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Edwin Czerwick · Wolfgang H. Lorig · Erhard Treutner (Hrsg.) Die öffentliche Verwaltung in der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland
VS RESEARCH Theorie und Praxis der öffentlichen Verwaltung Herausgegeben von Prof. Dr. Edwin Czerwick Prof. Dr. Wolfgang H. Lorig Prof. Dr. Erhard Treutner
Die Schriftenreihe „Theorie und Praxis der öffentlichen Verwaltung in Deutschland“ bietet ein interdisziplinäres Forum für Studien zur öffentlichen Verwaltung. Die öffentliche Verwaltung eignet sich in besonderem Maße als Untersuchungsgegenstand für unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen. Sowohl die Vielfalt ihrer Funktionen als auch ihrer Formen und Strukturen, sowohl ihre rechtlichen Bindungen als auch ihre Wirkungen auf die Gesellschaft unterstreichen die Notwendigkeit eines interdisziplinären Forschungsdesigns. Ein adäquates anspruchsvolles Konzept lässt sich weniger in Einzelstudien realisieren als vielmehr in einer Schriftenreihe, in welcher Politikwissenschaftler, Soziologen, Wirtschaftswissenschaftler, Staats- und Verfassungsrechtslehrer sowie Verwaltungswissenschaftler Studien zur öffentlichen Verwaltung in Deutschland publizieren. Die in der Schriftenreihe veröffentlichten Arbeiten sollen zu einer kritischen Reflexion des Verhältnisses von öffentlicher Verwaltung und Gesellschaft in Deutschland anregen und die vielfältigen gesellschaftlichen Einflüsse auf die öffentliche Verwaltung transparent machen. Dazu gehören vor allem gesellschaftliche Partizipationsansprüche und Demokratisierungsforderungen, Prozesse der Ökonomisierung der Lebensverhältnisse und des gesellschaftlichen Wertewandels sowie die Herausforderungen der Europäisierung und Globalisierung.
Edwin Czerwick Wolfgang H. Lorig Erhard Treutner (Hrsg.)
Die öffentliche Verwaltung in der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Dorothee Koch / Dr. Tatjana Rollnik-Manke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16681-0
Inhalt Einleitung Edwin Czerwick//Wolfgang H. Lorig/Erhard Treutner
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Rechtliche Rahmenbedingungen öffentlichen Verwaltens
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Demokratie und Exekutive Kurt Kippels
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Die demokratische Legitimation der öffentlichen Verwaltung
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Responsivität und Verantwortlichkeit der öffentlichen Verwaltung Nathalie Behnke
45
Verwaltung und Partizipation: Von der Hierarchie zur partizipativen Governance? Lars Holtkamp
65
„Innere Demokratisierung“ der öffentlichen Verwaltung
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Die „Demokratisierung“ des Verwaltungspersonals in Deutschland Michael Ruck
89
Mitbestimmung im öffentlichen Dienst Werner Dörr
113
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Inhalt
Die öffentliche Verwaltung in der Gegenwartsgesellschaft
133
Das Verhältnis von öffentlicher Verwaltung und öffentlicher Meinung im demokratischen politischen System Deutschlands Edwin Czerwick
135
Die Europäische Metropolregion Rhein-Neckar als Beispiel für wirtschaftsinitiierte Verwaltungskooperation Ulrich Sarcinelli/Mathias König/Wolfgang König
157
Kooperative Verwaltung – Ausdruck einer demokratisierten Verwaltung? Nicolai Dose
177
Verwaltungsdemokratie durch Verwaltungsreformen?
197
New Public Management und die Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung Katrin Möltgen/Wolfgang Pippke
199
Die kundenorientierte Verwaltung – zu den Facetten eines Leitbildes der Verwaltungsmodernisierung Wolfgang H. Lorig
225
Zusammenfassung
247
Demokratische Verwaltung im demokratischen Staat Edwin Czerwick/Wolfgang H. Lorig/Erhard Treutner
249
Autorenverzeichnis
271
Rechtliche Rahmenbedingungen öffentlichen Verwaltens
Einleitung
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Einleitung
Edwin Czerwick/Wolfgang H. Lorig/Erhard Treutner
Die in diesem Band vorgelegten Beiträge zur öffentlichen Verwaltung in der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland analysieren und reflektieren eine Thematik, die sowohl aus demokratietheoretischer wie demokratiepraktischer als auch aus verwaltungstheoretischer und verwaltungspraktischer Perspektive von erheblicher Relevanz ist (Dreier 1991; Czerwick 2001). Gleichwohl handelt es sich dabei bislang eher um ein Desiderat der Verwaltungsforschung. Dies erstaunt insofern, als die öffentliche Verwaltung von größter Bedeutung für das Leben eines jeden einzelnen Bürgers, für politisches Entscheiden und das politische Institutionensystem ist. Die Gründe dafür, warum das komplexe Verhältnis von öffentlicher Verwaltung und Demokratie in Deutschland – anders als in den Vereinigten Staaten von Amerika – auf ein geringes wissenschaftliches Interesse stößt, sind keineswegs offensichtlich. Ein Grund könnte darin liegen, dass in Deutschland noch immer ein Verständnis von Verwaltung dominiert, das Max Weber vor hundert Jahren pointiert dargelegt hat. Dabei wird aber die für ihn so zentrale Fragestellung, wie Demokratie und individuelle Freiheit in einem durch die Machtstellung der Bürokratie eingeschränkten Sinne noch möglich sind (Weber 1988: 333), gänzlich ignoriert. 1 Zur Überwindung dieses Defizits möchte der hier vorgelegte Sammelband beitragen. Sein Schwerpunkt liegt auf verwaltungswissenschaftlichen Fragestellungen, indem untersucht wird, welche Bedeutung die Demokratie bzw. das demokratische System für die öffentliche Verwaltung hat und wie das demokratische System in Deutschland auf das Verwaltungshandeln einwirkt. Im Gegensatz dazu werden die möglichen Auswirkungen des Verwaltungshandelns auf das demokratische System zwar nicht ausgeblendet, erfahren aber eine etwas geringere Beachtung. Die Begründung für diese politikwissenschaftliche und verwaltungswissenschaftliche Akzentsetzung ist unter anderem darin zu sehen, dass die interessierte Öffentlichkeit zwar relativ viel über das demokratische 1 Zum Verhältnis von Demokratie und Bürokratie bei Max Weber siehe Czerwick (2001: 72-78).
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Edwin Czerwick/Wolfgang H. Lorig/Erhard Treutner
System weiß, doch nur wenig darüber, wie die öffentliche Verwaltung mit dem demokratischen System „umgeht“. Die öffentliche Verwaltung ist insofern ein hervorragendes Verbindungselement für unterschiedliche wissenschaftliche Fachdisziplinen, da sowohl der Umfang ihrer administrativen Aktivitäten als auch die Vielgestaltigkeit ihrer organisatorischen Strukturen, und damit ihre rechtlichen Bindungen, als auch ihre vielfältigen Einflüsse auf die Gesellschaft sie zu einem prominenten Gegenstand einer inter- oder transdisziplinären Betrachtungsweise machen. Die Herausgeber waren bemüht, Wissenschaftler aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen für Beiträge zu gewinnen, um die facettenreichen Beziehungen zwischen öffentlicher Verwaltung und der demokratischen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland möglichst aus zahlreichen Wissenschaftsperspektiven darzustellen. Dazu werden spezifische Struktur-Prozess-Zusammenhänge und die durch sie bestimmten Mechanismen der Interaktion von Akteuren analysiert und reflektiert. Axiomatisch wird davon ausgegangen, dass eine demokratische öffentliche Verwaltung als integraler Bestandteil eines demokratischen politischen Systems fungiert (Gawthrop 1987: 213) und insoweit Stabilität und Funktionsweise demokratischer Systeme auch von dem Maß an struktureller Komplementarität der öffentlichen Verwaltung mit den demokratischen Normen, Institutionen und Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates abhängig sind. Strittig muss dabei aber bleiben, wie intensiv die öffentliche Verwaltung nach innen und außen demokratisiert sein muss, damit sie zu einem integralen Bestandteil des demokratischen Systems wird und auf die demokratische Praxis positiv einwirken kann. Dementsprechend ist die Ausgestaltung des Verhältnisses von Demokratie und Bürokratie, von demokratischem politischen System und öffentlicher Verwaltung von erheblicher praktischer Relevanz für jede freiheitliche politische Ordnung: für die politischen Partizipationschancen der Bürgerschaft, die Leistungsfähigkeit des politischen Systems sowie für die Innovationsfähigkeit der Gesellschaft insgesamt. Gegenstand der Publikation sind die Wechselbeziehungen zwischen öffentlicher Verwaltung und demokratischem System in der Bundesrepublik Deutschland. Die relevanten Facetten der komplexen Thematik werden von unterschiedlichen Autoren/Innen analysiert, wobei besondere Aufmerksamkeit den Schnittstellen von demokratischem System und öffentlicher Verwaltung zukommt. Dabei geht es vor allem um eine kritische Reflexion dieser wechselseitigen Beziehungen. Viel zu oft wird die öffentliche Verwaltung als eine gegenüber dem demokratischen System abgegrenzte Institution aufgefasst; viel zu selten werden die von der Demokratie auf die öffentliche Verwaltung ausgehenden Einflüsse zur Kenntnis genommen. Gerade die Bürokratieforschung im Anschluss an Max Weber geht noch immer davon aus, dass die
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wider die Demokratie gerichtete Bürokratisierung der Welt die Folge von Rationalisierungsprozessen ist, die ihre Ursprünge und Folgen in den öffentlichen Verwaltungen haben. Im Gegensatz dazu vertreten wir die Auffassung, dass gerade den Einflüssen, die vom demokratischen System auf die öffentliche Verwaltung ausgehen, zukünftig erheblich mehr wissenschaftliche Beachtung geschenkt werden muss, wenn die „deutsche Demokratie“ und darin eingebettet das Verwaltungshandeln angemessen verstanden werden sollen. Solche Einflüsse finden sich unter anderem in gesellschaftlichen Partizipationsansprüchen, Demokratisierungsforderungen, der Ökonomisierung von Lebensverhältnissen und im gesellschaftlichen Wertewandel. Es kann deshalb nicht erstaunen, wenn sich seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland die Wechselwirkungen und Wechselbeziehungen zwischen demokratischem System und öffentlicher Verwaltung erheblich intensiviert haben, auch wenn gelegentlich behauptet wird, die öffentliche Verwaltung in Deutschland sei eine rein bürokratische Organisation, die eher ein Widerlager denn eine Komplementärerscheinung zum demokratischen System darstelle. Gegen eine solche Sichtweise argumentieren die in diesem Band abgedruckten Beiträge. Dabei wird grob unterschieden zwischen einer „inneren“ und einer „äußeren“ Demokratisierung, auch wenn bewusst ist, dass „innere“ und „äußere“ Demokratisierung häufig ineinander übergehen. Ausgehend von den rechtlichen Rahmenbedingungen öffentlichen Verwaltens, insbesondere ihrer demokratischen Legitimation, werden die unterschiedlichen Möglichkeiten einer „verwaltungsinternen Demokratie“ diskutiert. Sie zeigen sich in den Einstellungen des Verwaltungspersonals zur Demokratie, ihrer Responsivität gegenüber der gesellschaftlichen Umwelt und der Mitsprache sowie Mitbestimmung des Verwaltungspersonals an den sie betreffenden Angelegenheiten. Die „äußere“ Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung lässt sich vor allem an den Möglichkeiten festmachen, die die Verwaltung gesellschaftlichen Gruppen einräumt, an administrativen Entscheidungen mitzuwirken. Wie „innere“ und „äußere“ Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung zusammen fallen, wie sie sich ergänzen oder widersprechen, lässt sich am Beispiel der inzwischen langjährigen Versuche darstellen, die öffentliche Verwaltung mit Hilfe von New Public Management (NPM) bzw. des Neuen Steuerungsmodells (NSM) zu „modernisieren“. Dementsprechend wird eine Reihe von Beiträgen auf diese Konzepte und deren Anwendungen in der Praxis Bezug nehmen. In der Innenperspektive des Verhältnisses von Demokratie und öffentlicher Verwaltung geht es dabei um Prozesse der Enthierarchisierung, der Delegation von Entscheidungsbefugnissen nach „unten“, um selbstorganisierte oder teilautonome Arbeitsteams und demokratieangemessene Formen von Public
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Edwin Czerwick/Wolfgang H. Lorig/Erhard Treutner
Leadership (Koch/Dixon 2007; Koch 2008: 302 ff.), wo Einzelanweisungen zugunsten genereller Entscheidungsprogrammierung reduziert werden sollen. Dagegen verweist die Außenperspektive des Verhältnisses von Demokratie und Verwaltung auf Ansätze zu einer „partizipativen Verwaltung“ (Holtkamp 2006) bzw. auf der kommunalen Ebene auf das Reformmodell der „Bürgerkommune“ (Bogumil/Holtkamp/Schwarz 2003). Anders als im mikroökonomischen Verwaltungsreformprogramm des NPM beinhalten mittlerweile die Kombinationen der diversen Governance-Modi relevante Demokratisierungspotentiale im Sinne einer Erweiterung und Intensivierung von Bürgerpartizipation an Verwaltungspolitik und -entscheidungen. In diesem Sinne meint Good Governance (Agere 2000: 23 ff.) eine effiziente, rechtsstaatliche und bürgernahe Staats- und Verwaltungspraxis, verweist also auf die Demokratiequalität und die Legitimität des Regierens. Mit der Governance-Perspektive wird Effizienz als das Hauptkriterium einer leistungsfähigen öffentlichen Verwaltung relativiert und zugleich an die „strukturelle Kopplung zwischen demokratischem System und öffentlicher Verwaltung“ (Czerwick 2001) erinnert: Denn mit der Akzentuierung von Optimierungszielen wie Effektivität, Effizienz, Rechtsmäßigkeit und Legitimation „kommt es zu einer Rethematisierung von Problemen und Möglichkeiten demokratischer Steuerung und Regierung“ (Bogumil 2005: 501). Gegen eine solche optimistische Auffassung spricht jedoch eine Politik der Privatisierung, Teil-Privatisierung, Deregulierung und Entstaatlichung, die als Reaktionen auf Prozesse der Globalisierung, defizitärer öffentlicher Haushalte und eines internationalen Standortwettbewerbs propagiert und betrieben wird. Sie fördert nicht eine Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung, sondern schneidet diese tendenziell von der Gesellschaft ab. Von erheblichem Einfluss sind dabei die vom NPM inspirierten Modernisierungsdesigns, welche auf einen managerial state hin angelegt sind, in welchem Effizienzoptimierung vor allem durch die Trennung zwischen den strategischen Aufgaben der politischen Führung und dem operativen Geschäft der Verwaltung, durch Leistungswettbewerbe, durch Zielvereinbarungen und durch systematisches Controlling angestrebt werden soll (Pollitt/Boukaert 2000). Doch wurden bei der Umsetzung von NPM auch die vielfältigen Inkonsistenzen und praxisfernen Annahmen dieses Modernisierungsmodells offenkundig: So bleiben die vom NPM inspirierten Modernisierungsentwürfe defizitär, wenn sie die vielfältigen sozialen, politischen und historischen Kontextfaktoren der öffentlichen Verwaltung bei Konzeptualisierung und/oder Implementierung ausblenden (Boukaert 2006; Hood 2007) sowie die Komplexität der Governance-Regime in der Verwaltung selbst unterschätzen (Benz 2006: 45). Weil in der Verwaltungspraxis zahlreiche Annahmen von NPM sich als nicht realisierbar erwiesen haben und inzwischen die Konturen einer „neoweber-
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ianischen Verwaltung“ (Boukaert 2006) erkennbar sein sollen, wurden die Governance-Diskurse 2 breitenwirksam rezipiert. In ihnen wird unter anderem darauf hingewiesen, dass Verwaltung und Verwaltungsreform kontextbezogen zu analysieren und diskutieren sind (Jann/Wegrich 2004), was in den NPMDiskursen zunächst weitestgehend ausgeblendet war. Eine nachhaltige Modernisierung der öffentlichen Verwaltung ist jedoch ohne Einbeziehung ihrer spezifischen Umwelt nicht möglich. Dementsprechend müssen in die Reformdiskurse solide begründete Vorstellungen darüber einfließen, welche Bedeutung eine Verwaltung innerhalb des demokratischen Systems und für das demokratische System hat. Dazu gehören u.a. Fragen nach dem Aufbau mittelfristig wirkender Steuerungskonzepte und -instrumente, dem Zusammenspiel von politischer und strategischer Führung, den Auswirkungen der Rollenverteilung auf verschiedene Institutionen, inklusive der Kooperation mit anderen Verwaltungseinheiten und Privaten sowie der Partizipation von Bürger/Innen an administrativen Entscheidungen (Schedler 2006: 266-267). Als ein politisch initiierter und moderierter Prozess zielt Verwaltungsreform letztlich auf eine Veränderung der Verwaltungskultur im Binnen- und Außenverhältnis und wirkt damit unmittelbar auch auf das demokratische System zurück. Die tradierte hierarchisch gesteuerte kontinuierliche Anpassung an neue Umweltbedingungen wird inzwischen durch offene Prozesse ergänzt, in welchen andere Typen der Koordination individueller und kollektiver Akteure angewandt werden, wie zum Beispiel Verhandlungen, Netzwerkbildungen oder Wettbewerb. Sie alle stehen in enger Verbindung zur „Idee der Demokratie“ und zur demokratischen Praxis, auch wenn dies eher selten bewusst reflektiert wird. Wo dies aber geschieht, werden öffentliche Verwaltung und Verwaltungsreform zu einer „Aufgabe des Regierens“ (Blanke 2005: XIII), was auf ein Verständnis von öffentlicher Verwaltung abhebt, das unmittelbar ihre Rolle im demokratischen System in den Vordergrund des Interesses rückt. Dann aber geht es nicht mehr allein um Fragen der Verwaltungseffizienz und Verwaltungseffektivität, sondern zugleich um Fragen der Verantwortlichkeit gegenüber den Bürgern, um die legitimatorische Qualität von Verwaltungsentscheidungen und um ihre Verträglichkeit mit den Imperativen des demokratischen Systems. In diesem Kontext entstehen zwangsläufig neue Formen der Steuerung und der Entscheidung (Governance-Designs), die auf Enthierarchisierung und Selbstorganisation angelegt sind – und damit die Frage nach einer „inneren“ und „äußeren“ Demo2 Analytisch verweist der Begriff „Governance“ auf Regelungsstrukturen zur Vorbereitung und Durchsetzung „guter“ Entscheidungen, weshalb er normativ auf ein „besseres“ Regieren zielt. Dabei werden „Staat, Markt, soziale Netzwerke und Gemeinschaften in variablen Kombinationen“ und „Elemente von Hierarchie, Wettbewerb und Verhandlungssystemen“ (Walkenhaus 2006: 163) gleichzeitig genutzt.
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Edwin Czerwick/Wolfgang H. Lorig/Erhard Treutner
kratisierung der öffentlichen Verwaltung und ihrem Verhältnis zueinander auf die Agenda zukünftiger Forschung setzen. Literaturverzeichnis Agere, Sam (2000): Promoting Good Governance. Principles, Practices and Perspectives, London. Benz, Arthur (2006): Eigendynamik von Governance in der Verwaltung, in: Jörg Bogumil/Werner Jann/Frank Nullmeier (Hrsg.): Politik und Verwaltung, Opladen, S. 29-49. Benz, Arthur (2007): Nationalstaat, in: Ders. u.a. (Hrsg.): Handbuch Governance, Wiesbaden, S. 339352. Blanke, Bernhard (2005): Verwaltungsreform als Aufgabe des Regierens – Einleitung, in: Ders. u.a. (Hrsg.): Handbuch zur Verwaltungsreform, 3. Aufl., Wiesbaden, S.XIII-XIX. Blatter, Joachim (2006): Governance als transdisziplinäres Brückenkonzept für die Analyse von Formen und Transformationen politischer Steuerung und Integration, in: Jörg Bogumil/Werner Jann/Frank Nullmeier (Hrsg.): Politik und Verwaltung, Wiesbaden, S. 5076. Bogumil, Jörg (2005): Die Umgestaltung des Verhältnisses von Politik und Verwaltung, in: Bernhard Blanke u.a. (Hrsg.): Handbuch zur Verwaltungsreform, 3. Aufl., Wiesbaden, S. 494-502. Bogumil, Jörg/Holtkamp, Lars/Schwarz, Gudrun (2003): Das Reformmodell Bürgerkommune. Leistungen – Grenzen – Perspektiven, Berlin. Boukaert, Gert (2006): Auf dem Weg zu einer neo-weberianischen Verwaltung, New Public Management im internationalen Vergleich, in: Jörg Bogumil/Werner Jann/Frank Nullmeier (Hrsg.): Politik und Verwaltung, Opladen 2006, S. 354-373. Czerwick, Edwin (2001): Bürokratie und Demokratie, Berlin. Dreier, Horst (1991): Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, Tübingen. Gawthrop, Louis C. (1987): Towards an Ethical Convergence of Democratic Theory and Administrative Politics, in: R. C. Chandler (Hrsg.): A Centennial History of the American Administrative State, New York, S. 189-203. Holtkamp, Lars (2006): Partizipative Verwaltung – hohe Erwartungen, ernüchternde Ergebnisse, in: Jörg Bogumil/Werner Jann/Frank Nullmeier (Hrsg.): Politik und Verwaltung, Wiesbaden, S. 185-207. Hood, Christopher (2007): Public Management. The word, the movement, the science, in: Ewan Ferlie/Laurence E. Lynn, Jr./Christopher Pollitt (Hrsg.): The Oxford Handbook of Public Management, Oxford, S. 7-26. Jann, Werner/Wegrich, Kai (2004): Governance und Verwaltungspolitik, in: Arthur Benz (Hrsg.): Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, Wiesbaden, S. 11- 28. Koch, Rainer (2008): Neue Steuerung und Mitarbeiterführung, in: Ders. (Hrsg.): Strategischer Wandel des Managements öffentlicher Dienste. Design-orientierte Managementlehre und Modernisierung öffentlicher Dienste, Wiesbaden, S. 301-316. Koch, Rainer/Dixon, John Dixon (Hrsg.) (2007): Public Governance und Leadership, Wiesbaden. Pollitt, Christopher/Bouckaert, Geert (2000): Public Management Reform. A Comparative Analysis, Oxford. Schedler, Kuno (2007): Public Management and Public Governance, in: Arthur Benz u.a. (Hrsg.): Handbuch Governance, Wiesbaden, S. 253-268. Schröter, Eckhard (2001): Staats- und Verwaltungsreformen in Europa: Internationale Trends und nationale Profile, in: Ders. (Hrsg.): Empirische Policy- und Verwaltungsforschung, Opladen, S. 415-445.
Einleitung
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Walkenhaus, Ralf (2006): Governance, in: Rüdiger Voigt/Ralf Walkenhaus (Hrsg.): Handwörterbuch zur Verwaltungsreform, Wiesbaden, S. 162-166. Weber, Max (1988): Gesammelte Politische Schriften, 5. Aufl., Tübingen.
Öffentliche Verwaltung in der Demokratie
Die demokratische Legitimation der öffentlichen Verwaltung
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„Innere Demokratisierung“ der öffentlichen Verwaltung
Demokratie und Exekutive
Kurt Kippels
„The government of the people, by the people, for the people“ (Abraham Lincoln, Gettysburg Address vom 19.11.1863)
1 Demokratie Bevor im Folgenden aus verfassungsrechtlicher Sicht der Versuch unternommen wird, die demokratische Legitimation des Verwaltungshandelns in der Bundesrepublik Deutschland zu untersuchen, ist es zunächst unerlässlich, aus den vielen Demokratiebegriffen (Präsidial-, Basis-, Volks-, Räte-, Radikal-, Partizipationsdemokratie etc.) den des Grundgesetzes herauszudefinieren, zumindest aber den Kernbereich dessen zu bestimmen, was Demokratie in unserem Verfassungssystem bedeutet. In einem weiteren Schritt wird nach dieser Analyse zu klären sein, ob das Staatsformmerkmal „Demokratie im Sinne des Grundgesetzes“ überhaupt noch angesichts der fortschreitenden Integration Europas in der Bundesrepublik Geltung besitzt. Da die Gesetzgebung des Bundestages, der das Deutsche Volk als Träger der Souveränität repräsentiert, immer mehr durch die Rechtssetzung der EU verdrängt wird, stellt sich diese Frage vorrangig und verlangt nach dem Aufweisen von Lösungen, um einen drohenden Verfassungsbruch zu vermeiden. Nur unter der Prämisse eines demokratischen Deutschlands kann sich danach die Untersuchung anschließen, wie es um das Verhältnis von Demokratie zu Verwaltung bestellt ist. 1.1 Demokratie im Sinne des Grundgesetzes Im Sinne der Allgemeinen Staatslehre, die bei der Trägerschaft der Staatsgewalt (Herrschaft, griechisch: kratia) zwischen einem (griechisch: monos, Monokratie), einigen (griechisch: oligoi, Oligarchie) und allen (gemeint ist das gesamte Volk, griechisch: demos, Demokratie) unterscheidet, bedeutet Volk
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Kurt Kippels
regelmäßig das Staatsvolk, d.h. die Gesamtheit aller wahlberechtigten Staatsangehörigen. In der Bundesrepublik Deutschland versteht man unter dem Staatsvolk die Deutschen im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG, das sind nicht nur die deutschen Staatsangehörigen, sondern auch die so genannten „Statusdeutschen“, d.h. die Flüchtlinge oder Vertriebenen „deutscher Volkszugehörigkeit“ oder deren Ehegatten oder Abkömmlinge, die „in dem Gebiete des Deutschen Reichs nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden“ haben. Zu diesen Deutschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit zählen beispielsweise die Russlanddeutschen, die Siebenbürger Sachsen, aber auch Deutschstämmige aus Danzig, wenn die genannten Kriterien des Art. 116 erfüllt sind. 1 Eine weitere Besonderheit ergibt sich aus der besonderen Staatsform der Bundesrepublik Deutschland als Bundesstaat, in dem jedes Bundesland als Staat im Sinne der Allgemeinen Staatslehre über ein eigenes Staatsvolk und damit eine eigene Staatsangehörigkeit verfügt. Nicht zum deutschen Staatsvolk und damit auch zu keinem der Staatsvölker der Bundesländer zählen die in Deutschland sich aufhaltenden Ausländer, einschließlich der Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten der EU, und die Staatenlosen. Deren Anteil an der „deutschen Bevölkerung“ beträgt immerhin ca. 8,1% oder 6,74 Millionen Einwohner. 2 In der Stadt Köln sind von ca. 990.000 Einwohnern 16,9 % oder über 165 000 Menschen Nichtdeutsche 3. Ein „Staatsvolk“ der Gemeinden und Gemeindeverbände ist begrifflich ausgeschlossen. Im Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG ist vom „Volk (…) in den Kreisen und Gemeinden“ die Rede, das im Rat und im Kreistag Volksvertretungen besitzt, die jedoch keine (staatsrechtlichen) Parlamente, sondern kommunale Verwaltungsorgane sind (OVG Münster, Urteil vom 25.07.78, DVBl. 78: 895). Volk im Sinne von „Demos“ gibt es also auf kommunaler Ebene nicht, allenfalls im Sinne einer partikularen Gewalt als „Teilvolk“ des Volks des jeweiligen Bundeslandes. Gleichwohl sollen auf dieser Stufe „demokratische Prinzipien“, also Elemente der „Demokratie“ gelten. Andererseits hat Recht der EU - in diesem Fall der Art. 19 EGV 4 - den „Teilvolksbegriff“ auf Kommunalebene erweitert. Seit 1992 ist in Art. 28 Abs. 1 GG folgender neuer Satz 3 eingefügt worden: „Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaften wahlberechtigt und wählbar.“ Somit 1 Die über 2,2 Mio. seit 1990 nach Deutschland übergesiedelten „Spätaussiedler“ bilden die Hauptgruppe der Statusdeutschen. Vgl. Kippels (2005: 81). 2 Statistisches Bundesamt Wiesbaden nach den Angaben des Ausländerzentralregisters Ende 2007, Jahrbuch 2008, Wiesbaden. 3 Stand: 31.12.2006, sämtliche Angaben nach Veröffentlichung des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 2007. 4 EG-Vertrag vom 2.10.1997, zuletzt geändert durch Vertrag vom 25.4.2005 (Abl. EG Nr. L 157/11).
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enthält der Art. 28 Abs. 1 GG bereits zwei Modifikationen des staatsrechtlichen Volksbegriffes, eine einengende auf die „Minidemokratie der Gemeinde“ und eine ausweitende beim Bürgerbegriff im europarechtlichen Sinne. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG bestimmt das Volk, gemeint sind also (nur) die Deutschen i.S.d. Art. 116 GG, zum alleinigen Träger der Staatsgewalt. Über Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG gilt das für die Staatsorganisation der Bundesländer entsprechend. In der Demokratie darf Staatsgewalt also keine andere Legitimationsquelle als das Volk besitzen („Volkssouveränität“). Kernbereich der „Demokratie i.S.d. GG“, der durch Art. 79 Abs. 3 GG vor jeder Veränderung geschützt ist, ist also ausschließlich die Volkssouveränität, neben der es keine andere Quelle staatlicher Machtlegitimation geben darf. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG gestaltet den Grundsatz der Volkssouveränität aus. Er legt fest, dass das Volk die Staatsgewalt, deren Träger es ist, außer durch Wahlen und Abstimmungen durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausübt. Das setzt voraus, dass das Volk einen effektiven Einfluss auf die Ausübung der Staatsgewalt durch diese Organe hat. Deren Akte müssen sich auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden. Dieser Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft wird vor allem durch die Wahl des Parlaments, durch die von ihm beschlossenen Gesetze als Maßstab der vollziehenden Gewalt, durch den parlamentarischen Einfluss auf die Politik der Regierung sowie durch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung hergestellt (BVerfGE 93: 37, 66-67). Aus dieser Wertung folgt, dass es nur die parlamentarischen Körperschaften des Bundes und der einzelnen Länder sind, die für jedes Staats- bzw. Verwaltungshandeln die Letztverantwortung tragen dürfen und müssen. Zwingende Folge dieser Feststellung ist weiterhin, dass kein sonstiger Träger hoheitlicher Gewalt in dieser Weise demokratisch organisiert sein kann, weder auf innerstaatlicher Ebene, z.B. als Gemeinde, sonstiger Träger von Selbstverwaltung, unmittelbarer oder mittelbarer Staatsverwaltung, noch im Rahmen supranationaler Organisationen wie z.B. der EU oder der NATO. Eine andere Form demokratischer Legitimation als über die Parlamente des Bundes und der Länder ist damit ausgeschlossen, um die Einheitlichkeit der Staatsverwaltung nicht durch viele Subsysteme mit eigener demokratischer Legitimation, z.B. durch die Bediensteten einer Exekutive oder die Nutzer einer Einrichtung bzw. die Angehörigen einer Körperschaft in Frage zu stellen („Staaten im Staate“). Das Parlament ist „Legitimationsspender“ (Bremischer Staatsgerichtshof, NVwZ 89: 954 f.) für alle staatliche Organisation und jede Form von Exekutivbzw. Verwaltungstätigkeit. Es repräsentiert das Volk und damit den „Staat“. „Demokratie i.S.d. GG“ ist also ohne „Staat“ nicht denkbar. Nur Staaten können
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Demokratien sein. Andere Einrichtungen, privatrechtliche wie Parteien nach Art. 21 GG oder öffentlich-rechtliche wie Hochschulen und Sozialversicherungsträger als funktionale Selbstverwaltungsträger können sich allenfalls nach „demokratischen Grundsätzen“ strukturieren, ihre demokratische Legitimation können sie aber nur aus einem Parlament beziehen, das ein Volk, einen demos, repräsentiert oder vertritt. Jedes Verwaltungshandeln bedarf also einer ununterbrochenen effektiven, d.h. durch Aufsichts- und Kontrollrechte geprägten Legitimationskette zum im Parlament verkörperten Souverän. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG regelt die Trägerschaft der einheitlichen und ausschließlichen Staatsgewalt (Volkssouveränität), der nachfolgende Satz 2 die Ausübung dieser Staatsgewalt durch das Volk „in Wahlen und Abstimmungen“ und durch die drei Gewalten, also die „Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung“. Nach dem grammatikalischen Wortlaut wird die Staatsgewalt also zum einen durch das Volk direkt und zum anderen durch die drei institutionalisierten Gewalten der Legislative, der Exekutive und der Judikative mittelbar ausgeübt, beide Demokratieformen stehen damit (gleichberechtigt) nebeneinander. Nach herrschender Meinung (Stern 1987: 607) bekennt sich das GG jedoch in diesem Satz zur mittelbaren Demokratie als Regelfall und zur unmittelbaren Demokratie als Ausnahmefall, der auf Bundesebene nur durch Verfassungsänderung begründet werden kann. Diese Auffassung wird durch den Hinweis auf das Gesamtkonzept des GG mit seinen „Ausführungsvorschriften zum Demokratieprinzip“, z.B. den Art. 38, 21, 51 und 54 GG, ebenso gestützt wie durch den Willen des Verfassungsgebers, der nach den Erfahrungen der Weimarer Zeit von einer ausgeprägt antiplebiszitären Haltung bestimmt war. Sie führt dazu, dass im geltenden GG nur die Verfahren zur Neugliederung des Bundesgebiets nach Art. 29 einer plebiszitären Entscheidung durch die Völker der betroffenen Bundesländer zugänglich sein sollen. Ob dieses Regel-Ausnahme-Prinzip auch auf die Abstimmungen des Volkes, z.B. Volksentscheide, Volksbegehren und verbindlichen Volksbefragungen nach der ersten Alternative des Satzes 2 Anwendung findet, kann mit guten Gründen bestritten werden. 5 Durch Verfassungsänderung wäre jedoch unstrittig eine Einführung unmittelbarer Volksbeteiligung denkbar und sie wird auch von vielen Fraktionen im Bundestag angestrebt. 6 Selbst die Direktwahl eines Amtswalters auf Bundesebene – z.B. die Wahl des Bundespräsidenten – wäre ebenso eine vorstellbare und zulässige Verfassungsänderung wie die Einführung einer Präsidialdemokratie. Auf der Kommunalebene gibt es bereits Direktwahlen des Leitungsorgans, 5 Überblick zum Meinungsstreit bei Koenig (1993: 147). 6 Gesetzentwürfe der SPD gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen (Bundestags-Drucksache 14/8503), der FDP (BT-Drucksache 16/474) und der Fraktion Die Linke (BT-Drucksache 16/7375).
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wie z.B. die direkte Wahl des Bürgermeisters in Nordrhein-Westfalen. Nach geltendem Verfassungsrecht steht dem Volk jedoch auf Bundesebene nur eine Direktwahl einer Vertretungskörperschaft zu Gebote, die zum Deutschen Bundestag. Alle sonstigen Verfassungsorgane, insbesondere Bundesregierung, Bundesversammlung (damit auch Bundespräsident) und Bundesrat kommen ohne direkte Volksbeteiligung zu Stande. Seit Begründung der Bundesrepublik war das Volk - und auch nicht das Bundesvolk, sondern die in Art 118 GG genannten „Teilvölker“- unmittelbar auf Bundesebene nur einmal an der Legislative beteiligt. 7 Dieser dezidiert antiplebiszitäre Charakter der Demokratie auf Bundesebene ist der Grund dafür, dass alle wesentlichen „Schicksalsfragen“ von der Wiederbewaffnung über den Beitritt zur NATO und zur EU, zur Einführung des Euro bis hin zur so genannten „Wiedervereinigung“8 ohne (direkte) Volksbeteiligung von den parlamentarischen Körperschaften beschlossen worden sind. Die Auffassung, dass die Demokratie i.S.d. Art. 20 GG repräsentativ sein müsse, lässt sich weder aus der „Mittelbarkeit“ der Demokratie9 noch aus dem von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kernbereich des Demokratieprinzips i.S.d. Art. 20 GG herleiten, jedoch eindeutig aus dem geltenden GG begründen, in diesem Fall aus Art. 38 Abs. 1 GG, der die Bundestagsabgeordneten von „Aufträgen und Weisungen“ freistellt und nur „ihrem Gewissen“ unterwirft, also eine klare Absage an das „imperative Mandat“ oder das „Rätesystem“ ausspricht. Es ist also zu konstatieren, dass Demokratie i.S.d. geltenden Grundgesetzes eine mittelbare, repräsentative Demokratie ist, die unmittelbare plebiszitäre Beteiligungsformen der Staatsvölker zulässt, auf Bundesebene nach wenig überzeugender h. M. jedoch nur nach vorangegangener Verfassungsänderung. Damit wären wir bei der letzten „Verfeinerung“ des Demokratiebegriffs des GG angelangt, der parlamentarischen Demokratie, die sich wiederum nicht zwingend aus dem Kernbegriff der Demokratie i.S.d. Art. 20 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG, aber aus dem Gesamtzusammenhang aller Verfassungsnormen des geltenden GG ergibt, insbesondere aus Art. 63 ff. GG. In ihr wird die Regierung – die Spitze der ihr unterstellten Verwaltung – von der zuständigen parlamentarischen Körperschaft (Bundestag oder einem der 16 Landesparlamente) gewählt, kontrolliert und gegebenenfalls gestürzt, wenn sie ihr Ende nicht mit dem gesetzlichen Ende der Legislaturperiode des Parlaments findet. Auf dem im geschichtlichen Rahmen ausgesprochen kurzen Weg von Rousseaus urdemokrati7 Volksbefragung der drei (Landes-)Völker von Baden, Württemberg-Baden und Württemberg Hohenzollern, angeordnet durch (Bundes-) Gesetz vom 4.5.1951 (BGBl. I, S. 283). 8 Eine Abstimmung des gesamten Deutschen Volkes nach Art. 146 GG war eine – neben dem tatsächlich gewählten Weg des Beitritts nach Art. 23 Satz 2 GG – verfassungsrechtliche Alternative. 9 Nach Roman Herzog, in Maunz-Dürig (2007), Rdnr. 3 zu Art. 20, werden „im Normalfall“ die mittelbare und die repräsentative Demokratie heute meist „in eins“ gesetzt.
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scher Idee der unmittelbaren Volksherrschaft war in etwa 200 Jahren eine sehr verfeinerte Realität einer mittelbaren, repräsentativen und parlamentarischen Institution geworden, die fortan den Souverän - das Volk - repräsentierte. Der Deutsche Bundestag und die Landtage der Länder sind als Repräsentanten des Volks „Gestalt gewordene Demokratie“. 1.2 Demokratie und europäische Integration Mit dem Beitritt der Bundesrepublik zum Vertrag von Maastricht im Jahr 1992 verlor die Bundesrepublik ihre erst 1990 gewonnene (volle) völkerrechtliche Souveränität in beträchtlichem Umfang, denn er war mit massiven Souveränitätsübertragungen an Brüssel und Straßburg verbunden, zum Beispiel der Aufgabe der deutschen Währungshoheit und der Begründung einer Unionsbürgerschaft für die Deutschen. Diese und andere Beschränkungen staatlicher Souveränität verwandelten den ökonomisch ausgerichteten Staatenbund der Europäischen Gemeinschaften in einen „Staatenverbund“ (Begriffsbestimmung, die auf Paul Kirchhoff zurückgeht, BVerfGE 89: 155) mit der politischen und rechtlichen Verpflichtung der Mitgliedstaaten zu einer „immer engeren Union (Art. 1 Abs. 2 EUV 10)“. An die Stelle des für den Beitritt des Saarlands und der DDR zur Bundesrepublik „verbrauchten“ alten Textes des Art. 23 GG trat eine neue Fassung, die in sieben Absätzen die „Verwirklichung eines vereinten Europas“ nach „demokratischen Grundsätzen“ und „dem Grundsatz der Subsidiarität“ zum Gegenstand hat und damit die Verwirklichung des zweiten Staatsziels der Bundesrepublik aus der Präambel des GG, „als gleichberechtigtes Glied in einem Vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“. Art. 23 GG spricht ausdrücklich von „demokratischen Grundsätzen“ für einen völkerrechtlichen Verbund souveräner Staaten - die EU - und nicht von einer „Demokratie“ für einen europäischen (Bundes-)Staat als ein neu zu begründendes souveränes Völkerrechtssubjekt. 11 In seinem „Maastricht-Urteil“ vom 10.12.1993 (BVerfGE 89: 155) hat das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß des EUV gegen diese demokratischen Prinzipien mit zwei Hauptargumenten verneint: der ausreichenden ununterbrochenen demokratischen Legitimationskette durch die Rückkoppelung des Handelns europäischer Organe an die Parlamente der Mitgliedstaaten und „die Legitimation durch das von den Bürgern der Mitgliedstaaten gewählte Europäische Parlament in seiner stützenden Funktion“. Zugleich hat es aber deutlich gemacht, 10 Der Gründungsvertrag der EU ist der Vertrag über die Europäische Union vom 7.2.1992 (BGBl. 1992 II S. 1251), zuletzt geändert durch Beitrittsakte vom 16. 4. 2003 (BGBl. II 2003, S. 1408). 11 Jarrass (2004), Rdnr. 3 und 29 zu Art. 23 m.w.N.
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dass dem Deutschen Bundestag Aufgaben und Befugnisse von substanziellem Gewicht verbleiben müssten. „Solange jedoch kein gesamt-europäischer Staat bzw. kein europäisches Staatsvolk mit entsprechender Homogenität oder ein europäischer Volkssouverän besteht, solange also keine gemeinschaftlich-staatskonstituierende Identität besteht, folglich auch keine europäische Verfassungsgebung das Europäische Parlament zum gemeinschaftlichen demokratischen Legitimationsorgan erheben kann, solange ist von einer zweistufigen (…) Demokratiestruktur (…) auszugehen“ (Scholz, in: Maunz-Dürig 2007, Rdnr. 57 zu Art. 23). Damit ist für den rechtlichen Status der europäischen Integration seit Maastricht in Form einer Union, die erheblich dichter ausgestaltet ist als ein traditioneller Staatenbund, aber eben (noch) kein Staat ist, die demokratische Rückkoppelung an das Europäische Parlament und die Nationalparlamente der Mitgliedstaaten gemeint. In diesem „Zwitterwesen“, das das Bundesverfassungsgericht als „Staatenverbund“ zwischen Staatenbund und Bundesstaat verortet hat, kann es keine Volksvertretung im Sinne der westlichen Demokratiedefinition geben. „Wird die Bundesrepublik Deutschland Mitglied einer zu eigenem hoheitlichen Handeln befähigten Staatengemeinschaft und wird dieser Staatengemeinschaft die Wahrnehmung eigenständiger Hoheitsbefugnisse eingeräumt – beides wird durch das Grundgesetz für die Verwirklichung eines vereinten Europas ausdrücklich zugelassen (Art. 23 Abs. 1 GG) –, kann insoweit demokratische Legitimation nicht in gleicher Form hergestellt werden wie innerhalb einer durch eine Staatsverfassung einheitlich und abschließend geregelten Staatsordnung“ (BVerfG E 89: 155, 182). Das oberste deutsche Gericht beschränkt seine Forderung an die EU daher konsequent darauf, dass ein insgesamt „hinreichend effektiver Gehalt an demokratischer Legitimation, ein bestimmtes Legitimationsniveau, erreicht wird“ (Ebenda). Mehr kann für einen Staatenverbund nicht verlangt werden, dessen Leitungsorgane sich wie in jedem anderen völkerrechtlichen Zusammenschluss souveräner Staaten aus dem Recht der Mitgliedstaaten ableiten. Das vielfach erörterte „Demokratiedefizit“ (Streinz 2003, Rdnrn. 281 ff. m.w.N.) der EU kann und muss hier nicht erörtert werden, weil es aus deutscher Verfassungssicht zwar ein Problem der qualitativen Realisierung der „demokratischen Grundsätze“ i.S.d. Art. 23 GG darstellt, die sich „schritthaltend mit der Integration“ (3. Leitsatz des „Maastricht-Urteils“) zu entwickeln habe, nicht aber des Kernbereichs der „Demokratie“ i.S.d. Volkssouveränität des GG. Der Beitritt zum „Staatenverbund“ der EU führte jedenfalls für die Bundesrepublik nicht zu einer Ausdehnung des Volksbegriffs, der in einer Demokratie praktisch identisch mit dem des Wahlvolkes ist, auf der Ebene der Staatsvölker der EU mit der Folge, dass das Deutsche Volk als ein Volk des europäischen
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(Bundes-)Volks zu qualifizieren wäre, so wie die Völker der Bundesländer zugleich das Deutsche Volk ausmachen. Einen Hinweis auf dieses Verständnis könnte allerdings die seit der Geltung des EGV bestehende Unionsbürgerschaft ebenso bieten wie die im - allerdings gescheiterten - Verfassungsvertrag von Rom verwendete Formulierung von den „Bürgerinnen und Bürgern der Union“ 12, die im Europäischen Parlament vertreten werden. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (8. Leitsatz, ebenda) und der absolut herrschenden Meinung der Literatur 13 gibt es jedoch kein Staatsvolk der EU, weil die EU kein (Bundes-) Staat ist. In Ermangelung eines Staatsvolks gibt es auf EU-Ebene demnach auch keine verfassungsgebende Gewalt eines Europäischen Volkes, d.h. es fehlt an der seit der Französischen Revolution elementaren „pouvoir constituant“, die ausschließlich bei jedem einzelnen der Völker der Mitgliedstaaten der EU begründet ist und nur durch einstimmigen Beschluss aller dieser Völker auf ein europäisches Bundesvolk übertragen werden könnte. Wenn aber die „Volkssouveränität“ derzeit noch durch die nationalen Parlamente der einzelnen EU-Mitgliedstaaten repräsentiert wird, dann muss bei diesen die Trägerschaft der Staatsgewalt in letzter effektiver Verantwortlichkeit und Verfügbarkeit verbleiben, wenn diese Staatsgewalt und damit ihr Vollzug durch die Exekutive noch demokratisch legitimiert sein sollen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob das Deutsche Volk, repräsentiert durch die deutschen Parlamente, angesichts der seit dem Maastrichter Vertrag stetig wachsenden Rechtsetzung der Organe der EU noch alleiniger Träger der Staatsgewalt in Deutschland ist. Auch wenn es nur ein rein quantitatives Indiz darstellt, in Straßburg und Brüssel werden erheblich mehr Rechtsakte erlassen, die in den Mitgliedstaaten der EU Geltung erlangen, als von nationalen Parlamenten als Repräsentanten ihrer Völker14. Wäre dieses Faktum allein schon 12 Art. I-20 Abs. 2 Satz 1 des Vertrages über eine Verfassung für Europa vom 29.10. 2004: „Das Europäische Parlament setzt sich aus Vertretern der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger zusammen.“ Er sollte die geltende Formulierung des Art. 189 EGV ändern, die von „Vertretern der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten“ spricht. (BRat-Drs. 983/04 v. 17.12.2004, S. 9 ff.). 13 Fischer 2001: 28-29. 14 Vgl. für Deutschland die Zahlenangaben des Bundesjustizministeriums (BMJ) in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage des Abgeordneten Johannes Singhammer, BT-Drs. 15/5434 vom 6.5.2005, Frage 21, an die Bundesregierung. Danach sind in den Jahren 1998 bis 2004 insgesamt 18167 EU-Verordnungen und 750 EU-Richtlinien erlassen und auf Bundesebene im selben Zeitraum 1195 Gesetze sowie 3055 Rechtsverordnungen verkündet worden. Daraus ergibt sich rein rechnerisch ein Anteil von 84 % europäischer Rechtssetzungsprovinienz bzw. 16% originärer deutscher Gesetzgebung. Aus diesen Daten ziehen Roman Herzog und Lüder Gerken (Vorstand des Centrums für Europäische Politik) im Beitrag „Europa entmachtet uns und unsere Vertreter“ (abgedruckt in der „Welt am Sonntag“ vom 14.1.2007) den Schluss, dass der größere Anteil an für Deutschland gültiger Rechtssetzung nicht mehr von deutschen Verfassungsorganen stammt. In einer ausführlichen Stellungnahme hat das BMJ dargelegt, dass die Antwort an den Abgeordneten auf einer „schlichten
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maßgebend für die Annahme einer (freiwilligen) Selbstaufgabe der Volkssouveränität, also der Letztentscheidungsfähigkeit des Deutschen Volkes über seine Eigenstaatlichkeit, seine erst 1990 errungene „volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten“15, dann wäre diese Untersuchung bereits mit dieser Feststellung beendet. Ohne Änderung des GG, wenn diese wegen Art. 79 Abs. 3 GG überhaupt zulässig wäre, führte nämlich die Annahme eines Verlustes der Volkssouveränität im Sinne des geltenden Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG zu einem Verfassungsbruch und damit wäre jeder weiteren Befassung mit demokratischer Legitimation von Verwaltungshandeln etc. die Grundlage entzogen, da alles Staatshandeln in Deutschland auf die ungeteilte Trägerschaft durch das Deutsche Volk oder die (Staats-)Völker der Länder rückführbar sein muss. Es geht also entscheidend darum, ob jenseits des für einen Staatenverbund geltenden Rahmens der „Ausschöpfungsmöglichkeiten“ des Art. 23 GG, der eine weitgehende Beschränkung der Rechte des deutschen Parlaments und damit der deutschen Souveränität bewusst anstrebt, die Übertragung von Rechtssetzungskompetenzen auf Rat und Parlament der EU soweit fortgeschritten ist, dass ultra vires der Kernbestand der Demokratie i.S.d. Art. 79 Abs. 3 GG verletzt ist. Ob der „point of no return“ auf dem Entwicklungsweg der EU in den Jahren seit Begründung der EU zu einer „immer engeren Union“ schon die vom Bundesverfassungsgericht markierte „Sollbruchstelle“ des Wegfalls von Aufgaben und Befugnissen von substanziellem Gewicht für den Bundestag erreicht hat und damit die EU bereits de facto ein Bundesstaat geworden ist, mag dahinstehen. Letztlich geht es um eine klare Antwort auf die Frage nach der Finalität der europäischen Integration, also um den politischen Willen einiger oder aller EUMitgliedsstaaten zu gemeinsamer Staatlichkeit oder zu einem „Einfrieren des status quo“. Wenn sich der Integrationsprozess fortsetzt, kann nur durch den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu einer mit Staatsqualität ausgestatteten europäischen Organisation, die nach ganz überwiegender Ansicht ein Bundesstaat, womöglich mit bislang ungekannten Strukturen und vielleicht einem bislang unbeDatenbankabfrage“ beruhe. Ferner betont es zu Recht, diese Zahlen ließen „keine Schlussfolgerung darüber zu, wie hoch der Anteil europäischen Rechts ist. Die Frage nach der jeweiligen Zahl der erlassenen Rechtsvorschriften ist zu unterscheiden von der Frage nach dem Anteil der aufgrund von europäischen Rechtsakten erlassenen deutschen Gesetzgebung. Methodische Probleme lassen seriöse quantitative Aussagen kaum zu“. In BVerfGE 89: 155, 173 wird Delors (ehemaliger Kommissionspräsident) zitiert, der von 80 % aller wirtschaftlichen und sozialen Entscheidungen der EU ausgeht, die nicht mehr von nationalen Parlamenten gefasst werden. 15 Art. 7 des Vertrages über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12. 9.1990, Quelle: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1990, Nr. 109, S. 1153.
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kannten Souveränitätsverständnis wäre 16, das Staatsformmerkmal „Demokratie“ für das Deutsche Volk - dann ein Volk als Teil des europäischen Bundesvolks oder der (gemeinsamen) souveränen Trägerschaft der Völker Europas - erhalten und damit ein demokratisch legitimiertes Verwaltungshandeln in Deutschland überhaupt möglich bleiben - dann in einem „Bundesstaat eines Bundesstaats“. Dem Demokratieverständnis der westlichen Welt entsprechend müsste sich die EU in einen wie immer ausgestalteten Bundesstaat aller oder einiger ihrer Mitglieder transformieren, damit nicht länger im Gewand eines Staatenbundes Machtverhältnisse verschleiert würden, wie sie de facto denen eines Zentralstaats (vergleichbar dem Bund im Rahmen der deutschen Bundesstaatlichkeit) in einem Bundesstaat entsprechen. 17 Nur das Bundesvolk eines vereinten Europas, das, wie bereits dargestellt, mangels eines noch ausstehenden Schöpfungsaktes der Völker Europas als eigenständiges Staatselement oder in gemeinsamer Trägerschaft dieser Völker noch nicht existiert, könnte von einem europäischen Parlament repräsentiert werden, das tatsächlich als demokratisch legitimiertes Legislativorgan im Sinne des westlichen Demokratiebegriffs zu qualifizieren wäre. Ein Beitritt der Bundesrepublik zu einem europäischen Staat wäre also unter dem Gesichtspunkt demokratischer Legitimation die einzige befriedigende Lösung der im Wortsinne „undurchsichtigen“ Strukturen des nichtstaatlichen Staatenverbunds EU. Zur Erreichung dieser Finalität des Integrationsprozesses bieten sich verschiedene Lösungen an. Das Deutsche Volk könnte sich als verfassungsgebende Gewalt („pouvoir constituant“) eine neue Verfassung geben, die auch in dem Beschluss über ein inhaltlich entsprechend geändertes Grundgesetz bestehen könnte. Für eine derartige Verfassung eines Gliedstaates innerhalb einer bundesstaatlichen Struktur Europas zeigt der Artikel 146 GG einen möglichen Weg (Jarrass 2004, Rdnr. 5 zu Art. 146) zur Verwirklichung dieses vom GG selbst angestrebten Ziels der Vereinigung Europas auf. Eine zeitgemäße Interpretation des Demokratie- und damit auch des Staatsbegriffs im Sinne des 79 Abs. 3 GG 16 Tomuschat (1996: 1075) versteht den Bundesstaatsbegriff bezogen auf die EU als offen und entwicklungsfähig. Ein Bundesstaat Europas könnte auch so konstruiert sein, dass die Staatsgewalt der Mitgliedstaaten erhalten bliebe und jede Erweiterung der Kompetenzen des Zentralstaates der Zustimmung der Mitgliedstaaten bedürfte. Bundesaußenminister Fischer hat in einer Rede vor Studenten der Berliner Humboldt Universität im Mai 2000 zur Schaffung eines föderalen europäischen Bundesstaates auf „der Grundlage einer Souveränitätsteilung von Europa und Nationalstaat“ aufgerufen (Kippels 2001: 159). „Der Begriff der Souveränität passt nicht in die neue Struktur des konvergierenden Staats- und Völkerrechts“ (Kokott/Vesting 2004: 21). 17 Mit dem Vertrag von Amsterdam vom Juni 1996 ist ein „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“ (Kippels 2001: 142) ermöglicht worden, das zu unterschiedlichen Intensitätsgraden der Integration führen kann, z.B. der „Euro-Zone“. Der Bundesstaat Europa könnte also durchaus von wenigen, dazu entschlossenen Staaten begründet werden und den späteren Beitritt weiterer Staaten des Staatenverbunds vorsehen.
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durch Aufgabe der Beschränkung des Volksbegriffs auf das Volk der Deutschen zu Gunsten der supranationalen Ebene eines neuartigen europäischen Bundesvolkes und des in der globalisierten Welt anachronistischen Rechtsinstituts der völlig autonomen Souveränität im völkerrechtlichen Sinne gestattet aber auch eine Umwandlung der Bundesrepublik Deutschland in einen Gliedstaat eines europäischen Bundesstaats durch bloße Änderung der bestehenden Verfassungsordnung des GG. 18 Über diese Aufgabe der souveränen völkerrechtlichen Eigenstaatlichkeit Deutschlands, die de facto ohnehin kaum noch gegeben ist, müsste das Deutsche Volk als durch Verfassungsänderung ermächtigte verfasste Gewalt („pouvoir constituant constitué“) und nicht an seiner Statt die parlamentarischen Körperschaften im Wege einer Volksabstimmung selbst eine Entscheidung treffen. Dieser unmittelbare Volksentscheid würde dem Volkssouverän materiell dieselbe Stellung einräumen wie der Akt einer unmittelbaren Schöpfung außerhalb des GG durch die verfassungsgebende Gewalt des Volkes („pouvoir constituant originaire“), der sich ohnehin einer rechtlichen Beurteilung entzieht. In jedem Fall würde er dem Grundprinzip der Volkssouveränität entsprechen. 2 Die Exekutive (Regierung und Verwaltung) Das Prinzip der Gewaltenteilung ist im bereits zitierten Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verankert, in dem die Ausübung der Staatsgewalt neben dem Volk den besonderen Organen „der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung“ obliegt. Gesetzgebung und Rechtsprechung lassen sich im materiellen Sinne recht exakt definieren, einerseits als der Erlass von Rechtsnormen und andererseits als die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten und das Verhängen von Strafen einschließlich der Ordnungswidrigkeiten (Hofmann 2005, Rdnr. 8). Die bislang noch herrschende Lehre hat vor diesem Hintergrund die vollziehende Gewalt, genauer die „öffentliche Verwaltung“, im Anschluss an Otto Mayer negativ aufgefasst „als Tätigkeit des Staates zur Verwirklichung seiner Zwecke unter seiner Rechtsordnung, insofern sie weder Gesetzgebung noch Rechtssprechung ist“ (Ebenda). Im Folgenden wird „vollziehende Gewalt“ nach dieser Substraktionsformel definiert und nach organisatorischen Gesichtspunkten differenziert in Bundesund Landesverwaltung (einschließlich der Kommunalverwaltung), in staatsunmittelbare, staatsmittelbare Verwaltung und Selbstverwaltung als spezifische Form des letztgenannten Verwaltungstyps. Die Verwaltung der EU bleibt unberücksichtigt, weil es einen unmittelbaren Vollzug von EU-Recht nur in seltenen 18 Jarrass (2004, Rdnr. 29 zu Art. 23, m.w.N.).
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Ausnahmefällen gibt (Fischer 2001: 131), vielmehr die Rechtssetzungen und Anordnungen der EU regelmäßig durch die Verwaltungen der Mitgliedstaaten vollzogen werden, in Deutschland also durch die nach deutschem Recht zuständigen Bundes- und Landesbehörden. Das deutsche Verwaltungsrecht grenzt die Tätigkeit der Regierung aus seiner Rechtsmaterie aus und weist diese dem Staats- und Verfassungsrecht zu, wobei es unter Verwaltung alle Organe fasst, die zur zweiten Gewalt zählen, ausgenommen die Regierung (Hofmann 2005, Rdnr. 14 f.). Diese weitere „Substraktionsformel“ setzt eine klare Definition der Regierung voraus, die - unbeschadet der Vorrangstellung des Parlaments - als „politische Staatsleitung“ (Ebenda) aufgefasst wird, also sich auf die Bestimmung der Richtlinien der Politik und die Gesetzesvorbereitung bezieht. Nach dem Verfassungsrecht des Bundes und der Länder bestehen die Regierungen, also im verfassungsrechtlichen Sinne die den Volksvertretungen verantwortlichen Spitzen der Verwaltung, aus dem Regierungschef (Kanzler, Ministerpräsident) und den Ministern. Die Minister sind nicht nur Mitglieder des Verfassungsorgans Regierung, sondern (grundsätzlich) auch Leiter eines Ministeriums, das seinerseits zwar oberste Bundes- oder Landesbehörde (der Verwaltung) ist, dessen Tätigkeit sich aber wesentlich auf Regierungsfunktion im materiellen Sinne bezieht. 2.1 Öffentliche Verwaltung in der Demokratie der Bundesrepublik Mit der Überwindung des absolutistischen Fürstenstaats wird die Trägerschaft der Staatsgewalt in einer Person (Monokratie) ausgewechselt durch die Allgewalt des Volkes, den „pouvoir constituant“ der Demokratie (Dreier 1991: 23). Dies ist eine zwar absolut herrschende, zugleich aber doch recht simple Idealvorstellung, verkennt sie doch eine wichtige Voraussetzung: die Existenz einer den Willen der von unterschiedlichsten Gruppen und Interessen geprägten Gesamtkörperschaft organisierenden und vollziehenden politikfähigen Einrichtung. Diese Einrichtung, dieser Apparat, wurde im Absolutismus Kontinentaleuropas die zentrale bürokratische Verwaltung des monokratischen Fürsten. Sie ist damit die „Keimzelle des modernen okzidentalen Staates“ (Weber 1976: 128). Als perfekte Maschine steuerte der absolutistische Herrscher dieses Räderwerk wie die Unruhe (Triebfeder) eine Uhr, die über zahllose Räder und Rädchen in hierarchischer Reihenfolge seinen Willen allein anzeigt. Befehl und Gehorsam waren und sind das Prinzip der Mechanik dieser Staats-Maschine. Die „Menschen in der Maschine“ waren idealer Weise Diener des Systems, die ohne jedes eigene Interesse an persönlicher Einflussnahme auf die Maschinenabläufe als Umsetzungsinstrumente „funktionierten“. Sie rekrutierten sich im Preußen des
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18. Jahrhunderts vor allem aus dem Heer, bei dem der Soldat seit Anbeginn den Typus des ganz von der Gehorsamspflicht innerhalb einer strengen Hierarchie bestimmten Funktionsträgers verkörperte (Dreier 1991: 46). Die persönlichpatrimoniale Herr-Diener-Beziehung wandelte sich schon bald in eine institutionelle Beziehung zum Staatsverband (Ebenda) und bewirkte damit auch eine Herrschaftsbeschränkung fürstlicher Willkür, die einen regelhaft arbeitenden und disziplinierten Beamtenapparat ad absurdum geführt hätte. Weder die Gründung des Zweiten Kaiserreichs von 1871 noch die Weimarer Verfassung, unter deren Geltung große Teile der Beamtenschaft ihrer inneren Einstellung nach „kaisertreu“ blieben, die Errichtung der Diktatur 1933 und auch nicht die Verfassungssysteme der DDR (1949-1990) oder des GG hatten wesentlichen Einfluss auf die im Absolutismus gelegten Fundamente, die Funktion und das Selbstverständnis der staatlichen Verwaltung. Trotz der Wechsel in der Staatsträgerschaft ist die Entwicklung der Staatsgewalt in Deutschland evolutionär, aber nicht revolutionär. Der revolutionäre Übergang zur Demokratie 1919 bedeutete die Konzentration aller Staatlichkeit auf die Volkssouveränität und das Ende des Dualismus zwischen Staat und Volk (Gesellschaft). Im suggestiven Rausch des Demokratiegedankens wurde zwar nach den Zusammenbrüchen des deutschen und des österreichischen Kaiserreichs über eine Demokratisierung der Vollzugsorgane debattiert (Ebenda: 122-123), aber allenthalben setzte sich doch rasch die Erkenntnis durch, dass der Vollzug der Gesetze nicht ebenso demokratisiert werden könne wie die Gesetzgebung selbst, dass man die Demokratie als Volksherrschaft, die sich im Parlament widerspiegelt, nicht auf dem Weg über die Verwaltung wieder in Frage stellen konnte. Die hierarchischmonokratische Verwaltungsorganisation ist damit die „komplementäre Figur des demokratischen Willensbildungsprozesses“ (Eschenburg 1956: 698). Dreier spricht im Idealfall von einem „automatenhaft-besinnungslosen Vollzug“ (Dreier 1991: 125) der nach der Vielfalt des politischen Willensbildungsprozesses in ein positives Gesetz gegossenen Mehrheitsentscheidung. Mit der Ausfertigung des Gesetzes nach Art. 82 GG beendet der Bundespräsident allen Hader und allen Streit der Parteien und Fraktionen im vorangegangenen Gesetzgebungsverfahren und bekundet nach außen den einheitlichen Willen des Staates, dem im Rechtsstaat, d.h. im Gesetzesstaat, Gehorsam zu leisten ist, vor allem durch die vollziehende Gewalt. „Es ist nur scheinbar paradox: Die Demokratisierung der Staatswillensbildung hat nicht zu einer Lockerung des im Grunde absolutistischen Postulates hierarchischer Verwaltungsorganisation geführt, sondern dieses aus der Logik der Volkssouveränität wie wegen der starken verwaltungsorganisatorischen Diversifikationstendenzen im Gegenteil außerordentlich intensiviert“ (Ebenda:
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141). Das Kernprinzip des nach Art. 79 Abs. 3 GG unantastbaren Demokratiebegriffs des Art. 20 GG beinhaltet eine hinreichende personelle und materielle Legitimation der Staatsgewalt durch das Volk (Jarrass 2004: Rdnr. 9 ff. zu Art. 20). Das bedeutet zum einen eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtsträgern der Verwaltung und eine grundsätzliche „Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung und deren Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament“ (Ebenda: Rdnr. 10 zu Art. 20). Dieses fundamentale Demokratieprinzip impliziert eine Rechtsaufsicht über alle staatlichen Aktivitäten einschließlich der Akte autonomer Bereiche. 19 Die Letztentscheidungsbefugnis eines dem Parlament verantwortlichen Verwaltungsträgers muss also gewahrt bleiben (Ebenda). Diese Feststellung ist essentiell für das grundsätzliche Demokratieverständnis unserer Verfassung und damit entscheidend für die Frage nach dem Verhältnis von Demokratie und Exekutive (Verwaltung). In der parlamentarischen Demokratie des GG bedeutet dieses Ergebnis eine möglichst effiziente Kontrolle der Exekutiven durch die Volksvertretungen auf Bundes- und Landes- sowie im weiteren Sinne durch den Rat auf der Kommunalebene. Nicht erst unter der Herrschaft des GG, schon in der ersten deutschen Demokratie hatte sich allerdings das Idealbild der „automatenhaft“ dem im Parlamentsbeschluss verkörperten Volkswillen dienenden Verwaltung in der Realität nicht wieder finden lassen, erst recht nicht in der Verfassungswirklichkeit unserer Tage. Schmitt Glaeser (1983: 203) konstatierte in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts: Verwaltung „entzieht sich in steigendem Maße direkt und indirekt der ‚Herrschaft der Gesetze’, sie wirkt an der politischen Führung von Parlament und Regierung wesentlich mit, führt sich zum Teil selbst und ist an der Bestimmung von Art und Intensität ihrer eigenen Bindung maßgeblich beteiligt.“ Angesichts des Gewaltenteilungsprinzips, das im modernen Sinne nicht mehr die ursprünglich historisch begründete Trennung der staatlichen Organe meint, sondern in der parlamentarischen Demokratie der Verhinderung totaler Machtkonzentration dient (Grimm 1983: 322), ist eine eigenständige Mitgestaltung der Exekutive jedoch durchaus legitim. Das gilt aber nur, soweit sie sich aus der Verfassung selbst herleiten lässt und das Gesetz als höchste innerverfassungsrechtliche Willensäußerung ebenso respektiert wie die parlamentarische Kontrolle und die eigene Gesetzesbindung. „Demokratie“ bedeutet in einer parlamentarischen Demokratie „Herrschaft des Gesetzes“. So sind der Exekutive ausdrücklich Rechtssetzungskompetenzen beim Erlass von Rechtsverordnungen (materiellen Gesetzen) in Art. 80 GG eingeräumt, die weitaus zahlreicher als 19 BVerfGE 93: 37, 70 ff., zur Mitbestimmung im Öffentlichen Dienst.
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(formelle) Parlamentsgesetze sind, aber stets unter der strengen Anbindung an den exakt programmierenden Willen des Gesetzgebers stehen, was „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) der Rechtsgrundlage anbetrifft. Ein Vollzug von Gesetzen setzt ferner bei der Verwaltung eine Interpretationshoheit bei konkreten wie bei unbestimmten Rechtsbegriffen sowie erst recht bei Ermessensnormen Handlungsspielräume voraus, die nur noch einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich sind. Schließlich eröffnen die Verwaltungsvorschriften (z.B. entsprechend Art. 84 Abs. 2, 85 Abs. 2, 86 Satz 1 GG), die sich in zahllosen Erlassen, Verfügungen und Richtlinien niederschlagen, der Exekutiven ein fast uferloses Feld interner Vereinheitlichungsnormen etwa im Bereich der Gesetzesinterpretation und der ermessenslenkenden Direktive, die im Behördenalltag für den Betroffenen sehr folgenreich sein können, auch wenn sie keine unmittelbare rechtliche Außenwirkung besitzen. Die Macht der Bürokratie wird natürlich schon bei einer vergleichenden Betrachtung des quantitativen Gewichts der einzelnen Gewalten deutlich: so stehen den auf Zeit gewählten Parlamentariern der EU, des Bundestages, der Landtage und der kommunalen Vertretungen dauerpräsente Beamtenapparate gegenüber, in denen hoch spezialisierte Fachleute über viele Jahre hinweg mit ganz spezifischen Einzelfragen beschäftigt sind. Ein grundsätzlich mit allen Rechtssetzungen seines Beschlussorgans befasster Mandatsträger mit laienhaften Kenntnissen in vielen Bereichen der von ihm zu verantwortenden Sachgebiete ist einer Vielzahl von nur mit einem Gesetzesvorhaben oder einem Projekt betrauten Experten „ausgeliefert“. In den Fachministerien werden zu allen Aufgabenbereichen besondere Referate gebildet, die im ständigen Kontakt mit betroffenen Kreisen, Verbänden, Lobbyisten, wissenschaftlichen Institutionen und anderen Ministerien und Behörden, insbesondere Bundes- oder Landesoberbehörden für spezielle Fachfragen, oder Nachrichtendiensten, eine Informationsverarbeitungskapazität und damit ein „Verwaltungswissen“ besitzen, über das Mandatsträger und auch Richter als die zuständigen Kontrolleure der dritten Gewalt im adäquaten Maße niemals verfügen können. Speziell in den Referaten der Ministerien werden die Gesetzentwürfe vorbereitet, die später von der Regierung in die Parlamente eingebracht werden. Auf Bundesebene ergibt sich die Besonderheit, dass diese „Referentenentwürfe“ vor der Endabstimmung in den beteiligten Fachministerien schon häufig als den deutschen Gesetzentwürfen zu Grunde liegende Richtlinien und Verordnungen Gegenstand jahrelanger Beratungen im Ministerrat der EU waren, an denen im allgemeinen dieselben Beamten teilgenommen haben, die den Gesetzentwurf später durch die Ausschüsse von Bundestag und Bundesrat „begleiten“. Bei sehr detaillierten Richtlinien, wie sie zum Beispiel im Umweltbereich zur Standardisierung von Grenzwerten oder von Einstufungs- und
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Kennzeichnungsverfahren mit europaweitem Geltungsanspruch die Regel sind, wird die deutsche Gesetzgebung schon in Brüssel bis ins Detail mit der Folge „vorprogrammiert“, dass der Deutsche Bundestag keinen legislatorischen Spielraum mehr hat, sondern nur noch zustimmen kann, will er nicht die Integration zur Gänze in Frage stellen. Das gilt noch mehr für die meisten EU-Rechtsverordnungen, die in den Mitgliedstaaten unmittelbar ohne Parlamentsbeteiligung genauso gelten wie Bundes- oder Landesgesetze. Gerade die enge Verzahnung des deutschen innerstaatlichen mit dem supranationalen Rechtssetzungsverfahren der EU kann einen Minister „verlocken“, zunächst in der Kommission die Initiative zur Rechtssetzung einer konkreten Regelung und dann mit noch mehr Einfluss im Ministerrat die Ausformulierung dieser Vorschrift durchzusetzen, die der Mehrheitsmeinung des Bundestags nicht entsprechen muss, die das Parlament aber als verpflichtendes EU-Recht umzusetzen hätte. Ein mächtiges Ministerium, wie z.B. das Bundesinnenministerium (BMI), kann seine politischen Vorstellungen durch geschickte Doppeltaktik auf europäischer Ebene im Rat der Innen- und Justizminister einerseits und vor den deutschen parlamentarischen Körperschaften andererseits sehr effizient verwirklichen. 20 Aber auch durch einzelne Beamte eines Ministeriums mit seinen komplexen Arbeitsteilungen kann es zu empfindlichen Störungen des Gesetzgebungsverfahrens kommen, wenn der politische Wille der Leitung des Ministeriums desavouiert wird („Macht der Ministerialräte“). Beim Gesetzesvollzug begünstigen schließlich die hochkomplexen Strukturen eines Industrie- und Wohlfahrtsstaates - sicher gelegentlich auch gepaart mit persönlichen Ambitionen des einen oder anderen Beamten - Obstruktionen und Machtdemonstrationen der Verwaltung, die in der Literatur mit „bürokratischer Sabotage“ umschrieben werden (Dreier 1991: 195 m.w.N.). Diese Entwicklungen – gerade auch im Kontext der EU – haben zum Teil schon zu der Einschätzung geführt, die Gesetzgebung in Deutschland sei im materiellen Sinne heute Sache der Verwaltung (Rehbinder 1987: 289) und die „legislatorische Rechtssetzung weithin nur als symbolische Ratifikation administrativer Programmauswahlen (Hegenbarth 1980: 149)“ anzusehen. Solange es aber noch eine ununterbrochen Legitimationskette vom Volk, d.h. von seinem jeweiligen Repräsentationsorgan, zum einzelnen Vollzugsakt der Verwaltung gibt, überzeugen diese Kritiken (noch) nicht. Diese Legitimation ist aber nur überzeugend und glaubwürdig, wenn sie durch ständige Kontrolle des dem Rep20 Dieses „Spiel über die Bande“ beherrschte das BMI in den letzten Jahren meisterhaft, z.B. bei der Ausgestaltung des Zuwanderungsgesetzes (im Einzelnen Kippels 2005: 76, Fn. 5) oder der Änderung des Passgesetzes, bei dem das BMI gegen die ursprüngliche Parlamentsmehrheit die Einführung bestimmter biometrischer Daten „durchdrückte“ (vgl. „Die Zeit“ vom 31.1.2008 zu einer Verfassungsbeschwerde der Schriftstellerin und Juristin J. Zeh gegen den „biometrischen Pass“).
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räsentanten Verantwortlichen gewährleistet und bei Störung mit dem Mittel der Weisung über die gesamte Hierarchiekette durchgesetzt wird. Um es auf Bundesebene zu verdeutlichen: der zuständige Minister ist im Verbund der Bundesregierung dem Bundestag und damit dem deutschen Volk verantwortlich. Wenn die Bundesregierung ihrer Verantwortung nicht gerecht wird, kann sie abgewählt oder durch konstruktives Misstrauen gestürzt werden. Das Bild einer vielfach gebrochenen und zersplitterten Verwaltung im unmittelbaren Vollzug sowie die fast unübersehbaren Formen mittelbarer Verwaltung auf der horizontalen Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunalkörperschaften in Deutschland wird noch ergänzt durch eine vertikale Verzahnung aller drei Verwaltungsvollzugsebenen. Rechts-, Fach- und Dienstaufsicht prägen in mehrfach abgestufter Weise z.B. den Vollzug der Bundesgesetze durch die Länder (einschließlich der ihnen verfassungsrechtlich zugeordneten Gemeinden und Gemeindeverbänden) nach Art. 83 ff. GG. Diese Aufsichtsrechte finden sich auch innerhalb der Behördenstrukturen der Staatsverwaltung der einzelnen Bundesländer, u.a. auch in der staatlichen Aufsicht über die kommunalen Körperschaften (zumindest als Rechtsaufsicht). Die Leiter der Kommunalverwaltungen verfügen ebenfalls über alle Formen der Aufsicht über den unmittelbaren und mittelbaren Verwaltungsvollzug. Insgesamt haben wir es mit einem außerordentlich heterogenen, ausdifferenzierten System von Verwaltung auf drei Ebenen zu tun, einer Brechung der Administration durch den bundesstaatlichen Aufbau und die Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung. Diese vertikale Gewaltenteilung im Rahmen der Exekutiven tritt neben die horizontale, die die Ausübung der Staatsgewalt auf Bundes- und Landesebene und mit Einschränkung auch auf der Kommunalebene kennzeichnet.21 Verwaltung in Deutschland ist also keine einheitliche Größe, sondern erweist sich schon durch grundsätzliche Verfassungsentscheidung als ein arbeitsteiliges Geflecht von Subsystemen. Im Folgenden soll nur zwischen unmittelbarem und mittelbarem Vollzug differenziert werden, um einige Aspekte demokratischer Legitimation des Verwaltungshandelns beispielhaft anzusprechen, weil eine an sich gebotene differenziertere Darstellung des Verwaltungsvollzugs den vorgegebenen Rahmen gesprengt hätte. Kontrolle und Weisung zur demokratischen Legitimation von Verwaltungshandeln sind im Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung des Bundes und der Länder im Rahmen der Rechts-, Fach- und Dienstaufsicht im Wesentlichen gewährleistet, auch wenn es bereits bei diesem Direktvollzug durch eigene, unselbstständige Behörden Durchbrechungen strenger hierarchischer Strukturen gibt. Auf Bundesebene wären hier einige von Einzelweisungen 21 Die Selbstverwaltung der Gemeinde ist formell Teil der (mittelbaren) Staatsverwaltung und der Rat deshalb kein Parlament. Gleichwohl ergeben sich de facto zwischen Rat und Verwaltung vergleichbare Probleme wie zwischen Parlament und Regierung.
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freigestellte, fachlich spezialisierte Bundesoberbehörden zu benennen wie das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen, das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und das Bundeskartellamt. Auf Landesebene nimmt die Einflussnahme der Regierungen und der Leitung der Kommunalverwaltung auf unmittelbar unterstellte Behörden zunehmend ab. Zum Beispiel können in Nordrhein-Westfalen rechtlich unselbständige Bildungseinrichtungen wie, z.B. die Schulen, ihren Leiter selbst (mit)wählen.22 Solche „Verdünnung“ der (unmittelbaren) demokratischen Legitimation durch die parlamentarisch bzw. dem Rat verantwortliche Leitung der Verwaltung ändert allerdings nichts an der fortbestehenden politischen Verantwortung der Exekutivspitze gegenüber der Volksvertretung bzw. dem Rat und ist daher eher ein Ausdruck der Verlagerung von demokratischer Gesamtheit zu demokratischen Teilvölkern, also vom Popularwillen zum Partikularwillen der Betroffenen. Diese Aufspaltung des demokratischen Gesamtzusammenhangs ist aber ein von der Verfassung selbst befördertes Prinzip, das in der Gemeinde mit ihrem „Volk“ besonderen Ausdruck findet und z.B. in der grundrechtlich gebotenen Selbstverwaltung der wissenschaftlichen Hochschulen (Art. 5 Abs. 3 GG) und der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) ausdrücklich verfassungsrechtlich gewährleistet ist. Bei der mittelbaren Verwaltung findet sich auf allen drei Ebenen eine kaum zu entwirrende Vielfalt an Ämtern und Institutionen unterschiedlichster Aufgabenbereiche, Binnenstrukturen und Grade der Verselbständigung, die verschiedenen Rechtsstatus besitzen und differenten Formen der Aufsicht und Einflussnahme unterliegen. Im Rahmen dieser Darstellung kann nicht auf die spezifischen Unterschiede zwischen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts eingegangen werden, auf die vielfältigen Formen der Selbstverwaltung, z.B. der Interessenvertretungen der Apotheker, Ärzte und Rechtsanwälte in ihren berufsständischen Kammern oder der sozialen Selbstverwaltung, die sich beispielsweise in Hunderten von Sozialversicherungsträgern organisiert. All diese zahllosen verselbständigten Verwaltungseinheiten sind der spezifische Ausdruck eines modernen Industrie- und Versorgungsstaats, der die Einbindung der Gesellschaft sucht und braucht. Kooperation mit der ganzen Vielfalt der Gesellschaft ist ebenso unvermeidlich wie wünschenswert und impliziert neue differenzierte Formen des Demokratieprinzips, die auch in einer Ausdehnung der 22 Nach § 61 Abs. 2 Schulgesetz NRW vom 15. 2.2005 (GV. NRW. S. 102, zuletzt geändert durch Gesetz vom 24.6.2008, GV. NRW. S. 486) wählt die Schulkonferenz, die aus gewählten Vertretern der Lehrer, der Eltern und der Schüler besteht, „in geheimer Wahl aus den von der oberen Schulaufsichtsbehörde benannten Personen die Schulleiterin oder den Schulleiter“.
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Felder partikularer Teilnahme des Volkes 23 bestehen können. Eine demokratische Verantwortung staatlichen Handelns - und sei sie noch so mittelbar - ist jedoch unabdingbar, um dem Demokratiegebot des GG gerecht zu werden. Mit diesem Staatsformmerkmal sind rechtsstaatlich zwielichtige Formen „halbstaatlicher“ Verwaltung nicht vereinbar, die eine eindeutige Zuordnung in Form einer demokratischen Legitimation vermissen lassen. Daher ist es nicht leicht festzustellen, ob die Ausdifferenzierung der Verwaltung an der „Peripherie staatlichen Handelns“ eine demokratische Legitimation überhaupt noch möglich macht; gemeint ist die Grenze, an der Entscheidungskompetenzen von der öffentlich-rechtlichen Ausübung zur Wahrnehmung durch Privatpersonen wechseln, überwiegend an juristische wie ehemals öffentlich-rechtliche Verwaltungseinheiten, die „privatisiert“ bzw. „outgesourcet“ worden sind, Normungsvereine, Sachverständigengremien, aber auch an Einzelpersonen (Gutachter, Experten). 2.2 Verluste demokratischer Legitimation für Regierung und Verwaltung Die „Aushöhlung“ demokratischer Staatsgewalt durch private, demokratisch nicht legitimierte Kräfte beginnt bereits beim Erlass von Verwaltungsrichtlinien, die eigentlich verwaltungsinterne Regeln für eine gleichförmigen Vollzugspraxis aufstellen sollen, die aber z.B. im Umwelt- und Technikbereich fast verbindliche Wirkung wie ein Gesetz entfalten und gar nicht aus der Verwaltung stammen, sondern das Ergebnis von Beschlüssen privater Sachverständigenzirkel sind. Der Gesetzgeber kann zwar unter Verzicht auf eine eigene Regelung die Verwaltung dazu ermächtigen, offen gelassene Fragen des Vollzugs selbst durch Konkretisierung der anzuwendenden Regelung zu treffen, z.B. wegen des vermuteten größeren Sachverstands der Behörde. Dieser Verzicht auf Eigengestaltung durch den Gesetzgeber befreit jedoch nicht vom Erfordernis effektiver demokratischer Legitimation und ist deshalb in jedem Einzelfall im Wege der Gesetzesauslegung genau zu prüfen (Hoppe/Beckmann: 44, Rdnr. 21). Fragwürdig wird er unter dem Gesichtspunkt demokratischer Legitimation, die schon beim Erlass der Verwaltungsvorschrift äußerst „verdünnt“ ist, wenn sich die der Volksvertretung 23 Formen partikularer Teilnahme von Teilen eines Volkes wie z.B. auf kommunaler Ebene Nordrhein-Westfalens das Bürgerbegehren oder der Bürgerentscheid oder andere Bürgerbeteiligungen an Verwaltungsverfahren sowie Mitwirkungsrechte betroffener Kreise z.B. bei Wahlen zu Ausgestaltung von Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts sind Ausdruck „demokratischer Grundsätze“, die auch bei der Organisation der EU von Bedeutung sind (Vgl. Art. 23 Abs. 1 GG), sie betreffen jedoch das grundgesetzliche Staatsformmerkmal „Demokratie“ (vgl. oben zur Volkssouveränität) nicht unmittelbar und können hier schon aus Platzgründen nicht behandelt werden.
