über ihre bleichen Züge, dann schloß sie die Augen wieder. Frieder zog seine Jacke aus und legte sie ihr unter den Kopf. »Wir dürf'n sie net allein lass'n; das Loch ist in der Näh'. Getraust' Dich, ein paar Minut'n hier im Finstern zu sein, bis ich wiederkehr', Martha?« »Es ist so schaurig hier unter der Erd', Frieder. Mußt' denn fort?« »Ja. Ich muß den Buschwebel such'n.« »So denkst', auch der ist hier?« »Ja, wenn er noch lebt. Ich geh an die Höhl', von der ich Dir und den Eltern erzählt habe. Hier hast' Zündholz und Harzäpfeln; sie reich'n vielleicht, bis ich wiederkehr'.« »Frieder, geh net fort! Ich hab so Angst, daß Dir 'was Böses begegnet.« »Sei ohne Sorg'. Ich bin heut ganz sicher!« Er hob die Fahrt wieder aus und legte sie an dieselbe Stelle, wo er sie gefunden hatte; dann folgte er dem Stollen. Dabei beeilte er sich so viel wie möglich, um die Geliebte nicht lange in der
Ungewißheit zu lassen. Auf der ganzen Strecke fand er nichts Bemerkenswerthes; an der Mauer angekommen, schob er einen der Riegel zurück; sie folgte seinem Drucke, und er schlich sich an die jetzt wohl verschlossene Thür des Gefängnißraumes. Eine Kette klirrte im Innern. Er durfte den Gefangenen nicht befreien, weil dessen Abwesenheit den Verdacht der Schmuggler erregen konnte, und ebenso wenig wollte er mit ihm sprechen, bevor alle Maßregeln zur Ergreifung der Verbrecher getroffen waren. Eine Unvorsichtigkeit des Buschwebels konnte Alles vereiteln. Aber wissen mußte er doch, wer der Gefangene sei. Er führte einen einzigen, raschen Schlag gegen die Thür. »Wer ist drauß'n? Macht auf! Ich hab's ja taus'ndmal geruf'n und gebrüllt, daß ich den Spion mach'n will, wenn Ihr mich net hängt!« Er hatte genug gehört. Es war die Stimme des Buschwebels, und seine Worte enthielten eine kurze aber deutliche Beschreibung dessen, was er während seiner Gefangenschaft erfahren hatte. Er kehrte in den Vorrathsraum zurück, schob den Riegel vor und eilte zu Martha. »Wie lang bist' fortgeblieb'n, Frieder! Ich hab viel Furcht gehabt; das Licht hat net gelangt und die Mutter ist wie todt. Ach Gott, was wird noch All's geschehn!« »Hab gut'n Muth, Martha! Schau, hier ist der Fahrstuhl. Zusammen können wir net empor; hernieder ist's leichter gewes'n. Die Mutter muß zuerst hinauf. Willst' wart'n?« »Ja.« Er legte die Bäurin in den Stuhl, stieg selbst hinein und zog an. Oben angelangt, bettete er die Besinnungslose auf das weiche Heu und kehrte zurück, um auch Martha heraufzubringen. Trotz seiner Stärke fühlte er sich ermüdet. Er mußte sich ausruhen, ehe er daran ging, das Innere der Scheune wieder in Ordnung zu bringen. Als dies geschehen war, öffnete er den Laden und half dem Mädchen hinaus. Dann reichte er ihr die Mutter zu, deren bewußtloser Zustand Alles ungemein erschwerte, und folgte nun selbst nach. »Gott sei Dank; jetzt nun erst ist's glücklich vorüber. Komm' nach dem Bachhof, Martha!« »Soll ich net nach Haus', Frieder?« »Nie wieder, und heut erst ganz und gar net. Der Bauer muß denk'n, Ihr seid noch immer im Schacht, und damit er die Befreiung net erfährt, darf Euch kein Mensch sehn, bis All's zu End' gegangen
ist.« Er hob die Feldbäuerin empor, nahm sie in die Arme wie ein Kind, und stieg, gefolgt von der Geliebten, mit ihr den Berg hinab. Glücklich und ungesehen in der Nähe des Bachhofes angelangt, blieb er halten, um für einen Augenblick zu verschnaufen; da tauchte eine in einen Mantel gehüllte Gestalt vor ihm auf, der Hahn einer Pistole knackte, und eine befehlende Stimme gebot: »Halt, steh! Wer seid Ihr?« Frieder erkannte den Lieutenant, welcher eine ganz besondere Veranlassung haben mußte, hier so nahe am Dorfe und in eigener Person Patrouillendienst zu verrichten. »Der Bachbauer, Herr Lieutenant. Hab'n Sie ein wenig Zeit?« »Vielleicht. Warum?« »Bitt', kommen Sie mit herein in den Hof. Ich hab' Ihnen Wichtig's mitzutheil'n!« »So! Wer ist das Frauenzimmer und wen haben Sie hier auf dem Arme?« »Das werd'n Sie drin erfahr'n; hier ist net der Ort dazu.« »So gehn Sie voran; ich werde folgen!« Die Bachbäuerin schlug vor Verwunderung die Hände über dem Kopfe zusammen, als sie die Kommenden bemerkte. »Du lieber Herrgott, Frieder, wen bringst' denn da?« »Die Martha mit ihrer Mutter, die ganz von Besinnung ist. Thu' sie schnell ins Bett, und schick den Knecht mit dem Wag'n in die Stadt zum Doktor! Aber er und Niemand als wir darfs wiss'n, daß sie und der Herr Lieutenant hier sind!« Seinem Gebote wurde sofort Folge gegeben. Der Knecht fuhr schleunigst nach der Stadt, nicht anders glaubend, als der Bachbauer sei plötzlich unwohl geworden; die Kranke wurde in weiche Federn gebettet, und Martha ließ es sich nicht nehmen, bei ihr zu bleiben. Die Andern aber sahen mit Ungeduld den Aufklärungen entgegen, welche sie von Frieder zu erwarten hatten. – – –
VII. Schluß Die Feldbäuerin war erwacht; der Arzt hatte erklärt, ihr Schwächezustand sei eine Folge langer innerer Seelenleiden und auf's Höchste gesteigert durch den heut über sie hereingebrochenen Jammer. Er hatte die größte Ruhe und Schonung befohlen, vor jeder Aufregung gewarnt und stärkende Arzneien verschrieben. Jetzt lag sie da, glücklich lächelnd über die reiche Liebe, die ihr aus so vielen Augen entgegenstrahlte. Sie war hart an der Grenze des Lebens hingestreift, hatte das Rauschen des Todes vernommen und fühlte ihre Seele von der früheren Schwäche befreit. »Frieder!« lispelte sie. Er neigte sich zu ihr nieder. »Ist er wieder da?« »Nein.« »Ich geb' ihn in Deine Hand. Das Gesetz hat größres Recht auf ihn als ich. Doch, sprich net mehr von ihm!« Er neigte zustimmend das Haupt und kehrte in die Stube zurück, wo der Lieutenant beim Vater saß. Beide schienen sich schnell zusammengefunden zu haben; der Offizier hatte sich eine Pfeife angesteckt und qualmte dem Blinden ins Gesicht, daß es paffte; dieser schien sich dieser Intimität höchlich zu freuen und überhaupt in einer Stimmung zu sein, wie man sie seit langer Zeit nicht an ihm bemerkt hatte. »Ist die Stub' für die Martha in Ordnung, Frieder?« »Ja, zwei; eine für sie und eine für ihre Mutter.« »Sorg' nur, daß ihnen nix fehlt! Hat auch der Herr Lieut'nant noch Tabak und gehörig zu trink'n?« »Es ist für Alles aufs Beste gesorgt,« antwortete dieser selbst. »Der Knecht giebt doch tüchtig Hafer, daß die Braunen gut aushalt'n?« »Ich freu mich auf den Ritt,« versicherte der Offizier. »Er bringt mich mit einem Male zum Ziele, wo ich geglaubt hatte, noch Monate lang im Dunkeln tappen zu müssen. Der Buschwebel hat die
Schwierigkeiten nur erhöht und vermehrt, statt mir von Nutzen zu sein. Ihnen zum Beispiel,« wandte er sich zu Frieder, »muß ich gestehen, daß eine Art Verdacht gegen Sie gehegt wurde. Sie waren maskirt und bewaffnet im Walde gesehen worden und heut wieder zu Pferde dort gewesen, wo jeder Andre es sich angelegen sein ließ, daheim zu bleiben – – –« »Grad darum war der Verdacht doch eigentlich ausgeschloss'n. Wer sich unsicher fühlt', blieb daheim; wer ein gut's Gewiss'n hatt', konnt' sich sehen lass'n. Doch, da hängt der Knecht die Latern' heraus; das ist das Zeich'n, daß gesattelt ist.« »Er wird doch net aufpass'n, wer mit aufsitzt?« frug der Blinde. »Meine Leut' sind gut und treu; aber besser ist besser, und vor Austrag der Sach' darf Niemand net erfahr'n, was heut im Bachhof vorgegangen ist.« »Laß mich sorg'n Vater! Der Herr Lieut'nant geht durch die Pfort' voran und steigt erst auf der Straß' zu Pferd'. Ist's gefällig?« Der Genannte legte die Pfeife weg und nahm Abschied. Er gewann unbemerkt die Straße und hörte bald Frieder hinter sich hergetrabt kommen. Als dieser ihn erreichte, schwang er sich auf. Es war längst Mitternacht vorüber; die Erde lag in tiefer Ruhe und nur hier und da funkelte ein einsames Licht vom dunklen Himmel herab. »Wissen Sie, daß ich mich beinahe vor Ihnen fürchten möchte?« »Warum?« lächelte Frieder. »Weil in Ihrem Körper eine solche Masse von Elementarkraft aufgespeichert liegt. Der Name Goliath gehört schon Ihrem Vater mit vollem Recht zu eigen, Ihnen aber noch viel mehr. Wäre diese physische Stärke nicht mit so viel geistigem Vermögen gepaart, so könnte sie wirklich gefährlich werden, und ich darf Gott danken, daß ich mich in Ihnen geirrt habe.« »Der Waldkönig konnt' ich doch unmöglich sein; er trieb sein Wes'n doch schon lang, bevor ich in der Heimath war.« »Das ist schon richtig; aber Sie konnten sich seit Ihrer Rückkehr mit ihm verbündet haben. Ihr Auftreten dem Feldwebel und seinen Leuten gegenüber, das Umherschleichen im Walde, die Maske, der Revolver, Ihr heutiger, fingirter Besuch beim Förster, das Alles war für mich Grund, in der Nähe des Bachhofes selbst auf Ihre Rückkehr zu warten. Ich war zwar bewaffnet, waren Sie aber wirklich Derjenige, für welchen ich Sie hielt, ich hätte wohl keinen leichten
Stand gehabt. Wer einen Kerl wie den Buschwebel durch das Fenster wirft, dem ist auch wohl zuzutrauen – – –« »Daß er einen Lieut'nant zerbricht,« fiel Frieder scherzend mit einem Blicke auf die schlanke Gestalt seines Gefährten ein. »Pardon, mein Lieber,« lachte dieser; »so weit wäre es denn doch wohl nicht gekommen, sintemalen Seine Majestät allerhöchst Ihre Offiziere weder aus der Porzellanfabrik noch aus der Glasbläserei zu beziehen pflegen. Ich hätte mich auch ein wenig gewehrt, wie man zu thun pflegt, wenn es Einem an den Kragen geht. Doch, Scherz bei Seite! Wie stark ist die Bande des Königs?« »Neunzehn Mann.« »Und sie gehen stets gut bewaffnet?« »Mit Büchs' und Messer.« »Und im Vorrathsraume befinden sich auch noch Gewehre?« »Eine ziemlich' Zahl.« »So werden wir wohl einen harten Stand bekommen!« »Ich fang' sie ganz allein, wenn's verlangt wird.« »Oho! Dazu reicht wohl selbst Ihre Riesenstärke nicht aus.« »Warum net? Es kommt ganz d'rauf an, wie man's beginnt.« »Nun wie?« »Erst thu' ich den König ab; das ist net schwer, und sodann stell' ich mich vor den Eingang und geb' Jedem, wenn er kommt, so viel, daß er genug hat. Aber solch' eine Anstrengung ist ja gar net nothwendig, und ich geb' auch zu, daß es oft net so glatt geht, wie man sich die Sach' ausgedacht hat. Wir reit'n zum Herrn Amtshauptmann, dem ich den Waldkönig mit seiner ganz'n Band' in die Hand geb'; er mag thun, was er für's Best' und Gutest' hält. Will er ihn billig, so bin ich dabei, und will er ihn auf der That abfangen, so soll's auch da net an mir fehl'n.« »Das will ich gern glauben, Sie hätten statt der Feldhacke die Waffe wählen sollen; wir hätten einen ausgezeichneten Kameraden in Ihnen gefunden. Wenn ich bedenke, daß alle unsere Mühe vergebens gewesen ist, während es Ihnen, dem Einzelnen, gelang, ein festes, unzerreißbares Netz um die fürchterlichen Menschen zu schlingen, so möchte ich vor jeden Andern treten, nur nicht vor den Amtshauptmann.« »Zufall, Herr Lieut'nant, und Verborg'nheit!« »Zufall? Meinetwegen, aber die geschickte Ausnutzung desselben gibt ihm erst den Werth. Der Buschwebel ist auch am
Stollen gewesen, grad wie Sie; aber Sie sind Meister der Situation, während er in der Falle steckt. Er ist sehr brauchbar, aber ein Poltron, und hat die empfangene Lehre verdient.« Das Gespräch stockte jetzt; man hatte das Dorf erreicht und mußte am Schlagbaume halten. Es kam auch nicht wieder in regen Fluß, bis man zur Amtsstadt gelangte, wo sich eben die Thüren der Gasthöfe öffneten, um den über Nacht gebliebenen frühmunteren Fuhrleuten die Abfuhr zu gestatten. Sie stiegen an einem derselben ab, übergaben die Pferde und nahmen einen warmen Frühtrunk zu sich. Dann begaben sie sich in das Amtshauptmannschaftsgebäude, wo sie den Chef wecken ließen. Er empfing sie mit finsterer Miene. »Ist Ihre Angelegenheit von solcher Wichtigkeit, daß Sie mich im Schlafe stören?« »Wir haben den Waldkönig fest.« Diese wenigen Worte des Offiziers brachten den hellsten Sonnenschein auf dem Gesichte des Beamten so plötzlich hervor, daß Keiner der Beiden sich eines Lächelns zu erwehren vermochte. »Was Sie sagen, mein bester Herr Lieutenant! Ich darf natürlich an der Wahrheit Ihrer Versicherung nicht den mindesten Zweifel hegen.« »Welcher allerdings wenig oder gar nicht gerechtfertigt sein dürfte. Der Schmuggler befindet sich zwar noch nicht in unsern Händen, da wir es vorzogen, vorher die Befehle des Herrn Kreishauptmannes zu vernehmen, aber es bedarf wirklich nur dieser letzteren, um ihn mit seiner ganzen Bande der Gerechtigkeit zu übergeben.« »Sie liefern damit einen dankbaren Beweis Ihrer Umsicht, und ich nehme keinen Anstand, zu bemerken, daß man vollständig überzeugt war, die Ihnen gewordene Aufgabe den besten Händen anvertraut zu haben.« »Denen es leider erst von jetzt an gestattet sein wird, an der Aktion Theil zu nehmen. Hier dieser Herr hat ganz allein, ohne jede Beihülfe und aus eigenem Antriebe die Aufgabe gelöst, während ich bis heut noch nicht den mindesten Fortschritt zu verzeichnen vermochte.« »Ah!« machte erstaunt der Beamte, indem er den Zwicker auf die Nase schob und Frieders Person, die er erst jetzt zu bemerken schien, einer nähern Betrachtung unterwarf. »Der Name wurde mir
genannt, ich vergaß ihn wieder; bitte, Herr Lieutenant, stellen Sie mir den Mann doch einmal vor!« Frieder, den diese Art und Weise belustigte, ließ es gar nicht dazu kommen. Er trat rasch einige Schritte vor: »Ich bin der Bachfrieder aus Finsterwalde, Herr Amtshauptmann, und mein Vater ist der Goliath, den man im ganz'n Gebirg' net anders als mit diesem Namen nennt.« »So, so, so!« meinte der Angeredete, dessen kleine, schmächtige Gestalt bei dem so unerwarteten wie energischen Nähertreten der reckenhaften Figur Frieders wie erschrocken zurückgefahren war. »Den Goliath kenne ich. Der Waldkönig hat ihn geblendet und seinen ältesten Sohn erschossen.« »Grad darum ist der König mir verfall'n. Wollt Ihr ihn hab'n? Ich bring' ihn her!« »Du bist ganz der rechte Sohn des Goliath, wie's scheint. Ja, ja, Rauchfleisch und Kartoffelklöße thun auf dem Lande Wunder. Geist ist nicht nöthig, wenn nur der Körper gut gedeiht.« »Grad' umgekehrt wie in der Stadt, wo der Körper net nöthig ist, wenn nur der Geist bis in die Wolk'n wächst, net wahr, Herr Amtshauptmann?« Er legte dem Männchen die Hand auf die Achsel und blickte mit unwiderstehlicher Freundlichkeit auf ihn hernieder. Der Gefragte trat, um dieser Berührung zu entgehen, noch einen Schritt zurück und wandte sich an den Offizier: »Wollen Sie Ihren Bericht beginnen, Herr Lieutenant? Bitte, nehmen Sie Platz!« »Darf ich ersuchen, diese Aufforderung an meinen Freund zu richten? Er ist in der Angelegenheit vollständig au fait, während ich mich dessen nicht rühmen kann.« »Ihr Freund?« klang die verwunderte Frage. »Ich liebe eine kurze, sachgemäße Darstellungsweise, zu welcher dem Landbewohner die nöthige Schule entgeht.« »Ich bitte dennoch,« fiel hier Frieder im besten Hochdeutsch und indem auch er sich gemächlich in den Sessel legte, ein, »um Ihre freundliche Erlaubniß zu der Beweisführung, daß Rauchfleisch und Kartoffelklöße keine schlechten Lehrmittel sind, wenn man ihre Wirkung mit dem Besuche einiger Universitäten unterstützt. Ich werde dabei so kurz und sachgemäß wie möglich verfahren!« Er begann. Der Amtshauptmann, welcher sich trotz seiner
Würde von dem Vorgange einigermaßen betreten fühlte, ließ ihn gewähren. Seine Aufmerksamkeit wurde zur Spannung, welche von Sekunde zu Sekunde wuchs, bis er seine Bewunderung nicht mehr zurückzuhalten vermochte. »Aber Sie sind doch ein ganz erstaunlicher Charakter, dem man die größte Anerkennung zollen muß! Warum führen Sie Diejenigen, welche mit Ihnen verkehren, durch Ihre Sprache und Gewandung irre?« »Die Gewandung paßt ganz genau zu dem Berufe, den ich jetzt den meinigen nenne, und der Dialekt des Gebirges hat ganz dasselbe Recht wie jeder andre auch. Ich habe als Kind mich in ihm ausgedrückt, werde noch heut so von den Meinen am Besten verstanden und ihn beibehalten, so lang ich mit Menschen verkehre, die ihn sprechen und verstehn. Doch, zurück zur Sache!« Er nahm den unterbrochenen Bericht wieder auf und führte ihn trotz seines bedeutsamen und aufregenden Inhaltes ununterbrochen zu Ende. Jetzt sprang der Amtshauptmann empor. »Er ist es also wirklich, der Feldbauer, und wir haben ihn sicher, ganz sicher. Sie haben sich schon jetzt den Preis verdient und werden ihn nebst einer noch höhern Anerkennung auch sofort nach Habhaftwerdung des Königs erhalten.« »Er wird angenommen,« entgegnete Frieder, jetzt wieder in seine frühere Sprechweise zurückfallend, »doch net für mich, sondern für die Armen im Ort, denen ich ihn bescheeren werd'. Nun bitt' ich um die Befehl', die wir jetzt brauch'n!« »Vergegenwärtigen wir uns zunächst die Situation! Der Waldkönig hat seinen Versteck in dem sogenannten alten Stollen, welcher an drei Orten zugängig ist, an der Zeche, durch den Brunnen und vom Einsturzkessel aus. Die Bande kennt blos diesen letzteren Punkt, wenigstens ist dies sehr wahrscheinlich der Fall, und wäre also am Leichtesten zu überwältigen durch eine Aufstellung im Innern, welche jeden einzelnen Ankömmling empfängt und bezwingt. Das Oberhaupt der Schmuggler fühlt sich nicht mehr sicher und ist jedenfalls nur zu dem Zwecke verreist, das Geschäft aufzugeben und dann Person und Errungenschaft in Sicherheit zu bringen. Daß der Feldbauer dies möglichst beschleunigen wird, steht außer allem Zweifel. Ich vermuthe sogar, daß er sich nach einem Nothkäufer für den Feldhof umsieht, und dies kann möglicher Weise der Kaufmann sein, dem er die Waaren
liefert. Ich nehme an, daß er heut zurückkehrt und diesen Herrn gleich mitbringt. Sein Erstes wird sein, sich zu überzeugen, ob im Stollen noch Alles in Ordnung ist, und in dieser Beziehung ist es allerdings ganz vortrefflich gehandelt, daß Sie sich dem Feldwebel nicht gezeigt haben. Er stand bei dem Feldbauer in Quartier, und ich wette, daß dieser so schlau gewesen ist, ihn als Hörrohr zu benutzen. Wer weiß, aus welchem Grunde er dann von ihm in die gegenwärtige Falle gelockt wurde; wir werden dies jedenfalls noch erfahren. Was nun die Frauen betrifft, so konnten diese allerdings unmöglich in ihrer verzweifelten Lage gelassen werden, doch kann ihr Verschwinden den Waldkönig aufmerksam machen, und es wird also nöthig sein, ihn sofort bei seiner Ankunft zu empfangen.« »Das dürf'n wir net,« bemerkte Frieder. »Es geht net ohn' Aufsehn vorüber, und dadurch werd'n seine Leut' gewarnt. Er ist ein harter Gesell', dem's ganz gleich ist, ob die Frau'n eine Stund' länger im Schacht steck'n oder net; er thut sicher erst das Geschäft ab, eh' er zu ihnen geht, sie sind ihm sonst im Weg'. Ueberdies hab' ich den Proviant im Schacht gelass'n, und unt'n sind so viel' Gäng', daß sie sich gar leicht verlauf'n können. Das wird er denk'n, wenn er je hinabsteig'n sollt' und sie net findet.« »Das klingt allerdings wahrscheinlich; halten wir also diese Ansicht fest. Täuscht uns die Vermuthung nicht, so kehrt er heut nach Finsterwalde zurück und wird seine Leute für den Abend nach dem gewöhnlichen Versammlungsort bestellen. Eine Prüfung des Steins wird darüber Sicherheit geben. Von den drei Angriffspunkten, die uns dann zu Gebote stehen, scheint mir die Zeche der vortheilhafteste zu sein. Oder nicht, Herr Lieutenant?« »Jedenfalls. Man fährt dort ein, läßt den Brunnen für den Waldkönig frei und besetzt den Trichter nur von Außen, wobei man den Schmugglern ungehinderten Eingang gestattet, ihnen aber dann den Ausgang verwehrt.« »Ganz richtig. Wir sind also in der Hauptsache gleicher Meinung. Sie werden allerdings den Angriff leiten, mir aber gestatten, dabei gegenwärtig zu sein. Ich nehme einen meiner Assessoren mit, um den Thatbestand gleich und an Ort und Stelle aufnehmen zu lassen. Es wird ein Abenteuer sein, auf welches ich mich freue. Nur wäre es wünschenswerth, die Oertlichkeit schon vorher kennen zu lernen. Wird das zu ermöglichen sein?« frug er, sich an Frieder wendend.
»Sehr leicht, wenn der Feldbauer net vorher zurückkehrt, und ich rath' darum, so bald wie möglich aufzubrech'n.« »Ich stimme bei,« meinte der Lieutenant. »Die Einzelheiten, um welche es sich nur noch handelt, können und müssen ja den Umständen gemäß bestimmt werden.« »Wohl! geben Sie mir Frist zu einem kurzen Frühstücke, während dessen ich die laufenden Geschäfte stellvertretenden Händen übergeben und den Assessor benachrichtigen werde. Dann bin ich bereit. Sie sind wohl mit Fuhrwerk versehen?« »Nein; wir sind nur beritten. Vielleicht darf ich bemerken, daß es gerathen sein wird, alles Aufsehen zu vermeiden und darum den Weg vereinzelt zurückzulegen, womöglich auch in Beziehung der Kleidung – – –« »Das versteht sich wohl von selbst, Herr Lieutenant. Geben wir uns ein Rendez-vous, wo wir uns treffen, ohne bemerkt zu werden!« »Eine Strecke vor dem Dorfe steht eine einsame Waldschänke. Ist diese passirt, geht links ein Richtweg ab. Dürfen wir Sie auf demselben erwarten?« »Gut. Ich werde den Wagen schon vor der Schänke verlassen und ihn retour schicken. Das Uebrige wird sich dann weiter finden.« Er gab mit der Hand das Entlassungszeichen und begleitete die Männer bis an die Thür. Sie begaben sich in den Gasthof zurück, den sie erst verließen, als sie den Amtshauptmann mit dem Assessor vorüberfahren sahen. Unweit der Stadt schon überholten sie mit den raschen Braunen die Beamten, denen sie bald weit vorankamen. »Eine allerliebste kleine Episode, das mit dem Rauchfleisch und den Kartoffelklößen, nicht wahr?« lachte der Lieutenant. Frieder nickte vergnügt. »Sie gestatten doch nachträglich, Sie als meinen Freund bezeichnet zu haben?« »Ich dank' Ihnen dafür! Es schien eine Ueberraschung zu sein für den Herrn. Aber darf ich vielleicht vorschlag'n, uns zu trennen? Es ist besser, wenn Niemand uns beisammen sieht. Sie reit'n über das Feld an den Bachhof und bind'n das Pferd an den Zaun. Am Buschrand bei der Zech' treff'n wir nachher wieder zusammen.« »Ich stimme bei; adieu bis dahin!« Er ließ dem Braunen die Zügel schießen und flog davon. Frieder verließ bald darauf die Straße, um die Heimath auf Waldwegen zu erreichen. Als er dort ankam, fand er das Pferd bereits vor. Martha
war allein in der Stube. »Bist' schon wieder da? Nun geht's doch noch über den Vater her!« »Er will's net anders. Wir hab'n gethan, was wir konnt'n, vielleicht auch noch mehr, und sind nun ohn' alle Schuld an ihm. Wirst's ertrag'n können, Martha?« »Bei Dir, ja, sonst net! Aber bang ist mir um die Mutter.« »Die Stütz' wird ihr net fehl'n. Ist sie wohler?« »Ja; aber sprech'n mag sie net.« Er rief die Eltern und gab ihnen kurzen Bescheid, versah sich dann mit dem nöthigen Licht und begab sich nach der Zechenhalde, wo der Lieutenant schon auf ihn wartete. Sie suchten mit einander den Richteweg auf und trafen auf der Stelle, wo Frieder den Feldbauer mit der Peitsche gezüchtigt hatte, mit dem Amtshauptmann und seinem Begleiter zusammen. Beide gingen auf das Allereinfachste gekleidet, so daß Jeder, der sie nicht persönlich kannte, sie für einfache Bürgers- oder Handwerksleute halten mußte. »Der Feldbauer ist noch nicht zurück. Ich ging über den Feldhof, angeblich um mich nach dem Buschwebel zu erkundigen,« berichtete der Lieutenant. »So bleibt uns freie Hand. Vorwärts; wir fahren ein!« »Woll'n wir net erst zum Stein gehn, um nach der Bestellung zu sehn?« »Ja, richtig. Das ist das Nothwendigste!« Frieder ging voran. Sie gelangten, ohne Jemanden zu begegnen, an die Stelle. Die Zeit, in welcher die Schmuggler nachzusehen pflegten, war noch nicht da. Frieder hob den Granit empor. »Am alten Stollen, um 10« las er. Die Andern traten hinzu, um sich zu überzeugen. »Er hat gestern bei der Fahrt von der Zech' zurück den Zettel gelegt. Anders ist's net.« »Also um zehn Uhr,« nickte der Amtshauptmann. »Da bleibt uns genugsam Zeit für alle Vorbereitungen. Jetzt weiter, meine Herren!« Der Zettel war unberührt geblieben; Frieder senkte den Stein und ging wieder voran nach der Halde zurück. Hier langte der Beamte in die Tasche und brachte einen Bund Schlüsselhaken zum Vorschein.
»Sie sehen, ich bin mit dem Nöthigen versehen und werde Sie nicht durch den Laden bemühen.« Das Thor wurde geöffnet; sie traten ein. Frieder brannte die Laterne an. Die Herren griffen mit zu; die Haspel wurde über die Mündung gebracht, und paarweise langte man unten im Stollen an. Dieser wurde auf das Sorgfältigste in Augenschein genommen, ohne daß man die Lage irgend eines Gegenstandes veränderte. An der Gefängnißzelle zog der Amtshauptmann seine Schlüsselhaken wieder hervor und öffnete. Das Licht, welches in den engen Raum fiel, ließ die vier Männer im Dunkeln und blendete den Gefangenen. »Seid Ihr endlich da?« frug er. »Führt mich zum König!« »Haben Sie so große Sehnsucht nach ihm?« frug der Offizier. Jetzt erkannte der Buschwebel seinen Vorgesetzten, obgleich dieser die Uniform abgelegt hatte und in Civilkleidern ging. »Der Herr Lieutenant!« rief er, freudig erschrocken. Er wollte sich emporrichten; der Raum gab es aber nicht zu. »Ja, ich bin es. Und hier an meiner Seite befindet sich der Herr Amtshauptmann, der von Ihnen zu wissen begehrt, auf welche Weise Sie in eine so blamable Lage geriethen!« »Ich – ich wollte den Waldkönig fangen.« »Sehr lobenswerth! Doch, das wollten wir Alle, ohne deshalb in eine gleiche Situation zu kommen. Erzählen Sie!« »Ich hab' den Bestellort entdeckt, wo der Waldkönig seine Zettel niederlegt.« »Ah! Wo ist das?« »Droben im Walde auf einer kleinen Lichtung. Die Zettel liegen unter einem Steine.« »Weiter!« »Er hatte die Bande an den alten Stollen bestellt, und ich ging, sie zu belauschen.« »Ohne mir vorher Notiz von Ihrer Entdeckung zu machen, die doch jedenfalls so wichtig war, daß Sie dies zu thun gezwungen waren?« »Ich – ich wollte mich vorher überzeugen, ob der Zettel auch wirklich Wahrheit enthielt.« »Wie fingen Sie das an?« »Ich schlich mich zur angegebenen Zeit an den Stollen, erhielt aber gleich im nächsten Augenblick einen Schlag, der mich betäubte. Als ich erwachte, lag ich hier. Ich wurde dann vor die
Pascher geführt und von ihnen zum Tode verurtheilt. Ich war gefesselt und konnte mich nicht wehren. Schon lag der Strick um den Hals und ich stand unter dem Nagel, da – da – –« »Nun – da –?« »Da wurde mir das Leben geschenkt.« »Aber doch wohl nicht bedingungslos?« »Ich sollte Mitglied werden,« antwortete er zögernd. »Ah, jedenfalls in Form eines Spions, was?« »Ja. Ich schlug es rund ab. Lieber sollten sie mich hängen!« »Wirklich? Dann wären Sie auch gehängt worden und steckten nicht wohlerhalten hier im Verließ. Wollten Sie vielleicht die Wahrheit sagen? Der Waldkönig befindet sich, wie Sie wohl gleich bei unserm Erscheinen geahnt haben, in unserer Gewalt und wird uns Aufklärung geben, wenn Sie dieselbe verweigern.« »Ich – ich bat um Bedenkzeit, aber nur um Zeit zu gewinnen.« »Schön! Haben Sie vielleicht gesehen, wer den Schlag auf Sie führte?« »Nein.« »Oder dann einen von den Männern erkannt?« »Nein. Sie trugen Masken.« »Machten Sie irgend Jemanden Mittheilung von Ihrer Entdeckung des Zettels?« »Nein. Der Herr Lieutenant waren ja der Erste und Einzige, dem ich das schuldig war.« »Besinnen Sie sich!« »Es kam kein Wort davon über meine Lippen.« »Ganz wie Sie wollen! Sie lügen, denn Sie haben mit dem Feldbauer darüber gesprochen.« »Nur andeutungsweise,« versuchte sich der Feldwebel zu rechtfertigen. »Nein, ausführlich! Und er hat Ihnen den Rath gegeben, die Meldung zu unterlassen und sich allein zum Stollen zu begeben. Ist es so oder nicht?« »Ja,« gestand er kleinlaut. »So sind wir nun im Klaren. Ich will jetzt nicht untersuchen, was die von Ihnen, erbetene Bedenkzeit für ein Resultat ergeben hätte; Sie empfinden schon jetzt die Folgen Ihres dienstwidrigen Verfahrens und werden auch noch weiter an ihnen zu leiden haben. Ich will Ihnen nur bemerken, daß Ihre Plauderhaftigkeit dem
Feldbauer gegenüber den Waldkönig gleich vom ersten Augenblicke unsers Hierseins an in den Stand gesetzt hat, von allen unsern Schritten unterrichtet zu sein. Vernehmen Sie meinen strengen Befehl! Sie bleiben hier in Ihrer gegenwärtigen Lage; der Waldkönig wird mit den Seinen kommen und Sie nach Ihrem Entschlusse fragen. Sie weisen sein Ansinnen mit Entschiedenheit zurück und ergeben sich in Alles, selbst das Schlimmste, was man mit Ihnen vornimmt. Wir werden im entscheidenden Augenblicke zur Hülfe bereit sein. Nur eine strenge Befolgung dieser Verordnung kann uns Ihre Fehler in einem milderen Lichte erscheinen lassen!« Er warf einen fragenden Blick auf den Amtshauptmann. Dieser nickte zustimmend und verschloß die Thür wieder. Auch der Eingang durch den Trichter sowie die Umgebung des Letzteren wurde in genauen Augenschein genommen. Dann kehrte man zurück und stieg auch in den zweiten Schacht hinab, um zu sehen, ob sich auch dort unten vielleicht etwas Bemerkenswerthes finden lasse. Es zeigten sich mehrere Gänge, die alle außer einem vor Ort abgebrochen waren. Dieser Eine wurde verfolgt. Die verhältnißmäßig gute Luft, welche sich in demselben befand, ließ vermuthen, daß er auf irgend eine Weise mit der Oberwelt in Verbindung stehe. Er war sehr alt und theilweise ziemlich verfallen, immer aber noch gangbar und mündete, wie sich endlich nach langer, mühevoller Wanderung zeigte, mitten in die senkrecht abfallende, verwitterte und vielfach zerklüftete Hinterwand eines alten, längst verfallenen Steinbruches. Hier hatte der Waldkönig ein Zeichen seiner Anwesenheit zurückgelassen: ein eiserner Haken war in den Stein geschlagen und an diesem eine Strickleiter befestigt, welche zusammengerollt am Boden lag, jedenfalls aber lang genug war, um bis auf die Sohle des Steinbruches hinzureichen. »Wohl nur für den Fall der Flucht angebracht, wenn diese oben nicht mehr möglich sein sollte,« meinte der Amtshauptmann. »Kennen Sie den Bruch?« »Ja,« antwortete Frieder. »Er liegt mitt'n im Forst, und es können Jahr' vergehn, eh' ein Mensch dahin kommt. Die Entdeckung ist ganz gut, und ich mein', daß es gerath'ner sei, hier aufzusteig'n, als drob'n im Schacht einzufahr'n; der Einschlich ist hier viel leichter als dort.« Dem stimmten die Uebrigen bei, und es wurde beschlossen, den Angriff von hier statt von der Zeche aus zu unternehmen. –
Es war gegen Abend, als der Wagen des Feldbauers von der Straße nach dem Hofe einbog. Einer der Knechte hatte ihn bemerkt und eilte herbei, um die Pferde in Empfang zu nehmen. »Ist 'was passirt?« »Nein; All's in Ordnung!« »Also gar nix Neu's?« »Im Hof' net, aber im Dorf. Das Militär zieht ab.« »Warum?« klang überrascht die Frage. »Sie müss'n zum Manöver ins Niederland und kommen erst in vierzehn Tagen wieder. Der Lieut'nant ist schon da aus Steinertsgrün mit seinen Leut'n, um die hies'ge Trupp' abzuhol'n; dann geht's nach der Stadt, um mit dem Nachtzug abzufahr'n.« »Ohne den Waldkönig!« lachte der Bauer mit einem verständnißvollen Blick auf den langen, hagern Herrn, der mit ihm ausgestiegen war. »Schau, da kommen sie wirklich schon!« Einen Tambour voran, welcher kräftig auf dem Kalbfelle wirbelte, marschirte das kleine Detachement, vom Lieutenant kommandirt, aus dem Dorfe hervor, begleitet von einer Anzahl leidtragender Dorfjungen, welche den so plötzlichen Abschied der blanken Heldensöhne nicht gut verwinden konnten. »Sie wollt'n Einen hol'n, hab'n aber statt dess'n Einen da gelass'n!« kicherte der Hagere. »Deine Sorg' war ganz ohn' allen Grund!« »Das denkst' blos! Aufgeschob'n ist net aufgehob'n. Wir sind auf vierzehn Tag' sicher, und das auch nur vielleicht, dann aber geht die Hetz' wieder los. Es bleibt dabei, ich mach' mich davon!« »Die Bäu'rin mit der Tochter ist wohl net dabei?« erkundigte sich der wieder herbeitretende Knecht. »Geht's Dich 'was an? Thu' Deine Sach', und bekümm're Dich net um ungelegte Eier!« Sie traten ein, saßen lange in leise geführtem, angelegentlichem Gespräch bei einander und benutzten dann einen unbewachten Augenblick, um nach der Brunnenstube zu gehen. Von hier aus ließen sie sich in den Stollen hinab, in welchen der Bauer unverweilt hineinschritt. »Willst' net erst nach den Weibern sehn?« »Fällt mir net ein. Morg'n gehts fort; da hol' ich sie herauf, jetzt aber hab' ich keine Zeit, auf ihr Lamentir'n zu acht'n!« In der Niederlage angekommen, öffnete er den Schrank und zog
die Bücher hervor, welche von dem Andern einer sehr sorgfältigen Prüfung unterworfen wurden, wobei sie nicht bemerken konnten, daß einige hundert Schritte von ihnen entfernt bewaffnete Gestalten dem untern Schachte entstiegen. Frieder befand sich an ihrer Spitze. Er war gleich zurückgeblieben und hatte ihnen jetzt die Strickleiter zugeworfen. Auf diese Weise war er auch allen Erörterungen entgangen, welche ihm zu Hause bevorgestanden hätten. Vielleicht hätte der Vater trotz seiner Blindheit gar gewünscht, bei der Affaire gegenwärtig zu sein, ein Verlangen, dem er auf keine andere Weise besser auszuweichen vermocht hätte. Jetzt war sowohl die Zeche als auch der Einsturztrichter von Militair und Forst- und Zollbeamten wohl besetzt, auch um den Feldhof hatte man eine Kette gezogen, und im Stollen stand eine hinreichende Zahl Soldaten, um den Paschern gewachsen zu sein. Frieder schlich leise voran, hinter ihm zunächst der Lieutenant und die beiden Beamten. Es war zehn Uhr, und die Entscheidung nahte. Sie gelangten so weit an den Vorrathsraum heran, daß sie jedes Wort der beiden Sprecher verstanden. »Nun, machst' mit?« frug der Feldbauer. »Mich brennt's an die Fers'n, und deshalb hab' ich Dir viel Vortheil gelass'n bei dem Handel. Meine Bedingungen kennst'!« »Ja, ich bin dabei!« Sie schlugen ein. Dann legte der Bauer die Bücher wieder in den Schrank zurück und zog ein Paket hervor. »Das Uebrig' thun wir später ab; jetzt müss'n wir zu den Leut'n, die schon längst gewartet hab'n. Hier hast' All's, was wir brauch'n!« Sie legten Perrücken und Bärte an, banden Larven vor und verhüllten sich in unkenntlich machende Kleidungsstücke. Dann schob der Waldkönig den Riegel zurück, blies die Laterne aus, welche ihnen bis jetzt geleuchtet hatte und schlüpfte zwischen der sich bewegenden Mauer und der Stollenwand hindurch. Der Andre folgte. Die bereits vollzählig versammelten Pascher erhoben sich bei ihrem Erscheinen. Ihre Gesichter waren nicht zu sehen, aber ihren Bewegungen konnte man die Befremdung darüber entnehmen, daß ihr Oberhaupt in Begleitung erschien. »Ich hab' Euch bestellt net um der gewöhnlich'n Ursach', sondern aus einem andern Grund. Ich tret' heut' zurück vom
Geschäft und geb' Euch an meiner Stell' einen andern Anführer. Hier steht er. Er wird Euch stets so unbekannt bleib'n wie ich, aber stets auch so gut auf Euern Vortheil seh'n. Die Aend'rung kann net leicht und schnell geschehn; sie muß zuvor gar reiflich von uns besprochen werd'n. Darum wird heut ein Rath abgehalt'n, bei dem ein Jeder seine Meinung sagt.« Die Schmuggler steckten überrascht die Köpfe zusammen; die Nachricht schien keinen guten Eindruck auf sie gemacht zu haben. Nach längerem lüstern trat Einer hervor. »Waldkönig, denkst' etwa, Du kannst uns verhandeln wie eine Herd' Schaf' oder Rinder, die sich's ruhig gefall'n läßt, wenn man ihr einen andern Hirt'n giebt? Wir woll'n – –« »Was Ihr wollt, könnt Ihr nachher sag'n. Vielleicht tret' ich net vollständig aus und geb' Euch dies'n nur als Stellvertreter. Ich hab' Euch doch gesagt, daß Euer Vortheil absolvirt werd'n soll, und Ihr könnt versichert sein, daß ich net anders als mit Eurer Zustimmung handeln werd.« Das schien sie einigermaßen zu beruhigen. »Und was wird mit dem Feldwebel?« »Der kommt zunächst d'ran; aber es wird anders, als es ausgedacht war. So lang das Kommando hier war, konnt' er uns nütz'n; jetzt ist's weg, und er kann uns nur Schaden bringen. Er kennt den Stein und den Stoll'n; er merkt vielleicht auch, wer ihn herbeigelockt hat; er muß sterb'n, sonst sind wir von jetzt an keine Stund' mehr sicher. Seid Ihr's zufried'n?« »Ja.« »Holt ihn heraus!« Er gab den Schlüssel zu der Gefängnißthür aus der Tasche; der Feldwebel wurde herzugebracht. »Buschwebel, wie hast' Dich entschied'n?« »Ich kann net auf Eure Wünsch' eingehn.« »Gut, das verkürzt die Sach'. Paß auf, wenn ich drei sag', drück' ich los!« Er zog das Pistol aus dem Gürtel und erhob den Arm. Zwei der Pascher hielten den Gefesselten. »Eins – zwei – –« »Halt – ergebt Euch!« erscholl es da im Hintergrunde des Raumes, und in demselben Augenblicke wurde der Waldkönig von zwei eisernen Armen gepackt. Frieder war herbeigesprungen und hielt ihn, daß er sich nicht zu rühren vermochte. An seiner Seite stand der Lieutenant, den gezogenen Degen in der Faust, und über
die ganze Breite des Raumes starrten den Versammelten drohende Gewehrläufe entgegen. »Fort, durch das Loch!« brüllte der Feldbauer, indem er sich unter dem Griffe Frieders vergeblich wand. Die Pascher gehorchten dem Rufe. Sie stürzten, Einer immer den Andern drängend und hindernd, der Trichteröffnung zu. Der Vorderste riß den Stein zurück und warf sich auf den Boden, um hindurch zu kriechen. »Halt, sonst schieß ich!« schallte es ihm entgegen. Er fuhr zurück. »Drauß'n steht der ganze Kessel voll Grenzer!« rief er erschrocken. »Laß los, sonst schieß' ich!« schäumte der Feldbauer. Er rang den einen Arm empor und richtete den Lauf der Pistole über die Achsel hinweg auf Frieder; dieser riß den drohenden Arm zurück; der Schuß krachte, die Kugel flog hart am Gesichte des Waldkönigs vorüber, und der Blitz des Pulvers zuckte ihm in das Auge. Einen fürchterlichen Schmerzensschrei ausstoßend, vereinigte er seine ganzen Kräfte zu einem gewaltigen Rucke. Der Hagere preßte in diesem Augenblicke Friedern, dieser mußte sich gegen ihn wenden, der Feldbauer kam frei und stürzte sich, halb geblendet, mitten unter die Gegner hinein. Der gewaltige Anprall warf diese auseinander; er erreichte die offenstehende Wand und schnellte dem Stollen entlang dem Brunnen zu. Frieder erhob die Faust. Mit einem einzigen Schlage derselben schmetterte er den Hageren zu Boden und sprang dem Waldkönig nach. Dieser hörte die Schritte hinter sich; zum Aufgang durch den Brunnen blieb ihm keine Zeit übrig. Er eilte weiter, riß die Fahrt von der Erde auf, zerrte sie zum Schachte und hob sie ein. »Steh', Waldkönig; der Frieder kommt!« donnerte es hinter ihm. »Schau, ob Du mich bekommst, Hallunk'!« antwortete er. Er schwang sich in das Mundloch. Der Schreck der Ueberraschung, die Angst vor dem Verfolger, der Schmerz in den geblendeten Augen und die Heftigkeit der Flucht verwirrten ihn. Sein Fuß glitt von der Sprosse, seine Hände griffen fehl; mit einem fürchterlichen Schrei stürzte er in den Schlund hinab. Frieder vernahm den Schrei und das polternde, dumpfe Geräusch des Falles; er hatte hier Nichts mehr zu thun und eilte zurück. Die Pascher hatten die Gefährlichkeit und Nutzlosigkeit eines jeden
Widerstandes erkannt und sich ergeben. Man war eben daran, sie zu binden. Der Hagere, welcher sich wieder emporgerafft hatte, sträubte sich dagegen. »Ich appellir' geg'n diese Behandlung. Ich gehör' net zu diesem Volk', sondern bin unschuldig hereingebracht word'n.« »Versuchen Sie keine Vertheidigung, sie nützt Ihnen Nichts!« gab der Amtshauptmann zur Antwort. »Wir waren ungesehene Zeugen Ihrer Verhandlung mit dem Feldbauer. Der neue Waldkönig darf nicht auf Nachsicht rechnen, und Ihre Bücher werden uns wohl vollständig rechtfertigen!« »Wo ist der Feldbauer?« rief der Lieutenant, welcher die Fesselung der Gefangenen überwachte, Friedern entgegen. »In den Schacht gestürzt. Das Gericht hat ihn ereilt. Er hat sich selber geblendet und liegt zerschellt da unt'n, wo er die Frau'n hinabgezwungen hat.« Die Bande des Feldwebels wurden beseitigt. Frieder war so rücksichtsvoll gewesen, den Entschluß seines früheren Gegners, in den Dienst des Waldkönigs zu treten, zu verschweigen. Die Pascher wand man einzeln durch den Brunnen empor; sie wurden sofort unter Militärbegleitung an das Gerichtsamt abgeliefert. Der Amtshauptmann blieb mit dem Assessor zurück, um seinen Pflichten volle Genüge zu thun. Die Nachricht von dem Geschehenen brachte eine ungeheuere Aufregung im Dorfe hervor. Trotz der späten Stunde versammelte sich Alt und Jung, Groß und Klein auf der Gemeindewiese, um die Gefangenen abziehen zu sehen. Die Nachricht, wer der Waldkönig gewesen sei, steigerte die bisher gegen den Feldbauer gerichtete unfreundliche Gesinnung mit einem Male zum vollsten Grimme, und hätte er sich bei den Gefangenen befunden, er wäre sicherlich gelyncht worden. Ganz anders allerdings klang es, als Frieder aus dem Feldhof trat, um sich nach Hause zu begeben. Er war der große Held des Ereignisses und wurde beinahe auf den Händen nach dem Bachgute getragen. »Endlich bist' wieder da!« empfing ihn der Vater. »Das war eine entsetzliche Ewigkeit, seit Du fortgegangen bist. Drauß'n hat der Lärm gewährt schon über eine Stund', und ich seh' nix, ich weiß nix und möcht' doch vor Erwartung und Angst um Dich an der Wand emporlauf'n! Wie ist's 'gangen?« »Gut. Net ein Tropf'n Blut ist gefloss'n, und wir hab'n sie All'
bekommen. Hört!« Er stattete den lauschenden Eltern seinen Bericht ab. »Hätt' ich nur eine Viertelstund' zu seh'n vermocht,« rief der Blinde am Schlusse desselben, »ich gäb fünf Jahr' vom Leb'n dafür hin. So aber muß ich All's versäumen, worauf meine Sehnsucht ging so lange Zeit. Doch Eins muß ich hab'n! Wo liegt der Waldkönig?« »Im Feldhof. Man hat ihn heraufgeschafft; er ist zerschellt und zertrümmert, daß man sich vor ihm graut.« »So führst' mich hin zu ihm. Die Rach' ist zu End', aber meine Hand muß es fühl'n, ob's auch wahr ist. Dann will ich seiner gedenk'n als eines Todt'n, dem man verzeiht um der Seinen will'n.« Frieder suchte nun Martha auf. Sie befand sich bei der Mutter und sprang bei seinem Erscheinen empor, um sich an seine Brust zu werfen. »Gott sei Dank, daß Du lebst! O, was hab' ich erlitt'n, seit Du fort bist! Ich hab' Dich net anders gesehn als todt, gemordet vom – von Dem, den Du fangen willst.« Sie blickte mit unbeschreiblicher Liebe in sein Auge und schmiegte sich an ihn, als ob sie ihn Jahrzehnte lang vermißt hätte. Die Kranke richtete sich langsam empor. »Ist's vorüber, Frieder?« »Ja. Besser als zu vermuth'n war. Er wird net mit Verhör und Gefangenschaft gemartert werd'n – er ist todt.« Daß der Oheim mitergriffen sei, verschwieg er ihr jetzt noch. Sie legte sich zurück und faltete die Hände. »Was Gott thut, das ist wohlgethan, so will ich denk'n und mich von nun an nur an Eurem Glück erfreuen!« – – – Das Militärkommando verließ, dieses Mal nicht blos zum Scheine, nach einigen Tagen die Gegend. Viele Familien geriethen ins Elend dadurch, daß ihr Ernährer ein Mitglied der Schmugglerbande gewesen war, gegen welche eine außerordentlich komplizirte und langwierige Untersuchung eingeleitet wurde, die mit der Verurtheilung aller Betheiligten endete. Der Feldhof steht noch; er ist in fremde Hände übergegangen. Die unterirdischen Gänge wurden verschüttet, der Brunnen ausgefüllt und jede Spur von der dunklen Residenz des Waldkönigs vernichtet; aber sein Andenken bleibt an dem Hofe haften und wird niemals von ihm zu trennen sein. Wer heute den Bachhof besucht, darf versichert sein, alle
Zeichen eines reichen Glückes vorzufinden. Der Goliath lebt noch als ein rüstiger Greis, den der Verlust des Augenlichtes nicht hindert, fröhlich mit den Fröhlichen zu sein. Auch die Bäuerin ist noch derselbe milde, freundliche Charakter wie früher, und ihrem Einflusse ist es zum größten Theile zuzuschreiben, daß Martha's Mutter die Tage des schwersten Leides glücklich überstanden hat. Frieder ist der respektabelste und angesehenste Bauer der Umgegend und seine Frau ein Engel für jeden Hilfsbedürftigen. Das kleine Töchterchen, welches an ihrer Hand durch das Gras des Gartens zappelt, ist bis auf die großen, blauen Augen ganz ihr Ebenbild, und der Junge, welcher auf dem Baume sitzend, Beide mit Kirschen bombardirt, giebt alle Hoffnung, daß das Geschlecht der Riesen vom Bachhofe auch ferner gedeihen werde. Der Buschwebel hat den Abschied nehmen müssen und ist mit seinem Erbtheile nach Amerika gegangen. Niemand weiß etwas Näheres über ihn, sein Scheiden hat kein armes Herz gebrochen. –
Der Gichtmüller Originalerzählung aus dem Erzgebirge von Karl May
I. »Horch, wie die Tannen rauschen und das Strauchwerk so lind und heimlich flüstert! Da unten im Grunde hör' ich den Bach vom Felsen springen; er kennt noch immer das alte Lied, welches er mir so oft vorgesungen hat. Der Specht klopft an die hohen Stämme, um sich sein Frühstück zu suchen, und der Fink schlägt in den Wipfeln. Da drüben vom Schlag her ertönt die Axt der Abholzer, und in der Tiefe knarrt der Wagen, der Moos und Streu nach Haus' bringt. Das sind Stimmen und Töne, die man nimmer vergißt im fremden Lande und die alles Heimweh heilen, sobald man sie wieder vernimmt. Wie freundlich fließt und klettert das Licht um die Zweige, und wie wohlig dringt der Athem in die Brust! Daheim ist's doch am schönsten; ich komm' nie wieder fort!« Der, welcher mit glücklichem Ausdrucke im Gesichte diese Worte vor sich hin sprach, war ein junger Mann, dem der umfangreiche Ranzen auf dem Rücken und der derbe Knotenstock in der Hand nicht schwer zu fallen schien. Er strich langsam den schmalen Waldweg dahin, welcher hinunter zu den Mühlen und von da weiter nach dem Dorfe führte, und schien wenig Eile zu haben, denn er hemmte sehr oft den zögernden Schritt, um jeden neuen Ausblick, den eine Krümmung des Pfades ihm bot, bedachtsam zu genießen. Unten am Wasser angekommen, bog er sich nieder und schöpfte mit der Hand von dem klaren, kühlen Naß, von dem er durstig schlürfte. »Ja, das ist ein Trunk, wie man ihn nur auf den Bergen haben kann; er giebt Gesundheit und Kraft und macht so froh und munter, wie der Quell ist, der ihn spendet. Ich bin fast träg' geworden von dem schweren Wasser, das sich so trübselig und langsam durch das Unterland schleicht. Hier hüpft und springt und schießt es vorwärts, als ob es gar viel zu thun und zu schaffen hätt', und ich will nun auch besser ausschreiten, damit ich bald meine Heimstätte seh'!« Er folgte rüstig dem Laufe des Baches, bis dieser sich in einen Teich ergoß, welcher fast die ganze Breite des Thales einnahm und von einem hohen Damme gehalten wurde, der die wanderlustigen Wellen zu einem kurzen Aufenthalte zwang. Er war mit dichtem Gesträuche bewachsen, und wer zu der Obermühle, welche hinter ihm lag, gelangen wollte, der mußte eine steile Böschung
überwinden, welche so unzugänglich wie möglich gehalten war. Der eigentliche Weg begann erst von der Mühle thalabwärts, und Klaus, der Obermüller, duldete es nicht gern, daß Unberechtigte den zu seiner Besitzung gehörigen oberen Theil des Thales betraten. Er saß eben jetzt vor dem Hause und beaufsichtigte den alten, schwerhörigen Knecht, welcher mit dem Mähen des hohen Grases beschäftigt war. Die Beine waren ihm mit Watte dick umwunden; der Unterleib, welcher vielleicht nur infolge des immerwährenden Sitzens einen bedeutenden Umfang gewonnen hatte, wurde von einer Decke sorgfältig eingehüllt, und sein Gesicht zeigte den Ausdruck stillduldender Resignation, welcher das Ergebniß eines langwierigen und schmerzhaften Leidens zu sein pflegt. Die Gicht lähmte schon seit einer Reihe von Jahren seine Glieder, machte ihm fast jede Bewegung zur Unmöglichkeit und war auch der Grund, daß man ihn kaum anders als nur den »Gichtmüller« nannte. Er schien die unangenehme Lage in den harten Strohpolstern eines alten Räderstuhles übel zu empfinden und rief stöhnend: »Hans, leg' doch die Sense weg und komm' einmal her. Ich kann es in den Füßen so nicht länger aushalten.« Hans mähte ruhig weiter. »Hans!« tönte es lauter und voll Ungeduld. »Hörst Du oder hörst Du nicht?« Der krankhafte Ausdruck des leidenden Gesichtes war für einen Augenblick vollständig verschwunden; aus dem scharfen Auge, welches jetzt nichts Mattes mehr zeigte, zuckte ein rasches, zorniges Leuchten, kehrte aber schnell und vorsichtig wieder unter die schlaff sich senkenden Lider zurück. Der Knecht drehte sich langsam um. »Habt Ihr gerufen, Müller?« fragte er. Der Gefragte nickte und warf den müden Blick seufzend auf seine eingehüllten Extremitäten. »Ja, wenn Euch die armen Beine so aus der Lage fallen,« meinte Hans mitleidig, »da müssen sie natürlich wehe thun. Kommt, ich will sie wieder zurecht heben!« Er kniete vor dem kranken Herrn nieder und verfuhr mit einer Sorgfalt und Behutsamkeit, als fühle er die Schmerzen desselben in den eigenen Gliedern. »So, jetzt wird's besser sein. Ich bin gleich fertig mit dem Grummet. Nachher laß ich das Rad geh'n und schütte den neuen Weizen auf.«
Der Müller schüttelte langsam mit dem Kopfe; er mußte selbst unter dieser unbedeutenden Bewegung leiden. »Nicht? Giebt's denn etwas Anderes zu thun?« Der Müller nickte und schloß dann die Augen. Es war dies das bekannte Zeichen, daß er zu angegriffen sei, um sprechen zu können. Hans griff schweigend wieder zur Sense, während Klaus regungslos in seiner jetzigen Stellung verharrte. Da vernahm er rasche, leichte Schritte, welche sich ihm näherten. Mit sichtbarer Mühe brachte er die zuckenden Wimpern empor, um einen matten, glanzlosen Blick auf den Kommenden zu richten. Kaum aber war sein Auge auf den Letzteren gefallen, so fuhr er vom Stuhle auf, daß dieser um mehrere Schritte davonrollte und die schützende Decke zur Erde fiel. »Ferdinand!« rief er fast ebenso bestürzt wie überrascht. »Ich glaub' gar, Du bist's wirklich! Was hast Du hier daheim jetzt schon zu schaffen?« Dann aber sich seiner Krankheit erinnernd, stieß er einen lauten Weheruf aus und taumelte wimmernd und von dem Sohne unterstützt in den Stuhl zurück. »Freilich bin ich's wirklich. Grüß Gott, Vater! Ich mocht' es in der Fremd' gar nimmer aushalten und kehrt' darum zurück, um stets nun wieder bei Dir zu sein.« »Aber ich hab' Dir doch befohlen, daß Du fortbleiben sollst, bis ich selbst Dich wieder heim begehr'! Ich brauch' Dich jetzt noch nicht; Du kannst gleich wieder fort und wirst schon hören, wann ich Dein bedarf.« Das Wiedersehen schien ihn ungewöhnlich zu erregen. Die gerade, kräftige Haltung, welche er auf dem Sitze einnahm, mußte ihm sehr wehe thun, denn er kniff die zitternden Lippen zusammen und legte die kahle Stirn in tiefe, schwere Falten. »Gleich wieder fort?« fragte Ferdinand. »Das kann Dein Ernst nicht sein! Ich wollte gar hinaus auf die Wanderschaft damals, denn ich hatte die Bertha lieb, und Du warst kurz vorher krank geworden; es lag Dir in den Füßen, so daß Du in der Mühle nicht gut vorwärts konntest. Du aber triebst mich fort, und wenn ich mich einmal nach Haus' sehnte, so schriebst Du mir, daß ich bleiben sollte. Jetzt sehe ich, daß es schlimmer geworden ist mit Dir, viel, viel schlimmer; Du kannst gar nicht mehr auf, und da sollte ich doch meinen, daß ich Dir willkommen bin!« »Das bist Du auch, aber nur nicht jetzt, nur nicht gleich heut'.
