Ben Silva
Die Mata Hari von Las Vegas Der Fall scheint gelöst – doch dann muß Jo Walker noch eine bittere Pille schluc...
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Ben Silva
Die Mata Hari von Las Vegas Der Fall scheint gelöst – doch dann muß Jo Walker noch eine bittere Pille schlucken Wieselflink huschten seine Augen über die komplizierten Armaturen: Höhenmesser, Öldruck, Verdichtung, Trimmung – alles in Ordnung. Slim McCorren überprüfte die Instrumente. Keine Ausfälle. Der Phantom-Jäger heulte durch den Nachthimmel über Texas. Der Testpilot der US Air Force korrigierte die Richtung zwei Strich nach backbord. Dann widmete er seine Aufmerksamkeit ganz dem zusätzlich eingebauten Gerät. Es hatte etwa die Größe eines flachen Aktenordners. Und dennoch steckten die Ergebnisse jahrelanger Forschungen darin. Angeblich sollte der Minicomputer narrensicher arbeiten. Slim McCorren zweifelte daran. Zu frisch war noch in seiner Erinnerung, daß sein Freund und Kollege Peter Crimble erst vor zwei Wochen aus dem Himmel gestürzt war. Auch er hatte dieses Gerät getestet. Jetzt war er tot. Eine Frau und zwei Kinder hatte er zurückgelassen. Berufsrisiko. Dabei raste auch Slim McCorren gerade mit Mach 1,2 dem Tod entgegen. Berufsrisiko…? Oder satanische Sabotage?
»Wo du wolle? Du sagen ich fahren.« ›el taxista‹
Die Hauptpersonen: Dr. Joan Crown liebt das Leben und verstirbt sehr plötzlich an einem garantiert nicht hohlen Zahn. Fen Brendon ist ein Aasgeier erster Güte und muß im Kofferraum des eigenen Cadillac Federn lassen. Lee Caroll verrechnet sich um ungefähr fünf Millionen Dollar und um einen Privatdetektiv aus New York. Ron Myers schießt den Vogel ab, als er sich mit einem Hubschrauber in einen Clinch einläßt. Jo Walker ist Kommissar X
Slim dachte an seine eigene junge Frau. Er hatte Marylin erst vor acht Wochen geheiratet. Eine bessere Wahl hätte er gar nicht treffen können. Slim McCorren lächelte wissend. Der Blick des Testpiloten wanderte hinaus in die tintige Nacht vor dem Cockpit. Es war dunkel wie tausend Meter unter Wasser. Das war auch eine der Bedingungen für den heutigen Flug gewesen. Der Vogel mußte blind und ohne seine Hilfe landen. Die Rolle des Piloten übernahm der kleine Computer, auf dessen Oberfläche eine Mattscheibe von Spielkartengröße flimmerte. Doch noch hatte Slim Gewalt über die Maschine. Er mußte sie in die genau richtige Ausgangsposition bringen. Diese Arbeit nahm ihm kein Rechner ab. Er konzentrierte sich auf die grünlich irrlichternde Mattscheibe. Eine Figur war darauf eingraviert; ein Rechteck, von Querbalken überlagert. Die Figur leuchtete blau. Slim legte einen zierlichen chromglänzenden Schalter um. Dieselbe Figur tauchte nochmals auf. Diesmal in einem flackernden Rot. Sie war etwas gegen ihr blaues Pendant verschoben und auch etwas kleiner. Der Pilot nahm Saft aus den Turbinen. Sie röhrten eine Spur dumpfer. Die Maschine verlor unmerklich Geschwindigkeit, sank unter die rote Graphik. Slims Aufgabe war es, die beiden Figuren genau in Deckung zu bringen. Ein gelbes Lämpchen zuckte grell auf und leuchtete nach wenigen Sekunden ständig. Slim hatte es geschafft. Der Autopilot hatte jetzt den Vogel übernommen. Neben dem schmalen Kasten ragte ein roter Handgriff aus den Armaturen. Er war zierlich, wie alle Instrumente in der Phantom. Ein
ausgewachsener Mann konnte gerade zwei Finger hindurchstecken, wenn er daran ziehen wollte. Mit ihm konnte er die Landeautomatik abschalten und wieder auf Handsteuerung übergehen. Das jedoch sollte er unter allen Umständen vermeiden. Das ALS – das Automatic-Landing-System – sollte heute seine endgültige Feuerprobe bestehen. Die beiden verschiedenfarbenen Graphiken auf der kleinen Mattscheibe lagen genau übereinander. Die zweite und wichtigere Hälfte aus den Entwicklungs- und Forschungsabteilungen der ACE – der Aircraft Electronics – stand unten in den Gebäuden des Flugfeldes von Amarillo, einem der größten Flughäfen der US Air Force. Schwer bewacht und hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt. Von dort aus wurden die Impulse gesendet, welche die Phantom sicher und ohne menschliches Zutun auf die Rollbahn bringen sollten. Deshalb war das neue System so streng geheim. Es erlaubte Starts und Landungen bei jeder Witterung und theoretisch auch bei Sichtweite Null. Das Militär versprach sich sehr viel von dieser neuen Erfindung, die auf der Basis elektromagnetischer Strahlungen mit Wellenlängen kürzer als jenen des Lichts arbeitete. Schlichtere Gemüter sagten ganz einfach Röntgenstrahlen dazu. Slim McCorren verschränkte die Arme vor der Brust. Er hatte nichts mehr zu tun, bis die Maschine ausgerollt war. Er beobachtete, wie der Steuerknüppel wie von Geisterhand bewegt von ihm wegrückte. Die Nase der Phantom senkte sich. Der Testpilot schaute nach rechts aus der Kanzel. Schemenhaft glitzerten Lichter aus dem Dunkel. Nicht mehr viele. Die Stadt Amarillo war schlafen gegangen. Die Maschine verlor jetzt rapide an Höhe. Slim hatte das Fahrstuhlgefühl im Magen. Er fixierte nun gespannt die Mattscheibe mit den beiden Figuren, die eins geworden waren. Da begann die gelbe Kontrollampe auf einmal wieder zu flackern. Alarmstufe eins! Die Figuren trennten sich. Alles ging ungeheuer schnell. Slim versuchte, den roten Griff zu erreichen. Seine Finger glitten ab. Mit der Linken hatte er den Steuerknüppel umfaßt. Er ließ sich ohne jeden Widerstand bewegen. Panik erfaßte den Piloten. Jetzt hatte er den Griff. Er zog. Keine Reaktion. Die Nase der Phantom senkte sich noch mehr. Slim wollte schreien, doch er kam nicht mehr dazu. Die Randbefeuerung des Flugfeldes raste heran.
Der Testpilot Slim McCorren verging in einer Glutwolke. * Aprils Stimme klang belegt. »General Atchkiss Groover ist am Apparat«, sagte sie, und Jo Walker zuckte unwillkürlich zusammen. Mit diesem Mann verbanden ihn nur die übelsten Erinnerungen. »Erzähl ihm, ich sei vor ein paar Stunden verstorben.« Die Bondy seufzte. »Er wird mir leider nicht glauben. Du weißt, wie gut informiert er ist, und welche Machtmittel er in Händen hält.« Jo dachte an seine Lizenz und seufzte nun auch. »Na gut. Dann stell ihn durch, diesen schwarzen Bastard. Bei ihm könnte ich glatt noch zum Rassisten werden und dem Klu-Klux-Klan beitreten.« Es dauerte ein paar Sekunden. Jo rückte sich den Mann vors geistige Auge: Ein pechschwarzer Schwarzer mit schmalem Gesicht und einer Hakennase wie ein ausgedörrter levantinischer Bazarhändler. Darüber schlohweißes Kraushaar, ein Mund wie der Schlitz in einem Jackpot-Automat und dazu noch hochintelligente Augen hinter einer Goldrandbrille. Daß sie ihn »General« nannten, war ein Privatspaß seiner Untergebenen. Denn es gibt keine Generäle bei der CIA. Genaugenommen gab es nicht einmal die Dienststelle von »General« Atchkiss Groover, verquickte sie doch Inlands- und Auslandsaufklärung, wobei erstere der Central Intelligence Agency ihren Statuten nach streng verboten war. Freilich kümmerte sie sich nicht darum. Deshalb gab es auch die Abteilung DIR, das »Democratic Institute of Removement«, mit »Demokratisches Institut für Ausmerzung«, recht frei, aber durchaus treffend übersetzt. Doch Groover wollte dieses »removement« als »Erneuerung« verstanden wissen. Darin war er eigen. »Hallo, Mister Walker? Gut geträumt? Ich spreche Sie jetzt schon zum zweitenmal an.« »Ich hätte gut auch auf das erste Mal verzichten können«, brummte Jo. Zum Glück brauchte er diesem Raben gegenüber nicht devot zu sein. Groover lachte rasselnd. »Ich achte Sie, Mister Walker. Sie haben nur einen großen Fehler: Sie sind zu nachtragend. Doch andererseits? Haben Sie durch mich
bisher nicht auch prächtig verdient? Und garantiert steuerfrei?« Jo verzog das Gesicht, denn der »General« sprach ausnahmsweise mal die Wahrheit. Doch sonst log er wie entfesselt. »Worauf wollen Sie hinaus, Mister Groover?« »Sehen Sie, jetzt verstehen wir uns schon viel besser. Man braucht bei Ihnen nur auf den richtigen Knopf zu drücken. Ich biete Ihnen hunderttausend Dollar für einen Spazierflug nach Amarillo.« »Auweia! Wo soll ich abstürzen?« »Ihr Humor ist köstlich, Mister Walker. Ich verlange auch noch keine Entscheidung von Ihnen. Doch zehntausend bekommen Sie allein dafür, daß Sie mich anhören und vorher etwas Aktenmaterial studieren. Ich muß Sie nicht eigens darauf hinweisen, daß es sich um streng geheimes Material handelt. Also was ist? Zehntausend Dollar für einen Kurztrip nach Texas?« Jos Verstand wollte nein sagen, doch sein Mund sagte einfach ja, ganz ungefragt. Und er sagte obendrein: »Ich will einen Freund mitnehmen. Und falls ich Ihren Auftrag annehme und zu einem erfolgreichen Abschluß bringe, soll dieser Freund ebenfalls fünfzigtausend Dollar kriegen.« »Sie denken in diesem Zusammenhang an einen gewissen Lieutenant Ron Myers? Von der New York City Police?« kam es lauernd aus der Muschel. Jo schwieg verblüfft. Erneut lachte »General« Atchkiss Groover. »Ich kenne Ihr Umfeld mindestens ebensogut wie Sie, Mister Walker. Ihr Dossier füllt bei uns zwei Aktenordner. Aber ich habe im Prinzip nichts dagegen. Ich werde sofort für seine Freistellung sorgen. Er steht Ihnen in einer Stunde zur Verfügung. Setzen Sie sein Honorar auf Ihr Spesenkonto, wenn es zu einer Vereinbarung kommt.« »Wie stünde es mit Sondervollmachten? « »Nun wollen wir nicht gleich übertreiben. Doch Sie bekommen, was Sie brauchen. Die Motoren des Jets, der Sie nach Amarillo bringt, laufen übrigens schon warm. Auf dem Floyd Bennet Airfield. In der Maschine liegen auch diese vertraulichen Informationen für Sie bereit.« Damit legte Groover auf. Er hatte es wieder mal geschafft, Jo auf sämtliche Palmen zu treiben. April kam herein. Natürlich hatte sie gelauscht. Das tat sie immer. »Wieso sollst du Ron dabeihaben?« fragte sie mit kraus gezogenem Naschen unterm weizenblonden Minnesota-Haar. Jo sah geplagt aus. Er schien um mindestens ein Jahr gealtert. »Ron ist wieder mal leichtsinnig gewesen. Hat Schulden gemacht.
Spielschulden. Und da dachte ich, ich könnte ihm vielleicht ein bißchen unter die Arme greifen…« »…bevor er kommt und dich anpumpt!« ergänzte die Bondy schnippisch. * Die zweistrahlige Maschine mit einem Kennzeichen der Regierung setzte auf. Ron öffnete die Tür, die Leiter entfaltete sich automatisch. Ein Jeep kam über die Piste gefahren. Der grüne Wagen hielt mit kreischenden Pneus. Ihnen folgte ein schmuckloser Militär-Chevy. Zwei Offiziere in Khakiuniformen stiegen aus dem Jeep, ein Mann in weißem Kittel aus dem trotz seines Nato-Olivs etwas ziviler aussehenden Fahrzeug. Der Mann eilte auf Jo Walker zu, der die Maschine inzwischen ebenfalls verlassen hatte. »Mister Walker? Ich bin Evans. Ben Evans.« Jo wußte in groben Zügen über das Projekt Bescheid. Er hatte seine Akten während des Fluges sehr gründlich studiert. Und sie anschließend den Piloten aushändigen müssen. Die beiden Männer schüttelten sich die Hand. Auch die Uniformierten grüßten. Ron Myers baute ebenfalls ein Männchen. Er hatte mal »gedient«, nur fiel der Gruß bei ihm weitaus weniger zackig aus, denn er war auf die Army nicht allzu gut zu sprechen. Dazu benützte er auch noch die falsche Hand, und zwar so lax, daß man seine Geste leicht mißdeuten konnte. So zeigte man auch den Vogel. Die beiden Offiziere waren sichtlich mokiert. »Bin wohl schon ein bißchen aus der Übung«, meinte Myers grinsend. Er war ein Sunnyboy der ersten Güteklasse, stets zu perfiden Streichen aufgelegt und einer der besten beamteten Detectives, die Walker jemals kennengelernt hatte. Seine Sommersprossen leuchteten auf in der Texassonne, das sandfarbene Haar stand ihm wirr vom Kopf ab. In der Figur ähnelte er Karl Valentin, denn er war mindestens so schlaksig wie dieser und ein verläßlicher Freund in allen Lebens- und Sterbenslagen. Die Khakimänner schauten stur geradeaus. »General! Wo haben Sie Ihre Uniform?« Jo hatte gefragt. »Ach, lassen Sie doch den General. Ich bin Wissenschaftler im Generalsrang. Der General ist mir nur am Zahltag wichtig.«
Walker fand den grauhaarigen Mann mit der beginnenden Stirnglatze auf Anhieb sympathisch. Er war der Projektleiter für das Unternehmen »Strandung«, wie die Militärs die Testreihe mit dem ALS sinnigerweise getauft hatten. Evan wies auf den Chevy. »Er wird Sie in den Schuppen bringen, wo ich arbeite«, erklärte er. »Ich selbst fahre mit dem Jeep. Hab nur selten Gelegenheit dazu.« In Wahrheit wollte er wohl nur schnell mit irgend jemandem telefonieren. Jo und Lieutenant Ron stiegen ein und nahmen im Fond Platz. Die Polster waren abgewetzt wie alte Scheuerlappen. Sie fuhren an einer zweimannhohen Betonmauer entlang, über der noch vier Reihen Stacheldraht gespannt waren. Der Fahrer, ein junger Sergeant, sagte nichts. »Hier kriegt man ja Platzangst«, plauderte der fidele Cop im Sondereinsatz munter. »Nicht schön von dir, daß du mich mit hierhergeschleppt hast. Du weißt doch, wie sehr ich die Army liebe.« »Du bist bei der Air Force zu Gast, mein Freund«, verfiel Jo in die gleiche Tonart. »Das ist ein Unterschied. Also, horche auf Papi, und benimm dich ausnahmsweise mal anständig. Daß mir ja keine Klagen kommen!« »Okay, Mami, okay. Und will auch nicht mehr in der Nase bohren, und an meinem Daumen lutsche ich auch nicht mehr. Einverstanden?« Der Fahrer wandte sich um. Vielleicht war er solche Sprüche in einem Offiziersfahrzeug nicht gewöhnt. »Behalten Sie lieber die Fahrrinne in der Pupille«, empfahl Ron heiter. Er befand sich offenbar in bester Urlaubslaune. »Sonst landen Sie mit Ihrer Karre womöglich noch an einer Hauswand, und Pfannkuchen hatte ich erst gestern.« Walker grinste still in sich hinein. Er beteiligte sich lieber nicht an der Unterhaltung. Wenn Ron Myers seinen guten Tag hatte, brachte er sogar einen ausgefuchsten Irrenarzt zur Verzweiflung. Der Fahrer bekam rote Ohren und linste starr durch die Windschutzscheibe. Myers lehnte sich bequem zurück. »Habt ihr auch Frauen hier in eurem Bunker? Mir kam da gerade so ‘ne gewisse Idee.« Der Fahrer schwieg. Ron tupfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Hören Sie mal, Admiral, oder wie das bei euerem Verein heißt. Ich hab’ Sie höflich um eine Auskunft gebeten.« »Wie meinen Sie das, Sir?« »Bringen Sie mir irgendeinen netten Käfer, dann mach’ ich’s Ihnen
mal vor.« Der Sergeant schluckte und starrte weiter verbissen auf die Straße. »Ich bin nicht befugt, irgendwelche Auskünfte zu geben, Sir. Es ist mir außerdem untersagt, mich mit zivilen Fahrgästen zu unterhalten.« Ron Myers griente diabolisch. »Und das sagen Sie erst jetzt? – Ich werde Sie melden, Mann!« Auch der Nacken des Fahrers rötete sich. »Siehst du’s jetzt?« sagte Ron dann an Jo gewandt. »Kein Unterschied zwischen Army und Air Force. Hab’ ich’s mir doch gleich gedacht. Überall dasselbe. Bei der Army hatten wir auch kein Bordell in der Kaserne.« Myers wurde daran gehindert, weiterhin seine Vergleiche zu ziehen, denn sie waren schon da. Die Limousine hielt vor einem langgestreckten Gebäude. Es hatte ebenerdig nur ein Geschoß. Seltsamerweise erwartete sie General Evans bereits. Der Fahrer hatte wohl einen schmucken Umweg genommen. Die beiden Offiziere waren nicht mehr zu sehen. »Kommen Sie«, sagte Evans. »Ich will Ihnen meine bescheidenen Räume vorstellen. Ein Ingenieur von Aircraft Electronics ist auch schon da. Er wurde angewiesen, alle Ihre Fragen zu beantworten.« Ingenieur Will Foster tauchte im Türrahmen auf. Der Mann sah übernächtigt aus und sorgenzerfurcht. Graue Ringe um die Augen machten aus dem etwa Dreißigjährigen einen fortgeschrittenen Greis. Sein schwarzer Oberlippenbart hing traurig nach unten. Auf dem Foto, das Jo von ihm aus der Geheimakte kannte, hatte der Mann noch besser ausgesehen. Walker sprach seinen erbärmlichen Zustand an. Er kannte da keine Hemmungen. »Ist auch kein Wunder«, meinte der Ingenieur. »Ich habe den Kasten heute schon dreimal zerlegt und wieder zusammengebaut.« »Und?« »Nicht die geringste Fehlerquelle zu entdecken. Es muß am Bodengerät gelegen haben.« »Meinen Informationen nach ist das unmöglich. Mit dem Bodengerät werden ja nur Fluginformationen gesendet, die vom Bodencomputer ausgewertet werden und als Steuerimpulse in die Maschine zurückgehen. Dort schließlich…« »Sie brauchen mir das System nicht zu erklären«, meinte Foster müde. »Ich weiß besser als jeder andere darüber Bescheid.« »Bevor Sie zu fachsimpeln beginnen, Mister Walker«, unterbrach Ben Evans, »wollen Sie nicht mit hereinkommen? Es wird ohnehin allmählich Zeit fürs Abendbrot. Unterhalten Sie sich doch drinnen
weiter.« Die Männer gingen hinein. Evans führte sie. Vor fast allen Türen standen Wachposten. An der Sicherheit wurde hier offensichtlich nicht gespart. Evans’ Arbeitsplatz war besser bewacht als Fort Knox. Und trotzdem mußte es ein Loch in diesem Sicherheitsgürtel geben, denn Jo hatte sich mittlerweile davon überzeugen lassen, daß das ALS tatsächlich funktionierte. In der vorangegangenen zivilen Erprobung hatte es damit nicht die geringsten Pannen gegeben. Erst jetzt, wo das Pentagon einen Großauftrag erteilen sollte, stürzten die Phantoms plötzlich vom Himmel wie Schwalben aus einem sibirischen Winter. Evans öffnete die Tür zu einem mittelgroßen Zimmer. Der Tisch war bereits gedeckt. Ron Myers bekam ganz große Augen. Er konnte fressen wie ein Löwe und wurde doch nicht dicker. »Mich müssen Sie entschuldigen«, sagte der General im weißen Labor-Ornat. »Ich habe noch ein paar Kleinigkeiten zu erledigen. Auf bald dann.« Jo, Will Foster und der unkonventionelle Lieutenant setzten sich. »Machen wir weiter«, sagte Walker. »Ein drittes Bordgerät befand sich in der Maschine, die auch mich hierherbrachte. Wie lange brauchen Sie, bis Sie es eingebaut haben?« »In welchen Jet?« Da mußte Walker allerdings passen, denn darüber hatte nichts in seinen Instruktionen gestanden. Deshalb räusperte er sich erst mal ausgiebig, ehe er fortfuhr. Er wollte sich ja keine Blöße geben. Er wechselte, wenn auch nur scheinbar, das Thema. Der »Schnüffler« war schon längst in ihm erwacht. »Vorher noch zu etwas anderem«, sagte er. »Gesetzt den Fall, Ihre Geräte hätten einwandfrei gearbeitet. Wodurch könnten die beiden Unfälle noch verursacht worden sein?« »In jeder der beiden Phantoms mußte eine Höllenmaschine gelegen haben, doch auch das scheidet aus. Sie wurden vor den Starts bis zu jeder Mikroschraube durchgecheckt.« »Was gibt es sonst noch?« »Nur noch eine einzige Möglichkeit. Und die scheidet ebenfalls aus.« »Manipulationen an der Bodenstation?« »Sie sagen es. Während der letzten Phase des automatischen Landemanövers müßten falsche Informationen an den Bordcomputer gegeben worden sein.« »Wie wäre das technisch zu bewerkstelligen?« »Eingegangene Informationen werden ebenso wie die abgegebe-