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gegenüber verantwortliche Verwaltung gar nicht auf eigenen Sachverstand stützt, sondern auf Regelwerke privater Organisationen zurückgreift. Gerd Ketteler (1988: 57, m.w.N.) hat am Beispiel der DIN-Normen auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (NJW 1987: 2886, 2888) verwiesen, in dem der Erkenntniswert dieser Regeln eines privaten Instituts relativiert wird: „Zwar könne den DIN-Normen einerseits Sachverstand und Verantwortlichkeit für das Allgemeinwohl nicht abgesprochen werden, andererseits dürfe aber nicht verkannt werden, dass es sich dabei zumindest auch um Vereinbarungen interessierter Kreise handele, die eine bestimmte Einflussnahme auf das Marktgeschehen bezwecken. Die DIN-Normen dürften daher im Streitfall nicht unkritisch als ‚geronnener Sachverstand’ oder als reine Forschungsergebnisse verstanden werden und genügten auch nicht den Anforderungen, die etwa an die Neutralität und Unvoreingenommenheit gerichtlicher Sachverständiger zu stellen sind. Besondere Zurückhaltung sei gegenüber technischen Normen dort geboten, wo ihre Aussagen nicht als ‚außerrechtliche Fachfragen’ eingestuft werden können, sondern Bewertungen entgegen gesetzter Interessen einschließen, die an sich einer demokratisch legitimierten politischen Entscheidung in Form einer Rechtsetzung bedürfen. Als Ersatz für derartige rechtliche Regelungen seien sie ungeeignet.“ Etwas provokant, aber durchaus erhellend trifft die Feststellung zu, dass im Umweltrecht bereits eine „umgekehrte Wesentlichkeitstheorie“ (Wahl 1988: 391) gelte, d.h. das wirklich Wichtige sich nicht im Gesetz findet, sondern in DIN-Normen, technischen Anleitungen etc. (Dreier 1991: 205). So hat die Verwaltungsvorschrift der TA Luft 24 als „technische Anleitung“ entscheidende Bedeutung bei der Fixierung von Risikostandards und hätte nach traditionellem Verständnis einer gesetzlichen Regelung, zumindest einer Rechtsverordnung, bedurft. Sie war indes das Ergebnis sachverständiger Beratung, die sicherlich auch von unmittelbarer Betroffenheit und nicht nur von objektiv-wissenschaftlichen Überlegungen eines nicht repräsentativ zusammengesetzten Gremiums bestimmt war (Salzwedel 1987: 278-279). Ähnliches gilt für die „TA-Lärm“, die Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz vom 26.8.1998 25, die sich auf eine VDI-Richtlinie zurückführen lässt (Ketteler 1998: 31). Diese Verwaltungsvorschriften sind von der Rechtsprechung (BVerwG E 55: 250 ff, 256) und Literatur (Breuer, DVBl. 1978: 28 ff, 34-35) daher lange Zeit und folgerichtig nur als für die Gerichte bedeutsame „antizi24 Die „Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft – TA Luft“ 2002, die die Verwaltungsvorschrift gleichen Namens aus dem Jahr 1986 abgelöst hat, ist als amtlicher Text im Gemeinsamen Ministerialblatt vom 30.7.2002 (GMBl. 2002, H. 25 bis 29, S. 511-605) veröffentlicht worden. Sie umfasst in Buchform 239 Textseiten. 25 Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) vom 26. 8.1998 (GMBl. Nr. 26 vom 28.08.1998, S. 503).
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pierte Sachverständigengutachten“ eingestuft worden. Mittlerweile werden sie von der h.M. (BVerwG, DVBl. 1986: 190 ff, 196) aber nicht nur wie die „normalen“ Verwaltungsvorschriften als abstrakt-generelle Regelungen angesehen, die nur für die Verwaltung im Innenverhältnis bindend sind, sondern sogar als ermessensbindend und norminterpretierend, also zumindest mit einer mittelbaren Außenwirkung für den Bürger eingestuft. Die Rechtsprechung gesteht damit den Verwaltungsrichtlinien der Behörden in vielen Fällen eine Geltung wie Rechtssetzungen der Parlamente oder Rechtsverordnungen zu. Damit besitzt dieses „Innenrecht“ entscheidende Bedeutung für die Auslegung von Rechtsnormen und für die Ausfüllung von Ermessensentscheidungen der Verwaltung, z.B. bei der Genehmigung industrieller Großanlagen. Die demokratisch gebotene Unterscheidung zwischen außenwirksamer Rechtssetzung durch materielles (Rechtsverordnung) oder formelles Gesetz und innenwirksamer Geltung von durch die Verwaltung erlassenen Vorschriften wird aufgehoben oder zumindest „verwischt“. Das Problem der Verlagerung von „materieller Rechtssetzung“ auf sachverständige Personen des Privatrechts, die in keiner Form öffentlich-rechtlich „beliehen“ sind, wird indes nicht dadurch grundsätzlich entschärft, dass eine Regelung im Gewand einer Rechtsverordnung oder eines Gesetzes beschlossen wird. Von Experten erdachte Vorschriften bestimmen nämlich auch die für den Rechtsunterworfenen verbindlichen Rechtssätze, ebenfalls vor allem im Umweltund Technikbereich. Nach § 19 a Abs. 1 Chemikaliengesetz (ChemG)26 sind „nicht-klinische gesundheits- und umweltrelevante Sicherheitsprüfungen von Stoffen oder Zubereitungen, deren Ergebnisse eine Bewertung ihrer möglichen Gefahren für Mensch und Umwelt in einem Zulassungs-, Erlaubnis-, Registrierungs-, Anmelde- oder Mitteilungsverfahren ermöglichen sollen, (…) unter Einhaltung der Grundsätze der Guten Laborpraxis nach dem Anhang 1 zu diesem Gesetz durchzuführen, soweit gemeinschaftsrechtlich nichts anderes bestimmt ist.“ Dieser Anhang enthält - ausgestattet mit Gesetzeskraft - ein Regelwerk, das viel umfangreicher ist als der gesamte Text des eigentlichen ChemG. Es wurde ursprünglich von einem sachverständigen Forschungsinstitut erdacht, das im Auftrag der Food and Drug Administration (FDA), einer Bundesbehörde der USA, tätig wurde. Über weitere Expertengremien, zuletzt in der OECD, sind dann diese Grundsätze einer „Good Laboratory Practice“, die eine gleichförmige Prüfpflicht in den Staaten der westlichen Welt gewährleisten sollen, im März 1983 im Bundesanzeiger (zur rechtsunverbindlichen Kenntnisnahme) veröffentlicht und schließlich durch das genannte Gesetz in Deutschland rechtsverbindlich 26 Chemikaliengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juli 2008 (BGBl. I S.1146).
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geworden (Töpner 1990: 16 ff.). Der deutsche Gesetzgeber hat also ein von ganz überwiegend nichtdeutschen, ja noch nicht einmal EU-europäischen Expertenteams entwickeltes Regelwerk zum Gesetz gemacht und es in keinem Punkt geändert, um eine praktisch weltweite Prüfungsmethode zu übernehmen, natürlich auch mit dem Ziel, deutsche Erzeugnisse weltweit und vor allem in den USA vermarkten zu können. Eine demokratische Legitimation lässt sich jedoch immerhin noch ausmachen, weil der Bundestag sich dieses Werk zu eigen gemacht hat und damit verantwortet. Das gilt auch für den Fall, dass der Gesetzgeber technische Regelwerke privatrechtlicher Normenverbände27, z.B. VDIRichtlinien und DIN-Normen in Rechts- und Verwaltungsvorschriften inkorporiert, z.B. indem ausdrücklich auf eine bestimmte Regelung eines (privaten) Ausschusses verwiesen wird oder ein Gesetz bzw. eine Rechtsverordnung eine Ermächtigung zum Erlass von Verwaltungsvorschriften enthält, in denen Normen der Privatverbände konkretisiert werden. Sie dienen der Konkretisierung von Rechtsbegriffen wie „Stand der Technik“, „Stand der Wissenschaft“, „schädliche Umwelteinwirkungen“ etc. oder bestimmen z.B. die maximale Konzentration von Schadstoffen am Arbeitsplatz oder maximale Immissionskonzentrationen bei der Luftreinhaltung (Kutscheidt: 1982: 267). Immerhin ergehen diese Verweise auf Regelungen privater Organisationen in Gesetzesform und werden auf diese Weise von der Gesetzgebung und anschließend durch die Verwaltung als dem Vollzugsorgan der Legislative demokratisch legitimiert - freilich in „hoch verdünnter, homöopathischer“ Dosierung. Für den Bürger dürfte es nicht entscheidend sein, ob derartige Regelwerke als Verwaltungsvorschriften, die de facto wie Gesetze wirken, oder als Gesetze, die nur die formelle „Hülle“ liefern, ergehen. Ihm bleibt das Gefühl wachsender Macht außerparlamentarischer und staatsferner, also demokratisch nicht kontrollierter Privatinteressen. Daneben kann hoheitliche Verwaltungstätigkeit in verfassungsmäßiger Weise auch von Privatpersonen wahrgenommen werden, wenn sie aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung mit der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben „beliehen“ werden. Dies geschieht seit vordemokratischen Zeiten zur Entlastung des Staates (private Sicherheits- und Transportdienste), zur Nutzung besonderer Sachkunde (Notare oder Technische Überwachungsvereine) oder zur Integration alternativer Initiativen (z.B. Privatschulen als staatlich anerkannte Ersatzschulen). Das war zwar von Anfang an mit eingeschränktem Weisungsrecht und nur mit einer reduzierten Kontrolle verbunden, aber diese 27 Das Deutsche Institut für Normung (DIN) und der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) zählen neben dem Verband Deutscher Elektrotechniker (VDE) und dem Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (VDGW) zu den bekanntesten privatrechtlich organisierten Institutionen. „Die Berücksichtigung aller beteiligten Interessen ist (…) bei keiner der Einrichtungen institutionell abgesichert“ (Hoppe/Beckmann 1989: 45 m.w.N.).
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Instrumente genügen den Anforderungen einer ununterbrochenen demokratischen Legitimation. 28 Diese Legitimation ist eindeutig bei erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit des Bundes und der Länder nicht gegeben, z.B. bei Beteiligungen an Aktiengesellschaften wie VW, Lufthansa oder Preußag, weil es schon an „der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben“ mangelt. Diese Aufgabenwahrnehmung im öffentlichen Interesse wird bei kommunaler Erwerbswirtschaft der Gemeinden allerdings gefordert (BVerfG E 61: 82, 100 ff.) und dort ist sie auch noch insoweit unbedenklich, als sie sich in den Formen des unselbständigen Eigenbetriebs (z.B. Gas- und Wasserwerk, Verkehrsbetriebe als gemeindliche Einrichtungen) oder der unselbständigen gemeindlichen Anstalt (Fuhrpark, Schlachthof, Badeanstalt) vollzieht. Bei der privatrechtlichen Organisationsform der selbständigen Eigengesellschaft im gemeindlichen Eigentum oder der gemischtwirtschaftlichen Unternehmung mit Beteiligung privater Personen - beide zumeist als GmbH oder AG - (z.B. Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerke RWE oder Vereinigte Elektrizitätswerke AG VEW) überwiegen hingegen die Bedenken hinsichtlich einer demokratisch effizienten Kontrolle. In fast allen Bereichen der Leistungsverwaltung ist ein Trend zum „Outsourcing“ erkennbar, immer mehr Ver- und Entsorgungseinrichtungen, (unselbständige) Eigenbetriebe und öffentlich-rechtliche Anstalten werden in privatrechtliche Gesellschaften überführt. Auch wenn der Einfluss der Kommunen noch so stark durch privatrechtliche Vereinbarungen im Rahmen der Ingerenzpflicht29 gesichert sein mag, es fehlt an der hierarchischen Einbindung in das erforderliche Kontroll- und Weisungssystem der Exekutiven. Das gilt auch für Gesellschaften des Privatrechts, die völlig in gemeindlicher Trägerschaft sind, denn die Rechtsform beispielsweise der AG oder GmbH wurde ja bewusst gewählt, um weit reichende unternehmerische Bewegungsfreiräume nach den Gesetzen des Marktes und nicht des Gemeinwohls zu erlangen, um effizienter und kostengünstiger agieren zu können, kurz um sich den „Klotz des Demokratieprinzips“ vom Bein zu schaffen, damit das Unternehmen frei von „Gängelung“ durch Aufsicht und Kontrolle agieren kann. Wirtschaftlichkeit und Demokratie sind bei dieser Betrachtungsweise Gegensätze. Vor allem hat die Kommunalaufsicht gegenüber dem privatrechtlichen Rechtsträger keine direkte 28 Z.B. durch die Dienstaufsicht über die Notare nach § 92 Bundesnotarordnung oder die Fach- und Dienstaufsicht über öffentlich bestellte Vermessensingenieure nach jeweiligem Landesrecht. 29 Theisen (2004: 537) zitiert zur Ingerenzpflicht ein Urteil des VerfGH Berlin vom 21.10.1999 (DVBl. 2000: 51): „Die gesetzliche Ermächtigung einer Anstalt des öffentlichen Rechts, im Rahmen eines Vertrages ihre Leistung einer juristischen Person des privaten Rechts zu unterstellen, ist mit dem Demokratieprinzip nur vereinbar, wenn sichergestellt ist, dass die Entscheidung über die Erteilung von Weisungen an die Anstalt letztlich in der Hand des Gewährsträgers verbleibt; die demokratisch legitimierten Vertreter des Gewährsträgers müssen die letztentscheidende Einflussmöglichkeit behalten“ (im Anschluss an BVerfG E 93: 37 ff. = DVBl. 1995: 1291).
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Einflussmöglichkeit mehr, sie ist auf ein Weisungsrecht an die Gemeinde beschränkt, „ihre Einflussmöglichkeiten auf den Rechtsträger zu nutzen, um die Maßnahme der Aufsichtsbehörde zu erfüllen“ (Theisen 2004: 539). Aus der „Staatsaufsicht“ aber wird bei diesen Privatisierungen auf allen drei staatlichen Ebenen eine „Inhaberaufsicht“, die zum Beispiel bei den in einen Energiekonzern entsandten Kommunalbeamten im Konfliktsfall dazu führt, dass „zwischen der kommunalrechtlichen Weisungsgebundenheit (…) und den entgegenstehenden Regeln des Gesellschaftsrechts für Vorstand und Aufsichtsrat, die prinzipielle Weisungsfreiheit vorsehen, das (bundesrechtliche) Gesellschaftsrecht vorgeht“ (Dreier, 1991: 261, m.w.N.). 3 Fazit Diese Gefahren der Entstaatlichung und damit der Entdemokratisierung zeigten sich mit der „Privatisierungswelle“ öffentlicher Funktionen und Aufgaben, die in den 70er Jahren ihren Anfang nahm, und in der Folgezeit zu einer wahren „Flucht in die privatrechtsförmige Verwaltung“ führte. Schon vor 20 Jahren erkannte Becker (1989: 274) in dieser Entwicklung die „bedeutendste Gefahr für die Verwaltung“. Das Problem der demokratischen Legitimation hatte sich also von der Mitherrschaft der Verwaltung als der Zweiten Gewalt bei der Ausübung von Staatsgewalt, die im Grundsatz als verfassungskonform, wenn nicht aus dem neuen Verständnis der Gewaltenteilung als verfassungsgeboten angesehen wird, in die Verwaltung selbst verlagert. In ihr kommt es zu einer stetig wachsenden Schwächung der Legitimationskette, die dann reißt, wenn die Verbindung zum Parlament über die Regierung bzw. auf kommunaler Ebene über die Verwaltungsspitze zum Rat verloren geht. Dieser Verantwortungsstrang ist dann zerschnitten, wenn die durch Privatisierung verselbständigten Verwaltungseinheiten keiner effektiven Kontrolle durch die Leitung der Verwaltung, die allein der Volksvertretung gegenüber verantwortlich ist, mehr unterliegen. Die Kontrolle ihrerseits kann nur durch ein Weisungsrecht gesichert sein, das im Konfliktfall z.B. der Kollision von Privatinteressen mit gesetzeskonformen öffentlichen Belangen - mit der demokratisch gebotenen Letztentscheidungsmacht ausgestattet ist. Deshalb steht heute die Sorge um den Verlust der Staatlichkeit der Verwaltung als des Vollzugsorgans des Volkswillens angesichts ausufernder, pluralisierender und zunehmend sich verselbstständigender Einheiten im Vordergrund. Privatrechtlich organisierte und damit prinzipiell kaum noch von der Spitze der Verwaltung kontrollierbare und erst recht weitestgehend weisungsfreie verselbständigte Verwaltungseinheiten treffen das Demokratieprinzip ins Mark, weil sie
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sich dem Staat entziehen, selbst dann, wenn dieser kontroll- und direktionsfreie Raum häufig als unvermeidbare Folge der Verklammerung von Staat und Gesellschaft, als pluralistisch-kooperatives Netzwerk begriffen wird.30 Auch wenn diese Entwicklung in einem ausdifferenzierten Staat, z.B. im Rahmen der Wirtschaftslenkung, des staatlichen Gesundheits- und Bildungswesens unvermeidlich ist, gebietet das Demokratieprinzip eine Formenwahrheit und -klarheit hinsichtlich der Unterscheidbarkeit von tatsächlich verfassungsrechtlich zurechenbarem Handeln der Exekutiven und lediglich im staatlichen Gewande sich gerierenden Einrichtungen ohne demokratische Rückkoppelung. Die bedenkenlose Wahlfreiheit zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Formen begegnet angesichts der inzwischen eingetretenen Übermacht privatrechtlicher Organisationsformen verfassungsrechtlichen Bedenken. Effektive Kontrolle und wirksames Weisungsrecht der den Volksvertretungen verantwortlichen Spitzen der Verwaltung (Regierungen auf Bundes- und Landesebene, Leiter der Kommunalverwaltungen) sind die entscheidenden Kriterien einer demokratischen Verwaltung. Wo sie nicht (mehr) gegeben sind, ist die Grenze zwischen Staat und Gesellschaft weder bei der Rechtsetzung noch beim Gesetzesvollzug mehr auszumachen. Damit aber wächst der Einfluss nichtstaatlicher, also nicht demokratisch legitimierter Kräfte und es droht der Verlust demokratischer Verantwortung der Inhaber der Exekutivgewalt und damit der Verwaltung als Sachwalter des Gemeinwohls. 4 Literatur Becker, Bernd (1989): Öffentliche Verwaltung, Lehrbuch für Wissenschaft und Verwaltung, Percha. Dreier, Horst (1991): Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, Tübingen. Eschenburg, Theodor (1956): Staat und Gesellschaft in Deutschland, Stuttgart. Fischer, Hans-Georg (2001): Europarecht, 3. Aufl., München. Grimm, Dieter (1983): Die politischen Parteien, in: Ernst Benda/WernerMaihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.): Handbuch des Verfassungsrechts, Berlin, S. 599-656. Hegenbarth, Rainer (1980): Von der legislatorischen Programmierung zur Selbststeuerung der Verwaltung, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 7, Opladen, S. 130-152. Hofmann, Harald (2005), 1. Abschnitt: Die öffentliche Verwaltung, in: Ders./Jürgen Gerke (Hrsg.): Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl., Stuttgart, S. 1-10. Hoppe, Werner/Beckmann, Martin (1989): Umweltrecht, München. Jarass, Hans D. (2004): Art. 20, 23 und 146 GG, in: Ders./Bodo Pieroth (Hrsg.): Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 7. Aufl., München. Ketteler, Gerd (1998): Sportanlagenlärmschutzverordnung, Heidelberg. 30 Dreier (1991: 304) unter Einbeziehung eines Zitats von Lange: „Der moderne Verwaltungsstaat stellt sich unvermeidlich als ein pluralistischer und kooperativer Staat dar: Das einfache Bild ‚ineinandergreifender Hierarchien’ mit einer einheitlichen Spitze als Grundmodell der Organisation des öffentlichen Bereichs ist nicht mehr haltbar.“
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Responsivität und Verantwortlichkeit der öffentlichen Verwaltung
Nathalie Behnke
1 Einleitung Beide in diesem Beitrag zentralen Begriffe – „Responsivität“ (abgeleitet vom lateinischen Verb „respondere“ – antworten) sowie „Verantwortung“ – sind Variationen des Wortstammes „Antwort“. Eine Antwort, oder die Tätigkeit des Antwortens, impliziert aber immer zwei Personen oder Personengruppen: eine, die antwortet und eine, die die Antwort erhält (und vielleicht davor eine Frage gestellt hat). Wenn man also über Responsivität und Verantwortung (im folgenden sollen die Begriffe, sofern sie gemeinsam auftreten, mit R&V abgekürzt werden) der öffentlichen Verwaltung (im folgenden: ÖV) nachdenkt, so impliziert dies unmittelbar ein Nachdenken darüber, wer in der ÖV wem antwortet, wie er das tut und warum. Zwar sind Verwaltungswissenschaftler durch ihren Forschungsgegenstand leicht dazu verleitet, in „Systemen“ und deren Beziehungen zu denken. R&V sind aber nur sinnvoll zu konzeptualisieren, wenn sie an handelnde Individuen gebunden sind, denen Verantwortlichkeit zugeschrieben werden kann und die Verantwortung übernehmen. Maßnahmen, die darauf zielen, die R&V der ÖV zu sichern, sind daher in der Essenz Maßnahmen, die darauf zielen, individuelles Verhalten zu beeinflussen, zu kontrollieren oder – im Falle von Fehlverhalten – zu sanktionieren. Die gewählte Perspektive in diesem Beitrag ist ebenfalls individualistisch. Die Sicherung von R&V des Systems der ÖV wird erreicht über die Beeinflussung des individuellen Verhaltens der Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst, und von daher ist in erster Linie danach zu fragen, wovon das Verhalten dieser Personen abhängt. Zwar mag der Zusammenhang zwischen den Begriffen der Responsivität und der Verantwortlichkeit klar sein, aber was ist dann der Unterschied zwischen ihnen? Sind es nicht einfach synonyme Begriffe für dasselbe Konzept? Ausgehend von einem alltagssprachlichen Verständnis der Begriffe kann man sie dahingehend unterscheiden, dass Responsivität etwas mit dem Input der Verwaltungstätigkeit zu tun hat, die Verantwortlichkeit hingegen mit dem Output.
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Responsiv ist die ÖV, wenn sie Bedürfnisse oder Anforderungen der Bevölkerung aufgreift und verarbeitet. Allerdings ist dies demokratietheoretisch keine primäre Anforderung. Vielmehr wird traditionell von einer Arbeitsteilung zwischen Politik und Verwaltung dahingehend ausgegangen, dass die Politik gegenüber den Wünschen und Vorstellungen der Wahlbevölkerung (kommuniziert im pluralistischen System der Interessenvermittlung über Parteien, organisierte Interessen und Medien) responsiv zu sein hat, diese vermittelten Interessen also in die politische Agenda einbringt. Demgegenüber soll die Verwaltung vor allem sachlich und technisch die Zielvorgaben der Politik möglichst optimal und effizient umsetzen. Eine direkte Responsivität der ÖV gegenüber dem Bürger ist in diesem traditionellen Konzept weniger vorgesehen.1 Verantwortlich ist die ÖV für ihren Output, also für die Folgen des Verwaltungshandelns, sei es im Gesetze vorbereitenden, regulierenden oder vollziehenden Bereich. Die Entscheidungen des Verwaltungshandelns müssen Entscheidungsträgern klar zurechenbar sein. Diese müssen ihre Entscheidungen vertreten und begründen können und sind ggf. Subjekt von Sanktionen. Innerhalb der ÖV ist die Verantwortlichkeit hierarchisch organisiert der Art, dass jeweils der Untergebene dem Vorgesetzten „antwortet“ und die Verwaltungsspitze nach außen hin, also gegenüber der politischen Führung, dem Parlament oder der Öffentlichkeit Rede und Antwort steht. Der augenfälligste Fall der Verantwortlichkeit der Verwaltungsspitze ist die Ministerverantwortlichkeit. Der Minister steht persönlich für die Entscheidungen ein, die in seinem Ressort getroffen wurden, egal ob diese mit seinem Wissen und seiner Billigung zustande kamen oder nicht (Badura 1980; Wengst 1984; Mehde 2001). Im Falle von Verwaltungsskandalen wird daher schnell die Forderung nach dem Ministerrücktritt erhoben. Allerdings beinhaltet diese Forderung eine politische und keine disziplinarische Entscheidung (Nicolaus 2000). Aufbauend auf der individualistischen Konzeption der Begriffe Responsivität und Verantwortlichkeit wird im folgenden Beitrag im Wesentlichen drei Fragen nachgegangen. Zunächst wird geklärt, wem gegenüber die ÖV überhaupt responsiv und verantwortlich sein soll und warum. Dieser Frage liegt die Logik der demokratischen Arbeitsteilung zugrunde, nach der die Verwaltung verstanden werden kann als Agent verschiedener Prinzipale (Verwaltungsspitze, Regierung, Parlament und Öffentlichkeit), denen gegenüber sie mehr oder weniger unmittelbar verantwortlich ist und die umgekehrt über unterschiedlich wirksame Kontroll- und Sanktionsmechanismen verfügen. Diese Vorstellung von ÖV als einem Element in einem Geflecht von Principal-Agent-Beziehungen und die sich hieraus ergebenden Implikationen werden in Abschnitt 2 vorgestellt. 1 Vgl. als klassischen Text Wilson (1887), für eine kritische Diskussion dieser Zweiteilung Cooper (1998).
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Darauf folgt die Frage, wie denn umgekehrt R&V gesichert werden können, also nach den Mechanismen der Verhaltenssteuerung und Kontrolle (Abschnitt 3). Ausgehend von einem an Max Weber orientierten klassischen Bürokratieverständnis, in dem Verantwortlichkeit im Wesentlichen durch hierarchische Steuerung erreicht wird, wird verdeutlicht, dass sich das Verständnis von R&V im Zuge mehrerer Reformwellen in der ÖV in den vergangenen Jahrzehnten nachhaltig geändert hat. Mit neuen Werten, die in den öffentlichen Dienst Einzug hielten, sowie neuen Organisationsformen wurden Verantwortungszuschreibungen schwieriger und die formale Verantwortlichkeit der Verwaltungsspitze voraussetzungsvoller. Auch wandelte sich der Anspruch der Prinzipale hin zu erhöhten Anforderungen an die Responsivität der Verwaltung. Die dritte Frage ergibt sich aus dem Befund des Wandels über die beschriebenen Reformwellen hinweg: Wie haben sich die neuen Werte, neuen Konflikte und neuen Risiken, mit denen die ÖV in den vergangenen zwei Jahrzehnten konfrontiert wurde, auf die R&V ausgewirkt? Im Wesentlichen lässt sich konstatieren, dass sich der Instrumentenkasten wandeln musste, mit dessen Hilfe R&V gesichert werden kann. Diesen neuen Instrumenten unter dem Schlagwort 'aktives Ethik-Management' widmet sich Abschnitt 4. In den Schlussfolgerungen hinsichtlich dieser Entwicklungstendenzen wird in zweierlei Hinsicht Bilanz gezogen. Zum einen wird analysiert, in welchem Verhältnis Responsivität und Verantwortlichkeit zueinander standen und stehen; zum anderen wird kritisch hinterfragt, inwiefern die alten und neuen Instrumente der Verhaltenssteuerung und Kontrolle in der Lage sind, die R&V der ÖV effektiv zu sichern. 2 Die Stellung der öffentlichen Verwaltung im demokratischen System der Bundesrepublik Responsivität und Verantwortlichkeit der Inhaber öffentlicher Ämter und Positionen ergeben sich aus einem Agenturproblem (Behnke 2004: 52). In einer repräsentativen Demokratie wie der Bundesrepublik Deutschland werden Aufgaben vom demokratischen Souverän (der Wahlbevölkerung) in mehreren Schritten und verschiedenen Abhängigkeitsbeziehungen an die politischen Entscheidungsträger in Parlament, Regierung und Verwaltung übertragen. Parlamentarische Abgeordnete werden direkt gewählt und sind dementsprechend dem Wähler direkt verantwortlich. In einem parlamentarischen Regierungssystem wie dem der Bundesrepublik wird sodann vom Parlament der Regierungschef gewählt, der wiederum die Minister als Verwaltungsspitzen bestimmt. Die Verwaltungsmitarbeiter selbst unterliegen keiner demokratischen Legitimation, da sie nicht
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gewählt werden. Parlament und Regierung (und in eingeschränktem Maße auch der Bürger) haben aber Kontrollrechte gegenüber der Verwaltung, die sich in Auskunfts- und Transparenzpflichten der Verwaltung spiegeln. Auf diese Weise wird auch die Rückbindung der Arbeit innerhalb der Verwaltung an den Wählerwillen und somit letztlich an den Willen des demokratischen Souveräns gewährleistet. Diese komplexen wechselseitigen Abhängigkeitsbeziehungen lassen sich gewinnbringend als eine Kette von Principal-Agent-Beziehungen modellieren. 2 Diese Sichtweise auf die demokratische Arbeitsteilung ist mittlerweile gut eingeführt 3 – und mit gutem Grund, da sich mit ihrer Hilfe die relevanten Eigenschaften des Repräsentationsverhältnisses analysieren lassen. Eine PrincipalAgent-Beziehung ist durch eine asymmetrische Relation gekennzeichnet, in der ein Auftraggeber – der Prinzipal – einen Agenten mit einer Aufgabe betraut, die der Agent im Sinne des Prinzipals zu erfüllen hat. Die Aufgabenübertragung kann verschiedene Gründe haben, etwa dass der Agent für die Aufgabe kompetenter ist (z.B. im Falle von Ärzten, Anwälten oder Steuerberatern), oder dass der Prinzipal keine Zeit hat, sich darum zu kümmern. In jedem Falle muss der Agent ein Interesse daran haben, dass er die Aufgabe übertragen bekommt, und der Prinzipal muss Grund zu der Annahme haben, dass die Aufgabe durch den Agenten zuverlässig in seinem Sinne erfüllt wird. Diese letzte Voraussetzung ist nicht trivial, da der Agent gegenüber dem Prinzipal zwangsläufig einen Informationsvorsprung hat. Wenn er diesen nutzt, um sein Privatinteresse zu verfolgen, das möglicherweise von seinem Interesse an der Aufgabenerfüllung abweicht, hat der Prinzipal in der Regel nur begrenzte Kontrollmöglichkeiten, um diesen Missbrauch zu entdecken und zu sanktionieren. Ergänzend zur Kontrolle können Reputation des Agenten oder Vertrauen des Prinzipals wirksame Ersatzmechanismen sein. Diese typischen Probleme der P-A-Beziehung werden als Informationsasymmetrien, Interessendivergenzen und Kontrollprobleme bezeichnet.4 Auch in der ÖV, die als Agent von drei Prinzipalen – der politischen Führung als direktem Prinzipal, dem Parlament als indirektem sowie dem demokratischen Souverän als quasi „ideellem“ Prinzipal - handelt, lassen sich diese drei Probleme nachzeichnen. Die Verwaltungsmitarbeiter haben den Auftrag übertragen bekommen, das Gemeinwohl zu fördern, indem sie die operativen Leitlinien der politischen Führung umsetzen. Dass die Verwaltung hierbei schon gegenüber der 2 Im Folgenden wird Principal-Agent durch P-A abgekürzt. 3 Dies wird besonders deutlich in den Arbeiten von Laver/Shepsle (1999); Ferejohn (1999) oder Bergman/Müller/Strøm (2000). Für Beispiele, wie P-A-Situationen als Modellierung für verschiedene Beziehungen im öffentlichen Sektor verwendet werden, vgl. Pitkin (1967: 127); Holcombe/Gwartney (1989); Weingast (1984); Andeweg (2000); Huber (2000). 4 Diese Beschreibung der Eigenschaften einer P-A-Situation ist notwendigerweise sehr kurz. Eine ausführlichere und sehr eingängige Aufarbeitung der Situation und ihrer Probleme findet sich bei Coleman (1990: 145 ff.); Arrow (1985) sowie Akerlof (1970).
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politischen Führung, in ganz anderem Umfang aber gegenüber dem Parlament und der Bevölkerung, einen massiven Informationsvorsprung hat, liegt auf der Hand. Auch mag ein Anreiz bestehen, diesen auszunutzen, sofern Interessendivergenzen vorliegen. Zum einen mag es vorkommen, dass die politischen Zielvorstellungen innerhalb der Verwaltung nicht mit denen der politischen Führung übereinstimmen; zum anderen können private Eigeninteressen in den Vordergrund treten und die Amtsausübung korrumpieren. Die Kontrollmöglichkeiten der verschiedenen Prinzipale sind begrenzt und wiederum abgestuft. Während die politische Führung und die Verwaltungsspitze noch über konkrete Kontrollund Sanktionsmechanismen verfügen, hat das Parlament immerhin Informationsund mittelbare Kontrollrechte über die Regierung. Die Kontrollmöglichkeiten des Bürgers hingegen sind vernachlässigbar, da er kaum Einblick in die Verwaltungsarbeit erhält. 5 In dieser Situation wirken Responsivität und Verantwortlichkeit als Ersatzmechanismen für die nur begrenzt mögliche Kontrolle. Mit ihrer Hilfe soll gesichert werden, dass die Agenten nicht das öffentliche Interesse auf Kosten ihres Eigeninteresses vernachlässigen. Inwiefern aber Responsivität und Verantwortlichkeit instrumentell hergestellt werden können, ist zunächst eine offene Frage. 3 Das traditionelle System der Herstellung von Verantwortlichkeit im Wandel Die Instrumente und Mechanismen, mit deren Hilfe innerhalb der ÖV und gegenüber ihren Prinzipalen Verantwortlichkeit hergestellt wurde und wird, sind nach wie vor massiv von den Grundwerten und der Organisationsform des traditionellen Berufsbeamtentums geprägt. Allerdings wurde die traditionelle Verwaltung in den vergangenen Jahrzehnten sowohl in ihrem Wertekanon als auch in ihren Organisationsstrukturen durch Reformen verändert. Dies führte unter anderem zu veränderten Verantwortlichkeitsbeziehungen und dementsprechend zur Suche nach neuen Wegen, um die Verantwortlichkeit zu sichern oder wieder herzustellen. Ausgehend vom Paradigma der klassischen Bürokratie im Sinne Max Webers wird daher in den folgenden Abschnitten beschrieben, wie das System der Herstellung und Sicherung von Verantwortlichkeit sich im Zuge von drei Reformwellen durch die Überlagerung mit neuen Paradigmata veränderte (Behnke 2005). Man könnte diese als das Unternehmer-Paradigma, das demokratische Paradigma und das Service-Paradigma bezeichnen. Dabei steht das Unternehmer-Paradigma für Werte wie Profit-Orientierung und Effizienz, für 5 Vgl. zur Erscheinungsform der P-A-Probleme im System der demokratischen Arbeitsteilung ausführlicher Behnke (2004: 55-65).
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Wettbewerb und unternehmerisches Risiko. Das demokratische Paradigma betont die demokratische Legitimation des Handelns der öffentlichen Hand, die durch Kontrolle, Rechenschaft und Transparenz erreicht werden könne. Das Service-Paradigma schließlich stellt den Dienstleistungsaspekt der öffentlichen Tätigkeit in den Vordergrund, den Gemeinschaftssinn und eine aufgeklärte Eigenverantwortung der Bürger. 6 3.1 Das Paradigma der klassischen Bürokratie Die traditionelle Verwaltungsorganisation (formal-hierarchisch) ebenso wie das traditionelle Wertemuster (fundiert im preußischen Beamtenethos) der Bürokratie wurden von Max Weber (1988[1922]) als ein Idealtypus der Herrschaftsorganisation stilbildend beschrieben. In einem Land, das mittlerweile über fast drei Jahrhunderte hinweg über einen Apparat von Vollzeit arbeitenden und juristisch geschulten Lebenszeitbeamten verfügt (eine Zeitspanne, in der Staats- und Regierungsform mehrfach wechselten und nahezu die einzige Konstante ein rechtsstaatlich orientierter Verwaltungsapparat war), besitzt dieses Paradigma auch heute unter demokratischen Bedingungen noch eine große Prägekraft. Verantwortung wird hierbei durch eine Mischung aus Selbstkontrolle und Fremdkontrolle hergestellt. Die Fremdkontrolle innerhalb der Verwaltung wird sichergestellt durch die hierarchische Struktur der Arbeitsteilung mit klaren funktionalen Aufgabenzuschreibungen. Jeder Inhaber einer Position kennt seine Pflichten, über deren Erfüllung er dem Vorgesetzten berichtet. Dieser erteilt dem Untergebenen Aufträge und kontrolliert dessen Arbeit. Die Selbstkontrolle appelliert an das Standesethos der Staatsbeamten, wie es in den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums kodifiziert ist. Art. 33 Abs. 5 GG sichert den hergebrachten Grundsätzen Verfassungsrang, ausbuchstabiert sind sie zum einen in den juristischen Grundgesetzkommentaren, die der Rechtsprechung folgen, zum anderen in den Beamtengesetzen, so etwa im Bundesbeamtengesetz in den §§ 52-76, in den Länderbeamtengesetzen entsprechend. Hier finden sich Regeln wie die Loyalität zu den Grundprinzipien des Staates, das Gebot der Unparteilichkeit in der Amtsausübung oder das Verbot von Interessenkonflikten. Die Einhaltung dieser Amtspflichten sollte für den Beamten eine Selbstverständlichkeit sein, sie sind aber zusätzlich durch das Disziplinarrecht geschützt. Beide Wege – die Fremd- und die Selbstkontrolle – werden im traditionellen Bürokratiesystem durch das Laufbahnsystem unterstützt: Verwaltungsmitarbeiter werden überwiegend innerhalb der Staatsverwaltung ausgebildet und sozialisiert 6 Diese Einteilung der vier Paradigmata und die Beschreibung ihrer Abfolge in Reformwellen sind in Auszügen entnommen aus Behnke (2005).
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und verlassen nur in seltenen Fällen den Staat als Arbeitgeber, um in die freie Wirtschaft zu wechseln. Auf diese Weise internalisieren sie die bürokratischen Werte und Normen (Selbstkontrolle). Zugleich bilden sie eine sehr homogene soziale Gruppe, die über gleiche Ausbildungs- und Erwerbserfahrung verfügt und üben dementsprechend auch wechselseitig eine enge soziale Kontrolle aus (Fremdkontrolle). Auf diese enge soziale Kohäsion des Personals im öffentlichen Dienst zielte auch Ralf Dahrendorf (1962) ab, der die Führungsschicht der deutschen öffentlichen Verwaltung als „abstrakte Elite“ bezeichnete. Hiermit spielte er auf die Analogie zur Club-ähnlichen Elite des britischen Civil Service an, die traditionell durch das gemeinsame Studium an den Universitäten Oxford und Cambridge eine große Homogenität erworben hat. Die Homogenität der deutschen Verwaltungselite hingegen wird durch die bundesweit einheitliche Juristenausbildung hergestellt, die nach wie vor der ganz überwiegende Anteil der Verwaltungsmitarbeiter in Führungspositionen durchlaufen hat. 3.2 Das Unternehmer-Paradigma der NPM-Reformen Zu Beginn der 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts geriet dieses traditionelle Bürokratiebild zusehends in Misskredit. Mit der aufkommenden Wirtschafts- und Finanzkrise wurde das Sparen zur dominierenden Handlungsorientierung in der öffentlichen Verwaltung, und die Sparzwänge rückten neue Werte und Handlungskriterien in den Vordergrund. Dementsprechend diente eine erste Welle von Reformen im Sinne des New Public Management – die in Deutschland vor allem durch das „Neue Steuerungsmodell“ der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement verbreitet wurde – mit der Einführung marktorientierter Management-Kriterien vor allem dem Abbau von Ineffizienzen (vgl. Adamaschek 1998; Bogumil 2001; Bandemer 1998). Für die Organisationsstruktur der ÖV bedeutete der neue Primat der Marktförmigkeit und Effizienz unter anderem, dass Hierarchien abgeflacht wurden, Service-, Stabs- und Querschnittseinheiten als 'Projektteams' aufgewertet oder Aufgaben ganz aus der unmittelbaren Staatsverwaltung ausgelagert wurden. Beliebte Modelle hierfür waren die Bildung von semi-staatlichen Agenturen („agencification“, vgl. Hood u.a. 1999; Ebinger 2007; Döhler 2007), PublicPrivate-Partnerships oder echte Privatisierung von Aufgaben. In der Konsequenz werden dadurch Kontrollen erschwert, ist Verantwortung nicht mehr zurechenbar und wird die Legitimation des letztlich doch als staatlich wahrgenommenen Handelns unterminiert. Verwaltungsintern führt darüber hinaus die Deregulierung (z.B. Globalbudget, erhöhte freihändige Auftragsvergabe, Abbau von Gegenzeichnungspflichten und institutionalisierten Kontrollen) zu einem größeren
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Ermessensspielraum, was das Risiko von Fehlentscheidungen, Interessenkonflikten und letztlich von Korruption erhöht. Im Paradigma des NPM gelten traditionelle Werte wie Hierarchie, Unparteilichkeit oder Rechtsförmigkeit als veraltet und umständlich, da sie eine schlanke Organisationsführung behindern. Betont werden stattdessen andere Werte wie Wettbewerbsfähigkeit, Eigeninitiative und Flexibilität. Diesem neuen Steuerungsansatz liegt auch ein anderes Menschenbild zugrunde. Erwartet wird nicht mehr, dass die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes aus Pflichtbewusstsein und Loyalität zum öffentlichen Interesse handeln; vielmehr versucht man, ihr Verhalten über Anreize und Sanktionen zu steuern, appelliert also an ihr Eigeninteresse: Aus Staatsdienern sollen Manager werden (Behnke 2005: 246). Dass hier in konkreten Entscheidungen Zielkonflikte auftreten können, liegt auf der Hand, da etwa eine flexible Aufgabenabwicklung nicht immer auch sparsam oder unparteilich sein muss, oder das Ziel der Effizienz mit dem Kriterium der Rechtsförmigkeit kollidieren kann. In dem Maße, wie Verwaltungsmitarbeiter mit solchen Ziel- und Wertkonflikten konfrontiert sind, müssen sie Ermessensentscheidungen treffen und ggf. eine Wertabwägung vornehmen. Damit werden aber Entscheidungen weniger berechenbar und subjektiver, was wiederum für die Verantwortung dieser Entscheidungen gegenüber Dritten problematische Implikationen hat. 3.3 Reform der Reform – demokratisches Paradigma und Service-Paradigma Aufgrund der genannten Probleme wurde bald auch an den ökonomischen Steuerungsinstrumenten Kritik laut. Galt die Kritik der Befürworter von New Public Management gegenüber dem traditionellen Verwaltungsmodell vor allem dessen Rigidität, beklagen nun Kritiker der NPM-Reformen eben die unklaren Verantwortlichkeiten, die sich letztlich in einem erhöhten Risiko von Fehlentscheidungen, in einer höheren Korruptionsanfälligkeit und in einer größeren wahrgenommenen Distanz von den Bedürfnissen und Ansprüchen der Bürger niederschlagen. So wird im Verhältnis zwischen Verwaltung und Bürgern der Primat der Ökonomie insbesondere dann als belastend empfunden, wenn ihm die Qualität der zu erbringenden Dienstleistung untergeordnet wird (z.B. durch Personaleinsparungen) oder wenn ihm gar umständliche Verfahrensweisen zum Opfer fallen, die aber eigentlich dem Schutze der Rechte und Interessen der Bürger dienten (etwa die Abschaffung der Baustatikprüfung in Bayern). Zusammenfassen lassen sich diese Kritiken unter dem Argument, dass der öffentliche Sektor eben doch nicht den gleichen Gesetzen folgt wie der freie Markt und daher öffentliche Organisationen auch nicht exakt nach den gleichen Prinzi-
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pien strukturiert sein können wie Wirtschaftsunternehmen. In einer zweiten Welle der Modernisierung, die sich aus diesen Kritiken an den Reformen des NPM entwickelte, lässt sich nach der Ökonomisierung der Verwaltung nun eine „Ethisierung“ feststellen mit dem Ziel einer verstärkten Betonung allgemeiner ethischer und demokratischer Verpflichtungen. Dieser Trend wurde mit zwei unterschiedlichen Schwerpunkten formuliert. Das eine Argument betont das Agenturverhältnis der Verwaltung, da ja aus demokratietheoretischer Sicht die Exekutivgewalt den ausführenden Personen vom demokratischen Souverän nur übertragen und anvertraut worden ist. Die Legitimität des Verwaltungshandelns hängt daher davon ab, inwiefern die Bürger Entscheidungen nachvollziehen und kontrollieren können (Wollmann 1999; Holtkamp 2006). Rechenschaftslegung, Transparenz des Verwaltungshandelns und Responsivität auf Anforderungen und Bedürfnisse der Bürger sind somit Werte, die von Kritikern sowohl des traditionellen Paradigmas als auch des New Public Management nun in verstärktem Maße eingefordert werden. In der Konsequenz ähnlich, aber mit einem leicht anderen Zungenschlage argumentiert eine Bewegung, die sich in den USA in Abgrenzung zum „New Public Management“ unter dem Schlagwort des „New Public Service“ ausbildete. Von Vertretern dieser Bewegung wird der Übergang vom „Kunden“ zum „Bürger“, vom „Management“ zum „Service“ betont (Denhardt/Denhardt 2000). In Kritik und Ergänzung zum Effizienzkriterium wird es hier als wichtig angesehen, dass Verwaltungsmitarbeiter demokratische Werte verinnerlicht haben und in diesem Sinne den Bürgern Hilfestellung zu einer aufgeklärten Eigenverantwortung liefern sollen.7 Auch hier wird also eine verstärkte Responsivität der Verwaltung eingefordert. 4 Folgen des Paradigmenwandels 4.1 Probleme Der Wandel der Wertvorstellungen und der Organisationsstrukturen von der hierarchischen und auf Rechtsförmigkeit hin orientierten klassischen Bürokratie über die Einführung von NPM-Reformen mit ihrer Vielzahl an horizontal nebeneinander gestellten Organisationseinheiten und ihrer Betonung der Marktförmigkeit und Effizienz des Verwaltungsvollzugs bis hin zur Einführung demokratischerer sowie bürgernäherer Organisationsstrukturen – vor allem auf der kommunalen Ebene – und einer starken Orientierung an Responsivität, Legitimität und Service-Mentalität hat insgesamt zweifelsfrei die ÖV modernisiert und be7 In Deutschland wurde diese Idee vor allem im Konzept der Bürgerkommune umgesetzt, vgl. Holtkamp u.a. (2007); Holtkamp/Bogumil (2003).
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reichert. Zugleich brachten diese Reformen – nicht zuletzt aufgrund der schieren Menge an Veränderungen pro Zeiteinheit und der relativ großen inhaltlichen Schwankungen – für den Verwaltungsvollzug eine Reihe von Problemen mit sich, die sich auch auf das System der Herstellung von Verantwortlichkeit nachhaltig auswirkten. In Abschnitt 3.2 wurde bereits das Problem der Verantwortungsdiffusion aufgrund der horizontalen Diversifizierung von Zuständigkeiten angesprochen: Da Entscheidungen nicht mehr nur innerhalb einer hierarchisch strukturierten Behörde getroffen werden, sondern eine Vielzahl von teilstaatlichen oder nichtstaatlichen Organisationseinheiten mit für den Bürger teilweise unklaren Zuständigkeiten an Entscheidungen beteiligt ist, ist es schwierig, konkrete Instanzen zur Verantwortung zu ziehen, wenn man von negativen Folgen von Entscheidungen betroffen ist. Ein weiteres großes Problem, das ebenfalls dort angesprochen wurde, ist der erweiterte Ermessensspielraum für Verwaltungsmitarbeiter als Folge der Pluralisierung von Werten und Zielvorstellungen: In dem Maße, wie Zielkonflikte bestehen und keine klare Prioritätensetzung erkennbar ist, müssen die Verwaltungsmitarbeiter selbst zwischen konkurrierenden Zielen abwägen (Maesschalck 2002). Das erhöht das Risiko von Fehlentscheidungen, und macht Entscheidungen generell – egal, ob sie richtig oder falsch sind, anfällig für Kritik. Auch diese Entwicklung unterminiert die Legitimität von Verwaltungsentscheidungen. Beide Entwicklungen zusammen – die strukturelle Verantwortungsdiffusion und die Wertepluralisierung – erhöhen die Korruptionsanfälligkeit der ÖV. Korruptionsskandale, öffentliche Dispute über die Angemessenheit von Entscheidungen oder die persönliche Betroffenheit von Bürgern, ohne dass sie für ihre Klagen eine klare Anlaufstelle hätten, führen insgesamt dazu, dass das Vertrauen der Bürger in die Verwaltung unterminiert wird.8 Dieser Vertrauensschwund wird nicht nur in Deutschland, sondern in vielen OECD-Staaten als zentrales Problem der öffentlichen Verwaltung wahrgenommen, dem es aktiv entgegenzuarbeiten gilt (Behnke 2004: 210 ff.): “OECD countries are concerned about declining confidence in government. This so-called ‘confidence deficit’ has been fuelled by well publicised ‘scandals’, ranging from inappropriate actions on the part of public officials, to fullscale corruption. Few, if any, Member countries have escaped the taint, if not the reality of wrongdoing. As a result, ethics or standards in public life have become an important public and political issue” (OECD 1996: 5). Tatsächlich ist aber das öffentliche Vertrauen in die staatlichen Institutionen (und mit ihnen auch die ÖV) ein wichtiges Fundament eines modernen demo8 Politisches Vertrauen sei hier verstanden als das Zutrauen des demokratischen Souveräns, dass seine Agenten zuverlässig in seinem Sinne und Interesse handeln werden (Benz 2002).
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kratischen Staates. Dieses öffentliche Vertrauen zu erhalten oder – wo es gesunken oder geschwunden ist – wieder herzustellen, muss daher ein zentrales Anliegen öffentlichen Handelns sein. Gesunkenes politisches Vertrauen lässt sich in der Terminologie der P-A-Beziehung als Hinweis auf eine vergrößerte Interessendivergenz zwischen Prinzipal und Agent interpretieren. Dies ist in der Tat auch der übliche Mechanismus in der Bevölkerung. Sinkendes Vertrauen als Reaktion auf wahrgenommene Interessendivergenzen, bzw. eine Missachtung des öffentlichen Interesses durch die Agenten führt zu einem erhöhten Kontrollanspruch des demokratischen Prinzipals (Behnke 2004: 214 ff.). Dies ist eine äußerst zweischneidige Entwicklung: Mit dem steigenden Interesse für das Wohl- oder Fehlverhalten öffentlicher Bediensteter und einem erhöhten Kontrollanspruch steigen in der Regel sowohl die Transparenzanforderungen als auch die Erwartungen an die Standards, die Verwaltungsmitarbeiter erfüllen müssen. 9 Es besteht also ein Dilemma darin, dass Verwaltungsmitarbeiter mit höheren Erwartungen an ihre Integrität und dementsprechend mit höheren ethischen Standards konfrontiert werden. Das kann dazu führen, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, Fehlverhalten würde zunehmen, obwohl das Niveau der Integrität tatsächlich gleich geblieben oder sogar gestiegen sein kann. Dieser Zusammenhang wurde bereits 1995 von dem britischen „Committee on Standards in Public Life“ sehr hellsichtig formuliert: „We cannot say conclusively that standards in public life have declined. We can say that conduct in public life is more rigorously scrutinised than it was in the past, that the standards which the public demands remain high, and that the great majority of people in public life meet those high standards.” (Committee on Standards in Public Life 1995: 3) Insgesamt führt also die beschriebene Entwicklung dazu, dass zum einen infolge der unmittelbaren Folgen der verschiedenen Reformwellen als auch vermittelt über das sinkende öffentliche Vertrauen der Anspruch an die ÖV steigt, sich gegenüber dem demokratischen Prinzipal zunehmend responsiv, verantwortlich und transparent zu zeigen. Hierbei scheint die Forderung nach Verantwortlichkeit wieder zuzunehmen, nachdem sie zur Blütezeit der NPM-Reformen eine eher untergeordnete Rolle gespielt hatte. Neu ist hingegen, dass Responsivität und Transparenz als Mechanismen der unmittelbaren Rückbindung der Verwaltung an den Bürger – also auch ohne den Umweg über Regierung und 9 Der Korruptionsperzeptionsindex der internationalen NGO Transparency International ist mittlerweile eines der einflussreichsten Instrumente geworden, um den öffentlichen Sektor der untersuchten Länder unter einen großen öffentlichen Erwartungsdruck zu bringen. (Internetquelle: http://www.transparency.org/policy_research/surveys_indices/cpi [31.12.2008]) Deutschland sank in der Bewertung insbesondere in den Jahren 1998 bis 2001 ab, was vermutlich eine Folge der Parteispendenaffäre der CDU war.
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Parlament – einen wesentlich größeren Stellenwert einnehmen. Die Frage ist nun aber, mit Hilfe welcher Mechanismen und Instrumente diesen neuen bzw. in ihrer Gewichtung verschobenen Anforderungen entsprochen werden kann. 4.2 Instrumente Die Antwort auf die Frage nach den neuen oder geeigneten Instrumenten lässt sich mit dem Schlagwort des „aktiven Ethik-Management“ beantworten. Dieses Konzept, das von der OECD entwickelt wurde (OECD 1998), geht davon aus, dass mit Hilfe eines Mix von harten und weichen Instrumenten der ethischen Verhaltenssteuerung ein hohes Maß an Integrität des öffentlichen Sektors erreicht werden kann. Unter harten Instrumenten versteht man eine Verschärfung von Gesetzen, Kontrollen und Sanktionen. Weiche Maßnahmen zielen hingegen auf Aufklärung, Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung für korruptionsanfällige Situationen oder Interessenkonflikte, auf die Einrichtung von Institutionen und Prozessen zur Vermeidung unethischen Verhaltens (Behnke 2004: 78). Ein aktives Ethik-Management wurde in Deutschland eigentlich erst mit der zweiten Reformwelle eingeführt, als die Unzulänglichkeiten der ersten Reform offenkundig wurden. Dies war aber nicht nur auf den im vorangehenden Abschnitt beschriebenen Zusammenhang zurückzuführen, dass man versuchte, unklaren Verantwortlichkeiten entgegen zu steuern und die Verwaltung responsiver und transparenter zu gestalten. Ein anderer Effekt spielte ebenfalls eine Rolle: Mit den organisatorischen Veränderungen der NPM-Reformen änderte sich auch der berufliche Erfahrungshintergrund des Verwaltungspersonals. Typisch für das traditionelle Wertemuster des preußischen Beamtenethos war die stillschweigende Unterstellung gewesen, dass dieses unter den Verwaltungsmitarbeitern bekannt und auch akzeptiert sei. In dem Maße jedoch, wie berufliche Karrieren sich nicht mehr ausschließlich in der Verwaltung abspielen, sondern die Mitarbeiter stärker zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor wechseln – etwa infolge von Public-Private-Partnerships oder des gezielten 'Einkaufs' von Managern in die Führungsetagen der ÖV – weicht das Juristenmonopol auf und die Bindekraft der internen Sozialisation lässt nach. Dann müssen neue Wege zur Vermittlung des relevanten Wertekanons und zur Sicherung ethischen Verhaltens gefunden werden. In diesem Sinne war bspw. der Übergang vom bürokratischen zum ökonomischen Paradigma durch eine massive Schulungstätigkeit gekennzeichnet. Man versuchte auf diese Weise, über Information und Aufklärung in Seminaren, Schulungen oder speziellen Projekten ein effizienz- und marktorientiertes Umdenken bei den Verwaltungsmitarbeitern zu erreichen. Ge- und Verbote wurden – entsprechend dem ökonomischen Men-
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schenbild – durch Anreizsysteme ersetzt, Kontrollen wurden abgebaut oder Prozesskontrollen durch Ergebniskontrollen ersetzt, um Abläufe reibungsloser und effizienter zu gestalten. In der zweiten Reformwelle wurde dieser Schulungsgedanke dann aufgegriffen, die Inhalte aber änderten sich. Legitimität und Regelkonformität des Verwaltungshandelns rückten wieder in den Vordergrund, Werte wie Offenheit und Service-Orientierung sollten vermittelt werden. Wenngleich die weichen Maßnahmen des Ethik-Managements die eigentliche qualitative Neuerung im System der Sicherung von Kontrolle und Verantwortlichkeit der ÖV darstellten, ließ sich der Beginn eines aktiven Ethik-Managements in Deutschland im Wesentlichen an einer Reihe von Gesetzen festmachen, die innerhalb weniger Jahre erlassen wurden mit dem Ziel, Responsivität, Verantwortlichkeit und Transparenz der Verwaltung zu stärken und dadurch Korruption zu verhindern. Die Gesetze umfassen eigentlich durchweg sowohl harte Maßnahmen in dem Sinne, dass bestehende Gesetze verschärft oder um neue Regelungen ergänzt werden, als auch weiche Maßnahmen mit dem Ziel der Aufklärung, Schulung und Prävention. Hierbei handelt es sich im Einzelnen um: 10
das Anti-Korruptions-Gesetz (1997) und hierzu die Anti-Korruptions-Richtlinie (1998 und 2004), das Vergaberechtsänderungsgesetz (1999), das Disziplinargesetz (2002) sowie zuletzt das Informationsfreiheitsgesetz (2005).
Die wesentlichen Neuerungen dieser Gesetze sollen im Folgenden kurz beschrieben werden. In der Richtlinie der Bundesregierung zur Korruptionsprävention in der öffentlichen Verwaltung vom 17. Juni 1998, bzw. in Neufassung vom 07. Juli 2004 kommt der Prävention ein prominentes Gewicht zu.11 Dort werden Veränderungen in der Ablauforganisation vorgeschlagen, die einzelne Positionen weniger anfällig für Interessenkonflikte und Korruption machen (Bestandsaufnahme korruptionsanfälliger Tätigkeiten, Verstärkung der Personalrotation und des Vier-Augen-Prinzips, Ausbau der Innenrevision). Außerdem wird die Einrichtung eines Ombudsmannes in jeder Behörde angeregt, ein Verhaltenskodex entworfen und ein regelmäßiges Anti-Korruptions-Training für Angehörige des 10 Ausführlicher sind die Inhalte und Wirkungen der Gesetze beschrieben in Behnke (2004: 112 ff.). 11 Die Richtlinie von 2004 ist mittlerweile in fast allen Bundesländern als Gesetz oder Vorschrift implementiert worden. Vgl. den vierten Umsetzungsberichte der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren zum Präventions- und Bekämpfungskonzept Korruption (Internetquelle: http://www.im.nrw.de/inn/doks/4berimk.pdf [31.12.08]).
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öffentlichen Dienstes zur Erhöhung der Sensibilität für korruptionsanfällige Situationen und Bereiche empfohlen. Tatsächlich haben inzwischen viele Behörden Anti-Korruptions-Beauftragte benannt, denen die Funktion eines Ombudsmannes zukommt. Der Richtlinie ist als Anlage ein Leitfaden für Vorgesetzte beigefügt, in dem gerade auf weiche, nicht rechtlich fixierbare Aspekte wie Arbeitsklima, Führungsstil, Gespräche und organisatorische Maßnahmen hingewiesen wird. Allerdings ist die Richtlinie trotz ihrer formalen Übernahme durch alle Landesregierungen bislang in der Praxis so gut wie gar nicht umgesetzt worden. Einen weiteren Baustein in der Korruptionsprävention stellt das 1999 durch das Vergaberechtsänderungsgesetz neu geregelte Verfahren zu Vergabe öffentlicher Aufträge dar (Wilburn/Reichling 2000: 4), da hier bekanntermaßen die meisten Fälle von Korruption in der öffentlichen Verwaltung vorkommen. In das neu gefasste Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen wurde ein „Vierter Teil“ eingefügt, der das Vergabeverfahren für öffentliche Aufträge regelt, die oberhalb der durch die entsprechende Rechtsverordnung festgelegten Schwellenwerte liegen. Ergänzt wurden diese Änderungen durch Anpassungen im Strafgesetzbuch und durch die Anti-Korruptions-Richtlinie. Im Strafgesetzbuch wurde durch das Anti-Korruptions-Gesetz 1997 ein Abschnitt 26 „Straftaten gegen den Wettbewerb“ eingefügt. So kann nach § 298 StGB neue Fassung der Versuch der Bestechung bei Ausschreibungen mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft werden. In der Anti-Korruptions-Richtlinie ist noch einmal der Grundsatz der öffentlichen Ausschreibung festgeschrieben. Weiterhin wird dort die Möglichkeit geschaffen, Unternehmen, die nachweislich bereits einmal den Versuch unternommen haben, über Bestechung einen Auftrag zu gewinnen, vom Vergabeverfahren auszuschließen. Außerdem können Auftragnehmer vertraglich auf nicht korruptes Verhalten verpflichtet werden. 12 Die wichtigste Änderung des Gesetzes betrifft die Öffnung des Vergabemarktes für internationale Anbieter und eine Stärkung der Rechte der Bieter. Auf diese Weise wird im Vergabeverfahren eine größere Transparenz geschaffen. Besonders wichtig ist hierbei das neue Recht, dass Bieter, die einen Auftrag nicht erhalten haben, eine Klage anstrengen und somit ein Nachprüfungsverfahren veranlassen können (Scheuer 2000: 277). Dadurch sind die öffentlichen Vergabestellen einem wesentlich größeren Zugzwang ausgesetzt, keine Bieter zu bevorzugen, die eventuell Bestechungsgelder gezahlt haben. Diese Form der 12 In Nordrhein-Westfalen trat am 01.03.2005 das Gesetz zur Verbesserung der Korruptionsbekämpfung und zur Einrichtung und Führung eines Vergaberegisters in Kraft. Auch einige andere Länder haben vergleichbare Regelungen eingeführt, eine bundeseinheitliche schwarze Liste im Zusammenhang mit der Korruptionsbekämpfung im Vergabewesen ist jedoch rechtlich nach wie vor umstritten (vgl. den 4. Umsetzungsbericht der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren von 2006: 55).
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Regelung dient nicht nur der global effizienten Ressourcenallokation durch die Öffnung für den internationalen Wettbewerb. Ein weiterer Effekt besteht darin, dass der Kontrollaufwand von den Behörden an die Konkurrenten externalisiert und somit zugleich effektiviert wird. Bei der Reform des Disziplinargesetzes spielte der Präventionsaspekt eine eher untergeordnete Rolle. Ziel war es, korruptive Netzwerke innerhalb der Verwaltung zu verhindern oder ggf. zu entdecken. Daher wurden Ermessensspielräume der Vorgesetzten in Disziplinarfragen eingeschränkt. Auch wurde der Kanon der Disziplinarstrafen verschärft. Als wichtiger Schritt zur Schaffung von mehr Transparenz im öffentlichen Sektor wird üblicherweise ein Informationsfreiheitsgesetz angesehen, das in Deutschland nach langer Vorlaufzeit 2006 endlich in Kraft trat (Behnke 2004: 121). 13 Nach dem IFG besteht ein grundsätzliches Recht auf Zugang zu amtlichen Informationen. Damit ist die zuvor bestehende Logik des Datenschutzes, nach der der Zugang zu amtlichen Informationen grundsätzlich verwehrt war und nur in aufzulistenden Ausnahmefällen gewährt wurde, genau umgekehrt worden. Insofern ist das Gesetz durchaus als Signal des Bemühens um mehr Transparenz zu verstehen, auch wenn letztlich in der Sache zwischen der früheren Rechtslage (grundsätzliches Verbot und ausnahmsweise Gewährung von Akteneinsicht durch einzelne Regelungen) und der neuen (grundsätzliche Zugangsgewährung, die durch eine lange Liste von Ausnahmetatbeständen eingeschränkt wird) kein allzu großer Unterschied besteht. Entgegen den Unkenrufen von Gegnern des Gesetzes, die eine wahre Überflutung der ÖV mit Akteneinsichtsanträgen vorausgesagt hatten, ist dies bislang nicht eingetreten. Erfahrungen aus anderen Ländern, in denen ein IFG schon lange besteht, bestätigen, dass die Nachfrage nach Akteneinsicht nirgends allzu ausgeprägt ist (Relyea 2001; Transparency International 2004).
13 Zunächst mag es nicht unmittelbar einsichtig sein, inwiefern ein Informationsfreiheitsgesetz, das ja primär die Beziehungen zwischen Bürger und Staat regelt, sich in einen Kanon von Maßnahmen einreihen soll, die der Steuerung individuellen Verhaltens öffentlicher Bediensteter dienen sollen. In einem indirekten Sinn soll aber die Nachprüfbarkeit von Entscheidungen in der Verwaltung durch den Bürger präventiv Interessenkonflikte vermeiden. Insofern lässt sich diese Zuordnung, die häufig gemacht wird, durchaus begründen.
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5 Die Wirksamkeit von Ethik-Maßnahmen für Responsivität und Verantwortlichkeit 14 Die Struktur und das Wertesystem des öffentlichen Dienstes unterlagen in den vergangenen Jahrzehnten einem massiven Wandel, der zumindest teilweise Züge eines Paradigmenwechsels trägt. Strukturell wurden Hierarchien abgeflacht, Kontrollen abgebaut, Aufgaben externalisiert und Querschnittseinrichtungen aufgebaut. Die traditionellen bürokratischen Werte wie Loyalität, Neutralität, Regelförmigkeit und Hierarchie wurden in einer ersten Gegenbewegung zunächst durch Marktimperative ergänzt. Diese erste Reformwelle wiederum erzeugte ihre eigene Gegenbewegung, wodurch Werte wie Transparenz, Responsivität, aber auch Verantwortung und Service-Mentalität eine neue Betonung erfuhren. Jedes der drei Paradigmen hat einen Kern an Werten, die der öffentliche Dienst braucht, jedes für sich allein genommen ist einseitig und unzureichend. Insofern ist generell die Entwicklung durchaus zu begrüßen, die jeweils die Unzulänglichkeiten des einzelnen Paradigmas offen gelegt und in der Konsequenz zu einer größeren Pluralität an Wertvorstellungen geführt hat. Allerdings brachten organisatorische Verantwortungsdiffusion und Wertepluralismus ihre eigenen Schwierigkeiten mit sich und machten die Suche nach neuen Wegen der Kontrolle nötig. Wie gezeigt wurde, lässt sich der Wandel in der Sicherung der Verantwortlichkeit stark vereinfacht durch zwei Trends beschreiben. Zum einen wurde das traditionelle System der hierarchischen Kontrolle und Sanktion ergänzt um präventive Maßnahmen der Vermeidung von Fehlverhalten. Zum anderen gewannen neben der Verantwortlichkeit die Responsivität und die Transparenz als Werte an Gewicht. Zu fragen ist aber abschließend, inwiefern die neuen Instrumente und Mechanismen der Verantwortungssicherung mit Hilfe eines aktiven Ethik-Managements geeignet sind, ihr Ziel zu erreichen. Ganz offensichtlich gibt es keinen Königsweg der zuverlässigen Herstellung von Kontrolle und Verantwortlichkeit, der Verhinderung von Amtsmissbrauch, Interessenkonflikten und Korruption und der zuverlässigen Rückbindung der Handlungen der Verwaltungsmitarbeiter an die Wünsche und Intentionen ihres demokratischen Prinzipals. Auch wenn die Verhaltenssteuerung mittels harter Maßnahmen heute vielleicht weniger populär ist als zu Beginn des 20. Jahrhunderts und insbesondere im Zuge der ersten Reformwelle viele Kontrollen abgeschafft wurden, um Prozesse zu vereinfachen, kann man nicht von einem eindeutigen Trend weg von der „harten“ gesetzmäßigen Steuerung hin zur „weichen“ Steuerung über Aufklärung und Bewusstseinsbildung sprechen. Vielmehr 14 Diese abschließenden Bewertungen und Analysen sind in Auszügen übernommen aus Behnke (2006: 268).
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scheint es so, dass sowohl bei harten als auch bei weichen Maßnahmen die Regelungsdichte und die Detailliertheit ständig zunehmen. Nicht nur die Pluralität der Werte, sondern auch die der Steuerungsmechanismen ist an sich durchaus positiv zu bewerten. Denn es muss davon ausgegangen werden, dass die effektivste Methode, Verwaltungsmitarbeiter zur Vermeidung von Interessenkonflikten und zu ethisch einwandfreiem Verhalten anzuregen, in einer Kombination verschiedener Prinzipien besteht. Einerseits müssen klare Regeln, Ge- und Verbote sowie Sanktionen statuiert sein, um Eindeutigkeit zu schaffen, etwa in der Zurechenbarkeit von Verantwortlichkeit und als Handlungsgrundlage. Andererseits können Gesetze niemals so formuliert werden, dass alle denkbaren Situationen dadurch eindeutig und klar abgedeckt sind. Vielmehr bleibt immer ein Ermessensspielraum bestehen, der auch notwendig ist, um flexibel und der Situation angemessen zu handeln. Außerdem können auch Kontrollen und Sanktionen niemals lückenlos funktionieren. Vielmehr ist es wichtig, dass die Adressaten der Gesetze, Kontrollen und Sanktionen auch von sich aus ein Interesse daran haben, das Richtige zu tun. Sie müssen die Normen und Werte also internalisiert haben und motiviert sein, sich daran zu halten, um dann auch im Zweifelsfalle ihren Ermessensspielraum im Sinne der herrschenden Werte einzusetzen. Diesem Ziele dienen die weichen Maßnahmen der Aufklärung, Information, Motivation und Bewusstseinsbildung. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass die Erweiterung der Instrumente tendenziell besser geeignet ist, den komplexen Anforderungen der Sicherung von Responsivität und Verantwortlichkeit gerecht zu werden, als dies mit den traditionellen Kontrollmechanismen der Fall war. Andererseits birgt das aktive Ethik-Management – insbesondere mit dem in Abschnitt 4.1. beschriebenen sich selbst verstärkenden Trend des sinkenden öffentlichen Vertrauens – das Potenzial, äußerst kontraproduktiv zu wirken. Dies sei abschließend an einigen Beispielen illustriert: 1.
2.
Durch die gestiegene öffentliche Sensibilität für die Problematik ethischer Standards wird in der Öffentlichkeit auch eine höhere Erwartungshaltung an die Integrität öffentlicher Bediensteter geweckt. Steigende Standards mögen an sich durchaus begrüßenswert sein, aber wenn das Niveau der Integrität des Verhaltens öffentlicher Bediensteter bei steigenden Erwartungen auch nur gleich bleibt, kommt dies einem relativen Absinken des Niveaus in der öffentlichen Wahrnehmung gleich und führt somit zu einem weiteren Rückgang des Vertrauens. Je detaillierter Verhalten von Verwaltungsmitarbeitern geregelt ist, desto häufiger werden diese zwangsläufig auch Regeln übertreten, bis zu dem Extremfall, dass das Geflecht an Regeln so dicht und widersprüchlich ge-
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3.
Nathalie Behnke worden ist, dass jede Handlungsoption zwangsläufig eine Regelverletzung bedeutet. Folgt man der Annahme, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit durch Regelverletzungen erschüttert wird, dann tragen mehr Ethik-Regeln dazu bei, dass mehr Regelverletzungen stattfinden und das Vertrauen der Öffentlichkeit noch stärker untergraben wird. Die Einführung von Transparenzgeboten soll zum einen Vertrauen der Öffentlichkeit schaffen, zum anderen präventiv Interessenkonflikte verhindern. Hier besteht jedoch die Gefahr, dass Handlungen, die an sich durchaus mit ethischen Standards konform sind, im Lichte der Öffentlichkeit einen problematischen Anschein erhalten. So kann auch Transparenz in der Konsequenz zu einer Vertrauenserosion beitragen.
Diese Gefahren, die ein Übermaß an Ethik-Maßnahmen mit sich bringen kann, werden von den USA sehr augenfällig illustriert. Dort herrscht in weiten Kreisen der politischen und administrativen Elite in Washington Konsens darüber, dass das aktive Ethik-Management schon lange mehr negative als positive Folgen produziert. 15 In Deutschland hingegen zeigen sich diese bislang allenfalls in Ansätzen. Generell sollte aber auch in der Zukunft beachtet werden, dass nicht jeder medienwirksam berichtete Fall von Korruption oder Interessenkonflikten am besten dadurch kuriert wird, dass man strengere Gesetze, höhere Transparenzerfordernisse und höhere ethische Standards fordert. Wenn Verwaltungsmitarbeiter mit den ihnen übertragenen Aufgaben verantwortlich und responsiv umgehen sollen, muss man ihnen einen Ermessensspielraum für die optimale Aufgabenerfüllung überlassen. Die logisch und pragmatisch notwendige KontrollLücke muss mit Vertrauen in die grundsätzliche Integrität der in den öffentlichen Dienst berufenen Personen geschlossen werden. Dieses Vertrauen kann bspw. durch Auswahlverfahren für den Eintritt in den öffentlichen Dienst sowie durch weiche Ethik-Maßnahmen unterfüttert werden. Keinesfalls aber kann es eine erfolgversprechende Strategie sein zu versuchen, das Verhalten der Agenten bis ins letzte Detail zu programmieren und zu kontrollieren. Wenn dies möglich wäre, wären schließlich Verantwortlichkeit und Responsivität auch nicht mehr nötig.
15 Vgl. die Kritik bei Morgan/Reynolds (1997) und Mackenzie (2002), sowie grundlegend zu dieser Problematik Anechiarico/Jacobs (1996).
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Verwaltung und Partizipation: Von der Hierarchie zur partizipativen Governance?
Lars Holtkamp
1 Einleitung Lange Zeit wurde die deutsche Verwaltung im internationalen Vergleich als vorbildlich angesehen. Sie galt als Prototyp der Bürokratie, die im durchaus positiven Sinne gekennzeichnet ist durch fachmäßige Schulung, feste Kompetenzen, Arbeitsteilung und hierarchische Unterordnung. Seit den 1980er Jahren wurden in der Politikwissenschaft aber zunehmend die Effektivitätsprobleme hierarchischer Steuerung problematisiert und in den 1990 Jahren wurde im Zuge von Haushaltskrise und erstarkender betriebswirtschaftlicher Verwaltungswissenschaft die vermeintliche Ineffizienz der hierarchischen Verwaltung hervorgehoben. Wettbewerb, Anreize und Enthierarchisierung sollten dem New Public Management zufolge die bürokratischen Strukturen ersetzen und insbesondere die Effizienz der Verwaltung steigern. Im neuen Jahrtausend gilt nun Governance in der politikwissenschaftlichen Verwaltungsforschung zunehmend als das neue „Zauberwort der Verwaltungsreform“ (Nullmeier 2007: 15). Mit diesem Reformleitbild werde nun eine stärkere Partizipation des Bürgers angestrebt (Janning 2006: 91). Das Verwaltungsreformleitbild „Public Governance“ hat danach mit dem New Public Management eine grundlegende Skepsis gegenüber hierarchischen Steuerungsreformen gemeinsam, setzt aber nicht auf mehr Wettbewerb und Anreize, sondern auf „netzwerkartige Steuerungsformen als zweite Alternative zu traditioneller hierarchischer Steuerung“ (Jann/Wegrich 2004: 205). Die „Managementmode“ ist danach weitgehend vorbei und es kommt zu einer „steilen Karriere des GovernanceKonzepts“ durch „Lernprozesse der Verwaltungsakteure“ (Jann/Wegerich 2004: 211), die sich nun von der einseitigen Effizienzorientierung des Neuen Steuerungsmodells lösen würden. Effektivität und demokratische Legitimation durch Partizipation stünden in den Verwaltungsleitbildern nun hoch im Kurs (Walkenhaus 2006). Als prominentes Beispiel für diese Entwicklung wird der Reformtrend in den Kommunen vom Neuen Steuerungsmodell zur Bürgerkommune
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angeführt. Netzwerkartige Koordination und Enthierarchisierung werden in der governanceorientierten Verwaltungswissenschaft nicht nur im Verhältnis der Verwaltung zu den Bürgern, sondern zunehmend auch innerhalb der Verwaltungen ausgemacht (Döhler 2007: 122). Selbst die Kommunalaufsicht wird aus dieser Perspektive zunehmend durch kooperatives Verwaltungshandeln und Beratungsleistungen geprägt (Wegrich 2006: 231). Auch in der lokalen Politikforschung wird Governance häufig als Ablösung von hierarchischer Steuerung durch pluralistische, diskursive Verhandlungssysteme gedeutet, die in Abgrenzung zum selektiven Korporatismus auch andere Bürgergruppen und unorganisierte Bürger in die Politikformulierung miteinbeziehen (Heinelt 2004). In diesen werden gemeinsame, gleichberechtigte und freiwillige Problemlösungen ausgehandelt bzw. „ausargumentiert“. Dieser empirisch konstatierte Entwicklungstrend wird zum Teil zumindest, wie in der politikwissenschaftlichen Verwaltungsforschung, aus einer funktionalistischen Perspektive begründet. Diskursive Verhandlungssysteme und Verwaltungsreformleitbilder wie die Bürgerkommune setzen sich danach als effektivere Koordinationsformen gegenüber hierarchischer und marktlicher Koordination durch. Sie führen zu Synergieeffekten zwischen Verwaltung und Bürgern und hierdurch werden problemgerechtere Lösungen erzielt. Selbst unter ökonomischen Effizienzgesichtspunkten soll sich danach die Partizipation aller Gruppen rechnen, weil dadurch Proteste und Klagen vor den Verwaltungsgerichten reduziert werden können und damit für Investoren eine höhere Berechenbarkeit entsteht (Kersting 2004: 248). Durch Partizipation wird aber nicht nur eine höhere Output-Legitimität, sondern zugleich eine höhere Input-Legitimität erwartet. Dies wird zunehmend mit Begriffen wie „partizipative Governance“ oder „Good Governance“ postuliert (Kersting 2008: 271-272.; Walk 2008), unter denen die partizipatorische Demokratietheorie eine bemerkenswerte Renaissance erfährt. Gewöhnlich werden hierbei insbesondere die Leistungen von runden Tischen im Rahmen der lokalen Agenda, des Bürgerhaushalts und von Mediationsverfahren hervorgehoben. Diesen diskursiven Verhandlungssystemen im Verbund mit direktdemokratischen Elementen (insbesondere Bürgerbegehren) werden in Bezug auf Input- und Output-Legitimität gute Bilanzen in der Local-Governance-Diskussion ausgestellt, wobei die empirische Fundierung dieser Thesen allerdings wenig ausgeprägt ist. In diesem Beitrag sollen drei Fragen im Mittelpunkt stehen, die insbesondere vor dem Hintergrund empirischer Untersuchungen in nordrhein-westfälischen Kommunen beantwortet werden sollen (Holtkamp et al. 2006; Holtkamp 2008a; Holtkamp 2008b): Ist tatsächlich eine zunehmende Ablösung hierarchischer durch partizipative netzwerkartige Koordination feststellbar? Was sind die Ursachen der partizipativen Trends insbesondere beschrieben am Beispiel der Ablö-
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sung des Neuen Steuerungsmodells durch das Reformleitbild der Bürgerkommune? Was sind die Leistungen und Probleme von Partizipation, erörtert am Beispiel der in der politik- und verwaltungswissenschaftlichen Literatur der letzten Jahre prominentesten Beteiligungsangebote (Bürgerkommune, Bürgerhaushalt, Lokale Agenda und Mediationsverfahren)? Im Ergebnis soll gezeigt werden, dass sich viele der unter dem engen Governancebegriff versammelten politikwissenschaftlichen Erwartungen und Hoffnungen in empirischen Untersuchungen nicht bestätigen lassen. Systematisch werden insbesondere die Bedeutung und Leistung hierarchischer Koordination unter- und von Partizipation und horizontaler netzwerkartiger Governanceformen überschätzt. In vielen Kommunen hat eher die hierarchische Koordination insbesondere innerhalb der Verwaltung zugenommen. 2 Reformursachen 2.1 Haushaltskrise Seit Anfang der 90er Jahre sind viele Kommunen in eine schwere Haushaltskrise geraten, ohne dass absehbar wäre, wie sie aus eigener Kraft aus der überwiegend exogen bedingten Krise herauskommen können. Im Zuge der Deutschen Einheit und der Wirtschaftskrise Anfang der 90er Jahre wiesen die ersten Kommunen Haushaltsdefizite aus. Auch die seit 2005 wieder einsetzenden deutlich höheren Gewerbesteuereinnahmen haben an der strukturellen Haushaltskrise vieler Kommunen nur wenig geändert. Besonders hervorzuheben ist hier die „erdrückende Last“ der Altfehlbeträge in den kommunalen Verwaltungshaushalten. Defizite im Verwaltungshaushalt, der die wesentlichen laufenden Einnahmen und Ausgaben umfasst, dürfen nach dem Haushaltsrecht nur durch kurzfristige Kassenkredite abgedeckt werden und sind spätestens nach zwei Jahren als Altfehlbeträge wieder im Verwaltungshaushalt zu veranschlagen. Wenn der Verwaltungshaushalt dieses Jahres dann wiederum einen aktuellen (den sog. originären) Fehlbetrag ausweist, kommt zu der Abdeckung des Fehlbetrages aus den Vorjahren noch das Defizit des aktuellen Haushaltsjahres hinzu. Damit wächst der Fehlbetrag im Verlauf der Jahre stetig an. Dadurch steigen auch die Kassenkredite extrem an, die diese Fehlbeträge im Verwaltungshaushalt abdecken. So haben sich in nur sieben Jahren bis zum Jahre 2006 die Kassenkredite der deutschen Kommunen fast vervierfacht (Holtkamp 2008a).
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Abbildung 1: Kassenkredite deutscher Kommunen in Mrd. Euro Quelle: Holtkamp (2008a)
In einigen Kommunen sind die Kassenkredite schon höher als die gesamten Ausgaben des Verwaltungshaushalts, und es wird offen über die Zahlungsunfähigkeit einzelner Gemeinden diskutiert. Das von Norbert Wohlfahrt und Werner Zühlke (2005) pointiert betitelte „Ende der kommunalen Selbstverwaltung“ nimmt in Extremfällen, in denen die Kommunalaufsicht beratende Sparkommissare in die Rathäuser entsendet, bereits heute konkrete Formen an (Holtkamp 2006) 1, nachdem in NRW bereits im Jahre 2005 in 25% der Kommunen der Haushalt nicht mehr genehmigt wurde und diese unter das restriktive „Nothaushaltsrecht“ fallen. Unter den Bedingungen des Nothaushaltsrechts dürfen die Kommunen nur noch die Aufgaben wahrnehmen, zu denen sie rechtlich verpflichtet sind „oder die für die Weiterführung notwendiger Aufgaben unaufschiebbar sind“ (GO NW § 81 Abs. 1). Insbesondere neue freiwillige Aufgaben dürfen die Kommunen unter diesen Bedingungen nicht mehr wahrnehmen. 1 Seit Ende 2005 hat die Stadt Waltrop als erste Kommune in Deutschland von der nordrheinwestfälischen Landesregierung einen beratenden Sparkommissar verordnet bekommen. Dieser Fall wird vom Autor auf der Internetseite www.sparkommissar-waltrop.de dokumentiert. Für die Stadt Marl wurde im Juni 2007 der zweite beratende Sparkommissar in NRW bestellt. Im Jahre 2008 folgte die Bestellung eines „Mentors“ in der Stadt Hagen.
