Viva Las Vegas!
Colleen Collins
Tiffany 1013
19 – 2/02
Gescannt von Almut K.
1. KAPITEL Corinne McCourt stand...
12 downloads
1055 Views
660KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Viva Las Vegas!
Colleen Collins
Tiffany 1013
19 – 2/02
Gescannt von Almut K.
1. KAPITEL Corinne McCourt stand vor ihrem Wandspiegel und betrachtete ihren nackten Körper. Sie war jetzt achtundzwanzig und besaß bei einer Größe von eins siebzig zwar keinen Körper wie eine Statue, aber sie konnte sich nicht beschweren. Ihre Beine waren dank des morgendlichen Joggens schlank und straff, und den runden festen Po hatte sie geerbt. Ihr Blick fiel auf die vollen runden Brüste, und sie wünschte sich, ihr Verlobter Tony Borgeson, der hier mit ihr zusammenlebte, würde sie wieder so wie früher begehren. Damals hatte er immer von den "aufregenden Vanillekugeln" gesprochen. Prüfend neigte sie den Kopf zur Seite. "Sie sehen immer noch aufregend aus", stellte sie fest und konnte ihre eigene Unsicherheit nicht ertragen. Was war denn passiert? Als Tony und sie sich vor fünf Jahren kennen gelernt hatten, hatte er nicht genug von ihr bekommen können. Und sie hatte ihn "den Vulkan" genannt. Heute konnte sie froh sein, wenn wenigstens hin und wieder ein kleines Flämmchen loderte. Gedankenverloren spielte sie mit ihrem goldenen Herzanhänger an ihrer Halskette. Den großen Spiegel hatte sie vor einem Monat angebracht, um wieder ein bisschen Leben in ihre Beziehung zu bringen. In einer Frauenzeitschrift hatte sie gelesen, dass so ein Spiegel das Liebesspiel wieder aufregender machen konnte. Leider steigerte der Spiegel bei Tony nur seine Selbstverliebtheit. Jeden Morgen stolzierte er davor herum und trainierte sein Vertreterlächeln. Einmal hatte Corinne ihn darauf hingewiesen, dass niemand einen Computer kaufte, weil der Verkäufer so nett lächelte, doch davon hatte Tony nichts wissen wollen. Jetzt sah Corinne an sich hinab und betrachtete ihren flachen Bauch. Wieso nur wollten die meisten Frauen unbedingt einen flachen Bauch haben? Corinne hätte alles dafür gegeben, endlich einen gewölbten Bauch zu haben und schwanger zu sein. Schon als Mädchen hatte sie davon geträumt, eine große Familie zu haben. So eine wie Tonys zum Beispiel, dessen italienische Großfamilie schon seit Generationen in diesem Viertel von Denver lebte. Corinne dagegen war durch die vielen Ehen und Beziehungen ihrer Mutter schon sechs Mal umgezogen, als sie neunzehn war. Sie strich sich über den Bauch und sehnte sich nach einem Baby. Ich muss Tony dazu bringen, mich endlich zu heiraten, dachte sie. Er muss endlich Nägel mit Köpfen machen, und ich werde ihm so einheizen, dass er aufheult wie sein Ferrari namens Baby. Es hatte Corinne immer gestört, dass er sein Auto Baby nannte, während sie sich so sehr ein eigenes Baby wünschte. Wusste er das nicht? Andererseits hatte schon ihre Mutter ihr immer gesagt, dass man einem Mann zeigen musste, was man wollte. Reden war vergebliche Mühe. Diesen Rat hatte Corinne allerdings nicht beherzigt, denn sie war nicht so offen und ungehemmt wie ihre Mutter. Heute aber würde Corinne die Initiative ergreifen. Sie war schon ungeheuer
aufgeregt, weil sie Tony zeigen würde, was sie sich wünschte. Leidenschaft und inniges Zusammensein mit ihrem Partner. Und vielleicht führte das dann auch zu einem Baby. Corinne nickte. Ihr Plan würde dazu führen, dass sie eine verheiratete und schwangere Frau sein würde, bevor Tony auch nur sein Vertreterlächeln aufsetzen konnte. Um ihr bei diesem Vorhaben zu helfen, hatte ihr bester Freund Kyle ihr das Buch "Weck das Tier in deinem Mann" geschenkt. Jeder Tipp in diesem Buch diente dem Ziel, das auch Corinne verfolgte. Aber die aufregenden erotischen Vorschläge darin waren für ihren Geschmack schon ziemlich verrucht. Die Sache mit dem Spiegel hatte sie schon allen Mut gekostet, und sie war beim Einhämmern der Nägel so aufgeregt gewesen, dass das Ding jetzt schief hing. Leider hatte Tony das auch sofort bemerkt und ihr nur geraten, beim nächsten Mal einen Fachmann kommen zu lassen. Nach der misslungenen Sache mit dem Spiegel hatte Corinne sich an Kyle gewandt, aber der hatte ihr nur versichert, in seiner Beziehung mit Geoff habe das Buch wahre Wunder bewirkt. Und wenn ein schwuler Mann nicht wusste, wie Männer in Fahrt kamen, wer sonst? Also war Corinne das Buch Kapitel für Kapitel durchgegangen: Handschellen nicht nur für Kriminelle, Freie Lust unter freiem Himmel, Spiel Geschenk und lass dich auspacken. Das mit den Handschellen war nichts für Corinne. Und wenn sie mit Tony Sex im Garten hatte, bekam der alte Mr. Valdez womöglich noch einen Herzinfarkt. Aber das mit dem Geschenk? Dem Buch zufolge war es wichtig, dem täglichen Entkleiden die Routine zu nehmen. Deshalb hatte Corinne für heute die große Enthüllung geplant. Normalerweise war sie am achten Juni immer beim alljährlichen Betriebspicknick. Sie arbeitete schon fast so lange für "Universal Shower Door" wie sie mit Tony zusammen war. Ungefähr fünf Jahre. Und zum Picknick brachte sie jedes Jahr ihren Überraschungskuchen mit. Aber nicht in diesem Jahr. Heute würde sie die Überraschung sein, wenn Tony zum Lunch nach Hause kam. Ihr Herz schlug schneller, als sie sich sein erschrockenes Gesicht ausmalte und dann seine Erregung, wenn er seine Verlobte als Geschenk verpackt sah. Corinne blickte zur Uhr auf dem Nachttisch. Zehn nach elf, also kam Tony in zwanzig Minuten nach Hause. Zeit zum Einpacken! Sie nahm die Rolle mit Klarsichtfolie und wickelte sich die Folie um den Körper. Die Folie lag zwar nicht ganz glatt an, aber sie wollte schließlich auch keine Ewigkeit damit herumlaufen. Leise summend blickte Corinne beim Wickeln in den Spiegel. Sie stellte sich ihren schlanken Körper als den Ferrari vor. Und die Folie war wie das Wasser, mit dem Tony seinen Wagen jede Woche wusch. Aber bei mir, dachte sie, wird er die Kontrolle verlieren, wenn er mir die Folie vom Leib reißt. Und dann werde ich sagen, er soll auf meine Stoßstangen achten, bevor er Gas gibt.
Sollte sie diesen Spruch wirklich gebrauchen? Sie fuhr sich über die Unterlippe, als müsse sie diesen Gedanken sofort wieder verdrängen. Dann musste sie leise lachen. Sie hatte schon den Spiegel angebracht und wickelte sich jetzt in Frischhaltefolie ein, da konnte sie auch damit anfangen, beim Sex einen frechen Scherz zu machen. Ihr gefiel diese neue Seite an sich. Vielleicht brachte sie nach dem Auspacksex sogar den Mut auf, Tony nach einem Datum für die Hochzeit zu fragen. Seine Familie wartete schon seit langem darauf, da konnte Corinne ihn ruhig ein bisschen drängen. Wie viel Zeit brauchte man zur Vorbereitung einer Hochzeit? Fünf Monate? Oder nur fünf Wochen? Sie sah wieder zur Uhr. Noch fünf Minuten. Hastig packte sie sich fertig ein und holte eine Schere aus dem Nähkorb. Da nähte sie sich seit Jahren praktische Röcke und Blusen, und jetzt schnippelte sie mit ihrer Schere ihr durchsichtiges Minikleid zurecht, das alles zeigte. Nachdem sie sich einen Schlitz gemacht hatte, um wenigstens ein paar Schritte laufen zu können, wandte Corinne sich dem Spiegel zu und überprüfte alles. Rasch fuhr sie sich durch das wellige Haar. In diesem Aufzug würde man sie bei der Arbeit niemals mehr als unauffällig bezeichnen. Die Brüste wirkten wie zwei appetitliche runde Früchte unter der Folie, mit zwei keck hervorragenden Spitzen. Zwischen ihren Schenkeln sah man durch die Folienschichten hindurch schemenhaft die feinen rötlichen Haare. Wieder fuhr sie sich durch die Frisur. Ihr gefiel der zerzauste Look ihrer schulterlangen Locken, die sie sich hatte blondieren lassen. Es wirkte wilder als ihre natürliche Haarfarbe, ein sanftes Rotbraun. Außerdem ähnelte dieser Blondton der Farbe von Tonys Ferrari, dem seltenen "warmen Gold", mit dem er immer bei seinen Freunden so angab. "Und jetzt zum Tüpfelchen auf dem i." Auf Zehenspitzen ging sie zum Schrank. Speziell für diesen Anlass hatte sie sich schwarze Stilettos gekauft. Bei ihrem bescheidenen Gehalt hätte sie wochenlang für diese Schuhe sparen müssen, aber sie hatte Glück gehabt, und die Schuhe waren auf den halben Preis reduziert worden. Der Verkäufer hatte gesagt, die Schuhe seien jetzt so günstig, weil Frauen solche Schuhe nicht mehr trügen, und Corinne war rot angelaufen. Er hatte sie aufgefordert, ein paar Schritte darin zu gehen, und sie war sofort gestolpert und hatte dann schwankend ein paar kleine Schritte gemacht. "Perfekt", hatte sie nur mühsam herausgebracht. Sicher war es schwierig, sich in solchen Dingern zu bewegen, aber schließlich hatte sie einen Plan. Sie musste an ihre wilde Cousine Sandee denken, die sicher keinerlei Schwierigkeiten hatte, auf solchen Stelzen herumzustolzieren. Es war jetzt fünfzehn Jahre her, seit Corinne ihre Cousine durchs Fenster auf den Rücksitz vom Wagen irgendeines Jungen geschoben hatte. Damals war Corinne mit ihrer Mom nach der Scheidung vom zweiten Ehemann in eine texanische Kleinstadt gezogen, weil ihre Mutter in der Nähe ihrer Zwillingsschwester Judy hatte leben wollen. Judy und Corinnes Mutter waren eineiige Zwillinge, und ähnelten sich total. Tante Judy, und ihre Tochter Sandee waren für Corinne so eine Art Familie gewesen. Seit damals hielt Corinne Kontakt zu Sandee, die jetzt
in Las Vegas lebte. Sie sahen sich zwar selten, aber sie telefonierten manchmal stundenlang miteinander. Erst letzte Woche hatten sie miteinander gesprochen. Sandee hatte sich Sorgen gemaccht wegen etwas, das sie als "einen schnellen Rumser" bezeichnete, aber sie hatte keine Einzelheiten erzählt. Und Corinne fragte nicht nach, obwohl sie vor Neugier brannte. "Ein schneller Rumser", das klang wie ein Kapitel aus dem Buch "Weck das Tier in deinem Mann". Corinne stieß einen Schreckensschrei aus, als sie auf ihren hohen Absätzen ins Wanken geriet, und sie konnte sich gerade noch an einem der dicken Bettpfosten festhalten. Zitternd holte sie Luft. Das war doch verrückt. Sie würde niemals verführerisch wirken, wenn sie herumstolperte und mit den Armen in der Luft ruderte. Eine Sekunde lang musste sie gegen Tränen ankämpfen. Nein, beschloss sie und biss die Zähne zusammen. Ich will heiraten- und ein Baby bekommen. Und ich werde sexy sein, auch wenn es mich umbringt. Bei diesem Gedanken musste sie lachen. In diesem Aufzug zu sterben wäre wirklich zu peinlich. Entschlossen richtete sie sich auf, ließ den Bettpfosten los und schwankte in Richtung Haustür. In diesem Moment hörte sie den Schlüssel im Türschloss. Tony! Fast wäre Corinne wieder gestolpert, als sie abrupt stehen blieb. Jetzt ging’s los! Sie spreizte die Beine leicht und fragte sich, was sie mit den Händen machen sollte. Ihr fiel das Kapitel mit den Handschellen ein, und sie hob die Arme hoch über den Kopf und verschränkte die Handgelenke. Tief atmete sie durch, um ihr Zittern zu unterdrücken. Die Tür ging auf, und Corinne schloss die Augen. Sie holte Luft, um ihre Brüste noch etwas mehr nach oben zu drücken. Sie kam sich wie ein Rennauto vor, das mit aufheulendem Motor an der Startlinie stand und nur darauf wartete, losrasen zu können. "Hör auf damit!" erklang eine näselnde Frauenstimme. "Warte doch, bis wir drin sind, Tiger." Tiger? Corinne riss die Augen auf. Eine dauergewellte Blondine kam herein. Sie steckte wie eine Wurst in einem tief ausgeschnittenen pinkfarbenen Kleidchen, und sie schmiegte sich an ... Tony! Er blickte hoch und sah Corinne in die Augen. Sein Vertreterlächeln erstarb. "Es ist nicht so, wie du denkst", sagte er sofort und wedelte mit der freien Hand. Mit der anderen hielt er die Blondine eng umschlungen. Alle Hoffnung in Corinne erstarb. Sie bekam kaum noch Luft und fühlte sich wie erstarrt. Schlagartig fühlte sie sich nackt und verletzlich, doch immer noch hielt sie ihre Hände wie gebannt über ihren Kopf. Die Blondine zuckte zurück. "Was in aller ... ?" Sie wandte sich an Tony. "Ist das deine Putzfrau?" "Putzfrau?" Corinne wurde so wütend, dass sie ihre Lähmung überwand, und sie ballte die Hände zu Fäusten. Sie hatte noch nie jemanden geschlagen, aber im Moment würde sie es auch mit Mike Tyson aufnehmen. "Genau! Ich bin die Putzfrau, ich nähe und bügle und mache die Wäsche. Nur um die finanziellen
Dinge kümmere ich mich nicht, weil der alte Tiger hier mein Gehalt einsteckt und mir nur eine Art Taschengeld zubilligt." So einen Blick hatte sie noch nie an Tony gesehen. Sein Mund stand fassungslos offen, und der Blick seiner Augen war ungläubig. Für einen heißblütigen Italiener wirkte er auf einmal ziemlich kühl. Das hatte nichts mit Corinnes Aufzug zu tun, sondern eher damit, dass sie ihn noch niemals angeschrieen hatte. Nie hatte sie ihm die Meinung gesagt. Tja, dachte sie, das wird sich jetzt ändern. Ich habe gerade erst angefangen! Sie trat von einem ihrer hochhackigen Schuhe auf den anderen, und ein Schweißtropfen lief ihr ins Dekollete und verschwand unter der Folie. "Kurz gesagt", fuhr sie fort, und es war ihr egal, dass sie jetzt lauthals schrie, "Ich bin die Dauerverlobte, die offenbar niemals den Sprung zur Ehefrau schafft." Sie kämpfte gegen die Tränen an. "Und anscheinend bin ich die Letzte, die das erfährt." „Tony", flüsterte die Blondine, "ich glaube, deine Putzfrau bedient sich etwas zu viel an deiner Bar." Tony winkte ab, damit sie schwieg. "Baby", sagte er und warf die Autoschlüssel auf den Beistelltisch. "Geh doch bitte ins andere Zimmer ..." Baby! Corinne konnte ihm noch verzeihen, dass er sein Auto so nannte, aber eine andere Frau? Während seine Verlobte sich so verzweifelt nach einem Baby sehnte? "Sag mir nicht, ich soll mich beruhigen!" Die andere Frau stieß Ihm einen ihrer langen grellroten Fingernägel an die Brust. "Du nimmst mich für eine schnelle Nummer mit zu dir nach Hause, und da werden wir von einer Angestellten begrüßt, die in Plastik eingewickelt ist und herumfantasiert, sie sei eine Ehefrau." Corinnes Magen verkrampfte sich. In Plastik eingewickelt, das klang nach Essensresten. Aber in einem Punkt hatte die Blondine Recht. Es war tatsächlich eine kranke Fantasie, sich vorzustellen, mit diesem Mann verheiratet zu sein. Wie dumm wäre sie gewesen, diesen selbstsüchtigen Kerl zu heiraten! Er war auch noch so dreist und trug das Kruzifix, das seine Mutter ihm geschenkt hatte, als bräuchte ausgerechnet er Schutz vor dem Bösen auf der Welt. Corinne sah zum Autoschlüssel auf dem Tisch. Tony und die Blondine schrieen sich gegenseitig an, als sei Corinne überhaupt nicht da. Hier stand sie nackt in Folie eingewickelt und wurde immer noch nicht beachtet. Damit würde von nun an Schluss sein! Gerade eben noch hatte sie sich so wagemutig gefühlt, weil sie erste Schritte machte, um ihre Hemmungen abzustreifen. Aber jetzt würde sie keine kleinen Schritte mehr machen, sondern sich ins kalte Wasser stürzen. Sie schnappte sich die Schlüssel, umkurvte das streitende Pärchen und ging aus dem Haus und auf den Ferrari in der Auffahrt zu. Sie sprang hinein, und als sie den Motor anließ, kam Tony über den Rasen gerannt. Er stieß eine Reihe von Schimpfworten aus, eine wüste Mischung aus Englisch und Italienisch.
Corinne machte sich nicht die Mühe, ihm zuzuhören. Sie legte den Rückwärtsgang ein, ließ die Reifen quietschen und hüllte das Haus und ihren Verlobten in eine Wolke aus Abgasen und Staub ein. Ihr wurde klar, dass sie nicht nur ihre Hemmungen, sondern ihr gesamtes bisheriges Leben abstreifte. Als sie den ersten Gang einlegte, hielt sie die Hand aus dem offenen Schiebedach. "Bye-bye, Baby!" schrie sie und gab Gas. Ein Aktenordner wurde auf Leos Schreibtisch geworfen. "Ein Typ behauptet, dass eine üppige Rothaarige ihm seinen Studebaker gestohlen habe", erklärte eine Männerstimme dazu. "Sieht mir nach klassischem schnellen Rumser aus. Aber Lizzie war's bestimmt nicht. Die steht mehr auf Sportwagen." Leo trank einen Schluck Kaffee und verbrannte sich die Zunge, doch er ließ es sich nicht anmerken. „Tut mir Leid." Dom rieb sich die Schläfe. "Über Lizzie sollte ich lieber keine Scherze machen." Das stimmte. Leo hustete und blickte in die Unterlagen, als konzentriere er sich ganz auf den Fall mit dem Studebaker, aber in Gedanken war er bei Lizzie, seiner Exfrau Elizabeth. Alle hatten gewusst, wie sehr er sie liebte, und alle waren in sie vernarrt gewesen. Mit ihrer lebenslustigen Art hatte sie alle Menschen für sich eingenommen. Und jetzt kannten auch alle die ganze Geschichte. Leo hatte eine Razzia in einem zwielichtigen Club durchgeführt, wo mit Drogen gehandelt wurde, und seine Frau unter den Gästen entdeckt. Darüber war er so entsetzt gewesen, dass er zu langsam reagierte, als auf ihn geschossen wurde, und wäre beinahe getötet worden. Als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hatte man ihn dazu gedrängt, zu einer Therapeutin zu gehen, doch nach ein paar Terminen hatte er damit aufgehört, denn es schmerzte ihn zu sehr, über Elizabeth zu reden. Seitdem hatte er kein Wort mehr über sie verloren. Nur mit Mel, seinem Papagei, sprach er noch über sie, und auch das nur nach ein paar Drinks. "Wann bekomme ich wieder einen richtigen Fall, Dom?" fragte er, um das Thema zu wechseln. "Ich bin jetzt fünfunddreißig und dein bester Detective, aber ich kriege nur die Fälle, die jeder Tattergreis bearbeiten könnte. Demnächst darf ich mich noch um gestohlene Gehwagen im Altersheim kümmern." Insgeheim fragte er sich jedoch, ob er wirklich wieder einen richtigen Fall wollte. Wahrscheinlich sagte er das nur, weil er nie etwas anderes als ein Polizist gewesen war. Fragend hob Dom die Augenbrauen und wollte etwas erwidern, aber Leo kam ihm zuvor. "Wenn du angeschossen worden wärst, weil deine Frau ..." Er brachte es nicht über sich, den Satz zu beenden. "Ach, vergiss es." Er nahm einen Stift. "Ein Studebaker", wiederholte er und notierte es. "Älterer Besitzer ... üppige Rothaarige." Er blickte hoch. " Klingt so, als wäre in Vegas mittlerweile jeder in Verbrechen verwickelt, oder?"
Leo hatte sein ganzes Leben in dieser Stadt verbracht. Er hatte erlebt, wie sein Dad seine Familie verließ, wie seine Mom ihre beiden Söhne allein aufzog, von denen einer ihr nichts als Ärger machte. Mit siebzehn war Leo bereits aktenkundig, weil er Autos knackte und damit Spritztouren unternahm. Doch dieses Hobby hatte er schlagartig aufgegeben, als seine Mom zum zweiten Mal heiratete, und zwar einen Polizisten. Zuerst hatte Leo seinen Stiefvater gehasst, doch der hatte ihn einfach nur gerecht behandelt. Er hatte dem Jungen ganz offen seine Zuneigung und auch seinen Ärger gezeigt. Eines Tages hatte Leo ihn fast aus Versehen Dad genannt, und von da an wurde er von ihm als Sohn bezeichnet. Für Leo hatte sofort festgestanden, dass er auch Polizist werden wollte. Und genau das hatte er getan. Er war einer der ehrgeizigsten Detectives geworden, doch seine Karriere lag jetzt auf Eis. Manchmal malte er sich aus, alles in seinen alten Silver Bullet, einen liebevoll renovierten Wohnwagen, zu packen, irgendwo eine kleine Ranch zu kaufen und sich ein neues Leben aufzubauen. Während seiner Zeit im Krankenhaus hatte er oft daran gedacht, und er hatte sich sogar ausgerechnet, dass er noch zwei Jahre lang sparen musste, bis er sich die Anzahlung für ein Grundstück leisten konnte. Dom räusperte sich und riss Leo aus seinen Tagträumen. "Du solltest dich gesünder ernähren." Er schob eine Packung mit Brezeln beiseite und setzte sich auf die Tischkante. "Ich weiß, dass du kein Schreibtischtäter sein willst, aber schließlich warst du es selbst, der es abgelehnt hat, ein ganzes Jahr bezahlten Urlaub zu nehmen. Leo Wolfman tut so etwas natürlich nicht." "Wenn ich auch nur einen Tag länger zu Hause geblieben wäre, hätte ich meinen Papagei bei den Anonymen Alkoholikern anmelden können." Wieder hob Dom die Augenbrauen. "Er würde keinen Wein trinken, wenn du ihm keinen hinstellen würdest." "Ich trinke aber nicht gern allein. Außerdem bekommt Mel immer so schlechte Laune, wenn er nüchtern ist!“ Dom schüttelte nur den Kopf. Leo seufzte dramatisch. "Jetzt sitze ich hier seit vier Monaten, tippe mit zwei Fingern einen Bericht nach dem anderen und hoffe, zum Büroleiter befördert zu werden." Auch Dom seufzte. "Wieso bleibst du nicht zu Hause und lässt es dir gut gehen? Kümmere dich um deinen suchtanfälligen Papagei.“ Leo hatte sich den Vogel angeschafft, nachdem Elizabeth in seiner Abwesenheit die gemeinsame Wohnung leer geräumt hatte. Das machte Leo nicht viel aus, denn es ersparte ihm wenigstens, alles wegzuwerfen, was ihn an sie erinnerte. Aber nach seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus hatte er sich einsam gefühlt. Als Haustier war der Papagei perfekt. Leo hatte sich einen immer gut gelaunten, fliegenden Hausgenossen vorgestellt, der auch noch reden konnte. Leider ging Mel meistens zu Fuß, war chronisch schlecht gelaunt, und seine
Äußerungen beschränkten sich meist auf bissige Bemerkungen. Manchmal kam es Leo so vor, als seien sie beide zwei missmutige alte Männer. Verärgert sah Leo auf die Akten. "Ich bin nicht Detective geworden, um Handtaschenräuber zu verfolgen und üppige Rothaarige, die alten Männern die Autos klauen." "Moment mal, Wolfman. Du hast ein Trauma erlebt, und die Abteilung gönnt dir eine Erholungspause. Sieh das hier als einen Aufstieg an. Vom Handtaschendiebstahl zum Autoraub." Da hatte Dom Recht, aber Leo wollte es nicht eingestehen. "Wenn ich diesen Fall löse, dann möchte ich etwas, woran ich mir richtig die Zähne ausbeißen kann." Prüfend sah Dom ihn an, und nach einer Weile stand er auf. "Löse erst mal diesen Fall, dann sehen wir weiter." Bei Dom konnte man sich auf so ein Wort verlassen. "Abgemacht." Leo wusste, dass er hiermit seine Chance bekam, endlich wieder richtige Fälle zu lösen. Corinne stand auf der Veranda vor dem Haus ihres besten Freunds Kyle und drückte wie verrückt auf die Klingel. Hoffentlich machte Kyle auf und nicht sein Partner Geoff, der sie aus tiefster Seele verabscheute. Kyle hatte ihr erklärt, Geoff sei eifersüchtig, wenn Kyle Zeit mit ihr verbrachte. Für Geoff sei sie die Rivalin. "Ich als Rivalin." Verzweifelt bedeckte sie mit einer Hand ihre Brüste und mit der anderen ihre Hüften, obwohl sie nicht sicher war, ob das überhaupt etwas half. "Meinen Verlobten kann ich nicht erregen, aber ein Schwuler sieht in mir die Rivalin." Die Tür ging auf, und Kyle beugte sich entsetzt vor. In einer Hand hielt er eine Erdbeere, die mit Schokolade überzogen war. "Corinne?" Sein Blick glitt an ihrem Körper hinab. "Was tust du hier? Benutzt du jetzt Firmeneigentum als Kleidung?" Sie arbeiteten beide für eine Firma, die Duschkabinen und - vorhänge herstellte. "Gefällt' s dir?" fragte sie in schrillem Tonfall, der fast hysterisch klang. "Dann steck ich mir beim nächsten Besuch noch die Plastikringe an die Ohren." Sanft zog Kyle sie ins Haus. "Honey, Honey", sagte er leise und nahm sie in die Arme. Das gab Corinne den Rest. Tony gegenüber hatte sie sich keine Schwäche anmerken lassen, und sie war in Plastikfolie und Stilettos quer durch Denver gefahren, aber im Moment wollte sie nicht mehr stark sein. Sie schmiegte sich an Kyles Brust und ließ ihren Tränen freien Lauf. „Tony ... als Geschenk verpackt ... Blondine." Kyle verstand kein Wort.
Schließlich hob sie den Kopf. "Ich habe deinen Ratschlag befolgt und das Tier in meinem Mann geweckt. Allerdings hat er sich erst wie ein Tier aufgeführt, als ich ihm seinen Ferrari geklaut habe." "Du hast Baby gestohlen?" "Ja. Und er bekommt weder den Wagen noch mich zurück. Von jetzt an bin ich mein eigener Herr." Erst als sie es aussprach, wurde ihr klar, wie ernst es ihr war, doch sofort bekam sie Angst vor ihrer eigenen Courage. Sie hatte kein Zuhause, kein Geld und keine Kleidung. "Ich würde gern ein paar Tage bei dir bleiben, aber Geoff würde wahrscheinlich ausrasten…“ "Das ist noch untertrieben." "Ich stecke in der Klemme." Kyle betrachtete sie von Kopf bis Fuß. "Sieht ganz so aus." Er hielt ihr die Erdbeere hin. "Willst du einen Bissen? Früchte für das Früchtchen?" "Nein, danke." Sie musste lächeln. Nur Kyle konnte sie in so einer Situation zum Lachen bringen. Sie deutete zur Straße. "Ich kann den Ferrari nicht einfach auf der Straße stehen lassen. Wenn Tony klar wird, dass ich nicht zurückkomme, wird er die Polizei anrufen, und die werden mich schneller aufspüren, als Geoff einen Tobsuchtsanfall bekommen kann." Sie atmete tief durch. „Tony hat mich betrogen. Mit einer dämlichen Blondine mit den langweiligsten Brüsten, die du je gesehen hast." Kyle wartete einen Moment, bevor er antwortete. "Mit einer dämlichen Blondine? Man sollte den Kerl verhaften." "Und dann sollte man ihn in die Tiefkühltruhe stecken, nur mit einem seiner lächerlichen Tigermuster-Slips." Deswegen nannte die Blondine ihn bestimmt Tiger. Corinne wollte sich noch andere Strafen für Tony überlegen, aber dann hörte sie Stimmen aus dem Wohnzimmer. "Wer ist denn da drin?" "Geoff und ein paar Freunde." "Was machen die hier?" "Tja, Geoff wohnt hier, und die anderen sind von außerhalb und verbringen die Woche bei uns." "0 nein." Sie schwankte ein bisschen und hielt sich an Kyles Arm fest. "Was soll ich denn jetzt tun? Schlimm genug, dass ich Tonys Ferrari gestohlen habe, aber jetzt stehe ich fast nackt in einer Wohnung voller fremder Männer." Kyle musste lachen. „Diese fremden Männer sind schwul, also vertrau mir: Du bist hier sicherer als ein Hackbraten auf einem Bankett für Vegetarier." Er aß die Erdbeere auf. "Wir müssen dir etwas anziehen." Ernst blickte er ihr in die Augen. "Und dann planen wir, wie das Leben von Corinne McCourt jetzt weitergeht." Er bot ihr den Arm an. "Wir müssen durchs Wohnzimmer, um ins Schlafzimmer zu kommen, wo wir Geoffs Kleiderschrank plündern können. Tun wir so, als sei es völlig normal, in Frischhaltefolie herumzulaufen." "Können wir nicht behaupten, davon nimmt man ganz schnell ab?"
"Das lassen wir lieber, sonst haben wir in zehn Minuten lauter nackte Kerle in Zellophan im Wohnzimmer sitzen." Lachend hakte Corinne sich bei ihm ein.
2. KAPITEL Eine Stunde später fuhr Corinne auf der 1-70 in Richtung Westen. Sie trug ein tief ausgeschnittenes kurzes silberfarbenes Kleid und fühlte sich wie Liza Minelli in ihrer besten Zeit. Auf dem Rücksitz lag eine Auswahl von Geoffs Kleidern, lauter Fummel mit Pailletten und Perlen. Geoff hatte fast einen Schreianfall bekommen, als Kyle ihm verkündete, er werde mit Corinne zusammen seinen Kleiderschrank plündern, aber als Kyle darauf hinwies, dass Corinne sonst bei ihnen bleiben müsse, bis sie wieder vernünftig ausgestattet sei, war Geoff sehr großzügig geworden und hatte ihr Kleider, Make-up und sogar ein kleines Perlenhalsband, dass man auch als Krönchen tragen konnte, angeboten. Corinne nahm alles dankbar an. Immer noch besser als ihr FrischhaltefolienDress. Danach hatte sie gemeinsam mit Kyle und vier schwulen Männern darüber gegrübelt, was sie als Nächstes tun sollte. Alle waren sich einig, dass sie erst einmal ein bisschen Spaß und Abwechslung brauchte, bevor sie sich ernsthaft Gedanken über ihre Zukunft machte. "Du amüsierst dich nie!" hatte Kyle sie aufgezogen. "Und nach allem, was der Tiger dir angetan hat, solltest du jeden Spaß mitnehmen, den du bekommen kannst." Corinne hatte darüber nachgedacht. Sie wollte sich ihrem Kummer nicht hingeben, und beim Stichwort Ablenkung und Spaß fiel ihr sofort ihre Cousine Sandee ein. Die wilde Sandee, die mit ihrer Lebenslust das genaue Gegenteil von ihr, der ruhigen, vernünftigen Corinne, war. Wenn sie beide zusammen waren, dann sprachen sie immer ganz offen miteinander und vertrauten sich ihre geheimsten Wünsche und Ängste an. Und schon oft hatten sie erkannt, dass sie sich im Grunde gar nicht so sehr unterschieden. Zum Glück standen Corinne bei "Universal Shower Door" noch mehrere Wochen Urlaub zu. Unter dem Beifall der Männer hatte Corinne sich erst telefonisch Urlaub genehmigen lassen und dann ihre Cousine in Las Vegas angerufen. "Setz deinen Hintern in Bewegung, und komm sofort her", hatte Sandee nur gesagt, nachdem sie die Geschichte gehört hatte. Kyles Freunde hatten ihr gesamtes Bargeld zusammengelegt, und nachdem sie sich alle gemeinsam umarmt hatten, wobei Corinne kichernd gestand, sie habe sich schon immer gewünscht, von fünf Männern gleichzeitig umarmt zu werden,
startete sie in dem gestohlenen Ferrari in Richtung Las Vegas. In ihrem neuen silbernen Handtäschchen befanden sich genau 350 Dollar. Zwei Tage später stand Corinne vor Sandees Tür. Nach Freudenschreien und innigen Umarmungen zog Sandee Corinne mit in ihr ganz in Pink und Orange eingerichtetes Wohnzimmer, wo Corinne sich immer vorkam, als wäre sie mitten in einem Sonnenuntergang. Im Moment wollte sie es lieber als Sonnenaufgang sehen. Sandee steckte sich eine Zigarette zwischen die glänzenden pinkfarbenen Lippen und zündete sie sich mit einem silbernen Feuerzeug an. Nachdem sie den blauen Rauch ausgeatmet hatte, lächelte sie, und wieder einmal fand Corinne, dass dieses Lächeln auf sie eher geheimnisvoll als glücklich wirkte. "Wir sehen uns immer noch ähnlich", stellte Sandee mit ihrer rauchigen Stimme fest. Da ihre Mütter eineiige Zwillinge gewesen waren, ähnelten Sandee und Corinne sich auch sehr, aber von der Persönlichkeit her besaßen sie so viel Ähnlichkeit wie Angelina Jolie und Gwyneth Paltrow. Sandee stemmte die Hände in die Hüften, die in superknappen Shorts steckten und musterte Corinne von Kopf bis Fuß. "Wir haben immer noch dieselbe Größe." Sofort fiel Corinnes Blick auf Sandees Brüste. "Abgesehen von der Körbchengröße." Kopfschüttelnd wedelte Sandee mit den Fingern, deren Nägel in leuchtendem Pink lackiert waren. "Liebes, mit Einlagen kannst du ganz leicht eine Körbchengröße B in D verwandeln." Dann sah sie zu Corinnes Haar. "Du hast dir das Haar blondiert." "Der Farbton heißt warmes Gold. Ich habe es ausgesucht, um..." Corinne biss sich auf die Unterlippe. "Die Farbe sollte Tony an seinen geliebten Ferrari erinnern." Sandee nahm einen Zug von ihrer Zigarette. "Dieser Mistkerl." Sie stieß den Rauch aus und ging auf und ab. "Liebes, du darfst dich nie einem Mann zuliebe verändern. Nie, nie, nie. Das habe ich alles hinter mir." Sandees blaue Augen bekamen einen nachdenklichen Ausdruck, und Corinne merkte, dass diese Erfahrung noch nicht allzu lange zurücklag. "Wenn du den Drang verspürst, dich zu verändern, dann tu es nur für dich." Entschuldigend zuckte sie mit den Schultern. „Tut mir Leid, wenn ich mich so aufrege." "Nur keine Hemmungen", erwiderte Corinne leise. Hatte die selbstsichere Sandee sich tatsächlich einem Mann zuliebe zu ändern versucht? Er musste ihr sehr viel bedeutet haben. „Tony ist ja wirklich ein Mistkerl. ,Mein Tiger', so hat die Blondine ihn genannt. Ich finde eher, er ist eine Ratte." "Richtig." Lächelnd deutete Sandee auf Corinnes Schuhe. "Die Stilettos sind cool. Dein Kleid gefällt mir auch. Passt gut zur Kette mit dem Herzanhänger." Corinne berührte den Anhänger, den einzigen Gegenstand, den sie aus ihrem früheren Leben mitgenommen hatte. Es war ein Geschenk, das sie von ihrer Mutter zum sechzehnten Geburtstag bekommen hatte. "Außerdem bist du gut in Form", fuhr Sandee fort.