nen digitalisiert und auf Band gespeichert. Man mußte während des Manövers ein falsches Programm installieren oder den Computer ganz ausschalten. Im letzteren Fall würde jedoch die Maschine vermutlich noch einige Zeit selbständig und ungesteuert weiterfliegen. Unsere beiden Phantoms haben das nicht gemacht. Sie legten plötzlich ihre Nasen nach unten und bohrten sich im Sturzflug ins Gelände. Der Automat übernimmt den Vogel erst rund tausend Fuß über dem Take-Down-Point, also vor dem Punkt des Aufsetzens auf die Rollbahn. Doch beide Maschinen waren in Bruchteilen von Sekunden unten.« »Also haben die Maschinen falsche Informationen bekommen.« Will Foster ließ schlaff den Kopf hängen. »Schön war’s«, sagte er dann. »So makaber das auch klingen mag. Aber dann hätten wir wenigstens eine Ursache. Die Bänder wurden jedoch nicht gewechselt. Erstens waren ständig zwei Leute im Raum, in dem das Bodengerät steht, und zweitens haben wir die Programmeingabe beim zweiten Versuch todsicher verplombt.« »Und die beiden Leute, die sich in diesem Raum befanden? Sind die sauber?« »Nicht nur das. Sie sind über jeden Verdacht erhaben. Der eine war von irgendeiner ominösen Stelle in Langley direkt hierher abkommandiert, und Dr. Crown ist wissenschaftliche Assistentin von General Evans.« »Assistentin?« Zum erstenmal hatte sich auch Lieutenant Ron Myers in die Unterhaltung eingemischt. Sein ansonsten blasser Teint leuchtete plötzlich wie ein Lampion. Endlich wieder mal ein Thema, das auch ihn interessierte. Assistentinnen. Weibliche Wesen. * Im selben Moment ging die Tür auf. General Evans und eine Frau kamen herein. Ron hatte kein Auge mehr für den General. Jeder Blick in dessen Richtung wäre ihm als maßlose Vergeudung vorgekommen. Der weiße Kittel von Dr. Joan Crown schaffte es nicht, ihre atemberaubende Figur zu verbergen. Die Frau war sehr groß gewachsen. Ihr pechschwarzes Haar hatte sie in einem strengen Knoten nach hinten geschlungen, und Ron Myers malte sich aus, wie es in sanften Wel-
len auf die Schultern fiel. Leise seufzte er auf mit seiner trockenen Kehle. Ihr Gesicht war oval. Die helle Haut spannte sich über hochangesetzte Wangenknochen. Die Augen standen leicht schräg wie bei einer Katze und schillerten grünlich. Prall wie frisch gepflückte Äpfel rundeten die großen Brüste den weißen Wissenschaftler-Kaftan. Vorne klaffte er leicht auseinander. Sie war eine Frau von jener Art, bei der Ron noch nie hatte landen können. Um so heftiger machte er ihr den Hof. Joan Crown würdigte ihn keines Blickes. Sie ging auf Walker zu und streckte ihm die Hand entgegen. Ben Evans stellte sie einander vor. Auch Jo war auf diesen Anblick nicht gefaßt gewesen. Doch er hatte sich seine Schlagfertigkeit bewahrt. »Ich dachte nicht, daß sich die US Air Force bei meinem Besuch gleich von der allerbesten Seite zeigen würde«, tönte er galant. »Sind Sie auch Officer? Kann ich noch unter Ihnen dienen?« Joan Crown schenkte ihm einen heißen Schlangenblick, wahrscheinlich gibt’s auch das. Dazu lächelte sie sphinxhaft. »Warum unter mir, Mister Walker…?« Sie war eine Frau, die genau wußte, was sie wollte. In diesem Fall wollte sie dasselbe wie Jo Walker. Ron fühlte sich plötzlich als fünftes Rad am Wagen. Kein Grund zur Aufgabe. Er war zäh. »Und ich heiße Ron Myers«, verlautbarte er mit ungebrochenem Optimismus. »Ein Bulle aus New York«, vertiefte Jo noch dieses Geständnis und kassierte dafür einen wütenden Blick des Freundes. »Ein wirklich feiner Kerl.« Die Assistentin übersah Rons ausgestreckte Rechte geflissentlich. »Freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Mister Myers.« Ron zählte in Gedanken bis zehn, weil ihm jemand mal gesagt hatte, das würde beruhigen. Doch das Rezept wirkte nur spärlich bis überhaupt nicht. Lieutenant Ron nahm sich eisern vor, diese »unmögliche Frau« künftig mit schnöder Verachtung zu strafen. Außer natürlich, sie änderte ihr Verhalten ihm gegenüber um so ca. 180 Grad… Evans und Dr. Crown hatten sich gesetzt. Ein Soldat rollte einen Servicewagen mit Getränken herein. »Ich hoffe, Sie mögen Lachs«, sagte Ben Evans. »Und wie. Ich hatte, ehrlich gesagt, keine so exklusive Küche erwartet.«
Jo faltete seine Serviette auseinander. Das Gespräch beim kalten Dinner, wenn es so was gibt, verlief flach. Dr. Joan Crown verschlang mit ihren Blicken mehr von Walker als von ihrem Teller. Ron versteifte sich aufs extreme Gegenteil. Er schaufelte in sich hinein, wie ein Lincoln-Zwölf-Zylinder Benzin soff. Die hochnäsige Dame hatte ihn schwer beleidigt. Bei ihm schlug sich das auf einen nimmersatten Magen. Erst gegen Ende griff Jo den Ball wieder auf. »Die Techniker haben wirklich alles überprüft?« »Das ist gar kein Ausdruck«, antwortete der General im Wissenschaftlerstatus. »Sie haben das Unterste nach oben gekehrt. Allmählich bin ich auch der Meinung, daß wir von anderen Angeboten Gebrauch machen müssen.« Jo schaute überrascht auf. »Es existieren noch weitere Offerten für ein ALS, ein AutomaticLanding-System?« »Hm. Das hätte ich Ihnen wohl nicht sagen dürfen, aber es ist ohnehin schon egal.« Er schaute auf die Armbanduhr. »In einer Viertelstunde treffen Sie mit einem aus Washington zusammen. Ich kenne ihn nicht, hab’ ihn noch nie gesehen. Hab’ auch keine Sehnsucht nach ihm.« Walker brauchte nicht weiter zu fragen. »General« Atchkiss Groover ante portas. Zum erstenmal konnte er den alten Römern nachempfinden, was sie wohl gefühlt haben mochten, als der selige Hannibal nach der Alpenüberquerung mit seiner Elefantenherde vor ihren Toren stand. Nichts Gutes. Überhaupt nichts Gutes. * Sie waren allein im Nebenraum. Garantiert abhörsicher hoch drei. Auch in diesem Punkt war Atchkiss Groover sehr penibel. Er stellte seinen Diplomatenkoffer ab, und in Jos Magen machte sich ein flaues Gefühl breit. Jedes Gespräch mit diesem Mann hatte die verzweifelte Ähnlichkeit mit einem Pokerspiel. Eines mit verdeckten Karten. Dabei lächelte Groover so freundlich, wie er’s vermochte. Also so freundlich wie ein Alligator ungefähr. »Warum setzen Sie sich nicht, Mister Walker? Haben Sie sich schon entschieden?« Kommissar X folgte der Aufforderung, blieb sitzend auf dem
Sprung. »Sie würden mir tatsächlich zehntausend geben, wenn ich Ihnen jetzt sage, ich habe keine Lust, auf Ihr Angebot einzugehen?« »Ihr Mißtrauen beleidigt mich zutiefst«, behauptete »General« Atchkiss Groover und grinste so breit er’s konnte mit seinem schmalen Mund. Dann griff er in die Innentasche seines grauen Zweireihers und förderte ein dünnes Kuvert zutage, legte es zwischen ihnen auf den Tisch. »Es sind zehn Riesen, wie es in Ihrem Jargon wohl heißt. Zehn Tausenddollarnoten.« Jo behielt die zuckenden Finger bei sich. Ron hatte achttausend verzockt und seit ihrem gemeinsamen Flug hierher nach Amarillo neuerdings den Erwerb eines Eigentumsappartements im Sinn. »Und das, Mister Walker«, fuhr Groover fort, während er den Diplomatenkoffer ebenfalls auf den Tisch hob und aufklappte, »sind hunderttausend Dollar…« Jo versuchte das Würgen aus seiner Kehle zu vertreiben. Vergeblich. »Steuerfrei?« krächzte er. »Sie bekämen gleichzeitig einen Beleg ausgehändigt, daß es sich bei dieser Summe um einen Gewinn in der staatlichen Klassenlotterie handelt.« »Was manipulieren Sie eigentlich nicht, Mister Groover?« Der Schwarze zuckte die mageren Schultern und strahlte trotz seiner etwas zu dünn geratenen Figur eine absonderliche Aura aus. Die Aura der Macht. »Man tut, was man kann, Mister Walker.« Schließlich, nach einer genau auf Jos Psyche abgemessenen Pause: »Und was können Sie…?« Jo bekam seine Augen ohne weiteres von diesem verfluchten Geld los und musterte das ärmlich dünne Kuvert. »Muß ich mich sofort entscheiden?« »Innerhalb der nächsten fünf Minuten.« »Ein paar Fragen sind doch erlaubt?« »Natürlich.« »Was haben Sie noch in petto? Ich denke da beispielsweise an ein Angebot über ein betriebsbereites automatisches Landesystem einer anderen Firma, einer ausländischen, vermutlich.« Atchkiss runzelte mißbilligend die Stirn. Allmählich begann Jo dieses Spiel mit den verdeckten Karten Spaß zu machen. »Woher wollen Sie das wissen?« Jo runzelte zurück. Nur sein Grinsen fiel erheblich breiter aus. »Ganz einfach. Die Regierung hat sich doch an den Forschungen
der Aircraft Electronics, wie üblich, mit horrenden Dollarmillionen beteiligt. Aber ebenso selbstverständlich ist, daß auch andere Länder auf demselben Sektor fleißig waren. Vielleicht sogar befreundete…? Die Militärs zetern schon seit Jahren nach einem derartigen System. Und weil es vielleicht ein Land ist, mit dem die USA im Moment auf keinen Fall diplomatische Verwicklungen riskieren will, kamen Sie auf die grandiose Idee, einen Privatmann – einen Lottogewinner! – in die Schlacht zu werfen.« Groover nagte an seiner Unterlippe. Jo sah das zum erstenmal bei ihm. Also hatte er ins Schwarze getroffen. Bei einem Neger kein Kunststück, möchte man meinen, bei »General« Atchkiss aber eben doch. »Sie sind ein Bastard, Walker!« Das »Mister« hatte er weggelassen. »Und was wäre die Steigerung von Bastard? Hm? Mister Atchkiss Groover…?« Das Lippennagen hörte auf. »Gehört das auch zu Ihren Fragen?« »Nicht unbedingt. Ich will gnädig zu Ihnen sein. Aber Sie engagieren doch keinen Privatmann, wenn Ihre eigenen Boys in dieser Sache nicht auf Sparflamme kochen müßten. Also brauchen Sie wieder mal einen Idioten, der seinen Kopf hinhält und eventuellen fremden Geheimdiensten möglicherweise vorgaukeln soll, er sei als Privatdetektiv von der Aircraft Electronics direkt gekapert und von der Air Force nur halbherzig unterstützt worden. Einen Banditen zwischen allen Fronten also.« »Ich hatte nicht gedacht, daß Sie mich noch in Erstaunen versetzen könnten. Doch soeben haben Sie das geschafft. Ich kämpfe, noch mit mir, ob Ich Sie wegen Ihres Scharfsinns bewundern oder verdammen soll. Sie nehmen den Auftrag an?« »Ja, zum Teufel!« »Na schön«, meinte Atchkiss Groover, etwas matt, wie es schien. »Dann unterschreiben Sie hier bitte die Empfangsbestätigung eines Lotteriegewinns über hunderttausend Dollar.« Den Füllfederhalter legte er gleich zu einigen Papieren. Von seinem Triumph noch euphorisch, setzte Jo Walker seinen Namen unter die Dokumente. »Und die Spesen?« »Sie wissen, daß ich zu meinem Wort stehe«, sagte Groover, plötzlich sonderbar zufrieden, und schob den Koffer mit den hunderttausend Dollar endgültig zu Jo hinüber. »Sie glauben doch auch, daß hier nur Sabotage im Spiel sein kann? Kein technisches Versagen?«
»Ich nehme an, Sie haben mir keine gefälschten Dokumente untergejubelt. Ich denke dabei vor allem an jene, welche die Ergebnisse der Zivilerprobung des ALS betreffen.« »Würden Sie mir glauben, wenn ich schwöre?« »Nein.« »Alles war echt.« »Na, bravo. Denn wenn Sie nicht schwören, glaube ich Ihnen.« »Fein«, sagte Atchkiss Groover und erhob sich von seinem Polsterstuhl. »Dann sitzen Sie morgen also in der Kanzel, wenn es zu unserem letzten Experiment kommt. Es ist keine nagelneue Phantom mehr, sondern eine gute alte ausgediente Super-Sabre, mit der auch die Aircraft Electronics ihre Testreihen absolvierte.« »Wie bitte?« »Sie glauben doch ebenso wie ich an Sabotage, Mister Walker. Also finden Sie den Saboteur heraus. Sonst ist’s ein Pulverfaß, in dem Sie morgen nacht sitzen. Ihre Bereitschaft mitzufliegen, haben Sie soeben mit unterschrieben. Muß ich Ihnen auch noch sagen, was geschähe, wenn Sie sich weigerten?« Jo saß da wie betäubt. Und nun bewies »General« Atchkiss Groover, daß er noch viel, viel diabolischer grinsen konnte als Ron Myers. »Sie haben sich gegen die Zahlung einer Konventionalstrafe von fünfhundert Millionen Dollar gegenüber der Aircraft Electronics für die Teilnahme an diesem Flug verbürgt…« * »Wann startest du?« wollte Ron Myers wissen. Jo hatte schon die Fliegerkombination angelegt. Er schaute auf seine Armbanduhr. »In zwei Stunden.« »Bist du entspannt?« »Und wie.« Ron grinste schief. »Das grenzte ja schon an Unhöflichkeit, wie schnell ihr beide euch gestern abend verdrückt habt. War sie wenigstens gut?« »Und wie.« »Nun hör doch endlich mit dem verdammten ›Und wie‹ auf.« »Kann ich was dafür, wenn du auf deiner masochistischen Ader herumreitest? Du hättest mir eben andere Fragen stellen müssen.« Jo lehnte sich bequem im Kantinensessel zurück und verschränkte die Hände vor dem Solarplexus. Ein Bild trügerisch-satter Zufrieden-
heit. Wie hätte Ron auch ahnen sollen, wie er sich wirklich fühlte. »Ich und Masochist?« tat der sommersprossige Lieutenant empört. »Diese Frau hätte ich nicht mal mit ‘ner Kneifzange angefaßt, und du gibst dich mit so was ab. Schämst du dich denn gar nicht?« »Und wie«, sagte Jo. Für ihn war klar, daß die Sabotage nur vom Bodencomputer aus eiskalt gemanagt hatte werden können. Und wer bediente den? Dr. Joan Crown. Da hatte er sich eben geopfert. Sonst nichts. Und seinen Freund hatte er jetzt schlecht auf sie zu sprechen gemacht. Mehr konnte er in dieser Situation nicht für sich tun. Er vertraute auf die »Giftigkeit« Ron Myers’. Und auf dessen Wachsamkeit und Sorge. Denn natürlich war dem Kameraden aus New York nicht wohl bei dem Gedanken, daß Jo bald mit in jener Testmaschine sitzen würde, die vielleicht heute nacht ebenfalls in einem Glutball verging. Und Jo hatte heute nachmittag 50 000 auf Rons Konto überwiesen. Der Lieutenant hatte keine Ahnung davon. »Weißt du eigentlich, was ich gestern nacht noch gemacht habe, während du mit dieser männermordenden Ziege Kaninchen gespielt hast?« »Bring bitte nicht noch mehr Unordnung in die Zoologie. Aber du wirst es mir schon sagen. Du platzt ja geradezu vor Eifer. Ist mir schon vor Stunden aufgefallen, daß du etwas auf deiner Zunge herumschleppst. Heraus damit.« Walker verschwieg dezent, daß er aus Groovers Dossier schon wußte, was jetzt wahrscheinlich kam. Doch Ron sollte auch sein Erfolgserlebnis haben. Er gönnte es ihm von Herzen. »Ich glaube nicht, daß die Crown so verläßlich ist, wie alle meinen. Ich hab’ vergangene Nacht noch April angerufen.« »Und ihr erzählt, daß ich wegen einer Gymnastikstunde unabkömmlich bin?« »Wo denkst du hin!« wies Lieutenant Ron diesen Verdacht entrüstet von sich. »Ich bin ein wahrer Freund!« »Nun laß doch den Pathos beiseite. Das steht dir überhaupt nicht. Du machst es ja richtig spannend. Schieß schon endlich los.« »Sag nicht dauernd so unanständige Worte zu mir. Auch wenn ich sie nicht verstehe. Mein Pathos gehört mir, und was mir steht oder nicht steht, geht dich überhaupt nichts an. – Ist dir klar, wer diese Crown überhaupt ist?« »Ich denke schon. Ich weiß sogar, daß sie ein sternförmiges Muttermal an der Innenseite ihres rechten Oberschenkels hat. Ziemlich
weit oben am Oberschenkel. Oder war es doch das linke Bein?« »Siehst du? Du kennst diese Frau nicht!« erklärte Myers mit zwingender Logik. »Du kennst diese Frau nicht. Dafür werde ich dir jetzt sagen, was April in >tatsächlich< aufopfernder Nachtarbeit über dieses mißgestaltete, mit Muttermalen behaftete Weib herausgefunden hat: Dr. Joan Crown heißt in Wirklichkeit gar nicht Crown! Ihr Geburtsname ist Krovnalek. Sie ist eine Polin. Sagt dir der Name etwas?« Jo gab sich alle Mühe, so auszusehen, als dächte er intensiv nach. »Nein«, sagte er dann. »Kann er auch gar nicht!« trumpfte Myers auf. »Die Geschichte ist schon mehr als dreißig Jahre alt.« »Dann spann mich bitte auch nicht noch länger auf die Folter.« Lieutenant Ron ließ jedes Wort mit Genuß auf der Zunge zergehen. »Ihr Vater ist aus Polen geflohen. Seine Tochter nahm er mit. Und weißt du, vor wem oder was er geflohen ist? Vor dem dortigen Staatssicherheitsdienst! Er war Kybernetiker wie jetzt seine Tochter auch. Er floh bei Nacht und Nebel auf einem Schiff. Hat ziemlich Schlagzeilen gemacht, die Geschichte damals. So konnte April sie auch wieder ausgraben. Krovnalek war ein bekannter Mann und Geheimnisträger.« »Geht die Story denn nicht weiter?« »Wenn du mich andauernd unterbrichst? – Die Vereinigten Staaten gewährten ihm Asyl. Über Stockholm kam er nach New York. Aber er hatte nicht viel von seiner Freiheit. Nach einem halben Jahr verunglückte er mit seinem Auto. Man munkelte damals, das KGB habe die Hand dabei im Spiel gehabt. Krovnalek fuhr sturzbetrunken eine Schlucht hinunter. Dabei ist er erklärter Antialkoholiker gewesen.« »Interessant«, sagte Jo. »Das schönste kommt erst. Krovnalek hatte bei uns in den Staaten studiert. Das war während der Kriegsjahre. Als Angehöriger der Alliierten konnte er das. Und an der Columbia University lernte er auch seinen Studienfreund kennen. Bei ihm fand er Unterschlupf und Hilfe. Und dieser Studienfreund war Ben Evans. Nach Krovnaleks Tod hat er dessen damals kaum dreijährige Tochter wie seine eigene aufgezogen und ihr einen amerikanischen Namen besorgt. Aus Johanna Krovnalek wurde Joan Crown.« Kommissar X reagierte nur in Maßen. »Ausgezeichnete Arbeit, Ron. Beinahe bekomm’ ich ein schlechtes Gewissen wegen gestern nacht.« »Ach, laß nur«, wehrte Myers großzügig ab. »Das muß auch mal
sein. Aber die Geschichte geht weiter. Die Tatsachen hab’ ich dir erzählt. Jetzt kommen die Vermutungen. Krovnalek hatte einen Bruder. Es heißt, er sei von den Russen verschleppt und getötet worden. Doch seine Leiche wurde nie gefunden. Es existiert auch kein amtlicher Totenschein. Na? Dämmert’s allmählich?« »Du glaubst, daß dieser Bruder noch lebt und daß man Joan jetzt mit ihm erpreßt? Spionage gegen das Leben des Onkels? – Bei diesem Sachverhalt wäre Joan nie in diese Position gekommen.« »Wäre sie auch nicht«, räumte Ron ein. »Wenn sich General Evans nicht mit Haut und Haar für sie verbürgt hätte. Und er ist eine Kapazität, vor der selbst das Pentagon Respekt hat. Er legte seine Hand für diese Joan ins Feuer.« »Wissenschaftler sind nur selten mit besonderer Menschenkenntnis ausgestattet«, meinte Jo. Ron nickte. »Eben.« »Wie wäre es dann, wenn du während meines Ausflugs – du darfst das ruhig wörtlich nehmen -, zu Joan in den Computerraum gingst und ihr ein wenig auf die Finger sehen würdest?« »Nur auf die Finger?« »Ich bitte darum. Du wirst wohl nie gescheiter. Nur auf die Finger! Sie sind während dieses Experiments ihr wichtigster Körperteil. Das Gerät arbeitet vollautomatisch. Wenn es einmal eingeschaltet ist, die Frequenzen justiert sind, braucht bis zur geglückten Landung niemand mehr auch nur die geringste Kleinigkeit zu tun.« »Nachtigall, ich hab’ dir trapsen gehört«, meinte der Lieutenant. »Dann beschränke ich mich bei meinen Observationen eben auf die Extremitäten.« »Ich kann mir zwar nicht denken, wie sie es angestellt haben sollte, den Bordcomputer mit falschen Informationen zu versorgen, doch das finden wir heute nacht womöglich heraus.« »Vor oder nach deinem Ableben?« »Du hast eine wunderbare Art, einem Menschen Mut zu machen.« »Meine Spezialität«, grinste Ron Myers. »Es wird übrigens Zeit für dich. Foster kommt und holt dich.« Der Ingenieur von Aircraft Electronics sah heute etwas besser aus. Er brachte sogar das Abziehbild eines optimistischen Lächelns zustande. Doch nicht einmal das gelang ihm fehlerfrei. Sein Lächeln warf Blasen im Gesicht. »Es ist soweit, Mister Walker. Sie sind fertig?« Jo stand auf und warf einen schrägen Seitenblick auf den schlaksigen Lieutenant.