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Anders als es unter Verwendung des engen Governance-Begriffs postuliert wurde, sind die Aufsichtsbeziehungen in der Haushaltspolitik nicht zunehmend durch kooperatives Verwaltungshandeln geprägt (Wegrich 2006: 231), sondern im Rahmen der Haushaltsaufsicht finden zunehmend Verhandlungen kombiniert mit starken hierarchischen Eingriffen statt, die den inkrementalistischen, kurzatmigen Stil der Haushaltspolitik verstärken (Bogumil/Holtkamp 2006). Die Kommunalaufsicht stellt konkrete Forderungen, wie die Erhöhung der Steuerhebesätze und die Begrenzung der Investitionskredite, in nichtöffentlichen Verhandlungen und droht bei Nichtbefolgung mit möglichen Sanktionen (Nothaushaltsrecht, Bestellung von Beratern und von Beauftragten). Ein rational-umfassender Planungsansatz, in dem die Kommunalaufsicht auf klare Ziele, Indikatoren und Leistungsmessung setzt, wird dabei in der Regel nicht verfolgt. Vielmehr konzentriert sich die Kommunalaufsicht auf einfach eingrenzbare, inkrementalistische Forderungen, die zugleich die Standardprobleme hierarchischer Koordination (Informationsüberlastung und massive Implementationswiderstände) auch durch die Einbettung in Verhandlungen reduzieren. Hierdurch können diese Forderungen in der Regel effektiv umgesetzt werden, auch wenn sie beispielsweise die grundgesetzlich garantierte Hebesatzautonomie der Kommunen aushöhlen. Die Verhandlungen zwischen Aufsichtsbehörde und den Kämmerern (und bedingt den Bürgermeistern) führen dazu, dass Konflikte durch die zunehmende Politikverflechtung auf den verschiedenen Verwaltungsebenen ausgetragen werden, die Mitwirkung der kommunalen Vertretungskörperschaft relativ gering und die Öffentlichkeit weitgehend uninformiert ist. Für den zentralen Bereich der Haushaltspolitik ist also entgegen der verwaltungswissenschaftlichen Governanceforschung festzuhalten, dass der Konsolidierungsdruck der Kommunen in NRW immer weiter zugenommen hat und damit eine Abkehr von der Effizienzorientierung von Verwaltungsreformen eher unwahrscheinlich ist. Zudem findet aufgrund steigender Kassenkredite und Fehlbeträge eine stärkere hierarchische Koordination in den Aufsichtsbeziehungen statt, die den Konsolidierungs- und Reformdruck weiter verstärkt. 2.2 Einführung der Direktwahl des Bürgermeisters und von Bürgerbegehren Verwaltungsreformen und freiwillige Partizipationsangebote gehen auf kommunaler Ebene in der Regel maßgeblich von der Verwaltungsspitze aus. Dies gilt auch für das Neue Steuerungsmodell und das Leitbild der Bürgerkommune. Insofern hängt für Verwaltungsreformen viel von der Stellung des Verwaltungschefs und den Selektionskriterien für seine Wahl ab. Ausgehend von Ost-
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deutschland entwickelte sich seit 1991 ein durchgängiger Trend zur Reform der Kommunalverfassungen in Richtung Süddeutsche Rats-Bürgermeisterverfassung (baden-württembergischer Prägung) mit einem direkt gewählten Bürgermeister und der Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden. In vielen Städten haben die Bürger nach den Kommunalverfassungsreformen nun einen durchsetzungsstarken Verwaltungschef als Ansprechpartner, der Bürgerbeteiligung und Kundenorientierung maßgeblich forciert. In Bürgerumfragen in unterschiedlichen Städten wurde deutlich, dass die Bürgernähe eines Bürgermeisters ein sehr wesentliches Kriterium für die Wähler ist (Holtkamp u. a. 2006) und der Verwaltungschef nun einen erheblichen Anreiz hat, die Verwaltung und Politik stärker an den Wünschen der Bürger auszurichten. Die direktgewählten Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen stammen als Verwaltungschefs nun deutlich häufiger aus dem Bereich der ehrenamtlichen Kommunalpolitik als die früheren Stadtdirektoren und legen auch deshalb durchschnittlich mehr Wert auf die bürgernahe Repräsentation als auf die Binnenmodernisierung der Verwaltung. Zugleich hat der Bürgermeister durch die Kommunalverfassungsreformen in NRW deutlich mehr rechtliche Kompetenzen erhalten und ist unter den kommunalen Entscheidungsträgern häufig der dominierende Akteur (Holtkamp 2008a). Also auch innerhalb des kommunalen Entscheidungssystems ist mit der starken kommunalverfassungsrechtlichen Aufwertung des Verwaltungschefs ein Trend in Richtung stärkere hierarchische Koordination bzw. „exekutive Führerschaft“ erkennbar, wobei zugleich Anreize zum Ausbau von Partizipationsangeboten geschaffen wurden. Demgegenüber gingen von der Einführung direktdemokratischer Elemente in nordrhein-westfälischen Kommunen kaum neue Reformimpulse aus. Dies kann zum einen auf die relativ niedrige Anwendung zurückgeführt werden. Auch wenn NRW zusammen mit Bayern schon den Spitzenwert bei der Anwendungshäufigkeit erzielt, wird dennoch im Durchschnitt nur alle 14 Jahre in einer Kommune ein Bürgerbegehren durchgeführt. Dies ließe sich sicherlich durch eine weitere Absenkung der Quoren für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide erhöhen, wobei dies durchaus vorsichtig dosiert werden sollte, weil die direktdemokratischen Elemente, anders als es partizipative Governanceansätze betonen, zu erheblichen Defiziten bei der Outputlegitimität beitragen können. Die Oppositionsfraktionen nutzen in NRW den Bürgerentscheid häufiger als Mittel, um gegen die Mehrheitsfraktionen erfolgreich zu „punkten“, so dass die Mehrheitsfraktionen durch Kompromisslösungen oder den Verzicht auf umstrittene Maßnahmen versuchen, die Einleitung von erfolgreichen Bürgerentscheiden zu vermeiden (Holtkamp u.a. 2006). Weil Bürgerbegehren in aller Regel in Deutschland Status quo orientiert sind und wenig neue Vorschläge in die Debatte einbringen, reduzieren sich
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hierdurch tendenziell die kommunalen Handlungsspielräume. Insbesondere gegen kommunale Konsolidierungsbemühungen wie die Erhebung von Parkgebühren, Privatisierung von öffentlichen Einrichtungen und Schließung von Schwimmbädern richteten sich die Bürgerbegehren der Opposition erfolgreich und vergrößerten damit in NRW tendenziell eher die Haushaltsprobleme. Bundesland
In Kraft BB-Quorum BE-Quorum Anzahl Jährlich in seit in % der in % der BB jeder xWähler Wähler ten Gde. Baden-Württ. 1956 5 – 10 30 296 1/185 Bayern 1995/99 3 – 10 10 – 20 1457 1/14 Brandenburg 1993 10 25 36 1/243 Hessen 1992 10 25 150 1/26 Mecklenb.-Vorp. 1994 2,5 – 10 25 36 1/365 Niedersachsen 1996 10 25 105 1/88 Nordrhein-Westf. 1994/00 3 – 10 20 300 1/14 Rheinland-Pfalz 1993 6 – 15 30 75 1/308 Saarland 1997 5 – 15 30 9 1/47 Sachsen 1994 (5) – 15 25 130 1/54 Sachsen-Anhalt 1994 6 – 15 30 4 1/1272 Schleswig-Holst. 1990 10 20 202 1/67 Thüringen 1994 13 – 17 20 – 25 46 1/250 Abbildung 2: Regelungen und Häufigkeiten von Bürgerbegehren Quelle: Bogumil/Holtkamp (2006); BB = Bürgerbegehren; BE = Bürgerentscheid
3 Vom Neuen Steuerungsmodell zur Bürgerkommune Die Entwicklung vom Neuen Steuerungsmodell zur Bürgerkommune wird in der politikwissenschaftlichen Verwaltungsforschung als Beleg dafür angeführt, dass die Verwaltungsreformleitbilder sich von der einseitigen Effizienzorientierung der Managementmode gelöst haben und nun unter dem Stichwort Governance eine starke Partizipation angestrebt wird.
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3.1 Neues Steuerungsmodell Zunächst ist es sicherlich nicht falsch, dem Neuen Steuerungsmodell eine starke Effizienzorientierung zu bescheinigen. Unter dem Druck der zunehmenden kommunalen Haushaltskrise im Zuge der deutschen Einheit hat die KGSt in enger Zusammenarbeit mit der betriebswirtschaftlichen Verwaltungswissenschaft das Neue Steuerungsmodell als neue Effizienzstrategie vermarktet. Das neue Steuerungsmodell setze primär auf Anreize, Dezentralisierung und auf umfassende Informationen über Kosten und den Output der Verwaltungsleistungen. In den Fachbereichen sollte nun die Aufgaben- und Budgetverantwortung zusammengeführt werden und durch die Übertragbarkeit des Budgets auf das nächste Jahr soll das „Dezemberfieber“ überwunden werden. Durch die outputorientierte Steuerung sollte zudem gewährleistet werden, dass die Fachverwaltungen nicht laufend unkontrollierte Budgetreserven bilden, wie es bisher gängige Verwaltungspraxis sei (KGSt 1993: 20). Dem Stadtrat schließlich sollte die Aufgabe zukommen für die outputorientierte Steuerung die Ziele zu formulieren und sich aus der Detailintervention zurückzuziehen („Was-Wie-Arbeitsteilung“). Damit sollten die notwendigen Handlungsspielräume für die wirtschaftliche Aufgabenerfüllung in den Fachbereichen gewährt und mit klaren Zielsetzungen die Grundlagen für die outputorientierte Steuerung gelegt werden. Gemessen an dem Hauptziel des Neuen Steuerungsmodells für die Kommunen – der Haushaltskonsolidierung und Effizienz – wurde in Evaluationen festgestellt, dass das NSM als gescheitert gelten kann (Holtkamp 2008b). „Unter Einbeziehung der Reformkosten kann davon ausgegangen werden, dass das NSM nicht nachhaltig und längerfristig zur Haushaltskonsolidierung beigetragen hat. In manchen Fallstudien drängt sich sogar der Eindruck auf, dass die Dezentralisierung … die Budgetmaximierung in den Fachbereichen noch verschärft und die städtischen Ausgaben damit insgesamt eher in die Höhe getrieben hat“ (Bogumil u.a. 2006: 168). Die outputorientierte Steuerung und die neue Arbeitsteilung zwischen Politik und Verwaltung wurden nicht dauerhaft umgesetzt. Die outputorientierte Steuerung produzierte aus Sicht der Praxis vorwiegend „Datenfriedhöfe“ ohne Steuerungswirkung und induzierte hohe Transaktionskosten. Die in Fallstudien untersuchten Kommunen tendieren kurz nach Einführung des NSM wieder zu einer Re-Hierarchisierung. Haushaltskonsolidierung führt zur Rücknahme der dezentralen Budgetierung und einer stärkeren Zentralisierung des Vollzuges. Nicht wirtschaftliche Anreize, die aus Sicht der Akteure nur für „Schönwetterzeiten“ in der Verwaltung taugen, sondern hierarchische inkrementalistische Vorgaben und Kontrollen dominieren die Szenerie (Holtkamp 2008b, Bogumil u.a. 2006). Gerade in der Haushaltskrise erweist sich die hierarchische Koordination (ohne Informationsüberflutung durch outputorientierte
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Steuerungselemente) für die Haushaltskonsolidierung als deutlich leistungsfähiger. Hierin kann neben der stärkeren Außenorientierung der direktgewählten Bürgermeister der entscheidende Grund gesehen werden, warum wesentliche Teile des Neuen Steuerungsmodells in der Praxis stillschweigend wieder zu den Akten gelegt wurden. Der Bedeutungsverlust des Neuen Steuerungsmodells in der Praxis kann also nicht als Ablösung von einer einseitigen Effizienzorientierung interpretiert werden, wie es in der Governance-Forschung postuliert wird, sondern das NSM erfüllte das Effizienzversprechen nicht und wurde deshalb im Vollzug häufig nicht ernsthaft weiter verfolgt. Das ist insoweit wichtig für die zunehmenden Partizipationstrends, weil sie auch durch die Erfordernisse der Haushaltskonsolidierung zugleich forciert, aber auch begrenzt werden. 3.2 Bürgerkommune Das Konzept der Bürgerkommune baut auf einen im Zuge des Neuen Steuerungsmodells formulierten Leistungsverstärker auf. Der Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Stadt Arnsberg, Hans Josef Vogel, der als einer der Begründer des Bürgerkommune-Ansatzes in der Praxis gilt, propagierte schon früh eine starke Kundenorientierung der Verwaltung, deren Potential in der damaligen NSM-Diskussion „übersehen oder nicht ausreichend berücksichtigt“ (Vogel 1995: 360) wurde. Er führte in dezentralen Bürgerämtern die Leistungen der Verwaltung zusammen und warb mit dem Aktiven Beschwerdemanagement dafür, dass sich die Bürger über die Verwaltung beschweren sollten, damit diese ihren Output verbessern könne. Zudem führt er Beteiligungsverfahren in der Auftraggeberolle ein und beteiligte die Bürger an den Entscheidungsprozessen zu konkreten Planungsprojekten. Darüber hinaus bezog er die Bürger durch die Übergabe von Sportplätzen etc. an Vereine in die Mitgestaltung des kommunalen Outputs mit ein. Er setzte hierbei im Zuge der Kommunitarismusdebatte auf Appelle an die gemeinschaftliche Identität und immaterielle Anreize. Hinzu kamen aber auch finanzielle Anreize. So beteiligte er die Vereine an der „Rationalisierungsdividende“ (Vogel 1999: 145), die durch Personaleinsparungen in der Stadtverwaltung im Zuge der Aufgabenübertragung zu verzeichnen war. Vor dem Hintergrund der Arnsberger Initiativen und bereits vorliegender Evaluationsstudien zu einzelnen Beteiligungsinstrumenten wurde schließlich das Leitbild der Bürgerkommune systematisiert (Holtkamp 2000; Bogumil / Holtkamp 2008) und für die Praxis plakativ zusammengefasst: Danach geht es bei der Bürgerkommune, aufbauend auf der stärkeren Kundenorientierung, um die Realisierung der kooperativen Demokratie (Holtkamp u.a. 2006). Diese ergänzt lediglich die repräsentative und die direkte Demokratie.
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Sie konzentriert sich darauf, was unter den derzeitigen Rahmenbedingungen in Kooperation mit der Kommunalpolitik und -verwaltung (und nicht gegen sie, wie teilweise durch Bürgerentscheide) möglich und wünschenswert ist. Die Bürger sollen dazu ermutigt werden, sich stärker mit ihrem Wissen und ehrenamtlichen Potenzial einzubringen, um eine bedarfsgerechte und effiziente, kommunale Aufgabenerledigung zu gewährleisten und Demokratie vor Ort produktiv mitzugestalten. Nicht nur reden, sondern gemeinsam handeln ist danach der Anspruch der kooperativen Demokratie, in der deshalb ganz bewusst die Auftraggeber- und ehrenamtliche Mitgestalterrolle der Bürger zusammengefasst sind. Im Leitbild der Bürgerkommune ist es Aufgabe der kommunalen Entscheidungsträger durch vorausschauendes Partizipationsmanagement die Beteiligungsthemen so zuzuschneiden, dass die Bürger nicht überfordert werden. Dabei ist den durchaus interessengeleiteten Engagementmotiven der Bürger Rechnung zu tragen und nicht von einer bedingungslosen Partizipationsbereitschaft ohne Berücksichtigung der individuellen Transaktionskosten auszugehen. Die Beteiligung sollte sich somit eher auf die kleinräumige Planung, konkrete Projekte oder Mitwirkung in öffentlichen Einrichtungen in den Stadtteilen konzentrieren (Holtkamp 2000). Die wissenschaftliche Evaluation des Konzepts der Bürgerkommune der Stadt Arnsberg zeigte, dass in der Praxis das Konzept als Kombination von hierarchischer interner Steuerung, Forcierung von Bürgerschaftlichem Engagement und wirtschaftlichen Anreizen angelegt war. Der Bürgermeister setzte das aktive Beschwerdemanagement und den Einbezug von Vereinen in die Aufgabenerledigung hierarchisch gegen den Widerstand von Verwaltungsmitarbeitern durch und bestimmte die in Bürgerforen behandelten Themen häufig maßgeblich mit. In empirischen Untersuchungen wurde die Umsetzung des Reformkonzepts der Bürgerkommune gemessen an den Reformzielen als eher erfolgreich eingeordnet (Bogumil u.a. 2003): Durch Beteiligung gelang es, Teile der Bürgerschaft intensiver in die politische Willensbildung einzubeziehen. Sind die Beteiligungsinstrumente und das Beteiligungsthema sorgfältig von den Entscheidungsträgern zugeschnitten, ist die Resonanz der Bürger auf Beteiligungsangebote groß. Die Bürgerkommune kann auch zur Legitimationsentlastung der kommunalen Entscheidungsträger beitragen. Insbesondere die Verlagerung von Kompetenzen und Aufgaben auf Vereine kann dazu führen, dass Verteilungskonflikte dezentral gelöst werden und kostenintensive Ansprüche der Bürger reduziert werden. Durch Beteiligung können die kommunalen Entscheidungsträger zudem grundsätzlich responsiver werden und bekommen Informationen mit hoher Qualität, die ihnen über die gewöhnlichen Instrumente (z. B. Expertengutachten) nicht zur Verfügung gestellt werden. Dieser „Informationsmehrwert“ kann bei kommunaler Planung und Dienstleistungsproduktion auch zu effektiveren Problemlösungen führen,
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wenn die Beteiligungsverfahren auf konkrete Projekte und Produkte bezogen werden. Die Bürgerkommune kann in Teilbereichen einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten, indem Vereine und Bürger in öffentlichen Einrichtungen stärker ihre eigenen Ressourcen einbringen und dafür im Gegenzug Anerkennung bekommen, sowie an den Rationalisierungsdividenden beteiligt werden. So werden heute in vielen Kommunen einige öffentliche Einrichtungen als Mischform zwischen Staat, Markt und Gemeinschaft geführt. In Evaluationen konnte gezeigt werden, dass hieraus häufiger sog. „Win-Win-Lösungen“ entstehen, die vielen Akteuren „zugute kommen können: der öffentlichen Hand, den Adressaten der Dienste, ihren Trägern“ (Evers/Rauch/Stitz 2002: 248), wobei selektive finanzielle Anreize gerade für Routinetätigkeiten neben der Identifikation mit dem Verein oder der Einrichtung häufiger eine zentrale Rolle zur Lösung der Trittbrettfahrerproblematik spielen. Das Reformkonzept der Bürgerkommune wird nach quantitativen Untersuchungen vor allem von den direktgewählten Bürgermeistern verfolgt (Bogumil u.a. 2003), um Bürgernähe zu vermitteln und den Erfordernissen der Haushaltskonsolidierung verstärkt Rechnung zu tragen. Insbesondere die Kommunalaufsicht macht es in nordrhein-westfälischen Kommunen vermehrt zur Genehmigung von Haushaltssicherungskonzepten zur Auflage, dass öffentliche Einrichtungen zum Zwecke des Personalabbaus und der Haushaltskonsolidierung in die Hände der Bürger gegeben werden sollen (Freibäder, Bürgerhäuser, Bürgerstiftungen etc). Zugleich ist die Wahrnehmung neuer Aufgaben zumeist nur noch durch bürgerschaftliches Engagement realisierbar, weil sie sonst nicht mehr durch die Kommunalaufsicht genehmigt werden (z. B. Spenden für Schulbücher und Essen für Kinder aus einkommensschwachen Familien). Damit setzt in NRW das Konzept der Bürgerkommune das Effizienzziel konsequenter um als das Neue Steuerungsmodell der KGSt, während die starke Teilhabe an grundlegenden Entscheidungen eine untergeordnete Rolle spielt. Das Leitbild der Bürgerkommune wurde vorwiegend in der wissenschaftlichen Literatur kritisiert. Es trage paternalistische Züge, sei zu stark auf die kommunalen Entscheidungsträger und zu wenig auf Emanzipationsprozesse der Bürger fokussiert und beteilige die Bürger nur an nebensächlichen Entscheidungen („Niedlichkeitsfalle“) (Roth 2007). Das umfangreiche Demokratieversprechen werde durch die Betonung der Mitgestalterrolle nicht eingehalten, sondern die Bürger werden lediglich für Aufgabenkritik und Outsourcing kommunaler Leistungen benutzt (Kersting 2008: 280).
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4 Stärkere Partizipation an Entscheidungsprozessen Deutlich umfassender bzw. mit stärkeren Mitwirkungsmöglichkeiten als beim Konzept der Bürgerkommune sollten die Bürger in den letzten Jahren an Mediationsverfahren bei Standortkonflikten, an der lokalen Agenda und am Bürgerhaushalt beteiligt werden. Insbesondere in der lokalen Politikforschung wurde postuliert, dass durch diese stärkere Partizipation an Entscheidungsprozessen zugleich die Input- und die Outputlegitimität der Kommunalpolitik und -verwaltung erhöht werden kann. Eine empirische Bilanz zu den Leistungen und Problemen dieser Verfahren fällt demgegenüber ernüchternd aus. 4.1 Mediationsverfahren Zuerst wurden die Potentiale von diskursiven Verhandlungssystemen unter starkem Einbezug von Bürgerinitiativen vermehrt im Zusammenhang von umweltrelevanten Standortkonflikten diskutiert. Aus einer politischen Perspektive wurden die Planfeststellungsverfahren und die hierbei fest institutionalisierte Bürgerbeteiligung kritisiert. Diese Debatte fokussierte sich anfangs vor allem auf regional prognostizierte Entsorgungsprobleme, die insbesondere auf die aus Widerständen der Bürger resultierenden langen Realisierungszeiten von Abfallentsorgungsanlagen zurückgeführt wurden. Die Planfeststellungsverfahren wurden aber nicht nur aus der Effizienz-, sondern auch aus der Partizipationsperspektive kritisiert. Denn der Ablauf von Planfeststellungsverfahren in der Praxis führte häufig dazu, dass die traditionelle, fest institutionalisierte Bürgerbeteiligung im Verfahren als Farce bezeichnet wurde: „Meist nehmen die verschiedenen Beteiligten strategische Positionen ein, die nicht mehr verhandlungsfähig sind:
von Seiten der Vorhabensträger wird ein fertiges Konzept vorgelegt, das als nicht mehr veränderungsbedürftig angesehen wird; von Seiten der Zulassungsbehörde wird die Position geteilt, wenn sie – wie üblich – an der Erarbeitung informell maßgeblich mitgewirkt hat; von Seiten der Einwender wird kein Verhandlungsspielraum erkannt und stattdessen auf eine öffentlichkeitswirksame Darstellung der Kritik und auf ein möglicherweise nachfolgendes Gerichtsverfahren [gesetzt, L.H.]“ (Gaßner/Holznagel/Lahl 1992: 15).
Die Folge ist, dass es häufig nicht zu einem Interessenausgleich, sondern eher zu einer Konfliktverschärfung kommt. Von neuen kooperativen Verfahren wurden
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nun in Rechts- und Politikwissenschaft zum Teil eine Verfahrensbeschleunigung und „Modernisierung der Demokratie“ zugleich erwartet. Durch umfassende Beteiligung aller betroffenen Interessen sollte ein Konsens der Akteure erreicht werden, der zu einer beschleunigten politischen Beschlussfassung und einer Vermeidung von Klagen vor den Verwaltungsgerichten beitragen sollte. Insgesamt hat sich aber in empirischen Untersuchungen immer wieder gezeigt, dass in Mediationsverfahren bei Standortkonflikten in Deutschland mit Bürgerinitiativen keine Einigung auf einen Standort gefunden wurde. Damit erwies sich die Erwartung durch mehr Partizipation zur Verfahrensbeschleunigung und -effizienz beizutragen, als trügerisch. Im Gegenteil führen Mediationsverfahren, wenn sie zu keiner Einigung beitragen, eher zu längeren Realisierungszeiten von Abfallentsorgungsanlagen (Bogumil/Holtkamp 2006). Standortkonflikte sind aus Sicht der Bürgerinitiativen häufig Nullsummenspiele, die nicht in Win-Win-Situationen transformiert werden können. Das heißt, dass in Mediationsverfahren den Veto-Akteuren ihre Zustimmung nicht „abgekauft“ werden kann. Entweder verhindert eine Bürgerinitiative beispielsweise die Müllverbrennungsanlage in ihrer Standortgemeinde, und sie gehört damit aus ihrer Sicht zu den Gewinnern, oder die formalen Entscheidungsträger setzen den Standort auf ihre Kosten durch. Die Bürgerinitiativen präferieren nicht zuletzt aufgrund des „Sankt-Florians-Prinzips“ klar die sog. Nullvariante. Kleine Veränderungen an der Müllverbrennungsanlage (z.B. Einbau zusätzlicher Filter) wird an dieser Wahrnehmung nichts Grundsätzliches ändern. Finanzielle Kompensationsleistungen werden in Deutschland schließlich bei Standortkonflikten von allen Akteuren eher skeptisch beurteilt bzw. können noch zur Konfliktverschärfung beitragen. 4.2 Lokale Agenda Auch im Rahmen der lokalen Agenda sollten die Bürger deutlich umfassender beteiligt werden, als es das Modell der Bürgerkommune vorsieht. In Kapitel 28 der internationalen Erklärung der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (UNCED) wird auf der Rio-Konferenz 1992 gefordert, dass jede Kommunalverwaltung in einen Agenda-Dialog mit ihren Bürgern, örtlichen Organisationen und der Privatwirtschaft eintreten soll. Idealtypisch lassen sich drei Dimensionen der Agendaprozesse unterscheiden:
Erarbeitung eines Handlungsprogramms durch die Gemeinde für eine nachhaltige Entwicklung mit festgelegten Zielen;
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Initiierung eines Dialogprozesses mit dem Ziel der Konsensfindung zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren sowie eine systematische Umsetzung der Ziele in konkrete Handlungsschritte und Projekte.
In Nordrhein-Westfalen, Hessen und im Saarland wurde in mehr als 50% der Städte und Gemeinden die Einführung der Lokalen Agenda beschlossen. In der Mehrzahl der Städte folgten auf den Beschluss auch verschiedene Formen der Bürgerbeteiligungen, wobei relativ intensive dialogorientierte Beteiligungsinstrumente dominierten. Damit dürfte die Lokale Agenda das in den letzten Jahren quantitativ bedeutendste Beteiligungsprojekt in Deutschland sein. Diese als diskursive Verhandlungssysteme angelegten Beteiligungsprojekte führten zu hohen Erwartungen in der lokalen Politikforschung. Diese „neuen GovernanceFormen“ sollten zugleich die Input- und Output-Legitimität des politisch-admistrativen Systems in entscheidendem Maße erhöhen. Gerade in Bezug auf die umfassenden Partizipationsangebote im Rahmen der Lokalen Agenda fällt die Implementationsbilanz eher negativ aus. Die Beteiligungsergebnisse wurden in der Regel kaum umgesetzt, was die Politik(er)verdrossenheit der zeitlich stark involvierten Bürger eher forcierte. Erfolge in diesen Beteiligungsverfahren für die Bürger und die Kommune wurden vorrangig dann erzielt, wenn sie sich auf kleine unstrittige Projekte konzentrierten (Holtkamp u.a. 2006; Noll 2007). Dies gelingt insbesondere dann, wenn die Projekte an Eigeninteressen ansetzten, also beispielsweise die Förderung der Verwendung einheimischer Hölzer in Kooperation mit den davon profitierenden Berufsverbänden oder der Bau eines Dorfplatzes, der für viele Bürger einen konkreten Nutzen verspricht. Dann gelingt es auch eher, Sponsorengelder und Spenden einzuwerben, die Öffentlichkeit für diese Projekte zu mobilisieren und in der Folge auch die kommunalen Entscheidungsträger als Unterstützer zu gewinnen (Bogumil u.a. 2003: 53). Diese kleinen Projekte entsprechen allerdings mehr der pragmatischen Ausrichtung der Bürgerkommune als den hohen Erwartungen an demokratische Diskurse des partizipativen Governanceansatzes. Aus dieser Perspektive werden ausschließlich die kommunalen Entscheidungsträger kritisiert, die keine Macht abgeben wollen und sich dagegen sperren die Zielsetzung der partizipatorischen Governance, die eine „Maximierung von Selbstentfaltungs- und Selbstbestimmungschancen“ (Walk 2008: 252) der Bürger anvisiert, umzusetzen. Wie aber diese Konzepte aufgrund welcher Interessen umsetzbar sein sollen, wird kaum dargelegt. Die in diesem Zusammenhang erwartete „Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“ (Wiemeyer 2002: 263), weil die Ergebnisse der Lokalen Agenda nicht umgesetzt wurden, ist sicherlich nicht die wahrscheinlichste Option.
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Dass es bei der mangelnden und sozial selektiven Partizipation der Bürger an den Agendaprozessen auch normativ nicht empfehlenswert sein kann, die relativ einseitigen Beteiligungsergebnisse umzusetzen, bleibt in diesen GovernanceAnalysen ausgeblendet. Demgegenüber sehen es die kommunalen Entscheidungsträger als ein zentrales Problem der diskursiven Verhandlungssysteme an, dass nur ein sozial selektiver, kleiner Kreis beteiligt wurde und Bürgerinitiativen häufiger versuchen, die Partizipationsangebote für ihre Interessen zu instrumentalisieren, wie unsere Befragung unter Fraktionsvorsitzenden der SPD und CDU in allen baden-württembergischen und nordrhein-westfälischen Kommunen ergab (Holtkamp u.a. 2006).
ja
kleiner Kreis
eher ja
44
49
fehlende Kenntnisse des Bürgers
55
29
Instrumentalisierung durch Bürgerinitiativen
36
17
keine Umsetzung der Ergebnisse
42
13
0
20
40
60
80
100
in %, Fraktionsvorsitzendenbefragung BW/NRW 2003
Abbildung 3: Probleme bei der Umsetzung der Lokalen Agenda Quelle: Holtkamp u.a.. (2006)
Insgesamt zeigt sich am Beispiel der Lokalen Agenda damit ein Grundproblem von freiwilligen, diskursiven Verhandlungssystemen, das die Qualität der Beteiligungsergebnisse erheblich einschränkt: Durch die zumindest mittelfristig relativ stabilen Beziehungen und die Exit-Option der Teilnehmer kommt es zu einer Homogenisierung des Diskurses. So entstehen häufig relativ einseitige Sichtweisen und mögliche Interessen und Zielkonflikte werden kaum thematisiert, weil entweder Akteure mit einer abweichenden Minderheitenposition von
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der Exit-Option Gebrauch machen oder strittige Themen nicht angesprochen werden, um genau dies zu vermeiden. 4.3 Bürgerhaushalt Mit Verweis auf ausländische Beispiele wird in der Literatur in den letzten Jahren auch eine umfassende Beteiligung der Bürger an der Haushaltsplanung empfohlen. Dabei wird der sog. Bürgerhaushalt politisch gezielt als „linke Alternative“ zum Modell der Bürgerkommune aufgebaut. Während die Bürgerkommune nur eine Beteiligung an der Mangelverwaltung impliziere und die Bürger vor allem an der kostengünstigen Aufgabenerledigung durch ehrenamtliches Engagement beteiligen wolle, würde der Bürgerhaushalt der immer wieder angeführten Vorbildkommune Porto Alegre (Brasilien) eine „Beteiligung an der Macht“ (Rupp 2003: 1126) bieten. Allerdings muss sich das Modell des Bürgerhaushalts bei einem Politiktransfer auch in die kommunalrechtlichen und budgetären Rahmenbedingungen deutscher Kommunen einfügen. Dass sich hierbei ganz erhebliche Probleme im Hinblick auf die Input- und Outputlegitimität stellen, zeigt nicht zuletzt der Modellversuch „Bürgerhaushalt“ des nordrhein-westfälischen Innenministeriums. Der Bürgerhaushalt gliedert sich danach in drei Phasen: Direkt nach Haushaltseinbringung im Stadtrat werden die Bürger über den Gesamthaushalt und einzelne Teilbereiche in verständlich aufbereiteter Form informiert. Hieran schließt sich die Konsultationsphase an, in der die Bürger in Bürgerforen die Möglichkeit erhalten sollen, über Prioritäten bei den Sparmaßnahmen oder den Investitionsmaßnahmen zu diskutieren. In der dritten Phase – der Rechenschaft – soll der Rat durch Broschüren bzw. Internetangebote darüber Auskunft geben, welche Beteiligungsergebnisse von ihm umgesetzt wurden bzw. warum bestimmte Ergebnisse nicht umgesetzt wurden. Dies kann auch damit verbunden sein, bereits über die Einbringung des nächsten Haushalts zu informieren, weil der Bürgerhaushalt als Daueraufgabe gilt, so dass in jedem Haushaltsjahr zu informieren, zu beteiligen und Rechenschaft abzulegen ist. Das Ziel des nordrhein-westfälischen Innenministeriums war es, durch Beteiligung auch die Akzeptanz für Konsolidierungsmaßnahmen zu erhöhen, so dass der von der Kommunalaufsicht angemahnte Konsolidierungskurs auch politisch durchgehalten werden kann: „Wenn die Menschen selbst die Sparvorschläge machen, dann akzeptieren sie sie auch eher“, auf diesen Nenner brachte der damalige nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens die Erwartungen zum Bürgerhaushalt. 2 Die Ergebnisse von Bürgerumfragen in nordrhein2 Vgl. Bertelsmann Stiftung/Innenministerium NRW 2004: Projekt „Bürgerhaushalt“ großer Erfolg, Pressemitteilung vom 3.06.04.
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westfälischen Kommunen zeigen, dass im Vergleich zu konkreten Projekten das Interesse der Bürger an der Haushaltsplanung, entgegen den Erwartungen der Promotoren der Bürgerhaushaltsidee, nicht sehr ausgeprägt ist. Gerade in größeren Kommunen in NRW, die häufig besonders stark von der Haushaltskrise betroffen sind, ist das geäußerte Interesse der Bürger besonders niedrig. So zeigen die Evaluationen zum Bürgerhaushalt, dass in einigen mittleren und größeren Städten der Bürgerhaushalt auch wegen der geringen Resonanz aus der Bürgerschaft wieder eingestellt wurde (Sintomer u.a. 2005: 52). In der nordrheinwestfälischen Modellprojektkommune Monheim bringt es der Pressesprecher der Stadtverwaltung auf den Punkt, dass sich der hohe personelle und organisatorische Aufwand angesichts der geringen Resonanz nicht auszahlt und deshalb der Bürgerhaushalt eingestellt wurde: „Das Interesse war von Anfang an nicht besonders groß. Wenn 20 bis 30 Leute kamen, war das schon ein Erfolg“ 3. Zwar ist es zum Teil sicherlich möglich durch umfassende Werbemaßnahmen, vielfältige Beteiligungsansätze und persönliche Anschreiben das Teilnahmeinteresse zu forcieren, wie beispielsweise im Fall des Berliner Bürgerhaushalts, nur können sich das Kommunen, die unter einer strengen Haushaltsaufsicht in NRW stehen, kaum als zusätzliche freiwillige Aufgabe leisten. Zudem ist in allen unabhängigen Evaluationen zum Bürgerhaushalt in Deutschland nicht erkennbar, dass diese in Verhandlungssystemen nennenswerte Konsolidierungsvorschläge entwickelt haben. Wenn überhaupt eine Deckung der in Bürgerforen geforderten Mehrausgaben angestrebt wurde, wurde eher eine Steuererhöhung zu Lasten unbeteiligter Dritter präferiert4. In der Regel dominieren Vereine und Interessengruppen die Bürgerforen, die vorwiegend einen Abbau ihrer Förderung bzw. der von ihnen genutzten öffentlichen Einrichtungen vermeiden wollen. Während es für viele Bürger sicherlich belastend ist, sich in Bürgerforen öffentlich für Leistungskürzungen gegenüber Interessengruppen durchzusetzen, ist der Nutzen nur wenig greifbar (z. B. zukünftige Steuerentlastungen sind kurz- und mittelfristig aufgrund der Auflagen der Kommunalaufsicht kaum erwartbar). Damit ist insgesamt die Umsetzung von Beteiligungsergebnissen unter den restriktiven Haushaltsbedingungen in NRW unwahrscheinlich Hinzu kommt, dass spätestens im Nothaushaltsrecht der Haushaltsplan nur wenig aussagekräftig ist und wesentliche haushaltspolitische Entscheidungen in nichtöffentliche Verhandlungen mit den Aufsichtsbehörden verlagert werden. Durch Partizipation 3 taz 17.12.05 „Städte sperren Kassenwarte“. 4 So setzten sich die beteiligten Bürger beispielsweise in der nordrhein-westfälischen Stadt Emsdetten eher für eine Erhöhung der Gewerbesteuer (von der sie in der Regel nicht direkt negativ betroffen waren) als für Kürzungen im freiwilligen Aufgabenbereich ein. Der Stadtrat folgte im Prinzip diesem Votum und erhöhte, wenn auch geringer als von den Bürgern vorgeschlagen, die Hebesätze für die Gewerbesteuer (Sintomer u.a. 2005: 26).
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würden dann bei den Bürgern Erwartungen geweckt, die hinterher systematisch enttäuscht werden. Nach Ansicht der kommunalen Entscheidungsträger besteht hierin auch die größte Gefahr der Bürgerhaushalte in nordrhein-westfälischen Städten (Köllner 2004: 11). Bei nicht genehmigtem Haushalt verlieren aufgrund der geringen Bindekraft des Haushaltsplans häufig selbst die Fraktionsvorsitzenden das Interesse an der Lektüre des Haushaltsplans. Spätestens unter diesen Bedingungen, die derzeit schon für 25 % der Kommunen in NRW gelten, kann die Beteiligung der Bürger am Haushaltsplan zynisch wirken. 5 Fazit und Perspektiven Die mit dem engen Governance-Begriff häufig verbundene Erwartung, dass hierarchische Koordination zunehmend abgelöst wird durch diskursive Verhandlungssysteme und netzwerkförmige Koordination, weil diese sowohl in Bezug auf die Output- als auch die Input-Legitimität überlegen sind, entspricht nicht den empirischen Trends in den vorrangig betrachteten nordrhein-westfälischen Kommunen. Vielmehr kommt es im Zuge der Haushaltskrise und der Einführung der Direktwahl zu einer Bedeutungszunahme der hierarchischen Koordination, die sich insbesondere im Hinblick auf die Output-Legitimität als deutlich leistungsfähiger erweist, als es in der politikwissenschaftlichen Steuerungs- und Governancediskussion erwartet wird. Interne hierarchische Koordination kombiniert mit Verhandlungselementen scheint in deutschen Kommunalverwaltungen am besten zur Haushaltskonsolidierung geeignet zu sein, wenn zugleich dem dominanten inkrementalistischen Politikstil Rechnung getragen wird und damit eine Informationsüberlastung zentraler Entscheidungsträger vermieden wird. Zugleich können durch partielle hierarchische Eingriffe des direktgewählten Bürgermeisters wesentliche Reformelemente des Leitbilds der Bürgerkommune umgesetzt werden. In kleinen und mittleren Kommunen kann die Verwaltungsreform noch zur „Chefsache“ erklärt werden (Jann/Wegrich 2008: 66), die nicht selten auch gegen den Widerstand einiger Mitarbeiter und anderer Akteure durchgesetzt werden muss, wenn eine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner vermieden werden soll. Zugleich kam es in den Kommunen zu einem bemerkenswerten Ausbau von vielfältigen Partizipationsangeboten. Die Bürgerkommune löste in nicht wenigen Städten das auf Anreize und Wettbewerb fokussierte Neue Steuerungsmodell ab. Der Bedeutungsverlust des Neuen Steuerungsmodells wurde allerdings nicht durch eine Abwendung der Verwaltungspraxis von dem dominanten Effizienzdenken ausgelöst, sondern das Verfehlen der Konsolidierungsziele war im Gegenteil eine der wesentlichen Ursachen für das Abebben des New Public Mana-
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gements. Dementsprechend müssen sich das Leitbild der Bürgerkommune und umfassendere Partizipationsangebote unter dem in nordrhein-westfälischen Kommunen eher zunehmenden Konsolidierungsdruck bewähren, weil sie sonst von den Entscheidungsträgern nur selten ernsthaft weiter verfolgt werden. Eine empirische Bilanz der unter dem Label der „partizipativen Governance“ propagierten umfassenden Partizipationsangebote fällt dabei aber, ähnlich wie für stärker direktdemokratische Elemente, gerade in Bezug auf die Output-Legitimität eher negativ aus. Umfassende Partizipation löst keine Standortkonflikte und führt eher zur Verfahrensverlangsamung sowie zu höheren Kosten und Bürgererwartungen, die sich Kommunen unter Haushaltsaufsicht nicht leisten können. Dies kann durchaus Rückwirkungen auch auf die Input-Legitimität haben, weil unter diesen Kontextbedingungen kaum die Beteiligungsergebnisse umgesetzt werden können und so geweckte Bürgererwartungen tendenziell enttäuscht werden bzw. die Bürger sich erst gar nicht beteiligen. Damit wird Politik(er)verdrossenheit eher forciert als abgebaut, zumal für konflikthafte Entscheidungen durch Partizipation kaum mehr „Akzeptanz beschafft“ werden kann. Für die politikwissenschaftliche Verwaltungswissenschaft ist vor dem Hintergrund dieser empirischen Befunde zu empfehlen, sich von dem engen, häufig zumindest implizit normativ besetzten Governancebegriff zu lösen, um nicht den Anschluss an die realen Bedingungen und Trends in der Verwaltungspraxis zu verpassen. Von diesem engen grenzt sich der weite Governance-Begriff Hagener Prägung ab. Politische und gesellschaftliche Koordination wird danach als Zusammenspiel von Hierarchie, Netzwerk, Verhandlung und Wettbewerb interpretiert (Benz u.a. 2007; Holtkamp u.a. 2006). Governance steht damit für eine neue analytische Perspektive der Politikwissenschaft, ohne dass damit schon ein empirischer Trend oder eine normative Rezeptur verbunden wäre (Holtkamp 2009). Die Leistungen und Probleme der Governance-Modi und ihrer Kombination sind damit vorrangig empirisch zu untersuchen, und nicht lediglich aus normativen Demokratietheorien oder privatwirtschaftlichen Managementmodellen abzuleiten. Für die Verwaltungspraxis – insbesondere für den direktgewählten Bürgermeister - empfiehlt sich ein vorausschauendes Partizipationsmanagement, damit auch bei sehr geringen Haushaltsspielräumen Beteiligungserfolge produziert werden können. Im Rahmen des Partizipationsmanagements sollten sich die kommunalen Entscheidungsträger vor dem Einsatz von Beteiligungsinstrumenten darüber Gedanken machen, wann, an welcher Stelle, zu welchem Thema Bürger wie zu beteiligen sind. Zunehmend wichtig ist dabei, dass die Bürger helfen, die gemeinsamen Beteiligungsergebnisse durch eigenes ehrenamtliches Engagement mit umzusetzen. Diskursive Verhandlungssysteme zu konfliktrei-
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chen oder sehr abstrakten Themen sind dabei in der Regel weniger empfehlenswert als zu konkreten kleinräumigen Projekten. 6 Literatur Benz, Arthur (Hrsg.) (2004): Governance. Regieren in komplexen Regelsystemen. Eine Einführung, Wiesbaden. Benz, Arthur/Lütz, Susanne/Schimank, Uwe/Simonis, Georg (Hrsg.) (2007): Handbuch Governance. Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, Wiesbaden. Bogumil, Jörg/Vogel, Hans Josef (Hrsg.) (1999): Bürgerschaftliches Engagement in der kommunalen Praxis, Köln. Bogumil, Jörg/Grohs, Stephan/Kuhlmann, Sabine (2006): Ergebnisse und Wirkungen kommunaler Verwaltungsmodernisierung in Deutschland. Eine Evaluation nach 10 Jahren Praxiserfahrungen, in: Jörg Bogumil/Werner Jann/Frank Nullmeier (Hrsg.) (2006): Politik und Verwaltung, PVS-Sonderheft 37, Wiesbaden, S. 151-184. Bogumil, Jörg/Jann, Werner/Nullmeier, Frank (Hrsg.) (2006): Politik und Verwaltung, PVS-Sonderheft 37, Wiesbaden. Bogumil, Jörg/Holtkamp, Lars (2006): Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung. Eine policyorientierte Einführung, Wiesbaden. Bogumil, Jörg/Holtkamp, Lars (2008): Bürgerkommune, in: Demokratische Gemeinde 60, 2008, S. 24-25. Bogumil, Jörg/Holtkamp, Lars/Schwarz, Gudrun (2003): Das Reformmodell Bürgerkommune – Leistungen – Grenzen – Perspektiven. Schriftenreihe Modernisierung des öffentlichen Sektors Bd. 22, Berlin. Döhler, Marian (2007): Ende der Hierarchie? Neuere Entwicklungen in der Verwaltungssteuerung, in: Stefan Luft (Hrsg.): Der öffentliche Sektor im Wandel, Bremen, S. 109-131. Evers, Adalbert/Rauch, Ulrich/Stitz, Uta (2002): Von öffentlichen Einrichtungen zu sozialen Unternehmen. Hybride Organisationsformen im Bereich sozialer Dienstleistungen. Schriftenreihe Modernisierung des öffentlichen Sektors Bd. 16. Berlin. Gaßner, Hartmut/Holznagel, Bernd/Lahl, Uwe (1992): Mediation. Verhandlungen als Mittel der Konsensfindung bei Umweltstreitigkeiten, Bonn. Heinelt, Hubert (2000): Nachhaltige Entwicklung durch „Agenda 21“-Prozesse. Politikwissenschaftliche Fragen und Überlegungen zur Debatte, in: Hubert Heinelt/Eberhard Mühlich (Hrsg.) (2000): Lokale „Agenda 21“. Prozesse, Erklärungsansätze, Konzepte und Ergebnisse, Opladen, S. 51-66. Heinelt, Hubert/Mühlich, Eberhard (Hrsg.) (2000): Lokale „Agenda 21“. Prozesse, Erklärungsansätze, Konzepte und Ergebnisse, Opladen. Heinelt, Hubert (2004): Governance auf lokaler Ebene, in: Arthur Benz (Hrsg.) (2004): Governance. Regieren in komplexen Regelsystemen, Eine Einführung, Wiesbaden, S. 29-44. Holtkamp, Lars (2000): Bürgerbeteiligung in Städten und Gemeinden. Ein Praxisleitfaden für die Bürgerkommune, Berlin. Holtkamp, Lars (2006): Kommunale Konsolidierung, in: Verwaltungsrundschau 52, 2006, S. 294298. Holtkamp, Lars (2007): Local Governance, in: Arthur Benz/Susanne Lütz/Uwe Schimank/Georg Simonis (Hrsg.) (2007): Handbuch Governance. Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, Wiesbaden, S. 366-377. Holtkamp, Lars (2008a): Kommunale Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie. Parteien und Bürgermeister in der repräsentativen Demokratie. Habil-Schrift. Wiesbaden.
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Die öffentliche Verwaltung in der Gegenwartsgesellschaft
Die „Demokratisierung“ des Verwaltungspersonals in Deutschland
Michael Ruck
1 Administrative Kontinuität trotz politischer Umbrüche Im Jahre 1965, als Bundeskanzler Ludwig Erhard regierungsoffiziell das „Ende der Nachkriegszeit“ proklamierte, benannte Wolfgang Zapf die „Verwalter der Macht“ als wichtige „Träger der gesellschaftlichen Kontinuität“ über Umbrüche im Verfassungssystem und auf dem Feld der politischen Elitenrekrutierung hinweg (Zapf 1965: 77). Zu gleicher Zeit beklagte Ralf Dahrendorf die notorische „Seßhaftigkeit der Verwaltungselite in den Stürmen politischen Wandels“ (Dahrendorf 1965: 280) als ein wesentliches Hemmnis für die nachhaltige Durchsetzung der „liberalen Demokratie in Deutschland“ (Ebenda: 39). Ein Jahrzehnt später stellte Theodor Eschenburg unwidersprochen fest: „In den drei Umbrüchen von 1918, 1933 und 1945 hatte das Berufsbeamtentum, wenn auch unter ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen und Auswirkungen, sich mit dem ihm eigenen Beharrungsvermögen zu halten gewusst“ (Eschenburg 1976: 70; 1974: 89). Erst gegen Ende der 1960er Jahre, als sich ein epochaler „Generationswechsel“ innerhalb der höheren Beamtenschaft vor dem Hintergrund tief greifender gesellschaftlich-politischer Neuorientierungen vollzogen habe, sei die säkulare „Tendenz zur Verwaltungskontinuität“ wenn schon nicht gebrochen, so doch merklich abgeschwächt worden“ (Ebenda: 89). In der neueren Forschung ist diese Kontinuitätsthese gelegentlich wieder in Frage gestellt worden. So plädierte Dieter Rebentisch dafür, „stärker als die Kontinuitätslinien, die aus der Verwaltung des monarchischen Obrigkeitsstaates über die Demokratisierungsversuche der Weimarer Republik hinweg bis in die Epoche des Nationalsozialismus hineinführen, die Umbrüche und Strukturveränderungen zu betonen, die die deutsche Verwaltung nach der Machtergreifung Hitlers im Zeichen der führerstaatlichen Diktatur erfuhr“. Habe sich doch nach seinen „Beobachtungen“ der „entscheidende Kontinuitätsbruch“ in der deutschen Verwaltung zumindest personell „nicht 1918, sondern 1933“ (Rebentisch 1989:
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545-546) ereignet. Agnes Blänsdorf hingegen hatte - unter Berufung auf Hans Hattenhauer - noch kurz zuvor gemutmaßt, erst das Jahrfünft seit 1945 habe „wohl den größten Kontinuitätsbruch in der Geschichte der deutschen Verwaltung“ (Blänsdorf 1987: 9; Hattenhauer 1993: 455 ff; Püttner 1987: 1126) gebracht. Jörg Grotkopp kehrte wieder zu der älteren Erkenntnis zurück: „Weder die von den Besatzungsmächten durchgeführten Säuberungen noch die ab 1946 von deutschen Stellen vorgenommene Entnazifizierung (zeitigten) dauerhafte Auswirkungen auf die Personalstruktur der Behörden“ (Grotkopp 1992: 270271; vgl. auch Morsey 1977; Mommsen 1989). Und eine kollektivbiographische Analyse der Karriereverläufe von Verwaltungsjuristen in Baden, Württemberg und Hohenzollern gelangte wie Eschenburg zu dem Fazit: „Wenn es im 20. Jahrhundert überhaupt einen Kontinuitätsbruch in der (südwest)deutschen Verwaltung gegeben haben sollte, dann hat er sich weder 1918 noch 1933 oder 1945 vollzogen, sondern in den späten 1960er Jahren“ (Ruck 1996: 266, Ruck 1993: 61-63; Ruck 2006). Insofern war die administrative Kontinuität der Revolutionszeit 1918/19 fast schon selbstverständlich (Ellwein 1997: 56). Während der Zusammenbruchsund Demobilmachungskrise erwies sich die obrigkeitsstaatliche Administration weithin als kompetent, flexibel und leistungsfähig. Allerdings fühlten sich die Verwaltungseliten nicht etwa dem pluralistisch-demokratischen Parteien- und Verbändestaat von Weimar innerlich verpflichtet. Hinter der Fassade professioneller Diensterledigung blieb die übergroße Mehrheit jener „Lebenslüge des Obrigkeitsstaates“ verhaftet, welche Gustav Radbruch 1930 vehement kritisierte (Radbruch 1930: 289). Eher noch bestärkt von den zaghaften Ansätzen republikanischer Personalpolitik, entwickelten sich die Fiktionen des autoritären Rechts- und Verwaltungsstaates vorrevolutionärer Zeiten und seiner überparteilichen, allein dem Gemeinwohl verpflichteten Beamtenschaft je länger desto mehr zum imaginären Fluchtpunkt der technokratischen Tagträume des (leitenden) Verwaltungspersonals (Ellwein 1997: 11-12, 30, 56 ff., 101, 281; auch Fattmann 2001; Ruck 1998d). Diese vordemokratischen Verhaltensdispositionen kamen Hitler und seinen Gefolgsleuten zugute, als sie 1933 nach den Schalthebeln der Staatsmacht griffen (Ellwein 1997: 89). Die Staatsdiener zeigten sich fast ausnahmslos kooperationswillig und viele von ihnen wechselten demonstrativ ins Lager der „Nationalen Revolution“. Ansonsten arbeiteten sie abermals im Rahmen der überkommenen Strukturen, „Verfahren und Gewohnheiten“ weiter (Ebenda: 89, 79, 87). Nicht viel anders als 1918/19 verhielt sich auch das werdende NS-Regime. Zwar schuf es sich mit dem so genannten „Berufsbeamtengesetz“ vom April 1933 ein pseudo-legales Instrument zur Einschüchterung des öffentlichen Dienstes. Höchste Priorität indessen genoss die reibungsarme Indienstnahme des hoch-
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komplexen Verwaltungsapparates. Da ihm kaum NS-Ersatzverwalter zur Verfügung standen, entschieden sich die neuen Machtinhaber für ein Arrangement mit den „Professionals“ (Ebenda: 268-269, 79, 89). Allen persönlichen Aversionen zum Trotz ließ die NS-Führung nicht nur Militärs und Industrielle, sondern auch die alten Funktionseliten im Bereich der Verwaltung weiterhin ihren Dienst verrichten (Ebenda: 86-87, 301). Deren übergroße Mehrzahl schlug sich mit politischer Mindestanpassung und uneingeschränkter dienstlicher Loyalität leidlich durch das Dickicht der NS-Polykratie (eingehend dazu: Ruck 1998b). Ihr kollektives Selbstbehauptungslavieren trug wohl auch mit dazu bei, dass der totalitäre Zugriff des wuchernden NS„Maßnahmenstaates“ (Fraenkel 1984 [1941]) auf die deutsche Gesellschaft mancherlei Nischen nicht erreichte. Der zweite demokratische Versuch auf deutschem Boden sollte später davon profitierten. Doch zunächst wurde mit diesem Anpassungsverhalten ein essenzieller Beitrag zur alltäglichen Funktionsfähigkeit der NS-Unrechtsherrschaft geleistet (Ellwein 1997: 299, 101-102, 320). Thomas Ellwein konstatiert von daher auch „personelle Kontinuität“ auf allen Ebenen (Ebenda: 89, 268, 290): die Reichsministerien (Ebenda: 185-186) und die Reichsfinanzverwaltung (Ebenda: 274), die von ihm beispielhaft untersuchte Region Westfalen-Lippe (Ebenda: 281 ff.), die Landratsämter (Ebenda: 89, 105106, 284) wie die Kommunen (Ebenda: 89, 240, 275). In der Verwaltung hat es mithin 1933 wiederum „keinen ‚Umsturz’“ gegeben, danach hat sie sich „nur allmählich verändert“ (Ebenda: 89, 79) und 1945/49 gab es „kein(en) Neubeginn“. Über die drei westlichen Besatzungszonen wurden die „überlieferte(n) Strukturen und Gewohnheiten“ in die Bonner Republik eingebracht - „ebenfalls bruchlos, weil die anfängliche Entlassungswelle und Entnazifizierung keinen Bruch bedeuteten“ (Ebenda: 324-325). Angesichts dessen sah Ellwein vom Ende des 20. Jahrhunderts her die „Bedeutung des Nationalsozialismus für die langfristige Entwicklung der deutschen Verwaltung deutlich relativiert“: „Das Beharrungsvermögen der deutschen öffentlichen Verwaltung war und ist beträchtlich. Manchmal erscheint es auch furchterregend (Ebenda: 79, 324).“ 2 Die Entwicklung des Verwaltungspersonals in der „frühen“ Bundesrepublik Auf kommunaler wie auf staatlicher Ebene wirkte die korporative Selbstbehauptungskraft der traditionellen Verwaltungseliten weit in die zweite Nachkriegszeit hinein. Während der Entnazifizierung verband sich ihr Korpsgeist mit der „nachnationalsozialistischen Solidargemeinschaft“ der meisten Deutschen (Schönho-
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ven 2002 [1990]: 356). 1 In den Westzonen brachte die Episode der politischen Säuberung von 1945/46 bis 1948/49 den diskreditierten Verwaltungseliten mitnichten eine „personelle Zäsur“ (Klein 1988: 9; Blänsdorf 1987: 9) Die Verunsicherungen dieser Übergangszeit mögen von den betroffenen Beamten oftmals als persönliche Herabsetzung und existenzielle Bedrohung empfunden worden sein – mit Blick auf die 1950er und 1960er Jahre wirkten die viel kritisierten Prozeduren der Entnazifizierung stabilisierend auf die administrativen Eliten. Waren sie doch „Mitläuferfabrik“ und „Schule der Anpassung“ zugleich (Niethammer 1982, 1999 [1995]). Im Blick zurück wurden die individuellen und gruppenspezifischen Verwicklungen in die Unrechtspolitik des NS-Maßnahmenstaates nachhaltig bagatellisiert. Mit Blick nach vorn verinnerlichten die Verwaltungsleute frühzeitig die grundlegenden Normen und Verhaltensgebote jener westlichen Werte- und Verteidigungsgemeinschaft, in welche sich der bundesdeutsche Teilstaat ebenso zügig wie erfolgreich eingliederte. Zusammengehalten wurde das exkulpatorisch-restaurative Bündnis von Verwaltung und Politik zum einen durch den rasch eskalierenden Ost-West-Konflikt, zum anderen durch jenen allumfassenden Wiederaufbaukonsens, in dessen Mittelpunkt nicht die quasi-judizielle „Bewältigung“ der NS-Vergangenheit, sondern die Überwindung der wirtschaftlichen und sozialen Alltagsprobleme stand. So folgte der Zusammenbruchskrise 1945 bis 1947/48 ein Jahrzehnt der strukturellen wie personellen Bewahrung und Rekonstruktion überkommener bürokratischer Strukturen. Die halbherzigen Versuche der amerikanischen und britischen Besatzungsautoritäten, den Öffentlichen Dienst und das Berufsbeamtentum institutionell von Grund auf zu reformieren, scheiterten auf ganzer Linie am hinhaltenden Widerstand der Beamtenverbände und der Mitte-RechtsParteien, aber auch von Teilen der SPD und der Gewerkschaften (Morsey 1993; Rupieper 1993, 1997, Ruck 2000a). 2 Gleichzeitig kehrte in Westdeutschland das frühere Personal zahlreich in die Verwaltungen zurück. Dieser personelle Restaurationsprozess verlief in drei Schüben (Langhorst 1994: 153 ff.). Bereits 1947/48 gelang es dem wohlorganisierten Korps ehemaliger Beamter der Reichs- und Preußischen Ministerien, eine Reihe von Kollegen in der deutschen Bizonenadministration unterzubringen. Diese dort dringend benötigten Fachleute kamen vielfach direkt aus amerikanischen oder britischen Internierungslagern. 1949/50 bot der Aufbau der Bundesverwaltung den damit betrauten Ehemaligen der Reichsministerialbürokratie erst recht Gelegenheit, frühere Kollegen in großer Zahl zurückzuholen. Dies geschah 1 Zur Entnazifizierung vgl. Vollnhals (1991); Henke (1992); Rauh-Kühne (1995). Die einschlägige Literatur ist umfassend nachgewiesen in Ruck (2000b: 1218-1231). 2 Für die britische Zone vgl. Garner (1991: 55-101).
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mit ausdrücklicher Billigung Konrad Adenauers, der sich davon personalpolitische Geländegewinne der Unionsparteien versprach. Auch innerhalb der Verwaltungen funktionierten die persönlichen Netzwerke der Alten Verwaltungskameraden nun schon fast wieder wie ehedem. Das wurde offenbar, als Mitte 1951 das - von ihnen maßgeblich mitformulierte und extensiv ausgelegte - Ausführungsgesetz zum Artikel 131 des Grundgesetzes die Tore des Öffentlichen Dienstes für den Rückstrom von Beamten weit aufstieß, die während der ersten Nachkriegsjahre „verdrängt“ worden waren.3 Beim Ausbau der Bundesverwaltung kamen 1951 bis 1953 vorzugsweise frühere Angehörige der Reichsbehörden mit NS-Vergangenheit zum Zuge - darunter mancher Zuwanderer aus der SBZ/DDR. Gelegentlich löste diese Praxis in der Öffentlichkeit und im Parlament Kritik aus. Doch war der Rückstrom von Ehemaligen, dessen Ausläufer bis in die frühen 1960er Jahre hineinreichten, damit nicht einzudämmen. Dem stand das parteiübergreifende Einverständnis entgegen, dass die umfassende Reintegration der NS-Verwaltungseliten eine unabdingbare Voraussetzung für die Stabilität der jungen Bundesrepublik unter den Bedingungen des Kalten Krieges darstellte. 4 2.1 Beispiel 1: Der Auswärtige Dienst Im Blickpunkt der Öffentlichkeit des In- und Auslands stand vor allem die personelle Rekonstruktion des Auswärtigen Dienstes. Denn der Wiederaufbau dieses politisch hochsensiblen Schlüsselbereichs der Bundesadministration vollzog sich seit dem Frühjahr 1951 ganz im Zeichen des „131er“-Rückstroms (Langhorst 1994: 204-215). Als in der Presse und durch die SPD-Bundestagsopposition Alarm geschlagen wurde, verwies das Auswärtige Amt sämtliche Erkenntnisse über Seilschaften der Ehemaligen im höheren wie im gehobenen Dienst kategorisch zurück. In der Folgezeit bewährte sich der ressortübergreifende Korpsgeist der alten Reichsministerialverwaltung. Kollegen im Bundesministerium des Innern und anderen Häusern sorgten dafür, dass die Personalpolitik der bundesdeutschen Diplomatie während ihrer formativen Jahre von jeder weiteren Durchleuchtung abgeschirmt blieb. Diese restaurative Personalpolitik hat den Aufbau eines modernen Diplomatischen Dienstes, der den Erfordernissen der Adenauerschen Westintegrationspoli3 Zu den gesetzlichen Grundlagen und politischen Hintergründen der umfassenden Rückführungsaktion vgl. Wengst (1987); Frei (1997: 69-100). 4 Tendenziell zustimmend Morsey (1993: 1070). Kritisch hingegen Mommsen (1989: 78-79); Niethammer (1999 (1995)).
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tik hinreichend gewachsen gewesen wäre, tendenziell verzögert.5 Dazu waren die „Diplomaten alter Schule“ viel zu sehr in ihrer obrigkeitsstaatlich-elitären Attitüde und in den Konventionen traditioneller Diplomatie befangen. Im Übrigen stand dem die gemeinsame Verleugnung ihrer kompromittierenden Rolle während der NS-Zeit entgegen. Nicht politisches Handeln, sondern erst der Jahre später einsetzende Generationenwechsel hat die westdeutsche Außenpolitik von dieser personellen Hypothek befreit. Einerseits fiel dieser Umbruch zeitlich mit jener ost- und deutschlandpolitischen Neuorientierung zusammen, welche in Washington und allmählich auch in Bonn nach der Doppelkrise um Berlin und Kuba 1961/62 eingesetzt hatte. Andererseits koinzidierte er mit der Übernahme bundespolitische Regierungsverantwortung durch die Sozialdemokratie. Nun gelangten Männer der mittleren Generation in Leitungspositionen des Auswärtigen Amtes, die ihre diplomatische Laufbahn erst in den 1950er Jahren begonnen hatten. Bei seinem Amtsantritt ging Willy Brandt im Dezember 1966 ausdrücklich auf die bisherigen Ministerialbeamten zu: „Ich habe mir vorgenommen, meine gegenwärtigen Ahnungen über dieses Amt zu vervollkommnen. Seinen Corpsgeist [...] werde ich mir überall dort zu eigen machen können, wo er mit meinen Überzeugungen von den Erfordernissen dieser Zeit nicht in Konflikt gerät. Wer Sinn für Geschichte hat, wird ohnehin nicht leicht darüber hinweggehen, was diese Art von Regierungsbildung bedeuten kann und dass ein Mann meiner Überzeugungen der deutsche Minister des Auswärtigen geworden ist.“ Unüberhörbar hegte der SPD-Vorsitzende Zweifel, der diplomatische Apparat werde sich ohne Weiteres in den Dienst einer politischen Leitung nehmen lassen, der seine Angehörigen habituell distanziert bis ablehnend begegneten. Im persönlichen Gespräch soll Brandt später erleichtert preisgegeben haben, „er sei alsbald beeindruckt gewesen von der demokratischen Gesinnung seiner neuen Mitarbeiter und dem Pflichtbewusstsein, mit dem sie bereit gewesen seien, der Politik der Regierung und des Ministers zu dienen. Auch hätte ihn die hohe Qualität der Leistung des Amtes auf allen Gebieten davon überzeugt, dass es auch gegenüber einem sozialdemokratischen Außenminister keine Vorbehalte gegeben habe“ (Sahm 1994: 199-200). In der Tat hatten die administrativen Eliten der neuen Generation die demokratischen Spielregeln offenkundig internalisiert. Zumindest begegneten sie der parlamentarisch-pluralistisch Republik gegen Ende der zweiten Nachkriegszeit nicht mehr mit jener unverhohlenen Reserve, welche für die Weimarer Zeit oft5 Sahm (1994: 128 129). Der Verfasser (1917-2005), Sohn des 1935 von den NS-Machthabern nach Norwegen abgeschobenen parteilosen Berliner Oberbürgermeisters Heinrich Sahm, war als Unterhändler und Botschafter ein diplomatischer Hauptprotagonist der sozialliberalen Ostpolitik (19691982).
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mals bezeugt und belegt ist (von der Groeben 1991: 97-98, 218). Dessen unbeschadet konnten professioneller Eigensinn und politische Affinitäten leitender Beamter selbst in wichtigen Fragen nach wie vor politisch hemmend wirken. Doch bezeichnender Weise kam das wohl nur dann vor, wenn die betreffenden Verwaltungsleute sich in ihrer hinhaltenden Behandlung politischer Vorhaben der Unterstützung relevanter Kräfte im parteipolitischen und parlamentarischen Raum sicher wähnten (Ebenda: 212-213). Auch dieses Verhalten war ein Ausdruck der oftmals beklagten Parteipolitisierung der bundesdeutschen Verwaltungselite.6 Zu deren demokratisierenden Begleiterscheinungen gehörten jene sozialen Auflockerungstendenzen, welche gegen Ende der 1960er Jahre allmählich auch im Bereich der höheren (Ministerial-) Beamtenschaft spürbar wurden. Schon im vorausgegangenen Jahrzehnt hatten sich - allen personellen Kontinuitäten zum Trotz - im Zuge des organisatorischen Wiederaufbaus die über viele Generationen hinweg verfestigten Personalstrukturen des Diplomatischen Dienstes zu lockern begonnen. Die absolute Dominanz protestantischer Abkömmlinge preußischer Adelsgeschlechter in den Farben einer Handvoll studentischer Eliteverbindungen wurde durch eine wachsende Zahl von Nachwuchsleuten bürgerlicher Abkunft, katholischer Konfession und süd(west)deutscher Landmannschaft schrittweise gebrochen. Sogar einzelne Frauen schafften den Einstieg in die exklusivste Domäne des administrativen Patriarchats (Döscher 1995: 307-308, 312; Müller 1996: 189 ff.). Auch die professionelle Mentalität der diplomatischen Elite scheint sich bereits im Laufe der 1950er Jahre tendenziell gewandelt zu haben. Durch die pragmatische Verbindung von bewahrenswerten Traditionen der preußisch-deutschen Diplomatie mit den Erfordernissen demokratischpluralistisch verfasster Politik hat sie nach dem Urteil von Claus M. Müller auf der Gratwanderung zwischen „Kontinuität und Wandel“ in aller Regel ihre organisatorische Funktionsfähigkeit bewahren können, ohne sich darüber zu einem institutionellen Hemmnis innovativer Außenpolitik zu entwickeln (Müller 1996: 255, 128 ff. und passim). Doch so bemerkenswert diese professionelle und politische Adaptionsfähigkeit auch sein mag - die kritische Frage nach der Ambivalenz jener administrativen Beharrung im Wandel, die im Auswärtigen Dienst der 1950er/60er Jahre nur besonders ausgeprägt stattfand, wie auch nach den längerfristigen innen- und außenpolitischen Kosten der personellen Kontinuität des Diplomatischen Dienstes steht weiterhin auf der Agenda.
6 Siehe für viele zeitgenössische Kritiker Eschenburg (1961); Guillaume (1971). Dagegen Morsey (1997 [1983]); Kimmel (1996: 121). Vgl. auch Dieter Kugele (1978, 2007); Fisch (2007: 108 ff.).
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2.2 Beispiel 2: Die südwestdeutsche Innenverwaltung Auch auf Landesebene kehrte das noch dienstfähige Personal binnen weniger Jahre nahezu geschlossen zurück. Nicht nur in der südwestdeutschen Innenverwaltung wurde kaum jemand von den alten Seilschaften dauerhaft ausgeschlossen, weil er sich bis 1945 politisch allzu sehr kompromittiert hatte (Garner 1993: 767-768, 1995/96: 33-34). Schon das untergegangene NS-Regime hatte auf die Mitarbeit der traditionellen Funktionseliten nicht verzichten mögen. Der zügige Neuaufbau schien - wie 1918/19 - selbst Protagonisten der Arbeiterbewegung im Südwesten ohne den administrativen Sachverstand der einschlägigen Fachleute nicht zu bewältigen. Angesichts dessen hatte der größte Teil des noch dienstfähigen Personals der südwestdeutschen Innenverwaltung seine unterbrochenen Karrieren unter demokratischen Auspizien bereits wieder fortsetzen können, als die „131er“-Regelung zu greifen begann. Lediglich einige besonders stark belastete Beamte durften erst in den frühen 1950er Jahren wieder in den Kreis ihrer früheren Kollegen zurückkehren. Politisch unbelasteten „Quereinsteigern“ hingegen gelang es nur in seltenen Einzelfällen, über die ersten Nachkriegsjahre hinaus in der Innenverwaltung Fuß zu fassen. Die institutionellen Einfallstore für ihr Eindringen waren bereits frühzeitig geschlossen worden. Unter der seit jeher wohlfeilen Parole „Einheit der Verwaltung“ setzten die Protagonisten der traditionellen Verwaltungsstruktur wie schon in den Anfangsjahren der Weimarer Republik - alles daran, sämtliche kommissarischen Krisenverwaltungen ihrer Kompetenzen zu berauben, um sie anschließend organisatorisch zu liquidieren. Am Beispiel der kurzlebigen Flüchtlingssonderverwaltung in Württemberg-Baden ist dieser Prozess beispielhaft beschrieben worden (Schraut 1995: 149-224; Müller 1993: 364, 396-397). In Südwestdeutschland wie in Bayern und anderwärts reagierte eine regionale Bürokratie, welche im personellen Kernbestand unbeschadet das Dritte Reich überdauert hatte, einmal mehr mit korporativen Selbstbehauptungsreflexen auf die tatsächliche oder vermeintliche Gefahr, in den Positionskämpfen der Zusammenbruchsjahre womöglich irreversible Terraineinbußen gegenüber administrativen institutiones novi zu erleiden. 7 Nachdem die wieder erstarkte Ministerialbürokratie in Südwestdeutschland die „Außenseiter“ erfolgreich abgedrängt hatte, absolvierte dort in den 1950er/60er Jahren eine Reihe ehemaliger Beamter der Geburtsjahrgänge 1900 bis 1912 herausragende Karrieren, die ihre überdurchschnittlichen professionellen Fertigkeiten bis 1945 besonders bereitwillig in den Dienst des NS-Regimes 7 Für Nordrhein-Westfalen siehe Gilles (1992: 76) (Rechnungshof für Sonderaufgaben); Kanther (1993: 193 ff.) (Wiederaufbauministerium).
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gestellt hatten. 8 Ende 1960 waren die Leitungspositionen des badenwürttembergischen Innenressorts fast durchweg mit Persönlichkeiten besetzt, die bereits vor 1945 dort oder in der südwestdeutschen Bezirksverwaltung Dienst getan hatten. Ein personeller Umbruch setzte erst Mitte der 1960er Jahre ein - als die große Kohorte der um 1900 Geborenen binnen kurzer Zeit ausschied. An deren Stelle traten nun zumeist Kollegen, die ihr Studium erst Ende der 1940er/Anfang der 1950er Jahre aufgenommen hatten. Um 1970 war das badenwürttembergische Innenressort fast vollständig in der Hand von Verwaltungsjuristen, die ihre professionelle Prägung während der Ära Adenauer erfahren hatten. Die Ehemaligen im Stuttgarter Innenressort repräsentierten das ganze (politische) Verhaltensspektrum der badischen und württembergischen Beamtenschaft während der NS-Zeit. Ihre Werdegänge bieten mancherlei Beispiele für Berufslaufbahnen, die trotz mehr oder minder tiefer „Verstrickung“ in administrative Schlüssel- und Spitzenpositionen innerhalb und außerhalb Baden-Württembergs mündeten. Andererseits kamen „NS-reservierte“ Beamte über die ersten Nachkriegsjahre hinaus beruflich keineswegs besser voran - eher war das Gegenteil der Fall. Im Innenministerium, in den vier Regierungspräsidien und in den Landratsämtern des Südweststaates arbeiteten drei Gruppen der Ehemaligen gemeinsam am „Wiederaufbau“ mit: erstens die Mehrzahl der passiven Anpasser und „unpolitischen“ Technokraten; zweitens die kleine Zahl jener Beamten, die sich dem NS-Regime nicht angedient oder gar gegen einzelne seiner Maßnahmen opponiert hatten; drittens eine Reihe „Alter Kämpfer“ der NSDAP und „Märzgefallener“ mit ausgeprägtem NS-Profil. Erst das Zusammenwirken von generationeller Erneuerung und struktureller Modernisierung beendete nach zwei Jahrzehnten die Dominanz von Verwaltungsjuristen, deren berufliche Sozialisation unter dem NS-Regime stattgefunden hatte.9 So verloren die während der Rekonstruktionsperiode der öffentlichen Verwaltungen Ende der 1940er/Anfang der 1950er Jahre in ihre Ämter gelangten Landräte aus den Reihen der Ehemaligen häufig erst durch jenen Generationenwechsel ihr 8 Vgl. zum Nachstehenden Ruck (1996: 241 ff.) 9 Im Einzelnen dazu Ruck (1996: 255-256, mit Tab. 35, 313). Vgl. im interregionalen Vergleich Ruck (2008, 1999, 2000c).
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Amt, zu dem die in allen westdeutschen Flächenländern um 1970 ins Werk gesetzten Kreisreformen vielfach genutzt wurden.10 3 Generationenwechsel des Verwaltungspersonals seit Mitte der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts Völlig erloschen ist der Einfluss der alten Netzwerke in den öffentlichen Verwaltungen bis in die Gegenwart hinein keineswegs. Allerdings dominiert er längst nicht mehr die deutsche Verwaltungskultur. Denn Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre hat der überkommene Prozess der personellen Selbsterneuerung einen kaum noch reversiblen Einschnitt erlebt. Dazu haben neben mancherlei spezifischen Faktoren vor allem die offenere Politisierung der administrativen Spitzenpositionen durch die Parteien,11 die Expansion und funktional-institutionelle Ausdifferenzierung des Verwaltungsapparates seit den frühen 1960er Jahren (umfassend dazu Brandes u.a. 1990; Kämper 1996), die damit einhergehende Tendenz zum „Ressortpartikularismus“ (Eschenburg 1974: 88) und jener „Modernisierungsschub“ beigetragen, den die tendenzielle „Verselbständigung der Gemeinden“ seit Ende des Jahrzehnts nicht nur auf kommunaler Ebene ausgelöst hat (Ellwein 1990: 55). Als besonders wirksam hat sich jener Generationenwechsel in den öffentlichen Verwaltungen erwiesen, der mit dem Mitte der 1960er Jahre verstärkt einsetzenden Wertewandel innerhalb der deutschen Gesellschaft zusammenfiel. 12 Wegen der zahlenmäßigen Verluste, den die Geburtsjahrgänge der 1910er und der frühen 1920er Jahre in der zweiten Kriegshälfte erlitten hatten, fiel dieser Generationenwechsel besonders einschneidend aus. Binnen weniger Jahre rückten nun auf breiter Front die Sprösslinge des bundesdeutschen „Verwestlichungs“-Prozesses in administrative Leitungspositionen ein. Angesichts dessen ist schon von Zeitgenossen die epochale Bedeutung gerade dieses Generationenwechsels für das professionelle und soziale Selbstverständnis wie für die politischen Verhaltensdispositionen der deutschen Funktionseliten betont worden. In den Verwaltungen setzte sich nun auf breiter Front jener Typus des „politischen Bürokraten“ durch, den Robert D. Putnam in den frühen 1970er Jahren charakterisiert hat: Während der Bürokrat „klassischer“ Prägung dem Leitbild ei10 Zu Voraussetzungen, Ablauf und Nachwirkungen der kommunalen Territorial- und Funktionalreform einschließlich der politischen Begleitkonflikte wie der strukturellen und personellen Konsequenzen siehe jetzt umfassend Mecking (2008); dies./Oebbecke (2009). 11 Allgemein schon Dyson (1977, 1979: 146 ff.); Steinkemper (1974: 41 und passim); ferner Schmid/Treiber (1975: 221 ff.). 12 Beachte dazu aber die relativierenden Bemerkungen von Bosetzky (1994: 99-122).
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ner vermeintlich unpolitischen, gemeinwohlorientierten und staatsbezogenen Administration über den gesellschaftlichen Partikularinteressen anhänge, akzeptiere der „politische“ Kollege die konkurrierenden Parteien und Verbände als legitime Teilnehmer an einem pluralistisch verfassten Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß, in dem seiner Verwaltung die aktive Rolle eines Akteurs unter mehreren zufalle (Putnam 1976). Gestützt auf die Befragungsdaten von knapp 500 Politischen Beamten (Staatssekretäre, Abteilungsleiter in Bundesministerien) und den direkt unten ihnen angesiedelten „nicht-politischen“ Beamten (Abteilungsleiter in Bundesministerien, Abteilungsleiter in Landesministerien), die 1972 im Rahmen der Elitenstudie von Werner Kaltefleiter und Rudolf Wildenmann erhoben worden waren, gelangte Bärbel Steinkemper bereits 1974 zu empirisch abgesicherten Aussagen über die Auswirkungen des Generationen- und Wertewandels in den „politisierten“ Ministerialverwaltungen von Bund und Ländern (Steinkemper 1974). Ihre Ergebnisse stehen in bemerkenswertem Kontrast zu jenen Befunden, die Thomas Ellwein und Ralf Zoll fast zeitgleich aus nur sechs Jahre früher aufgenommenen Befragungsprotokollen abgeleitet hatten. Als Resultat ihrer Analyse „wichtige(r) Verhaltensweisen, Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale“ höherer Ministerialbeamter in der Bundesrepublik Deutschland konstatierten sie „neben wesentlichen Auflösungstendenzen [...] auch noch bedeutsame Beharrungsmomente vor allem im Bereich unpolitischer Einstellungen“ (Ellwein/Zoll 1973: 206). Allein schon Steinkempers Schlüsselbegriffe deuteten darauf hin, dass zwischenzeitlich ein umfassender Modernisierungsschub vonstatten gegangen war: Vordringen von „innovationsbereite(n) Persönlichkeitstyp(en)“, „Spezialisten, Professionals“ und „Seiteneinsteigern“, Terrainverluste der „Nur-Juristen als Generalisten“, „relativ hoher Heterogenitätsgrad“ der sozialen Herkunft, „gegenseitige Durchlässigkeit“ der Grenzen zwischen Politik und Administration, Aufwertung „nichtverwaltungsimmanenter Entscheidungstechniken“. „In den letzten Jahren (hat) sich ein bemerkenswerter Wandel vollzogen“, resümierte Steinkemper 1974, als Folge einer „Anpassung“ der Ministerialverwaltungen „an eine veränderte Umwelt“ sei ein tendenzieller „Umschwung in der Rekrutierung“ der administrativen Eliten eingetreten (Steinkemper 1974: 27 ff. und passim). Gerade auch in der kontrastierenden Zusammenschau mit den Befunden von Ellwein/Zoll sind diese Ergebnisse Steinkempers weiterhin beachtlich und von neueren Studien nicht überholt (Holtmann 2005: 363-364). Das belegen die Hinweise Hans-Ulrich Derliens auf jene tief greifenden sozialen und politischen Strukturwandlungen, welche sich seit den 1960er Jahren in den höheren Rängen des Öffentlichen Dienstes vollzogen haben. Ob es sich nun um die Diversifizierung der sozialen und studiendisziplinären, regionalen und konfessionellen Herkunft der Spitzenbeamten handele oder ihre stärker variierenden politischen
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Affiliationen betrachtet würden – durchweg misst Derlien dem Veränderungsfaktor „Generationeneffekt“ ungleich mehr Gewicht bei als „politischen Periodeneffekt(en)“. Damit sieht er eine Erfahrung bestätigt, die sich aus den Regimewechseln von 1918/19, 1933 und 1945 ableiten lasse. Auch der bundespolitische „Regierungswechsel“ im Herbst 1969 – seinerzeit immerhin als epochaler „Machtwechsel“ überhöht – habe aus der Rückschau lediglich „eine im Rekrutierungsfeld der Elite angelegte Entwicklung akzeleriert“, die von „kurzfristigen Oszillationen“ der Personalpolitik nicht merklich beeinflusst worden sei. Und die Rück-„Wende“ von 1982/83 habe – obschon rhetorisch ebenfalls stark herausgestrichen – in dieser Hinsicht ebenfalls „wenig revolutionär(e) Konsequenzen“ gezeitigt. Diese strukturelle Kontinuität der administrativen Eliten unter der Ägide wechselnder Regierungskoalitionen ist nach Derliens einsichtiger Erklärung eine positive Folge der viel beklagten Parteipolitisierung des Verwaltungsapparats auf beiden Ebenen des föderalen Systems der Bundesrepublik. Tatsächlich erfüllen die jeweils bundesoppositionell regierten Länder – aus der Perspektive des Gesamtsystems betrachtet – nicht zuletzt auch die Funktion von politisch-administrativen Schutzräumen, in denen „systemkonforme Gegeneliten“ sich praktisch bewähren können, bis ihre Stunde in der Bundeshauptstadt schlägt. 13 Eingedenk der demokratietheoretischen Schlüsselfrage, in welchem Umfang Herrschaftspatronage der Parteien in parlamentarisch-pluralistischen Ordnungen als strukturkompatibel betrachtet werden können, hat Everhard Holtmann in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass die „im Grundmuster systemlogische, wenngleich in manchen Patronage-Auswüchsen kritisierbare Politisierung“ aus politikwissenschaftlicher Perspektive überwiegend als „politisch-administrative Modernisierung“ zu betrachten sei, welche „gemessen an den Staats- und Gesellschaftsordnungen des westlich-demokratischen Typus, [...] als eine nachholende beschrieben werden“ könne. Denn „die Besetzung der Leitungsstellen der Administration mit Personen, die eine der Mehrheitspartei nahe politische Grundüberzeugung haben, (ist) eine wesentliche Voraussetzung für politische Steuerung der Verwaltung“: „Diese Praxis der parlamentarisch betriebenen 'Amtspatronage' (im Sinne Max Webers) war - und ist - durchaus demokratiegerecht. Sie ist der konsequente Versuch, die verwaltungsinterne Vorausplanung politischer Entscheidungen an den durch das Votum der Wählermehrheit legiti13 Derlien (1991c: 258 ff.); ders./Pippig (1990: 98-108). Diese beiden Aufsätze bündeln die Ergebnisse einer großen Anzahl empirisch fundierter Studien, welche Derlien allein und mit anderen seit den späten 1970er Jahren publiziert hat (Derlien (1985, 1986, 1987, 1988a, 1988b, 1991a, 1991b, 2001)); Mayntz/Derlien (1989). Vgl. auch Aberbach u.a. (1981). Die Studie von Benzner (1989) liefert aufgrund von begrifflich-methodischen Mängeln keine trennscharfen Aussagen über die administrativen Funktionseliten. Das gilt wegen methodisch-analytischer Defizite und normativer Überhänge auch für die umfangreiche Materialsammlung von Dreher (1996).
