Achim Mehnert
Die Macht der Ewigen Professor Zamorra Hardcover Band 7
ZAUBERMOND VERLAG
Sie greifen nach der Macht, jene kleine Gruppe, die sich DYNASTIE DER EWIGEN nennt. Ihr Ziel ist es, die Galaxis zu beherrschen, Planeten auszubeuten und deren Bewohner zu versklaven. Wer soll sich ihnen in den Weg stellen? Inzwischen schlägt ein Gegner aus ferner Vergangenheit erneut zu. Und Professor Zamorra und seine Gefährten müssen sich in einem gefährlichen Spiel um die Macht zwei Bedrohungen zugleich stellen: den Ewigen – und den rätselhaften Gkirr. Wer dieses Spiel verliert, ist verloren …
Vorwort Hallo, Leser, Freunde und Fans unserer Serie Professor Zamorra! Vor Ihnen liegt bereits das siebte Hardcover, ein Erfolg, mit dem ich kaum zu rechnen gewagt habe, als ich vor ein paar Jahren die Verlagsveranwortlichen mit der Idee nervte, doch einmal PZ-Bücher zu präsentieren. Damals ging ich noch davon aus, etwa ein Buch pro Jahr veröffentlichen zu können – und wurde von einer Lawine überrollt: nicht eines, sondern vier Bücher pro Jahr wollte man produzieren. Der Zaubermond-Verlag übernahm die Buchlizenz, und seither erscheinen zusätzlich zur Heftserie bei Bastei-Lübbe die Hardcover bei Zaubermond. Und damit nicht genug, denn zeitgleich mit diesem Band wird bei Zaubermond ein zusätzlicher Leckerbissen für Zamorra-Fans veröffentlicht: Die Saga um den Geister-Reporter Ted Ewigk, die ich vor über zwanzig Jahren für den »Gespenster-Krimi« schrieb, wird zum ersten Mal seit ihrer Erstveröffentlichung komplett neu herausgegeben – mit einer zusätzlichen Extra-Story pro Buch! Die Saga umfasst im Original zehn Romane, in deren Verlauf mir die Figur Ted Ewigks so ans Herz wuchs, dass ich sie nach Beendigung des Zyklus in die Zamorra-Serie integrierte. Mit dieser Sonderausgabe haben also alle Leser der PZ-Serie die Chance, Ted Ewigk in mehreren Solo-Abenteuern zu erleben. Band 1, »Die Straßen der Angst«, umfasst 512 Seiten und ist wie gewohnt exklusiv bei Zaubermond erhältlich. Doch zurück zum vorliegenden Band. Dieses siebte PZ-Hardcover hat nämlich ebenfalls eine ganz besondere Geschichte. Ursprünglich wollte ich den Roman selbst schreiben. Aber dann erkrankte ich schwer und konnte kaum noch arbeiten. Nach mehreren Versuchen schließlich wurde mir klar, dass ich es nicht schaffen würde, den Abgabetermin auch nur ansatzweise einzuhalten, und so suchte ich nach einem Kollegen, den ich mit dem Schreiben des Romans beauftragen konnte.
Das alles geschah unter erheblichem Zeitdruck, und ich bedanke mich sehr herzlich bei Achim Mehnert, der sich sofort bereit erklärte, trotz der Kürze der Zeit diese schwierige Aufgabe zu übernehmen. Ich gab ihm ein Exposé und ein paar Hinweise, worauf besonders zu achten sei, und wir standen in permanentem telefonischen und elektronischen Kontakt. Achim, du hast erstklassige Arbeit abgeliefert! Der Roman befasst sich mit einem Thema, auf das wir in der Heftserie bislang niemals eingegangen sind und das vermutlich auch den Rahmen der Hefte sprengen würde: die Entstehungsgeschichte der legendären DYNASTIE DER EWIGEN. Wie immer gilt auch hier: Heftserie und Bücher können durchaus unabhängig voneinander gelesen werden, wer beides liest, hat das doppelte Vergnügen. Aber – Vorsicht! Bei diesem Roman steht die Science Fiction im Vordergrund. Es ist weniger ein Grusel- oder Mystery-Roman, sondern pure SF, die uns in die unendlichen Weiten des Weltraums trägt, dorthin, wo noch nie ein Mensch zuvor … Äh. Hm. Und natürlich warten wir in Verlag und Redaktion auf Ihre/eure Lesermeinungen. Wir nehmen sie zur Kenntnis, freuen uns über Lob und ärgern uns über Kritik, und versuchen natürlich, noch besser zu werden. Also: Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat (oder vielleicht auch nicht, was schade wäre), schreiben Sie uns! Entweder per Brief an den Zaubermond-Verlag, Adresse siehe unten, oder auch an die Leserbriefseite der Zamorra-Heftserie des Bastei-Verlags – oder per E-mail an
[email protected]. Mehr über Zamorra, bisherige und künftige Bücher, Autorenporträts, Leseproben gibt es im Internet unter http://www.zaubermond.de. Dort können die Bücher – Zamorra – wie auch TED EWIGK-Hardcover – bequem online bestellt werden. Wer keinen Internetzugang besitzt, kann außerdem per Post, per Fax oder telefonisch unter folgender Adresse ordern: Zaubermond-Verlag Postfach 1402 21233 Buchholz in der Nordheide Tel. 04181 / 999360 Fax 04181 / 999361
E-Mail:
[email protected] Internet: www.zaubermond.de Tschüss bis demnächst – Ihr und euer Werner K. Giesa Altenstadt, im Januar 2004
Prolog Mit Überlichtgeschwindigkeit raste das silbern schimmernde, um sein Zentrum rotierende Ringschiff durch die Schwärze des Alls. Es hatte Kurs gesetzt auf ein kleines Planetensystem in einem unbedeutenden Nebenarm der Galaxis. Die Gedanken des einzigen biologischen Lebewesens, das sich außer den Cyborgs an Bord aufhielt, kreisten immer wieder um das gleiche Thema. Was war alles geschehen in den letzten dreiviertel Millionen Jahren? Wieso war, besonders über die Anfänge, so wenig bekannt? Je weiter es in die Vergangenheit ging, desto spärlicher wurden die Informationen, die erhalten geblieben waren. Die Geschichte versickerte in einem undurchdringlichen Dunkel, in das Licht gebracht werden musste. Das war eine der Aufgaben, die der Mann sich selbst gestellt hatte. Sie erschien vergleichsweise einfach angesichts seines zweiten Ziels. Er dachte an Nazarena Nerukkar und den Goldenen Planeten. Sie war inzwischen lange genug ERHABENE der DYNASTIE DER EWIGEN. Es wurde Zeit, dass endlich jemand etwas dagegen unternahm. Der Mann hatte sich vorgenommen, das selbst zu tun, weil er sich dazu befähigt fühlte. Die Tage und die viel zu langen Jahre Nazarena Nerukkars waren gezählt. In Gedanken versunken, tastete er nach dem Dhyarra-Kristall, den er bei sich trug. Pulsierend schmiegte sich der mächtige blaue Sternenstein in seine Hand und verlieh ihm die Sicherheit, die er für seinen bevorstehenden Kampf brauchte. Zwar vertraute er auf seine eigenen Fähigkeiten und zweifelte nicht daran, seine Pläne, besonders den zweiten, in die Tat umsetzen zu können, aber der Weg, der noch vor ihm lag, war lang und beschwerlich. Er bremste das Raumschiff ab, als es sich dem Zielstern näherte, dem gelben Zentralgestirn eines kleinen Sonnensystems mit neun
Planeten, von denen der dritte bewohnt war. Er hieß Gaia und war der einzig interessante Lichtblick in dem öden und langweiligen Helios-System. Der Mann wusste, dass die Bewohner Gaias keine Raumschiffe besaßen, dennoch aktivierte er das Deflektorfeld seines Ringschiffs, um nicht geortet werden zu können. Mit mäßiger Geschwindigkeit passierte der Raumer die Bahnebenen der sechs äußeren Planeten, bis er schließlich in eine Umlaufbahn um die dritte Welt einschwenkte. Der Mann nahm eine Reihe von Standardmessungen vor, stellte aber nichts Ungewöhnliches fest. Er hatte nichts anderes erwartet, weil Gaia und seine rückständigen Bewohner schon seit unzähligen Generationen beobachtet wurden. Ihre Entwicklungsstufe war wirklich nicht dazu angetan, ausgerechnet von ihnen Hilfe erwarten zu können. Dennoch brauchte der Mann Unterstützung von einem aus ihren Reihen, der Professor Zamorra genannt wurde. Er steuerte sein Ringschiff – den Typ »Jagdboot« – durch die Atmosphäre des Planeten und auf die Oberfläche hinab. Er brauchte nicht lange zu suchen, denn er wusste genau, wo er sein Ziel fand. Die Agenten, die unerkannt auf Gaia tätig waren, hatten nicht nur in dieser Hinsicht gute Arbeit geleistet. Der Name des Mannes war Al Cairo. Er war ein Ewiger.
1. Weltenbrand Die riesigen Kriegsschiffe kamen wie aus dem Nichts. Waffenstarrende Festungen von tausend Metern Durchmesser, die keinen Zweifel daran ließen, was ihr überraschender Besuch bedeutete. Nämlich Tod und Verderben für das Volk und die elf Planeten seines Heimatsystems. Mit nüchterner Sachlichkeit betrachtete Schedol die Ergebnisse der Messungen, die mit kalter Präzision von den Schirmen abzulesen waren. Es waren über dreihundert gegnerische Einheiten, die sich in Form einer Kugelschale von allen Seiten näherten. Dabei kamen sie keineswegs aus dem Nichts, sondern waren synchron aus dem Hyperspace gefallen. Zum Glück außerhalb des Planetensystems, sonst hätten die gewaltigen Kräfte dessen fragiles Gravitationsgefüge zerrissen und zu alles vernichtenden Naturkatastrophen geführt. Doch auch so ließen sich die Strukturerschütterungen beim Aufriss des Raums anmessen. »Feindliche Schiffe teilen sich auf«, kam eine Meldung von Schedols Ortungschef Togrom. Die Nervosität in der Stimme des jungen Offiziers war nicht zu überhören. »Starke Verbände dringen ins System ein und konzentrieren sich dabei auf vier Planeten.« »Ziel der Hauptstreitmacht?« Schedol kannte die Antwort, bevor er sie erhielt. Natürlich die Heimatwelt. Die Gkirr machten ernst, ohne Vorwarnung und ohne Ultimatum. Obwohl die Anzeichen nicht zu übersehen gewesen waren, hatte niemand mit diesem Schritt gerechnet. Die TAUFARA jagte nach dem Alarmstart durch die äußeren Atmosphäreschichten und ließ den dritten Planeten hinter sich, der unter ihr rasch zurückfiel. Im Verbund folgten die Schwesterschiffe, in Formation gehalten von den Dhyarra-Kristallen, die als verlässliche Bordrechner fungierten.
Die Situation war geradezu grotesk, denn genau um sie ging es. Die Dhyarras waren die wichtigste Voraussetzung für die aufblühende Raumfahrt des Volkes, doch sie waren es auch, die die Begehrlichkeit der Gkirr weckten. Ohne Dhyarras wäre es niemals zur Konfrontation gekommen. Seine Finger huschten über die Bedienungsleisten des Kommandantenpults. Der Blickwinkel der optischen Raumbeobachtung änderte sich und offenbarte Schedol die Flugbahnen der Invasoren. Allein durch ihre zahlenmäßige Übermacht wirkten sie erdrückend, ihre erschreckende Größe hingegen ließ sich aufgrund fehlender räumlicher Vergleichsmöglichkeiten bisher nur anhand der aus den Messungen resultierenden Daten ablesen. Er war drauf und dran, den Feuerbefehl zu geben, aber er hielt sich zurück. Ganz davon abgesehen, dass sein Volk generell nicht zuerst schoss, wollte nicht speziell er es sein, der den ersten Schuss auslöste und das Desaster damit einleitete. Selbst wenn das bedeutete, dass die erste Attacke der TAUFARA den Garaus machte. Vielleicht blieben ihr nur noch Sekunden. Von innerer Anspannung getrieben, warf Schedol einen beiläufigen Blick zum Bordchronographen. Seinem Gefühl nach war seit dem Alarmstart eine kleine Ewigkeit vergangen, doch die unbestechliche Zeitanzeige verwirrte ihn mit der Tatsache, dass es sich um keine drei Minuten gehandelt hatte. Noch nicht einmal genug Zeit, um die Bevölkerung zu alarmieren. Doch selbst wenn es eine größere Vorlaufzeit gegeben hätte, was hätten die Zivilisten tun sollen? Es gab keine Sicherheitseinrichtungen für einen Fall wie diesen, sie konnten sich also höchstens in ihren Kellern verstecken. Ein höchst zweifelhafter Schutz gegen die Waffen der Gkirr. Schedol verfolgte auf dem Schirm, wie die dunklen Riesenschiffe ihren Kurs um wenige Grad änderten, der sie über die nördliche Planetenhemisphäre brachte. »Auf Abfangkurs gehen!« Der Kommandant war sicher, dass er mit diesem Befehl nicht nur sein eigenes Todesurteil aussprach, sondern auch das seiner Mann-
schaft. Doch ob sie im Raum starben oder auf der Planetenoberfläche, war unerheblich. Wenn auch jede Gegenwehr sinnlos war, mussten die Schiffe der unterlegenen Heimatflotte die Invasoren so lange wie möglich aufhalten. An den Bildern, die der Sichtschirm ihm lieferte, erkannte er, dass sein Befehl augenblicklich umgesetzt wurde. Die Schwesterschiffe machten den Korrekturschwenk mit und blieben im Kielwasser der TAUFARA. Hektik brach in der Lenkzentrale aus. Trotz der Disziplin seiner Mannschaft konnte Schedol die Unruhe beinahe körperlich spüren. Kaum jemand war so oft im Raum gewesen wie er selbst, und selbst er vermochte sich nicht ganz davon loszusprechen. Wie musste es da erst im Innern seiner teilweise jungen Untergebenen aussehen? Auch wenn sie sich nicht ganz nach den Vorschriften richteten, machte er niemandem einen Vorwurf. Emotionen ließen sich nun einmal auch dann nicht unterdrücken, wenn Befehle es verlangten. »Was ist mit den anderen Planeten?«, fragte jemand zögernd. »Wir können sie nicht alle beschützen.« Beschützen können wir keinen einzigen. Schedol behielt den Gedanken für sich, denn die Frage war berechtigt. Nicht nur die Bewohner der Heimatwelt waren der tödlichen Bedrohung ausgesetzt. Es gab bemannte Stationen auf den meisten anderen Planeten im Sonnensystem, denen ebenfalls die Vernichtung drohte. »Unser Platz ist hier. Darum kümmern sich andere.« Winzige Verbände, die noch viel weniger Chancen gegen die feindliche Überlegenheit hatten. »Werden wir weitere Unterstützung erhalten?« »Unsere Schiffe sind um den ganzen Planeten verteilt«, antwortete der Kommandant geduldig, statt sich mit Autorität Ruhe zu verschaffen. »Es wäre sinnlos, sie an einer Stelle des Raumes zu massieren.« »Aber was ist, wenn die Gkirr hier durchbrechen?« Darauf hatte auch Schedol keine Antwort. Denn wenn es nicht hier
geschah, dann an anderer Stelle. Niemals war ihm so klar geworden wie in diesem Moment, wie verletzlich ein Planet gegen einen Angriff aus dem Weltall war. Wenn man sich an seiner Oberfläche aufhielt, erschien er einem irgendwie unantastbar, doch das war ein tragischer Trugschluss. »Da sind sie. Sie kommen direkt auf uns zu.« Die Meldung riss Schedol aus seinen Gedanken. Wir hätten planetare Abwehrforts auf den äußeren Umläufern errichten sollen, ging es ihm ganz gegen die Politik des Volkes durch den Kopf. Doch auch damit wäre nicht viel gewonnen gewesen. Die Gkirr drangen senkrecht zur Bahnebene der Planeten ins System ein, so unaufhaltsam wie todbringend. Vor dem schwarzen Hintergrund des Weltalls waren ihre Schiffe optisch kaum zu sehen. Schedol erahnte die huschenden Schattenrisse mehr, als sie zu erkennen, und das verstärkte die Ausstrahlung von Gefahr, die ihnen anhaftete. Neben ihrer immensen Schlagkraft, der die Heimatflotte des Volkes nur wenig entgegenzusetzen hatte, wurden sie damit zu unheimlichen Feinden. »Funkverbindung aufbauen!«, ordnete der Kommandant über zwanzig Einheiten an. »Vielleicht lassen sie mit sich verhandeln.« »Die Gkirr? Niemals! Sie kommen, um sich eines unliebsamen Konkurrenten zu entledigen.« Schedol war der gleichen Meinung. Denn auch die Regierung hatte bereits versucht, die Gkirr zu erreichen, die aber nicht auf die Anrufe reagierten. Das sah wirklich nicht nach Verhandlungsbereitschaft aus. Sie kamen, um zu zerstören. »Keine Antwort.« »Weiter versuchen. Status der Waffen?« »Vollständig einsatzbereit.« Immerhin etwas, aber auch diese Tatsache war Augenwischerei. Die Raumschiffe des friedlichen Volkes waren für Forschungszwecke ausgelegt und verfügten nur über eine schwache Bewaffnung. Niemand hatte jemals daran gedacht, eine Kriegsflotte zu bauen. »Wir müssen ausweichen, sonst rammen sie uns.« »Kurs beibehalten! Was ist mit dem Funk? Immer noch keine Re-
aktion?« »Negativ. Wir müssen schießen, sonst ist unser Ende gekommen.« »Noch nicht!« Schedols Gesicht wurde zu einer steinernen Maske, in der kein Muskel zuckte. Nicht bevor sie feuern. Sämtliche Farbe wich aus seinem Gesicht, als im Raum eine kleine Sonne entstand, die sich sekundenlang aufblähte und ihre Materie davon schleuderte, um ebenso schnell wieder zu erlöschen. Schedol hatte soeben eins der Schwesterschiffe verloren. »Feuer frei für sämtliche Waffen!«, krächzte er hoffnungslos. Dann brach zwischen den Planeten die Hölle los.
Irisierende Energiebahnen jagten zwischen den Planeten des Sonnensystems dahin und verliehen dem Raum das Aussehen eines komplizierten Koordinatengitters mit zahlreichen leuchtend hervorgehobenen Darstellungen. Doch für den, der ihm zu nahe kam, bedeutete das das Ende. Bereits nach wenigen Minuten tobte eine ausgewachsene Raumschlacht, die eine reiche Bluternte forderte. Besonders auf Seiten der Verteidiger, denn die großen Schlachtschiffe der Gkirr rückten auf breiter Front vor. Noch befand sich der Großteil der Heimatflotte zwischen ihnen und der Hauptwelt von Schedols Volk. Im Verbundflug warfen sich seine neunzehn Schiffe den Angreifern entgegen, um erst wenige Kilometer vor ihnen in Break-Formation abzudrehen. Gleichzeitig eröffneten sie das Feuer. »Trefferquote bei 72 Prozent«, meldete der Waffenleitoffizier der TAUFARA. »Minimale Effizienz.« Schedol beobachtete das dunkle Schiff, das sekundenlang im Feuerfokus der TAUFARA und drei anderer Schiffe war. Es rückte kein Jota von seinem eingeschlagenen Kurs ab, sondern schluckte die Treffer ungerührt. »Schadenswirkung?«, erkundigte er sich. »Geringe Beschädigungen der Außenhülle. Damit können wir sie nicht aufhalten.« Die Waffen der Gkirr waren dafür umso verheerender. Was sie
trafen, das wurde vernichtet. Schedol registrierte zwei heftige Lichteruptionen in seiner unmittelbaren Nähe. Die taktischen Anzeigen bestätigten, dass er wieder zwei Schiffe verloren hatte. Für die es keinen Ersatz gab. Die Flotte war bis auf den letzten Raumer gestartet. Wenn sich Lücken im Abwehrriegel auftaten, konnten sie nicht mehr geschlossen werden. Über die Reserven der Gkirr konnte Schedol nur spekulieren, doch bisher waren sie nicht einmal darauf angewiesen. Zu überlegen waren sie, als dass es den Anschein hatte, sie könnten überhaupt in Gefahr geraten. Schedol verschluckte einen Fluch und befahl einen weiteren Angriff. Lautlos wie ein Schatten huschte die TAUFARA durchs All, wilde Haken schlagend, um den Angreifern kein leichtes Ziel zu bieten. Die Troniken errechneten in rasender Abfolge stetig neue Wahrscheinlichkeiten für die aussichtsreichsten Ausweichkurse. Kein biologischer Verstand konnte mit ihrer Leistungsfähigkeit mithalten. Trotzdem behielt sich Schedol jederzeit die Option für manuelles Eingreifen offen. Manchmal war Intuition erfolgversprechender als jeder noch so fehlerfreie Computer. »Feuer!«, befahl er, als die TAUFARA sich einem der dunklen Raumer in die Flanke warf. Und sein Schiff schoss mit allem, was es aufbieten konnte.
Eine weitere Sonne flammte im Raum auf, künstlich erzeugt durch die überlegenen Waffensysteme der Gkirr. Mit jedem in den atomaren Gluten vergehenden Schiff der Heimatflotte wurde Schedol die Ausweglosigkeit der eigenen Lage klarer. Beinahe spielerisch wurden sie abgeschossen. Nicht nur sein eigener Verbund war beinahe aufgerieben, anderswo sah es nicht besser aus. Die tausend Meter durchmessenden Schiffe der Gkirr dezimierten die Verteidiger nach Belieben. Doch Schedol dachte nicht ans Aufgeben. So lange er lebte, bestand noch Hoffnung. Auch wenn sie mit jedem weiteren Lichtblitz dort draußen geringer wurde.
Die TAUFARA war wendig und besaß einen hervorragenden Piloten, der all sein Können in die Waagschale warf. In äußerster Konzentration versunken, gelang es ihm, sie stets im richtigen Moment herumzureißen. Immer wieder bewahrte er sie vor einem direkten Treffer und damit vor der Vernichtung. Kilometerlange Strahlenbahnen rasten durchs All und suchten sich ein neues Opfer, doch wieder wich die TAUFARA ihnen aus. In einer halsbrecherischen Kehre brach sie aus, beschleunigte mit Maximalwerten und tanzte zwischen dem Gitternetz aus Strahlen hindurch. Aber die Einschläge kamen jetzt immer näher. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis es Schedols Schiff erwischte. Zudem war es auf sich allein gestellt. Längst war die ursprüngliche Formation gesprengt und die Überlebenden in alle Richtungen verstreut. Bitterkeit stieg in dem Kommandanten auf. Was sie taten war keine Verteidigung der Heimat, sondern ein purer Kampf ums eigene Überleben. »Wir setzen uns ab und starten einen neuen Anflug, wenn wir in ihrem Rücken sind!« Schedol gab einen Kurs an, der die Gkirr zu der Ansicht kommen lassen musste, dass er es auf eine Kollision anlegte. Sofort schlug heftiges Feuer der TAUFARA entgegen. Sie schluckte einen Treffer an ihrer Peripherie, und noch einen. Wie Gebirge türmten sich die dunklen Riesen vor ihr auf, wie eine Wand, an der kein Vorbeikommen möglich war. Die Nervosität in der Leitzentrale erreichte fast den Siedepunkt. Nur noch ein paar Sekunden, dann war es zu spät zum Ausweichen. Der Feuerleitoffizier jagte Salven im Sekundentakt hinaus, aber die bedeuteten nicht viel mehr als Stiche gegen die Raumriesen. Die dafür umso wütender zurückschossen. Tief aus dem Leib der TAUFARA drang das dumpfe Grollen der Meiler, die beinahe die kritische Grenze erreicht hatten. Sie erhielten keine Verschnaufpause, in der die Leistungsaufnahme der Geschützbatterien unter die vertretbaren Werte sank. Ihr protestierendes Klopfen vermischte sich mit tausend anderen Gefechtsgeräuschen zu einem enervierenden Crescendo, das die Nerven der
Zentralebesatzung bis zum Zerreißen anspannte. »Jetzt!«, gellte Schedols Stimme durch das allgegenwärtige Chaos. »Abtauchen und drunter weg!« Die TAUFARA warf sich in die Tiefe. Wie viele Meter noch bis zu der schwarzen Wand? Unwillkürlich erwartete der Kommandant, dass sie sich hineinbohrte. Der Tod würde so schnell kommen, dass niemand an Bord ihn überhaupt mitbekam. Seine Blicke saugten sich am Bildschirm fest, während sich sein Brustkorb hektisch hob und senkte. Hatte er zuviel gewagt? Klagend heulten die Maschinen auf, als sie die Trägheit der gewaltigen Masse zu überwinden versuchten. Und es schafften. Die TAUFARA raste parallel so dicht an der Außenhülle des Gkirr-Raumers entlang, dass Schedol erwartete, sie würde sich statisch aufladen. Dann tauchte sie unter dessen Kante hinweg und jagte zwischen zwei Raumgiganten dahin. Sie raste weiter, einige hunderttausend Kilometer in den interplanetaren Raum hinaus, bevor die negative Beschleunigung einsetzte. Die Ortung zeigte zahlreiche Kämpfe. Erbittert wehrten sich die Schiffe der Heimatflotte, auch wenn sich die Verluste kaum noch beziffern ließen. Doch sie gaben sich nicht geschlagen. Die Raumriesen der Gkirr waren inzwischen im gesamten Elf-Planeten-System ausgeschwärmt. Ihre Bewegungen ließen vermuten, dass sie die Welten und ihre Oberflächenbeschaffenheit genau katalogisierten. Ein mieses Gefühl bemächtigte sich des Kommandanten. Ihr Vorgehen konnte ein Indiz dafür sein, dass sie das Heimatsystem des Volkes besetzen wollten. Vielleicht suchten sie aber auch nur nach potentiellen Eingreifreserven, um sie noch am Boden zu vernichten, bevor sie in die Kämpfe eingreifen konnten. Ein greller Lichtblitz ließ Schedol zusammenzucken. Für Sekunden war der Bildschirm eine blendende Wand, deren Licht die Lenkzentrale bis in den letzten Winkel ausfüllte. »Sprunghafter Anstieg der Emissionen«, meldete eine Stimme. Ungläubiges Erstaunen schwang darin mit. »Es hat einen der Gkirr-Rie-
sen erwischt.« Schedol ließ hörbar die Luft entweichen. Es ging also doch. Trotz ihrer Größe und ihrer waffentechnischen Überlegenheit waren die Gegner nicht unverwundbar. Endlich mal eine gute Nachricht. »Haben wir eine Aufzeichnung? Was ist genau geschehen?« »Anscheinend haben mehrere unserer Kameraden einen konzertierten Angriff geflogen und den Kasten geknackt«, antwortete Togrom. »Dann versuchen wir doch mal, ihnen das nachzumachen.« Dass das leichter gesagt als getan war, war Schedol auch klar. Doch seine Hoffnung auf Erfolg wuchs, als der Bildschirm wieder funktionierte und ihm eine weiträumige Übersicht lieferte. Anscheinend wurden die Gkirr in einem bestimmten Bereich zurückgedrängt. Mit raschen Kontrollen mittels der Ortungseinrichtungen überzeugte er sich, keinem Irrtum aufzusitzen. Es stimmte! Doch wie war das möglich? Bis eben hatten die Angreifer sich nicht die geringste Blöße gegeben, und auf einmal sollte das anders sein? Die Veränderung trat so rasch ein, dass Schedol einen Trick vermutete. Doch wozu? Tricks hatten die Gkirr nicht nötig, soviel war bisher zweifelsfrei klargeworden. Der Kommandant verdrängte seine Zweifel. Weniger Reflexion, mehr Aktion. Wenn er zuviel nachdachte, sah er noch Gespenster. Das konnte er sich nicht leisten, nicht jetzt, wo es buchstäblich um jede Sekunde ging. Er verschaffte sich einen knappen Überblick über die Lage. So gut würde sie vielleicht nie wieder aussehen, also bekam er auch keine zweite Gelegenheit wie diese. Im Moment setzte kein Angreifer der TAUFARA zu, und der Kommandant beschloss, diese Galgenfrist auszunutzen. »Wir verfolgen diese Gruppe.« Andere waren zu dem gleichen Schluss gekommen. Aus unterschiedlichen Richtungen sammelten sich zwei Dutzend Schiffe der Heimatflotte und schlossen sich der TAUFARA an. »Verbindung für einen Rundruf herstellen!« Wie selbstverständlich übernahm Schedol das Kommando über den neu zusammengewürfelten Verbund.
»Ist geschaltet«, kam die prompte Bestätigung. »Hier spricht Schedol, Kommandant der 7. Halbflottille. Wir werden die jetzt mal ein bisschen ärgern. Ich übernehme die Leitung.« Nacheinander kamen die Bestätigungen, niemand hatte einen Einwand. Wahrscheinlich waren sämtliche Kommandanten froh, nicht mehr allein zu kämpfen, sondern sich jemandem anschließen zu können, der die Entscheidungen für sie traf. Doch sie wurde ihnen ebenso aus der Hand genommen wie Schedol. »Die Schiffe der Gkirr beschleunigen!« Sie ließen die Heimatwelt hinter sich und kreuzten die Bahn des vierten Planeten mit unverminderter Geschwindigkeit. Mit dieser erneuten Änderung der Lage hatte Schedol nicht gerechnet. Was ging da vor sich? Welchen Plan verfolgten die Invasoren? Denn dass die Gkirr sich zurückzogen, glaubte er nicht. Er war sicher, dass sie irgendeine Teufelei im Schilde führten, die alles, was sie bisher unternommen hatten, in den Schatten stellte. »Bei den Sternengöttern! Da kommen noch mehr!« Hatten die Gkirr ihnen eine Falle gestellt? Das ergab keinen Sinn. »Abdrehen«, donnerte Schedols Stimme. Auf jeden Fall hatten sie gegen diese Übermacht nicht den Hauch einer Chance. »Sofort weg von hier!« Ehe er sich versah, waren dreißig der Raumgiganten vor ihm. Schedols Stimme versagte, als er erkannte, dass sie das Feuer eröffneten. Jedoch nicht auf die TAUFARA und ihre Begleitschiffe. Sondern mit allem, was sie aufzubieten hatten, auf den fünften Planeten.
Entsetzte Schreie gellten durch die Lenkzentrale der TAUFARA, als das Verhängnis seinen Lauf nahm. Meterdicke Energiestrahlen rasten auf den Planeten hinab und tobten sich an seiner Oberfläche aus, ohne dass es eine Möglichkeit zur Gegenwehr gab. Über Hunderte von Kilometern Länge wurde der Boden aufgeris-
sen und das Erdreich umgepflügt. Schedol konnte erkennen, wie ein wabernder Strahl sich durch einen Wald fraß und eine kilometerbreite Schneise brennenden, vernarbten Untergrunds zurückließ, auf dem nichts mehr wuchs. Rauch und dampfende Schwaden stiegen in die Höhe und beeinträchtigten die optische Beobachtung. Auch sämtliche Ortungs- und Messeinrichtungen wurden bis an die Grenzen ihrer Kapazität aktiv, als die Bornben folgten. Wo die Natur eben noch ihren normalen Bahnen gefolgt war, entstanden verheerende Stürme, die über die Kontinente fegten. Seit Jahrtausenden inaktive Vulkane wurden aus ihrem Tiefschlaf gerissen und spien die glutflüssige Eingeweide des Planeten aus, als die Bomben kilometertiefe Trichter rissen. »Wir müssen etwas tun«, krächzte jemand mit versagender Stimme. »Wir können doch nicht einfach zusehen.« Schedol starrte in hilfloser Ohnmacht auf die Schirme. Er konnte die verzweifelte Forderung verstehen, aber als Kommandant war er verantwortungsbewusst genug, sich ihr nicht anzuschließen, so schwer es ihm auch fiel. Die dunklen Raumer ließen ihm keine Chance, machte er sich klar. Wenn er auch nur zuckte, würden sie ihn aus dem Universum pusten. Ohnehin konnte er nicht verstehen, dass die Gkirr die hoffnungslos unterlegenen Einheiten des Volkes nicht kurzerhand auslöschten. Sie waren voll und ganz damit beschäftigt, den fünften Planeten in einen unwirtlichen Schlackehaufen zu verwandeln. Dabei gingen sie systematisch und mit grausamer Teilnahmslosigkeit vor. Setzten sie nur ein Zeichen ihrer Macht? Wahrscheinlich sollte die Demonstration ihrer überlegenen Fähigkeiten die Verteidiger so sehr demoralisieren, dass sie die Reste ihrer sowieso nicht besonders erfolgreichen Gegenwehr aufgaben. Schedol fühlte die Blicke seiner Besatzung auf sich ruhen. Sahen sie einen Feigling in ihm? Dann irrten sie sich gewaltig. Am liebsten wäre er vorneweg in Richtung Feind geprescht und hätte sein Leben für die Heimat gegeben, aber dazu hätte er zumindest einen kleinen Prozentsatz an Erfolgsaussichten sehen müssen. Doch das tat er nicht, und nur aus falsch verstandenem Patriotismus durfte er seine Mannschaft nicht in den Tod führen.
Außerdem war der Zeitpunkt abzusehen, an dem die Verteidiger jedes einzelne Schiff, das noch nicht zerstört war, brauchen würden. Die TAUFARA durfte deshalb auf keinen Fall geopfert werden. Denn noch stand die entscheidende Schlacht um die Heimatwelt aus. Oder hatte sie längst eingesetzt? Sowohl die Regierung als auch die Admiralität schwiegen. Bedeutete das, dass womöglich beide schon nicht mehr existierten? Sämtliche Kontrollanzeigen erwachten zu hektischer Aktivität, als die Gkirr ihre Strahlenkanonen erneut auslösten. Die wuchtigen Feuerbahnen, unter denen er sich aufbäumte, als wollte er sie abschütteln, gaben dem fünften Planeten den Rest. Unter den unvorstellbaren Energiemengen verwandelte seine äußere Kruste sich in eine glutflüssige Hölle, in der alles versank, was den Bombenhagel überstanden hatte. Alles, was sich den Betrachtern noch bot, war ein brennender Ball. Als hätten Kinder eine Holzkugel angezündet. Der Planet starb und schüttelte sich wie in Agonie. »Es ist zu spät. Dort unten sind alle tot.« Der Vorwurf, der in den Worten mitschwang, war nicht zu überhören. Weil wir zu lange gewartet haben. Weil wir untätig geblieben sind. Der einzige Trost war, dass die Gkirr sich für ihre Demonstration eine Welt des Systems ausgewählt hatten, auf der es nur eine Reihe wissenschaftlicher Einrichtungen gab. Dennoch wuchs grenzenloser Hass in Schedol, als das endgültige Ende des Planeten kam. Atemlose Stille breitete sich in der Lenkzentrale aus, als er sich aufblähte und als feurige Lohe zerrissen wurde. Mit elementarer Gewalt wurden glühende Gesteinsbrocken und kosmischer Staub davon geschleudert. Rasch erkaltende Magma bildete Millionen kleiner und kleinster Himmelskörper. Schedol war hin- und hergerissen zwischen Vernunft und dem archaischen Trieb, sich in Selbstaufopferung auf die Planetenmörder zu stürzen. Er umklammerte die Lehnen des Kommandantensessels, bis die Knöchel seiner Hände weiß hervortraten. Er durfte seinen Instinkten nicht nachgeben und gegen seine eigene Überzeugung handeln. So schwer es ihm auch fiel, er musste einen kühlen Kopf bewahren.
Der Tod kommt früher, als du denkst. »Funkspruch mit oberster Priorität.« »Absender?« »Er kommt von der Regierung.« Darauf hatte Schedol gewartet. Nun sollten endlich die TAUFARA und ihre Besatzung zu ihrem Recht kommen. »Durchstellen!« »Sofortiger Rücksturz aller verbliebenen Einheiten zur Heimat«, plärrte es aus den Lautsprechern. Die Worte ließen Schedols Erwartungen wie eine Seifenblase zerplatzen. »Wir müssen evakuieren. Wir werden das System räumen. Ich wiederhole …« Die Worte verwirbelten in seinem Verstand, bis er sie nicht mehr wahrnahm. Der Kommandant hatte das Gefühl, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen. Er hatte mit vielem gerechnet, mit unzähligen Opfern, aber nicht damit, die Heimat aufgeben zu müssen. Die Zeit schien stillzustehen, während seine Gedanken sich in die Vergangenheit verirrten. Wie hatte es nur so weit kommen können? Dabei hatte doch alles so vielversprechend angefangen. Damals. Vor vier Jahren …
2. Im Banne der Dhyarras Vier Jahre zuvor Die funkelnde Pracht der Galaxis wirkte so einladend auf ihn, als hätte sie nur auf ihn gewartet. Das schimmernde Band lag wie ein Collier aus Edelsteinen vor der samtenen Schwärze des Alls. Schedol war an Bord der TAUFARA unterwegs, einem neuen Schiff, auf das er besonders stolz war. Er empfand es als ausgesprochene Ehre, dass ihm die Befehlsgewalt darüber verliehen worden war, denn es hatte zahlreiche Anwärter gegeben. Sie alle würden eines Tages ihre Chance bekommen, ins Weltall vorzustoßen. Doch zunächst einmal war er selbst an der Reihe. In den zurückliegenden Jahren hatte er hart gearbeitet, um sein Ziel zu erreichen. Sein Erfolg kam also nicht von ungefähr. Schedol war der Meinung, dass man alles aus eigenem Antrieb erreichen konnte – so lange einem niemand Knüppel zwischen die Beine warf. Das Volk, wie Schedols Leute sich schlicht nannten, hatte sich im Lauf der vergangenen 50.000 Jahre aus der Steinzeit zu einem raumfahrenden Volk entwickelt. Auch wenn es bereits einige Planetensysteme kolonisiert hatte und auf andere Spezies getroffen war, stand ihm noch der größte Teil des unendlichen Universums offen. Es gab so viel zu entdecken, dass Schedol manchmal in Ehrfurcht erschauderte angesichts dessen, was noch vor ihnen lag. Schedol war überzeugt davon, dass der einmal eingeschlagene Weg der richtige war. Es gab kein Zurück mehr, sondern nur noch den Blick voran. Stillstand bedeutete Rückschritt, und Rückschritt ging einher mit Zerfall und Degeneration. So lange Schedol Teil der Raumflotte war, würde es dazu nicht kommen, und Schedol war noch jung. Unüberschaubar viele Jahre lagen vor ihm, und sein Ehrgeiz wuchs von Tag zu Tag. Er träumte davon, sein Volk zu ganz
neuen Ufern zu führen und als Visionär in die Geschichte einzugehen, der sein Leben Fortschritt und Frieden gewidmet hatte. Die Kontakte zu anderen Völkern verliefen stets friedlich und in gegenseitiger Anerkennung. Schedols Volk war friedliebend und wissbegierig und sah sich als Forscher und Entdecker. Die Neugier war ein treibender Faktor bei seinem Aufbruch ins Weltall. Es erwartete unvorstellbare Wunder und ein vor Leben berstendes Universum, in dem jedes Wesen seinen Platz hatte. Die anderen Spezies, auf die man traf, dachten und handelten ähnlich, und so kam es zu Handelsbeziehungen und Freundschaftsverträgen. Die anfänglichen guten Erfahrungen in den ersten Jahrhunderten der Raumfahrt gaben dem Volk niemals Anlass zur Besorgnis. Keiner in seinen Reihen kam auf die Idee, dass nicht alle Spezies, auf die man noch treffen sollte, ähnlich friedfertig waren. Wie die anderen Schiffe der Flotte befand sich auch die TAUFARA auf einer Forschungsmission, die darin bestand, neue Sternensysteme zu entdecken und sie zu katalogisieren. Neben der Suche nach weiteren intelligenten Völkern war man auch an Welten interessiert, die über Aufkommen an Bodenschätzen verfügten. Schedol sah diese Aufgabe als sehr wichtig an, wenn dem Volk nicht eines Tages die Ressourcen ausgehen sollten. Die Heimatwelt allein konnte die benötigten Rohstoffe auf Dauer nicht bereitstellen. Zudem brauchte man Handelsware, um mit anderen Völkern konkurrieren zu können. Weitere Welten wurden erschlossen, Stützpunkte eingerichtet und dort, wo es sich lohnte, nach Bodenschätzen geschürft. Die gewonnenen Rohstoffe und Edelmetalle machten das Volk zu einem beliebten Handelspartner. Es selbst profitierte davon natürlich auch entsprechend, und der Bau weiterer Forschungsschiffe konnte vorangetrieben werden. Schedol war wochen- und manchmal monatelang im Weltall, ohne den Fuß auf einen Planeten zu setzen. Er fühlte sich wohl in den unendlichen Weiten, deren Bereisung er wie die Erfüllung all seiner Träume betrachtete. Schon als Kind hatte er davon geträumt und als Jugendlicher darauf hingearbeitet, und jetzt, als noch relativ junger Erwachsener, ließ er keinen Tag ungenutzt verstreichen, seinen
Traum auszuleben. Nur gelegentlich besuchte er den Heimatplaneten, auf dem das Leben seinen gewohnten Gang ging. Doch kaum dass er ein paar Tage dort war, zog es ihn wieder ins All hinaus, in dem er seine Bestimmung sah. Allmählich wurde die Raumfahrt für Schedol zu Routine. Bis die Besatzung der TAUFARA einen schwarzen Ausschnitt vor der funkelnden Sternenpracht entdeckte. Zum ersten Mal stieß jemand aus dem Volk auf eine Dunkelwolke. Ein Geheimnis, auf das niemand vorbereitet war, verbarg sich in ihrem Inneren.
»Eine orangefarbene Sonne«, meldete die Ortung. »Sie wird von einem einzigen Planeten begleitet.« Die TAUFARA näherte sich dem Umläufer mit geringer Geschwindigkeit. Um sie herum herrschte eine undurchdringliche Schwärze, die von keinem weit entfernten Lichtpünktchen unterbrochen wurde. Die das Schiff umgebenden Staubmassen und Gasballungen gestatteten keine normaloptische Sicht aus der Dunkelwolke heraus. Schedol hatte den Eindruck, in einem abgeschlossenen, kleinen Kosmos zu stecken, hinter dem nichts mehr existierte. Die Sterne der Galaxis mit einem Mal nicht mehr sehen zu können war eine verwirrende Erfahrung. Doch Schedol nahm sie mit wissenschaftlicher Neugier zur Kenntnis. Er machte sich keine Sorgen, denn auch hier drin arbeiteten sämtliche Bordsysteme der TAUFARA reibungslos. Außerdem konnten sie sich sofort zurückziehen, wenn die geringsten Komplikationen auftraten. Der Blick des Kommandanten war auf den Planeten gerichtet, dessen Abbild sich auf den Schirmen abzeichnete. Irrlichternde Leuchterscheinungen rasten unablässig durch seine Atmosphäre und lenkten in der Dunkelheit die Aufmerksamkeit mehr auf ihn als auf das riesige orangefarbene Auge, das er auf einer stabilen Bahn umlief. »Daten des Planeten?«, fragte Schedol.
»Äquatorradius 4209 Kilometer. Oberflächentemperaturen schwanken zwischen Minus achtzig und Plus fünfzig Grad. Druck liegt bei 0,96 Gravos. Keine schädlichen Mikroorganismen.« Das waren Werte, die nicht einmal einen Schutzanzug erforderten, wenn auch noch der wichtigste Faktor stimmte. Es folgten weitere Spezifizierungen. Dann kam die Meldung, auf die Schedol gewartet hatte. »Der Planet verfügt über eine atembare Sauerstoffatmosphäre.« Das hieß, dass sich ein Außenteam ohne besondere Schutzvorkehrungen auf der Planetenoberfläche bewegen konnte. Schedol glaubte bereits, den festen Boden unter seinen Füßen zu spüren. Dennoch war Vorsicht geboten. »Was ist mit den Leuchterscheinungen in der Atmosphäre?« »Es handelt sich um elektrostatische Impulse, die durch starke Feldlinien sichtbar gemacht werden. Sie stellen keine Gefahr für uns dar.« Schedol verfolgte das Spiel der Leuchterscheinungen. Sie waren nicht auf bestimmte Regionen des Planeten begrenzt, sondern umfassten die gesamte Kugelschale der äußeren Atmosphäre. Er hatte bereits eine Reihe von Planeten angeflogen, aber ein solches Phänomen war ihm bislang nirgendwo begegnet, jedenfalls nicht in dieser Intensität. Wegen solcher Dinge war er bereits als Kind vom Weltall fasziniert gewesen, seit alte Prospektoren ihm von den Wundern dort draußen berichtet hatten. »Irgendwelche Anzeichen, die gegen eine Landung sprechen?« »Negativ, Kommandant. Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf – Sie haben Ihre Entscheidung doch längst getroffen.« »Dann kann ja nichts mehr schief gehen.« Schedol bedachte Togrom mit einem kurzen Grinsen und gab dem Piloten einen auffordernden Wink. »Dann also mal runter.« Als die TAUFARA in die Atmosphäre des Planeten eindrang, wurden die Leuchterscheinungen gebündelt und griffen nach der Außenhülle. Ein goldener Schein legte sich um das Schiff, der wieder verschwand, als es die unteren Atmosphäreschichten hinter sich ließ. Eine bizarr gestaltete Oberfläche erwartete die Besatzung. Es gab kaum zusammenhängende Ebenen, wenig freie Flächen und verein-
zelte, kleine Meere, die völlig voneinander isoliert waren. Gespeist wurden sie aus reißenden Strömen, die sich wie Narben anmutende Betten durchs Gestein gefressen hatten. Doch das waren nur marginale Eindrücke, die von dem wenig gastlichen Gesamteindruck kaschiert wurden. Denn beinahe der gesamte Planet war von schroffen Gebirgen bedeckt, die bis zu fünftausend Meter in die Höhe reichten. »Nicht besonders einladend.« Das war noch untertrieben, denn diese Welt war dunkel. Schwarz und düster erhoben sich die Berge, grotesken, von unermesslichen Kräften in Stücke geschlagenen Schemen gleich, die etwas zu verbergen hatten. Es gab keine sanft ansteigenden Hügel und keine weichen Bergrücken, sondern nur ausgeprägt scharfe Kammlinien mit zerklüfteten Schründen und wie Speeren aufragenden Zinnen und Felsnadeln, die nur darauf zu warten schienen, ein anfliegendes Raumschiff aufspießen zu können. »Willkommen auf Schedols Welt«, flachste Togrom, was einen allgemeinen Heiterkeitsausbruch in der Lenkzentrale auslöste. »Ehre wem Ehre gebührt, Kommandant. Nicht jeder in der Flotte kann auf die Entdeckung eines solch paradiesischen Urlaubsplaneten verweisen.« »Na, immerhin die erste Welt, die überhaupt nach mir benannt wird«, antwortete der Kommandant amüsiert. »Besser als nichts.« »Darüber lässt sich trefflich streiten. Auch darüber, ob wir wirklich landen sollen. Die Bedingungen dazu sind nämlich nicht die besten. Ich habe eine kleine Ebene entdeckt, in der wir niedergehen können. Ist aber nicht besonders gemütlich.« Togrom deutete auf eine bestimmte Stelle auf dem Sichtschirm. »Genau dort, zwischen diesen zerklüfteten Überhängen. Mehr kann ich leider im Umkreis von ein paar hundert Kilometern nicht anbieten.« Denn die bizarre, unwirkliche Landschaft reichte, so weit das Auge sehen konnte. Die Vorgänge in der Atmosphäre sahen von hier unten besonders eindrucksvoll aus. Das gesamte Firmament badete in den blitzenden Entladungen. »Für unsere Zwecke reicht das.« Schließlich wollte Schedol nicht lange auf der dunklen Welt bleiben, sondern nur eine Reihe von Er-
stuntersuchungen vornehmen. Um alles Weitere konnten sich später die Geologen kümmern. Wenige Minuten später setzte die TAUFARA auf Schedols Welt auf. Die liebevolle Bezeichnung wurde in der Folgezeit in sämtliche Kartenwerke aufgenommen und führte Schedol rascher zu einem zweifelhaften Bekanntheitsgrad, als ihm das lieb war. Der Kommandant war der erste, der das Schiff verließ.
Von den steil aufsteigenden schwarzen Wänden, die geradewegs mit dem wolkenlosen Himmel zu verschmelzen schienen, ging eine bedrückende Stimmung aus. Sie übte einen dräuenden Druck aus, der sich mit archaischer Kraft auf die Männer legte. Schedols Blick wanderte über die sich nach oben hin verjüngenden Steinpfeiler, deren Verlauf sich in ein paar hundert Metern Höhe in undurchdringlicher Dunkelheit verlor. Sein Entdeckerdrang wollte ihn dazu verleiten, die höheren Regionen mit einem Beiboot zu erkunden, aber etwas hielt ihn zurück. Die vage Ahnung, sich nicht allein auf Schedols Welt aufzuhalten, ergriff Besitz von ihm. Etwas Unsichtbares manifestierte sich in seinem Geist, eine Präsenz, die er nicht erklären konnte. Als er versuchte, sich darauf zu konzentrieren, entglitt sie ihm und verschwand. Ruckartig blieb Schedol stehen und sah sich um. Misstrauisch spähte er nach verdächtigen Bewegungen, aber nur ein paar seiner Leute waren gleich ihm am Fuß des sich übergangslos aus der kleinen Ebene erhebenden Bergs ausgeschwärmt. Was war los mit ihm? Litt er plötzlich unter irrationalen Einbildungen? »Stimmt etwas nicht, Kommandant?« Schedol sah auf. Er erkannte, dass er sich so merkwürdig benahm, dass es seinen Männern schon auffiel. Er riss sich zusammen und machte eine abwehrende Geste. »Alles in Ordnung.« Unter seinen Füßen wuchs ein dichter, moosähnlicher Teppich, der jeden Schritt dämpfte. Wie die knochigen Bäume, die zwischen dem Gestein wuchsen, war auch der Bodenbewuchs von bedrücken-
dem Dunkel. Er schien das Schwarz der Felsen über die Wurzeln aufgenommen zu haben. Auf eine unbestimmte Art war alles auf dieser Welt Eins, alles gehörte zusammen und ließ sich nicht voneinander trennen. Unwillkürlich kam Schedol der Gedanke, was wohl geschehen würde, wenn jemand etwas von diesem Planeten mitnahm. Er war sicher, dass es sich dagegen wehren würde. Es würde sich verwandeln und Kräfte offenbaren, die hier im Verborgenen schlummerten. Man sollte es da lassen, wo es war, dachte er. Sonst würden sie etwas gebären, mit dem niemand rechnete. Schedol entfernte sich ein paar Schritte, bis seine Leute in der Düsternis zu unwirklichen Gestalten wurden, die kaum noch etwas mit den ihm wohlvertrauten Personen gemein hatten. Als er sicher war, dass ihn niemand beachtete, verharrte er und versuchte, die unheimliche Präsenz erneut wahrzunehmen, aber sie blieb verschwunden. Schedol konnte nicht glauben, dass er sich dermaßen geirrt hatte. Andererseits wäre den Bioscannern an Bord der TAUFARA eine Lebensform neben der Flora, und sei sie noch so primitiv, nicht entgangen. Ergo gab es nichts, und er litt tatsächlich unter Einbildungen. Was war nur mit ihm los? Nie zuvor hatte er unter Phantasmen gelitten, die nicht wissenschaftlich haltbar waren. Er war ein Mann des Verstandes, der nur an das glaubte, was er mit seinen eigenen Augen sah. Und alles, was er sah, war totes wertloses Gestein, das keine weiterführende Exkursion lohnte. Ihm blieb nur, die Entdeckung von Schedols Welt den zuständigen Stellen der Heimatwelt zu melden und wieder mit der TAUFARA zu starten, bevor sein eigenartiges Benehmen wirklich noch jemandem auffiel. Er hatte zu hart gearbeitet, um von seinem Kommando beurlaubt zu werden, nur weil er unversehens von unerklärlichen psychischen Problemen geplagt wurde. Für die Ärzte zu Hause wäre der Fall rasch klar. Schließlich war er nicht der erste, der den ständigen Belastungen der Raumfahrt fernab der Heimat nicht standhielt. Niemand würde seinen Beteuerungen Glauben sehenken, dass er keine Probleme damit hatte, so lange er keinen anderen einleuchten-
den Grund vorweisen konnte. Und das konnte er nun einmal nicht. Schedol ging zu einem der an die achtzig Meter hohen Bäume und legte eine Hand auf den Stamm, der mehr als zwei Meter durchmaß. Die glatte Rinde war kalt und hart wie Stein. Obwohl ein schwacher Wind ging, bewegte sich keines der Blätter. Sie waren zu weit über ihm, als dass Schedol auch sie mit einer Berührung hätte prüfen können, aber bestimmt waren auch sie wie aus Stein gemeißelt. Tot indes konnten sie nicht sein, denn dann hätte es keinen Sauerstoff gegeben. Das Leben war nur in ihrem Inneren verborgen. Die Biologen und Exobotaniker der Heimat würden sich mit Eifer in die Untersuchungen vertiefen, aber ihn interessierten sie nicht wirklich. Sein Augenmerk galt jedem Planeten als Ganzes. »Kommandant!« »Was gibt es denn?« Schedol fuhr herum und orientierte sich in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war. »Sie sollten sich das hier einmal anschauen!« Zwei von Schedols Männern waren auf einen steinernen Sims geklettert und schauten zu ihm herab. Als er die Felswand erreichte, zogen sie ihn mit gemeinsamen Kräften zu sich herauf. »Sehen Sie sich diesen Kristall an, Kommandant.« Auf dem Boden lag ein Stein von der halben Größe einer Faust, der Schedol den Atem raubte. Er war schwarz wie die Nacht und wirkte wie der Zugang zu einem unendlichen Abgrund, mit dem sich Zeit und Raum überbrücken ließen. Auf den ersten Blick fühlte Schedol sich von dem Kristall angezogen. »Haben Sie so etwas schon einmal gesehen?« »Ich kann mich nicht erinnern.« Dabei wusste Schedol genau, dass ihm etwas Vergleichbares noch nie unter die Augen gekommen war. »Na, ja, sieht ganz interessant aus«, gab er sich gelangweilt. »Aber damit halten wir uns nicht auf.« »Kommandant?« Schedol entging das Unverständnis in der Stimme des Mannes nicht, und das konnte er ihm nicht einmal verdenken. »Das ist etwas für die Geologen, aber nicht für uns.« Schedol blickte die beiden Männer scharf an. »Oder irre ich mich da?«
»Nein, Kommandant, natürlich nicht«, beeilten sie sich zu sagen. »Dann also zurück an Bord. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir auf diesem Planeten noch etwas entdecken, das einen längeren Aufenthalt lohnt.« Wenn seinen Männern der übereilte Aufbruch seltsam vorkam, ließen sie sich nichts davon anmerken. Als sie sich auf den Rückweg zum Schiff machten, legte Schedol eine Hand auf den faszinierenden Kristall. Er war wunderschön, schöner als alles, was Schedol je in seinem Leben gesehen hatte. Dhyarra, dachte er. Das alte Wort für Schönheit. Eine treffendere Bezeichnung fiel ihm nicht ein. Es war erstaunlich, auf welch wunderbare Weise die Natur manche Dinge kompensierte. Ein solch wundervoller Kristall auf einer dermaßen abstoßenden Welt konnte keine Laune der Natur sein, sondern fester Bestandteil einer universellen Gleichung. Als Schedol nach dem schwarzen Sternenstein griff, tastete für einen winzigen Moment eine unfassbare Macht nach seinem Geist. Er begriff sofort, dass es die gleiche war, die er kurz zuvor schon einmal wahrgenommen hatte. Also ging sie von dem Dhyarra aus. Schedol schloss die Hand um den Stein und ließ ihn in einer Tasche seines Anzugs verschwinden. Sicher machte er die nach ihm kommenden Forscher damit nicht arbeitslos. Von irgendwoher strömte das Wissen in ihn, dass es an der Planetenoberfläche unzählige dieser Steine gab. Auf einen einzelnen Dhyarra kam es also wirklich nicht an. Letztlich war er nicht mehr als ein unbedeutender Stein ohne Wert.