»Und wie«, sagte er. * Von der Kantine aus ging Ron durch die beginnende Dunkelheit hinüber zum langgestreckten Bau. Inzwischen wußte er, daß das ganze Gelände unterkellert war wie ein Termitenhügel. Das »Herz« des ALS befand sich im zweiten Kellergeschoß. Die oberen Wachen ließen ihn passieren, Groover hatte vorgesorgt. Ein Hydraulik-Lift brachte ihn nach unten. Vor dem Raum, in dem der Computer stand, lehnten zwei Posten mit Maschinenpistolen. Die Läufe zeigten auf den Lieutenant. »Eintritt verboten, Mister Myers«, sagte der eine. »Aber doch nicht für mich.« »Doch, Für alle.« »Und wer hat das so herrlich angeordnet?« »Dr. Crown«, antwortete der andere Posten. Ron zog die Augenbrauen hoch. »Dann klopft doch unserem hübschen Doktor mal ans Türchen. Ich hätte gern ein paar Worte mit ihm gewechselt.« »Ich glaube nicht, daß das erwünscht ist, Sir.« »Was glauben Sie, wie egal mir das ist.« Bis die Wachen reagieren konnten, hatte Ron sein rechtes Bein nach vorn gekickt. Der Schuh flog genau gegen das Holz der Tür und polterte zu Boden. Drinnen wurden Schritte laut. Myers grinste wie Frankenstein, wenn er wieder mal ein besonders feines Monster geschaffen hatte. Die Tür wurde einen Spaltbreit geöffnet. Joans Gesicht mit den slawischen Zügen wurde sichtbar. »Hi, Doc«, grüßte Ron. »Darf ich mal reinkommen?« »Ich wüßte nicht, was Sie hier zu suchen hätten.« Die Wachen verhielten sich neutral. Dieser Bandwurm von einem blonden Menschen war ihnen von oberster Stelle als physisch unantastbar eingeimpft worden. Joan Crown wollte die Tür schon wieder schließen, doch Ron war schneller. Schon stand er drinnen. Er steuerte schnurstracks den Telefonapparat an, wählte drei Nummern, da alle Anschlüsse auf dem Gelände nur drei Nummern hatten. »Hallo, Jo«, rief er in die tote Leitung. »Dein Schatz will nicht, daß ich ihm Gesellschaft leiste, während du abstürzt. Kommt dir das nicht verdächtig vor? Hat Dr. Crown versucht, dir letzte Nacht Geheimnisse zu entlocken?« Die wissenschaftliche Assistentin bekam einen roten Kopf. Und
Ron bekam das mit. »Was? Ihr startet nicht, bevor ich mich noch mal vom selben Anschluß aus melde? In fünf Minuten? – Ach was! Natürlich bleibe ich die ganze Zeit über hier. Ist doch ‘n Befehl von Groover höchstpersönlich. – Ich bin sein CIA-Ersatzmann heute abend. Hm? – Ja.« Er legte auf, wandte sich der Dr. rer. nat. zu. »Wenn Sie so bleiben, Miß, könnten Sie im nächsten Karneval glatt als Leuchtturm gehen.« Die Frau schnappte nach Luft. Rons Redefluß strömte ungehemmt weiter. »Sie sollten einen dummen Cop aus New York City nicht wie einen dummen Jungen behandeln, Miß Krovnalek…« Dr. Joan Crown wechselte ihre Farbe wie ein Chamäleon. Jetzt wurde sie auf einmal blaß. »Sagen Sie das noch mal«, keuchte sie. »Wozu? Sie waschen sich doch täglich die Ohren? Stimmt’s oder habe ich recht?« Sie erholte sich überraschend schnell. Obwohl sie mit Sicherheit auch schon von »General« Atchkiss Groover gehört hatte. Vermutlich stammte die notwendige Informationsdosis von Jo Walker höchstselbst. Ron kannte seinen Freund und Trickser gut genug. »Ich sehe, Sie sind über vieles informiert, Mister Myers. Ich denke, ich kann es verantworten, daß Sie für die Dauer des Tests bleiben. Außer dem…« – und hier glitt ihre satte Altstimme zu einem miserabel geschauspielerten Kleinmädchenkieksen ab »… außerdem wollte ich gar nicht so schroff zu Ihnen sein. Die nervliche Anspannung, wissen Sie? Der Job, diese Verantwortung, das kann einen ganz schön schlauchen.« Rons innere Alarmsirene heulte auf. Dieser Gesinnungswandel kam ihm viel zu plötzlich. »Wieso Verantwortung?« Er deutete mit dem Daumen über die Schulter auf den Computer, ein Gerät, nicht viel größer als eine Waschmaschine. »Das Ding arbeitet doch vollautomatisch. Narrensicher, wenn ich das sagen darf.« »Hat man Ihnen das erzählt?« Ron hatte man nur sehr wenig erzählt, doch er nickte eifrig. »Sie müssen nur einschalten und ausschalten. Das trifft’s doch. Sonst wären doch Horden von Technikern hier im Raum. Doch die sitzen alle droben im Kontrollzentrum.« »Na ja. Irgendwie haben Sie recht. Eigentlich habe ich außer dem Ein- und Ausschalten, wie Sie es nannten, wirklich nichts zu tun. – Sind Sie immer noch böse auf mich?«
»Vergessen Sie’s.« Ron Myers schauspielerte weitaus besser als Joan Crown. »Ich hab’ mich nur geärgert, weil Sie sich so furchtbar überlegen und arrogant gegeben haben. Ich mag arrogante Frauen nicht.« »Dann haben Sie bestimmt den falschen Eindruck von mir gewonnen. Mein Beruf zwingt mich eben, manchmal herrischer aufzutreten, als es meiner Natur entspricht. Ich arbeite fast ausschließlich mit Männern zusammen. Ein großer Teil steht in der Rangliste unter mir. Da muß man sich als Frau behaupten, auch wenn mir das schwerfällt. Sie sollten diesen kleinen Zwischenfall nicht so ernst nehmen. Wahrscheinlich könnten wir sogar Freunde werden…« Ron fabrizierte gekonnt ein glücklich-dämliches Lächeln auf seine Züge. »Das wäre in der Tat eine glänzende Idee. Ich sehe schon, daß ich mich in Ihnen getäuscht habe. Wenn der ganze Zauber vorbei ist, darf ich Sie dann einmal zu einem grandiosen Essen einladen?« »Wer weiß?« fragte sie lächelnd zurück, und ihr Lächeln war falsch wie der Milchzahn eines hundertjährigen Gebißträgers. »Doch jetzt muß ich mich auf meine Arbeit konzentrieren.« »Arbeit?« »Nur wenn etwas nicht normal verläuft.« Dr. Joan Crown atmete ansehnlich durch. »Wenn diese Lampen hier aufleuchten.« Sie wies auf eine Reihe gelber, roter und grüner Lämpchen. »Ah ja?« meinte Ron. Er hatte sich hinreichend informiert. »Das grüne zeigt an, wenn das Bodengerät die Maschine erfaßt hat, das gelbe sagt, daß die Peilung konsistent ist, und das rote erzählt, daß unser lieber Jo im Landeanflug ist und alsbald an unser Fensterchen klopft.« Dr. Crown schaute eine Sekunde lang so, wie Sauerbier schmeckt, doch dann hatte sie sich gleich wieder in der Gewalt. »Sie sind mir vielleicht ein Schelm«, sagte sie dann neckend und mit hohem Pulsschlag. »Sie sind ja ein abgefeimter Techniker, Mister Myers. Ihnen kann ich wohl nichts vormachen. Aber Sie hatten recht: Sehr viel habe ich hier wirklich nicht zu tun. Verzeihen Sie es einer Frau, wenn sie sich vor einem Mann ein bißchen wichtig machen will?« Ron hatte in seiner Trottelrolle eingerastet, und er spielte sie konsequent weiter. Stolz wie ein Matador und mit der Grandezza eines anerkannt blöden Pfaus meinte er: »Ich fühle mich geschmeichelt, Miß Crown. Jetzt stehe ich in Ihrer Schuld. Verfügen Sie ganz über mich.« »Soll ich das wirklich wörtlich nehmen?« meinte Dr. Joan, lächelte
halb siegessicher und trat einen Schritt auf Ron Myers zu. In diesem Augenblick schrillte das Telefon gemein. Ron hob ab. Diesmal war’s ein echter Anruf. »Sie sind gestartet«, sagte er. »In spätestens einer Viertelstunde fliegen sie den Platz wieder an. Und landen per ALS. Und was machen wir inzwischen…« »Wenn Sie keine Idee haben, ich hätte schon eine…«, gurrte Dr. Crown und ließ zwei Reihen weißer ebenmäßiger Zähne blitzen. Weich legten sich ihre Arme um Lieutenant Ron Myers’ Hals. »Wäre Ihr Freund Jo jetzt sehr böse, wenn er uns so sähe?« »Ich fürchte schon«, antwortete der Blonde mit den zur Zeit ziemlich weißglühenden Sommersprossen. Doch da mochte es noch so heiß in seinen Lenden toben. Er behielt den Überblick. »Wir müssen ihm ja nichts sagen.« »Müssen wir nicht«, spielte Ron das Echo. Es kribbelte ihm ganz gewaltig, als Joan ihm mit ihren schlanken Fingern einen Hemdknopf nach dem anderen öffnete und dann an seinen Brustwarzen zupfte. Mit den Handballen rieb sie kreisend über das Dreieck seiner Haare. »Tut das gut?« Ron leistete sich ein wohliges Grunzen. Er drückte Joans Kopf an sich, damit er ihre andere Hand besser beobachten konnte, die sich jetzt von seinem Hals abwärts auf die Seitentasche des Kittels zubewegte. Kurz bevor die Finger in die Öffnung glitten, hielt der Lieutenant ihren Arm auf. »Zweihändig mag ich’s lieber«, schnurrte er wie ein liebestoller Kater, der auf drei läufige Katzen auf einmal trifft. »Warum hast du das nicht gleich gesagt?« turtelte Joan sehr weich und sehr sanft und sehr gefährlich. »Du wirst deinen lieben Ronny schon noch kennenlernen«, versprach Lieutenant Myers. Natürlich war er spitz wie Nachbars Lumpi, doch er bewahrte Fassung und wunderte sich nicht wenig darüber. Er fuhr ihr mit den Knöcheln seiner Finger die Rückenwirbel hinunter. Die Fingerkuppen trafen auf den Bund eines leichten Höschens, zogen zugleich nach und nach, Inch für Inch, gekonnt den Kittel hoch, und zwei makellose Beine gaben sich dem Späherauge preis. Joan drängte von ihm weg. Sie keuchte. Ihre Augen glitzerten. Wenn das auch noch geschauspielert war, hatte sie in den letzten paar Minuten verteufelt viel dazugelernt. »Nicht, Ronny. Ich muß nochmal an den Computer. Ich muß ihn doch überwachen.« »Mußt du nicht«, widersprach der Detective Lieutenant in Ron My-
ers. Er war in all seinen Elementen gleichzeitig. Die Hände faßten nach. Er zog die Frau wieder an sich. »Bitte, laß mich los. Die Landungsphase… In ein paar Minuten…« »Das Gerät arbeitet von allein, Darling.« Ron spürte ihren Körper beben. Er fühlte, wie die Muskeln sich im Widerstand verkrampften. Dr. Joan Crown wich gewaltsam zurück, nun gar nicht mehr so lieb. Ron folgte ihr. Das Schaltpult war im Weg. Sie hatte es erreicht. Ein neuerlicher Umsturz auf Joans total verkorkstem Stimmungsbarometer. Sie hob ihm den Kopf entgegen, schloß die Augen. Der sinnliche Mund war leicht geöffnet, glänzte rot und einladend. Lieutenant Myers – die Pflichterfüllung hatte ihm nur selten soviel Wonne bereitet – vergrub seine Lippen in die ihren. Schweiß glänzte auf ihrer Stirn. Ron bekam ein Auge frei. Er sah Joans Rechte. Sie hatte hinter sich gegriffen. Die Finger tasteten auf einen unscheinbaren Schalter zu, hatten ihn erreicht. Im letzten Moment riß Ron brutal an dem, was er gerade in den Händen hielt, die Frau schrie auf und stolperte, vom Schwung getrieben, gegen die Wand. Das grüne Licht hatte aufgeleuchtet. Jetzt das gelbe. Dr. Joan Crown stürzte von der Wand weg. Wie irr versuchte sie auf das Schaltpult loszugehen. Die wissenschaftliche Assistentin erreichte das Pult nicht. Myers’ ausgestrecktes Bein erwies sich als unüberwindbares Hindernis. Die Frau schlug der Länge nach hin. Das rote Licht an der Computerkonsole leuchtete und leuchtete und flackerte nicht. Die Super-Sabre war im Landeanflug. Joan Crown rappelte sich auf die Knie. Ihr Gesicht war haßverzerrt. Mit einem Blick auf das Gerät hatte sie die Situation erkannt. In wenigen Sekunden würde die Super-Sabre aufsetzen, ein glücklicher Pilot und ein aufatmender Jo Walker unversehrt aus der Maschine klettern. Auf einmal sanken die Schultern der Frau nach vorn. Ron ging hin zu ihr, tätschelte ihr die Wange. »Es ist vorbei«, sagte er. »Jetzt können Sie reden. Was wollten Sie mit diesem Schalter? Was hätten Sie damit erreicht?« Der Kopf der Frau folgte den Schultern. Ron hob ihn an. Ihr schöner Körper zuckte noch ein wenig wie in Krämpfen. Joan Crown war innerhalb von fünf Sekunden gestorben. Die Wachen stürzten ins Zimmer. Ron hatte nicht lautlos genug zugeschlagen. Joan war vollends auf den Boden gerutscht, ihr Kittel
oberhalb der Toleranzgrenze hängengeblieben. Ron ließ sich widerstandslos festnehmen. Handschellen schnappten über seinen Gelenken zusammen. »Sie hat das Muttermal verläßlich am rechten Oberschenkel«, sagte er zu den Soldaten. Doch die interessierte das wohl nicht. * Ron fühlte den Druck der Kugelspritze in seinen Rücken. Die Soldaten waren seit seiner Entlassung aus der Army nicht feinfühliger geworden. Sie brachten ihn ins Wachlokal, rechts neben dem Eingang zum Gebäude. Draußen wurde es laut. Sirenen jaulten wie tollwütige Kojoten, ein Wagen hielt. Stimmen. Er erkannte Jo unter einer von ihnen. »Jo!« plärrte er. »Ron?« Kommissar X streckte seinen Kopf zur Tür herein. »Ronny-Boy! Du siehst so festgenommen aus. Was ist denn los?« Kein Soldat griff ein. Der Tagesbefehl hatte sinngemäß gelautet: Jo Walker – off limits. »Weiß ich auch nicht genau. Ich denke, Joan Crown ist tot. Sie sagt nichts mehr und hat ein blaues Gesicht. Jedes Veilchen, das einigermaßen auf sich hält, müßte vor Neid erblassen.« Jo kam ganz in den Raum. General Evans war hinter ihm. Kreidebleich. »Sagen Sie das noch mal! Was ist mit Joan?« Er rüttelte Ron an den Schultern. »Wenn ich mich nicht sehr irre, hat sie eine Prise Zyankali verspeist. Sie beging einen blitzsauberen Selbstmord.« Weitere Sirenen heulten, Männer mit schwarzen Lederjacken und weißen Armbinden mit dem Aufdruck »MP« – Military Police – stürmten das Zimmer, schleiften Ron Myers zur Seite, noch bevor Walker irgendwelche Einwände erheben konnte. Es war nichts verändert worden. Knalleng war es im Computerraum. Die Leiche lag noch so, wie Ron von ihr weggerissen worden war. »Wie ist das passiert?« fragte Jo. »Schnell«, antwortete Ron. »Gottverdammt verflucht schnell.« »Was vorgefallen ist, möchte ich wissen.« »Du hast mir angedeutet, daß ich auf ihre Finger achten soll, und
genau das habe ich getan. Als die gelbe Lampe aufleuchtete, wollte sie unbedingt einen Schalter am Pult kippen, und das habe ich nicht zugelassen. Sie drehte durch, und ich scherbelte ihr eine. Daraufhin wich sie an die Wand dort drüben zurück, und als ich mich um sie kümmern wollte, war sie schon tot.« Von irgendwoher tauchte ein Arzt auf. Er kniete neben der Leiche nieder, öffnete ihr den Mund. Ein Fotograf schob die Leute beiseite, um zu seinen Bildern zu kommen. Der Arzt stand schon nach einer halben Minute wieder auf. »Es sieht aus, als habe Dr. Crown Selbstmord begangen«, sagte er und packte seinen Koffer zusammen. »Ich habe Reste einer Plastikkapsel in ihrem Mund gefunden. Allem Anschein nach war sie mit Blausäure gefüllt.« »Kann man ihr die Kapsel mit Gewalt in den Mund geschoben haben?« wollte der Polizei-Offizier wissen. »Nein«, antwortete der Arzt. »Äußerst unwahrscheinlich. Die Form der Kapsel läßt darauf schließen, daß sie schon längere Zeit im Kiefer getragen wurde. Sie war einem Zahn nachgebildet und wurde in einer Zahnlücke getragen.« Die beiden Wachtposten, die immer noch ihre MP’s auf Ron gerichtet hielten, ließen auf einen Wink des Offiziers hin die Waffen sinken. Rons Handschellen schnappten wieder auf, er rieb sich die Gelenke. General Evans glich mehr einer Leiche als einem lebenden Menschen. Er war aschfahl geworden. Ein trockenes Schluchzen schüttelte den Mann. Jo legte ihm die Hand auf die Schulter und führte ihn hinaus. Er traf den Doktor auf dem Flur. »Geben Sie dem General doch bitte ein Beruhigungsmittel«, sagte Walker. »Miß Crown war wie eine Tochter für ihn.« Willenlos ließ Evans sich weiterreichen. Vom Aufzug her kamen zwei Männer mit einer Bahre. Jo wich ihnen aus. Hinter ihnen folgte ein entgeisterter Will Foster. Operation geglückt – Patient tot. Er wußte sichtlich nicht mehr, ob er Männchen oder Weibchen war. Auf dem Flur und im Computerraum ging es zu wie in einem Bienenstock. Jo, Ron und Foster zwängten sich durch die Menge. »Was wäre geschehen, wenn die Crown an diesem Ding hier herumgespielt hätte?« fragte Myers und deutete auf jenen ominösen Schalter. »Langsam dämmert mir was«, ächzte der Ingenieur daraufhin und nach einer kurzen Pause. Ein Offizier organisierte endlich die »Aufräumungsarbeiten«. Es wurden schlagartig weniger Menschen im Raum. »Dieser Schalter?«
»Ja.« »Heavens! Darauf mußte man kommen. Heavens!« »Bevor Sie auch noch die Engel herunterbeten«, mischte Jo sich ein, »könnten Sie mir sagen, was Sache ist? Was wollte die Crown versuchen? Was vermuten Sie?« Foster kratzte sich am Schädel. »Mit diesem Schalter spult man das Speicherband zurück. Er hat nur eine Kontrollfunktion. Man betätigt ihn, wenn man prüfen will, ob der Speicher aufzeichnet.« »Und welchen Nebeneffekt kann es geben?« fragte Walker weiter. »Das Programm wird um vier, fünf Sekunden zurückgespult. Und wenn das in jenem Moment passiert, in dem das gelbe Lämpchen zur roten Farbe überwechselt, werden die Informationen der vergangenen fünf Sekunden als aktuelle Steuerimpulse an den Bordcomputer weitergegeben.« Walker wußte genug. Das Testprogramm verlief so, daß die Maschinen im Sturzflug in die Landeposition gehen sollten, wo sie vom ALS übernommen wurden. Wenn der Vogel also in jener Phase, kurz vor dem Aufsetzen, alte Speicherinformationen bekam, setzte er automatisch wieder zum Sturzflug an. Zum Sturzflug in den sicheren Tod. Das war die Erklärung. Slim McCorren und sein Vorgänger Peter Crimble hatten nicht die geringsten Chancen gehabt. Ron wandte sich um. Die Sanitäter hoben die Tote gerade auf die Bahre. Jo folgte Myers’ Blick. »Kannst du mir erklären, warum diese Leiche fast nackt ist?« »Ich habe eben Stil«, sagte Lieutenant Ron. Sein Grinsen sah wie Zahnweh aus. * Eine halbe Stunde später. Jo Walker und Ron Myers saßen im Kasino, die größte Aufregung hatte sich gelegt. »Weißt du, wo unsere gemeinsame Freundin gewohnt hat?« fragte Myers. Ein Naserümpfen. »Ich kam nicht mehr dazu, diese freudvolle Information zu sammeln.« Keiner der beiden fühlte sich wohl in seiner Haut. Sie übergingen das mit sarkastischem Geplänkel. Auch schwarzer Humor kann manchmal helfen. »Aber sicher, Jungchen«, sagte Jo deshalb. »Jetzt siehst du, wie weit ich vorausdenke. Sie hatte ein Appartement im Sterling House.