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mierten Parlaments- und Parteiwillen stärker anzubinden“ (Holtmann 1998: 44; zurückhaltender 2005: 362-363). Aus solcher Perspektive hat das politisch-administrative System der „alten“ Bundesrepublik im Verlauf von vier Jahrzehnten eine Verwaltungselite hervorgebracht, deren Eigenschaften ein hohes Maß an Demokratieverträglichkeit und Leistungsfähigkeit bei Wahrung parteipolitischer Zurückhaltung gewährleisten. Seit den späten 1960er Jahren haben die öffentlichen Verwaltungen in der Bundesrepublik Deutschland einen epochalen Struktur- und Funktionswandel durchlaufen, der sich nach der deutschen Wiedervereinigung nochmals beschleunigen sollte. Seine stärksten Impulse hat dieser Prozess nicht so sehr aus temporären Interventionen der politischen Eliten bezogen, sondern aus den längerfristigen Strukturveränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft, den Wandlungen des Bildungssystems, der Expansion des Wohlfahrtsstaates und den Umbrüchen in der politischen Kultur in Westdeutschland auf der anderen Seite (Garner 1993: 785 ff., 1995/1996: 64-66). 14 In ihrer Kumulation haben diese Entwicklungen erst ein Vierteljahrhundert nach Gründung der Bundesrepublik zu jener „deutlichen Zäsur“ innerhalb der öffentlichen Verwaltung geführt, die 1945 bis 1950 selbst in Ansätzen ausgeblieben war (Ellwein 1990: 48, 58). Bedingung und Konsequenz dieses beschleunigten Transformationsprozesses war der Verlust jener relativen Autonomie, welche die administrativen Eliten auf dem Feld ihrer personellen Selbstrekrutierung bis weit in die NS-Zeit hinein und darüber hinaus zu bewahren vermochten. Diese Kooptationskraft ist seither durch langfristige Wandlungen geschwächt worden, die ihren Ausgang auf der Ebene der Sozialstruktur genommen und sich im Bildungssystem fortgesetzt haben, um schließlich in einen tief greifenden Wertewandel einzumünden. Politische Interventionen der NS-Machthaber oder der Besatzungsmächte mögen diesen Erosionsprozess beschleunigt haben, indem sie mancherlei überkommene Strukturen beschädigten und deren Rekonstruktion verzögerten. Grundsätzlich aber nahm er seinen Gang weitgehend eigendynamisch durch die politischen Regime hindurch. Auch regional mehr oder minder eng begrenzte Beispiele wie die südwestdeutsche Innenverwaltung oder ganz unterschiedliche Kommunalverwaltungen liefern übereinstimmende Belege dafür, wie gering der nachhaltige Einfluss ist, den die jeweiligen politischen Eliten auf den säkularen Wandel der sozialen Strukturen im Allgemeinen und auf die Rekrutierung (nicht nur) der administrativen Funktionseliten zu nehmen vermögen. Mit Blick auf die 1970er/80er Jahre ist Horst Bosetzky 1994 zu dem nüchternen Befund gelangt: „Mit der [...] 4-A-Strategie (Ausblendung, Abstoßung, Absorption und Adaption) ist es der Bürokratie [...] gelungen, erfolgreich mit dem 14 Allgemein hierzu Hockerts (1992: 464 und passim).
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Phänomen Wertewandel umzugehen“ (Bosetzky 1994: 114; Hartfiel 1976: 1-2; Ellwein 1994: 18, 101 ff., 1993: 13, 43 ff., 1997: 549). Andererseits hat HansUlrich Derlien den oberen Rängen des deutschen Berufsbeamtentums Anfang der 1990er Jahre ein hohes Maß an grundsätzlicher „Systemkonformität“ und an „politische(r) Loyalität auch nach Regierungswechseln“ sowie eine „geringe Neigung zu technokratischen Attitüden“ bescheinigt (Derlien 1991c: 268; Aberbach u.a. 1990). Ergebnisse neuerer Elitenstudien weisen in die gleiche Richtung (Steinkemper 1974). 15 Ungeachtet dieser relativen Liberalisierung war und ist der etatistische Regelungsanspruch im Sinne umfassender Daseinsvorsorge in den öffentlichen Verwaltungen noch allenthalben spürbar. Gleichwohl spricht mancherlei Evidenz dafür, dass der demokratisch-pluralistische Lernprozess der administrativen Eliten in Deutschland nicht bloß konstellationsgebunden war. Offenbar hat jene „stillschweigende Revolution“, welche Kenneth E. Dyson Ende der 1970er Jahre hinter den Fassaden struktureller Kontinuität ausgemacht haben wollte, in den höheren Rängen der Verwaltung tatsächlich ein nachhaltig verändertes, krisenfestes „Rollenverständnis“ erzeugt, das von den seither in verantwortliche Positionen eingerückten, während der späten 1960er und 1970er Jahre beruflich wie politisch sozialisierten Verwaltungsleuten in generationsspezifischer Weise aufgenommen worden ist (Dyson 1979: 154-155, 158). 4 Die Entwicklung des Verwaltungspersonals im östlichen Teil Deutschlands seit der Wiedervereinigung Die administrative Bewältigung der Wiedervereinigung bestätigt im Wesentlichen die skizzierte Wirkungsmächtigkeit traditioneller Verwaltungsstrukturen in Deutschland. Demgegenüber stellt sich die 1989/90 abrupt beendete Entwicklung in der SBZ/DDR im säkularen Zusammenhang als ein historischer Sonderweg dar. Durch externe Einwirkungen erzwungen, wurde das Phänomen „sozialistische Kaderverwaltung“ mit deren Fortfall hinfällig. Der deutschdeutsche Einigungsvertrag von 1990 legte im Grundsatz fest, dass an ihre Stelle alsbald das westdeutsche Verwaltungsmodell zu treten habe (umfassend dazu Schwanengel 1999; Derlien 1993). Dieses traditionelle Paradigma ist das Produkt eines jahrzehntelangen Prozesses der schrittweisen, retardierten Anpassung traditierter Strukturen an die veränderten Bedingungen der Verwaltungsumwelt nach dem Verlaufsmuster: „Beharrung im Wandel“. Allerdings war dieses 15 Siehe auch die große "Potsdamer Elitestudie" von 1995: Bürklin/Rebensdorf u.a. (1997). Zu den einschlägigen Forschungsergebnissen der 1980er Jahre Hoffmann-Lange (1992). Zum Gesamtkomplex auch Holtmann (1999).
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gradualistische Transformationsmodell auf dem Territorium der untergegangenen DDR von vornherein so nicht reproduzierbar. Das totalitäre Zwischenspiel hatte dort entschieden zu lange gedauert, um noch unmittelbar an die administrativen Traditionsstränge aus der Zeit vor 1945 beziehungsweise 1933 anknüpfen zu können (Ellwein 1993b). Jedenfalls gilt das für die personalen Träger der Verwaltungskontinuität. Der Teilaustausch administrativer Eliten und deren politische wie gesellschaftliche Degradierung hatte im Laufe der 1950er Jahre den massenhaften Exodus gelernter Verwaltungsleute herkömmlicher Prägung nach Westen bewirkt. In der DDR wurde dadurch ein vorgezogener Generationenwechsel erzwungen und ermöglicht. Unter den Begünstigten dieses Mobilitätsschubes waren viele, deren Herkunft und Ausbildung sie unter „normalen“ Umständen schwerlich in gehobene Verwaltungspositionen hätte gelangen lassen. Manches spricht dafür, dass sich unter diesen um 1920 und im folgenden Jahrzehnt geborenen Angehörigen der ostdeutschen „Aufbaugeneration“ ein vergleichsweise hohes Maß an langfristig stabilen Loyalitäten gegenüber dem SED-Regime und seiner Verwaltungsdoktrin herausbildete (so schon Glaeßner 1993; Wollmann/Jaedicke 1993: 106). Allerdings wurden diese Verhaltensdispositionen mit der wachsenden Enttäuschung jener nachfolgenden Generationen erkauft, deren Aufstiegserwartungen während der 1970er/80er Jahre nicht nur an der mangelnden Leistungsfähigkeit und Innovationskraft des politischen wie des ökonomischen Systems der DDR, sondern auch an der Blockade vieler Aufstiegsposten durch die Aufbaugeneration scheiterten. Doch zunächst begünstigten sie einen ebenso durchgreifenden wie nachhaltigen Bruch mit den institutionellen und mentalen Traditionen des deutschen Berufsbeamtentums. Mit der (und für die) Dauer des SED-Staates gewann dieser Kontinuitätsbruch - zumal unter den hermetischen Bedingungen nach dem Mauerbau 1961 - den irreversiblen Charakter einer epochalen Zäsur. Mit Blick auf diesen Transformationsprozess wurde und wird teils noch das Bild einer realsozialistischen Befehlsverwaltung gezeichnet, die auf allen Ebenen jederzeit als bloßes Ausführungsorgan jener Direktiven funktioniert hat, welche die Instanzen der totalitären Staatspartei unablässig „von außen“ in den administrativen „Apparat“ eingaben. Dieses Bild entsprang idealtypischen Konstruktionen der Totalitarismustheorie, zweifelhaften Interpretamenten aus dem Steinbruch der Max Weberschen Bürokratietheorie, niemals voll eingelösten Allmachtsphantasien der SED-Spitze und Legendenbildungen der seinerzeitigen Verwalter in exkulpatorischer Absicht. Tatsächlich wurde der Verwaltungsalltag in der DDR mitnichten nur von Parteibefehlen und Repressionsdrohungen geprägt. Offensichtlich gehörte ein beachtliches Maß an freiwilligem Mitmachen und vorauseilendem Gehorsam, aber auch an individuellem und korporativem Eigensinn, zu den essentiellen Funktionsbedingungen des „demokratischen
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Zentralismus“ ostdeutscher Ausprägung. Im Übrigen war dessen auswuchernder Herrschaftsapparat funktional, regional und interessenmäßig viel zu sehr fragmentiert, um nicht einzelnen Verwaltungsakteuren gewisse Ermessensspielräume bei der selektiven Bearbeitung jener - oft widersprüchlichen, nicht selten unerfüllbaren - Flut von Weisungen zu eröffnen, mit denen sie unablässig überschüttet wurden (Best/Hornborstel 2003, Best 2008 [2003], Best 2008 [2004]). In dieser Hinsicht sind Parallelen zur Verwaltungsgeschichte der NS-Zeit und ihrer Rezeption in Westdeutschland nach dem Krieg nicht zu verkennen. Andererseits treten markante Unterschiede hervor - allen voran: Das NS-Regime vermochte die staatliche Gewalt im Bündnis mit maßgeblichen Teilen der alten Eliten zu usurpieren und zu monopolisieren. Die SED-Führung hingegen zerstörte gegen den (potentiellen) Widerstand dieser Eliten mithilfe einer äußeren Macht die materiellen, sozialen und institutionellen Reproduktionsgrundlagen ihrer gesellschaftlichen Dominanz - darunter nicht zuletzt den Öffentlichen Dienst in seiner überkommenen Ausprägung. Klärungsbedürftig bleibt, ob die bisherigen Erkenntnisse zur Persistenz administrativer Strukturen angesichts des epochalen Umbruchs im einstmaligen Machtbereich der untergegangenen Sowjetunion zumindest dort ihre Gültigkeit gänzlich verloren haben. Was die territoriale und organisatorische Seite angeht, scheint dies auf den ersten Blick der Fall zu sein. Die alten Länder sind noch zu DDR-Zeiten wieder an die Stelle der ungeliebten Bezirke getreten und nach ihrem gemeinsamen Eintritt in den Staatsverband der Bundesrepublik ist dort im Zuge der Übertragung westdeutscher Verwaltungsstrukturen auf das „Beitrittsgebiet“ eine Unzahl bisheriger Behörden aufgelöst worden. So dramatisch diese Veränderungen auf zentraler und regionaler Ebene auch anmuten - die Kommunalverwaltungen auf dem Territorium der ehemaligen DDR wurden durch die politische und staatsrechtliche Zäsur von 1989/90 zunächst keineswegs in ihren Grundfesten erschüttert. Erst im Nachhinein, seit 1992/94, haben die neuen Länder ihre Kommunal- und Kreisverwaltungen mehr oder minder umfassend reorganisiert (Kühnlein 1997: 28 ff.). Zudem bleibt die wirkungsgeschichtliche Schlüsselfrage offen, ob und inwieweit die personalen Träger des Verwaltungshandelns in Ostdeutschland seit Mitte/Ende der 1990er Jahre im Sinne des parlamentarisch-pluralistischen Parteien- und Verbändestaates „demokratisiert“ worden sind (so schon Wollmann/Jaedicke 1993: 115). Zwar beschäftigte sich während der 1990er Jahre eine Vielzahl von Forschungen mit allen möglichen Aspekten des flächenhaften „Institutionentransfers“ von West nach Ost und seinen kumulierenden „Folgeproblemen (Lehmbruch 1993). 16 Bisweilen wurden dabei auch personale Aspekte mit in den Blick 16 Aus den Untersuchungen der 1990er Jahre ragt die materialreiche Duisburger Fallstudie für Brandenburg von Grunow u.a. (1996) heraus.
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genommen. Doch hat sich das Augenmerk zunächst auf jene exponierten Persönlichkeiten westlicher Herkunft gerichtet, welche sich im ‚Beitrittsgebiet’ als Transformationsagenten betätigten (Seibel 1996: 99 ff.). Nicht wenige von ihnen sind unterdessen gescheitert. Auf der Suche nach den Ursachen für die viel beklagten Defizite des administrativen Transformationsprozesses in Ostdeutschland wurde gegen Ende der 1990er Jahre die weitgehende „Vernachlässigung (sein)er personalpolitischen Dimension“ benannt. Nun erst begann man sich der „Paradoxie“ bewusst zu werden, dass „dasselbe Personal, das in der Staatsverwaltung der DDR ausdrücklich unter (partei-)politischen Vorzeichen rekrutiert worden war, nun einen politischen Systemwechsel tragen und umsetzen sollte, auf den es in keiner Weise vorbereitet war“(Kühnlein 1997: 15). Tatsächlich sollen zu dieser Zeit etwa sieben von zehn Kommunalbediensteten unterhalb der politischen Leitungsebene in den ostdeutschen Kommunen bereits vor der „Wende“ dort beschäftigt gewesen sein (Holtmann 1996: 169). Unklar bleibt, wo die große Zahl von Angehörigen der aufgelösten Zentralverwaltungen geblieben ist. Vermutlich fand ein erheblicher Teil von ihnen wieder Beschäftigung im öffentlichen Sektor, vor allem auf kommunaler Ebene (König 1995: 163-164). 17 Die Landesverwaltungen tragen bis in die Gegenwart hinein schwer an der Überbesetzung mit übernommenen Bediensteten der früheren Bezirke und anderer Behörden (Wollmann 1998: 23-24). Noch 1998 hat Hans-Ulrich Derlien die These vertreten, es habe sich in Ostdeutschland seit 1989/90 „eine nahezu totale Elitenzirkulation“ vollzogen, weil „anders als nach der Revolution 1919 die administrative Elite des Ancien régime von der Bildfläche verschwunden“ sei (Derlien 1998: 12-13, Zitat: 17). Diese wird aber allenfalls mit Blick auf die politischen Leitungsebenen einer empirischen Überprüfung standhalten. Dafür es gibt zu viele Hinweise auf die hohe personelle Kontinuität der ostdeutschen Verwaltung in der Breite. Deren Ausmaß im Einzelnen zu belegen, bleibt eine Zukunftsaufgabe zeithistorischer Prosopographie. Everhard Holtmann erblickte 1996 in dem eklatanten „Professionalitätsrückstand“ der übernommenen „DDR-Kaderverwaltung“ kein unüberwindliches Innovationshindernis. Stehe doch „mit dem Kontingent von 'Leihbeamten'(1992/93 rd. 34.500) [...], anders als 1945, diesmal eine fachkundige administrative Gegenelite zur Verfügung, die sich auf ostdeutsche Problemlagen allerdings erst einstellen musste, dann aber in Teilen auch dauerhaft inkorporiert worden ist“ (Holtmann 1996: 170; Loschelder 1997: 777). Diese optimistische Einschätzung scheint sich so nicht bestätigt zu haben. Denn anders als in der westdeutschen Nachkriegszeit war es im Ostdeutschland der 1990er Jahre offensichtlich nicht 17 Siehe allgemein hierzu den Überblick Henneberger (1995). Zur Absorption ehemaliger Staatsbediensteter durch die expandierenden Kommunalverwaltungen vgl. auch den Hinweis bei Lorenz/Wegrich (1998: 34).
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möglich, sich abermals im Zeichen eines überwölbenden Korpsgeistes gemeinsam auf den Wiederaufbau zu konzentrieren und darüber die mehr oder minder kompromittierende Vergangenheit „heilsam zu beschweigen“ (Hermann Lübbe). Nach fast einem halben Jahrhundert getrennter Entwicklung hatten sich die Verwaltungskulturen in West und Ost so weit voneinander entfernt, dass es immer wieder zum kontraproduktiven „Aufeinanderprall gegensätzlicher professioneller Normen“ kam, wenn Mitglieder der westdeutschen Verwaltungseliten mit ehemaligen Angehörigen der DDR-Administration kooperieren sollten (Derlien 1993: 206). 18 Bezeichnenderweise tendierten gerade Verwaltungs- und Sozialwissenschaftler, die sich intensiv mit den Problemen der westdeutschen Verwaltungshilfe im Osten beschäftigt hatten, eher zu dieser skeptischen Wirklichkeitskonstruktion. Dieter Grunow lokalisierte 1996 die nach wie vor „ungelösten Probleme und bleibenden Schwierigkeiten des Verwaltungsumbaus“ vornehmlich auf dem weiten Feld der „Qualifizierung und d(er) Sozialisation des Verwaltungspersonals mit Blick auf eine leistungsfähige, bürgernahe und rechtsstaatliche Verwaltung“. Seine einschlägigen Brandenburger Erfahrungen bündelte er zu der Einsicht: „Viele Personal(struktur)probleme lassen sich nur im Zuge des Generationenwechsels bei den Beschäftigten erreichen - und der wird angesichts der Rekrutierungspraxis noch lange auf sich warten lassen.“ 19 Empirische Befunde, wie sie Horst Damskis Ende der 1990er Jahre für die Länderverwaltungen von Brandenburg und Sachsen vorgelegt hat, ließen diese zurückhaltenden Einschätzungen plausibel erscheinen (Damskis 1997: 213 und passim). Seither sind offenbar in erheblichem Umfang individuelle und kollektive Anpassungsreserven mobilisiert worden. Im Übrigen differenziert sich das Bild zusehends, wie von Damskis prognostiziert – sowohl sektoral und territorial, als auch verhaltenstypologisch: traditionelle etatistisch-konkordanzdemokratische Orientierungen konservativer (DDR-)Provenienz sind ebenso vertreten wie moderne pluralistisch-konkurrenzdemokratische Dispositionen liberal-partizipativer Prägung. 20 Insofern erinnert die Situation in mancherlei Hinsicht an die personelle Gemengelage in Westdeutschland Mitte der 1960er Jahre. Und einmal mehr bestätigt sich der seinerzeit formulierte Erfahrungssatz Ralph Dahrendorfs, dass eben „auch dieselben Leute zu verschiedenen Zeiten nicht dieselben sind“ (Dahrendorf 1965: 280).
18 Vgl. dazu die abgewogenen Hinweise zu den Problemen des „Personaltransfer(s)“ bei König (1995: 157 ff.). 19 Grunow u.a. (1996: 322). In diesem Sinne auch König (1995: 164-165). 20 Siehe dazu auch die Hinweise bei Holtmann (2005: 364 ff.)
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5 Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die deutsche Verwaltung ihr Gesicht im Laufe des 20. Jahrhunderts strukturell wie personell stark verändert hat. Allerdings entsprang dieser Transformationsprozess nicht so sehr kurz- und mittelfristigen Interventionen aus dem politischen Raum, sondern dem sozialen Wandel, dem Wertewandel und dem politisch-konstitutionellen Wandel21, wie er sich seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Deutschland vollzieht. Damit einher geht eine „Demokratisierung“ des Verwaltungspersonals, das sich nicht nur an das demokratische System in Deutschland angepasst hat, sondern auch zu dessen stabilisierendem Element geworden ist. Ohne eine hinreichend belastbare „Identifikation des Verwaltungspersonals mit dem demokratischen System“, das ist eine bleibende Erfahrung aus dem Scheitern der ersten deutschen Republik, vermag die strukturelle Demokratisierung der Verwaltung den parlamentarisch-pluralistischen Parteien- und Verbändestaat Bonner Provenienz nicht dauerhaft zu stabilisieren (Czerwick 2002: 203).22 6 Literatur Aberbach, Joel D. u.a. (1981): Bureaucrats and Politicans in Western Democracies, Cambridge/Mass. Aberbach, Joel D. u.a. (1990): American and German Federal Executives - Technocratic and Political Attitudes, in: International Social Science Journal, 123. Jg., S. 3-18. Benzner, Bodo (1989): Ministerialbürokratie und Interessengruppen, Baden-Baden. Best, Heinrich (2008) [2003]: Parteiherrschaft und Kaderpolitik: Ein kollektivbiographisches Porträt der Spitzenkader der SED in den Bezirken Erfurt, Gera und Suhl 1952-1989 (2003), in: Ders. (Hrsg.): Führungsgruppen und Massenbewegungen im historischen Vergleich, Köln, S. 211-236. Best, Heinrich (2008) [2004]: Wenn Quantität in Qualität umschlägt: Prosopographie der DDRFunktionseliten als ein Beitrag zur Hermeneutik der realsozialistischen Lebenswelt (2004), in: Ders. (Hrsg.): Führungsgruppen und Massenbewegungen im historischen Vergleich, Köln, S. 195-210. Best, Heinrich/Hornbostel, Stefan (Hrsg.) (2003): Funktionseliten der DDR: Theoretische Kontroversen und empirische Befunde (= Historical Social Research, 28. Jg., Nr. 1-2) , Köln. Blänsdorf, Agnes (1987): Zur Konfrontation mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik, der DDR und Österreich, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 16-17/1987, S. 3-18. Bosetzky, Horst (1994): Bürokratische Sozialisation in den Zeiten des Wertewandels, in: Hans-Ulrich Derlien u.a. (Hrsg.): Systemrationalität und Partialinteresse. Baden-Baden, S. 99-122. Brandes, Wolfgang u.a. (1990): Der Staat als Arbeitgeber, Frankfurt/New York. Bürklin, Wilhelm/Rebensdorf, Hilke u.a. (1997): Eliten in Deutschland, Opladen. Czerwick, Edwin (2001): Bürokratie und Demokratie, Berlin. 21 Ellwein (1997: 38-39, 537). 22 Zur strukturellen Demokratisierung vgl. umfassend Dreier (1991); Czerwick (2001).
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Mitbestimmung im öffentlichen Dienst 1
Werner Dörr
1 Mitentscheidung und Demokratie „Die Beteiligungsrechte des Personalrats stellen in der Bundesrepublik eine gewachsene Einrichtung dar. Sie besitzen eine Tradition und werden allgemein anerkannt.“ (Böhme 2001: 252). Diese Aussage, die in dieser pauschalen Form sicherlich zutreffend ist, wirft unmittelbar die Frage nach dem Zusammenhang von Beteiligungsrechten der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst und der demokratischen politischen Ordnung auf. Ist die Arbeitnehmermitbestimmung für den privatwirtschaftlichen Bereich inzwischen zu einer Selbstverständlichkeit geworden, so wird sie für den öffentlichen Sektor dagegen noch immer von manchen Autoren als Ausnahmetatbestand behandelt.2 Dies steht zum einen mit der Allgemeinwohlbindung staatlichen Handelns und zum anderen mit der Demokratiekonzeption des Grundgesetzes in Verbindung, wonach nahezu jede staatliche Tätigkeit sich auf den Willen des Gesetzgebers zurückführen lassen muss (Böckenförde 1992). 3 Nicht zuletzt aus diesen Gründen hat sich zur Vermeidung unnötiger Auseinandersetzungen um die Rechte der Personalräte die Praxis herausgebildet, sogenannte „Mitbestimmungstatbestände“ mit genauer Definition der Reichweite des Personalratshandelns zu versehen. Von daher ist die Wahl der Begrifflichkeit in einer allgemeiner gehaltenen, politikwissenschaftlich-demokratietheoretischen Abhandlung natürlich nicht ohne Probleme. Es erscheint insofern zweckmäßig, hier den von Frieder Naschold (1971) geprägten Begriff der „Mitentscheidung“ einzuführen, da dieser nicht unmittelbar mit 1 Dieser Beitrag greift auf Ausführungen von Czerwick (2001: 337-345) zurück. In Absprache mit Edwin Czerwick werden die übernommenen Textabschnitte nicht eigens ausgewiesen. 2 Kritisch zur Praxis der Personalvertretung und zur Arbeit der Personalräte in Deutschland äußert sich zum Beispiel Faber (1979). In den vorherrschend juristischen Arbeiten wird vor allem darüber gestritten, ob und bis zu welchem Grad Mitentscheidungsrechte des Verwaltungspersonals zulässig sind oder aufgrund welcher verfassungsrechtlichen Grundlage Personalvertretungen im Öffentlichen Dienst fundiert sind. 3 Siehe hierzu auch den Beitrag von Kurt Kippels in diesem Band.
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Werner Dörr
Aufgaben der Personalvertretungen, wie sie in den Personalvertretungsgesetzen definitorisch beschrieben werden, in Bezug gebracht werden kann.4 Das Prinzip Mitentscheidung ist sehr viel weiter gefasst und lässt sich ganz allgemein in den Kontext der „innerorganisatorischen Demokratie“ einordnen. Die „innere“ Demokratisierung der Verwaltung zielt hierbei auf einen „Abbau organisationsspezifischer Herrschaftsstrukturen und deren Ersetzung durch organisationsinterne Kooperation, Diskussion und Selbstbestimmung“ (Böhret 1983: 221). Demokratisierung durch Mitentscheidung soll demzufolge darauf aufmerksam machen, dass sich die Selbstentfaltungs-, Mitbestimmungsund Schutzmöglichkeiten der Verwaltungsbediensteten im Laufe der Zeit verstärkt5 und ihre Rechte und Möglichkeiten als Mitglieder der Organisation „öffentlicher Dienst“ sich den Rechten, die sich aus ihrem Status als „mündige Bürger“ ableiten, angenähert haben (Wendelig-Schröder 1987: 386-387).6 Demokratietheoretisch kann die Mitentscheidung des Verwaltungspersonals an den innerdienstlichen Belangen einerseits mit dem Gleichheitsprinzip, andererseits mit dem Kontrollprinzip gerechtfertigt werden. Das Gleichheitsprinzip verbietet es, die Bediensteten zum Objekt der Verwaltungsführungen ohne die Möglichkeit des Einspruchs und Widerspruchs zu machen. Weder kann ihnen der Grundsatz „Betroffenenschutz durch Betroffenenteilnahme“ vorenthalten werden, noch das Recht auf Selbstbestimmung hinter den Ansprüchen privater Arbeitnehmer zurückbleiben (Kempen 1985: 14-15, 18; Wendelig-Schröder 1987: 383 ff.). Im Gegensatz dazu werden beim Kontrollprinzip Fragen der Verwaltungskontrolle und der Gewaltenteilung virulent. Da die Verwaltungsführungen von den Parlamenten und den Regierungen immer weniger kontrollierbar sind, bedarf es des Gegengewichts der Mitarbeiter, mangelhafte externe Verwaltungskontrollen durch interne Mitentscheidungsmöglichkeiten zu kompensieren, um zu verhindern, dass die Macht der Verwaltungsführungen übermäßig anwächst. 2 Von der Weimarer Republik zur Bundesrepublik Wie mit dem Eingangszitat schon angedeutet worden ist, hat die Mitbestimmung des Verwaltungspersonals in Deutschland eine lange Tradition. Allerdings wurde die Verbindung zwischen Demokratie und der Personalvertretung im öffent4 Der Begriff „Mitentscheidung“ soll pauschal alle Formen der Mitbestimmung, Mitwirkung, Anhörung, Beratung und Beteiligung des Verwaltungspersonals an den Verwaltungsentscheidungen erfassen. Vgl. Naschold (1971). 5 Zu den Gründen für diese Entwicklung vgl. Stöbe (1998). 6 In diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht auch die Stellung der Personalvertretung gewürdigt. Vgl. BVerfGE 21: 373-374; BVerfGE 45: 79; BVerfGE 51: 87.
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lichen Dienst erstmals in der Weimarer Republik hergestellt. Dort wurde noch zwischen den Vertretungen der Arbeitnehmerschaft und einer Beamtenvertretung unterschieden, beiden Gruppen wurde das Recht zugestanden, jeweils eigene Betriebsvertretungen zu bilden, und die Arbeiter und Angestellten sollten Vertreter in die Räte auf Bezirks- und Reichebene entsenden. Diese Bestimmung hatte Verfassungsrang (Thiele 1993: 97, 101; Böhme 2001: 12-13). 7 Der Gedanke eines „einheitlichen öffentlichen Dienstes“, der darauf abhebt, dass prinzipiell in nahezu allen seinen Aufgabenbereichen (mit Ausnahme noch der Polizei und der Justiz) Beamte und Angestellte die gleichen Aufgaben wahrnehmen können, war noch weitgehend unbekannt. Da auch in der Weimarer Republik noch die von der Monarchie geprägten „hergebrachten Grundsätze des (Berufs-)Beamtentums“ den Dienstbetrieb bestimmten, war auch der Wunsch nach Ausbildung einer gemeinsamen Vertretung von Arbeitern, Angestellten und Beamten nur äußerst schwach ausgebildet. Daher verwundert es im Rückblick nicht, dass die Umsetzung der Mitbestimmungsvorgaben der Weimarer Reichsverfassung nur für den Arbeitnehmerbereich (Betriebsrätegesetz von 1920) gelang. Für die Beamtenschaft blieb es bei der Absichtserklärung, eine „nähere“ gesetzliche Regelung zu schaffen. Immerhin wurden Beamtenausschüsse mit beratender Funktion eingerichtet (dazu ausführlich Böhme 2001: 13-14). Das Recht zur Bildung von Personalvertretungen hat dagegen in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland keinen expliziten Eingang gefunden. Es wird vielmehr aus dem Demokratie- und dem Sozialstaatsprinzip sowie aus „Vorstellungen, die auch den Grundrechtsverbürgungen der Art. 1, 2 und 5 Abs. 1 GG zugrunde liegen“ und hinsichtlich der Beamten im Wesentlichen aus Art. 33 Abs. 5 GG hergeleitet. 8 Wie weit die Mitbestimmung im öffentlichen Dienst allerdings reicht, ob es um „Anhörung und Beratung“, um „Mitwirkung“ oder um andere Formen der Teilhabe an Entscheidungen („Mitentscheidungen“) geht, und für welche Bereiche des öffentlichen Dienstes Abstufungen zulässig oder gar zum Schutz höherwertiger Rechtsgüter geboten sind, ist seither juristisch und politisch höchst umstritten. Dies wird sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern.9 Man kann dies daran ablesen, dass Änderungen insbesondere im Personalvertretungsrecht regelmäßig zu den ersten Gesetzesvorhaben gehören, die bei einem Regierungswechsel vor allem in den Ländern angestrebt werden. Mehlinger (1996: 39) hat dieser Umstand zu der Bemerkung veranlasst, die 7 Artikel 165 Abs.2 Weimarer Reichsverfassung (Arbeiter und Angestellte) und Artikel 130 Abs. 2 (Herausnahme der Beamtenschaft aus dem Geltungsbereich des Art.165). 8 BVerfGE 28: 314, 323, hier zitiert nach Böhme (2001: 14). 9 Vgl. ausführlich mit weiteren Literaturnachweisen vor allem die Dissertationen von Rob (2000); Spiegel (2002: 13-16) und Böhme (2001).
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Neuregelung des Personalvertretungsrechts nach einem Regierungswechsel sei fast schon „guter parlamentarischer Brauch.“ 10 3 Innere Demokratisierung durch Mitbestimmung? Ingesamt geht es bei der Mitentscheidung auch um eine „innere“ Demokratisierung der Verwaltungsorganisation, bei der das Konzept des mündigen Bürgers tendenziell auf das eines mündigen Verwaltungsbediensteten übertragen wird (Cooper 1984). Weil von den Bediensteten das Leben außerhalb der öffentlichen Verwaltung zunehmend mit dem Leben innerhalb der öffentlichen Verwaltung in Beziehung gesetzt wird, lassen sich scharfe Brüche zwischen der Arbeitswelt des öffentlichen Dienstes und der Lebenswelt des öffentlich-rechtlich Bediensteten nicht mehr so leicht aufrecht erhalten (Heldmann 1995: 73). Selbstbestimmung hier und Fremdbestimmung dort bedürfen insofern des Einsatzes von Überbrückungs-mechanismen, von denen die Mitentscheidung des Verwaltungspersonals an den administrativen Abläufen besonders geeignet zu sein scheint. Allerdings wirft eine solche Sichtweise eine Vielzahl juristischer Probleme auf, weil aus einer normativen Perspektive Ämter nicht als Grundlage zur Selbstverwirklichung, sondern zur Inpflichtnahme der Amtsinhaber verstanden werden und von daher keine Freiheit, sondern Bindungen begründen sollen (Kirchhof 1988: 150). Weiterhin ist nicht zu übersehen, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss zum schleswig-holsteinischen Gesetz über die Mitbestimmung der Personalräte dem Gesetzgeber nicht nur enge Grenzen bei der weiteren Ausgestaltung der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst diktiert hat, sondern auch die bisher dahin gültigen Regelungen in Zweifel gezogen hat. Darüber hinaus hat es in seiner Urteilsbegründung inhaltliche Vorgaben gemacht, die über die ihm gezogenen verfassungsrechtlichen Kompetenzen hinausgehen (Battis/Kersten 1996). Das Gericht hat sich damit zum Sprachrohr derjenigen Staatsrechtler und politischen Akteure gemacht, die schon immer der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst mit unverhohlener Skepsis gegenüberstanden, ohne sich dabei auf grundgesetzliche Aussagen berufen zu können (hierzu Bryde 1993). Ihnen hat das Gericht die bis dahin fehlenden Argumente geliefert. Obwohl diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „auf eine deutliche Zurückdrängung des Einflusses der Beschäftigtenvertreter“ (Ehlers 1997) hinausläuft, sieht die Verwaltungspraxis häufig doch anders aus, als sie vom Bundesverfassungsgericht wahrgenommen und interpretiert wird. Auch haben bis heute nicht alle Länder in letzter Konsequenz alle Regelungen ihrer Personalvertretungsgesetze in Anlehnung an diese Rechtsprechung umgebildet. Auch geht nicht selten die 10 Mehlinger (1996: 39); dazu auch Plander (1995: 30) und Spiegel (2002: 14-15, mit weiteren Nachweisen).
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Mitentscheidungspraxis der Personalräte sogar über das ihnen formalrechtlich zugebilligte Maß hinaus, weil nur eine solche Verfahrensweise eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Amtsleitungen und Personalräten begünstigt, die wiederum eine wichtige Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der Verwaltung darstellt. Auch deswegen ist davon auszugehen, dass im Rahmen der Amtsverfassung genügend Möglichkeiten für ein Mindestmaß an Mitentscheidungsmöglichkeiten und Selbstbestimmung der Bediensteten bestehen. Dabei sind die Ansatzpunkte für die Mitentscheidung des Personals an den sowohl nach innen als auch nach außen gerichteten Entscheidungen der öffentlichen Verwaltung außerordentlich vielfältig, auch wenn die herrschende Lehre die Beteiligung von Personalvertretungen an der Ausübung der Staatsgewalt strikt ablehnt (Ehlers 1997: 183-184).11 Mitentscheidung am administrativen Geschehen tritt auf verschiedenen Verwaltungsebenen in unterschiedlichen Formen auf (Jestaedt 1993: 50-56). Sie kann sich zum einen auf die innerdienstlichen, die persönlichen oder die sozialen Belange der Mitarbeiter beziehen, wobei in der Regel der Personalrat als Vertretungsorgan der Beschäftigten tätig wird. Zum anderen kann sie sich aber auch auf Fragen der inhaltlichen Erledigung der Verwaltungsaufgaben richten. Dabei sind vor allem die Verwaltungsmitarbeiter angesprochen, die konkret mit dem Aufgabenvollzug betraut sind. Ihr Wissen und ihre Fähigkeiten werden durch Mitentscheidung dazu genutzt, um eine möglichst rationelle Erledigung der Aufgaben sicherzustellen. Beide Formen der Mitentscheidung können in Gegensatz zueinander geraten, sofern die Personalvertretungen nicht ein neues Selbstverständnis entwickeln und neben ihrer traditionellen Schutzfunktion nicht auch eine Gestaltungsfunktion wahrnehmen (Unkelbach 1998). Schließlich kann sich Mitentscheidung auf die behördenleitenden bzw. staatsleitenden Aufgaben beziehen. Bei dieser als „direktive Mitbestimmung“ bezeichneten Form „wirken die Bediensteten außerhalb ihrer amts- und statusrechtlichen Weisungs- wie Gehorsamsbindungen als Angehörige des Interessenverbandes der Dienstnehmer mit“ (Jestaedt 1993: 52). Die personalvertretungsrechtlichen Mitentscheidungsmöglichkeiten sind im Personalvertretungsrecht des Bundes und der Länder detailliert geregelt.12 Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem die Mitbestimmungsrechte der Personalräte. 13 Selbst wenn es zutreffen sollte, dass das Grundgesetz keine direkte Verpflichtung zur Mitbestimmung enthält (Ossenbühl 1986: 24-73; Schenke 1991: 582), so 11 Vgl. hierzu aber auch die kritischen Bemerkungen von Plander (1995: 164-165). 12 Vgl. die ausführlichen Standardkommentare zum BPersVG: Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier (1999) und Altvater/Bacher/Hörter/Peiseler/Sabottig/Vohs (1998) sowie für RheinlandPfalz: Jacobi/ Küssner/ Meerkamp (1992). 13 Dazu grundlegend Plander (1995).
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zeigt bereits ein kurzer Vergleich zwischen den derzeit geltenden Personalvertretungsgesetzen mit deren Vorgängern aus den fünfziger und sechziger Jahren, wie weit die Mitentscheidungsmöglichkeiten der Verwaltung in diesem Bereich vorangeschritten sind. Man mag darüber streiten, ob diese Entwicklung als „innere Demokratisierung“ interpretiert werden kann14, dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass die in den Personalvertretungsgesetzen enthaltenen Regelungen und ihre Wahrnehmung durch die Personalräte in der Praxis der Bundesrepublik Deutschland auf allen Ebenen zu einer Stärkung der innerorganisatorischen Demokratie beigetragen und demokratisierende Impulse in der öffentlichen Verwaltung ausgelöst haben. Dagegen spricht auch nicht, dass sie ihre Geltung einschlägigen Aktivitäten der Gesetzgeber verdanken. Im Gegenteil, da die Personalvertretungsrechte ja den Bediensteten nicht großzügig gewährt, sondern vielmehr von diesen und ihren Interessenvertretungen oft gegen vielfache politische und gesetzgeberische Widerstände durchgesetzt worden sind, könnte man hier mit einer gewissen Berechtigung sogar von einer „Selbstdemokratisierung“ sprechen. Die am nachhaltigsten ausgestalteten Mitentscheidungsrechte der Personalvertretungen betreffen vor allem die personellen, sozialen und innerdienstlichen (organisatorischen) Angelegenheiten der Verwaltung und ergeben sich aus der Arbeitnehmer- und Bediensteteneigenschaft des Personals. Ziel der Regelungen ist es 15, Willkürmaßnahmen der Verwaltungsspitzen möglichst auszuschließen und das im Arbeitsprozess liegende Potential an Fremdbestimmung zugunsten von mehr Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der Mitarbeiter zu verringern. Allerdings sind alle Ansätze, die Letztentscheidung in Mitbestimmungsfragen aus der Regierungsverantwortung herauszunehmen und auf Einigungsstellen zu verlagern, an den Verfassungsgerichten des Bundes und der Länder gescheitert. 14 So wird von verschiedenen Autoren wie zum Beispiel Püttner (1974: 81-82); Isensee (1988: 146147) und Ossenbühl (1986: 33-34), darauf hingewiesen, dass die Mitbestimmung des Verwaltungspersonals keine Demokratisierung, sondern eher eine Relativierung der Demokratie bedeute, weil damit in letzter Instanz die oberste Verantwortung der Volksvertretungen relativiert oder aufgehoben würde. Eine solche Argumentation kann sich zwar auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 9: 269; 2: 281-283; 22: 113-116) und das Personal-vertretungsrecht (vgl. z.B. § 104 BPersVG) berufen, doch ist damit faktisch keineswegs ausgeschlossen, dass „unterhalb“ des Parlamentsvorbehalts eine „Selbstdemokratisierung“ der Verwaltung stattfindet. Von daher leiden solche Positionen, die in der Erweiterung von Mitentscheidungsmöglichkeiten des Verwaltungspersonals eine Relativierung demokratischer Grundprinzipien sehen, nicht nur daran, dass der ihrer Argumentation zugrunde liegende Demokratiebegriff weder den damit verbundenen theoretischen Implikationen noch empirischen Konsequenzen gerecht wird, sondern auch daran, dass die Verwaltungsrealität weitgehend ausgeblendet wird. Damit kann man sich nur dann abfinden, wenn man der abstrakten Norm Vorrang gegenüber wissenschaftlicher Angemessenheit einräumt. Beispielhaft für eine differenziertere Argumentation dagegen schon Bieback (1983). 15 Vgl. die ausführlichen Standardkommentare zum BPersVG: Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier (1999) und Altvater/Bacher/Hörter/Peiseler/Sabottig/Vohs(1998) sowie für RheinlandPfalz: Jacobi/Küssner/Meerkamp (1992).
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Dennoch kann man mit Böhme feststellen: „Das Demokratieprinzip steht der Einrichtung einer personalvertretungsrechtlichen Einigungsstelle nicht entgegen, solange auf die Einigungsstelle lediglich die Entscheidung von Angelegenheiten übertragen wird, welche nicht von Bedeutung für die Erfüllung des Amtsauftrags sind. Je weniger die Erfüllung des Amtsauftrags von einer Entscheidung berührt wird, desto stärker können die Entscheidungsrechte der Einigungsstelle ausgestaltet sein“ (Böhme 2001: 252). Wenn auch aufgrund der mittlerweile gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung somit das Entscheidungsrecht bei der Verwaltungsführung, auf Landes- und Bundesebene in letzter Instanz beim fachlich zuständigen und dem Parlament verantwortlichen Minister, zu verbleiben hat, so ist doch nicht zu verkennen, dass sich die faktischen Mitentscheidungsmöglichkeiten der Personalräte erweitert haben. Dies fördert entsprechende Rücksichtnahme seitens der Verwaltungsführungen, die meistens wenig geneigt sind, Konflikte mit den Personalvertretungen so sehr auf die Spitze zu treiben, dass Einigungsstellen angerufen werden müssen. In der Regel wird eine einvernehmliche Lösung der anstehenden Konflikte angestrebt, so dass zwar formal das Letztentscheidungsrecht bei der Verwaltungsspitze verbleibt, tatsächlich aber die Personalvertretung einen erheblichen Beitrag zur Entscheidung leistet (Ilbertz 1981: 125).16 Von daher lässt sich durchaus der Auffassung zustimmen, dass das Prinzip der Ministerverantwortlichkeit, insbesondere wenn man das ministerielle Einzelweisungsrecht im Blick hat, durch Mitentscheidungsmöglichkeiten der Personalvertretungen eingeschränkt ist (Lecheler 1988: 769). 17 Das gilt auch und gerade für solche so zentralen Maßnahmen wie die Auswahl, Beförderung oder Versetzung des Verwaltungspersonals. Für diese Bereiche ist für die Ministerialverwaltung im Bund nachgewiesen worden, dass darauf, sogar jenseits der Personalvertretung, die Verwaltung selbst einen großen Einfluss nimmt (Koch 1975: 236-238).18 Richtet man deshalb den Blick weg von den förmlichen Mitbestimmungsmöglichkeiten der Personalräte auf deren informelle Einflussnahme auf die inneradministrativen Entscheidungsprozesse, so lassen sich vielfältige Aspekte einer „Selbstdemokratisierung“ erkennen. Zum Beispiel haben sich informelle Mitentscheidungsprozeduren ausgebildet, die sich nicht nur in ständigen Kontakten der Personalratsvorsitzenden mit den 16 Dabei bleibt noch unberücksichtigt, dass die Verwaltungsführung auf einige Maßnahmen schon deshalb verzichtet, weil sie den Widerstand der Personalvertretung fürchtet. Generell zu diesem Komplex vgl. Bachrach/Baratz (1977). 17 Wollte man das ministerielle Weisungs- und Aufsichtsrecht auch faktisch für jede Situation sicherstellen, müsste jede Form und Idee von Demokratie beseitigt werden. Selbst in autokratischen Systemen war und ist es der politischen Führung nicht möglich, die Arbeit der Verwaltungsmitarbeiter detailliert und minutiös zu kontrollieren. 18 Siehe hierzu auch die Mitsprache der Personalräte bei der Entscheidung über die Durchführung des Umzugs der Ministerialverwaltungen von Bonn nach Berlin.
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Dienststellenleitern niederschlagen, sondern die alle Ebenen der Verwaltung erfassen können (Faber 1979: 130-133, 198-199, 206-207). Gerade auf der Sachbearbeiter- und Referentenebene scheint eine sehr effiziente Einflussnahme der Personalvertretungen auf administrative Entscheidungen bzw. deren Vorbereitung möglich zu sein. Die von den Aktivitäten der Personalräte zu unterscheidenden Rechte des Verwaltungspersonals sind ebenfalls seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland immer mehr ausgeweitet worden. Der eventuellen Willkür von Dienstvorgesetzten sind ebenso Grenzen gezogen worden, wie es den Mitarbeitern immer besser gelungen ist, ihre Persönlichkeitsrechte zu wahren. Ihnen steht ein die dienstlichen Belange berührendes Anhörungsrecht ebenso zu wie ein Einsichtsrecht in ihre Personalakten. Für sie ungünstige Tatbestände dürfen erst dann in die Personalakten aufgenommen werden, wenn sie die Gelegenheit gehabt haben, sich zur Sache zu äußern, wobei ihnen nicht nur eigene und von der Einschätzung der Vorgesetzten abweichende Werturteile erlaubt sind, sondern sie außerdem zur Unterstützung ihrer Interessen die Personalvertretung einschalten können. Angesichts einer solchen Ausgangssituation ist es nicht verwunderlich, wenn, wie bereits in den siebziger Jahren festgestellt worden ist, die Beschäftigten nicht immer ein gesteigertes Interesse an einer beständigen Ausweitung der Mitbestimmung zeigen, da sie nicht selten der Meinung sind, dass ihre Mitentscheidungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz schon weitgehend verwirklicht seien (Hopf 1975: 47-48). Hieraus mögen auch die gelegentlich beobachtbaren Bemühungen von Verwaltungsführungen resultieren, die Beschäftigten zu einer stärkeren Mitentscheidung an der Gestaltung und der Planung von Veränderungen verwaltungsinterner Abläufe anzuhalten.19 Zum Beispiel wurde bei der Einführung der Informations- und Kommunikationstechniken in der öffentlichen Verwaltung den Mitarbeitern nicht selten Mitentscheidungsmöglichkeiten über deren Gestaltung und Einsatz eingeräumt (Mambrey u.a. 1986; Jansen u.a. 1989; Ehlert/Kantel 1990: 96-98). 20 Selbst wenn diese in der Regel nicht dazu gedient haben, die inneradministrative Demokratie zu erhöhen, sondern vielmehr darauf gerichtet waren, die Akzeptanz der neuen Techniken zu verbessern bzw. ihr technisches Nutzungspotential möglichst vollständig auszuschöpfen, bleibt doch der Tatbestand bestehen, dass die Beschäftigten die Art und Weise ihrer Anwendung nicht selten entscheidend mit beeinflusst haben und 19 Schon deshalb ist die die rechtswissenschaftliche Literatur durchziehende Frontstellung - hier Mitarbeiter und Personalvertretung, dort die Verwaltungsführung - der Realität nicht angemessen. Vgl. hierzu auch Faber (1979); zu dieser Thematik sei auch auf das Stichwort „Verwaltungsmodernisierung“ hingewiesen, das auszuarbeiten hier der Raum fehlt. Siehe hierzu zusammenfassend Stöbe-Blossey (2005) und Palm (2005). 20 Allerdings erst, nachdem einige Personalräte und Gewerkschaften durch Gutachten und Klagen die Problematik der „neuen Techniken“ – z.B. hinsichtlich der Ausübung von Kontrollfunktionen und der Aufzeichnung sowie automatisierten Auswertung der Arbeitsleistung – aufgezeigt hatten.
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sich dadurch neue Partizipationspotentiale erschließen konnten.21 Und ihre Beteiligungsbereitschaft war umso größer, je mehr damit Ziele vereinbar waren, die auch und gerade in ihrem eigenen Interesse lagen. Für das Bürgeramt Unna wurde z.B. festgestellt, dass die Beteiligungsbereitschaft der Mitarbeiter anstieg, je mehr Bürgernähe, bessere Information, intensivere Beratung und verbesserte Qualifikationsschancen sie davon erwarteten (Tepper 1985: 99-100). Von daher lässt sich auch ganz allgemein feststellen, dass „die Effizienz und die Funktionsfähigkeit der Exekutive (…) durch die gegenwärtige Ausgestaltung der personalrätlichen Beteiligung nicht beeinträchtigt“ werden (Böhme 2001: 252). Ganz im Gegenteil ist davon auszugehen, dass die administrative Effizienz und Effektivität gerade durch ein breites Angebot an Mitentscheidungsmöglichkeiten für die Personalvertretungen sowie für das Verwaltungspersonal erhöht werden. Ist also auf der personalvertretungsrechtlichen Ebene und der Arbeitsebene der Mitarbeiter eine Ausweitung der Mitentscheidungsmöglichkeiten im Sinne einer „Selbstdemokratisierung“ nachweisbar, so ist dies bei Mitentscheidungen, die sich auf die staatsleitenden Ziele und Zwecke der Verwaltung beziehen, nicht ohne weiteres ersichtlich. Obwohl ein allgemeiner Konsens darüber besteht, dass die Mitbestimmung an den staatsleitenden Entscheidungen unzulässig ist22, darf doch auch nicht übersehen werden, dass die „direktiven“ Maßnahmen sehr stark von der Ministerialverwaltung beeinflusst werden“ (so Schwidden 1996), so dass den Volksvertretungen bzw. den diesen verantwortlichen Ministern häufig nur rein formal die Letztverantwortlichkeit für administrative Entscheidungen verbleibt. Damit ist aber nicht, wie gelegentlich unterstellt wird, die Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz sowie ihre Kontrolle gelockert, sondern nur ihre selbständige Mitwirkung an administrativen Vorgängen begründet, an denen eine Vielzahl weiterer Akteure (Parteien, Verbände, Medien) gleichermaßen beteiligt sind. Gleichwohl gilt einzuräumen, dass die Mitentscheidungsmöglichkeiten des Verwaltungspersonals nicht für alle und in allen Verwaltungen gleichermaßen ausgebildet ist. Insofern müsste man, um zu präziseren Aussagen zu gelangen, die verschiedenen Typen von öffentlicher Verwaltung jeweils gesondert untersuchen. Da dies jedoch hier nicht möglich ist, soll zumindest die Situation an den Hochschulen etwas näher beleuchtet werden.
21 Bielefeld-Hart (1994) spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer „Partizipationsbürokratie“ und Naschold (1994: 297, 299) von einer „Anwender-Demokratie“. 22 Vgl. Schenke (1991: 586-588) und übereinstimmend und ausführlich Böhme (2001) sowie Spiegel (2002).
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4 Sonderfall Hochschulen Der Hochschulbereich unterscheidet sich von den der „klassischen“ Verwaltung zuzuordnenden Sektoren des öffentlichen Dienstes vor allem dadurch, dass die Steuerungsfunktionen hier traditionell im Wege einer „Selbstverwaltung“ ausgeübt werden. 23 Aufgaben, handelnde Personen, Ämter und Amtszeiten, Wahlperioden und Wahlmodi sowie die Ausgestaltung der Entscheidungsrechte werden in den Hochschulgesetzen der Länder föderal unterschiedlich definiert. Zugleich gilt jedoch auch im Hochschulbereich das jeweilige Personalvertretungsgesetz, so dass schon vom Grundsatz der Interessenvertretung her ein Spannungsverhältnis nicht nur denkbar, sondern sogar gesetzlich normiert wird. Hochschulselbstverwaltung erwuchs aus dem ständischen Gesellschaftsbild einer über Jahrhunderte mit hoher Selbständigkeit ausgestatteten, in der Personalergänzung kooptativ agierenden und allenfalls einem Souverän verantwortlichen Universität, die mit Rechten des „Staats im Staate“ ausgestattet, das Leben ihrer Angehörigen und ihr eigenes Funktionieren selbst zu bestimmen berechtigt war. Demokratische Grundsätze fanden hier - Philosophen, Freigeistern und der 1848er „Revolution“ ungeachtet - ihren Platz maximal in der Wahl des Rektors oder Fakultätsdekans als „Primus inter Pares“24. Erst die demgegenüber „radikalen“ Vorstellungen der Studentenbewegung ab 1967 sorgten dafür, dass erstmals auch Studierende und noch nicht in den Kreis der Professorinnen und Professoren aufgenommene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überhaupt mit wirksamen Mitwirkungsrechten ausgestattet wurden und durch Satzungen und Gesetze abgesicherte Mitbestimmungsrechte erhielten. Dabei ist in Deutschland von Beginn der „Studentenbewegung“ an das an die Rätedemokratie erinnernde Modell einer „Gruppenuniversität“ favorisiert worden. Obgleich es für die bis dahin uneingeschränkt entscheidende Professorenschaft eine enorme - für manche kaum mehr hinzunehmende - Veränderung darstellte, in der anfänglich in manchen Hochschulen etablierten „Drittelparität“ ihr Auskommen finden zu müssen und zu gewärtigen, dass Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiter ohne Professorenrang Mehrheitsentscheidungen in der Universität fassen und zur Umsetzung bringen konnten, blieben jedoch echte basisdemokratische Vorstellungen selbst der exponierten linken Studentenbewegung eher fern: Modelle echter Mehrheitsdemokratie – z.B. mit der Wahl 23 Soweit hier vom „Hochschulbereich“ die Rede ist, werden nur die Hochschulen in öffentlichrechtlicher Trägerschaft betrachtet, da für die Hochschulen. in privater Trägerschaft die Hochschulgesetze der Länder nur in Teilbereichen Gültigkeit haben und statt des Personalvertretungsrechtes das Betriebsverfassungsgesetz (oder im kirchlichen Bereich die Bestimmungen über Mitarbeitervertretungen - Tendenzbetrieb -) anzuwenden ist, insoweit also ein mitbestimmungsrechtlich anderes rechtliches Umfeld gilt. 24 Näher dazu mit weiteren Nachweisen Bartz (2005).
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aller Gremienvertreter durch alle Hochschulmitglieder ohne Gruppenbeschränkung (also Studierende wählen Professoren und auch umgekehrt) wurden in Deutschland bis heute kaum ernsthaft propagiert. Aber auch die Studentenbewegung der „68er“ und die damalige „Bundesassistentenkonferenz“ (BAK) 25, der wir die Gruppenuniversität heutiger Prägung im Wesentlichen verdanken, hatten den Sektor der nicht-wissenschaftlich Beschäftigten, des „technischen und Verwaltungspersonals“, überhaupt nicht im Blick, als sie die Grundsätze für einen Bruch mit „professoraler Allmacht“ formulierten. Es ging um „Mitbestimmung“ in erster Linie im Wissenschaftsbetrieb, den man - und diese Tendenz ist bis heute nach wie vor immer wieder zu beobachten - als vom „Arbeitsleben“ abgehobenen Sonderbereich betrachtete, in dem viele Regeln des „normalen“ Arbeitsalltags in einem Betrieb oder einer Verwaltung jederzeit zu Gunsten des zu erreichenden wissenschaftlichen Ziels und Zwecks außer Kraft gesetzt werden können. Dementsprechend zurückhaltend war auch die Einstellung der intellektuellen Befürworter der Gruppenuniversität gegenüber Formen „echter“ Mitbestimmung für alle Universitätsangehörigen, insbesondere auch die Einbeziehung des Technischen- und Verwaltungspersonals in die Gremien universitärer Selbstverwaltung (Krüger 1991). Und auch dies hat sich bis heute nicht wesentlich verändert. Zwar sind die in den Hochschulgesetzen definierten Aufgaben der Selbstverwaltungsgremien (Senat, Fachbereichsrat etc.) im Wesentlichen dem Komplex der Erledigung des Bildungsauftrags der Hochschulen zuzurechnen, dieser umfasst jedoch mit der Verteilung und Verwaltung der Finanzmittel sowie mit der Rekrutierung des Personals und der Zuweisung von Aufgaben in Lehre und Forschung bis hin zur der Gestaltung von Arbeitsumgebungen Bereiche, die auch von den Mitbestimmungsregeln der Personalvertretungsgesetze erfasst werden. Die Problematik einer „doppelten Mitbestimmung“ der Beschäftigtengruppen, die vom Geltungsbereich des Personalvertretungsrechts erfasst werden, wird in den Hochschulen und den zuständigen Fachministerien auf Länderebene durchaus gesehen. Die wesentliche Lösungsmöglichkeit, die hierzu bislang praktiziert wird, besteht in der personellen Trennung der in den Gremien jeweils handlungsberechtigten Personen, in einem Verbot, im Falle einer potentiellen Interessenkollision Stimm- oder Mitwirkungsrechte in den universitären Gremien auszuüben, wobei die Interessenkollision durch das Zusammenfallen von Wahlämtern, nicht aufgrund von Dienstaufgaben oder persönlicher Betroffenheit bzw. Befangenheit, definiert wird. Bemerkenswert ist, dass die Trennlinie im Wesentlichen zwischen dem Personal, welches wissenschaftliche Aufgaben in Lehre und Forschung wahr25 Hier wurden die wichtigsten Papiere zur Gruppenuniversität verfasst; die BAK trat später in die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ein und bildete dort die Abteilung Wissenschaft.
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nimmt, und dem technischen und Verwaltungspersonal gezogen wird. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die dem technischen und Verwaltungspersonal angehörenden Bediensteten in den Gremien der universitären Selbstverwaltung nur in geringer Anzahl vertreten sind und darüber hinaus in Angelegenheiten, welche Lehre und Prüfungen oder Forschung betreffen, mit stark eingeschränktem Stimmrecht ausgestattet sind, soweit sie nicht sogar von der Mitwirkung gänzlich ausgeschlossen sind. Weiterhin spielt hier mit, dass die in den Universitäten traditionell anzutreffende (Über-)Betonung der „Freiheit“ der wissenschaftlichen Arbeit dazu verleitet, vor allem den Sektor des wissenschaftlichen Personals unterhalb der Ebene der Professorinnen und Professoren so zu reglementieren, dass professoralem Entscheidungswillen möglichst wenig Einschränkungen entgegenstehen können. Demgemäß wurde diesem Personenkreis und der Verhinderung einer auf mehreren Ebenen angesiedelten Mitwirkungsmöglichkeit in personellen Angelegenheiten des „wissenschaftlicher Nachwuchs“ oder „wissenschaftlicher Mittelbau“ genannten Personenkreises wesentlich mehr Augenmerk gewidmet, als dem Sektor des technischen und Verwaltungspersonals, obgleich auch dieser in von Universitätsgremien getroffenen Entscheidungen (man denke nur an die Anschaffung neuer Technik und die sich dadurch verändernden Arbeitsbedingungen) stark betroffen sein kann. Personalräte und die ihnen obliegenden Mitbestimmungsrechte werden in den Hochschulen seitens der Präsidenten nicht selten als regelrecht störend empfunden, ist man doch der Auffassung, dass die Befassung der Selbstverwaltungsgremien ausreichende Mitwirkungsmöglichkeit für die nicht-professoralen Gruppen erlaubt. Diese Einstellung zur Mitbestimmung illustriert die Bezeichnung der Personmalratsmitglieder als „nichtproduktives Personal“ durch den früheren Mainzer Universitätspräsidenten Reiter, der vehement gegen das „Überhandnehmen“ der Mitbestimmungsrechte in einer Novelle des rheinlandpfälzischen Landespersonalvertretungsgesetzes (LPersVG) zu Felde zog (Dörr 1992). Wie schon in der Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur Wissenschaftsfreiheit 26 und der daraus abgeleiteten Mehrheit der Sitze der Professorengruppe in universitären Gremien bzw. der Stimmenmehrheit in Angelegenheiten von Lehre und Forschung sind die in den Landeshochschulgesetzen hinsichtlich der Personalräte getroffenen konkreten Umsetzungsregeln über die Mitgliedschaft und/oder Stimmberechtigung in Gremien der Hochschulselbstverwaltung vielfältig und unterschiedlich und dürften sich seit der weitestgehenden Aufgabe der Rahmenvorgaben des Bundes zukünftig noch stärker als bislang jeglichen Vereinheitlichungsversuchen ent26 Vgl. insbesondere die Entscheidung vom 29. Mai 1973, Band 35, S. 79-169; weiterhin dazu 1BVR 1289/78; BVerfGE 35: 9, 55: 37 (Bremer Modell).
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ziehen. Da im Unterschied zum Hochschulrecht das Personalvertretungsrecht der Länder den Vorgaben des Bundesrechts im Rahmen der durch die Rechtsprechung gezogenen Grenzen Rechnung tragen muss, ist ein Eingriff in die Stimm-, Teilnahme- oder Mitwirkungsrechte von Personalratsmitgliedern mittels hochschulgesetzlicher Regelungen nicht möglich. Die Wahl in ein Gremium der Hochschulselbstverwaltung kann daher für ein gewähltes Personalratsmitglied für die Dauer seiner Mitgliedschaft im Personalrat keine Beschränkung seiner dortigen Mitgliedschaftsrechte auslösen. Auch treffen die Personalvertretungsgesetze in jeweils eigenständigen Katalogen abschließende Regelungen hinsichtlich der Unvereinbarkeit eines Mandates in der Personalvertretung mit den jeweiligen Dienstaufgaben. Auf diese Weise werden Mitglieder der Dienststellenleitung, insbesondere die mit eigenständigen Personalentscheidungen betraut sind, in aller Regel von einer Kandidatur für die Personalvertretung der jeweiligen Stufe ausgeschlossen, und auch das aktive Wahlrecht bleibt ihnen versagt, da es den Mitbestimmungsgrundsätzen widerspräche, könnten die Vertreter der Arbeitgeberseite ihr jeweiliges „Gegenüber“ in späteren Verhandlungen mitwählen (Leuze 1990; Widmaier 1977; Jacobi/Küssner/Meerkamp 1992). Statt in die Rechte der Personalvertretung greifen die Landesgesetzgeber daher in die Rechte der Gremienmitglieder der Hochschulselbstverwaltung ein. Ausgehend von der Überlegung, dass Mitwirkung in der Hochschulselbstverwaltung Teilhabe an der Hochschulleitung darstelle, wird Mitgliedern der Personalvertretung der Zugang zu ausgewählten Gremien der Hochschulselbstverwaltung verwehrt, wobei allerdings die Landesgesetzgeber von der Normierung einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit, die alle Hochschulgremien betreffen würde, absehen. Daher hat sich in der Bundesrepublik in 25 Jahren der Novellierung von Landeshochschulgesetzen eine breite Spanne der Mitwirkungsausschlüsse mit recht widersprüchlichen und allenfalls anhand der Landesgesetze und ihrer Interpretation verstehbaren Folgen etabliert. So werden in einem Bundesland wissenschaftliche Mitarbeiter, die einem Personalrat angehören, von der Mitarbeit im Fachbereichsrat ausgeschlossen und dürfen dem Senat der Hochschule angehören, in anderen Ländern ist Personalräten die Mitgliedschaft im Senat verwehrt, aber die Mitarbeit im Fachbereichsrat erlaubt. Oder man findet –wie in Rheinland-Pfalz- die auslegungsbedürftige Formel, dass wissenschaftliche Mitarbeiter, die einem Personalrat angehören, nicht einem Gremium angehören dürfen, welches für Angelegenheiten wissenschaftlicher Mitarbeiter zuständig ist. Die im Rahmen der Personalvertretungsgesetze gesehene Dichotomie von Dienststellenleitung und Personalvertretung der gleichen Stufe wird im Rahmen der Hochschulselbstverwaltung nur in der einen Richtung, hinsichtlich der
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Unvereinbarkeit des Personalvertretungsmandates mit der Mitwirkung in bestimmten Hochschulgremien, umgesetzt. In der anderen Richtung, soweit es um die Auswahl der Mitglieder der Hochschulleitung geht, sind der Mitwirkung von Personalratsmitgliedern – sofern sie den handlungsberechtigten Gremien grundsätzlich angehören dürfen - keine Grenzen gesetzt. Allerdings sind die Entscheidungsmöglichkeiten der Hochschulangehörigen, die Hochschulpräsidentin oder den Hochschulpräsidenten bzw. die Mitglieder des Präsidialkollegiums durch Wahl in einem Hochschulgremium (Senat, Großer Senat, Versammlung) zu bestimmen, in den letzten Jahren mit der Verlagerung des Vorschlagsrechts oder sogar der Entscheidung auf allenfalls paritätisch mit Vertreterinnen und Vertretern aus Hochschule und Öffentlichem Leben besetzte Gremien wie den Hochschulrat deutlich eingeschränkt worden. Mitwirkungsmöglichkeiten reiner Hochschulgremien unter Einschluss von Personalratsmitgliedern verbleiben zwar überall dort, wo die Entscheidung hochschulferneren Einrichtungen übertragen wurde. Die Verluste an Mitwirkungsrechten und damit an „Demokratisierung“, die 30 Jahre lang aufgebaut worden war, sind jedoch unübersehbar. Nicht zuletzt in den neuen Bundesländern hält man im Übrigen an der jahrhundertealten „Rektoratsverfassung“ fest und stellt dadurch sicher, dass die Leitung der Hochschule nur von einem bereits der Hochschule angehörenden Professor ausgeübt werden kann. Aber auch hier gelten üblicher Weise gruppenorientierte Wahlkriterien unter Einschluss aller Hochschulangehörigen. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass auch der Hochschulbereich trotz der teilweise sogar „doppelt“ verankerten Mitbestimmungsmöglichkeiten insbesondere aufgrund der aus der Sonderrolle der „Wissenschaftsfreiheit“ abgeleiteten Sonderrechte der Professorenschaft über die „Mitwirkung“ der nicht dem Professorenstand angehörenden Beschäftigten nicht hinausgekommen ist und wohl aufgrund der dazu gefestigten Rechtsprechung auch kaum hinauskommen wird. Eine weitere Schwächung der Mitentscheidungsmöglichkeiten geht von der seit Jahren zu beobachtenden politisch motivierten kontinuierlichen Verlagerung der Entscheidungsbefugnisse weg von den Gremien der universitären Selbstverwaltung hin zu den Präsidialverwaltungen aus 27, welche kaum auf Widerstand 27 So ändert Rheinland-Pfalz zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Bandes sein Landeshochschulgesetz (LHG) und betont zum dritten Mal in Folge im Rahmen einer Hochschulgesetzänderung das Ziel „die Rolle der Präsidenten zu stärken“. Der Mühe, zu analysieren, was die bisherigen Schritte zur Stärkung der Rolle des Präsidenten in der Hochschule erbracht haben und warum diese Schritte nicht ausreichen, hat sich die Ministerialbürokratie allerdings nie unterzogen, zumindest wurde dazu nie etwas öffentlich gemacht. In der Neufassung des LHG soll den Hochschulpräsidenten vollständige Entscheidungsfreiheit in Personalfragen übertragen werden, womit auf diesem Sektor die Selbstverwaltungsgremien endgültig ausgeschaltet sind. Mit der projektierten Vorschrift, dass den Präsidenten zumindest auf Zeit auch die
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der Hochschulgremien und der Hochschulangehörigen trifft. Offenbar ist ein „Sättigungsgrad“ an Mitwirkungsmöglichkeiten erreicht, der das Mitwirkungsinteresse verringert und es damit der Politik erlaubt „neue Steuerungsmodelle“ zunehmend auch auf die Hochschulen zu übertragen. 5 Mitentscheidung und Demokratisierung – Grenzen der Mitbestimmung In eine ähnliche Richtung gehen auch alle die Aktivitäten, Normen und Leitlinien, mit denen Frauenbeauftragte, Datenschutzbeauftragte, Vertreter von Auszubildenden oder Vertrauensmänner von Schwerbehinderten zur Mitentscheidung an den innerdienstlichen Angelegenheiten herangezogen werden. Besondere Aktualität genießen bekanntlich die Bemühungen um eine Gleichstellung und Gleichbehandlung von Frauen im öffentlichen Dienst, die durch eine Institutionalisierung von Frauenbeauftragten angestrebt wird. Obwohl diese bisher noch nicht so weit vorangekommen sind, wie dies wünschenswert sein mag, zeichnen sich doch auch für diesen Bereich Veränderungen ab, die mit einem höheren Maß an Gleichheit einhergehen und damit im Sinne einer „Selbstdemokratisierung“ wirken. Demokratische Elemente sind aber auch erkennbar, wenn sich die Behördenleitungen und die Personalvertretungen gegenüber den Verwaltungsmitarbeitern rechtfertigen müssen, wenngleich ihre Motive dabei differieren. Während seitens des Personalrats nicht selten das Interesse besteht, wiedergewählt zu werden, liegt der Behördenführung mehr an einem reibungslosen Ablauf der Dienstgeschäfte, was offene Verstöße gegen die Interessen der Bediensteten zwar nicht ausschließt, aber doch stark einschränkt. Unter solchen Voraussetzungen gewinnen die Maßnahmen der Verwaltungsführungen über die formalen Möglichkeiten der Mitentscheidung der Personalvertretungen und die Abwehrrechte des Verwaltungspersonals hinaus ein hohes Maß an demokratischer Legitimation, Akzeptanz und Folgebereitschaft. Der Personalrat ist zwar verpflichtet, die Informationen, die er von der Behördenleitung erhält, nur intern zu verwenden, doch bleibt es ihm unbenommen, gegen die bevorstehenden Maßnahmen der Behördenleitung geeignete Abwehrmaßnahmen vorzubereiten, z.B. indem er sich unter Nutzung der gesetzlich garantierten Koalitionsfreiheit die Unterstützung seiner Gewerkschaften sichert. Die Mitbestimmung der Personalräte im Öffentlichen Dienst ist – wie die meisten Sektoren des Öffentlichen Dienstes - in der Umsetzungspraxis hochgradig verrechtlicht. Grobe Verstöße gegen Rechte und Pflichten sind auf Seiten der Dienststellenleitungen wie auf Seiten der Bediensteten sehr selten geworden. uneingeschränkten Berufungsrechte, die bislang dem Minister vorbehalten waren, übertragen werden können, beschreitet Rheinland-Pfalz hochschulpolitisches Neuland, denn so weit hat sich bislang noch keine Regierung aus der hochschulpolitischen Verantwortung zurückziehen wollen.
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Beide Seiten haben sich arrangiert: Die Dienststellenleitung schätzt die ordnende Funktion des Gesetzes, welches ihr die Umsetzung ihrer Maßnahmen zielgerichtet planbar ermöglicht, die Beschäftigten wissen den formellen Informationsanspruch wie auch den informellen Zugang der Personalvertretung zur Dienststellenleitung zu schätzen. Dass die Letztentscheidung in der Dienststellenhierarchie verankert bleibt und nicht auf eine Einigungsstelle verlagert werden kann, ist nicht nur weitgehend akzeptiert, es wird auch kaum noch als Desiderat inkompletter Mitbestimmung und deshalb politisch zu lösendes Problem artikuliert. 28 In mehr als 50 Jahren sind so die Grenzen der Mitentscheidung der Bediensteten in verfassungsrechtlicher Hinsicht weitgehend geklärt, wenngleich dies sowohl von konservativer juristischer Seite als auch seitens der Gewerkschaften hin und wieder noch bezweifelt wird. Die im Zuge der Hochschulreformen seit den siebziger Jahren entstandene Mitwirkung im Hochschulbereich, welche die Rechte aus den Personalvertretungsgesetzen transzendiert, ist beständig erhalten geblieben, so dass dort die Beschäftigten grundsätzlich weitergehende Einflussmöglichkeiten wahrnehmen können als in den Verwaltungen des Bundes und der Länder. Allerdings haben die Länder in ihrer föderalen Zuständigkeit recht unterschiedliche Antworten auf die als „Inkompatibilitätsproblem“ erkannte Mehrfachmitbestimmung von Personalratsmitgliedern in der Hochschulselbstverwaltung gefunden. Eine rechtliche Abklärung dieser Problematik ist noch nicht weit fortgeschritten. In jüngster Zeit bewegen sich die Hochschulen im heutigen Stadium der Hochschulreform mit dem kontinuierlich zunehmenden Rückzug der Politik aus der Gestaltung der Hochschulpolitik und der „Stärkung der Hochschulleitungen“ jedoch auf eine neue Situation autokratischer Leitungsstrukturen zu. Es wird von Willen und Geschick der handelnden Personen abhängen, dass neuerliche Konfrontationen vermieden werden. 6 Literatur Altvater, Lothar/Bacher, Eberhard/Hörter, Georg/Peiseler, Manfred/Sabottig, Giovanni/Vohs, Gerhard (1998): Bundespersonalvertretungsgesetz, Basiskommentar mit Wahlordnung und ergänzenden Vorschriften, 2. Aufl., Frankfurt a.M. Bachrach, Peter/Baratz, Morton S. (1977): Macht und Armut, Frankfurt a. M. Bartz, Olaf (2005): Bundesrepublikanische Universitätsleitbilder, in: Die Hochschule 2/2005, S. 99113. Battis, Ulrich/Kersten, Jens (1996): Demokratieprinzip und Mitbestimmung im öffentlichen Dienst, in: Die Öffentliche Verwaltung, 49. Jg., S. 584-591. 28 Umfassend und kritisch dazu Battis (2005).
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Mitbestimmung im öffentlichen Dienst
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Das Verhältnis von öffentlicher Verwaltung und öffentlicher Meinung im demokratischen politischen System Deutschlands
Edwin Czerwick
1 Zur demokratietheoretischen Bedeutung der öffentlichen Meinung Demokratie setzt Öffentlichkeit voraus (Habermas 1990; Fraenkel 1991: 236237), die wiederum eine Bedingung für die Ausbildung einer öffentlichen Meinung ist. Von daher bestehen zwischen Demokratie, Öffentlichkeit und öffentlicher bzw. veröffentlichter Meinung vielfältige Abhängigkeiten und Wechselwirkungen (Klier 1990). Öffentlichkeit lässt sich demokratietheoretisch in idealtypischer Weise als der Raum bezeichnen, in dem sich die Mitglieder eines Gemeinwesens über die gesellschaftlich anzustrebenden Ziele, die darauf bezogene Verteilung knapper Güter und Werte sowie über die dabei anzuwendenden Verfahren und zu treffenden Entscheidungen in ungezwungener Form diskursiv auseinandersetzen (sollen) (Peters 1994). 1 Natürlich muss eine solche „idealtypische“ Vorstellung von Öffentlichkeit durch eine „realistische“ Betrachtungsweise ergänzt werden, die darauf abhebt, dass Öffentlichkeit im Wesentlichen von den kommunikativen Aktivitäten der Medien, der Parteien und Verbände sowie von den Regierungen geprägt wird. Gerade deshalb gilt es festzuhalten, dass Demokratie, da sie auf die Beseitigung unsichtbarer politischer Macht zielt, „als Regierung der öffentlichen Macht in der Öffentlichkeit“ (Bobbio 1988: 87) verankert ist und von daher Öffentlichkeit in verschiedenen Bereichen garantieren muss, die wiederum verschiedene Formen von Öffentlichkeit hervorbringen, wie zum Beispiel Publikumsöffentlichkeit, Parlamentsöffentlichkeit, Regierungs und Verwaltungsöffentlichkeit, Gerichtsöffentlichkeit und Medienöffentlichkeit (Kloepfer 2005: 413-419). In der Demokratie sollen Öffentlichkeit und Offenheit die Regel, das Geheimnis und die Geheimhaltung die Ausnahme darstellen. Nur durch Öffentlichkeit ist gewährleistet, dass sich die Bürger ungehindert über das politische Geschehen informieren können und damit die Voraussetzung für eine 1 Zum Begriff „Öffentlichkeit“ siehe Wimmer (2008); Peters (1994); Dahrendorf (1975) und Habermas (1992: 435-464).
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möglichst authentische Willensbildung jedes einzelnen Bürgers geschaffen wird. Dementsprechend hat auch das Bundesverfassungsgericht wiederholt hervorgehoben, dass die politische Willensbildung prinzipiell „von unten nach oben“, also von den Bürgern zu den Staatsorganen, und nicht in umgekehrter Richtung verlaufen muss (im Überblick Schmitt Glaeser 2005 sowie Kloepfer 2005: 395397, 400-404, 411-421). Wenn aber, wie es viele Untersuchungen nahelegen (zusammenfassend Sarcinelli 2005), die Willensbildung tatsächlich mehr „von oben nach unten“ verläuft, so muss zumindest, damit man mit einiger Berechtigung überhaupt noch von einem demokratischen politischen System sprechen kann, sichergestellt sein, dass die Staatsorgane der öffentlichen Meinung und den von ihr artikulierten Bedürfnissen und Interessen Rechnung tragen.2 Es würde einem demokratischen politischen System zuwider laufen, wenn sich die Bürger zwar umfassend informieren und eine Meinung bilden könnten, diese Meinung aber für das politische System folgenlos bliebe. Nur wenn die Bürger zumindest kommunikativ Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen können und nur wenn in den politischen Entscheidungen die öffentliche Meinung berücksichtigt wird, kommt ihr nicht nur eine deklaratorische, sondern auch eine faktische konstitutive Bedeutung für die Demokratie zu. Verfahren, die gewährleisten sollen, dass die öffentliche Meinung im politischen System Beachtung findet, sind freie, gleiche, allgemeine, geheime und periodische Wahlen, durch welche die Besetzung politischer Ämter in Abhängigkeit von den parteipolitischen Präferenzen der Bürger erfolgt (Sartori 1992: 113-122, 160-161). Um (wieder) gewählt zu werden, sehen sich die sich zur Wahl stellenden politischen Akteure veranlasst, auf die öffentliche Meinung Rücksicht zu nehmen. 3 Dabei kommt der öffentlichen Meinung eine aktive und passive Rolle zu: Sie ist zum einen Schiedsrichter, der in Wahlen darüber entscheidet, welche Politik und welche Partei die Regierungsgeschäfte übernehmen soll. Sie ist zum anderen zugleich aber auch eine Instanz, welche die politischen Akteure bei der Vorbereitung und Durchsetzung ihrer Entscheidungen in ihr politisches Kalkül einbeziehen. Obwohl es nicht möglich ist, den Begriff „öffentliche Meinung“ präzise zu definieren 4, gilt es dennoch, ihn zumindest so zu umschreiben, dass er wissenschaftlich sinnvoll benutzt werden kann. Unter öffentlicher Meinung soll hier ganz allgemein die Summe der Interessen, Bedürfnisse, Vorstellungen und Auffassungen verstanden werden, die in einer Gesellschaft innerhalb eines 2 Für den Deutschen Bundestag siehe hierzu Brettschneider (1995) und für die Bundesregierung Fuchs/Pfetsch (1996: 118-133). 3 Zumindest müssen sie so tun, als ob sie auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen (Edelman 1977: 141-155). 4 Zu den verschiedenen Bedeutungen von öffentlicher Meinung siehe Noelle-Neumann (1996).
Öffentliche Verwaltung und öffentliche Meinung
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begrenzten Zeitraums öffentlich artikuliert und diskutiert werden. Gemäß Niklas Luhmann besteht die öffentliche Meinung aus Themen der Kommunikation, wobei er unter „Themen“ „mehr oder weniger unbestimmte und entwicklungsfähige Sinnkomplexe“ versteht, „über die man reden und gleiche, aber auch verschiedene Meinungen haben kann“ (Luhmann 1983: 13). Gemäß diesem Verständnis von öffentlicher Meinung deckt diese also nicht alle gesellschaftlichen Bedürfnisse, Interessen und Meinungen ab, sondern nur diejenigen, denen es gelingt, sich öffentlich Gehör zu verschaffen. Außerdem ist mit Luhmann zu bedenken, dass sich hinter dem Singular „öffentliche Meinung“ in der Regel eine Pluralität von Meinungen verbirgt. Es wäre deshalb auch zutreffender, von „öffentlichen Meinungen zu sprechen. 5 Schließlich gilt es zu beachten, dass die öffentliche Meinung keine konkrete Handlungseinheit darstellt, sondern eine Konstruktion ist, auf die sich mediale, administrative, wirtschaftliche oder politische Akteure beziehen, wenn sie ihre Entscheidungen vorbereiten oder rechtfertigen. Dennoch ist der Begriff „öffentliche Meinung“ nicht beliebig verwendbar. Empirische Grenzziehungen erfolgen durch die Demoskopie, die darum bemüht ist, die Präferenzen in der Bevölkerung zu öffentlich diskutierten Themen in ihren jeweils aktuellen Ausprägungen festzustellen (Gallus/Lühe 1998). 6 Deshalb besteht auch häufig die Neigung im Rahmen der zwischenparteilichen Auseinandersetzungen, die öffentliche Meinung mit der Mehrheitsmeinung gleich zu setzen und deren politische Übereinstimmung mit der eigenen Position zu betonen. Auf den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung wirken eine Vielzahl von Faktoren mit jeweils unterschiedlicher Intensität ein, die sich zudem von Fall zu Fall verändern können. Dies kann hier nicht im Einzelnen dargestellt werden, zumal auch die Forschung noch keine eindeutigen Ergebnisse zur Entstehung der öffentlichen Meinung vorgelegt hat. Ein Ergebnis scheint aber gesichert zu sein. Die Bildung der öffentlichen Meinung erfolgt nicht in einem Prozess offener und ungezwungener diskursiver Meinungsbildung der Mitglieder einer Gesellschaft über die Regelung ihrer Angelegenheiten. Sie ist vielmehr ein Resultat, das von den Stellungnahmen der Parteien, Verbände und der Regierungen sowie der Berichterstattung der Medien bestimmt wird. Ein besonders großer Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung geht von den Medien aus, auf deren Berichterstattung alle staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen angewiesen sind (Meyer 2001). In diesem Sinne kann die öffentliche Meinung als „veröffentlichte Meinung“ charakterisiert werden (Hochmuth 2008), da die große Mehrzahl der Bürger von sich aus nicht in der Lage ist, sich über das Geschehen 5 Von daher zählen auch die „Gegenöffentlichkeit“ (Wimmer 2007) oder die „alternative Öffentlichkeit“ (Stamm 1988) zur öffentlichen Meinung. 6 Kritisch hierzu schon Hennis (1957).
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in einer Gesellschaft ohne die Berichterstattung der Medien eine Meinung zu bilden. 7 Jedoch ist angesichts der Medienvielfalt sowie vielfältiger Informationsmöglichkeiten eine völlig einseitige Beeinflussung von Meinungen oder sogar eine Meinungsmanipulation wenig wahrscheinlich.8 Auch sind die Medien darauf angewiesen, dass ihre Produkte von den Bürgern abgenommen werden, weshalb sie auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen. Andernfalls müssten sie geringere Verkaufszahlen (Printmedien) oder niedrigere Einschaltquoten (terrestrische Medien) befürchten. Insofern gehen in die Medienberichterstattung immer auch Einflüsse der öffentlichen Meinung ein. Von daher ist eine klare Abgrenzung von öffentlicher und veröffentlichter Meinung nicht möglich. Zwischen beiden besteht ein Spannungsverhältnis, in dem sowohl die öffentliche Meinung die Berichterstattung der Medien als auch die Medien die öffentliche Meinungsbildung beeinflussen. Gleichwohl wird man aber davon ausgehen müssen, dass der Einfluss der Medien auf die öffentliche Meinung wesentlich größer ist als umgekehrt der Einfluss der öffentlichen Meinung auf die Medien. Die bisherigen Ausführungen dürften verdeutlicht haben, dass sich eine öffentliche Verwaltung in einem demokratischen System gegenüber der öffentlichen Meinung zumindest aufgeschlossen („responsiv“) zeigen muss. 9 Wie groß und intensiv diese Aufgeschlossenheit („Responsivität“) 10 zu sein hat, lässt sich nur bedingt theoretisch festlegen. Vielmehr zeigt sich die demokratische Qualität einer öffentlichen Verwaltung darin, wann, unter welchen Bedingungen und in welchem Ausmaß sie in ihren administrativen Aktivitäten auf die öffentliche Meinung eingeht. Es wäre jedoch zu vereinfacht, davon auszugehen, dass die demokratische Qualität der öffentlichen Verwaltung umso größer sei, je mehr sie der öffentlichen Meinung Rechnung trägt. Die öffentliche Meinung ist nur ein, wenn auch zentraler Bestandteil eines jeden demokratischen politischen Systems. Insofern beruht die demokratische Qualität der öffentlichen Verwaltung auf wesentlich mehr Komponenten als nur auf ihrem Verhältnis zur öffentlichen Meinung. Dennoch ist das Verhältnis der öffentlichen Verwaltung zur öffentlichen Meinung ein wichtiger Indikator für ihre Bereitschaft, sich mit einem wichtigen Bestandteil eines demokratischen politischen Systems zu arrangieren. Eine öffentliche Verwaltung, die sich gegenüber der öffentlichen Meinung 7 Diese Tatsache hat weit reichende normative Konsequenzen sowohl im Hinblick auf die Berichterstattung der Medien, als auch im Hinblick auf die Struktur des Mediensystems. 8 Die Probleme der Einflussnahme liegen heute weniger in den Möglichkeiten der Indoktrination und der Manipulation als vielmehr in der Informationsüberlastung und der „Informationsverschmutzung“ (Deutsch 1986: 43). 9 Siehe hierzu auch den Beitrag von Nathalie Behnke in diesem Band. 10 Ausführlich mit weiteren Literaturangaben Czerwick (2001: 87-94).