Du wirst schon noch vernehmen, warum. Thu' mir daher den Gefallen und bleib' noch eine Woche, nur ein paar Tage weg von hier! Du wirst dann etwas erfahren, was Dir große Freude bereitet. Geh',« rief er fast ängstlich, indem sein Auge forschend nach dem Dorfwege blickte: »geh' gleich, geh' auf der Stelle; Du bist mir jetzt im Weg!« Der Sohn war dem Blicke des Vaters gefolgt. Ein Mann kam langsam und in gebeugter Haltung bergauf gestiegen. Das konnte doch unmöglich der Niedermüller sein?! »Das ist doch geradezu fortgejagt, Vater! Wenn Du mich wirklich nicht daheim leiden magst, so will ich wieder geh'n; aber die Ruhe und ein Weniges zu essen wirst Du mir doch nicht versagen!« »So geh' schnell hinauf in Deine Kammer, und komm' nicht eher wieder herab, als bis ich Dich ruf'. Der Hans wird Dir schon bringen, was Du brauchst. Mach' fort, sonst ist's zu spät!« Ferdinand folgte dem Gebote und trat in das Haus. Er fühlte sich tief verletzt von dem so unerwarteten Empfange, der ihm ebenso wie das veränderte und unbegreifliche Wesen des Vaters ein vollständiges Räthsel war. Der Letztere war wieder in sich zusammengesunken und lag so hinfällig auf dem Stuhle, als sei er nahe daran, seinen Qualen zu erliegen. Der Knecht war jetzt mit der Arbeit fertig; er hatte weder das Kommen des jungen Mannes, noch dessen Unterredung mit dem Müller bemerkt. Er trat herbei und fragte besorgt: »Ist's wieder schlimmer geworden? Da unten kommt der Niedermüller. Wollt Ihr hier vor dem Haus mit ihm reden, oder soll ich Euch hinein in die Stube fahren?« »In die Stube!« antwortete der Gefragte mit Anstrengung. »Der Ferdinand ist da. Geh' nachher hinauf zu ihm und laß ihn nicht herunter!« Kaum befand sich Klaus in der Stube, welche Hans gleich wieder verlassen hatte, so trat Horn, der Niedermüller, ein. Er grüßte freundschaftlich und reichte dem Kranken die Hand. »Da bin ich schon wieder. Wie geht es mit der Gesundheit?« »Wie immer; es will nicht besser werden.« »So brauch' doch endlich einmal die Einhüllung in nasse Birkenblätter, die ich Dir schon tausendmal gerathen hab'. Sie treiben den Schweiß gewaltig, und mit ihm geht die Gicht aus dem
Leib.« »Hilft auch nichts! Ich weiß schon, was ich thun werd'.« »Ich rath' Dir nicht dazu. Du willst katholisch werden und nach Mariahilf wallfahrten, weil Du meinst, das Paternoster und Ave macht Dich gesund. Bedenke, was Du thust. Das Heil der Seele steht höher, als die Gesundheit des Körpers, und wem der liebe Gott helfen will, dem hilft er durch den Arzt!« »Geh' weg mit den Pillen und Pulvern; sie haben mich erst krank gemacht! Ich hab' geträumt, daß ich beim wunderthätigen Marienbild ganz Besserung find', und übermorgen geht es fort.« »Thu' was Du willst; ich hab' Dir als Dein bester Freund gerathen. Du weißt, was sie im Dorf von Deiner Wallfahrt denken!« »Das ist mir gleich! Sie sind mir all' zu dumm und auch zu klein.« Der Niedermüller warf einen raschen, fragenden Blick auf den Sprecher. »So bist Du wohl gescheider und größer als sie?« fragte er, indem sein Auge unwillkürlich über die ärmliche Einrichtung der niedrigen und verräucherten Stube glitt. »Möglich! Wer es nicht glaubt, wird's vielleicht bald erfahren!« Unter den halbgeöffneten Lidern funkelte es so lebendig und schlau, und die leidenden Züge nahmen einen so selbstbewußten Ausdruck an, wie Beides Horn noch nie an ihm beobachtet hatte. »Dann ist es wohl nicht Zufall, sondern Klugheit gewesen, daß Du in der fremden Lotterie gewonnen hast? Wenn Du so reich bist, warum hast Du mir nicht eher geholfen, als heut', wo es die allerhöchste Zeit für mich ist?« »Weil Du auch Einer von den Dummen bist, vielleicht der Dümmste von Allen, und weil ich auf diese Zeit und auf Dich gewartet hab' wie das Kind auf den heil'gen Christ, oder wie – wie der Teufel auf die Seel', die ihm verschrieben ist!« »Wie meinst Du das?« »Wie ich es mein'?« fragte er. Sein Auge öffnete sich weit dem scharfen, haßsprühenden Blicke, welcher auf den Anderen fiel, und als breche eine lange Zeit gewaltsam niedergedrückte Leidenschaft nun plötzlich mit vervielfachter Wuth hervor, so riß es ihn vom Stuhle auf. Er stand auf den geschwollenen Füßen, ohne mit der Wimper zu zucken, und seine geballte Faust stemmte sich mit dröhnendem Schlage auf die Platte des vor ihm stehenden Tisches.
»Weißt Du noch, als Du in das Thal gekommen bist, um die Niedermühl' zu bauen, was ich Dir damals für gute Wort' gegeben hab', mir nicht die Nahrung hinwegzunehmen? Und als das Bitten nichts gefruchtet hat, da hab' ich Dich verklagt und nachher gar noch die Kosten bezahlen müssen. Du hast die dreifältige Mühl' gebaut für Getreide, Oel und Sägewerk und mich um das armselige bischen Brod gebracht, das ich mir bisher verdiente. Und nun Du die gerechte Strafe bekommst für diese Schlechtigkeit, glaubst Du, daß ich Dir das Geld vorstreck', Dich zu retten? Geh', Niedermüller, Du bist wirklich der Albernste von den Albernen!« Der Genannte fuhr zurück, wie von einer Natter gestochen. »Klaus, was hast Du mit mir vor? Wenn Du im Ernste sprichst, so bist Du noch schlechter und gottloser, als der ›Geldmarder‹, der mich zu Grund' gerichtet hat!« »Wer weiß, was Du auch ihm gethan hast, daß er in Deinen Säckel so verliebt gewesen ist!« Und mit schadenfrohem Lachen fügte er hinzu: »Du wirst nun vor ihm Ruhe haben, denn in Deiner großen Tasche ist kein Heller mehr zu finden!« »Aber Du hast mir ja die Summe versprochen, die ich brauch', um die Subhaste los zu werden! Ich hätt' vielleicht auch anderweit noch Rettung gefunden, aber Du hast mich von Tag zu Tag vertröstet und noch gestern gemeint, daß das Geld bis heut' früh ganz sicher kommen werd'!« »Es ist nicht gekommen, sondern es liegt bereit schon lange, lange Zeit, aber nicht für Dich, sondern für mich, und wozu es bestimmt ist, das wirst Du wohl noch heut' erfahren!« »So willst Du wohl gar die Niedermühl' erstehen und hast mich nur die lange Zeit hinausgehalten, damit ich Keinen find', der sich mein' erbarmt?!« »Denk' wie Du willst! Von dem Augenblick an, da ich den Proceß verlor, hab' ich mich gesehnt nach der jetzigen Stund' und nach dem Tag, an welchem Du wieder aus dem Thale mußt, ärmer noch, als Du gekommen bist. Dieser Tag ist vor der Thür, und Deine Niedermühl' bekomme ich ebenso gewiß, wie ich Heilung find' in Mariahilf!« »O Du schlechter, zehn- und hundertfältig schlechter Mensch! So ist Deine ganze Freundschaft eitel Heuchelei gewesen! Du hast nach dem Proceß gethan, als ob Du der liebe Frieden selber wärst, hast die Mahlgäst' angenommen, die ich von mir wies, weil ich mich
Dein erbarmte, als Du krank und vor Noth und Plage hinfällig wurdest; ich bin nicht dagegen gewesen, daß Dein Bube zu meinem Mädchen kam, und obgleich Du Dich deshalb schon meinen Schwager nanntest, habe ich nicht einen Pfennig von Deinem Lotteriegelde zu leihen begehrt, als der ›Marder‹ mich so nach und nach ins Elend brachte. Erst als es mir endlich an die Kehle ging, bin ich zu Dir gekommen, und nun es Matthäi am Letzten mit mir steht und mir kein andrer Ausweg mehr bleibt, als nur allein Dein Versprechen, da nimmst Du die Larv' vom Gesicht und zeigst mir, wer Du eigentlich bist. Du elender Judas Ischarioth, denk' nicht etwa, daß der Niedermüller jetzt vor Dir niederkniet und Dich um Gnad' und Erbarmung bittet! Bei einem Menschen, der so teuflisch handelt, hilft kein Bitten und kein Fleh'n. Ich muß aus der Mühl' und werd' auch geh'n, da hast Du recht gerechnet, aber der liebe Gott wird Dir heimzahlen, was Du an mir sündigst. Er hat Dich schon gestraft, aber es wird noch schwerer kommen. Du fühlst die Höll' schon jetzt in Deinem Leibe; ersteh' die Niedermühl', ersteh' sie nur, aber glaub' nur nicht, daß Du beim wunderthätigen Marienbild Erhörung findest. Du bist ein Satan, bist ein wahrer Teufel; die heilige Jungfrau hat nichts mit Dir zu schaffen!« »Schimpf' so viel Du willst, immer schimpf' und raisonnir', Du machst mich doch nicht bange. Je größer Dein Zetern ist, desto besser hab' ich Dich getroffen. Du hast nicht auf meine Bitt' gehört, so ist's nur richtig und gerecht, daß nun auch die Deinige nicht vernommen wird. Der Handel zwischen dem Ferdinand und Deiner Zierpupp' ist nun zu End'; Du wirst als Bettler aus dem Haus getrieben und kannst nun an dem Armuthsbach die neue Elendsmühl' bau'n. Geh' fort und mach' daheim, wo Du am längsten Herr gewesen bist, das Thor so weit wie möglich auf, denn Klaus, der Obermüller, wird bald kommen! Er ist zwar krank und hat Jahre lang die Obermühl' nicht verlassen können, aber wenn auf der Niedermühl' Subhaste ist, so muß er dabei sein und sollte ihn der Gichtschmerz gleich zu Tode reißen.« »Ja, ich geh' fort; bei so einem Verräther mag mich's nicht eine Minute länger leiden. Eins aber will ich Dir vorher noch sagen: dies graue Haar hier hat der ›Marder‹ auf seinem Gewissen; er wird gewißlich noch auf seinem Schliche ergriffen werden, und sollt' ich das nicht erleben, so trägst Du die Schuld, daß ich zur Grube fahr'. Schwör' Deinen Glauben ab; die Straf' wird auch Dich zertreten, so
wie Du ihn zertrittst!« Er ging. Klaus sah ihm mit höhnischem, giftigem Blicke nach und nahm dann in seinem Räderstuhle mit einer Bewegung Platz, die für einen Gichtkranken mindestens sehr unvorsichtig zu nennen war.
II. Es war am Spätnachmittage und fast dunkel, als Ferdinand erwachte. Er fühlte sich in Schweiß gebadet; ein fürchterlicher Traum hatte ihn auf dem Lager hin und her geworfen und die Angsttropfen aus allen seinen Poren gepreßt. Er konnte sich der Einzelheiten desselben nicht mehr erinnern; er wußte nur, daß er von einem Ungeheuer bedroht worden war, welches in dem Augenblicke, als er sich auf dasselbe stürzen wollte, die Gestalt und Gesichtszüge seines Vaters angenommen hatte. Er war aus Sehnsucht nach der Heimath die ganze Nacht gegangen und hatte gleich nach dem Frühstücke, welches ihm von Hans aufgetragen worden war, für kurze Zeit lang ruhen wollen, war aber dabei einem Schlafe in die Arme gesunken, der ihn erst jetzt wieder frei gab. Der böse Traum war jedenfalls eine ganz natürliche Folge von dem ebenso sonderbaren wie auffälligen Empfange, den der heimgekehrte Sohn bei dem Vater gefunden hatte, aber der Volksmund sagt, daß die Seele zuweilen im Traume Zeit und Raum zu überwinden vermöge, und Ferdinand stand diesem Glauben nicht so fern, daß er den Eindruck der wirren und wüsten Vorstellungen im Momente des Erwachens sofort hätte von sich werfen können. Er trat an das Fenster und sah in die tiefe Dämmerung hinaus. Das Grummet lag noch in denselben Schwaden vor dem Hause, in denen er es am Vormittage hatte liegen sehen. Warum war es nicht gewendet worden? Unter der Einfahrt stand der mit Getreide beladene Wagen, den er gleich bei der Ankunft bemerkt hatte. Warum war keiner der Säcke angerührt worden; warum ging die Mühle nicht? Er öffnete das Fenster und horchte einige Minuten lang hinab; dann schritt er zur Thür, um nach der Ursache der tiefen Stille, welche im Hause herrschte, zu forschen. Sie war von außen verschlossen, und ein Druck gegen sie bewies, daß man sogar die Vorsicht gebraucht hatte, das Oeffnen durch angestemmte Stützen zu erschweren. Er fuhr bestürzt zurück. Welchen Grund hatte diese unerwartete und seltsame Gefangenhaltung? Stand sie vielleicht in Verbindung mit der heutigen Anwesenheit des Niedermüllers, bei dessen Kommen es so ängstlich geklungen hatte: »Geh' fort, sonst ist's zu
spät!«? Er kannte besser als Andere den Vater und hatte sich wohl gedacht, daß dieser irgend etwas im Werke habe, bei dessen Ausführung er von dem Sohne verhindert zu werden befürchte. Konnte dies etwas Gutes sein? Es ist ein großes, vielleicht das größte Unglück für ein Kind, andere Rechtsbegriffe als sein Erzeuger zu besitzen. Ferdinand fühlte dies mehr, als er es aus eigener Erfahrung erkannt hatte; der Obermüller war stets ein schweigsamer und zurückhaltender Vater gewesen, hatte es aber auch nie verstanden oder gewollt, sich das kindliche Vertrauen, welches sich so gern und willig in die Anschauungen der Eltern einlebt, zu erwerben. Er hatte sich trotz seines hilfsbedürftigen Zustandes die Rückkehr des Sohnes bisher streng verbeten und war heut' über dieselbe sichtlich erschrocken. Dieses unerklärliche Verhalten mußte eine geheimgehaltene Ursache haben. Der junge Mann gab sich nicht die Mühe, über sie nachzudenken; der Befehl, sofort und wenigstens für einige Tage die Heimath wieder zu verlassen, ließ ihn ahnen, daß es für ihn leicht sei, sie zu errathen oder zu erfahren, sobald er diesem Verlangen nicht Folge leiste und zugleich sich jetzt der verwunderlichen Freiheitsberaubung entziehe. Er überlegte daher, auf welche Art und Weise er aus der Stube gelangen könne. Er wollte es eben so heimlich thun, wie man ihn eingeschlossen hatte. Aus diesem Grunde sah er von dem Hinausstoßen der Thür ab, welches ihm trotz der Stützen wohl gelungen wäre, da sie alt und morsch genug war, um von einem kräftigen Fußtritte zertrümmert zu werden. Das Fenster war so klein, daß ein Mann von der Statur Ferdinand's unmöglich durch dasselbe steigen konnte. Die Decke – ja, sie bot am besten und sichersten den Weg, welchen er suchte. Sie war nur geschalt und bildete zugleich den Fußboden des über dem Stübchen befindlichen Theiles des Dachraumes. Er stieg auf den Tisch, stemmte sich gegen die einfach auf die Balken genagelten Breter; sie gaben nach, – ein kurzes Knirschen und Prasseln, und die Oeffnung, welche er brauchte, war vorhanden. Er schwang sich durch dieselbe hinauf und brachte die losgesprengten Theile leicht wieder in ihre vorige Lage. Wer jetzt in die Stube trat, mußte sich wohl verwundert fragen, wie der Gefangene verschwunden sei. Dieser stieg durch den geöffneten Schieber auf das niedrige Schindeldach, dessen untere Kante, da das Haus mit seiner hinteren Seite in den Teichdamm hinein gebaut war, sich nur wenige Fuß
hoch über den Letzteren hinzog. Ein leichter Sprung, und er stand zwischen den Sträuchern, welche den Damm bedeckten. Ueberrascht blieb er auf der Stelle halten; es hatte geklungen, als springe er auf die Decke eines hohlen Raumes, und ein kräftiges Stampfen mit dem Fuße überzeugte ihn, daß er sich nicht geirrt habe. Es war grad' noch hell genug, um den Boden untersuchen zu können. Er bestand aus kurzgeschorenem Rasen und zeigte dem tief gesenkten, aufmerksamen Auge ein sonst kaum bemerkbares, wie mit dem Messer eingeschnittenes Viereck, aus dessen Mitte einige verdorrte Wurzeln hervorstanden. Ferdinand erfaßte diese Letzteren und zog an ihnen erstaunt ein hölzernes Quadrat empor, welches mit grastragender Erde bedeckt war. An der Stelle, auf welcher es so sorgfältig in den Boden eingefügt gewesen war, zeigte sich eine Oeffnung, groß genug, einen Mann hindurch zu lassen, und bei näherer Untersuchung fühlte er die oberen Sprossen einer Leiter, welche senkrecht in die Tiefe führte. Was hatte diese geheimnißvolle Einrichtung, deren Dasein ihm gänzlich unbekannt war, zu bedeuten? Er beschloß, unverzüglich nachzuforschen. Er stieg zunächst so weit hinab, daß er über sich den Deckel bequem wieder in seine vorige Lage zu bringen vermochte, und folgte dann der Leiter, bis er festen Boden unter sich fühlte. Er befand sich in einer engen, niedrigen Zelle und tastete an einen Tisch, auf welchem Lampe und Zunderflasche standen. Als die Erstere brannte, bemerkte er, daß der Raum vier Seiten hatte, von denen drei nur leicht verschalt waren, während die vierte aus einer Breterwand gebildet wurde, in welcher ganz unten am Boden eine niedrige, aber breite Thür angebracht war, deren Angeln einfach aus aufgenagelten Lederstücken bestanden. Sie konnte nur in kriechender Stellung passirt werden. Nachdem er sich durch längeres Horchen überzeugt hatte, daß jenseits derselben sich Niemand befinde, zog er sie auf. Vor ihm stand das Himmelbett, in welchem sein Vater zu schlafen pflegte, ehe er von der Krankheit auch für die Nacht in den Stuhl gebannt wurde. Er schob sie wieder zurück und athmete tief und seufzend auf. Dieser verborgene Raum war früher nicht dagewesen, das wußte er ganz bestimmt. Niemand anders konnte ihn angebracht haben, als der Vater; aber zu welchem Zwecke? Und wie war es
dem gelähmten Manne möglich geworden, diese beschwerliche Arbeit, bei welcher er sicherlich jeden Zeugen vermieden und jede Spur zu verwischen gehabt hatte, auszuführen? Es wurde ihm plötzlich bang' zu Muthe, so bang', als ob ihn das Ungeheuer wieder bedrohe, welches er im Traume gesehen hatte. Er trat zum Tische; der Kasten desselben war verschlossen. Sich niederbeugend, versuchte er, die Finger zwischen dem Rande desselben und der Tischplatte hindurch zu bringen. Es gelang; er fühlte eine Anzahl aufeinander liegender Hefte und mehrere kleine Päckchen, welche sorgfältig in Papier eingeschlagen und dann versiegelt waren. Mit einiger Mühe gelang es ihm, Alles aus der engen Spalte hervorzuziehen. Der Siegellack war nicht mit dem Petschafte, sondern nur mit dem Finger angedrückt worden; es war also bei der nöthigen Vorsicht möglich, eins der Packete zu öffnen und wieder zu verschließen, ohne eine auffällige Spur davon zurück zu lassen. Ferdinand that es; eine beträchtliche Anzahl von Cassenscheinen blickte ihm entgegen. Hatten die anderen Packete den gleichen Inhalt, so müßte der Gewinn, den der Vater gemacht hatte, ein nicht unbedeutender sein. Die Hefte waren Kalender, welche nach der Folge der Jahreszahl aufeinander gelegen hatten. Er durchblätterte den ältesten derselben. Auf den unbedruckten Rändern waren verschiedene ökonomische Bemerkungen angebracht, zwischen denen sich zuweilen eine auf einen anderen Gegenstand bezog, der von Zeit zu Zeit wiederkehrte und die Aufmerksamkeit des jungen Mannes außerordentlich zu fesseln begann. Die kurzen Worte, welche von der ungeübten Hand des Obermüllers neben die roth angestrichenen Tage gesetzt waren, betrafen meist die Niedermühle und bildeten, der Zeit nach aneinander gereiht, den Abriß einer Geschichte von ihr, für welchen Ferdinand allerdings das klare Verständniß entgehen mußte. Er durchschlug einen der Kalender nach dem andern. Was hatten die vielen Zahlen und der sonderbare Name »Marder« zu bedeuten, welcher stets bei ihnen stand? Er mußte unwillkürlich an die Zeit denken, in welcher Horn in die Gegend gekommen war, um die Niedermühle zu bauen. Damals hatte Klaus, als er den Proceß verloren sah, öfters ingrimmig geäußert: »Den Menschen, den mach' ich todt um jeden Preis, und sollt' ich selber mit zu Grunde geh'n!« Er brachte die Sachen sorgfältig wieder an ihren vorigen Platz und stand schon im
Begriffe, wieder empor zu steigen, als er einige Kleidungsstücke bemerkte, welche hinter der Leiter an der Wand hingen. Er besah sie. Sie gehörten dem Vater; sie waren schon sehr alt, aber der Schmutz, welcher an ihnen hing und mit welchem besonders die Stiefel bedeckt waren, schien noch nicht vollständig vertrocknet zu sein. Sie waren erst vor Kurzem, vielleicht am vorigen Abende, in Gebrauch gewesen. Er blies die Lampe aus und verließ unter unbeschreiblichen Gefühlen den räthselhaften Ort. Auf dem Damme angekommen, stieg er von demselben hernieder und schritt zur Hausthür. Sie war von außen verschlossen, und Niemand schien daheim zu sein. Konnte der Vater das Haus verlassen? In tiefen Gedanken wendete er sich dem Dorfwege zu. Bei der Niedermühle angekommen, sah er die Gebäude derselben dunkel und lichtleer vor sich liegen. Der Graben war zugestellt; das reiche Wasser rauschte arbeitslos über das Wehr hinab; kein Rad ging, kein Stampfkolben ließ sich hören, und auch die Säge im Schneidehause ruhte. Warum wurde heut', an einem Werktage, gefeiert? Ein einziges, im Parterre gelegenes Fenster war erleuchtet. Er begab sich in den Flur und klopfte; auf den von innen erschallenden Ruf öffnete er und trat in das Zimmer. Das junge Mädchen, welches arbeitend am Tische saß, sprang bei seinem Anblicke vom Stuhle empor und eilte mit freudeglänzendem Gesichte auf ihn zu. »Vater, Mutter, der Ferdinand ist's! Kennt Ihr ihn denn nicht?« »Halt!« ertönte es da; der Vater eilte aus dem Dunkel der Ecke herbei und stellte sich zwischen die beiden jungen Leute. »Du brauchst mir nicht zu sagen, wer es ist; ich seh' es schon von ganz allein. Es ist der neue Niedermüller, der von der Wanderschaft zurückkehrt, um uns hinweg zu jagen. Scheer' Dich hinaus, Gichtmüllerssohn! Die Mühl' ist Euer, aber diese Stub' gehört noch mir, und so lang' ich noch darin zu wohnen hab', darf mir das Klausvolk mit keinem Schritt herein!« »Ich bitt' Euch, Niedermüller,« meinte Ferdinand erschrocken, »was hab' ich Euch denn zu Leid gethan, daß Ihr solche Red' gegen mich führt? Was ist's mit der Mühl' und mit dem neuen Müller? Ich versteh' Euch nicht!« »So hat Dein Vater, der alte Judas Ischarioth, es Dir noch nicht gesagt und Dir auch nichts davon geschrieben? Da muß ich Dir's
schon mittheilen, damit Du die Schadenfreud' ein wenig eher hast! Er hat heut' die Niedermühl' erstanden und von seinem Lotteriegeld baar bezahlt. Du bist nun ein großer Mann und brauchst jetzt den Horn und seine Leut' gar nimmer anzuschau'n!« »Die Niedermühl' erstanden – und baar bezahlt – – der Vater?« fragte der Jüngling fast erschreckt. »Das ist ja gar nicht möglich! Wie ist es denn gekommen, daß Ihr sie versteigert habt?« »Weil ich von dem ›Geldmarder‹ ruinirt worden bin. Doch geh' hinaus! Dein Alter hat mich heut' aus seiner Stub' gejagt, so brauch' ich nun auch Dich nicht hier zu dulden!« »Nein, ich geh' nicht eher von dannen, als bis ich Alles weiß. Ihr habt ja früher immer viel auf mich gehalten; ich begreif' von Allem nichts und bitt' Euch sehr, mir wenigstens nicht eher bös' zu sein, als bis Ihr seht, daß ich Euch übel will!« »Das klingt gar schön und vernünftig, und es ist auch wahr, daß ich Dir und Deinem gichtbrüchigen Verräther immer wohl gewogen war, aber desto schlechter ist ja das von ihm, was er an mir gethan hat, viel schlechter und schlimmer, als wenn er mich gleich lieber ganz erschlagen hätt'!« »Dann seid so gut und sagt mir's doch. Vielleicht vermag ich's wieder gut zu machen!« »Nein, diese Schart' ist nimmer auszuwetzen! Du hast mich gekannt und weißt, was ich früher für ein starker und rüstiger Mann gewesen bin; ich war so gesund und kraftvoll, daß ich hätt' mit Kirchthürmen hausiren können. Nun schau' mich jetzt einmal an! Das Haar ist mir schneeweiß geworden; das Gesicht hat Falt' an Falt' und auch die Knochensicht bekommen; ich kann nicht grad' mehr steh'n, und was ich angreif', das möcht' ich vor Schwäch' und Unvermögen gleich wieder aus der Hand fortthun. Das hab' ich dem ›Marder‹ zu verdanken, der mich langsam abgekerkert hat, bis die Subhaste über mich hereingebrochen ist.« »Dem ›Marder‹? Wer ist das?« fragte Ferdinand, das Wort jetzt zum zweiten Male hörend. Er dachte an die Kalender und an die Zahlen, bei denen es gestanden hatte. »Auch das weißt Du nicht? Es ist ein Spitzbub', der nun seit Jahren hier und in der Gegend einbricht, ohne daß man weiß, wie er herein gekommen ist. Er war auch einige Mal in der Obermühl', am meisten und öftersten aber hier bei mir. Er nimmt nur Geld, nichts Anderes als Geld; er weiß ganz genau, wann man es bekommt und
wo es liegt, selbst wenn man es im tiefsten Grund verbirgt. Wenn ich welches bekommen hab', so bin ich damit voll Angst im Haus herumgelaufen und hab' es jeden Tag wo anders hingesteckt; aber gefunden und geholt hat er's. So ist mir's viele, viele Mal gegangen; ich bin ärmer, immer ärmer geworden, und die Sorg' und Unruh' hat mich abgezehrt, wie der Schwamm dem Baum ins Leben frißt. Und als hernach endlich die Niedermühl' aufgeschrieben wurde mit Allem, was darin stand und hing, hat mir Dein Vater Hilf' versprochen und mich abgehalten, sie bei einem Anderen zu suchen. Ich hab' ihm auch vertraut und gewartet bis zum letzten Augenblick. Aber als ich dann heut' gekommen bin, um mir das Geld zu holen, ist er voll Freud' und Lachen gewesen, daß ich zu Schanden bin, hat mich den Dümmsten von den Dummen geheißen und drauf am Nachmittag das höchste Gebot gethan, so daß ihm meine liebe, schöne Mühl' mußt' zugeschlagen werden. Geh' nach dem Dorf' ins Wirthshaus, wenn Du ihn finden willst. Er ist mit dem Hans dorthin gefahren und giebt den Freilanz und das Einstandsbier. Da werden sie nun jubeln und springen, und ich mag sehen, wo mir ein Aufenthalt bleibt!« Es war Ferdinand unmöglich, ein Wort zu dem Gehörten zu sagen. Er lehnte mit erbleichtem Angesichte an der Thür und starrte den Müller an, als habe er von ihm ein Ungeheuerliches, eine Schreckensbotschaft vernommen, unter der er die Antwort im Munde ersterben fühle. Horn war auf einen Sitz gesunken und hatte das Gesicht in die Hände verborgen. Nach kurzem Schweigen aber sprang er wieder empor und trat auf den jungen Mann zu. »Jetzt weißt Du, was Du wissen wolltest. Ich hätt' gar nicht so viel zu Dir gesprochen, aber Du warst früher gut und brav und wirst auch jetzt noch ein Gefühl im Herzen haben, obgleich der Apfel nicht gar weit vom Stamme zu fallen pflegt. Dein Vater sagte heut', ich würd' als Bettler aus dem Haus getrieben und könnt' am Armuthsbach die neue Elendsmühl' errichten. Er mag sich nur nicht verrechnen. Ich hab' von dem Zahlgelde doch noch so viel herausbekommen, daß ich nicht von Thür zu Thür zu wandern brauch', und er ist doch auch nicht vor dem End' glücklich zu preisen. Wer seinen besten Freund verräth und betrügt und gar noch den Glauben abschwören will, der soll mit dem Hohn nicht billig sein. Der liebe Gott hat auch seine Mühlen, und die mahlen zwar oft langsam, aber trefflich klein!«
»Den Glauben abschwören, sagt Ihr! Wie meint Ihr das?« klang die Frage zwischen den zuckenden Lippen hervor. »Er will katholisch werden und nach Mariahilf wallfahrten, um dort Heilung zu finden und sich als Mirakel anstaunen zu lassen. Das ist die Krone, die dem heiligen Klaus noch fehlt. Geh' fort, geh' fort! Er ist ein Judas, und Du bist sein Sohn; wir sind geschied'ne Leut'. Spiel' den reichen Niedermüller, so lang' Du willst und so lang' es geht; ich kann auf meine Elendsmühl' stolzer sein, als Ihr auf Euer Lotterieheimwesen!« Er öffnete die Thür und deutete hinaus. »Verlaß die Stub' und kehr' mir nimmer wieder!« »Vater,« klang die bittende Stimme des Mädchens, »thu' ihm das nicht zu Leid; er ist ja unschuldig an dem, was uns betroffen hat!« Ferdinand erfaßte ihre beiden Hände mit den zitternden seinen. »Bertha, ich dank' Dir schön für die Lieb' und Güt', mit welcher Du gesprochen hast; aber der Vater hat Recht, wenn Alles wahr ist, was er sagt. Ob wir uns wiederseh'n, das weiß ich nicht; aber wenn ich die Fremd' wieder aufsuchen muß, so vergiß den Ferdinand nicht, der an Dich gedacht hat, so lang' er fort gewesen ist, und der ein Leid mitnimmt, für das es keine Heilung giebt!« Seine Augen glänzten feucht, und seine Stimme bebte. Er sah aus wie Einer, der die tödtende Kugel erwartet, und als er sich jetzt an den Niedermüller wendete, wollten ihm die Worte nur langsam und wie heiser von den Lippen gehen. »Lebt wohl; ich will Euch gehorchen und Eure Stub' verlassen! Kehr' ich wieder, so bleibt Ihr Niedermüller und sollt erkennen, daß ich besser bin, als Ihr wohl meint. Kehr' ich aber nicht zurück, dann vergebt mir das Weh, das Euch ohne mein Wissen und ohne meine Schuld bereitet worden ist. Ich bin ärmer noch, als Ihr, und der Armuthsbach, an dem ich steh', ist tiefer noch und schlimmer, als derjenige, an dem Ihr Eure Elendsmühl' errichten sollt. Gott geb', daß ich nicht darin versink'!« Er ging. Es war mittlerweile dunkler Abend geworden. Am Wege, der zum Dorfe führte, rauschten hüben und drüben die Tannen; das Strauchwerk flüsterte so lind und heimlich, und der Bach murmelte auch jetzt sein altes Lied. Ferdinand vernahm von diesen »Stimmen und Tönen«, denen er heute Morgen so glücklich gelauscht hatte, nichts; er schritt unsicher und wankend auf dem so wohlbekannten Wege dahin; es war in ihm ebenso finster, wie in der
Natur um ihn her, und dieses innere Dunkel wurde durch die Lichter, welche das bald erscheinende Dorf ihm entgegenwarf, nicht aufgehellt. Wie ganz anders sah es doch jetzt in ihm aus, als vor den wenigen Stunden, da er gemeint hatte: »Daheim ist's doch am schönsten; ich komme nie wieder fort!«
III. »Der Gichtmüller hat die Niedermühl' ersubhastirt, und die Nachbarn sollen nach dem Gasthof kommen. Er giebt dort den Freitanz und das Einstandsbier!« So lautete die Kunde, welche der Dorfwächter von Haus zu Haus getragen hatte, und Jeder, der nicht durch eine Nothwendigkeit zurückgehalten wurde, war ihr gern und willig gefolgt. Es gab so vielerlei Gründe, sich über das Ereigniß des Tages auszusprechen, und als man gar sah, daß der Obermüller auf seinem Räderstuhle durch das Dorf gerollt und nach dem Gasthause geschoben wurde, wollte es Niemand versäumen, den Mann zu sehen, dessen Wohlhabenheit erst jetzt zu imponiren begann und dessen Person durch die Unnahbarkeit, in welche er in den letzten Jahren gehüllt gewesen war, ein gewisses romantisches Interesse erhalten hatte. Die Achtung, welche man seinem Sohne zollte, der es bis zum Geschäftsführer einer weit entfernten amerikanischen Dampf-und Wassermühle gebracht hatte, floß unwillkürlich auch auf ihn mit über, und Viele, die es mit ihren Rechtsansichten nicht so genau nahmen, erkannten gern die Schlauheit an, mit welcher von ihm der Lotteriegewinn zu demselben Zwecke aufgehoben worden war, zu welchem er Ferdinand in die Fremde geschickt hatte, um etwas Tüchtiges zu lernen. Man hatte seinen Stuhl hinauf in den Saal getragen, damit er sich überzeugen könne, welch einen fleißigen Gebrauch man von seiner reichlichen Spendung mache. Hier hielt er schon mehrere Stunden lang inmitten der Tanzenden und von einem Kreise lustiger Trinker stets umschlossen. Die Beine staken auch jetzt in einem dicken Wattüberzuge, und der Kopf mit dem leidenden und eingefallenen Gesichte lag weit hintenüber in dem verbrauchten Polster der Lehne. Obgleich so matt und angegriffen, daß er es nur bei einem ganz besonderen Ausbruche der Laune zu einem kurzen, schmerzhaft verzogenen Lächeln brachte, mußte er doch hier und da Rede und Antwort stehen; es ging nicht anders, und als er sich nach vielem Zureden sogar herbeiließ, aus einem dargebotenen Glase zu nippen, schien er Alles gethan zu haben, was in seinen arg geschädigten Kräften stand. Es gab Keinen, der ihm eine besonders
große Freundschaft gezollt hatte, aber sein außerordentliches Leiden hatte einen versöhnenden Charakter für Vieles, was sonst ganz sicher zur Geltung gekommen wäre. Keiner der Anwesenden bemerkte, daß in dem unerleuchteten Nebenzimmer, welches durch ein Buffetfenster mit dem Saale in Verbindung stand, Einer weilte, der mit bleichem Angesichte das bunte Treiben beobachtete und den forschenden Blick ganz besonders auf den Müller geheftet hielt. Dieser Letztere konnte endlich den ihn umwogenden Lärm unmöglich mehr ertragen; er hatte seiner Pflicht als Geschenkwirth genug gethan und gab dem bereitstehenden Hans einen Wink, ihn fortzubringen. Er wurde unter Dankesbezeigungen in seinem Sessel hinunter auf die Straße getragen und von dem treuen Knechte dann trotz des beschwerlichen Weges glücklich nach Hause gebracht. »Geh' hinauf, Hans,« gebot er dort, »und schau nach dem Ferdinand! Er darf nun herunterkommen!« Der Abgesandte kehrte nach kurzer Zeit zurück und meldete, daß der junge Herr noch wie zuvor im tiefen Schlafe liege. Der gute Alte konnte die Einsperrung gar nicht begreifen, hatte sie aber doch pflichtschuldigst ausgeführt, weil er gewohnt war, jeden Befehl des Müllers ohne Widerrede zu vollziehen. »Das ist gut; so hat er also gar nicht gemerkt, daß wir fortgewesen sind und ihn festgehalten haben. Erzähl' ihm nichts davon und geh' jetzt schlafen!« Hans rollte den Stuhl hinaus in die Kammer, schob seinem Meister behutsam ein Kissen unter den Kopf, sah nach, ob Alles sich in der gehörigen Ordnung befinde, und begab sich dann zur Ruhe. Kaum hatte sich die Thür hinter ihm geschlossen, so erhob sich der Müller vom Stuhle, streifte die Watte von den Beinen und reckte und dehnte die Glieder, als fühle er sich um einen beträchtlichen Theil seiner Größe zusammengeschrumpft. »Endlich ist's für heut' und nun bald auch für immer überstanden! Ich hab' nun die längste Zeit Komödie gespielt, und den Schluß, den wird das wunderthätige Muttergottesbild zu Mariahilf zu Weg' bringen. O, über die Dummen, die gar nimmer alle werden! Solche Staatsstreich' wie den fremden Lotteriegewinn und die Schwagerschaft mit dem Horn, durch die ich ihn sicher gemacht hab', bringt doch nur der Obermüller fertig. Und die Gicht
mit sammt meinem dicken Bauch ist erst recht ein Meisterstück. Wer nicht laufen kann, der kann auch nicht den Leuten ihr Geld wegholen, und wer nun gar am Leib so geschwollen ist, wie ich, der vermag unmöglich durch ein Fenster zu kriechen!« Er knöpfte die Kleidung auf und zog das Futter hervor, welches ihm ein so geschwollenes Aussehen ertheilt hatte. »Jetzt will ich hinaus in meine Räuberhöhl'; der Lebrecht wird bald kommen und mir die verheißene Botschaft bringen! Ich hab' mich heut' im Dorf gezeigt; sie Alle haben gesehen, wie schlimm es mit mir steht, und sind voll Mitleid und Erbarmung gewesen. Wenn morgen früh dem Horn seine Herauszahlung fehlt, so weiß ich ganz gewiß, auf wen der Verdacht unmöglich fallen kann. Er muß als Bettler fort; ich hab's damals geschworen, als ich den Proceß verlor, und darum werd' ich heut' noch einen Gang zu ihm machen. Es ist der letzte, den ich thu', und was so viele Mal gelungen ist, das wird auch dieses letzte Mal von statten gehen!« Er verriegelte die Thür, welche zur Wohnstube führte, trat dann an das Bett und schob es mit Leichtigkeit bei Seite. Als er den Zugang zu dem Nebenraume aufstieß, drang durch denselben ein heller Lichtschein in die Kammer. »Bist Du schon da, Lebrecht?« fragte er leise, sich niederbeugend. »Schon eine ziemliche Weil',« lautete die Antwort. »Ich hab' mir die Lamp' angebrannt, weil mir die Zeit zu lang geworden ist.« »Schon recht! Ist das Loch oben zu?« »Ja. Ich werd' es doch nicht offen lassen, damit die Frösch' und Kröten herunterschauen und dann unsere Sach' in die Welt hinein quaken können!« Der Sprecher war ein kleiner, verwachsener und rothhaariger Bursche, der dem jetzt herbeikriechenden Müller die Hand zum Willkommen bot. »Ihr habt heut' gute Zeit gehabt, Obermüller; ich aber bin mit Seufzern gespeist und mit Klagen getränkt worden, so daß es mir ganz elend und jämmerlich im Magen ist. Habt Ihr nicht einen guten Trunk bei der Hand, der Einen curiren kann? Bei uns in der Niedermühl' ist's zu End' damit!« »Erst kommt das Geschäft und dann der Lohn. Wie steht's mit dem Geld?« »Ich hab' aufgepaßt wie ein Himmelslauscher, der wissen will,
wohin die Sternschnupp' fallen wird, und bin endlich auch richtig dahinter gekommen.« »Nun?« »Ja, wie steht es denn eigentlich mit dem Papier von wegen der Obermühl'? Wir haben doch so gehandelt, daß ich Euch den Aufpasser mach' und dafür die Obermühl' erhalt', sobald die Niedermühl' Euer geworden ist. Noch gestern bin ich hier gewesen, und Ihr habt gesagt, daß Ihr es mir geben wollt, sobald wir das Geld haben, welches der Niedermüller vielleicht herausbekommt.« »Das ist Alles richtig, und ich werd' auch Wort halten, denn Du hast Deine Sach' sehr gut gemacht und mir so viel treffliche Nachricht gebracht, daß ich oft geglaubt hab', Du seiest allwissend. Aber jetzt ist das Geld doch noch nicht unser! Ich hab' das Papier ganz fertig geschrieben und werd' es nachher mitbringen. Sobald der Kasten beim Niedermüller leer ist, geb' ich Dir's in die Hand, aber keinen Augenblick eher, das kannst Du nicht von mir verlangen. Und aus Vorsicht sagen wir einstweilen, daß Du die Obermühl' bloß gepachtet hast. Also wo ist das Geld zu finden?« »In der kleinen Stub', wo der Müller jetzt schläft, da liegt es in dem kleinen Wandschrank, der nicht weit vom Fenster ist. Aber den Schlüssel dazu hat er in der Tasch', und der Laden ist von innen fest verschlossen.« »Da ist die Sach' nicht leicht für mich! Schläft das Weibsvolk mit in der Stub'?« »Nein, die sind vorn heraus. Die Müllerin liegt krank auf dem Kanapee, und die Bertha will nicht weg von ihr.« »So wird sich's doch vielleicht noch machen lassen. Hör', was ich Dir sag'! Du gehst jetzt nach Haus; ich komm' in kurzer Zeit nach und bring' den Dietrich und die Strickleiter mit, auf welcher ich alle Mal in Deine Giebelkammer gelangt bin. Wir müssen den Müller aus seiner Stub' herauslocken. Sobald ich oben bei Dir bin, gehst Du hinunter und sagst, Du hättest Jemanden um das Haus schleichen sehen. Er wird herausgehen, und dann eil' ich schnell hinab, um das Geld zu nehmen. Ich bin bestimmt fertig, ehe er wiederkehrt, und dann treffen wir uns wieder in Deiner Kammer, wo Du das Papier erhältst. Er schaut sicher nicht gleich in den Schrank hinein, und wenn er es auch thut, so wird er zuerst im Haus nach mir suchen, und dann kann ich ja ganz ungestört auf der Leiter davon. Hast Du Alles vernommen?«
»Ja. Es ist der einzige Weg, den es giebt. Aber nehmt Euch nur hübsch in Acht, daß wir zu guter Letzt nicht gar noch ein Unglück erleben! Ihr dürft nicht eher an die Mühl' kommen, als bis ich das Licht ganz nah' an das Fenster setz'. Dann ist die Luft rein, und ich laß die Schnur herab, um die Leiter hinauf zu ziehen. Jetzt will ich geh'n; laßt mich nicht lange warten!« Als er fort war, kehrte Klaus in die Schlafstube zurück und nahm das Leinen- und Federzeug aus der Bettstelle. Unter dem Strohsacke befand sich ein Doppelboden, welcher alle nothwendigen Diebeswerkzeuge enthielt. »Heut' brauch' ich bloß die Strickleiter, die Latern' und den Dietrich. Aber halt, den Todtschläger nehm' ich noch mit dazu; ich werd' ihn wohl auch gebrauchen können, denn der Lebrecht, der Dummkopf, darf nicht denken, daß er die Obermühl' bekommt. Er muß den Mund halten und zufrieden sein, wenn Niemand erfährt, daß er mir beigestanden hat. Wenn ich das Geld hab' und er verlangt das Papier, geb' ich ihm Eins auf den Kopf und mach' mich davon!« Er brachte die angegebenen Gegenstände in die »Räuberhöhle«, wie er den verborgenen Raum genannt hatte, wechselte die Kleidung und stieg nach dem Damme empor. Noch war er damit beschäftigt, den Deckel auf die Oeffnung zu bringen, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte. Im Nu hatte er sich umgedreht und erhob den Schläger; aber ebenso schnell war auch seine Hand gepackt und festgehalten. »Vater, willst Du Deinen Sohn erschlagen?!« »Wer – wer ist's? Du bist's? Wie kommst Du hier her und was willst Du da?« »Den ›Marder‹ will ich zurückhalten, damit er nicht noch größeres Unheil anrichtet, als er bisher gestiftet hat!« »Den – den ›Marder‹? Du weißt, daß – daß –« Er konnte vor Bestürzung nicht weiter reden. Daß der eigene Sohn sein Geheimniß entdeckt hatte, war schlimmer, als wenn ein Anderer ihn ergriffen hätte. »Ich weiß Alles! Ich bin aus meiner Stub' fortgewesen und hier hinabgestiegen, wo ich das Geld gesehen und die Kalender gefunden hab'. Ich kenne nun die Lotterie, in welcher Du gewonnen hast; es ist eine schreckliche, eine fürchterliche, und ich – ich hab' Alles, Alles in ihr verloren. Komm mit hinab in Deinen Fuchsbau, ich hab' mit Dir zu reden!«
»Ich hab' nicht Zeit dazu. Sag's gleich hier!« »So willst Du wohl eben wieder einen Gichtweg thun? Ich hab' mir's gleich gedacht! Es schlich Jemand so heimlich um die Eck'; ich hab' gemeint, Du wärst's selber, und bin dann gleich herbeigekommen, um nachzuschau'n, ob das Nest leer ist. Also deshalb sollt' ich heut' gleich wieder fort und weil Du wußtest, daß ich nie zugegeben hätt', daß Du den braven Niedermüller aus dem Seinigen treibst. Steig' wieder hinab; ich laß Dich nimmer fort!« »Meinst Du?« fragte Klaus. »Du bist der Sohn und hast mir nichts zu befehlen!« »Grad' weil ich der Sohn bin, muß ich darauf achten, daß ich's auch bleiben kann. Vater, ich bitt' Dich gar sehr, bleib' hier und vernimm, was ich Dir sagen muß!« »Dazu ist morgen Zeit! Da sollst Du Alles hören. Jetzt aber geh' und schlaf'. Ich bin auf gutem Weg und auch bereit, mit Dir zu sprechen, vielleicht schon, wenn ich wiederkehr'!« »Nein! Ich kann's nicht auf mein Gewissen nehmen, Dir zu gehorchen. Der Weg, den Du gehst, ist kein guter; er führt in ein Elend, das nicht so leicht zu heilen ist, wie die Gicht, welche Du nach Mariahilf tragen willst!« »Auch das weißt Du? Dich hat der Geier aus der Fremd' herbeigetrieben! Wenn Du gewartet hättest, bis ich Dir schrieb, wär' Alles gut gewesen. Geh' weg, ich kann Dich nicht gebrauchen!« »Bleib', Vater, bleib'! Noch ist es Zeit, das Vergangene wieder gut zu machen; noch weiß Niemand, wer der ›Marder‹ ist, und wenn Du im Stillen zurück erstattest, was nicht Dir gehört, so giebt's noch Heil und Segen auf der Obermühl'!« »Zurück erstatten? Schau doch, was Du sagst! Ist's denn wirklich so gewiß, daß ich der ›Marder‹ bin? Wart's ruhig ab, und red' nicht eher, als bis Du es verstehst!« Er machte sich von der Hand Ferdinand's los und versuchte, an diesem vorüber zu kommen. »Vater, ich darf Dich nicht fortlassen, ich muß Dich halten. Hör' auf mich, sonst muß ich Gewalt brauchen, und das will ich doch nicht gegen Dich thun. Laß mich doch zu Dir reden, und Du sollst sehen, daß ich nicht zu viel von Dir verlang'!« »Was willst Du? Vergreifen willst Du Dich an mir? Tritt aus dem Weg, sonst mach' ich mir die Bahn!« »Ich kann nicht! Ich darf nicht! Ich bitt' Dich von ganzem
Herzen, bleib'!« »Geh' weg!« »Bleib', Vater!« »So fahre hinweg, wenn Du's nicht anders willst!« Mit einem raschen, kräftigen Stoße warf er sich auf den Sohn. Dieser hatte den Angriff nicht vermuthet, verlor das Gleichgewicht und stürzte kopfüber in das tiefe Wasser des Teiches. Klaus bog sich weit vor und blickte hinab in die dunkle Flut, auf welcher Ring an Ring hineintrieb in die stille, schweigsame Nacht. Hatte er es so gewollt? Er fuhr sich mit den Händen nach dem Kopfe, stieß einen heiseren, unarticulirten Laut hervor und sprang dann zwischen die Sträucher hinein, welche sich auf der Böschung des Dammes hinunterzogen. Wäre Klaus nur noch einige Augenblicke geblieben, so hätte er gesehen, daß Ferdinand wieder emportauchte und einen Zweig erfaßte, welcher in das Wasser niederhing. Er horchte nach dem Damme empor. Als er nichts vernahm, schwang er sich auf das Trockene und schüttelte die triefende Nässe aus der Kleidung. »Er ist fort; er hat nicht daran gedacht, daß ich schwimmen kann! O Du heiliger, lieber Gott, was hab' ich denn verbrochen, daß mir's so grausam hart ergeht! Wo ist er hin, und wer war der, den ich vorher gesehen hab'? Ob's nicht der Lebrecht, der alte Knapp' von der Niedermühl' war, der erst bei uns gewesen ist? Ich muß fort, ich muß nach, und sollt' ich mir die Füß' ablaufen; der Vater darf nicht wieder thun, was er bisher vorgenommen hat!« Er eilte davon. Als er die Niedermühle erreichte, umging er dieselbe und war bemüht, mit Auge und Ohr die Finsterniß und nächtliche Stille zu durchforschen. Als er an der einen Giebelseite des Wohngebäudes gegenüber anlangte, glaubte er, in der Höhe ein Geräusch zu vernehmen. Vorsichtig schlich er bis an die Mauer heran und blickte an derselben hinauf. Im Dachstocke klirrte ein Fenster leise, und ein langer, strickähnlicher Gegenstand wurde emporgezogen. »Was war das? Es ist Jemand an dem Seil hinauf geklettert! Ist's der Vater gewesen? Soll ich den Müller wecken, oder soll ich warten, bis der, welcher es gewesen ist, wieder herunter kommt, und ihn dann wegfangen?« Er war noch nicht mit sich im Reinen, als er schleichende Schritte vernahm, die sich ihm näherten. Es war der Müller.