Es ist der erste Wolkenkratzer, nachdem du die Sperre zum Airfield hinter dir hast.« »Und der Schlüssel?« Ron streckte Jo die offene Handfläche hin. »So gut bekannt waren wir nun auch wieder nicht. Ich glaube, sie ist mit mir nur in die Heia gestiegen, weil sie mich aushorchen wollte. Aber ich hab’ ihr immer nur das Märchen von Schneekäppchen und Rotwittchen erzählt. Bis sie’s schließlich aufgab.« »Machen wir weiter? Die Sache ist doch jetzt geklärt?« Jo dachte lange nach. Dann schaute er auf. »Ist sie das wirklich, Ron?« »Du meinst…?« »Ich laß mir nicht gern was schenken, verdammt noch mal. Schon gar nicht von unserer Regierung. Aber wenn du aussteigen willst, hab’ ich nichts dagegen. Du hast dir dein Honorar verdient.« Lieutenant Ron Myers bewies, daß man auch lächelnd die Zähne zeigen konnte. »Du machst also weiter? Wow! Ich bin dabei! Verlang doch bitte was Ungesetzliches von mir«, sagte er dann. »Ich bin Cop. Dauernd an tausend Paragraphen gebunden. Es ist eine richtige Wohltat, wieder mal mit dir zusammenzuarbeiten. Und was diese fünfzigtausend Piepen angeht – da fühle ich wohl ähnlich wie du. Wo kein Scheiß, kein Preis.« »Schweiß!« Diesmal grinste Myers ausgesprochen faunisch. »Daß du einen immer verbessern mußt? Aber ich mag diese Halbheiten nunmal nicht. Ebensowenig wie du.« »Ist dir klar, daß wir in Teufels Küche geraten können?« fragte Walker. »Hm. Man nehme Pfeffer und Salz, eine Prise Hexenkraut, ein paar Rattenschwänzchen, zwei Dutzend Spinnen könnten auch nicht schaden, und dann…« »Hör auf«, sagte Jo. »Brech ein.« * »Du willst es also tatsächlich versuchen?« »Ich habe nichts gegen Liebeslauben«, erklärte Myers glaubhaft. »Wie ist ihre Nummer in diesem Sterling House?« »69-69.« Ron grinste anzüglich. »Verteufelt leicht zu merken. Ich hab’ auch mal Französisch ge-
lernt.« »Dann geh los und vertiefe deine Sprachkenntnisse. Sieh dich um in ihrer Wohnung. Ich hatte nämlich kaum Gelegenheit dazu.« »Ich fühle mit dir, du armer Freund. Doch Ronny wird’s schon richten.« »Dann geh jetzt.« Myers verdrückte sich nach draußen. Niemand hielt ihn auf. Und Jo Walker wollte noch nach General Evans sehen. Wo die Krankenstation war, wußte er. Sie lag weiter hinten im Gebäude. Im Erdgeschoß. Die Station bestand aus einer Ambulanz und einem Krankenzimmer mit nur drei Betten. Auf einem lag General Evans. Der Arzt fühlte gerade seinen Puls. »Kann ich reinkommen, Doc?« »Sie sind Mister Walker?« »Ja.« »Er hat nach Ihnen verlangt. Aber bitte nicht länger als eine Minute.« »Das wird reichen, Doc. Danke.« Ben Evans war bei Bewußtsein. Seine Stimme klang schlaff. »Nehmen Sie keine Rücksicht auf mich. Ich habe Joan zu sehr vertraut. Das kostete zwei unserer besten Leute das Leben. Ich weiß nicht, was in das Mädchen gefahren ist. Ich weiß auch nicht, wie Joan die Flugzeuge hat abstürzen lassen. Doch ihr Selbstmord spricht Bände. Sie war eine Spionin?« »Es besteht wohl kein Zweifel daran. Tut mir leid für Sie. Ich kann mit Ihnen fühlen.« Jo erklärte mit wenigen Worten, wie Joan die Phantoms auf die Erde gebracht hatte. »Sie haben nichts von ihrem Doppelleben bemerkt?« »Wie sollte ich? Dann hätte ich das zu verhindern gewußt. Es war mir zwar schon aufgefallen, daß sie sich in der letzten Zeit etwas verändert hatte. Doch ich maß dem keine sehr große Bedeutung zu. Sie war eine erwachsene Frau. Ich hatte sie wohl immer noch als jenes Kind gesehen, das ich mal großgezogen habe.« »Sie hieß in Wirklichkeit Krovnalek.« »Ja, ja. Trotzdem war sie für mich eine Tochter. Doch man kann in einen Menschen wohl nicht hineinsehen.« Sein Atem fing an zu rasseln. »Und dieses dumme Gerücht über einen angeblich verschollenen Onkel kenne ich auch. Alles Quatsch. Ihr Vater hatte keinen Bruder. Das ist erwiesen.« »Hatte sie Freunde?«
»Nehme ich doch an. Aber ich hab’ mich nie darum gekümmert. Ihr Privatleben war für mich tabu. Nur einmal. Da kam ich unangemeldet in ihre Wohnung. Ein Mann war dort, den ich noch nie vorher gesehen hatte. Ja, ich erinnere mich. Er sprach ein weiches Englisch. Joan stellte ihn mir als einen Inder vor.« »Sah er nicht eher wie ein Slawe aus?« »Könnte auch sein. Ich hab’ diese anderen Rassen noch nie auseinanderhalten können.« »Sonst wissen Sie nichts mehr über Joan zu sagen?« »Nun ja. Auf mich wirkte sie etwas deprimiert in der letzten Zeit. Doch ich habe das auf die viele Arbeit und die beiden Unfälle geschoben.« »Diese beiden Unfälle waren Mord, General! Können Sie mir wirklich nicht mehr sagen?« »Nein. Für mich ist das alles ein Rätsel. Ich hätte mein Leben für sie gegeben. – Joan…!« Er schluchzte auf. Der alte Mann sah erbärmlich aus. Jo verdrückte sich zur Tür. »Sie haben es schon erwähnt, General. Man kann in einen Menschen nicht hineinsehen. Und Ihnen ist diese Gabe in besonderem Maße nicht gegeben.« * Der Morgen dämmerte bereits herauf. Ron Myers hatte keinen Blick für den Sonnenball, der sich allmählich über den flachen Horizont schob und ein Meer aus Licht auf den verschwindenden Nachthimmel zauberte. Der Haupteingang stand offen. Der frühen Stunde wegen, traf er auch niemanden in der Empfangshalle. Es war gerade fünf Uhr vorbei, Ron nahm den Lift. Dann stand er vor Joan Crowns Appartement. 69-69. Das Türschloß hätte nicht mal einem Ganovenlehrling im ersten Semester zu schaffen gemacht, und Ron war ein mit allen Wassern gewaschener Cop. Er freute sich diebisch darüber, auch mal einbrechen zu dürfen, mal neben der Legalität tätig zu sein. Doch wenn er mit Walker zusammenarbeitete, verschoben sich eben ein wenig die Kompetenzen, die Zuständigkeiten. Nachdem er also das Schloß mit behutsamer Gewalt geöffnet hatte, stand er in einem großen Wohnzimmer. Die Fenster wiesen nach Osten. Die aufgehende Sonne malte durch die Stores Kringel an die
gegenüberliegende Wand. Wahllos öffnete er einige Schubladen der klotzigen Schrankkombination. Er fand nur Wäsche und Geschirr. In einem der unteren Fächer lag ein Fotoalbum. Ron blätterte es durch. Auf einigen Bildern erkannte er Ben Evans. Er war damals noch viel jünger gewesen. Das dürre Mädchen daneben mußte Joan sein. Als sie ungefähr dreizehn war und die ersten Formen entwickelte, kam auch schon die letzte Seite. Ron legte das Album wieder zurück. Er ließ kein Schubfach aus, kramte auch in den unteren Regionen der Läden, fand jedoch keinen einzigen Hinweis, der auf eine eventuelle Spionagetätigkeit Joans hätte schließen lassen. Kein Erfolg auch im angrenzenden Schlafzimmer. Nachdem er die Kommode durchwühlt hatte, kannte er zwar jedes einzelne Höschen der Toten, mehr aber auch nicht. Kein Notizbuch. Nichts Persönliches. Und das war geradezu schon auffallend. Nicht einmal einen Brief hatte er gefunden. Ron wollte schon aufgeben, als sein Blick in die winzige Kochnische fiel, in der man nicht mal mit Anstand ein Ei braten konnte. Trotzdem war sie komplett eingerichtet. Aus Gewohnheit öffnete Myers zuerst den Kühlschrank. Er pfiff leise durch die Zähne, als er eine Flasche mit albanischem Kognak erspähte. Das Etikett war mit kyrillischen Schriftzeichen bedruckt. Keine amerikanische Steuerbanderole. Auch nicht die Reste davon. Ron ließ die Flasche in seiner Jackentasche verschwinden. Sonst entdeckte er nichts mehr. Joan Crown mußte eine äußerst gründliche Putzfrau gehabt haben. Dann sah er hinter dem Vorhang unter der Spüle noch einen Plastikeimer. Einen Müllschlucker gab es hier noch nicht. Ron angelte den Behälter aus seinem Versteck. Er roch reichlich scheußlich. Ron überwand sich, mit seinen Fingern in den Abfällen herumzustochern. Er kehrte das Unterste nach oben. Ein blaues Heftchen fiel ihm auf. Ein Streichholzheftchen. Außen prangten protzige Goldbuchstaben auf tiefblauem Grund. »Golden Heils«. Aber etwas anderes beeindruckte den Lieutenant noch viel mehr. In den gleichen Lettern, nur kleiner, stand »Las Vegas« darunter. Dabei war die Crown in der letzten Zeit bestimmt nicht in Las Vegas gewesen. Die Testreihe hätte ihr Fernbleiben vom Airfield nicht erlaubt. Und ihr Mülleimer wurde bestimmt regelmäßig geleert. Also mußte jemand aus Las Vegas bei ihr gewesen sein oder zu-
mindest dieses Heftchen mitgebracht haben. Ron wollte es schon zum Kognak stecken, als seine Fingerkuppen unregelmäßige Erhöhungen auf der glatten Oberfläche spürten. Er betrachtete sich das Heftchen noch einmal genauer. Die Erhöhungen rührten von Druckstellen her. Auf der Innenseite war mit einem Kuli geschrieben worden. Das heißt, jemand hatte versucht, darauf zu schreiben, das Glanzpapier hatte die Farbe nicht angenommen. Ron hielt die Fläche schräg gegen das Licht, doch in der Kochnische war es zu dunkel. Er ging in den Wohnraum zurück. Am Fenster wollte er seinen Versuch gerade wiederholen, als er Schritte auf dem Flur hörte. Schnell schaute er auf die Uhr. Er war schon eine ganze Stunde da. Draußen tönten Männerstimmen. Sie kamen drohlich näher. In der Wohnung konnte er sich nicht verstecken. Die Außenfassade wäre selbst einer Fliege zu glatt erschienen. Der Balkon glich einer etwas zu wuchtig ausgefallenen Briefmarke. Sich unter dem Bett zu verstecken, schien Ron Myers erstens nutz- und zweitens würdelos. Also was tun? Ein Dietrich wurde im Schloß gedreht. Ein Fachmann hörte das. Ron blieb nicht mehr viel Zeit. Er stand immer noch im Wohnzimmer. Mit zwei Schritten war er an der Tür zum Bad. Nach einer weiteren Sekunde hatte er den Wasserhahn voll aufgedreht. Die Schritte klangen jetzt in der winzigen Diele. Ron holte Atem. Dann schrie er im schrillsten Altweiberfalsett: »Zu Hilfe! Mörder! Einbrecher! Zu Hilfe! Um Himmels willen, warum hilft mir denn niemand?« Mit den Schultern stemmte er sich gegen die Badtür, doch niemand machte den Versuch, sie zu öffnen. Es wurde nur dagegengeklopft. »Aufmachen! Polizei!« dröhnte ein Baß. »Hilfe! Mörder«, rief der »eingebrochene« Kollege mit kreischender Fistelstimme. Die Männer vor der Tür tuschelten miteinander. »Wer sind Sie?« fragte der Baß dann. »Unverschämtheit! Ich bin Miß Cottonbourrough! Was haben Sie in meiner Wohnung zu suchen? Verschwinden Sie, Sie Unhold! Sie Sittenstrolch! Ich bin nackt! Was wollen Sie von einer achtzigjährigen Frau? Ich habe kein Vermögen! Zu Hilfe!« Wieder Gemurmel vor der Badezimmertür. »Aber hier ist doch die Wohnung von Miß Crown. Dr. Joan Crown.«
»Wer sagt Ihnen das? Hier ist die Wohnung von Miß Cottonbourrough. Hier ist meine Wohnung! Verschwinden Sie, oder ich springe nackt aus dem Fenster. Sie werden meinen Tod bitter bereuen, meine Herren. Ich schreie!« »Einen Moment noch, werte Dame. Hier liegt offensichtlich ein Mißverständnis vor. Das ist wirklich nicht die Wohnung von Miß Crown?« »Einen Stock unter mir, Sie Flegel! Appartement 59-59.« Ron Myers hörte, wie die Männer, wahrscheinlich waren sie von der CIA oder zumindest vom FBI, im Sturmschritt den Raum verließen. Er schickte ihnen noch einen spitzen, höchst geschockten Schrei nach. Schade, daß er die dummen Visagen der beiden Männer nicht sehen konnte, wenn sie unten die Tür aufsperrten und auf die echte Miß Cottonbourrough stießen. Ron hatte ihren Namen unten am Klingelbord neben dem Eingang gelesen. Daneben ein kleiner Zettel: »Dreimal läuten! Schwerhörig.« Der Lieutenant auf Abwegen drehte das Badewasser wieder ab und verdrückte sich schleunigst. Die Luft war rein. Der Lift brachte ihn hinunter. Frisch war die Morgenluft, und er überlegte sich ernsthaft, ob er nicht Schauspielunterricht nehmen sollte. Fachrichtung: Alte Damen. * Sie waren mit einer Militärmaschine nach Las Vegas geflogen. Soweit reichten Jo Walkers sogenannte Sondervollmachten gerade noch. Ron lümmelte in einer breiten Liege am Rand des Swimmingpools ihres Hotels, der hiesigen Holiday Inn Dependance. Jo saß neben ihm auf einem Plastikstuhl, hatte das Streichholzheftchen in der Hand. Richtig gegen das Licht gedreht, konnte man den Durchdruck entziffern. 44 55 66. Darunter: Desert Road. Hydrant. Ein bißchen hatten sie ausgeruht, doch zu weiterem Faulenzen blieb leider keine Zeit, so schön das auch gewesen wäre. Walker griff nach einem der herumstehenden Telefonapparate. Nichts Seltsames an sich, denn sie waren ja in Las Vegas, wo der Luxus seine üppigsten Blüten trieb. »Tutet ausgezeichnet«, sagte er nach einer Weile. »Nur abheben
will niemand.« Er wählte eine neue Nummer. »Hallo? Ist dort die Auskunft? – Ach ja. Könnten Sie mal überprüfen, was mit dem Anschluß 44 55 66 los ist? Ich komme einfach nicht durch. Und schon nach der dritten Ziffer kommt immer das Besetztzeichen.« Es verging eine Weile. »Was? Der Anschluß ist in Ordnung? Das verstehe ich nicht. Seit einer geschlagenen halben Stunde versuche ich dort anzurufen. Die Nummer ist doch die vom Golden Nugget? – Was? Nein? Was für eine Nummer habe ich dann hier, zum Teufel! Mir wurde im Hotel die Nachricht hinterlassen, ich solle die 44 55 66 anrufen. Wer ist das nun?« Jo fischte einen Kugelschreiber aus der Jacke und notierte. »Vielen Dank, Madam«, sagte er dann und legte wieder auf. »Und?« fragte Ron Myers. Walker schaute auf das Stück Papier, das er eben beschrieben hatte, und zuckte mit den Schultern. »Macht mich auch nicht klüger. Der Anschluß gehört einer gewissen Lee Caroll. Sagt dir das was?« »Nööö«, meinte der gelernte Cop. »Ist ‘ne spanische Großstadt für mich. Nicht nur ein Dorf.« »Und du bist ‘ne echte Hilfe, Kumpel. Legen wir die Sache also erst mal auf Eis. Wir haben ja noch einen zweiten Anhaltspunkt. Machen wir da weiter.« »Willst du jetzt den Hydranten in der Desert Road anrufen?« »Spaßvogel. Aber wir werden ihm einen Besuch abstatten und ihm höflich die Hände schütteln. Hast du ein Auto besorgt?« »Steht vor der Tür. Der Schlüssel liegt in der Rezeption.« »Und warum liegst du hier noch faul rum? Mach die Beine lang, Bruder. Es gibt Bewegung.« Ron erhob sich gähnend. »Dann wird wohl nichts aus dem Urlaub. Ich habe extra fünfzig Dollar eingesteckt, um mir damit hier ein Vermögen zu machen. Und dann kaufe ich dir deinen ganzen Betrieb ab, und du darfst bei mir arbeiten. Wie findest du das?« »Großartig. Aber komm jetzt.« Der Wagen, ein grasgrüner Ford Falcon, stand auf dem überdachten Parkplatz vor dem Hotel. Ron holte den detaillierten Stadtplan aus dem Handschuhfach. Alle Mietwagen waren damit ausgerüstet. Er zeigte mit dem Finger dorthin, wo die Desert Road lag. »Ganz schön abseits«, kommentierte Jo. »Ich möchte nur wissen,
was sie dort draußen mit einem Hydranten wollen. Ist doch weit und breit kein Haus in der Nähe.« »Vielleicht will die Feuerwehr dort die Wüste löschen, wenn die Sonne mal besonders stark brennt.« »Du hast schon klügere Töne von dir gegeben. Ich gebe das nur ungern zu.« »Bravo.« Kurz darauf waren sie am Wagen. Walker ließ den Motor an. Am Tag sah Vegas ziemlich trist aus. Die rund um die Uhr zuckenden Neonreklamen hatten gegen das grelle Sonnenlicht keine Chance. Die Hotelpaläste wurden weniger, die Häuser niedriger und weniger prächtig. Jo steuerte auf die Ausfallstraße. Ein Wäldchen aus mannshohem Gebüsch tauchte neben der Seite auf. Fast hätte Walker das verwitterte Schild übersehen. »Desert Road« stand drauf. Er bog ab. So legten sie ungefähr drei Meilen zurück. Kein anderer Wagen begegnete ihnen. Der Weg schien ins Nichts zu führen. Nirgendwo auch nur die Spur von einem Hydranten. Die Straße bohrte sich offenbar ziellos in die Wüste. »Hat wohl keinen Sinn herauszufinden, wo diese Staubautobann hinführt«, meinte Myers träge. »Außerdem hab’ ich Hunger.« »Du bist vielleicht ein verfressenes Stück Freund«, sagte Jo. »Aber du hast recht. Kehren wir um.« Er wendete im Sand. Bald tauchten die Büsche wieder auf. »Halt mal, Kumpel. Da vorn ist etwas.« »Ich sehe nichts.« »Jetzt sehe ich auch nichts mehr. Aber halte trotzdem. Ich glaube, ich hab’ was entdeckt.« Walker stoppte Ron stieg aus, ging auf die ersten Büsche am Rand der Straße zu. Dann winkte er Jo. »Bist du auf Öl gestoßen?« fragte Kommissar X im Näherkommen. »Du grinst wie die Großmutter von Mona Lisa.« »Sei doch nur eine Sekunde so ernst wie ich«, maulte Ron Myers. »Kann man mit dir nicht wie mit einem erwachsenen Menschen reden? Schau mal, was deinen lieben Ronny so entzückt.« Er drückte ein niedriges, verstaubtes Gebüsch beiseite und fluchte laut auf. Die Blätter hatten Dornen. »Ja, ja. Der liebe Kolumbus Ron Myers bricht gleich in Freudentränen aus. Wo hast du nur diesen Hydranten her? Zu große Hosentaschen, eh? Oder stand der gar schon vorher hier?« Ron steckte den Finger in den Mund und saugte das Blut von der
Einstichstelle. »Dir werde ich noch mal einen Hydranten in der Wüste finden. Du bist ein Ausbund an Arroganz, Lieblosigkeit und geistigem Tripper. Anstatt aus lauter Dankbarkeit vor mir auf die Knie zu fallen, ergehst du dich in lockeren Redensarten. Ist das fein, frage ich dich?« »Wieso? Ich hab’ doch gar nichts gesagt. Und das mit dem Gehirntripper gebe ich hiermit entschieden zurück. Geh mal zur Seite, du Bulle. Laß ‘nen echten Schnüffler ran.« Männergespräche hatten eben die Eigenart, manchmal auszuarten. Und höchst angespannt waren sie beide. Sie retteten sich mit Kalauern über den Streß. Denn wirklich lustig gestimmt war keiner. Im Gegenteil: Sie fühlten sich mies. Sie litten. Jo untersuchte den Hydranten, der hier in die Landschaft paßte wie eine Palme auf den Nordpol. Er war ja auch nur eine Attrappe. »Ich denke«, sagte er, »wir haben einen toten Briefkasten der verehrten Konkurrenz gefunden.« »Hast du schon mal ‘nen lebenden Briefkasten gesehen? Einen mit zwei Beinen, zwei langen Armen und so, und auch sonst mit allen Schikanen?« »Trottel! Töte Briefkästen sind Orte, an denen vornehmlich Agenten und Spione Nachrichten für ihre jeweiligen Kontaktpersonen deponieren.« »Das mit dem Trottel verzeih’ ich dir noch mal, denn du bist selber einer. Aber das mit dem toten Briefkasten weiß ich natürlich. Und was machen wir jetzt?« »Eine Nachricht deponieren, was sonst? Hast du Zettel und Kugelschreiber dabei?« »Aber immer.« Ron reichte ihm das Gewünschte. »Und wozu soll das gut sein, wenn ich fragen darf?« »Leider kennen wir unsere Gegner gar nicht bis überhaupt nicht. Ich will sie aus der Reserve locken.« »Hoffentlich melden sie sich dann nicht aus einiger Entfernung und mit einer gut gezielten Kugel.« »Du kannst dich ja mit Schmalz eincremen. Vielleicht rutschen die Bullets dann ab. Sag mir jetzt irgendeinen Blödsinn, der entfernt nach einer verschlüsselten Nachricht klingt.« Lieutenant Ron legte gedankenschwanger den Finger an die Nase und sagte: »Wie wäre es mit: Honigsüß leuchten im Winter die Makkaroni?« »Hm. Ein prima Quantum Prosa, doch ich fürchte, du hast das richtige noch nicht ganz getroffen. Außerdem, ich wußte bisher nicht, daß du auch Poet bist.«
»Da staunst du, was? Dabei hab’ ich schon mehr Verse gemacht. Willst du einen hören?« Noch bevor Jo es verhindern konnte, intonierte Ron zur Melodie der »Alten Rittersleut«: »So ein frühes Ritterkindl hat ‘ne elektrische Eisenbahn, und war dann die Bahn kaputt, mußt es sich ‘ne neue kaufen.« »Gut, nicht?« »Hör um Himmels willen auf. Du tust mir weh! Aber eins schwöre ich dir: Wenn jemals der Nobelpreis für Idiotie verliehen wird, kommst nur du als Empfänger in Frage. Ich setze meinen ganzen Einfluß ein.« »Oh, zuviel der Ehre! Aber wenn dir das alles nicht gefällt, schreib doch einfach: J.W. ankommt morgen abend. Golden H. Johanna.« Jo hob die Brauen. »Sehr verschlüsselt klingt das nicht.« »Na und? Du willst doch unsere Feinde kennenlernen? Da darf man in der Wahl der Mittel nicht so wählerisch sein. Außerdem bin ich ja kein ausgebildeter Diplom-Spion. Nur ein New Yorker Bulle, wie du oft genug betonst. Das solltest du mir zugute halten.« »Halte ich ja. Lassen wir es bei diesem Text. Ich bin gespannt, was daraus wird, wenn unser unbekannter Adressat das Briefchen gelesen hat.« Jo schraubte den Wasseranschluß des Hydranten auf. Dahinter lag eine faustgroße Höhlung. Dort hinein legte er den schnell bekritzelten Zettel. Als die beiden Männer eine Minute später wieder im Auto saßen, stand der Hydrant genauso einsam und verlassen wie zuvor. * Lee Caroll war wütend! Erst vor vier Stunden hatte sie die Hiobsbotschaft aus Amarillo erfahren. Nach Dr. Joan Crowns Tod war das Gelände hermetisch abgeriegelt worden. Keine Maus drang mehr durch. Die Kontaktleute hatten nicht mehr erfahren, als jetzt auch in den Zeitungen stand. Eine wissenschaftliche Assistentin sei per Selbstmord verstorben. Die näheren Umstände konnte die Caroll sich ausmalen, sie war ja nicht dumm. Und höchstwahrscheinlich würde das Pentagon einen gigantischen Auftrag an die Aircraft Electronics vergeben. Kalte Rache breitete sich aus. Joan Crown hatte sehr verläßlich gearbeitet, nachdem Lee Caroll
ihr sehr nachhaltig klargemacht hatte, was mit Ben Evans geschehen würde, wenn sie nicht nach ihrer Pfeife tanzte. Sie würden ihn umbringen, den alten Mann, den Ziehvater, an dem Joan mehr als an allem anderen gehangen hatte. Und dann war da natürlich auch die Joan in Aussicht gestellte Eine-Million-DollarPrämie, die dann zahlbar wurde, wenn das Projekt »Strandung« scheiterte. Und wie es jetzt aussah, blieb Lee Caroll auf ihren Plänen sitzen. Sie hatte Irrsinnsbeträge darin investiert, Kopien der französischen Entwicklungen in die Hand zu bekommen. Sie ließ die Zeitung sinken, stand auf. Ihr Alter war schwer zu schätzen. Platinblonde Haare umrahmten ein schmales Gesicht, in dem zwei mandelförmige dunkle Augen glänzten. Die Lippen waren voll, wirkten jedoch jetzt verkniffen. An den Ohren baumelten große, mit Diamantsplittern besetzte Ringe. Die Frau war schlank und böse. Und ihr Entschluß war gefaßt. Wie hatte Fritze Schiller in seiner »Glocke« doch schon so treffend gesagt? – »Da werden Weiber zu Hyänen und treiben mit Entsetzen Scherz…« In diesem Augenblick wurde schüchtern an die Tür geklopft. »Come in.« Lees Stimme klang hart. Ein Mädchen in schwarzem Kleid kam herein. Ein wenig dicklich und mit einer kleinen weißen Schürze vor dem runden Bäuchlein. In ihrem bäuerlichen Gesicht nistete ein gewisses Unwohlsein. Sie mochte ihre Chefin auch nicht, hatte vielleicht sogar Angst vor ihr. »Entschuldigen Sie, Madam. Aber es will Sie jemand sprechen. Er sagt, es sei dringend.« »Laß ihn rein.« Die Tür wurde vorsichtig wieder ins Schloß gezogen. Lee Caroll ging hinüber zu einer italienischen Liege, steckte die Hand unter ein knallrotes Daunenkissen. Sie kam mit einem Revolver wieder, einem Baby Special mit aufgeschraubtem Schalldämpfer. Sie traute nichts und niemandem mehr. »Dummer Hund«, empfing sie ihren Besucher, ließ die Waffe wieder hinters Kissen gleiten. »Du weißt, daß du nicht hierherkommen sollst. Hat dich jemand gesehen?« Der Mann im grauen Straßenanzug und den staubigen runden Schuhen nahm seinen schweißfleckigen Stetson vom Kopf und drehte ihn schuldbewußt in der Hand. »Nein. Niemand hat mich gesehen. Aber ich mußte zu Ihnen kommen. Hier.« Der Mann ging auf sie zu und streckte ihr einen zerknit-
terten Zettel entgegen. »Ich habe heute nachmittag den Hydranten kontrolliert und das da gefunden.« Die Caroll überflog den kurzen Text und ließ ihn auf die Rauchglasscheibe des nächsten Tisches fallen. Das Papier war nicht mehr sauber. Ihr Besucher hatte speckige Finger. Walker versuchte mit ihnen in Verbindung zu treten, warf ihr sozusagen den Fehdehandschuh hin. Na gut, den Kampf konnte er haben. Sie war in der richtigen Stimmung dafür. Auch zweifelte sie nicht an der Echtheit dieser Handschrift. Lee Caroll wußte eingehend Bescheid über Jo Walker. Jeder wirklich große Gangster wußte Bescheid über Kommissar X, wie die Presse ihn seiner spektakulären Erfolge wegen getauft hatte. Eine unbekannte Größe war er längst nicht mehr. »Hol Brendon aus dem Keller«, sagte sie noch. »Er soll seine Schießübungen beenden. Es gibt Wichtigeres zu tun. Und dann verschwinde. Sollte noch so eine Nachricht auftauchen, bring sie mir sofort. Kontrolliere den Hydranten zweimal am Tag. Ist ohnehin schon alles egal.« »Ja, Madam.« Lee Caroll zündete sich eine Zigarette an. Sie brauchte nicht lange zu warten. »Was gibt es, Lee?« Fen Brendon war noch jung und wirkte sehr selbstsicher. Die Mädchen flogen geradezu auf ihn und sein gutgeschnittenes Gesicht. Dummerweise in diesem Fall. Denn Fen Brendon mochte Mädchen nicht. Zumindest nicht ständig. Als Killer war er weitaus besser. Der Mann setzte sich. »Ich sehe dir an«, sagte er, »daß was schiefgelaufen ist. Zwar bin ich nicht in alle deine Geschäfte eingeweiht, doch die Zeitungen habe ich ebenfalls gelesen. Joan ist hops gegangen, nicht wahr?« »Das auch. Bedauerlich. Äußerst bedauerlich. Aber Walker ist in Vegas.« »Dieser komische Kommissar X?« »Ich wollte, er wäre komisch. Ist er jedoch nicht. Ein brandgefährlicher Mann. Und mir scheint, er weißt jetzt schon mehr über uns und unsere Organisation, als uns lieb sein kann.« »Soll ich ihn eliminieren?« Brendons Stimme klang lauernd, lüstern fast. »Verschwinden soll er. Aber nicht so, wie du dir das offenbar jetzt vorstellst. Ich will diesen Bastard lebend haben. Er wird voraussichtlich heute oder spätestens morgen im Golden Heils aufkreuzen. Anders ist diese Botschaft nicht zu verstehen.«
»Allein?« »Er hat einen Kerl dabei, der Ron Myers heißt. Einen New Yorker Cop. Manchmal arbeiten die beiden zusammen. Sie sind befreundet.« »Ach ja. Ich erinnere mich«, sagte Brendon. »Du hattest den Finger ständig auf dem Drücker, warst immer bestens informiert. Ein dufter Typ, dieser Myers…« »Du Idiot bringst es fertig und verliebst dich in die beiden.« Fen Brendon fühlte sich nicht beleidigt. Er lachte locker auf. »Du vergißt, ich bin vielseitig, habe mehrere Hobbys.« Er klopfte selbstsicher an die linke Achsel, wo er seinen langläufigen Colt Cobra wußte. »Der Bulle ist jetzt schon so gut wie tot. Und deinen Jo Walker kriegst du auch. Ich hau’ dann ab. Muß noch ein paar Leute informieren.« »Natürlich. Ruf mich an, sobald sich etwas Neues ergeben hat.« »Okay.« Fen Brendon winkte von der Tür her noch mal grüßend zurück. »Halt, Fen! Du hast etwas vergessen. Wie oft soll ich dir noch sagen, du sollst nicht immer deine Streichhölzer liegenlassen.« Lee Caroll warf ihm das blaue Heftchen mit dem Aufdruck »Golden Heils« zu. Fen Brendon lachte. »Das ist doch nur Werbung. Schließlich gehört mir der Schuppen.« * »Warum müssen wir eigentlich April auch noch dabeihaben«, quengelte der Lieutenant. Seit das Minnesota-Girl seinen etwa hundertundeinsten Heiratsantrag abgelehnt hatte, waren sie nicht mehr besonders gut aufeinander zu sprechen, hielten dennoch wie Pech und Schwefel zusammen, wenn es darauf ankam. So eine Haßliebe kann zwei Leute inniger verbinden als jeder Ehevertrag. »Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste«, sagte Walker. »Bisher ging ja alles einigermaßen glatt. Aber weißt du, was noch kommt? Wir haben hier in ein Wespennest gestochen. Da kann man gar nicht genug auf der Hut sein. Hast du übrigens die Sachen aus dem Elektrogeschäft besorgt?« Anstelle einer Antwort griff Ron Myers auf den Rücksitz und brachte ein kleines Päckchen zum Vorschein. »Hier sind die Sachen. Genau nach Liste.« Jo schaute auf die Uhr. Es war noch etwas Zeit. Er fuhr an den Straßenrand und hielt an.