"Das kommt vom Joggen." Sandee hob eine Augenbraue. "Dich hat es immer nach draußen getrieben." Corinne lächelte. "Du siehst toll aus. Wie hältst du dich denn in Form?" Sandee strich sich das rote Haar aus der Stirn und zwinkerte lächelnd. "Meinen Sport betreibe ich nur zusammen mit einem Partner." Corinne wollte etwas erwidern und sagen, dass dieser Sport auch ihr Hobby sei, aber nach Tonys Betrug war sie sich nicht mehr so sicher, ob sie nicht beim Sex eine Niete war. Wie lächerlich das ausgesehen haben musste, als sie in Plastikfolie vor ihm stand! Er hatte es ja nicht einmal richtig bemerkt. Da gab sie sich alle Mühe, um das Tier in ihrem Mann zu wecken, und er sah ihr nur in die Augen! "Hallo! Erde an Cousine!" Besorgt blickte Sandee sie an. „Was immer du auch gerade gedacht hast, lass es sein. Er ist es nicht wert.“ Corinne nickte nur und brachte keinen Ton heraus. „Also gut." Sandee nickte. "Ich habe eine Idee, und ich glaube, das wird wunderbar klappen." Sie drückte die Zigarette aus. "Pass auf. Du brauchst einen Unterschlupf, und ich brauche jemanden, der mir einen Gefallen tut.", Sofort war Corinne ganz Ohr. Das klang nach den typischen Schwierigkeiten, in die Sandee immer wieder geriet. Früher hatte Corinne anstelle von Sandee den Unterricht besucht, während die sich mit ihrem Freund amüsierte. Oder sie hatte für Sandee gekellnert, weil die auf eine Party wollte. Und einmal war sie sogar als Sandee mit einem Jungen ausgegangen, weil Sandee sich aus Versehen mit zwei Jungs gleichzeitig verabredet hatte. Zum Glück kannte der Junge Sandee nur flüchtig und merkte nicht, dass er mit einem anderen Mädchen ausging. Corinne wusste heute noch, wie aufgeregt sie gewesen war, als sie in einem von Sandees kurzen Kleidchen, mit viel Make-up auf dem Gesicht und mit Sandees aufregendem Parfüm besprüht, zu der Verabredung gegangen war. An diesem Abend hatte sie Ihren ersten Kuss bekommen. Er dauerte zwanzig Minuten, und noch heute überkam sie bei der Erinnerung Erregung. "Na? Was meinst du?" Sandee nahm Corinne bei der Hand und führte sie zum Sofa. "Setz dich, ich hol uns was zu essen, dann gehen wir die Einzelheiten durch." Corinne ließ sich in das weiche Sofa sinken und sah Sandee nach, die hüftschwenkend das Zimmer verließ. Der Po wurde nur knapp von ihren Shorts bedeckt, und Corinnes Blick glitt die langen gebräunten Beine hinunter zu Sandees Füßen, die in hochhackigen Sandaletten mit Strasssteinchen steckten. Sie musste lächeln und betrachtete vergleichend ihre Beine. Die Waden waren schön geformt, die Schenkel waren straff, ihr Bauch flach. Dann knurrte ihr Magen, und ihr wurde bewusst, wie hungrig sie war. Sandee kam mit einem beladenen Tablett zurück, und Corinne bewunderte den lässigen Gang ihrer Cousine. Sie selbst schaffte es mittlerweile, auch auf hohen Hacken geradeaus zu gehen, aber bis sie dabei auch noch so, schwere Tabletts tragen und die Hüften schwenken konnte wie Sandee, würde noch einige Zeit vergehen.
"Teigröllchen", erklärte Sandee. "Chilitaschen, Chicken-Nuggets, ein paar Möhrenstreifen und zwei Mai- Tais. " Sie stelle das Tablett auf einen Glastisch. Dann setzte sie sich neben Corinne auf das Sofa und öffnete eine der zwei kleinen Flaschen mit den Mai Tais. Prostend hielt sie sie hoch. "Auf dich, Liebes." Sie trank einen Schluck und fing dann schnell an zu reden. "Also, hier ist der Plan. Ich habe diesen Job in einem Casino ganz in der Nähe bekommen..." Corinne probierte ihren Drink und genoss das Prickeln auf der Zunge. Sie lehnte sich zurück und hörte gespannt Sandees Geschichte z. Und dann ist dieser Kerl namens Hank in mein Leben geplatzt. Sandee hielt inne und wirkte plötzlich bedrückt. „Für einen Kerl mit Vorstrafen hat er wirklich ein weiches Herz." Ihr versagte fast die Stimme. Corinne reichte ihr eine Serviette. "Du brauchst darüber nicht zu reden", sagte sie sanft, als Sandee sich wieder unter Kontrolle hatte. „Liebes, du musst wissen, was alles geschehen ist." Sandee räusperte sich und fuhr fort: "Hank hat vor Jahren als Leichtgewicht geboxt. Jetzt arbeitet er als Rausschmeißer, aber nicht regelmäßig. Deshalb hat er auch keine regelmäßigen Einkünfte." Sandee wischte sich die Finger an einer Serviette ab. "Bei unserer zweiten Verabredung hat Hank mir gesagt, ich sei für ihn die Frau fürs Leben und er werde mich für immer lieben. So etwas kenne ich vom vierten oder fünften Treffen, aber schon beim zweiten?" Sie Warf Corinne einen viel sagenden Blick zu und trank noch einen Schluck von ihrem Cocktail. Corinne konnte sich das gut vorstellen. Sandee hatte schon immer diese Wirkung auf Männer gehabt. "Dieser Hank hat sich also in dich verliebt." "Und wie! Bei diesem zweiten Treffen hat er mich zum Essen ausgeführt. Ganz schick mit Steaks und Kerzen, und als wir anschließend in seinem Wagen aus der Stadt fahren, dachte ich mir: Der Junge stellt dir gleich die Frage aller Fragen." "Und?" Corinne kam sich wieder wie ein Teenager vor, der es nicht erwarten kann, die aufregenden Geschichten ihrer sexy Cousine zu hören. Sandee stellte die Flasche so heftig auf den Tisch, dass es knallte. "Und dann rammt er von hinten so einen schönen alten Wagen! Wir stehen also am Straßenrand, es ist dunkel, und Hank und so ein alter Kerl steigen aus, um ihre Versicherungsnummern auszutauschen." Corinne wollte etwas über Lust und Liebe hören und nicht über Versicherungsschäden. Sie verbarg ihre Enttäuschung und aß noch ein Teigröllchen. „Auf einmal", Sandee senkte die Stimme, "öffnet Hank die hintere Wagentür und legt den alten Kerl auf die Rückbank! Ich fange an zu schreien, und er sagt nur: Immer mit der Ruhe. Fahr mit diesem Wagen zu dir nach Hause. Dort treffe ich mich mit dir." Corinne verschluckte sich fast an ihrem Essen. "Du ... du bist mit einem toten Mann hierher gefahren?" Sie sah sich um, als vermute sie, irgendwo die Leiche zu entdecken.
"Er war nicht tot." Nervös spielte Sandee mit ihrem Feuerzeug. „An einer roten Ampel kommt der Alte auf dem Rücksitz wieder zu sich, springt aus dem Wagen und rennt weg, so schnell er kann. Dann wurde es grün, und ich habe Gas gegeben. Das war's. Hank ruft immer wieder an, aber ich will nichts mit einem Kerl zu tun haben, der den schnellen Rumser spielt. Und dann bringt er mich noch wegen eines alten Studebakers in Gefahr." Ein schneller Rumser. Diesen Ausdruck hatte Sandee auch schon am Telefon benutzt. "Was ist denn ein schneller Rumser?" Corinnes Puls beschleunigte sich, während sie gespannt auf die Antwort wartete. "Ach ... das ist ... gar nichts." Sandee senkte den Blick und betrachtete ein Strasssteinchen an ihrer Sandalette. "Ich muss die Stadt für eine Weile verlassen", stellte sie nüchtern fest. "Nach dieser verrückten Sache, die Hank da angezettelt hat, muss ich etwas Abstand zu ihm gewinnen, und hier kommst du ins Spiel. Du kannst bei mir wohnen, eine Garage für den Ferrari gibt's auch. Ich bitte dich nur, bei der Arbeit für mich einzuspringen." Corinne strich mit einem der hohen Absätze über den pinkfarbenen Teppichboden. "Einspringen? Bei der Arbeit?" "Ich habe ja gerade erst angefangen." Sandee winkte ab, als sei es das Einfachste von der Welt. "Niemand kennt mich richtig! Geh einfach hin, bring deinen Auftritt hinter dich und geh wieder. Ich werde nur eine oder zwei Wochen weg sein, und bis dahin wird Hank sich beruhigt haben. Da wir gerade von ihm sprechen: Er wird bestimmt nicht bei meiner Arbeitsstelle auftauchen, aber wenn doch, dann sag ihm einfach, er soll verschwinden. Wir haben uns ja erst ein paar Mal gesehen, da wird er dich für mich halten. Wenn er wegen der blonden Haare fragt, sagst du ihm einfach, das gehe ihn nichts an. Und hierher wagt er sich nicht, denn mein Nachbar ist das Phantom. Du weißt schon, der riesige Ringer mit dem Wahnsinnskörper. " "Na, prima." Corinne wusste nicht genau, was sie dazu sagen sollte. Ein Ringer als Nachbar? Das klang gefährlich und aufregend. "Das Geld könnte ich gebrauchen", sagte sie. Und das Abenteuer auch. "Genau", stimmte Sandee zu. "Das könnte klappen." Was war das eigentlich für ein Job? Bei Sandee wusste man nie so genau. Löwen bändigen? Mit Schlangen tanzen? "In den vergangenen fünf Jahren habe ich ausschließlich in der Lohnbuchhaltung bei Universal Shower Door' gearbeitet", gestand Corinne schüchtern ein. "Perfekt!" Sandee stand auf, nahm das Tablett und ging zurück in die Küche. "Das kriegst du spielend hin, Liebes. Ich nehme dich und zeige dir, wo alles ist." „Wohin nimmst du mich mit?" „Na, zum Boxring."
3. KAPITEL
"Ich will zu meiner Frau", sagte Leo und blickte den Türsteher am Hintereingang der Boxhalle an. Nach all den Jahren als Detective in Las Vegas wusste Leo, wie man sich Zugang verschaffte. Der Mann grinste - kein schöner Anblick bei dem aufgedunsenen Gesicht und dem fehlenden Schneidezahn. "Ich dachte, die Rothaarige gehört zu Hank.“ Die Rothaarige? Volltreffer! Hank? Das war eine Überraschung. Leo stieß einen Fluch aus. "Sie steckt wirklich voller Überraschungen.", beschwerte er sich und schob sich an dem Türsteher vorbei, als habe er vor, diese Sache auf der Stelle zu bereinigen. Er ging den dunklen Gang entlang und lauschte die ganze Zeit über auf Schritte. Alles war still. Leo trug eine alte Jeans und ein schwarzes T-Shirt, das viel von seinen Muskeln zeigte. Auch in seinen schlimmsten Zeiten hatte Leo sich immer in Form gehalten und Gewichte gestemmt, denn wenn er als Detective arbeiten wollte, musste er fit sein. In den letzten Tagen hatte er sich nicht rasiert, und das passte alles zu seinem Auftritt hier, aber die Bartstoppeln juckten höllisch. Leo war ungekämmt und wirkte insgesamt gefährlich genug, um sich in diesem Milieu sicher zu bewegen. Er kratzte sich am Kinn und ging zu den Garderoben. In einer davon steckte gerade die "üppige Rothaarige", die dem alten Herrn den Studebaker gestohlen hatte. Er hatte noch nie davon gehört, dass eine junge Frau einen schnellen Rumser machte. Aber der Kerl namens Willy, dem der Studebaker gehörte, hatte zu Protokoll gegeben, er sei außerhalb von Las Vegas gerammt worden, und als er die Personalien austauschen wollte, habe der andere Kerl ihn niedergeschlagen. Als Willy wieder zu sich kam, lag er auf dem Rücksitz des anderen Wagens, und die Rothaarige habe am Steuer gesessen. Abgesehen von dem hübschen Gesicht und dem feuerroten Haar konnte Willy sich an gebräunte lange Beine erinnern. Und dann hatte dieser Willy vor zwei Tagen hier bei einem Boxkampf die Rothaarige wieder erkannt. Sie war im Bikini zwischen den einzelnen Kampfrunden im Ring herumstolziert und hatte die Schilder mit den Nummern der einzelnen Runden hochgehalten. Ein einfacher Fall. Leo würde die Umkleiden überprüfen, die "üppige Rothaarige" zu einem Geständnis bewegen, und dann würde Dom ihm einen "richtigen" Fall übertragen. Dass so eine Frau versuchte, einen alten Studebaker zu klauen und nicht ein neueres Modell! Leo würde nie verstehen, was in den Leuten vorging. Er steckte sich einen Zahnstocher in den Mund und ging den Gang entlang. Bevor er angeschossen wurde, hatte er über zwei Schachteln am Tag geraucht, doch das hatte er sich im Krankenhaus zwangsweise abgewöhnt, und jetzt würde er nicht wieder damit anfangen. Auf dem Gang roch es nach billigem Parfüm, Schweiß und Chlor. Leo öffnete die erste Tür. Alles dunkel. Im nächsten Raum befanden sich nur Kisten und gestapelte Stühle. Er probierte es mit der dritten Tür.
Eine nackte Blondine in schwarzen Stilettos schnappte nach Luft und starrte ihn erschrocken an. Der Farbton ihrer Augen erinnerte Leo an einen stürmischen Himmel. Er musste sich konzentrieren, um den Blick nicht von ihren Augen abzuwenden. "Ich suche ..." fing er leise an. Der Rest seines Satzes ging in einem Aufschrei unter, und die Frau schnappte sich eine weiße Pappe und hielt sie sich vors Gesicht. Anstatt ihrer Augen sah Leo jetzt die Nummer 1 vor sich, groß und schwarz auf weißem Hintergrund. Dann eben kein Augenkontakt, dachte er sich und ließ den Blick über ihren Körper gleiten. Die Brüste wirkten nicht so unnatürlich aufgeblasen wie bei vielen Frauen hier in Las Vegas, sondern voll und sinnlich wie pralle Äpfel. Die rosigen Knospen richteten sich auf, als würde die Frau seinen Blick wie eine Liebkosung spüren. Verdammt. Es war so lange her, seit er eine Frau berührt hatte. Seine Hände zuckten, und er konnte nur noch daran denken, samtweiche Haut unter den Fingern zu spüren. Er schob den Zahnstocher in den anderen Mundwinkel. Eigentlich wollte er nach der Rothaarigen fragen, aber er konnte den Blick nicht abwenden. Vielleicht lag es daran, dass er eine Frau mit so natürlichen Rundungen sah, ganz ohne die in dieser Stadt üblichen Bräunungsstreifen. Ihre Haut duftete sicher ganz leicht nach Ananas oder nach Äpfeln, und wem man mit der Zunge darüber strich, dann... "Sehen Sie weg!" schrie die Frau und hielt sich das Pappschild jetzt vor die Brüste. Leo brachte es nicht über sich, der Frau zu verraten, dass er ihre Brüste bereits gesehen hatte. Und in Gedanken hatte er sie bereits gestreichelt und mit den Lippen berührt. „Tut mir Leid." Wegen des Zahnstochers sprach er leicht undeutlich, und im Grunde bereute er das Hingucken überhaupt nicht. Die Frau schrie wieder auf, weil ihr klar wurde, dass ihr Unterkörper noch immer unbedeckt war, deshalb senkte sie das Schild vor ihren Schoß. Es fiel Leo unsagbar schwer, aber er schaffte es, ihr weiterhin in die Augen zu sehen. Was würde sie als Nächstes mit der Pappe tun? Darauf brauchte er nicht lange zu warten. Ihr Kinn fing zu zittern an, und sie hob das Schild wieder vors Gesicht, weil es ihr zu peinlich war, sich ihre Verlegenheit anmerken zu lassen. Leo wollte sie nicht weiter anstarren und sie in Ruhe lassen, aber schließlich war er ein Mann und kein Heiliger. Eher hätte man eine Lawine aufhalten können als seinen Blick, der wieder nach unten glitt. Er sah ihren glatten Hals, bemerkte den aufgeregten Pulsschlag, ihre Schultern, ihre Brüste, die sich bei jedem ihrer hastigen Atemzüge hoben und senkten. Die Lady war anscheinend sehr nervös. Und wenn er sich nicht sehr täuschte, empfand sie auch so etwas wie Erregung. Er trat von einem Fuß auf den anderen und wollte gehen, aber das brachte er nicht über sich. Ihre Reaktion auf seine Blicke weckte auch seine Leidenschaft. Sein Blick fiel auf die Locken zwischen ihren Schenkeln, und unterbewusst nahm er sofort wahr, dass die Farbe nicht zu den Haaren auf ihrem Kopf passte.
Doch dieser Gedanke wurde sofort von den Erinnerungen verdrängt, wie eine Frau schmeckte. Du bist als Detective hier, sagte er sich, nicht um eine Leibesvisitation durchzuführen. Zögernd riss er den Blick los und sah wieder auf die große Eins, die das Gesicht der Frau verbarg. Corinnes Knie zitterten. Teils aus Angst, denn der einzige Mann, der sie je ohne Kleider gesehen hatte, war Tony. Und wenn sie ehrlich war, zitterte sie auch vor Aufregung. Es war prickelnd, nackt in einem Raum zu stehen, in dem sich ein Mann befand, der so sexy aussah wie Mel Gibson. Sicher kann er das Zittern meiner Knie sehen, dachte sie und presste sie zusammen. Gleichzeitig drückte sie die Fersen in die hochhackigen Schuhe. Den ganzen Tag lang hatte sie geübt, in diesen Schuhen zu laufen. Ich hätte die Tür abschließen sollen, schoss es ihr durch den Kopf, doch dafür war es jetzt zu spät. Knie durchdrücken und aufrecht bleiben, dann würde alles gut werden. Sie wollte gar nicht daran denken, was für einen Anblick sie bieten würde, wenn sie hier zu Boden fiel und von Lampen beschienen wurde, die so grell waren, als ob man damit ein ganzes Stadion ausleuchten wollte. Vorsichtig spähte sie über den Rand des Kartons und sah das zerzauste dunkelbraune Haar des Mannes. Der ganze Kerl wirkte ungebändigt und wild. Durchdringende grüne Augen, ein muskulöser Körper. Einem solchen Prachtexemplar von einem Mann war sie noch nie so nahe gewesen. Sie konnte fast die Hitze spüren, die von ihm ausging. Ihr war klar, dass er ihren Körper anstarrte, als habe er jedes Recht dazu. Innerlich stöhnte sie auf und lehnte die Stirn gegen die Rückseite der Pappe. Sollte sie das Gesicht oder den Körper bedecken? Aber wenn sie die Pappe senkte, konnte er ihre Verlegenheit sehen. Und im Moment wollte sie ihm das noch weniger zeigen als ihren nackten Körper. Vor ein paar Tagen hatte sie noch in durchsichtiger Folie im Eingang ihres Hauses gestanden, genau in denselben Schuhen. Aber da hatte sie den Fehler gemacht, dem Mann, den sie heiraten wollte, in die Augen zu sehen. Und sein selbstsüchtiger, kalter Blick hatte ihr gezeigt, dass er sie nicht wirklich liebte. Zu diesem Mann konnte sie nicht zurück, und so blieb ihr nur der eine Weg, als Sandee aufzutreten. In meiner Lage würde Sandee sicher etwas Spritziges zu dem Mann sagen, überlegte Corinne. Sie würde ihn nicht anschreien, dass er verschwinden solle, oder hastig nach ihrem Bademantel greifen. Corinne wusste auch gar nicht, wo sie den hingelegt hatte. Sie atmete tief durch. Was würde die sexy Sandee jetzt sagen? „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?" brachte sie krächzend heraus. Er schwieg eine Sekunde. "Ich ... ich suche etwas." Seine Stimme klang völlig ruhig, angenehm tief und ein ganz klein wenig rau. Corinne überlief es hieß. So stark hatte sie noch nie spontan auf einen Mann reagiert, nicht einmal auf ihren Verlobten. Sie drückte die Knie noch
entschlossener durch, um auf jeden Fall aufrecht stehen zu bleiben. Beim Blick nach unten sah sie seine Füße. Hieß es nicht, die Fußgröße eines Mannes ließe Rückschlüsse zu auf die Größe eines gewissen anderen Teil seines Körpers? Welche Frau wollte bei so einem Mann schon die Heilige spielen? Corinne umklammerte das Schild fester und hatte den Eindruck, der rote Nagellack, den sie sich von Sandee geliehen hatte, würde jeden Moment unter den Blicken des Mannes zu schmelzen anfangen. Corinne räusperte sich. "Ich bin die Einzige hier." Schluss mit dem Versuch, sexy und witzig zu sein. Sie brauchte ihre ganze Kraft, um überhaupt einen Ton herauszubringen. "Und ich muss mich anziehen." Darauf wäre er sicher auch von allein gekommen. "Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich umsehe?" "Haben Sie denn noch nicht genug gesehen?" Als Antwort kam nur ein tiefes Lachen. Der Tonfall des Lachens zeigte ihr, dass er sie attraktiv fand. Er braucht kein Wort zu sagen, dachte Corinne, und trotzdem fühle ich mich bei ihm begehrenswerter als jemals bei Tony. Sie spürte, dass sie rot anlief. Sicher sah man ihr deutlich an, dass sie seit zwei Monaten keinen Sex mehr gehabt hatte. Warum schreie ich nicht gleich: "Nimm mich!", fragte sie sich verzweifelt. Habe ich genug gesehen? fragte Leo sich. Auf keinen Fall. Und er sehnte sich danach, nicht nur zu sehen, sondern auch zu fühlen und zu schmecken. Er glaubte, jeden Moment vor Verlangen zu explodieren. Am klügsten wäre es, wenn er aufhörte, die Frau anzustarren, und so schnell wie möglich diese Garderobe verließ. "Die Frau meines Freundes arbeitet hier. Sie meint, sie hätte in einer der Garderoben ihre Handtasche vergessen." Das klang vernünftig, denn hier arbeiteten viele Frauen, von der Tänzerin bis zur Kellnerin. Und für eine vergessene Handtasche brachte jede Frau Verständnis auf. "Beeilen Sie sich. Ich muss mich unbedingt..." „... anziehen. Ich weiß." Eigentlich schade, denn sie sah umwerfend aus, wie sie so splitternackt in ihren schwarzen Stilettos dastand. Leo rieb sich das stoppelige Kinn und zwang sich, sich in dem Raum umzusehen. Eine mit Perlen bestickte Handtasche und eine schwarze Sporttasche. Das passte eigentlich nicht zusammen. War diese Frau sportlich und gleichzeitig so glamourös? Showgirls in Las Vegas hatten normalerweise nicht so schlichte Taschen wie diese Sporttasche bei sich. Konzentriere dich ausschließlich auf das Zimmer, sagte er sich. Nichts wies darauf hin, dass sonst noch jemand hier gewesen war. Sollte er sie nach der Rothaarigen fragen? Aber das hieße zu viel zu verraten. Es war Zeit zu gehen. "Nicht hier", brachte er heraus. "Falsche Garderobe." Mühsam widerstand er dem Drang, noch einmal ihren verführerischen Körper anzusehen, und ging hinaus. Sobald er die Tür hinter sich zugezogen hatte, lehnte er sich mit der Stirn gegen die Wand und stieß die Luft aus. Angewidert zog er sich den kaputten
Zahnstocher aus dem Mund. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er ihn zerbissen hatte. Wie hatte er sich so sehr von seinem Verlangen beherrschen lassen können? So etwas hatte er nicht mehr erlebt, seit Elizabeth ihn vor fast einem Jahr so hintergangen hatte. Er stieß sich von der Wand ab. Ein Gedanke an seine Exfrau, und er war wieder vollkommen ernüchtert. Das klappte immer. Er konzentrierte sich ganz auf die Arbeit und sah sich in jedem Gang nach der Rothaarigen um, obwohl er bereits ahnte, dass er sie nicht finden würde. "Haben Sie den Rotschopf gefunden?" fragte der Türsteher, als Leo wieder herauskam. "Nein." Er sah zum Mond hoch. Gerade zog eine Wolke davor entlang, und er musste an das Schild denken, dass die Frau sich vors Gesicht gehalten hatte. "Wie gesagt, die Frau steckt voller Überraschungen." Er zog sich noch einen Zahnstocher aus der Tasche seines T-Shirts. Irgendetwas hatte in dieser Garderobe nicht gestimmt, aber was? Die Frau war definitiv allein gewesen. In Gedanken ging er alles noch einmal durch. Die langen schlanken Beine, der Nabel, den er so gern mit der Zunge erkundet hätte, die vollen Brüste ... Wenn er sie beschreiben müsste, könnte er jede Einzelheit ihres Körpers angeben, aber ihr Gesicht hatte er nur ganz kurz gesehen. Sinnliche Lippen, im selben Rot geschminkt wie die Fingernägel, eine süße kleine Nase, die sich sicher beim Lachen krauste, und eine blonde Mähne. Abrupt nahm er den Zahnstocher aus dem Mund. Blondes Haar? Genau das war der entscheidende Punkt. Wenn er sich nicht so sehr von seinen Trieben hätte steuern lassen, dann wäre es ihm schon früher aufgefallen. Die Locken zwischen den Schenkeln der Frau waren nicht blond gewesen. Sondern aufreizend rot. Corinne betrachtete sich in dem großen Spiegel. "In der Plastikfolie sah ich angezogener aus", sagte sie zu sich selbst und blickte auf den schwarzen Bikini, der nur knapp das Allernötigste verbarg. Dank der Einlagen wirkten ihre Brüste tatsächlich, als hätte Corinne Körbchengröße D, genau wie Sandee es gesagt hatte. Corinne hatte den Eindruck, ihre Brüste könnten jeden Moment aus dem Oberteil herausquellen. Hoffentlich kommt Sandee bald zurück, dachte sie. Ich bin einfach keine geborene Sexbombe. Das Bikinihöschen war fast noch schlimmer. Das winzige Stoffdreieck war kleiner als ein Bierdeckel, und der Rest bestand nur aus Bändern. Dehnbare Schnüre, die sie oberhalb der Hüften mit Schleifen und zur Sicherheit noch mit Doppelknoten zusammengebunden hatte. "Das bin jetzt ich", stellte Corinne mit einem weiteren Blick in den Spiegel fest. "Die wilde, abenteuerlustige Sandee." Es war aufregend. Hatte sie schon jemals im Leben die Chance bekommen, ihre ganze Sinnlichkeit offen zu zeigen und die Sexbombe zu spielen? Noch nie! Sie machte einen kleinen Schritt nach rechts und wiegte die Hüften. Dann schwenkte sie den Po von einer Seite zur anderen. Lachend warf sie den Kopf
nach hinten, doch abrupt hielt sie inne. Hatte sie diese sinnliche Seite in sich bisher nur unterdrückt, weil Tony so besitzergreifend und eifersüchtig gewesen war? Immer hatte sie sich nur gefragt, wie sie ihm Freude machen konnte. Und wenn er schlecht gelaunt war, gab sie sich unweigerlich die Schuld daran. Ständig hatte sie mehr auf Tony geachtet als auf sich selbst. Zum Glück war sie wenigstens an diesem entscheidenden Tag zu Hause geblieben und hatte ihn überrascht. Dass sie selbst auch eine Überraschung erleben würde, noch dazu eine so bittere, hatte sie zwar nicht vermutet, aber es war heilsam gewesen. Und dass sie jetzt Sandee spielen musste, tat ihr genauso gut. Es klopfte an der Tür. "Noch fünf Minuten, Süße." Das war Robbie G., der Manager dieser Veranstaltung. Sandee hatte gesagt, er lege nur Wert darauf, dass sie pünktlich war und sexy wirkte. "Komme gleich", rief Corinne zurück, wobei sie sich größte, Mühe gab, Sandee zu imitieren. Ein letztes Mal betrachtete sie sich von Kopf bis Fuß. Kein verschmiertes Make-up, der Bikini saß perfekt und die Frisur ebenfalls. Sie drehte sich um und ging zur Tür. Mich sollten sie den Tiger nennen, dachte sie entschlossen und war bereit, sich der johlenden Meute zu zeigen. Es sollte ihr erster Schritt in eine bessere Zukunft sein.
4. KAPITEL Nachdem er den Großteil des vergangenen Jahres allein verbracht hatte, kam Leo sich inmitten dieser Menschenmenge gleichzeitig verloren und bedrängt vor. Früher hätte er sich in dieser Umgebung wohl gefühlt und die Atmosphäre aufgesogen. Wenn er nicht im Dienst gewesen wäre, hätte er sich ein kaltes Bier gekauft und wie der Rest der Menge über die Boxer geschimpft. Damals wäre Elizabeth an seiner Seite gewesen, die Frau, die er vergötterte. Seine Kumpel hatten ihn immer damit aufgezogen, dass er ihr verfallen sei, wenn er sich als Erster vom Kartenspielen verabschiedete. Aber er hatte jeden Moment genossen, denn er wusste, dass sie innerlich vor Neid fast platzten. Er, Leo Wolfman, war der glücklichste Mensch auf Erden gewesen. Er hatte einen tollen Beruf, eine tolle Frau und ein schönes Heim. Rückblickend konnte er sich nicht vorstellen, wie er so naiv hatte sein können. Jetzt saß er kurz vor dem Boxkampf zwischen diesen Leuten und wünschte sich, der quälende Druck in seinem Magen würde endlich aufhören. Seit er angeschossen wurde, hatte er sich nicht mehr vollkommen entspannen können. Seine Therapeutin hatte gesagt, dieses Gefühl trete oft nach einem traumatischen Erlebnis auf. Als der Drogenhändler ihn in die Brust geschossen hatte, hatte Leo im Fall einen Blick auf Elizabeths Gesicht geworfen und die schreckliche Wahrheit erkannt: Sie liebte ihn nicht.
Die Therapeutin hatte immer wieder erklärt, Drogensüchtige wie Elizabeth würden die Droge mehr lieben als alles andere. Leo warf den Zahnstocher auf den Betonboden, als könne er dadurch auch die Erinnerung loswerden. Niemals wieder würde er einer Frau vertrauen. Ehe und Familie waren Dinge, die nicht zu ihm passten. Das Johlen der Menge wurde jetzt lauter, und einer der Boxer kam langsam auf den Boxring zu. Er trug ein Handtuch um den Kopf. Sein Betreuerteam folgte ihm. Alle trugen Baseballkappen und reckten siegessicher die Fäuste in die Luft. Als der stämmige Boxer sich zwischen den Seilen in den Ring schob, ging ein Raunen durchs Publikum. Dann kam der zweite Boxer zu einer anderen Begleitmusik aus der anderen Ecke der Halle. Die Menge brach in wildes Geschrei aus. Leo spürte auch, wie sein Pulsschlag sich beschleunigte. Das lag allerdings mehr an der Blondine mit den langen Beinen, die er eben noch nackt gesehen hatte. Sie hob das oberste Seil und bückte sich, um in den Ring zu kommen. Als sie sich vorbeugte, konnte Leo einen Blick in ihren Ausschnitt werfen, und sein Mund wurde trocken. Er konnte nur auf ihre Brüste sehen und dachte sofort wieder an die rosigen Knospen, die jetzt durch das winzige schwarze Bikinioberteil verdeckt wurden. Sie richtete sich auf, und obwohl er in der vierten Reihe saß, konnte er ihre grauen Augen erkennen. Vielleicht spielte ihm aber auch sein Gedächtnis einen Streich. Sie sah zum Anbeißen aus in diesem Bikini, aber nackt war sie noch erregender gewesen. Einen Moment lang ballte sie die Hände zu Fäusten. War sie etwa nervös? Ein Nummerngirl in Las Vegas? Sie sollte es doch gewohnt sein, sich fast nackt einer tobenden Menge zu präsentieren. Andererseits hatte sie auch in der Garderobe nicht so abgebrüht wie viele andere Frauen in dieser Stadt gewirkt. Sie hatte gezittert und sich das Schild vors Gesicht gehalten. Genau dieses Schild wurde ihr jetzt gereicht. Einen Moment blickte sie in die Menge, als wolle sie sich ein Bild von der Stimmung machen, auch das passte nicht zum typischen Verhalten eines Nummerngirls. Frauen, die so etwas machten, waren das Johlen gewöhnt und genossen es. Noch nie hatte Leo erlebt, dass so eine Frau versuchte herauszufinden, ob das Publikum ihr Freund oder ihr Feind war. Dann lächelte sie, und dieses Lächeln verriet ihm mehr als alles andere, dass er sich zu Recht über sie wunderte. Ihr Lächeln war echt, und sie strahlte so glücklich, dass Leo sich fühlte, als habe ihm jemand einen linken Haken verpasst. Die Frau hob das Schild hoch über den Kopf und fing an, im Boxring im Kreis zu gehen. Dabei winkte sie mit der Nummer, als habe keiner der Anwesenden jemals das Rechnen gelernt. Anfangs wirkte ihr Gang etwas hölzern, aber dann machte sie größere Schritte, und mit jedem Schritt schlug Leos Herz schneller. Eben noch hatte sie nervös gewirkt, aber jetzt machte ihr die Sache Spaß. Leo konnte es kaum glauben, als die Frau sogar zu tänzeln anfing, weiter mit dem
Schild wedelte und aus der Nummer 1 die erotischste Zahl machte, die Leo je gesehen hatte. Er stieß die Luft aus und suchte in der Tasche seines T-Shirts nach einem neuen Zahnstocher. Mist, keine mehr da. Unruhig rieb er die Hände aneinander und wünschte sich, er könnte die nervöse Energie, die ihn erfüllte, irgendwie loswerden. Wenn er jetzt zu Hause wäre, würde er weiter an seinem alten Wohnwagen basteln, aber das konnte er nicht, und so presste er die Hände nur auf die Knie. Du bist im Dienst, sagte er sich. Das blond gefärbte Haar der Frau glänzte im Scheinwerferlicht. Ihr Lächeln mochte echt sein, aber die Haarfarbe war es nicht. Die Lady war eine Schwindlerin. Und wenn Leo sie zur Rede stellte, würde sie ihm irgendeine erfundene Geschichte auftischen, das hatte er alles schon erlebt. Leo wusste, wie man solche Leute dazu brachte, mit der Wahrheit herauszurücken. Allerdings hatte er noch keine Frau erlebt, bei der ein Bikini eine gefährlichere Waffe war als ein Revolver. Sie tänzelte an einer Seite des Rings entlang und wandte sich dann zur anderen Seite. Plötzlich sah sie Leo in die Augen. Die Menge versank wie in einem Nebel, und Leo hörte nur noch seinen eigenen Herzschlag. Die Frau musterte ihn wie ein Tier, das einen Feind wittert. Voller Misstrauen und ... Angst? Wieder diese seltsamen Widersprüche im Verhalten der Frau. Einerseits wirkte sie supersexy, andererseits lächelte sie wie ein naives Mädchen vom Land. Dann wieder spielte sie die Verführerin im Ring, sah Leo aber verängstigt an. Er hatte genug Kriminelle verhaftet, um jede Regung und jedes Blinzeln deuten zu können, aber bei dieser Frau passte irgendetwas in der Körpersprache nicht zusammen. "Sandee!“ Eine laute Männerstimme erhob sich über das Lärmen des Publikums, und die Frau blinzelte verwirrt. Dann drehte sie den Kopf. Ein riesiger muskelbepackter Kerl, dessen kahl rasierter Kopf wie eingeölt glänzte, winkte ihr zu. Zögernd winkte sie zurück, dann wandte sie sich schnell ab und winkte weiter mit dem Schild. Sandee. So hieß sie also. Als sie wieder aus dem Ring stieg, zog sie sich ein schwarzes Jackett über. Sie saß sehr aufrecht und hielt die Beine eng zusammen wie ein braves Schulmädchen. Ein Schulmädchen im Bikini. Das passte wieder nicht. Aber schließlich war sie auch eine Trickdiebin, die alle hinters Licht führte. Ich lasse mich nicht täuschen, beschloss Leo. Zum ersten Mal seit Monaten spürte er wieder seinen Jagdinstinkt erwachen. Betrüger mochten noch so schlau sein, Leo konnte sie alle überlisten. Er sammelte Beweise, arbeitete ganz systematisch, und am Ende tappten sie ihm in die Falle.