Ferdinand wußte das nicht, hielt sich verborgen, bis er vorüber war, und folgte ihm dann geräuschlos nach, um zu sehen, wen er vor sich habe und was der Mann im Schilde führe. Dieser umsuchte erst das Wohnhaus und dann auch die Nebengebäude. Bei der etwas abgelegenen Schneidemühle angekommen, blieb er stehen und horchte; es war, als sei ein durch die Entfernung gedämpfter Schrei erklungen, dem nach einigen Secunden ein harter Fall folgte. So eilig, als es die Vorsicht gestattete, huschte er zurück und an Ferdinand, welcher erst jetzt den mit einer Büchse bewaffneten Horn erkannte, vorbei. Den jungen Mann ergriff eine schlimme Ahnung. Kaum war der Niedermüller an der einen Seite des Hauses verschwunden, so stürzte er nach der anderen. An der Stelle, wo er vorhin empor geblickt hatte, sprang ein Mann von der Erde auf und floh davon; ein anderer lag am Boden und gab kein Lebenszeichen von sich. Ferdinand bückte sich nieder und erkannte ihn. Es war sein Vater. Der Niedermüller konnte jeden Augenblick hier sein; er durfte ihn nicht finden. Der vor Schreck zitternde Sohn hob den Leblosen auf und suchte mit ihm den Weg nach der Obermühle zu gewinnen. Als er so weit fortgekommen war, daß er es wagen konnte, einen Halt zu machen, legte er seine Last auf die Erde. Ein leises Stöhnen und Röcheln war die Folge der dabei verursachten Schmerzen. »Vater,« fragte er mit angstvollem Herzen, »lebst Du noch? Hörst Du mich?« Er bekam jetzt und auf alle seine ferneren Bemühungen keine andere Antwort, als dasselbe Röcheln und Stöhnen. Er nahm ihn wieder auf die Arme und trug ihn, selbst halb bewußtlos, der Gichtmühle zu. Dort angelangt, fand er die Thür verschlossen. Auch wenn der schwerhörige Hans zu wecken gewesen wäre, er durfte nichts von dem Geschehenen erfahren. Ferdinand entledigte sich deshalb seiner Bürde und stieg den Damm hinan, um durch den verborgenen Eingang in das Haus zu gelangen und dann zu öffnen. Er war nur wenige Schritte noch von demselben entfernt, als eine Gestalt aus der Erde emportauchte und nach dem Deckel griff, um ihn auf den Einstieg zu legen. Sofort hatte er sie ergriffen. »Halt, Mann! Wer bist Du?« »Wer – wer – wer ich bin?« stotterte der Erschrockene. »Wer – wer – wer bist denn Du?«
»Ich bin der Müllerssohn hier aus dem Haus und will wissen, was Du hier zu schaffen hast!« »Der Müllerssohn? Der Ferdinand?« klang es mit etwas beruhigter Stimme. »Ja wirklich, Du bist's! Ich hab' geglaubt, Du bist gar nicht daheim.« »Und daher hast Du gemeint, Du darfst jetzt ebenso in das Loch steigen, wie vorher, als der Vater unten war! Sag' gleich, Lebrecht, was hast Du d'rin gethan?« »Was ich gethan hab', willst Du wissen? Deinen Vater, den ›Geldmarder‹, hab' ich ausgezahlt. Geh' nur zur Niedermühl', da liegt er todt unter meinem Fenster! Er hat mir meinen Lohn verweigert und mich gar noch auf den Kopf geschlagen. Aber der ist dick und hart und verträgt schon einen Puff. Als der alte Heimtücker aus dem Fenster war, hab' ich ihn ergriffen und von der Leiter gestürzt. Dann bin ich ihm nachgestiegen, hab' ihm das Herausgeld abgenommen, und nachher – nachher habe ich mir auch noch das geholt, was da unten im Tischkasten war. Verwundre Dich nur, immer verwundre Dich! Vor Dir brauch' ich mich nicht zu fürchten, denn wenn Du mir 'was thust, so erfährt das ganze Dorf, wer der ›Marder‹ gewesen ist!« Er machte sich mit einer raschen Bewegung von den Händen Ferdinand's los und eilte den Weg zurück, den er gekommen war. Es kam ihm Alles darauf an, daß seine Abwesenheit nicht bemerkt wurde; deshalb strengte er seinen verwachsenen Körper zum schnellsten Laufe an und fühlte sich nun sicher, als er bei seiner Ankunft bemerkte, daß die Leiter noch hing. Aber noch hatte er die halbe Länge derselben nicht erklommen, so rief es unter ihm: »Halt an, Spitzbub', und komm herab, damit ich Dir guten Abend sagen kann!« Der Schreck fuhr ihm durch alle Glieder. Was sollte er beginnen? Hinauf durfte er nun auf keinen Fall, da wäre er gefangen gewesen, denn der Müller hätte ganz sicher die Leiter herabgerissen, wäre nach oben gekommen und hätte das Geld bei ihm gefunden. Zurück konnte er aber auch nicht. Es gab nur einen einzigen Weg für ihn. Das Fenster, bei dem er eben hielt, führte auf den Treppenboden; wenn er es einschlug und hindurch sprang, so war er gerettet. Er zögerte nicht, diesen Gedanken sofort auszuführen. Die Scheiben klirrten; da ertönte es wieder: »Halt, Bursch'; nicht weiter oder ich schieß'!«
Das Klingen des aufgestoßenen Fensterflügels bewies, daß er nicht gewillt sei, auf die Warnung zu hören. Der Schuß krachte; der herabstürzende Körper des Getroffenen schlug auf die Erde; er lag an derselben Stelle, an welcher Ferdinand seinen Vater gefunden hatte. – Der Morgen war noch nicht weit vorgerückt, aber die Kunde, daß Horn heute Nacht den »Geldmarder« erschossen habe, hatte trotz der frühen Stunde schon viele Neugierige, die den Todten, welcher in seinem Leben so gefährlich war, sehen wollten, aus dem Dorfe herbeigezogen. Er war noch nicht vom Gerichte aufgehoben worden und lag noch an der Giebelseite, wo er getroffen worden war. Der Dorfwächter stand bei ihm und sah streng darauf, daß nichts an dem status quo, wie er sich gelehrt und wichtig ausdrückte, verändert werde. Da kam Ferdinand langsam und gesenkten Hauptes den Mühlenweg herab. Man hatte ihn noch nicht gesehen und eilte ihm entgegen. »Weißt Du auch, was hier passirt ist?« wurde er gefragt, als die Begrüßungen vorüber waren. »Der Niedermüller hat den ›Marder‹ erschossen, und denk' Dir nur, sein eigner Knapp', der Lebrecht ist's gewesen!« Er horchte hoch auf und ließ sich zu der Leiche führen. Es war kein schöner Anblick, der sich ihm bot; trotzdem nahm sein Gesicht einen helleren Ausdruck an, begann sich aber bald wieder zu verfinstern, als man ihm bemerkte: »Wie gut, daß er unschädlich gemacht ist! Er hätt' Dir eben solchen Schaden gemacht, wie dem Horn und noch Anderen, denn Dein Vater ist jetzt Niedermüller und würd' ihn sicherlich behalten haben!« »Mein Vater ist heut' Nacht an seiner Gicht gestorben, und wer Niedermüller ist, das wird sich erst noch finden!« Er wartete die Antwort der Verwunderten nicht ab, sondern trat in das Haus und klopfte wie gestern an die Thür. Der Müller öffnete selbst. »Du bist's schon wieder? Was willst Du heut'?« »Ich möcht' Euch an das Wort erinnern, welches ich Euch gestern beim Abschied gesagt habe.« »An welches?« »Ich sagte: ›Wenn ich wiederkehr', so bleibt Ihr Niedermüller!‹
Ich bin gekommen, um dieses Versprechen zu halten!« »Das ist nicht möglich. Sag's deutlicher, was Du meinst!« »Der Vater ist todt. Wenn die Gicht erst einmal in den Leib tritt, so ist's oft schnell zu End'. Ich mag die Niedermühl' nicht haben und will sie Euch verkaufen!« »Die Niedermühl'? Verkaufen? Willst Du mich etwa verhöhnen?« »Das kommt mir gar nicht in den Sinn! Wenn Ihr sie gern behalten wollt, so sollt Ihr mich bereit und billig finden. Ich hab' Euch schon gesagt, daß ich gern gut machen will, was Euch Böses geschehen ist; nur sollt Ihr nicht auch mich für schlimm und ungut halten!« »Wenn es Dein Ernst ist, so will ich gern vergessen, was ich Dir vorgeworfen hab'. Schau, der ›Marder‹ hat seinen Lohn bekommen. Es war mein eigner Knecht. Ich traf ihn grad', als er herab wollt', um mein Herausgeld fortzutragen. Nun weiß ich auch, warum er stets gewußt hat, wenn ich welches bekam und wo ich es liegen hatte. Auch das von den letzten Malen trug er bei sich; er muß irgendwo ein Nest haben, wo es versteckt liegt, und es ist ganz möglich, daß wir es einmal finden. Was ich bei ihm gefunden hab', reicht vielleicht zur Anzahlung hin, wenn Du mit Deiner Forderung nicht gar hoch hinaus willst. Für welchen Preis giebst Du die Mühl' zurück?« »Für denselben, den der Vater gestern gezahlt hat. Ein Angeld braucht Ihr nicht zu geben. Ich laß Alles darauf stehen, und vor der Hand sollt Ihr auch keine Zinsen zahlen.« Horn sah ihn erstaunt an. »Du bist nicht klug! Mir kann's schon recht sein, wenn ich so wohlfeil bleiben darf; aber Du mußt auch auf Dich sehen und in Deiner guten Meinung nicht zu weit gehen. Warum willst Du nicht selber Niedermüller werden?« »Weil ich dann eine Müllerin brauche, und das könnt' nur die Bertha sein. Ihr aber habt gesagt, wir sind geschied'ne Leut' und das Klausvolk darf Euch gar nimmer in die Stub'!« Horn reichte ihm mit einem versöhnenden Lächeln die Hand entgegen. »Ich bin hart gegen Dich gewesen, Ferdinand, weil auch ich hart getroffen war. Der Hans ist gut und treu; setz' ihn auf die Obermühl' und komm' zu uns herab! Die Müllerin ist vor Herzleid krank
geworden; Du machst sie mit Deiner Güte wieder gesund. Und die Bertha hat Dich lieb, sonst hätt' sie gestern nicht für Dich gebeten. Laß uns freundlich zueinander sein, dann will ich nicht mehr daran denken, daß mein Haar weiß ist und daß ich gestern die Subhaste hab' erdulden müssen!« In den Zügen des Jünglings sprach sich eine tiefe Bewegung aus. Er ergriff mit der einen Hand die dargebotene Rechte und hielt die andere dem erröthenden Mädchen hin. »Habt Dank, Niedermüller! Ich sagt' Euch gestern wohl, Ihr würdet einsehen, daß ich nicht so schlimm bin, als Ihr meintet. Aber wenn der Vater auf dem Sarg liegt, so ziemt es sich schlecht für den Sohn, an Freud' und Fröhlichkeit zu denken. Ich hab' seit meiner Heimkehr viel Trauriges erlebt, mehr als Ihr glaubt und wißt. Laßt mich jetzt meine Leich' begraben; vielleicht wird mir das Herz dann wieder leicht, und nachher soll die Bertha die Erste sein, die mich lachen hört. Ihr seid jetzt gut zu mir; vergebt auch dem Vater. Die Elendsmühl' bleibt Euch erspart, und er ist ja dahin gegangen, wo man Vergebung braucht!«
Der Giftheiner Eine Erzählung aus dem Erzgebirge von Karl Hohenthal
Es war ein wunderschöner Frühlingsmorgen, so warm und sonnig wie nur selten einer im Gebirge. Der freundliche Sonnenstrahl trank die glänzenden Thautropfen von den jungen Pflanzenspitzen und ließ die Nebelballen in wunderlichen Gestalten von Thal zu Berge steigen. Die schon längst aus dem Süden zurückgekehrten befiederten Sänger des Waldes hatten ihr Frühkonzert begonnen und ließen sich in ihrem fröhlichen Gezwitscher durch den Mann, welcher am Rande der Waldwiese an einem Baume lehnte, nicht stören. Er achtete ihrer ja gar nicht, sondern schaute so ernst und gedankenvoll hinaus in die blaue Ferne, als ob die Nähe mit ihrem blühenden, duftenden und jubilirenden Leben für ihn gar nicht vorhanden sei. Doch ja, sie schwiegen plötzlich; er hatte seine Stimme erhoben und ließ ihren herrlichen Tenor mit einer Fülle ertönen, welche die Vögel verstummen machte, und wie heller Glockenklang über die Wipfel des zur Tiefe sich senkenden Waldes hinfluthete. »So schwer wie der Fichtelberg Ist mir das Herz, Und so hoch wie der Fichtelberg Wächst mir der Schmerz. Es fließt von dem Fichtler Manch' Wasser ins Meer Und kommt dann im Reg'n Und Thau wieder her.« Die Vögel fielen am Schlusse der Strophe applaudirend und mit verdoppeltem Eifer in ihre Weisen; er schien es nicht zu hören. Er sah auch nicht, daß ein Anderer sich ihm näherte und lauschend hinter ihm stehen blieb. »Ich stand auf dem Fichtelberg, Gab ihr die Hand Sie ging von dem Fichtelberg Fort in das Land. Nun fällt von dem Fichtler Manch' sehnender Blick Und bringt aus der Fern' doch Nur Thränen zurück!«
»Bravo, bravissimo!« ließ sich der unbemerkte Horcher jetzt hören. »So aane Stimm' wie dem Giftheiner seine giebts net wieder, so weit der Fichtler schaut, und so schöne Reim' bringt erst recht gar niemand net fertig. Die Liebste ist ihm ausgeriss'n und hat ihm die Treu' gebroch'n; darum singt er nun den Fichtelberg an und weint Syrup dazu. Warum weinst' net Schwefelsäure oder Salpeterwasser? Das wär' doch besser zu brauch'n!« Der Sänger hatte sich ihm zugedreht und ohne eine Miene zu verändern ihn aussprechen lassen. Dann aber faßte er ihn mit einem unerwarteten Griffe bei der Brust, drückte ihn an den Stamm des nächststehenden Baumes und bearbeitete seine Wangen so kräftig mit der flachen Rechten, daß der Schall der Streiche weithin vernehmbar war. »So, da hast' Dein Geld für die schöne Red', die Du gehalt'n hast, Kart'nbalzer! Ist's genug, oder willst' noch mehr?« Die Ohrfeigen waren so überraschend schnell und ohne alle vorhergehende Einleitung über den Getroffenen hereingebrochen, daß er gar keine Zeit gefunden hatte, sich auf die Gegenwehr zu besinnen. Er schien diese letztere auch nicht für rathsam zu halten, denn kaum fühlte er sich von der starken Faust, die ihn gehalten hatte, befreit, so wich er, die Hände an das erglühte Gesicht legend, behutsam um einige Schritte zurück. »Was thust' mit mir, Giftheiner?« sprudelte er hervor. »Vergreif'n thust Dich an mir? Das soll Dir vergolten werd'n; merk Dir die Schläg!« »Da giebt's net viel zu merk'n. Kannst' sie ungezählt bekommen, so oft Du's nur begehrst. Wenn Du Appetit darauf hast, so darfst' nur den Namen sag'n, mit dem Du mich vorhin geruf'n hast.« »Ist das etwa net der richtige für Dich, he? Wer hat denn dem Kantor das böse Zeug ins Gesicht gegoss'n, so daß es ihm fast ganz weggefressen word'n ist? Vom Himmel ist's doch wohl net herabgeregnet, und es hat sich ja herausgestellt, daß Du am Tag vorher in der Apothek' gewes'n bist!« »Kart'nbalzer,« antwortete der Andere ruhig aber mit funkelndem Auge; »ich will's net so mach'n wie Du und Deine Spießgesell'n, daß ich die Schuld auf Jemand' werf', dem ich doch nix beweis'n kann; aber ich sage Dir, die Sonn' bringt's schon noch an den Tag, wer's gethan hat, und dann wird auch der Zahlaus net
auf sich warten lass'n. Es sag'n viele Leut', Du seist der schlechtest' Kerle weit und breit im Land' herum, ich aber waaß dies besser: net die Bosheit, sondern der Leichtsinn hat Dich verführt und ins Unglück gebracht. Doch merk, der Leichtsinn ist gefährlicher, als die Bosheit und kann net wie sie gebessert werd'n, denn ihm fehlt der feste Halt dazu. Dir geht das Wasser schon bis an den Mund und wird noch vollends über Dir zusammenschlag'n, wenn der liebe Gott net auf ganz absondre Weis' Erbarmen mit Dir zeigt. Das Aug', von dem die Bibel spricht und das Dich ärgert, muß heraus und unschädlich gemacht werd'n, weiter giebts nie kaane Rettung mehr für Dich. Geh fort Balzer; Du hast mir nix als Uebles zugefügt, aber wenn ich d'ran denk, was Du warst und Dich jetzt grad wie den armen Sünder vor mir seh, so kannst' mich fast sehr dauern!« Es war so, wie die letzten Worte sagten. Der Angeredete stand mit niedergeschlagenen Augen vor dem Sprecher, und die Röthe, welche sich von den Wangen bis über seine Stirn verbreitete, hatte wohl außer der empfangenen Züchtigung auch noch eine andere, eine innere Ursache. Aber wie ihm vorher der Muth zur Gegenwehr entgangen war, so fehlte er ihm auch jetzt zur ehrlichen Selbsterkenntniß, und bei der Erinnerung an die Vergangenheit bäumte sich der falsche Stolz in ihm empor. »Was ich gewes'n bin, das brauchst mir net zu sag'n! Der Teichbauer war ich, wenn Du nix dageg'n hast, und den Teichhof hab ich vertrunk'n und verspielt net aus Leichtsinn, wie Du meinst, sondern weil ich's grad so und net anders gewollt hab. Und daran ist weiter niemand schuld als Du! Du hast mir die Kantoralwin' abspenstig gemacht, und mir ist nachher Alles gleich gewes'n. Aber bekommen hast' sie doch net, obgleich Du schier durch Himmel und Höll' gedrungen bist, und durch das Giftwasser ist's denn gar aus geword'n. Das Aug' reiß' ich mir Deinetweg'n noch lange net heraus, Heiner, und zu erbarmen braucht sich auch niemand und Kaaner über mich; ich werd' schon selbst allein noch mit mir fertig!« »Das seh' ich, und drum bin auch ich nun mit Dir fertig. Behüt' Dich Gott, Balzer!« »Aber ich noch net mit Dir! Meine Rechnung streich ich net eher, als bis ich Dich net mehr zu sehn vermag. Du hast aus dem Balthasar vom Teichhof den Kart'nbalzer gemacht, nun sollst' auch merk'n, daß ich ihn spiel' bis auf den letzt'n Trumpf.« »Spiel fort, Balzer. Wirst net viel Trümpf' mehr hab'n!«
Er nahm den in ein Tuch geschlagenen Vogelbauer, welcher neben ihm gestanden hatte, von der Erde auf und entfernte sich. Der heruntergekommene Teichbauer blickte ihm finster nach und warf die geballte Faust hinter ihm empor. »Wart nur, Bursch; die Ohrschell'n sind Dir theuer angerechnet! Aber warum hab ich doch nur den Kerle net gleich darniedergeschlag'n? Das hätt' er mir 'mal früher bieten soll'n. Ist's denn wahr, daß Spiel und Trunk den Mensch'n feig und zagig mach'n? Ich war doch sonst mehr als zu viel gleich mit dem Zuschlag'n bei der Hand, und hab mich vor dem Heiner niemals net gefürchtet! Mirweg'n mag's immer so sein; es kömmt doch noch die Stund', in der ich mit ihm Abschluß halt weg'n der Alwin', weg'n dem Teichhof und weg'n Allem, was ich um seinetwill'n verloren und verjubelt hab. Die Flasch' ist noch immer vorhand'n, die damals für ihn bestimmt war; er mag sich nur in Acht nehmen, daß sie net auch 'mal an den Recht'n kommt. Es sind wohl an die zwanzig Jahr' verfloss'n, seit da mir seine hübsche Larv' im Wege war; sie ist mir noch heut zuwiderer als der Tod, und wenn er sie net hütet, so kann sie gar bald der Visag' des Kantors ähnlich sehn!« Der, welchem diese Drohung galt, schritt über die Wiese und durch den angrenzenden Wald nach einem freien, von dürrem, vorjährigem Distelwerk bestandenen Platze. »Pst, Heiner,« klang es hinter einem dichten Dorngestrüpp hervor; »bleib stehn und rühr Dich net!« Der Angerufene folgte der Weisung und blickte forschend umher. Inmitten der kleinen Lichtung stand ein einzelner Strauch, dessen Zweigspitzen mit Leimruthen besteckt waren; der Lockvogel saß am Boden in einem Käfige, welcher den Blicken der mißtrauischen Beute durch allerlei grünes Blattwerk entzogen war. Eben hatte sich ein Flug von Hänflingen auf den Buschrand niedergelassen, und der hinter dem Dorngewirr verborgene Vogelsteller lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit den Stimmen der einzelnen Männchen unter ihnen. »Hörst, Heiner, den da drüb'n auf der jungen Birk', was der für aan ›Di–ee–bli–ee‹ hat? Der singt wie aan zweijähriger Alter und ist doch nur aan rother Frühjährling. Den muß ich hab'n!« Nach einer kurzen Pause flüsterte er weiter: »Schau den dort auf dem Ficht'nast, wie weich und zart dem sein klaanes Stimmchen klingt. Der ist vom letzt'n Herbst, und der
Kenner zahlt wohl an die zwanzig Grosch'n für ihn auf. Ich muß ihn hab'n!« Nach einem ferneren Schweigen zeigte er nach der Spitze einer Tanne. »Alle Wetter, Heiner, ist das aan Schlag, den der da ob'n hat! Das wird aan Stellvogel, der die Flüge aus den Wolk'n 'runterzieht. Er ist unter Brüdern seine drei Thäler werth; ich muß ihn hab'n!« Wieder lauschte er. »Hörst Du 'was von dem unsrig'n? Kaan Laut, net aan einziger Mux ist zu vernehmen. Doch jetzt, jetzt fängt er an. Horch! ›Cha cha cha di eee, di di di bli–eee, cha cha cha!‹ So ists recht. Jetzt müss'n sie all' auf die Ruthen fall'n! ›Cha cha cha di–eee, cha cha – –‹ Was ist denn das? Ist denn der Racker net recht bei Troste? ›Zapp zapp zapp‹ brüllt er, und nun sind sie dort über alle Berge! Anstatt sie fein hübsch anzulock'n, warnt er sie. Das ist doch grad'zu zum Närrischwerd'n!« Er fuhr aus dem Gedorn heraus und auf den Vogel zu, nahm den Käfig von der Erde und schüttelte ihn mit grimmiger Geberde hin und her. Heinrich oder vielmehr Heiner, wie der Gebirgler diesen Namen gern sich mundgerecht zu machen pflegt, folgte ihm lächelnd bis zu dem Ruthenstrauch. »Laß's gut sein, Vater! Der Vogel hat nix verbroch'n; er ist nur gegen Seinesgleich'n ehrlich gewes'n.« »Aber geg'n mich net, der Nixnutz der! Mit wem hat er's denn zu halt'n, he, mit mir oder mit dem Vogelzeug? Bei wem steht er denn in Kost und Brod, und von wem bekommt er denn seine Wartung und Pfleg' wie sich's schickt und gehört, he? Doch von mir! Ich lieg nun seit vier Uhr hier auf der Lauer und hab noch nix gefangen, nix gar nix, auch net den einzig'n Schwanz! Und warum? Entweder wenn 'was kommt, so sitzt er drin, putzt sich und hält den Schnabel, oder er schreit ›zapp zapp‹ und jagt mir damit den best'n Fang vom Busch. Er bekommt alle Tag' dreimal frisches Wasser und feinen Rübs'n, Lein und Hanf dazu, das grüne Knusperzeug gar net gerechnet; aber den kann ich mit Servelatwurst, Eierpunsch und Schinkenknoch'n füttern, er bleibt doch bei seinem ›Zapp!‹ Das muß anders werd'n, und er soll aane Kur hab'n, die ihm den Kopf schon zurechtsetz'n wird!« Man sah es dem guten Alten an, daß es mit seiner Rage nicht gar
so schlimm gemeint sei, als es den Anschein hatte. Der Aerger stand ihm so drollig zu Gesicht, daß sich über die ernsten Züge Heiners ein helles Lächeln breitete. »Bei solcher Kost thät ich fast selber mit. Meinst' net, Vater?« »Sei still, Bub'! Pfeifst auch immer anders, als ich will, und denkst alleweil' nimmer an Das, was für uns gut und nöthig ist. Fast erst um zwei Uhr war's, als ich von zu Haus' fort bin. Früher, als die Mutter noch lebt', da stand der Kaffee auf dem Tisch, die Frühstücksbemm' war eingewickelt und es gab aan freundlich Wort mit auf den Weg; da stieg sichs gar lustig den Berg hinan, die Hantierung flog aus der Hand, und wenn ich heim kam, so wußt' ich, was ich gefangen hatt'. Wie aber ist's jetzt heut und alle Tag'? Vom Kaffee kaane Red', vom Frühstück kaane Red', von nix net kaane Red'. Verdross'n schieb ich mich den Berg hinan, und kehr ich heim, so hab' ich nix gefangen und setz mich hin, stopf Strümpf' oder setz Flicklapp'n auf die zerriss'ne Wäsch'. Wo kaane Frau im Haus' ist, da giebts nur eitel Unordnung und Aergerniß, und kommt dann gar noch so aan verwünschtes ›Zapp‹ dazu, so ists gleich rein all' mit mir. Das muß anders werd'n! Hast's gehört?« »Ja. Aber warum nimmst' Dir denn kaane Frau, wenn Dir's allein net mehr gefällt?« »Ich? Wieder heirat'n? Bei Dir rappelts wohl im Kopf! Das müßt wohl auch aan schönes Weibs'n sein, dem solch aan alter Fink noch gut genug wär, und das Herzeleid will ich meiner braven Alt'n net im Grab anthun, daß ich mich mit meinem grauen Kopf noch gar verschamerir! Du waaßt recht gut, wer an der Reih' ist schon seit langer Zeit, aber Du thust net dergleich'n, und was man sagt, das ist in den Wind gesproch'n!« »Ich find Kaane, die mir paßt, Vater!« »Sei nur gleich still mit Deinem Find und Paßt, denn es steckt doch nix dahinter als die leere Ausred'! Wer nix sucht, der kann auch nix find'n, und wer nix findet, dem kann auch nix pass'n. Die Weiber flieg'n Aanem net wie die gebrat'nen Taub'n in den Mund; sie möchten's zwar gern, aber es schickt sich net für sie, und darum muß man doch wenigstens die Hand ausstreck'n, wenn man Aane hab'n will. Mach nun bald endlich 'mal gehörig Anstalt; das Alter hast' schon längst dazu!« Der Alte war auf sein Lieblingsthema gekommen, bei dessen Besprechung er kein Ende zu finden pflegte.
»Ich hab den Stieglitz mitgebracht,« meinte Heiner; »soll ich das Tuch fortnehmen?« »Ja ja, komm mir nur schnell mit dem Stieglitz dazwisch'n, wenn ich von der Frau anfang! Ich will nur lieber gleich den Mund halt'n und nach Haus' gehn; fangen thu ich doch nix und daheim giebts viel zu thun, zu kehr'n und zu wisch'n, die Bett'n zu mach'n, einzufeuern und Kartoffel zu schäl'n; man waaß vor lauter Arbeit net wo man anfangen soll, und kommt auch nimmermehr zu End' damit. Wo kaane Frau im Haus' ist, da giebts nur eitel Unordnung und Aergerniß. Ich geh!« Er nahm das Hänflinggebauer vom Strauche, schlug ein Tuch darüber und schritt brummend davon. Heiner hing den Stieglitz an die Stelle seines pflichtvergessenen Kameraden und nahm dann in dem Verstecke seines Vaters Platz. Er hatte weniger auf seine äußere Umgebung als vielmehr auf die Regungen seines Innern Acht. Grad an einem so wundervollen Frühlingsmorgen wie heut und unter demselben Baume, an welchem der Kartenbalzer ihn vorhin überrascht hatte, war das Scheidewort zwischen ihm und der schönen, trügerischen Kantorstochter erklungen. Sein tiefes, treues Gemüth hatte den Verlust nicht zu überwinden vermocht und darum einer zweiten Liebe niemals Raum gegeben. Darüber waren die Jahre vergangen, aber Heilung für das Weh seines Herzens hatten sie ihm nicht gebracht. Die Stimme des Lockvogels weckte ihn aus seinen Träumen. Ein kleiner Gefangener flatterte ängstlich kreischend mit der anklebenden Leimruthe von dem Busche zur Erde nieder. Er sprang auf und eilte hinzu. Die Freude über den Fang ließ ihn das Rauschen eines weiblichen Gewandes überhören. »Du mußt doch aan recht böser Mann sein, daß Du dem Thierch'n net die Freiheit gönnst!« klang eine sanfte, vorwurfsvolle Stimme neben ihm. Er drehte sich um und fuhr dann bei dem Anblicke des jungen Mädchens wie vor einer Geistererscheinung mit abwehrenden Händen und weit geöffneten Augen zurück. »Alwin'! Was thust hier auf dem Fichtler?!« Sie blickte ihn erstaunt an. »Mein Nam ist net Alwin', sondern Alma! Aber sag, warum erschrickst' vor mir?« »Weil – weil – weil ich Dich net kenn' und auch net gewußt hab,
daß außer mir noch Wer hier zugeg'n ist.« »Das sind doch kaane Gründ', sich vor mir so zu entsetz'n,« meinte sie, ihn mit ihren großen, braunen Augen prüfend überblickend. »Entweder Du bist trotz Deiner Körperstärk' aan furchtsamer Bursch' oder es ist bei Dir mit dem Gewiss'n net ganz richtig. Gieb her den Vogel; ich werd' ihn wieder fliegen lass'n!« Er hatte sich von der bei ihrem ersten Anblicke gezeigten Bestürzung erholt und lächelte jetzt über ihre resolute Art und Weise, mit ihm fertig zu werden. »Das geht net so rasch wie Du denkst, Du klaaner General, Du! Wer bist' denn eigentlich, daß Du das Kommandir'n so gut verstehst?« »Ich bin die Tochter von der neuen Teichbäu'rin, die gestern eingezog'n ist.« »Und wie ist denn Dein ganzer Nam'?« »Er lautet Alma Smirnoff.« »Das ist doch aan recht possierlich Wort! Aus welcher Sprach mag's wohl herkommen?« »Mein Vater war aan Russ', und wir hab'n bisher in Warschau gewohnt.« »In Warschau? Das ist gar weit von hier. Woher hast Du denn da die deutsche Sprach' gelernt, und noch dazu so, wie wir sie hier im Erzgebirg' sprech'n?« »Ich hab – ich bin – es war Jemand in unsrer Famil', der mit mir fast gar net anders geredet hat als Euern Dialekt. Und wer bist denn Du?« »Mein Nam' heißt Heinrich Silbermann; mein Vater ist der Vogelhändler unt'n im Dorf.« Sie trat schnell einen Schritt zurück und sah ihn mit einem Blicke an, aus welchem es wie mühsam zurückgehaltene Theilnahme und Freude strahlte. »Der Silberheiner bist', der so schöne Lieder dicht'n und so prächtig dazu singen kann?« »Woher hast' Dieses schon gewußt?« »Die Mut – – es ist – davon bei uns gesprochen word'n,« antwortete sie verlegen. »Vorhin stand ich da unt'n im Grund; weit ob'n sang Aauer zwaa Vers', so schön, so prächtig, daß ich den Athem net hab gehen lass'n. Warst' das auch?« »Werd's wohl gewes'n sein!«
»Da dank ich Dir gar sehr für den Gesang, Silberheiner! Es hat aan Herz und aan Gemüth darin geleg'n, daß ich gezwungen bin, Dir Abbitt zu thun von weg'n dem ›bös'n Mann‹, wie ich Dich genannt hab.« Sie streckte ihm die kleine, feine weiße Hand entgegen und fuhr dann lebhafter fort: »Aber den Vogel, den mußt' mir doch zeig'n! Oder net?« »Da schau her! Es ist aan Stieglitz; der Vater will ihn brauch'n für die Kanarienheck', und ich werd' Freud' anricht'n, wenn ich ihn bring.« »Welch aan lieb's und schön's Vögele! Aber sieh den garstg'n Leim! Geht er auch wieder ab?« »Freilich muß er wieder herunter! Ich hab schon mitgebracht, was ich aufstreich'n werd; paß auf! So da ist er geheilt und kann die Flügel wieder gebrauch'n.« »Und was thust nun mit ihm? Soll er wirklich in den Käfig kommen?« »Ja.« »Aber wenn ich Dich nun recht schön bitt, ihn frei zu lassen!« »So kann ich doch net ja sag'n. Der Vater ernährt sich von dem Vogelhandel, und wenn er nix fängt, so kann er auch nix verdienen. Er hat die ganze Nacht bis jetzt im Wald geleg'n und leer nach Haus' gemußt, drum wird er sich freuen, wenn ich 'was bring, und wenn's auch aan einzig Stück nur ist.« »Dann will ich Dir den Stieglitz abkauf'n!« »Grad den darf ich net verkauf'n, weil er zu den Kanari'n kommt.« »Und doch wirst' mir ihn ablass'n, Silberheiner. Ich geb Dir dafür was Du verlangst. Bitt, thu es doch!« Er konnte kein Auge von ihr verwenden. War denn ein Traum aus alten, seligen Zeiten über ihn gekommenn, der seine Sinne und all sein Denken und Empfinden in süße, zauberische Fesseln schlug? Diese mit gar keinem Worte bezeichnende Stimme, diese tiefen, kristallhellen Augen, dieses warme, unter der Bitte zuckende Händchen, hatte er nicht oft in glücklicher Vergessenheit ihrem Klange gelauscht, hatte er nicht oft minutenlang den liebenden Blick in ihr fluthendes Licht getaucht, hatte er sie nicht einst wieder und immer wieder an seine vor Wonne schweigsamen Lippen gedrückt? Wie viel tausend Male hatte seine Hand wie segnend auf diesen vollen, seidenweichen Locken geruht, und doch – – doch hatte das
Alles ein schnelles, jähes Ende genommen! Stand jetzt nach zwanzig Jahren vielleicht die Vergangenheit in verklärter Gestalt vor ihm, um die untergegangene Sonne wieder empor zu rufen? »Wenn ich der Silberheiner bin,« antwortete er endlich, »so bist' wohl die Goldfee, der man nix abschlag'n darf? Gibst wirklich dafür, was ich verlang?« »Ja.« »Aber ich werd von Dir kaan Geld fordern. Alma! Die Freiheit ist auch für so aan Geschöpfle mehr werth als kalte, herzlose Münz.« »Was willst' denn?« »Aan Kuß ist's, für den ich Dir ihn geb.« Eine glühende Röthe ergoß sich über ihr Gesicht. »Silberheiner, das war net gut von Dir, das hätt'st net thun soll'n?« »Warum net?« »Weil – weil Du Dir selbst weh' thust hier in meinem Herz'n.« Er verstand ihre Worte nicht; er hielt ihre Hand gefaßt und strich ihr mit der Rechten leise und unbewußt liebkosend über die elastische Fülle des reichen Haares. »Sag schnell, Alma, willst' ihn oder net? Ich frag net wieder?« Sie zögerte mit der Antwort; dann hob sie den feucht schimmernden Blick zu ihm empor und entschied: »Es hat mich noch nie aan Mann geküßt, Heiner, auch der Vater net, denn der ist gestorb'n, noch eh' ich auf der Welt gewes'n bin, und ich möcht lieber auch sterb'n, als daß ich solch aan – aan – leid'n möcht; Du aber sollst den Kuß hab'n, Du allein. Hier, nimm ihn!« Mit tief gesenkten Wimpern reichte sie ihm die leise zuckenden Lippen dar. »Alma!« »Was ist's? Warum zauderst' jetzt?« Er sah ihr mit einem unbeschreiblichen Blicke in das fragende Auge. »Hier hast' das Thierle umsonst; icb hab zuviel dafür verlangt!« »Ist's Dein Ernst?« »Mein völliger!« »So bitt, komm 'mal herab zu mir!« Sie langte an ihm empor, zog seinen Kopf zu sich hernieder und
küßte ihn zwei, drei Mal auf den Mund. »Nun sollst' ihn grad erst recht hab'n, und noch mehr obendrein, weil Du wieder brav bist! Und waaßt, Silberheiner, ich zahl damit noch lange net die Schuld, die Du zu fordern hast. – Jetzt ist der Vogel mein, und nun soll er auch die Freiheit wieder hab'n. Da schau, wie lustig er die Schwingen schlägt? Nun flieg ich auch davon. Leb' wohl, Heiner, und vergiß die Alma net!« Sie warf das leichte Tuch um die Schultern; es wehte beim Gehen wie Flügelschlag um ihre über die Lichtung dahineilende Gestalt, und noch lange, nachdem sie verschwunden war, stand er unbeweglich und blickte wie verzückt auf die knospenden Zweige, welche sich hinter ihr geschlossen hatten. – Der Frühling war vergangen, und auch der Sommer rüstete zum Abschiede, denn bereits nahte der Herbst mit seinem eigenthümlichen Geruche, seiner früchtelösenden Reife und dem wehmüthigen Flüstern und Rascheln seiner fallenden Blätter. Auf den Wiesen sammelten sich die Schaaren der wanderlustigen Vögel, und in Busch und Wald erklang hier und da das klagende Ade eines einsam scheidenden Sängers, der zwischen den Strophen seines letzten Liedes probirend die kleinen, befiederten Schwingen schlug. An Stelle der Forteilenden zogen andere Sänger in das Dorf. »Im Lenz, da ziehn wir froh hinaus Mit lautem Sing und Sang, Ade, ade, lieb's Vaterhaus, Sei nimmer um uns bang! Denn ist des Sommers Zeit dahin, So kehr'n wir all' zurück Und grüßen mit vergnügtem Sinn Der Heimath stilles Glück!« erscholl es in vollem, kräftigem Chore vom Berge herab. Eine Schaar von Burschen und Mädchen, an ihrer Spitze der Silberheiner, nahte dem Dorfe. Die sorgfältig eingehüllten Instrumente, welche die Meisten von ihnen trugen, ließen erkennen, daß sie von einem musikalischen Wanderzuge zurückkehrten. Da droben in den Bergen sprudelt der Quell heller und frischer, als in den Breiten des Niederlandes, und heller und frischer klingt auch das Lied aus der freier athmenden Brust. Wenn das Veilchen
verstohlen zwischen dem jungen Grün der Ränder und Raine hervorlugt, verlassen Hunderte von Sängern und Sängerinnen die hochgelegene Heimath und ziehen hinaus in die Fremde, um mit dem Ertrage ihrer meist gut zusammengeübten Stimmen die Armuth der Ihrigen zu unterstützen. Die Mehrzahl von ihnen kehrt beim Herannahen der härteren Jahreszeit nach Hause zurück, Viele aber unternehmen auch weite, jahrelange Fahrten und tragen den Ruhm des deutschen Liedes über Berg und Thal, ja über den Ozean hinüber nach fremden Erdtheilen, wo der hagere Yankee, der sonnverbrannte Maure oder der schlanke Malaye den gemüthvollen Klängen lauscht, ohne ein Wort des Textes zu verstehen. Gar manche Preßnitzer oder Sonneberger Harfnerin hat das Weltmeer durchfurcht und vermag von fernen Kontinenten zu erzählen trotz eines »wohlgepflügten« Seemannes. An einem Fenster der Kantorwohnung stand ein Mann und lauschte dem nahenden Gesange. Sein Gesicht war furchtbar entstellt; es hatte ganz das Aussehen, als sei es mit Zangen zerrissen und mit einem glühenden Plätteisen wieder geglättet worden. Die Nahenden hatten jetzt das Dorf erreicht und ließen die letzte Strophe des Marsches erklingen: »Im Lenz, da ziehn wir froh hinaus Mit lautem Sing und Sang, Jetzt ists nun mit dem Kos'n aus, Doch, Liebch'n, wein' net lang! Noch ist die Haide net verblüht, So klingt zur Sternenzeit Am Fenster Dir aan traulich Lied: Grüß Gott, Du süße Maid!« »Der Giftheiner ist doch nicht nur der beste Sänger, sondern auch der bravste Dirigent, den ich kenne,« murmelte der Mann. »Schade nur, daß er auch der schlechteste Mensch ist, den es nur geben kann! Seiner Truppe kommt keine andre gleich in Beziehung auf Stimmenharmonie und Exaktheit des Ausdruckes. Man könnte, obgleich er mir die besten Kräfte gestohlen hat, seine helle Freude an ihm haben, wenn man nicht gezwungen wäre, nur mit Abscheu an ihn zu denken. Und nicht nur um meine Sänger, auch um mein Kind, um mein einziges Kind hat er mich gebracht. O, Alwine,
warum hast Du mir das gethan! Warum hast Du mich gezwungen, Dich zu verachten und der Sünde zu überlassen, in die Du Dich besinnungslos stürztest, weil Du die Schmerzen nicht zu würdigen wußtest, welche der Arzt seinem Kranken verursachen muß, um ihm die Heilung zu ermöglichen! Nun ist der Gram meine Speise und die Thräne mein Trank; der Kummer hat meinen Lebensweg verkürzt, und ich fahre in die Grube ohne den Frieden, den ein liebendes Auge über die letzten Augenblicke eines hinüberfliehenden Daseins strahlt. Mein Gott, mein Gott, warum muß ich das erleiden!« Er senkte das ergraute Haupt tief und schwer hernieder und schlug die abgemagerten Hände faltend in einander. Seine blöden Augen sahen nicht die jetzt vorüberschreitenden Sänger; er hörte nichts von dem Jubel, welcher sich draußen über ihre Ankunft erhob; er bemerkte auch nicht, daß nach vergeblichem Klopfen Jemand eingetreten war und zwei warme, theilnahmsvolle Augen auf ihm ruhen ließ. »Aber nein, ich will mich nicht mehr grämen!« rief er, sich aufraffend. »Habe ich die Verschimpfirung meines Angesichts zu ertragen vermocht, so soll mich auch der Schimpf, welchen meine Ehre erlitten hat, nicht überwältigen. Ich habe die ungerathene Tochter aus dem Hause gewiesen, als sie wiederkam und unter Lügen um Gnade winselte; ich habe ihre Briefe verbrannt und vernichtet, ohne sie zu öffnen; ich werde auch noch den Gedanken an sie aus meinem Herzen reißen, und wenn sie mich nochmals aufsuchte, ich würde sie nicht sehen und nicht kennen. Sie hat den Vater verstoßen, hat ihn nicht mehr gemocht, und so will ich auch mit keinem Laute und keinem Hauche mehr ihr Vater sein!« Die Eingetretene zog sich zurück und klopfte jetzt von Neuem. Er vernahm das Geräusch und wandte sich nach der Thür. »Ist wer da?« »Ja. Darf ich Sie stören, Herr Kantor?« frug es mit leiser, belegter Stimme. »Treten sie näher; ich vermag nicht weit zu sehen. Wer sind Sie?« »Ich bin die Tochter der Teichbäuerin und komme, um Ihnen eine Bitte vorzutragen.« »So sprechen Sie!« »Ich habe mich in der Heimath viel und gern mit dem Klaviere beschäftigt. Mutter wünscht, daß ich meine Uebungen hier fortsetze
und dabei Ihre Unterstützung finden möge. Sie würde selbst zu Ihnen gekommen sein, aber sie ist krank und darf das Zimmer nicht verlassen.« Sie sprach langsam und verzagt. Er neigte sich ihr zu, als töne ihm ein bekannter Klang entgegen. »Auch ich bin krank, mein Kind, und ertheile schon seit längerer Zeit keinen Unterricht mehr. Ich fühle mich nicht mehr stark genug zu der Anstrengung, welche dabei unvermeidlich ist.« »Ich möchte Ihnen versichern, daß ich mich bemühen würde, diesen Umstand so viel wie möglich zu berücksichtigen. Ich glaube die Schwierigkeiten, mit denen die Anfängerin zu kämpfen hat, überwunden zu haben.« Sein Ohr näherte sich ihr mehr. Welche Stimme war es doch, an der er ganz die nämliche Klangfarbe bemerkt hatte, und wie kam die Tochter einer Bäuerin zu so gewählten Ausdrücken. Ihre letzten Worte waren mit einer gewissen Zuversicht gesprochen; er konnte die Bittstellerin nicht so kurz und schroff abweisen, wie es erst vielleicht in seiner Absicht gelegen hatte. »Dort steht das Klavier. Oeffnen Sie es und tragen Sie mir Etwas aus dem Gedächtniß vor!« Sie trat zum Instrumente. Schon bei den ersten probirenden Akkorden fuhr sein gesenkter Kopf in die Höhe; nach wenigen Augenblicken stand er hinter ihr und verfolgte, die Hände auf die Lehne ihres Sessels gestützt, mit ungewöhnlicher Spannung ihr Spiel. Als sie geendet hatte, griff er unter die daliegenden Notenhefte, um ihr eins derselben vorzulegen. »Ist Ihnen dieses Stück bekannt?« »Nein.« »Versuchen Sie einmal, es vom Blatte zu spielen!« Sie folgte der Aufforderung und zwar mit einer Gewandtheit, die ihn in Erstaunen setzte. »Mein Kind,« entschied er, »ich kann nicht Ihr Lehrer sein; Sie spielen fast besser noch als ich. Aber wenn es Ihnen recht ist, so können wir wöchentlich einige Male zusammen musiziren. Es wird mir das ein Vergiiugen, eine liebe Erholung sein!« »Ich danke Ihnen, Herr Kantor!« antwortete sie freudig. »Darf ich Ihnen nicht auch Etwas vorsingen?« Sie suchte unter den Noten. Da fiel ihr ein Titel in das Auge, bei dessen Anblicke es wie bei dem Wiedersehen eines lieben Freundes
warm und licht über ihr Angesicht ging. Er konnte nicht erkennen, welche Blätter sie vor sich auseinanderschlug, aber beim Beginn der Einleitung fuhr er mit der Hand nach der Brust und machte eine Bewegung, als wolle er sie am Weiterspiele hindern. Doch da erklangen auch schon die ersten Worte des Liedes, welches er haßte, obgleich er es selbst in Musik gesetzt hatte, welches er nicht hören mochte, und doch seit Jahren Tag für Tag in Folge eines innern Gebotes hatte spielen müssen: »O gräme nie ein Menschenherz, Das Dein in treuer Liebe denkt. Du hebst wohl nimmermehr den Schmerz, Der sich in seine Tiefen senkt!« Es entging ihm, daß der Vortrag nicht vom Blatte, sondern aus dem Gedächtnisse geschah; er verfolgte nicht das weiche, eindringliche Motiv der Melodie in seinen kunstgerechten und doch so einfachen Wiederholungen und Umkehrungen, er vernahm nur die Worte des Textes, deren Ernst ihn noch nie so gepackt hatte, wie jetzt unter dem Eindrucke einer Stimme, die wie ein ungelöstes Räthsel an sein Ohr schlug. Schon längst war der letzte Ton verklungen und noch immer harrte das Mädchen vergebens auf ein Wort aus dem Munde des tief ergriffenen Mannes. Und als er endlich sprach, geschah es leise und wie abwesend, als sei er der Gegenwart entrückt und befinde sich mitten unter den Gestalten einer längst vergangenen Zeit. »Wo der Silberheiner nur die Gedanken hernimmt zu all den Liedern, die er dichtet! Sie klingen Einem bis hinein in die innerste Seele; man kann ihnen nicht widerstehen, und so oft er ein neues fertig hat, muß ich es komponiren, ich kann nicht anders. ›O gräme nie ein Menschenherz!‹ War das etwa eine Prophezeiung, eine Warnung für mich? Er hat mich so lieb gehabt, fast wie ein Sohn, und als die Alwine das Lied zum ersten Male gesungen hat, da – die Alwine? Halt,« rief er, sich rasch vom Stuhle erhebend und, plötzlich in die Gegenwart zurückgekehrt, sich an die Sängerin wendend; »jetzt weiß ich auf einmal, warum mich Ihre Stimme so ergriffen hat! Es ist die Stimme eines Wesens, welches mir unendlich lieb und theuer war und doch sich von mir trennte wie – wie die Scholle von der Küste: um von der Brandung fortgerissen
und verschlungen zu werden. Ihre Laute klingen etwas zarter, weicher, nachgiebiger, nicht so sicher, entschieden und sonor wie diejenigen, welche ich meine, aber wenn Sie denselben Umfang besitzen, den Alwinens Stimme beherrschte, so könnte ich endlich, endlich wieder einmal – und vielleicht wäre es das letzte Mal – meine Weihnachtskantate zur Aufführung bringen. Bitte, lassen Sie uns einmal versuchen!« Er griff in die Tasten, um die angegebene Prüfung vorzunehmen. Sie fiel ganz nach seinem Wunsche aus, und nun war aus dem finstern, melancholischen Manne auf einmal ein ganz Anderer geworden. Mit jugendlicher Ungeduld trat er an ein Büchergestelle, schlug den Vorhang zurück und brachte ein umfangreiches Notenpaket hervor, welches er von seiner Umhüllung befreite. »Das ist die Kantate, zu welcher der Silberheiner die Verse gemacht hat. Das Gedicht ist ein wahres Meisterstück von ihm; kein Doktor und Professor könnte den Stoff besser behandeln, und die Aufführungen haben uns große Ehre eingetragen. Ich hatte die Soli's im Tenor für ihn und die im Sopran für Alwine gesetzt, und da mir diese Beiden später nicht mehr verfügbar waren, so hat das Stück bisher unbenutzt gelegen, obgleich ich bei jedem Weihnachtsfeste dringend aufgefordert worden bin, es zur Aufführung zu bringen. Jetzt können Sie den Diskant übernehmen, und die Tenorpartie – ja, der Heiner bekommt sie nun und nimmermehr; er würde auch gar nicht bereit sein, sie zu singen; aber es giebt noch Einen im Dorfe, der eine leidliche Stimme dazu hätte, und das ist der Teichhofbalzer. Ich werde mir die Sache überlegen. Jetzt wollen wir einmal die Partitur hernehmen und sehen, ob Ihnen Ihre Aufgabe gefällt!« Es war schwer, mit dem alten, menschenfeindlichen Dirigenten in Beziehung zu treten. Sie hatte das gewußt und bemerkte daher mit freudiger Genugthuung den unerwarteten Erfolg ihres fast mit Zagen unternommenen Besuches. Sie gab sich daher der beginnenden Uebung mit fröhlichem Eifer hin, und ihre Stimme drang, getragen von den vollen, rauschenden Akkorden des Piano's, durch das geöffnete Fenster hinaus auf die Straße und hinüber in die Wohnung Silbermanns, wo der Vater die glückliche Rückkehr des Sohnes mit einem Thema feierte, welches den Angelpunkt einer jeden häuslichen Unterhaltung zu bilden pflegte. »Ja, da bist' nun wieder 'mal von der Reis' nach Haus', und nun
beginnt die alte Sorg' und Noth von Neuem. Da hast' das schöne Geld, was auf Dein Antheil kommt, her auf den Tisch gezählt, und was wirst damit mach'n? In die Truh' wirst's steck'n, wo das andere auch schon ist, und da mag's lieg'n bis zum jüngst'n Tag oder bis 'mal Aaner kommt, der's mit den heilg'n zehn Gebot'n net genau nimmt. Jetzt machst' im Winter neue Lieder und Gesäng'; im Frühjahr geht's wieder hinaus in die Fremd'; das ist so die alte Leier, und ich armes Würm sitz daheim, einsam und verlass'n, und kann sehn, wie mir die Zeit vergeht! Zu thun hab' ich alleweil' ganz genug, das ist schon wahr, und bei dem Vogelzeug giebts auch zuweil'n aan wenig Zeitvertreib. Aber Mensch ist doch immer Mensch, und wenn Du geheirathet hättst, so wär doch Jemand bei mir, wenn Du net daheim bist, und ich braucht mich auch net so um nix und All's zu bekümmern. Wo kaane Frau im Haus' ist, da giebts nur eitel Unordnung und Aergerniß, und ich sag' Dir, das muß anders werd'n, sonst lauf' ich noch davon!« »Thu's net, Vater,« lachte Heiner; »Du wärst sonst im Stand' und kämst nachher wieder!« »Ich? Wiederkommen? Fällt mir gar net ein! Wenn ich fort bin, so bin ich fort, und Du magst nachher schaun, wer Dir die Strümpf' ausbessert und die abgeriss'nen Knöpf' wieder festmacht! Ja, wenn die Alwin' wiederkäm', das lüderliche Ding, da wärst' recht gleich bei der Hand, net wahr? Die sitzt Dir noch heut im Kopf und will auch nimmer heraus. Wie schön könntst' Dich einricht'n mit dem Geld, und wie fein und lieblich wär's, wenn hier im Haus' aan hübsches Fraule schalt'n thät und walt'n! Ich glaub', mir wär's alle Tag' als hätt' der heilige Christ bescheert!« »Ja, das wär' ganz dieselbe Herrlichkeit, wie zum Frühjahr mit dem Hänfling, der auch der best' war weit und breit und doch dann auf den ›Zapp‹ gefall'n ist, so daß Du ihn net länger brauch'n konnt'st! Aber horch, was ist das für aan Gesang da drüb'n beim Kantor?« »Waaß's net! Was geht mich dem sein Geklimper an?« »Das ist – das ist ja mein Lied! Hörst Vater: ›Drum sorge, daß kein Herzeleid Du jemals hier verschulden magst. Es kommt die Stund, es kommt die Zeit, Wo Du die schwere Schuld beklagst!‹«
»Der Kantor, der mich net ersehen mag, läßt mein Lied singen! Und welche aane Stimm' ist das! Ich – ich kenn' sie – das ist niemand andres als – als die Alwin! Hörst, Vater? Horch!« »Geh mir aus dem Weg mit der Stimm' und sammt der Alwin'! Wo soll denn das Madel herkommen? Ich mag von ihr und all dem Kantorvolk net das Geringst' mehr hören. Oder waaßt vielleicht net, warum? Ich will gar nimmer davon red'n, sonst könnt' mir am End die Gall' überlauf'n, und die ganze Sipp' ist doch net werth, daß man sich darüber ärgert.« Heinrich hatte das Fenster geöffnet. Er hatte die Worte des Vaters wohl kaum vernommen; er horchte hinüber nach der Schulwohnung, wo sich jetzt neue Klänge vernehmen ließen, denen er mit höchster Spannung lauschte. »Das ist die Kantat', eine Weihnachtskantat', die er spielt. Und jetzt beginnt auch der Gesang!« Es war ein tiefer, ein wunderbarer Eindruck, den die Töne auf ihn machten. Er schloß das Fenster und eilte zur Thür. »Wo willst' hin, Heiner?« rief der Vater. »Ich waaß net, aber meine Kantat', die muß ich hör'n, die ist todt gewes'n seit – seit damals, und wenn sie wieder lebendig wird, so kann ich net davon bleib'n, sondern muß mit dabei sein!« Der Vater machte Miene, ihn zurückzuhalten, aber vergebens; Heinrich war fort, über die Straße hinweg und nach dem Schulhause. Der Zutritt zu demselben war ihm verboten, wenigstens zu der Wohnung des emeritirten Kantors, aber dieses Verbot war ihm jetzt gleichgültig. Er hörte seine beste Dichtung spielen und von einer Stimme singen, deren Klang alle Saiten seines Innern mittönen ließ; er mußte die Sängerin sehen, das war der Gedanke, welcher seine Schritte lenkte; alles andre war für den Augenblick vergessen. »Es kann nur die Alwin' sein, denn diese Stimm' giebts nur aan einzig Mal in der Welt,« murmelte er, indem er mit leichten Schritten die Treppe emporstieg. »Vielleicht ist sie endlich aus der Fremd' zurückgekehrt und hat Verzeihung erhalt'n von dem Vater. Auch ich hab ihr schon längst Alles vergeb'n, wenn ichs auch nimmermehr vergess'n und überwinden kann, und drum will ich sie sehn, gleich heut, gleich jetzt, wo sie mir durch den Gesang zeig'n will, daß sie da ist!« Er ergriff den Thürdrücker und öffnete leise. Der Kantor,