»Soll ich mir das Zeug jetzt schön anziehen?« fragte der Lieutenant. »Quatsch nicht herum. Mach das Paket auf.« Ron tat, wie ihm geheißen. »Welches willst du?« »Ist doch egal.« Jo nahm eines der Morsegeräte in Empfang. Er hatte das Sakko ausgezogen, es war heiß in Vegas. Den Morsetaster steckte er in den Hosenbund, führte den Draht dazu direkt hoch zur Tasche seines Hemdes und steckte den kleinen Sender hinein. Größer als eine Pakkung mit Zigarillos war er nicht und genauso flach. »Und du machst jetzt dasselbe. Hoffentlich hast du das Morsen nicht verlernt.« »Ich hab’ das Morsealphabet schon mit der Muttermilch eingesogen«, brüstete sich Myers. »Das hat vielleicht geschmeckt!« »Das Alphabet?« »Nein. Die Mischung.« Ron legte sich sein Gerät ebenfalls um. Die Batterien waren im Kästchen mit dem Sender. Er schaltete ihn ein, drückte auf die Taste, die ihm aus dem Hosenbund schaute und mit einer Klammer befestigt war. Bei Jo summte es dezent im selben Rhythmus. Er empfing Rons Nachricht und mußte lachen. Sie hieß: »Dann soll ich heute abend also tatsächlich im Auto auf die Ganoven warten, während du gemütlich im Golden Heils sitzt, schamlos mit April flirtest und Whisky in dich hineinlaufen läßt?« »Goldrichtig. Over«, morste Jo zurück und ließ grinsend den Motor wieder an. »Scheißspiel«, sagte Myers und schaltete sein Gerät aus. Die Nevada Avenue, die zum Flughafen hinausführte, war zur Abendzeit dicht befahren. Walker hatte Schwierigkeiten, sich wieder in den Verkehr einzufädeln. Über dem Himmel, der nun bereits schnell zu dunkeln begann, blitzten die Positionslichter der Flugzeuge, die auf ihre Landegenehmigung warteten. Las Vegas hatte Hochsaison. Trotzdem fand Jo einen Parkplatz in der Nähe des Ankunfts-Terminals. Hektische Betriebsamkeit umfing die beiden Freunde. Lautsprecherdurchsagen gaben letzte Reiseinformationen. Es ging zu wie in einem Bienenkorb. Jo und Ron steuerten den PanAm-Schalter an. Mit einer Boeing 727 würde April um 18 Uhr landen. Es war noch eine Viertelstunde bis dahin.
»Genehmigen wir uns noch einen Schluck?« fragte Myers, und Walker war nicht dagegen. Bars standen fast ebenso massenweise herum wie Spielautomaten. Nicht einmal Gott war in Las Vegas allgegenwärtiger. »Dann ist für heute abend alles klar?« versicherte sich Walker, an einem Scotch on the rocks süffelnd. Er hatte das ungeliebte Eis, das noch die edelste Marke verdarb, nicht mehr verhindern können. »Sicher«, antwortete Ron. »Du amüsierst dich königlich mit April, und ich langweile mich im Auto. Wozu eigentlich diese ganzen Umstände?« »Weil mich unsere Gegner im Gegensatz zu dir und der Bondy höchstwahrscheinlich kennen. Also wirst du auf den lieben Jo aufpassen, während er sich mutig in die Höhle des Löwen wagt. Unser Zettel wurde inzwischen bestimmt gefunden. Man wird mich vermutlich im Golden Heils bereits erwarten. Und da ist es beruhigend zu wissen, daß ein Freund in der Nähe ist, der auf einen aufpaßt. Du bist sozusagen mein Trumpf in der Hinterhand für den Fall, daß es brenzlig wird. Ich morse dann still und heimlich mein SOS, und schon ist Kamerad Myers zur Stelle, um mich wieder aus der Patsche zu ziehen.« »Deine Strategie rührt mich gnadenlos«, meinte Lieutenant Ron. »Hat es dir beim letztenmal, als ich dich rettete, gleich so gut gefallen?« »Der Mensch gewöhnt sich an alles«, antwortete Jo Walker weise. »Und empfängt man so eine Dame? Ihr süffelt hier Whisky, während ich mir die Augen nach euch ausgucke.« April Bondy war unbemerkt hinter sie getreten, fiel Jo ungeniert um den Hals und bedachte ihn mit einem sehr feuchten und sehr freundschaftlichen »Schmatz«. »Und wer küßt mich?« maulte Myers. »Du darfst meinen Koffer tragen. Ist das etwa gar nichts?« Sie drückte ihm ein opulentes Behältnis aus Schweinsleder in die Hand. Ron sackte prompt halbseitlich zusammen. »Schleppst du neuerdings schußsichere Höschen und Büstenhalter aus Titanstahl mit dir herum?« fragte er. »Ist ja irrsinnig schwer!« April lachte hell. »Erstens trage ich keinen BH und zweitens habe ich mir vor dem Abflug noch zwei Säcke mit Münzen besorgt. Wenn mich mein Brötchengeber schon mal unvermutet nach Las Vegas einlädt, möchte ich auch spielen.« Jo sah Ron Myers an. Die Stirn hatte sich gerunzelt »Hey, Lieutenant! Du hast doch mit dieser netten Dame telefoniert!
Was, zum Teufel, hast du ihr erzählt?« Myers schämte sich kein bißchen. »Och. Nichts Besonderes. Nur daß wir unseren Auftrag erledigt hätten und jetzt ein paar Tage die große Sause machen. Ob sie nicht kommen möchte. Sie sei herzlich eingeladen.« »Und dann hab’ ich sofort meinen Koffer gepackt und bin ins nächste Flugzeug gestiegen.« Die Bondy strahlte glücklich. »Ich hab’ schon seit Ewigkeiten keinen richtigen Urlaub mehr gemacht.« Ron Myers unterzog seine Schuhspitzen einer eingehenden Betrachtung. »Ich wollte nicht mit allem so direkt ins Haus fallen«, meinte er schließlich. »Man hat doch ein Herz im Leib. Ich dachte, du würdest es April lieber selbst sagen, was hier tatsächlich langgeht.« »Äußerst mitfühlend von dir«, knurrte Jo. »Wirklich. Sehr anständig. Wir sprechen uns später darüber.« »Warum? Was ist?« fragte die Bondy, leicht verwirrt. »Irgend etwas nicht in Ordnung?« »Hm. So könnte man es nennen«, sagte Walker. »Ron hat wohl leicht untertrieben, wenn er andeutete, daß es hier rundginge. Wir haben uns – so wie es aussieht – mit einem Spionagering angelegt. Und die Leute, denen wir in Amarillo die Tour vermasselt haben, werden vermutlich ganz schön sauer auf uns sein.« Ron Myers schaute wieder auf. »Aber du bist mit Sicherheit die schönste Zielscheibe von uns allen«, erklärte er in einem Zustand neuer gelassener Heiterkeit. Bei ihm hatte jede Art von Reue keine bleibende Chance. * April hatte sich umgezogen und sah hinreißend aus. Das Dekollete ihres Goldlamekleides war mehr für die Mode am Nacktstrand entworfen. Es reichte vorne zwischen den Brüsten bis zum Nabel und hinten ließ es noch die beiden Grübchen über dem Po erkennen. Was für den Rock noch übrigblieb, war so mini, daß es kaum einer Erwähnung bedarf. Der Saum bestand hauptsächlich aus Fransen, die neben gewissen anderen Teilen bei jedem Schritt lustig wippten. Kein Wunder, daß im Golden Hells kein Mann mehr einen Blick auf die Stripperin warf, die sich im Rotlicht entblätterte, als Jo und die Bondy das Lokal betraten. Die wenigen Frauen bemühten sich woanders hinzusehen und zupften ihre Männer oder Abendbekanntschaften egoistisch am Ärmel. Ron Myers parkte etwas weiter weg.
Jo Walker hatte einen Tisch auf seinen Namen reservieren lassen. Ein fetter Ober, der manchmal auch tote Briefkästen leerte, geleitete ihn hin. Er sah aus wie der gemästete Sohn von Dr. Mabuse. Nicht sehr vertrauenerweckend, doch immens flink. Geschickt wieselte er seine Massen zwischen den schmalen Tischreihen hindurch und hatte schon die Stühle zurechtgezogen, als Jo und April ankamen. Sie setzten sich. Langsam, aber ungern wandten sich die Blicke der Männer wieder der Fläche zu, auf der die Stripperin sich zu ihren verschiedenen akrobatischen Verrenkungen hinreißen ließ. Sie war genauso zweitklassig wie das ganze Lokal. Die Musik kam von einem Tonband. Sie war leicht indianisch angehaucht wie die Tänzerin und fast ebenso alt. Jo besah sich lieber die Getränkekarte. Gegessen hatten sie wohlweislich bereits im Hotel. Das Lokal war nicht sehr groß, nur sehr dunkel. Das Mitternachtsblau der Wände und Decken schien schwarz beim Licht der Quarzlampen. An die Decke waren leuchtende weiße Sterne geklebt. Alles übrige war in roten Farben gehalten. Hellrot die Tische, blutrot die Plastikpolster und der Teppichboden. Nur die Bar war grün gestrichen. Ein Keeper polierte Gläser. Er hatte noch keine Gäste. Jo orderte einen Scotch ohne Eis für sich und einen Manhattan für April. Ein bißchen Heimweh mußte sein. An Walkers Hosenbund begann es plötzlich zu summen. »Mir wird es langweilig«, morste Myers. »Kannst du mir nicht ein paar lockere Weiber schicken? Dieser Laden ist doch ein verkappter Puff.« »Alles geschlechtskrank«, morste Jo zurück und schaltete ab, weil ein Gast an der Bar aufgetaucht war. Er bestellte einen Drink, doch er bezahlte nicht. Der Keeper polierte seine Gläser schneller. Der Mann war noch jung, sah gepflegt aus, hatte ein beinahe freundliches Gesicht, aber sein Lächeln war hart und berechnend. Er kniff die Augen zusammen, als er in die Runde schaute. An Walker und der Bondy blieb sein Blick einen Moment hängen, wanderte jedoch schnell wieder weiter. »Heavens«, flüsterte April. »Der sah uns an wie ein Bestattungsunternehmer, der die Größe eines Sarges abmißt.« »Vermutlich hast du gar nicht so weit danebengeschätzt«, flüsterte Walker retour. »Ich spür’s in allen Knochen, daß der Tanz bald losgeht.« Seine Geduld wurde auf keine harte Probe gestellt. Fen Brendon löste sich vom Tresen, sprach unterwegs noch zwei andere Männer
an, wahrscheinlich Stammgäste, und näherte sich dann Jos Tisch. Er lächelte gewinnend. »Guten Abend. Darf ich Sie als Geschäftsführer dieses Hauses willkommen heißen?« »Ja«, antwortete Walker. Er hielt nicht viel von großen Umständen. »Ich war schon oft in Vegas. Aber hier bin ich zum erstenmal.« Brendon zwinkerte trotz Aprils Gegenwart frech mit einem Auge. »Die meisten Gäste kommen nur auf Empfehlung hierher. Wir haben – sagen wir mal – viel zu bieten.« »Ich weiß«, meinte Jo. »Ich weiß.« »Darf man fragen, wer Ihnen mein Lokal empfohlen hat?« »Ach. Das ist kein Geheimnis. Eine gewisse Dr. Joan Crown aus Amarillo. Leider kam sie nicht mehr dazu, mir zu erzählen, womit sie erpreßt wurde.« Brendons Lächeln gefror zur Grimasse. Mit diesem verbalen, so locker hingeworfenen Frontalangriff hatte er wohl nicht gerechnet. Er wurde etwas käsig um die Nase. Seine Hände zitterten. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen!« Jo schaute auf die Armbanduhr. »In ein paar Minuten werden Sie klüger sein«, meinte er. »Dann sind die G-men vom FBI zur Stelle.« Brendons Finger hörten auf zu zittern. »Jetzt hätten Sie mich um ein Haar geschafft, Walker. Aber das eben war ein mieser Bluff. Hätten Sie tatsächlich etwas gegen uns in der Hand, würden Sie das nicht gesagt haben. Al-right? – Sie brauchen nicht zu antworten. Zwei Waffen sind auf Sie beide gerichtet, seit Sie so unverschämt mein Lokal betreten haben.« Walker blieb unbeeindruckt, allem Anschein nach. Er hatte sich mit der Bondy vorher ausgiebig besprochen, und diese hübsche Frau war alles andere als ein bloßes Häschen. Von Karate verstand sie mehr als mancher Meisterschüler. »Dann nehme ich an, daß ich mit Ihnen losziehen soll?« fragte Jo. »Es freut mich, daß Sie so schnell kapieren, Mister Kommissar X. Wenn Sie vernünftig sind, wird Ihnen und Ihrer Begleiterin nichts geschehen.« Eine knüppeldicke Lüge. Natürlich. Brendon hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als die Bondy auch schon blitzschnell hochfuhr und zur Seite steppte. Während sie noch Brendons Knie halb kaputt trat, warf Jo sich nieder. Etwas zurrte an ihm vorbei. Unsagbar schnell und heiß. Lee Carolls Killer kam hinkend wieder hoch, geriet dabei in zwei Schußlinien. Brendon hatte nicht übertrieben. Doch seine Leute konn-
ten nicht mehr abdrücken. Bevor sie ihre Position wechselten, waren Jo und April bereits in der Nähe des Ausgangs. Zu weit ab vom Geschehen, um noch eine plazierte Kugel einfangen zu können. Zum Glück stand genau vor dem Haus ein Taxi. Walker riß den Wagenschlag auf, drückte April ins Innere und zwängte sich hinterdrein. Gerade noch rechtzeitig. Denn schon tauchte im Eingang einer der Schützen auf. Doch er machte keine Anstalten, ihnen nachzufeuern. Er steckte seine Kanone sogar zurück. »Huch«, sagte die Bondy. »Nehmen Sie Ihre Pfoten weg!« Walker sah jetzt erst in das Dunkel des Wagens. Ein Mann saß am anderen Fenster und hatte einen Revolver auf April gerichtet. Die Falle mit dem doppelten Boden. Jo hätte sich ohrfeigen mögen! »Keine Bewegung, Mister Walker. Sonst ist ihre kleine Freundin tot.« Der Mann hatte slawische Gesichtszüge, sprach einen polnischen Dialekt. Im Auto begann es zu summen. An den Türen rasteten Sperren ein. Und an Jos Hosenbund summte es auch. Walker hatte vergessen, sein Gerät auszuschalten. Mit einem schnellen Griff faßte der Mann zu ihm hinüber und bekam einen Draht in die Hand. Er riß daran. »Wir machten uns schon Gedanken darüber, wie Sie mit Ihrem Freund Ron Myers in Verbindung stehen. Er parkt doch drei Häuserblocks weiter in einem grünen Ford Falcon, nicht wahr?« * Ron hatte bemerkt, wie die Leitung unterbrochen wurde. Und ein paar hoffnungslos verstümmelte Signale aus einem Kampfgetümmel empfangen. Er sah auch die Figuren, die auf ihn zukamen und überlegte nicht lange. Ron zog den Kopf in den Kragen, ließ den Motor an und gab Gas. Der Kerl, der sich von der Frontseite her näherte, hielt eine Pistole in der Faust, hob den Arm, zielte. Und bei Lieutenant Myers bewährte sich jetzt die beinharte Schule, durch die einer geht, wenn er bei einem New Yorker Morddezernat beschäftigt ist und jede Zimperlichkeit im Umgang mit Berufsverbrechern verlernt hat. Die Silhouette hob sich nur undeutlich gegen die Lichtreklamen ab. Da war er schon heran. Dumpf knallte es in der Höhe des rechten Scheinwerfers. Eine Männerpuppe flog unförmig zur Seite, den Mund zu einem Schrei geöffnet. Ron prügelte das Gaspedal bis zum Anschlag durch, doch der Wa-
gen zog nicht. Neben dem Auto brüllte jemand tierisch auf. Das rechte Vorderrad drehte scheinbar leer auf dem Asphalt. Das Wagenheck wich zur Seite aus, erwischte einen weiteren der Ganoven, und dann hatte der dritte Mann offenbar keine Lust mehr auf einen Nahkampf. Er rannte davon, wie von tausend Steuerfahndern gehetzt. Es wurde laut auf der Straße, der Lieutenant wagte sich trotzdem ins Freie. Denn bald würden ein paar Sirenen aufheulen, und er wollte sich nicht auch noch mit Kollegen auseinandersetzen. Zuviel Ärger, zuviel Zeitverschwendung. Schließlich kannte er den Betrieb. Er hätte es vielleicht bleibenlassen sollen, dieses Aussteigen, denn nun stolperte er beinahe über die seltsam verdrehten Beine. Die Leiche sah gräßlich aus. Beim Sturz hatte sich das Jackett des Gangsters an der Stoßstange verfangen, der Körper war unters Vorderrad geraten, und nun wußte der Lieutenant auch, warum es durchgedreht hatte. Ron folgte dem Flüchtigen, vorbei an dem stöhnenden Bündel heckwärts. Eine schmale Gasse führte von der Straße weg. Die Gestalt hetzte ihm voraus, jetzt blieb sie abrupt stehen, kniete nieder und brachte eine Waffe in Anschlag. Myers warf sich zur Seite, seine Schulter schrammte über eine rauh getünchte Hauswand. Keine Sekunde zu früh. Wo er eben noch gestanden hatte, raste ein Projektil, jaulte, von irgendwo abgeprallt, als Querschläger weiter. Auch Ron schoß, und er ließ sich die entscheidende Idee mehr Zeit dafür. Die kniende Gestalt kippte um, Myers stürmte weiter. Er fühlte sich nicht zur Ersten Hilfe berufen, wenn Jo und April mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einer bösen Klemme steckten. Da heulte auch schon die erste Polizeisirene auf. Myers’ Ziel jedoch war das Golden Heils. Von der rückwärtigen Straße wurde das Gebäude durch einen kleinen Garten getrennt. Einige Fenster stanzten ihre hellen Gevierte aus der Nacht. Durch das Hofgitter sah Ron ein parkendes Auto. Das Tor war nicht geschlossen, doch es kreischte in den Angeln, als der Lieutenant hineinschlüpfte. Das Haus war nur zweigeschossig. Eine Feuerleiter würde er hier vergeblich suchen. Auch die Dachrinne sah nicht recht massiv aus, doch Ron wollte es trotzdem versuchen. Er spuckte in die Hände und zog sich am Blech hoch, bis er mit dem Fuß ein schmales Fenstersims erreichte. Danach faßte er über die Mauerkante und fand Halt. Das Oberlicht war offen, ein Flügel nur angelehnt. Einschmeichelnde Musik drang heraus, ein asthmatisches Keu-
chen und eine Wolke süßlichen Parfüms. Ron drückte das Fenster nach innen bis zum zugezogenen Vorhang durch, das Keuchen wurde lauter. Er hatte seine Walther PPK wieder in der Rechten. Mit der Linken fegte er den Vorhang zur Seite und sprang ins Zimmer. »Bitte, sich nicht stören zu lassen«, meinte er grinsend zum Bett hinüber. Das Pärchen fuhr auseinander, die Stripperinnen im Golden Heils strippten nicht nur. Dem Freier kippten die Kinnladen auf halbmast. Die Frau war von ihm weggerutscht, und er versuchte, seine Männlichkeit mit beiden Händen zu verdecken. Es gelang ihm spielend, wie Ron Myers unschwer feststellte. Eine hätte schon gereicht. »Nicht schreien!« warnte er, doch auch das wäre nicht nötig gewesen. Den beiden Gymnastikern war der Schreck bis ins allerletzte Glied gefahren, sie brachten keinen Ton heraus. Die Frau hatte sich als erste gefangen. Sie war ein eiskalter Profi. »Was wollen Sie hier? Sie sind noch nicht dran…« »Das hab’ ich gerade noch mitgekriegt«, meinte Myers lapidar, denn ein Profi und Hansdampf in sämtlichen Gassen war auch er. »Ich hoffe, Sie sind nicht allzu pingelig mit Ihren Moralbegriffen.« Er sah, wie die Frau sich zum Tischchen neben dem Bett vortastete. »Ach ja. Und noch etwas. Wenn Sie Ihre Finger auf das Knöpfchen einer Alarmanlage drücken wollen, puste ich Ihnen vorher den Schädel vom Rumpf. Eine Warnung in aller Herzensgüte.« Die Frau zog die Hand zurück. »So gefallen Sie mir schon besser. Und jetzt stellen Sie sich beide an die Wand.« Endlich glaubte auch der Mann, oder besser gesagt, das Männchen, etwas verlautbaren zu müssen. Er hatte ein rosiges Bäuchlein und ein knappes Dutzend grauer Haare auf der Brust. So, wie er kurzsichtig auf Ron Myers starrte, mußte er normalerweise eine Brille tragen. »Ich – ich werde mich beschweren?« japste er. »Halt den Rand, Dickerchen«, erklärte Lieutenant Ron gutmütig. »Sonst erzähl’ ich’s dem lieben Gott, daß du’s mit Huren treibst. Was glaubst du, wie tiefer dich in die Hölle steckt.« Die Frau war schon aufgestanden und an die Wand gegangen. Ihr Bettpartner schien noch unschlüssig. »Na, wird’s bald?« scheuchte Ron ihn auf.