Auch wenn sich die Bezeichnung Dhyarra in der Bevölkerung der Heimatwelt rasch durchsetzte, nannten die Wissenschaftler die funkelnden Sternensteine nüchtern Schwarzkristalle. Vielleicht lag es daran, dass bei keinem von ihnen die Affinität auftrat, die Schedol ein halbes Jahr zuvor verspürt hatte. Ihnen fehlte seine latente Paragabe, von der der Kommandant der TAUFARA
aber selbst nichts ahnte. Während er in der Ruhe und Abgeschiedenheit seiner Kabine zuweilen eine kurze geistige Verbindung zu seinem Dhyarra herstellen konnte, wenn er ihn mit beiden Händen umschloss und sich ganz auf ihn konzentrierte, vertieften sie sich mit naturwissenschaftlichem Eifer in die Geheimnisse des schwarzen Kristalls. Kergom war der Leiter der Forschungsstation, die nahe beim Fundort des ersten Sternensteins errichtet worden war. Eine Gruppe Forscher der unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen arbeitete mit ihm zusammen. Kergom selbst war Physiker und vertrat die Ansicht, dass jedem Kristall ein gewisses Energiepotential innewohnte, das man freisetzen und in gebündelter Form nutzen konnte. Schon seit Jahrzehnten wurden Kristalle aufgrund ihrer elektrischen Leitfähigkeit in sämtlichen Bereichen der Halbleitertechnik eingesetzt. Da Schedol aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen bereits eine Ahnung von der verborgenen Kraft in den Dhyarras hatte, verfolgte er Kergoms Untersuchungen eine Zeitlang mit Aufmerksamkeit. Er kam gut mit dem Wissenschaftler aus, erkannte aber schon bald, dass Kergom beim Umgang mit den Kristallen nicht das gleiche empfand wie er selbst. Ihn ließen sie völlig kalt. Seltsamerweise war das bei Kergoms Mitarbeitern ähnlich, und Schedol kam zu dem Schluss, dass er der einzige war, bei dem diese vage Affinität bestand. So erlahmte Schedols Interesse am weiteren Verlauf der Forschungen bald wieder, und er wandte sich mit der TAUFARA wieder Aufgaben zu, die in seinen Kompetenzbereich fielen. Kergom führte zahlreiche Versuche mit den Schwarzkristallen durch, bei denen es ihm aber nicht gelang, auch nur ein Quäntchen Energie aus ihnen herauszuquetschen. Seine hochsensiblen Messgeräte stellten zudem keine Energiekapazitäten fest, aber davon ließ der Forscher sich nicht beeindrucken. Er war überzeugt davon, dass die Geräte nichts fanden, weil sie auf die unbekannte Energie, auf die er spekulierte, nicht eingerichtet waren. Wenn es ihm erst einmal gelang, die noch fremde Energie zu lokalisieren, konnte er die Geräte darauf justieren.
Doch wie sollte er sie finden? Monatelang ersann er immer neue Strategien, sich dem Problem von allen Seiten zu nähern, doch sämtliche Versuchsanordnungen verliefen ergebnislos. Unterdessen wurden auf dem ganzen Planeten die Dhyarras gefunden. Schedol hatte sich nicht getäuscht. Millionen von ihnen lagen in den Bergen verborgen und warteten nur darauf, geborgen zu werden. Da sie aber keinen praktischen Wert erkennen ließen, blieben sie auf Schedols Welt und dienten nur zu Versuchszwecken. Je mehr Zeit verstrich, desto häufiger bemerkte Kergom, dass sich seine Kollegen hinter seinem Rücken über ihn lustig machten. Keiner von ihnen teilte seine Ansichten, weil er aber trotz aller Misserfolge weiter auf der Richtigkeit seiner Theorie beharrte, sahen sie in ihm einen Spinner, der nicht recht bei Trost war. Lediglich seine leitende Stellung hinderte sie daran, ihm die Mitarbeit aufzukündigen. Eines Tages, als er sich bereits mit dem Gedanken vertraut machte, dass seine Forschungen womöglich Jahre dauern konnten, kam ihm der Zufall zu Hilfe. Kergom hatte in einem Labor eine komplizierte Versuchsreihe aufgebaut. Herzstück war ein Generator, der mit einem Schwarzkristall gekoppelt war. Wenn der Kristall schon keine Energie freisetzte, wollte Kergom ihn zumindest zu einer Reaktion anregen, indem er ihm seinerseits Energie von außen zuführte. Er begann mit einer minimalen Aufladung und steigerte die Dosis kontinuierlich. Zunächst geschah gar nichts, seltsamerweise erwärmte sich der Schwarzkristall nicht einmal. Die zugeführte Energie verschwand einfach. Verständnislos erhöhte Kergom die Leistung des Generators und übersättigte den Kristall, was unweigerlich zu einer Zerstörung der kristallinen Struktur führen musste. Jedenfalls erwartete Kergom das, doch wider jedes gültige Axiom wurde die Energie erneut abgeleitet und verschwand … … im Nichts. Unmöglich! Wohin war sie geflossen? Nach dem Energieerhaltungssatz konnte sie nicht verloren gehen. Was also war aus ihr ge-
worden? Kergom beschloss, den Versuch abzubrechen, so lange er nicht sicher war, keine unabsehbaren Gefahren heraufzubeschwören. Er kam nicht mehr dazu. Als der Schwarzkristall plötzlich von blendender Helligkeit ausgefüllt war, stieß Kergom einen schmerzerfüllten Schrei aus, der seine Kollegen alarmierte. Er riss die Arme vor die Augen, aber es war zu spät. Minutenlang bestand die Welt um ihn nur noch aus grellem Licht, in dem keine Farben und keine Formen mehr existierten, und Kergom fürchtete, durch den Blitz seine Sehfähigkeit verloren zu haben. Seine Kollegen bestürmten ihn mit Fragen, aber er antwortete ihnen nicht, sondern wünschte sie ins Innere eines Schwarzen Lochs, um endlich wieder seine Ruhe zu haben. Helfen konnten sie ihm ohnehin nicht, und allmählich schälten sich erste Konturen aus der allgegenwärtigen Helligkeit. Bald gelang es ihm, die Dinge wieder als das zu erkennen, was sie wirklich waren. Kergom konnte sein unglaubliches Glück kaum fassen, nicht erblindet zu sein. »Was ist geschehen? Wir haben uns Sorgen gemacht.« Achtlos stieß Kergom seinen Kollegen, der die Frage gestellt hatte, beiseite und kontrollierte die Versuchsanordnung. Der Kristall war so schwarz wie zuvor. Er zeigte keine Anzeichen von Aktivität. Der Generator hingegen war bis zur Unbrauchbarkeit zerstört. Er war ausgebrannt und würde nie wieder zum Leben erwachen. Ungläubig stieß der Forscher die Luft aus. Dafür konnte es nur einen Grund geben. Der Kristall hatte ihm mit einer explosionsartigen Reaktion schlagartig sämtliche Energie entzogen und an einen unbekannten Ort transferiert. Das eröffnete ganz neue Möglichkeiten. Kergom gelangte zu der Einsicht, sich womöglich doch geirrt zu haben. Die Schwarzkristalle waren vielleicht nicht in der Lage, selbst Energie zu erzeugen, aber sie konnten sie von einem Ort an einen anderen transferieren. Möglicherweise aus dem Inneren einer Sonne direkt in einen Raumschiffsantrieb.
Nachdem er den richtigen Ansatzpunkt gefunden hatte, trieb Kergom seine Forschungen rasch voran. Seine Spekulation mit der Sonne war dabei noch um einige Klassen zu tief gegriffen. Denn tatsächlich waren die sich bietenden Möglichkeiten viel gewaltiger. Kergom fand nämlich heraus, dass die Schwarzkristalle in Verbindung zur Raumkrümmung des Universums standen und von dort Energie bezogen. Damit bedienten sie sich aus einem nahezu unerschöpflichen Reservoir. Seinen Berechnungen zufolge war mit seiner Entdeckung der Energiebedarf des Volkes für alle Zeiten gedeckt. Denn je stärker das Raum-Zeit-Gefüge durch Masse und ihre Gravitation in manchen Bereichen des Weltalls gekrümmt war, desto höhere Energiemengen band es. Allerdings war es ständig bestrebt, einen Teil dieser Energie abzugeben und den physikalischen Abläufen im Kosmos zuzuführen. Die Sternensteine wirkten wie ein Blitzableiter, der die unkontrollierte Energieabgabe in bestimmte Bahnen lenkte. Beispielsweise in einen Raumschiffsantrieb, wie Kergom durch einen Feldversuch belegte. Er konnte nur vermuten, welchen Zusammenhang es da gab. Wahrscheinlich ging er bis zum Urknall zurück, als sich die unendlich hohe Energie auf ein unendlich kleines Raumvolumen konzentrierte. Kergom hielt es für möglich, dass die Kristalle aufgrund der kosmischen Hintergrundstrahlung mit ihrer enormen Materie- und Energiedichte entstanden waren und sich bis heute eine verbliebene Affinität zur Raum-Zeit-Krümmung bewahrt hatten, in der sich trotz der Milliarden Jahre währenden Expansion des Universums noch immer nicht zu beziffernde Energiereserven hielten. Kergom versuchte herauszufinden, ob die Sternensteine wirklich schon so alt waren. Und wenn es tatsächlich Abfallprodukte des Urknalls waren, wieso waren sie ausgerechnet auf Schedols Welt zu finden? Handelte es sich um einen simplen Zufall, oder gab es sie auch auf anderen Welten des Universums? Er erkannte auch die Gefahr, die die Existenz der Sternensteine für den Frieden darstellte. Jede Macht der Galaxis würde ihnen nachja-
gen, wenn sie davon erfuhr. Deshalb war es ratsam, das Geheimnis zu bewahren und in den eigenen Reihen zu halten, dann konnte nichts passieren. Wie Schedol glaubte auch Kergom einer möglichen Gefahr allein durch Verschwiegenheit begegnen zu können. Die Naivität dieser Sichtweise kam keinem aus dem Volk zu Bewusstsein. Es fehlten die kriegerischen Erfahrungen, die man niemals gemacht hatte, um sich wirklich ernsthafte Sorgen zu machen. Zudem Tescha, ein hochrangiger Kollege Kergoms, eine weitere Fähigkeit der Schwarzkristalle entdeckte. Sie ließen sich auch als Bordrechner verwenden. Schon bei ersten Versuchen zeigte sich, dass sie herkömmlichen Computern an Leistungsfähigkeit bei weitem überlegen waren. Sie besaßen nicht nur eine höhere Speicherkapazität, sondern waren in der Lage, doppelt so viele Rechenoperationen im gleichen Zeitraum durchzuführen. Das war zu einer Zeit, als es zu ersten Auseinandersetzungen unter dem Stationspersonal kam. Aggressive Übergriffe, wie es sie früher nie gegeben hatte, häuften sich. Beim geringsten Anlass kam es zu heftigen Disputen, die das eine oder andere Mal sogar in Handgreiflichkeiten ausarteten. Auch Kergom fühlte sich davon betroffen. Er hatte das Gefühl, dass ein ständig wachsender Druck auf ihm lag, der sich immer weiter aufbaute und seine klaren Gedanken vernebelte. An manchen Tagen wurden seine unterschwelligen Ängste so schlimm, dass er sich einbildete, in seinem Kopf steckte ein zweiter Geist neben seinem. Von finsterem Gemüt und deprimierender Kälte beseelt, machte er sich breit. Bald begann Kergom die abstoßenden Berge und den ganzen Planeten zu hassen. Manchmal fragte er sich, wieso er überhaupt hierher gekommen war und dafür die Schönheit der Heimat hinter sich gelassen hatte. Dann vergrub er sich tagelang in seinen privaten Räumen und wechselte mit niemandem ein Wort. So bekam er nicht einmal mit, als einige seiner Kollegen unter dem gleichen unerklärlichen Druck den Planeten tatsächlich verließen. Doch diese Gedanken vergingen, sobald Kergom sich in seine Arbeit vertiefte. Allerdings wurden die aktiven Phasen immer kürzer, während sich die Zeiten der Depressionen verlängerten. Kergom er-
tappte sich immer häufiger bei dem Gedanken, von unsichtbaren Feinden umgeben zu sein. Von finsteren Mächten, die er nicht begriff, weil sie so ganz anders waren als alle Lebewesen, von denen er jemals gehört hatte. Sie lauerten in den Klüften der Berge, ja in den Felsen selbst, und quälten ihn mittels der Macht ihres Geistes. Selbstverständlich erwähnte Kergom seinen inneren Zwiespalt niemandem gegenüber, schließlich wollte er sich nicht lächerlich machen. Dabei war er fest überzeugt, dass er nicht der einzige war, dem es so ging. Einer seiner engsten Mitarbeiter verschwand einmal für eine ganze Woche, und dann tauchte er ebenso plötzlich wieder auf, als sei nichts geschehen. Anfangs hatte er zahlreiche Ausflüge auf dem fremden Planeten unternommen, doch mittlerweile setzte er kaum noch einen Fuß vor die Tür der Station. Für eine Weile vergaß Kergom seine Ängste, als eine neue Order von der Heimatwelt kam. Transportschiffe besuchten Schedols Welt, um die bisher zusammengetragenen Sternensteine abzuholen. Daheim wurden sie zunächst parallel zu den bestehenden Bordrechnern nachgerüstet, doch nach und nach wurden die alten Rechner mangels Effizienz abgeschaltet und ausgeschlachtet. Der Siegeszug der Schwarzkristalle hatte endgültig eingesetzt, auch wenn immer noch nicht schlüssig erwiesen war, woher sie stammten. Als zum ersten Mal neue Raumschiffe von vornherein nur noch mit den Kristallen als Rechner bestückt wurden, waren seit Schedols Entdeckung zwei Jahre vergangen. Schedol selbst stieg in kurzer Zeit um mehrere Plätze in der Hierarchie der Flotte auf, doch er weigerte sich, die TAUFARA, die ebenfalls auf die Sternensteine umgestellt worden war, abzugeben und das Kommando über einen modernen Kreuzer zu übernehmen. Auf Schedols Welt wurden unterdessen, über den ganzen Planeten verteilt, weitere Stationen errichtet. Wem der Segen zu verdanken war, hatte man dort, obwohl der Planet nach ihm benannt war, längst vergessen. Schedol legte keinen Wert auf Publicity. Er dachte längst an ganz andere Dinge im Auftrag der Flotte. Nur gelegentlich nahm er in seiner Kabine auf der TAUFARA Ver-
bindung zu seinem Dhyarra auf, aber mehr als beim ersten Mal war nie passiert. Zwar hatte er den Eindruck, dass neben den bislang bekannten weitere verborgene Kräfte in dem Stein steckten, aber es gelang ihm nicht, sie zu aktivieren. Er vermied es auch, jemanden darauf anzusprechen, weil er dann hätte zugeben müssen, sich heimlich einen der Dhyarras angeeignet zu haben. Die aber waren allein der Regierung und den offiziellen Stellen wie der Raumfahrtbehörde vorbehalten, und auch bei ihm, der sie einst entdeckt hatte, würde man keine Ausnahme machen. So behielt Schedol sein kleines Geheimnis weiterhin für sich. Auf Schedols Welt wurde der Abbau der Schwarzkristalle forciert und immer neue Ladungen zur Heimatwelt verschifft. Dort wurden sie sehnsüchtig erwartet, denn inzwischen hatten sie sämtliche anderen Computer vom Markt verdrängt. Nur noch die Schwarzkristalle wurden aufgrund ihrer Vorteile als Rechner benutzt. Was zunächst auf den Raumschiffen begonnen hatte, setzte sich schließlich in allen Bereichen des täglichen Lebens fort. An herkömmliche Computer verschwendete niemand mehr einen Gedanken. Alles lief reibungslos. Bis die Gkirr kamen.
Drei riesige schwarze Raumer tauchten über Schedols Welt auf. Sie waren größer als alle Schiffstypen, über die das Volk verfügte. Zwei von ihnen blieben im Orbit, während eins ungeniert in der Nähe der Forschungsstation landete, die von Kergom geleitet wurde. Es war so groß, dass es die freie Fläche vollständig ausfüllte. Die Aufregung unter den Wissenschaftlern hielt sich in Grenzen. Auch wenn bisher keiner von ihnen bei einem direkten Kontakt mit einer anderen Spezies dabei gewesen war, kannten sie doch sämtliche Berichte. So zögerten die meisten seiner Mitarbeiter, die nicht gerade eine depressive Phase durchliefen, keinen Moment, sich ins Freie zu begeben. »Wir werden sie begrüßen und ihnen zeigen, was für gute Gastgeber wir sind.« Kergom folgte ihnen mit gemischten Gefühlen. Natürlich ver-
mochte auch er sich nicht vorzustellen, dass ihnen eine Gefahr drohte, dennoch hatte er ein mulmiges Gefühl. Beim Anflug hatten die Unbekannten nicht auf die Funkrufe reagiert. Auch wenn sie den Inhalt nicht verstanden, weil sie eine andere Sprache besaßen, hatten sie sie doch zweifelsfrei empfangen. Melden können hätten sie sich also durchaus. Kergom betrachtete das schwarze Raumschiff mit Respekt. Es wirkte auf ihn wie ein weiterer Berg, der mit dunklen Absichten eben aus dem Erdboden erwachsen war. Längst hielt er auf diesem Planeten nichts mehr für unmöglich. Mit Widerwillen schielte er zu der Felswand, die sich hinter dem gelandeten Raumschiff in die Höhe erhob. Der Raumer war davor kaum als eigenständiges Gebilde zu erkennen, sondern schien mit ihr zu verwachsen. Kergom senkte den Blick und betrachtete seine Füße. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn auch sie verschwunden und eins mit dem Untergrund geworden wäre. Alles in ihm drängte danach, sich umzudrehen und in die Sicherheit der Station zu fliehen. Er musste seine ganze Willenskraft aufbringen, um die aufsteigende Panik zu bekämpfen. Seine Beine waren schwer wie Blei, dennoch setzte er einen Fuß vor den anderen. Bis in der schwarzen Schiffshülle ein schmaler Lichtstreifen entstand. Erst als er breiter wurde, begriff Kergom, dass sich eine Art Luke öffnete. Das Licht wirkte unnatürlich in dieser Umgebung, wie ein Fenster aus einer anderen Welt. Einige seiner Kollegen gaben überraschte Rufe von sich, als drei Gestalten in der Luke sichtbar wurden. Sie setzten sich in Bewegung und gingen direkt ins Leere, doch sie stürzten nicht. Ein unsichtbares Kraftfeld hielt sie fest und setzte sie sanft auf dem Boden ab. »Wir heißen euch willkommen«, vernahm Kergom eine Stimme, die aus weiter Ferne zu kommen schien. Die Szene war unwirklich, und er fühlte sich wie tausend Lichtjahre entfernt. Wie ein unsichtbarer Voyeur hinter einer Barriere aus gefrorener Zeit, der mit dem, was vor sich ging, gar nichts zu tun hatte. »Wer seid ihr? Wir würden euch gern kennen lernen.« Narren, dachte Kergom. Begreift ihr denn nicht, dass sie nicht mit euch reden wollen?
Doch die Fremden antworteten. In einer Form allerdings, mit der der Wissenschaftler nicht gerechnet hatte. Gkirr, tauchte ein Begriff in seinem Geist auf. Wir sind Gkirr, und wir befehlen euch, unseren Planeten zu verlassen. Irgendjemand lachte, obwohl es nichts zu lachen gab. Mit glasklarer Erkenntnis begriff Kergom, dass die Fremden, sie sich selbst Gkirr nannten, nicht scherzten. Ihre Forderung war vollkommen ernst gemeint, und sie würden auch nicht darüber diskutieren. Mit ihrer telepathischen Botschaft war ihre Auskunftsfreudigkeit auch schon wieder beendet. Sie reagierten auf keine weitere Frage von Kergoms Kollegen. Als die Gkirr aus dem blendenden Licht traten, hatte er endlich Gelegenheit, sie zu betrachten. Es waren kleinwüchsige, dünne Wesen in silbernen Anzügen, zwei Köpfe kleiner als er selbst und mit feingliedrigen Extremitäten. Am auffälligsten waren ihre zwei großen Augen, die die obere Kopfhälfte dominierten. Einer der Gkirr hob einen silbrig schimmernden Kasten vor seine Brust. Im ersten Moment hielt Kergom ihn für eine Waffe, aber dann kam er zu dem Schluss, dass es sich um ein Messgerät handelte, denn der Gkirr hielt es in verschiedene Richtungen. Schließlich schien er gefunden zu haben, was er suchte, denn er entfernte sich, während seine beiden Begleiter wie versteinert stehen blieben. Kergom wollte etwas sagen, aber er brachte keinen Ton heraus. Auch seine Kollegen hatten die sinnlosen Versuche aufgegeben, sich mit den Fremden verständigen zu wollen. Kurze Zeit später kam der einzelne Gkirr zurück. Neben seinem Gerät trug er jetzt noch etwas anderes in der Hand. Kergom musste das Artefakt nicht sehen, um zu wissen, worum es sich dabei handelte. Um einen Schwarzkristall. Dahinter waren die Gkirr her, und nichts konnte sie aufhalten. Kergom starrte dem Schiff noch lange, nachdem es gestartet war, hinterher. Eins war ihm völlig klar. Sie hatten die Fremden nicht zum letzten Mal gesehen. Die Gkirr würden wiederkommen.
3. Der letzte Tag Es war ein milder Frühlingstag. Wolkenloser blauer Himmel lag über Château Montagne, und die schon recht hoch stehende Mittagssonne badete die alten Gemäuer in einem goldenen Schein. Versonnen blickte Professor Zamorra seiner Lebensgefährtin nach, die emsig durch die Räume des Châteaus eilte und überall die Fenster aufriss. Wie meistens war Nicole Duval ziemlich leicht bekleidet, was Zamorra nur recht war. Sie trug ein äußerst knappes Minikleid in bunten Frühlingsfarben, das mehr offenbarte als verhüllte. Am liebsten hatte sie es ja ganz textilfrei, aber da der junge Rhett Saris ebenfalls irgendwo im Haus unterwegs war, hielt sie sich ein wenig zurück. Dennoch konnte der Dämonenjäger seine Augen nicht von ihr lassen. »Suchst du etwas Bestimmtes?«, fragte die schlanke Französin schelmisch, wobei sie demonstrativ mit dem Hintern wackelte. »Gefällt dir die Farbe meines neuen Kleides nicht?« Zamorra grinste. »Ach, das ist ein Kleid. Ich hielt es für einen etwas längeren Pulli. Die heutige Mode ist für ältere Männer wie mich schon sehr gefährlich.« »Der erste Herzinfarkt lauert überall.« Mit einer lasziven Bewegung bückte Nicole sich, um etwas vom Boden aufzuheben, was gar nicht da war, was natürlich dazu führte, dass ihr Kleid noch ein wenig höher rutschte. »Jetzt sieht es aus wie ein Hüfthalter.« »Schuft!« Wie von der Tarantel gestochen, fuhr Zamorras Partnerin in die Höhe. Es blitzte drohend in ihren Augen, als sie ihm einen vernichtenden Blick zuwarf. »Entschuldige, mein Schatz. Komm einfach mal her, dann mache ich es wieder gut.« »Mich erst hochnehmen, und dann wieder den Unschuldigen spie-
len«, sagte Nicole schnippisch. »Das habe ich gern. Kommen jetzt deine Frühlingsgefühle?« »Gut möglich. Das sollten wir doch schnellstens herausfinden.« »Du weißt mich gar nicht richtig zu würdigen. Außerdem will ich einen alten Mann doch körperlich nicht über Gebühr belasten.« Im Grunde war Zamorra schon über Sechzig, aber diese Zählweise galt für ihn nicht mehr, seit er vom Wasser der Quelle des Lebens getrunken hatte. Seit diesem Tag alterte er nicht mehr, so dass er tatsächlich aussah wie ein Dreißigjähriger und auch über ein entsprechendes körperliches Befinden verfügte. Ebenso wie Nicole war er mithin relativ unsterblich, wenn auch nicht gegen einen gewaltsamen Tod gefeit. »Zur Not musst du mich eben pflegen«, scherzte der Meister des Übersinnlichen. »Wenn sich sonst niemand dazu herablässt. Aber bevor ich das tue, suche ich mir einen jüngeren Liebhaber.« Zamorra schlug theatralisch die Hände über dem Kopf zusammen und sagte in weinerlichem Tonfall: »Das würdest du einem alten Mann antun?« »Ohne mit der Wimper zu zucken.« »Wahrscheinlich hast du sogar schon jemanden im Auge.« »Da kannst du sicher sein. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hat er mich zum Abschied sogar geküsst.« Nicole rückte den Saum ihres Kleids zurecht. »Aber erwarte bloß nicht, dass ich dir seinen Namen nenne.« »Wer ist der Kerl?« Mit einem Satz war Zamorra auf den Beinen und warf sich Nicole über die Schulter. Er stieß ein amüsiertes Lachen aus und gab ihr einen leichten Klaps auf den Hintern. Trotz ihrer Freizügigkeit war er ihr Partner, und niemand sonst. Zwar machte sie sich mit ihrem Outfit und ihrer lockeren Art manchmal einen Spaß daraus, andere Männer zu reizen, aber das hatte nichts zu bedeuten. »Gesteh, damit ich ihn mir vorknöpfen kann.« »Außer dir gibt es nur einen, der mir den Kopf verdrehen kann«, sprudelte es aus der Französin heraus. »Du kennst ihn sogar.« »Seinen Namen, bevor ich dich Asmodis übergebe!«
»Assi? Das habe ich nicht verdient. Also schön, du hast gewonnen, du Schuft. Es ist Professor Saranow.« Gemeinsam lachten sie los, und Zamorra setzte Nicole wieder auf dem Boden ab. »Damit kann ich leben«, versicherte er. »Ich frage mich, was der alte Haudegen macht.« Viel zu selten sahen die beiden Dämonenjäger sich – Zamorra und sein russischer Kollege Boris Iljitsch Saranow. Das lag daran, dass Saranow im Auftrag der russischen Regierung an geheimer PSI-Forschung arbeitete. Ein Geräusch von der Tür her ließ Zamorra aufhorchen. Im Château gingen eine Menge Leute ein und aus. Nicht nur Lady Patricia und ihr Sohn Rhett, der Erbfolger des Saris-Clans, sondern auch Butler William und die Köchin Madame Claire. Von dem tollpatschigen Jungdrachen Fooly ganz zu schweigen. »Lord Zwerg«, sagte Nicole. »Was hast du denn mal wieder unangemeldet für Sorgen?« Als sie sich zu Tür wandte, erkannte sie, dass sie sich geirrt hatte. Auch Zamorras Gesicht verzog sich fragend. Im Eingang stand ein Mann, den keiner von beiden jemals gesehen hatte. Er war von kleinwüchsiger, hagerer Statur, verfügte aber für seine knapp Einmetersiebzig über eine enorme Präsenz, die einen Raum ausfüllen konnte. Schon beim ersten Blick registrierte Zamorra eine bemerkenswerte Aura, die von dem Fremden ausging. Sein Gesicht drückte Entschlossenheit und eine grenzenlose Selbstsicherheit aus. Mehr noch. Unverhohlene Arroganz. »Wer sind Sie?«, fragte Zamorra. »Und wie kommen Sie hier herein?« »Mein Name ist Cairo – Al Cairo.« Der Fremde zeigte hinter sich. »Wie ich hier reinkomme? Durch die Tür, wie andere Menschen auch.« »Er lügt, Chef!« Plötzlich tauchte Fooly im Eingang auf. Mit schaukelnder Schwanzspitze watschelte der Jungdrache an dem ganz in Schwarz gekleideten Fremden vorbei und stellte sich neben Zamorra.
»Sehr interessant«, sagte der hagere Mann, dessen eisgraue Augen Fooly mit Abscheu taxierten. »Solch ein fettes Monster hat mich noch nie der Lüge bezeichnet.« »Was du nicht sagst.« Der 1,20 Meter große Drache, der jeden Gesprächspartner zu duzen pflegte, fauchte und fuhr seine Krallen aus. »Ansonsten scheinst du aber daran gewöhnt sein, als Lügner bezeichnet zu werden.« Der Mann, der sich als Al Cairo vorgestellt hatte, ignorierte den Drachen und wandte sich an Zamorra. »Ich komme, um mit Ihnen zu sprechen.« »Sie sind wirklich durch den Vordereingang gekommen?« »Woher denn sonst?« Zamorra sah Fooly foraged an. »Stimmt nicht, Chef«, beeilte sich Fooly zu sagen. »Ich habe gesehen, wie er gekommen ist. Er ist geflogen.« »Geflogen?«, echote Nicole verblüfft. »Wie meinst du das?« »Genau, geflogen, Mademoiselle Nicole«, bekräftigte der Drache. »Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.« Al Cairo lachte kalt auf. »Dieses Monster ist nicht nur fett und abstoßend, es ist auch noch verblödet. Worauf man bei diesem Gesichtsausdruck eigentlich sofort kommen müsste.« »Wer immer Sie sind, lassen Sie diese Beleidigungen in meinem Haus. Ansonsten dürfen Sie sich umdrehen und wieder gehen.« Al Cairo winkte ab. »Schon gut. Aber bei allem Respekt, Professor, sehe ich aus, als ob ich fliegen könnte?« Fooly nickte heftig. »Kann er. Aber wenn mir keiner glaubt, kann ich auch wieder gehen. Rhett glaubt mir bestimmt«, sagte er beleidigt und stapfte aus dem Zimmer. »Womit der Intelligenzquotient in diesem Raum sprunghaft ansteigt«, kommentierte der hagere Mann. »Ich bin sicher, Sie wollen erfahren, warum ich Sie besuche, Professor.« »Wir können es kaum noch erwarten«, antwortete Nicole an Zamorras Stelle. »Bei Ihnen glaube ich das aufs Wort. Schließlich sind Sie eine Frau. Wieso sollten ausgerechnet Sie die eine unter Millionen sein, deren
Hauptantrieb nicht die Neugier ist?« Al Cairo hob abwehrend die Hände. »Schon gut, lassen wir das. Es gibt wichtige Dinge zu besprechen.« Da war Zamorra sicher. Er spürte, dass an seinem ebenso merkwürdigen wie arroganten Besucher mehr dran war als auf den ersten Blick ersichtlich. Dessen nächste Worte bestätigten seine Vermutung. »Es geht um die DYNASTIE DER EWIGEN.«
»Viel Glück uns allen! Mögen die Götter des Universums uns gnädig sein!« Es waren die letzten Worte, doch die unnatürlich ruhige Stimme rauschte noch in Yorns Ohren, als sie längst verklungen war. Wie gelähmt stand er da und starrte den Bildschirm an, auf dem sich sekundenlang das Abbild des Sprechers abzeichnete. Es war wie eingefroren, und in den Zügen des Mannes ließ sich nicht die geringste Regung erkennen. Wie eine Marionette, die nicht begriff, welche Nachricht sie eben vorgetragen hatte, stierte er ins Leere. Das Ende der Hoffnung war gekommen. Der Untergang der Heimat stand bevor. Schlimmer hätte es nicht kommen können, doch bei dem zumindest äußerlich gefühllosen Sprecher klang alles wie Routine. Als hätte er die Wettervorhersage verlesen. Als sein Abbild endlich kollabierte und hoffnungsloser Schwärze Platz machte, kam Yorn wieder zu sich. Sein Körper schien von innen heraus zu brennen, und seine Brust hob und senkte sich unter seinen schweren Atemzügen. Ein Tonnengewicht lastete auf ihm, wie er es nie zuvor verspürt hatte. Taria. Der plötzlich in seinem Geist auftauchende Name seiner Gefährtin brachte ihn beinahe um den Verstand. Er musste zu ihr, so schnell wie möglich. Erst jetzt registrierte er die Schreie, die an seine Ohren drangen. Sie kamen von draußen. Er riss sich vom Anblick des ermatteten Bildschirms los und fuhr herum. Da war niemand außer ihm. Er hat-
te gar nicht bemerkt, wie seine Mitarbeiter aus dem Büro geflohen waren und ihn allein gelassen hatten. Diese Feiglinge hatten es nicht einmal für nötig befunden, ihn mit sich zu nehmen. Yorns Herz schlug heftig, als er durch die offen stehende Tür stürmte und den Gang entlang stolperte. Ringsum herrschte Panik. Unter den Flüchtenden, die sich gegenseitig über den Haufen rannten, entdeckte er einige bekannte Gesichter, aber niemand achtete auf ihn. Jeder war nur darauf aus, sein eigenes Leben zu retten. Yorn konnte das niemandem verdenken, schließlich ging es ihm nicht anders. Er lief zu einem zentralen Knotenpunkt, wo sich die Aufzüge befanden. Mehrmals wurde er angerempelt, aber davon ließ er sich nicht beirren. Dank seiner kräftigen Statur blieb er jedes Mal auf den Beinen. Seine Hoffnung, mit einem der Aufzüge nach unten zu gelangen, wurde jäh zerstört. Eine dichte Traube aus Leibern hatte sich vor den Türen gebildet. Nun wurde ihm das ganze Ausmaß des Chaos bewusst, denn niemand nahm mehr Rücksicht. Alle versuchten einen der rettenden Plätze zu erreichen und behinderten sich gegenseitig. Er vernahm Stöhnen und Schmerzensrufe von irgendwem, der gestolpert und zu Boden gegangen war. Rücksichtslos trampelte die Menge über ihn hinweg und brandete wie eine Welle gegen die verschlossenen Aufzugtüren. Dutzende von Fäusten hämmerten dagegen, als handelte es sich um ein verabredetes Signal, mit dem sich etwas bewirken ließ. Aber das tat es nicht. Yorn konnte seine Artgenossen mit einem Mal nicht mehr verstehen. Was war nur aus ihrem gesunden Denkvermögen geworden? Sie begriffen nicht, dass ihr Handeln sinnlos war. Zweifellos sah es in den anderen Ebenen ähnlich aus, also waren die Lifts längst blockiert. Die Welt drehte sich um Yorn, und er stapfte an der tobenden Menge vorbei. »Das Treppenhaus«, stieß er im Vorbeilaufen aus, aber niemand achtete auf ihn. In ihrer Todesangst waren die Frauen und Männer blind für vernünftige Argumente. Ihm blieb nichts anderes übrig, als
sich um sich selbst zu kümmern. Denn jeden Moment konnte über ihm die Decke einstürzen, oder der Boden unter seinen Füßen und ihn mit sich in die Tiefe reißen. Der Lärm blieb hinter ihm zurück, und er lauschte auf verräterische Geräusche, die von außerhalb des Gebäudes kamen. Wie mochten sie sich anhören? Wie klangen die durch die Atmosphäre dringenden Raumschiffe der Gkirr? Ähnlich wie die eigenen Schiffe, oder würde er sie allein am Klang erkennen? Wenn er erst das Feuer ihrer Geschütze vernahm, war ohnehin alles zu spät. Dann würde er unter Tonnen von Schutt und Gestein begraben werden, ohne noch einmal die liebreizende Taria oder seine Familie zu sehen. Während Yorn das Treppenhaus erreichte, zwang er sich, nicht allzu schwarz zu sehen. Zwar hatte der Angriff der Gkirr begonnen, aber niemand konnte sagen, welche Städte sie zuerst attackieren würden. Außerdem waren längst die eigenen Raumschiffe aufgestiegen, um die Heimat zu verteidigen. Aber sie verfügen nur über schwache Waffen, dachte Yorn verzweifelt. Die Gkirr sind ein aggressives, hochgerüstetes Volk, nicht wir. Was sich jetzt als Fehler erwies. Statt sich auf eine friedliche Expansion zu verlassen, hätte man vielleicht mehr Wert auf die Entwicklung von Waffen legen sollen. Dann hätte man heute bessere Gegenwehr leisten können. So konnte man das drohende Verhängnis nur hinauszögern. Im Treppenhaus erkannte er, dass er sich getäuscht hatte. Er war nicht der Einzige, der den Aufzügen aus dem Weg ging. Ein Strom hektischer Leiber spülte in die Tiefe, von denen er gegen seinen Willen mitgerissen wurde. Aber es war lange nicht so schlimm wie oben. Die Furcht begleitete Yorn die Stufen abwärts. Siebzehn Stockwerke bis zum Erdboden, die ihm wie der Abstieg von einem der höchsten Gipfel der Welt vorkamen. In jeder Sekunden starb Taria tausendmal in seinen Gedanken, ohne dass es ihm gelang, das schreckliche Bild zu verdrängen. Es quälte ihn viel schlimmer als die Ahnung um seinen eigenen bevorstehenden Tod. Seine Erleichterung war grenzenlos, als er endlich ins Freie trat.
Doch nur kurz, denn gellendes Sirenengeheul erwartete ihn. »Korasan ist vernichtet worden.« Ein Nachrichtensender hatte bis zuletzt berichtet. Er war mit der Hauptstadt gefallen, und es drang nur noch statisches Knistern aus den Empfängern, das vereinzelte, unverständliche Wortfetzen überlagerte. Möglicherweise kamen sie von einem leistungsschwachen Schwarzsender oder einem Privatfunker, der sich im heimischen Keller verschanzt hatte und der Vernichtung Korasans entgangen war. Nach einigen Minuten gab Taria die sinnlosen Versuche auf, ihn besser reinzubekommen. Ihr war klar, was auf sie zukam. »Wir müssen das Haus verlassen und uns irgendwo in den Wäldern verstecken. Wenn die Gkirr systematisch vorgehen, sind wir als eine der nächsten Städte auf der Landkarte dran.« Yorns Mutter Larka sah sie mit einem verstörten Blick an. »Warum tun die uns das an? Wir haben ihnen doch nichts getan.« »Wir hätten ihnen die Dhyarra-Kristalle überlassen sollen«, warf ihr Mann Telkan ein. »Dann hätten sie uns vielleicht in Ruhe gelassen.« Daran glaubte Taria nicht. Natürlich waren die Kristalle ausschlaggebend für das feindselige Verhalten der Gkirr. Doch auch ohne sie war dieses expandierende Volk aggressiv und eroberungslustig. »Packt ein paar Dinge zusammen, aber beeilt euch.« »Wir können uns doch nicht einfach verstecken«, wehrte Larka entrüstet ab. »Wir müssen auf Yorns Rückkehr warten. Er wird nach uns suchen. Wenn wir nicht hier bleiben, kann er uns nicht finden.« »Ich habe bereits versucht, ihn zu erreichen, erfolglos. Anscheinend sind sämtliche Leitungen zerstört, die Verkehrsverbindungen wahrscheinlich ebenfalls. Es ist unwahrscheinlich, dass Yorn es bis hierher schafft.« »Er kann doch nirgendwo anders hingehen. Er wird kommen.« »Trotzdem dürfen wir nicht bleiben.« Tarias Stimme klang beschwörend. »Sonst werden wir mit der ersten Angriffswelle auf unsere Stadt vernichtet. Yorn ist vielleicht ebenfalls gezwungen, sich
irgendwo zu verstecken.« Taria weigerte sich daran zu denken, dass ihrem Gefährten womöglich noch Schlimmeres widerfahren war. Alles wäre einfacher gewesen, wenn es einen Kontakt gegeben hätte, aber so konnten sie sich nicht einmal absprechen. Sie lief in ihr Zimmer und verstaute ein paar Sachen, die sie für wichtig hielt, in einem Beutel. Danach packte sie Lebensmittel ein, die für ein paar Tage reichen würden. Zu ihrer Erleichterung kamen Yorns Eltern ihrer Aufforderung trotz der Bedenken ebenfalls nach. Taria widerstrebte es selbst am meisten, nicht auf Yorn warten zu können. Im Grunde wusste sie nicht mal genau, wohin sie sich wenden sollten, aber es gab keine Alternative zu den einigermaßen schützenden Wäldern. Doch die lagen mehr als zehn Kilometer entfernt, und Yorn hatte den einzigen Gleiter der Familie mitgenommen. Für den Fall, dass ihr Haus wider Erwarten doch nicht zerstört würde, hinterließ sie ihm eine Nachricht auf dem Küchentisch, damit er wusste, wo er nach seiner Familie zu suchen hatte. Ein tiefes Grollen ließ Taria zusammenzucken. Es klang wie eine Abfolge von mehrfachem Donner, der sich aus der Ferne näherte. Irritiert schaute sie aus dem Fenster, aber der Himmel war klar. Ein Gewitter war nicht im Anzug. »Kommt endlich!«, drängte sie, von einer düsteren Ahnung befallen. Wenn sie sich nicht täuschte, blieb ihnen noch weniger Zeit, als sie zunächst gedacht hatte. Sie stürmte aus dem Haus und sah gerade noch, wie sich die Sonne verdunkelte. Ein monströses Etwas hatte sich davor geschoben und warf einen langgezogenen Schatten, der die Straße entlang wanderte wie eine gierige Bestie. Ein riesiges Raumschiff der Gkirr. Bisher kannte Taria diese Giganten nur aus Nachrichtensendungen. Nun bekam sie zum ersten Mal einen davon mit eigenen Augen zu sehen. In der Realität sah er noch viel bedrohlicher aus. Zahlreiche Schreie ertönten. Als Taria sich umschaute, sah sie, dass die meisten ihrer Nachbarn in Panik flohen. Ein Stück weiter bauten Männer mit hektischen Bewegungen einen mobilen Granat-
werfer auf. Taria war sicher, dass sie damit gegen die Gkirr ebenso wenig ausrichten konnten wie diejenigen, die versuchten, dem Raumer vom Boden aus mit Handstrahlern beizukommen. Wo blieben nur die eigenen Raumschiffe? Existierte die Flotte überhaupt noch? Sie musste doch kommen, um die Bevölkerung zu verteidigen. Taria bebte. Jeden Moment konnten die Gkirr schießen. Worauf warteten sie noch? »Larka, wir haben keine Zeit mehr!« Im Türdurchgang sah sie Yorns Familie. Sie wollte ihnen zuwinken, ihr endlich zu folgen, als sie den Gleiter heranrasen sah. Instinktiv schrie Taria auf, als das zweite Fahrzeug von einem Stellplatz aufstieg und sich in die Luft erhob. Frontal bohrten sich die beiden Gleiter ineinander. Die Welt schien in einem Geräuschorkan zu vergehen. Wie ein irrwitziges Kaleidoskop aus Formen und Farben drehte sie sich um Taria, die von der heftigen Druckwelle der Explosion gepackt und wie welkes Laub durch die Luft gewirbelt wurde. Trümmerstücke flogen umher, und eine blendende Feuerlohe breitete sich in Gedankenschnelle aus und leckte himmelwärts. Schmerzen rasten durch Tarias Körper, als sie irgendwo gegengeschleudert wurde. Sie glaubte Larkas entsetzten Aufschrei zu vernehmen, während ihr schwarz vor Augen wurde. Nur nicht die Besinnung verlieren! Mit aller Kraft bäumte sie sich gegen die drohende Ohnmacht auf, und ihr Blick begann sich wieder zu klären. Nur um auf das gigantische Raumschiff der Gkirr zu starren. Es war viel näher und viel größer als zuvor. Der gleißende Blitz, den es verschleuderte, überstrahlte alles.
Am Himmel war kein feindliches Raumschiff zu sehen, wie Yorn mit einem suchenden Blick feststellte. Zahlreiche Boden- und Luftfahrzeuge waren viel zu schnell unterwegs, und es grenzte an ein Wunder, dass es zu keinen Zusammenstößen kam.
Mit weiten Schritten lief Yorn um das Hochhaus herum und erreichte den firmeneigenen Parkplatz, auf dem er seinen Personengleiter abgestellt hatte. Die tumultartigen Szenen, die sich bei den Parkbuchten abspielten, ließen ihn seine Schritte verzögern. Die Leute kämpften um die Gefährte. Offenbar war ihnen gleichgültig, ob sie ihnen gehörten oder nicht, sie wollten nur möglichst schnell weg. Dabei schreckten sie auch vor Gewalt nicht zurück. Der Schreck fuhr Yorn in die Glieder. Auch an seinem Gleiter machten sich zwei Männer zu schaffen, aber da er gesichert war, gelang es ihnen nicht, ihn in Betrieb zu nehmen. Doch wenn sie erkannten, dass Yorn der Besitzer war, würden sie gnadenlos über ihn herfallen und ihn zum Starten zwingen. In diesem Moment erklang ein kurzer Knall, der sogar das infernalische Heulen der Sirenen übertönte. Obwohl das Volk überwiegend Energiestrahler benutzte, gab es auch noch Projektilwaffen. Ein älterer Mann packte sich an die Brust und sackte auf die Knie. Yorn kannte ihn. Er arbeitete im gleichen Stockwerk wie er selbst. Niemand machte Anstalten, ihm zu helfen, als er mit quälend langsamen Bewegungen über den Boden rutschte, genau auf Yorn zu. Ein um Hilfe flehender Ausdruck stand in seinem Gesicht, während Blut aus einer Wunde in seiner Brust sickerte. Er öffnete die Lippen zu einem stummen Satz und kippte zur Seite, um regungslos liegen zu bleiben. Wie mechanisch ging Yorn an ihm vorbei. Alles in ihm drängte danach anzuhalten und den alten Mann zu versorgen, doch es war zu spät, um ihm noch zu helfen. Yorns Beine entschieden für ihn und trugen ihn einfach weiter. Von irgendwoher drangen kleine Explosionen, aber er ignorierte sie. Von angreifenden Schiffen der Gkirr waren sie jedenfalls nicht ausgelöst worden. Stattdessen beobachtete er unauffällig die beiden Burschen bei seinem Gleiter. Noch hatten sie ihn nicht wahrgenommen, sondem starrten wie alle anderen zu dem Toten, der verkrümmt am Boden lag. Damit war der Überraschungseffekt auf seiner Seite. Yorn zählte die Schritte. Seine Ungeduld zu erfahren, wie es um Taria und seine Familie stand, ließ ihn jede Vorsicht vergessen. Er
agierte wie ein Roboter, der ebenfalls von einem gnadenlosen Programm getrieben wurde, das ihm keinen Raum für Zweifel ließ. Seitlich näherte er sich seinem Gleiter. Noch fünf Meter! Dann war es soweit. Yorn sprang vorwärts, schneller und behänder als er sich das selbst zugetraut hatte. Sein Schwung trieb ihn geradewegs auf einen der beiden Männer zu, der mit einem überraschten Aufschrei zu Boden ging. Schon lief Yorn um die Maschine herum und streckte dessen Begleiter mit einem wuchtigen Hieb nieder, bevor er begriff, wie ihm geschah. Doch nun wurden auch die anderen Leute auf ihn aufmerksam. Da war einer, dessen Gleiter man kapern konnte! Drei von ihnen prügelten sich den Weg frei und kamen herübergelaufen. Aber Yorn war auf keinen Fall bereit, ihnen das wendige Gefährt zu überlassen. Eher würde er sie töten. Erschrocken über seinen eigenen Gedanken öffnete Yorn mit einem Signalgeber das elektronisch gesicherte Verdeck und kletterte ins Innere. Seine Finger huschten über die Bedienungselemente, und die Maschine erwachte zum Leben. Ein sanftes Vibrieren lief durch den tankförmigen Rumpf, aber die drei Männer hatten den Gleiter bereits erreicht. Obwohl er sich zentimeterweise vom Boden löste, kletterten sie an ihm hoch und versuchten, ins Innere zu gelangen. »Loslassen!«, schrie Yorn und riss das Verdeck wieder zu. Mit einem Hackenden Geräusch schlug es herum und arretierte in der Aufnahmevorrichtung. Der Gleiter war jetzt einen Meter über dem Boden, aber die Männer gaben nicht auf. »Springt doch endlich!«, rief Yorn ihnen zu. »Oder wollt ihr euch alle Knochen brechen?« Das schien ihnen völlig egal, denn sie ignorierten seine Worte und versuchten mit Gewalt einzudringen. Yorn drückte das Fahrzeug in eine Kurve und schlenkerte es hin und her. Das wirkte, denn an der glatten Außenfläche gab es keine Möglichkeit, sich festzuhalten. Ohne sich zu verletzen, stürzten die Männer zu Boden, rappelten sich aber gleich wieder auf und schüttelten drohend die Fäuste. Fassungslos schüttelte Yorn den Kopf. So etwas hatte er noch nie erlebt. Trotzdem hatte er andere Probleme. Aus dem Radio drang
nur statisches Prasseln, und über Armbandfunk bekam er keine Verbindung zu Taria. Die Befürchtung, sein Haus könnte bereits in Schutt und Asche liegen, wurde übermächtig und drohte ihn zu übermannen. Er beschleunigte mit Höchstwerten und zog den Gleiter in die Höhe. In Bodennähe herrschte ein unübersichtliches Verkehrschaos, das zwangsläufig zu Unfällen führen musste. Anscheinend waren sämtliche Einwohner der Stadt unterwegs, um sich selbst und das transportable Hab und Gut in Sicherheit zu bringen. Yorn stieß ein meckerndes Lachen aus. Sicherheit war zu einer Illusion verkommen, die der Realität hilflos unterlag. Unter Yorn blieben die zu unüberschaubaren Konglomeraten gewucherten Gebäudetrakte zurück. Flüchtlingsströme versperrten die Straßen, weil viele Angehörige des Volkes lediglich über Bodenfahrzeuge verfügten, mit denen ein Ausweichen nicht so einfach möglich war wie in der Luft. Immer wieder kam es in der überhitzten Atmosphäre zu Zusammenstößen, und vielerorts standen Rauchfahnen in der Luft, wo es zu Bränden gekommen war. Immer wieder versuchte Yorn, Taria zu erreichen, aber er bekam einfach keine Verbindung. Die Ungewissheit, was zu Hause los war, war die peinigendste Folter, die er sich vorstellen konnte. Er fühlte sich wie auf kleiner Flamme geröstet und strapazierte die Aggregate des Gleiters bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Als es zu einem kurzen Aussetzer kam und er in seinem Sitzkissen durchgeschüttelt wurde, kam Yorn wieder zur Besinnung. Es brachte nichts, wenn er die Maschine verheizte. Dann musste er seinen Weg zu Fuß fortsetzen, denn einen Reparaturdienst gab es inzwischen sicher längst nicht mehr, und er selbst war alles andere als ein Mechaniker, der in der Lage war, einen Schaden zu beheben. Unterwegs kalibrierte er die schlichten Messgeräte des Gleiters auf die verschiedenen Atmosphäreschichten und lokalisierte Energieemissionen mit Werten, die über den Erfassungsbereich hinausgingen. Zudem empfing er Streustrahlung in einer Zusammensetzung, von der er noch nie gehört hatte. Zweifellos ging sie von den Raumschiffen der Gkirr aus. Im ersten Moment befürchtete Yorn, die
Gkirr würden die Planetenoberfläche mit harter Strahlung bombardieren, aber er begriff rasch, dass es kein gezielter Angriff war. Es handelte sich um ein reines Abfallprodukt, das vielleicht von den fremden Antrieben stammte, aber nicht um eine zweckmäßig eingesetzte Waffe. Doch das war auch nicht nötig. Denn die Gkirr besaßen andere Waffen. Und die setzten sie gnadenlos ein.