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abschottet 11, wäre deshalb auch ein Fremdkörper, der sich ständig mit zentralen Imperativen des demokratischen politischen Systems im Widerspruch befinden würde. Von daher lassen sich aus dem Verhältnis der öffentlichen Verwaltung in Deutschland und ihrem Verhältnis zur öffentlichen Meinung zumindest einige Aussagen über ihre demokratische Qualität und ihre Vereinbarkeit mit dem demokratischen politischen System machen. In den folgenden Ausführungen sollen deshalb einige Antworten auf die Frage gesucht werden, in welchem Verhältnis öffentliche Verwaltung und öffentliche Meinung zueinander stehen, wobei dieses Verhältnis vor allem aus der Perspektive der öffentlichen Verwaltung und nicht aus der Perspektive der öffentlichen Meinung untersucht wird. 2 Normative Bindungen der öffentlichen Verwaltung an die öffentliche Meinung? Eine unmittelbare normative Bindung der öffentlichen Verwaltung an die öffentliche Meinung ist nach dem Grundgesetz nicht vorgesehen. Von daher könnte man die Schlussfolgerung ziehen, dass, rein verfassungsrechtlich betrachtet, die demokratische Qualität der öffentlichen Verwaltung unabhängig von ihrer Orientierung an der öffentlichen Meinung ist. Dies wäre jedoch eine allzu voreilige Schlussfolgerung. Immerhin ist die öffentliche Verwaltung als „vollziehende Gewalt“ an das Prinzip der Volkssouveränität gebunden (Art. 20 Abs. 2 GG) und dem Allgemeinwohl bzw. dem öffentlichen Interesse verpflichtet. Selbst wenn sich sowohl die Volkssouveränität als auch das Allgemeinwohl nicht mit der öffentlichen Meinung identifizieren lassen, so sind beide aber auch nicht unabhängig von ihr zu verstehen (Fraenkel 1991: 204-260), zumal auch zwischen der öffentlichen Verwaltung und der Öffentlichkeit vielfältige Verbindungen bestehen (grundlegend Scherzberg 2000). Schon Erich Kaufmann hat darauf hingewiesen, dass im weitesten Sinne „jedes zur Bildung, Äußerung und Verwirklichung des Staatswillens berufene Organ in seiner Sphäre Organ des Volkswillens“ (Kaufmann 1931: 11) ist. Auch von daher ist die öffentliche Verwaltung an den Volkswillen bzw. die „Stimme des Volkes“ 12 gebunden, zumindest kann sie beide nicht ignorieren. Die Frage ist nur, wie diese Bindung ausgestaltet ist. In den nachfolgenden Ausführungen soll deshalb geprüft werden, ob sich nicht zumindest „quasi-normative“ Verbindungen zwischen dem Prinzip 11 Nur in autoritären und obrigkeitsstaatlichen politischen Systemen, ganz abgesehen von totalitären politischen Systemen, ist die öffentliche Verwaltung gegenüber der öffentlichen Meinung nahezu völlig abgeschottet. 12 Zur „Stimme des Volkes“ oder von „Volkes Stimme“ siehe Czerwick (1996: 57-66).
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der Volkssouveränität sowie dem Allgemeinwohl einerseits und der öffentlichen Meinung andererseits nachweisen lassen, welche die öffentliche Verwaltung in ihren Handlungen berücksichtigt und sich damit zu einem integralen Bestandteil des demokratischen Systems macht. 2.1 Die Bindung der öffentlichen Verwaltung an die Volkssouveränität13 Nach der in der Staatsrechtslehre und vom Bundesverfassungsgericht vertretenen und Interpretationshoheit beanspruchenden Lehre ist die öffentliche Verwaltung nicht nur nicht an die öffentliche Meinung, sondern auch „nur bedingt“ an die Demokratie des Grundgesetzes gebunden (Hesse 1995: 230). Stattdessen weist man sie „in den Bereich der Ordnung des sozialen Rechtsstaates“ (ebenda) ein. Hier ist sie wiederum an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Während also Artikel 20 Abs. 2 GG immerhin noch eine unmittelbare Bindung der öffentlichen Verwaltung an das Volk vorsieht, wird diese Bindung im Absatz 3 des gleichen Artikels zwar nicht zurückgenommen, aber durch die Bindung an Recht und Gesetz relativiert und überlagert. Die öffentliche Verwaltung ist damit nicht mehr unmittelbar dem Volk als dem Souverän verantwortlich, sondern „nur“ noch Recht und Gesetz. Dies hat zur Folge, dass sich zwischen dem Volk und der öffentlichen Verwaltung die Organe der Rechtsetzung (Legislative) und der Rechtsprechung (Judikative), aber auch der „regierenden Exekutive“ schieben. Diese Konstruktion weist eine Reihe von Ungereimtheiten auf, die kritisch zu hinterfragen sind. Die Legislative verabschiedet zwar die Gesetze, welche die öffentliche Verwaltung befolgen muss, doch gehen entscheidende Impulse bei der Vorbereitung, Ausformulierung und Implementation der Gesetze von der (Ministerial-)Verwaltung aus. Dabei hat die Legislative auf Grund des Prinzips der Gewaltenteilung keinen unmittelbaren Zugriff auf die öffentliche Verwaltung. Die Judikative wiederum, die durch die Rechtsprechung auf die öffentliche Verwaltung einwirkt, ist selbst nicht direkt vom Volk gewählt und insofern ebenfalls nicht unmittelbar mit dem Prinzip der Volkssouveränität verbunden. Das gilt in ähnlicher Weise auch für die Legislative. Ihre Mitglieder werden zwar nach demokratischen Grundsätzen gewählt, doch verfügen die Parteien faktisch über das Nominierungsmonopol über diejenigen, die sich zur Wahl stellen dürfen. Sie schieben sich ebenso wie die Staatsgewalten insofern 13 Der Begriff „Volkssouveränität“ ist außerordentlich schillernd. Er kann unter anderem als „Verfahren“ (Habermas 1992: 600-631), im Sinne von „Volksdemokratie“ (kritisch Bryde 1994) oder in der Bedeutung von „Repräsentation“ (Böckenförde 1992: 379-405) verwendet werden.
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zwischen das Volk und seine Repräsentanten. 14 Somit sind die vom Volk gewählten Repräsentanten faktisch nicht unmittelbar dem Volk verantwortlich, sondern den Parteien, die über ihre Nominierung entscheiden, obwohl sie als „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ (Art. 38 GG Abs. 1 Satz 2) sind.15 So gesehen ist die öffentliche Verwaltung also nicht nur nicht unmittelbar an das Volk gebunden, sondern an Organe, die ihrerseits nicht unmittelbar dem Volk verantwortlich sind. Um dieser Situation normative Verbindlichkeit zu geben und die öffentliche Verwaltung mit dem Prinzip der Volkssouveränität zu „versöhnen“, verfiel man von Seiten der Staatsrechtslehre auf die „Idee“, die öffentliche Verwaltung wenigstens in gestufter Form auf die Volkssouveränität zurückzuführen. Danach erhält die Verwaltung ihre „demokratische Legitimation“ dadurch, dass ihr Personal durch die Regierung ernannt wird, die ihre Legitimation wiederum durch die Wahl des Regierungschefs durch den Deutschen Bundestag erhält, dessen Repräsentanten vom Volk gewählt sind.16 Diese „Legitimationskettenkonstruktion“ basiert auf einer Vielzahl uneinlösbarer und uneingelöster Annahmen, die mehr auf Fiktion denn auf empirischen Grundlagen beruhen (Czerwick 2007a). Immerhin hat sie aber dazu geführt, dass sich alternative Überlegungen, wie und in welcher Form die öffentliche Verwaltung unmittelbarer an den Volkswillen gebunden werden kann, tabuisiert und mit dem Vorwurf belegt sind, mit solchen Überlegungen die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes in Frage zu stellen. Zwischen öffentlicher Meinung und öffentlicher Verwaltung klafft also nicht nur eine tiefe normative Kluft, sondern es wird grundsätzlicher keine Notwendigkeit darin gesehen, sich normativ mit dem Verhältnis von öffentlicher Meinung und öffentlicher Verwaltung zu befassen. Dabei ist die Frage offen, wie sich die öffentliche Verwaltung verhalten soll, wenn die Organe, an die sie normativ gebunden ist, nicht nur wider die öffentliche Meinung handeln, sondern auch ganz offensichtlich gegen das Prinzip der Volkssouveränität oder auch nur gegen den politischen Willen des Volkes verstoßen. Nach der herrschenden Staatsrechtslehre besitzt die öffentliche Verwaltung kein Recht, in solchen Situationen 14 So heißt es denn auch im Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz) im § 1 Absatz 2 unter anderem, dass die Parteien „auf die politische Entwicklung im Parlament und Regierung Einfluss nehmen … und für eine ständig lebende Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen sorgen“. 15 Es sei dahingestellt, wie man die logische Kluft, die sich zwischen einem Vertreter des ganzen Volkes einerseits und einem Vertreter, der nur seinem Gewissen verantwortlich ist andererseits, argumentativ zu überbrücken versucht. Siehe hierzu Leibholz (1966). Zur Kritik: Schmitt (1961). 16 Ausführlich zu dieser „Konstruktion“ Czerwick (2001: 27-39, 100-104) sowie Kippels in diesem Band.
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als Verwaltung aktiven Widerstand 17 zu leisten. 18 Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass sie unter Berufung auf die Volkssouveränität und die verfassungsmäßige Ordnung passiven Widerstand leistet. Zwar ist eine solche Ausnahmesituation bisher noch nicht eingetreten, wohl aber Situationen, in denen Regierung und Parlament politische Maßnahmen ergriffen haben, die eindeutig gegen die öffentliche Meinung gerichtet waren. Hat, so wäre unter demokratietheoretischen Prämissen deshalb zu fragen, in solchen Fällen die öffentliche Verwaltung mit Verweis auf das Allgemeinwohl die Möglichkeit, die von der Regierung und dem Parlament eingeleiteten Maßnahmen zu unterlaufen? 2.2 Die Bindung der öffentlichen Verwaltung an das Allgemeinwohl 19 Auch wenn sich seit den letzten zehn bis fünfzehn Jahren die Bedeutung des Allgemeinwohls angesichts der um sich greifenden Ökonomisierung des öffentlichen Dienstes gewandelt hat (Czerwick 2007b), und der Unparteilichkeitsanspruch der Verwaltung (Fehling 2001: 350-355; 430-441) immer weniger garantiert werden kann, ist ihre normative Bindung an das Allgemeinwohl bislang nicht ernsthaft in Frage gestellt worden. Eine solche Entwicklung ließe sich mit der grundgesetzlichen Ausrichtung des Staates und seines öffentlichen Dienstes auf das Gemeinwohl auch nicht vereinbaren. 20 Gemäß den beamtenrechtlichen Grundpflichten 21 dienen Beamte „dem ganzen Volk … Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und bei ihrer Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit Bedacht zu haben“ (§60 Abs. 1 DNeuG). „Sie haben das ihnen übertragene Amt uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen“ (§61 Abs. 1 DNeuG) und sollen „sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten“ (§60 Abs. 1 DNeuG). Dies wird durch ihren Amtseid auf die Verfassung noch einmal ausdrücklich betont (§64 Abs. 1 DNeuG). Auch haben sie „bei politischer Be17 Allerdings hat der einzelne Beamte sowohl das Recht als auch die Pflicht der Remonstration. 18 So hat schon Max Weber (1956: 728) festgestellt, dass der Beamte „sich leicht bereit findet, für jeden zu arbeiten, der sich der Herrschaft über ihn einmal zu bemächtigen gewusst hat“. 19 Zum Begriff des „Allgemeinwohls“ sowie zu den mit ihm eng verwandten Begriffen siehe Uerpmann (1999). 20 Zu den grundgesetzlichen Bestimmungen zum Allgemeinwohl Grimm (2002: 132-134); Isensee (1988: 49-50). Zu Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Allgemeinwohl Häberle (2002: 105-106); Grimm (2002). 21 Ich beziehe mich hier und im Folgenden auf den „Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts (Dientsrechtsneuordnungsgesetz – DNeuG)“ vom 12.11.2007 (Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode, Drucksache 16/7076). Nachstehend zitiert DNeuG.
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tätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergeben“ (§60 Abs. 2 DNeuG). Schließlich wird die Verpflichtung auf das Allgemeinwohl zusätzlich noch dadurch unterstrichen, dass Beamte sich nicht an Arbeitskämpfen beteiligen dürfen. Das Streikverbot wird bekanntlich damit begründet, dass Arbeitskampfmaßnahmen dem Allgemeinwohl schaden und deshalb für eine Berufs- bzw. Statusgruppe, die auf das Allgemeinwohl verpflichtet ist, nicht angewendet werden darf. Die Bindung der öffentlichen Verwaltung an das Allgemeinwohl schließt eine Bindung an die öffentliche Meinung weder grundsätzlich ein noch schließt es sie grundsätzlich aus. Dieser Sachverhalt ergibt sich aus dem Umstand, dass nicht eindeutig festgelegt werden kann, was unter „Allgemeinwohl“ jeweils zu verstehen ist. Es ist bekanntlich nur in der Form von Generalklauseln und allgemein zu beachtenden Prinzipien (Uerpmann 1999: 2-3) vorgegeben. Ernst Fraenkel (1991: 297-305) hat das Allgemeinwohl deshalb auch als eine regulative Idee betrachtet, die im Wege der gesellschaftlichen und staatlichen Willensbildung immer wieder neu konkretisiert werden muss (im Überblick hierzu Schuppert 2002). Gerade weil das Allgemeinwohl nicht vorgegeben ist, besteht für die öffentliche Verwaltung umso dringlicher die Verpflichtung, intensiv an der Verwirklichung des Allgemeinwohls mitzuwirken. Die Orientierung an der öffentlichen Meinung kann ihr eine Hilfe bei ihren Bemühungen sein, dafür zu sorgen, dass sich nicht partikulare Interessen auf Kosten des Allgemeinwohls durchsetzen können. Von daher sind die Beamten als Staatsdiener „Hüter des Gemeinwohls gegenüber Gruppeninteressen“ (BVerfGE 33: 159). Um ihrer Aufgabe als „Hüter des Gemeinwohls“ gerecht zu werden, benötigt die Verwaltung zumindest eine allgemeine Vorstellung davon, was das Gemeinwohl ist und wie es zu verwirklichen ist. Weder ist ein Ausweichen in die gängige „Leerformelthese“ möglich“ (Häberle 2002: 101), noch kann sie sich ungeprüft auf die Position zurückziehen, die im Gemeinwohl die „Resultante“ der Vereinbarungen zwischen konkurrierenden gesellschaftlichen Gruppen mit kollidierenden Interessen sieht. Vielmehr müssen auch darüber hinausgehende, allgemeine Interessen berücksichtigt werden, die nicht zuletzt auch in der öffentlichen Meinung artikuliert werden. Bei der (von Fall zu Fall notwendigen) Konkretisierung des Gemeinwohls besteht für die Verwaltung also durchaus die Verpflichtung, sich auch von der öffentlichen Meinung inspirieren oder leiten lassen. Sie benötigt von daher Bewertungsmaßstäbe, die nicht allein verfahrensbezogene, sondern auch inhaltliche Kriterien berücksichtigen. Diese können den Grundrechten als „materielle Gemeinwohlkriterien“ (Uerpmann 2002: 179-195) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (Ebenda: 193) entnommen
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werden, die unter anderem auch darauf gerichtet sind, eine „annähernd gleichmäßige Förderung des Wohls aller Bürger und annähernd gleichmäßige Verteilung der Lasten“ (BVerfGE 5: 197-198) zu gewährleisten. Auch in diesen Fällen wird die Verwaltung Gemeinwohlvorstellungen, die in der öffentlichen Diskussion einen prominenten Stellenwert einnehmen, nicht ignorieren können. Diese Orientierung ist auch deshalb geboten, weil der Adressat der Gemeinwohlverwirklichung die „Gesamtheit der Staatsangehörigen und Grundrechtsträger“ (Isensee 1988: 34) ist. Generell kann also festgestellt werden, dass die Bestimmung des Allgemeinwohls durch die öffentliche Verwaltung auf einen Kompromiss zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Interessen unter Berücksichtigung der öffentlichen Meinung zielt. 2.3 Zwischenergebnisse Obwohl die öffentliche Meinung einen zentralen Stellenwert in jedem demokratischen politischen System einnimmt, gilt dies nicht für die öffentliche Verwaltung in Deutschland, die nur sehr schwach ausgeprägte direkte normative Bindungen an die öffentliche Meinung aufweist. Dies entspricht auch der herrschenden staatsrechtlichen Lehre so wie der Rechtsprechung der Gerichte einschließlich des Bundesverfassungsgerichts. Unter dieser Perspektive ist die öffentliche Verwaltung deshalb auch nicht als ein integraler Bestandteil der Demokratie anzusehen. Allerdings ließen sich die normativen Bindungen der öffentlichen Verwaltung an die öffentliche Meinung dadurch stärken, dass man nicht, wie dies die Staatsrechtslehre und die Rechtsprechung tun, Artikel 20 Absatz 3 GG gegen den Absatz 2 des gleichen Grundgesetzartikels in Stellung bringt, sondern umgekehrt Artikel 20 Absatz 2 gegenüber Art. 20 Absatz 3 des GG stärker hervorhebt. Auf diese Weise könnte zugleich die Bedeutung des vorstaatlichen Kommunikationsprozesses nachdrücklicher betont werden und damit auch der Stellenwert der öffentlichen Meinung. Dies wiederum könnte zu einer engeren Bindung der öffentlichen Verwaltung an die Volkssouveränität führen. Darunter müsste die Gesetzesbindung der Verwaltung keinesfalls leiden. Eine engere Verbindung von Volkssouveränität, öffentlicher Meinung und öffentlicher Verwaltung könnte aber auch durch eine Besetzung der obersten Verwaltungsstellen durch Repräsentanten, die direkt vom Volk gewählt werden, hergestellt werden. Damit würden sich aber eine Vielzahl von neuen Problemen auftürmen (siehe hierzu schon Weber 1964: 198, 706-707), so dass ein solcher Weg zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, aber nur sehr schwer gangbar ist. Insofern muss man sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit der schwachen direkten normativen Bindung zwischen öffentlicher Verwaltung und öffentlicher
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Meinung abfinden. Doch begründet diese schwache Bindung keine wie auch immer geartete Aufforderung an die Verwaltung, die öffentliche Meinung in der administrativen Praxis zu ignorieren. Dies ist schon deshalb nicht möglich, weil das Image der öffentlichen Verwaltung in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung so negativ ist, dass sie gar nicht umhin kann, auf sie zu reagieren. 3 Das Bild der öffentlichen Verwaltung in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung Das Bild, das in der öffentlichen Meinung von der öffentlichen Verwaltung vorherrscht 22, wird sehr stark von den Medien geprägt, aber auch von der belletristischen Literatur (Kilian 1994), von satirisch motivierten Graphiken (Lüdtke/Erwig-Drüppel 1994; Heyen 1994) sowie von Freunden und Bekannten, die in der öffentlichen Verwaltung arbeiten und neuerdings wohl auch von Internetforen beeinflusst. 23 Da es kaum möglich sein dürfte, die einzelnen Einflüsse, die das Verwaltungsbild der öffentlichen Meinung bestimmen, zu „messen“, sind genauere Aussagen nicht möglich. Auffällig ist jedoch, dass sich die einzelnen Einflüsse auf das Verwaltungsbild nicht nur wechselseitig verstärken, sondern auch widersprüchliche Ergebnisse zur Folge haben können, worauf sich inhaltlich ausschließende Aussagen über die öffentliche Verwaltung hindeuten (Bürgerbefragung 2008: 14-22). Im Folgenden soll das Bild der öffentlichen Verwaltung in der öffentlichen Meinung unter Berücksichtigung neuerer Meinungsumfragen kurz beschrieben werden. Dabei wird von der Annahme ausgegangen, dass je positiver das Verwaltungsbild ist, desto größer auch die Wahrscheinlichkeit, dass die öffentliche Verwaltung als integraler Bestandteil des demokratischen politischen Systems wahrgenommen wird und dass je negativer das Verwaltungsbild ausfällt, desto mehr die Verwaltung als ein Fremdkörper beurteilt wird. Das Erscheinungsbild der öffentlichen Verwaltung ist seit jeher negativ geprägt, wobei aber gezeigt werden kann, dass die in der Öffentlichkeit vorherrschende negative Wahrnehmung der Verwaltung und des Verwaltungspersonals auf Vorurteilen, Stereotypen und Klischees beruht, die mit der Realität nur wenig zu tun haben (Bürgerbefragung 2008). Schon Hofstätter/Tack (1963) haben in ihrer empirischen Untersuchung festgestellt, dass die Befragten der 22 Ich beziehe mich hierbei auf die Bürgerbefragung öffentlicher Dienst (2008) (zitiert Bürgerbefragung 2008) und das Dossier öffentlicher Dienst (2006) (zitiert Dossier 2006). Zum Vergleich wird die Studie von Hofstätter/Tack (1963) herangezogen. 23 Nur einen geringen Einfluss auf das öffentliche Verwaltungsbild scheinen dagegen die relativ häufigen Verwaltungskontakte der Bürger zu haben (Bürgerbefragung 2008: 17, 30-35).
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Meinung waren, dass es viel zu viele Beamte gäbe, doch beruhten die genannten Zahlen auf Schätzungen, die völlig überhöht waren (ebenda 12-17). Ebenso falsch wurde die wirtschaftliche Lage des Verwaltungspersonals eingeschätzt (ebenda 20, 28-31), weshalb man Forderungen nach höheren Gehältern für das Verwaltungspersonal ablehnend gegenüber stand. Diesen Auffassungen entsprechend war das Ansehen des Verwaltungspersonals auch niedrig. Wie aktuelle Meinungsumfragen zum öffentlichen Erscheinungsbild der öffentlichen Verwaltung zeigen, hat sich an diesen Einschätzungen seitdem nichts oder nur sehr wenig geändert. Die Befragten haben zum Beispiel erhebliche Zweifel am Verantwortungsbewusstsein sowie der Kompetenz des Verwaltungspersonals (Dossier 2006: 6, 17). Auch haben sie nur ein mittleres Zutrauen in die Zuverlässigkeit des Verwaltungspersonals und zu ihrem Willen zur Pflichterfüllung (ebenda 19). Sie zeigen weiterhin nach Meinung der Befragten nur eine eher geringe Neigung, ihren „Kunden“ zu helfen (im Gegensatz dazu Bürgerbefragung 2008: 32) und sind nicht daran interessiert, Korruption aufzudecken. Außerdem lassen sie einen sparsamen Umgang mit öffentlichen Geldern vermissen. Da sie wenig Eigeninitiative an den Tag legen, ist es kein Wunder, dass ihnen unternehmerisches Denken fremd ist (Dossier 2006: 19). Diese weithin negativen Beurteilungen der öffentlichen Verwaltung durch die öffentliche Meinung machen deutlich, dass es dieser bislang nicht gelungen ist, sich gegenüber der öffentlichen Meinung als eine wichtige, die Demokratie in Deutschland garantierende und stabilisierende Institution zu vermitteln. Sie wird vielmehr wie schon bei Max Weber (1964: 638-697) als eine Institution wahrgenommen, die zwar notwendig ist (Bürgerbefragung 2008: 26), die aber dennoch für die Demokratie eher einen Fremdkörper darstellt und von daher als hinderlich eingestuft wird. 4 Der „Umgang“ der öffentlichen Verwaltung mit der öffentlichen und veröffentlichten Meinung Das insgesamt negative Image, das die öffentliche Verwaltung in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung24 genießt, zwingt sie nolens volens dazu, sich intensiver mit ihr auseinander zu setzen. Dabei geht es nicht nur darum, das öffentliche Image der Verwaltung zu verbessern. Die Bandbreite, innerhalb derer die öffentliche Verwaltung der öffentlichen Meinung Rechnung trägt, reicht von oberflächlichen Public Relations Maßnahmen bis hin zur inten24 Im Folgenden werden Unterschiede in der Wahrnehmung und Beurteilung der öffentlichen Verwaltung durch die öffentliche Meinung im Hinblick auf einzelne Verwaltungsbereiche, wie zum Beispiel die Sozialverwaltung oder die Schulverwaltung, nicht berücksichtigt.
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siven Einbeziehung von Repräsentanten der öffentlichen Meinung in das administrative Geschehen. Allerdings, um dies noch einmal zu wiederholen, kann sich die Verwaltung dabei nicht auf einschlägige rechtliche Regelungen berufen. Von daher sind ihre Möglichkeiten, intensiv auf die öffentliche Meinung einzugehen, beschränkt. Außerdem kann die Verwaltung zur Sicherung der Grundrechte, der Wahrung von Recht und Ordnung oder der Gewährleistung der staatlichen Handlungsfähigkeit in einen Gegensatz zur öffentlichen Meinung geraten, zumal viele administrative Aufgaben mit zum Teil belastenden Eingriffen in die Gesellschaft bzw. in die Partialinteressen Einzelner verbunden sind. Insofern wäre die Erwartung allzu optimistisch, dass die öffentliche Verwaltung ihre negative Wahrnehmung durch die öffentliche und veröffentlichte Meinung beseitigen könnte. Trotzdem lassen sich vielfältige administrative Anstrengungen beobachten, um der öffentlichen Meinung zumindest in einigen Bereichen gerecht zu werden. Diese sollen kursorisch im Folgenden unter den Rubriken „Responsivität“ (4.1), „Offenheit“ (4.2) „Entgegenkommen“ (4.3) und „Verantwortlichkeit“ (4.4) thematisiert werden. Mit ihnen, die sich nicht immer trennscharf voneinander abgrenzen lassen, verbinden sich jeweils unterschiedliche Wahrnehmungen von öffentlicher Meinung25 sowie verschiedene administrative Strategien, mit denen die öffentliche Verwaltung auf die öffentliche Meinung reagiert. 4.1 Responsivität 26 Responsivität wird als eine Sammelbezeichnung für die Bereitschaft der öffentlichen Verwaltung verstanden, die öffentliche Meinung nicht nur wahrzunehmen und ihre Anforderungen als legitim zu akzeptieren, sondern auch auf ihre Erwartungen entgegenkommend zu reagieren. Responsivität lässt sich auf mehreren Ebenen ansiedeln: der einzelner Verwaltungsbediensteter, der Abteilungen und Ämter, der Behörden und der öffentlichen Verwaltung insgesamt. Auf allen diesen Ebenen drückt sich Responsivität als administrative Empfänglichkeit gegenüber der öffentlichen Meinung und in der Bereitschaft aus, sich bei der Vorbereitung und Durchsetzung administrativer Entscheidungen an der öffentlichen Meinung zu orientieren, ihre möglichen Reaktionen zu antizipieren und den von ihr artikulierten Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Von 25 Sie wird als Bedrohung, als Kontrollinstanz, als (kritischer) Beobachter, als eine für administrative Unterstützung mobilisierbare Ressource, als Legitimationsbeschaffer/-adressat, als Auslöser für Verwaltungsreformen, als Spiegel, in dem sich das Verwaltungshandeln beobachten lässt, als Schiedsrichter und/oder als Resonanzboden administrativer Maßnahmen wahrgenommen. 26 Siehe hierzu auch den Beitrag von Nathalie Behnke in diesem Band.
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daher kann im Ausmaß der Responsivität der Verwaltung ein wichtiger Indikator für ihre demokratische Qualität gesehen werden. 27 Konkrete Beispiele für administrative Responsivität sind die viele Jahre lang angestrebte Bürgernähe der Verwaltung (Czerwick 2001: 351-357), die deutliche Spuren im Selbstverständnis des Verwaltungspersonals hinterlassen hat (Herbert 1989), sowie die neuerdings verstärkt postulierte „Kundenorientierung“, auch wenn der Bürger natürlich keinen „Kunden“ im marktwirtschaftlichen Sinne darstellt (Czerwick 2007: 250-255). 28 Responsivität zeigt sich aber auch in den insbesondere im kommunalen Bereich durchgeführten Bürgerbefragungen, mit denen die Verwaltung nicht nur die Einstellungen der Bürger gegenüber der Verwaltung, sondern auch ihre konkreten Erwartungen in Erfahrung bringen will. Auf der Ebene der öffentlichen Verwaltung wird Responsivität schließlich nicht zuletzt am erheblich angestiegenen Bedarf an der Beobachtung der öffentlichen Meinung erkennbar. 4.2 Offenheit Ergänzt und verstärkt wird die Responsivität der öffentlichen Verwaltung durch ihre Offenheit gegenüber der öffentlichen Meinung. Aus der Perspektive der öffentlichen Meinung bedeutet Offenheit Zugänglichkeit zur und Einflussnahme auf die öffentliche Verwaltung sowie vermehrte Transparenz des Verwaltungsgeschehens. Durch sie kann sich die öffentliche Meinung in der Verwaltung nicht nur Gehör verschaffen, sondern sie kann die Verwaltung auch besser kontrollieren. Aus dem Blickwinkel der Verwaltung ist Offenheit dagegen die Bereitschaft, resonanzfähig für die öffentliche Meinung zu sein. Die Offenheit der öffentlichen Verwaltung ist in den letzten Jahren vor allem im Bereich der Informationsbeschaffung ausgebaut worden. Von daher bietet es sich auch an, von der informationellen Offenheit der öffentlichen Verwaltung zu sprechen. Diese ist in den letzten Jahren durch das Umweltinformationsgesetz, das Informationsfreiheitsgesetz oder das Verbraucherinformationsgesetz erheblich ausgeweitet worden. Zwar ergibt sich aus allen diesen Gesetzen noch keine „gläserne“ öffentliche Verwaltung, doch begründen sie zum Teil recht umfängliche Informationspflichten der Verwaltung gegenüber den Vertretern von Medien und Verbänden sowie gegenüber den Bürgern und damit immer auch gegenüber der öffentlichen Meinung. Von daher ist die öffentliche Verwaltung mit der öffentlichen Meinung mittlerweile informationell strukturell gekoppelt. Da Offenheit nicht zuletzt auch die Lernfähigkeit der öffentlichen 27 Siehe hierzu ausführlich Czerwick (2001: 87-94, 302-310) mit weiteren Literaturangaben. 28 Siehe hierzu auch den Beitrag von Wolfgang H. Lorig in diesem Band.
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Verwaltung fördert, baut sie zugleich Hemmnisse ab, die ein Eingehen auf die öffentliche Meinung behindern. 4.3 Entgegenkommen Mit dem Begriff „Entgegenkommen“ werden solche administrativen Aktivitäten angesprochen, in denen die öffentliche Verwaltung nicht nur der öffentlichen Meinung Rechnung trägt und sich ihr gegenüber öffnet, sondern in denen sie mit ihrem Publikum in Kontakt tritt und organisierten Vertretern der öffentlichen Meinung die Möglichkeit einräumt, an administrativen Entscheidungen mitzuwirken. 29 Gesellschaftliche Gruppen, die meistens auch in Ausschnitten die öffentliche Meinung repräsentieren, erhalten somit die Chance, ihre Interessen und Bedürfnisse unmittelbar in der Verwaltung zur Geltung zu bringen. Sie werden auf diese Weise zu einem integralen Bestandteil des Verwaltungshandelns. Man spricht in diesem Zusammenhang deshalb auch von partizipativer oder kooperativer öffentlicher Verwaltung (ausführlich hierzu Czerwick 2001: 112-120, 318-336 und 367-378 jeweils mit weiteren Literaturangaben).30 Es muss aber ausdrücklich betont werden, dass nicht die öffentliche Meinung Gegenstand des Verwaltungshandelns wird, sondern nur solche Segmente, die sich gesellschaftliches Gehör verschaffen können. Diejenigen gesellschaftlichen Gruppen, die ihre Bedürfnisse nicht durch und über die öffentliche Meinung kommunizieren können, werden dagegen nicht berücksichtigt. Aus dieser Perspektive wird wiederum deutlich, dass der Begriff „öffentliche Meinung“ nicht alle in der Gesellschaft vorhandenen Meinungen umfasst, sondern eben nur die Meinungen zum Ausdruck bringt, die veröffentlicht werden. Da die Veröffentlichung von Meinungen wiederum von den in der Gesellschaft dominierenden sozialen Kräften abhängt, reproduziert die Verwaltung damit indirekt die gesellschaftlichen Machtverhältnisse, wenn sie der öffentlichen Meinung Rechnung trägt. Wie aber auch immer die öffentliche Meinung zustande kommt und durch welche gesellschaftlichen Kräfte sie geprägt wird, ein Einfluss auf die öffentliche Verwaltung ist in jedem Fall vorhanden.
29 Siehe hierzu ausführlich am Beispiel der Sozialverwaltung Treutner (1998). 30 Siehe hierzu auch den Beitrag von Nicolai Dose in diesem Band.
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4.4 Verantwortlichkeit Schließlich zeigt sich die Verbindung zwischen öffentlicher Verwaltung und öffentlicher Meinung darin, dass sich die Verwaltung in immer stärkerem Ausmaß gezwungen sieht, ihr Handeln gegenüber der Öffentlichkeit zu legitimieren (Würtenberger 1996). Das beinhaltet auch das stete, wenn auch vergebliche Bemühen um eine für einzelne Bürger und für die Öffentlichkeit insgesamt verständliche Verwaltungssprache. Die Rechtfertigungsbemühungen der Verwaltung zeigen, dass sie sich nicht mehr allein gegenüber dem Gesetzgeber, der Regierung oder der Rechtsprechung, sondern auch gegenüber der Öffentlichkeit und der öffentlichen Meinung verantwortlich fühlt. Die Begründung für die administrative Verantwortung gegenüber der öffentlichen Meinung hat aber nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, ihre Ursache im Art. 20 Abs. 2 GG, sondern ist vielmehr der Tatsache geschuldet, dass ihre Entscheidungen nicht mehr widerspruchslos akzeptiert und befolgt werden. Im Gegenteil, in vielen Fällen muss sie mit Widerstand und Kritik gegenüber ihren Maßnahmen rechnen. Insofern liegt es für die öffentliche Verwaltung im eigenen Interesse, sich rechtzeitig über die öffentliche Meinung zu informieren, um sie in ihr administratives Kalkül einbeziehen und damit mehr Akzeptanz für ihre Entscheidungen mobilisieren zu können. Ein Indiz dafür ist nicht zuletzt der Ausbau der Pressestellen in der öffentlichen Verwaltung (Böckelmann 1991). Es ist deshalb auch nicht überraschend, dass Kommunikation als Verwaltungsaufgabe eine immer größere Bedeutung für die öffentliche Verwaltung gewinnt. Mit einer Vielzahl von Maßnahmen, wie zum Beispiel Medienarbeit, Öffentlichkeitsarbeit und Informationsarbeit (ausführlich Czerwick 1997), ist sie darum bemüht, von sich aus Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen. Folgt man dem Bundesverfassungsgericht, leistet die öffentliche Verwaltung durch ihre Kommunikation mit der Öffentlichkeit einen unmittelbaren Beitrag zur Demokratie (BVerfGE 44: 147). 31 Als Fazit dieses Abschnitts kann also festgehalten werden, dass die öffentliche Verwaltung über Responsivität, Offenheit, Entgegenkommen und Verantwortlichkeit die öffentliche Meinung in das administrative Geschehen einbezieht, sei es, dass sie Zugangs- und Einflussmöglichkeiten schafft, sei es, dass sie von sich aus versucht, auf die öffentliche Meinung einzugehen und auf sie Einfluss zu nehmen. Von daher ist die öffentliche Meinung für die öffentliche Verwaltung alles andere als eine unbekannte Größe. 31 Alle diese Maßnahmen sind aber kein irgendwie gearteter Ersatz für den freien Zugang zu Verwaltungsinformationen (so aber Kloepfer 2005: 417 mit Bezugnahme auf die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung).
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5 Öffentliche Verwaltung und öffentliche Meinung Das Verhältnis zur öffentlichen Meinung ist ein wichtiger, wenn auch nicht der einzige Indikator für die Frage nach der demokratischen Qualität der öffentlichen Verwaltung und ihrer Vereinbarkeit mit dem demokratischen politischen System in Deutschland. Diese Feststellung gilt insbesondere dann, wenn der Begriff der öffentlichen Meinung nicht nur auf die veröffentlichte Meinung durch Regierungen, Parteien, Verbänden oder Medien verkürzt wird, sondern wenn vielmehr darin auch die politische Willensbildung der Bürger und ihre darin zum Ausdruck kommenden Interessen Eingang finden. Zwar besteht insgesamt betrachtet in Deutschland nur eine schwache normative Bindung der öffentlichen Verwaltung an die öffentliche Meinung, doch schließt dies natürlich nicht aus, dass die politischen Kommunikationsprozesse, die, um einen Gedanken von Jürgen Habermas (1992: 435-467) aufzugreifen, vor allem in einer noch nicht völlig „vermachteten“ und „systemischen“ Lebenswelt stattfinden, dennoch Einfluss auf das Verwaltungshandeln gewinnen. Dies wäre unter Anlegung von demokratietheoretischen Gesichtspunkten zumindest eine wichtige Bedingung für eine nicht nur normative, sondern auch politische Integration der öffentlichen Verwaltung in das politische System. Bis heute herrscht jedoch sowohl in der veröffentlichten Meinung als auch in der öffentlichen Meinung die Auffassung vor, dass die öffentliche Verwaltung in Deutschland eher einen Fremdkörper denn einen integralen Bestandteil des demokratischen Systems darstellt. Selbst wenn diese Wahrnehmung vornehmlich auf Vorurteilen und Stereotypen beruht, ist die Verwaltung gleichwohl gezwungen, darauf zu reagieren. Die von ihr in diesem Zusammenhang ergriffenen Maßnahmen, deren Erfolg durchaus kritisch betrachtet werden muss, machen zumindest deutlich, dass es sich die Verwaltung heute nicht mehr erlauben kann, sich gegenüber der öffentlichen Meinung abzuschotten. Vielmehr lässt sich konstatieren, dass, lässt man die letzten fünf Jahrzehnte vor dem geistigen Auge Revue passieren, die öffentliche Meinung für das Verwaltungshandeln an Relevanz gewonnen hat. Es wäre aber übertrieben, wenn man daraus den Schluss ziehen würde, dass die öffentliche Meinung für das Verwaltungshandeln eine durchgängig wichtige Bedeutung hätte. Tatsächlich spielt die öffentliche Meinung im Kontext des Verwaltungshandelns eine, insgesamt betrachtet, nach wie vor nur untergeordnete Rolle. Dies hat mehrere Gründe. Einer davon ist in der Verwaltung selbst zu suchen. Überall dort nämlich, wo die öffentliche Meinung der öffentlichen Verwaltung „gefährlich“ werden könnte, wo sie also zum Beispiel als Kontrolleur und/oder Kritiker des Verwaltungshandelns auftritt, ist die Verwaltung darum bemüht, sich ihr gegenüber zu verschließen. Dabei kann sie sich auf ihre Bindung an das Gesetz, den Gesetz-
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geber, das Allgemeinwohl oder auf übergeordnete administrative Belange wie die Sicherstellung der Aufgabenerfüllung berufen. Darüber hinaus kann sie sich hinter einem nahezu undurchdringlichen Schleier von Datenschutz- und Geheimhaltungsvorschriften verstecken (ausführlich Czerwick 2001: 180-183), so dass die Öffentlichkeit gar nicht oder nur sehr oberflächlich erfährt, nach welchen Prämissen die öffentliche Verwaltung Informationen erhebt und verarbeitet, nach welchen Kriterien sie entscheidet und welche Bedeutung dabei jeweils der öffentlichen Meinung zufällt. Allerdings, und in gewisser Weise auch im Gegensatz dazu, hat die öffentliche Verwaltung aber auch eine Reihe von Informationsbedürfnissen der öffentlichen Meinung zu stillen, wie die schon erwähnten Gesetze zur Informationsfreiheit, Verbraucherinformation oder Umweltinformation zeigen. Sie werden die Verwaltung in Zukunft noch mehr dazu zwingen, ihren Informationspflichten gegenüber der Öffentlichkeit nachzukommen. Aus dieser widersprüchlichen Situation, sich einerseits bei Bedarf gegenüber der öffentlichen Meinung verschließen zu können und sich andererseits gegenüber der öffentlichen Meinung öffnen zu müssen, erwachsen der Verwaltung Ermessensspielräume. Diese versetzen sie innerhalb bestimmter Grenzen in die Lage, von sich aus zu bestimmen, welche Relevanz sie der öffentlichen Meinung in ihren administrativen Aktivitäten jeweils einzuräumen gewillt ist. Der administrative Stellenwert der öffentlichen Meinung dürfte umso größer sein, je mehr die Verwaltung bei der Durchsetzung ihrer Entscheidungen auf die Unterstützung der öffentlichen Meinung angewiesen ist, je stärker sie ihre Entscheidungen in engen Kontakten mit den Bürgern treffen muss und/oder je mehr sie ihr öffentliches Image verbessern will. Man kann also davon ausgehen, dass die öffentliche Verwaltung ein eigenes Interesse an der öffentlichen Meinung hat. Diese kann zum Beispiel der Verwaltung wichtige Informationen für die erfolgreiche Durchführung von administrativen Maßnahmen liefern, sie kann das Verwaltungshandeln unterstützen und legitimieren, sie kann aber auch Druck auf die Politik ausüben, die Arbeitsbedingungen und die Einkommen der Verwaltungsbediensteten zu verbessern (oder zu verschlechtern). 32 Auch wenn die Beziehungen zwischen öffentlicher Verwaltung und öffentlicher Meinung über weite Strecken eine kommunikative Einbahnstraße darstellen, und die Verwaltung im Wesentlichen selbst und unter Berücksichtigung eigener Interessen darüber bestimmt, ob und wie sehr sie auf die öffentliche Meinung Rücksicht nimmt und wie weit sie auf sie zugeht, so lässt sich doch auch nicht bestreiten, dass der Zwang, sich mit der öffentlichen Meinung zu arrangieren, für 32 So nutzen populistische Politiker immer wieder das schlechte öffentliche Image der öffentlichen Verwaltung, um Einkommensverbesserungen im öffentlichen Dienst zu verhindern bzw. Einkommensverschlechterungen durchzusetzen.
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die Verwaltung zunimmt. Wider die öffentliche Meinung zu handeln, ist zwar möglich, aber für die Verwaltung auch mit großen und vielleicht sogar steigenden Kosten verbunden. In der Verwaltung ist man sich dieser Probleme bewusst. Man ist sogar bereit, die nach wie vor bestehenden Grenzen gegenüber der öffentlichen Meinung aufzulockern. Von daher stehen die Chancen gar nicht einmal so schlecht, dass sich die öffentliche Verwaltung in Zukunft noch stärker als bisher an der öffentlichen Meinung orientieren und damit ihre Integration in das demokratische System weiter vorantreiben und intensivieren wird. Von daher könnte die Demokratisierung des demokratischen Systems in Deutschland von einer Institution Impulse erhalten, an die bisher noch niemand so richtig gedacht hat. 6 Literatur Bobbio, Norberto (1988): Die Zukunft der Demokratie, Berlin. Böckelmann, Frank (1991): Pressestellen in der Öffentlichen Hand, München. Böckenförde, Ernst-Wolfgang (1992): Staat, Verfassung, Demokratie, Frankfurt a.M. Brettschneider, Frank (1995): Öffentliche Meinung und Politik, Opladen. Bryde, Brun-Otto (1994): Die bundesrepublikanische Volksdemokratie als Irrweg der Demokratietheorie, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis, 5. Jg., S. 305-330. Bürgerbefragung öffentlicher Dienst (2008), hrsg. von der Bundesleitung des dbb beamtenbund und tarifunion, Berlin. Czerwick, Edwin (1996): Politikverdrossenheit – politische Selbstreferenz und die „Stimme des Volkes“, in: Josef Klein/Hajo Diekmannshenke (Hrsg.): Sprachstrategien und Dialogblockaden, Berlin/New York, S. 49-72. Czerwick, Edwin (1997): Strukturen und Funktionen der Verwaltungskommunikation, in: Die Öffentliche Verwaltung, 50. Jg., S. 973-983. Czerwick, Edwin (2001): Bürokratie und Demokratie, Berlin. Czerwick, Edwin (2007a): Mit Fiktionen in die Sackgasse, in: Neue Politische Literatur, 52. Jg., S. 213-220. Czerwick, Edwin (2007b): Die Ökonomisierung des öffentlichen Dienstes, Wiesbaden. Dahrendorf, Ralf (1975): Aktive und passive Öffentlichkeit, in: Frank Grube/Gerhard Richter (Hrsg.): Demokratietheorien, Hamburg, S. 76-80. Deutsch, Karl W. (1986): Einige Grundprobleme der Demokratie in der Informationsgesellschaft, in: Max Kaase (Hrsg.), Politische Wissenschaft und Politische Ordnung, Opladen, S. 40-51. Dossier öffentlicher Dienst (2006), herausgegeben von F.A.Z.-Institut für Management-, Markt- und Medieninformation GmbH und DBV-Winterthur-Versicherungen, Frankfurt a.M./ Wiesbaden. Edelman, Murray (1977): Political Language, New York u.a. Fehling, Michael (2001): Verwaltung zwischen Gestaltungsaufgabe und Unparteilichkeit, Tübingen. Fraenkel, Ernst (1991): Deutschland und die westlichen Demokratien, Frankfurt a.M. Fuchs, Dieter/Pfetsch, Barbara 1996: Die Beobachtung der öffentlichen Meinung durch das Regierungssystem, in: Wolfgang van den Daele/Friedhelm Neidhardt (Hrsg.): Kommunikation und Entscheidung, Berlin, S. 103-135. Gallus, Alexander/Lühe, Marion (1998): Öffentliche Meinung und Demoskopie, Opladen.
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Verwaltungsdemokratie durch Verwaltungsreformen?
Zusammenfassung
Die Europäische Metropolregion Rhein-Neckar als Beispiel für wirtschaftsinitiierte Verwaltungskooperation
Ulrich Sarcinelli/Mathias König/Wolfgang König
1 Einleitung und Fragestellung Am Ausgang des 20. Jahrhunderts gingen viele Wissenschaftler und Politiker von einem Ende der Stadtregionen aus. Entscheidende Gründe dafür waren die Entwicklungen in der Telekommunikationstechnologie sowie die fortschreitende Globalisierung. Der computerisierte Arbeitsplatz könne überall eingerichtet werden: in der Stadt, im Vorort oder irgendwo auf dem Land. Gerade aus wirtschaftlichen Gründen sei es logisch, in den kostengünstigsten Räumen oder Regionen zu produzieren, weshalb der städtische Raum keine Rolle mehr spiele (vgl. Sassen 1996: 15), so eine typische Argumentation. Die „neue“ Stärke der Region ist aber – paradoxerweise – ihre territoriale Begrenzung. Wenn wichtige Standortfaktoren, wie beispielsweise Verkehrsanbindungen, Fachkräfteangebot und Infrastruktur, existieren, lohnt es sich für Unternehmen, gerade dort zu investieren. Schnell von A nach B zu kommen oder Erwartungssicherheit in Bezug auf staatliches Handeln sind auch für „global player“ entscheidende Gründe für die Standortwahl. Erfährt möglicherweise die tot geglaubte Region ein Comeback? Um die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, scheint gerade das „regionale Wissen“ entscheidend. Somit stellt sich die Frage, ob Regionalisierung als Steuerungsinstrument ein zentrales Ziel der Modernisierung des Staates ist bzw. sein kann (vgl. Benz/Crow/Holtmann 1998: 17). Mit dem Konzept der Europäischen Metropolregionen erfährt die Regionalisierungsentwicklung zusätzliche Unterstützung. Europäische Metropolregionen sind Produkte einer relativ neuen Entwicklung und existieren erst seit ca. einem Jahrzehnt. Die Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO) benannte 1995 die ersten sechs „Europäischen Metropolregionen in Deutschland". Mit diesem Beschluss wurden neue Akteure im politischen Raum geschaffen, die ihre eigenen Chancen auf nationalem und internationalem Parkett suchen. Die Metropolregion Rhein-Neckar genießt dabei besondere Aufmerksamkeit, war diese doch zunächst nicht als Metropolregion
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vorgesehen. Erst der Druck aus gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Initiativen, insbesondere aus der BASF, und nachfolgende Bemühungen seitens der Politik machten die Schaffung dieser Metropolregion möglich. Die Metropolregion Rhein-Neckar (MRN) wurde 2005 als solche benannt (MKRO 2005: 1) und ist gekennzeichnet durch den „Schulterschluss“ zwischen Politik und Wirtschaft (IHK Rhein-Neckar 2006: 1). Ihre Aufgabe besteht u.a. in einer gemeinschaftlichen Regionalplanung über drei Bundesländer 1 hinweg. Diese wird insbesondere durch ein neuartiges „Privat Public Partnership-Modell“ gelöst. „Uns ist es gelungen, ein bundesweit einmaliges regionales PublicPrivate-Partnership zu initiieren. Und das über drei Bundesländer hinweg! Dieses Erfolgsmodell des kooperativen Föderalismus kann beispielhaft für Deutschland sein“ (Eggert Voscherau, zitiert nach: Meister/Oldenburg 2008: 52), so der damalige stellvertretende BASF-Vorsitzende Eggert Voscherau, der ein entscheidender Motor bei der Konstituierung der MRN war. Generell ist „Privat Public Partnership (PPP)“ als Kooperationsbeziehung zwischen Staat und Wirtschaft zu einer gängigen (vgl. Grunow 2003: 324), aber nicht unumstrittenen Problemlösungsstrategie geworden, vor allem auf kommunaler und regionaler Ebene. Denn allen PPPs wird eine Optimierung der Aufgabenerfüllung unterstellt. Die institutionelle Kooperationsstruktur im Bereich des Regionalmanagements erreicht allerdings in der MRN eine neue Qualität bei der Bewältigung von Komplexität in der Kooperation von Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Effizienteres Handeln könnte auf der einen Seite eine gewisse Legitimation fördern, andererseits könnte das Aushandeln von Kompromissen, das nicht mehr in der eigentlich politisch-administrativen Regionalverbandsstruktur stattfindet, zu Legitimationsproblemen führen. Dieser Beitrag befasst sich am Beispiel der MRN mit den Konsequenzen neuer Kooperationsstrukturen zwischen Wirtschaft, Staat und Verwaltung, die durch die neue Regionalisierungsstrategie „Europäische Metropolregion“ entstehen. Darüber hinaus soll die Abgrenzung zu anderen Kooperationskonzepten analysiert werden, da die MRN als Musterbeispiel für wirtschaftsinitiierte Verwaltungskooperation gilt. Hierbei stehen insbesondere das neue Institutionen-Arrangement zwischen Politik, Verwaltung und Wirtschaft im Zentrum sowie die Bewertung der neuen gemeinsamen Regionalpolitik durch die befragten Akteure. Grundlage dieses Beitrages sind zwei empirische Forschungsarbeiten 2, in denen insgesamt 17 Schlüsselakteure der Metropolregion Rhein1 Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz. 2 Mathias König (2007): Die Europäische Metropolregion: Neuer Vertreter regionaler Interessen. Politischer Lobbyismus durch die Metropolregion Rhein-Neckar, Marburg. Wolfgang König (2007): Die Europäische Metropolregion als steuerungstheoretisches Problem. Politische und gesellschaftliche Initiativen zum Aufbau der Metropolregion Rhein-Neckar, Marburg.
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Neckar in qualitativen Leitfadeninterviews befragt wurden. Eine Forschungsarbeit untersuchte die MRN unter dem Fokus politischer Interessenvermittlung, die andere widmete sich den steuerungstheoretischen Konsequenzen, die mit der neuen Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft verbunden sind. 2 Regionalisierung Auf den ersten Blick meint Regionalisierung das Gleiche wie Dezentralisierung. In beiden Fällen gewinnen kleinere politische Einheiten an Bedeutung. Regionalisierung bedeutet aber nicht das Wiederbeleben der Kleinstaaterei, sondern die Verbesserung der Querschnittskoordination zwischen einzelnen Fachpolitiken und der Koordination mit privaten Akteuren (Benz 1998: 102). Generell ist dabei eine Tendenz zu Verhandlungslösungen erkennbar, weil es der Politik nicht alleine gelingt, kollektiv verbindliche Entscheidungen herzustellen, denn dafür fehlen ihr die Ressourcen und das Expertenwissen. Die Globalisierungsprozesse führen, wie schon skizziert, zu einer Entterritorialisierung und werfen die Frage auf, welche steuerungsrelevante Rolle der territorial gebundene Nationalstaat überhaupt spielen kann. Kollektivgüter, wie Straßen oder Datennetze, sind für die Existenz global agierender Unternehmen immer noch entscheidend und gerade diese territoriale Verankerung der Infrastruktur belässt der Politik Einfluss sowie Handlungsmöglichkeiten (Willke 1997: 165-166). Auch die zunehmende internationale Verflechtung hat zu einer neuen Sachlage geführt, die gewisse raumordnungspolitische Grundkonzeptionen auf europäischer Ebene notwendig machen (Siebeck 1993: 73). Die EU-Kommission betreibt de facto Raumordnungspolitik, indem sie immer mehr raumwirksame Finanzmittel für Strukturmaßnahmen bereitstellt, obwohl ihr der Vertrag von Maastricht keine originäre Raumordnungskompetenz zuweist. In der europäischen Raumordnungspolitik wird insbesondere dem Subsidiaritätsprinzip 3 eine entscheidende Rolle zugesprochen (Schwaetzer 1993: 17). Gerade weil Regionalisierung im Mehrebenensystem eine immer wichtigere Steuerungsform ist, wird mit dem Konzept „Regional Governance“ der Blick auf die Fähigkeit zur Selbstorganisation und Entwicklung der Regionen gelenkt. Ein wichtiger Faktor ist dabei, durch vernetzte Kooperation regionale Akteure zu fördern, Konflikte produktiv zu lösen und damit die endogenen Potentiale der Region zu mobilisieren (Knieling 2003: 8). In der Praxis gehören die Raum3 Mit dem Vertrag von Maastricht ist das Subsidiaritätsprinzip als Strukturprinzip des europäischen Entscheidungsprozesses vertraglich verankert worden. Das Subsidiaritätsprinzip bedeutet hinsichtlich der Aufgabenverteilung zwischen staatlichen Ebenen, dass die jeweils obere Ebene nur die Aufgaben wahrnimmt, die von der unteren Ebene nicht selbst bewältigt werden kann (vgl. Johne 2000: 66 f.).
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ordnung und Wirtschaftsförderung, also die Ausarbeitung von Struktur- und Raumordnungsprogrammen, zu den Kernaufgaben regionaler Politik. Entscheidend ist dabei, dass die jeweiligen Landesregierungen die Region unterstützen und ihre Förderpolitiken anpassen (Benz 1998: 115-116). Besonders notwendig ist dies, weil die Europäische Union ihre Strukturpolitik (Fördermittel) auf Regionen konzentriert. Da das Regionalmanagement eher wenig institutionell verankert ist, besteht allerdings die Gefahr, dass Ergebnisse nicht rechtsverbindlich sind und beteiligte Akteure deshalb keine rechtliche Verantwortung tragen, wenn es um die Umsetzung konsensualer Ergebnisse geht (Kregel 1998: 124). Eine regionale Instanz mit reinen Planungs- und Koordinationskompetenzen reicht allerdings langfristig nicht aus. Erforderlich sind operative Kompetenzen mit klaren administrativen und politischen Zuständigkeiten. Deshalb müssen regionale Kompetenzen in leistungsfähigen Institutionen gebündelt werden, denn nur so ist eine geschlossene Positionierung der Regionen im internationalen Wettbewerb möglich. Dies schafft regionale Standortvorteile vor allem dann, wenn der Vorsprung der Regionen bezüglich regionaler Kooperation ausgenutzt und eine geschlossene Außendarstellung erreicht wird (Priebs 1997: 96 f.). Deshalb finden auch regionale Initiativen vor allem dann Beachtung, wenn sie Synergieeffekte und Impulse für die Regionalentwicklung unter Ausnutzung von bis dahin ungenutzten informellen Strukturen generieren. Regionale Initiativen können sowohl von Privatpersonen als auch von gesellschaftlichen oder privaten Akteuren initiiert werden. Wird die rein informelle Struktur verlassen, dann bildet sich oft ein eingetragener Verein (e.V.) oder eine Rechtsform mit beschränkter Haftung (GmbH), wofür meist steuerliche Gründe sprechen (KlausStöhner 1993: 98 ff.). 3 Europäische Metropolregionen Metropolen werden als Knotenpunkte globalisierter Ökonomien und als Steuerungszentralen mit transnationaler Verflechtung betrachtet (Liebel 2005: 25-26). Die Bedeutung von Metropolen als Steuerungszentren und Knotenpunkte geht insbesondere auf die Theorie der Global Cities zurück. „Global Cities sind zentrale Standorte für hochentwickelte Dienstleistungen und Telekommunikationseinrichtungen, wie sie für die Durchführung und das Management globaler Wirtschaftsaktivitäten erforderlich sind. In ihnen konzentrieren sich tendenziell auch die Konzernzentralen insbesondere von Unternehmen, die in mehr als einem Land tätig sind“ (Sassen 1996: 39). Die wirtschaftliche Bedeutung von Metropolregionen in ihrer funktionalen Gesamtheit wird im Zu-
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sammenhang der Globalisierung deshalb betont, weil diese für Unternehmen, die in komplexe grenzüberschreitende Netzwerke eingebunden sind, essentiell sind (Hoyler 2005: 431). Metropolregionen können aufgrund ihrer Funktionen auch als eine Art „Sprungbrett“ für Unternehmen zu globalen Märkten sowie als Kommunikations- und Informationsknoten in transnationalen Entscheidungsprozessen fungieren (Liebel 2005: 11). In der aktuellen Diskussion um Metropolregionen überwiegt deshalb die Vorstellung, dass vor allem wirtschaftliche Zentren herausragende Verkehrsknotenpunkte, aber auch Orte kultureller und wissenschaftlicher Innovation sind (Adam/Göddecke-Stellmann/Heidbrink 2005: 418). Die Europäische Kommission betreibt in Europa seit Jahren Raumordnungsund Raumentwicklungspolitik, weil durch den Bedeutungsverlust der EUBinnengrenzen und die Vertiefung der europäischen Integration der Bedarf für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Raumordnung kontinuierlich gestiegen ist (Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung 2000: 211). Im europäischen Raumentwicklungskonzept (EUREK) von 1999 wird die besondere Bedeutung der Metropolregionen für eine ausgeglichene und kohärente Entwicklung des EU-Territoriums unterstrichen und die herausgehobene Funktion der Metropolregionen betont (Adam 2006: 8). Beispielhaft dafür steht auch METREX, ein (Lobby-)Netzwerk der europäischen Ballungs- und Großräume (METREX 2006: 5). Metropolregionen werden im Raumordnungsbericht 2000 als „hochverdichtete Agglomerationsräume mit mindestens 1 Mio. Einwohner definiert, die sich – gemessen an ökonomischen Kriterien wie Wettbewerbsfähigkeit, Wertschöpfung, Wirtschaftskraft und Einkommen – besonders dynamisch entwickeln und international gleichzeitig besonders herausgehoben und eingebunden sind“ (Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung 2000: 318). Die Europäischen Metropolregionen in Deutschland sind bisher „lediglich eingekreiste Flecke“ auf der deutschen Landkarte, die im Vergleich zu Bundesländern keinen verfassungsmäßigen oder wenigstens rechtlich gesicherten Status besitzen. Dies wirkt sich nicht unerheblich auf die Möglichkeit ihrer Interessenvertretung aus. Sie beschränkt sich gegenüber dem Bund und der Europäischen Union auf die Formulierung von Forderungen des Initiativkreises der Metropolregionen in Deutschland. Der Initiativkreis der Metropolregionen in Deutschland versteht sich als Interessenvertreter der Europäischen Metropolregionen in Deutschland (Initiativkreis Metropolregionen in Deutschland 2003: 1).
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4 Die Entstehung der Metropolregion Rhein-Neckar Die Metropolregion Rhein-Neckar ist der siebtgrößte Ballungsraum Deutschlands. Sie kennzeichnet eine polyzentrale Siedlungsstruktur mit den Großstädten Mannheim (308.000 Einwohner), Ludwigshafen (163.000 Einwohner) und Heidelberg (143.000 Einwohner) und erstreckt sich über Teile der drei Bundesländer Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz. 4.1 Entstehungsfaktoren 4.1.1 Endogene Faktoren Der wichtigste endogene Faktor, der zur Entstehung der Metropolregion RheinNeckar führte, ist der sogenannte „Grenzlandeffekt“. Gemeint sind damit Nachteile, die sich durch die Zuständigkeit von drei Bundesländern ergeben. Üblicherweise stellt ein solcher Grenzraum eine kaum überwindbare Hürde für eine effektive und konstruktive Zusammenarbeit dar. In der Metropolregion Rhein-Neckar hat jedoch die Zusammenarbeit eine lange Tradition 4 (Raumordnungsverband Rhein-Neckar 2005: 3). „Im Rhein-Neckar-Dreieck, einem der größten und wirtschaftlich wichtigsten Ballungsräume Deutschlands, gibt es für einfache Planungsverfahren sieben konkurrierende Planungsbehörden auf vier Ebenen – ein Entscheidungsweg, der fragen lässt, wie überhaupt noch neue Standorte gegründet werden können. Und die neuen EU-Umweltverträglichkeitsprüfungen verpflichten Planer, diesen Hürdenlauf noch einmal zu absolvieren, auch wenn sie ihn gerade überstanden haben“ (Meister/Oldenburg 2008: 7). Der zweite endogene Faktor ist die mangelnde Bekanntheit der Metropolregion Rhein-Neckar. „Diese Region taucht in keinem Ranking auf, sie steht auf keinem Briefbogen und wird von keinem Quizkandidaten im Fernsehen als Heimat genannt“ (Meister/Oldenburg 2008: 52). „Wenn der Quizkandidat nicht weiß, dass diese Unternehmen in einer wirtschaftsstarken Region mit hoher Lebensqualität und ausgezeichneter Verkehrsanbindung liegen, dann weiß das auch kaum ein Investor und kaum eine qualifizierte Fach- oder Führungskraft“ (Meister/Oldenburg 2008: 53).
4 Bereits seit 3. März 1969 existiert ein Staatsvertrag zwischen den beteiligten Bundesländern über eine Zusammenarbeit im Rhein-Neckargebiet, der sich bewährt hat und intensiviert werden soll (vgl. Landtag Rheinland-Pfalz 2005: 11).
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4.1.2 Exogene Faktoren Als wichtigster exogener Faktor kann die Positionierung im internationalen Standortwettbewerb gelten. Die Region fürchtet Nachteile gegenüber anderen Regionen in Deutschland, die sich bereits neu konstituierten. Im internationalen Wettbewerb spielten Regionen und nicht Länder oder Städte zunehmend eine Schlüsselrolle. Dies habe auch Konsequenzen für die Förderpolitik. Sowohl die Europäische Union als auch die Bundesregierung vergeben Fördermittel zunehmend für Regionen statt für Städte und einzelne Unternehmensbranchen (Meister/Oldenburg 2008: 54). Hinzu kommt der drohende Verlust des ICEKnotenpunktes Mannheim. 4.2 Vom Raumordnungsverband zur Europäischen Metropolregion 4.2.1 Zur Entwicklung des Raumordnungsverbandes bis 1998 Die heutige Metropolregion Rhein-Neckar – früher Rhein-Neckar-Dreieck5 – ist eine Region, in der schon seit der Gründung der „Kommunalen Arbeitsgemeinschaft Rhein-Neckar“ 6 im Jahr 1951 eine regionale Zusammenarbeit besteht (Seimetz 2005: 9). Am 3. März 1969 unterzeichnen die Bundesländer Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz einen Staatsvertrag, der eine ständige und grenzüberschreitende Raumordnung, Landesplanung und Regionalplanung ermöglicht (Eichhorn/Lieb/Spannowsky/Teterin 2004: 4). Im Laufe der Jahre gründen sich mehrere Zweckverbände und Organisationen, wie zum Beispiel der „Rhein-Neckar-Dreieck e.V.“ oder die „Regionalmarketing Rhein-Neckar-Dreieck GmbH“, die in die grenzüberschreitende Zusammenarbeit eingebettet sind (Eichhorn/Lieb/Spannowsky/Teterin 2004: 4). Schließlich werden 1998 die Kompetenzen des Raumordnungsverbandes durch eine Satzungsänderung erweitert.
5 Zuzüglich der Teilräume Südpfalz und Neckar-Odenwald-Kreis. 6 Die Idee kommunaler Zweckverbände in der Region findet sich bereits 1919 in einer Denkschrift des ersten Vizepräsidenten der Handelskammer Mannheim wieder, der einen Zweckverband von Mannheim und Heidelberg und den dazwischen liegenden Gemeinden anregte. Zweck der kommunalen Arbeitsgemeinschaft war die gemeinsame Planung, insbesondere des Verkehrs, einschließlich des Hafenbetriebs, der Versorgung mit Gas, Wasser und Strom, der Raumplanung, der Industrie- und Wohnsiedlung, des Anstaltswesens, des Feuerschutzes und der Kultur (vgl. Raumordnungsverband Rhein-Neckar 2005: 17).
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4.2.2 Die Rolle der gesellschaftlichen und politischen Initiativen Die Satzungsänderung ist aber nur ein Minimalkonsens, da die politischen Akteure im Regionalplanungsverband viel weitreichendere Kompetenzen anstreben. Die regionale Kooperation wird als Schlüsselfaktor gesehen, um im Wettbewerb der Regionen zu bestehen (Raumordnungsverband Rhein-Neckar 2005: 20). Seit dem Jahr 2000 finden deshalb Regionalgespräche mit Entscheidern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Politik statt. Ins Leben gerufen werden die Regionalgespräche durch den Vorsitzenden des IHKWirtschaftsforums Rhein-Neckar-Dreieck 7, den Vorsitzenden von RheinNeckar-Dreieck e.V., den Aufsichtsratsvorsitzenden der Regionalmarketing Rhein-Neckar-Dreieck GmbH und den Vorsitzenden des Raumordnungsverbandes Rhein-Neckar (Raumordnungsverband Rhein-Neckar 2005: 7 und 20 f.). Im Jahr 2002 wird auf den Regionalgesprächen die „Vision 2015“ vorgestellt. „Vision 2015“ stellt eine Richtschnur für unterschiedliche Akteursgruppen dar (Stadt und Leute 2002: 1). Im Jahr 2003 geben der Raumordnungsverband Rhein-Neckar, die Industrie- und Handelskammer RheinNeckar und die Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald ein Gutachten in Auftrag, das die strategische und strukturelle Weiterentwicklung der Zusammenarbeit in der Region Rhein-Neckar beleuchten soll. Das Strategieund Strukturgutachten kommt zu dem Schluss, dass die bisherige interkommunale Zusammenarbeit in der Region Rhein-Neckar leistungsfähiger und dauerhaft tragfähiger ausgestaltet werden muss (Raumordnungsverband Rhein-Neckar 2004: 4). Der stellvertretende BASF-Vorstandsvorsitzende Eggert Voscherau ruft im Jahr 2003 die Initiative „Zukunft Rhein-Neckar-Dreieck“ ins Leben, um den Transformationsprozess in der Region zu unterstützen und damit auch den BASF-Standort Ludwigshafen zu stärken. Die Vorgehensweise erscheint einigen politischen Akteuren allerdings problematisch, weil politische Entscheidungen in einem anderen Kontext stattfinden als wirtschaftliche. Am 26. Juli 2004 lädt Eggert Voscherau die drei Ministerpräsidenten Kurt Beck, Roland Koch und Erwin Teufel in das Feierabendhaus der BASF ein. Die Ministerpräsidenten sagen der Region als neue Basis der Regional Governance einen neuen Staatsvertrag zu (Raumordnungsverband Rhein-Neckar 2005: 23). Diese Zukunftsinitiative liefert nach Ansicht der befragten Akteure, mit ihrer Katalysator- und Integrationsfunktion entscheidende Impulse für die 7 Das IHK Wirtschaftsforum Rhein-Neckar-Dreieck ist ein länderübergreifender Zusammenschluss der IHKs im Rhein-Neckar-Dreieck. Der Vorsitzende des IHK Wirtschaftsforums ist zum damaligen Zeitpunkt Eggert Voscherau.
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weitere Entwicklung in der Region. Besonders die Zusammensetzung der regionalen Akteure im früheren Präsidium beziehungsweise Lenkungskreis der Zukunftsinitiative setzt sich im heutigen Vorstand des ZMRN e.V. fort und institutionalisiert somit seine Schnittstellenfunktion. Entscheidend ist dabei, dass der Vorstand nach wie vor ein freiwilliger Zusammenschluss ist und Führungspersönlichkeiten der Region vernetzt. Außerdem dient er als Plattform der Meinungsbildung und des strategischen Dialoges, die insbesondere im neuen Institutionendesign der Metropolregion Rhein-Neckar relevant wird (König 2007b: 79 ff.). 5 Das Komplexitätsmanagement der Metropolregion Rhein-Neckar Der neue Staatsvertrag vom 26. Januar 2006 soll die Kooperationen im Gebiet der Metropolregion Rhein-Neckar optimieren. Er regelt die Zusammenarbeit bei der Raumordnung und Regionalplanung des Rhein-Neckargebiets (vgl. Artikel 1 Abs. 1 Staatsvertrag). Die Regionalplanung der drei zuvor nebeneinander bestehenden Raumordnungsverbände wird damit durch einen einstufigen Regionalplan für das Gebiet der MRN ersetzt. Während der Ausarbeitung des Staatsvertrages eröffnete sich die Möglichkeit in den Kreis der „Europäischen Metropolregionen in Deutschland“ aufgenommen zu werden. Bei der Anerkennung spielte insbesondere die Zusammenarbeit in der Region und der sich immer mehr ausdifferenzierende kooperative Föderalismus eine wichtige Rolle (König 2007a: 69). Schließlich wurde am 28. April 2005 das Gebiet des Verbands Region Rhein-Neckar von der Ministerkonferenz für Raumordnung als „Europäische Metropolregion in Deutschland“ benannt und am 24. Mai 2005 in den Initiativkreis der Europäischen Metropolregionen in Deutschland sowie am 18. Juni 2005 in METREX aufgenommen. 5.1 Der „neue“ institutionelle Kontext der Metropolregion Rhein-Neckar Durch den Staatsvertrag ist vor allem ein effizienterer Regionalverband entstanden, dessen Verbandsvorsitzende Dr. Eva Lohse (Oberbürgermeisterin der Stadt Ludwigshafen) als stellvertretende Vorsitzende im Vorstand des ZMRN e.V. vertreten ist. Der neue Verbandsdirektor ist gleichzeitig einer der beiden Geschäftsführer der neuen Metropolregion Rhein-Neckar GmbH (MRN GmbH), die zur gemeinsamen Aufgabenerfüllung vom Verband, dem Verein ZMRN e.V. und den IHKs gegründet wurde. Wichtigstes Gremium des neuen Verbandes ist die Verbandsversammlung, deren Mitglieder kommunale
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Mandatsträger sind. 8 Wichtige Akteure der Metropolregion Rhein-Neckar sind die drei Industrie- und Handelskammern der Region und der Verein „Zukunft Metropolregion Rhein-Neckar e.V.“ (ZMRN e.V.). Der Vorstand besteht aus politischen Eliten der Metropolregion und Vertretern von Großunternehmen, IHKs und Wissenschaft. 9 5.2 Zusammenarbeit in der Metropolregion Rhein-Neckar Die MRN GmbH ist ausführendes Organ der Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft. Drei Gesellschafter halten Anteile an der Metropolregion RheinNeckar GmbH. Der Verband Region Rhein-Neckar (50 Prozent Stimmenanteil), das IHK-Wirtschaftsforum – die drei IHKs der Region – (14 Prozent Stimmenanteil) und der ZMRN e.V. (36 Prozent Stimmenanteil). Geleitet wird die MRN GmbH von zwei Geschäftsführern, wobei ein Geschäftsführer der Verbandsdirektor des Verbands Region Rhein-Neckar und der zweite Geschäftsführer auch für die Geschäfte des ZMRN e.V. verantwortlich ist. Durch diese personelle Verflechtung von Vertretern des Verbands Region Rhein-Neckar und von Wirtschaftsvertretern im ZMRN e.V. und in der MRN GmbH soll eine Klammer (Politik/Verwaltung und Wirtschaft) der Zusammenarbeit in der Metropolregion Rhein-Neckar gebildet werden. 5.3 Handlungsfelder der Metropolregion Rhein-Neckar Auf den ersten Blick wird deutlich, dass es sich bei der Metropolregion um ein „Zwitterwesen“ handelt, das einerseits mit dem Verband Region Rhein-Neckar durch staatliche Aufgaben im „Ersten Sektor“ vertreten ist. Andererseits können darüber hinaus über den ZMRN e.V. und die MRN GmbH auf freiwilliger Basis beliebige Handlungsfelder abgedeckt werden. Allerdings scheinen nach Ansicht des DGB trotz der nahezu „unbegrenzten Möglichkeiten“ keine sozialen Aspekte im Vordergrund zu stehen. Die neue Organisationsform der MRN GmbH unterstützt in der Zukunft alle Projekte, die der Vorstand des ZMRN e.V. beschließt, aber dafür bedarf es ebenfalls finanzieller Unterstützung. Allerdings ist die BASF das einzige Unternehmen, das derzeit projektungebundene Gelder in die Grundstruktur der MRN GmbH investiert. Die meisten Firmen stellen für bestimmte Projekte Finanzmittel bereit oder unterstützen die Arbeit der MRN 8 Sie sind für das Gremium Verbandsversammlung aber nicht direkt vom Wähler legitimiert. 9 Diese Zusammensetzung wird auch in der Satzung des ZMRN e.V. ausdrücklich erwähnt (vgl. ZMRN e.V. 2006: 1).
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GmbH durch Bereitstellung von Personal. Die Bereitschaft der Wirtschaft, sich außerhalb von Projekten und anderem Sponsoring zu engagieren, hängt zudem von einer langfristigen Unternehmensstrategie ab. 5.4 Interessenvermittlung durch die Metropolregion Rhein-Neckar Interessenvermittlung ist eine der wichtigsten Aufgaben der Metropolregion Rhein-Neckar (König 2007a: 81). Aufgrund der Heterogenität der Mitglieder bzw. Akteure der Metropolregion Rhein-Neckar und insbesondere des ZMRN e.V. erweist sich jedoch die Herausbildung eines Gruppeninteresses (Interessenaggregation) als schwierig. Breite Mehrheiten sind aber Bedingung für eine erfolgreiche Arbeit. Obwohl im Wesentlichen „nur“ Politik und Wirtschaft Einigungen finden müssen, können auch hier Spannungen auftreten. Von vielen Akteuren wird die unterschiedliche Entscheidungslogik von Politik und Wirtschaft als ein Grundproblem der Entscheidungsfindung erachtet. Insbesondere durch die Finanzkraft der Wirtschaft könnte die Politik unter Druck gesetzt werden. Durch die kontinuierliche Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft entsteht aber nach Ansicht der Akteure langfristig ein besseres Verständnis der jeweiligen „Gegenseite“, und dies könnte bei der Lösung künftiger Probleme hilfreich sein. Letztendlich bildet sich der Gruppenwille im Vorstand des ZMRN e.V., der als eine Art Beirat der Metropolregion Rhein-Neckar verstanden werden kann. Nachdem der Vorstand eine Entscheidung getroffen hat, entscheiden die Gesellschafter der MRN GmbH. Durch dieses System der Entscheidungsfindung soll eine klare Auswahl von Interessen getroffen (Interessenselektion) und von den Hauptprotagonisten der Region artikuliert werden. Bisher verlief die Integration von Interessen reibungslos, da im derzeitigen Anfangsstadium alle Akteure das gleiche Ziel verfolgen. Allerdings fühlt sich z.B. der DGB jetzt schon eher als „Feigenblatt“, als wirklich integriert.10 Zudem machen die Akteure deutlich, dass der ZMRN e.V. insbesondere die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Politik verkörpern soll und mit einer vermehrten Einbindung anderer Akteure überfordert wäre. 10 „Und da gibt es z.B. den Wirtschaftssteuerungskreis. Wenn man sich diesen einmal genau betrachtet und sich fragt, wer sitzt denn da drin? Dann stellt man fest: drei Gewerkschafter unter ... Arbeitgebern, Landkreisen, Bürgermeistern, Arbeitsagenturen, Arbeitsgemeinschaften und und und, also was Hartz IV und Arbeitsmarkt betrifft, in der absoluten Überzahl, sodass man manchmal schon den Eindruck hat, man ist als Feigenblatt da drin“ (Stefan Rebmann, DGB-Vorsitzender Region Rhein-Neckar, zitiert nach: König 2007a: 87).
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5.4.1 Interne Interessenvermittlung der Metropolregion in der Praxis Als Aufgabe der Metropolregion und ihrer Institutionen wird u.a. die Vermittlung bzw. Vertretung von Interessen der Region verstanden. Da sich die Metropolregion noch in der Institutionalisierung befindet, wird derzeit hauptsächlich Interessenvermittlung nach innen betrieben. Insbesondere durch Dienstleistungen, z.B. die Beschaffung und Bereitstellung von Informationen, sollen die Mitglieder der Metropolregion konkrete Hilfestellungen erhalten. Aber auch Bürger und weitere Institutionen stehen im Fokus der Interessenvermittlung. Problematisch für die Vermittlung spezifischer Informationen, welche den Raum der Metropolregion Rhein-Neckar betreffen, wirkt sich die Medien- und insbesondere Zeitungslandschaft in der MRN aus, zumal Medien in den Vermittlungsprozessen moderner Gesellschaften eine Schlüsselrolle einnehmen (Sarcinelli 1998: 11). In der MRN ist derzeit eine Politikvermittlung über Medien schwer realisierbar, da kein „eigenes“ Mediensystem für die Region existiert. Der Lokalsender Rhein-Neckar-Fernsehen ist nicht im gesamten Verbandsgebiet empfangbar und selbst die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender (SWR BW, SWR RP und HR) berichten äußerst selten und nicht einheitlich über die MRN, da sie auf ihr jeweiliges Bundesland ausgerichtet sind. Die Zeitungslandschaft ist so heterogen wie die regionalen Räume, aus denen sich die MRN zusammensetzt. Nicht die Gesamtregion sondern der regionale Teilraum steht im Fokus der jeweiligen Berichterstattung der Lokalpresse. Das ergab eine inhaltsanalytische Auswertung der in der MRN vertretenen Printmedien. Im Einzelnen betrifft dies die unterschiedlichen Regionalausgaben der Tageszeitungen 11 „Die Rheinpfalz“, den „Mannheimer Morgen“ sowie die „Rhein-Neckar-Zeitung“. In den Regionalausgaben im Zentrum der MRN (Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg) wird überwiegend im Lokalteil über die MRN berichtet. Der relativ „abstrakte“ Lokalbezug der MRN ist vermutlich die Ursache dafür, dass die Regionalausgaben in der „Peripherie“ wenn überhaupt, dann auffallend weniger über die MRN berichten als im Zentrum. Im entscheidenden Lokalteil wird dieses Missverhältnis besonders deutlich (Patsch 2007: 7). Dies ist deshalb besonders problematisch, weil Lokalzeitungen mit ihren „Quasi-Monopolen“ insbesondere bei der Information zu lokalen und zum Teil auch regionalen Angelegenheiten entscheidend zur Informations- und Meinungsbildung beitragen. Damit fehlt der MRN ein wesentliches legitimatorisches Element, nämlich die Legitimation im Medium der Öffentlichkeit (Sarcinelli 2005: 81). 11 Die jeweiligen Tageszeitungen bestehen aus einem überregionalen „Mantel“, der für alle ihre verschiedenen Regionalausgaben identisch ist. Die einzelnen Regionalsausgaben werden je nach Standort von einer eigenen Redaktion betreut.
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5.4.2 Externe Interessenvermittlung der Metropolregion in der Praxis Unter externer Interessenvermittlung verstehen die Befragten im Wesentlichen Interessenvertretung gegenüber anderen politischen Ebenen. Da sich die Metropolregion Rhein-Neckar noch in der Phase der Institutionalisierung befindet, können sich die neuen Strukturen aber erst in der Zukunft beweisen. 6 Fazit Abschließend stellt sich die Frage der Verallgemeinerbarkeit und der theoretischen Verortung des in der MRN geschaffenen Institutionenarrangements. Inwieweit zeigen sich Parallelen zu lobbyistischen oder auch zu korporatistischen Strukturen der Interessenvermittlung? 6.1 Theoretische Einordnung der Metropolregion in bestehende Konzepte 6.1.1 Lobbyismus Die Metropolregion Rhein-Neckar verfolgt lobbyistische Konzepte bei der Vertretung ihrer Interessen nach außen und möchte nach Aussagen der befragten Akteure auf die Instrumente setzen, die von der klassischen Lobbyismusforschung als „venue-shopping“ bezeichnet werden. D.h. die MRN will durch Netzwerke und Repräsentanzen in Brüssel bzw. Berlin alle institutionellen Zugangsmöglichkeiten nutzen (Lahusen 2004: 782). Zudem wird „der Lobbyismus“ selbst von den Befragten als Grundvoraussetzung ihrer Arbeit genannt, insbesondere im Zusammenhang mit einer Repräsentanz in Brüssel. Hier könnte der Verband Region Rhein-Neckar von der bereits vorhandenen Infrastruktur der Wirtschaft profitieren und womöglich Büroräume in Brüssel mitnutzen. Von den Kontakten der Wirtschaft profitierte die Metropolregion bereits in der Vergangenheit. So kam ein Gespräch über die ICE-Verbindung in der MRN mit dem Chef der Deutsche Bahn AG Hartmut Mehdorn zustande, da dieser Eggert Voscherau persönlich kennt (König 2007a: 93). 6.1.2 Korporatismus Die Zuordnung von Struktur und Handeln der MRN zu korporatistischen Konzepten fällt im Vergleich zum Lobbyismus ungleich schwerer. Für die Interessenvertretung nach außen scheiden korporatistische Überlegungen aus.