"Du bist der Tiger!" Corinne stand vor dem Spiegel, ihr Gesicht war vor Aufregung gerötet. Sie blies sich eine blonde Strähne aus dem Auge, dessen Wimpern sie dick mit schwarzer Mascara geschminkt hatte. "Wenn Tony nur sehen könnte, was aus seiner unauffälligen fügsamen Corinne geworden ist!" Sie musste lachen. „Da würde ihm das aufgesetzte Lächeln vergehen." Sie wackelte mit dem Po. "Seine brave Verlobte, die ihren Körper einer Menge von Fremden präsentiert." Während der einzelnen Runden hatte Corinne am Rand des Rings gesessen und genau mitbekommen, wie erwachsene Männer sich wie liebestolle Teenager aufführten. Kein Wunder, dass Sandee bei so viel Aufmerksamkeit vor Selbstbewusstsein strotzte. All die Komplimente und die vielen Blicke! Corinne hielt inne. Ein Paar Augen war da gewesen, dass sie aus der Bahn geworfen hatte. Noch vor der ersten Runde hatte sie den Mann in der Menge gesehen, der zuvor angeblich aus Versehen ihre Garderobe betreten hatte. Als er ihr in die Augen sah, wäre Corinne fast gestolpert. Er hatte wie ein echter Boxfan dicht am Ring gesessen, sich aber nicht so aufgeführt. Anstatt zu johlen und zu trinken hatte er ganz ruhig dagesessen und sie angesehen. Sie, Corinne! Etwas sagte ihr, dass er nur ihretwegen dort saß und nicht wegen des Boxkampfs. Einerseits machte ihr diese Vorstellung Angst, aber andererseits schmeichelte es ihr, dass dieser unglaublich gut aussehende Mann, der mit seinem zerzausten Haar, dem durchtrainierten Körper, den durchdringenden grünen Augen und den Bartstoppeln wie ein wildes Tier wirkte, ihretwegen dort gesessen hatte. Mit diesem Mann allein und ungestört sein, was für eine erregende Vorstellung! Corinne ermahnte sich, jetzt bloß nicht ins Träumen zu geraten. „Okay", sagte sie leise. "Der Kerl verfolgt mich. Wieso?" Was hatte er vorhin gesagt? Hatte er nach einer Handtasche gesucht? Von seiner Freundin? Er wirkte nicht so, als sei er in festen Händen. Eher wie ein Raubtier, frei und ungebunden. Bei der Erinnerung an seinen Blick erzitterte sie innerlich. In diesem Moment hatte sie sich nackter als zuvor in der Garderobe gefühlt. Vielleicht weil sie sich von ihm beobachtet und durchschaut fühlte. War er ein ehemaliger Freund von Sandee? Die hatte ihr gegenüber nur Hank erwähnt, und der sollte lockiges schwarzes Haar haben. Der Fremde dagegen hatte braunes Haar. Und dann hatte Sandee noch von dem Ringer gesprochen. War der Fremde das Phantom? Er sah kräftig aus, aber nicht wie ein Ringer. Wer war er dann? Nur ein Fan von Nummerngirls, entschied Corinne und versuchte, nicht darüber enttäuscht zu sein, dass er kein Verehrer von ihr persönlich war. Auch wenn heute viele Männer mit ihr geflirtet hatten, so blieb trotzdem der Betrug
durch den einen Mann, dem sie aus tiefstem Herzen vertraut hatte. Sandee hatte ihr geraten, nicht an den Mistkerl zu denken und sich zu beschäftigen, und genau das würde sie auch tun. Entschlossen fing sie an, sich abzuschminken. Leo schlug mit dem Stock gegen den Stamm der Palme und fragte sich, wann die Frau endlich nach Hause fuhr. Frauen brauchten immer eine Ewigkeit, bis sie sich umgezogen hatten, und diese bildete anscheinend keine Ausnahme. Wieder musste er an ihren aufreizenden Körper denken, und auf einmal kam ihm die Jeans noch enger vor. Diese endlos langen Beine! Ihr ganzer Körper strahlte eine natürliche Sinnlichkeit aus. Und wenn er sich nicht täuschte, hatte sie auch einen kleinen Schönheitsfleck direkt neben dem Nabel. Knack. Er hatte den Stock zerbrochen. Leise fluchend warf er die Reste weg. Er stand in einer Ecke des Parkplatzes hinter der Veranstaltungshalle und war durch die Palmen fast vollständig verdeckt. Mit dem Stock hatte er nur gespielt, weil er keine Zahnstocher mehr hatte. Ungeduldig wartete er seit einer halben Stunde auf die Frau. Auf Sandee. Zum Glück hatte dieser Hüne von Mann ihren Namen gerufen. Er schien erfreut darüber, sie zu sehen, aber sie hatte überrascht gewirkt. Leo schüttelte den Kopf. Die Lady verhielt sich wirklich merkwürdig. Während des gesamten Kampfes hatte sie den Blickkontakt mit ihm vermieden. Das war schlau von ihr. Anscheinend ahnte sie, dass er hinter ihr her war. Solche Spielchen gefielen Leo. Das reizte seinen Jagdinstinkt. "Nacht, Kleine!" Die Stimme des Türstehers durchbrach die Stille. "Irgendwann will ich auch mal von deinen Früchten naschen. Leo trat einen Schritt tiefer in die Schatten und beobachtete Sandee. Sie trug ein Kleid aus pinkfarbenem Chiffon, und ihre nackten Füße steckten in Sandaletten mit hohen Absätzen, die auf dem Asphalt klackten. Ein leichter Windhauch drückte ihr das Kleid eng an den Körper, und während Sandee sich Leo näherte, konnte er immer deutlicher ihre Schenkel unter dem Stoff sehen. Ihre Brüste wippten aufreizend bei jedem Schritt. Dieses Kleid war fast noch schlimmer als der Bikini. Als sie unter einer Laterne entlangging, glaubte Leo sogar, Sandees Brustspitzen zu sehen. Eigentlich sollten Frauen wie Sandee dazu gezwungen werden, BHs zu tragen. Zumindest sollten solche dünnen Kleider verboten werden. Ein leises Schnappen ertönte, und Leo erkannte, dass er nervös mit dem Verschluss seiner Armbanduhr gespielt hatte. Er verharrte und atmete ruhig durch, um das Verlangen, das ihn erfüllte, zu dämpfen. Sie ist eine Betrügerin, sagte er sich. Genau wie Elizabeth. Dieser Gedanke brachte ihn zurück in die Wirklichkeit. Er beobachtete jede Bewegung der Frau.
Sie war stehen geblieben und neigte den Kopf zur Seite, als horche sie in die Dunkelheit. Leo hielt den Atem an. Hatte sie das Schnappen des Verschlusses gehört? Bestimmt war sie wie alle Diebe ständig auf der Hut. Genau wie Polizisten mussten Verbrecher immer genau hinsehen und hinhören. Aber Leo war sicher, dass sie ihn hier in der Dunkelheit nicht sehen konnte. Trotzdem lehnte er sich lässig an das nächste Auto, als gehöre es ihm. Gleichzeitig sah er in den Himmel, als warte er auf jemanden. Er hörte schnelle Schritte und dann Stille. War sie stehen geblieben? Wieso? Etwa sechs Meter von ihm entfernt stand sie zwischen zwei Autos. Einem grünen Toyota und einem anderen Wagen, den Leo nicht erkennen konnte. Sie senkte den Kopf und suchte in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel. Im Mondlicht glaubte Leo, dass ihr blondes Haar auch leicht rötlich schimmerte. Ja, dachte er, das ist deine natürliche Haarfarbe. Dabei wartete er darauf, dass sie den Toyota aufschloss. Aber sie wandte sich zu dem anderen Wagen um. Leo wagte sich einen Schritt vor und erkannte die Automarke. Ein Ferrari. Sofort war er hellwach und ließ die Frau nicht aus den Augen, während sie in den glänzenden Ferrari stieg und dabei sorgfältig darauf achtete, dass ihr Kleid keine Falten bekam. Wie eine Lady auf dem Weg zum Kaffeekränzchen. Die Scheinwerfer gingen an, und während die Frau losfuhr, schlenderte Leo zu seinem Mustang. Leise öffnete er die Tür und stieg ein. Als der Ferrari vom Parkplatz auf die Straße bog, ließ Leo den Motor an. Er folgte der Frau und hielt sich dabei in sicherem Abstand. Er war auf der Jagd.
5. KAPITEL Corinne knurrte der Magen. Es war jetzt kurz vor Mitternacht, und sie hatte seit dem Lunch nichts mehr gegessen. Wieder Reste aus Sandees Kühlschrank, und Corinne konnte nur hoffen, dass der Käse tatsächlich so grünlich sein sollte, wie er war. Anschließend hatte sie das Laufen auf hohen Absätzen geübt und war so nervös geworden, dass ihr der Appetit vergangen war. Außerdem hatte sie befürchtet, nicht mehr in den schwarzen Bikini zu passen, wenn sie auch nur eine Kleinigkeit aß. Wieder knurrte ihr Magen. "Ja, ja", sagte sie, "ich höre dich ja. Und ich will auch mal wieder etwas Richtiges essen." Sie wollte sich Nudeln mit Tomatensoße kochen, roch schon den leckeren, mit einem Klecks Butter verfeinerten Spinat, und als Nachtisch würde es frische Beeren mit Sahne geben. Corinnes Magen reagierte mit erneutem Knurren. "Anscheinend hätte ich lieber das Tier in mir wecken sollen als in Tony."
Sie musste lächeln und entdeckte, dass sie an ihrem neuen seltsamen Leben Spaß hatte. Früher hatte sie sich alles immer so zu Herzen genommen. Nie war sie zu spät zur Arbeit gekommen, bei der Bluse machte sie nur den obersten Knopf auf, und sie sagte niemals, was sie wirklich wollte. Vielleicht hatte das daran gelegen, dass sie als Kind ständig umgezogen war. Ihre Mutter war ständig mit anderen Männern verlobt oder verheiratet, und dadurch hatte Corinne immer wieder ein neues Zuhause bekommen. Ihre vielen kleinen Regeln hatten ihr damals geholfen, etwas Beständigkeit in ihr Leben zu bringen. Und wenn sie Tony nicht mit diesem Flittchen erwischt hätte, würde sie immer noch so leben. Seltsam, dachte sie. Ich sollte wirklich froh sein, dass ich Tonys Untreue entdeckt habe. Sonst säße ich noch in Denver und würde mir einreden, alles sei gut. Corinne betrachtete die funkelnden Lichter von Las Vegas. Wenn ihr vor einer Woche jemand gesagt hätte, dass sie fast nackt durch einen Boxring stolzieren würde, hätte sie ihn für verrückt erklärt. Solche Dinge tat die kleine unauffällige Corinne einfach nicht. Aber jetzt hatte sie es getan, und sie hatte den Eindruck, jetzt sei alles für sie möglich. Kurz darauf entdeckte sie tatsächlich einen Supermarkt. Auf dem Parkplatz standen eine ganze Reihe Autos. Offenbar gingen in Las Vegas viele Leute um Mitternacht einkaufen. Schwungvoll bog sie mit dem Ferrari in die Einfahrt. "Wow, das Baby fährt aber schnittig", rief sie aus und ärgerte sich, diesen Spitznamen benutzt zu haben. Wütend trat sie aufs Gas und schoss auf die nächste Parklücke zu. Bremsen quietschten, und lautes Hupen ertönte. "Fährt man so in Colorado?" schrie ein Mann. Corinne bremste auch und sah zu dem weißen Wagen. Hinter dem Lenkrad saß ein sehr schlecht gelaunter Mann und machte Gesten, die ihm bestimmt nicht seine Mutter beigebracht hatte. Früher hätte Corinne sich entsetzlich geschämt und entschuldigt, aber diese Corinne gab es nicht mehr. Sie ließ das Fenster herunter und lächelte den Mann strahlend an. „In Colorado geht es eigentlich noch viel wilder zu, aber hier fahre ich rücksichtsvoll." Dann ließ sie den Motor zwei Mal aufheulen und fuhr weiter. Sie stellte den Ferrari unter einer Laterne ab. Schließlich war dies ein teurer Wagen. Corinne wusste genau, was jedes kleine Extra gekostet hatte, denn Tony hatte ihr immer vorgebetet, wie viel Geld er in sein Auto steckte. Corinne hätte das viele Geld gern für etwas anderes ausgegeben, aber allein mit dem Vorschlag hätte sie Tony in Rage gebracht. Sie stellte den Motor ab. Sandee hatte ihr ein paar hundert Dollar dagelassen, sozusagen als Honorar für die "Urlaubsvertretung". "Heute Nacht werde ich mir etwas Leckeres gönnen", sagte Corinne zu sich selbst. "Marinierte Artischocken, Ziegenkäse, frische italienische Nudeln ... " Mit dem Gedanken an überteuerte Lebensmittel stieg sie aus dem Wagen aus.
Als sie die Tür verschlossen hatte, starrte sie das Auto an. "Was fand Tony bloß an dir?" fuhr sie den Ferrari an. "Du bist nur ein hübsch verpackter Motor mit ansprechenden Kurven. Genau wie die Frauen, mit denen er sich abgibt. Aber hast du auch ein Herz? Kannst du lieben? Kannst du ein Baby bekommen?" Corinne musste schlucken und widerstand dem Drang, dem Ferrari ein paar kräftige Tritte zu versetzen. Leo spielte mit dem Kobold aus Plastik, der normalerweise an seinem Rückspiegel hing, während er Sandee beobachtete, die vor ihrem Ferrari stand und ihn anschrie, als hätte das Auto sie gerade beleidigt. Frauen! Man würde nie einen Mann sehen, der seinen Ferrari beschimpfte. Im Gegenteil. Der Ferrari wäre der beste Freund des Mannes. Aber bei dieser Frau war das anscheinend anders. Es war ohnehin verrückt, dass sie den Ferrari auf einem öffentlichen Parkplatz abstellte. Und dann noch mit dem Wagen reden! Vielleicht brachte so ein seltsamer Job wie ihrer es mit sich, dass man mit der Zeit auch seltsam wurde. Als die Frau sich umdrehte und zum Eingang ging, hängte Leo den Kobold wieder an den Spiegel. Die Figur besaß einen runden Holzkopf, aus dem kleine Federn nach allen Seiten abstanden. Elizabeth hatte ihm damals auch das Auto weggenommen, und so hatte Leo sich diesen alten Mustang zugelegt. Es war nicht sein Traumauto. Die Bremsen quietschten, die Airbag-Leuchte flackerte immer, und die Servolenkung funktionierte nur hin und wieder. Dann hatte Leo diese seltsame Figur unter dem Fahrersitz gefunden, und er hatte beschlossen, ihn als Glücksbringer zu behalten. "Bleib hängen, Kobold", sagte er. "Bin gleich zurück." Durch die großen Glasscheiben des Ladens hindurch konnte Leo Sandee sehen. Für eine Verbrecherin schien sie sehr locker und entspannt zu sein. Aber diese Gelassenheit kaufte Leo ihr keine Sekunde lang ab. Corinne schob den Einkaufswagen langsamer als sonst, denn normalerweise war sie auch nicht in einem so dünnen Kleid und auf hochhackigen Schuhen mitten in der Nacht einkaufen. Sie sah in ihren Einkaufswagen. Tomaten, ein Glas Artischocken, frische Nudeln, Butter, Knoblauch, Spinat. So weit, so gut. Aber wo gab es hier Ziegenkäse? Sie sah zu den Wegweisern an den Regalen. Hier drüben gab es Bürobedarf, Glühbirnen, alles fürs Baby. Alles fürs Baby. Wie unter Zwang fuhr Corinne mit ihrem Einkaufswagen den entsprechenden Gang entlang. Sie hielt bei den Gläschen mit Babybrei an und betrachtete die süßen Babygesichter auf den Etiketten. Glückliche runde Gesichter, die lächelten, als wäre nie etwas Böses auf der Welt geschehen. Corinne fuhr an Babypuder und Cremes vorbei, und dann hielt sie an. Sie öffnete ein Fläschchen Babyöl und hielt es unter die Nase. Bei dem zarten Duft dachte sie sofort an rosige Babyhaut, und es kostete sie Überwindung, den Deckel wieder zuzuschrauben und die Flasche zurück ins Regal zu stellen.
Sie schob den Wagen ein Stück weiter und hielt dann wieder an. Hier gab es Beißringe, Lätzchen, Babytassen und lauter andere wundervolle Dinge fürs Baby. Sie griff nach einer kleinen Rassel mit Tweety drauf. Probeweise schüttelte sie die Rassel, und das Geräusch klang gedämpft, fast beruhigend. Corinne malte sich aus, wie das Baby bei dem Geräusch stutzte oder lachte. Wieder schüttelte sie die Rassel und freute sich über das Geräusch. Wenn sie ein Baby hätte, würde sie die Rassel schütteln und ihr Kleines damit unterhalten. Ja, dachte sie, Ich wäre eine lustige Mom, genau wie meine es hin und wieder war, wenn sie nicht gerade Liebeskummer hatte. In meinem Haus würde es viel Gelächter geben, kleine Fingerabdrücke an den Scheiben, und überall würde Spielzeug herumliegen. Sie würde mit ihren Kindern spielen, sie dazu ermutigen, die Fantasie nicht zu verlieren und nicht nur nach festen Regeln zu leben. Wieder schüttelte sie die Rassel, machte einen kleinen Schritt zur Seite und tanzte ein bisschen zum Klang der winzigen Rassel. Leo sah auf seine Uhr. In diesem Gang trödelte Sandee jetzt schon eine Viertelstunde herum. Sie roch hier und schüttelte dort, aber sie legte nichts davon in ihren Einkaufswagen. Bisher hatte sie ihre Einkäufe so zügig zusammengesucht, als würde sie immer noch den Ferrari lenken und nicht den Einkaufswagen. Und es war sehr anregend, ihr dabei zuzusehen. Leo konnte sich nicht beschweren. Das dünne Kleid schmiegte sich immer wieder an ihren Körper, und der Supermarkt war hell erleuchtet. Hin und wieder rutschte Sandee auf ihren hohen Schuhen aus, aber sie fing sich jedes Mal wieder. Frauen und Schuhe ... Manchmal kam es Leo wie das achte Weltwunder vor, dass sie überhaupt auf ihren hohen Absätzen laufen konnten. Jetzt allerdings schien Sandee jedes Zeitgefühl verloren zu haben. Sie spielte mit Sachen herum, als sei sie ein Kind. Erst hatte Leo sich darüber geärgert, aber dann hatte er fasziniert zugesehen, wie sie angefangen hatte zu tanzen und dabei etwas geschüttelt hatte. Vorhin im Boxring hatte sie sich erotisch bewegt, aber jetzt wirkte sie verträumt und vollkommen in Gedanken versunken, während sie sich von einer Seite auf die andere wiegte. Im Boxring hatte sie ihn erregt, aber hier zog sie ihn in ihren Bann. Er bekam ein schlechtes Gewissen, und auch das war ihm neu. Aber bei dieser Frau hatte er den Eindruck, in ihre Privatsphäre einzudringen. Ihre Bewegungen wirkten so unschuldig wie bei einem kleinen Mädchen, und dadurch bekam Leo einen völlig neuen Eindruck von Sandee. Was brachte sie dazu, alles um sich herum zu vergessen? Dann musste er kurz einem Angestellten ausweichen, der Regale auffüllte, und als Leo sich wieder umdrehte und zu Sandee sah, war sie verschwunden.
Leo schoss nach vorn und sah in den Gang. Mist, wieso war er nicht auf dem Parkplatz geblieben? Er war ihr nur in den Supermarkt gefolgt, damit sie, falls sie bemerkt hatte, dass er ihr folgte, nicht durch den Hinterausgang entwischte. Hastig ging er nach rechts, weil sie bisher ganz methodisch von links angefangen und sich immer weiter nach rechts durchgearbeitet hatte. Leo wollte bereits zum Ausgang laufen, als er sie wieder entdeckte. Er blieb stehen und atmete tief durch, während sie den Wagen an einem Regal mit Zeitschriften und Büchern entlangschob und die einzelnen Titel las. Anscheinend war alles in Ordnung. Er beschloss, in den Gang zu gehen, in dem sie vorhin so viel Zeit verbracht hatte. Von dort aus würde er genau sehen, wenn Sandee aus dem Gang mit den Zeitschriften kam. Außerdem wollte er unbedingt wissen, was sie so faszinierend gefunden hatte. Er ging an Picknickausstattung vorbei, fand Zahnstocher, von denen er sich gleich ein Päckchen mitnahm, Plastikbecher, Pappteller und ... Windeln. Er verzog das Gesicht. Ungefähr hier hatte sie gestanden. Er blieb stehen und betrachtete die Babyartikel. Kleine Tassen mit Zeichentrickfiguren drauf, Lätzchen, kleine Löffel mit großem Griff und dazwischen das, was sie geschüttelt hatte. Eine Rassel. Schnell sah er zu dem anderen Gang, aber Sandee war noch nicht in Sicht. Weshalb hatte sie hier die Rassel geschüttelt und dazu getanzt? Leo sah auf die anderen Gegenstände. Kleine Hemdchen und Spielzeuge, von denen sie nichts gekauft hatte. Was für eine Frau verhielt sich so? Eine Frau, die sich ein Baby wünscht. Er konnte nicht genau sagen, ob diese Erkenntnis ihn verängstigte oder beruhigte. Er hatte sich mit Elizabeth zusammen ein Baby gewünscht, doch obwohl sie auch immer gesagt hatte, sie wolle Kinder, hatte sie schon kurz nach der Hochzeit gesagt, der Zeitpunkt sei noch nicht richtig. Als Leo sie weiter bedrängt hatte, hatte sie nachgegeben, doch ein paar Monate später hatte er die Pille in ihrem Nachttisch gefunden. Damals hatte er ein paar Dinge gesagt, die er später bereute, aber die Enttäuschung war nie ganz vergangen. Im Grunde hatte Elizabeth niemals Kinder haben wollen. Leo rieb sich über das stoppelige Kinn und konzentrierte sich wieder ganz auf die Gegenwart. Seit er angeschossen worden war, ließ er sich zu sehr von seinen Gefühlen beeinflussen. Im Moment war er wütend und verspürte zugleich eine unendlich tiefe Sehnsucht. Seine Therapeutin hatte ihm immer wieder gesagt, er solle nicht in der Vergangenheit leben, und diesem Rat würde er folgen. Sandee kam aus dem Nebengang und schob ihren Wagen in Richtung Kasse. Leo beschloss, an der Schnellkasse ganz am anderen Ende des Geschäfts seine Zahnstocher zu bezahlen. Dann wäre er wieder in seinem Wagen, bevor Sandee den Supermarkt verließ. Es klopfte.
Corinne hörte auf, in der Soße zu rühren und horchte. Wer konnte das sein? Sie sah auf die Uhr am Herd. Fast ein Uhr. Vielleicht klopfte es beim Nachbarn? Klopf, klopf. Nein, das war hier. Zu dieser Uhrzeit? Auf Zehenspitzen ging Corinne zur Haustür und hielt noch den Kochlöffel mit Resten der Tomatensoße hoch. Am Rand des Teppichs im Wohnzimmer blieb sie stehen. Klopf, klopf. Es stand tatsächlich jemand vor Sandees Tür, und anscheinend wollte er sich nicht so leicht abweisen lassen. Sandee hatte heute Abend auf dem Anrufbeantworter eine Nummer hinterlassen, unter der sie erreichbar war, und versprochen, in einer Woche wieder zurück zu sein. So lange würde der nächtliche Besucher sicher nicht warten wollen, und obwohl Corinne dazu keine Lust hatte, würde sie jetzt auch außerhalb der Arbeit Sandees Rolle spielen müssen. Als sie sich der Tür näherte, wurde ihr klar, dass man sie durch die große Scheibe neben der Tür auch sehen konnte, wenn auch nur undeutlich, weil das Glas geriffelt war. Beim Blick durch den Türspion holte sie erschrocken Luft. Ein riesiger Glatzkopf stand vor der Tür, muskelbepackt und riesig. Als er das Gesicht zur Tür hob, erkannte Corinne den Mann, der vor dem Boxkampf ihren Namen gebrüllt hatte. Anscheinend war es der bekannte Ringer, den alle nur das Phantom nannten. Trotzdem wollte Sandee sichergehen. "Phantom?" rief sie durch die Tür. Wenn sie doch Sandee wenigstens nach dem Namen gefragt hätte! "Alles in Ordnung?" "Ah, ja. Wieso?" "Sie nennen mich nie Phantom.“ Corinne wartete etwas ab und hoffte, er würde noch seinen Namen sagen, aber das tat er nicht. Sie räusperte sich und versuchte es mit der heiseren SandeeTonlage. "Was gibt's?" "Sind Sie erkältet?" Das war wohl übertrieben gewesen. Mittlerweile war Corinne auch überzeugt, dass dieser Mann Sandees Nachbar war, und der war Sandees Aussage zufolge harmlos wie ein Schoßhündchen. Corinne blickte auf das übergroße T-Shirt, das sie sich übergestreift hatte. Vorn war Schneewittchen abgebildet, hinten die sieben Zwerge. Das T-Shirt passte eigentlich nicht zu Sandee, also nahm Corinne an, dass sie es von einem Verehrer geschenkt bekommen hatte. Wenigstens war dieses T-Shirt nicht durchsichtig oder mit Strass bestickt wie alle anderen. Sie öffnete die Tür und lächelte, wobei sie wie Sandee den Kopf etwas zur Seite neigte. Auf der Veranda war es dunkel, also fiel es bestimmt nicht auf, wenn das Lächeln etwas anders war als sonst. "Sandee?" Das Phantom trug nur eine Jogginghose. Kein Hemd. Schlagartig vergaß Corinne ihr Lächeln. Vor ihr stand die größte Ansammlung von
Muskeln, die sie je gesehen hatte. Und kein einziges Haar. Der Kerl rasierte sich
nicht nur den Kopf, sondern auch die Brust. Ihr war klar, dass ihr Mund offen
stand, aber sie war einfach zu verblüfft. Rasierte er sich elektrisch? Bei all den
Muskelbergen war eine Nassrasur doch sicher viel zu gefährlich.
"Sandee?" wiederholte er. „Alles in Ordnung?"
"Ja", schwindelte sie.
Stirnrunzelnd sah er auf den Kochlöffel. "Was tun Sie da?"
"Rasieren, ich meine ... Kochen."
„Aber Sie kochen sonst nie."
Richtig. Das Einzige, was Sandee zum Kochen brachte, war das Blut der
Männer. "Ich habe beschlossen, mir ein Hobby zuzulegen."
Wie verletzt der Mann wirkte! Erst jetzt fiel Corinne das Backblech in seinen
Händen auf. Hatte er etwas für Sandee gebacken? Für Corinne hatte noch kein
Mann etwas gebacken. "Nur ein Hobby", versuchte sie abzuwiegeln, aber das
Phantom sah immer noch gekränkt aus. "Wahrscheinlich ist es nur eine Phase.
Ich war neugierig, was es im Supermarkt so gibt, also habe ich diesen Löffel
gekauft und ... Lebensmittel." Sie lächelte, aber das Phantom erwiderte das
Lächeln nicht. "Nächste Woche versuche ich es mit etwas anderem. Vielleicht
mit Putzen."
Sein Blick wurde sanfter. "Okay." Dann streckte er das Backblech vor. "Ich
habe ein paar Kekse für Sie."
Kekse? Saß dieser Riesenkerl in seinem Apartment und backte Kekse? "Vielen
Dank." Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass es solche Männer wirklich
gab.
Er hob die Schultern, und es sah aus, als würde ein Gebirge sich bewegen.
"Keine Ursache. Ich habe sowieso weiche für den Geburtstag meiner Nichte
gemacht, und da dachte ich mir, ich backe auch ein Blech für Sie." Er errötete
ein bisschen.
Corinne erkannte, dass er in Sandee verliebt war. Aber das hatte Sandee sicher
noch nicht einmal bemerkt. Sie griff nach dem Blech, aber das Phantom ließ
nicht los. "Vielen Dank."
Er lief noch röter an. "Gern geschehen." Und dabei wirkte er so verlegen wie
ein liebeskranker Teenager. Corinne hielt den Kochlöffel hoch. "Ich muss
zurück zu meinem Essen."
Das Phantom starrte den Kochlöffel wie einen Feind an.
"Mein Hobby in dieser Woche", rief sie ihm in Erinnerung.
Sofort wirkte er erleichtert.
"Tja, gute Nacht!" sagte sie fröhlich, zog behutsam an dem Blech, und endlich
ließ er los.
Corinne wollte schon die Tür zumachen, als er fragte: "Was haben Sie mit
Ihrem Haar gemacht?"
„Gefärbt.
„Wieso?"
"Ich habe mich gefragt, ob Blondinen wirklich mehr Spaß haben."
Sie lächelte, aber das Phantom erwiderte das Lächeln nicht. "Nein, im Ernst", fuhr sie fort und wurde ernst. "Ich wollte etwas verändern." Das war allerdings die Wahrheit. "Ich finde Sie mit jeder Haarfarbe schön." Der Junge hatte aber wirklich einen Narren an ihrer Cousine gefressen. Sie würde eingehend mit Sandee reden müssen. Sandee musste zumindest versuchen, ihm eine richtige Freundin zu verschaffen, damit er nicht weiterhin seine Zeit damit verbrachte, zu backen oder andere Dinge anzustellen, um sie zu erobern. "Wirklich sehr nett." Sie machte die Tür bis auf einen Spalt zu. "Gute Nacht", flüsterte sie noch einmal. „Gute Nacht, Sandee", sagte er mit strahlendem Lächeln. "Wenn Sie irgendetwas brauchen, wissen Sie ja, wo ich bin." Leider weiß ich das nicht, dachte Corinne und schloss lächelnd die Tür. Dann lehnte sie sich von innen seufzend dagegen. Seltsam, dachte sie. In den letzten fünf Minuten habe ich mehr Zuneigung erfahren als in den letzten fünf Monaten mit Tony.
6. KAPITEL Leo saß in seinem Mustang gegenüber von Sandees Apartment und betrachtete den kahlköpfigen Muskelberg vor Sandees Tür. Seit der Kerl aufgetaucht war, beobachtete Leo ihn sehr genau, um herauszufinden, ob der Mann Sandee Ärger machen wollte. Doch als Sandee die Tür öffnete, fing der Mann an, verlegen von einem Fuß auf den anderen zu treten, und das reichte Leo als Antwort. Und dann hielt er auch noch dieses Backblech in der Hand. Was mochte da drauf sein. Kekse? Hatte dieser Muskelmann etwas für Sandee gebacken? Leo verstand die Welt nicht mehr. Jetzt machte Sandee die Tür wieder zu, aber der Hobbybäcker schien noch nicht gehen zu wollen. Er blickte auf ihre Tür wie ein kleiner Hund, der darauf hofft, wieder ins Haus gelassen zu werden. Es tat fast weh, diesen Riesenkerl so zu sehen. "Gib's auf ", sagte Leo leise. "Wenn die Lady mehr als nur Freundschaft wollte, hätte sie dich mitsamt dem Backblech ins Haus geholt." Wie mochte es in Sandees Apartment aussehen? Leo wusste, dass er darüber besser nicht nachdenken sollte, aber er schaffte es nicht, seine Fantasie zu zügeln. Wenn Sandee einem Mann vertraute und ihn liebte, das war sicher schön. Sie war schüchtern und sexy zugleich, einfühlsam und auch mutig. Genau die Kombination aus Feuer und Seele, von der Männer träumten. Bei ihr konnte ein Mann das Schönste im Leben finden, einen Körper voller Lust und ein Herz voller Liebe.
Leo tippte den Kobold an. Wenn ich mich noch einmal so gehen lasse, dann unterbrich mich gefälligst. Sonst kaufe ich mir noch ein Backbuch und lande auch noch mit einem Blech voller Kekse vor dieser Tür." Er blickte wieder zu Sandees Tür. Der Ringer verschwand gerade im Haus nebenan, aus dem er vor zehn Minuten gekommen war. Anscheinend konnte man ihm nicht mehr vorwerfen, als ein liebeskranker Beschützer der guten Sandee zu sein. Eingehend betrachtete Leo die flachen einfachen Häuser, die dicht an dicht standen, und las die Zulassungsnummer des Ferrari, die er sich notiert hatte. Über Funk ließ er die Nummer überprüfen, und schon kurze Zeit später erfuhr er, dass der Ferrari auf einen Tony Borgeson in Denver, Colorado zugelassen war. Wer war dieser Tony Borgeson? Und wieso stand sein teurer Wagen Hunderte von Meilen entfernt hier in Sandees Garage? Es gab nur einen Weg, um das herauszufinden. "Geben Sie mir die Telefonnummer von diesem Tony Borgeson, ja?" Er schrieb sich die Nummer hastig auf. "Danke." Er beendete das Gespräch und sah schnell auf die Uhr. In Denver war es jetzt gerade kurz nach zwei Uhr nachts. Eigentlich sollte er mit dem Anruf bis morgen warten, aber hier ging es immerhin um einen Ferrari. Selbst wenn der Mann Sandee den Wagen geliehen hatte, war er sicher froh darüber, dass die Polizei ein Auge auf sein wertvolles Gefährt hatte. Natürlich würde Leo nicht verraten, dass der Wagen jetzt sicher in Sandees Garage stand. Er würde auch nicht sagen, dass sie zuvor mit dem Auto zur Arbeit und zum Einkaufen gefahren war, um es anschließend anzuschreien. Leo gab Tonys Nummer ein, und nach dem dritten Klingeln meldete sich eine verschlafene Männerstimme. "Hallo?" „Tony Borgeson?" Eine kurze Pause. "Ja?" Leo erklärte gerade, dass er zur Polizei gehörte und dass sie einen gelben Ferrari überprüften, als Tony ihn unterbrach. "Woher rufen Sie an? Aus Las Vegas? Mein Ferrari ist im verdammten Las Vegas? Was hat es da zu suchen?" Als Detective war Leo den Umgang mit aufbrausenden Menschen gewohnt, und sofort wurde er noch ruhiger als sonst. "Genau deswegen rufe ich an. Wir wollten sicherstellen, dass Sie sich bewusst sind ..." "Las Vegas?" stieß Tony aus und ließ eine Reihe von Flüchen folgen. Leo wartete, und als Tony endlich verstummte, fuhr er fort: "Das ist ganz sicher. Ihr Wagen befindet sich in Las Vegas. " "Wahrscheinlich ist sie bei ihrer Cousine", sagte Tony nachdenklich. "Vielen Dank, Officer. Ich werde mich darum kümmern." Abrupt richtete Leo sich auf. Mit so einer Reaktion hatte er nicht gerechnet. "Ist der Wagen gestohlen worden, Sir?" Diesmal dauerte die Pause etwas länger. "Nein." Der Kerl log, aber Leo ließ nicht locker. "Wenn der Wagen gestohlen wurde, kann die Polizei ihn beschlagnahmen."
"Er wurde nicht gestohlen." Ach nein? dachte Leo, doch Tony sprach sofort weiter. "Ich weiß, wer mein Auto hat. Sie ... hat es ausgeliehen. Ich werde nach Las Vegas fliegen und mich selbst darum kümmern." Ausgeliehen? "Dazu besteht kein Anlass. Ich kann gern ...“ "Es ist mein Auto, mein Eigentum. Ich will nicht, dass die Polizei sich damit befasst. " Leo waren die Hände gebunden. Wenn Tony die Polizei nicht einschalten wollte, dann konnte Leo nichts unternehmen, auch wenn er sicher war, dass die Frau diesen Ferrari entwendet hatte. Das ärgerte ihn umso mehr, weil er wusste, dass dieser Fall mit dem gestohlenen Studebaker zusammenhing. Verdammt. Er war so dicht dran gewesen, dem ewigen Arbeiten am Schreibtisch zu entkommen. "Wie Sie meinen, Mr. Borgeson", antwortete er mit gelassener Stimme. "Falls Sie Ihre Meinung ändern, rufen Sie mich bitte an." Er gab diesem Tony seine Nummer, obwohl er wusste, dass der Mann nicht mitschrieb. Nach dem Anruf blickte Leo zu dem Kobold. "Wirklich sehr rätselhaft. Ein schneller Rumser, und jetzt dieser seltsame Typ aus Denver. " Leo biss auf einen Zahnstocher. "Zu dieser Uhrzeit werden wir das Rätsel sicher nicht lösen. Gehen wir schlafen, Kobold." Er wollte gerade den Motor anlassen, als ein anderer Wagen direkt vor Sandees Haus anhielt. Ein drahtiger kräftiger Mann stieg aus. Er trug Shorts, Sportschuhe und ein ärmelloses T-Shirt mit weitem Ausschnitt. Der Mann lief zu Sandees Tür, wobei er sich noch schnell mit einem Kamm durch die schwarzen Locken fuhr. Abwartend lehnte Leo sich wieder zurück. "Jetzt pass auf, Kobold", sagte er. "Dieser Kerl macht sich hübsch für Sandee. Diesmal gibt's keine Kekse. Der will sie nicht mit seinen Backkünsten beeindrucken." Leo schob den Zahnstocher in den anderen Mundwinkel. "Ich glaube, dieser Mann ist auch ein Verehrer von Sandee. Oder ihr Freund? Mein Instinkt sagt mir, dass der auch mit dem schnellen Rumser etwas zu tun hat." Hier kommt der Abschied von meinem Schreibtischjob, dachte Leo und lächelte zufrieden. Corinne rührte in der Tomatensoße und dachte wieder an die unglaubliche Wirkung, die ihre Cousine auf Männer ausübte. Das Phantom, ein bekannter muskelbepackter Ringkämpfer, hatte ihr Kekse gebacken. Tony hingegen hatte sich nicht einmal herabgelassen, ein Gurkenglas für sie zu öffnen oder den Müll rauszubringen. Sicher wusste er nicht einmal, wie man den Backofen anstellte. Woher nahm Sandee bloß diese magische Kraft, die Männer dazu brachte, alles Mögliche zu unternehmen, um sie zu beeindrucken? Das konnte doch nicht bloß an den Bikinis, den engen Shorts und den Kleidchen liegen. Corinne probierte die Soße. Heiß, würzig und mit kleinen Tomatenstücken drin. Genießerisch leckte sie sich die Lippen. Perfekt.