Ein ganzer Gebäudekomplex verschwand, als hätte es ihn nie gegeben. Wabernd fraß sich der Lichtblitz durch die Luft, brachte sie zum Vibrieren und suchte gierig nach einem Ziel. Dort, wo er entstand, gab es keinen Himmel mehr. Nur noch Schwärze war zu sehen, als wäre übergangslos die Nacht angebrochen und hätte ein düsteres Ellipsoid aus dem Firmament gestanzt und den blauen Himmel und das Sonnenlicht verschluckt. Taria schrie angsterfüllt auf, als eine Hitzefront durch die Straße raste, der eine Bäume umknickende Sturmböe folgte. Sie wurde taub, als die Welt in einem Geräuschorkan versank und sie, kaum dass sie sich aufgerappelt hatte, erneut von den Beinen riss. Verzweifelt versuchte sie sich irgendwo festzuhalten, aber sie wurde von unsichtbaren Kräften über ein Stück Rasen getrieben, das in Sekundenschnelle verdörrt war. »Taria!« Nur das eine Wort. Qual lag in der Stimme, die ihren Namen rief. Sie gehörte Larka. Endlich bekam Taria etwas zu fassen. Ihre Handflächen schrammten über raues Holz, und sie packte instinktiv zu. Aus schreckgeweiteten Augen starrte sie direkt in die Finsternis, die Kilometer über ihr in der Luft hing und sie mit ihrer unvorstellbaren Masse schier zu erdrücken schien. Immer noch feuerte das Raumschiff der Gkirr und spuckte seine Feuerlanzen der Planetenoberfläche entgegen. Stahl und Plastik zer-
schmolzen unter dem Beschuss zu unkenntlichen Klumpen, Gestein und Verbundstoffe stürzten polternd in die Tiefe. Wenn die Strahlen für Sekunden an einer Stelle verharrten, lösten sie ganze Wohneinheiten in glühendes Plasma und verwehende Molekülwolken auf. Taria warf sich herum. Sie fühlte sich schwach und ausgelaugt, schaffte es aber trotzdem, wieder auf die Beine zu kommen und stolperte unsicher in die Richtung, wo das Haus von Yorns Familie war. Gewesen war. Jetzt türmte sich dort ein Wall aus Schutt in die Höhe, über dem Staubwolken standen, die sich mit gespenstischer Trägheit zu Boden senkten. Nichts mehr war dahinter zu sehen von den ehemaligen Fassaden. Das ganze Stadtviertel war dem Erdboden gleichgemacht. Von zahlreichen Bränden stieg dunkler Rauch auf, und durch die Baumbestände eines angrenzenden Parks fraß sich auf breiter Front ein Feuer. Verstörte Leute liefen orientierungslos umher. Sie konnten nicht begreifen, was geschehen war. Nur dass von ihrem Heim nichts mehr übrig geblieben war. Die Druckwelle hatte Taria bestimmt zwanzig Meter weit geschleudert. Es grenzte an ein Wunder, dass sie dabei nicht mehr als ein paar ungefährliche Blessuren abbekommen hatte. Ein Schutzengel musste seine Hand über sie gehalten haben, sonst hätte sie alle Knochen im Leib gebrochen. Ein Schutzengel! Das Volk hatte alles, aber nicht das. Taria schluchzte hemmungslos los, halb von einem Weinkrampf geschüttelt, halb von hysterischem Lachen gepackt. Sie hatte den Eindruck, an ihrem eigenen Lachen zu ersticken, als sie den Schock verdaute und ihr Yorns Eltern wieder in den Sinn kamen. Verzweifelt versuchte sie Larka auszumachen. Larka, die in Todesangst nach ihr gerufen hatte. Doch Yorns Eltern standen nicht mehr an der Stelle, wo sie zuvor gewesen waren. Eine dunkle Hand schien nach Tarias Herz zu greifen und es schmerzhaft zusammenzudrücken. Tränen schossen in ihre Augen, als sie loslief, ohne sich darum zu kümmern, dass sie ein hervorragendes Ziel abgab. Doch die Gkirr schossen nicht auf einzelne Überlebende, sondern setzten ihre großflächige Zerstörung fort und ver-
wandelten das Land, in dem gestern noch Kinder gespielt hatten, in eine lebensfeindliche Trümmerlandschaft. Wie nach einem Krieg, ging es Taria durch den Kopf. Kein Wunder, denn das hier war ein Krieg. Wenn auch ganz anders, als sie sich das jemals in ihren schlimmsten Alpträumen ausgemalt hatte. Dazu so schnell über das Volk gekommen, dass niemand eine Gelegenheit gehabt hatte, rechtzeitig vom Heimatplaneten zu fliehen und sich irgendwo anders eine sichere Welt zu suchen. Wenn es die überhaupt noch gab. Taria wich einem ausgebrannten Bodenschweber aus, der zur Hälfte in einem Krater im Straßenbelag versunken war. Hinter der geschmolzenen Kuppel waren zwei verkohlte Leichen zu erkennen. Beißender Gestank lag in der Luft und wühlte in Tarias Eingeweiden. »Larka!«, rief sie aus Leibeskräften, während die nervenzermürbende Kakophonie der Explosionen die Zerstörung begleitete. »Telkan! Wo seid ihr?« Die einzige Antwort waren die singenden Energiestrahlen und das brodelnde Flüstern der Luftmassen, die von dem weiterziehenden Schiff der Gkirr vor sich hergeschoben wurden. Plötzlich erreichten die Sonnenstrahlen den Boden wieder und beleuchteten jede Einzelheit des Untergangs, der in wenigen Minuten über eine ganze Stadt gekommen war. Es musste Tausende Tote geben. Zehntausende. Allein hier, in dieser Stadt. Millionen sogar auf dem ganzen Planeten. Tarias Beine versagten ihr den Dienst. Sie knickte in den Kniekehlen ein, den Schmerz nicht einmal spürend, der sich bis in ihre Fußspitzen tastete. Die Tränen der Erschütterung bildeten zwei Rinnsale in ihrem dreckverschmierten Gesicht, in dem nur noch die Augen einen Funken von Leben in sich trugen. Vor ihr lag Larka, den Kopf in einer Lache von Blut, die sich kreisförmig ausgebreitet hatte. Ihre gebrochenen Augen schauten noch
im Tod anklagend in den Himmel. Ein Trümmerteil aus dem zerstörten Haus hatte sie am Hinterkopf getroffen. Sie musste auf der Stelle tot gewesen sein. Nur wenige Meter entfernt lag Telkan. Seine Augenlider flatterten, und seine vor Anstrengung bebenden Lippen versuchten Worte zu formen, die Taria nicht verstand. Nur Telkans kaum noch wahrnehmbarer Atem berührte ihr Ohr, als sie es dicht an seinen Mund legte. Mit einem Mal bäumte er sich auf. Ein letztes Zittern pflanzte sich durch seinen Körper fort wie eine Welle, dann lag auch er still. Tarias Schluchzen klang gespenstisch in der eingekehrten Stille. Bis sich das sonore Summen eines Antriebsaggregats in ihre Wahrnehmung drängte. Aus den Augenwinkeln sah sie einen Schatten. Der wie ein Raubvogel auf sie herabstieß.
Zum ersten Mal stieg brennender Hass in Yorn auf, als er sah, was von seiner Stadt übrig geblieben war. Kaum ein Haus stand noch aufrecht, und es bereitete ihm Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Aus der Luft sah alles ganz anders aus als zuvor. Er entdeckte keine baulichen Anhaltspunkte, nach denen er sich richten konnte. Dichter Rauch versperrte ihm die Sicht. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass er von dem kleinen Park aufstieg, der in der Nähe seines Hauses lag. Seines Hauses, das das Inferno so wenig überstanden hatte wie alle anderen. Taria! Was war aus ihr geworden? Was aus Larka und Telkan? Wie ein lebendes Wesen fiel die Angst über ihn her und drohte ihn aufzufressen. Er orientierte sich an dem brennenden Park und wechselte die Flugrichtung. Unter ihm nahm die Straßenführung vertraute Züge an. Jetzt kannte er sich wieder aus, und seine Ernüchterung stieg ins Unermessliche, ihm auch den letzten Rest stiller Hoffnung raubend. Nichts hatte den mörderischen Angriff der Gkirr überstanden. Eine Bewegung zwischen den Trümmern erregte Yorns Aufmerk-
samkeit. Er zog den Gleiter tiefer und hielt darauf zu, wobei er kaum noch zu atmen wagte. Aus dem sich bewegenden Schemen wurde eine Frau … … in der er Taria erkannte. Für einen winzigen Moment hätte er die ganze Welt umarmen können. Der sofort wieder verging, als er die regungslose Gestalt sah, über die Taria gebeugt stand. Er konnte sie aus der Luft nicht erkennen, aber die Vorahnung übermannte ihn. Nein!, schrie etwas in ihm. Es durfte einfach nicht sein. Plötzlich kam Bewegung in Taria. Offenbar hatte sie seinen Anflug bemerkt. Sie glitt aus und stierte ihm entgegen, offenbar mit einem weiteren Angriff rechnend. Doch dann erkannte sie ihn und erhob sich. Es kam Yorn wie eine halbe Ewigkeit vor, bis der Gleiter endlich auf dem zernarbten Boden aufsetzte. Selbst der widerstandsfähige Straßenbelag war an manchen Stellen aufgerissen und bot den pockennarbigen Anblick einer Mondlandschaft. Er öffnete die Luke und sprang mit einem Satz ins Freie. Beißender Qualmgeruch lag in der Luft und raubte ihm den Atem, bis er sich daran gewöhnt hatte. »Taria!«, entfuhr es ihm, begleitet von einem Hustenfall. »Ist alles in Ordnung?« Was für eine törichte Frage! Doch Yorn war froh, überhaupt ein Wort herauszubekommen. Er hatte den Eindruck, nicht mehr denken zu können. In ihm tobte ein Widerstreit der Gefühle, der dazu angetan war, seinen Verstand zu zerstören. Mit einem Aufschrei, der ihn an den eines gequälten Tiers erinnerte, warf sich Taria in seine Arme. Ihr Gesicht war zu einer Maske des Schreckens verzerrt, und als er an ihr vorbeischaute, erkannte er den Grund. Seine dunkle Vorahnung hatte Yorn nicht getrogen. Es war Larka, die am Boden lag. »Sie lebt doch noch«, heulte er auf, ohne es richtig zu bemerken. Die Worte schienen nicht aus ihm zu kommen, sondern aus einer Hülle, die mechanisch agierte, um ihn nicht in den Wahnsinn verfallen zu lassen.
Tarias Hände verkrallten sich in seine Brust, und sie machte eine verneinende Kopfbewegung. Yorn wollte sie von sich stoßen, um nach seiner Mutter zu sehen. Und nach seinem Vater Telkan, der ein Stück weiter mit verkrümmten Gliedern am Boden lag. Doch mit nie gekannter Klarheit begriff er, dass ihm dazu keine Zeit mehr blieb. Denn die Gkirr kamen zurück.
4. Flucht Die DYNASTIE DER EWIGEN. Die Gedanken jagten sich in Zamorras Kopf. Seit unendlich langer Zeit strebten die Ewigen bereits nach der uneingeschränkten Macht in der Galaxis, doch ihre Geschichte lag im Dunkeln. Niemand kannte ihre wahren Beweggründe. Zweimal hatten sie sogar mit ihren mächtigen Sternenschiffen versucht, die Erde zu erobern. Beim ersten Mal war es ihnen misslungen, weil Zamorra und Asmodis Computerviren in ihr Schiff eingeschleust und es dadurch vernichtet hatten. Beim zweiten Versuch wurde ihr neues Sternenschiff durch Ted Ewigk zerstört. Doch das waren nicht die ersten Versuche, die Erde zu infiltrieren. Schon seit Jahren tauchten immer wieder Agenten der Ewigen auf dem blauen Planeten auf. Einmal war sogar der damals amtierende ERHABENE Erik Skribent unerkannt als Geschäftsführer des Möbius-Konzerns tätig gewesen, bis er entlarvt und getötet wurde. Auch bei Tendyke Industries hatte es Spitzel der Ewigen gegeben. Und nun stand ein Fremder vor Zamorra, der ihn mit der DYNASTIE DER EWIGEN konfrontierte. Seine eisgrauen Augen wirkten wie Spiegel, durch die man geradewegs in die Unendlichkeit sah. Wieder spürte Zamorra die unerklärliche Aura, die von Al Cairo ausging. Der Dämonenjäger konzentrierte sich und suchte nach Anzeichen einer magischen Kraft. Er konnte keine feststellen. Auch wenn ihm der hagere Mann nicht ganz geheuer war, hieß das nicht, dass er als Gegner kam. Jedenfalls konnte er über keine Schwarze Magie verfügen, sonst wäre es ihm nicht gelungen, die weißmagische Abschirmung zu überwinden, die durch Bannzeichen und magische Symbole entlang der Außenmauern erzeugt wurde. »Wer sind Sie?«, fragte Zamorra. »Und damit meine ich nicht Ihren Namen. Wer ist der Mann hinter dem Namen?«
»Ist das nicht unwichtig?« In Cairos Augen blitzte es auf. »Sehen Sie in mir einfach einen Freund.« »Über meine Freunde weiß ich Bescheid.« »Natürlich. Dem großen Professor Zamorra kann niemand etwas vormachen. Doch wenn es Ihnen lieber ist, sehen Sie in mir einfach einen Geschäftspartner.« »Was für Geschäfte sollten wir beide wohl zu machen haben?« Normalerweise hätte Zamorra den ungebetenen Gast längst hinauskomplimentiert, aber er war sicher, sich nicht zu irren. Al Cairo war alles andere als ein normaler Gast, auch wenn er sich mit seiner zynischen Art jegliche Mühe gab, sich alle Würmer einzeln aus der Nase ziehen zu lassen. »Ich biete Ihnen Informationen, an denen Sie sicher interessiert sind.« »Das sagten Sie schon einmal«, mischte sich Nicole ein. »Werden Sie doch mal etwas konkreter.« »Wie ich bereits sagte. Die Frau, die nicht von Natur aus neugierig ist, muss erst noch geboren werden. Wir Männer sind da doch wesentlich gelassener, was, Professor? Uns bringt so leicht nichts aus der Ruhe.« »Manchmal kann sich das aber auch von einem Moment auf den anderen ändern«, konterte der Dämonenjäger. »Zum Beispiel wenn man unsere Geduld über Gebühr strapaziert.« Al Cairo neigte leicht den Kopf. »Touché, mein lieber Professor. Wir wollen nicht weiter unsere Zeit verschwenden. Die meine ist besonders kostbar. Deshalb will ich zur Sache kommen.« Nicole stöhnte genervt auf, während sie den hageren Mann aufmerksam betrachtete. Ihr war etwas an ihm aufgefallen. »Ich besitze geheimes Wissen über die DYNASTIE DER EWIGEN«, fuhr Cairo ungerührt fort. »Wissen, das sonst niemand besitzt. Außer den Ewigen selbst natürlich. Zweifellos aber kein Mensch auf dieser Erde. Ich bin bereit, es mit Ihnen zu teilen.« Das war ein großzügiges Angebot – wenn es der Wahrheit entsprach. Jede Information über die DYNASTIE konnte eines Tages von unschätzbarem Wert sein. Zamorra war sicher, dass er nicht das
letzte Mal von den Ewigen gehört hatte. Irgendwann würden sie wieder gegen die Erde mobil machen, um ihren unbekannten Zielen nachzugehen. Dann war es wichtig, soviel wie möglich über sie zu wissen. Dass sowohl ihre offenen wie auch ihre versteckten Attacken bisher immer glimpflich verlaufen waren, hatte auch mit Glück zu tun. Einmal konnte es auch anders ausgehen. »Was verlangen Sie im Gegenzug?«, fragte Nicole. Zamorra lächelte. Seine Gefährtin hatte ihm die Frage aus dem Mund genommen. »Meine Forderung wird Ihnen ebenfalls gefallen. Helfen Sie mir, Nazarena Nerukkar vom Thron des ERHABENEN zu stürzen. Das ist kein Preis, der Ihren eigenen Interessen zuwider spricht.« Zamorra horchte auf. Nazarena Nerukkar war die derzeitige ERHABENE. »Was haben Sie davon?«, fragte Zamorra alarmiert. »Wollen Sie sie beerben? Welche Verbindung haben Sie zu den Ewigen?« Plötzlich sah er in der Anwesenheit des hageren Mannes doch eine Bedrohung. Wenn er sich Hoffnungen auf den Thron des ERHABENEN machte, musste er eine ziemlich enge Beziehung zur DYNASTIE DER EWIGEN haben. »Meine Ambitionen sollten Sie nicht kümmern. Entscheidend ist nur, dass mein Angebot in unser beider Interesse ist.« Zamorra war sofort klar, dass er sich darauf nicht einlassen durfte. Der Mann vor ihm war so kalt wie seine Augen. Er war von Ehrgeiz geprägt, ja zerfressen. Bei dem Machtdenken der Ewigen war er somit durchaus ein geeigneter Kandidat, ihr ERHABENER zu werden. Dennoch konnte Zamorra nicht leugnen, dass es ihn in den Fingern kribbelte, mehr über die DYNASTIE DER EWIGEN zu erfahren. »Manche Preise sind einfach zu hoch«, sagte er entschlossen. »Dieser ist es auf jeden Fall. Ich werde mich nicht in die internen Händel der Ewigen einmischen und mein eigenes Vorgehen eines Tages bereuen.« »Sie lassen sich eine einmalige Gelegenheit entgehen. Niemand kann sich das leisten, auch Sie nicht. Denken Sie, ich spüre Ihre
Zweifel nicht? Sie würden liebend gern zustimmen. Kein Problem, Sie brauchen bloß über Ihren Schatten zu springen.« »Ich leugne mein Interesse nicht, trotzdem werde ich niemandem helfen, ERHABENER zu werden.« »Mit mir wären Sie aber bestimmt besser dran als mit Nazarena Nerukkar«, wehrte Cairo ab. »Machen Sie nicht den Fehler, einen Feind in mir zu sehen.« Einen direkten Feind nicht, dachte Zamorra, denn dazu hatte der Fremde ihm noch keinen Anlass geboten. Einen aber auf jeden Fall. »Wenn Sie kein Feind sind, warum verstecken Sie dann Ihren Dhyarra?«, fragte Nicole plötzlich. Sie deutete auf die Brust des hageren Mannes. »Offenbar haben Sie einiges zu verbergen.« »Sie irren sich, ich verberge gar nichts. Allerdings gehe ich auch nicht mit jedem kleinen Geheimnis hausieren.« Mit einem Ruck zog Al Cairo den an einer schweren Kette baumelnden Kristall aus seinem Hemd hervor. Das in den Raum fallende Sonnenlicht spiegelte sich in ihm und schuf einen verwirrenden Reflex. Zamorra presste die Lippen zusammen. Wie hatte er den Kristall nur übersehen können? Er machte sich Vorwürfe, weil er bisher überhaupt nicht darauf geachtet hatte. Wenn Nicole ihn nicht darauf aufmerksam gemacht hätte, wäre ihm das gute Stück glatt entgangen. Nachdenklich betrachtete er den blau funkelnden Sternenstein. Es war kein einfacher Dhyarra, erkannte der Dämonenjäger. Sondern ein Kristall hochrangiger Ordnung. Dessen Stärke sich nicht ausloten ließ.
Unnatürliche Stille lag wie ein bleischweres Tuch da, wo sonst hektische Betriebsamkeit und das Lärmen der spielenden Kinder geherrscht hatten. Jegliches Leben war entweder erloschen oder hatte sich in Todesfurcht verkrochen, um erst wieder hervorzukommen, wenn alles vorbei war. Nur der einsetzende Sturm trieb Staub und Rauch vor sich her. Heulend jagte er durch die ehemaligen Straßen, deren Verlauf zwischen den Trümmern noch deutlich zu erkennen war, und übertönte
Yorns klagende Ausrufe. »Komm schon, Yorn, Liebster, wir müssen fliehen«, drängten sich Tarias flehende Worte in seinen Verstand. Doch für einen Moment wollte er die ganze verbliebene Welt ignorieren. Kein anständiges Begräbnis. Nicht mal eins, das unwürdig war. Stattdessen musste er seine toten Eltern auf dem versengten Untergrund liegen lassen, wenn der Tod Taria und ihn nicht ebenfalls erwischen sollte. Auch wenn er ihnen nicht mehr helfen konnte, bereitete es ihm unendliche Qualen, sich von Larka und Telkan abzuwenden. Jetzt gab es nur noch Taria und ihn. Und ihre Liebe zueinander, ohne die er in der umgebenden Kälte noch ein Stück mehr sterben würde. »In den Gleiter«, schluchzte er. »Wir müssen aus der Stadt raus.« Das Wort klang wie Hohn in seinen eigenen Ohren. Es gab die Stadt nicht mehr, und Yorn war sicher, dass es überall so aussah wie hier. Während er hinter Taria in den Gleiter kletterte, beobachtete er mit bebendem Herzen das schwarze Schiff, das den Sturm auslöste. Wie ein unwirklicher Schemen schob es sich vor das Firmament und verdunkelte den Horizont, die ewige Kälte der Entropie und des Untergangs mit sich bringend. Es war so unwirklich, dass er nicht einmal abschätzen konnte, wie weit entfernt es noch war. Yorn warf sich in den Pilotensitz und hantierte hektisch an den Kontrollen. »Nun starte doch endlich!«, trieb ihn Taria an. »Ich habe sie schon zuvor gesehen. Ihre Schüsse reichen über viele Kilometer. Ich glaube, sie können von hier aus auch die nächste Stadt erreichen.« Daran zweifelte Yorn nicht. Selbst die Waffen der Heimatflotte konnten die Oberfläche eines Planeten erreichen, wenn die Schiffe selbst sich noch im Orbit befanden. Um wie viel leistungsfähiger waren da erst die Waffensysteme der verdammten Gkirr. Noch! Aber eines Tages würde sich das ändern. Ich werde dafür sorgen, ging es Yorn durch den Kopf, während der Schmerz über den Verlust seiner Eltern ihn vollständig ausfüllte.
Die hasserfüllten Gedanken machten sich selbstständig. Er hoffte, dass sie sich über den ganzen Planeten verteilten und in die Galaxis hinausgetragen wurden. Wenn auch nur ein paar von uns die Flucht gelingt, werden wir Waffen erschaffen, die euch das Fürchten lehren. Ihr werdet bedauern, uns jemals angegriffen zu haben! Die Aggregate bauten Schub auf und hievten den Gleiter in die Luft. Mit stetig wachsender Geschwindigkeit trieb Yorn ihn voran. »Wohin fliegen wir?« Yorn blinzelte Taria zu. Darüber hatte er sich noch keine Gedanken gemacht. Nur weg von den Gkirr und den Weltuntergangsbildern, die sie geschaffen hatten. Er erinnerte sich an die brennenden Wälder, die er beim Heimflug gesehen hatte. Dort gab es also auch keinen Schutz. Wenn die Feuer sich ausweiteten, konnten sie schnell zu einer tödlichen Falle werden, aus der es kein Entrinnen gab. Dann hatten die Gkirr auf Umwegen ihr Ziel doch noch erreicht. »Zu den Bergen«, sagte Yorn. »Wenn wir irgendwo sicher sind, dann dort.« Dabei war er von seinen Worten keineswegs überzeugt. Er traute den Gkirr zu, dass sie mit ihren Waffen sogar ganze Gebirgszüge pulverisierten. Er flog so dicht wie möglich über den Trümmern dahin, um nicht gleich entdeckt zu werden. Dass die Gkirr sich auf ihre Ortungseinrichtungen verließen, erschien ihm fraglich. Sicher schossen sie aufs Geratewohl, ohne speziell nach kleinen Zielen Ausschau zu halten. Er verließ die ehemalige Stadt in nördlicher Richtung. Unentwegt hielt Taria Ausschau. »Ich kann niemanden sehen. Ob sie alle tot sind?« »Wer klug war, hat sich versteckt.« »Aber warum kommen sie dann nicht wieder heraus?« Yorn überzeugte sich davon, dass das schwarze Schiff hinter ihnen zurückblieb. Es änderte nicht den Kurs, um sie zu verfolgen. Doch er machte sich nichts vor. Wenn die Gkirr den Gleiter orteten, konnten ihre Waffen ihn mühelos erreichen. Zu Yorns Erstaunen schossen die Gkirr aber überhaupt nicht mehr. Vielleicht waren
sie der Meinung, genug Schaden angerichtet zu haben. Genug Millionen umgebracht zu haben, um vom heutigen Tag an für alle Zeiten in Sicherheit zu sein. Doch da sollten sie sich noch gewaltig täuschen. So lange er lebte, würde Yorn ihnen den angerichteten Frevel nicht verzeihen. Sie durften nicht ungestraft davonkommen, sondern mussten bitter büßen. »Ich weiß es nicht«, sagte er in Gedanken versunken. »Vielleicht hören sie nur die Geräusche des Gleiters und halten uns für Feinde.« Im Grunde war er ganz froh darüber. Er konnte sich vorstellen, dass seine Landsleute auf die Idee kamen, ein intaktes Fahrzeug in ihren Besitz zu bekommen, selbst wenn sie dafür Gewalt gegen Taria und ihn einsetzen mussten. Natürlich existierten keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr, und wer nicht über einen Gleiter oder einen Bodenschweber verfügte, saß fest und konnte nur noch auf seine eigenen Füße als Fortbewegungsmittel zurückgreifen. »Sie können sich aber nicht ewig verstecken.« »Sicher nicht. Aber zumindest bis die Gkirr wieder abziehen.« »Meinst du, das werden sie?« Tarias Worte klangen skeptisch. »Vielleicht landen sie aber auch.« »Ich weiß es nicht, aber ich hoffe nicht.« Während er den Gleiter mit einer Hand steuerte, legte er Taria tröstend einen Arm um die Schulter. Wenn sich ihre Befürchtungen nur nicht bestätigten! Die Vorstellung, dass die Gkirr aus ihren gelandeten Schiffen quollen und sich über den Planeten ergossen wie eine Plage, gegen die nichts auszurichten war, jagte ihm einen Schauer über den Rücken. In der Ferne türmten sich dichte Wolkenbänke, zwischen denen Yorn die Silhouetten der Bergzüge erkannte. Er korrigierte seinen Kurs geringfügig und steuerte auf einen Taleinschnitt zu, der zwischen die schneebedeckten Gipfel führte. Die Landschaft flog unter dem Gleiter dahin, und gelegentlich warf Yorn forschende Blicke zum Himmel. Ob überhaupt Schiffe der Heimatflotte den Angriff überstanden hatten? Wenn ja, warum kamen sie dann nicht zurück und versuch-
ten die Gkirr zu vertreiben? Weil es aussichtslos war, sagte er sich. Weil sie nichts anderes tun konnten, als in ihren Untergang zu fliegen. Vielleicht waren die übriggebliebenen Schiffe geflohen. Er hätte es den Besatzungen nicht einmal verdenken können. Hätte er an deren Stelle nicht genauso gehandelt? Die Frage ließ sich schwer beantworten, aber er konnte es sich nicht vorstellen. Allmählich wuchsen die Berge vor dem Gleiter auf, während er mit sanftem Vibrieren die Kilometer fraß. Draußen wurde es allmählich kälter. Zwischen den ersten Gebirgsausläufern gab es keine Zerstörungen, die Natur war in ihrem ursprünglichen Zustand. In der Wildnis hatten die Gkirr nichts gefunden, was zu beschießen sich lohnte. Wieso nur hatte es von der Regierung keine Warnung gegeben? Sie hatte doch wissen müssen, was der Heimat des Volkes bevorstand. Dann hätten die Leute aus den Städten fliehen können, bevor der Angriff erfolgte. Doch die Durchsagen waren viel zu spät gekommen, um die Katastrophe abmildern zu können. Oder waren die Verantwortlichen von den Ereignissen ebenfalls überrascht worden? Waren die Gkirr so plötzlich aufgetaucht, dass überhaupt keine Zeit mehr zum Handeln blieb? Auch das würde Yorn eines Tages herausfinden, um die Geschichte an seine Kinder weiterzugeben. Doch dazu mussten Taria und er überleben. Der unversehrte Anblick unter dem Gleiter bekräftigte Yorn in seiner Überzeugung, hier ein sicheres Versteck zu finden, das sie beide diesem Ziel ein gutes Stück näherbrachte. Als er den Gleiter vor einer Felswand in die Höhe zog und das weiträumige Plateau eines Tafelbergs erreichte, wurde ihm schlagartig klar, wie sehr er sich geirrt hatte. Tarias gellender Schrei ließ ihn zusammenzucken, als sich der drohende Schatten aus dem Himmel schälte. Vor dem Gleiter wurden die Wolkenbänke auseinandergerissen. Weiße Fetzen wirbelten in heillosem Aufruhr davon und gaben die Sicht auf die unheilverkündende Realität frei. Von der anderen Seite näherte sich eins der dunklen Riesenschiffe. Ohne zu zögern, eröffnete es das Feuer.
Schedols Welt … Die Welt der Sternensteine … Die Erinnerung an die Ereignisse der vergangenen vier Jahre war Schedol im Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf geschossen. Eigentlich sollte das doch passieren, wenn man starb. Im Augenblick des Todes. Jedenfalls behaupteten das manche Wissenschaftler, aber der Kommandant der TAUFARA hatte niemals daran geglaubt. Schon gar nicht würde das in seiner Position so sein. Denn wenn der Tod kam, kam er so schnell, dass für nichts mehr Zeit blieb. Für einen imaginären Film des eigenen Lebens schon gar nicht. Vier Jahre lag die Entdeckung zurück, und nun war er hier, und alles hatte sich geändert. Die Gkirr waren immer wieder aufgetaucht, nicht nur auf Schedols Welt, sondern auf zahlreichen Kolonialwelten des Volkes. Je deutlicher ihnen wurde, dass sie dem friedfertigen Volk in militärischer Hinsicht haushoch überlegen waren, desto dreister benahmen sie sich. Wir hätten rechtzeitig aufrüsten und ihnen die Stirn bieten sollen, dachte Schedol verbittert. Dann wäre vielleicht alles garnz anders gekommen. Doch nun ist es zu spät, und wir selbst tragen durch unsere Naivität die Schuld daran. Er schüttelte die irritierenden Gedanken ab, denn er lebte noch. Und Schedol reagierte mit der ihm eigenen Schnelligkeit, die ihn in diese Position gebracht hatte. »Sofortiger Rücksturz!«, donnerte seine Stimme, die Furcht niederringend, wie es auf der Heimatwelt aussehen mochte. Auch wenn es zu spät für den Planeten war, mussten seine Bewohner gerettet werden. Jedenfalls die, die noch am Leben waren. Die TAUFARA jagte mit Schubumkehr tiefer ins Sonnensystem hinein, wieder die Bahn des vierten Planeten kreuzend. Im interplanetaren Raum trieben Trümmer und zahlreiche Wracks ausglühender Raumschiffe. Er fragte sich, wie viele seiner Freunde und Bekannten in der ewigen Kälte des Weltraums gestorben sein mochten. »Ich brauche eine Verbindung zum Oberkommando«, forderte er. Wenn es niemand für nötig hielt, ihn mit weiteren Informationen zu
versorgen, ergriff er halt von sich aus die Initiative. Im Weltall wurde noch immer gekämpft, aber die Gefechte hatten nachgelassen. Zumeist zogen die dunklen Ellipsoidraumer der Gkirr unbehelligt ihre Bahn, nur vereinzelt warfen sich ihnen die todesmutigen Verteidiger noch entgegen. Vor der TAUFARA tauchten zwei der Raumgiganten auf. »Ausweichmanöver!«, ordnete Schedol an. »Wir lassen uns auf keine Kampfhandlungen ein. Die Evakuierung der Überlebenden hat absolute Priorität. Was ist mit der Funkverbindung?« »Negativ, Kommandant. Ich erreiche niemanden.« »Trotzdem weiterversuchen!« Wenn es keinen geordneten Rückzug von der Heimatwelt gab, blieb der TAUFARA nur, so viele Überlebende wie möglich aufzusammeln und in den Tiefen des Raums zu verschwinden, um vielleicht später auf weitere Flüchtlinge zu stoßen und sich mit ihnen zu vereinen. Zu seiner Überraschung verfolgten die Gkirr sie nicht. Sie behielten ihren Kurs bei, obwohl die rückstürzenden Einheiten des Volkes nicht zu übersehen waren. »Schedol an Begleitschiffe! Alle bleiben an unserer Seite! Es ist damit zu rechnen, dass wir angegriffen werden, sobald wir versuchen, Überlebende an Bord zu nehmen. Sobald es soweit ist, übernimmt die TAUFARA die Bergungen. Alle anderen geben uns Feuerschutz.« Der Kommandant war sich der Sinnlosigkeit seiner Anordnungen bewusst. Wenn die Gkirr mögliche Evakuierungsmaßnahmen verhindern wollten, würden sie als erstes auf das Bergungsschiff schießen. Bei ihrer Kampfkraft konnte man sie nicht davon abhalten. Er zählte die Sekunden, bis die TAUFARA endlich in die äußeren Atmosphäreschichten eindrang. »Ich orte vereinzelte Gkirr in der Atmosphäre«, kam die befürchtete Meldung von Togrom. »Sie beschießen unsere Heimat.« Etwas krampfte sich in Schedol zusammen. Die Bilder des zerstörten fünften Planeten flimmerten vor seinem inneren Auge. »Außenbeobachtung! Ausschnittsvergrößerungen von der Planetenoberfläche einspielen!«
Kälte griff nach seinem Herzen, als die ersten Bilder über die Schirme liefen. Ganze Städte waren zerstört. Wo sie einst gestanden hatten, erstreckten sich rauchüberzogene Trümmerlandschaften. Zahlreiche Brände wüteten in den Schutthalden. Das zuvor blühende Land war zu einer verkohlten, pockennarbigen Fratze bar jeglichen Lebens geworden. »Kommandant, wir erhalten eine Antwort auf unsere Funkrufe.« »Na, endlich. Dann her damit!« Zunächst drang nur Knacken aus den Lautsprechern, das in den Ohren schmerzte. Schedols Funkoffizier nahm mit hastigen Bewegungen verschiedene Einstellungen vor, bis sich das Knacken in statische Geräusche verwandelte. Im Hintergrund ließ sich eine vage Stimme erahnen, aber kein Wort war zu verstehen. »Ich versuche den Sprecher herauszufiltern.« Die TAUFARA tauchte unterdessen in die Atmosphäre ein. In der nördlichen Hemisphäre operierten noch einige Schiffe der Gkirr. Hoffentlich wurden sie nicht allzu schnell auf die Rückkehrer aufmerksam. »Jetzt kann man etwas verstehen.« »… Gujan, Kommandant der Bonara … die TAUFARA. Schedol, bist du das?« Der Anflug eines Lächelns trat in Schedols Züge. Die Stimme des alten Freundes war Balsam auf seine Seele. »Wer denn sonst? Wie ist die Lage? Wir haben keine Informationen erhalten.« Sekundenlang war nur Rauschen zu hören, dann drang Gujans Stimme wieder durch. »Einige unserer Schiffe … Überlebende aufgenommen und … wieder gestartet.« »Deswegen sind wir auch hier. Gibt es einen Sammelpunkt?« »Positiv. Die Regierung … mitgeteilt. Sie ist an Bord … startet ebenfalls bald.« Immerhin etwas. Nach dem Desaster um den fünften Planeten hatte Schedol Angst gehabt, dass von der Heimat auch nichts mehr übrig war, aber zumindest gab es noch Anlass zu Hoffnung. Wenn einigen Schiffen die Flucht gelang, war damit zumindest der vollständige Untergang abgewehrt und das Überleben des Volkes gesichert.
»Überspiel mir die Koordinaten.« »Ich … sie dir rüber. Wir müssen aufbrechen, bevor …. erwischen. Viel Glück!« Die Verbindung wurde unterbrochen, bevor Schedol die Wünsche erwidern konnte. Nun lag es an der TAUFARA, es der Bonara gleichzutun. »Sind die Koordinaten für den Sammelpunkt angekommen?«, fragte er. »Sie sind im Rechner gespeichert, Kommandant. Wir können unverzüglich aufbrechen.« »Erst wenn auch das letzte bisschen Platz an Bord mit Überlebenden gefüllt ist«, antwortete Schedol. »Wir dürfen niemanden zurücklassen. Wenn nötig, reißen wir außerdem noch ein paar Aggregate heraus, die wir nicht unbedingt brauchen.« Sofern die Gkirr ihnen nicht einen Strich durch die Rechnung machten.
»Ich kann den Gleiter nicht mehr halten!«, schrie Yorn auf. »Die haben uns erwischt!« Die Gkirr hatten den Gleiter nicht direkt getroffen, aber anscheinend hatte die Hitze eines zu nahe gekommenen Energiestrahls ein anfälliges Teil des Fahrzeugs zerstört. Die Maschine stotterte vor sich hin und erstarb. Panikerfüllt hantierte Yorn an der Steuerung. Wenigstens sie funktionierte noch, aber ein reiner Schwebflug war mit dem massigen Gleiter nicht möglich. »Heißt das, wir stürzen ab?« Taria schaute ins Freie, dem rasch näherkommenden Boden entgegen. »Ich versuche ihn abzufangen.« Nie zuvor war ihm der Gleiter so schwerfällig vorgekommen. Verzweifelt versuchte Yorn den Antrieb wieder in Gang zu bekommen, aber der gab keinen Mucks von sich. Rasend schnell kamen die bizarren Felsformationen näher, die das unweigerliche Ende bedeuteten. »Was ist da los?« Taria deutete nach oben. »Die Gkirr schießen wieder, aber nicht auf uns. Da wird gekämpft.«
Yorns Blick folgte ihrem ausgestreckten Arm. Für eine Sekunde sah er die hin- und hereilenden Energiestrahlen, dann musste er sich wieder seinem Kampf mit der Technik widmen, aber er bekam sie nicht in den Griff. Ihm blieb nichts anderes übrig, als möglichst weich zu landen. Unwillkürlich zuckte er zusammen, als über ihren Köpfen etwas explodierte. Yorn konnte sich nicht darum kümmern, sondern nur hoffen, dass die elenden Gkirr genug abgelenkt waren, sich nicht weiter um den Gleiter zu kümmern. Er bremste ihn ab und zog ihn in eine weite Kurve. Egal wohin Yorn sah, überall waren nur Felswände, die näher kamen wie Raubtiere auf dem Sprung. »Wir werden zerschellen!« Entsetzen gellte in Tarias Stimme. »Was ist mit dieser Ebene? Versuch dort zu landen.« »Wenn nicht da, dann nirgendwo.« Das ausgedehnte Eisfeld war einigermaßen eben. Weder gab es aufragende Felsen noch sichtbare Spalten im Eis. »Hoffendich ist der Untergrund massiv, und wir brechen nicht ein.« Doch eine zweite Chance gab es nicht. Der Gleiter war beinahe unten, und er weigerte sich, auch nur die Schnauze wieder aufzurichten. Yorn versuchte ihn möglichst waagerecht zu halten, um ihn nicht ins Eis zu bohren. Ein dumpfer Schlag ging durch die Zelle, als sie den Boden berührte, kurz aufsetzte und abprallte wie von einer Gummimatte. Ohne dass Yorn noch Gewalt über ihn hatte, schoss der Gleiter ein paar Meter in die Höhe, aufspritzenden Schnee hinter sich herziehend, knallte abermals hart auf und pflügte dann über den spiegelglatten Untergrund. Die Welt drehte sich um Yorn und Taria. Sie wurden wie von Titanenfäusten durchgeschüttelt, als er sich, auf kein Kommando mehr reagierend, seinen eigenen Weg bahnte. Schnee und Eis wirbelten durch die Luft, und der Bug schob einen stetig wachsenden Wall vor sich her. Es knirschte in der Schiffszelle, als würde sie jeden Moment auseinandergerissen. »Er wird langsamer!«, schrie Yorn gegen das Chaos an, dann brach das breite Heck des Gleiters aus und verwandelte ihn in einen rasenden Kreisel. Die Sekunden dehnten sich zu Ewigkeiten, während
der Widerstand viel zu langsam seine ungebändigte Bewegungsenergie kompensierte und ihn abbremste. Auch das Steuer gehorchte Yorn nicht mehr. Die Welt drehte sich so schnell, dass er nicht mehr erkennen konnte, was außerhalb des Gleiters geschah, der bei seiner unfreiwilligen Rutschpartie einen heulenden Ton erzeugte. Da waren nur noch wirbelnde Geländefetzen und eine Bergwand, die sich in Ausschnitten in seinen Verstand drängte. Ein plötzlicher Schlag trieb ihm die Luft aus dem Körper, und für einen Moment wurde es schwarz vor seinen Augen. Er kämpfte die einsetzende Ohnmacht nieder und registrierte, dass der infernalische Lärm abrupt erstarb. Irgendwas musste er tun, war aber zu keinem klaren Gedanken fähig. Halb benommen versuchte er sich zu erheben, aber sein kraftloser Körper rutschte augenblicklich in die Sitzschale zurück. »Wir haben es geschafft«, drang eine Stimme aus weiter Ferne. »Wir stehen.« Es dauerte eine Weile, bis Yorn begriff, dass sie Taria gehörte. Allmählich begannen sich die Nebel vor seinen Augen zu lichten. Ein Lächeln stahl sich in sein Gesicht, als sich ihre Züge aus dem Dunkel schälten. »Wir müssen hier 'raus«, gelang es ihm zu sagen. Vielleicht hatte der harte Aufprall die Energiezellen des Gleiters beschädigt. Wenn sie sich überluden, würde von dem kleinen Fahrzeug nicht viel übrigbleiben. Mit mechanischen Bewegungen schaltete er den Notsender ein. »Hoffentlich können die Gkirr das Signal nicht anmessen«, murmelte er und zog einen handlichen Strahler aus einem versteckten Fach. Im Zweifelsfall würde er ihnen hiermit zeigen, was er von ihnen hielt. »Da oben wird noch immer geschossen«, empfing ihn Taria, die bereits ins Freie geklettert war. Yorn warf den Kopf in den Nacken, genau in dem Moment als das Gebirgsmassiv erschüttert wurde. Der Boden vibrierte unter seinen Füßen, und an der Felswand entstand ein gigantischer Feuerball, der das Sonnenlicht mühelos überstrahlte.
»Das Schiff … der Gkirr«, stammelte er ungläubig. Gleichzeitig sah er durch eine Rauchwolke jagende Einheiten der Heimatflotte. »Sie haben es vernichtet.« »Meinst du, sie kommen, um uns zu holen?« »Es ist reiner Zufall. Aber wenn sie schon einmal hier sind, können sie uns auch mitnehmen. Mit dem Gleiter kommen wir jedenfalls nicht mehr von hier weg.« Die gesamte Felswand schien aus Feuer zu bestehen, als die Trümmer des Wracks sich über sie ergossen. Die Qualmwolken verdunkelten den Himmel. »Sie können uns nicht sehen.« Yorn fuhr herum und sprang zurück zu seinem Gleiter. Die Nachwirkungen des Unfalls waren wie weggewischt. »Ich versuche sie über Funk zu erreichen.« Ohne einen Gedanken an die Energiezellen zu verschwenden, kletterte er ins Innere. Mit grenzenloser Erleichterung stellte er fest, dass die kleine Funkanlage keinen Schaden davongetragen hatte. »Ich rufe die Schiffe der Heimatflotte. Wir sind unter euch«, plärrte er in das Mikrofon. »Unser Gleiter musste in der Ebene notlanden, in der die Gkirr abgestürzt sind. Bitte holt uns ab, sonst sind wir verloren.« Er wiederholte die Durchsage, erhielt aber keine Antwort. Vielleicht hatte es die Empfänger erwischt. Mit fahrigen Fingern schaltete er eine Endlosschleife, die den Funkspruch ständig wiederholte. Dann lief er zu Taria zurück. In einem halben Kilometer Entfernung hatte sich das größte Trümmerstück des schwarzen Ellipsoidraumers ins Eis gebohrt. Blendend schlugen die Flammen daraus hervor. Die Bilder glichen einem Weltuntergang. Nur dass einem Weltuntergang keine kleinen silbernen Gestalten entstiegen.
»Togrom, wieso haben wir diese Gkirr nicht geortet?« Schedols Stimme gellte durch die Lenkzentrale der TAUFARA, die mit seinem zusammengewürfelten Verbund durch die dichte Wolkendecke fiel. »Dieser Kasten ist doch nicht zu übersehen!«
»Sie waren plötzlich da«, verteidigte sich sein Ortungschef. »Bis vor ein paar Sekunden gab es kein Anzeichen. Ich tippe auf irgendwelche Störfelder.« Das Kriegsschiff der Gkirr streifte fast die höchsten Gipfel des sich bis zum Horizont erstreckenden Gebirgszugs, so tief lag es in der Luft. Es feuerte auf ein Ziel, das Schedol nicht erkennen konnte. »Fluchtkurs, Kommandant?« Dazu war es zu spät. Wenn sie jetzt das Weite suchten, würden die Gkirr sie unerbittlich jagen, vielleicht sogar mit Verstärkung. Außerdem benötigte irgendwer dort vorn ihre Hilfe, wenn Schedol sich nicht täuschte. »Wir greifen an«, befahl er. »An alle. Angriffsschema nach eigenem Ermessen. Aber verteilt euch, um kein einheitliches Ziel zu bieten.« Im gleichen Moment rasten die Schiffe der Heimatflotte in verschiedene Richtungen auseinander und verteilten sich um den schwarzen Giganten. Schedol konnte nicht länger auf sie achten, denn die TAUFARA hatte genug mit sich selbst zu tun. Ein Energiestrahl huschte an ihr vorbei, der sie nur um ein paar Meter verfehlte. Er fraß sich in einen schneebedeckten Höhenzug und löste eine Lawine aus, die unaufhaltsam in die Tiefe donnerte. Unzählige Tonnen aus der Wand gesprengten und teilweise geschmolzenen Gesteins stürzten hinterher. Der Pilot reagierte sofort. Die TAUFARA schlug einen Haken und kurvte in einem halsbrecherischen Manöver um eine Felsnadel herum. Brutal zog er sie in die Höhe, auf Tuchfühlung mit gewaltigen zerklüfteten Felszinnen, hinter denen sie für ein paar Sekunden verschwand. Auf dem Schirm zeichneten sich huschende Bewegungen ab, die auf den ihnen vorauseilenden Feuerlanzen zu reiten schienen. »Das sind unsere. Ab nach oben und Feuerunterstützung.« Längst war der Pilot auf dem Weg. Die Felswand glitt zu schnell vorbei, um Einzelheiten erkennen zu können. Dann brach sie übergangslos ab. Ein endloses Feld aus Schnee und Eis erstreckte sich vor der TAUFARA. Brennende Trümmer waren in weitem Umkreis
verstreut. Während Schedol noch einen Gedanken für die Toten übrig hatte, sprachen die Waffen der TAUFARA. Ihre Salven bohrten sich in die Unterseite des schwarzen Ellipsoidraumers, der sie mit seiner Masse zu zerquetschen drohte. Ihre Maschinen heulten auf, als sie unter dem gewaltigen stählernen Leib wegtauchte. Die Druckwelle einer Explosion schüttelte sie durch, ohne sie aus der Bahn zu werfen. Wo sie Sekunden zuvor noch gewesen war, gähnte ein trichterförmiger Krater, der Wolken aus Wasserdampf in die Umgebung entließ. Der Waffenleitoffizier spielte auf der Klaviatur seiner Waffensysteme, und endlich zeigte sich ein erster Erfolg. »Der Gkirr-Raumer trudelt aus der Bahn. Er ist angeschlagen.« Denn jetzt wurde er aus allen Richtungen mit Geschützfeuer eingedeckt. Doch geschlagen gab er sich noch lange nicht. Wenn seine Waffen ausgelöst wurden, versank jedes Mal für Sekunden die Welt in blendender Helligkeit. »Unsere Leute haben sich auf seine überlegene Feuerkraft eingestellt. Sie spielen ihre Wendigkeit aus.« In der Tat flogen sie kurze überraschende Angriffe und tauchten wieder zwischen den Felsformationen unter. bevor die Gkirr einen gezielten Gegenschlag anbringen konnten. Wenn sie jedoch trafen, dann bedeutete das unweigerlich das Ende. Als ein kurzer Blitz aufflammte und unzählige glühende Trümmerstücke in alle Richtungen rasten, wusste Schedol, dass er wieder ein Schiff verloren hatte. »Wir geben ihm den Rest«, gab er über Rundruf durch. »In zehn Sekunden gemeinsamer Angriff und drauf mit allem, was wir haben.« Noch immer hatte er nicht entdeckt, worauf die Gkirr anfänglich geschossen hatten. Entweder hatten sie ihre vermeintliche Beute vom Himmel geholt, oder die war klug genug gewesen, sich schleunigst in Sicherheit zu bringen. Mit geringer Geschwindigkeit passierte die TAUFARA einen Gebirgskamm, und Schedol zählte die Sekunden. Als er bei fünf ankam, zischte er: »Jetzt!«
Die TAUFARA machte unter der schlagartig freigesetzten Schubenergie einen Satz nach vorn und jagte aus ihrer Deckung. Wenn jetzt nicht alle gleichzeitig agierten, bedeutete das ihr Ende. Plötzlich waren zehn andere Schiffe da, und ein energetisches Inferno brach aus. Aus allen Richtungen rasten Strahlenbündel auf den Ellipsoidraumer zu, der dichte Rauchwolken ausspuckte. Und noch immer wehrte er sich. Vor Schedols Augen verging ein weiteres seiner Schiffe, während die restlichen Dauerfeuer gaben. Ein triumphierender Schrei zerriss die Stille in der Lenkzentrale, als der Gkirr-Raumer sich nach vorn neigte. Kein weiterer Schuss löste sich aus seinen Geschütztürmen, dafür brach mittschiffs eine flammende Feuerlohe aus seinem Leib. »Abdrehen!«, schrie Schedol. Vielleicht würde der große Kasten explodieren und alles in seiner Nähe mit in den Untergang reißen. Während die TAUFARA sich zurückzog und einen ausreichend großen Abstand zum Ort des Geschehens einnahm, flog der waidwund geschossene Feind auf eine massive Felswand zu, ohne abzubremsen. »Sie haben die Kontrolle verloren!«, jubelte jemand. »Sie bohren sich in den Berg!« Wie gebannt verfolgte Schedol das Ende des Ellipsoidraumers. Er konnte nichts dagegen tun, dass das Schauspiel tiefste Zufriedenheit in ihm auslöste, auch wenn dadurch nichts ungeschehen wurde, was die Gkirr getan hatten. Die kinetische Energie seiner ungeheuren Masse trieb ihn weiter, als das vordere Drittel beim Aufprall schon in sich zusammengestaucht wurde und in einer gewaltigen Detonation verging. Die Kettenreaktion setzte sich durch das ganze Schiff fort. In einem gewaltigen Feuerwerk versanken die brennenden Trümmer in einem Umkreis von mehreren Kilometer zwischen den Felsen. Selbst Eis und der schmelzende Schnee brauchten Stunden, um die ausglühenden Wrackteile vollständig zu löschen. Das größte Teil, ein unregelmäßig geformter Brocken von dreihundert Metern, rutschte an der Wand herunter und stürzte in eine Senke, wo es in mehrere Stücke zerbrach. »Bestimmt werden deren Freunde kommen, um nachzusehen, was
passiert ist«, brachte Togroms Stimme Schedol in die Wirklichkeit zurück. »Ortungsanzeigen?« »Bisher negativ, aber ich erinnere daran, dass das hier zunächst nicht anders war.« Schedol hätte zu gern nachgeschaut, auf wen die Gkirr am Anfang geschossen hatten, aber Togrom hatte Recht. Dafür blieb keine Zeit, wenn er die TAUFARA und die anderen Schiffe nicht gefährden wollte. Sie konnten von Glück reden, dass sie gegen diesen Gegner so glimpflich davongekommen waren. »Wir ziehen uns zurück«, ordnete er an. Er konnte nur hoffen, durch diese Entscheidung niemanden zurückzulassen, der seine Hilfe benötigte.