welcher am Instrumente saß, vermochte in Folge seiner blöden Augen nicht, ihn zu sehen, und die Sängerin stand so von ihm abgewandt, daß er Beide unbemerkt beobachten konnte. »Wer ist denn das? Die Alwin' ists net, sondern die Alma von damals auf dem Fichtler droben. Wer vermag das zu erklär'n: sie ist das leibhaft'ge Konterfei von der Alwin', und hat auch ganz ihren Ton, nur zarter, weicher und so innig, wie er bei der andern ganz niemals net gewes'n ist! Ich geh net hinein, aber hör'n muß ich sie bis zum letzt'n Laut, den sie singt. Ich waaß, wohin ich geh!« Er stieg die Treppe wieder hinab und gelangte ungesehen in den Garten, welcher von einer dichten Tannenhecke umgeben war. In seinem hintersten Winkel befand sich eine lang, schmal und niedrig gehaltene Laube, ganz der Wohnung des australischen Laubenvogels nachgebildet. Seit langen, langen Jahren hatte kein Mensch eine pflegende Hand an sie gelegt; sie zeigte sich daher im höchsten Grade verwildert, und der Eingang zu ihr schien so verwachsen, daß außer Heinrich es niemand unternommen hätte, das Innere zu betreten. Dieser aber bog die widerstrebenden Zweige zur Seite und kroch hinein. Hier war es vollständig dunkel, trotzdem draußen die Dämmerung erst hereinzubrechen begann, doch fand sich Heinrich so schnell zurecht, als weile er täglich an diesem mitten im Dorfe und doch so einsam und verlassen gelegenen Orte. Er streckte sich auf die schmale, mit dichtem Moose überzogene Bank und lauschte den Klängen, welche aus dem geöffneten Fenster in den Garten herniederflutheten. Es war ihm so wundersam, so traum-, so märchenartig zu Muthe, als habe die Hand einer gütigen Fee ihn in den Schooß längst vergangener, seliger Zeiten zurückversetzt, nur daß die Gestalt, welche ihn gegenwärtig in Ton und Bild umschwebte, unendlich milder, süßer und reiner erschien, als das Wesen, welches sein ganzes Denken, Fühlen und Wollen damals ausschließlich für sich in Anspruch genommen hatte. Es war dieselbe Laube, in welcher er den Zauber ihrer Stimme eingeathmet, es waren dieselben Strophen, die er einst mit hingebendem Entzücken von ihren Lippen getrunken hatte; aber an diese Laube hatte sich das Gedächtniß einer schweren That geheftet, und diese Strophen, es ruhte der Fluch des Komponisten auf ihnen, den er einst dem Dichter in das Angesicht geschleudert hatte. Konnte diese That nie
aufgeklärt, dieser Fluch nie hinweggenommen werden? Die Dämmerung verdichtete sich zum dunklen Abend, die Töne verklangen und das Fenster wurde zugeschlagen. Heinrich lag noch immer regungslos und mit geschlossenen Augen; er hätte unter den verhauchten Klängen hier liegen und sterben mögen. – Da richtete er sich plötzlich empor. Das Geräusch sich leise nahender Schritte hatte sein Ohr erreicht. Er zog sich unhörbar in den Hintergrund der Laube zurück. Ein Arm drängte vorsichtig tastend das den Eingang verhüllende Geäst zurück, um Platz für eine leichte, schlanke Gestalt zu machen, welche näher trat. »Alma,« dachte Heinrich. »Woher kennt sie die Laube, und was will sie hier, jetzt, in dieser dunkeln und furchtsamen Stunde?« Sie nahm vorsichtig auf der Bank Platz. Sollte er seine Anwesenheit zu erkennen geben, oder war es nicht möglich, daß sie wieder fortging, ohne ihn bemerkt zu haben? Eine ganze, lange Zeit verging, ehe sie sich regte. Da erhob sie den Arm, um sich von der Tiefe der Höhlung zu überzeugen, und streifte mit der Hand seine Schulter. Ein kurzer Ruf des Schreckes entfuhr ihren Lippen. »Ist Jemand da?« »Ja. Ich hab nur geschwieg'n, weil ich Dich net erschreck'n wollt.« »Dadurch hast mich aber grad erst recht erschreckt. Sag, wer bist' denn, und was willst hier in der Laub'?« »Fast möcht zuerst ich frag'n, was denn Du hier willst. Du kannst mich net erkennen und hast mich auch erst aan einzig Mal gesehn.« »Wo?« »Waaßt's net mehr? Drob'n auf dem Fichtler, wo Du mir den Stieglitz abgefordert hast.« Sie schwieg einige Augenblicke, vielleicht in verschämter Erinnerung an den freiwilligen Preis, welchen sie für die Befreiung des kleinen Sängers gegeben hatte. »So bist wohl gar der Silberheiner?« »Ja.« »Ich denk, Du bist drauß'n im Land mit Deiner Musikgesellschaft!« »Wir sind vorhin zurück. Hast net den Marsch gehört, den wir gesungen hab'n?« »Ah, Ihr seid das gewes'n? Der Teichhof liegt so abseit vom
Dorf, daß man das Neue immer nur am spätsten hört. Aber warum bist Du hier und net zu Haus'? Ich mein', da giebts gar viel zu reden und erzähl'n, wenn man den Vater so lange net gesehen und gesproch'n hat!« »Du hast ganz Recht; aber ich hab Dich halt singen hör'n, und da ists net anders gewes'n, als ich muß herüber in die Laub', damit ich kaane Not' verlier von dem Gesang.« »Es war Deine Kantat', die wir vorgehabt hab'n. Sag, wo nimmst nur all die guten Wort' und schönen Reim' hervor? Ich könnt so 'was schon gar niemals fertig bring'n.« »Das ist kaan Verdienst, auf das man stolz sein darf, Alma, sondern aan Geschenk vom lieben Gott. Der Reim kommt ganz von sich selber, und die Sätz' und Wörter, die sind auch gleich da, sobald das Herz voll ist. Grad hier in dieser Laub' ist gar manch Gedicht fertig word'n, was noch niemand gesehen und geles'n hat.« »So bist wohl öfters hier gewes'n?« »Oefters? Was das Herz der Lieb', das war sie mir, und was das Grab der Leich', das ist sie mir geword'n. Da drauß'n hab ich zu sorgen und zu schaff'n, aber so oft ich hier sitz, bin ich todt. Waaßt's net, was hier geschehen ist?« »Sag, was?« fragte sie ausweichend. »Bitt, laß Dir's von den Andern erzähl'n. Wie bist denn Du herbeigekommen? Hast die Laub' vielleicht schon vorher gekannt?« »Nein; ich war heut ganz zum erst'n Mal beim Kantor. Ich wollt – – ich dacht – – – ich sag Dir's schon ein ander Mal. Gut' Nacht, Heiner!« »Halt, nein! Ich will wiss'n, warum Du – – –« »Gut' Nacht!« klang es nochmals, dann war sie ihm entschlüpft. Er lehnte sich zurück. Trotz der Dunkelheit war es ihm, als sei ein Licht-, ein Lebensstrahl in sein Grab gedrungen, unter dessen Wärme der erstarrte Puls von Neuem zu klopfen beginne. –
III. Es war vor einer langen Reihe von Jahren, da läuteten mitten in der Woche die Glocken, und ein Zug schwarz gekleideter Männer und Frauen, voran der Kantor mit seinen Kurrendschülern, bewegte sich langsam durch das Dorf dem Kirchhofe zu. Die Teichhofbäuerin wurde begraben. Sie war eine Wittwe, eine gute Wirthin und brave Mutter gewesen und nicht mit leichtem, fröhlichem Herzen aus der Welt geschieden. Sie ließ eine große, schwere Sorge zurück, welche noch ihre letzten Stunden mit peinigender Angst erfüllt hatte. Ihr Sohn war das einzige Wesen, welches ihr nahe stand; nur für ihn hatte sie gearbeitet und geschafft, nur für ihn gewacht und gebetet, und als sie von ihm Abschied nahm, mußte es mit Bangigkeit geschehen. »Tritt her, Balzer, und reich mir die Hand; es geht zu End' mit mir!« Draußen stand das Gesinde leise schluchzend; sie alle bedauerten, daß die Sterbende von ihnen scheiden sollte. Er trat zu ihr hin und legte die Rechte langsam in ihre schwache, zitternde Hand. »Gräm' Dich net, Mutter, wir müss'n alle sterb'n!« »Das waaß ich, Balzer, und möcht' auch ganz gern fort, aber es wird mir sauer zu gehn, von weg'n Dir.« »Meinetweg'n laß Dich's net bedrück'n, Mutter. Ich bin alt genug, um zu wiss'n, wie man das Leb'n zu nehmen hat.« »Ja, alt genug wärst' wohl, aber wiss'n thnst's doch noch net. Was hast' bis jetzt gethan? Getrunk'n, getanzt, gespielt, gerauft, weiter nix, und was die Flint' zu sag'n hat die Du drob'n in Deiner Stub' verborg'n hältst und mit der Du Dich des Nachts hinaus in den Forst schleichst, das brauch ich Dir nicht erst zu sag'n.« »Das hat Alles net viel zu bedeut'n! Aan Bier ist kaane Sünd', der Tanz auch net, und wenn sich Wer an mir vergreift, so hab ich auch das Recht, die Faust zu zeig'n. Und was die Flint' betrifft, so hab ich noch nimmer gesehn, daß dem Wild der Heimathsschein am Halse hängt.« »Es ist Diebstahl, Balzer, der richtige Diebstahl, denn wem der Wald gehört, dem ist auch Alles zu eig'n, was im Forste lebt. Und
warum erwähnst' net auch das Spiel?« »Weil's gar net nöthig ist. Die Kart' ist kaan Teufelsbuch, wie Du immer sagst; sie gehört dem Mann zur Erholung und zum Zeitvertreib. Und was man heut verspielt, das läßt sich übersehn, man gewinnt's ja morg'n wieder.« »Das ist net wahr. Das Spiel ist eine Seuch, die Eure best'n Kräfte zehrt. Balzer, ich bitt' Dich inständig, versprich mir, daß Du's lass'n willst!« »Mirweg'n, wenn Dir's Ruhe bringt!« »Aber fest, Balzer, fest mußt' es versprech'n, net so leicht drüber weg!« »Fest und sicher!« »Und denk allzeit daran, welch große Straf' es bringt, wenn man das bricht, was man am Sterbebett gelobt! und nun noch 'was, Balzer, was mir schon seit – – –« »Noch immer 'was?« unterbrach er sie. »Ist's net genug?« »Ich waaß, Du gehst hinter der Kantorsalwin' her. Ist's net so?« »Ja. Woher hast's gewußt?« »Du selber sorgst dafür, daß es die Leut erfahr'n. Was soll der Silberheiner denk'n?« »Der Silberheiner? Was geht der mich an? Er hat mit dem Mad'l nix zu schaff'n, und wenn sie mit 'nander schon einig wär'n, ich kehrte mich net dran, und der Kantor erst recht net. Ich waaß ganz genau, wie der Wind bläst. Der Kantor ist net umsonst als aan guter Rechner ausgeschreit; der Silberheiner hat nix, und ich bin der Teichbauer, sobald Du weggestorb'n bist. Die Alwin' bekommt kaan Anderer als ich.« »Aber sie paßt net zu Dir; sie paßt net auf den Hof; sie paßt nur auf den Tanz und ans Klavier. Nimm sie net, Balzer, nimm sie net; es wird nix als nur Unseligkeit daraus!« »Das verstehst' net, Mutter! Der Teichhof ist das beste Gut rundum, und die Alwin' ist das reputirlichst' Madel weit und breit; kommt Beid's zusammen, so giebts aan gut Gesteck.« »Auf kurze Zeit. Aber es wird net lang dauern, dann ist's aus mit der Pracht und Herrlichkeit. Du sollst mich dauern und mein schöner Teichhof dazu, wenn er solch aane Sonntagspupp zur Herrin bekommt. Du wirst sehn, Du gehst mit ihr zu Grund'!« »Darum laß Dir net angst sein, Mutter! Ich bin schon noch der Mann, der seine Sach' beisammen hält. Und es ist ja auch noch gar
net in dem Topf, in dem es kocht.« »Am Best'n ist's, es kommt gar niemals hinein. Balzer, wenn Dir die Mutter lieb ist, so versprich, daß Du die Alwin' net nimmst. Sie hat kaan Herz; sie versteht nix von der Wirthschaft, und es sind doch noch viel Bess're hier, wenn sie auch kaan so fein Gesicht aufweis'n können. Versprich mir's, Balzer!« »Gut, ich versprech's.« »Aber net blos zum Schein!« »Nein.« »So hab Dank! Jetzt werd' ich müd. Geh, ruf die Andern und schick hernach den Pfarr' herein!« Er ging. Als er später zu ihr zurückkehrte, war sie todt. Jetzt gaben ihr die Nachbarn das letzte Geleit. Balzer schritt in herkömmlich gebeugter Stellung hinter dem Sarge her, aber in seinem Auge war keine Thräne zu erkennen. Warum sollte er weinen? Das Trauerfest war zu geräuschvoll dazu, und als am Abende die Gäste beim Mahle saßen und die Männer das gebräuchliche Spiel vorschlugen, holte er die Karte herbei und dachte nicht im Geringsten daran, sich auszuschließen. Am andern Tage ging er im Vollgefühle seines Reichthums, über den er nun endlich frei und selbständig zu verfügen vermochte, hinaus auf die Felder, um sich in dem Anblicke seiner ausgedehnten Liegenschaften zu sonnen. Da begegnete ihm der Kantor, welcher seinen Nachmittagsspaziergang machte. Nach Wiederholung der bereits gestern ausgesprochenen Beileidsbezeugung meinte dieser, vorsichtig prüfend: »Nun mußt Du Dich nach frischen Kräften umsehen, Balthasar, denn ohne eine tüchtige weibliche Hülfe hältst Du das schöne Gut nicht zusammen. Aber das Du will sich nun auch nicht mehr recht schicken; der reiche Teichhofer muß mit Ihr oder gar mit dem vornehmen Sie angeredet werden.« »Laßt's nur immer beim Alten, Herr Kantor; Ihr seid ja mein Lehrer gewesen. Und auch der Balthasar will mir gar net recht klingen; ich bin der Balzer und will auch nix andres hör'n. Mit den frisch'n Kräften, da habt Ihr freilich recht, und ich würd' auch gern dafür sorg'n, wenn ich nur net gar zu weit darnach zu gehen braucht'.« »Ist es denn gar so weit?« »Hinein ins Dorf und dann hinauf bis zur Schul'.«
»Bis zum Schulhause? Wie meinst Du das?« »Weil da die Alwin' wohnt.« »Ah, was der Tausend! Gestern die Leiche im Hause und heut schon so aufgelegt zum Spasse?« Der Kantor war ein tüchtiger Schulmann und besonders in Beziehung seines trefflichen Musikunterrichtes weithin berühmt; ebenso bekannt aber war er als ein Freund des greifbaren Besitzthumes, der nicht so leicht eine Gelegenheit, die ihm irgend welchen äußerlichen Vortheil bot, ungenützt vorübergehen ließ. Der Balzer war einer seiner aufgewecktesten Schüler gewesen und besaß eine Tenorstimme, die ihm der Kantor nicht niedrig anrechnete; ebensogut aber wußte dieser auch, daß der nunmehrige Teichbauer eine Reihe von Eigenschaften besaß, die nichts weniger als lobenswerth waren. Dennoch war dieser in seinen Augen als der Reichste im Orte ein sehr begehrenswerther Schwiegersohn, nur mußte man es verstehen, ihn unter gehörige Kontrole zu nehmen. Zudem war Alwine nach Ansicht ihres Vaters ein Mädchen, dessen Vorzüge selbst mit dem Werthe des Teichhofes nicht zu theuer bezahlt waren, und daher beschloß er, nur vorsichtig und zögernd zu verfahren. »Und wenn's nun net mein Spaß, sondern der richtige Ernst wär', Herr Kantor?« »Dann könnte man sich die Sache einmal überlegen.« »Ueberleg'n? Warum? Ist Euch mein Hof zu gering, oder bin ich etwa net gut genug für die Alwin'?« »Der Hof mag gehen; er wenigstens bleibt hübsch da, wo er ist und kann nicht im Wirthshause liegen oder sich im Walde herumtreiben. Mein Schwiegersohn soll ein Mann sein, vor dem die Leute Respekt haben.« »Sagt mir einmal Jemand, der kaanen vor mir hat!« »Das ist die rechte Art von Respekt nicht, Balzer, die Du bekommst. Die Sorte, die ich meine, bekommt nur Der, der Gesetz, Sitte und Anstand heilig hält.« »Ach so! Und Ihr denkt, das bring ich nimmer fertig?« »O doch, wenn Du nur willst; aber ich denke mir, Du hast bis jetzt noch nicht gewollt.« »Nun gut, so werd ich's von jetzt an woll'n!« »Gilts wirklich?« »Es gilt!«
»Schlag ein! Jugend hat nicht Tugend, das weiß ich ja am Besten, und ein tüchtig Weib kann auch einen etwas scheuen Mann in Ordnung halten. Die Alwine ist von dieser Art, nur muß auch ich dabei Etwas mit helfen dürfen.« »Auf welche Weis', Herr Kantor?« »Ich müßte zum Beispiel Eure Wirthschaft durch eine strikte Buchführung unterstützen.« »Wenn's weiter nix ist! Geschrieb'n muß gar mancherlei werd'n, und wenn Ihr diese Arbeit an meiner Stell' verricht'n wollt, so ist mirs recht. Ihr dürft ja nur 'mal kommen und Euch die Sach' beschauen.« »Das werde ich schon nächstens thun, obgleich die Angelegenheit nicht eben pressirt, denn Ihr seid beide noch jung, wenigstens die Alwine könnte recht gut noch ein Jährchen oder zwei warten, und ehe das Trauerjahr nicht vorüber ist, darfst Du auch nicht an die Hochzeit denken.« »Warum net dran denk'n? Man könnt' doch immerhin darauf zurüst'n, und die Verlobung wenigstens, die darf doch gehalten werd'n.« »Denkst Du vielleicht, es kommt Dir Jemand zuvor?« »Das wär am End' net unmöglich. Man sieht ja was man sieht.« »Was meinst Du, he?« »Ich mein' net 'was, sondern wen, den Silberheiner nämlich.« »Pah, daran ist nicht zu denken. Sein Vater und ich sind immer gut nachbarlich Freund gewesen, und der Heiner ist mein bester Schüler, so lange ich im Amte bin. Darum habe ich mir allezeit Mühe mit ihm gegeben, so daß er in vielen Dingen gerade so viel gelernt hat wie ich. Seine Stimme ist noch besser als die Deinige, und im Dichten muß ich mich gar vor ihm verkriechen. Ich habe alle unsere Sängersleute zu unterrichten und zu prüfen, ehe sie die Reise antreten, und er geht mir dabei recht eifrig an die Hand. Er ist zu gebrauchen, und ich glaube gar, wenn er wollte, so könnte er sich ein eigen Chor zufammensetzen und mir Konkurrenz machen. Das Zeug dazu hat er vollkommen.« »Das ist ja All's recht schön, aber warum darf er mit der Alwin' so oft beisammen sein?« »Sie haben als Nachbarskinder von Jugend auf nur mit einander verkehrt; warum sollten sie sich jetzt auf einmal meiden? Zudem hat er ja stets die Soloparthien im Tenor und sie im Sopran; da müssen
sie sehr oft und viel zusammen üben.« »Auch draußen im Walde oder auf dem Tanzbod'n?« »Im Walde?« »Ja freilich! Oder wißt Ihr net, daß sie hinausläuft, wenn er drauß'n sitzt beim Vogelfang? Und beim Tanz hat sie es fast nur mit ihm zu thun, so daß aan Andrer fast gar nimmer an sie kommen kann. Meintweg'n mag's bisher nur blos Bekanntschaft sein, aber daraus kann jede Minut 'was anders werd'n. Ich an Eurer Stell' wollt besser Aug'nmerk auf solche Dinge hab'n.« »Hm, ich kann Dir nicht ganz Unrecht geben. Der Heiner ist mir nöthig, doch als Schwiegersohn darf er mir deshalb nicht kommen, denn die Alwine ist ein Mädchen, bei der noch ganz andere Bursche anklopfen, und in dem Silbermann seiner Taubenhütte mag ich sie nicht sehen. Wenn es so kommen soll, da ist allerdings die Freundschaft aus. Hast Du schon mit ihr gesprochen?« »Noch net, Herr Kantor.« »So thue es so bald wie möglich, und dann schickst Du mir den Freiersmann. Es ist wahr, wir müssen vorbeugen, und wenn die Hochzeit noch vor dem Jahre wird, so kann man es entschuldigen; es sieht ja Jeder ein, daß Du für Dein großes Wesen eine Frau gar nicht entbehren kannst.« Sie schieden. Am nächsten Sonntag war Kirchweih, und im Saale ging es des Abends lustig her. Die Dorfbewohner hatten ihre Gäste mitgebracht und benutzten die Gelegenheit, ihre sonst so wohlgehegten Silberfüchse einmal springen zu lassen. Auch der Kantor war mit seiner Tochter anwesend. Unter Allen die Schönste, war sie auch heut schon aus dem Grunde viel umworben, weil sie nie einen gewöhnlichen Tanz besuchte und hier also zu den seltenen Erscheinungen gehörte. Ihr Vater saß mit einigen der Gemeindeältesten an einem Ecktische, schenkte aber dem angeknüpften Gespräch wenig Aufmerksamkeit, sondern hatte sein Augenmerk verstohlen auf Alwine gerichtet. Sie tanzte jede Tour und zwar meist mit Heinrich Silbermann. Es ließ sich nicht leugnen, Beide gaben ein prächtiges Paar, dem die Augen der Zuschauer theils mit Neid, theils mit Bewunderung folgten. Das Augenpaar aber, welches am finstersten auf ihnen ruhte, gehörte dem Teichhofbalzer. Das Mädchen war ihm lieb, vielleicht mehr als Karte und Spiel, und wenn er die
Herzlichkeit sah, mit welcher sie mit dem Heiner verkehrte, so wollten sich seine Fäuste ballen und ein grimmiger Haß gegen den Nebenbuhler loderte wild in ihm empor. Da trat der Wirth zu ihm. »Was stehst' denn da wie verschneit und abgefror'n, Balzer? Ist Dir 'was über den Weg gelauf'n? Bist doch sonst immer lustig und fidel!« »Soll man da net zornig werd'n, wenn Andere lustig umherschwanken und Unseraaner muß zusehen, daß die hübschesten Madels von der Seit' abfall'n!« »Aha! Ja, der Silberheiner ist der schönste Bursch drei Meilen in der Rund' und immer bei der Spritz wenn's brennt. Wie lang darfst net tanz'n?« »Waaßt's ja selber, zwölf Monat', volle zwölf Monat', das halt der Teufel aus!« »Ja, das ist auch so aan Herkommen, das man fein belach'n sollt'. Wer stirbt, der ist gut aufgehob'n, im Himmel, sagt der Pfarr', wo die Englein singen und springen ›io io ewig in dulci jubilo‹ wie's in dem Lied steht ›Wachet auf, ruft uns die Stimme.‹ Und während Die da ob'n selig und guter Dinge sind, soll man hier unt'n über sie heulen und klag'n und sich kaan Vergnüg'n und nix vergönnen, was gut und fröhlich ist. Ich sage soviel: Wenn mir Wer stirbt, so tanz ich doch!« »Und die Leut'?« »Was gehn die mich an? Die schrein und jammern net mit mir, drum bin ich lustig mit ihnen. Bei unnützem Gebrauch muß man nur den rechten Muth hab'n, dennoch zu thun, was man will, dann hört es ganz von selber auf. Aber wenn Du wirklich trauern und net tanz'n willst, so hätte ich wohl 'was Anderes für Dich.« »Was?« »Es geht heut grausam über meine Küch, und der Brat'n fängt an, rar zu werd'n. Magst net hinaus gehn und aan Reh oder so' was hol'n? Du waaßt, ich zahl Dir's gut, und der Förster sitzt mit dem Gehülfen unt'n, so daß Du sie heut net zu fürchten brauchst.« »Sollst 'was bekommen, Wirth, doch ists noch Zeit bis später; erst will ich sehn, ob mir net die Lust zum Tanz'n doch noch kommt. Weg'n der Leich' laß ich mir net den besten Biss'n vor dem Mund wegschnappen. Bring noch aan Bier und den rechten Schnaps dazu.«
»Recht so, Balzer; wozu bist' denn Teichbauer, wenn Du es net zeig'n darfst!« Der Stachel, den ihm der selbstsüchtige Mann eingedrückt hatte, saß fest. Balzer sah die beobachtenden Blicke des Kantors, sah die Augen der beiden Liebenden in einander leuchten; er trank sich immer tiefer in den Aergr und die Aufregung hinein, und als er endlich gar bemerkte, daß der Heiner seinen Arm vertraulich um das Mädchen legte und leise in sie hin einflüsterte, da war sein Entschluß gefaßt. Sobald die Töne des neuen Tanzes erklangen, schritt er über den Saal und auf Alwine zu. »Komm mit, Alwin'!« »Wohin?« »Zum Galopp.« »Zum Tanz? Bist wohl net recht klug, Balzer?« »Ich bin so klug, wie jeder Andre auch. Die Musik ist grad ebenso für mich wie für Euch. Komm!« »Nein, ich tanz net mit Dir und niemand anders auch. Geh fort, nach Haus' und denk an Deine Mutter!« »Ich kann auch hier an sie denk'n. Die ist gut versorgt und hat nix davon, wenn ich fort lammentir'. Also komm!« »Ich hab gesagt, daß ich net mit Dir komm', und dabei bleibts!« Da trat Silbermann herbei. »Alwin', bist' schon versagt?« »Nein.« »So giebt mir die Hand sonst geht der schöne Galopp zu End'!« »Hier!« Da schob sich Balzer zwischen sie. »Halt, so geht's net, als wie ihr denkt. Sie hat mir den Tanz versagt und darf ihn also net wieder geb'n. So ist's hier Sitt' und Regel, und wer dageg'n thut, der wird hinausgeschafft!« »Es giebt Streit; der Balzer will tanzen!« ging es von Mund zu Mund und die nicht Tanzenden drängten sich neugierig herbei. Heiner sah dem Gegner mit lachendem Auge in das erregte Gesicht. »Schäm' Dich, Teichhofbalzer, daß Du Deine brave Mutter so im Grab verschimpfirst! Aber davon will ich net weiter reden, denn das hast' mit dem eigenen Gewiss'n abzuthun; doch merk' Dir jetzt Eins: Es hat hier Jede das Recht, zu tanz'n mit wem es ihr beliebt; die Alwin mag Dich net, sondern mich, folglich tanz ich mit ihr.
Hast 'was dageg'n, so gehe zum Saalordner; hinausgeschafft aber wird nur Der, welcher Unruh' stiftet.« Er nahm das Mädchen bei der Hand, um sie hinwegzuführen. Da faßte ihn Balzer am Arme, und es wäre sicher zu einem ernsten Zusammenstoße gekommen, wenn nicht eben jetzt der Kantor herbeigetreten wäre. »Was geht hier vor, Alwine?« »Der Balzer hat mich gefordert und will es nicht leiden, daß ich mit dem Heiner tanze.« Da der alte, erfahrene Menschenkenner recht wohl wußte, welcher Grund den Teichbauer getrieben hatte, so sehr gegen den löblichen Gebrauch zu handeln, so sah er ihn nur strafend an und entschied dann: »Wer Händel treibt, verdient Strafe. Du tanzest mit keinem von Beiden mehr!« »Aber Vater!« bat das Mädchen. »Herr Kantor – –« wollte der Heiner sich vertheidigen, der Angeredete aber schnitt ihm das Wort ab. »Gut, gut, ich weiß schon, was ich thue. Sobald ich Dich mit einem von ihnen sehe, Alwine, gehst Du nach Hause!« Das war ein Spruch, gegen den es trotz seiner Ungerechtigkeit keine Widerrede gab. Diese Ungerechtigkeit fühlte Heiner am meisten, und sie erregte ihn um so mehr, je unerklärlicher sie war. Alwine wurde zwar auch von ihr getroffen, aber das Mädchen schien sich bald beruhigt zu haben. Sie hatte zwar ihren liebsten und besten Tänzer verloren, an seiner Stelle aber zehn Andere gefunden, und so gab sie sich selbst dann noch dem Vergnügen hin, als der Vater nach Hause gegangen war. Als dieser in die Nähe seiner Wohnung kam, trat ihm eine Gestalt entgegen, die auf ihn gewartet zu haben schien. Es war Heiner, der schon längst den Saal verlassen hatte, weil von einem Vergnügen für ihn keine Rede mehr sein konnte. »Herr Kantor, darf ich Sie so spät und unterwegs ansprech'n?« »Wenns etwas Wichtiges ist, ja.« »Für mich ist's wichtig genug. Womit hatt' ich die Straf' verdient, die Sie mir heute gegeben hab'n? Ich möcht' das gern erfahr'n, damit ich's wieder gut mach'n kann, was ich gefehlt hab'.« »Gefehlt hast Du bisher nichts, und ich hoffe, daß es auch weiterhin nicht geschehen wird. Es war daher auch nicht eine Strafe
für Dich, sondern eine Sicherheitsmaßregel, die zu treffen ich meine Gründe hatte.« »Und doch war's Straf' für mich, denn gerade so und net anders hat es mich getroff'n. Und gerade der Sicherheit hätt's schad'n können, wenn ich's net mit Ueberwindung ertrag'n hätte. Ich habe nie Jemand nix zu Leide gethan, Ihnen net und der Alwin' erst recht net, und da ich sie mit dem wüst'n Balzer verhandeln seh und sie geg'n ihn in Schutz nehmen will, muß ich mit ihm gleiche Streich' erleid'n!« »Wer hat Dir aufgetragen, sie in Schutz zu nehmen, Heiner? War ich nicht zugegen? Uebrigens muß ich Dir sagen, daß sie außer dem meinigen bald auch noch einen andern Schutz haben wird, einen Schutz, der einen Unterschied zu machen weiß zwischen einem reichen Vierspänner und einem – einem – und dem Erben eines Vogelstellers. Gute Nacht!« Er schritt weiter. Wie vom Blitz getroffen blieb Heiner stehen. Was hatten diese dunklen, diese harten Worte zu bedeuten? Seine Stirn schmerzte ihn auf einmal, und seine Schläfe klopften mit fühlbarer Stärke. So stand er lange, lange Zeit, das Herz wie todt und leer. Dann auf einmal stieg es aus demselben empor heiß und gewaltig, mit unwiderstehlicher, wunderbarer Macht, und es durchfluthete ihn eine Klarheit, die ihm den kleinsten Gedanken ebenso wie den größten Wunsch seines Lebens auf einmal mit untrüglicher Deutlichkeit erkennen ließ. Dann trieb es ihn fort, hinweg, hinaus aus dem Dorfe, hinaus in Feld und Hag, wo er mit sich und seinem Sinnen allein herumwanderte, bis er die Mitternacht vom Thurme schlagen hörte. Da kehrte er zurück. Am Gasthofe, aus dessen geöffneten Saalfenstern noch immer Musik und jubelndes Stimmengewirr erschallte, ging er vorüber und stand erst still, als er am Zaune des Schulgartens stand. Kein einziges Fenster des Hauses war erleuchtet. »Sie ist noch net daheim; ich wart', bis sie kommt, und red' dann mit ihr.« Er trat durch die stets offene Gartenpforte und schritt der Tannenhecke zu, in welcher sich der Kantor, der ein Liebhaber von gärtnerischen Sonderbarkeiten war, vor einiger Zeit jene niedrige australische Laube gebaut hatte. Er kroch in dieselbe hinein und streckte sich auf der Moosbank aus. Seinen auf ihn einstürmenden
Gedanken nachhängend, achtete er nicht auf den Stundenschlag, und es mochte eine ziemliche Zeit vergangen sein, als er endlich leise Schritte nahen hörte, die auf die Tannen zukamen und unter ihnen halten blieben. Wer war es? Alwine nicht, denn ein halb unterdrücktes Räuspern ließ eine männliche Stimme erkennen. Wieder verging eine kurze Zeit; da erklangen Mädchenstimmen von jenseits des Zaunes herüber. »Gute Nacht!« »Gute Nacht, Alwin'; sei froh, Du bist in Sicherheit!« Es war die Kantorstochter, die mit einigen ihrer Freundinnen, um der Aufdringlichkeit der Jungburschen zu entgehen, wie gewöhnlich den Weg hinter dem Dorfe herauf eingeschlagen hatte. Sie trat in den Garten und mußte, um zur Hausthüre zu gelangen, an den Tannen vorüber. Als sie bei denselben anlangte, rief es ihren Namen. »Herrgott, ist denn Wer da?« »Ja, ich bins.« Der Vorhergekommene trat aus dem Dunkel der Bäume hervor und auf sie zu. »Der Teichhofbalzer! Was willst' hier in unserm Gart'n?« »Auf Dich wart'n, um mit Dir zu red'n.« »Jetzt? Nach Mitternacht? Das thut kaan braver Bursch'. Geh heim und komm am Tage zum Vater, wenn Du mit uns zu sprech'n hast!« »Mit Dir hab ich zu sprech'n, nur mit Dir, und Zeit und Ort ist hier gerade recht dazu.« »So mach's kurz; ich muß hinein! Was hast vorzubringen?« »Daß ich's net wieder so ruhig leid' wie heut, wenn Du mit dem Heiner schamerirst und mich mit dem Korb ablauf'n läss'st.« »Wirst's wohl noch leiden müss'n, so oft als Du mich aufforderst. Ich tanz net mit Dir.« »Aber mit dem Heiner?« »Ja.« »Warum mit ihm, he?« »Weil er mir besser gefällt als Du. Er ist net rüd und wüst wie Du und zehnmal hüb – – –« Sie hielt erschrocken inne, über sich selbst erröthend, obgleich sie nicht fühlte, daß sie mit dem halb aussprochenen Worte die
ganze Oberfläche ihres Innern verrathen hatte. »Hübscher, sag's nur aus, zehnmal hübscher ist seine feine Larv', als mein häßlichs Gesicht. Aber nur schad', daß ich net ganz und gar abscheulich seh und kaane Larv' aan Bauerngut aufwiegt. Wirst also doch noch mit mir tanz'n.« »Fällt mir net ein, net um die Welt!« »Net um die Welt, aber um den Teichhof. Die Bäuerin wird dem Bauer net den Galopp versag'n.« »Bist Du toll? Such Dir die Bäuerin, woher Du willst, mich aber bekommst nun und nimmermehr dazu! Der, welcher mich hab'n will, muß ordentlicher sein und feiner als Du. Merk's und pack Dich nun von dannen!« »Er muß sein feiner – – So wie der Heiner – – siehst', daß ich auch Vers' machen kann, fast gerade wie er? Aber zier' Dich net umsonst! Ich hab' bereits mit dem Kantor gesproch'n, und der hat gesagt, ich soll' ihm nur den Freier schicken. Von dem Heiner ist dabei die Red' auch gewes'n; er mag sich ja nix einbild'n, sonst giebts aan falsch Exempel!« Das Mädchen stand wortlos da und wußte nicht, ob sie ihren Ohren trauen solle; dann aber trat sie auf ihn zu und rief ihm zornig in das Gesicht: »Du lügst, Du Schelm! An so 'was denkt der Vater all sein Lebtag' net.« »Er braucht auch net mehr dran zu denk'n und zu grübeln; es ist schon fix und fertig gemacht. Er war schon am Freitag auf dem Teichhof, um sich die Gelegenheit zu betracht'n. Er wird als Schwäher meine Bücher leit'n, so daß ich freie Zeit behalt' für die Lieb' und für die Frau.« Dem Mädchen entfuhr ein Laut der Bestürzung. Der Vater war wirklich auf dem Teichhof gewesen, das wußte sie, und nun wurden ihr auch die verschiedenen Andeutungen klar, die ihr seit vorgestern von ihm unverständlich gewesen waren. »Nun, stimmt die Sach? Morg'n zum Kirmeßmontag schick ich den Freier, Alwin', und auf das, was dann passirt, will ich mir jetzt den Abschlag nehmen!« Er umfaßte sie, und versuchte, sie zu küssen. Da brannte ihm eine schallende Ohrfeige im Gesicht. »Hier hast' den Abschlag, der auch Zuschlag ist, Du zuwiderer
Mensch! Glaubst etwa gar, Du bist der Goliath und ich hab Furcht vor Dir? Ich flieh auch net, sondern hier steh ich und geh net von der Stell', bis Du von hinnen bist. Geh fort!« »Alwin', ich will – – –« »Geh fort, sonst ruf ich um Hülf'!« »Es fällt mir gar net ein, daß – – –« »Zum letzt'n Mal, geh fort!« Er wollte nach ihr langen; da raschelte es hinter ihm, er wurde ergriffen, in die Höhe gehoben und lag, ehe er nur an Vertheidigung denken konnte, draußen vor dem Zaune an der Erde. Dort raffte er sich empor und überlegte. Sollte er gehen oder zurückkehren? Wer hatte ihn über den Zaun herübergeworfen? Drüben war Alles still, und kein Geräusch ließ sich vernehmen. Er horchte noch einige Minuten, dann wandte er sich und schritt langsam das Dorf hinab. Alwine war bei dem so unerwarteten Erscheinen eines Dritten überrascht, ja beinahe erschrocken gewesen. Dann aber hatte sie ihn erkannt. »Heiner!« flüsterte sie freudig, als er zu ihr zurückkehrte. »Wie kommst hierher?« »Ich war schon eher da als Du, und stak hier in der Laub'. Seit dem Galopp bin ich aufgewes'n im Dorf, im Hain und auf dem Feld. Ich mußte wart'n bis Du kommst, damit ich mit Dir red'n könnt'.« »So hast auch die Red' des Balzer vernommen?« »Von Anfang bis zu End'.« »Was sagst dazu, Heiner?« »Daß der Balzer net gelog'n hat.« »Woher ist Dir dies bekannt?« »Vom Vater; ich hab mit ihm gesproch'n, als er nach Haus' ging. Hör, was er sagt'!« Er erzählte ihr wortgetreu seine Unterhaltung mit dem Kantor. Sie hörte an dem Beben seiner Stimme, wie aufgeregt er war, und legte begütigend die kleine Hand auf seinen Arm. »Laß Dich's net anfecht'n, Heiner; es ist noch lange net so schlimm, als wie Du meinst. Dem Vater sticht der Teichhof in die Aug'n und dem Balzer mein Gesicht; mir aber ist der Hof net halb so viel werth wie das Gesicht. Willst wiss'n, warum?« »Sag's, Alwin'!« »Weil's vielleicht Jemand giebt, dem's auch gefällt.« Er schwieg. Er wußte nicht warum, aber die Worte des
Mädchens fielen nicht warm und wohlthuend, sondern schmerzhaft brennend in sein Herz. »Aber wenn morg'n der Freiersmann kommt?« frug er endlich. »So bin ich net daheim.« »Ist's wahr?« »Gewiß!« »Wenn er nun net das Dorf und die Straß' herauf, sondern die Straß' gerade herüberkäm'?« »Von wem?« frug sie, als ob sie ihn nicht verstehe. »Von – von – vom Vogelsteller.« »So blieb ich vielleicht zu Haus'.« »Soll er kommen, Alwin'?« »Wie kann ich dies sag'n, Heiner? Dazu fehlt noch gar viel.« »Was denn?« frug er, sie an sich ziehend und sich mit überquellender Zärtlichkeit zu ihr niederbeugend. »Geh, frag doch net. Ich bin bös auf Dich!« »Doch aber net im Ernst!« »Ganz und gar im Ernst.« »So sag, warum?« »Weil – weil – weil Du so schön zu dicht'n verstehst und im Thun bist doch gar anders.« »Willst net aan Beispiel sag'n?« »Hast' mir net 'mal aan Liebesgedicht machen müss'n?« »Ja. Hast' es gemerkt?« »Nein. Doch sag den Anfang!« Ohne sich zu besinnen rezitirte er: »In Deiner Liebe ruht mein Leben, Ruht meine ganze Seligkeit. O, laß nach Deinem Glück mich streben Und sei mein eigen allezeit!« »Schau, Du hast es net so vergess'n, wie ich. Es war so schön, so lieb und warm, und da hab ich gedacht, daß – – –« Sie stockte. Er aber küßte ihre schmollenden Lippen zum ersten Male und ergänzte dann lächelnd: »Du hast Dir gedacht, wie schön es sein müßt', wenn ich Dich 'mal ans Herz nehmen und zu Dir sprech'n werd', gerade wie im Gedicht. Ist's net so?«
»Ja,« gestand sie. »Dann hast' gewartet immer fort vergebens, denn ich bin so viel anders gewes'n. Und nun ich Dich im Arme halt', ist's auch net so, wie Du Dirs ausgemalt und gezeichnet hast. Hab ich Recht?« »Ja.« »Alwin', das ist net meine Schuld. Die Wirklichkeit ist kaan Gedicht und kaan Idyll; sie ist hart und macht, daß oft aan einzig Wort, aan einz'ger Blick dem Laut, der aus der Tief' heraufquillt, den sel'gen Klang nimmt, der ihm eigentlich gehört. Doch komm, leg Dein Köpfle so recht fest an mich und sag: Hast' mich lieb, Alwin'?« »Ja, und Du?« »Ich Dich noch viel, viel mehr!« klang es langsam aus der untersten Brust empor. »Ich kann Dir gar net sag'n, was Du mir bist; aber ich bitt ich gar inständig, sei immer brav und treu zu mir, sonst müßt' ich schier vergehn vor Gram und Herzeleid!« Sie antwortete nicht; aber ihre Lippen ruhten auf seinem Munde und gaben ihm Kuß um Kuß in süßem Wechsel zurück. Es war ihm, als besitze er ein Königreich, dessen Werth und Herrlichkeit er erst jetzt erkenne, und er wurde nicht müde, ihren reinen, würzigen Athem zu trinken, bis sie endlich abwehrend ihn ermahnte: »Nimm Dich doch auch in Acht, Heiner, Du verknitterst mir ja mein Band, gerade das, was mir am Best'n steht!« »O laß das Band, Alwin'; das kann man wieder glätt'n!« »Nein, das Bügeleis'n nimmt ihm den Glanz und auch die Farb'. Gut' Nacht, Heiner!« »Gut' Nacht, Alwin'!« Nach einem raschen Händedrucke war sie verschwunden. Heiner blieb stehen, bis das leichte Geräusch ihrer Schritte im Flur verklungen war, dann schritt er seinem Häuschen zu. »Was so aan Mad'l doch gar eig'n ist, 'mitt'n in solcher Wonn' und solchem Glück noch an das Band zu denk'n! Aber so ist's recht, und so muß es sein, denn das ist aan Zeich'n, daß sie 'mal brav zu wirthschaft'n verstehn und das Unsrige zusammenhalt'n wird. Gut' Nacht Alwin', schlaf wohl,« flüsterte er noch und suchte dann die Ruhe, die heut viel langsamer als gewöhnlich kam. – – –
IV. Als Vater Silbermann am andern Morgen aufstand und in die Stube trat, blieb er erstaunt stehen. Heinrich saß am Fenster und blickte hellen Auges hinüber nach dem Schulhause, wo die Kantorstochter sehr eifrig an den Fenstern zu schaffen hatte. »Wa – wa – was ist mir denn das? Warum bist' net drauß'n auf dem Fichtler? Waast' net, daß aan Zeisig bestellt ist und zwaa Meis'n dazu?« »Laß gut sein, Vater, ich hab heut andre Sach'n vor!« »Andre Sach'n? Möcht doch bald wiss'n, was das für wicht'ge Dinge sind! Es ist gestern ausgemacht, daß Du heut Morg'n gehst, weil ich gestern in der Früh gwes'n bin, und nun ich aus der Kammer komm', sitzt der Bursch' am Fenster, guckt den Himmel an und läßt Fink' Fink' und Meis' Meise sein. Hätt ich gewußt, daß Dir der Tanz so in den Gliedern liegt, so hätt' ich mich selber aufgekrappelt und wär hinaufgestieg'n, denn haben muß ich die Vög'l, das geht nun 'mal net anders.« »Es muß schon anders gehen, und waast' warum, Vater?« »Warum? Darum, weil nun der Morgen beinah vorüber ist und – aber was ist mir denn das? Die gut'n Hos'n hat er an, die Sonntagswest' dazu, und die Uhr mit der goldnen Kett' baumelt auch schon aus der Tasch'! Was sind das für Allotria am Montag früh? Und dabei ist der Of'n noch kalt, kaan Feuer brennt und kaan Kaffeewasser ist angesetzt. Hätt'st doch wenigstens das gethan! Ja, seit die Mutter todt ist, Gott hab sie selig, geht Alles drunter und drüber, und wenn ich mich net selber um die Sach' bekümmere, so hört's am End' ganz und gar noch auf. Nein, was mich der Fink und die Meis'n dauern! Bekommen hätt'n wir sie sicher, denn gerade heuer ist das Zeug ganz närrisch, sich fangen zu lass'n; nun aber sind die zwanzig Grosch'n, die mir gebot'n wurden, rein zum Kukuk!« »Das hat ja All's noch Zeit bis morg'n, Vater, da geh ich gewiß hinaus; heut jedoch kann ich net, denn da hab ich aan'n ganz andern Fang vor.« »Aan'n andern? Was denn und wo denn, wenn man frag'n darf?« »Mach Feuer; ich will derweil' die Vögel füttern, und dann beim
Kaffee sollst den Handel hör'n!« Schweigend verfolgte jetzt Jeder sein Geschäft, aber sobald die Tassen gefüllt waren, frug der Vater: »Nun? Was willst' fangen heut'?« »Für Dich 'was Lieb's und Gut's.« »Heraus nur damit!« »Aane Schwiegertochter.« »Aane Schwie – schwie – schw – – Kerl, bist verrückt oder gar hinübergeschnappt?« Er nahm ganz erschrocken die Tasse vom Munde und schüttete sich dabei vor Ueberraschung die Hälfte ihres Inhaltes auf die Beine. »Was soll denn die Schwiegertochter hier im Haus? Wozu brauchst' denn schon die Frau, Du zwanzigjähr'ger Grünschnabel Du? Bist ja selbst noch gar net flügge!« »Hast net selber vorhin erst gesagt, daß All's drunter und drüber geht, seit die Mutter todt ist? Was giebts denn da für bess're Hülf, als daß ich heirath'?« »Ja, sag nur vorerst, was willst' mit der Frau? Sie soll wohl gar koch'n, wasch'n, scheuern, auskehr'n, die Wäsch verbessern und so weiter, he?« »Natürlich!« »Natürlich? Na, schau 'mal an! Das ist ja Alles meine Sach' und meine Arbeit, die von Rechts weg'n nur ganz allein mir zukommt! Was thu denn ich nachher, wenn die Frau da ist?« »Du hast' dann immer noch genug zu schaff'n. Ich geb mein Sparniß her und Du Deine; wir bauen das Häusle aus und vergrößern das Geschäft; nachher geht nix mehr drunter und drüber und wir hab'n unsre Ordnung in Allem, wo es noth und bequemlich ist.« »Hm, das klingt ganz gut und wär' recht schön; aber die Harmonie, der Vertrag mit dem Weibsvolk, ob der auch da sein würd'! Ich pfeif so, sie trillert anders und Du schlägst auch zuwider hinein, das könnt' mir net behag'n.« »Das hast net zu befürcht'n, Vater, denn die ich mein', mit der bist immer gut verkommen.« »So kenn' ich sie? Wer ist's?« »Die Alwin' drüb'n in der Schul'.« »Die Al – al – wi – win'? – Himmeltausenddoria, Mensch, wie kommst' auf die?« »Das fragst' mich, Vater? Auf welch' Andre soll ich denn etwa
kommen?« »Auf welch' Andre? Auf alle Andern, nur net auf die. Der steht die Nas' gar hoch und dem Alt'n noch neunmal mehr; die mag Dich net.« »Sie mag mich, Vater.« »So? I, schau doch an! Wer hat Dir das denn weiß gemacht?« »Sie selber hat mir's gesagt.« »Sie selber? Hör', Heiner, Spaß bei Seit', da hat sie Dich zum Narr'n gehabt.« »Mich? Bin ich etwa Der, der sich von Jemand foppen läßt?« »Bisher noch net; diesmal aber bist über's Ohr gehauen.« »Wie so?« »Daß Du der Alwin' gut bist, ist gar net zu verwundern, denn sie ist die Schönst' im Dorf, das einz'ge Kind, und Ihr seid mit 'nander aufgewachs'n von Tag zu Tag, von Stund' zu Stund'. Daß sie Dich leid'n mag, ist auch ganz in der Ordnung, denn Du bist aan hübscher Bursch', wie das ja so im Blut liegt, ordentlich, fleißig, verträglich und hast so Manches gelernt, wovon aan Andrer net 'mal den Namen kennt. So weit also wär' All's in guter Ordnung. Aber weil Du zu jung bist und die Welt und Menschheit noch net kennst, siehst Du das Weitere net.« Er nahm einen tüchtigen Schluck, stand auf, griff zur Pfeife und steckte den im Kopfe niedergestoßenen Tabak bedächtig in Brand. »Da ist zunächst das Madel; die scheint Dir wie lauter Gold und Karfunkel; meine Aug'n aber sind älter als die Dein'gen, und darum kenn' ich die Kantormamsell besser als Du. Sie ist ganz versess'n auf ihr zart Gesicht und also eitel und voll Gefallgernigkeit. Was thut das Gesicht und die schöne Stimm', und wenn man noch so stolz d'rauf ist? Sie beid' können weg sein wie der Wind. Und was das Schlimmst' noch ist, sie hat kaan Herz, kaan Gemüth und ist deshalb voll Laune und Unverträglichkeit. Oder hast' net schon als Kind beim Spiel immer nachgeben müss'n und giebst heut noch nach bei jedem Ding und jeder Angelegenheit? Und merk Dir das: aan junges Ding, das kaane Mutter kennt und sich net am Geschwister bild'n kann, bleibt Eigensinn und Goldkind all sein Lebtag'.« Heiner schwieg; es lag in den Worten des Vaters eine Wahrheit und Lebenserfahrung, der er augenblicklich nichts zu entgegnen vermochte. »Unter all den Bursch'n, die sie kennt, hat sie Dich am gernst'n;
aber laß ihr erst 'was Fremd's schaun, so 'was mit Flitterkram und Tändelwerk, dann fällt sie ab und Du bist nachher trotz aller Lieb und Treu, trotz aller Klugheit und Vorsicht der Betrog'ne und der Narr'.« »Da laß mich nur sorg'n, Vater! Die Lieb ist stark und kann All's.« »Ja, die Lieb' ist stark und kann All's, sogar betrüg'n, fortlauf'n und abspenstig werd'n, und dageg'n vermagst Du net zu sorg'n und gar niemand net. Der Lug und Trug kommt über Nacht, ganz eh' wir's uns versehn, und dann ist's geschehn, noch eh' wir daran denk'n und es verhüt'n können. Wieg' nur aan einzig Mal ihre Red', wenn sie mit Dir spricht, und Du wirst sehn, sie ist zu leicht. Das Madel ist ja von leichtem Sinn und ohne inn're Stütz'; sie fällt und bricht um, sobald der widre Wind geflog'n kommt.« Heiner mußte an ihre gestrige Aeußerung: »Mir ist der Hof net halb so lieb wie mein Gesicht« denken, ebenso an das zerknitterte Band. Sie hatte zum Balzer gesagt, daß ihr der Silberheiner lieber sei als er, weil dieser hübscher sei. Und warum hatte sie nicht einmal den Anfang jenes Gedichtes gemerkt, welches er auf ihre eigne Aufforderung hin hatte fertigen müssen. Eine Andre hätte es auswendig gelernt und es sich tausendmal im Stillen hergesagt. Und nun fiel es ihm auch jetzt erst auf, daß sie sich in den ungerechten Befehl des Vaters so leicht gefunden und den Verlust so schnell durch Andre ersetzt hatte, während ihm nicht einmal der Gedanke gekommen war, den Tanz mit Andern fortzusetzen. Er schwieg auch jetzt, obgleich er eifrig nach Gründen suchte, die zur Widerlegung geeignet sein könnten. »Ich könnt' noch viel sag'n, aber es ist mehr als g'nug,« fuhr der Vater fort; »jetzt kommt nun auch der Kantor. Es ist wahr, wir sind gut' Freund' gewes'n so lang als ich ihn kenn', und er hat gar groß'n Dank mit Dir erworb'n. Doch was er that, ist auch net stets umsonst geschehn. Du bist ihm beigesprungen zu aller Zeit; gar mancher Dienst ist ihm von uns geschehn, und in seiner Vogelstub' und in seinem Taubenschlag steckt viel, was ich ihm geschenkt oder um den halben Preis abgetret'n hab. Er ist trotz seiner Freundlichkeit zu Dir der rechte Eigennutz und thut nur Gut's, um seine Ausbeut' d'ran zu hab'n. Freundschaft ohne Nutzsinn hab nur ich gehalt'n, und wenn ich mit ihm rechnen wollt', so könnt'st Du sehn, daß ich die Quittung hab. Sobald er merkt, wie's mit Euch steht, ist's aus mit der
Nachbarschaft, d'rauf kannst' Dich nur verlass'n. Dem steht die Nas' weiter, als bis nur zu uns herüber; sein Sinn geht nur nach Ruhm in der Musik und dann nach Geld und Gut. Hätt'st' von diesem genug, so könnt'st anfrag'n, so aber net. Wenn aan reicher Bauerssohn, der mit der Chais' oder dem Amorikeng im Land herumkutschirt, den Freier schickt, der ist willkommen, den armen Vogelhändler aber schickt et fort. Ich glaub beinah', daß sogar so aan Büdrian, wie der Teichhofbalzer, den Vorzug bekäm' nur deshalb, weil er Vermög'n hat. Wenigstens hab ich am Freitag den Kantor nach dem Teichhof gehen sehn, was gewiß net ohne Grund geschehen ist.« »Der Balzer soll die Alwin' heirath'n und der Kantor will ihnen die Bücher führ'n,« stieß Heinrich erbittert hervor. »Siehst', daß ich Recht behalt'? Teichhofbäu'rin also soll sie werd'n, und der Alte will die Bücher schreib'n, damit sie dem Balzer die Stange halt'n! Laß sie fahr'n; Du verlierst nix dabei, wirst sehen, net das Mindest', net so viel als man vom Nagel herunterschabt!« »Aber sie will den Balzer net.« »Mag sein. Doch gieb sie ihm nur immer hin, dann hast' jetzt weder Zank noch Aerger und später weder Gram noch Täuschung!« »Ich kann net, Vater; ich hab' sie zu innig lieb und sie mich auch. Ich lauf lieber in die weite Welt und komm nimmer wieder, als daß ich hier zuseh, daß aan Andrer sie bekommt.« »So lauf, Du Tausendsapperlot, wenn Dir der alte Vater nix mehr gilt! Bekommen wirst' sie doch auf keinen Fall, so viel ist sicher und gewiß.« »Das mit dem Lauf'n war nur so die Red', Vater, aber eh' ich 'was verloren geb', muß ich doch erst auch wiss'n, daß es wirklich verloren ist!« »Ich sag Dir's ja deutlich genug!« »Du sagst mir Deine Meinung, doch zwischen Meinung und Scherheit ist aan gewalt'ger Unterschied. Wenn er sie mir net giebt und sie mich net mag, dann tret' ich zurück, denn dann erst ist's erwies'n, daß Du Recht hast.« »So versuch's und schick den Freiersmann hinüber!« »Willst gehn, Vater?« »Ich? Bist wohl net recht bei Trost! Mich bringst' net mit zehn Pferd'n hinüber.« »Wirst aber dennoch gehn!« lächelte Heiner, der den Vater kannte.