Gleichzeitig dachte sie an ihre Cousine. Sie wirkte auch perfekt. Bestimmt lag das an ihrem Selbstbewusstsein. Corinne legte den Holzlöffel weg und nickte. Das musste es sein! Als sie in dem Bikini durch den Boxring stolziert war, hatte sie förmlich spüren können, wie sie von übermächtigem Selbstbewusstsein erfüllt wurde. Alle Unsicherheit und Nervosität war vergessen gewesen. Und wie dieser Mann sie beobachtet hatte! Er hatte sie bereits in der Umkleide vollkommen nackt gesehen, und trotzdem sah er sie an, als sehne er sich nach mehr. Genau das war es gewesen, was Corinne als so aufregend gefunden hatte. Mit zitternden Fingern stellte sie die zweite Kochplatte des Gasherds an, um das Wasser für die Nudeln zum Kochen zu bringen. Corinne hatte den Eindruck, als würde nicht nur die bläuliche Flamme unter dem Topf zum Leben erwachen, sondern auch ein viel größeres Feuer tief in ihr. Sie verspürte eine Leidenschaft, die der alten unauffälligen Corinne vollkommen fremd gewesen war. Anscheinend war durch ihren erotischen Auftritt auch ihre Sinnlichkeit geweckt worden. Im Grunde hatte sie während ihres gesamten Auftritts immer wieder an diesen einen Mann gedacht und daran, wie begehrlich er sie angesehen hatte. Es hatte ihr Spaß gemacht, sich auszumalen, wie sie sein Verlangen mit jeder ihrer Bewegungen noch weiter anstachelte. Es klopfte. Corinne blinzelte und kehrte in die Wirklichkeit zurück. Wieder klopfte es an der Tür. Sie sah auf die Küchenuhr. Halb zwei Uhr nachts. "Was hat das Phantom jetzt gezaubert? Eine Sahnetorte?" Sandee hatte ihr gesagt, dass viele Menschen in Las Vegas spät arbeiteten und sich dadurch auch ihr Lebensrhythmus verschob. Bedeutete das auch, dass diese Menschen sich immer spätnachts besuchten? Wenn Corinne doch wenigstens den Namen des Phantoms wüsste! Seufzend stellte sie die Flammen kleiner und ging zur Tür. "Dieser Kerl schafft es noch, dass ich in den paar Tagen hier rund und fett werde", sagte sie leise und blickte durch den Türspion. Kein kahler Kopf und keine muskelbepackte rasierte Brust. Stattdessen blickte sie in zwei braune Augen, die sie durch den Spion hindurch voller Reue ansahen. Schwarze Locken auf dem Kopf. "Baby", flüsterte der Mann. "Mach auf." Baby. Allein wegen dieses Worts würde Corinne ihn draußen stehen lassen. Sie wollte zurück zu ihren Nudeln. "Baby, es tut mir Leid", sagte er in bedauerndem, leicht heiseren Tonfall. Er war so dicht vor ihr, dass sie den kleinen Ohrring mit dem kleinen funkelnden Diamanten sah, und das tief ausgeschnittene T-Shirt zeigte viel von seiner dichten Brustbehaarung. Ein Latin Lover wie aus dem Bilderbuch. "Hör mir zu, mi amante, ich kann das alles erklären." Corinne hörte eine Art Kratzen. Kratzte dieser Mann etwa an der Tür? Sandee brachte die Männer dazu, sie zu bekochen und anzuflehen! "Baby", fuhr er flehend fort, "ich weiß, ein schneller Rumser und du, das passt nicht zusammen, aber ... "
Ein schneller Rumser? Das musste Hank sein, der Sandee das Herz gebrochen hatte! Corinne lehnte sich an die Tür. Was würde Sandee jetzt sagen? Sie war so sauer auf Hank, und schließlich war er der Grund dafür, dass sie für ein paar Tage aus Las Vegas verschwunden war. Corinne holte tief Luft. "Geh weg, sonst rufe ich die Polizei." Es erstaunte sie selbst, wie selbstbewusst das klang. Wieder kratzte es. "Kleines, ich kann gut verstehen, dass du sauer bist. Aber bitte, hör mich an. Mehr will ich ja gar nicht." Er murmelte etwas auf Spanisch, und der tiefe Klang seiner Stimme ging Corinne durch und durch. Wieso hatte noch kein Mann so zu ihr gesprochen? Jetzt wollte sie wenigstens an Sandees Stelle weiter zuhören. "Nachdem ich meinen Job beim Casino verloren habe", fuhr er fort, "war ich verzweifelt, Baby. Ich brauchte so dringend Geld. Da habe ich nicht nur meine ganzen Werte verloren, sondern auch dich." Mit offenem Mund sah Corinne zu, wie er sich mit der Faust gegen die Brust schlug, um sich für den Schmerz zu bestrafen, den er Sandee zugefügt hatte. Das war ja besser als im Kino. "Ich würde alles tun, Baby, alles, um deine Liebe zurückzugewinnen. Du warst meine Sonne, mein Mond, mein …“ Corinne hatte jetzt genug Lobpreisungen über Sandee gehört. Wenn dieser Kerl Sandee wirklich so sehr liebte, wieso brach er ihr dann das Herz? Dieser Hank war wie alle anderen Männer, wie Tony. Im Grunde sahen die beiden sich sogar ähnlich. Der eine mit italienischer Abstammung, der andere mit spanischer. Corinne hatte immer gewusst, dass Sandee und sie einiges verband, aber dass sie sich auch zu demselben Männertyp hingezogen fühlten, verblüffte sie. Dunkle Augen, dunkle Haare, charmant und leider auch selbstsüchtig. Diese Männer betrogen die Frauen, die sie liebten, und anschließend erwarteten sie auch noch, wieder mit offenen Armen aufgenommen zu werden. Wütend riss Corinne die Tür auf. Hank schrak zurück und blickte sie prüfend an. "Das Licht hier draußen ist so grell, ich kann dich kaum sehen, Baby. Komm doch heraus zu mir." "Nein." Sie blieb lieber etwas im Schatten. Er faltete die Hände wie zum Gebet, sah Corinne aus seinen großen braunen Augen an und seufzte. "Du hast mir die Tür geöffnet, also öffnest du mir auch dein Herz." "Nein", erwiderte sie kühl. "Und jetzt hörst du mir mal zu." "Baby, ich..." „Als Erstes nennst du mich nicht mehr Baby." Das hätte sie Tony schon vor Jahren sagen sollen. Und den Ferrari hätte er auch anders taufen können. Hank machte den Mund zu und blinzelte verwirrt. „Aber es hat dir immer gefallen, wenn ich dich so..." "Das ist vorbei." Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Würde Sandee sich auch so verhalten? Corinne wusste es nicht. "Und es passt mir nicht, was du mir
angetan hast." Sie wusste zwar nicht genau, was zwischen Hank und Sandee vorgefallen war, aber mit dieser Äußerung konnte sie nichts falsch gemacht haben. Hank sank auf die Knie und senkte den Kopf. "Es tut mir so Leid.“ Dieser Mann hatte tatsächlich einen Hang für dramatische Auftritte. Außerdem entschuldigte er sich, und das hätte Tony niemals getan. Da stand Corinne nun vor diesem muskulösen gut aussehenden Kerl, der vor ihr auf den Knien um Verzeihung bat. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Wie würde Sandee reagieren? Corinne hatte sie nur als Teenager mit Jungs streiten sehen, aber im Laufe der Jahre hatte Sandee das sicher alles verfeinert. Als er ihr Zögern spürte, hob Hank den Kopf. Tränen standen ihm in den braunen Augen. Fing er jetzt etwa noch zu weinen an? Wo trieb Sandee bloß diese Männer auf? Sensible backende Männer! Hank wischte sich die Augen. „Te quiero!“ "Was soll das denn heißen?" "Das weißt du genau." Seine Stimme klang erstickt. "Ich habe es in der Nacht gesagt, als ich dir den Antrag machte. Als ich dir schwor, dich für den Rest meines Lebens zu lieben. Und unsere Kinder und Enkelkinder. Te quiero heißt ich liebe dich. Auch wenn es den Rest meines Lebens dauert, werde ich versuchen, es wieder gutzumachen." Ewige Liebe? Kinder und Enkel? Corinne spürte, wie sie innerlich nachgab. Gerade eben war sie noch wütend gewesen, aber jetzt kam sie ins Grübeln. Dieser Mann schaffte es, sie mit seinen Worten zu rühren. Konnte Sandee in so einer Situation hart bleiben? Corinne hätte viel dafür gegeben, so etwas von Tony zu hören, und vielleicht sollte sie sich jetzt lieber zurückziehen, solange sie es noch schaffte, die harte Sandee zu spielen. Andererseits war dies vielleicht die einzige Gelegenheit, eine ehrlich gemeinte Liebeserklärung zu hören. Auch wenn sie nur Sandees Rolle spielte, sie wollte jeden Moment auskosten und erleben, wie es war, so verehrt und geliebt zu werden. Und sie wollte noch etwas anderes. "Wieso hast du es getan?" flüsterte sie. Diese Frage hätte sie auch Tony liebend gern gestellt. Wieder schlug Hank sich mit der Hand an die Brust. Dabei schüttelte er den Kopf, als sei die Last so groß, dass er es nicht in Worte fassen konnte. Corinne betrachtete den Mann, in den ihre Cousine sich so sehr verliebt hatte. Dass Sandee eine so tiefe Leidenschaft empfinden konnte, war Corinne neu. Ja, sie flirtete und liebte Spaß und Sex, aber das hier war mehr. Wenn dieser Mann ihr seine Gefühle so offen zeigte, musste zwischen Sandee und ihm etwas Besonderes gewesen sein. "Ich ... ich wollte uns eine Zukunft aufbauen", sagte er schließlich. Damit hatte sie nicht gerechnet. Aber er musste etwas Schlimmes getan haben, sonst wäre Sandee hier und würde mit ihm sprechen. Andererseits wusste Corinne, dass ihre Cousine Hank immer noch liebte. Sie hatte es an Sandees
Blick gesehen und aus ihrer Stimme gehört. Vielleicht konnte Corinne den beiden helfen? Im Moment wusste sie leider nicht wie. Also stand sie mit verschränkten Armen da und betrachtete ihn. Seine Haut war dunkel gebräunt, sein schwarzes lockiges Haar glänzte. Als er nach oben blickte, konnte Corinne es kaum glauben, in einem so männlichen kantigen Gesicht so zärtliche braune Augen zu sehen. Mit seinen vollen sinnlichen Lippen und dem funkelnden Ohrring sah er wie ein Pirat aus. Sandee hatte keinen schlechten Geschmack. Aber er hat ihr wehgetan, sagte Corinne sich. Er hat ihr Kummer gemacht. "Wie kann es für uns eine Zukunft geben nach dem, was du getan hast?" Was immer das auch war. "Es ist zu spät, Hank." Sie wusste jetzt nicht genau, ob sie zu Hank oder zu Tony sprach, aber daran konnte sie jetzt nichts mehr ändern. Wieder trat dieser flehende Ausdruck in seinen Blick. "Sag das nicht, mi amante", flüsterte er mit heiserer Stimme. "Ich würde alles tun, um deine Liebe zurückzugewinnen. Durch das tiefste Meer schwimmen, den höchsten Berg besteigen, ins Auge des Taifuns fliegen ...“ Das ist ja leicht, da ist es doch windstill, dachte Corinne, aber sie wollte ihn nicht unterbrechen. Es war einfach zu schön. Unwillkürlich trat sie einen Schritt vor. Hank blickte hoch. "Baby, ich meine Sandee ..." Er verstummte und sah sie fragend an. "Was ist mit deinem Haar geschehen?" "Ich habe es gefärbt." Er sah sie so durchdringend an, dass Corinne fast in Panik geriet. Merkte er, dass sie nicht Sandee war? "Gefärbt?" Er wirkte fassungslos. "Gefällt es dir nicht?" Sobald sie es ausgesprochen hatte, hätte sie sich dafür am liebsten getreten. Jetzt beging sie denselben Fehler wieder. Es war fast so, als stände sie wieder unsicher vor Tony und fragte sich, was er von ihr hielt. "Nein." Sie wollte etwas Spritziges erwidern, aber in diesem Moment war sie wieder die verunsicherte Corinne. Ein Schatten fiel auf Hank. Corinne blickte hoch. Dort stand das Phantom und hatte die rasierten Arme über der muskulösen rasierten Brust verschränkt. Seine gerunzelte Stirn wirkte wie ein drohendes Gewitter. "Gibt es hier ein Problem?" wollte er wissen. Dankbar nahm sie sich vor, dem Phantom einen Brief als Dank für die Kekse zu schicken. Hank drehte den Kopf um und wirkte erst verwirrt und dann wütend. Er sprang auf, aber auch im Stehen reichte er dem Phantom gerade mal bis an die Brust. Corinne hielt den Atem an und wartete, dass Hank sich wieder entschuldigte, wie es jeder vernünftige Mensch tun würde, der sich so einem Fleischberg gegenüber sah.
„Wer, zum Teufel, sind Sie?" wollte Hank wissen. Anscheinend war er nicht ganz bei Sinnen. "Wer ist dieser Kerl?" fragte er jetzt an Corinne gewandt. Aus seinem Blick sprach nicht nur Wut, sondern auch Eifersucht. "Das Phantom", antwortete sie leise. "Das was?" Hank hob die Stimme, und er trat dichter zu Corinne. "Hast du mich wegen dieses Kerls verlassen? Ist das wahr? Ich baue ein einziges Mal Mist, und sofort suchst du dir einen neuen Freund?" Corinne zögerte. Ihr Magen verkrampfte sich. In so einer Situation hatte sie noch nie gesteckt. Sie hatte sich nicht einmal Tony gegenüber behauptet, und jetzt sollte sie einen drohenden Kampf zwischen zwei Männern verhindern, die beide verrückt nach ihr waren? Zeit für etwas Selbstvertrauen. Corinne blickte Hank streng an. "Nur weil du um Verzeihung bittest, heißt das nicht, dass ich sie dir gewähre. Fahr nach Hause. Ich brauche Zeit zum Nachdenken." Sie wollte zurück in die Wohnung, als ihr klar wurde, dass sie noch nicht fertig war. Mit einem Blick zum Phantom fügte sie hinzu: "Sie gehen jetzt auch nach Hause. Wenn ihr zwei hier draußen Streit anfangt, rufe ich wirklich die Polizei." Mit dieser Drohung verschwand sie in der Wohnung und schloss die Tür. Durch den Türspion sah sie, wie die beiden Männer sich eine ganze Minute lang wütend anstarrten. Schließlich machte Hank sich, ohne den Sichtkontakt zu unterbrechen, auf den Weg zu seinem Wagen. Und kurz darauf verschwand das Phantom auch wieder. Als sie Hank wegfahren hörte, atmete sie tief auf. Sie war froh, dass dieses Drama vorüber war. Doch als noch ein Wagen wegfuhr, runzelte sie die Stirn. Ein weiteres Auto? Noch ein Mann? Ein dritter? „Sandee, ich bring dir das Kochen bei, wenn du mir zeigst, wie man mit drei Männern jongliert." Corinne ging zurück in die Küche.
7. KAPITEL "Na, sind Sie wieder hier, um Ihre Freundin zu sehen?" Der Türsteher lachte leise, als sei es unglaublich lustig, dass Leo in der zweiten Nacht in Folge am Hintereingang der Boxhalle auftauchte. Eine Eule rief ganz in der Nähe, als finde sie es auch witzig. "Ja", antwortete Leo nur und wollte hinein. „Tut mir Leid." Der Türsteher blockierte mit seinem dicken Arm den Eingang. "Sie empfängt keine Besucher." Leo blickte auf den Arm und dann wieder dem Türsteher ins Gesicht. "Seit wann?" "Seit ich es sage."
Jeder ist käuflich, dachte Leo und zog einen Zwanziger aus der Tasche. Den faltete er längs und hielt ihn hoch. Der Türsteher nahm die Banknote mit Daumen und Zeigefinger. "Ich versuche nur, Ihnen Ärger zu ersparen", sagte er und grinste so breit, dass Leo mehr Zahnlücken sah, als ihm lieb war. "Sie sind schon der zweite Freund heute Abend. Jedenfalls hat er behauptet, er sei ihr Freund. Er wollte unbedingt rein, aber ich habe ihm gesagt, er müsse wie alle zahlenden Gäste durch die Vordertür." Es war zwanzig nach acht, und der Kampf fing um neun Uhr an. Wer wollte Sandee zu diesem Zeitpunkt in der Garderobe besuchen? Der muskelbepackte Bäcker? Nein. Leo vermutete, dass der nur den Beschützer spielte, wenn Sandee zu Hause war. Also musste es der andere Kerl sein. Der sie auf Knien angefleht hatte. "Ja, Sandee ist pures Dynamit", fuhr der Türsteher fort und steckte den Geldschein ein. "Man muss in ihrer Nähe auf Explosionen gefasst sein." "Zum Glück bin ich allergisch gegen Dynamit und Schießpulver." Leo ging an dem Mann vorbei. Es stimmte, dass er sich seit der Verletzung nach Möglichkeit von Schießereien fern hielt, auch wenn das bei seinem Beruf schwer war. Genauso versuchte er, nichts mehr mit Frauen anzufangen, aber das war auf lange Sicht nicht durchzuhalten. Er hatte die Ahnung, dass er früher oder später mit Sandee zu tun haben würde. Zwischen ihnen gab es irgendeine tiefe Verbindung. Das lag vielleicht daran, dass er sie mit der Babyrassel hatte tanzen sehen. Sie sehnte sich nach einem Kind, genau wie er früher. War das verrückt? Vielleicht schon, aber andererseits ähnelte Sandee vom Typ her Elizabeth. Leo unterdrückte ein Lachen. Das war doch alles Unsinn. Vorsichtig ging er in den Bereich der Umkleiden und dann den Gang entlang zu Sandees Garderobe. Als er vor der geschlossenen Tür stand, kam ihm ein Gedanke. Wieso hatte der Türsteher nicht von Hank gesprochen? Beim letzten Besuch hatte der Mann gesagt, er hätte gedacht, die Rothaarige sei Hanks Freundin. Also hatte ein anderer Mann als Hank versucht, hierher zu kommen. Leo dachte schnell nach. Der Türsteher schien den Mann nicht mit Namen zu kennen, und damit schied der Plätzchenbäcker, der bestimmt auch regelmäßig hier auftauchte, ebenfalls aus. Außerdem erkannte man deutlich, dass der Muskelberg nicht Sandees fester Freund war. Nach dem Auftritt des Kerls mit den schwarzen Locken gestern Nacht vermutete Leo stark, dass dies Hank war. Heute hatte also noch ein anderer zu Sandee gewollt. Wie viele Männer führte diese Frau eigentlich an der Nase herum? Er suchte nach einem Zahnstocher und sagte sich, dass sein Unbehagen nichts mit Eifersucht zu tun hatte. Es ist nur ein Job, sagte er sich und biss auf den Zahnstocher. Je eher ich damit fertig bin, desto eher bekomme ich einen richtigen Fall.
Er klopfte an Sandees Garderobe und machte sich dazu bereit, eine Trickdiebin zu überführen. Corinne blickte zur Tür. "Robbie, ich habe noch eine halbe Stunde." Seltsam, dass Robbie so früh, anklopfte. Gestern hatte er ihr fünf Minuten vor dem Beginn der Show Bescheid gegeben, genau wie Sandee es ihr gesagt hatte. "Hier ist nicht Robbie", erklang eine tiefe Stimme. "Hier ist Leo." Leo? Von einem Leo hatte Sandee nichts gesagt. "Was wollen Sie?" "Ein paar Minuten von Ihrer Zeit." Die Stimme klang irgendwie bekannt. "Wieso?" Heute hatte sie abgeschlossen, um nicht wie gestern überrascht zu werden. „Tony schickt mich." Eine Gänsehaut lief ihr über den Rücken, und sie holte zitternd Luft. Sie hätte sich alles viel gründlicher überlegen sollen, bevor sie mit Tonys Ferrari davonfuhr. Sicher hatte er bei ihrer Arbeitsstelle angerufen und auch bei ihrer Mutter und bei Kyle. Und als er weiterhin nichts von ihr hörte, hatte er natürlich vermutet, dass sie zu Sandee gefahren war. Wenn Tony diesen Mann schickte, dann wusste er auch, dass sie nicht Sandee war. Ich darf hier keinen Mist bauen, dachte Corinne. Sandee darf meinetwegen diesen Job nicht verlieren. Also wollte sie den Mann lieber hereinlassen, bevor er ihr Rollenspiel als Sandee auffliegen ließ. "Ich zieh mir nur schnell was an." Sie griff sich einen seidenen Umhang, den sie in Sandees Schrank gefunden hatte. Der hatte zwar weder Knöpfe noch einen Gürtel, aber wenigstens saß sie nicht in rotem Bikini und roten Schuhen einem Fremden gegenüber. Als sie die Tür aufmachte, schnappte sie nach Luft. "Sie." "Der Mann von gestern Abend", antwortete er ruhig und trat ein. Dann machte er die Tür hinter sich zu. Mit beiden Händen hielt sie sich den Umhang zu und hoffte, dass der Mann ihr nicht das Zittern anmerkte. "Suchen Sie wieder nach einer Handtasche?" Er lächelte und betrachtete sie von Kopf bis Fuß. "Nein." Seinen Blick spürte sie glühend heiß. "Ich wusste gar nicht, dass Tony Freunde in Las Vegas hat", sagte sie atemlos und erkannte ihre eigene Stimme kaum wieder. Sie versuchte gar nicht mehr, wie Sandee zu sprechen, und im Moment wusste sie nicht einmal mehr, wie Corinnes Stimme klang. Leos grüne Augen blickten aufmerksam, und sein Lächeln verstärkte sich. "Ja, anscheinend hat Tony hier Freunde. Und auch ein Auto." Natürlich. Es ging Tony nur um seinen Ferrari. Sie schwieg und sah den Mann eine Weile nur schweigend an, bevor sie sich räusperte. "Er kann das Auto haben." Der Mann wirkte so, als hätte er nicht mit dieser Antwort gerechnet. Er nahm den Zahnstocher aus dem Mund und suchte nach einem Papierkorb. Während er sich von ihr abwandte, betrachtete Corinne ihn genauer. Er trug eine Jeans und ein Hawaiihemd, das dringend gebügelt werden musste. Und seinen Bart sollte er sich auch mal stutzen lassen. Dieser Mann sah aus, als sei er auf der Flucht,
und er passte gar nicht zu Tony, der immer so viel Wert auf Äußerlichkeiten legte. Corinne begriff, dass dieser Mann unmöglich Tonys Freund sein konnte. Sie wurde wütend. Wieso dachten Männer immer, sie könnten Frauen erzählen, was sie wollen? Automechaniker, Ehemänner, alle tischten Frauen Märchen auf, und die schluckten diese Geschichten einfach. Nur damit es keinen Ärger gab. Nicht mit mir, beschloss Corinne. Dieser Leo kannte Tonys Namen. Hatte er von jemand anderem gehört, dass Tonys Ferrari in Las Vegas war? Von jemandem, der das gestohlene Auto stehlen wollte? Wenn dieser Mann Spielchen spielte, dann würde Corinne eben auch spielen. Sie fühlte sich sicher, denn sie musste nur schreien, und sofort würden Leute vom Sicherheitsdienst zur Tür hereinplatzen. Leo warf seinen Zahnstocher weg und sah wieder zu ihr. Corinne lächelte wie Sandee, wenn die mit einem Mann spielte. „Tony kann ihn zurückhaben", sagte sie in rauchigem Tonfall. "Das habe ich ihm neulich selbst gesagt." Mit einem Schulterzucken ließ sie den Umhang los, und er öffnete sich einen Spaltbreit. Leos Blick glitt an ihrem Körper nach unten, und genau das hatte Corinne sich erhofft. Sollte er ruhig noch ein bisschen mehr zu sehen bekommen. Beiläufig stellte sie den rechten Fuß etwas weiter nach außen und schob die Hüfte vor. Schnell sah der Mann ihr wieder in die Augen, um herauszufinden, was sie vorhatte. Herausfordernd erwiderte sie den Blick. Sie genoss dieses Machtgefühl. Jahrelang hatte sie sich das nicht eingestanden, aber jetzt belog sie sich nicht mehr. Das Schönste daran war, dass sie in diesem Moment gar nicht mehr so tat, als sei sie Sandee. Sie war Corinne McCourt, die stärkste und selbstbewussteste Frau auf Erden. Anscheinend bemerkte der Mann, dass etwas anders war, denn in seinen grünen Augen lag eine so brennende Begierde, als würde der Mann sich jeden Moment auf sie stürzen. Ihr Herz raste, und sie spürte eine aufwühlende Hitze in sich. Corinne wollte die Kontrolle behalten, aber der sexuelle Hunger, den dieser Mann ausstrahlte, traf sie unvorbereitet. Sie bekam eine Gänsehaut und glaubte gleichzeitig, ihr würde jeden Moment der Schweiß ausbrechen. Im nächsten Moment war der Mann bei ihr und drückte sie an sich. Heiß strich sein Atem an ihrem Ohr entlang, als er flüsterte: "Wer mit dem Feuer spielt, muss damit rechnen, dass er sich die Finger verbrennt.“ Dann presste er den Mund auf ihre Lippen und küsste Corinne lustvoll. Ein männlicher Duft umgab ihn, und sein Körper fühlte sich stahlhart an. Er fuhr mit den Lippen zu ihrem Hals und sog sanft an der zarten Haut. Corinne stöhnte leise auf, und sofort verschloss er ihren Mund mit einem weiteren glutvollen Kuss. Mit einer Hand fuhr er über ihren nackten Bauch, und wieder stöhnte Corinne auf. In ihrem Kopf drehte sich alles, und sie erwiderte seine Liebkosungen voller Begierde. Sie fuhr mit der Zunge zwischen seine Lippen und erkundete voller
Verlangen seinen Mund. Sie hatte jede Hemmung abgelegt und wollte nur noch fühlen. Abrupt hob Leo den Kopf und schob Corinne auf Armeslänge von sich. Sein Atem ging schwer, und aus seinem Blick sprach Verlangen, aber auch etwas anderes. Zorn. Corinne konnte diese Reaktion nicht begreifen. Sie wich ein paar Schritte vor ihm zurück und bekam nur vage mit, dass der Umhang ihr von den Schultern gerutscht war und auf dem Boden lag. Sie zitterte am ganzen Körper und hielt sich am Schminktisch fest. Leo schüttelte den Kopf, als wolle er wieder zu Verstand kommen. Dann wandte er sich um und öffnete die Tür. Mit dem Rücken zu ihr sagte er. "Es tut mir Leid, Sandee.“ Dann schloss er die Tür hinter sich. Corinne sank auf den Stuhl und spürte kaum die kalte Metalllehne an ihrer überhitzten Haut. "Sandee?" fragte sie sich leise. Irgendwann während des Kusses hatte sie vergessen, dass dies hier nur ein Spiel war. Leo saß nur auf der Sitzkante, denn der dicke Kerl neben ihm nahm mindestens noch die Hälfte seines Sitzes mit ein. Leo nahm sich sofort vor, gleich morgen wieder zu trainieren. So wollte er niemals enden. Er hätte sich gern einen anderen Platz gesucht, aber so dicht am Boxring war schon alles belegt. Außerdem saß er hier gleich am Gang, so dass er schnell los konnte, falls Sandees Freund Tony auftauchen sollte. Leo konnte Sandee von hier aus gut beobachten und ihr auch folgen, falls das nötig wurde. Er hatte den Ferrari erwähnt, also wusste sie, dass er ihr auf den Fersen war. Leo stieß die Luft aus. Er hatte sich ja förmlich auf sie gestürzt. Sie hatte ihren Umhang leicht geöffnet und Leo einen Ausblick gewährt, der ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Nur winzige rote Stoffdreiecke, die so wenig verdeckten, dass es seine Lust nur noch mehr steigerte. Und dann hatte sie einen kleinen Schritt zur Seite gemacht, begleitet von einem aufreizenden Hüftschwung. Das war ja so, als würde man einem Verdurstenden ein Glas Wasser hinhalten. Leo kam sich wie ein Tier vor. Diese Frau zeigte ein bisschen Bein, und sofort kam er mit heraushängender Zunge angetrabt. Sie wiegte die Hüften, und er führte sich auf, als habe es die Zivilisation niemals gegeben. Als er auf die Frau zugegangen war, hatte er überhaupt nicht mehr denken können. Fast hätte Leo über sich selbst gelacht. Dem Türsteher hatte er noch erzählt, er sei allergisch gegen Schießpulver, und anschließend warf er sich förmlich in die Schusslinie. Wenn Dom von diesem Vorfall erfuhr, würde er dafür sorgen, dass Leo für immer im Innendienst versauerte. Laute Musik riss Leo aus seinen Gedanken. Der erste der beiden Boxer kam zum Ring. Seine Crew und er trugen Sonnenbrillen, und Leo spürte die
Anspannung in der Menge. Viele riefen den Namen des Boxers - "Ben, Ben, Ben" - immer wieder, wie einen Schlachtruf. Der zweite Boxer kam kurz danach, und seine Betreuer trugen so viele Goldkettchen, dass sie wie ein Juwelierladen funkelten. Er zog zu einem Reggaesong zum Boxring, und die Menge schrie "John, John, John." Die Anspannung wuchs, und Leo blickte zu Sandee, die einen Fuß in den Ring setzte. Auf einmal kamen Beschützerinstinkte in Leo hoch. Er wollte Sandee vor der tobenden Menge beschützen. Wieso musste sie ausgerechnet Rot tragen? Das war wirklich der Gipfel. Lust und Ärger tobten in ihm, während er sie beobachtete Am liebsten hätte er sie angeschrieen und gefragt, was sie da eigentlich tat. Leo begriff, dass er nur wütend war, weil er sich nach mehr sehnte als nach dem, was Sandee der Welt bot. Sie war sexy und wusste, wie sie das Verlangen eines Mannes wecken konnte. Aber Leo wusste, dass noch mehr in ihr steckte. Er sehnte sich nach der zärtlichen Frau, die von einem Baby träumte. Sie beugte sich vor, und als sie sich zwischen den Seilen in den Ring schob, lief das dicke Seil an ihrem Körper entlang, als würde sie es reiten. "Wow, sieh dir das an!" stieß der dicke Kerl aus und rutschte auf seinem Platz hin und her, so dass er Leo fast von seinem Sitz stieß. Leo biss die Zähne zusammen. Er würde sich jetzt nicht aufregen. Die Menge tobte, aber Leo hatte sich unter Kontrolle. Besonders nach seinem Ausfall in Sandees Garderobe wollte er sich selbst beweisen, dass er kühl und professionell sein konnte. Allerdings geriet dieser gute Vorsatz ins Wanken, wenn er zu Sandee sah. Sie stolzierte jetzt mit wiegenden Hüften durch den Ring und hielt die 1 hoch. Leo hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Woraus bestand dieser Bikini eigentlich? Dieses Material schmiegte sich fast liebkosend an ihren Körper. Leo wischte sich die Hände an der Hose ab, als er an Sandees weiche Haut dachte und daran, wie gut sich ihre Hüften anfühlten. Er schloss die Augen. Ganz ruhig bleiben, sagte er sich. "Gib mir deine Nummer!" schrie der dicke Mann Sandee zu, und als er sich bewegte, musste Leo sich am Rand seines Sitzes festkrallen, um nicht auf dem Gang zu landen. "Verrate mir deine Nummer!" Dem dicken Kerl stand Schweiß auf der Stirn. "Es ist die Nummer eins", fuhr Leo ihn an und schob den Mann mit dem Ellbogen zurück, um wieder etwas mehr von seinem eigenen Sitz zu beanspruchen. "Eins", wiederholte er gereizt. "Oder sind Sie in Mathematik nicht so weit gekommen?" Der dicke Mann fuhr zu Leo herum und verengte die Augen zu Schlitzen. "Wer ist Ihnen denn, auf die Füße getreten?" Leo achtete nicht auf die Beleidigung, sondern wandte sich wieder Sandee zu, die weiterhin durch den Ring schritt. Er hätte schwören können, dass sie ihn kurz ansah, und er glaubte sogar, in ihrem Blick ein ebenso großes Verlangen zu erkennen, wie er es selbst empfand. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Wie hungrig sie diesen Kuss erwidert hatte! So voller Leidenschaft!
"Ich habe Sie etwas gefragt." Sein Nachbar beugte sich jetzt zu ihm und schrie Leo ins Ohr: "Wer ist Ihnen denn auf die Füße getreten? Die Frau da ist doch nur eine ...“ Das letzte Wort ging im Johlen der Menge unter, aber Leo wusste genau, was der Mann gesagt hatte. Er packte den Dicken am Kragen und drückte ihm die Faust an die dicke Nase. "Nehmen Sie das zurück", stieß er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. "Mann, wir wollen doch nur zusehen und nicht selber kämpfen." "Nehmen Sie's zurück." Leo war zu allem bereit. Wenn der Mann jetzt auch nur eine falsche Bewegung machte, würde er ihm die Nase platt drücken. "Sonst trete ich Ihnen auf die Füße, und zwar so fest, dass Sie nicht mehr laufen können." Der Mann blinzelte ungläubig und machte den Mund auf. "Ich ... ich nehme es zurück." Er riecht nach Whisky und Zigaretten, dachte Leo und ließ nach kurzem Zögern das Hemd los und senkte die Faust. Als er erkannte, dass der Dicke seine Lektion gelernt hatte, wandte Leo sich wieder dem Boxring zu, als sei nichts geschehen. Seltsamerweise hatte er auf einmal auch seinen ganzen Sitz wieder für sich. Kühl und professionell? Das war ja wohl ein Reinfall gewesen. Leo sah zu Sandee, die in ihrem roten Bikini wie ein wandelndes Streichholz aussah. Er warf einen Blick in die Menge und wusste genau, was jeder Mann hier dachte. Leider hatte er nicht die Zeit, um jeden einzelnen Mann hier zu bedrohen. "Was tust du hier in diesem Aufzug? Komm sofort von dieser Bühne runter!" Einen Moment lang dachte Leo, er hätte es selbst ausgesprochen, aber dann sah er den Mann, der unten am Ring stand und wild gestikulierte. Er schrie Sandee an, sie solle sofort aufhören und von dieser verdammten Bühne herunterkommen. Sandee erstarrte und hielt immer noch die Nummer eins hoch über den Kopf, während sie den Mann erschrocken ansah. "Du bist verrückt!" Der Mann lief schreiend hin und her. "Du fährst auch wie eine Verrückte! Corinne, du hast auf dem Weg hierher Baby fast zu Schrott gefahren!" Leo erstarrte, während er schnell die Situation einschätzte. Der Mann führte sich wild auf, sah aber sehr gepflegt aus. Er trug nur eine dünne Hose und ein Polohemd, und Leo sah sofort, dass er nicht bewaffnet war. Vielleicht war das noch einer ihrer zahllosen verrückten Verehrer. "Wie eine Verrückte am Steuer", regte der Mann sich wieder auf und deutete auf Sandee. Hatte er sie Corinne genannt? Alle sollten anscheinend wissen, dass er über sie sprach. Leo musste dem Mann zugestehen, dass er vielleicht Recht hatte. Er hatte Sandee gestern Nacht auf dem Parkplatz des Supermarkts erlebt. Aber welcher Mann dachte bei einer Frau wie dieser darüber nach, ob sie gut Auto fahren konnte?