Gkirr! Vier. Fünf. Ein halbes Dutzend. Kleine, dünne Gestalten in silbernen Anzügen, nicht mehr als Einmeterdreißig messend, mit übergroßen Augen, die ihnen ein unheimliches Aussehen verliehen. Sie hatten das Inferno überstanden und entstiegen dem Feuer wie Dämonen, denen die Elemente nichts anhaben konnten. In aller Ruhe, als gäbe es gar keine verzehrende Feuersbrunst in ihrem Rücken, die ihnen gefährlich werden konnte, traten sie in den Schnee hinaus und sahen sich um. Taria gab einen unartikulierten Laut von sich, als sie die fremden Besatzungsmitglieder sah. Wie angewurzelt stand sie da und versuchte zu begreifen, was sich vor ihren Augen abspielte. Auch Yorn war wie gelähmt. Über welche Macht verfügten diese Monster, die es ihnen ermöglichte, ihn dermaßen zu bannen? Als er die Waffen in ihren feingliedrigen Händen erblickte, die in seine Richtung zeigten, begriff er, dass es nur seine eigene Scheu vor den Unbekannten war, die ihm einen Streich spielte. Der tödlich enden würde, wenn er und Taria nicht endlich aus ihrer Starre erwachten.
Während er seinen Strahler in die Höhe riss und einen ungezielten Schuss abgab, griff er nach Tarias Hand und zog seine Gefährtin mit sich. Endlich kehrte das Leben auch in sie zurück. Ein sengender Strahl raste über ihre Köpfe hinweg und bohrte sich ins Gestein, ohne Schaden anzurichten. Gemeinsam hasteten sie hinter den Gleiter, so schnell das bei dem gefrorenen Untergrund möglich war, wobei Yorn mehrmals blind hinter sich schoss. Ein animalischer Schrei folgte ihm. Er warf den Kopf herum und sah, dass er getroffen hatte. Der silberne Raumanzug eines Gkirr wurde von gierigen Flammen umzüngelt, die ihn binnen einer Sekunde verzehrten. Wütend konzentrierten die anderen ihr Feuer auf den Gleiter. »Wir sitzen in der Falle.« »Dann lass uns von hier verschwinden«, drängte Taria. Sie deutete zu einem langgezogenen steinernen Wall, hinter dem es wesentlich bessere Deckungsmöglichkeken gab. »Das schaffen wir niemals«, wehrte Yorn ab. Um den Wall zu erreichen, mussten sie fünfzig Meter offenes Gelände überwinden, und das bei dem eisigen Untergrund. Unter den gegebenen Umständen war das eine schier endlose Entfernung. »Auf halber Strecke erwischen sie uns.« Die fünf Gkirr verteilten sich und näherten sich dem Gleiter aus verschiedenen Richtungen. Yorn versuchte sie mit gezielten Schüssen auf Distanz zu halten, aber er wagte nicht, den Kopf zu weit vorzustrecken. Denn wenn er sich auf einen von ihnen konzentrierte, musste er die anderen zwangsläufig aus den Augen lassen. »Sie kommen immer näher«, stellte Taria fest. »Hast du keinen zweiten Strahler im Gleiter?« Yorn starrte sie ungläubig an. Ausgerechnet sie, seine friedliebende Gefährtin, wollte eine Waffe in die Hand nehmen. Früher hätte sie nicht nur keinen Gedanken daran verschwendet, sondern ein solches Ansinnen glattweg abgelehnt. Es war die Schuld der verdammten Gkirr, dass es nun anders gekommen war. Das war noch eine Sache, für die sie eines Tages büßen würden. Die Liste wurde immer länger, und es würde seine Zeit dauern, sie abzuarbeiten. Und wenn es tausend Jahre dauert, dachte Yorn. Ich werde nicht eher
ruhen, bis alles erledigt ist. Auch wenn das bedeutet, dass ich unsterblich werden muß. Wenn das die Voraussetzung ist, dann wird es so geschehen. Er würde sie jagen bis ans Ende des Universums und aller Zeiten. Zukünftig gab es keine Sicherheit mehr für die Gkirr, gleichgültig wohin auch immer sie gingen. Yorn würde sie finden. »Nein«, erwiderte er, während er den Abzug seiner Waffe durchzog. »Kein zweiter Strahler. Ich bin froh, dass wir wenigstens diesen einen haben.« Die Gkirr waren flink. Es gelang ihm nicht, einen Treffer anzubringen, und sie kamen immer näher. Yorn kroch zum Heck des Gleiters und spähte über die Kante. Einer der Gkirr wähnte ihn an einer anderen Stelle, weiter vorn, und machte den Fehler, nach links zu huschen. Yorn schnellte in die Höhe und schoss. Der Gkirr streckte die Arme von sich und fiel rückwärts in den Schnee. Für einen Moment zuckte er, als versuchte er sich noch einmal zu erheben, dann erschlaffte seine Gestalt. Ein spitzer Schrei seiner Gefährtin ließ Yorn zusammenfahren. Sein Herz verkrampfte sich, als er herumfuhr. Ein Gkirr stand fünf Meter hinter ihr und zielte mit der Waffe auf ihren Kopf. Yorns Hand glitt wie von selbst in die Höhe, um auf den Gkirr anzulegen, aber dann ließ er sie wieder sinken. Taria stand genau in der Schussbahn. Wenn er feuerte, würde er womöglich sie treffen. »Schon gut«, sagte er resignierend, überzeugt, dass die Gkirr ihn ohnehin nicht verstanden. »Ich ergebe mich.« So schnell endeten also seine Zukunftspläne, denn seine Kapitulation konnte nur den Tod nach sich ziehen. So gesehen war es vielleicht sogar besser, wenn Taria durch seine Hand starb und nicht durch einen der verhassten Invasoren. Ein singender Ton riss ihn aus seinen Gedanken. Der Energiestrahl war plötzlich da. Er kam direkt aus dem Himmel und sprang schneller hin und her, als irgendwer reagieren konnte. Als er wieder erlosch, waren sämtliche Gkirr verschwunden. Der Strahl hatte sie aufgelöst, bevor sie begriffen, wie ihnen geschah. Ungläubig starrte Yorn nach oben. Gemächlich senkte sich ein
Schiff der Heimatflotte herab und landete auf dem Eis. Yorn konnte es kaum glauben. Taria und er waren gerettet. Damit stand seinem Racheschwur nichts mehr im Weg.
»Ein Funkspruch. Jemand ruft uns um Hilfe.« Die TAUFARA stand beinahe regungslos über der Absturzstelle des Gkirr-Raumschiffs. Brennend lagen dessen Überreste im ewigen Eis. Ein aberwitziger Gedanke kam Schedol. Kam der Funkspruch vielleicht von überlebenden Gkirr? »Ich will ihn hören.« »Ich rufe die Schiffe der Heimatflotte. Wir sind unter euch«, drang eine verzweifelt klingende Stimme aus den Lautsprechern. »Unser Gleiter musste in der Ebene notlanden, in der die Gkirr abgestürzt sind. Bitte holt uns ab, sonst sind wir verloren.« Schedol revidierte seine Ahnung. Das waren bestimmt keine Gkirr. »Antworten!« »Keine Reaktion«, kam die Meldung von der Funkstation. »Vermutlich handelt es sich um einen automatischen Notruf. Er kommt über eine private Frequenz herein.« Dann konnte er bereits länger ausgesendet werden. Andererseits hatte sich der Sprecher explizit an die Heimatflotte gewendet, also hatte er sie gesehen. Demzufolge musste er auch noch da unten sein. Doch wer trieb sich in dieser Einöde herum? Flüchtlinge vor der Invasionsflotte der Gkirr, die widrige Umstände ausgerechnet an diesen Ort geführt hatten? Das war eine einleuchtende Erklärung. Womöglich waren die Flüchtlinge zwischen den unzugänglichen Bergen abgestürzt. »Tiefergehen!«, befahl der Kommandant. »Aufnahmevergrößerung und das Gelände absuchen. Das sind Leute von uns.« Die TAUFARA senkte sich durch die dichten Wolken aufsteigenden Rauchs und tauchte zwischen den höchsten Erhebungen von zwei Gebirgszügen unter. Plötzlich zeichneten sich Bewegungen auf den Schirmen ab.
»Näher 'ranzoomen.« Schedol erkannte einen kleinen Gleiter, eine Privatmaschine wie sie bei vielen Familien beliebt war. Jemand hatte sich dahinter verschanzt und schoss … … auf Gkirr! Die Invasoren näherten sich dem Verteidiger von verschiedenen Seiten und hatten den Gleiter beinahe erreicht. Schedol erkannte, dass ihm nur noch Sekunden blieben, das drohende Unheil abzuwenden. Auf jeden Fall war es zu spät für eine Landung. Auch für die Ausschleusung von Truppen und einen Bodenkampf blieb keine Zeit mehr. Es gab nur noch eine Möglichkeit, nämlich einen Punktbeschuss von Bord der TAUFARA aus. Schedol rief seinen Waffenoffizier. »Feuer eröffnen. Es muss gelingen, die Gkirr von hier aus auszuschalten.« »Das wird schwierig, Kommandant. Die Gkirr befinden sich sehr nahe bei unseren Leuten.« Schedol verzog keine Miene. Ihm wäre eine Alternative ebenfalls lieber gewesen, aber es gab keine. »Feuer!«, ordnete er mit tonloser Stimme an. »Ich vertraue Ihnen. Sie schaffen das.« Regungslos verfolgte er die Bahnen der sich von der TAUFARA lösenden Energiestrahlen. Sie blitzten jeweils für den Bruchteil einer Sekunde auf und sprangen hin und her. Ein Gkirr nach dem anderen verdampfte. Es ging so schnell, dass Schedol ihr Ende nicht einmal richtig mitbekam. Mit grenzenloser Erleichterung ließ er sich gegen die Rückenlehne des Kommandantensessels fallen. »Landen und die Überlebenden aufnehmen«, befahl er. Dazu war die TAUFARA schließlich aus dem Weltraum zurückgekommen.
5. Macht und Ewigkeit Nachdenklich betrachtete Zamorra den Dhyarra, der jetzt gut sichtbar vor Al Cairos Brust baumelte. So sehr er sich auch auf ihn konzentrierte, schaffte er es nicht, die Stärke der ihm innewohnenden magischen Kraft zu ermitteln. »Denkst du dasselbe wie ich?«, fragte Nicole. »Wenn du das nicht ermittelbare Potential des Dhyarras meinst, dann ja«, antwortete der Dämonenjäger. »Offenbar haben wir es mit einem ganz besonderen Stein zu tun.« »Ich kann ihn ebenfalls nicht ausloten«, bestätigte seine Gefährtin. »Das macht mir Herrn Cairo nicht unverdächtiger.« Sympathischer schon gar nicht, schob sie gedanklich hinterher, sprach die Worte aber nicht aus. Gerade sie und Zamorra hatten eine Vielzahl an Geheimnissen, die die meisten Normalsterblichen nicht verstehen würden, deshalb durfte sie Cairo deswegen keine Vorwürfe machen. Der hagere Mann verzog das Gesicht zu einer gleichgültigen Maske. »Ich sehe, dass Sie an meinem Angebot nicht interessiert sind. Machen Sie mir aber später keine Vorwürfe, ich sei nicht zuerst zu Ihnen gekommen.« »Nennen Sie uns Ihre Beweggründe«, wiederholte Nicole Zamorras Forderung. »Vielleicht ändern wir dann unsere Meinung. Daran scheint Ihnen ja viel zu liegen.« »Weniger als Sie denken.« Al Cairo machte eine abschätzige Handbewegung. »Ich bin nicht hier, um zu feilschen. Akzeptieren Sie, oder lassen Sie es, aber denken Sie gut darüber nach, bevor Sie mir eine übereilte Absage erteilen.« Zamorra schüttelte den Kopf. »Da gibt es nichts zu überlegen. Auch ohne Sie und Ihre angeblichen Informationen sind wir bisher ganz gut mit den Ewigen zurecht gekommen. Wir werden uns auch in Zukunft zu verteidigen wissen.«
»Hochmut kommt vor dem Fall. Haben Sie sich eigentlich nie die Frage gestellt, was die Erde für die Ewigen so interessant macht?« Das konnte Nicole nicht leugnen. »Ich habe mich schon oft gefragt, was sie auf der Erde wollen«, überlegte sie. »Aus einem unbekannten Grund übt sie eine magische Anziehungskraft auf diese Wesen aus.« »Es kann nichts Gutes sein.« Zamorra sah Al Cairo scharf an. »Korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre.« Der hagere Mann verzog keine Miene. »Wer nicht will, der hat. Wenn Sie nicht wollen, unterbreite ich mein Angebot halt dem Friedensfürsten.« Der Friedensfürst! Zamorra und Nicole warfen sich einen vielsagenden Blick zu. Diesen Ausdruck verwendete die radikale Fraktion der Ewigen als Spottnamen für Ted Ewigk. Der erfolgreiche Reporter war nach Erik Skribents Tod selbst für eine Weile ERHABENER gewesen, hatte sich mit diesem Amt aber nie anfreunden können und es schließlich aus eigenem Antrieb niedergelegt. Zuvor hatte er erfolglos versucht, das Expansionsstreben der DYNASTIE DER EWIGEN einzudämmen, dabei aber gegen Windmühlen gekämpft. Denn natürlich hatten seine friedfertigen Ambitionen den Alphas unter den Ewigen überhaupt nicht gefallen, und sie hatten, wo immer sich die Gelegenheit dazu bot, gegen ihn intrigiert. Sogar Merlins Tochter Sara Moon war für eine Weile unter schwarzmagischen Einfluss geraten und hatte ihn bekämpft und versucht, ihn mit einem Bombenattentat umzubringen. Ted Ewigk hatte den Anschlag überlebt, war aber durch den Schock des Attentats für eine Weile an den Rollstuhl gefesselt gewesen. Nachdem es ihm schließlich gelungen war, die Auswirkungen des Schocks zu überwinden, hatte er seine Wohnung in Frankfurt am Main verlassen und war unter dem Namen Teodore Eternale in Rom untergetaucht. Sara Moon, die einen Machtkristall geschaffen und sich damit selbst zur ERHABENEN gemacht hatte, hatte es damals versäumt, Teds Machtkristall zu zerstören, wie es bei den Ewigen Sitte war, sobald ein neuer ERHABENER das Amt ausfüllte. Immer durfte es in ihrer Hierarchie nur einen Kristall der Macht geben. Ted Ewigk jedoch behielt seinen Machtkristall, einen beson-
ders starken zudem, nämlich einen Stein 13. Ordnung. Inoffiziell gab es jetzt also zwei Machtkristalle, auch wenn kein amtierender ERHABENER das zugab. »Woher kennen Sie Ted Ewigk?«, fragte Zamorra. »Hatten Sie während seiner Zeit als ERHABENER mit ihm zu tun? Haben Sie ihm sogar unterstanden, als er das Amt innehatte?« »Vielleicht ist er aber auch einer der aggressiven Alphas, die gegen Ted intrigiert haben«, vermutete Nicole. »Glauben Sie, was Sie wollen.« Al Cairo gähnte vernehmlich. »Ich habe mich lange genug mit Ihnen aufgehalten. Es wird Zeit, dass ich den Friedensfürsten kontaktiere.« Zamorra dachte nach. Bluffte der hagere Mann nur, um ihn doch noch umzustimmen? Vielleicht stellte Cairo aber auch eine Gefahr für Ted Ewigk dar. Wenn er wirklich ein hochrangiger Alpha war, war nicht auszuschließen, dass er mit dem Auftrag kam, das nachzuholen, was Sara Moon seinerzeit nicht geschafft hatte. Nämlich den blonden Reporter umzubringen und seinen Machtkristall zu zerstören, auch wenn es mit Nazarena Nerukkar längst eine weitere ERHABENE gab. Zu viele Motivationen der DYNASTIE DER EWIGEN lagen im Dunkeln, um eine solche Möglichkeit definitiv ausschließen zu können. Doch es gab eine einfache Möglichkeit, das herauszufinden. »Ich werde Ted Ewigk anrufen«, bot Zamorra an. Al Cairo neigte dankbar den Kopf. Selbst diese Geste erschien bei ihm als ein Zeichen des Spotts. »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, Professor. Dann spare ich mir einen Weg.« Zamorra aktivierte das Visofon und stellte eine Verbindung zum Palazzo Eternale her, der Villa, die Ted am nördlichen Stadtrand von Rom bewohnte. Sie kam nach wenigen Sekunden zustande. »Zamorra«, begrüßte Ted den Dämonenjäger, nachdem sein Abbild auf dem kleinen Schirm erschien. Er wirkte ein wenig schläfrig. »Was verschafft mir die Ehre deines Anrufs? Sag nur nicht, du versuchst schon wieder, die Tafelrunde zu vervollständigen.« Mit einer wehmütigen Erinnerung schüttelte Zamorra den Kopf.
Nach dem schmerzenden Tod einiger Mitglieder der Tafelrunde beim Unternehmen Höllensturm war fraglicher denn je, ob es jemals gelingen würde, die Tafelrunde zu komplettieren. »Es gibt einen anderen Grund«, erklärte er. »Er betrifft dich ganz speziell.« Ted nickte. »Was habe ich verbrochen? Sag es mir, damit ich gestehen kann.« »Ich habe einen Besucher, der uns Informationen über die DYNASTIE DER EWIGEN anbietet. Ich habe abgelehnt, denn der Preis erscheint mir zu hoch. Nun will er sie dir anbieten.« »Was verlangt er denn dafür?« Zamorra schilderte Ted den Verlauf des vorangegangenen Gesprächs. Der ehemalige ERHABENE gähnte vernehmlich, wobei sich Desinteresse in seinem Gesicht abzeichnete. Ihm war anzusehen, dass er über eine Störung aus einem solchen Grund gar nicht angetan war. »Und wer ist der Spinner?«, fragte er. »Er nennt sich Al Cairo.« Ted Ewigk sprang aus dem Sessel auf, in den er sich bisher gelümmelt hatte. Schlagartig verschwand sämtliche Müdigkeit aus seinen Zügen und machte Überraschung Platz. »Ach, der! Kaum zu glauben!« »Also kennst du ihn tatsächlich. Ist er der, als der er sich ausgibt, oder stellt er eine Gefahr dar?« »Nein, nein, alles in Ordnung. Haltet ihn fest! Ich bin gleich bei euch.« Der plötzliche Sinneswandel erstaunte Zamorra. »Willst du mir nicht etwas mehr über ihn verraten?« »Gleich«, wehrte Ted ab. »Sieh nur zu, dass er nicht wieder verschwindet, bevor ich mit ihm gesprochen habe.« Die Verbindung wurde unterbrochen, und Zamorra glotzte verständnislos in die trübe Mattscheibe. Was die Nennung eines Namens doch bewirken konnte. Als er sich umdrehte, stand Al Cairo mit verschränkten Armen vor ihm. Er grinste überlegen.
Die Gkirr verschwanden in den Tiefen des Weltalls, aber sie ließen eine zerstörte Welt zurück, deren Oberfläche verwüstet war. Überall zeigten sich die Narben, die ihr mörderischer Überfall hinterlassen hatte. Es waren Spuren für eine lange Zeit, die sich nicht von heute auf morgen verlieren würden. Es würde Jahrzehnte dauern, bis sie durch Wiederaufbau und großflächige infrastrukturelle Maßnahmen alle verheilt waren, doch so lange wollte die Regierung des Heimatplaneten nicht warten. Dazu kam die ständige Angst, mit der keiner aus dem Volk leben wollte. Was nützte es, eine neue Welt zu errichten, wenn man sich ständig vor der Rückkehr der Gkirr fürchten musste? Die eigenen Raumschiffe umzurüsten und in Kriegsschiffe zu verwandeln würde ebenfalls viel zu lange dauern, da die logistischen Möglichkeiten fehlten. Auch schon vor dem Untergang der Heimat hatte es keine funktionierende Rüstungsindustrie gegeben, und nun, da beinahe die gesamte planetare Infrastruktur zerstört war, ließ sie sich erst recht nicht aus dem Boden stampfen. Um das dauerhafte Überleben des Volkes zu garantieren, blieb somit nur eine Option. Die Aufgabe der Heimat. Was den meisten Bewohnern vor kurzem noch unvorstellbar erschienen wäre, wurde in kürzester Zeit von allen akzeptiert. Sie waren einmal überrascht worden, doch wer das Inferno überstanden hatte, wollte es nicht ein zweites Mal erleben. Das Wenige, was den verheerenden Angriff überstanden hatte, wurde von den Angehörigen des Volkes selbst zerstört. Sie wollten nichts zurücklassen, was den verfluchten Gkirr irgendwie von Nutzen sein konnte. Außerdem sollten auf diese Weise alle Spuren vernichtet werden, die darauf hinwiesen, dass das Volk jemals existiert hatte. Wenn sich niemand daran erinnerte, würde es hoffentlich auch bei den Gkirr eines Tages in Vergessenheit geraten. Nachdem auch die Stationen und Einrichtungen auf den anderen Planeten dem Erdboden gleichgemacht worden waren, gab das Volk sein Heimatsystem auf und machte sich mit allem, was fliegen konnte, auf die Reise ins Ungewisse. Das Sternensystem, das hinter ihm zurückblieb, sollte niemals wieder besiedelt werden.
Die TAUFARA nahm nicht nur Yorn und Taria auf, sondern zahlreiche weitere Überlebende. Wie Schedol es sich gewünscht hatte, wurde sein Schiff damit zu einer Rettungsarche, zu einer unter vielen, die dem Volk die Flucht und einen Neuanfang auf einem anderen Planeten ermöglichen sollten. Der aber musste erst noch gefunden werden. Das Volk räumte auch alle anderen besiedelten Planeten, die den Gkirr möglicherweise bekannt waren. Es blieben keine Spuren zurück, aus denen sich Rückschlüsse ziehen ließen. Auch Schedols Welt wurde geräumt, denn es war abzusehen, dass dort eine Invasion durch die Gkirr kurz bevorstand. Schließlich waren, und daran zweifelte niemand, die Schwarzkristalle der Auslöser für den Angriff gewesen, auch wenn die Gkirr von Natur aus ein kriegerisches Volk waren. Die stationierten Forscher und Schürfer brachten noch so viele Sternensteine an Bord eines Frachtschiffs in Sicherheit, wie vor Ablauf des selbstgestellten Ultimatums möglich war, dann sprengten sie sämtliche Forschungseinrichtungen, Bagger und Lagerhallen. Alles war getan, um sich heimlich aus dem galaktischen Geschehen zu verabschieden. Doch dies war nur der Anfang der neuen Politik. Unbeobachtet von fremden Augen sollte nicht nur eine neue Zivilisation errichtet werden, sie sollte auch wehrhafter sein, um in einer fernen Zukunft gegen jeden Aggressor bestehen zu können. Das ließ sich nur bewerkstelligen, wenn Kriegsschiffe an die Stelle von Forschungsraumern traten. Viele verantwortliche Politiker lehnten diese Abkehr von den alten Idealen zwar ab und wollten auch künftig alles so fortführen wie bisher, aber kraftvolle Stimmen propagierten einen anderen Weg. Einen Weg der Stärke und der Vergeltung. Eine dieser Stimmen gehörte Yorn.
»Egal wie lange es dauert, eines Tages zahle ich den Gkirr heim, was sie uns angetan haben«, sagte er immer wieder. Es konnte kein Zufall sein, dass ausgerechnet die TAUFARA Taria und ihn gerettet
hatte, das Schiff des legendären Schedol, der den Planeten mit den Schwarzkristallen entdeckt hatte. Yorn verstand die Tatsache als einen expliziten Hinweis des Schicksals, denn die Zusammenhänge waren zu eindeutig. Von den Kristallen, denen sie die zurückliegenden Schrecken zu verdanken hatten, wurde gemunkelt, dass sie aus der Frühzeit des Universums stammten und die Jahrmilliarden überdauert hatten. Er benötigte keine Milliarden von Jahren für die Vergeltung. Millionen würden ausreichen, möglicherweise sogar ein paar Tausend. Die Vorstellung, die in den Augen der meisten seines Volkes überkandidelter Größenwahn gewesen wäre, erschien Yorn plausibel, auch wenn es sich nur um eine Gedankenspielerei handelte. Um eine allerdings, die sich irgendwie in die Tat umsetzen lassen musste. »Ein paar lächerliche tausend Jahre nur«, murmelte er vor sich hin, ohne sich dessen bewusst zu werden. Seine Gedanken machten sich selbstständig, so intensiv beherrschten sie seinen Verstand. »Dann komme ich zurück, und die Gkirr werden bedauern, mich nicht ebenso wie Larka und Telkan umgebracht zu haben.« »Wir werden niemals zurückkommen«, versuchte Taria ihn zu beruhigen. »Stattdessen suchen wir einen Ort, der möglichst weit von den Gkirr entfernt ist. Ich glaube nicht, dass wir jemals einen von ihnen wiedersehen, und darüber bin ich gar nicht unglücklich. Ich will die Gkirr vergessen, so schnell ich kann.« »Ich will sie nicht vergessen«, antwortete Yorn mit hasserfüllter Stimme. »Und ich werde sie nicht vergessen.« Taria legte einen Arm um seine Schultern. »Doch, das wirst du. Die Zeit wird auch diese Wunde heilen. Das muss sie einfach, damit du wieder mir gehörst. Wir sind noch jung, aber der Tag ist nicht mehr fern, an dem wir eine Familie gründen werden. Schließlich haben wir nicht alle Zeit des Universums.« Yorn weigerte sich, diese Tatsache zu akzeptieren. Wieso standen ihm für seine Rachepläne nicht die Jahrtausende offen? Wieso verpasste die Natur einem einen solchen Schicksalsschlag und gab einem anschließend noch nicht einmal ausreichende Zeit, ihn zu vergelten? Je öfter Yorn darüber nachdachte, desto stärker versteifte er
sich in die Gewissheit, dass es eine Möglichkeit gab. Er musste sie nur finden. Irgendwie ließ sich die Zeit austricksen. Doch wo war der Ansatz für eine Lösung? Wieder kamen ihm die mysteriösen Schwarzkristalle in den Sinn. Sie stellten für ihn ein Synonym für die Ewigkeit dar. Zu gern hätte er einen davon einmal in eigenen Händen gehalten, jedoch keinen, der bereits in die Tronik eines Geräts eingebaut war, sondern einen naturbelassenen. Doch woher sollte Yorn den nehmen? An Bord der TAUFARA gab es bestimmt keinen davon. Wie hätte er auch hierher gelangen sollen? »Ich werde Schedol fragen, wenn ich ihn sehe«, sagte er. »Vielleicht kann er mir helfen.« »Den Kommandanten?« Taria sah ihren Gefährten verständnislos an. »Wobei soll er dir helfen?« Yorn schüttelte ausweichend den Kopf. »Entschuldige bitte, ich habe nur laut gedacht. Es ist nichts Wichtiges.« Yorn konnte ihr ansehen, dass sie ihm nicht glaubte. Doch der Gedanke ließ ihn nicht mehr los, denn zwei Dinge gehörten für ihn zusammen. Ewigkeit und die absolute Macht.
Regungslos hockte Schedol in der Lenkzentrale der TAUFARA und beobachtete die Myriaden funkelnder Lichtpünktchen in der Schwärze des Alls. Es waren so viele, dass ein Leben nicht ausreichte, sie zu zählen. Zahllose dieser Sonnen besaßen eigene Planeten, von denen viele in der sogenannten Lebenszone lagen. Leider reichte diese Tatsache allein nicht aus, sie zwangsläufig auch für eine Besiedelung vorzusehen. Seit Wochen war die Flotte unterwegs, und bisher hatte sie bei ihrer Suche keinen Erfolg gehabt. Die Raumer hatten Dutzende von aus der Ferne geeignet erscheinenden Planeten angeflogen, doch jedes Mal waren die Besatzungen enttäuscht worden. Entweder machten die klimatischen Bedingungen ein Überleben unmöglich, oder die Luft war nicht atembar, oder, oder, oder …
Schedol machte sich Sorgen. Die Stimmung an Bord war nicht die beste. Natürlich traf er im Schiff hin und wieder auf Flüchtlinge, die ihn mit Fragen löcherten. Die meisten von ihnen waren keine Raumfahrer wie er, sondern ein planetengebundenes Leben gewöhnt. Für sie gab es nichts, nach dem sie sich mehr sehnten, als endlich eine neue Heimat zu finden. Zu seinem Leidwesen konnte Schedol ihnen immer nur abschlägige Antworten erteilen. Bei der Suche entfernte die Flotte sich immer weiter vom Ursprungssystem, aber ihm machte das nichts aus. Seit er Vorjahren seinen ersten Raumflug absolviert hatte, fühlte er sich in der Unendlichkeit Zuhause, aber vielen ging es nun einmal anders als ihm. Und an Bord der anderen Schiffe sah es bestimmt nicht anders aus. Deren Kommandanten hatten mit den gleichen Problemen zu kämpfen wie er selbst. Müdigkeit befiel Schedol, und er stellte die Automatik ein, die die TAUFARA im Verbundflug halten würde. In der Gewissheit, von seinen Offizieren sofort alarmiert zu werden, wenn eine Änderung der Lage eintrat, wuchtete er sich aus seinem Sitz in die Höhe und verließ grußlos die Lenkzentrale. Unterwegs glaubte er einen moderigen Geruch wahrzunehmen. Lag das an der Tatsache, dass die TAUFARA so lange keine frische Luft mehr auf einem Planeten getankt hatte, oder an den Ausdünstungen so vieler Personen an Bord? In beiden Fällen hätte die Lufterneuerungsanlage regulierend eingreifen müssen, aber vielleicht saß er nur einer Täuschung auf. Schedol hatte seine Kabine beinahe erreicht, als ihm jemand begegnete. »Guten Abend, Kommandant«, sagte der Mann. Schedol konnte sich nicht erinnern, wo er ihn schon einmal gesehen hatte, obwohl ihm das Gesicht bekannt vorkam. Die Ansprache war typisch für die Flüchtlinge. Sie richteten ihre Zeiteinteilung viel stärker nach den Abläufen auf der Heimatwelt als ein Raumfahrer das tat. Zwar folgten die Chronographen auf allen Schiffen ebenfalls dieser Einteilung, aber für jeden, der länger im All unterwegs war, verschob sich diese Skalierung, weil sich auch die innere Uhr umstellte.
»Guten Abend«, sagte er kurzangebunden und wollte seine Kabine betreten, doch der junge Mann blieb wie angewurzelt stehen. »Mein Name ist Yorn«, sagte er. »Sie haben Taria und mich in den Bergen vor den Gkirr gerettet. Wir verdanken Ihnen unser Leben und hatten bisher noch nicht einmal die Gelegenheit, Ihnen dafür zu danken.« Jetzt erinnerte Schedol sich, woher er das Gesicht kannte. »Das habe ich gern getan. Es gibt keinen Grund zu Dankbarkeit.« »Wenn schon nicht für unser Leben, dann aber dafür, dass Sie die verdammten Gkirr umgebracht haben.« Schedols Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln. Er betrachtete den forschen jungen Burschen, der unruhig von einem Bein aufs andere trat. Es war nicht zu übersehen, dass er eine dringende Frage hatte. Auf die ich doch nur wieder die gleiche Antwort geben kann, dachte der Kommandant. Nein, wir haben noch keinen geeigneten Planeten gefunden. Nein, ich weiß nicht, wie lange es noch dauern wird. »Können Sie mir sagen, wo ich mir einen Schwarzkristall ansehen kann?« Überrascht horchte Schedol auf. Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht mit dieser Frage. »Einen Dhyarra?« »Ja, so nennt man die Kristalle wohl auch.« »Ich nenne sie so. Schwarzkristall ist die Bezeichnung der Wissenschaftler.« »Oh, das wusste ich nicht«, entschuldigte sich Yorn. »Dann werde ich sie auch Dhyarra nennen. Es ist mein sehnlichster Wunsch, endlich einen zu sehen … und ihn zu berühren.« »Haben Sie keinen Computer, junger Mann?« »Das ist etwas anderes«, war die ausweichende Antwort. Ja, dachte Schedol. Das stimmte. Jedenfalls für ihn. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie lange er seinen Dhyarra schon nicht mehr aus dem Schrank in seiner Kabine genommen und seinen Geist darin versenkt hatte. »Was erwarten Sie sich davon?«, fragte er. Das fiebrige Glänzen in Yorns Augen schien ihn zu durchbohren.
»Die Ewigkeit.«
Verheißungsvolles Funkeln. Eingebettet in absolute Schwärze. Der Dhyarra kam Yorn wie ein erstarrtes Wesen aus einer anderen Galaxis vor. Die Botschaft, die allein sein Aussehen übermittelte, war unmissverständlich. Er gehörte nicht hierher. »Er ist wunderschön«, flüsterte Yorn ergriffen und streckte zaghaft eine Hand aus. Bevor sie den Kristall erreichte, zog er sie rasch wieder zurück. »Das ist er«, antwortete Schedol. »Das sind sie alle. Ich bedaure, nur diesen einen mitgenommen zu haben. Wir hätten keinen einzigen für die Gkirr zurücklassen dürfen. Diese Mörder sind es nicht wert.« Das empfand Yorn genauso, aber er wunderte sich, dass der Kommandant der TAUFARA sich ihm gegenüber so offenherzig äußerte. Noch mehr erstaunte ihn, dass Schedol ihm seinen Dhyarra zugänglich machte, den er, wie er zugab, einst inoffiziell mitgenommen hatte. »Wenn wir eine größere Flotte bauen, brauchen wir noch viel mehr Kristalle.« »Eines unserer Schiffe transportiert keine Flüchtlinge, sondern ist mit Dhyarra-Kristallen vollgeladen. Es hat so viele, wie unsere Leute in der Eile mitnehmen konnten. Sie werden für eine Weile ausreichen, doch eines Tages werden wir auch wieder andere Rechner in unsere Schiffe einbauen müssen. Doch über dieses Problem brauchen wir uns derzeit noch keine Gedanken zu machen.« Yorn kniff die Augen zu zwei schmalen Schlitzen zusammen und versuchte das Funkeln in dem Stein zu ergründen. Es gab kein Anzeichen, woher es stammte, aber anscheinend nicht von dem einfallenden Licht. Vielleicht war es ein Ausdruck der Ewigkeit. Ein sichtbarer Hinweis auf die Macht, die dem Kristall innewohnte. »Wieso zeigen Sie ihn mir?«
Schedol zögerte. Er legte eine Hand auf den schwarzen Sternenstein und schloss die Augen. Für eine halbe Minute war er der Welt entrückt. Dann ging ein Ruck durch seinen Körper, und er richtete sich kerzengerade auf. »Weil ich etwas herausfinden will.« »Und dazu brauchen Sie mich?« »Oder jemand anderen.« Yorn fühlte sich plötzlich nicht mehr wohl in seiner Haut. Er begriff, dass Schedol einen solchen Moment geradezu herbeigesehnt hatte. Er sah in dem Kristall viel mehr als nur ein herrliches Schmuckstück. Auf eine unheimliche Art war er dem Dhyarra erlegen. Über welche Macht verfügte dieses Fundstück? Werde ich sie ebenfalls spüren?, fragte sich Yorn. Vielleicht war sie gefährlich. Andererseits wurden damit doch all seine unausgesprochenen Hoffnungen einen Hauch realistischer. Er kam sich wie ein Narr vor, sich von diesem Stein die Erfüllung seiner Träume zu erwarten. Es gab nicht den geringsten Anlass für Euphorie. Aber auch nicht für Angst. »Sie sagten, Sie wollen ihn berühren«, erinnerte Schedol. »Tun Sie es, und sagen Sie mir, was Sie spüren.« Yorn hätte zu gern gewusst, was Schedol fühlte, wenn er körperlichen Kontakt zu dem Dhyarra herstellte. Er hatte die Möglichkeit, es selbst herauszufinden. Erneut streckte er eine Hand aus. Sekundenlang schwebte sie in der Luft, dann ließ er sie auf den schwarzen Stein sinken. Während er die Augen schloss, sammelte er all seine geistige Kraft und konzentrierte sich auf die Macht, die er dem Schwarzkristall zuschrieb. Er verdrängte sämtliche Gedanken, bis nur noch er und der Dhyarra existierten. Jetzt war der Moment gekommen, da sich ihm die Wahrheit offenbaren musste. Ein Zittern lief durch Yorns Körper, als er sie erkannte. Da war … gar nichts. Tiefe Enttäuschung befiel Yorn, als er die Augen wieder aufschlug. Ein totes Stück Gestein lag vor ihm, sonst nichts. Wie hatte er sich nur einbilden können, dass es unsichtbare Kräfte besaß, mit denen
sich die Welt verändern ließ? Am liebsten hätte er zugepackt und den Schwarzkristall gegen die Wand geschleudert. »Ich kann die Enttäuschung aus Ihrem Gesicht ablesen«, sagte Schedol. »Sie haben nichts gespürt.« »Nicht das Geringste.« Yorn fühlte sich wie eine leere Hülle. Er wollte aufstehen, aber seine Beine versagten ihm den Dienst. »Es tut mir Leid. Damit hatte ich nicht gerechnet.« »Also haben Sie andere Erfahrungen damit gemacht.« »Ich kann eine vage Präsenz wahrnehmen, aber es ist mir nicht möglich, sie zu erreichen. Ich weiß nicht, wie oft ich es in den vergangenen Jahren erfolglos versucht habe. Ich schaffe es einfach nicht, mich ihr zu nähern. Dabei bin ich sicher, dass man sie aktivieren kann, wenn man über die entsprechenden Voraussetzungen verfügt, aber bei mir sind sie wohl nicht stark genug ausgeprägt.« Yorn nickte mechanisch. »Und bei mir sind sie gar nicht vorhanden.« Er stieß ein krächzendes Lachen aus. Die Gedanken, die ihm zu den Dhyarras gekommen waren, stimmten demnach möglicherweise. Nur konnte er keinen Profit daraus schlagen. Yorn hätte verzweifeln können. Träge erhob er sich, um zu Taria zurückzukehren. »Wir können den Versuch später wiederholen!«, rief Schedol hinter ihm her. »Ja, vielleicht … irgendwann.« Wenn das nicht völlig sinnlos war. Denn Yorn hatte zwar einen uferlosen Traum, aber er glaubte nicht an Wunder.
Die Folsim war ein altes Schiff, aber das störte Kergom nicht. Der Forscher hatte sich an Bord des Frachtschiffs, das die Schwarzkristalle geladen hatte, ein Labor eingerichtet, in dem er seine Forschungen während des Flugs fortführte. Wie Yorn war auch er der Überzeugung, dass die Sternensteine über weitere Kräfte verfügten, die sich als nützlich erweisen würden, wenn es gelang, sie zu aktivieren. Allerdings betrieb Kergom seine Untersuchungen auf rein wissenschaftlicher Grundlage, wie er es von Anfang an getan hatte. Er hat-
te sich fast vollständig von seinen Kollegen zurückgezogen und arbeitete ohne deren Unterstützung in der Einsamkeit seines Labors, in dem es ihm an nichts mangelte. Bereits am Ende seines Aufenthalts auf Schedols Welt war er, ebenso wie die meisten anderen, die über längere Zeit dort stationiert gewesen waren, immer mehr zum Eigenbrötler geworden. Nach dem Verlassen des düsteren Planeten schritt diese Entwicklung zwar nicht weiter fort, aber Kergoms Verfassung war in ein Stadium getreten, in dem eine Normalisierung seines Zustands nicht mehr möglich war. Er selbst erkannte das natürlich nicht. Aber auch den wenigen Personen, mit denen er sporadischen Kontakt hatte, fiel es nicht auf. Schließlich hatte er schon immer als ein wenig seltsam gegolten. Wer wollte einem erfolgreichen Wissenschaftler schon seine Verschrobenheit vorhalten, so lange er erstklassige Resultate erzielte? Tag und Nacht arbeitete Kergom mit den Schwarzkristallen und gönnte sich dabei nur wenig Schlaf. Je intensiver er sich in seine Arbeit vertiefte, desto unzufriedener wurde er angesichts der fehlenden Erfolge. So schnell er sie auf Schedols Welt errungen hatte, so sehr ließen sie ihn jetzt im Stich. Im Verlauf von Wochen, in denen er mit niemandem ein Wort wechselte, nahm er unzählige Versuche vor, die ausnahmslos ohne Resultat blieben. Immer mehr kam er zu dem Schluss, dass die Kristalle doch keine Überraschung mehr für ihn bereithielten. Er hatte ihnen ihr Geheimnis entrissen, mehr konnte er nicht tun. Er wühlte sich durch die Lagerbestände, weil er die Hoffnung hegte, in tieferen Schichten der gelagerten Container auf abweichende Exemplare der Kristalle zu stoßen. Doch auch diese Hoffnung wurde enttäuscht. Schubweise befielen ihn quälende Anfälle von Depressionen, in denen Kergom vergaß, wer er war und wo er war. Anstelle der Schiffswandungen sah er sich von hoch aufragenden schwarzen Bergen umgeben, zwischen deren gewaltigen Zinnen er rettungslos verloren war. Mit ihrer verderblichen Ausstrahlung fielen sie über ihn her und drohten ihn mit ihrem Gewicht zu erdrücken. Wenn Kergom wieder zu sich kam, brauchte er einen oder zwei
Tage, um sich zu erholen. Wie besessen, als hinge sein Leben davon ab, stürzte er sich dann wieder in seine Arbeit, um erneut kläglich zu scheitern. In einem schleichenden Prozess verwandelten sich seine Zweifel in Selbstvorwürfe. Kergom begann zu vergessen, was ihm auf Schedols Welt gelungen war, und fühlte sich als Versager. Doch statt aufzugeben, kapselte er sich immer weiter von der Welt ab. Bis etwas völlig Unerwartetes geschah. Inmitten der Berge schwarzer Sternensteine entdeckte er vereinzelte, die ganz anders waren. Ungläubig betrachtete er die kleinen, blau funkelnden Steine. Zunächst hielt er sie für etwas Besonderes, weil es offensichtlich nur so wenige von ihnen gab. Doch sie sprachen auf seine Untersuchungen noch weniger an als die Schwarzkristalle. Während die als Rechner und Energielieferanten zu nutzen waren, taugten die blauen Steine zu gar nichts. Achtlos warf er sie beiseite und verschwendete keinen weiteren Gedanken an sie, denn mit Abfall wollte er sich nicht belasten. Schlimmer denn je kehrten Kergoms Depressionen zurück und stießen seinen Geist in eine andere Welt. Schreiend kletterte er durch ein Labyrinth kalter, schwarzer Felsen. Höhnische Stimmen drangen aus ihrem Inneren, die Kergom bewiesen, dass die ganze Welt über ihn lachte. Er fühlte sich alt und kraftlos. Es wurde Zeit, neue Kraft zu schöpfen und allen zu zeigen, was noch in ihm steckte. Vor allem sich selbst. So legte Kergom sich zwischen den Schwarzkristallen in einem der Container zum Schlafen nieder. Er wurde erst nach der Landung der FOLSIM gefunden. Aber da war bereits seit Wochen kein Leben mehr in ihm.
Die Flotte war beinahe seit einem Dreivierteljahr unterwegs, als eine bläulich schimmernde Sonne geortet wurde, die in einem halben Lichtjahr Entfernung zu einem Schwarzen Loch lag, sich also in dessen unmittelbarer kosmischer Nachbarschaft befand. Bei der Annäherung erwies sich der blaue Stern als Zentralgestirn eines unbewohnten Fünf-Planeten-Systems, von dem der zweitinnerste Umläu-
fer ideale Lebensbedingungen aufwies. Umfangreiche Messungen wurden vorgenommen und zahlreiche Außenteams abgesetzt, die sich vor Ort umsahen. Sie fanden keine Faktoren, die gegen eine Inbesitznahme sprachen. Einen zusätzlichen Schutz vor Entdeckung versprach die unmittelbare Nähe des Schwarzen Lochs. Niemand näherte sich einem solchen Kollapsar gerne, also konnte man davon ausgehen, dass sich auch die Gkirr fernhalten würden. So wurde mit der Besiedelung des zweiten Planeten begonnen, und nach einem halben Jahr war die erste Stadt entstanden. Fabriken wurden aus dem Boden gestampft, die diesmal nicht ausschließlich zivilen Produktionen vorbehalten blieben. Das Volk hatte aus der Katastrophe gelernt, die beinahe seinen Untergang bedeutet hätte. Schon bald wurde mit der Waffenproduktion begonnen, und ein Teil der Schiffe wurde mit Waffensystemen ausgerüstet, für die schon immer Pläne in der Schublade gelegen hatten, die aber aufgrund der friedlichen Einstellung des Volkes niemals gebaut worden waren. Jetzt war alles anders, auch wenn es mahnende Stimmen gab, es den Gkirr nicht gleichzutun. Doch der Großteil der überlebenden Bevölkerung, die immer noch über eine Million Individuen betrug, entschied sich für Sicherheit und Wehrhaftigkeit. Sollte es jemals zu einem feindlichen Angriff auf die neue Heimat des Volkes kommen, wollte man vorbereitet sein und zurückschlagen können. Nie wieder Flucht, galt als Maxime, der sich alle anderen Bereiche der Gesellschaft unterzuordnen hatten. Parallel zur Erschließung der neuen Heimat wurden Stützpunkte auf den drei weiter außen liegenden Welten eingerichtet, die über leistungsstarke Geschütze und Abwehrforts verfügten. Bereits nach einem Jahr besaß das Volk ein größeres Waffenarsenal als in seiner ganzen bisherigen Geschichte zusammen. Die Schwarzkristalle waren ein wesentlicher Bestandteil des raschen Wachstums. Ohne sie ging gar nichts, und rasch schrumpften die Vorräte in den Lagern. Doch noch würden sie auf Jahre hinaus reichen. Allerdings ging man schon bald sparsamer mit ihnen um, da klar war, dass es keinen Nachschub geben würde.
Ein paar ganz Pfiffige forderten die Regierung auf, Schedol, der inzwischen den Status einer Legende innehatte, mit einer Expeditionsflotte auszuschicken. Er würde bestimmt noch einen weiteren Planeten mit Sternensteinen entdecken. Schedol selbst zog sich weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurück. Zwar behielt er weiterhin sein Kommando über die TAUFARA, aber er verbrachte notgedrungen mehr Zeit mit festen Boden unter den Füßen als im Weltraum. Bevor wieder an eine Forschungsflotte gedacht werden konnte, musste das Blaue System, wie es im offiziellen Sprachgebrauch bald genannt wurde, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln nach außen hin abgesichert werden. So verbrachte Schedol einen Großteil seiner Zeit mit Nachforschungen über das Ableben Kergoms. Doch es gelang ihm nicht, Licht in das Dunkel der seltsamen Umstände zu bringen, die dazu geführt hatten. Er hatte den Verdacht, dass die Dhyarras etwas damit zu tun hatten, schließlich wurde Kergom auf einer Halde von ihnen gefunden, als hätte er sich dort zum Schlafen niedergelegt. Zudem traten bei einer ganzen Reihe seiner ehemaligen Mitarbeiter ebenfalls schwerwiegende psychische Probleme auf, gegen die auch die besten Spezialisten nichts tun konnten. Außerdem gab es zwei weitere rätselhafte Todesfälle unter Kergoms ehemaligen Kollegen. Leider fand Schedol keine schlüssigen Anhaltspunkte, mit denen sich seine Vermutung erhärten ließ. Er erwähnte sie auch niemandem gegenüber, weil er selbst nicht sicher war. Immerhin gab es noch eine zweite mögliche Erklärung. Kergom und alle anderen Betroffenen hatten nicht nur über längere Zeit intensiv mit den Dhyarras zu tun gehabt, sie waren auch außergewöhnlich lange auf Schedols Welt stationiert gewesen. War auf dem unheimlichen düsteren Planeten etwas geschehen, was diese tragischen Folgen nach sich zog? Auch um diese Frage zu klären, hätte man dorthin zurückkehren müssen, und das war nun einmal unmöglich. Einmal kam Schedol zwar auf die Idee, mit einem einzelnen Schiff aufzubrechen, um sich genauere Informationen aus erster Hand zu besorgen, aber er verwarf den Gedanken wieder. Ein solcher Alleingang war viel zu gefährlich. Wenn die Gkirr auf die TAUFARA aufmerksam wurden
und sie heimlich verfolgten, war auch das neue Versteck des Volkes nicht mehr sicher. Hin und wieder traf er sich mit Yorn, der lautstark die Verfehlungen der Gkirr und das Recht auf Rache proklamierte. Er hatte seine frühere Tätigkeit nicht wieder aufgenommen, sondern war in einem eigens gegründeten Gremium tätig, das eben diese Forderungen in der Öffentlichkeit vertrat. Trotz des anfänglichen Misserfolgs beim ersten Versuch mit Schedols Dhyarra an Bord der TAUFARA gaben die beiden Männer nicht auf. Als Yorn erfuhr, was Schedol beim Kontakt mit dem Schwarzkristall wahrnahm, steigerte dies seine Motivation, ebenfalls einen gewissen geistigen Kontakt herzustellen. Immer wieder versuchte er es, doch es gelang ihm nicht. Die geheimen Mächte des Kristalls, wenn es sie denn wirklich gab, verweigerten sich ihm. Doch Yorn ließ sich davon nicht unterkriegen, sondern ging unbeirrt seinen Weg. Seine irrationale Überzeugung, selbst die Unsterblichkeit erlangen zu können, wenn er nur auf diesem Weg sein Ziel erreichen konnte, wurde zu einer fixen Idee. Doch da Taria als seine Gefährtin an seiner Seite war, nahm sie immer nur einen gewissen Stellenwert in seinem Leben ein und drängte nicht völlig in den Vordergrund. Taria war der Ausgleich in seinem Leben, der Yorn Rückhalt gab und dafür sorgte, dass er sich irgendwann auch wieder auf andere Dinge konzentrierte als lediglich auf den Gedanken an Rache. Besonders als sie ihm sagte, dass sie beide Nachwuchs erwarteten. Einen Gedanken wurde Yorn aber auch da nicht los. Er galt den Gkirr. Ich werde euch jagen bis ans Ende des Universums und aller Zeiten!