Das rosige Männchen wollte ein Kissen mitnehmen. Soviel Aufwand für nichts. »Hände hoch, verdammt noch mal!« Die Gesichtsfarbe wechselte zu einem wenig kleidsamen Violett über. Doch dann gehorchte er und schlich sich neben seine gekaufte Liebe. »Und nun eine kleine Auskunft, Verehrteste.« Jo hatte ihm noch ein paar Informationen durchmorsen können. Ron beschrieb den Geschäftsführer. »Wie heißt der Knabe?« fragte er zum Schluß. »Fen Brendon«, antwortete die Fleischverkäuferin. Ihr Busen wakkelte in verhaltener Wut. »Er wird Sie in Ihre Atome zerlegen, wenn er das hier erfährt.« »Ich sag’s ihm gern selber, wenn Sie mir nur erzählen, wo ich ihn finde.« »Den Gang raus, links entlang und dann die letzte Tür an der Stirnwand.« »Wehe, wenn es nicht stimmt. Dann komm’ ich wieder und näh Ihnen mit ‘ner Stricknadel ein Feigenblatt über das Pelzchen. Haben wir uns verstanden?« Auf einem Stuhl neben dem zerwühlten Bett sah Ron die Hose des Mannes. Bei seiner Figur benützte er sicher Hosenträger. Myers hatte sich nicht getäuscht. Er warf die Gummiriemen dem Schlotternden zu. »Fesseln Sie die Kleine«, befahl er. Die Dirne legte von selbst die Hände auf den Rücken, und das Männchen schlang einen Knoten. Ron prüfte ihn. »Niederknien«, sagte er dann zur Frau. Sie tat es. Der Lieutenant mit den etwas rabiaten Gepflogenheiten fast aller New Yorker Cops – Softies hatten in diesem Gewerbe keine Chance -, paßte auf, daß der verhinderte Liebhaber keinen Unsinn machte, doch der war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Die Angst saß ihm wie ein Geier im Nacken. Ron nahm die Füße der Frau und zog sie straff über die am Rükken gefesselten Hände. Sie mußte ihr Kreuz dabei ziemlich hohl machen. »Das tut doch weh!« »Bis Sie die nächste Packung Pillen anbrechen, ist das alles längst vergessen«, versuchte Myers sie zu trösten, hatte jedoch sichtlich nicht viel Erfolg mit dieser seiner Bemühung. Dann knöpfte er sich den Mann vor, wickelte ihn wie ein Baby ins Bettuch, verknotete fachgerecht die Zipfel und schob das Bündel unters Bett.
»Mund auf«, sagte er schließlich zur Frau. »Ich muß Sie leider knebeln.« »Sie denken wohl an alles.« »Natürlich. Ich bin ein diplomierter An-alles-Denker. Und vor allem bin ich überzeugt, daß Sie eine wunderbare Singstimme haben, mit der sie das ganze Haus zusammenplärren könnten. Doch das wäre meinen Plänen hinderlich. Ich meine es ernst.« »Das hab’ ich bemerkt. Sie sollten besser doch rechts den Gang hinuntergehen und die Tür an der Stirnwand jener Seite anpeilen.« »Aha. Das Fräulein wollten mich verkohlen. Gut, daß Sie sich’s in letzter Sekunde anders überlegt haben. Denn wenn ich erst mit der Nadel und dem Faden gekommen wäre… Ihrem Geschäft hätte das sehr geschadet.« Ron nahm einen schwarzen Netzstrumpf und stopfte ihn der Frau in den Mund. Den anderen Strumpf band er ihr um den Kopf, so daß sie das Knäuel nicht mit der Zunge herausstoßen konnte. »So long«, grüßte er schließlich und machte das Licht aus. Die Musik dudelte weiter. Vorsichtig spähte er in den langen Flur. Niemand zu sehen. Er schlich auf die angegebene Tür zu. Dahinter wurde gesprochen. Ein Mann telefonierte. Myers verstand jedes Wort. »Was? Ihr Idioten habt ihn entkommen lassen? – Sam ist tot? Ihr verdammten Hornochsen. – Er wohnt ebenfalls im Holiday Inn. Hol dir Verstärkung, und dann paß ihn ab, wenn er zum Hotel kommt.« Es wurde aufgelegt. Gleichzeitig riß Ron die Tür auf. Seine Walther zeigte genau auf Brendons Nabel. »Ich gehe noch gar nicht schlafen, Partner. Zuerst hab’ ich noch ein paar Takte mit Ihnen zu reden. Finger hinter den Kopf. Aber dalli!« Fen Brendon war grau geworden. »Dacht’ ich mir’s doch, daß Sie nicht mehr mit meinem Besuch gerechnet haben. Wo ist Jo Walker?« »Was wollen Sie hier? Von wem sprechen Sie?« »Halt dich nicht mit überflüssigen Höflichkeitsfloskeln auf«, riet der Lieutenant, zum vertraulicheren Du überwechselnd. »Sonst poliere ich dir den Schnabel, daß dein ganzes Gesicht nur mehr aus lauter aufgeschwollenen Lippen besteht. Und weg vom Schreibtisch. Du sollst die Hände in den Nacken legen, habe ich gesagt.« Fen Brendon verließ das Möbel. Die Arme hielt er halb hoch. »Du hörst schlecht, Bruder«, meinte Ron und war mit zwei Schritten am Mann. Doch der hatte nur darauf gewartet. Er rechnete clever
damit, daß Myers nicht schießen würde. Im Nu wäre die Bürobude gerammelt voll gewesen. Brendons Hände zuckten auf Ron zu, der duckte sich kurz weg. Mit der Revolverhand schlug er nach oben. Er traf den Killer und Gastwirt und Zuhälter mit dem Lauf der Waffe am Arm. Der Gangster jaulte auf. Danach ging Myers mit dem Kopf wieder hoch und knallte gegen das Kinn Brendons. Dessen Schädel flog zurück. Ron stand wieder gerade. Er holte aus. Das Korn der massigen Pistole zog eine Furche über die Wange des Gegners. Myers trat nach, und mit einem Krach schmetterte er ihm eine linke Gerade an die Augen. Brendon verlor das Gleichgewicht und stürzte. Im Fallen griff er in die Innenseite seines Dinnerjacketts. Ron sah das und sprang mit beiden Beinen auf den Revolver und die Revolverhand des liegenden Fen Brendon. Der wollte jetzt losbrüllen, und deshalb schlug ihm der Lieutenant die Schuhspitze an die Schläfe. Brendon schloß überaus hurtig beide Gucker. Myers hob die Waffe auf, warf sie mit gezieltem Schwung in den Papierkorb. Auf der Tischplatte stand eine Flasche mit grünem Inhalt. Ron roch daran. »Brrr«, machte er dann angeekelt. »Pfefferminzlikör. Den würde ich ja nicht einmal zum Gurgeln nehmen.« Doch er leerte die Flasche über den Bewußtlosen. Das Zeug würde immerhin höllisch brennen in der offenen Wunde, und was konnte man von einem Creme de Menthe schon mehr erwarten. Der plötzliche Schmerz holte Brendon in die Gegenwart zurück. Er wollte instinktiv schreien, doch Ron hatte ihm ebenso instinktiv schon vorher den Lauf seiner Walther PPK tief in den Rachen geschoben. »Du brauchst gar nichts zu sagen, Bürschchen«, zischte er. »Vorerst reicht es mir vollkommen, wenn du nur mit dem Kopf nickst. Klar?« Brendon nickte. »Du hast einen Wagen?« Der Kopf sank. Mit der freien Hand tastete Myers an die Hosentaschen. Er spürte den Schlüsselbund. »Weißt du, wo Walker und Miß April Bondy stecken?« Brenden mampfte etwas Undeutliches und drückte verzweifelt das demolierte Kinn zur Seite. Er versuchte zu sprechen. Myers hatte einen sehr, sehr harten Schädel. Der Lauf der Mündung wanderte weiter auf den Adamsapfel des Gangsters.
»Und keine falschen Töne, bitte. Wenn ich jetzt abdrücke, ist das überhaupt nicht mehr laut.« »Sie sind in ein Landhaus gefahren«, würgte Brendon. »Adresse?« »Es hat keine Adresse. Es liegt am Ende der Desert Road.« »Was will man von Jo? Wer steckt dahinter?« »Weiß ich nicht genau. Ich habe nicht viel zu sagen in diesem Verein. Wir sollten ihn nur lebend fangen und Sie umbringen.« »Mich? Das sind ja herzige Pläne. -Und warum sollte Walker verschont bleiben? Der hat ja nicht mal Pensionsberechtigung!« »Weiß ich doch nicht. Wirklich nicht. Sie müssen es mir glauben.« Der Mann sprach die Wahrheit. In der Verfassung, in der er sich zur Zeit befand, konnte er nicht mehr lügen. »Na gut«, entschloß sich Ron Myers. »Dann begleitest du mich jetzt in dieses feine Landhaus. Was erwartet uns dort?« »Der Tod.« »Nun übertreib doch nicht schon wieder. Was das dich anbelangt, magst du ja recht haben. Aber bei mir doch nicht. Ich hab’ dich doch als Geisel.« Brendon grinste verzerrt. »Darauf würde ich mich nicht verlassen. Die schießen mich genauso nieder wie Sie.« »Wer ist das: die…?« »Die Organisation. Sie handelt mit Nachrichten und Informationen. In mehreren Ländern gibt es ähnliche Häuser wie das Golden Heils. Und was man hier erfährt, wird verwertet.« »Wer leitet den Ableger für Las Vegas?« »Sie heißt Lee Caroll.« »Ist sie auch im Landhaus?« Brendon nickte. »Dann wollen wir die Dame doch mal besuchen. Ich bin ganz verrückt nach Damen. Kann es gar nicht erwarten, sie an meine Heldenbrust zu drücken. Nun komm schon mit, du süßer, kleiner Likörsäufer.« Ron zog den Gangster hoch und stellte ihn auf die Beine. »Mein Arm!« stöhnte Fen Brendon plötzlich. »Ich kann meinen rechten Arm nicht mehr bewegen! Er ist gebrochen!« »Merkst du das jetzt erst?« * »Guten Abend, Mister Walker. Freut mich sehr, Sie zu sehen. Und
das ist gewiß Ihre reizende Vorzimmerdame und gelegentliche Assistentin Miß April Bondy. Niedlich. Wirklich sehr niedlich. Ich bewunderte Ihren Geschmack.« Die Frau trug ein hochgeschlossenes schwarzes Kleid, das wie eine zweite Haut auf ihren Körper gegossen schien. Es verbarg keine einzige Hautfalte, und die wichtigeren Dinge gleich dreimal nicht. »Die Freude ist ganz Ihrerseits«, meinte Jo. »Missis…« »Miß Caroll Mister Walker. Ich bin noch zu haben. Außerdem wüßte ich tatsächlich keinen Grund dafür, warum Sie sich über meine Bekanntschaft freuen sollten. Ich verstehe das sehr gut. Ihnen ist allmählich klargeworden, weshalb ich Sie zu mir gebeten habe?« »Darf ich raten? – Sie wollen mit mir schlafen…« »Ihr Selbstvertrauen ist vollkommen fehl am Platze.« Lee Caroll wurde eisig. »Ich fürchte beinahe, Sie verkennen den Ernst der Lage. Andererseits ist mir natürlich unter vielem anderen über Sie bekannt, daß Sie dem lockeren Umgangston den Vorzug geben. Doch sollten Sie immer noch die Hoffnung hegen, daß Ihr Freund, dieser komische Lieutenant, Ihnen aus der Klemme helfen könnte, muß ich sie enttäuschen. Ich setzte meine besten Leute in Vegas auf ihn an und warte nur mehr auf die Vollzugsmeldung. Die Lage ist absolut nicht rosig für Sie, Mister Walker.« Jo gab es einen Stich. Ein Rudel schwer bewaffneter Gangster war auch für Ron Myers ein verdammt harter Brocken. Er hatte ihn kaum mehr warnen können. Jo mußte sich sehr zusammenreißen, um seine Fassung zu bewahren. Seine Stimme klang trotzdem fest, als er weitersprach. »Ich weiß zwar nicht, was Sie vorhaben, aber ich weiß, daß Ihre Pläne mißlingen werden, wie immer sie auch aussehen mögen.« »Lassen Sie das nur meine Sorge sein. Ihre Kommentare brauche ich nicht. Sie werden schon tun, was ich von Ihnen verlange.« »Haben Sie sich da nicht zuviel vorgenommen?« Die Frau lächelte böse. Sie hatte kleine, weiße Raubfischzähne. »Ich nehme mir normalerweise nie zuviel vor. Doch ich gestehe, daß Sie meine Vorhaben bezüglich des Weiterverkaufs eines im Ausland entwickelten Automatic-Landing-Systems an die US-Regierung sehr empfindlich, ja sogar nachhaltig gestört haben. Also muß ich auf die kleinere Lösung zurückgreifen. Oder auf den Abfall, der mir noch blieb, um wenigstens einen Teil der Investitionen wieder hereinzubringen. Und dieser Abfall sind Sie, Mister Walker…« »Zuviel der Ehre«, antwortete Kommissar X kalt. »Keine Ahnung, wie Sie das anstellen wollten. Vielleicht hätten wir uns besser verstanden, wenn wir uns irgendwo auf dem Strich begegnet wären?«
»Ich warne Sie, Walker! – Igor! Mach ihn fertig!« Der Mann mit den slawischen Gesichtszügen griente. Bei ihm bleckten die Zähne gelb. Ein anderer Kerl, ein Berg von einem Kerl – er hatte den Wagen gesteuert -, trat hinter Jo und zog ihm die Ellbogen in den Rücken. Er hätte sich in jeder Maschinenfabrik als Schraubstock anheuern lassen können. Igor steckte seinen Colt weg und holte einen Schlagring aus der Seitentasche seines Sakkos. »Ins Gesicht, Madam?« »Nein, Igor. Mit ausgefransten Lippen kann er nicht mehr sprechen.« April schrie auf, doch ein dritter Mann im Raum, ein Bastard mit dem Nacken eines spanischen Kampfstiers, schlug der Bondy ins Gesicht, daß sie vier Yard weiter gegen die Wand klatschte. »Gut, Bombie«, kommentierte Lee Caroll. »Sorge dafür, daß sie nicht mehr stört.« Igor hatte schon ausgeholt. Er traf präzise. Jo hatte zwar mit Schmerzen gerechnet, doch trotzdem quetschte sich ein unterdrückter Schrei aus seiner Brust, als die Stahlkanten ihm über die Rippen fuhren. Danach blieb ihm die Luft weg. Nicht mal für einen weiteren Schmerzenslaut war auch nur ein halbes Atü übrig. »Immer noch widerspenstig, Walker?« Jo nahm seine Umgebung nur mehr aus tränenden Augen wahr. Er war trotz des Stahlgriffs in der Hüfte eingeknickt. »Mach’s noch mal, Igor. Er scheint mir noch zu munter.« Der Slawe holte aus, zog den Schlagring über Jos rechte Schulter. Der Anzug ging in Fetzen. »Das war nur eine gutgemeinte Warnung, Walker. Ich hoffe, Sie haben inzwischen erkannt, wer hier die Spielregeln bestimmt.« Lee Caroll lächelte triumphierend. »Sie wären der erste Mann gewesen, der mich ungestraft beleidigt. Bleiben Sie friedlich, und Sie leben noch ein bißchen länger -vor allem etwas freier von Schmerzen.« »Was haben Sie mit uns vor?« ächzte Jo, kaum vernehmbar und mit einer Stimme wie Fingernägelkratzen über Blech. »Ich sehe, Sie werden vernünftig. Ich habe Sie auch nicht für einen jener dummen Heißsporne gehalten, die immer gleich mit dem Kopf gegen die Wand rennen. Sie sind doch ebenfalls Geschäftsmann, Mister Walker. Und ich möchte ein Geschäft mit Ihnen machen.« »Und wie sähe das aus?« Seine Schultern und die Rippen zuckten immer noch im Schmerz. »Leider haben Sie mir keine allzu große Wahl mehr gelassen. In-
vestitionen in Millionenhöhe gingen unwiederbringlich den Bach hinunter, ich deutete das schon an. Also werde ich mich jetzt an Ihnen und Ihren persönlichen Vermögenswerten schadlos halten. Ich finde das nur gerecht. Außerdem ist mir sehr wohl bekannt, daß Sie auch als ein Geheimnisträger der CIA oder zumindest einiger ihrer Unterabteilungen gelten. Ich wüßte zu gern darüber Bescheid, was mir für künftige Projekte bestimmt von Nutzen sein.« »Sie meinen also unter anderem, ich solle ein Testament zu Ihren Gunsten aufsetzen?« »Ausgezeichnet. Ihr Verstand funktioniert wie gewohnt. Ich brauche die einzelne Posten wohl nicht extra aufzählen. Ich tue es. trotzdem: Ein Bungalow in Kingspoint, eine kleine Yacht dazu, ein Eigentums-Appartement an der 54. Straße, ein fast neuer 500er Mercedes SL, ein ansehnlich gefülltes Konto bei der Manhattan Chase Bank und mit Sicherheit noch einige weiter anonyme auf den Bahamas und den Cayman Islands. Grob geschätzt traue ich Ihnen rund fünf Millionen Dollar an Sach- und Geldwerten zu, Mister Walker?« »Und an die wollen Sie rankommen?« Lee Caroll lachte schrill auf. »Im Zeitalter der Elektronik? – Mit den entsprechenden Kennziffern und Codewörtern, die Sie uns mitteilen werden? – Ein Kinderspiel! Nicht mal Unterschriften werden nun mehr gebraucht.« Jo atmete tief durch. Mittlerweile ging das wieder. »Dabei werde ich Ihnen nie helfen. Und wenn Sie mich in Stücke reißen. Sie haben mir den eigenen Tod ja freundlicherweise schon angekündigt.« »Einen garantiert schmerzlosen Tod«, verbesserte Miß Lee Caroll gewissenhaft. »Doch es geht natürlich auch anders. Hier kommen Sie ohnehin nicht mehr raus.« Ihre Stimme wurde schneidend. »Bombie!« Der fette Gorilla, der April an die Wand geknallt hatte wie eine besonders lästige Fliege, griente dümmlich. »Yes, Ma’am?« »Du magst doch kleine Mädchen!« Sein Grinsen wurde breiter. Der Glöckner von Notre-Dame hätte jeden Schönheitswettbewerb gegen ihn gewonnen. »Yes, Ma’am.« »Was würdest du von diesem Mädchen dort drüben halten?« Der Riese mit dem Spitznamen Bombie streckte seinen dicken Finger in Richtung April. »Die da, Ma’am?« »Ja, Bombie.«
»Wow! Darf ich wirklich, Ma’am?« »Natürlich. Du darfst sogar hier. Wir werden alle zuschauen, und unser männlicher Gast applaudiert dir gewiß ganz besonders, wenn du gut bist. Was wirst du mit ihr tun?« »Wow, Ma’am! Ich zeig’s mal vor.« Er lachte hohl und meckernd auf wie ein doppelt und dreifach pervertierter Zeus. Die Bondy kreischte. Der Gorilla hatte sie blitzschnell gepackt. »Pfeifen Sie Ihr Monster zurück, Miß Caroll«, sagte Jo sehr schnell und sehr höflich, mit einemmal. Und auch sehr, sehr heiser. »Ich gehe auf Ihre Forderungen ein.« »Bombie! Laß sie los!« »Aber warum denn?« »Weil ich es dir sage. Gehorche!« Der Gorilla warf April ein zweites Mal gegen die Wand und starrte Jo Walkers Detective-Volontärin an wie ein Fleischerhund, dem man gerade einen besonders schmackhaft veraasten Knochen vor der lefzenden Schnauze ins tiefe Wasser geworfen hatte. * Ron fuhr wie verrückt. Er hatte Fen Brendon bis zum Auto geführt, ihm eins über den Kopf gedengelt und ihn dann anschließend im Kofferraum deponiert. Dort war er vorerst bestens aufgehoben. Myers fuhr auf der Desert Road. Sie zog sich endlos dahin. Er hatte vergessen zu fragen, wie lange er wirklich zum Landhaus brauchte. Jetzt war es zu spät dafür. Denn nach dem Ding, das er Brendon verpaßt hatte, würde der noch mindestens zwei bis drei Stunden lang mit den Englein im Chor singen. Das Gelände wurde hügelig. Eine Wohltat nach dem sturen Geradeaus der letzten halben Stunde. Die Straße schlug Haken, schlängelte sich nun zwischen sandigen Erhebungen hindurch. Die Nacht war klar. Täuschte er sich, oder waren das da weiter vorne tatsächlich Staubfahnen? Im Licht des Vollmonds sah er frische Fahrspuren auf dem Weg. Der ständig wehende Wind hätte sie längst zerstört, wenn nicht ein anderer Wagen kurz zuvor dieselbe Strecke gefahren wäre. Schließlich sah Lieutenant Ron auch die Lichter. Zuerst hatte er sie für Sterne gehalten, die besonders nah am Horizont hingen, doch dann hatte er die dunkle Wand dahinter bemerkt. Ein weiterer Hügel, aufgeworfen wie von einem riesigen Maulwurf. Ron ging mit dem Tempo herunter.