Ihm schoss ein Gedanke durch den Kopf. Natürlich! Ein Mann, der von seinem Auto besessen ist. Zum Beispiel von seinem Ferrari. War das Tony? Leo sprang auf. Er wollte zu dem Mann, um ihm ein paar Fragen zu stellen, aber zwei Männer vom Sicherheitsdienst hielten ihn bereits rechts und links fest, und Leo setzte sich wieder. Der Mann führte sich wie ein Wilder auf. Er schrie und trat und versuchte, sich loszumachen. Jemand lachte, und die Leute buhten. Einer der Sicherheitsleute redete auf den Mann ein, aber er hörte nicht zu. Als er wieder laut wurde, drehten die Männer ihm den Arm auf den Rücken und zerrten ihn zum Ausgang. Als die drei Männer an Leo vorbeikamen, hörte er den Mann in der Mitte gerade sagen: "Ich habe ein Recht darauf, dass sie von dieser Bühne kommt! Das da oben ist meine Verlobte, verdammt noch mal!" Sandee war verlobt? Leo konnte sich nicht erinnern, ob sie einen Ring trug oder nicht. Anscheinend lebte sie allein, und wie viele Freunde sie hatte, konnte Leo nicht beurteilen, aber bisher hatte sie auf ihn nicht den Eindruck gemacht, verlobt zu sein. Andererseits hatte er sie im Supermarkt in der Babyabteilung erlebt. Es bestand keinerlei Zweifel daran, dass diese Frau sich nach Kindern sehnte. Wieder sah er zur Bühne, wo Sandee die nackten Beine leicht gespreizt hielt und mehr Rot an den Lippen und Fingernägeln trug als an ihrem übrigen Körper. Die Frau in der Babyabteilung war eine völlig andere als die auf der Bühne. Fast so, als wären es zwei verschiedene Menschen. Ihm kam ein vager Gedanke, aber bevor Leo ihn richtig erfassen konnte, war er schon wieder verschwunden. Verdammt. Früher war sein Verstand messerscharf gewesen, aber nach seiner Schussverletzung hatte er offenbar noch nicht zu seiner alten Form zurückgefunden. Er ärgerte sich über sich selbst. Wenn er diesen Fall nicht löste, dann... Nein, sagte er sich. Ich werde alles aufklären. Wieder sah er zum Ring. Sandee ging wieder durch den Ring, aber sie wirkte verunsichert, ja fast verängstigt. Hatte sie Angst vor diesem verrückten Kerl? Nummerngirls mussten eigentlich daran gewöhnt sein, dass ihnen hin und wieder ein Verrückter zu nahe kam. Also musste es mit diesem Mann namens Tony mehr auf sich haben. Leo sah, wie Sandee mit den Männern vom Sicherheitsdienst sprach, als sie den Ring verließ. Einer der Männer tätschelte ihr beruhigend den Arm. Leo konnte kein Wort hören, aber er ahnte, was sie sagte. Sie wollte fort von hier, weil sie Angst hatte. Er sah ihren Mitleid erregenden Blick. In solchen Dingen waren Leute wie sie Experten. Anderen etwas vormachen, Mitgefühl in ihnen wecken und manchmal sogar Liebe. Leo wusste, wovon er sprach. Er war mit so einer Frau verheiratet gewesen. Jetzt musste er genau auf Sandee aufpassen. Wenn sie sich von zwei Männern verfolgt fühlte, verließ sie vielleicht die Stadt, und das würde er nicht zulassen.
Trotz des Zwischenfalls am Boxring geschah nichts Aufregendes, als Leo Sandee zu ihrem Haus verfolgte. Sie fuhr direkt nach Hause, und auch dort war nichts von Tony zu sehen. Mit ein paar Telefonaten stellte Leo fest, dass Tony über Nacht in Gewahrsam genommen worden war. Anscheinend hatte er einen der Männer vom Sicherheitsdienst geschlagen. Leo beschloss, nach Hause zu fahren. Er vermutete, dass Sandee ohnehin zu Hause bleiben würde. Sie hatte nicht gehetzt gewirkt wie jemand, der so schnell wie möglich die Stadt verlassen wollte. Außerdem bezweifelte er, dass sie zu dieser Uhrzeit in dem gestohlenen Ferrari herumfahren wollte. Besonders wenn sie wusste, dass zwei Männer hinter ihr her waren. Eine halbe Stunde später hielt er vor dem weißen kleinen Haus, das er vor knapp einem Jahr gemietet hatte. Alle in der Straße parkten in ihrer Auffahrt, aber in seiner stand schon sein Wohnwagen, an dem er in jeder freien Minute herumbastelte. Leo ging auf das Haus zu und fragte sich, ob er eines Tages wirklich mitsamt seinem Wohnwagen in ein neues Leben fahren würde. Vor seinem inneren Auge sah er die kleine Ranch vor sich. Endlose Wiesen und viele Bäume. Leo schloss die Tür auf und wurde von einem langen Pfeifen begrüßt. "Hallo, du siehst gut aus!" "Das sagst du doch zu allen", antwortete Leo und hielt seinem Papagei den Arm hin. Mel hüpfte auf den Arm und kletterte bis zur Schulter hoch. Seit vier Monaten ging Leo jetzt wieder zur Arbeit, und seit dieser Zeit kehrte er abends zu seinem Papagei zurück, und sie beide verbrachten die Abende wie zwei einsame Junggesellen. Leo ging in die Küche und holte ein Mineralwasser aus dem Kühlschrank. Mel beschwerte sich krächzend. "Nein, Mel, nur Wasser." Krächz. "Ich will Rotwein." "Aber ich sagte Nein." "Rotwein." Mel hüpfte. Leos Arm hinab und spazierte über die Anrichte zum Weinregal. Leo blickte zu den Weinflaschen und erinnerte sich noch gut daran, dass er sich nach der Entlassung aus dem Krankenhaus jeden Abend betrunken hatte. Manchmal hatte er schon morgens mit dem Trinken angefangen. Nach ein paar Monaten Therapie hatte er damit aufgehört, weil er den ewigen Kater nicht mehr ertragen konnte. Und er war es leid, von seiner Therapeutin immer wieder zu hören, dass Leute nach einem traumatischen Erlebnis versuchten, den Schmerz zu betäuben. Als sie ihn dann aufforderte, den Schmerz nicht ständig zu verdrängen, sondern sich ihm zu stellen, hatte er die Herausforderung angenommen. Es tat unglaublich weh, aber für Mel war es noch schlimmer. Er hatte sich daran gewöhnt, jeden Abend den Schnabel in sein kleines Glas Rotwein zu tauchen.
"Rotwein." "Nein, Mel, heute nicht. Geh zu deinem Wassernapf." Krächz. "Ich will Rotwein." "Pech für dich." Leo streckte die Hand aus, aber Mel wandte sich ab. "Bist du jetzt böse auf mich?" Mel watschelte zum Weinregal und pickte an einem der Korken. "Du hättest Specht werden sollen, Mel." Leo öffnete für sich eine Dose Limonade und trank einen Schluck. "Was gibt's denn in der Röhre?" Leo ging zurück ins Wohnzimmer und ließ sich in den alten Ledersessel fallen, der abgesehen von einigen Beistelltischchen die einzige Möblierung darstellte. Leo schaltete den Fernseher an und hörte eine Nachrichtensprecherin verkünden, dass jemand ein Kamel aus einem der Casinos gestohlen habe. Leo schüttelte den Kopf. "Wieso stiehlt er ein Kamel und kein Auto?" Er musste an Sandee und den Ferrari denken. Geschmack hat sie ja, dachte er, andererseits hatte sie auch den Studebaker gestohlen. Leo schüttelte den Kopf. "Einen Studebaker." Den hatte sie wahrscheinlich schon auf dem Schwarzmarkt verkauft. Aber der Ferrari war natürlich eine ganz andere Geschichte. Wie hatte sie den Wagen stehlen können, wenn der Besitzer in Denver lebte? Und wieso zeigte der Besitzer den Diebstahl nicht an? War dieser Tony Borgeson jetzt hier in der Stadt und verbrachte die Nacht in der Zelle? Weshalb behauptete dieser Mann, Sandee oder Corinne sei seine Verlobte? Leo überlegte angestrengt, und ihm fielen mehrere mögliche Antworten ein. Vielleicht hatte Sandee einen Besuch in Denver gemacht und diesem Kerl versprochen, ihn zu heiraten, bevor sie ihm den Wagen stahl. Eigentlich wirkte sie nicht so hinterhältig, aber wie sollte er das beurteilen? Schließlich hatte er Elizabeth geheiratet. Jedenfalls war das Auto in Las Vegas aufgetaucht, und wieso wollte der hitzköpfige Tony nicht die Polizei einschalten? Das wäre doch viel leichter gewesen, als hierher zu fliegen und bei der Boxveranstaltung für Aufruhr zu sorgen. Mel landete auf der Armlehne und neigte den rotgrünen Kopf zur Seite. "Du siehst gut aus." "Und du bist ein Charmeur." Leo sah zu der Nachrichtensprecherin, ohne auf das zu achten, was sie sagte. Sie neigte den Kopf beim Sprechen leicht zur Seite, und Leo fiel auf, wie lange es her war, seit er sich mit einer Frau unterhalten hatte. Er musste an Sandees rote, volle Lippen denken. Und an ihr aufrichtiges, offenes Lächeln. Er schloss die Augen und sah sofort Sandee vor sich, wie sie durch den Boxring schritt und die Nummern hochhielt, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt. Mit ihrem verführerischen Gang und ihrem aufreizenden Lächeln brachte sie jeden Mann im Publikum in Fahrt. Krächz.
Leo sah zu Mel. „Tut mir Leid, Kumpel. Ich bin heute Abend kein guter Gesprächspartner, stimmt's? Ich trinke nicht mit dir, ich rede nicht mit dir. Das liegt an dem Fall. Der lenkt mich ab." Mel pfiff leise. "Stimmt genau. Eine Frau hat auch damit zu tun." Er trank noch einen Schluck Limonade, dann wandte er sich wieder seinem Papagei zu. "Also schön, ich werde dir von ihr erzählen. Sie hat große graue Augen, die manchmal wie poliertes Silber glänzen und manchmal wie ein sturmverhangener Himmel aussehen. Mit ihrem Lächeln kann sie dir das Herz brechen. Und mit ihrem Körper kann sie Tote zum Leben erwecken. Sie heißt Sandee." "Sandee." Leo hob die Augenbrauen. "Das ging aber schnell." "Ich will Sandee." "Da sind wir ja schon zwei." Er hätte ihren Namen nicht erwähnen sollen. Jetzt würde Mel ihn immer wieder an diese Frau erinnern, auch wenn er, Leo, nicht an sie denken wollte. Und im Moment sehnte er sich danach, Sandee zu berühren und zu küssen. Er war so lange mit keiner Frau mehr zusammen gewesen, dass die Sehnsucht fast unerträglich war. Gedankenverloren rollte er die kühle Dose zwischen den Händen, aber die Glut in ihm ließ sich nicht vertreiben. Das konnte nur Sandee. "Nur Sandee", sagte er leise. Krächz. "Ich will Sandee." "Du bist mir ja eine große Hilfe." Leo stand auf und ging hin und her. Schließlich fuhr er sich durchs Haar. "Ich brauche Zahnstocher." Er ging in die Küche, aber dann fiel ihm ein, dass er die Zahnstocher im Auto gelassen hatte. "Bin gleich wieder da", rief er und griff nach seinen Autoschlüsseln. Doch als er in seinem Auto saß, konnte er nicht mehr an die Zahnstocher denken. Er ließ den Motor an und redete sich ein, er wolle nur ein bisschen durch die Gegend fahren, um wieder klar im Kopf zu werden. Dabei wusste er ganz genau, dass er nur zu Sandee wollte.
8. KAPITEL Zwanzig Minuten später parkte Leo gegenüber von Sandees Haus und hatte ein bisschen ein schlechtes Gewissen, weil er Mel angelogen hatte. "Es ist seine eigene Schuld", sagte er zu dem Kobold am Rückspiegel. "Wenn er nicht ständig von Sandee erzählt hätte, wäre ich jetzt nicht hier." Der Kobold sah nicht einmal in Leos Richtung. "Ich bin schließlich Detective, und sie ist eine Verdächtige. Da ist es nur natürlich, wenn ich sie beobachte." Wo steckten nur die Zahnstocher? Leo tastete im Dunkeln nach der Schachtel und holte einen Zahnstocher hervor. Manchmal vermisste er das Rauchen so sehr, dass er sich absichtlich neben einen Raucher setzte, um etwas von dem blauen Dunst mitzubekommen. Allerdings hatte er sich geschworen, nie mehr zu rauchen, und
an diesen Grundsatz würde er sich halten. Er biss auf den Zahnstocher und blickte wieder zu dem Kobold. "Also schön", gab er zu. Ach habe mich in Sandee verknallt. Ich bin ja auch nur ein Mensch, aber ich weiß immer noch, was für mich am wichtigsten ist. Ich werde dieses Verbrechen aufklären, also mach mir kein schlechtes Gewissen." Dann hörte er Schritte und sah jemanden die Straße entlangkommen. Der Mann ging auf Sandees Haustür zu und blieb im grellen Licht der Verandabeleuchtung stehen. "Ich dachte, du seist eingesperrt, du Verrückter", sagte Leo leise und griff nach seinem Handy. Er wollte sich erkundigen, was mit Tony Borgeson war, denn Leo war sich fast hundertprozentig sicher, dass der Mann so hieß. Er hatte schon eine Nummer gewählt, aber dann legte er wieder auf. Falls es jetzt Ärger gab, wollte er nicht durch das Telefon abgelenkt sein. "Mach auf, Sandee!" Der Mann trat gegen die Tür, und Leo konnte über so wenig Feingefühl nur den Kopf schütteln. Das gibt bestimmt noch Ärger, dachte er und legte die Hand auf den Türgriff. Aber wenn Sandee durch den Türspion Leo und Tony vor der Tür sah, würde sie denken, sie beide machten gemeinsame Sache, und das war ganz bestimmt nicht in Leos Sinn. Er forderte per Handy Verstärkung an und war fast damit fertig, als Tony wieder losschrie. „Mach schon auf!" Wütend lief Tony vor Sandees Tür hin und her und trat dann wieder dagegen. Leo sprang aus dem Wagen. Er konnte nicht mehr auf die Verstärkung warten. Jetzt musste er Sandee beschützen. Die Verstärkung hatte er haben wollen, um seine Rolle weiterspielen zu können, aber wenn Sandee diese Tür öffnete, wollte Leo sicher sein, dass er zwischen ihr und Tony stand. Auf halbem Weg zu ihrer Tür hörte er Tony brüllen: "Und wer zum Teufel sind Sie?" Zunächst dachte Leo, Tony hätte ihn bemerkt, aber das war unmöglich, denn dieser Teil der Straße lag im Schatten. Dann bemerkte er, dass Tony zu dem muskelbepackten Plätzchenbäcker sprach, der wie durch Zauberhand auf der Veranda aufgetaucht war und die Arme vor der Brust verschränkt hielt. Wie ein schlecht gelaunter Flaschengeist stand er da. Er sagte etwas, das Leo nicht verstehen konnte. Allerdings brachte er Tony damit ziemlich aus der Fassung, denn der holte sofort mit einem Arm aus. Das war unklug. Der Muskelmann hielt ihn am Kopf fest und ließ ihn einfach nur wie wild mit beiden Armen rudern. Kopfschüttelnd trat Leo auf den Fußweg. "Vergeude doch deine Kräfte nicht so sinnlos, Tony", sagte er leise. Ein Schrei ertönte. Sandee hatte die Tür geöffnet und schrie wieder auf, als zwei Polizeiwagen mit Blaulicht vor dem Haus anhielten. Leo spuckte den Zahnstocher aus und sah zu, wie die Beamten zur Veranda liefen. Beide Männer wurden abgeführt, aber nur Tony bekam Handschellen angelegt. Einer der Polizisten blieb an der Tür und
machte sich Notizen, während Sandee, die ein pinkfarbenes T-Shirt trug, ihre Aussage machte. Leo lehnte im Schatten an einem Wagen. Selbst wenn die Polizisten ihn bemerkten, würden sie nicht zu ihm kommen, weil sie wussten, dass er verdeckte Ermittlungen anstellte. Er konnte in aller Ruhe beobachten. In erster Linie Sandee. Das T-Shirt gefiel ihm. Gestern hatte sie es auch getragen, als sie mit dem Kochlöffel an der Tür stand. Ein Nummerngirl, das kochte? So eine aufregende Frau am Herd? Wieso hatte sie nicht längst eine Familie gegründet? Zehn Minuten später war sie wieder allein auf der Veranda und sah den Polizeiwagen nach. Dann blickte sie nachdenklich in den Sternenhimmel. Das Licht der Veranda hüllte sie in einen gelblichen Schein, und mit dem nach oben gewandten Gesicht sah sie wie ein Engel aus. So rein und viel zu zerbrechlich für diese Welt. Das Gesicht eines Engels und der Körper einer Teufelin, dachte Leo. Wieso hatte sie den Studebaker gestohlen? Und den Ferrari? Warum erregte sie die Männer durch ihre Showeinlagen? Weshalb brachte sie ihn so sehr aus der Fassung? Das T-Shirt reichte ihr gerade mal bis zur Mitte der Schenkel. Sie stand halb nackt auf der Veranda, wo jeder sie sehen konnte, der verrückt nach ihr war. Und so wie Leo es beurteilte, war das die Hälfte der Bevölkerung von Las Vegas. Er wurde immer wütender und ging auf sie zu, wobei er sich einredete, dass er nicht zu diesen Männern gehörte. Er tat hier seinen Job. Wenn sie nicht vernünftig genug war, wieder ins Haus zu gehen, dann musste er eben dafür sorgen. Als er näher kam, riss sie ungläubig die grauen Augen auf. "Du bist es." "Was tust du hier draußen, allein, nachdem ein verrückter Kerl dir fast die Haustür eingetreten hat?" Im Moment war es ihm egal, dass er seine Nachforschungen gefährdete. "Der verrückte Kerl?" Prüfend sah sie ihn an und ballte eine Hand zur Faust. "Ich dachte, du kennst Tony?" Er hatte also richtig gelegen. Es war Tony. "Geh zurück ins Haus." "Ich lasse mir nichts befehlen." Sexy, häuslich und auch stur. "Bitte", stieß er unwillig hervor. Einen Moment lang wurde ihr Blick sanfter, dann jedoch wieder zornig. "Wieso bist du hier?" Sie wartete nicht erst auf eine Antwort und deutete anklagend mit dem Finger auf ihn. "Du tauchst hier bei meinem Haus auf, in meiner Garderobe ..." Sie ließ den Finger sinken und zupfte am Saum ihres TShirts, als könnte sie es dadurch verlängern. Ihre Wangen röteten sich. Leo wusste genau, was sie dachte, denn ihm ging es genauso. "Ich habe die Polizei gerufen." Ihm war klar, dass er selbstgerecht klang.
"Du wusstest, dass Tony auf dem Weg hierher ist?" Fragend zog sie die Augenbrauen zusammen. "Ja", log er, um seine Rolle wenigstens zum Teil aufrechtzuerhalten. "Und du wolltest mir helfen?" Das klang nicht so, als würde sie ihm glauben. "Ja." Auch das war nur zum Teil gelogen. Er wollte sie beschützen, das gehörte schließlich zu seinem Beruf. Aber die Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübte, hatte nichts mit seinem Job zu tun. Ihr Flüstern unterbrach die Stille. "Danke, dass du die Polizei gerufen hast." Nervös befeuchtete sie sich die Lippen mit der Zunge. "Ich wusste nicht, was ich tun sollte." Sie holte tief Luft, sagte dann aber nichts. "Möchtest du darüber reden?" Einen Moment bekam er wieder Gewissensbisse, weil die Frage nicht aufrichtig war. Er sah die Möglichkeit, ein paar Informationen von ihr zu bekommen und vielleicht die Sache mit dem schnellen Rumser aufzuklären. Immerhin hatte er einen Fall zu lösen. Außerdem war da noch der Ferrari, der aus Denver stammte, und ein Augenzeuge hatte gesagt, es sei Sandee gewesen, die in den Diebstahl des Studebakers verwickelt gewesen war. Leo musste die Chance nutzen, etwas von der Wahrheit herauszubekommen. "Komm mit rein", sagte sie leise und deutete mit dem Kopf zum Wohnzimmer. Leo zögerte. War das jetzt richtig, wenn er ihr folgte? Er konnte ihr Fragen stellen, aber während er ihre Wohnung betrat, zweifelte er dennoch daran, dass er das Richtige tat. Corinne hörte, wie die Tür hinter ihm zuging. Sie war immer noch ganz durcheinander. Erst tauchte Tony am Boxring auf, dann kam er hierher und trat gegen die Tür. Es hatte ihr Angst gemacht, als die Tür bei jedem seiner Tritte erzitterte. Wieso hatte er nicht einfach angerufen und sein Auto zurückverlangt? War das nicht der Grund dafür, dass er nach Las Vegas gekommen war? Doch im Grunde wusste sie die Antwort genau. Er sah sich immer noch als ihren Verlobten und wollte, dass sie wieder ihren Platz in seinem Leben einnahm. Sie wandte sich dem Mann zu, der heute Abend ihre Haut gerettet hatte. Und diese Haut schien jetzt zu glühen. Er sah so männlich aus, so rau und ungezügelt. Außer ihm gab es sicher keinen Mann auf der Welt, der sogar in einem Hawaiihemd so sexy aussehen konnte. "Möchtest du etwas?" Sofort ging die Fantasie mit ihr durch, weil es vieles gab, das sie ihm geben wollte. "Eistee oder ein Mineralwasser?" fragte sie leise. Er schüttelte den Kopf. "Welche Beziehung hast du zu Tony?" Ihr Magen verspannte sich. Von Small Talk hielt dieser Mann anscheinend nicht viel. In den letzten Tagen hatte sie sich ganz darauf konzentriert, Sandee zu spielen. Aber wie mochte Sandee ihre Beziehung zu Tony erklären? Corinne winkte ab. "Das würde ich nicht als Beziehung bezeichnen." Zumindest war das keine Lüge. "Wieso nennt er dich Corinne?"
Das hatte Leo gehört? Sie zögerte und blickte auf sein geblümtes Hemd. Anscheinend kannte er Tony tatsächlich nicht, denn sonst wüsste er auch von Corinne. "Du stellst viele Fragen", erwiderte sie und hielt seinem Blick stand. Vielleicht wollte er Spielchen mit ihr spielen, aber dazu fehlte ihr jetzt die Kraft. Die Ereignisse der vergangenen Woche bedrückten sie und raubten ihr sämtliche Energie. Innerhalb weniger Tage hatte sie mehr erlebt als in ihrem gesamten bisherigen Leben. Leise seufzte sie. "Sandee", sagte er heiser und hob die Hand, als wolle er sie trösten. "Wenn du einen Freund brauchst, dann..." "Das tue ich", platzte sie heraus und presste die Lippen zusammen. War sie verrückt, so etwas zuzugeben? Aber es stimmte. In Denver hatte sie sich immer Kyle anvertraut, und jetzt saß sie in Las Vegas, und ihre Cousine war nicht da. Die vergangene Woche war wie eine wahnwitzig schnelle Achterbahnfahrt für sie gewesen, und Corinne hatte das Gefühl, jetzt endlich zum Stillstand zu kommen. Das erleichterte sie allerdings nicht. Sie kam sich vor, als würde sie sich mit beiden Händen an den Sicherheitsbügel krallen und hoffen, dass die Fahrt endlich zu Ende war. "Ich bin hier." Seine Stimme klang einfühlsam, und seine Augen strahlten. Eine Sekunde lang hätte sie fast nachgegeben und alles erzählt. Doch obwohl sie sich so sehr nach einem Freund sehnte, wusste sie, dass sie ihr Geheimnis weiter bewahren musste. Wenigstens Sandee zuliebe. Die Arbeitgeber ihrer Cousine hielten sie für Sandee, und wenn herauskam, dass Sandee gar nicht in der Stadt war, würde ihre Cousine ernste Probleme bekommen. Sie musste noch ein paar Tage lang bei ihrer Geschichte bleiben. Dann war Sandee zurück, und sie konnten gemeinsam überlegen, was sie jetzt tun sollten. Corinne holte tief Luft und trat ein paar Schritte zurück. "Mir geht's gut", log sie. "Es ist schon spät." Lange blickte er ihr ins Gesicht, um herauszufinden, was in ihr vorging. "Du hast Recht", sagte er dann. "Ich sollte gehen." Sein Blick glitt an ihrem T-Shirt hinunter, und er musste lächeln. "Was ist das da auf deinem T-Shirt?" Sie sah an sich herunter. Oh, sie hatte das T-Shirt mit Schneewittchen und den sieben Zwergen angezogen, aber nicht daran gedacht, was auf der Vorderseite stand. "Ich bin nicht müde, und du?" Sie schloss die Augen und überlegte, wie viele Menschen diesen Aufdruck heute gesehen hatten. Tony. Das Phantom. Drei Polizisten. Und jetzt Leo. Sie machte die Augen wieder auf, und Leo lächelte viel sagend. Corinne musste daran denken, wie seine Lippen sich auf ihrem Mund angefühlt hatten. Heiß, hungrig, drängend. Und er hatte sie mit beiden Händen berührt und gestreichelt. Sie wollte etwas sagen, aber ihre Stimme versagte ihr den Dienst. Er blickte weiter starr auf den Aufdruck des T-Shirts, der sich quer über ihre Brüste' zog. "Das ist ... ich bin …“ "Ich bin auch nicht müde." Jetzt blickte er ihr wieder in die Augen. Sein männliches Gesicht war so dicht vor ihr, dass Corinne eine schwache helle
Narbe über der einen Augenbraue bemerkte. Er sah nicht aus wie ein Mann, der höflich um etwas bat, sondern wie jemand, der sich nahm, was er begehrte. Das Kribbeln in ihrem Bauch verstärkte sich. Die Luft in dem Raum schien auf einmal elektrisch aufgeladen, genau wie neulich in der Garderobe. Corinne wusste, dass er es auch merkte. Seine Augen funkelten wie bei einem Raubtier. Kaum merklich kam er näher zu ihr. "Möchtest du, dass ich gehe?" Sie erzitterte. Nein, dachte sie, geh nicht. Sie sehnte sich unbändig danach, ihrem Verlangen nachzugeben, und dieser Wunsch war so stark, dass sie kaum noch klar denken konnte. Sie brauchte jetzt nur Nein zu sagen, damit er blieb. "Ja." Es war die Corinne von früher, die das Wort ergriff, diejenige, die immer nach den Regeln lebte und sich nie das nahm, was sie sich wünschte. Der Ausdruck seiner grünen Augen wurde kühler. "Ich verstehe." Er wandte sich um. "Nein“, flüsterte sie, aber er öffnete bereits die Tür und trat hinaus. Über die Schulter hinweg lächelte er ihr zu, dann schloss er die Tür hinter sich. Benommen stand Corinne da. Hatte sie sich etwa eingebildet, sie hätte sich in den letzten Tagen verändert? Nein, sie war immer noch die alte Corinne, die genauso gut zu Tony zurückkehren und ihn heiraten konnte, um sich dann ihr Leben lang elend zu fühlen. Vor der geriffelten Scheibe neben der Tür sah sie einen Schatten und gleichzeitig hörte sie etwas zuschnappen. Dasselbe Geräusch hatte sie auch neulich nachts auf dem Parkplatz gehört. Es war also Leo gewesen, der nervös mit dem Verschluss seiner Armbanduhr spielte. Er wartete offenbar dort draußen auf sie. Ob er sie beobachtete? Corinne musste daran denken, wie sie in Folie eingewickelt in Denver versucht hatte, den Mann, den sie zu lieben glaubte, zu erregen, weil sie sich so verzweifelt nach seiner Zuneigung sehnte. Aber anstatt sich wie eine begehrenswerte Frau zu fühlen, war sie sich letzten Endes vorgekommen, als habe man sie weggeworfen. Sie wollte begehrt werden. Corinne empfand wieder etwas von der Selbstsicherheit, die sie gerade erst entwickelt hatte. Entschlossen trat sie an die Scheibe. Wie viel konnte er von draußen sehen? Wahrscheinlich nur Umrisse, aber genug, um zu erkennen, wenn sie hier nackt stand und sich nach ihm sehnte. Dieses Risiko wollte Corinne eingehen. Sonst würde sie in die alten Gewohnheiten zurückfallen und niemals das bekommen, was sie sich ersehnte. Leo beobachtete sie durch dieses Glas, durch das man nur ganz verschwommen etwas erkennen konnte. Ihr Gesicht sah er nicht, aber er sah, dass sie dort stand und zu ihm sah. Wieso? Hatte sie ihm nicht deutlich gesagt, er solle gehen? Wieder gab diese Frau ganz widersprüchliche Signale. Sie war ihm ein Rätsel, aber nach Elizabeth fühlte er sich als Experte im Umgang mit rätselhaften Frauen. Allerdings würde er niemals wieder einer Frau vertrauen, auch wenn sie graue Augen hatte, mit Babyrasseln in der Hand tanzte und bedruckte witzige TShirts trug.
Er zuckte zusammen, als ihn die Erkenntnis traf, dass er sein ganzes Leben lang unter Elizabeth leiden würde, wenn er alle Frauen nach ihrem Maßstab beurteilte. Er unterteilte die Welt in Schwarz und Weiß, aber die Wirklichkeit war wie Sandees Augen. Unglaublich viele Schattierungen von Grau. An ihrer Geschichte stimmte vielleicht etwas nicht, aber das würde er bald genug herausfinden. Gleichzeitig spürte er, dass sie im Grunde ein guter Mensch war. Er hatte das im Supermarkt gesehen, als sie mit der Babyrassel tanzte. Einen schlechten Menschen, der sich nach einem Kind sehnte, hatte er noch nicht getroffen. Er selbst hatte in seinem Leben viele Fehler gemacht, aber der Wunsch nach einem eigenen Kind war ganz tief aus seinem Herzen gekommen. Auch an Sandees Verhalten dem Hobbybäcker gegenüber hatte Leo erkannt, dass sie die Mitmenschen freundlich behandelte. Vieles davon wusste er weniger, als dass er es ahnte, und ihm war klar, dass es zwischen ihnen beiden eine tiefe Verbindung gab. Diesmal würde er auf seine Gefühle achten. Er spielte mit dem Verschluss seiner Armbanduhr und betrachtete Sandees verschwommene Umrisse durch die Glasscheibe hindurch. "Du willst eigentlich gar nicht, dass ich gehe, stimmt's?" sagte er flüsternd. Wie als Antwort darauf zog sie sich das T-Shirt über den Kopf und warf es beiseite. Leo sah ihre rosige Haut und winzige rote Dreiecke. Anscheinend hatte sie den Bikini immer noch an. Sie bewegte sich, und es sah aus, als würde er Bewegungen unter Wasser beobachten. Gab sie eine kleine Show, wie vorhin im Boxring, aber diesmal nur für ihn allein? Brennendes Verlangen stieg in ihm auf. Er drückte eine Handfläche gegen das Glas und spreizte die Finger, als könne er Sandee so berühren. Auch wenn er ihren Körper nur ganz undeutlich sehen konnte, reichte es aus, dass er durch seine Fantasie den Rest ersetzte. Während er Sandee durch die Scheibe ansah, erinnerte er sich an ihre vollen Brüste, die erregten Spitzen und die seidige Haut. Etwas Rotes bewegte sich von dem Körper weg. Hatte sie das Bikinioberteil abgestreift? Als der zweite rote Fleck zu Boden glitt, stieß Leo die Luft aus. Sandee kam näher und zeigte jetzt deutlicher ihren nackten Körper. Durch das geriffelte Glas hindurch sah er ihre dunklen Brustknospen und das aufreizende rote Haar zwischen ihren Schenkeln. Seine Begierde wurde übermächtig. Er musste zu Sandee. Sofort. Er drehte am Türknauf, aber die Tür war verschlossen. Ich muss zu ihr. Das war der einzige Gedanke, der ihm durch den Kopf ging. Er musste ins Haus. Unruhig ging er hin und her. Seine Sinne waren bis aufs Äußerste gereizt. Er nahm den Duft des Jasminstrauchs nebenan wahr, und er spürte die Hitze der Lampe über sich im Nacken. Leo hatte das Gefühl, nie wieder normal denken zu können, wenn er jetzt nicht mit Sandee schlief.
Wieder rüttelte er am Türknauf, und die Tür erzitterte. Tief stöhnend stemmte er sich mit der Schulter dagegen, und nach einem kurzen Knirschen gab die Tür nach und ging auf. Corinnes Herz schlug wie wild, als sie schnell zurücktrat, weil die Tür gegen die Wand knallte. Leo stand da und sah sie an wie neulich in der Garderobe. Wie ein freigelassenes Tier. Sie wusste, dass sie nur Nein zu sagen brauchte, um ihm Einhalt zu gebieten. Aber dieses Wort würde sie jetzt nicht über die Lippen bringen. Sie würde sich ihres Verlangens nicht mehr schämen. "Nimm mich", hauchte sie. Für den Bruchteil einer Sekunde wurde sie unsicher. Hatte sie den Verstand verloren? Sie kannte diesen Mann doch kaum. Aber ihr war klar, dass sie ihm schon beim ersten Treffen in der Garderobe hilflos ausgeliefert gewesen war. Er hatte die Situation nicht ausgenutzt, und heute hatte er dafür gesorgt, dass Tony ihr nichts antat. Sie wusste genug über Leo. Und zum ersten Mal in ihrem Leben war sie sich ihrer Macht als Frau ganz bewusst. "Nimm mich", wiederholte sie etwas lauter.
9. KAPITEL Leo schloss die Tür, und im Blick seiner grünen Augen lag das Versprechen auf all die Leidenschaft, von der Corinne schon ihr Leben lang träumte. Als er sich das Hemd vom Leib riss, schlug ihr das Herz rasend schnell. Sie machte die Augen zu und wartete sehnsüchtig darauf, dass er zu ihr kam und wild und hemmungslos mit ihr schlief. Sie spannte sich an, damit sie nicht schon bei der ersten Berührung dieses Mannes kraftlos in seine Arme sank. Insgeheim rechnete sie damit, dass er sich auf sie stürzte und sie quer durch den Raum an die gegenüberliegende Wand drückte. Sie hatte ihn erregt, und jetzt würde er sich nehmen, was sie ihm bot. Abwartend leckte sie sich die Lippen. Nichts geschah. Corinne öffnete ein Auge. Er stand einfach nur da! Sie rollte die Schultern, und als sie wieder zu ihm sah, fiel ihr auf, dass seine Haltung fast etwas Lauerndes hatte. Wie eine Raubkatze vor dem Sprung. Und sein Atem ging so schnell, als sei er gerade einen Marathon gelaufen. Bei jedem Atemzug spannte sich seine Brust, und seine Muskeln dehnten sich. Corinnes Blick fiel auf seine dichte Brustbehaarung. Zitternd atmete sie aus. Der Kuss in der Garderobe war nur ein kleiner Appetithappen gewesen im Vergleich zu dem Feuerwerk an Leidenschaft, das ihr jetzt bevorstand. Aus diesem Mann sprach größeres Verlangen, als Tony jemals empfunden hatte. Mehr, als sie sich je erträumt hatte.