6. Black Hole Er war ein direkter Nachfahre von Zeus, der einst von Griechenland aus Sprache und Kultur in die Welt gebracht hatte. Wie Ted Ewigk war auch Zeus einst ERHABENER der DYNASTIE DER EWIGEN gewesen. Keine zwei Minuten nach dem Visifongespräch mit Zamorra stand Ted Ewigk im Château Montagne. Zwar war im Zuge des Unternehmens Höllensturm ein Teil der technischen Ausrüstung im Keller unter dem Palazzo Eternale zerstört worden, die Kolonie der Regenbogenblumen in den Katakomben existierte aber noch. So hatte er sich des zeitlosen Transports bedient und war zwischen den Blumen im Gewölbe unter dem Château wieder herausgekommen. Ein Lächeln huschte über Ted Ewigks Gesicht, als er Al Cairo erblickte. Die beiden Männer umarmten sich und begrüßten sich herzlich. Es war nicht zu übersehen, dass sie sich schon länger kannten. Nicole Duval verzog das Gesicht und zwinkerte Zamorra zu. Damit war immerhin geklärt, dass sich der hagere Mann nicht unter fadenscheinigen Behauptungen bei ihnen einschleichen wollte. Es gab tatsächlich eine Verbindung zwischen ihm und Ewigk. »Ich habe nicht erwartet, dich noch einmal zu sehen«, sagte Ted erleichtert. »Ich dachte, du seiest längst hinübergegangen!« »Unkraut vergeht nicht, wie ihr so schön sagt«, wehrte Al Cairo ab. »Du kennst mich doch. So leicht lasse ich mich nicht abservieren.« Zamorra horchte auf. Ted hatte von Hinübergehen gesprochen. So nannten die Ewigen es, wenn sie starben. Der eigentliche Vorgang war ihm bekannt. Wenn ein Ewiger starb, oder eben hinüberging, zerfiel sein Körper zu Staub, und nur die leere Kleidung blieb zurück. Wodurch dieser Vorgang ausgelöst wurde, war unbekannt, auch woher der Begriff Hinübergehen stammte. Denn über eine Jenseits-Religion in der DYNASTIE DER EWIGEN war nichts bekannt.
Die einzige Religion, die die Dynastie kannte, war die ihrer eigenen Überlegenheit. So gaben sich die Angehörigen der Dynastie weniger weit entwickelten Völkern gegenüber gern schon einmal als Götter aus und ließen sich entsprechend verehren. »Also ist er ein Ewiger«, raunte Nicole dem Dämonenjäger zu. »Daran hatte ich allerdings auch kaum noch einen Zweifel.« »Geht mir auch so«, antwortete Zamorra. Die Vorstellung, einen der Ewigen unter den Dächern des Châteaus zu beherbergen, behagte ihm nicht sonderlich. Aufgrund von Ewigks Verhalten schien der Mann aber ungefährlich zu sein – so weit man das von einem Ewigen überhaupt behaupten konnte. »Was führt dich zu uns?«, fragte Ted. »Die gute alte Gaia«, scherzte Al Cairo. »Du kennst doch unsere Vorliebe für sie. Nein, im Ernst, der Professor hat dir doch schon gesagt, wieso ich hier bin.« »Einen Moment mal«, warf Nicole in Teds Richtung ein. »Es ist ja schön, dass ihr zwei euch so gut versteht, aber willst du uns nicht verraten, woher du diesen Herrn kennst? Doch sicher aus deiner Zeit als ERHABENER, wenn ich noch Eins und Eins zusammenzählen kann.« »Du kannst, wie mir scheint«, versicherte der blonde Reporter mit der Statur und dem Habitus eines Wikingers. »Damals war Cairo einer meiner wichtigsten Mitstreiter. Auch er trat gegen den unbezähmbaren Expansionsdrang der Ewigen ein, aber ihr wisst ja, dass meine Anstrengungen keine Früchte trugen.« »Die aggressive Fraktion der Alphas war einfach stärker als wir«, fügte Al Cairo hinzu. »Aber nichts ist für die Ewigkeit.« Er stieß ein heiseres Lachen aus, als ihm die Bedeutung seiner eigenen Worte aufging. »Nun, in manchen Fälle vielleicht doch. Ich habe jedenfalls den Kampf nicht aufgegeben.« Ewigk nickte. »Du willst also die ERHABENE stürzen.« »Und dann will er sich auf ihren Thron setzen«, mischte sich Nicole ein. »Es gibt ein altes Sprichwort. Man kann den Teufel nicht mit dem Beelzebub austreiben.« »Der Vergleich hinkt aber. So etwas kann man Cairo wirklich nicht
nachsagen. Er steht auf der richtigen Seite.« Zamorra fragte sich, wie die richtige Seite bei den Ewigen aussah. Aber vielleicht hatte Ted ja Recht. »Dein Freund hat anscheinend kein Interesse daran, die ERHABENE zu stürzen«, wandte sich Al Cairo an den Reporter. »Dabei ist ihre Position derzeit geschwächt. Ein vielversprechenderer Zeitpunkt zum Zuschlagen wird nicht kommen. Deshalb frage ich dich, ob du mich unterstützt. Mein Angebot im Gegenzug gilt.« »Geheime Informationen über die DYNASTIE DER EWIGEN?« »So ist es.« »Hat Nicole Recht? Willst du nach Nazarena Nerukkar ERHABENER werden?« Der hagere Mann winkte so großspurig ab, als hätte er über diese Option bisher noch nicht einmal nachgedacht. »Man sollte sich nicht über den zweiten Schritt Gedanken machen, bevor man den ersten in Angriff genommen hat. Sicher, ich habe meine Pläne, aber immer eins nach dem anderen.« »Das wäre zumindest mal wieder eine Abwechslung vom täglichen Einerlei«, überlegte Ted Ewigk. »Unser Ausflug in die Hölle der Spiegelwelt war alles andere als berauschend, und die Zeit danach war auch nicht viel besser.« »Ich kann mir vorstellen, dass du dich zur Zeit nicht besonders gut fühlst«, erwiderte Zamorra mit gemischten Gefühlen. Er wollte Ted diese Sache ausreden, wollte ihn aber im Zweifelsfall auch nicht allein mit Al Cairo aufbrechen lassen. »Aber schlag dir Cairos Offerte aus dem Kopf, sonst kommst du vom Regen in die Traufe.« »Ich kann mir doch zumindest mal anhören, was er zu sagen hat. Außerdem schulde ich ihm etwas. Wie gesagt, er hat mich damals auch nach Kräften unterstützt.« »Es gibt halt noch Menschen, die einen nicht vergessen«, versetzte Cairo dem Dämonenjäger einen zynischen Seitenhieb. »Und die noch wissen, was die Worte Freundschaft und Loyalität bedeuten.« Nicole verdrehte theatralisch die Augen. »So lange es sich nicht um falsch verstandene Freundschaft handelt, ist ja auch alles in Ordnung.«
Ted Ewigk stellte die Ohren auf Durchzug. »Was sind das für Informationen, von denen du sprichst, Al?«, fragte er. Zamorra stöhnte unterdrückt auf. Er sah kaum noch eine Möglichkeit, das drohende Unheil abzuwenden.
Yorn war nicht unsterblich geworden. Das Universum war keine Lotterie, die einem solche Wünsche erfüllte, wie er widerwillig einsehen mußte. Im Laufe der Jahre hatte er sich von der Vorstellung verabschiedet, sich an den Gkirr für die Verwüstung der Ursprungswelt rächen zu können. Seine Bestrebungen für die Sicherheit des Volkes und seiner neuen Heimat hatte er jedoch nie aufgegeben. Besonders sein zweiter Sohn Pilgor interessierte sich für die Geschichte seiner Herkunft und trat mit seinen Ansichten in die Fußstapfen des Vaters. Er studierte Hyperphysik und Raumfahrttechnik und träumte davon, eines Tages mit gewaltigen Schiffen ins Weltall aufzubrechen, in dem irgendwo die Gkirr ihr Unwesen trieben. Vielleicht würde ihm gelingen, das in die Tat umzusetzen, was Yorn nur in Gedanken getan hatte. »Träumen Sie, Pilgor?« Die Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Vorwurfsvoll blickte ihn Jobalta an, ein älterer Wissenschaftler, der das Forschungsprojekt leitete, an dem auch Pilgor teilnahm. »Ich habe nur darüber nachgedacht, über die Dhyarras Energie direkt in die Waffensysteme unserer Schiffe zu leiten«, beeilte er sich zu sagen. »Wir könnten damit eine enorme Schlagkraft erreichen, der die Gkirr nichts entgegenzusetzen haben.« »Dhyarras.« Jobalta betrachtete ihn verdrießlich. »Ich konnte mich mit diesem Begriff nie anfreunden«, tadelte er. »Die wissenschaftliche Bezeichnung ist Schwarzkristalle. Außerdem arbeiten wir nicht daran, die Effizienz unserer Waffen zu verbessern, sondern an allgemeinen energiespezifischen Problemen. Ich dachte, ich hätte das ein für allemal klargestellt.« Gegen seine Überzeugung machte Pilgor eine zustimmende Geste.
Bisher waren die Waffensysteme, die das Volk in den vergangenen Jahren entwickelt hatte, lediglich bei Tests probegelaufen, aber nie in einem wirklichen Kampf eingesetzt worden. Es hieß, die Zeit sei noch nicht reif, aber Yorns Sohn war anderer Ansicht. »Wir sollten unsere Forschungen in jede Richtung vorantreiben.« »Da mögen Sie Recht haben, doch noch bin ich es, der das entscheidet. Eines Tages sind Sie vielleicht an meiner Stelle, dann können Sie Ihren Willen durchsetzen, aber noch ist es nicht soweit.« »Aber mein Vater sagt …« »Ich kenne seine Ansichten«, unterbrach ihn Jobalta barsch. »Auch seine völlig aus der Luft gegriffenen Thesen über die Schwarzkristalle. Wenn sie auch nur im Ansatz zuträfen, hätten wir das längst festgestellt. Aber Ihr Vater hat sich da in etwas verrannt. Die Kristalle sind eine Art von Energietransmitter. Das ist großartig, aber mehr steckt nicht in ihnen.« »Und wenn wir nur nicht wissen, wonach wir suchen sollen? Vielleicht haben wir bisher den richtigen Einstieg nicht gefunden. Ich finde, wir sollten alternative Verfahrensweisen in unsere Überlegungen einbeziehen.« Der Forschungsleiter warf ihm einen strengen Blick zu, und Pilgor verstummte. Er taxierte den schwarzen Sternenstein, der in einem Kraftfeld steckte und mit zahlreichen technischen Apparaten verbunden war. Immer wieder führten sie die gleichen Versuchsreihen durch. Sie begannen ihn zu ermüden. Auf diese Weise kamen sie nicht weiter, sie mussten einfach umdenken. Doch Jobaltas Denkschemata bewegten sich in zu starren Bahnen, um über seinen eigenen Schatten springen zu können. »Seien Sie doch realistisch, Pilgor«, sagte der Forschungsleiter. »Ich schätze Ihren Enthusiasmus und Ihr Engagement, aber Sie sollten etwas bodenständiger bleiben. Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie sich eingestehen, dass es nicht den geringsten Hinweis gibt, dass die Schwarzkristalle mehr vermögen, als wir bereits wissen. Oder haben Sie jemals einen greifbaren Ansatz für eine solche Möglichkeit gefunden?« »Nein«, gestand Pilgor kleinlaut ein. Das hatte er zu seinem Leidwesen nicht.
»Na, sehen Sie. Konzentrieren wir uns doch lieber auf unsere eigentlichen Aufgaben, als nicht nachweisbaren Phantomen nachzujagen.« »Hm«, machte Yorns Sohn mürrisch und vertiefte sich wieder in seine Arbeit. Doch gedanklich war er nicht bei der Sache. Er sehnte das Ende des Tages herbei und hatte den Eindruck, dass die Zeit stillstand. Was er tat, kam ihm sinnlos und unproduktiv vor. Wenn er auf andere Gedanken kommen wollte, durfte er sich Jobalta nicht länger unterordnen, sondern musste auf seine eigenen Vorstellungen hören. Regungslos hing der Dhyarra in seinem Kraftfeld. Kannst du mich hören?, dachte Pilgor. Er erhielt keine Antwort.
Yorn und Taria waren nicht die einzigen, die Nachkommen zeugten. Über zwanzig Jahre vermehrten sich viele aus dem Volk, und die Einwohnerschaft in der zweiten Heimat wuchs beständig an. Die Städte breiteten sich über den ganzen Planeten aus, der in manchen Regionen gnadenlos ausgebeutet wurde. Da das Volk im Gegensatz zu früher keine Handelspartner mehr hatte, steckte es in einem Zustand unfreiwilliger Autarkie. Es konnte nur mit den Ressourcen arbeiten, die der Planet bereithielt. Der Aufbau einer Raumflotte wurde ständig vorangetrieben und erlebte einen weiteren Aufschwung, als die Regierung Schedol als technischen Berater gewann. Im Laufe der Jahre hatte er Kergom, dessen mysteriöser Tod niemals aufgeklärt wurde, vergessen, und das neue Betätigungsfeld kam ihm gerade recht. Je mehr er mit den Raumschiffen des neuen Typs zu tun hatte, desto größer wurde in ihm der Wunsch, selbst noch einmal ins All aufzubrechen. Doch noch wurden die Schiffe lediglich für Hangars und Startfelder gebaut. Wann sie endlich zu ihrem Jungfernflug starten sollten, stand im wahrsten Sinne des Wortes in den Sternen. Umso überraschender traf Schedol die Mitteilung, als sich eines
Tages ein Angehöriger der Regierung bei ihm meldete. »Wir müssen diese Welt wieder verlassen und uns ein anderes Exil suchen«, eröffnete ihm der Mann. »Auf Dauer sind wir hier nicht sicher.« Schedol verstand ihn nicht. »Dieser Planet liegt so abgeschieden, dass er nur schwer zu finden ist.« Zudem waren die Verteidigungsanlagen immer weiter ausgebaut worden, so dass das gesamte System einer waffenstarrenden Festung glich, an der sich ein Angreifer die Zähne ausbeißen würde. »Das ist auch nicht der Grund. Aber wir haben alarmierende Untersuchungsergebnisse unserer Mediziner und Biologen vorliegen.« Mit einem flauen Gefühl im Magen starrte Schedol seinen Besucher an. »Was ist geschehen?« »Es geschieht noch. Es ist ein schleichender Prozess, den niemand vorhersehen konnte. Irgendetwas verändert unsere Gene, aber wir können nicht absehen, in welche Richtung diese Veränderung geht. Aber sie ist nicht aufzuhalten. Im schlimmsten Fall wird uns der Vorgang alle umbringen.« Schedol war erschüttert. »Dafür muss es doch einen Grund geben.« »Den unsere fähigsten Leute aber nicht entdecken können. Sie vermuten, dass die Genveränderungen mit unbekannten Strahlenschauern der blauen Sonne zu tun haben. Vielleicht ist aber auch das Schwarze Loch dafür verantwortlich.« Das war eine Überlegung, die sich nicht von der Hand weisen ließ. Schedol hatte die direkte Nähe zu einem Black Hole nie gefallen. Trotz sämtlichen astronomischen Wissens, das man besaß, behielt ein Schwarzes Loch seine Geheimnisse für sich. Was innerhalb des Schwarzschild-Radius passierte, blieb für einen Außenstehenden für immer verborgen. Kein Raumfahrer, den Schedol kannte, hielt einen nicht zwangsläufig tödlich verlaufenden Vorstoß hinter den Ereignishorizont für möglich. »Ich sehe, Sie begreifen unsere Sorgen.« »Was werden Sie tun?« »Vor allem vermeiden, dass eine Panik ausbricht. Auch wenn kei-
ne unmittelbare Bedrohung besteht, lässt sich nicht abschätzen, wie das Volk nach den Schrecken der Vergangenheit reagieren wird.« »Das bedeutet, Sie wollen die Information zurückhalten?« Schedol war nicht wohl bei dem Gedanken, das Volk auf diese Weise zu hintergehen. Es hatte ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Schließlich ging es – wieder einmal – um seine Zukunft. »Alle Verantwortlichen, die es angeht, werden so wie Sie noch zur Stunde unterrichtet. Die Öffentlichkeit wird die Wahrheit in Kürze erfahren. Wir haben nicht vor, etwas zu verschleiern.« Die Aussage beruhigte Schedol. Warum er als einer der ersten über die erneute Emigration eingeweiht wurde, war klar. »Ich werde dafür sorgen, dass wir so viele Neubauten fertig stellen können wie möglich.« »Für die Bevölkerung reichen die vorhandenen Transportkapazitäten zwar völlig aus«, sagte der Regierungssprecher. »Aber wenn wir starten, wollen wir soviel an technischem Gerät mitnehmen wie möglich, um nicht noch einmal ganz von vorn anfangen zu müssen.« »Eine kluge Entscheidung. Gibt es bereits einen voraussichtlichen Termin?« »Das hängt davon ab, ob sich die Veränderungen mit der gleichen Geschwindigkeit fortsetzen wie bisher oder ob sie sich verschlimmern. In letzterem Fall sind wir gezwungen, die geplante Frist abzukürzen. Ansonsten brechen wir in einem halben Jahr auf.« Grübelnd schloss Schedol die Augen. Ein halbes Jahr verging in einem solchen Fall wie im Flug. Dabei gab es noch unendlich viel zu tun.
Jobalta erfuhr gleichzeitig von den Plänen der Regierung, und er gab die Information an seine Mitarbeiter weiter. Ungläubiges Entsetzen machte die Runde, von dem auch Pilgor nicht verschont blieb. Er war sogar besonders betroffen, wenn auch aus einem anderen Grund als die meisten. In letzter Zeit hatte er sich außerhalb der regulären Zeiten häufig
in den Labors aufgehalten. Wenn er allein und ungestört war, konnte er die Versuche forcieren, die er offiziell nicht durchführen durfte, ohne von seinem Vorgesetzten gemaßregelt zu werden. Weder Jobalta noch irgendjemand aus seinem Stab durfte wissen, was Yorns Sohn tat, wenn er unbeobachtet war. Gegen die Anordnungen beschäftigte er sich auf seine Weise mit den Dhyarra-Kristallen. Er war überzeugt, dass sich Jobalta eines Tages für seine Kurzsichtigkeit bei ihm entschuldigen würde. Der Einzige, der von Pilgors Bestrebungen wusste, war sein Vater. Er versuchte weder ihn davon abzuhalten, noch ermutigte er ihn, aber Pilgor war sicher, dass Yorn ihm im Stillen zustimmte. Bis zum heutigen Tag war Pilgor der Meinung gewesen, ihm stünde unbegrenzte Zeit zur Verfügung, um Resultate zu erzielen, doch Jobaltas Ausführungen änderten alles. Plötzlich blieb keine Zeit mehr. Die Labors konnten von heute auf morgen aufgelöst werden, denn die Auswanderungsflotte erhielt Vorrang vor sämtlichen sonstigen Projekten. Pilgor wurde von einem Schwindelgefühl ergriffen, als ihm die Aussichtslosigkeit seiner Lage klar wurde. Warum antwortest du nicht endlich?, dachte er voller Verzweiflung. Ich weiß genau, dass du meine Gedanken empfangen kannst. Immer häufiger besuchte er die Labors nun auch nachts, wenn alle anderen schliefen, und in den folgenden Wochen verging nicht ein Tag, an dem er sich nicht mit den Dhyarras beschäftigte. Bei jeder seiner Sitzungen fühlte er sich dem Geheimnis ein Stück näher als beim vorangegangen Mal. Allmählich entwickelte sich die Prozedur, wie er mit den Kristallen verfuhr, zu einem festen Ritual. Seine geschlossenen Hände hüllten einen schwarzen DhyarraKristall ein, in den er seinen Geist zu versenken versuchte. In dieser Nacht konzentrierte er sich verzweifelter als je zuvor auf den Sternenstein. Denn Yorn hatte ihm am Morgen von Schedols Anfangserfolgen berichtet, und Pilgor war überzeugt, ebenfalls erreichen zu können was dem legendären Entdecker der Schwarzkristalle gelungen war. Dabei ahnte er natürlich ebenso wenig wie Schedol, dass er einer der wenigen des Volkes war, der über latente Parafähigkeiten verfügte, die dazu befähigten, den Kristall zu erreichen.
Die Unruhe, die von Pilgor Besitz ergriffen hatte, verstärkte seine Kräfte, und zum ersten Mal schaffte er es, einen Blick in den Stein zu werfen. Er war nicht nur äußerlich schwarz, sondern auch in seinem Innern. Schicht um Schicht durchdrang Pirgol ihn und entdeckte doch nur Schwärze in dem Kristallgitter. Der Dhyarra war von absoluter Reinheit, und Pirgols Geist schwebte durch die kristalline Struktur wie durch einen unendlichen Raum. Er hatte das Gefühl, ins Unermessliche zu wachsen und nach einer grenzenlosen Macht zu greifen. Er war durch nichts mehr aufzuhalten und wurde größer und größer. Als der Eindruck unvermittelt endete, bereitete es Pirgol Mühe, sich in seinem beschränkten kleinen Körper zurechtzufinden. Er war von dem Erlebnis so überwältigt, dass er minutenlang am ganzen Körper zitterte. Nur langsam beruhigte sich sein rasender Herzschlag und sank wieder auf normale Werte. Von einem plötzlichen schlechten Gewissen ergriffen, schaute er sich hektisch um, aber da war niemand außer ihm. Er war noch immer allein. Unschlüssig fragte er sich, was eben geschehen war, und mit jeder verstreichenden Sekunde wurde die Erinnerung unwirklicher. Hatte er tatsächlich einen Erfolg errungen, oder hatte er sich die nie geahnten Eindrücke nur eingebildet? Zweifelnd untersuchte er den Dhyarra, aber nichts daran hatte sich verändert. Es war immer noch ein äußerlich toter Stein, der kalt in seiner Hand lag. Pirgol war viel zu aufgewühlt, um die Sache auf sich beruhen zu lassen und sie erst am nächsten oder übernächsten Tag durch einen weiteren Versuch zu kontrollieren. Es musste gleich sein! Schließlich hatte er keine Zeit zu verlieren. Mit jedem Tag rückte die Schließung der Laboreinrichtungen näher. Also tat er das gleiche wie zuvor, doch diesmal geschah gar nichts. Die Ernüchterung traf Pirgol mit solcher Wucht, dass sie ihm körperliche Schmerzen bereitete. Sie führte dazu, dass er noch stärker an seiner Erfahrung zweifelte. Vielleicht hatte ihm sein unbändiger Wunsch einen Streich gespielt, der sich nicht wiederholen ließ. Hin und hergerissen zwischen Glauben und Frustration, legte er den Dhyarra auf den Arbeitstisch zurück. Wenn er sich nun doch nicht täuschte, musste er mit jemandem über seinen Durchbruch re-
den. Mit Jobalta? Eigentlich musste dem Projektleiter an jeder neuen Erkenntnis gelegen sein, aber Pirgol konnte sich seine Reaktion lebhaft vorstellen. Jobalta würde ihn für unzurechnungsfähig erklären, weil er selbst den Erfolg nicht nachvollziehen konnte. Er würde behaupten, Pirgol litte unter den gleichen wirren Wahnzuständen wie sein Vater Yorn, nur dass sie sich im Falle des Sohnes nicht nur in der Theorie abspielten, sondern sich für ihn real manifestierten. Er wird mich ausschließen, dachte Pirgol. Und mich aus dem Labor werfen, wenn ich nicht freiwillig gehe. Daher war es besser, sich Yorn oder Schedol anzuvertrauen. Er wollte das Labor eben verlassen, als ein Ereignis eintrat, das seine Entscheidung zunichte machte. Der schwarze Dhyarra zerplatzte.
Schedol verfolgte die Entwicklung der Flotte seit Wochen persönlich. Er stand an der Peripherie einer riesigen Halle, in der vollautomatische Fertigungsstraßen Bauteile produzierten, die in einem komplizierten Prozess aneinandergefügt wurden. Die Montagearbeiten liefen rasch und ohne Störungen ab. Schedol war zufrieden. Bei diesem Tempo würden am Tag des Exodus mehr Raumschiffe zur Verfügung stehen, als er ursprünglich kalkuliert hatte. »Das ist allein Ihr Verdienst«, lobte ihn der Besucher, der an seiner Seite die fertigen Schiffe inspizierte. Es war der gleiche Abgesandte der Regierung, der Schedol vor Wochen über die Auswirkungen der Sonne oder des Schwarzen Lochs auf das Erbgut der Exilanten unterrichtet hatte. Schedol bedankte sich, warf aber in einem Atemzug ein: »Deswegen sind Sie aber nicht wieder zu mir gekommen.« »Der Anlass meiner Visite hat damit zu tun.« »Also hat sich die Situation verschlimmert«, folgerte Schedol. »Wir müssen früher aufbrechen als angenommen.« »Nein, unsere Zeitplanung steht fest. Ich komme, um Ihnen ein Angebot zu überbringen.« Der Mann blieb stehen und räusperte sich umständlich. »Es geht darum, das Oberkommando über unsere
neue Flotte zu bestimmen. In der Regierung ist man sich einig, dass es dafür keinen geeigneteren Mann gibt als Sie.« Die Offerte verschlug Schedol die Sprache, denn damit hatte er nicht gerechnet. Er war inzwischen nicht mehr der Jüngste, und die Ausbildungsprogramme für künftige Raumfahrer liefen auf Hochtouren, seitdem feststand, dass der Weg des Volkes bald wieder ins Weltall führen würde. Andererseits hatte wohl niemand auch nur annähernd so viele Stunden im All verbracht wie Schedol, also besaß auch niemand seine Erfahrung und Routine. Genau genommen war es also ein logischer Schritt, sich an ihn zu wenden. »Nun, was sagen Sie? Glauben Sie mir, in der Regierung wäre man über eine Absage von Ihnen sehr enttäuscht.« Auf die Idee kam Schedol gar nicht. Viel zu lange wartete er mittlerweile darauf, wieder in den endlosen Weiten unterwegs zu sein, als dass er sich gegen das Angebot hätte entscheiden können. »Unter einer Bedingung«, sagte er. »Wenn Sie akzeptieren, bin ich Ihr Mann.« »Soweit ich das verstanden habe, können Sie verlangen, was Sie wollen. Man wird zustimmen.« »Ich verlange nur eins. Die TAUFARA bleibt weiterhin mein Schiff, und sie ist das Flaggschiff der Flotte. Bis zum Start verbleibt noch genug Zeit für eine Generalüberholung. Wenn wir die neueste Technik einbauen, ist sie besser als jedes andere Schiff. Dafür garantiere ich.« Der Abgesandte der Regierung hob die Hände und setzte sich wieder in Bewegung. »Dann sollten Sie keine Zeit verlieren.« Schedol lief los und ließ ihn einfach stehen.
Pirgol war wie gelähmt, als das Unfassbare geschah. Der schwarze Kristall wucherte aus sich selbst und fiel gleichzeitig wieder in sich zusammen. Die Verwandlung verlief völlig geräuschlos, und mit einem Mal kam Pirgol die Totenstille zu Bewusstsein, die in dem Labor herrschte. Nur sein eigenes Herz schlug so heftig wie eine Trommel.
Er löste sich erst wieder aus seiner Erstarrung, als die Verwandlung abgeschlossen war. Pirgol trat zurück an den Tisch und betrachtete ungläubig das Gebilde, das dort lag. Es war immer noch ein Dhyarra, aber er war nicht mehr schwarz, sondern blau. Nichts deutete darauf hin, dass er eben noch ganz anders ausgesehen hatte. Vergeblich suchte Pirgol den Tisch nach dunklen Rückständen ab, aber es gab keine. Was wie ein Kokon abgeplatzt war, hatte sich verzehrt und keine Spuren hinterlassen. Was immer die Verwandlung ausgelöst hatte, logisch wäre es gewesen, anzunehmen, dass der blau funkelnde Sternenstein unter einer schwarzen kristallinen Hülle verborgen gewesen war. Doch das war ein Trugschluss. Pirgol wusste das, weil es ihm erst einige Minuten zuvor gelungen war, einen geistigen Blick in das Innere des Steines zu werfen. Da war kein Blau gewesen. Für Pirgol gab es keinen Zweifel, dass aus dem Schwarzkristall der blaue Sternenstein geboren worden war. Doch wie? In den von unzähligen Versuchen ausgefüllten zurückliegenden Monaten war das nicht passiert. Wieso jetzt auf einmal? Zwangsläufig kam ihm der Verdacht, dass sein geistiges Eindringen in den Kristall dafür verantwortlich war. Anscheinend hatte die Struktur auf seine mentale Kraft reagiert. Pirgol dachte krampfhaft nach, aber er fand keine wissenschaftliche Erklärung dafür. Er weigerte sich zu glauben, dass er die Verwandlung ausgelöst hatte, doch wie sollte er Gewissheit erlangen? Dann kam ihm eine Idee. In den Schränken des Labors lagerten zu Versuchszwecken zahlreiche Schwarzkristalle. Er brauchte bloß nachzuschauen, ob sie alle unverändert waren. Und wenn das so war? War das dann ein endgültiger Beweis dafür, dass Pirgol den blauen Dhyarra geschaffen hatte? Er riss die Schubladen auf und kontrollierte die gelagerten Kristalle. Sie waren genau so, wie er sie in Erinnerung hatte, schwarz und tot. Kopfschüttelnd stieß Pirgol die Verbindungstüre zum nächsten Laborkomplex und verfuhr dort auf die gleiche Weise. Zunächst erhielt er überall das gleiche Resultat, aber als er schon nicht mehr
daran glaubte, fand er einen weiteren blauen Kristall, und schließlich noch einen. Diese beiden hatte er nie zuvor in der Hand gehabt, geschweige denn hatte er probiert, eine geistige Verbindung zu ihnen herzustellen. Mit ihrer Verwandlung hatte er also auf keinen Fall etwas zu tun. Jemand oder etwas anderes steckte dahinter. Pirgol wusste nicht, ob er diese Tatsache bedauern oder begrüßen sollte. Wie viele blaue Dhyarras mochten in den Lagerräumen entstanden sein? Wenn es sich um die gleichen Relationen handelte wie bei den Vorräten in den Labors, dann war es nur ein geringer Prozentsatz. Er ging zu dem Stein zurück, mit dem er sich in seiner vorherigen Erscheinungsform beschäftigt hatte. Er war jetzt noch viel schöner als zuvor und schlug Pirgol in seinen Bann. Er wollte danach greifen und ihn an sich nehmen, aber dann scheute er instinktiv davor zurück. Vielleicht war das Äußere nicht alles, was sich verändert hatte. Was, wenn der Dhyarra jetzt eine Gefahr darstellte? Es wäre am klügsten gewesen, heimlich, still und leise nach Hause zu gehen und am nächsten Tag den Unwissenden zu mimen. Was hier geschah, war ein absolutes Novum und für einen Forscher in seinen jungen Jahren womöglich eine Nummer zu groß, aber Pirgol wäre nicht Yorns Sohn gewesen, wenn er sich davon hätte abschrecken lassen. Zweifellos war er der erste und bisher einzige aus dem ganzen Volk, der die Verwandlung erlebt hatte. Wenn er sich diese einmalige Gelegenheit entgehen ließ, würde er sich das niemals verzeihen. Doch wie ließ sich die Situation in einen Vorteil ummünzen? Indem ich das tue, was ich vorhin schon getan habe. Nämlich erneut versuchen, ins Innere des Kristalls vorzudringen. Nur auf diese Weise konnte er herausfinden, ob es weitere, möglicherweise viel gravierendere Veränderungen gab als die rein optischen. Pirgol überwand seinen inneren Widerstand und griff nach dem blauen Sternenstein. Er ließ seinen Gedanken freie Bahn und stellte fest, dass diesmal alles viel einfacher war. Der Dhyarra zeigte keine
Gegenwehr, sondern öffnete sich für Pirgols Geist, als hätte er auf ihn gewartet. Da begriff Pirgol zum ersten Mal, was wirklich in dem blauen Sternenstein verborgen lag.
Auch andere aus dem Volk kamen mit den neuen blauen Sternensteinen in Berührung. Für diejenigen von ihnen, die ins blaue System zugezogen waren, blieben es allerdings auch weiterhin tote Steine, die keinen besonderen Zweck erfüllten und daher auch über keinen Nutzen verfügten. Nur einige Vertreter der neuen Generation, die unter dem Licht der blauen Sonne zur Welt gekommen waren, machten die gleiche Erfahrung wie Pirgol. Im Laufe der Zeit erkannten sie, dass es sich bei den veränderten Steinen um Wunderwerke der Natur handelte, die eine bisher für unmöglich gehaltene Machtfülle beinhalteten. Schedol stellte die einzige Ausnahme dar. Zwar hatte auch er nicht in der neuen Heimat das Licht der Welt erblickt, aber er verfügte über außergewöhnlich starke Parafähigkeiten, wie sich schon in der Vergangenheit gezeigt hatte, auch wenn ihm selbst das nie bewusst geworden war. Auch ihm wäre es daher möglich gewesen, die Wahrheit zu erkennen, doch das Schicksal verhinderte, dass es jemals dazu kam. Schedol war dermaßen mit der Fertigstellung der Flotte und als ihr Oberkommandierender mit den Vorbereitungen für den Start beschäftigt, dass er sich um die einst von ihm entdeckten Kristalle nicht mehr kümmerte. Auch seinen eigenen Dhyarra, der sicher verwahrt in seinem Quartier schlummerte, beachtete er aus Zeitgründen nicht mehr. Andere widmeten sich den blauen Sternensteinen dafür umso intensiver. Allen voran Pirgol, Yorns Sohn.
Er sah Kräfte, die so gewaltig waren, dass sie sich rein rechnerisch
nicht darstellen ließen. Die gesamte Energie des Kosmos lag in den blauen Sternensteinen verborgen und wartete darauf, freigesetzt zu werden. Pirgol schauderte angesichts der Erkenntnisse, die ihn überfielen. Seine Gedanken stießen an die Grundfesten der Schöpfung, und in seiner Euphorie bildete er sich ein, ihre Macht zu spüren und danach greifen zu können. Die Wege, die ihm offen standen, waren nicht einmal annähernd abzuschätzen. Er spürte keine Gewissenbisse, denn wem sich eine solche Möglichkeit auftat, der durfte sie nicht aus falsch verstandener Bescheidenheit ignorieren. Pirgol hielt seinen Dhyarra fest umschlossen. Es war keine besondere Konzentration mehr vonnöten, die ihm alles abverlangte und ihn geistig und körperlich auslaugte. Ein einziger fordernder Gedanke reichte aus, um eine Verbindung herzustellen und den Kristall in seinem Sinn aktiv werden zu lassen. Er gehorchte Pirgol und griff nach den unsichtbaren Kräften des Kosmos. Pirgol saugte Energie in sich auf und merkte, wie er immer stärker wurde. Sein Geist sprengte die materiellen Ketten seines Körpers und diente dem, was er anregte, als Fokus. Als der Prozess erst einmal eingesetzt hatte, ließ er sich nicht mehr umkehren. Aufhalten auch nicht. Hitze pulste durch den Dhyarra, eine Feuerwand von unendlicher Ausdehnung raste durch sein Kristallgitter und sättigte den Mikrokosmos in seinem Inneren bis an die Grenzen der Absorptionsfähigkeit. Ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte, begriff sich Pirgol plötzlich als Zentrum einer Sonne, in deren physikalischen Abläufen unvorstellbare Energiemengen tobten. Pirgols schweißgebadeter Körper wurde von Krämpfen geschüttelt, als er panikerfüllt versuchte, sich zurückzuziehen. Es gelang ihm nicht. Gefangen von seiner eigenen Hybris, hatte er einen Vorgang entzündet, den er nicht mehr steuern konnte. Der manipulierte Kristall entzog sich seiner Kontrolle. Aus den Tiefen von Raum und Zeit schwappten unsichtbare Kräfte über Pirgol hinweg und stauten sich um ihn herum. Da sie keinen anderen Abfluss fanden, versickerten sie im Erdboden und fluteten das blaue System, bis sie die Sonne erreichten, die
sie gierig wie ein Schwamm aufsog. Das gesamte Universum schien in Pirgols Kopf zu explodieren, seine Hände in Flammen zu stehen und sein Körper von innen heraus verzehrt zu werden. Pirgol schrie, ohne es zu bemerken. Seine Augen quollen unter den Qualen beinahe aus den Höhlen, und zwischen seinen Schläfen pochte das Blut wie Schläge von Dampfhämmern. Ich muss es beenden, loderte tief in seinem Kopf ein Funke, der noch nicht von der alles überrollenden Feuerlawine geschluckt worden war. Bevor es mich umbringt und das Universum vernichtet. Mit äußerster Willenskraft gelang es ihm, den Dhyarra von sich zu schleudern, bevor er in den Knien einknickte und zusammenbrach. Protestierend schrien die unbekannten Kräfte auf ihn ein, doch sie konnten ihm nichts mehr anhaben. Als fast schon alles vorbei war, war es ihm gelungen, sie wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Erleichterung befiel Pirgol, doch dann schälte sich sein Geist aus der Dunkelheit, und er erkannte Jobaltas Stimme. Es war der Forschungsleiter, der so schrie. »Was haben Sie getan, Sie Wahnsinniger?« Pirgol begriff erst, was er meinte, als er sich umsah. Das Labor sah aus wie ein Schlachtfeld, auf dem Krieg und Feuer gewütet hatten. Nichts war unversehrt. Die Geister aus purer Energie, die Pirgol gerufen hatte, hatten alles zerstört. Er fühlte sich elend und hatte den Eindruck, sich übergeben zu müssen, trotzdem schaffte er es unter unsäglichen Mühen, auf die Beine zu kommen. »Verschwinden Sie!«, herrschte Jobalta ihn mit zornbebender Stimme an. »Sie werden keinen Fuß mehr in diese Einrichtung setzen! Ich will Sie nie wiedersehen!« Kraftlos schlurfte Pirgol aus dem Labor. So also sah das Ende seiner möglichen Karriere aus. Gefeuert und mit Schimpf und Schande davongejagt. Ebenso wenig wie Jobalta konnte Pirgol ahnen, dass es längst zu spät war. Denn die Katastrophe war nicht mehr aufzuhalten.
»Sie haben richtig verstanden, wir müssen sofort evakuieren.« Schedol starrte das Gesicht auf dem Monitor verständnislos an. »Aber wir sind noch nicht soweit. Nach den Berechnungen der Regierung haben wir noch mindestens einen Monat Zeit. Ich habe diese Zeit fest einkalkuliert.« »Dann müssen Sie umdisponieren. Die Berechnungen haben sich geändert, denn es sind unvorhergesehene Zwischenfälle eingetreten. Sicher sind Ihnen die Erdstöße der letzten Wochen nicht entgangen.« »Natürlich nicht.« Schedol hatte sich bereits Sorgen gemacht, denn in den ersten Monaten der Anwesenheit des Volkes hatte es keine derartigen seismischen Aktivitäten gegeben. Sie hatten von einem Tag auf den anderen eingesetzt und waren seither nicht mehr zum Erliegen gekommen. Also waren sie schlimmer als angenommen. Die unplanmäßige Meldung verriet ihm, wie ernst die Lage war. »Stehen wir schon wieder vor einer Katastrophe?« »Ich fürchte ja. Unsere Geowissenschaftler haben sich natürlich mit diesem Phänomen befasst. Sie haben herausgefunden, dass diese Welt kurz vor dem Untergang steht. Energetische Unregelmäßigkeiten haben im Planeteninneren seismische Vorgänge in Gang gesetzt, die den Planeten in kurzer Zeit zerreißen werden. Und nicht nur das. Auch die Sonne ist von den Vorgängen betroffen. Sie wurde künstlich aufgeheizt und wird sich in eine Nova verwandeln.« Die Neuigkeiten versetzten Schedol einen Schock. Schon wieder. Zum zweiten Mal. Womit hatten sie das nur verdient? Anscheinend lag ein Fluch über dem Volk, der es immer weitertrieb, als sollte es nirgendwo auf Dauer sesshaft werden. »Die Umstände sind tragisch, aber wir werden nicht vor ihnen kapitulieren. Wir stellen uns ihnen. Sie verstehen also, dass die Flotte unverzüglich in Startbereitschaft versetzt werden muss.« Die typischen Politikerplattitüden, dachte Schedol. Dennoch sagte er: »Sie können sich darauf verlassen, ich werde selbst dafür sorgen. Aber wie ist das möglich? Haben die Gkirr uns gefunden?« »Sie haben nichts damit zu tun. Entweder haben sie unsere Spur verloren, oder sie sind der Meinung, dass wir nach unserer Niederlage keine Beachtung mehr verdienen. Die Sternensteine tragen die
Schuld an allem. Haben Sie denn nichts mitbekommen?« »Die Dhyarras? Aber das ist unmöglich.« Schedol konnte die Worte nicht glauben. Das musste ein Albtraum sein. »Nein, ich war zu beschäftigt. Was ist denn geschehen?« »Ein Teil der Sternensteine hat sich verwandelt. Nach allem, was wir bisher herausgefunden haben, besitzen sie jetzt eine enorme Macht, von der man besser die Finger lässt. Leider hat einer unserer jungen Wissenschaftler einen der verwandelten Kristalle manipuliert und damit die Katastrophe ausgelöst. Unsere Experten haben anhand von Simulationen sämtliche Möglichkeiten durchgespielt und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass sie sich nicht mehr aufhalten lässt. Erneut müssen wir uns so schnell wie möglich eine neue Heimat suchen.« Die Geschichte wiederholte sich. Schedol fühlte sich unendlich müde, dabei kam es in den nächsten Tagen und Wochen mehr denn je auf ihn und seine Fähigkeiten an. Natürlich würde er alles tun, was in seiner Macht stand, seinem Volk in das dritte Zeitalter seiner Existenz zu helfen. »Ich werde die Prozeduren abkürzen und alles in die Wege leiten. Sie können sich auf mich verlassen.« »Das tue ich. Die gesamte Regierung steht hinter Ihnen und wird Sie mit allem unterstützen, was Sie brauchen.« »Man sollte diesen leichtfertigen Wissenschaftler zur Rechenschaft ziehen«, forderte Schedol. »Was er angerichtet hat, kann durch nichts wieder gutgemacht werden.« »Es ist ein junger Bursche namens Pirgol«, erfuhr Schedol. »Wir haben seine Eltern bereits in Kenntnis gesetzt.« Schedol zuckte zusammen. Pirgol? Etwa Yorns Sohn? In aller Eile verabschiedete er sich und unterbrach die Verbindung, um sich bei seinem alten Bekannten zu melden, von dem er seit einer Weile nichts mehr gehört hatte. Er erreichte lediglich dessen Gefährtin Taria, die ihm die tragische Nachricht mitteilte. Yorn hatte seinem Leben aus Scham über die Tat seines Sohnes – auch wenn sie unbeabsichtigt geschehen war – ein Ende gesetzt. Seine Vision von Unsterblichkeit und sein Traum von Rache an den Gkirr starben mit ihm. Und Pirgol ging in die Geschichte des Volkes ein als der Welten-
zerstörer, was ihn auf eine Stufe mit den verhassten Gkirr stellte.
7. Kristalle der Macht »Es sind Informationen oder Daten aus der Geschichte der Ewigen«, sagte Al Cairo. »Den genauen Inhalt kenne ich auch nicht.« Nicole Duval lachte laut los. »Das ist dreist. Der Kerl versucht uns zu ködern, dabei weiß er noch nicht einmal genau, was er überhaupt zu bieten hat. Wir kaufen doch nicht die Katze im Sack.« »Die würde immerhin nicht soviel Geschrei machen wie Sie.« In Al Cairos Gesicht zeigte sich keine Regung. Entweder war er völlig von sich eingenommen oder ein verdammt guter Schauspieler. »Mit Ihnen rede ich doch gar nicht, sondern mit Ted Ewigk. Du weißt, dass ich dich nicht verschaukle, Ted.« »Ich glaube dir ja«, antwortete Ewigk. »Aber ich würde auch gern wissen, woher du von diesen geheimen Informationen weißt. Wenn es stimmt, was du sagst, wieso hat sie dann bisher noch niemand entdeckt?« Al Cairo winkte geringschätzig ab. »Weil sie nur schwer zugänglich sind. Ich bin nur durch einen Zufall darauf gestoßen. Es ist eine versteckte Datenkapsel auf einer Welt, der man unter normalen Umständen keinen Besuch abstattet.« Zamorra gingen die ganzen Andeutungen auf den Nerv, weil sich damit nichts anfangen ließ. »Das klingt alles nach Hörensagen, aber ich habe bisher keine konkreten Fakten vernommen. Wo zum Beispiel befindet sich dieser ominöse Planet, von dem Sie reden?« »Sie erwarten doch nicht, dass ich, um mit den Worten Ihrer ebenso reizenden wie vorlauten Tischdame zu sprechen, die Katze aus dem Sack lasse, bevor ich einen Vorteil darin sehe.« Nicole warf dem hageren Mann einen vernichtenden Blitz zu. Sie war nahe daran, ihm die Augen auszukratzen. »Sie führen sich auf wie ein kleiner Junge, der Angst um seine Murmeln hat. Wären Sie aufrichtig, würden Sie mit der Sprache herausrücken.«
Sie sah Al Cairo an, dass er zu einer zynischen Antwort ansetzte, um sie noch weiter auf die Palme zu bringen. Doch da mischte sich Ted Ewigk ein. »Ich begleite dich, wenn du mir sagst, wo der Planet mit der Datenkapsel liegt.« Cairo sah erst Zamorra an, und dann Nicole. Ein spöttischer Zug lag um seine Mundwinkel. »Erwarte keine galaktischen Koordinaten von mir, Ted. Ich verrate dir nur, dass er Zeta Reticuli umkreist.« Wieder wendete er sich an Zamorra. »Fragen Sie ruhig Ihre legendäre Datenbank, Professor.« »Ich bin sicher, dort keine Eintragung zu finden, sonst hätten Sie den Namen nicht so bereitwillig preisgegeben.« »Aber warum denn nicht, Professor? Sollte ich etwa Angst davor haben, dass Sie ein irdisches Raumschiff besteigen und sich allein auf den Weg nach Zeta Reticuli machen? Oh, Entschuldigung, ich vergaß, dass Sie das erst noch bauen müssten. Mir scheint, ein wenig Kooperation mit den Ewigen könnte der Menschheit nicht schaden. Vielleicht fallen dabei ein paar Brocken für sie ab.« »Wir kommen schon allein klar«, zischte Nicole. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals ein größeres Ekelpaket erlebt zu haben als diesen Al Cairo. »Aber wenn wir auf Ihr Angebot eingingen, fielen vielleicht ein paar Brocken Benimm und Anstand für Sie ab.« »Tut mir Leid, diese Worte kenne ich nicht. Bemühen Sie sich also nicht.« Zamorra trat neben Ted Ewigk und zog ihn mit sich. »Bist du sicher, dass du dir das antun willst?«, fragte er so leise, dass der ungewöhnliche Besucher es nicht mitbekam. »Du hast meine Antwort ja gehört.« »Ich habe aber auch nicht überhört, was du zum Desaster unserer Tafelrunde gesagt hast. Und damit hattest du verdammt Recht. Das liegt noch nicht lange zurück, und ich bin auch noch nicht über den Tod unserer Freunde weg.« »Vielleicht ist das der Grund, warum ich Cairo begleiten muss. Zu Hause werde ich langsam aber sicher verrückt. Ich muss dringend mal raus aus meinen vier Wänden, sonst fällt mir irgendwann die Decke auf den Kopf.«
»Da gibt es auch andere Möglichkeiten.« »Aber keine, die im Moment so verlockend ist.« Zamorra seufzte. Irgendwie konnte er den blonden Mann sogar verstehen. Er merkte, dass es ein Fehler wäre, ihn zurückzuhalten. Doch trotz der alten Verbundenheit zwischen Ewigk und Cairo traute Zamorra dem hageren Mann nicht über den Weg. Ted hatte zwar oft genug bewiesen, dass er allein auf sich aufpassen konnte, aber allein ins Weltall zu reisen war schon ein besonderes Kaliber. Und da hatte er schon einmal beinahe das Leben verloren und eine Katastrophe ausgelöst, als es um die Welt der rätselhaften Unsichtbaren ging.* »Wir sollten Ted begleiten.« Zamorra sah auf. Er hatte gar nicht gemerkt, daß Nicole zu sich ihnen gesellt und das Gespräch verfolgt hatte. »Bist du sicher?« Seine Gefährtin machte eine unauffällige Kopfbewegung zu Ewigk hin. Zamorra verstand auch ohne Worte, was sie meinte. Endlich interessiert Ted sich mal wieder für etwas. Da sollten wir ihn nicht gleich wieder demotivieren. Sonst vergräbt er sich noch ganz in seiner Villa. »Also gut«, gab Zamorra klein bei. Ein strahlendes Lächeln huschte über Teds Gesicht. »Klasse«, freute er sich. »Zusammen werden wir das Kind schon schaukeln.« Auch Al Cairo grinste besserwisserisch. »Es war mir von Anfang an klar, dass niemand meinem Angebot widerstehen kann.« Dass nur wenige Minuten später ein geschlossenes Schwebefahrzeug vor Château Montagne landete, das nur auf diese Entscheidung gewartet zu haben schien, bestätigte seine Worte.