»Warum, so frag' ich Dich?« »Weil Du der Vater bist, und wenn aan Andrer kommt, so lacht Dich der Kantor aus und sagt, Du hast Angst vor ihm.« »Angst – ich – vor ihm? Fällt mir gar net ein! Wenn er das denkt, so geh' ich gleich jetzt auf der Stell' hinüber und nehm's mit ihm auf. Ich bin aan ehrlicher Mann, hab niemand nix gethan und brauch mich also auch vor niemand net zu fürcht'n, und wenn's der Papst oder gar der gestreng' Herr Amtmann wär.« »Also gehst'?« »Ja; ich will ihm zeig'n, daß ich das Herz gerade da hab', wo's hingewachs'n ist. Es ist aan verlor'ner Gang, dies waaß ich sicher und gewiß, aber ich werd' ihn thun um Deinetwill'n. Gift und Operment wird's geb'n, so wie die Sach' einmal gestellt ist, und je eher man's schluckt, desto eher ist's verdruckt. Dann wirst' auch wieder den Verstand bekommen.« »Und wenn willst' gehn? Der Balzer schickt den Freiersmann auf den Nachmittag.« »So geh ich gleich nach Tisch', damit ich eher komm'. Gleich jetzt werd' ich mir den Sonntagsstaat ausputzen und – und – aber wie steht's mit dem Strauß und dem Geschenk? Brauch ist Brauch; der muß gehalten werd'n.« »Für den Strauß werd' ich schon sorg'n, und das Geschenk? – Der Kantor hat sich schon längst aan Paar Schmalkaldener gewünscht, mit schwarzem Schwanz und schwarzer Brust, den Leib aber und die Halskraus' weiß. Was sagst dazu?« »Hm, der alte Taub'nfried braucht sich auch net gleich das Best' und Theuerste zu wünsch'n! Mich selber kost't das Paar neun blanke Thaler. Ich werd' ihm lieber aan Paar Rothflügel geb'n; die sind vollplattig, mit rothem Fuß und Sporn und fast so selt'n wie die andern auch.« »Sie kost'n auch acht Thaler, Vater, und wenn er sich die Schmalkaldener gewünscht hat, so wird's wohl auf den Thaler net ankommen.« »Meinetweg'n denn! Aber putz sie schön und gieb ihnen frisches Wasser, damit sie zuvor bad'n können.« Somit war der schwere Entschluß gefaßt, und nach dem Mittagsessen schritt Silbermann, sonntäglich gekleidet, einen gewaltigen Strauß im Knopfloch und die Tauben in der Hand, über die Straße hinüber und trat in das Schulhaus.
Droben vor der Thür kam ihm Alwine tief erglühend entgegen. Sie hatte ihn kommen sehen und das Zimmer verlassen, um nicht Zeugin der gefürchteten Unterredung zu sein. Die liebliche Erscheinung des Mädchens verfehlte nicht, ihren mildernden Eindruck auf den alten Vogelhändler zu machen. Er nahm den Strauß von der Brust und gab ihr ihn. »Hier hast das Bouquet, Alwin'; der Heiner hat's gepflückt! Er schickt mich herbei, weshalb, das wirst' wohl wiss'n. Gott geb' sein Glück dazu!« Dann trat er nach vorherigem Klopfen ein. Der Kantor empfing ihn mit verwundertem Gesicht. »Was ist denn los bei Euch, Silbermann, daß Ihr des Mittags schon im Staate steckt?« »Das sollt Ihr gleich erfahr'n, Herr Kantor, nur nehmt mir erst die Taub'n ab. Der Heiner sagt', Ihr hättet Euch die Schmalkaldener gewünscht.« »Zeigt her!« Er war ein passionirter Taubenliebhaber und griff mit sichtlicher Begierde zu. »Wahrhaftig, ein Paar Schmalkaldener! Verkauft Ihr sie? Wie ist der Preis?« »Nehmt sie geschenkt, wenn's Euch recht ist!« »Geschenkt – wie käme ich dazu? Ein Paar billige, wie es schon oft geschehen ist, ja; aber so eine theure Waare verschenkt man nicht, ohne daß man eine Absicht hat. Soll ich Euch vielleicht einen Gefallen thun, Nachbar?« »Gefallen – hm, wie mann's nimmt! Ich komm' nämlich von weg'n Eurer Alwin' und dem Heiner – –« »Ach so – so – so – –!« fiel schnell der Kantor ein. »Da nehmt einmal die Tauben wieder in die Hand. Wir wollen nachher sehen, ob ein solches Geschenk nicht über Eure Kräfte geht. Ich habe Gott sei Dank so viel, daß ich mir ein Paar kaufen kann, und Euch könnte das Geld ja später fehlen, Nachbar. In dieser Beziehung sind wir leider sehr ungleich gestellt.« »Ja, das ist wahr, Herr Kantor; aber das Geld zählt net allein. Es giebt aan Vermög'n, das net nach dem Thaler gemessen werd'n kann, und daran sind wir Beid', der Heiner und ich, net arm. Der Aane hat's auf diese Weis', und der Andre auf jene, und wenn sie nachher gut zusammengreif'n, so fehlt's auch nimmermehr am rechten Seg'n. Der Heiner zum Beispiel und die Alwin', die sind immer beisammen gewes'n und – – –«
»Und werden nicht immer beisammen bleiben,« fiel ihm der Kantor in die Rede. »Ich errathe jetzt, weshalb Ihr kommt, Silbermann; aber macht Euch keine vergebliche Mühe. Meine Tochter ist schon so gut wie versprochen, und ich erwarte noch heut den Freiersmann.« »Ich hab's gehört; der Balzer wird ihn schick'n. Aber die Alwin' mag nix von ihm wiss'n, und, nehmt mir's net übel, Herr Kantor, ich mein, der Balzer ist kaan Mann für Eure Tochter.« »Ob das Mädchen will oder nicht, das zählt wenig oder nichts in dieser Angelegenheit; ich bin Vater und werde für das Glück meines Kindes in der Weise sorgen, wie es mir mein Gewissen vorschreibt, auch dann, wenn sie sich dagegen sträubt. Und den Mann für sie werde ich wählen, ohne Euch oder Andere um ihre Meinung zu befragen, wie das sich ja von selbst versteht.« »Ich bin auch gar net gekommen, Herr Kantor, um Euch gut'n Rath zu ertheil'n; aber die Gewalt des Vaters hat auch ihr End', wo sie aufhört, und was könnt Ihr thun, wenn das Madel durchaus net will und sich Euch widersetzt?« »Das wird sie nicht. Und wenn sie es thät, aus ihr und dem Heiner wird nie ein Paar; er mag nach Seinesgleichen greifen. Ich hab es gewußt, daß Undank der Welt Lohn ist. Meine Barmherzigkeit hat ihn hochmüthig gemacht; aber ich werde dafür zu sorgen wissen, daß er mir nicht in meinen häuslichen Frieden bricht.« »Undank? Der Heiner? Herr Kantor, wenn mein Junge undankbar ist, so giebts weder Lieb' noch Dankbarkeit mehr in der Welt. Thut was Ihr wollt' aber den Heiner greift mir net an! Er ist mir grad so viel und auch noch mehr werth als Euch die Alwin', die Euch net sehr ans Herz gewachs'n sein kann, da Ihr sie zum Balzer zwingen wollt; und wenn er Euch 'was schuldet, so bitt' ich um die Rechnung; wir werd'n zahlen, damit kaan Vorwurf weiter folgen kann!« »Oho, Ihr sprecht ja heut in einem recht vornehmen Tone! Habt Ihr ihn etwa von Euren Gimpeln gelernt? Aber ich habe wirklich keine Lust, mich um Eures Burschen willen zu zanken. Nehmt Eure Tauben wieder mit und sagt ihm, er wär mir für die Alwine zu gering; sie ist zu gut für einen Vogelsteller; das konntet Ihr Euch denken!« »Nein, das konnt' ich mir net denk'n, vielmehr hab' ich grad das
Gegentheil gedacht, nämlich, daß der Heiner zu gut für Euer Madel ist; darum hab' ich ihm gute Wort' gegeben und ihm abgeredet, und grad weil er mir werther ist, als Euch die Alwin', bin ich dennoch auf seine Bitt' herbei gekommen, um ihm seinen Will'n zu thun, obgleich mir jede Andre lieber ist und ich auch gewußt hab', daß Euch die Sach' zuwider ist; denn der Hochmuth ist net dem Heiner sein Fehler, sondern der Eure. Aber er kommt zum Fall, und dann wird der ›Vogelsteller‹ net mehr niedriger sein als Ihr, zumal Ihr selber auch schon jetzt die ganze Stub' voll Käfig' hangen habt!« Die Beleidigung seines Sohnes hatte den guten Silbermann so in Harnisch gebracht, daß ihm die Strafrede mit ungewöhnlicher Geläufigkeit von den Lippen floß. Der Kantor hörte ihn, staunend ob solcher Kühnheit des sonst so nachgiebigen Mannes, bis zu Ende. Dann aber brach er los: »Fort, sage ich, fort, hinaus aus dem Zimmer! Und kommt mir ja nicht wieder in das Haus, sonst seid Ihr wieder draußen ehe Ihr es Euch verseht. Und wenn ich Euren Buben noch einmal bei meiner Tochter sehe, so lasse ich ihn sofort arretiren. Euch Gimpelpack muß man zeigen, wohin es gehört!« »Gut, Herr Kantor, ich geh; aber in das Haus muß ich doch wiederkommen, und das werdet Ihr Euch fein hübsch gefallen lass'n. Ich bin beim Ortsvorstand' und waaß recht gut, wem dies Haus gehört, Euch oder der Gemeind! Und wenn wir Sitzung hab'n, so bin ich auch mit hier in der Sammelstub, ohne daß Ihr drein zu red'n habt. Eure Tochter aber, wenn ich die 'mal bei dem Heiner seh, die laß ich net arretiren, denn dazu hab' ich net das mindest' Recht, sondern ich werd' denk'n, daß sie bei ihm besser aufgehob'n ist als beim Vater, der sie verschachern will. Das ›Gimpelpack‹ nehm ich mit Dank von Euch an, obgleich es net nach Bildung klingt; aber niemand kann 'was geb'n, was er net hat. Lebt wohl, Herr Kantor!« Er ging. Der Schulmann machte eine Bewegung, als wolle er sich ihm nachstürzen, doch beherrschte er sich noch und suchte sich durch einen Gang durch das Zimmer abzukühlen. Dies aber schien ihm nicht zu gelingen, den nach einiger Zeit erscholl mit hörbar aufgeregter Stimme der Ruf: »Alwine.« Das Mädchen trat herein. Sie war zum Ausgehen angekleidet. »Wohin willst Du?« Sie nannte eine Freundin, zu der sie geladen sei.
»Du bleibst zu Hause und sorgst für gute Bewirthung. Wir bekommen Besuch.« »Wer ist's, Vater?« »Wen er schicken wird, das weiß ich noch nicht, aber es ist ein Bote des Teichhofbauers.« »Und für den soll ich zurichten?« »Ja, er kommt Deinetwegen.« »Dann mag er immer bleiben. Ich weiß, was er will.« »Wer hat es Dir gesagt?« »Der Balzer selbst, der mich gestern Abend noch im Garten angefallen hat.« »Nun, so brauch ich es nicht zu sagen. Ich werde ihm mein Jawort geben.« »Thu das nicht, Vater!« »Warum nicht?« »Ich kann den Balzer nicht leiden.« »Dem Heiner wegen, nicht wahr? Dem habe ich sagen lassen, daß er arretirt wird, wenn er sich noch einmal mit Dir sehen läßt; richte Dich darnach! Was den Balzer betrifft, so hat er seine Fehler, aber er wird sie ablegen, wenn die Frau es klug anfängt. Du nimmst ihn, und die Liebe kommt dann schon von selbst.« »Vater, ich mag ihn nicht.« »Schweig! Ich bin nicht in der Stimmung, große Reden und Erklärungen zu halten. Geh in die Küche und bring dann eine Flasche Wein mit herein!« »Laß Dich bitten, Vater! Es ist ganz unmöglich, daß – – –« »Gehst Du oder nicht!« Er trat mit einer so drohenden Miene auf sie zu, daß sie sofort den Ausgang suchte. Als nach einiger Zeit der Freiersmann kam, fand er den Kantor äußerlich ruhig und heiter. Es war ein Pathe des Teichhofbauers; er hatte sich festlich herausstaffirt und schien sich in einiger Verlegenheit zu befinden, dem Kantor gegenüber eine Rede halten zu müssen. Dieser empfing ihn in der leutseligsten Weise, nöthigte ihn zum Sitz und flößte ihm im Laufe der begonnenen Unterhaltung den nöthigen Muth ein. Endlich begann die erwartete Ansprache, die dann auch mit sichtlicher Anstrengung zu Ende gebracht wurde. Mehr des Herkommens wegen zögerte der Kantor mit der beabsichtigten Zusage.
»Ich muß doch wohl erst das Mädchen selber fragen, Nachbar. Sie wird gleich kommen!« Er öffnete die Thür und rief ihren Namen. Es erfolgte keine Antwort. Nach einem zweiten und dritten ebenso vergeblichen Rufen ging er selbst zur Küche; er fand sie leer. Schon wollte er dem mühsam niedergerungenen und nun sich doppelt stark aufbäumenden Zorne in heftigen Worten Ausdruck geben, da vernahm er noch zur rechten Zeit Schritte, welche die Treppe heraufkamen. Es war der Pfarrer, welcher auf das ihm entgegengebrachte Willkommen mit ernstem Gruße nach dem Zimmer schritt. Als er den Gast bemerkte, nahm er das Wort: »Dieser Mann ist im Auftrage des Teichbauern hier, Herr Kantor?« »Ja.« »Lassen Sie ihn für jetzt nach Hause gehen! Ich habe in einer Angelegenheit mit Ihnen zu sprechen, welche keinen Aufschub duldet.« Der Bauer erhob sich bei diesen Worten und verabschiedete sich, gar nicht zufrieden damit, daß sein Auftrag die erwartete Erledigung nicht finden sollte. Da der Teichhof eine Strecke außerhalb des Dorfes lag, so schlug er einen Weg ein, welcher unweit des Schulhauses in das Freie führte. Er mußte hier an einem Feldstücke vorüber, welches Silbermann gehörte. Mitten auf demselben stand Heiner, auf die Hacke gestützt, und an seiner Seite Alwine. Der junge Mann lächelte, als er den Nahenden erblickte, und das Mädchen sah ihm mit trotziger Miene entgegen. »Grüß Gott, Silberheiner! Was hast' zur Kirmeß auf dem Acker zu schaffen?« »Grüß Gott! Net viel von Bedeutung; aber es giebt so Dieses oder Jenes, was selbst dem Stillsten 'mal in die Glieder fährt, und das wollt' ich mir herausarbeit'n.« »Das machst' recht! Es entsteht sonst allerlei schwerfällig' Zeug daraus, welches nachher kaan Doktor und kaan Chirurgius wieder fortbringt. Grüß auch Dich, Alwin'! Hab' Dich gesucht.« »Aber net gefund'n!« »Nein. Drum kannst' mir gleich die Antwort geb'n auf Das, was ich dem Vater zu sagen hatt'.« »Hat er net selber die Antwort ertheilt?« »Nein, der Pfarrer kam dazwisch'n.«
»So sollt Ihr sie hör'n!« »Waaßt' denn, um was sich's handelt?« »Doch um mich und den Balzer!« »Allzeit um nix andres.« »So sagt ihm, daß ich ihn net mag, und weil der Vater mich zwingen will, so bin ich zum Herrn Pfarrer gegangen und hab ihn gebet'n, sich meiner anzunehmen. Das hat er mir zugesagt, und darum ist er zum Vater gegangen.« »Was ich da hör'! Also Du magst ihn wirklich net?« »Nein, jetzt net und niemals net. Wer's mit der Kart' und mit der Flint' hält und dabei noch so ungeleckt und zudringlich ist, mit dem hab' ich nix zu thun.« »Soll ich ihm das wirklich sag'n?« »Wort für Wort, eher mehr noch als weniger!« »Das wird die schönste Supp', die ich aufess'n muß. Ich glaub, er fährt mir mit den Fäust'n ins Gesicht!« Der alte Mann sah rathlos zu Heiner hinüber, als wolle er diesen um Hülfe bitten. »Ihr braucht Euch net zu fürcht'n,« lachte der junge Mann, »denn mit diesen Fäust'n ist's net weit her. Sagt ihm auch noch von mir, daß ich gern wiss'n möcht', wie ihm der Zaunschwung heut' Nacht bekommen ist.« »Das versteh' wer will, aber ich net!« »Und daß Ihr uns Beid' hier getroff'n habt, das braucht Ihr ihm net grad zu verschweig'n. Er wird sich drüber freun.« »Hör 'mal, Heiner, jetzt fang' ich beinah' an, zu wiss'n, wo ich bin. Na, Glück zu meinetweg'n, und ausricht'n werd' ich jede Silb', die Ihr mir aufgetrag'n habt. Adjes!« Er nahm seinen Weg wieder auf. Er traf den Balzer im Garten des Teichhofes, wo er bei der brennenden Pfeife an das sicherlich günstige Resultat der heutigen Werbung dachte. Als er den Boten erblickte, sprang er auf; fast wäre ihm dabei die Pfeife entfallen. »Schon wieder da? Ihr seid ja kaum erst fort! Was hat das zu bedeut'n?« »Das hat zu bedeut'n, daß nix aus der Sach' werden wird.« Er stattete getreuen Bericht ab und verschwieg kein Wort von den Aufträgen Heiners und Alwinens. Die Stirnadern Balzers schwollen von Satz zu Satz immer stärker an, und als der Berichterstatter geendet hatte, warf er die Pfeife mit einem wilden
Fluche zu Boden. »Also ohne Antwort kommt Ihr nach Haus', und Schimpferei bringt Ihr mit dazu? Aber so ist's, wenn man den Nixnutz schickt; hätt ich den Ochs oder das Kalb gesandt, so hätt ich Antwort erhalt'n, so aber ist – – –« »Gut, Balzer, schick den Ochs und das Kalb, mich aber bekommst' niemals net wieder!« unterbrach ihn der Freiersmann, drehte sich um und verließ mit möglichst eiligen Schritten den Garten. Der Wüthende aber rannte in demselben umher wie ein losgerissener Stier und bemerkte dabei, über den Zaun blickend, den Silberheiner mit dem Mädchen, welche noch immer auf dem Felde standen. Beide Fäuste ballend, knirschte er: »Dort stehn sie mit'nander und lach'n mich aus! Also er ist's gewes'n, dem ich den Wurf zu verdank'n hab; er hat auf sie geharrt und Alles gehört. Aber ich werd's ihm vergelt'n, bald, so bald wie möglich. Wie hat sie gesagt? Er ist ihr lieber als ich, weil er hübscher ist. Nimm Dein Gesicht in Acht, Vogelheiner, sonst kommt's so weit, daß sie davor erschrickt. Der Balzer waaß sich zu helf'n, und mit ihm hast's nun zu thun! – – –«
V. Die schwere Zeit nach der Kirchweih war vergangen, Weihnachten war vorüber und auch die Osterglocken hatten ausgeklungen. Der Pfarrer hatte es damals durch seine Vermittelung so weit gebracht, daß der Kantor das Projekt verschoben hatte; aber nach sechs Monaten sollte die Verlobung und nach vollendetem Trauerjahr des Teichhofbauers die Hochzeit gefeiert werden. Der Letztere war ein fast täglicher Gast des Schulhauses geworden, wobei ihm Alwine so sorgfältig aus dem Wege ging, daß von einer Annäherung nicht die Rede sein konnte. Auch von einem Einflusse des Kantors auf den Wandel seines beabsichtigten Schwiegersohns war wenig oder nichts zu bemerken; der Teichbauer hieß der Kartenbalzer nach wie vor und machte diesem Namen keine Schande. Der Förster und noch Andere wußten von ihm zu erzählen, und es war wirklich zu verwundern, daß der Kantor so fest an dem einmal gefaßten Plane hielt. Nur seinem starren Kopf, der von keinem Weichen wußte, war dies zuzuschreiben. Dabei aber kannte das ganze Dorf die Liebe zwischen Heiner und Alwine, und so sehr die letztere unter der strengsten Aufsicht ihres Vaters stand, man erzählte sich doch, daß die Beiden sich täglich träfen und sprächen, obgleich kein Mensch sie bei einem solchen Stelldichein getroffen und überrascht hatte. Zum Tanz durfte das Mädchen gar nicht mehr gehen; dafür mußte sie fleißig an ihrer Ausstattung arbeiten, obgleich sie dabei verblieb, den Balzer auf keinen Fall zu nehmen und selbst am Altare noch nein zu sagen. Heiner war schon längst nicht mehr Mitglied der Sängerschule, und man konnte nicht sagen, ob er vom Kantor ausgestoßen worden oder selbst ausgetreten sei. Seine Lieder hatten stets einen bedeutenden Theil des Repertoirs ausgemacht und waren auf den Sängerzügen in alle Welt hinausgetragen worden; jetzt hörte man keines derselben mehr während der Unterrichtsstunden; doch ließ sich hier und da verlauten, daß der Kantor jedes neue zu kennen trachte und im Stillen musikalisch bearbeite. Die Gedichte des Vogelstellers waren stärker als der Haß des Musikmeisters. Das letzte Weihnachtsfest war auch das erste gewesen, an welchem die Aufführung von Silberheiners Weihnachtskantate
ausgefallen war, die stets nicht nur Ehre und Ruhm, sondern auch einen reichlichen Ertrag für die Sängerkasse gebracht hatte. So war also Ostern schon vergangen, und da der noch auf den Fluren lastende Schnee die Feldarbeit verhinderte, so hatte man eine wandernde Schauspielertruppe, welche eine Reihe von Vorstellungen im Dorfe zu geben beabsichtigte, mit Freuden willkommen geheißen. Der Direktor derselben wohnte mit seiner Familie beim Kantor, welcher mit seiner Tochter an jedem Adende im Theater zu sehen war. Alwine hatte noch niemals einer Vorstellung beigewohnt; sie fühlte sich von dem Eindrucke derselben vollständig bezaubert, und das Entzücken, welches dieser Genuß ihr bereitete, dehnte seinen Einfluß nicht nur über ihr Wachen, sondern sogar über ihre Träume aus. Es erschloß sich ihr hier eine Welt voll Glanz und Flimmer, voll Schein und Täuschung, deren Gestalten aber die Bewunderung und den Applaus der biedern Dörfler ernteten. Sie fühlte sich von ihr angezogen, in sie hineingerissen wie in einen Strudel, der den unvorsichtigen Schwimmer schon von weitem packt, desto stärker und unwiderstehlicher wird, je näher man ihm kommt, und endlich mit seinen Wassern Alles verschlingt und überbraust, was er einmal ergriffen hat. Sie war bald mehr in der Stube der Direktorin, als in ihrer eignen Wohnung, half mit Eifer bei der Herstellung oder Zurichtung all der werthlosen Requisiten, welche nur auf Lampenlicht berechnet sind, und vertiefte sich mit einer wahren Leidenschaft in die Lektüre der vorhandenen Bücher und Manuskripte, welche meist von andern Bühnen ausgemerzte Ritter-, Räuber-, Klosterstücke oder anderes untaugliches oder gar schädliches Zeug enthielten, voll von einem Leben, welchem nichts so fremd ist als die Wirklichkeit. Als die männlichen Mitglieder der Truppe bemerken, welcher Gast bei der Direktion verkehrte, stellten sie sich weit öfter ein, als es in geschäftlicher Beziehung geboten war, und bald bildete das schöne Mädchen den Mittelpunkt eines Kreises, der ihr in der auffälligen und volltönenden Weise dieser Art von Künstlern den Hof machte. Sie wurde förmlich berauscht und konnte auf einmal nicht begreifen, daß sie sich von ihren bisherigen Verhältnissen befriedigt gefühlt hatte. Eines Abends ließ sich kurz vor Beginn der Vorstellung die erste Liebhaberin als plötzlich unwohl melden. Sie hatte zwei Lieder zu
singen, welche so eng mit dem Stücke zusammenhingen, daß sie unmöglich gestrichen werden konnten. Der Direktor sah sich in eine Verlegenheit versetzt, für die ihm Alwine als Rettungsengel erschien. Sie war bei der Meldung zugegen, und als sie hörte, daß keine von den andern Damen die nöthige Stimme habe, meinte sie: »Geht es nicht, daß die Lieder hinter der Scene gesungen werden?« »Das geht allerdings; die betreffende Darstellerin müßte dann den Gesang mimisch vingiren, so daß die Zuhörer getäuscht werden. Aber auch für diesen Fall habe ich keine geeignete Kraft.« »Der Vater geht heut nicht in das Theater, und wenn niemand etwas davon erfährt, so will ich den Vortrag übernehmen.« »Sie? Sie singen?« frug der Direktor rasch. »Ja,« antwortete sie mit erkennbarem Selbstbewußtsein. »Aber Sie kennen die Einlagen wohl kaum!« »Das thut nichts; ich singe sie prima vista. « Das war ein Kunstausdruck, den der gute Mann kaum selbst einmal gehört hatte und der ihn mit Respekt erfüllte. Er kramte in allerlei Schriften herum und brachte endlich einige Notenblätter zum Vorschein. »Hier sind die Stimmen. Wollen Sie einen Blick darauf werfen?« Sie that es und lächelte siegesgewiß. »Hören Sie einmal!« Sie begann zu singen. Der Direktor horchte überrascht auf, als er diese glockenreinen, festen und doch so einschmeichelnden Töne vernahm. Solch eine Stimme hatte er noch niemals gehört, und von Vers zu Vers wuchs seine Bewunderung. Als das Mädchen endete, schlug er enthusiastisch die Hände zusammen. »Fräulein, Sie haben ein Fürstenthum, ein Königreich in Ihrer Kehle, und es ist wahrhaft jammerschade, daß diese seltene Gabe hier in diesem Erdenwinkel verkümmern soll. Widmen Sie sich der Kunst, und ich stehe Ihnen dafür, daß Sie Gold und Pretiosen die Hülle und Fülle haben und Grafen, Generale und Minister zu Ihren Füßen sehen werden! Wollen Sie den Vortrag übernehmen?« »Ja,« antwortete sie leise. Es schwindelte ihr. »So werde ich dafür sorgen, daß niemand etwas merkt. Sie gehen zeitig in die Vorstellung und zwar gleich hinter die Coulissen, die Sie erst wieder verlassen, wenn das Publikum sich vollständig
entfernt hat.« So geschah es. Die Darstellerin gestikulierte so gut, daß die guten Bauern wirklich meinten, der Gesang sei ein Produkt ihrer Kehle. Auch Heiner befand sich unter ihnen. Er war der Einzige, welcher nicht in den stürmischen Applaus einfiel, vielmehr hatte sich seine Miene von Strophe zu Strophe verfinstert. »Hast's gehört, Heiner?« frug sein Vater, welcher neben ihm saß. »Die hat aane Stimm' grad wie die Alwin', die sich schön wundern thät, wenn sie heut zugeg'n wär.« »Sie ist zugeg'n, aber wundern thut sie sich net.« »Zugeg'n? Ich seh doch nix von ihr!« »Aber gehört hast' sie. Sie steckt hinter der Scen' und hat das Lied gesungen.« »Wa–wa–was? Die Alwin'? Ich denk', die Spielerin ist's gewes'n. Sie hat doch den Mund auf- und zugeklappt und grad so gethan als ob sie singt.« »Sie hat vielleicht kaane Stimm', und da ist die Alwin' für sie eingetret'n.« »Wenn das wahr ist, so hört nun All's und Verschiedenes auf! Läßt sich das Madel vom Kukuk verblend'n und singt gar schon im Theater. Die kann's noch weit bringen in der Welt. Heiner, Heiner! Und Du vertrittst ihr immer noch die Brück'!« Heiner antwortete nicht. Er sprach überhaupt kein Wort mehr, ging nach der Vorstellung schweigsam nach Hause und stieg ebenso schweigsam hinauf in seine Kammer. Dort setzte er, statt zur Ruhe zu gehen, sich an den kleinen Tisch und starrte, in trübe Ahnungen und Gedanken versunken, vor sich hin. Dann tauchte er die Feder ein, und Zeile um Zeile floß es auf das Papier: »O gräme nie ein Menschenherz, Das Dein in treuer Liebe denkt; Du hebst wohl nimmermehr den Schmerz, Der sich in seine Tiefen senkt! O mach, daß keine Thränenfluth Um Deinetwillen sich ergießt, Die Thräne ist des Herzens Blut, Mit dem das Leben auch entfließt. Drum sorge, daß kein Herzeleid Du jemals hier verschulden magst,
Es kommt die Stund, es kommt die Zeit, Wo Du die schwere Schuld beklagst!« Er steckte die Verse zu sich, und als er vernahm, daß der Vater sich schlafen legte, blies er das Licht aus und stieg leise und vorsichtig die Treppe wieder hinab. Die Hausthür unhörbar öffnend und wieder verschließend, blickte er sich um, ob er unbeobachtet sei; dann huschte er über die Straße hinüber in den Schulgarten, wo er in der Laube Platz nahm. Gerade als er über die Straße schlüpfte, kam eine andre Gestalt langs des Zaunes herbeigeschlichen und duckte sich bei seinem Anblicke schnell in das Dunkel der Umfassung nieder. Es war Balzer. »Das ist der Heiner,« flüsterte er, »der in den Gart'n geht. Endlich bin ich seinem Schlich auf der Spur. Rasch ihm nach, damit ich den Ort entdeck', an dem er sich verbirgt!« Im Nu war er über den Zaun hinüber und kam gerade recht, Heiner in seinem Schlupfwinkel verschwinden zu sehen. »Schau, in die Laub' also geht er! Und da hat er auch gesteckt damals, als ich vom Kirmeßtanz herkam. Jetzt muß ich nun noch wart'n, ob die Alwin' kommt!« Seine Geduld wurde auf keine zu lange Prbe gestellt. Sie kam und frug, sich zum Eingang niederneigend: »Bist' da, Heiner?« »Ja. Komm nur herein!« Sie folgte dem Wunsche, nahm neben ihm Platz und wurde von seinen Armen umschlungen. »Warst im Theater heut, Heiner?« »Ja. Und Du?« »Nein, sonst hättest' mich ja gesehen.« »Warum warst' net?« »Der Vater hatt' zu schreib'n und allein' durft' ich net gehen.« »Wie schade! Sonst hättest' zwei Lieder gehört, die mir sehr gefallen hab'n. Also ins Theater darfst' net ohne den Vater?« »Nein.« »Aber hinter die Couliss'n?« »Heiner!« »Wirst auch nein sag'n?« Sie schwieg, und erst nach einer Weile antwortete sie unsicher:
»Hast mich wohl erkannt?« »Gleich beim erst'n Ton, Alwin', hast' mich wirklich lieb, so lieb, wie Du immer sagst?« »Ja, Heiner.« »Warum betrübst mich denn so?« »Womit?« »Die Leut' erzähl'n, das Theater hätt' es Dir angethan; ich seh vom Fenster aus, wie die Spieler um Dich scharwenzeln, und nun singst' gar schon auf dem Podium! Hast net daran gedacht, ob es mich kränkt?« »Nein. Es ist gar nix Unrechts dabei!« »Ja, aan Vergehn ist's net, das ist wahr; aber hat's Dein Vater gewußt?« »Ja.« »Wirklich? Dann wundert mich's von ihm. Aber daß Du zu mir thust, als seist' net im Theater gewes'n, das ist aan Zeich'n, daß Dir das Gewiss'n dennoch geschlag'n hat.« »Ich wollt' Dich net belüg'n, sondern nur erst sehn, ob Du mich erkannt hast.« »So! Dann bitt ich inständig, thu's net wieder, Alwin'! Ich bin grad und ehrlich, mich hörst' nie schmeicheln und schön thun; darum gefällts Dir bei den Spielern besser als bei mir, und ich hab schon zweimal hier gesess'n und vergebens auf Dich gewartet. Alwin', das Theater ist schön von auß'n und bei Licht, aber am Tag und innen da wohnt eitel Unglück und Herzeleid. Glaub mir das und laß Dich net vom Schein verführ'n. Aan Blendwerk hält nie lange vor, und die Reu ist sicher hinterher.« »Warum sagst' das zu mir? Denkst etwa gar, ich thu 'was Unguts?« »Nein, das denk ich net, dazu bist' mir zu werth und rein; aber von Allem, was man sieht und hört, setzt sich 'was fest im Innern, und ich möcht' net hab'n, daß auch der kleinste Hauch mir Deine Seel' vertrübt. Schau, ich bin net stolz und aufgeblas'n, aber wenn ich wollt', so könnt' ich wohl auch sag'n, daß ich aan Künstler bin. Ich arbeit' Tag und Nacht, damit ich geistig wachs', und Du sollst die Fee werd'n, durch deren Lieb' und Güt' ich zum Ziel gelang'!« »Hast wieder 'was geschrieb'n?« »Nix als aan kurz' Gedicht.« »Hast's mit?«
»Ja. Hier hast's. Und wenn Du's lies'st, so denk daran, daß ichs geschrieb'n hab, gleich als ich aus dem Theater kam!« »Wenn's gut ist, komponirts der Vater. All' die Gedicht', die Du mir bringst, steck ich in seine Bücher; dann findet er bald dies bald das und denkt, es stammt von früher her. Es wird die Zeit schon kommen, wo Ihr wieder einig seid.« »Das geb der liebe Gott!« Er zog sie fester an sich, und nun begannen sie in süßer Vergessenheit der Gegenwart an den köstlichsten Lustschlössern zu bauen, bis die gewöhnliche Zeit des Scheidens gekommen war. Sie traten aus der Laube und reichten sich die Hände. »Hast' morg'n wieder Zeit, Alwin'?« »Ich weiß noch net, aber komm lieber erst übermorg'n um dieselbe Zeit, sonst wag'n wir zu viel.« »Hast Recht. Schlaf wohl, meine Fee, und bleib immer gut und treu!« »Gut' Nacht!« Ein leiser Kuß erklang, dann schieden sie. Als sie sich entfernt hatten, erhob sich Balzer von der Erde. Er hatte dicht an der Laubenwand gelegen und beinahe jedes Wort vernommen. »Jetzt hab ich ihn nun sicher! Also aan Künstler ist er, hahaha! Er soll bald erfahr'n, wie weit er kommt mit seiner Kunst und seiner hübsch'n Larv'. Dem Kantor muß ich's sag'n, gleich morg'n früh, wo er den saubern Patron abfangen kann, und dann – – – doch nein, das könnt' mich ja verrath'n. Ich darf von der Laub' nix wiss'n, net das Geringst', sonst geht mir's an den Krag'n. Mit den Spielern mag sie immer schamerir'n, das schadet nix; sie gehn wieder fort und er ärgert sich darüber. Aber mit ihm soll's aus werd'n, und das bald, dazu bin ich schon der Mann!« – Am andern Nachmittag saß der Kantor wie festgebannt am Klaviere, wo er an einem Manuskript arbeitete. Alwine lauschte und mußte heimlich lächeln, als er mit der Arbeit fertig war und nach den einleitenden Takten mit fester Baritonstimme begann: »O gräme nie ein Menschenherz, Das Dein in treuer Liebe denkt.« Er hatte also den Zettel gefunden und war von den darauf
befindlichen Worten an das Instrument getrieben worden. Das Lächeln auf ihrem Gesichte aber verlor sich nach und nach, denn die Töne, welche sie hörte, waren dem Texte angemessen und ganz geeignet, hinunter bis ins tiefste Herz zu dringen. »Wie schön, wie schön; das schreib ich mir ab!« meinte sie. »Es ist wirklich jammerschade um den Heiner, daß er nichts Besseres ist. Was könnte er für ein Dichter und mit seinem Tenor für ein Sänger werden, wenn er an ein Theater gehen wollte! Aber so einen Vorschlag darf ich ihm gar nicht machen, denn, so lieb ich ihn habe, mit seinen Ansichten ist und bleibt er doch vom Dorfe!« Sie freute sich, daß sie ihn für heut nicht bestellt hatte, denn es war Ruhetag für die Schauspieler, und da kamen sie ganz sicher Abends zum Direktor. Dieser schien die ungewöhnlich fleißigen Besuche seiner männlichen Mitglieder nicht außer der Ordnung zu finden. Er war ein schlauer Spekulant und hatte trotz der kurzen Zeit die Kantorstochter so gut kennen gelernt, daß er an dem Gelingen seiner Pläne nicht im Mindesten zweifelte. Alwine wurde daher, ohne daß sie es ahnte, in eine fein berechnete Behandlung genommen und fand nachher, von farbenprächtigen Bildern umgaukelt, nur spät erst den Schlaf. Obgleich der Schnee noch auf den Feldern lag, aus den Gärten war er gewichen, und der Kantor begann nun, sich mit der Herstellung seiner Blumenbeete zu beschäftigen. Dabei bemerkte er in der unmittelbaren Nähe der Laube fremde Fußspuren, die seine vollste Aufmerksamkeit erregten. Er wußte, daß man sich von geheimen Zusammenkünften zwischen Heiner und Alwine erzähle, und es kam ihm der Gedanke, daß die Laube es sein könne, welche von ihnen dazu benutzt werde. Er kroch hinein und untersuchte ihr Inneres auf das Sorgfältigste. Seine Bemühung war von Erfolg, denn am Boden lag eine Cigarrenspitze, die er sofort als das Eigenthum Heiners erkannte. Er legte sie wieder hin und verließ die Laube. »Also so geht es hinter meinem Rücken her! Dem Burschen werde ich die Lust für allezeit vertreiben!« Er lachte ingrimmig in sich hinein und begab sich wieder an seine Arbeit. Am Abende besuchte er mit Alwine die Vorstellung, dann that er, als gehe er schlafen, schlich sich aber statt dessen hinab in den
Garten. Zwar wußte er nicht, ob Heiner heut kommen werde, aber er hatte sich fest vorgenommen, alltäglich und so lange in der Laube Posto zu nehmen, bis er ihn atrappiren werde. Jetzt konnte Heiner allerdings noch nicht da sein; er hatte ihn im Theater gesehen und bemerkt, daß er am Schlusse desselben erst noch in die Gaststube getreten war. Darum beschloß er, sich in den hintersten Winkel der Laubhöhle zurückzuziehen und ruhig abzuwarten, was da kommen werde. Am Ziele angekommen, bog er sich nieder und trat ein. Da fühlte er sich ergriffen, ein fürchterlicher Schlag schmetterte auf sein emporgerichtetes Gesicht nieder, ein Klirren wie von zerbrochenen Scherben folgte und dann ergoß sich eine Flüssigkeit über ihn, von welcher jeder Tropfen wie mit Messerschärfe in das Fleisch einschnitt. Er konnte nicht anders, ein fürchterliches Brüllen entquoll seiner Brust; dabei wollte er nach dem Uebelthäter fassen, griff aber in die Luft; er war verschwunden. Alwine hatte die Stimme ihres Vaters erkannt und kam erschrocken herbeigeeilt. »Vater, wo bist Du, was ist's?« »Der Heiner, der Heiner! Halt ihn fest, er hat mich mit kochendem Wasser überschüttet. O meine Augen, meine Augen!« Sie fiel in sein Rufen ein, so daß einige zufällige Passanten herbeigerufen wurden, die den vor Schmerz wimmernden Kantor in seine Wohnung brachten. Der Dorfbader wurde schleunigst gerufen und ein Bote in die Stadt zum Arzte geschickt. Es stellte sich heraus, daß das Gesicht des Ueberfallenen mit einem Gefäß zerschlagen worden war, in welchem sich eine scharfe, ätzende Säure befunden hatte, die von einer ebenso schnellen wie fürchterlichen Wirkung gewesen war. Das Gesicht bot einen entsetzlichen Anblick, und auch die Hände, mit denen er es unwillkürlich zu schützen versucht hatte, waren in ihren Fleischtheilen zerrissen und zerfressen. Der Arzt, welcher von dem Boten die Art und Weise der Verletzung erfahren hatte, brachte gleich die geeigneten Medikamente mit, welche die Schmerzen wenigstens soweit stillten, daß der Kranke eine zusammenhängende Darstellung des Vorganges zu geben vermochte. Auf seine Forderung hin wurde der im Orte stationirte Gensdarm gerufen, der nach kurzem Verhör des Kantors sich trotz der späten Stunde zu Silbermanns begab. Das Haus war verschlossen, und erst nach langem Klopfen
wurde geöffnet. Es war der alte Vogelhändler selbst, der verwundert über die außergewöhnliche Störung im Flur stand. »Was soll's sein?« »Das werdet Ihr gleich hören! Ist Euer Sohn zu Hause?« »Himmelelement, der Schandarm! Was wollt Ihr von dem Jungen?« »Zunächst will ich wissen, wo er ist.« »Nun wo anders denn als drob'n im Bett'!« »So leuchtet mir einmal! Ich muß hinauf.« »So? Hinauf müßt Ihr? Warum denn?« »Nur immer vorwärts! Ich hab keine Zeit.« »Na na na, da hinauf kommen wir heuer schon noch!« Er leuchtete voran und öffnete die Kammerthür. »Heiner, steh auf; hast' Besuch!« Es wurde ihm keine Antwort. Er trat näher und blieb verwundert vor dem Bette stehen. »Leer, wahrhaftig leer und kaane Seel' liegt drin!« »Das hab ich mir gedacht,« bemerkte der Sicherheitsbeamte. »Er hat doch gut' Nacht gesagt und ist heraufgegangen! wo mag er steck'n?« »Das werde ich schon ausfindig machen!« Er stieg die Treppe hinab und untersuchte jeden Winkel des kleinen Hauses. »Aber warum sucht Ihr denn nach ihm?« »Wegen ruchloser Körperverletzung.« »Körperverletzung? Was hat er sich verletzt?« »Sich nichts, aber Andern desto mehr.« »Sich nix? Gut, dann bin ich zufried'n. Der Heiner ist kaan Raufbold, der ruchlos hinschlägt, wo er net hinschlag'n soll; freilich, wenn man ihm mit Absicht in die Quer kommt, so muß er sich wehr'n, das hab ich ihm selber gesagt, und nachher fackelt er auch net lang. Wen hat er denn vorgehabt?« »Den Kantor.« »Den? Wohl bekomm's; weiter sag ich nix.« »So! Da wißt Ihr wohl auch von der Sache?« »Ich waaß nix, als daß für den Kantor geklopfter Senf aan heilsam Hausmittel ist. Aber was geht denn grad Euch die Geschicht' an, he?« »Weil Anzeige gemacht worden ist. Habt Ihr hier im Hause
Salpeter- oder Schwefelsäure?« »Ich wüßt doch net wozu?« »War Euer Sohn kürzlich in der Stadt?« »Ja, gestern, in der Apothek'.« »Ach so! Was hat er da geholt?« »Krimmitattri.« »Was ist das?« »Na Krimmitattri, was denn anders? Ich muß ihn trink'n, weil mir sonst nix hilft geg'n den Kopfschmerz, den ich zuweil'n hab'.« »Ach so, Cremor tartari meint Ihr.« »Auf aan tari mehr oder weniger kommt's bei uns net an.« »Und weiter hat er nichts gebracht?« »Nein.« »Ist die Kammer, in der er schläft, nur für ihn?« »Ja.« »So muß ich noch einmal hinauf!« Während er in der Kammer nach einer Spur der Säure suchte, fand vor der australischen Laube eine heftige Unterredung statt. Heiner hatte in seiner nach hinten gelegenen Kammer nichts von dem im Kantorsgarten statthabenden Wirrwarr gehört und war dann auf die gewöhnliche Weise und zur gewöhnlichen Zeit zum Stelldichein gegangen. Er hatte sich über die Scherben, die er am Boden der Laube fühlte, und auch über das Ausbleiben der Geliebten verwundert und stand eben im Begriff, nach langem Warten sein Versteck zu verlassen, als die Kantorstochter erschien. »Heiner, um Gotteswill'n, Du bist noch hier!« »Ja, aber ich wollt' eb'n gehn. Warum erschrickst' so darüber?« »Weil die Polizei Dich sucht.« »Mich? Unmöglich! Sag', weshalb?« »Weg'n dem Vater, den Du mit Gift verbrannt hast. O Heiner, warum bist – – –« »Mit Gift verbrannt?« fiel er ihr in die Rede. »Du phantasirst wohl, Alwin'!« »So bist's net gewes'n?« »Ist er denn verbrannt?« »Ach, fürchterlich!« »Wo denn?« »Hier in der Laub'! Und nun ist der Gensdarm hinüber, um Dich zu arretir'n.«
»Mich? Gut' Nacht, Alwin'!« Mit einem raschen Sprunge schwang er sich über den Zaun und stand nach wenig Augenblicken in seiner Wohnung vor dem Beamten. »Sie such'n mich?« »Ja. Wo kommen Sie her?« »Vom Kantorgart'n.« »Was haben Sie dort gewollt?« »Ich hab mit der Alwin' gesproch'n.« »So! Wann sind Sie hinüber?« »Dies waaß ich net genau. Ich hab in der Laub' gesess'n und auf sie gewartet. Denn erst jetzt hab ich von ihr erfahr'n, was passirt ist.« »So, also erst jetzt – –!« »Und daß Sie mich such'n. Drum bin ich gleich herüber gesprungen. Wer hat's gethan, Herr Gensdarm?« »Das wird sich finden. Jetzt aber gehen Sie mit mir.« »Wohin.« »Nach der Stadt auf das Amt.« »Also arretirt! Ich bin's aber doch net gewes'n!« »Das zu ermitteln ist Sache des Untersuchungsrichters. Zunächst werde ich Sie einige Zeit beim Vorstand unterbringen, um den Thatort zu untersuchen. Ich hoffe, daß Sie mir keine Schwierigkeiten machen werden, die mich zu strengen Maßregeln veranlassen würden.« »Wie soll das gehn?« frug jetzt der Alte erregt. »Zum Vorstand soll er geschleppt werd'n und nachher ins Amt? Und gethan hat er nix? Das woll'n wir 'mal sehn, da bin ich auch noch da, und wer mir den Heiner angreift, den – – –« »Sei ruhig, Vater!« fiel Heiner ihm in die Rede. »Mit Zorn machst' die Sach' nur schlimm. Ich geh gutwillig mit, denn das ist das Best', was ich thun kann. Ich bin unschuldig und werd' gar bald wieder daheim sein bei Dir.« »Ja, wenn Du selber willst, so muß ich ruhig sein; aber wenn ich Dich net schnell wieder hab', so komm' ich selber nach und lauf Sturm im Gericht!« Heiner wurde abgeführt. Im Vorüberschreiten sah er die Wohnstube des Kantors hell erleuchtet, wo der Verletzte auf dem Sopha lag, an seiner Seite eine fremde Wartefrau. Alwine durfte
nicht vor ihn; er hatte sie mit harten, drohenden Worten von sich gewiesen und ihr ein- für allemal verboten, sich vor ihm sehen zu lassen. Sie saß in ihrer Kammer und weinte, und da es ihr hier zu traurig und einsam wurde, so ging sie zu Direktors, welche durch das Ereigniß wach gehalten worden waren und sie nach ihrer Weise zu trösten suchten. Ueberhaupt zeigte der Prinzipal der Künstlertruppe sammt seiner ganzen Familie während der folgenden für das Mädchen allerdings schweren Zeit eine außerordentliche Theilnahme für dasselbe. Der Vater blieb unerbittlich gegen sie; er schob die ganze Schuld seines Unglückes auf ihren Ungehorsam und gerieth fast in Raserei, wenn sie einen Versuch machte, sich ihm zu nähern. Auch vor Gericht wurde sie gefordert, um ihre Aussage zu thun, aber den Geliebten bekam sie dabei nicht zu sehen. Sie ahnte nicht, daß mit ihm ihr bester Schutz von ihr genommen sei. Vom Vater verbannt und nun auf sich selbst angewiesen, dachte sie nicht daran, beim Pfarrer oder sonst im Orte Anschluß zu suchen, sondern gab sich mit ungetheiltem Vertrauen Direktors hin, welche durch ihre Einflüsterungen einen Entschluß in ihr zur Reife brachten, dessen Tragweite sie nicht abzusehen vermochte. So vergingen einige Wochen. Die Schauspieler hatten den Ort verlassen und sich, man wußte nicht wohin gewandt. Da erhielt sie einen Brief, den sie nach seiner Lesung sofort vernichtete. Er schien ihr eine schon erwartete frohe Botschaft gebracht zu haben, die sie veranlaßte, sich gar eifrig mit den fertigen Stücken ihrer Ausstattung zu schaffen zu machen. Sie verriegelte ihre Stube und begann einzupacken. Während dieser Beschäftigung fiel ihr Blick durch das Fenster und auf eine bekannte Gestalt, welche, das Vogelgebauer unter dem Arme, drüben aus dem Häuschen trat, einen froh grüßenden Blick herüberwarf und dann in einen Querpfad einbog, der nach dem Walde führte. »Der Heiner!« rief sie, halb froh, halb erschrocken. »Er ist frei, er ist wieder da; sie haben ihm nichts thun können! Soll ich noch einmal mit ihm sprechen? Ja, aber wissen darf er nicht, was ich vorhabe, sonst läßt er mich nicht fort von hier.« Vom Vater unbeaufsichtigt, war es ihr jetzt leicht, das Schulhaus beliebig zu verlassen. Sie ging. Sie war mit Heiner als Kind oft im
Walde herumgestrichen und kannte den Ort, wo er zu finden war. Den Berg emporsteigend, gelangte sie an eine Waldwiese, über welche der Blick frei schweifen konnte. Ihr Auge strich die Lichtung entlang und entdeckte den Gesuchten unter einer breitastigen Tanne, wo er im Moose lag. Sie eilte zu ihm hin. »Heiner!« »Alwin'!« Er war emporgesprungen, hatte sie umfaßt und drückte sie mit einer Innigkeit an sich, welche vollständig Zeugniß gab von der Sehnsucht, mit welcher ihn nach ihr verlangt hatte. »Bist' wieder frei?« »Ja, aus Mangel an Beweis'n, wie sie sagt'n; aber ich werd' so lang such'n, bis ich entdeck, wer's gethan hat. Komm und setz' Dich zu mir nieder! Hast wohl auch nach mir verlangt, weil Du mir nachkommst so weit den Berg herauf?« »Sehr, Heiner! Und ich konnt' herauf, weil der Vater denkt, ich bin den ganz'n Tag beim Pfarr' zum Besuch. Da kann ich bei Dir bleib'n, so lang als es mir gefällt, und das will ich auch thun, denn es läßt sich net sag'n, ob's gleich wieder so gut paßt.« Sie ließen sich neben einander nieder und blieben da Stunde um Stunde, eine lange, lange Zeit. Er dachte nicht an seinen Vogel, sondern an nichts und niemand, als nur an sie, die heut so gut und zärtlich war wie noch niemals. Und als sie endlich doch ging und ihm verbot, sie zu begleiten, da sah er ihr noch tief, tief in die Augen und drückte Kuß um Kuß auf ihre willigen Lippen. »Leb wohl, Heiner; das war der schönste Tag in meinem Leb'n!« »Leb wohl, Alwin'; Dich und den Tag vergess' ich nie, nie, nie!« Sie winkte zurück und er winkte ihr nach, bis sie hinter den Bäumen verschwunden war; dann legte er sich wieder zur Erde und träumte von künftigem Glück und künftiger Seligkeit, bis der hereinbrechende Abend ihn zum Aufbruch mahnte. – – – Am andern Morgen verbreitete sich die Kunde, daß die Kantorstochter während der Nacht den Ort verlassen habe. Ein Tagelöhner hatte ihren Koffer bis zur nächsten Poststation gefahren, und niemand erfuhr, wohin sie gegangen sei, auch der Heiner nicht. An ihrem schönsten Tage war ihr Herz voll Verrath gegen ihn gewesen. Er konnte dies nie verwinden. – – – – – –