Leo schien den ganzen Raum zu beherrschen. Sein Duft, seine Wärme hüllten Corinne ein, und ihr Blick folgte dem dunklen Streifen seiner Behaarung hinunter zum Bund der Jeans. Seine kräftigen Schenkel waren leicht gespreizt, und dazwischen war die Jeans so stark gewölbt, dass Corinne unwillkürlich die Luft anhielt. Sie war nur mit Tony zusammen gewesen, und bei ihm hatte sie so eine Wölbung nie gesehen. Dieser Mann ist wie ein Tier, sagte sie sich. Leo bewegte sich, und Corinne wurde aus ihren Gedanken gerissen. Langsam sah sie ihm wieder ins Gesicht. Betont langsam kam er auf sie zu, und er stöhnte so tief und verlangend, dass Corinne einen Moment lang dachte, sie bilde sich diesen Laut nur ein. Ihr gesamter Körper spürte die Spannung, die die Luft erfüllte. Worauf wartete er? Auf ein Zeichen? Sie hatte ihm doch bereits gesagt, er solle sie nehmen. Sie stand hier nackt, was wollte er denn noch? Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Leo sprang vor und schon fielen sie sich in die Arme und küssten sich hemmungslos. "Leo", stieß Corinne immer wieder hervor, wenn sie atemlos nach Luft rang. Sie konnte nur noch fühlen und nicht mehr denken. Sie spürte Leos Finger, als er ihr durchs Haar fuhr, seine Lippen auf ihrem Mund, und fast verzweifelt versuchte sie, jede einzelne Sekunde dieses Erlebnisses aufzunehmen und für immer ins Gedächtnis zu brennen. Für alle Ewigkeit wollte sie sich daran erinnern, wie es war, das Objekt der Begierde eines Mannes zu sein. Als Leo den Kopf hob, um zu atmen, sah Corinne seinen bewundernden Blick und fühlte sich mehr als Frau als je zuvor in ihrem Leben. Und als er aufreizend ihren Körper entlangstrich und ihre intimste Stelle berührte, keuchte sie: "0 ja!" Sie umfasste seinen Kopf mit beiden Händen und zog ihn an sich. Sie glaubte, er würde wieder so tief und lustvoll stöhnen, doch dann wurde ihr klar, dass sie selbst diese Laute ausstieß. Das linke Bein hatte sie fordernd um seinen Schenkel geschlungen, und so hielt sie ihn an sich gepresst. Das war die neue Corinne! Sie schmiegte sich noch enger an Leo und vertiefte den Kuss. Hatte sie gedacht, er sei ein Tier? Im Moment fühlte sie sich wie die Herrscherin des Dschungels. Sie brauchte Luft, doch sobald sie sich die Lungen gefüllt hatte, küsste sie Leo auf die Brust und glitt mit der Zunge über seine Haut. Verlangend rieb sie die Wange an seiner muskulösen breiten Brust und atmete seinen männlichen Duft ein. Unablässig strich sie ihm mit beiden Händen über den Körper. Jede Stelle seiner straffen Haut erkundete sie. Sie spürte eine Narbe auf seiner Brust, bevor ihre Hand zum Bund seiner Jeans und tiefer wanderte. Durch den straffen Stoff der Hose hindurch massierte sie ihn lustvoll, und Leo stieß ein tiefes Stöhnen aus. Mit zitternden Fingern versuchte sie, den Knopf der Jeans zu öffnen.
„Noch nicht, Honey", stieß Leo leise aus und packte ihre Hände. "Ich will dich nicht hier ..." Sie nickte, obwohl es ihr in diesem Moment gleichgültig war, ob sie im Bett miteinander schliefen oder auf einer Straßenkreuzung. "Das Schlafzimmer ... " Sie wollte zu Sandees Schlafzimmer gehen, aber er hielt sie fest. "Gleich", flüsterte er gepresst. "Zusammen. Ich versuche nur noch, die Tür wieder zu schließen. Wenigstens mit der Kette." Als er wieder zu ihr kam und sie auf die Arme hob, schmiegte Corinne sich in die Umarmung. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und deutete in Richtung Schlafzimmer. "Dort entlang." Leo trug sie dorthin und konnte gar nicht fassen, wie zart und zerbrechlich sie sich anfühlte. Als er die Tür aufgebrochen hatte, hatte er fast vollkommen die Beherrschung verloren, aber nach einem Jahr der Hölle wollte er jede einzelne Sekunde dieses Erlebnisses in vollen Zügen genießen. Im Schlafzimmer blieb er stehen. Es sah aus wie ein riesiger, mit Sahnetupfern verzierter Pfirsich. Die Wände waren in einem hellen Orange gestrichen, und die Gardinen und das Bettzeug passten farblich dazu. Die Frisierkommode war weiß, und auch die übrigen Möbel waren weiß, abgesehen von den pfirsichfarbenen Griffen. Dieser Stil passt gar nicht zu ihr, schoss es ihm durch den Kopf. Aber dieser Gedanke verschwand in dem Moment, in dem er zum Bett sah. Sanft legte er Corinne darauf ab und trat dann einen Schritt zurück. Bewundernd sah er sie an. Er hatte sie bereits nackt gesehen, aber nie hatte er sich die Zeit genommen, um diesen Anblick wirklich auszukosten. Ihre Haut schimmerte und wirkte fast so, als würde sie von innen leuchten. Langsam ließ Leo den Blick über sie wandern. Sie sah wie ein Gemälde aus, eines von denen, auf denen schöne Frauen sinnlich auf dem Sofa lagen und nichts trugen als ihr Lächeln. "Du bist wunderschön." Corinnes Augen schimmerten vor Rührung, und einen Moment lang glaubte Leo, sie werde zu weinen anfangen. Aber das tat sie nicht. Statt dessen lächelte sie dankbar, und in diesem Moment wirkte sie auf eine Weise nackt, die nichts damit zu tun hatte, dass sie keine Kleidung anhatte. Leo hatte den Eindruck, einen Blick in ihre Seele werfen zu können, und er hatte eine schmerzliche Erkenntnis. Noch nie zuvor hatte jemand mit ihr Liebe gemacht. Sie hatte Sex gehabt, aber die Berührung eines Mannes, der sie verehrte, hatte sie noch nie gespürt. Leo konnte nicht genau erklären, woher er das auf einmal wusste. In diesem Augenblick war es egal, was sie in der Vergangenheit getan hatte oder was sie sich für die Zukunft erträumte. Das Einzige, was jetzt zählte, war die Gegenwart. Und Leo würde Liebe mit dieser schönen Frau machen, deren Verlangen nach ihm das schönste Geschenk war, das er jemals bekommen hatte.
Er streckte die Hand nach der Nachttischlampe aus. "Schalten wir die aus", sagte er mit heiserer Stimme. Nur noch ganz gedämpft drang Licht aus dem Flur ins Schlafzimmer, und Corinnes nackter Körper schimmerte noch verführerischer. "Schön", stellte er leise fest. Langsam öffnete er den Knopf seiner Jeans und sah, dass Corinne ihn beobachtete. Er zog sich die Schuhe und Socken aus und öffnete dann den Reißverschluss der Jeans. Leo streifte die Jeans ab und stand nackt vor ihr. Sie sah ihn so fasziniert an, dass er fast lächeln musste. Das Licht vom Flur traf ihn am Rücken, und sein Körper lag von vom im Schatten, aber er schätzte, dass Corinne trotzdem genug sah, um zu wissen, worauf sie sich einließ. "Schön", flüsterte sie. "Das habe ich schon gesagt." Sie lachte leise, und der unbeschwerte mädchenhafte Klang ihres Lachens gefiel ihm. Doch als sie sich auf die Seite drehte und ihn durch ihr zerzaustes Haar viel sagend anblickte, wirkte sie keineswegs mehr mädchenhaft. Sie war eine Frau voller Leidenschaft und Sinnlichkeit. Lockend krümmte sie den Finger in seine Richtung, und Leo musste sich zurückhalten, um sich nicht auf sie zu stürzen. Mühsam bewahrte er die Kontrolle, als er sich neben ihr auf das Bett legte, ihre Hand nahm und sie sanft mit den Lippen berührte. Ihre Hand war klein und so zart wie eine Blume. Zärtlich küsste Leo ihren Arm, die Schulter und den Hals. Corinne stöhnte auf und wand sich lustvoll unter den Küssen. Schließlich strich er mit dem Mund über ihr Ohrläppchen, und wieder stöhnte Corinne, als sie seinen warmen Atem an ihrem Ohr spürte. Ein heißer Schauer lief ihr über die Haut. Das Verlangen tobte wie Feuer in ihm, aber Leo hielt sich weiter zurück. Er stützte sich auf einen Ellbogen, beugte sich vor und betrachtete Corinnes schönes Gesicht. Ihre Augen waren halb geschlossen, und ihr Blick war, verträumt und verlangend. Leo strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht und fuhr dann über ihre Wange und das Kinn. Sanft umfuhr er die Konturen ihrer Lippen. "Küss mich", flüsterte sie. "Kommandierst du mich herum?" fragte er und berührte ihren Mundwinkel. "Ja", gab sie lächelnd zu. "Dein Wunsch ist mir Befehl." Lächelnd senkte er den Kopf und küsste sie sanft auf den Mund. Doch es war mehr als nur ein Kuss. Es war, als würde er seine ganze Seele mit in diese Liebkosung einbringen. Ein tiefes Glücksgefühl durchströmte ihn und stachelte seine Lust noch weiter an. Er wollte sich so viel Zeit lassen, um dieses Liebesspiel eine Ewigkeit andauern zu lassen. Stöhnend strich er ihr über den flachen Bauch hinauf zu den Brüsten. Zärtlich umfasste und streichelte er die verlockenden Rundungen. Er spürte, wie Corinnes Atem schneller ging, und sein eigener Pulsschlag beschleunigte sich noch weiter. Aufreizend langsam umfuhr er eine der Knospen und rieb sie lustvoll zwischen Daumen und Zeigefinger.
Stöhnend wand Corinne sich von einer Seite zur anderen. Rastlos strich sie Leo
über die Schultern und den Rücken, und als er ihre Brustspitze zwischen die
Lippen nahm, flüsterte sie: "0 ja, mehr, mehr."
Fragend hob er den Kopf. "Du kommandierst mich schon wieder."
Verwirrt blinzelte sie. "Sagtest du nicht, mein Wunsch sei dir Befehl?"
"Ja schon. Aber wovon willst du mehr?" Er liebkoste ihre Brust und legte sich
dann auf Corinne, um sie endlich Haut an Haut zu spüren. Er konnte gar nicht
genug davon bekommen, dass ihre harten, aufgerichteten Brustspitzen sich an
ihn pressten. Sanft schob er ein Bein zwischen ihre Schenkel und schob sie
etwas auseinander. Aufreizend rieb er den Schenkel an Corinnes intimster Stelle.
"Mehr!" stieß sie atemlos aus.
Zärtlich strich er ihren Körper hinab und fuhr mit der Hand zwischen ihre
Schenkel. "Hier?"
"Fast."
Kaum merklich bewegte er die Hand.
"0 ja. Da. Ja." Sie bog den Rücken durch und stöhnte immer lauter, während
Leo den Rhythmus seiner Liebkosungen immer mehr beschleunigte.
Das Ziehen in seinen Lenden war kaum noch zu ertragen, aber Leo hielt sich
zurück, denn es war unglaublich erregend, mitzuerleben, welche Freude er ihr
bereitete. Doch als sie sich ihm entgegenhob und ihn anflehte, endlich ganz zu
ihr zu kommen, konnte er nicht widerstehen.
"Hast du ...?" Er fuhr fort, sie mit der Hand zu liebkosen.
Sie wandte ihm das Gesicht zu. "Was denn?"
"Kondome."
Einen Moment sah sie ihn verständnislos an, dann runzelte sie die Stirn. "Ich
glaube, ich habe welche gesehen..." Sie deutete auf den Nachttisch. "Da drin." Leo blickte auf die Schublade und lächelte. "Ich habe beide Hände voll zu tun. Könntest du eins herausholen?" "Okay." Ohne sich von ihm zu lösen, zog Corinne die Schublade auf und tastete darin herum. Sein Streicheln wurde langsamer. "Hast du ...?" "Ja!" Triumphierend hielt sie ein kleines Päckchen in die Luft. "Gefunden! " Er lächelte. Noch nie hatte er eine Frau getroffen, die so offen zeigte, was sie begehrte. Und zu wissen, dass diese Frau sich nach ihm sehnte, war unglaublich anregend. "Mach es auf." Ohne damit aufzuhören, sie mit der Hand zu reizen, kniete er sich hin, und sein Körper schimmerte im Licht aus dem Flur. Fast ungläubig blickte Corinne an seinem Körper hinab. Leo schloss die Augen, als Corinne ihm das Kondom überstreifte. Ihre Berührung war seidenweich und trotzdem selbstsicher. Lustvoll führte sie Leo an die richtige Stelle, und er drang in sie ein. Corinne winkelte die Knie an und hielt eine Sekunde lang die Luft an. Als sie vor Lust einen kleinen Schrei ausstieß, wurde Leos Verlangen ins Unermessliche gesteigert. Das Feuer, das in ihm tobte, loderte immer höher. Er umfasste Corinnes Po und drang immer lustvoller in sie ein. Donnernd hörte er den eigenen Herzschlag in
den Ohren, und obwohl alles in ihm sich nach Erlösung drängte, zögerte er den Höhepunkt hinaus, weil er wollte, dass Corinne dieses Erlebnis als einzigartig in Erinnerung behielt. Er schloss die Augen und spürte Schweiß auf der Stirn. Sanft strich Corinne ihm über die Stirn, und er öffnete die Augen wieder. Ihre grauen Augen funkelten wie poliertes Silber, und in ihren Tiefen erkannte Leo dieselbe Lust, die ihn erfüllte. Begierig, ihn noch intensiver zu fühlen, drückte sie den Rücken durch, und ihre Lippen zitterten. Immer schneller und leidenschaftlicher bewegte er sich. Sie stieß seinen Namen aus, ihr ganzer Körper spannte sich an. Die Hitze der Leidenschaft schien zu explodieren, und Leo stöhnte tief und lustvoll auf. In diesem Moment der Ekstase fühlte er sich mit Corinne nicht nur körperlich, sondern auch seelisch zutiefst verbunden. Er stützte sich auf die Ellbogen und ließ sich dann vorsichtig auf sie sinken. "Bin ich zu schwer für dich?" fragte er leise und war bereit, sich auf die Seite zu rollen. Als Antwort schlang Corinne die Arme um ihn. "Machst du Witze?" Sie küsste seinen Hals. "So gut habe ich mich noch nie im Leben gefühlt." Leo machte die Augen zu und atmete tief ihren Duft ein. Auch er hatte noch nie etwas Schöneres erlebt. "Na, wenn das nicht der Freund des Rotschopfs ist." Der Türsteher blickte auf das Dutzend roter Rosen in Leos Hand. "Gute Idee. Der andere hat nichts mitgebracht." "Der andere?" "Der Mann, der vor Ihnen hier ankam." War Tony zurück? Anscheinend hatte Tony gestern schon versucht, sich Zutritt zu Sandees Garderobe zu verschaffen, und nach dem Vorfall am Boxring wollte er heute sicher nicht wieder Arger verursachen. Also hatte er sich mit Geld Zutritt zu den Umkleiden verschafft und belästigte Sandee jetzt wegen des Autos. In Leo tobten die widersprüchlichsten Gefühle. Gestern Nacht hatte er, nachdem er mit Sandee geschlafen hatte, nicht mehr Detective spielen wollen. Er war nur ein Mann gewesen, der die Frau im Arm hielt, die seinen emotionalen Schutzschild durchbrochen hatte. Die Frau, bei der er sich wieder lebendig fühlte. Wegen eines Treffens am Vormittag mit Dom hatte Leo früh los gemusst, doch bevor er sich von Sandee verabschiedete, hatte er noch einen befreundeten Tischler angerufen, der versprochen hatte, die Tür noch am Vormittag wieder zu reparieren. Den Rest des Tages versuchte Leo, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, aber immer wieder kehrten seine Gedanken zu Sandee zurück. Schlaftrunken hatte sie ihm beim Abschied gesagt, sie wolle mit ihm reden, denn dazu hatten sie in der Nacht zuvor keine Zeit gehabt. Leo hatte zugestimmt, denn er wollte auch gern mehr über ihre nächtlichen Besucher erfahren.
Zum Beispiel über Tony, der heute gleich wieder da war. "Ja. Hank ist zurück", sagte der Türsteher und zündete sich eine Zigarette an. Hank? Leos Gedanken drehten sich im Kreis. Hank war der überraschende Besucher? "Hank ist ein netter Kerl", log Leo. "Die beiden sind jetzt nur noch befreundet und ... " Er ließ den Satz unbeendet, weil er wollte, dass der Türsteher ihn beendete. "Wenn Sie das sagen." Das gelassene Schulterzucken des Türstehers regte Leo auf. Er trat einen Schritt näher und stellte sich so dicht vor den Türsteher, dass er sogar die winzigen roten Äderchen auf der Nase erkennen konnte. "Ja, das sage ich." "Sie sind ein Hitzkopf, stimmt's?" Prüfend sah der Türsteher ihn von Kopf bis Fuß an, "Genau wie ihre anderen Kerle. Diese Sandee setzt mehr Energien frei als jedes Kraftwerk." Wenn Leo nicht den Strauß Rosen in der Hand gehalten hätte, hätte er dem Mann einen linken Haken verpasst. "Es muss sehr anstrengend sein, seine Nase ständig in die Angelegenheiten anderer zu stecken." Der Mann trat einen Schritt zurück. "Moment mal, so war das ja nicht gemeint. War nur ein Scherz." "Ins Fernsehen schaffen Sie es mit so schlechten Scherzen sicher nicht", sagte Leo und ging hinein. Die kühle Luft der Klimaanlage strömte ihm entgegen. Vielleicht kühlte sich dadurch auch sein Gemüt etwas ab, bis er Sandees Garderobe erreichte. Niemand kennt diese Frau wirklich, dachte Leo und schwor sich, der Welt zu zeigen, was für ein Mensch Sandee wirklich war. Sie konnte unmöglich die Autodiebin sein, hinter der er her war. Außerdem war er mittlerweile fast sicher, dass Tony Borgesons Ferrari nicht gestohlen worden war. Tony hatte sich hier am Abend zuvor mit seiner Show keine Freunde gemacht. Er hatte Sandee sogar mit falschem Namen angesprochen. Corinne, so hatte er sie genannt. Und dann hatte er noch einen der Männer vom Sicherheitsdienst geschlagen. Schade, dachte Leo, dass es nicht der Türsteher vom Hintereingang gewesen war. Auf dem Weg zu Sandees Garderobe verlangsamte Leo die Schritte. Er war aufgeregt und fühlte sich wie ein Teenager, der seine erste Freundin besuchte. Die Tür der Umkleide stand einen Spalt weit offen, und Leo wollte sie gerade öffnen, als er die Stimme eines Mannes hörte. "Baby, ich weiß, dass ich im Unrecht war, das gebe ich offen zu. Aber nachdem ich meinen Job verloren hatte, hatte ich Geldprobleme. Ich brauchte nur noch einen schnellen Rumser, um wieder auf die Füße zu kommen." Durch die leicht geöffnete Tür sah Leo die dunklen Locken des Mannes und ein ärmelloses T-Shirt. Es war also Hank. Und er redete von einem schnellen Rumser? Leos Magen verspannte sich, während er auf Sandees Antwort wartete. Nur weil dieser Latin Lover den Autodiebstahl erwähnte, bedeutete das schließlich noch nicht, dass Sandee davon wusste. Vielleicht war sie unschuldig.
"Ich kann nicht", sagte sie leise. "Hank, ich kann das nicht noch einmal tun." Leo kniff die Augen zu. Also gab sie zu, bei einem Verbrechen mitgewirkt zu haben. In diesem Moment schlug Hank mit der Faust auf den Frisiertisch. "Es ist doch nicht so, dass ich etwas Unmögliches von dir verlange. Du hast es einmal gemacht, also schaffst du es auch ein zweites Mal. Dann werde ich dich niemals mehr um einen Gefallen bitten. Das verspreche ich." "Niemals", wiederholte sie leise. "Nein, ich kann es nicht." Leo hatte das Gefühl, wieder angeschossen zu werden. Sandee war also nichts weiter als eine ganz gewöhnliche Lügnerin. Er sah auf die Rosen, und von dem Duft der Blumen wurde ihm fast übel. Ich habe es wieder getan, dachte er. Ich habe einer Frau vertraut, die mich nur mit ihren Lügen reingelegt hat. Er wandte sich um und stürmte auf dem Weg, auf dem er gekommen war, wieder hinaus. Die Rosen warf er in den nächstbesten Mülleimer und versuchte, genauso einfach auch Sandee aus seinen Gedanken zu verbannen. Eine halbe Stunde später sah Leo auf seinen Wohnwagen. Die silberfarbene Karosserie schimmerte im Licht der Straßenlaternen. Er trank einen Schluck Cola und sehnte sich nach einem Bier. Oder nach fünf oder sechs. Gleichzeitig wusste er jedoch, dass es nichts half, sich zu betrinken. Verbittert trank er die Dose leer und zerdrückte sie mit der Faust, bevor er sie in hohem Bogen in den Mülleimer warf. Er verfehlte die Mülltonne, und scheppernd blieb die Dose auf dem Fußweg liegen. Ich habe versagt, dachte er. Beim Treffen der Mülltonne und auch beim Beurteilen von Sandee. Langsam ging er zu der Dose und hob sie auf. Er war Sandee dicht auf den Fersen gewesen, und dann hatte er sich von seinen Gefühlen leiten lassen und die Hinweise nicht sehen wollen, die so offensichtlich vor seiner Nase lagen. Missmutig warf er die Dose in die Tonne. Als er wieder zu seinem Wohnwagen sah, lachte er verächtlich. Was nützte das ewige Basteln an diesem Wagen? Er würde seine Ziele nie erreichen. Früher hatte man ihn den Wolf genannt, weil er die Verdächtigen unerbittlich verfolgte, bis er sie überführen konnte. Von dem brennenden Wunsch, wieder richtige Fälle als Detective zu bearbeiten, war nichts mehr geblieben. Er fühlte sich ausgebrannt. Früher einmal hatte er ein Zuhause, eine Frau und eine Zukunft gehabt. Ein perfektes Leben. "Ich habe für die falschen Dinge gekämpft", sagte er laut zu sich selbst. "Ich sollte für das kämpfen, was ich will, und nicht für das, was die anderen von mir erwarten." Als er den Wohnwagen ein paar Monate nach dem Schuss gekauft hatte, war der Wagen in schrecklichem Zustand gewesen, und Leo hatte immer, wenn ihn die Verzweiflung überkam, seine Energie an dem Wagen ausgelassen. Er hatte
geschraubt, geflucht und geschwitzt, bis er vollkommen erschöpft war. Jetzt sah der Wohnwagen tadellos aus. Immer wenn er etwas Neues in den Wagen eingebaut hatte, hatte er von der kleinen Ranch geträumt. Er hatte sich ausgerechnet, dass er noch zwei Jahre lang sparen musste, um sich die Anzahlung leisten zu können. Seine Mom und sein Stiefvater verbrachten den Lebensabend in New Mexico. Elizabeth hatte ihm alles genommen, was er besaß. Ihm blieben nur Mel, der Kobold, ein alter Mustang und der Wohnwagen. Damit war ein Umzug nicht sehr beschwerlich. Wenn ich es nur noch ein paar Jahre bei der Polizei aushalte, dachte er, kann ich mir den Traum erfüllen. "Gute Nacht, Kleine", sagte der Türsteher und zwinkerte. "Irgendwann will ich auch mal von deinen Früchten naschen." Der Mann nervte Corinne unglaublich. Jedes Mal ließ er denselben blöden Spruch vom Stapel. Sie wirbelte herum und blickte ihn zornig an. "Es macht mir nichts aus, dass Sie mich Kleine nennen, das gehört wohl zu Ihrem Job. Aber reden Sie nie wieder von meinem Körper, als wäre er etwas zum Vernaschen und stünde Ihnen zur Verfügung. Mein Körper gehört ganz allein mir, und ich erwarte etwas mehr Respekt. " Corinne war selbst erstaunt über ihren Ausbruch. Der Türsteher starrte sie fassungslos an. Dann nickte er und senkte den Blick. "Entschuldigen Sie." „Vielen Dank." Sie ging über den Parkplatz und fühlte wieder Selbstbewusstsein in sich aufsteigen. Der warme Wind strich ihr durchs Haar, als sie auf die Palmen zuging, unter denen sie den Ferrari immer parkte, damit sie ihn leichter finden konnte. Gleich bei den Palmen und dann fünf Autos weiter ... Seltsam. Sie blickte sich nach allen Seiten um. Corinne war ganz sicher, ihn hier geparkt zu haben. Sie ging durch die Reihen der Autos und dann wieder zurück. Nein, dachte sie, ich habe ihn genau hier abgestellt, gleich neben diesem gelben kleinen Auto. Doch statt des Ferraris stand dort jetzt ein viertüriger Kombi. Tony! schoss es ihr durch den Kopf. Offenbar hatte er sich sein Auto geholt. Einen Moment lang bekam sie Angst, doch das verging sofort wieder. Der Ferrari war Teil ihres früheren Lebens gewesen, und jetzt war er weg. Genau wie die Corinne von früher. Leider war noch nicht ganz klar, wie die neue Corinne war. Nun, darüber würde sie später nachdenken. Jetzt würde sie sich erst einmal ein Taxi rufen, um nach Hause zu kommen. Und morgen würde sie sich einen Leihwagen mieten. Ihre einzige Sorge bestand darin, dass Tony nicht nur seinen Ferrari, sondern auch sie zurückhaben wollte. Und das nur aus Stolz. Das kommt nicht infrage, sagte sie sich entschlossen. Niemals würde sie in ihr altes Leben zurückkehren. Als sie zur Veranstaltungshalle zurückging, stand dort Hank und stritt mit dem Türsteher. Vor dem Boxkampf hatte sie ihm sehr eindringlich gesagt, er solle sie
ihn Ruhe lassen, sie würde mit ihm keinen schnellen Rumser mehr machen, was immer das auch heißen mochte. Er hatte wie immer auf die Tränendrüse gedrückt, aber letztlich war er doch gegangen. Und jetzt war er wieder da, der alte Sturkopf. Als er ihre Schritte hörte, drehte Hank sich um und wirkte sofort erleichtert. "Mi amante …“ "Was tust du hier?" Sofort bekamen seine großen braunen Augen wieder einen verräterischen Glanz, und er zog eine Rose hinter dem Rücken hervor. Der Türsteher hob die Augenbrauen, sagte aber nichts. "Ich bin zurückgekommen, um mich zu entschuldigen." Er reichte ihr die Rose. "Ich war im Unrecht, Sandee. Es tut mir Leid." Sie nahm die Rose, damit er nicht wieder mit der Geschichte von den Bergen und den Meeren anfing. "Danke." „Kann ich dich zum Dinner ausführen, Baby? Du wirkst in letzter, Zeit so dünn." Vielleicht konnte sie sich die Sache mit dem Taxi sparen. "Ein andermal vielleicht. Aber du könntest mich nach Hause fahren." Hoffnungsvoll sah er sie an. "Für mein Baby würde ich alles tun." Er legte ihr die Hand auf den Rücken und führte sie zu seinem Wagen. Als Corinne mit Hank fortging, hörte sie den Türsteher hinter sich. "Gute Nacht, Miss Moray." "Sieh sie dir an, Kobold." Leo kaute zornig auf einem Zahnstocher. "Und auch noch mit einer Rose in der Hand." Wie konnte sie gestern mit ihm schlafen und heute mit diesem Kerl weggehen? Weil er ihr Komplize ist, beantwortete er sich die Frage selbst. Ihr Partner. Dadurch wurde Leo sich nur noch sicherer, dass es kein Fehler gewesen war, hierher zurückzukehren. Nach der Arbeit am Wohnwagen war er zu aufgedreht gewesen, um sich ins Bett zu legen. Also konnte er auch weiter an dem Fall arbeiten. Hanks Wagen setzte ruckartig aus der Parklücke, und Leo fuhr unauffällig hinterher. Eine halbe Stunde verließen sie Las Vegas. Wo fuhren sie hin? Das war nicht mehr der Weg zu Sandees Haus. "Dom hätte mich am Schreibtisch festbinden sollen", sagte er leise. "Jetzt folge ich einer Frau, in die ich mich verliebt habe, während sie mit einem anderen Kerl zusammen ist." Nun hatte er es sich also eingestanden. Trotz allem hatte er sich in Sandee verliebt. In die Frau, die gleichzeitig so sexy und so liebenswert sein konnte. Die aufreizend durch einen Boxring tänzelte und anschließend verträumt mit einer Babyrassel tanzte. Er befeuchtete die Lippen mit der Zunge. Sie hatte ihn geküsst, als sei es ihr sehr ernst damit. Sie hatte ihm seinen Namen ins Ohr geflüstert, als sei er der wichtigste Mann in ihrem Leben.
Beim Gedanken an die vergangene Nacht zog sich ihm der Magen zusammen. Diese kochende Leidenschaft! War das alles nur gespielt gewesen? Gerade als er dachte, er hätte sein Leben wieder im Griff, brachte ihn eine Frau vollkommen aus der Bahn. Die Bremsleuchten am Wagen vor ihm leuchteten grell auf, und es roch nach Gummi. Der Kobold schaukelte wild hin und her, als auch Leo eine Vollbremsung machte. Der Wagen vor ihm schwenkte nach rechts und wirbelte Staub auf, als er von der Straße abkam. Dann rutschte er über die Böschung und verschwand.
10. KAPITEL Leo riss das Lenkrad seines Mustangs herum, fuhr an den Straßenrand und sprang aus dem Wagen. Er hätte Sandee gar nicht erst mit Hank wegfahren lassen dürfen, schon gar nicht auf diesem einsamen Highway. Leo konnte an nichts mehr denken, als daran, dass er sich überzeugen musste, dass ihr nichts zugestoßen war. Er lief zum Rand der Böschung. Der Boden fiel einen Meter steil ab, und dann flachte der Abhang etwas ab. Ungefähr zehn Meter entfernt sah Leo den Wagen in schrägem Winkel stehen. Die Scheinwerfer beleuchteten einen knorrigen Kaktus. Leo bekam vor Angst kalte Hände. Hoffentlich war mit Sandee alles in Ordnung. Er rutschte und schlitterte den Abhang hinunter. Die Beifahrertür stand offen. War Sandee hinausgeschleudert worden? Panik überkam ihn, und er sah sich um. Jeder Umriss und Schatten konnte ihr Körper sein, der leblos am Boden lag. "Wieso hast du ins Lenkrad gegriffen?" hörte Leo Hank rufen. „Jetzt sieh dir an, in was für Schwierigkeiten wir stecken." „Du bist doch ins Schleudern geraten!" fauchte Sandee. "Ich habe uns das Leben gerettet!" Leo fiel ein Stein vom Herzen. Anscheinend saßen die beiden noch im Wagen, und wenn sie sich so wütend anschrieen, konnten sie auch nicht schwer verletzt sein. Er ging gerade einen Schritt auf den Wagen zu, als Sandee wutentbrannt ausstieg. Gleichzeitig ging die Fahrertür auf und schlug hart irgendwo an. Fluchend stieg Hank aus. "Na wunderbar! Jetzt habe ich die Tür an einem Kaktus eingedellt!" Er knallte mit der Faust auf die Kühlerhaube. "Und ich bin wahrscheinlich schuld daran, dass du die Kühlerhaube eingedellt hast, ja?" Leo wollte fragen, ob jemand verletzt sei, aber dafür hätte er noch lauter schreien müssen als Sandee und Hank, und das war ihm im Moment unmöglich. Es war so dunkel, dass die beiden Streithähne ihn noch nicht bemerkt hatten.
"Unsere Leben gerettet", wiederholte Hank spöttisch. "Das nennst du Leben retten? Wenn du ins Lenkrad greifst, den Wagen über die Böschung und einen Abhang hinunterjagst?" Verächtlich stieß er die Luft aus. Aber mit einem anderen Auto zusammenstoßen bezeichnest du wahrscheinlich als umsichtige Fahrweise." "Seit wann benutzt du solche Ausdrücke?" regte Hank sich auf. "Seit ich mich mit dir so wunderbar amüsiere." Sandee ging um den Wagen herum und marschierte durch den Strahl der Scheinwerfer. Sie wirkte tatsächlich unverletzt. Dafür aber unglaublich wütend. Leo dachte, er hätte bereits alle Seiten an ihr kennen gelernt, aber das war ihm neu. Sie reckte das Kinn und ging so schnell, wie ihre Schuhe es zuließen. Dann fing sie an, den Abhang hinaufzuklettern. Allerdings schien sie damit wenig Erfolg zu haben, denn sie fluchte fast ununterbrochen und kam kaum voran. Sie braucht meine Hilfe, dachte Leo und folgte ihr. Dann sah er sie oben am Rand der Böschung stehen. Ihre Umrisse zeichneten sich vor dem sternklaren Wüstenhimmel ab, und Leo verspannte sich bei der Erinnerung daran, wie dieser weiblich gerundete Körper sich anfühlte. Plötzlich ruderte sie haltsuchend mit beiden Armen in der Luft, schrie auf und fiel nach hinten. Leo rannte los, und Hank folgte ihm. Sie liefen den Abhang hinauf, und Leo ergriff etwas, das sich wie eine linke Schulter anfühlte. Hank bekam ein Bein zu fassen. Die Männer kämpften um ihr Gleichgewicht und rutschten den Abhang wieder hinunter, wobei sie es schafften, ihre schreiende und zappelnde Last nicht fallen zu lassen. Unten angekommen, stellten sie sie auf die Füße. "Hat sich jemand verletzt?" fragte Leo. "Wer sind Sie?" Hank stützte die Hände auf die Knie. Wieder ertönte ein Schrei, und Leo und Hank fuhren zusammen. "Du?" Corinne stand reglos da, wo Hank und Leo sie abgesetzt hatten. "Was tust du hier?" "Dich retten." Leo wischte sich die Stirn. "Ist jemand verletzt?" "Nein", antworteten Sandee und Hank. "Gut." Leo sah zu dem verunglückten Wagen. "Den lassen wir am besten hier. Hank, Sie sollten vielleicht die Schlüssel holen und das Licht ausstellen. Ich werde einen Abschleppwagen rufen Damit ging er zurück zu seinem Mustang. "Woher kennen Sie meinen Namen?“ "War nur geraten." Ein paar Minuten später stand Leo neben seinem Wagen und telefonierte mit dem Abschleppdienst, als Sandee allein am Rand der Böschung auftauchte. Sie hätte mir die Wahrheit sagen sollen, dachte Leo. Über Hank, den schnellen Rumser und darüber, was die letzte Nacht ihr bedeutet hat. Leo versuchte, Sandee nicht zu beachten, aber sie stand direkt im Scheinwerferlicht des Mustangs und war so einfach zu übersehen wie eine Straßensperre. Wie eine sehr erotische Straßensperre. In dem grellen Licht sah
Leo, dass ihr Oberteil durchsichtig war und dass sie darunter einen aufreizenden Body trug. Und die Jeans saß hauteng. Wie kam sie in diese Hose bloß hinein? Leo wandte sich ab. Gerade hatte er die erotischen Erinnerungen an sie verdrängt, und jetzt kehrte das alles wieder zurück. Er beendete das Telefonat, stieg ins Auto und schaltete die Scheinwerfer aus. Ein paar Minuten später saß Sandee auf dem Beifahrersitz und Hank hinten im Wagen. Sandees Duft erfüllte das Auto und ließ Leo wieder quälend intensiv an die vergangene Nacht denken. "Anschnallen", befahl er missmutig. Sandee fuhr zu ihm herum. "Du kannst mich wenigstens höflich bitten." Frauen. Sie stachen einem Mann das Messer ins Herz und wunderten sich anschließend noch, wenn es blutete. "Anschnallen. Bitte." "Baby", sagte Hank von hinten und beugte sich nach vom. "Dieser Mann will uns nur helfen." "Genau", stimmte Leo zu. Er war das Beste für Sandee, ob sie es nun wusste oder nicht. "Hör auf ihn", fügte Hank hinzu. „Tu, was er sagt, Baby." Corinne platzte der Kragen. "Wenn mich noch einmal jemand verbessert, mich Baby nennt oder mir sagt, was ich tun soll, dann werde ich sofort aussteigen und zu Fuß nach Las Vegas zurücklaufen." Sie zerrte am Gurt und ließ ihn hörbar einschnappen. Danach herrschte Schweigen. Als sie am Südrand der Stadt angelangten, fragte Leo scheinbar beiläufig: "Wen soll ich zuerst absetzen?" Hank ergriff sofort gut gelaunt das Wort: "Bringen Sie uns einfach beide zu Sandee." "Nein." Corinne mochte Sandees Rolle spielen, aber das dehnte sich nicht aufs Schlafzimmer aus, und genau dort wollte Hank sicher mit ihr landen. Nach der vergangenen Nacht war das Schlafzimmer ohnehin unantastbar, obwohl Leo sich wirklich merkwürdig verhielt. Außerdem störte es sie, dass er ihr den ganzen Abend gefolgt sein musste. Vertraute er ihr nicht? Und jetzt war er anscheinend eifersüchtig auf Hank, aus welchem Grund auch immer. Hoffentlich kam Sandee bald zurück. „Baby, ich meine, Sandee, wieso fahren wir nicht zu dir?" wollte Hank wissen. "Das ist näher als meine Wohnung." "Nein", antwortete Corinne entschlossen. "Nein, nein, nein." Auf keinen Fall würde sie Hank mit zu sich nach Hause nehmen. Nach einer Weile sagte Hank: "Lassen Sie mich einfach dort an der übernächsten Ampel raus." Sie hielten an, und Hank winkte Corinne noch durchs Fenster zu, doch sie schien es nicht zu bemerken. Eine Viertelstunde später hielt Leo vor Sandees Apartment an. "Ich bringe dich noch zur Tür." "Nur keine Umstände." Corinne stieg aus und schlug die Tür zu.