Schedol führte die Flotte des Volkes einer neuen Zukunft entgegen, und die lag gar nicht weit entfernt. Diesmal gestaltete sich die Suche nach einem besiedelbaren Sonnensystem einfacher, denn die Suchmannschaften wurden rasch in einem angrenzenden Raumsektor fündig. Der dritte und der vierte Umläufer des Vierzehn-Planeten*siehe Professor ZAMORRA-Heftserie Bände 767-769, Bastei-Verlag
Systems um einen Roten Riesen boten ideale Lebensbedingungen. Man taufte sie auf die richtungsweisenden Namen Heim und Zuflucht und erwies dem Oberkommandierenden der Raumflotte eine weitere Ehre, indem man das Zentralgestirn nach ihm benannte. Da man, auch dank Schedols Umsicht und Vorausschau, wesentlich mehr an Ausrüstung und Materialien mitgenommen hatte als bei der ersten Flucht, ging die Besiedelung der beiden Planeten und der Ausbau des restlichen Systems zügig vonstatten. Die Astronomen überwachten die Umgebung des Schwarzen Loches und registrierten bereits nach wenigen Wochen die Explosion des Planeten, der für das Volk nur ein kurzer Zwischenstopp gewesen war. Ein halbes Jahr später verwandelte sich die bläulich schimmernde Sonne in die erwartete Nova. Die künstlich in Gang gesetzten thermonuklearen Vorgänge an der Oberfläche rissen den einstmals stabilen Stern aus seinem normalen Lebenszyklus und machten ihn zu einem Veränderlichen Stern, dessen Leuchtkraft binnen weniger Tage um das Zehnfache anstieg. Schon bald zeichnete sich ab, dass er eines Tages in das Schwarze Loch stürzen würde. Einer dieser Astronomen war Schonar. Auch er war einer von denjenigen, bei denen die Strahlen der blauen Sonne Wirkung zeigten. Schonar hatte keine Ahnung, dass er nicht so war wie die Generationen vor ihm, denn es gab keine äußerlichen Anzeichen einer genetischen Veränderung. Doch sie schlummerte tief in ihm und wartete mit einer Überraschung auf ihn, von der er nicht einmal zu träumen wagte. Die blauen Sternensteine wurden sicher verwahrt, damit niemand mehr auf die Idee kam, sie so leichtfertig zu manipulieren, wie Pirgol es getan hatte. Pirgol selbst ging reumütig mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit und wurde kurze Zeit später mit eingeschlagenem Schädel aufgefunden. Der Sohn eines Raumschiffmechanikers, der bei der überhasteten Flucht aus dem blauen System einem tödlichen Unfall zum Opfer gefallen war, hatte ihn umgebracht. Der Täter wurde nie ermittelt, obwohl Taria bis zu ihrem eigenen Ende vehement dafür kämpfte. Die Schwarzkristalle dienten weiterhin als Energielieferanten für
die Raumschiffantriebe und als Bordrechner. Das war zu einer Selbstverständlichkeit geworden, über die niemand aus dem Volk mehr nachdachte, zumal sie sich als absolut zuverlässig erwiesen und es keine Ausfälle zu beklagen gab. Die Raumflotte des Volkes wurde ständig größer und neue Schiffstypen ersonnen, die nicht mehr den reinen Forschungs- und Erkundungsmissionen dienen sollten, sondern in Hinblick auf Kampfeinsätze konzipiert wurden. Auch die Waffenproduktion wurde erhöht, um nie wieder einem überlegenen Gegner weichen zu müssen. Denn auch in den folgenden Jahrzehnten wichen die drohenden Schatten der Gkirr nicht von dem Volk. Niemand konnte garantieren, dass sie nicht eines Tages wieder auftauchen würden. Wenn es dazu kam, sollten sie es nicht mehr so einfach haben. Schonar ging mit Feuereifer seinen astronomischen Tätigkeiten nach, zu denen auch die Protokollierung der Vorgänge um das Schwarze Loch gehörte. Inzwischen war auch mit bloßem Auge und ohne Computerberechnungen zu erkennen, dass die zu einer Nova gewordene blaue Sonne sich in Richtung des Black Holes bewegte. Die ehemaligen Umläufer hatten sich zwar aus ihrem Schwerkraftfeld befreit, wurden aber ebenfalls von dem Gravitationsfeld der enormen Massekonzentration des Schwarzen Loches angezogen. »Ich beneide Sie«, sagte Schonars Kollegin Rifala eines Tages seufzend, während sie ihn bei seinen Tätigkeiten beobachtete. »Sie werden keinen Tag älter. Wie machen Sie das nur? Zuviel Sport, nehme ich an, aber dafür habe ich leider keine Zeit.« Schonar, der schon lange den Verdacht hatte, dass Rifala sich mit ihm paaren wollte, hielt ihre Worte für den plumpen Versuch eines Kompliments und dachte nicht weiter darüber nach. Im Laufe der Zeit stellte er aber immer häufiger fest, dass auch andere Kollegen ihm neidische Blicke zuwarfen. Als ihm irgendwann ein Jugendfreund, den er seit Jahren nicht gesehen hatte, über den Weg lief, glaubte Schonar seinen Augen nicht zu trauen. Der andere war alt geworden. Wie hatte das nur geschehen können? Da erst fielen Schonar Rifalas Worte wieder ein, und er begann die Männer und Frauen in seiner Umgebung mit anderen Augen zu be-
trachten. Sie alle wurden alt, weil das in der Natur der Dinge lag, nur vor ihm machte der körperliche Verfall halt. Unauffällig zog sich Schonar daraufhin zurück, denn irgendetwas konnte mit ihm nicht stimmen. Vielleicht hatte ihn eine unbekannte Krankheit befallen, aber er fühlte sich gesund und kräftig. Eine Weile hielt er sich für abnorm und plagte sich sogar mit Schuldgefühlen, aber nach und nach gewöhnte er sich daran, nicht mehr zu altern. Oder wenn, dann viel langsamer als früher. Er begann sogar Gefallen daran zu finden, denn wer lebte schon nicht gern länger. Eines Tages sah er durch Zufall einen Bericht in einer Nachrichtensendung, und da wurde ihm klar, dass er nicht der einzige aus dem Volk war, der von dem rätselhaften Phänomen betroffen war. Es gab andere wie ihn, und allmählich dämmerte ihm die Wahrheit. Sie waren vor vielen Jahren nicht nur vor der drohenden Zerstörung des Planeten geflohen, sondern auch vor den Auswirkungen der unbekannten Strahlung auf die Gene. Wie diese Auswirkungen aussahen, erkannte er jetzt an sich. Sie verlangsamten den Alterungsprozess, aber scheinbar nicht bei allen. In den nächsten Jahren lernte Schonar weitere Langlebige kennen, und sie trafen sich regelmäßig, um ihre Gedanken und Erfahrungen auszutauschen. Mehr und mehr blieben sie dabei unter sich, denn ihnen entging die Missgunst der Normalsterblichen nicht. Es kam sogar zu Beschimpfungen und Übergriffen. Viele Leute hatten Angst vor den, wie sie es ausdrückten, Missbildungen, andere entwickelten eine Abneigung gegen die Gruppe um Schonar, weil sie selbst ihre vergleichsweise kurze Lebenserwartung beibehielten. Das allgemeine Bekanntwerden der biologischen Veränderung trieb die seltsamsten Blüten. Einmal musste Schonar sich auf offener Straße seiner Haut erwehren, als er von einem ihm völlig Unbekannten angegangen wurde, der wissen wollte, wo man die lebensverlängernden Drogen bekommen konnte. Wildfremde Frauen wollten Kinder mit ihm zeugen, weil sie sicher waren, ihrem Nachwuchs damit ebenfalls ein außergewöhnlich langes Leben zu vererben. Doch diese anfängliche Hysterie legte sich nach einer Weile wieder, und Schonar kehrte sogar zu seinen astronomischen Beobachtungen zurück.
Mehrere Generationen waren vergangen, und längst dachte niemand mehr an Yorn, der einst den Traum von der Unsterblichkeit geträumt hatte. Auch Schedol, der Entdecker der Sternensteine, war beinahe vergessen. Nur der Name des Zentralgestirns, das zum Mittelpunkt eines militärisch schlagkräftigen Planetensystems geworden war, erinnerte noch an ihn. Die zur Nova gewordene blaue Sonne war inzwischen in das Schwarze Loch gestürzt. Auch ihre Planeten hatte sich der kosmische Staubsauger einverleibt. Das Volk besaß eine gewaltige Raumflotte und besiedelte eine Reihe von weiteren Sonnensystemen, wie es das schon einmal getan hatte. Doch die Naivität der früheren Unschuld wurde nicht wiederholt. Sie alle wurden so stark gesichert, dass sie notfalls auch ohne Unterstützung von daheim auskamen. Die Gkirr waren zwar nicht wieder aufgetaucht, und bei den Vorstößen in den Raum entdeckte man keine Hinweise auf sie, aber gerade sie hatte niemand vergessen. Schonar lebte immer noch, und er alterte nicht weiter. Nach mehreren hundert Jahren nahm er sich eine Gefährtin, Loolanda, die ebenfalls zu den Langlebigen gehörte. Immer mehr von ihnen schlossen sich der Gruppe an, von deren Existenz die Normalen nichts ahnten. »Wir sind nicht nur langlebig«, sagte er eines Tages. »Wir können uns der Tatsache nicht verschließen, unsterblich zu sein.« Er wusste selbst nicht genau, woher er die unerschütterliche Sicherheit nahm, aber für ihn gab es keinen Zweifel mehr. Die unbekannten Strahlen der blauen Sonne hatten ihm und seinen Weggefährten das ewige Leben geschenkt. Natürlich löste seine kühne Behauptung lebhafte Diskussionen und heftige Kontroversen aus. Viele meinten, es sei noch zu früh, das endgültig entscheiden zu können. Dazu müsse man noch weitere Jahrhunderte oder gar Jahrtausende warten, insgeheim hoffte aber jeder, Schonar möge Recht behalten. »Wir müssen Strategien für die Zukunft aufstellen«, forderte er bei
einer Zusammenkunft und erntete allgemeines Unverständnis. »Wovon reden Sie? Was denn für Strategien?« »Wir können nicht so weitermachen wie die Normalen.« Schonar sprach das Wort mit Geringschätzung aus. »Wir können uns doch nicht mehr damit begnügen zu planen, was wir morgen oder übermorgen tun. Wir müssen lernen, in neuen Dimensionen und Zeitmaßstäben zu denken und zu rechnen. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir die Jahrhunderte angehen. Was unternehmen wir in tausend Jahren, was in einer Million? Und wie kommen wir dahin?« »Finden Sie das nicht ein wenig übertrieben?«, wurde er gefragt. »Wir sind keine Götter.« »Wer redet denn von Göttern? Wir sind Wesen aus Fleisch und Blut und haben den Göttern damit einiges voraus. Das ganze Universum steht uns offen.« »Vergessen Sie nicht die Gkirr. Die lauern doch nur darauf, dass wir uns zu weit 'rauswagen, um erneut über uns herzufallen.« »Die Gkirr? Lächerlich!« Schonar hatte für die ehemaligen Sieger nichts als Spott und Verachtung übrig. »Sollen Sie nur kommen. Wir werden sie ebenso wegfegen wie alle anderen, die es wagen, sich uns in den Weg zu stellen.« Lautstarke Proteste setzten ein. Schonars Worte hatten etwas Kriegslüsternes an sich. Auch wenn sich das Volk in seiner Einstellung gewandelt hatte und nicht mehr Frieden um jeden Preis akzeptierte, erschütterten sie seine Zuhörer. Viele wandten sich ab und verließen die Versammlung vorzeitig. »Sie verraten die Ideale unseres Volkes!«, rief jemand. »Wer sind Sie, dass Sie sich diese Frechheit herausnehmen?« »Unser Volk?«, konterte Schonar. »Von welchem Volk reden Sie? Sehen Sie sich doch einmal um. Wie viele aus dem alten Volk sind hier vertreten? Kein einziger! Weil sie nicht mehr zu uns gehören. Oder besser gesagt, weil wir nicht mehr zu ihnen gehören. Wir sind eine neue Schöpfung, die nächste Stufe.« »Das ist doch Größenwahn.« »Nein, es ist die Realität. Niemand kann sich mit uns messen.
Nicht auf diesem Planeten und nicht in unserem Sonnensystem, nicht einmal in der Galaxis. Ich fordere jeden von Ihnen auf, die Wahrheit endlich anzuerkennen. Denn nur wenn wir das tun, können wir unsere Macht eines Tages, wenn es darauf ankommt, in die Waagschale werfen.« Kaum jemand hörte ihm noch zu. Schonar erkannte, dass seine Worte zu früh kamen. Kaum jemand außer ihm war schon soweit zu erkennen, welches Potential die Natur ihnen geschenkt hatte. »Du hast sie überfallen«, tadelte Loolanda. »Das war unklug.« »Du also auch«, begehrte er wider besseres Wissen auf. »Stellst du dich auf ihre Seite?« »Red keinen Unsinn. Du weißt genau, dass ich so denke wie du und auf deiner Seite stehe, sonst wäre ich nicht deine Gefährtin. Aber du hast selbst gesagt, dass wir alle Zeit des Universums haben. Lass ihnen also noch ein wenig davon, damit sie aus freien Stücken erkennen, was du meinst. Die Zeit wird ihnen dabei helfen. Was sind schon ein paar mickrige Jahrhunderte?« Schonar konnte nicht umhin, Loolanda zuzustimmen. Er hatte die Gruppe mit seinen Ideen geimpft, nun blieb ihm nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass die Saat anschlug. Was bedeutete für einen Unsterblichen schon Zeit? Er konnte sie für andere Dinge nutzen. Schonar und Loolanda jedenfalls nutzten sie dazu, Nachwuchs zu zeugen. Von klein an lehrte Schonar seinen Sohn, dem seine Eltern den Namen Tilgerd verliehen, seine Ideen und bereitete ihn darauf vor, eines Tages Angehöriger eines Volkes zu sein, dem es bestimmt war, die beherrschende Rolle in der Galaxis zu spielen. Tilgerd wuchs in der gleichen Zeitspanne heran, in der es der Nachwuchs des Volkes immer getan hatte. Dann, eines Tages jedoch, kam auch bei ihm der Alterungsprozess zum Erliegen. Auch andere aus der Gruppe der Unsterblichen bekamen Kinder. Dabei stellte sich heraus, dass nur die Kinder ebenfalls unsterblich wurden, deren beide Eltern es waren. War jedoch ein Elternteil ein Normaler, so galt das auch für den Nachwuchs. Die Unsterblichkeit ließ sich also nur untereinander weitervererben. Zudem waren die Mitglieder der Gruppe, die Schonar um sich scharte, lediglich relativ
unsterblich, wie sich bei einem tödlichen Unfall in ihren Reihen herausstellte. Gegen physische Gewalt waren sie also nicht gefeit. Ein Jahrtausend verging, und Schonar setzte seine Politik der kleinen Schritte fort, weil er merkte, dass sie effektiver war als die Bestrebungen, möglichst rasche Umbrüche zu erzielen. Immer mehr Unsterbliche schlugen sich auf seine Seite, korrumpiert von der Aussicht auf Macht, die er ihnen voraussagte. Sie schotteten sich gegen alle Außenstehenden ab und bildeten bald einen Staat im Staat, der wuchs und gedieh. Der erste Auftrag, den Schonar für sie hatte, war, möglichst viele Dhyarras zu besorgen, um eine technische Entwicklung neben der des Volkes voranzutreiben. In den folgenden paar tausend Jahren einte er sämtliche Unsterblichen. Innerhalb des Volkes wurde keiner von ihnen übersehen. Eine Handvoll nur weigerte sich, sich der Gruppierung anzuschließen. Schonar sah eine Gefahr in ihnen, die er nicht akzeptieren konnte. Er hielt jeden, der sich seinen Zielen nicht anschließen wollte, für einen potentiellen Verräter, und sorgte dafür, dass sie nach und nach eines unerwarteten Todes starben. Auch dabei verging viel Zeit, denn natürlich vermied er, dass die Ableben zu dicht aufeinander folgten und anderen auffielen. Dann endlich verkündete er, was er schon lange beschlossen hatte. Er gab den Unsterblichen einen neuen Namen, unter dem sie in die Galaxis hinausziehen und bekannt werden sollten. »Ab heute sind wir die Ewigen.« Damit konnten drei langfristige Pläne in Angriff genommen werden, um die Fühler nach der Macht in der Galaxis auszustrecken.
Die DYNASTIE DER EWIGEN umfasste eine Million Angehörige. Das war nicht viel innerhalb eines Volkes, das nach Milliarden zählte, außer diese Million wurde von einem kollektiven Elitedenken angeleitet. Unter dem anfliegenden Raumschiff erstreckte sich ein metallisches Areal bis zum Horizont. Es als Start- und Landefeld zu be-
zeichnen war eine Untertreibung, denn es war viel mehr als das. Es war ein Sprungbrett auf dem Weg zur absoluten Macht in der Galaxis. Tilgerd ließ den Blick in die Ferne schweifen, während das Schiff zur Landung auf dem Stahlplaneten ansetzte. So weit das Auge reichte, standen Raumschiffe aufgereiht, die mit denen, über die das Volk verfügte, nicht zu vergleichen waren. Es waren Neubauten der Ewigen, die bisher geheim gehalten wurden. Mit ihnen wollten die Ewigen ihren Siegesfeldzug starten. Von den 180 Meter durchmessenden ringförmigen Schiffen der Jäger-Klasse über die 750 Meter großen Ringe der Jagdboote bis zu den Supra-Kreuzern und den noch größeren Schlachtschiffen war alles vertreten, was mögliche Gegner in Angst und Schrecken versetzen sollte. Die unüberschaubare Phalanx aus geballter Schlagkraft war ein erhebendes Gefühl. Dabei war mit dem Bau des mächtigsten Giganten, den die Galaxis jemals gesehen hatte, noch gar nicht begonnen worden. Die Pläne für die sogenannten Sternenschiffe waren bereits erstellt, aber der Bau jedes dieser Giganten würde mehr als zehn Jahre in Anspruch nehmen. Sämtliche Schiffe waren mit hochwertigen Waffensystemen, Deflektorfeldern und Traktorstrahlen ausgestattet. Sie wurden auch dringend benötigt, denn in den letzten paar Jahren begannen sich die Gkirr wieder zu rühren. Viele hatten sie bereits von der galaktischen Bühne abgeschrieben, aber Tilgerds Vater Schonar hatte stets prophezeit, sie würden eines Tages zurückkehren. Ein Aufeinandertreffen war unvermeidlich. Tilgerd war nicht wohl bei dem Gedanken, dass Ewige gegen diese Spezies selbst ins Feld zogen. Ihr Leben war viel zu wertvoll, um in kriegerischen Auseinandersetzungen ausgelöscht zu werden. Aber das hatte die DYNASTIE DER EWIGEN auch nicht vor. Klug wie sie war, würde sie andere für sich kämpfen lassen. Nach der Landung verließ Tilgerd das Schiff mittels eines Antigravfeldes, das ihn sanft auf dem Boden absetzte. Als er sich umschaute, kam er sich zwischen der unüberschaubaren Ansammlung auf ihren Jungfernflug wartender Raumschiffe vor wie zwischen Gebirgen aus Stahl. Nicht allein aufgrund seiner zu großen Teilen
künstlichen Oberfläche trug die Stahlwelt ihren Namen völlig zu recht. »Gibt es irgendwelche Probleme?«, fragte Tilgerd anstelle einer Begrüßung. Die drei Männer des Empfangskomitees, die bei einem Schwebefahrzeug warteten, schauten sich vielsagend an, waren aber klug genug, auf eine Zurechtweisung zu verzichten. »Keine Probleme«, antwortete einer der Männer, der sich als Tan Daschul und seine Begleiter als Hagard'Yischin und Gol vorstellte. »Wir sind exakt im Zeitplan.« »Das wird man zu schätzen wissen«, lobte Tilgerd. Er ließ sich nicht anmerken, dass ihm die Namen, die sich manche der Ewigen zulegten, nicht zusagten. Er bevorzugte die althergebrachten üblichen Bezeichnungen, bei denen man sich nicht die Zunge verbiegen musste. »Wie sieht es mit den Cyborgs aus?« »Auch bei deren Produktion gibt es keine unerwarteten Schwierigkeiten. Ich nehme an, Sie möchten sie sehen.« »Deshalb bin ich hier.« »Wir führen Sie umgehend zu ihnen.« Die drei Männer ließen Tilgerd den Vortritt und kletterten hinter ihm in den Schweber. Tan Daschul startete ihn und steuerte ihn zwischen den noch nie zum Leben erwachten Raumschiffen hindurch zu einem kreisrunden, fünfzig Meter durchmessenden Schacht, der senkrecht nach unten führte. Der Schweber senkte sich viele hundert Meter in die Tiefe, einem beständigen leisen Summen entgegen, das die Ewigen wie ein Insektenschwarm erwartete. In riesigen unterirdischen Höhlen waren die eigentlichen Produktionsstätten der Stahlwelt untergebracht, in denen die unterschiedlichen Schiffstypen montiert wurden, bevor man sie nach ihrer Fertigstellung an die Planetenoberfläche brachte. Tilgerd hatte keinen Blick dafür übrig. Er kannte die Mechanismen auswendig, denn er war in den vergangenen fünftausend Jahren unzählige Male hier gewesen, um sich über den Stand der Dinge zu informieren. Diesmal war er gekommen, um sich vom Fortschritt des Cyborg-Projekts zu überzeugen. Der Schweber passierte zahlreiche Hallen und Verbindungsstol-
len, bis er den Cy-Dome erreichte. Tan Daschul drückte ihn zu Boden, und der Antrieb erstarb. Aufregung und Stolz befielen Tilgerd zu gleichen Teilen. Er hatte das Cyborg-Projekt vor langer Zeit angeregt, deshalb lag es ihm auch besonders am Herzen. Eine zweihundert Meter hohe Halle mit dem doppelten Durchmesser lag vor ihm. In vielen tausend Fruchtblasen wuchsen die organischen Roboter heran, kybernetische Organismen, die von im Kopf sitzenden modifizierten Dhyarra-Kristallen gesteuert wurden, die gleichzeitig als Programmgehirn und Energielieferant fungierten. Kämpfer für die Zukunft, dachte Tilgerd. Kämpfer für die absolute Macht der Ewigen. Da die Ewigen unerkannt in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft des Volkes tätig waren, verfügten sie dank Schonars Weitsicht über reichhaltige Vorräte an schwarzen Sternensteinen, um sämtliche Cyborgs damit bestücken zu können. Und inzwischen auch an blauen Dhyarras. Um das dritte Projekt neben dem Aufbau der Flotte und der Armee der Cyborgs kümmerte sich Schonar selbst. Und auch dieses Projekt machte Fortschritte.
Unabhängig von der langsamen Verbreitung des Volkes, betrieben die Ewigen eine eigene aggressive Expansionspolitik. Auf dem Weg zur Macht konnte man gar nicht genug Welten besitzen. Die Ewigen gliederten ihrem entstehenden Sternenreich ein Sonnensystem nach dem anderen an und breiteten sich über einen Raum von mehreren Lichtjahren Durchmesser aus. Die Flotte der Stahlwelt durchstreifte das All. Anfangs waren die Schiffe nur mit Angehörigen der Dynastie bemannt, aber sie wurden nach und nach durch Cyborgs ersetzt, um nicht selbst in Gefahr zu geraten. Schonar kämpfte inzwischen an einer anderen Front. Es gab etwas, wovon er sich mehr Stärke versprach als von jeder Raumschiffflotte. Vor ihm türmten sich die Objekte seiner Begierde. Zweifellos war
die Bezeichnung Dhyarra falsch, und Sternenstein ebenso. Denn es handelte sich um Kristalle der Macht. Schonars Augen funkelten so sehr wie die Kristalle, als er sie betrachtete. In der Regierung ahnte niemand, welcher Schatz da über zahlreiche Generationen unbeachtet in verschlossenen Räumen gelagert hatte. Die Normalen erinnerten sich zwar an die Katastrophe, die einst ein junger Wissenschaftler durch Manipulation eines blauen Dhyarras ausgelöst hatte, aber sie maßen ihr heute kaum noch eine Bedeutung bei. Denn niemand war in der Lage, in gleicher Weise auf die Sternensteine einzuwirken. Nur so ließen sich die mangelnden Vorkehrungen gegen Unbefugte erklären, die es Schonars Agenten erlaubt hatten, die blauen Steine nach und nach sicherzustellen, ohne dass es jemand bemerkte. Verächtlich lachte Schonar auf. Die Normalen gingen viel zu sehr von sich aus. Sie hatten keine Ahnung, dass die Ewigen die Kristalle mit ganz anderen Augen sahen. In jedem dieser Steine schlummerte ein großes Machtpotential, das man sich zu nutze machen konnte, sobald es gelang, es zu aktivieren. Schonar verteilte die Dhyarras unter den Ewigen, und die begannen damit zu experimentieren. Auch seinem Sohn Tilgerd händigte er einen blauen Stein aus, als der für eine kurze Zeit heimkam, um Bericht zu erstatten. Schon bald stellte sich heraus, dass sämtliche Unsterblichen eine Affinität zu den Kristallen besaßen. Zunächst sah es so aus, als ob jeder sie unterschiedlich wahrnahm, aber Schonar begriff als erster, dass das nicht an der Auffassungsgabe der einzelnen Ewigen oder der Ausprägung ihres Parapotentials lag, sondern an den Kristallen selbst. Die Steine waren unterschiedlich stark. Damit kamen sie seiner Vorstellung von einer neuen Ordnung entgegen. Wer den stärksten Dhyarra besaß, würde sich zwangsläufig an die Spitze der Ewigen stellen und über sie herrschen. Natürlich dachte Schonar nicht daran, eine solche Entscheidung dem Schicksal zu überlassen. Während sein Sohn Tilgerd das Cyborg-Projekt vorantrieb, waren die meisten Ewigen in ihre Experimente mit den blauen Steinen vertieft. Obwohl Schonar sie unter seinen Gefolgsleuten aufgeteilt hatte, befand sich der größte Teil der Kristalle noch in
seiner Hand. Tag und Nacht sondierte er sie und lernte die Unterschiede zu erkennen. Immer schneller gelang es ihm festzustellen, wie stark ein Dhyarra war. Die Unterschiede waren enorm, und um sie greifbar machen zu können, nahm er eine Unterteilung in Ordnungsklassen vor. Sie reichte vom schwächsten Kristall, nämlich dem 1. Ordnung, bis zum Kristall 10. Ordnung. Je höher die Stufe wurde, desto weniger Exemplare gab es. Von den ganz starken waren das nur wenige. Doch es gab keinen Stein, der unter allen anderen herausragte. Das brachte ein Problem mit sich, wenn es darum ging, eine Hierarchie zu etablieren, was auf Dauer unerlässlich war, wenn die DYNASTIE DER EWIGEN nicht in Unordnung und Chaos versinken wollte. Schonar spielte mit dem Gedanken, bis auf ein Exemplar sämtliche Kristalle 10. Ordnung zu zerstören, aber dazu war es zu spät. Wenn er bis auf einen wirklich die vernichtete, die er selbst besaß, war damit nichts gewonnen. Denn eine unbekannte Anzahl war noch in den Händen anderer Ewiger. Für einen schrecklichen Moment befiel ihn die Befürchtung, es gäbe vielleicht einen höherwertigen Dhyarra. Wenn irgendwer einen hypothetischen Kristall 11. Ordnung besaß, war er damit mächtiger als Schonar. Die Vorstellung ernüchterte ihn, denn so etwas durfte auf keinen Fall geschehen, wenn er sich seinen Traum von der Macht erfüllen wollte. Sämtliche Dhyarras unter einem Vorwand zurückzufordern, hätte nicht funktioniert, sondern lediglich unnötiges Misstrauen geschürt. Schonar zwang sich zu logischem Denken. Wenn es tatsächlich einen Kristall 11. Ordnung gab, würde er früher oder später darauf stoßen. Da im Gegensatz zu ihm alle Ewigen nur einen Stein besaßen, waren ihnen auch keine Vergleiche möglich. Selbst wenn sie sich darüber austauschten, konnten sie nicht mehr als Ansatzpunkte erkennen. Ihnen gegenüber besaß er also einen klaren Vorteil, aus dem er Kapital schlagen musste. Wieder blieb Schonar nichts anderes übrig, als sich mit Geduld zu wappnen und die Zeit für sich arbeiten zu lassen. Aufmerksam behielt er die Ewigen im Auge, und ihm entging nicht, dass es zu ersten unterschwelligen Machtkämpfen kam, sobald sich zwei unter ih-
nen über die Fähigkeiten ihrer Kristalle im Klaren waren. Anfangs mehr aus Neugier, später aber immer verbissener, taten sie genau das, was Schonar erwartet hatte. Sie versuchten die Stärke ihres Kristalls über die eines Konkurrenten zu erheben. Ohne dass Schonar etwas dazu tun musste, legten die Ewigen den Grundstein für eine Hierarchie, die auf der Rangordnung der Dhyarras fußte. Alle waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu erkennen, dass Schonar sich aus den Konflikten heraushielt und stattdessen den Überblick über alles behielt. Er erkannte, wo die starken Dhyarras verteilt waren und wer kein ernsthafter Gegner in einem möglichen Kampf um die Macht war. Eins jedoch entdeckte er nie. Nämlich einen Kristall, der die 10. Ordnung überstieg. Seine Zuversicht wuchs mit jedem Tag, und bald war er sicher, dass dieser schlimmste aller Fälle nicht bestand. Es gab keinen Kristall 11. Ordnung. Diese Erkenntnis war wie eine Offenbarung, denn sie verriet Schonar, was er tun musste. Nämlich mit seinem Parapotential einen erschaffen.
Tilgerd gewann weitere Planetensysteme. In seiner Politik, sie dem wachsenden Imperium anzugliedern, ging er dabei immer rigoroser vor. Hatte er sich früher auf unbesiedelte Welten beschränkt, änderte sich das im Laufe der Zeit. Die Doktrin, die absolute Macht erlangen zu wollen, duldete keine Rücksichtnahme auf Schwächere, zumal die einen weiteren Vorteil bescherten. Es waren billige Arbeitskräfte, die sich auch als Besatzungen der Raumschiffe einsetzen ließen. Bereitwillig unterwarfen sich viele primitive Völker den selbsternannten Herren und machten sich zu deren Sklaven. Ohne überhaupt zu begreifen, was sie taten, beuteten sie ihre eigenen Planeten für die Ewigen aus. Was die Götter aus dem Weltall forderten, wurde bereitwillig erledigt. Tilgerd gefiel das. Er liebte es, von den Angehörigen weniger weit entwickelter Spezies wie ein Gott hofiert zu werden. Das war genau die Art der Anerkennung, die den Ewigen zustand. Er war alles an-
dere als ein Dummkopf und wusste genau, was für Experimente sein Vater daheim durchführte. Schonar suchte mit allen Mitteln nach dem mächtigsten unter den Dhyarra-Kristallen, um sich mit seiner Hilfe an die Spitze der Dynastie und eines fernen Tages an die Spitze der gesamten Galaxis zu setzen. Bei seinem grenzenlosen Ehrgeiz würde er nicht ruhen, bis er sein Ziel erreicht hatte, selbst wenn er dazu einen Dhyarra brauchte, der noch gar nicht existierte. Sinnend betrachtete Tilgerd den blauen Kristall, den er seit seinem letzten Heimatbericht bei sich trug. Die Vorstellung der widernatürlichen Bestrebungen seines Vaters amüsierte ihn. Doch was Schonar konnte, konnten andere auch. Jeden Tag vergrößerte Tilgerd das Imperium, und je weiter die Expansion der DYNASTIE DER EWIGEN unter seiner Ägide fortschritt, desto größer wurde ihr Bedarf an Ressourcen. Der Bau jedes weiteren Raumschiffs verschlang immense Mengen an Rohstoffen, und auch wenn die Fertigung größtenteils vollautomatisch vonstatten ging, kam sie ohne gewisse manuelle Tätigkeiten durch niedere Handlanger nicht aus. Eines Tages traf ein Teil der Flotte überraschend auf einen starken Schiffsverband der Gkirr. Was sich abgezeichnet hatte, bestätigte sich. Die Gkirr, die das Volk in grauer Vergangenheit von ihrem Heimatplaneten vertrieben hatten, drangen inzwischen auch in die Regionen der Galaxis vor, die die Ewigen als ihr Territorium beanspruchten. Die Gkirr legten das gleiche rücksichtslose Verhalten an den Tag, wie sie es schon früher getan hatten, doch diesmal standen sie keinem wehrlosen Opfer gegenüber. Die technische Machtfülle und auch die Kampfbereitschaft der an Bord eingesetzten Cyborgs hatte nichts mehr mit der des einst friedlichen Volkes zu tun. Da aber auch die Gkirr in der langen Zeit nicht untätig geblieben waren und ihre Waffensysteme beständig verbessert hatten, kam es zu einem verheerenden Kampf, in dem sich die Gegner neutralisierten und gegenseitig aufrieben. Auf beiden Seiten überstanden nur wenige Einheiten die Schlacht, die nur der Auftakt für weitere Kämpfe war. Damit war die Absicht konterkariert, die das Volk bei dem Aus-
zug aus seiner Heimat verfolgt hatte. Nämlich, dass die Gkirr es vergaßen und sich nie wieder daran erinnern würden. Doch nun standen sich die beiden Völker erneut gegenüber. Aber unter anderen Bedingungen, dachte Tilgerd. Sollen sie uns ruhig unterschätzen. Diesmal werden die verdammten Gkirr den kürzeren ziehen. Wir werden sie aus dem Universum fegen. Die Geschichte wird den Mantel des Vergessens über sie ausbreiten. Doch Tilgerd sah sich vor das Problem gestellt, dass nach dem erneuten Aufflammen der Kämpfe kein Ewiger mehr bereit war, an Bord der Flotte Dienst zu tun. Die Situation verschärfte sich, als die Kämpfe sich ausweiteten. In manchen Sternensystemen zogen sie sich über Monate hin, weil sich mit den unversöhnlichen Feinden zwei ungefähr gleich starke Gegner gegenüberstanden, die beide bereit waren, bis zum Ende zu kämpfen. Ihre Einstellung und ihr Expansionsdrang verboten ihnen eine Beendigung der Kämpfe und den Rückzug. Zwar waren es ohnehin nur noch wenige Ewige, die in den Schiffen über die Cyborgs befehligten, aber auch sie wollten ihr Leben nicht länger einsetzen, was Tilgerd sogar verstehen konnte. So zog er sie aus den Kampfeinheiten ab und stockte die Sollstärke mit zusätzlichen Cyborgs auf. Sein Projekt war ein voller Erfolg. Die kybernetischen Wesen kannten weder Angst wie die Ewigen, noch Gewissenbisse. Sie zweifelten nicht, sondern setzten die erhaltenen Befehle bedingungslos um. Die Ewigen selbst gingen nur noch in Einsätze, wenn sie sich absolut sicher waren, dass ihnen dabei nichts zustoßen konnte. Ansonsten schickten sie die Men in Black, wie die Cyborgs aufgrund ihrer einheitlichen schwarzen Kleidung auch bald genannt wurden, ins Feuer. Zusätzlich rekrutierte Tilgerd Krieger und Kämpfer von unterworfenen Planeten, um sie an die Front zu schicken. Für ihn war ihr Leben nicht mehr wert als das eines kybernetischen Organismus, dessen löschbarer Erinnerungsspeicher sich jederzeit updaten ließ. Tilgerds -zigtausend Raumschiffe eilten im Dienste des Imperiums von Stern zu Stern. Während er selbst sich mit einem ganz anderen Gedanken beschäftigte.
Tausend Jahre später war Schonar sicher, dass sich die Aufstockung eines blauen Dhyarras unter bestimmten Voraussetzungen bewerkstelligen ließ. Nur die wenigsten Kristalle 10. Ordnung ließen sich dafür verwenden. Die Hierarchie unter den Ewigen begann sich zu festigen. Der Träger eines niederrangigen Dhyarras unterstellte sich dabei dem Träger eines Kristalls höherer Ordnung zumeist freiwillig. Wenn dies nicht geschah, kam es zum Kampf. Dabei bestätigte sich immer wieder, dass stets der Kristall höherer Ordnung triumphierte. Ausnahmen gab es nicht. Nur anhand der Tatsache, welchen Dhyarra ein Ewiger beherrschte, stieg er die Rangleiter hinauf oder auch nicht. Doch kein Ewiger musste sich in alle Ewigkeit mit seiner einmal erreichten Position abfinden. Er konnte sich in der Hierarchie verbessern, wenn es ihm gelang, sich einen stärkeren Sternenstein anzueignen. Es kristallisierten sich Bezeichnungen für die Träger der unterschiedlichen Steine heraus, die bei Omega begannen und im Alpha für den Besitzer eines Dhyarras 10. Ordnung gipfelten. Bald war allgemein bekannt, dass es in ganz seltenen Fällen auch möglich war, einen Dhyarra aufzustocken, wenn man über eine ausreichend starke Paragabe verfügte und der Kristall zudem darauf ansprach. Doch dies geschah nur in ganz seltenen Fällen, so dass sich in relativ kurzer Zeit eine recht starre Rangordnung unter den Ewigen bildete, die nicht so einfach zu durchbrechen war. Immer noch verfolgte Schonar das Geschehen. Da er lange vor allen anderen Ewigen mit seinen Versuchen begonnen hatte, einen Kristall 10. Ordnung aufzustocken, sah er sich noch immer im Vorteil. Natürlich hatte er unter den starken Kristallen, die ihm zur Verfügung standen, den herausgefunden, der ihm am besten geeignet erschien. Der Dhyarra verfügte nicht nur über eine enorme Macht, an gewissen Feinheiten ließ sich zudem erkennen, dass in ihm noch ungenutztes Potential für eine Weiterentwicklung schlummerte. Und das war auch dringend nötig, denn viele Alphas machten noch keinen Anführer aus. Zwar wurde die Hierarchie akzeptiert,
aber Ewige der höchsten Rangordnung gingen sich zumeist aus dem Weg, da sie sich über die anerkannte Prozedur nicht definieren konnten. Schonar erzielte langsame Fortschritte bei seinen Experimenten, die ihn zusätzlich anspornten. Er war sicher, genau den richtigen Kristall ausgewählt zu haben. Je weiter er in den Stein vordrang, desto bewusster wurde er sich der Barriere, die vor ihm lag. Anfangs war sie nicht zu sehen gewesen, aber mittlerweile lag sie wie ein aufgeschlagenes Buch vor ihm. Er machte sich daran, sie anzugreifen und einzureißen, denn dahinter wartete die nächste Stufe auf ihn. Es gab sogar Momente, in denen er vor dem entscheidenden Schritt zurückschreckte, weil er fürchtete, die lauernde Macht nicht kontrollieren zu können. War das dem Wissenschaftler widerfahren, der durch seine Unvorsichtigkeit den Untergang des blauen Systems eingeleitet hatte? Schonar hätte gern mehr über den Mann gewusst, der kein Ewiger sondern ein Normaler gewesen war und dennoch bis an diesen Punkt vorgestoßen war. Wenn es einem Normalen gelungen war, die Widrigkeiten auszuschalten, musste das Schonar erst recht gelingen. Er spürte, wie der Dhyarra seinem Willen Stück für Stück nachgab. Mit jedem Jahr wurde der Widerstand etwas geringer. Parallel dazu wuchs Schonars Kraft, bis ihm der entscheidende Durchbruch gelang. Als der Dhyarra einen Evolutionssprung machte und zu einem Kristall 11. Ordnung wurde, fühlte sich auch Schonar für einen Moment auf eine höhere Existenzebene katapultiert. Eine gewaltige Welle schlug über ihm zusammen und drohte ihn mit ihrer unbändigen Kraft wegzuspülen. Er machte nicht den Fehler, ihr ausweichen zu wollen, sondern stellte sich ihr, denn sie war die Macht, nach der er so lange getrachtet hatte. Es dauerte eine Weile, bis es ihm gelang, die eingetretene Veränderung zu akzeptieren. Schonar hatte es geschafft. Während die meisten Ewigen noch ihre untergeordneten Ränge zu festigen suchten, war er bereits einen Schritt weiter. Er hatte die Ebene erreicht, die konkurrenzlos war. Niemand stand über ihm, und niemand stand
mehr auf einer Stufe mit ihm. Von innerer Kraft erfüllt, betrachtete er den blau funkelnden Dhyarra. Er war jetzt ein Kristall 11. Ordnung, der einzige, den es gab. Er war der Kristall der Macht. Damit war der Moment gekommen, auf den Schonar so lange gewartet hatte, und er beschloss, dass es Zeit sei, an die Öffentlichkeit zu gehen und von den Ewigen das Recht einzufordern, das ihm zustand. Denn er war von nun an der Oberste in der DYNASTIE DER EWIGEN. Ihr ERHABENER.
Die Ewigen mussten erkennen, dass sie sich geirrt hatten. Sie waren zwar extrem langlebig, aber nicht unsterblich, wie sie Tausende von Jahren angenommen hatten. Sie begriffen es, als die ersten Todesfälle eintraten, die nicht aus Gewalt resultierten, sondern biologisch erklärbar waren. Immer noch loderten die Kämpfe gegen die Gkirr. An den eigentlichen Kriegsgrund konnte sich nach Jahrhunderttausenden kaum noch jemand erinnern, aber er wurde auch nicht hinterfragt. Ausschlaggebend war, dass die Gkirr der DYNASTIE DER EWIGEN den Machtanspruch streitig machen wollten, was sich diese nicht bieten ließ. Tilgerd führte einen ständigen Kampf und kehrte für Zeiträume nicht nach Hause zurück, in denen bei den Normalen mehrere hundert Generationen kamen und gingen. Wenn er dann einmal da war, zog es ihn gleich wieder hinaus, um die Legionen seiner Cyborgs in den Krieg zu führen. Längst hatte sein Ehrgeiz den seines Vaters überflügelt. Die Hierarchie unter den Ewigen hatte sich endgültig durchgesetzt, und Schonar herrschte über Äonen, weil es keinem Ewigen gelang, ebenfalls einen Kristall der Macht zu schaffen. Irgendwann entdeckte Tilgerd in einem kleinen Sonnensystem weit abseits aller Schifffahrtsrouten einen unbewohnten Sauerstoffplaneten, der ihm wie die Erfüllung all seiner Träume vorkam. Er
war geradezu prädestiniert als zentraler Sitz der DYNASTIE DER EWIGEN. Dass die Ewigen sich immer noch unter Milliarden von Normalen ihres Volkes verbargen war ein unhaltbarer Zustand, der endlich revidiert werden musste. Ihnen stand ein unabhängiges Zentrum ihrer Macht zu. Tilgerd stationierte mehrere Hundertschaften Cyborgs auf dem Planeten, dessen Erscheinungsbild von zahlreichen Mittelgebirgen, Meeren und ausgedehnten Seenplatten sowie riesigen Wäldern mit reichhaltiger Vegetation geprägt wurde. Unter strengster Geheimhaltung ließ er sie eine Ansiedlung errichten, die von einem feudalen Regierungssitz gekrönt wurde. Der Rest der Galaxis durfte nie erfahren, wo das Zentrum der Ewigen-Macht entstand. Deshalb prägte Tilgerd sich die Koordinaten ein und löschte sie vorsichtshalber aus den Speicherbänken sämtlicher Schiffe, die ihn begleitet hatten. Als er ein paar hundert Jahre später zu einer Inspektion zurückkehrte, waren die Arbeiten erledigt. Der Kristallpalast, wie er den zukünftigen Sitz des ERHABENEN taufte, war noch prachtvoller geraten, als er sich das ausgemalt hatte. Er war des Herrschers über die Dynastie in jeder Hinsicht würdig. Tilgerd verzichtete darauf, die Erinnerungsspeicher der Cyborgs zu löschen, die ihn errichtet hatten, sondern ging auf Nummer Sicher. Er zerstrahlte sie bis auf den letzten Mann. Nur er allein wusste nun, wo dieser Planet lag. Die Kristallwelt. Anschließend stattete Tilgerd seinem Vater Schonar einen Besuch ab, der die Geschicke der Ewigen schon viel zu lange lenkte. Lächelnd begrüßte Schonar ihn. »Du hast dich schon Jahrhunderte nicht mehr sehen lassen.« »Jahrtausende«, korrigierte Tilgerd. »Es gibt viel zu tun dort draußen.« »Wie die Zeit vergeht.« Schonar war tatsächlich erstaunt. »Man bekommt es überhaupt nicht mehr mit. Aber das ist nicht so tragisch, schließlich haben wir noch die Ewigkeit vor uns.« »Nicht wir alle«, erwiderte Tilgerd mit ruhiger Stimme. Er konzen-
trierte sich auf seinen Dhyarra und aktivierte ihn, bevor sein Vater reagieren konnte. Der Angriff seines eigenen Sohns kam zu überraschend. Schonar war tot, bevor er auch nur einen Gedanken an Gegenwehr fassen konnte. Niemals hatte er erwartet, dass es außer ihm einem weiteren Ewigen gelungen war, einen Dhyarra aufzustocken. Noch dazu Tilgerd, der sich doch Zeit seines Lebens im Weltall herumgetrieben hatte, ohne sich um die Macht- und Ränkespiele daheim zu kümmern. Der neue ERHABENE nahm den Dhyarra seines Vaters an sich und zerstörte ihn. Von ihm aus sollte es so viele blaue Steine geben wie Sandkörner am Meer. Aber immer nur einen Machtkristall.
In ihrem Machtbereich schufen die Ewigen ein weitverzweigtes Netz interstellarer Transmitterstraßen, über die sich weit entfernte Orte auch ohne Raumschiffe erreichen ließen. Ein unermesslicher Zeitraum verstrich, in dem Kulturen aufgingen und wieder erloschen, aber die DYNASTIE DER EWIGEN bestand weiter. Ihr Sternenreich, in dem die Kristallwelt seit langer Zeit etabliert war, umfasste zahlreiche besiedelte und unterworfene Sonnensysteme. Seit hunderttausend Jahren war Tilgerd schon kein ERHABENER mehr. Auch er war von einem Konkurrenten mit einem aufgestockten Machtkristall getötet worden und hinüber gegangen, wie die Ewigen es nannten. Unzählige ERHABENE waren in seine Fußstapfen getreten, manche für Perioden, die die Lebenserwartung Sterblicher um ein Vielfaches überstiegen, andere nur für Tage oder Wochen, bis ihnen von einem Herausforderer der Garaus gemacht wurde. Immer wieder kam es zu Intrigen, und zahlreiche Alphas schmiedeten dunkle Pläne, um sich selbst zum ERHABENEN zu machen. Natürlich erreichten nicht alle ihr Ziel. Viele Herausforderer waren den amtierenden ERHABENEN nicht gewachsen und starben an deren Stelle, denn einer von beiden musste zwangsläufig den Tod finden. Entweder der ERHABENE oder sein Herausforderer. Denn nach Tilgerds Vatermord hatte sich schon frühzeitig ein fest-
stehendes Ritual etabliert, das von einem ERHABENEN zum nächsten weitergegeben wurde. Ein Ewiger konnte nur in diese Position gelangen, indem er mit seinen Parafähigkeiten ebenfalls einen Kristall der Macht schuf, mit dem er den amtierenden ERHABENEN herausforderte. Das war nur Alphas möglich, die einen Kristall 10. Ordnung besaßen, der über das entsprechende Potential verfügte. War einer aus ihren Reihen erfolgreich, kam es zum Zweikampf, bei dem der Unterlegene getötet und sein Dhyarra zerstört wurde. Es galt als ungeschriebenes Gesetz, dass es immer nur einen Machtkristall geben durfte, durch den der ERHABENE sich legitimierte. Wenn ein Ewiger starb, hinterließ er keine biologischen Rückstände. Sobald er hinüber ging, löste er sich auf, und nur seine Kleidung blieb zurück. Die Herrschaft des Imperiums ging vom Kristallplaneten aus, dessen galaktische Position ein gut gehütetes Geheimnis blieb. Dort residierte der ERHABENE, der zumeist einen Helm mit eingearbeitetem Visorband trug, der seinen Kopf vollständig umschloss und ihn unkenntlich machte. Dazu trug auch ein Vocoder bei, der die Stimme tarnte, indem er die natürlichen Schwingungen verzerrte. Grundsätzlich kleideten sich die Ewigen in einen einheitlichen silbernen Overall, der sich nur durch das jeweilige Rangsymbol seines Trägers unterschied. Jeder Overall war mit einem blauen Schulterumhang versehen und wurde von einem breiten Gürtel gehalten, in dessen Schließe der Dhyarra-Kristall eingearbeitet war. Ihr Hoheitsemblem war das mathematische Zeichen für Unendlichkeit, eine liegende rot-goldene Acht. Sie war eingebettet in eine stilisierte Galaxis-Spirale, die vor einem nachtblauen Hintergrund prangte. Irgendwann entdeckten die Raumschiffe der Ewigen im HeliosSystem die Erde, die sie als Gaia bezeichneten. Sie waren fasziniert von dem Planeten der Menschheit, dem sie fortan ihre besondere Aufmerksamkeit widmeten. Das zeigte sich besonders, als der ERHABENE Ghot Iyahve 65 Millionen Jahre in der Vergangenheit das Experiment Weltenschöpfung Götterwind startete, in dessen Verlauf eine zweite Gaia entstand,
deren biologischer Verlauf ganz anders vonstatten ging als auf der richtigen Erde. Dort wurden nämlich die Saurier zur beherrschenden Spezies, während auf der Erde der zweite Mond einschlug und die Saurier auslöschte. Danach drängten sich die Säuger in den Vordergrund, woraus sich die Primaten und später die Menschen entwickelten. Immer wieder schickten die Ewigen Agenten nach Gaia, die sich unter die Gaianer mischten, die Menschen, wie diese Spezies sich selbst nannte. Sie versuchten so viel Hintergrundwissen wie möglich über sie zu sammeln, um auch das Helios-System vielleicht eines Tages zu unterwerfen. Was genau sie an Gaia so faszinierte, konnte keiner von ihnen erklären, auch nicht Zeus, unter dessen Herrschaft die Dynastie für eine Weile Fuß auf Gaia fasste, bis er freiwillig abdankte. Im Gegensatz zu all seinen Vorgängern wurde er nicht getötet, sondern zog sich in die Straße der Götter zurück und ließ seinen Machtkristall Ted Ewigk zukommen. Besonders unter Ghot Iyahve und Kronos expandierte das Imperium, und das Netz der Transmitterstraßen wurde immer dichter. So setzte sich die Historie der Ewigen bis zum heutigen Tag und der aktuellen ERHABENEN Nazarena Nerukkar fort. Allerdings war sie die erste, die aus der Linie ausbrach und ihren Regierungssitz nicht auf der Kristallwelt einrichtete. Da sie den Goldenen Planeten bevorzugte, blieb der Kristallpalast verwaist. Unterdessen wetzten potentielle Herausforderer schon die Messer.