VI. Es ist ein unerbittliches Gesetz, welches Tage an Tage, Wochen an Wochen, Monden an Monden und Jahre an Jahre reiht. Keine Stunde, keine Sekunde darf stehen bleiben; sie geht, sie muß gehen, um der nächsten Raum zu geben, und mit ihnen geht der Mensch mit seinem Denken und Treiben, hinauf oder hinunter, bergan oder bergab, unaufhaltsam und ohne Stillstand, gezogen und getrieben von den guten oder schlimmen Gewalten, denen er die Herrschaft über sich einräumt. Und dieses Steigen oder Sinken des Menschen, es ist mit seinen inneren und äußeren Erfolgen nicht nach kurzen Zeitspannen bemerkbar; seine Wirkungen wachsen stät und langsam aus sich heraus, und erst nach Jahren tritt die Veränderung zu Tage. So war es mit dem Teichbauer zwar langsam, aber immerfort bergab gegangen. Es gehört eine schöne Zeit dazu, ein Anwesen wie den Teichhof durch die Gurgel zu jagen und die Karte zu zertrümmern, aber es war doch geschehen. Nun saß die fremde, vornehme und kranke Frau auf dem Hofe; der Balzer hatte bei einem seiner Spießgesellen eine armselige Dachstube bezogen; niemand wußte, wovon er sein Leben fristete, wenn es nicht der Wilddiebstahl war, der ihm den ärmlichen Unterhalt gewährte, und es kam endlich so weit, daß man ein scharfes Auge auf ihn richtete. Jetzt stand er vor dem Vorsteher, der ihn durch den Büttel zu sich beschieden hatte. »Balzer, ich habe Ihn von Amtswegen rufen lass'n. Steh' Er mir Red' und Antwort auf die Frag'n, die ich an Ihn richt'n werd'!« »Warum net, wenn Ihr net unnütz fragt!« »Von unnützem Gered' kann hier an dieser Stell' wohl net das Gesag' sein. Also, was treibt Er für Arbeit und wovon nimmt Er seine Nahrung her?« »Ich treib' was mir beliebt und leb von Dem, was mir schmeckt.« »Gut! Das ist deutlich genug gesproch'n, so daß ich ganz genau merk', woran ich mit Ihm bin. Wer sich vor seinem Vorgesetzt'n so dreist benimmt, wie Er, dem hält man kaane lange Red' und macht kurz' Federlesens mit ihm.« »Mein Vorgesetzter? Vorsteher, was fällt Euch ein? Ich waaß
kaan Wort davon, daß ich Euch mir voraufgestellt hab. Ihr thut, was Euch gefällt, ich bekümmere mich net darum, und wovon ich leb', das ist meine Sach' und geht Euch auch nix an.« »Daß es mich 'was angeht, und daß ich Sein Vorgesetzter dennoch bin, das soll Er bald erfahr'n. Merk Er nur auf, was ich Ihm jetzt sag! Ich geb' Ihm die volle Woch' noch Frist, daß Er sich nach ordentlicher Arbeit umthut und mir dann persönlich meldet, wo Er im Dienst steht. Thut Er dies aber net, so kommt Er in das Gemeindehaus und unter die Aufsicht des Armenpflegers. So ist's in der letzt'n Sitzung beschlossen word'n und das hab' ich Ihm amtlich zu eröffnen. Jetzt kann Er gehn!« Balzer wollte mit einer Entgegnung losbrechen, der Vorsteher aber, dies voraussehend, hatte bei dem letzten Worte die Thür zum Nebenraum ergriffen und ihn allein stehen lassen. Es blieb ihm nichts übrig, als zu gehen. Draußen aber ballte er die Fäuste gegen das Haus und murmelte eine grimmige Verwünschung vor sich hin. Dann aber blieb er, wie von einem plötzlichen Gedanken befallen, stehen, dachte einige Augenblicke über denselben nach und schritt dann hastig vorwärts. »Ja, das ist das Best', was ich thun kann, und es ist verwunderlich, daß ich net schon längst darauf gekommen bin. Seit ich dies Mad'l gesehn hab', läßt mir's weder Ruh noch Rast. Ich bin der Lump, ja der Lump bin ich, so sag'n sie hier im Ort', und auch fast alt geword'n; und sie ist reich und schön, so schön und vortrefflich und noch so jung; doch wenn ich den Teichhof wieder bekommen könnt, so wär' ich gleich wieder der Mann, vor dem sie die Mütz' abziehn, und dann wollt ich dem Vorsteher 'mal zeig'n, wer mein Vorgesetzter ist. Ich geh', es bleibt dabei!« Er schritt dem Teichhof zu. Es sah dort jetzt weit anders aus als zu seiner Zeit, und man merkte auf den ersten Blick, daß hier trotz der Krankheit der Herrin Alles sich im richtigen Zustande befand. Unter der Thür stand Alma und fütterte aus einer Schüssel voll goldgelber Körner das um sie herumflatternde Geflügel. Als sie ihn erblickte, glitt es halb wie Furcht, halb wie Unmuth über ihr liebliches Angesicht. »Grüß Gott, Jungfer! Ist die Bäu'rin zu Haus'?« »Ja. Was wollt Ihr?« »Ich hab' mit ihr zu sprech'n.« »Sagt's mir, was Ihr begehrt! Es ist so gut, als hört's die Mutter.«
»Ich muß mit ihr selber red'n.« »Sie ist unwohl und läßt darum niemand zu sich, wenn's net nöthig ist.« »So sagt, daß es pressirt!« »Wartet hier, bis ich wiederkehr'.« Er setzte sich auf die vor der Thür stehende Bank. Seine Augen blickten zornig im Hofe umher. »Das ist der Teichhof, der mir gehört', und nun darf ich net 'mal eintret'n, sondern muß vor der Thür wart'n wie der Bettelbub', dem nix gehört, als der Pfennig und aan finster Gesicht. Aber wart' nur, mit dem Balzer ist's noch lange net Matthäi am Letzt'n; er kommt schon wieder zu Courasch', und dann pfeift die Flöt' wieder nach seiner Art und Weis'.« Das Mädchen kehrte zurück. »Kommt herauf!« Sie führte ihn die Treppe empor und öffnete eine Thür. »Hier tretet ein!« Die Fenster des Zimmers, in welchem er sich jetzt befand, waren von reichen Gardinen verhüllt, und die blauen Rouleaux, welche tief herabgelassen waren, dämpften das Tageslicht so weit, daß Dämmerung in dem Raume herrschte. In einem dunkelsammetnen Fauteuil ruhte, in leichte, weite Falten gehüllt, eine Frauengestalt, deren feine, blasse Züge kaum zu erkennen waren. Eine leise Stimme frug: »Wer seid Ihr?« »Der Balzer.« »Ah, der frühere Besitzer meines Gutes! Ich sah Euch noch nicht, weil ich den Hof von der Gantkommission und nicht direkt aus Eurer Hand kaufte. Was wollt Ihr?« »Ich wollt' Euch meinen Dienst anbiet'n. Ihr seid krank und habt kaane Mannsperson bei Euch, die zum Recht'n sieht; da geht gar Viel's derquer und der Schad'n bleibt net aus. Ich kenn' jed'n Schrittbreit von dem Teichhof und dem, was zu ihm gehört, und waaß genau, was er verlangt. Die Leut sag'n all', daß Euch der rechte Hausmeister fehlt, der für Euch sorgt und Aufsicht führt.« »Sagen sie auch, daß Ihr der richtige Mann zu diesem Posten seid?« Die Stimme klang lind und weich, aber es lag etwas in ihrem Tone, was den Balzer mit der Antwort zögern ließ. Sie fuhr fort:
»Ich will nicht bestreiten, daß ich einer männlichen Kraft bedarf, die den fehlenden Herrn ersetzt, doch grade Euch kann ich nicht dazu wählen.« »Warum?« »Es müßte Euer Ehrgefühl beleidigen, da Stellvertreter zu sein, wo Ihr früher Herr waret.« »So nehmt mich wenigstens zum Knecht: ich will einmal gern auf den Hof!« Er bemerkte nicht, daß er mit diesen Worten einen doppelten Fehler beging. »Das geht ja noch viel weniger, mein Lieber, denn jeder Befehl, der Euch ertheilt würde, müßte Euch bitter treffen, und das will ich Euch nicht anthun.« »Auch net als Taglöhner?« »Ebenso wenig. Ich glaube doch, daß es Euch nicht schwer werden kann, im Dorfe zu finden, was Ihr sucht. Ich bin hier fremd und kenne Eure Ansprüche und Leistungen nicht so, wie Eure Bekannten.« Es war eigenthümlich, diesem schwachen, kranken Wesen gegenüber fühlte Balzer nicht den Muth zur Gegenrede. Es war eine Art von Beklemmung plötzlich über ihn gekommen, die ihm das Geständniß entriß: »Die mög'n nix von mir wiss'n und ich komm' in das Armenhaus, wenn ich hier bei Euch net Hülf' und Unterstützung find'.« Es entstand eine Pause, während welcher die Augen der Frau mit eigenthümlichem Ausdrucke auf ihm ruhten; das war trotz der Dämmerung zu erkennen. Er aber blickte vor sich nieder und bemerkte es nicht. »Könnt Ihr denn nichts Anderes beginnen?« Er holte tief Athem. »Dazu gehört Geld, und das hab' ich net.« Seine Augen flogen wie Hülfe suchend im Zimmer umher und fielen auf einen offen stehenden Schrank. In demselben stand eine eiserne Kassette, in welcher der Schlüssel steckte. »So überlegt einmal, was Ihr anfangen könntet, und wenn ich gewiß sein kann, daß die Gutthat nicht weggeworfen ist, so werde ich Euch vielleicht beispringen, denn ich hoffe, daß ich nur Gutes von Euch höre.«
Bei diesen Worten mußte er daran denken, daß gerade das Gegentheil stattfinden werde, und das brachte den alten Geist wieder über ihn. »So ist's also nix mit dem Dienst?« »Leider nein.« »Dann behaltet auch die Gutthat für Euch. Der Balzer wird sich schon selber beispringen!« Er warf die Thür krachend in das Schloß und ging. Drunten im Hofe stand jetzt ein mit feinen Polstern ausgeschlagener und mit warmen Decken versehener Schlitten. Eine Magd trug die Wärmflasche herbei, und der Kutscher war beschäftigt, die Pferde anzuschirren. Sie blickten mißtrauisch auf die unordentlich gekleidete Gestalt des Vorübergehenden. »So könnt' man's auch hab'n,« murmelte er, »wenn der Giftheiner net gewes'n wär, der mir das ganze Leb'n verstört und vernichtet hat. Alles auf's Schönst' und Vornehmst' ausgestattet, wie sich's nur so wünsch'n läßt. Aber die Kass' da drob'n ist noch besser als der Schlitt'n, und ich gebrauch' sie nothwend'ger als die Madam, die so schön höflich grob sein kann. Sie mag nur immer nach mir frag'n, mir ist der Leumund gleich!« Als er aus dem Feldwege in die Straße einbog, begegnete ihm Der, an welchen er soeben mit Grimm gedacht hatte. »Der Heiner! Der Hallunk' trägt sich gerade wie aan Baron, mit Marderpelz und Krimmermütz'. Ich straf' ihn mit Verachtung und thu', als ob ich ihn gar net bemerk'.« Es war wirklich ein ganz stattlicher Anblick, welchen Heinrich Silbermann bot, und man merkte es, daß seine Sängerfahrten selbst auf den Stoff und Schnitt seiner Kleidung Einfluß gehabt hatten. Im Gebirge tritt der Winter früher ein als im Niederlande; es hatte seit einigen Tagen stark geschneit und eine tüchtige Schlittenbahn hingeworfen, welche unter seinen Schritten stark erknirschte. Wie er so dahinging mit seinen sichern, elastischen Bewegungen, sah er bedeutend jünger aus als er war und es war ein schneidender Kontrast, den die herabgekommene Gestalt des lautlos an ihm vorübergleitenden Feindes mit ihm bot. Schon lag das Dorf eine ziemliche Strecke hinter ihm, als er lautes Schellengeläute vernahm. Er drehte sich um; ein Schlitten nahte sich im raschen Laufe des muthigen Gespannes. Alma saß darin. Sie sah den Dahinschreitenden und glaubte, es sei ein Herr
aus der Stadt. Als sie aber im Vorbeifahren einen Blick in sein Gesicht warf, ließ sie sofort halten. »Grüß Gott, Heiner! Hätt' Dich beinah' gar net erkannt, so stolz und vornehm schaust' heut aus. Willst' nach der Stadt?« »Grüß Gott, Alma! Ja.« »So steig mit ein! Oder halt, hast' auch gelernt zu fahr'n?« »Warum net?« »So kannst' die Zügel nehmen. Der Knecht wird zu Haus' gebraucht und hat net gut abkommen können. Jetzt kann er heim lauf'n.« Der Knecht stieg ab und übergab Heiner die Zügel mit der Peitsche. Dieser griff zu und wollte den verlassenen Sitz einnehmen. »Nein, net da vorn, Silberheiner. Komm herein zu mir, da ist's warm und wir können auch mit 'nander sprech'n!« Er stieg ein, nahm die Pferde scharf zusammen, und fort gings in raschem Lauf. Er hatte mit dem herrlichen Mädchen nur zweimal gesprochen, sie überhaupt nur diese beiden Male getroffen, aber das ganze Dorf war von ihrer Schönheit, ihrer Herzensgüte und ihrem Lobe voll, und gerade die Art und Weise dieser zwei Begegnungen war ganz geeignet gewesen, sie für ihn unvergeßlich zu machen. Jetzt hatte sie selbst ihn aufgefordert, mitzufahren, ja, ihn selbst an ihre Seite genöthigt, und nun saß er neben ihr und wagte kaum, einen Blick auf den blauseidenen Schleier zu werfen, unter welchem sich ihre weichen, warm leuchtenden Züge verbargen wie die Frühlingssonne hinter leichtem Federgewölk. »Fährst net gern Schlitt'n, Heiner?« klang es schalkhaft aus den warmen Hüllen heraus. »Sehr gern,« antwortete er treuherzig. »Aber net mit mir?« »Mit Dir am Allerliebst'n, Alma. Warum denn net?« »Weil Du so aan absonderlich' Gesicht machst.« »Sag, was willst' für aan's?« »So wie damals, als – als – als – –« Er wartete einige Augenblicke; als aber das sich besinnende Mädchen nicht fortfuhr, ergänzte er: »Als damals auf dem Fichtler?« »Ja, als Du zum letzt'n Male mit der Alwin' droben gewes'n bist.« »Mit der Alwin'?« Sein offenes Gesicht nahm den Ausdruck
tiefsten Erstaunens an. »Wie kommst' dazu, davon zu wiss'n? Denn nur die Alwin' und ich, wir haben's gewußt.« »Ich sag's Dir später, Heiner!« »Wann!« »Wenn Du mir auch 'mal so viele Gedicht' geschenkt hast wie ihr.« Seine Verwunderung wuchs. »Auch dies hast' vernommen? Aber Du darfst ja doch kaan Gedicht von mir erhalt'n!« »Weshalb.« »Bei ihr durft's geschehen, denn sie hat mich lieb – – gehabt.« Er legte den Nachdruck auf das letzte Wort, und dabei ging es über sein Gesicht wie eine tiefe Traurigkeit. »Dann hat sie Dich verlass'n!« Er antwortete nicht, sondern neigte nur leise den Kopf. Da grub sich ihre kleine, behandschuhte Hand aus den Pelzen hervor und legte sich auf seinen Arm. »Kannst sie wohl gar nie vergess'n, Heiner?« »Was hilft's, wenn ich d'ran denk! Der Leichtsinn ist besser d'ran als ich; der lacht und nimmt den Wechsel.« Er schwang die Peitsche und ließ die Thiere weiter ausgreifen, als wolle er durch den rascheren Galopp der Erinnerung entgehen. Sie aber ließ ihn nicht los. »Hättst auch 'was Andres find'n sollen!« »Ich hab's net vermocht. Und wenn ich's gewollt hätt', wohin sollt' ich schaun?« »Recht hast', Heiner; sie sind für Dich zu schlecht.« »Nein, zu schlecht net, Alma, sondern zu obenhin. Wer tief baut, will auch tief wohnen und dann verstand'n sein.« »So willst' allein bleiben fürs Leb'n?« »Es kann net anders sein!« Sie zog die Hand zurück und ließ den Blick mit tiefer Theilnahme auf ihm ruhen. Das junge Mädchen war innerlich weit über ihre Jahre hinaus entwickelt; sie mußte von einer ausgezeichneten Mutterhand geleitet worden sein, und ihr bisheriges Leben war vielleicht nicht blos ein Weg durchs Glück gewesen. »Waaßt, Heiner, daß ich Dich gar oft schon gesehen hab?« unterbrach sie das Schweigen wieder. »Wo?« »An Deinem Fenster, wenn ich beim Kantor bin. Er wollt' die
Kantat' aufführ'n, aber es geht net, weil der Solotenor fehlt.« »Er mag den Balzer nehmen!« »Das macht' er auch; aber der ist ja so fertig worden, daß niemand mit ihm singen möcht.' Heut war er auf dem Teichhof bei der Mutter.« »Der Balzer? Was hat er dort zu schaff'n?« »Hausmeister wollt' er werd'n, dann Knecht und nachher Tag'löhner.« »Und was ist ihm für Antwort geschehn?« »Die einz'ge die es giebt. Er hat gehen müss'n. Es mag ihn niemand mehr, und nur der Kantor spricht net ganz bös von ihm.« »Weil er ihn hat zum Schwiegersohn machen woll'n. Der Balzer ist an mir und Allem schuld.« »Der Balzer und das Theater, net wahr, Heiner?« Fast hätte er mit einem Ruck die Pferde angehalten, so durchzuckten ihn diese Worte. »Alma, bist' etwa allwissend?« »Nein,« lächelte sie. »So sag', woher Du so All's erfahren hast!« »Schreib mir erst die Gedicht'!« Hatte er ihr nicht gesagt, weshalb er das nicht dürfe? Und nun forderte sie ihn dennoch wieder auf! »Sei doch net so schlimm zu mir, Alma!« Verstand sie, was er sagen wollte und doch kaum selbst verstand? Sie schlug die Augen nieder, und der Schleier verhüllte seinem Blicke ihr tiefes Erröthen. Schon vor langer, langer Zeit, schon in der Ferne hatte sie von ihm gehört und seinen Namen gekannt. Obgleich noch Kind, war sie die einzige Vertraute einer reumüthigen Seele gewesen, welche täglich und stündlich an den einfachen erzgebirgischen Vogelsteller denken mußte, obgleich sie von allem Luxus eines reichen und hochgestellten Lebens umgeben wurde. Die kranken, bleichen Züge zuckten wehmüthig, wenn sie den Silberheiner nannten, und Alma war es dabei, als müsse sie einen Theil der Schuld auf ihre junge Seele nehmen, um sie zu sühnen für das einzige Wesen, welches ihr nahe stand. Nun war sie hier, hatte ihn gesehen, ihn gesprochen, er saß an ihrer Seite und – war es dieses Bedürfniß der Sühne oder war es etwas Anderes, sie hätte ihre Arme um ihn legen und ihm Frieden geben mögen, so gern, so unaussprechlich gern.
zu.
Sie hatten jetzt die Stadt erreicht. Heiner wandte sich ihr wieder
»Wo steigst' ab, Alma?« »Im ›Bären,‹ Heiner. Fährst doch wieder retour?« »Ich muß wohl. Hast doch sonst den Kutscher net!« »Und wo hast' zu thun?« »In der Buchhandlung.« »So gehst' erst mit in die Stub' und bestellst den Kaffee!« Es war ihm wie im Traume. Woher war dieses Mädchen mit seiner geheimsten Vergangenheit so gut bekannt? Das Vertrauen, mit welchem sie ihn zu ihrem Ritter machte und die Selbstverständigkeit, welche sie bei Allem vorauszusetzen schien, begannen ihn verwirrt zu machen. Tausend viel höher Stehende als er hätten sich von ihrer Gunst beglückt gefühlt, sie vielleicht um hohen Preis zu erringen gesucht, und nun ward sie ihm, dem armen Vogelsteller, so ohne alle Anstrengung zu Theil! Er konnte nicht weiter denken. Der Gasthof war erreicht, der herbeieilende Hausknecht nahm das Geschirr in Empfang und auch der Wirth kam, sobald er das Mädchen erkannt hatte, mit außerordentlicher Schnelligkeit vor die Thür und rief, das Käppchen vom Kopfe reißend: »Willkommen, tausendmal willkommen, mein gnädigs Fräulein Komtess'. Tret'n Sie näher, herein in die Stub', ins gute Zimmer. Es ist kaan Mensch d'rin; Sie sind ganz allein und ungestört!« Komtesse? Heiner wußte nicht wie ihm geschah. Er schlug die Decken zurück, und ehe er zur Seite treten konnte, war sie aus dem Schlitten heraus, hatte ihre Hand auf seinen Arm gelegt und rauschte an seiner Seite am Wirthe vorüber in das Zimmer, dessen Thür der Kellner weit aufgerissen hatte. »Kaffee!« befahl er. Er hatte sich schnell in seine Rolle gefunden; sie sollte sich nicht über ihn zu beklagen haben. »So,« meinte sie, als sie mit seiner Hülfe abgelegt hatte und auf dem Sopha saß, »jetzt kommst' herbei und thust Bescheid! Oder trinkst lieber ein Bier?« Er verneinte mit einer Handbewegung und nahm ihr gegenüber Platz. Sie schenkte ein, gab ihm Milch und Zucker und hielt ihm dann das Bisquit vor. »Willst'?« »Bitte, erst nach Ihnen, Komtesse?«
Sie lachte glockenhell auf. »Laß die Komtess', Heiner, und bleib wie zuvor. Hast erst net gewußt, was ich bin und sollst es jetzt auch net wiss'n. Wir hab'n einige Tag' hier gewohnt, eh' wir auf den Teichhof zog'n, und daher kennt der Wirth den Titel. Und die Sprach', bei der mußt' erst recht fest bleib'n; der Dialekt ist herz'ger als das Hochdeutsch. Also nimm; ich bin die Hausfrau und komm' darum erst nach Dir!« »Was bin dann ich, Alma?« frug er zulangend. »Du bist noch nix, und willst' was werd'n, so mußt' schön folg'n.« »Wem?« »Mir; wem sonst? Aber sag', was willst' beim Buchhändler?« »Es ist aan Bescheid, den ich mir hol'n will.« »Worüber? Darf ich's wiss'n?« Er wurde sichtlich verlegen. »Nun? Hast schon Lust, net zu folg'n?« »Weg'n den Gedicht'n.« »Ah? Erzähl' mir's doch!« »Es waaß kaan Mensch davon, net 'mal der Vater, aber Dir will ich's net vorenthalt'n. Ich bin net stolz auf die Gedicht' und bild' mir auch sonst nix ein, doch ist in unsrer Mundart noch nie 'was gedruckt word'n, obgleich sie ihre Berechtigung hat gerade so wie plattdeutsch, bayrisch, schwäbisch oder öst'reichisch Darum hab' ich gedacht, ich wollt 'mal die Auswahl treff'n und in Verlag geb'n. Hätt's geglückt, so wär's mir die größte Freud' und Ehr' gewes'n.« »Und nun willst' sie hier dem obskur'n Bücherkrämer anbiet'n?« »Ich hab' sie versandt an große und berühmte Firmen und immer den Bescheid erhalt'n: ›Ihre Gedicht' zeug'n von Talent, aber wir mög'n net!‹ So ist's mehrere Jahr' lang gewes'n, bis ich's endlich müd' geword'n bin. Nun will ich sie in Selbstverlag nehmen und dem Buchhändler hier in Kommission geb'n.« »Hast' denn Geld dazu?« »Ich weiß net ob's langt: daher will ich heut frag'n.« »Wie viel hast?« Er sah verlegen vor sich nieder. »Sag's!« bat sie dringlich. »Von dieser Ausgab' darf der Vater nix wiss'n, obgleich ich meine Kass' für mich hab. Er hat auch sein wenig Geld, aber das darf ich net rechnen. Darum hab ich meine Sparniß getheilt zwisch'n
ihm, mir und dem Buch.« »Und was kommt auf den Theil?« »Tausend Taler und einig's d'rüber.« »Was? Ueber dreitausend Thaler hast'? Du bist' viel, viel reicher als ich!« rief sie in aufrichtiger Verwunderung. »Reicher als Du? Was denkst'! Hast' net den groß'n Teichbauerhof?« »Der gehört doch net mein, sondern der Mutter; Du aber hast das Geld verdient mit saurer Arbeit, mit dem Hand'l, mit – – –« »Mit dem Vogelhand'l net; was der bringt, lass' ich dem Vater. Was ich hab', stammt von der Sängerfahrt; die bringt 'was ein, wenn man zu spar'n versteht.« »Und da willst' so viel riskir'n? das ist nix, Heiner, da kommst' um Dein Geld!« »Meinst' daß ich falsch spekulir'?« »Nein; Dein Buch wird gehn und seine Leser find'n, aber es muß in gute Hand gelegt werd'n, und die find'st net hier im Ort.« »Ich hab' sie anderswo auch net gefund'n.« »Hast's falsch angefangen, Heiner! Schick' die Gedicht' wohin Du willst, sie werd'n gar net geles'n, denn wer kennt den Heinrich Silbermann von hier? Empfehlung mußt' hab'n, Konnexion, und die Vorred' muß aan berühmter Dichter oder Professor schreib'n. Und wenn nachher aan bekannter Verleger das Buch kauft, so hast Honorar und Ehr' dazu.« Heiner war ganz erstaunt über ihre Sachkenntniß. »Das hab' ich schon gewußt; aber woher den Dichter oder Professor nehmen und dann den Verleger? Doch sag', Du sprichst ja so klug wie aan Buch!« »Das ist net weit her. In Warschau, wo wir war'n, gab's gar viel' Künstler und Dichter, die bei uns verkehrt'n. Da hab' ich viel von solchen Dingen sprechen hör'n. Hast' das Manuskript fertig?« »Natürlich. Hier in der Tasch' ist's, damit ich's dem Buchhändler zeig'n kann.« »Darf ich's sehn Heiner?« »Ja.« Es war ihm anzusehen, wie schwer ihm diese Antwort wurde. Er brachte es auch nur höchst langsam hervor und schien große Lust zu haben, es wieder einzustecken. Schnell aber hatte sie es gefaßt und es ihm aus der Hand genommen.
»Zeig her!« Ohne einen Blick hineinzuwerfen, steckte sie es in die Innentasche ihres Pelzes. »Warum steckst' es ein?« »Weil Du Dein Geld behalt'n sollst, Heiner. Ich geb's der Mutter, und dann wird's gedruckt, darauf kannst' Dich verlass'n.« »Nein, Alma, das darf ich net zugeb'n; ich muß die Gedicht' wieder hab'n. Bitt', gieb sie mir zurück!« »Willst' schon wieder unfolgsam sein! Hier in der Tasch' sind sie, und da bekommst sie net wieder heraus! Oder willst' vielleicht mit mir ringen?« »Das kann mir net einfall'n; wenn ich Dich gar schön bitt', so giebst' sie mir gutwillig wieder.« »Nein, das ist nun abgemacht. Statt zum Buchhändler, gehst' nun mit mir. Ich hab' viel' Einkäuf' zu besorg'n, und da wirst' mich führ'n!« Seine fortgesetzten Bitten blieben erfolglos; er mußte sich in den Willen des schönen Mädchens ergeben. Der Lohn blieb auch nicht aus: er durfte fast den ganzen Tag an ihrer Seite bleiben, und es war ihm, als sei Alles hinter ihm versunken und eine neue Welt vor ihm aufgegangen, die sein zaudernder Fuß kaum zu betreten wagte. Als sie den Schlitten wieder bestiegen, brach die Dämmerung bereits herein; aber der Schnee leuchtete und ließ die Straße gut erkennen. Die Pferde merkten, daß es heimwärts gehe, und es bedurfte weder der Zügel noch der Peitsche, um sie in schnellem Gang zu erhalten. »Die Luft geht scharf, Alma; frierst net vielleicht?« »Ein wenig ans Gesicht, sonst net.« »So komm!« Er schlang das Zügelende um den Arm, umfaßte sie und legte ihren Kopf an seine Schulter, wo sie der Zug nicht treffen konnte. Sie ließ es still geschehen und blieb regungslos in der Stellung, welche er ihr gegeben hatte. Die Straße ging heimwärts viel bergab, und da viel Schnittgerinne sie durchschnitten, so schlingerte der Schlitten oft in höchst bedrohlicher Weise. »Hast' net Angst daß wir umschütt'n?« frug er sie. »Bei Dir bin ich sicher!« klang es leise, aber in einem Tone, der ihm bis ins tiefste Herz erklang. Das Händchen war ihr aus dem Muff entglitten; er ergriff sie
und hielt sie fest. »Glaubst' das wirklich?« »Ja.« Sie hob bei diesem Worte das Köpfchen zu ihm empor; er schob den Schleier ein wenig auf die Seite und neigte sich zu ihr nieder. Die Schnee- und Sternenhelle ließ ihr Gesicht in einem traumhaften Glanze erscheinen, zwischen welchem die großen, dunklen Augen wie aus unergründlichen Seelentiefen emporschauten. Dann ließ er den seidenen Flor wieder fallen und sprach kein Wort, bis der Schlitten vor dem Eingange des Teichhofes hielt. Der nach Hause geschickte Knecht ergriff die Pferde; die beiden Insassen stiegen aus. »Hab Dank, Heiner, für den Schutz. Ich werd's der Mutter erzähl'n!« sprach Alma, ihm die Hand reichend. »Ich hab' zu dank'n, net Du. Sag der Mutter den schönst'n Empfehl', da ich net selber zu ihr darf!« »Wirst schon auch noch dürf'n, wenn sie wieder wohler ist!« Das schwere Kleid, in welchem sie heut ging, rauschte durch den helle erleuchteten Flur. Heiner trat in die dämmerige Nacht zurück und ging nach Hause. Wortkarg aß er sein Abendbrod, und ebenso wortkarg war er auch im Gesangverein, der heut seinen Versammlungsabend hatte. Die Erlebnisse des Tages beschäftigten ihn so, daß die Erinnerung daran ihn vollständig in Anspruch nahm, und als die Sänger sich zerstreuten, spürte er noch nicht das geringste Bedürfniß nach Schlaf und Ruhe, und unwillkürlich wandten sich seine Schritte dem Teichhofe zu. Noch immer beschäftigte ihn die Frage, woher Alma Daten aus seiner Vergangenheit kannte, von denen nur er und Alwine wissen konnte; er fand jedoch keinerlei zureichende Antwort darauf. Eine Komtesse war sie, eine Gräfin; welch ein Unterschied zwischen ihr und ihm! Er mochte gar nicht daran denken, denn dieser Gedanke wirkte erkältend auf die wunderbar selige Stimmung, in welcher er sich befand. Er gab sich derselben vollständig hin und fühlte nicht das mindeste von der Kälte, welche hier außen im Freien herrschte. So war er an den mit dichtem Gebüsch bestandenen Rand des Teiches gekommen, der an der hinteren Seite des Hofes lag und ihm den Namen gegeben hatte. Er beschloß, die Gebäude zu umschreiten, war aber noch gar nicht weit am Wasser hingekommen, als es ihm war, als knirsche jenseits der vor ihm
liegenden Ecke der Schnee unter vorsichtigen, mit Fleiß gedämpften Schritten. Er fühlte keine Lust, sich hier bemerken zu lassen und trat daher so tief wie möglich zwischen die Sträucher hinein. Ein Mann kam um die erwähnte Ecke und blieb unweit seines Versteckes stehen. Er hatte sich das Gesicht geschwärzt, dennoch aber und trotz der ihn jedenfalls unkenntlich machenden sonderbaren Kleidung erkannte Heiner, daß es Balzer sei. Dieser warf einen beobachtenden Blick um sich, stieg dann über den Gartenzaun und glitt über den freien Raum des Gartens nach der Scheune hin, welche einen der Hintertheile des Hofes bildete. Was hatte der Mensch vor? Etwas Gutes sicherlich nicht, das zeigte die Schwärzung des Gesichtes. Aber ihm sofort zu folgen war nicht räthlich, weil dies wegen der Lichte des Gartens von ihm bemerkt worden wäre. Heiner wartete daher einige Minuten, ehe er den Zaun übersprang und den im Schnee eingedrückten Fußspuren nachging. Sie führten auf eine Spalte, welche sich mit der Zeit zwischen der ausgefaulten Diele und dem abgeschliffenen Thore gebildet hatte und hinlänglich war, einen nicht zu starken Mann durchkriechen zu lassen. Nachdem er sich durch angestrengtes Horchen überzeugt hatte, daß der Verfolgte die Scheune bereits verlassen haben müsse, drängte er sich hindurch und gelangte so auf die Tenne. Eine Untersuchung derselben zeigte, daß eine vordere Pforte derselben geöffnet und unverschlossen sei. Er trat von hier auf den inneren Hof. Wohin hatte Balzer hier seinen Weg genommen? Nach langem Suchen gewahrte Heiner ein geöffnetes Fenster, welches zur Erleuchtung des Treppenaufganges bestimmt war. Es hatte eine zerbrochene Scheibe gehabt und war also leicht aufzustoßen gewesen. Er stieg hinein. Lärm zu machen hielt er nicht für gut, da Balzer dadurch zur vorzeitigen Flucht veranlaßt werden konnte; er beschloß vielmehr, sich so leise wie möglich zwei Treppen hoch zu begeben, wo, wie er wußte, die Knechte schliefen. Diese vorsichtig zu wecken, war jedenfalls das Beste; dann konnte der Eindringling auf frischer That ertappt und festgenommen werden. Mit der Oertlichkeit nicht bekannt, nahm er, auf dem Korridor angekommen, zu einem Zündhölzchen seine Zuflucht, dessen Aufleuchten ihm zwei Reihen Thüren und die obere Treppe zeigte. Schon hatte er den Fuß auf die untere Stufe gesetzt, als es ihm war,
als seien in dem hinteren Zimmer Stimmen erklungen. Er glitt bis an die Thür; er hatte sich nicht getäuscht, aber sie war verschlossen. »Heraus mit dem Schlüssel!« hörte er jetzt vernehmlich die verstellte Stimme Balzers. Hier war Gefahr im Verzuge. Rasch glitt er noch zur Nebenthür, um diese zu untersuchen. Sie ließ sich öffnen. Heiner trat ein und übersah nach drei Schritten die ganze Scene. Das Zimmer, in welchem er sich befand, war dasjenige, wo Balzer heut mit der Besitzerin gesprochen hatte. Daneben lag der Schlafraum, zu welchem eine jetzt weit aufgerissene Verbindungsthür führte. Eine Nachtlampe, von einem chinesischen Schirme bedeckt, erhellte ihn nur spärlich. Die Damen waren wohl im Begriffe gewesen, zur Ruhe zu gehen, als Balzer bei ihnen eintrat. Er hatte den Schrank verschlossen gefunden, und da er sich in Folge der Schwärze für sicher hielt und von den wehrlosen Frauen keinerlei Widerstand erwartete, so hatte er sich ganz einfach zu ihnen begeben und den Schrankschlüssel verlangt. In der Rechten ein scharfgeschliffenes Waidmesser, hielt er mit der Linken die Hofherrin gefaßt, deren Züge nicht zu erkennen waren. Alma hatte sich entsetzt an die Mutter geklammert; ihre aufgelösten Haare hingen wie ein reicher, kostbarer Schleier um die Gestalt, deren wundervolle Formen in dem leichten Negligée eine verrätherische Hülle fanden; sie bebte am ganzen Körper und ihre erschrockenen Augen hingen an dem verbrecherischen Eindringling, wie an einer gespenstigen Erscheinung. »Still sollt Ihr sein, net den Mux dürft Ihr thun, sonst ist's um Euch geschehn! Gebt den Schlüssel heraus zum Schrank, denn die Kassett' muß ich hab'n!« »Der Schlüssel bleibt mein,« erwiderte die muthige Frau, »und wenn Ihr nicht sofort geht, so rufe ich meine Leute herbei!« »Versucht's nur, wenn Ihr könnt! Das Messer wird net spaß'n!« Sie versuchte, sich von ihm loszureißen. »Hül – – –« Sie konnte den Hülferuf nicht vollenden; ein rascher Griff um ihren Hals benahm ihr die Möglichkeit dazu. Er holte mit dem Messer aus, da aber schmetterte ein fürchterlicher Faustschlag auf seinen Schädel nieder, so daß er im Augenblicke lautlos zusammenbrach. »Da hast' genug, Spitzbub'! Grüß Gott, Alma! War's so zur
recht'n Zeit?« »Heiner!« »Nur das eine Wort rief sie; aber es lag in demselben eine ganze Welt voll Entzücken, und dann sank sie mit einem herzerschütternden Schluchzen zu Boden.« »Alma!« rief er und »Mein Kind!« ihre Mutter. Sie knieten vor dem Mädchen, welches die Augen geschlossen hatte und unter konvulsivischen Bewegungen erzitterte. »Die Essenz, Heiner, schnell, schnell!« »Wo ist sie?« »Dort auf der Toilett' das Flaçon!« Er brachte es herbei, und während er den Kopf des Mädchens in seinen Arm nahm, besprengte die Mutter das blutleere Gesichtchen mit den belebenden Tropfen. Hinter ihnen regte es sich leise. Balzer erwachte aus seiner Betäubung und öffnete die Augen; die wiederkehrende Besinnung zeigte ihm, daß er unbeachtet sei; er erhob sich und verschwand geräuschlos im Dunkel des Nebenzimmers. »Es hilft! Nun noch aan wenig Wasser, Heiner!« Alma öffnete die müden Lider und sah die Beiden mit sich beschäftigt. »Was ist's – wo bin – – wo ist der fürchterliche Mann?« Erst jetzt dachten sie an den Verbrecher. Heiner schnellte empor und stieß einen Ruf der Ueberraschung aus. »Er ist fort!« »Fort?« frug die Mutter. »Das ist das Best', was er thun konnt'. Immer laß ihn, Heiner! Er wird den Weg schon find'n.« »Aber ich muß ihn doch festhalt'n; es ist der Balzer!« »Das hab' ich schon gewußt; aber es hat ihm nix genutzt, und da woll'n wir ihn ruhig laufen lass'n.« »Laufen lass'n – den Räuber, den Mörder?« »Ja, Heiner. Ich mag weg'n ihm net auf's Gericht, und er wird auch ohne uns noch seine Straf' bekommen.« »Wie Ihr wollt, so ist mir's recht; aber es ist net gut, wenn so aan Mensch frei davongehn darf!« Sie hatte eine Hülle um den Kopf gelegt und so weit vorgezogen, daß sie das Gesicht überragte. Dann trat sie zu ihm und ergriff seine Hand. »Heiner, die Rettung jetzt, die werd' ich nie vergess'n. Ich sag'
ganz groß'n Dank! Aber wie ist's denn so gut und glücklich gekommen?« Er fand nur schwer die Worte, seine Anwesenheit beim Hofe zu erklären, und berichtete dann das Weitere. Alma sprach kein Wort der Anerkennung, aber das glückliche Lächeln in ihrem jetzt wieder gerötheten Angesicht sprach deutlicher als Worte. Jetzt endlich kam auch das Gesinde herbei, welches durch die Unruhe in den Räumen der Herrschaft aufmerksam geworden war. »Es ist nix von Bedeutung, Ihr Leut'!« meinte die Herrin. »Der Heiner hat Jemand durch die Scheun' kriech'n sehn und es mir gemeldet. Schaut nach, ob Ihr Wen findet, und geht dann ruhig schlaf'n!« Auch Heiner ging, nachdem er den freundlichsten Abschied erhalten hatte; aber er verließ die Umgebung des Hofes nicht eher, als bis die bald entdeckten Fußspuren ihm die Ueberzeugung gaben, daß auch Balzer heimgekehrt sei. Die Frauen blieben in einer leicht erklärlichen Aufregung zurück. Das Bedürfniß des Schlafes war ihnen vollständig vergangen, und so saßen sie bei einander und besprachen das Ereigniß in allen seinen erschütternden Einzelheiten. »Du hast Dich bisher so von allem Verkehr zurückgezogen, Mama, damit man Dich nicht erkennen solle, und nun ist er doch bei Dir gewesen,« meinte Alma schließlich. »Aber er hat mich nicht erkannt.« »Nein, sonst hätten wir es sicher merken müssen. Nicht wahr, nun erfüllst Du schon aus Dankbarkeit für seine heutige Hülfe meine Bitte?« »In Beziehung seiner Gedichte? Ja. Ich habe das Manuskript noch gar nicht aufgeschlagen; ich wollte mir die Lektüre bis zu einer Stunde völliger Muse aufheben; da wir aber nun doch noch nicht zur Ruhe gehen, so laß uns einmal hineinsehen!« Sie nahm die Schrift aus ihrem Verwahrsam und schlug die Blätter auseinander. Ihre feinen, leidenden Züge bekamen Leben, ihre Augen, erst so matt, begannen zu glänzen, und von Blatt zu Blatt rötheten sich ihre Wangen mehr und mehr. Sie traf auf viel, auf sehr viel Bekanntes, und allemal war es ein inniges, glückliches Lächeln, mit welchem sie es begrüßte. Sie las selbst und laut; Alma hörte mit nicht geringerer Theilnahme zu; sie fühlte nicht, daß jedes
auf die unglückliche Liebe des Dichters bezügliche Wort ihr Herz mit leisem Stachel traf, und als die letzte Zeile verklungen war, umarmte sie die Mutter innig und flüsterte tiefathmend: »Er muß Dich sehr, sehr lieb gehabt haben!« »Ja!« entfuhr es langsam ihren Lippen. »Und diese Liebe habe ich mit schwarzem Undank belohnt!« »Aber auch dafür gelitten, Mama! Der elende Glanz des Bühnenlebens, der böse Papa mit – – –« »Er ist todt, Alma, und Du hast ihn nie gekannt; er war Aristokrat und Millionär und konnte es mir später nie verzeihen, daß er mir im Rausche der Jugend die Rechte der Frau eingeräumt hätte. Laß ihn ruhen. Es ist kein Wunder, daß das Andenken an Heiner nie verlöschen konnte, sondern vielmehr diesen mir in immer hellerem, edlerem Glanze zeigte.« »Er wird Dir vergeben und Dich wieder lieben, Mama!« Es war ein stilles, ergebungsvolles, beinahe trauriges Lächeln, mit dem die Mutter antwortete. »Ich denke an kein Opfer, das er mir bringen müßte!« Sie spielte mit einem Blatte, welches zwischen der letzten Seite und dem Einbande des Manuskriptes gelegen hatte. Es umwendend, bemerkte sie, daß es beschrieben sei. Sie las und gab es dann mit einem unbeschreiblichen Blicke der Tochter hin. »Ein Opfer?« hatte diese gefragt. »Ja, ein Opfer. Lies selbst!« Das Mädchen sah die wenigen Zeilen, und tiefe Gluth bedeckte ihr Gesicht bis zum Nacken herab. Sie las: »Ich sah der Sonne letzten Strahl Um dunkle Wolken sprüh'n Und unter Küssen ohne Zahl Die Tanne hell erglüh'n. Ich sah den lieben Tannenbaum Im gold'nen Morgenlicht, Sie kam zurück; es war kein Traum, Und dennoch war sie's nicht. Es war ihr Bild, nein, nicht ihr Bild, Sie selbst war's, doch verklärt
Und nun ist aller Schmerz gestillt, Der, ach, so lang gewährt.« Sie sagte nichts; aber als die Mutter ihre Arme um sie legte, da drückte sie das Köpfchen fest an den treuen, entsagungsfreudigen Busen und in ihren Wimpern glänzte ein großer, heller Thränentropfen. »Alma, er wird mir verzeihen und glücklich sein!« »Und der Großvater?« »Er ist starr und unversöhnlich, doch wollen wir zu Gott bitten, daß er ihm das Herz lenkt und verzeihlich stimmt. Die Vorsehung ist eine liebevolle Mutter ihrer Menschenkinder; sie zählt die Thränen und läßt nicht eine davon verloren gehen. Auch die meinen werden getrocknet werden; diese Überzeugung und die Liebe zu meinem guten Kinde, sie allein haben mir die Kraft gegeben, die mich in allem Leide aufrecht erhält. Komm', laß uns nun zur Ruhe gehen!«
VII. Die Wochenfrist war vergangen, und Balzer kam zum Vorsteher, um seine Meldung zu machen. Es fiel ihm schwer, dem Befehle Gehorsam zu leisten, aber er sah ein, daß er sich fügen müsse, und einen Trost hatte er dabei, nämlich den, dem Gemeindehause zu entgehen. »Nun, was bringst' für Botschaft?« »Daß ich den Dienst hab.« »Wo?« »Beim Wirth.« »Beim Wirth? Wozu hat dieser Dich denn nöthig? Er ist ja hinreichend mit Dienstleut'n versehn.« »Ich geh' für ihn spazier'n. Adjes, Vorsteher!« Schnell war er zur Thür hinaus, wie vor acht Tagen der Vorsteher auch, und ging nach dem Wirthshause. »Nun, was hat er gesagt?« frug ihn sein neuer Dienstherr. »Nix hat er gesagt der Hoffahrtspinsel. Ich hab ihm die Meldung gemacht und ihn dann sitzen lass'n.« »Recht so! Nun bist' bei mir, Balzer, hast den Unterschlupf hier und ich denk', daß wir mit 'nander zufrieden sein werd'n. Du kannst gehn und kommen wie Dir's paßt, aber Alles, was Du schießest, das ist mein, und die Preis' hab ich Dir gesagt.« »Schon gut; 's ist All's in Ordnung, Wirth!« Er stieg empor in die Kammer, die ihm eingeräumt worden war und sah sich in derselben um. Es sah ärmlich genug darin aus. Er warf sich auf einen Stuhl und knirschte mit den Zähnen. »So also ist's gekommen, ganz anders, als ich's gemeint hab! Der Wirth ist aan Fuchs, der ganz wohl waaß, weshalb er mich zu sich genommen hat. Er giebt mir dies Loch, und dafür schieß ich ihm das Wild für aan Lumpengeld. Und wer ist Schuld daran? Wer anders als der Giftheiner, dem ich All's zu danken hab', die Armuth, das Elend, Hunger und Kält' und die Verachtung allorts, hier im Dorf und auch anderswo.« Er stand wieder auf und ging, um sich zu erwärmen, in dem kahlen Raume auf und ab. »Was hatt' er auf dem Teichhof zu such'n, daß er da stand und
mich niederschlug grad in dem Augenblick, wo meine Sach' am Best'n stand? Geht er etwa der Alma nach, grad wie er's mit der Alwin' gemacht hat? Das mag er nur fein bleiben lass'n, denn« – – er öffnete einen alten Koffer und nahm zwischen zerfetztem Lumpenkram einen Gegenstand hervor, den er emporhielt – –»denn hier ist noch die Flasch' von damals, und die Hälft', die große Hälft' ist noch drin. Ich hab mir's aufgehob'n, und nun mag ich sein Gesicht net länger mehr sehn. Er soll noch heut den Zahlaus hab'n. Er muß auf den Abend in den Gesangverein, und wenn er nach Haus' geht, so schlag' ich ihm die Flasch' grad auf den Kopf. Ja, so wird's gemacht, und – – –« Er hielt inne. Ein neuer Gedanke war ihm gekommen. »Aber dann bin ich doch immer der Lump, der nix hat! Geld muß ich bekommen, und weil er mich im Teichhof gestört hat, so soll er dafür das Seinig' hergeb'n. Er hat genug; er hat gespart und zusammengescharrt, der Geizhammel, und es liegt in der Truh, die in der Niederstub' steht, und dem Alt'n seines mit, das wiss'n die Leut' all und ich auch. Ich geh von hint'n in das Haus, nehm' das Geld, und wart' bis er kommt; dann geb' ich ihm die Flasch' und spring von dannen. Hier aber geh' ich bei Zeit'n schlaf'n, damit ich net in Verdacht gerath.« Der Plan war seines Meisters werth. Dieser legte sich die Werkzeuge zurecht, deren er vielleicht bedurfte, und begab sich dann in die Gaststube zurück, wo er einige verwandte Seelen fand, mit denen er sich zur Karte setzte. Als die Zeit gekommen war, schützte er große Müdigkeit vor, erhob sich und ging nach oben; heimlich aber schlich er sich dann fort. Zunächst überzeugte er sich, daß Heiner wirklich bei den Sängern sei; dann begab er sich nach dessen Wohnung. Er wußte, daß der alte Silbermann gewohnt sei, zeitig schlafen zu gehen und ihm also nicht im Wege stehen werde. Dieser aber war so munter wie noch nie. Er hatte ganz ungewöhnlichen Besuch bekommen, einen Besuch, der ihn schon nach wenigen Minuten so vollständig für sich eingenommen hatte, daß er mit Fragen und Erzählen kaum fertig werden konnte. Noch hatte nämlich Heiner sich nicht längst entfernt, so ging die Hausthür draußen und es klopfte. Auf das »Herein!« des Vogelhändlers trat eine so wunderliebliche Mädchengestalt ein, daß er sie, als sie sich aus dem Pelze geschält hatte, mit großen,
verwunderten Augen anblickte, als sei eine Fee in sein kleines Heim herabgestiegen. »Gut'n Abend, Papa Silbermann!« »Gut'n Abend! Hm, wer ist denn das?« »Ich bin die Alma vom Teichhof.« »Die Alma? Ja, ja; ich hab' Dich noch gar net so recht gesehn, und darum kannt' ich Dich auch net. Willkommen! Sag, was bringst?« »Der Mutter ihr Geburtstag ist gar bald, und da sie so Freundin ist vom Vogelgesang, so wollt' ich gern um gut'n Rath frag'n, ob ich ihr net aan Vögle kauf'n könnt'.« »Warum denn net? Was willst' denn für aan's? Ich werd' Dich gut bewahr'n!« »Ja, grad was ich für aan's will, dies waaß ich eben net; drum wollt' ich frag'n.« »So setz Dich doch 'mal nieder! Waaßt wohl auch net, was die Mutter gern hat?« »Nein.« »So nimm aan'n Kanaris!« »Der schnattert zu sehr, und Mutter ist net wohl.« »Oder aan Rothkehlchen?« »Das dauert mich. Es ist den Wald gewohnt, und da mag ich's net in die Stub' sperr'n.« »Ja, du Schalk, da darfst ja gar kaan Vögele kauf'n!« »Dies hab ich auch gedacht; aber ich wollt doch 'mal sehn, was Ihr für welche habt.« »O, Alles kannst' bei mir bekommen, Alles; aber bei Tag' mußt' da sein, weil sie des Abends schlaf'n und da darf man sie net stör'n.« »So will ich jetzt gehn und 'mal wiederkommen!« »Warum gleich gehn? Kannst immer bleib'n, so lang es Dir gefällt. Oder fürchtest' Dich vor mir?« »Vor dem Silberpapa? O nein, der thut mir nix, der ist grad so lieb und gut wie der Heiner!« »Ach so, da ist der Heiner lieb und gut? Davon hab ich noch nix gemerkt. Woher hast's denn erfahr'n?« »Ich hab's gehört und auch gesehn, drob'n auf dem Fichtler und nachher, als wir in die Stadt gefahr'n sind.« »Was! Auf dem Fichtler bist mit ihm gewes'n?« »Freilich!«