Leo holte sie auf der Hälfte des Wegs ein und folgte ihr bis zur Tür, wo Corinne in ihrer Tasche nach dem Schlüssel suchte. "Das sieht aber wieder prima aus", stellte er fest und rüttelte am Türknauf, um sich zu überzeugen, dass die Tür fest in den Angeln hing. Beim Gedanken daran, wie er vor Verlangen die Tür eingedrückt hatte, wurden Corinne die Knie weich. Verdammter Mist. Sie wollte doch weiter wütend sein und nicht erregt werden. Wieso stand er nur so dicht neben ihr! Sie konnte ja seine Körperwärme spüren. Gerade als sie ihm ins Gesicht sah, wandte er sich auch ihr zu. Einen Moment lang blickten sie einander an, dann sah Corinne rasch wieder in ihre Handtasche und zog den Schlüsselbund hervor. Als sie die Tür aufschloss, räusperte Leo sich. "Ich wusste gar nicht, dass du ein schneller Rumser bist." Sie erstarrte und zog den Schlüssel aus dem Schloss. Langsam drehte sie sich zu Leo um. "Wie kannst du es wagen!" "Wie ich es wagen kann?" "Du wolltest es genauso sehr wie ich." Verwundert sah er sie an. "Was habe ich gewollt?" Das war doch unglaublich. Erst beleidigte er sie, und dann spielte er noch den Unschuldigen! Genau wie Tony. Corinne kochte vor Zorn. "Was habe ich gewollt?" wiederholte Leo "Das, wofür du die Tür eingedrückt hast." Sie ging hinein und warf die Tür zu. Während sie durch das Wohnzimmer ging, nahm sie sich fest vor, bei nächster Gelegenheit einen Vorhang vor diese Glasscheibe zu hängen. Gleich wenn Leo fort war. Leo stand da und sah durch die Scheibe undeutlich, wie Sandee fortging. Ihre Haltung war nicht falsch zu deuten. Sie war selbstgerecht. Na, vielleicht hätte er ihr nicht vorwerfen sollen, dass sie ein schneller Rumser war, aber er hatte es wenigstens fragen wollen, um ihre Reaktion zu sehen. Was hatte sie gesagt? Er habe es genauso gewollt wie sie? Wusste sie nicht, was schneller Rumser bedeutete? Oder war sie eine perfekte Lügnerin? Das passte alles nicht zusammen. Leo ging zu seinem Wagen zurück und wünschte sich, er könnte sich endlich einen Reim auf all das machen. Normalerweise blieben Lügner auch ruhig, wenn man sie unter Druck setzte, damit sie sich nicht verrieten. Dagegen regten die Menschen, die die Wahrheit sagten, sich immer schnell auf, weil sie nichts zu verbergen hatten. Sie zeigten ganz offen ihre Gefühle, weil sie aufrichtig waren. Genau wie Sandee heute Abend. Er stieg in seinen Mustang, und in diesem Moment überkam ihn eine Erkenntnis. Der Kerl aus Denver hatte sie Corinne genannt, und dieser Hank sagte immer Baby zu ihr, obwohl sie das nicht ausstehen konnte. Dabei sollte man doch annehmen, dass ein Mann wusste, mit weichen Worten er seine Freundin für sich gewinnen konnte. Corinne. Baby.
Und dann fragte dieser Hank, seit wann sie solche Ausdrücke benutzen würde. Anscheinend redete diese Sandee nicht wie sonst. War Sandee vielleicht jemand anderes? Möglicherweise diese Corinne aus Denver? Wenn ja, dann jagte er die falsche Frau. Es klingelte, und Corinne starrte auf das Telefon. Das ging schon die ganze Zeit so, seit sie wieder zu Hause war. Wieso hatte Sandee eigentlich keinen Apparat, der die Nummer des Anrufers anzeigte, oder wenigstens einen Anrufbeantworter? Wenn Corinne jetzt abnahm, war das wie russisches Roulette. Es konnte jeder am anderen Ende der Leitung sein. Der verrückte Hank, der verrückte Tony oder sonst ein verrückter Mann in Sandees Leben. Oder auch Leo, der nur dann verrückt war, wenn er Türen einrannte. Oder unpassende Bemerkungen über einen schnellen Rumser machte. Wie konnte er es wagen! Es hörte auf zu klingeln, und Corinne rührte so heftig in der Tomatensoße, dass etwas auf den Herd schwappte. Ein schneller Rumser - was für ein ordinärer Ausdruck! Wieder klingelte das Telefon. Wer war da denn so beharrlich? Vielleicht Sandee? Das wäre gut. Corinne wollte endlich anfangen, ihren eigenen Weg zu gehen. Sie legte den Kochlöffel weg und nahm den pinkfarbenen Telefonhörer ab. "Hallo?" „Mi amante, es tut mir so Leid..." Hank. Am liebsten hätte sie gleich wieder aufgelegt. "Ich bin zutiefst traurig über den Kummer, den ich dir zugefügt habe. Ich habe mich so dumm aufgeführt, weil ich gefürchtet habe, dich zu verlieren. Die Frau, die ich liebe." Na, vielleicht hörte sie doch ein bisschen zu. "Ich bin ein Nichtsnutz, ein Krimineller, der unfähig ist …“ Ein Krimineller? „... dich verleite ich zu einem schnellen Rumser, und dann versuche ich das heute Nacht gleich noch mal ...“ Wovon redeten die Leute in Las Vegas eigentlich? Sprach hier denn niemand von Sex? Während Hank weiter seine liebeskranken Beteuerungen abgab, fragte Corinne sich, wieso er gesagt hatte, er habe es heute Nacht wieder versucht. Er hatte gefragt, ob er mit zu ihr kommen durfte, aber das konnte man ja nur schwer als sexuelle Annäherung deuten. Aufmerksam hörte sie wieder hin. „... ich werde mich selbst bei der Polizei anzeigen, um dir zu beweisen, dass ich mich ändern kann. Ich werde ein besserer Mensch und deiner Liebe würdig sein."
Er bezeichnete sich als Kriminellen und wollte sich bei der Polizei anzeigen? Allmählich verstand Corinne. Sandee war nicht wegen eines gebrochenen Herzens abgetaucht, sondern weil dieser Kerl etwas verbrochen hatte. "Ich würde den höchsten Berg für dich besteigen", flehte er. Dann kam jetzt bestimmt wieder das Auge des Wirbelsturms. Dieser Typ war ihrer Cousine wirklich rettungslos verfallen. Und Corinne wusste, dass Sandee ihn auch liebte. Die beiden mussten direkt miteinander reden, ohne Corinne dazwischen. Als er endlich Luft holte, unterbrach sie ihn. "Hank, sitzt du?" Schweigen. "Ja." Sie holte tief Luft. "Ich bin nicht diejenige, für die du mich hältst. Und nachdem ich dir alles erklärt habe, werde ich dir eine Nummer geben, die du anrufen solltest." "Ich will Sandee." Leo stand in der Küche und wollte gerade den Kühlschrank aufmachen. In den vergangenen vierundzwanzig Stunden hatte er Leidenschaft, Betrug und völlige Verwirrung erlebt. Jetzt brauchte er dringend eine Erholungspause. "Nicht heute Nacht, Mel. Such dir einen neuen Text." Krächz. "Ich will Sandee. "Den Namen hätte ich nie erwähnen sollen", beklagte Leo sich. "Noch auf meinem Totenbett werde ich ihn hören. Immer..." Hastig unterbrach er sich, um den Papagei nicht noch mehr zu ermutigen. Er sah zu Mel, der auf der Anrichte hockte. "Was ist denn mit dem Rotwein? Ich dachte, du willst Rotwein." Mel neigte den Kopf. "Rotwein", wiederholte er und stolzierte zum Weinregal. "Gut so", stellte Leo leise fest und nahm sich eine Cola aus dem Kühlschrank. "Wenigstens nicht mehr Sandee." Er schloss die Augen und hoffte, dass der Papagei es nicht gehört hatte. Tapp, tapp, tapp. Leo wandte sich um. Mel hackte immer wieder in einen der Korken. „Viel Glück dabei, Kumpel. Dafür wirst du eine Ewigkeit brauchen." Kopfschüttelnd ging er ins Wohnzimmer, während hinter ihm weiter das Klopfen erklang. "Mel", rief er, "du bist noch viel sturköpfiger als ich!" Seufzend trank er von der Cola. "Ich will Sandee." Flatternd landete Mel auf dem kleinen Tisch neben ihm. Leo ging hin und her. "Dom gibt mir einen einfachen Fall, einen schnellen Rumser mit einem Studebaker, und jetzt ..." Er trank einen Schluck. "Jetzt bin ich nach zwei Tagen immer noch ratlos, wo der Wagen abgeblieben ist. Dafür gibt es noch einen gestohlenen Ferrari und einen verunglückten Wagen südlich von Las Vegas. Das wird Dom sicher nicht sehr beeindrucken." "Ich will Sandee", krächzte Mel. "Das ist alles deine Schuld! Du hast gestern dafür gesorgt, dass ich ständig an sie denken musste. Und letztendlich bin ich zu ihr gefahren und habe mich in sie verliebt."
Wieder sank er auf den Sessel. "Vielleicht war ich so lange ohne eine Frau, dass ich mich in die nächstbeste verlieben musste." Mel flog zu der Sessellehne und Leo strich dem Papagei über den Kopf. "Ich kann sie nicht lieben, Mel. Ich weiß ja nicht einmal, wer sie ist.“ Doch im Grunde kannte er sie gut. Sie liebte Kinder, war leidenschaftlich und verletzlich und ließ sich von keinem Mann etwas vorschreiben. Leo wusste, dass sie zärtlich war und stark. Und genauso sicher wusste er, dass sie nicht Sandee war. Am klügsten wäre es, wenn er sich von ihr fern hielt, aber dazu war es zu spät. Er hatte sich in die Frau verliebt und musste herausfinden, wieso sie diese Rolle spielte. Im letzten Jahr hatte er viel verloren, und was er bei dieser Frau empfunden hatte, war seit langem das Erste, was ihm vollkommen richtig und wichtig erschien. Leo stand auf. "Ich muss wissen, wer sie wirklich ist, Mel“, sagte er und stellte die Cola beiseite. Leo näherte sich der Haustür. Durch die Scheibe daneben sah er Licht im Wohnzimmer, also war sie noch wach. Er sah auf die Uhr. Mitternacht. Na, sie war späten Männerbesuch ja gewöhnt. Ob sie allerdings erfreut war, ihn zu sehen? Leo wusste immer noch nicht genau, worüber sie sich so aufgeregt hatte, aber das sollte es angeblich zwischen Männern und Frauen öfter geben. Leo würde sich entschuldigen, um die Stimmung zwischen ihnen wieder zu bereinigen. Und dann würde er sie ganz höflich fragen, wer sie wirklich war. Er klopfte und wartete. Nichts war zu hören oder zu sehen. Wieder klopfte er, aber sie machte nicht auf. Angespannt sah er durch die Scheibe. Keinerlei Bewegung zu erkennen, obwohl alle Lichter an waren. Wieso kam sie nicht zur Tür? Stimmte etwas nicht mit ihr? War Hank wiedergekommen, obwohl sie ihn abgewiesen hatte? Oder dieser verrückte Tony? Leo drehte am Türknauf. Verschlossen. Es war zwar gut, dass die Tür wieder intakt war, aber er fühlte sich nur ungern ausgesperrt. Zumindest wollte er wissen, ob es Sandee gut ging. Er zog eine Kreditkarte aus der Brieftasche. Das war ein alter Trick, aber er funktionierte immer noch. Kurz darauf öffnete er die Tür, betrat die Wohnung und machte die Tür schnell wieder hinter sich zu. Dabei sagte er sich immer wieder, dass er einen durchaus vernünftigen Grund hatte, sich um Sandees Sicherheit Sorgen zu machen. Er sah sich in dem Zimmer um. Gestern Nacht hatte er kaum etwas von der Umgebung wahrgenommen, doch jetzt sah er, dass alles in demselben Pfirsichton eingerichtet war wie das Schlafzimmer. Und in Pink. Gestern war ihm flüchtig durch den Kopf gegangen, dass diese Farben nicht zu ihr passten, und jetzt wusste er auch warum. Diese Wohnung gehörte einer anderen Frau. Der echten Sandee.
Als er am Badezimmer vorbeikam, hörte er Wasser rauschen und blieb stehen. Die Tür stand offen. Die Glastüren der Duschkabine waren durchsichtig. Sie seifte sich gerade ein und fuhr mit beiden Händen über ihren Körper. Leise summte sie vor sich hin, und Leo hörte ihrer melodischen Stimme zu. Geh schon, sagte er sich. Steh nicht hier herum und starr sie an. Sonst machst du ihr noch Angst. Aber es war zu spät. Sie drehte sich zu ihm und erstarrte. Erschrocken riss sie die Augen auf. Leo hasste sich dafür, dass er ihr Angst machte. "Entschuldige", sagte er und hob die Hände. „Tut mir Leid." Er wandte sich zum Gehen. Die Dusche wurde abgestellt. "Leo, warte. Bitte." Diese sanfte und aufregende Stimme! Langsam wandte er sich zu ihr um. Sie presste sich gegen die Duschkabine und sah Leo gleichzeitig traurig und erregt an. Sein Blick glitt an ihrem Körper hinunter. Ihre vollen Brüste pressten sich gegen die Scheibe, und sofort beschleunigte sich Leos Pulsschlag. Corinne trat zurück und öffnete die Tür. Als sie aus der Kabine trat, konnte Leo sich kaum noch beherrschen. Er steckte die Daumen durch die Gürtelschnallen, um sich daran zu hindern, die Hände nach ihr auszustrecken. Tropfen funkelten auf ihrer rosigen Haut, und das Haar hing ihr nass in den Nacken und auf die Wangen. Glitzernd rannen einzelne Tropfen. ihren Körper hinab. Es war einfach stärker als er. Leo zog sie in die Arme, nahm ihren sauberen Duft in sich auf und genoss es, ihren warmen weichen Körper zu spüren. "Ich habe geklopft, aber du hast nicht aufgemacht. Da habe ich mir Sorgen gemacht." Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. "Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der sich so viel Sorgen macht." Eine nasse Strähne fiel ihr in die Stirn. Leo strich sie zurück und umfasste ihren Kopf mit beiden Händen. Eindringlich musterte er ihr Gesicht. "Du bist so ... wunderschön." Sie lächelte leicht, und der warme Ausdruck ihrer grauen Augen weckte in Leo den Wunsch nach mehr. Er presste die Lippen in ihre Halsbeuge und sog ihren Duft ganz tief ein. Der Duft ihrer Haut berauschte ihn, und er fuhr zu ihrer Wange und ihren Lippen, die sich ihm wie eine Blüte öffneten. Corinne kostete den Kuss mit allen Sinnen aus. Sie gab sich ihrer Leidenschaft hin, und als Leo den Kopf hob, sah sie das Verlangen in seinem Blick. Gestern Nacht hatte sie ihn nicht so deutlich gesehen, aber jetzt sah sie genau, wie seine Gesichtszüge durch diesen begehrlichen Ausdruck weicher wurden. Sie fuhr ihm über die Lippen, und er musste lächeln. "Was immer ich auch gesagt habe, es tut mir Leid", flüsterte er mit heiserer Stimme. Tony hatte sich nie entschuldigt, nicht einmal, als Corinne ihn beim Fremdgehen ertappt hatte. Aber Leo war ganz anders. Zugegeben, sie hatte sich
über ihn geärgert, aber jetzt konnte sie ihm nicht mehr böse sein. "Es hat mir nicht gefallen, wie du mich genannt hast." Fragend runzelte er die Augenbrauen. "Einen schnellen Rumser?" Sie nickte. "Was gestern Nacht zwischen uns passiert ist, war etwas ganz Besonderes, und das solltest du nicht durch so einen Ausdruck beschmutzen." Verwirrt sah er sie an. "Das verstehe ich nicht." Er hielt sie noch enger umschlungen, als fürchte er, sie könnte ihn von sich stoßen. "Ein schneller Rumser, das hat nichts mit dem zu tun, was gestern Nacht zwischen uns geschehen ist." "Nein?" Er musste lachen. "Liebes, was glaubst du denn, was ein schneller Rumser ist?" "Ein anderer Ausdruck für ... Sex?" "Aber nein!" Jetzt musste er lauthals lachen, und beim tiefen vollen Klang seines Lachens schluckte Corinne. Belustigt sah er ihr wieder in die Augen. "Das hast du also gedacht. Kein Wunder, dass …“ Er schüttelte den Kopf. "Um eines klarzustellen: Wir hatten keinen Sex, sondern wir haben Liebe gemacht." Er sah ihr in die Augen und strich ihr über den nackten Körper. "Die eigentliche Frage ist doch die, wieso du hier splitternackt stehst und dich mit mir unterhältst." Sie lächelte. "Was sollte ich denn stattdessen tun?" „Wie wär's mit einem schnellen Rumser?" schlug er vor. Dann nahm er sie an die Hand und ging mit ihr ins Schlafzimmer.
11. KAPITEL "Der schnelle Rumser läuft jetzt in die Küche und holt uns was zu essen." Corinne stieg aus dem Bett und lief aus dem Zimmer. Leo hatte ihr immer noch nicht die wahre Bedeutung dieses komischen Ausdrucks verraten, und im Grunde hatten sie überhaupt nicht miteinander gesprochen, seit er sie beim Duschen überrascht hatte. Kein Wunder, dass ich solchen Hunger habe, dachte sie und öffnete lächelnd den Kühlschrank. Wenn sie mit Tony zusammen gewesen war, hatte sie niemals solchen Heißhunger gehabt. Summend packte Corinne Obst, Cracker und Ziegenkäse auf ein Tablett und legte auch die Artischockenherzen hinzu. Zufrieden betrachtete sie die appetitlichen Häppchen. Wenn Sandee in ein paar Tagen zurückkam, musste sie ihr unbedingt ein paar Serviertipps geben. In ein paar Tagen ... Einen Moment geriet Corinnes Zuversicht ins Wanken. Was würde dann sein? Sie konnte nie in ihr früheres Leben zurückkehren, aber wer war die neue Corinne? Nur in einem Punkt war sie sich sicher: Es war die Frau, mit der Leo geschlafen hatte.
Sie hob das Tablett hoch. "Mir bleiben noch achtundvierzig Stunden, um mir zu überlegen, was ich mit meinem Leben anfange", sagte sie leise und ging mit dem Tablett zurück ins Schlafzimmer. Als sie Leo im Bett sitzen sah, hätte sie fast das Tablett fallen gelassen. Sein nackter Oberkörper ragte aus den zerwühlten Laken und erinnerte sie an einen Meeresgott im Wasser. Corinne umklammerte das Tablett etwas fester, während sie daran dachte, wie sie sich gestern Nacht an seine Brust geschmiegt hatte. Sie hatte den Duft seiner Haut eingeatmet und den leicht salzigen Geschmack auf der Zunge gehabt. "Was hast du?" fragte er. "Ich sehe auf deine Brust", brachte sie mühsam hervor und räusperte sich. Um ihre Verlegenheit zu überspielen, setzte sie sich schnell wieder zu ihm auf das Bett. "Wieso ist hier eigentlich alles in Pink und Pfirsichfarben eingerichtet? Sind das deine Lieblingsfarben?" fragte er und betrachtete die Speisen auf dem Tablett. "Ja. Ich meine, es sind ihre Lieblingsfarben." Leo blickte hoch. "Das verstehe ich nicht." Lieber jetzt als später, dachte sie, sonst verliere ich mit Leo noch das Beste, was mir im Leben begegnet ist. Nervös zupfte sie an der Bettdecke. "Ich muss dir etwas sagen." Leo steckte sich ein Artischockenherz in den Mund und nickte kauend. "Ich bin nicht Sandee." Sie atmete tief durch und wartete auf eine Reaktion. Stattdessen nahm er sich noch eine Artischocke. "Die schmecken toll!" Hatte er sie nicht verstanden? "Leo, ich bin nicht Sandee", wiederholte sie ganz langsam. Als er nach einem Cracker griff, hielt sie seine Hand fest. "Beachtest du mich jetzt nicht mehr?" Er hob ihre Hand und küsste sie "Liebes, natürlich beachte ich dich noch. Du sagtest, du seist nicht Sandee." Er zuckte mit den Schultern. "Das wusste ich bereits. Und als ich gesagt habe, ich würde Tony kennen, habe ich auch gelogen. Also sind wir quitt." Wie konnte er das so gelassen hinnehmen? "Mir war klar, dass du Tony nicht kennst." Sie schnappte sich den Cracker, nach dem er gerade greifen wollte, belegte ihn mit Ziegenkäse und steckte ihn sich in den Mund. "Woher wusstest du, dass ich Tony nicht kenne?" "Weil du sonst auch gewusst hättest, wieso er mich Corinne genannt hat." "Wieso denn?" "Weil das mein Name ist." Erleichtert atmete sie durch. "Ich heiße Corinne McCourt." Endlich war sie wieder sie selbst. Leo griff nach ihrer Hand. "Freut mich, Sie kennen zu lernen, Miss McCourt." „Das Vergnügen ist ganz meinerseits, Mr. ...?" "Wolfman. Leo Wolfman."
Corinne lächelte. "Ich war noch nie nackt mit einem Mann zusammen, von dem ich nicht einmal den Nachnamen kannte." "Ich auch noch nicht. Also nicht mit einem Mann. Ach, du weißt schon." Leo zwinkerte. „Da wir jetzt wissen, dass ich Corinne bin und du Leo, verrate mir doch, was ein schneller Rumser ist." Leo schwieg einen Moment. "Jemand, der Autos stiehlt." "Ein Autodieb?" Auf einmal begriff sie. "Du glaubst, ich hätte den Ferrari gestohlen!" Eindringlich sah er sie an, dann nickte er. „Damit hast du Recht." Sie fing an zu lachen. "Aber er hat ihn sich zurückgestohlen." Und dann erzählte sie ihm die ganze Geschichte. Von dem Buch, der Folie, von Tony und der Blondine und davon, wie sie mit dem Ferrari nach Las Vegas gekommen war. "Dann schlug Sandee vor, dass ich eine Woche lang für sie bei der Arbeit einspringe, und auf einmal saß ich nicht mehr in der Lohnbuchhaltung, sondern stand auf der Bühne im Boxring als Nummerngirl." Sie atmete tief durch. "Hier." Leo steckte ihr noch einen Cracker mit Ziegenkäse in den Mund. "Damit du bei Kräften bleibst. Wenn du in der Lohnbuchhaltung auch nur halb so gut bist wie als Nummerngirl, dann fangen die Akten sicher regelmäßig Feuer." Er strich ihr das Haar aus der Stirn. "Gehst du in deinen alten Job zurück?" "Nein." Eigentlich wurde es ihr erst in diesem Moment richtig klar. Aber es gab keinen Grund für sie, nach Denver zurückzukehren. Auf Tony konnte sie gut verzichten, und ihre Mutter war schon vor langem nach Florida gezogen. Ihr bester Freund Kyle lebte dort, aber sein Partner hasste sie, also gab es nicht viel, was sie dorthin zurückzog. Und in der Lohnbuchhaltung von Universal Shower Door wollte sie auch nicht alt werden. „Was steht denn jetzt an bei Corinne McCourt?" "Ein Auto, ein Job und ein neues Leben." Ihre Stimme versagte ihr fast, denn sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie ihr neues Leben aussehen sollte. "Komm mal her." Leo zog sie an sich. "Ist schon gut." Zunächst wollte sie sich ihre Unsicherheit nicht anmerken lassen, aber als Leo tröstend die Arme um sie legte, ließ sie den Tränen freien Lauf. Schließlich sagte Leo leise: "Es war sehr mutig von dir, dich einfach in den Ferrari zu setzen und alles hinter dir zu lassen." Zitternd holte sie Luft. "Ja. Es war eine aufregende Fahrt, weil ich keine Ahnung hatte, was ich tun sollte." Sanft rieb er das Gesicht an ihrer Wange. "Du hast alles auf eine Karte gesetzt und bist in Richtung Zukunft gefahren." Zum ersten Mal seit Tagen empfand sie wieder so etwas wie Hoffnung, wenn sie an die Zukunft dachte. Leo hob den Kopf und sah ihr in die Augen. "Das ist eine sehr bemerkenswerte Geschichte, die du da erzählt hast. Und ich habe schon viele gehört."
Sie lachte nervös. "Jetzt sag bloß, du bist Psychiater." "Dicht dran. Ein Detective." Fast hätte Corinne sich verschluckt. "Du bist Polizist?" Sie runzelte die Stirn. "Dann hast du wirklich gedacht, ich hätte den Ferrari gestohlen." Er zögerte. "In gewisser Weise." Erst jetzt begriff Corinne, was Hank ihr alles erzählt hatte. Jetzt ergab das einen Sinn. "Ein schneller Rumser ... davon hat Sandees Freund auch gesprochen." "Hank?" Sie nickte. "Der Kerl, der dir die Rose geschenkt hat, stimmt's?" „Die hat er Sandee geschenkt, nicht mir. Damit wollte er sich nur entschuldigen, dass er mich gebeten hatte, noch einen schnellen Rumser mit mir zu machen." Sie hielt inne. "Deswegen bist du also hinter Sandee her." Leo sah den schmerzlichen Ausdruck auf Corinnes Gesicht. "Ich wollte es eigentlich nicht nach einer Liebesnacht erwähnen. Es ist so lange her, Corinne, seit ich ... ich möchte es nicht kaputtmachen, indem wir die schmutzige Welt da draußen mit ins Spiel bringen. Vertrau mir, die Sorgen laufen uns nicht weg." Corinne presste die Lippen aufeinander und sah ihn besorgt an. "Das ist mir ernst." Er streichelte ihr Gesicht. "Und als Beweis wechsle ich jetzt das Thema. Ich weiß auch nicht, wie es bei Leo Wolfman weitergeht." Ihr Blick wurde nachsichtiger. "Gestern Nacht hast du die Narbe auf meiner Brust berührt. Dort wurde ich vor einem Jahr angeschossen, und zu dem Zeitpunkt hat mein altes Leben aufgehört und mein neues begonnen." "Dann weißt du also, wie sich das anfühlt", flüsterte sie. Leo lachte, aber es klang nicht froh. "Honey, ich weiß sehr gut, wie sich das anfühlt. Ich habe ziemlich tief im Dreck gesteckt, konnte monatelang nicht schlafen oder arbeiten. Immer wieder bekam ich Wutanfälle und hatte ständig dieses fiese Gefühl im Magen." Erst in diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass es weg war. Und er brauchte nicht erst seine Therapeutin zu fragen, um zu wissen, dass dieses Gefühl durch etwas Gutes ersetzt worden war. Durch Corinne. "Was hast du denn während dieser Zeit gemacht?" Er blickte ihr wieder in die grauen Augen. "Ich habe mich oft zusammen mit meinem Papagei betrunken." Einen Moment schwieg sie, dann musste sie lachen. "Das glaub ich nicht!" "Doch, wirklich. Ich bin wieder davon losgekommen, aber Mel, mein Papagei, hat immer noch ein Alkoholproblem. " Ihm gefiel es, ihr Lachen zu hören, und er war froh, dass Corinne jetzt endlich keine Rolle mehr spielte. "Seit ein paar Monaten arbeite ich wieder." Aber um ehrlich zu sein, mein Job ist für mich nicht mehr die Erfüllung. Am liebsten würde ich Silver Bullet, das ist mein Wohnwagen, anspannen und ganz woanders hinfahren. Eine kleine Ranch aufbauen, das ist mein Traum."
"Und nichts würde dich hier halten?" "Gar nichts", erwiderte er sofort. "Keine Frau, keine Familie, keine Möbel. Das ist mir alles mit der Zeit abhanden gekommen." "Deine Frau?" Darüber wollte er auch nicht sprechen, aber ihm war klar, dass Corinne mehr über sie wissen wollte. "Sie hieß Elizabeth, und das Letzte, was ich von ihr gehört habe, war, dass sie nach Los Angeles gezogen ist, und dort sind auch meine Möbel, es sei denn, sie hat sie verkauft." "Ihr seid geschieden?" "Ja, und vom Heiraten habe ich auch genug." Ihm war klar, dass er verbittert klang, aber er konnte es nicht verhindern. "Nach allem, was ich durchgemacht habe, will ich mich niemals wieder an jemand anderen binden. Sie hat mir alles genommen, samt meinen Träumen von eigenen Kindern und dem gemeinsamen Altwerden. Vielleicht werde ich irgendwann wieder lieben, aber ich unterschreibe deswegen keine Urkunden mehr." Nach so aufwühlendem Sex kam eine solche Unterhaltung Corinne etwas seltsam vor, aber sie wusste schließlich auch, wie es war, betrogen zu werden. Sie zögerte. "Von einer Ranch habe ich nie geträumt, aber..." Sie zögerte. "Aber ich wollte ein Baby." Leo drückte ihre Hand. "Ich wollte zwei oder drei." "Gegen vier hätte ich auch nichts." Corinne lachte leise, obwohl es immer noch schmerzte, daran zu denken. „Sprechen wir nicht mehr von unseren Träumen", bat sie. "Oder von Tony oder Elizabeth oder all den anderen Dingen, die uns wehgetan haben." Leo zog sie an sich. "Abgemacht." Und als er anfing, ihren Hals mit kleinen Küssen zu überziehen, gab Corinne ihren Sehnsüchten und Gefühlen liebend gern nach. Es klopfte an der Tür. Corinne sah zur Uhr im Badezimmer. Konnte das schon Leo sein? Es war erst halb sechs, und Leo wollte eigentlich erst um sieben Uhr kommen. Sie zog sich Sandees Morgenmantel aus schwarzer Seide über und ging zur Tür. Insgeheim musste sie lächeln. Vielleicht wollte Leo sie überraschen und wieder beim Duschen ertappen. Durch den Türspion blickte sie in ein Paar großer brauner Augen. "Hank", sagte sie durch die Tür hindurch und bemühte sich, nicht enttäuscht zu klingen. "Sandee kommt morgen wieder.“ "Ich weiß, aber ich wollte zu dir, Corinne." Er kennt meinen Namen, dachte sie. Also hat er mit Sandee telefoniert. Sie zog den Gürtel fester zu und öffnete die Tür einen Spaltbreit. "Also schön, zwei Minuten. Was gibt's?" Er trug weiße Shorts und ein hellblaues T-Shirt, das mehr Haut zeigte als verdeckte. Verlegen verbeugte er sich leicht und faltete dann die Hände. "Corinne", setzte er an, als wolle er eine Rede halten. "Ich möchte mich für mein
Verhalten entschuldigen. Ich habe schlimme Dinge getan, aber das ist jetzt vorbei. Ich habe Sandee versprochen, ein besserer Mensch zu werden." Wie zum Schwur hob er eine Hand. "Und ich schwöre es beim Grab meiner Mutter." Er bekreuzigte sich. „Schon gut, Hank, ich weiß, dass du niemandem etwas antun wolltest." "Und das habe ich auch nicht! Jedenfalls nicht körperlich. Aber ich habe meinem Baby das Herz gebrochen, und das werde ich wieder gutmachen. Ich werde ihr zeigen, dass ich ihrer Liebe würdig bin..." Jetzt würde gleich wieder die Sache mit dem höchsten Berg kommen! "Ich weiß das wirklich zu schätzen, Hank, aber ich will noch duschen und mich umziehen." "Stimmt." Hank nickte. "Das habe ich Sandee auch versprochen. Ich meine, dass ich nicht mehr so viel rede. Aber bevor ich gehe, muss ich noch eines sagen." Corinne atmete tief durch. Dieser Mann war wirklich eine wandelnde Geduldsprobe. "Schön, aber wirklich nur noch eines." Ganz unvermittelt traten ihm Tränen in die Augen. "Ich werde die Sache mit dem Studebaker wieder gutmachen." Hank gestikulierte lebhaft. "Ich werde mich nicht nur bei dir und bei Sandee entschuldigen, sondern auch bei Willy, dem armen alten Kerl. Ich baue ihm in seinen Studebaker ein neues Radio ein und repariere ihm das Lenkrad." Verlegen ließ er den Kopf hängen. "Das glaubst du mir wahrscheinlich ohnehin nicht." "Doch, Hank, ich glaube dir. Man kann sein Leben von Grund auf ändern. Ich weiß, wovon ich spreche." Und dann erzählte sie ihm in groben Zügen, wie es kam, dass sie hier in Las Vegas war. Von Leo hatte sie gelernt, das Positive in diesem Schnitt zu sehen, und das wollte sie Hank auch vermitteln. "Du hast jetzt viel über dich erfahren und hast gelernt, die Menschen mit Respekt zu behandeln. Also sieh das Positive in dieser Erfahrung." Lächelnd sah sie Hank an. "Dieser Mistkerl. " Er schlug sich mit der Faust in die Hand. "Was für ein Idiot dieser Tony ist! Wie kann er ein Auto mehr lieben als dich? Will er den Rest seines Lebens mit diesem Auto verbringen?" Wütend stieß er etwas auf Spanisch aus. "Das ist aus und vorbei", warf Corinne schnell ein. "Du solltest dich jetzt auf Sandee konzentrieren und nicht auf mich. Sie liebt dich sehr." Wieder wurden seine Augen feucht. Aus Angst, dass er doch wieder auf die Knie sinken könnte, setzte Corinne ihr strahlendstes Lächeln auf. "Danke, dass du gekommen bist. Wir sehen uns, wenn Sandee wieder hier ist." "Ja. " Auch Hank strahlte jetzt. Er wollte schon gehen, doch dann drehte er sich noch einmal um. "Du und Sandee, ihr könntet Zwillinge sein, abgesehen von..." "Das ist auch nicht meine echte Haarfarbe. Sie sollte zu Tonys Ferrari passen. Ein Glück, dass der nicht lila war." Augenzwinkernd schloss sie die Tür.
Wieder klopfte es. Corinne war gerade aus der Dusche gekommen. Es war jetzt fünf nach sechs. Hatte sie Leo vielleicht falsch verstanden? Waren sie um sechs Uhr verabredet? Rasch fuhr sie sich durch das feuchte Haar. Gestern hatte es ihm gefallen, sie nackt und mit feuchtem Haar zu sehen, also würde sie ihn heute auch so empfangen. Nein, dachte sie und zog rasch noch hochhackige Schuhe von Sandee an. Leo sollte eine kleine Überraschung erleben. Es klopfte erneut. "Komme sofort", rief sie und lief zur Tür. Noch einmal fuhr sie sich durchs Haar, dann öffnete sie die Tür und flüsterte verführerisch: "Nimm mich." "Darauf kannst du wetten", antwortete Tony und sah sie überrascht und mit zweideutigem Lächeln an. Corinne knallte die Tür wieder zu und lehnte sich dagegen. „Baby, mach auf!" Baby? Der Mann hatte Nerven. "Nein, geh weg!" "Du siehst heiß aus, Corinne. Mach auf, ich will dich nehmen.“ Ihr wurde fast übel. „Tony, es ist vorbei. Fahr nach Hause." Sie war so zornig, dass sie am liebsten gegen die Tür getreten hätte, aber dadurch hätte sie Tony nur ermutigt, auch wieder mit dem Türentreten anzufangen. Eine Weile herrschte draußen Schweigen. "Wen hast du denn erwartet?" Jetzt lächelte sie. Das geschah ihm recht. Corinne, die frühere graue Maus, machte die Tür auf und trug nur Stilettos, aber sie erwartete einen anderen Mann. Sie hätte laut jubeln können. "Eine Woche bist du fort", regte Tony sich auf. "Und du triffst dich schon mit einem anderen Mann?" "Wenn du gegen die Tür trittst, Tony, dann rufe ich die Polizei." "Dazu besteht kein Grund. Ich bin hier." Noch eine Männerstimme? Corinne sah durch den Spion. Das Phantom stand dort draußen. Tony mochte im Umgang mit Frauen ungeschickt sein, aber eine Auseinandersetzung mit dem Phantom würde er sicher nicht riskieren. "Okay, ich gehe", erklärte er. "Ich wollte lediglich meine Verlobte abholen und nach Hause fahren." "Deine Verlobte bin ich nicht mehr, Tony. Schenk doch deiner kleinen Blondine einen Verlobungsring." Diese Unterhaltung gefiel Corinne immer mehr. „Aber ich liebe dich." Sie verdrehte die Augen. "Dann hast du aber eine seltsame Art, mir das zu zeigen." "Ich habe einen Fehler begangen." "Allerdings." Oder zwei, drei oder auch ganz viele. Auf der langen Fahrt nach Las Vegas war Corinne klar geworden, dass er sicher noch viel mehr Frauen nebenbei gehabt hatte als die eine. "Ich will dich heiraten und mit dir ein Kind haben."