8. Giftiger Stern Das Schwebefahrzeug ähnelte einer ovalen Wanne, über die eine semitransparente Käseglocke gestülpt worden war. In einem wuchtigen Aufsatz am Heck befanden sich die Antriebsaggregate. Der Innenraum war groß genug, vier Personen Platz zu bieten. Hinter den drei unterschiedlichen Männern kletterte Nicole Duval als letzte in den Schweber. Sie trug ihren eng anliegenden schwarzen Lederoverall, den sie selbst gern als ihren Kampfanzug für besondere Einsätze bezeichnete. Stumm beobachtete Zamorra den kleinen, hageren Mann, der sich an den Bedienungseinrichtungen des Fahrzeugs zu schaffen machte. Zamorra konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Al Cairo erreicht hatte, was er wollte. Nämlich, dass die Gefährten ihn begleiteten. Was er ihnen als Preisgeld versprach, wollte er selbst ebenfalls haben, nämlich die Informationen über die Vergangenheit der Ewigen. Das war merkwürdig. Wenn er so scharf darauf war, konnte das nur bedeuten, dass die Ewigen zumindest Teile ihrer eigenen Geschichte selbst nicht kannten. Andererseits war das nicht so verwunderlich, wie es sich zunächst anhörte. Denn da deren Historie schätzungsweise eine halbe bis eine dreiviertel Milliarde Jahre in die Vergangenheit zurückreichte, waren fraglos die Erinnerungen an viele Dinge verloren gegangen. Bei solchen Zeiträumen blieb das gar nicht aus. Doch wer besaß Informationen aus dieser Zeit über die Ewigen, über die sie selbst nicht verfügten? Und wo wurden sie aufbewahrt? Al Cairos Andeutung, dass sie nicht so ohne weiteres zugänglich waren, klang nicht nach einem bevorstehenden Spaziergang. Er brauchte Unterstützung, um sie aus ihrem Versteck zu holen. Dass er sich dabei nicht auf die Unterstützung anderer Ewiger verließ, war auch nicht so ungewöhnlich, dass Zamorra sich darüber ge-
wundert hätte. Es war kein Geheimnis, dass deren interne Machtkämpfe wahrscheinlich so alt waren wie die Dynastie selbst. Dennoch ließ ihn die Frage nicht los. Was würden sie bei Zeta Reticuli vorfinden? »Mach nicht so ein mürrisches Gesicht, Zamorra«, sagte Ted Ewigk, als der Schweber mit leise summendem Antrieb vom Boden abhob und Château Montagne hinter sich ließ. Er flog mit geringer Geschwindigkeit in südlicher Richtung. »Es wird schon schief gehen. Ich kenne Al gut genug, um ihm bedingungslos zu vertrauen.« Zamorra beobachtete das einsam daliegende Land unter dem niedrig fliegenden Fahrzeug. Wenn jetzt ein Landwirt von seinem Feld aufschaute und es sah, würde sich die Regenbogenpresse wieder mit Meldungen über angebliche UFO-Sichtungen überschlagen. »Wenn Cairo uns nicht so im Ungewissen ließe, könnten wir ihm vielleicht auch vertrauen«, warf Nicole ein. »Oder hat er Angst, wir könnten es uns im letzten Moment anders überlegen?« »Angst?« Al Cairo gab einen amüsiert klingenden Laut von sich. »Ich werde aus den Gaianern nicht schlau. Bei ihrer Wissbegierde und ihrer Unternehmungslust verstehe ich nicht, dass sie nicht längst in den Weltraum aufgebrochen sind und ein eigenes Sternenreich gegründet haben. Und mit Aufbruch ins Weltall meine ich nicht die Erkundung des eigenen Mondes und ein paar unbemannte und nicht besonders erfolgreiche Ausflüge zum nächsten Planeten.« »Vielleicht liegt uns nichts an der Errichtung eines Imperiums nach dem Vorbild der DYNASTIE DER EWIGEN«, hielt ihm Zamorra vor. »Wir müssen keine anderen Völker unterwerfen.« »Was Sie nicht sagen, Professor. Haben Sie das auf Gaia nicht schon immer getan? Dann müsste ich Ihre Geschichte aber gründlich missverstanden haben.« Direkter Treffer, dachte Zamorra. Da konnte er Al Cairo angesichts der kriegerischen Entwicklung auf der Erde nicht widersprechen. Ihm gefiel nicht, dass die Ewigen so viel mehr über die Geschichte der Menschheit wussten als umgekehrt. Aber vielleicht war das anstehende Unternehmen dazu angetan, in dieser Hinsicht ein wenig Boden gutzumachen. »Immerhin belassen wir das Unheil, das wir anrichten, in den eige-
nen Reihen und tragen es nicht in die Galaxis hinaus.« »Das sollten Sie aber vielleicht tun, wenn Sie überleben wollen.« »Weil wir sonst ebenfalls der Dynastie zum Opfer fallen?«, fragte Nicole. »Ich rede nicht von uns Ewigen, sondern von den Gaianern selbst«, belehrte Al Cairo sie. »Aber ich bin nicht Ihr Heilsbringer und habe keine Lust, Ihnen das zu erklären. Fragen Sie doch einfach meinen alten Freund.« Zamorra schaute Ted Ewigk verständnislos an. »Wovon redet er?« »Vom unausweichlichen Untergang der Menschheit«, erklärte der ehemalige ERHABENE. »Es gibt Strömungen bei den Ewigen, die überzeugt davon sind, dass unsere Tage auf der Erde gezählt sind, wenn wir nicht ins Weltall ausweichen. Sieh dir unseren Planeten doch an.« Zamorra winkte ab. »Ja, ja, mir ist schon klar, worauf er hinauswill. Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir an uns selbst ersticken. Wir sind drauf und dran, in ein paar Dekaden all das zu zerstören, was wir in den wenigen Jahrtausenden geschaffen haben, seit Zeus sich von der Erde zurückzog.« Diese Argumentation war leider nicht von der Hand zu weisen, und Zamorra stimmte ihr sogar weitgehend zu. Die Erde konnte beim bestehenden Tempo der Ausbeutung ihrer Natur und der Umweltzerstörung, Massenverelendung und permanentem Kriegstreiben keine weiteren hundert Jahre überstehen. Es war ein ziemlich schwarzes Bild der nächsten Zukunft, das sich für die Menschheit abzeichnete, auch wenn die meisten es nicht wahrhaben wollten. Für die Ewigen hingegen, die in ganz anderen Zeiträumen dachten und beobachteten und derlei Entwicklungen schon häufig mitverfolgt hatten, war das aber möglicherweise viel offensichtlicher als für die Menschen selbst, die alles dafür taten, die Folgen ihrer globalen Misswirtschaft zu ignorieren oder gar zu verleugnen. »Ich kann mir die Gedankengänge der überwiegenden Kräfte in unseren Reihen durchaus vorstellen«, sagte Al Cairo. »Selbst wenn sie Wert darauf legen sollten, eines Tages auch Gaia unter ihre Kontrolle zu bekommen, brauchen sie dies nicht mit Gewalt anzustreben. Sie können einfach abwarten, bis sich das Problem der Anwe-
senheit der Gaianer von allein erledigt und sie den Planeten nicht mehr mit ihrer Präsenz verunreinigen.« »Verunreinigen? Über wie viel Arroganz verfügen Sie eigentlich noch?« »Nur keine Aufregung, meine Liebe. Das sind doch nicht meine Überlegungen.« Die heftige Attacke perlte an Al Cairo ab wie Wassertropfen von einer imprägnierten Wetterjacke. »Sie stammen von den Fürsprechern für die Ausdehnung des Imperiums.« »Zu denen Sie natürlich nicht gehören«, provozierte Nicole ihn. »Sie haben kein Interesse an der Erde?« »Ich versuchte bereits, Ihnen klarzumachen, dass ich einer derjenigen bin, die gegen weitere Eroberungen sind. Es ist meine Schuld, dass ich nicht in der Lage bin, auch Ihnen das begreiflich zu machen. Vielleicht versuchst du es mal in einer ruhigen Stunde, wenn du viel Zeit hast, Ted.« »Schon gut, Nicole. Al meint es nicht so«, beeilte sich Ewigk zu sagen. Er wusste genau, wie leicht es seinem alten Weggefährten fiel, jemanden mit seinen herablassenden Bemerkungen zur Weißglut zu treiben. Und Cairo meinte es immer genau so, wie er es sagte. »Wichtig ist doch, dass Al nicht zu den Falken unter den Ewigen gehört. Wenn wir ihn, und damit die gemäßigten Kräfte, gegen die Scharfmacher in der Dynastie unterstützen, kann das nur zu unserem Vorteil sein.« Hoffentlich, dachte Zamorra. Aber eine Garantie gab es dafür nicht. Denn nicht nur politische Falken verfolgten einen bestimmten Kurs, sondern auch die Tauben. Unter ihnen blieb ein kleines Waldstück zurück, an dessen Rand Al Cairo den Schweber tiefer drückte. Zamorra kannte die abgeschiedene Gegend. Kein Mensch hielt sich hier auf. An den meisten Tagen jedenfalls nicht. Heute jedoch war alles anders. Eine sensationslüsterne Menschenmenge hatte sich eingefunden. Zamorra entdeckte die Übertragungswagen verschiedener Rundfunk- und Fernsehanstalten. Schreie wurden laut, als der Schweber über den Bäumen auftauchte, und sämtliche Köpfe drehten sich in seine Richtung. Plötzliche
Hektik setzte ein, und Bewegung kam in die lauernden Kamerateams, die entweder auf den Besuch eines lebensbedrohlichen, unüberwindlichen Aliens spekulierten oder auf die Notlandung eines hilflosen, kleinen Außerirdischen, der auf der Suche nach einem Telefon war, weil er sein Handy verloren hatte, mit dem er aus der Umlaufbahn eigentlich nur Fotos hatte machen wollen. »Was hat denn dieser Aufmarsch zu bedeuten?«, stöhnte Zamorra entsetzt. »Konnten Sie nicht etwas unauffälliger bleiben?« »Ich hielt die Gegend für unauffällig genug«, antwortete Al Cairo ungerührt, während er das Raumschiff ansteuerte, um das sich die Menschenmenge gebildet hatte. »Da habe ich mich wohl getäuscht. Aber Sie sind doch fremde Raumer gewöhnt, Professor.« »Ich ja, und Nicole und Ted auch, aber doch nicht der Großteil der Menschheit.« »Aber sie hat, nicht zuletzt durch Ihre Aktivitäten, zumindest davon gehört. Die Zeiten, in denen die Gaianer noch verklärt von kleinen grünen Männchen sprachen, sind doch längst passé. Heute wissen sie, dass es Außerirdische gibt, und die, die noch immer nicht daran glauben, werden auch meinen Jäger ignorieren und gleichgültig weiterschlafen.« »Aber man muss auch niemanden mit der Nase darauf stoßen«, sagte Nicole angesichts der zu erwartenden Schlagzeilen, auf die sie ebenso wenig Wert legte wie Zamorra. »Zumindest ist das nicht Ihre Aufgabe.« »Die Gaianer werden es verkraften. Spätestens wenn ein neuer Superstar gesucht wird oder die wirklich wichtigen Stars der Gaianer aus irgendeinem Dschungel geholt werden müssen, ist das hier längst vergessen.« »Er ist nicht ganz bei Trost«, raunte Nicole Ted Ewigk zu. »Ich bleibe dabei, auch wenn ihr euer Blut ausgetauscht habt.« Ewigk grinste. »Interessante Vorstellung, aber ich glaube nicht, dass wir kompatibel sind, auch wenn wir uns rein äußerlich stark ähneln.« Er wandte sich an Al Cairo. »Wieso kommen die Menschen eigentlich nicht näher?« »Weil ich ein undurchdringliches Kraftfeld initiiert habe. Du kennst sie doch besser als ich. Die hätten meinen Jäger ansonsten bis
auf die Grundstreben demontiert.« »Du hättest ebenfalls ein Deflektorfeld aufbauen sollen. Dann gäbe es diesen Auflauf nicht.« »Das ist nicht mein Problem. Mit Blicken können die Gaianer nichts entwenden, was ihnen nicht gehört.« In dem 180 Meter durchmessenden Ringschiff öffnete sich ein Hangartor, in das Al Cairo den Schweber dirigierte. Sanft setzte er auf einem Antischwerkraftfeld auf, und das Summen des Antriebs erstarb. Augenblicklich schloss sich die entstandene Öffnung wieder. »Willkommen an Bord der Cairo«, sagte der hagere Mann. Hinter ihm begaben sich Zamorra, Nicole und Ted Ewigk in die Lenkzentrale des Ringraumers, der sich kurz darauf rotierend in die Luft erhob und eine johlende Menschenmenge unter sich zurückließ.
Zamorra schaute sich aufmerksam in der Lenkzentrale des dunkel schimmernden Rings um, der sich mit einer Irrsinnsgeschwindigkeit durchs All bewegte und dabei weiter beschleunigte. Schwarzgekleidete Cyborgs bedienten die Kontrollinstrumente, während Al Cairo sie von einem erhöhten Sichtplatz auf einer schwebenden Plattform beobachtete. Er gab ihnen keine einzige Anweisung, also wussten sie genau, was sie zu tun hatten. Auf einem riesigen Plasmabildschirm, der in zahlreiche Rasterflächen unterteilt war, waren die vorbeijagenden Sterne als verwaschene Lichtbänder zu sehen. Die Macht eines solchen Schiffes war für einen Menschen unvorstellbar, dabei war es noch ein Winzling gegen die Supra-Kreuzer und Schlachtschiffe der Ewigen, von den gigantischen Sternenschiffen gar nicht zu reden. »Finden Sie nicht, dass es langsam an der Zeit ist, uns etwas mehr über das Zeta Reticuli-System zu verraten?«, fragte Nicole. Langsam, als sei er in Gedanken ganz woanders gewesen, drehte Cairo den Kopf und sah seine drei Passagiere der Reihe nach an. Seine eisgrauen Augen waren noch immer in weite Ferne gerichtet,
aber allmählich kam er wieder in die Wirklichkeit zurück. Er räusperte sich, als fühlte er sich bei etwas Verbotenem ertappt. »Dazu gibt es nicht viel zu sagen«, brummte er unwillig. »Es ist ein System mit sechzehn Planeten. Nur der zweite, Ocron, ist für uns von Bedeutung. Dort finden wir nach meinen Informationen die Daten.« »Können wir dort atmen?«, fragte Ted Ewigk besorgt. »Ich möchte nicht gern in einem Raumanzug über die Oberfläche einer öden Welt stolpern.« »Mach dir keine Sorgen, es ist eine Sauerstoffwelt. Du wirst dich wie zu Hause fühlen, der Planet ist nämlich ziemlich heruntergekommen, wie man hört.« »Du scheinst eine Menge zu hören.« »Natürlich, denn die Konkurrenz schläft nicht. Du kennst mich doch.« »Eine Sauerstoffwelt?« Zamorra wunderte sich. »Haben die Ewigen nie versucht, Ocron zu besiedeln?« »Das ist nicht möglich. Wir könnten in diesem System nicht lange überleben. Zeta Reticuli ist ein giftiger Stern.« »Was meinen Sie mit giftig?« »So giftig, dass nur Gkirr unter seinem Licht gedeihen können.« »Gkirr?« Ted Ewigk war nicht begeistert. »Davon hast du nichts gesagt. Aber eigentlich hätten wir auch von allein darauf kommen können.« »Davon bin ich auch ausgegangen. Deshalb habe ich es nicht erwähnt. Aber es besteht kein Grund zur Sorge. Die Gkirr ahnen nicht einmal, dass wir kommen. Außerdem werde ich unsere wertvollen Leben doch nicht aufs Spiel setzen. Wofür gibt es denn Cyborgs?« Zamorra schielte unauffällig zu den kybernetischen Wesen an den Kontrollpulten hinüber. Sie zeigten mit keiner Regung, dass sie Al Cairos abwertende Bemerkung vernommen hatten. Zamorra fragte sich, wie es in ihrem Inneren aussah, denn auch wenn sie künstlich gezüchtet worden waren, besaßen sie doch so etwas wie Gefühle. »Es gefällt mir nicht, dass Sie Ihre Cyborgs für unsere Sicherheit opfern wollen.«
»Ersparen Sie mir solche Gefühlsduseleien, Professor«, antwortete Al Cairo gelangweilt. »Oder trauern Sie auch einer Made nach, die Sie zum Angeln auf Ihren Haken setzen?« »Ich angle nicht«, erwiderte Zamorra bei dem Vergleich angewidert. Er betrachtete die Cyborgs nicht wie Roboter, sondern wie Lebewesen. Es war schwer vorstellbar, dass sie etwas anderes waren. Bis auf ihre einheitliche schwarze Kleidung unterschieden sie sich nicht von den Ewigen, die sie geschaffen hatten. Die Cairo raste auf einen tiefroten Stern zu und bremste erst ab, als die Grenzen des Systems erreicht waren. Im Schutz des Ortungsfeldes näherte es sich Ocron. »Zahlreiche Einheiten der Gkirr werden angemessen«, meldete einer der Cyborgs. »Sie fliegen Patrouille, besonders in der Nähe des zweiten Planeten.« »Das ist schade. Ich hatte die leise Hoffnung, dass sie keine Schiffe im Raum haben.« »Ist das ein Problem für uns?«, fragte Ted Ewigk. »Das wird es werden«, bestätigte Al Cairo. »Wir kommen ihnen zu nahe. Trotz der Felder werden sie uns anmessen. Außerdem schützt unser Ortungsschutz nicht gegen optische Sicht, und gegen diese Übermacht können wir allein nichts ausrichten. Aber damit habe ich gerechnet.« Der Kommandant des Ringraumers schickte einen vorbereiteten Funkimpuls ab. Er würde die Daten bekommen, und wenn er das ganze System in Schutt und Asche legen musste. Wenige Minuten später kam die Verstärkung, auf die er gewartet hatte. Eintausend Raumschiffe der Ewigen fielen aus dem Hyperspace und erzeugten einen gewaltigen Strukturaufriss, der im gleichen Moment von den Gkirr angemessen wurde. Al Cairo starrte auf den Plasmabildschirm, Ted ebenso. »Also bist du inzwischen tatsächlich zum Alpha aufgestiegen«, folgerte der ehemalige ERHABENE. Der Kommandant antwortete nicht, sondern bereitete sich auf den Kampf vor. »Es geht los.«
Die Armada herbeigerufener Cyborg-Schiffe hing wie Sprenkel im All. »Ich übernehme die Cairo«, gellte die Stimme ihres Kommandanten. Zamorra fühlte sich hilflos, und seinen Begleitern ging es nicht anders. Es gab nichts, was sie tun konnten. Sie waren dem ehrgeizigen Ewigen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Sie konnten sich nicht einmal aus dem Ringschiff absetzen. Ein Dutzend dunkler Schiffe der Gkirr jagte aus dem Schatten heran und eröffnete augenblicklich das Feuer. Die sonnenheißen Energiestrahlen rasten lichtschnell auf die Cairo zu, die ihrerseits das Feuer auf die Angreifer eröffnete. Al Cairo warf sie in eine Kurve, die sie wieder von dem Planeten wegbrachte. Wie ein Schatten huschte sie vor ihren Verfolgern davon, dann brach hinter ihr ein Gewitter im Raum aus, als die Flotte des Ewigen zuschlug. Ein Gitter aus blassroten Laserstrahlen eilte durch die Schwärze, als unzählige Feuerbahnen nach den Gkirr griffen. Eine Wand aus Ringraumern warf sich ihnen in den Weg und empfing sie mit einem Feuersturm, in dem zwei dunkle Schiffe von jeweils fünfhundert Metern explodierten, bevor sie auch nur an Gegenwehr denken konnten. Sie wurden zu rasch expandierenden Wolken aus ionisiertem Gas, die im Nichts verwehten. Sofort wichen die restlichen aus, denn sie begriffen, dass sie gegen diese Übermacht keine Chance hatten, länger als ein paar Sekunden zu bestehen. Andererseits dachten sie auch nicht daran zu fliehen. Sie zogen sich zurück und spielten auf Zeit, die ihre zwischen den Planeten patrouillierenden Kameraden brauchten, um sich zu orientieren und in die Kämpfe einzugreifen. Binnen einer Minute war der Raum voll von ihnen. Sie formierten sich ober- und unterhalb der Bahnebene der Planeten. Die Cyborg-Schiffe verschwendeten keine Sekunde, sondern griffen mit allem an, was sie aufzubieten hatten. Das All war erfüllt von
hin- und hereilenden Feuerlanzen, die schneller waren, als ein menschliches Auge folgen konnte. Da waren die unheimlich schnellen Cyborgs den Gkirr gegenüber im Vorteil, doch das konterkarierten deren computerunterstützte Waffenleitsysteme. Ringsum gingen kleine Sonnen auf und erloschen wieder, wenn unter konzentriertem Beschuss ein Schutzschirm zusammenbrach und das verletzliche stählerne Gebilde in seinem Inneren der Vernichtung preisgab. Jedes Mal fragte sich Zamorra, wie viele Leben in diesem winzigen Sekundenbruchteil schlagartig geendet hatten oder wie viele Cyborgs vernichtet worden waren. Die CAIRO hielt sich zurück, wurde von den Gkirr aber nicht übersehen. Ein Schatten von der Größe eines Berges schob sich auf sie zu. Meterdicke Energiebahnen lösten sich aus seinem Leib und schufen verwirrende Lichtreflexe auf der schwarzen Hülle. »Al!«, schrie Ted Ewigk auf, aber da hatte der Kommandant schon reagiert. Der Ringraumer sprang dem verzehrenden Feuer entgegen und warf sich aus der Bahn. Irrlichternd streiften die Strahlen seinen Schutzschirm und wurden abgelenkt, ohne Schaden anzurichten. Al Cairo stieß einen Fluch aus. Anscheinend wurde selbst ihm die Sache jetzt zu heiß, zumal die Ewigen sich in solchen Situation eher als Feiglinge denn als Helden präsentierten. Schließlich hatten sie ihre Cyborgs, die für sie die Kastanien aus dem Feuer holten. »Zwei oder drei Treffer von diesem Kaliber, und die Schirme verabschieden sich.« »Dann sollten Sie aufpassen, dass wir eben nicht getroffen werden.« Der Ewige warf Nicole einen beiläufigen Blick zu. »Was glauben Sie, was ich hier tue. Aber es nützt nichts, wir müssen näher an Ocron heran.« »Die Gkirr erhalten weitere Unterstützung«, meldete einer der Cyborg die Anzeigen von seinem Kontrollpunkt. »Mehrere hundert Schiffe nähern sich aus dem interstellaren Raum.« »Ich verstehe nicht, von wo die Gkirr die so schnell herbeigeordert haben.« »Völlig unwichtig. Jedenfalls sind sie da. Du solltest dir etwas ein-
fallen lassen, Al, bevor wir ins Hintertreffen geraten.« »Das werde ich«, versicherte Cairo und trieb sein Schiff weiter von dem Kampf und dem schwarzen Schatten weg, bis es über die Bahn des dritten Planeten hinausjagte, als wollte es scheinbar aus dem System fliehen. Auf den Rasterflächen des Bildschirm lösten sich die Ausschnittvergrößerungen in rascher Folge ab. Cairo wartete, bis er sicher war, dass der riesige Gkirr-Raumer ihm nicht folgte, dann zog er sein Ringschiff in einem weiten Bogen zurück und näherte sich dem zweiten Planeten von einer anderen Seite. Der ganze Weltraum war ein einziges Lichtermeer. Erfolglos versuchte Zamorra sich anhand der Bilder einen Eindruck zu verschaffen. Bei dem pausenlosen Aufflammen der Geschützbatterien und den grellen Explosionen ließen sich die Gegner nicht mehr unterscheiden. »Wenn wir erwischt werden, kriegen wir es nicht mal mehr mit«, befürchtete Nicole. »Keine Sorge«, beruhigte Al Cairo sie mit ätzendem Sarkasmus. »Ein bisschen Zeit bleibt immer. Auch im Weltall stirbt man nicht so schnell.« Aber auch Zamorra kam immer mehr zu der Erkenntnis, dass es ein Fehler gewesen war, sich auf diese Mission einzulassen. Plötzlich drehte die Cairo ab. Ein harter Ruck ging durch das Schiff, als sie sich nach vorn warf. Rasend schnell wurde Ocron größer und sprang sie an wie ein Panther seine Beute. Bevor Zamorra richtig begriff, was geschah, jagte ein Strom Ringraumer durch eine Ausschnittvergrößerung. »Drei Schiffe der Gkirr!« »Egal. Die Cyborgs schirmen uns ab.« Der Ewige achtete nicht mehr darauf, was um die Cairo herum geschah. Sein Blick war fest auf den Planeten gerichtet. Seine Hand schwebte über einer Taste für ein Notmanöver. Sobald sich ein direkter Treffer im Schutzschirm verfing, würde er sie auslösen. Doch nichts geschah. Die Cairo jagte durch Ocrons Atmosphäre, ohne getroffen zu werden. Hinter ihr stürzten sich zwei Dutzend
Cyborg-Schiffe auf die drei Verfolger und vernichteten sie mit vereinten Kräften. Sofort drehten sie ab und warfen sich den nächstpositionierten Gkirr entgegen, bevor die merkten, dass einem der Raumer der Durchbruch gelungen war. »Abbremsmanöver!«, stieß der Ewige aus. »Vektor auf im Rechner verankertes Ziel ausrichten!« Bis zuletzt rechnete er damit, dass ihm Abwehrfeuer von Ocron entgegenschlug, aber anscheinend gab es keine planetengestützten Abwehrforts, wie die Ewigen sie auf vielen ihrer Welten errichtet hatten. Vielleicht war Ocron einfach zu unwichtig. Al Cairo konnte sich sogar vorstellen, dass die meisten der hier stationierten Gkirr selbst nicht mehr wussten, welch brisante Daten in ihren Speichern verborgen waren. Die Cyborgs übernahmen wieder die Kontrolle über die Bordsysteme, während die Raumschlacht zwischen den Planeten immer heftiger tobte. Der Ewige war zufrieden. Eine gigantische Raumschlacht mit riesigen Zerstörungen und zigtausendfachem Tod – eine bessere Ablenkung konnte es gar nicht geben.
Der schlanke Turm ragte einen halben Kilometer in die Höhe, war aber anscheinend ursprünglich noch viel größer gewesen. Seine Spitze fehlte, als sei sie abgebrochen. Zamorra betrachtete die Trümmerstücke, die in einem Umkreis von mehreren hundert Metern verstreut waren. »Sie müssen schon vor Jahren hier unten eingeschlagen sein«, vermutete er. Teilweise blockierten sie sogar eine ebene Rampe, die sich zwischen den dichtgedrängten Bauwerken hindurchschlängelte. Sie sah aus wie eine Straße für Bodenfahrzeuge. »Aber niemand macht sich die Mühe, sie wegzuräumen.« »Da drüben sieht es nicht anders aus«, pflichtete Nicole bei, als sie im Schutz einer flachen Mauer herangehuscht kam. »Anscheinend ist den Gkirr der Zerfall dieser Welt gleichgültig.« Al Cairo las Daten von einem kleinen silbernen Kasten ab, den er bei sich trug und nicht aus der Hand legte.
»Ist es das, was du mit heruntergekommen meintest, Al?«, fragte Ted Ewigk. »Meine Informationen sind schon älter, aber so schlimm habe ich mir die Zustände nicht vorgestellt. Offenbar hat sich die Lage auf Ocron dramatisch verschlimmert.« »Dann sollten wir zusehen, dass wir so schnell wie möglich … na, wohin auch immer kommen. Bist du sicher, dass du den richtigen Weg kennst?« Anstelle einer Antwort kletterte der Ewige in seinen Schweber, und die Gefährten folgten ihm. Zwar hätte er seinen Jäger am liebsten nicht verlassen, aber der war zu groß und kam nicht durch die Häuserschluchten. Allerdings hatte er ihn diesmal so getarnt, dass niemand ihn entdecken konnte. Doch wer sollte das tun? Kein einziger Gkirr ließ sich auf der Straße blicken. Al Cairo steuerte den Schweber dicht an der Häuserwand, die Straße so wie die Eingänge ständig im Auge behaltend. Notfalls konnte er in Sekundenschnelle auf eine kleine Armee zurückgreifen. Die Cyborgs waren am Boden unterwegs und machten sämtliche Bewegungen des Schwebers mit. Nicole gefiel die unheimliche Stille überhaupt nicht. »Keine Gkirr. Diese Stadt ist wie ausgestorben. Ich frage mich, wo sie alle geblieben sind.« »Vielleicht tatsächlich ausgestorben.« »Und was ist mit den Gkirr in den Raumschiffen? Denkst du, kein einziger von denen lebt auf diesem Planeten?« Die Widersprüche kamen Zamorra ebenfalls seltsam vor. Wenn die Daten, von denen Al Cairo angeblich erfahren hatten, wirklich so brisant waren, wieso wurden sie dann auf einer zerfallenden Welt gelagert? Die einzige Erklärung war, dass die Gkirr Ocron aus einem unbekannten Grund aufgegeben und die Daten längst vergessen hatten. Doch wozu sicherten sie das Zeta Reticuli-System dann mit Kriegsschiffen? »Können Sie sich vorstellen, dass hier eine Seuche ausgebrochen
ist?«, wandte er sich an den Ewigen. »Möglich, aber ich weiß es nicht. Wenn ich geahnt hätte, was uns hier erwartet, hätte ich eine Abteilung Cyborgs als Vorauskommando losgeschickt, um die Lage zu sondieren.« Doch nun waren sie hier, und es war unsinnig, wieder umzukehren. Dass die Cyborgs die Daten allein sicherstellten, war eine Vorstellung, die ihm nicht gefiel. Zwar kamen sie nicht gegen die Programmierungen ihrer Erinnerungsspeicher an, aber ihm behagte die Vorstellung nicht, dass sie selbstständig operierten, wenn es um soviel ging. Der Ewige verzögerte den Schweber. Vor ihnen ging es nicht weiter. Der Weg war durch ein eingestürztes Gebäude versperrt. Die Trümmer erhoben sich wie Berge in die Höhe. »Wir könnten darüber hinweg fliegen«, überlegte Ted. »Aber da oben kann man uns wie Tontauben abschießen.« Al Cairo instruierte die Cyborgs über Funk, die Spitze zu übernehmen und sicherzustellen, dass hinter den Trümmern keine Gkirr lauerten. Sie schwärmten aus und kletterten über das Hindernis. In diesem Moment riss ein Energiestrahl, der aus der Höhe kam, den Schweber aus seiner Bahn. Vierzig Cyborgs suchten nach einem Ziel und eröffneten das Feuer.
Krachend bohrte sich der Schweber in die Trümmer und kam mit einem Ruck zum Stehen. Unkontrolliert und Flüche ausstoßend, purzelten seine Insassen durcheinander. Al Cairo nahm eine Reihe von Schaltungen vor, ohne dass etwas passierte. »Ich bekomme den Schweber nicht mehr frei«, verkündete der Ewige. »Wir sitzen fest.« Nicole griff nach dem E-Blaster, der an der Magnetplatte an ihrem Gürtel befestigt war, und zückte ihn. Auch Zamorra und Ted Ewigk zogen ihre Waffen. Mit Dhyarra-Kristallen oder Zamorras Amulett konnten sie gegen Angreifer mit Strahlenpistolen nichts ausrichten. Hier half nur handfeste Verteidigung. »Also raus hier und weiter auf Schusters Rappen«, entschied Za-
morra. »Oder kehren wir zur Cairo zurück?« Der Ewige dachte kurz nach. »Auf keinen Fall. Das würde einem Aufgeben gleichkommen, und dazu bin ich nicht bereit.« Zamorra hatte nichts anderes von dem ehrgeizigen Mann erwartet. Selbst wenn sie umkehrten, um einen anderen Schweber aus dem Ringschiff zu holen, brachte das einen zu großen Zeitverlust mit sich. Auch wenn der Ewige seine Flotte im Weltraum über Funk erreichen konnte, wusste keiner von ihnen, was dort oben gerade geschah. Außerdem stand nicht fest, wie lange die Kämpfe anhielten, bis die Gkirr auf die Idee kamen, dass sie dazu dienten, einem Schiff die unbemerkte Landung auf Ocron zu ermöglichen. Noch hatten sie die Cairo nicht bemerkt, aber das konnte sich jederzeit ändern. Zamorra legte keinen Wert darauf, hier unten von riesigen Raumschiffen angegriffen zu werden. So verfallen wie die Stadt aussah, würden die Gkirr sich auch mit schwerem Beschuss nicht zurückhalten. »Welche Richtung, Cairo?«, fragte Nicole. »Diese Trümmerhalde könnte beim Drüberklettern ins Rutschen geraten.« »Uns bleibt keine Alternative, als sie auf dieser Seite zu umgehen.« Der Ewige streckte einen Arm aus und zeigte zu einem länglichen Artefakt, das an eine zerflossene Amöbe erinnerte. Zahlreiche blaue Linien bildeten wirre Muster in der semitransparenten Oberfläche, die wie eine Mischung zwischen Glas und Kunststoff aussah. Zamorra spähte in die Richtung, aus der der Schweber abgeschossen worden war. Es gab dort in der Fassade eine Menge ovaler Aussparungen. Der Schuss hätte aus jeder von ihnen kommen können, und die Wahrscheinlichkeit, dass sich unsichtbare Heckenschützen dahinter verbargen, war ziemlich groß. Eine heftige Entladung, die aus einer der Öffnungen kam, schleuderte Gestein und allerlei unkenntliche Dinge ins Freie. Dichter Qualm trat heraus und stieg an der Fassade in die Höhe. »Meldung!«, verlangte Al Cairo über Funk. »Hier oben waren mehrere Personen«, kam die prompte Antwort. »Zweifellos Gkirr. Sie haben sich zurückgezogen, als wir eine Wand sprengten.«
»Sucht sie und tötet sie«, befahl der Ewige. »Wenn sie schon vor uns sind, will ich nicht auf einmal auch noch welche im Rücken haben.« »Verstanden, Herr.« An verschiedenen Stellen huschten Gestalten zwischen den Gebäuden umher. Zamorra erkannte sie als Cyborgs, die systematisch einen Meter nach dem anderen sicherten, aber mit einem solchen Trugschluss begab man sich schnell auf dünnes Eis. In Lagen wie dieser bestand stets die Gefahr, dass ein Teil der Angreifer die vorrückende Gruppe umging und unversehens wieder auftauchte. Doch er vertraute auf die hochempfindlichen Sensoren und die ungeheuer schnellen Reflexe der Cyborgs. Es gelang ihm einfach nicht, sich an deren Anblick zu gewöhnen. Sie erschienen ihm wie perfekte Epigonen der Men in Black aus dem gleichnamigen Hollywood-Film. »Dann mal los«, sagte Ted Ewigk. »Bevor wir hier Wurzeln schlagen.« Er duckte sich und rannte los, als plötzlich ein singender Ton in der Luft lag. Ein blendender Energiestrahl zischte heran und verfehlte ihn um einen Meter. Zamorra und Nicole rissen ihre E-Blaster in die Höhe und erwiderten das Feuer im Paralyse-Modus, was Ted die nötigen Sekunden verschaffte, die er brauchte. Die flirrenden, blauen Blitze aus ihren Waffen verästelten sich, während sie die Wand bestrichen, und es gab die typischen trockenen Knack-Geräusche. »Wozu die unnötigen Umstände?«, kommentierte Al Cairo, der seinen Blaster ebenso wie die Cyborgs auf tödlichen Laser-Modus geschaltet hatte. »Je mehr Gkirr wir umbringen, desto besser für die Galaxis.« Desto besser für die Ewigen, dachte Zamorra sarkastisch. Allerdings hatte der Paralyse-Modus den Nachteil, nur zwanzig Meter weit zu wirken. Zu wenig in diesem Fall, wie sich zeigte, und ihm blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls die nadelfeinen Hochenergiestrahlen zu verwenden. Er vernahm einen gequälten Aufschrei, konnte den Absender aber nicht lokalisieren. Die Waffengeräusche verstummten, und gemeinsam lief er mit Nicole und dem Ewigen zu Ted hinüber.
Die Cyborgs waren weiter ausgeschwärmt. Von ihnen war nichts zu sehen, was Zamorra erstaunte. Ihre oberste Pflicht war der Schutz der Ewigen. Dass sie Al Cairo nicht strenger bewachten widersprach dieser Priorität. Zamorra sprach Cairo darauf an. »Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen«, erklärte der hagere Mann. »Die Cyborgs haben ihre Befehle und brauchen sich um mich nicht zu kümmern.« »Erstaunlich«, stichelte Nicole, die mit dem Alpha nicht warm werden konnte. »Bei der sprichwörtlichen Zurückhaltung der Ewigen kann ich das gar nicht glauben.« »Al ist nicht wie die meisten Ewigen«, mischte sich Ted ein. »Er hat nicht diese übertriebene Angst, von der du sprichst. Für einen Alpha wäre das auch fatal, dann würde nämlich keiner wagen, jemals einen ERHABENEN zum Zweikampf auf Leben und Tod herauszufordern.« Das mochte alles stimmen, änderte aber dennoch nichts an der zynischen Einstellung, die auch Cairo den Cyborgs gegenüber hatte. Zamorra verzog das Gesicht. »Schön, dass wir das auch geklärt haben. Ihr solltet weniger reden und euch dafür mehr den Gkirr widmen, sonst erwischen sie uns nämlich wirklich.« Ein paar Meter weiter explodierte etwas mit donnerndem Getöse und bestätigte seine Worte.
»Köpfe runter!« Gestein spritzte in alle Richtungen davon und trieb die kleine Gruppe in Deckung. Zamorra spähte hinter einem moosbewachsenen Quader hervor und entdeckte einen kleinen Krater, der eben noch nicht da gewesen war. Unter dem eingestürzten Straßenbelag gähnte ein Loch, aus dem uralte Leitungen traten. Ihre durch die Wucht der Explosion in Stücke gerissenen Enden schwankten sacht wie die Köpfe einer Hydra. Weiter vorn wurden die Cyborgs in ein heftiges Feuergefecht verwickelt. Sie handelten wie ein Mann. Wenn einer ein Ziel ausgemacht hatte und darauf schoss, folgten gleich mehrere weitere
Strahlen, die einem Angreifer keine Chance ließen, dem sonnenheißen Inferno zu entkommen, das das Mauerwerk zerschmolz. Al Cairo setzte sich in Bewegung, ohne auf seine Begleiter zu achten. Zamorra gab Nicole und Ted ein Zeichen, ihm zu folgen. Wenn sie Cairo verloren, würden sie ihn nur durch einen Zufall wiederfinden, und er war der einzige, der den Weg kannte. Beiläufig warf Zamorra einen Blick in den entstandenen Krater. In der Tiefe gab es einen Tunnel, durch den Wasser floss. Sie umgingen das Hindernis weiträumig und hatten danach den Eindruck, überall huschende Bewegungen zu sehen. Auch wenn die Stadt einen verlassenen Eindruck machte, waren es anscheinend nicht wenige Gkirr, die noch in ihr lebten. Oder spielten ihm seine Sinne lediglich einen Streich? Zamorra fragte sich, wie viele Gkirr sich in dem unüberschaubaren Labyrinth aus Gebäuden versteckten. Was war aus den anderen geworden? Die Dimensionen der Stadt verrieten Zamorra, dass es sich einmal um eine Megalopolis mit Millionen von Einwohnern gehandelt haben musste. Was war nur mit ihnen geschehen? Wieso und wohin waren sie, bis auf einige Ausnahmen, verschwunden? Er versuchte einen der Gkirr genauer zu erkennen, aber sie blieben nicht mehr als undeutliche Schemen. Ihr eigenartiges Verhalten gab ihm Rätsel auf. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, wäre er zu dem Schluss gekommen, sie seien scheu und hätten Angst vor Fremden. Dabei gehörten sie einem mächtigen Sternenvolk mit einem viele Sonnensysteme umfassenden Reich an, das sich seit unerdenklichen Zeiten mit den Ewigen im Krieg befand. Vielleicht war das die Erklärung für den Zustand Ocrons. Möglicherweise hatten die Cyborg-Armeen der Ewigen das abgelegene Zeta Reticuli-System und speziell Ocron angegriffen und die Gkirr daraus vertrieben. Die wenigen, die sich noch hier aufhielten, mochten in den Wirren vergessen worden sein. Doch wenn Zamorra länger darüber nachdachte, erschien ihm diese Erklärung nicht besonders einleuchtend. Die Dynastie machte keine halben Sachen, und Rücksicht kannte sie schon gar nicht. Bei einem Angriff wäre hier viel mehr verwüstet worden. Stattdessen erkannte Zamorra überwiegend Spuren natürlichen Verfalls.
»Unheimliche Atmosphäre«, sagte Nicole, die seine Gedankengänge zu erahnen schien. »Man wünscht sich unwillkürlich, dass plötzlich ein Gkirr vor einem steht, den man nach dem Weg fragen kann.« Zamorra lächelte, aber auch ihm kam die Situation bizarr und unwirklich vor. Die weiträumigen Gebäudekomplexe vermittelten den Anschein, nur Staffage zu sein. Übrig gebliebene Kulissen eines Films, der längst abgedreht war. Die Gruppe schloss etwas zu den Cyborgs auf, die auf breiter Front vorrückten, wobei sie jede sich bietende Deckung geschickt ausnutzten. Immer wieder blitzte Geschützfeuer auf, und Energiestrahlen verloren sich zwischen den Trümmern. Die Cyborgs schossen jedes Mal massiv zurück und schlugen die offenbar einzeln operierenden Angreifer mit geballter Schlagkraft zurück. Die Bauweise der Gkirr war bestimmt von weichen Formen und fließenden Übergängen. An vielen Stellen entdeckte Zamorra Artefakte ähnlich dem, das ihn an eine Amöbe erinnert hatte. Manche davon waren an die hundert Meter hoch und bildeten eine harmonische Einheit mit den sie umgebenden Gebäuden. Vielleicht waren es ebenfalls welche, wenn auch nicht nach irdischem Verständnis. Al Cairo hetzte einfach weiter. Mit den Cyborgs vor sich schien er sich sicher zu fühlen. Nur wenn sie sich gegen die Gkirr zur Wehr setzen mussten, hielt er inne, um sich zu orientieren. Gelegentlich änderte er danach unwesentlich die Richtung. »Dafür dass du noch nie hier warst, ist deine Wegbeschreibung erstaunlich genau«, raunte Ted Ewigk ihm zu. Das fand Zamorra auch. Der Ewige kannte sich gut aus, fast zu gut. Er bedauerte es nicht, denn so blieb ihnen die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen erspart. Nach einer Weile weitete die Straße sich zu einem offenen Platz, der von monolithartigen Säulen bedeckt war. Wie knöcherne, graue Finger wuchsen sie in die Höhe und trugen eine silbern schimmernde Kuppel, die von Dutzenden Stacheln bedeckt war. »Das könnten Antennen sein«, überlegte Ted, während die Gruppe hinter einer Bodenerhebung verharrte. Selbst von unten war zu erkennen, dass viele der Stacheln abgeknickt waren und wie ver-
dorrte Äste wirkten. »Es muss dort einen Abstieg zu den subplanetaren Einrichtungen geben«, sagte Al Cairo. Er schätzte die Entfernung zu den nächstgelegenen Säulen. »Das sind knapp hundert Meter freies Feld, die wir überbrücken müssen, aber uns bleibt keine andere Wahl.« Er instruierte die wartenden Cyborgs, die sich daraufhin sofort nach rechts und links verteilten. Zamorra beobachtete sie, als sie leichtfüßig ausschwärmten. Sie bewegten sich schnell und geschmeidig wie Gazellen. »Den Marsch hätten wir uns sparen können. Es wäre ein Leichtes gewesen, mit der Cairo herzukommen.« »Zu landen aber nicht.« Der Ewige deutete nach vorn. »Oder hätte ich die Stelen zusammenschmelzen sollen?« »Sie sind doch sonst nicht so zimperlich«, hielt Nicole ihm vor. »Es sieht nicht so aus, als ob dort vorne Gkirr lauern.« Zamorra hielt vergeblich nach Bewegungen Ausschau. Allerdings konnte sich hinter den Säulen eine kleine Armee verschanzen. Doch das hätte wiederum bedeutet, dass die Gkirr wussten, wohin die Fremden wollten. »Gibt es keinen anderen Weg?« »Dann hätte ich ihn gewählt.« »Dann also los.« Einmal mehr war es Ted Ewigk, der vorausstürmte. Mit eingezogenem Kopf und schussbereitem E-Blaster rannte über den von spärlichem Bewuchs bedeckten Untergrund. Den anderen blieb gar nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. An Nicoles Seite spurtete Zamorra los. Wütendes Geschrei setzte ein, als er etwa die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht hatte.
Die Gkirr warteten nicht auf sie, sondern kamen von hinten. Neben Zamorra ging ein niedriger Busch in Flammen auf und entlockte Nicole einen entsetzten Aufschrei. Unversehens war die Luft um sie herum von Laserbahnen erfüllt. Instinktiv wollte Zamorra sich umdrehen, um das Feuer zu erwidern, aber das hätte ihn nur wertvolle Zeit gekostet. Er konnte nur hoffen, nicht in den Rücken
getroffen zu werden. Er fiel in einen hektischen Zick-Zack-Lauf und sah aus den Augenwinkeln, dass Nicole den gleichen Gedanken gehabt hatte. Von vorn und den Seiten jagten die Cyborgs wie Schatten heran. Die tödlichen Strahlen aus ihren Blastern fegten zwischen den Gefährten hindurch und griffen nach den Gkirr. Gegen seine Absicht warf Zamorra den Kopf herum, ohne langsamer zu laufen. Eine unüberschaubare Horde von Gkirr spülte auf den freien Platz und lief genau in die Schussbahnen der Cyborgs, die sie gnadenlos niedermähten. Als schreiende Fackeln stürzten Gkirr aus vollem Lauf zu Boden und überschlugen sich. Der kurze Blick reichte Zamorra, um ihr Bild vollständig in sich aufzunehmen. Er kannte die kleinen, dünnen Wesen mit ihren proportional zu großen Köpfen. Die silbernen Uniformen, die sie trugen, waren alt und zerschlissen. Einigen Gkirr hingen sie schlotternd um die dürren Körper. Sofort war Zamorra klar, woher er diese Wesen kannte. Schon andere Menschen außer ihm hatten sie gesehen, auch wenn keinem klar war, dass sie sich Gkirr nannten und einen nach Jahrhunderttausenden zählenden galaktischen Krieg gegen die DYNASTIE DER EWIGEN führten. Die meisten Menschen kannten sie aus einem anderen Zusammenhang. Nämlich als die kleinen grauen Männchen, die 1947 mit ihrem UFO bei Roswell in der Wüste von New Mexico abgestürzt waren und seitdem zu Forschungszwecken in der Area 51 aufbewahrt wurden. Mit denen schienen die Gkirr von Ocron allerdings nicht mehr viel gemeinsam zu haben. Warum führen sie sich auf wie wilde Tiere? Zamorra sah einen Cyborg, dessen obere Körperhälfte von einem Energiestoß aufgelöst wurde. Er gab keinen Laut von sich, sondern starb in gespenstischer Stille. Auch die anderen Cyborgs kümmerten sich nicht um ihr eigenes künstliches Leben. Sie schmissen sich zwischen Al Cairos Gruppe und die Gkirr und bildeten einen lebenden Schutzwall. Wenige Meter vor Zamorra erhob sich eine der mächtigen Säulen in die Höhe, hinter der gerade Ted Ewigk verschwand. Im nächsten Moment wurden sein Kopf und Oberkörper wieder sichtbar und er
unterstützte den Abwehrkampf der Cyborgs, die ohne Deckung waren. Dann war Zamorra ebenfalls bei der Säule. Mit weiten Sätzen schoss er an ihr vorbei und warf sich dahinter. Ein Laserstrahl verfehlte ihn so knapp, dass er Zamorras Gesichtshaut ansengte. Er achtete nicht darauf, sondern registrierte erleichtert, dass auch Nicole und Al Cairo in Sicherheit waren. Doch für wie lange? Nur wenige Cyborgs lebten noch. In ihrer unerklärlichen blinden Wut waren die Gkirr wie ein Orkan über sie hinweggefegt. Jetzt, da ihrem Herrn keine unmittelbare Gefahr mehr drohte, zogen sich die wenigen verbliebenen Cyborgs zurück. Der Ansturm der Gkirr wurde vorübergehend aufgehalten, als ihnen von verschiedenen Stellen das Abwehrfeuer der Gejagten entgegenschlug. Die Gkirr schrien wütend auf, als Lücken in ihre Reihen gesprengt wurden. »Alle umsehen!«, schrie Al Cairo. »Ich kann keinen Eingang entdecken, dabei müsste er genau hier sein.« Auch Zamorra sah sich hektisch um. Ihnen blieb nicht mehr viel Zeit. Auch wenn zahlreiche von ihnen im Sperrfeuer der Cyborgs fielen, dachten die Gkirr nicht ans Aufgeben. Sie hatten das Zentrum des Platzes mit den Säulen beinahe erreicht. »Ich habe einen Verdacht.« Nicole stieß sich vom Boden ab und kam auf die Beine. Sie machte ein paar Sätze zu einer anderen Säule und legte prüfend eine Hand darauf. Erst jetzt fiel Zamorra auf, dass es sich um die mächtigste der Stelen handelte. Sie hatte etwa den doppelten Durchmesser wie die anderen. Ein flirrendes Feld bildete sich in der grauen Oberfläche. Nicole winkte den Männern triumphierend zu. Sofort eilten alle zu ihr hinüber. Der Ewige steckte seinen Kopf in das Feld und blickte in einen senkrecht abfallenden Schacht unterhalb der Säule. Prüfend streckte er eine Hand aus, und Enttäuschung zeichnete sich in seinem Gesicht ab. »Ein Antischwerkraftfeld, nehme ich an. Leider funktioniert es nicht mehr.« Er musterte die glatte Wandung der Röhre und zeigte unter sich. »Sprossen. Wahrscheinlich eine Art Nottreppe.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, stieg der Ewige in den Schacht und machte sich an den Abstieg. Vom Platz her drang Geschrei, das die Cyborgs noch für einige wertvolle Sekunden auf Distanz hielten. Zamorra kletterte direkt hinter dem Ewigen die metallischen Sprossen hinunter. Sie waren glatt und kalt. Er legte den Kopf in den Nacken und warf einen Blick zurück, um sich zu vergewissern, dass seine Gefährten ihm dichtauf folgten. Über ihren Köpfen blieb das Tageslicht zurück. Es ging etwa dreißig Meter in die Tiefe bis zu einem Ausstieg, der in einen in Dunkelheit liegenden Korridor führte. Al Cairo machte einen Schritt hinein, und übergangslos schälten sich Umrisse aus dem Dunkel, als schwaches Licht einsetzte. Nirgendwo war ein Beleuchtungskörper zu sehen, der es warf. Offenbar wurde es direkt von den Wänden des Korridors illuminiert. Der Ewige studierte seine elektronische Wegbeschreibung. Erfolglos versuchte Zamorra einen Blick darauf zu werfen, doch auch so war nicht zu übersehen, wohin sie sich wenden mussten. Hier unten gab es zunächst nur den einen Weg, also konnten sie sich nicht verirren. »Wir sind richtig!«, rief Cairo nach oben. »Cyborgs, aufteilen! Die eine Hälfte folgt uns, die andere sichert den Zugang.« Zamorra war klar, dass das nur einen kurzen Aufschub bedeutete. Die wenigen verbliebenen Cyborgs konnten die anstürmenden Gkirr nicht lange aufhalten. Nicole und Ted Ewigk kletterten hinter ihm aus dem Ausstieg und stürmten hinter dem Ewigen her, der den Gang entlang lief. Oben ertönten die typisch knackenden und pfeifenden Geräusche von aktiven E-Blastern, während sich vier Cyborgs nacheinander in den Schacht schwangen. Zamorra gönnte ihnen einen letzten Blick, dann gab er sich einen Ruck. Die Luft in dem engen Korridor war trotz der direkten Verbindung nach draußen stickig. Er war eben hoch genug, dass Zamorra sich nicht bücken musste. Für die kleinwüchsigen Gkirr war die Höhe natürlich mehr als ausreichend, doch offenbar war hier lange niemand mehr gewesen. Eine dicke Staubschicht hatte sich abgelagert, in der sich die Fußspuren der Eindringlinge deutlich abzeichneten.
Er fuhr herum, als er Geräusche hinter sich vernahm, und hastete weiter, weil es nur die Cyborgs waren. Als er das Ende des Gangs erreichte, erwartete ihn eine weiträumige Halle, in der sich hohe Stapel von Metallcontainern türmten. Sie waren unversehrt, was in Zamorra den Verdacht aufkommen ließ, dass es sich bei den Gkirr trotz ihres ungewöhnlichen Verhaltens nicht um Wilde handelte. Ansonsten hätten sie längst versucht, die Container zu öffnen, um einen möglichen Inhalt zu plündern. Alles in ihm drängte danach, mehr über diese verwahrlosten Gkirr herauszufinden. Er ahnte, dass ein Geheimnis hinter ihrem Dasein steckte, das sich eines Tages auch für die Menschheit als relevant erweisen konnte. »Bleiben Sie nicht stehen, Professor«, rief ihn Al Cairo in die Wirklichkeit zurück. »Wir sind fast da.« Seine Worte kamen nicht von ungefähr. Denn Donnergrollen fegte durch den hinter ihnen liegenden Gang. Sein Zustand wurde von der Staubwolke einer Explosion vernebelt. Am Einstieg an der Planetenoberfläche war zweifellos kein Cyborg mehr am Leben, weil die Gkirr sich den Weg freigesprengt hatten. In dem Gang war nichts mehr zu sehen, und die Staubwolke quoll daraus hervor und drang in die Halle ein. »Wir müssen in dieser Richtung weiter«, entschied der Ewige zwischen zwei Korridoren, die sich in einem Winkel von fünfundvierzig Grad teilten. Zamorra wollte loslaufen, aber da wurde er von oben angesprungen.