Er wollte nichts verpatzen, mußte höllisch auf der Hut sein. Seine Gegner scherzten nicht. Gut bewaffnet waren sie sowieso. Myers dachte an die sieben Schuß im Magazin seiner PPK. Er hatte keine Reservemunition dabei. Fen Brendons Wagen war ein Cadillac. Der Motor summte so leise, daß man zweimal hinhören mußte, um ihn einmal zu hören. Die Scheinwerfer hatte Myers ausgeschaltet, der Mond schien hell genug. Nur der Staub hinter dem schweren Wagen störte ihn gewaltig. Er mußte meilenweit zu sehen sein. Ron wollte sich nicht darauf verlassen, daß niemand von der Villa aus dem Fenster schaute. Noch knapp tausend Yard bis zum Nest der Organisation. Myers stoppte. Den Sitz des Magazins überprüfend, machte er sich auf den Weg. Der Mond warf Schatten. Vereinzelt standen Dornenbüsche. In ihrer Deckung schlich er sich vorwärts. Allmählich konnte er die Umrisse des Hauses besser erkennen. Es war weiß und im mexikanischen Stil erbaut. Mit Arkaden vor der Terrasse und Fenstern mit romanischen Bögen. Der Garten wucherte üppig. Sie mußten einen Brunnen gebohrt haben. Wie eine Oase des Friedens lagen Villa und Park inmitten von Sand und Steinen. Doch der Frieden war trügerisch. Myers erreichte eine halbhohe Mauer. Mit etwas Anlauf hätte er frei darüberspringen können, doch er vermied jede Hast. Sie wäre mit unerwünschten Geräuschen verbunden gewesen. So lauschte er in die Stille. Außer dem Wind, der in den Blüten der Aluetebäume spielte, war nichts zu hören. Ron zog die Schuhe aus. Sie waren neu und knarzten hundsgemein. Geduckt und die PPK im Anschlag, bewegte er sich auf das Haus zu. Die Bewohner schienen sich sehr sicher zu fühlen. Nirgends konnte Ron irgendwelche Anzeichen von Wachen ausmachen. Das Haus stand in einer totalen Einöde, doch soweit er die Organisation bisher kennengelernt hatte, leistete sie sich keine Fehler. Dann hatte er auch schon die Bescherung. Ein wildes Gekläffe klang auf. Myers sah einen riesigen schwarzen Schatten auf sich zukommen. Der Hund war ein Mörder. Er griff kompromißlos an. Wuchtig schoß er durch die Luft, genau auf Rons Kehle zu. Der Lieutenant konnte sich im letzten Moment zur Seite drehen. Der Schatten fauchte gefährlich nah vorbei. Jos Freund spürte noch den hechelnden Atem, zerstäubten Speichel auf den Wangen. Der Hund war schnell. Ron Myers auch.
Er warf sich auf das dunkle Bündel und bekam den Kopf zu fassen. Eine nasse, rauhe Zunge am Handrücken, dolchartige Zähne an der Pulsschlagader. Der Lieutenant holte aus zum tödlichen Hieb. Es knirschte wie ein fester Schritt auf neugefallenem Schnee, als der Griff der klobigen Automatic die Schädeldecke des Dobermanns zertrümmerte. Ron sprang wieder auf. Stimmen wurden laut. Er packten den toten Hund an den Läufen, zerrte ihn mit sich zurück in ein Gebüsch. Die Stimmen kamen näher, entfernten sich wieder. Aus dem nahen warmen Wasser des Swimmingpools stieg Nebel in die abgekühlte Nachtluft. Myers robbte an den Beckenrand und ließ den Kadaver ins Wasser gleiten. Sträucher auch hier. »Da ist Rex auch nicht«, sagte ein Mann. »Komm, laß es bleiben«, sagte ein anderer. »Der blöde Köder wird ‘ne Schlange gesehen haben oder ein Karnickel. Wenn wir den jetzt suchen, schlagen wir uns die halbe Nacht um die Ohren.« Er lachte auf, ganz ohne Grund? »Und das wäre doch wirklich zu schade. Oder willst du diesem Bombie das Mädchen allein überlassen? Er soll gefälligst warten, bis wir an der Reihe waren. Der macht doch jede Frau kaputt.« »Okay. Gehen wir.« Die Stiefel entfernten sich. Ron wartete noch, bis die Schritte in Richtung Haus verklungen waren. Dann richtete er sich wieder auf. April schien im Moment im größeren Schlamassel zu stecken. Er mußte zuerst zu ihr. Die Gestalten der beiden Männer hoben sich gegen die weiße Hauswand ab. Jetzt bogen sie um einen Oleanderbaum, und Myers verlor sie aus dem Blickfeld. Er setzte ihnen zwar nach, doch auf einmal konnte er sie nirgends mehr entdecken. Dafür hörte er einen lauten Schrei. Das mußte an der Rückseite des Hauses gewesen sein. Ron lief um die Villa herum. Dabei sah er etwas Dunkles auf einer Wiese stehen. Es glich einer überdimensionalen Hornisse. Ein kleiner Hubschrauber, eine kleine Bell, wie sie auch die New Yorker Polizei benützte. Er war x-mal in diesen Dingern mitgeflogen. Die Frau schrie wieder auf. Einwandfrei April Bondy. Hinter dem Haus stieg ein leichter Hang an. Einige Autos parkten neben dem Helikopter. Über den Kellerfenstern waren Gitter eingelassen. Ron warf sich zu Boden und robbte zu jenem, aus dem ein wenig Licht schimmerte. Er sah nur einen kleinen Ausschnitt des Raumes, doch was sich seinen Augen bot, reichte ihm vollauf. Auf dem grauen Estrich aus
Beton lag Aprils Goldlamékleid. Auf einer schmutzigen Pritsche wanden sich nackte Mädchenbeine, die von behaarten Männerfäusten gerade brutal auseinandergepreßt wurden. April Bondys Beine. Ron überlegte nicht mehr. Er handelte. Die Walther PPK knallte recht gewaltig, Blut troff einem ebenso behaarten Unterschenkel herunter, denn er hatte dem Kerl das Knie zerschossen. Ein tierisches Aufbrüllen, im Haus brach gleich darauf die Hölle los. Myers’ wuchtete das Gitter aus der Verankerung, es fiel ihm leicht in seinem Zorn. Er sprang in die Grube zum Kellerfenster hinunter, trat es ein, verletzte sich leicht am Rücken, als er durch die nur halb zersplitterte Scheibe glitt. Die Bondy war splittfasernackt, und zum erstenmal genierte sie sich nicht vor Ron Myers, fiel ihm um den Kragen, küßte ihn sogar. »Heb dir deinen Beifallskundgebungen für später auf«, meinte der Lieutenant rauh. »Am liebsten wäre mir jetzt, ich hieße Eau de Cologne. Dann könnte ich verduften.« »Da unten ist ein Fremder!« schrie jemand. »Siehst du? Sie haben es schon spitzgekriegt. Jetzt geben sie uns Saures.« Vom Wundschock betäubt, lag King Kong in seiner Las-VegasVersion noch am Boden. Ron und April benützten den massigen Körper respektlos als Schemel. Myers beschleunigte wie ein 300-PS-Motor, dem man erzählt hatte, der Benzinpreis sei für alle Zeiten abgeschafft. So stiegen sie durchs Kellerfenster zurück nach draußen. »Da hinein, Baby! Schnell!« »Bist du verrückt? Das ist ein Hubschrauber!« »Natürlich bin ich verrückt. Wußtest du, das nicht schon von Geburt an?« »Du willst fliegen?« »Von wollen kann keine Rede sein. Wir müssen. Jo haben Sie quasi auf Eis gelegt. Sie brauchen ihn noch. Und sie brauchen ihn lebend. Frag mich bitte nicht warum. Ich war schon immer ein miserables Lexikon.« »Du fliegst?!« »Na schön. Dann bleib zurück und laß dich reihum vergewaltigen.« »Herrgott!« »Ich heiße Ron Myers, Darling. Das möchte ich betonen!« Der Kontaktschlüssel steckte. Doch ein Hubschraubermotor muß auch Warmlaufen, und das hatte der Lieutenant, der zwangsläufige Co-Pilot in jahrelangen Polizei-Einsätzen, in seiner Eile nicht bedacht.
Kugeln schwirrten, schrammten. Zwei Männer stürmten aus dem Haus, Ron kannte sie schon von früher her. Da hatten sie noch nach dem Hund gesucht. Wie viele Ewigkeiten waren inzwischen vergangen…? Die Rotoren flapperten müde. »Ich hab’ was!« jubelte die nackte Bondy. Sie hatte eine Pistole gefunden. Eine kleine. So eine von der Art, wie Frauen sie manchmal benützen, wenn sie ihrer Ehemänner überdrüssig sind. Die Bondy beugte sich an Ron vorbei und feuerte durch die noch offene Kanzel. Die Männer ließen sich fallen. Die Bullets waren nur knapp über ihre Köpfe hinweggezischt. Das Rattern der Rotoren wurde mächtiger. Vom Zuschauen allein eine Bell zu fliegen, war etwa so einfach, wie vom Zuschauen den dreifachen Salto zu lernen. Das Pitch, der Steuerknüppel, die Pedale. Ein Extraschalter und zu allem Überdruß auch noch ein dritter Fußhebel für das Justieren des Heckrotors. Der gelinde Wahnsinn, doch Ron wagte es trotzdem, denn ihm blieb nichts anderes mehr übrig. Der Vogel kam drei Yard hoch, drehte sich langsam wie ein Kinderkreisel. Endlich und zu Myers großer Überraschung stabilisierte sich die Fluglage jedoch. April Bondy hörte auf, einer Luftschutzsirene Konkurrenz zu machen. Der Boden krachte, als habe man mit einem Hammer dagegengeschlagen. Es konnte nur ein Streifschuß gewesen sein. Fünf Yard. Ron, die Bondy und die Bell schwangen ab. Hatte der Lieutenant während seiner Dienstflüge eben doch recht prima aufgepaßt. Trotzdem blieb er aus reinem Selbsterhaltungstrieb knapp über dem Boden. Sand wirbelte zu dichten Wolken auf. Ihre Verfolger sahen nichts mehr. Jetzt noch der Rotorwinkel verstellt, und der Kopter nahm Fahrt auf. Schnell vergrößerte sich die Distanz zum Haus. »Was wird aus Jo?« »Du stellst vielleicht Fragen! Woher soll ich das wissen?« Von der Villa her durchbohrte ein Scheinwerferpaar die Nacht. Der Wagen war schneller als sie. Ron kam mit der Geschwindigkeitsdosierung nicht zurecht. Die Entfernung schmolz zusammen. Nur ein einziger Wagen hinter ihnen. Ein Landrover. Myers bog von der Straße weg. Doch auch der Wagen fuhr querfeldein. Von hier oben sah das Land flach wie ein Pfannkuchen aus. »Die knallen uns ab wie Wildenten«, schrie er durchs kranke Blubbern des Motors. Irgendwas stimmte nicht mit dem Gemisch des Treibstoffs. »So kommen wir nicht weiter. Fahr die Krallen aus, my
love, und stemm dich fest.« Der Wagen fuhr mittlerweile genau unter ihnen. Ron ließ die Bell ein Stück tiefer sinken, er hatte die einschlägigen Filme natürlich auch gesehen. Nur hatten da Berufspiloten in der Kanzel gesessen. Feuergarben stoben auf, rasten knapp an ihnen vorbei in den Nachthimmel. Der Mond verbarg sich aus lauter Scham hinter der einzigen Wolke weit und breit. Dann hörten sie unten auf zu schießen. Der Wagen fuhr zwischen zwei niedrigen Sandhügeln hindurch. Er hatte keine andere Möglichkeit zum Ausweichen. Ron ging noch tiefer. April nahm die handliche Damenpistole, schob die Acrylglasscheibe auf und revanchierte sich. Doch das kleinkalibrige Geschoß kratzte nur den Lack. Wenigstens behielten die Gangster nun die Köpfe und die Läufe ihrer MP’s im Rover. Das Auto beschleunigte. Ron hatte den Bogen inzwischen raus und tat das ebenfalls. Ein kurzer Abstand nur zum Wagendach hinter. Die Kufen krachten drauf. Gleich zog er wieder hoch. Und dann erneut hinunter. Es schepperte noch durch das Flappern der Rotoren, das Wagendach war empfindlich eingebeult. Besonders auf der Fahrerseite. Der Rover geriet ins Schleudern, balancierte eine Strecke auf zwei Rädern und stürzte dann um, rutschte noch eine Weile wie eine auf den Rücken gelegte Schildkröte mit einem Torpedo im Hintern dahin. Schließlich schoß eine Stichflamme aus der Karre, aus dem Tank, um ganz genau zu sein. Der Druck der Explosion ergriff die Rotorblätter. Die kleine Maschine wurde durchgeschüttelt wie von einer Sturmbö. Ron fing sie nur mit knapper Not und halb aus Zufall auf. Keiner der Verfolger kroch ins Freie. Der Wagen brannte lichterloh. »Hier ist es mir einwandfrei zu heiß«, kommentierte Ron Myers, folgte wieder der Desert Road, als der Hubschraubermotor plötzlich verdächtig ungesund zu spucken begann. Vielleicht hatte er doch was abgekriegt. Die beschädigte Bell landete praktisch von selbst. »Schnell raus hier!« Er hätte das der Bondy nicht zu sagen brauchen. Nackt, wie sie war, sprang sie ins Freie, Ron hüpfte ihr nach. Noch ziemlich weit vorn die Hauptstraße. Sie hatten sie kaum erreicht, als der Zweimannkopter dem Beispiel des Landrovers folgte. Brennend und explodierend machte er sich für immer irreparabel. »Heavens«, schnaubte April. »Ist das dein neues Lieblingswort?« »Knalldepp?« »Hm. Das kenn’ ich. Muß wohl einer der Kosenamen sein, die du
so gern für mich erfindest.« »Ach was. Du verstehst mich schon, du lieber Idiot. Manchmal bist du ja ganz brauchbar.« »Und du erst! Sieh dich an! Die da vorne auf der Hauptstraße werden Augen mächen, wenn Sie dich beim Autostopp sehen. Ich wette, so kurz hast du noch nie gewartet.« * Jo Walker hatte den Lärm gehört, doch er konnte nichts unternehmen. Einmal glaubte er Ron Myers Stimme erkannt zu haben, dann klangen Schüsse auf und das Rattern eines Helikoptermotors. Jo lag gefesselt auf einem Feldbett. Um ihn herum war alles finster. Plötzlich wurde Licht gemacht. Der Mann, den die Frau Igor genannt hatte, kam herein. »Stehen Sie auf«, sagte er. »Ihr Humor stammt auch nicht von der Stange. Wie sollte ich?« Der Slawe zog ein Messer und schnitt die Fußfesseln durch. Dann packte er Jo am Arm und zog ihn von seinem Lager hoch. »Was hatte das Feuerwerk eben zu bedeuten?« »Halten Sie den Rand. Sie sind nicht hier, um Fragen zu stellen.« »Glücklich sehen Sie jedenfalls nicht aus. Ich habe fast den Eindruck, als hätten Sie unliebsamen Besuch hinter sich.« »Sie sollen den Mund halten!« Igor schob Walker vor sich her und dann ein paar Stufen hinauf. Sie kamen wieder in jenes Zimmer, das Jo vor etwa zwanzig Minuten verlassen mußte. Lee Caroll war jetzt umgezogen. Sie trug ein rosa Kostüm. Neben ihr stand ein weißer Koffer. »Verreisen wir?« fragte Jo. Die Frau antwortete nicht. »Igor. Hast du was von den anderen gehört?« »Nein, Madam. Nur die Explosion.« »Und die Bell?« »Die hörte ich etwas länger.« »Müssen wir diese Hohlköpfe eben abschreiben. Ich hätte sie ohnehin nicht mehr gebraucht. – Was ist mit Bombie?« »Das Bein kaputt. Er brauchte dringend einen Arzt.« »Laß ihn liegen. Für die Sprengung ist alles bereit?« »Alles fertig.« Lee Caroll zog sich lange schwarze Handschuhe über, die bis über die Ellbogen reichten. »Sie werden nicht weit kommen, Miß«, mischte Jo sich ein.
»Meine Sorge, Walker. Ich weiß noch nicht, was ich jetzt mit Ihnen mache, aber ein Festessen wird es nicht für Sie. Dafür garantiere ich. Jedenfalls ist mir bislang noch nie jemand so gegen den Karren gefahren, wie Ihr Verein.« Walker faßte diese Bemerkung als Kompliment auf und verschwieg das aus Gesundheitsgründen. Igor stieß ihn vorwärts, über die Terrasse in die mondhelle Nacht hinaus. Jo mußte auf dem Beifahrersitz Platz nehmen, die Caroll saß hinter ihm. Sie drückte ihm eine Pistole gegen den Hinterkopf. »Ihnen traue ich keinen Zoll weit mehr.« Allmählich wurde die Dame ja recht freundlich. Eine Reverenz nach der anderen. Igor fuhr etwa eine halbe Meile in Richtung Vegas. Dann bog er ab, hielt bei einer Buschgruppe an. Jo konnte nicht sehen, was er danach machte. Er hantierte im Schatten herum. »Jetzt, Madam?« rief er herüber. »Bringen wir’s hinter uns.« Ein Lichtblitz machte die Nacht zum Tag. Kommissar X schaute zurück. Dort, wo die Villa gestanden hatte, breitete sich ein grellgelber Leuchtpilz in den Himmel aus. Nur machten Pfifferlinge nicht soviel Krach. Eine schwarze Rauchsäule deckte das Leuchten wieder zu. Die Erde bebte ein wenig unter den Rädern, und wahrscheinlich stand ihr’s unter diesen Umständen sogar zu. Da war eben einiges in die Luft geflogen. Pffft. »Wenn Ihr mieser Freund seine Kollegen alarmiert haben sollte, werden die nichts in den Trümmern finden. Es gibt keine Anhaltspunkte auf unsere Tätigkeit mehr.« »Und die war?« »Also wissen Sie! Irgendwie nötigen Sie mir Respekt ab. Diese Kaltschnäuzigkeit!« »Ihre Schnauze ist auch nicht viel wärmer.« Ein robuster Kick hinter den Nacken belehrte Walker, daß er wieder mal zu weit gegangen war mit seinen losen Sprüchen. * »Nun schauen Sie sich doch nicht ständig um«, sagte Ron Myers. »Die Dame ist auch dann noch nackt, wenn wir wieder aussteigen.« Der ältere Mann am Steuer schniefte beleidigt. »Aber ich wollte doch nur…« »Ich weiß schon, was Sie wollten. Ihr Auto hätte ja um ein Haar
‘nen Kopfstand gemacht vor lauter Freude. So scharf haben Sie abgebremst, als Sie meine Freundin am Straßenrand stehen sahen. Sie sind doch schon zu alt für so was. Schämen Sie sich denn gar nicht?« Mr. Ferguson gab es auf. Gegen Myers Mundwerk war eben auch noch kein Kraut gewachsen. Die ersten Vororte von Las Vegas tauchten aus der Morgendämmerung auf. »Wo soll ich Sie absetzen?« »Beim Holiday Inn.« »Wollen Sie so hineingehen? Ich meine die Dame. Will Sie so…?« »Natürlich will sie nicht. Bei dieser Gelegenheit hätte ich gleich eine Bitte an Sie. Fahren Sie doch mal an den Straßenrand.« »Ist das ein Überfall?« quäkte das Mittelalter ängstlich. Der Fuß auf dem Gaspedal entwickelte eine ängstlich wackelndes Eigenleben. »Aber reden Sie doch keinen Unsinn, Heavens!« Ron sah April an, beziehungsschwanger. »Wir sind keine Verbrecher, die braven Onkels nachstellen. Und jetzt halten Sie endlich an!« Mr. Ferguson fuhr den Wagen an die Seite. »Dürfte ich Sie um Ihre Hose bitten?« fragte der Lieutenant dann anschließend kreuzfreundlich. »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!« »Und ob! Sie wohnen in Vegas. Das sieht man an Ihrem Nummernschild. Da können Sie sich zu Hause eine neue aus dem Schrank holen. Außerdem bezahle ich Ihnen das gute Stück. Sie können sich morgen fünf neue dafür kaufen.« Ron streckte ihm zweihundert Dollar entgegen. Mr. Ferguson war schon halb überredet. Dafür bekam er zehn neue Hosen. »Aber was wird meine Frau sagen?!« »Erzählen Sie der lieben Gattin meinetwegen, Sie hätten sie verlegt. Und jetzt diskutieren wir nicht mehr. Hier haben Sie Ihr Geld.« Myers legte die Scheine aufs Armaturenbrett. »Aber die Dame darf nicht hersehen!« forderte Mr. Ferguson. »Nun gönnen Sie dem Fräulein doch auch etwas! Sie sitzt Ihnen einen zwanzigminütigen Striptease vor, und Sie wollen auf einmal keifen. Machen Sie schon. Sie sind nicht der erste Mann, den meine Freundin in Unterhosen sieht. Die Hand dafür in jedes Feuer.« Ron handelte sich einen giftigen Blick für seine Bemerkung ein. Wer mag schon gern die Wahrheit hören. Mr. Ferguson stieg aus und ließ die Hosen runter. Kein Wunder, daß er sich schämte. Seine unteren Beinkleider waren mit zarten Rosenknospen bedruckt und knielang. Die Bondy konnte sich ein Losprusten nur mühsam verbeißen.