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Innerhalb der MRN kann nicht von Aushandlungen durch Agenturen der Interessenvermittlung gesprochen werden, da bis auf die Vertreter der IHKs keine klassischen Korporationen bzw. Verbände eine Rolle spielen, sondern Schlüsselakteure mit unterschiedlichem institutionellem und politischem Hintergrund im Gremium des ZMRN e.V. miteinander verhandeln. Es wird gemeinsam nach Lösungen für die Region gesucht, von denen die Beteiligten nur indirekt bei erfolgreichem Abschluss profitieren. Es soll also ein Mehrwert für die Region geschaffen werden, von dem sich letztendlich die Beteiligten eine „win-win“-Situation versprechen. Die befragten Akteure machen zudem deutlich, dass nur mit breiten Mehrheiten Entscheidungen getroffen werden können. Die Zahl der im Vorstand vertretenen Mitglieder ist, wie im Korporatismus üblich, begrenzt. Da im Wesentlichen Vertreter von Wirtschaft und Politik am „Verhandlungstisch“ sitzen, stellt sich die Frage nach der Einbindung der Gewerkschaften, die normalerweise im korporatistischen Tripartismus beteiligt sind. Die Befragten äußern hierzu, dass sich die Gewerkschaften nicht genug um eine Einbindung bemüht hätten. Die Gewerkschaften zeigen sich in dieser Frage insofern selbstkritisch, als sie die Bedeutung der MRN für sich lange Zeit nicht erkannt haben (König 2007a: 95). Dies zeigt, dass hier allenfalls von einem „amputierten Korporatismus“ gesprochen werden kann. Aktuell manifestiert sich im institutionellen Gefüge ein Dualismus von Wirtschaft auf der einen sowie Politik und Verwaltung auf der anderen Seite. Hieraus könnte sich vielleicht ein weiterer Ansatzpunkt für korporatistische Überlegungen ergeben, nämlich die Existenz eines potenziellen „Eliten- bzw. Entscheiderkartells“. Trotz der vorgebrachten Überlegungen lässt sich die MRN insgesamt kaum als korporatistisches Arrangement beschreiben. Sie weist momentan allenfalls einzelne korporatistische Züge auf, zumal diese Versatzstücke lediglich die interne Koordination der Interessen betreffen und für externe Interessenvermittlung eindeutig Lobbyismus präferiert zu werden scheint. 12 6.2 Die Metropolregion Rhein-Neckar als Interessenvermittler Die Metropolregion Rhein-Neckar kann zweifelsfrei als neuer Akteurstyp politischer Interessenvermittlung bezeichnet werden. Ganz im Charakter der europäischen Entwicklung vernetzen sich in der MRN öffentliche Entscheidungsträger, Interessenverbände sowie parastaatliche und private Akteure. 12 Der Prozess der Zusammenarbeit und Integration regionaler Akteure wird zudem in den Dokumenten der MRN als „Regional Governance“ bezeichnet (vgl. Raumordnungsverband RheinNeckar 2005: 17 ff.).
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Vertreter von Staat und Wirtschaft werden auf eine kooperative Linie gebracht (Tömmel 1994: 279). Die Akteure vermitteln untereinander Ideen, die der gesamten MRN zugute kommen sollen und allen Beteiligten Vorteile versprechen. Mit lobbyistischen Methoden sollen auf Bundes- und europäischer Ebene Interessen vertreten werden. Damit unterscheidet sich die Metropolregion Rhein-Neckar nicht grundsätzlich von klassischen Interessenvertretern in Europa. Durch den Schulterschluss zwischen Staat(en) und Wirtschaft ist die MRN ein neuartiges politisch-administrativ-ökonomisches Mischgebilde zur Vermittlung der Interessen von Spitzenakteuren einer Region. Der Erfolg hängt, wie bei allen Interessenorganisationen, insbesondere von den mobilisierbaren Ressourcen ab. Er manifestiert sich im konkreten Falle im Schulterschluss von Politik und Wirtschaft. „Vor dem Hintergrund schmaler kommunaler Budgets und veränderter oder wegbrechender Förderprogramme kommt es künftig darauf an, neue Wege bei der Kapitalerschließung zu gehen. Ansprechpartner hierfür sind immer öfter Unternehmen, Privatleute und Stiftungen“ (Euregia 2006: 9). Alle Metropolregionen in Deutschland stehen hier vor dem gleichen Problem und so beschäftigen sich auch Fachmessen, wie die Euregia, u.a. mit Finanzierungsmodellen von Metropolregionen (vgl. Euregia 2006: 46). Mit der Benennung durch die Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO) zur Metropolregion erhält die MRN zusätzlich eine gewisse Legitimation, ihre Interessen in Deutschland und Europa zu vertreten. Dies wird durch den öffentlich-rechtlichen Verband Region Rhein-Neckar noch zusätzlich untermauert. Im Prozess der Gründung von Metropolregionen in Deutschland scheint auch kein Adressat der Interessenvertretung die Frage nach einer direkten demokratischen Legitimation gestellt zu haben bzw. zu stellen. Es hat vielmehr den Anschein, als begnüge man sich damit, überhaupt einen Ansprechpartner wie die MRN zu haben, der im Vergleich zu anderen Metropolregionen wenigstens die Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft institutionalisiert hat. 13 Denn „die Schwierigkeit der deutschen Metropolregionen, nach außen und innen Handlungsfähigkeit zu erringen, resultiert vor allem aus ihrer vergleichsweise schwachen Institutionalisierung“ (Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung 2002: 127). Die funktionierende und im Vergleich zu anderen deutschen Metropolregionen institutionalisierte Kooperation innerhalb der MRN könnte sich – trotz aller legitimatorischen Bedenken – deshalb als ein ent13 Am Rande lässt sich hier auch die Frage aufwerfen, ob für „das Funktionieren“ der MRN das von einigen Akteuren befürchtete Demokratie- und Öffentlichkeitsdefizit keine Rolle spielt, sondern Legitimation über „Funktionieren“ und „Output“ entsteht – ein „demokratietheoretischer Zynismus“? Zum jetzigen Zeitpunkt der Konstitutionalisierung kann diese Frage allerdings nicht beantwortet werden.
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scheidender Vorteil gegenüber anderen Metropolregionen insbesondere in Deutschland erweisen. Gerade bei der Frage nach Rahmenbedingungen der Metropolregionen wird es von Bedeutung sein, inwieweit METREX und Initiativkreis der Metropolregionen in Deutschland von diesen genutzt werden können, um ihre Rahmenbedingungen zu verbessern. Bisher scheinen diese Institutionen aber eher Orte des Erfahrungsaustausches zu sein, die sich erst noch zu schlagkräftigen Interessenvertretern der Metropolregionen entwickeln müssen. 6.3 Legitimation und Effizienz Die wirtschaftsinitiierte Kooperation in der Metropolregion Rhein-Neckar scheint auf einem erfolgreichen Weg zu sein, gerade weil die Zusammenarbeit regionaler Schlüsselakteure im ZMRN e.V. institutionalisiert werden konnte. Damit ist in der Region eine „festere“ Grundlage für kooperatives Handeln etabliert worden, die auch die Basis für den strategischen Dialog darstellt. Diese offenbar geglückte Institutionalisierung wird von den Befragten als „zentrale Innovation“ und als Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Metropolregionen in Deutschland verstanden, da deutsche Metropolregionen meist nur sehr schwach institutionalisiert sind und deshalb Schwierigkeiten haben handlungsfähig zu sein (Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung 2002: 127). Das Institutionenarrangement der Metropolregion fußt allerdings nicht auf einer unmittelbaren demokratischen Legitimation. Fast alle befragten Akteure scheinen auch „das Funktionieren“ bzw. die Leistungsfähigkeit des neuen institutionellen Gefüges für wichtiger zu halten als die legitimatorische Verankerung. Die MRN kann sich deshalb in legitimatorischer Hinsicht wohl eher auf eine Output-Legitimation und weniger auf eine Input-Legitimation stützen. Das heißt, dass dieses neue „politische“ Gebilde auf Zustimmung in der Bevölkerung auch und wohl nur dann rechnen kann, wenn es hinsichtlich der Wohlfahrtsproduktion erfolgreich ist (vgl. Czerwick 2008: 138). Auf eine indirekte demokratische Legitimation könnte nur der Verband Region RheinNeckar zurückgreifen, der auf einem Staatsvertrag zwischen den drei beteiligten Bundesländern beruht. Der institutionalisierte Dialog mit Experten markiert zudem einen Wandel von Steuerungsstrategien, der insbesondere in der Kommunalpolitik zu beobachten ist. Neue Lösungsansätze erfordern nämlich ein hohes Maß an fachlicher Kompetenz sowohl von kommunalen Verwaltungen, als auch von den lokalen Akteuren (Beetz 2006: 30). Deshalb kann in der Metropolregion RheinNeckar Regionalisierung als umfassende Strategie der Regionalentwicklung
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vermutlich effizienter betrieben werden als außerhalb vergleichbarer Gebilde. Denn mit der gegründeten MRN GmbH wurde eine professionelle operative Einheit geschaffen, die Regionalentwicklungsmaßnahmen bündeln und integrieren kann. Die Tatsache, dass die finanzielle Hauptlast der MRN GmbH von der Wirtschaft (insbesondere der BASF) getragen wird, ist zudem ein Indiz dafür, dass gerade die Wirtschaft in der Region einen eigenen Nutzen in diesem Modell der Regionalentwicklung sieht. Neben der Professionalisierung der operativen Strukturen sowie den neu geschaffenen Dialog-Strukturen im ZMRN e.V. ist durch den mit neuen Aufgaben und Rechten ausgestatteten Verband Region Rhein-Neckar im Staatsvertrag auch ein weiteres Element der Dezentralisierung institutionalisiert worden. Nur diese neuen Rechte, wie zum Beispiel das der Trägerschaftsmöglichkeit bei verschiedenen Institutionen, erlauben es dem Verband, sich überhaupt formell an der neuen MRN GmbH zu beteiligen. Die befragten Akteure sehen gerade in dieser Struktur die Chance, dass gemeinsam getroffene Entscheidungen durch die enge Einbindung der Schlüsselakteure verbindlicher geworden sind und dadurch auch besser umgesetzt werden können. Die einfachere Raumplanung des Verbandes erleichtert es zudem Unternehmen in der Region zu investieren, da die Planungskosten für Projekte sinken. Insofern versprechen sich Politik und Wirtschaft einen großen gemeinsamen Nutzen von der Zusammenarbeit. Ob sich allerdings der institutionell gefundene Rahmen auch in Konfliktsituationen bewährt, ist noch nicht entschieden, weil die MRN noch am Anfang steht. Denn mit Regional Governance ist normalerweise eine hohe Selektivität der Themen verbunden. Nicht alle Themen sind im Zusammenspiel zwischen regionalen Akteuren governancefähig, insbesondere dann, wenn sich Schlüsselakteure mit ihren Positionen nicht durchsetzen können (vgl. Fürst 2001: 15). Die meisten Befragten in der Metropolregion gehen auch nach wie vor davon aus, dass Schlüsselakteure bzw. Eliten der MRN die Instanzen der Regelung sind und sich noch keine klaren Konfliktregelungsverfahren etabliert haben. Somit liegt die Vermutung nahe, dass auch dieses Modell von Regional Governance aufgrund seiner Akteurszentrierung dem Charakter eines Eliten-Verhandlungssystems nahe kommt. 14 Dies wird durch die schwache und innerregional ungleich verteilte Medienberichterstattung zusätzlich begünstigt. Dass die Entscheidungen in der MRN fast ohne Öffentlichkeitsbeteiligung getroffen werden können und auch die befragten Akteure dies nicht als gravierendes Defizit sehen, sondern eine eindimensional effizienzorientierte Einstellung 14 Dies wird dadurch deutlich, dass in die MRN GmbH als Geschäftsführer sowohl ein Mann aus der Wirtschaft – ein „ausgeliehener“ BASF-Mitarbeiter – als auch der Verwaltungschef des Verbandes Region Rhein-Neckar entsandt werden.
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maßgeblich zu sein scheint, könnte sich für die Zukunft des Projektes MRN noch als die politische und gesellschaftliche Achillesverse erweisen. Die starke Akteurs- bzw. Elitenzentrierung erleichtert zwar die Umsetzung getroffener Kompromisse, hält aber normativen Erwartungen an Demokratie, Transparenz und Identifikation nicht stand. Fasziniert die MRN einerseits hinsichtlich ihres innovativen und originellen Politik, Verwaltung und Wirtschaft verbindenden Institutionendesigns, so wirft dessen elitenzentrierter und geradezu exklusiver Charakter vielfältige normative Fragen auf. Auch wenn auf Grund des Öffentlichkeits- und Demokratiedefizit des Elitenprojektes MRN eine Transformation des Gesamtvorhabens hin zu einem „Bürgerprojekt“ illusorisch erscheinen mag, so kann dies doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine ernst zu nehmende Einbeziehung des Bürgerwillens bisher nicht stattfand. Dieses Defizit an Basisverankerung kann auch nicht durch top down angestoßene Ehrenamtstage in der MRN kompensiert werden. Denn Bürger wissen sehr genau zu unterscheiden zwischen gut gemeinter Beteiligungsinszenierung und substantieller Bürgerbeteiligung. 7 Literatur Adam, Brigitte (2006): Europäische Metropolregionen in Deutschland. Perspektiven für das nächste Jahrzehnt, in: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.): Kommunalpolitik 34, 2006, S. 1-27. Adam, Brigitte/Göddecke-Stellmann, Jürgen/Heidbrink, Ingo (2005): Metropolregionen als Forschungsgegenstand. Aktueller Stand, erste Ergebnisse und Perspektiven, in: Bundesamt für Raumwesen und Raumordnung (Hrsg.): Informationen zur Raumentwicklung 7, 2005, S. 417-730. Beetz, Stephan (2006): Ländliche Politik im demographischen Wandel, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 21-22/2006, S. 25-31. Benz, Arthur (1998): Regionalisierung als Gemeinschaftsaufgabe von Staat und Kommunen, in: Arthur Benz u. a. (Hrsg.): S. 101-122. Benz, Arthur/ Crow, Kimberley/ Holtmann, Everhard (1998): Regionen und regionale Politik – eine Einführung. In: Arthur Benz u. a. (Hrsg.): S. 17-29. Benz, Arthur/ Holtmann, Everhard (Hrsg.) (1998): Gestaltung regionaler Politik. Empirische Befunde, Erklärungsansätze und Praxistransfer, Opladen. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.) (2000): Raumordnungsbericht 2000, Bonn. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.) (2002): Europäische Verflechtungen deutscher Metropolräume und ihre Auswirkungen auf die Raumstruktur des Bundesgebietes, Bonn. Bundesamt für Raumwesen und Raumordnung (Hrsg.) (2005): Informationen zur Raumentwicklung, Heft 7, Bonn. Czerwick, Edwin (2008): Systemtheorie der Demokratie. Begriffe und Strukturen im Werk Luhmanns, Wiesbaden. Eichener, Volker/Voelzkow, Helmut (1994): Europäische Integration und verbandliche Interessenvermittlung, Marburg. Eichhorn, Peter/Lieb, Andrea/Spannowsky, Willy/Teterin, Andrej (2004): Strategische und strukturelle Weiterentwicklung der Zusammenarbeit in der Region Rhein-Neckar. Gutachten im
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Kooperative Verwaltung – Ausdruck einer demokratisierten öffentlichen Verwaltung?
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1 Einleitung Ausgangspunkt dieser kleinen Analyse ist die Frage, ob kooperatives Verwaltungshandeln die öffentliche Verwaltung stärker demokratisch legitimiert oder aber unter demokratietheoretischen Aspekten als bedenklich einzuschätzen ist. Hierzu gibt es durchaus unterschiedliche Positionen. Bevor diese ausführlicher diskutiert werden sollen, ist zunächst zu definieren, was an dieser Stelle unter kooperativem Verwaltungshandeln verstanden wird. Beim kooperativen Verwaltungshandeln steht das nicht-hoheitliche Agieren der Verwaltung im Vordergrund (Benz 1990: 84-85; 1994: 36, Fn. 14; Dreier 1993: 651-652; Schulze-Fielitz 1994: 657-658; Treutner 1998). Kooperative Verwaltung ist entsprechend eine öffentliche Verwaltung, die sich des kooperativen Verwaltungshandelns bedient. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Ordnungsverwaltung zu richten, von der am ehesten angenommen werden kann, dass sie dem hoheitlichbürokratischen Modell in besonderer Weise verpflichtet ist. Dass die gestellte Frage durchaus von einiger Relevanz ist, wird deutlich wenn man sich vergegenwärtigt, welche bedeutende Rolle das kooperative Verwaltungshandeln für die Verwaltungspraxis, aber auch für die Verwaltungswissenschaft hat. Denn kooperatives Verwaltungshandeln als Kennzeichen einer kooperativen Verwaltung ist empirisch gesehen nichts Ungewöhnliches (Bulling 1989; Benz 1994; Dose 1997). Auch machen historisch angelegte Untersuchungen deutlich, dass die ‚gute alte’ Zeit, als die Verwaltung noch hoheitlich-bürokratisch und frei von widerspenstigen Bürgern agieren konnte, eher eine Fiktion ist (Ellwein 1995; Treiber 1995). Zumindest hat es sie nicht durchgängig gegeben. Umgekehrt gilt natürlich auch, dass Verwaltung nicht nur verhandelt, kooperiert oder gar kungelt. Hierfür ist der Umfang der zu erledigenden Aufgaben viel zu groß. Zahlreiche Routineentscheidungen fallen ohne jede Form von Kooperation. Anders könnte die große Zahl von beispielsweise Steuerbescheiden gar nicht bewältigt werden. Aber gerade im Steuerbereich wird bei wichtigen
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Entscheidungen vorher intensiv verhandelt (Weingarten 1995). Insgesamt hat die Bedeutung des kooperativen Verwaltungshandelns in letzter Zeit merklich zugenommen (anders mit Bezug auf die Abfallpolitik Töller 2007). So ist beispielsweise sogar in § 43 Abs. 1 Ziff. 4 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien normiert, dass in einer Gesetzesvorlage der Bundesregierung in der Begründung zu erläutern ist, weshalb nicht mit einer Selbstverpflichtung des Normadressaten gearbeitet wurde. Die gestellte Forschungsfrage soll im Folgenden in drei Schritten bearbeitet werden. Im ersten Schritt werden gängige Argumente gegen und für die Annahme der Schaffung von demokratischer Legitimation durch kooperatives Verwaltungshandeln diskutiert. In einem zweiten Schritt sollen Kriterien entwickelt werden, die helfen können zu beurteilen, wie kooperatives Verwaltungshandeln auf die demokratische Legitimation wirkt. Dabei wird – soviel sei vorweg genommen – zwischen Input- und Output-Legitimation zu unterscheiden sein. In einem dritten Schritt werden diese Kriterien auf die Empirie kooperativen Verwaltungshandelns angewendet. Anschließend werde ich ein Fazit ziehen. Dabei argumentiere ich, dass kooperatives Verwaltungshandeln eine Zunahme an Output-Legitimation bewirkt und dass der Verlust an Input-Legitimation nicht so stark ausfällt, dass der Gewinn an zusätzlicher Output-Legitimation überkompensiert werden würde. 2 Das Problem: Gefährdung oder Mehrung von Demokratie? Die Ausgangsfrage ist also die nach der Bewertung von kooperativem Verwaltungshandeln unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten. Ist es als kritisch oder als hilfreich anzusehen? Kritik lässt sich am kooperativen Verwaltungshandeln erstens aus der Perspektive der repräsentativen Demokratie formulieren. Das Primat der Politik könnte verletzt und das Gemeinwohl gefährdet sein, wenn sich öffentliche Verwaltung und externe Normadressaten kooperativ begegnen (vgl. Freeman/Stevens 1987: 12-13). Immerhin beinhaltet Kooperation ja stets auch die Gefahr, dass Einigungen erzielt werden, die das zugrunde liegende Gesetz zumindest einmal ‚anpassen’, womit der Wille des demokratisch gewählten Gesetzgebers verfälscht werden könnte. Damit wäre dann auch die Volkssouveränität, wie sie beispielsweise in Art. 20 Abs. 2 GG normiert ist, eingeschränkt (Sørensen 2002: 695-696; Klijn/Skelcher 2007: 593). 1 Zweitens gewänne die öffentliche Verwaltung durch kooperatives Verwaltungshandeln eine übermäßig aktive Rolle, die sie in ein völlig neues Licht setze (vgl. unter 1 Das Argument wurde ursprünglich in Bezug auf Netzwerke formuliert, lässt sich jedoch leicht auf kooperatives Verwaltungshandeln übertragen.
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Bezug auf Sørensen 2002 Klijn/C. Skelcher 2007: 593). Nimmt die Verwaltung diese aktive Rolle wahr und passt sie das zu vollziehende Gesetz gelegentlich kreativ an die Gegebenheiten an, so ist drittens eine Ungleichbehandlung der Betroffenen zu befürchten (vgl. Sørensen 2002: 701-702). Andererseits wird in der Literatur darauf verwiesen, dass im Zuge von kooperativem Verwaltungshandeln Probleme lösbar werden, für die sich ansonsten keine Lösungen finden ließen. So würde kooperatives Verwaltungshandeln einer erhöhten Flexibilität und dem Abbau von Vollzugsdefiziten dienen (Baudenbacher 1986: 304). Zumindest dürfe von einem Zuwachs an Akzeptanz und Legitimation ausgegangen werden (vgl. Ritter 1987: 342-343.) Benz sieht gar eine wichtige Funktion des kooperativen Verwaltungshandelns in der Beschaffung von brüchig gewordener Legitimation. Ein legal zustande gekommenes Gesetz und ein legaler Vollzug würden nicht mehr automatisch Legitimität schaffen (Benz 1990: 89; 1992: 33; 1994: 52-53, 61; siehe auch Würtenberger 1991: 260-261). 3 Kriterien zur Beurteilung des Demokratieniveaus Wenn im Folgenden einige Kriterien zur vorsichtigen Abschätzung des Demokratieniveaus von kooperativem Verwaltungshandeln ausbuchstabiert werden sollen, will ich zunächst der gängigen Unterscheidung in Input- und Output-Legitimation folgen (Scharpf 1999: 16-22). Bei der Input-Legitimation geht es um Herrschaft durch das Volk, es kommt also darauf an, dass sich staatliches Handeln auf den Volkswillen möglichst in einer ununterbrochenen Legitimationskette (BVerfGE 47: 253, 275) 2 zurückführen lässt. Bei der Output-Legitimation wird die Volksherrschaft auf eine andere Weise betont. Es geht um Herrschaft für das Volk. Damit schaffen solche öffentlichen Handlungen und Entscheidungen Legitimation, die das Gemeinwohl fördern oder – etwas moderner ausgedrückt – welche zur Problemlösung beitragen. Im Bereich der Input-Legitimation werde ich nochmals liberale bzw. repräsentativ-demokratische Argumente und partizipatorische unterscheiden. 3.1 Input-Legitimation Wie bereits angedeutet, kann die weiter oben angesprochene Kritik am kooperativen Verwaltungshandeln, die letztendlich auf eine mögliche Verletzung der 2 Das Bundesverfassungsgericht hat diese Überlegung im Hinblick auf die personelle Legitimation formuliert.
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Volkssouveränität verweist, in ein zentrales Beurteilungskriterium im Bereich der Input-Legitimation einmünden. Sie ist hierfür jedoch genauer zu untersuchen. Seit der Aufklärung und mit Montesquieu muss das Volk als höchste gesetzgebende Gewalt betrachtet werden. Werfen wir konkreter einen Blick auf die deutsche Verfassung: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“ (Art. 20 Abs. 2 GG). Materielle Legitimation von Verwaltungshandeln ergibt sich also aus der Bindung an das vom Parlament beschlossene Gesetz. Auch ist die Verwaltung an die Weisungen der Regierung gebunden (Sommermann 2000: Rn. 161). Zur Legitimation trägt darüber hinaus die hierarchische Struktur der öffentlichen Verwaltung bei. Die einzelne Verwaltungsentscheidung muss sich also in einer Legitimationskette auf das Volk zurückführen lassen (Jarass/Pieroth 2007: Art. 20 Rn. 4-10a). Dabei muss das Legitimationsniveau umso höher ausfallen, je größer Bedeutung und Reichweite der Entscheidung sind (Sommermann 2000: Rn. 176). Verhält sich die öffentliche Verwaltung dem externen Normadressaten gegenüber kooperativ, besteht zumindest die Gefahr, dass die Bindung an das vom Parlament beschlossene Gesetz geschwächt wird. Ob dies tatsächlich der Fall ist, muss jedoch im Einzelfall empirisch ermittelt werden. Das erste Kriterium ist also die mögliche Schwächung der Bindung der kooperativen Verwaltung an das Parlamentsgesetz. Kooperatives Verwaltungshandeln darf also nicht die parlamentarischen Legitimationsgrundlagen einer Verwaltungsentscheidung stören (Schmidt-Aßmann 1991: 374). Verbunden mit dem Modell der repräsentativen Demokratie ist das Amtsprinzip. Die vom Volk Gewählten bekommen ihr Amt auf Zeit übertragen und sind dem Volk gegenüber verantwortlich (siehe unter Bezug auf Hennis Kielmannsegg 1990: 58-59). Hierzu ist es erforderlich, dass die Amtsträger wirkungsvoll kontrolliert werden können (Grauhan 1970: 165), wozu wiederum ein Mindestmaß an Transparenz gehört (Papadopoulos 2009). Betrifft diese gängige Überlegung das Verhältnis vom Bürger zur Vertretungskörperschaft und von der Vertretungskörperschaft zur Verwaltungsspitze, gilt dieses auch für das Verhältnis der Verwaltungsspitze zu den Verwaltungsmitarbeitern in der Linie. Diese Mehrstufigkeit der Kontrollanordnung bewirkt also eine mittelbare parlamentarische Kontrolle der Vollzugsverwaltung, was die Möglichkeiten für eine wirksame Kontrolle deutlich einschränkt. Noch länger ist naheliegenderweise die Kontrollkette für den einzelnen Bürger. Hieraus folgt dann auch die Notwendigkeit eines hierarchischen Verwaltungsaufbaus und einer administrativen und nicht politischen Kontrolle (siehe Grauhan 1970: 166 sowie weiter oben unter erstens). Das gezeichnete Bild ist natürlich eine Fiktion (Ellwein 1970: 172; Grauhan 1970: 166). Hierauf macht für den hier besonders interessierenden
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Teilaspekt gerade die Diskussion um das kooperative Verwaltungshandeln aufmerksam. Zum Teil sind wichtige Entscheidungen auch durch den Einbau „sekundärer Elastizitäten“ (Luhmann 1964: 12) absichtvoll auf den letztendlichen Normanwender delegiert, womit kooperatives Verwaltungshandeln geradezu programmiert ist (Dose/Voigt 1995a). Dies hat Folgen für die Anforderungen an eine wirksame demokratische Kontrolle. Denn mit dem Wissen um den fiktiven Charakter einer wirksamen Kontrollkette erfordert demokratische Legitimation eine wirksame Kontrolle nicht nur durch die von einer administrativen Maßnahme direkt Betroffenen und Drittbetroffenen, sondern auch durch das Volk als solches. Auch diese Kontrolle bleibt natürlich eine Fiktion (Ellwein 1970: 173). Allerdings sollte zumindest die Möglichkeit zu einer solchen Kontrolle bestehen. Damit ist als zweites Kriterium die Möglichkeit der öffentlichen Kontrolle der kooperativen Verwaltung benannt. Hierzu gehört naheliegenderweise auch ein Mindestmaß an Transparenz. Folgt man Riker (1982: 4-8), so sind Demokratien neben der Volksherrschaft und der Gleichheit auch durch das Legitimationsprinzip der auf wichtigen Elementen der Rechtsstaatlichkeit beruhenden Freiheit gekennzeichnet (siehe Papadopoulos 2009). Zwar werden Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip in der Staatsrechtslehre als zwei je eigenständige Prinzipien behandelt, aber sie sind beide in Art. 20 GG normiert. So hat das Rechtsstaatsprinzip einen demokratiestaatlichen Ursprung (Jarass/Pieroth 2007: Rn. 31). Schließlich ist anzumerken, dass der Vorbehalt des Gesetzes in der Regel dem Rechtsstaatsprinzip zugerechnet wird, er jedoch auch eine enge Verbindung zum Demokratieprinzip aufweist (Jarass/Pieroth 2007: Art. 20 Rn. 15). Wie sonst sollte die Volkssouveränität gesichert werden? Doch nur über die ununterbrochene Legitimationskette3, die nicht mehr gegeben oder doch zumindest stark geschwächt ist, wenn staatliches Handeln nicht durch ein förmliches Gesetz legitimiert ist. Weiter ist anzuführen, dass demokratische Herrschaft nur legitim ist, wenn sie den Bürger vor Machtmissbrauch schützt (vgl. Scharpf 1999: 22). Genau dies ist die Funktion von Rechtsstaatlichkeit (Papadopoulos 2009). Um das Rechtsstaatsprinzip in seiner vollen Breite und Tiefe auszubuchstabieren, ist hier nicht der Raum (siehe ausführlicher Dose 1999; Maurer 2001: 215-239; unter besonderer Berücksichtigung des kooperativen Rechtsstaats: Treutner 1998), aber es sollen zwei Prinzipen näher betrachtet werden, denen aus rechtswissenschaftlicher Sicht bei der Beurteilung des kooperativen Verwaltungshandelns eine erhebliche Bedeutung zukommt (Brohm 1988: 798; Hoffmann-Riem 1990: 24-26; Kloepfer 1993: 347348). Gemeint sind der Dritt - und der Betroffenenschutz. Dritte können von einer Maßnahme (negativ) betroffen sein, etwa wenn beispielsweise eine dem 3 Ich weite dieses Bild also auf die materielle Legitimation aus.
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Nachbar- oder dem Umweltschutz dienende Auflage unterlassen wird. Dritte sind deshalb vor Behördenwillkür zu schützen, wobei beim kooperativen Verwaltungshandeln immer schnell der Verdacht formuliert ist, dass Normadressat und Behörde Absprachen zu Lasten Dritter treffen. Beim Betroffenenschutz geht es um den Schutz der eigentlichen Normadressaten, wie beispielsweise den Betreiber einer immissionsschutzrechtlichen Anlage, vor Behördenwillkür. Drittes Kriterium ist also das Ausmaß und die Zuverlässigkeit, mit denen Dritt und Betroffenenschutz sichergestellt sind. Wichtiges Element demokratischer Herrschaft ist die Gleichheit aller (Riker 1982: 7-8; Bogason/Musso 2006: 5). Nicht umsonst ist die Gleichheit vor dem Gesetz in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes fest verankert. Sie ist ein in allen Bereichen geltender Verfassungsgrundsatz (Jarass/Pieroth 2007: Art. 3 Rn 1). Die Gleichheit vor dem Gesetz sei in Gefahr, wenn der „Gesetzesvollzug zum Verhandlungsgegenstand“ werde (Brohm 1994: 139). In Hinblick auf kooperatives Verwaltungshandeln folgt hieraus, dass die ungleiche Behandlung gleicher Tatbestände als Verstoß zu werten ist (vgl. Lange 1991: 17). Allerdings kann und darf auch nicht erwartet werden, dass Ungleiches gleich behandelt wird. Mitunter ist die eingeforderte Gleichbehandlung nämlich unbegründet, weil unterschiedliche Situationen vorliegen, was sich gelegentlich erst bei genauer und sachverständiger Betrachtung herausstellt. Viertes Kriterium ist damit die Gleichbehandlung gleich gelagerter Fälle. Jenseits des liberalen Demokratiemodells des Grundgesetzes stößt man auf das Modell der partizipativen Demokratie. An dieser Stelle können sicherlich nicht alle Schulen der partizipativen Demokratietheorie dargelegt werden (einen Überblick gibt Schmidt 2000: 251-268). Dies ist für das Anliegen der angestrebten Analyse auch gar nicht erforderlich. Vielmehr ist es hinreichend auf einige Kernelemente hinzuweisen. Kennzeichen der verschiedenen Ansätze der partizipativen Demokratie ist sicherlich das Bestreben, eine möglichst weitgehende Demokratisierung von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Hierzu gehört dann auch das Verhältnis von öffentlicher Verwaltung und den mit ihr verhandelnden Bürgern. Es geht um Deliberation und verständigungsorientierte Kommunikation (Habermas 1992). Wichtiges Anliegen ist es, den Kreis der an einer Entscheidung beteiligten Bürger so weit wie möglich zu spannen. Es ist sogar die Rede davon, dass alle Bürger einzubeziehen seien; „jeder Bürger ist sein eigener Politiker“ (Barber 1994: 149). Die Art der Beteiligung soll nicht lediglich formaler Natur sein, sondern möglichst intensiv ausfallen: „Starke Demokratie ist durch eine Politik der Bürgerbeteiligung definiert: sie ist buchstäblich die Selbstregierung der Bürger, keine stellvertretende Regierung, die im Namen der Bürger handelt“ (Barber 1994: 146). Starke Demokratie, also das partizipatorische Demokratiekonzept Barbers, transformiere die Uneinigkeit der Bürger. Öffentli-
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che Zwecke würden „im Akt der öffentlichen Partizipation geformt“ (Barber 1994: 148). Das Gemeinwohl bleibt durchaus im Fokus. Denn es sollen verallgemeinerungsfähige Interessen aufgespürt und mobilisiert werden. Dabei wird von einer starken Gemeinschaft ausgegangen; der Bürger denke in der Wir-Form, Gesellschaft sei nicht aus einzelnen, isolierten Individuen zusammengesetzt (Barber 1994: 149 f.). Barber (1994: 32) sieht darüber hinaus die repräsentative Demokratie sehr kritisch. Sie verhindere Partizipation und zerstöre folglich die Grundlagen der Demokratie. Habermas (1992) geht hier weniger weit. Für ihn besteht die prozedurale Demokratie aus dem Zusammenwirken der rechtlich institutionalisierten Volkssouveränität und einer nicht institutionalisierten. Aus der Literatur lassen sich einige Funktionsvoraussetzungen für eine deliberative Demokratie herausdestillieren: Erstens eine argumentative Auseinandersetzung, zweitens eine öffentliche Beratung bei gleicher Chance des Zugangs und der Teilnahme, drittens die Gleichheit und Gleichberechtigung der Teilnehmer bei Abwesenheit von vermachteten Strukturen sowie viertens die im Prinzip gegebene Möglichkeit zu unbegrenzter Fortsetzung der Beratungen (siehe Cohen 1997; teils kritisch referierend Habermas 1992: 155-156, 370-371; siehe auch Schmidt 2000: 259; Reese-Schäfer 2001: 102). Legitimation wird sich zumindest nicht in vollem Umfang einstellen, wenn diese Funktionsvoraussetzungen nicht erfüllt sind. Deshalb sollen sie als Beurteilungskriterien fünf bis acht heran gezogen werden. Dabei soll die zweite genannte Funktionsvoraussetzung um den von Barber eingeführten Aspekt des Ausmaßes und der Intensität der Bürgerbeteiligung ergänzt werden. Da bei der deliberativen Demokratie nicht auf das Ergebnis der Beratungen abgestellt wird, sondern auf die Art des prozeduralen Zustandekommens (demokratische oder autoritäre Willensbildung, Reese-Schäfer 2001: 102), scheint mir die vorgenommene Auswahl der Kriterien durchaus geboten. 3.2 Output-Legitimation Output-Legitimation weist als Orientierungspunkt die ‚Herrschaft für das Volk’ auf. Damit wäre kooperatives Verwaltungshandeln genau dann demokratisch, wenn es Lösungen herbeiführen würde, die das Gemeinwohl fördern bzw. gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme lösen (Scharpf 1999: 20). Lassen sich also im Zuge des kooperativen Verwaltungshandelns Probleme lösen, die im Rahmen des rein hoheitlich-bürokratischen Modells nicht lösbar waren, muss kooperative Verwaltung in besonderem Maße als Ausdruck demokratischer Legitimation betrachtet werden. Sicherlich ist es nicht hinreichend, ein Gemeinwesen ausschließlich auf Output-Legitimation zu gründen, denn im Zweifelsfalle
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lassen sich eine Reihe von gesellschaftlichen Problemen diktatorisch lösen, was sicherlich nicht unseren landläufigen Vorstellungen von Demokratie entsprechen würde. Etwas präziser formuliert, kann Output-Legitimation Input-Legitimation ergänzen, aber keinesfalls vollständig ersetzen. Allerdings zieht auch das Konzept Output-Legitimation der diktatorischen ‚Problemlösung’ Grenzen. Denn diese dürfte nicht unbedingt dem Gemeinwohl dienen. Als neuntes Kriterium kann damit die Fähigkeit zur Problemlösung herangezogen werden. 4 Zur Empirie des Demokratieniveaus von kooperativem Verwaltungshandeln Wenn im Folgenden die grob entwickelten Kriterien zur Beurteilung des Demokratieniveaus auf die empirisch vorfindbare Realität von kooperativem Verwaltungshandeln angewendet werden, dann geschieht das mit aller notwendigen Vorsicht. Erstens sind die dreißig untersuchten Fälle in keiner Weise repräsentativ (Dose 1997). Allerdings wird sich auch nie Repräsentativität herstellen lassen, weil die Grundgesamtheit aller Fälle des kooperativen Verwaltungshandelns nicht bekannt ist, nicht bekannt sein kann. Wir müssen uns also mit dem zufrieden geben, was an empirischer Forschung möglich ist. Im Kontext der empirischen Untersuchungen des kooperativen Verwaltungshandelns sind dreißig sehr intensiv untersuchte Fälle wiederum gar nicht so schlecht. Die Fälle wurden immer auf der Basis einer intensiven Aktenanalyse, zu der auch eine juristische Beurteilung des Falles gehörte, sowie meist auch auf der Basis von vorstrukturierten Interviews sowohl mit den zuständigen Verwaltungsmitarbeitern als auch mit den betroffenen Normadressaten rekonstruiert. Zum Teil konnten auch faktische Verhandlungen zwischen Verwaltungsmitarbeitern und Betreibern einschließlich Ihrer Anwälte verfolgt werden. Bei den Normadressaten handelte es sich um Betreiber immissionsschutzrechtlicher Anlagen, wie Holz verarbeitende Betriebe, Schmieden, Kraftwerke und Kunststoff verarbeitende Unternehmen. Zweitens wurde bei der Erhebung der Daten nicht explizit auf das jeweilige Demokratieniveau abgestellt. Allerdings wurden die Fälle so intensiv bearbeitet und auch umfangreich dokumentiert (Dose 1997: 199-400), dass eine zumindest tentative Anwendung der Kriterien mit einiger Aussicht auf Erfolg möglich scheint.
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4.1 Kriterium 1: Bindung an das Parlamentsgesetz Verhält sich die Verwaltung kooperativ, entsteht sofort der Verdacht, dass sie dabei die Bindung an das Parlamentsgesetz verliert. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass kaum ein Fall bekannt ist, bei dem dies tatsächlich eingetreten ist. Häufig handelt es sich beim kooperativen Verwaltungshandeln um eine intensive Beratung der externen Normadressaten. Diese ist zwar in rein rechtlicher Hinsicht unmittelbar nach Bekanntwerden eines Vorhabens, für das ein Genehmigungsverfahren notwendig ist, nach § 2 Abs. 2 der Neunten BImSchV vorgesehen. Tatsächlich weiten die zuständigen Beamten diese Beratung auch auf ingenieurmäßige Fragen und auf Sanierungen aus (Dose 1997: 203). Hierin ist jedoch keine Schwächung des Parlamentsgesetzes zu sehen. Jenseits reiner Beratungsaktivitäten muss auf Fälle verwiesen werden, in denen gegen das Kopplungsverbot verstoßen wurde. Konkret haben die zuständigen Beamten die Neugenehmigung einer Anlage bzw. von eigenständigen Teilen einer Gesamtanlage davon abhängig gemacht, dass eine bereits vorhandene Anlage saniert wird. Dieser Sachverhalt fällt nicht unter das in § 56 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes normierte Kopplungsverbot, weil sich dieses auf Verwaltungsverträge bezieht. Das Kopplungsverbot gilt jedoch auch ganz generell für das gesamte Verwaltungsrecht. Es ergibt sich aus den allgemeinen Ermessensregeln (vgl. Maurer 2004: § 12 Rn. 21). So darf eine Auflage nicht dem Zweck des Gesetzes entgegenstehen. Dies wäre sicherlich der Fall, wenn die Genehmigung von einer Spende an einen Sportverein abhängig gemacht worden wäre. In den betrachteten Fällen entspricht es jedoch dem Zweck des Gesetzes im umfassenden Sinne, dass eine alte Anlage saniert wird, bevor eine neue genehmigt werden kann. Analysiert man die Fälle genauer, so handelt es sich um sogenannte Altfälle. Dieses sind solche, auf die das Immissionsschutzrecht vor seiner grundlegenden Novellierung in den Jahren 1985/86 anzuwenden war. Nach altem Recht war die Sanierung einer Anlage nach § 17 BImSchG vom Stand der Technik und von der wirtschaftlichen Vertretbarkeit der Maßnahme abhängig, wobei diese unbestimmten Rechtsbegriffe nicht hinreichend durch untergesetzliches Recht konkretisiert waren. Betreiber verweigerten sich einer Sanierung daher, wo es ging, mit dem Hinweis auf die vermeintlich oder tatsächlich fehlende wirtschaftliche Vertretbarkeit. Dies führte dann zu einem langwierigen Verfahren, in dessen Verlauf die Behörde dann nachweisen musste, dass die wirtschaftliche Vertretbarkeit doch gegeben sei. Wenn nun bei einem solchen Betreiber eine anstehende Neugenehmigung genutzt wird, um eine fällige Sanierung durchzusetzen, ist zweierlei zu beachten. Erstens wird nicht gegen den Zweck des Gesetzes verstoßen, sondern gerade alles daran gesetzt, diesen zu erreichen. Zweitens darf in einem solchen Falle angenommen werden, dass der Betreiber, wenn finanziell
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zur Errichtung einer neuen Anlage fähig, auch über die Mittel verfügt, eine alte Anlage zu sanieren. Von einer Schwächung der Bindung an das Parlamentsgesetz darf also in den allerwenigsten Fällen ausgegangen werden. Einen Verlust an demokratischer Legitimation der kooperativen Verwaltung darf man auf der Basis dieses Kriteriums also nicht formulieren. 4 4.2 Kriterium 2: Möglichkeit zur öffentlichen Kontrolle der kooperativen Verwaltung Eine wirksame öffentliche Kontrolle der kooperativen Verwaltung ist kaum möglich. Ihr steht bereits die regelmäßig fehlende Transparenz des kooperativen Verwaltungshandelns entgegen. Wenn die Bürger den vollen Inhalt von mündlichen Verhandlungen nicht kennen, tun sie sich schwer, das entsprechende Handeln der Verwaltung wirkungsvoll zu kontrollieren. Bei förmlichen Genehmigungsverfahren oder Planfeststellungsverfahren wird allerdings die Öffentlichkeit durch die öffentliche Bekanntmachung, die Möglichkeit zur Einsichtnahme in die Genehmigungsunterlagen und des Führens von Einwendungen und deren Behandlung in einem Erörterungstermin nicht nur informiert, sondern auch beteiligt. In jedem Fall kann der ergangene Verwaltungsakt geprüft und können Rechtsmittel eingelegt werden. Nicht transparent sind allerdings im Vorfeld und am Rande getroffene mündliche Absprachen. Es liegt geradezu im Wesen von Verhandlungen zwischen der öffentlichen Verwaltung und den externen Normadressaten, dass diese nicht unbedingt im Lichte der Öffentlichkeit stattfinden. (Benz 1994: 325; vgl. auch Brohm 1990: 257). Möglicherweise kommt der Nicht-Öffentlichkeit sogar eine gewisse Erklärungskraft für den Erfolg des kooperativen Verwaltungshandelns zu. Steht eine ausgebaute öffentliche Kontrolle des kooperativen Verwaltungshandelns seinem Erfolg im Wege, verweist dies auf die tendenzielle Unmöglichkeit öffentlicher Kontrolle. Die von mir untersuchten Fälle standen jedenfalls mit Ausnahme der Fälle des Regierungspräsidiums Stuttgart nicht unter öffentlicher Kontrolle. In Stuttgart nutzte der damalige Regierungspräsident Bulling die Öffentlichkeit, um die Betreiber von immissionsschutzrechtlichen Anlagen zu einer Übererfüllung von gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften zu bewegen. Dies schaffte natürlich auch ein Stück weit öffentliche Kontrolle. Insgesamt kann festgehalten werden, dass eine öffentliche Kontrolle des kooperativen Verwaltungshandelns in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht stattfand. Möglicherweise haben wir es auch mit einer prinzipiellen Unmöglichkeit 4 Siehe auch die Ausführungen zu Kriterium Nr. 3.
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zu tun, will man den Erfolg des kooperativen Verwaltungshandelns nicht unterminieren. 4.3 Kriterium 3: Sicherstellung des Dritt- und des Betroffenenschutzes Der stark auf die Rechtsstaatlichkeit verweisende Betroffenen- und Drittschutz ist natürlich rein formal gegeben. Denn Betroffene und Dritte haben immer die Möglichkeit, gegen formelle Handlungsformen der Verwaltung Rechtsmittel einzulegen. Frage ist nur, ob dieser im Zuge von kooperativem Verwaltungshandeln verkürzt wird. Die von mir ausgewählten 30 Fälle geben jedenfalls keine Hinweise hierauf. In einem Fall wurde allerdings ein für den Betreiber günstigeres Messprotokoll herangezogen und ein neueres mit ungünstigeren Messdaten vernachlässigt. Hierdurch bekam der Betreiber mehr Zeit, um seine Anlage zu sanieren. Dieser Vorgang fiel jedoch in den Bereich der Schadensvorsorge nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, für den nach herrschender Auffassung kein Drittschutz besteht. Auch hatte die Entscheidung keine unmittelbaren, faktischen Auswirkungen auf Dritte. So waren die Belange Dritter zwar berührt, aber kein Rechtsschutz verletzt (Dose 1997: 205). In einem anderen Fall ließ ein Unternehmen einige Tage an einer Anlage bauen, obwohl hierfür keine rechtskräftige Genehmigung vorlag. Die Behörde reagierte nicht mit der sofortigen Untersagung, sondern prüfte erst einmal, ob tatsächlich an der Anlage gearbeitet wurde und bereitete gleichzeitig einen Genehmigungsbescheid vor, der einen Sofortvollzug vorsah. Dieser hatte dann später auch Bestand vor dem Verwaltungsgericht, weshalb man nicht von einer substanziellen Verletzung des Drittschutzes ausgehen kann. Insgesamt kann man sogar von einer Übererfüllung des Drittschutzes ausgehen, denn in einigen Fällen gelang es der zuständigen Verwaltung, einen überobligatorischen Vollzug durchzusetzen. Den Betreibern wurde in solchen Fällen mehr an Umweltschutz abverlangt als dies nach geltendem untergesetzlichem Recht zu erwarten war. Damit ist der Betroffenenschutz angesprochen. Werden externe Normadressaten der Behördenwillkür ausgesetzt, wenn sie durch allerlei Tricks zu einem überobligatorischen Vollzug genötigt werden? Zunächst möchte man dies annehmen. Zumindest kommt der Verdacht auf, dass die über das Normalmaß hinausgehenden Umweltmaßnahmen allenfalls halb freiwillig erbracht werden (vgl. Kloepfer 1993: 347). Betrachtet man die Fälle jedoch genauer, wird deutlich, dass die abgeschlossenen Verwaltungsverträge im beiderseitigen Interesse waren. Die Behörde gewährte eine Fristverlängerung für teure Maßnahmen ohne substanzielle Verbesserungen für die Umwelt, für die jedoch eine rechtliche Handhabe auf untergesetzlichem Niveau bestand. Zum Ausgleich erklärte sich
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der Betreiber zu relativ kostengünstigen Maßnahmen bereit, die der Umwelt vergleichsweise viel nutzten, für die jedoch keine Rechtsgrundlage bestand (Dose 1997: 348-358). Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Verhandlungsaufwand, den Maßnahmen des überobligatorischen Vollzugs erfordern, nur bei großen Emittenten sinnvoll ist. Diese verfügen jedoch in der Regel über eine eigene spezialisierte Rechtsabteilung oder aber beschäftigen externe Fachanwälte, die den Schutz der Betroffen zu gewährleisten wissen. Insgesamt fanden sich in den untersuchten Fällen keine Hinweise darauf, dass der Drittoder Betroffenenschutz auf eine zu beanstandende Weise verkürzt wurde. Folglich darf nach diesem Kriterium auch nicht von negativen Wirkungen auf die demokratische Legitimation ausgegangen werden. 4.4 Kriterium 4: Gleichbehandlung gleich gelagerter Fälle Die Verletzung der Gleichbehandlung gleich gelagerter Fälle liegt nahe, wenn im Rahmen von kooperativem Verwaltungshandeln von einem strikten Vollzug abgewichen wird. Nun darf jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass unter den Bedingungen des hoheitlich-bürokratischen Vollzugs stets eine volle Gleichbehandlung gewährleistet ist. Eine gewisse Bandbreite der Entscheidungen wird man immer tolerieren müssen. Es geht also um die merklichen Fälle von Ungleichheit. Solche konnten beim kooperativen Verwaltungshandeln nicht ausgemacht werden. Im Gegenteil, ähnlich gelagerte Fälle wurden (von der gleichen Behörde) nach exakt dem gleichen Muster bearbeitet. Den Betreibern wurden stets die gleichen Auflagen gemacht und beispielsweise die gleiche Fristverlängerung gewährt. Dabei profitierte die Behörde sogar von der Gleichartigkeit der Fälle, weil aufwendig beschaffte Spezialkenntnisse gleichermaßen auf alle Fälle angewendet werden konnten (Dose 1997: 349). Auch eine Variation der Bedingungen nahm keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Behörden, solange diese unterschiedlichen Bedingungen nach geltendem Recht nicht zu berücksichtigen waren. So nahm die wirtschaftliche Situation keinen Einfluss auf die Beurteilung der Fälle, soweit dies nicht bis 1985/86 durch die entsprechende Normierung in § 17 BImSchG vorgesehen war (vgl. Dose 1997: 409-410). Die Gleichbehandlung der Fälle wurde also auch nicht durch unterschiedliche wirtschaftliche Gegebenheiten – soweit deren Einfluss nicht programmiert war – verletzt. Dass die sich im Zeitverlauf ändernde Programmierung einen Unterschied machte (siehe oben unter 3.1), unterstreicht nur die Steuerungskraft des Rechts (Dose 2006) und damit die Unwahrscheinlichkeit der Verletzung des Gleichheitsgebots.
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Eine Einschränkung der Gleichbehandlung kann man allerdings darin sehen, dass Unternehmen, die in den Zuständigkeitsbereich des Regierungspräsidiums Stuttgart fielen, auf eine besonders engagierte Verwaltung trafen, und damit von ihnen – falls es sich um wichtige Emittenten handelte – ein überobligatorischer Vollzug verlangt wurde. Hätten sie in einem anderen Regierungsbezirk gelegen, wäre ihnen dieser überobligatorische Vollzug vermutlich nicht auferlegt worden. Allerdings hätten sie dann auch nicht vom Entgegenkommen bei den Fristen profitiert. Insgesamt konnte also keine durchgängige Gleichbehandlung gleich gelagerter Fälle beobachtet werden. Eine Öffnung für dem Gesetzeszweck entgegen stehende Sonderinteressen war jedoch nicht zu beobachten. 4.5 Kriterium 5: Argumentative Auseinandersetzung Zum Teil wurden die untersuchten Verhandlungen zwischen Betreibern immissionsschutzrechtlicher Anlagen und der jeweils zuständigen öffentlichen Verwaltung argumentativ geführt. Bei mindestens 30% der Fälle spielten jedoch Prozesse des Gebens und Nehmens, also Bargaining, ein wichtige, wenn nicht die maßgebliche Rolle. Ein gutes Beispiel ist sicherlich der bereits angesprochene Fall, bei dem im Tausch gegen ein Entgegenkommen bei den Fristen umfassendere Umweltschutzmaßnahmen erreicht werden konnten. Weitere Tauschobjekte waren zinsverbilligte Darlehen, verlorene Zuschüsse sowie Genehmigungen nach dem vereinfachten Verfahren gemäß § 19 BImSchG (Dose 1997: 265-291). Das aus der partizipativen Demokratie generierte Kriterium der argumentativen Auseinandersetzung wurde also deutlich verletzt. Damit gibt es soweit keinen Hinweis, dass kooperatives Verwaltungshandeln Ausdruck partizipativer Demokratie sein könnte. 4.6 Kriterium 6: Öffentliche Beratung bei gleicher Chance des Zugangs und der Teilnahme Abgesehen von Erörterungsterminen im Rahmen von förmlichen Genehmigungsverfahren konnte bei den untersuchten Fällen keine öffentliche Beratung ausgemacht werden. Auch waren die Chancen des Zugangs und der Teilnahme nicht gleich verteilt. Wenn sich Betreiber und Behördenvertreter zu einem klärenden Gespräch trafen, dann wussten die Bürger in aller Regel nicht von dieser Zusammenkunft. Es fand folglich weder eine öffentliche Beratung statt noch bestand eine gleiche Chance für den Zugang und für die Teilnahme. Nach die-
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sem Kriterium entsprachen die untersuchten Fälle kooperativen Verwaltungshandelns nicht der partizipativen Demokratie. 4.7 Kriterium 7: Gleichheit und Gleichberechtigung der Verhandlungsteilnehmer bei Abwesenheit von vermachteten Strukturen Auch wenn öffentliche Verwaltung als kooperative Verwaltung auftritt, kann sie sehr häufig auf ein hoheitlich-bürokratisches Agieren umschalten. Der „Schatten der Hierarchie“ (Scharpf 1991: 629; 2000: 323), in dem Verhandlungen häufig stattfinden, kann geradezu als Erfolgsvoraussetzung für deren erfolgreiches Gelingen angesehen werden (Dose 2008: 257, 275). Tatsächlich waren nicht alle, aber doch viele der analysierten Verhandlungen mehr oder weniger deutlich von einer Situation geprägt, in der die zuständige Behörde eine echte Verhandlungsbereitschaft der Unternehmen nur herstellen konnte, indem sie das Druckmittel des normalen hoheitlich-demokratischen Vollzugs in der Hinterhand behielt. Wenn die Beamten den Eindruck gewannen, die Betreiber immissionsschutzrechtlicher Anlagen würden nur verhandeln, um eine Sanierung ihrer Anlage zu verzögern, haben sie in der Regel sehr schnell auf die klassische Handlungsform Verwaltungsakt umgestellt (Dose 1997: 362-365). Selbst wenn intensive Beratungsleistungen der Behördenvertreter im Vordergrund standen, war doch allen Beteiligten in der Regel klar, dass die Verwaltung in der Position der Verfügenden ist. Eine Situation, wie die beschriebene, kann sicherlich nicht Ausdruck einer partizipativen Demokratie sein. 4.8 Kriterium 8: Unbegrenzte Fortsetzung der Beratungen Das Kriterium der unbegrenzten Fortsetzung der Beratungen ist in einem gewissen Zusammenhang mit dem Kriterium der Nichtvermachtung von Verhandlungen zu sehen. Nach den Vorstellungen der partizipativen Demokratie soll nicht durch die Drohung, die Verhandlungen abzubrechen, Druck aufgebaut werden. Genau dies findet jedoch regelmäßig statt, wenn die Verwaltung den Eindruck gewinnt, der Betreiber spiele nur auf Zeit (siehe mit einem Beispiel Dose 1997: 362-365). Auch nach diesem Kriterium kann kooperatives Verwaltungshandeln kaum als Beleg für eine partizipative Demokratie gewertet werden. Folglich können im kooperativen Verwaltungshandeln möglicherweise gewisse Kennzeichen der partizipativen Demokratie erkannt werden, empirisch lässt sich jedoch anhand der formulierten Kriterien nicht nachweisen, dass kooperative Verwaltung als Ausdruck partizipativer Demokratie gewertet werden kann.
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4.9 Kriterium 9: Fähigkeit zur Problemlösung Eine ausgeprägte Fähigkeit des kooperativen Verwaltungshandelns zur gemeinwohlorientierten Problemlösung wäre ein deutlicher Hinweis auf Output-Legitimation. Tatsächlich konnten zahlreiche Fälle beobachtet werden, beginnend von der intensiven Beratung bis hin zu Prozessen des gegenseitigen Gebens und Nehmens, bei denen durch kooperatives Verwaltungshandeln eine Lösung der teils ausweglos erscheinenden Probleme erreicht wurde. Dies ging dann mit einer deutlich erhöhten Zufriedenheit der Beteiligten einher. So wurden in zwei Fällen trotz des Fehlens harter rechtlicher Handhaben durch eine intensive Beratungstätigkeit, aber auch durch Kopplung der Sanierung an eine notwendige Genehmigung sowie in einem anderen Fall durch eine Genehmigung nach dem vereinfachten Verfahren, substanzielle Verbesserungen für den Umwelt- und Nachbarschutz erreicht. Auch die sich massiv beschwerenden Nachbarn konnten mit den Sanierungsmaßnahmen weitgehend befriedet werden (Dose 1997: 274-282). In einem anderen Fall wurde die Sanierung neben der intensiven Beratung auch durch einen verlorenen Zuschuss zu den Sanierungsmaßnahmen unterstützt. Auch in den mit Verwaltungsverträgen abgeschlossenen Fällen des Regierungspräsidiums Stuttgart, von denen bereits die Rede war, konnte durch hochintensive Verhandlungsprozesse eine sogar überobligatorische Verbesserung der Umweltsituation erreicht werden (Dose 1997: 347-361). All dieses sind Belege für die besondere Problemlösungsfähigkeit von kooperativem Verwaltungshandeln. Es ist also grundsätzlich dazu geeignet, Output-Legitimation herzustellen. 5 Fazit Versucht man ein Gesamturteil über den demokratischen Status des empirisch ermittelbaren kooperativen Verwaltungshandelns und damit auch über die kooperative Verwaltung auf der Basis der hergeleiteten Kriterien (Kapitel 3), so gelangt man zu einer differenzierten Schlussfolgerung. Nach den Kriterien, die man im weitesten Sinne der repräsentativen Demokratie zuordnen kann5, ergibt die empirische Analyse kein so kritisches Bild wie dies mitunter in der Literatur gezeichnet wird (siehe Kapitel 1). Eine merkliche Schwächung der Bindung an das Parlamentsgesetz konnte genauso wenig nachgewiesen werden, wie eine substanzielle Aushöhlung des Dritt- und Betroffenenschutzes. Allerdings stand das kooperative Verwaltungshandeln nicht unter einer wirksamen öffentlichen Kontrolle. Öffentliche Kontrolle ersetzte also nicht die möglicherweise erodie5 Ein Teil dieser Kriterien spielt jedoch auch für die deliberative Demokratie eine wichtige Rolle; siehe Habermas (1992).
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rende hierarchische Kontrolle. Im Großen und Ganzen konnte eine Gleichbehandlung gleichgelagerter Fälle ausgemacht werden, allerdings mussten auch Ausnahmen von diesem Grundsatz beobachtet werden. Dabei fand jedoch keine Öffnung für Sonderinteressen statt, sondern es wurden vielmehr bedeutende Emittenten im Rahmen von intensiven Verhandlungsprozessen zu einem überobligatorischen Vollzug bewegt. Sämtliche Kriterien, mit denen geprüft werden sollte, ob sich im Zuge des kooperativen Verwaltungshandelns eine Stärkung der partizipativen Seite der Demokratie ergeben hat, verwiesen darauf, dass dies nicht der Fall war. Es fand weder eine durchgängige argumentative Auseinandersetzung noch eine öffentliche Beratung bei gleichen Zugangs- und Teilnahmechancen statt. Auch waren die Verhandlungsteilnehmer nicht gleichberechtigt und es konnte auch keine Abwesenheit vermachteter Strukturen festgestellt werden. Schließlich waren die Beratungen nicht von prinzipiell unbegrenzter Dauer. Deutlich nachweisen ließ sich jedoch eine substantielle Zunahme der OutputLegitimation. Denn im Rahmen des kooperativen Verwaltungshandelns wurden Problemlösungen möglich, die mit einem rein hoheitlich-bürokratischen Vorgehen nicht erreichbar waren. Dies traf auf die weitüberwiegende Zustimmung der Beteiligten. Bindet man dieses empirisch fundierte Ergebnis an die formulierte Problemstellung zurück, so muss die zweite Position gestützt werden, die beim kooperativen Verwaltungshandeln ein besonderes Potential zur Legitimationsbeschaffung ausmacht; teilweise hierin sogar eine wichtige Funktion sieht. Überraschend hieran ist der Umstand, dass der Verlust an Input-Legitimation nach dem vorherrschenden liberalen Modell nicht so groß ist, dass der Zugewinn an Output-Legitimation überkompensiert wird. Im Gegenteil, insgesamt muss von einem Zuwachs an Legitimation ausgegangen werden. Keine Rolle spielte dabei allerdings ein möglicherweise erwarteter Zugewinn im Bereich der partizipativen Demokratie. Die formulierte Forschungsfrage kann also dahingehend beantwortet werden, dass kooperatives Verwaltungshandeln den demokratischen Status der öffentlichen Verwaltung durchaus zu stützen vermag. 6 Literatur Barber, Benjamin (1994): Starke Demokratie, Hamburg. Baudenbacher, Carl (1986): Verfahren als Alternative zur Verrechtlichung im Wirtschaftsrecht?, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, 19. Jg., H. 12, S. 301-305. Becker, Michael/Zimmerling, Ruth (Hrsg.) (2006): Politik und Recht, PVS-Sonderheft 2006, Wiesbaden. Benz, Arthur (1990): Verhandlungen, Verträge und Absprachen in der öffentlichen Verwaltung, in: Die Verwaltung, 23. Bd., H. 1, S. 83-98.
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New Public Management und die Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung
Katrin Möltgen/Wolfgang Pippke
1 Die Beziehung zwischen New Public Management und Demokratisierung Das Thema „New Public Management und die Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung“ verlangt eine Definition der Begriffe und eine Klärung der möglichen Beziehungen zwischen den Begriffsinhalten. Beginnen wir mit letzterem. Es kann sein, dass überhaupt keine inhaltliche Beziehung zwischen den Begriffen besteht und wir der Gefahr erliegen, etwas über das Verhältnis von Äpfeln und Glühbirnen zu konstruieren. Diese Vermutung wird gestützt durch die Inhalte der betriebswirtschaftlichen Verwaltungsmodernisierung in Deutschland einerseits, die zwar weitgehend der internationalen Bewegung des „New Public Management“ (NPM) folgt, aber durchaus eine eigene Prägung erfahren hat, und andererseits durch den politischen Ansatz einer Demokratisierung, hier verstanden als verstärkter Teilhabe der Bürger 1 und ihrer Repräsentanten – „der Politik“ – sowie der Mitarbeiter an Entscheidungen der und in der öffentlichen Verwaltung. Gibt es überhaupt Schnittmengen zwischen diesen beiden Bereichen, wenn man bedenkt, dass es den Bürgern weitgehend gleichgültig ist, was in einer öffentlichen Verwaltung vor sich geht? Sie sind an kundenorientiertem Service, an der Erfüllung ihrer Wünsche und der positiven Bescheidung ihrer Anträge interessiert und weniger daran, wie Verwaltungsergebnisse zustande kommen. Die Frage nach möglichen Kausalbeziehungen zwischen der Verwaltungsmodernisierung in Deutschland und den Auswirkungen auf die Demokratisierung ist dennoch wissenschaftstheoretisch legitim. Für die Hypothese, dass demokratische Gremien oder bürgerschaftliche Bewegungen die Verwaltungsmodernisierung in Gang setzten oder ihre Entwicklung gefördert haben bzw. fördern, spricht nach unseren Erfahrungen und den Diagnosen in der einschlägigen 1 Zur Vereinfachung der Lesbarkeit verzichten wir im Folgenden auf die Nennung der weiblichen Form.
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Literatur herzlich wenig. Die Verwaltungsmodernisierung in Deutschland, begonnen in den Kommunen unter dem Schlagwort „Neues Steuerungsmodell“ (NSM) Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts, war weit überwiegend eine verwaltungsinterne Angelegenheit und ist dort in erster Linie von der Verwaltungsleitung initiiert worden. Die Kommunalpolitiker als Mitglieder eines demokratisch gewählten „Aufsichtsgremiums“, des Rates, wurden über die Inhalte, die Ansätze des NSM und seine Umsetzung in der Behörde zwar informiert, sie waren aber nur ausnahmsweise in tragender Rolle daran beteiligt. In aller Regel wurde diese Entwicklung mit Desinteresse, Unverständnis oder gar Frustration begleitet (Klages 2003: 5 f.; Bogumil u.a. 2007: 64 ff.). Die Fälle, in denen Verwaltungen durch einen Beschluss des Rates angestoßen wurden, eine Verwaltungsmodernisierung nach dem NSM zu initiieren, waren die seltene Ausnahme. In der Bundesverwaltung und in den Verwaltungen der Länder sind die Parlamentarier noch weiter außen vor der Verwaltungsmodernisierung geblieben als in den Kommunen. Plausibler scheint die Untersuchung der entgegen gesetzten Kausalbeziehung: Hat die Verwaltungsmodernisierung in Bund, Ländern und Gemeinden eine Demokratisierung in und um ihre Verwaltungen bewirkt oder gestärkt; hat sie eine stärkere Teilhabe von Betroffenen und Beteiligten an Entscheidungsprozessen ermöglicht? Für diesen Gedanken spricht zunächst einmal, dass beides in unserer Gesellschaft aus verschiedenen Gründen als wünschenswert angesehen wird, dass beide Begriffe positiv besetzt sind und als „modern“ gelten. Wir werden uns im Folgenden auf diese Fragestellung konzentrieren und die Hypothese theoretisch untersuchen, um anschließend empirische Ergebnisse hinzu zu ziehen. Diese Untersuchung kann zum Ergebnis haben, dass unsere Hypothese bestätigt wird, d.h. die Verwaltungsmodernisierung nach dem NPM auf den unterschiedlichen regionalen Ebenen die Chancen auf demokratische Teilhabe an Entscheidungen in und für die Verwaltungen erhöht hat. Sie kann aber auch falsifiziert werden oder sogar im Gegenteil Belege dafür liefern, dass die Verwaltungsmodernisierung in Deutschland diese demokratische Teilhabe verringert hat. Schließlich ist auch noch zu untersuchen, wie weit die Verwaltungsmodernisierung in Deutschland überhaupt gekommen ist, denn es ist auch denkbar, dass ihre Unvollendung, ihre Fragmentarisierung oder ihre Verformung das Ziel einer Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung verhindert haben. Um diese Fragen zu klären, benötigen wir zunächst eine möglichst gehaltvolle Klärung der Begriffe Demokratisierung und Verwaltungsmodernisierung nach dem Ansatz des NPM. In den beiden abschließenden Abschnitten werden
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schließlich die Zusammenhänge, wie im vorangegangenen Absatz dargestellt, untersucht. 2 Demokratisierung Allgemein wird unter Demokratisierung der „Prozeß der Bildung oder der Vertiefung der Demokratie“ (Nohlen 2002: 54) verstanden. Die Definition deutet bereits auf die Unbestimmtheit des Begriffs Demokratisierung hin und führt zwangsläufig zu der Frage, von welchem Demokratiebegriff wir im Folgenden ausgehen bzw. welches Demokratieverständnis vor dem Hintergrund des Bezugsrahmens „Verwaltungsmodernisierung“ sinnvoll erscheint. Grundsätzlich ist ein formales Demokratieverständnis, das das Verhältnis von Bürger und Staat in den Vordergrund stellt und den Grundsatz der demokratischen Entscheidungsfindung innerhalb der Staatsform Demokratie betont, von einem materiell-emanzipatorischen Demokratieverständnis zu unterscheiden, welches eine Weltanschauung meint und darüber hinaus die Demokratisierung aller Lebensbereiche umfasst. Ausgehend von dem materiell-emanzipatorischen Verständnis können mit dem Begriff der Demokratisierung vielfältige Phänomene beschrieben und Perspektiven erfasst werden, die sich wie folgt typologisieren lassen:
Demokratisierung „von unten“ - „im Innern“ - „von außen“: Demokratisierung von unten meint vor allem die Möglichkeit direkt-demokratischer Beteiligung der Bürger, während sich Demokratisierung im Innern auf die politischen Institutionen bezieht. Von außen erfolgt Demokratisierung wesentlich durch die Vitalisierung der politischen Diskurse in der Zivilgesellschaft (Nohlen 2002: 53). Demokratisierung „im engeren Sinne“ - „im erweiterten Sinne“ - „im weiteren Sinne“: Demokratisierung im engeren Sinne umschreibt die Einführung einer demokratischen Staatsverfassung, d.h. einen Systemwechsel oder eine Transformation. Die Verstärkung der Elemente der politischen Demokratie in bereits demokratisch verfassten Staaten wird als Demokratisierung im erweiterten Sinne bezeichnet und Demokratisierung im weiteren Sinne als „Anwendung demokratischer Verfahren der Willensbildung und Beschlussfassung im gesellschaftlichen Bereich, um eine möglichst weitgehende Beteiligung von Bürgern an der Entscheidungsfindung in der Gesellschaft zu erreichen“ (Brockhaus 2008: 85). Demokratisierung auf gesamtstaatlicher und auf innerstaatlicher Ebene: Als gesamtstaatliche Demokratisierung wird die Herausbildung einer de-
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Katrin Möltgen/Wolfgang Pippke mokratischen Staatform bezeichnet, während innerstaatliche Demokratisierung den Ausbau von Beteiligungsrechten in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten meint, die bisher nicht zur Disposition demokratischer Abstimmung standen (vgl. Schmidt 1995: 207-208).
Im Hinblick auf das NPM und seine Entwicklung in Deutschland sind grundsätzlich alle skizzierten Aspekte einer Demokratisierung von Interesse und sollen in diesem Beitrag beleuchtet werden. Dabei stehen folgende Fragestellungen im Mittelpunkt der Untersuchung: Hat das NPM die Beteiligungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung im Sinne einer „inneren Demokratisierung“ gestärkt? Konnten ihre beruflichen Entscheidungsund Handlungsspielräume erweitert werden? Welche Auswirkungen hat das NPM auf die Arbeit der politischen Akteure und der politischen Gremien? Haben sich Veränderungen an der Schnittstelle zwischen Politik und Verwaltung ergeben? Führt die Modernisierung der Verwaltung zu einer Ausweitung der Einflussmöglichkeiten „der Politik“ auf das Verwaltungshandeln, also zu einer Demokratisierung im erweiterten Sinne? Inwieweit konnte eine Stärkung demokratischer Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung realisiert werden? Hat das NPM den Einfluss der Gesellschaft auf das politisch-administrative System gestärkt bzw. eine Demokratisierung „von außen“ bewirkt? Bei der Beantwortung der Fragen gehen wir von folgendem Begriffsverständnis der Demokratisierung aus: Demokratisierung meint die stärkere Teilnahme der Bürger, der von ihnen gewählten politischen Repräsentanten und/oder der Mitarbeiter an Verwaltungsentscheidungen bzw. der die Verwaltung betreffenden demokratischen Willensbildung. Unter den Begriff der Demokratisierung wird somit auch die Erweiterung der beruflichen Handlungs- und Entscheidungskompetenzen der Mitarbeiter gefasst. 3 New Public Management in Deutschland 3.1 Inhalte Das NPM wird hier in seiner deutschen Variante, dem NSM, betrachtet. Angestrebt wurde mit dem NSM eine deutliche und umfassende Veränderung der Verwaltungsstrukturen und -abläufe sowie der Verwaltungskultur. Das traditionelle Denken des Verwaltungshandelns als Gesetzesvollzug wird ergänzt durch das Bewusstsein, dass bestimmte Ziele effektiv und effizient, d.h. mit dem rationalen Einsatz knapper Mittel, erreicht werden sollen. Im betriebswirtschaftlichen
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Zusammenhang wird davon ausgegangen, dass eine Verwaltung Produkte durch die Kombination von Produktionsgütern für Kunden, die Bürger, herstellt. Um die Produkterstellung effizient zu gestalten, sind in der Privatwirtschaft erfolgreich erprobte Managementinstrumente einzusetzen (vgl. Pippke u.a. 2007: 187195; zum NSM im Allgemeinen Budäus 1994, Bandemer u.a. 1998, Schedler/Proeller 2003, Jann u.a. 2006). Die Ziele der Neuen Steuerung sind im Kern: Konzentration auf die Kerngeschäfte und Schaffung einer konzernähnlichen Verwaltungsstruktur; besserer Service für die Bürger, Verständnis der Bürger als Kunden; bessere Qualität der Verwaltungsprodukte; Verringerung der Durchlaufzeiten; geringerer Ressourcenaufwand, Kostensenkung; größere Mitarbeitermotivation und –zufriedenheit; strategische Steuerung der Verwaltung durch Verwaltungsführung und Politik. Diese Ziele sollen mit Hilfe folgender Bausteine bzw. Elemente realisiert werden: 1. Um eine Konzentration auf die Kerngeschäfte zu realisieren, müssen alle Aufgaben bzw. Leistungen einer Verwaltung auf den Prüfstand gestellt werden. Bei der Aufgabenkritik stellen sich Verwaltungen folgende Fragen:
Muss diese Aufgabe überhaupt durchgeführt werden? Muss sie von uns erledigt werden? Muss sie von uns alleine bewältigt werden? Muss sie in diesem Umfang getan werden? Muss sie auf diese Weise durchgeführt werden? Kann sie mit geringerem Aufwand erledigt werden? Kann sie mit besserer Qualität erfolgen?
Die Beantwortung dieser Fragen kann zur Veränderung der Rechtsform führen, mit der die Produkte erstellt werden. So kann die Produktion von einem verwaltungseigenen Regiebetrieb in einen Eigenbetrieb, eine Anstalt des öffentlichen Rechts oder eine andere öffentlich-rechtliche Betriebsform oder gar in ein privatrechtliches Unternehmen (GmbH oder AG) verlagert werden. Die Herstellung kann auch in Kooperation mit einem Privatunternehmen
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(Public Private Partnership = PPP) oder in einer ausgelagerten Produktionsform (Outsourcing) erfolgen. 2. Produkte stehen im Mittelpunkt des NSM, sie leiten sich ab aus Leitbildern, Zielen und Aufgaben und werden mit den gegebenen Ressourcen erstellt. Einzelne Verwaltungstätigkeiten führen zu bestimmten Verwaltungsleistungen als Grundlage für die Erstellung von Produkten. Gleichartige Produkte werden zu Produktgruppen, gleichartige Produktgruppen werden zu Produktbereichen zusammengefasst. Produktbeschreibungen umfassen in der Regel Informationen über die Produktstelle, die gesetzlichen Grundlagen, die Produktmenge, die Produktqualität, die Kostenstruktur und die Zielperspektiven. Die Inhalte solcher Beschreibungen und die Intention ihrer Darstellung sind überwiegend quantitativer Art, sie beinhalten aber auch häufig Kennzahlen zu qualitativen Größen. 3. Das Leitbild einer Verwaltung spiegelt ihre Organisationskultur wider. Es ist die allgemeine Grundlage für die Ziele, die sie sich setzt und die sie durch ihr tägliches Handeln verfolgt. Es formuliert ihr Selbstverständnis und das ihrer Mitarbeiter und bildet die Grundlage für das abgestimmte Handeln aller Organisationselemente. Das Leitbild übernimmt damit eine wichtige Orientierungsfunktion für alle Betriebsangehörigen und für Außenstehende. Leitbilder geben somit etwas von der „Philosophie“ einer Verwaltung wieder, sie sind strategische Grundlage für ihre Entwicklung. Auch ohne Leitbilder folgen die Handlungen der Organisationsmitglieder Werten und Normen, diese bleiben aber verdeckt und unbewusst im Hintergrund; erst ein Leitbild macht sie im Konsens explizit und damit für alle Organisationsmitglieder und Kontaktpersonen transparent. 4. Zielvereinbarungen oder Kontrakte werden in schriftlicher Form zwischen Institutionen bzw. Personen meist unterschiedlicher hierarchischer Ebenen geschlossen, um sich über quantitative und qualitative Handlungsergebnisse in einem vertragsähnlichen Abschluss zu einigen. Zielvereinbarungen werden in der Regel auf der Basis von Produkten getroffen. Sie vermitteln allen Beteiligten eine Handlungs- und Ergebnisorientierung, ohne aber den Weg der Zielerreichung genau vorzugeben. Das Instrument der Zielvereinbarung ist untrennbar mit der Delegation von Aufgaben, Zuständigkeiten, Unterschriftbefugnissen und Verantwortung auf nachgeordnete Stellen bzw. Mitarbeiter verbunden. Zielvereinbarungen können auch zwischen Organisationseinheiten bzw. Personen gleicher hierarchischer Ebenen geschlossen werden, ebenso zwischen Vorgesetztenstellen und Arbeits- oder Projektgruppen und sogar zwischen Verwaltungsstellen und Außenstehenden. Schließlich sollten im NSM Zielvereinbarungen zwischen Politik und Verwaltung geschlossen werden.
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5. Die Reorganisation einer Verwaltung im Zuge der Modernisierung hat zum Ziel, durch Wegfall mindestens einer hierarchischen Ebene und die Stärkung der zweiten Ebene (Fachbereiche) die Selbständigkeit und die Selbstverantwortung dieser zu erhöhen (divisionale Organisation). Die früheren Querschnittseinheiten (Organisation, Finanzen, Personal) sollen dabei in ihren Macht- und Einflussmöglichkeiten beschnitten und zu Service-Stellen für die Facheinheiten umgewandelt werden, denen die dezentrale Ressourcenverantwortung obliegt. 6. Die Analyse von Arbeitsablaufprozessen untersucht die Wertschöpfungsketten in der Produktion der Verwaltung, um Ressourcen zu schonen und die Durchlaufzeiten zu reduzieren. Diese Vorgehensweise ist relativ neu in der Verwaltung, unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten mit dem Ziel der Kostenreduzierung aber unvermeidlich. In ihr steckt ein großes Rationalisierungspotenzial. 7. Budgetierung ist die globale Zurverfügungstellung eines finanziellen Rahmens zur Deckung unterschiedlicher Bedarfe einer Organisationseinheit. Angestrebt werden dabei eine hundertprozentige Deckungsfähigkeit aller Ausgabearten und die Übertragbarkeit nicht verausgabter Mittel in das nächste Haushaltsjahr. Einsparungen, die aus Managementleistungen erwachsen sind, sollen als Belohnung dem Budget der nächsten Periode (zumindest teilweise) zugeschlagen werden. Den Organisationseinheiten werden Spielräume bei der Verausgabung der Mittel und die Möglichkeit gegeben, selbst Einnahmen zu erzielen. 8. Die Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) will über Kostenarten, Kostenstellen und Kostenträger mehr Kostentransparenz und Kostenbewusstsein erreichen und damit die Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns erhöhen. Es sollen exakte Erkenntnisse über den Ressourcenverbrauch bei der Leistungserstellung erbracht werden. Die KLR wurde in zahlreichen Verwaltungen bereits eingeführt oder ist dabei, die Kameralistik über die Doppik zu ergänzen und letztlich zu ersetzen. Ihre Ergebnisse werden zusammengefasst in einem jährlichen Produkthaushalt. 9. Controlling hat als Gegengewicht zur Delegation und Dezentralisierung der Aufgabenerledigung das Ziel, die Führungsebene bei ihren Steuerungsentscheidungen zu unterstützen, sie mit aufbereiteten steuerungsrelevanten Informationen zu versorgen, Abweichungsanalysen zu fertigen, rechtzeitig Risiken aufzuspüren und Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Es bedient sich dabei in erster Linie eines Berichtswesens, eines detaillierten Kennzahlensystems sowie Daten aus der Kosten- und Leistungsrechnung. Controllingstellen werden zentral (bei der Betriebsleitung) und/oder dezentral (auf der zweiten Führungsebene: Fachbereichsleiter, Abteilungsleiter) angesiedelt.
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Controlling überprüft, ob und in wie weit vereinbarte Ziele verfolgt und erreicht wurden. Dies setzt voraus, dass solche Ziele formuliert und operationalisiert wurden. Unter diesen Konditionen ist das Controlling mit Hilfe des Berichtswesens ein schlagkräftiges Instrument der neuen Verwaltungssteuerung. Im Berichtswesen muss festgelegt werden, wer wen wann mit welchen Inhalten und in welcher Form informiert. 10. Im neuen Personalmanagement spielen insbesondere das Mitarbeitergespräch, die Zielvereinbarung und die Leistungsorientierte Bezahlung (LOB) eine Rolle. Das Mitarbeitergespräch soll einmal jährlich zwischen der Führungskraft und jedem Mitarbeiter als persönliches Vier-Augen-Gespräch geführt werden. Themen sind: Art der Zusammenarbeit, Konflikte im Arbeitsalltag, Personalentwicklung u.ä. 11. Das Gesetz zur Reform des öffentlichen Dienstrechts aus dem Jahre 1997 sieht neue Leistungselemente bei der Bezahlung für Beamte vor. Diese Elemente sind allerdings erst nach vielen Diskussionen im Jahre 2002 mit dem Besoldungsstrukturgesetz in Kraft getreten und von den Ländern auch nur teilweise umgesetzt oder wieder abgeschafft worden. Im Einzelnen geht es um das leistungsabhängige schnellere oder verzögerte Vorrücken im Leistungsstufensystem, die Zahlung von Leistungsprämien oder Leistungszulagen. Nach der neuen Vergütungsstruktur des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) aus dem Jahre 2005 setzt sich das Gehalt eines Beschäftigten (früher Angestellte oder Arbeiter) aus einem Basisgehalt und einem Leistungsentgelt zusammen. Für die Leistungsentgelte, die den monetären Anreiz darstellen, soll im Jahre 2007 1% der gesamten Tarifsumme einer Behörde bereitgestellt werden; dieser Anteil soll sich in den Folgejahren bis auf 8% steigern. Der TVöD sieht in § 18 Abs. 2 Satz 2 verschiedene Formen der monetären Leistungsanreize in Form von Leistungsentgelten vor. Leistungsentgelte sind eine variable und leistungsorientierte Bezahlung, die zusätzlich zum Gehalt nach den Entgeltstufen gezahlt werden kann. Sie werden als Leistungsprämie, Leistungszulage oder Erfolgsprämie gewährt. 12. Das Benchmarking will durch Vergleiche der Leistungen verschiedener Verwaltungen mittels Kennzahlen marktähnliche Konkurrenzbeziehungen erzeugen und sowohl damit als auch durch die Imitation von Spitzenleistungen (best practice) die Leistungsfähigkeit einzelner Organisationseinheiten erhöhen. Gesteuert wird das Unternehmen Verwaltung durch Verwaltungsführung und Politik, also das haupt- und das ehrenamtliche Management. Damit verbunden ist eine neue Rollenverteilung von Politik und Verwaltung: Den vielfältigen Verzahnungen und Abhängigkeiten zwischen Politik und Verwaltung im bürokrati-
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schen Steuerungssystem wird eine klare Verantwortungsabgrenzung entgegen gesetzt, die häufig mit der plakativen Formel des WAS und des WIE beschrieben wird. Der Schwerpunkt politischer Arbeit soll auf strategischen Entscheidungen liegen; von operativen Entscheidungen, die einzelne Verwaltungsbereiche oder Politikfelder betreffen, soll abgesehen werden (vgl. Möltgen 2001: 124 ff.). 3.2 Kritik Fast alle Elemente des NSM zielen nach innen; sie sollen eine Verwaltung effektiver und effizienter machen. Die Maßnahmen können eine größere Transparenz der erbrachten Verwaltungsleistungen, der dafür aufgewendeten Ressourcen und der innerbehördlichen Produktionsprozesse bewirken. Der Prozess der Verwaltungsmodernisierung nach dem NSM birgt jedoch die Gefahr, sich durch das selbst begrenzende Eigenverständnis als Dienstleistungsunternehmen und durch die Betonung betriebswirtschaftlicher Elemente der Verantwortung als gestaltende Kraft lokaler oder regionaler Lebensumstände zu entziehen. Bei der Definition des Bürgers als Kunden findet eine Einengung auf die unmittelbare Nachfrage der Kontaktpartner nach öffentlichen Leistungen und eine Effektivierung der dazu notwendigen Produktionsprozesse statt, die Verantwortung für eine lebenswerte Gestaltung für alle Bürger rutscht aus dem eingeengten Focus (Schröter 2007: 174 ff.). Der „schlanke Staat“ bewirkt dann nicht nur eine personell ausgedünnte Verwaltung, sondern über die Aufgabenreduzierung auch einen Verzicht auf politische Handlungsspielräume. Bei der Zuständigkeits- und Arbeitsteilung nach dem NSM zieht letztere den eigenen Einflusshorizont enger (Pippke 2000: 285). 4 New Public Management und Demokratisierung: Konzeptionelle Grundlagen und theoretische Analyse 4.1 Übersicht Zur Vorbereitung der Untersuchung, ob das NSM die Demokratisierung in und um die öffentliche Verwaltung in Deutschland gefördert hat, geben wir eine stichwortartige grobe Einschätzung darüber, welche Elemente plausibler Weise überhaupt einen Einfluss haben können und von welchen dies nicht anzunehmen ist. Eine detaillierte Begründung wird im folgenden Abschnitt gegeben.