Von wegen, hier war lange niemand mehr gewesen! Offenbar gab es mehr als nur den einen Zugang. Zwischen den Containern tauchten Gkirr auf und bliesen zum Großangriff. Zamorra schlug hart auf den Rücken. Er wollte aufspringen, aber ein Gkirr lag auf ihm und drückte seine Arme nach unten. Trotz seiner dünnen Gestalt verfügte er über eine erstaunliche Kraft, war aber dank seiner geringen Körpergröße im Nachteil. Zamorra nutzte
den Spielraum, der ihm blieb. Mit einem Ruck richtete er seinen Oberkörper auf und rammte den Kopf nach vorn. Der Gkirr gab einen gurgelnden Laut von sich und torkelte zurück. Ein erstaunter Ausdruck trat in sein Gesicht, dann verhärteten sich seine Züge, und das Leben wich daraus. Denn bevor er wieder zu sich kam und einen erneuten Angriff unternehmen konnte, wurde er von einem Energiestrahl niedergestreckt, der sich in seinen Rücken bohrte. Er war von einem eigenen Artgenossen erschossen worden. Allerdings nur versehentlich, und noch so eine Hilfe des Schicksal konnte Zamorra kaum erwarten. Er rollte sich zur Seite ab, denn der Strahl hatte ihm gegolten. Mit dem bestialischen Gestank von verbranntem Fleisch in der Nase gelang es ihm, dem zweiten Schuss auszuweichen und für einen Moment hinter einem korbähnlichen Geflecht Schutz zu finden. Gleichzeitig glitt der Blaster wie von selbst in seine Hand. Ringsum wurde geschossen, und alles in Zamorra drängte danach, in dem tobenden Chaos nach Nicole zu suchen, aber ein winziger Moment Unaufmerksamkeit hätte sein Ende bedeutet. Sein eigener Schwung trieb ihn auf die Beine. Er sah eine blitzende Entladung, die den Korb in Brand setzte, und zog den Abzug des Blasters durch. Das Feuer versperrte ihm die Sicht, aber ein gequälter Aufschrei zeigte ihm, dass er getroffen hatte. Endlich entdeckte er Nicole und Al Cairo. Sie hockten hinter einem konisch geformten Artefakt und erwehrten sich der Angreifer, die von zwei Seiten auf sie eindrangen. Zamorra wollte ihnen zu Hilfe eilen, aber da waren die Cyborgs bereits da. Wie er es schon oben bei den Säulen erlebt hatte, warfen sie sich todesmutig vor den Ewigen und mähten alles nieder, was auch nur in seine Richtung schaute. Ihre sengenden Strahlen heizten die Halle künstlich auf. Das Kratzen in seinem Hals ließ Zamorra husten. Drückende Hitze breitete sich in der ohnehin stickigen Luft aus und machte das Atmen zu einer Qual. Auf dem Boden lagen die teilweise verkohlten Leichen von Gkirr. Zamorra musste sich weiter zurückziehen, weil zwei weitere Gkirr
auf ihn eindrangen. Er schwenkte den Blaster hin und her, bekam aber keinen von beiden ins Visier, weil sie über den Boden robbten und in einem toten Winkel steckten, den er nicht einsehen konnte. Zamorra legte auf einen Container an, in dessen Schatten sie untergetaucht waren, und zerschmolz seine Außenhaut. Glutflüssiges Metall lief an seiner Wandung herunter und ergoss sich auf den Boden. Unter gellenden Schreien kamen die beiden Gkirr auf die Beine. Ohne eine Miene zu verziehen, tötete er sie. Die Cyborgs feuerten pausenlos, und sie fällten einen Gkirr nach dem anderen. Fehlschüsse ließen ihre hochentwickelten Sensoren nicht zu. Sie waren nicht in Deckung gegangen, aber ihre extreme Schnelligkeit rettete sie immer wieder davor, getroffen zu werden. Wenn ein Strahl da einschlug, wo sie eben noch gestanden hatten, waren sie längst woanders. Für ein paar Sekunden hatte Zamorra Luft. Er stieß sich vom Boden ab und hechtete hinter das Artefakt, wo Nicole sich verschanzt hatte. »Das läuft nicht so, wie Sie das erwartet haben«, blaffte er den Ewigen an. »Wir müssen schnellstens hier raus, sonst schaffen wir es nicht mehr.« Er warf einen knappen Blick zu dem Gang, durch den sie gekommen waren. Jeden Moment konnten aus dieser Richtung weitere Gkirr nachrücken. »Von mir aus können wir gehen«, antwortete Al Cairo großmütig. »Aber zunächst müssen wir uns um Ted kümmern.« Zamorra sah, was der Ewige meinte. Ewigk lag in einer Ecke und hielt sich einen Ansturm der Gkirr mit letzter Kraft vom Leib. Zamorra fluchte, als er die unabwendbare Gefahr erkannte. »Von hier können wir sie nicht ausschalten, und sobald wir auch nur die Nase rausstrecken, erwischen die anderen uns.« »Das wollen wir doch nicht.« Plötzlich hielt Al Cairo eine flache Scheibe in der Hand, die nicht größer war als ein Fingernagel. »Ich habe genau das richtige, um hier für klare Verhältnisse zu sorgen.« »Was ist das?«, fragte Nicole besorgt. »Wir brauchen keinen Zaubertrick von Ihnen, der auch vor Ewigk nicht halt macht.« Al Cairo winkte gelassen ab. »Keine Kollateralschäden außer den Cyborgs. Ted, volle Deckung und Augen zu!«, schrie er und schleu-
derte die Scheibe dahin, wo sich ein Dutzend Gkirr zusammengerottet hatten. Zamorra riss die Arme vor die Augen. Die blendende Stichflamme, die entstand, raubte ihm trotzdem für einen Moment die Sicht. Millionen winziger Pünktchen tanzten vor seinen Augen, als er sie wieder aufschlug. Undeutlich erkannte er Ted Ewigk, der schwerfällig auf die Beine kam und zu ihnen herüberstolperte. Schreiende Gkirr torkelten orientierungslos umher und stolperten über die Leichen ihrer Kameraden, die nicht soviel Glück gehabt hatten und nicht nur blind geworden waren. Auch ein Cyborg war tot. Eine Bewegung am Tunnelausgang alarmierte Zamorra. »Da kommen noch mehr.« Die kleinwüchsigen Gestalten quollen aus dem Loch hervor, brauchten aber ein paar Sekunden, um sich zu orientieren. »Jetzt aber nichts wie weg.« Al Cairo warf sich herum und lief mit weiten Schritten durch die Halle. Zamorra, Nicole und Ted folgten ihm, bis sie vor einer stählernen Tür standen, die sich mühelos öffnen ließ. Die Cyborgs blieben hinter ihnen und schickten unplatzierte Feuerstöße in die Richtung, in der sie die nachrückenden Gkirr vermuteten. Der Raum hinter der Tür lag in Dunkelheit. »Die ist ja für Zwerge gemacht«, bemerkte Ted Ewigk trocken und bewies damit, dass er keinen ernsthaften Schaden davongetragen hatte. Silhouetten von Computerkonsolen waren auf der anderen Seite zu erkennen.
9. Requiem für einen Cyborg Vor ihnen flammte Licht auf, und draußen lärmten die nachrückenden Gkirr. »Eins zu Null für dich«, sagte Ted Ewigk. »Es scheint fast so, als ob hier unten doch nicht alles beim Teufel ist. Trotzdem sind unsere Freunde noch hinter uns.« »Dann müssen wir sie eben auf Abstand halten.« Al Cairo versetzte der schweren Metalltür einen Tritt. Mit einem dumpfen Geräusch schlug sie in den Rahmen. »Damit haben wir einen kleinen Aufschub erreicht.« Die Cyborgs bezogen Stellung und legten mit ihren Waffen auf die Tür an, um sie zu sichern. Zamorra bezweifelte, dass es eine gute Idee war, hier drin mit E-Blastern um sich zu schießen, aber er war sicher, dass der Ewige einem diesbezüglichen Argument nicht zugänglich war. Also kam es darauf an, dass sie möglichst rasch Erfolg hatten. Wenn überhaupt. Zamorra sah sich um. Der Raum war mit Technik vollgestopft. An den Wänden reihten sich Terminals aneinander. Die Verkleidungen der Computer schimmerten matt in dem kalten Licht, während die inaktiven Monitore wie tote Augen glotzten. »Kriegst du das hin?«, fragte Nicole. »Zur Not würde ich versuchen, die Anlage in Betrieb zu nehmen.« Zamorra wandte sich an den Ewigen. »Aber ich lasse die Finger davon, wenn Sie mir sagen, dass Sie das besser hinkriegen.« »Dazu bin ich hier. Das ist nicht das erste Mal, dass ich mit GkirrTechnologie zu tun habe.« Al Cairo streifte an den leblosen Maschinen entlang und unterzog sie eingehenden Betrachtungen. »Dann solltest du anfangen«, rief Ted von der Tür her. »Es wird nicht lange dauern, bis die durchbrechen.« Von außen wurde wütend gegen das Metall geschlagen, aber noch kamen die Gkirr zum Glück nicht auf die Idee, ihre Blaster als
Schweißgeräte einzusetzen, um sich einen Weg zu bahnen. Zamorra beobachtete den Ewigen. Vielleicht war Cairo wirklich erfolgreich, bevor die Gkirr eindrangen. Und was sollte danach passieren? »Wir sitzen hier drin in der Falle«, sagte er. »Egal wie die Sache ausgeht, die haben uns den Rückweg abgeschnitten.« Aber ihm war klar, wie Cairo das lösen würde. Mit Waffengewalt. Dabei hatte sich auf der anderen Seite der Tür inzwischen womöglich schon eine halbe Armee versammelt, die sich nicht so einfach überrennen ließ. Zu seiner Überraschung antwortete der Ewige: »Laut meinen Plänen gibt es eine Personenschleuse im hinteren Bereich, die Notfällen diente.« »Wenn das kein Notfall ist, dann weiß ich es nicht.« Nicole lief in den Nebenraum. »Gefunden!«, rief sie herüber. »Ich versuche mal, ob ich die Schleuse öffnen kann. Die ist seit Jahren nicht benutzt worden. Ted, du könntest mir mal zur Hand gehen.« Al Cairo blieb vor einem der Terminals stehen. Seine Hand schwebte zögernd über der Operatorkonsole, dann hieb er sie entschlossen auf eine Taste. Gebannt verfolgte Zamorra, wie die Anlage aus ihrem Schlaf gerissen wurde. Zahlreiche Kontrollleuchten erwachten zu blinkender Aktivität, und ein kaum hörbares Summen lag in der Luft. »Statusanzeige sieht gut aus«, murmelte Cairo vor sich hin. »Energieversorgung steht. Wir haben Glück. Wie es aussieht, wird die gesamte Anlage auf einen Schlag hochgefahren.« Seine Finger flogen über die Eingabemanuals, und nacheinander flammten die Monitoren auf. Zamorra konnte kaum glauben, dass die Technik bei den Zerstörungen, die sie unterwegs gesehen hatten, nicht ebenfalls Schäden davongetragen hatte. Doch das betraf zunächst einmal nur die Hardware. Welche Dateien noch erhalten waren, stand auf einem anderen Blatt. Außerdem war immer noch nicht ausgeschlossen, dass Cairo einer Fehlinformation aufgesessen war. Unwahrscheinlich, dachte Zamorra. Dazu hatte bisher alles zu gut gestimmt. Cairos Quelle musste sehr gut sein, auch wenn er nicht darüber reden wollte.
Der Ewige arbeitete hektisch, aber konzentriert. Mit sicheren Handgriffen gab er endlose Algorithmen in die Anlage ein. Der silberne Kasten, mit dessen Hilfe er den Weg hierher gefunden hatte, erwies sich jetzt zudem als Docking Station, die sich drahtlos mit den Rechnern koppeln ließ. »Es befinden sich eine Menge Dateien in den Speichern«, sagte er. »Die meisten sind beschädigt. Ich versuche ein Hyper-Wave zur Informationsrückgewinnung.« »Dazu bleibt keine Zeit mehr. Sie brennen sich durch.« Zamorra sah die glühende Naht, die sich an der Metalltür bildete. »Wir müssen hier raus.« »Ich habe es gleich.« In rasender Abfolge gab der Ewige neue Algorithmen ein. »Ich isoliere die Dateien, die nach meinem Index nicht in Frage kommen.« »Können Sie nicht vom gesamten Speicher ein Backup erstellen?« »Unmöglich. Die Datenmengen sind viel zu groß. Dazu brauchte ich eine direkte Verbindung mit einem Schiffsrechner. Oder einen schwarzen Dhyarra. Aber es hätte viel zu lange gedauert, ihn anzupassen.« Al Cairo stieß einen triumphierenden Laut aus. »Ich habe sie. Es kann nur diese eine Datei sein.« »Ist sie ebenfalls beschädigt?« Zamorra ließ die Tür nicht mehr aus den Augen. Jeden Moment war es soweit, dass die Gkirr durchbrachen. »Ja, aber das macht nichts, wenn ich mich nicht irre. Wir haben es mit einem vernetzten Rechner-Cluster zu tun, der sich die verlorenen Daten aus sämtlichen Bänken sucht und sie zusammenfügt. Wer immer hier die Dateien gesichert hat, hat ganze Arbeit geleistet und alles mehrfach hinterlegt.« »Klingt toll«, mischte sich Ted Ewigk ein. »Aber darüber können wir uns später unterhalten. Die hintere Schleuse ist offen. Wir müssen hier raus, Al.« »Du bist genau so nervös wie dein Freund.« Cairo löste die Verbindung zum Rechner und nahm seinen Wunderkasten an sich. »Schon fertig.« Dann los, wollte Zamorra sagen, als ein Ausschnitt der Metalltür in
den Raum gesprengt wurde. Sie raste an ihm vorbei und schlug krachend gegen eine Konsole, wo sie verbogen liegen blieb. Im Eingang wurden bewaffnete Gkirr sichtbar. Für einen Moment nur, dann trieben die Laserstrahlen der Cyborgs sie zurück. Zamorra und Cairo sprangen in den hinteren Raum. »Nicole ist schon draußen«, empfing Ted sie, als sie hinter ihm in einen engen Tunnel sprangen, der nur spärlich beleuchtet war. Mit gezogenem E-Blaster folgte ihnen ein Cyborg und deckte ihren Rückzug. Mit ohrenbetäubendem Lärm ging hinter ihnen die Welt unter, als sie fünfhundert Meter gelaufen waren. Eine Druckwelle jagte durch den Gang. »Die Cyborgs haben eine Bombe gezündet«, erklärte Al Cairo. »Von den Gkirr wird unser keiner mehr folgen.« Wenig später kletterten sie durch einen Keller auf die Straße hinaus.
Und gerieten vom Regen in die Traufe. Zamorra sah die Gefahr als erster. Er rief seinen Begleitern eine Warnung zu und warf sich auf Ted Ewigk, der vor ihm ins Freie geklettert war. Gemeinsam gingen sie zu Boden und überschlugen sich. »Was soll das?«, fuhr der Reporter protestierend auf. Ein sengender Energiestrahl raste über ihn hinweg und zerschmolz das Stahlplastik der hinter ihm aufragenden Wand. »Das fragst du besser die da drüben. Na los, komm schon in Deckung.« In einer Einmündung zwischen zwei Häuserblocks, in der sich mehrere Straßen trafen und zu einem verwilderten Platz erweiterten, schwebte ein Fahrzeug einen Meter über dem Boden. Die Köpfe mehrerer Gkirr waren hinter der Sichtscheibe der Kanzel zu sehen. »Ich bringe diese elenden Gkirr um. Das ist mein Schweber«, zischte Al Cairo drohend. Anscheinend war es den Gkirr gelungen, ihn aus dem Schutthaufen zu bergen und wieder flott zu machen.
»Besonders schwer war er nicht beschädigt, sonst wäre ihnen das nicht so rasch gelungen. Entweder hätten wir ihn nicht zurücklassen dürfen oder ihn ganz untauglich machen müssen.« Zamorra und Ewigk eröffneten das Feuer auf den Schweber gleichzeitig, während es in der Abstrahlmündung von dessen Bugkanone bedrohlich schimmerte. Wieder schossen die Gkirr. Dass sie nicht trafen, war keine große Erleichterung, denn durch ihre strategisch günstige Position hatten sie sich einen enormen Vorteil verschafft. »Sie haben uns hier festgenagelt«, stellte Nicole fest. »Sobald wir den Kopf rausstrecken, schießen sie uns ab wie Tontauben.« »Oder sie warten so lange, bis sie genug Verstärkung zusammen haben, um von allen Seiten zu kommen. Eine Ausweichmöglichkeit haben wir noch. Wir können wieder in den Tunnel zurück.« »Können wir nicht«, zerstörte Al Cairo Teds Hoffnung. »Die Cyborgs haben ganze Arbeit geleistet. Die unterirdischen Räume sind zerstört, und der Gang ist verschüttet. Da kommen wir nicht mehr durch. Uns bleibt nichts anderes übrig, als vor uns unser Glück zu versuchen.« Er gab dem einzigen Cyborg, der ihre Gruppe noch verstärkte, einen Wink. Das künstlich erschaffene Wesen sprang aus der Deckung und raste nach rechts hinüber, schneller als irgendein Mensch es gekonnt hätte. Doch einem genau gezielten Laserstrahl, der mit Lichtgeschwindigkeit heranraste, konnte auch ein Cyborg nicht ausweichen. »Wir müssen ihm Feuerschutz geben!« Zamorra riss seinen Blaster in die Höhe und feuerte. Sofort taten die anderen es ihm nach und zwangen die Gkirr, die Köpfe einzuziehen. Sekunden später verschwand der Cyborg zwischen einer Baumgruppe. Vergeblich versuchte Zamorra zu erkennen, was er tat. Er deutete zu einem Mauerstück. »Wenn er die Gkirr lange genug ablenkt, schaffen wir es vielleicht da rüber.« Im Schutz der Mauer war die Lage auf jeden Fall besser, weil die Gruppe sich dort aufteilen konnte. Zamorra verabscheute die Situation, in die sie geraten waren. Missmutig betrachtete er den Strahler in seiner Hand. Er mochte diese Ballerei nicht. Da war ihm jeder ma-
gische Kampf mit seinem Amulett lieber, doch damit konnte er hier nichts ausrichten. Die Gkirr schossen nicht mehr. Auch sie hielten offenbar Ausschau nach dem Cyborg, ohne ihn zu entdecken. Natürlich wussten sie, um welche Art Gegner es sich bei ihm handelte und welche Gefahr von ihm ausging. »Sie sind abgelenkt. Das ist unsere Chance. So etwas habe ich früher noch vor dem Frühstück erledigt.« »Mach keinen Unsinn, Ted. Das schaffst du nicht.« Mit einem Mal war Ted Ewigk auf den Beinen. Bevor ihn jemand zurückhalten konnte, spurtete er los. Zamorra stieß eine Verwünschung aus. »Dieser verdammte Dickschädel. Wenn man auf den nicht aufpasst.« »Ted hat recht«, wiegelte Al Cairo ab. »Ich kenne ihn gar nicht anders. Als ERHABENER war er noch viel draufgängerischer.« »Blödsinn!« Nicole legte ihren Blaster an und jagte dem Schweber einen sauber platzierten Schuss in den Bug, als sie an den Bewegungen der Gkirr erkannte, dass sie Ted gesehen hatten. Für einen Moment erwartete sie, er würde abstürzen, dann machte er einen plötzlichen Satz und raste zwischen die Bäume, um dort Schutz zu suchen. Gleichzeitig eröffnete er das Feuer auf den ehemaligen ERHABENEN. Ewigk schlug einen Haken nach dem anderen, aber der Energiestrahl näherte sich ihm unaufhaltsam. Aus vollem Lauf warf er sich nach vorne, rollte sich ab und tauchte unter dem Strahl durch. Bevor er wieder in die Höhe kam, wurde der Schweber zerrissen. Zamorra sah eine Gestalt, die von der Druckwelle der Explosion weggeschleudert wurde wie ein Blatt Papier. Es konnte nur der Cyborg sein. Anscheinend war er nahe genug an den Schweber herangekommen, um einen Haftsprengsatz anzubringen. Zamorra lief hinüber, um nachzusehen, aber er fand den Cyborg nicht. »Was hattest du eigentlich eben vor?«, empfing Nicole den sichtlich mitgenommenen Ted Ewigk.
»Du hast es doch gesehen«, antwortete er mürrisch. »Ich wollte diese Gkirr ein wenig durcheinander kegeln, aber der Cyborg ist mir zuvor gekommen.« »Wir sollten zusehen, dass wir endlich hier wegkommen«, drängte der Ewige, und diesmal konnte Zamorra ihm nur zustimmen. »Wir müssen zur Cairo und dann sofort starten, bevor alle Gkirr Ocrons von unserer Anwesenheit erfahren.« Ein plötzliches Rauschen erfüllte die Luft, und Ted starrte ungläubig in den Himmel. »Irgendwie ist das nicht unser Tag«, presste er zwischen den Zähnen hervor. »Al hat recht, wir sollten die Beine in die Hand nehmen.« Denn vom Himmel herab senkte sich ein kilometergroßes dunkles Gebilde wie ein finsterer Schlund, der die Stadt verschlucken wollte. Es war eins der Furcht erregenden Schlachtschiffe der Gkirr. Und es eröffnete sofort das Feuer.
Der gesamte Block hinter Zamorra stürzte brennend ein und ließ die Erde erbeben, als die Tonnen von Metall und Gestein auf den Untergrund schlugen. Dichte Staubwolken wurden hochgeschleudert, wirbelten durch die Luft und verdunkelten die Sonne. Da sich kein Lüftchen bewegte, schwebten sie wie schwerelos über dem Ort der Zerstörung. Die Erschütterungen warfen Zamorra zu Boden. Die Luft wurde aus seinen Lungen gepresst, als er hart aufprallte und sich überschlug. Hitze breitete sich in seiner Schläfe aus, und er als danach tastete, stellte er eine blutende Stelle fest. Er warf sich herum und schaute in einen tiefschwarzen Himmel. Der die Unterseite des Raumschiffs der Gkirr war. Zitternd suchte der gleißende Energiestrahl nach einem neuen Ziel. Aus aufgerissenen Augen verfolgte Zamorra seinen Verlauf. Der sonnenheiße Strahl näherte sich ihm. Hatten die Gkirr ihn etwa entdeckt? »Zamorra! Weg da!«
Es war Nicole Stimme. Der Dämonenjäger drehte den Kopf und entdeckte seine Gefährtin mit Ted Ewigk und Al Cairo. Aufgeregt winkte sie ihm zu. »Bleibt da stehen!«, schrie er zurück. »Kommt nicht näher!« Schon glaubte er das Knistern der Elektrostatik zu hören. Seine Haut kribbelte, als würden sich Millionen von Ameisen darauf austoben. Ihm blieb keine Zeit mehr für lange Überlegungen. Spontan entschied er sich für eine Richtung, aber der Strahl, der eine schwelende Narbe im Boden hinterließ, war unberechenbar und konnte ebenfalls jederzeit in eine andere Richtung ausschlagen. Als er Zamorra beinahe erreicht hatte, erlosch er plötzlich. Zamorra spurtete zu seinen Gefährten, als er den zweiten Schatten am Himmel sah. Wie eine Sternschnuppe stürzte er in die Tiefe. Er schleuderte Feuerbahnen, die wie Blitze aus dem Himmel fegten und sich über das Schiff der Gkirr ergossen. »Sie müssen den Anflug der Gkirr bemerkt haben und sind ihnen gefolgt.« »Vielleicht veranlasst Sie das, die Cyborgs künftig etwas weniger als sture Roboter zu sehen.« »Dazu gibt es keinen Grund. Sehen Sie endlich ein, dass es sich um Züchtungen handelt, Professor, die nur zu einem Zweck geschaffen wurden. Der DYNASTIE DER EWIGEN zu dienen.« »Aber sie verfügen über Gefühle und ein Gewissen.« »Unsinn! Denken Sie, wir wollen uns mit überflüssigen Parametern belasten?« »Das ist ja nicht zu fassen. Hört endlich auf zu streiten. Wir müssen hier weg, und zwar sofort.« Ted stieß die anderen vor sich her. »Wenn einer von diesen Pötten abstürzt, passen wir unter jeder Tür durch.« »Cairo, nehmen Sie Verbindung auf. Ihre Cyborgs müssen die Gkirr hier weglocken.« »Ich komme nicht durch.« Der Ewige schüttelte den Kopf und wirkte dadurch beinahe menschlich, aber von dieser Äußerlichkeit ließ sich Zamorra nicht blenden. »Irgendetwas dämpft meine Geräte.«
Nur ein paar Kilometer über ihren Köpfen entstand ein Geräuschorkan, der jedes Wort übertönte, als die zwei gewaltigen Raumschiffe aufeinander losgingen. Sie verdrängten die Luftmassen, die sich als Sturm über der halb zerfallenen Stadt austobten. »Steht nicht da wie die Ölgötzen«, trieb Nicole die Männer an. Sie rannten die verlassen daliegende Straße entlang. Ohne Al Cairos Orientierungssystem hätten sie sich in dem Labyrinth hoffnungslos verlaufen. Immer wieder warfen sie ängstliche Blicke zum Himmel, wo sich die beiden Raumer einen erbitterten Kampf lieferten. Langsam entfernten sie sich in westlicher Richtung, aber genauso schnell konnten sie wieder zurückkommen. Oder ein verirrter Energiestrahl verwandelte die Flüchtlinge in ein paar unsichtbare Molekülwolken. Sie kletterten über Hindernisse, die bis zur Unkenntlichkeit deformiert waren, bis sie vor dem stählernen Skelett eines Monuments von Stadiongröße standen, von dem der größte Teil der Außenverkleidung abgerissen war. »Hier geht es weiter«, kommandierte der Ewige und kletterte zwischen den Streben hindurch. Mit weiten Schritten überwand er eine freie Fläche, an deren Rändern sich allerlei Unrat angesammelt hatte. »Von Abkürzungen hat keiner was gesagt«, beschwerte sich Ted Ewigk und zwängte seinen muskulösen, wuchtigen Körper durch die aufragenden Streben, die wie die abgenagten Knochen von riesigen Sauriern aussahen. Dicht hinter ihm folgte Nicole. Zamorra bildete den Abschluss, was ihm beinahe zum Verhängnis wurde. Er wollte sich gerade ins Innere des ehemaligen Monuments schwingen, als er aus dem Augenwinkel einen Gkirr sah. Das dünne Wesen schoss ohne Vorwarnung. Der Strahl war schneller, als Zamorra ausweichen konnte. Aus!, schrie ein Gedanke in seinem Kopf. Vorbei! Das ist Ende. Ausgerechnet auf diesem öden Brocken in der Galaxis. Fernab der Erde. Ein derber Schlag wischte Zamorra beiseite. Der Energiestrahl traf nicht ihn, sondern bohrte sich einem Cyborg in die Brust, der die Bedrohung im letzten Moment gesehen und nicht gezögert hatte, sein Leben zu geben. Auch wenn Zamorra gar kein Ewiger war.
Der Parapsychologe griff nach seiner Waffe, aber der Gkirr war so unauffällig verschwunden, wie er gekommen war. Wahrscheinlich hatte ihn das bloße Auftauchen des Cyborgs in die Flucht geschlagen. Zamorra stand da wie versteinert. In der Brust des toten Cyborgs klaffte eine hässliche, schwarzgeränderte Wunde. In seine offen stehenden Augen war ein Ausdruck der Verblüffung getreten. Zamorra fragte sich, was seine letzten Gedanken gewesen sein mochten. War er überrascht, weil er begriff, dass er tatsächlich starb? Oder hatte er womöglich im Augenblick des Todes begriffen, dass er mehr war, als man ihm vom Tage seiner Reifung bis heute an weisgemacht hatte? Es war anscheinend der Cyborg, der kurz zuvor den Schweber mit den Gkirr zerstört hatte. Nun hatte er sich zum zweiten Mal selbstlos aufgeopfert. Auch wenn diese Handlungsweise biomechanisch in seinen Genen verankert worden war, änderte das nichts an der Tatsache. Er hatte sein künstlich erzeugtes Leben gegeben, um das des Mannes, den er gar nicht kannte, zu retten. Zamorra spürte einen Kloß im Hals und war unfähig, sich zu rühren. Er hat es getan, damit du weiterlebst. Willst du ihm diesen Triumph nehmen, indem du dich auch noch über den Haufen schießen lässt? Zamorra lachte laut auf. Sein eigener Gedanke kam ihm verdammt verwandt zu Al Cairos Gedankengängen vor, und das gefiel ihm gar nicht. Er musste sich zwingen, den Blick von dem Toten abzuwenden. Von Schuldgefühlen geplagt, folgte er seinen Gefährten. Sie erreichten die Cairo ohne weitere Zwischenfälle. Als sich der Ringraumer in die Luft erhob, wurden zwanzig Kilometer weiter mehrere Stadtteile des ehemaligen Molochs ausradiert, als sich das zerstörte Gkirr-Schiff wie eine kleine Sonne in den Boden bohrte. Seine kinetische Energie trieb es wie einen Keil in den Untergrund, stauchte es in sich zusammen und löste gewaltige Erdstöße aus. »Ab nach Hause«, sprach Ted Ewigk die Worte aus, die jeder von ihnen im Kopf hatte. Doch dazu mussten sie erst noch die Schlachtlinien durchbrechen.
Die Gkirr stürzten sich auf das Ringschiff, kaum dass es durch die Atmosphäre Ocrons gestoßen war und den Weltraum erreichte. »Das sind zu viele«, stieß Ted Ewigk aus. »Denen können wir nicht entkommen, Al.« Für Sekunden sah es so aus, als sollten sich Teds Worte bewahrheiten, denn plötzlich kamen die Gegner aus allen Richtungen. Ihre Strahlenbündel jagten durchs All und griffen nach der CAIRO, auf die sie sich jetzt konzentrierten. Auch wenn ihnen die Hintergrundinformationen fehlten, hatten sie begriffen, dass es nur um dieses eine Ringschiff ging. Die anderen schirmten es nur ab, um ihm die Flucht zu ermöglichen. Doch noch hatten die Gkirr es nicht. Al Cairo spielte seine langjährige Erfahrung an Bord von Raumschiffen aus. Mit haarsträubenden Manövern gelang es ihm, das nach ihm benannte Schiff zwischen seinen Feinden hindurchzulenken, ohne einen Treffer abzubekommen. Wie ein Derwisch fegte es hin und her und führte einen wilden Tanz auf, um sich die Gkirr vom Leib zu halten. Die Waffensysteme der Cairo jagten unterdessen eine Salve nach der anderen hinaus. Ihre Schutzschirme verdampften Metallteile oder fegten größere Trümmer einfach aus dem Weg. Denn überall trieben die brennenden Überreste von Schiffshüllen und ausglühende Wrackteile. Hunderte vernichteter Einheiten auf beiden Seiten hinterließen einen gewaltigen galaktischen Schrottplatz. Zamorra schätzte, dass die ursprüngliche Flotte des Ewigen bereits auf ein Drittel zusammengeschmolzen war. Doch daran verschwendeten die Cyborgs keinen Gedanken. In Wellen warfen sie sich den Gkirr entgegen, um so viele wie möglich zu zerstören. Auf ihre eigene Sicherheit achteten sie dabei nicht. Endlich entdeckte der Ewige eine Lücke zwischen den düsteren Schatten. Ohne zu zögern, stieß er hinein und ließ Ocron hinter sich. Mit Werten, die innerhalb eines Sonnensystems kaum zu vertreten waren, trieb er den Ringraumer in den interplanetaren Raum, zu ei-
nem anderen Umläufer, in dessen unmittelbarer Nähe keine Kämpfe stattfanden. Er raste direkt auf den dunkelgrünen, matt schimmernden Gasriesen zu, bremste brutal ab und vollzog einen Schwenk, der selbst dieses technische Meisterwerk bis an die Grenzen seiner Kapazität belastete. Protestierend dröhnten Aggregate, und eine Warnmeldung ertönte, als die enormen Kräfte durchschlugen und die Schiffszelle zu zerreißen drohten. Der Ewige ignorierte die Warnung und beschleunigte weiter. Wieder änderte er den Kurs und verschaffte sich endlich etwas Luft. Die Cairo jagte senkrecht zur Bahnebene der Planeten aus dem Zeta Reticuli-System, wie ein Jet-Strahl, der aus einem Schwarzen Loch entwich. »Der Kerl bringt uns um«, bemerkte Zamorra mit tonloser Stimme. »Wenn er es nicht tut, dann die Gkirr«, konterte Nicole. Was sich leider nicht von der Hand weisen ließ. Zamorra versuchte die Eindrücke sämtlicher Raster des Plasmabildschirms gleichzeitig zu verarbeiten. Es waren zu viele. Die Sterne des Hintergrunds verblassten angesichts der ungeheuren Energiemengen, die die vernichtenden Geschütze der Flotten in die Leere des Weltraums jagten. Das All schien zu brennen. Noch immer tobten die Kämpfe mit unverminderter Heftigkeit, aber die Gkirr gewannen allmählich einen leichten Vorteil. Sie drängten die großen Schlachtschiffe und Supra-Kreuzer zurück. Nur die Jäger und Jagdboote unternahmen immer wieder tollkühne Vorstöße. »Sieht so aus, als ob wir sie abgehängt haben«, sagte Al Cairo. »Eine bessere Gelegenheit, uns abzusetzen, werden wir kaum …« Seine Worte verstummten, als wie aus dem Nichts zwei kilometergroße schwarze Schemen vor der Cairo auftauchten. Klammheimlich hatten sie sich aus der Schlachtformation gelöst. Sie waren zu nahe, um noch ausweichen zu können. »Feuer frei für alle Waffen!« Sämtliche Geschütze feuerten synchron. Die Waffentürme der Cairo spuckten blassrote Strahlen, die sich in einem Fokus vereinigten und dabei ihre Schlagkraft potenzierten. Wabernd spritzten sie auseinander, als sie sich unaufhaltsam in den Schutzschirm des Gkirr-
Raumers fraßen, der unter der gebündelten Kraft zusammenbrach. Ungehindert bohrten sich die Energielanzen in die dunkle Außenhülle des Schiffes und stanzten metergroße Löcher hinein. Eine Feuerwand wallte der Cairo entgegen und verschlang sie. Kein Problem, so lange sie von ihren Schirmen geschützt wurde. Einzig die Außenbeobachtung fiel kurzfristig aus. Blind tauchte das Ringschiff durch die Nachwehen der Explosion und jagte an der anderen Seite unbeschadet wieder heraus. Wo sie von einem schweren Schlag getroffen wurde, der Ted Ewigk, der den Fehler gemacht hatte, sich nicht hinzusetzen, von den Beinen riss. Für den Bruchteil einer Sekunde schlugen gewaltige G-Kräfte durch und ließen die Insassen des Schiffs aufstöhnen. Nur die Cyborgs gaben keinen Laut von sich, sondern benahmen sich, als sei nichts geschehen. »Schutzschirme bei vierundsechzig Prozent«, gab einer der Cyborgs durch. Bevor irgendwer reagieren konnte, erhielt die Cairo einen weiteren Treffer. Tief in ihrem stählernen Leib wummerten die Meiler. Kreischende Geräusche drangen durch die Ringröhre, als würde der enorm widerstandsfähige Plastronitstahl von Titanenkräften zerfetzt. »Schutzschirme nur noch bei achtzehn Prozent.« Zamorra hatte den Eindruck, dass die Stimme des Cyborgs vollkommen teilnahmslos klang. Im Gegensatz zu ihm machte sich das Kunstwesen keine Sorge um sein Weiterbestehen. »Langsam wird es mulmig.« Nicole schaute Zamorra zerknirscht an. Hatten sie sich diesmal zu weit vorgewagt? Es war nicht das erste Mal, doch wieder befiel sie dieses lähmende Gefühl der Hilflosigkeit. Sie waren zum Zuschauen verdammt und konnten nicht in die Abläufe eingreifen. »Ted, du musst Cairo zur Vernunft bringen.« Doch wie sollte das mitten in einem Kampf auf Leben und Tod geschehen? Sie hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als plötzlich die Cyborg-Schiffe da waren. Zwei Supra-Kreuzer rasten, aus ver-
schiedenen Richtungen kommend, mit Dauerfeuer auf den GkirrRiesen zu. Sie hatten ihn beinahe erreicht, machten aber keine Anstalten, abzubremsen oder auszuweichen. Ungläubig starrte Zamorra auf den Bildschirm, auf dem sich das Verhängnis abzeichnete. Sie würden doch nicht etwa … … doch, sie taten es! Zamorra hatte den Eindruck, dass das Universum unterging, als sich die Supra-Kreuzer in kalkulierten Einschlagwinkeln in den schwarzen Giganten bohrten. Eine gewaltige bläulich leuchtende Blase bildete sich, als sich die Schutzschirme der drei Schiffe vereinten. Blitze zuckten durch die unförmige Energiekugel, die sich immer weiter verästelten, bis sie im Zentrum einer gewaltigen Explosion untergingen. Kamikaze, ging es Zamorra unwillkürlich durch den Sinn. Wie die »freiwilligen« japanischen Kampfflieger, die sich gegen Ende des zweiten Weltkriegs mit Flugzeugen voller Sprengstoff auf Flugzeugträger und andere Einheiten der amerikanischen Kriegsflotte gestürmt hatten. Es war der reinste Wahnsinn, der sich vor seinen Augen abspielte, aber es bestätigte das Wissen um die Ewigen. Bedenkenlos opferten sich die Cyborgs zu Tausenden, wenn sie damit auch nur einen einzigen Ewigen retten konnten. »Ich wusste doch immer, dass die Cyborgs einen größeren Nutzen haben, als nur Raumschiffe zu chauffieren«, kommentierte Al Cairo den Untergang der Supra-Kreuzer ungerührt. »Es ist allerdings schade um die Schiffe. Ich werde neue besorgen müssen.« Der Parapsychologe stand kurz davor, ebenfalls zu explodieren. Mit Mühe gelang es ihm, sich unter Kontrolle zu behalten, als Ted Ewigk ihm eine Hand auf die Schulter legte. Zamorra nickte matt und presste die Lippen zu zwei blutarmen Strichen zusammen. Durch das Desaster ebbten die Kampfhandlungen kurzzeitig ab. Verwirrung griff um sich, die der Ewige dazu nutzte, seine Flotte zu sammeln. »Weg von hier!«, gab er an sämtliche Schiffe durch, um die Gunst des Augenblicks zu nutzen. »Wir ziehen uns zurück und versuchen, die Gkirr im freien Raum abzuhängen.« An der Spitze der Cyborg-Flotte raste die CAIRO in den interstel-
laren Raum hinaus. Rasch kleiner werdend, blieb das Zeta ReticuliSystem hinter ihr zurück. Nicht jedoch die Gkirr. Sie schickten alles hinterher, was sie noch aufweisen konnten. »Hoffentlich hat sich das alles gelohnt«, bemerkte Ted Ewigk trocken. »Das müssen schon verdammt wichtige Informationen sein, um so ein Himmelfahrtskommando zu rechtfertigen.« »Hör auf, dich zu beschweren«, hielt ihm Nicole entgegen. »Schließlich warst du es, der unbedingt auf diesen Ausflug wollte. Ohne dich wären wir überhaupt nicht hier.« Ted lächelte gequält. »Was tut man nicht alles für die absolute Macht. Selbst wenn sie gar nicht für einen selbst ist, sondern für einen anderen.« »Einer für alle, und alle für einen«, spöttelte Zamorra, dabei war ihm gar nicht nach Scherzen zumute. Die Gkirr in ihrem Kielwasser dachten gar nicht daran, die Überreste der Cyborg-Flotte entkommen zu lassen. Ihre dunklen Schiffe waren nicht leistungsschwächer als die der Ewigen, deshalb ließen sie sich nicht abschütteln. Wie nicht anders zu erwarten, dachte Zamorra. Nur weil die Technik von Ewigen und Gkirr sich in etwa die Waage hielt, dauerte der Krieg schon seit unzähligen tausend Jahren an. Wäre eine von beiden Seiten überlegen, hätte sie längst den Sieg errungen und die andere unterworfen oder vernichtet. »Wie viele Schiffe sind uns verblieben?«, fragte Al Cairo. »Insgesamt zweiundsechzig«, antwortete einer der Cyborgs. »Davon nur zwei Schlachtschiffe. Keine Kreuzer.« Zamorra konnte es nicht fassen. Zweiundsechzig Raumschiffe von vormals eintausend. Ihn schwindelte bei der Vorstellung, wie viele Cyborgs es dabei erwischt hatte, auch wenn der Ewige das ganz anders sah. »Sämtliche Einheiten der Jäger-Klasse und die Jagdboote lassen sich zurückfallen«, ordnete Al Cairo an. »Sie müssen die Verfolger aufhalten. Kein einziger darf durch die Maschen schlüpfen.« In verschiedenen Ausschnitten des Bildschirmrasters war zu sehen, wie die Cyborgs an Bord der 180 Meter durchmessenden Jäger
und der mehr als viermal so großen Jagdboote den Befehl befolgten, um der Cairo einen weiteren Vorsprung zu erkämpfen. Todesverachtend warfen sie sich den mächtigen Kampfgiganten der Gkirr entgegen und entfachten ein tödliches Blitzlichtgewitter. »Prächtig, nicht wahr?«, kommentierte der hagere Mann. »Die Cyborgs machen das schon.« »Wenn Sie so sicher sind, warum klingen Sie dann nervös?«, fragte Nicole, während hinter dem flüchtenden Ringraumer der entscheidende Kampf einsetzte. »Nervosität ist etwas für Zweifler«, tat Al Cairo ihren Einwurf ab. »Ich weiß aber genau, was ich will und was ich tue.« Gleich zu Dutzenden entstanden kleine Sonnen im Raum, als die Reste der beiden Flotten aufeinander trafen. Die Gkirr schwenkten aus, um durch die feuerstarke Barriere zu brechen. Der Großteil der Einheiten versuchte die Cyborg-Schiffe zu binden und in Gefechte zu verstricken, während einzelne vorstießen, um sich allein an die Verfolgung zu machen. Sie wurden nacheinander vernichtet. Der Kampf wogte hin und her, aber keinem Schiff gelang es, sich abzusetzen. Ebenfalls gewann keine Partei die Überhand und konnte einen entscheidenden Vorteil erringen. Was den Beobachtern in der CAIRO wie eine kleine Ewigkeit vorkam, spielte sich in wenigen Minuten ab. Der Untergang zweier Flotten mit sämtlichen Besatzungsmitgliedern. Al Cairo war hoch zufrieden, als die Kämpfe vorbei waren. So brauchte er seine beiden verbliebenen Schlachtschiffe nicht ebenfalls ins Feuer zu werfen. Obwohl ihm auch das nichts ausgemacht hätte, wenn es um seine eigene Rettung gegangen wäre.
Epilog Sie saßen nach ihrer Rückkehr zur Erde in Zamorras Arbeitszimmer im Nordturm von Château Montagne und warteten darauf, dass der Parapsychologe endlich mit dem Abspielen der Informationen begann. Es war nicht schwierig gewesen, die Datei so umzugestalten, dass das hochleistungsfähige Computersystem des Châteaus sie akzeptierte. Ted Ewigk konnte seine Ungeduld kaum noch zügeln, und auch Al Cairo zeigte im Augenblick mehr Interesse an dem Inhalt der Datei als an der geforderten Unterstützung beim Sturz von Nazarena Nerukkar. »Hoffentlich wird das kein Schlag ins Wasser«, unkte Ted. »Wenn hierbei nämlich nichts rauskommt, schuldest du mir was, Al. Und Nicole und dem Professor ebenfalls, nachdem wir uns für dich die Hinterteile aufgerissen haben.« »Niemand kann mir eure Sensationsgier vorwerfen«, wehrte der Ewige ab. »Du bist doch aus reiner Abenteuerlust mitgekommen, und deine Freunde, weil sie sich eigene Vorteile dadurch versprochen haben.« Nicole warf Al Cairo einen funkelnden Blick zu. Ihr lag eine böse Antwort auf der Zunge, aber sie verbiss sie sich, weil sie sie bei der Selbstgefälligkeit des Ewigen für vollkommen sinnlos hielt. Zamorra sagte gar nichts, obwohl er Ewigk vorbehaltlos zustimmte. Er dachte an den Cyborg, dem er sein Leben zu verdanken hatte. Bisher hatte er diese künstlich erschaffenen Wesen primär für Mörder im Dienste der DYNASTIE DER EWIGEN gehalten, aber der Zwischenfall auf Ocron hatte seine Meinung, wenn schon nicht revidiert, dann doch zumindest um eine Nuance verfeinert. Unter diesem Gesichtspunkt erwartete auch er, dass die Mission, die jedem von ihnen mehrfach das Leben hätte kosten können, gewisse Früchte trug.
Mit dem allerdings, was die drei Menschen und der Ewige dann erfahren sollten, hatte keiner von ihnen gerechnet.
Ungläubiges Schweigen herrschte nach den letzten Eindrücken. Zu unglaublich waren die Enthüllungen, die die Datei geliefert hatte. Das Bild des Planeten, von dem das Volk angesichts der Verwüstungen durch die Gkirr vor ewiger Zeit geflohen war, stand allen noch vor Augen. Es war das Bild der Erde, wie sie vor weit über einer halben Milliarde Jahren ausgesehen hatte. Al Cairo fand als erster die Sprache wieder. »Wir stammen von Gaia«, stieß er atemlos aus. Zum ersten Mal war die Überheblichkeit aus seiner Stimme verschwunden. »Aber das ist doch unmöglich.« »Anscheinend nicht«, überlegte Zamorra. »Oder haben Sie Zweifel an der Authentizität der Aufzeichnungen?« Cairo zögerte. In seinem Gesicht arbeitete es, während er nach einem plausiblen Grund suchte, die Frage bejahen zu können. »Eigentlich nicht«, sagte er schließlich widerwillig. »Mein bisheriges marginales Wissen über die Frühzeit deckt sich mit den Ausführungen der Datei. Ich kann keine Stelle entdecken, wo es Widersprüche gibt, die auf eine falsche Legende hinweisen.« »Aber wie kommen ausgerechnet die Gkirr daran, die Erzfeinde des Volkes und der Ewigen?«, fragte Nicole. »Vielleicht haben sie die Datensammlung angelegt.« Daran glaubte Al Cairo nicht. »Sie enthält zu viele Interna, die auch die Gkirr nicht kennen können.« »Vielleicht haben sie das Volk unterwandert. Die Ewigen hatten zahlreiche Agenten auf der Erde. Wer weiß, von wie vielen wir nicht einmal ahnen, weil wir sie nie enttarnt haben«, gab Zamorra zu bedenken. »Vielleicht ist den Gkirr das ebenfalls gelungen, und sie haben die Geschichte des Volkes und die Entwicklung der Ewigen lückenlos verfolgt und sie im Gegensatz zu ihren Feinden sogar kommentiert und archiviert.« »Dafür gibt es keinen Beweis«, begehrte Al Cairo auf. Es war nicht
zu übersehen, dass ihm die Vorstellung, dass den Gkirr das gelungen sein könnte, nicht gefiel. »Es muss einen anderen Grund geben.« »Ich höre ihn mir gerne an.« »Vielleicht handelt es sich um unsere Aufzeichnungen, die den Gkirr aus einem unbekannten Grund in die Hände gefallen sind.« Zamorra fand, dass das ziemlich unwahrscheinlich klang. Denn wer hätte sie in einem solchen Fall anlegen sollen? Die ERHABENEN? Die hätten sie zweifellos auf ihrer geheimen Kristallwelt verwahrt, die offenbar bis heute das Zentrum des Imperiums der Ewigen darstellte. Kein Gkirr hätte sie von dort erbeuten können. Oder hatten die Todfeinde des Volkes inzwischen einen Weg gefunden, sogar bis dahin vorzudringen? Ganz auszuschließen war die Möglichkeit nicht. Zamorra und Asmodis waren schließlich auch schon einmal dort gewesen. »Aber wie sind die Daten nach Zeta Reticuli gelangt?« Al Cairo gab keine Antwort. Er hatte an dem Brocken, den man ihm hingeworfen hatte, schwer zu knabbern. Vielleicht bereute er im Nachhinein sogar, sich auf das Unternehmen eingelassen zu haben. »Ich würde gern noch etwas ganz Anderes wissen«, setzte Nicole noch einen drauf. »Woher wussten Sie von diesen Aufzeichnungen? Wer hat Ihnen gesagt, wo Sie sie finden können? Denn offenbar handelt es sich um ein Geheimnis, das ebenso streng gehütet wird wie das um die Position der Kristallwelt.« »Es gibt keine direkte Quelle. Über Jahrhunderte stieß ich immer wieder auf vage Hinweise, die ich im Laufe der Zeit zu einem Gesamtbild zusammensetzte. Ich hätte mich auch irren können, dann wäre unser kleiner Ausflug sinnlos gewesen.« »Unser kleiner Ausflug«, echote Nicole fassungslos. »Er hat es nicht einmal sicher gewusst. Wir sind auf gut Glück geflogen und wären beinahe abgeschossen worden. Er hat geraten und unser aller Leben aufs Spiel gesetzt.« »Aber gut geraten«, bemerkte Al Cairo lapidar. »Geben Sie es ruhig zu. Sie sind beeindruckt.« »Nicht mehr als von Ihrer grenzenlosen Bescheidenheit. Aber noch etwas anderes begreife ich nicht. Was war auf Ocron los? Nach al-
lem, was wir gesehen haben, muss es sich einmal um eine blühende Welt gehandelt haben, und wir wissen, dass die Gkirr ein technisch hochentwickeltes Volk sind. Wieso hat auf Ocron diese Rückentwicklung stattgefunden?« »Und wieso war die Datei noch vorhanden, obwohl ringsum alles mehr oder weniger stark zerfallen war?«, schlug Zamorra in die gleiche Kerbe. »Was hatte die Wachflotte der Gkirr im Zeta ReticuliSystem zu suchen? Sie hätte nur einen Sinn ergeben, wenn die Gkirr mit ihr die Daten schützen wollten. Wenn sie aber doch nichts davon wussten, waren die Schiffe überflüssig.« »Hör auf, mir schwirrt schon der Kopf«, protestierte Nicole und winkte ab. »Irgendwann werden wir auf diese Fragen auch noch die Antworten finden.« »Wie auch immer«, warf Ted ein, der von den neuen Erkenntnissen so begeistert war, dass ihm die Fragen der anderen sonstwo vorbeigingen. »Eins steht jedenfalls felsenfest. Das Volk stellte die erste Menschheit der Erde dar. Sie waren unsere Vorgänger.« Er sah Al Cairo mit einem fröhlichen Lächeln an. »Irgendwie sind wir also miteinander verwandt.« »Ich mit dir vielleicht, mit den anderen aber nicht.« Der hagere Mann hatte seine Arroganz recht schnell wiedergefunden. »Auf jeden Fall haben wir jetzt eine Erklärung dafür, warum die Ewigen ständig versuchten, auf der Erde Fuß zu fassen. Es zog sie hierher zurück.« »Aber wir hatten doch auch keine Ahnung, dass wir ursprünglich von Gaia stammen.« »Vielleicht nicht bewusst, aber unterschwellig war sie da, als eine Art von Zugvogeldrang, ein archaischer Instinkt, an den Ort des Entstehens zurückzukehren.« »Mir liegt nichts an Gaia.« »Dir vielleicht nicht, aber du sagtest selbst, dass viele Ewige das anders sehen.« Ted Ewigk deutete auf den Dhyarra-Kristall seines ehemaligen Weggefährten. »Über welche Macht verfügt er? Die wievielte Ordnung hat er erreicht?«
»Das sind Dinge, über die selbst wir beide nicht reden sollten.« »Aber du bist ein Alpha. Nicole hatte recht, stimmt es? Du willst Nazarena Nerukkar stürzen, um selbst ERHABENER zu werden.« »Würde dich das stören? Möglicherweise sogar, weil du das selbst willst?« »Mich würde es stören«, raunte Nicole Zamorra zu. »Die Galaxis wäre dann zwar möglicherweise vor einer weiteren Ausbreitung des Imperiums der Ewigen sicher, würde aber bis in die hintersten Winkel von einer geistigen Welle der Überheblichkeit geflutet. Ich frage mich, was schlimmer ist.« »Ich hege keine Ambitionen«, wehrte Ted ab. »Ich bin einmal zurückgetreten, und dabei wird es bleiben.« »Wie sieht es dann mit der Gegenleistung aus? Ich habe mein Versprechen gehalten, Professor.« »Aber wir haben Ihnen nichts versprochen«, erinnerte die Französin. Auch Zamorra schüttelte den Kopf. »Nicole hat Recht. Ich bin nicht Ihr Ansprechpartner. Ich habe Ihnen bereits vor unserem Aufbruch gesagt, dass ich Sie bei Ihren undurchsichtigen Plänen nicht unterstütze. Die Ereignisse bei Zeta Reticuli haben mich in meiner Meinung nur noch bestätigt. Ich fürchte, dass der Krieg zwischen Gkirr und Ewigen demnächst wieder richtig aufflammt.« »Ein Grund mehr, Stellung zu beziehen und sich auf eine Seite zu schlagen«, beharrte Al Cairo. »Sonst besteht die Gefahr, dass man zwischen die Fronten gerät und zerrieben wird.« »Ich habe nur um Teds wegen mitgemacht, und dabei bleibt es erst einmal. Vielleicht entwickeln sich die Dinge eines Tages so, dass ich meine Meinung ändere, doch bis dahin werde ich abwarten.« »Auch auf die Gefahr hin, dass es dann vielleicht zu spät ist?« »Mit dieser Gefahr muss ich leben.« »So leicht kriegen Sie uns nicht.« Diesmal war es Nicole, die ein spöttisches Grinsen aufsetzte. »Versuche, uns mit solchen kleinen Spitzen zu manipulieren, sind ziemlich sinnlos.« Al Cairo sah ein, dass sich Zamorra und seine Kampfgefährtin nicht umstimmen ließen, deshalb wendete er sich wieder an Ted
Ewigk. »Was ist mit dir?« Ted hob ratlos die Schultern. »Ich kann dir heute noch keine Antwort geben, aber ich werde darüber nachdenken.« »Ich verstehe. Darf ich deine Antwort als Versprechen ansehen?« Ted nickte. Wenn Al Cairo sich einen größeren Erfolg versprochen hatte, ließ er sich seine Enttäuschung nicht anmerken. »Bevor ich aufbreche, habe ich noch eine Bitte, Professor. Halten Sie die Daten unter Verschluss. Ich möchte nicht, dass die Ewigen davon erfahren, jedenfalls jetzt noch nicht. Wenn sich der Krieg gegen die Gkirr wieder ausweitet, wäre das ein schlechter Zeitpunkt für weitere Unruhe.« »Ich werde die Daten geheim halten«, versprach Zamorra, der vorläufig ebenfalls nichts von einer Publizierung hielt. »In meinem Panzerschrank ist die Kapsel gut aufgehoben.« Al Cairo verabschiedete sich und kehrte zu seinem Raumschiff zurück, mit dem er kurze Zeit später startete, um wieder in den Tiefen des Weltraums und des Imperiums der Ewigen zu verschwinden. Ted Ewigk sah dem Ringraumer seines einstigen Weggefährten nach, während er immer kleiner wurde und schließlich als winziges Pünktchen am Himmel verschwand. »Ich glaube nicht, dass Al es schaffen wird«, raunte Ted Zamorra zu. »Ich traue ihm einfach nicht zu, dass es ihm gelingt, Nazarena Nerukkar zu stürzen.« Er hatte nicht mal eine Erklärung für seine Ahnung. Sie war einfach da.