»Werden sie dir passen?« fragte Myers. »Um die Taille etwa zehnmal.« Sie schlüpfte hinein. Der Lieutenant reichte ihr gnädig sein Sakko dazu. »Jetzt siehst du aus wie Tarzan im Lodenmantel«, feixte er. »Vorher hast du mir entschieden besser gefallen.« »Affe!« Auch Mr. Ferguson fühlte sich berufen, seinen Senf dazuzugeben: »Eines weiß ich bestimmt. Wenn ich wieder mal ein nacktes Mädchen auf der Straße sehe, rase ich mit Vollgas daran vorbei.« »Na klar doch, Mister«, meinte Ron. »Die anderen Verkehrsteilnehmer wollen schließlich auch mal was erleben.« Mr. Ferguson kratzte elanvoll die Kurve. Und Myers hatte nicht vergessen, was Fen Brendon am Telefon von sich gegeben hatte. Danach konnten noch weitere unliebsame Überraschungen auf sie warten. Deshalb enterte er den Lieferanteneingang. Er wollte sich nicht mit noch mehr Gangstern herumprügeln. Sein Bedarf war für diese eine Nacht vollauf gedeckt. Niemand begegnete ihnen bis zum siebten Stock. Sie hatten sich geeinigt, Aprils Kemenate aufzusuchen. Endlich konnten sie sich aussprechen. »Ganz schöner Mist, das mit Jo«, begann Ron Myers, nachdem er sich vergewissert hatte, daß die Tür abgeschlossen war. »Du konntest nichts dafür. Die Papiere standen schlecht für dich.« Ron angelte nach dem Telefon. »Du willst deine örtlichen Kollegen anrufen?« »Ja.« »Das wird nichts nützen. Wenn die da draußen auch nur die Nasenspitze eines Cops sehen, ist es endgültig aus mit Jo. Außerdem liegt dieser Gedanke nahe. Bestimmt sind diese Caroll und der Rest ihrer Mannschaft schon längst über alle Berge.« »Das bewundere ich immer so an dir: Du hast ‘ne Figur, so süß wie aus ‘nem Marmeladenglas. Und kannst auch noch richtig echt denken. Phantastisch.« »Man muß eben nicht so verboten aussehen wie du, um Grips zu haben«, konterte die Bondy, und dann erzählte sie, was sich in der Villa nun genau zugetragen hatte. Vorher war nur Gelegenheit für ein paar Andeutungen gewesen. »Sie wollen Jo ausnehmen, nachdem dieser Lee Caroll sämtliche Felle davongeschwommen sind. Und seine finanzielle Potenz schätzten sie ziemlich genau ein. Das Nest ist inzwischen mit Sicherheit so leer wie eine Muschel, der man die Perle gestohlen hat.«
Ron seufzte. »Leider muß ich dir schon wieder mal recht geben. Dann denke ich, daß wir uns schleunigst auf die Socken machen und die nächste Maschine nach New York nehmen. Samt deinem Übergepäck.« Diesmal hatte Myers recht. Die Bondy hatte bislang noch keinen einzigen Nickel an die Spielautomaten geopfert. »Einfach so? Zurück nach Manhattan?« »Hast du vielleicht ‘ne bessere Idee? Diese Caroll will doch an Jos Eingemachtes. Und du sollst ihr vermutlich dabei helfen. Bist du nicht die Seele seines, na ja, auch Geldverkehrs…?« * Walker war bereits im Himmel, untere Etage. Sie flogen mit einer zweimotorigen Beechcraft nach Süden, auf die Baja California zu. Er hatte beiläufig erfahren, daß Lee Caroll auf der Isla Tiburon ebenfalls noch ein Haus besaß, ihr Fluchtquartier. Internationale Industriespionage mußte ein fürchterlich lukrativer Geschäftszweig sein. Warum wollte sie nun auch noch seine läppischen fünf Milliönchen? Hatte sie in den Kauf des französischen Systems tatsächlich soviel investiert? Wahrscheinlich. Und die Beechcraft war nur geleast. Der Slawe Igor flog sie. Aus ihm wurde KX auch nicht schlau. Doch er verfluchte den Tag, an dem er erstmals diesem gottverdammten »General« Atchkiss Groover in die Fänge geraten war. Dieser Mann hatte den freundlichen Charakter eines schlecht gelaunten Mörderhais. Sie landeten gegen zehn Uhr vormittags, und sofort begann Lee Caroll, ausführliche Telefonate zu führen. Nach Walkers New Yorker Nummer hatte sie gar nicht erst zu fragen brauchen. Die kannte sie bereits. Gegen zwei kam sie Jo etwas gelöster vor. Walker beobachtete die Frau. Man hatte ihm wenigstens die Fußfesseln wieder mal gelöst. Seine Arme spürte er schon längst nicht mehr. »Ihre Sekretärin ist wirklich bewundernswert«, sagte sie. »Sie kennt Ihre sämtlichen Geheimkonten und hat ebenfalls sämtliche Vollmachten, die Immobilien in Ihrem Namen zu verkaufen.« Das wunderte Jo ein bißchen, denn er hatte April nie derlei Vollmachten erteilt. Doch diesmal hielt er stumm die Klappe in dieser Hinsicht. Statt dessen fragte er: »Und wie wird die Sache abgewickelt?« »Sie ist jetzt schon wieder mit einem Learjet unterwegs. Drüben auf dem mexikanischen Festland gibt es ebenfalls einen kleinen Behelfsflugplatz. In La Caburon. Nicht mehr als zwei Bootsstunden von hier.«
»Und dort soll die Übergabe stattfinden?« »Gleich auf der Pier, ja.« Das Haus, im Stil einer Finca errichtet, stand auf einer leichten Anhöhe inmitten eines Palmenwäldchens. Etwas weiter unten ragte ein hölzerner Landesteg ins makellos blaue Meer. Jo konnte ihn vom großen Wohnzimmer aus sehen, und er sah auch, wie Igor gerade ablegte. An der Wand lehnte noch ein Wachtposten mit finsterem Gesicht. Die Caroll hatte ihr Gewerbe wohl recht personalintensiv betrieben. Es war ein Farbiger, und seine MP folgte jeder Bewegung Jo Walkers. Draußen tuckerte ein starker Diesel auf. Das Boot selbst machte äußerlich nicht viel her. Lee Caroll hatte zu sparen angefangen. * »Ist es schon soweit?« Die Nacht hing wie ein schwarzes Tuch vor den Fenstern. Was blieb ihr auch schon anderes übrig, denn dunkle Wolken waren aufgezogen. Und Igor war vom Festland zurück. »Ja. Machen Sie sich bereit zum Sterben. Es wird schnell gehen. Ich habe kein Interesse daran, Sie unnötig zu quälen.« »Verbindlichsten Dank. Aber wollen Sie nicht warten, bis das Paket geöffnet ist?« Lee Caroll musterte ihn berechnend. »Meinetwegen. Vielleicht brauche ich doch noch Ihre Unterschrift unter irgendeines der Papiere.« Igor kam herein. Er trug einen gelben Südwester und eine in Packpapier eingeschlagene Mappe vor sich her. »Das Päckchen wurde pünktlich abgegeben«, sagte er. »Dieser Myers ist auch in La Caburon.« Lee Caroll legte die Stirn in Falten. »Das gefällt mir gar nicht!« Jo gefiel das schon. Denn dann war womöglich doch nicht aller Tage Abend. Sie zerriß die Papierhülle. Ein flacher Aluminiumkasten mit zwei Schnapphebeln an jeder Seite kam zum Vorschein. Auf ihm klebte ein Zettel, mit fettem Filzstift beschrieben. Lee Caroll wurde zuerst blaß, dann puterrot. Wut kochte in ihren kalten Adern. »Dieses Schwein!« keuchte sie schließlich gepreßt. »Dieser Bastard von einem Schwein!« Sie trat von dem kleinen Metallbehälter zurück, als wäre er die ille-
gitime Schwester der Pest. »Und?« »Lies doch selbst. Sie wollen uns reinlegen.« Jo war neugierig neben den Polen getreten, doch der stieß ihn brutal beiseite. Jo verlor das Gleichgewicht, schlug hart aufs Pflaster. Mühsam kam er wieder auf die Beine. »Was machen wir jetzt?« fragte der Slawe. »Wir müssen ihn wohl oder übel laufenlassen.« Er wandte sich an Walker, der sich stöhnend wieder aufgerappelt hatte. Seine Hände fühlten sich an wie ausgelaugtes Treibholz. Die Frau überlegte. »Vielleicht ist das nur ein Bluff?« meinte sie. Igor schüttelte abwägend den Kopf. »Die Idee stammt bestimmt von diesem Myers. Ich glaube nicht, daß er blufft. Er hat alle technischen Möglichkeiten, eine Zeitbombe zu bauen. Hinter ihm steht immerhin ein riesiger Apparat. Ein Apparat auch von Spezialisten.« »Aber wir können Walker nicht mehr laufenlassen. Er weiß zuviel. Ich habe ihm zuviel erzählt.« »Und wenn er um Mitternacht nicht in La Caburon ist, geht dieser Koffer hoch. Wenn wir ihn vorher öffnen wollen, ebenfalls. Gar nicht daran zu denken, auf diese kurze Zeit einen Fachmann herbeizuschaffen.« »Mist!« Lee Caroll sah den Behälter an wie eine giftige Spinne. Voller Ekel und Abscheu. Jo war nichts entgangen. Er zählte zwei und zwei zusammen. »Läuft wohl nicht alles nach Wunsch?« »Das werden Sie noch erfahren!« fauchte sie. Drei wütende Tigerweibchen hätte sie spielend ersetzt. »Doch so leicht jagt man mich nicht ins Bockshorn. Ich werde etwas unternehmen, womit Ihre Freunde mit Sicherheit nicht gerechnet haben. -Igor!« Der Pole schaute auf. »Ja, Madam?« »Sieh doch mal nach, ob du nicht noch was von unseren kleinen Plastikbomben findest. Es müßten welche dabei sein, die nicht größer als meine Daumenkuppe sind. Die mit dem Funkzünder meine ich.« Igors Miene klarte plötzlich auf. »Von der Sorte haben wir noch eine ganze Menge. Ich hole welche.« »Ich brauche nur eine einzige. Und nimm auch den Sender mit, der sie zur Explosion bringt!« »Hab’ verstanden.« »Ihr Kumpel hat sich schwer verrechnet«, wandte sich Lee Caroll wieder Walker zu. »Mich kann man nicht aufs Kreuz legen. Ich werde
den Inhalt dieses Koffers kriegen, und Sie werden trotzdem sterben.« »Wie angenehm.« »Nicht mal Ihr Fatalismus regt mich noch auf. Mit der Zeit wird man immun dagegen. Ihr Bullenfreund dachte, er sei besonders klug, wenn er den Verschluß des Pakets mit einem Zünder koppelt. Er schreibt hier, daß die Kiste samt Inhalt in die Luft fliegt, wenn Sie nicht bis Mitternacht in La Caburon sind. Sie explodiert auch dann, falls jemand versuchen sollte, sie vor Mitternacht zu öffnen.« »Ja, ja. Manchmal hat er etwas ausgefallene Ideen, mein Myers. Ich schulde ihm nämlich noch acht Dollar vom letzten Pokerabend.« Bevor Lee Caroll entgegen des soeben erklärten Vorsatzes ihre Verblüffung wegsteckte, kam Igor mit einer kleinen Schachtel. »Hier sind sie.« Jo konnte sich mit seinen gefesselten Händen nicht wehren. Er mußte den grauen Klumpen von der Größe eines Taubeneis schlukken. Er lag ihm verteufelt schwer im Magen. »Zwar kann ich nicht versprechen, daß auch Ihre Freunde mit Ihnen zur Hölle fahren, doch Sie ganz bestimmt. Igor nimmt den Sender mit. Sie sehen, er ähnelt einem Walkie-talkie. Und die Sperre am Koffer wird um Mitternacht wirkungslos. Doch da werden Sie bereits bei Ihrem Kumpel Myers und der Bondy sein. Ich kann den Koffer dann gefahrlos öffnen, und Sie lösen sich in Fetzen auf. Na? Wie gefällt Ihnen das?« Jo würgte. »Nicht besonders. Plastikbomben mit Fernzünder sind nicht mein Leibgericht. Lieber vertrag’ ich ja noch ‘nen Hamburger.« »Lord! Ich geb’s nur ungern zu. Doch Sie scheinen mit Würde zu sterben verstehen.« »Ich war schon in der Schule nicht der Schlechteste.« »Na ja. Schließlich machen Sie sich über Ihren Tod lustig. Vielleicht die beste Art, angesichts des Unabänderlichen.« »Schon möglich. Doch über den Tod einer gewissen Miß Lee Caroll wäre ich bestimmt viel froher…« * Sie standen auf der Mole des kleinen Hafens von La Caburon. Das Boot mußte jede Minute eintreffen. »Könntest du nicht jetzt wenigstens sagen, was du mit dem Paket gemacht hast?« fragte April. »Immer zu Diensten, werte Dame. Du hast die Makulatur geliefert und ich ein paar uralte Sächelchen aus der Asservatenkammer in den
Kellern unseres Präsidiums. Da liegt jetzt ein kleines Tonbandgerät drinnen im Köfferlein. Wenn man die Kiste öffnet, ertönen ein paar Takte der amerikanischen Nationalhymne, doch dann macht es unweigerlich Bums. Egal zu welcher Uhrzeit.« »Dann explodiert dieses Ding ja in jedem Fall?« »Sicher. Diese Art von Fair Play habe ich unserer lieben Miß Caroll abgeschaut.« »Das ist Mord!« »Wieso? Zwinge ich sie etwa, das Ding zu öffnen? Gewarnt hab’ ich sie jedenfalls ausführlich.« Ein Fischkutter tuckerte heran. Ohne Positionslichter; nahm trotzdem immer deutlichere Konturen an. Zwei Männer standen an der niedrigen Reling. Ein Schwarzer mit MP und einer mit slawischem Gesichtszuschnitt. Igor. Und persönlich kennengelernt hatten sie sich schließlich bereits am frühen Abend. Dann legte das Boot an. Aus der Uhr des Kirchturms von La Caburon schlug es zwölfmal. Der Schwarze verschwand unter Deck. Mit Jo Walker kam er wieder. Walker war geknebelt, hatte jedoch die Hände frei hinter dem Nacken verschränkt. »Grüße an den Satan, Sunnyboy«, raunte der Slawe, als Jo an ihm vorüberstolperte; bevor er ihn dann am Rücken packte und ihn festhielt. »Einen Augenblick noch. Ich will Madam Caroll anfunken, ob bei ihr alles in Ordnung ist.« »Mpf, mpf«, gab Walker seinen Kommentar. Und zum Schwarzen sagte der Pole: »Du garantierst mir, daß er keinen Mucks macht?« »Geht in Ordnung.« * Auf der Isla Tiburon stand das Funkgerät im großen Wohnzimmer. Die Frau meldete sich sofort. Es waren drei Minuten Geisterstunde verstrichen. »Igor?« »Ja. Haben Sie schon geöffnet?« »Nein. Ich habe das Paket neben mir.« »Gut. Ich warte solange. Die beiden anderen stehen wie Zielscheiben vor dem Boot. Wenn irgend etwas schiefgeht oder die geforderten Unterlagen nicht in der Kiste sind, lege ich sie alle um.« »Okay. Ich öffne jetzt.« Es rauschte im Lautsprecher. Dann erklang der Yankee-Doodle,
die Hymne. Igor verlor alle Farbe aus dem Gesicht. Und auch Ron Myers wurde blaß. Er hatte die Melodie bis heraus auf den Pier gehört. Und das konnte nur eines bedeuten! »Jo!« rief er gellend, doch Walker hatte bereits begriffen, daß da etwas ganz, ganz anders lief. Eine blitzartige Wendung. Er riß dem völlig verblüfften Schwarzen die Maschinenpistole aus der Pranke, doch er bekam sie nicht richtig zu fassen. Sie spritzte neben der Bordwand ins Wasser. Jo flankte über die Reling auf die Mole und stürzte. Der Neger kippte nach. Und der Yankee-Doodle dudelte nicht mehr. Nur Rauschen drang noch aus dem Funkgerät. Ihm war ein scheußliches Krachen vorausgegangen. Unter dieser Begleitmusik zerbrachen Knochen, so flogen Villen in die Luft. Igor tauchte an der Tür zum Steuerhaus auf. Er hatte nur eine einfache Pistole. Und einen Apparat, der wie ein Walkie-talkie aussah. Die Stimme des Slawen tönte schneidend scharf über Walker, Myers und die Bondy. »Stellt euch eng zusammen!« Jo gehorchte dem Befehl sofort. »Nun macht schon«, flüsterte er leise zu den anderen. Verrückter, übergeschnappter Triumph schwang in Igors Plärren: »Ihr habt uns nicht umsonst reingelegt. Jetzt seid ihr dran. Ich zerblase euch! Walker hat ‘ne Bombe im Bauch! Ich zünde sie jetzt!« Seine harten Züge glühten fanatisch. Er hielt das Gerät in der Linken, den Daumen auf dem Knopf. »Fahrt zur Hölle!« Er lachte noch irr. Aber nicht sehr lange. »Hinlegen!« brüllte Jo und riß die zwei anderen mit sich auf die andere Seite des Piers. Aus der Seitenwand des Kutters schoß eine Stichflamme, und die Deckaufbauten begannen sofort zu brennen. Igor auch. Inmitten der Flammen stand er, die Augen in ungläubigem Staunen geweitet. Als Walker sich wieder über den Rand der Mole schob, begann der brennende Slawe in sich zusammenzufallen. »Was war denn jetzt schon wieder los?« japste Ron, nachdem er prustend neben Walker aufgetaucht war. Das Boot sank ungeheuer schnell. »Sie gaben mir ein Bömbömbchen zu schlucken«, erklärte Kommissar X. »Sie wollten mich in eurer trauten Mitte zu den Putten blasen. Aber ich machte nicht mit. Als sie mich auf der Herfahrt in eine
Abstellkammer sperrten, genehmigte ich mir einen Drink Maschinenöl. Natürlich brach ich das Zeug gleich wieder aus. Und das Plastikbömbchen kam Gott sei Dank wieder dabei heraus. Ich habe es ihnen ans Bullauge geklebt.« * »Aber Mister Walker!« »General« Atchkiss Groovers Stimme troff förmlich vor Freundlichkeit. Gerade, daß der Telefonhörer nicht zu Honig zerfloß. »Jetzt tun Sie mir unrecht. Wir haben sogar Ihre horrende Spesenrechnung bezahlt!« »Und mich bewußt der Industriespionage-Mafia ans Messer geliefert!« »Ich will nicht verhehlen, daß Ihre Behauptung eines gewissen Wahrheitsgehalts nicht entbehrt.« »Das geben Sie auch noch zu?« »Ich bin ein ehrlicher Mann, Mister Walker.« »Aber warum immer erst, nachdem Sie mich tüchtig eingeseift haben?« »Taktik. Reine Taktik. Sie kennen doch inzwischen meine mitunter etwas unkonventionellen Methoden. Und Sie sind nun mal mein unkonventioneller Mann. Natürlich kauften wir von der Caroll-Gruppe auch schon früher. Doch nun wurde sie unverschämt in ihren Forderungen.« »Das geben Sie so offen zu?« »Ihren Anschluß ließ ich schon vorher abhörsicher machen, und bei mir läuft obendrein ein Zerhacker. Die Multis regieren doch schon längst unsere Welt, Mister Walker. Nur ein paar unverbesserliche Politiker glauben noch, sie hätten irgendwas von Wichtigkeit zu sagen. Sie haben eine für uns lästig gewordene Organisation zertrümmert. Bis zum nächstenmal, Mister Walker…?« »Sie wollen unbedingt, daß ich zum Mörder werde? Mit Ihnen als Opfer?« »General« Atchkiss Groover lachte herzlich. Dann legte er auf. ENDE
Bereits nächste Woche erscheint KOMMISSAR X Band 1633: Patrick Wynes
Das Erbe des Andrew Benson Deutscher Erstdruck
Andrew Baxter Benson ist an die Siebzig und quicklebendig – bis zu dem Augenblick, in dem ihm die Eisnadel ins Ohr schießt. Jo Walker bekommt Stoff zum Wundern, nicht nur wegen der seltsamen Botschaft, die ihm der Sterbende zuflüstert Denn Andrew Baxter Benson ist seit 1945 als tot registriert. Wie lebendig er in Wirklichkeit war, und das vor allem für die Geheimdienste der Welt, bekommt Jo Walker bald hautnah zu spüren. Jeder ist hinter der geheimnisvollen Hinterlassenschaft her, für die runde zwanzig Millionen Dollar geboten werden – und danach vermutlich eine Kugel. Jo steht im Mittelpunkt der beginnenden Jagd nach einem Schatz, über den keiner wirklich Bescheid zu wissen scheint Es wird ein Kampf auf Leben und Tod… Wie Jo Walker da wieder herausfindet und um was es da wirklich geht, darüber lassen Sie sich am besten von Patrick Wynes aufklären, der den fesselnden Roman mit dem bombigen Ausgang für Sie geschrieben hat. Ihr Händler reserviert ihn doch sicher für Sie? Sonst hilft nur Daumendrücken – und das tut dann Ihre Krimi-Redaktion
KOMMISSAR X erscheint wöchentlich in der Verlagsunion Erich Pabel-Arthur Moewig KG, 7550 Rastatt, Telefon (07222) 13-1. Druck und Vertrieb: Verlagsunion Erich Pabel-Arthur Moewig KG. Anzeigenleitung: Verlagsunion Erich Pabel-Arthur Moewig, 7550 Rastatt: Anzeigenleiter und verantwortlich: Rolf Meibeicker. Zur Zeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 15. Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg Gesellschaft m. b. H. Niederalm 300, A-5081 Anif. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiteryerbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlages. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Bestellungen einzelner Titel dieser Serie nicht möglich! Printed in Germany. Juni 1990