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Aufgabenkritik: Auslagerung von Verwaltungsleistungen in GmbHs, Anstalten öffentlichen Rechts, Stiftungen usw. – damit verbunden Reduktion politischer Kontrollmöglichkeiten. Produkte: Beteiligung der Mitarbeiter an der Definition der Produkte, Verantwortung für einzelne Produkte oder Produktbereiche. Leitbild: Beteiligung aller Mitarbeiter an der Erstellung und Umsetzung im Botton-up-Verfahren; Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger bei Entwicklung von Städteleitbildern. Kontraktmanagement: Globalkontrakt zwischen Politik und Verwaltung; Absprachen mit Mitarbeitern über Zielsetzungen und ihre Erreichung. Neue Aufbauorganisation: Enthierarchisierung. Prozessanalysen, Ablauforganisation: Beteiligung der Mitarbeiter bei der Neugestaltung möglich. Budgetierung: Handlungsspielräume bei der Mittelverausgabung. Kostenrechnung: kein Bezug. Produkthaushalt: formelle Beteiligung der demokratisch gewählten Gremien. Controlling: Berichterstattung an den Rat oder einzelne Ausschüsse, Eingriffsmöglichkeiten. Personalmanagement: mehr Selbständigkeit und Verantwortung für die Mitarbeiter. Leistungsanreize: mehr Selbständigkeit und Verantwortung für die Mitarbeiter. Wettbewerb, Benchmarking: kein direkter Bezug. 4.2 Argumente pro Demokratisierung Wie bereits erwähnt, begann der Wandel von der input- zur outputgesteuerten Verwaltung in vielen Fällen mit der Definition der erzeugten Produkte. Diese Sichtweise - weg von der innengerichteten Sicht auf die gestellten Aufgaben hin zu den Ergebnissen des beruflichen Handelns - war für die öffentliche Verwaltung neu, und sie tat sich entsprechend schwer damit. Die Definition von Produkten wurde vielfach den Mitarbeitern übertragen, die aber auch nur vage Vorstellungen von dieser Neuerung hatten. Schulungen konnten diese Unsicherheiten teilweise auffangen, dennoch waren die Ergebnisse insgesamt diffus und uneinheitlich, sowohl was die Inhalte als auch die Anzahl betraf. Es folgte ein jahrelanger Lernprozess für die Verwaltung, bis es zu handhabbaren Produktkatalogen kam, die für interne Leistungsverrechnung, eine Kosten-Leistungs-Rech-
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nung und einen Produkthaushalt brauchbar waren. In Nordrhein-Westfalen wurde mit der Einführung des Neuen Kommunalen Finanzmanagements (NKF) ein Produktrahmen für die Kommunen vorgegeben, den sie nach eigenen Bedürfnissen ausfüllen konnten. Die Überlegungen und Vorschläge der Mitarbeiter zu den Produktdefinitionen gingen mehr oder weniger in die endgültigen Produktkataloge ein, sie zwangen sie aber auch, sich intensiv mit den Ergebnissen der eigenen Arbeit auseinander zu setzen und sie kritisch zu reflektieren. Die Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung haben somit einen Beitrag zur Gestaltung des NSM in Deutschland geleistet, indem sie mit neuer Sichtweise die Ergebnisse ihres Berufshandelns beschrieben. Sie haben sich in großer Zahl partizipativ am Prozess der Produkterfassung in ihrer Behörde beteiligt und Verantwortung für die Produkte übernommen. Damit Leitbilder ihre Funktionen erfüllen können, müssen sie von den Organisationsmitgliedern akzeptiert werden. Eine solche Akzeptanz ist nicht dadurch zu erreichen, dass die Verwaltungsleitung im stillen Kämmerlein ein Leitbild ausheckt und es der Belegschaft verkündet wie Moses die zehn Gebote am Berg Sinai. Akzeptanz und Identifikation erfordern die Beteiligung möglichst vieler Organisationsmitglieder. Generell kann man beim Prozess der Leitbildgewinnung folgende Wege unterscheiden: Nur Top-down: Der Behördenchef ordnet das Leitbild per Verfügung an. Nur Bottom-up: Alle Mitarbeiter werden aufgefordert, Ziele zu benennen, die in das Leitbild einfließen sollen. Diese werden auf der jeweils höheren Ebene gesammelt und verdichtet. Top-down und danach im Gegenstromprinzip Bottom-up: Die Behördenspitze bekennt sich zu einem bestimmten Leitbild. Dieses wird auf jeder nachfolgenden Hierarchiestufe diskutiert, ggf. verändert und dort für den eigenen Bereich konkretisiert. Bottom-up und danach im Gegenstromprinzip Top-down: Alle Mitarbeiter suchen zunächst nach Zielen auf ihrer Arbeitsebene, sie werden auf der jeweils höheren Ebene verdichtet. In der zweiten Phase sollen die so gewonnenen obersten Ziele von Hierarchiestufe zu -stufe herunter gebrochen und durch Zielvereinbarungen konkretisiert werden. Je nachdem, nach welchem Verfahren in den Behörden Leitbilder entwickelt wurden, war eine Beteiligung der Mitarbeiter mehr oder weniger erfolgreich. Der beste Weg, akzeptierte Leitbilder zu finden, ist der zuletzt genannte. In vielen Städten wurden neben verwaltungsinternen Leitbildern auch Leitbilder für die eigene Stadt oder die Stadtentwicklung unter breiter Beteiligung
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der Bürger entwickelt. Die Formulierungen fanden in Findungs- und Diskussionsprozessen in Workshops, Zukunftswerkstätten, Zukunftsforen, Visionswerkstätten und Ähnlichem statt. Wie bei der Darstellung der Leitbilder für die Verwaltung war die Beteiligung der Bürger am Leitbild für ihre Stadt ein einmaliger Prozess, Wiederholungen und Weiterungen hat es in aller Regel nicht gegeben. Ein Bewusstsein für die Möglichkeiten demokratischer Partizipation in einer Stadt ist vermutlich nur sehr begrenzt entstanden. Im Binnenverhältnis ist das Kontraktmanagement über Zielvereinbarungen untrennbar mit der Delegation von Aufgaben, Zuständigkeiten, Unterschriftsbefugnissen und Verantwortung auf nachgeordnete Stellen bzw. Mitarbeiter verbunden (Pippke 1997). Es soll bewirken, dass die nachgeordneten Organisationseinheiten bzw. Mitarbeiter weitgehend selbständig das vereinbarte Ziel verfolgen, weil sie ja auch verantwortlich für die Ergebnisse sind. Dies bedingt aber zwangsläufig, dass die Vereinbarung auch von der vorgesetzten Stelle eingehalten werden muss: keine Einzeleingriffe in den Arbeitsvollzug des Mitarbeiters; keine kleinlichen Kontrollen, sondern lediglich Ergebnisabstimmung; Betreuung mit Sonderaufgaben oder zusätzlicher Arbeit nur, wenn eine neue Vereinbarung getroffen wird (Zielkorrektur). Ziele sollen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern vereinbart werden. Sie können demnach nicht direktiv von oben verordnet werden, sondern sollen partnerschaftlich im gegenseitigen Meinungsaustausch formuliert werden. Zielvereinbarungen sind eine Führung „auf Abstand“. Sie sind daher ohne eine Delegation von Kompetenzen nicht sinnvoll. Sie erhöhen damit die Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Mitarbeiter. Die Umorganisation des Verwaltungsaufbaus nach Produkten hatte unter anderen zum Ziel, eine hierarchische Ebene zu streichen. Dies verringert im Zuge der Haushaltssanierung zwar die Zahl der Leitungsstellen, reduziert aber auch durch deren Wegfall die Aufstiegschancen der Mitarbeiter auf eine höhere Position. Zwangsläufig erhöht sich mit der Hierarchieabflachung die Leitungsspanne für die Führungskräfte, was den Mitarbeitern tendenziell größere Handlungsspielräume eröffnet. So werden durch den Verwaltungsumbau die Eigenständigkeit und Entscheidungsmöglichkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst vergrößert. Bei der Neugestaltung der Geschäftsprozesse und der Budgetierung ist eine positive Auswirkung auf die Demokratisierung nur dann gegeben, wenn den Mitarbeitern in einer Organisationseinheit die Möglichkeit eingeräumt wird, über die Verteilung der Budgets mitzubestimmen. Die damit verbundenen Aushandlungsprozesse sind als partizipatives Geschehen innerhalb der Verwaltung zu verstehen und sind damit ein Beitrag zu einer innerbehördlichen Demokratisierung. Eine Nichtbeteiligung der Mitarbeiter an der Budgetgestaltung ist hingegen
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keine Verschlechterung gegenüber dem Status quo der Finanzwirtschaft innerhalb einer Behörde. Die produkt- bzw. outputorientierte Aufstellung des jährlichen Haushalts (die also nicht mehr wie herkömmlich aufgabenorientiert erfolgt), soll die Transparenz der kommunalen Finanzen für die Ratsmitglieder, die abschließend über einen Haushalt entscheiden, deutlich verbessern. Würden Produkthaushalte in dieser Weise konsequent umgesetzt, könnten Rat und Ausschüsse bzw. die legislativen Kräfte der staatlichen Verwaltung tatsächlich ihre Planungs-, Steuerungs- und Kontrollfunktionen besser erfüllen. Das Controlling ist als neues Kontroll- und Überwachungsinstrument üblicherweise innerbehördlich verankert, entweder als strategisches Controlling bei der Verwaltungsleitung angesiedelt oder als operatives Controlling einzelnen Organisationseinheiten, in der Regel auf der Ebene der Fachbereiche, zugeordnet. Dort hat es nach unserer Einschätzung keine Auswirkung auf die Demokratisierung, eher kann es in seiner Funktion als ständig aktives, latentes Kontrollinstrument einschränkend wirken. Es wäre allerdings in der Hand des Rates oder einer staatlichen Legislative ein geeignetes Instrument, die Folgen eigener Entscheidungen oder des Verwaltungshandelns zu verfolgen, politisch zu begleiten und korrigierend einzugreifen. Es würde demnach die Rolle der demokratisch gewählten Gremien stärken, weil ihr Handeln und das der Verwaltung durch Kennzahlen und Indikatoren transparenter würden und die Effektivität des Verwaltungshandelns leichter zu überprüfen wäre. Monetäre Leistungsanreize in Organisationen entsprechen alle folgendem Denkschema: Eine hypothetisch leistungsfördernde Maßnahme bewirkt durch ihren Vollzug oder durch die Inaussichtstellung einer Belohnung bei den Mitarbeitern einen kognitiven Impuls, sich in dem Bereich, für den eine Belohnung gewährt oder in Aussicht gestellt wird, mehr anzustrengen bzw. höhere Leistungen zu erbringen, um diese Belohnung zu erhalten. Dies setzt voraus, dass die Belohnung für die Mitarbeiter einen Wert hat und somit erstrebenswert ist, dass sie die Erlangung durch eigenes Verhalten für wahrscheinlich halten und dass die Belohnung auch im Zusammenhang mit diesem Verhalten tatsächlich erfolgt. Leistungsabhängige Gehaltsbestandteile sollen die Arbeitsmotivation der Mitarbeiter verstärken. Sie sollen auch die Einkommensgerechtigkeit erhöhen, indem leistungswillige und -fähige Mitarbeiter mehr Gehalt erhalten als solche mit durchschnittlichen oder unterdurchschnittlichen Arbeitsergebnissen. Im Interesse der Organisation sollen dadurch letztlich Effektivität, Effizienz und Qualität gesteigert werden. Die Eigenständigkeit der Mitarbeiter wird gestärkt, weil sie selbst entscheiden können, ob sie sich dem Anreizsystem unterwerfen oder nicht.
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4.3 Argumente gegen die Demokratisierung Verbunden mit der Aufgabenkritik, der Konzentration auf die Kerngeschäfte, der Orientierung an Effizienz und Effektivität und dem Ziel der Kostensenkung sollte im Rahmen der Einführung des NSM in vielen Kommunen und auf staatlicher Ebene geprüft werden, welche Aufgaben besser von Privaten erfüllt werden könnten. Privatisierung, Outsourcing, PPPs haben keine zwingenden Auswirkungen auf die innerbetriebliche Demokratisierung in der öffentlichen Verwaltung, sie haben aber erhebliche Auswirkungen auf die Kontrollmöglichkeiten demokratisch gewählter Gremien. Verwaltungsaufgaben wie Baubetriebshöfe, Stadtwerke, Theater, Schwimmbäder, Wirtschaftsförderung, Volkshochschulen usw. sind mit der Absicht, ihnen mehr Entscheidungsmöglichkeiten zu geben, sie wirtschaftlicher zu machen und ihre Handlungsfähigkeit zu beschleunigen, in GmbHs, Anstalten öffentlichen Rechts und andere privatrechtliche Unternehmensformen verlagert worden. Zwar ist die Stadt oft alleiniger Gesellschafter oder Träger einer solchen Rechtsform und sind einzelne Ratsmitglieder in den Aufsichtsräten dieser Betriebe vertreten, die Geschäftsführer handeln aber mit großen Gestaltungsspielräumen, die Sitzungen sind überwiegend oder ausschließlich nicht-öffentlich, die Aufsichtsratsmitglieder werden zwar über wichtige Entscheidungen informiert, aber wenig beteiligt, es findet kein öffentlicher Diskurs in einem Rat oder einem seiner Ausschüsse statt, die öffentlichen Kontrollmöglichkeiten sind deutlich verringert. 2 Die Verabschiedung von Globalhaushalten, die Budgetierung innerhalb der Verwaltung und Führung auf Abstand führen zu Steuerungsverlusten der Räte, Kreistage und der staatlichen Legislative, weil die demokratisch gewählten Gremien auf Einflussmöglichkeiten zugunsten der nachgeordneten Ebenen innerhalb einer Verwaltung verzichten. 4.4 Gegenüberstellung und Ansätze zur Weiterentwicklung Zwar tauchen in der Gegenüberstellung von Pro- und Contra-Aspekten mehr Argumente auf der Pro-Seite auf, das Argument der Abnahme politischer Kontrollen auf der Contra-Seite wiegt unserer Ansicht nach aber schwerer. Durch die Privatisierung öffentlicher Leistungen sind die Einfluss-, Aufsichts- und Eingriffsmöglichkeiten politischer Entscheidungsträger deutlich eingeschränkt worden. 2 Vgl. die Fundamentalkritik aus demokratietheoretischer Sicht von Schröter (2007).
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Einen entscheidenden, zukunftsweisenden Beitrag zur Demokratisierung kann die Verwaltungsmodernisierung in Deutschland nach unserer theoretischen Analyse nur schwerlich leisten. NPM und NSM sind in erster Linie betriebswirtschaftlich ausgerichtet. Zwar haben die Definition von Produkten und die Diskussion um verwaltungsinterne Leitbilder die Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung zur Beteiligung angeregt, diese Form der Partizipation ist aber zeitlich und inhaltlich begrenzt, ihre nachhaltige Wirkung ist fraglich. Lediglich in den erweiterten Handlungsspielräumen der Mitarbeiter durch die Verflachung organisatorischer Strukturen, des Kontraktmanagements mit Zielvereinbarungen und der Personalführung auf Distanz sehen wir mehr Eigenständigkeit und Selbstverantwortung bei den Mitarbeitern in den öffentlichen Verwaltungen. Ob dies tatsächlich so eintritt, hängt aber von der konkreten Ausgestaltung vor Ort ab. Die genannten Elemente beinhalten aber zumindest Chancen für eine größere Mitwirkung der Mitarbeiter und damit Ansätze zu einer verstärkten Demokratisierung innerhalb der Verwaltung. Eine Außenwirkung in Richtung von mehr Bürgerbeteiligung hat vereinzelt im Zusammenhang mit der Formulierung von städtischen Leitbildern in Zukunftswerkstätten und ähnlichem stattgefunden. Die Mitwirkungsmöglichkeiten sind aber nur zeitlich punktuell wie z.B. die Beteiligung von Bürgern in so genannten Planungszellen (Dienel 1997). Nach den Vorstellungen einer „Bürgerkommune“, in der Verwaltung und Bürger langfristig kooperieren, sind regelmäßig stattfindende Gesprächsrunden, „Runde Tische“, oder Bürgerpanels nach dem britischen Modell des Citizen’s Panel eher geeignet, die Demokratisierung einer regionalen oder lokalen Einheit dauerhaft zu fördern und zu einer neuen politischen Kultur zu gelangen (Klages u.a. 2008). Solche Instrumente oder Vorgehensweisen sind aber nicht zwingend Bestandteile des NSM. Die Kritik am NSM hat seit einiger Zeit zu einem Unbehagen an seinen Ergebnissen geführt. Es mehren sich die Forderungen, vom Output zum Outcome fort zu schreiten, das Verwaltungshandeln auf seinen Wirkungsgehalt hin zu untersuchen, die Ergebnisse auf ihre Nachhaltigkeit zu prüfen oder gar einem neuen paradigmatischen Ansatz, der „Bürgerkommune“, zu folgen. Alle Ansätze stellen die Frage, welche (ggf. nachhaltigen) gesellschaftlichen, ökonomischen, ökologischen, sozialen, finanziellen usw. Folgen die Handlungen der Verwaltung haben. In diesem Bereich scheint das NSM bislang am wenigsten erfolgreich zu sein (Buschhoff/Mosiek: 2008). In der Weiterentwicklung des NSM hin zur Beachtung des Outcome, der gesellschaftlichen Wirkung des Verwaltungshandelns, liegen allerdings Chancen zur weiteren Demokratisierung der Gesellschaft, falls die Bürger bei der Ausprägung des Outcome Mitwirkungsmöglichkeiten erhalten.
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Seit der Jahrhundertwende wird in der Verwaltungspolitik zunehmend über „strategische Ziele“ und über „strategische Steuerung“ diskutiert, die jeweils sowohl zeitlich als auch inhaltlich einen viel weiteren Horizont haben als das Neue Steuerungsmodell (KGSt 2000). Strategisches Management zielt auf die langfristig angelegte und nachhaltige politische Steuerung einer Verwaltung. Grundlage ist ein strategisches Berichtswesen, das Aufschluss über das Erreichen der angestrebten Ziele gibt, die sich Legislative, Verwaltung und Bürgerschaft gesetzt haben. Die Verstärkung der Diskussion strategischer Ziele in den parlamentarischen Gremien bietet politischen Entscheidungsträgern und Bürgern neue Chancen der Mitgestaltung des gesellschaftlichen Umfeldes und der zukünftigen Entwicklung desselben. Selbstverständlich ist die Verwaltung einer Kommune oder einer größeren Region nicht allein zuständig und verantwortlich für das Gemeinwohl in ihrem Wirkungsbereich. Besonders das Engagement der Bürger spielt im Zusammenhang mit der Diskussion um die Bürgerkommune eine wachsende Rolle (Pfreundschuh 1999). Die verwaisten Räume politischer Gestaltung, die durch den Rückzug des Staates und die Selbstbeschränkung staatlichen Handelns entstehen, können durch die Aktivitäten von Verbänden, Initiativen, Vereinen, Arbeitsgruppen usw. gefüllt werden. Der Begriff der Bürgerkommune folgt der in den USA verbreiteten Idee des Kommunitarismus. Im Mittelpunkt steht die Gemeinschaft der Bürger, die in sozialen Netzen (Nachbarschaften, NROs (= NichtRegierungsorganisationen), Initiativen) gemeinsame Interessen verfolgt. Der Staat bzw. die örtliche Verwaltung haben nur eine nachrangige Funktion: Moderator, Vermittler, Mediator, Makler u.Ä. Alle betroffenen Bürger werden zur Mitarbeit aufgerufen, sollen für ihre örtlichen Belange aktiv werden und das Gemeinwohl in gemeinsamer Verantwortung verfolgen und stärken. Die intensive Beteiligung von Bürgern bei Planungsangelegenheiten, der so genannte Bürgerhaushalt oder Visionswerkstätten mit Bürgern sind erste Schritte auf diesem Weg. Die Theorie des Governance will diese Entwicklung erfassen und konzeptionell weiterentwickeln. Öffentliche Leistungen sind danach nicht zwangsläufig von einer bestimmten Institution zu erbringen, sondern können sowohl staatlich als auch privat als auch in einer Public-Private-Partnership (PPP), sowohl staatlich oder privat finanziert als auch ehrenamtlich, sowohl gegen Entgelt als auch ohne Entgelt angeboten werden. Institutionen, die solche Leistungen erbringen, können sein: Verwaltungseinheiten, Verbände, Vereine, NROs, Bürgerinitiativen, Privatunternehmen, Nachbarschaften, einzelne Bürger (Treutner 1998: 36 ff.). Die Idee der Governance erfordert eine Neubesinnung der Rolle des Staates in der Zivilgesellschaft: Er soll sich auf seine Kernaufgaben beschränken und gesellschaftlich unverzichtbare und wichtige Aufgaben in Kooperation mit den
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gesellschaftlichen Akteuren angehen. Die Institutionen und der Staat arbeiten nicht isoliert, sondern zunehmend in Netzwerken. Solche Netzwerke sind besonders im kulturellen, im sozialen und im ökologischen Bereich zu finden, exemplarisch etwa in Lokalen Agenda 21-Prozessen. Hier arbeiten vielfach staatliche Institutionen oder einzelne Verwaltungsbereiche mit Bürgergruppierungen zusammen, tauschen sich aus und ergänzen sich. In all den hier kurz beschriebenen Weiterentwicklungen des NPM bzw. NSM (vom Output zum Outcome, strategische Zielsetzung, Bürgerkommune, Governance) ist konzeptionell eine verstärkte Beteiligung der Bürger vorgesehen und damit eine Demokratisierung im oben genannten Sinn gegeben. 5 New Public Management und Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung: Empirische Ergebnisse und ihre Bewertung Nach fast zwei Jahrzehnten Erfahrungen mit der Verwaltungsmodernisierung in Deutschland, insbesondere mit dem NSM auf kommunaler Ebene, wird in Wissenschaft und Praxis die Frage nach den Ergebnissen und Wirkungen dieses umfassenden Reformprojektes gestellt und die Notwendigkeit einer systematischen Analyse der Reformerfolge und -hemmnisse betont. Hintergrund ist eine zunehmende Ernüchterung bei den Reformern. Zwar hat das NSM das Reformklima insgesamt begünstigt und haben zahlreiche Verwaltungen Module aus dem NSM eingeführt, vielerorts hat sich in den letzten Jahren jedoch Reformmüdigkeit breit gemacht, einzelne Reformen wurden gar zurück genommen. (Jann u.a. 2004; Klages 2003; Bogumil/Kuhlmann 2006; König 2006: 29-30; KGSt 2007; Bogumil u.a. 2007). Ergänzend zu der theoretischen Bewertung des NSM im 4. Kapitel dieses Beitrages wird daher zunächst ein Überblick zum Stand der Verwaltungsreform in Deutschland auf der Grundlage neuerer empirischer Erhebungen gegeben. Ferner werden diese Erhebungen daraufhin überprüft, ob empirische Belege dafür existieren, dass das NSM einen Beitrag zur Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung in Richtung der Mitarbeiter, „der Politik“ und/oder der Bürger leisten konnte. Da die reformbezogene Evaluationsforschung nach wie vor lückenhaft ist und sich auf die kommunale Ebene konzentriert, beziehen wir uns bei unserer Analyse auf folgende Untersuchungen: a) Die Umfrage des Deutschen Städtetages (DST) und des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) zum Stand der Verwaltungsmodernisierung in den deutschen Städten (Difu 2005). Mit der Befragung, die der DST und das Difu im Jahr 2004 durchgeführt haben, wurde an eine Reihe von Befragungen angeknüpft, die der DST zwischen 1995 und 2000 vorgenommen hat. Befragt wurden
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neben den 226 Mitgliedsstädten des DST 17 Zuwenderstädte des Difu, die nicht zu den unmittelbaren Mitgliedstädten des DST gehören. Die Rücklaufquote lag bei 69%. b) Die Ergebnisse des Forschungsprojektes „10 Jahre Neues Steuerungsmodell – Evaluation kommunaler Verwaltungsmodernisierung“ (Bogumil/Kuhlmann 2006: 349-370; Bogumil u.a. 2006: 151-184; Bogumil u.a. 2007). Das Forschungsprojekt wurde von den Universitäten Konstanz bzw. Bochum, Berlin und Potsdam in den Jahren 2004-2006 bearbeitet und von der KGSt und der HansBöckler-Stiftung unterstützt bzw. gefördert. Neben einer Auswertung bestehender Forschungsberichte und empirischer Studien wurde eine schriftliche Befragung unter Bürgermeistern bzw. Landräten und den Personalratsvorsitzenden aller Kommunen über 20.000 Einwohner vorgenommen. Zudem wurden qualitative Fallstudien in vier ausgewählten Städten durchgeführt. Die Rücklaufquoten von 55,6% (Bürgermeister) und 42,7% (Personalräte) lassen repräsentative Aussagen zu. 5.1 Überblick Das NSM stellt nach wie vor das Reformleitbild der überwiegenden Mehrheit der Kommunen dar: Über 82% der Reformkommunen orientieren sich am NSM. Bei der Umsetzung stehen dagegen einzelne Elemente des NSM im Mittelpunkt, hier folgen nur 16,1% der Kommunen dem Gesamtkonzept des NSM (vgl. Bogumil u.a. 2006: 157). Insgesamt wird deutlich, dass sich eine teilweise Umsetzung und Modifizierung einzelner Elemente des Neuen Steuerungsmodells durchgesetzt hat und die Reform als Folge dessen den Charakter einer ganzheitlichen Modernisierung verloren hat (Difu 2005: 8). Der aktuelle Stand der Reformen lässt sich wie folgt zusammen fassen: Als wesentlicher Reformerfolg hat sich die verbesserte Bürgerorientierung heraus kristallisiert, die durch mehr Serviceorientierung, verkürzte Durchlaufzeiten, die Einrichtung von Bürgerbüros und erweiterte Öffnungszeiten realisiert werden konnte (vgl. Bogumil u.a. 2006: 168 ff.; Difu 2005: 38 ff.). Auch im Bereich des Haushalts- und Rechnungswesens konnten positive Effekte erzielt werden, z.B. durch mehr Flexibilität bei der Mittelverwendung, Kostentransparenz, ein gestiegenes Kostenbewusstsein sowie Einsparungen (Difu 2005: 23 ff.). Zudem haben strukturelle Änderungen, insbesondere die Einrichtung von Fachbereichsstrukturen, dazu geführt, dass Hierarchien abgebaut, Entscheidungsspielräume der Mitarbeiter ausgeweitet und „markante Output-Verbesserungen“ (Bogumil u.a. 2006: 168) realisiert werden konnten.
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Negativ muss dagegen bewertet werden, dass nur sehr wenige Kommunalverwaltungen das NSM in Gänze eingeführt haben und bisher kein Kernelement des NSM in deutschen Kommunen in der gesamten Verwaltung implementiert wurde (Bogumil u.a. 2006: 158). Auch im Verhältnis von Politik und Verwaltung sind in nur wenigen Kommunen grundlegende Änderungen vollzogen worden (Bogumil u.a. 2006: 162; Difu 2005: 42). Insgesamt ist eine Konzentration der Reform auf die instrumentelle und/oder operative Ebene zu konstatieren, während die strategische Dimension der Modernisierung (strategische Zieldiskussionen, strategisches Management) nach wie vor vernachlässigt wird (KGSt 2007: 29 f.). Hinzu kommt, dass bei der Implementierung einzelner Elemente, wie beispielsweise im Bereich der Produkte, der KLR und des Controlling, häufig neue Formen der Bürokratisierung geschaffen wurden. Auch die Folgen einzelner Elemente des NSM für die Verwaltungsorganisationen sind z.T. nicht berücksichtigt worden. So ist beispielsweise die Dezentralisierung von Ressourcenverantwortung oder die Ausgliederung von Verwaltungseinheiten nicht immer durch den Aufbau eines aussagefähigen Berichtswesens „ausgeglichen“ worden, so dass sich die gesamtstädtischen Steuerungsdefizite in einigen Kommunen verschärft haben (Bogumil/Kuhlmann 2004: 54). Als besonders problematisch hat sich die Parallelität von Verwaltungsmodernisierung und Haushaltskonsolidierung erwiesen, weil durch den Zwang zu Einsparungen einige Elemente des NSM, wie beispielsweise die dezentrale Ressourcenverantwortung, nur bedingt wirksam werden konnten. Auch Motivationsverluste und Vorbehalte bei den Mitarbeitern sind als wesentliche Reformhemmnisse anzuführen (Difu 2005: 12). 5.2 Umfrage des Deutschen Städtetages und des Deutschen Instituts für Urbanistik Die Zielsetzung, die Bürgerorientierung zu verbessern (78,2%) steht neben dem Ziel, die Effizienz zu erhöhen (83,6%), im Mittelpunkt der Reformen. Erst mit deutlichem Abstand folgen nach der Erhebung des DST und des Difu die Verbesserung des finanziellen Handlungsrahmens (52,7%) und die Erhöhung der Effektivität (47,9%). Zu den Schlusslichtern der Reformziele zählt die „Motivation der Mitarbeiter verbessern“ (22,4%) (Difu 2005: 12, 16-17). Ob bzw. inwieweit durch die Verwaltungsreform eine stärkere Teilhabe von Beteiligten und Betroffenen an Verwaltungsentscheidungen erreicht werden sollte, geht aus der Übersicht der vorrangigen Reformziele nicht hervor. Hinweise auf die Beantwortung unserer Fragestellungen finden sich dennoch. Die Befragung zeigt, dass die Modernisierung der Ratsarbeit als Element der
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Reform nach wie vor nachrangig ist, bisher lediglich in Ansätzen erfolgt und vorrangig die Informationsversorgung der Mandatsträger betrifft. Zwar gab über die Hälfte der befragten Kommunen an, ein eigenes Ratsinformationssystem eingerichtet zu haben, eine veränderte Arbeitsteilung zwischen Rat und Verwaltung existiert dagegen in 57,1% der Kommunen nicht (Difu 2005: 42-43). Nun kann eine verbesserte Information der politischen Vertreter durchaus als Beitrag zur Demokratisierung gewertet werden. Allerdings ist dieser mit Skepsis zu betrachten, weil die Ergebnisse der Befragung einmal mehr den Informationsvorsprung der Verwaltung gegenüber den gewählten politischen Repräsentanten deutlich machen, die Politik auf die passive Rolle des Informationsempfängers beschränkt wird und sich zudem die Fokussierung auf die Binnenmodernisierung bestätigt. Hier zeigt sich unserer Ansicht die nach wie vor bestehende konzeptionelle Schwachstelle des NSM im Hinblick auf die politische Steuerung. Die Tatsache, dass 53,5% der Kommunen im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung Auslagerungen und Verselbständigungen durchgeführt haben (Abbildung Difu 2005: 33), lässt zudem einen Einflussverlust der kommunalen Vertretungskörperschaften vermuten. Auch wenn einzelne Mandatsträger in den Aufsichts- oder Verwaltungsräten vertreten sind, wird die demokratische Teilhabe der gewählten Repräsentanten in der Summe im Zuge der Verselbständigung von Verwaltungsbereichen i.d.R. geschmälert. Ob sich die Gestaltungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten der Mitarbeiter im Ergebnis der Reform verbessert haben, ist insbesondere vor dem Hintergrund von Interesse, dass 36% der antwortenden Kommunen angaben, Vorbehalte der Beschäftigten seien derzeit das größte Hindernis bei der Modernisierung der Verwaltung und 31,1% Vorbehalte der Führungskräfte als größtes Reformhindernis nannten (Difu 2005: 20), was grundsätzlich zu einer pessimistischen Einschätzung im Hinblick auf die innere Demokratisierung Anlass gibt. Für eine Demokratisierung sprechen dagegen folgende Befragungsergebnisse: Die Budgetierung ist in 54% der Städte für die gesamte Verwaltung eingeführt; 36% gaben an, ein finanzielles Anreizsystem umgesetzt zu haben. Allerdings wird die Akzeptanz der Budgetierung immer wieder durch das Fehlen finanzieller Handlungsspielräume beeinträchtigt (Difu 2005: 23 ff.). In 53,9% der Kommunen wurden dezentrale Fachbereiche bzw. Ressorts eingerichtet. Keine Aussagen finden sich zu der Fragestellung, inwieweit diese Umstrukturierung mit einer Übertragung der Verantwortung für die Ressourcen verbunden war (Difu 2005: 33-34). Fast die Hälfte der antwortenden Städte führte Zielvereinbarungen ein, weitere 36% der Kommunen planen, dies zukünftig zu tun. Dabei werden die
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bisherigen Erfahrungen im Hinblick auf die Akzeptanz der Mitarbeiter und auf den Zugewinn für die Personalführung positiv bewertet (Difu 2005: 51). Unterstützt werden die Zielvereinbarungen durch monetäre Leistungsanreize, die von knapp einem Drittel der antwortenden Städte genutzt und nach ersten Erfahrungen grundsätzlich positiv bewertet werden, sowie zusätzliche Maßnahmen der Motivationsförderung, also immaterielle Anreize (im Einzelnen Difu 2005: 53). Diese Ergebnisse sprechen unserer Ansicht nach eindeutig für die Erweiterung der Handlungsspielräume der Mitarbeiter. Auch im Bereich der Führungskräfte deuten zahlreiche Maßnahmen auf eine Demokratisierung hin. Beispielsweise ist den Führungskräften in knapp 69% die Ergebnisverantwortung, in etwa 67% die Budgetverantwortung übertragen worden (Difu 2005: 55). Schließlich bieten fachbereichsinterne Qualitätszirkel, die in 41,1% der Kommunen durchgeführt werden, die Möglichkeit der Mitwirkung und gestaltung durch die Mitarbeiter (Difu 2005: 37). Der letzte hier relevante Untersuchungsbereich betrifft die Bürger. Zu überprüfen ist, ob durch eine verbesserte Bürgerorientierung gleichsam eine stärkere Teilhabe der Bürger an Verwaltungsentscheidungen erreicht werden konnte. Die Befragungsergebnisse zeigen deutlich, dass unter der Kategorie „Bürgerorientierung“ das Dienstleistungsangebot der Verwaltung, die Verwaltungsabläufe und die Erreichbarkeit der Verwaltungseinrichtungen im Mittelpunkt stehen (Difu 2005: 38-39). Dabei können aus der außerordentlich positiven Bewertung der Dienstleistungsqualität vorsichtige Hinweise auf die Demokratisierung gewonnen werden. So führen die Einrichtung von Bürgerämtern (81,5%), die erweiterten Öffnungszeiten, die Abschaffung von Hierarchiestufen und die Einführung von Teamstrukturen grundsätzlich zu mehr Transparenz über das Verwaltungshandeln. Hinzu kommt, dass in einem Großteil der Verwaltungen Bürger- oder Kundenbefragungen (84 von 133 Städten) durchgeführt werden (vgl. Difu 2005: 38, 41). Allerdings wird der Bürger – analog der Philosophie des NSM – primär in seiner Rolle als Kunde der Verwaltung und weniger als Souverän oder aktiver Mitgestalter des örtlichen Gemeinwesens gesehen (vgl. dazu Möltgen 2001: 129 ff.).
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5.3 Forschungsprojekt „Zehn Jahre NSM - Evaluation kommunaler Verwaltungsmodernisierung“ Im Rahmen des Forschungsvorhabens „10 Jahre NSM“ wurden drei Bereiche der Performanzevaluation 3 unterschieden: Input-Veränderungen, Veränderungen des Outputs sowie System- oder Kulturveränderungen (Bogumil/Kuhlmann 2006: 356). Bezogen auf die politische Steuerung - als einem Bereich der System- oder Kulturveränderungen - wurde gefragt, ob sich diese im Sinne des NSM gewandelt habe. Dabei wurde deutlich, dass die Umgestaltung des Verhältnisses von Politik und Verwaltung mit einem Anteil von knapp 30% der Kommunen der am wenigsten verbreitete Modernisierungsbereich ist (Bogumil/Kuhlmann 2006: 365). Ohne die Idee einer Steuerung der Verwaltung durch die Politik „auf Abstand“ mit der Demokratisierung gleichsetzen zu wollen, lässt hier bereits der instrumentelle Umsetzungsstand an der Schnittstelle von Politik und Verwaltung vermuten, dass eine Demokratisierung in Richtung der Politik durch das NSM kaum erreicht werden konnte. Dies wird durch die Ergebnisse der Frage nach den Wirkungen des politischen Kontraktmanagements unterstrichen, das lediglich in 15% der Kommunen umgesetzt wurde. Insgesamt kommen die Forscher zu dem Ergebnis, dass sich die „Arbeits- und Verhaltensweisen der Kommunalvertretung durch die Verwaltungsmodernisierung [grundsätzlich] nicht verändert“ (Bogumil/Kuhlmann 2006: 365) haben. Vielmehr zeige sich, dass sich die Handlungsschwäche der Kommunalvertretungen gegenüber den Verwaltungen aufgrund des anhaltenden Konsolidierungsdrucks eher noch verschärft habe und die politischen Steuerungsdefizite angesichts der Delegation von Kompetenzen an die Fachbereiche und der Dezentralisierung von Ressourcenverantwortung zugenommen hätten (Bogumil/Kuhlmann 2004: 57). Eine stärkere Teilhabe der politischen Vertreter an Verwaltungsentscheidungen konnte durch das NSM also nicht realisiert werden. Dies gilt auch für die politische Beteiligung an der eigentlichen Reform, in der auf eine breite Mitwirkung von Ratsmitgliedern, beispielsweise in entsprechenden Steuerungs- und Arbeitsgruppen, weitgehend verzichtet wurde (Kuhlmann 2004: 382). Im Hinblick auf die Mitarbeiter kommen die Forscher zu einem differenzierteren Ergebnis. So stellen sie einerseits fest, dass die Kommunalverwaltungen ihr Personal als wichtige Ressource entdeckt haben und das Personalmanagement als strategische Herausforderung begreifen. Andererseits habe die Verquickung von Reform und Haushaltskonsolidierung zur Vernachlässigung des Ziels Mitarbeiterorientierung geführt und seien Motivationsverluste bei den Mitarbeitern zu verzeichnen, wenn etwa neue Spielregeln und Verantwortlichkeiten, 3 Im Rahmen einer Performanzevaluation werden die Ergebnisse bzw. Wirkungen von Reformen oder Projekten evaluiert.
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z.B. die dezentrale Budgetverantwortung, unter dem Druck der leeren Kassen wieder außer Kraft gesetzt würden (Bogumil/Kuhlmann 2004: 55, 58). Folgende Ergebnisse der Evaluation lassen auf eine „innere Demokratisierung“ als Folge der Verwaltungsreform schließen. Sie bieten grundsätzlich die Möglichkeit, Entscheidungs- und Handlungsspielräume der Mitarbeiter zu erweitern (Bogumil u.a. 2006: 151 ff.): In einem Drittel der befragten Kommunen ist die dezentrale Fach- und Ressourcenverantwortung ganz und in weiteren 26% teilweise eingeführt (Bogumil u.a. 2006: 159). Im Bereich der Budgetierung sprechen Werte von 33,1% der befragten Kommunen, die diese flächendeckend eingeführt haben und weiteren 34,4%, die in Teilbereichen der Verwaltung budgetiert haben, für eine Demokratisierung (Bogumil u.a. 2006: 160). Mitwirkungsmöglichkeiten an Entscheidungsprozessen bieten ferner Zielvereinbarungen, die nach der Erhebung in 51,5% der Kommunen, die über Produktkataloge verfügen, geschlossen werden (entspricht etwa 20% aller Kommunen) (Bogumil u.a. 2006: 161). In 62% der Kommunen werden Mitarbeitergespräche geführt, womit den Mitarbeitern grundsätzlich eine Möglichkeit der Mitsprache und -gestaltung eingeräumt wird (Bogumil u.a. 2006: 162). Ferner kann die gezielte Personalentwicklung, etwa durch Fort- und Weiterbildungsangebote (72,6%), die Einführung ganzheitlicher Sachbearbeitung (50%) oder der Teamarbeit (55%) als Beitrag zur inneren Demokratisierung der Verwaltung gewertet werden (Bogumil u.a. 2006: 184). Allerdings weisen die Forscher darauf hin, dass die angespannte Haushaltslage der Kommunen wenig Spielraum für zusätzliche Maßnahmen der Personalentwicklung und Leistungsanreize lasse. Auf der instrumentellen Ebene der Verwaltungsreform sind also deutliche Demokratisierungspotenziale in Richtung Mitarbeiter vorhanden. Allerdings macht die Evaluation keine Aussage zur konkreten Ausgestaltung sowie zum Prozess der Einführung der einzelnen Instrumente, der den Grad der Demokratisierung wesentlich beeinflussen dürfte. In Bezug auf die Demokratisierung „von unten“, also durch die Bürger, finden sich lediglich Hinweise zur Beantwortung unserer Fragestellungen, was bereits dadurch deutlich wird, dass im Rahmen der Evaluation, wie auch bei der Umfrage des DST/Difu, vorrangig die Kundenorientierung untersucht wird. Diese wird insgesamt als wesentlicher Erfolg der Verwaltungsmodernisierung bewertet, wenn sie auch nicht dem Ursprungskonzept des NSM zugeordnet wird,
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sondern nach Ansicht der Forscher als zusätzliche „Außendimension“ nachträglich in das so genannte „erweiterte Modell“ (Bogumil u.a. 2006: 152) aufgenommen wurde. Als Beitrag zur Demokratisierung der Verwaltung können Kunden- und Bürgerbefragungen gewertet werden, die in knapp 55% der Kommunen durchgeführt werden. Auch die Einführung eines Beschwerdemanagements in fast 30% der Kommunen, die an der Befragung teilgenommen haben, spricht für eine stärkere Teilnahme der Bürger an Verwaltungsentscheidungen (Bogumil u.a. 2006: 164). Allerdings ist zu vermuten, dass bei den Kundenbefragungen die Dienstleistungsqualität einzelner Verwaltungsbereiche im Vordergrund steht, so dass sich die Einflussmöglichkeiten der Bürger auf die von der Verwaltung vorgegebenen Themen und Bereiche konzentrieren und lediglich ein Teil die Möglichkeit erhält, an Verwaltungsentscheidungen teilzuhaben. Hinzu kommt, dass Befragungen noch keine Gewähr dafür bieten, dass die Meinungen der Bürger tatsächlich berücksichtigt werden. Insgesamt liegt der Schwerpunkt in diesem Bereich deutlich auf der Binnenoptimierung der Verwaltung und nicht in der Demokratisierung von Entscheidungen. Der Bürger wird auf seine Funktion als Abnehmer von Dienstleistungen sowie als „Leistungsverstärker“, der Impulse zur Optimierung des Dienstleistungsunternehmens Verwaltung gibt, reduziert. 6 Zusammenfassung und Bewertung Sowohl die theoretische Analyse als auch die Auswertung der empirischen Ergebnisse machen deutlich, dass im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung durchaus ein Beitrag zur Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung im oben definierten Sinne geleistet werden konnte. Allerdings konzentriert sich dieser Beitrag wesentlich auf die Mitarbeiter der Verwaltungen. Diese haben insbesondere im Rahmen der Dezentralisierung von Fach- und Ressourcenverantwortung an Entscheidungs- und Handlungsspielräumen gewonnen. Ferner bieten Zielvereinbarungs- und Mitarbeitergespräche die Möglichkeit der (Mit-) Gestaltung des Arbeitsumfeldes und der Arbeitsbedingungen. Auch die Etablierung von Teamstrukturen und ganzheitlicher Sachbearbeitung können unter die „Demokratisierung“ im weitesten Sinne gefasst werden. Auf der anderen Seite hat der Wegfall von Verwaltungsebenen und -hierarchien in vielen Verwaltungen die individuellen Aufstiegs- und damit Gestaltungsmöglichkeiten einiger Mitarbeiter begrenzt - vielleicht ein Grund dafür, dass sich zunehmend Motivationsverluste bei den Mitarbeitern abzeichnen.
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Deutlich kritischer muss die Demokratisierung in Richtung der politischen Vertreter gewertet werden. Hier haben sich keine wesentlichen Veränderungen im Rollenverständnis und an der Schnittstelle von Politik und Verwaltung ergeben. Vielmehr haben sich die Steuerungsdefizite verstärkt, so dass ein Verlust an demokratischer Mitwirkung und -gestaltung der Politik konstatiert werden muss. Selbst die KGSt weist in ihrer Bilanz zur Umsetzung des NSM darauf hin, dass sich im Rahmen der Einführung des NSM „die demokratische Bindung der Verwaltung an den Rat nur selten erhöht“ (KGSt 2007: 26) habe. Die Bürger konnten in ihrer Rolle als Kunden der Verwaltungen zweifellos von der Reform profitieren, die Möglichkeiten demokratischer Mitwirkung und Gestaltung durch die Bürger hat sich durch das NSM dagegen grundsätzlich nicht verändert. Wie bisher beschränkt sich diese im Wesentlichen auf die Wahl der Repräsentanten (die allerdings, wie bereits ausgeführt, an Einfluss verlieren). Als aktiver (Mit-) Gestalter des Gemeinwesens ist der Bürger im NSM nicht ausdrücklich gefragt. 7 Literatur Bandemer, Stephan von u.a (1998): Handbuch zur Verwaltungsreform, Opladen. Bertels mann-Stiftung (2001): Qualitätsfaktor Politische Steuerung, Gütersloh. Bogumil, Jörg/ Kuhlmann, Sabine (2006): Wirkungen lokaler Verwaltungsreformen, in: Werner Jann u.a. (2006): S. 349-370. Bogumil, Jörg/Grohs, Stephan/Kuhlmann, Sabine (2006): Ergebnisse und Wirkungen kommunaler Verwaltungsmodernisierung in Deutschland – Eine Evaluation nach zehn Jahren Praxiserfahrung, in: Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 37, S. 151-184 (Internetdokument: http://homepage.rub.de/Joerg.Bogumil/Projekt10JNSM.htm [28.10.08]). Bogumil, Jörg / Grohs, Stephan /Kuhlmann, Sabine / Ohm, Anna K. (2007): Zehn Jahre neues Steuerungsmodell. Eine Bilanz kommunaler Verwaltungsmodernisierung, Berlin. Verwaltungsmodernisierung in Deutschland – Eine Evaluation nach zehn Jahren Praxiserfahrung, in: Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 37, S. 151-184 (Internetdokument: http://homepage.rub.de/Joerg.Bogumil/Projekt10JNSM.htm [28.10.08]). Bogumil, Jörg/Kuhlmann, Sabine (2004): Zehn Jahre kommunale Verwaltungsmodernisierung. Ansätze einer Wirkungsanalyse, in: Werner Jann (Hrsg.) (2004): S. 51-64. Budäus, Dietrich (1994): Public Management, Berlin. Buschhoff, Christian/ Mosiek, Thomas (2008): Evaluation von Verwaltungsmodernisierung, in: Verwaltung und Management 3/2008, S. 122-126. Dienel, Peter C. (1997): Die Planungszelle, 4. Aufl., Opladen . Difu-Materialien 6/2005 (2005): Verwaltungsmodernisierung in deutschen Kommunalverwaltungen – eine Bestandsaufnahme, Berlin. Jann, Werner u.a. (2004): Status-Report Verwaltungsreform, Berlin. Jann, Werner/Röber, Manfred/Wollmann, Hellmut (Hrsg.) (2006): Public Management. Grundlagen, Wirkung und Kritik, Berlin. Klages, Helmut:(2003) Nachhaltige Verwaltungsmodernisierung, in: Verwaltung und Management, 1/2003, S. 4-12.
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Die kundenorientierte Verwaltung – zu den Facetten eines Leitbildes der Verwaltungsmodernisierung
Wolfgang H. Lorig
1 Einleitung In Deutschland gewann die New Public Management - Bewegung erst in den 1990er Jahren im Kontext von Haushaltskrise und deutscher Wiedervereinigung an Bedeutung. Vorreiter bei der Implementierung dieses „unternehmerischen Managements“ (König 2000) war in Deutschland, einem late starter der Staatsmodernisierung im internationalen Vergleich, die kommunale Ebene. Die konzeptionelle Anleitung für den Umbau des traditionellen Modells kommunaler Selbstverwaltung hin zum „Dienstleistungsunternehmen“ oder „Konzern Stadt“ lieferte die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) mit ihrem so genannten „Neuen Steuerungsmodell“ (NSM), häufig als deutsche Variante von New Public Management (NPM) gedeutet. Dabei kann allerdings nicht von einem einheitlichen Reformmodell gesprochen werden, eher von „einer mehr oder weniger strukturierte(n), länder- und kulturspezifische(n) Vielfalt von Reformelementen“ (Schedler 2003: 717). Die Grundgedanken des NSM beeinflussen inzwischen weit über den kommunalen Bereich hinaus die Reformdiskurse und -konzepte auf allen Ebenen des politischen Systems (Kommunal-, Länder- und Bundesebene) und auch die Reformen in unterschiedlichen Politikfeldern (unter anderen Schul-, Wissenschafts-, Gesundheits-, Sozialsektor) (Banner 2006). Die vornehmlich betriebswirtschaftlichen Instrumente des NSM werden in allen Gebietskörperschaften – mehr oder weniger - zum Zwecke der Effizienzsteigerung eingesetzt und relativieren insoweit zentrale Elemente der klassischen Verwaltungsstruktur Max Weberscher Prägung (Mehde 2000: 136). Unter dem Begriff NPM firmiert insoweit eine Reformbewegung, die in Ländern der OECD eine höhere Effizienz der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung, eine ausgeprägtere Dienstleistungsmentalität im öffentlichen Sektor und Standortvorteile durch wettbewerblich-kontraktmanageriale Steuerungsmuster verspricht. Durch die Übertragung privatwirtschaftlicher Managementprinzipien
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und Effizienzkriterien auf die öffentliche Verwaltung sollen ökonomische Rationalität, Effizienz und Servicementalität gesteigert werden können. Bei der deutschen Rezeption des NPM dominierte zunächst „die Perspektive der Binnenmodernisierung – also die Ökonomisierung intraorganisatorischer Handlungsprinzipien“ (Holtkamp/Bogumil 2007: 234, Anm. 5), die sukzessive um Elemente einer Außendimension erweitert werden sollte. Der vorliegende Beitrag fokussiert auf ein zentrales Element des (erweiterten) NSM: Kundenorientierung und Dienstleistungsmentalität als Bausteine einer Restrukturierung des öffentlichen Sektors1 im Sinne eines „neuen öffentlichen Managements“ (König 1995). Mit der Kundenorientierung soll ein weiteres Element der Privatwirtschaft in den öffentlichen Sektor eingeführt werden, welches neben dem Dienstleistungsgedanken auch Elemente von Mitgestaltung und Einflussnahme von außen zu umfassen beansprucht, also im engeren Sinne das Thema „Verwaltung in der Demokratie“ (Lorenz 1972) tangiert. Inwieweit diese Ziele theoretisch stringent begründet, konzeptionell solide entwickelt und angemessen implementiert werden konnten, soll Gegenstand der nachfolgenden Überlegungen sein. Damit wird die Frage aufgeworfen, ob und inwieweit Kundenorientierung und Dienstleistungsorganisation als elementare Bausteine von Verwaltungsmodernisierung auch zur Demokratisierung beitragen können, also geeignet scheinen, Prinzipien der Effizienzoptimierung mit Prinzipien einer intensivierten bürgerschaftlichen Partizipation zu verknüpfen (Klages/Daramus/Masser 2008: 27). 2 Das Neue Steuerungsmodell im „Dienstleistungsunternehmen Stadt“ Mit dem NSM und dem Leitbild „Dienstleistungsunternehmen Stadt“ bzw. „Konzern Stadt“ wurde als Referenzmodell für eine Modernisierung der Kommunen „das privatwirtschaftliche Großunternehmen“ (Budäus 1994b: 163) gewählt. Unter Bezugnahme auf die Instrumente des NPM und in Anlehnung an die Verwaltungspraxis der niederländischen Stadt Tilburg entwickelte die KGSt ein Modernisierungsdesign, welches „zunächst die Binnenmodernisierung der Verwaltung mit dem Ziel einer marktgesteuerten, kundenorientierten öffentlichen Dienstleistungsproduktion“ (Bogumil u.a. 2007: 23) in den Fokus der Reformpolitik stellte. Dieses managerialistisch-betriebswirtschaftliche Leitbild versprach eine Optimierung von Effizienz, Effektivität und – mit einer gewissen Verzögerung – auch von Kundenorientierung (Dienstleistungsmentalität) durch 1 Zu den Facetten von New Public Management und den Begriffsfassungen von Demokratie und Demokratisierung siehe den Beitrag von Katrin Möltgen/Wolfgang Pippke in diesem Band.
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die Einführung von Prinzipien und Steuerungselementen in den öffentlichen Sektor, die sich bereits im Privatsektor bewährt haben sollten. 2.1 Ziele und Instrumente Das Modell orientiert sich in wesentlichen Aspekten an einem „Konzernmodell Stadt“, welches sich hergeleitet von Elementen der Betriebswirtschaftslehre und der strategischen Unternehmensführung. Die Grundprinzipien des Modells, das als situationsbezogene Strategie zur Modernisierung der Organisations- und Managementstrukturen von Kommunalverwaltungen konzipiert wurde, werden sukzessive auch in weitere Bereiche des öffentlichen Sektors implementiert: Länderverwaltungen, Hochschulverwaltungen, Bundesverwaltungen, Sozialverwaltungen, Schulverwaltungen u.a.m. (Blümel/Bender/Lorig 1997: 8-9). Gerhard Banner, Vorstand der KGSt, weist Anfang der 1990er Jahre in einem Schreiben zur Haushaltskonsolidierung darauf hin, dass das NSM nicht als Patentrezept zur kurzfristigen Bewältigung der Finanzkrise zu verstehen sei, da die Implementierung zunächst Mehrkosten impliziere. Dennoch schaffe es „mit seinem Kernelement der Ressourcenverantwortung vor Ort eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg von Konsolidierungsstrategien; es ermöglicht die eigenverantwortliche Festlegung der Konsolidierungsaktion durch die Fachdienste, es motiviert sie zur Ausschöpfung innerer Rationalisierungsreserven und es fördert eigenständige Überlegungen zur Aufgabenkritik“ (Banner 1992). Da die engen Zusammenhänge zwischen Effizienzsteigerung, Haushaltskonsolidierung und Verwaltungsökonomisierung recht früh akzentuiert werden (KGSt 1996: 16), assoziieren nicht nur die Kommunen – später nämlich auch Landes- und Bundesverwaltungen - mit dem NSM die Erwartung, endogene Sparpotentiale und Effizienzsteigerungen generieren und die jeweiligen Haushalte konsolidieren zu können (Rehm 2004: 109; Wegrich 2006). Das NSM setzt sich aus unterschiedlichen Bausteinen zusammen, die in der Praxis allerdings nur selektiv von den einzelnen Verwaltungen genutzt werden: eine klare Verantwortungsabgrenzung zwischen Politik und Verwaltung; eine Steuerung durch Ziele sowie Ergebnis-Budgetierung und Plafondierung; eine Zusammenführung von Ressourcen- und Fachverantwortung sowie die Einrichtung von Ergebnis- und Servicezentren (Profit Center – Konzept); eine zentrale Steuerung in Anlehnung an das Modell einer KonzernHolding;
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die Schaffung von Wettbewerbsbedingungen und Wettbewerbssurrogaten (Quasi-Märkte) sowie eine Stärkung von Kundenorientierung und Dienstleistungsmentalität (Zimmer 1998: 502-503). Eine Restrukturierung einer öffentlichen Verwaltung nach diesem Konzept beansprucht, die knappen Ressourcen an die Orte des dringendsten Bedarfs lenken, eine rasche Umsetzung von Produkt- und Verfahrensinnovationen bewirken, den Prozess der öffentlichen Leistungserbringung transparent machen und Wettbewerb zwischen den verschiedenen Aufgabenfeldern und Anbietern generieren zu können. Mit diesem Instrumentarium möchte das NSM die diagnostizierten Strategie-, Management-, Motivations-, Attraktivitäts- und Legitimitätslücken in der tradierten öffentlichen Verwaltung zumindest mittelfristig schließen können. 2.2 Anspruch und Wirklichkeit Nach einer anfänglichen Euphorie in Wissenschaft und Politik deuten die vorliegenden Evaluationsstudien darauf hin, dass der Reformprozess stagniert und „in vielen deutschen Kommunen eine Mischung aus Frust, Ratlosigkeit und Durchhalteparolen“ (Bogumil/Reichard 2007: 85) herrscht. Zugleich setzen die wissenschaftlichen Diskurse neue Akzente, wenn sie sich um eine differenziertere, skeptisch-kritische Analyse der NPM–Grundlagen und der davon abgeleiteten Modernisierungskonzepte für öffentliche Verwaltungen bemühen (Wollmann 2008). Mit der Perzeption der mannigfachen Implementationsprobleme werden auch die theoretisch-konzeptionellen Schwächen der Modernisierungsdesigns problematisiert. Die „De-Konstruktion des Neuen Steuerungsmodells“ (Kegelmann 2007) thematisiert problematische Ökonomisierungstendenzen im öffentlichen Sektor, eine Verbetriebswirtschaftlichung der öffentlichen Verwaltung und eine Vernachlässigung des Gemeinwohlprinzips öffentlichen Handelns und Entscheidens (Budäus/Reichard/Schauer 2005). Im Kern geht es um die Gemeinwohlorientierung demokratischen und effektiven Regierens: „The problem for government overall, and public administrators in particular, is not to decide what the public interest is, but to act in ways that facilitate the emergence of a public sense that government´s actions are in the public interest“ (Little 1996: 347).
Die kundenorientierte Verwaltung Traditionell-bürokratisch (Max Webers Bürokratiemodell) Steuerung über Input (Regeln und Ressourcen) Detaileingriffe Zentralismus, Hierarchien Trennung von Fach- und Ressourcenverantwortung („organisierte Unverantwortlichkeit“) Arbeitsteilung und Spezialisierung, Taylorismus Orientierung an Erfordernissen des Verwaltungsablaufs, Produzentendominanz Arbeitsplatzbezogene Ordnung Abschottung von Markt und Wettbewerb Präferenz für Eigenherstellung Kameralistik Personalverwaltung statt strategischem Personalmanagement
229 Ergebnisorientiert, dezentral (Neues Steuerungsmodell) Steuerung durch Ziele und Ergebnisse (Produktsteuerung) Steuerung auf Distanz, dezentrale Kontextsteuerung Kontraktmanagement teilautonomer Ergebniseinheiten Zusammenführung von Fach-, Ressourcen- und Ergebnisverantwortung Re-Integration fragmentierter Aufgabenwahrnehmung Kundenorientierung Qualitätsorientierung Markt- und Wettbewerbsorientierung Konzentration auf Kernkompetenzen, Aufgabenauslagerungen, (Quasi-)Märkte Doppik, Kosten- und Leistungsrechnung Human Resources Management, Leistungsanreize, Leadership, Personalentwicklungskonzepte
Abbildung 1: Zwei Modelle der Verwaltungssteuerung Quelle: Nach Lorig (2000: 136).
Die (wenigen) empirischen Studien zum NSM nach zehn Jahren Anwendungspraxis weisen neben zahlreichen Defiziten auch eine „Erfolgsgeschichte“ auf (Bogumil u.a. 2007a; Holtkamp 2008): die nach dem „One-StopAgency-Prinzip“ organisierten und explizit kundenorientierten Verwaltungseinheiten wie Bürgerbüros und Beratungsstellen. 2 Jedoch wird in keiner der untersuchten Kommunen die neue Arbeitsteilung zwischen Politik und Verwaltung 2
Vgl. beispielsweise die Zufriedenheitsstudie zu den Dienstleistungen der Verbandsgemeinden in Rheinland-Pfalz von Bernd Hamm/Anne Rühl/Thomas Buntru (2008): Die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit den Verwaltungsleistungen der Verbandsgemeinden. Abschlussbericht, Mainz.
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umgesetzt, die dezentrale Budgetierung führt in der Regel nicht zu den erwarteten Konsolidierungsbeiträgen, da die Fachverwaltungen die neuen Gestaltungsmöglichkeiten teilweise zur Budgetexpansion nutzen und in der Verwaltungspraxis dominiert wieder eine ausgeprägte Zentralisierung der Haushaltspolitik. Einsparpolitik wird – wie vor den Verwaltungsreformen – gemäß dem „Rasenmäherprinzip“ vollzogen und die Bemühungen um eine outputorientierte Steuerung führen zu ganz erheblichen Transaktionskosten (Naschold/Bogumil 2000: 215). Empirisch lassen sich keine größeren Konsolidierungseffekte in den Kommunen mit NSM belegen als in den Kommunen, welche auf die Umsetzung des Modells (weitestgehend) verzichteten. Insbesondere unter Einbeziehung der Reformkosten sind aktuell keine nachhaltigen und längerfristigen Effekte des NSM für eine Haushaltskonsolidierung aufzuzeigen (Bogumil/Grohs/Kuhlmann 2006: 168). Lars Holtkamp resümiert denn auch eine „Verfehlung der für die KGSt, die Kommunen und Landesverwaltungen zentralen Zielsetzung der Haushaltskonsolidierung“ und letztlich – ein Scheitern des NSM „an seinen eigenen Ansprüchen“ (Holtkamp 2008: 432). Wie bereits oben angedeutet, wird nur der Bereich der Kundenorientierung von dieser Negativbilanz ausgeklammert: 1996 spricht Harald Plamper, Vorstand der KGSt, diesem Prinzip in der Praxis noch eine untergeordnete Bedeutung zu, die er aber auffordert zu ändern: „Bisher ist die kommunale Verwaltungsreform noch binnenorientiert und berücksichtigt die ‚Kunden’ der Kommunalverwaltung noch zu wenig. Bürgerbüros entstehen zwar in großer Zahl, haben aber mit dem Neuen Steuerungsmodell nicht allzu viel zu tun. Die freie Verwendung der Mittel bei gedeckeltem Budget veranlasst aber solche Einrichtungen, die ihre Einnahmen durch bessere Angebote selbst erhöhen können, zu erstaunlichen Anstrengungen“ (Plamper 1996: 7). Seitdem wurden „die Bearbeitungszeiten von Verwaltungsvorgängen optimiert und die Servicequalität erhöht“, und als „relativ erfolgreich erwiesen sich Formen des aktiven Beschwerdemanagements und die Bürgerämter“ (Holtkamp 2008: 430). Insoweit kann aus Sicht der Bürgerschaft positiv bilanziert werden, „dass die Kommunalverwaltung deutlich kundenorientierter ausgerichtet wurde“ (Holtkamp 2007: 144). 3 Der Bürger als Kunde im erweiterten Neuen Steuerungsmodell Unter dem Leitmotiv von NPM und NSM „entwickelte sich das Wirtschaftlichkeits- (oder ‚Effizienz’- bzw. ‚Ökonomisierungs’-) Motiv (zunächst, WHL) de facto zu einem mächtigen Gegenspieler des Demokratisierungs- und Bürgerorientierungsmotivs“ (Klages 2008: 87), welches in den 60er und 70er Jahren die Modernisierungsdiskurse in erheblicher Weise beeinflusste. Nach
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einer anfänglichen Dominanz der effizienzorientierten Ökonomisierung in den 80er und 90er Jahren deuteten sich erste Modifikationen „unter dem Motto einer ‚Service’ - Orientierung der Verwaltungs-‚Kunden’“ (Ebenda) an. „Während die Demokratisierungskomponente des Motivkomplexes weitgehend ausgefiltert wurde, wurde seiner Kundenorientierungskomponente – soweit sie sich problemlos mit Ökonomisierungsinteressen vereinbaren ließ – grundsätzlich eine Beitragsleistung und Förderungswürdigkeit zugestanden (…)“ (Ebenda). Eine kundenorientierte Verwaltung lässt sich nämlich recht pragmatisch mit Effizienzmotiven verbinden und dabei lassen sich Elemente einschließen, die über das „pure“ Kundenverhältnis hinausgehen: Prinzipien einer Bürgerorientierung, in der der Bürger nicht nur als passiver Leistungsempfänger, sondern auch als aktiv handelnder „Ko-Produzent“ in Dienst genommen werden kann – und insoweit staatsentlastende gesellschaftliche Selbsthilfe praktiziert. Das Leitbild „Dienstleistungsunternehmen Stadt“ ist „primär nachfrage- und kundenorientiert“ und soll sich „von außen nach innen“ organisieren (KGSt 1993: 13 f.). Mit der Erweiterung um die Außendimension – und damit die Orientierung am Kunden – wird die anfängliche Fokussierung auf die Binnenmodernisierung aufgegeben (Bogumil/Kuhlmann 2004: 53; Bogumil/Kuhlmann 2006, Bogumil u.a. 2007). Bereits das Tilburger Modell – in gewissem Sinne das Referenzmodell des NSM - kannte Kundenorientierung und Dienstleistungsorganisation als zentrale Reformziele: „Jeder Mitarbeiter muss sich bewusst sein, dass er es mit Kunden zu tun hat. Hiermit verbessert man die Motivation der Mitarbeiter und damit die Qualität des Produkts. (…) Die Organisation muss auf den Produktionsprozess und auf den Markt ausgerichtet werden, den sie bedienen soll. Hierfür sind Profit-Centers einzurichten“ (Wolters 1994: 88). In diesem Gefüge der Bedarfs- und Bedürfnisorientierung fungiert dann der Bürger als Kunde und Auftraggeber, der sowohl Anspruch auf Transparenz wie auf Qualität hat. Prinzipiell lassen sich vier Dimensionen einer kundenorientierten Reformstrategie unterscheiden (Bogumil/Holtkamp/Kißler 2007: 12): Kundenbeteiligung, Wettbewerb, Bündelung von Dienstleistungen und Qualitätspolitik. Während die beiden ersten Dimensionen die Einflussmöglichkeiten und Handlungsoptionen der Kunden erweitern möchten, intendieren die beiden anderen eine Veränderung der Verwaltungsorganisation. Bürgeramtskonzept („One-Stop-Agency“) und integrierte Beratungszentren bündeln Dienstleistungen, und ein aktives Beschwerdemanagement, welches ergänzt werden kann durch Kundenbefragungen, extern moderierte Kundenforen, Fokusgruppen und Kundenbeiräte, intensiviert die Außenbeziehungen der Verwaltung. Realer und virtueller Wettbewerb zwischen Verwaltungen soll ergänzend dazu führen, „dass die Verwaltungen dann innovative und kundenorientierte Angebote entwickeln,
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um Kunden zu binden und neue Nachfrager zu werben“ (Ebenda: 14). Wettbewerb ist mit einer Qualitätspolitik zu verbinden, welche die Standards für verwaltungsinterne wie verwaltungsexterne Dienstleistungserbringung definiert. Dabei vernetzen sich internes Qualitätsmanagement, die öffentliche Gewährleistungsgarantie für spezifische Dienstleistungen und die Abgabe von Qualitätsund Servicegarantien gegenüber den Kunden. Mit der Akzentuierung von Kundenorientierung und Dienstleistungsmentalität erfolgt eine Aufwertung der Adressatenrolle im Verwaltungshandeln: „Als Kunde ist der Bürger kein Untertan mehr und kann einen besseren Service als bisher erwarten. An die Stelle der Regel- und Hierarchiefixiertheit traditioneller Verwaltungsorganisationen soll ein kooperatives und auf die optimale Problemlösung bezogenes Handeln treten (Bogumil/Kißler 1998: 16). Durch ganzheitliche Sachbearbeitung und Delegation von Zeichnungsbefugnissen werden Effizienzeffekte in öffentlichen Verwaltungen realisiert, also die Bearbeitungszeiten von Verwaltungsvorgängen beschleunigt und die Servicequalität erhöht (Bogumil/Holtkamp/Kißler 2007: 11). Zwar sind einzelne Elemente der kundenorientierten Strategie keineswegs genuine NSM-Projekte, doch erst im Kontext der Diskussionen über die NPM inspirierte Verwaltungsmodernisierung kam es zu einer weiten Verbreitung dieser Reformprojekte (Ebenda: 68). Insoweit hat das Prinzip Kundenorientierung das Reformthema über Fragen der Organisationsentwicklung von Verwaltungsstrukturen hinaus erweitert und verdeutlicht, dass eine nachhaltige Binnenmodernisierung der öffentlichen Verwaltung die „Einbindung“ der Adressaten von Verwaltungshandeln voraussetzt. Die verstärkte Orientierung am Bürger als Kunden wird rückblickend als „ein Erfolgsprojekt der 1990er Jahre“ (Ebenda: 67) angesehen. Kommunalverwaltungen versuchen mit Bürgeramtskonzepten, Kundenbefragungen, Beratungszentren und aktivem Beschwerdemanagement u.a.m. ihre Service- (freundliches Personal, weitgehende Öffnungszeiten, kurze Wartezeiten, Aufgabenzusammenfassung, Dezentralisierung, neues Raumkonzept) und Dienstleistungsqualität (Verständlichkeit, schnelle Dienstleistungen, Information und Beratung, Flexibilität) zu verbessern (Bogumil/Kißler 1998: 53). Zu den Elementen von Kundenorientierung, die im direkten Zusammenhang mit erbrachten Dienstleistungen stehen, gehören „verständliche Formulare und Hilfestellungen beim Ausfüllen, um die Leistung überhaupt beantragen zu können; schnelle Antragsbearbeitung, um irgendwann auch in den Genuss der erwünschten Leistung zu kommen; eine umfassende Beratung und Information über Zuständigkeiten zur Klärung von Anspruchsvoraussetzungen und zur Einleitung von Realisierungsschritten sowie eine flexible Anwendung von Vorschriften bei der Beantragung von Leistungen“ (Ebenda: 47). Verbesserte Service- und Dienstleistungsqualität vereinfacht u.a. die Wege zur und die Kontakte in der öffent-
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lichen Verwaltung, „indem (…) unmittelbare Zugangsbarrieren durch Weg-, Warte- und Öffnungszeiten“ abgebaut und der „Kontakt über ein gutes Erscheinungsbild, die Transparenz der Organisation und die Freundlichkeit des Personals“ (Ebenda) erleichtert werden. Dies setzt allerdings voraus, dass es den Beschäftigten nicht an Dienstleistungsmentalität und dem Bürger als Kunden nicht an Kundenbewusstsein mangelt. Kundenorientierung muss von den Beschäftigten mitgetragen und bezüglich der Verhaltensnormen auch konkretisiert werden können. Dabei können Kunden- mit den Beschäftigteninteressen kollidieren, da kundenorientiertes Verwalten in der Regel zu neuen Arbeitsanforderungen bei den Verwaltungsbediensteten führt: Während aus Kundensicht „die Steigerung der Dienstleistungsqualität und die Gewährung eines personenvermittelten Verwaltungskontaktes oben an“ stehen, wird aus Organisationssicht mit dem Ziel der Kundenorientierung „meist die Verbesserung der äußeren Rahmenbedingungen des Verwaltungskontaktes verbunden“ (Bogumil/Kißler 2001: 31-32). Unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten sollte Kundenorientierung deshalb nicht nur bedeuten, Verwaltungsprodukte zu definieren und im Rahmen von Kontrakten zu realisieren. Vielmehr geht es immer zugleich darum, die technischen, organisatorischen und personellen Bedingungen für ihre Herstellung zu garantieren, also moderne technische Ausstattungen und neue Formen der Arbeitsorganisation und Personalentwicklungskonzepte einzuführen, die geeignet sind, „den strukturellen Interessenkonflikt zwischen Beschäftigten und Kunden zu entschärfen“ (Bogumil/Kißler 1997: 6). Grundsätzlich birgt das Konzept der Kundenorientierung Risiken, wenn es zum alleinigen Leitmotiv für Verwaltungsreform hochstilisiert und zur flächendeckenden Einführung in den öffentlichen Sektor empfohlen wird. Ein Kunde kann nur dann zum Kunden werden, wenn er über entsprechende finanzielle Ressourcen verfügt (Roßkopf 1995). Wenn Kundenorientierung bedeuten soll, dass alle Kosten öffentlicher Dienstleistungen auf den Bürger überwälzt werden sollen, werden zentrale Motive des öffentlichen Handelns schlicht verkürzt: Sozialstaatlichkeit, Rechtsstaatlichkeit, Gemeinwohlprinzip. Zudem ist das Leitmotiv der Kundenorientierung in der Hoheitsverwaltung nur eingeschränkt anwendbar, da es hier um „demokratisch legitimierte Eingriffe des Staates in die Freiheit und das Eigentum der Bürger geht“ (Bogumil/Kißler 1998: 17), also kaum oder gar nicht um Handlungen mit Dienstleistungscharakter. Die zentrale Frage, ob und inwieweit eine stärkere Kundenorientierung (durch Produktorientierung und Qualitätsmanagement) überhaupt geeignet ist, Legitimitätsdefizite im Verhältnis von Verwaltung und Bürgerschaft abzubauen, bleibt offen. Das Konzept der Kundenorientierung ist somit nur begrenzt tragfähig, da der Bürger fast ausschließlich auf die Rolle eines Empfängers von Dienstleistungen reduziert
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und seine Rolle als aktiver Mitgestalter und als für das Gemeinwesen Mitverantwortlicher jenseits des Kundenstatus zunächst ausgeblendet bleibt. Da der Kundenorientierung das Risiko inhärent ist, „den Bürger als Konsumenten öffentlicher Dienstleistungen und nicht als Co-Produzenten oder gar alternativen Produzenten anzusehen“ (Klie/Meysen 1998: 457), erfolgt im Ergebnis „eine Abkehr vom partizipationsorientierten Bürgerverständnis des Aktiven Staates“ und damit eine „Ökonomisierung des Bürgerbegriffs“ (Noll 2007: 99; Czerwick 2007: 250-255). 4 Das Demokratieversprechen der „Bürgerkommune“ Mit dem Reformprojekt „Bürgerkommune“, das seit Ende der 1990er Jahre initiiert wird, soll die Reduktion von Bürgerschaftlichkeit auf die Kundenrolle überwunden werden. Diese neue Bürgerorientierung ist allerdings nur in begrenztem Unfange von Impulsen des NSM gefördert worden; die eigentliche Re-Orientierung zur multidimensionalen Bürgerrolle in einer modernen Demokratie (Souverän, Auftraggeber, Beteiligter an staatlichen Entscheidungen und Empfänger von Verwaltungsleistungen) kann vielmehr als eine Reaktion auf das einseitig auf die Kundenrolle konzentrierte (erweiterte) NSM verstanden werden (Bogumil/Kißler 1997: 2, Anm. 4). Im Beziehungsgeflecht von Politik, Bürger, Verwaltung und Markt sind nämlich verschiedene Schnittstellen zu unterscheiden: „der Bürger als Wähler politischer Repräsentanten (…); der Bürger als (direkter) Mitentscheider bei lokalen Politikthemen (…); der Bürger als Mitgestalter und Kooperand im bürgerschaftlichen Selbsthilfe- oder Selbstverwaltungsprozess; der Bürger als Leistungsbeansprucher oder Kunde (Klient, Konsument) öffentlicher Dienstleistungen; der Bürger als Finanzier lokaler Infrastruktur und öffentlicher Leistungen (über Steuern, Gebühren usw.)“ (Reichard 2002b: 46-47). Mit der Erweiterung der Kundenrolle des Bürgers um seine Mitentscheider- oder politische Auftraggeberrolle sowie seine Mitgestalterrolle (Ebenda: 55) werden fünf Ziele verfolgt: eine höhere Bürgerzufriedenheit mit kommunalen Dienstleistungen (Akzeptanz), eine verstärkte Teilnahme der Bürger an der demokratischen Willensbildung (Demokratisierung), eine Förderung von Bürgernetzwerken (Solidarität), eine Entlastung des öffentlichen Haushalts (Effizienz) und bessere Politikergebnisse (Effektivität) (Holtkamp/Bogumil 2007: 235-236). Damit ist das Spektrum der Erwartungen, welche mit diesem Ansatz verbunden werden, recht umfassend:
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Die Ergebnisse des politisch-administrativen Handelns sollen durch die verstärkte Einbindung der Bürgerschaft in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben verbessert werden. Haushaltsprobleme sollen durch die Einbindung der Bürgerschaft in die Leistungsproduktion abgemildert werden. Eine intensivierte Bürgerbeteiligung soll die Legitimität und Akzeptanz des politisch-administrativen Handelns steigern. Durch eigenverantwortliche Mitwirkung an der Aufgabenerfüllung sollen bisher passiv eingestellte Bürger/Innen an der Aufgabenerfüllung und insbesondere durch die Einbindung in politisch-administrative Entscheidungsprozesse für das politische Gemeinwesen (zurück-) gewonnen werden (Winkel 2008: 104-105). Mit der Annahme der Gleichzeitigkeit von Kundenrolle, Auftraggeberrolle und Mitgestalterrolle wird die eindimensionale Sichtweise der Kundenorientierung verlassen und durch eine komplexere, mehrdimensionale Betrachtungsweise ersetzt. „Die Beteiligung in der Auftraggeberrolle setzt bei der kommunalen Politikformulierung und Planung an (z.B. Bürgerforen), während die Mitgestalter- und Kundenrolle in der Phase der Politikumsetzung greift. Die Kundenrolle meint eher die passive Beurteilung der kommunalen Outputs (Kundenbefragungen, Aktives Beschwerdemanagement etc), während unter der Mitgestalterrolle das aktive Mitproduzieren des Outputs (z.B. Pflege von Sportstätten durch Vereine) zu verstehen ist“ (Holtkamp/Bogumil 2007: 236). Kunden-, Mitgestalter- und Auftraggeberrolle sind mit jeweils spezifischen Instrumenten zu fördern: die Kundenorientierung durch Kundenbefragungen, Beschwerdemanagement, Bürgerämter, E-Government; die Mitgestalterrolle durch Freiwilligenagenturen, Bürgerstiftungen, Aufgabenübertragung und die Auftraggeberrolle durch Bürgerversammlungen, Bürgerforen, Perspektivenwerkstatt, E-Democracy (Ebenda: 237). Der aktive Bürger wird in diesem Kontext als „verantwortungsentlastender und verantwortungsteilender Leistungsverstärker“ (Spitzer 2001: 144) angesehen und als systemnotwendiger Akteur und Mitspieler für die Gestaltung des kommunalen Gemeinwesens eingefordert. Dazu sind direkt-demokratische Instrumentarien um Angebote deliberativer und kooperativer Demokratie zu ergänzen. Die Mitgestaltung der Bürger ereignet sich nicht nur in Plebisziten, sondern auch in neuen Formen der Partizipation: eher kommunikative und persuasive Interaktions-, Organisations- und Handlungsmuster, wie die Perspektivenwerkstatt, Mediationsverfahren, Planungszellen, Bürgerforen etc. Die Reformprogrammatik der KGSt, die hoheitliche Verwaltung zum bürgerorientierten Dienstleistungsbetrieb umzubauen, verkürzte die Demokrati-
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sierungs- und Bürgerorientierungsdimension in Richtung Kundenorientierung, „indem der demokratisierungsbezogene Bürgerbeteiligungsaspekt undiskutiert ausgeklammert und die Erzielung einer möglichsten Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit den Leistungen der Verwaltung in den Vordergrund gestellt wurde“ (Klages 2008: 91). Mit dem Reformprojekt „Bürgerkommune“ erfolgt eine umfassende partizipatorische Ergänzung bzw. Erweiterung der (zunächst) primär ökonomisch-betriebswirtschaftlichen Ausrichtung des NSM. Das (kommunale) Kräftedreieck Bürger, Politik und Verwaltung wird verändert, indem, „aufbauend auf dem Leitbild der kundenorientierten Verwaltung, das freiwillige Engagement gefördert und die Bürger stärker an kommunalen Planungsprozessen“ (Bogumil/Holtkamp/ Schwarz 2003: 7) beteiligt werden. Die mit diesen Akzentverschiebungen vernetzten Local-Governance-Diskurse 3 bringen – ergänzend und erweiternd – zum Ausdruck, „dass eine Kommune immer weniger die Rolle des monopolistischen Leistungsproduzenten spielt, stattdessen immer mehr die eines Netzwerkkoordinators und Facilitators“ (Reichard 2002b: 57). In diesem Falle hat eine Kommunalverwaltung primär die Funktion, politisch gewünschte lokale Dienstleistungen als Partner in einem Local-Governance-Netzwerk zu initiieren, zu planen, zu koordinieren, zu moderieren und zu kontrollieren. Dabei arbeitet die Verwaltung eng zusammen mit anderen Netzwerkpartnern: öffentlichen Einrichtungen, privaten Unternehmen, privatgemeinnützigen Organisationen und Bürgergruppen (Reichard 2002a). Mit der wachsenden Bedeutung von Politiknetzwerken, von dezentralen Verwaltungseinheiten, ausgegründeten Sektoren der öffentlichen Verwaltung und Public Private Partnerships wird Politik und Verwalten komplexer und voraussetzungsvoller, werden kritische Fragen nach der Legitimität, der Transparenz, der politischen Verantwortlichkeit und der effektiven Koordination gestellt, die bislang eher als sekundär angesehen wurden (Haus 2007). Im Gegensatz zur ersten Partizipationswelle handelt es sich bei den Beteiligungsformen der deliberativen und kooperativen Demokratie nicht um rechtlich vorgeschriebene Beteiligungsverfahren, sondern um freiwillig von den Kommunen eingesetzte bzw. angebotene dialogorientierte Verfahren der Be3 UNDP (2004): „Local governance compromises of a set of institutions, mechanisms and processes, through which citizens and their groups can articulate their interests and needs, mediate their differences and exercise their rights and obligations at the local level. It requires partnership between local governmental institutions, civil society organizations and private sector for participatory, transparent, accountable and equitable service delivery and local development. It necessitates empowering local governments with authority and resources and building their capacity to function as participatory institutions that are responsive and accountable to the concerns and needs of all citizens. At the same time, it is concerned with strengthening of grass roots democracy and empowering citizens, communities and their organizations such as (…) NGOs to participate as equal partners in local governance and local development process.”
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teiligung von zivilgesellschaftlichen Akteuren an der Politikformulierung und Politikumsetzung. Die bürgerschaftlichen Elemente sollen die politische Rationalität der repräsentativen Institutionen einerseits und die ökonomische Rationalität einer oft eindimensional effizienz-optimierten Verwaltung andererseits ergänzen. Doch auch hier sind Begrenzungen zu erkennen, wenn in der Praxis die Aktivierung des Bürgers als Koproduzent bei der Leistungserstellung auf einen Beitrag zur Konsolidierung des öffentlichen Haushalts hin betrieben wird, also mit der Dominanz des Kosten-Nutzen-Denkens, sich der bürgerschaftliche Gemeinsinn wiederum in den Dienst ökonomischer Ziele gestellt sieht. 5 Ökonomisierung statt Demokratisierung? Bereits 1998 haben Klie/Meysen zwei Säulen der Verwaltungsreformdiskussion unterschieden: Reformprojekte, die auf Effizienz- und Effektivitätsoptimierung, also Ökonomisierung 4, angelegt sind, und Reformprojekte, welche auf eine nachhaltige Demokratisierung angelegt sind (Klages/Daramus/Masser 2008: 27). Eine „tragfähige Konstruktion moderner Verwaltung“ wollten die Autoren davon abhängig machen, ob sich die konkurrierenden und synergetischen Zielsetzungen dieser beiden Reformprojekte „zu einem gemeinsamen und zukunftstauglichen Gerüst zusammenführen lassen“ (Klie/Meysen 1998: 452). Die Frage nach der Demokratieverträglichkeit des Neuen Steuerungsmodells bzw. nach der demokratischen Legitimation von Rationalisierungsentscheidungen im öffentlichen Sektor führte zunächst zu einer Erweiterung des ursprünglichen, effizienzorientierten Modernisierungsdesigns um das Element der Kundenorientierung – und mit dieser Akzentuierung der Außenbeziehung zu einer, wenn auch eindimensional verkürzten Form bürgerschaftlichen Einwirkens auf die öffentlichen Verwaltung (Noll 2007: 125).