»Und in der Stadt?« »Ja. Er hat den Schlitt'n gefahr'n und dann sind wir den ganz'n Tag drin herumgelauf'n.« »Was ich da All's hör! Und davon hat er mir kaan Sterbenswort gesagt. Na wart' nur, Bursch'; bin ich der Unnütz zu Haus', der von nix zu wiss'n braucht, so sollst nun auch net erfahr'n, wer heut Abend bei mir ist!« »Gut, vortrefflich! Wir woll'n jetzt die Verschwörung mach'n geg'n ihn, daß er nix erfährt, wenn ich 'mal hier bin. Schlagt ein, Papa Silbermann!« »Auf der Stell! Hier ist die Hand, und das Komplott ist fertig. Aber willst denn wirklich wiederkommen?« »Wenn ich darf!« »Ob Du darfst? Komm nur immer, Du liebs Vögle Du! Freilich, gefall'n wird Dir's net sehr bei mir in der Männerwirthschaft. Aber das ist nun 'mal net anders; denn wo kaane Frau im Haus' ist, da giebts nur eitel Unordnung und Aergerniß. Erst hab ich net gewollt, daß er mir die Schwiegertochter bringt, und nun will er net.« »Warum denn net?« »Nun warum denn anders, als weil ihm die Alwin' noch im Kopf herumgeht!« »Ist sie denn so gar aan absonderlich Madel gewes'n?« »Das will ich meinen! Aan Madel wie aane Bachstelz, tipp tipp, zipp zipp, so wippt und schwippt sie auf und nieder, so glatt und schlank, aan Federle wie's andre, aan Schwänzle wie aane Schmerl, und aan Füßchen, aan Schnäbele, so fein und sauber, daß man nur das Netz gleich hinleg'n möcht, um das Ding zu fangen. Aber, aber – ich will weiter gar nix sag'n! Wie das von auß'n so zierlich, so adrett wippt und schnippt, so ists dann auch von innen, und der einfachst' Hänfling ist mir lieber als so aan unstät Geschöpf, wenn er auch zuweil'n 'mal auf den ›Zapp‹ verfällt.« Der gute Alte war auf sein Lieblingsthema gekommen, und verbreitete sich so ausführlich darüber, daß Alma nur selten ein Wort oder eine Frage einflechten konnte. Endlich aber fand sie doch Gelegenheit, sich zu erheben und Abschied zu nehmen. Er begleitete sie vor die Thür. »So komm ja recht bald wieder und fall' mir net! Es ist glatt' auf der Straß'!« »Will mich schon vorsehn! Also bei dem Komplott, da bleibts?«
»Versteht sich, versteht sich!« Sie ging. Er trat nicht eher in das Haus zurück, als bis ihre Schritte vollständig verhallt waren. »Sapperlot, ist das aan Madel! Dageg'n ist selber die Alwin' nur kalt Wasser. Fürchtet sich net vor der Nacht und kommt so weit herauf, um der Mutter aane Freud' zu mach'n, und ist doch so zärtlich und fein, daß man's einwickeln möcht' wie Marzipan. Ja, wer so 'mal diese Art bekommen könnt! Aber daran darf Aaner vom Dorf gar net denk'n!« Er verschloß die Hausthür und ging schlafen. Kaum war sein Kammerfenster erleuchtet, so erhob sich Balzer. Er hatte im Garten gesteckt und nur auf diesen Augenblick gewartet. Er kannte die Bauart des Häuschens nicht genau und hatte sich deshalb einen Lichtstumpf mitgebracht. Diesen brannte er an, sobald er in dem unverschließbaren Schuppen angekommen war. Der letztere war bis unter das Schindeldach mit Stroh und Reisig angefüllt; von ihm aus ging die Hinterthür in den Hausflur. Balzer untersuchte die Thür. Sie hatte kein Schloß und war von innen durch eine einfache Holzklinke zu öffnen, die in einen Haspen fiel. Er zog einen Drahthaken hervor, öffnete und trat in den Flur. Er merkte nicht, daß es hinter ihm leise zu knistern begann. Er hatte das Zündholz unachtsam von sich geworfen, so daß es in das dürre Reisig fiel. Die Stubenthür war mit einem jener alten Drehschlösser versehen, welche keinen Schlüssel, sondern einen Drücker haben, dessen Innentheil aus einer Schraubenmutter besteht, welche, um zu öffnen, an den Schraubentheil des Schlosses geleiert wird. Die Einfachheit dieser Schlösser hat zur Folge, daß sie alle mit jedem beliebigen Drücker geöffnet werden können. Balzer war auch hierauf vorbereitet. Er zog einen Drücker aus der Tasche und öffnete. Nachdem er die Thür leise wieder hinter sich zugezogen hatte, sah er sich in der Stube um. Die Truhe, welche er suchte, stand in dem hinteren Winkel. Er fand sie verschlossen und nahm nun Meisel und Zange zur Hand. Da diese Arbeit so leise wie möglich geschehen mußte, so nahm sie ziemlich lange Zeit in Anspruch. Es wurde ihm heiß dabei; daß diese Hitze noch eine andere Ursache habe, vermuthete er nicht im Geringsten. Endlich sprang der Deckel auf und sein gieriger Blick
verschlang das Innere. Hier hatte er jedenfalls eine sicherere Ernte zu halten, als im Teichhofe, denn er erblickte mehrere Schachteln, jede mit einer bestimmten Geldsorte gefüllt. Daneben lagen zwei Sparkassenbücher, ein Hypothekenschein und eine Anzahl alter Pretiosen nebst einer Uhr, jedenfalls das Eigenthum des älteren Silbermann. Noch musterte er seine Beute, da schrak er plötzlich zusammen. »Feuer, Feuer!« ertönte es draußen auf der Straße, und zu gleicher Zeit fielen krachende Schläge gegen die Hausthür. Schnell ergriff er ein Tuch, raffte Alles hinein, warf den Deckel zu, blies das Licht aus und eilte aus der Stube. Er wollte durch die Hinterthür entfliehen, blieb aber geblendet stehen, denn der Schuppen stand in Flammen, so daß das Feuer ihm den Ausgang verwehrte. Es blieb ihm kein anderer Weg, als vorn durch die Thür oder eines der Fenster; er war gefährlich genug, aber der einzige, den es gab. Er trat also in die Stube zurück und zog den Vorstecker aus dem einen Ladeneisen. Draußen hatte sich bereits eine Menge Menschen versammelt, welche einzudringen versuchte. Da dies durch die Thür nicht gelang, so versuchte man es durch die Fenster. In demselben Augenblicke, als Balzer den Vorstecker entfernte, wurde von Außen an dem Laden gezogen. Dieser fuhr auf, eine kräftige Faust schlug an das Fensterkreuz, daß die Scheiben zersprangen; das Fenster wurde eingestoßen und es stieg Jemand in die Stube, um die Hausthür zu öffnen. Er bemerkte Balzer nicht und stürzte an ihm vorüber. Dieser erfaßte den Augenblick, und während die Draußenstehenden ihr Augenmerk auf den Eingang richteten, sprang er zum Fenster hinaus und über die Straße hinüber. Heiner befand sich noch im Gesangvereinslokal als der Feuerruf erschallte. Die Sänger flogen sofort auseinander und auf die Straße. »Wo brennt's?« »Bei Silbermanns!« ertönte die Antwort. Da sprang er, wie von der Feder geschnellt, allen Uebrigen voran die Straße hinab. Eben als er den Platz erreichte, sah er Balzer aus dem Fenster springen. »Der Brandstifter! Haltet ihn!« rief er und schoß hinter ihm her. Balzer wußte, daß Heiner im Laufen ihm überlegen sei. Alles Andre war verloren, aber das Geld und die Freiheit mußte gerettet werden. Er schoß an dem Zaune des Kantors hin, bog um die Ecke und schwang sich, seinen Vorsprung benutzend, in den Garten, wo
er sich lautlos niederduckte, um den Verfolger an sich vorüberspringen zu lassen. Heiner aber war nicht der Mann, der sich täuschen ließ. Im nächsten Augenblicke sprang auch er herüber und hatte den sich wieder aufraffenden Flüchtling gerade an der verhängnißvollen Laube erreicht. Die helle Lohe beleuchtete die beiden Feinde, so daß Jeder deutlich den Haß aus dem Auge des Andern sprühen sah. »Steh fest, Feuermann; jetzt entkommst mir net, wie dort im Teichhof!« »Denkst? Hab' Acht, Giftheiner, jetzt gilts!« In die Tasche langend, riß er die Flasche heraus, schwang sie hoch empor – – – »Her mit der Waff'!« rief Heiner, bäumte sich auf, riß ihm die Flasche aus der Faust und schlug sie ihm selbst auf den Schädel nieder. Wie im Teichhofe, brach der Getroffene lautlos zusammen. Dies Alles war das Werk eines Augenblickes gewesen, so daß Diejenigen, welche seinen Ruf gehört hatten und gefolgt waren, erst jetzt an seiner Seite anlangten. »Hier liegt er; es ist der Balzer. Nehmt ihn fest und verwahrt die Sach', die er gestohl'n hat!« gebot er und eilte über den Zaun wieder hinüber in das bereits brennende Haus. Dort hörte er den Ruf seines Vaters. »Laßt All's verbrennen, All's, nur schafft mir die Vög'l hinaus, daß die armen Dinger net elend umkommen! Wo ist der Heiner? Ist er noch net da?« »Hier bin ich, Vater! Hast' das Geld?« »Nein; es ist fort; die Truh' ist erbroch'n.« »So ist's net verloren. Ich hab' den Brandstifter festgenommen und er hat's noch bei sich.« Der angestrengten Thätigkeit der Rettenden gelang es, den größten Theil des Silbermann'schen Eigenthums zu bergen, das Häuschen selbst aber brannte vollständig nieder. Einer der Nachbarn trat zu Heiner. »Hast' für den Augenblick Zeit?« »Wozu?« »Sollst hinauf zum Kantor kommen.« »Zu dem? Was will der mit mir?« »Wirst's schon sehen. Geh' nur, er läßt Dich ganz freundlich bitt'n.«
Heiner drängte sich durch die Menge und betrat das Schulhaus seit langen, langen Jahren zum ersten Male wieder. Schon auf der Treppe vernahm er ein wüstes Geschrei, untermischt mit ganz entsetzlichen Klagelauten. Gerade auf demselben Sopha, wo damals der verletzte Kantor gelegen hatte, wand sich jetzt Balzer unter den fürchterlichsten Schmerzen und bot ganz denselben Anblick, wie ihn der Kantor gehabt hatte. Dieser trat mit seinen blöden Augen auf den Angekommenen zu. »Bist's, Heiner?« »Ja.« »Ich hab' Dich zu mir geboten, um Abbitte zu thun.« »Wofür?« »Für alles Leid und Unrecht, welches ich Dir verursacht und angethan habe. Schau, dort liegt der Balzer, vor Schmerzen fast wahnsinnig, und seine Qualen haben ihm das Geständniß ausgetrieben. Die Säure hat damals Dir gegolten, aber mich getroffen; er hat es aus Eifersucht gethan. Auf dem Teichhof ist er eingebrochen, wo Du ihn vertrieben hast, und heut wollte er Dich erst bestehlen und Dir dann mit der Säure das Gesicht nehmen. Er hat sie sich zu diesem Zwecke so lange aufgehoben; Du aber hast die Waffe umgedreht, und nun liegt er da, ein Zeugniß des gerechten Strafgerichtes des Höchsten, der jede Schuld gerade in derselben Weise bestraft, in welcher sie begangen wurde. Kannst Du mir vergeben?« Heiner schlug tieferschüttert in die dargebotene Hand ein. »Ich kann und will, Herr Kantor! Ich bin zwar bös und zornig auf Euch gewes'n, aber gehaßt hab' ich Euch doch niemals net; dazu hab ich Euch zu viel zu verdank'n« »So mag die alte gute Nachbarschaft von Neuem zwischen uns bestehn! Eure Wohnung ist verloren. Kommt herüber zu mir bis sich eine bessere Aushülfe gefunden hat.« »Ich nehme es an und werde auch den Vater herüberschicken!« Die Kunde von dem Schicksale Balzers ging von Mund zu Mund, doch seine Höhe hatte es noch nicht erreicht. Der Gensdarm stellte sich ein, hörte die Aussage der betreffenden Zeugen, vernahm auch seine eigene Anklage, die er laut brüllend unter Flüchen und Verwünschungen ausstieß, und befahl, ihn zum Vorsteher zu transportiren. Alles wich dem Verruchten aus, als er durch die Menge halb getragen, halb geschleppt wurde, und mit Schaudern
vernahm man noch von Weitem seine gellende Stimme, mit welcher er bald Heiner, bald sich und bald Gott selbst die Schuld an seinen Qualen beimaß. Der Erstere stand in der Nähe des niedergebrannten Hauses und starrte düster in den noch immer glühenden und qualmenden Schutt. Da legte sich eine kleine Hand auf seinen Arm. »Heiner!« Er drehte sich um. »Alma!« »Ja, ich bin's. Ich hab' mich von dem Knecht herführ'n lass'n, um Dir die Botschaft zu bringen von der Mutter.« »Welche?« »Du sollst zu uns kommen mit dem Vater und bei uns wohnen, so lang als es Euch gefällt.« »Alma, ist's wahr?« »Ja. Die Mutter sagt, ich soll Dich zu niemand Anders lass'n.« »Ich kann's net annehmen. Ich mach' Euch Last und Unruh'.« »Nein. Der Hof ist groß und hat mehr Raum als nur für Euch. Und wenn Du meinst, daß Du uns überflüssig bist, so kannst' ja Hofmeister oder Verwalter sein, bis Du wieder aufgebaut hast oder 'was Bessers findst!« »Bleib stehn, Alma; ich muß den Vater frag'n!« Er suchte diesen auf und traf ihn, als er eben aus dem Schulhause trat. »Bist' einig geword'n mit ihm, Vater?« »Net gern. Aber was will ich mach'n? Du hast A gesagt, so muß ich wohl B sag'n. Er giebt uns die zwei Seitenstub'n, und so lass'n wir die Sach'n gleich heraufschaff'n.« »Oder auch net.« »Warum?« »Es ist uns noch 'was Anders angebot'n word'n.« »Von wem?« »Von der Alma auf dem Teichhof.« »Von der Alma? Die kenn' ich doch gar net! Wer ist's?« »Die Tochter. Die Herrin läßt uns sag'n, wir soll'n bei ihr bleib'n, so lang es uns gefällt. Und wenn ich will, so kann ich Hofmeister oder Verwalter sein.« »Du? greif zu, Heiner! So 'was kommt net alle Tag', und beim Kantor hätt' ich mich in alle Ewigkeit net wohl gefühlt. Der
Vogelsteller paßt net zu ihm. Geh' hinauf und sag's ihm ab!« Heiner that dies und kehrte dann zu der seiner harrenden Alma zurück. »Nun, hast gefragt?« »Ja. Wir kommen auf den Hof.« »Das ist gut, Heiner! Ich geh gleich wieder nach Haus' und schick die Leut' herbei, um Deine Sach'n zu hol'n. Das ist bald gemacht; Hülf' ist ja auch noch andre da, und so wird der Einzug schnell fertig werd'n.« Sie ging mit dem Knechte zurück und bald langten vom Teichhofe drei Wagen an der Brandstätte an, auf welchen die geretteten Sachen recht gut Platz hatten. Als aufgeladen war, ging es das Dorf hinab – einer neuen, schönern Zukunft entgegen, wie es Heiner dünkte. Am Hause des Vorstehers hielt ein Schlitten, in welchen soeben der Gensdarm seinen Gefangenen laden ließ. Die Augen waren ihm zerstört, so daß er nichts mehr sehen konnte, und ein leises Wimmern gab Zeugniß, daß die Schmerzen noch nicht aufgehört hatten. Heiner mußte unwillkürlich an jene Worte denken, welche Balzer ihm auf dem Fichtelberg zugeworfen hatte: »Ich streich' die Rechnung net eher, als bis ich Dich net mehr zu sehn vermag!« Es war ihm nun ganz wörtlich sein Recht geschehen. Im Teichhofe kam ihnen Alma entgegen und entschuldigte die Mutter, daß sie nicht zugegen sein könne, da sie sich leidend fühle. Dann wies sie ihnen die Zimmer an und war ganz besonders für die Unterbringung der Vögel besorgt, was die erworbene Zuneigung des alten Mannes um das Doppelte erhöhte. Nun kamen Tage des Schaffens und der Sorge. Das Häuschen war versichert gewesen und der Schaden, den das Feuer verursacht hatte, also nicht bedeutend; aber es mußte doch gar viel überlegt, geordnet oder verändert werden, und wo es dabei einer weiblichen Hülfe bedurfte, war Alma stets bei der Hand. »Heiner, ist sie wirklich Komtess' gewes'n, eh' sie auf den Teichhof kam?« »Ja, Vater. Sie ist's net nur gewes'n, sie ist's auch noch.« »So giebt's auf der ganz'n Welt kaane schön're, liebere und bess're Komtess' als sie. Aber ich wollt' doch, sie wär' aan Bauermadel!« »Warum?« »Hm, darum! Ich werd' mich hüt'n und werd's sag'n, es nützt
doch nix. Aber nun siehst' ja selber, was die Frau in der Wirthschaft zu bedeut'n hat, besonders wenn dem Mann das Haus abbrennt. Ohne sie kann er sich aus dem Wirrwarr gar net herausfind'n, und das ist sehr leicht zu erklär'n, denn wo kaane Frau im Haus' ist, da giebt's nur eitel Unordnung und Aergerniß!« »So heirath' doch; ich hab' Dirs ja schon oft gesagt!« »Hör', Bursch', komm' mir net so, denn – – aber was ist denn das? Ich glaub gar, da kommt der Kantor! Da mach' ich mich aus dem Staub!« Wirklich trat der Genannte ein. Die Angelegenheit, welche ihn herbeiführte, mußte ihm am Herzen liegen, sonst hätte er mit seinen schwachen Augen nicht den ungewohnten Weg nach dem Teichhofe gesucht. Er hatte nach der Wohnung Heiners gefragt, und eine der Mägde brachte ihn herbeigeführt. »Grüß Gott, Heiner! Darf ich Dich einmal besuchen?« »Gern, Herr Kantor. Ich bin zu sehr in Geschäft'n gewes'n, sonst wär' ich schon längst 'mal zu Euch gekommen.« »Das konnte ich mir denken. Aber nun bist Du wohl einigermaßen in Ordnung?« »Leidlich, ja.« »Dann möchte ich eine Bitte aussprechen.« »Welche?« »Du weißt, wie hoch mir Deine Kantate gilt. Sie ist meine beste Komposition. Alter und Schicksal haben es nicht gut mit mir gemeint, und ehe ich sterbe, möchte ich sie gern noch einmal hören. Mache mir die Freude und übernimm wie früher den Solotenor!« »Wenn es Euch wirklich Freud' macht, so will ich es von Herz'n gern thun!« »Hab Dank, Heiner!« Er ergriff die Hand des jungen Mannes. »Und nun will ich Dir Eines sagen: wenn heut Alwine lebte und Du begehrtest sie zum Weibe, ich gäbe sie niemanden lieber als Dir!« Er wankte hinaus. Heiner führte ihn bis vor den Hof. Alma bemerkte es und kam herbei. »Was hat der Kantor bei Dir gewollt, Heiner?« »Ich soll die Kantat' mitsingen.« »Und hast' zugesagt?« »Ja.« »So mußt' aber auch all' Tag' mit mir zu ihm in die Uebung gehn! Willst?«
»Nimmst mich denn gern mit?« »Ungern net, aber gern!« lachte sie und schlüpfte fort. So kam es auch. Wenn die Dämmerung hereinbrach, wanderten sie nun täglich zum Kantor und nach der Uebung wieder zurück. Dabei legte sie vor dem Dorfe immer ihren Arm in den seinen, damit sie im Schnee nicht strauchle. Das waren selige Gänge für Heiner, denn dann war er mit ihr allein und konnte immer tiefere Blicke thun in den Reichthum ihres reinen, engelhaften Gemüthes. Auf einem der Nachhausewege frug sie, mitten im Gespräch abbrechend: »Wer singt den Sopran besser, Heiner, die Alwin' oder ich?« »Du.« »Warum?« »Weil Du im Herz'n stets Weihnacht'n hast; das klingt dann ächt und wahr. Nur Aans ist der Alwin' besser gelungen, weil ihre Stimm' größ're Macht gehabt hat, nämlich die Arie ›Ich verkünde große Freude.‹ Das muß wie Engelsruf über alle Felder und Hirt'n hinwegbraus'n, und dazu ist Dein Organ zu zart.« »Und nun sag' auch, mit wem hast' lieber gesungen, mit ihr oder mit mir?« »Frag' den Kantor!« »Wie so?« »Er sagt, daß ich mit Dir besser sing' als mit der Alwin!« »Aber auf sie hast' Vers' gemacht!« »Warum, das hab ich Dir schon gesagt als wir damals zur Stadt fuhr'n.« »So darfst' bei mir net?« Sie schlang die Hände über seinem Arm zusammen und hob ihr liebes Gesicht zu ihm empor. »Nein!« »Aber ich hab' dich doch gerade damals darum gebet'n, Heiner!« »Ich – ich darf net.« »Sie schwieg nachdenklich, dann rezitirte sie halblaut: ›Es war ihr Bild, nein, nicht ihr Bild, Sie selbst war's, doch verklärt. Und nun ist aller Schmerz – – –‹« »Alma!« fiel er erschrocken ein; »wo hast' dies Gedicht her?«
»Gefund'n?« »Wo, sag' wo! Ich hab's verlor'n oder versteckt und überall vergebens gesucht.« »Willst' es wieder hab'n oder darf ich es behalt'n?« »Ich kann Dir's net lass'n, ich darf Dir's net lass'n. Gieb's wieder zurück!« »Bitt, Heiner, laß es mir!« »Nein, nein, es gehört mir!« »Dir! Und ich hab gedacht, es sei Jemand damit gemeint. Geh, Heiner, Du hast mit der Alwin' viel lieber gesungen als mit mir! Willst es gleich hab'n, das Gedicht?« »Ja,« antwortete er zögernd und gepreßt. »Da, nimm!« Sie blieb stehen und zog an einer Schnur, die am Halse unter dem Kleide verlief. Es hing ein Medaillon daran, welches sie öffnete; es lag nichts als ein zusammengebrochener Zettel darin. »Ist es das, Alma?« »Ja. So nimm doch!« Er zögerte. »Und wirst' dann bös auf mich sein?« »Nein; das kann ich nie!« Er hörte das leise Beben ihrer Stimme; er sah, daß die treuen, klaren Augen wie flehend zu ihm emporschauten, und neigte sich zu ihr nieder. »Alma,« sprach, nein, flüsterte er in jenem Tone, den man im Leben nur einmal kennt, »Hast' erfahren, was Dein Nam' bedeutet?« »Ja, er heißt Seele.« »Und kein andrer Nam' hätt' für Dich gepaßt, so viel' tausend es auch giebt.« Er zog sie an sich, und beinahe zitternd zwischen Hoffen und Fürchten erklang die leise, innige Frage: »Sag', Alma, willst' meine Seele sein, mein Glück, mein Leb'n und meine Seligkeit, jetzt und immerdar?« »Darf ich denn, Heiner?« »Ob Du darfst? Sag' ja, Alma, sonst waaß ich net, was mit mir wird; ich muß eingehn, wie der Baum ohne Land, ich muß sterb'n, wie die Blum' ohne Sonne oder wie der Gedank' ohne das Wort, das ihn umschließt. Alma, Du hast mir den Tag wiedergegeb'n nach langer Nacht, laß es net wieder dunkler werd'n als es zuvor war! Sag' also, magst' meine Seele sein?«
»Ja!« hauchte sie unter unaussprechlicher Wonne. Er umarmte und er küßte sie nicht, aber er legte ihren Kopf an sein Herz und strich ihr mit der Hand lind über das volle, seideweiche Haar, welches unter dem zurückgefallen Kapuchon hervorquoll. »So leg' Dein Köpfle hierher, Du Engel Du; da soll er ruh'n und sicher sein vor allem Leid so lang mein Leben währt!« Er hatte wie im Schwur die Hand erhoben, und der Sternenschein flimmerte in einer Thräne, die an seiner Wimper hing. Dann hüllte er sie sorgfältig ein, zog ihren Arm in den seinen und nahm den unterbrochenen Weg wieder auf. Kein Wort wurde weiter gesprochen; aber als er, im Hofe angekommen, sie von sich ließ, frug er: »Sagst' es der Mutter?« »Ja.« »Darf ich nachher zu ihr kommen?« »Nein, Heiner. Sie wird Dich rufen lass'n! Willst' das Gedicht noch wieder hab'n?« »Behalt's, Alma! Ich hab's auf Dich gemeint gleich damals, als Du mich auf dem Fichtler trafst.« Es war eigenthümlich. Er hatte die Herrin des Hofes erst ein einziges Mal gesehen, damals, als er dem Balzer nachging. Er fühlte ihr Wohlwollen, ihr freundliches Sorgen und Wirken Tag für Tag immer deutlicher, aber nur aus der Ferne. War sie wirklich so sehr krank, daß ihr ein kurzes Zusammensein mit Andern unmöglich wurde? So kam das Weihnachtsfest heran, an dessen erstem Feiertage die Kantate öffentlich aufgeführt werden sollte. Die Kirche sollte ihren Raum dazu hergeben, und man wußte, daß aus der ganzen Umgegend eine zahlreiche Zuhörerschaft dazu herbeiströmen werde. Am heiligen Abende war Hauptprobe. Sie war für den Nachmittag angesetzt und verlief zur vollständigen Zufriedenheit aller Betheiligten. Als sie beendet war, trat Alma zum Kantor. »Herr Kantor, darf ich eine Bitte aussprechen?« »Sprich, mein Kind!« Er hatte ihr seine ganze Liebe geschenkt und, wenn sie auch nur zeitweilig bei ihm sein konnte, in ihrem Umgange Ersatz für die Verlorene gefunden.
»Mama hat so viel Schönes von der Kantate gehört und kann doch nicht zur Kirche kommen; da läßt sie fragen, ob Sie nicht die Güte haben und heut Abend für ein Stündchen zu uns kommen wollten. Wir haben ein sehr gutes Instrument, und ich und Heiner könnten ihr Einiges vortragen!« »Ich würde sehr gern kommen; aber der Weg und meine Augen – – –« »Wir schicken den Schlitten, Herr Kantor.« »Gut, so will ich zusagen!« Er war einigermaßen neugierig, die Besitzerin des Teichhofes kennen zu lernen, die noch kein Bewohner des Ortes zu Gesicht bekommen hatte, und fuhr, als der Schlitten anlangte, seiner Bestimmung mit reger Erwartung entgegen. Heiner empfing ihn und nahm ihn zunächst mit zu sich. »Nehmt zunächst bei mir aan Glas Wein, Herr Kantor! Man ist drüb'n noch zu sehr mit Anordnung der Bescherung beschäftigt.« Es dauerte jedoch nicht lange, so kam Alma um sie zu rufen. Sie wurden in das Musikzimmer geführt. Heiner hatte diese renovirten und neu ausgestatteten Räume noch nicht betreten. Er und noch mehr sein Vater erstaunten über den Reichthum, welchen der Teichhof jetzt in sich schloß. Der Kantor bemerkte davon nichts; er suchte mit seinen kranken Augen nach der Herrin des Gutes. Diese erhob sich aus einer Ottomane, welche durch die farbigen Lichtschirme im Dunkeln gehalten wurde, und bewillkommnete die Gäste mit ihrer leisen und, wie es schien etwas belegten Stimme. Dann nahm man Platz. Der Kantor setzte sich an das wirklich prachtvolle Instrument und Alma und Heiner sangen zu seiner Begleitung abwechselnd oder im Duett. So waren sich die Vorträge schon eine ganze Weile gefolgt, da bat Alma auf einen Wink der Mutter: »Nun noch die Engelsarie, Herr Kantor!« »Warum diese, Kind?« »Weil sie den Eingang zur Weihnacht bildet, und dann will Mama bescheren.« »So mag es sein. Aber schone Deine Stimme, damit sie morgen nicht versagt!« Er griff in die Tasten. Das rauschte und brauste, das wogte und schwirrte, als sei der Himmel geöffnet und sende die Menge seiner Heerschaaren zur Erde nieder. Dann löste sich aus dem wallenden
Tonmeere ein großgezeichnetes Thema, wiederholte sich und wechselte in den verschiedensten Gestaltungen, umwob sich mit glanzvollen Harmonien und begann dann nach einer ahnenden Pause: »Ich verkünde große Freude, Die Euch widerfahren ist, Denn geboren wurde heute Euer Heiland Jesus Christ!« Während der Einleitung war Alma zu dem Armleuchter getreten, um die Schirme zu verstellen. Ihre Mutter hatte sich erhoben und ihre Stelle eingenommen. Sie sang. Erst wie unsicher und im Mezzoforte; nach und nach aber schwoll dieses zum festen, entschiedenen Forte an, so daß der Kantor erstaunt aufhorchte. Als er aber zu rascherem Tempo überging und hinter ihm das »Jubelnd klingt es durch die Sphären, Sonnen künden's jedem Stern; Weihrauch duftet auf Altären, Glocken klingen nah und fern,« mit einer Energie und in einem Tone erscholl, der wie Orgel- und Glockenklang das Zimmer erfüllte und nicht aus einer weiblichen Brust, sondern aus eherner, metallener Tiefe zu kommen schien, da riß es ihm vom Stuhle empor und zu der Sängerin herum. »Alwine!!!« »Vater!« Seine Stirn zuckte unter den sie durchkämpfenden finsteren und hellen Gedanken; seine Augen wollten zornig aufblitzen ohne es zu vermögen, aber sein Herz hatte den Armen schon ihren Weg gezeigt; sie lagen um die Wiedergefundene und zogen sie an die halb widerstrebende, halb freudig klopfende Brust. »Kannst Du mir vergeben?« Seine Hände lösten sich wieder von ihrer Schulter. »Du hast mich und Dich verlassen!« »Dich, Vater, mich aber nie, nie!« »Beweise es!« »Höre meine Erlebnisse, aber nicht jetzt, sondern später! Ich war
leichten Sinnes; meine Verblendung und die gefürchtete Verbindung mit dem Balzer trieb mich fort; nie aber habe ich mich und meine Ehre verschenkt. Dich habe ich verlassen und den Heiner verrathen, aber tausendfaches Leid ist mir gefolgt. Vergebt mir! Ich bringe Euch wieder, was ich Euch raubte, vielleicht noch mehr als das: ein herrliches, reines und schuldloses Gemüth, welches nie ein Hauch der Sünde trüben dürfte, Alma, die Ihr ja schon liebt. Ich mißachtete Eure Einfachheit und wurde eine gefeierte Sängerin, später sogar das rechtmäßige Weib eines Grafen. Die Gräfin kehrt, zur Erkenntniß gelangt, zu Euch zurück, wirft den Titel hinter sich und will von Euch das von sich gestoßene Glück, den verlorenen Frieden erflehen. Werdet Ihr unbarmherzig sein?« Die Hülle war ihr entfallen und sie stand vor ihnen in all der Schönheit, mit der sie ihr Talent emporgetragen und die sie trotz der langen Jahre nicht verloren hatte. Sie war nicht matt, nicht krank; sie hatte das Unwohlsein nur vorgeschützt, um bis heut verborgen bleiben zu können; der Eindruck, den sie machte, mußte jedes feindliche Gefühl verscheuchen. »Heiner, bist Du groß genug, mir zu verzeihen!« Er lehnte an der Wand, bleich wie diese selbst; er wollte sprechen und konnte nicht, und erst als Alma seine Hand erfaßte, da löste sich der Bann von seiner Brust. »Alwin', sei glücklich. Ich verzeihe Dir!« »Und Du, Vater? Du kannst der Tochter nicht das Geschick bereiten, welches ihre Briefe gefunden haben! Du wolltest mich als Teichhofbäuerin sehen; jetzt bin ichs. Zürnst Du noch?« »Alwine, Du hast mich besiegt!« Und aus seiner Umarmung heraus bot sie auch Silbermann die Hand. »Wollen wir wieder Freunde sein?« Dem alten Manne standen die hellen Thränen in den Augen. »In Gottes Namen, Alwin'. Ich hab wahrhaftig net geglaubt, daß so aan brav Weibsbild aus Dir werd'n könnt!« »So kommt denn zur Bescherung!« Die Flügelthüre öffnete sich und der helle Glanz eines reichbehangenen Tannenbaums strahlte ihnen entgegen. Unter demselben war ein Berg von Geschenken aufgehäuft. Durch die entgegengesetzte Thür drängte sich das Gesinde herbei und empfing Gaben, welche ihre Erwartung übertrafen. Das stimmte zum Jubel.
Die noch ernste Miene des Kantors heiterte sich auf, als die Knechte und Mägde voller Witz und Zufriedenheit mit ihrer Beute abzogen. »Jetzt sind wir wieder unter uns,« begann Alwine, »und können nun auch an uns denken. Ich habe Dich wieder, Vater, das ist mir das köstlichste Weihnachtsgeschenk; und Du? Hier nimm; das ist Dein!« Sie schob ihm Heiner zu. »Er wird Dir ein besserer Sohn sein, als ich Dir eine Tochter war.« Dann nahm sie Alma bei der Hand. »Ihr, Vater Silbermann, sollt Etwas erhalten, was Ihr Euch schon längst vergeblich gewünscht habt. Wo keine Frau im Hause ist, da ist eitel Unordnung und Aergerniß; nehmt Alma hin und sorgt dafür, daß sie an Heiner gut macht, was ich an ihm gesündigt habe. Seid Ihr zufrieden mit dieser Schwiegertochter?« »Na und ob! Gotts Blitz, wenn sie net dem Heiner seine Frau werd'n sollt, so nähm ich sie am Liebst'n gleich für mich selber!« »Und Du, Heiner, Du bist mit den Andern schon beschenkt genug; aber hier ist noch etwas ganz Besonderes für Dich. Das Honorar liegt hier unter dem Baume.« Sie hielt ihm einen Prachtband entgegen, auf dessen Vorderseite die goldene Inschrift flimmerte: »Gebirgsklänge, von Heinrich Silbermann.« Sie hatte ihr Wort gehalten und die Herausgabe seiner Gedichte vermittelt. Neben diesen Herzensgaben gab es noch eine ganze Menge anderer Ueberraschungen, die alle für die Bedürfnisse der Empfänger berechnet waren. Diese einzige Stunde ließ alles Vergangene versinken, und sogar der alte Silbermann gab nach, als er von Alma überrumpelt wurde: »Silberpapa, hast' dem Kantorgroßvater auch schon das ›Gimpelpack‹ verziehen?« »Noch net, Goldkind Du.« »So thu's ja gleich, nachher bekommst' auch den erst'n Kuß von mir!« »Ist's wahr?« frug er ungläubig und dennoch sich unwillkürlich den Mund wischend. »Ja, aber sofort mußt's thun!« »Na, um diesen Preis verzeih' ich aller Augenblick' noch ganz andre Ding'. Hier ist die Hand, Nachbar; nun mag wirklich und von Herz'n Friede sein!«
Er empfing schmunzelnd die verheißene Belohnung. Sie war ihm ein überreicher Ersatz für das schöne Komplott, aus dem nun doch nichts werden konnte. Keine noch so leise Erinnerung an längst vergangenes und nun vergebenes Unrecht trübte die Freude des Abends, und selbst Balzer, der sicher einer lebenslänglichen Gefängnißstrafe entgegenging, wurde ohne besondere Härte erwähnt. Als man aufbrach und Heiner sich für einige Augenblicke mit der Geliebten allein sah, meinte er: »Nun hast' das Gedicht von mir, brauchst mir aber trotzdem net zu sag'n, woher Du All's so gut gewußt hast. Ich hätt' nimmermehr gedacht, daß so viel Leid noch solch aan gutes End' nehmen könnt! Doch sag', muß ich den ersten Kuß bis zur Hochzeit aufheb'n?« Sie lächelte ihm glücklich zu. »Hast' in net schon auf dem Fichtler dreifach erhalt'n?« »Das galt net mir; das war aus Mitleid für den Stieglitz.« »Soll ich dann auch solch Mitleid hab'n mit Dir?« »Ich bitt' gar schön darum!« Die Bitte wurde gewährt, und diese Mildthätigkeit schien die beiden Leute so in Anspruch zu nehmen, daß Papa Silbermann, der den Kantor bis an den Schlitten begleitet hatte, eine Erinnerung für nöthig hielt. »Wo steckst' denn, Heiner?« frug er von unten herauf. »Ja, wo aane Frau ins Haus kommt, da giebt's nur eitel Säumniß und Honigkuch'n. Oder soll etwa der Nachbar auf die Gut' Nacht von Dir wart'n, bis die Pferd' angefroren sind?«
Im Sonnenthau Erzählung aus dem Erzgebirge von Karl May
Es war gegen Abend. Ein Wanderer, das volle Ränzchen auf dem Rücken und den Knotenstock in der Hand, schritt jugendlich elastischen Schrittes die Bergstraße dahin, welche in zahlreichen Windungen das Plateau der Höhe zu erreichen suchte. An einer Stelle, wo ein schmaler Waldpfad in die Chaussee mündete, blieb er nachdenkend stehen. »Das muß der Steg sein, der grad' auf die Forstschenk' führt. Ich werd' ihn geh'n, denn dann schneid' ich eine gute Viertelstund' von der Wanderung ab!« Er sprang über den Chausseegraben und betrat den Wald, der hier frei von Unterholz war, so daß man dem Steige, welcher in grader Richtung emporstieg, gut zu folgen vermochte. So einsam es hier auf und zwischen den Bergen zu sein pflegte, nach einiger Zeit vernahm er entgegenkommende Schritte. Der biedere, treuherzige Gebirgsbewohner schreitet selbst an den Fremden nicht gern schweigsam vorüber; er muß wenigstens einen theilnehmenden Gruß mit ihm wechseln. Der Kommende war ein alter Mann, welcher den steilen Abhang nur mühsam hinabzusteigen vermochte. »Grüß Gott, Alter!« »Grüß Gott! Wohin, junger Mann?« »Nach Gründorf hinauf.« »Da hast' noch anderthalb Stund' zu gehn. Mach' schnell, eh' der Abend kommt, damit Dir nix passirt!« »Nix passirt? Ist denn Gefahr dabei?« »Kann sein! Bist wol fremd in der Gegend?« »Ich war mehrere Jahr' net hier.« »So weißt' auch nix von dem Grenzmeister?« »Nein. Was ist mit ihm? Vor zwanzig Jahr'n hat er 'mal sein Wes'n hier gehabt.« »Und jetzt nun wieder. Die Schmuggler und Wildfänger sind ihm unterthan; Niemand weiß, wer er eigentlich ist; aber er macht seine Sach' so schlimm und verweg'n, daß der König sogar Militair hergeschickt hat, um ihn zu fangen. Beim Wies'nbauer in Gründorf liegt der Offizier.« »Habt Dank für die Warnung! Geht dieser Steg zur Forstschenk' hinauf?« »Ja. Wirst dort Gesellschaft find'n. Der Offizier sitzt da, um von dem Umgang auszuruhn, und bei ihm der blinde Thorbauer aus Gründorf. Er ist in der Stadt gewes'n. Kannst vielleicht noch mit
Platz find'n auf seinem Rollwägele. Gut' Nacht!« »Gut' Nacht!« Der Jüngling stieg von Neuem bergauf. Nachdem er mit dem Pfade mehrere Straßenkrümmungen durchschritten hatte, stand er auf der Höhe und sah die Forstschenke vor sich liegen. Er nahte ihr von der Waldseite und trat durch die Hinterthür ein, um sich von der anwesenden Wirthin ein Glas Bier geben zu lassen. Er nahm in der Nähe des offenstehenden Fensters Platz und bemerkte einen draußen haltenden Korbwagen, an welchem der theilnahmslos vor sich hinblickende Knecht lehnte. An dem vor der Thür in die Erde eingemauerten Tische saßen die Beiden, von denen der Alte gesprochen hatte. Der Lieutenant war einer jener Schüler des Mars, die ihre wohlkosmetizirte Erscheinung für ebenso unwiderstehlich halten wie die Klinge ihres Degens; das war ihm auf den ersten Blick anzusehen. Von seinem stutzerhaften Aeußern stach die hohe, einfache und schlicht gekleidete Gestalt des Thorbauern, aus dessen Gesicht zwei leb-und ausdruckslose Augen starrten, gewaltig ab. Sie hatten das Erscheinen des jungen Mannes nicht bemerkt und fuhren in ihrer laut gepflogenen Unterhaltung ungenirt fort. »Ja,« meinte der bei ihnen stehende Wirth, »Eure Red' in aller Ehr'n, aber es können noch dreimal so viel Soldat'n kommen, wie Ihr habt, dem Grenzmeister kommt Ihr doch net bei. Ihm ist die ganze Grenz' hier unterthan, davon hat er doch auch den Namen; seine eignen Leut' wissen net, wer er ist, aber gehorsam sind sie ihm auf jedes Wort und jeden Wink, denn es soll gar schrecklich sein, mit ihm Feind zu werd'n. Drum steht er auch sonst überall gewaltig in Respect, so daß auch der beste Unterthan net wagt, etwas geg'n ihn zu thun. Wer's dennoch unternimmt, der ist verlor'n. Ihr habt ja selber die Leich'n gefunden von denen, die ihm in den Weg gekommen sind. Es ist grad wie vor zwanzig Jahr'n. Wer ihn in Gefahr bringt, der muß sterb'n oder wird geblendet. Der Schubert hier kann auch ein Wörtle davon red'n!« »Wieso?« frug der Offizier. »Weil grad' auch ihm der Grenzmeister das Aug'nlicht genommen hat.« »Euch, Thorbauer? Ist das wahr?« »Leider!« antwortete dieser, während es halb wie Trauer sich über sein Gesicht legte, halb wie Grimm über dasselbe zuckte.
»Erzählt, erzählt. Das muß ich hören!« »Ich muß Euch sag'n, daß ich auch Soldat gewes'n bin. Ich war Korporal und wurd' nachher hier bei der Grenz' angestellt und in Gründorf stationirt. Der damalige Thorbauer hatt' das einz'ge Kind, die Anna, das schönste und liebste Madel weit und breit, und es dauerte net lang, war ich mit ihr eins.« »Und hast sie auch bekommen,« fiel der Wirth ein, »obgleich der Wies'nbauer sie Dir wegschnapp'n wollt' und ihr nachgegangen ist auf Schritt und Tritt. Er war kurz vorher aus dem Zuchthaus entlassen und wär' vielleicht noch heut nix werth, wenn er die Wies'nbäuerin net bekommen hätt'. Sie war Wittwe, hatt' nur das einz'ge Kind, den Heiner, und bracht' ihm das Anwes'n mit, das er so viel vergrößert und verschönert hat.« »Wie! Der Wiesenbauer, bei dem ich wohne, hat im Zuchthaus gesessen?« frug der Offizier überrascht. »Ja,« antwortete der Wirth mit zweideutigem Lächeln, »aber er wird's Euch nur net gesagt hab'n. Er war auch an der Grenz' angestellt; aber es kam heraus, daß er's im Stillen mit den Paschern hielt und viel Geld von ihnen bezog. Das hat ihn auf mehrere Jahr' hinter Schloß und Riegel gebracht. Schad' um die Wies'nbäu'rin, die mit ihm ein grausam schlimmes Loos gezog'n hat, und um den Heiner, der so gut und brav ist wie nur irgend Einer und nur den Sclav' und Leibeig'nen gemacht hat, bis er zum Militair gezog'n wurd. Dess' ist er froh gewes'n und hat sich auch net ein einzig Mal auf Urlaub blicken lass'n. Er muß nun bald los sein.« »Morgen kommt er, wie mir der Wiesenbauer sagte,« meinte der Offizier. »Aber, fahrt jetzt fort, Schubert!« »Also,« erzählte dieser weiter, »die Anna war reich, deshalb wollt' ich's gern vorwärts bringen und gab mir alle Müh', meine Pflicht und noch mehr zu thun. Der Grenzmeister hatt' grad angefangen, das Gebirg' unsicher zu mach'n, und ich lag Tag und Nacht im Wald', um ihm das Handwerk zu leg'n. Das hat er auch gewußt, denn es ist mir gar manche Drohung von ihm zugegang'n, aber es ist mir net eingefall'n, darauf zu hör'n. Da geh' ich 'mal am Abend beim alt'n Schacht vorüber, den sie vor Zeit'n zugeschüttet hab'n, und seh darüber eine Helligkeit, als ob ein Feuer drunt'n angemacht sei. Leis' schleich ich mich hinzu, kriech' die Böschung hinauf und leg' mich auf den Schutt, um in den Zusammenbruch hinabzuschaun. Drunten sitz'n acht Männer um das Feuer; die
Büchs'n lieg'n bei ihnen und die Packete auch, welche Schmuggelgut enthalten hab'n. Ich will gern hör'n, was sie sprechen, und ich schieb mich deshalb noch etwas weiter vor. Da aber giebt das Geröll nach, rollt hinab, und ich schieß hinunter, mitt'n unter sie hinein. Im Nu sind sie über mich her, und ich bin gefesselt und geknebelt eh' ich mir's verseh'. Gekannt hab ich net einen Einzigen von ihnen, sie mich aber auf der Stell'!« »Holla, der Schubert!« hat's gerufen. »Wie gut, daß Keiner aus Gründorf dabei ist! Er will net auf uns're Warnung hör'n, und nun müss'n wir ihn dem Meister bringen.« »Ob ich gewollt hab' oder net, das war ganz gleich; sie hab'n mir die Augen verbund'n und mich mit sich fortgeschleppt. Es ist immer durch Busch und Wald gegangen, bis wir endlich an einem Ort gehalten hab'n, wo der Bod'n weich und moosig gewes'n ist und es einen Geruch ringsum gegeben hat, den ich noch nie gefund'n und mir nachher scharf eingeprägt hab.« »Bück' Dich!« hat's geheiß'n, »und als ich's thu, werd' ich durch ein Loch geschob'n, durch welches sie mir folgen. Da sind wir in ein Gemach oder eine Höhl' gelangt, wo ich hab' aufrecht stehen können. Hier mußt' ich mich niedersetzen auf den Sitz, der ein Klotz gewes'n ist, und dann blieb es still um mich, bis der Meister gekommen ist. Er hat Berathung gehalt'n mit leiser Stimme und ich konnt' nix davon verstehn als nur zuletzt:« »Er soll Euch net wiedererkennen!« »D'rauf wird mir die Bind' abgenommen, und als ich nun die Aug'n aufthu' und um mich sehen will, da kracht ein Schuß mir grad vor dem Gesicht los, und ich stürz' zusammen, aber net todt, sondern blos vor Schreck und Schmerz, denn das Pistol war nur mit Pulver gelad'n, das mir in die Aug'n gefahren ist. Ich hab' gestöhnt und gewimmert vor Qual, sie aber hab'n darüber gelacht und mich zurückgeschafft in's Dorf bis vor meine Thür.« Er schwieg. Auch abgesehen von den Augen waren in seinem Gesicht die Spuren jenes fürchterlichen Schusses noch deutlich zu erkennen. Der Blick des Offiziers ruhte zwar mitleidig, aber doch nicht ohne Selbstbewußtsein auf ihm. »Das war teuflisch raffinirt und grausam von den Hallunken,« meinte er; »aber hättet Ihr eine bessere Taktik befolgt, so wäre es nicht geschehen. Ihr mußtet sofort Succurs holen und sie festnehmen, ohne sie erst ewig belauschen zu wollen!«
»Das ist Eure Ansicht, aber net die meine. Mir lag grad' eben so viel an dem Meister wie an ihnen, und ich wollte sehn, ob er dabei sei, oder doch 'was über ihn zu vernehmen. Nachher hab' ich lang' darnieder geleg'n; die Aerzt' sind gekommen, um an mir herum zu schneid'n und zu quacksalbern, aber das Aug'nlicht ist doch weg gewes'n, das hab'n sie mir net wiederschaff'n könn'n. Was wär' nun aus mir geword'n mit der Pension, von der ich gar net red'n mag! Aber die Anna ist mir gut geblieb'n; sie hätt' nun gar andre Parthie'n gehabt, und der Oppermann hat schier Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um sie mir abspenstig zu mach'n. Sie ist meine Frau geword'n, und ich hab' nachher den Thorhof geerbt, der mich ernährt, trotz meiner armen Aug'n, die mir noch jetzt oft solch'n Schmerz bereit'n, daß mir nix hilft, als Sonnenthau, den ich mir holen lass', um ihn aufzuleg'n.« »Und der Grenzmeister?« »Der ist schadlos ausgegangen. Die Behörd' hat alles gethan, um seiner habhaft zu werd'n, es hat nix genutzt; denn ist auch 'mal ein Pascher oder Wild'rer festgenommen word'n, so hat er ihn doch net verrath'n, entweder weil er wirklich nix gewußt oder aus Angst vor ihm geschwieg'n hat. Doch ist es ihm mit der Zeit zu schwül geword'n, so daß er das Handwerk aufgegeben hat. Vielleicht ist's auch nur mit größ'rer Still' betrieben word'n, bis jetzt der neue Zolltarif auch neue Lockung giebt. Ich selber hab' mich nachher wol tausendmal hinausführ'n lassen in den Wald und ihn Strich um Strich durchgenommen, um den Geruch wiederzufind'n, der mir damals so aufgefallen ist, aber vergebens. Er ist so scharf und stechend gewes'n, gar net wie von einer Pflanz' und doch dabei so fein wie von Hollunderblüth'. Wo der Geruch ist, da muß auch die Höhl' sein, denn ich hab' ihn sonst im ganz'n Wald niemals wo anders net getroff'n.« »Habt Ihr denn auch keine Vermuthung gehabt, wer der Grenzmeister sein könne?« »Davon red' ich net. Die Vermuthung führt oft irr'; der Beweis, das ist die Hauptsach'!« »Die Vermuthung hat auch ihre Gründe, welche, geschickt benutzt, zum Beweise führen können. Hätte ich nur den kleinsten Anhalt, so würde der Meister mein, darauf könnt Ihr Euch verlassen!« »Ja, Ihr seid ein vornehmer Herr und viel klüger als Unsereins.