Noch vor einer Woche hätte sie sich so sehr nach diesen Worten gesehnt, aber heute dankte sie dem Schicksal, dass Tony das nie gesagt hatte. Sonst hätte sie den Absprung aus ihrem alten Leben niemals geschafft. „Sorry, du hast deine Chance vertan. Jetzt geh." Es herrschte Stille. "Sie haben die Lady gehört", sagte das Phantom, und seine Stimme klang wie Donnergrollen. "Gehen Sie." Corinne hörte Schritte und sah wieder durch den Spion. Tony verschwand, und das Phantom verschränkte die Arme vor der Brust und blickte ihm nach. "Phantom?" Er drehte sich zur Tür. "Ja?" "Wie heißen Sie wirklich?" Jetzt sah er verwundert aus. "Nigel. Aber das wissen Sie doch." Nigel. Sie musste lächeln. "Habe ich Ihnen in letzter Zeit eigentlich gesagt, was für ein wunderbarer Freund Sie sind?" Er lief rot an. "Nein, Sandee." Corinne würde Sandee dringend sagen, dass sie hin und wieder etwas Nettes zu Nigel sagen sollte. Für sein Selbstbewusstsein. "Und danke auch für die Kekse. Die haben köstlich geschmeckt." Er lächelte wie ein kleiner Junge. "Danke, Sandee." "Nein, ich danke Ihnen, Nigel." Damit ging sie zurück ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen. Um Viertel nach sieben klopfte es wieder, und Corinne wartete bereits voller Ungeduld auf Leo. Sie blickte durch den Spion. Obwohl sie jetzt ein nettes kurzes Kleid trug, das sie in Sandees Schrank gefunden hatte, wollte sie kein Risiko eingehen und wieder einem falschen Mann die Tür öffnen. Als sie die vertrauten grünen Augen sah, fing ihr Herz an zu rasen. Ja, dachte sie, dies ist der richtige Mann. Sie öffnete die Tür. "Guten Abend, Detective." Sie hatte ihn noch nie in einer Hose mit Bügelfalte gesehen. Dazu trug er ein kurzärmliges grünes Hemd, das zu seinen Augen passte, und auf Hochglanz polierte Schuhe. Dieser Mann sah einfach zum Anbeißen aus. Wie konnte er so sexy aussehen, wo er doch einfach nur so dastand? Leo trat ein und zog Corinne in die Arme. "Ladys, die so gut wie Sie aussehen, sollte ich eigentlich verhaften", antwortete er und küsste sie aufs Haar. "Heute sollst du aussuchen, wo wir hingehen. Hast du dir schon etwas überlegt?" fragte er flüsternd. "Ja.“ "Was denn?" "Ich möchte mir deinen Wohnwagen ansehen." Eine Stunde später schloss Leo seine Haustür auf. "Ich entschuldige mich im Voraus für die Einrichtung. Es ist nicht so schön wie im Wohnwagen, fürchte ich." Er hatte es erst für einen Scherz gehalten, dass sie den Wohnwagen sehen wollte, aber gerade eben hatte er ihr zwanzig Minuten lang alles im Silver Bullet
gezeigt, weil sie darauf bestanden hatte. Leo hatte Corinne auch genau erklärt, was er alles wieder hergerichtet hatte. Sie hatte kaum etwas gesagt, aber an ihrem strahlenden Blick hatte er erkannt, dass ihr gefiel, was sie sah. So begeistert würde sie sicher nicht auf sein Haus reagieren, da war Leo ganz sicher. Er öffnete die Tür und ließ Corinne den Vortritt. Sie sah sich um. "Es ist so …“ "Karg?" Er konnte ihr nicht einmal etwas anbieten außer eine Cola, weil er gedacht hatte, sie würden irgendwo essen und anschließend vielleicht ins Kino gehen. Aber dass Corinne den Silver Bullet und seine Junggesellenbude sehen wollte! "Ja, man könnte es als karg bezeichnen." Vergeblich bemühte sie sich um einen lockeren Tonfall. Es klang zu schrill. "Daran gibt es ja nichts auszusetzen." "Wie gesagt, Elizabeth hat sich alle Möbel genommen." Es klang verbittert. Anscheinend hatte er überhaupt keine Ahnung mehr, wie man sich bei einer Verabredung mit einer Frau verhielt. "Möchtest du eine Cola?" "Gern." Es klang ein bisschen zu beiläufig. Sie sah sich in dem fast leeren Zimmer um, und Leo ging schnell in die Küche. Dort saß Mel in einer Ecke des Spülbeckens. "Was machst du denn da, Kumpel?" Krächz. Besorgt betrachtete Leo seinen Papagei, der nur starr auf die Wand des Spülbeckens starrte, als wisse er nicht mehr, wo er war. "Alles in Ordnung, Mel?" Dann roch Leo den Weingeruch, und er entdeckte unter dem Weinregal einen zu kleinen Bröseln zerpickten Korken. „Was ist geschehen?" Das wusste Leo eigentlich ganz genau. Bei einer der Flaschen fehlte der Korken, und auf der Anrichte war eine Weinpfütze. "Brauchst du Hilfe?" Corinne stand an der Küchentür. Keine Möbel, aber dafür einen betrunkenen Papagei, dachte Leo. Ich weiß wirklich, wie man eine Frau beeindruckt. "Ist das dein Papagei?" Sie trat einen Schritt vor und holte erschrocken Luft. "Ist er krank? Hat er nicht gerade etwas gesagt? Hast du es verstanden?" Leo nickte. "Er sagte Rotwein." Erst sah sie ihn überrascht an, dann sehr ernsthaft. "Das war kein Witz, dass du immer mit deinem Papagei zusammen getrunken hast." „Aber das ist schon Monate her." Er hasste seinen verteidigenden Tonfall. „Tut mir Leid, ich habe nicht damit gerechnet, dass Mel ausgerechnet heute entdeckt, wie er Weinflaschen aufbekommt." Er fing an, die Korkenreste aufzusammeln. "Sandee, ich meine Cor... " "Ich will Sandee", verkündete Mel krächzend. Corinne konnte es nicht glauben. "Hast du gehört, was er gesagt hat?" "Äh, ja." Sie strich dem Vogel sanft über den Kopf. "Corinne? Kannst du Corinne sagen?" Krächz. "Ich will Sandee.“
Leo wischte den Wein weg und holte zwei Dosen Cola aus dem Kühlschrank. "Komm mit, gehen wir ins Wohnzimmer. Mel ist in der Spüle ganz gut aufgehoben. Er kann Wasser trinken und wieder nüchtern werden." Im Wohnzimmer bot er Corinne den Ledersessel an. "Und wo sitzt du?" fragte sie, als er ihr die Cola reichte. "Ach, ich bleibe stehen. Kein Problem." Er trank einen Schluck. "Es tut mir Leid", sagte Corinne und seufzte. "Ich hätte dich nicht dazu überreden sollen, mich hierher zu bringen. Man merkt dir an, wie unangenehm dir das ist." "Ich war..." Leo zögerte. "Ich war nicht darauf vorbereitet, aber du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Sandee." "Ich will Sandee!" tönte Mel aus der Küche. Leo zuckte zusammen. Mel war betrunken, und er versprach sich dauernd. Verlegen rollte er die Dose zwischen den Händen. "Lass mich den restlichen Wein wegschütten, dann gehen wir irgendwo anders hin, einverstanden?" Corinne nickte, aber Leo bemerkte ihren Gesichtsausdruck. Zum ersten Mal wirkte sie sehr zurückhaltend und kühl. An der Küchentür drehte er sich noch mal um. "Das mit Sandees Namen, das musst du verstehen. Ich habe deinen ... das heißt ihren Namen hin und wieder erwähnt, und Mel hat das aufgeschnappt." Corinne zwang sich zu einem Lächeln. "Du sagst immer wieder Sandee zu mir. Aber mein Name ist Corinne. "Das weiß ich!" Sie kam ins Grübeln. In den letzten Tagen war sie sich so sicher gewesen, dass Leo sich nach ihr sehnte, nach Corinne. Aber wenn er nicht einmal die Namen von ihrer Cousine und von ihr auseinander halten konnte, dann hatte er sich vielleicht in Wahrheit auch in das Nummerngirl namens Sandee verliebt, das sie ihm vorgespielt hatte, und nicht in die richtige Corinne. Die Zukunft kam ihr mit einem Mal wieder rabenschwarz vor. "Ich bin Corinne", sagte sie leise.
12. KAPITEL "Ich bin schwanger." Sandee lackierte sich gerade die Zehennägel und erstarrte. "Wie bitte?" Nervös spielte Corinne mit dem goldenen Anhänger an ihrer Kette. Seit zwei Wochen war Sandee jetzt wieder zu Hause, und seitdem trug Corinne den Anhänger als Glücksbringer. "Ich bin schwanger." "Dann habe ich mich doch nicht verhört." Sandee stellte den Nagellack weg und sah Corinne prüfend an. "Langweilig wird's bei uns nie, oder? Du kündigst deinen Job in Denver, ich bekomme einen neuen in der Schmuckboutique. Du
machst mit Tony Schluss, und ich bin mit Hank verlobt. " Sandee blickte auf den kleinen Diamantring an ihrem Finger. "Ich dachte, jetzt kämen wir allmählich etwas zur Ruhe, aber das war wohl ein Irrtum." Sie klopfte neben sich auf das Sofa. "Setz dich, damit wir reden können." Das hatten sie in den vergangenen Tagen oft getan. Sie hatten über Corinnes kurze Karriere als Nummerngirl gesprochen, über Tony und Hanks Vorsätze, ein besserer Mensch zu werden. Hin und wieder hatte Corinne den Detective, der ihr gefolgt war, erwähnt, aber sie war nie näher auf ihn eingegangen. Es tat zu sehr weh, von ihm zu sprechen. Zwischen Leo und ihr hatte es eine kurze heiße Affäre gegeben, und Leo hatte sich in Corinnes Rolle als Sandee verliebt. Sie setzte sich und strich ihr neues gelbes Kleid glatt. In letzter Zeit hatte sie sich einige neue Kleider gekauft, weil sie nicht ständig Sandees superenge Shorts oder irgendeinen Fummel von Geoff anziehen wollte. Sandee hob die Augenbraue. "Bist du sicher mit der Schwangerschaft?" "Absolut." Corinne lächelte "Ich habe einen Test gemacht." Sandee stieß die Luft aus. "Wow, Corinne, wenn du dein Leben umkrempelst, dann machst du aber keine halben Sachen." Sie wurde ernst. "Willst du dieses Baby?" "Natürlich! Es ist das Einzige, von dem ich mir ganz sicher bin, dass ich es will. Alles ist unklar, aber das Baby will ich. " Sie richtete sich etwas auf. "Die neue Corinne ist stark, selbstsicher und voller Zuversicht." "Und ein bisschen verrückt", fügte Sandee hinzu. Sie wollte sich gerade eine Zigarette anzünden, ließ es dann aber bleiben. "Ich werde nicht mehr hier im Apartment rauchen. Aber sag mal: Habt ihr nicht verhütet?" "Doch." Corinne biss sich auf die Lippen und fühlte sich wieder wie ein Kind, das gleich ausgeschimpft wird. "Außer ein Mal." Es war nach dem kleinen Snack im Bett gewesen, und Corinne fragte sich, ob ihr Unterbewusstsein ihr vielleicht einen Streich gespielt hatte, weil sie sich so sehr nach einem Kind sehnte. "Wer ist denn der Vater?" fragte Sandee besorgt. "Der Mann, für den du nie zu sprechen bist?" Leo. Sofort überkam Corinne ein schlechtes Gewissen. Doch an jenem Abend in seinem Apartment, als er immer wieder ihren Namen verwechselt hatte, da hatte Corinne klar gesehen. Er mochte nicht sie, sondern sie in der Rolle ihrer Cousine. Auf keinen Fall wollte sie sich jetzt mit einem Mann einlassen, der sie am Ende noch langweilig fand, wenn die anfängliche Faszination sich gelegt hatte. "Erde an Corinne." Sandee berührte ihren Arm. Verwirrt blinzelte Corinne. „Tut mir Leid, ich war ganz in Gedanken." "Liebes, wer ist der Vater?" "Du hast schon Recht." Corinne musste schlucken. "Es ist der Mann, für den ich nie zu sprechen bin." "Hat er keinen Namen?" Corinne zögerte. "Leo."
„Taugt er nicht als Vater?" "Er erholt sich gerade von einem traumatischen Erlebnis, besitzt kaum Möbel, hat dafür aber einen alkoholsüchtigen Papagei zu Hause." Sie lächelte bedrückt. Aber in erster Linie passt er nicht zu mir, weil er mich für dich hält." Sandee klimperte mit den künstlichen Wimpern. "Moment mal, hast du ihn glauben lassen, dass ...“ "Nein, nicht wirklich. Natürlich hat er mich anfangs für dich gehalten, aber später hat er gesagt, er habe gewusst, dass ich nicht du bin. Aber im Grunde hat er sich doch in die Frau verliebt, die winzige Bikinis trug und in diesen hohen Schuhen herumstolziert. Also in dich." "Ich stolziere nicht herum." "Du weißt, was ich meine. Er hat sich in die aufregende, hemmungslose, sexy Sandee verliebt." "Aber das steckt doch alles auch in dir." Sandee legte einen Finger an die Unterlippe. "Vielleicht versteckt, aber eine Zeit lang hast du es ausgelebt." Daran hatte Corinne überhaupt noch nicht gedacht. Stimmte es? Steckte das alles auch in ihr? "Trotzdem hatte er Schwierigkeiten, sich meinen Namen zu merken. Immer wieder hat er mich Sandee genannt.“ Einen Moment sah ihre Cousine sie schweigend an. „Tony ruft auch immer wieder an. Vielleicht willst du zu ihm zurück." "Nie im Leben." "Na, wenigstens hast du diese Lektion begriffen." Aufmunternd drückte Sandee ihr die Hand. „Tony ist anscheinend auch nicht mehr der Alte, seit dieser alte Mann bei ihm einen schnellen Rumser gemacht hat, als er auf dem Rückweg nach Denver war." "Weißt du noch, wie wütend er war, als er hier anrief? Er wollte bemitleidet werden, und ich konnte immer nur lachen." Corinne musste wieder kichern. "Ist das nicht Schicksal? Er hat sein Baby verloren." Sie strich sich über den Bauch. Aber ich bekomme eines. Ich brauche keinen Mann." "Und was ist mit einem Job? Oder einem Zuhause?" Corinne lehnte sich auf dem Sofa zurück. "Im Moment erkenne ich nur, dass ich frei bin. Ich kann alles tun, und einen Job in der Lohnbuchhaltung bekomme ich immer. Wahrscheinlich muss ich mir von meiner Mom Geld leihen, um mir ein Häuschen zu kaufen, aber das zahle ich ihr zurück. Ich werde es schon schaffen, für mein Baby und mich zu sorgen." Das Telefon klingelte, und Sandee ging hin. "Ich wette, es ist wieder Leo, der dich vielleicht Sandee genannt hat, aber seitdem am Telefon immer nach Corinne fragt." Es klopfte. Corinne sah auf die Uhr. Es war zwei Uhr nachmittags. "Erwartest du jemanden?" fragte sie Sandee, doch die schüttelte nur den Kopf. "Vielleicht ist es Nigel mit noch mehr Keksen", vermutete Sandee und warf einen Blick durch den Türspion. "Nein, es ist ein Paketdienst."
Sie ließ sich einen großen Umschlag aushändigen und kam damit zurück zum Sofa. "Hör mal, was hier draufsteht: Für die Frau, deren Körper besser als jeder Ferrari ist." Sandee hob den Kopf. "Versucht Tony es jetzt auf eine andere Art?" Corinne stöhnte auf. "Hoffentlich nicht. Aber das klingt auch nicht nach Tony." „Auf jeden Fall ist es für dich." Sandee reichte ihr den Umschlag. Als Corinne einen Blick hineingeworfen hatte, saß sie nur mit offenem Mund da. Dann hielt sie den offenen Umschlag ihrer Cousine hin. Sandee schnappte nach Luft. "So viel Geld!" Sie zog ein Bündel Scheine heraus und fing an zu zählen. Dann flüsterte sie: "Hier in der Hand halte ich mindestens 5000 Dollar!" Corinne blickte auf den Rest in dem Umschlag. "Da muss mindestens noch das Zehnfache drin sein." "Als hätte eine gute Fee gewusst, dass du dringend Geld für dich und dein Baby brauchst." Sandee warf das Geldbündel in die Luft, doch schon während sie es auffing, wurde sie nachdenklich. "So viel Bargeld, das ist aber merkwürdig." Corinne seufzte. "Man muss kein Genie sein, um zu vermuten, dass jemand Tonys Ferrari auf dem Schwarzmarkt verkauft hat." Sie steckte das Geld zurück in den Umschlag. "Das kann ich nicht behalten." Sandee sah sie nachdenklich an. "Dieser alte Mann, der den Ferrari gestohlen hat, hatte vielleicht einen Komplizen, der das für ihn erledigt hat. Auf alle Fälle werde ich Hank anrufen." Sie ging zum Telefon. "Ich kann für ihn nur hoffen, dass er nichts damit zu tun hat, denn er hat mir geschworen, keine krummen Dinger mehr zu drehen." "Da geht sie, Kobold." Leo sah Corinne in einem pinkfarbenen Wagen aus der Garage fahren. Das Auto musste Sandee gehören, der Frau, die auch ihre gesamte Wohnung in diesen knalligen Farben einrichtete. Leo vermied es, hier aufzutauchen, weil er sich nicht willkommen fühlte. Wenn Corinne sich schon weigerte, am Telefon mit ihm zu sprechen, dann würde sie ihn auch bestimmt nicht mit offenen Armen empfangen, wenn er auf einmal vor ihrer Tür stand. Deshalb hatte er beschlossen, in Corinnes Abwesenheit mit Sandee zu sprechen, um herauszufinden, wieso ihre Cousine ihn nicht mehr sehen wollte. Als er zur Tür ging, kamen ihm wieder zahllose Erinnerungen. Hier hatte der Muskelmann mit seinen Keksen gestanden, Hank hatte hier gekniet, und Corinne hatte hier gestanden. Im pinkfarbenen T-Shirt. Sie hatte in den Nachthimmel gesehen und dabei wie ein Engel gewirkt. Das war die wirkliche Corinne gewesen, die Frau, die ihre Träume noch nicht aufgegeben hatte. Er klopfte an die Tür und wartete. "Kann ich Ihnen helfen?" erklang eine Frauenstimme auf der anderen Seite der Tür. „Sandee?" "Ja, bitte?"
"Ich heiße Leo und würde gern mit Ihnen reden." Nach kurzem Zögern machte Sandee die Tür auf, und sofort fiel Leo auf, wie ähnlich die beiden Cousinen sich sahen. Doch es gab auch deutliche Unterschiede. Sandee hatte feuerrotes Haar, und ihr Blick verriet, dass sie im Leben schon einiges zu sehen bekommen hatte. Diese Gerissenheit fehlte Corinne, und Leo vermisste ihren speziellen Duft und ihr Lächeln. "Leo." Sandee sah ihn aus blauen Augen an. "Corinne ist nicht hier." Wie sehr er sich danach sehnte, wieder Corinnes graue Augen vor sich zu sehen! Anscheinend wartete Sandee auf seine Antwort. "Ich weiß, dass sie nicht da ist. Ich wollte mit Ihnen sprechen." "Kommen Sie rein." Sandee ließ ihn eintreten. Als er das Zimmer betrat, lockerte er sich den Kragen, denn hier stürmten so viele leidenschaftliche Erinnerungen auf ihn ein, dass ihm heiß wurde. "Ich kann auch nicht lange bleiben." Sandee kam gleich auf den Punkt. "Leo, ich werde ganz offen zu Ihnen sein." "Corinne glaubt, Sie würden uns beide verwechseln. Dass nicht die echte Corinne Ihnen etwas bedeutet, sondern das freche Nummerngirl, das sie gespielt hat." "Das ist doch lächerlich." "Finde ich auch." Sie hielt die Hände hoch, und Leo blickte auf ihre in Pink lackierten Fingernägel. "Corinne hat einiges durchgemacht, und sie ist sich nicht sicher, wie es jetzt weitergeht. Abgesehen von einem." Leo wartete. "Nämlich?" "Von ihrem Baby." Sandee ließ die Hände sinken. "Sie hat es mir nicht verboten, es Ihnen zu erzählen, also sage ich es Ihnen. Seit heute weiß sie, dass sie schwanger ist, und Sie sind der Vater." Leo kam sich vor, als sei er am Boden festgenagelt. Gleichzeitig hätte er vor Freude in die Luft springen können. "Ein Baby", brachte er heraus und empfand eine unglaubliche Wärme tief in sich. Doch dann wurde er wütend. "Und das sagt sie mir nicht?" Das größte Geschenk, das er sich vorstellen konnte, ein eigenes Kind, und die Mutter wollte es ihm verheimlichen? "Da ist noch mehr." Sein Magen verkrampfte sich. "Kehrt sie zu Tony zurück?" "Nein. Sie geht fort. Schon in ein paar Tagen." Ratlos ging Leo auf und ab. Was sollte er tun? Er fühlte sich in die Enge getrieben. Sandees heisere Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. "Haben Sie ihr je gesagt, dass Sie sie lieben?" Er hielt inne und dachte nach. Er hatte es oft gedacht, aber ... Er schüttelte den Kopf. "Männer", stieß Sandee aus. "Glaubt ihr eigentlich alle, ihr landet im Gefängnis, wenn ihr eure Gefühle eingesteht?" Leo musste daran denken, wie er Corinne erzählt hatte, dass er niemals wieder heiraten werde. Und dann hatte er sie ein paar Mal mit falschem Namen
angesprochen. Kein Wunder, dass sie da nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. "Manche Männer sind dumm", stellte er leise fest. "Besonders dieser hier." "Tja, aber jeder verdient eine zweite Chance." Sandee blickte kurz auf ihren Ring. "Sie ist an etwas Geld gelangt, das sie hoffentlich dazu nutzt, um sich irgendwo einen guten Start für sich und das Baby zu verschaffen." "Einen neuen Anfang, das machen auch gerade mein Freund und ich durch." „Hank versucht es wirklich mit allen Mitteln." Auf Sandees fragenden Blick fuhr er fort: "Ich bin Detective und habe die ganze Geschichte auf der Wache gehört." "Sie sind der Detective, ach so." Sandee verschränkte die Arme. "Dann müssen Sie auch von dem alten Mann, diesem Willy, wissen, der bei Tony den schnellen Rumser gemacht hat." Jetzt stutzte Leo. "Nein, davon habe ich noch nichts gehört." "Oh." Sandee zögerte. "Ich sage das nur, damit Sie einsehen, dass dieses Geld keinem rechtmäßigen Besitzer mehr zurückgegeben werden kann. Am besten wäre es wirklich bei Corinne aufgehoben." Sie sah kurz zu ihren Zigaretten und blickte dann seufzend wieder zu Leo. "Sie wissen sicher, dass Hank, mein Verlobter, sich in aller Form bei Willy entschuldigt hat, der daraufhin vor Gericht darum gebeten hat, dass man Hank nicht ins Gefängnis steckt." "Ja, mir ist klar, dass Hank noch mal mit einem blauen Auge davongekommen ist." Leo hörte zu, aber mit seinen Gedanken war er immer bei Corinne und dem Baby. „1000 Stunden Dienst zum Wohle der Gemeinschaft, das ist für Hank wirklich ein Glücksfall." Sandee lächelte dankbar. "Eines Abends hat Hank diesem Willy alles über meine Cousine und ihren nichtsnutzigen Tony erzählt." "Lassen Sie mich raten", fuhr Leo fort. "Willy regt sich darüber auf, wie Tony diese Frau behandelt hat, und beschließt, mal eben einen eigenen schnellen Rumser zu machen." Sandee nickte. "Ja, er rammt Tonys Ferrari und stiehlt ihn, als Tony aussteigt, um die Versicherungsnummern zu tauschen. Jedenfalls vermutet Hank das, und er schwört, dass er damit nichts zu tun hat." "Und natürlich verrät Willy Hank nichts davon, damit Hank weiterhin ehrlich bleiben kann." Leo war bekannt, welche Summe ein Ferrari auf dem Schwarzmarkt bringen konnte. Das Geld könnte nie zurückverfolgt werden. "Anscheinend hat Willy ausgleichende Gerechtigkeit gespielt." "Ich habe versucht, sie dazu zu bringen, es zu behalten. Sie ist es doch ihrem Baby schuldig." "Es ist auch mein Baby." Leo fuhr sich durch Haar. "Es tut mir Leid, dass ich gar keine Gelegenheit hatte, ihr alles zu erklären." Erst jetzt wurde ihm selbst wirklich klar, dass er sich nach wie vor nach Liebe, einer richtigen Ehe und nach Kindern sehnte. Er wollte Corinne und nicht die Rolle, die sie gespielt hatte. Corinne machte ihm Mut, weiter von einem besseren Leben zu träumen. Und jetzt ging sie fort?
Ihm ging es ähnlich. Er wollte auch nicht mehr in dieser Stadt bleiben. Keine zwei Jahre mehr und auch keine zwei Tage. Nicht ohne Corinne. Vor ein paar Wochen noch war das Leben für ihn schwarz und weiß gewesen, und erst Corinne hatte ihm den Mut gemacht, die verschiedenen Grautöne zu erkennen. "Ich werde nicht die Frau, die ich liebe, und mein Baby nicht im Stich lassen. Zumindest werde ich für uns kämpfen." Corinne nahm die Einkaufstüte auf den anderen Arm und öffnete die Tür zu Sandees Apartment. "Es gab Auberginen im Sonderangebot, und jetzt werde ich dir zeigen, wie man Parmigiana kocht", rief sie. Mit dem Fuß stieß sie die Tür hinter sich zu. Als sie aufsah, erstarrte sie. "Leo", stieß sie hervor. Ihr Herz raste. Seit Wochen hatte sie ihn nicht mehr gesehen, und er wirkte müde und hagerer. War er nur überarbeitet, oder machte ihm die Trennung von ihr zu schaffen? Er nahm ihr die Tasche ab und stellte sie auf einen Beistelltisch. Dann wandte er sich wieder Corinne zu. Seine grünen Augen funkelten. "Du hast vielleicht Nerven!" Er weiß es, fuhr es Corinne durch den Kopf, und sie wurde wütend auf Sandee. Nein, dachte sie, ich lasse mir nichts mehr bieten. Niemand schüchtert mich ein. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. "Natürlich habe ich Nerven. Und das alles hier geht dich nichts an, Leo." "Vielleicht geht es mich nichts an, ob du hier bleibst oder fortgehst, aber es ist mein Baby." Das hatte Sandee also auch ausgeplaudert. Corinne wusste nicht genau, was sie jetzt erwidern sollte. Er will sein Baby, dachte sie, aber uns beide gibt es nur im Paket. "Ich kann für mich und das Baby sorgen", sagte sie leise. "Das habe ich gehört." Leo ging auf und ab und blieb dann unvermittelt stehen. Aus seinem Blick sprach ein tiefer Schmerz, und Corinne musste an die Nacht denken, als genau in diesem Raum ihre Leidenschaft förmlich explodiert war. Und genau wie in jener Nacht beugte Leo sich jetzt vor, und die Luft war wie elektrisch aufgeladen. Unwillkürlich breitete sie die Arme aus, und Leo zog sie an sich. "Verdammt, Corinne, ich liebe dich", stieß er aus und küsste sie voller Leidenschaft. Ein lustvolles Feuer breitete sich in ihr aus, und sie zog Leo noch enger an sich. Aber nach wem sehnte er sich? Corinne schob ihn von sich. "Du willst nur das Baby. Das habe ich alles schon hinter mir. Du kennst mich ja nicht einmal richtig, Leo." "Nur weit ich dich aus Versehen zwei Mal mit falschem Namen angesprochen habe." "Das ist es nicht allein. Du hast mich in diesen winzigen Bikinis als Nummerngirl gesehen. Dieser Mensch bin ich nicht wirklich." Als er etwas erwidern wollte, legte sie ihm den Finger an die Lippen. "Sag jetzt bitte nichts,
nur weil du meinst, ich wolle es hören. Wir würden einen Riesenfehler machen, wenn wir ein gemeinsames Leben anfangen." Sein Gesicht war von Schmerz verzerrt. „Tu das nicht, Corinne. Bitte geh nicht." "Ich muss." Sonst würde sie noch in ihr früheres Verhaltensmuster zurückfallen, und das wäre ein echter Rückschritt. Sie sah Leos Kummer, aber sie konnte es nicht glauben, dass er wirklich so empfand. "Du irrst dich", stieß er aus. "Das tue ich nicht." "Ich liebe dich, Corinne." "Nein, das denkst du nur." Ihre Augen brannten, und sie wusste nicht, wie lange sie diese Fassade noch aufrechterhalten konnte. "Ich gehe fort, und du wirst mich nicht umstimmen." "Gib mir eine Chance." "Das kann ich nicht, Leo. Ich werde nicht hier bleiben wegen eines Mannes, der mich nicht liebt." Es war kaum noch lauter als ein Flüstern. „Auch wenn er der Vater meines Babys ist." Sein Blick bekam einen stählernen Ausdruck. Er ging zur Haustür, öffnete sie und wandte sich noch einmal um. "Du bist jetzt stärker als zu dem Zeitpunkt, als du aus Denver hierher kamst, Corinne. Bist du jetzt zu hart? Zu hart, um meine Liebe zu akzeptieren?" "Leo …“ "Ich biete dir alles, was du dir je erträumt hast. Ein Haus voller Kinder, ein Zuhause, geschaffen von zwei Menschen, die sich mehr als sonst jemand auf diesem verrückten Planeten lieben." Mit diesen Worten zog er die Tür hinter sich zu und ließ Corinne allein. "Ich will Rotwein." "Du willst, du willst." Leo hob Mels Käfig hoch und sah den Papagei durch das Gitter an. "Du solltest lieber eine Reise wollen, denn die steht jetzt für uns an." Er sah sich in dem leeren Wohnzimmer um. Hier stand nur noch der alte Ledersessel, den er Dom geschenkt hatte. "Hier haben wir beide viel Zeit verbracht. Nur wir beide und der Rotwein." "Ich will Rotwein." "Das glaubst du nur." Leo trug den Käfig nach draußen. Die Sonne schien, und es duftete nach Jasmin. Leo wollte nicht noch zwei Jahre warten, er wollte jeden Tag seines Lebens nutzen. Er hatte vor, Corinne über Sandee Geld für das Baby zu schicken, und gleichzeitig würde er weiter für seine Ranch sparen. Vielleicht würde er einen Job als Privatdetektiv bekommen, vielleicht würde er auch etwas anderes machen. Das alles hatte er Dom erzählt, aber nicht verraten, wie wenig es ihm bedeutete, weil er Corinne verloren hatte. Leo ging zu seinem Silver Bullet, der im Sonnenlicht funkelte. Heute Morgen hatte er sein ganzes Hab und Gut in den Wohnwagen gepackt. Lange gedauert
hatte das nicht, denn er besaß nicht viel. Und auf dem Rückweg von Sandee hatte er gestern Nacht noch eine Sache gekauft, die er auf dem Weg aus der Stadt loswerden wollte. Als er um das hintere Ende des Wohnwagens ging, hörte er ein Klopfen, und dann sah er das Schild in der Heckscheibe des Wohnwagens. "Nimm mich mit" stand darauf. Er sah sich um, aber es war niemand zu sehen. Wieder blickte er zu dem Schild. Das hatte Corinne in der ersten Nacht, als sie miteinander schliefen, zu ihm gesagt, und sofort hörte Leo ihre sanfte Stimme wieder und sah den verlangenden Ausdruck in ihren Augen. Hinter dem Schild erschien eine schmale Hand und klopfte an das Fenster. Leos Herz fing an zu rasen. Er musste sich beherrschen, um nicht wie ein Wilder in den Wohnwagen zu stürmen. Als er schließlich in das dämmrige Innere des Wohnwagens sah, brachte er nur ein Wort heraus. "Corinne!" In einem weiten hellen Kleid mit Blumenmuster stand sie vor ihm. Das Haar hatte sie sich aus dem Gesicht gekämmt, und ihre großen grauen Augen kamen dadurch noch mehr zur Geltung. Wieso ist sie hier? fragte er sich. Sie blickte Leo an, als sehe sie ihn zum ersten Mal. Er trug ein schlichtes weißes T-Shirt und beigefarbene Shorts. Das Haar hatte er sich schneiden lassen, und er war frisch rasiert. Doch trotz aller Veränderungen hatte er noch denselben Blick in den Augen, den Corinne bereits kannte. Eine Zärtlichkeit, die eine tiefe Sehnsucht in ihr weckte. "Nimm mich mit", flüsterte sie, und die Stimme versagte ihr fast. "Bitte." Er stellte den Käfig ab. "Wohin willst du, Corinne? Soll ich dich in irgendeiner Großstadt absetzen, damit du dort ein neues Leben anfangen kannst?" "Ich will in keine Großstadt." Corinne hatte Angst, dass sie Leo vielleicht so sehr verletzt hatte, dass er sie jetzt abwies. Es fiel ihr schwer, diesem sturen Mann zu sagen, was sie wollte. Anscheinend reichte ihm das Schild nicht, und sie musste es für ihn aussprechen. "Ich will, dass du mich mitnimmst, wo immer du hingehst." Als er nichts erwiderte, konnte Corinne vor Anspannung kaum noch atmen. Wollte er sie möglicherweise gar nicht mehr? Fast geriet ihr Entschluss ins Wanken, aber Corinne hatte schon einmal alles riskiert und ein neues Leben angefangen. Sie konnte es wieder tun. Sie hatte sich fast nackt vor einer Menschenmenge präsentiert, also würde sie auch jetzt alles auf eine Karte setzen. "Ich musste stark sein, Leo, aber ich bin nicht zu hart, um deine Liebe anzunehmen. Ich will den Rest meines Lebens mit dir verbringen." Ihr Puls raste, und ihre Hände zitterten vor Aufregung. Wieso sagte er jetzt nichts? Sie hatte ihm alles offenbart. Endlich räusperte er sich. "Glaubst du mir, dass ich dich liebe, Corinne? Dich und nicht die Frau, die du gespielt hast?"
Sie nickte und berührte ihren goldenen Anhänger. "Ich hatte Angst, dass du nicht mich liebst, sondern ..." „Eine heiße Braut im Bikini?" Er lachte auf. "Ich bin zwar ein Mann, aber ein paar Gehirnzellen habe ich auch. Du hast eine ziemliche Show abgeliefert, aber ich habe an dir schnell viel mehr bemerkt als nur die aufregende Hülle." Er betrachtete ihren Anhänger. "Ist der neu?" "Nein, der ist von meiner Mutter. Das Einzige, was ich von meinem früheren Leben noch habe." Leo schüttelte den Kopf. "Du hast immer noch dich selbst, Corinne. Und in diesen Menschen habe ich mich verliebt." Lange sah er sie an. "Ich nehme dich mit", sagte er ganz ernst, "aber nur unter einer Bedingung." "Ja?" „Dass es für immer ist. Du kommst mit als meine Ehefrau." "0 ja", flüsterte sie atemlos. Ihre Gefühle drohten sie zu überwältigen. "Darf ich dir etwas sagen?" Überrascht hob er die Augenbrauen. "Schieß los." Aus ihrer Tasche holte sie einen Umschlag hervor, und sie zeigte Leo, dass dieser Umschlag leer war. "Ich weiß, dass Sandee dir von dem Geld erzählt hat. Ich habe es bei der Polizei abgegeben. Ich habe gesagt, ich wisse nicht, woher es stammt, und das ist die Wahrheit." Leo lächelte. "Ich muss dir auch etwas zeigen." Er griff in eine Papiertüte, und Corinne erkannte das Geräusch, bevor sie sah, was Leo in der Hand hielt. "Die Rassel! Woher wusstest du ...?" Dann musste sie lachen. "Du hast mich im Supermarkt verfolgt und mich in der Babyabteilung beobachtet!" "Ich will Baby", krächzte der Papagei. "Mel.“ Leo blickte zu dem Käfig. "Besser hätte ich es auch nicht ausdrücken können." Er sah wieder zu Corinne, und seine grünen Augen leuchteten wie ein tiefer Ozean. "Honey, ich will dich und dieses Baby. Und auch das nächste und das übernächste. " Er breitete die Arme aus. "Komm nach Hause, Corinne." Und sie schmiegte sich an ihn und umarmte alles, wovon sie jemals geträumt hatte. - ENDE -