4 Zu Begriff, Zielen, Instrumenten und Facetten der Ökonomisierung siehe Knorr (2005).
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Begrifflichkeiten
Problemszenarien
Ziele
Analysefokus
Wolfgang H. Lorig Public Management Neues Steuerungsmodell, DienstleistungsVerwaltung, Konzern Stadt, Bürokratiekritik, Schlanker Staat Staatsversagen, Bürokratisierung, Steuerungsdefizite Effizienz, value for money, Service/Dienstleistung, Kundenorientierung, Qualität Mikroorganisation, Binnensteuerung, Ergebnisorientiertes Management, Public Private Partnership, Privatisierung, Outsourcing
Public Governance Bürger/Zivilgesellschaft, Sozialkapital, Gewährleistungsstaat, Bürgerkommune, Aktivierender Staat und Kooperativer Staat Gesellschaftsversagen, Fragmentierung, Externe Effekte, Exklusion Soziale, politische, administrative Kohäsion, Bürgerpartizipation, Bürgerschaftliches Engagement Koordination öffentlicher und gesellschaftlicher Akteure, Kombination verschiedener Steuerungsformen, Netzwerkmanagement
Abbildung 2: Zwei Modernisierungsdesigns: Public Management und Public Governance Quelle: In Anlehnung an Werner Jann/Kai Wegrich (2004: 200).
Mit dem Konzept der Bürgerkommune und des „aktivierenden Staates“ (Behrens 1995; von Bandemer/Hilbert 2001: S. 17 ff.) sollte die ökonomische Perspektive umfassend um bürgerschaftlich-partizipatorische Elemente ergänzt werden. Hans Peter Bull hat darauf hingewiesen, dass diese Ergänzung des NPM-Modernisierungsdesigns um eine Außendimension, also eine Erweiterung der einseitig betriebswirtschaftlich-ökonomischen Betrachtung des Staatssektors um Prinzipien und Elemente einer Bürgergesellschaft, notwendig gewesen ist: „Die ökonomische Betrachtung von Staat und Verwaltung ist nötig, und die öffentliche Hand ist zu Einsparungen genötigt – aber das reicht nicht aus. (…) ‚Ökonomisierung’ der Verwaltung und des Verwaltungshandelns ist also nur bis zu einem gewissen Gerade möglich, wenn diese ihren Charakter als öffentliche Verwaltung nicht verlieren soll. (…) Die zentralen Aufgaben des Staates und der
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Kommunen müssen weiterhin so organisiert werden, dass Gemeinwohlgesichtspunkte unmittelbar in den Prozess der Aufgabenerfüllung eingebracht werden können“ (Bull 2006: 31, 53). In diesem Kontext sind die modernisierungsrelevanten Prinzipien der Kundenorientierung, Dienstleistungsmentalität und -organisation geeignet, zur „äußeren Demokratisierung“ einer öffentlichen Verwaltung beizutragen. Den bürgerschaftlich-demokratischen Stil einer entsprechend modernisierten öffentlichen Verwaltung kennzeichnen dann bestimmte Qualitätsstandards: Entlastung der Kunden/Leistungsempfänger/Verpflichteten von Förmlichkeiten und überflüssigen Verfahrensschritten, Vermeidung einer übermäßigen Kontrolldichte, hohe Dienstleistungsstandards, Systeme der Qualitätskontrolle, sorgfältige Beachtung des Wirtschaftlichkeitsprinzips, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit privaten und zivilgesellschaftlichen Akteuren, Respekt vor dem Bürger als Auftraggeber. Und die Beschäftigten einer solchen Verwaltung agieren nicht mehr obrigkeitsstaatlich, sondern empfinden sich als Dienstleister „für die Allgemeinheit der Bürgerinnen und Bürger als ihren Auftraggebern“. Kundenorientierung und Dienstleistungsmentalität „ist bereits vielerorts entwickelt; sie kann und wird weiter ausgeprägt werden, wenn die Verwaltung nicht durch weitere Stelleneinsparungen vollkommen demotiviert wird“ (Ebenda: 97). Wenn behauptet werden kann, die öffentliche Verwaltung sei bereit, „ihre rechtliche Bindung an das demokratische System (…) als Anreiz und Anstoß anzusehen, um einen eigenen und selbständigen Beitrag zur Integration in das demokratische System zu leisten“ (Czerwick 2001: 294), dann können Kundenorientierung, Dienstleistungsmentalität und vor allem die erweiterte Form einer Bürgerorientierung als relevante Impulse für die Herausbildung einer „kooperativen Verwaltung“ (Benz 1994) angesehen werden, welche mit modernen, demokratischen Formen von Governance kompatibel ist (Benz 2003: 25-26). Auch nach der Implementierung verschiedener Elemente und Prinzipien des NPM kann die öffentliche Verwaltung ihre bürokratischen Rationalitätskriterien und damit ihre Eigenständigkeit als soziales System reproduzieren. Kundenorientierung und Dienstleistungsmentalität sind vornehmlich im Segment Dienstleitungsverwaltung, als einem Teilbereich einer inzwischen ausdifferenzierten öffentlichen Verwaltung im Sinne von Leitmotiven, wirksam geworden. Selbst wenn von beiden Prinzipien zunächst eher überschaubare Beiträge zu einer (weiteren) Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung erwartbar sind, so werden doch mit der Implementation dieser Leitmotive relevante Impulse für die Anpassung einer öffentlichen Verwaltung an neue gesellschaftliche An- und Herausforderungen gegeben: Eine zunehmende Diversifizierung der öffentlichen Verwaltung und ein Wegfall der Grenzen zwischen öffentlichem, privatem und gemeinnützigen
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Sektor erfordern eine verstärkte Beachtung von und Orientierung an den Interessen, den Wünschen und den Bedürfnissen der Bürgerschaft. Insoweit kann das durch Kundenorientierung und Servicementalität geschärfte Bewusstsein der Bediensteten, für die Gesellschaft Dienstleistungen erbringen zu sollen, durchaus auch weitere Prozesse der Demokratisierung initiieren und intensivieren (Demmke 2005b: 218). Mit der Implementierung spezifischer Elemente des NPM wurden Effizienz- und Effektivitätskriterien zu relevanten Leitmotiven der öffentlichen Verwaltung und die ökonomische Rationalität wurde zu einer zentralen Zielgröße des Verwaltungshandelns (Hoffmann-Riem 1998: 16-19). Da „die Ziele des Verwaltungshandelns“ allerdings „erheblich breiter gestreut“ sind und es auch „um den schonenden Umgang mit anderen Ressourcen als finanzielle, also etwa personellen, organisatorischen oder kulturellen“ (Schmidt-Aßmann 1998: 5) gehen muss, war die Erweiterung und Modifikation des zunächst einseitig betriebswirtschaftlich-managerialen Modernisierungsdesigns um eine Außendimension mit Kunden- und Bürgerorientierung theoretisch-konzeptionell wie auch politisch-praktisch angemessen (Roth 2001). Die inzwischen empirisch belegbare Performanz moderner Dienstleistungsverwaltungen (Bogumil u.a. 2007: 315) lässt sich insoweit als erfolgreiche strukturelle Koppelung zwischen Teilbereichen der öffentlichen Verwaltung und der Bürgergesellschaft deuten. Dienstleistungs- und Servicementalität konnten in spezifischen Sektoren einer diversifizierten öffentlichen Verwaltung Einzug halten und dort auch auf eine neue Verwaltungskultur hinwirken (Bogumil/Kuhlmann 2006: 349). 6 Fazit Mit Kundenorientierung und Dienstleistungsmentalität wurde zum einen „die Überwindung der Binnenorientierung des traditionellen Steuerungsmodells – wie auch der neueren Zielsteuerungssysteme des New Public Management“ (Naschold/Jann/Reichard 1999: 93) eingeleitet, zum anderen wurde eine Steigerung der Verwaltungsqualität abgestrebt und damit eine Legitimitätssteigerung staatlichen Handelns, da auch Effizienz legitimatorisch wirkt. Doch die Legitimität staatlichen Handelns hängt neben der Verbesserung staatlicher Leistungsfähigkeit auch von den demokratischen Strukturen und Verfahren ab. Staatliches Handeln, welches sich an Kundenbedürfnissen und -interessen orientiert, erhöht zunächst die Sensibilität gegenüber Bürgerinteressen, welche sich als Kundenbedürfnisse äußern können. Insoweit beinhaltet Kundenmacht das Potential zu einer weiteren Legitimationsquelle, neben Bürgerbegehren und -entscheiden, werden zu können.
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Auch wenn der Kunde in der Realität kaum eine Möglichkeit hat, auf ein anderes Verwaltungsprodukt auszuweichen (Exit-Option), verfügt er dennoch „über Macht, die aus der öffentlichkeitswirksamen und –unterstützten Artikulation von Kundenbedürfnissen resultiert (Voice)“ (Bogumil/Kißler 1997: 3). Das NSM ist zwar kein Demokratiekonzept, enthält in seiner Außendimension gleichwohl ein Demokratieversprechen, welches sich auf das Prinzip der Kundenorientierung (und schließlich der Bürgerbeteiligung) als Kundenmacht beschränkte, in den Modernisierungsdiskursen dann aber sukzessive erweitert werden sollte: nämlich hin zu einer „Öffnung staatlicher Steuerung gegenüber einer aktivierten Zivilgesellschaft und die Amalgamierung von Wettbewerb und Märkten, die (…) das wesentliche Merkmal der veränderten Koordination ausmachen“ (Naschold/Jann/Reichard 1999: 93). Das im NPM-Modernisierungsdesign primär zum Ausdruck gebrachte Streben nach ökonomisch-effizienter, also kostengünstigerer Dienstleistungsproduktion kann – zunächst – als eine durchaus angemessene Reaktion auf die Knappheit der Finanzen angesehen werden. Problematisch wird das Modernisierungsdesign, wenn sich die betriebswirtschaftlich inspirierte Effizienzorientierung von Verwaltungspolitik nicht beschränkt auf die Vermarktwirtschaftlichung bzw. Quasi-Vermarktwirtschaftlichung von Verwaltungshandeln oder die Ersetzung von Verwaltungshandeln durch kontraktierte private Anbieter. Wenn stattdessen der gesamte öffentliche Sektor tendenziell unter ökonomischen Aspekten betrachtet werden soll, alle Gebietkörperschaften wie Privatunternehmen gemanagt werden sollen und die Verwaltungsführungen ihr Agieren an den Erfordernissen eines internationalen Standortwettbewerbs um Kapital und Investoren ausrichten sollen (Humborg 2006), dann können mit der einseitigen Akzentuierung ökonomischer Rationalitätskriterien, „die bisherigen das Verwaltungshandeln prägenden bürokratischen Rationalitätskriterien, zu sehr entwertet werden, wie sich dies am Beispiel der Rationalitätskriterien ‚Orientierung an Gesetzen und Vorschriften’, ‚Sachbezogenheit’, ‚Routine’, ‚Geheimhaltung’ und ‚Kollegialität’ kurz umreißen lässt“ (Czerwick 2007: 260). Versteht man Ökonomisierung als einen global und säkular wahrnehmbaren Trend, der zu einem relativen Bedeutungsgewinn wirtschaftlicher Rationalitäten, Konzepte und Doktrinen in ursprünglich außerwirtschaftlichen Gesellschaftsbereichen führt, lässt sich behaupten, dass das NSM sowohl für den binnenstrukturellen Bereich wie für das marktliche Umfeld von Verwaltungen deutliche Ökonomisierungseffekte bewirkt hat. Doch eine „vorwiegend betriebswirtschaftlich ausgerichtete Form der Ökonomisierung“ (Mühlenkamp 2005: 29) blendet aus, dass sich einzelwirtschaftliche und gesamtwirtschaftliche Perspektive voneinander unterscheiden, so dass „einzelwirtschaftliche Effizienz nicht mit gesamtwirtschaftlicher Effizienz gleichzusetzen ist“ (Mühlenkamp
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2005: 19). Das Handeln des öffentlichen Sektors hat sich aber immer auch, „an volkswirtschaftlichen Effizienzkriterien“ (Ebenda: 26) messen zu lassen. Die praxeologische Verkürzung des NSM auf einzelwirtschaftliches Effizienzdenken und die tendenzielle Reduktion des Bürgers auf die Rolle des Kunden beruhen deshalb auf der Annahme einer „unpolitischen Sachpolitik“ (Holtmann 1989: 43), welche den Bezug zum Gemeinwohlgedanken einer res publica tendenziell auszublenden bereit ist. Damit aber würden wesentliche Prämissen, die unser politisch-administratives System sowohl politiknormativ wie auch politikkulturell kennzeichnen, ignoriert. Insoweit stellt sich dann die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von NPM und Bürgerdemokratie, die an dieser Stelle mit Linda DeLeon beantwortet werden soll: „Obviously public management is tasked with implementing public policy and delivering public services as effectively and efficiently as possible. Equally apparent is its opportunity and obligation to contribute to collaboration among citizens, public managers, and elected officials. (…) As with the great balancing act that weighs political freedom in one scale against social order in the other, public management cannot escape the need to weigh two essential and, to some extent, competing values. A public management worthy of trust must produce outcomes that are both efficient and democratic” (DeLeon 2007: 122). Die im Zitat eingeforderte Balance zwischen Effizienz- und Demokratieorientierung scheint bei der Umsetzung von Verwaltungsreformen bislang nicht erreicht worden zu sein. 5 Vielmehr befördern die beiden hier skizzierten Reformmodelle politischer Steuerung, nämlich Konzern Stadt und Bürgerkommune, faktisch „eine Neudefinition des Öffentlichen“, welche in der Praxis eher dahin tendiert, „den Bereich des Privaten zu erweitern und den politischen Raum demokratischer Einflussnahme zu begrenzen“ (Wohlfahrt/Zühlke 2005: 120). 7 Literatur Banner, Gerhard (1991): Von der Behörde zum Dienstleistungsunternehmen – Ein neues Steuerungsmodell für die Kommunen, in: Verwaltung – Organisation – Personal, Jg. 13, H. 4, S. 3-7. Banner, Gerhard (2002): Schreiben des KGSt-Vorstands an die Mitgliedskommunen mit Betreff „Haushaltskonsolidierung“ vom 30.10.1992, Az. 20.1.01. Banner, Gerhard (2006): Local Government – A Strategic Resource in German Public Management Reform, in: Vincent Hoffmann-Martinot/Hellmut Wollmann (Hrsg.): State and Local Government Reforms in France and Germany. Divergence and Convergence, Wiesbaden, S. 125-144. 5 Ausführlich hierzu der Beitrag von Lars Holtkamp im vorliegenden Band.
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Demokratische Verwaltung im demokratischen Staat
Edwin Czerwick/Wolfgang H. Lorig/Erhard Treutner
1 Öffentliche Verwaltung und Demokratie Das Verhältnis von öffentlicher Verwaltung und Demokratie ist schon immer spannungsreich gewesen (Czerwick 2001). Zwar hat dieses Spannungsverhältnis im Konzept der legislatorisch programmierten Verwaltung eine vorübergehende normative Lösung gefunden, doch kann diese Lösung immer weniger überzeugen (Czerwick 2007a), weil sie der Realität öffentlicher Verwaltung im demokratischen System der Bundesrepublik Deutschland nur noch partiell entspricht. Von daher dürfte es angebracht sein, darüber nachzudenken, unter welchen Bedingungen dieses Verfassungskonzept beibehalten werden kann und welche Veränderungen dazu auffordern, diese zu ergänzen oder weiter zu entwickeln. Es dürfte kaum sinnvoll sein, an diesem Konzept selbst dann noch festhalten zu wollen, wenn offensichtlich ist, dass es nicht (mehr), wie gedacht, praxisrelevant ist und damit auch seine legitimatorische Kraft schwindet. Das Konzept der legislatorisch programmierten Verwaltung ist nicht der politischen und administrativen Wirklichkeit unangemessen; es kann aber theoretisch nicht (mehr) gänzlich überzeugen, weil es auf einem sehr engen Demokratieverständnis aufbaut. Die dem Konzept zugrunde liegenden Begriffe „Demokratie“ und „Demokratisierung“ sind so restriktiv definiert1, dass die Bürger demnach als Untertanen betrachtet werden (Bryde 1994: 316). Da sich die Demokratie in Deutschland tendenziell von einer „Wahldemokratie“ zu einer „Verhandlungsdemokratie“, die sich durch vielfältige Mitwirkungsmöglichkeiten der von den administrativen Entscheidungen Betroffenen auszeichnet, zu entwickeln scheint, bleibt zu erörtern, welche Konsequenzen diese Entwicklungstendenzen für das Verhältnis von öffentlicher Verwaltung und Demokratie implizieren. Antworten auf diese Frage finden sich in den Beiträgen, welche in diesem Sammelband publiziert sind und deren Erträge nachstehend systematisiert 1 Siehe dagegen den Beitrag von Möltgen/Pippke.
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werden sollen. Zunächst ist das Modell der legislatorisch programmierten Verwaltung ausführlicher zu skizzieren, weil dieses insbesondere von der Staatsund Verwaltungsrechtslehre sowie vom Bundesverfassungsgericht als das für eine demokratische öffentliche Verwaltung konstitutive Legitimationsmodell angesehen wird. 2 Das Konzept der legislatorisch programmierten Verwaltung Im Mittelpunkt des Konzepts der legislatorisch programmierten Verwaltung steht die Frage, wie die öffentliche Verwaltung möglichst eng auf das Prinzip der Volkssouveränität ausgerichtet werden kann, ohne dass dies aber eine unmittelbare Bindung an den Volkswillen nach sich zieht. Die normative „Lösung“ dieser Frage sieht vor, die Vereinbarkeit von demokratischem System und öffentlicher Verwaltung vor allem über eine ausreichende demokratische Legitimation der Verwaltung sicherzustellen (vgl. den Beitrag von Kippels in diesem Band). Ausgangspunkt dafür ist die repräsentative Demokratie, bei welcher die Parlamente, sofern sie aus freien, gleichen, geheimen und allgemeinen Wahlen hervorgegangen sind, Ausdruck des Volkswillens und damit Verkörperung der Volkssouveränität sind (1. Legitimationsstufe). Die Volksvertretung wählt ihrerseits eine Regierung, die damit ebenfalls demokratisch legitimiert ist (2. Legitimationsstufe). Diese steuert die öffentliche Verwaltung durch Weisungen, mit denen sie dafür Sorge trägt, dass die vom Parlament verabschiedeten Gesetze von der Verwaltung umgesetzt werden, wie der Gesetzgeber dies intendiert hat. Insofern gilt dann auch die öffentliche Verwaltung als demokratisch legitimiert (3. Legitimationsstufe).2 Um die Verwaltung entsprechend dem Parlamentsgesetz steuern und kontrollieren zu können, bedarf es einer hierarchischen Organisationsstruktur (Di Fabio 1997: 266), in der die Über- und Unterordnungsverhältnisse, die Dienstwege und die administrativen Kompetenzen eindeutig geregelt sind. Bei Einhaltung dieser Vorgaben über alle „Stationen“ staatlichen Handelns hinweg und dementsprechend der ununterbrochenen Geltung der sog. „Legitimationskette“ sei, so die herrschende Lehre, der demokratische Wille der Bürger – wenn auch in immer feineren Portionen – auf allen Stufen staatlicher und damit auch administrativer Entscheidungen gegeben. „(E)ine hierarchisch organisierte, gesetzesgebundene und durch Weisungen der parlamentarisch verantwortlichen Spitze gesteuerte Verwaltung“ wird damit zur „Komplementärerscheinung demokratischer Staatlichkeit“ (Dreier 1991: 13). Doch ergeben sich in der gesellschaftlichen Realität, entgegen der soeben 2 Siehe hierzu insbesondere auch Böckenförde (1992: 289-378). Mit einer gewissen Berechtigung lässt sich diese Argumentation als „Legitimationskettenfetischmus“ (Bryde 1994: 324) kritisieren.
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zitierten optimistischen Auffassung, im Verhältnis von Bürgern (als demokratischem Souverän) und öffentlicher Verwaltung viele Probleme, die ernste Zweifel darüber aufkommen lassen, ob man hierbei noch von „demokratischer Ordnung“ sprechen kann. Durch die Wahl der Legislative - und indirekt damit der Regierung - ergibt sich eine Form der „Mitwirkung“ an Verwaltungsentscheidungen, die nur im Konzept und „im Prinzip“ - und damit äußerst abstrakt - vorhanden bzw. so ausgedünnt ist, dass sie kaum oder nicht mehr erkennbar ist und somit nur begrenzt zur Anleitung und Steuerung der Verwaltung und zur Legitimation des Verwaltungshandelns tauglich ist. Neben diesen demokratietheoretischen Einwänden lässt sich gegen das Konzept einer legislatorisch programmierten Verwaltung auch eine Vielzahl empirisch begründeter Einwände vorbringen, auf die in der wissenschaftlichen Literatur immer wieder Bezug genommen wird. 3 Zunächst können die weiten Ermessens- und Handlungsspielräume der Verwaltung erwähnt werden, wie sie zum Beispiel im Konzept des „situativen Verwaltungshandelns“ beschrieben werden (Treutner u.a. 1978). Selbst wenn man davon ausgeht, dass solche Ermessensspielräume verfassungsrechtlich vorgesehen sind und insofern dem Konzept der legislatorisch gesteuerten Verwaltung nicht zuwider laufen, sieht die administrative Praxis doch anders aus als in diesem Konzept vorausgesetzt wird. Da Gesetze in ihrem Wortlaut nicht bereits vorab alle Details der zu regelnden Probleme berücksichtigen können, bleibt der öffentlichen Verwaltung ein großer Ermessensspielraum, der nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt kontrolliert werden kann. Das führt zu Akzeptanz- und Legitimationsverlusten des Verwaltungshandelns, was - allerdings auch durch unterschiedliche Interessen auf Seiten der Adressaten bedingt - sich nicht zuletzt in der Flut von Klagen zeigt, welche die Verwaltungsgerichte zu bearbeiten haben. Ähnliches lässt sich gegenüber der (zwangsläufig) ausufernden Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln sagen. Von daher bleibt suspekt, wie das Konzept der rein legislatorisch programmierten Verwaltung als Modell für die normative Integration der öffentlichen Verwaltung in ein demokratisches System Verbindlichkeit beanspruchen kann. Und dies auch, obwohl (oder gerade weil) das Konzept vielfältige Durchbrechungen nicht nur zulässt, sondern ausdrücklich ermöglicht (siehe Kippels in diesem Band). Ein weiteres Beispiel für die nachlassende normative Bindungskraft des Konzepts findet sich in der Literatur zur sogenannten „informalen Verwaltung“ (zuerst Bohne 1981). Gegen das Konzept sprechen jedoch auch die Selbstentmachtung und Verantwortungsflucht des Gesetzgebers, die Gesetzesflut, die zwangsläufig zur selektiven Gesetzesanwendung führt, die „Vorbereitungsherrschaft“ der Ver3 Siehe hierzu aber bereits Schmid/Treiber (1975: 186 ff.); Schuppert (1993: 596 ff.); Kleine-Cosack (1986: 102 ff.) sowie Czerwick (2007a).
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waltung, die Verselbständigung von Verwaltungseinheiten und der Umstand, dass der Gesetzgeber viele Verwaltungsvorschriften oder -richtlinien – vor allem im Technik- und Umweltbereich - auf weitgehend in privaten Sachverständigenkreisen gestaltete und formulierte Regelungswerke stützt oder Regelungen privatrechtlicher Normungsverbände (z.B. von VDI-Richtlinien oder DINNormen) in seine Rechts- und Verwaltungsvorschriften übernimmt. Hier sind etwa die TA-Luft, neuere Verwaltungsvorschriften zum Bundesimmissionsschutzgesetz oder das umfangreiche Regelwerk zu § 19 a Abs. 1 Chemikaliengesetz zu nennen. Was „Stand der Technik“ oder „Stand der Wissenschaft“ konkret bedeutet und welche Grenzwerte für bestimmte Schadstoffemissionen einzuhalten sind, wird häufig in diesen privat erarbeiteten Regelungswerken festgelegt. Dies stößt zwangsläufig auf verfassungsrechtliche Bedenken, weil es sich dabei um die „Aushöhlung demokratischer Staatsgewalt durch private und demokratisch nicht legitimierte Kräfte“ handelt (Kippels), sofern man am Konzept der legislatorisch programmierten Verwaltung festhalten will. Insgesamt betrachtet, wird also deutlich, dass dieses Konzept, das trotz aller empirischen Widerlegungen für die Verfassungsordnung in Deutschland konstitutiv ist, für die Analyse administrativer und politischer Realität allenfalls partiell anwendbar ist. Außerdem zeichnen sich derzeit eine Reihe von Entwicklungen ab, wie die Privatisierung ehemals hoheitlicher Aufgaben, die Verlagerung von staatlichen Aufgaben auf private Aufgabenträger im Rahmen des sogenannten „Gewährleistungsstaates“ oder sogenannter „Public-Private-Partnerships“ (PPP), die das Konzept der legislatorisch programmierten Verwaltung relativieren und die Suche nach Ergänzungen und auch Alternativen umso dringlicher erscheinen lassen. Demgegenüber lässt sich verdeutlichen, dass eine sowohl theoretisch als auch empirisch als „demokratisch“ zu qualifizierende öffentliche Verwaltung keineswegs sich einseitig am Maßstab der repräsentativen Demokratie orientieren kann, sondern einem weiteren Demokratieverständnis verpflichtet sein muss, welches auch Elemente von partizipatorischer, pluralistischer oder innerorganisatorischer Demokratie berücksichtigt. Erst dann wird öffentliche Verwaltung zu einer „Komplementärerscheinung“ der Demokratie in Deutschland. 3 Neuere Entwicklungen im Verhältnis von Demokratie und öffentlicher Verwaltung Die öffentliche Verwaltung in Deutschland durchläuft derzeit Veränderungen, die zum einen spezifisch von den bundesdeutschen Rahmenbedingungen geprägt sind, wie dies am Beispiel der sogenannten „kooperativen Verwaltung“ verdeutlicht werden kann. Sie unterliegt aber auch internationalen Entwicklungen, was
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sich u.a. in der Ökonomisierung des Verwaltungshandelns (Czerwick 2007b) zeigt. Schließlich ist sie, wie alle öffentlichen Verwaltungen der Mitgliedsländer der Europäischen Union, mit Herausforderungen konfrontiert, die über ihre nationalstaatlich definierte legitimatorische Bindung hinausweisen und die, zumindest perspektivisch, auf eine europäisch bestimmte Verwaltung und Verwaltungslegitimation hindeuten. Diese drei Entwicklungen lassen nicht nur das ohnehin in seiner normativen Bindungskraft geschwächte Konzept der legislatorisch programmierten Verwaltung zunehmend fraglich erscheinen, auch wirken sie in sehr unterschiedlicher Weise auf das Verhältnis von öffentlicher Verwaltung und Demokratie. Sie könnten zum einen, wie im Falle der „kooperativen Verwaltung“, eine Demokratisierung der Verwaltung begünstigen, die der Idee der partizipatorischen Demokratie verpflichtet ist. Mit ihr werden, da sie zugleich eng mit dem Gedanken der „Verhandlungsdemokratie“ gekoppelt ist, die Mitwirkungsmöglichkeiten gesellschaftlicher Kräfte an Verwaltungsentscheidungen erweitert, wobei aber einschränkend zu bemerken ist, dass die Zugangschancen von Verbänden und gesellschaftlichen Gruppen zur öffentlichen Verwaltung ungleich verteilt sind. Zum anderen wirken sich neuere Entwicklungen, insbesondere die Konzepte zur Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, auf das Verhältnis zwischen Demokratie und Verwaltung aus: Denn diese Modernisierungsdesigns intendieren Effektivitäts- und Effizienzoptimierung des Verwaltungshandelns im Rahmen von Kosten-Nutzen-Kalkulationen und akzentuieren Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Verwaltung gegenüber Politik wie Bürgerschaft. (siehe die Beiträge von Möltgen/Pippke, Lorig und Holtkamp). Schließlich ist bei den Europäisierungstendenzen der öffentlichen Verwaltung das Risiko gegeben, dass die nationalstaatlichen normativen Bindungen aufgelöst, die Transparenz des Verwaltungshandelns und die Verantwortlichkeit der Verwaltung verringert sowie die Mitwirkungsmöglichkeiten von national ausgerichteten gesellschaftlichen und parlamentarischen Kräften zugunsten weitgehend anonymer Institutionen, Komitologien und Kommissionen drastisch beschnitten werden. Ob und auf welche Weise diese sich teilweise widersprechenden Entwicklungen konvergieren werden, welches Verständnis von öffentlicher Verwaltung und Demokratie dabei zugrunde gelegt wird, wird sich erst in der Zukunft zeigen. Derzeit scheint es nur möglich zu sein, diese unterschiedlichen Entwicklungstendenzen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Verhältnis von öffentlicher Verwaltung und Demokratie zu beschreiben. Allerdings lässt sich momentan eine Tendenz erkennen, besonders solche Maßnahmen zu fördern, die geeignet erscheinen, Effizienz und Effektivität des Verwaltungshandelns steigern zu können, also insoweit eine Ökonomisierung des öffentlichen Sektors intendieren.
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3.1 Die kooperative Verwaltung Kooperatives Verwalten bezieht sich auf das Zusammenwirken von staatlichadministrativen Organisationen und gesellschaftlichen Akteuren bei der Vorbereitung und Durchsetzung politisch-administrativer Entscheidungen zur Bewältigung gesellschaftlicher Probleme. Im Verhältnis von Verwaltung und Verwaltungsbetroffenen werden vermittelnde und intermediäre Instanzen immer wichtiger. Gesellschaftliche Akteure wie Unternehmen und Verbände verlangen nach Beteiligung an Entscheidungen, die sie tangieren. Daneben ist für viele Bürger angesichts ihres in den vergangenen Jahrzehnten gewachsenen Interesses an einer bürgernahen und bürgerfreundlichen Verwaltung die für sie völlig abstrakt bleibende Legitimationskette kein hinreichender Nachweis von administrativer Legitimation mehr. Ihnen geht es nicht um eine demokratietheoretisch begründete normative Integration der öffentlichen Verwaltung in das demokratische politische System, sondern um die Frage, welchen Einfluss sie auf das Verwaltungshandeln nehmen können und welche Entscheidungen die Verwaltung im Hinblick auf Wahrung ihrer Interessen und Bedürfnisse trifft. Dabei wird meist unterstellt, dass Verwaltungsentscheidungen umso „besser“ und „demokratischer“ ausfallen, je intensiver die öffentliche Verwaltung gesellschaftliche Interessen berücksichtigt. Zudem wird angenommen, dass die Interessenberücksichtigung umso intensiver erfolgt, je mehr die Interessenvertreter Zugang zur öffentlichen Verwaltung erhalten und dort ihre Interessen unmittelbar zur Geltung bringen können. Dies sind die Entwicklungen, auf welche der Begriff „kooperative Verwaltung“ hinweist. Die kooperative Verwaltung impliziert demnach neue Chancen, aber auch neue Probleme für das Verhältnis von Verwaltung und demokratischer Ordnung (vgl. dazu Dose in diesem Band). Chancen für mehr Demokratie bestehen darin, dass immer mehr gesellschaftliche Kräfte ihre Interessen gegenüber und innerhalb der Verwaltung wahrnehmen können, welche sich gegenüber der Gesellschaft geöffnet hat und öffnet. Sie kann sich nicht länger ausschließlich als ein hoheitliches Gewerbe verstehen, welches jenseits der gesellschaftlichen Konflikte angesiedelt ist; vielmehr hat sie als Teil der pluralistischen Gesellschaft deren heterogene Bedürfnisse zu berücksichtigen und gegebenenfalls zum Ausgleich zu bringen. Für die Verwaltung resultiert daraus der Vorteil, dass auf diese Weise flexiblere Lösungen möglich und Vollzugsdefizite im Hinblick auf demokratische Entscheidungen vermindert werden. Zudem kann sich die Qualität administrativer Entscheidungen verbessern, weil diese sach- und problemangemessener werden können. Denn bei kooperativem Handeln werden von allen Beteiligten Informationen eingebracht und gehen dementsprechend
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insgesamt mehr Informationen in den Entscheidungsprozess ein. Für administrative Entscheidungen resultiert daraus eine größere Akzeptanz. Erkauft werden muss dies mit dem möglichen Nachteil, dass die Verwaltung ihre rechtlichen Vorgaben und ihre Kompetenzen bei der Kooperation und den damit verbundenen Aushandlungen eigenmächtig überschreitet, vom Willen des Gesetzgebers abweicht und im Ergebnis doch nicht gesellschaftlichen Interessen entgegen kommt. Allerdings findet Dose in seinem empirischen Beitrag für solche Nachteile keine Belege, wohl aber dafür, dass mächtige Sonder- und Einzelinteressen in der Verwaltung eine privilegierte Berücksichtigung finden. Bei kooperativem Verwalten ist also, wie auch andere Untersuchungen zeigen, vor allem das Risiko gegeben, dass gesellschaftliche Akteure in kooperative Prozesse nur selektiv und ungleich, je nach Organisiertheit ihrer Interessen und ihrer gesellschaftlichen Macht, eingebunden werden. Allerdings gibt es dabei Grenzen, weil kooperatives Verwaltungshandeln immer auch „im Schatten der Hierarchie“ (Scharpf 1991) oder „im Schatten des Rechts“ (Schulze-Fielitz 1993) stattfindet. Kooperatives Verwaltungshandeln steht für die beteiligten gesellschaftlichen Kräfte insofern fast immer unter dem Vorbehalt, dass die Verwaltung, wenn sie ihre Interessen verletzt sieht, wieder rein hoheitlich zu agieren und ihre Entscheidungen kompromisslos durchzusetzen vermag. Kooperatives Verwaltungshandeln könnte also in enger Beziehung zum Konzept der partizipatorischen Demokratie stehen. Dies trifft auch zu, wenn man allein auf den Gedanken der Mitwirkung gesellschaftlicher Gruppen und Verbände am Verwaltungshandeln abhebt und dies mit einer erhöhten Problemlösungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung verbindet. Berücksichtigt man aber zusätzliche Kriterien, wie den Gleichbehandlungsgrundsatz, argumentative Auseinandersetzung sowie öffentliche und unbegrenzte Beratungen, müssen erhebliche Restriktionen bezüglich der Praxis partizipatorischer Demokratie konstatiert werden. Trotz aller Einschränkungen, die man gegenüber der demokratischen Qualität einer kooperativen Verwaltung machen sollte, kann man aber doch tendenziell der Formulierung von Dose zustimmen, „dass kooperatives Verwaltungshandeln den demokratischen Status der öffentlichen Verwaltung durchaus zu stützen vermag“. 3.2 Modernisierung und Ökonomisierung der öffentlichen Verwaltung Auch hinsichtlich der Verwaltungsreformen, die zu einer Ökonomisierung des Verwaltungshandelns sowohl nach innen als auch gegenüber der Umwelt führen sollen (Czerwick 2007b), bleibt zu fragen, in welcher Weise sich diese Entwicklungen auf das Verhältnis von öffentlicher Verwaltung und Demokratie aus-
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wirken. Diese Frage mag zunächst überraschen, weil Verwaltungsmodernisierung weder eine Demokratisierung der Verwaltung intendiert noch von demokratisch legitimierten Gremien oder den Bürgern angestoßen worden ist. Gleichwohl ergeben sich, wie Möltgen/Pippke in ihrem Beitrag zeigen, mit New Public Management (NPM) und dem Neuen Steuerungsmodell (NSM) auf kommunaler Ebene durchaus Optionen für eine weitere Demokratisierung der Verwaltung in Richtung von mehr Bürger- bzw. Betroffenenteilnahme, mehr Mitarbeiterbeteiligung und mehr Steuerungskompetenzen für die politischen Akteure. Obwohl diese Möglichkeiten nur zum Teil und in den einzelnen Verwaltungsbereichen in unterschiedlicher Form genutzt werden, gehen von ihnen demokratisierende Effekte aus. Zugleich lassen sich aber auch Tendenzen einer Entdemokratisierung beobachten, welche bestehende bürokratische Strukturen perpetuieren oder gar intensivieren. Dementsprechend kann derzeit noch keine Gesamtbilanz zur faktischen Demokratisierung erstellt werden, welche aus Prozessen der Verwaltungsmodernisierung resultiert. Allerdings erachten wir eine Wirkung von Verwaltungsmodernisierung auf die demokratische Qualität der Verwaltung als besonders erwähnenswert: Offensichtlich wird das Konzept der legislatorisch programmierten Verwaltung durch die der Verwaltung zugewiesene größere Eigenständigkeit erheblich relativiert, da mit Dezentralisierung und Profit-Centern nicht nur die parlamentarische Kontrolle der Verwaltung erschwert, sondern darüber hinaus auch der Informationsvorsprung und damit auch das „Herrschaftswissen“ der Verwaltung deutlich vergrößert wird. Zwar gehört es zu den Zielen der Reform, die Position der politischen Repräsentanten durch umfassendere und solidere Informationssysteme zu optimieren und damit politische Steuerungsdefizite zu reduzieren. Doch dieses zentrale Ziel der Verwaltungsmodernisierung konnte bislang in der Praxis nicht erreicht werden. Zudem findet mit der Privatisierung staatlicher Aufgaben, der Übertragung („Outsourcing“) staatlicher Aufgaben auf Private und durch Public Private Partnerships (PPP) eine Kompetenzverlagerung von staatlichen Institutionen auf private bzw. auf kombiniert privat-staatliche Aufgabenträger statt. Hier stellt sich die Frage, ob der Forderung nach demokratischer Führung und Kontrolle von Verwaltungshandeln noch genüge getan werden kann, da spezifische, bisher von der öffentlichen Verwaltung geregelte Bereiche der Gesellschaft, die für die öffentliche Daseinsvorsorge und das Gemeinwohl bedeutsam sind, nunmehr an Private abgegeben werden, die primär gewinnorientiert agieren.
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3.3 Europäisierung der öffentlichen Verwaltung Ein weiteres Problem für das Verhältnis von öffentlicher Verwaltung und Demokratie ergibt sich aus der zunehmenden Bedeutung der Europäischen Union und der - durch sie selbst ausgeübten (EU-Verordnungen) oder durch sie initiierten (EU-Richtlinien) - europäischen Gesetzgebung, wodurch das normative Konzept einer legislatorisch programmierten Verwaltung zusätzlich relativiert wird (siehe Kippels). Die nationalen Parlamente haben nur noch begrenzten Einfluss auf den europäischen Verordnungs- und Richtliniengeber, der, so weit es die Verordnungen betrifft, die öffentliche Verwaltung der Mitgliedsländer direkt programmiert. Gleichzeitig werden parlamentarische Kontrolle und legislatorische Steuerung der Verwaltung schwieriger, da das von ihr auf der EU-Ebene erworbene Fachwissen den Parlamenten nicht ohne weiteres zur Verfügung steht. Dies kann dazu führen, dass nationale Ministerien Initiativen zu einer bestimmten Rechtsetzung, die im nationalen Parlament nicht mehrheitsfähig sind, über die EU-Kommission lancieren, an deren konkreter Ausarbeitung sie im Ministerrat mitwirken. Wenn solche Initiativen dann über das nationale Parlament in nationales Recht umgesetzt werden sollen, kann sich das Parlament dagegen kaum noch sperren (Kippels). Demokratietheoretisch ergibt sich das Problem einer geringeren demokratischen Legitimation der EU-Gesetzgebung, da hierauf sowohl die nationalstaatlichen Parlamente, als auch das Europäische Parlament nur einen relativ geringen Einfluss haben. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in seinem Maastricht-Urteil (BVerfGE 89: 155) in der Tätigkeit des Europäischen Parlaments und der Bindung des Handelns europäischer Organe an die Parlamente der einzelnen Mitgliedsstaaten eine ausreichende Legitimation gesehen hat (und insofern also eine zweistufige Demokratiestruktur konstatiert hat), sind parlamentarische Kontrollmöglichkeiten ebenso wie direkte Einflussnahmen der Bürger faktisch nicht vorhanden. Außerdem gibt es kein europäisches (Staats-)Volk und damit auch keine Instanz, auf die das Prinzip der Volkssouveränität projiziert werden könnte. Allerdings ist die EU gegenüber intermediären Instanzen wie Interessenverbänden und Lobbyisten offen, denen sie vielfältige Einflussmöglichkeiten bietet. Im Rahmen eines pluralistischen Demokratieverständnisses kann dies als ein (dabei im Hinblick auf den Kreis beteiligter Akteure wiederum sehr selektives) demokratisches Qualitätsmerkmal gewertet werden (Wessels 2000: 351-377).
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4 Innerorganisatorische Demokratisierung Die tendenziell abnehmende Bedeutung legislatorischer Programmierung für die Beschreibung, Erklärung und Rechtfertigung des Verhältnisses von öffentlicher Verwaltung und Demokratie bedeutet nicht ohne weiteres, dass dadurch auch die demokratische Qualität der Verwaltung und des Verwaltungshandelns schwindet. Der Bedeutungsverlust des Konzepts der legislatorisch programmierten Verwaltung könnte durch ein höheres Maß an Responsivität des Verwaltungspersonals gegenüber den Bedürfnissen und Anforderungen der Bevölkerung, aber auch gegenüber demokratischen Werten partiell kompensiert werden. 4.1 Ethik des Verwaltungspersonals Einflussnahmen auf die Ethik des Verwaltungspersonals, also auf seine beruflichen Einstellungen und demokratischen Werte sowie auf sein Verhältnis zur Bevölkerung, zur Regierung, zum Parlament, zur Verfassung usw. heben darauf ab, dass externe Kontrollen des Verwaltungspersonals durch Selbstkontrollen ergänzt werden und das Personal „verantwortlich“ agiert. Allerdings hat sich das Verständnis dessen, was „verantwortungsvoll“ bedeuten soll, im Laufe der Jahrzehnte erheblich verändert (siehe den Beitrag von Behnke). Das traditionelle und zu den Prinzipien einer demokratischen Ordnung eher distanzierte Beamtenethos wurde ergänzt und überlagert durch ein sehr stark von demokratischen Prinzipien und Werten durchsetztes Ethos, welches wiederum durch ökonomische Prinzipien durchzogen ist. Aktuell bleibt offen, wie die verschiedenen Einflüsse sich auf das Amtsethos des öffentlichen Personals zukünftig auswirken werden. Werden sie sich zu einem einheitlichen Ethos verbinden? Werden sie nebeneinander bestehen bleiben? Es ist wohl davon auszugehen, dass die jeweiligen Einflüsse mit den jeweiligen Aufgabenbereichen variieren werden. Von daher sind wissenschaftlich fundierte Aussagen zur allgemeinen Ausgestaltung eines Amtsethos in der öffentlichen Verwaltung des 21. Jahrhunderts noch nicht zu tätigen. Es gibt aber Anzeichen dafür, dass sich die Verwaltungsmitarbeiter/Innen in ihrem administrativen Alltag bewusst auch an demokratischen Werten orientieren und damit, ohne den „Umweg“ über die Parlamente, direkte Beziehungen zu den Bürgern und zur Demokratie entwickeln. Eine „Veralltäglichung“ demokratischer Werte im administrativen Vollzug sollte zwar in ihrer Bedeutung für das Verwaltungshandeln nicht überschätzt werden, sie verdeutlicht aber, dass die verwaltungsinternen Sozialisationsprozesse nicht mehr gegen demokratische Werteordnungen gerichtet sind und die Verwaltung keine Probleme darin sieht, dass solche Werte im Verwaltungsalltag Wirkung ent-
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falten. In diesem Sinne lässt sich feststellen, dass sich das Verwaltungspersonal gegenüber dem demokratischen System responsiv und verantwortlich verhält. Die Entwicklung zu einem von demokratischen Werten durchwirkten und beeinflussten Amtsethos hat viele Ursachen. Dazu zählt der Wertewandel, dem sich die öffentliche Verwaltung und das Verwaltungspersonal nicht entziehen können. Dazu gehören auch administrative Initiativen wie die Bemühungen um mehr Bürgernähe, ein höheres Maß an Dialogbereitschaft gegenüber der Öffentlichkeit und der Ausbau von kommunikativen Kompetenzen. Die Forderung nach einem „aktiven Ethik-Management“ (siehe den Beitrag von Behnke) soll den negativen Nebenfolgen der Einführung von NPM und NSM entgegenwirken. 4 Eine wichtige Rolle spielt dabei auch das gewandelte Verständnis der Bürgerschaft von der öffentlichen Verwaltung, die nicht mehr nur administrative Entscheidungen passiv hinnimmt, sondern vom Verwaltungspersonal ein Verhalten erwartet, dass ihren Bedürfnissen Rechnung trägt. 4.2 Die Demokratisierung des Verwaltungspersonals Spätestens mit der Erkenntnis, dass die Weimarer Republik auch gescheitert ist, weil das Verwaltungspersonal sich nicht mit der Demokratie identifizieren wollte und stattdessen an einem undemokratischen, autoritätsfixierten, einseitig hoheitlichen und hierarchischen Staatsverständnis festhielt (Fenske 1972), dürfte die Bedeutung demokratischer Einstellungen der öffentlich Bediensteten für die Stabilität und Zukunftsfähigkeit eines demokratischen politischen Systems außer Frage stehen. In Deutschland dauerte es bis in die sechziger und siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, bis man feststellen konnte, dass sich das Verwaltungspersonal nicht nur mit der Demokratie und dem demokratischen System arrangiert hat, sondern zu deren aktiven Befürwortern geworden ist (siehe den Beitrag von Ruck). Es gibt mehrere Gründe für diese Entwicklung. Vor allem war es der Generationenwechsel in der Verwaltung selbst, durch den die noch durch das Kaiserreich und den Nationalsozialismus geprägten Verwaltungskader durch eine neue Generation von Verwaltungsbediensteten ersetzt wurden, die in der Bundesrepublik Deutschland sozialisiert worden sind. Das legt die Hypothese nahe, dass gesellschaftliche oder politische Umbrüche nur zeitversetzt in der öffentlichen Verwaltung Wirkung entfalten. Sollte diese Hypothese, für die viele 4 Dies wurde durch eine Reihe von gesetzlichen Maßnahmen unterstützt, etwa durch AntiKorruptionsnormen, durch Veränderungen im Vergaberecht, ein neues Disziplinargesetz und das Informationsfreiheitsgesetz.
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Argumente sprechen 5, zutreffen, würde dies zugleich bedeuten, dass das Verwaltungspersonal in Zeiten, in denen die Demokratie gefährdet erscheint, zu einem ihrer stabilisierenden Elemente werden könnte. Damit ließe sich auch die Behauptung Max Webers widerlegen, der annahm, dass der Beamte „sich sehr leicht bereit findet, für jeden zu arbeiten, der sich der Herrschaft über ihn einmal zu bemächtigen gewusst hat“ (Weber 1964: 728). 6 Die Identifikation des Verwaltungspersonals mit dem demokratischen politischen System liegt heute weit über dem Durchschnitt in der Bevölkerung. Damit verbunden ist sowohl eine Professionalisierung, als auch eine Parteipolitisierung zumindest der administrativen Spitzenpositionen. Letzteres mag aus der Perspektive eines traditionellen Bürokratieverständnisses (Putnam 1976), das unter anderem die (parteipolitische) Neutralität und Objektivität des Verwaltungspersonals betont, kritikwürdig sein. Aus der Perspektive einer demokratischen Verwaltung aber ist die parteipolitische Ausrichtung der administrativen Spitzenpositionen die Voraussetzung und die Gewähr für eine dauerhafte Bindung des Verwaltungspersonals an das demokratische politische System. Insofern lässt sich der Befund von Michael Ruck hier nochmals unterstreichen, nach dessen Auffassung „das politisch-administrative System der ´alten` Bundesrepublik im Verlauf von vier Jahrzehnten eine Verwaltungselite hervorgebracht (hat), deren Eigenschaften ein hohes Maß an Demokratieverträglichkeit und Leistungsfähigkeit bei Wahrung parteipolitischer Zurückhaltung gewährleisten“. 4.3 Die „innere“ Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung Die Grundlagen und Erscheinungsformen einer „demokratischen Verwaltung“ führen nicht nur zur Frage nach dem Verhältnis von Verwaltung und Bürgern, sondern auch zur Frage nach Rolle und Position der Verwaltungsmitarbeiter in der Verwaltungsorganisation, also vornehmlich zur Frage nach der innerbehördlichen Demokratie und nach den Mitwirkungsrechten der Beschäftigten. Projekte zur Verwaltungsmodernisierung konnten auch die Position der Mitarbeiter in der Verwaltung stärken, wie zum Beispiel die Dezentralisierung und Abflachung von Hierarchien, die Übertragung von Fach- und Ressourcenverantwortung (Budgetierung) und die Zuweisung von größeren Entscheidungs 5 Darunter fällt auch das Personal der bei der Wiederherstellung der deutschen Einheit übernommenen DDR-Verwaltung, dessen antidemokratische Einstellungen vornehmlich deshalb eingegrenzt werden konnten, weil westdeutsche „Leihbeamte“ die administrativen Spitzenpositionen übernahmen. 6 Diese These ist bereits durch die antidemokratischen Einstellungen des Verwaltungspersonals in der Weimarer Republik zumindest relativiert worden.
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und Handlungsspielräumen. Auch die Einführung von Kontraktmanagement und Zielvereinbarungen sowie von Mitarbeitergesprächen, ganzheitlicherer Sachbearbeitung und von mehr Teamarbeit hat die Chancen der Beschäftigten auf Mitwirkung am inneradministrativen Geschehen und damit insgesamt die innerbehördliche Demokratie verbessert. Es lassen sich zwei Bereiche innerer Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung unterscheiden (siehe den Beitrag von Dörr): Einmal die Mitbestimmung und Beteiligung der Personalräte an den individuellen, sozialen und innerdienstlichen (innerorganisatorischen) Belangen des Personals. Zum anderen die Beteiligung an der inhaltlichen Durchführung von Aufgaben. Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland haben die Personalvertretungen immer mehr Befugnisse erhalten. Die Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der Mitarbeiter ist dadurch gestiegen, die „innerorganisatorische Demokratie“ wurde gestärkt und „demokratische Impulse“ wurden „in der öffentlichen Verwaltung ausgelöst“ (Dörr). Aber auch die Beschäftigten selbst (nicht nur die Personalvertretungen) haben mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten erhalten, etwa durch die Einführung von Rechten auf Anhörung und Akteneinsicht in dienstlichen Belangen. Selbst die Beteiligung der Beschäftigten an der inhaltlichen Aufgabenerledigung im Sinne von Mitentscheiden hat, auch wenn dies von der herrschenden Meinung und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abgelehnt wird, zugenommen. Je komplexer die Aufgaben sind, je weniger eindeutig die rechtlichen Vorgaben sind und je mehr es dabei auf die Informationen und das Wissen der Mitarbeiter ankommt, desto höher kann ihr Einfluss auf die Entscheidungen sein (Weingarten 1993). Derzeit liegen noch keine empirischen Studien dazu vor, wie sich die innere Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung auf ihr Verhältnis zur Demokratie auswirkt. Optimiert die innere Demokratisierung auch ein Verwaltungshandeln, das responsiv gegenüber den Bedürfnissen der Bürger ist und das ihnen Mitsprache- und Mitwirkungsmöglichkeiten einräumt? Stärkt es die Akzeptanz der Demokratie durch die Verwaltungsmitarbeiter? Hängt ihre „Demokratisierung“ also auch davon ab, dass sie ihre demokratischen Rechte als Bedienstete der Verwaltung in der Verwaltung wahrnehmen können? Bevor diese Fragen nicht eindeutig beantwortet sind, sollte aus der festgestellten inneren Demokratisierung der Verwaltung nicht vorschnell gefolgert werden, dass sich damit auch ihr Verhältnis zur Demokratie intensiviert, selbst wenn eine solche Schlussfolgerung nahe liegen mag.
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5 Verwaltungsdemokratisierung „von unten“? Die Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung erhält auch wichtige Impulse durch die konkrete Ausgestaltung der Beziehungen zwischen der öffentlichen Verwaltung und den Bürgern. Zudem können Impulse für eine weitere Demokratisierung auch von der Stellung der Bediensteten in der Verwaltung („innere Demokratisierung“) ausgehen. 5.1 Die Bedeutung der Bürger für die öffentliche Verwaltung Einen wichtigen Maßstab für die Qualität des Verhältnisses von öffentlicher Verwaltung und Demokratie stellen die Beziehungen zwischen der öffentlichen Verwaltung und den Bürgern dar. Je intensiver die Verwaltung den Bürgern als gleichberechtigte Partner gegenüber tritt, je mehr sie ihnen Mitwirkungsmöglichkeiten einräumt, je weniger sie ihnen „hoheitlich“ begegnet und je intensiver sie den Interessen und Bedürfnissen der Bürger gerecht wird, umso mehr lässt sich eine Verwaltung als „demokratisch“ qualifizieren. Man darf davon ausgehen, dass Verwaltungen darum bemüht sein sollten, „bürgernah“ zu agieren. Die in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sowohl von wissenschaftlicher Seite als auch seitens der Verwaltung unternommenen Anstrengungen haben zu einem neuen Verwaltungsverständnis der Bürger und zu einem veränderten Bürgerverständnis der Verwaltung beigetragen (Grunow 1988). Beides hat eine intensivere Einbindung der öffentlichen Verwaltung in die demokratische Ordnung begünstigt. Veränderungen im Verhältnis von öffentlicher Verwaltung und Bürgern ergaben sich durch die implementierten Modernisierungskonzepte von NPM/NSM, welche zunächst und recht umfassend im kommunalen Bereich die Beziehungen zwischen Verwaltung und Bürgerschaft veränderten. Verwaltungsreformen gemäß den Prinzipien des NSM intendierten jedoch zunächst kaum eine Veränderung der Beziehungen zwischen Verwaltung und Bürger. Die im Kontext der NSM – Diskussionen vorgesehenen „Kundenbefragungen“, das „Beschwerdemanagement“ und weitere Maßnahmen sollten zwar einen Beitrag zur Verbesserung der Bürgerorientierung der Verwaltung leisten, nicht aber mit dem Ziel, demokratietheoretische Prinzipien in administrative Praxis einzubringen. Vielmehr ging es primär um eine Effizienz- und Effektivitätssteigerung des Verwaltungshandelns. Nicht Bürgermitwirkung im Sinne von Partizipation an administrativen Entscheidungen stand im Fokus der Modernisierungsdesigns, sondern die Erhöhung der Dienstleistungsqualität öffentlicher Verwaltung: u.a. durch Verbesserung der Erreichbarkeit von Verwaltungseinrichtungen, eine
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Ausweitung der Öffnungszeiten von Behörden und mehr Transparenz von administrativen Verfahrensabläufen. Auch die punktuelle Beteiligung von Bürgern an der Entwicklung von administrativen Leitbildern blieb meist folgenlos, u.a. weil aufgrund der knappen Haushaltsmittel nur wenige Bürgerwünsche umgesetzt werden konnten. Bürger wurden fast ausschließlich als „Kunden“ definiert, für welche die administrativen Leistungen effizienter bereitzustellen sind, um deren Zufriedenheit mit den Verwaltungsleistungen zu steigern. Allerdings muss nicht, auch wenn dies naheliegend ist, die Fokussierung des Bürgers auf seine Kundenrolle eo ipso mit einer Restringierung seiner Bürgerrolle einhergehen, wie dies im frühen NSM angedacht war. Kundenorientierung und Demokratisierung schließen sich aber nicht aus, wenn die Bürger immer auch in ihrer „Staatsbürger-Rolle“ und damit als politische Subjekte konzeptionell und praktisch akzeptiert werden. Ein solches Umdenken setzte ein, als die Erwartungen, die an das NSM hinsichtlich einer Effizienzsteigerung gestellt wurden, in der Praxis nur begrenzt eingelöst werden konnten. Vor allem auf kommunaler Ebene, wo Bürgerkontakte der Verwaltung am intensivsten und am umfassendsten sind, wurde auf ein umfassenderes Bürgerverständnis hingewirkt, indem die Reformkommunen die „Kundenorientierung“ der öffentlichen Verwaltung zu einer „Bürgerorientierung“ erweiterten. Das Reformmodell der „Bürgerkommune“ strebt eine engere Verknüpfung zwischen administrativer Effizienzoptimierung und bürgerschaftlicher Partizipation an, was erheblich zur Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung beitragen kann (siehe die Beiträge von Lorig und Möltgen/Pippke). Das Konzept der „Bürgerkommune“, das neben dem „Bürgerhaushalt“, der „Lokalen Agenda“ oder Mediationsverfahren Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger, Vereine und soziale Bewegungen bietet (hierzu die Beiträge von Holtkamp und Lorig), möchte als Ausformung von „kooperativer Demokratie“ (Holtkamp) repräsentative und direktdemokratische Elemente in der kommunalen Demokratie durch ehrenamtliches Bürgerengagement ergänzen und verstärken. Bemerkenswert ist, dass die Beteiligungsangebote in der kommunalen Praxis nicht auf einschlägige Forderungen der Bürger zurückgehen, sondern freiwillige Angebote der Verwaltungsspitzen, insbesondere der Bürgermeister sind, die auf diese Weise das Image der Bürgernähe aufbauen wollen (siehe Holtkamp). Dass die genannten Beteiligungsmöglichkeiten ein Angebot „von oben“ sind, zeigt sich auch an den damit verbundenen Zielsetzungen. Die Beteiligungsangebote heben darauf ab, dass die angesichts der prekären Haushaltssituation vollzogenen Leistungseinschränkungen der Verwaltung durch das Bürgerengagement zumindest partiell kompensiert werden. Verbände, Vereine, Bürgerinitiativen oder Selbsthilfegruppen sollen mit ihren Initiativen und ihrem Handeln entstandene
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Lücken bei den administrativen Aufgabenerfüllung schließen helfen und zur Befriedigung örtlicher Belange beitragen – zum Teil in Kooperation mit öffentlichen Einrichtungen. Der Bürgerhaushalt kann als eine spezielle Ausformung dieses Konzepts angesehen werden. Unabhängig davon, welche Motive für die Implementierung des Konzepts Bürgerkommune dominierend sein mögen, lässt sich dieses Reformmodell zumindest als eine symbolische Stärkung der lokalen Demokratie deuten. Von daher sollten die Potenziale des Reformmodells Bürgerkommune für eine Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung nicht überbewertet werden; aber auf jeden Fall kann die Realisierung von Elementen des Modells für die Verwaltungsspitzen als informatorische und legitimatorische Ressource zur angemessenen Bewältigung von administrativen Aufgaben dienen. 5.2 Die Bedeutung der öffentlichen Meinung für die Verwaltung Die konstitutive Bedeutung der öffentlichen Meinung für ein demokratisches politisches System ist unstrittig. Von daher wäre es äußerst problematisch, wenn sich die öffentliche Verwaltung gegenüber der öffentlichen Meinung abzuschotten versuchte. Konflikte ergeben sich aber bei der Frage, wie eng die öffentliche Verwaltung an die öffentliche Meinung gebunden sein soll bzw. wie sehr sie im administrativen Vollzug auf sie Rücksicht nehmen soll (siehe den Beitrag von Czerwick). Es wäre ein Fehlschluss, davon auszugehen, dass die demokratische Qualität der öffentlichen Verwaltung umso größer ist, je mehr sich die Verwaltung auf die öffentliche Meinung ausrichtet. Gleichermaßen wäre es unangemessen, die demokratische Bedeutung der öffentlichen Meinung für die öffentliche Verwaltung zu leugnen. In Deutschland ist, anders als in den Vereinigten Staaten (Gawthrop 1998), keine wie auch immer geartete Bindung der öffentlichen Verwaltung an die öffentliche Meinung vorgesehen. Dementsprechend wird diese Frage auch kaum diskutiert. Das schließt jedoch nicht aus, dass die öffentliche Meinung für die öffentliche Verwaltung eine Größe darstellt, die nicht einfach ignoriert werden kann. Gerade weil die öffentliche Verwaltung auf die Verwirklichung des Allgemeinwohls (bzw. des öffentlichen Interesses) normativ ausgerichtet ist, in das auch die in der und durch die öffentliche Meinung artikulierten gesellschaftlichen Bedürfnisse einfließen, muss sie diese in ihr Wirken einbeziehen. Die öffentliche Meinung kann der Verwaltung eine Hilfe sein, Gruppeninteressen abzuwehren, die die Gemeinwohlorientierung gefährden. Die öffentliche Verwaltung ist aber zugleich angesichts der ausgeprägt negativen Einstellungen, welche die öffentliche Meinung ihr gegenüber meist zum
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Ausdruck bringt, genötigt, auf sie zu reagieren, und seien dies auch nur Maßnahmen zur Verbesserung ihres öffentlichen Ansehens. Zudem kann sie für administrative Entscheidungen immer weniger Zustimmung und Folgebereitschaft in der Bürgerschaft voraussetzen, so dass sie praktisch gezwungen ist, ihre Entscheidungen gegenüber der öffentlichen Meinung zu begründen. Auch sind in den letzten Jahren durch eine Reihe von gesetzgeberischen Maßnahmen die Zugangsmöglichkeiten der Öffentlichkeit zur Verwaltung ausgebaut worden, was eine informationelle Koppelung von öffentlicher Meinung und öffentlicher Verwaltung bewirkt hat. Offen bleibt allerdings, ob, in welcher Form und in welcher Intensität die öffentliche Verwaltung der öffentlichen Meinung entgegenkommt. Hierzu fehlen bislang wissenschaftliche Studien mit soliden empirischen Datensätzen. Zu beobachten ist allerdings, dass die öffentliche Verwaltung ihr Sensorium zur Wahrnehmung der öffentlichen Meinung erweitert und intensiviert hat (hierzu der Beitrag von Czerwick). Von daher lässt sich feststellen, dass die öffentliche Meinung sowohl in der öffentlichen Verwaltung Gehör findet, als auch dass sie sich ihr gegenüber Gehör verschafft. Je mehr eine solche Verzahnung zwischen öffentlicher Meinung und öffentlicher Verwaltung besteht, desto enger ist i.d.R. die öffentliche Verwaltung mit der Gesellschaft verbunden und desto stärker auf das demokratische System fokussiert. Aus dieser Perspektive kann die öffentliche Meinung die demokratische Qualität der öffentlichen Verwaltung fördern; doch sind die Grenzen nicht zu übersehen, die einer solchen „Demokratisierung“ der öffentlichen Verwaltung gezogen sind. Da die öffentliche Meinung im Wesentlichen von den herrschenden gesellschaftlichen und politischen Kräften bestimmt wird, ist das Eingehen der öffentlichen Verwaltung auf die öffentliche Meinung immer auch mit einer zumindest teilweisen Reproduktion der bestehenden gesellschaftlichen Machtstrukturen verbunden. Von daher mag zwar die Verbindung von öffentlicher Meinung und öffentlicher Verwaltung zu einer gewissen weiteren Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung führen, aber nicht zu einer weiteren Demokratisierung des politischen Systems. Die öffentliche Verwaltung wirkt durch ihre Verbindungen zur öffentlichen Meinung eher als Garant des demokratischen Status quo. 6 Grenzen einer Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung Die bisherigen Ausführungen sollten verdeutlichen, dass es eine Reihe von Entwicklungen gibt, die zu einer engeren Anbindung der öffentlichen Verwaltung an das demokratische System geführt haben und in Zukunft wahrscheinlich weiter führen werden. Man könnte von einem Trend zur Demokratisierung der öffent-
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lichen Verwaltung in Deutschland sprechen, gäbe es nicht zugleich Entwicklungen, die sich gegen eine weitere Demokratisierung der Verwaltung richten. Wie im Kapitel 3.1 dargestellt, kann kooperative Verwaltung im Prinzip eine komplementäre Erscheinung zum Konzept der partizipativen Demokratie bzw. zur Verhandlungsdemokratie sein. Allerdings betont Dose in seiner empirischen Analyse, dass die kooperative Verwaltung zwar zu situationsangemesseneren Entscheidungen führen kann, also durch besondere Problemlösungsfähigkeit gekennzeichnet sei; doch werde nicht per se auch ein Beitrag zur Demokratisierung der Verwaltung im Sinne einer Steigerung partizipativer Demokratie geleistet. Dementsprechend hat es in den von Dose untersuchten Fallbeispielen keine öffentliche Beratung bei gleichen Zugangs- und Teilnahmechancen (also auch keine hinreichende Transparenz) der Verhandlungsteilnehmer und -prozesse gegeben. Doch auch wenn Macht und Einfluss die entscheidenden Faktoren für das Zustandekommen von administrativen Entscheidungen waren, stießen diese Entscheidungen auf eine höhere Akzeptanz bei den Betroffenen. Sarcinelli/König/König beschreiben am Beispiel der Metropolregion RheinNeckar die demokratischen Grenzen, die sich durch die Zusammenarbeit regionaler Eliten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung ergeben. Die Metropolregion stellt ein typisches Eliten-Verhandlungssystem dar, das sich demokratischer Kontrolle zu entziehen vermag. Ohne ausreichende demokratische Legitimation und ohne Beteiligung der Öffentlichkeit werden weitreichende planerische Entscheidungen vorbereitet und durchgesetzt, die für die in der Region lebenden Menschen erhebliche Konsequenzen haben. Die geschaffene Organisationsstruktur sieht keinerlei Mitwirkung und Information der Öffentlichkeit vor, die somit von der Diskussion geplanter Vorhaben ausgeschlossen bleibt. Stattdessen dominieren in der Metropolregion Rhein-Neckar lobbyistische Interessen, die vornehmlich wirtschaftlich ausgerichtet sind. Es steht zu hoffen, dass, wenn die Metropolregion zukünftig in ihrer politischen Relevanz wahrgenommen wird, Demokratisierungsprozesse initiiert werden und die Bevölkerung an den Entscheidungen mehr als bislang beteiligt wird. Aufgrund der Gemeinwohlbindung öffentlicher Verwaltung verwundert es ohnehin, dass diese nicht von sich aus bereits auf die Einbindung der Bevölkerung hingewirkt hat. Doch solche Erwartungen könnten die öffentliche Verwaltung überfordern, die sich in der Praxis immer wieder der Beteiligung von Bürgern an ihren Entscheidungen zu entziehen sucht, selbst wenn die Bürger davon unmittelbar betroffen sind. Statt effektiver Partizipation findet mit den realen Partizipationsangeboten häufig eine Überwälzung von Verantwortung für die Erbringung kommunaler Leistungen – etwa im Bereich Jugendfreizeit oder Sportstätten – auf Teile der Bürgerschaft statt. Die Untersuchung von Holtkamp zu kommunalen
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Beteiligungsangeboten verdeutlicht, dass solche administrativen Partizipationsangebote an einer Vielzahl von demokratietheoretischen und demokratiepraktischen Defiziten leiden: Die hierarchische Koordination hat zu- statt abgenommen, die Bürger nehmen die ihnen angebotenen Beteiligungsmöglichkeiten nicht an, geweckte Bürgererwartungen werden nicht erfüllt, und Konflikte werden nicht beseitigt, sondern verschärfen sich. Auch bestätigt sich, was schon in früheren empirischen Untersuchungen zur Bürgerbeteiligung ausgeführt ist, dass diese nämlich mit einer sozialen Selektivität und Ungleichheit im Hinblick auf beteiligte Personengruppen und Interessen einhergeht. Spezifische Bevölkerungsgruppen, insbesondere wenn sie in Vereinen, Verbänden oder Bürgerinitiativen organisiert sind, zeigen nicht nur eine höhere Bereitschaft, Partizipationsmöglichkeiten zu nutzen, sondern sie haben auch größere Chancen, ihre Interessen und Bedürfnisse in der Verwaltung durchzusetzen. Schließlich stößt auch die „innere Demokratisierung“ der öffentlichen Verwaltung auf vielfältige Restriktionen. Dies trifft selbst für die Verwaltungen zu, die – wie Hochschulverwaltungen – aufgrund ihrer Aufgabenstellung nicht zum Typus der klassisch-hoheitlichen Verwaltung gezählt werden können. Gerade am Beispiel der Hochschulverwaltungen zeigt sich sogar, wie vorhandene demokratische Strukturen wieder zurückgebaut werden. Mit der Stärkung der Kompetenzen der Hochschulpräsidenten, die von einigen Landesregierungen geplant bzw. bereits umgesetzt wird, werden Mitbestimmungs- und Mitentscheidungsgremien in den Hochschulen obsolet und stattdessen wird ein „Herrim-Haus-Konzept“ institutionalisiert, das sich internen und externen Kontrollen weitestgehend entzieht. Damit aber wird die moderne Hochschulverwaltung zu einer bürokratischen Organisation im klassischen Sinne „rückabgewickelt“. 7 Fazit Will man – unter Berücksichtigung der in diesem Sammelband abgedruckten Beiträge – eine vorläufige Bilanz ziehen, ist festzustellen, dass das Verhältnis von öffentlicher Verwaltung und Demokratie gegenwärtig kein eindeutiges Bild ergibt: Einerseits sind Entwicklungen zu konstatieren, welche auf eine weitere Demokratisierung der öffentlichen Verwaltung hindeuten, andererseits können Entwicklungen belegt werden, welche die Begrenzungen solcher Tendenzen aufzeigen. Dennoch lassen sich, ausgehend von den vorangegangenen Ausführungen, einige Schlussfolgerungen zum Verhältnis von öffentlicher Verwaltung und Demokratie ziehen:
Autorenverzeichnis Nathalie Behnke, Prof. Dr.: Professorin für Empirische Sozialforschung, Fakultät für Sozialwissenschaften, Ruhr-Universität Bochum. Publikationen: The Politics of Constitutional Change between Reform and Evolution. Mit Arthur Benz, in: Publius. The Journal of Federalism 39 (2), 2009, S. 213-240; Needing more ethics, but which? An explanatory framework for national ethics infrastructures, in: Public Integrity 10 (1), 2008, S. 411-436; Datenwelten. Datenerhebung und Datenbestände in der Politikwissenschaft. Hrsg. mit Kai Uwe Schnapp und Joachim Behnke, Baden-Baden 2009. Edwin Czerwick, Prof. Dr.: Außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft und Akademischer Direktor an der Universität KoblenzLandau, Campus Koblenz. Veröffentlichungen: Bürokratie und Demokratie, Berlin 2001; Die Ökonomisierung des öffentlichen Dienstes, Wiesbaden 2007; Systemtheorie der Demokratie, Wiesbaden 2008. Werner Dörr: Kanzler der Fachhochschule Koblenz, a.D., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie und Politikwissenschaft der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz. Nicolai Dose, Prof. Dr.: Professor für das Politische System der Bundesrepublik Deutschland und Public Administration am Fachbereich 1 – Politikwissenschaft der Universität Siegen. Veröffentlichungen: Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen. Hrsg. mit Arthur Benz, 2. Auflage, Wiesbaden, 2009, i.E.; Problemorientierte staatliche Steuerung. Ansatz für ein reflektiertes PolicyDesign, Baden-Baden 2008; Weshalb Bürokratieabbau auf Dauer erfolglos ist, und was man trotzdem tun kann, in: Der moderne Staat – Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management, Heft 1, 2008, S. 99-120; Governance als problemorientierte Steuerung. Steuerung angesichts alter Probleme und neuer Herausforderungen, in: Sonderheft der Politischen Vierteljahresschrift 41, 2008, S. 77-94.
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Autorenverzeichnis
Lars Holtkamp, PD Dr.: Privatdozent für Politikwissenschaft, Vertretungsprofessur „Politik und Verwaltung“, Institut für Politikwissenschaft, FernUniversität Hagen. Veröffentlichungen: Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung - Eine policyorientierte Einführung. Mit Jörg Bogumil, Wiesbaden 2006; Kommunale Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie - Parteien und Bürgermeister in der repräsentativen Demokratie, Habil-Schrift., Wiesbaden 2008; Das Scheitern des Neuen Steuerungsmodells, in: Der moderne Staat 2/2008, S. 423-446. Kurt Kippels, Prof. Dr.: Bis 2009 Professor für Staats-, Europa- und Umweltrecht an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW. Lehrtätigkeit an anderen Hochschulen im Verwaltungs- und Völkerrecht sowie in Verfassungsgeschichte. Zuvor als Beamter des Bundesgesundheitsministeriums Mitwirkung an Rechtsetzungsverfahren im Umweltrecht auf nationaler und EU-Ebene. Veröffentlichungen: Grundzüge der deutschen Staats und Verfassungsgeschichte, Stuttgart, 2001; Umweltrecht. Mit Gerd Ketteler, Stuttgart 1988. Mathias König, Dipl. Sozialwiss.: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften, Abteilung Politikwissenschaft der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau. Veröffentlichungen: Die Europäische Metropolregion: Neuer Vertreter regionaler Interessen/Politischer Lobbyismus durch die Metropolregion Rhein-Neckar, Marburg 2007; Bürgerbeteiligung im Kontext der Kommunal- und Verwaltungsreform in Rheinland-Pfalz. Gutachten im Auftrag des Ministeriums des Inneren und für Sport des Landes RheinlandPfalz. Mit Ulrich Sarcinelli und Wolfgang König, Landau 2007; Bürgerbeteiligung als Politikberatung? Ein "Werkstattsbericht" im Rahmen der Kommunal- und Verwaltungsreform in Rheinland-Pfalz. Mit Ulrich Sarcinelli und Wolfgang König, in: Zeitschrift für Politikberatung ZPB 3-4 (2008), S. 586594. Wolfgang König, Dipl. Sozialwiss.: Wssenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften, Abteilung Politikwissenschaft der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau. Veröffentlichungen: Die Europäische Metropolregion als steuerungstheoretisches Problem/Politische und gesellschaftliche Initiativen zum Aufbau der Metropolregion Rhein-Neckar, Marburg 2007; Bürgerbeteiligung im Kontext der Kommunal- und
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Verwaltungsreform in Rheinland-Pfalz. Gutachten im Auftrag des Ministeriums des Inneren und für Sport des Landes Rheinland-Pfalz. Mit Ulrich Sarcinelli und Mathias König, Landau 2007; Bürgerbeteiligung als Politikberatung? Ein "Werkstattsbericht" im Rahmen der Kommunal- und Verwaltungsreform in Rheinland-Pfalz. Mit Ulrich Sarcinelli und Mathias König, in: Zeitschrift für Politikberatung ZPB 3-4 (2008), S. 586-594. Wolfgang H. Lorig, M.A., Prof. Dr.: Außerplanmäßiger Professor und Akademischer Direktor im Fachbreich III - Politikwissenschaft - an der Universität Trier. Veröffentlichungen: Modernisierung des öffentlichen Dienstes. Politik und Verwaltungsmanagement in der bundesdeutschen Parteiendemokratie, Wiesbaden 2001; Das politische System Luxemburgs. Autor und Hrsg. mit Mario Hirsch, Wiesbaden 2008; Moderne Verwaltung in der Bürgergesellschaft. Wege der Verwaltungsmodernisierung in Deutschland. Hrsg. und Autor, Baden-Baden 2008.
Katrin Möltgen, Prof. Dr.: Professorin für Politikwissenschaft und Soziologie an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW in Köln. Veröffentlichungen: Die demographische Entwicklung als Herausforderung für die lokale Politik und Verwaltung, in: N. Nicole Munk/G. Nienhaber (Hrsg.), Standpunkte in der Stadtpolitik, Aachen 2004; Integration als Chance für Nordrhein-Westfalen und seine Kommunen. Potenziale nutzen - aus Erfahrungen lernen. Mit A. Reichwein und S. Vogel. Hrsg. vom Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2007; Politik im Neuen Steuerungsmodell, Hamburg 2001. Wolfgang Pippke, Prof. Dr.: Bis zur Pensionierung Professor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW. Mitbegründer des Instituts für Verwaltungswissenschaften (IfV) in Gelsenkirchen und Studienleiter des Studiengangs Master of Public Administration der Universität Kassel für Nordrhein-Westfalen. Veröffentlichungen: Organisation. Mit Andreas Gourmelon, Hanns-Eberhard Meixner und Birgit Mersman, 2. überarb. Aufl., Köln 2007; Zukunftsfähigkeit – Herausforderungen für die Kommunen und ihre Mitarbeiter/innen. Mit Daniela Holuscha und Christina Palz, Gelsenkirchen 2007; Aspekte der Nachhaltigkeit in der Ausbildung des allgemeinen gehobenen Verwaltungsdienstes, Gelsenkirchen 2003.
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Autorenverzeichnis
Michael Ruck, Prof. Dr.: Professor für Politikwissenschaft und Zeitgeschichte an der Universität Flensburg. Publikationen u.a.: Korpsgeist und Staatsbewußtsein. Beamte im deutschen Südwesten 1928 bis 1972, 1996; Bibliographie zum Nationalsozialismus, Neuausgabe, 2000; Geschichte der deutschen Sozialpolitik IV: 1957-1966, 2007. Ulrich Sarcinelli, Prof. Dr.: Professor für Politikwissenschaft an der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau. Leiter des Frank-Loeb-Instituts Landau an der Universität und seit April 2009 Vizepräsident der Universität. Veröffentlichungen: Politische Kommunikation in Deutschland. Zur Politikvermittlung im demokratischen System, 2. überarb. und erw. Auflage, Wiesbaden 2009; Kommunikationsreform. Drei Perspektiven auf die Zukunft der Regierungskommunikation. Mit Michael Kronacher und Peter RuhenstrothBauer, Gütersloh 2008; Politikherstellung und Politikdarstellung. Beiträge zur politischen Kommunikation. Hrsg. und Autor mit Jens Tenscher, Köln 2008; Politik und Persönlichkeit. Hrsg. und Autor Johannes Pollak, Fritz Sager und Annette Zimmer, Wien 2008.
Erhard Treutner, Prof. Dr.: Professor für Soziologie an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW, Köln. Veröffentlichungen: Staat im Wandel. Hrsg mit R.Walkenhaus, S. Machura und P. Nahamowitz, 2006; Die ILO im Prozess der Globalisierung – Chancen auf wirksame internationale Arbeits- und Sozialstandards?, in: P. Nahamowitz/Rüdiger Voigt (Hrsg.): Globalisierung des Rechts II: Internationale Organisationen und Regelungsbereiche, Baden-Baden 2002, S. 257-278; Kooperativer Rechtsstaat - Das Beispiel Sozialverwaltung, Baden-Baden 1998.
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Edwin Czerwick/Wolfgang H. Lorig/Erhard Treutner
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Das für das Verhältnis von öffentlicher Verwaltung und Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland verfassungsrechtlich konstitutive Konzept der legislatorisch programmierten Verwaltung entspricht immer weniger der administrativen und politischen Wirklichkeit. Das ihm zugrunde liegende Demokratieverständnis verliert tendenziell an Überzeugungskraft und an legitimatorischer Kraft, weil die demokratisch gewählte politische Führung zunehmend weniger in der Lage ist, ihre gesellschaftlichen Steuerungsaufgaben gegenüber gesellschaftlichen Verbänden oder internationalen Organisationen wahrzunehmen. Im Rahmen des Konzepts der legislatorisch programmierten Verwaltung haben sich neue Formen administrativen Handelns herausgebildet, die Bezüge zu einem partizipatorischen Demokratiekonzept aufweisen. Selbst wenn die Motive für die Beteiligung von Verbänden, Bürgerinitiativen oder Bürgern nicht unbedingt demokratietheoretisch begründet sind, so haben sie doch entsprechende Wirkungen und fördern entsprechende Erwartungen. Allerdings werden im Rahmen einer kooperativen Verwaltung gesellschaftliche Akteure oft nur ungleich beteiligt. Generell lässt sich feststellen, dass das Verwaltungspersonal sich in einem hohen Maße sowohl mit den Anforderungen eines demokratischen Systems als auch mit den demokratischen Werten identifiziert. Auch wenn dies nicht immer im administrativen Alltag umsetzbar ist, so zeichnet sich das Verwaltungspersonal doch zunehmend durch Responsivität und Verantwortlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit aus. Sollte es zutreffen, dass sich die parlamentarische Demokratie in Deutschland zu einer Verhandlungsdemokratie entwickelt, in welcher eine Politik des „muddling through“ dominiert, dann ist die öffentliche Verwaltung insoweit kompatibel, weil sie sowohl gegenüber inkrementalistischer Politik als auch gegenüber gesellschaftlichen Einflüssen offener geworden ist. Es besteht eine große Übereinstimmung, dass die öffentliche Verwaltung in Deutschland gegenüber den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts „demokratischer“ geworden ist. Dennoch sollte nicht übersehen werden, dass eine weitere Demokratisierung an Grenzen zu stoßen scheint. Unabhängig davon, welche demokratienormativen Maßstäbe zur Beurteilung der demokratischen Qualität der öffentlichen Verwaltung in Deutschland angelegt werden, bleibt festzuhalten, dass die Verwaltung noch weit davon entfernt ist, eine „demokratische Verwaltung“ zu sein. Doch ist sie im demokratischen politischen System kein Fremdkörper (mehr), sondern zu einem integralen Bestandteil geworden. Da dies gegenüber der Weimarer Republik und der Bundesrepublik in den fünfziger
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Demokratische Verwaltung im demokratischen Staat
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und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine erhebliche Veränderung bedeutet, kann heute mit guten Gründen von einer Integration der öffentlichen Verwaltung in die Demokratie der Bundesrepublik Deutschland gesprochen werden. 8 Literatur Böckenförde, Ernst-Wolfgang (1992): Staat, Verfassung, Demokratie, 2. Aufl., Frankfurt a.M. Bohne, Eberhard (1981): Der informale Rechtsstaat, Berlin. Bryde, Brun-Otto (1994): Die bundesrepublikanische Volksdemokratie als Irrweg der Demokratietheorie, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis, 5. Jg., S. 305-330. Czerwick, Edwin (2001): Bürokratie und Demokratie, Berlin. Czerwick, Edwin (2007a): Mit Fiktionen in die Sackgasse, in: Neue Politische Literatur, 52. Jg., S. 213-220. Czerwick, Edwin (2007b): Die Ökonomisierung des öffentlichen Dienstes, Wiesbaden. Di Fabio, Udo (1997): Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 56, Berlin/New York, S. 235-282. Dreier, Horst (1991): Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, Tübingen. Fenske, Hans (1972): Monarchisches Beamtentum und demokratischer Staat, in: Demokratie und Verwaltung. 25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin, S. 117136. Grunow, Dieter (1988): Bürgernahe Verwaltung, Frankfurt a.M./New York. Gawthrop, Louis C. (1998): Public Service and Democracy, New York/London. Kleine-Cosack, Michael (1986): Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, Baden-Baden. Putnam, Robert D. (1976): Die politischen Einstellungen der Ministerialbeamten in Westeuropa – Ein vorläufiger Bericht, in: Politische Vierteljahresschrift, 17. Jg., S. 23-61. Scharpf, Fritz W. (1991): Die Handlungsfähigkeit des Staates am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, in: Politische Vierteljahresschrift, 32. Jg. Heft 4, S. 621-634. Schmid, Günther/Treiber, Hubert (1975): Bürokratie und Politik, München. Schultze-Fielitz, Helmuth (1993): Der Leviathan auf dem Weg zum nützlichen Haustier?, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.): Abschied vom Staat – Rückkehr zum Staat?, Baden-Baden, S. 95-120. Schuppert, Gunnar Folke (1993): Verfassungsrecht und Verwaltungsorganisation, in: Der Staat, 32. Jg., S. 581-610. Treutner, Erhard/Wolff, Stephan/Bonß, Wolfgang (1978): Rechtsstaat und situative Verwaltung, Frankfurt a.M./New York. Weber, Max (1964): Wirtschaft und Gesellschaft. Studienausgabe, 2 Halbbände, Köln/Berlin. Weingarten, Joe (1993): Finanzverwaltung und Gesetzesvollzug, Opladen. Wessels, Wolfgang (2000): Die Öffnung des Staates, Opladen.