Eure Taktik wird's schon so weit bringen, daß Ihr ihn fangt – – oder er Euch. Jetzt aber muß ich heim. Wollt Ihr mit aufsteig'n, Herr?« »Ich habe meine Recognoscirung beendet und nehme Euer Anerbieten an.« Der Knecht saß schon auf dem Wagen; sie nahmen nun auch Platz und fuhren davon. Als der Wirth in die Stube trat, bemerkte er den Jüngling und rief, halb verlegen: »Heiner, Du! Hast den Abschied erhalt'n?« »Ja, Forstwirth. Ihr habt's ja vorhin gehört, daß ich morgen kommen soll'.« »Das ist wahr. Wirst Freud' anricht'n bei der Mutter! Ich hab' sie lange Zeit net gesehn, aber sie soll ganz abgekommen sein. Wirst schon merk'n, wo die Hilf' herkommen muß.« Während die Beiden noch ein Weilchen bei einander saßen, suchte der Wagen mit dem Lieutenant und dem Thorbauer in schneller Fahrt sein Ziel zu erreichen. Vor dem Dorfe angekommen, stieg der Erstere, sich bedenkend, aus. »Warum fahrt Ihr denn net weiter mit?« »Hab' meine Absicht, Schubert. Es braucht Niemand zu wissen, daß wir heut mit einander gesprochen haben.« »Schön, jetzt geht die Taktik los. Gebraucht sie nur zu Haus' auch gut!« Der Lieutenant schritt langsam dem voraneilenden Wagen nach. Es war ihm heut' so mancherlei aufgefallen, und die letzten Worte des Thorbauern, so absichtslos sie gesprochen sein mochten, waren ganz geeignet, seiner Ahnung festern Halt zu geben. Zu Hause angekommen, ließ er den Wiesenbauer zu sich rufen. »Oppermann, ich muß Euch, wie schon so oft, auch heut um einen guten Rath bitten. Allen Anzeichen nach haben nämlich die Pascher heut einen Coup vor, der über die Grenze hinüber nach Breitenbach gerichtet ist. Eure Ansicht hat sich schon so oft als praktisch erwiesen, daß ich nicht eher meine Dispositionen treffen möchte, als bis ich Euch gehört habe.« »Von wem habt Ihr die Kunde?« frug der Bauer gleichgültig. »Das ist natürlich Amtsgeheimniß. Der Grenzmeister hat eben auch nicht lauter zuverlässige Leute.« »Ist's kostbares Gut?« »Es scheint so. Nur bin ich mir über den Weg unklar, den sie einschlagen werden.«
»Wenn sie wirklich nach Breitenbach woll'n, so ist gar kein Zweifel darüber möglich. Unsereiner hat gar viel gehört und erfahr'n und kennt ihre Schlich'. Ueber den Tannenschlag gehn sie net, da ist's heut zu licht, denn es war gestern Vollmond; folglich gehn sie durch die Steinbrüch' und den Wassergrund hinab, einen dritten Weg giebt's net.« »So werde ich die Brüche und den Grund besetzen lassen. Ich vertraue Eurer Klugheit. Ihr seid früher Grenzer gewesen und habt also mehr Erfahrung als andere Leute.« Er verließ den Hof augenblicklich wieder, um seine Anordnungen zu treffen. Der Bauer blickte ihm mit eigenthümlichem Lächeln nach. »So, also erfahren hat er heut, daß ich Grenzer gewes'n bin; natürlich hab'n sie ihm dann auch gesagt, weshalb ich net dabei geblieb'n bin. Da ist's nun freilich nix mehr mit dem an der Nas' Herumführ'n. Aber dem Wies'nbauer kommt der Herr Offizier doch net gleich und dem Grenzmeister also auch net. Er spricht von Vertrau'n und hat doch nun seit heut grad das Gegentheil; folglich thut er, als will er die Steinbrüch' und den Grund besetz'n und wird doch nun grad' zum Tannenschlag gehn, weil er glaubt, daß ich ihn in die Irr' weis'n will. Ich muß meine Vorkehrung darnach treff'n, noch eh' die Depesch' aus dem Baum' geholt wird.« Nach einer Weile des Nachsinnens fuhr er fort: »Also einen Verräther oder wenigstens einen unvorsichtig'n Schwätzer hab'n wir unter uns! Ich werd' auf morg'n eine Versammlung ausschreib'n und Gericht halt'n. Der Mensch wird entdeckt und – –« Er machte eine drohende Bewegung und schritt dann den hinteren Gebäuden des Hauses zu. Im Stalle, wo eine Laterne brannte und er sich unbeobachtet sah, zog er die Brieftasche hervor und schrieb einige Zeilen auf ein Papier, welches er zusammenfaltete und zu sich steckte. Dann begab er sich in einen Schuppen, in dessen hinterstem Winkel sich allerlei Geröll befand. Dieses räumte er weg und hob einen Stein empor; unter demselben befand sich ein kleiner Raum, aus welchem er einige Gegenstände hervorzog, mit denen er den Hof verließ. Im Walde, welcher beinahe bis an denselben heranstieg, angekommen, machte er Gebrauch von ihnen. Zunächst legte er einen langen, buschigen Bart um das Gesicht und bog einen alten, zusammengedrückten Hut
auseinander, den er aufsetzte. Die breite Krempe desselben bedeckte den oberen Theil des Gesichtes so vollständig, daß man nichts davon zu erkennen vermochte. Dann zog er über seinen bisherigen Anzug eine Weste, die er mit Tüchern und Flecken ausstopfte. Ein weiter Sackrock vervollständigte die Ausstattung, die seiner hageren Gestalt einen solchen Umfang verlieh, daß er unmöglich erkannt werden konnte. Nun drang er durch Dick und Dünn in gerader Richtung vorwärts und bekundete dabei eine solche Terrainkenntniß, daß er diesen Weg schon oft gemacht haben mußte. Nach einiger Zeit gelangte er an einen Pfad, welcher sich vom Dorfe herauf durch den Wald schlängelte. Er verfolgte ihn bis zu einer hohen, breitästigen Buche, durch deren Zweige der Mond seine ungewissen Strahlen warf. In diesem zweifelhaften Lichte gewahrte er eine Gestalt, welche sich am Stamme des Baumes zu schaffen machte. Er zog ein Messer aus der Tasche des Rockes, legte den Finger an den Mund und ließ einen leisen, eigenthümlichen Pfiff erklingen. Die Gestalt richtete sich empor und antwortete in der gleichen Weise. Im nächsten Augenblicke stand er bei ihr. »Der Meister!« ertönte es mit gedämpfter Stimme, aber doch so laut, daß es Einer vernahm, den Beide nicht bemerkt hatten. Es war Heiner, der unweit der Forstschenke die Straße verlassen hatte, um die Heimath eher zu erreichen. Auf dem weichen Boden beinahe geräuschlos dahinschreitend, fiel ihm plötzlich ein Rascheln der Zweige auf, welches sich von seitwärts her vernehmen ließ. Er blieb stehen und sah einen Mann aus dem sich hier befindlichen Unterholze treten, der nach kurzem Lauschen denselben Weg einschlug. Er folgte ihm. Bei der Buche blieb er, sich niederbeugend, halten, und wenige Augenblicke später machte der Pfiff des Wiesenbauers Heiner auch auf diesen aufmerksam. Er hörte den Ausruf des Andern, der ihn veranlaßte, sich eiligst hinter einem nahen Stamm zu verbergen, und vernahm auch das Meiste der nun folgenden kurzen Unterhaltung. »Ja, der Meister! Hast' die Depesch' schon herausgenommen?« »Ja.« »Gieb sie wieder her! Es ist anders geword'n. So, da hast' den neuen Zettel, und daß mir zur Versammlung Keiner fehlt! Jetzt kannst gehen!« Der Mann ging denselben Weg zurück, den er gekommen war.
»Halt, noch ein Wort!« meinte der Wiesenbauer, indem er auf ihn zuschritt. Der Angerufene kehrte zurück und Beide trafen gerade an dem Baume zusammen, an welchem Heiner lehnte; Beide bemerkten ihn auch zu gleicher Zeit, und da sie sofort erkannten, daß er alles bemerkt haben müsse, warfen sie sich im Augenblicke von zwei Seiten auf ihn. Ehe er sich nur zur Wehr setzen konnte, lag er auf dem Boden und das Messer Oppermann's blitzte über ihm. In diesem Momente fiel ein Mondesstrahl in das Gesicht des sich unter der doppelten Last vergeblich Aufbäumenden und die erhobene Faust sank mit dem Messer wieder nieder. Der Grenzmeister mußte eine gewaltige Selbstbeherrschung besitzen, denn ohne den geringsten Laut der Ueberraschung erhob er sich und gebot dem Fremden: »Lass' ihn los und geh! Es ist ein sich'rer Mann!« Auch Heiner sprang auf. »Komm!« gebot der Alte und schritt voran. Unter Gefühlen, wie er sie noch nie gekannt hatte, gehorchte der junge Mann dieser Weisung. In der Nähe des Wiesenhofes angekommen, blieb der Voranschreitende stehen. »Vater, um Gotteswillen, Du bist der Grenzmeister!« »Schweig', neugieriger Bub', und danke Gott, daß ich's selber und kein Andrer war, sonst hätt'st die Kling' geschmeckt! Ich geh' von hint'n in den Hof, Du aber wend'st Dich zur Straß' und kommst nach zehn Minut'n durch das vordre Thor. Aber sagst' nur ein Wort von dem, was jetzt vorgefall'n ist, zu Jemand, eh' ich mit Dir weiter gesproch'n hab', so hast's mit mir zu thun!« Er ließ ihn stehen. Heiner blickte ihm mit angstvollem Herzen nach. »Herrgott, was soll d'raus werd'n! Ich hab' mich net auf die Heimat freuen können, und nun mein Fuß auf ihr steht, seh' ich das Unglück vor mir, größer und mächt'ger, als ich mir' s jemals denk'n konnt'!« Der nächste Tag war ein Sonntag. Die Wiesenbäuerin war schon in der frühsten Morgenstunde wach und wunderte sich, als sie, in die Wohnstube tretend, den Bauer, der doch sonst sehr lang zu schlafen pflegte, auch schon munter fand. Er erwiederte mürrisch ihren freundlichen Gruß. »Geh' hinauf und weck' den Heiner, ich muß ihn hab'n!«
Sie stieg die Treppe wieder empor und trat in die Kammer des noch fest schlafenden Sohnes, den die Aufregung des vergangenen Abends nur spät zur Ruhe hatte kommen lassen. Ein Kuß weckte ihn. Er schlug die Augen auf. »Mutter!« Er schlang die Arme um sie und erwiderte ihren Kuß. »Ich hab' soeb'n von Dir geträumt, von Dir und – und der Paulin'.« »Heiner, laß den Namen net vom Vater hör'n! Du weißt, wie er mit Thorbauers steht. Jetzt sollst sogleich zu ihm herunterkommen!« »Sogleich? Was will er denn?« »Ich weiß es net. Er ist schon vollständig angezog'n, als wollt' er ausgehn. Thu's auch so!« Als Heiner – wie der Gebirgler sich den Namen Heinrich gern zurechtlegt – die Treppe hinabstieg, kam der Stiefvater aus der Stube. »Komm!« »Wohin?« »Wirst schon sehen! Den Kaffee kannst nach der Rückkehr trink'n, denn Du sollst net eher mit mir am Tisch sitz'n, als bis wir klar und einig sind!« Also darum hatte sich der Bauer gestern weder beim Abendbrot noch auch später sehen lassen! Heiner ging an seiner Seite. Sie verließen das Dorf und betraten in der Richtung nach dem Wassergrunde zu den Wald. Der schmale Weg war rechts und links von jungen Tannen bestanden, zwischen denen sie rüstig dahinschritten, bis Oppermann horchend stehen blieb. Laute Schritte nahten. »Schnell unter die Bäum'!« Heiner that es und sah nicht, daß sein Vater, ehe er ihm folgte, einen zusammengeknitterten Zettel fallen ließ. Kaum hatten sie sich versteckt, so schritt eine Anzahl Soldaten, von einem Unteroffizier geführt, herbei. Schon waren die Ersten vorüber, da bückte sich einer der Folgenden und hob den Zettel auf, den er dem Unteroffizier überreichte, nachdem er selbst einen Blick darauf geworfen hatte. »Ah,« meinte dieser, »eine Entschädigung für den entgangenen Fang. Dieses Papier ist heut Nacht einem der Schmuggler entfallen und enthält den Befehl, die nächste Nacht am alten Schachte auf
neue Ladung zu warten. Die Kerls gönnen sich wirklich keine Ruhe. Niemand wird sich über das Papier so freuen, wie der Herr Lieutenant!« Sie setzten ihren Weg fort. Heiner hatte alles bemerkt und gehört und wunderte sich über das zufriedene Lächeln, welches über die harten Züge des Vaters glitt. »Komm!« gebot dieser, jetzt wieder aus dem Tannengewirr tretend und von Neuem voran schreitend. Eine halbe Stunde mochten sie so gegangen sein, als der Weg sich in eine Reihe von Steinbrüchen senkte, welche völlig ausgebeutet und darum verlassen waren. Die nackten, kahlen Steinmauern stiegen senkrecht zum Himmel empor, und schon wollte Heiner sich fragen, was der Vater hier mit ihm zu suchen habe, als dieser noch vor dem Eingang in die Brüche sich seitwärts wandte und die steile Lehne des Berges zu erklimmen begann. Dort oben lag ein stilles, verrufenes Fleckchen, »im Sonnenthau« genannt, von dem man sich erzählte, es sei da nicht geheuer, weil hier des Nachts die Seelen der in den Steinbrüchen Verunglückten umgingen. Den arglosen und leichtgläubigen Bewohnern der Umgegend lag der Gedanke fern, daß diese Seelen recht gut mit Fleisch und Blut begabt sein könnten. Man mied also den Ort geflissentlich, und nur wer von den medizinischen Wirkungen des Sonnenthau's Gebrauch machen wollte, wagte sich am hellen Tage einmal auf einige Minuten empor. »Im Sonnenthau« bestand aus einer schmalen, tiefen und feuchten Schlucht, deren Boden von hohem Wassermoos besetzt war, zwischen welchem in zahllosen Exemplaren das winzige Pflänzchen stand, welches ihr den Namen gegeben hatte. An den beiden Seiten liefen Brombeerranken und Farrenkräuter zwischen allerlei Gebüsch empor, unter dem sich einige wilde Hollunderbäume durch ihre Blüthendolden auszeichneten. Ein scharfer, durchdringender Geruch erfüllte den ganzen Platz, so daß Oppermann stehen blieb und nach der Ursache desselben suchte. »Da sind ja dieselb'n Käfer wieder am Hollunder wie vor zwanzig Jahr'n! Das sind gar selt'ne Thier', und ich möcht' nur wiss'n, wie sie heißen mög'n!« Heiner betrachtete die Hartflügler, welche die Bäume bis in die kleinsten Zweigspitzen bedeckten. »Das ist die spanische Flieg' oder Cantharid', wie die Gelehrten
sag'n, aus der das schlimme Zugpflaster gemacht wird.« »Da bist' ja ein richt'ger Naturgelehrter, wenn Du solche Sach'n kannst!« Er führte ihn seitwärts, wo der Geruch weniger lästig wurde und gebot ihm, sich an seiner Seite niederzulassen. Nachdem er sich eine neue seiner guten Cigarren, derentwegen er bekannt war und die er nur beim Schlafengehen ausgehen ließ, angebrannt hatte, begann er: »Heiner, wir hab'n bisher kein gutes Land mit 'nander gepflügt; jetzt aber bist' groß gewachs'n, hast Verstand bekommen und es soll anders werd'n. Ich hab' Dich hier heraufgeführt, um Dir zu zeig'n, daß ich für Dich gearbeitet hab' all' diese Zeit her, und wenn Du mir Gehorsam leistest, so steht Dir ein großes Glück bevor.« »Sprich, Vater!« antwortete der Jüngling, der bei den Verheißungen des Alten sich beklemmt und beängstigt fühlte. »Ja, ich werd' sprech'n, und Du sollst mir ohne Red' und Wort zuhör'n, bis ich fertig bin. Schau, da drüb'n geg'n Mittag liegt ein großes Land und geg'n Mitternacht auch ein mächt'ges Reich; beid' thun schön und freundlich mit 'nander, und ist immer Krieg zwisch'n ihnen, net mit Säbel und Kanon', sondern mit den Zahl'n, die auf dem Zollgebot stehn. Unser König verbietet mir, den Wein zu trink'n, der da drüb'n wächst, und wenn ich's dennoch möcht', so muß ich außer dem Preis noch ein Extrageld aus meiner Tasch' an ihn zahl'n. Und Denen ihr König verbietet ihnen, unser Salz zu ess'n, nur desweg'n, weil's bei uns bereitet ist, und wer trotzdem welches will, muß auch in die Extratasch' greif'n. Aus Berlin, das so viele Meil'n von hier liegt, darf ich mir ohne Straf' Stiefeln kauf'n, so viel ich will, und in Breitenbach, das keine Stund' entfernt ist, darf ich's net, wenn ich net so viel extra zahl', daß ich sie beinah' noch 'mal besohlen lass'n kann. Wenn ich meinem Knecht sag: Kauf Deinen Tabak vom Krämer und net im Kaufmannslad'n, so lacht er mich aus und thut dennoch, was er will. Und er hat das Recht dazu. Hab' ich net dasselbe Recht auch geg'n den König, der mir das aufzwingt, was ich net mag und das verwehrt, was ich mir grad' wünsch' und billig kaufen könnt?« »Vater, Du siehst die Sach' ganz von der falschen Seit'. Ich denk – – –« »Nix sollst' denk'n, gar nix, sondern nur zuhör'n! Der Zoll ist eine Ungerechtigkeit, die uns den Beutel lichtet, und darum muß Jedermann sich dageg'n wehr'n so viel er kann, mit List oder
Gewalt, je nachdem er's vermag. Das hab' ich gethan. Ich war ein armes Leut' und bin dadurch emporgekommen. Pascherei und Schmuggel nennt man dies Geschäft, aber es ist nix als Nothwehr, zu der mich mein Vortheil und mein Gewiss'n treibt. Ja, ich bin der Grenzmeister; das weißt' seit gestern Abend; ich bin stolz darauf, und auch Du sollst Dir eine Ehr' d'raus ziehn, daß Du mein Gehülf' und Nachfolger wirst. Darum – –« Der Sohn ließ ihn nicht weiter sprechen; er erhob beide Hände abwehrend entgegen. »Bitt', Vater, sei still und hör', was ich Dir zu sag'n hab'!« »Nun?« »Wenn Brot im Land gebraucht wird und Du verkaufst das Getreid' dennoch über die Grenz' hinüber, so hat der König das Recht, den Zoll zu setzen, und wenn hier bei uns die Leut' auf Arbeit harren und Du läßt dennoch Deine Sach' im Ausland mach'n, so kannst' auch mehr bezahl'n, damit doch wenigstens etwas im Land verbleibt. Und dann hat der König net den Zoll gemacht, sondern Du selber, denn Du hast den Mann mit gewählt, der im Landtag für uns spricht. Was er nun dort sagt, das mußt' auch respectir'n. Der Schmuggel ist net Nothwehr, sondern ein Verbrech'n, das große Straf' verdient. Und wie hast' ihn betrieb'n? Mit Mord und Schauderhaftigkeit; denk' an den Thorbauer! Hast' mir net selber gesagt, daß ich gestern verlor'n gewesen wär', wenn ein Andrer mich getroff'n hätt'? Du bist mein Vater und ich kann Dich net anzeig'n und verklag'n; aber seit gestern ist mir das Herz verblutet, und ich will lieber sterb'n als mit Dir das Gleiche thun. Vater, laß' ab von dieser Sach'! Und wenn Dich kein Grenzer und kein Richter findet, der liebe Gott faßt dennoch zu, wenn seine Zeit gekommen ist, und dann ist in einem Tage alles zernichtet und zerstört, was Dich viel Jahre gekostet hat. Der Grenzmeister hat große Macht, doch ist's die Macht der Furcht, und der geringste Zufall kann ihn verderb'n.« »So, das ist die Antwort, die ich bekomm? Bursch', glaubst etwa, Du willst mich hofmeistern? Was bringst' den Thorbauer? Ihm ist sein Recht geschehn, denn wenn er mir die Anna net weggenommen hätt', so wär' ich an seiner Stell'. Er hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Aber es ist gut, ich seh', was ich von Dir zu erwart'n hab'. Ich wollt' in Güt' und Freundlichkeit mit Dir verkehr'n; Du willst aber net, nun, so geschieht's in andrer Weis'. Merk' also auf, was ich Dir jetzt sag': Drüb'n über der Grenz' wohnt
der Kaufmann, mit dem ich das Geschäft mach'. Er hat eine Tochter und ich hab' einen Sohn. Wir thun beid' zusammen, damit auch der Gewinn beisammen bleibt. Heut kommt er mit ihr, und Du nimmst sie mit auf den Tanz. Zum Herbst ist die Hochzeit.« »Vater!« »Still! Was ich Dir sag', das hat Dir der Grenzmeister befohl'n, und was der will, das führt er durch. Ich wollt' Dich in das Geheimniß einweih'n, nun aber kann's net geschehn. Komm'!« »Ja, komm; es ist mir fürchterlich an diesem Ort. Hier ist die Höhl', in der Ihr Euch versteckt; aber die Flieg' und der Käfer da am Hollunder kann Euch verrath'n, wenn der liebe Gott es will!« Der Wiesenbauer lachte höhnisch auf. »Bist ja recht fromm geword'n! Es geschieht kein Zeich'n und kein Wunder mehr, und die Flieg' hat keinen Mund, um zu sprech'n. Also bereit' Dich vor auf den Besuch, der grad' zu Deiner Heimkehr eingerichtet ist. Am Abend giebt's Verlobung!« »Es geht net, Vater! Wenn ich auch sonst nix dageg'n einzuwend'n hätt', so will ich mich doch von Eurer Schuld frei halt'n.« »Was soll das heiß'n? Willst' uns anzeig'n?« »Nein. Was Ihr bisher gethan habt, das liegt net auf meiner Seel', da darf ich schweig'n. Doch bei all'm, was der Grenzmeister von jetzt an thut, bin ich der Mitschuldige, und das darf ich net leid'n!« Der Wiesenbauer richtete sich hoch empor; die Adern seiner Stirn schwollen blauroth an, und sein Auge blitzte grimmig auf den Sprecher. »So, also das hab' ich an Dir zu erwart'n! Denk', daß Du net mein Kind, sondern ein Fremder bist und daß ich Dich zernicht'n werd', wenn Du mich nur den geringst'n Verrath ahnen läss'st!« »Vater, ich hab' Dir schon gesagt, ein einz'ger Tag kann all Dein Werk zerstör'n. Laß Dich bitt'n! Thu mir's und der Mutter zu lieb, und – – –« »Still! Ich mag keine Bitt' vernehmen! Gestern hab' ich Dich gerettet; heut geschieht's net wieder, hier bleibst' stehen auf der Stell' und schwörst, meinen Will'n zu thun und auch fernerhin net das Geringste zu sag'n.« »Ich kann net, Vater. Mein Gewiss'n ist mir höher, als die Furcht vor Dir. Und weil ich Dich net bitt'n darf, so laß uns weiter gehn!«
»Nein, net einen Schritt kommst' von hier fort, bis wir fertig sind, und fertig werden wir auf diese oder die andere Weis', dafür bin ich der Grenzmeister. Mein Werk steht fest, das zerstört mir kein Jahr, viel weniger ein Tag, darauf kannst Du Dich verlass'n. Du weißt zu viel und darfst net zurücktret'n. Also entscheid' Dich für mich oder wider mich. Das Erst' ist gut, beim Zweit'n bist verlor'n! Willst schwören oder net?« Sie hatten »Im Sonnenthau« verlassen und standen jetzt mehr am Rande des Steinbruches. »Ich kann und darf net, Vater. Laß den Schmuggel, und ich will Dir stets ein guter und folgsamer Sohn sein der – – –« »Still! Schwörst' oder net?« »Nein!« »Zum dritt'n Mal, schwörst oder net?« »Nein!« »So fahr' hin, mißrath'ner Bub!« Mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft holte er aus, um den Sohn in den Bruch hinabzustoßen; Heiner aber hatte das Fürchterliche geahnt; er sprang auf die Seite und ergriff den Vater, der sonst unter seiner eigenen Wucht hinabgestürzt wäre. Ihre Arme schlangen sich in einander, und es entstand ein Ringen, das um so entsetzlicher war, als es zwischen zwei Männern geschah, die sich durch die innigsten Bande vereint fühlen sollten. Heiner hatte für sein Leben zu kämpfen und mußte doch dabei bedacht sein, den Vater zu schonen. Dieser war stark und glaubte, seines Gegners ebenso schnell Meister zu werden als gestern. Aber er vergaß, daß da Zwei gegen Einen gewesen waren. Er fühlte sich nach und nach ermatten, und endlich gelang es dem jungen Manne, sich loszureißen. Schnell sprang er empor und war in der nächsten Secunde zwischen den Büschen verschwunden. Wie von der Hölle gehetzt, eilte er durch Busch und Dorn immer vorwärts und stand nicht eher still, als bis er das Dorf vor sich liegen sah. Da warf er sich zur Erde nieder und gab der inneren Erschütterung in einem lauten, herzerschütternden Schluchzen Raum. So lag er lange, lange Zeit; die Klagelaute erstarben und er wurde ruhiger. Was sollte er thun? Er wußte sich weder Rath noch Hilfe und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen, als wolle er von Welt und Leben nichts mehr sehen. Da rauschte es leise neben ihm und eine freundliche Stimme grüßte:
»Gut'n Morg'n! Wer ist denn das? Ich glaub' gar, das ist der Heiner, der hier im Gras liegt und – – lieber Herrgott, hast ja geweint, Heiner!« Er richtete sich empor und blickte die liebliche Erscheinung an, als wär's im Traume. »Grüß Gott, Paulin'! Ja, geweint hab' ich. Komm, reich' mir die Hand und laß Dich bei mir nieder!« »Das wird net auf lange sein. Ich wollt' vor der Kirch' mich erst ein wenig auf der Flur umschaun, und nun wird's gleich läut'n. Doch sag', warum weinst' an so einem schönen Sonntagsmorg'n? Ist Dir 'was Traurig's begegnet, bei dem ich Dir ein Wenig helf'n kann?« »Du kannst mir net helf'n, Paulin', und ich kann Dir's auch net sag'n, jetzt net, heut' net; aber später wirst es vielleicht erfahr'n.« »So sei jetzt auch fröhlich und guter Ding'. Wann bist' nach Haus' gekommen?« »Gestern Abend.« »Drum hab' ich Dich noch gar net zu seh'n bekommen. Und wann bist' heut' fort?« »Schon in der Früh'.« »So weißt' wol auch noch gar net, was für vornehmer Besuch bei Euch zugeg'n ist?« »Ist er schon da?« »Ja. Ein Wagen ist's, so prächtig, daß kein Graf sich damit zu schämen braucht. Und wer saß drin? Ein fremder Herr mit einem Mädchen, das gar stattlich aufgeputzt war. Aber gut hat's net ausgesehn; die Aug'n sind so spitz und schief gefahr'n, und der Herr hat dazu geblickt, als hätt' er die Kirch' mitsammt dem Thurm verschluckt.« »Es ist die Braut, die ich bekommen soll!« »Die Braut?« frug das Mädchen, indem die Röthe von ihren Wangen wich. »So bist wol gar versproch'n?« »Nein. Ich mag sie doch gar net, jetzt net und niemals net!« »Ist's auch wahr, Heiner?« »Gewiß und wahrhaftig wahr!« Die erbleichten Wangen rötheten sich wieder, und ihre kleine Hand ergriff die seine. »Wärst auch net glücklich geword'n mit ihr, Heiner! Sie sah aus wie die Sybill', die zwanzig Männer net fürchtet.« »Du schaust wol anders aus als sie, Paulin'?«
»Ich? Wie kommst' auf mich?« »Weil ich grad' keine Andre hier zugeg'n hab'.« »Geh', Du Böser!« Alles Herzeleid war für den Augenblick vergessen. Er erfaßte auch ihre andre Hand und blickte ihr innig in das verlegene Angesicht. »Weißt', warum ich die Braut net mag?« »Warum?« »Weil ich schon eine Andre kenn', die mir's angethan hat, an die ich allzeit gedacht hab' in der Fremd', als ich net zu Haus' gewes'n bin.« »Das muß eine gar Vortreffliche sein! Sag' doch, wer es ist?« »Du net!« »Das weiß ich schon ganz von selber, denn die Paulin' hat dem stolz'n Heiner ganz niemals 'was gegolt'n.« »So komm her, in's Ohr will ich Dir's sag'n!« Sie beugte sich zu ihm; er umfaßte sie, näherte den Mund ihrem Ohre und gab ihr statt der verheißenen Auskunft einen schnellen Kuß. »Geh', Heiner, das ist net wahr!« »Glaubst's net?« »Soll ich denn?« »Ja, Paulin', Du sollst! Schau, ich hab' nie und nirgends eine Freud' gehabt als bei der Mutter und bei Dir, und darum ist meine ganze Lieb' auch nur für Euch Beid' bestimmt. Ich hab' gestern und heut einen Schlag erhalt'n, den ich nie verwind'n werd', wenn Du ihn mir net trag'n hilfst. Der liebe Gott hat Dich jetzt herausgesandt in mein Herzeleid, um mir den Weg zu zeig'n, wie ich etwas sühnen kann, das ich mir gar schwer auf mein Herz genommen hab'. Und was der liebe Gott schickt und fügt, das kann allzeit nur Glück und Seg'n bringen. Glaubst' das, Paulin?« »Ja, Heiner.« »Und willst' mich lieb hab'n, so ein ganz klein Wenig?« »Net ein Wenig, Heiner, sondern viel, recht viel!« »Das wird Dir auch der liebe Gott vergelt'n! Da hast' meine Hand, daß Du dies Wort niemals bereuen sollst!« »Aber Dein Vater?« »Mit dem hab' ich abgerechnet und wir sind quitt. Und der Deine?«
»O, der ist gut! Er mag von dem Wies'nbauer nix wiss'n, aber auf Dich hält er gar große Stück' und beklagt Dich nur immer, Dich und die Mutter, daß Ihr so viel Heimsuchung zu erduld'n habt.« »So darf ich zu Dir kommen?« »Ja. Heut auf den Abend. Wirst' kommen?« »Ich komm', Paulin', aber net vor die Thür, sondern gleich in die Stub'.« »So schickt sich's auch, Heiner. Aber jetzt läutet's in die Kirch'. Leb' wohl!« »Leb' wohl und bet' auch für mich; ich hab's gar nöthig!« – – – Am Nachmittage saß der Thorbauer an dem geöffneten Fenster, wo die wärmenden Strahlen der Sonne auf sein Gesicht fielen. Es war ewige Nacht um ihn, und wenn er das Gestirn des Tages nicht zu erblicken vermochte, so wollte er doch wenigstens ihre belebende Wirkung mit den Gefühle empfinden. Der periodisch wiederkehrende Schmerz seiner Augen hatte sich seit gestern von Neuem eingestellt, und als er jetzt die Bäuerin eintreten hörte, frug er: »Hast noch Sonnenthau?« »Nein; er ist letzthin all' geword'n. Thun Dir die Aug'n wieder weh, Vater?« »Ja.« »Armer Schelm! Wie bekommen wir nun den Thau herab?« »Der Knecht mag gehn.« »Der hat heut' frei und ist schon fort.« »Ist die Paulin' daheim?« »Ja. Sie soll gehn? Willst' ihr das wirklich zumuth'n?« »Von weg'n den Gespenstern? Geh, Mutter, das ist unverständigs Gered'! Wie ist das Wetter drauß'n?« »Gut. Die Sonn' scheint mild und warm, und es blüht und duftet All's, so daß es Einen gern hinauslockt in das Feld.« »So geh' ich mit! Ich bin gar lang net nach dem Wald gekommen und sehn' mich zu ihm hin. Ruf' sie und bring' mir den Rock und die Mütz'!« Die Tochter stellte sich ein, und bald schritten sie langsam auf demselben Wege hin, dem am Morgen der Wiesenbauer mit seinem Sohne gefolgt war. Den Stock in der einen Hand hielt er mit der andern die ihrige erfaßt, und es war gar beweglich anzuschauen, mit
welcher Sorgfalt sie ihn leitete, damit sein unsicherer Fuß ja nicht strauchle. Dabei erklärte und beschrieb sie ihm alles, was seinem Auge verschlossen war, und wie der eine Sinn um desto schärfer wird, je mehr die Thätigkeit des andern ruht, so trank er den Duft des Waldes mit um so größerem Behagen, als er die Herrlichkeit der Natur nicht zu erblicken vermochte. So gelangten sie zwischen die jungen Tannen, wo ihnen laute Stimmen entgegenschallten. »Ich bin mit allem zufrieden, Oppermann; nur sagt, wo eigentlich der Heinrich bleibt!« »Er wird zu Hause sein, wenn wir heimkommen.« »Galant und aufmerksam scheint er nicht zu sein,« bemerkte eine weibliche Stimme. »Wer kommt?« frug Schubert das Mädchen. »Der Wies'nbauer ist dabei?« »Ja, mit dem Besuch, der heut' gekommen ist.« »So führ' mich auf die Seit'.« »Der Pfad ist schmal; es wird kaum zugehn.« Sie stellte sich mit ihm an die Tannen, um die drei Personen vorüber zu lassen. »Holla, der Thorbauer!« rief jetzt Oppermann. »Mach' Dich noch weiter hinüber, sonst schaff' ich Raum!« Der Angeredete drängte sich hart an die Zweige; eine Antwort gab er nicht. »Noch net genug. Mach weiter!« Er gab ihm einen Stoß, daß er wankte und zwischen die stechenden Zweige zu Boden fiel. Pauline ergriff ihn und half ihm empor. »Schämt Euch, Wies'nbauer,« rief das Mädchen, die, obgleich sonst zaghaft, hier ihre Entrüstung nicht zu bemeistern vermochte; »solch Held'nstück bringt keine Ehr'!« »Lass' ihn gehn, Paulin; ich streit' mich net mit ihm, denn ich weiß, daß ich in ihm den ›Meister‹ find'!« Er gab dem letzten Worte einen eigenthümlich bezeichnenden Nachdruck und ergriff ihre Hand. Sie setzten ihren Weg jetzt schweigsam fort, das Zusammentreffen mit den drei Personen, hatte in Beiden Gefühle erweckt, denen sie innerlich Rechnung tragen mußten. »Ist der Steinbruch bald da?« frug endlich Schubert. »So geht es
links empor!« Es verursachte ihm große Mühe, die steile Lehne zu überwinden; er glitt öfters aus und athmete hoch auf, als sie endlich oben angelangt waren. »Jetzt rechts hinüber, Paulin', bis die Schlucht beginnt.« Sie war noch nie an diesem Ort gewesen und mußte sich auf seine Weisung verlassen. Bald standen sie am Ziele. »Hier ist die Schlucht mit dem Wassermoos am Bod'n, Vater, und hier steht auch – – –« Sie hielt mitten in der Rede verwundert inne. Der Thorbauer stand da als sei eine unerwartete Erscheinung vor seine lichtlosen Augen getreten. Er hielt die Arme halb ausgestreckt, und seine Nasenflügel zitterten unter der Hast, mit welcher er den Geruch der Canthariden einsog. »Paulin',« rief er dann, beinahe laut jubelnd, »weißt', wo wir sind?« »Im Sonnenthau!« »Ja, aber noch wo anders. Hier ist die Höhl', in der ich geblend't word'n bin.« »Ist's wahr, Vater?« frug das Mädchen erschrocken. »Ja. Riechst net den Geruch, so fein wie Hollunder und so scharf dabei, daß es dem Kopf weh thut. Was mag das sein!« »Das sind die Käfer, Vater, die hier am Hollunder sitz'n; Tausend und aber Tausend sind's, die bab'n den Geruch.« »Käfer? Also darum hab' ich den Geruch net wieder gefund'n, obgleich ich später hier gewes'n bin! Die müss'n selt'n sein und kommen wol net alle Jahr' herbei. Aber das ist die gerechte Vorsehung, die ihnen und mir gebot'n hat, nach dem ›Sonnenthau‹ zu gehn.« »Soll ich welchen pflück'n? Er steht in hellen Hauf'n hier.« »Nein, nein! Ich fühl' net den geringst'n Schmerz mehr in den Aug'n; die Höhl' will ich hab'n, die Höhl' muß ich find'n, und Du mußt such'n, bis sie entdeckt ist.« »Aber wo, Vater?« »Hier in der Schlucht. Sie ist net groß und bald abgesucht. Es muß ein Loch geb'n, eine Oeffnung, die grad' so groß ist, daß ich hindurchkriech'n kann. Such' nur, von Schritt zu Schritt, von Zoll zu Zoll, hüb'n und drüb'n, doch net weit hinauf; es muß am Bod'n sein!«
Das Mädchen hielt die Nachforschung mit der allergrößten Genauigkeit, während der fieberhaft erregte Vater das Resultat kaum erwarten konnte. Es war kein befriedigendes. »Es ist nix zu sehn, nix als Stein' und Moos und Strauch und Farrenkraut.« »So ist der Eingang so versteckt, daß man ihn net bemerk'n kann; aber die Höhl' ist da, ganz sicher da. Sie führt in die Seit' hinein, und wenn man auf ihr steht, muß man den hohlen Ton bemerk'n. Jetzt führst' mich empor zum Rand; ich selber werd' ringsum untersuch'n!« Sie leitete ihn bis zur Kante der Schlucht empor; er schritt hart an derselben hin und stampfte von Schritt zu Schritt mit dem Fuße. Seine Vermuthung erfüllte sich schon nach kurzer Zeit; es erklang unter seinen Tritten, als stehe er über einem leeren Raume. »Hörst', Paulin', hier ist sie!« Er stampfte stärker. »Vater, um Gotteswill'n, Du fällst hinein!« Zur Herstellung der Höhle war eine kleine Seitenschlucht benutzt worden. Man hatte dieselbe mit jungen Stämmen überlegt und auf diesen von moosigem Rasen eine Decke hergestellt, welche stark genug gewesen war, jeden Darüberschreitenden zu tragen. Das war jedenfalls zu einer Zeit geschehen, an welcher »Im Sonnenthau« nur den Eingeweihten bekannt war. Während dieser langen Frist nun war das Holzwerk von der Fäulniß ergriffen und die Decke schadhaft geworden. Der Thorbauer brach hindurch. Der Fall konnte ihn nicht verletzt haben, denn im nächsten Augenblick frug er herauf: »Paulin', wo bist'?« »Hier auf dem Dach. Hast' Dich verletzt, Vater?« »Nein; es ist net tief.« Die Sorge um ihn hatte sie an den Rand des entstandenen Loches getrieben; da wich der Boden auch unter ihr; sie fiel zu ihm hinab. Beide waren im ersten Augenblicke ganz erschrocken darüber, fühlten sich aber durch die Bemerkung beruhigt, daß auch sie nicht den geringsten Schaden gelitten habe. »Nun, auf diese Weis' ist's gut, daß Du mit herunter bist,« meinte der Thorbauer. Schau, hier stoß' ich an den Klotz, auf dem ich damals gesess'n hab'. Nun such' einmal, wie es hier ausschaut! Die Decköffnung sandte genug Licht, um den ganzen Raum mit
seinem Inhalt zu erkennen. Der hintere Theil war bis oben mit den verschiedensten Arten von Schmuggelgut angefüllt; an den Wänden hingen mehrere Schießgewehre; auch eine Lampe wurde entdeckt, und an der Erde stand en kleines Fäßchen, dessen Spund- und Zapfenloch zugesteckt waren. »Ist 'was drin?« »Ja, es ist schwer.« Sie zog den Zapfen heraus; das Fäßchen fiel dabei um, und ein Theil seines Inhalts rieselte auf den Boden. Es war Pulver. Nachdem sie alles bis auf das Kleinste durchforscht hatten, ohne den Eingang zu entdecken, war ihre nunmehrige Sorge darauf gerichtet, auf welche Weise es ihnen möglich sei, den Ort wieder zu verlassen. Nach einigem Nachdenken entschied der Blinde: »Zum Loch können wir net hinaus, es ist net mit den Händ'n zu erlangen, und der Rand würd' auch nachgeb'n. Wir klettern da hint'n auf die Packet' und grab'n uns durch die Deck'. Erst schaffst' das herabgefall'ne Land bei Seit', daß es net entdeckt wird, und hernach, wenn wir drauß'n sind, mach'n wir die Löcher wieder zu. Die Pascher dürf'n net bemerk'n, daß Jemand hier gewes'n ist. Ich mach' sofort die Anzeig', und wenn es glückt, so werd'n sie all' hier abgefang'n.« Dieser Plan wurde ausgeführt. Zwar kostete es dem hülflosen Blinden und dem schwachen Mädchen viel Zeit und Anstrengung, in das Freie zu gelangen und alle Spuren ihrer Anwesenheit zu verwischen; endlich aber kamen sie doch damit zu Stande und verließen nun den verhängnißvollen Ort, ohne an ihre frühere Absicht, sich Sonnenthau zu holen, mehr zu denken. Der Rückweg wurde mit der möglichsten Schnelligkeit zurückgelegt, und, im Dorfe angekommen, gebot der Alte: »Führst' mich net nach Haus', sondern zum Grenzer, aber so, daß der Wies'nbauer es net bemerkt.« »Warum dieser net?« »Weil ich meine Ursach' hab'! Wirst es schon auch noch erfahr'n!« – Unterdessen saß der Genannte bei seinem Besuche und mußte sich alle Mühe geben, seine zornige Aufregung zu bemeistern. Er hatte mit Sicherheit angenommen, daß die dem Sohne gegebene Lection ihre Wirkung nicht verfehlen und dieser im Laufe des Tages nach Hause kommen werde. Aber er kam nicht. Stunde um Stunde
verging; die Gäste wurden immer unruhiger, und endlich erhob sich der Geschäftsfreund und verließ das Zimmer. »Herr Oppermann,« sprach das Mädchen, »denkt Ihr Sohn etwa, es giebt bei uns keine jungen Herren? Mehr als genug, besonders wenn man nicht arm an Vermögen und Bildung ist. Höflicher und aufmerksamer aber sind sie jedenfalls!« »Sobald er kommt, soll er den Lohn empfangen, der Trotzbub' der!« »Aber er wird nicht kommen!« »Er muß. Ich hab's ihm gebot'n, und wenn er sich net besinnt und nachgiebt, so soll er sehn, was ich mit ihm thu'!« »Ach so! Er ist mit unserm Plane also gar nicht einverstanden? Das hätten Sie uns früher sagen sollen!« Sie stand auf und rauschte mit einer Miene, die ihre ganze Indignation darlegen sollte, aus der Stube. Oppermann folgte ihr eilig und bemerkte zu seinem Schrecken, daß ihr Vater hatte anspannen lassen. »Was! Du willst fort?« »Ja. Ich dränge mein Mädchen Niemandem auf. Ueber das Geschäft sprechen wir später, wenn Du 'mal hinüber kommst!« Alle Bitten und Vorstellungen des Wiesenbauers halfen nichts. Der Wagen rollte fort, und Oppermann ließ seine Wuth der Frau und dem Gesinde bis zur Entrüstung fühlen. Während dem war es dunkel geworden, und der Grenzer kam, um nach dem Lieutenant zu fragen. »Er ist fort, schon seit einer ganz'n Weil'. Kann ich's vielleicht ausricht'n?« »Es ist nichts von Bedeutung,« meinte der Beamte vorsichtig, »sondern nur eine Privatsache.« Dann entfernte er sich wieder. Nach dem Abendbrot, welches Oppermann schweigend einnahm, verließ auch er den Hof. Nachdem er dieselben Vorbereitungen wie gestern getroffen hatte, schritt er auf Umwegen dem alten Schachte zu. In der Nähe desselben angekommen, stieß er seinen Signalpfiff aus und sah nach wenigen Augenblicken eine Anzahl Schmuggler um sich versammelt. »Ihr wißt, wem's heut' gilt?« »Dem Offizier.« »Gut. Er ist mit seinen Leut'n beim Schacht. Ich will nur ihn; die Andern können lauf'n. Er wird sie vertheilt hab'n. Spürt jetzt 'mal
vor, wo er sich befindet!« Nach einiger Zeit kehrten die ausgesandten Lauscher zurück und brachten die Nachricht, daß der Lieutenant ganz allein auf einem Stein sitze, während er seine Leute längs des Weges aufgestellt habe. »So holt ihn; aber net einen Laut darf er ausstoß'n!« Der Unteroffizier, welcher heute den Zettel erhalten hatte, lehnte unweit des Schachtes an einem Baume. Er konnte im Mondenschein den Ort erkennen, an welchem sein Vorgesetzter sich niedergelassen hatte. Da war es ihm, als finde dort eine ungewöhnliche Bewegung statt. Er duckte sich auf die Erde nieder und kroch hinzu. Der Lieutenant war fort, aber sein Tschako lag neben dem Steine. Mit einigen raschen Sprüngen war der Unteroffizier zurück, eilte bis in die Mitte der Aufstellung und rief die Leute zusammen. »Sie haben den Lieutenant gefangen! Wir müssen – –« Da kam es den Weg herauf gekeucht, als stehe etwas Hochwichtiges auf dem Spiele. »Wer da!« unterbrach sich der bestürzte Sprecher. »Der Grenzer! Ist der Herr Lieutenant hier? Ich habe soeben erst erfahren, daß er sich am Schacht befinde und ihm eine außerordentliche Mittheilung zu machen!« »Sie sehen uns grade seinetwegen in der größten Bestürzung. Er hatte sich abseits von uns postirt und ist von den Paschern aufgehoben worden. Wir müssen augenblicklich zur Verfolgung schreiten.« »Aber wissen Sie, nach welcher Richtung? Nein? Ja, das kann ich mir wol denken! Doch seien Sie außer Sorge; wir werden ihnen den Coup sofort vergelten, es soll ihr letzter sein!« Er berichtete nun von der Anzeige des Thorbauers, welche auch hier eine außerordentliche Wirkung hervorbrachte. Es wurde schnell Berathung gehalten, und in Kurzem war der Platz verlassen. Die Gefangennahme des Lieutenants war vollständig unbemerkt, wie die Pascher vermeinten, gelungen. Er wurde in lautloser Stille, gebunden und geknebelt, nach »Im Sonnenthau« geführt, wo heute große Versammlung sein sollte. Der Grenzmeister schritt voran. Trotz der Vorsicht, welche zu beobachten war, hatte er ein Zündholz hervorgezogen und sich eine seiner Cigarren angebrannt. Es war sein Stolz, nie mit einer Pfeife gesehen zu werden. Sie nahmen nicht den gewöhnlichen Weg,
sondern schritten durch den lichten Wald in grader Richtung auf ihr Ziel los. Sie hatten hier noch nie etwas Verdächtiges bemerkt und stiegen daher ohne vorherige Recognition in die Schlucht hinab. Oppermann bückte sich und faßte einen sorgfältig mit Moos bekleideten Stein, welcher auf einer unsichtbaren Rolle lief, aber sich fest in die Schluchtwand einlegte. Er zog ihn zurück und schickte sich an, durch das so entstandene Loch zu kriechen. Schon befand er sich halb im Innern der Höhle, als er einen fürchterlichen Schrei ausstieß und zurückfuhr. Er hatte mit dem brennenden Cigarrenende den Boden gestreift und war damit in das Pulver gerathen, welches Pauline grade vor dem Steine verschüttet hatte. Es war explodirt und ihm in das Gesicht und die Augen geflogen. Alle Vorsicht vergessend, schnellte er sich empor und rief: »Ich bin geblendet, die Aug'n sind mir verbrannt! Es hat Pulver vor dem Loch geleg'n und ist mir an die Cigarr' gekommen!« In der nun entstehenden Aufregung bemerkten die Pascher nicht, daß sie umzingelt wurden. Da erscholl es über ihnen: »Halt! Ergebt Euch!« Im Scheine des Mondes sahen sie die blanken Läufe zahlreicher Gewehre auf sich gerichtet; im Nu hatten sie auch die ihrigen erfaßt. Die Schüsse krachten von oben und unten, dann erfolgte ein Zusammenprall, der sich nach und nach in einen erbitterten Einzelkampf auflöste. Oppermann war bei dem Rufe des Unteroffiziers zusammengeschreckt. Er konnte nichts sehen und wußte sich rettungslos verloren. Aber wie, wenn er dennoch zu entkommen vermochte! Durch listiges Entschleichen war dies nicht möglich, da ihm das Augenlicht geraubt war. Er vergaß seine Schmerzen, zog das Messer und stürzte sich vorwärts. Der Zufall wollte, daß er auf eine Lücke stieß, durch welche er gelangte, unbehindert zwar, aber doch nicht unbemerkt. Der Grenzer sah ihn und eilte ihm nach. Der Fliehende vernahm die Schritte. In weiten Sprüngen stolperte er nach rechts hinüber, um das junge Tannicht zu erreichen, aber er hatte die Richtung verfehlt; noch ein Sprung, der Boden verschwand unter seinen Füßen und mit einem gräßlichen Schrei stürzte er in die Tiefe des Steinbruches. Nach dem Abendessen hatte Pauline ihren Eltern gesagt, wer heute kommen werde. Der Thorbauer hatte aufgehorcht und dann
nichts gesagt als: »Der Bursch' ist mir willkommen; er soll net entgelt'n, was der Vater thut. Aber, Paulin', sag' ihm nix von heut!« Heiner war dann auch gekommen und von den Eltern seines Mädchens freundlich empfangen worden. Er hatte erzählt, daß er sich mit dem Vater verfeindet habe und bis zum Austrage der Sache in Dienst gehen werde. Noch saßen sie beisammen, da klopfte es und der Grenzer trat ein. »Thorbauer, ich muß Euch berichten, daß wir sie haben.« »So? Wirklich? Gott sei Dank! Den Meister auch?« Heiner horchte auf. »Ja. Und wißt Ihr, wer es ist? Der Wiesenbauer!« Er kannte den Sohn des Genannten nicht und begann den Vorgang zu erzählen. Dann entfernte er sich mit der Versicherung, daß das Verdienst Schubert's die rechte Anerkennung finden solle. »Also den Offizier hatt'n sie erwischt? Ja, das war die gute Taktik! Und der Grenzmeister ist also doch – – Heiner!« Der Angeredete hatte starr und todtenbleich dagesessen, und kein Laut war über seine Lippen gekommen. Jetzt erhob er sich. »Gut' Nacht!« »Was willst', Heiner? Bleib'!« gebot Schubert. »Der Sohn des Grenzmeisters darf nimmer bleib'n. Er muß fortgehn in die weite Welt, wo ihn Niemand kennt!« »Du bleibst! Geh' her und setz' Dich nieder!« Dem Zureden der braven Leute gelang es, ihn zu beruhigen. Er begann zu erzählen von all dem Leid, was er mit der Mutter zu ertragen gehabt hatte und verschwieg auch die letztvergangenen Ereignisse nicht. Als er geendet hatte, reichte ihm der Thorbauer die Hand hinüber. »Siehst', Heiner, es giebt einen Gott, der grad so straft, wie man sündigt! Er hat mich geblendet und ist durch mich wieder geblendet word'n, wie der Lieutenant mit angesehen hat; er hat Dich in den Bruch stürz'n woll'n und liegt nun selber todt darin. Sein Bau ist an einem einz'gen Tag zusammengebroch'n, wie Du ihm geweissagt hast. Nun geh' und tröst' die Mutter; Paulin' mag Dich begleit'n. Dann schickst' die Knecht' hinaus zum Bruch und läß'st ihn holen. Du hast schwer zu trag'n; doch komm' zu uns, wir werd'n Dir gern helf'n, es zu überstehn!« Heiner ging, um die Mutter auf das Geschehene, von dem sie
vielleicht noch nichts wußte, vorzubereiten. Pauline schloß sich ihm an. »Weißt' nun, Paulin', warum ich heut' geweint hab?« frug er sie unterwegs. »Nun weiß ich's, Heiner.« »Und willst' mich dennoch lieb behalt'n?« »So lieb wie erst. Nun brauchst' auch net in den Dienst zu gehn. Die Flieg' am Hollunder hat ihre Schuldigkeit gethan, und Du bist Wiesenbauer geword'n. Der Gram und die Sorg' hat ein End', und wenn das jetz'ge Leid erst überstand'n ist, so wird das Glück einkehr'n bei uns und bei der Mutter!« – – –